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ABRISS •
DER
GESAMMTEN
KIRCHEIiGESCHICHTE
VON
D". J. J. HERZOG,
OBDENTLICHEM PROFESSOR DER THEOLOGIE IN ERLANGEN.
IN DREI THEILEN.
I. THEIL.
ERLANGEN.
TERLAG VON EDUARD BESOLD.
1876,
ABRISS
DER
GESAMMTEN
KIßCHENGESCHICHTE
VON
DR. J. J. HERZOG,
ORDENTLICHEM PROFESSOR DER THEOLOGIE IN ERLANGEN.
EKSTER THEIL.
DIE ZEITEN DER GRÜNDUNG UND ERSTEN AUSBREITUNG DER CHRISTLICHEN
KIRCHE VON CHRISTI GEBURT BIS ZUM ENDE DES ERSTEN JAHRHUNDERTS
NACH CHRISTI GEBURT.
DIE ZEITEN DES ALTEN KATHOLICISMUS VOM ANFANG DES ZWEITEN JAHI^-
HUNDERTS BIS ZUM ANFANG DES ACHTEN,
ERLAHGEN.
VERLAG VON EDUARD BESOLP,
1876.
Alle Rechte vorbehalten.
Prnek d«r UniversitSti-Bnchdraekerei Ton £. Tb. jRcob In Brian gen.
Vorwort.
Wozu, nachdem in unsern Tagen mehrere ausgezeichnete Dar-
stellungen der allgemeinen Kirchengeschichte erschienen sind, wozu dieser
neue Versuch? So wird vielleicht mancher der geehrten Leser fragen, so
musste der Verfasser, ehe er an die Arbeit ging, sich selbst fragen. Die
Antwort darauf wurde ihm in Einer Beziehung nicht zu schwer. Obgleich
die Werke 'von Ne ander und Gi eseler, den z>vei hervorragendsten
Kirchengeschichtschreibern der neuesten Zeit, noch immer die vollste Be-
achtung verdienen und von jedem, der sich mit der Kirchengeschichte
beschäftigt, fleissig benützt werden müssen, so liegt doch am Tage, dass,
seitdem jene Männer , auf deren Schultern wir stehen , • den irdischen
Schauplatz verlassen haben, die Kirchengeschichtschreibung, in Folge des
von ihnen gegebenen lebendigen Impulses, bedeutende Fortschritte gemacht
hat. Der Gesichtskreis für dieselbe hat sich überhaupt sehr erweitert.
Es ist auch eine bedeutende Zahl von Einzelforschungen gemacht worden,
und es werden deren immer noch mehrere gemacht, die es gilt in das
Ganze der Geschichte zu verarbeiten und eben dadurch zu verwerthen.
Ausserdem sind die angeführten Werke von Ne ander und Gi eseler so
Yt Vorwort.
weitläufig angelegt, dass schon dadurch leider manche vom Lesen der-
selben abgeschreckt, manche wirklich daran verhindert werden. Es möchte
daher eine Darstellung, welche die Mitte hält zwischen jenen ausführ-
lichen Geschichtswerken und den kurzen Compendien, deren in neuester
Zeit mehrere, zum Theil sehr vorzügliche, erschienen sind, vielleicht
den Wünschen und Bedürfnissen mancher Leser entsprechen.
Die beigefügten Quellen- und Literaturangaben, in welche wo mög-
lich das Hauptsächliche und Wichtigste aufgenommen ist, sind dazu
bestimmt, diejenigen, die diesen oder jenen Theil der Geschichte näher
erforschen oder überhaupt näher kennen lernen wollen, auf diesem be-
sonderen Gebiet zu orientiren.
Es ist, wie der geneigte Leser sogleich bemerken wird, die Ge-
schichte der Lehre in die Darstellung aufgenommen in der Art, wie Ne-
ander es gethan. Denn es lässt sich wohl die Geschichte der Lehre
abgesondert von der allgemeinen Kirchengeschichte behandeln, aber nicht
so gut diese ohne jene. Es fehlt nämlich ein wesentliches Mittel des
Verständnisses der Geschichte, wenn die bewegenden Ideen, die den Lehr-
gehalt der Kirche bilden, nicht in Rechnung gebracht werden. Man kann
sagen, die Geschichte der Lehre verhält sich einigermassen zur allge-
meinen Kirchengeschichte wie die Mathematik zu den Naturwissenschaften,
üebrigens musste für die grundlegende patristische Zeit die Geschichte
der Lehre in grösserer Ausführlichkeit gegeben werden, als es später der
Fall sein wird.
Wegen der genannten Verbindung mit der Geschichte der Lehre
lässt sich die Darstellung, die wir zu geben versuchen, nicht vollziehen
ohne bestimmte Stellung zur christlichen Frage, zur immer wiederkelu^en-
den Frage: was dünkt euch von Christo? Denn, obwohl im Leben der
modernen Culturvölker so vieles sich findet, was die Aufmerksamkeit vom
Christenthum abzieht, es führen doch viele Wege dahin zurück. Gehört doch
dasselbe zu unserem Leben und ist unzertrennlich damit verwachsen. Auch
die Angriffe auf das Christenthum, so stark sie öfters sein mögen, bewei-
Vorwort. Vit
Sen an ihrem Theile nur so viel, dass die Gegner sich bewusst sind, es
handle sich um eine grosse Macht im Völkerleben, wenn gleich man sie
tief heruntersetzt, indem man sich bemüht, das Christenthum als unver-
träglich mit der fortschreitenden Cultur der Menschheit darzustellen.
Ueberdiess, welch' ein eigenthümliches Verhängniss muss das Christen-
thum über sich ergehen lassen! Eine andre Macht, die sich zur Be-
schützerin des Wortes vom Kreuze aufgeworfen, gründet sich auf einen
Abfall von demselben. Ihren Orakeln Unfehlbarkeit beimessend, macht
sie Front nicht blos gegen die Angriffe auf das positive Christenthum,
sondern auch gegen das richtig aufgefasste Evangelium und gegen alle
Bestrebungen, dasselbe zur Anerkennung zu bringen und zu verbreiten.
So ist das Christenthum, deutlicher gesprochen, der evangelische Prote-
stantismus mitten inne gestellt zwischen zwei entgegengesetzte Feinde,
zwischen die abschätzigen Urtheile derer, die auf der Höhe der Bildung
der Zeit zu stehen sich rühmen, und die Bannstrahlen Roms, das neuer-
dings die unbedingte Herrschaft über die Kirche und auch die über die
Welt beansprucht.
Auf den Standpunkt des von diesen zwei Seiten angegriffenen , auch
innerlich so vielfach angefochtenen evangelischen Protestantismus stellen wir
uns, zwar wohl fühlend den gewaltigen Ernst der Lage, worin das Chri-
stenthum gegenwärtig sich befindet, aber ohne im mindesten die Hoffnung
auf den ferneren Bestand desselben aufzugeben. Wir fürchten auch nicht,
dass, wenn wir uns bei unserer Arbeit auf den Standpunkt des evan-
gelischen Protestantismus stellen, unser Gesichtskreis verengt und unser
Urtheil befangen gemacht werde. Es ist der christliche Geist, der sich
selbst erkennt in seiner Geschichte, — der zugleich scharfe Kritik am
Eigenen übt und das Substantiell -christliche auch in fremdartigem Gewände
zu erkennen und zu würdigen weiss.
Wenn wir anfangs bemerkten , dass uns die Antwort auf die Frage :
wozu dieser neue Versuch einer allgemeinen Kirchengeschichte? in Einer
Beziehung nicht zu schwer wurde, so wollten wir damit andeuten, dass
Vni Vorwort.
wir in anderer Beziehung das Gewicht der Frage und die Grösse und
Schwierigkeit der übernommenen Aufgabe wohl fühlen und erkennen. In
Beziehung darauf schliessen wir dieses Vorwort mit dem aufrichtigen
Bekenntniss, dass wir uns der Mängel unserer Arbeit wohl bewusst sind,
und mit der Bitte an den geneigten Leser, der unvollkommenen Arbeit
in Betrefi' des erhebenden Gegenstandes derselben nachsichtige Aufnahme
angedeihen zu lassen. Der zweite Theil, wozu schon manche Vorarbeiten
gemacht sind, wird die Geschichte bis zum Jahr 1517 fortführen.
Erlangen, 28. Juli 1876.
Der Verfasser.
InlialtsvCTzeiclmiss.
Die Zeiten der Grilndung und ersten Ausbreitung der christlichen Kirche.
Von Christi Geburt bis zum Ende des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt.
Einleitung S. 1. 2.
Erster Abschnitt.
Uebersicht des Zustandes der alten Welt, besonders in religiös -sittlicher und intellek-
tueller Beziehung zur Zeit der Gründung und ersten Ausbreitung der christlichen
Kirche.
Erstes CapiteL Zustand der heidnischen Völker S. 2—11.
Zweites Capitel. Zustand des jüdischen Volkes S. 11 — 23.
Zweiter Abschnitt.
Gründung und erste Ausbreitung der Kirche im apostolischen Zeitalter S. 23—41.
Die Zeiten des alten Katholicismus.
Vom Anfange des zweiten bis zum Anfange des achten Jahrhunderts.
Erste Periode des alten Katholicismus.
Vom Anfange des zweiten Jahrhunderts bis zum Jahr 313, vom Tode des Apostels Jo-
hannes bis zum Religionsedikt zu Gunsten der Christen, erlassen von Constantin dem
Grossen und Licinius. Die Zeit der Entstehung, ersten Ausbildung, ersten äusseren und
inneren Entwicklung des Katholicismus.
Erster Abschnitt.
Geschichte der Ausbreitung und Beschränkung, Verfolgung der Kirche.
Erstes Capitel. Die Ausbreitung des Christenthuras S. 44—46.
Zweites Capitel. Die Verfolgungen S. 46—64.
Zweiter Abschnitt.
Angriffe der Juden und Heiden auf das Christenthum in Wort und Schrift und Ver-
theidigung durch die Apologeten.
Erstes Capitel. Polemik der Juden und Apologetik gegen die Juden S. 65—67.
Zweites Capitel. Polemik der Heiden und Apologetik gegen die Heiden,
§, 1. Schriften wider und für das Christenthum S. 68—72.
X Inhaltsverzeichniss.
Dritter Abschnitt.
Die häretischen Angriffe auf das Christenthum und die Gegenanstalten der sich bilden-
den katholischen Kirche.
Erste Abtheilung.
Die Häresien S. 75. 76.
Erstes Capitel. Die Ebioniten S. 76—80.
Zweites Capitel. Die heidenchristlichen Gnostiker S. 80—94.
Zweite Abtheilung.
Die Gegenanstalten der Kirche gegen die häretischen Angriffe.
§. 1. Zusammenfassung der Gläubigen als katholische Kirche, gestützt auf die
mündliche Ueberlieferung und die mit derselben übereinstimmend ausgelegte
Schrift S. 94-97.
§. 2. Sammlung der ächten, unverfälschten neutestam entlichen Schriften S. 97 — 98.
§. 3. Die Glaubensregel und das apostolische Symbolum S. 98 — 101.
§. 4. Begriff der Häresie, des Häretischen S. 102. 103.
Vierter Abschnitt.
Die Geschichte der Theologie.
Erstes Capitel. Die Kirchenlehrer und Kirchenschriftsteller.
§. 1 der griechich - morgenländischen Kirche S. 103—124.
§. 2. Die Kirchenlehrer und Kirchenschriftsteller der lateinisch - abendländischen
Kirche S. 124-128.
Zweites Capitel. Uebersicht der sich bildenden katholischen Theologie.
§. 1. Die Lehre von den Erkenntnissquellen des Christenthums S. 128—131.
§. 2. Die Lehren von Gott, von der Dreieinigkeit, von der Schöpfung S. 131— 138.
§. 3. Die Anthropologie S. 139-141.
§. 4. Die Christologie S. 141—144.
§. 5. Die Heilsordnung S. 144-146.
§. 6. Die Eschatologie S. 146-148.
Anhang zur Geschichte der Lehre.
Die Manichäer S. 149—151.
Fünfter Abschnitt.
Die Geschichte der Kirchenverfassung, der Kirchenzucht und der ßeactionen gegen die
erstrebte Art der Kirchenverfassung und der Kirchenzucht.
Erstes Capitel. Geschichte der Kirchenverfassung S. 152. Fortschreitende Ent-
wicklung des geistlichen Standes S. 152—154. Der Episkopat S. 153 — 156.
Conföderation der einzelnen Gemeinden S. 156 - 161. Die Einheit der Kirche
S. 161-163. Der Bischof von Rom S. 163—169.
Zweites Capitel. Geschichte der Kirchenzucht S. 169—171.
Inhaltsverzeicliniss. XI
Drittes Capitel. Geschichte der Reactionen gegen die erstrebte Art der Kirchen-
zucht und Kirchenverfassung.
1) Der Montanismus S. 171—178.
2) Kirchenspaltung des Felicissimus in Carthago S. 178. 179.
3) Das novatianische Schisma S. 179. 180.
4) Schisma zwischen der afrikanischen und römischen Kirche über die Taufe
der Häretiker S. 180-182,
5) Meletianische Spaltung in Aegypten S. 182.
Sechster Abschnitt.
Geschichte des Cultus und der Sitte in der katholischen Kirche.
Erstes Capitel. Geschichte des Cultus.
1) Versammlungsorte der katholischen Christen S. 184.
Zweites Capitel. Gottesdienstliche Versamralungszeiten.
a) Wöchentliche Feiertage S. 188. 189.
b) Jahresfeste S. 189—194.
Drittes Capitel. Der Gottesdienst im Ganzen und die einzelnen Handlungen des-
selben S. 194. - Das Abendmahl S. 197 — 209. Die Taufe S. 209—211. Sa-
cramente 211. 212.
Viertes Capitel. Sittliche Wirkungen des Christenthums.
Sitte und Leben der katholischen Christen S. 213. 219.
Schluss S. 219-220.
Zweite Periode des alten Katliolicismns.
Vom Jahre 313 bis zum Jahre 451, vom Religionsedict der Kaiser Constantin und
Licinius bis zur Kirchenversammlung voiv Chalcedon.
Einleitung S. 221—222.
Erster Abschnitt.
Aeussere Schicksale des Christenthums im römischen Reiche. Kampf mit dem Heiden-
thum und Sieg über dasselbe.
1) Regierung Constantin's und seiner Söhne S. 223—229.
2) Julian zubenannt der Abtrünnige S. 229—234.
3) Weitere Entwicklung bis zum Ende der Periode S. 234—241.
Zweiter Abschnitt.
Geschichte der Theologie.
Uebersicht der Kirchenlehrer dieser Periode und ihrer Leistungen im Allgemeinen.
I. Lehrer und Schriftsteller der griechich- morgenländischen Kirche S. 243— 250.
II. Lehrer und Schriftsteller der lateinisch - abendländischen Kirche S. 251—262.
Streitigkeiten, die von der griechisch-morgenl&ndischen Kirche
ausgehen.
1. Die arianische Streitigkeit und ihre Verzweigungen.
Aeussere Geschichte der Streitigkeit S. 262—273.
XII Inhaltsverzeichniss.
•
Nähere Betrachtung der dogmatischen Momente der arianischen Streitigkeit.
1) Die arianische Lehre S. 273—275.
2) Die Synode von Nicäa. Das nicänische Symbol S. 275. 276.
3) Der Lehrbegriff des Athanasius S. 276—280.
4) Vermittelnde Eichtungen. Eusebianer und Semiarianer S. 280—282.
5) Die extremen Richtungen S. 282—284.
6) Die Lehre vom heiligen Geiste S. 284 — 286. — Weitere Entwicklung der
Lehre von der Dreieinigkeit S. 286.
n. Origenistische Streitigkeiten S. 287—291.
in. Die nestorianische Streitigkeit S. 292.
1) Christologische Verhandlungen und Stand der christologischen Frage bis zum
Ausbruche der nestorianischen Streitigkeit S. 293—297.
2) Die nestorianische Streitigkeit und das dritte ökumenische Concil zu Ephesus
im Jahr 431.
§. 1. Aeussere Geschichte des Streites S. 297—301.
§. 2. Nähere Betrachtung der christologischen Momente der nestorianischen
Streitigkeit S. 302-305.
IV. Der eutychianische Streit. Die Eäubersynode von Ephesus im Jahre 449 und
die vierte allgemeine Synode zu Chalcedon im Jahre 451 S. 305—313.
Streitigkeiten, die von der lateinisch-abendländischen Kirche
ausgingen.
Die pelagianische und die semipelagianische Streitigkeit.
Stand der anthropologischen und der soteriologischen Frage bis zum Ausbruch der
pelagianischen Streitigkeit S. 313—314.
Aeussere Geschichte der pelagianischen und der semipelagianischen Streitigkeit
S. 314-318.
Uebersicht des augustinischen imd des pelagianischen Lehrbegriffes.
I, Anthropologie S. 319—322.
n. Soteriologie S. 322-328.
Priscillianus und seine Anhänger S. 329.
Uebersicht der nicht controvers gewordenen Lehren.
Die Lehre von den Erkenntnissquellen des Christenthums. Von der Tradition und
der Autorität der Concilien S. 330—336.
Lehre von Gott S. 336—337.
Die Christologie S. 337—339.
Die Eschatologie S. 339—341.
Anhang zur Geschichte der Theologie S. 341. 342. Begriff des Dogma.
Dritter Abschnitt.
Geschichte der Kirchenverfassung , Kirchenzucht, Kirchenspaltungen. Das Dogma von
der Kirche.
§. 1. Das Verhältniss des Klerus zum Staate und zur bürgerlichen Gesellschaft
S. 343-346.
§. 2. Innere Verhältnisse des Klerus S. 346—348.
Inhaltsverzeichnisa. Aill
§. 3. Die Patriarchalverfassnng , besonders im Oriente S. 348—350.
§. 4. Der Bischof von Korn S. 350—355.
§. 5. Kirchenzucht S. 355-357.
§. 6. Die Kirchenspaltungen S. 357.
Die donatistische Spaltung S. 357 — 360.
Das Schisma des Lucifer, Bischofs von Cagliari auf der Insel Sardinien
S. 360. 361.
§. 7. Das Dogma von der Kirche S. 361—364.
Vierter Abschnitt.
Geschichte des Gottesdienstes.
• §. 1. Gottesdienstliche Gebäude S. 366—367.
§. 2. Gottesdienstliche Tage und Zeiten S. 368—375.
Märtyrer- und Mariencultus.
§. 3. Der Gottesdienst selbst. Der öffentliche, sonntägliche Gottesdienst insbe-
sondere S. 375. Abendmahl S. 375 -385. Taufe S. 385. 386.
Fünfter Abschnit.
Geschichte des christlichen Lebens und der christlichen Sitte S. 387.
Erstes Capitel. Das Mönchthum S. 387.
I. Mönchthum im Oriente S. 387—399.
II. Mönchthum im Occidente S. 399—402.
III. Verhältniss der Mönche zum Klerus S. 402. 403.
Zweites Capitel. Zustand des Klerus in religiös -sittlicher Beziehung. Einwirkung
desselben auf das Volk. Sittliche Grundsätze und christliche Sitte. Einfluss des
Christenthums auf die Gesetzgebung S. 403—412.
Drittes Capitel. Reformatorische Bestrebungen S. 412.
Jovian S. 412-414. Vigüantius S. 414-416. Aerius S. 416. 417.
Sechster Abschnitt.
Ausbreitung des Christenthums ausserhalb des römischen Reiches S. 417, in Afrika
S. 418, in Asien S. 419. 420, in Europa unter den germanischen Völkern S. 420
— 427, in Grossbritannien S. 427-429.
Dritte Periode des alten Katholicismns.
Vom Jahr 451 bis Anfang des achten Jahrhunderts, vom Concil von Chalcedon bis zu
den Bilderstreitigkeiten und bis zu Bonifacius, Apostel der Deutschen.
Einleitung S. 430. 431.
Erste Abtheilung.
Die Kirche vorherrschend des römischen Reiches.
Erstes Capitel. Aeussere Schicksale. Ausbreitung und Beschränkung des Chri-
stenthums S. 431—433.
Zweites Capitel. Geschichte der theologischen Streitigkeiten.
§. 1. Der monophysitische Streit S. 434—437.
XIV Inhaltsverzeiclmiss.
§. 2. Der monotheletische Streit S. 437-440.
§. 3. Augustinische und semipelagianische Streitigkeiten S. 440—442.
Drittes Capitel. Anbau der theologischen Wissenschaften und der Wissenschaften
überhaupt S, 442. Cassiodor 443—446. Boethius 446—447. Isidor von Hispa-
lis S. 447. Dionysius Areopagita S. 447—448.
Viertes Capitel. Geschichte des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat, Ge-
schichte der Kirchen Verfassung, der Patriarchen, insbesondere des römischen S.449.
Gregor I. S. 450— 453. Concilium quinisextum S. 454.
Pünftes Capitel. Geschichte des Gottesdienstes (Kirchen S. 455. 456. Reliquien
S. 457. Neue Feste S. 457. Litaneien S. 458. Messcultus S. 458. Fegefeuer
S. 460,
Sechstes Capitel. Geschichte des Mönchthums. Benedict von Nursia und der Be-
nedictinerorden S. 462 -467.
Zweite Abtheilung.
Die Kirche unter den germanischen Völkern und in Grossbritannien.
Erstes Capitel, Verbreitung des Christenthums unter den germanischen Völkern
auf dem Continente von Europa S. 468—473.
Zweites Capitel. Die britannischen Inseln S. 473—485.
Drittes Capitel. Die von Grossbritannien ausgehenden Missionen auf dem Conti-
nente von Europa S. 486—489.
Viertes Capitel. Innere Verhältnisse der katholischen Kirche unter den germa-
nischen Völkern S. 489—496.
Schluss S. 496.
Nachträge S. 500.
Die Zeiten der MAn mi ersten Anstireitnng der cöristliclien Kirclie.
. Von Christi Geburt bis zum Ende des ersten Jahrhunderts
nach Christi Geburt.
Wir stehen hier vor der schöpferischen Anfangsperiode der gesammten
Kirchengeschichte. Als solche enthält sie zugleich die Grundbedingungen
und Regulative für alle folgende EntNvicklung in allen den Beziehungen, worin
das christliche Prinzip sich bethätigt. Daher alle christlichen Religions-
partheien, jede in ihrem Sinne, sich auf diese Zeit berufen. Wenn nun
von katholischer Seite gesagt wirdM, dass in diesen Anfängen die Keime
einer Cultur liegen, die noch immer im Werden begriffen ist, wenn die
ganze folgende Geschichte lediglich als ein mit iimerer Nothwendigkeit sich
vollziehender Entfaltungsprocess aufgefasst wird, welcher über die primi-
tiven Formen des apostolischen Zeitalters hinausgeht, so wollen wir zwar
die Wahrheit, die diesen Behauptungen zu Grunde liegt, nicht verkennen,
aber eben so wenig den katholischen Grundirrthum , der sich daran knüpft
und der zur Rechtfertigung der grössten Abweichungen von der Wahrheit
des Evangeliums (Gal. 2, 5) verwendet worden und noch inmier verwendet
wird. Denn, sofern angenommen wird, dass das Christenthum, wie es im
Neuen Testamente urkundlich bezeugt wird, erst durch das, was die katho-
lische Kirche im Laufe der Zeit daraus gemacht hat, zu seiner vollen Ver-
wirklichung gelangt ist, erst dadurch sich in seiner ungeschmälerten
Wahrheit Geltung erworben, sofern das Urchristenthum mehr als Ausgangs-
punkt denn als Norm aufgefasst wird, so läuft die Sache zuletzt darauf
hinaus, dass, was man gemeinhin Fundament zu nennen gewöhnt ist, nicht
mehr Fundament im vollen Sinne des Wortes ist, sondern das darauf er-
richtete Gebäude tritt gewissermassen, — so sonderbar es klingen mag —
an die Stelle des Fundamentes. — Auf einen in der Form ähnlichen wle-
1) Döllinger in der Schrift: Christenthum und Kirche in der Zeit der Grund-
legung.
Herzog, Kirchengeschichte I. \
wohl durch Irrthümer anderer Art zubereiteten Abweg führt eine gewisse
moderne Weltanschauung in ihrer Anwendung auf das Urchristenthum. Das
Endergebniss davon ist eine willkürliche Construction der Geschichte des-
selben, wobei dessen eigentliches Wesen, ungeachtet mancher glücklicher
Apper Jus und Combinationen im Einzelnen, geradezu ausgemerzt ist. Daher
sollen wir uns hüten, die Zeiten der Grundlegung durch das Prisma der
folgenden Entwicklung oder einer dem Christenthum entfremdeten Denk-
weise zu betrachten und darnach zu beurtheilen. — Da aber das Christen-
thum, ungeachtet seines übernatürlichen Ursprungs in alle Bedingungen
geschichtlicher Erscheinungen eingetreten ist, so ist vor Allem nötliig, den
Boden kennen zu lernen, auf welchem es entstanden, die Zeitumstände und
Verhältnisse, unter welchen es hervorgetreten und sich seinen Platz in
der Welt erstritten hat.
Erster Abschnitt.
Uebersicht des Zustandes der alten Welt besonders in reli-
giös sittlicher und intellektueller Beziehung zur Zeit der
Gründung und ersten Ausbreitung der christlichen Kirche.
Tzschirncr, der Fall des Heidenthums, 1829. — Tholuck, über das Wesen
und den sittlichen p]influss des Heidenthums besonders unter Griechen und Römern —
in Neandcr's Denkwürdigkeiten, 1. Bd. — Schnockenburger, Vorlesungen über
neutestamcntliche Zeitgeschichte. — Hausrath, neutestamentliche Zeitgeschichte.
Burkhardt, die Zeit Constantin's des Grossen. Abschnitt V. VI. — Schür er,
Lehrbuch der alttestamentliclien Zeitgeschiclite, 1874. — Döllinger, Heidenthum
und Judenthum, Vorhalle des Christenthums, 1857. -- Schmidt, essai historique
sur la societe civile dans le mondc romain et sur sa transformation par le chri-
stianisme, 1853. — Hundeshagen, über einige Hauptmomente in der geschicht-
lichen Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche — in Dove's
Zeitschrift für Kirchenrecht 1861. S. 232 u. ff. — die Werke von Jost, Ewald,
Herzfeld, Grätz über die Geschichte der Juden. — Die einschlägigen Artikel
in Herzog's Realencyklopädie. Neander und Gieseler in der Einleitung
zu ihren Werken über allgemeine Kirchengeschichto. S. ausserdem Ackermann,
das Christliche im Plato u. in der platonischen Philosoj)hie, 1835.
Erstes Capitel. Zustand der heidnischen Yölker.
I. ;;Als die Zeit erfüllet war, sandte Gott seineu Sohn^ Gal. 4, 4.
Inwiefern entsprachen die Zeitverhältnisse dieser Aussage ? ^ Allerdings
waren grosse Veränderungen in der Welt vorgegangen, und so gross sie
sein mochten, schienen sie nur die Vorboten von noch grösseren zu sein.
Es kommen hier in Betracht die Völker der damals bekannten Welt
(oixoviief^rj). Da bemerken wir vor, Allem, dass die Weltgeschichte, die im
3
fernen Osten ihren Anfang genommen, mehr und mehr nach dem Westen
hingedrängt hat; den Schauplatz der Bewegung bilden diejenigen Völker,
die um das Becken des mittelländischen Meeres herum wohnen. Von ent-
scheidender Bedeutung ist, dass zwischen diesen Völkern die nationalen
Schranken, die in der antiken Welt so sehr hervortraten, und denen auch
die Religion sich am wenigsten entzog, theils durchbrochen, theils nieder-
gerissen waren. Die genannten Völker sind durch die politische Herrschaft
Eines Volkes verschlungen worden. In die Herrschaft Bom's mündet die
alte Welt aus. Nur die Parther nn Osten, die germanischen Völker im
Norden sind von der allgemeinen Unterjochung ausgenommen. Mit den
römischen Adlern w^erden römische Sprache, Sitte, Bildung und Gesetz-
gebung weithin ausserhalb der römischen Nationalität verbreitet und da-
durch die Völker einander näher gebracht. Rom bildet den Abschluss der
alten Welt und den Wendepunkt der neuen. Rom ist die durch providen-
tielle Fügung aufgestellte Macht, welche den Uebergang der alten Welt in
die neue Welt des Christenthums vermittelt, sowie denn durch ein merk-
würdiges Zusammentreffen der Heiland der Welt unter dem ersten römischen
Kaiser geboren wurde.
Die antike Trennung zwischen den Völkern war in Hinsicht der
Bildung und Civilisation noch in anderer Weise durchbrochen. Diess ist
die Bedeutung der Eroberungen Alexanders des Grossen, dass er griechische
Bildung und Sitte nach Asien und Egypten verpflanzte und diesen Völkern
die geistigen Schätze des alten Hellas öffnete. Griechische Bildung drang
auch in Palästina ein. Gab es doch in diesem Lande kaum einen Ort,
worin nicht griechisch gesprochen wurde ^). Wie denn überhaui)t die grie-
chische Bildung mehr in dem östlichen Theile des römischen Reiches ein-
heimisch geworden. Athen, Alexandrien und Tarsus in Cilicien waren die
bedeutendsten Sitze und Sammelpunkte derselben 2). In den westlichen
Theilen des Reiches hatte sich im Ganzen genommen die römische Bildung
überwiegende Geltung verschafft, doch keineswegs mit Ausschliessung der
griechischen Literatur, die seit Livius Andronicus (240 a. Chr.) in Rom
bekannt geworden. Im Verlaufe der Zeit bildete sich die lateinische Sprache
nach griechischen Mustern aus. Der ursprüngliche Hass der Republikaner
gegen die griechische Bildung und Litteratur schlug seit Augustus in
schwärmende Bewunderung um. Nur, was nach griechischem Muster ver-
fasst war, hatte fortan in den Augen der Römer Werth. Griechische Ge-
lehrte und Künstler aller Art strömten nach Rom. Griechen wurden die
Erzieher der römischen Jugend, in Griechenland, am liebsten in Athen,
vollendete der junge Römer seine Bildung. Noch lange wurde in Rom die
griechische Sprache als Schriftsprache verwendet. Auch in Carthago wurde
die Beschäftigung mit der griechischen Sprache und Litteratur eifrig be-
trieben.
So waren mehrere neue, durchgreifende Berührungspunkte zwischen
1) S. Hug's Einleitung in das N. T. II. 10.
2) S. Strabo, Geographie 14, 5.
den Völkern entstanden, so dass ein auf einem gewissen Punkte gegebener
Impuls auf einen grösseren Kreis seine Wirkung ausdehnen konnte als es
in der vorhergehenden Zeit möglich war.
IL Die heidnischen Religionen der Völker des römischen Reiches waren
damals in merkwürdiger Gährung begriffen und ihr alter Bestand auf das
tiefste erschüttert. Alle Irrthümer, Uebelstände und Widersprüche derselben
waren auf das grellste hervorgetreten. In sich selbst betrachtet beruhten
diese polytheistischen Religionen auf einer bald gröberen, bald feinern
Vermischung von Welt und Gott, wodurch die sittlichen Grundsätze und
die Sittlichkeit in ihren Grundfesten w^ankend gemacht wurden ; sie beruhten
auf einer Vergötterung der Natur und des Menschen, so dass man treffend
sagen konnte : alles in der Welt war nach den diesen Religionen zu Grunde
liegenden Anscliauungen Gott, nur Gott selbst nicht ^). Daher, als bei fort-
geschrittener Bildung der Pantheisnms sich entwickelte, w^elcher die Identi-
fizirung von Natur und Gottheit in ihrer Einheit darstellte, — wie der
Polytheismus dieselbe in der Vielheit, — beide sich fi'iedlich mit einander
ausglichen. In Folge nun jener Ideutifizirung, wie sie der Polytheismus
vollzog, konnte die höchste sittliche Entartung sich unmittelbar an die
Religion anschliessen. Befriedigung der Fleischeslust war integrirender
Bestandtheil einiger Culte. Es fand, wie die Schrift sagt, ein eigentliches
Buhlen mit der Gottheit statt. Wie sehr die Mythologie der Griechen
aller Sittlichkeit Hohn sprach, bedarf hier nur der Andeutung. Bekannt
ist, wie Plato vor deren Kenntniss die heranwachsende Jugend zu bewahren
suchte. Allerdings ist die sittliche Bedeutung und Tragweite der griechi-
schen Civilisation in Kunst und Wissenschaft, im Staatsleben und in vielen
Theilen des Privatlebens anzuerkennen. Aber diese Sittlichkeit rührt nicht
von der Religion her, sondern von einer von der Religion unabhängigen
Humanität. „Daher Homer schon sittlicher als das alte Pelasgerthum , die
Tragiker sittlicher als Homer, Sokrates und Plato sittlicher als die Tragiker,
Cicero sittlicher als Plato, und über Cicero steht Seneca." — Ernster und
sittlicher als die Religion der Griechen war die der Rinner, wenn gleich
die Nachricht unrichtig sein sollte, dass in Rom binnen fünfhundert Jahren
keine Ehescheidung vorgekommen. Doch seit dem Eindringen der griechi-
schen Bildung iing die griechische Mythologie an, ihren verpestenden Hauch
in Rom zu verbreiten. Die ]\Iysterien, bei den Egyptern uralt, bei den
Griechen gleichzeitig mit der griechischen Cultur entstanden, in manch-
faltigen Formen ausgeprägt und auch zu den Römern durchgedrungen,
erhoben den Anspruch, tiefere Religiosität und Religionskenntniss zu ptiegen
und zu befördern, selbst sittlich reinigend zu wirken und mochten so
manche ernster gestimmte Gemüther anziehen. Cicero 2) meint, die eleu-
sinischen Mysterien hätten die Menschen zur Civilisation erhoben und
ihnen bessere Hoffnung im Sterben gegeben. Diodor v. Halicarnass sagt:
durch die Einweihung in die Mysterien werden die Menschen besser und
1) Omnia colit humanus error praeter ipsuni omnium conditorem. Tertull. de ido-
latria c. 4. — apud vos quodvis colere ius est praeter deum verum. Apologeticum c. 24.
2) de legibus 2, 14.
gerechter. Doch in der Wirklichkeit gestaltete sich die Sache anders;
daher schon Plato erklärte, die wahren Mysterien seien diejenigen, welche
die Philosophie feiert. Varro i) meint sogar, — was wohl übertrieben sein
mag, in den eleusinischen Mysterien beziehe sich Alles auf die Erfindung
der Agricultur. Derselbe Varro weiss ebendaselbst allerlei Schändliches,
was in den andern Mysterien vorkam, zu berichten, ebenso Clemens von
Alexandrien in seinem Protrepticus , Tertullian von den eleusinischen
Mysterien 2). Die Differenzen in den Berichten und Urtheilen über die
Mysterien laufen zuletzt darauf hinaus , dass sie in der älteren Zeit einen
verhältnissmässig reineren und besseren Charakter gehabt haben als später.
Sofern der Polytheismus Volksreligion ist, die Religion mit dem Volks-
leben identifizirt und das Gesetz des Volkes dem Einzelnen aufdringt, in-
sofern ist er intolerant. So wachten die griechischen Freistaaten in ihrer
ßlüthezeit eifrig darüber, dass nicht neue Culte eingeführt würden. Um
deswillen oder wenigstens unter dem Vorwande, dass er neue Götter ein-
führe, musste Sokrates den Giftbecher trinken. Auch bei den Kömern war
bis zu den Zeiten der Kaiser die Ausübung fremder Culte durch die Ge-
setze streng verboten. ^^Separatim nemo hal)essit deos'' ^). Solche Culte,
von welchen man politische Agitation l)efürchtete , fielen unter den Begriff
der collegia illicita ^), der unerlaubten Genossenschaften. Auf der aiideren
Seite konnten sich die polytheistischen Religionen dem Princip der Toleranz
nicht entziehen, weil sich in denselben das Gefühl der Beschränktheit und
UnVollständigkeit jedes besonderen Gottes geltend machte. Je mehr nun die
alten Religionen an Lebenskraft abnahmen, desto mehr musste dieses Gefühl
sich befestigen und eine A'ennischung von verschiedenen Volksreligionen her-
beiführen. So ist das Zeitalter der Entstehung und ersten Ausbreitung des
Christenthums dasjenige einer in's Grosse getrie])enen Religionsmengerei.
Rom, das eine Zeitlang das Eindringen fremder Culte abgewehrt hatte,
nuisste dem weitverbreiteten Drange der Zeit nachgel)en. Schon im J. 43
a. Chr. wurden Serapis und Isis in Rom verehrt. Umsonst gab, wie Dio-
cassius berichtet, Mäcenas dem Kaiser Augustus den Rath, die fremden
Gottesdienste zu verbieten. So gross wurde der Liuschwung in der Denk-
art, dass bald die Kaiser mit dem Beispiele der Religicmsmengerei voran-
giengen, und dass die Römer selbst sich rühmten, niclit nur die Völker der
Erde sich unterworfen, sondern auch ihre Götter, geschmückt mit den Namen
der eigenen vaterländischen Götter, sich angeeignet zu haben, freilich unter-
worfen dem Jupiter Capitolinus, der Personification des weltbeherrschenden
Rom's. Wie in Rom, so fand anderwärts Religionsmengerei statt. Griechische
Götter fanden sich weithin ausserhalb der Grenzen Griechenlands, nicht
blos in den griechischen Kolonien, ausser dem orientalische, egyptische Culte
im Westen Europa's. Die Priester der Isis, der Kybele, des Mithras, die
Chaldäer erfreuten sich, ungeachtet ihrer schändlichen Betrügereien, eines
1) Bei Augustin de civitate Dei 7, 20.
2) adv. Valentinianos c. 1: siraulacrura membri virilis revelatur,
3) Cicero de legibus II. 8.
4) Sueton. Caesar c. 42,
ö
grossen Beifalles. Von Bedeutung ist hiebei der Umstand, dass so das
Beispiel gegeben wurde von Culten, die in keinerlei Verbindung mit dem
Staate standen.
So allgemein verbreitet die Neigung zu fremden Culten war, so gross
die Toleranz in dieser Hinsicht wurde, so konnte sich doch die alte Welt
zur Idee einer Universalreligion für alle Menschen, einer ausschliesslichen
Religion nicht erheben, weil eine solche Religion nothwendig den wahren,
ausschliessenden Monotheismus und die Idee der Menschheit, die dem
antiken Heidenthum so viel wie unbekannt war, voraussetzt. Daher der
heidnische Philosoph Celsus zu Anfang des 2. Jahrhunderts seinen Spott
ausgoss über die Idee der Allgemeinheit einer Religion mit Ausschliessung
aller anderen. Es zeigte sich darin auf das Deutlichste, dass ungeachtet
aller noch soweit getriebenen Religionsmengerei der volksmässige Stand-
punkt in Betrachtung und Behandlung der Religion' noch durchaus nicht
überwunden war. So sehr war diess der Fall, dass die Fürsten des herr-
schenden Volkes, die römischen Cäsaren sich selbst göttliche Verehrung
darbringen Hessen i). Der Cäsarencultus , die Cäsarenapotheosen stellen
sich dar als die speziellen Beispiele einer allgemeineren, im Wesen des
Polytheismus gegründeten Abirrung. Wenn berichtet wird, dass Herodes
Atticus seine Gattin unter die Heroen versetzte und ihr in Athen ein
tempelartiges Grabmonument errichtete, — um nur diess eine Beispiel an-
zuführen, — so darf man sich nicht wundern, dass die römischen Herrscher
ihre Apotheosen erhielten. Der Cäsarencultus war zunächst der religiöse
Ausdruck der Zustimmung zur römischen Monarchie. Der Dienst des Ju-
piter Capitolinus galt dem Gedanken des Rechts und der Staatsordnung,
dem unsichtbaren Haupte der Republik, der Staat selbst wurde unter dem
Namen des obersten Staatsgottes gefeiert. Daher, seit Errichtung der
Alleinherrschaft dem Genius des jeweiligen Kaisers ähnliche Verehrung zu
Theil wurde. Hatte doch nach antik römischer Anschauung jeder Mensch
seinen Genius, der ihn durch das Leben begleitete und der nach seinem
Tode den Laren, den das Haus beschützenden lichten Geistern beigezählt
wurde. Nachdem schon die Proconsuln, asiatischer Sitte gemäss, bisweilen
göttliche Ehren empfangen , Hess sich nun solche Cäsar ^) vom Senate de-
cretiren. Augustus erklärte sich anfänglich dagegen, doch er musste ge-
währen lassen, dass Städte, Corporationen und Einzelne in Erbauung von
Cäsarien- und Augustustempeln mit einander wetteiferten, dass Vasallen-
fürsten ihm die Attribute des Jupiter Capitolinus beilegten. Nach dem Tode
des Augustus schwur ein Senator, er habe ihn gen Himmel fahren sehen.
Den Cultus, den Augustus schon bei Lebzeiten gutgeheissen 3j, ordnete und
erweiterte nach dessen Tode Tiberius^j, während er sich selbst alle gött-
lichen Ehren in Rom verbat. AUe seine Nachfolger folgten dem Beispiele
des Augustus und übertrieben noch die Sache. Cäsar Caligula erklärte sich
1) S. Prelle r, römische Mythologie. 2. Aasgabe. 1865.
2) S. Suetoi]» Caesar, c. 76.
3) Tacitus. Annales I. 10.
4) Tacitus. Annales I. 54«
selbst als Herrscher für ein übermenschliches Wesen: ;,so wie der Hirte
kein Bock ist, sondern einer höheren Gattung von Wesen angehört, so
steht der Herr der Welt über den Menschen/^ Domitian fing daher seine
Briefe so an : Dominus ac Dens noster i). Folgerichtig wurden daher die
Bilder der Kaiser mehr geehrt als die des Jupiter: es war dies alles eine
erbärmhche Nachäffung einer Universalreligion, zugleich Culmination der
volksmässigen Ausprägung und Gestaltung der Religion, überdiess Extrem
der Verbindung der Religion mit dem Staate, Extrem der politischen Be-
handlung der Religion.
Der Ruf des Kaisers Vespasian in seiner letzten Krankheit: ;,ich
glaube, ich werde ein Gott" ^) , enthüllt uns die Hohlheit dieses Cäsaren-
cultus und des religiösen Zustandes überhaupt. Das Haupt des Staates
verspottete seine eigene Gottheit, — so wie in den Theatern die vaterlän-
dischen Götter und ihre Laster dem Gelächter des Volkes schon längst preis-
gegeben wurden. So kündigte sich das Sinken der Religion bei den einen
durch Aberglauben, bei den anderen durch Unglauben an. Als entgegen-
gesetzte Pole verstärkten sie einander gegenseitig. Je krasser der Aber-
glaube wurde, desto dreister, unverschämter, desto vernichtender für alle
Religion machte sich der Unglaube geltend. Oft waren Unglaube und
Aberglaube in demselben Menschen bei einander. Derselbe Plinius der
Aeltere, der über den Glauben an eine göttliche Vorsehung spottet und
jeden Glauben an Unsterblichkeit leugnet, er kann wieder sehr gläubig
über portenta sich äussern. Der Aberglaube wurde genährt durch ein
dunkles Bedürfniss nach Vereinigung mit der Gottheit, durch die Schrecken
des Gewissens , das nach Sühnung verlangte für furchtbare sittliche Ent-
artung, durch die vielerlei Mysterien und fremden Culte, durch die Men-
schenopfer, die in Rom bis in den Anfang des 4. Jahrhunderts stattfanden 3).
. HI. Eine eigenthümliche Stellung nimmt die griechische Philosophie
zu diesen Erscheinungen ein. Wir bemerken zunächst, dass sie ein auf-
lösendes Element für den religiösen (ilauben wird. Nicht als ob sie von
Anfang an diesen Charakter gehabt hätte. Ihre grössten Repräsentanten
griffen die Volksreligion nicht an; sie waren einig in dem Glauben an
einen höchsten Gott, der den Glauben an die polytheistischen Götter nicht
ausschloss, und sie öfter als Symbole von Naturkräften auffasste. Später
aber änderte die griechische Philosophie dieses accommodirende Benehmen.
So huldigten die Epicuräer einem kalten Deismus, der alle Einwirkung des
als abstrakt gedachten Gottes auf die Welt ausschloss. Die Stoiker waren
einem Pantheismus ergeben, der auf die ignobilis deorum turba mit
herzlicher Verachtung herabsah, und den weisen, tugendhaften Mann weit
über den obersten der Götter erhob. Es wurde daher angenommen, dass die-
jenigen, die sich mit Philosophie beschäftigen, den Glauben an die Götter
aufgeben^). Die Art, wie Cäsar und Cato major im Senate sich über die
1) Sueton. Caligula c. 13.
2) Sueton. Vespas. c. 24. „Ut puto, deus üo." Berualdus in seinen Bemerkungen,
dazu meint freilich, der Kaiser sage diess im Ernste!
3) Lactanz inst. 1, 21.
4) Cicero de inventione I. 29.
8
Götter und die Unsterblichkeit der Seele aussprachen i), lässt uns einen
Blick werfen in die Anschauungen der gebildeten Kreise. Der römische
Staatsmann Yarro (50 a. Chr.), der römische Pontifex Scaevola, zur Zeit
des Cicero, zeigen uns in ihren Aussagen, auf welchem Standpunkte die
römischen Staatsmänner und die Priester standen. Jener unterschied ^} drei
Arten ^genera) von Theologie , die mythische , deren sich die Dichter be-
dienen, die physische, die die Philosophen behandelt haben, und die bür-
gerliche, (die Behandlung der Volksreligion lediglich vom Standpunkte des
äusserlichen Staatsinteresse) wozu gehört, dass es sich geziemt zu wissen,
welche Götter man öffentlich verehren, welche Opfer man ihnen bringen
soll. Dasselbe sagt Scaevola ^) und setzt hinzu : der wahre Gott habe weder
Geschlecht noch Alter noch bestimmte Gliedmassen; das solle aber dem
Volke nicht mitgetheilt werden. Er meinte nämlich, in Sachen der Religion
sei es angemessen, die Leute im Irrthum zu lassen. Strabo meinte auch,
das gemeine Volk und die Weiber könne man nicht auf philosophischem
Wege zur Frömmigkeit und Heiligkeit führen, sondern durch Götterverehrung,
Mythologie und Wunderglauben. Seneca ^) sagt von den öffentlichen Got-
tesdiensten: „das Alles wird der W^eise beobachten, weil es durch Gesetze
geboten, nicht als ob es den Göttern angenehm wäre. Aus Juvenal S) er-
sehen wir, dass dieser Abfall von der alten Religion nicht auf die Kreise
der Gebildeten beschränkt blieb.
Die Philosophie setzte sich aber zu der Religion nicht blos in ein
negatives, sondern auch in ein i)ositives Verhältniss. Das gilt insbesondere
von dem platonischen System der Philosophie, von welchem mit Recht ge-
sagt worden ist, dass es religiöser sei als irgend ein anderes System der
alten Philosophie. Plato lehrt eine von der Welt unabhängige Gottheit,
wenn nicht u mv der mosaischen Urkunde, so doch to ov^ welche Gottheit
vor Allem durch Sittlichkeit zu ehren sei. Durch seine Lehre von der
intelligiblen Welt, von den angebornen Ideen hat er dem sinnlichen Km-
pirismus, der seiner Natur und Anlage nach immer antireligiös ist, ein
mächtiges Gegengewicht entgegengehalten. Plato hat die Ahnung des
Sündenfalles und der Versöhnung, er spricht die Ansicht aus, dass der voll-
kommene Gerechte unter den Menschen nur ein solcher sein könne, der
mit Leiden behaftet sei. Es war nun ein bedeutendes Zeichen der Zeit,
dass die platonische Philosophie in der Zeit, wovon wir reden, ziemlich
viele Anhänger zählte und manche nach Wahrheit forschende Geister an-
zog. Sie konnte nach zwei Seiten hin eine Wirkung ausüben. Sie konnte,
auf das Heidenthum angewendet, zur Idealisirung und Rechtfertigung des-
selben angewendet werden, sie konnte sich aber auch mit dem Christen-
thiim in Berührung setzen und zur philosophischen Begründung und Er-
läuterung desselben verwendet werden. Was die Idealisirung des Heiden-
1) Catilina von Sallust c. 51. 52.
2) Augnstin de civitate Del 6, 5.
3) Ibid. 4, 27.
4) Ibid. 6, 10.
h) Satyren 11. v. 140.
thums betrifft, so fand sie statt in jener Zeit, bis sie im Neuplatonismus
ihre volle Ausbildung erreichte. Dazu kam die unter Augustus wieder auf-
gebrachte pythagoreische Lehre, wie sie von Anaxi laus und etwas später
von Apollonius von Tyana ausgebildet und mit Astrologie, Theurgie,
Magie und Nekromantie in Verbindung gebracht wurde, (n, 3 a. Chr. f 96
post Chr.). Ausserdem machte sich der Eintluss der orientalischen Philo-
sophie geltend. Emanation, d. h. Ausströmen gewisser Kräfte aus Gott,
mit Ausschluss eines göttlichen Willensactes und einer schöpferischen
Thätigkeit, Dualismus, fussend auf dem absoluten Gegensatz von Geist und
Materie und endigend in der Annahme von zwei ewigen Prinzipien der
Dinge, — mystische Anschauung Gottes ohne aJle Vermittlung — das sind
die Hauptsätze dieser Philosophie, wovon besonders der letzte Punkt, die
mystische Anschauung Gottes in den Neuplatonismus übergegangen ist.
IV. Die Sittlichkeit und die sittlichen Grundsätze des antiken Hei-
denthums waren von jeher in enge Grenzen eingeschlossen geblieben. Zur
richtigen Beurtheilung dieses Punktes muss bemerkt werden, dass dem
Alterthum grösstentheils die Idee der Menschheit fehlte so wie auch die
Idee der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung. Die Alten haben
dagegen festgehalten, was zwischen der Menschheit und dem einzelnen
Menschen mitten inne liegt, das verbindende Mittelglied zwischen beiden,
die Idee des Volkes, und zwar in der Weise, dass die allgemeine Idee der
Menschheit und die der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung in der
Idee des Volkes, so zu sagen, aufgegangen waren. Im einzelnen Volke
selbst machte sich das Gesetz der nationalen 1 Beschränkung auf die furcht-
barste Weise geltend durch die Scheidung zwischen Freien und Sklaven.
Nur jene bildeten eigentlich das Volk und genossen die Rechte von Staats-
bürgern, während die Sklaven, die ohnehin fremder Abstammung waren,
aller bürgerlichen, ja aller Menschenrechte bar, kaum noch als Menschen
angesehen wurden i). W^enngleich der Zustand derselben sich mit der Zeit
etwas besserte, wie denn Kaiser Claudius verbot, altersschwache und kranke
Sklaven auszusetzen 2), so blieb derselbe immer noch unglücklich und trost-
los genug. Der Mangel an Achtung v(n* der mensclilichen Person, ihrer
Würde und Selbstbestimmung zeigte sich auch in der Stellung der Frau,
in der absoluten Gewalt des Vaters über seine Kinder. Obwohl die Lage
der beiden mit der Zeit sich l)esserte, so dass schon unter Augustus ein
Vater, der seinen Sohn getödtet hatte, vom erzürnten Volke getrultet wurde,
so blieb doch noch für beide Vieles zu wünschen übrig. Wie sehr die sitt-
lichen BegriÜe verdunkelt worden, zeigt sich in der soweit verbreiteten
Knabenliebe, und in dem Wahne, dass die Liebe zum Weibe unedel, die
Liebe zu einem Jüngling edel sei, daher Plato noch in seiner Republik die
Weibergemeinschaft forderte. Die Paederastie fand auch bei den Kömern
Eingang, zwar nicht in so ausschweifendem Maasse wie bei den Griechen,
doch in grellerer Gestalt als bei diesen. In einem politischen Processe
wurden Jünglinge aus den ersten Familien Roms den Richtern angeboten,
1) als cto/nttttt otxertxit angesehen und benannt bei Aeschinea,
2) Snet in Cl. c. 25.
10
Ulli ihre Stimmen zu erkaufen. Doch war durch (his Gesetz auf die
Schändung eines Freien eine schwere Strafe gesetzt. — Harter, gefühl-
loser Egoismus zeigt sich in der Art und Weise, wie man die Armen
ansah und behandelte. Quinctilian fragt: ^^Könntest du dich soweit her-
ablassen und einen Armen nicht mit Ekel von dir stossen^*? Plautus
äussert sich nicht humaner: ,,VVozu dem Armen etwas geben? man ver-
liert, was man gibt und verlängert dem Armen ein elendes Leben." Dieser
Egoismus trat unverhüllt hervor in anderer Beziehung, seitdem mit dem
Verschwinden der politischen Unabhängigkeit, unter den römischen Impe-
ratoren, welche grundsätzlich die Nationalitäten niederzutreten suchten, die
Liebe zum Yaterlande mehr und mehr im Verschwinden begriffen war.
Tief gesunkene Sittlichkeit, wie sie uns die Satyriker Persius und Juvenal
und Seneca de ira schildern, ist die Signatur zumal der Kaiserzeit, die
Weisen sahen die Vergeblichkeit des Kampfes gegen das herrschende Ver-
derben, die Ohnmacht aller Gesetze ein. Das sittliche Verderben zeigte sich
zwar am tiefsten und schrecklichsten in Rom, allein Rom verbreitete seinen
verpestenden Einfiuss auf die Provinzen. Der Hang zu Ausschweifungen
entwickelte sich in riesenhaften Dimensionen. Dieselbe Energie, die vor-
dem auf die Bezwingung der Völker der Erde verwendet worden, warf
sich nun auf Befriedigung der sinnlichen Lust in ihrer grässlichsteu Aus-
artung, wozu Kaiser wie Tiberius und Nero das Beispiel gaben in einer
Weise, wie Sueton sagt, die man kaum glauben, kaum aussprechen kann ^).
Einige edle , stolze Seelen flüchteten sich aus dieser Fluth des Verderbens
in die stoische Selbstgenügsamkeit und Weltverachtung ; doch diese, stoische
Tugend war keineswegs geeignet, einen irgendwie weit verbreiteten Ein-
fluss zu erlangen. Es fehlte der stoischen Tugend die religiöse Grund-
lage, wie denn auch bei Tacitus das Göttliche vor dem Menschlichen zu-
rücktritt, seine Wirksamkeit und sein Einfluss auf die Welt, auf das Le-
ben und Treiben der Menschen in Zweifel gezogen oder gar geläugnet
wird. Doch das hindert Tacitus nicht, an anderen Stellen den römischen
Staat als unter der Wucht des göttlichen Zornes liegend zu betrachten 2).
Das tiefste Gebrechen der heidnischen Völker ,und die Quelle aller
anderen Gebrechen ist überhaupt auf dem religiösen Gebiete zu suchen —
in der Verdunkelung und Verzerrung des ursprünglichen Gottesbewusstseins.
So wie aber der menschliche Geist, weil aus (Jott entsprungen, mitten in
seinen Verirr ungen für die Wahrheit unwillkürlich zeugen inuss*, so regte
sich in der heidnischen Welt das Bewusstsein, dass die aus der Verdunkel-
ung und Verzerrung des Gottesbewusstseins hervorgegangenen Religionen
mit dem Glauben an den gesammten Goetterstaat sich ausgelebt hatten
ohne Hotfnung auf Neubelebung. Dafür konnte freilich der Glaube an die
dunkle, geheimniss volle Macht des Schicksals (avarxrj, ^otga). die selbst
als die Goetter beherrschend ^ gedacht wurde, wie Herodot ausdrücklich
1) Sueton in Tib. c. 43. 44.
2) Annales 4, 1 wo von Deum ira in rem Romanam die Rede ist. 16, 16, Ira illa
numinum iu res Romanas.
11
bezeugt i) ,, keinen Ersatz bieten und keinen Trost gewähren. Dunkel
blieb die Aussicht in die Zukunft. Wie verschieden von der Otfenbarungs-
religion ! Der alte Bund schliesst sich ab mit der Weissagung eines neuen
Bundes Gottes mit seinem Volke (Jeremia 31, 31), der neue Bund mit der
Weissagung, dass Christus nach üeberwindung aller Feinde das Reich dem
Vater übergeben werde (1 Kor. 15, 24).
Zweites Capitel. Zustand des jüdischen Volkes.
I. Mitten in der Finsterniss, worin der Polytheismus in seinen man-
nigfaltigen Gestalten das Gottesbewusstsein der Völker der alten Welt
eingehüllt hatte , war seit uralten Zeiten ein lichter Punkt auf Erden , wo
vermöge göttlicher Offenbarung der Monotheismus sich eine Wohnstätte
bereitet hatte. Denn es ist eine grundfalsche Annahme, dass der (ilaube
an Einen Gott bei den Juden auf ihrer Naturanlage als Semiten ruhte.
Alle Semiten, mit einziger Ausnahme der Juden, waren Polytheisten , —
auch die Araber vor Muhammed, der seinen Monotheismus aus der Bibel
schöpfte 2j. Jene göttliche Offenbarung , durch gewaltige Thatsachen sich
wirksam erweisend, das Uebernatürliche in die geschichtliche Entwicklung
einfügend, hatte eigentlich das jüdische Volk geschaffen und zum Volke
Gottes auserwählt , so dass dasselbe als von Gott im Grossen und im Klei-
nen beherrscht, ein Reich Gottes, eine Theokratie in nationaler Form und
Beschränkung darstellte, die bestimmt war, einst die ihrem Wesen nicht
adäquate Form zu sprengen und so das Heil der Heiden zu werden. Diese
Bestimmung knüpfte sich an die Person des Messias, welche eine Zusam-
menfassung aller wesentlichen Momente des jüdischen Gottesglaubens war,
und zwar so, dass dieser Person im Verlaufe der sich entwickelnden Offen-
barung bereits Attribute beigelegt wurden, welche sie über die Linie der
Menschheit hinausstellten, zum Behuf der Lösung der ihr gewordenen,
die ganze Menschheit umfassenden Aufgabe.
Doch welch ein Contrast zwischen der hohen Bestimmung des Volkes
und seiner damaligen Lage! Abgesehen von der Offenbarung, deren Trä-
ger sie waren, hatte sich bei den Juden Alles geändert, Aeusseres und
Inneres; nur war ihr Herz in gewissem Sinne noch immer eben so hart
geblieben wie in den Tagen der Vorzeit. Nachdem sie mehrfachen Wech-
sel fremder Herrschaft erfahren und unter den Makkabäern eine Zeitlang
einen eigenen, unabhängigen Staat gebildet hatten (167 — 63 a. Chr.),
musste der letzte Makkabäer, Hyrcan, die römische Oberhoheit anerken-
nen. Die Idumäischen Könige , die ihm nachfolgten und wovon der erste,
1) 1, 91. rr^y TTBTtQOJ^ifyijy fxoigrjv a^wara (Gtip anocpvysfty xcci B^do.
2) ßoentsch, über Indogermanen - und Semitenthum. — S. auch J. G. Müller, die
Semiten in ihrem Verhältniss zu Chamiten und Japhetiten S. 61 : „dieses Gottesbewusst-
sein (der Hebräer) bildete einen schroffen Gegensatz gegen die Religionen aller anderen
Völker, auch die anderen Semiten nicht ausgenommen.''
12
Herodes der Grosse vom J. 40 a. Chr. bis 4 p. Chr. regierte, fügten sich
unter die römische Oberhoheit. Schon nach der Verweisung" des Archelaus
(6 p. Chr.), der über Judäa , Idumäa und Samarien regierte , wurden diese
Landschaften römische Provinz, verwaltet von römischen Procuratoren,
wovon der fünfte Pontius Pilatus (28 — 37 p. Chr.) war. Eine Zeitlang
wurde ganz Palästina wieder unter dem Zepter eines idumäischen Königs
vereinigt, des Herodes Agrippa, durch die Gnade des Kaisers Claudius
zum Könige gemacht. Nach seinem Tode wurde das ganze Land wieder
römische Provinz und unter die Verwaltung von Procuratoren gestellt.
Noch in anderer Beziehung hatte sich, was die äusseren Verhältnisse
betrifft, der Zustand des jüdischen Volkes geändert. Die Auswanderung
der Juden hatte schon zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft ihren
Anfang genommen. Viele machten damals von der Erlaubniss des Cyrus,
in ihr Vaterland zurückzukehren, keinen Gebrauch. So kam es, dass sie
sich in Asien weit verbreiteten und überall eifrige Propaganda machten.
Im römischen Pieiche waren sie an sehr vielen Orten zu finden, so dass
man sagen konnte , es gebe nicht leicht einen Ort auf Erden , der dieses
Volk nicht beherberge und der nicht in seiner Gewalt sei. In dem reichen
Alexandrien machten sie zwei Fünftel der Bevölkerung aus. In Egyi)ten
waren nahezu eine Million Juden, in Cyrene und Libyen annähernd eben so
viele. In Syrien waren sie ebenfalls sehr zahlreich, besonders in An-
tiochien; wie es denn nach Strabo im römischen und im parthischen Eeiche
nicht leicht eine grössere Stadt gab, w^orin die Juden nicht ihr Geschäft
trieben. — Auch in Kleinasien und in Griechenland finden wfr sie. Nach
Rom brachte Pompejus die ersten Juden als Kriegsgefangene. Sie wurden
bald freigelassen. Die einen kehrten nach Palästina zurüclv und stifteten
in Jerusalem die Synagoge der Libertiner i), die anderen blieben in Rom,
erhielten von Cäsar die Erlaubniss in Rom Synagogen zu errichten. Sie
bew^ohnten den grössten Theil des Stadtgebietes jenseits der Tiber. Fast
überall, wo sie sich ansiedelten, wurde der Handel ihre unbestrittene
Domäne. So war die Kornausfuhr aus Alexandrien nach Rom in ihren
Händen. Der Reichthum, den sie sich durch ihre Rüstigkeit und Geschick-
lichkeit im Handel verschafften, kam ihrer äusseren Stellung zu Gute.
Sie genossen das Bürgerrecht, hatten Autonomie in der Verwaltung ihrer
inneren Angelegenheiten, waren frei vom Kriegsdienste, von einigen Ab-
gaben; kaum waren Juden Sklaven, denn man konnte sie als solche nicht
brauchen. Sie genossen schon unter Cäsar Religionsfreiheit, sie konnten
sich ungehindert kirchlich organisiren und ihr Gesetz beobachten. Ihre
Synagogalvereiue wurden in die Classe der collegia licita gesetzt, die
Gesetze gegen die Hetärien auf sie nicht angewendet. Der Befehl des
wahnsinnigen Caligula, sein Bildniss im Tempel von Jerusalem aufzustel-
len, scheiterte zuletzt am Widerstände der Juden. Es war dieser Befehl
eine grosse Abnormität; denn, antiker Anschauung gemäss, hatten schon
Alexander, Ptolemäus Euergetes, Seleucus Philopator, so wie auch Au-
gustus dem Gotte der Juden ihre Huldigung dargebracht. Daher konnten
1) Apostelgesch. 6, 9,
13
die ausserhalb Palästina's wohnenden Juden, die öiaanoqa genannt, unge-
hindert die Verbindung mit dem Tempel in Jerusalem festhalten ; sie zahl-
ten für die Unterhaltung desselben eine bestinmite Abgabe und besuchten,
nach gesetzlicher Verordnung den Tempel in Jerusalem an den grossen
Festen. Das Synedrium in Jerusalem betrachteten sie als ihre kirchliche
Oberbehörde. — Alle Juden aber wurden von den Heiden verachte^; denn
man kannte ihre Verachtung der ausländischen Gottheiten; ihr Handels-
geist zeigte sie wie noch jetzt in ungünstigem Lichte; ihre Reichthümer
erweckten Neid. Man hasste sie als Menschenfeinde; Tacitus zumal kann
sie nicht hart genug beurtheilen. In ihrem Verhältniss zu einander, sagt
er, beweisen sie unbedingtes Vertrauen und unterstützen einander, aber
gegen alle anderen Menschen hegen sie feindlichen Hass. Daher er sie
als die verachtetste Classe der römischen Unterthanen, als die niederste
Art von Menschen autführt i). Besonders in Egypten waren sie furchtbar
verhasst. Es lebte im Volke eine alte und gewissermassen angeborne
Feindschaft gegen sie, wie Philo berichtet, daher die blutige Verfolgung
gegen sie um die Zeit der Geburt Christi. Diese Feindschaft und Ver-
achtung, letztere gegründet auf die Lage der Juden überhaupt als eines
unterjochten Volkes, dessen Gott sich als ohnmächtig" erwiesen 2), zeigte
sich in der Travestie ihrer ältesten Geschichte 3) und in den Vorstellungen
über den Gegenstand ihrer Verehrung, wofür die Einen einen Eselskopf *),
die Anderen ein Schwein ausgaben 0). Das Märchen, dass die Juden
jährlich einen Griechen, den sie vorher gemästet haben, t()dten und von
seinen P'.ingeweiden etwas geniessen ^>) , darauf berechnet, den wildesten
Hass gegen sie zu nähren, ist ein V(n-läufer ähnlicher Märchen, die gegen
die ersten Christen, in der Zeit des Mittelalters gegen gewisse Ketzer,
in der Neuzeit gegen die sogenannten Momiers im Waadtlande erfunden
wurden.
H. Wie war alwr der religiös -sittliche und (U^r intellektuelle Zu-
stand beschaffen? In den alten Zeiten hatte dieses Volk nur zeitweilige
Anläufe genommen zur Erreichung des ihm von seinem Gotte durch
Mosen und die Propheten vorgesteckten Zieles, welches für seine Hart-
herzigkeit und seinen irdischen Sinn zu hoch war. Die alte Geschichte des
Volkes, wie wir sie aus dem A. T. kennen lernen, zeigt — zum deutlichen
Beweise, wie wenig der Monotheisnuis populär war — regelmässig wieder-
kehrende Rückfälle in den polytheistischen Götzendienst, verbunden mit
der von den Propheten so strenge untersagten Anschliessung an fremde
Völker. Seit der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar , seit der
Rückkehr aus dem Exil hörte zwar der Hang zum Götzendienste auf und
der strengste Monotheismus erlangte unbedingte Herrschaft. Absolute
1) Bist. 5, 5. 8.
2) Im Octavius des Min. Felix, c. 10.
3) Durch Manetho bei Jos. c. Apionem 1, 26, bei Justin 36, 2. Tacitus liist. 5, 2.
4) Tacitus 1. c. 5, 4.
5) Plutarch im Symposion.
6) Joseph contra Apionem 2, 8.
14
Unterwerfung unter das Gesetz und dessen noch ins Masslose vermehrten
religiösen Gebote wurde der Grundton in der Stimmung des Volkes. Un-
ter Antioclms Epiphanes hatte der jüdische Cultus seine Heldenzeit und
wurde eben dadurch dem religiösen Bewusstsein des Volkes mit unaus-
löschlichen Zügen eingeju-ägt. In der ;Ileligionsverfolgung unter jenem
Könige zogen Viele den furchtbarsten Märtyrertod vor, statt in einem klei-
nen Punkte vom Gesetze abzuweichen M. Sehr wirksam für Aufrechthalt-
ung des Gesetzes wurden die seit der Rückkehr aus der babylonischen
Gefangenschaft gestifteten Synagogen -), welche eine eigene Verfassung
hatten, und worin das Gesetz gelesen und erklärt wurde, wobei der Rabbi
bald wichtiger, einflussreicher wurde als der Priester. Es ist aus dem
N. T. bekannt und durch den Tlialmud gehörig documentirt , wie sehr der
cerimonielle Theil des Gesetzes durch Zusätze geschärft, so dass z. B.
am Sabbath dreissig verschiedene Arten von Arbeiten untersagt waren,
Avie sehr der sittliche Theil des Gesetzes durch Zusätze geschwächt wurde,
wie sehr die Synagogen , die doch an sich selbst ein Fortschritt über den
alten Opfercultus hinaus w^iren und daher ein Vorbild wurden für die
älteste gottesdienstliche Ordnung und Verfassung der christlichen Kirche,
wie sehr diese Synagogen äusserliche, geistlose Religiosität und Formalis-
mus begünstigten. Je mehr nun aber das Volk das Drückende seines
Zustandes fühlte, desto mehr klammerte es sich an die Hoffnung der bal-
digen Ankunft seines Älessias an. Diese Hoffnung wurde mit grellen Far-
ben ausgeschmückt und war als solche eine wesentliche Stütze des Reli-
gionsfanatisnnis. Nur wenige fromme Seelen erwarteten in stiller Ergebung
den Trost Israels im geistigen Sinne des Wortes (Luc. 2, 38). So ver-
fielen die Juden in denselben Fehler, den wir bei den Römern wahrge-
nommen haben. Ihr Gott, ihr Messias wurde mit dem Vaterlande identi-
fizirt, ihre Volksleidenschaften wurden auf den Messias übertragen , der
das Volk Israel zum weltbeherrschenden machen sollte. Zu Grunde lag
eine buchstäbliclie Auffassung der alttestamentlichen Weissagungen, ver-
möge welcher deren ewiger, universaler Gehalt mit ihrer national be-
schränkten Form verwechselt wurde, eine Abirrung, die bis auf die neue-
sten Tage auch in christlichen Kreisen sich zeigt.
Inmitten solcher Umstände und Verhältnisse hatten sich unter dem
jüdischen Volke zwei Haupti)artheien (aiQSffsig) gebildet, die man unrichti-
gerweise Sekten genannt hat. Auf der einen Seite sehen wir eine Richt-
ung, welche am festesten und folgerichtigsten das seit der Rückkehr aus
dem Exil begonnene Nationalwerk der Gründung des Volkes auf das Ge-
setz und Unterwerfung unter das Gesetz fortführte und dadurch für die
nächste und für die folgende Zeit die wichtigste geworden ist. Von allen
Grundsätzen des Judenthums ergriffen die Leute diese Richtung am eifrig-
sten den der Isolirung des ächten Israeliten von allem, was dem Urbilde
der GesetzUchkeit ferne stand — zunächst vom Heidenthum überhaupt,
sodann von allen, noch so rechtgläubigen Volksgenossen, w^elche sich nicht
1) 2 Makkabäer c. 7.
2) S. die Art. Synagogen in der Realencyklop.
15
gleicher Strenge beflissen. Sie hiessen um deswillen die Abgesonderten
D'^IÖIIÖ , von Suidas atpdOQtcT^evoi übersetzt — woraus der Name Pharisäer
entstanden. Sie pflegten die Volkserziehung, wie sie in den Synagogen
erstrebt w urde, fügten aber in wachsendem Maasse wissenschaftliche Schul-
bildung hinzu. Sie hielten fest am Glauben der Väter und können inso-
fern als die Orthodoxen bezeichnet werden. In i)olitischer Hinsicht er-
strebten sie die Unabhängigkeit des Landes und Volkes, alles Eingehen in
hellenische Bildung war ihnen in tiefster Seele verhasst. Sie waren die
Partei der Patrioten — gritfen tief ins Leben des Volkes ein , bei dem
sie in hoher Achtung standen, wenn gleich gewisse Spitznamen, die ihnen
gegeben wurden, beweisen, dass man unter der Hülle gesetzlicher Fröm-
migkeit ihre Fehler doch erkannte. Als Schöpfer und Erhalter des heuti-
gen Judenthums und der Güter, die ihnen anvertraut waren, bis auf die
Zeit, wo dieselben in besser geleiteten Händen nicht das Majorat eines
kleinen Volkes, sondern Gemeingut der ganzen Menschheit werden sollten,
haben sie grosse Verdienste, die freilich durch ebenso grosse Fehler auf-
gewogen werden. Wenn das Judenthum ihnen vieles verdankt, so sind
sie auch haui)tsächlich Schuld an der Verstossung Jesu durch sein Volk
und an der darauf folgenden Katastrophe des jüdischen Staates. All ihre
Gesetzesgerechtigkeit lief aus in das ungeheuerste Verbrechen, all ihre
Kenntniss des Gesetzes in die schrecklichste Verblendung in Beziehung
auf die höchste Erfüllung der göttlichen Verheissungen , all ihr Patriotis-
mus in die wirksamste Vorbereitung des Unterganges des jüdischen Staa-
tes. — Das Widerspiel der Pharisäer, obschon neben ihnen wirkend und
selbst im Synedrium neben ihnen sitzend sind die Sadducäer, von un-
gewissem Alter und Ursprünge. Unter den vielerlei Vernuithuugen , die
darüber so wie über ihren Namen sind autgestellt worden, ist die wahr-
scheinlichste diese, dass sie, im Gegensatz gegen die Pharisäer, die sich
ausschliesslich Gesetzesgerechtigkeit vindizirten, sich als Gerechte* hin-
stellten, als C'^p'^li^^ ^^ich so nennend ctno dixaioavvriq , wie Epiphaiiius
haeresis 14 berichtet. Es war nämlich von vorn herein zu erwarten, dass die
gesetzliche Richtung der Pharisäer und die vielfachen Zusätze, die sie zum
Gesetz aus der mündlichen Trath'tiou machten, eine Reaction hervorrufen
würden. Diese knüpfte sich an die Sadducäer. Sie standen aber mit (Umi
Pharisäern auf demselben Boden des Mosaisnuis. nur dass sie behaui>teten,
die altväterliche Religion rein zu bewahren, wobei der Li-thum abzuwehren
ist, als ob sie blos den Pentateuch als kanonisch angenommen hätten.
Aber so viel steht fest, dass sie viele Ritualien geringschätzig betrachteten
und als» Priester selbst zuweilen im Tempel Aergerniss gaben. Im Ein-
zelnen lehrten sie, dass es keine Auferstehung gebe i), sie leugneten das
Dasein der Engel und körperlos ausser Gott existirender Geister. Jo-
sephus berichtet sogar, dass sie lehrten, die Seele des Menschen löse
sich im Tode auf 2). Derselbe führt als Lehre von ihnen an, dass Gott
1) Matth. 22, 23.
2) BeUum jud. 2, 8. 14.
16
auf die Handlungen der Menschen keinen Einfluss ausübe *) , hiebei vom
Bestreben geleitet, Gott ausser aller Beziehung zum Bösen zu setzen und
dem Menschen die Tugend als sein reinstes Eigenthum zu vindiziren. Die
Sadducäer bequemten sich im Unterschiede von den Pharisäern unter die
Fremdherrschaft und wehrten sich weniger als diese gegen den Einfluss,
den dieselbe auch in anderen als politischen Dingen üben mochte. Sie
wollten also nicht wie die Pharisäer eine ausschliesslich nationale Ent-
wicklung, sondern auch Fremdes aufnehmen. Während der Pharisäismu^s
den schärfsten jüdischen Particularisnuis festhielt, hegte die sadducäische
Partei weltbürgerliche Tendenzen. Sie fanden sich daher vorwiegend in den
höheren Classen der Gesellschaft, waren im Ganzen wenig zahlreich, und
vom Volke bei weitem nicht so geachtet wie die Pharisäer. Sie mögen
im Einzelnen durch -Luxus und Unsittlichkeit Anstoss gegeben haben.
Nichts berechtigt uns aber, sie, wie die Juden des Mittelalters es thaten,
als Epicuräer anzusehen, wobei man sie auch mit dem Vorwurfe des
Atheismus und Materialismus belastete. Dem Christenthum gegenüber
erscheinen sie keineswegs in günstigerem Lichte als die Pharisäer, wie
das N. T. es deutlich beweist. Ja, sie stehen in dieser Beziehung tiefer
als die Pharisäer. Kein Nikodenuis, kein Gamaliel trat unter ihnen auf 2).
Es wird nicht gemeldet, dass einer von ihnen zum christlichen Glauben
übertrat, während ausser Paulus die Ai)ostelgesch. 15, f) von einigen
Pharisäern weiss, die gläubig geworden.
Gänzlich verschieden von den bis jetzt genannten Parteien der Ju-
den , ist eine dritte , auf welche allein der Name Sekte anwendbar ist. Es
sind die Essener, Eaarjvoi bei Josephus, der wohl das Richtige hat,
Eaaaiot bei Philo. Der Name ist am wahrscheinlichsten abzuleiten vom
Aramäischen XON, heilen, also die Heilenden, weil ihre ganze Lebens-
weise ein Heilmittel gegen das Verderben der Welt sein sollte. Ihr Ur-
sprung geht auf die Mitte des 2. Jahrh. a. Chr. zurück, sie wohnten,
theils von den Volks.genossen abgesondert, in eigenen Kolonien am todten
Meere, theils in Städten und Dörfern Palästina^ und Syriens mit jenen
zusammen, 40(X) an der Zahl, eine Art von asiatischem Mönchsorden mit
hierarchischer Verfassung und Gütergemeinschaft, strenger Askese erge-
ben, so dass wenigstens ein Theil ehelos lebte, aber den jüdischen Reli-
gionsgiauben bewahrend 3), wegen ihrer Abgeschlossenheit ohne Einfluss
auf die übrigen Juden, übrigens ausgeschlossen vom Tempel, weil sie
keine Thieropfer bringen wollten. Von Bedeutung war es, dass ihr Leben
sich nicht auf Theokratie, Tempel und Politik bezog, dass sie auf innere
Wiedergeburt und Beschneidung des Herzens drangen ^). .
1) Autiq. 13, 5. 9.
2) Apostelgesch. 5, 34.
3) Ob, wie Kitschi meint," vom Bestreben erfüllt, den Charakter des Priesterkönig-
reiches, welches dem Volke Israel zugesprochen war Exod. 19, 6 zu verwirklichen (daher
ausschliesslicher Genuss heiliger Opferspeise, tägliche Lustrationen, leinene Kleidung) bleibt
dahingestellt.
4) S. Philo, quod omnis probus liber. Euseb. praeparatio evang. 8, 11, Jo-
17
Die Unschuld und Reinheit der Sitten der Essener bildete einen wohl--
thuenden Contrast gegen die auch unter den Juden eingerissene Sitten-
losigkeit und Gottlosigkeit, >vovon Josephus ^j ein abschreckendes Bild ent-
wirft ; sie war zum Theil Folge der Berührung mit den Römern. Als Wir-
kung solcher Yerderbniss, als grelles Zeichen eines tief zerrütteten Zu-
standes in Religion und Sittlichkeit stellen sich uns die Dämonischen dar.
So sehr war der Geist aus Israel gewichen, dass nicht nur kein Prophet
mehr aufstand, durch den der Herr zu seinem Volke rodete, sondern dass
Einzelne in Grausenerregender Geisteszerrüttung die ()i)fer dämonischer
Einwirkungen wurden. So waren an die Stelle der prophetischen Begei-
sterung, als teuflische Carricatur derselben, die schäumende Wuth und die
Tobsucht der Besessenen getreten. Es schien, als ob die unteren
Mächte ihre Kräfte zusannnenraffen wollten, dem kommenden Lichte, das
sie als solches erkennen, Widerstand zu leisten.
III. Von wesentlicher Bedeutung ist die Berührung der Juden mit
den heidnischen Völkern, unter denen sie lebten. Sie war doppelter Art,
indem die Juden theils auf die Heiden einwirkten und sie zu sich heran-
zogen, theils aber auch Einwirkungen von den Heiden empfingen und in
den Kreis der hellenischen Bildung hineingezogen wurden. Die erste Art
der Berührung führt zum jüdischen Proselytenwesen. (nqoariXvToq nach
Suidas soviel als TTQoaelfjXv&cog^ nämlich zu den Juden, advenae). Von
jeher hatte es solche gegeben, d. h. Nicht-Israeliten, die durch Bekehrung
zum Glauben Israels und zur Haltung des mosaischen Gesetzes in Israel
naturalisirt wurden, in vollkonmiener Uebereinstimmung mit dem Geiste des
Gesetzes. Denn Fremdlinge wohnten jederzeit vom Auszug aus Aegyi)ten an
unter Israel 2). In der davidisch-salomonischen Zeit war die Zahl dieser Fremd-
linge auf 153,600 gestiegen 3), wovon manche wohl durch Beschneidung sicli
vollkonnnen nationalisiren Hessen und volles Anrecht an den ^'orrechten und
Heilsgütern des auserwählten Volkes erlangten. Auch diejenigen, w^elche sich
der Besclmeidung nicht unterzogen, wenn sie nur gewisser heidnischer
Greuel sich enthielten, fanden Schutz und Begünstigung. In den ersten
Jahrhunderten nach dem Exil waren die Uebertritte zum Judenthum nur
vereinzelt. Nun aber wurden durch Eindringen griechischer Bildung und
Sitte von Aegypten und Syrien aus dem ächten Judenthum schwere Kämpfe
bereitet. Namentlich vom Tode Simonis des Gerechten (f 198 v. Chr.) an
riss die Apostasie ein *) , was nothwendig eine Reaction hervorrief. Daher
in der makkabäischen Zeit eine eifrige Propaganda begann. Job. Hyrcanus
zwang die Idumäer 129 a. Chr. zur Beschneidung, auch die Ituräer nahmen
nach Aristobulus die Beschneidung an. So gewaltthätig war dieser Prose-
lytismus, dass Pella zerstört wurde, weil es sich geweigert, das Juden-
thum anzunebmen. Von dieser Zeit an entbrannte auch der pharisäische
sephus, der selbst Essener war, de vita sua §.2 de bello jud. 2, 8. 2—13. S. Ritsclil,
die Entstehung d. altkathol. Kirche 2. Auflage S. 178 ff.
1) de bello jud. 7, 8. 1.
2) Exodi 12, 38. 48.
3) 2 Chron. 2, 16.
4) 1 Makkab. 1, 41. 2 Makkab. 4, 9.
Herzog, Kirchengeschichte I. ' 2
18
Eifer, Proselyten zu iiuicheii, die freilich meistens das strenge Urtheil ver-
dienten, das der Herr^) über sie fällt, wie sie denn die heftigsten Ver-
folger der Christen wurden; zu ihnen gehörte llerodes und die Frau des
Nero, Poppäa, die den Kaiser wahrscheinlich zur Verfolgung der Christen
anreizte. Bei den Juden selbst wurden solche Proselyten, weil sie nicht aus
Ueberzeugung übergetreten waren, verächtlich. Sie werden im Tahnud
der Aussatz der Israeliten genannt; von ihnen heisst es ebendaselbst, dass
sie zusammen mit den Knabenschändern die Ankunft des Messias aufhalten.
Es galt daher der Grundsatz, man dürfe einem Proselyten nicht trauen bis
zur 24. Generation. Neben jener unlauteren Propaganda gieng eine dem
göttlichen Missionsberuf Israels entsprechende Einwirkung auf die Heiden
aus, und zog viele zum Judenthum hin. Es sind die im N. T. oft genannten
(poßov[i€Potr oder aeßoyiEvot. top O^sov, auch evaeßeiq und aEßo^ievoi , Jiqoq
tlXvToiy svXaßeiq, wovon die Mehrzahl zu der christlichen Gemeine über-
traten. Es waren Wahrheitsuchende, Heilsbedürftige, welche sich von der
greulich entarteten heidnischen Peligion abgestossen fühlend, der im A. T.
geoffenbarten Wahrheit sich zuwendeten. Diese Einwirkung auf die Heiden
erscheint um so intensiver, je mehr die Juden verachtet waren. Zu den
edleren Motiven des Uebertrittes gesellten sich jedoch noch andere mehr
äusserlicher Art, die Aussicht, vom Militärdienst frei zu werden, Handels-
interesse, Heirath u. s. w. Auf diese Weise wurde die Menge der Ueber-
tretenden so gross ^ dass mehrere römische Schriftsteller sich darüber be-
klagten 2) und Seneca ausrief: die Besiegten haben den Siegern Gesetze
gegeben 3). Die Zahl der weiblichen Proselyten überstieg die der männ-
lichen ^).
Schon im Bisherigen ist ein unterschied verschiedener Classen oder
Arten von Proselyten angedeutet. Die Rabbinen unterscheiden deren zwei.
1) Proselyten des Thores TjriT\ ''1:., ein von den Fremdlingen entlehnter
Name , w^elche in den Thoren Israels wohnten &). Es sind , wie bereits an-
geführt, die im N. T. erwäbnten. Es war ihnen nicht sowohl die Beobach-
tung des ganzen Gesetzes auferlegt als die der sieben sogenannten noachi-
schen Gebote: Verbot des Götzendienstes, der Gotteslästerung, des Ver-
giessens von Menschenblut, der Blutschande, des Diebstahles, das Gebot,
Gerechtigkeit zu üben und kein Thier, in welchem noch sein Blut ist, zu
gemessen. In Jerusalem selbst durften sie nicht wohnen, wohl aber unter
gewissen Bedingungen in Palästina. Sie waren nicht verpHichtet, den Sab-
bath zu feiern, noch sich beschneiden zu lassen; der Eintritt in die Syna-
gogen war ihnen gestattet. Unter ihnen fanden sich viele Walirheit
suchende Gemüther, der Hauptmann zu Kapernaum, Cornelius und die
Seinen, Lydia in Philippi. Sie zeigten sich empfänglich für die Predigt
des Evangeliums. 2) Von ihnen sind zu unterscheiden die Proselyten der
1) Mat. 23, 15.
2) Cicero pro Flacco. 28 Horat. Öat. 1, \). bi) Juv. U, y6. Tac. Anuales 2, 85.
3) bei Aug. de civitate Dei 6, 11.
4) Apg. 17, 4.
5) Exodi 20, 10. Deut. 5, 14.
19
Gerechtigkeit, pTjrn ""l^, fUirch Beschneidung, Taufe und Opfer in den
Bund Israels aufgenommen, daher ri''~"n ^"2^ Söhne des Bundes genannt,
auch neue Creaturen. Als solche waren sie 'losgerissen von allen Banden
des Blutes mit den heidnischen Verwandten, selbst den nächsten, sodass
sie nach einigen rabbinischen r)estimniungen selbst mit Mutter und Schwester
eheliche Verbindung eingehen durften. Von ihnen sagt Tacitus ' ) : ,.die zu
ihnen übertreten, lassen sich beschneiden und werden vor allem anderen
dahin instruirt, die Götter zu verachten, des Vaterlandes sich zu entschla-
gen, Eltern, Kinder und Brüder gering zu schätzen". Eine Kückwirkung
solchen Fanatismus war wahrscheinlich der Blutschänder in Korinth ( 1 Cor. 5, 1 ).
Auf solche Proselyten bezieht sich des Herrn strenges Urtheil (Mat. 25, 13),
man könnte eine 3. Classe von Proselyten unterscheiden, solche, welche an
den jüdischen Gottesdiensten Theil nahmen, ohne die heidnische Religion
aufzugeben, worüber Horaz^j sich lustig macht; solche geriethen in die
Hände von jüdischen Gauklern und Betrügern.
Es fand aber noch eine andere Art von Berührung zwischen den Heiden
und Juden statt, indem jene auf diese einwirkten und sie gewissermassen
zu ihren Proselyten machten. Als ein geistig regsames Volk, das in allen
Dingen seinen Vortheil wohl verstand, gingen die Juden in die griechische
Cultur ein. Solches geschah im bedeutendsten Maasse in Alexandrien, das
durch die Ptolomäer zu einem Hau[)tsitze griechischer Cultur und (Jelehr-
samkeit erhoben worden war. Es gab in dieser Stadt eine Anzahl Jiuleii,
welche, fern von aller Religionsmengerei und mit Entschiedenheit ihren
alten Gottesglauben festhaltend, denselben mit Hülfe der griechischen Philo-
sophie, zum wissenschaftlichen Bewusstsein zu bringen suchten. Dazu kam
ein apologetisches Interesse, da die Juden dazu getrieben wurden, ihre
Religion, welche sie mit jüdischer Zähigkeit festhielten, gegenüber den lUv
schuldigungen des Anthropopathisnuis zu vertheidigen und zu reclitfertigen.
So entstand die alexandrinisch-jüdische Religionsphilosophie, wovon die ida-
tonische Philosophie die Grundlage bildete, worin aber auch Ideen, von
Aristoteles, den Pythagoräern und Stoikern entlehnt, Aufnahme fanden.
Eine wichtige Folge dieser Verbindung jüdischer und hellenischer Denk-
weise war die allegorische Erklärung des A. T., welche die alexandrinischen
Juden von den Stoikern aufnahmen, von diesen angewendet zur Erklärung
und Rechtfertigung der heidnischen Mythen ^). Die wissenschaftliche Grund-
lage dieser Erkiärungsart ist der Grundsatz, dass die religiösen Wahrheiten
auf geschichtliche Weise und in Bildern aus der Xatur sich zu verkörpern
suchen, und es soll nun die Idee aus der Geschichte und dem Bilde, w^orin
sie eingehüllt ist, vermittelst der allegorischen Erklärung al)gelöst werden.
Schon im 2. Jahrhundert a. Chr. bediente sich dieser Erklärungsart der
alexandrisch-jüdische Philosoph Aristobulus. Man berief sich dabei auf eine
geheime Ueberlieferung, welche den Schlüssel gebe zum richtigen Verständ-
nisse des A. T.
1) bist. 5, 5.
2) Satyr. 1, 9. 69.
3) Cicero de natura deorum I. 15.
20
Noch auf andere Weise suchten die alexandrinischen Juden den
Ideen der hellenischen Weltweisheit ihre Offenbarungsurkunde anzupassen,
durch die Uebersetzung derselben in das Griechische, welche Uebersetzung
zunächst durch ein religiöses Bedürfniss veranlasst wurde, da sich den
Hellenisten das Yerständniss der vaterländischen Sprache inmier mehr ver-
dunkelte. Die LXX ist das älteste Document jüdisch-alexandrinischer Weis-
heit. Denn ihre Anfänge reichen in die erste Hälfte des 8. Jahrh. a. Chr.
hinauf, unter Ptoloinäus Philadelphus f 246 a. Chr.. unter welchem Könige
die Uebersetzung des Pentateuch gemacht wurde. Vollendet wurde das
Ganze vor der Mitte des zweiten Jahrh. a. Chr. Die Fabel von dem Ur-
sprünge dieser Uebersetzung, von den 70 Männern, die daran gearbeitet,
gegründet auf einen angeblichen Brief des Aristaeus, eines Offiziers der Leib-
wache des Ptolomäus Philadelphus, im Auszuge mitgetheilt von Josephus ^), ist
jetzt völlig aufgegeben. — Es ist nun wirklich überraschend, wie der Ueber-
setzer des Pentateuch im platonischen Sinne arbeitete. So ist die Ansicht
von einer doppelten, geistigen und sinnlichen Welt in Gen. 1, 2 hineinge-
tragen, die Ansicht, dass die Ideen der Thiere zuerst in der .geistigen
Welt, hernach die Individuen aus irdischem Stoffe gebildet wurden, in
Gen. 2, 19. — Gen. 2, 6 ist so übersetzt, dass Gott zuerst die unkörper-
lichen Ideen geschaffen habe; Gen. 1, 11 liegt die Idee zu Grunde, dass
die geistige Welt die Gattungen der Dinge enthalte. Dem Wechsel des
Numerus in Gen. 2, 16. 17 ((fayrj und ffayec^e) liegt der Gedanke zu
Grunde, dass zur Uebung der Tugend nur Eines nöthig sei, der vernünftige
Geist, Adam, während dem man, um Unerlaubtes zu geniessen, nicht allein
den Geist haben müsse, sondern auch den Körper und die sinnliche Seele.
Eva 2). Daher diese Uebersetzung für die pharisäische Partei ein Greuel
war. Sie meinten, so wie Gott sein Gesetz auf Sinai in hebräischer Sprache
geoff'enbart habe, so müsse es auch hebräisch erhalten bleiben, und es
werde verunreinigt, wenn es in die Sprache der Heiden übertragen werde.
Sie betrachteten den Tag des Bibelfestes, * an dem die Juden Alexandriens
nach der Pharosinsel wallfahrteten, wo die Sage den 70 Dolmetschern ihre
Zellen gebaut hatte, als Unglücks- und Fasttag, gleich dem, an dem Israel
um das goldene Kalb getanzt hatte. Die Spaltung zwischen Hebräern und
Hellenisten heftete sich fortan vorzüglich an die griechische Bibel; und
doch wurde sie das Mittel, das Millionen am alten Glauben festhielt, und
Millionen gewann, für die der hebräische Text ganz unverständlich gewor-
den. Sie wurde, wie die Lutherische Bibel im 16. Jahrh., für die Juden
die wichtigste Grundlage ihrer sich verjüngenden Cultur.
Dieselbe alexandrinische Religionsphilosophie brachte noch manche andere
Producte hervor. Nebst der Weisheit Salomo's kommen hauptsächlich hier
in Betracht die Werke des Juden Philo 3), f 41 p. Chr. in Alexandrien, von
1) Ant. 12, 2.
2) S. Dähne, geschichtliche Darstellung der jüd.-alex. Religionspliilosopliie II. 1 — 72.
Lipsius, alex. Keligionsphilosophie in SchenkePs Bibellexicon 1. 88.
3) das eine, von der Weltschöpfung, wurde Jierausgegeben von J. G. Müller 1841
mit einem vortrefflichen Commentar.
21
vornehmer Abkunft, in der Plülosophie und den encyklischen Wissenschaften
l)e\Yandert. Er ist der erste alttestamentliche Theologe; er suchte den
biblischen Glauben seines Volkes zum wissenschaftlichen Bewusstsein zu
In'ingen, nicht ohne durch die allegorische Auslegung dem A. T. vielfach
Gewalt anzuthun i). Er hat auf die Bildung der christlichen Theologen
in Alexandrien, Clemens und Origines Einfluss gehabt. Er war, wie viele
seiner Zeitgenossen, in der Philosophie Eklektiker, aber vorherrschend der
platonischen Lehre zugethan, in einer Weise, die der Autorität des A. T.
keinen Eintrag that. So wie er meinte, dass Plato daraus geschöpft habe,
so glaubte er auch, dass ihm die philosophische Weltanschauung, die er
Plato und Zeno verdankte, aus der Bibel gekommen. Das reine Sein der
griechischen Philosophie ist ihm der jüdische Gott. Das Verbot, den
Namen Gottes auszusprechen besagt, nach seiner Ansicht, dass auf Gott
kein Prädikat anwendbar sei. Der Mosaismus, den er glaubt, ist Platonis-
mus, derjenige, den er übt, ist der alte Glaube der Väter. Denn, lehrte
er, nur der mag den äusseren Gebrauch unterlassen, der, des Körpers
ledig, als reiner Geist das Irdische abgestreift. Er glaubte, die Menschen
werden noch ihre Religion aufgeben und den Mosaismus annehmen. Israel
ist ihm Führer der Völker der Erde, bestimmt, Gott als Priester zu
dienen und für die ganze Menschheit zu beten. In Mose ist die Wahrheit
und der Weg zum Heile gegeben. Jener Seher und Weise, nach dem
stoische und neu-pythagoräische Denker suchen, ist in dem zu finden, den
sich Israel schon längst zum Führer des Lebens gesetzt hat. — Der Mittel-
punkt der Theologie Philo's aber ist die Lehre vom Logos, in der Doppelbe-
deutung von Vernunft und Wort, gedacht als das verbindende Mittelglied
zwischen Gott und Welt.
Die alexandrinischen Juden suchten überhaupt ihren monotheistischen
Gottesglauben und ihre messianischen Hoffnungen den Heiden, unter denen
sie lebten, einzui)flanzen und zugleich die Haltlosigkeit des alten Poly-
theismus ihnen deutlich zu machen. Da sie aber die Erfahrung machten,
dass directe Schutzschriften für ihren Glauben von den Heiden nicht gele-
sen wurden, so griffen sie zu dem Ausweg, diesen ihren Glauben und ihre
messianischen Hoffnungen heidnischen Autoritäten in den Mund zu legen.
So legte Aristobulus 180 a. Chr. dem hochgefeierten mythischen Sänger
Orpheus, um den sich eine eigene Literatur gebildet hatte, das Lob Abra-
hams, der 10 Gebote, des Sabbath's in den Mund ^j. Grossen Eindruck
musste es machen, wenn die uralte Sibylle ihre Stimme für das Juden-
thum abgab. In der That gibt es zahlreiche sibyllinische Orakel, in wel-
chen sich die jüdische Propa^nda an das Gewissen der Heidenwelt wendet,
um dieselbe zur wahren Gotteserkenntniss und zu reinerem Leben aufzu-
fordern , und ihr das jüdische Volk als dasjenige zu bezeichnen , das allen
Sterblichen als Führer des Lebens bezeichnet ist •*). Daran reihen sich
1) S. Siegfried, Philo v. Alexandria als Ausleger des A. T. Jena 1875. S.
üherdiess den Artikel Pliilo von J. G. Müller in der Realencyklopädie. ^
2) Euseb. praeparatio evangelica 13, 12.
3) Die rechten Sibyllinen wurden 74 a. Chr. mit dem Capitol verbrannt. Es ent-
22
Ankündigungen von Strafgerichten über die dem sittlichen und religiösen
Verderben preisgegebene Heidenwelt , Ankündigungen , die um so mehr
Eindruck machen nmssten, als sie den Ahnungen der denkenden Gei-
ster des antiken Heidenthums entsprachen. Dieselben sibyllinischen Orakel
eröffnen aber auch die Aussicht in die Glückseligkeit der messianischen
Zeit, sobald nämlich die Welt zum jüdischen Gott und zum jüdischen Ge-
setz sich gewendet haben wird. Einen Nachklang dieser messianischen Aus-
sichten gibt Yirgil in der 4. Ekloge, nur dass er sie in die niedrige Sphäre
der Schmeichelei gegen seinen Gönner Pollio, herabzieht, dessen Kind er
mit dem Jesaia 9, 6 geweissagten zusammenstellt, und an welches er die
Hoffnung einer goldenen neuen Zeit anknüpft. Dass die jüdische Messias-
idee den Heiden bekannt war, ersehen wir auch aus den Aussagen des
Sueton 1) und des Tacitus 2), dass, zufolge einer alten, weit verbreiteten
Meinung, nach Sueton, auf Grund heiliger Urkunden, nach Tacitus, von
Judäa aus die Weltherren sich erheben würden, wenn gleich beide, sowie
Josephus ^), den sie ausschreiben, die Sache aufVespasian und seinen Sohn
Titus deuten.
So trug sich die Welt mehr als je vorher mit grossen Hoffnungen
und mit grossen Befürchtungen, aber überwiegend mit diesen letzteren.
Anhang. Noch muss bemerkt >t erden, dass sich in Aegypten in
Folge des Umsichgreifens der alexandrinisch jüdischen Religionsphilosophie
eine ähnliche Sekte bildete wie die Essener in Palästina, die Therapeu-
ten. Sie trieben die Enthaltsamkeit noch weiter als die Essener, denn
sie lebten alle ehelos. In der Nähe von Alexandrien, auf einer Anhiihe
über dem See Mareotis war ihre Niederlassung. Der Name Therapeuten
soll sie als die ächten, eigentlichen Gottesverehrer bezeichnen. Sie sind
die Vorläufer der christlichen Mönche ^).
Verwandt mit den Juden, doch von ihnen mit Abscheu angesehen und
behandelt waren die Samaritaner in der zwischen Judäa und Galiläa
mitten inne gelegenen Landschaft Samaria, entstanden aus der ' Ver-
mischung der nach Wegführung der zehn Stämme im Lande gebliebenen
wenigen alten Einwohner mit den Kolonisten aus Babel, Cutha (daher
auch Cuthäer genannt), und anderen assyrischen Landschaften, welche
der König von Assyrien, um das Land wieder zu bevölkern, dahin ver-
pflanzt hatte (2 Könige 17, 24). Aus der anfänglichen Keligionsmengerei,
da die Ansiedler neben den aus dem Vaterlande mitgebrachten Göttern
den Gott des Landes, Jehovah, verehrten, waren sie 409 a. Chr., unter
standen bald neue, ziemlich zahlreiche, so dass Augustns ein Verbot dagegen erliess. Tac.
annalcs 6, 12, die erste Spur jüdischer Sibyllinen findet sich bei Jos.Antiq. 1, 4. 5. Nach
den neueston gründlichen Forschungen von Bleek, stammen die ältesten jüdischen Orakel
.ins dom 2. .Tahrh. a. Chr. — die jüngsten cliristlichen, ans dem 5. J, p. Chr. Von alex.
Juden rüliren viele jüdische Orakel her.
1) In Vespasiano c. 4.
2) In den Historien 5, 1.3.
n) De hello judaico 6, 5. 4. - g. auch Kuseb. n, 7.
4) Vgl. über sie Philo, de vita contemplativa, wovon Enseb. l E. IT. 17 nur einen
Auszug gibt — auch Daehne a. a. 0. I. 4f^9
(lern Schutze des persischen Staathalters Saiina])alletes, durch den Prie-
ster Manasse herausgerissen worden, und liatten den Pentateuch, einen Tem-
pel auf Garitzim, da sie Deut. 27, 4 Garizim statt Ebal lasen, und ein
levitisches Priesterthum erhalten. Fortan war bei ihnen keine Spur von
Polytheismus mehr zu finden, sondern sie ergaben sich dem strengsten
Monotheismus ; daneben verwarfen sie alle kanonischen Schriften der Juden
ausser dem Pentateuch. Es blieben ihnen die späteren rabbinischen Ent-
wicklungen des Judenthums fremde. Dies so wie der Umstand, dass sie
den Tempel auf Garizim als den einzig ächten ausgaben, schürte den
Hass der Juden gegen sie an, der auch seit der Zerstörung des Tempels
durch Joh. Hyrcanus im J. 109 a. Chr. nicht gelöscht wurde. Ihre geistige
Auffassung des Mosaismus, wie sie in den späteren Schriften hervortritt, leitet
Gesenius in der Schrift de theologia Samaritana von der Einwirkung der
alexandrinischen Pieligionsphilosophie her, wie denn schon durch Alexan-
der Samaritaner nach der Thebais, durch Ptolomeus Lagi nach Unter-
ogypten und Alexandrien waren verpflanzt worden ^j. Im ersten Jahrhundert
nach Christo traten unter ihnen drei Sektenstifter auf, Dositheus, Si-
mon der Magier und sein Schüler Menander.
Zweiter Absclinitt.
(iründung und erste Ausbreitung der Kirche im aposto-
lischen Zeitalter.
Quollen, die Schriften des N. T. und Einzelnes aus kirchlichen Schriftstellern. — Bearbeit-
ungen des Lebens Jesu von sehr verschiedenem Standpunkte aus verfasst, von Stra uss
(X Auflage 1 838 des gi-össeren Werkes) , von Neander, Pressense, Keim,
Hase 1876 u. A. — Bearbeitungen der Geschichte der Apostel von Neander,
0. Auflage 1847, von Lechler, 2. Auflage 1857, von Schaff 2. Auflage 1854.
von Pressense, als erste zwei Bände eines umfassenden Werkes über die drei er-
sten Jahrhunderte der Kirche. — Hier sind noch zu erwälmen die Werke von
Baur und von Hausrath über den Apostel Paulus.
1. Nachdem durch die Predigt des Täufers und die damit verbundene
Ankündigung von bevorstehenden grossen Gnadenerweisun^n und Straf-
gerichten im jüdischen Volke eine grosse Erweckung entstanden war , trat
Jesus von Nazareth, der bis dahin in stiller Verborgenheit gelebt hatte,
auf und zwar mit derselben Aufforderung, welche der Täufer an das Volk
gerichtet hatte: ^,thut Busse, denn das Himmelreich ist nahe herbeige-
kommen.^' Er selbst hat später erklärt, dass die Predigt des Täufers und
1) Jos. Antiq. 1, 8. 6. 12. Vgl. übrigens d. Artikel Samarlen von Petermann 1. d.
Fvealencyklop. Bd. XIIL
24
die dadurch bewirkte Erweckung die Erfüllung sei der Weissagung des
Propheten Maleachi vom Boten, der vor dem heran kommenden Herrn den
Weg bereitet, von Elia, dem Propheten, den der Herr sendet, ehe der
Tag Jehovah's kommt, der grosse und furchtbare (Maleachi 3, 1, 4, 5.
Matth. 11, 14. 17, 11—13), wobei er nicht undeutlich sein eigenes Auftre-
ten mit dem Kommen Gottes zu seinem Volke zusammenstellte. Nur schon
diese Deutung der Worte des Propheten, woran sonst Niemand gedacht
hätte, zeigt das Hervorbrechen eines neuen Geistes, der von sich aus,
ohne alle menschliche Ermächtigung, das geheiligte Wort der Weissagung
regelt, vervollständigt, auf seinen wahren geistigen Sinn und Inhalt zu-
rückführt, eines neuen Geistes, der die gesammte alttestamentliche Weis-
sagung in ungeahntem Lichte erscheinen liess. Die alttestamentliche Idee
der Theokratie' (ein zuerst von Josephus gebrauchtes Wort) verklärte sich
durch diesen Geist zu der Idee des Peiches Gottes, in welchem die Men-
schen sittlich neu geschaffen, vom Geiste Gottes erfüllt, mit Gott und unter
sich in Liebe verbunden sind. Dieses Reich Gottes ist mit Jesu, als dem
eingebornen Sohne Gottes auf Erden gekommen („es ist mitten unter
euch^') und soll durch ihn unter den Menschen verwirklicht werden. Dar-
auf arbeitete er hin durch seine Lehrthätigkeit und durch die wunderbaren
Heilungen, die er verrichtete. Frühe sah er aber ein, dass er von sei-
nem Volke werde verworfen werden. Denn seine Auffassung des Reiches
Gottes war eine wesentlich religiöse und ethische, während sie in den
meisten seiner Volksji;enossen eine wenn nicht ausschliesslich so doch vor-
wiegend politische war. Obwohl Jesus als specieller Diener der Juden
{diaxovog rijg neqixonriq) (Rom. 16, 8) seine Wirksamkeit auf die verlornen
Schafe des Hauses Israel beschränkte, so hatte sie doch eine über die
Grenzen des jüdischen Volkes hinausgehende Tragweite, die sich bisweile^i
zu der bestimmten Ankündigung gestaltete, dass das Reich Gottes von
den Juden genommen und den Heiden werde gegeben werden (Matth. 21,
40 — 43). Er war sich bewusst, dass Alles, was er that und lehrte, am
Ende nur dazu dienen werde, die Herzeushärtigkeit seines Volkes auf das
höchste zu steigern und so das schrecklichste Strafgericht über sein Volk
herauf zu beschwören. Aber eben so deutlich sah er ein, dass nur so die
nationale Beschränkung, in welche, laut göttlicher Anordnung, seine Wirk-
samkeit sich hatte fügen müssen, gründlich könne beseitigt werden. Indem
er sich nun nach einiger Zeit öffentlich als den verheissenen Messias be-
kannte und er als solcher in Jerusalem einzog, wusste er, dass er sein
Todesurtheil unterschrieb, und doch musste er sich als Messias so feierlich
bekennen, weil er sonst seiner Stellung nicht genügt und den Schein auf
sich geladen haben würde, als ob er aus Furcht sich geweigert hätte, dieses
Bekenntniss abzulegen. Seinen Tod bezeichnete er im voraus als Sühnopfer
für die Sünden der Welt, als Bedingung erhöhter Wirksamkeit, als Mit-
tel, um die für die Wahrheit empianglichen Gemüther an sich zu ziehen.
Wenn aber Jesus im Tode blieb, so verlor Alles, was er bisher ge-
than und gelehrt hatte, und auch sein Tod alle und jede Nachwirkung und
Bedeutung. Der Tod, zumal ein solcher Tod war der schreiendste Wider-
spruch nicht nur gegen das, was er gesagt, dass er auferstehen werde,
25
sondern auch gegen sein eigenes Wesen. Die Jünger mussten daher, wenn
er im Grabe blieb, schlechterdings den Glauben an ihn aufgeben. Die
christliche Kirche gründet sich also auf Christi Auferstehung als feste Ge-
währ seiner Gottessohnschaft (Rom. 1, 4). Selbst Dr. Baur gesteht, dass
wenigstens der Glaube an die Auferstehung Christi nothwendig war, um
in den Aposteln den Glauben an Christum überhaupt am Leben zu erhal-
ten. Mit ihm war dieser Glaube zu Grabe getragen, mit ihm stand er
siegreich wieder auf.
IL Nun begann die zunächst durch die Apostel vermittelte unsichtbare
Thätigkeit Christi, im Vergleich mit welcher sein Leben und Wirken vor
dem Tode nur als Grund legender Anfang erschien, wie das die Schrift
selbst bezeugt (Apostelgesch. 1, 1). Sowie er von seinem Leben und
Wirken auf Erden gesagt hatte : ,,ihr werdet (mit den Augen des Glau-
bens) den Himmel oifen sehen und die Engel Gottes hinauf und hinab-
fahren auf des Menschen Sohn" (Joh. 1, 51 j, so wurde nun auch das andere
Wort erfüllt, das er als ein hülfloser Gefangener in seinem Verhöre ge-
sprochen: ;^von nun an werdet ihr sehen des Menschen Sohn sitzen zur
Rechten der lü-aft, und kommend auf den Wolken des Himmels" (Matth.
26, 64). Denn die ganze Kirchengeschichte ist ein fortgesetztes Kommen
des Herrn 1), d. h. die ganze Entwicklung des Christenthums auf Erden
ist die fortgehende Oifenbarung seiner Gegenwart in der Kirche, eine
fortgesetzte Einwirkung auf die Kirche, alles Vorbereitung auf die letzte
entscheidende Krisis, welche den endlichen, abschliessenden Sieg des Reiches
Gottes über alle Feinde herbeiführen wird (1 Kor. 15, 24). Also eines-
theils trifft sein Kommen ein, ehe alle, die in den Tagen des Fleisches
seine Zeitgenossen waren, gestorben sind, anderntheils erst am Ende aller
Tage , und die Kirche , von Feinden umringt , bittet und fleht immerfort :
„Komm, Herr Jesu (Apokal. 22, 20).
Denn allerdings trifft das Christenthum , indem es die menschliche
Natur zu durchdringen sich bestrebt, in allen Beziehungen und Verzweig-
ungen des Lebens der Völker und der Einzelnen auf ein feindliches Prin-
cip, welches sich gleich bleibt in der unendlichen Älannigfaltigkeit seiner
Formen und Aeusserungen. Dieses feindliche Princip, das alle Nerven
und Adern der Menschheit durchdrungen hat und seit Jahrtausenden in
der Menschheit eingewurzelt ist, setzt der Wirkung des Christenthums,
menschlicher Weise zu reden, unübersteigliche Hindernisse entgegen, die
nicht aufgewogen werden durch die Anknüpfungspunkte, welche das-
selbe in der gottverwandten menschlichen Natur flndet. Daher ist das
Programm von Arbeiten und Leistungen, welche das Christenthum bei sei-
nem Eintritte in die Welt sich gestellt, noch bei weitem nicht erschöpft,
das Ziel der christlichen Entwicklung der Menschheit in eine für unser Auge
unendlich weite Ferne gerückt. Nicht nur dieses, sondern die Geschichte
der Kirche, — weil corruptio optimi pessima — ist auch die Geschichte
der grössten sittlichen und intellectuellen Verirrungen des menschlichen
1) Darnach sind die Stellen Matth. 10, 28, 16, 28. 24, 35. Marc. 13, 30. Lucas
21, 32 auszulegen.
26
Herzens und Geistes. So gestaltet sich die Geschichte der Erh'jsiing der
Menschheit, — als welche wir die Geschichte der Kirche Christi aufzu-
fassen haben, — auch zu einer Geschichte des Verderbens der Menschheit.
Das Christenthum , wie ein weiser Mann gesagt, hat die Menschheit all
ihre Bosheit, all ihre Thorheit ausschwitzen machen. Daher stellt sich
uns die Geschichte der Kirche Jesu dar als ein lebendiges Gemälde von
dem Kampfe zwischen dem christlichen Geiste und den gegnerischen Kräf-
ten, welche das Christenthum in jeder Periode vorfindet. Die Kirchen-
geschichte hat diesen Kampf zu beschreiben, zu zeigen, wie zwar in
Christo das Reich Gottes gekommen, wie aber dieses Reich immerfort
umgeben ist von Feinden, welche ihm den Sieg, ja die Existenz streitig
machen, und oft die Oberhand zu behalten scheinen, bis der Herr aufs
neue seine Macht erweist zur Rettung der Kirche.
Das erste Stadium der Thätigkeit des zur Rechten der Kraft er-
höhten Erlösers ist die Ausgiessung des Geistes mit den begleitenden
ausserordentlichen Erscheinungen, worin der Apostel Petrus die Wahr-
zeichen erkennt des herannahenden Tages des Herrn. ]\Ian pflegt dieses
Ereigniss als den Siiftungstag der Kirche zu bezeichnen, obwohl die An-
hänger Jesu sich schon vorher zusammengeschlossen hatten. Allein, inso-
fern die Apostel und Jünger damals den verheissenen Geist empfingen,
insofern dieser Geist das einigende und heiligende Band in der Kirche ist,
insofern er die Gläubigen erst recht fest zusammenschloss, kann man wohl
sagen, dass damals die Kirche als solche gestiftet wurde, wie denn auch
seit dem unter den Gläubigen ^) der Name exxXrjcncx, Versammlung, Ge-
meinde autliam, als Correlat der Gemeinde Gottes im A. T. (des nliT^ i^HD
Num. 20, 4) als Verwirklichung des von Christo vorbereiteten und ange-
kündigten Reiches Gottes. Insofern die Apostel an der Spitze standen,
wie sie denn noch immer durch ihre Schriften an der Spitze stehen, ging
damals an ihnen, freilich in sehr kleinen Dimensionen das Wort des Er-
lösers Matth. 18, 28 in F.rfüllung. Es war der erste Anfang der sittlich-
religiösen Erneuerung der Welt gegeben. Unter den Aposteln ragt bis
auf die Zeit des Apostelconvents (Apostelgesch. 15) der Apostel Petrus
hervor, als derjenige, der die Gemeinde innerlich gründet und befestigt
und nach aussen für sie das Wort führt, sie zu schützen vor Vergewalti-
gung und Anhänger für die Sache Christi zu gewinnen und die schon ge-
wonnenen zu stärken — alles in Gemässheit dessen, was der Herr zu ihm
gesagt, betreffend seine Stellung in der zu stiftenden Gemeinde (Math. 16,
18. 19. Luc. 22, 32. Joh. 21, 15—17).
Bei alledem handelte es sich darum, das in Christo gegeliene Heil
((TmijQia) der Menschheit einzupflanzen. Aber derselbe Kampf, der durch
das Wesen des Christenthums und sein Verbal tniss zu der Gott entfrem-
1) Der Herr hatte die Bezeichnung eingeführt für die einzelne Gemeinde Matili.
18. 18 und für die ganze Kirche Matth. 16, 18. Beide Beziehungen werden znsainmen-
gefasst in den Aufschriften paulinisclier Briefe 1 Kor. 1, 1. 2 Kor. 1, 1. l Tliesaal.
1, 1. — Die einzelnen Gemeinden werden auch kurzweg fxy.lrj<r,(t, lov ^fov genannt
1 Kor. 11, 16.
27
deten Welt gesetzt war, derselbe Kampf, den der Stifter der christlichen
Religion zu bestehen hatte und der eigentlich die Bewegung seines Lebens
bildet, er zog sich auch durch das apostolische Zeitalter hindurch. Da das
Christenthum zunächst mit der mosaischen Religion und mit dem jüdischen
Volke in Berührung gekommen war, so hatte sich der Kampf zu Lebzeiten
Christi auf diesem Gebiete entsponnen. Im apostolischen Zeitalter w^ar es
ein Kampf nicht blos mit dem Judenthum ausserhalb der Kirche, sondern
wesenthch Kampf zwischen der am Gesetz festhaltenden und der specitisch
evangelischen Richtung innerhalb der Kirche selbst. Das apostolische Zeit-
alter ist der eigentliche Schauplatz dieses Kampfes.
Wir sehen die junge Kirche, angegriffen theils von den Juden, theils
von der streng judenchristlichen Richtung, die sie im eigenen Schoosse
hegt, sich von den Banden der jüdischen Religion losreissen, die P^man-
cipation vom mosaischen Ceremonialgesetze , welche im Wesen des Evan-
geliums gegeben war, und dessen Wahrheit ausmacht (Galater 2, 5) voll-
ziehen. Das ist also die eigenthümliche Bedeutung des apostolischen Zeit-
alters, das die geschichtliche Mission desselben. In solchem Ringen
übte die junge Kirche ihre Kräfte zur Vorbereitung auf die grösseren
Kämpfe, die ihr bevorstanden und die auch zum Theil schon ihren Anfang
nahmen. Zugleich aber wurde die monotheistische Grundlage der mosai-
schen Religion und alle damit zusammenhängenden ethischen Bestinnnun-
gen mit gewissenhafter Sorgfalt aufrecht gehalten. Die Grundvoraussetz-
ung so wie der oberste Satz der Predigt von Christo war der Gott A])ra-
hams, Isaaks und Jakobs, der allmächtige Schöpfer des Himmels und der
Erde, derselbe aber erst in Christo sich in abschliessender Weise offen-
barend.
Jede geistige Bewegung, wenn sie zum Siege durchdringen soll, er-
heischt einen Mann, in welchem sie sicii verkörpert, Gestalt gewinnt, zum
vollen Bewusstsein ihrer selbst gelangt, und der sich nun als Lebensauf-
gabe stellt, sie zur Geltung zu bringen. Das ist die Bedeutung des Apo-
stels Paulus, des Apostels der Heiden i). Eine jede geistige Bewegung,
soll sie festen Euss fassen und sich ausdehnen, erheischt aber aucli einen
Ort, wo sie zunächst sich festsetzen und von wo es ihr möglich wird, sich
weiter auszubreiten, — wie Chursachsen für die deutsche Reformation, der
Canton Zürich für die schweizerische. — Ein solcher Ort war für Paulus
und seine Bestrebungen Antiochien, die Hauptstadt von Syrien, wo unab-
hängig von der Mutterkirche in Jerusalem sich eine Gemeinde aus ehe-
maligen Heiden bildete, wo das Christenthum sein anfängliches Gepräge
als einer jüdischen Sekte ablegte, wo die Bekenner Jesu von den zur
Spötterei geneigten Antiochenern zuerst Christianer genannt wurden
(Apostelgesch. 11, 26). Durch die Unterstützung von Seiten dieser Ge-
meinde wurde Paulus in den Stand gesetzt, seine Missionsreisen zu be-
ginnen, die er bald in immer grösserem Umfange nach Westen hin aus-
dehnte, dem (iange der Weltgeschichte folgend, die mehr und mehr nach
1) Er führte diircli, was durcb Petrus (Apostelgesch. 10. 11. 12) und den Apostel-
convent (Apostelgescli. 15) eingeleitet worden.
28
Westen hingedrängt hatte. Daher, nachdem das Evangelium in Kleinasien
und in Griechenland festen Fuss gefasst, treibt es ihn so mächtig nach
der Hauptstadt der Welt, um auch da das Panier des Kreuzes aufzu-
richten. Rom sollte für das Abendland ein zweites Antiochien werden.
Ausser den beiden genannten Aposteln ragt in den späteren Zeiten
des ersten Jahrhunderts der Apostel Johannes hervor, der die zu Ende
geführte Emancipation vom Mosaismus in den Worten ausspricht: ^,das
Gesetz ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Je-
sum Christum geworden (Joh. 1, 17). Also an die drei Apostel Petrus,
Paulus, Johannes knüpft sich die Bewegung des apostolischen Zeitalters.
Jerusalem bleibt Sitz des Judenchristenthums , die Gemeinde daselbst hat
frühe ihre hervorragende Stellung eingebüsst und wird in ihrer Arnuith
durch die Wohlthätigkeit anderer Gemeinden unterstützt. Diese reichen bis
nach Rom im Westen, nach Babylon im Osten und bestehen hauptsächlich
aus bekehrten Heiden, meistens ehemaligen jüdischen Proselyten des
Thores.
III. Was die anderweitigen Verhältnisse der christlichen Gemeinden,
zunächst die Verfassung betrifft ^) , so wurde , obschon die Apostel an der
Spitze derselben standen, die Einheit der Kirche durchaus nicht durch sie
repräseniirt — weiss man doch von der Thätigkeit der meisten Apostel
so wenig, — sondern durch die Einheit des Glaubens (Ephes. 4, 4 — 7),
welche sehr verschiedene Lehrtypen nicht ausschloss, wie wir sie bei Pau-
lus, Petrus, Johannes, Jakobus finden. Die Apostel machen auch keinen
hierarchischen Gebrauch von ihrer Autorität. Sie handeln in Verbindung
mit den Gemeinden (Apostelgesch. 1, 6. 11, 2. 15, 23), lassen sich von den
Gemeinden aussenden, so Paulus von der Gemeinde zu Antiochien (Apo-
stelgesch. 13), der auch Willens ist, sich von der Gemeinde in Rom nach
Spanien senden zu lassen (Rom. 16, 24). Sie hatten Mitarbeiter, die nicht
blos neben ihnen arbeiteten, sondern die sie auch in den Gemeinden zu-
rückliessen, um an ihrer Stelle zu arbeiten. Timotheus, Titus, Sil-
vanus, Marcus, Clemens, Epaphras, von einigen Kirchenschrift-
stellern auch Apostel genannt, daher als die ersten Bischöfe der betreffen-
den Gemeinden aufgeführt, so Timotheus und Titus als die ersten Bischöfe
von Ephesus und Kreta 2).
Wichtig war es für die christlichen Gemeinden, in der jüdischen
Synagogeneinrichtung ein sehr nachahmungswerthes Muster vorzufinden
nicht blos was den Cultus, sondern auch was die eigentliche Kirchenver-
fassung betrifft. Die Einrichtung der Aeltesten, nQeGßvxeqoi entsprechend
den jüdischen D^'Dp , der Diakonen oder Almosenpfieger (Apostelgesch. 6, 1),
die Auswahl der Jünglinge, vectvKTxoi zur Verrichtung gewisser Dienste
(Apostelgesch. 5, 6 — 10), alles dieses ist der Synagoge entlehnt. Im An-
fange bezeichnete der Name nQtGßvtaqoq und emaxonog diu'chaus dieselbe
1) Die Verfassung der Kirche im Jahrhundert der Apostel, von einem kathoHschen
Historiker. NördUngen 1873.— Dr. Beyschla^, die christliclie Gemeindeverfassung im
Zeitalter des N. Test. Von der Teyler'sclien theol. Gesellseliaft gekrönte Preissclirift.
Hartem 1874.
2) Euseb. 3, 4.
29
Person (Apostelgesch. 20, 17. 28. Tit. 1, 5 — 7. Philipp. 1, 1), >Yelche
Identität auch anerkannt wird von Hieronymus (cap. 72) von Chrysostomus
(hom. in Phil. 1, 1). So wie nun die Gemeinde die Diakonen gewählt
hatte, so wie sie schon an der Wahl des Apostels Matthias Theil genom-
men, so gewiss auch an der Wahl der Presbyter, nämlich so, dass die
Apostel sie etwa vorschlugen und die Gemeinde ihre Zustinnnung gab und
ihre Wahl dadurch legitimirt wurde. — Mt Zustimmung der ganzen Ge-
meinde (^vpevdoxrjcracfig naGTjg TTjg exxXrjffiag) haben die Apostel Presbyter
aufgestellt, sagt Clemens Rom. 1 Cor. c. 44. Nach dieser Analogie müssen
Stellen wie Apostelgesch. 14, 25. Tit. 1, 5 ausgelegt werden. Die Ge-
meinde nahm auch Theil an der ersten Kirchenversammlung in Jerusalem,
gewöhnlich Apostelconvent genannt (Apostelgesch. 15, 6 tf.). Allerdings
führen Petrus und Jakobus das grosse Wort; allein der Beschlub^, be-
treffend die Aufnahme der Ileidenchristen ohne Beschneidung, wurde
durchaus nicht blos von den Aposteln und Presbytern (v. 6), sondern auch
von den Brüdern (v. 22. 23) gefasst, unter welchen hier die männlichen
Laien zu verstehen sind. Der Beschlussfassung war vieler Wortwechsel
vorangegangen (v. 7), wobei offenbar die Laien der beiden in der Yer-
sammlung vertretenen Richtungen in Beziehung auf die obschwebende
Streitfrage gegeneinander fochten. Die Laien hatten also unbeschränkte
consultative Stimme und sofern sie auch bei der Beschlussfassung als mit-
thätig aufgeführt werden, auch deliberative Stimme.
Was die gottesdienstlichen Yersannnlungen betrifft, so befolgte man
dabei, wie bevorwortet, das in der jüdischen Synagoge gegebene Muster,
wodurch der Gottesdienst von vorn herein, dem Wesen des Christenthums
gemäss, mit dem vorherrschend symbolischen Cultus der alten Welt brach
und ein didaktisches Gepräge erhielt. Demnach fand neben Gebet, wobei,
ebenfalls nach dem Muster der Synagoge, wahrscheinlich bald stehende.
doch sehr einfache Formehi sich zu bilden anfingen. Vorlesen des A. T.
und Vortrag darüber statt. Dazu kamen schon im apostolischen Zeitalter
Briefe der Apostel (Kol. 4, 16). — Sowie nun in den Synagogen Lehrfrei-
heit herrschte (Luc. 4, 16), so auch in den ersten christlichen Gemeinden,
und das entsprach auch dem ersten Feuer der l^)egeisterung. Das Lehr-
amt gehörte ursprünglich weder zum Presbyterat noch zum Diakonat. Wie
es in den christlichen Gemeinden in dieser Beziehung herging, davon gibt
uns Paulus im ersten Briefe an die Kor. c. 12. 14 eine sehr anschauliche
Beschreibung, wenngleich einige Züge ausschiesslich jener Gemeinde ge-
hören mögen. Die dabei vorfallenden Unordnungen mögen dem Apostel
den Wunsch nahe gelegt haben, dass das Lehramt eine mehr geordnete
Gestalt annehme. Daher dringt er in den Pastoralbriefen darauf, dass der
Bischof oder Presbyter lehrhaftig (Sidaxiixog) sei (1 Tim. 3, 2), d. h. dass
er fähig sei, die Gemeindeglieder in der gesunden Lehre zu bestärken
und die Widersprechenden zu widerlegen (Tit. 1, 9). Daher verordnet er
sogar, dass die dem Lehramt obliegenden Presbyter ein doppeltes Honorar
empfangen (1 Tim. 5, 17); daher empfiehlt er dem Timotheus und Titus
so eifrig das Lehren (1 Tim. 4, 16. Tit. 2, 1. 7). Dadurch will er dem
Uebelstande abhelfen, dass einige ohne wahre innere Berufung in den
30
Verstimniliiiigeii das Wort ergreifen. Dalier schärft er den Korinthern ein,
dass Gott die einen zu Aposteln, Lehrern u. s. w. berufen habe, ^^onlit er
eben sagen will, dass nicht alle berufen sind zu lehren, wie denn auch
Jakobus 3, 1 eine darauf bezügliche Ermahnung ertheilt. Dass an die
Lehrvorträge sich der Gesang von Psalmen und geistlichen Liedern an-
schloss, kann nicht erwiesen werden. Denn in den Stellen, ^vorauf man
sich beruft (Kol. 3, 16. Ephes. 5, 19), ist zunächst nicht von den gottes-
dienstlichen Versammlungen die Rede, sondern von wechselseitiger Er-
bauung und Belehrung bei Mahlzoiten, im Familienkreise u. s. w. Sowie denn
das Singen bei den ersten Christen sehr in Ehren und Gebrauch war. Es
gab später viele Lieder, die als von Alters her gedichtet galten i). Gesang im
Gottesdienste werden wir aber zum ersten Male finden zu Anfang des 2. Jahr-
hunderts in den Gemeinden Bithyniens nach dem Berichte des Plinius;
Justinus Martyr jedoch der später schreibt, weiss nichts davon. Das Abend-
mahl, Brodbrechen (Apostelgesch. 2, 42. 46), nebst der Taufe die 'einzige sym-
bolische Handlung, wurde anfänglich bei den täglichen Zusammenkünften ge-
feiert und zwar gewiss in höchst einfacher Weise, da es mit einer Liebes-
mahlzeit {ayanri Brief Judä v. 12) verbunden war. Als Zeichen der Bru-
derliebe war in den Versammlungen der Bruderkuss, der Kuss der Liebe,
der heilige Kuss ((ftlrjfia ayantiq^ (ftXrnia ayiov. Köm. 16. 16. 1 Petr.
5, 14) üblich. Spuren der Sonntagsfeier finden sich Apostelgesch. 20, 7.
1 Kor. 16,2; deutlich tritt er hervor Apokal. 1, 10, schon mit der be-
stimmten Bezeichnung als Tag des Herrn (xvotaxTj ^/u-e^a), wobei, nach
späteren Deutungen zu schliessen, wahrscheinlich die Beziehung auf die
Auferstehung Christi vorwaltet. Man hat in 1 Kor. 5, 7, doch wohl ohne
hinlänglichen Grund, die Spur eines christlichen Passahfestes in Korinth
finden wollen. Die palästinensischen Judenchristen dagegen behielten die
jüdischen Feste bei.
Der sittliche Zustand bot manche Lichtseiten, doch fehlten keines-
wegs die Schattenseiten. Es Jiing diess damit zusammen, dass die Apostel,
Paulus zumal, aus wohl verstandener und vollkommen gerechtfertigter
Kirchenpolitik das Evangelium zunächst in den grösseren Städten verkün-
digten, von wo aus es sich in der Umgegend leichter verbreiten konnte.
Li den Städten, zumal in den grösseren herrschte grosse Sittenverderbniss,
und diese brachten die von den Heiden zur christlichen Partei Uebertre-
tenden zum Theil mit. Die Apostel waren nämlich, wie uns schon die
Vorgänge am ersten christlichen Ptingstfest und die in Samarien beweisen,
in der Aufnahme neuer Mitglieder sehr weitherzig. Ihre Praxis hielt die
gesunde Mitte inne zwischen der römisch-katholischen Laxheit und dem
Rigorismus einiger protestantischer Missionare. Sie begnügten sich mit
den ersten aufrichtigen Regungen christlichen Glaubens und christlicher
Sinnesänderung und behielten sich vor, die Leute, nachdem sie dieselben
für das Christenthum gewonnen, geistig zu bearbeiten, wie ihre Briefe es
bezeugen. Aus diesen Briefen ersehen wir, wie viele und tief gehende
Schäden hervortraten, wie auch die Lehre von der Rechtfertigung durch
1) Euseb. 5, 28.
31
den Glauben Heischlicli niissbraucht wurde. Eine, eigentlich unsittliche
Sekte bildete sich in den kleinasiatischen Gemeinden, die Sekte der Niko-
laiten, die identisch sind mit denjenigen, die als die Lehre Bileams fest-
haltend autgeführt werden (Apokal. 2 , 6. 14. 15) ^j. Eine schauerliche
Tiefe sittlichen Verderbens thut sich uns auf in den Menschen, welche der
2. Brief Petri und der Brief Judä bekämpft. Denn es ist das Eigenthüm-
liclie solcher Perioden grosser Bewegung, alle guten und alle schlechten
Kräfte in der menschlichen Natur anzuregen und in Thätigkeit zu setzen.
Wo viel Licht, da ist auch viel Schatten, dieses Wort bestätigte sich auch
an den ersten christlichen Gemeinden. Die sittlichen Auswüchse inmitten
der christlichen Gemeinden blieben den Heiden, wie von vorn herein zu
erwarten, keineswegs verborgen. Sie wurden, wie wir aus Sueton und
Tacitus ersehen, geltend gemacht, um die Christen überhau})! als eine
unsittliche Sekte darzustellen. Daher die Ermahnung des Apostels Petrus
(1 Brief 3, IGj habt ein gutes Gewissen, auf dass die, so von euch after-
reden als von Uebelthätern, zu Schanden werden. Dass man bei grellen
Vergehungen sich nicht mit Ermahnungen begnügte, verstellt sich von
selbst. Nachdem Petrus im eigenen Namen, als Apostel, Ananias und
Sai)hira und Simon den Magier gestraft, machte Paulus den Grundsatz
geltend, dass die Kirchenzucht durch die gesammte Gemeinde geübt wer-
den müsse, mit sorgfältiger Vermeidung alles dessen, was an Hierarchie
erinnern konnte. Ein sehr bezeichnendes Beispiel davon ist die Aus-
schliessung des Blutschänders in Korinth (1 Kor. 5, 2—13. 2 Kor. 2, .0—8).
Dass aber die Apostel den Gemeinden kein hartes Joch auferlegten, ist
aus ihren Briefen zu ersehen. Sie forderten nicht einmal Easten, erklär-
ten sich gegen harte Askese, gegen solche, die des Leibes nicht schonen,
dem Eleisch seine Ehre nicht anthun (Kol. 2, 21—23). Derselbe Paulus,
der (1 Kor. 7) den Puith gegeben, nicht zu heirathen, theils wegen der
misslichen Zeitumstände, theils wegen der mit dem ehelichen Leben ver-
bundenen Versuchung, den Dienst des Herrn hintanzusetzen, er fand es
später für nothwendig, sich gegen diejenigen zu erklären, welche die Ehe
verboten, und die höhere, christliche Idee von der Ehe hervorzuheben
(Ephes. 5, 23—32). Waren doch alle Apostel, ausser Paulus und Johannes
verheirathet und führten ihre Erauen mit sich herum (1 Kor. 9, 5) '^), wo-
bei Paulus geflissentlich Petrus hervorhebt. Paulus war soweit davon ent-
fernt, zum ehelosen Leben anzutreiben, dass er (1 Tim. 5, 14), die be-
stimmte Willensmeinung ausspricht, die jungen Wittwen sollen heirathen,
Kinder zeugen u. s. w., sich darauf gründend, dass schon einige allein
1) S. Jas Nähere darüber im betreffenden Artikel der Realencyklopädie.
2) Nachdem schon in der patristischen Zeit von einigen, z. B. v. Cleni. AI.
Strom. 3, 6 auch Euseb. 8, f)0 die Meinung aufgestellt worden, Paulus sei ver-
heirathet gewesen, welcher Ansicht auch Luther beipüichtete, hat Hausratli a. a. 0. II.
S. 428) dieselbe Ansicht aufgestellt, indem er davon ausging, dass die Stellen 1 Kor- 6,
12—7, 10. 1 Thess. 2, 7. 5, 4. Gal. 4, 10. 1 Kor. 3, 2. 4, 15 am besten auf einen
Verbeiratheten passen. Er meint Paulus sei Wittwer gewesen. Nach Chrysostomus zu
Phil. 4, 3 meinten einige, Paulus rede mit Gv^vye yytjffie seine Gattin an.
32
stehende junge Wittwen vom christlichen Glauben abgefallen sind. Alte
Wittwen, die das 60. Lebensjahr überschritten und einen guten Lebens-
wandel geführt, wurden unter die Zahl der zu versorgenden aufgenommen,
in die später sogenannte Classe der Wittwen {Tayfia xVQ^^^i sie sollten
über das weibliche Geschlecht, zunächst über die verheiratheten jungen
Frauen eine mütterliche Aufsicht führen (Tit. 2-, 3). Dass mit dem Amt
der Diakonissen (Rom. 16, 2) die P^nthaltung von der Ehe verbunden war,
ist höchst unwahrscheinlich, da die Diakonen verhcirathet waren und Paulus
nur darauf dringt, dass sie in der Monogamie leben (1 Tim. 3, 12).
IV. Auf dem Gebiete der Lehre war vor allem massgebend die
Kampfstellung gegen das Judenthum und das Judenchristenthum. In diesem
Kampfe entwickelte Paulus die Grundzüge der Lehre vom Menschen, von der
Sünde, von der Erlösung und Versöhnung, von der lleilsordnung überhaupt,
sodann die Lehre von den Gnadenwirkungen, von der Vorherbestimmung im
Gegensatze zu dem engherzigen Stolze der Juden, die nur das eigene Volk
als das von zu Gnaden angenonnnene gelten lassen wollten, endlich die
Lehre von der Kirche als Zusammenfassung der Gläubigen aus allerlei
Volk in der Einheit des Geistes und Glaubens, in welchem alle nationalen
und religiösen Unterschiede verschwinden und nur der in Liebe thätige
Glaube, nur die neue Creatur gilt (Galater 5, 6. 6, 15).
PiS gab aber noch mannigfaltige andere Verirrungen. In Beziehung
auf die schw\ärmerischen eschatologischen Erwartungen der Thessalonicher,
welche die Zukunft Christi als unmittelbar bevorstehend sich dachten, so
dass einige nicht mehr arbeiten wollten, gab Paulus einige berichtigende
Erläuterungen (2 Thess. 2, 1 if. 3, 10—12). Die Unordnungen und Miss-
bräuche bei der Feier des Abendmahls gaben ihm Anlass, die betreffende
Lehre durch einige wichtige Sätze zu erläutern (1 Kor. 11, 20 ff.). Schon
in demselben Briefe tritt er solchen entgegen, welche die Auferstehung
der Todten läugnen und verbreitet sich ausführlich über diese Lehre
(1 Kor. 15). Von besonderer Beachtung ist das Eindringen einer philoso-
phischen oder theosophischen , vielleicht von den P^ssenei^n entlehnten Be-
handlung des Christenthums , wodurch Christus unter die Engel gestellt
wurde, in einigen heidenchristlichen Gemeinden, verbunden mit einer aske-
tischen Richtung, welche des Leibes nicht schonte und zugleich mit Ver-
pflichtung auf das mosaische Ceremonialgesetz. Paulus stellt daher im
Briefe an die Kolosser, unter welchen diese Verirrungen sich zeigten, die
Hauptsätze seiner Christologie auf. Er warnt vor der Verführung durch
die Philosophie Kol. 2, 8. Derselbe Apostel, der sonst so sehr die Erkennt-
niss, yvcoaig empfiehlt (1 Kor. 1,5), der die Erkenntniss als besonderes
Charisma aufführt (ibid. c. 12, 8), er sieht sich veranlasst, den Timotheus
vor fälschlich sogenannter Erkenntniss zu warnen (1 Tim. 6, 20), weil es
offenbar schon einige gab, welche unter dem blendenden Namen der Er-
kenntniss den Inhalt des christlichen Glaubens untergruben. Auf Irrlehrer
bezieht sich auch seine Anrede an die Aeltesten von Ephesus (Apostel-
gesch. 20, 29. 30). In Palästina versteifte sich die judenchristliche Richtung
bald nach dem Tode des Paulus so weit, dass die Gottheit Christi nicht an-
erkannt wurde und einige bereits in das Judenthum völlig zurückfielen.
33
Denn die Richtung dieser Partei ging dahin, die ganze mosaische Reli-
gionsverfassung aufrecht zu halten. Gegen diese Abirrung ist der Brief an
die Hebräeji» gerichtet, der die Gottheit Christi hervorhebt (c. 1), die mo-
saische Religionsverfassung als blosse Abschattung dessen, was im Evange-
lium gegeben ist, darstellt und vor dem Verlassen der Versammlungen,
d. h. vor Rückfall in das Judenthum warnt (10, 25 vgl. mit 2, 1—4. 3, 7.
5, 11. 6, 20). Es sind diess die Anfänge des späteren Ebionitismus i). Die
Zerstörung von Jerusalem mit den begleitenden entsetzlichen Unglücks-
fällen brachte doch diese Leute nicht zur Besinnung. So sehen wir denn
die beiden Hauptformen der Häresis, die im zweiten Jahrhundert stärker
sich geltend machten, bereits im apostolischen Zeitalter hervortreten, wie es
denn von vornherein zu erwarten ist, dass die grosse häretische Bewegung
des zweiten Jahrhunderts ihre Vorläufer hatte; und zwar entspringt, was
wohl zu beachten, die gnostische Richtung zunächst auf dem Gebiete des
Judenchristenthums, und verpflanzt sich erst von da auf das Gebiet des
Heidenchristenthums.
Seit der Zerstörung von Jerusalem traten aufs neue Abirrungen ein,
wie denn der Apostel Johannes klagt, dass viele Antichriste, d. h. Christus-
läugner in die Welt ausgegangen (1 Job. 2, 18. 2 Job. v. 7). Einei stär-
keren Tadel konnte er über diese Verirrung nicht aussprechen^ als wenn
er sie als Erscheinung des Antichristenthums hinstellte, woraus er zugleich
den Schluss zog, dass die letzte Stunde für die gegenwärtige Weltperiode
geschlagen habe. In den Kreisen, worin der Apostel Johannes lebte, d. h. in
und um Ephesus, regte sich wie zu des Apostels Paulus Zeit die Gnosis, die
fälschlich sogenannte, und zwar wiederum zunächst an das Judenthum sich
anschliessend, ohne jedoch den antijüdischen, antimonotheistischen Charakter
verläugnen zu können. Es lebte nämlich gleichzeitig mit dem Apostel Johan-
nes in Ephesus, der jüdische Gnostiker Kerinth. Er ging aus von einem
über alle Berührung mit der sinnlichen Welt erhabenen, aus der Verbor-
genheit seines Wesens nicht heraustretenden Gotte, dem unerkennbaren
Gotte (d^sog ayvca^og). Derselbe habe durch seine Engel die Welt erschaffen
lassen. Als obersten derselben mag er sich der Juden Gott gedacht haben,
ohne dass wir mit Epiphanius annehmen müssen, er habe dem Urheber
des Gesetzes die Güte abgesprochen; durch ihn und die übrigen Engel sei
das mosaische Gesetz gegeben worden, eine ziemlich allgemeine Vorstellung
der damaligen jüdischen Theologie (Apostelgesch. 7, 53). Dadurch sollte
einerseits die jüdische Religion vor den anderen Religionen, die durchaus
irdischen Ursprungs sind, ausgezeichnet, andererseits unter das Christen-
thum gestellt werden. Die genannte Vorstellung vom Judengotte erscheint
weniger auffallend, wenn wir bedenken, dass Kerinth einem Theile des
mosaischen Gesetzes den wahrhaft göttlichen Ursprung absprach. Im Mes-
sias ist die vollkommenste Offenbarung des verborgenen Gottes erschienen,
aber nicht die vollkommene. Bei Kerinth ist keine Spur von paulinischer oder
johanneischer Christologie zu finden. Jesus, Sohn Joseph's und der Maria,
machte sich durch gesetzliche Frömmigkeit fähig und würdig, zum Messias
erkoren zu werden. Bei der Taufe verband sich der heilige Geist, den er
1) S. Bleek in der Einleitung zum Commentar über den Brief an die Hebräer.
Herzog, Kirchengeschichte I. o
34
den avoo Xqictoq nannte, mit dem Menschen Jesns, dem xar« XgKTtog,
und so wurde dieser mit Wundergaben und vollkommener Erkenntniss
Gottes ausgerüstet. In Verbindung mit diesem mächtigen Gottesgeiste
hätte Christus nicht leiden können. Sein Leiden und Tod beweist, dass der
obere Christus ihn wieder verlassen hatte. So wenig gehörte Leiden und
Tod zum Versöhnungswerke Christi. Als Fortsetzung und Vollendung der
göttlichen Offenbarung sollte, nachdem die Welt sechstausend Jahre bestanden,
eine neue himmlische Ordnung der Dinge entstehen, im siebenten Jahrtausend
der Sabbathsruhe für die von allem Kami)fe befreiten Frommen. Bis dahin
sollte die Beobachtung des Gesetzes (Beschneidung, Sabl)ath u. s. w.) fort-
dauern. Jerusalem sollte der Sitz des tausendjährigen Reiches sein. l^]s
werden dem Kerinth über die Beschaffenheit dieses lleiches krass sinnliche
Verstellungen beigelegt. Später behauptete man sogar, dass er Verfass(;r
der Apokalypse Johaiinis sei, die er, um den darin niedergelegten Ansichten
mehr Eingang zu verschati'en, unter jenem verehrten Namen herausgegeben
habe. Gewiss ist, dass er die Autorität des Ai)ostels Paulus nicht anerkannte
und unter den Evangelien nur das von Matthäus und zwar bloss theilwei^e
als kanonisch ansah i).
Es standen diese Ansichten des Kerinth nicht vereinzelt da. Nicht mir
war der Chiliasmus eine weit verbreitete Zeitansicht; auch Kerinth's theo-
sophische Sätze erinnern an vorhandene Speculationen , die fi'eilich zum
Theil zu anderen Resultaten führten. Aus der absoluten Entgegensetzuu.»-
von Geist und Materie, die als unerschaffen galt, ging schon am Ende des
ersten Jahrhunderts der sogenannte Doketismus hervor. Die Dokete i
{öoxritai)^ iiiidi phantasiasfae genannt, lehrten, dass die göttliche Natur sic.i
mit der menschlichen durchaus nicht habe vereinigen können, Jesus habo
bloss dem Scheine nach (to Soxsiy^ ^oxr^CEi) einen menschlichen Leib ge-
habt. Sein Leib sei ähnlich gewesen dem der Engel; daher habe er aucli
bloss scheinbar gelitten. Zu Anfimg des zweiten Jahrhunderts erschein,
diese Vorstellungsart schon ziemlich ausgebildet 2).
Ob und inwieweit das Evangelium und die Briefe des Apostels Johan
nes gegen diese Zeitansichten gericlitet sind, darüber weichen noch jetzl
die Ansichten sehr von einander ab. Das steht fest, dass Johannes in
Evangelium nirgends direct polemisch verfährt. Er gibt die positive Thesit
zu der von Anderen angefochtenen Wahrheit; in den Briefen dagegen ist
die direct polemische Beziehung nicht zu verkennen (1 Joh. 2, 18 ff. 4, 2 ff.
2 Joh. V. 7). AVahrscheinlich ninnnt Johannes Bezug auf Kerinth, nicht
aber auf die Doketen.
So viel steht fest, Johannes hat als Centralpunkt des christlichen Be-
kenntnisses den Glauben an das Fleisch gewordene ewige Wort (Logos)
aufgestellt. Darin schliesst er sich auf das bestimmteste an Paulus an,
dessen Christologie , wie er sie besonders im Briefe an die Kolosser dar-
legt, sich in der Anerkennung der Gottheit Christi und in der Auffassung
des Christenthums als der absoluten Religion abschliesst. Wohl zu beachten
1) Irenäus adv. haer. 1, 26. Euseb 3, 28. Epipbanius haeresis 28. Hippoljtns 7, 33.
2) Ignatius ad Smyrn. c. 1—8 ad Epliesios c. 7.
35
ist, class, jemehr Johannes und Paulus, sowie auch der Verfasser des Briefes
an die Hebräer auf Emancipation von der mosaischen Religionsform hin-
arbeiten, sie desto stärker die Offenbarung Gottes in Christo, die Gottheit
Christi hervorheben, worin sie eben die Berechtigung und das Mittel zu
jener Emancipation erkennen.
y. Die vorhin genannten Differenzen und Abirrungen waren um so
bedenklicher, da die Apostel einer nach dem anderen vom Schauplatze
dieser Erde abtraten. Es ist hier der Ort, von ihren letzten Schicksalen
und Thaten zu reden. Petrus, der in der Apostelgesch. vom 15. Capitel an
merkwürdigerweise gar nicht mehr erwähnt wird, verweilte etwas später
vorübergehend in Antiochien in Syrien (Gal. 2, 11) und wendete sich bald,
während Paulus nach den westlichen Gegenden sich richtete, nach dem
äussersten Osten, nach Babylon, wo die zahlreichen Juden ihm ein ergie-
biges Arbeitsfeld darboten. Von Babylon aus (5, 13) schrieb er seinen
ersten Brief an kleinasiatische Gemeinden, deren Existenz wir, was die Ge-
meinden in Pontus, Kappadocien und Bithynien betrifft, erst aus diesem
Briefe kennen lernen und die grossentheils aus Heidenchristen bestanden
(1, 18. 2, 10. 4, 3. 4). Von seinem Märtyrertode spricht in dieser Zeit
bloss und allein Clemens von Rom in seinem am Ende des ersten Jahrhun-
derts geschriebenen Briefe an die Korinthier und zwar in solcher Weise,
dass daraus ebensowohl gegen eine Anwesenheit des Petrus in Rom als
für eine solche geschlossen werden kann. Alle anderen Berichte über des
Petrus Aufenthalt, Wirksamkeit und Tod in Rom gehören den nachaposto-
lischen Zeiten an und müssen im Zusammenhange mit den damaligen Zeit-
strömungen betrachtet und beurtheilt werden. Was den Apostel Paulus be-
trifft, so steht fest, dass sein Tod nicht an das Ende der zwei Jahre fällt,
die er nach der Apostelgeschichte als Gefangener in Rom zubrachte; denn in
diesem Falle hätte Lucas nicht ermangelt, seine Geschichte damit abzu-
schliessen. Es bleibt das wahrscheinlichste, dass er damals aus der Ge-
fangenschaft befreit, nachdem er noch einige Jalire seine Wirksandveit fort-
gesetzt und wieder in Gefangenschaft gerathen, in der neronischen Verfol-
gung hingerichtet wurde, wie aus demselben Briefe des Clemens hervor-
geht, der auch von Petri Tode spricht^).
1) Bekanntlich deuten ausgezeichnete Ausleger und Historiker, im Anschlüsse an
eine Ansicht, die schon Euseb. 2, 15 kennt, in der Stelle 1 Petr. 5, lo Babylon als figür-
liche Bezeichnung von Eom, sich berufend auf die ebenfalls figürliche Bezeichnung (Tm-
GnoQtt (1, 1), fxlfXTTji und viog von Marcus ausgesagt. Allein es liegt auf der Hand,
dass daraus kein zwingender Grund abgeleitet werden kann, Babylon auch so zu verstehen.
Mit Recht hat der katholische Theologe Hug bemerkt, dass eine solche figürliche Bezeich-
nung in einem Werke, dessen ganze Anlage symbolisch sei, sehr wohl angehe, hingegen in
der JJnterschrift eines Briefes nur dann glaublich wäre, wenn es arcana nomina ecclesiarum
unter den Christen gegeben hätte. Es ist auch nicht. ohne Grund bemerkt worden, dass
die Aufeinanderfolge der Landschaften , deren Gemeinden gegrüsst werden (1 Petr. 1 , 1),
nicht zu einem Briefsteller, der in Rom weilt, passt, sondern vielmehr zu einem solchen,
der im Osten befindlich ist. Sodann fällt es auf, dass Petrus den Spuren des Apostels
Paulus gewissermassen nachgeht. Es steht fest, was auch Thiersch dagegen sagen möge,
das Petrus zu der Zeit, als Paulus den Brief an die Christen zu Rom schrieb, daselbst
3*
36
Petrus und Paulus, diese beiden Apostel, repräsentiren die Aussöhnung:
nicht war noch früher gewesen war; sonst hätte Paulus es erwähnt oder wenigstens darauf
Bezug genommen. Ebensowenig fand sich Petrus in Rom, als Paulus daselbst eintraf, um
zwei Jahre daselbst zu verweilen. Unerklärlich wäre das Stillschweigen der Apostelgesch.
über eine so wichtige Thatsache. Auf keinen Fall kann also Petrus vor dem Jahre 62
oder 63 nach Rom gekommen sein. Es liesse sich damit immer noch mit Gieseler die
Annahme verbinden, dass der genannte Brief aus Babylon geschrieben sei. Nur müsste man
sich über Petri Beweglichkeit wundern, der in seinen alten Tagen auf seinen Reisen noch
mehr Länder umspannt haben würde als selbst Paulus.
Im Schreiben an die Korinthier (c. 4. 5. 6) theilt Clemens von Rom über das Mar-
tyrerthum der beiden Apostel Petrus und Paulus einiges mit, wovon bei der näheren Unter-
suchung der Sache ausgegangen werden muss, weil es die erste ausserneutestamentliche
Nachricht ist. Clemens unterscheidet drei Classen von Menschen, die für die gute Sache
gekämpft und gelitten haben. In erster Linie führt er Abel, Moses, David an. Darauf
geht er zu denjenigen über, welche uns, sagt er, der Zeit nach die nächsten sind, zu den
erlauchten Vorbildern der gegenwärtigen Generation (t^? ytyeag ^^wv t« y^waia vno-
dsiy/uara. Hier kommt er, ohne jedoch den Ort zu nennen, auf das Märtyrerthum jener
beiden Apostel zu sprechen. In dritter, von der zweiten deutlich unterschiedener Linie
führt er römische Märtyrer an, eine grosse Schaar von Auserwählten, welche viele Qualen
ausgestanden haben, und so, sagt er, „unter uns" die besten Vorbilder geworden sind
{(iTJo^fty/Lta xakliGiov ?// »/,«<»'.)• ^^ ist hier offenbar die Rede von der Verfolgung
unter Nero und von den römischen Opfern dieser Verfolgung. Insofern haben wir hier
eine Ortsbestimmung, die, wie es scheint, auf das Martyrium jener beiden Apostel ausge-
dehnt werden kann. Allein diess ist nicht völlig sicher. Möglicherweise geht der Sinn
des Verfassers dahin, dass Petrus und Paulus auch zu denjenigen gehören, die „unter
uns", d. h. in Rom, Märtyrer geworden sind. Aber in den Worten ist es nicht ausge-
drückt. So urtheilt auch Gieseler.
Was insbesondere Petrus betrifft, so macht noch ein anderer Punkt Schwierigkeit.
Von diesem Apostel wird in aller Kürze berichtet, dass er, nachdem er Vieles ausgestan-
den, an den verdienten Ort der Verherrlichung gegangen sei. In dem weit grösseren und
ausführlicheren Lobe, das Paulus ertheilt wird, kommen Angaben vor, woraus man schliessen
könnte, dass allein dieser Apostel im Abendlande lehrend aufgetreten und daselbst Mär-
tyrer geworden: er habe den Preis der Ausdauer erhalten, da er siebenmal Fesseln ge-
tragen, verjagt und gesteinigt worden sei. Er sei Verkündiger des Evangeliums sowohl
im Morgen- als im Abendlande geworden, habe die ganze Welt Gerechtigkeit gelehrt, sei
bis an das Ende des Abendlandes (rf()^/« it^q dvctojg) gekommen und habe vor Fürsten
und Obrigkeiten Zeugniss abgelegt (luftQTvoTjffag (m rwr ijyovtjfywv). So sei er an den
heiligen Ort gegangen, als das grösste Beispiel der Ausdauer. — Die siebenmaligen Fesseln
bringt der Verfasser vielleicht so heraus, dass er zu den fünf Malen, die Paulus selbst an-
gibt (2 Kor. 11, 24) noch die Gefangenschaft in Cäsarea und in Rom rechnet. Das Ende
des Abendlandes ist wahrscheinlich auf Spanien zu beziehen (Rom. 16, 24). MaQTVQijaag
int TMv rtQ^o/mivMv erklärt sich am besten auf die angegebene Weise, wobei nicht speciell
an diejenigen zu denken ist, welche am Ende der Regierung Nero's die Herrschaft führten.
(S. Dressel, patrum apostolic. opera ad h. 1.). Es fällt nun aber sehr auf, dass nur von
Paulus gesagt wird, er sei in das Abendland gekommen. Ist auch Petrus dahin gekom-
men, so bleibt es geradezu unerklärlich, warum Clemens dieses nur von Paulus im deut-
lichen Unterschiede von Petrus aussagt. Er konnte dazu unmöglich durch die Annahme
veranlasst sein, dass es von Paulus weniger bekannt war als von Petrus. Oder ist das
der Sinn des Verfassers, dass Petrus zwar in Rom gewesen, aber durchaus nicht als Ver-
kündiger des Evangeliums, bloss um daselbst hingerichtet zu werden? Möglich aber un-
wahrscheinlich. Auf jeden Fall verliert so die Anwesenheit Petri in Rom, wenn sie je
stattgefunden, für die Entwicklung der dortigen Gemeinde jegliche Bedeutung.
37
der beiden Parteien in der Kirche, der judenchristlichen und der heiden-
christlichen in der Einheit des Glaubens an Christum als den alleinigen
Grund des Heiles, mit Ausschliessung der Gerechtigkeit aus dem Gesetze.
Der Apostel Johannes verweilte, nachdem er Jerusalem verlassen,
in Ephesus , seine Wirksamkeit auf kleinasiatische Gemeinden erstreckend
bis zum Anfang der Regierung Trajans, d. h. bis nahe an das Ende des
ersten Jahrhunderts ^). Er soll unter Domitian nach Patmos verwiesen wor-
den sein 2) , was aber wahrscheinlich früher geschehen ist. Völlig ins Ge-
biet der Sage gehört die Nachricht, dass er unter demselben Domitian nach
Rom geschleppt, daselbst in siedendes Oel geworfen worden und daraus
unversehrt hervorgegangen sei 3). Einen sehr schönen Zug von ihm hat Cle-
mens von Alexandrien, doch auch nur auf einer Sage beruhend, aufbewahrt ^)
— von dem Jünglinge , der auf grosse Abwege gerathen und vom Apostel
wieder auf den rechten Weg gebracht wurde. Nach einer bis auf Polykarp
zurückgehenden Ueberlieferung soll Kerinth einst mit dem Apostel Johan-
nes in einem Bade in Ephesus zusammengetroffen sein und dadurch diesen
bewogen haben, das Haus sofort zu verlassen, aus Furcht, es möchte das
Dach sofort über dem Ketzer zusammenstürzen &) ; jedenfalls ein Ausdruck des
Abscheus der Zeitgenossen gegen Kerinth's Irrlehren. Anderes Sagenhafte
übergehen wir. Man hat aber in neuester Zeit selbst des Apostels Auf-
enthalt in Ephesus für eine spätere Erdichtung erklärt, dazu bestimmt,
der ephesinischen Gemeinde einen neuen Glanz zu verleihen , wie aus
ähnlicher Absicht die Sage von Petri Wirksamkeit und Tod in Rom ent-
standen sei. Man hat behauptet, es sei der Apostel mit dem Presbyter
Johannes , dessen Existenz durch Papias verbürgt ist ^) , verwechselt wor-
den. Doch, wenn gleich in der Ueberlieferung, betreffend des Apostels
Johannes Aufenthalt in Ephesus, einige Unklarheit herrscht, so berechtigt
das keineswegs zu der genannten Ansicht ^). Jakobus , nicht der Bruder
des Apostels Johannes, der frühe hingerichtet wurde (Apostelgesch. 12,
1, 2) , sondern der Bruder des Herrn (Gal. 1 , 19) wirkte lange Zeit hin-
durch in Jerusalem als Vorsteher der Gemeinde, als Vorsteher des nicht
häretischen Judenchristenthums , auch bei den Juden hoch angesehen, der
Gerechte genannt; er erlag dem Fanatismus der Juden kurz vor Ausbruch
des jüdischen Krieges ^). An seine Stelle wurde Simeon, des Erhisers
Verwandter, gewählt, und zwar von den damals noch lebenden Aposteln,
unmittelbaren Jüngern des Herrn und von den noch lebenden leiblichen
Verwandten desselben. Diess berichtet Eusebius auf Grund einer münd-
1) So berichtet Irenäus 3, 3. 4.
2) Euseb. 3, 18.
3) Tertullian de praesurapt. heret. c. 36. Hieron. adv. Jovirn. c. 1.
4) Am Ende der Schrift: quia dives salvus.
5) Irenäus 3, 3. Euseb. 3, 28. 4, 14.
6) Euseb. 3, 39.
7) S. Keim im angeführten Werke. Gegen ihn ist Steitz aufgetreten in den
Studien und Kritiken 1868 S. 487.
8) Hegesipp. bei Euseb. 2, 23.
liehen Tradition 0- ^^^ wissen aus demselben Eusebius , dass die Juden-
cbristen gerne leibliche Verwandte des Herrn zu Vorstehern wählten 2).
Wie diese Vorsteherschaft beschalfen war, darüber sagen die Berichte
nichts. — Was die übrigen Apostel betrifft, so soll, der Ueberlieferung
zufolge, Thomas in Parthien, Andreas in Scythien das Evangelium ver-
kündigt haben 3). Erst Gregor von Nazianz kennt die Sage , dass Thomas
bis nach Indien gelangt sei, wo übrigens noch heut zu Tage die Thomas-
christen sich auf ihn berufen. Bartholomäus soll in Indien, d. h. in Jemen,
gewirkt haben, Matthäus in Aethiopien. Beachtenswerth ist es, dass von
keinem einzigen der 12 ursprünglichen Apostel gemeldet wird, er habe
sich nach Europa gewendet, um so grössere Bedeutung erhielt die Wirk-
samkeit des Apostels Paulus. Denn für die fernere Entwicklung und Aus-
breitung des Christenthums war es von der höchsten Bedeutung, dass es in
Europa eingebürgert wurde.
VI. Der Nachwuchs von Lehrern und Vorstehern der Kirche, ob-
schon es zum Theil Apostelschüler und Apostelgehülfen waren, bildet einen
grossen Abstand gegen die Apostel selbst, und das war nicht gerade ein
günstiges Zeichen der Zeit. Es kommen hier in Betracht die seit Clericus
unter dem Namen apostolische Väter zusammengefassten Lehrer und
Vorsteher von Kirchen , sieben an der Zahl , Barnabas, Clemens von
Rom, Hermas, Ignatius, Polykarp, Papias, Dionysius Areo-
pagita (Apostelgesch. 17, 34). Allein die ihnen zugeschriebenen Schriften
sind theils verloren gegangen (wie die des Papias"), theils gehören sie an-
deren Verfassern an, sind im zweiten Jahrhundert oder noch später (z. B.
die areopagitischen Schriften) verfasst worden ^).
Unter allen diesen Männern fällt allein Clemens von Rom mit Sicher-
heit noch in das apostolische Zeitalter, bildet aber bereits den Uebergang
in das nachapostolische Zeitalter. Einem Manne dieses Namens wird schon
von Dionysius von Korinth c. 170, sodann von Irenäus, Clemens von Alexan-
drien u. A. ein an die Korinthische Gemeinde gerichteter Brief zugeschrieben &),
der noch vorhanden ist, doch ohne Nennung des Namens des Verfassers. Viel-
mehr ist es die römische Gemeinde, welche als den Brief schreibend auf-
tritt. Er ist veranlasst durch die Auflehnung einiger unruhigen, frechen
Menschen gegen die eingesetzten Presbyter, er soll dazu dienen, die
Ungehorsamen zurecht zu weisen und den Frieden wieder herzustellen.
Der Verfasser scheint der paulinischen Schule anzugehören , daher die wie-
derholte \Yarnung, sich nicht auf Werke zu verlassen (c. 32). Die Art, wie
er von Paulus spricht in der oben angeführten Stelle (c. 5) scheint auf
solche Bezug zu nehmen, welche Paulus neben Petrus zu verkleinern
suchten. Doch lässt er dem Apostel Petrus seinen Vorrang, indem er ihn
1) Euseb. 3, 11 loyog xaTS/d'
2) Euseb. 3, 20.
3) Origenes bei Euseb. 3, 1..
4) Ausgaben der patres apostolici von Cotelerius, Paris 1672, von Clericus, Am-
sterdam 1724, von Hefele, Tübingen 1839 u. 1855, von Dressel 1857. 1863.
6) Euseb. 4, 23.
39
zuerst erwähnt. Ergreilend ist die Stelle, wo der Verfasser, um seinen
Ermahnungen zum Frieden Eingang zu verschaffen, hinweist auf die Har-
monie und Ordnung in der Bewegung der Weltkörper, die alle ihre ange-
wiesenen Bahnen verfolgen, ohne über die Grenzen derselben hinauszu-
schweifen. Der Verfasser scheint durchaus dem PresbytercoUegium anzu-
gehören. Es könnte sein, nach c. 1, dass der Brief zur Zeit der Verfolg-
ung durch Kaiser Domitian geschrieben ist. Er zeigt übrigens noch keine
Spur der späteren Episkopalverfassung. Presbyter und Bischöfe sind
identisch c. 42. Der Verfasser des Briefes, den man mit dem im Briefe
an die Philipper 4, 3 genannten Clemens nicht verw^echselu darf, muss in
der römischen Gemeinde eine angesehene Stellung eingenommen haben, da
er mit der Abfassung des Briefes beauftragt wurde. Dass man daraus
später geschlossen, er sei Bischof von Rom gewesen, dass er bald der
erste, bald der zweite, bald der dritte oder auch der vierte Nachfolger
Petri genannt wird, das hängt theils mit der Ausbildung der Episkopal-
verfassung, theils mit der Entwicklung der Petrussage zusammen und wird
später in Verbindung damit zur Sprache kommen.
Hier soll noch auf folgende Punkte aufmerksam gemacht werden.
Der Brief des Clemens gibt uns das erste Beispiel einer Gemeinde, die
an eine Schwestergemeinde eine Ermahnung ergehen lässt. Dass gerade
die römische Gemeinde ein solches Beispiel gab, ist ein im Hinblick auf
die Folgezeit beachtenswerthes Ereigniss, zugleich ein Beweis der hohen
Achtung, worin diese Gemeinde stand (Rom. 1, 8). Ihr Verfahren hat aller-
dings etwas Auftauendes denn sie hat von der Korinthischen Gemeinde keiner-
lei Auftrag zu einem solchen Mahnschreiben erhalten. Sie handelt aus eigen-
stem Antriebe als wie mit einem Aufsichtsamte über die Kirche betraut (c. 47).
Die wichtige Angelegenheit, um welche es sich handelte, liess über das Unge-
wöhliche der Sache hinwegsehen. Galt es doch, eine hoch angesehene Kirche
vor Zerrüttung zu bewahren; und es war der korinthischen Gemeinde gewiss
sehr erwünscht, an der Kirche zu Rom eine Stütze und Schutzwehr gegen ver-
derbliches Parteiwesen zu finden ; daher dieser Brief fortan in den Gemeinde-
versammlungen zu Korinth öfter vorgelesen wurde (Euseb. 4, 23). — In dem-
selben Sendschreiben begegnet man auch der ersten leisen Spur eines mit
dem Abendmahle verbundenen sichtbaren Opfers und der Aulfassung des
Episkopats oder Presbyterats als eines Opferdienstes. Schon so früh und
zwar in Rom wurde die Linie der Schrift überschritten (c. 40. 41. 44). Ein
2. aber unächter Brief desselben Clemens an die Korinthier, der erst jetzt
vollständig erschienen, ist eigentlich eine Homilie. S. die Nachträge. Dem-
selben Verfasser sind im 2. Jahrhundert eine Menge Schriften untergeschoben
worden: 1) zwei Briefe in syrischer Sprache, 2) die apostolischen Constitutio-
nen und Kanones, 3) die clementinischen Homilieen und Recognitioneu.
VII. Inmitten dieser Bewegungen im Inneren der jungen christlichen
Gemeinden trübten sich mehr und mehr die Verhältnisse nach aussen.
Zunächst zwar waren die Christen vor der Verfolgung durch den
Staat geschützt. Sofern sie als jüdische Sekte galten, gehörten ihre Ver-
sammlungen zu den collegia licita (Apostelg. 18, 12). Doch gab es hin
und wieder Volkstumulte gegen sie (Apostelgesch. 16, 19). In Thessalo-
nich behandelte man sie als lElevolutionäre (Apostelgesch. 17, 6), gerade
so wie die Juden Christum behandelt hatten. Mehrmals nahmen sich die
römischen Behörden ihrer schützend an. Tiberius verfolgte die Chri-
sten nicht, was zu der Sage Anlass gab, dass er Clmstum unter die Göt-
ter aufgenommen 1). Aber auch Claudius liess die Cliristen in Kühe; er
begnügte sich, die unter sich zankenden Juden aus Rom zu vertreiben,
welcher Befehl nicht eigentlich durchgeführt wui-de^).
Die erste eigentliche Verfolgung betraf die römische Gemeinde und
ging von Nero aus, worüber Tacitus Bericht erstattet 3). Sie ging nicht
aus Religionshass , sondern aus dem Bestreben hervor, den im Shwange
gehenden Verdacht, dass er der eigentliche Urheber der Feuersbrunst , die
Rom verzehrte, sei, von sich abzuwälzen. Dazu boten sich ihm die Chri-
sten als willkommene Opfer dar. Er liess einige ergreifen, welche be-
kannten Christen zu sein ; duixh sie erfuhr er das Vorhandensein vieler
anderen in Rom, die er nun auch festnehmen liess. Da man sie de.s
odium generis humuani beschuldigte — wie auch die Juden — so konnte^
der Verdacht, dass sie Urheber der Feuersbrunst seien, um so eher bei
einigen Glauben linden; und die ausgesuchten Martern, womit man sie
tödtete, wozu der Kaiser wahrscheinlich durch seine vertraute Rathgeberin
die jüdische Proselytin Poppaea Sabina augetrieben wurde, — waren geeignet,
im Volke den Glauben zu erwecken, dass auf den Christen eine grosse
Schuld laste. Es wurde noch Spott mit ihnen getrieben, indem sie theils
in Felle wilder Thiere eingenäht, und von Hunden zerrissen, theils in
Nachahmung Christi gekreuzigt, theils in eine Tunica gehüllt, die mit
Pech, Harz und anderen brennbaren Stoffen bestrichen war, an Pfählen
festgebunden, lebendig verbrannt wurden, damit sie, wenn der. Tag sich
neigte, bei einer vom Kaiser in seinen Gärten veranstalteten Lustbarkeit,
dem Volke in ihrer Todesqual als lebendige Fakelu leuchteteu, indess
Nero in dem Aufzuge eines Wagenlenkers unter das Volk sich mischte.
Daher, obgleich bereits die ungünstigsten Urtheile und Lügen über die
Christen im Volke laut geworden^), sich doch das Mitleid regte, da sie
der .Mordlust eines Einzigen geopfert zu sein schienen. Die Verfolgung
scheint mit Unterbrechung bis in die letzten Jahre Nero's (68) gedauert,
jedoch sich nicht weit ausserhalb Rom's und der nächsten Umgebung aus-
gedehnt zu haben ^). Während unter dem heidnischen Nero anhängenden
1) Tertull. Apolog. c. 5.
2) Sueton in Gl. c. 25. Judaeos impulsore Chresto assidue tamultuantes Roma
expulit. Auch die Apostelg. 18, 2 weiss nur von einer Vertreibung der Juden. Man hat
die Stelle in Sueton so gedeutet, als ob er sagen wollte, dass Juden und Christen über
Christum mit einander gestritten hätten und desshalb vertrieben worden seien; doch das
ist in den Text hineingetragen. Chrestus könnte allerdings i. q. Christus sein. Nach
Tert. apol. c. 3, ad nationes 1, 5 wurden die Christen chrestiani genannt von den Juden.
Aber Sueton kennt sehr wohl die Form christiani (in Nerone c. 16).
3) Annales XV. 44.
4) Tacitus nennt sie per flagitia invisos, wirft ihnen exitiabilis superstitio, atrocia
und pudenda vor, Sueton in Nerone c. 16 nennt sie genus hominum superstitionis novae
et maleficae.
5) Obschon Orosius historiae 7, 7 von Nero berichtet: Komae christianos supplicio
et morte affecit ac per omnes provincias pari persecutione excruciari imperavit.
41
Volke sich nach dessen Tode die Sage bildete , er werde als mächtiger
Herrscher aus dem Orient wieder kommen, war bei den Christen das
Grauen vor Nero so gross, dass sie glaubten, er werde am Ende der Tage
mit dem Antichrist oder gar als Antichrist wieder kommen i). Man berief
sich dabei auf sibyllinische Weissagungen.
Nachdem unter Vespasian und Titus (70 — 81) die Christen in Kühe
gelassen worden, verschlimmerten sich wieder die Verhältnisse unter Do-
mitian (81 — 96). Man forderte von ihnen den jüdischen Leibzoll, eine
Abgabe für den capitolinischen Jupiter 2). Man fing an , sie der Gottlosig-
keit zu beschuldigen (a^eotrjg)^ sowie auch die Juden, mit denen man sie
oft zusammenwarf. Angebereien von Sklaven wurden gegen sie angenom-
men, gegen den bestimmten Wortlaut der römischen Gesetzgebung. Viele
Christen sollen damals als Märtyrer gestorben sein, wie Eusebius in Chro-
nicon berichtet. Weniger Bedeutung hatten des argwöhnischen Kaisers
Nachforschungen nach Nachkommen Davids in Palästina, womit schon
Vespasian vorangegangen war. Als die zwei Männer, die man ihm als
leibliche Verwandte Christi und Nachkommen Davids vorstellte, ihm erklärt
hatten, dass das Reich Christi nicht von dieser Welt sei und am Ende der
Tage eintreten werde, entliess sie der Kaiser und befahl die Verfolgung
gegen die Kirche einzustellen. Jene zwei Männer wurden darauf Vorsteher
von Kirchen 3). Unter Nerva 90—98 hatten die Christen Ruhe, aber unter
Trajan erneuerten sich die Verfolgungen, wovon später die Rede sein wird.
Während auf diese Weise die Periode der Verfolgungen von heid-
nischer Seite eingeleitet wurde, sehen wir, wie das jüdische Volk sich
die furchtbaren Schläge, die es erlitten, nui' dazu dienen lässt, dass es
in der Abwendung von dem zu ihm zunächst gesendeten Heilande sich
noch mehr verhärtet. Seit den letzten Jahren des ersten Jahrhunderts
kam der Gebrauch auf, in den Synagogen die Christen und den christ-
lichen Namen täglich zu verfluchen *). Man hat lange geglaubt , dass der
grösste unter seinem Volke in damaliger Zeit, Flavius Josephus, sich so-
weit über das Niveau seiner Volksgenossen erhoben habe, dass er sich
vor Jesu beugte. Allein, da Origenes bestimmt bezeugt, dass diess nicht
der Fall gewesen &), so muss die Stelle, worauf jene Annahme sich grün-
det 6) , als von den Christen entweder ganz angefertigt oder wenigstens
stark interpolirt angesehen werden.
1) Aug. de ci?it. Del 20, 19, Lact, de mortibus peraecutormn.
2) Jos. de hello jud. 7, 6. 6. Sueton in Domit. b. 12.
3) So Hegesipp bei Euseb 3, 16 und besonders 20.
4j S. Justins Dialog mit dem Juden Tryphon c. 16. 47 u. a. Stellen, Hieronymus in
Jesaiam 5, 18. 49, 7, in Arnos 1, 11: principes Judaeorum perseverant in blasphemia
et ter per singuloa dies in omnibus synagogis sub nomine Nazarenorum anathematizant
vocabulum christianum.
5) C. Celsum: antßrcpv tw 'lijCov tag XqiCtq),
6) Antiquitaeten 18, 3. 3. S. dazu die sinnige Hypothese von Gieseler 1, 81 ühef
die wahrscheinüche Interpolution.
Die Zeiten des alten Eatüflliclsnins.
Vom Anfange des zweiten bis zum Anfange des achten Jahrhunderts.
Dieser Katholicismus , den man ja nicht mit dem verwechseln dari,
was wir jetzt Katholicismus nennen, entwickelt sich vorherrschend unter
Griechen und Römern, unter Völkern, die griechische und römische Bildung
sich angeeignet haben und die unter dem vorherrschenden Einflüsse dieser
Bildung stehen. Dazu kommen germanische Völker, die aber noch völlig;
unselbständig auftreten, noch gar sehr der Bildung ermangeln und sici.
vorherrschend receptiv verhalten. In dieser Zeit geht mit den allgemeiner
Weltverhältnissen eine totale Umwälzung vor, wovon wir die Hauptpunkte
in der chronologischen Aufeinanderfolge hier sogleich angeben : Befestigung
der Herrschaft der römischen Cäsaren bei mannigfaltigen Bewegungen im
Inneren des Reiches und häufigen Kämpfen mit den auswärtigen Feinden.
Bildung des byzantinischen Kaiserthums. Die Völkerwanderung. Fall des
weströmischen Reiches, Gründung der germanischen Reiche inmitten der
Länder des weströmischen Reiches. Entstehung des Islam, in Folge davon
theils Schmälerung der Kirche, theils Bedrückung derselben in Asien, in
Afrika, in Spanien, Bedrohung und Gefährdung des oströmischen Reiches.
Diese allgemeine Periode zerfällt in drei Unterperioden, wovon die
eine die Zeit der ersten Entwicklung des alten Katholicismus, die zweite
die Zeit der höchsten Blüthe und Machtentfaltung, die dritte die Zeit des
Sinkens des alten Katholicismus und des Ueberganges in den römischen
Katholicismus darstellt, im Unterschiede vom griechischen Katholicismus.
Erste Perioäe des alten Katholicisinns.
Vom Anfang des zweiten Jahrhunderts bis zum Jahr 313, vom Tode des
Apostels Johannes bis zum Religionsedikt zu Gunsten der Christen, erlassen
von Constantin dem Grossen und Licinius. Die Zeit der Entstehung, ersten
Ausbildung, inneren und äusseren Entwicklung des Katholicisraus.
Die allgemeine Hauptquelle ist die Kirchengesehichte {fxxltjGtnffrtxTj iGTOQtn) des Eu-
sebius, Bischofs von Caesarea in Palästina, in 10 Büchern bis 324 reichend, vom
8. Buche an als von einem Augenzeugen geschrieben, ein sehr verdienstliches, für
uns jetzt unentbehrliches Werk, insofern der gelehrte Bischof eine Menge Bücher
und Archive aus£:ebeutet hat, deren Kenntniss — wenn auch nur eine fragmen-
tarische — uns nur durch ihn ist erhalten worden. Das Werk ist aber mit vieler
Umsicht zu gebrauchen, da es in Hinsicht der historischen Genauigkeit und Kritik
sehr mangelhaft ist. Das Werk ist öfter herausgegeben worden, von V'alesius.
Paris 1659, von Heinichen 1827. 28, von Schwegler, von Dindorf, als
4. Bd. der gesammten Werke Eusebius, als Theil der biblioth. scriptorum graeeorum
et romanorum Teubneriana. Zur Beurtheilung der Schrift S. Jach mann in Ilgens
Zeitschrift 1829, Baur, die Epochen der kirchlichen Geschichtschreibung. — Eu-
seb. ins Deutsche übersetzt v. Closs 1839. Von älteren Bearbeitungen dieser Pe-
riode sind noch immer sehr zu empfehlen und sehr reichhaltig die memoires von
Le Nain de Till'emont 1693. 1712, die 6 ersten Jahrhunderte umfassend, Mos-
heim, Commentarii de rebus Christ, ante Const. M. 1771. 1772. Ausserdem Baur,
das Christentimm der drei ersten Jalirhunderte. Pressense, 3. und 4. Bd. des
Werkes über die drei ersten Jalirlmnderte der christlichen Kirche, ins Deutsche
übersetzt.
Erster Abschnitt.
Geschichte der Ausbreitung und Beschränkung, Verfolgung
der Kirche.
Auf die Verfolgung von Seite der Juden, wie sie im Leben des Herrn
und im apostolischen Zeitalter Statt gefunden, folgte diejenige von Seiten
der Heiden. Denn, wie sehr auch der Bestand der alten Religionen er-
schüttert war, das Volk hing doch im Allgemeinen daran mit einem Eifer,
der oft bis zum Fanatismus sich steigerte. Die römischen Staatsmänner,
wenn sie auch für ihre Person über den Volksglauben hinaus waren , be-
44
eiferten sich schon aus politischen Gründen, den ererbten Religionszustand
aufrecht zu halten. Uebrigens waren einige Kaiser mit Aufrichtigkeit der
alten Religion ergeben. Zu neuen Schöpfungen fehlte dem Heidenthum
zwar die Kraft; ihm verblieb aber die Kraft zu verfolgen. So kam es
denn, dass der Hass, den die Heiden schon im apostolischen Zeitalter in
gewissen Fällen gezeigt, bald einen stärkeren Charakter annahm und mit
grösseren oder kleineren Unterbrechungen die Kirche bis an das Ende
dieser Periode verfolgte. Dessungeachtet breitet sie sich zusehends aus.
Getränkt mit dem Blute der Märtyrer vermehrt sich ihre Fruchtbarkeit.
Ihre Siege sind durch blutige, äussere Niederlagen erkauft. Je grösser
die Ausbreitung, desto heftiger, grausamer, allgemeiner gestaltet sich der
Widerstand von Seiten der heidnischen Welt, bis er, auf den höchsten
Punkt gesteigert und doch nicht zum Ziele gelangt, einer neuen Wendung
der Dinge Platz macht, wo der Staat sich zur Kirche in ein freundliches,
beschützendes Verhältniss stellt.
Erstes Capitel. Die Ausbreitung des Christenthums.
Zuerst ist zu bemerken, dass es in Asien weit vordrang. Schon
einige Apostel bereisten die asiatischen Länder östlich und nordöstlich
von Palästina. Unter Mark Aurel wurden Gemeinden unter den Parthern
gegründet. Im Jahr 170 findet sich in Edessa ein christlicher Fürst Ab-
gar-manu Uchonio, der auf deinen Münzen das Kreuzeszeichen abprägen
liess. Im Jahr 202 wurde eine christliche Kirche in Edessa durch eine Ueber-
schwemmung zerstört. Hingegen entbehrt das Verhältniss zwischen Jesus
und einem früheren Abgar von Edessa, wovon Eusebms i) die geschichtlichen
Documente gibt, einer geschichtlichen Begründung. Der Brief Christi an
Abgar ist, wie Neander mit Recht bemerkt, eine Christi unwürdige Zusam-
menstoppelung aus Stelleu der Evangelien. In Arabien waren die Christen um
die Mitte des dritten Jahrhunderts schon zahlreich und hatten viele Bischöfe.
Es war das nördliche Arabien, seit Trajan Provinz geworden, mit der Haupt-
stadt Bostra 2j. Um 190 soll Pantaenus, erster Lehrer der alexandrini-
schen Schule, nach Indien gewandert sein und daselbst ein von Bartholo-
mäus hinterlassenes Evangelium gefunden haben, allein dieses Indien ist
wahrscheinlich Yemen, Theil von Arabien. Auf dem Festlande von Afrika
wurde das Evangelium zuerst in Egypten verkündigt, angeblich durch den
Evangelisten Marcus. In Unteregypten wurden die Christen bald zahlreich,
während Oberegypten durch die koptische Sprache, die grössere Macht
der Priesier und die grössere Anhänglichkeit an die alte Religion noch eine
Zeitlang vom Evangelium ferne gehalten wurde, so dass es erst um 190
dorthin vordringen konnte. Rom, ehemals die unversönliche Feindin von
Carthago, gab ihm jetzt die Botschaft vom Heile; erleichtert wurde diess
durch die Handelsverbindungen zwischen beiden Städten. Am Ende des
zweiten Jahrhunderts waren die Christen in Carthago schon zahlreich. Nach
1) 1, 13.
2) Euseb. 6, 33, 37.
45
Tertullian ^) bildeten sie den zehnten Theil der Einwohner. Derselbe sagt
anderwärts 2) : ,^wir sind von gestern her und haben all das Eure angefüllt,
Städte, Inseln, Schlösser, Municipien.^ Von Carthago kam das Christen-
thum nach Numidien und Mauretanien. Um das Jahr 200 waren 70 Bischöfe
aus diesen beiden Ländern auf einer Synode in Carthago versammelt 3).
In Europa, dem wichtigsten Missionsgebiete, worauf der Apostel
Paulus sehr bald seine Aufmerksamkeit und Thätigkeit gerichtet hatte,
breitete sich das Christenthum am meisten in Griechenland, Rom und
Umgegend aus. Bald kam es nach Gallien, wo die kleinasiatischen
Griechen in alter Zeit die ersten Samenkörner der Cultur ausgestreut
hatten. Massilia war eine griechische Kolonie. In der christlichen Zeit
brachten Griechen aus Kleinasien auf dem Wege der alten Handelsver-
bindungen das Evangelium nach Gallien. Lyon und Vienne hatten im
Jahr 177 schon zahlreiche christliche Gemeinden, welche die Verbindung mit
den kleinasiatischen Muttergemeinden unterhielten ^). Irenäus , Bischof von
Lyon, ist ein Grieche aus Kleinasien. Nach Gregor von Tours ^) gründeten
römische Missionäre um die Mitte des dritten Jahrhunderts in Gallien sieben
Bisthümer, worunter das von Paris, — nach einer durch die kirchliche
Politik der römischen Bischöfe entstandenen Sage. Was von der Aus-
breitung des Christenthums in H e 1 v e t i e n bis zum Ende des dritten Jahr-
hunderts gemeldet wird, beruht ebenfalls auf Sagen. Historisch sicher ist das
Vorhandensein zweier Bischöfe von Genf, Paracodus und Dionysius,
im zweiten Jahrhundert. Das Evangelium war wohl von Lyon nacli der
Allobrogenstadt gekommen. In der Sage von der thebäischen Legion
verschlingt sich die Geschichte der Verfolgungen in die der Ausbreitung.
Maximian, Augustus des Occidents von 285 bis 305, soll, auf einem Zuge
gegen die aufrührerischen Bagauden, bei dem alten Agaunum, dem jetzi-
gen St. Maurice im Canton Wallis, eine ganze Legion, die thebäische
genannt, und die nebst ihrem Anfülirer Mauritius christlicli war, weil
sie den Göttern nicht opfern noch zur Verfolgung der Christen (die Sage
lässt die Bagauden als Christen auftreten, — ) sich hergeben wollte, haben
hinrichten lassen. Es wird hinzugesetzt, wodurch die Sage sich selbst
berichtigt, dass mehrere christliche Soldaten der grausamen Schlächterei
entgingen; sie werden aufgeführt als Kirchenstifter in verschiedenen Ge-
genden der Schweiz. Diese an sich selbst sehr unwahrscheinliche Begeben-
heit wird erst im fünften Jahrhundert schriftlich bezeugt. Im höchsten Grade
fällt es auf, dass Lactantius in seiner Schrift de mortibus persecutorum
die Sache nicht erwähnt, die ihm unmöglich' unbekannt sein konnte.
Kennt er doch genau die Unthaten Maximians. Nach dem Plane seines
Werkes war jene Erzählung für ihn uuerlässlich, wenn er die geringste
Kunde davon hatte. Mithin ist sein Stillschweigen geradezu entscheidend.
1) Ad Scapulam c. 5.
2) Apolog. c. 37.
3) Augustin de baptismo 2, 13.
4) Euseb. 5, L
5) Historia Franconim 1, 28.
46
Es kommt hinzu, class um dieselbe Zeit nach beglaubigten Nachrichten ein
christlicher Hauptmann, Namens Mauritius, mit 70 christlichen Soldaten
unter demselben Maximian in Ai)amea in Syrien getödtet wurde, wobei
ähnliche Züge des Märtyrerthums wie bei der thebäischen Legion berichtet
werden. Unmöglich können beide Erzählungen wahr sein; für die Authen-
tie der zweiten spricht das höhere Alter der geschichtlichen Zeugnisse.
;,Möglich bleibt es, bemerkt Rettberg, dass im Abendlande eine gewisse
einfache Thatsache zu Grunde liege, etwa die Hinrichtung einiger christ-
lichen Soldaten durch einen römischen Feldherrn an jener Stelle des Walli-
serlandes, zu deren legendenmässiger Ausschmückung die griechische
Fassung benutzt wurde.'' Dazu kann auch der Umstand beigetragen ha-
ben, dass an jenem Orte in ü'üheren Zeiten manche Kämpfe stattgefunden
und daher viele menschliche Gebeine zum Vorschein gekommen ^). Vcn
Gallien drang das Christenthum nach Germanien herüber, folgend dem
Ufer des Rheines. Es erhoben sich Risthümer in Köln und Trier; im
Jahr 313 wird ein Bischof Mater nus in Köln genannt. In Augsburg wurde
304 die erste Christin, Afra, verbrannt. Denn die Germanen, von Hass
gegen die Römer erfüllt, stiessen das von diesen verkündigte Evangeliuri
zurück. Nach Tertullian 2) drang das Christenthum in der zweiten Hälfte des
zweiten Jahrhunderts nach Grossbritannien vor. Irenäus^j spricht von Christen
in Spanien. Nach Arnobius "*) waren sie im Jahr 300 daselbst zahlreich.
Noch bemerken wir, dass römische Gefangene das Evangelium zu den
Gothen am schwarzen Meere brachten. — Wie gross war am Ende dieser
Periode die Zahl der Christen im römischen Reiche ? Nach Stäudlin machter
sie die Hälfte der Bevölkerung aus, nach Matter den fünften Theil, nach
Gibbon blos ein Zwanzigstel , nach La Baslie ein Zwölftel. Burkhardt &)
nimmt für den Westen ein Fünfzehntheil, füi' den Osten ein Zehntheil an.
Zweites Capitel. Die Verfolgungen.
Sie verlaufen in drei Phasen. Bis Mark Aurel waren sie partiell
und im Ganzen nicht heftig; von Mark Aurel bis Decius schon umfassender
und heftiger als früher; von Decius bis 313 in bisher unbekannter Allge-
meinheit und Heftigkeit. Seit dem vierten Jahrhundert zählte man zehn
Verfolgungen nach Analogie der zehn Plagen Egyptens oder der zehn Hör-
ner des Thieres, das in der Ai)okal. (17, 3) mit dem Lamme kämpft; doch
man kann kaum zehn Verfolgungen herausbringen.
L Nachdem der edle Nerva das Unrecht wieder gut gemacht, welches
1) S. Mosheim 1. c. p. 565. Rettberg, Kirchengeschichte von Deutschland.
1. Band §.16. Gelpke, Kirchengeschichte der Schweiz, 1. Theil S. 50. Desselben Ar-
tikel Mauritius und die thebäische Legion , in der Realencyklopädie Bd. IX.
2) Adv. Judaeos c. 7.
3) 1, 3.
4) 1. 16.
5) A. a. 0. S. 157.
47
Domitian den Christen zugefügt hatte, nahmen die Dinge unter Trajan
(98—117) wieder eine schlimme Wendung; denn der Kaiser war durch und
durch vom altrömischen Geiste beseelt und hielt strenge auf Aufrechthalt-
ung der alten Religion, die er als die festeste Stütze des Staates be-
trachtete. Unter ihm kamen zuerst die Ausbrüche jener Yolkswuth vor,
welcher nachher so viele Christen zum Opfer fielen. Die Christen in Pa-
lästina wurden durch den römischen Statthalter Tiberianus verfolgt, der
achtzigjährige Simeon, Vorsteher der Gemeinde in Jerusalem, wurde ge-
kreuzigt. Besonders in Kleinasien ergingen harte Drangsale über die
christlichen Gemeinden, deren gedeihliches Wachsthum den römischen Be-
hörden ernsthafte Besorgnisse einflösste. Damals war Plinius der jüngere
Statthalter von Bithynien. Da noch keine besonderen Gesetze gegen die
Christen gegeben wurden, so wendete Plinius gegen sie die Gesetze gegen
die allerdings politisch gefährlichen Hetärien an. Sein Bericht an Trajan
über diese Sache ist ein wichtiges Aktenstück, dessen Aechtheit ohne
Grund bezweifelt w orden ^) , und das leider auf die Christen kein günstiges
Licht wirft.
„Mit denjenigen, die mir als Christen angezeigt wurden, habe ich
folgendes Verfaliren beobachtet. Ich habe sie gefragt , ob sie Christen
seien. Wenn sie die Frage bejahten, habe ich sie zum zweiten und drit-
ten Male wiederholt, indem ich ihnen Todesstrafe androhte. Die in ilirer
bejahenden Antwort verharrenden hiess ich zum Richtplatz führen. Denn
ich zweifelte nicht, was auch der Inhalt ihres Bekenntnisses sein möge, so
verdiene wenigstens ihre beharrliche und unbeugsame Hartnäckigkeit (per-
tinacia et inflexibilis ohstinatio) Bestrafung. Einige benahmen sich wie
Wahnsinnige, welche ich, weil sie römische Bürger waren, aufzeichnete
als solche, welche nach Rom geschickt werden müssten. — Bald zeigte
sich das Verbrechen in mehreren Gestalten. Es wurde eine anonyme
Schrift vorgebracht, welche die Namen Vieler enthielt, die da läugneten,
dass sie Christen seien oder es je gewesen. Da sie mein Beispiel nach-
ahmend die Götter anriefen, und vor deinem Bilde, welches ich zu diesem
Zweck mit den Bildern der Götter hatte herbeibringen lassen, mit Weih-
rauch und Wein, auf die Füsse fallend, anbeteten, überdiess Christum ver-
fluchten, wozu diejenigen, die wahrhafte Chi'isten sind, niemals gebracht
werden können, glaubte ich sie freilassen zu müssen. Andere, w^elche als
Christen angegeben waren, sagten aus, sie seien Christen, läugneten aber
diess bald nachher. Sie seien zwar Christen gewesen, hätten aber aufge-
hört, es zu sein, einige vor drei Jahren, andere vor mehreren Jahren,
einige auch vor zwanzig Jahren. Alle beteten dein und der Götter Bildniss
an und verfluchten Christum. ,,Nun folgen Angaben über den Gottesdienst,
die später in Betracht kommen werden. Plinius berichtet ferner, dass er
zwei Diakonissen (ministrae) ausgeforscht habe und zwar mittelst der Fol-
ter. ;,Allein ich fand nichts anderes als schlechten, unmässigen Aberglau-
ben. Daher schob ich die Untersuchung auf und nahm mir vor , dich um
1) Plinii Epistolae^ib. X. 96 al. 97, erwähnt von Tertullian Apologeticum c. 2 u.
Euseb. 3, 33.
48
Rath zu fragen. Die Sache schien es mir werth, besonders wegen der
Menge derjenigen, die sich in Gefahr befanden. Denn viele von jeglichem
Alter, von jeglichem Stande und von beiden Geschlechtern werden und
wurden in Untersuchung gebracht. Und nicht blos die Städte, auch die
Dörfer und Felder sind von jenem Aberglauben angesteckt worden. Es
scheint, dass demselben Einhalt gethan werden könne. Soviel ist wenig-
stens gewiss, dass man anfängt, die fast ganz verlassenen Tempel wieder
zu besuchen, die gottesdienstlichen Uebungen nach langer Unterbrechung
wieder zu begehen. Es kommt wieder Futter für die Opferthiere, wofür
sich fast kein Käufer mehr fand. Woraus sich schliessen lässt, welche
Menge gebessert werden kann, wenn man ihnen Frist zur Busse ge-
währt.^ Trajan billigte durchaus das Verfahren seines Statthalters. Er
ist dagegen, dass die Christen aufgesucht werden — werden sie angezeigt
und überführt, Christen zu sein, so sollen sie gestraft werden. Auf
Befehl desselben Kaisers wurde Ignatius Bischof von Antiochien festgenom-
men, nach Rom geführt und daselbst den wilden Thieren vorgeworfen (116).
Ueber die Briefe, die er während dieser Reise an verschiedene Gemein-
den schrieb, über die verschiedenen Recensionen derselben, über ihre
Aechtheit sowie über ihren dogmatischen Gehalt werden wir später das
Wesentliche mittheilen.
Hadrian (117 — 138) war zwar kein Feind des Christenthums , denn
er war ein Verächter aller fremden Gottesdienste. Doch verwendete er
sich zu Gunsten der Christen, um sie vor der Volkswuth zu schützen. In
einem Schreiben an Minucius Fundanus, Proconsul von Kleinasien, soll er
verordnet haben, dass nur Anklagen in gesetzlicher Form gegen die Chri-
sten angenommen werden sollten ; wenn es sich jedoch erwiesen, dass sie den
Gesetzen zuwider gehandelt, dann sollten sie nach Verdienst bestraft
werden, der falsche Ankläger aber solle noch härtere Strafe leiden i).
Aehnliche Rescripte erliess der Kaiser für andere Gegenden. Unter dem-
selben Hadrian', doch ohne seine Schuld, hatten die Christen in Palästina
viel zu leiden. Diejenigen, die sich dem Aufruhr des Bar Kochba 2) nicht
anschliessen und Christum nicht verleugnen wollten, wurden grausam ge-
martert.
Unter dem milden Antoninus Pius (138 — 161) entgingen die Chri-
sten auch nicht allen Verfolgungen. Der Volkshass wurde erregt durch
öffentliche Unglücksfälle," Hungersnoth, Ueberschwemmungen , welche man
dem Zorne der Götter gegen die Christen zuschrieb. In einer solchen Ver-
folgung kam der Bischof Publius in Athen um. Der Kaiser verwendete
sich zu Gunsten der Christen durch Rescripte an mehrere Städte Griechen-
lands ; es sollte in Betreff der Christen keine Neuerung vorgenommen wer-
den 3). Es heisst sogar, er habe an alle Hellenen dergleichen Rescripte er-
1) Euseb. 4, 9—26, die ganze Erzählung ist von Keim (Theol. Jahrbücher 1856)
verworfen worden.
2) Sohn des Sternes Num. 24, 17. Just. Apol. I. 31.
3) So Melito in einer dem Kaiser Mark Aurel eingereichten Schutzschrift bei Eu-
seb. 4, 26.
49
lassen *). Diess mag wohl die Veranlassung gegeben haben, ihm das Edict an
die kleinasiatische Deputirtenversammlung zuzuschreiben, worin bestimmt
wird, es sollten die Christen nur dann bestraft w^erden, wenn sie gegen
die römische Herrschaft etwas unternommen hätten; wer sie aus andern
Gründen, blos um der Keligion willen anklage, solle bestraft werden 2).
Dieses Edict ist wahrscheinlich unächt. Es passt nicht zum Charak-
ter dieses Kaisers, dem eine grosse Sorgfalt für Aufi'echthaltung der Staats-
religion nachgerühmt wird. Auch findet sich nachher keine Spur mehr
davon.
IL Nach dieser Unterbrechung brach die Verfolgung mit neuer Wuth
aus unter dem Nachfolger des Antonin, dessen philosophisch gebildeter
Geist Besseres erwarten liess, Mark Aurel (161 — 180). Allein sein
stoischer Tugendstolz und seine kalte stoische Resignation konnte die
christliche Gesinnung nicht begreifen. Er verachtete der Christen Hin-
gebung, ihre Hoffnung einer ewigen, persönlichen Fortdauer: der Weise
müsse es mit Gleichgültigkeit ansehen, wenn seine Seele nach dem Tode
verlösche ; er müsse aTgaycoSaq aus der Welt gehen 3). Dazu kam eine
grosse Anhänglichkeit an die von den Vätern ererbte Religion und die
Ueberzeugung , dass das Heil des Staates von der Aufrechthaltung dersel-
ben abhänge. Daher war er überhaupt gegen die P'inführung neuer Culte
und erliess strenge Verbote dagegen. In einer verheerenden Pest, die
von Aethiopien aus sicli bis nach Gallien verbreitete und besonders in
Italien wüthete, erkannte er die dringende Mahnung, den alten Cultus
mit aller Genauigkeit aufrecht zu erhalten, so dass sogar manche Heiden
über die Menge der vom Kaiser dargebrachten Opfer spotteten. Bei solcher
Gesinnung musste er ein Verfolger der Christen werden •*). Nicht nur
liess er Ausbrüche der Volkswuth gegen die Christen ungestraft, er trat
activ als ihr Verfolger auf. Es scheint, dass er wenigstens in Kleinasien
die Aufsuchung der Christen befohlen, obwohl ]\Ielito den Fall nicht aus-
schliessen will, dass die betreffenden Edicte nicht vom Kaiser selbst her-
rühren 5). Immerhin steht fest, dass man in Ausführung derselben mit
grosser Grausamkeit verfuhr.
Damals traf die Verfolgung aucli die Gemeinde zu Smyrna (166 oder
167). Einen ausführlichen Bericht darüber gab die dortige Gemeinde in
einem encyklischen Schreiben, welches für die grösstmögliche Verbreitung
bestimmt war ß). Der Proconsul , der den ganzen Process leitete , scheint
1) Nach demselben Melito bei Enseb. a. a. 0.
2) Bei Euseb. 4, 13. Jnst. Apol. 1, 70.
3) Monologen Hb. XI. §. 3.
4) Er mochte auch gereizt sein durch einige starke Aeusserungen Justins und durch
Tatian, der von ihm sagte, er gebe manchen Philosophen jährlich 600 Goldstücke, damit
sie den Bart nicht umsonst wachsen Hessen.
5) Bei Euseb. 4, 26.
6) Dressel patres apostoHci S. 391 und Euseb. 4, 15. Im Berichte sind fabeDiafto
Züge, welche eine spätere Abfassung als wahrscheinlich erscheinen lassen. S. Lii>sius,
der Märtyrertod des Polykarp bei Hilgenfeld, Zeitschrift IT.Jahrgg. 2. Heft 1874. Lipsius
Herzog, Kirchengeschichte I. 4.
50
mehr der Wuth des Volkes als dem eigenen Hasse nachgegeben zu ha-
ben. Die Christen, deren er habhaft wurde, suchte er durch Drohungen
zu schrecken; blieben sie standhaft, so verurtheilte er sie zum Tode. Ein
besonderer Gegenstand des Volkshasses war der unter den Christen hoch-
verehrte sechsundachtzigjährige Bischof Polykarp von Sniyrna, der dem
Heidenthum in jenen Gegenden vielen Abbruch gethan hatte. Das Schrei-
ben gibt eine sehr lebendige, ausführliche Schilderung seines Martyriums.
Besonders ergreifend ist die Erwiderung des Biscliofs auf die Autforderung
des Proconsuls , Christum zu lästern: „sechsundachtzig Jahre diene ich
ihm und er hat mir nichts zu Leide gethan; wie könnte ich meinen König,
der mich erlöst hat, lästern?'^ Die Verläugnung Christi wurde ihm auch ir
der Form zugemuthet, dass er das Volk, das aufgeregte, wuthentbrannte Volk
beschwichtigen möge "*), womit der Proconsul ihm andeuten wollte, er könne ja
innerlich ganz anders gesinnt sein. — Es scheint nicht, dass die Verfolgung
damals noch viele Opfer forderte; ihr Feuer erlosch mit dem Feuer des
Scheiterhaufens, auf dem Polykarp sein Bekenntniss des christlichen Glau-
bens bestätigt hatte. — Ein Jahr vorher (166) wurde Justin der Märtyrer
in Rom enthauptet 2); nach Tatian, seinem Schüler, haben die Ränke des
cynischen Philosoi)hen Crescens ihm den Tod bereitet S). Eine grössere
Verfolgung erging 177 über die Gemeinden in Lyon und Vienne. Die
Volkswutli gab das Zeichen, die Ortsobrigkeiten liessen sich dadurch be-
stimmen. Man nahm sogar gegen den bestimmten Inhalt römischer Gesetze
die Anklagen von Sklaven gegen ihre Herren an. Fürchterlich waren die
Qualen, die Einzelnen auferlegt wurden. Leider gab es eine Anzahl Ab-
trünniger; der Bischof Po thinus* von Lyon starb als Märtyrer. Unge-
achtet aller Verluste blieb ein Stamm der Gemeinden zurück. Einen weit-
läufigen Bericht über das Ganze gab die schwer geprüfte Gemeinde in
einem Sclireiben an die Gemeinden von Asien und Phrygien '^).
Unter denselben Kaiser fällt die Sage von der Donnerlegion oder
blitzenden Legion (legio fulminatrix'). — Während eines Feldzuges gegen
die Markomannen und Quaden 174 gerieth, so berichtet die Sage, jder
Kaiser und sein Heer in grosse Noth. Die brennende Sonne erregte
grossen Durst, den zu löschen nicht möglich war, indess das Heer jeden
Augenblick den Angriff der Feinde erwartete. Da fiel die zwölfte Legion,
die aus Christen bestand, auf die Knie um zu beten. Es kam ein Gewitter,
welches den Durst der Soldaten durch reichlichen Regenguss löschte, die
Feinde in die Flucht trieb und Verderben über sie brachte. Das römische
Heer erhielt den Sieg; der Kaiser gab jener Legion den Namen ///^mmea.
Er hörte auf, die Christen zu verfolgen und erliess Strafgesetze gegen
diejenigen, welche die Christen blos wegen der Religion anklagen würden.
setzt den Tod Polykarp's in die Jahre 155 oder 156. Wir bleiben bei der älteren An-
gabe d. Euseb. für 166, des Hieron. für 167, welche. beide Zahlen auch jetzt durch Ge-
lehrte festgehalten werden.
1) Tiftaou Tou dtjfjop rief ihm der Proconsul zu.
2) Euseb. 4, 16.
3) Euseb. a. a. 0.
4) Euseb. 5, 1-3.
bi
Er erkannte in einem Briefe an, dass er und das Heer damals durch der
Christen Gebet gerettet worden i). Das Wahre an der Sache ist, dass
damals der Kaiser und sein Heer auf unerwartete Weise aus grosser Noth
erlöst wurden, wie christliche Soldaten dem Claudius Apollinaris, Bischof von
Hierapolis in Phrygien erzählten, in welcher Ncähe die zwölfte Legion ihre
Standquartiere hatte. Die Christen schrieben ihre Rettung ihrem Gebete
zu, die Heiden leiteten das Wunder theils von den Beschwörungen des
Egyptiers Arnuphis, theils vom Gebete des Kaisers selbst ab. Dieser
schrieb seine Rettung speciell dem Jupiter zu und Hess Münzen prägen,
worauf derselbe dargestellt wird, wie er den Blitz auf die Barbaren schleudert.
Andere Bilder stellen den Kaiser betend vor und das Heer fängt mit den
Helmen den Regen auf. Im ersten Buche der Monologen erwähnt der
Kaiser unter anderem, was er nicht sich, sondern den Göttern verdanke,
^,das, was bei den Quaden geschehen ist." Ueberdiess führte die zwölfte
Legion schon seit des Augustus Zeiteli den Namen Donnerlegion 2). Dazu
kommt, dass die Verfolgungen keineswegs aufhörten, wie denn drei Jahre
später die Christen in Lyon und Vienne heftig verfolgt wurden. Der ge-
nannte Brief des Kaisers ist untergeschoben; es ist der von Justin a. a. 0.
mitgetheilte , der durchaus das Gepräge der Unächtheit trägt.
Der unwürdige Sohn des Mark-Aurel, Commodus (180 — 192)
gönnte den Christen Ruhe, weil seine Concubine, Marcia, dem Christen-
thum günstig war. Immerhin aber waren die Christen den Verfolgungen
durch feindlich-gesinnte Statthalter ausgesetzt 3). Auf die Ermordung des
Commodus folgten Bürgerkriege zwischen Pescennius Niger im Orient,
Clodius Albinus in Gallien und Septimius Severus, während
welcher Kriege, wie Clemens Alexander berichtet, ziemlich viele Christen in
Egypten den Märtyrertod starben. Septimius Severus dagegen (193 — 211)
war anfangs den Christen günstig. Nach Tertullian ^) hatte er einen Christen
in seinem Palaste, der ihn einst von einer Krankheit geheilt hatte; das
muss dahingestellt bleiben, da Tertullian manches Unverbürgte aufgenom-
men hat. Derselbe berichtet (ibid.), der Kaiser habe angesehene Männer
und Frauen in Rom vor der Volkswuth geschützt. Auf die Provinzen dagegen
erstreckte sich sein Schutz nicht. Im proconsularischen Afrika kamen Ver-
folgungen vor, wozu die Habsucht der Statthalter beitrug. Daher Ter-
tullian den Christen verbot, sich durch Geld von der Verfolgung loszu-
kaufen ^). — Der Kaiser wurde aber bald gegen die Christen eingenom-
men, ob montanistische Ueberhebungen dazu beigetragen, mag dahinge-
stellt bleiben. Es geschah nämlich, dass ein römischer Soldat, während
seine Waffenbrüder bekränzt erschienen, mit dem Kranze in der Hand sich
zeigte, um den Antheil an der Summe in Empfang zu nehmen, welche der
1) Eüseb. 5, 5. Tertullian apologeticum c. 5, ad Scapulam c. 4. Justin Apol. I.
c. 11.
2) to (fcüdexaroy {dTQarons^ov) ro xfQavi/oßoXov Diocassius 55, 23.
3) Ad Scapulam c. 5.
4) Ad Scapulam c. 4.
5) Tertullian de fuga in persecutione c. 12.
4*
52
Kaiser als Gnadengeschenk unter eine afrikanische Legion hatte vertheilen
lassen. Dieser Vorfall veranlasste die Schrift Tertullians de corona müi-
tis, worin des Soldaten Benehmen vertheidigt wird. — Severus verbot
darauf den Uehertritt zum Christenthum und die \'erordnungen betreffend
die collegia illicita wurden auch auf die Christen angewendet; daher an
einigen Orten die Christen so hart gedrängt wurden, meint Eusebius i),
dass einige die baldige Erscheinung des Antichrist erwarteten. Als Opfer
der Verfolgung fielen in Alexandrien Leonides, Vater des Origenes 2), in
Carthago Perpetua und Felicitas, Montanistinen, doch bis auf den heu-
tigen Tag in der katholischen Kirche als Heilige verehrt, damals den
wilden Thieren vorgeworfen zur Jahresfeier der Ernennung des jungen
Geta zum Cäsar. Unter dem Sohne des Severus Caracalla (211 — 217)
hörten die Verfolgungen allmälig auf, nur in Afrika dauerten sie noch eine
Zeitlang fort, daher Tertullian seine Schrift ad Scapulam herausgab.
E 1 a g a b a 1 u s (218 — 222) Hess die 'Christen in Ruhe ^ freilich aus einer
Absicht, die, wenn sie zur Ausführung gekommen wäre, bei den Christen
selbst den stärksten Widerstand herbeigerufen hätte. Er war einem sy-
rischen Sonnendienst ergeben, der mit grossen Ausschweifungen verbunden
war; dieser sollte herrschend werden und alle anderen Culte, selbst den
jüdischen und christlichen in sich aufnehmen. In dem Tempel, den er
auf dem palatinischen Berge der syrischen Gottheit zu Ehren erbaut, ver-
einigte er die verschiedenartigsten Gottheiten. Er schien darauf auszu-
gehen , dass in Rom kein anderer Gott als Elagabalus verehrt würde 3).
Aus besserer Quelle floss der Syncretismus des Alexander Severus
(222 — 235). In seiner Hauskapelle, wo er jeden Morgen in Andacht sein
Gemüth zu Gott erhob, war neben den Büsten berühmter und für weise
gehaltener Männer, des Apollonius n. A. auch diejenige Abrahams sowie
Christi und Orpheus aufgestellt. Vermöge dieses Eklekticismus erkannte
er in Christo ein göttliches Wesen neben anderen Göttern an. Er hatte die
Absicht, Christo einen eigenen Tempel zu erbauen, und ihn förmlich
unter die Götter aufzunehmen. Von der Ausführung dieses Vorhabens sei
er von Solchen zurückgehalten worden, die nach Befragung der Orakel
gefunden hätten , wenn diess wirklich nach dem Wunsche Vieler zu Stande
käme, so würden sich bald Alle zum Christenthum bekennen und die übri-
gen Tempel nicht mehr besucht werden ^). Seine Achtung vor dem Chri-
stenthum bewies er auch dadurch, dass er den von einem Juden oder
Christen gehörten Spruch „was du nicht willst, dass man dir thue, das
thue du keinem anderen" oft für sich wiederholte, ihn vor der Vollstreck-
ung von Strafen durch seinen Herold ausrufen Hess und auch Sorge trug,
dass derselbe Spruch als Aufschrift im Eingange zu seinem Palaste und
an passenden Steüen öffentHcher Gebäude angebracht würde. Ohne Zwei-
1) 6, 7.
2) Euseb. 6, 1.
3) Lampridius c. ;> id agens , ne quis Romae deus nisi Heliogabalüs coleretur.
4) Lampridius c. 29. 43.
5) Lampridius c. 51.
53
fei machte sich hierin der Einfluss der frommen Mutter des Kaisers , Julia
Mammaea geltend. Sie war den Christen entschieden günstig. Während
eines Aufenthaltes in Antiochien liess sie Origenes zu sich kommen und
unterhielt sich mit ihm über Gegenstände der christlichen Religion i). —
So gestattete denn der Kaiser den Christen viele Freiheit; nicht nur durften
sie ihren Gottesdienst öffentlich feiern, sie konnten auch eigene Häuser
dafür erbauen. Als die Zunft der Garköche Roms mit den Christen um
den Besitz eines Grundstückes stritt, entschied er, zum Verdruss der
Garköche und ihrer Kunden, es sei besser, dass jener Platz für die Got-
tesverehrung verwendet werde. Bei solcher Gesinnung ist es um so auf-
fallender, dass er die christliche Religion nicht offiziell unter die religio-
nes licitae aufnahm 2). Alexander Severus wurde durch den Thracier M a-
ximinus ermordet und dieser erhielt die Herrschaft (235 — 238). Seinen
Hass gegen den Vorgänger trug er auf die von demselben begünstigte
christliche Kirche über und verfolgte besonders die Bischöfe ^). In Kap-
padocien und Pontus wurde die Volks wuth gegen die Christen durch ver-
heerende f]rdbeben entflammt. Maximinus liess sie gewähren; und so
erhob sich in jenen Gegenden eine harte Verfolgung, wobei der Proconsul
Severianus sich als heftiger und harter Verfolger zeigte ''). In den übrigen
Theilen des Reiches hatten die Christen Ruhe. Diese Ruhe war allgemein
unter den zwei folgenden Kaisern. Gor dia nus (238—244) und Philippus
Arabs (244 — 249). Diesen stempelte die übertreibende Sage zu einem
Christen. Er soll einst in der Vigilie des Opferfestes an der Gemeinde-
versammlung haben Antheil nehmen wollen, aber vom Bischof abgehalten
worden sein wegen des auf ihm lastenden Verbrechens der Ermordung
seines Vorgängers Gordianus — bis er Busse gethan habe , welcher sich
der Kaiser willig unterzogen haben soll &). Doch Philippus gibt sich nir-
gends als einen Christen zu erkennen. Dass er aber den Christen günstig
war, erhellt auch daraus, dass Origenes an seine Gemahlin Severa Briefe
richtete ^). Vielleicht huldigte er gleich wie Alexander Severus einem
religiösen Eklekticismus.
III. In Beziehung auf die damalige Lage der Christen und die Ver-
folgungen sind sehr lehrreich die Worte des Origenes in der Schrift gegen
Celsus ^). Er gibt zu , dass zu Zeiten wenige und leicht zu Zählende für
die christliche Religion gestorben, — , da Gott einen Vertilgungskrieg habe
verhindern wollen. Er spricht von der Vermehrung der Christen, von der
Freimüthigkeit und Offenheit, womit sie auftreten. Je mehr sie verfolgt
1; Euseb. 6, 21.
2) Lampridius sagt nur, christianos esse passus est c. 22. nachdem er bevorwortet
Judaeis privilegia reservavit.
3) Euseb. 6, 26.
4) Brief des B. Firmilianus von Caesarea in Kappadocien an Bischof Cyprian: in
der Briefsammlung des letzteren der 75. §. 10.
5) Euseb. 6, 34 und im Chronicon.
6) Euseb. 6, 36.
7) IIb. UI.
fe4
wurden, desto mehr sei ihre Zahl gewachsen, und desto mehr seien sie
erstarkt. Er hebt hervor, dass Reiche, Vornehme, in hohen Aemtern
Stehende zur christlichen Kirche gehören, dass selbst ein christlicher Ge-
meindelehrer auch unter den Heiden Ehre erlangen könne. Doch kündigt
er zugleich an, dass die seit langer Zeit unterbrochenen Verfolgungen
wieder ausbrechen werden, wenn die Verläumder des Christenthums die
Meinung wieder verbreitet haben werden, die Ursache der vielen Em-
pörungen (in den letzten Jahren des Kaisers) sei die grosse Menge der
Christen, welche desshalb sich so sehr gemehrt hätten, weil sie nicht mehr
verfolgt würden. Er sucht seine Glaubensgenossen im Voraus gegen die
neue Verfolgung, die er kommen sieht, zu waffnen: die alte Religion
werde fallen, die christliche Religion werde herrschen, indem sie immer
mehr Seelen anziehe.
Dßs Ürigenes Vorherverkündigungen trafen nur zu bald ein. Die
Christen sowohl die Rischöfe wie die Laien durch lange Ruhe und Sicher- I
heit in Erschlatiiing gerathen i), bedurften einer mächtigen Erschütterung. —
Auf Philippus Arabs folgte Decius, sein liesieger (249 — 251). Erfüllt
vom Verlangen ein neuer Trajan zu werden, die Herrlichkeit des Reiches
wieder herzustellen, '^^dasselbe auf seinen Grundlagen zu befestigen, wozu er
hauptsächlich die alte Religion rechnete, fasste er den Entschluss, die
Kirche wo möglich zu vertilgen. Bald nach seiner Tlu'onbesteigung erliess
er ein Edict, des Inhaltes, dass alle Christen am Gottesdienste des Staates
Antheil nehmen sollten. Durch Drohungen und wenn diese nichts fruchteten,
sollten die sich weigernden durch Gewalt gezwungen werden. Blieben sie
standhaft, so traf vor allem die Rischöfe die Todesstrafe. Die Verfolgung
sollte alle Theile des Reiches umfassen. Ueberall wurde ein Termin an-
gesetzt, bis zu welchem alle Christen eines Orts vor dem Magistrate er-
scheinen, Christum verlaugnen und opfern sollten. Den Elüchtigen wurde
das Vermögen contiscirt und Todesstrafe über sie, im Falle der Rückkehr,
verhängt. Was die anderen betrifft, so versuchte man alle möglichen
gelinden und harten Mittel, um sie zu Falle zu bringen. Diese Edicte und
Massregeln brachten in Folge der vorhandenen Erschlaffung die traurigsten
Wirkungen hervor. Sehr viele warteten nicht, bis man sie ergriff*; sie
eilten in Haufen, den Glauben an Christus zu verlaugnen, — zum Theil
unter mildernden Formen; es waren Austiüchte des bösen Gewissens, in
welche die heidnischen Obrigkeiten gerne einwilligten, theils aus Habsucht,
theils aus wirklicher Schonung. Demnach gab es verschiedene Classen von
Abgefallenen: sacrißcati, die sich zu Opfern verstanden, tlturificati, die
Weihrauch über den Opfern anzündeten — schon eine mildere Form des
Abfalles; libellatici^ die in keiner Weise opferten, sondern sich einen Schein
ausstellen Hessen, als hätten sie wirklich geopfert. Andere Hessen sich
einen solchen Schein nicht ausstellen, erschienen nicht einmal vor den
Behörden, sorgten aber dafür, dass ihre Namen in die Zahl derjenigen,
die dem Edicte Folge geleistet, eingetragen würden i). Unter den Mär-
1) Cyprian entwirft im Tractat de lapsis ein ergreifendes Bild davon.
2) Cyprian ep. 31.
55
tyrern dieser Verfolgung werden genannt: Fabianus, Bischof von Rom,
B a b y 1 a s , Bischof von Antiochien , P i o n i u s , Presbyter zu Smyrna i) ;
;,denn der Tyrann war gegen die Geistlichen am feindlichsten gesinnt."
Durch auswärtige Kriege an der Fortsetzung der Verfolgung gehindert,
starb er schon 251; sein Nachfolger Gallus setzte sie fort (251—253).
Eine verheerende Seuche, Landdürre und Hungersnoth steigerten die Wuth
des Volkes 2). Ein neues kaiserliches Edict gebot, den Göttern zu opfern,
um Rettung von diesen Unglücksfällen zu erlangen ^). Valerian (253 —
260) war anfangs den Christen günstig und hatte mehrere derselben in
seinem Palaste ^). Durch seinen Günstling Macrianus umgestimmt, erliess
er 257 ein Edikt, dass die Bischöfe, Presbyter und Diakonen alsobald mit
dem Tode bestraft, die Senatoren und römischen Ritter ihrer Würde und
Güter beraubt, und wenn sie auf dem Bekenntniss des Christenthums ver-
harrten, auch enthauptet werden sollten 0), In dieser Verfolgung fielen als
Opfer Sixtus, Bischof von Rom und drei Diakonen der römischen Ge-
meinde, Cyprian, Bischof von Carthago am 14. Sept. 258. Nachdem
Valerian in persische Gefangenschaft gerathen, schlug sein Sohn und
Nachfolger Gallienus (260 — 268) einen anderen Weg ein. Er gestattete
durch ein eigenes Edict den Christen freie Religionsübung, befahl ihnen
die weggenommenen Häuser und Grundstücke zurückzugeben und erkannte
sie insofern als religio licita au ^) ; die verbannten Bischöfe wurden zu-
rückgerufen. Von dieser Zeit an erfreute sich die Kirche einer fast vier-
zigjährigen Ruhe. Kriege mit auswärtigen Feinden und innere Empörun-
gen lenkten die Aufmerksamkeit von den Christen ab. Dem Kaiser Au-
relian (270 — 275) wird zwar die Absicht zugeschrieben, am Ende seiner
Regierung ein Edict gegen die Christen zu erhissen - j . er sei aber durch
Ermordung daran gehindert worden. Fortan wurde der Zustand der Kirche
äusserlich immer blühender. Schöne, grosse Kirchen wurden erbaut,
unter anderen eine in Nikomedien, der kaiserlichen Residenz. Christen
gelangten zu hohen und niederen Militärwürden, zu ansehnlichen Hof-
ämtern und wurden vom neuen Kaiser Diocletian wie Kinder des Hauses
behandelt.
Wie kam es nun , dass auf das ungestörte fröhliche Gedeihen für die
Kirche die furchtbarste Verfolgung ausbrach, und dass derjenige Kaiser,
der viele Jahre hindurch die Christen hatte gewähren lassen und sich ih-
nen freundlich erzeigt, nun ihr heftigster, unmenschlicher Verfolger wurde ? ^).
Diocletian, der Sohn dalmatischer Sklaven, ursprünglich als gemei-
1) Nähere Angaben über die Verfolgung s. bei Euseb. 7, 89 — 42.
2) Cyprian ad Demetrianum.
3) Cyprian ep. 55. 57. 58.
4) Euseb. 7, 10.
5) Cyprian ep. 80.
. 6) Euseb. 7, 13.
7) Euseb. 7, 30. Nach Lactantius de mortibus persecutorum c. 6 wurde das Edirt
wirklich erlassen , konnte aber nicht mehr ausgeführt werden.
8) Für das folgende s. besonders Euseb. 8 — 10 B., sodann dessen Leben Couslau-
tins, Lactantius de mortibus persecutorum, Burkhardt a. :i. 0,
56
ner Soldat in das Heer getreten, schnell von einer Stufe zur anderen
emporgestiegen, wurde 284 nach der Ermordung des Carus von den zu
Chalcedon versammelten Generälen zum Beherrscher des römischen Reiches
erwählt. Er selber sah darin die Erfüllung der Weissagung einer Druidiu.
Um seine Gewalt, die er als eine völlig unbeschränkte ansah, in allen
Provinzen des Reiches und für alle Folgezeit zu sichern, berief er Maxi-
mian 286 zur Antheilnahme an der Herrschaft, indem er ihn zum Au-
gustus des Abendlandes ernannte, während er selbst als Augustus das
Morgenland beherrschte. Um besser den Barbaren widerstehen und Usur-
pationen entgegenarbeiten zu können, stellte er 292 zwei Unterkaiser odei-
Cäsaren auf, Galerius, seinen Schwiegersohn, im Morgenlande, und
Constantius Chlorus im Abendlande. Diocletian war für seine Person
der alten Staatsreligion mit Eifer ergeben; er hielt viel auf Auguren und
Haruspicien; er sah die ererbte Religion als die festeste Stütze des Staa-
tes an. In einem Decrete gegen die Manichaeer 296 erklärte er, es sei das
grösste Verbrechen, das umzustossen, was einmal von den Vätern festge-
setzt und was im Staate herrschend ist. Was ihn von der Verfolgung
während einer geraumen Zahl von Jahren abhielt, war die Erwägung, dass
dadurch die Ruhe des Reiches gestört und viel Blutvergiessen veranlasst
würde. Es war aber am Hofe eine grosse heidnische Partei, worunter
Priester, Staatsmänner, Philosophen, voll von Unwillen über die reissen-
den Fortschritte des Christenthums. Seele dieser Partei war Hierokles,
Statthalter von Bithynien, den Grundsätzen der neuplatonischen Schule
ergeben. Besonders aber Galerius, Tochtermann des Kaisers, zeigte sich
als heftiger Feind der Christen und suchte den Kaiser gegen sie zu stim-
men. Auch der Augustus Maximianus (mit dem Zunamen Herculius), der
alten Religion und ihrem Aberglauben eifiig ergeben, war gegen die Chri-
sten, wenn gleich die spätere Nachricht, dass er die sogenannte thebäische
Legion habe tödten lassen, nicht begründet ist. Diese heidnische Partei
mochte um so mehr gereizt worden sein, da Spuren vorhanden sind, dasS
die Christen, nachdem bereits manche am kaiserlichen Hofe zum Christen-
thum sich bekehrt hatten, die Hoffnung hegten, den Kaiser selbst für die
christliche Religion zu gewinnen; bereits wurde im Geheimen bemerkt,
dass es von dem grössten Werthe wäre, wenn ein christlicher Kammerherr
die Autsicht über die kaiserliche Bibliothek erhielte und bei Gelegenheit
literarischer Gespräche den Kaiser behutsam und allmälig von der Wahr-
heit der christlichen Religion überzeugen könnte i). Darin täuschten
sich aber die Christen vollständig. Die alte Natur behielt im Kaiser die
Oberhand. Seine Gesinnung gibt sich kund in einer späteren Inschrift,
worin er sich der Unterdrückung des Christenthums rühmt, und den Chri-
sten vorwirft , da&s sie den Staat zu Grunde richteten 2). Und in dem
Edicte, wodurch Galerius der von ihm angeregten Verfolgung ein Ende
1) Diess d. Hauptinhalt des Schreibens des (^weiter nicht bekannten) Bischofs Theonas
an den kaiserlichen Oberkammerherrn Lucian, wahrscheinlich am Hofe Diocletian's, s.
Neander K. G. I. 244.
2) Ghristiani qui rem publicam evertebant.
57
machte, erklärte er, es sei die Absicht der Herrscher gewesen, Alles den
alten Gesetzen und der römischen Staatsverfassung gemäss zu verbessern.
Wie grosse, verheerende Naturereignisse durch einzelne Vorzeichen
sich ankündigen, so geschah es auch bei jenem letzten, äussersten An-
griffe des Heidenthums gegen das sein Leben bedrohende Christenthum.
Einige Zeit vor den allgemeinen Massregeln wurden Christen aus der Ar-
mee gestossen. Bei einer Musterung im Jahre 298 wurde ihnen die Wahl
gelassen, entweder den Göttern zu opfern oder ihre Dienste aufzugeben,
worauf die meisten ohne Besinnen das letztere vorzogen; einige sollen
darob schon damals das Leben eingebüsst haben. Man könnte glauben,
dass die Kaiser unter christlichen Truppen sich nicht mehr ganz sicher
glaubten. Doch haben wir kein Beispiel, dass bei den mancherlei Unruhen
im römischen Reiche seit alter Zeit die christlichen Soldaten einen aufrüh-
rerischen Geist kundgegeben. Die Sache erklärt sich . genügend so : wenn
man eine Verfolgung der Kirche anbahnen wollte, so empfahl sich jene
Ausscheidung der christlichen Soldaten als geeignete Vorbereitung '^).
Die entscheidende Wendung Diocletian's zu allgemeinen Massregeln
erfolgte erst acht Jahre später, da im Winter des Jahres 303 Galerius in
Nikomedien mit seinem alten, kranken Schwiegervater zusammentraf, und,
unterstützt von manchen eifrigen Heiden unter den Staatsbeamten alle seine
Beredtsamkeit anwendete, um eine allgemeine Verfolgung zu betreiben.
Diocletian gab endlich nach, das Fest des Gottes Terminus, die Termi-
nalia am 23. Februar 304 wurden die Losung zum Anfang der Drang-
sale der Christen. An jenem Tage liess der Gardepräfect die grosse
prächtige Kirche in Nikomedien durch seine Soldaten plündern und nieder-
reissen. Am folgenden Tage erschien das erste Edict, worin die Absicht
einer gänzlichen Vertilgung des Christenthums sich noch nicht völlig kund
1) Burkardt hat in seiner Schrift über Constantin den Ausbruch der Verfolgung
auf folgende Weise zu erklären gesucht: „einige, vielleicht nur sehr wenige christliche
Hofleute und einige christliche Kriegsbefehlshaber in den Provinzen glaubten mit einem
voreiligen Gewaltstreich das Imperium in christliche oder christenfreundliche Hände brin-
gen zu können, wobei sie vielleicht die kaiserlichen Personen zu schonen gedachten. Es
ist möglich, dass in der That Galerius der Sache früher auf die Spur kam als Diocletian
und dass dieser sich wirklich nur mit Mühe überreden liess." — Burkhardt setzt hinzu:
„man kann nicht läugnen, dass es unter den Christen damals Leute gab, die für solche
Staatsstreiche nicht zu gewissenhaft waren. Eusebius Charakteristik (8, 6) redet darüber
deutlich genug." Das wäre schön und gut, wenn wir nur bestimmte Angaben über den
projektirten Gewaltstreich hätten ; sie fehlen aber gänzlich und wären übrigens einzig in
ihrer Art in der Geschichte der drei ersten Jahrhunderte, wo doch die Versuchungen dazu
nicht mangelten. Wenn nun einige Bischöfe vermöge ihrer weltlichen Gesinnung sich so-
weit konnten hinreissen lassen, so entscheidet das nicht (a posse ad esse non valet con-
sequentia). Burkhardt legt auch zu grosses Gewicht darauf, dass bei Anlass der Auf-
rühre in Melitene (Kappadocien) und in Syrien die Bischöfe gefänglich eingezogen wur-
den (Euseb. 8, 6). Daraus auf das oben genannte „Complott" zu schliessen, ist gar zu
voreilig. Mit Kecht bemerkt Burkhardt selbst, es sei im Allgemeinen unbillig, aus der
Verfolgung auf eine Verschuldung zu schliessen. Die wahre Verschuldung — denn eine
solche gab es, — zeigt Enseb. 8, 1 an, in dem gesunkenen Zustand der damaligen Chri-
stenheit.
58
gibt 1). Es sollten die gottesdienstlichen Versamnilungen der Christen ver-
boten sein, ihre Kirchen niedergerissen, alle Handschriften der Bibel ver-
brannt werden, diejenigen, welche Ehrenstellen und Würden im Staate
bekleideten, sollten dieselben verlieren, wenn sie nicht das Christenthum
abschwuren, gegen alle Christen, von welchem Stande sie seien, sollte die
Folter angewendet werden können, die Christen von niedrigerem Stande
sollten des Genusses ihrer Rechte als Bürger und als freie Männer be-
raubt sein, die christlichen Sklaven sollten, so lange sie Christen blieben,
nie freigelassen werden können ^). Gänzlich neu war der Befehl die heili-
gen Schriften zu verbrennen, — wodurch man glaubte, der christlichen
Kirche die empfindlichsten Schläge versetzen zu können. Noch hatten die
Christen von der Ueberraschung , worin sie dieses erste Edict versetzte,
sich noch nicht erholt, als ein zweites Edict, bei Anlass jener Aufstände
in;;Melitene und Syrien erlassen, erschien, welches die Einkerkerung der
Geistlichen verordnete. Ein drittes bestimmte, dass diejenigen, die den
Glauben abschwuren, aus den Gefängnissen entlassen, die anderen aber
auf alle mögliche Weise zum Abfall vom christlichen Glauben gezwungen
werden sollten. Ein viertes befahl allen Christen jeglichen Alters, Ge-
schlechts und Standes den Göttern zu oi)fern.
In Folge dieser Verordnungen wurden die christlichen Gemeinden des
römischen Reiches der schrecklichsten Verfolgung preisgegeben. Eine un-
geheure Zahl von Christen starb in den Gefängnissen und Bergwerken, wozu
man sie verurtheilte , viele unter unsäglichen Qualen von neu erfundenen
grässlichen Todesarten, so dass die blosse Enthau])tung nur als Gnade
gewährt wurde solchen, die sich früher Verdienste erworben ^). Nur die
von Constantius Chlorus, einem der alten Religion mehr oder w-eniger ent-
fremdeten Anbeter des höchsten Gottes, beherrschten Länder blieben mehr
oder weniger verschont. Schandenhalber musste er zwar die christlichen
Kirchen zerstören (doch blieben manche unversehrt) die Bibeln (so vieler
er habhaft werden konnte), verbrennen, die gottesdienstlichen Versamm-
lungen der Christen aufheben; aber sie blieben wenigstens am Leben ver-
schont. Damals gab es eine neue Classe von Abgefallenen, TraditoreSy
welche die Bibeln auslieferten. Uebrigens zeigten sich die Behörden und
ihre Schergen im Autsuchen der Bibeln ziemlich tolerant. Sie nahmen
manche sonstige selbst häretische Schriften an als wären es heilige. Eine
1^ Euseb. 8, 2. Lactantius 1. c. c. 18.
2) Als erstes Opfer dieses Edicts fiel eiii angesehener Christ, der dasselbe abriss
und zerfetzte, mit dem spöttischen Bemerken, es seien wieder einmal Siege über die Gothen
und Sarmaten angesclilagen gewesen. Er wurde lebendig verbrannt. Wenn Burkhardt
a. a. 0. S. 337 dazu bemerkt: „ein solcher Trotz wäre übrigens ganz sinnlos, wenn man
nicht annehmen will, dass noch in jenem kritisclien Augenblicke eine geheime Hoffnung
auf allgemeinen Widerstand vorhanden war" — so verkennt er die Gesinnung, die jenen
Mann und tausend andere vor ihm und Manche nach ilmi beseelte, wogegen seit alten
Zeiten die Vorsteher der Kirchen protestirten , wie denn auch Lactantius jenen Ausbruch
des Eifers nicht eigentlich rechtfertigen will.
3) Lact. 1. c. c. 22 auimadversio gladii admodum paucis quasi beneficii loco defere-
l?atur, (j[ui ob merita vetera impetraverant bonam mortem.
59
seit 305 eingetretene Aenderung in der Kegierung brachte Unordnung in
das Reich und that der Yerfolgung Einhalt. Nach der Abdankung Diocle-
tians und Maximians, der beiden bisherigen Augusti wurden es die bis-
herigen Cäsaren Galerius und Constantius Chlorus, jener im Morgenlande,
dieser im Abendlande. Zu Cäsaren wurden gewählt Maximin, der über
Syrien und Egypten herrschte und Julius Severus, Beherrscher von
Italien und Africa. Constantius Chlorus Hess in den ihm unterworfenen
Ländern die Verfolgung gänzlich einstellen. In dieFussstapfen des 306 gestorbe-
nen Vaters trat der Sohn, der spätere Kaiser Co ns tan t in. In andern Theilen
des Reiches Hess die Verfolgung ebenfalls nach. Galerius, der ein ganzes
Jahr lang von einer fürchterlichen Krankheit geplagt wurde, Hess die Ver-
folgung einstellen (311) durch ein Edict ^), worin ausdrücklich bezeugt war,
dass , da die früheren Massregeln zur Bekehrung der Christen nichts ge-
fruchtet hätten, ihnen gewährt werde, dass sie wieder Christen sein und
ihre Versammlungen halten dürften, doch unter der Bedingung, dass sie nichts
gegen die öffentliche Ordnung unternähmen 2). Es traten aber Unruhen ein.
Constantin wurde nach Besiegung des Maxentius, des Sohnes des
Augustus Maximian (312j Beherrscher des ganzen Abendlandes, Licinius,
der bald Gemahl der Constantia, Schwester des Constantin, wurde, —
herrschte über das europäische Morgenland und hatte nur noch Maximin in
Asien gegen sich, der bald die Christen wieder zu verfolgen anfing, doch
nach einiger Zeit der Verfolgung ein Ende machen musste ^). Darauf gaben
(312) die beiden Augusti, Constantin und Licinius ein Edict, welches all-
gemeine Religionsfreiheit einführte. Da aber, nach dem Wortlaute dessel-
ben die Bekehrung zum Christenthum ausgeschlossen, die Freiheit der Re-
ligion nur den gebornen Christen gewährt zu sein schien, so erliessen die
beiden Augusti 313 von Mailand aus ein neues Edict, wodurch der Ueber-
tritt zum Christenthum gänzlich freigestellt, und den Christen ihre ihnen
entrissenen Kirchen zurückgegeben wurden. Als Zweck dieser Beschützung
der Clu'isten wurde im Edict der Wunsch angegeben, alle Götter sich ge-
neigt zu machen ^).
IV. Kaiser Constantin, geboren 274, der von nun an auf den Vorder-
grund der Geschichte tritt &), huldigte wie sein Vater dem Glauben an den
1) Euseb. 8, 17. Lact. 1. c. 34.
2; Ne quid contra disciplinam agant, Moslieim verstellt darunter die römische Re-
ligion.
3) Euseb. 9, 10 der das Edict Maximins zu Gunsten der Christen mittheilt.
4) Lactantius 1. c. c. 48, quo quidquid est divinitatis in sede coelesti, nobis atque
Omnibus, qui sub potestate nostra sunt coustituti, placatum ac propitium possit existere.
oj Es hat seinem Rufe sehr geschadet, dass er einen so beschränkten, knechtischen
Schmeichler, wie Euseb von Caesarea in dessen Leben Constantins sich zeigt, als Bio-
graphen gefunden hat. Kritisch verfährt Manso in seinem Leben Constantins des Grossen
1819, ebenso Ne ander und Gieseler in ihren allgemeinen Werken über Kirchen-
geschichte. Burkhardt a. a. ü. gibt, wie auch Gass im Artikel Constantin und seine
Söhne in der Realencyklopädie es anerkennt, eine im ungünstigen Sinne befangene Dar-
stellung des ersten christlichen Kaisers. Keim in seiner kleinen, selir inhaltreichen
Schrift: der üebertritt Cuustantins des Grossen zum Cliristenthum 1862, akademischer
Vortrag, hat die Kritik Burkhard t's auf das rechte Maass zurückgeführt.
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höchsten Gott, der aber die Verehrung der heidnischen Götter nicht aus-
schloss, unter welchen er nach dem höchsten Gotte dem Apollo, dem Gotte
Helios , als dessen Offenbarer die erste Stelle anwies. Nach dem so eben
erwähnten Keligionsedict war er noch kein Christ, er bekannte sich viel-
melir zu einer Art von Religionssyncretismus , ähnlich dem des Alexander
Severus und Philippus Arabs. Diese Bemerkungen stellen uns auf den
richtigen Standpunkt, um die wunderbare Begebenheit zu beurtheilen, die
seinen Uebertritt zum Christenthum bev>irkt haben soll. Er selbst erzählt(»
am Ende seines Lebens dem Bischof Euseb und bekräftigte mit einem
Eidschwur, dass er im Jahr 311, im Kriege gegen Maxentius, als er über
die Mittel nachdachte, wie er sich den Sieg verschaffen könnte und den
höchsten Gott bat, ihm beizustehen, in den Nachmittagsstunden, geger
Sonnenuntergang in der Luft ein hell leuchtendes Kreuz gesehen habe, um
welches herum die Worte standen: ev tovtm vixa. Er war von der Er-
scheinung überrascht wie auch die ganze Armee. Noch grösser wurde seine
Ueberraschung , als ihm in der darauf folgenden Nacht Jesus erschien mit
der Kreuzesfahne in der Hand, der ihn ermahnte, eine solche Fahne machen
zu lassen zum Schutz gegen die Feinde, worauf er den Sieg über Maxen-
tius erfocht, der dabei in den Fluthen der Tiber den Tod fand. Der Kaiser
befolgte die ihm gegebene Anordnung, Hess christliche Geistliche kommen
und eine solche Fahne verfertigen, befragte die Geistlichen, welcher Gott
ihm erschienen, und welches die Bedeutung des ihm erschienenen Zeichens
sei ; sie sagten ihm, es sei des einen und einzigen Gottes eingeborner Sohn,
das erschienene Zeichen aber ein Symbol der Unsterblichkeit und ein
Zeichen des Sieges über den Tod, den Christus errungen als er einst auf
Erden wandelte. Von dieser Zeit an begann er, die göttliche Sclirift
zu lesen, nahm die Priester Gottes in seine Gesellschaft auf und glaubte
den ihm erschienenen Gott mit allen möglichen Dienstbezeugungen ehren
zu müssen ^). Um diese bis auf die neusten Tage viel besprochene Sache
richtig zu beurtheilen. muss vor Allem bemerkt werden, dass Lactanz de
mortibus persecutorum c. 44 berichtet, der Kaiser habe ein Traumgesicht
gesehen. Auch Sozomenus 1, 3 weiss nur von einem solchen 2) und Engel
flüstern dem Kaiser das Wort zu: „durch dieses Zeichen wirst du siegen."
Es ist diess um so auffallender, da Sozomenus die Erzählung des Eusebius
kennt und sie anführt, aber ohne, wie es scheint, derselben Glauben zu
schenken. Dass im fünften Jahrhundert die Annahme einer blossen Traum-
erscheinung sich noch erhalten hatte, ist auch aus Rufin's Kirchengeschichte 9, 9
ersichtlich. Was überdiess auffällt, Tst, dass selbst Euseb an der Stelle
seiner Kirchengeschichte, wo er den Kampf mit Maxentius beschreibt (9, 9)
nichts von dem am Himmel erschienenen Zeichen zu berichten weiss, was
doch nach Aussage des Kaisers das ganze Heer mit Staunen wahrgenom-
men haben soll, was daher unmöglich unbekannt bleiben konnte. Sodann
kann keine Rede davon sein, dass der Kaiser bis zu jenem Zeitpunkte keine
Kenntniss des Christenthums, keine Ahnung vom Kreuzeszeichen und dessen
1) Euseb. de vita Const. 1, 28—32.
2) Oyag f«Je ro tov Ctkvqov Gijjusiov er rm ovgavta delnyiCoy,
61
Bedeutung gehabt hat, so wie denn auf der andern Seite erwiesen ist, dass
der nach dem Siege über Maxentius errichtete Triumphbogen ursprünglich
die Inschrift trug: J. 0. M. (Jovis Optimi Maximi). Constantin machte be-
kanntlich noch eine Zeitlang heidnische Ceremonien mit, nahm Theil an
heidnischen Opfern; auf Münzen und Inschriften bis in das Jahr 320, ja 328
erscheint er als heidnischer Oberpriester. Das ist aber gewiss, dass er
von jener Zeit an eine besondere Verehrung fiir das Kreuz und das Kreu-
zeszeichen an den Tag legte. Er meinte, durch das Kreuzeszeichen die
Wirkungen der von Maxentius verrichteten heidnischen Sacra, Wirkungen
die er ängstlich befürchtete, abgewendet zu haben. Daher Hess er nach
dem Siege seine Bildsäule auf dem Forum zu Rom mit einer Fahne in Ge-
stalt eines Kreuzeszeichens, in der rechten Hand darstellen und die In-
schi"ift darunter setzen : durch dieses heilbringende Zeichen , das wahre
Zeichen des Muthes, habe ich eure Stadt vom Joche des Tyrannen befreit.'^
Alles diess lässt sich mit der Annahme vereinbaren, dass Constantin im
Traume ein Kreuz gesehen hat; wenn er in der Erzählung an Euseb der
Sache eine äussere Objectivität gegeben, so ist es nicht nöthig, hier eine
bewusste Lüge und Eidbruch anzunehmen i), sondern in der Erinnerung des
damals bereits mehr als 60 Jahre alten Herrn verwandelte sich der Traum
in Wirklichkeit, was um so leichter geschehen konnte, da es seiner Eitelkeit
schmeichelte und seiner Politik zusagte. Er mochte auch gerne seinen
Uebertritt zum Christenthum früher ansetzen als er in Wirklichkeit erfolgte.
V. Welches die Ursachen der Verfolgungen überhaupt waren, warum
sie mit der Ausbreitung der Kirche zusammenfielen, wie diese beiden Reihen
von Ereignissen sich zu einander verhalten, diese Fragen sind dui'ch die
bisherige Darstellung noch nicht genügend beantwortet. Vor Allem ist zu
beachten, dass, sobald das Christenthum nicht mehr blos als jüdische Sekte
sich erwies , die Duldung , die den Juden zu Theil wurde , sich nicht .mehr
auf die Christen ausdehnte , sodann , dass das Evangelium , obschon es jede
Regung aufrührerischen Geistes niederhielt (Rom. 13, 1), so dass, wie Ter-
tullian bemerkt, bis zu seiner Zeit die Christen an keiner der vielfachen
Empörungen Theil genommen, doch das Gewissen unangetastet Hess und
sogar befahl, denjenigen Gesetzen, welche Gott widerstreiten. Trotz zu
bieten (Apostelgesch. 4, 19. 5, 29). Nun aber war die Verehrung der Götter,
der Kaiser als bürgerliche Pflicht angesehen. Da die Christen sich der
Beobachtung, solcher Pflichten entzogen, so erklärte man sie für Aufrührer,
Feinde des Staates, der Kaiser, der Götter, für Gottlos 2). Daher Hess
man ihnen nicht diejenige Duldung zukommen, die man anderen Religionen
angedeihen Hess , welche nicht auf den ausschliesslichen Besitz der Wahr-
heit Anspruch machten und sich weit weniger an das Gewissen ihrer An-
hänger wendeten. Da einige Christen sich weigerten, am Kriegsdienste
Theil zu nehmen und gewisse Erwerbszweige, welche mit dem Götzendienste
in Verbindung standen, zu treiben, so gab das jenen Beschuldigungen eini-
gen Schein der Wahrheit. Wie die Erwartungen der Christen vom Reiche
1) Zosimus 2, 28 wirft ihm vor, dass er gewohnt war, den Eid zu brecheu.
2) Hostes Caesarum, populi, tm^ »tcou xa^ttiQeint, afheot.
62
Gottes in politischem Sinne gedeutet wurden, davon haben wir schon in der
Apostelgesch. 17, 10 und an Domitian ein Beispiel gefunden. Allein, obwohl
widerlegt, erhielten sich diese Beschuldigungen. ^^Wann ilir davon hört,
sagt Justin 1), dass wir einKeich erwarten, so vermuthet ihr ohne gehörige
Unterscheidung, wir meinten ein menschliches Reich, da wir doch vom
Reiche Gottes reden.'' Wir haben gesehen, wie gerade die ausgezeichnet-
sten Kaiser, Trajan, Mark-Aurel, Decius, Diocletian das Christenthum nur
als neues Mittel den Staat zu erschüttern, betrachteten und sich daher
als die ärgsten Feinde der Christen zeigten. Man kann sich um so weniger
darüber wundern, da neuere christliche Historiker ihnen Recht gegeben, von
der Ansicht ausgehend, dass der römische Staat auf die alte Religion gegründet
war, dass man also den Staat selbst untergrub, indem man die alte Religion
beseitigte. Daran ist so viel wahr , dass die Verfolgungen einen fieberhaf-
ten Zustand im Staate unterhielten, dass die Menschen, die man einkerken^e
und tödtete, der Gesellschaft, entzogen wurden. Das Christenthum an sich
aber hätte die festeste Stütze des Staates werden können.
Ueberdiess schien die Einfachheit des christlichen Gottesdienstes , die
gegen den heidnischen Prunk einen so scharfen Contrast bildete, das Siegd
einer geheimen Verschwörung gegen den Staat zu sein. Die Liebe der
Christen zur Stille', zur Betrachtung, ihr Abscheu vor den weltlicher,
rauschenden Vergnügungen, das im öffentlichen Auftreten beobachtete Still-
schweigen, die eifrigen Mittheilungen, welche die Christen unter einandei*
pflogen, das alles gab ihnen den Schein einer Menschen und Götter hassen-
den gefährlichen Verbrüderung. Bald kamen, wie wir schon angedeutet
die ärgsten Gerüchte über sie in Umlauf. Schon der Umstand, dass Jesu&
auf Befehl der römischen Obrigkeit hingerichtet worden, wurde benützt, um
von ihm und seinen Anhängern so schlecht als möglich zu denken, ihnen
Schändliches Schuld zu geben 2). Schon Tacitus und Sueton lassen sich,
wie wir gesehen haben, in diesem Sinne vernehmen. Bald trug man sich
mit Beschuldigungen wie folgende: dass die Christen in ihren Versammlun-
gen bei ausgelöschten Lichtern durch Unzucht und Laster wider die Natur
sich befleckten, dass sie bei der Einweihungsfeierlichkeit eines Bekehrten
kleine Kinder tödteten, um sie zu essen. So wurde ihnen Menschenfresserei
und Blutschande vorgeworfen 3). Solche Beschuldigungen wurden beson-
ders im Antoninischen Zeitalter erhoben und dienten damals zumal in Lyon
und Vienne als Vorwand der Verfolgung, als Mittel, um die Volkswuth an-
zuschüren, bei welcher Gelegenheit, — um nur ein Beispiel anzuführen,
Blandina einen Tag lang grässlich gefoltert wurde, um aus ihr die Ver-
läugnung ihres Glaubens und das Geständniss jener schändlichen Verbrechen
herauszupressen. Sie beharrte aber auf ihrer Aussage: ,jich bin eine
1) Apologie I. 11.
2) Minucius Felix c. 8.
3) Athenagoras c. 4. Svfdriia öetnvn. Oi^mcdeiai fxi^ftg. Ebenso Euseb. 5, 1.
Justin 2, 12. Minucius Felix spricht ausführlich von diesen Verläumdungen c. 9, die der
heidnische Rhetor Fronto gegen die Christen eifrig zu verbreiten suchte. Min. FeUx c. 9. 31.
63
Christin und bei uns geschieht nichts Schlechtes^ ^). In der That wurden
von dieser Zeit an die Christen nicht mehr mit solchen Beschuldigungen
belastet. Doch gab es genug andere. Zur Zeit der diocletianischen Ver-
folgung bot man auch einen erdichteten Bericht des Pontius Pilatus an
Kaiser Tiberius herum, worin der Charakter des Herrn auf lästerliche
Weise entstellt war. Der Hass gegen die Christen nahm noch andere For-
men an. In den Augen der Menge w^aren die Christen an allem Unglücke
schuld, welches den Staat traf. Noch im vierten Jahrhundert gab es in xVfrika
ein Sprüchwort : non pluit Dens, diic ad Christianos. — Tertullian sagt im
Apolog: ,,wenn die Tiber bis zu den Mauern der Stadt steigt, wenn die
Ueberschwemmung des Nil ausbleibt, wenn Hungersnoth oder Pest ein
Land verheeren, so erhebt sich alsbald das Geschrei: werft die Christen
den Löwen vor : j^christianos ad leonem.^'
Wenn alles dieses der Verbreitung des Christenthums entgegenstand
und das Feuer der Verfolgung schüren half, so war nichts desto weniger
der Sache Christi der Sieg zugesichert durch die ihr inwohnende göttliche
Kraft, wie sie sich in den Verfolgungen und in manchen anderen Bezieh-
ungen kund gab. Wenn wir bedenken, welchen Anklang die morgenlän-
dische Culte bei den Römern fanden, wie viele Prosehten die verachteten
Juden machten, wie war es möglich, dass nicht auch das P]vangelium viele
Herzen gewann? Dazu kam, dass die damalige Kirche von einem feurigen
Missionstriebe beseelt war. Die Sklaven redeten vom Evangelium zu ihren
Herrn, der eine Gatte zum anderen, die Tochter zum Vater. Wandernde
Soldaten brachten das Evangelium in die Kolonien, Gefangene ihren Sie-
gern. Viele Christen wanderten, nach Vertheilung ihres Vermögens unter
die Armen aus, um Christum zu verkündigen 2).
Die Fortdauer der Wundergaben trug auch (hizu bei , den Glauben an
die göttliche Kraft des Evangeliums zu w^ecken, die (lemüther auf dasselbe
aufmerksam zu machen. Diese fortdauernden Wundergaben sind durch zu
viele Zeugnisse von Kirchenlehrern bestätigt als dass wir sie durchweg in
Zweifel ziehen könnten, weimgleich nicht alle die berichteten Wunder-
wirkungen als verbürgt gelten können 3). Ein Wunder anderer Art und
nicht weniger wirksam war die Liebe der Christen unter einander und
gegen ihre Nächsten aus den Heiden, sowie die standhafte Ertragung all^r
Leiden und Schmerzen. In jener Zeit, wo unter dem römischen Joche der
Gemeinsinn so sehr verschv;unden war, wo die crasse Selbstsucht um so
ungezügelter, unverschämter hervortrat, konnte die innige Liebe der Christen
unter einander ihres Eindrucks nicht verfehlen. „Sehet, wie sie einander
lieben", hörte man die Heiden bewaindernd sagen ^). Was aber noch grös-
seren Eindruck machte, war dieses, dass die Christen ihr Herz nicht gegen
anders Denkende verschlossen. Bei öffentlichen Unglücksfällen sah man
1) Euseb. 5, 1.
2) Euseb. 3, 37.
3) S. Tholuck, vermischte Schriften. 1. Theil. '
4) Tertull. Apologeticum c. 39. Cäcilius bei Min. Felix c. 9. occultis se. notis et
insignibus noscunt, et amant mutuo paene antequam noverint.
64
sie ihren leidenden heidnischen Volksgenossen, welche von den ihrigen ver-
lassen waren , zu Hülfe kommen. In jener Zeit der sittlichen Entartung,
der Ausschweifungen, die unter den Reimern riesige Verhältnisse annahmen,
musste die heldenmüthige Ausdauer in den grässlichsten Martern die Ge-
rüchte über die von ihnen verübten Laster siegreich widerlegen und auf
die in ihnen wirksame göttliche Kraft hinweisen 3).
Uebrigens ist wohl zu beachten, dass bis zu dem Zeitpunkte, wo das
Christenthum in allen Theilen des Reiches Wurzel geschlagen, es keine
allgemeine Verfolgung gab und nach dem Zeugnisse des Origenes nicht eine
grosse Zahl von Märtyrern. Es ist auch nicht zu vergessen, dass die
grössten Verfolgungen durch grosse Zwischenräume von einander getrennt
sind, in welchen Zwischenräumen die Kirche sich von der Blutarbeit einigei*-
massen erholen konnte. Unter Diocletian wuchs freilich die Zahl der Mär-
tyrer ins Ungeheure an. Aber das Siegesgeschrei der Heiden über die
bevorstehende gänzliche Vertilgung des christlichen Namens erwies sich
bald als voreilig. An einigen Orten wurden damals im buchstäblichen Sinn 3
des Wortes die Schwerter abgestumpft ob der Menge derer, die sich dem
Märtyrertode unterwarfen. Man kann aber wohl sagen: der Staat hätt(i
sein Schwert gänzlich abgestumpft, wenn er sein Werk hätte fortsetzen
wollen. Die Duldung des Christenthums war eine politische Nothwendigker;
geworden. Da man das Christenthum nicht vertilgen konnte — wovon dif
Christen den lebendigsten Beweis gegeben, — so musste man es gewahrer
lassen. Auf diesen Standpunkt stellte sich Constantin. Die frühere An-
schauung hatte sich umgekehrt. Nicht mehr erschien das Christenthum als
die Existenz des Staates bedrohend, sondern als das Hauptmittel, um den
furchtbar erschütterten Staat wieder in's Gleichgewicht zu bringen. Das
ist der Sinn der Sage von dem Kreuz in den Wolken mit der den Sieg
verheissenden Inschrift.
Zweiter Abschnitt.
Angriffe der Juden und Heiden auf das Christenthum, in
Wort und Schrift und die Vertheidigung desselben durch die
Apologeten.
Solche Angriffe waren ebenso unausbleiblich wie die Verfolgungen von
Seiten des jüdischen und heidnischen Staates und Volkes es gewesen, und
waren zum Theil die Veranlassung und treibende Kraft dazu. Dem Chri-
stenthum stand eine geistige Welt feindlich entgegen, ein Ganzes von Re-
ligionsanstalten, ein Complexus von religiösen Begriffen und Anschauungen,
3) Justin. ApoL U. 12.
Polemik der Juden und Apologetik gegen die Juden. 65
von tief eingewurzelten, durch alte Tradition und lange Uebung noch immer
ehrwürdigen und stark wirkenden Principien , deren Vertreter sie geltend
machten, um das Christenthum zu widerlegen, herabzusetzen. Es fand auch
eine solche Bildung vor, welche mit der Religion überhaupt mehr oder
weniger gebrochen hatte und die von diesem Standpunkte aus ihre Angriffe
gegen dasselbe richtete. Es hatte die Aufgabe, sich dagegen zu verthei-
digen, und nicht blos in der That, sondern auch in Wort und Schrift sein
eigenthümliches Wesen der Welt offen darzulegen. Die Christen sollten
bereit sein , Rechenschaft zu geben von der Hoffnung , die in ihnen war ^).
So gab denn diese Defensivstellung, die auch in die Offensive überging,
vielfältigen Anlass zur Entwicklung des christlichen Lehrbegriffes.
Erstes Capitel. Polemik der Juden und Apologetik gegen die Juden.
Von Schriften, welche die Juden gegen die Christen in dieser Zeit
verfasst hätten, sind uns keine erhalten worden. Nur eine wird überhaupt
genannt, das liber Toledot Jeschu, angefüllt mit gemeinen Beschuldig-
ungen gegen Jesum, seine Mutter und seine Apostel. Nachdem Vol-
taire aus leicht begreiflicher Ursache gerühmt hatte, es sei die älteste
Schritt der Juden gegen die Christen, noch vor unseren Evangelien ge-
schrieben, haben neuere Untersuchungen ergeben, dass sie nicht vor dem drei-
zehnten Jahrhundert verfasst worden 2j. Die Beschuldigungen selbst sind weit
älteren Datums, wie aus der Schrift des Celsus zu ersehen ist. Der Hass
der Juden gab sich noch auf andere Weise kund. So wie man diesen in alten
Zeiten vorgeworfen, dass sie einen Esel anbeteten 3), so übertrugen sie nun
diesen Schimpf auf die Christen ^). Durch eigene nach allen Weltgegenden
gesandte Emissäre sprengten sie aus, es sei von einem galiläischen Be-
trüger Jesus eine gottlose und gesetzlose Sekte gestiftet worden, welchen
Jesus, nachdem ihn die Juden gekreuzigt, seine Schüler Nachts aus dem
Grabe gestohlen hätten; damit betrügen sie nun die Leute, indem sie vor-
geben, er sei von den Todten auferstanden und gen Himmel gefahren ^).
Das älteste Document der Apologetik gegen die Juden ist die avti-
Xoyia laffopog xat Jlaniffxov^ von Celsus bei Origenes ß) angeführt, später
unter dem Namen Siake^ig erwähnt, von Origenes als eine mittelmässige,
doch für die Ungebildeten immerhin nützliche Schrift bezeichnet, wahr-
scheinlich unter Hadrian verfasst, verloren gegangen nebst der lateinischen
Uebersetzung eines gewissen Celsus, von dessen Vorrede dazu in den
1) 1 Petr. 3, 15.
2) S. das Nähere über sie in d. Studien u. Kritiken, 1873. I.Heft: die Jesusmythen
des Jüdenthums v. Gustav Kösch, Pfarrer.
8) Tacitus liist. 5, 4.
4) TertuUian apologeticum c. 16; adnationes 1,14. Vgl. über das Ganze den Artikel
asinarii in d. Realencyklopädie.
5) Justin im Dialog mit dem Juden Tryphon c. 108.
6) c. Celsum 4, 52.
Herzog, Kirchengeschichte g
66 Erste Periode des alten Katholicismus.
Werken des Cyprian sicli ein Fragment vorfindet. Sie wurde fälschlich
dem Ariston v. Polla, einem Judenchristen, zugeschrieben. Nach Hierony-
mus ^) sind in der Schrift die ersten Worte der Genesis so übersetzt: in filio
fecit deus coehnn et terram.
Besonders wichtig sind folgende zw^ei Schriften : Justin 's des Märtyrers
Dialog mit dem Juden Tryphon und des Origencs Schrift gegen
Celsus, wo im 1. und 2. Buche ein Jude redend eingeführt wird, der seine
Argumente gegen die heilige Schrift vorbringt, den Christen ihren Abfall vom
mosaischen Gesetze vorwirft und sie zur Bückkehr ermahnt. Von geringerer
Bedeutung sind Tertullian's Schrift adversus Jiidaeos und Cyprian 's
Schrift: testimonia adversus Jtidaeos.
Des Juden Polemik gegen die Christen in den Fragmenten der Schrift des
Celsus ist übrigens von derselben Art, wie die im genannten Dialog enthaltene. Fs
wird da zum ersten Male die Sage von der ehebrecherischen Verl)iii(lung der
Mutter des Herrn mit dem Soldaten Panthera angeführt'^), w^ogegen Origenes
treffend bemerkt, so nehme man Zuflucht zur Lüge, weil man nicht läugneri
könne, dass Jesus auf ausserordentliche Weise geboren worden sei. Gegei
die Auferstehung des Hemi bringt der Jude einen Grund vor, der etwas
Speziöses hat: gestraft (d. h. am Kreuze hangend) sei Jesus von allen gesehen
worden, auferstanden nur von einem (worunter er die Maria Magdalena ver-
steht); das Gegen tlieil wäre am Platze gewesen. Was Origenes dagegen be-
merkt, war allerdings nicht geeignet, auf einen ungläubigen Juden Eindruck
zu machen: die Feinde hätten den Anblick des Auferstandenen und bereits
Verklärten nicht ertragen können, daher habe der Herr aus Schonung sich
ihnen nicht gezeigt s).
Ernster sind die Einwendungen des Tryphon: 1) die messianischen
Weissagungen seien in Jesu nicht erfüllt, da sie einen mächtigen König ver-
kündigten, Jesus aber unrühmlich und elend gelebt habe und elend gestorben
sei; 2) die Lehre von der Gottheit Christi widerspreche dem Glauben an
Einen Gott, von dem es heisse (Jesaia 42, 8) dialog. c. 65, dass er seine
Ehre keinem andern überlasse; 3) die Christen thun nicht recht, indem sie
das mosaische Cärimonialgesetz verlassen, an dessen Beobachtung Gott selbst
die Seligkeit geknüpft habe. Justin und andere Apologeten vertheidigten
sich ausführiich in Beziehung auf diese drei Punkte. Mit Becht berufen sie
sich darauf, dass die einen Weissagungen bei der zweiten Zukunft Christi in
Erfüllung gehen sollten. Wenn aber Justin auf die Frage Tryphon's, ob denn
auch Jesu Kreuzestod geweissagt sei, antwortet, indem er sich auf das Gebet
Mose in der Schlacht mit den Amalekitern, w^obei er die Arme in Kreuzes-
form ausbreitete, und auf die eherne Schlange berief, so zeigt sich darin
eine Blosse dieser Apologetik; ebenso, w^enn er die Auferstehung Jesu vorher
verkündigt sein lässt durch den Propheten Jonas. Ferner berief sich Justin
1) qnaestiones in Genesin.
2) 1, 32. Auch im Talmnd l^isst Jesus Solin der Pandira; er heisst so als Sohn
der Buhlerin. liav^rio ist wie lupa ein Bild habsüchtiger Wollast, die auf alles Jagd
macht, ttJio lov Tictv 9)]Qr(^. S. Nitzsch. St. u. Krit. 1840. 1. S. 115.
3) Contra Celsum 2, 64. ipetdofayog avicoy ovx eipaivixo TinCtv avaCTttg tx yfXQioy.
Polemik der Juden und Apologetik gegen die Juden. 67
auf dieselbe Stelle, Jesaia 42, 8, die Tiyphon gegen die Gottheit Christi an-
geführt hatte; er meint, die Worte: meine Ehre gebe ich keinem anderen,
besagen nur so viel, dass Gott seine Ehre keinem anderen geben werde als
demjenigen, den er zum Bundesmittler, zum Lichte der Heiden l)estimmt
habe, worin Justin allerdings über den Gedanken des Propheten hinausgeht,
doch nur in consequenter Fortführung dieses Gedankens. Er ist vollkommen
in seinem Rechte mit der Behauptung, dass das mosaische Cärimonialgesetz
blos zeithchen Bestand habe, dass aber die Christen Alles das dem Wesen
nach hätten, was im mosaischen Ge>etz blos äusserlich und - als' Vorbild ge-
geben sei.
Die Apologetik gegenüber den Juden gab sich in Anführung von Bibel-
stellen gefährliche Blossen. Die Christen nämlich, des Hebräischen unkundig,
bedienten sich in ihren Anführungen aus der Schrift der LXX, sowie sie denn
den fabelhaften Erzählungen vom Ursprünge dieser Uebersetzung Glauben
schenkten, nicht blos Justin M., Apol. 1, 31, sondern auch Irenäus 3, 21. 2,
und der unbekannte Verfasser des Xoyog nooq ^EXXrjyag c. 13. Nun aber
waren manche Exemplare dieser Uebersetzung durch christliche Abschreiber
zu Gunsten der christlichen Lehren verändert worden. Es waren ursprüng-
lich wohl Randbemerkungen, die nach und nach in den Text Aufnahme ge-
fuiulen. So beklagt sich Justin ^) mit einer gewissen Naivetät, dass die Juden
viele Stellen ausgemerzt oder verstünunelt hätten, betreffend den Kreuzestod
und die Gottheit Christi. So seien Ps. 96, 10 hinter o xvgiog sßacrdsvce, (was
selbst etwas erweiterte Uebersetzung ist), die Woite ano tov ^vXov ge-
strichen worden, (die gar nicht im hebräisclien Texte sich finden 2). Derselbe
Justin wirft auch den Juden .vor, dass sie die ganze Stelle Jeremia 11, 19
ausgemerzt hätten. Die Christen sahen darin eine Weissagung auf Christum
nicht blos in den Anfangsworten: ich aber bin wie ein Hauslamm u. s. w.
sondern hauptsächhch in den Worten: e^ßaXoifiev ^vXop eig top aqtoi'
avToVy falsche Uebersetzung des Hebräischen : lasst uns den Baum verderben
mit seiner Frucht. Es ist die Rede vom Mordanschlag wider Jeremia^).
Diese Beispiele, denen wir leicht noch mehrere andre hinzufügen köimten,
trieben die Juden an, die streng buchstäbliche Uebersetzung des A. T. von
Aquila zu gebrauchen*). Auch auf christlicher Seite envachte bald die
Erkenntniss von der Unzulänglichkeit der Alexandrinischen Bibelübersetzung.
1) Dialog mit Tryphon c. 71. 72. 73. 67. Justin wirft auch den Juden vor, dass sie
d. Stelle Jesaia 7, 14 falsch übersetzten, indem sie tluPV nicht als nnQ^svo^, sondern
als vf(iviq übersetzten; dass dabei nicht an Aquila zu denken sei, wie Diestel, Geschichte
d. A. T. S. 22 meint, behauptet Bleek, Einig, in das Ä. T. S. 764.
2) Dieselbe Klage führt Tertullian adv. Marcionem 3, 19, adv. Judaeos c. 10, deus
regnavit a ligno; es sei Christus gemeint, qui exinde a passione ligni superata morte
regnavit.
3) Tertullian adv. Marcionem 3, 19 führt aucli die falsche Uebersetzung an: venite,
emmittaraus lignum in panem ejus, utique in corpus, u. deutet die Worte mittelst künstlicher
Exegese auf Christum, der seinem Leibe die Figur des Brodes gegeben.
4) wie Origenes in seinem Briefe an Julius Africanus bemerkt.
68 Erste Periode des alten Katholicismug.
Zweites Capitel. Polemik der Heiden und Apologetik gegen die
Heiden«
ij. 1. Schriften wider und für das Christenthum.
Die Einwürfe der Heiden gegen das Christenthum lernen wir wtit
weniger aus ihren eigenen Schriften als aus den Apologieen der Christen
kennen. Jene Schriften sind nämlich nur in geringer Anzahl erschienen und
fast alle sind verloren gegangen oder vernichtet worden. Mussten doch nach
einem Gesetze Valentinian's III. und Theodosius II. alle Schriften heidnischer
Philosophen gegen das Christenthum verbrannt werden (449).
Hier konmit in Betracht des Celsus wahres Wort (Xoyog aXrj^ric)
Diese Schrift, nur in Bruchstücken vorhanden in der Widerlegungsschrift des
Origenes^), gehört jedenfalls dem zweiten Jahrhundert und zwar den letzten
Jahren von Marc-Aurel an. Der Verfasser ist derselbe Celsus, dem Lucian seinen
Alexander widmet. Er ist der platonischen Philosophie ergeben, wie schon
Mosheim gegen Origenes, der ihn für einen Epicuriler hielt, bewiesen hatte.
Doch schhesst sein Platonisnuis einen gewissen Religionssyncretisnuis nichi-
aus. Ob die Schrift in Egypten oder, wie Keim wahrscheinlich zu machei
sucht, in Rom entstanden ist, lassen wir dahin gestellt. . Die Schrift ist eine
grobe, äusserst gehässige Schmähschrift gegen das Christenthum und dessen
Anhänger. Die Person Christi ist darin unbiUiger beurtheilt, als von den
Neuplatonikern. Celsus geht auch über Lucian hinaus in seinen Angritlen
auf das Christenthum. Ob er mit seiner Schrift, wie Keim meint, einen Ver-
ständigungsversuch beabsichtigte, ob er auf dem Wege der Ermässigung der
christlichen Grundsätze den Christen Duldung im römischen Pantheon an-
bieten will? jedenfalls eine eigene Art von Verständigung, wobei Celsus alles,
was die Christen Heiliges haben, mit Koth bewirft und an ilmen nichts Gutes
lässt, als schw^achsinnige Gutmüthigkeit und Leichtgläubigkeit. Darum muthet
er ilmen auch zu, wenn sie durchaus etwas Neues haben wollten, so könnten
sie sich an Hercules oder Orpheus oder an einen andern von denjenigen, die
eines grossen heiligen Todes gestorben sind, halten 2). Derselben Zeit wie
Celsus gehört Lucian, der leichtsinnige Religionsspötter, an. Man hat ihn
den Voltaire seiner Zeit genannt, er geht aber weit über den Philosophen
V. Eerney hinaus, zwar nicht in seinen Angriffen auf das Christenthum und
dessen Anhänger, in der Schrift über den Tod des Peregrinus und ganz kurz
in der andern Schrift Alexander von Abonoteichos. Viel giftiger als gegen
die Christen, deren Gutmüthigkeit und Wohlthätigkeit er eigenthch blos
lächerhch zu machen sucht, tritt er gegen die eigenen Rehgionsgenossen auf.
Kaum haben christliche Schriftsteller jener Zeit das Heiden thum so meister-
haft durchgehechelt und in seiner Blosse hingestellt. Insofern gebührt ihm
1) Uebersetzt u. mit Erläuterungen versehen von L. Mosheim, Hambuig 1745. Der
neueste Bearbeiter der Schrift des Celsus ist Keim, älteste Streitschrift antiker Welt-
anschauung gegen das Christenthum vom J. 178 n. Chr. u. s. w. 1873.
2) Or. c. Celsum 7, 63.
Polemik der Heiden und Apologetik gegen die Heiden. 69
das Verdienst, der alten Religion die empfindlichsten, stärksten Schläge ver-
setzt zu haben, freilich auf Kosten des rehgiösen Gefühles überhaupt.
In welcher Beziehung das Leben des Schwänners und Zauberers Apol-
lonius V. Tyana, verfasst um das Jahr 200 von Philostratus, zum Chri-
stenthum stehe , darüber gehen die Meinungen der Gelehrten auseinander i).
Das steht fest, dass Philostratus auf heidnischem Gebiete ein Gegenbild von
Christus aufstellen wollte, einen Mann, der zum Heidenthum dieselbe Stellung
einnimmt, wie Christus zum Judenthum, der jenes reformirt, überall auf die
ursprüngliche Wahrheit zurückgeht, dieselben Wunder wie Christus ver-
richtet und zuletzt gen Himmel fährt {ate^x^iv etg ovqavov). Vielleicht han-
delt es sich blos darum, wie Baur meint, das Heidenthum auf die gleiche
Höhe mit dem Christenthum zu erheben, um so eine Verschmelzung beider
Rehgionen anzubahnen, welche syncretistische Bestrebungen damals stark
hervortraten. Nach D. Riekher wäre das Werk aus dem Bestreben hervor-
gegangen, den wachsenden Einfluss des Christenthums auf die Volksmassen
und den drohenden Untergang des Heidenthums aufzuhalten. Doch in diesem
Falle würde man eine Polemik gegen das Christenthum erwarten. Diese
trat hervor in den Schriften der neuplatonischen Philosophen, am Ende der
Periode, die zwar Christum als hebräischen W^eisen und Theurgen verehrten,
aber den Jüngern desselben vorwarfen, dass sie dessen Lehre, die ursprüng-
hch mit der neuplatonischen übereinstimmte, entstellt hätten. Schon Plotin
polemisirt an manchen Stellen seiner Werke gegen die Christen, doch ohne
sie zu nennen. Unverhüllt und direct sind die Angriffe, welche Porphyr
in seinen fünfzehn Reden gegen die Christen und Hierokles, Statthalter in
Bithynien, in seinen wahrheitliebenden Reden an die Christen {loyoi, (fda-
Xrj^etg nqoq ;fßfO'r*ai/oi;g) machten.
Zur xVbwehr solcher Angriffe, die eine weit verbreitete Sinnesart be-
kundeten und, wie wir gesehen, mit Verfolgungen zusannnenhingen, erschienen
seit dem Anfange des zweiten Jahrimnderts bis zum Ende der Periode eine Reihe
von Schriften, Äpologieen genannt, zwar von verschiedenem Werthe, manche
Blossen gebend, manche schwache Argumente vorbringend, doch im Ganzen
genommen das Richtige treffend, die Augriffe meistens kräftig abweisend,
daher wohl geeignet, auf die Empfänglichen einen günstigen Eindruck zu
machen.
Leider sind einige von diesen Äpologieen verloren gegangen, diejenigen,
welche die christlichen Philosophen Aristides und Quadratus dem Kaiser
Hadrian während seines Aufenthaltes in Athen darreichten 2j, eben so die au
Marc-Aurel gerichteten Äpologieen des Melito, Bischofs von Sardes, und des
Claudius Apollinaris, Bischofs von Hierapohs3), des Miltiades, der noch bis
in die Zeiten des Connnodus lebte ^). Indessen sind uns doch mehrere und
1) S. D. Baur, ApoUonius v. Tyana u. Christus in d. Tübinger Zeitschrift 1832, auch
besonders erschienen. Riekher in d. Studien der Würtemberg. Geistlichkeit 1847.
2) im Jahr 126. Euseb. 4, 3. Hieron. de viris illustribus c. 19. 20.
3) Euseb. 4, 26. Hieron. 1. c. 24. 26.
4) Euscb. 5, 17. Hieron. 1. c. 39. — Bei Euseb. sind einige Fragmente dieser
Äpologieen aufbewahrt.
70 Erste Periode des alten Katholicismus.
zum Theil sehr bedeutende Apologieen erhalten worden, von Justin dem
Märtyrer zwei, die eine grössere dem Antoniuus Pius gewidmet 138 oder
139, (S. Semisch, Justin der Märtyrer 1, 64 ff.) die kleinere dem Marc- Aurel und
Lucius Verus 161 — 166) ^). Alle anderen Schiiften, die demselben Verfasser zu-
geschrieben werden, mit alleiniger Ausnahme des Dialogs mit dem Judea
Tryphou, sind als unächt abzuweisen. Justin's Schüler, Tatian aus Syrien, schrieb
vor seinem Uebertritte zu den Gnostikern in heftig polemischem Tone seine Rede
an die Griechen ßoyog ngog '"ElXrjyag) 169 — 170. Athenagoras, von dessen
Leben man nichts weiss, schrieb zwischen 165 — 177 seine Schutzschrift für di(}
Christen {nqeGßeia neqi xQ^^^^^^^^^)^ ^'^it milder gehalten als die Schrift
Tatians. Zwischen 170 und 180 schrieb The ophilus, Bischof von Antiochieii
seine an einen weiter nicht bekannten, dem Verfasser befreundeten Heiden.
Namens Antolykos, gerichtete Apologie in drei Büchern. Eine sehr schöne
erhebende Schutzschrift für das Christeutluim ist der wahrscheinlich der zwei-
ten Hälfte des zweiten Jahrhunderts angehörende Brief au Diognet, dessen
Verfasser unbekannt ist; die Schrift wurde lange Zeit hindurch als Werk des
Justin angesehen , von dem sie unmöglich herrühren l^ann ^) , so verschieden
ist sie von Justin's Schriften in Hinsicht der Diction sowohl als der Ge-
danken ^). Des Hermias Durchhechelung der auswärtigen Philosophen
(diacvQfiog tcdp f?w (fiXoGO(fMv), worin der Verfasser mannichfaltige Kennt-
nisse der alten Philosophie, aber nur ihrer Schattenseiten und Blossen zeigt,
fällt wohl jedenfalls noch in diese Periode. Des Origenes Schrift gegen
Celsus, an seinen Freund Ambrosius gerichtet, ist die bedeutendste Apologie
dieser Zeit, welcher auch aus der spätem Zeit nur noch Augustins Schrift de
clvitate Dei an die Seite gesetzt werden kann; sie ist gegen die Mitte des
dritten Jahrhunderts abgefasst. Noch bemerken wir, dass die christhchen Wider-
legiuigsschriften der polemischen Schriften der Neuplatoniker sammt diesen
untergegangen sind; es sind die Schriften des Methodius, Bischofs von
Tyrus, des Eusebius von Caesarea, des Apollinaris, Bischofs von
Laodicea.
Auch die lateinische Kirche brachte apologetische Schriften hervor,
wenn auch keineswegs in solcher Zahl wie die griechische, so doch zum Theil
bedeutende. Wahrscheinhcli in das Zeitalter der Antonine fällt die Schrift
des Minucius Felix 4), eines Sachwalters in Born, des ersten, der die
Sache des Christenthums in römischer Sprache führte. So steht er an der
1) Nach Volkmar: die Zeit Justins des Märtyrers kritisch untersucht. Theol. Jahrbb.
1855 würden beide in d. Jahr 150 fallen.
2) c. 11 u. 12 sind später von einem anderen Verfasser angehängt worden.
3) von Semisch gegen Otto nachgewiesen. — S. d. Art. Justin in d. Kealencyklopädie ;
die Hypothese Overbeck's, der die Schrift 250 oder 310 verfasst sein lässt, ist v. Keim u.
Hilgenfeld widerlegt worden.
4) Neu herausgegeben von Halm 1867, im 2. Bande des corpus scriptorum eccles.
latinorum , welches im Auftrage der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien erscheint.
S. Behr, der Octavius des Minucius Felix in seinem Verhältniss zu Cicero's lib. de
natura deorum. Ebert, Untersuchungen über TertuUian's Verhältniss zu Minucius Felix
in den Abhandlungen der sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Leipzig 1868. S.
auch das Programm des Gymnasiums in Erlangen von Prof. Dombart. 1875.
Polemik der Heiden und Apologetik gegen die Heiden. 71
Spitze der lateinischen Kirchenlehrer. Odavius ist der Titel der Schrift, —
es ist ein Gespräch über Heidenthum und Christenthum zwischen dem Hei-
den Cäcihus und dem Christen Octavius, unter dem Vorsitze des Minucius Fe-
lix in Ostia während der Weinleseferien gehalten, — Erzeugniss eines wissen-
schafthch gebildeten, geistreichen Mannes, der eine vortretfliche Zusammen-
stellung alles dessen, was die Heiden am Christenthum auszusetzen hatten
und treffende Erwiderungen darauf gibt. TertuUian ergriff" auch gegen die
Heiden das Wort in eigenen Schriften, worin er die Schrift des Minucius
Fehx benützte, vor allem in seinem mit schwungvoller Beredtsamkeit ge-
schriebenen Apologeticum sc, scriptum^ an die Antistites romajii impen'i
gerichtet 197. 198. Daran schhesst sich die sehr ähnhche Schrift ad natio-
nes, eben so de testimonio animae, Entwicklung eines im Apologet, c. 17 aus-
gesprochenen Gedankens, dass das Christenthum in der menschüchen Natur
Anknüpfungspunkte finde. In den Kreis der apologetischen Schriften gehören
auch Cyprians Schrift adversus Demetrianum und de idolorum vanitate.
Arnobius, von Sicca in Africa proconsularis gebürtig, Lehrer der Beredt-
samkeit, im Heidenthum geboren und erzogen, hatte schon einiges gegen
die Christen geschrieben, als er, durch ein Traumgesicht erschreckt, den
christUchen Glauben annahm. Der Bischof von Sicca, gegen den Neophyteu
misstrauisch wegen dessen bisheriger Richtung, verweigerte ihm die Auf-
nahme in die Kirche , bis er zu seiner Rechtfertigung eine Apologie geschrie-
ben hätte. So entstanden , nach Hieronymus ^) disputationum adversus gen-
tes librl VIL, etwa 303 — 305, während der diocletianischen Verfolgung.
Allerdings gibt Arnobius zunächst einen anderen Grund der Abfassung seiner
Schrift an, gleich zu Anfang, nämhch die Widerlegung der Anklagen der
Heiden, dass das Christenthum alle Uebel, worunter der Staat und die Völker
des römischen Reiches htteu, verschuldet habe. Doch der eine Zweck schliesst
den anderen nicht aus. Die Schrift trägt deutliche Spuren der Unreife in
Erkenntuiss des Christenthums, z. B. wenn Arnobius lehrt, dass gewisse Thiere
und die Seelen der Menschen vom Demiurgos geschaffen worden, dass die
Seelen der Gottlosen vernichtet werden, wenn die evangehsche Geschichte
durch Zusätze erweitert wird. Die Stärke des Ai'nobius zeigt sich in der
kräftigen Widerlegung jener Anklage, in der Darstellung der Nichtigkeit des
Heidenthums, so wie denn auch der alte und immer wieder erneute Versuch,
dasselbe durch allegorische Deutung der Mythen zu rechtfertigen, in seiner
Blosse aufgedeckt wird. Schüler des ^Vraobius, obschon er ihn nie nament-
lich anführt, wird von Hieronymus 1. c. 80 Lactantius Firmianus genannt.
Geboren zu Finnium im picentinischen Gebiete, im Heidenthum aufgewach-
sen, durch Diocletian, auf Anlass seines Symposion, als Lehrer der latei-
nischen Beredtsamkeit nach Nikomedien, der neuen kaiserlichen Residenz
berufen, fand er sich olme Schüler, weil die Stadt griechisch war, daher er
anfing zu Schriftstellern. Um diese Zeit wurde er Christ, lebte später in
Gallien als Lehrer des Crispus, des Sohnes Constantins des Grossen. Die
Hauptschrift des Lactantius, divinarum institutionum libri VH. ist noch
während der diocletianischen Verfolgung geschrieben, auf welche einige Stel-
1) De viria illustribua c. 79 und im Clironicon.
72 tlrste Periode des alten Katholicismuö.
len deutlich anspielen. Der Zweck ist die Vertheidigung der christlichen
Religion und Widerlegung des Heidenthums, in der Weise, dass die Schriften
des Minucius Fehx, Tertulhans und Cyprians, als welche zunächst für Gläu-
bige geschrieben und nicht geeignet seien, Ungläubige zu belehren, ergänzt
werden sollen. Lactantius ist wie andere Apologeten weit stärker in der
Polemik gegen das Heidenthum, denn als Apologet der christlichen Lehre,
deren Darstellung bei ihm an grosser Unklarheit leidet, während die Polennk
gegen die Heiden von reicher Kenntniss der heidnischen Rehgion zeugt und
zugleich, ungeachtet einer gewissen Schärfe, wie sie der Gegenstand mit sich
brachte, durchaus würdig gehalten ist. Lactantius glänzt durch eine ver-
hältnissmässig reine Diction, daher mit dem Beinamen: ^,der christhche Ci-
cero" geschmückt. Die Schrift de mortibus persecutorum , worin am Bei-
spiele mehrerer römischer Kaiser gezeigt wird, welches tragische Loos die
Verfolger der Kirche genommen, ist wahrscheinlich von Lactantius, dieselbe
Schrift, welche Hieronymus 1. c. c. 80 unter dem Titel de persecutione
anführt ^).
§. 2. Uebersicht des Inhaltes der Apologieen.
Einiges davon ist bereits zur Sprache gekommen. Anderes wird in der
Geschichte der Lehre behandelt werden. Die Apologeten verfuhren, wie
bevorwortet, zunächst defensiv. Es war vor allem nöthig, die mannigfaltigen
Einwürfe der Heiden gegen das Christenthum abzuweisen oder zu widerlegen.
Die aus der bisherigen Darstellung bekannten gräuhchen Verläumdungeu
der Christen, wobei der ganzen Christenheit schuld gegeben wurde, und
zwar in höchst übertriebener Weise, was die Schuld Einzelner war oder was
Einzelnen durch die Folter ausgepresst worden, diese Verläumdungeu hörten
mit dem dritten Jahrhundert auf. Tertullian ist der letzte Schriftsteller, der
davon spricht. Es war von vornherein zu erwarten, dass die Heiden dem
Christenthum seine Neuheit vorwerfen würden, wogegen Justin Apol. 1,
c. 2 bemerkt, dass die wahrhaft Frommen und Philosophen nur das Wahre
ehren und heben und den Meinungen der Vorfahren nicht folgen, wenn sie
verwerflich seien. Auf der anderen Seite lassen die Apologeten den Vorwurf
der Neuheit nicht gelten und fassen das Christenthum auf als die volle Oti'en-
barung und Zusammenfassung der von Anfang der Welt dunkel und spora-
disch erkannten Wahrheiten; daher lehrten sie, dass die christhclie Religion
ihrer Substanz nach älter sei als alle heidnischen Religionen, dass Plato aus
Moses geschöpft habe.
Ein Vorwurf anderer Art als der der Neuheit war der, dass das Wahre
am Christenthum, namenthch die ethischen Vorschriften nicht neu seien, son-
dern sich schon bei den griechischen Philosophen landen, und die Christen
hätten das alles durch Aberglauben und Irrthümer verunstaltet; ferner sagten
die Heiden: eure Lehre stammt von den Barbaren ab, eure heiligen Schrif-
ten sind in einer ungebildeten Sprache geschrieben. Man tadelte am Chri-
1) Die letzte ältere Ausgabe der Apologeten des 2. Jahrhunderts ist die von Pru-
dentius Maranus. Paris 1742; die neueste ist von Otto in neun Bänden.
I^olemik der Heiden und Apologetik gegen die Heiden. 73
stentliiim , dass es blinden Glauben verlange, die Philosophie verwerfe und
nur bei den unteren Volksklassen Anhänger suche und finde. Aecht antiker
Art ist der Vorwurf, den Celsus gegen das Christenthum erhob, dass es
Anspruch darauf mache, Universalrehgion zu werden. Damit verband er in
seinem Sinne treö'end den anderen Vorwurf, hergenommen von der Mannig-
faltigkeit der Sekten unter den Christen, wobei er einige anführt, die wir
nur aus seinem Buche kennen lernen; jeder will, bemerkt er höhnisch, eine
eigene Sekte stiften; die Christen stimmen nur etwa noch im Namen überein,
wogegen Origenes mit Recht bemerkt, dass in allen wichtigen Dingen sich
abw eichende Meinungen bilden und dass der Forschungsgeist dadurch gefördert
werde, — wie denn auch die Entgegnungen auf die anderen der genannten
Einwürfe meistens treffend zu nennen sind. — Von den dogmatischen Leh-
ren des Christenthums griffen die Heiden vorzüglich 1) die von einer spe-
ciellen Vorsehung an , worin sie nichts als Selbstüberhebung sahen ; 2) Alles,
was von Christo gelehrt wurde, von seiner Gottheit, von dor Menschwerdung
des Wortes, von der Wirkung seines Todes, welches hinlänglich Anlass zu
weitschichtigen und tief gehenden Erörterungen gab; 3) die Lehre von der
Auferstehung des Fleisches, welche allerdings bereits sinnUch ausgemalt
wurde und insofern den heidnischen Angriffen eine Handhabe darbot ij.
Aus der Defensive gingen die Apologeten, durch die Natur der Sache
getrieben , in die Offensive über. Der Vertheidigung des Christenthums
ging zur Seite eine Polemik gegen das Heidenthum, welche schonungs-
los dessen Irrthümer und Greuel aufdeckte; dabei aber suchten die philo-
sophisch Gebildeten unter den Apologeten Anknüpfungspunkte an das Chri-
stenthum im Heidenthum und besonders in der hellenischen Philosophie. —
Sie wiesen die Ungereimtheit der heidnischen Götterlehre nach; ein grosser
Theil der als Götter verehrten Wesen seien Menschen gewesen. Ein beson-
derer Gegenstand des Spottes war der von Hadrian unter die Götter ver-
setzte Antinous. Dass Arnobius die Unhaltbarkeit der allegorischen Erklärung
der Göttermythen nachgewiesen, ist bereits angeführt worden; wie zu erwar-
ten, war die Unsitthchkeit der heidnischen Götter eine reiche Quelle von
polemischen Ausfällen. Das ganze Heidenthum galt den Christen als Werk
der Dämonen. Auch der heidnische Cultus war Gegenstand des Angriffes;
die Apologeten bewiesen, wie thöricht der Wahn sei, durch sinnliche Opfer
die Gunst der Gottheit zu gewinnen, oder ihren Zorn zu stillen.
In Verbindung mit dieser Polemik verkündigen die Apologeten mit Zu-
versicht den bevorstehenden Untergang des Heidenthums und den Sieg des
Christenthums, wobei Tertullian den römischen Machthabern den Satz ent-
gegenstellt: je mehr wir von euch weggemäht werden, desto grösser wird
unsere Zahl: seinen est sanguis christianorum. In dieser Beziehung ver-
schmähten es die Apologeten (z. B. Justin) nicht, auf die sogenannten sibil-
1) Die Heiden in ihrer blinden Wuth suchten auch praktisch die Lehre von der
Auferstehung zu widerlegen , indem sie nicht gestatteten , dass die Christen die Leichname
der Ihrigen begruben, sondern sie verbrannten und die Asche in den Fluss warfen. So
in Lyon, wobei die Heiden höhnisch bemerkten: „nun wollen wir sehen, ob 'sie aufer-
stehen werden und ob ihr Gott ihnen helfen und sie aus unseren Händen erretten kann.
Euseb. 5, 1.
74 Erste I*eriode des alten Katholicismus.
liiiisclien Orakel sich zu berufen und uuterliessen es auch danu nicht, als die
Heiden nicht mit Unrecht jene Schiiften theils für verfälscht, theils für
von Christen erdichtet erklärten i). So wurde in mehr als einer Beziehung
der guten Sache des Christenthums durch menschliche Beschränktheit Scha-
den bereitet, damit offenbar würde, dass nicht menschhclie Kunst dieser Sache
den Sieg bereite.
Ein besonderer Punkt verdient hier noch Erwähnung, um so mehr, da
er gewöhnhch nicht gehörig beachtet wird.
Indem Tertullian nebst anderen Apologeten sich beklagt, dass man
gegen die Christen alle Gesetze der Billigkeit und Gerechtigkeit übertritt,
indem er erklärt, dass es unrecht sei, die Christen blos desshalb zu verfol-
gen, weil sie Christen sind, wie man denn oft sagen höre: ;,der und der ist
ein rechtschaffener Mann , nur schade , dass er ein Christ ist" , kommt er
darauf zu sprechen, dass im römischen Reiche alle möghchen Culte gestattet,
alle möglichen Götter verehrt, nur den Christen liierin keine Freiheit ge-
stattet sei. Bei diesem Anlasse spricht er das grosse Princip der Beligions-
freiheit aus, nicht blos der Toleranz, und begründet es kurz in schlagen-
der Weise: „sehet zu^, spricht er zu den nimischen Machthabern, ^,dass ihr
nicht die Irreligiosität befördert, indem ihr die Freiheit der Religion aulliebt
und die freie Wahl der Gottheit (die einer verehren will) verbietet, so dass
mir nicht erlaubt ist, den zu verehren, den ich will verehren, sondern ge-
zwungen werde, den zu verehren, den ich nicht will. Und doch wird Nie-
mand sich von einem verehren lassen, der ihn nicht verehren will. — Jede
Provinz, jede Stadt verehrt ihren eigenen Gott. Wir allein dürfen keine
eigene Religion haben. Man darf bei euch Alles verehren, nur den wahren
Gott nicht^ ^). Derselbe Tertullian lehrt anderswo: es sei gottlos und
schniachvoll , die Verehrung der Gottheit nach der Willkür menschlicher
Meinung zu bestimmen, so dass kein Gott sein darf, als welchem der Senat
erlaubt hat es zu sein 3). Auch Lactantius spricht sehr schön darüber, dass
die Religion durch Zwangsmassregeln nicht gefördert wird. ^,Willst du die
Religion durch Blut und Folter vertheidigen , so wird sie selbst nicht mehr
vertheidigt, sondern vielmehr befleckt und verletzt. Nichts ist so sehr Sache
des freien Willens wie die Religion. Wenn das Gemüth des Opfernden da-
von abgewendet ist, so ist sie schon hinweggeschafft und zu Nichte ge-
worden^' ^).
Es gehört diess zur hervorstechenden Eigenthümhchkeit der lateinischen
Apologetik. Bei den griechischen Apologeten ist der Erweis der Wahrheit
der christhchen Lehre der durchschlagende Gedanke, bei den lateinischen
Apologeten, lauter Männern von juridischer und politischer Bildung, das ge-
kränkte Recht des Individuums und der Gemeinschaft als moralische Person
1) Lactantius 4, 15, non esse illa carmina SibylHna sed a nostris ficta et com-
posita.
2> Apolog. c. 24.
31 Ad nationes 1, 10, ut deus non sit, nisi cui esse permiserit senatua.
4) Divin. instit. 5, 13.
Die Häresieen. 75
betrachtet, womit aber nicht gesagt sein soll, dass die latehiischeii Apolo-
geten sich auf den Erweis der Wahrheit der christlichen Lehre gar nicht
eiuliessen.
Dritter Absclinitt '),
Die häretischen Angriffe auf das Christenthum und die Gegen-
austalten der sich bildenden katholischen Kirche.
Bis jetzt haben wir den Kampf der Kirche mit den äusseren Feinden
in seinen verschiedenen Formen und Phasen betrachtet. Nun gehen wir über
zur Darstellung des nicht minder gefährlichen Kampfes, den die Kirche mit
mannigfaltigen inneren Feinden zu bestehen hatte, — gleich einem Kriegs-
heere, das Angesichts des Feindes, ja von demselben aufs heftigste ange-
griffen, durch innere Paiteiungen mit innerer Auflösung und daher mit gänz-
licher Niederlage bedroht wird. Diese Parteiungen waren um so bedenk-
licher, da der kirchliche Lehrbegrift" noch so wenig lixiit war.
Erste Abtheilung.
Die Häresieen.
Es ist noch nicht an der Zeit, den Begriff der Häresie selbst festzu-
stellen; diess kann nur geschehen in Verbindung mit der Bestimmung des
entgegengesetzten Begriffes der Katholicität. Wir richten unsere Aufmerk-
samkeit vorerst auf das iSachliche. Diejenigen, die innerhalb des christlichen
Bekenntnisses und der Kirche verbleibend das Evangehum verunstalteten,
verfolgten eine zwiefache Bichtung. Die einen verschmolzen das Christen-
thum mit dem Judenthum, das ist die judenchristliche Häresie. Die an-
deren, folgend dem in jeuer Zeit stark hervortretenden Zuge nach ßeligious-
mengerei, verschmolzen das Christenthum mit griechischer und morgenlän-
discher Beligionsphilosophie , wodurch das Christenthum von seinem Zusam-
menhange mit der Religion des alten Testamentes losgerissen und wesentlich
1) Ueber diesen und den vierten Abschnitt, der die Geschichte der katholischen
Theologie umfasst, verweisen wir auf M uns eher undfcoelln, Lehrbuch der christlichen
Dogmengeschichte. 1832—38. — Hagen bach, Lehrbuch der Dogmen geschichte 5. Auti.
1867. — B aur, Lehrb. der Dogmengeschichte 1858 — uod die nach seinem Tode erschienenen
Vorlesungen über Dogmengeschichte. Desselben Werke über die Geschichte der Lehre von
der Dreieinigkeit und Menschwerdung Jesu, von der Versöhnung. — D or n e r, Entwicklungs-
geschichte der Lehre von der Person Christi. 2. Aull. 1851. — Nitzsch, Grundriss der
christlichen Dogmengesch. 1870. — Thomasius, die christliche Dograengesch. 1. Bd.,
die Dogmengesch. der alten Kirche. 1874. — S. ausserdem Neander's und Gieseler's
Dogmengesch., nach ihrem Tode herausgegeben. Diese literarischen Angaben kommen
schon in Betracht bei dem vorhergehenden zweiten Abschnitte. S. auch ühlhorn, die
Homilieen und Kecognitionen des Clemens Kom.
76 Erste I*eriode des alten !&atholicismu8.
verändert wurde. Das ist die heidenchristliche Häresie. Das sind also die
beiden Hauptformen der Häresie, deren Anfänge in das apostolische Zeit-
alter hinaufreichen. Es muss aber sogleich bemerkt werden, dass die juden-
christliche Häresie im Verlaufe der Zeit heidnische Elemente aufnahm und
dadurch, was einen Theil ihrer Anhänger betrifft, ihren Charakter we-
sentlich veränderte. Die heidenchristliche Häresie hatte jüdischchristlichti
Vorläufer, d. h. die Gnosis entstand, wie wir I)ereits gesehen, auf dem
Gebiete des Judenchristenthums und machte von da den Uel)ergaug auf das
Gebiet des Heidenchristenthums , auf welchem Gebiete sie ihre grösste Ent-
faltung erreichte.
Erstes Capitel. Die Ebioniten
sind die letzten Ausläufer einer im apostolischen Zeitalter innerlich und
meistens auch äusserUch überwundenen Richtung. Der Name Ebioniten, von
"JVDS, (arm) abgeleitet, bezeichnete, sowie der Name Nazaräer, ur-
sprünglich alle Christen, theils weil sie wirklich zu der armen Classe der
Gesellschaft gehörten, was besonders von der Gemeinde in Jerusalem galt,
und theils weil das Armsein im Christenthum eine tiefere Bedeutung hatte.
Daher noch ün zweiten Jahrhundert auch die Heidenchristen ^die Armen ^
gescholten wurden i). Weiterhin wurde nach Origenes (c. Celsum 2, 1) der
Name speziell auf alle Judenchristen angewendet. Unter diesen bildeten sich
verschiedene Parteien und eine von diesen, die am meisten an das Juden-
thuni sich haltende, die extreme Partei erhielt den Namen, der ursprünglich
Gesammtname aller Judenchristen war. So ist der Name theils älter, theils
jünger als die Partei. Die Ableitung von einem Sektenstifter Ebion bei Ter-
tullian 2) ist v()lUg zu verwerfen. Eine sorgföltige Abwägung der Berichte
über sie gibt folgende Resultate. Die Gemeinde in Jerusalem hatte zwei
Bestandtheile. Die einen, im Gegensatz gegen den Apostelgesch. 15 und
Gal. 2 gestifteten Compromiss hielten das Gesetz auch füi die Heiden für
verbindlich, die anderen hielten an jenem (Kompromisse fest und wollten den
gläubigen Heiden das Joch des jüdischen Cärimonialgesetzes nicht auferlegen.
Die Gründung von Aelia Capitolina auf der Stelle des alten Jenisalem im J.
135, nach Unterdrückung des Aufstandes von Bar-cochba durch Hadriau,
gab das Zeichen zur definitiven Spaltung zwischen den beiden bisher in der-
selben Gemeinde vorhandenen Richtungen. Diese Gemeinde, die bereits vor
der Zerstörung von Jerusalem im J. 70 ihren Sitz in Pella, einer der zehn Städte
im ostjordanischen Palästina *feenommen 3), hätte gerne den heiligen Boden
Jerusalems wieder betreten. Allein Hadrian, um dem Empörungsgeiste der
Juden keine Nahrung zu geben, hatte allen verboten, sich in Aelia Capitolina
niederzulassen. So mussten also die Judenchristen sich vom mosaischen
1) Minucius FeHx c. 36: quod plerique pauperes dicimur, non est infamia nostra
sed gloria.
2) De praescriptione haereticorum c. 33.
, 3) Euseb. 3, 5.
Die Ebioniten. • 77
Cärimonialgesetz völlig lossagen, wenn sie sich in Aelia Capitolina ansiedeln
wollten. Dazu eutschloss sich damals ein Theil derselben, die theils durcli
die Zerstörung von Jerusalem, theils durch eigene Erfahrung des Christen-
timms zu der Einsicht gekommen , dass das mosaische Gesetz in Christo sehie
Erfüllung, sein Ende und Ziel gefunden habe. Sie siedelten sich in Jeru-
salem an, vennischten sich mit den Heidenchristen und bildeten eine Ge-
meinde, worin die Emancipation vom Mosaismus durchgeführt war.
Die übrigen Judenchristen, die für .sich dem mosaischen Gesetz treu
blieben, spalteten sich nun in zwei Parteien; die Anfänge dieser Spaltung
reichen in die ersten Jahre des zweiten Jahrhunderts ; aber im J. 135 kam sie
zum Ausbruch. Ein Theil bheb auf dem alten, milderen Standpunkte und
wollte das Gesetz den Heidenchristen nicht auferlegen ^). Das sind die
jedoch erst später so genannten Nazaräer, der erste Name der Christen in
Jerusalem ^). Im 4. Jahrhundert waren sie noch im ostjordanischen Palästina
zu finden; sie galten bei den Heidenchristen nicht für häretisch, um so we-
niger, da sie keine Aenderung im christlichen Bekenntniss vornahmen, und
da die meisten Apostel anfangs denselben Standpunkt inne geliabt hatten.
Man sah sie an als etwas beschränkte Leute, die sich in die Entwicklung
und den Fortschritt der Zeit nicht finden konnten. Die anderen dagegen
beharrten auf der absoluten Verbindlichkeit des mosaischen Gesetzes für alle
Gläubigen, seien es Juden- oder Heidenchristen. Sie waren, im Gegensatz
zu den stabilen Nazaräern, beweglicher, durclüiefen eine Peihe von Bild-
ungen und Wandlungen, nahmen gnostische Elemente in sich auf, wodurch sie
jedoch über ihren anfänglichen Standpunkt hinausgingen. Zunächst versteiften
sie sich hn Judenthum, gelangten dahin, den Aimstel Paulus als einen Ab-
trünnigen zu verwerfen und die Geburt Jesu aus der Jungfrau zu läugnen.
In dem Evangelium, dessen sie sich bedienten, das sie das Evangelium Mat-
thäi nannten, von dem es übrigens mehrere Pedactionen gegel)en, fehlte die
Geburtsgeschichte des Herrn; es fing an mit der Geschichte de^s Täufers wie
das Evangehum Marci 3).
Indessen nahmen sie doch nach und nach gnostische Elemente auf.
Es gab gnostische Ebioniten in den Gegenden des todten Meeres schon vor
Abfluss der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Es sind die Elkesaiten,
Elkessäer oder Sampsaer *); diesen letzten Namen, griechisch '^HXiaxoi
übersetzt, von 'ä'Ü'O abzuleiten, erhielten sie, weil sie gegen die Sonne
gewendet ihre Gebete verrichteten. Der Name Elkesaiten ist nicht vom
Flecken Elkesi in Galiläa, noch von einem angeblichen Stifter Elxai, sondern
vom Hebräischen ''DD^^n, dvva^ig x€xaXv^^€vf} abzuleiten; es ist der heilige
Geist, die övvaiiiq aaaqxoq in den clementinischen Homiheen. Es ist wahr-
1) Dialog, mit Tryphone c. 47.
2) Apostelgesch. 24, 5.
3) Easeb. 3, 24. Irenaeus 1, 26. Epiphanius haeresis 30. c. 13, 35; die Evange-
lien der Hebräer, der Ebioniten, der Aegypter, Petri sind eben so viele häretisch ver-
fälschte Umarbeitungen derselben Urschrift, des Ev. Matthäi.
4) Epiphanius haeresis 19. 30. 53. Hippolytus fAfy;^o? IX. 13. Origenes bei Eu-
seb. 6, 38.
78 Erste Periode des alten Katholicismus.
scheinlich der Titel eines Buches, das bei diesen Judenchristen als Haupt-
autorität galt. Wahrscheinlich haben wir es hier nicht mit einer abgeschlos-
senen Sekte zu thun, sondern es waren die nach der höhereu Erkenntniss
strebenden, die sich um jenes Buch sammelten. Es sollte, nach Origenes,
vom Himmel gefallen, nach Hippolytus, von einem Engel, der Sohn Gottes
war, geoffenbart sein. Es war Gelieind)uch und der Inhalt desselben wurde
nur gegen einen Eid, w^odurch man Verschwiegenheit gelobte,, mitgetheih.
Das Judenthum wird darin nicht völlig festgehalten, namentlich werden di(3
Opfer verworfen, wie denn auch dhs EvangeUum, dessen sich die Ebioniten
bedienten, dem Herrn die Worte in den Mund legt: ;,ich bin gekommen, um
die Opfer abzuschaffen, und wenn ihr nicht aufhört zu opfeni, wird der Zorn
Gottes über euch bleiben'' ^). Vom N. T. werden in jenem Buche die paulini-
schen Briefe beseitigt. Christus erscheint darin als Engel von ungeheurer Grösse,
sechsuudneunzig Meilen hoch, vierundzwanzig Meilen breit (Hippolytus 9, 13).
Andererseits wird eine fortwährende Incarnation Christi gelehrt. l)ie Taufe wie-
derholt sich in vielfachen Waschungen, welche Sündenvergebung bewirken; da-
neben besteht die Besclmeidung. Das Abendmahl wird mit Brod und Salz gehal-
ten. Fleischgenuss ist verboten. Der p]ssenismus einerseits und orientalisches
Heidenthum andererseits haben auf die Bildung dieser Partei offenbar Ein-
fluss gehabt. Origenes traf 234 in Cäsarea in Palästina mit einem ihrer
Sendboten zusammen. Schon früher war einer derselben in Rom gewesen,
aus Apamea in Syrien gekommen, fand aber in Rom keinen Anklang.
Diesem Kreise des gnostischen Judenthums gehören die sogenannten
Clementinen (ra xXrj^eptta, xlrj^sPTiva) an, die durch den Namen, den sie
tragen, die grosse Verehrung bekunden, welche dem Clemens von Rom in der
Kirche des zweiten Jahrhunderts zuTheil wurde. Es sind drei Schriften, die
Homilieen^), die Recognitionen, die Epitome, die einen räthselhaften
Kreis unter sich verwandter und aus Einer Quelle geflossener Schriften
bilden. Die Homilieen sind die Hauptschrift : Sie enthalten eine weitläufige
gnostisch -jüdische Lehre, eingekleidet in einen historischen Roman, worin
als Hauptfiguren Petrus der Fürsprecher der wahren Gnosis, Clemens, der
die Wahrheit suchende, Simon der Magier, der aus der Apostelgeschichte
bekannte samaritanische Goet, der Vertreter der falschen Gnosis, hervor-
treten. Petrus und Clemens unternehmen verschiedene Reisen. Petrus
disputirt mit Simon und überwindet ihn, er untenichtet Clemens. Das Ganze
der Lehre läuft daraus hinaus, dass, nachdem die Uroff'enbarung verdunkelt
worden, eine fortgehende Offenbarung nöthig geworden; diese ist durch den
w^ahren Propheten vermittelt, der alles weiss und den heihgen Geist besitzt.
Dieser wahre Prophet ist in verschiedenen Personen erschienen, unter welchen
drei besonders hervortreten, Adam, Moses, Christus. So ist denn auch die
vom wahren Propheten geoffenbarte Religion dieselbe. Reiner Mosaismus
und das Evangelium sind identisch s). Das Christenthum ist der gereinigte
Mosaismus, seine Hauptlehre ist die von Einem Gotte, die oftmals in pan-
theistischen Formeln ausgedrückt wird. Gott hat die Welt gebildet in Syzy-
1) Epiphanius haeresis 30. c. 16.
2) Ausgabe von Dressel 1863, von de Lagarde 1865.
3) Homil. 8, 6. fxias yaQ cT*' a^ifoxegtüp dtSacxaXtag ovCijq.
Die Ebioniten. 79
gien, in paarweise ziisamniengehörigen Gegeu^sätzeu, Hiiiiinel und Erde, Kain
und Abel, Ismael-Isaak, Esau- Jakob, zuletzt Antichrist - Christus. Nach
demselben Gesetze gehen neben dem wahren Propheten auch falsche her,
welche die Wahrheit entstellen; es sind die vom Weibe geborenen, wovon
der Herr spricht Matth. 11, 11. Der Mosaismus ist in dem nach Mose ab-
gefassten Pentateuch nicht rein enthalten, im gegenwärtigen Judenthum in
verderbter Gestalt. Zur Bekämpfung der Sinnlichkeit werden emi)fohlen Fasten,
Enthaltung von Fleischspeisen, Waschungen, frühzeitige Ehe, freiwillige Ar-
muth; die Besclmeidung wird nicht geboten; doch nehmen die Beschnittenen
einen höheren Rang ein. Dagegen, während Petrus als der Heidenapostel
auftritt, wird Paulus gar nicht envähnt *), die Gnostiker, besonders die
Marcioniten, die montanistischen Propheten, die hypostatische Trinitätslehre,
der Chiliasmus bekämpft. Die Polemik gegen Marcion ist die Ursache, warum
vom Judenthum Alles beseitigt wird, was angreifbar war, die Anthropomor-
l)hismen und die Opfer. Ausserdem macht sich ganz bestimmt der Einlluss
der stoischen Philosophie bemerkbar 2). Die Homiheen kennen übrigens alle
vier Evangelien, folgen aber, mit Ausnahme der Geburtsgeschichte, überwie-
gend dem Matthäus. Daneben gebrauchen sie eine unkanonische Schrift aus
dem Stamme des Evangeliums der Hebräer. Noch ist anzuführen, dass der
den Homilieen vorgesetzte Brief des Clemens an Jakobus einen nicht unwich-
tigen Beitrag gibt zu der sich bildenden Petrussage. Nachdem Clemens in
seinem Briefe an die Korinther, wie wir gesehen haben, nur von Paulus
gerühmt hatte, dass er in das Abendland gekonnnen sei, wird nun Petrus als
derjenige Apostel bezeichnet, der den Auftrag erhalten, als der am meisten
dazu geeignete, das Abendland, den dunkleren Theil der Welt mit seiner
Lehre zu erleuchten; es wird auch von ihm gesagt, was im Briefe des
Clemens an die Korinther allein von Paulus ausgesagt wird, dass er darauf
ausgegangen, der ganzen Welt (Hiristum zu verkündigen. Deutlich ist das
Bestreben, den Apostel Petrus hierin dem Apostel Paulus völlig gleichzu-
stellen. Nachdem nun noch angeführt worden, dass Petrus nach Bom ge-
kommen, daselbst sein Lehramt ausgeübt und eines gewaltsamen Todes ge-
storben sei, berichtet Clemens dem Jakobus, dass Petrus, als er seine Hin-
richtung herannahen sah, in einer Versammlung der Brüder, ihn, Clemens,
zu seinem Nachfolger ernannt und zum Bischöfe geweiht habe. Jakobus wird
dabei von Clemens angeredet als Bischof der Bischöfe, der die heilige Kirche
der Hebräer in Jerusalem und die allerwärts gestifteten Kirchen leitet. Ja-
kobus erscheint als das Haupt der Judenchristen.
Die Eecognitionen^), Wiedererkennungen, apayvoigicfioi. so genannt,
weil Clemens auf seinen Wanderungen an verschiedenen Oiten mit den
Seinen zusammeutrifil und sie wieder erkennt, sind ursprünglich griechisch
geschrieben , und nur noch in der lateinischen Uebersetzung Rufin's voriian-
den, die jedoch getreuer zu sein scheint als die übrigen Uebersetzun^en des-
1) In dem den Homilien vorgesetzten Brief des Petrus an Jakobns c. 2 ist unter
dem f/Oon,; «/','^of.j77 0f, der eine von der petrinischen abweichende Lehre verkündigte, wahr-
scheinlich der Apostel Paulus verstanden. '
2) Uhlhorn a. a. 0. 404.
3) Ausgabe von Gersdorf 1838.
so Erste Periode des alten Katliolicismus.
selben. lu Hinsicht des Romanes, in welchen die Lehre eingekleidet ist, sind
sie den Homilieen sehr ähnlich; die Lehre selbst aber ist praktischer und
christlicher gehalten als die der HomiUeen. Der Mosaismus ist an sich un-
vollkommen und lediglich Vorbereitung auf das Yollkonnnene , das darauf im
Christenthum gefolgt ist. Nur in Christo ist der wahre Prophet erschienen,
der freilich blos lehrend wirkt, sodass kein Raum übrig bleibt für die Ver-
söhnung. — Es sind sehr verschiedenartige Ansichten über diese zwei
Schriften aufgestellt worden. Wahrscheinlich sind die Recognitionen später
als die Homilieen geschrieben worden; denn in vielen Stücken scheinen sit3
von diesen abhängig zu sein, und sie citiren des Bardesanes Schrift de fato.
Hingegen weisen beide auf eine gemeinsame Urschrift hin, woraus beide geschöpft
haben, und als welche Lipsius die nsgioSot IJergov erklärt hat, die selbst
wieder Bearbeitung einer älteren Schrift, xrjQvy^aza JTstqov sein sollen
Beide sind wahrscheinlich nicht in Rom, sondern in der ostsyrischen Kiixhe
entstanden, w^o schon damals sowie noch jetzt Religionsmengerei Statt fand;
keine von beiden Schriften ist vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts entstanden,
beide wohl etwas später. — Die dritte Schrift, die epitome, ist ein dürf-
tiger, unvollständiger Auszug aus den Homilieen, somit ohne Bedeutung. Es
gibt noch andre etwas frühere Producte dieses häretischen Judenchristenthums;
die genannten Schriften sind die letzten Producte desselben. Es erscheint
darin als in einer Zersetzung begriffen, vennöge welcher es theils heidnisch-
naturahstische Elemente aufnimmt, theils durchbricht es nach der Seite des
Christenthums hin die Schranke des Judenthums und nähert sich dem Christen-
thum. Von dieser Zeit an verschwindet es aber vom Schauplatz der Geschichte.
Es hat sich überlebt und ist von der kirchlichen Entwicklung überflügelt
worden^). Denn die eine Zeitlang mit einem grossen Aufwände von Scharf-
sinn und Gelehrsamkeit vertheidigte Ansicht, dass das Judenchristenthum
mit ebionitischer Färbung bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts geherrscht
und dass erst von da an das pauUnische Christenthum die Oberhand gewon-
nen, diese Ansicht kann jetzt als überwunden angesehen werden, womit aber
keineswegs gesagt sein soll, dass in der kirchlichen Entwicklung das alte und
das neue Testament in allen Beziehungen in das rechte Verhältniss zu ein-
ander gebracht, noch dass die pauhuischen Ideen in ihrer Reinheit erhalten
wurden.
Zweites CapiteL Die heidenchristlichen Gnostiker.
Die Hauptquellen zur Geschichte der Gnostiker überhaupt sind die "Werke von Iren aus
adv. haereses, von Hippol3^tus, refutatio omnium haeresium, von Epiphanius
adv. haereses, dazu kommt Tertullian adv. Marcionem, adv. Valentinianos , de
praescriptione haereticorum, Clemens Alex, in den Stromata besonders über Basi-
lides, Theodorets compendium von den häretischen Fabeln, Plotins Abhand-
lung gegen die Gnostiker im zweiten Buche der Enneaden. lieber das Verhältniss
dieser haeresiologischen Schriften zu einander S. Lipsius, zur Quellenkritik des
Epiphanios 1866. — Harnack, zur Quellenkritik der Geschichte des Gnosticismus
1) Es gab zwar noch bis in das fünfte Jahrhundert Elkesaiten und Ebioniten —
nach Epiphanius (f 403).
Die heidenchristljcben Gnostiker. 81
in der Zeitschrift für historische Theologie. 1874. 1. nnd 2. Heft. Mit Beziehung
auf Harnack: Lipsius, die Quellen der ältesten Ketzergeschichte neu untersucht.
Leipzig 1875. — Unter den Bearbeitungen, wobei von den Monographieen über ein-
zelne Männer oder einzelne Sekten abgesehen wird, S. Neander, Entwicklung
der gnostischen Systeme und desselben allgemeine Kirchengeschichte. Ritter, Ge-
schichte der christlichen Philosophie. Baur, die christliche Gnosis und das Chri-
, stenthum der drei ersten Jahrhunderte. Mo eller, Geschichte der Kosmologie in
der griechischen Theologie bis auf Origenes. — Zusammenfassende Uebersicht in
Jacobi's Artikel Gnosticismus , in der Realencyclopädie , bei Nitzsch in der
Dogmengeschichte und bei Lipsius im Artikel Gnosticismus bei Ersch und Gru-
ber. l.Bd. 71.
L Die häretische, vom Grund des Heiles abfallende Gnosis, deren
Anfänge wir im apostolischen Zeitalter zuerst auf dem judencliristlichen Ge-
biete, sodann aber auch schon zum Theil auf dem heidenchristHchen walir-
genommen haben, entwickelt sich auf diesem nach Abschhiss jenes Zeitalters i)
in grossartigen Dimensionen und mit dem sichtbaren Bestreben, in der
Kirche zur Herrschaft zu gelangen. Obschon in Bildern und Mythen sich
bewegend, trat sie, wie der Name es besagt, mit dem Ansprüche auf, die
vom Apostel Paulus so eifrig empfohlene tiefere p]insicht in die Geheimnisse
des Christenthums zu geben. Im Grunde aber war sie, wie Neander bemerkt,
die Reaction des antiken Standpunktes in der Rehgion gegen den christlichen.
Daher Ritter sie ansieht als den Uebergang bildend von der vorchristlichen
in die christhche Philosophie. Wenn die Gnostiker, sich selbst mit diesem
Namen, der einen guten Klang hatte, benennend 2), darauf Ansi)ruch machten,
das Christenthum mit der Philosophie, den Glauben mit dem Wissen auszu-
söhnen und diejenigen zu befriedigen, welchen der blosse Autoritätsglaube
nicht genügte 3), so begreift man leicht, dass sie bei den Gebildeten Anklang
und Anhang fanden. Eine andere Frage ist aber die, wie ist es gekommen,
dass die Gnosis diese besondere Gestalt und Art, wie sie geschichtlich vor-
liegen, angenommen?
So verkelirt es wäre, diese Erscheinung blos aus dem Triebe abzuleiten,
den Ursprung des Bösen zu erklären, so steht doch fest, dass jener Trieb
zur Ausbildung der Gnosis wesenthch mitgewirkt hat. - Augustin sagt in
seinen Bekenntnissen, es habe ihn lange und viel die Frage beschäftigt: wo-
her das Böse? Es geschah diess zu einer Zeit, da er eine überwiegende
Macht der Sünde in sich wahrnahm, die er, im Bewusstsein meines besseren
Selbst, sich nicht erklären konnte. Zur Zeit der Erscheinung des Christen-
thums, da ein Heer von Sünden die von Gott entstammte Menschheit be-
herrschte, so dass die besten und edelsten an der Menschheit fest verzwei-
felten, da beschäftigte dieselbe Frage viele denkende Geister und empfäng-
1) Nach Hegesipp bei Euseb. 3, 32 blieb die Kirche eine reine, unbefleckte Jung-
frau bis auf den Tod Symeons 107 unter Trajan.
2) So die Naassener, Hippolytus 5, 6. Naacarjvot oi ^ttvrovg yvMCimovq ano-
xakovuTfg — (prtüxovrfg uovo$ rrt ßaS'Tj ytvioGxfir.
3) Wie Origenes Tom. V in Joannem §. 4 von seinem Freunde Ambrosius sagt, er sei
zum Gnosticismus geführt worden anoQia tmu nQBCßfvovKoy ra xnfiTTorn, utj <f,ff)(ov
rtjv akoyov xcci i^KOTtxrju TTtffrtr,
Herzog, Kirchengeschichte I. a
82 Erste Periode des alten Katholicismus.
liehe Gemüther. Woher das Böse und warum? ist eine der Fragen, welche
Tertullian bei den Häretikern behandelt findet 0- I«i Zusammenhange damit
fragte man sich: wie hat die Welt das werden krmiien, was sie ist, sündHch
und verderbt? Wie soll man sich Gott denken als Urheber einer ihm so
fremdartigen Welt? Wie den Uebergang vom Unendlichen zum Endlichen?
Woher, wenn Gott das Vollkommene ist, so viele Unvollkommenheiten in
der Welt? woher unter den Menschen so grosse Verschiedenheiten, von den
göttUch - gesinnten an bis zu solchen, in welchen keine Spur des Vernünftigen
und Sittlichen sich findet? Diese Fragen wurden aufgeworfen und deren
Beantwortung und Lösung versucht, theils auf dem Grunde der platonischen
Philosophie — und das ist das Wahre an der Beliauptung einiger Kirchen-
väter, dass Plato der Stifter aller Ketzerei sei 2), theils auf dem Grunde
einer orientahschen Philosophie, worin Parsisches und selbst Budhistisches
sich vermengte, — das ist das Wahre an der anderen Behauptung einiger
Kirchenväter, dass Simon der Magier der Erzvater aller Ketzer sei 3). Da
trat das Christenthum hervor, welches, obwohl auf allen Schmuck der Phi-
losophie verzichtend, jene höchsten Fragen des menschlichen Geistes noch
lebhafter anregte und deren Beantwortung auf praktisch - positive Weise gab.
Dadurch geriethen alle jene philosopliischen Bestrebungen in eine neue Gäh-
rung; sie nahmen die Richtung darauf, die Erlösung und Versöhnung, welche
das Christenthum zu verwirkhchen darbot, philosophisch zu construiren, in
Gedanken zu erfassen. Die Idee der Erlösung wurde ihr Grundton, aber
nicht vorwiegend rehgiös oder als Heilsprincip , sondern kosmologisch , als
Weltprincip, nicht vorwiegend als geschichtliche Thatsache, sondern als ab-
stracte Idee gefasst. Das Christenthum wurde zwar als die absolute Reli-
gion, als das Vollkommene hingestellt, im Unterschiede vom Judenthum als
dem Unvollkommenen, und von dem Heidenthum als dem Schlechten und
ganz und gar Verderbten; aber ungeachtet dieser hohen Stellung, so aufge-
fasst, dass sein eigenthümhches Wesen von Grund aus alterirt wurde. Es
war ein ungünstiges Zeichen der Zeit, dass die ersten Anfänge philosophischen
Denkens inmitten der Christenheit auf solche Abwege führten.
Es ist zum Verwundern, wie viele unter den Zeitgenossen in die gno-
stische Bewegung eintraten. Nach denjenigen, die schon im apostolischen
Zeitalter diese Richtung verfolgen, kommen jetzt erst, in der ersten Hälfte
des zweiten Jahrhunderts die wahren, folgerechten Gnostiker, welche ihre
Theorieen weit ausspinnen und Gründer von eigenen Schulen oder Sekten
werden, die sich selbst wieder in neue Schulen und Sekten zerspalten. Da
begegnet uns zuerst Basilides c. 125 in Alexaudrien, dessen Schüler, die
Basilidianer, später eine vom Meister sehr abweichende Richtung ein-
schlugen, und bis zum Jahre 400 ihr Dasein fristeten. Eine besonders wich-
tige Erscheinung ist Valentinus, Urheber des sinnreichsten gnostischen
Systemes, der c. 140 von Alexaudrien nach Rom gekonnnen und c. 160 auf
1) De praescript. haeret. c. 7. Unde malum et qua re? Dasselbe berichtet Euseb.
5, 27; nokvS^QvXltjTot^ nnQct rotq nigffriMinti; to noS^fy // xaxta.
2) Tertullian de anima c. 23. Plato oranium haereticorum condimentarius.
3) Hegesipp bei Euseb. 4, 22. Justin M. apol. I. 26. 56.
Die heidenchristlichen Gnostiker. 83
der Insel Cyperu starb i). Seine Schule verzweigte sich in eine morgenlän-
dische und eine italische und zählte manche talentvolle Männer, Herakleon,
den ersten oder wenigstens einen der ersten neutestamentlichen Exegeten, Pto-
lemäus, Marcus, Bardesanes, einen Armenier, der zu Anfang des dritten
Jahrhunderts am Hofe des Abgar Manu in Edessa lebte 2). Nach Einigen
soll er sich mehr an die Lehren der Ophiten gehalten haben. Diese, auch
Naassener genannt bei Hippolyt, Schlangenbrüder, scheinen mit Valentin
verwandt gewesen zu sein, vielleicht bestanden sie schon vor Valentin in
Egypten. Sie theilten sich in mehrere Sekten, Sethia'ner, Kainiten, Pe-
raten. Noch im Jahr 520 gab Justinian Gesetze gegen die Ophiten. Kar-
pokrates, der ebenfalls in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts in
Alexandrien lebte, that sich bei mancher Berührung mit den bisher genann-
ten Gnostikern hervor durch unsittliche Richtung, worin sein Sohn Epipha-
nes sich auch hervorthat; und doch errichteten die Schüler diesem im sieb-
zehnten Lebensjahre verstorbenen Sohn des Meisters in Cephalenia einen
Tempel. Auch die verwandten Sekten der Antitakten, Prodicianer,
Schüler des Prodicus, brandmarkten sich diu'ch unsittliche Grundsätze. —
Die bisher genannten Gnostiker fasst man oft unter dem Namen alexan-
drinische Gnostiker zusammen, obschon diese Benennung bei Barde-
sanes nicht zutrifft. Davon unterscheidet man eine andere Classe, die
syrischen Gnostiker. Dazu gehören Saturnin oder Satornilus in
Antiochien, Zeitgenosse des Basilides, Tatian, der Syrer, ein Schüler des
Justin, Stifter einer eigenen Partei, die sich durch harte Asketik auszeich-
nete und über das vierte Jahrhundert hinaus fortdauerte. Die Namen iyxoa-
tiTai, vÖQonccqaCTCiTai, , aquarii , bezeichnen eine Richtung, die manchen
Gnostikern gemeinsam war, scheinen aber vorzugsweise den Anhängern des
Tatian beigelegt worden zu sein. Zu diesem Kreise gehört vermöge seines
scharfen Dualismus sowie seines Doketismus die Gnosis des Marcion von
Sinope, der sich an den Syrer Kerdon anschloss.
Bei der Mannigfaltigkeit der gnostischen Erscheinungen und Richtungen
ist es allerdings kaum möglich , irgend welche Eintheilung und Classification
ganz genau durchzuführen. Indessen lassen sich in Beziehung auf die hei-
denchristhcheu Gnostiker zwei Hauptrichtungen unterscheiden; die eine, ver-
treten durch die alexaudrinischen Gnostiker weist entschieden platonische
Elemente auf, ohne dass man, mit Gie seier, sagen dürfte, dass die Ema-
nationslehre ihr eigenthümlich angehöre, da z. B. Karpokrates mit seinen
platonischen Grundansichten die Emanationslehre nicht verbunden hat; die
andere Richtung, vertreten durch die syrischen Gnostiker trägt, veimöge
des scharfen Dualismus und des Doketismus offenbar das Gepräge der orien-
tahschen Religionsphilosophie, bestimmter gesagt, des Parsismus. Der Unter-
schied beider Richtungen gipfelt in den Vorstellungen über den Weltschöpfer,
seine Natur und seine Wirksamkeit, sein Verhältniss zum höchsten Gott
1) S. über ihn insbesondere Henrici, die Valentinianische Gnosis und die heilige
Schrift. Berlin 187L
2) Nach den neuesten Forschungen über ihn, worüber S. den Art. Bardesanes in
der Realencyklopädie. 21. Bd. S. 585.
6*
84 ßiste Periode des alten Katholicismus. i^
sowohl als zu der sichtbaren Welt und zur Vorgeschichte des Christenthums.
In Beziehung auf das Christenthum betrachtet geht diese Eintheilung von
dem verschiedenen Verhältnisse ans, in welches die Gnostiker die Offen-
barung des höchsten Gottes zur Natui' sowohl als zur Vorgeschichte setzen.
Ausser den genannten zwei Classen, wovon wir die eine auch die platonisi-
rende, mit Hase die hellenistische, mit Gieseler die alexandrinische , die
andere die dualistische, orientalische, syrische nennen können, ist eine dritte
Classe anzuführen , die der j u d a i s i r e n d e n Gnostiker. Als Repräsentanten
derselben vermögen wir aber nur die dem ai)ostolischen Zeitalter angehören-
den Irrlehrer von Kolossae, sodann Kerinth und im zweiten Jahrhundert di(3
philosophirendeu Ebioniten anzuerkennen, und auch diese beiden letzten
wollen sich nicht ganz in diese Classe einfügen, insofern jene Ebioniten zuletzt,
dahin gelangen, Beschneidung und Opfer bei Seite zu lassen, insofern Ke-
rinth den Weltschöpfer vom höchsten Gott abscheidet, so dass er nur durch
sein Festhalten am Gesetz als judaisirend erscheint i).
IL Eine Beschreibung der einzelnen Systeme würde zu weit führen.
Wir suchen die Frage zu beantworten, was war der Hauptinhalt der heiden-
christlichen Gnosis im Unterschiede vom gewöhnhchen Christenthum? wobei
wir Anlass haben werden, die beiden Hauptrichtungen genauer zu be-
schreiben.
An der Spitze des Ganzen steht die abstracte Idee Gottes, nicht blos,
wie der gewöhnliche Christenglaube bekennt, als des schlechthin immateriellen
und unendlichen, sondern auch als des schlechthin jenseitigen, bestimmungs-
losen und unergründlichen Urwesens, von Basilides genannt ^eog aqqriToq,
avccTovo^acTtog, selbst ovx cov , von Valentin Bv^og, so schlehthin jenseitig,
und ruhend vorgestellt, dass er nicht sowohl Princip (aQxr}) und Vater (na-
trig) von Allem, als jiQoaQxrj und ngMTintajQ, tiqomv genannt wird, und
doch ist er der unerschöpflich reiche Urgrund einer Fülle von Besonderungen.
Saturnin nennt ihn natriQ äyvcofftog. Aus ihm emanirt oder wurden ge-
schaffen oder auch gezeugt eine Stufenreihe von personiflcirten Potenzen, die
an der Gottheit und ihrer Ewigkeit, je nach der Stufe, worauf sie sich be-
finden, Antheil haben, daher sieAeonen heissen. Ihre Zahl ist grösser oder
geringer, ihre Namen und Functionen sind verschieden je nach den verscliie-
denen Systemen oder Schulen. Zusammen bilden sie das Lichtreich, von
Valentin Pleroma genannt. Bei Basilides geht aus dem unneimbaren Gott
eine Siebenzahl von Aeonen hervor, die durch ihre Namen ihre speculative
Bedeutung beurkunden (Novg, Xoyog, (pQovrjCTig, aocpia^ Svpa^ig, dixaio-
(Tvvfi, stQrjvrj). Die oberste Hebdomas strahlt aber eine zweite, der erste
Himmel, den sie mit dem Urvater bewohnt (daher Ogdoas genannt), einen
zweiten ab, und diese Abstrahlung wiederholt sich den Tagen des Sonnenjahres
entsprechend bis zur Zahl von 365 Himmeln oder Geisterreichen, deren Ge-
1) Alle heidenchristlichen Gnostiker gelten uns als antijudaisirend, insofern sie alle
von dem Satze ausgehen, dass der Schöpfer der Welt und der Erlöser der Welt zwei
verschiedene Wesen seien.
Die heidenchristlichen Gnostiker. 85
sammtheit den Namen Aßgal^ag (auch Aßgacra^) trägt i). Nach Valentin
ist die erste Vermittlerin aller Hervorbringuugen die mit dem Bv&og als
dessen Genossin ((Tvl^vyog) verbundene Giyr} oder svvoiaj der schweigende
Gedanke, das unmittelbare Bewusstsein seiner selbst, in welchem der Bvd^og
sich erfasst, um aus sich herauszutreten. TlatriQ und agxt} %o>v navtuiv ist
jedoch erst der aus der Vermählung des Bv^og mit der aiyri entsprossene
vovg {ybovOYSvrig) , die nach aussen thätiges Subject gewordene Gottheit, die
sich wiederum in der aXrj^eia, der <Tvli,vyog des povg, reflectirt. Diese vier
Aeonen bilden die erste und ursprüngliche pythagoräische Vierheit (nv&ayoqi-
xrip TSTQaxTvv), welche sie auch die Wurzel aller Dinge nennen, und in dem
yovg als dem eingebornen offenbaren Gotte hegen die Keime aller weiteren
Besonderungen, die Ideen zunächst aller folgenden Aeonen. Ferner erweitert
sich die Vierzahl zur Achtzahl, indem aus dem vovg und der aXri^eta der
Xoyog als das schaffende und lebenspendende Wort, und die Icotj, aus diesen
aber der av&Qconog^ der Urmensch, das Urbild der Individuahsirung des
Göttlichen und die exxXijff^a, das Urbild der göttlichen Lebensgemeinschaft
hervorgehen. Dieser Emanationsprocess setzt sich noch weiter fort, indem
loyog und £«?/ noch eine Dekas, av^qcanog und sxxXrjffia noch eine Dodekas
von Aeonen erzeugen (wozu naqccxXritog und nictig gehören). Demnach sind
es dreissig Aeonen, die das nXrjQco^a, das Buch der göttlichen Lebensfülle,
die göttliche Idealwelt darstellen. Dieser theogonische Process ist aber bei
Valentin wie bei andern Gnostikern theils Vorspiel, theils Urbild des kosmo-
logischen Processes. Hier tritt nun ein neues, überaus wichtiges Moment
hinzu: Dem göttlichen Wesen und dem Lichtreich gegenüber steht die un-
götthche, unerschaffene Materie {vXrj), das Substrat der Welt und zugleich
Grund des Bösen, das Chaos, der Stoff, aus dem die sinnhche, materielle
Welt gebildet wird. Denn die Gnostiker verwarfen die Schöpfung aus Nichts,
indem sie dagegen einwendeten: aus Nichts wird Nichts. Insofern sind alle
Duaüsten. Da aber der höchste Gott mit der Materie in keine Beziehung
treten kann, so wird die Entstehung der sinnlichen, sichtbaren Welt auf
untergeordnete, vom götthchen Wesen weit abstehende Mächte oder auf Eine
untergeordnete schöpferische Macht zurückgeführt, den drjfiiovQyog , wie ihn
viele Gnostiker nennen, nachdem schon Xenophon, sodann die jüngeren Pla-
toniker den Weltbildner vom höchsten Gott unterschieden und Demiurg ge-
nannt haben. Bei BasiUdes sind die sieben Aeonen des untersten Himmels
und besonders ihr uqxmv, ^der als Gott der Juden, nicht namentlich als
Demiurg aufgeführt wird, Weltschöpfer. Von einem feindlichen Verhältniss
des Weltschöpfers gegen den höchsten Gott ist keine Rede. Der uqxmp des
Basihdes ist nur beschränkt ni seinem Wesen, er unterwirft sich der höhe-
ren Ordnung, sobald sie ihm bekannt wird. Auch bei Valentin steht der
Weltschöpfer, der Demiurg, durchaus nicht dem höchsten Gott feindlich ent-
gegen. Der kosmogonische Process wird im Zusammenhange damit von Va-
1) Der Zahlenwerth der Bachstaben dieses Namens beträgt addirt 365: 3 « =: 3
/J = 2, ^ = 100, (> = 200, $ = 60. Wie sehr der Gnosticismus des Basilides und
Beiner Anhänger sich mit heidnischen Religionselementen vermischte, erhellt aus dem Ar-
tikel von Matter über Abraxas in der Bealencyklopädie.
8ß Erste Periode des alten Katholicismus.
lentin mythologisch beschrieben: sowie das nkriq^na sich vollendet hat,
will der vovq seine Einsicht in das ßvd^og auch den niederen Aeonen mitthei-
len. Die Giyn widersetzt sich; doch die brennende Sehnsucht darnach
bemächtigt sich der (To(pia, des letzten Aeons. Der Aeon o^oq, zur Auf-
rechthaltiiiig" der Schranken nachträghch erzeugt, führt der (Totpia das Ver-
werfliche dieser ev^vfirjcrig zum Bewusstsein und schied diese von der Gocpia
aus, als unreife Frucht; sie sank als die xaton aocpia, als die axcc^coO^ in
den Ort der Leere, in das xevcofia, und es wird nun die im jikrjocopa ge-
störte Harmonie durch zwei neue von vovg erzeugte Aeonen, den obern
(apco) Christus und den heiligen Geist wiederhergestellt. — In Folge von
neuen mythologischen Vorgängen, wobei Christus betheiligt ist, wird die im
Kenoma herumirrende Achamoth Mutter der Sinnenwelt. Gewisse Affekte de}'-
selben werden die Fundamente der sichtbaren Welt, — aus ihrer flehenden
Hinwendung nach oben entsteht das ipixixov, aus den übrigen Aflecten dss
vhxov. Die so gereinigte Achamoth und durch die Engel befruchtet, wird
fähig zu pneumatischen Hervorbringungen; ihr Werkzeug ist der Demiuri;,
den sie aus psychischem Stoffe gebildet. Der Demiurg hält sich selbst für
den höchsten Gott und ist Weltschöpfer. Die drei bereits genannten Stoffe, das
Pneumatische, das Psychische und das Hylische sind in der Welt vermischt;
in seiner Beschränktheit ^ieht der Demiurg nicht, dass in den Menschen mit-
telst der Psyche, die er ihm mittheilt, auch Pneumatisches eingeht, welches
die Achamoth in ihn einströmen lässt. So wie nun in jedem Menschen di(^
drei genannten Elemente zu unterscheiden sind, so auch im Menschenge-
schlecht überhaupt, die Heiden sind der Masse nach Hyliker (es gibt aber
Ausnahmen) ; die dem Demiurg als ihrem Gott unterworfenen Juden der Masse
nach Psychiker. Einige Juden haben sich zum höchsten Gott erhoben. —
Pneumatiker sind die bevorzugten Geister unter Heiden und Juden, w^elche
die Wahrheit theils w^eissagen, wie die Propheten des alten Bundes oder
derselben, wenn sie ihnen geoffenbart wird, entgegenkommen. Im Systeme
der Ophiten ist der Weltschöpfer, Jaldabaoth, d. h. Sohn des Chaos,
hervorgegangen aus der Mutter der Lebenden, noch eines Funkens des gött-
lichen Lichtes theilhaftig, zugleich aber selbstsüchtig der Materie zugewandt.
Ohne Erlaubniss der Mutter erzeugt er einen Sohn, und indem dieser Zeug-
ungsprocess sich fortsetzt, entsteht noch eine Reihe anderer Engel, welche
mit ihm als dem Haupte eine den sieben Planeten entsprechende Siebenzahl
bilden; es entsteht ihm ein neuer Sohn, in Schlangengestalt, ocpcofiog^og,
voll Neid und Bosheit; Jaldabaoth selbst verstockt sich in Selbstsucht und
Hochmuth so sehr, dass er sich geradezu für den höchsten Gott erklärt. Er
sucht das Pneumatische in den Menschen, das sie von seiner Mutter haben, zu
unterdrücken. Was Saturnin betrifl't, so nimmt er an, dass sieben ay^e-
koi^ xo(T^oxQatoQ€g , welche die unterste Stelle im Lichtreich einnehmen, die
Welt schufen. Auch der Mensch ist ihr Geschöpf; sie vermochten aber nicht
demselben Lebenskraft einzuflössen, daher der Urvater, nach dessen Bilde der
Mensch geschaffen war, einen Lebensfunken herabsandte. Aber nicht alle Menschen
haben diesen Lebensfunken in sich, sondern nur die guten; ihnen gegenüber
stehen die bösen, denen die Dämonen Hülfe leisten. — Saturnin ist nicht
SO schroff dualistisch , wie man bis jetzt angenommen , sein Satanas ist ein
Die heidenchristlichen Gnostiker. 87
gefallener Engel und wahrscheinlich nicht der S'-höpfer der hösen Menschen. —
Es hat sich uns also gezeigt, dass der Weltschöpfer in doppelter Weise auf-
gefasst wird, theils als beschränkt, aber dem höchsten Gotte sich unterord-
nend, theils als Feind des höchsten Gottes, das eine nach platonisirender An-
schauung, das andere nach orientalischer.
Nun aber haben wir noch den wichtigsten Theil der aufgeworfenen
Frage zu beantworten. Wie erfolgt die Erlösung? wie ist sie beschaffen?
Im Allgemeinen ist darüber zu sagen, dass sie aufgefasst wird als die Be- -
freiung des pneumatischen Elementes im Menschen von den Banden der
Materie und des W^eltschöpfers , als die Ausscheidung des Bösen, als arroxa-
TQGxacTig TMv navtwv (Apostelgesch. 3, 2). Diese Erlösung wird durch einen
der Aeonen bewirkt, der obere Christus öfter genannt, welchem der irdische
Jesus zum Werkzeug dient, als Maske oder als Offenbarungsorgan, wobei
die Menschheit Christi theils festgehalten (auf Kosten seiner Gottheit) oder
in doketischer Weise verflüchtigt wird. — Diess soll bei einigen Gnostikern
genauer dargelegt werden. Nach Basilides hat der Archon, der Gott der
Juden durch die Bildung der geordneten Welt, aus den einzelnen, dem
Lichtreich entquollenen Lichtstrahlen und dem Chaos schon den Anfang zur
Erlösung, d. h. zur Befreiung des in der Materie gefangenen Geistes ge-
macht, der im Menschen zum Bewusstsein kommt. Der Archon wollte da-
durch sein eigenes Reich erweitern, in Wahrheit aber ist er das Werkzeug
des höchsten Gottes, genauer gesprochen, seiner nqovoia, welche seine
Zwecke verwirklicht. Der Mensch ist in dem Maasse der Erlösung fähig,
als sein Geist die Anhängsel der Materie abstreift. Die Erlösung selbst be-
reitet der Archon wieder unbewusst dadurch vor, dass er, die Heiden seinen
Engeln überlassend, die Juden unter seine besondere Obhut nimmt und Mo-
sen und die Propheten sendet und dadurch Ahnungen der W^ahrheit in die
Menschheit hineinwirft, die sich vereinzelt auch ausserhalb Israels zeigt.
Aber erst in Folge der Erlösung durch den himmlischen vovq (Siaxovog)
vermag die kleine Zahl von Auserwählten in Israel und den andern Nationen
(exloyT}) sich von der Welt wahrhaft frei zu machen. Der himmlische vovg,
vom höchsten Gotte herabgesendet, verbindet sich bei der Taufe mit dem
irdischen Jesus, dem Messias des Archon. Dieser, überrascht durch die
heilsame Wirkung des von jenem verkündigten Evangeliums , erschrickt zwar
darüber, unterwirft sich aber demüthig der höchsten Macht, die in Jesu
wirksam ist. Dieser selbst muss, nachdem der vovg ihn wieder verlassen,
den Tod erleiden und zwar für eigene Schuld; so sehr ist sein Tod ausser
alle Beziehung zur Erlösung der Menschen gesetzt ^). Das Heil derselben ist
bedingt durch die Hingebung an die Offenbarung des vovg. Nach Valen-
tin ist GWTiiQ IrjCTovg, das Product der gesammten Aeonenreihe, so wie er
schon bei der Weltschöpfung betheiligt ist, so aber auch derjenige, der die
Erlösung wesentlich vollbringt, — durch vollständige Enthüllung der W^ahr-
heit. Diese Enthüllung der Wahrheit geschieht dadurch, dass der Soter sich
mit dem vom Demiurgos, dem Judengotte, gesendeten psychischen Messias bei
1) Jesus als wirklicher Mensch gedacht ist nur deV Erstling der Erlösten und be«
darf selbst der Erlösung, bei Clem. Strom. 4, 12 gemildert ausgedrückt.
88 Erste Periode des alten Katholicismus.
der Taufe bis zum Tode verbindet und durch ihn den Urvater offenbart.
Durch die Kraft der geoffenbarten Wahrheit sammelt er um sich alle pneu-
matischen Naturen, theilt ihnen die Gnosis mit, wodurch sie fähig werden,
wenn der Bräutigam sie abholt, in das nXriqwiia einzugehen. Die psychischen
Christen, die nur bis zur ntcrtig fortschreiten und dazu Wunder und Weis-
sagungen brauchen, sannneln sich um den psychischen Messias, welcher mit
seinem Reiche den Ort der Mitte, zwischen dem Pleroma und der Materie
bildet. Naclidem diese durch P'euer verzehrt zum xevMna geworden, tritt
die a7voxatK)C(j%aaiq ein, worüber sich selbst der Demiurg als Freund des Bräu-
tigams freut. Im Lehrbegriffe des Saturnin ist, im Vergleich mit den
bis jetzt dargelegten Ideen anderer Gnostiker, der Process der Erlösung
ziemlich vereinfacht. Um die guten, die pneumatischen Menschen zu erlösen,
und die bösen sammt dem Gotte der Juden und den Dämonen zu vernich-
ten, erschien Christus als Heiland in einem Scheinkörper, doxrjdei (Hip-
polyt. 7, 28), was allerdings auf einen ausgeprägten Dualismus schlies-
sen lässt.
Die sittlichen Grundsätze der Gnostiker sind bedingt durch ihre Re-
ligionsphilosophie und sollen dieser Eingang und Autorität verschaffen.
Da sie alle die Materie als Sitz des Bösen betrachteten, so bekam ihre
Ethik die Gestalt eines Kampfes mit der Materie, die besiegt werden sollte,
damit der Geist sich ungehindert der Gnosis hingeben könnte. Daher bei den
von sittlichem Ernste erfüllten Gnostikern die Asketik in Ehren war, welche
je nach Massgabe ihres Dualismus milder oder herber war. So ist bei
Basilides die Ehe erlaubt, wenigstens für einen Theil der Gläubigen. Sie
galt als Abbild eines höheren, durch alle Stufen des Daseins hindurch
gehenden Verhältnisses. Bei Valentin und den Seinen war die Ehe sogar
Gesetz für die Pneumatiker. Herber war die Askese des Saturnin, der
das Gebot des Cölibats aufstellte, doch ist es nicht völlig sicher, dass diess
Gebot für alle Mitglieder der Sekte galt. Tatian stellte in einer beson-
deren Schrift Christum als Urbild des ehelosen Lebens auf und wollte aus
1 Cor. 7, 7 beweisen, dass für Paulus Ehe und Unzucht gleich verwerflich
seien. Bei unreinen Menschen artete die Abwendung von den gewöhn-
lichen ethischen Verhältnissen in Unsittlichkeit, in freche Verhöhnung aller
Sittengesetze aus: Alles Aeussere sei gleichgültig; der Mensch solle sich
dadurch nicht stören lassen ; wir müssen durch den Genuss der Lust die Lust
bekämpfen. Es sei nichts Grosses, sich zu enthalten, wenn man die Süssig-
keit der Lust nicht geschmeckt habe. Das sei gross, mitten in der Lust
stehend , von derselben nicht überwältigt zu werden. Nur ein kleines Ge-
niessen könne durch eingegossenen Schmutz verunreinigt werden, nicht
der Ocean , der Alles aufnehme , weil er seine Grösse kenne ^). Damit
hing zusammen eine gänzliche Verachtung des Judenthums, wobei sie sich
auf den Apostel Paulus beriefen, der die Unzulänglichkeit des Gesetzes
für die Heiligung gelehrt habe. Sie nannten sich Söhne Gottes, das kö-
nigliche Geschlecht in dem Sinne, dass sie an kein Gesetz gebunden seien.
Einige suchten, in Nachahmung der heidnischen Poeten und Philosophen
1} Neander, Kirchengeschichte 1, 2. 657,
Die heidenchristlichen Gnostikel*. 89
durch Magie das zerrissene Band mit der Gottheit wieder anzuknüpfen
(s. das vierte Buch von Hippolyt). Diese Richtung befolgten Karpokrates
und seine Schule, Prodikus und seine Schule, die späteren Markosianer,
Schüler des Markus, die Saturnianer. Die Antitakten (ungewiss ob als eigne
Sekte aufzufassen) gaben vor, sich dem Weltschöpfer deswegen entgegen-
zustellen (daher die Benennung), weil der Weltschöpfer sich dem höchsten
Gott entgegenstelle. Die dem Doketismus ergebenen Basilidianer wurden auch
zu Uebertretungen der sittlichen Gebote geführt. Sie verhöhnten die Mär-
tyrer als solche, die für ein Trugbild ihr Leben hingäben, und entzogen sich
aller Verfolgung durch Theilnahme an dem heidnischen Gottesdienste;
denn, so sagten sie, sowie Christus sich in alle Scheinlormen einzuhüllen
weiss, so könnten sie auch alles zum Scheine mitmachen, um die fleisch-
lich-gesinnte Menge zu täuschen und ihren Verfolgungen zu entgehen.
Man sieht, die Gnostiker hatten Grundsätze und Verhaltungsregeln, die
für sehr verschiedenartige Leute berechnet waren, für die ernsten ernste,
für die frivolen frivole, doch ohne dass solches, wie bei den Jesuiten,
Sache eines Planes, einer Uebereinkunft war.
IIL Wichtig ist für uns besonders das Verhältniss, worin sich die
Gnostiker zum Glauben, zur Lehre, zur Gemeinschaft der Kirche stellten.
Die Gnosis, deren sie sich rühmten, und in der ihnen das Wesen der Re-
hgion, von einer Seite betrachtet, aufging, unterschied sich von dem ge-
wöhnlichen Christenglauben, niatig, yjUij ni(TTig, nicht blos theoretisch
als tiefe Erkenntniss der Heilswahrheit, sondern auch praktisch als Be-
dingung der Vollkommenheit im Christenthum , der wahren Vereinigung
mit der Gottheit. So lehrten die Naassener, die sich selbst Gnostiker
nannten, ^^der Anfang der Vervollkommnung ist die Kenntniss des Men-
schen, die Erkenntniss Gottes aber vollendete Vervollkommnung'^ *). Die
psychischen Menschen, d. h. solche, in denen blos die niederen Seelen-
kräfte obwalten, sind der Gnosis nicht ftihig; sie müssen durch Autorität
und sinnliche Bilder geleitet werden, (als ob das Denken der Gnostiker
selbst sich nicht in lauter sinnlichen Bildern bewegte). Die Gnosis eignet
den pneumatischen Menschen, und es wird ihr eine ethische Bedeutung
beigelegt, die für das sittliche Leben Bedenken erregt. So lehrten nach
Irenäus 1, 6. 2 die sonst sittlich ernsten Valentinianer : „die psychischen
Menschen, die nicht die vollkommene Gnosis haben, werden durch Werke
und blossen Glauben in psychischen Dingen unterrichtet. Sie sagen aber,
dass wir, die wir zur Kirche gehören, solche sind. Daher behaupten sie,
für uns sei das Gutesthun {aya^ri nqu^ig) nöthig; sonst könnten wir nicht
gerettet werden; sie selbst aber würden gerettet nicht durch gute That,
sondern blos und allein dadurch, dass sie von Natur pneumatisch seien.
Denn, sowie das Irdische (to xoixov) unmöglich das Heil erlange (denn es
sei dessen unfähig), so könne, was geistlich ist (wofür sie sich ausgeben)
unmöglich dem Verderben anheimfallen, was für Thaten sie auch voll-
bringen mögen. Denn, sowie das im Kothe liegende Gold seine Schönheit
1) flippolytus 5. 6: «qxv TfXnüJCecog ypioCts ttv^Qoinov^ f^tot de yvioCis anfj^*
90 Erste Periode des alten Katholicismus.
nicht verliert, sondern seine Natur unversehrt behält, so behaupten sie
auch von sich, dass sie, in was für materiellen Dingen sie sich herumtrei-
ben, keinen Schaden leiden und ihre pneumatische Substanz nicht ver-
lieren/^
Um nun den Inhalt der Gnosis mit dem geschichtlich gegebenen Evan-
gelium zu vereinbaren, schlugen sie zwei entgegengesetzte Wege ein.
Entweder erkannten sie die neutestamentlichen Schriften, wie sie vorlagen,
als gültig und als die gnostische Lehre enthaltend an, so jedoch, dass sie
diesen Schriften Gewalt antliaten und ihren eigenen Sinn hineinlegten ^),
oder sie nahmen an, das neue Testament enthalte die christliche Lehre
in verstümmelter und verfälschter Gestalt. Im ersten Falle bedienten sie
sich der damals so sehr beliebten, in heidnischen, jüdischen und christ-
lichen Kreisen so sehr verbreiteten allegorischen Interpretation — mit
Verschmähung aller Regeln der historisch -grammatischen Auslegung, als
blos für die psychischen Menschen geeignet. Ihnen sollte der Geist alles
offenbaren. So ist nach Valentin der Greis Simeon, der das Kind Jesum
auf die Arme nimmt, der Demiurg, der den wahren Messias aufnimmt, ebenso
der Hauptmann von Kapernaum. Die dreissig Jahre, die Jesus vor Antrit:
seines Amtes verlebte, sind für Valentin eine Bestätigung der dreissig:
Aeonen des Pleroma. Dieselbe Bestätigung fand er in der Erzählung voi:
den Arbeitern im Weinberge, Matth. 20, 1 ff., wo die verschiedenen Stun-
den, in welchen die Arbeiter gedungen werden, die dritte, die sechste,
die neunte und die elfte, zusammengerechnet, die Zahl dreissig ausmachen
(mit Hinzufügung von einer Stunde), die Stunden bedeuten die Aeonen.
Das sind, bemerkt Irenäus 1, 1. 3 die grossen und wunderbaren und ver-
borgenen Geheimnisse, die sie vorbringen, jedwede Schriftstelle sind sie
im Stande ihren Erdichtungen anzupassen.^' So ist die letzte Emanation
von zwölf Aeonen bei Valentin dadurch angedeutet, dass der Herr, zwölf Jahre
alt, im Tempel mit den Schriftgelehrten sich unterhielt, und was der-
gleichen Spielereien mehr sind -). — Sie nahmen daher bei Christo und
den Aposteln Accommodation an, und meinten, den eigentlichen Sinn
Christi und der Apostel durch ihre accommodirenden Reden hindurch fin-
den zu können; die hölieren Wahrheiten der Gnosis hätten Christus und
die Apostel nur der kleinen Zahl von Pneumatischen mitgetheilt, den an-
deren blos durch Winke und Bilder angedeutet. Sie beriefen sich, wie
die alexandrinischen Religionsphilosophen, wie der Verfasset* der Clemen-
tinischen Homilien, auf eine geheime Ueberlieferung, welche erst den
Schlüssel gebe zur tieferen Schrifterklärung. So rühmten sich die Schüler
1) So rauss der Prolog des Johannes der Gnosis dienen, um die Geheimnisse des
Pleroma und seiner Offenbarung zu entschleiern. Sehr reichhaltig ist die Darstellung von
Heinrici über die Valentinische Benützung der Schrift.
2) Phantastische Willkür der Interpretation zeigt sich auch bei Herakleon, der
sonst in manchen Bemerkungen sich als sinnigen und gewandten Exegeten zeigt in seiner
Auslegung des Evangelisten Johannes, wovon Origenes Fragmente aufbewahrt hat. S,
Heinrici a. a. 0. 130 ff. Die Fragmente sind aus den ronoi des Origenes zum Evange-
lium Johannis zusammengedruckt bei Grabe specileg. IL 83—147. 236.
Die heidenchristlichen Gnostiker. Öl
des Karpokrates, dass Jesus ihre Lehren insgeheim den Aposteln mitge-
theilt habe ; Basilides führte seine Lehren auf Glaukias , den Hermeneuten
des Petrus, Valentin auf Theodas, Bekannten des Paulus, zurück. Sie
wagten sogar die Behauptung, Jesus selbst sei in die Geheimnisse der
höheren Welt noch nicht völlig eingeweiht gewesen. Einiges h^be aus ihm
der psychische Christus, Anderes der povg, der himmlische Christus, ge-
sprochen (kenäus 3, 1. 2. Im zweiten Falle, worin sie annahmen, das Neue
Testament enthalte die christliche Lehre nicht in ihrer Reinheit und Unver-
sehrtheit, lehrten sie, die Apostel selbst hätten Christum missverstanden
und seine Lelu'e unrichtig dargestellt. — Aus dem Verhältniss, worin die
Gnostiker sich zur Lehre der Kirche stellten, geht hervor, dass sie nicht
daran dachten, aus der kirchlichen Gemeinschaft auszuscheiden. Sie ac-
commodirten sich, soweit sie sich öffentlich aussprachen, an die herrschen-
den Vorstellungen, Hessen sich herab zum Standpunkte der Psychiker.
Besonders Valentin und seinen Schülern wurde von Irenäus (1, 1. 1) vor-
geworfen, dass sie dasselbe zwar lehrten, w^as die Kirche lehrte, aber
etwas Anderes dabei dächten ^). Allerdings wollten sie eine Art von theo-
sophischen Schulen bilden, ähnlich den Mysterienvereinen des Heiden-
thums, die ja auch keine Lostrennung von der grösseren Gemeinschaft in
sich schlössen. Die idealisirenden Gnostiker, denen die Welt ein Abbild
war einer höheren Ordnung der Dinge, wendeten diese Anschauung auf
den Cultus an, den sie in ihren besonderen Versammlungen zu feiern
pflegten. Er stach ab gegen die Einfachheit des katholischen Gottes-
dienstes. — Die Markosier führten Bilder und Weihrauch in ihren Gottes-
dienst ein, — damals eine völlige Neuerung. Sie unterschieden eine
zwiefache Taufe, eine auf den psychischen Christus, wodurch die Psychiker
Sündenvergebung und Hoffnung auf Seligkeit im Reiche des Demiurgen
erhielten und eine auf den pneumatischen Christus , wodurch das Pneuma-
tische im Menschen zur Vollendung gelange und in Gemeinschaft trete mit
dem Lichtreich.
IV. Eine abgesonderte Behandlung erheischt Marcion, theils weil
er sich von den anderen Gnostikern auf sehr bezeichnende Weise unter-
scheidet, theils, wxil er mit seiner Schule noch grössere Aufregung in
der Kirche angestiftet als die übrigen Gnostiker 2). Sohn des Bischofs von
Sinope in Pontus, nach Epiphanius von seinem Vater wegen Unzucht,
wahrscheinlich aber, weil er zu Heterodoxie hinneigte, aus der Kirchen-
gemeinschaft ausgeschlossen, kam er 140 oder 150 nach Rom, vielleicht
in der Hoffnung, einen füi' seine Richtung günstigen Boden daselbst zu
finden. Die Frage, die er den römischen Geistlichen vorlegte, wie sie die
Stelle Matth. 9, 17 erklärten, dass man neuen Wein in neue Schläuche
fassen müsse, zeigt deutlich, dass er die Kirche eines Rückfalles in jüdi-
sche Anschauungen und Gesetzeswesen beschuldigte. Er stand anfangs in
gutem Verhältnisse zur römischen Gemeinde, machte ihr ein ansehnliches
1) 'Ofiotn fxfy XnlovyTKg, avofioin tff (pQOvovrntt^.
2) S. über ihn TertulHan adv. Marcionem. Irenäus 1, 27. Hippolyt. 7, 29 — 31.
37. 10, 10. Clem. Alex. Strom 3, 3. Epiphanius, haeresis 42. Die Realencyklopädie s, v,
9^ terste Periode des alten Katholicisöiüs.
Geldgeschenk und wurde als Askete verehrt. In Eom lernte er den sy-
rischen Gnostiker Kerdon kennen, der kurz vor Marcion unter Bischof Hy-
ginus (137 — 141) in diese Stadt gekommen. Kerdon unterschied zwischen
dem höchsten unbekannten Gott, den er vielleicht den guten Gott nannte,
und dem bekannten, dem Demiurgen, der sich mit der Materie vermischte
und aus ihr die Welt bildete; er war speciell der Juden Gott. Seit seiner
Bekanntschaft mit diesem Manne trat für Marcion eine entscheidende
Wendung in seinem Leben ein. Er schloss sich eifrig an Kerdon an, nahm
seine Ideen auf, bildete sie weiter fort, er fand darin die erwünschte Un-
terlage für seine auf Ausweisung des Jüdischen in der Kirche ausgehende
Kichtung. Bald, nachdem Valentin in Rom gelehrt und gewirkt hatte,
suchte er nun daselbst seine Ansichten zu verbreiten, fand Schüler und An-
hänger, aber auch eifrige Gegner und wurde mit den Seinen excommuni-
cirt; in seinen Ansprachen und Sendschreiben pflegte er sie die „Mitge-
hassten,'' „die Mitelenden'' {(Tvfifitcrovfjispoi, uvvtaXamtaQoi) zu nennen
Am Ende seines Lebens soll er Reue gezeigt und den Wunsch ausge-
sprochen haben, in die Gemeinschaft der Kirche wieder aufgenommen zu
werden. Die Wiederaufnahme wurde ihm versprochen unter der Beding-
ung, dass er seine Anhänger der Kirche wieder zuführe; er starb, ehe er
diese Bedingung erfüllen konnte. (Tertullian de praescript. haeretic.
c. 30). Er hinterliess ein Werk, betitelt antifheses. Es waren, wie Ter-
tullian adv. Marcionem 1, 19 bemerkt, einander widersprechende Gegen-
sätze (contrarine opposifiones), welche dahin gingen, den Zwiespalt zwischen
dem Evangelium und dem mosaischen Gesetze darzulegen , auf dass man
aus der Verschiedenheit der beiderseitigen Lehren auf eine Verschieden-
heit der Götter schliessen solle. Seine Schüler verbreiteten sich nicht nur
in Rom und in Italien, sondern auch in Aegypten, Pontus, Arabien, Sy-
rien , Cypern , Thebais. Eine Menge ansehnlicher Schriften erschienen,
um ihn zu widerlegen, wovon die bedeutendste die angeführte des Ter-
tullian ist. Constantin erliess Gesetze gegen die Marcioniten, wodurch
aber der Sekte keineswegs ein Ende gemacht wurde. Will doch Theodo-
ret im fünften Jahrhundert ungefähr tausend dieser Leute in Syrien be-
kehrt haben. Seine Schüler, die auch wieder besondere Sekten bildeten,
und worunter die l)edeutendsten Marcus und Apelles sind, näherten
sich zum Theil im Verlaufe der Zeit den anderen Gnostikern mehr als
Marcion selbst es gethan hatte ; während andere den Gnosticismus des
Meisters milderten.
Was ist nun aber die Lehre des Marcion? Sie ist bei weitem nicht
80 phantastisch wie die der übrigen Gnostiker. Er hat sich nicht viel
mit den gnostischen Speculationen , die man auch mythologische Versuche
nennen könnte, abgegeben. Er dachte nicht daran, eine Geheimlehre zur
Quelle des Christenthums zu macheu. Er war ein Gegner der allegorischen
Erklärung. Er erkannte den Werth des Glaubens, auf den die übrigen
Gnostiker so stolz herabsahen. Die Hauptsache war ihm die Losreissung
des Evangeliums vom Gesetz, als Mittel dem judäisirendeu Wesen in der
Kirche ein Ende zu machen. Indem er aber dabei auf grosse Irrthümer
verfiel, hat er unwillkürlich diesen judäisirendeu Zug noch bestärkt. ^
Die heidencbri stlichen Gnostiker. 93
Nach einigen (so nach Hippolytus X. 19) nahm er drei (nach Theodoret
sogar vier) Principien, agxctt an — den guten Gott, der die ewige Liebe
ist, — den Demiurgen, ein untergeordnetes Wesen zwischen bös und gut
in der Mitte stehend, erst von den Schülern eigentlich bös (TiovriQog) ge-
nannt, die iXri, den diaßoXog, nortjQog, mit dem guten Gotte in bestän-
digem Kampfe begriffen. — Nun aber sprechen die ältesten Quellen nur
von zwei Principien:, dem guten Gott und dem Demiurgen, daher Marcion
Dualist genannt wurde. Die Hyle war ihm der passive, regungslose Stoff
der Welt, der gute Gott und der Demiurg waren ihm die wirksamen Mächte,
die Epochen der Offenbarung bildend.
Der Demiurg ist der Weltschöpfer. Er bildete die Hyle zur Welt.
Sein höchstes Werk ist der Mensch, der seiner leiblichen Natur nach aus
der Hyle gebildet ist, daher das Böse im Menschen. Die Seele ist vom De-
miurg, dem Wesen des letzteren entsprechend gebildet; das Pneuma
konnte er ihr nicht mittheilen. Der Demiurg ist nun als solcher das Offen-
barungsprincip des Alten Testamentes. Alle Gegensätze zwischen dem
Alten und Neuen Testament werden auf den Gegensatz des guten und
gerechten Gottes zurückgeführt. Der Demiurgos ist nicht blos gerecht, er
ist leidenschaftlich. Er ist beschränkt in seinem Wissen; er weiss nicht,
dass Saul in Sünde gerathen wird. Er widerspricht sich, denn er verbietet
am Sabbath zu arbeiten und befiehlt doch am Sabbath die Bundeslade
herum zu tragen. Er verbietet, Bilder zu verfertigen und lässt die eherne
Schlange aufrichten. Selbst Diebstahl befiehlt er den Is^'aeliten. — Er
verstockt Pharao und bestraft ihn. Im Gesetz fordert er Opfer und ver-
bietet sie durch seine Propheten. Er gab dem Menschen ein Gesetz, um
seinen Gehorsam zu prüfen, um ihn nach Verdienst zu belohnen oder zu
bestrafen. Die Kraft der Erfüllung des Gesetzes konnte er nicht geben,
daher der Mensch fiel und unter die Herrschaft böser Geister gerieth.
Unter allen Völkern hat er eines besonders erwählt. Er verhiess ihm
den Messias, der die Juden, nachdem sie aus ihrer Heimath vertrieben
worden, dahin zurückführen, zum herrschenden Volke auf Erden machen,
sie beseligen, dagegen die Heiden mit eisernem Zepter richten sollte.
Doch dieses harte Gericht wollte der Gott der Liebe nicht zugeben.
Da stieg im vierzehnten Jahre der Regierung des Kaisers Tiberius Gott
plötzlich in die Stadt Kapernaum herunter; denn der Unterschied zwischen
Gott und Christo ist unbestimmt gelassen; Christus ist die höchste
Offenbarung des Gottes der Liebe. Er war nicht der vom Demiurgen ver-
heissene Messias- der Juden, — mit blossem Scheinkörper behaftet, ge-
kommen, um das Reich des Demiurgos zu zerstören, daher von diesem
gehasst , von den Juden, auf Anstiften des Demiurgos verfolgt und getödtet.
Nach seinem Tode stieg er in die Unterwelt hinunter, um die darin be-
findlichen Seelen der Heiden zu erlösen. — Die Sittenlehre Marcions war
streng asketisch. Wahrscheinlich erkannte er nur Paulus als Apostel an,
die anderen beschuldigte er einer judäisirenden Verfälschung des Evan-
1) Tertullian: adv. M. 1, 19 separatio legis et evangelii proprium et principale
opus est Marcionis.
94 Erste Periode des alten Katholicismns.
geliiims. Er nahm zehn paulinische Briefe an, die Pastoralbriefe verwarf
er wegen der darin enthaltenen Vorschriften über den geistlichen Stand;
auch den Brief an die Hebräer nahm er an, überdiess ein Urevangelium,
aus der Verstümmelung des Evangeliums Lucä, wie er meinte, ent-
standen,
Zweite Abtheilung i).
Die Gegenanstalten der Kirche gegen die häretischen Angriffe.
§. 1. Zusammenfassung der Gläubigen als katholische Kirche,
gestützt auf die mündliche Ueberlieferung und die mit der-
selben übereinstimmend ausgelegte Schrift.
In dieser Zeit, wo die Kirche durch die genannten Häresieen bedroht
wurde, trat mit Macht hervor die Idee der katholischen, der allgemeine.!
Kirche, im Gegensatz gegen die Häresie. Wir stehen hier an einem
Wendepunkte der kirchlichen Entwicklung, der für alle folgenden Zeiten
von unübersehbarer Wichtigkeit geworden ist. Die Idee der katholischen
Kirche hatte aber eine tiefere Grundlage, als die Bekämpfung der Häre-
tiker, — im Wesen des Christenthums selbst und in den Resultaten der
Entwicklung des apostolischen Zeitalters. Das Christenthum war im Gegen-
satz gegen die heidnischen Volksreligionen üniversalreligion, wodurch die
Menschheit in Eine Familie Gottes vereinigt werden sollte. Die wesent-
liche Anbahnung dazu war gegeben in der Vereinigung der Judenchristen
und Heidenchristen, in der Aufhebung der Scheidewand zwischen diesen
beiden Bestandtheilen der Kirche. Die Allgemeinheit des Christenthums,
in dem Sinne, wie der Apostel Paulus sie gelehrt hatte, ist die Grundlage
der Allgemeinheit der Kirche, die in sich selbst durch Einheit des Glau-
bens verbunden ist (Ephes. 3 , 4—7). Die Idee des allumfassenden Reiches
Gottes wurde entgegengesetzt dem jüdischen Particularismus , der heid-
nischen Religionsmengerei, entgegengesetzt dem römischen W^eltreiche,
welches die Einheit auf Unterdrückung der Nationalitäten gründete. Dem
römischen Weltreiche stand entgegen die erhabene Idee des Reiches Got-
tes, worin alle Völker durch den sanften Hirtenstab des Menschensohnes
zusammengefasst werden sollten. Doch diess sind nur die Vorbedingungen
der Katholicität.
Nach dem Tode des letzten Apostels, Johannes, befand sich die
Kirche in grosser Verlegenheit wegen der Häretiker, besonders wegen der
heidenchristlichen Gnostiker. Juden und Heiden warfen den Christen vor,
dass es so viele Sekten unter ihnen gebe. Es galt, die Identität des
christlichen Glaubens darzulegen. Verlassen von der apostolischen Hilfe
musste die Kirche doppelt die Schwierigkeit dieser Aufgabe fühlen, und
1) Ritschi, die altkathalische Kirche. 2. Ausgabe. — Hackenschmidt, die
Anfänge des katholischen Kirchenbegriffs. Strassb. Schulz u. Comp. 1875. — Holtz-
mann, Kanon und Tradition 1859.
ZusammenfassuDg der Gläubigen als katholische Kirche. 95
doch hing an der Bekämpfung der Häretiker, an dem Siege über dieselben
die Fortdauer des Christenthums. Wenn die genannten Häresieen
die Oberhand erhielten, so war es um das Christenthum ge-
schehen. Es war aber unmöglich, die Häretiker blos durch Berufung
auf die Schrift zu widerlegen, denn erstens war diese noch sehr wenig
verbreitet. Viele hatten das Christenthum blos durch mündlichen Unter-
richt, wie Irenäus 3, 4 sich treffend ausdrückt, ohne Papier und Dinte
(sine carta et atramento) erhalten. Ueberdiess war es für die Kirchen-
lehrer eine äusserst schwierige Aufgabe, die Interpretation der Häretiker,
wodurch sie ihre Ideen in die Schrift hineintrugen, abzuweisen; denn sie
selber trieben zum Theil dieselbe Art von Auslegung. Die Häretiker
Hessen ja auch manche Bücher der heiligen Schrift als unächt fallen, sie
gaben vor, allein den Schlüssel des richtigen Verständnisses der Schrift
zu besitzen, sie beriefen sich auf eine geheime Ueberlieferung von den
Aposteln her. Hätte sich die Kirche ausschliesslich auf die heilige Schrift
berufen, so würde sich die Kirche von Anfang an in kleine Gemeinschat-
ten aufgelöst haben.
Wie sollte in dieser äussersten Gefahr geholfen werden? Die Kirche,
noch so nahe an die apostolische Zeit hinaufreichend, hatte ein einfaches
Mittel an der Hand, um die Häretiker zu widerlegen. Der Apostel Stimme
hatte in den bedeutendsten Städten des Reiches ertönt; sie hatten Ge-
meinden daselbst gestiftet und geleitet und sie nachher ihren zum Theil
noch lebenden Schülern übergeben, im Morgenlande, ausser in Jerusalem,
in Antiochien, in Syrien, in Ephesus, in Kleinasien und in anderen Städten
Kleinasiens, in Alexandrien, sofern man die Stiftung der dortigen Ge-
meinde auf den Evangelisten Marcus zurückführte, in Griechenland, in
Korinth, in Philippi, in Thessalonich, — im Abendlande, in der einzigen
Stadt Rom. Von diesen Städten war das Evangelium in die kleineren
Städte und Ortschaften und in die Landschaften gedrungen. Auf diesen
Thatbestand richteten die angesehensten Kirchenlehrer die Aufmerksam-
keit der Gläubigen, welche die Häretiker zu sich herüber zu ziehen such-
ten. Irenäus (3, 3) hob hervor, dass Polykarp, Bischof von Smyrna, von
den Aposteln unterrichtet, mit ihnen umgehend, von ihnen zum Bischof
eingesetzt, den auch er (Irenäus), gesehen und gehört habe, immer mir
das gelehrt, was er von den Aposteln empfangen. Sein Zeuguiss sei weit
gewichtiger als dasjenige eines Valentin. Auch die Kirche von Ei)hesus,
von Paulus getiftet, von Johannes geleitet, sei ein getreuer Zeuge der
apostolischen Ueberlieferung. Tertullian (de praescriptione haereticorum
c. 21J) lehrt übereinstimmend mit dem Bischof von Lyon: ,,Was die Apostel
gelehrt, das kann man nicht anders erfahren als durch dieselben Kirchen,
welche sie gegründet, in denen sie zuerst mündlich, sodann durch ihre
Schriften gepredigt haben. Mithin ist alle Lehre als authentisch anzu-
sehen, welche mit diesen apostolischen Kirchen, Gebärmüttern
und urspünglichen Stätten des Glaubens (matrices et originales
fidei) übereinstimmt, ib. c. 36. Durchgehe die apostolichen Kirchen, in
welchen die Lehrstühle der Apostel selbst das Präsidium führen, in welchen
ihre authentischen Briefe vorgelesen werden, welche die Stimme und das
96 Erste Periode des alten Katholicismus.
Antlitz eines jeden vergegenwärtigen/* Er spricht noch weiter von den
sedes apostolicae, von welchen die übrigen Kirchen die Ueberlieferung des
Glaubens und den Saamen der Lehre (traducem fidei et semina doctrinae)
entlehnt haben und immerfort noch entlehnen, um Kirchen zu werden.
Irenäus (3, 4) hob hervor, „man solle nicht bei Anderen die Wahrheit
suchen, welche bei der Kirche leicht zu linden ist, da die Apostel selbst
in dieselbe als in ein reiches Behältniss (depositorium dives) vollständig
Alles hineingetragen haben, was zur Wahrheit des J>angeliums gehört.
Wenn sich ein Streit über eine theologische Frage erhebt, sollte man
nicht zu den ältesten Kirchen seine Zuflucht nehmen, in welchen die Apo-
stel gelehrt haben, und von ihnen die Entscheidung erw^arten? Was sagea
wir? Wenn die Apostel uns keine Schriften hinterlassen hätten, müsste man
nicht die Ordnung der Ueberlieferung befolgen, die sie denjenigen anver-
trauten, welchen sie die Kirchen übergaben? Welcher Ueberlieferung viel'3
barbarische Völker zustimmen, die an Christum glauben und ohne Papier
und Dinte das Heil in ihren Herzen geschrieben festhalten und die alte
Ueberlieferung flejssig befolgen. Daher kommt ihnen gar nicht in den
Sinn, was die Gnostiker Fabelhaftes lehren.^' Irenäus macht auch darauf
aufmerksam, dass die Häretiker die heiligen Schriften selbst verstümmeln,
dass die Kirche allein die wahren unverfälschten heiligen Schriften besitze,
und stellt sie entgegen den vielen apokryphischen Schriften, die in der
häretischen Kreisen im Umlaufe sich befänden. Die Kirche gibt auch alleiü
die wahre Auslegung derselben. Es ist diejenige, welche mit dem Inhalt
der mündlichen Lehre der Apostel übereinstimmt, wie sie noch jetzt in
den Apostelschülern und den apostolischen Kirchen fortlebt. So gewöhnte
sich die Mehrzahl der Christen und zwar gewiss schon vor den Zeiten des
Irenäus und des Tertullian, sich als Einheit zu fühlen, zusammengehalten
durch das Festhalten an der Ueberlieferung und an der gemäss dieser
Ueberlieferung ausgelegten Schrift, zusammengehalten durch die Aufein-
anderfolge (successio) der Lehrer, welche die reine Lehre bew^ahren. So
bildete sich die mächtige Idee der allgemeinen, katholischen Kirche, über
alle Welt verbreitet, in Einem Glauben vereinigt. Der Name exxXijcTta
xaS^oXixrj kommt zum ersten mal vor in dem Brief des Bischofs Ignatius
an die Gemeinde zu Smyrna ^), welcher Brief nebst den anderen desselben
Verfassers jedenfalls in ein hohes Alter hinaufreicht. Sodann kommt der-
selbe Name vor im encyklischen Sendschreiben der Gemeinde zu Smyrna'
an die Gemeinden im Pontus 167 bei Anlass des Todes ihres Bischofs Poly-
karp erlassen 2), woraus hervorgeht, dass in jenem Jahre der Name katho-
lische Kirche schon seit einiger Zeit im Gebrauche war.
Mithin traf damals der Geist der jungen Kirche eine andere Ent-
scheidung als der reformatorische Geist des sechszehnten Jahrhunderts.
Die Kirchenlehrer des zweiten Jahrhunderts setzen den Häretikern die
Tradition entgegen; die Reformatoren verwerfen die Tradition und gehen
1) C. 8. oTJov itv (fayrj 6 fniüxonog , fxfi to nXrj^o^ €Cto), loffnfQ onov ay tj
XQtüTog Itjüovg, fxet rj txyAtjCtn xa&okixt].
2) Bei Euseb. 4, 15. ytvo^svog smCxoTioq T/;f fy ^/uvQyrj xa&oltxrjg exxXijfftas»
Sammlung der neutestamentlichen Schriften. 97
lediglich auf die Schrift zurück ; und doch ist bei aller nicht zu läug-
nenden Verschiedenheit das Ziel, welches beide Theile verfolgen, dasselbe,
nämlich die wahre Lehre der Apostel unverfälscht durch spätere Zusätze
kennen zu lernen und festzuhalten. Weil die Lehrer des zweiten Jahrhunderts
sich in Berührung mit einer noch unverfälschten Tradition befanden, darum
gingen sie auf diese zurück und hielten sich an sie, während die Refor-
matoren, weil sie es mit einer im Laufe der Jahrhunderte sehr verunrei-
nigten Tradition zu thun hatten, sich von derselben hinweg wendeten, um
auf die Schrift zurückzugehen. Dasselbe Streben, welches die einen zum
Gebrauch der Tradition hin trieb, bewog die andern, von ihr abzusehen.
Auf beiden Seiten waltet derselbe Geist, nur anderer Mittel sich bedienend,
nur in andere Formen eingehend.
Es lag also im Begriffe der Katholicität die Vereinigung von zwei
Momenten, erstens das Zurückgehen auf die Apostel, wobei von den Kir-
chenlehrern noch bemerkt wurde, dass alle Häretiker hinterher gekom-
men, dass sie schon um deswillen nicht im Besitz der Wahrheit sein könn-
ten , indem ihre Lehren die wahre Lehre voraussetzten, sowie der Irrthum
die Wahrheit voraussetze, wovon er eben die Abirrung sei. Dazu kommt
als zweites Moment, dass die überwiegende Mehrheit der Gläubigen sich
auf dieser Seite befindet, in Beziehung worauf Tertullian den Satz geltend
macht: q\iod apud multos unum invenitur, non est erratum. Diese beiden
Momente der Katholicität finden wir schon bei Paulus vertreten. Im Briefe
an die Koloss-er 1,5, deutet er auf das höhere Alter des* reinen Evan-
geliums, das ihnen gepredigt worden, im Gegensatze zu den später ge-
kommenen Irrlehrern (nQorjxovcrate) , sowie auf die allgemeine Verbreitung
des reinen Evangeliums {€P Tiapti zm xoc/i«) im Gegensatz zu dem ver-
einzelten Häuflein der Irrlehrer mit ihrem Anhange.
§. 2. Sammlung der ächten, unverfälschten neutestament-
lichen Schriften.
Die Art, wie die Häretiker mit den heiligen Schriften umgingen, die
verstümmelten und interpolirten Schriften, die so in Umlauf kamen, über-
diess die apokryphischen und pseudepigraphischen Schriften, die diese Zeit
in Fülle hervorbrachte und woran auch solche sich betheiligten, die durch-
aus nicht zu den Häretikern gehörten, diess Alles trieb die Kirchenlehrer
an, die ächten, unverfiilschten heiligen Schriften aufzusuchen und sie^u
unterscheiden von den apokryphischen und pseudepigraphischen Schriften. —
Die Schriften, die unseren neutestamentlichen Kanon bilden, waren jede
zunächst in einem gewissen Kreise von Gemeinden beschlossen geblieben.
Die apostolischen Briefe wurden in denjenigen Gemeinden, an welche sie
gerichtet waren, vorgelesen Kol. 4, 16. Bis in die ersten Decennien des
zweiten Jahrhunderts aber gab es noch durchaus keine Sammlung der-
selben. Nun fing man noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts an,
sie zu sammeln. Die Sammlung, erst weit später Kanon genannt, umfasste
zwei Theile, die vier Evangelien, ausgeschieden, w^ie Irenäus meldet^ aus
einer unzählbaren Menge von apokryphischen Evangelien; das nannte man
Herzog, Kirchengesclüchte I. 7
98 Erste Periode des alten Katholicismus.
to evayyeXioPy to evayyeXixov. — Dazu kamen die Apostelgeschichte und
die apostolischen Briefe, unter dem Namen 6 anoatoXoti, to anoaiohxov.
Die Sammlung war noch durchaus nicht vollendet, im Einzelnen nicht ganz
festgestellt, und verschiedene andere Schriften genossen auch ein grosses
Ansehen und wurden in den Versammlungen vorgelesen. Immerhin ist es
ein grosses Verdienst der katholischen Kirche dieser Zeit, diese Sammlung
gemacht zu haben. Sie verfuhr dabei mit sicherem Takte, wie die Ver-
gleichung mit den apokryphischen Producten es deutlich beweist. Was
wäre aus dem Christenthum geworden , wenn es den Häretikern gelungen
wäre, die von ihnen gebrauchten heiligen Schriften selbst nur theilweise in
den Kanon einzuschmuggeln? Auch die reiche pseudepigraphische Litera-
tur, die in diesem unkritischen Zeitalter viele Bewunderer fand, konnte
den ächten heiligen Schriften Eintrag thun ; schon als Gegengewicht gegen
diese Literatur war die genannte Sammlung von grosser Bedeutung, und
eine Vergleichung der kanonisch gewordenen Schriften mit den ausserkano-
nischen schon vom Ende des ersten und Anfang des zweiten Jahrhunderts
zeigt, welche tiefe Kluft zwischen beiden Classen von Schriften befestigt ist.
§. 3. Die Glaubensregel und das apostolische Symbol.
Der Inbegriff der apostolischen Verkündigung, wie sie in der münd-
lichen Ueberlieferung und in den neutestam entlichen Schriften niedergelegt
worden, war .die Glaubensregel oder kirchliche Regel, auch Regel der
Wahrheit genannt (xapcop axxXrjaiafTTixog) bei Clemens Alexandr. Strom.
7, 15, xavMf triq aXri^eiciq bei Irenäus 1, L Eeyula fidei bei Tertullian de
virg, veL 1^ de praescriptione haeretic. c. 13. Species eornm, guae per praedi-
cationem apostolicam manifeste tradvntur bei Origenes, de principiis^ Pro-
oemiimi). Diese Regel war keineswegs eine von den Aposteln angeerbte
Formel, enthielt aber die Summe der apostolischen Predigt, wie sie durch
die Ueberlieferung in der heiligen Schrift zu den späteren Geschlech-
tern gekommen war; und darum konnte man sie als a Christo instituta,
ah apostolis tradita hinstellen, wiewohl sie in ihrer empirischen Ge-
stalt nicht direct auf den Herrn und seine Jünger zurückgeht. Sie wurden
von den Lehrern in freier Form aufgezeichnet und von ihnen nach dem
jedesmaligen Bedürfnisse weiter oder enger gefasst. Daher weichen die
verschiedenen Formulare derselben von einander ab. Deutlich tritt in
all^n die Entgegensetzung gegen die genannten haeretischen Irrthümer,
insonderheit gegen die judenchristlichen, sodann gegen die heidenchrist-
lichen hervor. Die Glaubensregel hatte keinen öffentlichen, kirchenrecht-
lichen Charakter, zeigt aber deutlich das Bestreben und das Bedürfniss,
den Hauptinhalt des Christenglaubens zu fixiren, worauf auch der Name
xavtav, regula hinweist.
Wir übergehen die kleinen Ansätze dazu in den ignatianischen Brie-
fen (ad Trallianos c. 9^ ad Smyrnaeos c. 2, ad Magnesios c. 11) und bei
Justin (Apol. 1, 6) und gehen sogleich zu der ältesten und wichtigsten
Formel über, wie sie Irenäus 1, 10, 1 mittheilt:
;;Die in der ganzen bewohnten Welt bis ans Ende der Erde verbreitete
Die Glaubensregel und das apostolische Symbolnm- 99
Kirche hat von den Aposteln und ihren Schülern überkommen den Glau-
ben an Einen Gott, der Himmel und Erde erschaffen^ — gegen den heid-
nischen Polytheismus, gegen den gnostischen Weltschöpfer, gegen das
Emanationssystem, gegen den Dualismus — ;,und an Einen Christus, Sohn
Gottes, um unseres Heiles willen Fleisch geworden'' — gegen die gnostische
Lehre von einem oberen und unteren Christus, zugleich gegen den Doke-
tismus — ,,und an den heiligen Geist, der durch die Propheten verkündigt
hat die Heilsanstalten (oixovofiiag), das Kommen und die Geburt aus der
Jungfrau'' — gegen die Ebioniten und einen Theil der Gnostiker — ,,das
Leiden, die Auferstehung und die leibliche Auffahrt gen Himmel unseres
geliebten Herrn Jesu Christi und seine Wiederkunft vom Himmel in der
Herrlichkeit des Vaters, um Alles unter Ein Haupt zusammenzufassen und
aufzuerwecken alles Fleisch der ganzen Menschheit, damit vor Jesu, unsern
Herrn und Gott, Heiland und König jegliches Knie sich beuge derer, die
im Himmel, auf Erden, unter der Erde sind und jegliche Zunge ihn bekenne,
und damit er ein gerechtes Gericht halte über alle Geister der Bos-
heit, die Gottlosen und Ungerechten in das ewige Feuer werfe, den Ge-
rechten aber und Heiligen, die seine Gebote gehalten und in der Liebe
beharrt haben, sei es von Anfang an oder indem sie sich durch Busse
erneuert haben, Leben, Unsterblichkeit und ewige Herrlichkeit gebe."
Bei Tertullian finden wir drei verschiedene Formeln, kürzer gefasst,
aber mit einigen neueren Bestimmungen ; die kürzeste ist die in der Schrift
de virg. vel. c. 1 mitgetheilte , das neue darin ist dieses, dass von Christo
gesagt wird, er werde wieder kommen und richten die Lebendigen und die
Todten auch durch die Auferweckung des Fleisches (per carnis etiam re-
surr ectionem). Die Formel in der Schrift de praesrriptione haeretic. c. 13
ist etwas weitläufiger; es wird die Schöpfung aus Nichts genannt, die
Schöpfung durch das Wort , was Gottes Sohn genannt worden ; er sei den
Patriarchen erschienen und zuletzt in der Jungfrau Maria herunter ge-
bracht worden, aus dem Geist des Vaters. — Erhöht nach der Aufer-
stehung zur Rechten des Vaters habe er den heiligen Geist ausgesendet,
er werde wieder kommen in der Herrlichkeit u. s. w. ,,Diese Glaubens-
regel, sagt Tertullian, von Christo angeordnet, ist bei uns keinen weiteren
Fragen unterworfen." In der Schrift adver sus Praxeam c. 2 ist im Gan-
zen dasselbe gesagt, nur mit montanistischer Färbung. Bei Origenes (de
principiis Prooemium §. 4) ist die Glaubensregel schon complicirter , wo-
durch sich die spätere Periode der Entwicklung kund gibt, in welcher der
Gegensatz gegen die ebionitische und heidenchristliche Häresis weit schär-
fer und ausführlicher hervorgehoben und zugleich das Interesse des dog-
matischen Systems des Origenes gewahrt ist, indem er die von der Kir-
chenlehre unbestimmt gelassenen Punkte scharf abzirkelt, um für seine
Philosopheme Raum zu gewinnen. Zu diesen Formeln kommt noch die
Glaubensregel bei Novatian de trinitate seu de regida fidei, welche nur die
gewöhnlichen Erweiterungen der Taufformel bietet, sodann die kurze
mensura fidei bei Victorin von Petavio in Oberpannonien , j etzt Petau in
Steyermark, in seinen Scholien zu Offenbarung Job. 11, 1, und die
xadoXixri didarrxaXia in den apostolischen Constitutionen VI, 14 untermischt
7»
100 Erste Periode des alten Katholicismus.
mit sittlichen Ermahnungen; es wird die Bemerkung vorausgeschickt, dass
die Apostel, wozu namentlich Paulus gerechnet wird, zusammen dieses
Bekenntniss aufgesetzt haben i).
In der Glaubensregel, besonders wie sie bei Irenäus und TertuUian
vorliegt, haben wir das Glaubensbekenntniss der katholischen Kirche im
Kampfe mit der Juden- und heidenchristlichen Häresis des zweiten Jahr-
hunderts, „den ersten nicht bloss individuellen, zusammenfassenden Aus-
druck für den wesentlichen Inhalt des christlichen Bewusstseins." Die
Fluctuationen des Inhalts lassen nur um so deutlicher den festen Kern
erkennen, der zu Grunde liegt und bürgen auch für die Freiheit der Ent-
wicklung. Wer also an diesem Bekenntniss festhielt, galt für katholisch.
Mit Recht konnte die katholische Kirche erklären, dass, wer sich von ihr
in dieser Beziehung trenne, des Heiles verlustig gehe.
Verschieden von der Glaubensregel, obschon damit verwandt, ist das
apostolische Symbol um. Dass es nicht von den Aposteln ist abge-
fasst worden, so dass jeder der zwölf Apostel einen Artikel aufgestellt
hätte, diese erst im vierten Jahrhundert aufgekommene Sage bedarf heut
zu Tage keiner Widerlegung. Eben so wenig braucht bewiesen zu wer-
den, dass die Stellen 1 Tim. 6, 12 cofioXoyrjCTag trjy xaXriv ö^oXoyiai^
evoaniov noXXoav fiaQzvQmp und 1 Petri 3, 21 (TvyetdrjO'eMg ayadi^g eneQUi-
trilia eiq ^eov , Nachfrage eines guten Gewissens an Gott bei der Taufe,
nicht nothwendig auf das Bekenntniss des apostolischen Symbols, wie es
uns seit dem vierten Jalirhundert vorliegt, bezogen werden müssen. Aller-
dings war mit der Taufe ein Bekenntniss verbunden. Wenn Jesus seinen
Jüngern befiehlt, alle Völker auf den Namen des Vaters, des Sohnes und
des heiligen Geistes zu taufen (Matth. 28, 19), so erhellt daraus, dass die
Täuflinge das Bekenntniss des Glaubens an den dreieinigen Gott ablegten:
das wird die ofioXoyia sein, welche Timotheus ablegt, das eneqtüTruia aig
^eovy insofern der Täufling dabei befragt wurde und als Antwort seinen
Glauben bekannte 2). Hilarius von Poitiers derselbe, der behauptet, in
der allerersten Zeit habe das Bekenntniss des dreieinigen Gottes genügt,
fügt hinzu, dass die Tautformel wegen der weit verbreiteten häretischen
Meinungen erweitert worden. Davon haben wir ein unzweideutiges Zeug-
niss bei TertuUian, de corona militis c. 3, wo er die Taufe beschreibt:
ter mergitamur, amplius aliquid respondentes quam Dominus
in Evangelio determinavit. Bis in die zweite Hälfte des zweitea
Jahrhunderts war also die ursprünglich auf das Bekenntniss des dreieini-
gen Gottes beschränkte Tauflbrmel in etwas erweitert worden, d. h. es
waren wohl einige der Sätze, wie wir sie in der Glaubensregel gefunden,
hinzugekommen. Doch in der Schrift de baptismo c. 6 deutet TertuUian
nur so viel an, dass in der Taufformel die Kirche erwähnt werde. Aus-
1) Die verschiedenen Formulare der Glaubensregel sind abgedruckt in Hahn, Bi-
bliothek der Symbole und Glaubensregeln der apostolisch - katholischen Kirche.
2) Allerdings werden in der Apostelgeschichte die Täuflinge lediglich auf den Na-
men Christi getauft: Apostelgesch. 2, 38. 8, 16, 37. 10, 48. Gal. 3, 27. Allein schon
Basilius M. bemerkte mit Recht: y rov Xqigtov xctrtjyoQta tov navrog fCny ofAoXoyia*
Die Glaubensregel und das apostolische Symbolum. 101
serdem erhellt aus der Schrift de praescriptione haeretic. c. 36, dass im
Taufsymbol die Auferweckung des Fleisches erwähnt war. Es ist mög-
lich, dass TertuUian wegen der Arcandisciplin die Taufformel nicht ge-
nauer beschreibt. Bei Cyprian ist sie schon weit mehr ausgebildet. Er führt
als Bestandtheile derselben die Vergebung der Sünden und das ewige Leben
an. Am Ende des dritten oder am Anfange des vierten Jahrhunderts, noch vor
dem Concil von Nicäa, d. h. im siebenten Buche der apostolischen Constitutio-
nen erscheint das Taufbekenntniss in sehr erweiterter Gestalt ; es enthcält theils
wesentlich dasselbe, was unser Taufsymbol, aber in grösserer Ausführlich-
keit, theils fehlt die Erwähnung des heiligen Geistes bei der Zeugung
Christi, die Höllenfahrt, die Gemeinschaft der Heiligen. Später verliert
sich jene Weitläufigkeit , sowie das polemische Interesse , welches sie her-
vorgerufen, zurücktritt, und es kommen die mangelnden Stücke hinzu, und
so haben wir das fertige apostolische Symbol, aber erst im fünften Jahr-
hundert ^).
Nun fragt sich, wie verhalten sich die Glaubensregel und das apo-
stolische Symbol zu einander? Hiebei ist wohl zu beachten, dass dieses
noch sehr unvollständig entwickelt war zu einer Zeit, da uns schon aus-
führliche Formulare der Glaubensregel vorliegen. Doch kann man des-
wegen nicht sagen, dass diese die Mutter, das Symbol die Tochter sei;
denn dieses existirte in seiner einfachsten Gestalt als Bekenntniss des
Glaubens an den dreieinigen Gott vor der Glaubensregel und dasselbe
Bekenntniss war der feste Kern, der der Glaubensregel zu Grunde liegt.
Nun bildete sich um jenen festen Kern ein Inbegriff der christlichen Lehre
und wurde im Kampfe mit den Häretikern erweitert. Er mag als Grund-
lage des Katechumenenunterrichts gedient haben und wurde auch als Au-
toritätswaffe gegen die Häretiker gebraucht, während die Kirche bei Er-
theilung der Taufe sich noch einige Zeit mit dem einfachen Bekenntniss
des Glaubens an den dreieinigen Gott begnügte. Nun aber entstand das
Bedürfniss, den Gegensatz der gesunden Lehre gegen die häretische nicht
nur theologisch, sondern auch kirchlich festzustellen, und die Katechume-
nen vor der Gefahr der Häresie durch ein w^eitläufigeres Bekenntniss sicher
zu stellen. So wurde das Taufbekenntniss allgemach erweitert, und die-
selben Verhältnisse, welche früher die einzelnen Artikel der Glaubensregel
ins Leben gerufen, bewirkten nun, dass dieselben Artikel einer nach dem
anderen dem Taufsymbol beigefügt wurden; so wurde es factisch der Erbe
der Glaubensregel, erhielt auch von ihr her den Ehrennamen apostolisch
und wurde vom vierten Jahrhundert an selbst regida fidei genannt.
S. Stockmeyer, wann und auf welche Veranlassung ist das apostolische Symbolnm
entstanden. Basel 1846. — Gas pari, Urkundensammlang zur Geschichte des
Taufs3'mbols I.Band — der es in seiner römischen Form bei Hahn S. 3 in das apo-
stohsche Zeitalter hinaufrückt. — Güder, Artikel Glauhensregel in der Real-
encyklopädie. — v. Zezschwitz, System der Katechetik S. 70ff. — Semisch,
das apostolische Glaubensbekenntniss , sein Ursprung, seine Geschichte 1872.
1) In der römischen Form nach Hufinus In der eXpositio symboli apost. bei Hahn
a. ft. 0. S. 3-
1Ö2 ferste Periode des alten Katholicisniüä.
§. 4. Begriff der Häresis, des Häretischen.
^iQSOig war zuvörderst vox media, Bezeichnung einer jeden durch
eigenthümliche Grundsätze und Tendenz sich kund gebenden Partei; das
Wort wurde angewendet auf die Schulen der Philosophen, selbst der Ju-
risten, im Neuen Testament zunächst von den Sadducäern Apostelgesch.
5, 17, von den Pharisäern Apostelgesch. 15, 5 gebraucht, auch zur Be-
zeichnung der Bekenjier Christi Apostelgesch. 24, 5. 28, 20. Paulus ge-
braucht den Ausdruck von den Christen aus Accommodation, Apostelgesch.
24, 14 xata triv oöov ri^ ksyovaiy alqeaiv. Also findet er etwas Tadelnh-
werthes in der Sache, die dadurch bezeichnet wird. Dieses Tadelnswerthe
legt Paulus in den Begriff Tit. 3, 10; es ist Abirrung von der gesunden
Lehre, die Spaltung erregt, darunter verstanden, aber noch zusammenge-
stellt mit (Txicriia 1 Cor. 11, 19. Gal. 5, 20. Sehr scharf tritt er gegen den
häretischen Menschen auf, den man nach ein- oder zweimaliger Ermahnung
meiden soll Tit. 3, 10. Auf dieser Grundlage erbaute sich der Begriff der
Häresis mit Hinzunahme des Begriffs der Katholicität.
1) Häretiker <6ind diejenigen, die von der apostolischen Lehre ab-
weichen, wie sie zumal in der Glaubensregel zusammengefasst ist. ;,Sie
bringen fremdes Feuer auf den Altar Gottes, d. h. fremde Lehre und wer-
den daher vom himmlischen Feuer verzehrt werden," sagt Irenäus 4, 26. 2.
2) Insofern sie vom gemeinsamen Glauben der katholischen Kirche ab-
weichen, constituiren sie sich als Einzelpartei, als rebellische Minorität.
3) Insofern die Glaubensregel durch die Bischöfe gehandhabt wird, sind die
Häretiker solche, welche den Bischöfen, die von den Aposteln abstammen,
den Gehorsam aufsagen , sich von ihnen abwenden , um da und dort se-
parirte Häuflein zu bilden. 4) Die Häresis führt unter christlichen Namen
unchristliche Lehren ein, sie verdirbt den Sinn der biblischen Aus-
drücke. Das Gefährliche der Häresis besteht eben in diesem äusseren
Zusammenhange mit dem Christenthum. Sie ist ein tödtendes Gift mit
Honig vermischt, nach Ignatius an die Gemeinde zu Tralles c. 6; derselbe
nennt sie auch Wölfe, die sich glaubwürdig stellen ßvxoi a^ioTicatot, an
die Philad. c. 2). 5) Die Häresis entspringt aus subjectiver Willkür, aus
Mangel an Glauben, aus Vermischung des Christenthums mit der Philo-
sophie; dazu kommen Ehrgeiz, Habsucht und andere irdische Motive. Sie
zeigt eine grosse Zerfahrenheit, wogegen die katholische Lehre dieselbe
ist in allen Kirchen (doch wie viele Ausnahmen gab es davon!). 6) Die
Häresis ist das hinterher gekommene, die katholische Wahrheit das Ur-
sprüngliche und schon um deswillen das Wahre. 1) Ignatius empfiehlt für
die Häretiker zu beten (ad Smyrn. c. 4), im Allgemeinen wich man
den Erörterungen mit ihnen aus und schloss sie von der Gemein-
schaft mit der Kirche aus, sie dem Schicksale von Chore, Dathan und
Abiron überlassend. Es zeigt sich darin eine polemische Heftigkeit, die
leider nur zu leicht zu erklären ist. Welche Aeusserungen in dieser Be-
ziehung selbst dem Apostel Johannes zugeschrieben wurden, davon ist
schon die Rede gewesen. In seinem zweiten Briefe v. 10. 11 hatte er alle
Geschichte der Rheologie. 1Ö3
Gemeinschaft mit den Häretikern untersagt. Es war allerdings nöthig,
dass ein starker Abscheu gegen die Häresis entstünde, damit das Ganze
der Kirche vor ihrem Gifte bewahrt bliebe.
So waren denn die Anstalten getroffen, welche das fernere Eindrin-
gen der Häresis in die Christenheit verhindern sollten. Die Kirchenlehrer
begnügten sich aber nicht damit. In der Behandlung der Dogmen, im
Ganzen wie im Einzelnen nahm die Kirche eine Kampfstellung ein gegen
die gefahrdrohende Häresis, dieselbe Kampfstellung nehmen wir wahr
in Hinsicht der Verfassung, sogar des Cultus und der Sitte. In allen
Zweigen der kirchlichen Entwicklung bildete sich im Gegensatz gegen die
häretischen Abirrungen ein bestimmter, katholischer Typus aus, zum
deutlichen Beweise, welchen mächtigen indirecten Einfluss die Häresis auf
die Kirche ausgeübt hat.
Vierter Abschnitt.
Die Geschichte der Theologie.
Dasselbe polemische Interesse, welches die Gegenanstalten der Kirche
gegen die judenchristliche und heidenchristliche Häresis hervorgerufen,
wozu noch das apologetische Interesse gegen die Angriffe der Juden und
Heiden hinzukam, gab immerfort mächtigen Antrieb zum Anbau der Theo-
logie, und diese erheischt um so mehr unsere Aufmerksamkeit, je mehr
sie massgebend wurde für alle folgende Zeit. Es entwickelte sich zumal
in der griechich- morgenländischen Kirche schon ein ziemlich reges theo-
logisches Leben, welches, von bescheidenen Anfängen ausgehend, bald
kühn genug war, sich an die Lösung der schwierigsten Probleme der
Theologie zu wagen. Es zeigte sich dabei, welch' einen weiten Gesichts-
kreis das Christenthum dem denkenden Geiste eröffnet. Das Streben nach
Uebereinstimmung in der Lehre beschränkte so wenig die Freiheit der
Entwicklung, dass bereits sehr verschiedenartige Richtungen aus dem
Schosse der katholischen Kirche hervorgingen. So zeigte sich eine sehr in
die Augen fallende Verschiedenheit zwischen der griechisch- morgeiilän-
dischen und der lateinisch -abendländischen Theologie und besonders in
jener schon sehr verschiedenartige Richtungen, auch neue Abirrungen.
Erstes CapiteL Die Kirchenlehrer und Kirchenschriftsteller
§. 1. der griechisch-morgenländischen Kirche.
Es lag in der Natur der Sache, dass das christliche Dogma zunächst
weniger entwickelt und erläutert, als einfach bezeugt wurde nebst prak-
tischer Anwendung desselben; und auch dann, als es nöthig schien, gegen
1Q4 Erste Periode des ^Iten Katholicismus.
die waclisende Macht der Häresie noch stärker aufzutreten, gab es Lehrer,
welche sorgfältig jede Anschliessuug an die hellenische Philosophie ver-
mieden, von der ja eben die gnostische Häresis abgeleitet wurde.
I. In den Kreis dieser Richtung gehören zuvörderst einige Männer,
die noch zu den apostolischen Vätern gerechnet werden.
Hier kommt zunächst der Brief des Barnabas in Betracht der von
Clemens Alexandr. Strom 2, 6 und in anderen Stellen sowie von Origenes
c. Celsum 1, 63 als ächte Schrift dieses aus der Apostelgeschichte bekann-
ten Mannes angesehen und benützt, dagegen von Euseb.*3, 25 zu den vo^oiq
und von Hieronymus de viris ill. c. 6 zu den apokryphischen Schriften
gerechnet wird. Es ist allerdings nicht wohl möglich, dass ein aposto-
lischer Mann das mosaische Gesetz als das Werk eines bösen Engels be-
trachtete (c. 9), die Apostel als vor allen grosse Sünder bezeichnete c. ö
(vnsQ naaav a^agtiap apofiMT€Qövg)^ das Fasten der Juden völlig verwarf
c. 3 , da doch aus der Apostelgeschichte bekannt ist, dass Barnabas fastete
13, 2. 3. 14, 23. Er leugnet sogar, dass Gott jemals mit den Israeliten
im Bundesverhältniss gestanden. Der Verfasser ist ein Heidenchrist, dei'
im Anfang der Regierung Hadrians schrieb, wie aus mehreren Anzeichen
hervorgeht. Zweck des Briefes ist, zu erweisen, dass der alte Bund,
buchstäblich verstanden, nicht giltig ist, dass er dagegen, geistig verstan-
den, ein Vorbild ist auf den neuen, an den die Christen sich allein zu
halten haben; diese Erkenntniss, diese Gnosis will der Verfasser seiner
Lesern vermitteln — durch ausschweifende Anwendung der allegorischen
Auslegung. Das autfallendste Beispiel davon ist die allegorische P>klärung
der Zahl der dreilmndertundachtzehn Sclaven des Abraham, wo die beiden
ersten Buchstaben I und H (10 + 8) Jesum bedeuten und weil das Kreuz
Gnade verschaffen sollte, so w^erden dreihundert hinzugesetzt, welche durch T
das Zeichen des Kreuzes bezeichnet werden; ^ich habe das noch Niemand
mitgetheilt, setzt der Verfasser hinzu, aber ich weiss, dass ihr dess wür-
dig seid" c. 9. Der Brief ist gegen judenchristliche Häresie, so wie auch
gegen die Juden selber gerichtet, und das Hervorheben der Gnosis deutet
darauf, dass zur Zeit der Abfassung das Streben nach Gnosis sich in der
Kirche lebhaft kund gab i).
Der bereits in der Geschichte der Verfolgungen erwähnte Ig-
natius, Bischof von Antiochien, kommt hier in Betracht wegen der
ihm zugeschriebenen Briefe. Er war Bischof von Antiochien und nach
den Märtyreracten Schüler des Johannes, was jedoch nicht richtig
sein kann, da er in allen Briefen, die seinen Namen tragen, nirgends
andeutet, dass er einen der Apostel gekannt habe, so wie er auch Bischof
Polykarp nicht gesehen bis kurze Zeit, bevor er ihm schrieb. Er erlitt
1) Dieser Brief ist öfter besonders herausgegeben worden, zuletzt 1869 durch J, G.
Müller, auf Grund des vollständigen griechischen Textes, der sich glücklicherweise im
codex sinaiticus des Neuen Testaments vorgefunden. Die beigefügten Anmerkungen geben
eine sehr genaue Erläuterung des Textes — so wie aller einleitenden Fragen über Be-
schaffenheit des Briefes, der Abfassung u. s. w. Kiggenbach (der sogenannte Brief
des Barnabas 1873) gibt die deutsche üebersetzung und Bemerkungen dazu. — Siehe
ausserdem das Programm von Weizsäcker zur Kritik des Bamabasbriefea. 1863.
Geschichte der Theologie. Ignatius. 105
unter Trajan 109 — oder 116 in Rom den Märtyrertod, indem er den
wilden Thieren vorgeworfen wurde. Dass der Kaiser ihn nach Rom trans-
portiren Hess, das macht keine Schwierigkeit. Es geschah oft, dass die
Provincialstatthalter Material zu Hinrichtungen in andere Provinzen schick-
ten, also nicht auffallend, dass sie auch nach Rom solches Material lieferten.
Vielleicht hoffte der Kaiser, Ignatius werde durch die beschwerliche Reise
in der treuen Festhaltung an seinem Bekenntnisse wankend gemacht wer-
den. Dieser Mann soll nun, auf der Wegführung nach Rom verschiedene
Briefe geschrieben haben, die wichtig sind für die Geschichte der Kirchen-
verfassung, aber auch für das Dogma, indem wir aus ihnen den Zustand
der Häresis in diesem Jahre, wo der Verfasser schrieb, kennen lernen. —
Im Ganzen tragen fünfzehn Briefe den Namen des Ignatius, sind aber
offenbar von sehr verschiedenem Alter und Werthe. Es kommen eigent-
lich nur die sieben von Euseb. 3, 36 angeführten in Betracht: an die Ge-
meinde zu Magnesia, Tralles, Philadelphia, Smyrna, Ephesus, Rom und
der an Bischof Polykarp. Sie finden sich in einer längeren und in einer
kürzeren Recension vor. Im Allgemeinen neigt sich das Urtheil dahin,
dass die kürzere Recension der längeren vorzuziehen, dass sie als dem
ächten Texte näher stehend anzusehen sei. Euseb kennt keine anderen
Briefe, als die genannten sieben, und hat niemals von einem Zweifel an der
Aechtheit derselben gehört. Man hat in der starken Anpreisung des Epis-
kopats die Spur einer späteren Abfassung oder einer Interpolation dieser
Briefe zu finden geglaubt, aber gerade diese starke Anpreisung scheint
darauf zu deuten , dass der Episkopat noch jungen Datums ist und gar
sehr der Unterstützung bedarf. Ueberdiess ist der Episkopat anders ge-
fasst, als bei den anderen Vätern, z. B. bei Irenäus, der die Bischöfe als
Nachfolger der Apostel ansieht, während die Briefe des Ignatius sie als
Nachfolger und Stellvertreter Christi auffassen, und die Presbyter als
Nachfolger der Apostel, ein Verhältniss, welches an die Nähe der Ge-
meinde zu Jerusalem erinnert, welche Gemeinde eine Zeitlang leibliche
Verwandte des Herrn zu Bischöfen oder Vorstehern wählte. Zudem ist der
Episkopat bei Ignatius nicht, wie er sonst in der katholischen Kirche auf-
tritt, Organ der Verbindung der Gemeinden, er ist lediglich Gemeinde-
amt, er hat keine über die Grenzen der Ortsgemeinde übergreifende Be-
deutung. Man hat in der ciyri , angeführt im Brief an die Magnesier c. 8,
eine deutliche Spur der Valentinianischen Gnosis zu finden geglaubt und dar-
aus einen neuen Grund gegen die Aechtheit abgeleitet. Allein bei Hippolyt
lib. 6, 18 wird ein Fragment aus der anocfaaiq ^eyalrj des Magiers Simon mit-
getheilt , woraus deutlich erhellen soll , dass Simon den Begriff der (Tiyfj
kannte *). Eine starke Instanz gegen die Aechtheit hat man gefunden in den
Resultaten der Forschungen des Engländers Cureton ; er hatte 1839 und 1843
in der nitrischen Wüste zwei syrische Handschriften gefunden, welche den
Brief an Polykarp, den an die Ephesier und den an die Römer enthielten.
Der Text dieser syrischen Briefe ist nun noch kürzer als der der kürzeren
1) Es bleibt freilich mehr als unsicher, ob diese nnoipaffts /LKyttlrj der Zeit vor
Valentin angehört, ob sie von Simon herrührt.
106 Erste Periode des alten Katholicismüs.
bereits genannten Recension der sieben Briefe, und es wird der Episkopat
nicht gar so hoch gestellt, als Stellvertretung Christi, wie in jener Re-
cension. Das erklärt sich vielleicht daraus, dass der syrische Auszug, den
Cure ton gefunden, nur für den liturgischen Gebrauch bestimmt war. Auf
jeden Fall ist kein zwingender Grund da, warum man diese syrischen Do-
cumente als die einzig ächten Reliquien des Ignatius ansehen sollte. Auf
der anderen Seite muss die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, dass Inter-
polationen angebracht wurden, anerkannt werden i).
Polykarp, der aus der Geschichte der Verfolgungen bekannte Bi-
schof von Smyrna, der daselbst 167 auf dem Scheiterhaufen sein Leben
endete, nach Irenäus, der einst sein Schüler gewesen, von Aposteln un-
terrichtet, von Aposteln zum Bischof von Smyrna eingesetzt (Iren. adv.
haer. 3, 3. 4), vertrat im Leben und im Sterben die apostolische Tradition
der kathohschen Kirche und bezeugte immer einen grossen Abscheu vor den
gnostischen Lehren, so dass, wenn etwas davon vor ihm geäussert ward,
er auszurufen pflegte: „o guter Gott, auf welche Zeiten hast du mich
aufbewahrt, dass ich solches erleben muss." Euseb. 5, 20. Derselbe ist
Verfasser eines Briefes an die Gemeinde zu Philipp! , dessen Aechtheit
durch das Zeugniss des Irenäus, des Schülers von Polykarp, bestätigt wird
(Iren. 3, 3. 4); und der zugleich die erste Anführung der ignatianischen
Briefe enthält c. 9 und 13. Der Brief verdankt seine Entstehung, wie es
scheint, einer schmerzlichen Erfahrung, welche die Gemeinde gemach',
hatte , da der Presbyter Valens mit seiner Frau Gemeindegelder unter-
schlagen hatte. Polykarp ermahnt die Philipper zu sanfter Behandlung
dieser Leute und wünscht, dass Gott ihnen wahre Sinnesänderung ein-
flösse c. 11, der Brief enthält ausserdem noch allerlei sittliche Ermahn-
ungen, die sich auch speciell an die einzelnen Stände richten. Zugleich
zeigt sich der Verfasser als Bekenner der paulinischen Rechtfertigungs-
lehre (c. 1). Er warnt vor dem gnostischen Irrthum des Doketismus, und
zwar mit denselben Worten wie Johannes. Die Menschwerdung des W^ortes
heisst bei ihm elevciq ev caqui 1 Joh, 4, 2 2).
In den Testamenten der zwölf Patriarchen, geschrieben zu
Anfang des zweiten Jahrhunderts von einem Judenchristen, der in der
Form erdichteter Abschiedsreden der Söhne Jakobs an ihre Söhne die noch
dem Christenthum fern stehenden Juden zur Annahme desselben einladet,
sind hauptsächlich sittliche Ermahnungen enthalten, woran sich Weissag-
ungen anschliessen. Das Judenchristenthum des Verfassers hat nichts
Ebionitisches an sich; denn er erkennt Paulus als Apostel an und Christus
ist ihm mehr als Prophet, er ist ihm Hoherpriester , nirgends deutet er
an, dass die Heiden bei dem Eintritt in die Kirche sich der Beschneidung
unterwerfen sollen.
Ebenfalls judenchristlicb, aber nicht ebionitisch ist der Standpunkt des
1) Vgl. Ignatius von Antiochien von Dr. Zahn. 187S.
2) Wegen der Aufforderung c. 5 sich den Presbyteren und Diakonen zu untetwer*
fen (üg d^fio xai ^gtcra, eine Interpolation dieser Stelle anzunehmen, scheint nicht ge»
rechtfertigt.
beschichte der Theologie. Hermas. Papias. 107
Verfassers der Schrift: der Hirte i), der sich selbst auf den Begleiter des
Apostels Paulus, Hermas Rom. 16, 14 zurückführt. Die Schrift, die sich
in Visionen bewegt, ist hauptsächlich ethischen Inhalts, sie ist eine Buss-
predigt an die hochmüthigen Geistlichen, an die sittlich erschlafften Laien,
eine Busspredigt, geschärft durch die Ankündigung: der Herr ist nahe,
plötzlich kann er kommen. Die Schrift hat mit dem Montanismus Aehn-
lichkeit; es sind dieselben Fragen, die beide behandeln, Busse, zweite
Ehe, Askese, Verhältniss von Prophetie und Amt, wobei die unächte Pro-
phetie von der ächten geschieden wird. Hermas, obschon er die hierar-
chische Richtung bekämpft, wie er denn gegen die Kathederreiter pole-
misirt (nQcoTO'xa^eSQiTat) will doch, dass durch sie seine Offenbarungen
der Kirche mitgetheilt werden; die Reaction ist noch eine innerkirchliche.
Hermas erscheint nach Dorn er als Vorläufer des Montanismus. Er [ist nach
Nitzsch auf dem Wege vom Judenchristenthum zum Dogma der Glaubens-
regel; selbst die Christologie geht nicht über den judenchristlichen Monar-
chianismus hinaus, doch ist keine Spur von Festhaltung der Beschneidung
wahrzunehmen, an deren Stelle die christliche Taufe getreten. Auftallend
ist seine Empfehlung der Werke, als ob er bereits opera siipererogatoria
aufstellen wollte 2). Verfasser ist auf keinen Fall der paulinische Hermas,
wie Origenes meinte, sondern er ist überhaupt unbekannt. Er lebte aber
zu einer Zeit, wo bereits die häretische Gnosis sich kund gab (Similitudo
9, 22), aber von Marcion ist nicht die Rede. Die Schrift mag in dem zwei-
ten Viertel des zweiten Jahrhunderts entstanden sein. — Dass sie unter
Nerva oder unter Domitian geschrieben, davon muss abgesehen werden. —
Sie genoss unter den katholischen Kirchenlehrern ein grosses Ansehen.
Erst in der neuesten Zeit ist der ächte griechische Text entdeckt und
veröffentlicht worden 3).
Papias, Bischof von Hierapolis in Phrygien, steht wie die anderen
1) S. Hermas, der Hirte des, von Dr. Th. Zahn. 1867.
2) Visio III. 3 kttv de ayct^oy noii]ffiis fxros t//? fyroXtjg rov &fov, GfavTCD
TTfQtnoiTjüTj do^ny TtfoiGGoTfgny xm fGrj fydo^oTrgog nctgct to) 9fio ov f/nfUfg ftyat.
3) Origenes ad Rom. 16, 14 stellt die Schrift den kanonischen an die Seite. Ire-
näus 4, 20. 2 citirt sie als tj yQK(frj. Auch Clemens spricht davon mit Verehrung
Strom 1, 29. 2, 1, ebenso TertuUian vor seiner montanistischen Periode, de oratione c. 16,
während er sie de pudicitia c. 10 als apocrypha falsa, adultera verwirft. Euseb. 3, 25
setzt sie zwar unter die ro&a, aber mit dem Brief des Barnabas und der Apokalypse des
Johannes. — Die Schrift kannte man lange Zeit nur nach einer alten lateinischen Ueber-
setzung, Paris 1513 zum ersten mal gedruckt — vom griechischen Texte waren nur
Bruchstücke vorhanden. — Erste Ausgabe des griechischen Textes von Anger und Din-
dorf. Leipzig 1856, nach einer von Simonides fabricirten gefälschten Copie der Abschrift
des griechischen Textes, die sich in einem Athoskloster gefunden, — sodann 2. Ausgabe dea
griechischen Textes von Tischendorf nach der ersten ächten Abschrift des Simonides.
Tischendorf fand 1859 im Codex sinaiticus einen nicht vollständigen griechischen Text,
dessen Varianten bei Dressel (2. ed.) verzeichnet sind. — Es sind aber seitdem zwei alte
lateinische und eine äthiopische Uebersetzung entdeckt worden. — Diese Materialien benützte
Hilgenfeld für seine Ausgabe des Hermas. Leipzig 1866 im dritten Fascikel des Neuen
Testamentes extra canonem receptum. S. auch Tischendorf über den Text dea Hermas \j\
der Realencyklopädie 19. Band S. 631.
108 Erste Periode des ;alteii Katholic)smu3.
bis jetzt genannten Vertreter der sich bildenden katholischen Theolo-
gie an der Pforte des alten Katholicismus , den er als fleissiger Sammler
apostolischer Traditionen wesentlich gefördert hat. Trenäus 5, 33, 4 nennt
ihn Zuhörer des Johannes; aber Euseb. 3, 39 sieht diese Angabe an ala
auf einer Verwechslung mit dem Presbyter Johannes beruhend. In seinem
leider bis auf Fragmente verloren gegangenen Werke loyiMv xvgmxoiv
€^riyrf(Ttc hat Papias, auf Grund sorgfältiger Nachforschung bei denen, die ihm
authentischen Bericht über das, was die Apostel und die Jünger des Herrn
gesagt, zu geben im Stande waren, Aussprüche Jesu zusammengestellt
und mit Erklärungen begleitet. Aus den von Euseb. aufbewahrten Worten
der Einleitung zu diesem Werke sehen wir deutlich, dass die Tradition als
die Trägerin des in der Erinnerung der älteren Zeitgenossen noch leben-
den Bildes Christi aufgeüisst wird. Die Schrift des Papias war vornehmlich
auch dahin gerichtet, die falschen gnostischen Traditionen durch die Ent-
gegenstellung der verbürgten apostolischen zu bestreiten und zu wider-
legen. Doch ist nicht zu leugnen, dass er auch sehr unverbürgte, geia-
dezu falsche muss aufgenommen haben, so z. B. die, betreffend die aus-
serordentliche Fruchtbarkeit der Erde im tausendjährigen Reiche Iren. 5,
33, 3, daher ihn Euseb. 3, 39 einen an Geist beschränkten Mann genanat
hat. Er starb' als Märtyrer in Pergamus, unter Mark-Aurel wahrscheia-
lich 167.
Hegesipp ist für die neue Tübingerschule eine Hauptstütze dc^r
Ansicht, dass in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts der Ebionitis-
mus in der Kirche herrschend war (S. Euseb. 2, 23. 3, 11. 16. 20. 32. 4, S.
11. 21. 22). Ein geborener Jude, nachdem er den christlichen Glauben
angenommen, schenkte er der Zerspaltenheit der jüdischen Sekten seiie
Aufmerksamkeit. Da er viele Irrthümer derselben sich in die Form christ-
licher Häresieen kleiden sah, machte er, eifrig für die Einheit der Lehro,
um „den gesunden Kanon der Heilsverkündigung kennen zu lernen'^ (Euseb.
3, 32) Reisen zu sehr vielen Bischöfen , um zu erfahren, was ihr Glaube
sei, und fand in allen Kirchen, die er besuchte, denselben Glauben, wie
das Gesetz, die Propheten und Christus ihn bezeugen; dieser Einheit stellte
er die häretische Vielheit gegenüber. Die Früchte seiner Studien sind
fünf Bücher von Denkwürdigkeiten, vTrofn^rj^jata bis auf werthvolle, voi
Euseb. aufbewahrte Fragmente verloren gegangen. Er suchte darin, nacli
Euseb. 4, 8 in einfacher Schreibart die irrthumsfreie Darstellung der apo-
stolischen Predigt zu geben. Der Titel und einzelne Anführungen bei
Euseb. könnten zur Vermuthung führen, dass das Werk ein rein geschicht-
liches w^ar. Es geht aber aus anderen Indizien hervor, — da die histo-
rischen Notizen nicht chronologisch geordnet sind, — dass das Ganze ein
apologetisch -polemisches Werk war, doch angefüllt mit vielen historischen,
zum Theil sehr wichtigen Angaben. Daher führt ihn Euseb. 4, 8 unter der.
Vorkämpfern für die christliche Wahrheit gegen die Häresieen auf. So ist
Hegesipp eine beachtenswerthe Erscheinung in dem Process der Bildung
der altkatholischen Kirche als solcher, wie derselbe durch den Gegensatz
gegen die Häresis bedingt ist. Dass er auf ebionitischem Standpunkt ge-
standen, ist ein falscher Schluss aus einigen von Euseb. aufbewahrten
Geschichte der Theologie. Hegesipp. Irenäus. 109
Fragmenten seiner Schrift. So ist seine Schilderung Jakobi, des Gerech-
ten, des Bruders des Herrn allerdings stark judenchristlich gefärbt aber
keineswegs ebionitisch, übrigens aus der Tradition geschöpft. Wenn der
Umstand, dass Hegesipp die Orthodoxie der Kirche im Anschlüsse an Ge-
setz, Propheten und Christum findet, beweisen soll, dass er Ebionit ge-
wesen, so müsste auch Paulus als Ebionit gelten, da er von sich aussagt,
Apostelgesch. 26, 22, er lehre nichts, als was in Moses und den Propheten
enthalten sei. Eben so kann man nicht sagen, er polemisire gegen Paulus,
indem er sich dagegen erkläre, dass kein Auge die den Gerechten berei-
teten Güter gesehen habe u. s. w. (1 Cor. 2, 9 nach Jesaia 64, 3), wahr-
scheinlich wurden diese Worte von Gnostikern missbraucht. Die Gnosis
ist überhaupt der einzige Feind, durch den er die Einheit der Kirche ge-
fährdet sieht. Wäre er ebionitisch gesinnt, wie könnte er seinen Glauben
bei Polykarp und Clemens von Rom wieder finden? Die in Korinth vor-
gefundene Lehre sieht er als identisch an mit derjenigen, die Clemens
vorträgt. Der stärkste Beweis für seine nicht ebionitische Richtung ist
die Ansicht des Euseb. über ihn, der doch dessen Schrift genau kennt und
ihn an die Spitze der Kirchenlehrer stellt, die von der apostolischen Ver-
kündigung im Gegensatz gegen die gnostische Häresis zeugen. Er lebte
bis c. 180.
Der als Verfasser einer dem Kaiser Mark-Aurel überreichten Apo-
logie bereits angeführte Melito, Bischof von Sardes, verfasste auch viele
Schriften gegen die Gnostiker, zur Vertheidigung der evangelischen Ver-
kündigung — über den im Körper erschienenen Gott (n€Qi xov eycrw^atov
&eov^), darüber, dass Gott nicht Urheber der Sünde sei, über die Kirche,
über die Natur des Menschen u. A. (Euseb. 4, 26 2).
Unter den Vertretern der katholischen Lehre und Bekämpfen! der
Häresie, die wir bis jetzt betrachtet haben, nimmt die bedeutendste Stelle
Irenäus, Bischof von Lyon, ein 3). Von Geburt ein Grieche, wie sein
Name und seine Schriften es bezeugen, wahrscheinlich in der Mitte des
zweiten Jahrhunderts geboren und im Schoosse einer christlichen Familie,
wurde er frühe Schüler von Polykarp, Bald begab er sich nach Gallien,
vielleicht zu dem Zwecke, die Gnostiker, besonders die Valentinianer, die
sich auch in diesem Lande eingenistet und Anhang gefunden hatten (1, 13.
1) Neander meint zwar, es sei die Eede von der Körperlichkeit Gottes, in dem
Sinne, den Tertullian damit verband. Neander beruft sich auf Origenes, der diese Vor-
stellung bei Melito voraussetzt ; er gibt aber zu , dass Origenes des Melito Schrift wabr-
scheinlich nicht gelesen habe. — S. Steitz unter Melito in der Eealencyklopädie.
2) Eine der verlorenen Schriften des Mannes, xXfig, Schlüssel, wahrscheinlich eine
in die heilige Schrift einleitende oder zur Erklärung derselben dienliche Schrift, glaub-
ten die französichen Benedictiner wieder gefunden zu haben und gaben sie heraus im
Spicilegium Solesmense. Vol. II. III. Steiz hat in den Studien und Kritiken 1857 die
tJnächtheit der Schrift nachgewiesen.
3) S. Graul, die christliche Kirche an der Schwelle des irenäischen Zeitalters
1860. Ziegler, Irenäus, der Bischof von Lyon. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte
der altkatholischen Kirche. Berlin 1871. Duncker, des heiligen Irenäus Christologie
u. 8. w. 1843.
110 Erste Periode des alten Katholicismus.
1 — 7), zu bekämpfen. Er verbrachte daselbst einige Jahre als Presbyter
(Euseb. 5, 4) und erlebte die schreckliche Verfolgung der Gemeinden von'
Lyon und Vienne 177, wurde nach dem Tode des Bischofs Pothinus dessen :
Nachfolger (178) und starb als Märtyrer im Jahre 202.
Mit welcher Innigkeit und Treue er an dem Lehrer seiner Jugend
hing , das bezeugt er in der Epistel an seinen Jugendfreund Florinus , der
zu den Gnostikern abgefallen war. „Was wir, sagt er, in den ersten Jah-
ren gehört und erfahren haben, wächst mit unserer Seele zusammen, so
dass ich noch den Ort beschreiben kann, wo der selige Polykarp sass, sein
Ausgehen und sein Eingehen, seine Lebensweise und seine körperli(^.he
Gestalt, die Reden, die er zur Gemeinde hielt, wie er seinen Umgang
mit Johannes und den übrigen, die den Herrn gesehen hatten, erzählte
wie er ihre Reden wiederholte und welche Worte des Herrn er aus ihrem
Munde vernahm, welche Wunder des Herrn sie ihm erzählten. In allen
diesen Dingen theilte er nur solches mit, was mit der Schrift (den ge-
schriebenen Evangelien) übereinstimmte. Diess Alles hörte ich nach der
mir von Gott widerfahrenen Gnade eifrig an und schrieb es nicht auf Pa-
pier, sondern in meinem Herzen nieder und durch die Gnade Gottes be-
wege ich es immerfort in meinem Herzen^ (Euseb. 5, 20). Das ist dar
Mann, der die Bedeutung der mündlichen Tradition überhaupt für die
Kirche so sehr hervorhob, durch seine eigene Erfahrung sie bestätigend.
Es gehörte diess zu seiner Kampfstellung gegen die Häresie, die gnostische
zumal. Er erkannte aufs tiefste die Gefahr, womit die Gnosis das Christen-^
thum bedrohte, er deckte die grundstürzenden Irrthümer der Gnostiker,
die gänzliche Haltlosigkeit und Willkürlichkeit ihrer glänzenden Systemo,
ihre willkürliche Behandlung der heiligen Schrift auf. So schlug er, wie
Graul sagt, die Riesenschlange, die an der Wiege des Christenthuncs
lauerte, zu Boden. Eine gewisse Einseitigkeit war aber mit dieser pole-
mischen Stellung unmittelbar gegeben, und in jener Phase der Entwick-
lung auch heilsam als Gegengewicht gegen die gnostischen Verirrungei.
Es ist ihm nicht möglich, das Streben nach tieferer Erfassung des Christen -
thums, welches im Gnosticismus sich dunkel regte und auf so grosse Ab-
wege gerathen war, irgendwie als solches anzuerkennen. Die Philosophen
sind ihm diejenigen, die von Gott schlechterdings nichts wissen, sie sind die
Vorläufer der Gegner des Christenthums. Irenäus ist von der Polemik
gegen die Gnosis so sehr beherrscht, dass ihm der Blick für die Berühr-
ungspunkte des Christenthums mit der Philosophie völlig verschlossen bleibt :
ausser den Wahrnehmungen der Sinne und des natürlichen Verstandes
haben für ihn allein die Aussprüche der Schrift und der Ueberlieferung
Gewissheit. In dieser Beziehung steht er im Ganzen sogar unter Justin.
Dagegen hat er, wie wir gesehen, die grossartige Idee der allgemeinen,
katholischen Kirche mit Macht erfasst, wie sie auf Tradition und Schrift
sich gründet und den wesentlichen Inhalt ihres Glaubens in der Glaubens-
regel ausspricht. Es lässt sich aber nicht verkennen, dass bei Irenäus
die christliche Kirche im Begriffe ist, aus einer nur durch geistige Bande
zusammengehaltenen Gemeinschaft zu einer streng einheitlichen, auch
äusserlich besonders durch den Episkopat festgeordneten Anstalt zu werden,
Geschichte der Theologie. Irenäus. 111
wodurch das Christenthum ein gewisses gesetzliches Gepräge erhielt. Die
Polemik gegen die gnostische Verachtung und Verwerfung des Mosaismus
trug wesentlich dazu bei. Uebrigens griff Irenäus noch in anderer Be-
ziehung vielfach in die Zeit ein und erwies sich als friedliebend, seinem
Namen entsprechend ^) , in allem gemässigte Ansichten festhaltend. Er
zeigt sich wohl unterrichtet in der Schrift Alten und Neuen Testamentes,
wohl bekannt mit den alten Dichtern und Philosophen, besonders mit Plato
und Homer. Es finden sich in ihm Ansätze zu einer wahrhaft theologischen
Behandlung der GlaubensNvahrheiten. — Seine vielen Schriften^ Euseb. 5, 20
aufgezählt, gegen die Gnostiker hauptsächlich gerichtet, sind meistens ver-
loren gegangen. Erhalten ist nur die eine bereits angeführte Hauptschrift:
Widerlegung und Zerstörung der fälschlich sogenannten Erkenntniss (ekey-
Xog xai avatQonri trjg (fsiöoavvnov yyaxTsojg), gewöhnlich unter dem Titel
adversus haereses angeführt, in fünf Büchern, in Gallien vor dem Jahre 192
geschrieben, nur in einer schlecht lateinischen Uebersetzung erhalten.
Fragmente des griechischen Textes finden sich bei einigen Kirchenvätern,
und sind von den Herausgebern, Massuet (Paris 1710), Stieren (Leip-
zig 1853), Wigan Harvey (Cambridge 1857) zusammengestellt worden.
Diese Schrift, eine Hauptquelle für die Kenntniss des Gnosticismus ist
besonders gegen die in Gallien eingenisteten Valentinianer gerichtet.
H. Indem die Gnostiker eine philosophische Auffassung und Begrün-
dung des Christenthums erstrebten, indem die Heiden das Christenthum mit
Hülfe der Philosophie angriffen, entstand bei denkenden, gebildeten Geistern
unter den Christen das Streben, sich in ihrer Behandlung der christlichen
Lehren auf diesen philosophischen Boden zu versetzen , den Gegnern die
Waffe, die sie gegen das Evangelium brauchten, zu entwinden, die Berüh-
rungspunkte zwischen der Philosophie und dem Evangelium aufzusuchen
und zu verwerthen, das Christenthum selbst als die höchste Philosophie auf-
zufassen und es auf diese Weise mit dem wissenschaftlichen Geiste der Zeit
auszusöhnen. Dadurch erhielt es eine für gebildete Heiden ansprechendere
Form und konnte sich um deswillen auch unter den höheren Classen der
Gesellschaft mehr verbreiten. Dadurch wurde es auch vor abergläubischer,
fanatischer und roh sinnlicher Auffassung bewahrt, in welche eine Religion
leicht geräth, deren Anhänger ohne wissenschaftliche Ausbildung blos dem
Gefühle und der Phantasie folgen. Auf der andern Seite war mit derselben
Richtung eine gewisse Gefahr verbunden, die einer Vermengung von Chri-
stenthum und Philosophie, und diese Gefahr trat wirklich ein. — Es war
hauptsächlich die platonische Philosophie, an welche die Kirchenlehrer
sich anschlössen, freilich keineswegs rein, sondern es war eine eklektische
Philosophie, doch mit Vorherrschen des Platonischen. Wenn nun Plato bis-
weilen auf einen agxcciog Xoyog hindeutet, nach dem er sich richte, wenn er
auf Männer sich beruft, die von Gott besonders erleuchtet worden, so be-
ziehen diess die Väter auf Mosen , die Propheten und die alttestamentliche
Offenbarung.
1) Euseb. 5, 24 xm 6 (Af.y Eiorjvmos (ftQMyvyog Tti u)V rrj ngosrjyootn, ccvjt
T€ TW TQOTiü) fiQr]yonotos.
112 Erste Periode dos alten Katholicismus.
Von solchen philosophischen Christen oder christlichen Philosophen,
die gewöhnlich den Philosophen-Mantel beibehielten, gab es eine ziemliche
Anzahl, wovon hier nur die bedeutendsten erwähnt werden sollen.
Justin der Märtyrer, der schon öfter genannte, kommt zuerst in
Betracht i). Geboren zu Anfang des zweiten Jahrhunderts in Flavia Nea-
polis, dem alten Sichem, dem heutigen Nablus, im Schosse einer heid-
nischen Familie, fühlte er früh in sich den Trieb nach Erkenntniss des
Wahren. Er wandte sich der Reihe nach an mehrere Philosophen, die ihn
entweder nicht befriedigten oder durch ungebührliche Forderungen ab-
stiessen. Der Stoiker theilte ihm nichts über Gott mit, indem er meinte,
das sei überhaupt kein wichtiger Gegenstand der philosophischen Specula-
tion. Zu einem Platoniker fühlte er sich am meisten hingezogen; denn
dieser versprach ihm unmittelbare Anschauung der Gottheit. Voll von sol-
chen Gedanken, um sich ungehindert denselben hingeben zu können, begab
er sich eines Tages an das Gestade des Meeres, an einen einsamen Ort.
Da sah er einen Greis, von mildem, ehrwürdigem Ansehen, der an dem-
selben Gestade die Ankunft einiger Verwandten erwartete, auf sich zu-
kommen. Es entspann sich ein Gespräch zwischen beiden. Justin brachte
seine platonische Weisheit vor, wodurch er zur Anschauung Gottes und zur
Seligkeit zu gelangen hoffte. Der Greis trieb ihn aber durch seine Frage i
so sehr in die Enge, dass Justin endlich ausrief: welche Lehre soll ich mir
denn aneignen, wenn bei allen Philosophen keine Wahrheit zu finden ist.-^
worauf der Greis erwiederte , dass er die ersehnte Wahrheit leicht finden
könne, wenn er sich an die rechte Quelle wende; es seien in alten Zeiten
Propheten aufgestanden, bestätigt durch Wunder und Weissagungen ah
Organe des göttlichen Geistes, in ihren Schriften seien die reichsten Schätz»?
untrüglicher religiöser Wahrheit niedergelegt; diese solle Justin erforschen:
^Bete, dass sich die Pforten des Lichtes dir erschliessen , denn das sine'
Dinge, die Niemand erkennen kann, als welchem Gott und sein Christ es
gegeben^' (Dialog mit Tryphon c. 3—8). Justin befolgte den Rath und fühlte
sich mehr und mehr zum Christenthum hingezogen. Allein es waren übei
die Christen so abscheuliche Gerüchte ausgesprengt worden, dass er zu dem
Glauben, den sie bekannten, kein Vertrauen fassen konnte. Da sah er sie
als Märtyrer, ohne Furcht im Tode und bei Allem, was die Menschen
schrecklich nennen; nun erkannte er, dass sie unmöglich in Lastern und
Wollust leben könnten. Apologie. IL c. 12. Justin wurde im Jahre 133
Christ, etwa dreissig Jahre alt ; er widmete sich der Bekehrung heidnischer
Gelehrter und der Vertheidigung des Christenthums durch Schriften und
öffentliche Vorträge, die er in mehreren Städten des Reiches, namentlich
in Rom hielt. Er ahnte, dass er für seinen Glauben das Leben werde lassen
müssen, und -dass der Cyniker Crescens, dessen scheinheilige Unwissenheit
er öffentlich blos gestellt hatte, ihn zu verderben suchen werde. (Apol. IL
c. 3). So geschah es auch (Euseb 4, 16). Sein Tod durch Enthauptung in
Rom fällt nach der Berechnung von Semisch in das Jahr 166, unter Marc-Aurel.
1) Vergl. über ihn das Werk von Semisch 1840 und die neue Ausgabe seiner Werke
von Otto.
Justin der Märtyrer. 113
Justin's Thätigkeit war nach den drei Seiten hin, woher die Angriffe
auf das Christenthmn kamen , gerichtet ; 1) gegen die Heiden eine apolo-
getische; die betreffenden zwei Apologieen sind bereits angeführt , 2) gegen
die Juden; das Document davon ist der Dialog mit dem Juden Tryphon,
3) gegen die Häretiker; aber die dahin einschhägigen Schriften sind ver-
loren gegangen. Gewiss ist, dass Justin eine Zusammenstellung, awrayiia
aller Häresieen machte (Apologie I. c. 26. Euseb. 4, 11). Er schrieb eine
besondere Schrift gegen Marcion (Iren. 4, 14. Euseb. 4, 14). Alle anderen
ihm beigelegten Schriften sind als unächt abzuweisen.
Um Justin richtig zu beurtheilen, müssen vor Allem zwei irrthümliche
Ansichten über ihn abgewiesen werden; die eine, dass er eine Entwick-
lungsphase des Ebionitismus darstelle, wobei wir uns der Kürze halber auf
die treffenden Gegenbemerkungen von Semisch im Artikel Justin in der
Realencyklopädie berufen; die andere, dass er den Piatonismus auf das
Christenthum geradezu übertragen habe. — „Justin steht, sagt Semisch,
als Repräsentant einer neuen Richtung an der Spitze seines Zeitalters,
einmal darin, dass er, angeregt durch Aristides, das Christenthum mit der
classischen Bildung in eine nicht mehr zu lösende Verbindung brachte und
durch philosophische Behandlung des Glaubens die Anfänge einer christ-
lichen Theologie einleitete, sodann, indem er durch den Rückschritt zu
einer mehr ethisch gesetzlichen Auffassung des Christenthums i) einer der
Hauptbegründer des seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts sich fest-
stellenden kirchlichen Katholicismus wurde. ^ Was seine Anschliessung an
Plato betrifft, so ist zuvörderst zu bemerken, dass sie sich nicht auf die-
sen Philosophen beschränkte, wie denn in seiner Logoslehre der Einfluss
der Stoiker sich zeigt. Alles Wahre und Gute, was sich bei den grie-
chischen Dichtern und Philosophen findet, gehört den Christen an; jeder
hatte etwas vom Vernunftsamen {anequatixog Xoyog). Der koyog offenbarte
sich ihnen und wirkte in ihnen, bevor er in Christo Mensch wurde; und
es hat daher Christen gegeben vor Christo; solche, die mit dem Xoyog in
Gemeinschaft gelebt haben, sind Christen. Denn die Lehrsätze Christi
und die Plato's sind bei aller Verschiedenheit einander ähnlich. (Apolog.
n. c. 13). Das Gute und Wahre der vorchristlichen Zeit bleibt aber nur
das Vorspiel zu dem, was in der christlichen Zeit in vollendeter Fülle her-
vortrat, als die absolute Wahrheit. So fasste Justin das Cliristenthum
mehr als Wissen, als die höchste Philosophie auf und das ist bedingt durch
die Einseitigkeit seiner griechischen Bildung. — In seinen Schriften gibt
sich Justin einige Blossen, theils durch allegorische Spielereien (im Dialog),
theils durch unkritische Nachlässigkeit in Prüfung von historischen An-
gaben, allein sein Verdienst ist, der Apologetik ein so sprechendes Ge-
präge aufgedrückt zu haben, dass angesehene Kirchenlehrer manche seiner
Gedanken und Beweismittel sich aneigneten. Die Logoslehre, der Angel-
punkt seiner ganzen Theologie wurde von den alexandrinischen Theologen
aufgenommen und weiter entwickelt.
1) So nennt er im Dialog mit Tryphon c. 18 Christum 6 xntpog vofxo^errjg,
Herzog, Kirchengeschichte I. 3
114 Erste Periode des alten Katholicismus.
Hauptsächlich kommen in Betracht die Lehrer der ale-
xandrinischen Katechetenschule ^).
Stiftungen wie das novceiov oder die Akademie von Alexandrien, von
den römischen Kaisern reichlich unterstützt, und wie die reichhaltige Bi-
bliothek veranlassten in dieser Stadt einen grossen Zusammenfluss von
Gelehrten und Philosophen und trugen überhaupt bei zur Verbreitung
wissenschaftlicher Bildung. Diese Sachlage musste auch auf die Unter-
richtsanstalten der Kirche Einfluss ausüben. Nirgends traten so häufig wie
in Alexandrien Gelehrte und Philosophen zur christlichen Partei über; in
Alexandrien standen, wie wir gesehen, einige der bedeutendsten Gnostiker
auf. Daher es den dortigen Bischöfen nöthig schien, den Katechumenen-
unterricht nur durch bewährte, kenntnissreiche Männer geben zu lassen,
damit er den hohen Anforderungen des gelehrten Alexandrien genügen
könnte. Diese Männer fanden bald zahlreiche Zuhörer; denn nicht nur
Katechumenen besuchten ihre Vorträge ; sie zogen auch andere junge Mäi-
ner an, welche eine tiefere Kenntniss vom Christenthum erstrebten und
sich zum Dienst der Kirche vorbereiteten. So entstand die christliche
Schule von Alexandrien, die katechetische oder kirchliche genannt.
Die Anfänge mögen wohl bis in die ersten Jahrzehnde des zweiten Jahr-
hunderts hinaufreichen. Um 180 war sie vollkommen ausgebildet, oft lehr-
ten gleichzeitig mehrere Katecheten, — von den Zuhörern nahmen di«)
Lehrer kein Honorar an, der Unterricht wurde im Hause des Lehrern
ertheilt; nicht selten wechselten Fragen und Antworten, es kamen auch
Frauen in die Vorträge, wie auch Jungfrauen und Knaben an den Vor-
trägen der heidnischen Philosophen Theil nahmen 2). Der erste Lehrei*
war Pantaenus (181 — 203), der früher Stoiker und Missionar im ferner
Asien gewesen (Euseb 5, 10) und nun als Lehrer sein Leben beschloss
Von seinen zahlreichen Schriften, die sich alle auf die Erklärung der Schrifi
bezogen, haben sich nur wenige Fragmente erhalten.
Wir richten unsre Aufmerksamkeit auf die zwei folgenden Lehrer. Cle-
mens (Eus. 5, 11), ob in Athen oder in Alexandrien geboren, bleibt unge-
wiss, nach Epiphanius haer. 32, 6 jedenfolls im Schooss einer heidnischen
Familie, begabt mit beweglichem, nach Wahrheit strebendem Geiste, tüch-
tig gebildet in den Schulen seiner Vaterstadt, scheint frühe zum Christen-
thum übergetreten zu sein. Von jetzt an fühlte er den Drang nach tieferer
Erkenntniss des Christenthums ; er verlangte etwas mehr als den einfachen
Glauben , er bereiste viele Länder und suchte überall die Männer auf, von
denen er Belehrung zu erhalten hoffte. Er behauptet von ihnen, worunter
1) S. Guericke, de scbola quae Alexandriae floruit cateclietica 1824 — 25. —
Thomasius, Origenes 1837.— ßedepenning, Origenes 1841 — 1846.— Ausgaben der
Schriften des Clemens, von Sylburg 1592, von Heinsins 1616, von Migne. Handausgabe
von Oberthür 1779, von Klotz 1831. — Ausgaben der Schriften des Origenes von de la
Rue, — eine von Lommatzsch 1831—46, eine von Migne. Mehreres von Origenes ist be-
sonders edirt worden, so die Schrift nfQi kqxmv von Redepenning, das Werk gegen Cel-
sus u. A.
2) Redepenning I. 67—69.
Clemens von Älexandrien. 115
selbst Apostelschüler, die ächte apostolische Tradition empfangen und sich
angeeignet zu haben (Stromat. 1. c. 1). In Älexandrien land er den Mann,
der allen seinen Wünschen entsprach ; er nannte ihn die sicilianische Biene,
weil er die Blüthen von der prophetischen und apostolischen Wiesenfiur
pflückte. Unter ihm bildete sich Clemens zum Lehrer heran. Nachdem
er Presbyter geworden, ernannte ihn Bischof Alexander 189 zum Nachfolger
des Pantaenus im Vorsteheramt an der katechetischen Schule. Auch Hei-
den besuchten seine gediegenen Vorträge und viele unter ihnen w^urden
für den christlichen Glauben gewonnen. Der Verfolgung unter Septimius
Severus (202) entzog er sich, um nicht sich selbst der Gefahr preis zu
geben (Strom. 4, 4), er begab sich zu einem ehemaligen Schüler, Bischof
Alexander zu Flaviades in Kappadocien (Euseb. 6, 11). Von seinen späteren
Schicksalen, von seinem Tode ist nichts bekannt ^).
Seine drei uns erhaltenen Hauptwerke bilden Ein Ganzes, zusammen-
gehalten durch die Idee des göttlichen, schon vor der Menschwerdung in
der Welt wirksamen Logos. Dieser, der göttliche Lehrer der Menschen,
sucht sie zuerst vom Götzendienst und lasterhaften heidnischen Leben
abwendig zu machen und sie zum Glauben zu bewegen ; diess ist der Inhalt
der Ermahnungsrede an die Griechen (Xoyog ngotgentixog ngog '^EkXfjvag).
Darauf sucht er ihre Sitten umzuwandeln, diess der Inhalt des Xoyog nai-
dayMyog; endlich führt er sie ein in die Geheimnisse der christlichen Pie-
ligion in den Stromata {aTqco^axsig c. 9), buntgewirkte Teppiche, was wir
miscellanea nennen würden; der Name ist hergenommen von ihrem man-
nigfaltigen Inhalte, oder vom Mangel an methodischer Ordnung. Clemens
behauptet, den Hauptinhalt aus Pantaenus geschöpft zu haben. Von seinen
übrigen Schriften ist nur die eine erhalten: %i,g 6 (Tcoli^o^evog nXovtrtogy in
welcher am Ende die schöne Erzählung (fiv&ov ov fiv&ov nennt sie Cle-
mens) von dem durch den Apostel Johannes bekehrten Jüngling sich fin-
det; — die übrigen Schriften sind folgende: das Passah, Gespräche über
das Fasten; über die Verläumdung, eine Ermahnung zur Standhaftigkeit
oder an die so eben Getauften; dann der Kirchenkanon, wodurch er gegen
judaisirende Irrthümer beweisen wollte, dass die Schriftstellen des Alten,
sowie die des Neuen Testamentes unter sich übereinstimmen, endlich die
leider verloren gegangenen vnozvncocreig in acht Büchern, worin man in
späterer Zeit viele gottlose und fabelhafte Reden fand 2).
Clemens nimmt seinen Ausgangspunkt zunächst vom allgemeinen Glau-
ben der Christen, enthalten in der Schrift und in der Tradition, zusani-
mengefasst in der Glaubensregel. Gegen die Abweichung davon, gegen
die Häretiker spricht er sich so scharf aus wie nur irgend ein anderer
katholischer Lehrer Strom. 7, 16: so wie einer aus einem Menschen ein
Thier wird, wie diejenigen, die durch die Zaubertränke der Circe be-
rauscht waren, so hört derjenige, der gegen die kirchliche Tradition an-
kämpft und zu den Meinungen der Häretiker abfällt, auf, ein Mann Gottes
zu sein. Wer aber, von diesem Irrthume sich abwendend, der Schrift sich
1) S. Moehler Patrologie S. 430.
2) Photius codex 109. Euseb. 6, 13.
116 Erste Periode des alten Katholicismus.
unterwirft und sein Leben der Wahrheit hingibt, wird aus einem Menschen
gleichsam Gott" (otop e| ccvx^qmtiov ^sog anoteXettai). Die yvcaatq sieht
er durchaus an als auf dem Glauben ruhend ; er beruft sich dabei auf Je-
saia 7, 9, nach der Uebersetzung der LXX.: so ihr nicht glauben werdet,
versteht ihr nicht erkennen {sav fiij niatevtTTiTe, ovde iiri (xvvrjte. Die
Gnosis hat im Glauben ihren wahren Inhalt. Dabei bleibt er aber durch-
aus nicht stehen. Zur Entwicklung der Gnosis ist die Philosophie nöthig,
— die Philosophie, die auch von Gott kommt und nicht, wie einige wäh-
nen, vom Teufel ; sie war das den Griechen gegebene Testament ; gleichwie
das Gesetz erzog sie (sTiaiöaycoye) die Hellenen für das Christenthum.
So kommt Clemens dahin, was mit seinen grundlegenden Erklärungen
nicht ganz zusammenstimmt, den Glauben nur als eine abgekürzte Er-
kenntniss des Nothdürftigsten , worunter er wohl die Glaubensregel ver-
steht, aufzufassen (^ niatiq = (xvvtofiog roov xaTsneiyovtuiv ypcoatg)^ die
tiefere Erkenntniss wird nur erlangt mit Hülfe der griechischen Philoso-
phie, worunter er nicht ein besonderes System derselben versteht, sondei'n
eine eklektische Philosophie (Strom. 1, 7), worin jedoch das platonische
Element vorherrscht. Nach Massgabe des angegebenen Verhältnisses der
Philosophie zur Gnosis muss die andere Erklärung verstanden werden,
dass die Gnosis ein zum Wissen erhobener Glaube (nifftig enKTtrjfiovixr)
seil). Daher nun der mit Erkenntniss ausgestattete, der Gnostiktr, —
so nennt ihn Clemens durchweg — , weit über demjenigen steht, der die
blosse TtiffTig hat. Gemäss dem platonischen Satze, dass die wahre Ei-
kenntniss auch mit dem richtigen Handeln verbunden sein müsse, wird der
Gnostiker die wahi'e Tugend üben, er wird .ein im Fleische wandelnder
Gott sein (av aaqxt neqmoXoav d^eog). Der Gnostiker allein hat die wahr'3
Liebe (Job. 15, 14. 15), während die ni(Jtig durchaus noch mit knechtischer
Furcht verbunden ist; der Gnostiker allein ist derjenige, der in Wahrheit dio
Gottheit verehrt (fiovov ovtoog eivat ^eoaeßri top yvcofftixov) , der darum
von Gott geliebt wird und dahin gelangt, Gott zu lieben (Strom. 7, 1).
Was aber die Quelle dieser so Grosses wirkenden Gnosis betrifft, so gib,
Clemens nicht in den Stromaten, sondern in einem von Euseb aus den
Hypotyposen aufbewahrten Fragment (Euseb. 2, 1) eine geheime Ueber
lieferung an, die ihm den wesentlichen Inhalt seiner Sätze mittheilt; die
Gnosis, sagt Clemens, übergab der Herr nach der Auferstehung Jakobue
dem Gerechten, dem Johannes und dem Petrus, diese den übrigen Apo-
steln, diese den siebenzig Jüngern, wovon einer Barnabas war 2).
Or igen es, mit dem Beinamen des Stählernen, von eisernen Ein-
geweiden, geschmückt (adafiaptivog , /«Axerrf^og) , der einflussreichste,
bedeutendste Theologe der alexandrinischen Schule, der auch weit über
sein Zeitalter hinaus wirksam gewesen, geboren 185 zu Alexandrien, von
christlichen Aeltern, anfangs vom Vater in den Wissenschaften und im
Christenthum unterrichtet, besuchte darauf, im späteren Knabenalter, die
1) Auch so definirt er die yj/ioffts' ^niCTrj^oPixrj nno^€i^ig rojr xnrn ttjv nlrj^ri
fftXoüo<finv 7iaQa&t&ojusp(i)y. Strom. 2, 11.
2) Clemens hält den Brief des Barnabas für acht
Origenes. 117
Vorträge des Clemens, noch später die Schule desAmmonius Sakkas,
um sich in der Philosophie auszubilden. Sein Vater starb als Mär-
tyrer in der Verfolgung des Septimius Severus, sein Vermögen wurde
confiscirt. Origenes, der ihn im Kerker ermahnt hatte, um der Sei-
nen willen seinen Glauben nicht zu verläugnen, sorgte durch Copisten-
arbeiten für den nothdürftigen Unterhalt der Familie, bestehend aus der
Wittwe und sechs Brüdern. Im Jahre 202 wurde er Lehrer an der
katechetischen Schule. Da nicht nur Männer, sondern auch Frauen seine
Vorträge besuchten, glaubte er, der ohnehin der strengsten Askese erge-
ben war, — er schlief auf dem blossen Boden, — um übelwollenden
Verdacht oder sinnlichen Anwandlungen zu entgehen, an sich eine damals
nicht blos bei Heiden und heidnischen Priestern, sondern auch bei Christen
vorkommende Handlung vornehmen zu müssen. Sich gründend auf die
buchstäblich ausgelegte Stelle Matth. 19, 12 (vielleicht auch auf Jesaia 56,
4. 5) nahm er, ungewiss, ob durch Anwendung des Schierling oder eines
eisernen Instrumentes, an sich die Entmannung vor ^), die er selbst später
erkannte als aus mangelhafter Auslegung der Schrift hervorgegangen.
Aus seinen späteren Aeusserungen ersieht man deutlich, dass, was dem
Jünglinge tiefere Auslegung schien, dem Manne in vorgerückten Jahren
als fleischlicher Irrthum vorkam ^). Die That war eine Uebertretung des
zweiundzwanzigsten der apostolischen Kanones 3), von denen es fi^eilich nicht
ganz sicher ist, dass sie damals schon existirten. So viel ist gewiss, dass
Bischof Demetrius von Alexandrien Origenes deswegen nicht blos nicht
tadelte, sondern ihn sogar deswegen mit Lob überhäufte (Euseb. 1. c).
Zur Erweiterung seiner Kenntnisse unternahm er mehrere Reisen, be-
suchte Rom, kam aber bald wieder nach Alexandrien zurück (Euseb. 6, 14).
Er verliess die Stadt wieder im Jahre 216, als Caracalla mit einem Heere
nach Alexandrien kam und daselbst um unbedeutender Ursachen willen ein
furchtbares Blutbad anrichtete. In Cäsarea in Palästina wurde er vom
Bischof The okti st US mit grosser Auszeichnung willkommen geheissen
und aufgefordert, in der Kirche Lehrvorträge zu halten. Da diess dem
Gebrauche der Kirche von Alexandrien zuwiderlief, wo nur dem Presbyter
das Lehren in der Kirche gestattet wurde, beklagte sich Bischof Demetrius
darüber und forderte von Origenes Rückkehr und Wiederaufnahme seines
Katechetenamtes , was Origenes that. Kirchliche Wirren und Streitigkeiten
in Achaja veranlassten seine Berufung nach diesem Lande, um den Frie-
pen wiederherzustellen. Mit dem kirchlichen Empfehlungschreiben seines
Bischofs versehen, wählte er den Weg durch Palästina, und wurde zu
1) Euseb. 6, 8, die That ist bezweifelt worden, mit Unrecht, wie Redepenning weit-
läuiig bewiesen hat.
2) Tom. XV, in Matthäus yf.isig (^e XQtCroy &fov, roy Xoyov tov &{ov xma CaQxa
xat xara to ygafu/ua nort votjGctvKQ, vvv ovxsti ytyojGxovTfg, wir stimmen denen
nicht bei, die unter dem Vorwande des Reiches Gottes den dritten Eunnchismus über
sich bringen. Redepenning a. a. 0. S. 213.
3) Der Wortlaut besagt, dass, wer sich selbst verstümmelt, nicht Kleriker wer-
den dürfe.
118 Erste Periode des alten Katholicismus.
Cäsarea von den Bischöfen dieser Gegend, an ihrer Spitze Bischof Ale-
xander von Jerusalem und Bischof Theoktistus von Cäsarea, zum
Presbyter geweiht (Euseb. 6, 23). Origenes musste diess sehr willkommen
sein, da die Presbyterwürde seinem Wirken in Achajia grösseren Nach-
druck gab und von Demetrius durfte er sich die Hoffnung machen, dass er
das Urtheil angesehener Bischöfe beachten oder wenigstens dazu schweigen
werde. Nach einiger Zeit kehrte er nach Alexandrien zurück (etwa 230).
Hier aber nahmen die Dinge für ihn eine ungünstige Wendung; er wurde
231 durch eine Synode unter dem Vorsitze von Demetrius excommunicirt
und seines Lehramtes entsetzt, bald darauf in einer kleinen Synode seiner
Presbyter würde für verlustig erklärt. Ursache war nicht jene strafbare
Handlung, — denn es steht kein Wort davon in den Acten jener Synode, —
sondern der beginnende Verdacht gegen seine Heterodoxieen, unter andern
gegen die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge, und der Umstand,
dass er mit Umgehung der alexandrinischen Kirche sich in einer auswär-
tigen Kirche um die Würde des Presbyter beworben, wobei freilich nicht zu
vergessen ist, dass Demetrius sich früher geweigert hatte, ihm diese Würde
zu ertheilen. Alle Kirchen, ausgenommen die in Palästina, Phönicien,
Achaja und Arabien erkannten das Urtheil jener Synode an, besonders
auch Rom mit grosser Bereitwilligkeit. Origenes hatte Aegypten wied(ir
verlassen, um nicht wieder dahin ziu'ückzukehren , obschon er die Liebe
zum Vaterland keineswegs aufgab, das, wie er sagte, Christum und die
Propheten, welche in Palästina verworfen wurden, in hohen Ehren hielt. —
Palästina wurde seine zweite Heimath. In Cäsarea eröffnete er eine ge-
lehrte Schule, die den Glanz der alexandrinischen bald überstrahlte. Se n
Unterricht umfasste Philosophie und Theologie. Er unternahm noch meli-
rere Reisen in wichtigen kirchlichen Angelegenheiten und starb 254 tu
den Folgen der Misshandlungen, die er während der Verfolgung unt(T
Decius erlitten hatte.
Des Origenes Schriften waren so zahlreich, dass er, wie Hieronymus
sagt, mehrere schrieb, als Manche lesen können, und doch sträubte sich ^u
Anfang der seitdem so Unermüdliche, die Feder in die Hand zu nehmen. An
seinem Freunde Ambrosius, einem vornehmen und reichen Staatsbeamte!,
den er von der falschen Gnosis zur wahren Gnosis geführt, hatte vr
einen fortwährenden Treiber zur Arbeit, eQyoÖKoxtrjg ^ wie er ihn selbem
nannte. In ihm fand er auch eine äusserst wichtige Unterstützung für seiie
gelehrten Arbeiten, da Ambrosius ihm sieben Schnellschreiber hielt uüd
kostbare Handschriften für ihn kaufte; er stellte ihm auch sieben Abschrei-
ber und einige Schöuschreiberinnen. Origenes hat zuvörderst das grosse
Verdienst, die Wissenschaft der bibUschen Textkritik angebahnt und die
Exegese der heiligen Schrift mächtig gefördert zu haben. Zuerst unternahm
er, von Ambrosius dazu ermuntert, eine Revision des Textes der LXX. in
seiner Hexapla, worüber er sich selber ausspricht in der epistola ad Äfricmium,
Durch das Vorhandensein der griechischen Uebersetzungen des Alten Testr-
ments von Aquila, Theodotion und Symmachus, so wie durch die Disputatic-
nen mit den Juden, stellte es sich nämlich mehr und mehr heraus, dass die
kiixhlich recipirte LXX. den hebräischen Text öfter nicht richtig wiedergebt'.
Origenes. 119
Es entstand daher das Bedürfniss, ein Mittel zu finden, um namentlich in
den Disputationen mit den Juden, auch ohne eigene genügende Kenntniss
des Hebräischen erkennen zu können, wo und wie die kirchUche Ueber-
setzung im Einzelnen mit dem hebräischen Texte übereinstimmte oder
davon abwich. Dieses Bedürfniss suchte Origenes durch seine Hexapla zu
befriedigen. Er wollte nicht einen neuen Text der LXX herausgeben,
sondern durch eine Art synoptischer Zusammenstellung der LXX mit
den anderen griechischen Uebersetzungen und mit dem hebräischen Texte
und durch Andeutungen und diakritische Zeichen im Texte der LXX
selbst theils das Verständniss derselben fördern, theils ihr Verhältniss zum
hebräischen Texte bemerklich machen, um so die Christen abzuhalten,
im Streite mit den Juden aus dem Alten Testament solches vorzubringen,
was sich im hebräischdn Text nicht fand, oder auch das aus dem hebräischen
Texte vorgebrachte desshalb zu verwerfen, weil es sich in der LXX nicht
finde. Die äussere Einrichtung war folgende: 1) der hebräische Text in
hebräischer Schrift, 2) derselbe mit griechischen Buchstaben, 3) Aquila,
4) Symmachus, 5) LXX, 6) Theodotion, also sechs Columnen, in einzelnen
Büchern gab es deren acht, daher der Name Octapla bei Epiphanius. Die
Tetrapia, über deren Verhälniss zur Hexapla man ganz im Dunkeln ist, lassen
wir bei Seite. Origenes verwendete auf die Sammlung der Materialien zu
diesem Werke, so wie zu dessen Ausarbeitung viele Jahre. Fünfzig Jahre
nach dessen Tode wurde es aus seiner Verborgenheit, wahrscheinhch zu
Tyrus hervorgeholt und in die Bibliothek des Pamphilus zu Cäsarea gebracht ;
hier von Hieronynuis benützt, wurde es wahrscheinlich im Jahre 653 bei der
Einnahme von Cäsarea durch die Araber vernichtet. (S. ausser Redepeuuing
Bleek's Einleitung in das Alte Testament S. 767). Auch auf die Emeudation
des Textes des Neuen Testaments richtete Origenes seine Aufmerksamkeit,
ohne Zweifel angeregt durch seinen Lehrer Clemens, der schon ein sehr
starkes Beispiel von Corruption des Textes Matth. 5, 10 anführt (Strom.
4, 6) 1). Origenes (in Matth. 19, 19) entwirft ein erschreckendes Bild des Zu-
standes des neutestamentlichen Textes : unter den Handschriften des Matthäus
sei eine solche Verschiedenheit, dass keine einzige mehr mit der anderen
übereinstimme und eben so sei es bei den übrigen Evangehsten. Diese Ab-
weichungen aber seien so gross geworden theils durch Nachlässigkeit der
Abschreiber, theils durch Kühnheit der Corruptoren, theils durch willkür-
Hche Aenderung der Besitzer der Handschriften. Durch solche Erscheinungen
angeregt, beschäftigte sich Origenes viele Jahre hindurch mit kritischen Un-
tersuchungen über den Text des Neuen Testamentes. Es cursirteu, nach
Hieronymus, gewisse von ihm besonders revidirte und emendirte Handschrif-
e n ; doch scheint er nicht dazu gekommen zu sein, eine vollständige Textes-
recension des Neuen Testamentes vorzunehmen (S. Gu er icke, neutestament-
hche Isagogik S. 644). Innnerhin hat er an seinem Theile dazu beigetragen,
dass die beginnende Corruption nicht zu sehr um sich greifen konnte. —
Was die exegetischen Schriften des Origenes betrifft, so bestehen sie
1) Clemens führt hier an, dass rivfg nov /ufrciTtl^ePTMu tcc fvnyytha also
lesen: /nnxnQtot oi Jfdtcoy/ufyot vTieo rrjg iStxaioGvvTj<;i cri nvroi taovrai TÜ.fioi —
l^axaQtoi 6t Si6ib)y[xevot tpfxa €fxov ort i^ovCiy ronoVi önov ov ^Kax^iJ^ovrai'
120 Erste Periode des alten Katholicismus.
theils aus Schollen ((rrifismffstg) , theils aus Commentaren (tofioi); sie
umfiissten einen grossen Theil des Alten Testamentes und den grössten Theil
des Neuen Testamentes, ebenso die Homilieen, auslegende Predigten, er-
bauliche Erklärungen; doch sehr Vieles von diesen exegetischen Arbeiten ist
verloren gegangen oder nur in das lateinische übersetzt, durch Rufinus, vor-
handen. — Bei Origenes war die Exegese ein Zusammenfluss des gesamm-
ten theologischen Wissens. Nach den vorausgegangenen exegetischen Ar-
beiten von Papias (s. oben), von Pthodon, Candidus und Apion, über
die mosaische Schöpfungsgeschichte (Euseb. 5, 27), von Heraklit, über die
paulinischen Briefe (Euseb. a. a. 0.), von Melito von Sardes, über die
Apokalypse des Johannes (Euseb. 4, 26j, gab Origenes diesen Arbeiten noch
eine mächtige Anregung.
Das apologetische Werk des Origenes, das sind die uns bereits hv-
kannten acht Bücher gegen Celsus, die bedeutendste Apologie aus
dieser Periode überhaupt. Von den dogmatischen Werken des Mannes
hat sich nur eines erhalten, und zwar das Hauptwerk tisqi agxoyv, de prh-
cipiis, vier Bücher, in neuerer Zeit besonders herausgegeben von llede-
penning. Der griechische Text ist leider bis auf Fragmente, die sich bei
einigen Vätern finden, verloren gegangen; die lateinische Uebersetzung von
Bufinus ist vollständig erhalten, lässt aber vieles zu wünschen übrig. Das
Wort ccQxcti, principia, bedeutet hier nicht, was es auch bedeuten kann,
die Grundprincipien aller Dinge, sondern es sind die Fundamentalartikel des
christlichen Glaubens, die wesenthchen Heilsthatsachen , die (Ttoix^ia des
christlichen Glaubens, wie Origenes sonst sich ausdrückt, gemeint, mithhi
die Glaubensregel, die er im Prooemium angibt, indem er zugleich die darin
enthaltenen Punkte und auch die Lücken, die sich darin finden, aufweist.
Sein Zweck ist nun , eine wissenschaftliche Darstellung des christlichen Glau-
bens zu geben, zu vervollständigen, was Clemens in seinen Stromaten, was
er selbst in eigenen Stromaten vorbereitet hatte. Aber der Hauptbestand-
theil der Darstellung ist dasjenige, was der philosophischen Speculation der
Zeit angehört. In die Erörterung solcher Dinge f^ind die einzelnen Dogmen,
aber durchaus nicht alle eingefügt. Daher man diese Schrift auch als christ-
liches Philosophen! über die Urgründe des Daseins angesehen und das Wort
ccQxcct in diesem Sinne verstanden hat ^). Das Werk ist aber vielmehr der
Grundriss, der erste Grundriss eines Lehrgebäudes der christlichen Heils-
wahrheiten. Es handelt in vier Büchern von Gott, vom Logos, von der
unsichtbaren Welt, den Geistern, von der sichtbaren Welt in ihrem gegen-
wärtigen Zustande, von der Auferstehung der Todten und der Vergeltung
nach diesem Leben, von der Freiheit des Willens, ihrem Wesen, ihren
Kämpfen mit den bösen Mächten, ihren inneren Versuchungen, von ihrem
Siege in der Wiederbringung aller Dinge. Das vierte Buch stellt die Grund-
sätze der wahren Schriftauslegung auf, die dazu dienen sollen, die philo-
sophischen" aus der Speculation gewonnenen Sätze in der Schrift wieder zu
finden. — Dazu kommen ethisch -praktische Schriften, vom Gebet, — eine
Ermahnung zum Märtyrerthum u. s. w.
1) So zuletzt noch Neander, Dogmengeschiclite, 1. Theil. 1856.
Origenes. 121
Des Örigenes theologische Arbeiten sind eine Fortsetzung, Vervollstän-
digung und theilweise Berichtigung der Arbeiten des Clemens. Örigenes,
obwohl auf demselben Boden wie sein Lehrer stehend, unterscheidet sich
von ihm dadurch, dass er den einfachen Glauben höher stellt und den Gno-
stiker nicht mit so idealen Zügen ausmalt. Ausserdem hat er wenigstens
einen Anfang gemacht, dasjenige, was Clemens fragmentarisch vorgetragen,
systematisch zu gestalten. Er sieht es nämhch, darin übrigens mit Clemens
vollkommen übereinstimmend, als Aufgabe des Theologen an, sich des christ-
lichen Glaubens denkend zu bemächtigen, Das Christenthum , aus der höch-
sten Vernunft, aus dem Logos entsprungen, ist seiner Natur nach vernünf-
tig. Die menschhche Vernunft, ebenfalls ein Werk der höchsten Vernunft,
ist durch die Sünde verdunkelt, wodurch die Offenbarung nöthig geworden.
Insofern aber die Vernunft nicht völlig verdunkelt ist, insofern der Logos
auch ausserhalb des eigentlichen Ott'enbarungskreises seine Wirksamkeit hat,
so sind die Wahrheiten des Glaubens in Harmonie mit den höchsten Sätzen
der Vernunft ^ j. Daher kommt es , dass bei den heidnischen Weisen viele
Wahrheit zu finden ist; sie haben sie empfangen theils unmittelbar vom Lo-
gos, der auch in ihnen wirksam war, theils mittelbar durch Moses und die
Propheten, aus welchen sie geschöpft haben. Von da schreitet Örigenes zu
dem Satze fort, dass der unterschied, der zwischen der hellenischen Philo-
sophie und der biblischen Offenbarung stattfindet, mehr die Form als die
Gestalt betrifft. Plato und die hellenischen Philosophen sind insofern mit
den Aerzten zu vergleichen, die nur für die höheren gebildeten Stände Sorge
tragen. Das Verdienst des Christenthums Ijesteht darin , die höchsten Wahr-
heiten der Vernunft zum Gemeingute Aller gemacht zu haben, indem es sie
in populärer Form vortrug; aber einige dieser Wahrheiten sind verborgen
unter der Decke der Geschichte, des wörthchen Sinnes, des Buchstabens.
Die Aufgabe der christhchen Theologie ist nun, diese Wahrheiten aus der
Schrift herauszufinden , — wozu die allegorische Auslegung dient — , sie mit-
telst der Philosophie zu erläutern; so nmss die Glaubensregel, in der vieles
unbestimmt gelassen, einiges ganz fehlt, durch Schrift und philosophische
Speculation ergänzt werden. Im Verfolgen dieser Richtung nimmt Örigenes
eigentlich platonische Sätze auf, die Lehren von der ewigen Welt, von der
Präexistenz der Seelen, von dem Fall derselben, von ihrer Einkleidimg in
menschliche Leiber. Es sind das Lehrsätze, die er anwendet, im christ-
hche Sätze zu bestätigen; so dient der letzte zur Stütze der moralischen
Freiheit wie bei Julius Müller. Diess leitet uns zu dem Gesichtspunkte, aus
welchem das System des Örigenes aufzufassen ist; es ist das System der
Freiheit, der freien Willensbestimmung auf Seiten Gottes und der Menschen,
durchgeführt in der Auffassung des göttlichen sowohl als des menschlichen
Wirkens: Gott ein absolut freies Wesen, die Schöpfung der Welt Werk der
Freiheit, die Zeugung des Sohnes Werk der Freiheit, nicht göttlicher Natur-
process; der Mensch mit Freiheit begabt, frei gefallen, frei zurückgebracht;
damit stehen in Verbindung die Sätze von der Heiligkeit Gottes, von der
1) T« TJyf 7ttGT((og rntg xaipatg fyvotectg GvvayoQevovTtt'
122 Erste Periode des alten Katholicismus.
wahrhaft menschUchen Natur Christi, die auch eine Bürgschaft seiner mora-
lischen Freiheit ist.
Origenes nimmt in der dogmatischen Entwicklung seiner Zeit eine ähn-
liche Stellung ein wie Schleiermacher in der unsrigen, nicht als ob dieser dieselben
Lehren vorgetragen hätte wie Origenes, aber beide , obwohl sie wenig Schüler
hinterliessen , die sich im Einzelnen ganz genau an sie anschlössen, haben
eine mächtige Anregung gegeben zur geistigen Auffassung des Christen-
thums. Origenes selbst urtheilt ziemlich strenge über seine Anhänger sowohl
als über seine Gegner; während jene, wie er sagt, ihn über Gebühr loben
und ihm Meinungen zuschreiben, die sein Gewissen verwirft, beschuldigen
ihn die anderen, Dinge vorzutragen, an die er nie gedacht habe (hom. 25
in Lucam).
Von den folgenden Lehrern der alexandrinischen Schule, Heraklas,
Dionysius, Theonas, Pierius, Theognostus, die alle mehr oder weniger
des Origenes Richtung verfolgten und deren Schriften alle bis auf Fragmente
verloren gegangen, ist der bedeutendste Dionysius, zubenannt der Grosse,
sechszehn Jahre lang Lehrer an der Katechetenschule, seit 247 Bischof von
Alexandrien, bekannt als Bekämpfer des Chihasmus durch Schriften und in
eigenen Conferenzen mit den Anhängern dieser Lehre, an deren Spitze Ne-
pos, Bischof von Arsinoe in Aegypten, stand. Dionysius verdrängte den Clii-
liasmus aus der aegyptischen Kirche und versetzte ihm überhaupt einon
schweren Schlag. Diese Polemik verleitete ihn zu einer Bekämpfung der
Authentie der Offenbarung Johannes Euseb. 7, 25. Li vier Büchern be-
kämpfte er den Sabelhus, gerieth aber dadurch selbst in den Verdacht d«3r
Heterodoxie, als ob er Christum zum Geschöpfe mit zeithchem Anfang ge-
macht habe. Theognostus ist insofern beachtenswerth , als Athanasius n
ihm sein ofjbovaiog fand i).
Auch ausserhalb Aegyteus fand Origenes nach seinem Tode begeisterte
Anhänger, wenn freihch auch Gegner; vor allem ist hier zu nennen Pani-
philus, der gelehrte Priester von Cäsarea, gestorben als Märtyrer 309; (r
fand es nöthig, eine Apologie für Origenes zu schreiben, wovon leider nur di s
erste Buch in der lateinischen Uebersetzung des Rufinus erhalten '^) ist, und
griechische Fragmente bei Photius cod. 118. Zu den Verehrern des Origems
gehört auch Gregorius, dem spätere Sagen den Beinamen Wunderthäte:*,
Thaumaturgus verschafft haben, seit 244 Bischof von Neucäsarea in Poi -
tus, t c. 270, Verfasser einer Apologie für Origenes und angeblich von zwei
Glaubensbekenntnissen, die aber höchst wahrscheinHch untergeschoben sind. —
Als Gegner des grossen Alexandriners trat auf Methodius, Bischof vo:i
Olympus und Patura in Lycien, dann von Tyrus, Märtyrer 311 in der Ver-
folgung durch Maximin. Sein Realismus konnte sich in die spiritualistisch(5
Richtung des Origenes nicht finden; er griff' dessen Ansicht von der Aufer-
1) Ovx €^(t)9-£y Ttg iürtv eipfvgff^ftßa ij rov viov ovGia, ovdi €x /utj ovtcji
€7TftsrjX^V» «^^' ** ^V^ TOü TittTQog ovGtag i(pv dtg rov (pioTog to annvyaüfja Äthan. d(
de'cretis Synodi Nicaenae c. 25, ans dem zweiten Buch der Hypotyposen des Theognostus
2) Bei de la ßue opp. Orig. IV, daraus abgedruckt bei Lommatzsch opp. Orig
XXV. — S. überhaupt auch bei Euseb. 6, 32. 33. 7, 32, de Martyribus Palästinae c. 11.
Socrates 3, 7.
Lucian und seine Schnle. 123
stehung und von der Schöpfung in den Schriften über die Auferstehung und
über die geschaffenen Dinge an i). — Er wirft dem Origenes vor , dass er
das Wesen des Menschen blos in der Seele sehe, er bekämpft die Präexi-
stenz der Seelen und die Auffassung der sichtbaren Welt als eines Straf-
ortes. — Von seinen Werken ist nur das Convivium von zehn Jungfrauen
erhalten, ein Gespräch über das jungfräuliche Leben. — Als Gegner des
Origenes ist noch hervorzuheben der schon genannte Bischof Nepos, ge-
storben um die Mitte des dritten Jahrhunderts, Verfasser einer verlorenen
Schrift, Widerlegung der Allegoristen {sXeyxo? aXli^yogicTTcov) , welche von
den Anhängern des Chihasmus als unwiderleghche Beweisführung für diese
Lehre angesehen wurde. Dionysius, Patriarch von Alexandrien, fand es nöthig,
Unterredungen mit diesen Chiliasten, die besonders in der Gegend von Ar-
sinoe zu finden waren, anzustellen, es gelang ihm sie ihres L-rthums zu
überführen. Er fand es auch angezeigt, das Buch des Nepos eigens zu wi-
derlegen. S. Euseb. 7, 24.
Endlich sind die Anfänge einer theologischen Schule ^) zu nennen, deren
Keime von dem Einflüsse des Origenes abzuleiten sind, wenn gleich sie bald
einen eigenthümlichen Charakter entwickelte und in wesentUcher Beziehung
gegen die alexandrinische Schule einen Gegensatz bildete. Die Leistungen
des Origenes auf exegetischem Gebiete wirkten noch früher anregend als er
Widerspruch fand. Seine exegetischen und kritischen Werke wurden nicht
blos in der von ihm gegründeten Schule in Cäsarea studirt, sondern im christ-
lichen Asien überhaupt. In Antioc hie n hatte schon geraume Zeit vor
Origenes Theophilus, der bereits genannte Bischof, die Exegese angebaut.
Aber Lucian und Dorotheus sind die eigentlichen Stammväter der
antiochenischen Schule, und zwar war es nicht eine Schule blos im wei-
teren Sinne, als eine theologische Richtung bezeichnend, sondern eine Schule
im engeren Sinne mit Lehrern, die Schüler unterrichteten. Lucian, wie sein
Homonymus, aus Samosata gebürtig, von angesehenen Eltern abstanmiend,
erhielt seine Bildung in der Nachbarstadt Edessa, wo Makarius, ein gründ-
licher Schriftkenner, Schule hielt. Neben eifrigen Studien ergab er sich
harten, asketischen Uebungen; auch nachdem er in Antiochien Presbyter ge-
worden, bheb er durch seine Enthaltsamkeit berühmt. Aber eine bessere
Berühmtheit erlangte er durch seine wissenschaftliche Thätigkeit. Vertraut
mit der hebräischen Sprache, verbesserte er die Uebersetzung der LXX, und
diese emendirte Ausgabe der LXX wurde herrschende Autorität in Griechen-
land, Kleinasien und Syrien. Derselbe machte auch eine Revision des Textes
des Neuen Testaments; daher, wie Hieronymus berichtet, noch zn seinerzeit
gewisse Exemplare des Neuen Testaments Lucianea genannt wurden: doch
fand diese Recension weniger Verbreitung, weil, nach dem Zeugnisse des
Hieronymus, viele ihrer Verbesserungen und Zusätze durch ältere Ueber-
setzungen widerlegt wurden. Er sammelte in Antiochien um sich eine grosse
Zahl von Schülern, angezogen theils durch seine wissenschaftliche Tüchtigkeit,
theils durch das Beispiel seines frommen, rechtschaffenen Wandels (Euseb 8, 13).
1) Von welchen beiden Schriften nur Fragmente zu finden bei Epiphanius haer. 64.
2) Kihn, die Bedeutung der antiochenischen Schule auf exegetiscliem Gebiete. 1866.
124 Erste Periode des alten Katholicismus.
9, 6. Zu diesen Schülern gehörten spätere Antiuicäner, Arius, der sich selbst
für solchen erklärte, Euseb von Nikomedien, Maris von Chalcedon, Theognis
von Nicäa u. s. w. Neben ihm arbeitete in gleichem Sinne der Presbyter
Dorotheas. Als Grundton seiner Eichtung erscheint die verständige und kri-
tische Behandlung des Schrifttextes. Er muss aber eine Zeitlang zu den
Ansichten des Paul von Samosata hingeneigt und nach .dessen Absetzung
lange Zeit hindurch mit den drei ersten ihm nachfolgenden Bischöfen keine
Kircliengemeinschaft gehalten haben, bis er endlich zwischen 290 und :iOO
das kirchliche Band wieder anknüpfte. Er erlitt 311 unter Maximin den
Märtyrertod unter mancherlei Qualen. Hieronynnis führt von ihm an de fide
libelli und einige Episteln, deren Inhalt unbekannt ist, da sie verschwunden
sind; die zweite antiochenische Formel vom Jahre 341 soll von ihm her-
rühren. Die Blüthezeit der antiochenischen Schule fällt in die zweite Hallte
des vierten Jahrhunderts.
^.2. Die Kirchenlehrer und Kirchenschriftsteller der latei-
nisch-abendländischen Kirche.
Im lateinischen Abendlaude zeigt sich weniger theologisches Leben als
im griechischen Morgenland; jenes verhält sich zu diesem wesentlich recep-
tiv: es nahm einiges Gute aber auch einen Theil des Schlechten aus dem
Morgenlande auf. Doit fanden die Häresieen, wenngleich sie bis dahin
reichten, doch einen w^eit weniger empfänglichen Boden. Die lateinisclie
Theologie, — soweit von einer solchen schon die Rede sein kann, — hit
hauptsächlich die Dogmen von der Kirche, von der Tradition, von den Si-
cramenten ausgebildet, und zwar haben wir die theologische Entwicklung
mehr in Afrika als in Rom und Itahen zu suchen.
Wenn gleich die Schrift des Minucius Felix noch in das Zeitalter d<T
Antonine fällt, so muss doch der obgleich später gekommene Q. Septimius
Florens Tertullianus als der Vater der lateinisch -abendländischen Theo-
logie angesehen werden. Sohn eines centurlo im Dienste des proconsular's
von Africai), geboren c. 160 zu Carthago im Heidenthum, darin auch ei-
zogen und eine Zeitlang dem heidnischen zügellosen Leben ergeben, wie er
selbst es bekennt (de resiirrectione carnis c. 59), übrigens mit sorgfältiger
wissenschafthcher Bildung ausgerüstet, mit der griechischen Sprache so sehr
vertraut, dass er mehrere Schriften in dieser Sprache verfasste, widmete er
sich dem Studium des römischen Rechts, was man seinen Schriften anmerkt.
Er war verheirathet. Nach seiner Bekehrung zum Chris tenthum w^urde e:
Presbyter und war als solcher in mannigfaltiger Weise für die Kirche thätig;
ein feuriger Geist, voll tiefer Gedanken, zu Schroffheiten, Extremen geneigt,
von empfänglicher Phantasie und streng asketischer Richtung, dabei überall
das Instinktartige, Unvermittelte über das Erlernte, Vermittelte setzend,
w urde er zum Montanismus hingezogen (203) 2). Die montanistische Ekstase
1) Nach Hieronymns de viris ill. c. 53.
2) Nach Hieronymus 1. c. sei er durch den Neid und die Beleidigung der rümischen
Geistlichkeit zum Montanismus hingezogen worden.
Tertullian. 125
und Pi'ophetie und Herabsetzung der Hierarchie, sowie der sittliche Rigo-
rismus des Montanisnuis entsprachen seinem eigensten Wesen; so wurde er
der eifrigste Verfechter der montanistischen Grundsätze i).
TertuUian's Werke sind theils vor, theils nach seinem Uebertritt zum
Montanismus verfasst worden, und es ist nicht immer leicht, die beiden
Classen von Schriften von einander zu unterscheiden. Sie bieten für das
Verständniss erhebhche Schwierigkeiten. Tertullian ringt noch mit der
Sprache und wird sehr oft dunkel. So viele Worte, so viele Gedanken,
sagt von ihm Vincentius von Lerinum.
Die apologetischen Schriften haben wir bereits kennen gelernt. Weit
zahlreicher sind die polemischen Schriften, gerichtet gegen die Häretiker
und ihre Lehren, gegen Marcion, Hermogenes, gegen die Valentinianer,
gegen diese auch das Scorpiacum (Mittel gegen den Scorpionenstich) contra
Gnosticos. In den Schriften de anima, de baptismo, de carne Christi, de
resurredione carnis bekämpft er auch gnostische Lehren und stellt die katho-
hsche Wahrheit ins Licht; sodaim schrieb er auch gegen den Unitarier
Praxeas. Die wichtigsten der polemischen Schriften sind 1) die vier Bücher
gegen Marcion in der montanistischen Periode geschrieben, wie aus der Er-
wähnung der Psychici hervorgeht, wichtig als Quelle der Angabe über Mar-
cion, sodann als Quelle für die Theologie des Verfassers ; 2) de praescriptione
haereticorum oder adversus haereticos, wahrscheinlich vor der Schrift gegen
Marcion geschrieben, aber nicht sicher, ob vor der montanistischen Periode.
Denn nach wie vor hat sich TertuUian zu den Häretikern in dasselbe Ver-
hältniss gestellt wie in diesem Buche. Das argumentum praescriptionis ist
dem römischen Rechte entlehnt, es ist ein rein formales Argument, wodurch
die Incompetenz eines anderen abgewiesen wird, z. B. Abweisung einer
Klage wegen Verjährung, so dass nach Verfluss einer gewissen Zeit der
Besitzstand einer Sache als der rechtmässige gilt und nicht weiter ange-
fochten werden darf; praescriptio ist aber nicht die Verjährung selbst. Diess
wendet Tertullian auf die katholische Kirche in ihrem Verhältniss zu den
Häretikern an. Mit ihnen brauche sich die Kirche in keinen Streit einzu-
lassen; zu ihren Gunsten spreche der verjährte Besitzstand. Die Häretiker
als die später gekonnnenen seien im Rechtsnachtheile ; es ist eine schärfere
Fassung des Beweises, den Irenäus und Clemens Alexander (Stromata 7, 17)
gebraucht hatten. Es ist dabei ein Uebelstand, indem unentschieden bleibt,
ob die katholische Kirche ursprünglich auf rechtmässige Weise in den Besitz
der betreffenden Lehren gekommen; doch das sieht Tertullian als keines
weiteren Beweises bedürftig an. Es ist ein ziemUch roher Beweis, der uns
schon eine gewisse Veräusserlichung im Begriti der Katholicität deutlich zeigt.
Tertullian selbst ist diesem Standpunkt im Interesse des Montanismus nicht
treu gebheben. Da man demselben seine Neuheit zum Vorwurfe machte,
erwiderte er: ,,was zur Widerlegung der Häresie gereicht, ist nicht sowohl
die Neuheit als die Wahrheit. Was immer der Walu'heit widerspricht, das
ist Häresis, selbst eine alte Gewohnheit'^ ^).
1) S. im folgenden die Montanisten.
2) De virginibus vclandis c. 1 haeregin non tarn novitas c[uam veritas revincit.
126 Erste Periode des alten Katliolicismus.
Eiiiigermassen Schüler von Tertullian ist Cyprian, Therseires,
Caecilius, Bischof von Carthago, gestorben als Märtyrer 258. Er hat sich
hauptsächlich beschäftigt mit Erörterung dessen, was die Kirche, die Kirchen-
verfassung, die Kirchenzucht, die Sacraniente betrifft. Geboren zu Carthago
im Schoosse einer heidnischen Familie, von der Verderbniss des heidnischen
Lebens nicht frei gebheben, eine Zeitlang Lehrer der Rhetorik, was man
seinen Schriften anmerkt, wurde er durch den Presbyter Caecihus, mit dem
er dasselbe Haus bewohnte, mit dem Evangelium bekannt und zum Lesen
der Schrift angetrieben. Bald wurde er Katechumene, gab seine meisten
Güter den Armen, gelobte Keuschheit und empfing die Taufe, deren über-
natürliche Wirkung er rühmt (245 oder 246). Von dieser Zeit an vertiefte
er sich in das Studium der Scliriften TertuUian's, doch ohne dessen singulare
Meinungen anzunehmen. Er wurde nach einiger Zeit Presbyter, darauf Bi-
schof durch Wahl der Gemeinde, die sein anfängliches Sträuben überwand
durch ihr dringendes Verlangen. Er ist eben so sehr Kirchenregent als Schrift-
steller; alle seine Schriften haben einen bestimmt ausgesprochenen kirch-
lichen, praktischen Zweck. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die kirchlichen
Bewegungen und Schismen, mit denen er zu thun hatte. ^ Eine Hauptschrift
ist die Abhandlung de unitate ecclesiae, wozu viele Briefe als Commenlar
dienen 1). Noch ist hier zu nennen Novatian, das Haupt des novatia-
nischen Schisma, Verfasser einer Schrift de trinitate, die zum Theil ein
Auszug ist aus der Schrift des Tertulhan gegen Praxeas. — Auch drei lö-
mische Bischöfe dieser Zeit, Cornelius, Stephanus, Dionysius, die vm
dem Jahr 251 bis 269 den römischen Bischofstuhl inne hatten, haben si-^h
schriftlich wenn auch nur sehr kurz über Kirchenzucht, Dionysius auch übor
die Trinitätslehre ausgesprochen. In dogmatischer Beziehung ist er d^r
bedeutendste. — Arnobius und Lactanz sind uns schon bekannt.
Zwei Kirchenlehrer des Abendlandes ausser Irenäus haben griechisch
geschrieben, der Presbyter Cajus, f 217, der gegen die Montanisten schrieb,
sodann Hippolytus, an dessen Namen sich eine der interessantesten Ent-
deckungen im Fache der patristischen Literatur knüpft. Die darauf be-
züglichen Forschungen haben bereits eine kleine Literatur erzeugt 2). — G 3-
boren in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, wahrscheiuhch in
Abendlande, war er wohl in Lyon selbst Zuhörer des Irenäus und persön-
lich mit ihm bekannt. Zu Anfang des dritten Jahrhunderts kam er nach
Rom, wurde daselbst Presbyter und gelangte bald zu Ansehen durch seire
Gelehrsamkeit und kirchhche Thätigkeit. Mit den römischen Bischöfen Zv-
Quodeunque adversus veritatem sapit, hoc erit haeresis, etiam vetus consuetudo. S. übiar
Tertullian die Monographien von Neander und von Hesseiberg.
1) S. über ihn die Monographie von Rettberg 1831. — Huther, Cyprian's Lehren
von der Kirche 1839.
2) S. Bunsen, Hippolytus und seine Zeit 1852. 1. Ausgabe. 1855. 2. Auil.
Dr. Baur, theol. Jahrbb. 1853. — D ö Hinge r, Hippolytus und Callistus 1853. --
Dunker in den Göttinger gelehrten Anzeigen 1851. — Ritschi in den theol. Jahrbl.
1854. — Gieseler in der St. und Kritik 1853. — Jakobi in Müllers Zeitschrüfc
1851. 1853, in Neanders Dogmengeschichte, und in der Realencyklopädie. — Volkmai,
Hippolytus. — Lipsius, Quellenkritik des Epiphanius.
Hippolytus. 127
phyriniis und Callistus (Calixt), welcher letztere ein sittlich anrüchiger
Mann war, entzweite er sich über wichtige Punkte der Disciplin und Lehre.
Er vertheidigte nämlich die Grundsätze, die später die Fahne der Novatianer
wurden. Er bestritt die patripassianische Lehre jener Bischöfe und verthei-
digte, was die göttliche Trinität betrifft, die Subordinationstheorie. Es be-
reitete sich damals nämlich in Rom das novatianische Schisma vor. Er ist
wahrscheinhch vor dem Ausbruch des Schisma gestorben, vielleicht 235, als
Vorsteher einer kleinen, von der Kirche mehr oder weniger getrennten
Partei in oder bei Rom *). Er vindicirt nämlich im sXsyxoQ für sich Nach-
folge der Apostel, Ugatsta. Euseb. (6, 20) versetzt ihn aus Mangel an
Kenntniss ins Morgenland als Bischof.
Hippolytus ist in seiner Zeit ein ausserordentlich fruchtbarer Schrift-
steller gewesen ; er hat viele exegetische , dogmatische und polemische Schrif-
ten verfasst, die fast alle bis auf Fragmente verloren gegangen. Sein Haupt-
werk, neben dem des L:*enäus eine Hauptquelle für die Geschichte der
Gnosis, ist ein xata ncecMp algscremv eXeyxog, von Euseb. 6, 22, unter dem
Titel nqo^ änacxag tag aigeaetg angeführt, auch von Hieronymus de viris
illustribus c. 61, nebst vielen anderen Schriften des Hippolytus. Diese
Hauptschrift wurde neuerdings wieder aufgefunden von einem gelehrten
Griechen, Minoides Minas, den der französische Cultusminister Villemain
1842 nach Griechenland geschickt hatte; die Schrift fand sich vor in einer
Handschrift des vierzehnten Jahrhunderts. Es zeigte sich nun, dass der
erste Theil der Schrift schon längst vorhanden war und als Werk des Ori-
genes galt unter dem Titel (pdoffocpov^eva ; daher glaubte man das neu auf-
gefundene Werk sei ebenftills eine Arbeit des Origenes; und so erschien das
Ganze zum ersten Male von Miller in Oxford 1851 als Werk des Origines
herausgegeben, — zum zweiten Male als Werk des Hippolytus von Duncker
und Schneidewin 1855 2). Aus dieser Schrift ersehen wir das Verhältniss
zum novatianischen Dogma, das man eigentUch kann kommen sehen. Der
Verfasser zeigt sich als nüchterner, besonnener Geist, wohl bewandert in den
Schriften der alten Philosophen, die er zur Beleuchtung der gnostischen
Häresieen verwendet: in Vergleichung der gnostischen Lehren zeigt er Scharf-
sinn. Was aber seinem Werke den grössten Werth verleiht, das sind die
vielfachen Auszüge aus den Werken der Gnostiker.
1) Man hat vennuthet, dass er Bischof von Portus Romanus gewesen, wo er nacli
Prudentius tj^qi GTfq-avoiv als Märtyrer starb; man fand nämlich 1551 in einer Märty-
rerkapelle bei Portus eine Statue, den Hippolytus darstellend, der auf einem »Qovog sitzt."
Am Stuhl ist das Verzeichniss seiner Schriften angebracht ; bei Bunsen ist eine Abbildung
der genannten Statue. Manche meinen, es sei die Statue eines alten Rhetors.
2) S. ausserdem D. A. Harnack, über eine in Moskau entdeckte und edirte alt-
bulgarische Version der Schrift Hippolyts de antichristo, — in der Zeitschrift für histo-
lische Theologie 1875. 1. Heft.
128 Erste Periode des alten Katholicismus.
Zweites Capitel. Uebersicht der sich bildenden katholischen
> Theolojjie.
Nachdem wir die Kirchenlehrer und Kirchenschriftsteller nach ihrem
Leben, ihren Arbeiten und der eigenthündichen Richtung, die sie dabei ein-
schlugen, kennen gelernt haben, wird es nöthig sein, uns eine Uebersicht des
von ihnen durchgearbeiteten dogmatischen Stoffes zu verschaffen, wobei wii*
Anlass haben werden, auf gewisse neue häretische Abirrungen., zwischen
welchen die katholische Kirchenlehre sich hindurch arbeiten musste, ein-
zugehen.
§. 1. Die Lehre von den Erkenntnissquellen des Christenthums.
Was den Kanon des Alten und Neuen Testamentes betrifft, so
ist zuvörderst zu bemerken, dass wir hier das Wort Kanon, regula, nur
vermöge einer Anticipation gebrauchen, denn in dieser Peiiode wurde es
direct nur auf die Glaubensregel bezogen. Der Kanon des Alten Testamen-
tes war schon längst abgeschlossen. Die unter uns als apokryphisch bezeich-
neten Schriften, Werke palästinensischer und aegyptischer Juden, nach der
Schliessung des jüdischen Kanons, theils in hebräischer Sprache abgefasst,
aber bald in die griechische übersetzt, theils in dieser Sprache ursprünglich
geschrieben, wurden von den Juden den kanonischen Schriften niemals
gleichgestellt. Da abei die Christen auch diese kanonischen Schriften nur
in griechischer üebersetzuug kannten, so verschwand für sie gi'ossentheils
der Unterschied zwischen beiden Classen von Schriften, so dass sie beiden
fast denselben Werth beilegten; ja, sie nahmen noch mehrere apokryidiische
Schriften als kanonische hinzu, so Barnabas das vierte Buch Esra, Hermas
das Buch Eidam und Modal, Tertullian (de cultu feminarum 1, 3), das
Buch Henoch, das er sogar auf diesen zurückführen will. Indessen regten
sich Zweifel an solcher Ueberfülle heiliger Schriften; dadurch fand sich Bi-
schof Meli to von Sardes bewogen, nach genauen Erkundigungen in Palä-
stina, den Kanon des Alten Testamentes aufzustellen. Dieser Kanon des
Melito enthält blos die auch von uns als kanonisch geltenden Schriften (Eu-
seb. 4, 26). Im Ganzen denselben Kanon gibt Or igen es nach der Aussage
der Juden (Euseb. 6, 25). Doch nimmt er anderwärts die Bücher Judith
und Tobias in Schutz. So wurde eine Scheidung wenigstens angebahnt, die
später in der griechischen Kirche vollzogen wurde, während die lateinische
Kirche die alte Vermischung ausdrücklich sanctionirte. — Was den sich
bildenden neutestamentlichen Kanon betrifft, so ist bereits früher das hieher
Gehörige erörtert worden. Der Ausdruck Neues Testament bei Tertullian,
adv. Marcionem 4, 1, ist eine Uebersetzung von xaivri öia&rjxfi; so nannte
der Herr selbst die von ihm zu stiftende Keligionsverfassung (xMatth. 26, 28), ,
der Ausdruck wurde per metonijmimn auf die Schriften, die davon zeugen,
übertragen, wie schon Paulus die alttestamentlichen Schriften nalaia dia-
^fjxri nennt (2 Kor. 3, 14); daher Origenes auch die neutestamentlichen ^
xaii^Tj dia^TiXTi nannte. Jiadrjxrj kann lum beides heisseu: Bund, Vertrag,
Lehre von der Autorität der Bibel. Inspiration. 129
und Vermach tniss , Testamentiim ; diese zweite Bedeutung wurde also in der
lateinischen Benennung des Kanons die ausschliessliche, der Begriff des Bun-
des trat dagegen zurück.
Um die Autorität der Bibel festzustellen, musste gegen die juden-
christhche Häresis der Unterschied beider Testamente, gegen die heiden-
christliche die Uebereinstimmung derselben hervorgehoben werden; in der
That bewegte sich die kathohsche Auffassung zwischen den beiden häretischen
Meinungen. Doch wurde weit mehr die relative Identität als die Verschie-
denheit hervorgehoben, weil die heidenchristliche Häresis die Kirche mit
grösseren Gefahren bedrohte als die judenchristliche. Diess gilt namentlich
von Irenäus, dem sonst mit Recht nachgerühmt wird, dass er das richtige
Verhältniss beider Testamente dargelegt habe (besonders im vierten Buche,
vom neunten Capitel an); was er da vorbringt, ist ein Commentar zu den
Worten: „das Alte und das Neue Testament lehren einen und denselben
Herrn (Jesum). Denn der Herr ist der Famihenvater, der über das ganze
väterliche Haus herrscht, und den Unfreien und noch Unerzogenen das Ge-
setz, den Kindern aber und den durch den Glauben Gerechtfertigten ent-
sprechende Gebote und das Erbe gibt (4, 9. 1)." Daher vergleicht Irenäus
beide Testamente mit den beiden Säulen des Hauses, unter dessen Trüm-
mern Simson sich selbst und die Philister begrub. Der Irrthum setzt da
an, wo er das alttestamentliche Opferwesen nur in etwas veränderter Form
(species immutata tantum) in die katholische Kirche überträgt und das
Wort des Deuteronomiums 16, 16, du sollst vor deinem Gotte nicht mit lee-
ren Händen erscheinen, buchstäblich auf die neutestamentliche Oekonomie
anwendet (4, 18. 1. 2). Die Autorität der göttlichen Schriften {^eiai yga-
(pai Iren. 2, 27. 1), des Wortes Gottes (ta Xoyta xov &eov (Iren. 1, 8. 1)
oder dominicae scripturae (ib. 5, 20. 2) beruht auf der Inspiration ihrer Ver-
fasser, die man sich als ein Bewegtwerden vom heihgen Geiste dachte
(Athen agoras, nge^ßsia c. 7), doch ohne Ekstase, was gegen die Mon-
tanisten besonders betont wurde ^ daher Miltiades eine eigene Schrift ver-
fasste, dass der Prophet nicht solle in der Ekstase reden (negi xov iirj deiv
TtQOtpritrjv kaXeip ev excrtacrst). Die Aimahme einer eigentlichen götthchen
Inspiration der heihgen Schriftsteller hinderte die Väter keineswegs, die
menschhche Seite der Schrift zu erkennen. Irenäus hat sich irgendwo über
die Eigenthümlichkeit des paulinischen Stiles ausgesprochen (3, 7). Orige-
nes (bei Euseb. 6, 25) macht über denselben Gegenstand feine Bemerk-
ungen. Er gibt zu , dass in Betreff der letzten Passahreise Jesu ein Wider-
spmch zwischen Matthäus und Johannes statt finde. Tertullian nimmt bei
Paulus eine fortschreitende Entwicklung des christhchen Geistes an (adv.
Marcionem 1, 20).
Der Kampf nnt den Häretikern, besonders der mit den Gnostikern, die
vermittelst künstUcher Exegese ihre absonderlichen Lehren in die Schrift
hineintmgen, legte den Vätern das Bedürfuiss nahe, das damals so wenig
angebaute Gebiet der bibhschen Hermeneutik zu betreten. Sie hatten
dabei einen schlimmen Stand; denn während sie, so z. B. Irenäus, gegen die
Spielereien der allegorischen Auslegung, wie sie die Gnostiker übten, sich
scharf erklärten, })efolgten sie selbst dieselbe Methode der Auslegung, die
Herzog, Kirchengcßchichte I. 9
130 Erste Periode des alten Katholicismns.
ja durch die grössten Autoritäten empfohlen war. Die alexandrinischen
Theologen zumal konnten diese Methode nicht entbehren, da sie ihnen die
Mittel an die Hand gab, ihr Lehrsystem mit der Schrift zu vereinbaren.
Origenes suchte nun jene Art der Auslegung auf bestinnnte Grundsätze zu-
rückzuführen und zugleich den buchstäblichen Siim innerhalb bestimmter
Grenzen als gültig zu erweisen (de principiis lih, 4 und in den exegetischen
Werken). Er geht dabei von zwei allgemeinen Grundsätzen aus: 1) das3
die Schrift buchstäbhch verstanden, öfter Anstösstiges und Unwahres vor-
bringe und dadurch dem Glauben P^intrag thue (z. B. 1 Sam. 15, 11. 18, 10.
Jesaia 45, 7 und andere Stellen; 2) dass die Schrift von unermesslich
reichem Inhalte sei, dass kein Jota darin zu linden, worin nicht eine FülU^
von Mysterien enthalten sei. In der näheren Darlegung seiner Theorie
geht er auf die trichotomische Eintheilung der menschlichen Natur als aus
Cö)/*«, ipvxv» Tvveviia bestehend zurück. So ist auch in der Schrift 1) ein
gemeintasshcher und historischer Verstand, der Leib der Schrift, wodurch
die Einfältigen erbaut werden; 2) welche etwas mehr vorwärts geschritten
sind, die werden von der Seele der Schrift erbaut, das ist der psychische,
moralische Sinn. Es sind diess diejenigen Anwendungen des Textes, die
zur Reinigung und Veredlung der Gesinnung beitragen können, 3) welche
aber vollkommen sind (1 Kor. 2, 6. 7), die müssen vom geistlichen Gesetz,
welches einen Schatten der zukünftigen Güter besitzt, als vom Geiste (der
Schrift) erbaut werden; das ist der mystische, pneumatische, eigentlich alle-
gorische Sinn (Redepenning 1, 308). Einen zwiefachen mystischen Sinn hat
Origenes nicht angenommen. In Hinsicht des Buchstabens der Schrift sind
ihm drei Fälle möglich: 1) oft bietet der Buchstabe einen ganz guten Sinn;
da ist Allegorie nicht nöthig; diese Kategorie von Stellen ist gross, und
viele sind gläubig geworden, indem sie sich blos an diesen Sinn hielten;
2) Anderes ist durchaus nicht nach diesem Sinne zu fassen, da bezieht sich
Origenes auf die Polygamie der Väter, auf Xoahs Trunkenheit u. s. w., — dazu
bemerkt er, es entstehen viele Uebelstände, wenn jemand am Fleische der
Schrift (in scriptiirae carne) hängen bleibt', — dabei offenbar auf sich selbst
zurückblickend; wer wird glauben, fährt er fort, der erste und zweite Tag,
Abend und Morgen sei ohne Sonne, Mond und Sterne gewesen? wer ist so
thöricht, dass er glaubt, Gott habe einen Garten gepflanzt? 3) Es gibt aber
auch Fälle, wo beides, der buchstäbliche und der mystische Sinn stattfinden.
So z. B. als Gott schon den Hinnnel geschaffen hatte, schuf er erst das
Firmament. Nun aber ist der Hinnnel unser Geist, d. h. unser innerer,
geistUcher Mensch; der körperliche Himmel, d. h. das Firmament, ist unser
äusserhcher Mensch; wobei Origenes das herausbringt, dass unsere Seelen
lange vor unseren Leibern in vorweltlichem Zustande geschaffen worden.
Dass durch eine solche Behandlung der Schrift nicht allen üebelständen vor-
gebeugt war, liegt am Tage.
Die Frage nach der richtigen Auslegung der Schrift verschhngt sich
übrigens in die betreffend das Verhältniss der Schrift zur Tradition, zur
Glaubensregel insbesondere. Diese galt als nöthig, um den Sinn der Sclu'ift
zu fassen; nur in der Kirche, die den wahren Glauben hat, ist ein richtiges
V^rständniss der Schrift möglich. So äussern sich Clemens von Alexandrien
Lehre vom Dasein und der Einheit Gottes. 131
und Tertulliau. Da aber die Glaubensregel sehr allgemein gehalten war, so
fingen die Kirchenlehrer auf die Schrift zurück. Es stand fest, dass nichts
Glaubensatz sei, was nicht aus der Schrift bewiesen werden könne. Es
wurde gar nicht als denkbar gedacht, dass es solche Glaubenssätze geben
könne. Cyprian (ep. 74 ad Pompejum) sprach es kühn aus: nur, wenn die
Tradition mit der Schrift übereinstimme, solle man sie befolgen; die Ge-
wohnheit, entblösst von Wahrheit sei nur ein alter Irrthum (consuefudo sine
Verität e vetustas erroris est).
§. 2. Die Lehren von Gott, von der Dreieinigkeit und von der
Schöpfung.
Was das Dasein Gottes betrifft, so entstand für die Apologeten die
Aufgabe, den Heiden gegenüber zu beweisen, dass ihr Aufgeben der heid-
nischen Götter nicht Atheismus sei. Sie appeUiren dabei an das allgemeine
Gottesbewusstsein , und sehen übrigens wohl ein, dass die Beweise nicht aus-
reichen; der Uranfang der Dinge, lehrt Clemens von Alexaudrien , ist gänzlich
unerweisbar. Sie gehen zurück auf die innere Anlage und Disposition des
Menschen. „Alle haben Augen, lehrt Theophilus von Antiochien, aber einige
haben verfinsterte Augen, die das Sonnenlicht nicht sehen können. So ist
es mit dir, o Mensch! die Augen deiner Seele sind durch die Sünde ver-
finstert. Gleich einem glänzenden Spiegel muss der Mensch eine reine Seele
haben. Wenn Rost auf dem Spiegel sitzt, so kann man das Angesicht des
Menschen nicht im Spiegel sehen. So kann auch, wo Sünde im Menschen
ist, ein solcher Gott nicht sehen.'' Clemens von Alex and rijen empfiehlt
die SelbsterktMintniss als Bedingung der Gotteserkenutniss ^).
Was die Einheit Gottes betritt"t, so gehen die Kirchenlehrer auch
zurück auf das eingepflanzte Gottesbewusstsein, das auch den Heiden die
Einheit Gottes bezeuge, und berufen sich auf Aussprüche wie : Gott ist gross,
— wenn Gott es gil)t u. s. w., ebenso auf Aussprüche der griechischen Philo-
sophen, so dass mau sagen könne, entweder, dass jetzt die Christen Philoso-
phen seien oder dass die Philosophen vor Zeiten Christen gewesen: soMinucius
Felix. Athenagoras führt aus, dass der wahre Begriff der Gottheit eine
Vielheit göttlicher Wesen schlechterdings ausschliesse. In Hinsicht der Be-
stimmung über Gottes Wesen bemerken wir den Gegensatz des Authropo-
morphismus und des Ideahsnuis oder Spiritualisnuis. Dass schon Melito von
Sardes Gott einen Leib zugeschrieben habe, ist höchst unwahrscheinlich
(s. das über Melito Gesagte). Hingegen Tertulliau {de carne Christi c. 11)
schreibt, darin übereinstimmend mit Cicero de natura deorum 1, 18, Gott
entschieden einen Leib zu, worunter er jedoch blos die nothwendige Form
alles Daseins sich dachte, indem er lehrte, dass nichts uukörperlich sei, als
was nicht existire. Auf der anderen Seite stehen die alexandrinischen Theo-
logen mit ihrem Bestreben, von der Vorstellung von Gott Alles ferne zu
halten, was ihn irgendwie in den Kreis des Menschlichen und des Körper-
1) PaedagOgUS 3, 1, trevrou yno Ttg fni' yy(ofj, .^fo»' fiGfrcct-
9*
132 Erste Periode des alten Katholicismus.
liehen ziehen könnte. Origenes erklärt sich aufs entschiedenste gegen die-
jenigen, die sich Gott als körperliches Wesen vorstellen.
Von besonderer Bedeutung an sich und in Beziehung auf die nachfol-
genden Entwicklungen ist
die Lehre von der Dreieinigkeit i).
Diese Lehre hängt mit der Heilsökonomie oder Heilsveranstaltung aufs
inüigste zusammen. Es handelt sich darum, für die Hauptmomente dersel-
ben eine Begründung im Gottesl)egriffe zu finden. Der Glaube an den sich
offenbarenden Gott, in seiner Einfachheit ausgesprochen, in der Taufformel
(Matth. 28, 19), sodann in anderen Stellen (1 Kor. 12, 4—6), ringt nach
einer Begründung im Gottesbegriffe selbst. Die Kirche sucht für das, was
sie weiss und erfahren, einen objectiven Halt in der Gottesidee zu gewinnen
Gott der Vater aufgefasst als Urgnmd des Heiles, Gott der Sohn als der
die Erlösung der Menschen objectiv vollziehende, Gott der heilige Gott ah
Princip der subjectiven Aneignung der Erlösung und Versöhnung, das sind
die drei Momente, die in der immanenten, d. h. Wesenstrinität ihre objec-
tive Grundlage suchen. Es lag in der Natur der Sache, dass in dieser
schwierigen Operation manche Schwankungen und Unklarheiten hervortraten.
Ln Neuen Testament sind die Voraussetzungen der späteren kirchlichen
Lehre gegeben, jedoch das Dogma selbst ist noch nicht zu seiner Entwicklung
gelangt. Die apostohschen Väter sind hauptsächlich mit der Heilsökonomie, mit
der ökonomischen Trinität beschäftigt. Der Ausdruck tgtag kommt zuerst voi
bei Theophilus von Antiochien 2 , 15, darauf bei Origenes zu Joh. 6 , 47, Matth,
15, 31, der Ausdruck trinitas zuerst bei TertuUian de pudicitia c. 21.
So wie aber Basilius der Grosse zur Rechtfertigung der kürzeren Tauf-
formel (auf den Namen Jesu) im Unterschiede von der längeren (auf die
Dreieinigkeit) lehrt, dass das Bekenntniss des einen Jesus das der ganzen
Dreieinigkeit in sich enthalte, so handelte es sich bei Ausbildung dieser
Lehre zunächst hauptsächhch um Christum, — und zwar um die Bestimm-
ungen, das Göttliche in Christo betreffend. Gott in Christo, Christus der
Abglanz der Herrhchkeit des Vaters, das ewige Wort in ihm Fleisch ge
worden, das war ja das wesentlich Neue in der apostohschen Verkündigung
vom erschienenen Messias. ,,Wie die Kirche durch Christum gegründet wor-
den ist, so hat sie auch von Anfang an den Glauben an ihn als an eine gott-
menschliche Persönlichkeit im Herzen getragen'' 2j.
Das bezeugen sämmtliche apostolische Väter. Clemens von Rom (c. 16)
nennt Christum das Zepter der Herrschermacht Gottes , den Abglanz der gött-
lichen Herrlichkeit. Barnabas preist ihn als den Herrn der ganzen Welt,
zu welchem Gott schon bei der Schöpfung gesprochen: lasst uns Menschen
machen, — und der im Fleisch ersclieinen musste, weil wir Menschen seinen
AnbHck sonst nicht hätten ertragen können, so wenig als die Strahlen der
irdischen Sonne, das Werk seiner Hände c. 5. Er ist das unerschaffene
1) S. die angeführten Werke von Baur und von Dorner und von Thomasius
und Mayer, Lehre von der Trinität in ihrer historischen Entwicklung. 2 Bde. 1844.
2) Thomasius a. a. 0. S. 156.
Lehre von der Dreieinigkeit. Justin, 133
Licht, nicht der Sohn eines Menschen, sondern der Sohn Gottes im Fleische
ueoffenbart, Urheber der ersten und zweiten Schöpfung. Dem Ignatius ist
diristus die vollkommene Offenbarung Gottes zur Ueberwindung der Todes-
herrschaft und Einsenkung eines neuen Lebens in die Menschheit, beides
wahrer Mensch und Gott, Menschensohn und Gottessohn aus Maria und aus
(rott — €P av^QCono) d^eog, ev (xagxi yepo^spog ^eog, 6 ^eog ruidov iriaovg
XQKTTog (ad Smyrnaeos c. 10, ad Rom. Inschrift und c. 2, ad Ephes. c. 15, 18.
20 u. a. Stellen). Dazu kommt das Zeugniss Euseb's 5, 28, dass die Gläu-
bigen in alten Liedern Christum als Gott besungen, das andere Zeugniss im
Briefe des Phnius au Trajan, dass die Christen Carmen Christo quasi Deo
canunt.
Hieb ei entstand nothwendig die Frage nach dem Verhältniss Christi
zu Gott Vater. Zur Verständigung darüber bot sich den folgenden Kirchen-
lehrern Justin, Theophilus, Athenagoras, Tatiau das Theologumenon vom
Logos dar, welches von der alexandrinischen Rehgionsphilosophie in den
Doppelgedanken der göttlichen Vernunft und des göttlichen Schöpfungswortes
umgebildet worden war. Li solcher Gestalt wurde es von Justin und an-
deren Apologeten auf Christum angewendet. Logos ist ihnen das Göttliche
in Christo, im Unterschiede von dessen menschlichen Wesen und im Unter-
schiede von Gott dem Vater, — er ist der Vermittler zwischen Gott und der
Welt, der Träger der ganzen Weltgeschichte, Inbegriff der göttlichen Ver-
nunft, dabei Gott von Art und Namen, wobei Justin sich auf die Theopha-
nien beruft (Gen. 1 , 18 , 1 ff" Exod. 3 , 1 tl.). Er existirte bei dem Vater
erst potentiell und ideell, und wurde vor der Schöpfung der Welt und zum
Behuf derselben vom Vater gezeugt, durcli dessen Kraft und Willen aus Gott
herausgesetzt ; es ist ein Akt der Selbstmittheilung, ähnlich wie die menschliche
Vernunft ein vernünftiges Wort erzeugt. Dabei ist das Verhältniss zwischen
Gott Vater und dem Logos durchaus als Subordination gedacht. Irenäus
dagegen weist alle Fragen, in welcher Weise der Sohn aus dem Vater
hervorgebracht (prolattis) worden, als vorwitzig ab, hält aber fest am
trinitarischen (Hauben der Kirche als dem unmittelbaren Ausdruck des
chiistlichen Selbstbewusstseins. Was den heiligen Geist betrifft, so ergaben
sich aus dem Bestreben , dessen Wesen und Verhältniss zum Vater und zum
Sohne l)egrifflich darzulegen, Schwierigkeiten, die vorerst ungelöst blieben,
sei es, dass man (wie Theophilus 1, 1) die alttestamentliche Weisheit, aus
der die Logoslehre sich entwickelte, als nveviia ctyiov neben den Logos
stellte, oder dass beide, Logos und Geist nur undeutlich unterschieden
wurden (Justin Apol. 1, 33). Weniger hat es zu sagen, dass bisweilen der
Geist als Gabe Gottes gedacht wurde (in der cohortatio ad Graecos c. 32),
insofern auch von Christo in der Schrift gesagt wird, dass ihn Gott gegeben
habe (Joh. 3, 16). Justin nimmt den Geist in die Trias auf, in der er ihm
den dritten Rang anweist (Apol. 1, 6).
Die katholische Lehre über diese Punkte ^entwickelt sich fortan im
Gegensatze gegen zwei von einander abweichende Lehrformen, als die Mitte
haltend zwischen zwei extremen Ansichten, denen es aber gelungen war, eine
ziemliche Anzahl von Anhängern zu gewinnen, Monarchianer, Uni tarier,
An titr initarier genannt. Es regte sich in einigen Theileu der Kirclie
Ö'
J34 Erste Periode des alten Katholicismiis.
eine judäisirende Richtimg, vermöge welcher mau die abstracte pjuheit der
Gottesidee, die Monarchie Gottes festhaltend i) , die Vermitthmg der Ein-
heit durch die Dreiheit einer heidnischen Vervielfältigung des göttlichen
Wesens beschuldigte, in welcher Richtung aber zwei verschiedene Wege ein-
geschlagen wurden.
1) Von Christo, als blossem Menschen gedacht — nach Art der Ebio-
niten, Kerinths und der platonisirenden Gnostiker — stieg man zum gött-
lichen Wesen auf, um eine Verbindung des Menschen Jesus mit jenem gött-
lichen Wesen nachzuweisen. Es sollte auf Christum blos eingewirkt haben.
Die Vertreter dieser Ansicht sind ziemlich zahlreich. Theodotus, ein Le-
derarbeiter {(TxvT€vg) aus Byzanz, am Ende des zweiten Jahrhunderts nacfc
Rom gekommen, der erste, der abgesehen von den genannten Häretikern
Christum einen blossen Menschen nannte nach einem alten Zeugniss bei p]u-
seb. 5, 28, und der deswegen c. 200 vom römischen Bischof Victor excom-
nuinicirt wurde. Ihm stimmte bei ein anderer Theodotus, ein Geldwechsler
(tQaTTslitrjg), ebenso Artemon, der überdiess behauptete, die Apostel hät-
ten dasselbe gelehrt und die alte Kirche. Zu dieser Classe werden auch die
von Epiphanius haeres. 54, 1 genannten Aloger gerechnet (Irenäus 3, 11),
aber als eigene Sekte haben sie nicht existirt. Der hervorragendste Mann
dieser Richtung ist Paul von Samosata, Risihof von Antiochien in Syrien
seit 250, zugleich weltlicher Beamter, ein weltlicher, prachthebender Mann,
269 von der Synode zu Antiochien seines Amtes entsetzt (und zwar nicht,
blos wegen seiner Heterodoxien) Euseb. 7, 29 — 30. Epiphanius liaeresis 65, 1.
Er nahm den johanneischen Begriff vom Xoyog auf, den Xo/og avco^ey);
davon unterschied er den Menschen Jesus, von der Jungfrau geboren, em-^
pfangen vom heiligen Geiste, der durch seine Weisheit und Tugend sich
würdig machte , dass der Logos sich mit ihm vereinigte. Er war aber schon ^
von Natur besser als alle anderen Menschen, weil aus dem heiligen Geist
gezeugt. Durch die Verbindung mit dem Logos (^rw^jy, (Tvpfj(f^f]) wurde
Christus noch mehr über die Linie der Menschheit erhaben, dadurch wurde
er Wunderthäter und Erlöser der Menschen.
2) Der zweite Weg, der eingeschlagen wurde, war der, dass die we-
sentliche Einheit Christi mit dem Vater als Aufgeben des persönlichen Un-
terschiedes zwischen beiden gedacht wurde, wobei zuletzt die Menschheit
Christi als gefährdet erschien, doch ohne Abirrung in den eigenthchen Do-
ketismus.
Der erste Mann, der diese Richtung vertrat, ist Praxeas, der aus
Kleinasien nach Rom gekommen, daselbst den Montanismus mit Erfolg be-
kämpfte und zugleich seine Lehre von Christo vortrug, mit welcher er in
Rom vielen Anklang land — entweder unter Victor 185—197, oder unter
Eleutherus 170—185. Tertullian wirft ihm vor, dass er den Paraklet ver-
trieb und den Vater gekreuzigt habe. Sich auf Jesaia 45, 5. Joh. 10, 30.
14, 9. 10 gründend, verwarf er allen Unterschied und Selbstvermittlung im
göttlichen Wesen, vielleicht in der Weise, dass Jesus keine menschliche
1) Monarchiam tenemus, sagten sie. Tertullian ad Praxeam c. 3 ib. dnos et trefl
deos jactitant a nobis praedicari. Tertullian nennt sie daher Monarchiaiier.
Lehre von der Dreieinigkeit. Sabellius. ^35
Seele gehabt habe. Jedenfalls hat er Vater und Sohn nicht gehörig von ein-
ander unterschieden^), daher Tertulhan ihm vorwirft, dass nach seiner Lehre
der Vater geboren worden und gelitten habe, daher der Name Patri-
passianer bei Origenes. Tertullian erschütterte in Rom das Ansehen, das
Praxeas genoss, durch seine Schrift gegen diesen. Aehnliche Vorstellungen
finden wir bei E p i g o n u s und Kleomenes, Vorgänger des Noet, w^elcher,
aus Smyrna gebürtig, daselbst c. 200 excommunicirt worden. In dieselbe
Kategorie gehört B e r y 1 1 u s von B o s t r a in Arabien, dessen Hauptsatz w^ar,
dass Jesus vor der Menschwerdung nicht als eigene Hypostase der Gottheit
existirt habe (xat' idiav ovaiag neqiYQf^fpriv). Beryllus wurde 244 auf einer
Synode zu Bostra durch Origenes seines Irrthums überführt. Euseb. 6, 33.
Der vorzüglichste Vertreter dieser Richtung, derjenige, der sie am mei-
sten begrifflich gestaltet hat, ist Sabellius, von dem es ungewiss ist, ob
er aus Libyen oder aus Italien gebürtig ist. Er wurde in Rom unter dem
Episkopate von Zephyrin (200—217) durch den nachmahgen Bischof CalHstus
(Calixtj für die Lehre von Kleomenes gewonnen , welche er jedoch selbstän-
dig ausbildete. Cahxt, als er Bischof wurde, sagte sich von Sabellius los,
und vielleicht verhess dieser um deswillen Rom, um sich nach dem
Oriente zu begeben 2) , wo er in Ptolemais Presbyter wurde. In der Pen-
tapohs fand er viele Anhänger, so dass Dionysius von Alexandrien gegen
ihn schrieb. Seine Lehre erinnert au die der clementinischen Homilieen 16, 12
von der zur Dyas sich ausdehnenden und aus der Dyas sich wieder in Eins
zusammenziehenden Ilonas. Er geht also aus von der Monas, als der abso-
luten Substanz, es ist der schweigende Gott, der in sich verschlossen bleibt,
als solcher ist er unwirksam und unthätig. In Thätigkeit kommt die Monas
in ihrer Offenbarung, die als ein sich Ausdehnen [nkatvved^ai) als eine
Verwandlung ({j^ezaiioQ^ovcrO^ai) als ein Reden (XaXeiv) geschildert wird.
Daraus ergibt sich, dass die Monas in erster Reihe sich zum Logos ent-
wickelt. Der Logos ist Gott, sofern er offenbar wird, er ist der offenbare
Gott überhaupt. P^inmal aber ist es der Vater, der sich ausdehnt zum Sohne
und zum Geist 3j, ein anderes Mal wird dasselbe von der .Monas ausge-
sagt ^). Sie entfaltet sich zur Trias. Es gibt also drei Offenbarungsw^eisen
Gottes, TiqoqoiTia^ drei verschiedene Antlitze der Gottheit, sofern sie sich
offenl)art. Der sich offenbarende Gott jetzt sich zur Welt in ein dreifaches
\'erhi\ltniss , entsprechend drei auf einander folgenden Off'enbarungsstufen.
Im alten Bunde hat Gott als Vater das Gesetz gegeben, im neuen ist der
Sohn Mensch geworden; als heiUger Geist ist er zu den Aposteln gekom-
men ^j. Dem \'ater konnnt die vorchristliche Oekonomie zu, dem Sohne die
objective Erlösung, dem Geiste die Aneignung der Erlösung, die Heiligung.
Diese verschiedeneu Off'enbarungsmodi suchte SabeUius auf verschiedene Weise
1) Adv. Praxean c. 5 duos ununi volunt esse, ut idem pater et filius habeatur.
2) Hippol}t. 1, 9. IL 12.
3) 6 TittTTiQ — TiXttivvntti eis viov aat -nvtvf.ia Athanas. or. IV. c. Arianos
8. 25.
4) ^ fdopttg nkarvy^fiGa y^yove rgtag ibid. §. 12.
5) ibid. S. IL
136 iGrste t^eriode des alten KiathoUcismuä.
begreiflich zu machen. Er verglich sie mit den verschiedenen Charismen, die
von demselben Geiste ausgehen ^) — auch, nach Epiphanius (haeresis 62, 1),
mit der Sonne, welche eine ist der vnoataGiq nach, aber dreierlei Wirk-
ungen hat. Zuerst unterschied er den Körper, den Discus der Sonne, den
Vater; doch der Körper der Sonne ist ja eigenthch keine Wirkung dersel-
ben, worin sich eben zeigt, dass Sabellius den schweigenden und den reden-
den Gott nicht ganz zu scheiden vermag; das göttliche Wesen selbst und
das erste nqoaooTTov der Gottlieit fallen ihm unversehens zusammen. Sodann
unterschied SabeUius das Erleuchtende {ro (pMtiaTixop) , den Sohn, drittens
das Erwärmende (to ^alnov), den heiligen Geist. Zugleich aber wird spe-
ciell vom Sohne Gottes gelelirt, dass er der Mensch gewordene Logos sei,
während er eben so gut hätte sagen können, oder eigentlich hätte sagen
müssen, dass der Logos in allen drei Formen sich oftenbart. Gregor von
Nyssa und neuere Theologen (Dr. Baur) haben nun behauptet, der Sohn sei
nach Sabellius nur eine vorübergehende Manifestation Gottes. In der That
wird vom Sohne bestinnnt gesagt, dass er nach Vollendung aller Dinge in
Gott zurückkehren werde. Dasselbe gilt aber von der ganzen Trias, eben
weil sie nur das Verhältniss der Gottheit nach aussen bezeichnen soll, so
dkss diese nach Vollendung der Offenbarung sich in sich selbst in die unbe-
wegte Stille der Monas zurückzielit {(tvctto^. avaveXle(7&c(i). Wenn Arius
den Sabellius beschuldigt, dass er die Monas vionazcog genannt, so muss
sich diess auf die erste, noch unentwickelte Gestalt seines Lehrbegriffes be-
ziehen 2). Beachtenswerth ist, dass derselbe den Sohn gleichen Wesens mit
dem Vater, öfjLovciog tco natqi, genannt hatte, welclien Ausdruck die Sy-
node von Antiochien 269 verwarf.
In der ferneren Ausbildung der Trinitätslehre ist von wesentlicher
Bedeutung die Lehrform der alexandrinischen Theologen, die im Gegen-
satze gegen die der Monarchianer sich ausbildete ; was jedoch weniger von Cle-
mens als von Origenes gilt. Die Lehre des letzteren ist weit bestimmter als
die des Clemens. Was bei diesem nicht recht verbunden erscheint, Logos
und Sohn Gottes , das sucht Origenes mehr zusammenzufassen 3).
Gott, das Princip seiner selbst, avzo^eog, allein eigentlich ^eog, o
«r, offenbart sich zunächst in sich und diese innere Offen])arung ist das
Princip aller weiteren ()ffenl)arung und Vermittlung. Gott nniss sich aber
auch ausser sich offenbaren, denn es ist gottlos und ungereimt, sich Gottes
Wesen als müssig und unbeweglich zu denken. Daher vor dieser Welt schon
eine unendliche Keihe von Welten gewesen, und eine unendliche Reihe wird
ihr folgen. — Gott vermittelt sich in sich selbst zunächst im Sohne, im
Ebenbilde seiner selbst, dem Abglanz der Gottheit; Weisheit, co^m, ist
der ältere Name (Sprüchwörter c. 8), und bezeichnet die Gesammtheit der
urbikUichen und weltbildenden Gedanken, die im Sohne zur Einheit verbun-
1) ibid. §. 25.
2) Arii ep. ad Alex. — bei Epiphanius haeres. 62, L
3) S. ausser Baur und Dorner und Thomasius die Abhandlung von Schultz über
die ChHstologie des Origenes in den Jahrbüchern für protestantische Theologie. 1875.
2, und 3. Heft.
Lehre von der Dreieinigkeit. Origenes. 137
den siud. Der Ausdruck Logos bezieht sich auf die Offenbarung und Mit-
theilung der in der Weisheit enthaltenen göttUchen Gedanken, als solche ist
der Logos der Sohn, Organ der Weltschöpfung. Man kann aber nicht sagen,
dass er durch den Willen Gottes gesetzt ist; denn der götthche Wille selbst
gehört zur Fülle der So^a, die sich im Sohne hypostasirt hat; er ist der
ausgeprägte Wille des Vaters, und insofern ist die Welt durch den Sohn
gesetzt. Dieser ist vom Vater gezeugt, von welchem Begriffe alle sinnhchen
Vorstellungen ferne gehalten werden. Man kann auch nicht sagen, dass ein
Theil der Substanz Gottes sich in den Sohn verwandelt habe, oder dass er aus
Nichts (ex nullis substantibus) vom Vater geschaffen worden, de princ. 4, 28
u. ff'. Es gibt keinen Augenblick, wo Gott noch nicht Vater des Sohnes war,
ovx riv Ute ovx yv.; auch diese Bezeichnung ist der Sache nicht adäquat,
^denn es findet eine ewige Zeugung statt nach Psalm 2, 7; für Gott ist es
immer heute, ewige Gegenwart. Der Sohn wird aus dem Vater geboren,
wie der Glanz aus dem Lichte; daher Origenes ihn wesensgleichen Ausfluss
{anoQQoia öfjioovcTiog) aus der Herrlichkeit des Allmächtigen nennt. Doch
ist die Weseusgleichheit , Homousie, eine bedingte, insofern der Vater allein
das Absohlte, Gott durch und von ihm selber ist, der Sohn aber darin ihm
nicht gleich ist, sondern ihm untergeordnet, geringer als der Vater, der
zweite Gott. .,Es mögen einige annehmen, der Erlöser sei der über alle
erhabene höchste Gott, wir aber thun es nicht, folgend ihm, der da spricht:
„der Vater ist grösser denn ich'', daher Anbetung im eigentlichen Sinne nur
dem Vater gebührt, und diejenigen, welche den Sohn mit oder ohne den
Vater als eigentlichen Anbetungsgegenstand betrachten, in Sünde fallen.
Daher Origenes im Anschluss an Sprüchw. 8, 22 den Sohn bisweilen Ge-
schöpf, xTitJua, dri^tovQyriiia nennt. Die Unterordnung des Sohnes unter den
Vater zeigt sich auch in seiner Wirksamkeit. Der Sohn thut dasselbe was
der Vater, aber der Impuls geht vom Vater aus; er ist das Werkzeug, ver-
mittelst welches der Vater wirkt. — Was den belügen Geist betrifft, so
ist er durch den Sohn geschaffen; denn Alles ist durch denselben geschaffen
Joh. 1, 3. Er ist das erste und vorzüghchste der vom Vater durch den
Sohn geschaffenen Wesen, und dem Sohne untergeordnet. Er verhält sich
zum Sohne wie dieser zum Vater. Seine Wii'ksamkeit beschränkt sich aber
auf die Heiligen. In der origenistischeu Trinitätslehre ist demnach Subor-
dinatianisnuis nicht zu verkennen, der aber, was das Verhältniss des Logos
2um Vater betrifft, nicht durchgefühlt ist. Mit Recht bemerkt Schultz
a. a. 0., dass die Logoslehre des Origenes so wenig wie die seiner Vorgän-
ger aus der Verlegenheit herauskommt, entweder die Fülle des in Gott lie-
genden Lebens unpersönlich auszudrücken, dannt aber den bibhschen For-
derungen in Betreff eines persönUchen Gottessohnes nicht zu entsprechen,
oder eine Persönhchkeit festzuhalten neben der Persönlichkeit Gottes, dann
aber ihr jenen Lebensinhalt in vermittelter Weise beizulegen, also sie zu
subordiniren, und damit die Einheit des Gottesbegriffs zu gefährden. — In-
sofern Origenes die Wesensgleichheit des Sohnes betont, ist er Vorgänger
des Athanasius, insofern er die Subordination lehrt, konnte der Aiianismus
aus ihm schöpfen.
In der übrigens sehr wenig entwickelten Lehrform der lateinischen
138 Erste Periode des alten Katholicismus.
Kirchenlehrer ist bestimmend die Opposition gegen die Monarchianer , vor-
nehmlich gegen die Patripassianer , die Tertullian in seiner Schrift gegen
Praxeas bektämpfte. Er nimmt durchaus die Subordination an, und zwar so,
dass der Vater die ganze Substanz der Gottheit ist, der Sohn aber eine
Ableitung (derivatto) und Theil (portio) davon ist, wobei er sich auf das
Wort beruft: „der Vater ist grösser als ich.'' Der Geist ist bei TertuUian
in derselben Rangstellung wie bei Origenes. Zu bemerken ist noch als
Beweis, wie sehr die patripassianische Vorstellung sich ausbreitete, dass der
christliche Dichter Commodianus, der in der zweiten Hälfte des dritten
Jahrhunderts lebte, dieser Richtung entschieden angehörte, wobei er jedoch
meinte , mit der Kirchenlehre in Uebereinstimmung zu sein i).
Was die Schöpfung der Welt betrifft, so hielten die Lehrer gegen
die heidnische Philosophie durchaus den Satz fest, dass Gott die Welt nicht
blos aus einer vorhandenen, ungeschaffenen Materie ge])ildet habe, sondern
dass er auch Urheber der Materie . sei. Darin stimmen alle überein und auch
Justinus Martyr macht keine Ausnahme. Denn derselbe, der Apolog.
1, 10 lehrt, dass Gott aus gestaltloser Masse die Welt gebildet, lehrt ande-
rerseits im Dialog mit Tryphon c. 5, dass die Welt geschaffen sei, d. h.
Gott hat zuerst die formlose Materie geschaffen und aus dieser die Welt
gebildet. Man gründete sich hiebei auf 2 Makkab. 7. 28, dass Gott die
Welt «? ovx ovxfov geschaffen habe. Am eingehendsten hat TertuUian die
paganische Ansicht widerlegt in seiner Schrift gegen llermogenes. Gegen
die Gnostiker heben die Kirchenlehrer mit Macht hervor, dass derselbe Gott
die Welt erschaffen habe, der sie auch erlöste: durch dasselbe göttliche
Wort ist die Welt erschaffen und erlöst worden — mit Beziehung auf Joh.
1, 3 u. a. Stellen. Gegen die Gnostiker wurde auch das geltend gemacht,
dass Gott nicht in Folge einer Naturnothwendigkeit , sondeni durch einen
freien Akt seines Willens oder seiner Liebe die Welt hervorgebracht habe.
Es wird im Zusammenhang damit gelehrt, dass Gott der Welt nicht bedurfte,
dass er die Welt nicht für sich, sondern für die Menschen geschaffen habe,
wobei im schroffen Gegensätze gegen die paganischen Anschauungen die
göttliche Vorsehung, nqoroia, betont und die antike Lehre vom Schicksal
verworfen wurde, so dass Gott in keiner Weise als Urheber des Bösen zu
denken ist. Gott ist auch der Schöpfer der unsichtbaren Welt, der Engel,
deren sich Gott bedient bei der Weltregienmg , die aber nicht anzurufen sind,
wie Irenäus 2, 32. 5 bestimmt lehrt. Bei Justin, Apologie 1,6 ist freihch
von einem Anbeten der Engel die Rede, doch ist diess etw^as vereinzeltes.
Was den Teufel betrifft, so war die Zeit nicht geneigt, dessen Dasein und
Wirken zu leugnen, sondern vielmehr die Vorstellirag davon zu weit auszu-
dehnen, so dass theils Gottes Wirksamkeit, theils des Menschen Freiheit
geschmälert wurde. Dagegen kämpft schon Heimas an (lib. II mandatum 7).
^So du Gott fürchtest, wirst du über den Teufel Meister werden.'' Origenes
bestreitet die Ansicht, dass es, ohne den Teufel keine Sünde geben würde.
Zu Grunde liegt ein vertiefter Begriff von der Sünde.
'1) S. Neander's Dogmengeschichte 1, 180. — Jacobi in der deutschen Zeitschrift
1853. Das neu aufgefundene Gedicht, worauf sich die Angabe gründet, ist aufgenommen
in die erste Lieferung des Spicilegium Solesmense,
Die Anthropologie. l39
§. 3. Die Anthropologie.
Das Heidenthum, das in manchen Stücken den Menschen so hoch stellt
und seinen Stolz nährt, hat doch durchaus nicht den wahren Begriff von der
Hoheit der menschlichen Natur. Die biblische Offenbarung dagegen gibt die
erhabenste Vorstellung von der mensclüichen Natur, ihrer ursprünglichen
Anlage und Bestimmung, und eben darum sieht sie den gegenwärtigen Zu-
stand der Menschheit als Folge eines Falles an. Je höher sie den Menschen
stellt seinem Ursprünge nach, desto tiefer setzt sie ihn herab in seinem
empirischen Zustande. Beides gehört zusammen und ist unzertrennlich von
einander; daher TeiluUian sagt: keine Seele ist ohne Sünde, weil keine ohne
Samen des Guten i). Kaum hatte das Christenthum begonnen , diese gesun-
den Anschauungen in der Welt einzubürgern, so fuhren die Guostiker da-
zwischen und verwirrten die Anthropologie. Gegen sie hauptsächlich ist
die katholische Dogmenbildung auf diesem Gebiete gerichtet. Was den Ur-
sprung der Seele betrifft, so gingen die Kirchenlehrer, soweit sie sich
darauf einliessen , sehr auseinander, und in dieser Periode wurde die richtige
Vorstellung davon noch nicht gefunden. Nach Origenes, de principiis 3, 5, 4
ist die Seele lange vor dem Körper geschaffen; ihr kommt Präexistenz
zu; sie ist zur Strafe für die in der intelligibleu Welt begangenen Sünden
in den Leib eingeschlossen worden, ein platonischer Satz, auch von der spä-
teren jüdischen Theologie aufgenommen, unter den Schülern des Origenes
von Pierius und Pamphilus. Tertullian, der jenen Satz bestritt (de anima
23, 28) lehrte, sich gründend auf die AehnUchkeit der Geistes- und Gemüths-
art zwischen Eltern und Kindern eine Fortpflanzung der Seele durch die
Zeugung, doch mit der besonderen Bestinnnung, dass die Seele jedes Menschen
als ein Zweig aus der fortgepflanzten Mutterseele Adams erscheint. Es ist die
später sogenannte tradu dänische Lehre, die aber Tertullian unter die-
sem Namen nicht kennt. Origenes kennt sie als seminis tradux und behan-
delt sie als disputablen Punkt, Lactanz 3, 8 dagegen verwirft sie. Bei Ter-
tuUian hängt diese Lehre zusannnen mit der Lehre von der KörperKchkeit
der Seele, wofür auch Methodius sich aussprach, welche aber Origenes ent-
schieden verwarf.
Was die Bestimmungen über das Bild Gottes betrifft, so führte die
tautologische Bezeichnung Genesis 1 , 26 '.311^^13 ^:^/.^:i ^^ie Kirchen-
lehrer auf die willkürliche Unterscheidung von tibi?, ei^Mv , imago und
m^ÜM, onomffig, similitudo. Demnach wird jenes , d. h. der Inbegriff der
vernünftigen und sittlichen Anlagen dem Menschen mitgetheilt; die Aehn-
Uchkeit mit Gott erhält er nachgehends in dem Maasse, als er sich der Voll-
kommenheit nähert {xara teleionGiv). Die Unterscheidung an sich ist voll-
kommen zulässig, nur ergibt sie sich nicht aus der angeführten Stelle der
Genesis. — Der Mensch nun, sofern er mit dem Bilde Gottes versehen
worden, glich einem, wie Theophilus von Autiochien sagt, mit herrlichen
1) De anima c. 41 nuUa anima sine crimine, quia nulla sine boni semine.
240 Erste Periode des alten Katholicismus.
Anlagen ausgerüsteten Kinde; die Aehnlichkeit mit Gott sollte er durch die
Entwicklung dieser Anlagen erhalten; das lehrt auch Irenäus 4, 38.
Ein besonderes Gewicht wurde im Gegensatze gegen die antike Idee
vom Schicksale und gegen gnostische Verirrungen, wonach ein Theil der
Menschen vermöge ihrer ursprünghchen Anlage vom Heile ausgeschlossen
waren, auf die freie Willensbestimmung (ro avte^ovcrtop ^ eXevi^eqa
TiQoaiQScng, liberum arbitrium) gesetzt. Justinus Martyr Apol. 1, 43 be-
kämpft die €lfi(XQ^€Pij: Gott hat den Menschen nicht geschaffen, gleich den
Bäumen und Thieren, die aus freier Wahl nichts thun können. Denn, wenn
er nicht aus freier Wahl das Gute wählte, würde er weder Lob noch Tadel
verdienen. Wenn er böse wäre, könnte er gerechterweise nicht gestraft
werden, da er kein anderer sein kann als der er von Natur geworden. In
demselben Sinne sprechen sich Clemens von Alexandrien, Origeues und
Tertullian aus.
Die Unsterldichkeit der Seele, sofern sie als natürliche Unsterblichkeit
gefasst wird, wurde von mehreren Kirchenlehrern verworfen. Der Jude Tryphon
im Dialog mit ihm c. 4 spricht gewiss die Meinung Justins aus, wenn er sagt,
dass die Seelen nicht unsterblich seien; die Seelen der Guten, die Gott
suchen, die werden erhalten, unsterbhch. Die Seelen der Bösen werden
geplagt und am Leben erhalten, so lange es Gott gefällt. — Gott allein ist,
wie ohne Anfang , so auch unvergänglich. Die Seele hat ihr Leben von Gott
empfongen, der es ihr wieder nehmen kann. In demselben Sinne sprechen
sich Tatian, Theoi)hilus von Autiochien. Irenäus aus (2, 64), nur Tertulhan
de anima c. 14 , Grigenes de principiis 4, 36 lehren die natürliche Unsterb-
lichkeit der Seele. Derselbe überführte auf einer Synode einige Lehrer in
Arabien ihres Irrthums, der darin bestand, dass sie lehrten, die Seele sterbe
mit dem Leibe und werde mit demselben wieder auferweckt Euseb, 6, 37.
Arabici werden sie bei Augustin benannt de haeresibus c. 83, dvfitonnaxircit
von Johannes von Damascus.
Was die Lehre von der Sünde und vom geistlichen Elende des Menschen
betrifft, so hatten die Kirchenlehrer die Aufgabe, das entsetzHch abgestumpfte
sittliche Bewusstsein zu wecken, zu schärfen. Obwohl sie nun über das We-
sen der Sünde zum Theil schwankende Bestimnuingen geben, so sind doch
alle weit entfernt vom Irrthum der Gnostiker, welche das Böse von der
Materie oder vom Demiurgos ableiteten. Nur Justinus Martyr. (Apol. 1 , 10)
setzt sie in die Sinnhchkeit, wogegen Clemens von Alexandrien scharf pro-
testiit (Strom. 4, 36). Origenes betrachtet die Sünde als das Nichtige %
insofern Grundlose, von unerklärbarem Ursprünge, wie denn schon sein Leh-
rer Clemens gesagt hatte: wir kommen zur Sünde, wir wissen selbst nicht
wie. Auch Ii'enäus sieht die Sünde als unerklärhche Störung der normalen
Entwicklung des Menschen an.
Der Sündenfall wurde alles Ernstes gelehrt, und im Ganzen nach
dem dritten Capitel der Genesis behandelt, diese Erzählung als wirkliche Ge-
schichte betrachtet. Origenes dagegen deutete sie allegorisch, um sie mit seinem
Systeme zu vereinbaren. Die mosaische Erzählung ist ihm die allegorische
1) naca ?/ x«)cm ov^iv de princip. 2, 9. 2.
Anthropologie. Christologie. 141
Darstellung des Heraustretens der Menschheit aus der Gemeinschaft mit
Gott in der vorzeitlichen Existenz der Seelen. Die Vertreibung aus dem
Paradies ist der Verlust der ursprünglichen Seligkeit, die Bekleidung der
Protoplasten mit Thierfellen ist die Einkleidung der Seelen in menschliche
Leiber.
Die eigentliche Lehre von der Erbsünde, wie sie später ausgebil-
det wurde, fehlte noch in dieser Periode. Sünder und dem Tode unter-
worfen sind nach Justinus Martyr alle Nachkommen Adams desshalb, weil
sie mit Freiheit sich dem Adam gleichmachen (dialog. c. 124) und jeder
von ihnen durch eigene Schuld sich dem Bösen hingegeben hat (dialog.
c. 88). Was Irenäus betrifft, so stimmte er mit Justin und den übrigen
Vätern darin überein, dass die Sünde ein im ganzen menschlichen Ge-
schlecht verbreitetes Uebel sei, dass sie mit dem Sündenfall Adams den
Anfang genommen habe. Doch sieht er den physischen Tod an als vermittelt
durch die Sünde des Einzelnen; daraus folgt, dass er die eigentliche Erb-
sünde nicht gekannt; er sieht die Sünde, abgesehen von der Versündigung
Adams, als fi'eie That des Menschen an. Es hing diess bei ihm zusam-
men mit der Hervorhebung der moralischen Freiheit des Menschen, im
Gegensatze gegen die gnostische Läugnung derselben. Bei Tertullian de
anima c. 41 finden wir am meisten Annäherung an die spätere abendlän-
dische Dogmenbildung. Er leitet das Böse, malum a)dmae, aus dem ori-
ginis vitium ab und nennt es daher quodammodo naturale, insofern die Ver-
derbniss der Natur zur anderen Natur geworden. Doch kann derselbe
Tertullian gegen die Taufe der neugeborenen Kinder geltend machen:
quid festinat innocens aetas ad remissionem peccatorum (de haptismo c. 18)?
Aehnlich Cyprian (ep. 64 ad Fidum).
§. 4. Die Christologie.
Inmitten der häretischen Gegensätze der Ebioniten und der duali-
stischen, doketischen Gnostiker, später im Gegensatze gegen die beiden
Richtungen der Monarchianer entwickelte sich die kathoHsche Lehre von
Christi Person, gleichweit entfernt von beiden Abwegen. Gegen die Do-
keten hat schon Ignatius angekämpft. Gegen die Ebioniten hob Justin, der
Märtyrer die wunderbare Geburt Jesu hervor. Irenäus spricht mit grosser
Klarheit das Wesentliche des Glaubens an Christum aus: um Gott und
Mensch zu vermitteln, musste Jesus in sich selbst die Harmonie des Irdi-
schen und des Himmlischen darstellen. — Christus ist geworden, was wir
sind, damit wir würden, was er ist (3, 10—20). Denselben Ausspruch,
der übrigens cum gram salis zu verstehen ist, findet man auch bei Cy-
prian 1). Dabei wird mit Sorgfalt die volle Menschheit Christi gelehrt von
Irenäus und Anderen, besonders von Origenes weitläufig behandelt. Er
erklärt sich sowohl gegen diejenigen, welche die Menschheit des Herrn
aulheben und allein dessen Gottheit bestehen lassen, als gegen die ande-
1) Quod homo est, Christus esse voluit, ut et homo possit esse, quod Christus
est. De idolorum vanitate c. 11.
142 Erste Periode dos alten Katholicismus.
ren, welche seine Gottheit zu scharf abgrenzend (nsQiyQaipaPTsg) Chri-
stum nur als den gerechtesten aller Menschen bekennen. Er bestrebt
sich, die Unveränderlichkkeit des Sohnes Gottes festzuhalten, so dass die
göttliche Natur desselben nicht aus der Einheit mit dem Vater heraus-
gerissen und in die engen Schranken der menschlichen Natur eingeschlos-
sen erscheine, wogegen das Wort streitet; ;,wo zwei oder drei in meinem
Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. ^ Ebenso hielt
Origenes dieses fest, dass durch die Einigung mit der menschlichen Natur
der Gottesbegriff nicht verunreinigt werden dürfe.
Das führt ihn zu seiner eigenthümlichen Lehre von der menschlichen
Seele Christi. Mit dem Leibe konnte die göttliche Natur (der Lo-
gos, der Gottessohn, Christus) sich nicht unmittelbar vereinigen, ohne sich
in eine Gottes unwürdige Leidentlichkeit zu setzen. Daher nahm der Lo-
gos unmittelbar die Jesusseele an und mittelbar den Leib. Die Jesusseele
ist fähig, alle Leiden und Schmerzen der Menschheit zu theilen und zu-
gleich sich mit dem Sohne Gottes vollkommen zu einigen. Der Logos oder
Sohn Gottes ist also zwar nicht eigentlich Mensch geworden, aber die an-
genommene vollständige Menschennatur und Seele wurde für ihn Organ
der Offenbarung. Die Jesusseele war von Anfang an in der intelligiblen
Welt mit dem Logos völlig Eins geblieben, sie ist durch bewahrte Sünd-
losigkeit unfähig geworden, zu sündigen; sie ist in den Logos ganz ver-
gottet worden, so dass nun beide eins geworden sind durch Mischung des
Wesens. Wie das Eisen, vom Feuer ganz durchglüht, gänzlich Gluth ist,
so ist die Seele, die dem Logos sich ganz hingab, in allen ihrem Denken,
Fühlen, Thun von seiner Gottheit durchglüht, mit ihm unwandelbar eins
geworden. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes bestand nun darin, dass
er mit der Jesusseele in das Leben der Menschen herabstieg; man kann
sie auch nennen die fortdauernde moralische Verbindung des nun in die
irdische Leiblichkeit eingegangenen Jesus mit Christo, dem Gottessohne.
So versteht Origenes den Begriff der Gottmenschheit Christi. Er ist der
erste Lehrer, der den Ausdruck ^sap^QO)Tiog gebraucht. Dieser Gott-
mensch war seit dem Falle der Geister Notliwendigkeit, wenn sie gerettet
werden sollten. Zuletzt aber löst sich das Menschliche in Christo in seine
ewige Gottheit auf; in der Erhöhung verschwindet des Herrn menschliche
Natur, so dass von ihm nichts als das Göttliche, der Logos übrig bleibt.
Daher Origenes mit dürren Worten sagt: „wenn auch Christus ein Mensch
gewesen, so ist er es jetzt nicht mehr." — „Einst war er Mensch, jetzt
hat er aufgehört, Mensch zu sein." In den Bestimmungen über Christi
Leiblichkeit hält sich Origenes im Ganzen frei vom Doketisnms.
Was das Werk Christi betrifft, so wird mit Recht darauf hinge-
wiesen, dass die ganze Erscheinung des Gottmenschen erlösend wirkte.
Irenäus hebt hervor, dass die Erlösung durch alle Lebensstufen sich hindurch-
zieht. Jesus wurde ein Kind, um die Kinder zu heiligen, ein Vorbild
kindlicher Pietät und kindlichen Gehorsams. Er wurde als Jüngling ein
Vorbild für die Jünglinge, sie Gott heiligend, so auch wurde er ein Er-
wachsener unter den Erwachsenen, um ein vollkommener Lehrer aller Le-
bensstufen zu sein. Darauf kam er auch bis zum Tode , um der Ergtge-
Christologie. Werk Christi. 143
borene aus den Todten zu werden, den Primat festhaltend in allen Din-
gen, der Fürst des Lebens. Es ist in Christo „apaxecpaXaioicrig'^ Wieder-
herstellung und endgiltige Zusammenfassung Alles dessen gegeben, was zu
einem vollkommenen Leben des Menschen in der Einheit mit Gott gehört
(2, 22. 4. 3, 18). Der Schrift gemäss wird die Erlösung auf den Tod Christi
bezogen, aber oft in wenig bestimmten Ausdrücken. Clemens Rom. c. 7
hebt das ethische Moment hervor, dass das um unserer Erlösung willen
vergossene Blut Christi der ganzen Welt die Gnadengabe der Sinnes-
änderung verschafft habe. Der Tod Christi wird insbesondere als Sieg über
den Teufel betrachtet. So lehrt Irenäus 5, 1. 1 : ,, durch die Sünde sind
wir in die Gefangenschaft des Teufels gerathen, ungerechterweise, da wir
von Natur Gott angehören. Gerechterweise wendete sich der Logos gegen
den Teufel, von ihm das Seinige (des Logos) loskaufend, nicht mit Gewalt,
sondern secundum suadelam, dadurch, dass den Menschen eine bessere
üeberzeugung beigebracht wurde, mittelst welcher sie die Befreiung er-
hielten aus des Teufels Gefangenschaft. Dazu gehörte, dass zuerst Ein
Mensch aus freier Üeberzeugung und aus eigenem Antriebe sich der Herr-
schaft des Teufels entzog, dass also in der Menschennatur ein selbständiger
Anfangspunkt des vollkommenen Gehorsams gegeben wurde. Damit steht in
Verbindung die Xothwendigkeit der Gottmenschlichkeit des Erlösers 3, 18.
Hätte Jesus nicht als Mensch den Teufel besiegt, so wäre dieser nicht
gerechterweise besiegt \vorden, und auf der anderen Seite wäre ein blosser
Mensch nicht im Stande gewesen ^ jenen vollkommenen Gehorsam zu lei-
sten ; darum musste mit der menschlichen Seele der göttliche Logos verbun-
den sein. Doch ist mit diesem Gehorsam die Erlösung nicht vollzogen,
sondern nur die Bedingung erfüllt, unter welcher sie stattfinden konnte.
Aber wie der Tod die Erlösung bewirkt, darüber spricht sich L'enäus
nicht deutlich aus. Insofern der Teufel kein Recht auf Jesum hatte und
ihn doch dem Tode überlieferte, bekam dieser das Recht, durch seine Hin-
gabe in den Tod diejenigen aus des Teufels Gewalt zu befreien, welche
dieser durch eine Ungerechtigkeit in seine Gewalt bekommen hatte. So
ist der Tod Jesu das Lösegeld geworden für die bis dahin unter der Ge-
walt des Teufels Gefangenen. In diesen Sätzen ist die Idee von einer
Ueberlistung des Teufels nicht ausgesprochen.
Bei Origenes M finden wir zum ersten Male die Vorstellung von
einem dem Teufel gespielten Betrug, wodurch die Erlösung der Menschen
zu Stande gekommen. Die Menschen hatten sich durch die Sünde faktisch
dem Teufel verkauft. Die Erlösung konnte daher nicht geschehen ohne
ein dem Teufel gegebenes Aequivalent. Da aber der Mensch dieses nicht
zu geben vermochte , so gab Gott aus Menschenfreundlichkeit die heilige
Seele Jesu, welche der Teufel als Lösegeld von Gott gefordert hatte. Weil
nun der Teufel befürchtete, Jesus möchte durch seine Wunder und Lehre
das Menschengeschlecht seiner Herrschaft entreissen, überlieferte er ihn
sofort in die Hände der Juden, damit er von diesen getödtet in seine
Gewalt käme. Damit täuschte er sich selbst; denn er war nicht im Stande,
1) S. Thomasius. Origenes S. 222.
144 Erste Periode des alten Katholicisraus.
diesen Stärkeren festzuhalten. Die Qualen, die ihm das Festhalten dieser
reinen Seele verursachte, konnte er nicht ertragen. So musste er das
Lösegeld wieder frei geben, damit wurde zugleich seine und der Dämonen
Kraft gebrochen, sein Reich zerstört und die Gewalt, die er bisher über
die Menschen ausgeübt, so sehr geschwächt, dass diese nun dem Erlöser
aus der Gefangenschaft zur Freiheit, aus dem Tode zum Leben folgen
können. Diese in sich selbst unhaltbare Theorie hindert aber Origenes
nicht an der Anerkennung des versöhnenden Moments in Jesu Tode, wo-
durch er die Strafe litt, die uns gebührte. Indem er die menschliche
Natur mit ihren Leiden und Schwachheiten auf sich nahm, machte er un-
sere Sünde und Ungerechtigkeit zu der seinigen, so dass er noch im
höheren Grade als die Apostel als Auswurf der Welt erschien (1 Kor. 4, 13).
Dadurch vernichtet^e er die Sünde, was ihn selbst betrifft; aber vermöge
des Zusammenhanges, worin er als Haupt der Menschheit mit uns steht,
hat, was er gethan, auch Kraft und Geltung für uns alle. Wenn hier das
versöhnende Moment des Todes nicht in voller Reinheit hervortritt, so
nimmt Origenes auf der anderen Seite eine versöhnende Wirkung Christi
im Himmel an, wo er die lebendige Kraft seines Leibes als ein geistliches
Opfer dargebracht (Hehr. 7, 25. 9, 24), und diess kommt nicht blos uns
zu Gute, sondern auch den übrigen vernünftigen Geschöpfen. Dabei
muss festgehalten werden, dass Origenes keine göttliche Strafgerechtigkeit,
welche um ihrer selbst willen Genugthuung fordern müsste, noch göttlichen
Zorn kennt.
Die Höllenfahrt Christi, worüber die Apostelgesch. 2, 27. 31, Paulus
im Briefe an die Epheser 4,9, Petrus im ersten Briefe 2, 19 . 20 An-
deutungen geben, wurde von den Kirchenlehrern zunächst gedacht als
Hinabsteigen der Seele Christi an den Ort der abgeschiedenen Seelen, wo-
mit ein Zeugniss gegeben sein sollte, theils von der zweifellosen Gewiss-
heit des Todes Christi, theils (doch diess erst später) von der vollkomme-
nen Menschheit Christi. Daran knüpfte sich die Vorstellung einer Wirk-
samkeit, die verschieden gedacht wurde. Petrus scheint anzunehmen, dass
Jesus denjenigen Seelen das Heil verkündigte, die zur Zeit Noah unge-
horsam gewesen waren. Die Väter lassen Jesum den Frommen des alten
Bundes das Heil verkündigen (Justinus Martvr dialog. c. 72. Irenäus 4, 27, 2),
womit die Ausschliesslichkeit des Christenthums auch für die vorchristliche
Welt festgestellt wurde, — das spätere Evangelium des Nikodemus gibt
c. 17 ff. eine glänzende Beschreibung von der Wirksamkeit Chi'isti in der
Unterwelt.
§.5. Die Heilsordnung ^).
Besonders auf diesem Gebiete zeigt sich das Eigenthümliche derjeni-
gen religiösen Richtung, die wir im Begriff der katholischen Kirche ge-
funden haben. Allerdings wird der Glaube als Bedingung des Heiles auf-
1) S. Landerer, das Verhältniss von Gnade und Freiheit in der Aneignung des
Heiles. Jahrbücher für deutsche Theologie. 1857. S. 500 ff.
Art und Umfang der göttlichen Gnadenwirkung. 145
-i'tasst, es fehlt aber der volle Begriff vom Glauben, wie ihn Paulus
aufgestellt und geltend gemacht hatte. Irenäus fasst den Glauben auf als
Erfüllung des göttlichen Willens ^), das Christenthum als neues Gesetz,
nur quantitativ vom alten unterschieden 2). In beiden , im Gesetze und
im Evangelio ist das erste und höchste Gebot, Gott zu lieben, und das
nächste, den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Man kann sagen, es
ist eine Neigung vorhanden, das sittliche Verhalten des Menschen zu Gott
über das religiöse Verhältniss zu setzen, so dass das richtige Gleich-
gewicht zwischen beiden Seiten der religiösen Vorstellung nicht fest-
gehalten wird. Es wird die Pflicht der Gesetzeserfüllung nicht durch
die Idee der Wiedergeburt beherrscht, und diese durchaus nicht auf die
Idee der Rechtfertigung gegründet 3). So sehr wurden Busse und gute
Werke als Mittel der Piechtfertigung angesehen, dass schon auf auöallende
Bussübung grosses Gewicht gelegt wurde, gemäss dem von Tertullian aus-
gesprochenen Grundsatze: „in wie weit du deiner (in deinen Bussübungen)
nicht geschont hast, in so weit wird, glaube es mir, Gott deiner schonen'^^
dass schon Hermas, wie. wir gesehen, einen Ansatz zu der Lehre vom
überschüssigen Verdienst gewisser Werke hat (lib. 3, Similitudo 5, 3).
Damit hängen zusammen die Sätze über Art und Umfang der gött-
lichen Gnadenwirkungen. Zunächst ist der Gegensatz gegen die Gnostiker
das Bestimmende ; sie lehrten, dass ein Theil der Menschen schon vermöge
ihrer Naturanlage gerettet werden (es ist diess die BasiHdianische Lehre
vom (fivcei aml^ea&at), dass sie demnach zum Heil organisirt und prädesti-
nirt seien, — andere zum Verderben. Dagegen lehrten die Kirchenlehrer
(z. B. Clemens Alexandrinus, Irenäus), dass Gott Niemanden zum Glauben
zwingt. Gott steht den Seelen bei, soweit sie es wollen, sagt Clemens
Alexandr. Tertullian adv. Marc. 2, 8 hebt hervor, dass im Menschen noch
immer dieselbe Freiheit des Willens sei, wie sie in Adam vor dem Falle
gewesen. Es wird zwar die Wirkung der Gnade keineswegs geleugnet,
aber der erste Entschluss zum Guten muss vom Menschen ausgehen; er
ist zwar durch christliche Anfassung bedingt und wird durch die göttliche
Gnade bekräftigt, immerhin aber ruht in der Heilsordnung der Schwer-
punkt auf dem Thun des Menschen. Auf eigenthümliche Weise sucht Ori-
genes das menschliche und göttliche Wirken, was den Glauben betrifft, zu
vereinbaren, insofern er einen Glauben, der in uns ist, und einen Glau-
ben, der durch die Gnade gegeben wird, unterscheidet. Dabei läuft jener
Lehrtropus darauf hinaus, dass vor der Gnade und ihrer Mittheilung des
Glaubens schon Glaube im Menschen sein muss als dessen Leistung und
Tugend (S. Landerer a. a. 0. S. 545). Die Prädestination ist durchaus
bedingt durch das Vorherwissen Gottes. Gott verordnet diejenigen zum
Heil, von welchen er vorhersah, dass sie ihm von Herzen dienen werden.
So lehrt auch Irenäus: Gott lässt in ihren Sünden diejenigen, von welchen
1) 4, 6. 5 credere Deo est facere ejus voluutatem.
2) Irenäus 4, 9. 1. 2. Auch bei Tertullian de praescript. c. 13 in der daselbst be-
findlichen Formel der Glaubensregel.
3) Kitschi, altkatholische Kirche ö. 331.
U erzog, KircücJigCbcliiclite I. Iv
146 Erste Periode des alten Katbolicismus,
er vorherweiss, dass sie nicht glauben werden. Das Verstecken des Pha-
rao will nur so viel sagen, dass Gott ihn seinem Unglauben überlassen.
In demselben Sinne spricht sich im Ganzen Origenes aus, nur dass er die
VerStockung Pharao's etwas anders erklärt, in der Weise, wie etwa gü-
tige Herren zu den Knechten, die durch ihre Güte nachlässig geworden,
sagen mögen: ich habe dich verdorben. Wenn Paulus Phil. 2, 13 sagt,
Gott ist es, der da wirket das Wollen und das Vollbringen, so will er
damit dieses sagen, dass wir das Vermögen, zu wollen und zu wirken,
von Gott empfangen haben (womit jedoch die Meinung des Apostels niclit
richtig ausgedi'ückt ist). Die Anwendung jenes Vermögens auf das Gute
und das Gegentheil davon kommt uns zu. Zur Vollbringung des Guten,
wofür wir uns entschieden haben, bedarf es des göttlichen Beistandes,
d. h. der Wirksamkeit des heiligen Geistes. Das Fehlerhafte dieser Lehi-
weise der Väter ist darin zu suchen, dass im Werke der Heilsaneignung
der erste Anfang des Glaubens nicht als Wirkung der zuvorkommenden
Gnade, sondern lediglich als vom Menschen kommend angesehen und be-
handelt wird. Es wird über dem Bestreben, die Freiheit des Menschen
aufrecht zu halten, die gnostischen Irrthümer abzuweisen und die absolute
Prädestination zu vermeiden, die geheimnissvolle Wirkung des heiligen
Geistes nicht gehörig beachtet, welcher in denjenigen, die das Evangelium
hören , den Glauben wirkt , wo und wann es Gott gefällt ^j. Die Folge-
davon war, dass die Heilsanstalten der Kirche eine um so grössere Be-
deutung erhielten, und dass die paulinische Gnaden- und Heilslehre ver-
äusserlicht wurde.
§. 6. Die Eschatologie.
Da die Lehren von der Kirche und von den Sacramenten in Ver-
bindung theils mit der Geschichte der Kirchenverfassung , theils mit der
Geschichte des Cultus zu behandeln sind, so erübrigt nur noch eine Ueber-
sicht über die Lehre von den letzten Dingen.
Die ersten Christen erwarteten nach dem Vorgange der Apostel die
nahe bevorstehende Wiederkunft Christi und damit verbunden den Sieg
Christi über alle seine Feinde. Diese Erwartung nahm bei Vielen die
Gestalt des Chiliasmus an (Apokal. 20, 4), d. h. der Erwartung
eines tausendjährigen Reiches Christi auf Erden , in welchem er mit den
auferweckten und verklärten Frommen und Gerechten herrschen werde, —
das Ganze als Vorbereitungsstufe für die Welt des Jenseits. Auch die
Polemik gegen die Gnostiker, die alle eschatologischen Begriffe verflüchtig-
ten, trieb Manche zum Chiliasmus hin oder bestärkte sie darin. Das älteste
Denkmal des Chiliasmus nach dem Ablauf des apostolischen Zeitalters ist
der Brief des Barnabas c. 15, wo gesagt wird, dass die Welt in sechs-
tausend Jahren verläuft, nach Analogie der sechs Schöpfungstage und nach
dem Maasstabe des Wortes, dass vor Gott Ein Tag soviel ist wie tausend
Jahre; der siebente Tag, das siebente Jahrtausend ist der Tag der Ruhe,
1) Wie die Augsburgische Confession im fünften Artikel lehrt.
Eschatologie. Chiliasmug. Anferstelmng der Todten. 147
wo der Sohn alle Feinde überwunden haben wird, und wo die GLäubigen,
vollkommen erneuert diesen Tag mit reinen Herzen und Händen heiligen
werden. Weniger geistig und sittlich sind die Ansichten des Justinus
Martyr (dialog. c. 80, 81). Des Papias angebliche Aussprüche Jesu,
die er in den mündlichen Ueberlieferungen gesammelt hat, sind der deut-
lichste Beweis, wie sehr der Chiliasmus in sinnlichen Vorstellungen und
Erwartungen sich gefiel (bei Irenäus 5 , 33. 3 aus dem vierten Buche der
Xoycüp xvQtaxMP €^r}yriaig). Irenäus berief sich auf das Wort des Herrn
Matth. 26, 29 auf Jesaias 11, 6, auf das Wort Pauli 1 Cor. 7, 31, um die
Neuschöpfung der Welt zu beweisen. Tertullian's Chiliasmus fand eine
Stütze in seinem Montanismus. Am Ende des zweiten Jahrhunderts be-
kämpfte der Presbyter Cajus in Rom den Chiliasmus in der Person des
Kerinth, doch ohne dass er ihm geradezu die Abfassung der Apokalypse
zuschriebe (Euseb. 3, 28). Bedeutender wurde der Widerspruch der ale-
xandrinischen Theologen. Origenes bezeichnet die Vorstellungen als thö-
richte Fabeln und leere Einbildungen. Dionysius verdrängte, wie bevör-
wortet, den Chiliasmus aus der egyptischen Kirche. Uebrigens waren auch
Clemens von Rom, Ignatius, Polykarp, Athenagoras und Theophilus frei
von chiliastischen Vorstellungen. Mit dem Siege des Christenthums über
das Heidenthum, als der Staat begann, das Christenthum zu schützen und
zu begünstigen, verschwand der Chiliasmus gänzlich.
Was die Auferstehung der Todten betrifft, so hatten die
Kirchenlehrer gegenüber den Heiden und Gnostikern gegründeten Anlass,
das Dogma zu erläutern, ,\<^obei sie aber sich nicht immer von sinnlichen
Vorstellungen frei hielten. So lehrt Justinus Martyr, dass sogar
Krüppel als solche auferweckt, aber .in demselben Momente von Christo
geheilt werden. Er stellt den im Allgemeinen richtigen Grundsatz auf,
dass Seele und Leib FAn Gespann bilden und unzertrennlich sind. Athe-
nagoras m seiner Schrift über die Auferstehung bringt zum Theil die-
selben Beweise vor, welche die spätere natürliche Theologie für die Un-
sterblichkeit der Seele vorbrachte. Irenäus, um die Identität des auf-
erstandenen und des fi'üheren Leibes zu beweisen, beruft sich auf die
Analogie der Wiederbelebung einzelner Organe bei Jesu wunderbaren
Heilungen. Die Stelle 1 Kor. 15, 50, dass Fleich und Blut das Reich Got-
tes nicht ererben werden, welche Stelle von den Gegnern der Aufersteh-
ungslehre als Waffe gebraucht wurde, verstand er, was übrigens nicht
richtig war, vom fleischlichen Verstände. Tertullian in der Schrift de
resurredione verleugnet, wie zu erwarten, seinen derben Realismus nicht.
Origenes gibt die Identität des jetzigen und des Auferstehungsleibes auf,
fussend auf 1 Kor. 15, 37: „das du säest, ist nicht der Leib, der werden
soll, sondern ein blosses Korn.^ Der verweste Leib komme so wenig in
seine frühere Natur zurück als das in die Erde gesäete Samenkorn, aus
dem eine Aehre wird. Er geht von dem Grundsatze aus, dass jeder Kör-
per der ihn umgebenden Welt angemessen sein müsse. Sollten wir im
Wasser leben, so niüssten wir wie die Fische organisirt sein. So erfordert
der himmliche Zustand hinnnliche Leiber. Diess ist gegen Celsus gerich-
tet, der das Dogma bespöttelt hatte; daher Origenes um so mehr sich
10*
148 Erste Periode des alten Katholicismus,
bestrebt, es geistig zu fassen. Uebrigens lehrte er, man könne seine Hoff-
nung auf Christum setzen, ohne an die leibliche Auferstehung zu glauben,
sobald man nur die Unsterblichkeit der Seele festhalte; diess sollte viel-
leicht zur Kechtfertigung seines Lehrers Clemens dienen.
Was den Zustand nach dem Tode betrifft, so war die Annahme
sehr verbreitet, dass die Seelen nach dem Abscheiden aus diesem Leben niclit
unmittelbar zu Gott kommen, weil erst mit der Auferstehung das Endgericht
eintritt. So lässt Justinus Martyr die Seelen der Guten an einen
besseren Ort kommen, als die Seelen der Bösen; ebenso Tertullian; jener
Ort ist der Schooss Abrahams , in Gemässheit der Parabel von Lazarus und
dem reichen Manne. Auch Origenes hält die Annahme eines Mittelzustan-
des fest, wo die Seelen gleichwie in einer Schule für die höheren WoIid-
ungen vorbereitet werden. Die Vorstellung von einem reinigenden Feuer
findet sich bei den alexandrinischen Theologen. So spricht Clemens von
einem intellektuellen Feuer (tivq (pQovifior), welches die sündigen Seelen
heiligt, wohl mit Anspielung auf das Wort des Täufers, dass der Messias
mit Feuer taufen werde Matth. 3, 11. Origenes dagegen geht von dem
Feuer aus, das am Ende der Tage die Welt verzehren wird 2 Petr. 3, 12,
welches Feuer er — irrigerweise — in der Stelle 1 Kor. 3, 12 findet und
welches er Reinigungsfeuer, nvg xctd^agtriov, nennt. Keiner, auch Petrm
und Paulus nicht , kann sich diesem Feuer entziehen ; es ist aber für dit
dadurch gereinigt werden, schmerzlos, nach Jesaia 43, 2 , ein zweites sacra-
mentum regenerationis , für diejenigen nothwendig, welche der Geistes-
taufe wieder verlustig gegangen sind, für die Uebrigen ist es ein Prüf-
ungsfeuer.
Im Allgemeinen herrschte der Glaube, dass im anderen Leben keine
Besserung mehr statt finde; daher wird die Ewigkeit der Höllenstrafen
von Clemens Romanus, von C} prian und Anderen gelehrt. Andere Kirchen-
lehrer nahmen eine endliche Vernichtung der Seelen der Bösen an, so
Justinus Martyr und Irenäus. Die Hölle und das höllische Feuer werden
auch sinnlich ausgemalt. Origenes de princip. L 6, sich gründend auf
1 Kor. 15, 25 — 28 nimmt eine Wiederherstellung {cmoitataataaiq Apg.
4, 21) aller Dinge an, die sogar die endliche Bekehrung nicht blos der
gottlosen Menschenseelen, sondern auch des Teufels und seiner Engel in
sich schliesst; doch wird diess Alles problematisch hingestellt, und zuge-
geben, dass diese Lehre für die noch Unbekehrten schädlich werden könne,
während Origenes die Lehre von den ewigen Strafen einen heilsamen Be-
trug nennt. — Das Feuer der Hölle denkt sich Origenes als geistige
Qual. Der Brennstoff' des ewigen Feuers sind die in das Bewusstsein tre-
tenden Sünden; die Unseligkeit besteht in der Entfernung von Gott; voll-
kommene Erkenntniss und Anschauung Gottes, vollkommene Gotteben-
bildlichkeit und Seligkeit — sind identisch.
149
Anhang zur Geschichte der Lehre.
Die Manichäer.
S. Isaac de Beausobrc histoire critique de Manichee et du Manicheisme. Amster-
dam 1734. — Baur, Das manichäische Religionssystem u. s. w. Tübingen 1831,
— von Seh necke nburger recensirt in den Studien und Kritiken 1833. S.
875. — Coldik, das manichäische Eeligionssystem 1837. Artikel von Trechsel
in der Realencyklopädie.
Schon längst war der Gnosticismus überwunden, als er im Manichäis-
mus seinen Gipfel, seine Vollendung erreichte. Nicht nur zeigt sich in
ihm die ausgebildetste Gestalt der gnostischen Speculation in ihrer mytho-
logisirenden Form, sondern, während die Gnostiker sich nur als Schulen
der Erkennenden darstellten, ohne aus der Kirche austreten zu wollen,
traten die Manichäer mit dem olfenen Bestreben auf, gegenüber der be-
stehenden Kirche eine Gegenkirche zu gründen. Der Stifter des Mani-
chäismus ist M a n i , auch M a n e s , M a n i c h ä u s , C u b r i c u s genannt , über
den morgenländische und abendländische Quellen vorliegen, die selbst in
den Namen, die sie dem Stifter geben, nicht übereinstimmen. Sein Auf-
treten hängt zusammen mit den inneren Bewegungen des Parsismus im
neupersischen Reiche. Unter den Sassaniden seit 227 wurde der rohe
Dualismus, der eine Zeitlang die Oberhand erhalten, verworfen nebst
dessen Anhängern , M a g u s ä e r genannt. Mani trat auf als entschiedener
Bekenner der verworfenen Lehre und versuchte das Cliristenthum mit der-
selben zu verbinden i). Von den Magiern gehasst, von den persischen
Königen verfolgt, wurde er c. 277 enthauptet (nicht lebendig geschunden).
Grundlage des Lehrsystems ist der absolute Dualismus, die Lehre
von zwei entgegengesetzten Principien und Welten: 1) Gott, das Urgute,
von dem nur Gutes kommen kann, das Urlicht, der K()nig des Lichtreiches,
Urquell einer ihm verwandten Emanationswelt, mit ihm zunächst verbun-
nen eine Anzahl von Aeonen oder himmlischer Geister, die Canäle der
Lichtoffenbarung aus dem Urlichte; 2) das Urböse, das nur zerstörend
wirken kann, der böse Fürst der Finsterniss, die Materie, die vlrj, kein
blos negativer Begriff, sondern eine positive Macht, der Herrscher eines
unheilschwangeren Reiches (terra pestifera) voll ihm ähnlicher Wesen.
Zwischen beiden Principien und Welten gibt es absolut keine Gemein-
schaft 2). Die Mächte der Finsterniss , in wildem Toben gegen einander
begriffen, kamen dem Lichtreich so nahe, dass ein Schimmer aus dem-
selben auf sie herableuciitete. Von diesem Glänze unwillkürlich angezo-
gen, — eigentlich eine Inconsequenz des Systems — , vergassen sie ihre
1) Ein Buddaistisches Element ist im Manichäismus wohl vorhanden, aber es tritt
durchaus zurück hinter dem christlichen und namentlich hinter dem parsischen.
2) Anfang der f^vGTTjotit von Mani bei Epiphanias "hacresis 64, 14, Tjy f^sog xat
vkrj , (flog xnt axorog, ayaO^ov xcct xaxoy , rotg naCiv aXQißcjg ivavritti (Lgrs xara
fitjJet^ €7iixoifovy &(tT€Qoy (harfQco.
250 Erste Periode dos alten Katholicismus.
Streitigkeiten und verbanden sich unter einander, um in das Liclitreich
einzudringen. Zur Bewachung des Liclitreiches liess der König desselben
den Aeon, die Mutter des Lebens, die Weltseele aus sich emaniren. Sie
liess den Urmenschen {nqonog avagojnog) aus sich hervorgehen, um ihn
den Mächten der Finsterniss entgegenzustellen, angethan mit den fünf rei-
nen Elementen , Feuer, Licht, Luft, Wasser, Erde. Der Urmensch kämpft
in wechselnden Gestalten mit der vki^, wobei ein Theil seiner Waffen-
rüstung , seines Lichtwesens von der vkri verschlungen wird. Da sendet
ihm seine Mutter den lebendigen Geist zu Hülfe, aber den verlorenen
Theil seines Lichtwesens kann er nicht wieder erhalten. Als von der tXri
verschlungen, ist er der leidende Messias {viog ay^Qtanov enna^riq^ Jesus
patibilis), der nun zwar in den Mächten der Finsterniss wirkt, aber ihr Ge-
fangener ist und sich nach Erlösung sehnt. Diese Erlösung sucht der
lebendige Geist herbeizuführen, indem er aus der mit Licht vermischten
Materie, die Welt bildete, damit nach und nach die gefangene Lichtmateri(^
wieder befreit würde. Der unverschlungen gebliebene Theil der Licht-
materie, in Sonne und Mond wohnend als 1^05 av^Qoanov ana&riq und der
heilige Geist im Aether wohnend , sollen dem Jesus patibilis zur Befreiung
helfen, die Rückkehr der Lichtmaterie befördern. Kaum merken diess die
Mächte der Finsterniss, so suchen sie um so eifriger sich der gefangenen
Lichtmaterie zu versichern. Es wird von den flächten der Finsterniss
durch eine Beihe von Zeugungen Adam erschaffen, nach dem Bilde des
Fürsten der Finsterniss so wie nach dem Bilde des Urmenschen, so dass
G()ttliches und Hylisches, Licht und Finsterniss in ihm vereinigt waren,
das Göttliche als im Körper festgebannt. Damit die Lichtmaterie ja nicht
daraus befreit werden könne, gesellten ihm die Dämonen die Eva bei,
durch welche Adam zum Sündigen verleitet wurde. Durch den Sündenfall
gerieth er gänzlich unter die Herrschaft der vXri. Die Lichtmaterie 'ist
in ihm als Seele; sie ist der göttliche Funke im Menschen. Die Aufgabe
des Menschen ist, der Lichtseele in ihm den Sieg über die vXri zu ver-
schaffen, von den in der Natur zerstreuten Lichtelementen so viele wie
möglich mit der eigenen Lichtseele zu vereinigen, sie dadurch von den
Fesseln des Bösen zu befreien und so die Bückkehr der Seele in das Licht-
reich vorzubereiten. Die Menschen wurden lange durch falsche Religio-
nen , Judenthum und Heidenthum irre geleitet. Endlich stieg Christus von
der Sonne in einem Scheinkörper auf die Erde, um durch seine Lehre die
Lichtseele zu befreien, den Menschen ihr wahres Wesen zu offenbaren.
Seine Kreuzigung ist Symbol des Jesus patibilis; in der Verklärung zeigt
er sich als das, was er eigentlich ist, als Lichtnatur. Doch schon in den
Jüngern reagirte die vlri; sie verstanden Christum nicht, noch weniger die
übrigen Christen, daher verächtlich Galiläer genannt. Jesus, der diess
vorausgesehen, verhiess den Paraklet, der in alle Wahrheit leiten sollte;
er erschien in Mani, d. h. Mani ist sein Organ; er selbst nannte sich
Apostel. Er verwarf das Alte Testament völlig, als stelle es Gottes un-
würdige Begriffe auf (Baur S. 358). Aber auch das Neue Testament ist
nicht reine Quelle des Christenthums , sofern die Apostel den Herrn nicht
recht verstanden haben. Der Paraklet lehrt uns, was wir aus dem Neuen
Anhang zur Geschichte der Lehre. Manichäer. 151
restament annehmen, was wir verwerfen sollen (Baur S. 376) i). Die Evan-
uelien sind lange nach dem Tode der Apostel geschrieben. Die Apostelge-
>cliichte war den Manichäern besonders zuwider. Kanonisch war für sie
eigentlich nur die Schrift des Mani, hauptsächlich das Buch von den Myste-
rien und mehrere Briefe.
In der von Mani gestifteten Gemeinschaft sind zwei Hauptclassen zu
unterscheiden : 1) die perfecfi, Tslstoi, electi, in strenger Enthaltung lebend,
der Sphäre der niedrigen Welt vollkommen entrückt, dem Lichtreiche
völlig zugewendet, die eigentliche, heilige Kirche bildend, von den Andern
ernährt und versorgt; die älteren durften im Abendmahl den Kelch ge-
messen. Mani sandte 12 Apostel aus, fortan gab es 12 Magistri als Ge-
genbilder der Apostel, mit einem 13. unsichtbaren, offenbar Mani selbst,
an der Spitze. Auf diese Magistri folgten 70 oder 72 Bischöfe, entspre-
chend den 72 Jüngern. 2) Die 2. Classe war die der Gläubigen, der Zu-
hörer, der Katechumenen, die nur das Brod im Abendmahl empfingen, nicht
in strenger Enthaltung lebten , sich von den gewöhnlichen Geschäften nicht
zurückzogen- und für den Unterhalt der ersten Classe zu sorgen hatten. Nach
ihrem Tode gelangen sie nicht sogleich in das Lichtreich, sondern sie durch-
laufen mehrere Pflanzen- und Thierkörper. — Die nicht zur Gemeinschaft
der Manichäer gehören, werden am Ende der Tage zu einem Klumpen ver-
brannt. Zuletzt wird das Reich der Finsterniss in seine alten Grenzen zu-
rückgedrängt. —
In Persien verfolgt, — wie ihr Meister, suchten die Manichäer sich
im römischen Reiche auszubreiten, was ihnen noch vor Abfluss dieser
Periode in Africa proconsularis soweit gelang, dass Diocletian c. 287 ein
scharfes Edict gegen sie erliess, in welchem der Proconsul von Africa Ju-
lianus angewiesen wurde, die Führer der Manichäer nebst ihren Büchern
zu verbrennen, die andern zu enthaupten und ihre Güter zu confisciren.
Dass diese Massregeln der Secte doch kein Ende zu machen im Stande
waren, dass sie vielmehr bis in das Mittelalter sich erhalten konnte, da-
von wird später die Rede sein.
1) Mani läugnete nicht die Willensfreiheit. S. Baur 484.
2-52 Erste Periode des alten KatholicismUä.
Fünfter Abschnitt.
Die Geschichte der Kirchenverfassung, der Kirchenzucht
und der Reactionen gegen die erstrebte Art der Kirchenver-
fassung und der Kirchenzucht 1).
Neben den Werken der Kirchenlehrer sind hier wichtig als Zeugnisse
für die Kirchenvertassung und Kirchenzucht gegen das Ende dieser Periode
die sogenannten apostolischen Constitutionen öiatal^eiq, diataya/,
öidaxcci T(üv anofftolcop^ abgerechnet einige Interpolationen (5, 13. 17). Die
sechs ersten Bücher sind gegen Ende des dritten Jahrhunderts geschrieben,
das siebente zu Anfang des vierten Jahrhunderts, das achte Buch, welches
sich blos mit dem Cultus befasst, ist in der Mitte des vierten Jahrhunderts
geschrieben. Die apostolischen Kanones, bei den Griechen 85, bei den
Lateinern 50, sind erst nach der Mitte des fünften Jahrhunderts zusam-
mengestellt worden. Neueste Ausgabe beider Documente von Uelzen,
Schwerin und Rostock 1853. Die beste Bearbeitung von Drey, neue Un-
tersuchungen über die Constitutionen und Kanones der Apostel. Tübingen 1832
Erstes Capitel. Gescliichte der Kirclienverfassung.
Ntächst der Lehre ist die Verfassung das vorzüglichste Gebiet, woraul
sich die Idee der katholischen Kirche entwickelte. Sie trat hier hervor
als Idee der Einheit der Kirche. Sie enthielt diess beides, 1) Concentrirung
der Kirchengewalt und der kirchlichen Dienstleistungen auf eine bestimmte
Classe von Personen in der einzelnen Gemeinde, 2) Verbindung der ein-
zelnen Gemeinden untereinander, wobei einige Ansätze gemacht werden
zur Zusammenlassung der einzelnen Gemeinden unter einem (irtlichen
Centrum der katholischen Einheit.
I. Die einzelne Gemeinde, womit wir uns zunächst beschäftigen, hiess
nccQotxia. (Euseb 3, 28 u. a. St.), woher das deutsche Wort Pfarrei, das
französische paroisse , das englische parisJi stammt. Die Christen betrach-
teten sich nämlich nach Ps. 39, 13 als Fremdlinge, Beisassen, tkxqoixoi, hienie-
den (1 Petri 2, 11) und drückten diess Bewusstsein aus in der Benennung, die
sie ihrer Vereinigung gaben 2). In der einzelnen Gemeinde bemerken wir
zuerst eine fortschreitende Entwicklung des geistlichen Stan-
des. Die im apostolischen Zeitalter herrschende Lehrlreiheit, die der Zeit
der ersten Begeisterung entsprach, wurde schon vor dem Tode des Apostels
1) G. J. Planck, Geschichte der christHch-kirchhchen Gesellschaftsverfassung.
6 Bände. 1803 u. ft. Kitschi, a. a. 0., Rothe, Anfänge der christlichen Kirche 1837.
2) Daher im Briefe an Diognet c. 5 gesagt wirH von den Christen: ^ftTQi(fag oi-
xovdiu iiStag «AA' wg nciQoixoi) daher auch die Aufschrift des Briefes des Clemens von
Eom an die Gemeinde zu Korinth ^ .^y^Xrjam rov (^eov ^ nago.xovßa Ptojuw rv ntt-
QotxovGiJ KoQiv.^op, — Im Neuen Testament heisst naQotxin irdisclier Aufenthalt oder
Wallfahrt. Apg. 13, 17. 1 Petr. 1, 17.
Kirchenverfassung. Öer geistliche Stand. l53
Paulus bedeutend eingeschränkt, das Amt des Lehrens wo möglich den
Bischöfen oder Presbytern angewiesen. Es geschah bald nur noch aus-
nahmsweise, dass Laien in der Versammlung lehrend auftraten, so Orige-
nes in Cäsarea in Palästina mit besonderer Erlaubniss des dortigen Bischofs.
Die Idee vom allgemeinen Priesterthum wurde aber deswegen nicht aufge-
<>eben. Justin (Dialog, c. 116) stellt den Juden die Christen entgegen als
die allein wahren Priester (legeig)^ die überall Gott wohlgefällige und wahre
Opfer darbringen. Auch bei Irenäus erscheint immer die ganze Gemeinde,
nie ein besonderer Stand derselben als Subjekt der Darbringung. ;,Denn
alle Christen, sagt er, haben priesterliche Würde^^ (4, 8. 3). Darum hielt
er auch die allgemeine Belehrung aller Glieder der christlichen Kirche
durch den heiligen Geist fest (4, 20. 8), darum meldet er, dass es auch zu
seiner Zeit wie zur Zeit Pauli Gläubige gebe, die vorzugsweise die Gabe
der Prophetie und der Sprache besitzen (5, 6. 1). So gelangt er zur Idee
der wesentlichen Einheit und Gleichberechtigung aller Glieder der Ge-
meinde, welche gleichmässigen Zugang zu Gott haben. Darauf gründet
sich bei Irenäus die Idee des allgemeinen Priesterthums und damit das
Streben nach Autonomie der Gemeinde als einer Gemeinde von Priestern,
die das Recht des unmittelbaren Verkehrs mit Gott, mit Ausschluss jeder
menschlichen Vermittlung erlangt haben. Origcnes hält "das allgemeine
Priesterthum fest als Correlat der christlichen Opfer (in Levit. hom. 9, 1).
Tertullian dehnt den Gedanken noch weiter aus. „Sind nicht auch wir
Laien Priester? Wo kein Geistlicher vorhanden ist, da bringst du allein
das Opfer und bist dir selbst Priester. Wo drei sind, da ist die Kirche,
wenn gleich es nur Laien sind'^. So lehrt Tertullian in einer Schrift aus
seiner montanistischen Periode, de exhortatione castitatis c. 7, aber dem
Wesen nach lehrt er dasselbe in einer seiner frühesten Schriften, de oratione
c, 28. Als das Opfer, welches diesem allgemeinen Priesterthum entspricht,
betrachtet das christliche Alterthum hauptsächlich das Lob- und Dankgebet
zu Gott, al)er auch die Darbringung von Brod und Wein zum Abendmahl i).
Auch in anderer Beziehung wurde das Recht der Gemeinde aufrecht ge-
halten 2) , was alles nicht hinderte , den Laien die Pflicht der Unterordnung
unter die von den Aposteln eingesetzten Bischöfe und Diakonen einzuschär-
fen; (dem. R. ad Cor. c. 40 ff.). Um diesen grössere Autorität zu ver-
schaflien, vergleicht sie Clemens (1. c.) mit den jüdischen Priestern und
Leviten, eben so Tertullian und die apostolischen Constitutionen 2, 27. 34.
Doch erst Cyprian macht vollen Ernst mit dieser Vergleichung. Die Vor-
stellung von einem mittlerischen Charakter der Geistlichen, die der früheren
katholischen Kirche unbekannt geblieben, beginnt besonders, seitdem der
Montauismus seinen Einfiuss geltend machte, und im Gegensatze dagegen.
Der Ausdruck Klerus für den geistlichen Stand war anfangs unverfäng-
lich. Umfasste er doch anfänglich auch die Laien in der Bedeutung von
Reihe, Rang, Stand. So bilden 1 Petri 5, 3 die xlriQoi die Stände, worein
die Heerde zerfällt; daher bei Euseb. 5, 1. 4. 20 der alriqoq twp [laQTv-
1) Worüber das Nähere in der Geschichte des Cultus.
2) Worüber das Nähere in der Geschichte der Kirchenzucht.
154 Erste Periode des alten Katliolicismuä.
Qojp als Bezeichnung der Gesammtheit der Märtyrer erwähnt wird. Da-
her bei Ignatius ad Ephes. c. 11 der xXriqoi; der ephesinischen Christen
als Gott zugehörige Schaaren^ umfassend beide, die Geistlichen und die
Laien, aufgeführt wird. Daher in den apostolischen Constitutionen 8, 40,
die Ermahnung, dass jeder in dem Range (xXriQoq) bleiben soll, in welchen
er ist gesetzt worden, und die Ordnung beobachten ij. Doch gewöhnlich
wurde der Begriff Aai;f05 sc. av^gconog im Unterschiede von den Bischöfen wie
von geistlichen Personen angewendet ^j. Dem Ausdruck xlrjQog als der aus-
zeichnenden Benennung der Mitglieder des geistlichen Standes entspricht in
der lateinischen Kirche der Name ordo, entlehnt von den Stadträthen in
den Municipalstädten, welche nach der Analogie des römischen Senats ordo
decurionum oder blos ordo im Gegensatz zur plebs, zu den plebeji hiessen.
IL Die wichtigste neue Einrichtung, obschon nicht ganz neu, sondern
an Gegebenes sich anschliessend, war der Episkopat, der im Kreise der
Einzelgemeinde entstanden, zunächst als Gemeindeamt geltend, bald zu
einem wahren Kirchenamte heranwuchs und das wichtigste Verbindungs-
glied der einzelnen Gemeinden untereinander, die bedeutendste Stütze der
katholischen Kirche wurde. Der Ursprung des Episkopates ist verschie-
dentlich erklärt worden 3) ; es ist allerdings nicht möglich , ihn in allen ein-
zelnen Punkten befriedigend zu erklären. Es haben auch verschiedenartige
Factoren darauf eingewirkt. Soviel steht aber fest, dass die Entwicklung
der Kirche zur Ausbildung des Episkopates hindrängte.
Er scheint, wenn nicht dem Namen so doch der Sache nach, zuerst
in der Muttergemeinde von Jerusalem eingeführt worden zu sein in der
Person des Jakobus, des Bruders des Herrn, der nicht blos wegen seiner
grossen Frömmigkeit, sondern auch als leiblicher Bruder Christi der Vor-
steher der Gemeinde wurde, ohne den Bischofstitel zu erhalten, noch ihn
zu beanspruchen ^j. Seine Stellung entsprach wohl der des Synagogen-
hauptes bei den Juden. Nach Jacobi Tode im Jahre 69 wurde Symeon,
ein leiblicher Verwandter des Herrn an seine Stelle gewählt &) , so wie
1) Wenn die Geistlichkeit später auf Num. 18, 20 Deut. 10, 9 sich berief, wo es
heisst, dass der Herr selber den Leviten ihr xktjQog, ihr Erbe und Antheil sein werde,
so gehört das nicht hieher. — Der Ausdruck y.h]Qog nahm aber schon im apostolischen
Zeitalter die Bedeutung Amt an, xXrjQog Ttjg (Tmxormf. Apostelg. 1, 17. — Euseb. 7, 2
u. a. St.
2) So Clem. ad Cor. 40— nach Analogie der Verhältnisse des alten Bundes, 2 Chron. 36, 14.
3) S. Baur, über den Ursprung des Episkopates. 1838 und Artikel Bischof in der
Kealencyklopädie. Gieseler K. G. 1, 1. 140 fif.
4) Wenn ihn die Olementinen als Bischof der judenchristlichen Kirchen überhaupt
darstellen (S, vor den dement. Homilieen den Brief Petri an Jacobus und des Clemens
Brief an Petrus), so ist insofern etwas wahres daran, als der Einfluss des Jacobus sich
allerdings über Jerusalem hinaus erstreckte (S. Gal. c. 2 und den Brief des Jacobus im
neutestamentlichen Kanon).
5) Euseb. 3, 11 berichtet, es werde erzählt {Xoyoc xanx^t), dass damals die
noch lebenden Apostel und Jünger Christi nebst dessen leiblichen Anverwandten von allen
Orten nach Jerusalem zusammengekommen seien und darüber berathschlagt hätten, wer
würdig sei, Nachfolger des Jacobus zu werden; ihre Wahl sei auf Symeon gefallen. Die
Sache ist au sich selbst nicht sehr wahrscheinUch, wie sie denn auch Euseb. nur als Sago
förchen Verfassung. Der Episcopat. 155
denn auch jene zwei leiblichen Verwandten des Herrn , die Kaiser Domitian
ausforschte, Vorsteher verschiedener Gemeinden wurden, weil sie nicht
allein Glaubenszeugen, sondern auch Verwandte Christi waren (Euseb 3, 20).
Nicht die apostolische Succession , sondern die leibliche Verwandtschaft mit
Jesu war das Bestimmende.
Das Beispiel der Muttergemeinde fand, wie Gieseler bemerkt, zunächst
in Antiochien in Syrien Nachahmung, bewusste oder unbewusste, und zwar
in solcher Forili, dass der Bischof als Nachfolger oder Stellvertreter Jesu,
das Collegium der Presbyter als Nachfolger und Stellvertreter der Apostel
erscheint; so schreibt Ignatius an die Gemeinde zu Tralles c. 2: ,,unter-
werfet euch dem Bischof als wie Christo, dem Presbyterium als wie den
Aposteln/^ Dass der Episkopat damals noch eine neue Einrichtung war,
erhellt deutlich aus den gehäuften Ermahnungen des Ignatius, sich dem Bi-
schöfe zu unterwerfen , nichts zu thun ohne sein Geheiss u. s. w. Im Briefe
an Polykarp. c. 6 redet er diesen als Bischof an, im Unterschiede von den
Presbytern, obwohl Polykarp in seinem Briefe an die Philipper sich nur
als Vorsitzenden unter denen , die mit ihm Presbyter sind , nennt. Igna-
tius scheint überhaui)t die hervorragenden Presbyter als Bischöfe zu be-
handeln; er fordert die Gemeinden auf, sie als Bischöfe anzuerkennen und
ihnen Gehorsam zu beweisen. So schreibt er den Ephesiern c. 1 von
Onesimus, „eurem Bischof nach dem Fleisch" : „ich bitte euch, dass ihr ihn
in Christo liebet, und dass ihr alle ihm ähnlich werdet ; denn gesegnet sei,
der euch gewürdigt hat , einen solchen Mann zu besitzen" ^). In Alexan-
drien scheint der Episkopat die ursprüngliche Form der Gemeindever-
fassung gewesen zu sein. Dort soll vom Evangelisten Marcus an, der schon
einen Vorrang vor den übrigen Presbytern hatte, einer als primus hifer
imres erwählt worden sein, der den Andern vorstünde. Das sei geschehen,
berichtet Hieronymus (ep. 101), um schismatischen Bewegungen vorzubeu-
gen. Clemens von Bom, später immer als einer der ersten römischen Bi-
schöfe erwähnt, kennt durchaus keinen Unterschied zwischen Bischöfen und
Presbytern, weder in Korinth noch in Rom, sondern blos Bischöfe (i. e.
Presbyter) und Diakonen c. 42. P^rst später rückten die vornehmsten Pres-
byter in die Stelle von ersten Bischöfen der Gemeinden ein ; daher die ver-
schiedenen Angaben über die llcihenfolge der ersten römischen Bischöfe.
Zu Justins Zeit war schon in allen Gemeinden ein Vorsteher, ngoscicog^
(Apol. 1 c. 65). Die Kirche, von aussen gedrängt, durch die ausbrechen-
den Verfolgungen, von innen durch die seit 130 ihr Haupt mächtig erhe-
benden Häresieen, suchte ihre Stütze im Episkopat, eine Thatsache, wovon
uns schon die ignatianischen Briefe eine anschauliche Vorstellung geben.
Die sich entwickelnde Autorität der Tradition wurde damit in Verbindung
anfahrt. Auf keinen Fall kann aber daraus gefolgert werden, dass die Apostel damals
den Episkopat eingerichtet hätten, — wie Rothe, Anfänge der cliristlichen Kirche, be-
hauptet hat.
1) Anderen Gemeinden empficlilt er andere Männer als Bischöfe, ad Trall. c. 1, ad
Magnesios c. 2, ad Philad. c. 1.
J56 Erste Periode des alten Katliolicismtis.
gebracht. Es wurde der Grundsatz aufgestellt, dass die Successioii der
Bischöfe von den Aposteln her eine Gewähr sei für die Erhaltung der
reinen Lehre (Irenäus 4, 26). Die Autorität, welche die Bischöfe als
Nachfolger der Apostel genossen, wurde durch das allgemeine Priester-
thum der Gläubigen, wenn auch in gewisser Hinsicht beschränkt, so doch
keineswegs neutralisirt , und in Folge des Grundsatzes der apostolischem
Nachfolge der Bischöfe erhielt der Episkopat Bedeutung und Macht niclit
blos für die einzelnen Gemeinden, sondern auch für die ganze katholische
Kirche; er wurde zum Kirchenamt, zum höchsten Kirchenamte. Wenn an-
fänglich kein hierarchisches Band die einzelnen Gemeinden untereinander
verknüpfte, so ist fortan das Bestreben sichtbar, den Episkopat als solches
anzusehen und zu verwenden, ohne jedoch principiell die Unabhängigkeit
der einzelnen Gemeinden und Bischöfe von einander aufzuheben. Der
Montanismus bewirkte die Feststellung des gottesdienstlichen Charakters
des Klerus und das Zurücktreten der Idee des allgemeinen Priesterthums,
von welchem z. B. Cyprian gar nichts mehr weiss, während Irenäus es
noch vollständig anerkannt hatte.
Jeder Bischof erhielt den Ehrennamen Tlana, Tlana UgcoTatog. Dh)
Wahl wurde in einer allgemeinen Gemeindeversammlung durch einige be-
nachbarte Bischöfe , auf deren Zuziehung Cyprian grossen Wcrth legte, um
durch die Geistlichen der betreffenden Parochie in der Weise vorgenom-
men, dass die Gemeinde das Recht behielt, den ihr vorgeschlagenen abzu-
weisen. Es geschah aber , dass die Gemeinde selbst wählend auftrat , wie
denn Cyprian gegen den Willen einiger seiner Presbyter von der Gemeinde
gewählt wurde. Die Gewalt des Bischofs war keineswegs unbeschränkt.
Er ernannte zwar die unteren Kleriker; aber die Presbyter mussten in
einer Gemeindeversammlung für würdig erkannt worden sein. Der Bischof
musste in allen kirchlichen Angelegenheiten seinen Klerus befragen; in
wichtigen Fällen, z. B. bei der Frage über die Wiederaufnahme der Ge-
fallenen, befragte er die ganze Gemeinde. So sehr Cyprian bemüht war,
die bischöfliche Gewalt zu vertheidigen und zu steigern, so vermochte ihn
doch das aristokratische Element, das im Klerus gegeben war, und das
hohe Ansehen, das die Märtyrer und Confessores genossen und wovon sie
Misbrauch machten, die Autonomie der Gemeinde zu vertreten. Der Bi-
schof hatte dadurch grossen Einfluss , dass alle Hülflosen und Nothleiden-
den an ihn gewiesen waren , dass er das Kirchenvermögen verwaltete und
Schiedsrichter war in allen Bechtshändeln seiner Gemeindeglieder. Diess
gründete man zunächst auf die Ermahnung des Apostels (1 Kor. 6, 1), wie
denn das römische Recht das Arbitralverfahren begünstigte. (S. apostoli-
sche Constitutionen 2, 45 ff). Zur Steigerung der bischöflichen Gewalt
trugen mehrere Verbindungsformen des grösseren Kirchenkörpers bei.
III. Im Zusammenhange mit der Ausbildung des geistlichen Standes
und zum Theil des Episkopats erfolgte auch eine Vermehrung der
Kirchenämter, im Verlaufe oder gegen das Ende der Periode. Zu den
Diakonen kamen Unter diakonen, vnodiaxopoi, suhdiacom, welche bei
der Verrichtung des Gottesdienstes den Diakonen beistanden, daher auch
Kirchenverfassung. Conföderation der Gemeinden. 157
vTcriQEtai tcav Siaxov(op benannt i). Die Akoluthen, ungeachtet ihres
m'iechischen Namens in der römischen Kirche entstanden, hatten bei Ver-
richtung des Gottesdienstes die Abendmahlsgefässe mit Wein und Wasser
zu füllen, das Abendmahl zu den Kranken zu tragen. Die Anagnosten,
ledores, die Vorleser der biblischen Abschnitte bei dem Gottesdienste, er-
scheinen erst am Ende des zweiten oder Anfang des dritten Jahrhunderts
als besonderes Kirchenamt, da bis dahin diese Vorlesungen vom Presbyter
oder Diakon waren gehalten worden; sie werden 'zuerst von TertuUian er-
wähnt de praescriptione haeret. c. 41; er tadelt die Häretiker, dass sie
keine kirchliche Ordnung beobachten: ,,heute ist Diakon derjenige, der mor-
gen Vorleser ist." So übte denn die Polemik gegen die Häretiker auch
in diesem Kreise ihren Einfiuss aus.' Die Exor eisten bildeten erst seit
dem Ende des dritten Jahrhunderts eine eigene Classe von Beamten und*
zwar nur in der lateinischen Kirche; in der griechischen Kirche galt der
Exorcisnms als Gabe der freien Gnade Gottes. Je mehr der Gesang in die
gottesdienstlichen Versammlungen eingeführt wurde, je mehr er Ausbildung
erhielt, desto mehr w^ar es nöthig, Vorsänger zu haben. U^aXtaL, xpaXtco-
doi. Endlich siml noch zu nennen die nvlcogot, ostiarü^ mansionarii,
janitores, Thürhüter, die ausserdem jedem seinen Platz anwiesen und für
Stille und Anstand in den Versammlungen sorgten. Alle die genannten
Aeniter bildeten die ordines minores, im Unterschiede von den ordlnes ma-
jores^ worunter man seit dem zweiten Jahrhundert die Bischöfe, Presbyter
und Diakonen verstand.
IV. Es entstand aber auch eine Conföderation der einzelnen Ge-
meinden und zwar theils in Form der Subordination, theils der Co Or-
dination.
Was das erste betrifft, so kommt hier zunächst in Betracht die P^r-
weiterung der bischöflichen Parochie. Das Evangelium, zuerst in den
Städten verkündigt, wurde es bald auch auf dem Lande und zwar von den
Städten aus. Die Christen auf dem Lande, anfangs nicht zahlreich, be-
suchten den Gottesdienst in der Stadt; bald mehrte sich ihre Zahl, das
Evangelium drang auch in Orte, die von Städten entfernter waren. Da
entstanden eigene Gemeinden; es ist an sich natürlich, dass die dafür nöthi-
gen Geistlichen ihnen aus der Stadt, woher sie das Evangelium empfangen
hatten, zugeschickt wurden. Es waren Presbyter und Diakonen der dem
Bischof untergebenen Stadtgemeinde. Sie hielten sich so viel wie möglich zu
derselben und traten zu ihr in ein Verhältniss der Subordination. Sie
hiessen aber ebenfalls Bischöfe , nämlich x«9«7r«(Txo7i:o«, episcopi rurales.
Es scheint, dass sie sich gerne den Stadtbischöfen gleich stellten, daher
das Concil von Ancyra 315 ihnen verbot, Presbyter oder Diakonen zu be-
stellen. In der nordafrikanischen Kirche scheinen sie am meisten Gleich-
stellung mit den Stadtbischöfen erlangt zu haben. — In diese Periode fal-
len auch die Anfange der Metropolit an Verfassung, wobei zu be-
merken, dass die Benennung vor dem nicänischen Concilc 325 nicht vor-
1) Man kann sagen, dass die vnodittxofoti die am Ende der Periode aufkamen
dieselben Geschäfte verrichteten, die bis dahin den nvliogoi und vmjQdKi oblagen.
158 Erste Periode des alten Katholicismus.
kommt. So wie nämlich das Christenthum sich später auf dem Lande ver-
breitete als in den Städten, so auch später in den kleineren als in den
grösseren Städten. Die Gemeinden in diesen wurden die Mütter derjeni-
gen in den kleineren, firjtgoTioXtg, im Alterthum bekanntlich Name der Mut-
terstadt im Verhältniss zu den Kolonieen, damals noch Ehrenname mehrerer
Städte in Kleinasien. Dieses Verhältniss wurde also auf das kirchliche Ge-
biet übertragen. Da die Mutterkirchen öfter zu den sedes apostolicae ge-
hörten, da sie überhaupt die bedeutendsten Städte der Provinz waren, zwi-
schen welchen und den kleinen Städten ein reger Verkehr stattfand, so
geschah es, dass man sich an den Bischof der Hauptstadt wendete in vie-
len Fällen, wo er geeignet schien zu helfen, und in allen Fällen, welche
die Sachen der ganzen Provinz betrafen. Bei Beratlumg gemeinschaftlicher
* Angelegenheiten kam man in der Metropole zusammen; der Bischof der-
selben leitete die Berathungen, aut seinen Rath und seine Zustimnmng
wurde ein besonderes Gewicht gelegt. Die dem Metropoliten sich unter-
ordnenden Particularkirchen hiessen enctqx^^t provincia\ das Verhältniss
wurde nicht überall ausgebildet, in Italien blos, was Rom betrifft, inAfricf.
mit eigenthümlicher Ausbildung »). Aber schon in unserer Periode entstan-
den grössere Metropolitensprengel und wurden gewisse Metropoliten voi
den anderen ausgezeichnet, Rom, Alexandrien, Antiochien (in Sy-
rien) hatten die grössten Eparchieen und auf die Zustimnumg der dortigen
Metropoliten wurde das grösste Gewicht gelegt. Daneben wurde aber von
Cyprian die Gleichheit aller [Bischöfe hervorgehoben und behauptet, es
dürfe kein Bischof sich zum Richter über den andern aufwerfen, da nur
dem Herrn diess zukomme, welchem allein jeder Bischof für seine Hand-
lungen verantwortlich sei.
Die bedeutendste Conföderation in Form der Coordination ist die
Synodalverbindung 2). Das erste Beispiel einer Synode ist gegeben
im sogenannten Apostelconvent, Apostelg. 15, woran auch Laien Theif nah-
men und zwar mit consultativer und deliberirender Stimme. Doch ging es
lange, bis dieses Beispiel Nachahmung fand. Zuerst wird von Zusammen-
künften der Gläubigen {t(ov nKTTo^v) berichtet , welche, in Folge der durch
die Montanisten veranlassten Bewegung der Gemüther, c. 160 in Kleinasien:
öfter und an vielen Orten stattfanden, wobei die Sätze der Montanisten!
geprüft wurden, und wovon das Resultat war, dass die Montanisten ausj
der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen wurden. (Euseb 5, 16). Ein an-|
derer Anlass zu solchen Zusammenkünften fand sich im Passahstreite ge-
gen Ende des zweiten Jahrhunderts. Euseb, der darüber berichtet (5, 23)
hebt hervor, dass damals Synoden und Zusanunenkünfte der Bischöfe ge-
halten wurden, nach Eusdb's Urtheil die ersten eigentlichen Synoden.
Es gab aber genug Anlässe, wo es passend und sogar nöthig erscheinen
mochte, gemeinsame Berathungen zu halten. Wie weit das Vorbild der
noch bestehenden Amphictyonen auf das Zustandekommen der Synodal-
1) Worüber vgl. den Art. nordafricanische Kirche in der Kealencyklopädie.
2) Das Hauptwerk über die Geschichte der Concilien ist das von Hefele. 7 Bände.
Kirchen Verfassung. Synodal Verbindung. 159
einrichtung eingewirkt hat, lässt sich nicht mit Gewissheit bestimmen.
Näher lag als Vorbild in den meisten Provinzen Kleinasiens das xoivov,
commune^ der Städte, eine Art Tagsatzung, welche sich von Zeit zu Zeit
in der Metropolis der Provinz versammelte und die gemeinsamen Angele-
genheiten berieth, auch concilium provinciale, oder kurzweg concilium ge-
nannt. Zu den Zeiten TertuUian's müssen die kirchlichen Synoden in Grie-
chenland und Kleinasien schon als ziemlich feste Einrichtung bestanden
haben. Sie galten als ehrwürdige und feierliche Selbstdarstellung der gan-
zen Christenheit i). Dasselbe fand statt in anderen Theilen der Kirche.
In der Zusammensetzung derselben zeigt sich noch deutlich der freiere
Geist der Kirche, wie er sich im Apostelconvente ein Denkmal gestiftet.
Von den gegen die Montanisten gehaltenen Versannnlungen heisst es
(Euseb I. c.) nicht einmal , dass Bischöfe oder Kleriker daran Theil genom-
men. Wenn wir aber bedenken, dass in diesen Versammlungen die Lehren
der Montanisten geprüft, dass darauf diese excommunizirt wurden, so ist
doch damit gesagt, dass Geistliche daran Theil nahmen, die im allgemei-
nen Ausdruck Gläubige inbegriffen sind. Immerhin geht daraus hervor,
dass diese durch die Montanisten veranlassten Versanmilungen ziendich
formlos waren; es ging dabei, wie es scheint, etwas tumultuarisch her.
Seitdem gestaltete sich die Sache so, dass die Bischöfe der Provinz den
Hauptbestandtheil bildeten; andere Bischöfe wurden ehrenhalber eingela-
den. Es gab Synoden, worauf blos Bischöfe erschienen, meistens waren
aber auch Presbyter anwesend; sie hatten Sitz und Stimme. An vielen
Synoden nahmen auch Diakonen und Laien Theil; die confessores und
stantes laici nahmen zu Cyprian's Zeit Theil an Synoden, betreffend die Auf-
nahme der lapsi. Bei der Synode zu Carthago über die Ketzertaufe waren aus-
ser 87 Bischöfen viele Priester und Diakonen und ein grosser Theil des Volkes
gegenwärtig. Die Bischöfe nahmen den Rath der Laien und Kleriker ent-
gegen, aber diese hatten dabei kein votum derisivuni. Auch auf der Sy-
node zu Antiochien gegen Paul von Samosata 264 oder 2()0 waren Presbyter
und Diakonen gegenwärtig. Das Circularschreiben der Synode ist im Namen
nicht nur der Bischöfe, sondern auch der übrigen Mitglieder des Klerus
erlassen. Diese Synoden wurden in mehreren Provinzen jährlich einmal
oder zweimal gehalten. Die Formel für die Beschlüsse derselben: spiritu
sancto suggerente, (nach Apostelg. 15, 28 edo^e tw äyiM nveviiati xat fifAiv)
wurde 252 von Cyprian zum ersten Male im Namen einer carthagischen Sy-
node gebraucht. Aus der Synodalverfassung ergab sich eine doppelte Art
von Rückwirkung auf die Stellung und Wirksamkeit des einzelnen Bischofs.
Wenn der Bischof gewohnt war, die kirchlichen Angelegenheiten mit seinem
Klerus zu berathen, so mussten nun diese Berathungen eine gewisse Be-
schränkung erleiden, obgleich sie, was das Beispiel Cyprian's deutlich bezeugt,
keineswegs aufhörten. Die Synodalverbindung hob ebenfalls die isolirte, un-
2) De jejuniis c. 13. Aguntur praeterea per Graeciam illa certis in locis concilia
ex universis ecclesiis, per quae et altiora quaeque in commune tractantur et ipsa reprae-
sentatio totius nominis christiani magna veneratione celebratur.
IßO Erste Periode des alten Katholicisinus.
abhängige Stellung des einzelnen Bischofs gegenüber von seinen Collegen
auf. Sollte die Gemeinde sich den Synodalbeschlüssen fügen, so musste
der Bischof mit dem guten Beispiel vorangehen. Die einzelnen Bischöfe
wurden dadurch der Gesammtheit der Bischöfe der Provinz, dem corpus
e/)iscoporum, sacerdot um suhoYdinirt. Doch geschah es noch immer, dass ge-
wisse Bischöfe die Synodalbeschlüsse ungestraft nicht annahmen. Auch da-
für galt der Grundsatz, dass jeder Bischof auf eigene Verantwortung die
Kirche leite (Cyprian epist. 72). Phidlich, indem die Synode sich in der
Metropole versammelte, vom Metropoliten ])erufen und präsidirt wurde,
der zugleich auf den Gang der Verhandlungen Eintluss ausübte, wurde durch
das Synodalinstitut das Ansehen des Metropoliten befestigt.
Die bisherigen Conföderationsformen betrafen denn doch nur die Theile
der Kirche als einzelne betrachtet; denn auch die grösste Eparchie des
angesehensten Metropoliten war doch nur ein Theil der Kirche. Betrachten
wir die Kirche aus dem Gesichtsi)unkte dieser Verbindungsformen, so er-
scheint sie uns als Aggregat von einzelnen Staaten, die von einander un-
abhängig sind und zunächst durch kein anderes organisches Band als das-
jenige des gemeinsamen Glaubens verbunden. Wie denn aber die Kircht
das Erzeugniss eines und desselben Geistes war, und derselbe Geist über-
all hin wehte , so erzeugte er auch Versuche zur Verbindung aller auf der
Erde zerstreuten christlichen Kirchen. — So entstand früh der Gebrauch,
dass die Kirchen von benachbarten Provinzen ihre Synodalbeschlüsse ein-
ander mittheilten. Auch entfernteren Kirchen wurden wichtigere Artikel,
besonders die Kirchenlehre betreffend, durch die sogenannten Synodalbriefe
mitgetheilt. Es wurde gebräuchlich, dass die Bischöfe und zwar besonders
die Metropoliten einander ihre Wahlen und Amtsantritte ankündigten, durch
die yga^fiara xotvcavtxa, die €7Tt(TtoXai xoivMVixai (später €v^QOvi(TTixai)
eplstolae commmticatoriae. Eerner kam es auf, dass jeder Christ, der den
Wohnort wechselte oder wohin reiste, Kleriker oder Laie, von seinem Bi-
schof ein Empfehlungsschreiben mitbrachte, wodurch er als Glaubensbruder
legitimirt wurde {literae formatae , yoapfiara xavovixa^ tetvnoy^spa, weil
sie mit einem Kirchensiegel versehen waren, um Verfälschungen vorzubeu--
gen). Der Gründe für solche Schreiben gab es in den damaligen Verhält-
nissen der Kirche genug. Herumreisende Betrüger benützten die christ-
liche Wohlthätigkeit, um sich Gewinn zu verschaffen (S. die Schrift des
Lucian de morle Peregrlni). Je mehr die Häresieen aufkamen , desto niehi*
wollte man Sorge tragen, dass nicht unerkannte Häretiker sich in die Ge-
meinden einschlichen. Es mochten unter dem Schutze des Christennamens
auch Spione sich einschleichen und hernach als Ankhiger der Christen auf-
treten. Eerner entstand der Gebrauch, dass jede Gemeinde von denjeni-
gen , welche sie ausstiess , den anderen Gemeinden Nachricht gab , zunächst
den benachbarten, in wichtigeren Eällen auch den entfernteren, indem
man von dem Grundsatze ausgieng, dass, wer V(m einer Gemeinde ausge-
schlossen, es auch von der ganzen Kirche sei. Doch gab es liievon wich-
tige Ausnahmen. Die Montanisten in Kleinasien excomnmnizirt, wurden es
erst weit später in Africa. Origenes, von seinem Bischof excommunizirt,
wurde von den Kirchen in Palästina, Arabien und Achaja in Schutz ge-
Kirchenverfassung. Einheit der Kirche. 161
iiommen. Endlich wurden auch Anstalten getroffen , dass diejenigen, welche
^ich selbst von einer Gemeinde lostrennten, angesehen wurden als aus der
Kirche überhaupt austretend. Doch auch hievon gab es Ausnahmen. So
wurde ein Novatianischer Bischof zur Synode von Nicaea 325 berufen —
durch die Bemühungen des Athanasius, der im Punkte der Trinitätslehre
zu ihm Vertrauen gefasst hatte.
V. Die Einheit der Kirche. Unter den genannten Verhältnissen
und in Folge der erwähnten Einrichtungen trat die Idee der Einheit der Kirche
mit Macht hervor. Es kamen aber noch andere Dinge als Factoren hinzu.
In der Mitte des dritten Jahrhunderts brachen in der nordafricanischen
Kirche Spaltungen aus , welche, allerdings für das geistliche Gedeihen der
Kirche gefahrdrohend waren. Sie wurden am eifrigsten und entschiedensten
mit Wort und That von Cyprian bekämpft. Gegen die Schismatiker hob er die
bischöiiiche Würde und Gewalt, die Einheit des Bischofsamtes hervor und
brachte damit die Einheit der Kirche in die engste Verbindung. Er hat
sich darüber ausgesprochen theils in jenem Tractate de unitate ecclesiae,
theils in vielen Briefen, die als Commentar zu jenem Tractate gelten
können. Gegen jene Schismatiker konnte man nicht mehr blos auf die
Glaubensregel sich berufen; sie erkannten sie eben so sehr an wie alle
übrigen katholischen Christen. Um irgend eines untergeordneten Punktes
willen trennten sie sich von der Kirche. Ihnen wurde die Einheit des Bi-
schofsamtes, die Einheit der Kirche entgegengehalten.
Es gibt nur Eine Kirche, die heilige, allgemeine, d. h. katholische
Kirche. Sie ist die Erzeugerin und Trägerin der gesammten Fülle des
christlichen Lebens, zusammengehalten durch das Band der Liebe, Ein-
tracht, Uebereinstimmung. So wie es viele Strahlen derselben Sonne gibt
und viele Zweige desselben Baumes, so wie viele Bäche aus derselben
Quelle fliessen, so verhalten sich die einzelnen Gläubigen und die Parti-
cularkirchen zu der ganzen Kirche. Wie der Strahl verschwindet , der sich
von der Sonne lostrennt, wie der Bach versiegt, der von der Quelle abge-
schnitten wird, wie der vom Baume abgerissene Zweig verdorrt , so ein Je-
der, der sich von der Kirche trennt; er geht der Verheissungen verlustig,
welche der Herr seiner Kirche gegeben. So wenig derjenige dem Ver-
derben entrann , der nicht in der Arche Noah war, so wenig kann ihm der
entrinnen, der ausserhalb der Kirche ist. Er verliert die Substanz seiner
Seligkeit. Daher kann Niemand Gott zum Vater haben, der nicht die
Kirche zur Mutter hat. Wer nicht in der Kirche ist , kann nicht Märtyrer
werden, weil er nicht stirbt als Zeuge Christi, der nur in der Kirche zu
linden ist.
Der Einzelne steht dadurch auf dem Boden der einen allgemeinen
Kirche, er ist dadurch ein Mitglied derselben, dass er sich an seinen Bi-
schof hält. So verhält es sich auch mit der Gemeinde , deren Mitglied
er ist. Die Gemeinde ist plehs episcopo adiinata; die Gemeinde ist virtuell
im Bischöfe (ecclesia est in episcopo). Der rechtmässige Bischof, der Nach-
folger der Apostel, der Erbe und Träger ihrer Schlüsselgewalt ist das con-
stituirende Princip der Gemeinde; er allein sichert ihr ihre Stelle im Ge-
sammtorganismus der Kirche. Er ist es, der das allgemeine Leben der
Herzog, Kircheugeecliiclite I. 11
jß2 Erste Periode des alten Katholicisraus.
Kirche in die einzelnen Canäle leitet. Wer ihn verachtet, der verachtet
Gott. Wer neben dem einen rechtmässigen Bischof einen anderen aufstellt,
ist ausserhalb der Kirche. Es gibt nur einen Bischof in einer Gemeinde,
so wie der Herr auch nur Einem der Apostel die Schlüsselgewalt überge-
l)eii, — nicht als ob die anderen sie nicht auch empfangen hätten, aber es
sollte so die Einheit des Bischofsamtes symbolisch dargestellt werden. —
Die Schismatiker beriefen sich auf den Spruch: ;,wo Zwei oder Drei in mei-
nem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen '^, ein Spruch,
den zu allen Zeiten und an allen Orten die mit Recht oder Unrecht von
ihrer Kirche sich trennenden Partheien auf sich beziehen. Nun wendet aber
Cyprian die Sache so, dass man im Namen des Herrn gar nicht versannnelt
sein könne, wenn man sich von seinem rechtmässigen Bischof losgesagt
habe, durch den allein man mit Christo in Verbindung stehe.
Doch derselbe Bischof, der in seiner Gemeinde Gott, Christum und
die Apostel vertritt, er ist selbst nur dadurch in der Kirche, dass er an
dem Körper der in der ganzen Welt zerstreuten Bischöfe (corpus sacerdo-
tum) festhält und in Gemeinschaft mit ihnen handelt. Diese Einheit alle]'
Bischöfe ist wiederum in Petrus dargestellt, auf welchen der Herr di('
Kirche gegründet hat, um auf symbolische Weise die Einheit der Bischofs-
würde aller und alle Bischöfe als Einen Mann darzustellen. Mithin ist
Petrus , was die einzelne Gemeinde betrifft , Symbol und Gewähr der Ein-
heit des Episkopates, der Oberhoheit des rechtmässigen Bischofs in dersel-
ben, so dass keiner ausser dem einen auf bischöfliche Rechte Anspruch
machen darf. Was die ganze Kirche betriff't, ist Petrus Symbol der Ge-
meinschaft der Bischöfe untereinander, Symbol der Einheit des gesammten
Episkopates, als einheitliche Corporation betrachtet.
Die Bischöfe also sind es, die den Körper der Sonne halten, deren
Strahlen alle Welt erleuchten und beleben ; sie halten die Wurzeln des die
Welt überschattenden Baumes, die Quellen der weithinströmenden und
Eruchtbarkeit verbreitenden Bäche, aber an sich selbst sind sie nur ein-
zelne Strahlen, einzelne Zweige, einzelne Bäche, und verderben, wenn sie
sich vom Ganzen losreissen, dem sie angehören. — Ja der Himmel selbst
steht unter dem Gesetze der Einheit, wie denn geschrieben steht: Vater,
Sohn und Geist sind Eins, und Christus sagt : ich und der Vater sind Eins.
So besteht denn Eine Kirche, Ein Bischofsamt, Eine Taufe, Ein Gott, Ein
Herr, Ein Glaube, Ein Geist in der ganzen Kirche.
Diess die Grundzüge der grossartigen, begeisternden Idee der katho-
lischen Einheit der Kirche ^ des Episkopalsystems insbesondere, das fortan
sich mehr und mehr entwickelte und zu einer Zeit, da das die Kirche
beherrschende Papalsystem in Gemeinheit und Laster versunken war, die
katholische Kirche rettete. Was die Stellung des Bischofs zu seiner Pa-
rochie betrifft, so war dieses System schon in den ignatianischen Ikiefen
vorgebildet. Bei Cyprian ist es in siegreichem Fortschreiten begriffen,
doch keineswegs zum Abschlüsse gelangt, sofern in der einzelnen Gemeinde
nicht alle Gewalt auf den Bischof übertragen war, sofern die Verbindung
der Gemeinden und der Bischöfe untereinander im Ganzen noch sehr locker
war und Raum genug darbot für allerlei Differenzen. Cyprian fügt sich
Kirchenverfassung. Der Bischof von Rom. 163
aus wohl überlegter Kirchenpolitik in einige Beschränkungen seiner leiten-
den Grundsätze; genug, dass sie ausgesprochen wurden und, wenn auch
nur theilweise, als Normen gelten durften. Was aber bei Cyprian in leben-
digem Bildungsprocess begi'ifFen ist, das ist in den letzten Büchern der
apostolischen Constitutionen als fertiges Resultat zum Abschluss gebracht.
Offenbar aber ist in dieser Form der Kirchenverfassung zu viel Werth auf
den äusseren Organismus gelegt.
Ergänzend setzen wir hinzu: die anderen Kirchenlehrer kennen auch
diese Einheit der katholischen Kirche und heben hervor, dass ausserhalb der-
selben kein Heil sei, so wenig wie ausserhalb der Arche Noah Bettung
vor der Sindfluth war. Irenäus (3, 24. 1), nachdem er gelehrt hat, dass die
Schätze der Wahrheit in der Kirche niedergelegt seien, setzt hinzu: ;,aus-
ser ihr sind Räuber und Diebe, Pfützen stinkenden Wassers. Denn, wo
die Kirche, da ist auch der Geist Gottes, und wo der Geist Gottes, da ist
auch die Kirche und die Fülle der Gnade^^ (jenes ist das katholische, die-
ses das evangelisch-protestantische Princip). In die Kirche hat Gott die
gesammte Wirksamkeit des heiligen Geistes niedergelegt, deren alle die-
jenigen nicht theilhaftig sind, welche nicht zur Kirche sich halten. Bei
den Alexandrinern, bei Clemens zumal, vergeistigt sich der Begritf der
Kirche; dieser leitet Namen und Begriff der Kirche von den Auserwählten
ab, die zur Gemeinschaft sich sammeln ^) , die wahren Gnostiker bilden die
Kirche, den Leib des Herrn, die Mutter und Jungfrau zugleich ist.
VI. Der Bischof von Rom. Im Zusammenhange mit dem über
die Einheit der Kirche Gesagten muss die Stellung des römischen Bischofs in
dieser Periode aufgefasst werden. So lange solche Grundsätze, wenn auch
nur in unvollständiger Durchführung massgebend blieben , konnte von einer
eigentlichen Herrschaft desselben über die gesammte Kirche durchaus keine
Rede sein. Es widersprach auch dem Begi'iff der Katholicität, wie er noch
heut zu Tage im Bewusstsein der morgenländisch - griechischen Kirche
fortlebt, dass irgend eine Particularkirche über die katholische die Ober-
herrschaft führe, und dass Ein Apostel über alle anderen gesetzt werde.
In der Seele der römischen Bischöfe selbst war das eigentliche Pabstideal
noch gar nicht entwickelt, wenn gleich Ansätze dazu vorhanden waren,
die aber auf kräftigen Widerstand stiessen.
Uebrigens war in Rom bis an das Ende des ersten Jahrhunderts nicht
einmal ein eigentlicher Bischof im Unterschiede von den Presbyteren ; der
Brief, der in der Tradition den Namen des Clemens von Rom trägt, zeugt
dafür. Er kennt nur Bischöfe, d. h. Presbyter und Diakonen (c. 42). Der
Episkopat hat sich in Rom im Laufe des zweiten Jahrhunderts entwickelt;
und nun kam es auf, dass man ihn zurückdatirte , indem man den jedes-
maligen Presbyter , der am meisten Ansehen genoss , als Bischof xat e^o-
xn^ bezeichnete. Als Hegesipp gegen die Mitte des zweiten Jahrhunderts
nach Rom kam, fand er den Episkopat schon ganz entwickelt 2).
1) To a^QoiG^a 7WV fxlf-XTMv exxXrjfftccv xnlo).
2) Man gab ihm aucli die Rcihcfolge der Bischöfe, die bis dahin die Gemeinde
sollten regiert hatten, an (Euseb. 4, 11). Diese Liste ist verloren gegangen, hingegen ist
11*
jß4 Erste Periode des alten Katholicismus.
Verschiedenes wirkte nun zusaiiimen , um die Autorität des römischen
Bischofs zu heben, vor allem der .üiite Rufi), den die römische Gemeinde von
Alters her genoss (Römer 1, 8) und der durch Wohlthätigkeit gegen entfernte
Gemeinden und gegen manche um des Glaubens willen leidende Christen
(Euseb. 4, 23) noch gehoben wurde, sodann 'der ZusammenHuss von Gläubi-
gen aus allen Theilen der Welt in der Welthauptstadt, die auch als solche
einen Strahl des Ruhmes auf die christhche Gemeinde |in ihrer Mitte fallen
Hess. Die römischen Bischöfe waren nicht gerade als Schriftsteller, als,
Theologen ausgezeichnet; unter ihnen fanden sich kein Irenäus, kein Diom^-
sius von Alexandrien, kein Cyprian , kein Hippolyt , aber auch kein Paul von
Samosata, kein Sabellius. Es waren praktische, kluge Männer, gute Kirchen-
fürsten, einige mit der Märtyrerkrone geschmückt, und einige Male wurden
sie glückhch vor der öffentlichen Anerkennung des ]\lontanisinus und des
Monarchianismus bewahrt. Obschon sie im Streite über die Osterfeier und
über die Ketzertaufe sich wegen ihres herrischen Auftretens herben Tadel
von anderen Bischöfen zuzogen, so schadete das ihrem Ansehen nicht viel, da
sie doch zuletzt Recht behielten und wirklich die bessere Ansicht vertraten.
Wenn gleich zu Anfang des dritten Jcflirhunderts der schwache, charakter-
lose und geldgierige Zephyrinus, der durch und durch nichtswürdige Calixtl
den bischöÜichen Stuhl inne hatten und in wichtigen Punkten der Disciplii
und der Lehre gerechten Anstoss gaben (Ilippolyt. 9, 114), wenn überhaupt
damals inmitten der römischen Gemeinde eine arge sittliche Erschlaffung
eingetreten war, so war doch das Ansehen, sei es der Bischöfe, sei es
der römischen Gemeinde bereits so gesichert und feststehend, dass es durch
jene Uebelstände auf die Länge nicht erschüttert werden konnte.
Dazu trug wesentlich auch dieses bei, nicht nur, dass Rom nebst Alex-
andrien und Antiochien in Syrien die grösste Eparchie hatte, sondern, dass es
schon von früher her die einzige sedes apostolica des Abendlandes war. In der
verschönernden, vergrössernden, auch geradezu dichtenden Sage galt nänüich
die römische Gemeinde als durch die beiden grossen Apostel Paulus und
Petrus gegründet , als zuerst von Petrus geleitet , und die römischen Bischöfe
erhoben den Anspruch, Nachfolger des Apostelfürsten zu sein.
Mit dem zweiten Jahrhundert ergoss sich nändich über die Kirche eine
Flut von Sagen und apokryphischen Schriften , welche für Viele die geschicht-
liche Wahrheit, wie es scheint, auf ewige Zeiten verdeckt und verborgen
haben. Diess gilt insbesondere von der Sage von Petri Aufenthalt, Wirk-
samkeit und Märtyrertod in Rom. Es kam dem Triebe nach Sagenbildung
diejenige, die Irenäus während seines Aufentlialtes in Korn sich verschafft hat, noch erhal-
ten (3, 3, 3). Mit ihr stimmen überein die Angaben des Euseb 3, 2. 13. 15, 31, und die
des Hicronymus. Es sind folgende Namen: Linus, Anencletus, Clemens, Evarestus, Alex-
andras, Xystus, Telesphorus, Hyginus, Pius, Anicetus, Soter, Eleuthcrus. Zum Theil ver-
schieden davon sind die Angaben der Clementinen und der lateinisclien Kataloge. S. Lip-
sius, Chronologie der römischen Bischöfe bis zur Mitte des vierten Jahrhunderts.
1) Ein Beweis des guten Kufes ist die Art, wie Ignatius die römische Gameinde
anredet, in dem an sie gerichteten Briefe. Er nennt sie Vorsteherin des Liebesbundes,
Kirchenverfassung. Der Bischof von Rom.. 165
der Umstand zu statten, dass im Briefe des Clemens von Rom die Sache
nicht geradezu verneint war. Es ist übrigens, wie wir früher bemerkten (S. 35) ,
möghch, dass Petrus auf kurze Zeit in Rom gewesen und daselbst hinge-
richtet worden. An diesem Punkte scheint die Sagenbildung angesetzt zu
haben. Da man durchaus nichts Näheres über Petri Aufenthalt und Tod in
Rom wusste, so war hinlänglicher Raum für Sagenbildung vorhanden, in
welcher sich sowohl judaisirende als kathohsche Christen hervorthaten. Sie
nahm eine doppelte Gestalt und Wendung; einmal betrilft sie den Kampf
des Petrus mit dem Magier Simon, aus der Apostelg. c. 8 bekannt, das
andere Mal die Verbindung des Petrus mit Paulus. Die erste Gestalt der
Sage spaltet sich wieder in zwei, die Von Simons Aufenthalt in Rom, und
die von Petri Aufenthalt ebendaselbst; diese beiden Sagen stehen zunächst
in keiner Verbindung mit einander. Zuerst kommt der Magier nach Rom
unter Claudius und treibt daselbst sein Wesen. Durch seine magischen
Künste machte er auf den Senat und das römische Volk einen solchen Ein-
druck, dass er für einen Gott erklärt und ihm eine Statue errichtet wurde,
mit der Inschrift : Simoni deo sancto. So berichtet Justinus Martyr Apol. I. 26.
56 1) , der von einem Aufenthalte des Petrus in Rom gar nichts weiss. Nun
bihlet sich auch die Sage, dass Petrus nach Rom gekommen und daselbst
gelelirt habe, ohne dass von einem Streite mit dem Magier die Rede ist,
diess ist wahrscheinlich die Meinung des Papias bei f]useb 2, 15 und 3, 39:
des Clemens von Alexandrien nacli seinen Hypotyposen (bei Euseb 6, 14 —
dazu 2, 15). Dasselbe ist bestimmt der Fall mit Irenäus, der beide Sagen
kennt, des Petrus Aufenthalt in Rom (3, 3. 2) und den des Simon 1, 23. 1;
von einem Zusammentreffen beider Männer weiss er nichts. Unterdessen
bildete sich die syrische Sage, niedergelegt in den Clementinen, von einem
Kampf zwischen Petrus und Simon in Antiochien und von einer Besiegung des
letzteren durch Petrus. Da nun Simon, obwohl besiegt, doch nicht vernichtet
worden war, da man ausserdem von einem Aufenthalte des Petrus in Rom
wusste, so lag es nahe, beide Sagen zu coml)iniren, beide Männer auch in
Rom untereinander streiten zu lassen , und nach der Gemeinde der Weltstadt
die gänzHche Besiegung und den Tod des Magiers zu verlegen. Wie die
syrische Sage eine Nachbihhnig der Erzählung in der Apostelgeschichte (c. 8), so
ist die römische eine Na('hl)il(hing der syrischen 2). Die riimische Sage wird
zuerst in den apostolischen Constitutionen 6, 9 ausführlich erwähnt. Simon,
nachdem er in Rom durch magische Künste das Volk bethört hat, erhebt
sich mit Hülfe der bösen Mächte gen Himmel, als wolle er von da gute Gaben
herabbringen; worauf, bewogen durch das Gebet des Petrus, die bösen
Mächte aulliören, Simon zu halten, und er herunterßlllt , am Leibe zwar
schwer verietzt, doch nicht getödtet, so dass er sogar noch einige Anhänger
behielt. Viel weiter ausgemalt und ausgesponnen ist dieselbe Sage in den
1) Dasselhe berichtet Euseb. 2, 13. Die Statue ist 1574 auf der Tiberinsel an
der von Justin bezeichneten Stelle aufgefunden worden, woraus sich ergab, dass Justin die
Inschrift ganz falsch wiedergegeben; sie lautet so: Semoni Sanco Deo Fidio Sacrum; es
ist eine sabinischc Gottheit gemeint.
2) S. Ulilhorn, die Homiliccn und Recognitionen des Clem. Rom. S. 377.
■[Qß Erste Periode des alten Katholicismtiä.
TtQa^sig toov äyicop anofftolcav Jlerqov xai Ilavlov^), hier in Verbinduug
mit der Sage vom Zusammentreffen der beiden Apostel Petrus und Paulus
in Rom. Beide sind vollkommen eins in Allem, was sie lehren. Petrus sagt
zu Nero: Alles, was Paulus geredet hat, ist wahr. Paulus sagt zu Nero:
Was du von Petrus gehört hast, ist so gut, als wäre es auch von mir gesagt.
Denn wir sind eines Sinnes, weil wir einen Herrn Jesum, den Christ, haben.
Also nicht blos Zusammentreffen beider Apostel , sondern auch völlige geistige
Vereinbarung. Paulus wird Bruder des Petrus genannt.
Dieses ging nun in das allgemeine Bewusstsein der Kirche über, und
zwar völlig abgetrennt vom Zusammentreffen Petri mit Simon in Piom ; so in -
der Praedicatio Pauli, die den letzten Theil der Praedicatio Petri gebildet zu
haben scheint, und die wohl in die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts
fällt '^). Die Sage ist noch weiter ausgeführt in dem Briefe des Bischofs
Dionysius von Korinth c. 170 an die Gemeinde in Rom. (Bei Euseb. 2, 25).
Da sind beide Apostel bereits in Korinth zusammengetroffen , haben beide die
dortige Gemeinde gestiftet, sind beide miteinander nach Itahen gewandert, haben
daselbst gemeinsam gelehrt und sind zu derselben Zeit (in Rom) als Märtyrer
gestorben. Cajus, ein kirchlicher Schriftsteller aus dem Anfang des dritten
Jahrhunderts, rühmt sich, die Gräber der beiden Apostel auf dem vaticani-
schen Berge und auf dem Wege nach Ostia zeigen zu können ^). Eine ähn-
liche Steigerung findet statt in der Sage über den Märtyreitod des Petrus.
Dionysius berichtet nur im Allgemeinen den Mäityrertod; nach Tertullian
{de praescriptione haereticorum c. SO) ist Petrus gekreuzigt worden , während
Paulus enthauptet wurde. Nach den oben genannten apokryphischen nqal^eiq,
denen Origenes bei Euseb. beistimmt, ist er auf sein ausdrückliches
Verlangen, um nicht im Tode dem Herrn sich gleich zu stellen, köpflings
gekreuzigt worden. In denselben Tiga^ftg wird erzählt, dass er dem Mär-
tyrertode in Rom entfliehen wollte. .Auf der Flucht, doch noch in der Stadt
begegnet er dem Herrn, den er fragt: wohin gehest duV Auf die Antwort
des Herrn , er gehe, sich kreuzigen zu lassen , kehrt Petrus beschämt zurück
und überliefert sich dem Tode*). So ergibt sich, dass seit dem Anfang des
1) Bei Tiscliendorf, acta apostolorum apocrypha. 1851. Simon, der sich für den
Sohn Gottes ausgegeben, erbietet sich, gen Himmel zu fliegen. Nero , dem Simon günstig,
— die Scene ist wegen Paulus unter diesen Kaiser verlegt, — Nero lässt einen Thurm
erbauen, von wo aus Simon sich in die Lüfte erhebt. Petrus beschwört die Satansengel,
die Simon tragen, ihn fallen zu lassen, worauf er in vier Stücke auseinander fällt.
2) Diese Schrift wird tadelnd erwähnt in der Schrift de non iterando baptisrao hin-
ter Cypriani opera ed. Rigaltius; obgleich die wahre Geschichte beide Apostel schon
längst in Berührung kommen lasse, lasse sie der Verfasser dieser Schrift erst in Rom zu-
sammen kommen. Vorher wird gesagt, dass noch anderes Mytliisclie über Jesum selbst
in der Schrift enthalten war.
3) Euseb. 2, 25. Nach anderen Quellen wurde Petrus auf dem vaticanischen Berge,
Paulus auf dem Wege nach Ostia begraben.
4) Vergl. über das Ganze ausser den bereits angeführten Schriften: Baur, über
den Ursprung des Episkopates, Lipsius, die Quellen der römischen Petrussage, Hil-
genfeld, Petrus in Rom, in der Zeitschrift für wissenschaftliclie Theologie. 1872. 3.
Heft. S. 350 (gegen Lipsius). Gegen Gieseler, der K. G. L 103 die Annahme, dass die Sage
Kirchen Verfassung. Der Bischof von Eom. lg"?
zweiten Jahrhimdeits keine einzige Nachricht über den Aufenthalt des Petrus
in Rom sich findet, die nicht durch mythische Zusätze entstellt wäre. Man
hat dagegen bemerkt, dass als fester Kern in allen Nachrichten die Kunde
von Petri Aufenthalt in Rom übrig bleibe. Aber, dass dieser feste Kern nir-
gends als bei Clemens Rom. auf die dargestellte Weise heraus tritt, darin
liegt eben die Schwierigkeit.
Bei alledem war das wichtigste der Gewinn, den Rom aus der Sache
zog. Roms Autorität hob sich zunächst in doctrinärer Beziehung. Im
Kampfe mit der Häresie, besonders mit dem Gnosticismus suchte man Roms
Autorität geltend 7^ machen. Tertullian (de praescriptione haereticorum c. 21)
weist die Christen des Abendlandes, wenn sie die wahre apostolische Lehre
kennen lernen wollen, an Rom, „das auch uns (den Africanern) als Autorität
dienen kann'' i) , und nun beruft er sich darauf, dass die Apostel Petrus und
Paulus daselbst Märtyrer geworden, — so wie Johannes, der, in siedendes
Oel geworfen , daraus unversehrt hervcjrgegangen. Man mochte nämlich gerne
mehrere Apostel als Zeugen der kathohschen Lehre aufführen. Als Waffe ge-
gen die gefahrdrohende Häresie, besonders gegen den Gnosticismus ge-
brauchte auch Irenäus die Auctorität Roms. Er beruft sich aber nicht nur
darauf, dass die beiden Apostel Petrus und Paulus die dortige Gemeinde
gestiftet und daselbst den Märtyrertod erlitten haben, sondern auch darauf,
dass in der Welthauptstadt innnerfort ein grosser Zusammenlauf von Christen
aus verschiedenen Gegenden der Welt statt finde, woraus man schliessen
könne, dass sich der allgemeine Glaube der Christen daselbst immerfort mit
vorzüglicher Reinheit erhalten habe. Diess ist der Sinn der Stelle bei Ire-
näus (3, 3j: „denn mit dieser Kirche nuiss wegen ihres bedeutenderen Vor-
rangs der Natur der Sache nach die ganze Kirche übereinstimmen, in wel-
cher innner in (Jemeinschaft mit den Gläul)igen aus allen Orten die aposto-
lische Tradition erhalten worden ist" ^). Irenäus will l)eweisen, dass die
Lehre der katholischen Kirche apostolisch sei, durch die Nachfolger der von
den Aposteln eingesetzten P>ischöfe erhalten. Da es aber zu weitläufig ist,
diesen Zusammenhang mit den Ai)osteln von allen Kirchen nachzuweisen,
beschränkt er sich auf die römische Kirche und will zuletzt daithun, dass
die Lehre der ganzen Kirche nothwendig mit derjenigen der römischen Kirche
von den judaisironden Christen erdichtet worden, bestreitend dieses anführt, dass die Er-
diclitung von den römischen Paulinern als solche aufgedeckt worden wäre, ist zu bemerken,
dass nicht blos die judaisirenden, sondern auch die katholischen Christen ein nahe liegen-
des Interesse hatten, Petrus dem Paulus gleichzustellen. Die Idee der Katholicität ver-
trug sich nicht mit der einseitigen Hervorhebung des Pauliniamus, — sowie der Autorität
des Petrus.
1) Unde nobis quoqiie auctoritas praesto est.
2) Ad hanc enim ecclesiam propter potentiorem principalitatem necesse est convenire
omnem ecclesiam h. e. eos, «lui sunt undique fideles, in qua semper ab his, qui sunt un-
dique , couservata est ea , quae est ab apostolis traditio. Dass principalitas Vorrang be-
deutet, erhellt aus 4, 38. 3, wo die Stelle: principalitatem quidem habebit in omnibus
Deus, in dem erhaltenen griechischen Texte also lautet: nQooTfvd /uev ey nccciy 6 ^'hfog.
— Ein Vorrang kam allen ai)ostolischen Kirchen zu, der römischen Gemeinde ein bedeu-
tenderer wegen ihrer Grösse und ihrer Stiftung durch die zwei vornehmsten Apostel.
Ißg Erste Periode des alten Katholicismtis.
Übereinstimme. Daher beruft er sich auf den Brief des Clemens von Rom,
auf Polykarps Aufenthalt in Rom 0 zi"» Beweise jener ununterbrochenen
Gemeinschaft. Mag nun aber jene Nothwendigkeit noch so selir eine blos
natürliche, nicht dogmatisch abgeleitete sein, mag Irenäus nur beispielsweise
sich auf die römische Gemeinde berufen 2), so wird nichts desto weniger
diese Gemeinde als Einheitspunkt für die ganze Kirche aufgefasst »). Docli
würde man sich sehr irren, wenn man annehmen wollte, dass Irenäus der
römischen Gemeinde eine Autorität über die anderen Kirchen zutheilen
wollte, wie diess sein Auftreten gegen den r()mischen Bischof Victor c. 19(;
beweist, der die kleinasiatischen Bischöfe excomnninizirt hatte, weil sie die
abendländische Osterfeier nicht hatten annehmen wollen. Aehnlich verhält
es sich mit Cyprian. Wie er in wesentlicher Beziehung Petrum auffasst.
ist schon zur Sprache gekommen. Daher konnnt es, dass er der erste ist, wel-
cher den römischen Stuhl als locum Petri und als Petri cathedram bezeich-
net (ep. 52. 55). Er sprach es aus, dass der Herr auf Petrum die Kirche
gegründet, aber er war weit entfernt, eigentliche Rechte daraus herzuleiten
und dem Petrus den Primat zuzutlieilen (ep. 71)*). Gerade um deswillen,
weil der römische Bischof Petri cathedra inne hat, soll er sich nicht in die
Angelegenheiten anderer Kirchen einmischen, weil Petrus das Symbol der
Einheit des Bischofsamtes in jeder einzelnen Gemeinde ist ^). Im Streite
über die Ketzertaufe erhielt er von Cyprian und anderen Bischöfen die
schärfsten Verweise. Man liess ihm auch das nicht gelten, worauf er gerne
sich vieles zu gute that, dass Petrus der erste römische Bischof gewesen, —
eine von den Clementinen ersonnene Dichtung, — und dass der römische
Bischof eigenthcher Nachfolger des Petrus sei^j. Ueberhaupt wurde die
Stelle Mat. 16, 18 nicht auf die Person des Petrus, sondern auf jeden Gläu-
bigen bezogen, der Petri Glauben besitzt. So Origenes zu der genannten
Stelle und er setzt hinzu: ,,Wenn auf Petrus allein die Kirche erbaut ist,
was sollen wir halten von Johannes und den anderen Aposteln V Sollen die
Pforten der Hölle nur gegen Petrum nichts vermögen?'* — Immerhin aber
sehen wir in Rom ehie Macht heranwachsen, welche je nach den Umständen
und Verhältnissen, so\\1e auch je nach den leitenden Persönlichkeiten in der
Zukunft noch eine bedeutende Erweiterung erhalten konnte. Leicht mochten
1) Neben Polykarp wären noch manche Andere zu nennen, z. B. Origenes. Frei-
lich kamen auch Gnostiker nach Rom.
2) So Graul, die christliche Kirche an der Schwelle des irenäsclien Zeitalters S. 188.
3) So Ziegler, Irenäus S. 150.
4) Die Stelle der Schrift de unitate ecclesiae, wo es hcisst: priraatus Petro datur
findet sich nicht in den ältesten Manuscripten und ist späterer römisclicr Zusatz. S.
Gieseler I. 363. 364.
5) Darnach sind die Worte des Briefes 5,5 an Cornelius, betreifend Felicissimus,
welchen Cornelius als Gesandten des Gegenbiscliofs Fortunatus in Carthago angenommen
hatte, zu verstehen: „navigare audent et ad cathedram Petri, atque ad ecclesiam i»rinci-
palem, unde unitas sacerdotum exorta est.
6) Firmilian', Bischof von Cäsarea in Kappadocien, ep. an Cyprian, in den Werken
des letzteren ep. 75: Stephanus, qui sie de episcopatus sui loco gloriatur et se succes-
sionera Petri habere contendit.
förchenzuchi 1^9
schon damals manche dem römischen Bischof seine herrische Sprache und die
erwähnten Ansprüche verzeihen, mit Rücksicht darauf, dass er eine voll-
ivommen richtige Ansicht vertrat, so im Streite über die Osterfeier, so auch
in dem über die Taufe der Ketzer.
Zweites Capitel. Geschichte der Kirchenzucht.
Das lateinische Wort für Zucht, disciplina, hatte wie viele andere Wör-
ter im kirchlichen Sprachgebrauche der patristischen Zeit einen sehr ausge-
dehnten Sinn. Bei Tertullian ist disciplina jede Anstalt und Vorschrift,
welche das rehgiös - sittliche Leben, die gesellschafthch - kirclüichen Verhcält-
nisse und den Gottesdienst der Christen betrifft. (Apolog. c. 39). So nennt
Tertullian sc^gar den Dekalog disciplina (Apol. c. 2). Wir nehmen hier das
Wort im engeren Sinne als Kirchenzucht. Die häretischen Bewegungen üb-
ten auch auf dieses Gebiet des kirchlichen Lebens ihren Einfluss aus. Die
katholische Kirchenzucht bildete sich zum Theil im Gegensatze gegen die
Zuchtlosigk^it, welche man den Häretikern vorwarf. Tertullian, (de praescript.
haeret. 41) sagt: ^man wisse nicht, wer Katechumene, wer Gläubiger sei, sie
werfen die Perlen vor die Säue , verachten alle Zucht" u. s. w. Den Gegen-
satz dagegen l)ildeten die Montanisten mit ihren übertrieben rigorosen Grund-
sätzen. Es entstand inmitten der katholischen Kirche selbst der Gegensatz
einer milderen, wohl auch laxeren und einer strengereu Richtung, und aus
den Contlikten 'zwischen beiden entstanden Spaltungen, während die ka-
tholische Kirclienzucht die richtige Mitte zwischen beiden Richtungen zu hal-
ten suchte. Li diesen Bewegungen wurde auch die Llee der Einheit der
Kirche befestigt.
Die Kirchenzucht betraf hauptsächlich die Ausstossung aus der Kirche
und die Wiederaufnahme in dieselbe. Ln weiteren Sinne gehörte dazu die
Aufnahme der von aussen Hinzutretenden und die Vorbereitungen dazu, die
in der Geschichte der Taufe in Betracht konunen werden.
Nach apostolischem Vorgange wurden Ketzer, Abtrünnige und sonstige
grobe Sünder, Mörder, P^hebrecher u. s. w, von der Kirchengemeinschaft
ausgeschlossen. Dass denen, welche die Wiederaufnahme in die Kirche be-
gehrten und hinlängliche Reue zeigten, jene gewährt werden solle, stand
allen besonnenen Kirchenlehrern fest, wie denn auch Paulus sich für die
Wiederaufnahme des Blutschänders in Korinth ausgesprochen (1 Kor. 5, 1
cf. mit 2 Kor. 2, 5 ff.). Strenger Gesinnte beharrten bei einer von Hermas
imandatum 4, 1) und Clemens Alex. (Stromata, 2, 13) gegebenen Regel,
dass nach erhaltener Taufe nur noch ein einziges Mal Bussfrist gestattet
werden solle. Auch glaubten sie, dass jene Sünden, wenn sie nach der Taufe
geschehen waren, als Todsünden (1 Joh. o, 16) auf immer die Excommuni-
cation nach sich ziehen müssten. Das Concil von Elvira in Spanien im Jahre
305 macht eine Menge solcher Fälle nandiaft, die gar nicht immer Todsün-
den betreffen, z. B. wenn ein Vater seine Tochter einem heidnischen Priester
zur Frau gibt c. 0. Die mildere Bussdisciplin herrschte in Rom, Aegypten
und im Oriente vor, und wird auch in den apostohschen Constitutionen
2, 16 vertreten. Diese milde Bussdisciplin gipfelte in dem vom römischen
270 fiwte Periode des alten Katholicismus.
Bischof Kallistus aufgestellten Grundsatze , dass ein Bischof auch wegen einer
Todsünde nicht abgesetzt werden solle. (Ilippol^tus 9, 12). Strenger war
man in Nordafrika und in Spanien. In Nordafrika schloss man die durcli
Unzucht , Mord und Götzendienst Befleckten für immer aus , in Folge monta-
nistischen Einflusses; diess noch zur Zeit Cyprians. Damals machte man
zuerst eine Ausnahme mit den Unzüchtigen , hernach mit den in Götzendienst
Gefallenen (lapsi), deren Zahl zu gross geworden. In Spanien hielt man noch
zur Zeit des Concils von Elvira die absolute Exconnnunication fest.
Die Busse, e^ofjioloyrjaig, Bekenntniss , d. h. mit Wort und Tliat, wurde
bald ziemlich hart und geeignet, eine gewisse Werkheiligkeit zu befördern.
Tertullian de poenitentia c. 9 beschreibt sie mit grellen Farben. Die poeni-
tentes, welche mit der Kirche ausgesöhnt zu werden wünschten, nuissten durch
nachlcässige Kleidung, in Sack und Asche ihre Trauer au den Tag legen,
fasten, über die begangenen Sünden ernst nachdenken, Tag und Nacht wei-
nen, seufzen, zu den Füssen der Presbyter sich niederwerfen, vor der Ge-
meinde und vor Gott das Bekenntniss ihrer Sünden ablegen ; denn , sagt Ter-
tullian, glaube mir, in soweit du deiner nicht schonest, in soweit wird Gott
deiner schonen ^). Ueber die Busszeit stand zur Zeit Cyi)rians noch nichts
fest. Er fordert eine angemessene Zeitdauer (justiun tempm) nach ander-
weitigen Aeusserungen Ein Jahr. Seit den novatianischen Streitigkeiten über-
gaben die Orientalen die Pflege der Büssenden einem eigenen Geistlichen
(TcqeaßvtSQog sni ti^g ^STccvocag). Im Occidente war das nicht der Fall. Zur
endgültigen Wiederaufnahme hatte die ganze Gemeinde ihre Zustimmung zu
geben, worin sich noch die Idee des allgemeinen Priesterthums geltend macht.
Die Absolution konnte nur der Bischof oder im Nothfalle, mit Genehmigung
des Bischofs, ein Presbyter oder Diakon ertheilen; es geschah durch Iland-
auflegung.
Verschiedene Umstände führten bis zum Ende der Periode eine Schärf-
ung der Bussdisciplin herbei. Da man sich entschloss, die vielen reuigen
lapsi wiederaufzunehmen, so schien es nöthig, sich ihrer Sinnesänderung
gehörig zn versichern. Sodann konunt in Betracht, dass die Märtyrer und
Confessores das ihnen zugestandene Recht, die lapsi zur Wiederaufnahme
zu empfehlen, misbrauchten und libelli pacis ausstellten {communicet ille
cum suis) die einer eigenthchen Absolution gleich kamen. Bei dieser Ge-
legenheit prägte Cyprian den Gefallenen, die sich auf die Autorität der Mär-
tyrer und Confessores beriefen, ein, dass bloss derjenige die Sünden vergeben
könne, der sie getragen. Daher sie an den Herrn sich wenden sollen. ^Deu
Herrn müssen wir durch unsere Genugthuung uns geneigt machen 2)- und zwar
wird das Gebet ofi*enbar als satisf actio angesehen.
Die Bussstadien oder Bussgrade werden erst im vierten Jahrhun-
dert erwähnt, aber als schon bestehende Einrichtung, vom Concil von An-
cyra im Jahre 313, c. 4 und vom Concil von Nicäa hn Jahre 325, c. 11. Man
unterschied damals vier Bussgrade. Die auf der ersten Stufe, nQogxlaiovtsg,
flentes, awdi xeiiia^opteg, kaltem, stürmischen Wetter Ausgesetzte , hiemantes
1) In quantum non peperceris tibi, tantum tibi Dens, crede, parcet.
2) Dens nostra satisfactione placandus.
Reaction. Der Montanismtis. I71
genannt, mussten im Bussgewande vor den Kirchthüren unter freiem Him-
mel stehen und die eintretenden Gläubigen mit Thränen um die Wiederauf-
nahme bitten. Nach einem oder zwei Jahren traten sie auf die zweite
Stufe, der axQooofjbsvoi^ audientes, wo sie im Hintergrund der Kirche mit den
Katechumeneu der Predigt und dem Vorlesen der Schrift beiwohnen durften.
Nach Verfluss von drei Jahren traten sie in die Reihe der vnonintopteg,
yopvxXiyofjiSPOi, (jenvflectentes , welche, weiter im Schiffe der Kirche vorge-
rückt, nach Entlassung der Katechumeneu kniend über sich vom Bischof be-
ten hessen und selber mit der Gemeinde beteten. Nun wurden ihnen für
kürzere oder längere Zeit verschiedene Bussübungen vorgeschrieben, bis
ihnen gestattet wurde, aufrecht stehend, daher (Twictafisroi , consis-
fentes, mit der Gemeinde zusammen zu beten und dem Gottesdienste bis
zum Ende der inissa fidelium beizuwohnen. Am Abendmahl nahmen sie
Theil nach der feierlichen Wiederaufnahme in die Kirche, der reconciliatio^
die durch HandauHegung geschah. Das Concil von Ancyra Canon 4 und 6
gebraucht dafür den Ausdruck eX&eiv sig zo teXeiov. Die Stufe zwischen
der vollendeten I^usse und der reconciliatio ist mit Unrecht von Einigen als
fünfte Stufe bezeichnet worden. Aus dem ^lorgenlande gieng diese Buss-
ordnung in das Abendland über. Mit dem Wegfallen der öffentlichen Busse
hörte sie auf.
Drittes Cap|tel. Oeschiclite der Reactioiien gegen die erstrebte Art
der Kirclienzucht und Kirchenverfassung.
1) Der Montanismusi).
Der bei Anlass der Clementinen, Tertullians, der ersten Synoden, der
strengeren Richtung in Handhabung der Kirchenzucht bereits erwähnte Mon-
tanismus ist zwar keineswegs ausschliesslich das Erzeugniss des Mannes, von
welchem zuletzt die ganze Erscheinung den Namen erhalten hat. Wohl ver-
körperte sie sich zunächst in Montanus, wohl gab dieser einen mächtigen
Impuls; dass er aber Erfolg hatte, einen empfänglichen Boden fand, An-
hänger gewann, die in seine Anschauung und Bestrebungen eingingen, dass
er eine bedeutsame Krisis in der katholischen Kirche hervorbrachte, das
rührt daher, dass er in eine bereits angefangene Bewegung eintrat, sich an
bereits vorhandene Anschauungen und Bestrebungen anschloss, sie überbie-
tend und übei-treiben(]. Ebensowenig kann der Montanismus lediglich aus
dem Einflüsse des zu sinnlich - enthusiastischer Gottesverehrung geneigten
phrygischen Volkscharakters abgeleitet werden. Dabei darf man aber nicht
verkennen, dass sich ein solches heidnisch-phrygisches Element durch den
Montanisnuis hindurchzieht, so dass wir ihn auch als Reaction des Heiden-
thunis auf die christliche Religionssphäre anzusehen berechtigt sind. Dage-
1) Euseb. 5, 16 u. ff. Capitel. Epiphanius haeresis 48 und 49. Tertullian's
Werke. Nea n der, Antignosticus, Geist des Tertullianus. 2. Auflage. 1849. Schwegler,
der Montanismus und die christUclie Kirche. 1841. Ritschi, a. a. 0. Neander,
Gl es clor und Baur in ihren Werken über allgemeine Kirchengeschichte.
2Y2 tlrste Periode des alten :ß;atholicismus.
gen kann nicht der Einwand erhoben werden, dass die Montanisten — es
genügt den einen Tertullian zu nennen — hinliliiglich gegen (his Heideuthuin
polemisirt haben, so wenig wie wir den heidnischen Zug im späteren römi-
schen Katholicismus abläugnen werden aus dem Grunde, weil derselbe theo-
retisch sich scharf genug gegen das Heidenthum ausspricht. Jenes heid-
nisch-phrygische Element ist der faule Eleck, an dem der Mon-^
tanismus schliesslich zu Grunde gehen musste. Uebrigens ist der
Name Montanisten erst späteren Ursprungs, sowohl Tertullian als Euseb kennen
ihn nicht. Bezeichnend ist es in doppelter Hinsicht, dass Euseb und die
von ihm benutzten und ausgezogenen älteren Schriftsteller nur von einer
Sekte der Phrygier (tfQvyf^p algetrig), von phrygisch Gesinnten {oi
xata (pQvyag) sprechen.
Um die Mitte des zweiten Jahrhunderts — näher kann der Zeitpunkt
nicht bestimmt werden — machte sich unter denjenigen, die sich damals in
und in der Nähe von Phrygien als Inspirirte ausgaben 0, ein gewisser Mon-
tanus, wahrschehüich ein ehemaliger Priester der Kybele 2) , der seit kurzer
Zeit zur christlichen Parthei übergetreten war, besonders bemerkhch^) zu-
nächst in Ardaban, einem Flecken (xo)fiT}) in Mysien, an der Grenze gegen
Phrygien hin, später in Pepuza in Phrygien (daher der Name Pepuzianei
bei Epiphanius). Wahrscheinlich in den Gemeindeversamnüungen selbst ge-
rieth er in Entzücken, in 'Ekstase, rühmte sich besondere übernatürliche
Oti'enbarungen vom Paraklet empfangen zu haben, vom Paraklat, als dessen
Organ er sich betrachtete. In räthselhaften , mystisclien Ausdrücken, von
den Zeitgenossen ^€vo(p(opiai genannt, kündigte er den durch die bis-
herigen Verfolgungen erschreckten Seelen neue Verfolgungen an und er-
mahnte zum unerschrockenen Bekenntnisse des Glaul)ens. Er verkündigte
die Strafgerichte Gottes über die Verfolger der Kirche, die nahe Wieder-
kunft Christi und die baldige Verwirklichung des tausendjährigen Reiches,
dessen Herrhchkeit er in anziehenden Bildern schilderte. Er stellte sich
auch dar als sittlich-religiöser Reformator. Durcli ihn sollte die Kirche zu
einer höheren Stufe der Vollkommenheit geführt, zu einer strengeren Sitt-
lichkeit in Grundsätzen und im Wandel geführt werden. Er berief sich auf
die Verheissung Christi, dass der Geist Dinge ottenbaren werde, die der Er-
löser seinen Jüngern noch nicht offenbaren konnte. Er glaubte auch berufen
zu sein, Aufschlüsse, betreuend die dogmatischen Zeitfragen, zu geben. Die
kathohsche Lehre, soweit sie zu seiner Zeit fest stand, grift' er aber nicht
an. Zwei Frauen, Maximilla und Priscilla (Prisca) schlössen sich ihm
an; sie wollten als Prophetinnen anerkannt sein. Der Priscilla erschien
der Herr, wie sie angab, in Gestalt eines Weibes, bekleidet mit glänzendem
1) Die Zusätze zu Tertullians de praescript. haeret. 1. 52 nennen Proclus und
Aescliines Eusebius 1. c. Alcibiades, Theodot, Alexander, Themiso, der spanische Bischof
Pacian nennt Blastus und Leucius Carinus als Stifter der Sekte.
2) Didymus de trinitate lib. DI. sagt, er sei früher ffQfv^ mfoyXov gewesen.
Hieron. 27 ad Marcellam nennt ihn abscissum et semivirnm.
3) Was wir mit Sicherheit daraus schliesscn , dass über ihn die ausführlichsten An-
gaben vorliegen.
Der Montanismus. 173
Gewände. ^^So angethan kam er, wie sie sagte, zu mir und goss Weisheit
in mich aus und lehrte mich, dieser Ort (nänüich Pepuza) sei heilig und hier
werde das himndische Jerusalem niedersteigen. ^^ Was nun durch Montanus
und seine schwärmerischen Begleiterinnen nur fragmentarisch in der Sprache
des Gefühls vorgetragen worden, wurde durch den Geist eines TertuUian
mit klarerem Bewusstsein aufgefasst und zu einem systematischen Ganzen
verarbeitet, wobei man sich aber hüten muss, alle Gedanken des durch
seine Geistesentwicklung viel bedeutenderen TertuUian dem ungebildeteren
Montanus beizulegen.
Das montanistische Offenbarungsprincip nahm von Anfang an die Form
der heidnischen Mantik an. Montanus erklärt sich darüber mit unzweideu-
tiger Otlenheit: „Siehe, der Mensch ist wie eine Leier, und ich (der Geist)
spiele darauf wie ein Plektron. Der Mensch schläft und ich wache. Siehe,
der Herr ist es, der die Herzen der Menschen in Entzücken versetzt (e^KTtct'
vüüu) und den Menschen ein Herz gibt;" „ich bin der Herr, der alhnächtige
Gott, der in dem Menschen Wohnung macht'' ^j. Der Mensch verhält sich
also zur Einwirkung des Geistes vollkommen leidend, so sehr, dass er das
Selbstbewusstsein verhert. Der Montanismus , der in anderer Beziehung dar-
auf ausging, das subjektive Element in sein Recht einzusetzen, fängt also
damit an, dass er die Subjektivität unterdrückt, freilich nur um eine desto
grössere Verherrlichung derselben vorzubereiten. In ähnUcher Weise spra-
chen sich die Begleiterinnen des Montanus aus. Sie beriefen sich auf Stellen
des alten und neuen Testaments, — dass der Herr eine extjxaaig (falsche
Uebersetzung der LXX Genesis 2, 21), auf Adam fallen liess. TertuUian be-
rief sich darauf, dass Petrus bei der Verklärung Christi nicht wusste, was
er sagte, nach Lukas 9^ 33, dass die grössere Menge der Menschen Gott
aus Träumen kennen lernt (de anima c. 47), und Anderes dergleichen. Da-
her konnnt TertuUian dazu, das montanistische Offenbarungsprincip so zu
fornuiliren: ^der Mensch, der unter dem Einflüsse des Geistes Gottes steht,
muss nothwendig das Bewusstsein verheren, sofern er von der göttlichen
Kraft überschattet wird" 2). Das war ein der bibUschen Offenbarung alten
und neuen Testaments durchaus widersprechendes, wahrhaft paganisches
Princii), welches, wenn man es hätte gewähren lassen, die bedauerlichsten
Verwüstungen hätte anrichten können. Die Montanisten selbst suchten die
Tragweite dieses Princips zu verringern, damit es weniger gefährlich er-
scheine, sei es, dass sie lehrten, wenigstens in einigen Punkten bringe der
Paraklet nichts Neues vor 3) , «ei er mehr restitutor als institutor , sei es,
dass sie erklärten , nach Montanus und seinen Begleiterinnen werde kein Pro-
phet noch Prophetin mehr auf Erden aufstehen, sondern das Ende kommen *).
1) Gewissermassen ähnUcli haben sich Justin M. und Athenagoias über die pro-
phetische Begeisterung ausgesprochen.
2y Homo in spiritu Bei constitutus necesse est excidat sensu, obumbratus virtute di-
vina. adv. Marcioncra 4, 22. Ebendaselbst sagt er: in causa novae prophctiae gratiae ecs-
tasin i. e. amentiam con venire.
o) Nihil novi paraclotus inducit. TertuUian de monogaraia c. o hat im Sinne die
Enthaltung von der Ehe.
4) Maximilla sagte: ^n' f/^iov nQotprjTig /ufjxfrt ecrai akka cv^reketa.
174 • Erste Periode des alten Katliolicismus.
Sie priesen den sich ihnen oHenbarenden Paralclet als den Führer in alle
Wahrheit.
Die christliche Sitte war das nächste Feld der Bethtltiji;ung des Mon-
tanismus. Grundsatz war, dass jeniehr die Welt ihrem Ende entgegen geht
Ccollectiore tempore, sub cxtremitatibus temporum), um so weniger die Schwach-
heit des Fleisches geschont werden solle, und so wie die Sünden der Men-
schen vor allem libido und gula betreffen, so wurden die strengsten Aus-
sprüche dagegen gerichtet, daher das strenge Fasten, (Xeropliagiae), wie
es die Asketen übten, zum Gesetz gemacht, daher das Fasten auch an deii
dies stationum (wovon später) vorgeschrieben, daher unbedingtes Verbot der
zweiten Ehe, übertriebene Werthschätzung des ehelosen Lebens und ent-
schiedene Geringschätzung der Ehe , von der gesagt wird , dass sie von der
Hurerei nicht wesentlich verschieden sei ^). Namentlich für die Geistlichen
und die Gültigkeit ihrer Verwaltung der Sacramente ist der Coelibat von we-
sentlicher Bedeutung 2j.
Derselbe übertriebene Rigorismus zeigt sich in dem unbedingten Ver-
bote, sich durch die Flucht der Verfolgung zu entziehen; ^wünscht nicht in
euren Betten zu sterben, sondern als Märtyrer, auf dass derjenige verherr-
licht werde, der für euch gelitten hat,'^ das ist auch eine der Offenbarungen
des Paraklet, deren Montanus sich rühmte.
Aus denselben Offenbarungen ergab sich für diejenigen, die sich daran
hielten, ein eigenthündiches Verhältniss zum Christenthum , zur Kirche, zur
Kirchenverfassung, zur Kirchenzucht. Obwohl die Montanisten anerkennen,
dass sie mit der Gesammtkirche denselben Glauben, dieselben Sacramente ha-
ben , so sehen sie sich doch als solche an , welche den realisirten Begriff' der
Kirche innerhalb des katholischen Ganzen darstellen, als die Gemeinde des
Geistes, die aus erleuchteten Christen, aus geheiligten ^litgliedern zusammen-
gesetzt ist. Sie sind die wahrhaft geistlichen Menschen, die Pneuma-
tik er, im Unterschiede von den Psychikern, die nach 1 Kor. 2, 14 den
Geist nicht empfangen 3), Anhänger der Bischöfe, Gegner des Geistes, Men-
schen der blosen Seele {im Gegensatz vom nvev^a) und des Fleisches, so
dass bei solchen Ansichten das Bewusstsein der Zusannnengehörigkeit mit
den übrigen kathohschen Christen , die Anerkennung der katholischen Kirche
als der Kirche Christi dem TertuUian bisweilen fast abhanden kam.
Aus denselben Offenbarungen des Geistes, wie sie regellos bald in die-
sem, bald in jenem hervorquellen, aus der an alle Gläubigen in gleicher
Weise ergehenden Forderung vollkommener Heihgkeit ergab sich ferner, dass
von einem eigenen, mit den götthchen Dingen betrauten Stande nicht mehr
1) TertuUian de exhortatione castitatis c. 1 ijtsae (nuptiae) ex eo constant, quod
est stuprum.
2) Diess liegt schon in der Stelle de exbortat. castitatis c. 7, — deutlicher noch in
den der Priscilla zugeschriebenen Worten: quod sanctus (eheloser) minister sanctinioniam
noverit ministrare. Purificantia enim concordat, d. h. denn die Reinigung (die Virgini-
tät) verbindet den Menschen mit dem Heiligen.
3) Non recipientes spiritum. (Tert. de monogamia c. 1). So nennt er auch den Glau-
ben der Psychiker eine fides animalis.
Der Montanismus. 175
die Rede sein konnte. Die Idee des allgemeinen Priesterthums wird ge-
braucht als Angriffswalle gegen den geistlichen Stand, gegen die Bischöfe
zumal. „Wenn es gilt, sagt TertuUian, uns gegen den Klerus zu erheben,
sind wir alle eins, dann sind wir alle Priester, weil der Herr uns Gott und
dem Vater zu' Priestern gemacht hat,*^ (Apokalypse 1, 6. 5, 10). Jeder Christ
steht daher in gleichem Verhältniss zu der Disciplin, so dass z. B. das Ge-
bot tler Monogamie für die Bischöfe nicht mehr gilt als für die Laien. Auch
der Laie, sofern er sich vom Geiste leiten lässt, hat die Befugniss , die Sacra-
mente auszutheilen , und wenn er die Ausübung dieses Rechts den Bischöfen
überlässt, so thut er dies nur nach menschlichem, nicht nach göttlichem
Recht (propter ecclesiae honorem). Den Unterschied zwischen Klerus und
Volk hat lediglich die Autorität der Kirche festgesetzt (de exhortat. cast. c. 7),
der Kirche , die eigentlich nicht die wahre , dem Begriff entsprechende Kirche
ist, „Denn die Kirche ist eigentlich und hauptsächlich der
Geist; dieser ist es, der diejenige Kirche sammelt, welche der Herr auch
aus dreien bestehend erklärt hat." Die kirchlichen Befugnisse hat und übt
daher nur die Kirche des Geistes durch geistliche Menschen, nicht die
Kirche , die aus einer Anzahl von Bischöfen besteht (de piidicitia c. 21) i).
Jene Kirche allein, sie, deren I^ischcife und Gesetzgeber die Schüler des Pa-
raklet sind, kann Sünden vergeben, aber sie thut es nicht, um die Leute nicht
zur Sünde zu verleiten 2).
Wie das montanistische Offenbarungsprincip eine völlige Umgestaltung der
Kirchenverfassung, eine Art von Auflösung derselben in sich schloss, so musste,
wo jenes Princip Geltung fand , auch eine gewisse Umgestaltung der Kirchen-
zuclit erfolgen. Dass es Sünden gebe, wofür der Mensch durch Busse Ver-
gebung erlangen könne, (hirin stimmten die Montanisten mit den Katholiken
überein. Davon unterschied man solche Sünden, welche den ganzen Grund
des Christentliums umstossen, und welche zu vergeben die Kirche keine Be-
fugniss hat; auch darin waren die Montanisten mit den Katholiken einig. Un-
ter diesen Sünden, den eigentlichen Todsünden verstand man in der ka-
tholisclien Kirche Gcitzendienst und Mord; ndt dieser Beschränkung der Tod-
sünden waren aber die Montanisten nicht einverstanden ; sie wollten die ttoq-
reia und fiotxeta aucli unter die Todsünden gerechnet wissen. Ihr Wider-
spruch wurde [)esonders hiut, als Bischof Zephyrinus von Rom erklärte, solche
Sünder, nachdem sie Busse geleistet, in die christliche Gemeinschaft wieder
aufnelimcMi zu wollen. In dem darob entbrannten Streite handelte es sich
niclit darum, ob solche Sünder nicht noch lUisse thun und Vergebung erlan-
gen könnten, sondern ob die Kirche die Befugniss habe, sie wieder aufzu-
nehmen; das erste läugneten die Montanisten durchaus nicht unbedingt, aber
sie meinten, das müsse man Gott anheimstellen; das zweite wollten sie in
keiner Weise zugeben. Denn das widersprach ihrem Begriffe von der Heilig-
keit der Kirche.
1) Non ecclcsia numerus episcoporum.
2) Ausspruch eines montanistischen Propheten bei Tert. de pudic. c. 21: potest ec-
clesia donare delictum, sed non faciam, ne et alia delinquant.
176 Erste Periode des alten Katliolicismus.
So sollten denn die kirchlichen Einrichtungen nach dem Bedürfnisse
der Zeit durch die fortlaufenden Belehrungen des Paraklet verändert und
vervollkommnet werden. Er kann abändern, was Paulus noch zugelassen i).
Er ist auch au keine in der Kirche herrschende Gewohnlioit gebunden.
„Denn unser Herr Christus nannte sich die Wahrheit, nicht die Gewohnheit.
Die Häresien widerlegt nicht sowohl ihre Neuheit als die Wahrlieit. Was
wider die Wahrheit streitet, das ist für uns Häresis, auch die alte Gewohn-
heit^^ (de virg. vel. c. 1). TertuUian macht liier das Gesetz der allmälichea
Entwicklung in der Natur geltend und wendet es auf die Entwicklung der
bibhschen OÜ'enbarung an.
^^Sieli doch, wie ein Naturgewächs sich nach und nach zur Frucht
entwickelt, zuerst das Samenkorn, aus dem Samenkorn wird ein Straucli
u. s. w. So auch die Gerechtigkeit. In ihren ersten Anfängen war si(;
die sich selbst überlassene, Gott fürchtende Natur, dann schritt sie durch
Gesetz und Propheten zur Kindlieit fort, durch das Evangelium erhielt si(5
ihre feurige Jugendkraft, durch den Paraklet bildet sie sich nun zur Reife
aus.'^ Hier gerieth der Montanisnuis freilich an einen gefährlichen Punkt
Ist nänüich jetzt die Periode des Paraklet, so folgt, dass die Apostel den
Paraklet nicht hatten. Dazu stinnnt, was wir oben anführten , dass der Para-
klet abschafft, was Paulus angeordnet, dass die Herrscliaft des Paraklet in
der nachapostohschen Zeit beginnt, dass die Zeit der Apostel sich als Ju-
gendperiode von der Zeit der männhchen Reife, im Montanisnuis erreicht, un-
terscheidet. Die Montanisten behalfen sieh in dieser Verlegenheit, um nicht
in zu evidenten Widerspruch mit sich selbst zu gerathen, mit der Unter-
scheidung zwischen dem in den Aposteln wirksamen lieiligen Geist und dem
Paraklet in Montan und den Seinen. Mit Recht haben aber die späteren
Häreseologen , selbst Augustin (Häresis 26) diesen Unterschied nicht gelten
lassen. So entspricht der Ausgang des Montanisnuis seinem Anfange. Ist er
in seinem Ursprünge von der Linie der Schrift abgewichen, so kann man
sich nicht wundern, dass er auch in seinem Ausgange davon abweicht.
Es war von vornherein zu erwarten, dass eine Erscheinung wie der
Montanismus grosse Aufregung verursachen, theils begeisterte Anhänger,
theils entschiedene und heftige Gegner linden würde. Was dem Montanis-
mus Anhänger zuführte und erhielt , war der schwärmerische Charakter des-
selben, ein gewisser geistUcher Stolz, ein gewisses Unbeliagen mit dem sich
consolidirenden Episkopat, so wie auch ein ^gewisser sittlicher Rigorismus,
der davon ausging dass das christliche Leben hinter seinem Ideale gar zu
weit zurückbleibe. Dazu kam bei vielen vielleicht auch die Furcht v(U* den
das Christenthum verllüchtigenden Speculationen der Gnostiker. Die Anzahl
derjenigen, die sich bei dem ersten Auttreten des Montanus hatten verführen
lassen, niuss nicht so gering gewesen sein, wie der anonyme Verfasser einer
Gegenschrift bei Euseb. 5, 16 es angibt. Hatte doch derselbe anonyme Ver-
fasser die. Gemeinde von Ancyra in Galatien von der neuen Prophetie über-
täubt gefunden. Unter den Gegnern in Kleinasien sind besonders zu nennen
1) Si Christus abstulit, quod Moyses praecepit, cur uon paracletus abstaiorit, quod
Paulus indulsit? de monogamia c. 14.
Der Montanismus. 177
Claudius Apollinaris, Bischof von Hierapolis in Phrygien, Miltiades,
der eigens gegen das Offenbarungsprincip der Montanisten schrieb, sodann der
schon genannte Anonymus, welcher höchst ungünstige Dinge über den Ausgang
des Montanus und seiner Begleiterinen, sowie des Theodotus, berichtet, Dinge,
von denen er selbst nicht zu behaupten wagt, dass sie der Wahrheit ent-
sprechen, derselbe, der auch die Inspiration, deren sie sich rühmten, für
etwas Dämonisches ansah. — Ihre heftigsten Gegner sind die sogenannten
Aloger. Dass die Montanisten, wie der genannte Anonymus berichtet, schon
um die Mitte des zweiten Jahrhunderts in Kleinasien aus der Kirche aus-
gestossen wurden, ist kaum glauWich. Es scheint, dass die Initiative, aus
der Kirche auszuscheiden, nach einiger Zeit, als sie durch den Widerspruch,
den sie erfuhren, in ihrer Ansicht sich versteift hatten, von ihnen selber aus-
ging. In Rom fand der Montanismus bei Vielen Anklang, wie die novatia-
nische Bewegung es beweist. Selbst ein römischer Bischof, wahrscheinlich
Eleutherus 170 — 185, war im Begriffe, wie Tertullian berichtet, die monta-
nistischen Propheten anzuerkennen, — doch gewiss in höchst bedingter
Weise — , als er durch Praxeas davon abgehalten wurde. Eleutherus war zu
einem milderen Urtheil über die Montanisten bewogen worden durch einen
Brief der Gemeinde in Lyon, in welcher viele Montanistisch -gesinnte aus
Phrygien sich befanden. Der Brief, vom Presbyter Irenäus überbracht, so
wie auch wahrscheinlich von ihm verfasst, scheint das Gewicht der Streit-
punkte zwischen den Kathohken und den Montanisten herabgesetzt, manche
übertriebene Beschuldigung derselben widerlegt und die christliche Eintracht
mit denselben empfohlen zu haben. Praxeas brachte Eleutherus auf andere
Gedanken, theils durch die Berufung auf das Verfahren der Vorgänger
Anicet und Soter, theils durch ungünstige Schilderung der montanistischen
Gemeinden. Irenäus selbst scheint bald von seinem milderen Urtheile über
den Moutanisnuis zurückgekommen zq sein, obgleich er nicht dahin kam,
mit den extremen Antimontanisten alle aussergewölmUchen Erscheinungen
der neuen Prophetie zu verwerfen (adv. haer. 3, 11. 9). Er bekämpfte den
Montanismus in der Schrift gegen Blastus nsQi (TxKTficctog^ welcher (nach
Euseb. 5, 14. 15), wahrscheinlich zu den Montanisten gehörte. In Africa
waren schon vor dem entschiedenen Auftreten Tertullian's Grundsätze und
Bestrebungen vorhanden, offenbar gleichlautend mit denen der Montani-
sten , wie die Mäityreracten von Perpetua und Fehcitas es deutlich beweisen.
Die beiden edlen Märtyrerinen dachten nicht an eine Trennung von der Kirche,
wurden auch wegen ihrer montanistischen Richtung nicht beunruhigt, und wer-
den bis auf den heutigen Tag in der katholischen Kirche als Heilige verehrt.
TertuUian vertrat den seiner Eigenthümlichkeit zusagenden Montanismus mit
aller Kraft seines originellen, ideenreichen Geistes und vertiefte sich immer
mehr in dieser Richtung. Wenn er früher noch Eine Busse nach der Taufe
gestattet hatte (de poenit. c. 7 fg.) , verwarf er sie nun (de pudic. c. 16),
wenn er früher die Flucht bei der Verfolgung erlaubt hatte (ad uxorem
c. 3) , verwarf er sie nun und schrieb eine eigene Schrift dagegen (de fuga
in persecutione'). Es nuiss sich eine montanistische Gemeinde in Carthago
gebildet haben, die den Namen der Tertullianisten erhielt und zur Zeit
Augustins (de haeresibus c. 86) zur katholischen Kirche zurückkehrte. Der
Herzog, Kirchenyeschichte I. 12
178 ISrste Periode des alten Katholicismua.
Montanismus wurde dem Namen nach im Occideute verworfen, aber es
erhielten sich montanistische Grundsätze und TertuUian's Schriften blieben in
Ansehen. Cyprian nährte sich aus ihnen. Aber selbst der gewaltig^e Geist
eines Tertulhan vermochte nicht, dem Montanismus als solchem eine sieg-
reiche Bahn zu eröffnen.
Von wesentlicher Bedeutung ist die indirecte Einwirkung des Monta-
nismus auf die katholische 'Kirche. So darf man wohl behaupten, dass das
Zurücktreten des allgemeinen Priesterthums und die Feststellung des gottes-
diensthchen Charakters des Klerus als Gegenwirkung gegen den Montanis-
mus erfolgten. Insofern der Montanismus alle Einrichtungen verwarf, welche
zur äusseren Einheit und Ordnung der Kirche nothwendig waren, sie als
Concessionen an das Princip der Welt verwarf, beki'äftigte er indirect des Ii'enäi.s
Bestreben, den Abschluss der katholischen Kirche durch feste bischöfliche
Verfassung zu verstärken. Was der Montanismus an seinen Führern und
Propheten hatte, das sollte durch eine geordnete, von Amtswegen im Besitze
des heihgen Geistes befindhche Hierarchie ersetzt und dadurch das monta-
nistische Princip als überflüssig und falsch erwiesen werden (Ziegler S. 284^.
Der Episcopat gestaltete sich so zu einer Reaction gegen den Montanismus
wie gegen die Gnosis, so wie der Montanismus eine Reaction gegen den Epis-
copat war. Der Montanismus musste nothwendig auch auf den katholischen
Kirchenbegriff eine Rückwirkung üben. Der montanistische Grundsatz, dass
die Heiligkeit der Kirche in der gesetzhchen Strenge ihrer Mitglieder wurzle,
trieb zum anderen Grundsatze hin, dass die Heihgkeit der Kirche lediglich vom
Besitze der Sacramente abhänge. So kam der Satz zur Geltung, dass die-
empirische kathoüsche Kirche mit ihrem Begriffe identisch sei, während dei'
Montanismus mit seinen gesteigerten Anforderungen an die Mitglieder dei
Kuxhe zuletzt die Bildung des Begriffs der sichtbaren und unsichtbaren
Kirche vorbereitete.
2) Kirchenspaltung des Felicissimus in Carthago.i).
Dass in der heftigen Decischen Verfolgung, welche nach langer Ruhe
die Christen in einem Zustande der Erschlaffung übeiTaschte, Viele in ver-
schiedenen Formen den Glauben verläugneten , davon ist in der Geschichte
der Verfolgungen die Rede gewesen. In dem Sprengel des Bischofs Cy-
prian us von Caithago, der während der Verfolgung die Flucht ergritten,
entstanden bei diesem Anlasse bedenkliche Um'uhen. Die Märtyrer miss-_
brauchten ihr altes Vorrecht, die Gefallenen zur Wiederaufnahme in diej
Kirche zu empfehlen, wobei immer vorausgesetzt wurde, dass diese zuvor'
Busse gethan, und dass Bischof, Klerus und Volk die eigenthche Entscheid-
ung gaben. Nun aber erhessen die Märtyrer viele sogenannte lihelli pacis
in gebieterischem Tone abgefasst : communicet ille cum suis. Darauf fussend
zwangen einige lapsi mehrere Geistliche , sie ohne weiteres in die Kirche
wieder aufzunehmen. Mit den Märtyrern und diesen lapsi machte gemein--
schaftliche Sache ein Theil des Klerus in Carthago, der sich schon der Wahl
des Cyprian zum Bischof widersetzt hatte. Dieser, sich gründend auf die
vorher entwickelten Grundsätze, widersetzte sich aufs eifrigste solchem Ver-
1) S. Cypr. epist. 38—40. 42. 55.
Dag novatianische Schisma. I79
fahren. Dadurch wurde die Partei der Missvergnügten, an deren Spitze der
Diakonus Felicissimus stand, nur noch gereizter. Nach der Eückkehr.
des Cyprian im Jahre 251 wurden sie excommunizirt und wählten den For-
tunatus zum Bischof, einen jener alten Gegner Cyprian's; sie bestanden
aber nicht lange. Sie hatten zwar die bischöfliche Gewalt an sich nicht ab-
zuschauen gesucht, aber die Einheit derselben durchbrochen durch die eigen-
mächtige Aufstellung eines Gegenbischofs.
3) Das novatianische Schisma in Romi).
In diesem Theile der Kirche traten die Gegensätze der milderen und
strengeren Handhabung der Kirchenzucht mit besonderer Intensität hervor,
einander gegenseitig verstärkend, wobei jedoch zu beachten ist, dass die
Anhänger der strengeren Richtung nicht soweit giengen, denjenigen, welchen
sie die Wiederaufnahme in die Kirche verweigerten, die Hoffnung der Selig-
keit abzusprechen. Ihr Grundsatz war, man müsse sie zur Busse ermahnen
und sie der göttlichen Bannherzigkeit empfehlen. Die Vergebung ihrer
Sünden müsse man dem Gott anheimstellen, der allein die Macht habe, die
Sünden zu vergeben. Dieselbe Partei stellte den Grundsatz auf, dass eine
Kirche, welche die in Götzendienst und andere Todsünden Gefallenen wieder
aufnehme, den Charakter und die Rechte der wahren Karche verliere, inso-
fern Reinheit und Heiligkeit ein wesentliches Merkmal der wahren Kirche seien
(Sokrates K. G. 4, 28). In Festhaltung dieses Grundsatzes tauften sie sogar
die zu ihnen übertretenden Katholiken aufs neue. Sie nannten sich in den
Schreiben, die sie an griechische Gemeinden richteten, die Reinen, oi xa-
^agoi 2), und ihre Geistlichen trugen wenigstens später weisse Kleider als
Symbol der inneren Reinheit (Sokrates K. G. 6, 22).
An der Spitze dieser Partei stand der vorhin schon als Schriftsteller
erwähnte römische Presbyter Novatianus, von Euseb. 6, 43 irrigerweise
Novatus genannt, von seinem Gegner Cornelius zwar in den schwärzesten
Farben geschildert, doch ein redlicher Mensch von strenger Denkart, ein
christhcher Ascete, deswegen in Ansehen stehend, aber nicht von gehöriger
Festigkeit des Charakters. Es gesellte sich zu ihm der carthagische Pres-
byter Novatus, einer der Gegner des Cyprian in Carthago, Theilnehmer am
Schisma des Felicissimus und in Folge dessen nach Rom gekommen, ein
unruhiger Mann, von dem man glauben könnte, dass er sich widersprechende
Handlungsweise erlaubte, wenn es galt, Unruhen zu erregen und sich selbst
geltend zu macheu 3). Indess er in Carthago der Partei derjenigen ergeben
gewesen, welche die laxeren Gnmdsätze vertheidigten, trat er in Rom als Ver-
1) S. Cypr. epist. 41—52. Der Brief des Cornelius an B. Fabius v. Ant. bei Eus.
6, 43. Brief des Dionys. v. Alex, an Novatian, Eus. 6, 45, und an Dionys. von Eom,
7, 8. — Ein Vorläufer dieser Bewegung war die Gemeinde, die sich um Hippolytus ge-
sammelt hatte. S. oben S. 127.
2) Daher spricht auch das Concil von Nicea im achten Kanon 71€qi zcou opofxa-
Covrtav httvrovg Ka&agovg.
3) Doch vielleicht hatte er aus Unzufriedenheit mit seiner Partei Carthago ver-
lassen.
12*
jgQ Erste Periode des alten Katliolicismus.
theidiger der strengen, montanistischen Grundsätze auf. Die Partei, die
solche aufgestellt, zerfiel 251 mit dem neuerwählten Bischof Cornelius, gegen
den sie die zwei Anklagen erhob, dass er die Gefallenen in die Kirche wie-
der aufnehme und überdiess ein libellaticus sei. Obgleich Novatus die thätige
Seele der Partei war, so wurde doch Novatianus, der einen sehr guten Ruf
hatte, der als römischer Presbyter grosse Autorität ausüben konnte, der
übrigens jene strengen Grundsätze mit ganzer Seele sich angeeignet hatte,
vorgeschoben und, wie er selbst bezeugte, wider seinen Willen zum Biscliof
gemacht ^). Die Novatianer suchten und fanden bei anderen Bischöfen An-
erkennung. Als sie sich nach Carthago gewendet, trat ihnen Cyprian, der
früher ähnUche Grundsätze gehegt hatte, schroff entgegen und zeigte sich
als der eifrigste Vertheidiger des Cornelius. Er erklärte sich gegen die
absolute Ausschhessung der Gefallenen aus der Kirche, gegen die darauf
gegründete Forderung der Reinheit der Kirche, in welcher das Unkraut mit
dem Weizen vermischt sei, und stellte bei diesem Anlasse so wie bei Anlass
des Schismas des Fehcissimus seine Theorie von der Einheit der Kirche auf.
Obwohl er Alles anwendete, um recht viele Bischöfe gegen die Novatianer zu
stimmen, erhielten sie sich noch lange. Constantin der Grosse und das
nicänische Consil liessen sie gewähren. Einer ihrer Bischöfe, der die Ai-
sicht des Athanasius theilte, war ein Mitglied des Concils von Nicäa unl
durfte ungestraft den eigenthümhchen Grundsatz seiner Partei über die ab-
solute Excommunication aussprechen (Sokr. K. G. 1, 10). In Phrygien ver-
einigten sich die Novatianer mit den Ueberresten der Montanisten.
4) Schisma zwischen der afrikanischen und der römischen
Kirche über die Taufe der Häretiker.
Diese Spaltung läuft zuletzt auf eine dogmatische Streitfrage hinaus,
sie verschlingt sich aber auch in eine Frage, die Kirchenverfassung betref-
fend. Denn es handelte sich dabei um Zurückweisung der Ansprüche des
römischen Bischofs auf den Primat. Diese Ansprüche sind anzusehen als
Reaction gegen die durch die grosse Mehrheit der Bischöfe erstrebte Art
der Einheit der Kirche, welche die Oberherrschaft einer einzelnen Kirche
schlechterdings ausschloss.
In Afrika, Aegypten, Syi'ien und Kleinasien bestand die Sitte, die
Häretiker, die von Häretikern getauft worden, bei ihi'em Eintritt in die
kathohsche Kirche wieder zu taufen, d. h. die durch Häretiker ertheilte
Taufe als nichtig zu betrachten und ihnen nun erst die wahre Taufe zu
ertheilen, keine Wiedertaufe. In Afrika wenigstens war aber diese Sitte
nicht alt,^ sondern ziemhch neuen Ursprunges. Cyprian (ep. 73) datirt sie
von den Zeiten des Bischof Agrippinus her, um das Jahr 220. Damals war
auf einem Concile von Carthago die Sitte angenommen worden. Noch später
1) Cornelius in dem angeführten Schreiben an Fabius stellt die Sache so dar, als
ob Novatian lediglich aus Ehrgeiz gehandelt und sich eigenmächtig vorgedrängt habe.
Novatian selbst sagte, er sei axMv vorwärts getrieben worden j das hält ihm Dionysius
im angeführten Schreiben vor.
Schisma über die Taufe der Häretiker. 1$1
geschah diess in Kleinasien auf den Concilien von Iconium und Synnada im
Jahre 235 (Cypr. ep. 75, Brief des Firmilian). Cyprian und Firmilian, Bi-
schof von Cäsarea in Kappadocien erkennen sehr wohl, dass die Sitte die
consuetudo gegen sich habe.
Sie gab Anstoss, seit dem die Novatianer ebenfalls die zu ihrer Sekte
üebertretenden zu taufen anfingen. Es wurden darüber in Afrika zwei Kir-
chenversammlungen gehalten, welche durch den überwiegenden Einfluss Cy-
prian's geleitet, sich für die Taufe der Häretiker erklärten (255. 256). Der
Bischof ging nämlich von dem Gesichtspunkte aus, dass die von Häretikern
ertheilte Taufe völlig ungültig sei, dass die Häretiker den heiligen Geist,
um den es sich ja in der Taufe handle, nicht geben könnten, weil sie selbst
ihn nicht besässen. Es gebe nur Eine Taufe, wie es nur Einen Glauben^
nur Eine Hoffnung gebe, und diess sei allein in der Kirche zu finden; das
habe nichts zu sagen, dass die Novatianer die zu ihnen Üebertretenden
taufen, da es ihn nichts angehe, was die Feinde der Kirche thun. So wie
die Affen die Menschen nachahmen, so wolle Novatian die Auctorität der
Kirche und die Wahrheit nachäffen (ep. 70 — 73). Gemäss der kirchhchen
Sitte der gegenseitigen Mittheilung der Synodalbeschlüsse, überdiess geleitet
durch das Bestreben, eine Uebereinstimmung mit Rom zu Stande zu bringen,
theilte die zweite jener carthagischen Synoden vom Jahre 256 dem römischen
Bischof Stephanus ihre Beschlüsse mit. Cyprian bemerkte im Begleitschrei-
ben , dass Einige andere Ansichten hätten , dass sie übrigens Niemandem ein
Gesetz vorschreiben wollten, da jeder Bischof für seine Person verantwort-
lich sei, worauf Stephanus in stolzen Ausdrücken den Afrikanern seine
Verwunderung zu erkennen gab. ;,Es solle keine Neuerung vorgenommen
werden, sie sei denn in der Tradition begründet ^), so dass dem, der von
der Häresis zur katholischen Kirche kommt, die Hände aufgelegt werden
als einem Büssenden (ad poenitentiam)" . Es wurden bei diesem Anlasse
heftige Briefe zwischen den beiden Männern gewechselt. Cyprian beschuldigte
den römischen Bischof, dass er nicht zur Sache Gehöriges , sich selbst Wider-
sprechendes ohne Verstand vorgebracht habe, dazu bemerkte er,'dass es eine eitle
Hartnäckigkeit sei, die menschliche Tradition der göttlichen Anordnung vorzu-
ziehen, dass die Gewohnheit • ohne die Wahrheit nur ein alter Irrthum sei 2),
woraus aufs neue hervorgeht, dass die Taufe der Häretiker nicht von Anfang
bestanden. Stephanus wurde auch beleidigend; er nannte Cyprian einen
PseudoChrist, falschen Apostel, betriigerischen Arbeiter (ep. 75). Darauf
hob derselbe die lürchengemeinschaft mit der afrikanischen Kirche auf.
Eine dritte Synode in Carthago (1. Sept. 256), in derselben Angelegenheit
versammelt, bestätigte den Gebrauch der Ketzertaufe, unbekümmert um die
Excomnmnication des römischen Bischofs. Bischof Firmilianus bezeugte dem
Bischof von Carthago in einem bereits angeführten langen Briefe (ep. 75 in
der Briefsammlung des Cyprian) die volle Einstimmung der Kirchen seiner
Provinz. Das Schreiben enthält die stärksten Beschuldigungen gegen Ste-
phanus. Es wird ihm Thorheit (stultitia) vorgeworfen, dass er sich rühme,
1) Nihil innovetur, nisi quod traditum est.
2) Consuetudo sine veritate vetustas erroris est ep. 74.
Jgg jferste Periode des alten Katholicismus.
Petri Nachfolger zu sein, dass er die grosse Sünde begangen, sich von so
vielen Gemeinden zu trennen. ;,Du hast dich selbst losgerissen, täusche
dich nicht darüber ,'' so redet er den römischen Bischof an, „denn der ist
der wahre Schismatiker, der die Gemeinschaft der kirchhchen Einheit auf-
gibt. Ja, du bist ärger als alle Häeretiker, da du den Häretikern, die
zur Kirche zurückkehren, die Vergebung der Sünden entziehst, indem du
ihnen die Taufe verweigerst^^ ^). Auch Dionysius von Alexandrien sprach sich
in einem Schreiben an Sixt. IL, Nachfolger des Stephanus (bei Euseb. 7, 5)
missbilligend aus über Stephanus und beistimmend der Ansicht der Afrika-
2ier. — Was war das Ende des heftigen Streites? Dass die Ansicht des
römischen Bischofs obsiegte, und zwar mit Recht. Der Kirchenfriede wurde
wieder hergestellt auf Grund des Votums eines afrikanischen Bischofs auf der
Synode von Carthago vom Jahre 256, dass, wenn der übeltretende Häreti-
ker auf die Dreieinigkeit getauft worden, er nicht wieder getauft werden
solle, sondern blos die HandauÜegung empfangen, — zum Zeichen der
Aussöhnung mit der Kirche. Das war aber eigentlich des Stephanus Mein-
ung, der immer vorausgesetzt hatte, dass die Häretiker die Taufe auf den
Namen des dreieiuigen Gottes vollzögen ; daher er nur unter dieser Bedingung
die von ihnen eitheilte Taufe als gültig erklärte.
5) Meletianische Spaltung in Aegypten.
Meletius, Bischof von Lykopolis in Oberägypten, von strengen Buss-
gruudsätzen ausgehend, wollte die in der diocletianischen Verfolgung Abge-
fallenen nicht vor Herstellung der Ruhe aufgenommen wissen. Ihm stand
entgegen sein Metropoht, Bischof Petrus von Alexandrien, daher Meletius
sich von ihm trennte und in den ihm anhängenden Gemeinden die Metro-
politan - Geschäfte übernahm. Die Spaltung dauerte ül)er ein Jahrhun-
dert fort und gewann viele Anhänger 2). Endlich üillen in diese Periode
die allerersten Anfänge der donatistischen Spaltung, die wir im Ziisam-
sammenhang mit der späteren Entwicklung in der zweiten Periode des Ka-
tholicismus behandeln werden.
1) Dieser dem römischen Stuhle höchst unangenehme Brief wurde in der Ausgabe
von Cyprian's Werken vom Jahr 1563 mitAbsiclit ausgelassen und zuerst in der Ausgabe
von Morellius vom Jahr 1564 mitgetheilt, worüber der Herausgeber von den eigenen
Keligionsgenossen scharf getadelt wurde.
2) S. Epiphan. haeresis 68.
183
Sechster Abschnitt.
Geschichte des Cultus und der Sitte in der katholischen
Kirche.
Bis dahin haben wir in den Vorhallen der christlichen Religion ver-
weilt. Jetzt aber betreten wir das Heiligthum derselben. Auch auf diesem
Gebiete können wir die Herausbildung des KathoHschen verfolgen, des Alt-
katholischen, wie wir es nennen können, das zwar in wichtigen Beziehungen
sich vom späteren Kathohschen unterscheidet, aber dasselbe in eben so
wichtigen Beziehungen heranwachsen lässt.
Erstes CapiteK Geschichte des Cultus ^).
Zwei Hauptgrundsätze beherrschen die Ausbildung des kathohschen
Cultus, entsprechend den beiden Gegensätzen, innerhalb welcher sich die
kirchliche Entwicklung bewegte, nämhch erstens die Polemik gegen das
Heidenthum, sodann diejenige gegen die Häresis. Die Polemik gegen das
Heidenthum verband sich mit der Anschliessung an den Synagogencultus und
trat hervor im Vorherrschen des didaktischen Elementes, in der starken
Abneigung gegen Alles, was an die sinnlichen, äusserlichen Formen des
Heidenthums, an Bilder, an Bildercultus und Opfercultus erinnerte. Den
Heiden, die auch um deswillen die Christen mit Vorwürfen überhäuften,
bUeben die Apologeten die Antwort nicht schuldig. So Octavius bei Mi-
uucius Felix: „Glaubt ihi*, dass wir die Gegenstände unserer Verehrung
verbergen, weil wir keine Heiligthümer (delubra) und Altäre haben? Was
für ein Bild von Gott sollen wii* erdichten, da eigenthch der Mensch selbst
Gottes Bild ist? Soll ich ihm einen Tempel erbauen, da doch die ganze
Welt, von ihm geschaffen, ihn nicht zu fassen vermag? Soll ich ihm als
Opfer darbringen, was er mii' zu meinem Gebrauche gegeben, so dass ich
seine Geschenke ihm wieder vor die Füsse werfe? Das wäre ein Beweis
von Undankbarkeit. Keine Gesinnung, reines Gewissen, das ist ein Gott
angenehmes Opfer. — Wer sich der Schuldlosigkeit befleisst, der liehet zu
Gott. Wer Gerechtigkeit übt, der bringt Gott ein Trankopfer dar. Wer
sich des Betruges enthält, der macht sich Gott geneigt. Das sind unsere
Opfer, das sind Gottes Heihgthümer. Den Gott aber, den wir verehren,
zeigen wir nicht noch sehen wir ihn.'^ Auf ähnhche Weise eifert Lactanz
gegen das heidnische Gepränge und spricht den grossartigen Gedanken aus.
1) S. Augusti, Denkwürdigkeiten aus der christlichen Archäologie 12 Bde. 1816
— 31. — Derselbe, Handbuch der christlichen Archäologie in 3 Bänden. — Ehein-
wald, kirchliclie Archäologie. — H. Alt, der christliche Cultus historisch dargestellt
1851 u. ff. — Guericke, Lehrbuch der christlich - kirchlichen Archäologie 1859. —
Piper, Einleitung in die monumentale Theologie 1867.
184 Erste Periode des alten Katholicismus.
dass, nachdem Gott im Fleische erschienen, wir keines Bildes von ihm be-
dürfen 1). Einige gebildete Römer mochten sich durch den bilderlosen Cul-
tus der altkatholischen Kirche angezogen fühlen. Denn er war eine that-
sächliche Rückkehr zur altrömischen Einfachheit 2). Aehnlich wie Lactanz
antwortet Ai^nobius (adv. gentes lib. 6) auf die Vorwürfe der Heiden, be-
treffend den katholischen Gottesdienst. Er widerlegt auch die Rehauptung
der Heiden, dass die Bilder zum Unterrichte des Volkes dienen und die
Bücher ersetzen. Wenn man diese und andere Apologeten dieser Zeit liest,
wird man an die Polemik der reformatorischen Schriftsteller des sechzehn-
ten Jahrhunderts gegen den Bilder- und Opfercultus erinnert, der im Laufe
der Zeit die katholische Kirche überwuchert hatte. Was den Opfercultus
betrifft, so wird sich uns freihch zeigen, dass sehr bald unter christlicher
Aussenseite und Namen eine verhängnissvolle Reaction des Heidenthums und
des Judenthums auf die christhche Rehgionssphäre statt fand.
Der Gottesdienst wurde aber auch ausgebildet im Gegensatze gegen die
Häretiker. Wenn diese zum Theil jenes heidnische Gepränge annahmen,
Bilder, Lichter, Weihrauch, so mochten die katholischen Christen sich dadurch in
ihrer puritanischen Strenge bestärkt fühlen. Auch die Lehre vom Abend-
mahl und vom Opfer im Abendmahl ist wesentlich bedingt durch die Pole-
mik gegen die Gnostiker. Sodann galt als Gnmdsatz , dass nur der Gottes-
dienst in der katholischen Kirche die götthchen Gnadengaben vermittle, nur
dieser Gottesdienst Gott wohlgefäUig sei. ^Dem Häretiker wird selbst sein
Gebet zur Sünde angerechnet,^ sagt derselbe Origenes, der doch auch zum
Theil wegen seiner Heterodoxieen von seinem Bischof war excommunicirt
worden. So stark war schon damals das katholische Bewusstsein.
1) Versammlungsorte der katholischen Christen 3).
Zuerst gab es gar keine dem Gottesdienst ausschliesslich gewidmete
Gebäude. Die Gläubigen versammelten sich im Tempel von Jerusalem, in
einer Synagoge, im Hause eines Bruders, bei Verfolgungen in einsamen
Stätten , in Katakomben , in Gefängnissen , in einem Wirthshaus , auf einem
Schiffe (Dion. von Korinth bei Euseb. 7, 22). Am Ende des zweiten Jahr-
hunderts finden wir einige dem Gottesdienste ausschliesslich gewidmete Ge-
bäude. Mehrere wurden errichtet in den ruhigen Zeiten zwischen der vale-
rianischen und der diocletianischen Verfolgung (Euseb. 8, 1), benannt xvgia-
xoy (woraus das Wort Kirche sich gebildet), dominicum, Haus des Herrn,
nqoq svxttiqiop, Gebethaus, oixog sxx^criag, oder metonymisch €xxXf}(na,
woraus das französische 4glise entstanden, erst seit Constantin vaog oder
templum, niemals aber delubrum oder fanum. Die Einrichtung ent-
1) Div. instit. 2, 2: postqnam Dens ille praesto esse coepit, jam simulacro ejus
opus non est.
2) Nach Varro bei Augustin de civitate Dei 4, 31 haben die Römer mehr als
170 Jahre hindurch Gott ohne Bild verehrt.
3) S. Lübke, Grundriss der Kunstgescliichte 3. Auflage. 1866. — Desselben Ab-
riss der Geschichte der Baukunst. 1866.
Cnltns. Versammlnngsorte der Christen. 1Ö5
Sprach dem einfachen Wesen des katholischen Gottesdienstes; ein erhöhter
Standpunkt für das Vorlesen der heiligen Schrift und für den sich daran
anschliessenden Vortrag, so wie ein hölzerner Abendmahlstisch waren die
Hauptzierden der Kirche. Je melu' die Bildung des geistlichen Standes fort-
schritt, wurde auch die Einrichtung zusammengesetzter. Nach dem Vorbilde
des Tempels in Jerusalem war ein Theil der Kirche nur den Geistlichen
zugänglich, äyiacxfiaj ßrnia, chorus; er enthielt den hölzernen Abendmahls-
tisch, tqans'Qa ayia, mensa Sacra (die Ausdrücke ßcofiog, aqa wurden
strenge gemieden i), die Sitze der GeistUchen, diese im Hintergrunde des
Chors, an der Mauer, wobei der Sitz des Bischofs, xad-eÖQa, etwas höher
als die übrigen ^govot der GeistUchen, in der Mitte derselben stand 2).
Gemälde und Bilder duldete man nicht in den Kiixhen nach Exod. 20, 4,
während die Karpokratianer Bilder Christi hatten und sie in heidnischer
Weise verehrten (Irenäus 1, 25). Es galt als Grundsatz, was Clemens von
Alexandrien sagt: „die Gewohnheit des täghchen AnbHckes entweihe die
Würde des göttlichen Wesens; dasselbe mittelst irdischen Stoffes verehren,
sei soviel, als es durch Sinnlichkeit entwürdigen.^ Gegen die Versuche, Bil-
der in die Kirchen einzuführen , erklärte sich auf das bestimmteste das Con-
cil von Elvira bei Granada 305, im c. 36 ^). So antikünstlerisch war die alte
katholische Kirche, dass sie sich Jesum als unschön dachte nach Jes. 53, 2. 3.
So Tertullian (adv. Judaeos c. 14). Er meint, Christus hätte nicht verachtet
werden und leiden können, wenn etwas von seiner himmhschen Herrlichkeit
in seinem Fleische sich gezeigt hätte (de carne Christ, c. 9). Clemens Ale-
xandrinus sich berufend auf dieselbe Stelle aus Jesaia meint auch, der Herr
sei von Angesicht hässlich aicrxQog gewesen (Paedagogus 3, 1). Ebenso
Origenes, der ganze Leib Christi sei hässlich dvgsideg gewesen (c. Celsum
lib. 6). Hiebei ist noch anzuführen, dass auch das Anzünden von Lichtern
w^ährend des Gottesdienstes nicht gestattet wurde. Das Concil von Elvira,
woraus wir diese Angabe schöpfen, spricht zwar c. 20 nur von Lichtern auf
den Gottesäckern ^), es scheint aber der Gebrauch der Lichter überhaupt
lücht statt gefunden zu haben. Denn Lactanz div. instit. 6 , 2 spottet über
die Heiden, dass sie am hellen Tage Lichter anzünden bei dem Gottes-
dienste.
Ln häuslichen Leben begann der Gebrauch der Bilder vermöge einer
unschuldigen, ja berechtigten Nachahnumg heidnischer Sitte. Denn überall
sah man Bilder in den lieidnischen Häusern, auch auf den Trinkgeschirren
1) Doch Ara Del erwähnt v. Tert. de oratione c. 19.
2) Die apostohsclien Constit. 2, 57 geben eine kurze Vorschrift für die Anlage der
Kirchen; eine weitläufige Beschreibung der neuen Kirche in Tyrus gibt Euseb. 10, 4;
diese Kirche, nach dem Aufliören der Verfolgung erbaut, gibt einen Maassstab ab für die
vorher erbauten Kirchen. In der Ausgabe von Heinichen ist der Grundriss jener Kirche
beigegeben.
3) Placuit picturas in ecclesia esse non debere, ne qnod coütur et adoratur, in
parictibus depingatur.
4) In coemeteriis ; — der Grund, worauf das Concil sich stützt, mahnt noch eini-
gennassen an die heidnisclie Vorstellung vom Schweben der Seelen um den Ort herum,
wo ihre Körper begraben liegen: inquietandi enim Spiritus sanctorum non sunt.
jgß Erste Periode des alten Katholioismus.
und Siegelringen. Ihnen setzten die Christen Bilder entgegen, die ihren
christhchen Anschauungen entsprachen, auf den Büchern das Bild eines
Hirten, der ein Lamm auf seinen Schultern davon trägt (Tertullian de pu-
dicitia c. 10). Clemens Alexandrinus (Paedag. 3, 11) eifert für christhche Simi-
bilder auf den Siegelringen. Er nennt eine Taube (als Sinnbild des heihgen
Geistes) oder einen Fisch (Anspielung auf Luc. 5, 10 oder auf das Ana-
gramm Christi *x^ve, bestehend aus den Anfangsbuchstaben der Worte:
Iri(Tovg XQKTTog Seov Yioq lonfjQ), oder ein Schiff, welches in schnellem
Laufe vom Winde getrieben wird (Sinnbild der christlichen Kirche), oder eine
Leyer (als Sinnbild der christhchen Freude), oder einen Anker (Sinnbild der
christhchen Hoffnung i). Dass schon Kreuze in den Häusern oder gar in
den Kirchen aufgestellt wurden, davon findet sich in unserer Periode noch
keine Spur. Die Christen scheinen eine gewisse Scheu empfunden zu haben
vor dem Marterinstrument des Herra. Vom Crucifix ist eben so wenig die
Kede. Dagegen war zu Tertulhan's Zeit das sich Bekreuzen schon Verbreiter,
und bei allen möglichen Anlässen des tägUchen Lebens gebräuchlich, nicht
ohne Beimischung abergläubiger Vorstellungen. Wie das Zeichen des Kreu-
zes gemacht wurde, wird nicht näher angegeben, auf jeden Fall nui' auf der
Stirne 2).
Eine besondere Betrachtung erheischen die Katakomben, theils weil
sie Anlass gaben zur Entwicklung der christlichen Kunst in den Sculptureu
und Gemälden, womit sie ausgeschmückt wurden, theils weil sie als Be-
gräbnissstätten nicht nur, sondern auch als interimistische Stätten für den
Gottesdienst, auch als Zufluchtsstätten in den Verfolgungen verwendet
wurden ^).
1) Siehe den Artikel Sinnbilder von Merz in der Realencyklopädie, so wie die
bei Anlass der Katakomben anzuführenden Werke.
2) Tertullian de Corona miütis c. 3: Ad omnem progressum atque promotum, ad
omnem aditum et exitum, ad vestitum et calciatum, ad lavacra, ad mensas, ad himina, ad
cubilia, ad sedilia, quaecunque nos conversatio exercet, frontem signaculo terimus. Es ist
aber zu vermuthen, dass diese Uebertreibung im Gebrauche des Zeichens, welches an das
Leiden des Herrn erinnert, hauptsächlich in montanistischen Kreisen vorkam.
3) Dieser Gegenstand, der so viellach in die ältere Geschichte der Kirche, beson-
ders was Kom betrifft, eingreift, hat eine eigene Literatur erzeugt. Unter den Forschern
auf diesem Gebiete ist hauptsächlich der Cavaliere G. B. de Rossi in unseren Tagen zu
nennen. Seine Hauptwerke sind inscriptiones christianae. Rom 1861 und Roma sötte r-
ranea. 2 Bände. Rom 1864. 1867. — Dieses Werk liegt zu Grunde den Arbeiten des
deutschen Gelehrten Kraus: Roma sotterranea. Die römischen Katakomben. Eine Dar-
stellung der neuesten Forschungen, mit Zugrundlegung des Werkes von J. Spencer
Northcote und W. R. Brownlow, M. A., bearbeitet von D. Fr. X. Kraus, Professor an der
Universität Strassburg. Freiburg im Br. 1873. — Zusammengefasst in desselben Gelelir-
ten Schrift: die christliche Kunst in ihren frühesten Anfängen.
Das Wort Katacumbae ist von ungewissem Ursprünge; es wird zuerst von Gr. L
gebraucht für» die Grabgewölbe unter der Basilica von San Sebastiane in Rom (ep. 3, 30)
und wurde weiterhin die Benennung aller unterirdischen grösseren Begräbnissstellen, der-
gleichen es nicht nur in Rom, sondern auch in Neapel, Malta, Paris und anderen Orten
gab. Es kommt auch in der Form catatumba vor: so nennt Joa. diaconus die neapo-
litanischen Grüfte. Wir befassen uns hier ausschliessUch mit den römischen Katakomben.
18t
Zweites Capitel. Gottesdienstliche Tersammlungszeiten.
Wenn schon, wie Clemens (Strom. 7, 7) lehrt, das ganze Leben der
Christen ein fortwährender Gottesdienst sein sollte, wobei er jedes cerimo-
Sie sind ja nicht zu verwechseln mit den arenariae, Sandsteingruben von Puzzolan-
erde, worin Verbrecher und Sklaven verscharrt wurden, obwohl eine Anzahl, doch eine
sehr geringe, von Christen in diesen arenariae begraben, diese oder jene arenaria in einen
christlichen Friedhof umgewandelt wurde. — Die eigentlichen Katakomben in festerem
Boden angebracht, oestelien aus einem weitschichtigen Labyrinthe von Galerieen, die im
Schoosse der Erde und unter den die Stadt umgebenden Hügeln, nicht unter der Stadt
selbst angebracht sind. Die Ausdehnung ist zwar sehr begrenzt, aber oft liegen fünf
Galerieen übereinander, sie haben eine Breite von zwei bis vier Fuss; die Höhe wecliselt
nach der Beschaffenheit des Felsens, in dem sie ausgegraben sind. Die Wände sind zu
beiden Seiten von horizontalen Grabhöhlen oder Nischen durchbrochen; in jeder dieser
Höhlen lagen eine oder mehrere Leichen. Manchmal ist eine ganze Kammer einer Fa-
milie überwiesen; das nannte man cubiculum, Schlafgemach; im Hintergründe in einer
Art von Nische oder Absitz befand sich bisweilen das Grab eines Märtyrers; denn es
gereichte den alten Cliristen zum Tröste, die Gebeine der Ihrigen in der Nähe der
heiligen Märtyrer zu wissen. Hier wurden auch die Todestage der Märtyrer gefeiert mit
Opfer und Abendmahl; demgemäss wurde in den Verfolgungen der Gottesdienst regel-
mässig darin gehalten; dafür wurden grössere Räume in Anspruch genommen. Der Um-
stand, dass die Katakomben Friedhöfe waren, machte die Anlegung neuer nöthig. Seit
Constantin wurden aber keine neuen erbaut, sondern die alten erweitert, was besonders
dadurch nöthig wurde, dass seit Constantin der gottesdienstliche Gebrauch sich steigerte
durch die immer mehr steigernde Verehrung der Märtyrer. Leider wurden viele Gräber
der Märtyrer im vierten Jahrhundert zerstört, da die Christen sich gerne in der Nähe
derselben ihre Ruhestätte bereiteten, der Bischof Damasus that vieles für Erweiterung
und Bewahrung der Katakomben. Aber von 410 an nach der Einnahme Roms durch
Alarich hörte die Beisetzung in die Katakomben auf Sie hatten fortan nur als Ruhe-
stätte für die Märtyrer Bedeutung. Nach den Verwüstungen derselben durch die Gothen
und die Longobarden, welche eine Anzahl von Märtyrerleichen wegnahmen, Hess Paul I.
757 die Reliquien der Märtyrer soviel wie möglich erheben und in die Basiliken, Diako-
nieen und Klöster der Stadt schaffen; folgende Päbste setzten diese Uebertragungen fort.
Von den in den Katakomben gefundenen Kunstgegenständen, sei es aus festem
Stoffe (terra cotta, Metall, Glas) oder als Sarkophage oder in Gestalt von Malereien, ge-
hören einige noch in die Zeit vor Constantin und erscheinen daher als die ersten Anfänge
christlicher Sculptur und christlicher Malerei. Gegenstand derselben sind theils christ-
liche Sinnbilder, theils Scenen aus der heiligen Geschichte, theils Abbildungen der in
den betreffenden Gräbern ruhenden Gläubigen. Dabei zeigt sich eine eigenthümliche Ver-
mischung heidnisclier und christlicher Kunst. Orpheus wird dreimal als Christus ver-
wendet, selbst Odysseus, Hercules und Theseus wurden im christlichen Sinne benützt.
Die römische Kirche hat seit alten Zeiten in diesen Katakomben nach Beweisen
für ihre besonderen Dogmen gesucht; es ist ihr aber nicht gelungen, de Rossi und Kraus
haben ihr sonstiges richtiges Urtheil durch das katholische Parteiinteresse beeinflussen
lassen; das stärkste Beispiel ist die unblutige Opferung Isaaks als Darstellung des un-
blutigen Messopfers aufgefasst.
Es musste die Palme, ein allgemein christliches Symbol (Apokal. 7, 9), selbst auf
heidnischen Gräbern vorkommend, als untrügliches Kennzeichen eines Märtyrergrabes gel-
ten, ebenso die röthlich gefärbte Phiole, wovon ein Fünftel bei Christenkindern und noch
dazu erst aus der Zeit nach Constantin gefunden wurde.
it
|gg Erste Periode des alten Katholicismus.
nialgesetzliche Gebundenseiu der Handlungen des christlichen Gottesdienstes
an bestimmte Zeiten, Oeiter und Personen geradezu leugnet, wenn gleich
die Christen alle Tage zum Gebet zusammenkamen, so konnte es doch nicht
fehlen, dass einzelne Tage zu diesem Zwecke herausgehoben wurden. Zu-
nächst wurde der Sonntag gefeiert, woran sich bald andere Wochentage an-
schlössen.
a) Wöchentliche Feiertage.
Nach den Spuren einer Feier des ersten Wochentages im Neuen Te-
stamente (Apostelgesch. 20, 7. 1 Kor. 16, 2. Apokal. 1, 10) begegnen wi]'
bei Barnabas c. 15 einer Anführung jenes Tages , die an Deutlichkeit nichts
zu wünschen übrig lässt. Barnabas erachtet, dass der Sabbath im neuen
Bunde gänzUch abgeschafft sei und dass an dessen Stelle der achte Tag trete,
an welchem Gott durch die Auferstehung Christi den Anfang einer neuen Weh
machte. ^^Darum bringen wir den achten Tag in Freude (ev evtfQoavvrD
zu, an welchem Christus von den Todten auferstand.'' Derselbe Tag wird
von anderen Schriftstellern früh erwähnt, von Ignatius (ad Magnesios c. 9),
von Justinus Martyr (erste Apologie c. 67). Da die vorherrschende Stimm-
ung die der Freude war, der Freude über die Auferstehung Christi, wie sie
auch von TertuUian bezeugt wird (Apologet, c. 16), so pflCf2,te man an die-
sem Tage nicht knieend, sondern stehend zu beten und das Fasten gänzlich
zu unterlassen (Tert. de Corona mil. c. 3, de idolatria c. 14). Bereits wurde
in dieser Zeit auf das Unterlassen der Arbeit am Sonntage gedrungen. Tert.
de oratione c. 23 stellt es zusammen mit dem Unterlassen der Kniebeugung.
Es sollte damit, meint er, aller anxietatis habitus abgethan sein, d. h. alles,
was an ängstliche Furcht vor Gott erinnert, zugleich sollte durch das Unter-
lassen der Arbeit verhütet werden, dass der Teufel Gelegenheit zur Ver-
suchung erhalte. Bereits heisst der achte Wochentag Sonntag (^ riXiov
riiisqa bei Justin Martyr 1 apol. c. 67, bei Tertulhan Apolog. c. 16).
♦ Wurde aber allwöchenthch die Auferstehung gefeiert, so lag es nahe,
gewisse andere Wochentage dem Andenken des Leidens Christi zu widmen;
es waren der Mittwoch und der Freitag, die feria quarta und sexta^
gefeiert mit Gebetsversammlungen und Fasten bis drei Uhr Nachmittags,
dies statiomim genannt, Wachen der Streiter Christi auf ihrem Posten,
wie denn die kathohschen Christen ihr Leben gerne als Kriegsdienst unter
Christi Fahne und Befehl auffassten ^). Statio wurde der technische Aus-
druck für dieses Halbfasten. Die erste Spur davon findet sich im Pastor
Hermae, similit. 5, 1, sodann bei TertuUian de oratione c. 19, wobei man
durch Abbitte für die Sünden Genugthuung leistete. Es waren also Buss-
tage, wo man Gott versöhnte durch reumüthiges Gebet, Fasten, Knieen bei
dem Gebete. Der Mittwoch galt besonders dem Andenken an den Rath-
üeber die Katakomben von Neapel s. Bellermann über die ältesten christlichen
Begräbnissstätten und besonders die Katakomben zu Neapel mit ihren Wandgemälden.
Hamburg 1839.
1) Statio de militari exemplo nomen accepit, nam et militia Bei sumus. Tert. de
oratione c, 19.
Wöchentlich« Feiertage. Jahresfeste. 189
schlag der Juden zur Gefangennehmung des Herrn; der Freitag dem An-
denken an den Tod Christi. So vergegenwärtigte jede Woche die Haupt-
momente des Heiles in Christo. Das Fasten war übrigens nicht geboten ;
die Montanisten geboten es und setzten es nicht selten bis zum Abend fort
(Tert. de jejuniis c. 10), daher bei den Montanisten jene Stationsfasten blos
bis drei Ulu' Nachmittags reichend Halbfasteu (semijejmiia) hiessen, im
Unterschiede von der superpositio, vneQ^ecTig, Jejunii, d. h. von der Fort-
setzung des Fastens bis zum Abend.
Judenchristliche Gemeinden feierten noch den Sabbath, den siebenten
Wochentag, wogegen der Brief des Barnabas offenbar ankämpft. Es mag
vorgekonmien sein, dass solche Gemeinden den Sonntag nicht feierten, aber
gewiss höchst selten. In der morgenländischen Kirche entstand der Ge-
brauch, den Sabbath dui'ch Nichtfasten und Gebet in aufrechter Stellung
auszuzeichnen, hingegen in der römischen Kirche wurde er als Fasttag be-
obachtet. Das nannte man auch superpositio jejunii, d. h. Verlän-
gerung der Fasten vom Freitag auf Samstag. Dieses Fasten galt dann als
Vorbereitung auf die Communion am Sonntage.
b) Jahresfeste.
Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob schon im apostolischen Zeit-
alter Jahresfeste in der Kirche gefeiert wurden. Dass die Judenchristen
anfangs die jüdischen Feste beibehielten , ist ausser Zweifel. Was die Hei-
denchristen betrifft, so ist es .nicht erweislich, dass sie schon im apostolischen
Zeitalter Jahresfeste gefeiert haben, aber gegen Ende desselben mag es
vorgekommen, sein, auf jeden Fall sind sie im heidenchiistlichen Kreise
sehr alt.
Es kommt hier haujjtsächlich das Passahfest^) in Betracht. Passah
bedeutet in dieser Zeit durchaus nur die Feier des Andenkens an den Tod
Christi, nicht aber seine Auferstehung; erst weit später kam diese Beziehung
hinzu, und zwar zunächst ohne die ältere zu verdrängen, so dass man im
vierten Jahrhundert ein nacxa atavQcoG-tfiov und ein naG^a avaataaiinov
unterschied. Nach und nach behielt das letztere die Oberhand und verdrängte
das erste. Jene ursprüngliche Bedeutung des christlichen Passah rührt her
von der Bedeutung des jüdischen Passah. nö5^ ^) ist zunächst das Lamm,
als Schlachtopfer gedacht, das Versöhnungsopfer zum Andenken der Ver-
schonung der Erstgeburt in Aegypten, Exod. 12, 27, daher der Ausdruck
nOSn ^DN , das Passahlannn essen. Es wurde am vierzehnten Nisan und
zwischen den Abenden geschlachtet nach .Exod. 12, 6, zur Zeit Jesu um
drei Uhr Nachmittags. Damit hing das Passahmahl zusammen, am Abend des
vierzehnten Nisan oder nach jüdischer Tagesabgrenzung in der Nacht gehal-
ten, wo der fünfzehnte Nisan begann; die folgenden Tage hiessen das Fest
der ungesäuerten Brode, Levit. 23, 5, der at,v^a. Passah heisst auch
1) Siehe Weitzel, Geschichte der Paschafeier in den drei ersten Jahrhunderten
1848. Steitz in der Kealencyklopädie.
2) Uttüya geht von der aramäischen Form XHDS aus.
190 Brste Periode des alten Katholicismus.
überhaupt Passahfest, mit weiterem oder engerem Umfange, also einmal dasr
gesammte Fest des Passah und der süssen Brode vom Abend des vierzehnten
bis zum Abend des einundzwauzigsten Nisan reichend, das andere mal der
Passahfesttag im Unterschiede von den Tagen der süssen Brode, der fünf-
zehnte Nisan, welcher sowie der sechzehnte und einundzwanzigste besondc^rs
feierlich begangen wurde; der vierzehnte Nisan hiess die nagacrxevij des
Passah. Joh. 19, 14. Bei Josephus und Philo ist Passah bereits der vier-
zehnte Nisan, an dessen Nachmittage das Passahlamm geschlachtet wurde,
daher auch Ttgoot^ tcov at,v[ji(ov genannt (Luc. 22, 7. Marc. 14, 2), deim
die Juden schafften schon in der Nacht vor dem vierzehnten das gesäuerte
Brod aus den Häusern.
Die Kirchenväter des zweiten und dritten Jahrhunderts gehen von dt^r
Voraussetzung aus, dass Christus, wie ihn schon Paulus 1 Kor. 5, 7 genannt
hatte, das wahrhaftige Passahlamm sei, mithin Christus im Tode; sie sehen
die Andeutung davon im Gleichklaug der Worte na^xcc und Tiaax^ip. Werl
das Passahlamm mit zwei Spiessen kreuzfönnig durchbohrt und so gebraten
wurde, sah man darin ein Symbol des Kreuzes. Auch auf die chi'onologische
Bestimmung wirkte die Beziehung von Passah auf das Leiden Christi ein.
Die einen nämlich nahmen an, Christus habe am fünfzehnten Nisan geüttei,
also an dem Tage der vorzugsweise Passah hiess; so Justin im Dialoji:
mitTryphon, gemäss der synoptischen Relation im Unterschiede von der johan-
neischen, wonach also Jesus am vierzehnten Nisan ein eigentliches Passah-
mahl gehalten hat und am fünfzehnten gekreuzigt wurde. Ob Iren aus,
T er t Ulli an, Origenes dieselbe Ansicht hatten, ist aus ihren Eröitenm-
gen nicht deuthch zu ersehen.
Von derselben Voraussetzung ausgehend, dass Christus das wahre
Passahlamm sei, gelangten viele Väter zu einer anderen, zu der johanneischen
chronologischen Bestimmung, so A p o 1 1 i n a r i s, Bischof von Hierapolis, Clemens
A 1 e X a n d r i n u s, H i p p 0 1 y t u s, die so argumentiren : war Jesus das Passahlanun,
so kann sein Tod nur an dem Tage statt gefunden haben, wo die Juden das
Passahlamm schlachteten. Diess geschah am vierzehnten Nisan, an der na-
Qaaxevij des Passah, um drei Uhr Nachmittags. Daher glaubten viele Vä-
ter auch nicht, dass Jesus ein wahres Passahmahl mit seinen Jüngern ge-
halten habe. Als Grund führt Hippolytus an, weil diess keinen Sinn gehabt
hätte und weil Johannes ihn schon gestorben sein lässt, ehe die Juden das
Passahmahl hielten (Joh. 18, 28). Hippolytus meint sogar, auch Lucas deute
diess an 22, 16, wenn Christus sagt, er werde das Passahmahl nicht mehr
mit den Jüngern essen, bis es erfüllt werde im Reiche Gottes.
Dieses christHche Passah wurde, wie natürlicli, mit Fasten begangen.
Es war das einzige gebotene Fasten im ganzen Jahre; die Kirche sollte
trauern an den Tagen, wo der Bräutigam von ihr genommen wurde, wie
TertuUian bemerkt. Allein, nach Irenäus (bei Euseb. 5, 24) herrschte so-
wohl über den Tag, wo das Fasten beendigt wurde, als auch über die Form
des Fastens Verschiedenheit. Einige berechneten ihre Fastenzeit auf vierzig
Stunden bei Tag und Nacht, die anderen fasteten einen, zwei oder mehrere
Tage. Einen Tag fastete die kleinasiatische Kirche, die römische und die
afrüianische Kirche zwei Tage, zur Erinnerung an den Tag, an dem Jesus
Jahresfeste. Passah. 191
gelitten und an den, wo er im Grabe gelegen, daher später dieser Tag
der grosse Sabbath genannt wurde. Diejenigen, die drei Tage lang faste-
ten, nahmen wohl den Mittwoch dazu. Demnach war die Passahfeier der
drei ersten Jahrhunderte Fastenzeit, Passionszeit, Trauerzeit. Der darauf
folgende Sonntag gehörte nicht mehr dazu; er hiess im speziellen Sinne
xvQiaxtj tvi^ ccvafftaffecog oder ngcotf} xvgiaxri sc. trig TtepnjxoffTrjg.
Hiebei ist die Verschiedenheit zwischen der kleinasiatischen und der
abendländischen Kirche zu erwähnen. Es war nämlich in jener Kirche
nicht Gesetz, dass das Passah auf einen Freitag fallen musste, wohl aber
in dieser.
Die Kleinasiaten hielten den vierzehnten Nisan als Passahtag fest,
er mochte auf einen Freitag oder auf irgend einen anderen Tag fallen;
sie folgten also der jüdischen Sitte. Sie beschlossen den Tag mit Agape
(so lange überhaupt die Agape bestand) und mit Abendmahl, zum An-
denken an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern; so feierten sie ihr
Abendmahl zu derselben Zeit, wo die Juden ihr Passahmahl hielten. Po-
lykrates, Bischof vonEphesus (beiEuseb. 5, 24) berief sich für diese Sitte
sogar auf den Apostel Johannes , der ebenfalls am vierzehnten Nisan das
Passahfest gefeiert habe mit der kleinasiatischen Kirche. Johannes that
diess in dem Sinne, dass Jesus am vierzehnten getödtet worden sei und
so das Passahlamm vorstelle und brachte diess zum Ausdruck in seinem
Evangelium; es war seine Darstellung eine Berichtigung der kleinasiati-
schen Ansicht, nach welcher Jesus am Tage vor seinem Tode das Passah
mit den Juden gegessen habe.
Die Occidentalen hielten sich nicht so genau an die jüdische Sitte.
Wenn der vierzehnte Nisan auf einen Freitag fiel, so feierten sie an die-
sem Tage die Passion. Fiel er auf einen vorausgehenden Tag der Woche,
so wurde der Freitag derselben Woche als Passah gefeiert. Fiel der vier-
zehnte Nisan auf den Samstag, so wurde die Passahfeier auf den Freitag
der folgenden Woche verlegt und fiel dann auf den zwanzigsten Nisan. —
Mithin feierten die verschiedenen Theile der Kirche Passah an sehr ver-
schiedenen Tagen, allerdings ein Uebelstand. Im Jahr 222 fiel der vier-
zehnte Nisan auf einen Samstag, den 13. April; demgemäss fiel die Pas-
sahfeier der Occidentalen auf den 19. April oder achtzehnten Nisan, den
Freitag der folgenden Woche, das Auferstehungsfest auf den zwanzigsten
Nisan. Damit hing eine andere Verschiedenheit zusammen. Die Klein-
asiaten fasteten nicht über den vierzehnten Nisan hinaus, wenn gleich
dieser auf einen der ersten Wochentage fiel. So wurde das Fasten öfter
lange vor dem Auferstehungssonntage geschlossen. Die Kleinasiaten schei-
nen dann die Auferstehung noch vor dem Sonntage gefeiert zu haben.
Die Occidentalen aber und viele andere Kirchen hatten den Grundsatz^
dass man an keinem anderen Tage als am Sonntage die Auferstehung
feiern dürfe und dass mit diesem Tage (exclusive) das* Fasten ein Ende
haben solle. Also die einen fasteten schon nicht mehr am Montag, die
anderen setzten das Fasten fort bis Sonntag Morgen. Die Asiaten fasteten
am vierzehnten Nisan bis drei Uhr Nachmittags, worauf sie das Abend-
mahl in Verbindung mit einer Agape genossen. Der Unterschied der chro-
192 Erste Periode des alten Katholicisirius.
nologischen Bestimmungen über den Todestag Jesu war hiebei von unter-
geordneter Bedeutung (Euseb. 5, 23—25).
Als c. 160 Bischof P o 1 y k a r p den römischen Bischof A n i c e t besuchte,
kam zwischen diesen beiden Männern diese Verschiedenheit zur Sprache.
Anicet konnte Polykarp nicht bestimmen, die Beobachtung des vierzehnten
Nisan als Passahtages aufzugeben. Eben so wenig konnte Polykarp Anicet
bewegen, die kleinasiatische Sitte anzunehmen. Allein beide Bischöfe blie-
ben in gutem Vernehmen. Polykarp durfte mit Genehmigung Anicet's das
Abendmahl administriren. So berichtet Irenäus bei Euseb. 5, 24. Erst
c. 190, als der römische Bischof Victor mit dem Ansprüche auf eine ge-
wisse Oberhoheit den Kleinasiaten die occidentalische Sitte aufdringe a
wollte, entstand eigentlicher Streit. Victor trat mit anderen Landeskir-
chen in Verbindung, in Palästina, Pontus, in Gallien, in Osroene, Alexan-
drien, Korinth, es wurden in diesen Ländern bei diesem Anlasse Synoden
gehalten und die römische Sitte für die richtige erklärt. Bereits bedi'ohte
Victor die kleinasiatischen Bischöfe, die ihre von Alters her überlieferte
feste Sitte festhielten, mit Excommunication. Da erliess im Namen der-
selben der alte Bischof Polykrates von Ephesus ein encyklische^
Sclireiben, worin er sich auf die Autorität der Apostel Johannes und Phi-
lippus, vieler Bischöfe, Polykarps und Anderer berief, die alle Passah am
vierzehnten Nisan gefeiert hätten. Er lasse sich diuxh keine Drohungen
erschrecken; denn grössere Männer als er hätten gesagt, man müsse Gott
mehr gehorchen als den Menschen. Darauf suchte Victor in einem en-
cyklischen Schreiben die kleinasiatischen Gemeinden als heterodoxe von
der allgemeinen Einigung auszuschliessen und erklärte in einem Schi'eiben
die dortigen Brüder alle für excommunizirt. Die mit ihm verbundenen
Kirchen blieben zwar bei ihrem Gebrauche, missbilligten aber das Ver-
fahren des römischen Bischofs auf das strengste und ermahnten ihn, mehi*
auf Einigkeit bedacht zu sein. Ii'enäus Hess in einem im Namen der
Brüder in Gallien erlassenen Schreiben Victor besonders scharf an, ob-
schon auch er bekannte, dass man nur am Sonntage das Geheimniss der
Auferstehung Christi feiern solle. Nachdem er erwähnt, dass auch Victor's
Vorgänger den vierzehnten Nisan nicht als Passah ,gefeiert und doch mit
den Anhängern dieser Sitte die Gemeinschaft nicht aufgehoben hätten,
fährt er also fort : ^die Apostel haben befohlen, Niemanden um der Speise,
oder um der Feste, Neumonde und Sabbathe willen zu richten. Woher
nun alle diese Streitigkeiten und Spaltungen? Wir halten Feste, aber im
Sauerteige der Bosheit, wir zerreissen die Kirche Christi, wir halten uns
an Aeusserliches und werfen von uns das Bessere, Glauben und Liebe.
Dass solche Feier und Fasten dem Herrn missfallen, das wissen wir aus ^
den Propheten. ^^ Damit erwies sich, wie Euseb mit Recht bemerkt, Ii'e- \
näus so recht als Irenäus, als Mann des Friedens, zugleich ein Beweis, ;
wie weitherzig damals noch der Begriff der Katholicität gefasst wurde. \
Seine Bemühungen waren auch nicht vergeblich. Nur zwischen Rom und ^
Ephesus kam es zum vorübergehenden Bruche. Zuletzt behielt der römi-
sehe Bischof doch Recht; denn er vertrat allerdings die bessere Sitte.
Das Concil von Nicaea 325 erklärte die römische Sitte für die richtige und
Jahresfeste. Pfingsten. Märtyrertage. 193
verwarf die kleinasiatische, deren Anhänger seitdem als Häretiker galten,
Quartodecimani , teaffagegSexatttat seit dem Concil von Laodicea 364
genannt. — Ein anderer Streit über das Passah, dessen Gegenstand nicht
deutlich ist, brach aus c. 170. Er betraf eine innere Differenz unter den
Kleinasiaten selbst. Es war davon die Rede in einer verlorenen Schrift
des Melito von Sardes über das Passah (Euseb. 4, 26).
Das zweite christliche Hauptfest, Pfingsten, führt uns wieder zum
jüdischen Cultus zurück. Pfingsten war eines der drei grossen Feste der
Juden, gefeiert sieben Wochen nach dem Anfang der Ernte (Deut. 16, 9),
nämlich von dem auf den Ostersabbath folgenden Tage an gerechnet, am
fünfzigsten Tage. Levit. 23, 15. Es war Erntedankfest, zugleich Fest der
Promulgation des Gesetzes auf dem Berge Sinai. Daran Hessen sich leicht
und ungezwungen christliche Ideen anreihen. So wurde Pfingsten das Fest
der mächtigen ersten Wirkungen des zur Rechten der Kraft erhöhten
Erlösers, das Fest der Ausgiessung des Geistes. Es scheint nun, dass
man von Anfang an die Zeit von Ostern inclusive bis zum fünfzigsten Tage
nach Ostern als freudige Festzeit feierte, wo man nicht fastete und stehend
betete und an einigen Orten sich alle Tage zum Gottesdienste versammelte.
So ergeben sich zwei Bedeutungen der Pentekoste, 1) die fünfzig Tage nach
Ostern ^), so dass Ostern selbst dazu gerechnet wurde als ngcottj xvQiaxij
sc. trjg Ttevtfixofftfjg , 2) der fünfzigste Tag selbst, die eigentliche Pfingsten.
Ausser diesem Tage und Ostern wurde in diesen fünfzig Tagen noch be-
sonders hervorgehoben das Fest der Himmelfahrt Christi {apceXrjifjsMg,
ascensionis) ^ der 40. Tag, womit einige Gemeinden in Spanien die Pente-
koste schlössen, wogegen das Concil von Elvira c. 43 sich aussprach. —
Zu diesen Festen kam in der orientalischen Kirche das Fest der Taufe
Christi als das Fest zum Andenken dessen, dass der Herr den Menschen
als Messias offenbar geworden sei , das Fest der ent(paveia t. Xq. , t«
eni(paria hinzu, wovon wir im Abendlande erst 360 die erste Spur finden,
während es im Morgenlande schon in dieser Periode eingeführt wurde. Das
Weihnachtsfest kannte in dieser Periode weder die morgenländische noch
die abendländische Kirche.
Eine folgenreiche Erweiterung des Festcyklus stellt sich uns dar in
den Festen zum Andenken der Märtyrer, deren Todestage als ihre Ge-
burtstage für ein verklärtes Dasein angesehen wurden {dies natales , nafa-
litia martyrum, fj^ega yeve&Xiog^ yeve&Xice toov fiagtVQdov). Der Tod des
Märtyrers als des Zeugen Christi, (Apostelgesch. 22, 30. Hebr. 12, 1.
Apokal. 17, 6), mit dem Nebenbegriffe, dass er um dieses Zeugnisses willen
das Leben verloren habe, dieser Tod galt als Sünden tilgend, wie auch
Clemens Alexandrinus lehrt, — er galt als Blut taufe, als Taufe durch
das Feuer (mit Beziehung auf Luc. 12, 50. Marc. 10, 39) und ersetzte
die Taufe. Nach dem Pastor Hermae und nach Tertullian de resurrect.
carnis 43 gelangten blos die Märtyrer unmittelbar nach dem Tode in das
Paradies, wie auch nach den älteren Griechen nur die Heroen in das
1) u4i tjjg neyrtjxoffrtig j/LifQai, bei Origenes c. Celsum 8, 22.
Herzog, Klrchcngcschichte I. 13
jg4 Erste Periode des alten Katbolicismas.
Elysium oder auf die Inseln der Glückseligen, deren Lage gerade so wie
die des Paradieses gedacht wurde, gelangten. Doch hatte die Kirche
keineswegs festgesetzt, dass nur die Märtyrer unmittelbar nach dem Tode
ins Paradies gelangten. Immerhin wurde ihnen grosse Verehrung zu Theil,
die aber innerhalb bestimmter Grenzen festgehalten wurde. Mit Sorgfalt
wurden ihre sterblichen Ueberreste bestattet. An ihrem Todestage vcir-
sammelte sich die Gemeinde auf ihren Gräbern; es wurden Erzählungen
von ihrem Märtyrerthum vorgelesen. Man feierte das Abendmahl im Be-
wusstsein der fortwährenden Gemeinschaft mit ihnen ; das nannte man nach
dem Sprachgebrauche jener Zeit oblationes, sacrificia pro martyribm, wo-
bei, was wohl zu beachten, noch Fürbitte für sie eingelegt wurde, ein
Gebrauch, der bis auf Augustin's Zeit fortdauerte. In Beziehung auf die
Vorwürfe der Heiden und der Juden, dass die Christen die Märtyrer mehr
als Christum selbst verehrten, drückte sich die Gemeinde von Smyrna in
ihrem encyklischen Schreiben über den Tod ihres Bischofs Polykarp (bei
Euseb. 4, 15) so aus: ;, Christum beten wir an als Sohn Gottes, die Mär-
tyrer aber lieben wir wegen ihrer unübertrefflichen Liebe zu ihrem Herrn,
wie denn auch wir ihre Mitgenossen und Mitjünger zu werden wünschen.^ —
^Wir nahmen, so fährt das Schreiben fort, — seine (Polykarps) Gebeint,
die köstlicher sind als Silber und Gold, und legten sie an dem geziemen-
den Orte nieder. Gott wird uns verleihen , dass wir uns da in Freude und
Jubel versammeln und das Geburtsfest seines Märtyrerthums feiern zum
Andenken an die abgeschiedenen Kämpfer und zur Uebung und Rüstung;
derjenigen, welchen der Kampf noch bevorsteht.^ Diess der unschuldige
menschlich -schöne Anfang der nachher so abgöttisch gewordenen Heili-
genverehrung. Uebrigens waren das keine allgemeinen Feste; jede Kirche
feierte nur das Andenken ilirer besonderen Märtyrer. — Diese Märtyrer-
feste knüpften sich an die fromme Sitte, dass die Verwandten der Ver-
storbenen überhaupt den Todestag derselben religiös begingen. Es wurde
das Abendmahl genossen im Bewusstsein der fortdauernden Gemeinschaft
mit den Verstorbenen. Man brachte in ihrem Namen, als ob sie noch am
Leben wären, eine Gabe in die Kirche. In dem der Communion voran-
gehenden Gebete wurde dann auch für die Verstorbenen gebetet ^).
Drittes Capitel. Der Gottesdienst im Ganzen und die einzelnen
Handlungen desselben 2).
Vom sonntäglichen Gottesdienste gibt uns das erste Bild der
früher (S. 47) angeführte Bericht des Plinius an Trajan (ep. X, 96) nach den
Aussagen der Inquirirten: vor Tagesanbruch versammelte sich die Ge-
meinde an einem bestimmten Tage, der kein anderer als der Sonntag sein
kann. Die Gläubigen intonirten mit Antiphonieen ein Lied Christo zu Ehren,
1) TertuUian de Corona etc. oblationes pro defunctis annua die facinms.
2) S. insbesondere Har na ck, der christliche Gemeindegottesdienst im apostolischen
und altkatholischen Zeitalter 1854. Ein Gegenstück zu unserer Darstellung.
Der Gottesdienst und dessen einzelne Handlungen. 195
(carmen de Christo) hörten darauf eine Ermahnung zum tugendhaften
Leben an, und verpflichteten sich eidlich, keinen Diebstahl noch Ehebruch
zu begehen , das gegebene Wort nicht zu brechen , das ihnen Anvertraute
nicht abzuläugnen. Darauf ging die Versammlung auseinander und kam
später wieder zusammen, um Speise zu sich zu nehmen, jedoch gewöhn-
liche und unschuldige (nicht ein thyesteisches Mahl, dessen man die Chri-
sten beschuldigte). Mithin wurde damals die Comnmnion noch nicht am
Morgen administrirt, sondern des Abends, und zwar in Verbindung mit
einer Agape.
Schon verändert und etwas mehr ausgebildet ist dieser sonntägliche
Gottesdienst nach der Beschreibung von Justinus Martyr (I. apol. c. 67):
^An demjenigen Tage, den man den Sonntag nennt, versammeln sich die
Christen, welche in den Städten und in der umliegenden Landschaft woh-
nen, an einem gemeinschaftlichen Orte. Der Gottesdienst beginnt mit dem
Lesen der Denkwürdigkeiten der Apostel i) , oder der Schriften der Pro-
pheten, soweit die Zeit es gestattet. Wenn die Vorlesung zu Ende ist,
so ermahnt der Vorsteher (Bischof) die Versammlung, den Tugenden nach-
zustreben, wovon der vorgelesene Abschnitt der Schrift Zeugniss gibt.
Hernach stehen wir alle auf und verrichten Gebete. Nach dem Gebete
begrüssen wir uns mit dem heiligen Kusse {(fi'lruia ayiov) nach einer im
apostolischen Zeitalter eingeführten Sitte. Darauf wird dem Vorsteher der
Brüder Brod und Wein, nach antiker Sitte mit Wasser vermischt, dar-
gebracht. Der Vorsteher spricht darüber Lob - und Dankgebete , so gut
er es vermag 2) , und alles Volk spricht dazu Amen. Hernach erfolgt die
Vertheilung von Brod und Wein, worüber das Dankgebet gesprochen wor-
den, unter jeden Einzelnen, und den Abwesenden wird es durch die
Diakonen zugeschickt. Die Wohlhabenden, überhaupt Alle, die den Willen
dazu haben, geben nach ihrem freien Belieben Almosen. Man sammelt
sie und legt sie bei dem Vorsteher nieder; dieser vertheilt sie unter die
Waisen, die Wittwen, unter die, welche wegen Krankheit oder aus einer
anderen Ursache in der Noth sind, unter die um des Glaubens willen in
den Gefängnissen Befindlichen sowie unter die Fremden, überhaupt unter
Alle, welche einer Unterstützung bedürfen. Wir versammeln uns am Sonn-
tage; weil es der erste Tag ist, an welchem Gott die Finsterniss ver-
scheuchend die Welt schuf, und weil an demselben Tage unser Herr Jesus
Christus von den Todten auferstanden ist.''
Noch mehr ausgebildet erscheint der sonntägliche Gottesdienst in den
apostolischen Constitutionen 2, 57, welche die gottesdienstliche Ordnung
von 193 bis 324 darstellen sollen, soweit sich darüber etwas feststellen
lässt. Die Vermuthung ist gegründet, dass der Gottesdienst in den ruhi-
gen Zeiten zwischen der valerianischen und der diocletianischen Verfolg-
ung diese Gestalt hatte.
1) nno^yrjjuopfv/iinia tw»/ anoojoXMy, nach den neuesten und besten Forschungen
unsere kanonischen Evangelien.
2) Justin kennt also noch keine stehenden Gebetsfonnulare. So fasst die Sache
auch Harnack a. a. 0. S. 279.
13*
igg Erste Periode des alten Katholicismus.
Nach einer Verordnung über die Einrichtung der Kirchen, die gegen
Osten gewendet sein sollen, folgen solche, betreffend die Ordnung in der
Versammlung, so dass die Geistlichen und die Laien gesondert sind, unter
diesen Mcänner und Weiber gesondert, und beide wieder in verschiedene
Classen (ta^eig) vertheilt. Junge, Alte, Verheirathete , Wittwen. Die
Diakonen sollen Jedem beim Eintritt in die Kirche seinen Platz anweistm
und für Ruhe und Anstand in der Versammlung sorgen. In der Mitte d«3r
Kirche soll der Lector von einem erhöhten Orte herab abwechselnd vor-
lesen aus dem Pentateuch, Josua, Richter und anderen heiligen Schriften,
aus Hiob, den Schriften Salomo's und den Propheten. Nach Vorlesung
von je zwei Abschnitten soll ein anderer Diakon die Psalmen Davids an-
stimmen, und das Volk leise die Versanfänge ertönen lassen. Darauf folgt
eine Vorlesung aus der Apostelgeschichte, aus den Briefen Pauli und den
Evangelien. Nach Vorlesung des evangelischen Abschnittes sollen alle
Presbyter, Diakonen und Laien aufrecht stehen (offenbar um die Vorträge
anzuhören); denn es heisst Deuteron. 27, 19: Schweige und höre, Israel.
Der Reihe nach sollen nun die Presbyter das Volk ermahnen, doch nicht
alle jedesmal, zuletzt von allen der Bischof. Darauf, nach Entfernung de;'
Katechumenen und Pönitenten beten alle aufrecht stehend und gegen Mor-
gen gewendet. Die Diakonen nehmen die Opfergaben 'in Empfang und
weisen das Volk zur Ruhe. Der neben dem Bischof stehende Diakon ruft :
^,es habe keiner etwas gegen den anderen, es sei keiner hier in heuch-
lerischer Gesinnung" i). Dann begrüssen alle einander mit dem heiliger-
Kusse, doch Männer und Weiber gesondert. Darauf spricht der Diakor
ein Gebet für die gesammte Kirche und für die ganze Welt und alle ihre
Theile, für die Priester (isgeig) und die weltlichen Obrigkeiten, für den
Oberpriester (aQxieQsvg, Bischof) und den König (wobei die Voranstellung
der geistlichen Obern zu beachten ist). Darauf ertheilt der Oberpriester
den Segen nach Anleitung von Numeri 6, 24— 26. Dann geschieht das
Opfer iSvaia) 2), während das aufrechtstehende Volk still betet. Wenn
das Opfer dargebracht ist, soll jede Classe der Anwesenden, abgesondert
von den übrigen, Leib und Blut des Herrn empfcingen , mit Scheu und
Furcht, als hinzutretend zum Leibe eines Königs. Die Weiber sollen
hinzutreten mit verhülltem Haupte, wie es sich für die Weiber geziemt. —
Die Thüren sollen bewacht werden, damit kein Ungläubiger oder nicht
Eingeweihter eintrete.
Was die einzelnen Handlungen des Gottesdienstes betrifft, so erscheint
an erster Stelle, wie wir so eben gesehen haben, das Vorlesen der
heiligen Schrift durch eigens dazu bestellte Vorleser, Nachahmung der
jüdischen Sitte, selbstverständlich in der dem Volke verständlichen Sprache;
das waren in den meisten Gegenden des römischen Reiches die griechische
und die lateinische Sprache. Selbst in Rom war bis in die Mitte des di'itten
1) Diese Formeln hat Oekolampad in"" die Basler Liturgie des heiligen Abendmahls
aufgenommen , und sie sind bis auf den heutigen Tag darin verblieben.
2) Mf^TK Tavrct yiu€<rfho) rj (^vßtn\ ~ was bei Justin noch unter die Ausdrücke
Lob- und Dankgebete sich versteckt, ist hier mit den Gaben deutlich als Opfer bezeichnet.
Der Gottesdienst. Die Schriftlesung und Predigt. 197
Jahrhunderts die griechische Sprache neben der lateinischen die herrschende.
Doch, ob der Gottesdienst in Rom anfänglich griechisch abgehalten wurde, dar-
über fehlen die genaueren Angaben; wenn es der Fall war, so wurde er dadurch
zugänglicher für die vielen Gläubigen aus dem Morgenland, die sich immerfort
in Rom einfanden. Eine Zeitlang wurden auch nicht kanonische Schriften
vorgelesen, z. B. der Pastor Hermae, des Clemens Brief an die Korinther und
zwar nicht blos in dieser Stadt (Euseb 3, 16; 4, 23). Später wurde diess
unterlassen. Es scheint überhaupt niemals in allen Gemeinden gebräuch-
lich gewesen zu sein. Dass die Briefe, die gewisse, angesehene Bischöfe,
z. B. Dionysius von Korinth an andere Gemeinden richteten, — wie denn
dieser Dionysius eine ziemliche Anzahl derselben verfasst hat — , bei dem
Empfang derselben in den Gemeindeversammlungen vorgelesen wurden,
ergab sich von selbst, aber nur wenigen widerfuhr die Ehre eines wieder-
holten Vorlesens. Die Vorträge, die sich an das Vorgelesene anschlössen,
waren sehr einfacher und vertraulicher Art, daher ofiiXtat genannt, wohl
nicht von der jüdischen Synagoge entlehnt, wo die Gemeindeglieder reli-
giöse Fragen aufwarfen, die der jedesmal Vortragende beantwortete; denn
diese Gesprächsform lässt sich bei der christlichen Predigt nicht nach-
weisen. Möglich ist es, dass anfangs, als Redefi'eiheit gestattet war, sich
die Gesprächsform bisweilen ergab. Auf jeden Fall bedeutet der Ausdruck
Homilie eine vertrauliche Ansprache. Im griechischen Morgenlande waren
diese Ansprachen länger, als im lateinischen Abendlande, und wurden nach
und nach mit rhetorischem Schmucke behaftet, wie z. B. bei Paul von
Samosata, dem bereits Beifall zugeklascht wurde. Doch diess fand Miss-
billigung. Grosses Verdienst erwarb sich ürigenes durch seine Homilieen
über mehrere Bücher der heiligen Schrift, durch die Schriftauslegung,
wozu er mächtige Anregung gab, durch die trefflichen homiletischen An-
weisungen, die er ertheilte ^j. Als Zweck alles Redens in der Gemeinde sieht
er die Erbauung an, die ihm sowohl Belehrung als Ervveckung ist ^). Auch
der Kirchengesang ging von dem jüdischen Cultus in den christlichen
über. Aus dem Anfang des zweiten Jahrhunderts haben wir, nach dem
angeführten Berichte des Plinius, das erste deutliche Zeugniss, dass die
Christen in ihren Zusammenkünften ein carmen de Christo sangen. Einen
Hymnus auf Christum theilt Clemens Alexandrinus am Schlüsse des Paeda-
gogus mit. — Es wurden, wie wir gesehen, auch die Psalmen in den Ge-
meindeversammlungen gesungen; der Gesang muss allerdings mehr ein
recitativer Vortrag, als eigentlicher Gesang gewesen sein.
Das Abendmahl, im apostolischen Zeitalter täglich gefeiert, des
Abends und in Verl)indung mit einer Agape (1 Kor. 11, 24. Apostelgesch.
2, 42. 46. Brief Judä v. 12), wurde von Anfang des zweiten Jahrhunderts
tn nur noch am Sonntage in gemeinschaftlicher Feier genossen, zunächst
zwar noch des Abends und in Verbindung mit einer Agape, wie der Be-
1) Der Ausdruck of^Ufty kommt vor von den Ansprachen in den Gemeindever-
sammlungen Apostelgesch. 20, 11. Siehe überhaupt über diesen Gegenstand, Paniel,
Gescliichte der christlichen Beredtsamkeit und Homiletik.
2) Kedepeuuing 2, 248.
198 Erste Periode des alten Katholicismns.
rieht des Plinius es beweist. In manchen Gegenden ist das Abendmahl
vielleicht niemals täglich administrirt worden. Im Laufe des zweiten Jahr-
hunderts wurde die Agape vom Abendmahl getrennt und dieses mit dem
sonntäglichen Morgengottesdienste verbunden. Die Agapen erhielten sich
in einigen Gegenden, verbunden mit Gebet und gewürzt mit erbaulichen
Gesprächen (Tert. apol. c. 39). Doch waren noch immer Uebelstände da-
mit verbunden (Tert. de jej. c. 17. Clemens Alexandrinus im Paedagogus);
die Reichen nämlich veranstalteten solche Mahlzeiten und meinten damit
ein Gott besonders wohlgefälliges Werk zu verrichten. Daher an manchen
Orten die alte Sitte in Verfall gerieth und verachtet wurde, wogegen
noch das Concil von Gangra (c. 360) sich aussprach.
So lange die Agape und das Abendmahl mit einander verbunden
waren, machte die Feier des letzteern keinen Theil des Gottesdienstes aus.
Am Abendmahl nun konnte natürlich kein Ungläubiger oder Unge taufte r
Theil nehmen, wohl aber an dem Gottesdienste des Morgens, der ohne
Abendmahl gefeiert wurde. Aus 1. Kor. 14, 23—25 erhellt, dass Ungläu-
bige, d. h. Heiden zugelassen wurden, weil sie dabei heilsame Eindrücke
erhalten konnten. Die Oelfentlichkeit des Gottesdienstes war auch das
beste Mittel, die Unschuld der Christen ins Licht zu stellen, die ja schon
seit geraumer Zeit durch abscheuliche Verläumdungen angegriffen wurde.
Seitdem nun das Abendmahl nicht mehr am Abend gehalten, sondern mit dem
sonntäglichen Morgengottesdienste verbunden wurde, kam der Gebrauch
auf, dass man- die Katechumenen und Büssenden vor der Feier des Abend-
mahls entliess. Bei dem Abendmahle wurde gewöhnliches Brod (xoipöc
aQtog, wie Justin sagt), gebraucht. Denn diejenigen Gemeinden, welche
der Johanneischen Relation folgten, hatten keine Veranlassung, ungesäuer-
tes Brod zu nehmen, und die der synoptischen Relation folgenden setzten
sich über diesen Unterschied von der jüdischen Passahfeier hinweg. Doch
scheinen die kleinasiatischen Gemeinden, dieselben, welche so eifrig am
vierzehnten Nisan hingen, ungesäuertes Brod gebraucht zu haben. Der
Wein wurde , nach antiker Sitte , mit Wasser vermischt , obwohl die Juden
am Passahfeste den Wein unvermischt tranken. Das Abendmahl wurde
bekanntlich in beiden Gestalten und zwar nicht knieend, sondern stehend
empfangen.
In manchen Kirchen, namentlich in den nordafrikanischen, hielt man
die tägliche Communion für nothwendig, in Gemässheit der Bitte: unser
tägliches Brod gib uns heute, die neben dem buchstäblichen Sinn auch
einen geistlichen Sinn habe, betreffend das Brod des Abendmahles. (Cy-
prianus de oratione c. 18). Da aber in den Gemeindeversammlungen das
Abendmahl nur am Sonntage ausgetheilt wurde, so blieb nichts übrig, als
einen Theil des gesegneten Brodes mit nach Hause zu nehmen, welch^
nun, privatim genossen, die Stelle der ganzen Communion vertrat, — die
erste Spur einer Communion unter Einer Gestalt. So genoss denn Jeder;,
zu Hause nach dem Morgengebet mit den Seinigen das Abendmahlbrod. Aus-!
serdem fand das Abendmahl statt bei der Taufe Neubekehrter. Seit dem j
Anfang des dritten Jahrhunderts gab man auch den neugeborenen Kindern j
unmittelbar nach der Taufe die Communion. Da man nämlich Joh. 6 die Rede Jesu .
Der Gottesdienst. Das Abendmahl. 199
vom Essen seines Fleisches und Trinken seines Blutes direct auf das Abendmahl
bezog, so wären die Kinder, welche starben, ohne das Abendmahl empfangen
zu haben, der Seligkeit verlustig gewesen (Cyprian de lapsis c. 2b). Doch
diess war melir oder minder vereinzelte Vorstellung und Praxis. Immer-
hin zeigt sich darin eine Veräusserlichung des geistigen Actes der Com-
munion, wie denn die frommen Geschichten, die Cyprian bei diesem An-
lasse erzählt, an das Magische grenzen. Wenn die Kinder noch nicht im
Stande waren, Brod zu essen, wurde ihnen etwas vom Abendmahls- Wein
eingegossen, doch diess nicht allgemein, aus dem Grunde, weil die Kin-
dertaufe nicht allgemein eingeführt war.
In der vorstehenden Darstellung ist von einem mit dem Abend-
mahl verbundenen sichtbaren, materiellen Opfer, welches der
Communion vorausging, sowie von dieser als von dem Empfang des
Leibes und Blutes des Herrn die Rede gewesen. Diese zwei Punkte
erheischen eine genaue Erörterung i).
Nichts sieht weniger einer Opferhandlung ähnlich , als das letzte Mahl
des Herrn mit seinen Jüngern, gleichviel ob wir es mit den synoptischen
Evangelien als Passahmahlzeit oder mit Johannes als dem Passah voraus-
gehende gewöhnliche Mahlzeit auffassen. Das Abendmahl ist sogar der
directe Gegensatz vom Opfer und schliesst es geradezu aus. Die Opfer-
handlung setzt ein zu opferndes Object voraus, welches der Opfernde Gott
darbringt, um ihm seinen Dank zu bezeugen oder dessen Gnade sich
zuzuwenden. Im Abendmahl aber sind es nicht die Theilnehmenden , die
da geben, sondern der Herr gibt und die Jünger sind die Empfangenden,
üeberdiess wissen wir ja, dass im neuen Bunde, wovon das Abendmahl die
rituelle Einweihung ist, alle sichtbaren, materiellen Opfer durch das einige
Opfer Christi abgethan sind, jene Opfer, die schon durch die Propheten
virtuell waren abgethan worden. Das Neue Testament spricht wohl noch
von Opfern im geistigen Sinne, wozu alle Gläubigen berufen sind 1. Petri 2,
5. 9; der Brief an die Hebr. 13, 16 nennt die Almosen Opfer, an de-
nen Gott Wohlgefallen habe, Paulus ermahnt die Gläubigen, ihre Leiber
Gott als Opfer darzubringen Rom. 12, 1. Aber das Alles hat nichts zu
schaffen mit dem sichtbaren Opfer im Abendmahl. Man kann sich, um die
Opferidee zu beweisen, auch nicht darauf berufen, dass der Herr, ehe er
die Elemente austheilte , nach dem Vorbilde des jüdischen Familienvaters
den Segen , den Dank sprach. Dieser Segen , dieser Dank war kein Opfer
und auch nicht die Einleitung dazu. Der Herr segnet und dankt noch bei
anderen Mahlzeiten (Job. 6, 11. Matth. 15, 36. Luc. 24, 30), sowie auch
Paulus (Apostelgesch. 27, 35).
Wie so kam denn die Idee eines sichtbaren, materiellen Opfers in
den geschlossenen Kreis der altchristlichen Anschauung? Da in der Ein-
1) Siehe Ebrard, das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte
1845. — Kahnis, dieLehre vom Abendmahl 1851. — Eückert, das Abendmahl, sein
Wesen und seine Geschichte 1856. — Steitz, die Abendmahlslehre der griechischen
Kirche u. s. w. in den Jahrbüchern für deutsche Theologie 1864 — 1867. — Höfling,
die Lehre der ältesten Kirche vom Opfer im Loben und Cultua der Christenheit 1851.
200 Etste Periode des alten KatliolicismüS.
Setzung des Abendmahls durch den Herrn weder direct noch indirect die
leiseste Andeutung davon gegeben war, so muss sie von aussen her hin-
eingetragen worden sein. Ein der ursprünglichen Einsetzung völlig frem-
der Gebrauch, an sich von zufälliger Natui*, schon seit undenklichen Zeiten
aufgegeben, ist, wenn nicht die eigentliche Ursache, so doch die Veran-
lassung geworden für die Entstehung eines sichtbaren mit dem Abendmahl
verbundenen Opfers. Denn dieser Gebrauch hätte die genannte Veran-
lassung nicht darbieten können, wenn die Geister dazu nicht vorbereitet
gewesen wären durch ihre ererbten religiösen Vorstellungen und wenn man
den Opferbegritf, obgleich auf noch so künstliche und willkürliche Weise,
mit den Angaben der Schrift nicht zu vereinbaren gewusst hätte. Wir
stehen hier bei dem punctum sallens einer unbiblischen Lehre und Praxis,
die seitdem in riesigen Dimensionen sich entwickelt hat.
Der aus dem apostolischen Zeitalter herrührende Gebrauch, das;^
die Gläubigen für die Agapen Speise und Trank herzubrachten, die nun
gemeinsam genossen wurden, dieser Gebrauch bestand fort und fort, auch
nachdem das Abendmahl von der Agape abgesondert und am Morgen ge-
feiert wurde. Diese Gaben der Gläubigen, aus Brod und Wein bestehend
dienten auch zum Unterhalte des Klerus und zur Unterstützung der Armen
In der Sprache des Volkes , die übrigens mit Hebr. 13, 16 übereinstimmte,
nannte man diese Gaben Darbringungen, (jiQogcpoQai, ohlationes),
auch Opfer, {^vtriat, sacrificia). Es galt als Grundsatz, dass Niemand
ohne solche Gabe sich dem Tische des Herrn nahen durfte. Daher Cy-
prian (de opere et eleemosynis c. 15) eine reiche Dame, die nicht geopfert
hatte, scharf rügt: „du bist reich, und du bildest dir ein, das Mahl
des Herrn zu feiern, du, die du einen Theil des von den Armen dargebrach-
ten Opfers verzehrst"? Der Bischof spricht hier, sich dem Volksausdrucke
anbequemend. Denn, da man im Alterthum keinen Gottesdienst ohne
sichtbares, materielles Opfer sich denken konnte, so war das Volk froh,
in jenen Darbringungen ein Aequivalent der abgethanen heidnischen Opfer
unter anderer Form zu finden. So wurde die Feier des Abendmahls
nach diesem von aussen herbeigezogenen Gebrauche benannt. Das Abend-
mahl gemessen, das hiess opfern, — es geniessen im Andenken an die
Märtyrer oder an andere Verstorbene, das hiess für dieselben Opfer dar-
bringen. Denn die Communicanten bestritten durch ihre Darbringungen
die Kosten der Communion (Tert. de Corona c. 2; de exhortat. castit.
c. 11; de monogamia c.J 10. Cyprian ep. 34. 37). Die Vorwürfe, welche
die Heiden gegen die Christen erhoben wegei> ihres opferlosen Cultus, ^
haben gewiss dazu beigetragen , die Christen in dieser Anschauungsweise 1
zu bestärken. Von Anfang an war aber noch ein anderer Ausdruck für *
dieselbe Sache aufgekommen, der Ausdruck evxccQKTtia für Brod und
Wein, worüber das Danksagungsgebet gesprochen worden. Die Art wie
Justin (1 apol. 66) i) und Origenes (c. Celsuni 8, 33) 2) davon reden , zu-
sammengestellt mit den übrigen Auslassungen der Väter über denselben
1) Kat ttVTt] j TQ0(p?j xalfiTttt nng' ij^ip fvxttQterta,
2) uiQxog evxagiCTitt xaXov^evog,
Der Gottesdienst. Der Öpfercnltus. 201
Gegenstand, ist ein Beweis dafür, dass sie den populären Ausdruck im
Auge haben. Das Missliche in dieser Sache war, dass die Einsetzung des
Herrn nach dem benannt wurde, was der Mensch dazu gab, dabei that, —
was den Ausdruck Eucharistie betrifft, zwar mit Anschliessung an das,
was der Herr gethan, jedoch in veränderter Bedeutung.
Die Väter eigneten sich diese Anschauungsweise und Ausdrucksweise
an, aber nicht ohne sie nach der Norm der Schrift zu begrenzen und zu
berichtigen, und eben daraus schliessen wir, dass die Verbindung des
Abendmahls mit der Opferidee den erwähnten volksmässigen Ursprung hat.
Doch so löblich die Bemühungen der Väter in dieser Hinsicht sein mögen, so
sehr sie im Einzelnen Richtiges vorbringen, so gelingt es ihnen doch nicht,
den keimenden Irrthum auszureissen ; sie lassen den Keim, die Wurzel
stehen und legen so unbewusst und unwillkürlich den Grund zu verstärk-
tem Irrthum.
Nach den ersten Spuren des Opfercultus bei Clemens 1 Kor. c. 40.
41. 44 ^j finden wir bei Justinus Martyr diesen Opfercultus schon viel
mehr ausgeprägt, in Verbindung leider! mit einem Glauben an Christum,
der ihn mehr als Lehrer (öiSaaxaXog 1 Apol. 13) denn als Versöhner
auffasst. Vor allem ist zu beachten, was Justinus a. a. 0. zur Rechtfer-
tigung des opferloseu Cultu.s der Christen sagt: Sie bringen Gott keine
blutigen Opfer, noch Libationen, noch Weihrauch, dar, — deren er nicht
bedarf. Sie erachten, die einzig wahre Verehrung, die sie ihm darbringen
können, bestehe nicht darin, durch Feuer zu verzehren, was er ihnen zur
Nahrung gegeben, sondern es füi' sich selbst zu gebrauchen und es den
Dürftigen mitzutheilen. Doch sieht er Brod und Wein des Abendmahles
als Opfer (^vaiai) an; sie sind das reine Opfer, wovon Maleachi 1, 11
spricht, das Gott überall unter den Völkern dargebracht wird (Dialog c. 41.
116). Diese sichtbaren Opfer verschmelzen sich aber mit den Gebeten und
Danksagungen, die nun doch, sofern sie nämlich von den Christen, nicht von
den Juden verrichtet werden, „die einzig wahren, vollkommenen, Gott wohl-
gefälligen Opfer" sind (Dialog, c. 117), so dass die Elemente des Abendmahles
als die sinnlichen Substrate dieser einzig wahren Opfer aufgefasst zu sein schei-
nen. Doch dieser Gedanke ist nicht ausgedi"ückt, sondern Thesis und Antithesis,
die volksmässige Anschauung und die berichtigende theologische Anschauung
werden unvermittelt neben einander gestellt. Der Inhalt aber dieser
Danksagung oder dieses Opfers ist ziemlich weit hergeholt, damit sie um
so bedeutsamer erscheine. Man dankte 1) für die Erschaffung der Welt,
insbesondere für alle trockene und flüssige Nahrung, repräsentirt durch
die Gaben von Brod und Wein, 2) für die Menschwerdung des Wortes,
3) für das Leiden Christi und dessen Wirkungen (Dialog, c. 41. 70). Diese
1) Er kennzeichnet die Bischöfe oder Presbyter als diejenigen, welche die Gaben
der Gemeinde bei dem Abendmahl darbringen {rovg 7i()ogeyfyxovras rrt (fojQa). Höfling
weist unwidersprcchlich nach, dass Clemens hierin keineswegs die katholische Messopfer-
lehrc vertritt; das Neue und Auffallende der Sache ist, im Vergleiche mit der Art, wie
Paulus das Amt und die Functionen der Bischöfe beschreibt, dieses, dass Clemens über-
haupt von einem Opferdienst derselben redet, wovon Paulus nichts weiss.
202 Erste Periode des alten Katholicismus.
Danksagung, gesprochen über die Elemente, bildete die eigentliche Opfer-
handlung und war zugleich die Consecration, wodurch Brod und Wein, Leib
und Blut Christi wurden (1. Apol. c. 66). Brod und Wein, nachdem sie
diese Consecration empfangen, hiessen nun selbst Eucharistie, so dass
dasselbe Wort die Danksagung, die Consecration, die Opferhandlung und
die consecrirten Elemente bedeutete. Demnach ruht für Justin der Schwer-
punkt der ganzen Eeier des Abendmahles nicht in der Comnmnion, son-
dern in der eucharistischen Consecration, und zwar in solchem Grade, dass
Justin im Interesse dieser Idee sich erlaubt, die Reihenfolge in den Wor-
ten der Einsetzung und den Sinn dieser Worte zu ändern. ;,Der Herr
nahm das Brod, dankte und sprach: dieses thut zu meinem Gedächtniss.
Das ist mein Leib. Gleicherweise nahm er den Kelch, dankte und sprach:
das ist mein Blut, und befahl, solches allein ihnen, (d. h. den getauften
Gläubigen) zu geben. ^ (I Apol. c. 66). So beziehen sich die Worte: thu*.
solches zu meinem Gedächtniss, nicht auf die Worte : nelimet, esset, welche;
gar nicht angeführt sind, sondern auf die Consecration mittelst der Dank-
sagung, wodurch die Elemente Leib und Blut Christi werden; nicht darauf
legt er Gewicht, dass die Elemente zum Genüsse ausgetheilt, sondern,
dass sie nur unter die getauften Gläubigen ausgetheilt werden. Denn das
steht im Zusammenhang damit, dass Brod und Wein durch die Conse-
cration Leib und Blut Christi werden. Dahin also ist ein Kirchenlehrer
so nahe am apostolischen Zeitalter, — die genannte Apologie datirt aus
den Jahren 138 oder 139, — geführt worden in Eolge eines Gebrauches,
welcher der ursprünglichen Einsetzung des Abendmahles völlig 'fremd ist.
Immerhin ist anzuerkennen, dass Justin nirgends eine Opferung des Leibes
und Blutes Christi im Abendmahl andeutet. Der deutlichste Beweis, dass
ihm ein solcher Gedanke fremde ist , liegt in der Anführung , dass Gott
die Opfer der Christen denjenigen der Juden vorzieht, nicht weil jene
Christi Leib und Blut opfern, sondern weil sein Name durch sie verherr-
licht wird. Er bezieht sich also nicht auf den Unterschied der Objecte,
um den Opfern der Christen den Vorzug vor denen der Juden zu geben,
sondern auf den Unterschied der subjectiven Gesinnung beider. Ebenso
ist anzuerkennen, dass Justin das allgemeine Priesterthum der Gläubigen
vollkommen gelten lässt. Sie bringen die Gaben dar als Priester; denn,
sagt er, von Niemand nimmt Gott Opfer an als durch Vermittlung der
Priester (dialog. c. 116).
Irena US kennt und behandelt das eucharistische Opfer und beweist
es auf dieselbe Weise wie Justin, jedoch neue Gesichtspunkte aufstellend.
Er hat im Auge die Polemik gegen Gnostiker und Ebioniten, und gegen
die einen wie gegen die anderen sucht er die Einheit und Harmonie
zwischen beiden Testamenten so wie ihre Verschiedenheit ins Licht zu
setzen. Daher stellt er den Satz auf, dass die levitischen Verordnungen
über die Opfer keineswegs voraussetzen, dass Gott der Opfer bedürfe,
noch dass er dadurch gegen uns gnädig gestimmt werde. Sie entsprechen
lediglich einem Bedürfnisse der Menschen. Ihr Zweck ist, die Menschen
mittelst äusserlicher Dinge zu geistigen Dingen, durch Bilder und Typen
zum Wesen hinzuleiten. Zur Bestätigung dieser Behauptung führt er
Der Gottesdienst. Der Opfercultus. 203
mehrere Stellen aus den Psalmen und Propheten an, nach welchen Gott
keine Opfer von Thieren verlangt, weil die Erde una Alles, was sie ent-
hält, ihm gehört, Stellen, in denen das einzige wahrhafte Opfer, das des
zerknirschten Herzens, erwähnt wird, und woraus hervorgeht, dass Gott
von den Juden keine ßrandopfer forderte, sondern Glaube, Gehorsam und
Gerechtigkeit zu ihrem Heile.
Man würde darin schwerlich die Prämissen zu einem sichtbaren , ma-
teriellen Opfer, welches mit dem Abendmahle verbunden wäre, erkennen.
Doch stellt Irenäus ein solches auf, zwar nicht, ohne es einigermassen zu
vergeistigen, aber auch nicht, ohne den Worten der Einsetzung einen Sinn
unterzulegen, der gewiss nicht der Sinn war, den der Herr damit ver-
band 4, 17. 5. ;,Seinen Jüngern den Rath gebend, Gott die Erstlinge
seiner Creaturen zu opfern, nicht als ob er deren bedürfte, sondern auf
dass sie nicht unfruchtbar und undankbar wären, nahm der Herr das Brod,
welches von der (sichtbaren) Schöpfung herkommt und sprach die Dank-
sagung , indem er sagte : das ist mein Leib ^). Ebenso bekannte er , dass
der Becher , welcher von der Schöpfung herkommt, wozu wir gehören, sein
Blut ist (enthält), und so setzte er das Opfer (oblatio) des neuen Testa-
mentes ein, welches die Kirche von den Aposteln empfangen hat und
welches sie in der ganzen Welt Gott darbringt, der uns die Nahrung gibt,
die Erstlinge seiner Gaben im Neuen Testament, von welchem Opfer Ma-
lachias (1, 11) gesprochen hat." Wie bei Justin sind die Worte: das ist
mein Leib, von den anderen Worten der Einsetzung: nehmet, esset, ge-
trennt, diese sind wie bei Justin nicht einmal erwähnt, denn sie passten
wie für Justin so auch für Irenäus nicht, der ebenfalls den Schwerpunkt
der Feier nicht in die Communion, sondern in die Consecration setzt.
Irenäus verfährt noch willkürlicher, als Justin, indem er die Danksagung
deren ursprünglicher Begriff ihm schon ganz entschwunden ist, so dass sie
lediglich Consecration ist , auf die Worte : das ist mein Leib , beschränkt.
Nun folgen zwar als Cautelen mehrere Stellen aus dem Alten Testament,
ähnlich oder gleichlautend den aus Anlass der levitischen Opfer beige-
brachten , damit n icht der Wahn genährt werde , als ob die sichtbaren
Opfer genügten, um Gottes Gnade dem Opfernden zuzuwenden, als ob nicht
die subjective Gesinnung desselben es sei, wodurch sein Opfer Gott ange-
nehm gemacht werde. Irenäus schreitet sogar bis zu der Behauptung fort,
dass der Altar und der Tempel, wo man die wahren Opfer bringt, nicht
auf der Erde, sondern im Himmel sind; ;,denn gen Himmel sind unsere
Gebete und Opfer gerichtet" (4, 18, 6). Daher die Sache wie bei Justin
den Anschein gewinnt, als ob die sichtbaren Opfer von Brod und Wein
nur der symbolische Ausdruck seien des inwendigen Opfers der Seele, die
sich Gott mit allem, was sie besitzt, hingibt. Doch besteht Irenäus darauf,
dass auch im neuen Bunde das Gebot des Deuteronom. (16, 16) gelte : „du
sollst vor Gott nicht mit leeren Händen erscheinen." Er hält fest, dass
es im neuen Bunde wie im alten sichtbare Opfer gebe. Auch im Alten
1) Gratias egit dicens: hoc est corpus meum.
204 Erste Periode des alten Katholicismus.
Testamente wurden Gott die Erstlinge seiner Creaturen dargebracht.
Wenn aber demnach das Genus der Oblationen keine Veränderung erfah-
ren hat, so ist doch die Species eine andere geworden. Die Veränderung
besteht darin, dass die Oblationen jetzt nicht mehr mit knechtischem Sinne
als von Knechten, sondern mit freiem, kindlichem Sinne als von Freien
und Kindern geschehen *). Während jene gesetzlich gezwungen den Zehn-
ten von ihrer Habe gaben, widmen diese, weil sie die Hoffnung höherer
Güter haben, all das Ihrige Gott, wie jene Wittwe, die all das Ihrige in
den Kasten Gottes warf.
Hiezu ist zu bemerken: 1) sofern Ii'enäus die Verordnung des Deu-
teron. 16, 16 in ihrem buchstäblichen Sinn auf den neuen Bund bezieht,
begeht er eine Verquickung des neuen Bundes durch den alten, welche,
ungeachtet der darauf folgenden Bemerkungen, der christlichen Religion
ein gesetzliches Gepräge aufdi'ücken und die Vorstellung begünstigen musste,
dass man von Gott nichts empfangen könne, es sei denn, dass ihm zuvor
etwas gegeben worden, gleichviel ob es materieller oder geistiger Natu]'
sei. 2) In der ganzen Ausfühi'ung ist nicht die leiseste Andeutung, dass
Gott Leib und Blut Christi dargebracht werden; im Gegentheil, diese Vor-
stellung ist durch die ganze Ausführung geradezu ausgeschlossen 2). Wi€
hätte Irenäus sonst den Unterschied zwischen den Opfern des alten und denen
des neuen Bundes blos auf dem Gebiete des Subjectiven gesucht und nur in
einer Verschiedenheit des Sinnes der Darbringenden gefunden V 3) Die an-
geführten Worte vom Brode, welches von der Schöpfung herkommt Oiui est
ex creatura), vom Becher, welcher von der Schöpfung herkommt, wozu wir
gehören (qui est ex ea creatura, quae est secundum nos) , betreffen die
Polemik gegen die Gnostiker. Dass diese Polemik selbst auf dieses der-
selben fern liegende Gebiet übertragen wurde, ist ein neuer Beweis dafür,
wie sehr sie die Geister beschäftigte. Nur ist es zu bedauern, dass sie
Anlass gab, die ursprüngliche Lehre vom Abendmahl in Verwirrung zu
bringen. Der Gedanke des Irenäus wird aus einer anderen Stelle (4, 18)
klar. Die Lehre der Gnostiker, meint er, wird durch das Abendmahl
widerlegt. Denn sie können, ihren Grundsätzen gemäss, nicht glauben,
dass Brod und Wein Fleisch und Blut Christi sind, wenn sie ihn nicht für
den Sohn Gottes des Schöpfers halten, d. h. Christus kann nicht aus Din-
gen der sichtbaren Schöpfung, wozu auch wir gehören, seinen Leib und
sein Blut bereiten, es sei denn, dass er der Sohn des Schöpfers sei,
das Wort, durch welches alle Dinge gemacht worden. 4) Wenn Irenäus
1) Daher wohl der obige Ausdruck, dass der Herr den Jüngern den Rath (nicht
das Gebot) gab, Gott die Erstlinge seiner Creaturen zu opfern.
2) Die katholischen Theologen haben zwar diese Vorstellung zu finden gewähnt
in der Lesart einiger codd.: Judaei autera non oflferunt. Manus enim eorum sanguine
plenae sunt. Non enim receperunt verbum, quod offertur Deo, — statt per quod
offer tur Deo (4. 18, 4), wie andere codd. lesen. Aber die Vorstellung, dass der
göttliche Logos Gott geopfert werde, ist der katholisclien Theologie dieser Zeit völlig
fremd. Es lässt sich viel eher erklären, dass per gestrichen worden, als dass es hinzu-
gesetzt wurde. Stieren lässt auch per aus, bezieht aber verbum auf die Gebete bei der
Teier des Abendmahles.
Der Gottesdienst. Der Opfercultus. 205
lehrt, dass die Kirche die Oblation des neuen Bundes von den Aposteln
empfangen hat, so meint er nicht, es sei durch Vermittlung der münd-
lichen Tradition geschehen, sondern er bezieht sich auf die Deutung, die
er, Justin nachfolgend, den Worten der Einsetzung gegeben hat. 5) Wie
willkürlich und falsch diese Deutung sei, springt sogleich in die Augen,
ist aber sonderbarer Weise bis jetzt wenig beachtet worden. In jener feier-
lichen Stunde, da der Herr, erfüllt vom Gedanken seines Todes, das Mahl
des neuen Bundes der Gnade stiftete, lag ihm gewiss nichts ferner, als,
indem er das gewohnte Tischgebet sprach, den Aposteln den Bath zu ge-
ben, sie sollten die Erstlinge der Schöpfung Gott als Opfer darbringen.
Damit verschliesst sich Irenäus die Einsicht in das Wesen des heiligen
Mahles und in die heilsökonomische Bedeutung desselben. Daher von der
Versicherung der Sündenvergebung auch bei ihm durchaus keine Rede ist.
Die alexandrinischen Kirchenlehrer so wie Tertullian kennen das
eucharistische Opfer, wir finden aber bei ihnen keine Weiterentwicklung
des Begriffes. Clemens Alexandrinus führt es nur an zwei Stellen, Stromata
1, 19. 4, 25, ganz kurz an, während er sich über die geistigen Opfer aus-
führlich verbreitet 1). Origenes spricht deutlich den Gedanken aus, dass
das Abendmahlsbrod , welches der Gläubige gestiftet hat, ein Symbol ist
unserer Dankbarkeit gegen Gott ^). Was derselbe Lehrer von den Opfern
im Allgemeinen sagt, zeigt uns schon sehr deutlich die gefährliche Wend-
ung, welche diese Sache nahm. Er lehrt zu wiederholten Malen, dass der
Mensch Gott geben nuiss, wenn er will', dass Gott ihm gebe. Er lehrt zwar
auch, dass der Mensch nur dann Gott geben kann, wann er zuvor von ihm
empfangen hat. Aber er kommt immer wieder zum ersten Satze zurück:
,,Gott will vor allem von uns empfangen und darnach uns geben^^ — die
Frucht der Lehrweise des Justin wie des Irenäus. — Seit Tertullian und
von ihm empfohlen kam die bedenkliche Sitte auf, das eucharistische Opfer
auch für die Verstorbenen (Märtyrer und Verwandte) zu bringen. Wenn
es auch dabei auf die Erweisung einer fortdauernden Gemeinschaft mit
den Abgeschiedenen abgesehen war, so ist doch nicht zu läugnen, dass
die kirchliche Fürbitte sich dadurch in ein Gebiet, für welches sie keine
Verheissung empfangen, wagte und so den Grund legte zu grossen Ver-
irrungen.
Bei Cyprian in der Mitte des dritten Jahrhunderts nimmt der
eucharistische Opferbegriff eine überraschend neue Wendung, obschon,
wenn wir die Sache genau ansehen , der Keim dazu in dem Lehrtropus des
Justin und des Irenäus gegeben war. In der That, wenn die consecrirten
Elemente Eucharistie genannt werden, wenn sie durch die Consecration
Leib und Blut Christi werden, wenn die Eucharistie das einzig wahre
Opfer ist, das die Christen darbringen, kann man sich wundern, wenn die
Vorstellung sich bildet, dass im eucharistischen Opfer Leib und Blut Christi
1) Zu beachten ist, dass er das Wort sv/rt^KiTsty als Opfern gebraucht und wie
ein verbum activum construirt: ftGt yuQ, sagt er Strom. 1, 19, oi xai v^(o() \lnXov fv
XnQtGTovfTiy.
2) 2:v/iißoi.oy TJjq ttqq^ roy ^€ov fvxftQKtrtag C. Celsum 5, 7.
2Qß Erste Periode des alten Katholicisinus.
geopfert werden? Dazu schreitet der Bischof von Carthago fort bei einem
an sich sehr äusserlichen Anlass, d. h. bei Gelegenheit des Gebrauches
statt gemischten Weines im Abemlmahl blos Wasser zu verwenden, welchen
Gebrauch Cyprian mit Recht durchaus verwirft ep. 63. Es muss davon
ausgegangen werden, dass wie schon bei TertuUian, so auch bei Cyprian
(ep. 5. c. 2) offerre ohne beigefügten Accusativ bisweilen die ganze prie-
sterliche Verrichtung bei dem Abendmahle, insbesondere auch die Distri-
bution ausdrückt, so dass die Sacramentsverwaltung selbst in ihrem ganzen
Verlauf zum sacrificium wird. War einmal der Begriff offerre so unklar
über seine Grenzen erweitert, so konnte er auch auf alle Objecte bezogen
werden, welche überhaupt bei der Abendmahlsfeier in Betracht kamen.
Daher führt Cyprian in völlig neuem Sprachgebrauche Leib und Blut Christi,
ja das Leiden Christi (passio est Bomini sacrificium) und sogar die Namen
der Darbringenden als Gegenstände des Opfers an. Diese Auffassung der
Sache erhält die stärkste Bestätigung durch die Behauptung, dass Christus
bei der Stiftung des Abendmahls sich selbst geopfert und dass gleicher-
massen bei jeder Abendmahlsfeier der Priester ein wahres Opfer dai-
bringe ^). Nun modificirt und limitirt sich die Sache zwar dadurch, dass
es sich um eine Gedächtnissfeier handelt, wo man doch folgerechter Weiso
eine Wiederholung des Opfers Christi nicht erwartet, und dass zuletzt da>
Abendmahl als Vermählung Christi und der Kirche aufgefasst wird (63, 12; ,
deren symbolischer Ausdruck das die Gemeinde nach Apokal. 17, 15 vor-
stellende Wasser ist, was mit dem Weine des Abendmahls vermischt wird,
während auch das aus vielen zusammengemahlenen Körnern bestehende
Brod die Gemeinde vorstellt, die in Christo, dem himmlischen Brode ge-
einigt, Einen Körper bildet. Diese mit Christo sacramentlich geeinigtt
Gemeinde ist es, welche der Priester Gott zum Opfer darbringt, dieses
Opfer der Gemeinde kommt hinzu zum Opfer des Herrn. Auf der Ver-
bindung beider Opfer ruht die veritas und plenitudo des eucharistischen
Opfers. Darum kann Cyprian die Gemeindecommunion nicht vom Opfer
trennen; darum leitet er die Vergebung der Sünden und den Frieden der
Versöhnung nicht aus der priesterlichen Oblation, sondern aus dem Genüsse
des Sacramentes ab (63, 11). Der wichtige Fortschritt, den Cyprian über die
frühere Auffassung hinaus gemacht hat, liegt somit auch darin, dass die freie
Selbstaufopferung der Gemeinde vor dem Abendmahl ihm zu einer Aufopfer-
ung derselben durch die priesterliche Function wurde und dass ihr sacra-
mentales Geeintsein mit Christo schon als constitutives Moment an den
Opferbegriff herantritt, was das völlige Zerfliessen von sacramentum und
sacrificium zur Folge hat. Auf der einen Seite also präfigiu'irt Cyprian das
spätere katholische Dogma von der Opferung des Leibes und Blutes Christi,
auf der anderen Seite hebt er es wieder zum Theil auf.
1) Ep. 63 , 14. Si Jesus Christus . . . ipse est summus sacerdos Dei patris et
sacrificium patri se ipsum primum obtulit et hoc fieri in sui commemoratioDem praecepit,
utique ille sacerdos vice Christi vere fungitur, qui id, quod Christus fecit, imitatur et
sacrificium verum et plenuin tunc offert in ecclesia Deo patri, si sie incipiat offerre. se-
cundum quod ipsum Christum videat obtulisse.
Der Gottesdienst. Das Abendmahl. 207
Durch die eucharistische Consecration werden Brod und Wein des
Abendmahls Leib und Blut Christi. Es lässt sich von vorn herein erwar-
ten, dass wenn dem evxaQiatsiv des Herrn, dem Tischgebete die Kraft
einer eigentlichen Consecration zugeschrieben wurde, die Vorstellung von
der Wirkung davon sich entsprechend jener Kraft gestalten musste.
Doch finden wir sehr divergirende Ansichten über das Verhältniss der
Elemente zu Leib und Blut Christi, über die Art der Gegenwart Christi
im Abendmahl. Es lässt sich in den Lehrerörterungen der Väter dieser
Periode der römisch-katholische, der lutherische und der reformirte Lehr-
begriff nachweisen, doch keiner vollständig, keiner zur Reife entwickelt,
was man von vornherein erwarten muss in dieser Anfangsperiode. Zum
Verwundern ist es aber, dass die divergirenden Anschauungen in keinen
Conflict miteinander geriethen, dass sich kein Streit über das Abendmahl
erhob. Es lässt sich diess nur erklären theils aus der elementaren Gestalt
der Spendeformel (der Leib Christi, das Blut Christi), theils aus dem
Umstände , dass die junge, von äusseren und inneren Feinden angefochtene
Kirche ungleich Wichtigeres zu thun hatte.
Obwohl die symbolische Bedeutung der Einsetzungsworte des Abend-
mahls deutlich genug in die Augen springt , so war doch bei der im heid-
nischen Kreise herrschenden Vermengung von Gott und Welt Gefahr vor-
handen, dass dieselbe auch auf das christliche Gebiet zurückwirken möchte.
Man hat Spuren davon bei Ignatius (ad Smyrn. c. 7 ad Ephes. c. 20) finden
wollen, aber näher besehen, verschwinden diese Spuren in Nichts. Ignatius
bewegt sich im Kreise der symbolischen Auffassung i).
Bei Justinus Martyr beginnt die Verdichtung der auf das Abendmahl
bezüglichen Anschauungen, dieselbe Verdichtung, die sich auch darin zeigt,
dass derselbe Philosoph die Wiedergeburt durch das Wasser der Taufe mit
der physischen Entstehung des Menschen e? vYQa(; (rnogag zusammenstellt
(1 Apol c. 61). Die oft angeführte Hauptstelle vom Abendmahl ist die
1 Apol. c. 66. Nachdem Justinus erwähnt hat, dass die Eucharistie nur den
getauften Gläubigen gereicht werde, führt er als Grund an: ^.Denn nicht
als gemeines Brod noch als gemeinen Trank empfangen wir dies, sondern,
wie durch das Wort Gottes Fleisch geworden Jesus Christus unser Erlöser
sowohl Fleisch als Blut um unseres Heiles willen hatte, so sind wir auch
gelehrt worden, dass die durch das von ihm stammende Wort des Gebetes
gesegnete Nahrung, wodurch unser Fleisch und Blut gemäss der Umwand-
lung (xata fxetaßoXrjv) genährt werden. Fleisch und Blut jenes Fleisch gewor-
denen Jesus seien.'' Der Satz stellt zwei analoge Vorgänge auf: 1) das
Fleischwerden Christi (ungeschickter Ausdruck), 2) das Fleischwerden des
Brodes. Der Nachdruck liegt auf den Worten: durch das Wort Gottes
(dia Xoyov ^eov), durch das von ihm stammende Wort des Gebetes
{di: €vxf}g Xoyov tov naq' avtov). Durch sie sind beide Vorgänge als
duixh höhere Kraft bewirkt bezeichnet, dort durch ein allmächtiges Gottes-
Wort (Luc. 1, 31), hier durch ein Wort Christi im Munde seiner betenden
1) Diess hat Steitz a. a. 0. bewiesen.
208 Erste Periode des alten Katholicismus.
Kirche (wohin Justin wohl auch die Worte: das ist mein Leib, hinzu-
nimmt); es erfolgt ein Fleischsein des Brodes durch dieselbe Kraft des
Wortes, wodurch Christus Fleisch geworden. Die Verwandlung aber, wo-
von Justin spricht, ist nicht vom Werden des Brodes zum Leib Christi,
sondern zu unserem Leibe zu verstehen. Sowie nun Brod und Wein im
natürlichen Nahrungsprocesse unser Fleisch und Blut werden, so werden
sie durch übernatürliche Kraft Fleisch und Blut Christi, durch dieselbe
Kraft, die Christi Fleischwerdung bewirkte. Justin scheint anzunehmen,
dass Brod und Wein nicht durch Umwandlung der Substanz Leib und Blut
Christi geworden sind, sondern vermöge der Veränderung, durch welche
ein und derselbe Stoff in dem allgemeinen Stoffwechsel der Natur in andere
Formen des organischen Lebens übergeht, also eine Transformation
scheint Justin anzunehmen.
Irenäus gibt der Lehre von der leiblichen Gegenwart des Herrn eine
andere Wendung und bringt sie in neue Beziehungen (4, 18. 4. 5). Ei*
geht aus von der Bestreitung der Auferstehungslehre durch die Gnostikei*
und gebraucht die Eucharistie als Beweis für diese Lehre; darauf scheint
er die heilsökonomische Bedeutung des Abendmahls zu beschränken. Wie-
derum also greift die Polemik gegen die Gnostiker störend in die Entwicklung
des Dogma's ein. ;,Wie das von der Erde stammende Brod, wenn es die
Anrufung (exxXfjcrig^ eigentlich Herausforderung, soviel als das später in
den Liturgieen oft vorkommende enixXrjtng) Gottes empfängt, nicht mehr
gemeines Brod ist^ sondern Eucharistie, welche aus zwei Stücken (Ttgccy-
liaxa) besteht, einem irdischen (nämlich Brod und Wein) und einem himm-
lischen (nämlich dem Weihesegen und der dadurch hervorgebrachten Wirk-
ung), so sind auch unsere Leiber, wenn sie die Eucharistie empfangen,
nicht mehr vergänglich, da sie die Hoffnung der Auferstehung haben.*
Irenäus nimmt nicht eine Veränderung oder Verwandlung der Substanz
des Brodes und Weines an, sondern eine Veränderung der Wirksamkeit
dieser irdischen Stoffe, mithin eine dynamische Veränderung.
Die folgenden Lehrer der griechischen Kirche machen überwiegend
die symbolische Auffassung geltend, die nun bis zum Ende des vier-
ten Jahrhunderts die griechische Theologie beherrscht. Die Lehrer
der alexandrinischen Schule sind die ersten ausgesprochenen Vertreter der
symbolischen Auffassung. Es genügen einige Anfühiimgen aus Origenes,
der in die Fussstapfen seines Lehres Clemens getreten ist und ;,das soge-
nannte Brod des Herrn,'' dessen typischen und symbolischen Leib
nennt. — ,, Jenes Brod, sagt er, welches der göttliche Logos als seinen
Leib bekennt, ist das Wort, das die Seelen nährt. Jener Trank, den
der göttliche Logos als sein Blut bekennt, ist das Wort, das die Herzen
der Trinkenden tränkt und herrlich berauscht. So wenig ist der Ausdruck,
sein Blut trinken, im eigentlichen Sinne zu nehmen, dass wir mit dem-
selben Rechte auch sagen können , wir trinken der Ai)ostel Blut , denn wir
nehmen auch ihr Wort von Christo als Lebens wort in uns auf.-' Origenes
war vorbereitet, sich solche richtige Vorstellungen zu bilden, durch die
schmerzlichen Erfahrungen, die er gemacht hatte von der ünzulässigkeit
des buchstäblichen Sinnes in vielen Stellen der Schrift. Er weiss aber selir
Der Gottesdienst. Das Abendmahl. 209
wohl, dass das Volk im Allgemeinen am Buchstaben haftet, und dass man
ihm den mystischen Sinn davon (mysticus sermo) nur in Bildern und Gleich-
nissen mittheilen kann. Da er demgemäss keinen Anstand nimmt, die
Elemente Leib und Blut des Herrn zu nennen, da er sogar anempfiehlt,
„den Leib Gottes^^ mit Sorgfalt und Ehrfurcht zu behandeln, auf dass nichts
davon auf den Boden falle, so begreift man, dass das Volk in seiner fleisch-
lichen Aufi'assungsweise nicht gestört wurde, dass die Wahrheit in dieser
Sache selbst in Alexandrien das Eigenthum Weniger blieb.
Unter den Lehrern der lateinischen Kirche kommt vor allem und
hauptsächlich Tertullian in Betracht, über den die Meinungen und An-
sichten seit der Reformation sehi' von einander abweichen. Während
Oecolampad und Zwingli und in der Neuzeit andere reformirte Theologen
ihn als Vertreter der symbolischen Auffassung ansehen, haben Luther und
nach ihm manche lutherische Theologen ihn als ihrer Ansicht zugethan zu
erweisen gesucht. Die katholischen Theologen (Döllinger) sehen ihn als
Vorkämpfer ihrer Geistesrichtung an. Der Streit ist durch die neuesten
Forschungen dahin entschieden, dass Tertullian mehr oder weniger auf
die Seite derer zu stehen kommt, welche die lutherische Auffassung ver-
treten, ja sogar, dass er wenigstens an einer Stelle der Transsubstantia-
tion das Wort zu reden scheint i). Diess Letztere hat bei dem derb rea-
listischen Tertullian nichts Befremdendes; es zeigt aber, wie nahe sich die
lutherische und die römisch-katholische Auffassung in gewissen Geistern
berühren. Uebrigens kennen wir Tertullian's Lehre vom Abendmahl zu
wenig, als dass wir ihn in allen Stücken als Vertreter der lutherischen
Auffassung aufführen dürften. Wenn selbst T>aschas Radbert geläugnet hat,
dass die Gottlosen Christi Leib bekommen, wie viel eher mag Tertullian
ebenso gedacht haben? — Was Cyprian betrifft, so neigt er entschieden
zur realistischen Auffassung hin, obschon in der ep. 63, die hier wesentlich
in Betracht kommt, Ausdrücke vorkommen, welche die symbolische Auffassung
voraussetzen. Unter solchen Halbheiten, dergleichen bei den Vätern so
viele vorkommen, konnte sich der Irrthum verstecken und unbemerkt sich
entwickeln.
Was die Taufe, den Ritus der Aufnahme in die katholische Kirche be-
trifft, so wurden von den Vätern in dieser Periode dreierlei Wirkungen daran
1) Wir beziehen uns hier anf die „Beiträge zur Abendmahlslehre Tertullian's von
Lic. theol. L. Leimbach. Gotha, Perthes 1874- " Leimbach weist, auf Grund der ge-
nauen Erforschung des S4)rachgebrauches , nach, dass bei Tertullian die Ausdrücke ligura,
census, repraesentare nicht den Sinn haben, den man gewöhnhch annimmt (adv. Marc. 1,
14. 3, 19. 4, 40), sondern die Annahme der leiblichen Gegenwart Jesu im Abendmahl
theils geradezu setzen, theils Wenigstens nicht ausschliessen , welche Stellen nun durch
andere ihre völlige Klarheit erhalten, wenn z. B. de resurrectione carnis c. 37 gesagt
wird, dass unser Fleisch mit Leib und Blut Christi genährt wird, auf dass unsere Seele
mit Gott gesättigt werde, und de pudicitia c. 9, dass der Christ sich mit der Herrlich-
keit (optimitate) des Leibes Christi nährt. Dazu kommt eine von Leimbach in seiner
Schrift nicht angeführte, mir aber privatim von demselben mitgetheilte Stelle de idola-
tria c. 7, wo Tertullian der Lehre von der Wandelung sich nähert, da er von einem ma-
nus admovere corpori domini redet.
Herrog, KirchengeBchicMe L 14
210 Erste Periode des alten Katholicismua.
geknüpft: 1) Vergebung aller vorher begangenen Sünden (Justin Martyr
1 Apol. c. 61). 2) Mittheilung des heiligen Geistes und seiner (iahen
(Dialogus c. Tr. c. 29. 3) Einpflanzung eines himmlischen Lebensprincips,
welches den Sieg über den Tod und die Unsterblichkeit verleiht. Durch
die Sündenvergebung; veranschaulicht im Ritus des Untertauchens, wird
die Einkehr des heiligen Geistes ermöglicht (Tert. de bai)tismo c. 6), für
diese wird aber noch die Handauflegung herbeigezogen. Auf die dritte
Wirkung legte nicht nur Tertullian (de bai)tismo c. 5: deletur mors per
aUutionem peccatorum^ exemto seil, reatu exlnütur et p>oena) Gewicht,
sondern auch schon Hermas (lib. HI. Simil. 9, 16) und Irenäus (3, 17, 2)
der, wie bevorwortet, dieselbe Wirkung dem Abendmahl zuschreibt. Es
lässt sich nicht läugnen, dass dem sinnlichen Elemente des Wassers mit-
unter eine mehr als blos rituelle Bedeutung beigelegt wird, wie denn
Tertullian sich in naturalistische Anschauungen verliert. Doch wird immer
festgehalten, dass nicht das Wasser allein jene Wirkungen hervorbringt,
sondern es muss der Geist sich mit dem Wasser verbinden, und das W8,r
der Irrthum, zum Theil wieder gut gemacht durch die der Taufe voraus-
gehende Vorbereitung und die mit derselben verbundene und übernommene
Verpflichtung.
Je mehr nämlich die Kirche sich ausbreitete, desto mehr fand man es
für nöthig, den zu Taufenden einen Unterricht zu ertheilen, der etwas auf--
führlicher war, als die apostolische Praxis es gestattete (Justin Martyr 1 Ai)o .
c. 62); die Täuflinge hiessen xatrjxov^evoi^ axQoatai, auditores, für welche
das Concil von Elvira (c. 42) zwei Jahre als Lehr- und Vorbereitungszeit
festsetzte, die apostolischen Constitutionen 8, 32, drei Jahre. Origenes unter-
scheidet zwei Classen: 1) solche, welche einen Privatunterricht erhielten,
2) solche, welche in den Gemeindeversammlungen zugelassen waren um
unmittelbar auf die Taufe vorbereitet wurden ^). Den Unterricht ertheiltt
einer der niederen Geistlichen, in Alexandrien Laien von gelehrter Bild-
ung, woraus die alexandrinische Katechetenschule hervorging. Die Täuf-
linge legten bei Empfang der Taufe ein Glaubensbekenntniss {ffVfißoXov,
naqadoaiq aTiofTtoXtxf] , xriQvyfxa ano(Ttohxov) ab, in Fragen und Ant-
worten , woraus nach und nach unser apostolisches Symbol erwuchs 2).
Mit dem Ablegen des Taufbekenntnisses war eine sittliche Verpflichtung
verbunden. Der Täufling gelobte durch einen dem Bischof gegebenen
Handschlag, dass er dem Teufel und dessen Gepränge und Engeln entsage.
Das war der christliche Soldatenneid, das sacramentum militiae
christianae, nicht zu verwechseln mit dem Exorcismus, der Austreibung
des Teufels aus den neugeborenen Kindern, wovon die erste sichere Spur
1) Zur Zeit des nicänischen Concils gab es drei Katechuraenatsstnfeu : 1) ttXQoiofiC
voiy audientes, 2) yovvxXiPOPT8s, genuflectentes, auch xaTTjyov^fvoi im engeren
Sinne, 3) (pcüTi^ofxfvot, competentes.
2) 1 Petri 3, 21 wird auf Fragen und Antworten der Täuflinge angespielt, — ebenso
von Tert. de Corona c. 3-de resurrectione camis c. 48; anima responsione sancitur; ebenso
von Dion. von Kor. bei Euseb. 7, 9.
Der Gottesdienst. Die Taufe. 211
im Concil von Carthago vom Jahr 256 vorkommt c. 8 ^), als Nachwirkung
des Exorcismus bei den Besessenen. Die Taufe geschah durch dreimaliges
Untertauchen (iinmersio). Kranke erhielten die Besprengung (aspersio),
welche Art der Taufe (Baptismus clinicorum) bei einigen nicht als
vollgültig galt, wogegen jedoch Cyprian sich mit Kraft erklärte. Es kamen
zur Taufe noch einige Gebräuche hinzu, die, an sich unschuldiger Art,
doch die ursprüngliche Einsetzung des Herrn etwas verdunkelten. Nach
dem Untertauchen oder Besprengen erhielten die Täuflinge eine Mischung
von Milch und Honig, wodurch sie als Kinder dargestellt werden sollten,
sodann das Chrisam, das Salböl, wodurch sie das geistliche Priester-
thum erhalten sollten; dann folgte die Handauflegung und das Herabflehen
des Geistes auf die Täuflinge. So ging es zu seit Tertullian's Zeit, im
Zeitalter des Justinus Martyr war alles weit einfacher. Die zuletzt ange-
führten Gebräuche waren die Anfänge des späteren Sacramentes der Fir-
melung, confirmatio. Im Morgenlande konnten auch Presbyter und
Diakonen die Taufe mit Salbung vornehmen, im Abendlande war man geneigt
die Salbung und Handauflegung den Bischöfen vorzubehalten, mit Berufung
auf Apostelgesch. 8, wonach den getauften Samaritanern erst durch die
Handauflegung der Apostel der Geist ertheilt worden sei. Die Kindertaufe
gehört wahrscheinlich nicht dem apostolischen Zeitalter an, obwohl Orige-
nes sie als apostolische Tradition aufführt. Bei Irenäus zeigt sich die erste
Spur davon. Sie verbreitete sich mit dem christlichen Familienleben, in-
dem Kinder christlicher Eltern in anderem Verhältnisse zum Christenthum
und zur christlichen Gemeinschaft standen, als solche, die mitten aus dem
Schmutze des heidnischen Lebens kamen. Die angesehensten Kirchenlehrer
waren für die Kindertaufe, sie war aber nicht gesetzlich geboten. Tertullian
bekämpfte sie Upiid festinat innocens aetas ad remissionem peccatorum'^ de
baptismo 18), daher viele die Taufe aufschoben, weil die Ansicht galt, sie
könnten die nach der Taufe begangenen Sünden nur durch schwere Busse
abbüssen. Die für die Kindertaufe waren, sprachen sich für die Vollzieh-
ung derselben am achten Tage nach der Geburt aus, an welchem Tage
die Beschneidung der jüdischen Kinder erfolgte; Cyprian wollte sie noch
früher ansetzen. Mit der Kindertaufe hing zusammen die Einführung der
Taufzeugen, avadoxot, Sponsor es. Die Kindertaufe wurde sehr ver-
breitet, doch gab es immer noch Ausnahmen, selbst im Laufe des vierten
Jahrhunderts 2).
Taufe und Abendmahl wurden zuerst von Tertullian unter den Begriff
vom Sacrament zusammengefasst : aber dieser Begriff selbst war noch sehr
unbestimmt. — Von sacrare (so viel als dedicare, consecrare) sich ablei-
tend bezeichnet das Wort im classischen Sprachgebrauch den Soldateneid,
den Fahneneid, welche Bedeutung zuerst Tertullian ins Auge fasst (ad
Martyres c. 3, de Corona c. 11); er nennt die abrenuntiatio diaholi und
1) Cyprian ep. 76 scheint nicht einen besonderen Act des Exorcismus zu kennen,
sondern er sieht die Taufe selbst an als Austreibung des Teufels, dessen Macht nur bis
an das heilbringende Wasser reiche.
2) Der Streit über die Taufe der Häretiker ist bereits dargestellt worden.
212 Erste Periode des alten Katliolicismus.
das Glaubensbekenntniss bei der Taufe sacramentum. Ausserdem übersetzt
er so das griechisclie Wort fivcrtriQtov. Daher nennt er so 1) ein in Gott
verborgenes Geheimniss, 2) mystischen Tiefsinn , Typus, 3) Taufe und
Abendmahl, 4) die geheimnissvollen Kräfte der Taufe und des Abendmahles.
Demnach ist ihm sacramentum auch eine die natürliche Fassungskraft
übersteigende Lehre, — er kennt ein sacramentum incarnationis ^ Cyprian
ein mysterium trinitatis, er nennt auch d. U.V. sacramentum, wie denn schon
in der altlateinischen Bibel -Uebersetzung fivatfjQiov so übersetzt wird.
Ephes. 1, 9. 3, 9. 5, 32. Col. 1, 27. 1 Tim. 3, 16. Apokal. 1, 20. 17, 7.
Wahrscheinlich lag eine Zusammenstellung mit den heidnischen m//-
Sterten zu Grunde. In denselben vergegenwcärtigte man sich der Gött(;r
Leiden, Sterben, Neugeburt, — Büssungen, Sühnungen, Reinigungen dienten
dazu, die letzte Weihe vorzubereiten, und vertheilten sich auf die verschie-
denen Grade. Analogieen dazu finden sich in der christlichen Sacraments-
feier; selbst die Aufforderung des Herolds an gewisse Classen oder Per-
sonen, sich zu entfernen, fand Nachahmung im christlichen Gottesdienste.
Auch der Ausdruck (pcotKr^og, womit man die Wirkung der Taufe bezeich-
nete, wurde daher entlehnt. Es bildete sich die Vorstellung aus, das^
man in Taufe und Abendmahl die Wahrheit dessen besitze, wovon dio
Heiden in den Mysterien nur die dämonische Nachahmung hätten (Justin';^
1. Apol. 66).
Im Zusammenhang damit steht, was man seit Dalläus Arcandis-
ciplin genannt hat. Es kam nämlich seit den letzten Decennien de^
zweiten Jahrhunderts der Gebrauch auf, die Feier der Taufe und de^
Abendmahls nicht nur vor den Heiden, sondern auch vor den Katechume-
nen, welche die Taufe noch nicht empfangen hatten, geheim zu halten
und daher die Katechumenen vor der Feier des Abendmahls zu verab-
schieden. Die Lehre selbst, betreffend Taufe und Abendmahl, wurde im
katechetischen Unterricht behandelt, aber nicht gesagt, dass Wasser, Brod
und Wein, noch welche liturgische Formeln dabei angewendet wurden,
wie denn die apostolischen Constitutionen 2, 57 in der Ordnung des Gottes-
dienstes diess sorgfältig beobachteten, nachdem Justin von den Elementen
des Abendmahls und den darüber gesprochenen Gebeten ganz offen ge-
redet hatte 1).
1) Siehe den Artikel Arcandisciplin von Rothe in der Realencyklopädie und dessen
Schrift darüber: de disciplina arcani, quae dicitur, in ecclesia cbristiana origine 1841. —
Harnack a.a.O. — Zezschwitz, Katechetik. — Artikel von Boowetsch, über Ent-
stehung, Wesen und Fortgang der Arcandisciplin bei Kahnis, Zeitschrift für historische
Theologie 1873. 2. Heft.
213
Viertes Capitel. Sittliche Wirkungen des Christenthums.
Sitten und Leben der katholischen Christen i).
In der Seele der Christen war das Bewusstsein vorherrschend von
dem tiefgehenden Gegensatze zwischen dem heidnischen befleckten Leben
und dem neuen Leben des Christenthums. Damit war unmittelbar die
Kampfstellung gegen dieses heidnische Leben verbunden, dieselbe Kampf-
stellung, die wir auch auf den anderen Gebieten des Lebens der Christen
gefunden haben. Daraus ergab sich für die Christen die Verpflichtung,
auf diese heidnische Welt einzuwirken. Es spricht sich darüber der Ver-
fasser des Briefes an Diognet 2j in unnachahmlich schönen Worten aus
c. 5 : „Die Christen unterscheiden sich von den übrigen Menschen weder
durch ein besonderes Vaterland , noch durch eine besondere Sprache, noch
durch eigenthümliche Volkssitten. Sie bewohnen ihr Vaterland, aber nur
wie Beisassen (nagoixoi). Sie tragen alle Lasten der Staatsbürger und
werden doch wie Fremde behandelt. Jede Fremde ist ihr Vaterland und
jedes Vaterland ist ihnen fi'emd. Sie sind im Fleische, aber sie leben
nicht nach dem Fleische. Sie wandeln auf Erden , aber ihr Bürgerthum
ist im Himmel. Sie gehorchen den eingeführten Gesetzen, aber ihr Leben
ist über den Gesetzen. Sie lieben alle, und sie werden von allen verfolgt.
Man kennt sie nicht, und doch verurtheilt man sie. Man tödtet sie und
eben dadurch gibt man ihnen das Leben. Sie sind arm, und machen Viele
reich, sie leiden allen Mangel und haben in Allem Ueberfluss. Sie wer-
den entehrt und in der Entehrung verherrlicht. Sie werden verläumdet
und doch gerechtfertigt; sie werden geschmäht, und sie segnen.^^
„Um Alles mit Einem Worte zu sagen, was die Seele im Leibe ist,
das sind die Christen in der Welt. Ueber alle Glieder des Leibes ist die
Seele ausgebreitet, gleicherweise sind es die Christen über die Städte der
Erde. Die Seele wohnt im Körper und ist doch nicht körperlich. So
wohnen die Christen in der Welt und sind doch nicht von der Welt. Das
Fleisch hasst die Seele und streitet wider die Seele, ohne von ihr belei-
digt zu sein, blos weil es von ihr im Genüsse der Lüste verhindert wird.
So hasset die Welt die Christen, ohne von ihnen beleidigt zu sein-, weil
sie gegen die Lust dieser Welt sind. Die Seele liebt den Leib, der sie
hasst; auch die Christen lieben diejenigen, welche sie hassen. Die Seele
ist eingeschlossen in den Leib und doch erhält sie ihn. Auch die Christen
sind in der Welt als wie in einem Gefängnisse, und sie sind es doch, welche
die Welt im Bestand erhalten. Ob auch Hunger und Durst die Seele
quälen, wird sie doch täglich besser. Ob auch die Christen täglich hin-
1) Siehe hauptsächlich C. Schmidt, essai sur la societe civile dans le monde
romain et sur sa transformation par le christianisme. Strassburg 1853.
2) Davon dass Overbeck diesen Brief in die Zeit nach Constantin verlegt, sehen
wir hier als von einer unhaltbaren Hypothese ab.
214 Erste Periode des alten Katholicismus.
gerichtet und gequält werden, mehrt sich doch ihre Zahl. Gott selbst hat
ihnen ihre Stellung angewiesen, welche sie nicht verlassen dürfen^.
Diese Beschreibung ist idealisch gehalten^ und die Christen mochten in
dieser Beziehung Anlass haben, das Wort des Apostels zu beherzigen:
;,wir tragen aber solchen Schatz in irdischen Gelassen, auf dass die über-
schwängliche Kraft sei Gottes und nicht von uns'' (2 Kor. 4, 7). Wir
wissen, dass die Kirche manche unwürdige Mitglieder in ihrem Schoosse
hegte, dass sie nicht blos die Elite der Bevölkerungen in sich schloss, dass
mithin auch auf dem Gebiete der Sitte , besonders in grossen Städten eine
Eeaction des befleckten heidnischen Lebens auf die Kirche statt fand. Dass
aber inmitten der christlichen Gesellschaft ein solches Ideal sich bilden,
dass es diesen Ausdruck linden konnte, dass nach Verwirklichung dessel-
ben gestrebt wurde, das ist ein beredtes Zeugniss des Geistes, der die
Kirche beseelte, das mochte auch auf Heiden den Eindruck machen, dass
die Kirche eine grosse Zukunft habe.
Zuerst kommt in Betracht das Verhalten der Christen zum
Staate und zum bürgerlich gesellschaftlichen Leben. Wi]'
kennen die Christen bereits als gute , loyale Unterthanen ^) , die durch alle
Verfolgungen sich nicht abhalten lassen, für die Kaiser zu beten. Ihre
Unterwerfung unter die Gesetze fand allerdings ihre Grenze da, wo sie etwas
gegen ihr Gewissen thun sollten. Die Christen haben die Idee der religiösen
Freiheit, wenn nicht eigentlich in die Welt eingeführt, so doch auf da?
Kräftigste und mit Aufopferung des Lebens vertreten. Von ihnen ging der
Grundsatz aus, dass die Religion sich nicht erzwingen lasse. Ihre zahl-
reichen Märtyrer sind das lebendige Zeugniss davon. Allerdings fand bis-
weilen ein fanatisches Hinzudrängen zum Märtyrertode statt. Als der Prä-
fect Arrius Antoninus in Asia proconsularis zur Zeit Hadrian\s die Chri-
sten heftig bedrängte , lieferten sich ihm alle Christen derselben Stadt aus,
worauf er einige hinrichten Hess und zu den übrigen sagte : ^,0 ihr Wichte,
wenn ihr sterben wollt, so habt ihr Felsen und Stricke'' (Tert. ad Scapu-
lam c. 5). Andere Heiden sagten zu den Christen: ^tödtet euch selbst und
gehet zu eurem Gott und lasst uns ungeschoren" (Justin IL Apol. c. 4).
Je mehr solche Vorfälle der christlichen Sache Eintrag thaten, desto mehr
erklärte sich die Kirche gegen solchen Fanatismus, so wie gegen die Mon-
tanisten, die ihn beförderten. Die Gemeinde zu Smyrna sagte daher in
ihrem encyklischen Schreiben: „wir loben diejenigen nicht, die sich selbst
angeben, da das Evangelium nicht so lehrt." So wurde denn die von den
Montanisten so entschieden verbotene Flucht in den Verfolgungen durcliaus
anempfohlen; mit Berufung auf Matth. 10, 23. Daher Pantaenus und Cle-
mens Alexandrinus bei Beginn der Verfolgung des Septimius Severus die Stadt
verliessen. Clemens Alexandrinus tadelt wiederholt und stark den unver-
ständigen Eifer derer, die freiwillig sich dem Tode darboten. (Rede-
penning S. 186).
*
I
2) TertuUian ad Scapulam c. 2: sie et circa majestatem imperatoris infamamur,
tarnen nunquam Albiniani nee Nigriani vel Cassiani inveniri potuenmt cliristiani.
Sitten und Leben der Christen. 2l5
Auch in anderer Beziehung gab es unter den Christen eine strengere
Partei und eine mit milderen Grundsätzen. Die einen hielten die Ausübung
jedes obrigkeitlichen Amtes, weil sie vielfache Versuchungen darbot, für
unverträglich mit dem Bekenntnisse des christlichen Glaubens. Die Synode
von Elvira bestimmte, dass die Duumviren aus den Christen, welche in den
Gerichten über Leben und Tod zu entscheiden hatten, während der Dauer ihres
Amtes die lürchen nicht besuchen dürften. Von einem Theile der Christen
wurde auch der Kriegsdienst verweigert, indem sie Degradation und Tod einer
Verletzung ihres Gewissens vorzogen. Doch haben die Kirchenlehrer dieses
Benehmen keineswegs angerathen, wie Gibbon behauptet; selbst Tert. (de
Corona c. 11) empfiehlt den christlichen Soldaten nur, nichts gegen ihr Ge-
wissen zu thun. Im Allgemeinen aber wurde der Kriegsdienst als Pflicht
gegen den Staat angesehen; bald gab es ni den römischen Armeen viele
Christen, wie schon die Sage von der Donnerlegion und die von der the-
bäischen Legion es beweisen. Noch mehr war diess der Fall zur Zeit Dio-
cletian's ^). Gewisse Handwerke , welche sich auf den Götzendienst bezogen,
durften die Christen auch nicht wohl treiben. Namentlich war das Gewerbe
des Schauspielers mit dem Christenberufe unverträghch, sogar schon der Besuch
der Schauspiele, die ja auch die ernst gesinnten Heiden als eine Schule der
Unsitthchkeit betrachteten. War es doch geschehen, dass unbefestigte Ge-
müther dadurch das Heidenthum wieder lieb gewannen und vom Glauben
abfielen. Was Wunder, wenn Tertullian die Schauspiele als einen Haupt-
platz der Wirksamkeit der Dämonen ansieht und daher auf das entschie-
denste gegen den Besuch derselben eifert!
Was die anderweitigen Beziehungen zum socialen Leben betriff't, so ist
noch anzuführen, dass es verboten war, die Ehe mit Heiden einzugehen, wor-
auf schon Paulus (1 Kor. 7, 39) hingedeutet hatte. Teitulhan sieht eine
solche Ehe als Hurerei an (ad uxorem lib. 2, 3), das Concil von Elvira (c. 15)
verbot nicht nur, den Heiden christliche Jungfrauen zur Ehe zu geben, son-
dern belahl auch, die Eltern, die solches gethan hätten, zu excommuniziren
(c. 16), wozu mannigtache Ermahnungen der Kirchenlehrer und Anordnungen
der ConciHen hinzukamen. Der allerdings triftige Grund dazu war gegeben
in den vieliachen Versuchungen, die solche Ehen besonders dem weiblichen
Theile darboten. Doch gab es hin und wieder solche Ehen, und nicht alle
waren unglücklich. — Wenn aber der eine der heidnischen Ehegatten zum
Christenthum übertrat, dann galt durchaus die Verordnung des Apostels,
dass die Ehe nicht solle gelöst werden, es sei denn, dass der heidnische
(iatte oder Gattin die Ehe selbst auflöste (1 Kor. 7, 12. 13). Es gab Bei-
spiele von solchen gemischten Ehen , die durchaus glücklich waren 2). Man
hat es der christlichen Kii'che zum Vorwurfe gemacht, dass sie in ihrem
Bereiche die Sklaverei nicht abgeschafft hat; doch das hätte sie nicht durch-
setzen können , ohne eine grosse Störung in das sociale Leben überhaupt zu
bringen und sich dadurch als revolutionäre Partei zu qualificiren. Eine förni-
1) Siehe S. 57 und Euseb. 8, 4. _
2) Siehe Münster, die Christin im heidnischen Hause vor den Zelten Constantins des
Grossen«
216 Erste Periode des alten Katholicismus.
liehe Aufhebung der Sklaverei musste alle Staatsbürger gleichmilssig umfassen
und konnte daher niu' vom Staate ausgehen. Das Christenthum hat hingegen
die Sklaverei virtuell abgeschafft, indem es die religiöse Gleichheit und auch
die sociale Gleichheit aller Menschen , diese wenigstens im Princii) procla-
mirte^) und die Christen zu einer menschlichen Behandlung der Sklaven anhielt,
darin übrigens übereinstimmend mit der Tendenz der römischen Gesetzgebung
seit Trajan und Hadrian. Schon Claudius hatte die Aussetzung alter und kranker
Sklaven verboten. Hadrian strafte eine Matrone, welche um geringfügiger
Dinge willen Sklavinnen gequält hatte. Derselbe entzog den Herren die Be'-
fugniss, alte und kranke Sklaven auszusetzen. Ulpian, der berühmte Rechts-
gelehrte, der unter Alexander Severus und Caracalla lebte und ihr Rathgeber
war, sprach den Grundsatz aus, dass alle Menschen mit gleichen Rechten
und frei geboren werden, dass die Sklaverei dem Naturrechte widerspricht 2).
Doch wie sehr zu wünschen war, dass das Christenthum auf dieses Gebiet
des socialen Lebens noch grösseren Einfluss erlange, erhellt daraus, dass
die Herren ungestraft die Sklaven zu den Werkzeugen unnatürlicher Lastei*
machen durften 3).
Im Verhalten der Christen untereinander trat vor allem her-
vor der innige Gemeingeist, die brüderliche und werkthätige Liebe. Hierin
fanden auch die Heiden ein Merkmal des Christenthums ^). Der Kuss der
Liebe, womit sie sich begrüssten, war kein leeres Zeichen. Wie in jener selbst-
süchtigen Zeit auch die Heiden durch die Liebe der Christen zu einander
ergriffen wurden, davon ist schon die Rede gewesen (S. 63). Die Idee des
Reiches Gottes, worin alle Völker aufgenonmien werden sollten, hob für die
Christen die Schranken der Nationalität und der Selbstsucht auf. Im Alter-
thum hebte man das Vaterland. Seitdem dieses in der römischen Weltherr-
schaft untergegangen, kannte die Selbstsucht keine Schranken mehr. Die Kirche
dagegen zeichnete sich früh aus durch eine weitverzweigte Wohlthätigkeit, die,
allerdings zunächst für die eigenen Angehörigen in vielerlei Weise sorgte,
aber auch die Auswärtigen und Heiden umfasste. So kamen die gesannnel-
ten Collecten auch entfernten Gemeinden zu gute. ^So ein Glied leidet, so
leiden alle Glieder mit,'^ schrieb Cyprian, als er eine bedeutende Geldsumme
zur Loskaufung numidischer Christen aus der Gefangenschaft überschickte. —
Während der Pest Hessen die Heiden die Leichname der Ihrigen vor den
Häusern liegen; die Christen, von Cyprian aufgennmtert , trugen sie fort.
^,So wir nur den Unsrigen Gutes thun, so thun wir nicht mehr als (he Hei-
den und Zöllner.'^ Im häuslichen Kreise gründete das Christenthum ein en-
geres Famihenleben, es hob die Würde des Weibes; „jetzt erst konnte es,
im Vollgefühl der ihm eigenen Natur und der hohen Bedeutung derselben seines
1) Keiner ist Öclave von Natur, sagt Clemens Alexandrinus (Paedagogus lib. 3, 12)
und nach ihm andere Kirchenlehrer.
2) Jure naturali omnes liberi nascuntur, — quod ad jus naturale attinet omnes
homines aequales sunt. — Jure gentium servitus invasit.
3) Alexander Severus und PhiKppus Arabs hätten gerne die von scorta virilia
bewohnten Häuser abgeschafft, aber sie wagten es nicht, weil dieses Heilmittel keinen
Erfolg versprach, weil die Macht des Lasters nocli zu gross war.
4) Lucian de morte Peregrini c. 13.
Sitten und Leben der Christen. 217
menschlichen Berufes vollkommen sich bewusst werden und ihn zu erfüllen
den reichsten Wirkungskreis finden. Das weibliche Ideal ist ein Werk des
Christenthums" i).
Im Verhalten der Christen, als Einzelne betrachtet, zu
sich selbst, kommt in Betracht die Askese, acrxriffig, sittliche Uebung,
als solche für jeden nöthig, in speciellem Sinne auf die im Morgenlande so
beüebte Beschaulichkeit und Enthaltsamkeit bezogen. In dieser Beziehung
lässt sich nicht läugnen, dass neben einer gesunden Richtung eine ungesunde
sich kund gab, die im Verlaufe der Periode sich nicht wenig verstärkte. Vor
allem aber ist diess zu erwähnen, dass die übertriebene Rigorosität der Mon-
tanisten nicht beliebt wurde und dass man sie auch um derselben willen aus der
Kirchengemeinschaft ausschloss. Ebenso verhielt man sich zu der übertrie-
benen Askese mancher Gnostiker, welche die Ehe überhaupt verboten. Doch
wurde gefastet und auf das Easten Werth gelegt. Die Kirchenlehrer fanden
aber auch vielfachen Anlass, zur Ausübung der christlichen Tugenden und
zum Aufgeben der heidnischen Sünden und Laster zu ermuntern; denn
die Kirche dieser Zeit war so wenig wie die apostolische ohne Flecken und
Runzel; auch den Märtyrern und Bekennern musste Cyprian sehr ernste
Ermahnungen geben: „die Würde derBekenner mache nicht frei von den An-
griffen des Teufels und den Anfällen der Welt. Sonst würde man an ihnen
keinen Betrug, Unzucht und Ehebruch später entdecken.^'
Es gab nun speciell sogenannte Asketen, continentes '^). Im ersten
Feuer der Begeisterung gaben sie ihr Vermögen ganz oder theilweise den
Armen, genossen die magerste Kost, gaben, was sie darüber erwarben, wie-
der den Armen und weihten sich d^m Studium der heiligen Schrift. Es gab
deren in beiden Geschlechtern. Leuchtende Beispiele davon sind Marcion
und Cyprian nach seiner Bekehrung. Sie sonderten sich von der Gesellschaft
nicht ab, und kein Gelübde band sie an das Cülibat. In Beziehung auf viele
Jungfrauen, die sich sogar mit Klerikern vergangen hatten, sprach Cyprian
es offen aus, wenn sie nicht ausharren wollten, noch könnten, so sei es
besser, dass sie heiratheu, als dass sie sich durch ihre Sünden in das Feuer
stürzten. Derselbe Mann, der in dieser Hinsicht so abschreckende Erfahr-
ungen machte, kann nicht Worte genug finden, um besonders dem weiblichen
Geschlechte die f^helosigkeit zu empfehlen und die Ehe von der ungünstig-
sten Seite darzustellen. ;,Was wir einst sein werden (Engel), das habt ihr
schon angefangen zu sein; der alte Bund befahl zu wachsen und zu zeugen,
der neue hat die Enthaltung angerathen. Wenn der Herr von den vielen
Wohnungen im Hause seines Vaters spricht, so weist er hin auf die besseren
Wohnungen. Nach diesen besseren Wohnungen verlanget ihr, des Fleisches
Lüste abschneidend. Jenes Bild des himmlischen Menschen, wovon Paulus
1) Ebert, allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abendlande
1. Band S. 16.
2) Darauf beruft sich Min. Felix c. 31 im Gegensatz gegen die Beschuldigungen un-
natürlicher Laster: tantum abest incesti cupido, ut nonnullis rubori sit etiam pudica
conjunctio. Jene Beschuldigung mag dazu beigetragen haben, die continentes zu vermeh-
ren und im asketisclien Eifer zu bestärken.
21g Erste Periode des alten Katholicismus.
spricht, trägt die Jungfräulichkeit'' (de habitu virgiuum c. 22. 23). Zur Em-
pfehlung dieser Askese diente die Unterscheidung einer niederen und einer
höheren Tugend, jene bestehend im Gehorsam gegen die Gebote, diese im
Befolgen der Eathschläge, nach 1 Kor. 7, 25, eine Unterscheidung, die schon
Hermas gemacht hatte. Die alexandrinischen Theologen, die um deswillen
diese Schrift sehr hoch schätzten, ergriffen mit besonderem Eifer die genannte
Unterscheidung. Origenes lehrte: wer das Gebot erfülle, zu dem werde
gesagt, er sei ein unnützer Knecht (Lukas 17, 10), wer aber über das Gebot
hinaus etwas thue, zu dem werde gesagt: o du guter und getreuer Knecht
(Matth. 25, 21). Was aber über die Schuldigkeit hinaus gethan werde, das
sage der Apostel mit den Worten: was die Jungfrauen betrifft, so habe ich
kein Gebot (praeceptum, snitayr}) des Herrn, ich gebe aber meinen llath
(yvcofiTj, consilium). Das bedenklichste war, dass solche Grundsätze nebsj
der dazu gehörigen Askese unter katholische Firma gebracht wurden.
Diess musste auf die Anforderungen an den geistlichen Stand zurück-
wirken, obschon das Beispiel der Apostel, von denen man wusste, dass sie
fast alle verheirathet gewiesen, gegen diese Askese ein heilsames Gegen-
gewicht brachte, das durch die willkürhche Behauptung Teitullian's , die
Apostel seien continentes oder spadones gewesen, nicht aufgehoben werden
konnte, noch durch die montanistische Lehre, dass nur ein unverheiratheter
Geistlicher die Sacramente mit Segen verwalten könne. Es gab in der da-
maligen kathohschen Kirche viele verheirathete Bischöfe und andere Geist-
hche. Es gab Synoden, welche denjenigen, die als Ehemänner in den geist-
hchen Stand getreten waren, verboten, ihre Frauen zu verlassen. Es gab
sogar zum zweiten Male verheirathete Geisthche. Doch diess war im Allge-
meinen verboten, nach 1 Tim. 3, 2. Bald kam aber der Gebrauch auf, dass
der Geisthche als solcher nicht heirathen, sondern nur die früher genommene
Frau behalten durfte. Das Concil von Elvira, dessen Kigorismus wir kennen,
verordnete, dass den Geistlichen der drei höheren Grade, Bischof, Presbyter
und Diakon das ehehche Leben gar nicht gestattet sei, und es auch den
übrigen Geisthchen verboten sei, die ehehche Ptiicht zu üben , solange sie im
Kirchendienste thätig seien. Doch solche Gebote fanden durchaus nicht all-
gemeine Befolgung. Von denjenigen, die sich selbst zu Eunuchen machten,
und von der Verordnung dagegen ist bei Anlass von Origenes bereits die
Bede gewesen. Je mehr aber die falsche Werthschätzung des ehelosen Stan-
des grassirte, desto öfter geschah es, dass die Asketen junge uuverheirathete
Frauenzimmer als geistliche Schwestern mit sich herum führten ( 1 Kor. 9, 5),
gegen welche gefährliche Gewohnheit Kirchenlehrer und Synoden sich aus-
sprachen 1). Am Ende der Periode trat eine neue Art von Asketen auf.
Bisher hatten sie unter den übrigen Christen zerstreut gelebt, ohne äussere
Auszeichnung. Nun aber geschah es, dass während der diocletianischeu
Verfolgung und zum Theil schon früher einige in die thebaische Wüste
flüchteten, und sich einer bis dahin unerhört strengen Askese ergaben. Schon
1) Sie hiessen cvyftgaxrot bei den Antiochenern nach Enseb. 7, 30, subintro-
duetae, ccyanTjTat, extraneae, die erste Spur davon bei den Valentiuianern Iren. 1, 1, bei
den Enkratiten Epiph. haoresis 47, 3, bei den Kathohken Hermas pastor. 3, sim. 9, S- H-
Scbluss. 219
währeild der decischen Verfolgung hatte sich Paulus von Theben in die
thebaische Wüste geflüchtet, wo er, von der Welt gänzlich abgeschieden
und ihr durchaus unbekannt, siebenundneunzig Jahre verweilte, bis ihn der
neunzigjährige Antonius aufsuchte, worauf er in einigen Tagen verschied.
Im Jahre 311 erschien in Alexandrien derselbe Antonius ni auffallendem
Anzüge. An ihn grossentheils knüpft sich eine neue Gestaltung des aske-
tischen Lebens.
Schluss.
Wir haben die Entwicklung und die Schicksale der katholischen Kirche
seit dem Ausgange des apostolischen Zeitalters verfolgt. Wir sind Zeugen
ihrer Leiden, ihrer Verfolgungen, ihres glorreichen Märtyrerthums, so wie
auch ihrer wachsenden Ausbreitung gewesen. Wir haben gesehen, wie sie,
mit geistigen AVatfen angegriffen, mit Waffen des Geistes sich vertheidigte
und zwar in solcher Weise , dass sie den Gebildeten Hochachtung abnöthigte.
Da aber die gefährlichsten Feinde sich in ihrem eigenen Schoosse bildeten,
so ergriff sie dagegen die wirksamsten Maassregeln. Hier fanden die Idee
der Katholicität , die mündliche Tradition, die Sammlung der neutestament-
lichen Schriften, die Glaubensregel, das apostohsche Symbolum, weiterhin
die auf dieser Grundlage sich erbauende kathoHsche Theologie ihre Stelle.
Die begritlliche Fassung der Glaubenswahrheiten ist allerdings nicht zum
Abschluss gekonunen, aber es gibt doch kaum ein Dogma, wofür nicht we-
nigstens einige richtige, leitende Gesichtspunkte wären aufgestellt worden.
Eine Fülle von Ideen, betreffend die höchsten Fragen des meuschhchen Gei-
stes, die höchsten Interessen der menschlichen Seele ist in die Menschheit
hineingeworfen worden, Ideen, die in Folge ihrer innewohnenden Macht fort-
wirken mussten und die geeignet waren, eine neue Welt des Geistes zu
schaffen, den Grund zur Erneuerung der Menschheit in intellectueller , sitt-
lich-rehgiöser, politischer und socialer Beziehung zu legen, zumal da mit
der Ausbildung der Heilslehre die entsprechenden ethischen Grundsätze,
Anschauungen, Bestrebungen, die entsprechende Gestaltung des individuellen
sowohl als des Gemeinschaftslebens verbunden wurden, wobei allerdings nicht
zu läugnen ist, dass auf dem Gebiete des individuellen Lebens die Askese
und was damit unmittelbar zusannnenhängt , störend eingriff* Doch wurden
grelle Auswüchse nicht geduldet.
- Die Mannigfaltigkeit der theologischen Richtungen und Ansichten, die
unter den weiten Begriff der katholischen Einheit zusammengefasst wurden,
so dass Differenzen, die in der Neuzeit zir schroff getrennten Kii'chengemein-
schaften geführt haben, friedlich neben einander bestanden, diese Erscheinung,
worin sich recht deutüch das Jugendzeitalter der Kirche zeigt, that der
heihgen Sache, um die es sich handelte, keinen Eintrag. Auf der anderen
Seite wurden manche sonderbare Gedanken, die zur Aufhellung der Glaubens-
wahrheiten vorgebracht worden, manche Unklarkeit und Unbeholfenheit,
welche die Kirchenlehrer kund gaben, damals weniger bemerkt, noch als
solche erkannt i). Darin zeigte 'sich recht deutlich, wie sehr Lehre und Leben
1) Ein Beispiel davon ist des Origenos Lehrform von der menschlichen Seele Christi,
220 Erste Periode des alten Katholicismus.
auseinander zu halten sind. Dieselben Männer, bei denen wir in Ifnisiclit
der Lehrentwicklung Manches missen, Manches auszusetzen haben, dieselben
sind es, die in einem langen Leben der Kirche die wichtigsten Dienste gelei-
stet haben, und viele sind als Märtyrer gestorben. Sie bezeugen uns in ihrem
Leben wie in ihrem Tode, dass die Christen in ihrem Inneren Grösseres be-
sitzen, als was ihnen gegeben wird, begrifflich auszudrücken.
So nahm denn auch die katholische Idee, unter deren Herrschaft bald
nach dem Anfange des zweiten Jahrhunderts das Cliristenthum war gestellt
worden, nachdem sie im Kampfe gegen die inneren Feinde der Kirche eine
heilsame Wirkung gehabt hatte, eine solche Wendung, wodurch in mehr-
facher Beziehung die Reinheit des Evangeliums beeinträchtigt wurde. Wii*
haben nachgewiesen, dass sich eine Richtung geltend machte, das Christen-
thum als Gesetz aufzuessen. Schon bei Justin dem Märtyrer hatte sich der
Gedanke angebahnt, dass das Christenthum lediglich das von dem rituellen
Stoffe gereinigte Gesetz sei ^). Der Einfluss der beginnenden gesetzlichen
Richtung gab sich kund in der Heilsordnung , in den Vorschriften der Kirche
über Kirchenzucht, in einigen Punkten, betreffend die Auffassung und Ge-
staltung des christlichen Lebens überhaupt. In Verbindung mit dem durch
die montanistischen Excesse herbeigeführten Zurücktreten des allgemeinen
Priesterthums der Gläubigen, in Verbindung mit dem ()i)fercultus , sofern er
durchaus nicht blos als allegorischer oder als mnemonischer Act gedacht, sondern
als Darbringung eines materiellen, sinnlichen Opfers gehandhabt wird, be-
ginnt die Entwicklung der Idee des Priesterthums, mit mittlerischem Cha-
rakter, wobei die Worte legevg, sacerdos in ihrem strengen Sinne gebraucht
werden als Benennungen derjenigen Personen, welche im Unterschiede von
den übrigen Gläubigen die Berechtigung , Kraft und Vollmaclit erhalten ha-
ben, die durch das christliche Gesetz geforderten Opfer darzubringen. Je
mehr der Opfercultus sich befestigt, je mehr darauf der Grundsatz ange-
wendet wird, dass man, um von Gott zu empfangen, ihm zuvor geben muss,
desto mehr befestigt sich auch die gesetzliche Richtung, und mit ihr die
Anschauung, wonach die Kirche mehr als Anstalt, denn als Gemeinschaft
aufgefasst wird.
Gesetz, Priesterthum 2) und Opfer, diese drei Punkte, worin sich
die Reaction der ausserchristlichen , sei es jüdischen, sei es heidnischen Re-
ligionssphäre auf die christliche vollzieht, suchen also sich im kathohschen
Christenthum einzubürgern, mit der Tendenz, den ursprünglichen Begriff des
Katholischen umzuändern. Es ist zwar Alles erst im Werden begriffen,
Nichts ist abgeschlossen, es ist aber zu befürchten, dass, wenn in Folge
des neuen Verhältnisses zwischen Khxhe und Staat die Völker haufenweise
in die kathoHsche Kirche aufgenommen werden, die Kirche mehr und mehr
die Richtung auf Gesetz, Priesterthum und Opfer verfolgen und ausbeuten
wird, als das kräftigste Mittel, um die Massen der Völker anzuziehen und
die angezogenen zu beherrschen.
1) Ritschi a. a. 0. S. 306.
2) Als ausschliesslich einer bestimmten Classe der Gläubigen zukommend.
Zweite Periode des alten Katliolicisiiiiis.
Vom Jahre 313 bis zum Jahre 451, vom Rehgionsedict der Kaiser
Constantin und Liciuius bis zur KirchenversammUmg von Chaicedou.
Einleitung.
So kurz der Zeitraum ist, der von dieser Periode umschlossen wird, so
ist sie doch die Zeit der höchsten Kraftentfaltung der altkathoUschen Kirche,
und diese Entfaltung erfolgt unter der Oberherrschaft des Staates, dessen
Häupter, für das Christenthum gewonnen, dasselbe unter ihren Schutz neh-
men. Die enge Verbindung von Staat und Kirche macht, im Vergleiche mit
der vorhergehenden Zeit den unterscheidenden Charakter dieser Periode aus.
In allen Theilen und Verzweigungen des kirchlichen Lebens begegnen wir
den Wirkungen dieses neuen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Mit
Hülfe des Staates wird die alte Religion bekämpft und grösstentheils ausge-
rottet und das Christenthum in die Gesetzgebung übergetragen. Die Ver-
bindung von Kirche und Staat, indem sie die Kirche von alten Feinden be-
freite , gewährte den innerhalb der Kirche obwaltenden Differenzen grösseren
Spielraum und machte die so entscheidend wichtigen allgemeinen Concilien
möglich und sicherte ihre Autorität. Der Pomp, womit der Gottesdienst
ausgestattet wui'de, kam auch von dem Bestreben her, die Neubekehrten
anzuziehen, welche in Folge der Verbindung von Kirche und Staat sich
reissend vermehiten. Da das christliche Leben aus derselben Ursache, weil
das Bekenntniss des christhchen Glaubens nicht mehr mit Opfern und Le-
bensgefahr verbunden war, zu sinken begann, entstand und verbreitete sich
als Reaction dagegen so wie als Ersatz für das Märtyreithum das Mönch-
thum. Doch ist nicht zu läugnen, dass der Grund zu den meisten der ge-
nannten Erscheinungen schon in der vorhergehenden Periode gelegt wor-
den war.
Es gilt diess namentUch von der Lehrentwicklung. In der ersten Pe-
riode haben wir den bedeutsamen Kampf hervorgehoben, woraus die Idee
der katholischen Kirche im Gegensatze gegen die Häresieen hervorging. Die-
ser Process der Lehrentwicklung erreichte nun in dieser zweiten Periode
seine höchste Entwicklung. Der kathohsche Lehrbegriff wurde inmitten der
gewaltigsten Kämpfe fixirt. Von der grössten Bedeutung war es auch, dass
die geimanischen Völker, an welche bald die Bewegung der Weltgeschichte
übergehen sollte, für das Christenthum gewonnen wurden. Dazu wurden sie
auch zum Theil durch die im römischen Reiche herrschende Verbindung von
Kirche und Staat willig gemacht.
222 ' Zweite Periode des alten Katholicismus.
Was die Quellen und Bearbeitungen betrifft, so sind wir zunächst an die letzten
Abschnitte der Kirchengeschichte E u s e b' s, sowie an dessen Leben Constantin's ge-
wiesen, ausserdem an dessen Fortsetzer: Sokrates, Scholasticus in Constaii-
tinopel, der in sieben Büchern die Kirchengeschichte vom Jahre 306 bis 439 fort-
führte, Hermias Sozomenus, Sachwalter in Constantinopel, dessen neun Bä-
cher der Kirchengeschichte die Zeit von 323 bis 423 umfassen, Theodore t, Bischof
in Cyrus, der in fünf Büchern die Kirchengeschichte der Zeit vom Jahre 322 bis
429 darstellt. Der Arianer Philostorgius hatte in zwölf Büchern die Kirchen-
geschichte vom Jahre 318 bis 425 behandelt; sein Werk ist aber nur in den Auf-
zügen beiPhotius, Codex 50 vorhanden. Von weiteren Fortsetzern kommen in Be-
tracht: Theodorus Lector in Constantinopel, der einen Auszug aus Sokrate«,
Sozomenus und Theodoret in zwei Büchern machte und dieselben in zwei Büchern
bis 518 fortführte, wovon Fragmente bei Nicephorus Callistus. — Evagrius
Scholasticus m Antiochien schrieb die Kirchengeschichte in sechs Büchern vo'i
431 bis 594. — Nicephorus Callistus c. 1330 schrieb auf Grund älterer
Historiker eine Kirchengeschichte, von der die achtzehn ersten Bücher bis 610
reichend erhalten sind. Dazu kommt das Chronicon Paschale von Erschaffung
der Welt bis 628 p. Chr. Soweit die griechischen Kirchenhistoriker. Von lateinischen
sind zu nennen:
Severus Sulpicius, Presbyter, historia sacra. Zwei Bücher von Erschaffung de]-
Welt bis 400 p. Chr. Eufinus, Presbyter in Aquileja, üebersetzung der K. G. des
Euseb in neun Büchern, fortgesetzt in zwei Büchern bis 395. Cassiodor und
Epiphanius, Scholasticus, c. 550, historia tripartita aus Sokrates, Sozomenus
und Theodoret zusammengesetzt.
Dazu kommen Hieronymus de viris illustribus, schon für die frühere Periode Quelle,
von Gennadius bis 495 fortgesetzt, die Chronik des Euseb von Cäsarea von Hie-
ronymus übersetzt und von demselben bis 379 fortgesetzt. — Von Bedeutung sind
die heidnischen Geschichtschreiber Ammianus Marcellinus in einunddreissig
Büchern, wovon 14 bis 31 vorhanden, 'die von 353 bis 378 reichen. S. über ihn
den Artikel von Rettberg in der Eealencyklopädie. Zosimus, tffroQict vin in sechs
Büchern bis 410.
Von neuen Bearbeitungen S. ausser den allgemeinen Geschichtswerken von Gieseler
und Neander, Baur, die christliche Kirche vom Anfang des vierten bis zum Ende
des sechsten Jahrhunderts 1859.
Erster Absclinitt.
Aeussere Schicksale des Christeiithums im römischen Reiche,
Kampf mit dem Heidenthum und Sieg über dasselbe.
Vor allem ist uns die Aufgabe gestellt, denjenigen Kreis von Begeben-
heiten kennen zu lernen , die auf alle Gebiete des kirchlichen Lebens solch
einen weitschichtigen Einfluss ausgeübt haben. Bei dem Beginn der Periode
war das Heidenthum noch mächtig und die Zahl seiner Anhänger überstieg
weit die der Christen. Am Ende der Periode fristete es nur noch in einigen
abendländischen Provinzen ein siechendes Dasein. Wie ist das geschehen?
Aeussere Schicksale des Christenthnms. ConstantiH. 223
Ist das Heidenthum durch die innere Kraft des Christenthums besiegt oder
durch äussere Gewalt überwunden worden? Oder hat beides zusammenge-
wirkt, um die alte Religion zu stürzen? Auf diese Fragen soll die folgende
Ausführung die Antwort geben.
1) Regierung Constantin's und seiner Söhne ^).
Eine Zeit lang regierte Constantin noch gemeinschaftlich mit Licinius.
In dieser Zeit konnte er noch nicht so frei handeln und sich des Christen-
thums nicht so sehr annehmen, als ei wohl gewünscht hätte. Doch liess er
schon in dieser Zeit der Kirche seinen Schutz angedeihen. Er beÜiss sich
nämlich, durch mehrere Gesetze dem Christenthum dieselben Rechte zu
geben, welche die heidnische und die jüdische Religion besassen. So ent-
band er die christlichen Geistlichen von der Verpflichtung, in den Municipal-
städten obrigkeitliche Aemter zu bekleiden. Er erlaubte, den Kirchen Ver-
mächtnisse zu machen. Die von Christen freigelassenen Sklaven sollten es
auch in Wirklichkeit sein. Grosse Summen wurden den afrikanischen Chri-
sten gespendet zur Herstellung ihrer zerstörten Kirchen. Das Gebot der Sonn-
tagsfeier, als des Sonnentages, durch Unterlassung der Arbeit begangen, — wo-
bei jedoch für Feldarbeiten Ausnahmen gestattet wurden , — hatte zwar noch
einen syncretistischen Charakter. Es sollte der Sonnengott als neutrale
Gottheit für Heidenthum und Christenthum gelten und dadurch die beiden Re-
ligionsparteien einander genähert werden. Denn Constantin hatte in der ersten
Zeit alles Ernstes den Gedanken einer Verschmelzung der Religionen aller Völker
des Reiches erfasst, da er sich sagte, dass Uebereinstimmung in der Religion
auch eine politisch heilsame Wirkung haben könnte ^). Demnach ist es nicht
auflallend, dass er fortfuhr, die mit seiner Würde als Pontifex maximus
verbundenen Obliegenheiten zu erfüllen. Als heidnischer Oberpriester nahm
er Theil an heidnischen Opfern. Heidnische Bilder blieben auf den Münzen
und anderswo, auf manchen Münzen war neben dem Sonnengotte, als Vertreter
des bisherigen Cultus, das Kreuz als Anerkennung Christi beigefügt. Es
scheint, dass Constantin sich noch nicht ganz ofl"en für das Christenthum
erklären moclite, theils aus Pohtik, d. h. aus Rücksicht auf den Mitkaiser,
theils weil er innerlich noch nicht befestigt war und das Christenthum noch
besser kennen lernen wollte ^).
1) Hier kommen in Betracht die früher (S. 57. 59) genannten Schriften von Euseb,
Manso, Burkhardt, Keim.
2) Euseb de vita Const. 2, 65.
3) Hier sei uns ein Nachtrag zu dem Seite 60 und 61 Bemerkten gestattet, auf
Grund des Werkes von Zo eckler: das Kreuz Christi 1875, das uns seitdem in die Hände
gekommen. Das seit dem Siege Constantin's über Maxentius als Emblem des christlich-
römischen Reichsheeres eingeführte Labarumzeichen trägt keineswegs den Charakter einer
absolut neuen Erfindung oder des Products einer göttlichen Offenbarung, sondern zeigt
eine auffallende Aelinlichkeit mit monogrammatischen Schriftzügen auf egyptischen, bak-
trischen nnd kleinasiatischen Münzen, und mag sich also wegen seiner Doppelsinnigkeit
dem zu mystischen Syncretismus geneigten Sinne des Kaisers sowie dessen politischen
Absichten besonders empfohlen haben.
224 Zweite Periode des alten Kattolicismus.
Erst seitdem er Alleinherrscher des ganzen Reiches geworden, entfal-
tete er vollkommen seinen Plan. Die beiden Augusti waren von zu verschie-
dener Gesinnung, al^ cldss sie lange Zeit hindurch friedhch neben einander
hätten herrschen können. Der Krieg, der im Jahre 323 zwischen ihnen
ausbrach, wurde thatsächhch zu einem Religionskriege, indem Licinius, um
sich die heidnische Partei geneigt zu erhalten, die Christen in den seiner
Herrschaft unterworfenen Provinzen verfolgte, zwar nicht so, dass er durcli
Edicte die Bekenner des christhchen Namens mit Tod bedrohte, aber durch
die Volkswuth und den Eifer der Unterpräfecten hatten die Christen Manches
zu leiden. Dahin gehört die freilich etwas ausgeschmückte Geschichte der
vierzig Soldaten zu Sebaste in Armenien. Das steht fest, dass der Sieg
Constantin's über Licinius, den jener tödten Hess (Sokr. 1, 4), im Jahre 32i)
zugleich ein Sieg über das Heidenthum war ^). Man kann aber nicht sagen,
dass seitdem die Embleme des heidnischen Cultus auf Constantin's Münzen
völlig verschwanden. Jedoch in anderer Beziehung trat allerdings seine
Neigung zum Christenthum offen hervor.
Die Begünstigung desselben hing zusammen mit den umfassenden Re-
formationsplänen des Kaisers. Sie wurden eniffnet durch die Gründung von
Neu Rom 2). Aus dem alten Byzanz , an den Ufern des Bosporus , wurde
das prächtige Constantinopel , geschmückt mit den Reichthümern und Kunst-
schätzcii des vereinigten Morgen- und Abendlandes. Rom passte in keiner
Weise zu den Plänen des Kaisers. Es hielt mit zäher Anhänghchkeit den
alten Gottesdienst fest, dem es seine Grösse zu verdanken glaubte. Es war
der Sitz repubhcanischer Bestrebungen und gewohnt, sich über die Be-
herrscher des Reiches frei zu äussern. Auch Constantin's Empfindlichkeit
war während seiner letzten Anwesenheit in Rom, so glänzend die Aufnahme
gewesen, die ihm widerfahren, sehr gereizt worden. Erbittert über seine
Vernachlässigung der väterhchen Götter, verwünschten ihn die Römer. Die
Gründung Neu-Roms hat nun auf die Geschicke des Christenthums grossen
Einfluss gehabt. Wäre Rom Residenz der Kaiser gebheben, so würde sich
das Pabstthum nicht so leicht, wenigstens in anderer Weise entwickelt ha-
ben. Rom fiel im fünften Jahrhundert in die Hände der germanischen
Völker. Constantinopel blieb bis in das fünfzehnte Jahrhundert ein Bollwerk
des Christenthums, zuerst gegen die andringenden germanischen Völker, so-
dann später gegen den Islam und dessen Bekenner. In Constantinopel erhielt
sich griechische Wissenschaft und Kunst , die im Abendlande wenig bekannt
war. Der Fall Constantinopels im Jahre 1453 kam im geeigneten Zeitpunkte,
um die Refonnation des sechzehnten Jahrhunderts vorzubereiten. Constantin
begnügte sich aber nicht mit diesem riesenhaften Unternehmen. Eine Menge
anderer Veränderungen wurden vorgenommen , welche darauf hinzielten, dem
Reiche eine bessere Administration zu geben, die Centrahsation zu befördern,
1) S. Dr. Frz. Goerres, kritische UntersuGhungen über die Ucinianische Christen-
verfolgung Jena 1875. S. theol. Literaturzeitnng Nr. 5.
2) Nfn Pinut]. Später, nach dem Concil v. Nicäa, nannte der Kaiser die neue
Stadt Constantinopel, und bestimmte durch ein Gesetz, dass sie dfvrfQa P(Of,tj genannt
würde. Sokrates 1, 16.
Aeussere Schicksale des Christentlmins. Constantin. 225
die Macht der Regierung zu erhöhen. Leider erhöhte Constantin sehr die
Abgaben und trug so zum Verfall des Reiches bei; doch wurde unter seiner
Regierung das Loos der Bauern etwas verbessert.
Das Werk der Erneuerung und Reformation des Reiches sollte nun
vorzüglich durch Begünstigung des Christenthums befestigt und gekrönt werden.
Der Kaiser suchte demnach auf alle mögliche Weise diese Religion zu heben,
doch ohne die heidnische Religion zu verfolgen. Es hatte sich das Gerücht
verbreitet und war auch zu den Ohren Constantin's gekommen, dass er die
Heiden mit Gewalt von ihrer Religion abwendig zu machen gedenke. Con-
stantin befliss sich , dieses Gerücht Lügen zu strafen. In zwei Gesetzen vom
Jahr^ 319 wurde auf das Bestimmteste Religionsfreiheit gewährt. Auch
später sprach der Kaiser die Grundsätze der Toleranz aus. In seinen an
gewisse morgenländische Provinzen gerichteten Proclamationen erklärte er,
Niemand solle den Andern wegen der Religion beunruhigen, Jeder solle das
thun, was seine Seele will. „Wir besitzen, o Gott,^^ heisst es in derselben
Proclamation , „das strahlende Haus deiner Wahrheit, das du uns unserer
Natur gemäss gegeben hast ^). Wir wünschen, dass diese Wahrheit auch
den Heiden zu Theil werde , auf dass sie mit uns die Früchte der Eintracht
geniessen. Aber Niemand unterstehe sich, den Frieden des Andern zu stö-
ren durch seine abweichende Ueberzeugung. Jeder suche dem Andern nütz-
lich zu werden nach dem Masse der ihm gewordenen Erkenntniss; wenn es
nicht möglich ist, so lasse er ihn seinen Weg gehen." Dieselben Proclama-
tionen waren übrigens bestimmt darauf berechnet, die Heiden zum Christen-
thum hinzuziehen. Eine derselben fing mit den Worten an: „Allmächtiger,
wir bitten dich, du mögest ihnen das Heil bringen durch mich, deinen Diener.
Ich liebe aufrichtig deinen Namen und fürchte deine Macht, welche du mir
durch vielfältige Zeugnisse kund gegeben hast." Dagegen machte er geltend,
dass die Verfolger der Christen ein schmähliches Ende genommen. Er be-
gnügte sich nicht mit dem geschriebenen Worte. Er hielt auch Predigten
in Gegenwart des Hofes und vieler tausend Zuhörer. Sein Thema war in
der Regel die Widerlegung des Götzendienstes, der Monotheismus, die Vor-
sehung, die Erlösung und das Gericht; doch machte er auch Ausfälle gegen
die Gewaltthätigen und Geldsüchtigen. Von der Wirkung dieser Predigten
weiss Euseb freilich nichts zu sagen. Diesen Kundgebungen suchte der
Kaiser dadurch Nachdruck. zu geben, dass er diejenigen, die das Christen-
thum annahmen, reichlich unterstützte. Er war sich zwar wohl bewusst, dass
allein durch solche Mittel keine wahre Bekehrung zu Stande kommen könne.
Doch legte er schon grossen Werth darauf, dass die Menschen sich zum
Christenthum äusserlich bekannten. Zu seiner Rechtfertigung berief er sich,
freilich ohne allen Grund auf Phihpp. 1, 18. Er hielt dafür, die meisten
Menschen würden ohne inneren Zug gewonnen; sie müssten durch äussere
Dinge angezogen werden; man müsse wie ein weiser Arzt allerlei Mittel
anwenden.
1) Euseb de vita Const. 2, 56. Die Stelle wird sehr verschieden übersetzt: ovnfQ
(otxou) xnrn (fvctv ^edcoxng, Neander riclitig, aber paraphrasirend : wie es unsere Na-
tur verlangt.
Herzog, Eircbengescbichte I. 15
226 Zweite Periode des alten Katholicismus,
So strömten denn die Heiden massenhaft in die lürche. Die neue
Wendung der Dinge machte einen wunderbaren Eindruck auf die Gemüther.
Bei dem Schlüsse der nicänischen Synode versammelte Constantin in Niko-
medien die anwesenden Bischöfe und gab ihnen ein Gastmahl, wobei sie
glänzend empfangen und bewirthet wurden. Krieger mit gezogenen Schwerdtcirn
hüteten die kaiserüchen Gemächer und inmitten derselben gingen furchtlos
die Männer Gottes. Einige Bischöfe durften am Tische des Kaisers speisen;
die anderen hatten sich an anderen Tischen niedergelassen. Es schien das Bild
des Reiches Christi hingezaubert zu sein. Das Ganze sah mehr einem Traume,
als einer wirkhchen Begebenheit ähnlich; so berichtet Euseb de vita Const.
3, 15. Wohl war es ein schöner Traum! Es lässt sich von vornherein
erwarten, dass Constantin selbst dergleichen Lobeserhebungen zu hören be-
kam; doch er wies solche zurück. Zugleich aber forderte er die Bischöfe
auf, neue Kirchen zu bauen, und baute selbst deren einige, auf dem heihgcm
Grabe in Jerusalem, sodann auf dem Oelberge, in Bethlehem. Er suchte
die Praefecturen wo möglich an Christen zu vertheilen; doch musste er in
hohen Staatsämteni Heiden dulden. Denn gerade die angesehensten r)-
mischen Familien bheben der alten Religion getreu. Im Jahre 331 wurden
den Göttern in Rom neue Altäre emchtet.
Schon um deswillen musste der Kaiser sich vor Verfolgung des Heidenthun s
hüten. Was er Gewaltsames gegen dasselbe unternahm, beschränkt sich darauf,
dass er im Morgenlande mehrere weniger gebrauchte heidnische Tempel iu
christhche Kirchen umwandelte und einige sitthch austössige Culte, den der
Aphrodite zu Aphaka in Phönicien, des Nil in Aegypten aufhob. Das war
PoUzeimassregel. Eher liesse sich die Zerstörung des Tempels Aesculaps zi
Aegae in Cihcien als der sonstigen Toleranz Constantin's widersprechend dar-
stellen, der Tempel war voll behangen mit den Weihgeschenken derer, dio
dem Gotte ihre Heilung zu verdanken wähnten. Nicht blos das Volk, auch
die Gebildeten priesen diese Wunderheilungen. Um den Täuschungen, di(5
dabei unterhefen, ein Ende zu machen, hess Constantin den Tempel zer-
stören und fällte damit eine wesentliche Stütze des Heidenthums in jener
Gegenden. Doch das sind vereinzelte Beispiele. In Constantinopel hess er
heidnische Tempel bauen. Bei der Einweihung der Stadt wurden heidnische
Geheimgebräuche gefeiert. Auch Anderen gestattete der Kaiser die Erbau-
ung von heidnischen Tempeln. Am Ende seines Lebens soll er aber den
alten Gottesdienst förmlich verboten haben. Sein Sohn Constantius spricht
davon in einem Gesetze vom Jahr 341. Das wtole zu dem stimmen, was
Euseb (de vita Const. 2, 45. 4, 23) und auch Theodoret (H. E. 1, 2) berichten.
Indessen ist es auffallend, dass sich jenes Gesetz nirgends aufgezeichnet
findet. Daher meinen Einige, es sei zui'ückgenommen worden, Andere, es
habe sich blos auf unsitthche Culte bezogen. Soviel ist gewiss, dass es nicht
zur Ausführung kam. Daher der heidnische Rhetor Libanius sich später
darauf berufen konnte, dass Constantin den alten Gottesdienst unangetastet
gelassen habe, so wie denn die Schrift des christlichen Firmicus Mater-*
nus, die aus den nächsten Jahren nach Constantin's Tode stammt, den
massenhaften Fortbestand der Opfer und Mysterien bezeugt. Pohtik mag mit
im Spiele gewesen sein. Den christhchen GeistUchen zu Gefallen mag Con-
Aeussere Schicksale des Christenthums. Constantin. 227
stantin den alten Gottesdienst zuletzt verboten, und aus Rücksicht auf die
heidnische Partei das Verbot nicht aufrecht gehalten haben.
Bis an das Ende seines Lebens blieb er Katechumene und nahm daher
nicht Theil an allen Handlungen des christlichen Gottesdienstes. Nahe am
Tode empfing er die Taufe aus den Händen Euseb's, des Bischofs von Niko-
medien, im Jahre 337. Sein Andenken haben Heiden und Christen, jene
durch Versetzung unter die Götter , diese, nämlich die griechischen Christen,
durch Aufnahme unter die Heiligen zu ehren gesucht. Sein Name ist
durch manche Gewaltthätigkeit befleckt, besonders aber durch die Hinricht-
ung seines treft'hchen Sohnes Crispus auf Anstiften seiner Gemahlin Fausta
(326). Als er des Crispus Unschuld erkannte, Uess er auch Fausta hinrich-
ten. Daran knüpft sich eine gehässige Sage über die Beweggründe seines
üebertrittes zum Christenthum. Kaiser Juhan, Zosimus (2, 29) und Sozo-
menus (1, 5) sind die Gewährsmänner dafür. Gefoltert durch Gewissensbisse
über jene Mordthaten habe sich Constantin an die heidnischen Priester, nach
Sozomenus an den neuplatonischen Philosophen Sopater um Entsündigung
gewendet. Diese hätten erwiedert, für solche Missethaten gebe es keine
Entsündigung. Darauf habe sich ein Aegyptier in seine Nähe zu drängen
gewusst und ihm die Ueberzeugung beigebracht, dass das Christenthum jede
Missethat abzuwaschen fähig sei. Nach Sozomenus waren es christHche
Priester, welche ihm versprachen, ihn durch Busse und Taufe von allen
Sünden zu befreien. Darauf sei er Christ geworden und von dieser Zeit an
habe er gesucht, die Unterthanen zur Annahme des Christenthums zu ver-
mögen. Diese Erzählung wird schon durch die Chronologie widerlegt. Schon
vor 326 hatte sich Constantin zum Christenthum bekannt, und er wartete
noch volle eilf Jahre, bis er, am Rande des Grabes stehend, die Taufe be-
gehrte, da es doch nach jener Erzählung wahrscheinlich wäre, dass er sich
sobald als möghch die Taufe hätte geben lassen. Uebrigens ist es schwer
zu glauben, dass heidnische Priester die einzig - artige Gelegenheit nicht be-
nützt hätten, um den mächtigen Herrscher zu gewinnen. Da aber Con-
stantin's Zweideutigkeit niemals völlig aufhörte, so begreift man um so eher,
dass die heidnischen Gegner ihm solche Zurückwendung zu der alten Religion
andichteten. Die Erzählung ist das Gegenstück zu dem Kreuze in der Luft,
wodurch seine Bekehrung zum Christenthum bewirkt sein sollte. — Noch
muss angeführt werden, dass Constantin in seinem Eifer für die neue Reli-
gion auch durch seine Mutter, die Kaiserin Helena ermuntert wurde. Sie
hatte eine Frömmigkeit, die sehr an Aeusserlichkeiten hing und dadurch
schädlichen Einfluss übte. Sie wallfahitete nach Palästina und kniete an-
dächtig an der Stätte, welche man ihi' als die Kreuzigungsstätte des Hei-
landes bezeichnete.
Wie sehr auch in der ganzen Handlungsweise Constantin's der pohtische
Gesichtspunkt sich geltend macht , so lässt sich doch nicht erweisen , dass
seine Begünstigung des Christenthums blos aus politischer Berechnung floss
und keinen Anhaltspunkt in seiner persönlichen Ueberzeugung hatte. Es ist
zu bedauern, dass der erste christUche Kaiser kein reinerer Charakter ge-
wesen. Aber dass er seine Zeit verstanden, wird ihm Niemand mit Recht
bestreiten. Dass er die richtige Einsicht hatte und darnach seine Maass-
15*
228 Zweite Periode des Katholicismus.
regeln traf, das ist seine Grösse. Die durch ihn vollzogene Verbindung von
Kirche und Staat muss übrigens nicht blos nach ihren Auswüchsen , die sich
schon unter seiner Regierung, noch mehr aber später zeigten, beurtheilt werden.
Nach dem Tode Constantin's nahm die Reaction gegen das Heidenthum
und die Begünstigung des Christenthums von Seiten der Beherrscher des
Staates wachsend zu, jedoch nicht ohne eine neue Reaction des Heidenthums
gegen das Christenthum vorzubereiten. Constantin hatte drei Söhne hinter-
lassen, wovon der erste, Constantin IL in einem Kriege mit seinen Brüdeni
das Leben verlor. Die beiden überlebenden Söhne, an Regententugend dem
Vater sehr unähnhch, theilten sich in die Herrschaft. Constans war Kaiser
des Abendlandes, Constantius des Morgenlandes. Beide beobachteten in ihrem
Verhältniss zur alten Religion nicht dieselbe Mässigung wie ihr Vater. Sie
erhessen gemeinsame Gesetze, welche das Heidenthum verboten. Docli
musste Constans, weil es im Abendlande noch stärkere Wurzeln hatte, ah
im Morgenlande, milder verfahren als sein Bruder. So verbot er die Zer-
störung der heidnischen Tempel ausserhalb der Mauern der Städte. Eni
Reisender, der 347 Rom besuchte, fand daselbst noch sieben Vestaünen,
den Cultus des Jupiter, der Sonne und der Mutter der Götter vor. Con-
stantius konnte unumschränkter verfahren. Im Jahre 341 erliess er ein be-
sonderes Edict für das Morgenland, wodurch aller und jeder Götzendienst
bei Strafe verboten wurde. Als er im Jahre 350 nach dem Tod des Bniders
die Herrschaft über das ganze Reich in sich vereinigt hatte, schärfte er seine
Massregeln. Da ungeachtet der erlassenen Gesetze das Heidenthum immer
noch fortdauerte, verbot er im Jahre 353 die Ausübung des alten Gottes-
dienstes unter Androhung der Todesstrafe und der Confiscation der Güter.
Dieselben Strafen sollten diejenigen Statthalter treffen, die jenes Gesetz nicht
handhabten. Nur in Rom und in Alexandrien kam es nicht zur Ausführung.
Der Kaiser selbst sah 357 bei einem Besuche in Rom dem alten Religions-
wesen ruhig zu und liess alles Bestehende unangetastet. Doch sah er das
Heidenthum bereits als politisch gefährlich an, — sowie früher das Christen-
thum als politisch gefährhch gegolten hatte. Es lässt sich nicht läugnen,
dass die Christen selbst die Repressivmassregeln gegen das Heidenthum
bilHgten und den Kaiser dazu antrieben. In diesem Sinne hatte sich schon
Firmicus Maternus ausgesprochen in seiner Schrift de error e profa-
narum religionum ^ zwischen 343 — 350 beiden Kaisern gewidmet. In
Folge solcher Massregeln drangen viele Unwürdige in die Kirche ein, die
freilich wohl auch von der Ohnmacht der alten Götter, mithin von der Nich-
tigkeit derselben überzeugt worden waren.
Indessen zog das Heidenthum aus der Bedrückung, die es erleiden
musste, doch einigen Vortheil. Sie bildete nämlich einen schneidenden Con-
trast gegen die früher von den Christen ausgesprochenen Grundsätze über
Religionsfreiheit. Die Heiden fingen an, ihre alten Angriffe auf das Christen-
thum zu erneuern: was Gutes und Wahres daran sei, das sei den alten
Philosophen entlehnt, alles Uebrige nichts als Aberglaube. Die theologischen
Streitigkeiten warfen in den Augen der Heiden auch ein ungünstiges Licht
auf die Christen und die Sache, die sie vertraten. Auf den heidnischen
Theatern wurde wie früher die tiirha der heidnischen Götter, so jetzt das
Aeussere Schicksale des Christentliums. Julian. 220
Evangelium verspottet. Uebrigens hatten die Heiden wie vor Alters die be-
deutendsten Bildungsanstalten des Kelches inne. Die berühmte Schule der
Rhetorik in Athen wurde dui'ch heidnische Lehrer geleitet. In Alexandrien
waren auch Heiden an den wissenschaftüchen Anstalten thätig. Die berühm-
testen Redner jener Zeit waren Heiden; es genügt, den einen Libanius her-
vorzuheben. Der Neuplatonismus suchte das Heidenthum zu verjüngen, wis-
senschafthch zu rechtfertigen, das Unsittliche in den Mythen durch allego-
rische Erklärung zu beseitigen. Dadurch konnte er unbefestigte Gemüther
anziehen und gewinnen. Die Heiden setzten grosse Hoffnung auf einen kai-
serhchen Prinzen, den sie insgeheim für ihre Religion gewonnen hatten und
dem die Thronfolge nach dem Recht der Verwandtschaft zugesichert war.
Dieser Prinz war
2) Julian, zubenannt der Abtrünnige, Apostata*).
Wie ist es gekommen, dass ein Mann , der seinem eigenen Geständnisse
zu Folge sich bis in das zwanzigste Lebensjahr zum Cliristenthum bekannt
hatte, sich demselben bis zur höchsten Abneigung entfremdete, sich in die
veralteten Religionsformen und Anschauungen völlig einlebte und alle Kraft
seines Geistes und Charakters sowie auch seine hohe Stellung als Kaiser
auf die sisypliische Arbeit verwendete, die Geschichte rückgängig zu machen ?
Julian war der Sohn des Julius Constantius, eines Stiefbruders von
Kaiser Constantin, mithin eines Vetters des regierenden Kaisers Constantin.
Seine Mutter war einige Tage nach seiner Geburt gestorben. Sein Vater,
ein älterer Bruder und mehrere Verwandte wurden, als Julian sechs Jahre
alt war, in einem Aufruhr der Soldaten getödtet. Von der ganzen Familie
blieben nur Julian und der ältere Bruder Gallus am Leben. Man gab diese
Mordthaten dem Kaiser Constantius schuld; doch erfuhren die beiden jungen
Prinzen nicht die volle Wahrheit, die überhaupt schwer herauszufinden wäre.
Julian selbst erhebt in dieser Beziehung gegen seinen kaiserlichen Vetter
keine Vorwürfe. Er beklagt sich aber über die sechsjährige Einsamkeit auf
einem kaiserhchen Schlosse in Kappadocien, wo er und sein Bruder Gallus
nur mit Sklaven Umgang hatten. Nach Constantinopel zurückgerufen wurde
er argwöhnisch beobachtet und fühlte sich von allen Seiten gehemmt. Um
die spätere Abwendung vom Chiistenthum zu erklären, hat man sich auf die
frommen Uebungen berufen, wozu Juhan nebst Gallus in der ersten Jugend
angehalten worden. Doch Julian spricht nicht davon in seiner Epistel an
die Athener, worin er Alles aufzählt, was er von Constantin erdulden musste.
Man hat auch das geltend gemacht, dass die christliche Religion damals
schon ziemUch ausgeartet war. Doch, wenn gleich emiges Prunk- und Ce-
1) S. Julian! Imperatoris Opera et Cyrilli contra impium Jnliannm lib. X ed. Eze-
chiel Spanhemius. Lipsiae 1696. Die Opera sind Reden, Abhandlungen und Briefe. Das
Werk von Cyrill von Alexandrien ist wichtig wegen der Fragmente von Julian's drei
Büchern gegen das Christenthum , die es enthält; sie sind französisch herausgegeben wor-
den vom Marquis d'Argens. 3. Ausgabe. Berlin 1769. Dazu kommen als Quellen der
loyos €7itTa(ptog des Libanius, Ammianus Marcellinus, Zosimus und die christlichen
Kirchenhistoriker Sokrates, Sozomenus, Theodoret.
230 Zweite Periode des alten Katholicisrans.
rimonienwesen eingedrungen, so war diess Julian gewiss nicht zuwider, son-
dern vielmehr willkommen. Grösseres Gewicht hat der Umstand, dass die
theologischen Streitigkeiten schon einen hohen Grad von Animosität erreicht
hatten und daher wohl geeignet waren, ein unbefestigtes oder schwankendes
Gemüth vom Christenthum abzustossen. Ebenso bedeutsam ist der Umstand,
dass Julian keine Vertreter des Christenthums fand, die ihm eine wahrhafte
Achtung für dasselbe hätten einflössen können; nicht als ob es keine gegebtm
hätte, aber am Hofe gewiss nicht.
Doch die Entscheidung konnte durch das Alles nicht gegeben werden.
Gallus hatte dieselben Erfahrungen zu machen wie sein Bruder, er wuchs
unter denselben Einflüssen und Eindrücken auf — und wurde nicht Heide.
Die Bekehrung Juhan's zu der alten Religion geschah in Folge der eigenen
Naturanlage desselben einerseits und der Verbindung mit der heidnischen
Partei im Reiche andererseits.
Es war in Julian's Seele ein angeborener Zug nach dem antiken Hei-
denthum; er war, wenn der Ausdruck erlaubt ist, heidnisch angelegt. Seino
Freude an der Natur, wie er sie seit den frühesten Lebensjahren empfand,
war eine Hingabe an die Natur, er spricht daher von einer angeborenen
Sehnsucht nach dem grossen Gotte Helios, der ihm in der Sonne verkörper:
entgegentrat. Vor dem Glänze dieses Gottes musste die Knechtsgestalt des
Menschensohnes völUg erbleichen. Die Neigung zu den alten Gottheiten
wurde genährt durch den Lehrer, der mit ihm Homer las und der mittelst
der allegorischen Erklärung die anstössigsten Dinge der heidnischen Mytho-
logie in ein täuschendes Gewand zu kleiden wusste. So war er vorbereitet,
an heidnischen Geisteserzeugnissen ein besonderes Wohlgefallen zu finden.
Als man ihm gestattete, sich nach Nikomedien zu begeben, hätte er gar zu
gerne den daselbst lehrenden Libanius gehört. Das Verbot, ihn zu hören,
steigerte nur seine Begierde, und es lässt sich denken, mit welcher Lust er
die Collegienhefte des Libanius, die er sich zu verschaffen gewusst hatte,
las. Damals that er bereits einen entscheidenden Schritt zur Annäherung
an das Heidenthum durch seine Verbindung mit der heidnischen Partei, die
ihn auch mit dem Neuplatonismus befreundete. Die heidnischen Philosophen
schmeichelten seinem hohen Selbstgefühle, indem sie ihm Weissagungen mit-
theilten von einem bevorstehenden Siege der Götter, den er berufen sei
herbeizuführen. Durch Göttererscheinungen begeistert und bearbeitet trat
er in Nikomedien bereits zum Heidenthum über, doch ohne das Christen-
thum aufzugeben. Gerade damals soll er, um allem Argwohn vorzubeugen,
mit geschorenem Kopfe und in mönchischem Aufzuge aufgetreten sein. Um
Constantius noch besser zu täuschen, Hess er sich als Lector aufnehmen.
Doch immerfort von Constantius argwöliuisch bewacht, entfloh er mit dem
Neuplatoniker und Theurgen Maximus, der sich seit einiger Zeit an ihn
gemacht, nach Jonien, wo das Werk der Bekehrung zum Heidenthum voll-
endet wurde. Da erhielt er die Weisung, sich nach Athen zu begeben.
Wenn Constantius ihn eigens zum Heidenthum hätte locken wollen, hätte er
keinen passenderen Ort wählen können. Athen war der reizendste Sitz der
alten Religion. Berühmte Lehrer empfahlen sie daselbst mit einschmeicheln-
der Beredtsamkeit. Ringsherum, auf den Höhen und in den Thälern standen
Aeussere Schicksale des Christenthums. Julian. 231
die herrlichen Wohnungen der heimischen Götter; wo man hinblickte, traten
diese in freundhch winkenden und Ehrfurcht gebietenden Gestalten den
Beschauern entgegen. In Athen wurden manche christliche JüngUnge wieder
für die alte Rehgion gewonnen, — Juhan in seiner Anhänghchkeit an die-
selbe befestigt. Er vertiefte sich in die neuplatonische Philosophie und wurde
in die Wahrsager- und Zauberkünste eingeweiht. Opfer wurden von den
Heiden den Göttern dargebracht, damit sie ihn einst auf den Thron erheben
möchten. Er selber vertraute sich besonders dem Oberpriester von Eleusis,
von dem die Heiden rühmten, dass er allein unter allen Menschen ohne
Sünde sei.
Da wurde er plötzlich gegen alle Erwartung in die politische Laufbahn
hineingeworfen. Constantius ernannte ihn zum Cäsar und schickte ihn nach
Gallien, wo die römische Herrschaft durch die einbrechenden Germanen er-
schüttert war. Wahrscheinlich durch seine Gattin, die Kaiserin Eusebia
bewogen, gab er ihm damals die eigene Schwester Helena zur Frau. Da aber
Julian ohne alle Kenntuiss der Kriegskunst war , erhielten die Befehlshaber
der Truppen den eigentlichen Oberbefehl, er selbst zunächst nur die nomi-
nelle Oberleitung. Er suchte das ihm Mangelnde zu ersetzen und wurde
bald ein geschickter und tapferer Feldherr. Er führte, sagt Libanius, die
Waffen, als ob er von Anfang an statt mit Büchern sich mit den Waffen
abgegeben hätte. Er wurde der Abgott der Legionen, der Schrecken der
Feinde, — daneben lag er eifrig seinen Studien ob, verehrte im Geheimen
die Götter und trat öffentlich als Christ auf. Um allen Verdacht von Seiten
des Kaisers zu beseitigen, veröff'entüchte er damals eine Lobrede auf den-
selben. Der Conffict, der sich bald darauf zwischen beiden Herrschern er-
hoben und der in einen Bürgerkrieg auszulaufen drohte, wurde durch den
Tod des Constantius beseitigt, worauf Julian 361 den Thron bestieg, unter
dem Jubel der heidnischen Partei, während die Christen in banger Erwartung
der kommenden Dinge waren.
Sein Versuch einer Restauration des Heidenthums hing aufs engste
zusammen mit seinem Streben nach einer durchgehenden Reformation des
Staates, nach Herstellung der altrömischeu Grösse, wobei ihm als Ideal
eines Herrschers das Bild Mark Aureis vorschwebte. Wie dieser sah er in
der Aufrechthaltung der alten Religion die unentbehrlichste Stütze des Thrones,
die nothwendige Bedingung der Wohlfahrt des Reiches. Es war diesem
seinem Streben Wahres und Gutes beigemischt. Julian hat sich als Kaiser
in mehrfacher Beziehung um das Reich Verdienste erworben. Er wollte nicht
durch Andere regieren, er bestrebte sich, gegen seine Unterthanen mild,
wohlthätig und gerecht zu sein. Er verringerte die seit Constantin ungeheuer
drückend gewordenen Abgaben; gleich nach seiner Thronbesteigung that er
den grossen, gangbar gewordenen Verschwendungen Einhalt. Er schaffte
eine Menge überflüssiger Hofbedienten ab, er lebte in der äussersten Ein-
fachheit und Strenge gegen sich selbst, welche Tugend er bis zum Cynismus
trieb, wodurch er sich in seinem Ansehen selbst bei seinen heidnischen An-
hängern schadete.
Der Plan einer Restauration des Heidenthums brachte mit sich eine
Bekämi)fiing des Christenthums. Da nun aber dieses durch die Zahl seiner
§32 Zweite t*eriode des alten Katholicismus.
Bekenner, durch Aneignung höherer Bildung, durch wohlthätige Einwirkung
auf manche Lebensverhältnisse schon eine bedeutende Macht im Reiche ge-
worden, so unternahm Julian mit jener Bekämpfung eine politisch - religiöse
Revolution von höchst zweifelhaftem Erfolge. Doch solche Bedenken lagen
ihm fern. Er meinte wohl, dass, sowie Viele um irdischer Vortheile willen den
christhchen Glauben angenommen , eben so Viele ihn um derselben Vortheile
willen wieder aufgeben würden. Um so mehr mochte sich ihm dieser Ge-
danke empfehlen, da er das Christenthum so tief stellte, so gründlich ver-
achtete. Aus den Bruchstücken der drei Bücher gegen die Christen, die er
am Ende seines Lebens in Antiochien schrieb, ersehen wii* so wie seine
Kenntniss der heihgen Schrift, so auch seine Unwissenheit in Sachen des
Christenthums. Es ist ihm eine unglückliche Verunstaltung des Judenthums
und das Judenthum selbst wenig verschieden vom Heidenthum, mit dem es
die Opfer gemein hat: ein Beweis seiner oberflächlichen Betrachtungsweise
Seine Ansichten erinnern auÖ'allend an die der französischen Deisten dee
achtzehnten Jahrhunderts und sind auch von diesen mit gebührender Aner-
kennung aufgenommen worden. Unbegreiflich ist ihm die Verehrung, welche
die Christen dem Herrn darbrachten, der in dreissig Jahren nichts der Rede
Werthes zu Stande gebracht, ausser dass er einige Lahme und Bünde ge-
heilt und einige gemeine Leute zum Glauben an ihn überredet habe. Er
verspottete die Christen, — die Gahläer, wie er sie verächtlich nannte, als
Thoren, die einen todten Juden verehrten. Er setzte das Christenthum und
dessen Bekenner auf die unterste Stufe der Geistesbildung. Er meinte, der
Grund, warum die Christen sich dem Studium der cl assischen Literatur zu-
wendeten, sei das Bewusstsein der Mangelhaftigkeit ihrer Religion und ihrer
Religionsurkunden. „Durch diese Studien, sagte er, sind die Besseren unter
euch zum Abfall vom christlichen Glauben bewogen worden. Eure Schriften
machen keinen Menschen weise. Durch die unsrigen dagegen wird er tapfer,
erobernd, thätig, weise, und wenn er gute Aulagen hat, ein Held. — „Wir
sind von den Göttern verschiedene Künste der Theurgie gelehrt worden.^
„Oft bin ich von Aeskulap geheilt worden"^, setzt er ruhmredig hinzu. Durch
der Götter Gunst glaubte er allen Gefahren, womit der Argwohn des Con-
stantius ihn bedroht hatte, entronnen und aus der Verbannung auf den Thron
erhoben zu sein. Auf den Thron erhoben wollte er nun den Göttern seinen
Dank bezeugen, den alten Weisen und Helden nachstreben. Darin gefiel
sich seine stolze Seele und wendete sich verächtlich hinweg von dem gött-
lichen Dulder am Kreuze.
So wurde ihm die Wiederbelebung der alten Religion zur reügiösen
Pflicht und er hätte sie versuchen müssen, gesetzt auch, dass er starken
Zweifel am Gelingen seines Vorhabens geluibt hätte. Die Art, wie er ver-
fuhr, zeigt übrigens, dass er sich die Schwierigkeiten der Aufgabe nicht
ganz verhehlte. Die Geschichte, — wie seine eigenen Aussagen es bezeugen
(Sokrates 5, 4), hatte ihn gelehrt, dass der offene Krieg die verfolgte Partei
nur bestärke, dass das Blut der Märtyrer eine Aussaat neuer Bekenner sei.
Er hasste daher das Märtyrerthum und mochte den Christen die Ehre und
den Vortheil desselben nicht gönnen. Deswegen suchte er die christliche
Küxhe allmähüch zu untergraben. Ei' übte eine sanfte Gewaltthätigkeit aus, nach
i
Aeilssere Schicksale des Christentliums. Julian. 233
dem treffenden Ausdrucke Gregor's von Nazianz. Er scheute sich vor offen-
kundiger Gewaltthätigkeit , damit er nicht tyrannisch erschiene. Daher ver-
kündigte er allgemeine Duldung für die Christen und erklärte sich aufs
Bestimmteste gegen deren Bestrafung, sich mit der Hoffnung schmeichelnd,
dass sie sich bald vom christUchen Glauben abwenden würden. Er rechnete
es sich zum Verdienst an, dass er die verschiedenen theologischen Parteien
frei gewähren Hess , dass er alsobald nach Besteigung des Thrones die durch
Constantius verbannten Bischöfe zurückrief. Er verbot den Christen als
öffentUche Lehrer der classischen Literatur aufzutreten ; denn es komme ihm
ungereimt vor, dass diejenigen die Schriften der classischen Schriftsteller
auslegen, welche die von ihnen verehrten Götter verachten. Ein harter
Schlag für die Christen, da Juhan durch jenes Verbot einer unter den
Christen ziemUch verbreiteten Richtung entgegenkam. Aus der Art, wie
Sozomenus das Studium der alten Literatur rechtfertigt, ist zu ersehen, wie
sehr er den Einfiuss jener Massregel befürchtete i). Julian liess es nicht
bei dieser Art von Hemmung bewenden. Er entzog den Geisthchen die ihnen
von Constantin ertheilten Rechte und Privilegien; er suchte wo möglich die
Ehrenstellen in die Hände von Heiden zu bringen. Manche Kirchen und
dazu gehörige Grundstücke mussten an Heiden abgetreten werden. So bUeb
auch manche Frevelthat des heidnischen Pöbels ungestraft, wenn gleich er
sie im Allgemeinen nicht gerne sah. Unruhige Christen dagegen wurden sehr
hart bestraft. — Die christUchen Geschichtschreiber führen eine statthche
Reihe von Märtyrern unter diesem Kaiser auf (S. Sozom. 5, 9).
Zur positiven Restauration der alten Religion benützte er neben seiner
kaiserlichen Machtvollkommenheit seine Stellung und Würde als Poutifex
maximus, die mit der Imperatorenwürde verbunden war. Sein Streben ging
dahin, in seiner eigenen Person das Ideal eines wahren Priesters, als Muster
der Götter- und Menschenliebe, der Rechtschaffenheit und Strenge gegen
sich selbst darzustellen 2). Daher entstanden seine Reden und Briefe ; daher
er auch unermüdlich war in Darbriugung von Opfern, wodurch er selbst
seinen Anhängern Anstoss gab und sich lächerlich machte, so dass, wie
Ammianus berichtet, viele fürchteten, wenn er als Sieger aus dem Kriege
gegen die Parther heimkehrte, würde bald ein Mangel an Ochsen eintreten.
Die gebildeten Heiden ärgerten sich auch daran, dass er, beseelt vom ge-
wöhnlichen Eifer der Convertiten, den alten Kram von Wahrsagereien, Au-
gurien, Haruspicien und anderen Gaukeleien wieder aufbrachte 3). Geleitet
von demselben Streben, der alten Religion wieder aufzuhelfen, traf er aller-
dings noch bessere Maassregelu. Dem von ihm so sehr verachteten Chri-
stenthum entlehnte er einige Eimichtungen, wodurch sich die Kirche grossen
1) Sie ist nicht so zu verstehen, wie man aus Sokrates 3, 16. Sozom. 5, 18
schliessen könnte, dass die Christen überhaupt nicht durften die alte Literatur studiren;
unter der Leitung heidnischer Lehrer bUeb ihnen dieses unverwehrt. S. auch Ammianus
Marcellinus 25, 4.
2) S. darüber Ulimann, Gregor v. Nazianz 527 u. ff.
3) So dass selbst Ammianus Marcellinus üb. 25, 4 bekennt, er sei mehr super-
stitiosus quam sacrorum legitimus observator gewesen.
234 Zweite Periode des alten Kiatholicismus.
Einfluss auf die Völker verschafft hatte. So befahl er die Einrichtung von
Armenhäusern, von Herbergen zur Aufnahme der Fremden; er selbst theilte
mit fürsthcher Freigebigkeit Almosen aus, er wollte, dass man die Christen
nachahme, die durch Almosen ihren Anhang verstärkten. Sehr bezeichnend
ist in dieser Beziehung sein Brief an Arsacius , Oberpriester in Galatien (bei
Sozom. 5, 16). Er ging noch weiter auf diesem Wege. Er bemühte sich,
das christliche Institut der Volksbelehrung und Predigt nachzuahmen. Prio
ster in purpurne Prachtgewänder gekleidet, — so hatte es der Kaiser aus-
drücklich befohlen, — erschienen auf der Bühne der Redner und trugen in
schwülstigen Worten allegorische Erklärungen der Mythen vor. Julian wollte
selbst eine der christlichen nachgeahmte hierarchische Abstufung der Reli-
gionsdiener einführen. — Was noch bezeichnender ist, er führte sogar
Kirchenzucht ein; in seiner Eigenschaft als Pontifex maximus handhabte er
den Bann gegen Unwürdige.
So endete denn diese stolze Erhebung über das Christenthum mit einer
indirecten Anerkennung desselben und mit einem der alten Religion aus-
gestellten Armuthszeugnisse. Julian wurde sich mehr und mehr der Schwie-
rigkeiten seiner Aufgabe bewusst. Er erging sich in Klagen, dass die Ga-
liläer für ihre Religion viel mehr Eifer hätten als die Heiden. Daher, was
die christlichen Geschichtschreiber berichten, gar nicht unwahrscheinlich ist,
dass er kurz vor seinem Tode bekannt habe, er werde nach beendigtem
Kriege (mit den Parthern) gegen die Christen schärfer auftreten als bis
dahin. In diesem Kriege starb er, getroffen, nach der Aussage der Heiden
von einem christlichen Soldaten, im Jahre 363, im zweiunddreissigsten Le-
bensjahre, im dritten Jahre seiner Regierung. Die christliche Sage, von
Theodorus (H. E. 3, 25) aufbewahrt, legte dem Sterbenden die Worte in den
Mund: ^^Gahläer, du hast gesiegt ^^ ^). Das trifft zusammen mit der durch
Ammianus Marcellinus beglaubigten Aussage des Sterbenden, dass die nütz-
lichsten Massregeln nicht immer mit Erfolg gekrönt werden 2).
3) Weitere Entwicklung bis zum Ende der Periode.
Am Anfange der Regierung Julian's hatte Gregor von Nazianz das
grosse Wort ausgesprochen, dass die Kirche mehr die inneren als die äusse-
ren Feinde zu fürchten habe. Nach dem Tode jenes Kaisers ermahnte er
die Christen, durch ihre Mässigung im Glücke zu zeigen, dass sie die ihnen
widerfahrene Züchtigung w^ohl benützt hätten, und den Heiden nicht Gleiches
mit Gleichem zu vergelten gedächten. In der That herrschte von nun an Reli-
gionsfreiheit bis zum Jahre 381, als wohlthätige Rückwirkung von Julian's Regier-
ung, zum Theil auch in Folge der mannigfaltigen Gefahren, w^omit das Reich
durch die germanischen Völker beckoht wurde. Zunächst nach Julian's Tode
ergriff zwar grosse Angst die Gemüther der Heiden. Sie verschlossen ihre
1) Nertxj^xagi raXikate.
2) So war es ihm auch ergangen, als er aus Achtung gegen die jüdische Religion
als ächte Volksreligion den Wiederaufbau des Tempels von Jerusalem erlaubte. Aus dem
bituminösen Boden erhoben sich Feuerflammen, welche einige Arbeiter tödteten, so dass
der Bau aufgegeben wurde. Ammian. Marc. 23, 1.
i
Aeussere Schicksale des Christenthums. Jovian — Gratian. 235
Tempel, ihre Priester verbargen sich aus Furcht vor Repressalien von Seiten
der Christen. Allerdings mussten die Heiden manchen Schadenersatz geben
und einzelne Misshandlungen kamen vor. Doch bemühte sich Jovian, der
neue Kaiser, selbst ein eifriger Christ, seine heidnischen Unterthanen zu
beruhigen, indem er durch das erste der von ihm erlassenen Gesetze Reli-
gionsfreiheit gewährte und nur den Gebrauch der heidnischen sacra zur
Magie verbot. Diess rühmte der heidnische Rhetor Themistius in einer
damals vor dem Kaiser gehaltenen Rede bei Anlass des von diesem angetre-
tenen Consulates: „Ihr allein scheint zu wissen, dass der Regent von seinen
Unterthanen nicht Alles erzwingen kann, dass es Dinge gibt, die über jeden
Zwang, jede Drohung, jedes Gebot erhaben sind, wie überhaupt alle Tugend
und insbesondere die Verehrung der Gottheit. Ihr habt sehr weise erkannt,
dass bei allem diesem, wenn es nicht erheuchelt sein soll, der ungezwungene,
freie Wille der Seele vorangehen muss.^' Jovian starb noch schneller als
Juhan im Jahre 364, aber einige seiner Nachfolger traten noch in seine
Fussstapfen. Valentinian I. , Kaiser des Abendlandes, f 375, obschon er
früher durch sein standhaftes Bekenntniss des Christenthums sich die Un-
gnade Julian's zugezogen, obschon er zu despotischem Verfahren geneigt
war, gewährte doch Religionsfreiheit durch mehrere Gesetze. Ammianus
Marcellinus gibt ihm in dieser Beziehung das ehrenvollste Zeugniss. Da-
durch wurde das Ileidenthum nicht sowohl befestigt als vielmehr das Chri-
stenthum gefördert, wie man denn um diese Zeit anfing, dasselbe die Bauern-
religion zu nennen ^). Dieselben Grundsätze von Valentinian stellte Va-
lens f 378 im Morgenlande auf und handelte darnach, nur politischer Arg-
wohn riss ihn zu Verfolgungen hin gegen diejenigen, welche Wahrsagerei
und Zauberkünste trieben. Valentinian dem ersten folgten in der Herrschaft
über die Abendländer seine beiden Söhne Gratian und Valentinian IL,
jener siebzehn Jahre alt, dieser vier. Gratian betrat zuerst die Fussstapfen
seines Vaters. Nach denselben Grundsätzen verfuhr bis 381 der kraftvolle
Feldherr Theodosius, ein Spanier von Geburt, nach dem Tode des in der
Schlacht von Adrianopel von den Gothen getödteten Valens, 378, von Gra-
tian zum Beherrscher des Orients eingesetzt. Da die Gothen, welche damals
bis unter die Mauern von Constantinopel vorgedrungen waren, die Aufmerk-
samkeit von den inneren Verhältnissen hinweglenkten, wurde die Religions-
freiheit bis zum Jahre 381 aufrecht gehalten.
Als der Gothensturm vorüber war, begann man im Morgen- und Abend-
lande nach und nach ein anderes Verfahren inne zu halten. Die römischen
Kaiser waren Pontifices maximi und wurden bei ihrer Thronbesteigung mit
den Insignien dieser Würde geschmückt. Die Sache war zuletzt reine Förm-
lichkeit geworden, in die auch die christlichen Kaiser sich fügten. Gratian
war der erste, der sich weigerte, das heidnische oberpriesterüche Gewand
1) Der Name religio i)aganorum kommt zuerst in einem Gesetze des Kaisers
Valentinian I. vom Jahre 368 vor. Dass die Uebersetzung Bauemreligion die richtige
ist, ergibt sich aus der Vorrede des Orosius zu seiner Weltgeschichte: qui ex locorum
agrestium compitis et pagis pagani vocantur. Auf diesen Sinn spielt auch
Prudentius an, wenn er die Heiden pago implicitos nennt.
236 Zweite Periode des alten Katholicismus.
anzulegen; aber auch den Titel Hess er sich nach einiger Zeit nicht mehr
gefallen. — Im Versammlungssaale des römischen Senates stand ein Altar
der Victoria, hochverehrt in der Stadt der Weltüberwinder, vor dem die
Senatoren ihre Eidschwüre abzulegen pflegten. Der Altar war schon einmal
entfernt, darauf durch Juhan wiederhergestellt worden. Gratian liess ihn
aufs neue fortschaffen. Er ging noch weiter: den Tempeln wurden die
Grundstücke, den Vestalinen der Unterhalt aus der Staatscasse, ihnen und
den Priestern die letzten Privilegien entzogen. Die PriestercoUegien durften
keine Vermächtnisse mehr von liegenden Gütern annehmen.
In Folge dieser Beschränkungen entstand eine Bewegung, in welcher die
treibenden Beweggründe der heidnischen sowohl als der christUchen Partei
deutUch zum Vorschein kamen. Im Senate befanden sich noch viele Heiden \
die angesehensten römischen Familien hingen noch an der alten Religio]i
eifrig fest , so wie denn auch die bereits gesetzlich verbotenen Opfer in Rom
sowie in Alexandrien noch geduldet wurden. Da wendete sich im Namen
der heidnischen Senatoren der durch persönliche Eigenschaften ausgezeich-
nete Senator G. Aurelius Symmachus an den Kaiser, um von ihm die
Aufhebung jener Verordnungen zu erlangen. Die christhchen Senatoren, sich
darauf stützend, dass sie die Majorität des Senates bildeten, beklagten siel
über diesen Schritt ihrer heidnischen CoUegen bei dem Kaiser durch die
Vermittlung der Bischöfe Damasus von Rom und Ambrosius von Mai-
land. Gratian wurde darüber so unwilhg, dass er Symmachus und der ihn
begleitenden ansehnlichen Gesandtschaft nicht einmal Audienz ertheilte (382).
Eine Hungersnoth , die im /olgenden Jahre ausbrach, wurde von den Heiden
als Strafe der Götter wegen der Vernachlässigung ihres Cultus gedeutet.
^,0 ihr vaterländischen Götter, sagte damals Symmachus, verzeiht die Ver-
nachlässigung der euch schuldigen Verehrung. ^^
Als im Jahre 383 Valentinian II. seinem verstorbenen Bruder Gratian
in der Herrschaft über den Orient nachfolgte, erneuerte die heidnische Partei
des Senates ihre Versuche. Symmachus, der inzwischen Präfect der Stadt
Rom geworden, war wiederum das Organ des Senates. Er richtete an den
Kaiser eine Bittschrift, worin er ihm den Rath gab, die religio urbis
von seiner Privatreligion zu unterscheiden, und, da die Vernunft des Men-
schen für göttUche Dinge verschlossen sei, dem nachzufolgen, wobei sich die
Väter in so vielen Jahrhunderten glücklich befunden hätten. Er versäumte
nichts, was auf das Gemüth des jungen Kaisers Eindruck machen konnte;
er führte Roma redend ein: „ich will, da ich frei bin, auf meine Weise
leben; dieser Cultus hat die ganze Welt meinen Gesetzen unterworfen. "^
Zuletzt lenkte er wieder ein, indem er bemerkte, wenn der Kaiser nur das
bestehen lasse, was Rom nach altem Rechte fordern könne, so bewillige er
dadurch nichts für eine ihm fremde Religion. Vielleicht hätte der Kaiser
umgestimmt werden können. Manche Christen mochten zu solchen Zuge-
ständnissen geneigt sein; im geheimen Rathe des Kaisers waren einige Hei-
den, welche ihn in diesem Sinne bearbeiteten. Da erfuhr Bischof Ambrosius
von der Sache. Sofort wendete er sich an den jungen Kaiser : „Es geschieht
keinem Unrecht, wenn ihm der allmächtige Gott vorgezogen wird. Ihm
gehört Eure Ueberzeugung an. Ihr zwingt Niemand zu einer Gottesver-
Aeussere Schicksale des Christenthums. Theodosius. 237
ehrung gegen seinen Willen. Dasselbe, was Ihr Anderen gewährt, sei auch
Euch gestattet. Wenn aber einige Namenchristen zu solchem Beschlüsse
rathen, so lasst Euch durch den blosen Namen nicht täuschen. Wer solches
anräth und beschliesst, der opfert. Wir Bischöfe werden das nicht ruhig
dulden können. Ihr könnt zur Kirche kommen, aber Ihr werdet dort keinen
Priester finden, oder einen solchen, der Euch den Zugang verwehrt. Der
Herr will Eure Dienste nicht, weil ihr den Götzen gedient habt; denn er
hat zu Euch gesprochen, ihr könnt nicht zweien Herren dienen. ^^ — Valen-
tinian, überwunden durch solche Ansprache, ertheilte eine abschlägige
Antwort.
Im Morgenlande herrschte, wie bevorwortet, Theodosius, welcher im
Jahre 392 durch den Tod Valentinians IL Beherrscher des Abendlandes,
mithin des ganzen Reiches wurde. Ehe diess geschah, wurden zunächst im
Morgenlande härtere Massregeln ergriffen. Theodosius fing damit an, dass
er im Jahre 381 denjenigen, welche von der christhchen Religion zur heid-
nischen übertraten, die Befähigung, Testamente zu machen, entzog. Ge-
meinschaftlich mit Gratian verbot er damals das Opfern, soweit es mit der
Magie und mit Wahrsagerkünsten in Verbindung stand, die als poUtisch-
gefährlich galten. In der Anwendung wurde aber diess Verbot auf den gan-
zen Opfercultus bezogen. Bischöfe gaben das Zeichen zu den dabei verübten
Gewaltthätigkeiten, mehrere führten fanatische Haufen gegen die heidnischen
Tempel und munterten sie auf zu deren Zerstörung; so handelten die Bi-
schöfe von Edessa, von Apamea, von Alexandrien. Schwärme von wüthenden
Mönchen fielen in die Tempel ein und zerstörten die Bilder der Götter; die
Priester mussten schweigen, um nicht in Lebensgefahr zu gerathen. So sehr
entfremdeten sich die Christen dem Geiste ihrer Religion. Die Heiden ver-
galten es ihnen durch Repressalien in denjenigen Gegenden , wo sie noch in
Menge sich befanden. So wurden die Kirchen von Gaza, von Askalon und
Berytus in Phönizien zerstört. Der Unfug wurde so gross, dass der Kaiser
seit 382 demselben durch Gesetze Einhalt thun musste. Die Tempel von
Edessa nahm er in Schutz, weil deren Bildsäulen mehr nach ihrem künst-
lerischen als nach ihrem rehgiösen Werthe geschätzt werden sollten. Später
wurde er in gewissen Fällen nur durch die Vorstellungen christlicher Bischöfe
bewogen, gegen diese Gewaltthätigkeiten nicht einzuschreiten. Noch im
Jahre 393 erliess er ein Gesetz gegen diejenigen, welche unter dem Verwände
des Christenthums die Synagogen , — auch diese waren nicht vor der Volks-
wuth geschützt, — zu zerstören sich unterfingen. Nach jenen ersten Vor-
gängen (388—390), als gerade ein prächtiger Tempel an der Grenze gegen
Persien hin zerstört worden war, richtete Libanius seine berühmt gewordene
Schutzrede für die Tempel (vnsQ ttov legcop) an Kaiser Theodosius, worin
er sich über die verübten Gewaltthätigkeiten mit Recht beklagt und dem
Kaiser manche heilsamen Wahrheiten zu Gemüthe führt. ^^Mit Zerstörung
der Tempel nimmt man dem Heidenthum bei dem Volke keineswegs seine
Stütze, es nimmt nicht eine andere Art der Gottesverehrung an, es er-
heuchelt eine andere. Warum wüthet Ihr denn also gegen die Gläu-
bigen, da diess doch nicht überzeugen, sondern Gewalt gebrauchen heisst?^'
Die Rede blieb ohne Wirkung, was Christen und Heiden betrifft, zum deut-
238 Zweite Periode des alten Katholicismus.
liehen Beweise, dass die Principien der Parteien nach ihren Interessen
sich gestalten. Sogar der Besuch der Tempel wurde im Jahre 391 von
Theodosius verboten, ebenso von Valentinian im Abendlande.
Von besonderer Bedeutung sind die Vorfälle in Alexandrien. In die-
ser Stadt, wo das Heidenthum noch viele und zum Theil sehr gebildete
Anhänger zählte und prächtige Tempel hatte, stand damals ein Mann von
durchaus ungeistlicher Gesinnung, der Bischof Theophilus an der Spitze
der Kirche. Er liess sich vom Kaiser einen Tempel des Bacchus schenken
um ihn in eine christliche Kirche umzuwandeln. Die darin gefundenen
heidnischen Symbole der zeugenden Naturkraft liess er, um die helle-
nischen Mysterien, worin nach heidnischem Wahne so viele verborgene
Weisheit stecken sollte, dem Gelächter und Gespötte preiszugeben, in
öffentlicher Procession durch die Stadt tragen. Darüber wüthend gewor-
den, schaarten sich die Heiden zusammen und griffen die Christen an, von
welchen sie manche verwundeten und tödteten. Auf einer Anhöhe lag der
prächtige, kolossale Tempel des Serapis, eines der grössten Heiligthümer
des Heidenthums. Dahin begaben sich die heidnischen Schaaren und er-
richteten daselbst ein Lager, aus welchem sie auf die Christen Ausfälhi
machten, manche derselben mit sich fortschleppten und durch Martern
zum Abfalle zwangen. Ein mit ihnen eingeschlossener Philosoi)h, Olympus,
ermahnte sie, für ihre väterliche Religion, wenn es nöthig wäre, zu sterben
Alle Versuche der Behörden und der Truppen, sie zum Gehorsam zu brin-
gen, scheiterten an dem Widerstände der erbitterten Heiden. Der Kaiser
ergriff nun das letzte Mittel, um diesem gefährlich werdenden Aufruhr ein
Ende zu machen. Er verkündigte die Begnadigung der Theilnehmer des
Aufruhres, damit sie, wie Sozomenus 7, 15 berichtet, um so leichter zum
Christenthum sich bekehren möchten, aus Rücksicht auf die erwiesene
Wohlthat. Zugleich aber befahl er, dass alle Tempel der Stadt, weil sie
den Aufruhr veranlasst hätten, zerstört werden sollten. Der Biscliof über-
nahm die Ausführung dieses Befehles, wobei ihm Soldaten Hülfe leisteten.
Der erste Sturm brach los gegen das abergläubisch verehrte Heiligthum
des Serapis. Grosse Schaaren sammelten sich um dasselbe. Aengstlich
gespannt waren alle Gemüther; denn eine alte Sage verkündete, dass,
wenn die Bildsäule des Serapis stürze, Himmel und Erde zusammenbrechen
würden. Selbst auf die Christen übte diese Sage einen lähmenden Ein-
fluss aus. Lange wollte keiner an das Werk gehen. Da zerhieb ein Soldat
den ungeheuren Kinnbacken der Bildsäule, — unter allgemeinem Geschrei
der Christen und der Heiden. Nun war die Furcht gewichen, das Götter-
bild wurde niedergerissen, wobei, nach einem Bericht, eine Menge Mäuse
aus dem hohlen Kopfe desselben sprangen. Die Bildsäule wurde verbrannt,
der Tempel geschleift, — alle anderen in und um Alexandrien ebenfalls
niedergerissen, oder in Kirchen und Klöster umgewandelt. Nun entstand
aber eine neue Besorgniss: Serapis, um die ihm angethane Schmach zu
rächen , werde die Ueberschwemmung des Nil, wovon die Fruchtbarkeit des
Landes und somit die Existenz seiner Bewohner abhing, verhindern ; später
aber, in demselben Jahre 391 trat eine überaus reichliche Ueberschwemm-
ung des Nil ein. Damit war die Niederlage des Heidenthums im Morgen-
Aeussere Schicksale des Christenthums. Theodosius — Honorius, 239
lande entschieden. Im Jahre 392 wurde das Opfern als crimen majestatis
bei Strafe verboten.
Im Abendlande ging die Unterdrückung des Heidenthums nicht so
rasch vorwärts. Von Kaiser Eugenius, der nach der Ermordung Valen-
tinian's IL durch den heidnischen Feldherrn Arbogast im Jahre 392 auf
den Thron erhoben worden, erlangte die heidnische Partei, was ihr Gra-
tian und Yalentinian verweigert hatten, die Wiederaufrichtung des Altars
der Victoria im Saale des römischen Senats. Doch diess Zugeständniss
war das letzte Lächeln des Glückes für das dem Untergange geweihte
Heidenthum. Als Theodosius auch Beherrscher des Abendlandes geworden
und im Jahre 394 Eugenius besiegt hatte, forderte er den Senat auf, sich
für das Christenthum zu erklären. Derselbe scheint unter knechtischen
Unterwürfigkeitsbezeugungen nachgegeben zu haben. Theodosius suchte
dadurch dem Opfern ein Ende zu machen, dass er die Bestreitung der
Kosten aus dem öffentlichen Schatze aufhob; das hinderte den heidnischen
Dichter Claudianus nicht, den Tod des Kaisers als ein Aufsteigen zu den
Göttern zu schildern.
Unter den folgenden Kaisern wurde die Unterdrückung des Heiden-
thums mehr im Morgenlande als im Abendlande vollendet, aber auch in
jenem Theile nicht gänzlich durchgesetzt. Im Morgenlande herrschten
nach Theodosius L Arcadius 395 — 408 und Theodosius IL 408 — 450.
Weniger von aussen beunruhigt konnten sie die gegen das Heidenthum
erlassenen Gesetze kräftiger handhaben. Mönchshaufen, mit kaiserlichen
Vollmachten versehen , Hessen sich bereitwillig zur Zerstörung der Tempel
gebrauchen. So gewaltsam wurde verfahren, dass man selbst den durch
den christlichen Pöbel verübten Mord der Philosophin Hypatia, einer we-
sentlichen Stütze des Heidenthums in Alexandrien, ungeahndet hingehen
Hess (416) ij. In Athen suchten die daselbst lehrenden neuplatonischen
Philosophen ihre Rettung in der sorgfältigsten Verhehlung ihrer heidnischen
Gesinnung. Im Jahre 423 wollte Theodosius IL es dahin gestellt sein
lassen, ob es noch Heiden gebe. Allerdings gab es deren und der Kaiser
fand es sogar nöthig, sie gegen die Gewaltthätigkeiten derer, die Christen
waren oder dafür galten , wie er sich ausdrückt , in Schutz zu nehmen,
wie denn auch Augustin um dieselbe Zeit gegen tiiejenigen, die unter dem
Vorwande der Religion Heiden beraubten, predigte; „wenn du als Christ
den Heiden beraubst, hinderst du ihn, Christ zu werden.^' Anders gestaltet
waren die Verhältnisse im Abendlande. Unter Honorius bHeben zwar
die Gesetze gegen die Heiden aufrecht stehen und wurden sogar durch
neue vermehi't. Bis 426 wurden Gesetze erlassen gegen den Uebertritt
vom Christenthum zum Heidenthum 2). Diese in Betracht der damaHgen
Sachlage höchst auffallenden Verordnungen erklären sich so, dass manche,
die sich zum Schein hatten taufen lassen, im Verborgenen den heidnischen
1) Sokrates 7, 15, gibt an, ein gewisser Lector Petrus sei an der Spitze gestan-
den und die Sache habe dem Ansehen des Patriarchen Cyrill sehr geschadet, woraus er-
hellt, dass man ihm die Schuld von diesem Morde mehr oder weniger beimass.
2) Qui nomen christianitatis induti sacrificia fecerint.
240 Zweite Periode des alten Katholicismns.
Cultus ausübten und wenn man sie entdeckte , Apostaten genannt und als
solche bestraft wurden. Martinus, Bischof von Tours (375 — 400) zer-
störte eigenmächtig heidnische Tempel. Doch mussten die Kaiser in Rom
das Heidenthum dulden, das noch immer daselbst Anhänger hatte. In
mehreren Theilen des Abendlandes erlaubten sich die Heiden Gewaltthä-
tigkeiten. Christliche Missionare wurden 397 in Rhaetien getödtet und die
von ihnen gebaute Kirche zerstört. In Africa wurden sechzig von den
Christen getödtet , welche in Suffecte eine Statue des Hercules zerstört
hatten.
Mit neuer Kraft erhoben die Heiden ihre Stimme, als die Einfälle der ger-
manischen Völker immer häufiger und gefähi'licher wurden, als Italien mehr-
malsverheert wurde. Sie sahen darin die gerechte Strafe für die Unterdrückung
der alten Religion und im Anschluss an eine christliche Sage, dass 365 Jahre
nach dem ersten Auftreten Christi das Ende der Welt kommen werde, vei-
kündigten sie den nahen Untergang des Christenthums. Doch diese Angriff'3
der Heiden verloren alle Wirkung, als die Germanen das Christenthum
annahmen und die Heiden zu verfolgen anfingen, indess sie die christlichen
Tempel und diejenigen, die darin Zuflucht suchten, in ihren Schutz nah-
men. Dennoch, obgleich auch Valentinian III. (423 — 455) wieder die
Verordnung gegen das Heidenthum erneuerte, erhielt es sich sporadiscl.
in einigen Gegenden des Abendlandes, in Rom, in Oberitalien, Gallien
in Africa, Sicilien, Corsica, auf welcher Insel das Heidenthum viele fana-
tische Anhänger behielt, und eine Christin, Julia, weil sie an einem Opfer nicht
Theil nehmen wollte^ gekreuzigt wurde (zwischen 440 und 445). Auch wenn
die Heiden sich bekehrten, behielten sie heidnische Gebräuche bei.
An eine Wiederbelebung des Heidenthums im Ganzen war freilich in
keiner Weise zu denken. Während es bei dem ungebildeten Haufen nur
durch Gewohnheit und Aberglauben sich erhielt, suchten die Gebildeten
durch Eingehen in die durch das Christenthum verbreiteten Ideen es sich
zurecht zu legen, indem sie den Glauben an den einen Gott voranstellten
und die verschiedenen Götter der alten Religion als die Diener und Knechte
desselben geltend machten. So berichtet Orosius (bist. 6, 1), so spricht
sich der Grammatiker Maximus gegen Augustin aus. Doch, wenn das Hei-
denthum hoffnungslos darnieder lag, so war es doch in den Herzen der
äusserlich christlich gewordenen Völker keineswegs erstorben uud bei den
massenhaften Bekehrungen war die Besorgniss nur zu sehr gegründet, dass
es unter christilchem Gewände wieder Eingang in das heilige Gebiet des
Christenthums erhalten würde.
Die christlichen Bischöfe erscheinen in diesem der alten Religion
gemachten Processe nicht in günstigem Lichte. Eine gewisse Ausnahme
macht Chrysostomus. Er weiss den wunden Fleck in dieser Sache zu
treffen: ,,keiner wäre ein Heide, sagt er (in der zehnten Homilie über
1 Tim.), wenn wir rechte Christen wären. Denn diejenigen, die wir be-
lehren, sehen auf die Tugend der Lehrer, und wenn sie sehen, dass wir
dieselben Dinge wie sie erstreben, dass wir wollen herrschen und geehrt
sein, wie werden sie das Christenthum bewundern können ?'' Auf diesen
Zwiespalt zwischen dem Bekenntniss und dem lieben macht auch Augustin
Geschichte der Theologie. 241
aufmerksam (enarratio in Psalm 25): „was willst du mich überreden, dass
ich ein Christ werde ?^^ lässt er einen Heiden sagen: „Ich bin von einem
Christen betrogen worden und ich selber habe niemals Jemand betrogen.
Ein Christ hat mir einen falschen Eid geschworen; ich aber nie.^ In der
Schrift über den Märtyrer ßabylas sagt Chrysost. : „es ist den Christen
nicht erlaubt, durch Gewalt und Zwang den Irrthum zu zerstören, sondern
sie dürfen nur durch Ueberzeugung , durch vernünftige Belehrung, durch
Liebeserweisung das Heil der Menschen bewirken.^ Doch begünstigte der-
selbe Chrysostomus die Zerstörung der heidnischen Tempel, und in der
Lobrede des Proclus auf ihn wurde diess namentlich hervorgehoben i).
Daher darf man sich über das Benehmen der Kaiser nicht wundern. Wun-
dern muss man sich vielmehr, dass sie nicht noch gewaltthätiger verfuhren.
Zweiter Abschnitt.
Geschichte der Theologie 2).
Was die inneren Verhältnisse der vom römischen Reiche umschlosse-
nen katholischen Kirche betrifft, so steht in der vordersten Reihe die
Theologie; das gehört wesentlich zur Signatur dieser Zeit. In der ersten
Periode war ein theologisches Leben erwacht, das sich nothwendig weiter
entwickeln musste, das durch inneren Drang sich steigerte. Der theolo-
gische Forschungsgeist war mächtig angeregt, die Lösung von Fragen war
versucht worden, deren Beantwortung noch weit vollständiger und richtiger
gegeben werden konnte. Dazu kam, dass in Folge der politisch -kirch-
lichen Veränderungen, wovon im ersten Abschnitt die Rede gewesen, die
apologetische Literatur gegenüber den Heiden nicht vorwiegend die Thä-
tigkeit der Kirchenlehrer in Anspruch zu nehmen vermochte. Es entstan-
den zwar ziemlich viele apologetische Schriften, worunter die Schrift Au-
gustinus de civitate Dei die erste Stelle einnimmt; aber die Hauptthätigkeit
war anders wohin gerichtet. Sie wurde um so lebhafter angeregt, als die
Häresieen der ersten Periode, welche in Gestalt des Ebionitismus und Gno-
sticismus aufgetreten, überwunden waren. Es erfolgte diess nach einem
bekannten Gesetze der Geschichte, dass diejenigen, die einen gemeinsamen
Feind bekämpfen, nachdem sie den Sieg über denselben davon getragen,
unter sich uneins werden. Die durch den gemeinsamen Kampf verdeckten
oder neutralisirten inneren Differenzen machen sich nach Bewältigung des
1) Ebenso von Theodoret H. E. 5, 29.
2) Was die Entwicklung der Lehre betrifft, siehe die S. 75 angeführten dogmen-
geschichtlichen Werke. An geeigneten Orten werden wir die monographischen Arbeiten
angeben.
Herzog, Kirchengeschichte I. Iß
242 Zweite Periode des alten Katholicismus.
gemeinsamen Feindes geltend. Daraus entstand eine Reihe von Streitig-
keiten, die Kirche und Staat erschütterten. So ist diese Zeit recht eigent-
lich die Zeit der theologischen Streitigkeiten.
Während derselben bildete sich das katholische Dogma aus, gewöhn-
lich die Mitte haltend zwischen zwei extremen Richtungen. Es wurde
dabei mit grosser Präcision behandelt und die Resultate wurden massgebend
für die folgende Zeit. Besondere Umstände bewirkten, dass das Dogma
mit einer Autorität bekleidet wurde, die es vorher nicht gehabt hatte. Da
nämlich die Kaiser Christen geworden und sich für das Dogma lebhaft
interessirten , beriefen sie allgemeine, ökumenische Synoden zur Schliclit-
ung der Controversfragen , eine Einrichtung, die in der Zeit der Ver-
folgungen kaum möglich gewesen wäre und die völlig geeignet war, dem
Dogma eine höhere Sanction zu ertheilen, als sie möglich war durch die
Entscheidung eines Provincialconcils oder eines noch so angesehenen Kir-
chenlehrers, wie denn Constantin in seinem Schreiben an die Kirche in
Alexandrien (bei Sokrates 1, 9) sagte: ;,was den dreihundert Bischöfen in
Nicäa gefallen hat, ist nichts Anderes als Gottes Meinung.^ Sodann be-
schirmten die Kaiser die eine Partei und verfolgten die entgegenstehende,
die freilich in gewissen Fällen die katholisch orthodoxe war. Es fand da-
bei eine Vermengung des Kirchlichen un^ des Politischen statt, verbunden
mit Heuchelei und Wechsel der Meinungen nach der Gunst des Hofes.
Ein anderer Uebelstrjid war die Vermengung der Religion und der Theo-
logie, der christlichen Glaubenssätze und der theologischen Schulformell.
An dieser Krankheit leidet die Zeit. Wohl traten gewaltige Denker in die
Schranken, Denker, die mit bewunderungswürdiger Schärfe das Dogma
formulirten, aber solche Geister sind am meisten geneigt, in den genannten
Fehler zu verfallen.
Sehen wir auf den verarbeiteten dogmatischen Stoff, so zeigt sich,
dass die drei Grundpfeiler des kirchlichen Lehrgebäudes, Theologie
Christologie, Anthropologie Gegenstand der Controverse und dei
Synodalverhandlungen werden. In der Theologie bewegt sich der Streit
um verschiedene Fassungen der Dreieinigkeitslehre, wobei aber die
Frage um die zweite Person der Dreieinigkeit der Natur der Sache gemäss
das Hauptinteresse in Anspruch nimmt; hier kommt in Betracht die aria-
nische Streitigkeit mit ihren Verzweigungen. Was die Christologie
betrifft, so werden die verschiedenen Bestimmungen über das Verhältniss
des Göttlichen und Menschlichen in Christo behandelt in den apollina-
ristischen, nestorianischen, eutychiani sehen Streitigkeiten.
In der Anthropologie und Heilsordnung kommt in Betracht der
pelagianische und der semipelagianische Streit, in der Lehre von
der Kirche und den Sacramenten die Controverse mit den Dona-
ti st en. Daran reihen sich noch andere Streitigkeiten von minderer
Bedeutung, worunter die wichtigste die über Origenes ist. Mitten in die-
sen Bewegungen und als Resultat derselben macht sich das Dogma von
der Autorität der katholischen Kirche und der Tradition mehr und' mehr
geltend. In allem diesem tritt ein relativer Gege^satz der griechisch-
morgenländischen und der lateinisch - abendländischen Kirche mehr und
Schriftsteller der griechisch -morgenländischen Kirche. 243
mehr hervor. Indess jene mit Vorliebe die objectiven theologischen Dog-
men bearbeitet, wirft sich der mehr subjectiv und praktisch gestimmte
abendländische Geist mehr auf die Anthropologie, Heilsökonomie, auf die
Lehre von der Kirche und von den Sacramenten. Die beiden Theile der
Kirche sind aber durchaus noch nicht getrennt; es findet ein wechselseitiger
Lebensverkehr zwischen beiden statt; die etwelchen Unterbrechungen
desselben sind nicht grösser, als der Zwiespalt der im Inneren der morgen-
ländischen Kirche sich kund gibt.
üebersicht der Kirchenlehrer dieser Periode und ihrer
Leistungen im Allgemeinen.
I. Lehrer und Schriftsteller der griechisch-morgen-
ländischen Kirche.
Da begegnen wir zwei Hauptclassen derselben. Erstens solche, die
wir zur alexandrinischen Schule rechnen, d. h. die mehr oder weniger an
Origenes sich anschliessen, seine Auslegungsart der heiligen Schrift an-
nehmen, auch zum Theil seine heterodoxen Meinungen, überhaupt seine
speculativ- mystische und dogmatische Richtung. Die Reihe dieser Theo-
logen eröffnet der uns schon als Kirchengeschichtschreiber bekannte Eu-
seb, Bischof von Cäsarea in Palästina, geboren 261 f 340. Ausser den
historischen Schriften, der Kircheugeschichte, dem Leben Constantin's, dem
Chronikon sind für uns wichtig die evayyeXixri anoöei^ig in zwanzig Bü-
chern (demonstratio evangelica) und die TiQOTiaQaffxevt} evayyeXtxrj (prae-
paratio evangelica)^ in fünfzehn Büghern, beides apologetische Schriften;
dazu kommen polemische Schriften, gegen Marcellus von Ancyra zwei
Bücher, über die kirchliche Theologie drei Bücher, eine Schrift gegen Hie-
rocles, endlich Commentare über das Hohelied, die Psalmen, Jesaias. S.
den Artikel von Semisch über ihn in der Realencyklopädie.
Als Theologe über Euseb und die folgenden Lehrer hoch hervorra-
gend ist Athanasius *), pater orthodoxiae, geboren c. 296 in Alexandrien,
seit 319 Diakon, seit 328 Bischof daselbst, oftmals vertrieben und abge-
setzt t 373. Zwei Schriften von ihm sind noch vor Ausbruch des arianischen
Streites verfasst: Xoyog xata tcov ""EXlrjucov und ttsqi trjg epavdgcaTifjcreoog
tov Xoyov; — die Hauptschrift gegen die Arianer sind die vier Reden
gegen sie, die aber oftenbar nicht gehalten worden sind; dazu kommen noch
einige andere Schritten gegen die Arianer; in darauf folgenden Schriften
bekämpfte er die Macedonianer und Apollinaristen. Ausserdem hat er auch
exegetische, homiletische, moralisch- asketische, biographische und litur-
gische Abhandlungen und Briefe hinterlassen. Er war keineswegs starrer
Anhänger der dogmatischen Tradition. Er beseitigte zwar die anstössigen
Sätze, die Origenes der platonischen Philosophie entlehnt hatte, aber er
gab die geistvolle Speculation des Origenes nicht auf, ja, seine folgereich-
sten Gedanken , bemerkt mit Recht Nitzsch, sind nichts Anderes, als weiter
ausgebildete und anders gewendete Momente der Logoslehre des Origenes.
1) Moehler, Athanasius der Grosse und seine Zeit. 1827.
16*
244 Zweite Periode des alten Katholicismus.
An Athanasius schliessen sich die drei grossen Kirchenlehrer aus
Kappadocien an.
Ba Sil ins, zubenannt der Grosse, Bischof von Cäsarea in Kappa-
docien, geboren c. 330, f 379. Er schrieb gegen Eunomius fünf Bücher,
sodann über den heiligen Geist , und Homilieen über das k^arnisqov , aske-
tische Schriften; als dogmatischer Theologe war er nicht bedeutend, er
ragte hervor als salbungsvoller Prediger, seine Richtung war mehr prak-
tisch und asketisch als wissenschaftlich. S. Klose, Basilius der Grosse 1835.
Sein Bruder, Gregor, Bischof von Nyssa, geboren c. 333, f ^^ch
394, nach Athanasius der durchgebildetste Theologe der griechischen Kirche,
am meisten an Origenes sich anschliessend ; sein Tiefsinn bewahrte ihn aber
nicht vor gewagten Behauptungen. Er schrieb gegen Apollinarius , gegen
Eunomius, über das s^arj^egov. Im Xoyog xartixtiTixot; fisyag behandelt er
die Lehre von der Trinität, von der Weltschöpfung, von der Person und
dem Werke Christi, von den Sacramenten und vom Glauben. Im Vorworte
zu dieser Schrift vertheidigte er des Origenes allegorische Methode der Aus-
legung. Dazu kommen noch einige Abhandlungen über specielle dogma-
tische Punkte ^).
Gregor von Nazianz, geboren c. 3.30, 361 Presbyter in Nazianz,
darauf Bischof in Sosima , seit 372 Coadjutor seines Vaters , des Bischofs
von Nazianz, in Constantinopel Vorsteher der nicänischen Gemeinde; 381
Bischof von Constantinopel, kehrte er bald darauf nach Nazianz zurück und
starb daselbst 389 oder 390; er war mit Basilius durch das Band der
engsten Freundschaft verbunden. Obschon mit dem Ehrennamen ;,der
Theologe" geschmückt, ragt er doch als Theologe weniger hervor; von
seinen fünfundvierzig Reden sind die fünf theologischen Reden, gewidmet
der Vertheidigung des nicänischen Bekenntnisses die bedeutendsten. Von
ihm sind auch Briefe und Gedichte, wichtig als Quelle für die Kenntniss
des kirchlichen Zustandes , vorhanden 2).
Didymus, Vorsteher der alexandrinischen Katechetenschule, f 395,
hat einige verloren gegangene Schriften verfasst. Erhalten sind die
Schriften über den heiligen Geist in lateinischer Uebersetzung , die Schrift
gegen die Manichäer, über die Dreieinigkeit, eine kurze Erklärung der
kanonischen Briefe. Er lehrte die Präexistenz der Seelen und die Möglich-
keit der Bekehrung des Teufels.
Cyrill, Bischof von Alexandrien, f 344, war in der Schriftauslegung
Origenist, weniger in dogmatischer Beziehung. Von ihm sind vorhanden
Commentare zur heiligen Schrift ohne Werth, mehrere Schriften gegen
Nestorius, die Schrift gegen Julian in zehn Büchern, Homilieen und Briefe.
Ebenfalls durch Origenistische Anregung war, wie bevorwortet, die
sogenannte antiochenische oder syrische, historisch-exegetische
Schule entstanden (S. 123), die beides war. Schule als Richtung und Schule
im strengen Sinne des Wortes, da mehrere Vertreter derselben eigentliche
Schulen hielten. Sie pflegte den von Origenes gemachten Anbau der
1) S. Kupp, Gregor's, des Bischofs von Nyssa, Leben und Meinungen 1834. —
Mo eil er, Gr. N. doctrinam de hominis natura etc. illustravit 1854.
2) S. über ihn die Schrift von Ulimann.
Schriftsteller der griechisch - morgenländischen Kirche. 245
biblischen Exegese und Kritik, indem sie zugleich, um Juden und Heiden
keine Waffen in die Hand zu geben, die allegorische Er kl ärung in bestimmte
Gränzen einschloss und überall auf den historischen Wortsinn drang.
Sowie sie in der Schiift das Menschliche festhielt, so auch in der Christo-
logie; daher bildet diese Schule die eigentliche Vorstufe zu den christolo-
gischen Streitigkeiten.
Nachdem, wie wir gesehen, die Presbyter Lucian und Dorotheus
den Grund zur Ausbildung der Schule gelegt, sehen wir sie fortan durch
eine Reihe von Männern, worunter einige sehr ausgezeichnete, vertreten.
Theodorus, Bischof von Heraklea im Pontus, f 358, hinter-
liess Commentare zu Matthäus, Johannes, Apostelgeschichte, Psalmen, wo-
von nur Fragmente vorhanden.
Euseb, Bischof von Nikodemien, Haupt der Eusebianer, f 341,
Schüler des Lucian, als Schriftsteller unbedeutend.
Cyrill, Bischof von Jerusalem, f 386, zuerst Eusebianer, dar-
auf Semiarianer, endlich Nicäner, ist besonders bekannt und berühmt
durch seine Katechesen, worunter die fünf letzten die mystagogischen ge-
nannt werden.
Euseb, Bischof von Emesa in Phönizien, f 368, hat Schriften
hinterlassen, die verloren gegangen. Die ihm in der Neuzeit zugeschriebe-
nen Reden sind nicht von ihm, sondern von einem anderen Euseb aus
Alexandrien.
Apollinarius oder ApoUinaris, Bischof von Laodicea^
370 — 390, ein scharfer und klarer Denker, von umfassender Bildung, ver-
theidigte in Schriften das Christenthum gegen Porphyr, das nicänische
Bekenntniss gegen Marcellus von Ancyra und Eunomins und schrieb Er-
klärungen zu einigen Büchern der heiligen Schrift. Er ist Urheber der
christologischen Streitigkeit, die seinen Namen trägt; die zu Grunde lie-
gende Anschauung von Christi Person passt nicht zur antiochenischen
Richtung.
Ephraem der Syrer, Diakon in Edessa, f 378, ist der vorzüg-
lichste Lehrer der Syrer im vierten Jahrhundert, propheta Syrorum ge-
nannt. Unter seinen sehr zahlreichen Schriften sind die wichtigsten die
Commentare zum Alten Testament. S. den Artikel von Roediger in der
Realencyklopädie.
Diodorus, Presbyter in Antiochien, seit 378 Bischof von Tarsus,
f c. 394, hat viele Schriften verfasst, die leider alle bis auf Fragmente
nicht erhalten sind. Es waren polemische Schriften gegen die Manichäer,
Photin, Apollinarius; dogmatische über die Dreieinigkeit, neqi oixovonia^^
über die Auferstehung der Todten. Am meisten zu bedauern ist der Ver-
lust der biblischen Commentare. Er war ein eiülger Gegner der allego-
rischen Erklärung. Er schrieb eine eigene Schrift ti(; diatfioqa ^€a>Qiag
xai aXXfiroQtag-, — beide sind der historisch- grammatischen Auslegung ent-
gegengesetzt, beide bezeichnen die Beziehung des Textes auf etwas Höhe-
res, als der Buchstabe anzeigt; beide sind verschieden von einander, sofern
^€coQta einen begründeten geistigen Sinn, akkriyogta einen unbegründeten,
willküxlich in den Text hineingetragenen, bedeutet (S. Kihn a. a. 0, S. 129),
246 Zweite i*eriode des alten Katholicismu«»
Im apollinaristischen Streite stellte er eine Meinung auf, welche die Grund-
lage des Nestorianismus wurde. Seit diesem Streite galt er als häretisch.
Als eifriger Nicäner hat er von den Arianern zu leiden gehabt. Er leitete
in Antiochien eine Schule, in welcher Chrysostomus und Theodor von
Mopsuestia ihre theologische Bildung empfingen. Er führte ein streng
asketisches Leben, welches seinen Einfluss auf die Schüler verstärkte.
Johannes, seit 630 zubenannt Chrysostomus i) wegen seiner glän-
zenden Beredtsamkeit 2), geboren 347 in Antiochien, verdankte seiner
Mutter Anthusa die ersten lebendigen Eindrücke der Frömmigkeit; den
wissenschaftlichen Unterricht erhielt er in der Schule des heidnischen
Khetors Libanius. Bereits hatte er sich der Laufbahn des Forum gewid-
met, als er in Folge des Einflusses , den der alte Bischof Meletius auf ihn
ausübte, dieser Laufbahn entsagte und seine reichen Gaben in den Dienst
der Kirche stellte. Nachdem er drei Jahre lang den Unterricht dieses
Bischofs in den christlichen Heilswahrheiten genossen, wurde er von ihm
getauft, und bald darauf Lector, welches Amt als Vorstufe zu höheren
Würden galt. Schon sehr frühe wollte man ihn zum Bischof machen; er
wusste aber die Wahl von sich abzulenken und seinem Freunde Basilius
zuzuwenden, welcher Vorgang später die Veranlassung ward zu seiner
Schrift 718QI leQoavvrjg. Wahrscheinlich seit dem Tode der Mutter ver-
brachte er mit gleichgesinnten Freunden sechs Jahre in mönchischer Ein-
samkeit auf dem antiochenischen Gebirge zu, unter der Leitung des vorhin
genannten Diodorus, der damals Abt einer Mönchsgesellschaft war. Wegen
geschwächter Gesundheit nach Antiochien zurückgekehrt, wurde er von
Bischof Meletius zum Diakon geweiht (381), 386 zum Presbyter durch den
neuen Bischof Flavian; er unterstützte ihn in der Predigt sowohl als in
der Seelsorge, und erwarb sich die Achtung der antiochenischen Gemeinde,
der er doch in seinen gewaltigen Predigten die herrschenden Sünden mit
unerbittlichem Ernste vorhielt. Im Jahre 397 wurde er durch die Ver-
wendung des am Hofe viel vermögenden Eunuchen Eutropius nach Con-
stantinopel versetzt als Bischof^ durchaus ohne sein Zuthun; im Jahre 398
erhielt er die Weihe als Bischof. Mit dem erweiterten Wirkungskreise
mehrte sich die Zahl seiner Missgönner und Feinde. Er gerieth auch mit
seinem Gönner Eutropius in Zerwürfniss, da dieser der Kirche das Asyl-
recht, zu entziehen suchte. Als der mächtige Günstling des Hofes bald in
Ungnade fiel und nun selbst zu dem von ihm bestrittenen Asybecht der
Kirche seine Zuflucht nehmen musste, erhielt er eine treff'liche Gelegen-
heit, nicht nur seinen Gegner zu demüthigen, sondern auch glühende Koh-
len auf dessen Haupt zu sammeln, indem er sich als Fürbitter für ihn bei
dem Kaiser einstellte '^). Die folgende Entwicklung seines Lebens ver-
schlingt sich in die Geschichte der origenistischen Streitigkeiten.
1) Durch Joh, Moschus; seit dem Concil von 680 wird die Benennung allgemein
gebräuchlich.
2) Er war der grösste Redner seiner Zeit. Libanius antwortete sterbend den Freunden
auf ihre Anfrage, wer an seine Stelle treten werde: Johannes, wenn die Christen ihn nicht
geraubt hätten. Sozom. 8, 2.
3) Bei dieser Gelegenheit hielt er eine seiner glänzendsten Reden.
Schriftsteller der griechisch -morgenländischen Kirche. 247
♦ Die Bedeutung des Chrysostomus für die Kirche ist eine mannigfache.
Vor allem ist es sein geistlicher Charakter, der von der sittlichen Macht
des Christenthums in seinen Bekennern ein rühmliches Zeugniss ablegt. In
dieser Beziehung reiht er sich ebenbürtig an die Heroen des christlichen
Glaubens, Origenes, Cyprian, Athanasius, Ambrosius, Augustin an. In
dogmatischer Beziehung ist er rechtgläubig und insbesondere entschie-
dener Bekenner des nicänischen Glaubens; in der Christologie steht er
aber eben so entschieden auf dem Standpunkte der antiochenischen Dog-
matik, eben so in seiner Schrifterklärung; er durchschaut alle Mängel und
Willkürlichkeiten der allegorischen Auslegung und stellt die richtigen
Grundsätze der historisch-grammatischen Auslegung auf, und befolgt sie in
seinen Homilieen; diese zeichnen sich aus durch musterhafte Schriftaus-
legung, wenn gleich sie im Verständniss des paulinischen Lehrbegriffes zu
wünschen übrig lassen. Die Homilieen sind aber zugleich geistliche Reden
und Ansprachen, und bilden zusammen mit den übrigen geistlichen Reden
über specielle Themata einen reichen Schatz von Anweisungen, Lehren,
Ermahnungen, bezüglich auf alle Schäden und Verirrungen, wie sie sich
in Antiochien und Constantinopel kund gaben. Selten sind die Wahrheiten
des Christenthums in ihrer praktischen Anwendung und Verwerthung mit
solcher Kraft und die Sünden des geselligen und des einzelnen Lebens mit
solcher Schärfe und Rücksichtslosigkeit gerügt und dargestellt worden. —
Die Reden des Chrysostomus sind 1) am Schriftfaden fortlaufende Homilieen,
die sich auf alle Bücher des Neuen Testamentes und viele des Alten Te-
stamentes erstrecken; 2) Reden über einzelne Abschnitte der heiligen
Geschichte ; 3) Reden über einzelne Punkte des christlichen Lebens ; 4) Ge-
legenheitspredigten; 5) Festpredigten und Reden zum Gedächtniss der
Apostel und Märtyrer. Dazu kommt die Schrift über das Priesterthum.
S. über ihn Neander, der heilige Joh. Chrysostomus, 1. Ausgabe 1821, 2, Ausgabe
1848. — Foerster, Chrysostomus in seinem Verhältnisse zur antiochenischen
Schule 1869. lieber seine exegetischen Grundsätze und Methode siehe auch Kihn
a. a. 0.
Theodorus, Presbyter in Antiochien, seit 393 Bischof von Mopsuestia
in Cilicien, f 429, ist bekannt als vorzüglicher Exeget und als Vertreter der
antiochenischen Christologie. Seine zahlreichen Commentare zur heiligen
Schrift sind verloren gegangen bis auf den über die kleinen Propheten
und den über den Brief an die Römer, die erst neuerdings herausgegeben
wurden. Er griff die Origenisten wegen ihrer Schrifterklärung an in der
Schrift de allegor ia et historia, wodurch er sich die Abneigung der-
selben zuzog. Er muss noch eine andere weitläufigere Schrift gegen sie
verfasst haben. Wenn die meisten Antiochener in Bekämpfung der alle-
gorischen Methode das rechte Mass hielten, so ging Theodor darüber
hinaus, indem er die neutestamentlichen Citate des Alten Testamentes
nur als Accommodation betrachtete. In Hinsicht einiger Stellen hat er
Recht; aber offenbar geht er zu weit, wenn er die Stelle Sacharia 9, 9
auf Zerubabel deutet. Anstoss erregte auch seine Verwerfung der Bücher
der Chronik und Esra, seine Ansicht über das Hohelied, das er nur als
salomonisches Liebeslied, nicht als heilige Schrift gelten lassen wollte.
248 Zweite Periode des alten KathoÜcismus.
Theodor lehrte in Antiochien, wo er Theodoret und wahrscheinlich auch
Nestorius zu Schülern hatte. Vor dem Ausbruch der nestorianischen Strei-
tigkeit stand er in sehr gutem Vernehmen mitCyrill von Alexandrien, dem
er seinen Commentar zu Hiob überschickte. Im pelagianischen Streite
nahm er Partei gegen die augustinische Lehre von der Erbsünde, üeber
die Ueberreste seiner Werke, worunter de incarnatione, S. den Artikel
in der Realencyklopädie.
Theodoret, f 457, zuerst Diakon und darauf Presbyter in Antio-
chien, nachdem er zuvor im Kloster des heiligen Euprepius bei Antiochien
theologischen Unterricht erhalten und sich mit den Sclunl'ten des Diodor
von Tarsus und des Theodor von Mopsuestia genährt hatte, wodurch seine
theologische Eichtung für immer bestimmt wurde, erhielt das ßisthum
von Cyrus, der Hauptstadt der syrischen Provinz Cyrrhestica, und erwarb
sich grosse Verdienste um dasselbe in geistlicher wie in weltlicher Be-
ziehung. Der christologische Streit, in den er hineingezogen wurde, ver-
bitterte ihm aber seiÄ Leben. Seine Werke sind zahlreich und von mannigfal-
tigem Inhalte. Die exegetischen sind die zahlreichsten und wichtigsten;
er hat sich dadurch das grösste Verdienst erworben und nachhaltige An-
regung gegeben. Er ist frei von der Sucht nach AUegorieen, er hat Sinn
für ungekünstelte, au den einfachen Wortsinn sich haltende Auslegung.
Seine exegetischen Arbeiten erstrecken sich auf die meisten Schriften des
Alten und Neuen Testamentes. Unter den historischen Schriften ist die
Kirchengeschichte, von 325 bis 429 reichend, die bedeutendste und dient
wesentlich zur Ergänzung von Sokrates und Sozomenus. In seinen dogma-
tisch-polemischen Schriften bekundet er seine Orthodoxie im Sinne der
Concile von Nicäa 325 und von Constantinopel 381, aber auch seine an-
tiochenische Hichtung in der Christologie. Seine Briefsammlung ist eiue
für die Geschichte seines Lebens sowie für die Geschichte seiner Zeit über-
haupt reichlich Üiessende Quelle.
So viel über die beiden theologischen Schulen und die aus denselben
hervorgegangenen oder an sie sich anschliessenden Männer. Es gab aber
noch andere Schulen zu Edessa, zu Nisibis, und andere. Ausserdem ent-
standen Schulen in den Klöstern und wirkten so wesentlich mit zur Aus-
breitung des Mönchthums.
Von Kirchenlehrern, die sich in keine der genannten Schulen oder
Richtungen einfügen lassen, sind noch folgende zu erwähnen:
Epiphanius, in früher Jugend durch Mönche in Palästina, seinem
Vaterlande, später in Aegypten einseitig gebildet und unterrichtet, eine
geraume Zeit Vorsteher eines Klosters in Palästina , seit 367 Bischof von
Constantia auf der Insel Cypern, f 404, starrer Orthodoxe, ist der Nach-
welt hauptsächlich bekannt durch seine Schrift über die Häresieen, Tirava-
Qioy (seu adv. haereses), worin mit unermüdlichem Eifer alle häretischen
Erscheinungen von Anläng der Welt bis auf die Messalianer zusammen-
gestellt sind, eine reiche Quelle von grosser Wichtigkeit, aber bei der gei-
stigen Beschränktheit, der orthodoxen Verketzerungssucht des Mannes mit
vieler Vorsicht zu gebrauchen; er machte selbst einen gedrängten Auszug
daraus. Siehe die Schiift von Lipsius, zur Quellenki'itik des Epiphanius 1865.
Öciiriftsteller der griechisch- morgenländischen Kirclie. 240
Nemesius, Bischof von Emesa in Phönicien, in den ersten Jahr-
zehnten des fünften Jahrhunderts, ist ganz anderer Art, ein christlicher
Philosoph, als solcher sich kundgebend in der einen Schrift, die wir von
ihm haben, ncQt (pvcrscog av&qcaiiov , worin er die Präexistenz der Seelen
lehrt. Eine Uebersicht des Inhaltes der Schrift gibt Ritter in der Ge-
schichte der christlichen Philosophie im 2. Bande.
Wenn Nemesius bei seiner philosophischen Richtung den christlichen
Glaubenssätzen noch entscheidende Autorität beilegt, so ist das weniger
der Fall bei dem neuplatonischen Philosophen Synesius, geboren c. 375 in
Cyrene. Noch als Heide studirte er in Alexandrien und wurde begeisterter
Anhänger der Philosophin Hypatia. In seine Vaterstadt zurückgekehrt,
erhielt er durch das Vertrauen seiner Mitbürger Anlass, in die öffentlichen
Angelegenheiten einzugreifen, als Mitglied einer Gesandtschaft der Penta-
polis an Kaiser Arcadius, um der verarmten Landschaft Nachlass der
drückenden Steuern und sonstige Hülfe (gegen die verheerenden Einfälle
feindlicher Stämme) zu verschaffen. Er verbrachte damals im letzten Jahr-
zehent des vierten Jahrhunderts drei Jahre in Constantinopel unter allerlei
Mühseligkeiten. Die kühne Rede, die er nach Verfiuss der drei Jahre an
den Kaiser hielt und worin er ihm das platonische Ideal eines Herrschers
vor die Augen stellte {neqi ßcccrdeiag, von Grabinger, griechisch und deutsch
1825), hatte weiter keine Wirkung. Ohne etwas ausgerichtet zu haben,
kehrte er nach Cyrene zurück. Er lebte fortan als Privatmann in gelehr-
ter Müsse , theils in Cyrene , theils auf seinem Landgute, verheirathet seit
404 und mit Kindern gesegnet, der philosophisclien Contemplation neu-
platonischer Art hingegeben, aber dabei sich vereinsamt fühlend. In diese
Zeit fallen die meisten seiner zehn Hymnen, welche in der Form an den
Hymnus des Clemens von Alexandrien auf Christum erinnern. Sie bewegen
sich in einem an den Neuplatonismus erinnernden Ideenkreise, zeigen aber,
wenigstens einige , mehr als blosse Annäherung an das Christenthum ; denn
in ihnen wird Christus als Erlöser gei)riesen, der die Pforten des Tartarus
aufschloss und die Seelen befreiend durch die Sternenkreise in den höch-
sten Himmel zurückkehrte. Sehr sichtbar ist der Einfluss der immanenten
Trinitätslehre ; Christus wird genannt die Welt schaffende Weisheit ao^ta
xocruotex^^riug ^ wobei fi'eilich unentschieden bleibt, ob er Christum blos
als solchen auttasst, der aus einer vorhandenen Materie die Welt bildet
(Hymnus 2, 30). Christus wird sogar Gott aus Gott genannt (Hymnus 3, 111),
wobei wieder unentschieden bleibt, welche von diesen Hymnen vor der
Annahme des Episkopats gedichtet worden. Diesen Mann nämlich begehrte
das Volk in Ptolemais, der kirchlichen und politischen Metropole der Pen-
tapolis , zum Bischof 410. Diese Wahl erregte in ihm grosse , schwer zu
tiberwindende, seine Bescheidenheit und Wahrhaftigkeit ehrende Bedenken,
worüber er sich aussprach in einem an seinen Bruder gerichteten, aber
eigentlich für den Patriarchen Theophilus von Alexandrien, zu dessen Sprengel
die Pentapolis gehörte, bestimmten Briefe (ep. 105). Er erklärt unter an-
deren seine Frau nicht entlassen, eben so wenig seine philosophischen
Anschauungen aufgeben zu wollen ; es scheint aber, dass er, was das letzte
betrifft, damals blos Austoss nahm an der Lehre von der Auferstehung j
250 Zweite Periode des alten Katholicismus.
wahrscheinlich ist er darüber von Theophilus, der ihn als kirchlich-brauch-
baren Mann erkannt haben mag, beruhigt worden. Nun kommen einige An-
gaben über die Zeit seines Uebertrittes zum Christenthum , die nicht wohl
mit einander zu vereinbaren sind. Er ist bereits Christ zur Zeit, da er als
Gesandter der Pentapolis in Constantinopel verweilte (Hymnus 3, 430). Er
hat aus der Hand des Theophilus seine Frau erhalten (ep. 105), ist also
zur Zeit seiner Verheirathung jedenfalls Christ gewesen. Auf der anderen
Seite nennt er sich zur Zeit seiner Wahl zum Bischof anotqocpog exxlrj-
(Tiag, fern von der Kirche erzogen. Evagrius h. e. 1, 15 meldet, er habe
von Theophilus die Taufe und zugleich die Bischofsweihe empfangen i).
Die Schwierigkeit löst sich vielleicht durch die Annahme, dass er längst
Christ war und sich zur Kirche hielt, ehe er die Taufe erhielt, was ja
damals immer noch vorkam. Dem sei, wie ihm wolle, er erfüllte mit
Sorgfalt und Eifer seine bischöflichen Pflichten, bekämpfte die Eunomia-
ner und widersetzte sich den Gewaltthätigkeiten des Präfecten Andronicus,
fühlte sich aber in seinem Amte unglücklich, den Pflichten desselben nicht
gewachsen, überdiess betrübten ihn neben dem Verluste seiner Kinder die
Leiden seiner Diöcesanen in Folge der Einfälle feindlicher Stämme. Er
starb etwa 414, ein Jahr vor dem schrecklichen Ende seiner Lehrerin
Hypatia 2).
Isidor von Pelusium, aus Alexandrien gebürtig, Presbyter und
Vorsteher eines Mönchvereines bei Pelusium, f c. 440, bildet eine Art
Vermittlung zwischen der alexaudrinischen und der antiochenischen Schule.
Er bekämpft des Origenes Lehre vom Falle der Seelen, er will, dass man
in der Schrift die historischen Beziehungen stehen lasse, wo man die mystische
Deutung nicht vollziehen kann, ohne der betreffenden Stelle Gewalt anzu-
thun. Doch finden sich bei ihm manche willkürliche Allegorieen. Er hat
grosse Verehrung für Chrysostomus , verwirft die antiochenische Christo-
logie und stimmt Cyrill von Alexandrien bei in dessen Bekämpfung des
Nestorius. In theologischer Beziehung ist er am bedeutendsten als Exeget.
Von seinen Briefen, deren 2000 gezählt werden, beziehen sich sehr viele
auf exegetische Fragen. Er ist einer der edelsten Vertreter des Mönch-
thums, zugleich ein freimüthiger , geistlicher Rathgeber und Seelsorger.
Seine Werke bestehen in seinen zahlreichen Briefen und sind 1685 zu
Paris vollständig erschienen.
1) Uftf^ovat (die Christen) rtüro?/ T^c ßiOTrjgtüx^ovg TictXiyyfvhennq n^tco^tjyai x«!
toi^ Xoyov TTjq hQoüvvrjq vnfkfhfij/.
2) Die neueste vollständige Ausgabe seiner "Werke bestehend aus Reden, Homilieen,
Abhandlungen, Hymnen, Briefen ist in Migne's Patrologie. Series graeca, tomus 66, —
Kra binger hat von Synesius herausgegeben: die Rede an Arcadius, griechisch und
deutsch 1825, die Schrift über die Vorsehung, griechisch und deutsch 1835, die Abhand-
lung: das Lob der Glatze, deutsch 1834. Migne hat den von Krabinger revidirten grie-
chischen Text benützt. Unter den Bearbeitungen vergl. C lausen, de Synesio philosopho
1831. — Kolbc, der Bischof Synesius als Physiker und Astronom. Thilo commentarius
in Syn. hymn. 2, l~24; idem comm. in hymn. 2, 22—24.
§51
II. Lehrer und Schriftsteller der lateinisch-abendländischen
Kirche i).
Es muss davon ausgegangen werden, dass, obschon der abendländische
Geist in Verarbeitung der Dogmen mehr ein subjectiv praktisches Inter-
esse verfolgt als ein objectiv theologisches und speculatives, doch dieses
keineswegs fehlt, wie sich bei Hilarius und Augustus zeigt. Des Origenes
Autorität und Einfluss erstreckte sich auch in das Abendland. Mehrere
sehr bedeutende Kirchenlehrer, Hilarius, Ambrosius, Hieronymus benütz-
ten seine Schriften. Der Presbyter Rufin von Aquileja, f 410, übersetzte
mehrere derselben in das Lateinische.
Hilarius von Pictavium, (Foitiers) in Gallien (zu unterscheiden vom
Diakon der römischen Kirche, gleichen Namens, eben so vom Bischof Hi-
larius von Arles), im Heidenthum geboren und erzogen, trat erst in seinen
männlichen Jahren mit Frau und Tochter zum Christenthum über, und
wurde 350 Bischof seiner Vaterstadt, 356 als eifriger Vertheidiger des
nicänischen Glaubens nach Phrygien verwiesen, seit 360 wieder in Gallien
thätig für das nicänische Bekenntniss, f c. 368. Die Hauptschrift ist die
über die Dreieinigkeit, de trinitate libri XII contra Arianos, auch de fide
betitelt, in der Verbannung geschrieben, dazu bestimmt, die nicänische
Lehre ausführlich zu erörtern und speculativ zu begründen, auch in chri-
stologischer Hinsicht von Bedeutung. Daran reiht sich eine Anzahl von
Gelegenheitsschriften, bezüglich auf die arianische Streitigkeit, unter an-
deren drei Schreiben an Kaiser Constantius, wovon das dritte, c. 360 ab-
gefasste, die heftigsten Invectiven gegen den Kaiser enthält und ihn selbst
als Antichrist bezeichnet. Dazu kommen die Commentare über die Psalmen
und Matthäus, beide in den allegorischen und mystischen Deutungen an
Origenes sich anschliessend. Hilarius hat das Verdienst, im Abendlande
die exegetischen Studien, wenn gleich in sehr unvollkommener Weise an-
geregt zu haben. Wie sehr man seine dogmatischen Arbeiten schätzte,
bezeugt der Ehrentitel: der lateinische Athanasius. Mehrere Schriften von
ihm sind verloren gegangen, andere ihm untergeschoben worden. Hilarius
ist auch als Dichter namhaft. Hieronymus (c. 100) kennt von ihm „Über
hymnorum." Man rühmt ihm nach, dass er in seinen Liedern die Oden-
und Hymnenform verschmolzen habe. Einige der ihm zugeschriebenen
dichterischen Producte rühren aber offenbar aus späterer Zeit her.
Optatus, Bischof von Mileve in Numidien, schrieb nach 380 de
schismate Donatistarum adv. Parmeniamim 7 Bücher, eine Hauptquelle für
die Kenntniss der donatistischen Grundsätze und der dadurch veranlassten
Streitigkeiten.
Ambrosius, in Gallien, wahrscheinlich in Trier geboren, c. 340,
nach dem Tode des Vaters, des prae/ectus praetorio Galliarmn^ d. h. Ober-
1) S. im Allgemeinen: Bahr, die christlich römische Theologie, 1. und 2. Abthei-
Ittng, als Snpplement zu desselben Geschichte der römischen Literatur 1837. — Ebert,
Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters. 1. Band. 1874,
^52 Zweite Periode des alten ICatholicismtiS.
Statthalter einer der drei grossen Diöcesen des weströmischen Reiches, in
Rom erzogen und unterrichtet, für den Staatsdienst bestimmt, darauf Prätor
der Provinzen Ligurien und Aemilien, ermahnte bei einer Bischofswahl in
Mailand, nach dem Tode des Auxentius 374, da beide Parteien, Katholiken
und Arianer, nicht einig werden konnten, die Versammlung zur Ruhe und
Eintracht, worauf die Stimme eines Kindes erscholl : Amhrosius episcopus. — ..
Diess entschied bei der allgemeinen Achtung, worin Ambrosius stand.
Ungeachtet seines aufrichtigen Widerstrebens, so dass er sogar die Flucht
ergriff, musste er, der damals erst Katechumene war, die Würde und die
Bürde annehmen. Er empfing nun sogleich die Taufe und suchte sofort
durch eisernen Fleiss sich die ihm mangelnden Kenntnisse zu erwerben.
Ambrosius wurde das Muster eines Bischofs, freimüthig gegen Hohe wie
gegen Niedere, selbst gegen den Kaiser Theodosius, unerbittlich gegen
ihn in Handhabung der Kirchenzucht (wovon später die Rede sein wird).
An seinen Namen knüpft sich die Wiederherstellung der katholischen Kirche
und die Vernichtung des Arianismus in Italien, die verbesserte Einrichtung
des Cultus, die Beförderung des Mönch thums im Abendlande, — die Be-
kehrung Augustins. — Hieronymus nennt ihn ecclesiarum columna quae^
dam et turris inexpugnahilis. Ambrosius hat ungeachtet seiner vielen Amts-
geschäfte Vieles geschrieben. Wir haben von ihm 1) exegetische Ar-
beiten, worin er gar sehr des Origenes Methode befolgt; hervorzuheben
sind die über das Hexaemeron, die Psalmen, das Evangelium Lucae;
2) dogmatische, de fide fünf Bücher, Erörterung der Lehre von der
Gottheit Christi gegen Arius, SabeUius und Andere, de spiritu sancto
gegen Arius und die Macedonianer, beide dogmatische Schriften auf Bitten
des Kaisers und zu dessen eigener Belehrung verfasst; die zweite ist aus
Didymus und Basilius gezogen; 3) eine gute praktische Anweisung für die
Geistlichen gibt er in der bald zu hohem Ansehen gelangten Schrift de
officiis ministroru7n; 4) Ambrosius ist mit Hilarius einer der Begrün-
der des abendländischen Kirchenliedes, der Vater der lateinischen Hymnologie.
Acht bis zehn der uns unter seinem Namen erhaltenen Hymnen können
ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden; ob Te Deum laudamus von ihm
herrühre, ist nicht über jeden Zweifel erhaben.
Hieronymus, Sophronius, Eusebius^), der gelehrteste Kirchen-
lehrer der lateinischen Kirche, besonders ausgezeichnet durch seine auf
üebersetzung und Erklärung der heiligen Schrift bezüglichen mannigfachen
Arbeiten, geboren, nach den zuverlässigsten Angaben und Combinationen,
nicht, wie oft angenommen worden, 331, sondern vielmehr 340 — 342 zu
Stridon in Dalmatien, wurde als ein Jüngling von zwanzig Jahren nach
Rom geschickt, um daselbst die im elterlichen Hause begonnenen clas-
sischen Studien fortzusetzen; er genoss in der Grammatik den Unterricht
des Donatus, dessen Schriften die Grundlage des sprachlichen Unterrichts
im Mittelalter wurden. In seiner Schule hörte er die classischen Dicht-
1) y. Zoeckler, Hieronymus. Sein Leben und Wirken aus seinen Schriften dar«
gestellt. 1865,
Schriftsteller der lateinisch - abendländischeö Kirche. 253
ungen Rom's, besonders Terenz und Virgil; hier legte er den Grund zu
seiner Begeisterung für diese Koryphäen der classischen Literatur; hier
muss er auch die griechische Sprache erlernt haben; denn er las schon
damals Plato und andere griechische Schriftsteller. Auf sein sittliches
Leben übte der Aufenthalt in Rom einen ungünstigen Einfluss aus. Er
empfing zwar die Taufe aus den Händen des Bischofs Liberius, besuchte
die Gesellschaft orthodoxer Christen, blieb frei von jedem Flecken der
Häresie, aber nicht von sittlichen Vergehungen; er suchte nun eine Art
Sühne dafür in dem Besuclie der Katakomben, wo, wie er sagt, horror
uhique animos , simiil ipsa silentia terrent (Aeneis 2, 755). Doch daneben
regte sich in ihm der Humanist. Er verschaffte sich eine ebenso umfang-
reiche als ausgewählte Bibliothek, die ihm seitdem auf jeder grösseren
Reise begleitet zu haben scheint. Sie enthielt besonders lateinische Clas-
siker, sowie einzelne griechische. Er machte nun mehrere Reisen, zunächst
nach Gallien, besuchte mehrere Städte am Rhein, namentlich Trier, wo
Athanasius eine Zeit lang als verbannt gelebt hatte. In Folge einer reli-
giösen Erweckung regte sich daselbst in ihm eine gewisse Neigung, Christo
seine Dienste zuzuwenden, und machte er seine erste theologische Arbeit,
über Obadia, die er selbst später als unreife Jugendarbeit verwarf. Dar-
auf verweilte er (372) länger als ein Jahr in Aquileja, der blühenden
Hauptstadt des nordöstlichen Italiens, im Umgang mit dem ehrwürdigen
Bischof Valerianus und einigen jüngeren Geistlichen, worunter namentlich
Rufin, die in klösterlich strenger Zurückgezogenheit von der Welt ein der
Wissenschaft und frommen Uebungen geweihtes Leben führten. Darauf
unternahm er mit einigen Freunden eine Reise nach dem Morgenlande.
In Antiochien hatte er während eines heftigen Fieberanfalles jenes be-
rühmte Traumgesicht, das auf den weiteren Gang sowohl seiner asketischen,
als seiner literarischen Thätigkeit einen nicht unbeträchtlichen Einfluss
ausgeübt hat (374). Er sah sich vor den Richterstuhl Gottes gestellt,
selbst aber zu Boden geworfen und nicht aufzublicken wagend. Auf die
an ihn gerichtete Frage, wer er sei, antwortete er: ein Christ. Du lügst,
erwiderte der Richter; ein Ciceronianer bist du, nicht ein Christ; denn,
„wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz/^ worauf ihm der Richter harte
Schläge aufzählen Hess; er gelobte, fortan keine Schriften der Heiden mehr
zu lesen ; auf dieses eidliche Versprechen hin wurde er freigelassen (ep. 22
ad Eustochium). Obschon er nun keineswegs das Lesen der alten Classiker
ganz und gar aufgab, sich damit entschuldigend, dass er nur ein Traum-
gesicht gesehen, was nicht verbindlich machen könne, so ist doch nicht zu
läugnen, dass er seit dem eine ganz veränderte Stellung zu den Classikern
einnahm, sie eine Zeit lang vollständig mied; dass er, wenn er sie später
wieder öfter verglich und anführte, diess stets unter dem nöthigen Voi'-
behalt und mit Wahrung des durchgreifenden Unterschiedes zwischen ihrem
Werthe und dem der heiligen Schriftsteller that. Es wurde dadurch die
Umwandlung des Hieronymus aus einem mehr oder weniger weltlichen Ge-
lehrten in einen völligen Asketen vollendet, wie er denn gegen Ende dessel-
ben Jahres 374 Antiochien verliess und sicli in die Wüste von Chalcis an
der Ostgrenze von Syrien begab, um in dieser syrischen Thebais, mehrere
254 Zweite Periode des alten Katholicismns.
Jahre ein streng asketisches Leben zu führen, doch dabei auch thätig als
Schriftsteller. Erschöpft von Entbehrungen und Büssungen, und doch von
sinnlichen Regungen angefochten, kehrte er 379 nach Antiochien zurück und
empfing aus den Händen des Bischofs Paulinus mit Widerstreben die Weihe zum
Presbyter, mit dem ausdrücklichen Vorbehalte, dass er von allen amtlichen
Functionen dispensirt bliebe. Darauf machte er einen fast dreijährigen
Aufenthalt in Constantinopel , angezogen zunächst durch Gregor von Na-
zianz ; er benützte dessen Unterricht in der Schriftauslegung, arbeitete sich
unter der Leitung desselben in die griechischen Kirchenlehrer ein und war
auch schriftstellerisch thätig. Im Jahre 382 finden wir ihn wieder in Rom,
zunächst in Angelegenheiten der antiochenischen Gemeinde, die noch immer
durch das meletianische Schisma in sich selbst entzweit war. Dieser Auf-
enthalt in Rom wurde für sein ferneres Leben sehr wichtig. Er war näm-
lich daselbst mannigfach schriftstellerisch thätig. Von besonderer Bedeutung
ist die Revision der alt lateinischen Uebersetzung der heiligen Schrift, die er
im Auftrage von Bischof Damasus unternahm. Wenn schon diese Arbeit ihm
allerlei Verdruss zuzog von Seite solcher, die seine Verbesserungen als
willkürliche Neuerungen ansahen, so erfuhr er noch besondere Anfeindungen
durch seine Beförderung des asketischen Lebens, durch seine Verbindungen
mit asketischen Frauen, (worüber das Nähere in der Geschichte des
Mönchthums). Dazu kam, dass er sich durch seinen freimüthigen Tadel
der weltlichen Gesinnung mancher römischen Geistlichen die Abneigung
des Klerus in Rom zuzog. Als nun sein Gönner Bischof Damasus mit Tod
abgegangen, verliess er 385 Rom für immer und begab sich wieder nach
dem Morgenlande, das er bis an seinen Tod im Jahre 420 nicht wieder
verliess. Er lebte daselbst als Askete mit einigen gleichgesinnten Freun-
den in der Nähe von Bethlehem. Nicht weit davon hatten sich einige
römische Frauen niedergelassen. Er war dabei immerfort thätig, theils
kirchlich, — er nahm lebendigen Antheil an der origenistischen Streitig-
keit, ebenso an der pelagianischen, — theils schriftstellerisch, wie denn
in dieser Zeit seine fruchtbarste Thätigkeit in dieser Beziehung fällt.
In Hieronymus geht das asketische Leben den innigsten Bund mit
der gelehrten Thätigkeit ein. Das ist das Eigenthümliche an ihm, wodurch
er sich von den das gelehrte Wissen verachtenden Vätern und Begründern
des Mönchthums unterscheidet, so dass seine gelehrten Studien sich gera-
dezu in den Dienst der Askese begeben, wie er denn bekennt, dass er
zur Dämpfung des inneren Brandes seiner bösen Gedanken und Begierden
die hebräische Sprache erlernt habe (Zoeckler a. a. 0. S. 56).
Vor allem kommen in Betracht seine zahlreichen Briefe, worin exe-
getische, dogmatische und moralische Punkte erörtert werden, während
andere Aufschluss geben über die kirchlichen Verhältnisse seiner Zeit, und
besonders über Leben und Charakter des Hieronymus selbst. In den dog-
matischen Schriften zeigt er sich am wenigsten bedeutend. Er zeigte sich
ängstlich besorgt um den Ruf seiner Orthodoxie — in der meletianischen
und origenistischen Streitigkeit ; auf diese letzteren beziehen sich die bei-
den Schriften gegen Johannes, Bischof von Jerusalem, und seinen ehe-
maligen intimen Freund Rufinus. In dem pelagianischen Streite trat er
Schriftsteller der lateinisch- abendländischen Kirche, 255
auf die Seite Augustin's, den er seit 390 kennen gelernt und hoch
ehrte i) ; bei diesem Anlasse schrieb er seine Dialogen gegen die Pelagia-
ner, die er aber wegen seiner Werkheiligkeit nicht gründlich zu wider-
legen vermochte. Die Schrift vom heiligen Geist ist lediglich Uebersetzung
einer Schrift von Didymus. Die immerwährende Jungfräulichkeit der
Mutter des Herrn vertheidigte er in einer Schrift gegen He 1 vi diu s, die
Verdienstlichkeit des Fastens und ehelosen Lebens gegen Jovinian, die
Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien gegen Vigilantius, durch
welche Schriften er keinen guten Einfluss auf seine Zeit ausübte.
Hingegen von der höchsten und besten Bedeutung sind seine auf die
Uebersetzung der heiligen Schrift, bezüglichen Arbeiten 2). Es gab im Abend-
lande seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts eine lateinische Uebersetzung
der heiligen Schrift, walirscheinlich in Afrika entstanden, ebenso wahrschein-
lich das Werk mehrerer Uebersetzer in dem Sinne, dass die einen Bücher
von einem, die anderen von einem anderen Uebersetzer herrühren; diese
Uebersetzung wird angeführt unter dem Namen vetus interpreSj vetus
Latitius, vielleicht auch unter dem Namen Itala (i. q. italica)^ von
Augustin de doctrina christiana 2, 15 ^).
Diese Uebersetzung nun war im Laufe der Zeit in einen Zustand
grosser Depravation gerathen, theils durch die Nachlässigkeit der Ab-
schreiber , theils durch die Willkür der Correctoren ; daher es fast eben so
viele verschiedene Texte oder Recensionen gab, als man Handschriften
hatte ^). Es ist das Verdienst des römischen Bischofs Damasus , diesen
grossen Uebelstand erkannt und Abhülfe dagegen getroffen zu haben, in-
dem er dem am besten dazu geeigneten Manne das Geschäft der Emen-
dation übertrug (382). Die vier Evangelien als für den gottesdienst-
lichen Gebrauch von besonderer Wichtigkeit wurden zuerst vollendet;
in der an Bischof Damasus gerichteten Vorrede sprach sich Hieronymus
über die leitenden Grundsätze seiner Arbeit aus und hob namentlich her-
vor, dass er die vorhandenen lateinischen Uebersetzungen unter sich und
mit dem griechischen Texte verglichen und nur, wenn letzterer einen ganz
abweichenden Sinn ergab, nach ihm emendirt habe. Auf die vier Evan-
gelien Hess Hieronymus bis 384 die übrigen Schriften des Neuen Testa-
mentes folgen; wahrscheinlich ist diese Recension dieselbe, die uns jetzt
1) Er hatte mit ihm eine Controverse üher Gal. 2, 11, worin Augustin offenbar
Eecht hatte.
2) S. das Nähere darüber bei Zo eckler a. a. 0. und im Artikel Vulgata von
Fritz sehe in der Realencyklopädie. S. ausserdem Nowack, die Bedeutung des Hiero-
nymus für die alttestamentliche Textkritik. 1875.
3) Nach Reuss, Geschichte der heiligen Schriften des Neuen Testamentes. S.Auf-
lage S. 436 versteht Augustin unter der Itala die sogleich anzuführende hexaplarische
Bearbeitung des vetus Latinus durch Hieronymus, welche Vermuthung Vieles für sich
hat, da Augustin 1. c. von mehreren lateinischen Uebersetzungen spricht, denen die Itala
vorzuziehen sei.
4) Tot sunt exemplaria pene quot Codices, sagt Hieronymus, worunter er nicht
selbständige Uebersetzungen, sondern verschiedene Recensionen derselben Uebersetzung
versteht.
256 Zweite Periode des alten Katholicismus.
in der Vulgata Neuen Testaments vorliegt. Vom Alten Testament bear-
beitete er damals flüchtiger, doch mit Benützung des allgemeinen reci-
pirten Textes der LXX, die Psalmen ^). Es gab zwar Einige , welche ihm
seine Neuerungen im lateinischen Texte vorwarfen; im Ganzen aber fanden
diese Arbeiten die beste Aufnahme, wie denn namentlich Augustin dem
neutestamentlichen Theile der ganzen Arbeit das wärmste Lob spendete.
Die Entdeckung eines vollständigen Exemplares der Hexapla des Origenes,
wahrscheinlich des Originalexemplares oder wenigstens einer sorgfältigen
von Pamphilus gemachten Abschrift dieses Riesenwerkes in der Bibliothek
der Kirche zu Cäsarea in Palästina (385) gab ihm die hauptsächlichste
Anregung zu einer vollständigen kritischen Revision der vorhandenen la-
teinischen Uebersetzung nach dem geläuterten hexaplarischen Texte der
LXX. Den Anfang machte er wjjeder mit dem Psalter 2). Nach und nach
bearbeitete er in derselben Weise die übrigen Bücher des Alten Testamen-
tes^ Die emendirten Texte derselben sind verloren gegangen; verloren sie
doch ihren Werth, seitdem Hieronymus sich an eine neue Uebersetzung
des A. T. aus dem hebräischen Texte machte, dazu von verschiedenen
Seiten, besonders von Bischof Chromathius von Aquileja aufgefordert und der
mehr und mehr in ihm sich befestigenden Ueberzeugung folgend, dass
seine bisherige Arbeit eine halbe sei , dass man um jeden Preis auf die
veritas hehraea zurückgehen müsse. Er war dazu vorbereitet durch seine
vorausgehenden exegetischen Arbeiten über manche Bücher der heiligen
Schrift, sowie durch seine für jene Zeit ausgezeichnete Kenntniss der
hebräischen Sprache. Während seines Aufenthaltes in der Wüste Chalcis
(374 — 379) nahm er nämlich bei einem zum Christenthum übergetretenen
Hebräer Unterricht, später zu Anfang seines Aufenthaltes in Bethlehem bei
dem Juden Bar Anina, der aus Furcht vor seinen Glaubensgenossen nur
nächtlich zu seinem Schüler kam und sich seinen Unterricht tüchtig be-
zahlen Hess. Etwas später zog er noch andere jüdische Gelehrte zu Rath.
Er liess sich die Kosten weder verdriessen, noch die Mühe, die ihm das
Erlernen einer ihm so fremdartigen Sprache verursachte, noch die üblen
Nachreden, dass er die jüdische Weisheit der christlichen vorziehe, ja dass
er Christum zu verrathen und gegen diesen neuen Barrabas (so verdrehte
man den Namen Bar Anina) auszuliefern im Sinne habe. Denn es han-
delte sich auch darum, die Vorwürfe der Juden zu widerlegen, dass die
Christen einen gefälschten Bibeltext hätten. Die Arbeit dauerte von 390
bis 404. Die Apokryphen des Alten Testamentes, die er als solche erkannte
und nicht als kanonisch ansah, sind von Hieronymus nur theilweise übersetzt.
Diese Bibel- Uebersetzung ist im Verhältniss zu ihrer Zeit betrachtet ein
staunenerregendes Werk und brach sich durch ihre relative Vortrefflichkeit
ohne Beihülfe des Beschlusses irgend einer kirchlichen Behörde Bahn;
doch vergingen Jahrhunderte, bis sie die kirchliche UebersetzuuL^ des
1) Diese alsbald in der römischen Kirche eingeführten Psalterrecension existirt noch
jetzt nnter dem Namen psalterium romanum.
2) Diese Ausgabe fand später in den Kirchen Galliens Aufnahme nnd heisst demge-
mäss psalterium gallicanum.
Schriftsteller der lateinisch - abendländischen Kirche. Rufinus. 257
Abendlandes wurde, seit dem dreizehnten Jahrhundert die Vulgata ge-
nannt, die freilich mit der Zeit viele Corruptionen erlitt. — Des Hie-
ronymus exegetische Leistungen über viele Bücher des Alten und des Neuen
Testamentes leiden, sagt Zoeckler, im Wesentlichen an denselben Mängeln
wie seine Uebersetzungsarbeiten , theilen aber auch die meisten Vorzüge
derselben, und nehmen, was wenigstens sprachliche und antiquarische Ge-
lehrsamkeit sowie Belesenheit in früheren'exegetischen Schriftstellern be-
trifft, eben so entschieden wie jene die erste Stelle unter allen gleicharti-
gen Versuchen der abendländischen Kirchenlehrer ein. — Von der Noth-
wendigkeit, vor allem den historischen Sinn der biblischen Schriftsteller
zu ermitteln, hatte er eine richtigere Erkenntniss als die meisten Exegeten
der lateinischen Kirche. Er tadelt sehr an Origenes, dass er in den wei-
ten Räumen der Allegorie herumschweife, und doch verfällt er häufig in
die Allegorie und folgt dem Origenes bis zum Extrem der allegorischen
Willkür 1), so wie er denn zu einer gewissen Zeit seine Verehrung für Origenes
bezeugte durch die Uebersetzung der Homilieen desselben über Jeremias,
Ezechiel und das Evangelium Lucä. Hieronymus hat auch geographi-
sche und antiquarische Schriften verfasst, de nominibtis Hebraeo-
rum, und de ritu et nominibus lororum hebraicormn , Bearbeitung
einer Schrift des Euseb von Cäsarea, besonders diese wegen der Local-
kenntnisse des Verfassers von Bedeutung. Sehr lehrreich ist die Schrift
de vlris illustribus, wodurch er den Grund zur Patristik legte. Ebenso
übersetzte er das Chronicon desselben Euseb und schrieb das Leben der
Heroen des Mönchthums zur Beförderung dieser Lebensweise, freilich
mit vielen Fabeln angefüllt.
Rufinus, Tyrannius, c. 340 in der Nähe von Aquileja geboren,
lebte eine Zeitlang in klösterlicher Zurückgezogenheit in Aquileja und wurde
daselbst Presbyter 2). Die Begeisterung für das asketische Leben führte ihn
nach Palästina ; hier erweiterte er die bereits in Aquileja erworbenen theo-
logischen Kenntnisse , besonders durch die Bekanntschaft mit Didymus und
gewann lebhaftes Interesse für die griechischen Väter, insonderheit für
Origenes. Von 377 bis 397 verweilte er in Jerusalem, mehrere Jahre auf
dem Oelberge. In dieser Zeit gerieth er mit Hieronymus in den Streit, wovon
später die Rede sein wird. Er kehrte nun nach Italien zurück und starb
410. Rufin's schriftstellerische Thätigkeit beschränkte sich fast ganz auf
Uebersetzungen aus dem Griechischen und zwar von rein theologischen
Werken, namentlich des Origenes, worunter das wichtigste ne^i ccQxeov- —
Seine lateinische Bearbeitung der Kirchengeschichte des Euseb ist auch
zum grössten Theile eine Uebersetzung, — er setzte sie aber fort vom
Jahre 324 bis 305, indem er zwei Bücher hinzufügte 3). Sie wurde im Mit-
telalter verbreitet und viel gelesen, ebenso desselben vitae patrum, eine
1) So verwandelt er die Sunamitin , das Kebsweib Davids, in die ewig jugendliche,
anbefleckte göttliche Weisheit.
2) Gennadius c. 17 nennt ihn so.
3) S. Kimrael de Rofino Eusebii interprete 1838.
Herzog, Klrchengeschlchte I. 17
258 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Sammlung von Biographieen egyptisclier Mönche, später auch historia ere-
mitica genannt.
Augustinus, Aurelius^), durchUef, ehe er sich durch die Taufe
in die kathohsche Kii'che aufnehmen liess, eine lange, schmerzliche Ent-
wicklungsperiode, die auf seine theologische Ilichtung und sein ganzes
ferneres Leben und Wirken den entschiedensten p]influss ausgeübt hat. In
seinen Confessiones hat er selbst eine ergreifende Beschreibung davon gege-
ben, welche im Einzelnen durch bezeichnende Züge, die in anderen Schriften
zerstreut vorkommen, ergänzt wird. So lernen wir aus seinem eigenea
Munde seine Verirrungen, seine inneren Kämpfe, Alles, was, sei es hem-
mend und schädigend, sei es fördernd und heilend auf ihn eingewirkt hat,
kennen. Durch das Ganze zieht sich das Andenken an die fromme Mutter
Monnica. So wie sie die ersten Saamenkörner der Frömmigkeit in seine für
Böses wie für Gutes empftlnghche Seele wirft, Saamenk()rner , über die wohl
manche Stürme ergehen, doch ohne sie auszutilgen, so begleitet sie ihi'
überall hin mit ihren Thränen und Gebeten, bis sie zuletzt die Freude er-
lebt, in Mailand, wohin sie ihm nachgefolgt war, ihren Solin in die katho-
hsche Kirche zurückkehren zu sehen, das Einzige, warum sie noch zu leben
gewünscht hatte.
Geboren im Jahre 353 zu Thagaste in Numidieu, nachdem er einige
Zeit in Madaura Unterricht empfangen, begab er sich im sechzehnten Le-
bensjahre nach der Anordnung des Vaters, der decurlo war, behufs der
Fortsetzung seiner Studien nach Carthago. Dieser Aufenthalt wurde für ihn
verhängnissvoll, indem er daselbst zu sittlichem Fall gebracht wurde und in
die Hände der Manichäer gerieth. Er wurde zwar kein Wüstling, so wenig
wie Hieronymus. Dem Sohne Adeodatus, der ihm im neunzehnten Lebens-
jahre geschenkt wurde, widmete er viele Sorgfalt. Er lebte in einer wilden
Ehe, aber Treue bewahrend. Doch das Bewusstsein des Zwiespaltes in sei-
ner Natur drückte ihn nieder. Ein tiefer Riss ging durch seine Seele. Das
Lesen des Hortensius von Cicero bewirkte in ihm einen Anfang von Bekehr-
ung; er nahm sich vor, fortan nur die Wahrheit zum Ziel seines Denkens
zu machen und sich von den irdischen Begierden frei zu erhalten. Damals
begann er die heilige Schrift zu lesen; aber ihm fehlte darin die Schönheit
der ciceronianischen Sprache. Auch glaubte er, in der Kirchenlehre werde
Gott als die Ursache der Sünde angesehen. In diesem Zustande der Unklar-
heit, des Kampfes, des Suchens wurde er bekannt mit den Manichäern. Er
fühlte sich zu ihnen hingezogen, theils weil sie sich rühmten, mit Besei-
tigung der Schrecken erregenden Autorität der Kirche ihn blos und allein
durch vernünftige Gründe zu Gott zu führen , theils weil er insbesondere
1) Unter den Ausgaben der Werke ist die beste die der Mauriner. Paris 1679 ff. in
XI Tomi — bei Migne. — S. Bin de mann, der heilige Augustinus, 3 Bde. 1844
— 1869. — Wiggers, Versuch einer pragmatischen Darstellung des Augustinismus und
Pelagianismus. 1833. 2 Theile. — Dorner, Augustinus, sein theologisches System und
seine religionsphilosophische Anschauung. 1873. — Von vielen Schriften Augustins sind
besondere Ausgaben erschienen. Wir heben hervor die jetzt erscheinende zweite Aus-
gabe der Schrift de civitate Dei von Prof. Dombart in Erlangen.
Schriftsteller der lateinisch -abendländischen Kirche. Augnstinus. 259
von ihnen die richtige Lösung der ihn seit einiger Zeit beschäftigenden Frage :
woher das BöseV erwartete. Zudem machte die Heihgkeit des Lebens der
Lehrer , der Auserwählten, auf den unter der Last seines Sündenbewusstseins
seufzenden jungen Mann tiefen Eindruck. So liess er sich denn in dem
neunzehnten Lebensjahre unter die Auditores aufiiehmeu und suchte in Tha-
gaste, wohin er zurückkehrte und wo er die Rhetorik lehrte, für die Sekte
zu wirken. Bald nach Carthago zurückgekehrt, machte er nach und nach
allerlei Erfahrungen, die ihn vom Manichäismus abzogen. Durch consequente
Verfolgung der Lehren desselben gerieth er nämlich auf ein Extrem: Gott
erschien ihm als Köri)er von feinerer Art, durch die ganze Natur vertheilt,
so dass er am Ende sich selbst wie ein Stück Gottheit vorkam, wähi'end er
in sich nichts als Unruhe und Zwiespalt wahrnahm. Seine mehr und mehr
aufsteigenden Zweifel an der manichäischen Lehre konnte auch ihr gröss-
ter Lehrer, Faustus, auf den man ihn vertröstet hatte, nicht lösen. So
sagte er sich von der manichäischen Lehre los, ohne jedoch seinen Austritt
aus der Sekte zu erklären. Neun Jahre blieb er in den Banden derselben.
Was er erfuhr von den geheimen Sünden der sogenannten Auserwählten
lockerte auch die Bande, die ihn an die Sekte fesselten. Als er sich aber
von den mani('häischen Irrthümern losgewunden, war er nahe d^'an, in
völligen Skepticismus zu verlallen und die Akademiker für die scharfsinnig-
sten Philosophen zu halten. p]r war damals in Rom als Lehrer der Rhe-
torik thätig. Von da wurde er 385 in dieser Eigenschaft nach Mailand be-
rufen. Hier schlug für ihn die Stunde der Entscheidung. Die Predigten
des Ambrosius lehrten ihn das von den Manichäern so tief heruntergesetzte
Alte Testament wieder schätzen. Der Spruch, den der verehrte Bischof oft
anführte: der Buchstabe tödtet, der Geist ist es, der da lebendig macht,
fiel wie ein Lichtstrahl in seine Seele. Doch wollte er noch durchaus nicht
in die katholische Kirche eintreten. Je rascher er einst den Lockungen der
Häresie nachgegeben, desto mehr hielt ihn jetzt die bittere Erfahrung, un-
terstützt durch die Gründe der Akademiker, vom letzten entscheidenden
Schritte zurück. Er liess sich also vorerst als Katechumene aufnehmen und
beschlöss, so lange dal)ei zu bleiben, bis ihm etwas Gewisses aufgienge. In
dieser Zeit wurden ihm neuplatonische Schriften in die Hände gegeben; sie
entzündeten in ihm ein unglaubliches Feuer. Die Beschäftigung mit diesen
Schriften wurde für ihn Uebergangspunkt vom Skepticismus zur Anerkennung
einer objectiven Wahrheit, sowie zur Vergeistigung seines durch den Mani-
chäismus an sinnliche Bilder gew()hnten Denkens, Uebergangspunkt vom Dua-
hsmus zum consequenten Monotheismus, indem er glaubte, dass die Neu-
platoniker das absolut geistige Wesen erfasst hätten. Von den neuplato-
nischen Schriften ging er zur heiligen Schrift über, und berichtigte mit Hülfe
derselben die niedere Ansicht von Christo als blossem Lehrer, die er in den
neuplatonischen Schriften gefunden. Er las insbesondere den Brief an die
Römer, wurde mächtig ergritfen durch die Beschreibung des Zwiespaltes in
der raenschhcheu Natur; in sich selbst fand er das Alles, was Paulus sagte,
bestätigt. Fortan suchte er die religiöse Ph'kenntniss sich i)raktisch anzu-
eignen. Ruhm zog ihn nicht mehr an, aber die sinnliche Lust hielt ihn ge-
fangen, und weil er in diesem Punkte schwach war, so war er es auch in
17 ♦
260 Zweite Periode des alten Katholicismus.
allen übrigen (in ceteris languidus). Wohl fühlte er die Verpflichtung, seinen
neu gewonnenen Glauben zu bekennen; aber er scheute sich, die Taufe
zu begehren, weil sich für ihn das Verzichtleisten selbst auf die rechtmässige
Ehe, an die er eine Zeitlang, hauptsächlich von der Mutter angetrieben,
dachte, nicht blos als zur Virtuosität des christlichen Lebens gehörig, son-
dern auch als mit dem Bekenntniss des christlichen Glaubens und mit dem
Eintritt in die kathohsche Kirche noth wendig verbunden, darstellte. An die-
sen Punkt knüpfte sich zuletzt die Entscheidung. So ergreifend die Schil-
derung ist, die er davon in seinen Confessionen entworfen, so erhebend dei*
Muth ist, mit dem er jede Lockung der Sinnlichkeit überwindet, so liegt,
doch eine furchtbare Verirrung darin, wenn wir bedenken, dass er mit dem
Spruche Römer 13, 13: nicht in Kammern und Unzucht u. s. w. den Ge-
danken der rechtmässigen Ehe von sich weist. Um diese Sache richtig zu
beurtheilen, müssen wir aber hinzunehmen, dass an den Gedanken der
rechtmässigen Ehe in seinem Geiste sich allerlei sehr weltliche Regungen
und Hoffnungen anschlössen ^). Auch sah er bald ein, dass das Gemein-
schaftsleben, das er mit einigen gleichgesinnten Freunden zu führen ge-
dachte, nicht wohl zu verwirklichen war, wenn die Theilnehmenden ver-
heirathet waren (Conf. VL 11).
Im Jahre 388, nach einem Aufenthalte in Rom, wo die Mutter starb,
nach Afrika zurückgekehrt, lebte er zunächst in Thagaste in einer Art von
klösterlichen Verein, den er mit einigen Freunden gestiftet, wurde aber 389,
ohne es irgend zu erstreben, Presbyter in Hippo - Regius, seit 395 des Bischofs
Valerius coepiscopus, seit 396 dessen Nachfolger. Nun beginnt die Zeit sei-
ner weitreichenden, tiefgehenden Einwirkung auf die Kirche. Er erlebte
noch die Verwüstung der afrikanischen Kirche durch die Vandalen und starb
430 während der Belagerung von Hippo.
Augustin ist der reichste, umfassendste und zugleich tielste Geist un-
ter den Lehrern und Vätem der lateinisch abendländischen Kirche, dem
Ambrosius zwar nachstehend an Beredtsamkeit , noch mehr dem Hieronymus
an Gelehrsamkeit, aber beide sowie auch Hilarins durch die Tiefe und Viel-
seitigkeit seines Geistes übertreffend. Nicht nur auf die Kirche seiner Zeit
hat er einen überwiegenden Einfluss ausgeübt, sondern auch auf die Kirche
im Mittelalter, zur Zeit der Reformation und zur Zeit nach der Reformation.
Er hat Ideen vertreten, woraus die Reformatoren vor der Reformation,
Wycliffe , Huss , Johannes Wessel u. A. und die Reformatoren Belehrung ge-
schöpft haben, er hat aber auch Grundsätze vertreten, welche specifisch-
katholisch sind und von der römisch-katholischen Kirche in aller Strenge
festgehalten werden. Seine Schilften wurden eine Quelle und Fundgrube für
die Scholastik und Mystik des Mittelalters. Die bedeutendste Erscheinung
des neueren Katholicismus, der Jansenismus, ist ganz eigentlich eine Er-
neuerung des Lehrbegriffes Augustins. Er hat auch den philosophischen
1) De utilitate credendi c. 3. Vitae hujus mundi eram implicatus, tenebrosam
spem gerens de pulcritudine uxoris, de pompa divitiarum, de inanitione bonorum ceterisque
noxiis et perniciosis voluptatibus. Er hoffte ein Landvogtamt nebst einer reichen Frau zu
erhalten (Praesidatus dari potest. Conf. VI, 11).
Schriftsteller der lateinisch - abendländischen Kirche. Augustinus. 261
Bestrebungen einen mächtigen Impuls gegeben. Der Satz des Cartesius, des
Begründers der neueren Philosophie: Cogito, ergo sum^ findet sich wörtlich
bei Augustin. Es ist, als ob verschiedene Welten in diesem umfassenden
Geiste zusammenträfen. Aber der Mangel an gründhcher gelehrter Bildung
ist überall in seinen Schriften sichtbar. Bei aller Grösse des Geistes ist er
in grosse Irrthümer verfallen. In einigen Punkten hat er sich von dem
bereits trüb gewordenen Strome der katholischen Tradition hinreissen lassen.
Seine Schriften sind äusserst zahlreich und sehr mannigfaltigen In-
haltes, hervorgerufen durch persönliche Verhältnisse, durch allgemeine Ver-
hältnisse, durch die Streitigkeiten, in welche er verwickelt wurde.
Das apologetische Werk Augustin's ist die Schrift de civitate
Dei^ in zweiundzwanzig Büchern, begonnen 413, vollendet 426 oder 427.
Die Einnahme von Rom durch Alarich 410, die Plünderung von Italien gab
nämlich den Heiden Anlass zu behaupten, dass der Zorn der Götter über
die Verwerfung der alten Religion diese schrecklichen Unfälle herbeigerufen
habe. Schon Orosius, Priester aus Tarragona in Spanien, hatte, aufge-
fordert von Augustin, jenen Vorwurf zu widerlegen gesucht in den sieben
Büchern seiner Weltgeschichte. Nachher muss solcher Vorwurf noch stärker
erhoben worden sein; daher die Schrift Augustin's, die in den zehn ersten
Büchern eine Widerlegung der Vorwürfe der Heiden und eine Widerlegung
des Hei(tenthums selbst gibt, die folgenden Bücher (11 — 22) sind dogma-
tischen Inhalts, aber viel Historisches ist beigemischt. Diese Schrift vom
Gottesstaate, dem der irdische Staat entgegengestellt wird, ist eine gross-
artige Conception, die in reicher Fülle ausgeführt wird.
Die polemischen Schriften umfassen den weitesten Umkreis und sind
ü})erhaupt die zahlreichsten: Augustin fühlte sich in seinem Gewissen ver-
I)fiichtet, die Irrthümer und Verkehrtheiten der Manichäer, zu denen er
einst Manche verführt hatte, zu widerlegen; das that er seit dem Jahre 388
in einer Reihe von Schriften. Wir heben hervor de titilitate credendi an
Honoratus gerichtet, der sich von den Manichäern hatte fangen lassen und
den Kirchenglauben verspottete, so wie die Schrift gegen jenen bei den
Manichäern so hoch angesehenen Bischof Faustus. Die Pelagianer und
Semipelagianer bekämpfte er in vielen Schriften, zugleich die eigenen
Ansichten über die streitigen Punkte darlegend, ebenso die Donatisten.
Er schrieb noch gegen die Priscillianisten und Origenisten und Aria-
ner und gab in der Schrift de haeresihus eine gedrängte Uebersicht über
alle bis zu seiner Zeit aufgetauchten Häresieen.
Die exegetischen Schriften sind bei weitem weniger zahlreich als
die polemischen und auch von ungleich geringerer Bedeutung. Denn Augu-
stin verstand wenig Griechisch und gar kein Hebräisch; daher begeht er
grosse exegetische Verstösse, doch ist es zum Verwundern, wie er in den
dogmatischen Gedankengehalt einzugehen versteht. Diese exegetischen Ar-
beiten erstrecken sich über die Genesis, die Psalmen, Hieb, sodann haupt-
sächlich über einige Bücher des Neuen Testamentes.
Als dogmatische Schriften sind zu nennen, de fide et symholo,
de doctrina christiana, de trinitate, de sjjiritu et litera, de
fide et operihus, das Enchiridion ad Laurentium, de fide, spe et
262 Zweite Periode des alten Katholiciamus.
caritate. Auch eine Anzahl philosophischer Schriften verdanken wir dem
unermüdlichen Geiste Augustinus contra acadentiros, de oita beata,
Soliloquia, de immortalitate animae, de quantitate animae,
de magistro. Zu den erbaulichen und asketischen Schriften rechnen wir
die bereits angeführten Confessiones, wovon die vier letzten Bücher (10—14)
dogmatisch -speculativen Gehaltes sind. Die sermones sind durch inhalt-
reiche Kürze ausgezeichnet. In den 427 geschriebenen retractationes durch-
geht Augustin alle seine bis dahin geschriebenen Schriften und kritisirt sie,
die darin enthaltenen Irrthümer aufdeckend, soweit er sich deren be^Niisst
geworden; denn vieler ist er sich allerdings nicht bewusst geworden.
Die Schriften des P e 1 a g i u s, C o e 1 e s t i u s, Julian v o n E c 1 a n u m, dei*
Semipelagianer Johannes Cassianus und Vincentius Lirinensis werden in der
Geschichte der pelagianischen und semipelagianischen Streitigkeit in Betracht
kommen. x\usserdem führen wir an die sermones Leo's des Grossen,
dem wir in der Geschichte der theologischen Streitigkeiten in der Kirchen-
verfassung noch näher treten werden. S. über ihn: Perthel, Pabst Leo's
Leben und Schriften 1843. Ausserdem ist zu nennen: Salvian, Semipela-
gianer, Presbyter in Marseille c. 440, dessen beide Werke de g übe ma-
tt one Bei und de avaritia für ihre Zeit Bedeutung hatten. S. über ihn:
Z Schimmer, Salvianus und seine Schriften 1875.
Streitigkeiten, die von der griechisch - morgenländischen
Kirche ausgehen.
L Die arianische Streitigkeit und ihre Verzweigungen
(318 — 381) 1).
Aeussere Geschichte der Streitigkeit.
Arius (Jlqeioq), Presbyter in Alexandrien, Schüler des gelehrten an-
tiochenischen Presbyters Lucian, ein weder durch Gelehrsamkeit noch durch
besondere Geistesgaben hervorragender Mann, erneuerte den in der ersten
Periode schon begonnenen Streit über das Verbal tniss des Logos zum Vater,
von demselben Streben wie die alten Mimarchianer ausgehend, die Einheit,
IxovaQxict,' Gottes festzuhalten, aber im Gegensatz gegen die Lehrweise des
Sabellius. Er gerieth darüber seit 318 in Streit mit seinem Bischöfe Ale-
xander. Dieser forderte ihn auf, sich von seiner Lehre loszusagen. Als er
sich dessen geweigert, wurde er durch eine Provincialsynode in Alexandrien,
woran ungefähr hundert egyptische und libysche Bischöfe Theil nahmen, aus
der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen 321. (Jircularschreiben an die an-
gesehensten Bischöfe enthielten die llechtfertigung dieses Schrittes und die
Verdammung der arianischen Lehre. Durch diesen Schritt wurde Arius ver-
anlasst, seine Meinungen in weiteren Kreisen zu verbreiten. Diess that er
in der Thaleia, aus Versen und Prosa bestehend. Auch Lieder für Müller
1) S. das angeführte Werk von Moehler über Athanasiüs und Koelling, Ge-
schichte der arianischen Häresie. 1874.
Die arianiscfie Streitigkeit. 263
und Schiffsleute damals verfertigt, sollten seine Lehre unter das Volk brin-
gen. Vergebens bemühten sich zwei angesehene Bischöfe, Euseb, Bischof
von Nikodemien und Euseb, Bischof von Cäsarea in Palästina, einen Ver-
gleich zwischen Arius und seinem Bischöfe zu Stande zu bringen. Es half
nichts, wenn dieser Euseb den Streitenden zurief: ;,wer w^eiss, wie sich die
Seele mit dem Körper verbindet und ihn verlässt, und wir wagen es, das
ewige Wesen der Gottheit zu erforschen? Christus spricht, wer an mich
glaul)t, der hat das ewige Leben, nicht wer da wisse, wie er vom Vater
erzeugt wT)r(len. Wäre das letztere der Fall, so könnte Niemand zum Leben
gelangen.'^ Die Kirche weit und breit theilte sich zwischen Alexander und
Arius. Die Heiden nahmen davon Anlass, auf ihren Theatern das Christen-
thnm zu verspotten. Keiner empfand über diesen Streit tieferen Verdruss
als Kaiser Constantin, dem nichts mehr am Herzen lag, als dass Geistliche
und Laien einträchtig und im Frieden mit einander lebten. Ohne alle Kennt-
niss der Tragweite der aufgeworfenen Streitfragen, schrieb er an Bischof
Alexander und an Arius, sie möchten doch über dergleichen geringfügige
P'ragen nicht mit einander zanken, besonders sie nicht unter das Volk brin-
gen, sie sollten sich vereinigen im Glauben an Eine Vorsehung {nqovoia)
und sich als Brüder anerkennen, sie möchten ihm heitere Tage und sorglose
Nächte zurückgeben (Sokr. i, 7). Dieser Brief war freilich nicht geeignet,
den Frieden wieder herzustellen; auch unter den Laien mehrte sich der
Streit. P^ine andere Streitfrage beschäftigte die Gemüther, betreffend die
Zeit der Osterfeier. Die Streitenden schlössen zwar einander nicht von der
Kirchengemeinschaft aus ; aber durch den Mangel an Uebereinstimmung wurde
die Heiterkeit des Festes getrübt.
Um diese beiden Streitpunkte zu erledigen, berief der Kaiser aus allen
Theilen des Reiches die Bischöfe zu einer Kirchenversammlung nach Nicäa in
Bithynien 325; es war die erste der sogenamiten ökumenischen Synoden.
318 Bischöfe waren anwesend, wovon einige Kirchen ausserhalb des römischen
Reiches vertraten. Unter ihnen waren solche, welche an ihrem Leibe die
Zeichen der erlittenen Verfolgungen und Leiden trugen (Theodoret H. E. 1, 7).
Es fehlte der Bischof von Rom, der wiegen Altersbeschwerden ausgeblieben;
einige rCnnische Presbyter vertraten seine Stelle, doch ohne den Vorsitz zu
führen, wie Hefele vormuthet. Der amvesenden Presbyter, Diakonen imd
niederen Geistlichen war eine unzählbare Menge. Als die Bischöfe sich zur
Eröfthung der Synode versammelt hatten, trat Constantin unter sie, die noch
standen , und wollte nicht eher sich niederlassen, als bis sie ihm einen Wink
gegeben. Nun ergriff der Kaiser zuerst das Wort und ermahnte zur Einig-
keit. Es gab allerdings grosse Verschiedenheiten in der Versammlung. Arius
hatte zwar wenige Anhänger, die ihm in allen Sätzen beipflichteten. Ale-
xander hatte deren mehrere, und ausserdem war er unterstützt durch den
bedeutendsten Mann in der Versammlung, den Diakonus Athanasius. Die
meisten mochten aber zwischen den streitenden Parteien am liebsten die
Mitte halten. Doch diese Mittelpartei, an deren Spitze die beiden Eusebe
standen, war an Talent und Folgerichtigkeit der Ansicht dem Athanasius
durchaus nicht gewachsen. Es gelang diesem, der Versammlung klar zu
machen , dass die Lehre von der Wesenseinheit Christi mit dem Vater nichts
2ß4 Zweite Periode des alten Katholicismua.
Anderes als der alte christliche Glaube sei. Dadurch wurde der Kaiser be-
wogen, der Partei des Alexander und des Athanasius beizutreten, in der
Hoflnung, die Eintracht unter den Bischöfen herzustellen. Sogar Euseb von
Cäsarea, nachdem das von ihm vorgeschlagene Symbol, weil darin der Aus-
druck ofioovaiog fehlte, verworfen worden, unterzeichnete das von der Sy-
node genehmigte Symbol (iia^rnia), sich stützend auf eine vage Erklärung
des ofjLoovffiog. Dasselbe thaten viele andere Bischöfe um des Friedens
willen oder aus Furcht vor dem Kaiser. Selbst eifrige Anhänger des Arius,
Euseb, Bischof von Nikomedien, und Theognis, Bischof von Nicäa, unterschrie-
ben das Symbol, aber nicht die Verdammung des Arius und seiner Anhänger.
So erklärten sich zuletzt nur zwei Bischöfe unbedingt gegen das Symbol,
Theonas von Marmaryca in Libyen und Secundus, Bischof von Ptolemais;
sie wurden, wie Arius, exconnnunicirt , abgesetzt und verbannt. Auch die
Bischöfe Theognis und Euseb von Nikomedien wurden drei Monate nach
Schluss des Concils nach GaUien verwiesen.
Doch damit war der Streit keineswegs beendigt, wie Constantin sich
einbildete, sondern nur das Zeichen gegeben zu einer mehr als fünfzigjähri-
gen Fortsetzung desselben.
Das Concil von Nicäa hatte nändich fortwährend viele heimliche Geg-
ner. Der Kaiser selbst wurde durcli einen eusebianisch gesinnten Presbyter,
welchen ihm seine Schwester sterbend empfohlen hatte, zu milderen Mass-
regeln gegen Arius bewogen. Auf Grund eines in allgemeinen Ausdrücken
sich haltenden Glaubensbekenntnisses wurde er 328 oder 329 zurückberufen;
er bat den Kaiser, dahin zu wirken, dass die überflüssigen Streitigkeiten
aufhörten und dass bald alle Gläubigen in Eintracht für den Frieden der
Kirche und die Wohlfahrt des Kaisers und seiner Familie beten kiinnten.
Auch die Bischöfe Theognis und Secundus wurden zurückberufen. Mittler-
weile war Bischof Alexander von Alexandrien gestorben , der sterbend Atha-
nasius als seinen Nachfolger bezeichnet liatte. Von nun an entfaltete dieser
seine glänzende aber immerfort angefochtene Thätigkeit zur Widerlegung des
Arianisnuis und zur Vertheidigung des nicänischen Bekenntnisses. Mit stren-
ger Folgerichtigkeit und unter beständig sich erneuernden Stürmen haiTte
er heldenmüthig aus und erwarb sich selbst die Achtung derjenigen Kaiser,
die ihm entgegenstanden. — Bald erhielt er Befehl, Arius wieder in die
Kirchengemeinschaft aufzunehmen, welchem Befehl er sich jedoch nicht fügte.
Constantin, dem man beigebracht, dass kein Friede möghch sei, so lange
Athanasius nicht beseitigt worden, opferte ihn auf; eine vom Kaiser nach
Tyrus berufene Synode entsetzte ihn seines Amtes, worauf ihn Constantin
nach Galhen verwies 335 — diess Alles auf Grund anderer Beschuldigungen, u. a.
wegen seines harten Verfahrens gegen die schismatischen Meletianer. Da-
mals wurden noch andere nicänisch gesinnte Bischöfe verbannt. Arius selbst
war nahe daran, nachdem er bereits in Jerusalem in die Kirchengemeinschaft
wieder aufgenommen worden, in Constantinopel einen glänzenden Triumph
zu erleben. Am Tage jedoch, bevor er auch in Constantinopel in die Kirche
wieder aufgenommen werden sollte , gab er unter heftigen Leibesschmerzen,
t)ie arianische Streitigkeit. 265
verbunden mit Ausschütten der Eingeweide den Geist auf i) 336. Im folgen-
den Jahre starb Constantin.
Die drei Söhne des verstorbenen Kaisers, Constantin IL, Consta n-
tius und Constans, wovon die zwei zuerst genannten den Orient be-
herrschten, Constans den Occident, hatten eine Zusammenkunft in Panno-
nien, wo sie sich über die Mittel, den Frieden in der Kirche herzustellen,
beriethen und zu dem Entschlüsse kamen, die vertriebenen Bischöfe zurück-
zurufen. So konnte Athanasius nach Alexandrien zurückkehren, wo er von
Geistlichkeit und Volk mit grosser Freude aufgenommen wurde. Indessen
war er fortwährend dem Hasse der eusebianischen Partei ausgesetzt, welche
den gewandten und unerschütterlichen Gegner fürchteten. Gerade diese
Partei gewann die Gunst des Kaisers Constantius, und dieser wurde nach
dem Tode seines Bruders Constantin IL Beherrscher des ganzen Morgen-
landes. Mit Constantin IL fiel der eifrigste Beschützer des Athanasius, der
sich nun neuen Angriffen ausgesetzt sah. Er wurde wieder abgesetzt und
au seine Stelle Gregor aus Kappadocien gewählt. Vergebens versuchten die
Eusebianer, den römischen Bischof für sich zu gewinnen und gegen Athana-
sius zu stinmien; denn mit einigem Rechte hegte er den Argwohn, dass die
von der eusebianischen Partei vertretene Lehre nicht viel besser sei, als die
des Arius. Um sich in des römischen Bischofs Augen zu rechtfertigen, be-
riefen sie eine Kirchenversamndung nach Antiochien 341. Unter dem vor-
herrschenden Einflüsse des Euseb von Nikomedien wiuxlen vier verschiedene
Unionsformeln genehmigt, welche die Basis einer Vereinigung mit den Ni-
cänern bilden sollten 2j. p',s waren darin das nicänische o^oovcriog sowie die
specifisch arianischen Bestinnnungen ausgelassen. Unterdessen war Gregor,
Nachfolger des Athanasius, in Alexandrien eingedrungen und dieser hatte die
Flucht ergreifen müssen. Er schiffte sich ein nach Rom, mit ihm einige
gleichgesinnte Bischöfe , unter anderen der ebenfalls abgesetzte Bischof Pau-
lus von Constantinopel. Bischof Julius nahm die Flüchtlinge äusserst freundlich
auf und machte ihre Sache zu der seinigen. Er beschied die Eusebianer
nach Rom vor eine daselbst zu haltende Kirchenversammlung, wovon jene
freihch nichts wissen wollten. Die Versammlung fand doch statt, sie hob
das Urtheil der Veitreibung und Absetzung des Athanasius auf, und nahm
von den antiochenischen Formeln keine Notiz. So trennte sich das Abend-
land vom Morgenlande, und der römische Bischof gewann an Bedeutung
und Macht.
Aufs neue unternahmen die beiden Kaiser das schwierige Geschäft, die
1) Die Umstände des Todes werden bei Sokrates 1, 38 und bei Sozom. 2, 30 ver-
schieden erzählt. Nacli Sokrates 1, 37 sah Bischof Alexander von Constantinopel darin
die Erhorung seines Gebetes: wenn Arius die rechte Lehre hätte, so möchte ihm Gott
vor der angesetzten Disputation mit Arius hinwegnehmen; wenn aber er (Alexander) die
rechte Lehre hätte, so möchte Gott Arius bestrafen (?). Athanasius sah zwar in dem
plötzlichen Tode seines Gegners ein Gottesgericht; doch enthielt er sich der Insulten gegen
ihn, indem er sagte, man dürfe über Niemandes Tod, auch wenn er ein Feind sei,
triumphiren, da alle Menschen sterben müssten, und es ungewiss sei, ob nicht jeden bis
zum Abend der Tod ergreifen könne,
2) Bei Hahn a. a. 0. S. 148 ff.
266 %vfeito Periode des alten Katholicismus.
beiden Theile des Reiches zu einigen. Zu diesem ;^wecke beriefen sie auf
das Jahr 343 ^ eine neue allgemeine Synode nach Sardica in lUyrien. Es
erschienen hundert abendländische Bischöfe, an deren Spitze Bischof Ilosius
von Corduba in Spanien, und siebenzig morgenlilndische , begleitet von kai-
serlichen Commissarien. Von Anfang an stiessen die Verhandlungen auf
unüberwindliche Schwierigkeiten. Die abendländischen bestanden darauf, dass
das 6[iodv(Ttog nicht weiter in Verhandlung komme, da alles dahin gehörig«}
bereits in Nicäa festgesetzt worden. Sie forderten eine neue Untersuchung
der Sache des Athanasius, davon wollten aber die morgenländischen Bischöft;
nichts wissen, und da diese sich überhaupt einer abendländischen Ueber-
macht von Anhängern des Athanasius gegenüber sahen, gaben sie vor, dass
die Festlichkeiten zu Ehren des Sieges der kaiserlichen Waffen über die
Perser sie nach Hause riefen; sie verliessen Sardica, fanden sich aber für
etliche Tage in PhihppopoUs in Thracien zusammen und erliessen von da, als
ob sie die ganze Synode vorstellten, ein Synodalschreibcn, worin die alten Be-
schuldigungen gegen Athanasius wiederholt wurden. Auf einer neuen antio-
chenischen Synode bekannten sie sich 344 in der sogenannten exd^effig fia-
xQO(Ttixog (langzeihg) von neuem zu der Bestimmung der vierten antioche-
nischen Formel, eben so auf der ersten Synode von Sirmium in Niederpan-
nonien 351. An die Stelle der nicänischen Wesensgleichheit setzten sie aber
die Wesensähnhchkeit , — darin lag eine gewisse Annäherung an das nicä-
nische Symbol (Hahn, S. 155). Was die abendländischen Bischöfe betrifft, so
trennten sie sich in Sardica nicht, ehe sie Athanasius aufs neue für unschul-
dig erflärt und einige arianisch gesinnte Bischöfe des Abendlandes excommu-
nicirt hatten, welche Beschlüsse durch Synodalschreiben der ganzen Kirche
mitgetheilt wurden.- In einem eigenen Schreiben wurde die Gemeinde in
Alexandrien ermahnt, im katholischen Glauben auszuharren — und in der
Anhänglichkeit an ihren Bischof Athanasius. So war das Ende dieses neuen
Unionsversuches eine grössere Trennung beider Theile der Kirche. Viele
nicänisch gesinnte Bischöfe aus dem Morgenlande lebten in der Verbannung,
ihre Gemeinden waren in Trauer versenkt.
Constantius fühlte aber die Nothwendigkeit, den Riss nicht zu gross zu
machen. Sein Bruder Constans lag ihm an, Athanasius und andere Bischöfe
zurückzurufen; im Falle der Weigerung drohte er, ihn selbst wieder einzu-
setzen. Ueberdiess flösste die Zahl der Bischöfe, die in Sardica sich für
Athanasius ausgesprochen, dem Constantius unwillkürlich Achtung ein. Mehr
und mehr kam es an den Tag, dass die Eusel)ianer gegen Athanasius und
die nicänische Partei im Morgenlande lügenhafte Beschuldigungen vorge-
bracht. Das Alles bewog den Kaiser nach dem Tode des Gregorius Atha-
nasius zurückzurufen und einige andere Bischöfe (349). Indessen war dadurch
Ruhe und Frieden nicht hergestellt. Der dogmatische Streit währte fort und
hielt die Gemüther in Bewegung. Die Beschuldigung der Eusebianer, die-
selbe, worauf auch Arius sich gegründet, dass die Annahme der Wesens-
einheit zum SabelUanismus führe, schien damals eine Art von Bestätigung
zu erhalten. Einer der eifrigsten Vertheidiger des nicänischen Glaubens,
1) Nach Hefele 1, 15 ist dies die richtige Zeitbestimmung, nicht aber die bisherige.
Die arianische Streitigkeit. Ö6Y
der in Nicäa nebst Athanasius das meiste für Feststellung der Wesensein-
heit gethan, machte sich der Läugnung des Unterschiedes zwischen den
Personen der Trinität verdächtig. Es war Marc e Uns, Bischof von Ancyra
in Galatien. Schon im Jahre 336 hatten sich die Eusebianer gegen ihn erklärt,
ihn excommunicirt und abgesetzt. Im Abendlande dagegen fand er liebreiche Auf-
nahme und wurde vom rinnischen Bischof so wie von der Synode zu Sardica für
rechtgläubig erklärt. Er hatte für seine Ansichten Photinus, Bischof von
Sirmium, gewonnen, der weiter gegangen als sein Meister; nachdem mehrere
abendländische Synoden seine Lehre verworfen, entsetzte ihn die erste Sy-
node von Sirmium 351 seines Amtes. Dess ungeachtet sahen die Eusebianer
die Lehre des Photinus nur als folgerichtige Entwicklung der nicänischen
Lehre an und bearbeiteten in diesem Sinne den Kaiser; sie fanden um
so günstigeres Gehör, als sie sich ziendich kriechend benahmen, indess
die Nicäner nothgedrungen eine Kampfstellung annahmen. Diesen traten
auch politische Verhältnisse hindernd entgegen. Constans starb 350. Nach-
dem der Usurpator Magnentius, der Constantius das Abendland streitig
gemacht hatte , 353 besiegt, worden , war dieser fortan Beherrscher des gan-
zen römischen Reiches.
Da nahm er den Plan wieder auf, den Eusebianismus im ganzen Reiche
zur Herrschaft zu bringen, — dazu angetrieben durch eusebianische Geist-
liche, besonders durch Ursacius, Bischof von Singidunum in Moesien und
Valens, Bischof von Mursa im Pontus, niederträchtige Menschen, welche
den Kaiser vorwärts trieben und zugleich seinen Befehlen blindlings gehorch-
ten ^). Ehe er es unternahm, Athanasius von seinem bischötiichen Sitze zu
vertreiben, suchte er die abendländische Kirche dahin zu bringen, dass sie
ihn als der bischötiichen Würde verlustig erklärte, mithin die Beschlüsse
von Sardica aufhcibe. Zu diesem Zwecke wurden hauptsächhch von Ursacius
und Valens neue, grundlose Beschuldigungen gegen ihn vorgebracht: er habe
den seligen Kaiser Constans aufgestiftet, so dass er seinen Bruder mit Krieg
bedrohte; er habe mit dem Usurpator Magnentius Verbindung gehabt. Auf
die Bitten des römischen liischofs Liberius, der hoffte, dass eine Versamm-
lung von Bischöfen mehr Muth zeigen würde, als die Bischöfe einzeln ge-
nommen, berief der Kaiser nach Arelate (Arles) in GaUien eine neue Kir-
chenversamndung im Jahre 353. Des Liberius wohlmeinende Berechnung
bewies sich aber als uniichtig. Der in Person anwesende Kaiser brachte
durch seine Drohungen die Biscli(">fe dahin, dass sie, selbst die päbstlichen
Gesandten, die Verurtheilung des Athanasius unterschrieben, mit alleinigei
Ausnahme des Bischofs Paulinus von Trier, der nach Phrygien verwiesen
wurde und daselbst starb. Liberius, der sehr ungehalten war über den
Abfall seiner Gesandten, forderte durch eine eigene Gesandtschaft vom Kai-
ser Constantius eine neue Kirchenversammlung. Dieser berief sie im Jahre 355
nach Mailand. Ungefähr dreihundert abendländische Bischöfe trafen daselbst
ein, sehr wenige aus dem Morgenlande. Bald entspann sich ein lebhafter
1) Sie waren früher dem nicänischen Bekenntnisse beigetreten und hatten die
gegen Athanasius vorgebracliten Beschuldigungen zurückgenommen, Sokrates 2, 12.
268 :2weite Periode des alten Katholicismus.
Streit zwischen den zwei Parteien. Die einen forderten die Beistimmung zur
Verurtheilung des Athanasius, die anderen die Unterschrift des nicänischen
Bekenntnisses. Die meist nicäniscli gesinnten Einwohner von Mailand
geriethen darüber in Unruhe; man fürchtete einen Tumult in der Kirche,
wo die Bischöfe sich versammelten. Der Sicherheit wegen wurde die Ver-
sammlung in den kaiserlichen Palast verlegt. Der Kaiser verlangte von deu
Bischöfen die Zustimmung zu der Absetzung des Athanasius; wollten sie
nicht einwilligen, so würden sie in die Verbannung geschickt werden. Sie
hoben die Hände gegen den Himmel empor und baten den Kaiser, die
kirchlichen Verhältnisse nicht zu zerrütten, die welthche römische Gewalt
und die geistliche Verwaltung nicht unter einander zu vermengen. Ihre Bitten
waren vergeblich, die meisten Bischöfe gaben zuletzt nach und unterschrie-
ben die Verurtheilung des Athanasius; sie thaten es in dem Sinne, dass
dadurch die einzige Bedingung, unter welcher die Herstellung des Friedens
möglich war, erfüllt wurde, und trösteten sich damit, dass die Verurtheilung
nicht die Lehre, sondern nur die Person des Mannes betraf. Die weni-
gen, welche ihre Unterschrift verweigerten, mussten ins Exil wandeni; es
befanden sich darunter die ausgezeichnetsten Geistlichen des Abendlandes.
Lucifer, Bischof von Cagliari auf der Insel Sardinien, der sich in den vor-
ausgehenden Verhandlungen zwar durch unerschrockene Freimüthigkeit, aber
auch durch Unehrerbietigkeit ausgezeichnet hatte, kam nach Germanicia in
Syrien, Eusebius von Vercelli nach Scythopolis, Dionysius von Mailand nach
Kappadocien. Seine Stelle erhielt Auxentius, der kein Wort lateinisch ver-
stand. Liberius von Eom, welcher der Synode niclit beigewohnt hatte, er-
hielt die Aufforderung, sich den Beschlüssen derselben zu unterwerfen. Auf
seine Weigerung wurde er gefangen genommen, und zuerst nach Macedonien,
darauf nach Syrien verbannt. Der an das kaiserliche Hoflager berufene,
beinahe hundertjährige Bischof Hosius von Corduba verweigerte seine Unter-
schrift und durfte dennoch in sein Bisthum zurückkehren. Briefe und Ge-
sandte sollten ihn umstimmen. Bei diesem Anlasse schrieb er an den Kaiser
einen Brief solchen Inhalts, dass nur zu beklagen ist, dass er demselben gegen
Ende seines Lebens nicht getreu geblieben. Er wurde damals nach Sirmium
verbannt. Hilarius von Poitiers, durch Tiefsinn, Gelehrsamkeit so wie
durch festen Charakter gleicherweise ausgezeichnet, sprach sich gegen Con-
stantius ebenfalls mit aller Freimüthigkeit aus und erklärte sich insbesondere I
gegen erzwungenen Gehorsam, gegen abgenöthigte Glaubensbekenntnisse. !
Angeklagt, dass er sich seines Ansehens bediene, um Aufruhr anzustiften, |
wurde er nach Phrygien verwiesen, wo er sein Werk über die Dreieinigkeit \
schrieb. Noch andere Bischöfe wurden veitrieben , Bischof Paulus von Con-
stantinopel sogar erwürgt, der nicänisch gesinnte Theil seiner Gemeinde
durch Martern zum Abfalle vom Glauben gezwungen; dasselbe gescliah an
anderen Orten.
Doch das Alles war ungenügend, so lange Athanasius in Alexandrien
verweilte. Während dem von allen Seiten die Gewitterwolken sicli um ihn
sammelten, betrieb er mit rastlosem Eifer die geistliche Sorge für sein Bis-
thum. Er war beschäftigt mit der Besetzung der Bisthums von Hermopolis;
dem neuerwählten Bischof Drakontius, der sich in Betracht der gefahrvollen
Die arianisclie Streitigkeit. 269
Zeitumstände weigerte, die Wahl anzunehmen, sprach er Muth ein: ;,es
geziemt dir nicht zu fliehen, jetzt ist die Zeit, deinen Eifer für Christum
zu zeigen.^ Bald hatte er Anlass, mit seinem Beispiele dem Manne voran-
zugehen. Kaiserhche Bevollmächtigte stellten sich in Alexandrien ein, sie
befahlen dem commandirenden General, seine Pflicht zu thun, worauf dieser
dem Athanasius befahl, die Stadt zu verlassen. Er versprach, dem Befehle
Folge zu leisten, sobald man ihm den kaiserlichen Befehl eingehändigt ha-
ben würde; denn er wollte sich darauf berufen können. Es wiu^de sein
Begehren nicht erfüllt, aber Gemeinde und Klerus legten Fürbitte für ihren
Bischof ein ; und so wurde damals der Sturm beschwichtigt. Aber schon
nach zwanzig Tagen brach er los. Während eines Nachtgottesdienstes, da
die Kirche gedrängt voll war, wurde sie von fünftausend Mann umstellt, die
eingednmgenen Krieger näherten sich dem Hintergrunde der Kirche, wo
Athanasius auf seinem bischöflichen Thron sass und den Gottesdienst leitete.
Endlich musste er die Kirche verlassen, um nicht in die Hände der Solda-
teska zu fallen. Er floh zuletzt bis nach Aethiopien. In seiner Verbannung
schrieb er eine Apologie, worin er die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen
widerlegte. An seine Stelle kam Georgius — und so wurden auch an vielen
anderen Orten die nicänisch gesinnten Bischöfe durch eusebianische ersetzt.
Ueberall Unordnung, Aergerniss, auch grausame Behandlung der nicänisch
Gesinnten.
So hatten die Gegner des nicänischen Bekenntnisses die Oberhand ge-
wonnen. Aber ihr Sieg gab auch das Zeichen zum Anfange ihrer Nieder-
lage. So wie sie die gemeinsame Opposition gegen das nicänische Bekennt-
niss nicht mehr zusammenhielt, traten ihre inneren Diflerenzen mehr hervor.
Es zeigte sich eine kleine Partei der strengen Arianer, deren Häupter
Aetius, eine Zeitlang Arzt in Antiochien, darauf Diakonus daselbst und in
Alexandrien, Acacius, Bischof von Cäsarea in Palästina, ein Mann von
schwankender Ueberzeugung , und Eunomins, eine Zeitlang Bischof von
Cyzicum, zum Theil noch über Arius hinaus gingen, Anomoeer genannt, weil
sie lehrten, der Sohn sei dem Vater dem Wesen nach unähnhch, auch Exuk-
ontier, weil sie mit Arius lehrten, der Sohn sei e^ dvx ovtcov geschaffen
worden. Ihnen stand entgegen die andere antinicänische Partei, die grosse
Mehrzahl der Antinicäner, Homoeusiasten genannt, öfjioiovcnaa^ai, weil
sie lehrten, der Sohn sei dem Vater ähnlich dem Wesen nach (xat' ovciav),
Semiarianer, auch Macedonianer genannt. An ihrer Spitze standen Ba-
silius, Bischof von Ancyra in Galatien, und Georgius, Bischof von Lao-
dicea in Phrygien; zu ihnen hielt Kaiser Constantius.
Eine Partei am Hofe wirkte ihnen entgegen, an deren Spitze die
Bischöfe Ursacius und Valens standen. Sie stellten einen Kunstgriff an, um
die Differenz zwischen den Anomoeern und den Semiarianern zu verdecken.
Sie stellten nämlich dem Kaiser vor, alle die leidigen Streitigkeiten seien
durch das Wort ovffia veranlasst worden. Werde dieses Wort beseitigt, so
werde der Friede in die Kirche zurückkehren. Das Wort ovcm komme
übrigens in der Schrift gar nicht vor; ohnedem überstiegen die Bestimmungen
über das, was zum Wesen Gottes gehöre, die menschhche Erkenntniss. Auf
der zweiten Synode von Sirmium, 357, wurde ein in diesem Sinne abgefasstes
270 Zweite Periode des alten Katholicismua.
Glaubenbekenntniss augenomiiien. Der ehrwürdige Ilosius Hess sich zur Un-
terschrift desselben bewegen , ebenso Bischof Liberias von Rom , der sogar
in einem Schreiben an Bischof Valens seine Zustimmung zur Verurtheilung
des Athanasius bezeugte.
Dagegen regte sich nun die semiarianische Partei. Basilius versam-
melte 358 eine Synode in Ancyra, welche den semiarianischen Lehrbegriti
in einem weitläufigen Synodalschreiben festsetzte (Ei)ii)hanius haereses 73,
§. 2 — 11), die Formel der zweiten sirmischen Synode verwarf und dagegen
die Formel der ersten sirmischen Synode aufstellte. Seitdem kam der Name
Semiarianer für sie auf, die Benennung Homoeusiasten , ö^oiovtriaatai,
bildet den Gegensatz gegen die Benennung der Nicäner, fhmiousiasten,
6fjioov(Tia(Ttat. Als Constantius V(m diesen neuen Bewegungen hörte, be-
schäftigte er sich aufs neue angelegentlichst damit, es wurde ihm klar, dass
die zweite Synode von Sirmium die Anomoeer begünstige; daher liess er so-
gleich in Sirmium selbst , seinem derzeitigen Aufenthaltsorte, eine Synode, di(^
dritte Synode von Sii'mium 358 halten, welche über die Formel der zweiten
Synode von Sirmium hinausgieng und die Aehnlichkeit des Sohnes mit dem
Vater xata navta aufstellte, somit sich der WesensähnUchkeit näherte, da
man mit dem navxoL auch die ovaia sich denken konnte. Doch schloss
dieselbe Synode den Ausdruck ovtJia als nicht in der Schrift enthalten
förndich aus. Um Alles in Ordnung zu })ringen, beschloss der Kaiser die
Berufung einer neuen ökumenischen Versamndung. Da aber die arianisiren-
den Bischöfe eine solche zu fürchten hatten, so wirkten Ursacius und Valens
dagegen. Sie brachten es dahin, dass die Orientalen in Seleucia in Isau-
rien, die Occidentalen in Ariminum, dem heutigen Rimini, sich versannneln
sollten. Sodann unterhandelten sie mit den Häuptern der semiarianischen
Partei, die am Hofe von Sirmium anwesend waren über eine den beiden
Concihen vorzulegende Formel; man vereinigte sich durch gegenseitige Con-
cessionen zu dem Bekenntniss, der Sohn sei in allen Dingen dem
Vater ähnlich, wie die heilige Schrift lehre. Man beredete den
Kaiser, eine solche Formel werde beide Parteien zufrieden stellen. Mit vie-
len Anstrengungen gelaug es, die meisten der auf beiden Concilien anwe-
senden Bischöfe zur Annahme der genannten Fonnel zu bewegen 359, sie
wurde durch ein Concil von Constantinopel 360 bestätigt. Nun aber gab es
neuen Unfrieden, indem viele, welche unterschrieben hatten, von ihrer eige-
nen Partei als Verräther der reinen Lehre verschrieen wurden. In der That
war nicht nur der Homousianisnuis , sondern auch der Homoeusianismus be-
seitigt und die vielen ])isherigen Streitigkeiten schienen in das kläglichste
Resultat hinauszulaufen.
Da starb Constantius 361. Er liess Alles in grossei' Verwirrung, wozu
Ammianus Marcelhnus den Vorwurf hinzufügt, dass er das Postwesen (res
vehicularia) des Reiches durch die vielen Reisen der Bischöfe, die auf
Staatskosten geschahen, fast zu Grunde gerichtet habe. Julian liess alle
Parteien frei gewähren und die vertriebenen Bischöfe zurückkehren (nur
Athanasius nicht). Auch Jovian übte Duldung , ebenso -seine Nachfolger im
Abendlande, Valentinian L, Gratian und Valentinian H., Valens dagegen,
Kaiser des Orients, war eifriger Arianer und verfolgte Nicäner und Semiaria-
Die arianische Streitigkeit und ihre Verzweigungen. 271
ner. Unter diesen Umständen erwarb der nicänische Glaube im Orient mehr
und mehr Anhänger. Der strenge Arianismus unter Valens führte sie , na-
menthch aus den Reihen der semiarianischen, jenem zu. Die Mönche, von
Athanasius begünstigt, wirkten auch in diesem Sinne. Mehrere kleinasia-
tische Synoden erklärten sich für das nicänische Bekenntniss. Eine Gesandt-
schaft derselben reiste im Jahre 368 nach Rom, um ihren Beitritt zu erklären.
Die Nicäner, namentlich Athanasius sahen sie schon längst als Geistesge-
nossen an, von denen sie nur durch einen Wortstreit getrennt seien. Es
gab im Grunde jetzt nur noch zwei Parteien, die Homousiasten , nicänisch
und athanasianisch , und die strengen Arianer, zu denen die arianisirenden
Eusebianer, d. h. dieHomoeer übergingen. Jene Partei war zwar heftig ver-
folgt von Kaiser Valens; aber ihre theologische Ueberlegenheit that sich mehr
und mehr kund, seitdem die grossen kappadocischen Kirchenlehrer Basilius
der Grosse, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa für das ni-
cänische Bekenntniss eintraten, während im Abeudlande die Kaiser \lasselbe
schützten. Unter diesen Umständen durfte sogar Athanasius nach Alexan-
drien zurückkehren. So gross war die Achtung der dortigen Gemeinde gegen
ihn, dass Valens bei längerer Verbanimng desselben einen Aufruhr befürch-
tete. Der viel geprüfte Mann durfte von jetzt an Ruhe geniessen (f 373).
Zu den bisherigen Streitfragen kam eine neue hinzu, betreffend das
Verhältiiiss des heiligen Geistes zum Sohne und zum Vater. Viele Nicäner,
Arianer und Semiarianer stinnnten anfangs darin überein, dass der heilige
(ieist ein Geschöpf und Diener Gottes sei. Man berief sich auf Job. 1, 3.
1 Kor. 8, 6. Athanasius war es, der diese Lehre zu bekämpfen anfing in
der vierten Epistel an Serapion (358 — 360), darauf Gregor von Nazianz und
Basilius Magnus. Die jener Ansicht anhingen , wurden nveviiatoiiaxoi ge-
nannt, auch Macedonianer, v(m Macedonius, dem sendarianisch gesinnten
Bischof von Constantin()i)el f c. 360. Später wurden die Ausdrücke Macedo-
nianer und Semiarianer synonym. Zuletzt nändich war es nur noch die
Lehre vom Geiste, welche die Semiarianer von den Nicänern trennte. Die
Benennung Semiarianer hatte in anderer Beziehung ihre Bedeutung verloren.
Seit 362 fing Apollinarius, Bischof von Laodicea, der jüngere, Sohn
des Presbyters Apollinarius aus Laodicea, ein eifriger Vertheidiger des nicä-
nischen Bekenntnisses und fruchtbarer Schriftsteller, die trinitarischen Resul-
tate christologisch zu verarbeiten an, indem er die Ansicht aufstellte und zu
begründen suchte, dass in Christo der vovq, das nvtv^a die Stelle der ver-
nünftigen Seele vertreten habe. Er trat 375 aus der Gemeinschaft mit der
katholischen Kirche und fing an, eine eigene Sekte zu bilden. Mit ihm,
der 31)0 starb, begann der christologische Streit, wovon später die Rede
sein wird.
So standen die Dinge, als Theodosius zur Regierung gelangte 379.
Selbst nicänisch gesinnt erfuhr er von dem nicänisch gesinnten Bischöfe Acho-
tius von Thessalonich, der ihm damals die Taufe ertheilte, dass im Abend-
lande das nicänische Bekenntniss, im Morgeidande das arianische oder aria-
nisirende bei der Mehrzahl der Gläubigen die Oberhand habe. Noch in
Thessalonich erliess er 380 ein Edict, wodurch der nicänische Glaube zum
272 Zweite Periode des alten Katholicismns.
Gesetz erhoben und die davon Abweichenden niit Strafen bedroht wurden.
Indessen wurden diese Strafen nicht sogleich vollzogen, worüber ihm Gregor
von Nazianz Lob ertheilte; und das sei das Rechte, nicht zu zwingen, son-
dern zu überzeugen. Am Tage vor Weihnachten 380 kam Theodosius ui
Constantinopel an und Hess sogleich dem Bischof Demophilus, dem Haupte
der Arianer, die Frage vorlegen, entweder das nicänische Bekenntniss anzu-
nehmen oder die Kirchen der Hauptstadt zu räumen. Demoi)hilus benahm
sich in dieser Angelegenheit besser als manche Orthodoxe in ähnlichen Fällen.
Er versammelte die Gemeinde und kündigte ihr an, mit Beziehung auf das
Wort des Herrn: wenn sie euch in einer Stadt verfolgen, so fliehet in eine
andere, dass die Gemeinde sich fortan ausserhalb der Stadt versammeln
werde. Ihre Sache gaben jedoch die Arianer noch nicht auf. Sie suchten
durch Männer aus der Umgebung des Kaisers auf ihn einzuwirken. Schon
war dieser geneigt, sich mit Eunomins, der sich in Chalcedon aufliielt, in eine
Unterhaltung einzulassen, allein die orthodoxen Bischöfe in des Kaisers
Umgebung verhinderten es. — An der Spitze der kleinen nicänisch- ge-
sinnten Gemeinde stand Gregor von Nazianz (seit 379). Er sollte nun auf
kaiserlichen Befehl aus der kleinen Kirche Anastasia r)ffentlich und feierlich in
die Kirche der Apostel, damals die Ilaui)tkirche der Stadt, eingeführt wer-
den. Es geschah unter grossem Zulauf der arianisch gesinnten Bevölkerung ;
der Sicherheit wegen war die Apostelkirche militärisch besetzt. Der Kaiser
selbst führte den Zug, ihm zur Seite Greg(u-, von Krankheit heimgesucht,
mühsam sich fortschleppend, beide von Bewaffneten umgeben. Fortan war
das nicänische Bekenntniss das herrschende. In der Freude über den erhal-
tenen Sieg hatten die Versammelten nur noch einen Wunsch, den sie bald
mit lautem Getümmel zu erkennen gaben, dass der Kaiser ihnen Gregor
zum wirklichen Bischof gebe. Dieser aber konnte sich nicht entschliessen,
das Bisthum anzunehmen.
Theodosius, um die allgemeinen Angelegenheiten der Kirche vollends
in das rechte Geleise zu bringen und auch über das Bisthum seiner Haupt-
stadt feste Anordnungen zu treffen, berief auf das Frühjahr 381 eine Kirchen-
versammlung nach Constantinopel, die als die zweite ökumenische Synode
angesehen wurde, obschon die Zahl der berufenen Bischöfe eine verhältuiss*
massig geringe war. Der Kaiser Hess nänüich die Einladung nur an
solche ergehen, von denen er im Voraus wusste, dass sie sich zum nicä-
nischen Glauben (ofioovciog ntcrtig) bekennen würden. Es stellten sich hun-
dertundfünfzig ein, daher diese Synode auch die Synode der hundertund-
fünfzig genannt wurde; es befanden sich darunter die ausgezeichnetsten
Männer der morgenländischen Kirche, ^Meletius von Antiochien, Gregor von
Nyssa, Amphilochius von Ikonium, Diodor von Tarsus, Cyrill von Jerusalem.
Es wurden auch die Macedonianer eingeladen, sechsunddreissig derselben
erschienen. Man bot vergeblich Alles auf, um sie zur Annahme des nicä-
nischen Bekenntnisses zu bewegen, worauf sie sich wieder entfernten. Von
abendländischen Bischöfen erschien keiner, wie denn die Synode ohne
alle Intervention des römischen Bischofs berufen worden; es waren auch
keine Abgesandte desselben anwesend, die an den Verhandlungen Theil
Pie arianische Lehre. 273
G^enommen hätten i). Meletius war eine Zeit lang Vorsteher der Synode,
Meletius, der im Abendlande kaum als Bischof anerkannt war. Nach dem Tode
desselben führte Gregor von Nazianz auf kurze Zeit das Präsidium der Synode.
Eine der ersten Handhmgen der Versammlung war die Wahl Gregors zum
i^ischof von Constantinopel. Er hatte aber kaum einigen seiner bischöflichen
Pflichten obgelegen, als er um seine Entlassung bat. Er starb 389 oder 390.
Darauf begannen die dogmatischen Verhandlungen. Im Symbol, das
die Synode aufstellte (stjmbolum Nicaeno-Constantinopolitanum) , wurden die
älteren Bestinnnungen von Nicäa beibehalten, nur nicht in derselben Aus-
führlichkeit. Dagegen wurde ein neuer Passus, betreff'end den heihgen Geist,
aufgenommen. Er wird genannt lo xvqiov nach 2 Kor. 3, 17, der lebendig-
machende nach Joh. 6, 63, der vom Vater ausgehende nach Job. 15, 26.
Der Ausdruck ofioovtriog wurde vom heihgen Geiste nicht gebraucht, weil
diese Lehre noch viele Gegner hatte. Es kam hinzu eine Verdammung der
entgegenstehenden Häresieen der Eunomianer, Arianer, Semiarianer oder
Pneumatomachen. Sabellianer, Marcellianer, Photinianer und ApoUinaristen.
Der Kaiser bestätigte diese Beschlüsse und gab nun mehrere Gesetze gegen
die kirchlich verdanunten Häretiker. So war denn die Triuitätslehre in ihren
Grundzügen kirchlich abgeschlossen, durch kirchliche und weltliche Autorität
zum Siege gebracht, zunächst was das Morgenland betrifft. Im Abendlande liess
Valentinian IIL auf Zureden seiner arianisch gesinnten Mutter Justina die
Arianer noch eine Zeitlang gewähren. Doch durch Theodosius umgestimmt,
verfolgte auch er die Arianer. Die letzten Spuren dieser Lehre unter den
Völkern, die zum römischen Reiche gehörten, zeigte sich in Constantinopel
unter dem Kaiser Anasta^ius (491 — 51 8 j. Unter den germanischen Völkern
setzte der Arianisnms noch eine geraume Zeit sein Leben fort.
Nähere Betrachtung der dogmatischen Momente der
arianischen Streitigkeit.
1) Die arianische Lehre 2).
Arius ging aus vom Gegensatz gegen Sabellius und behauptete bis an
sein Ende, dass die gegnerische Lehre uothweudig in Sabellianismus auslaufe..
Er lehnte sich in einigen Stücken an Origenes au, doch so, dass er, nur eine
Seite der Lehre desselben hervorhebend, sie entstellte. Er trug seine Lehre
nicht sogleich ganz entwickelt vor, indem er sich anfangs scheute, sie in alle
ihre Consequenzen zu verfolgen. So nannte er im Anfange den Logos sogar
1) Katholische Schriftsteller haben behauptet, dass der römische Bischof Damasus
die Synode berufen habe und dass er durch seine Stellvertreter anwesend gewesen sei.
Hefele 2, 3. 4 zeigt die Unrichtigkeit dieser Annahme.
2) Quellen: 1) die Epistel des Arius an Euseb von Nikomedien bei Epiphanius;
haeresis 69, Theodoret. bist, eccles. 1, 4. — 2) die Epistel des Arius an Bischof Alexan-
der von Alexandrien, bei Epiphanius 69, bei Athanasius über die Synoden von Ariminum
und Seleucia. — 3) die SaXfia, wovon Fragmente be^ Athanasius in den Reden gegen
die Arianer.
Herzog, Klrchengescbichte I. 18
274 Zweite Periode des alten Katholicismus.
unveränderlich und unwandelbar i). — An die Spitze seiner Lehre setzt er,
gleich wie Sabellius, den er sonst bekämpft, Gott als die absolute Causalität,
so dass das ayappfjtop allein verdient, im vollen Sinne Gott genannt zu
werden. Von da gelangt er zum Begriff der Weltschöpfung, die er durchaus
als Akt der göttlichen Freiheit auffasst, als in keinerlei Weise aus Gott ausge-
flossen. Die Schöpfung aber kann die unmittelbare Thätigkeit Gottes nicht
ertragen, denn Gott an sich kann in keine unmittelbare Berührung mit dem
Endlichen kommen; es geziemt sich auch für seine Würde nicht. Da er die
Welt schaffen wollte, schuf er einen gewissen (iva ttva. Oratio 1, 5), um
uns durch ihn zu erschaffen. Der Sohn ist der Künstler, der vom Vater das
Schaffen gelernt hat. Insofern ist des Arius Lehre über den modernen Ra-
tionalismus weit erhaben. Da die Welt durch den Sohn erschaffen wurde
und seine Thätigkeit musste ertragen können, um von ihm erschaffen zu
werden, so ist er nicht aus dem Wesen des Vaters, nicht wahrer Gott ; sonst
hätte er sich nicht in unmittelbare Verbindung mit der Welt setzen könnet.
Er ist daher mit allen Geschöpfen seiner Natur nach identisch, selbst ein
Geschöpf, (xtiffig, noiri^a}. Sein Vorzug vor den übrigen Geschöpfen be-
stand darin, dass diese durch ihn geschaffen wurden. Da er nun nicht aus
dem Wesen Gottes noch aus einer vorhandenen Materie ist, weil diese ersl,
durch ihn geschaffen worden, so ist er aus nichts (c? ovx ovxtov vnectri.
Gr. 1, 9); er ist nicht von Ewigkeit; es gab eine Zeit, wo er nicht war {riv
Tiote ote ovx riv. Gr. 1, 5); denn nur dem wahren Gotte kommt Ewigkeit
zu. Nicht wahrer Gott, ist er seiner Natur nach beschränkt (Gr. 1, 6); er
kennt Gott nicht genau (axQißcog); er kennt sein eigenes Wesen nicht. Er
wird blos dem Namen nach (ovo^au) Logos und Weisheit genannt, aus
Gnaden ixaqiti) Gott; er ist Gottes Adoptivsohn. Weil er nicht aus dem
Wesen des Vaters ist, ist er seiner Natur nach veränderlich {tqenxog xai
aXXoicoTog tfjv (pvaiv), als solcher seinem Wesen nach Gott fremde, {akXo-
tQiog, ^evog). Durch seinen freien Willen (avte^ovffiov) bleibt er gut, so
lauge er will. Da aber Gott vorher wusste, dass er gut sein und bleiben
würde, gab er ihm auticipireud die Herrlichkeit, die er als Mensch wegen
seiner Tugend nachher hatte. Seine Herrlichkeit ist also der Lohn seiner Ver-
dienste, sein Wandel unter den Menschen seine Prüfungszeit. Er ist durch Theil-
nahme an der Gottheit selbst Gott geworden ({letoxfi ^ccci^ avtog ed^eo-
noiri&ri).
Arius und die Seinen suchten diese Lehre aus der Schrift zu begi'ünden,
und darin zeigt sich das christologische Moment und Interesse derselben.
Aus Spruch Wörter 8, 22 nach der LXX: Er schuf mich (die Weisheit) am
Anfang seiner Wege zu seinen Werken, folgerten sie, dass der Sohn einen
Anfang gehabt, dass er geschaffen worden; aus Kol. 1, 15 {nQtorotoxog
7icjc(Tfjg xTi(T€(og) , dass er, sofern er der erste der Schöpfung ist, zur Schöpfung
gehört; aus Hbr. 1, 4, xgenrcop Ytro^ievog tcov ayysXcop, dass, weil er mit
den Engeln verglichen werde, zwischen ihm und den Engeln nur ein grad-
weiser Unterschied der Vollkommenheit statt finde, dass der Ausdruck y^po-
fispog auf ein Geschöpf hindeute; aus Psalm 44, 7, dass Christus seine Würde
1) so in der Epistel au Bischof Alexander.
Das nicänische Symbol. 275
in Folge seiner Tugend erhalten habe; dieses folgerten sie hauptsächlich aus
Phil. 2, 6—11. Sie beriefen sich darauf, dass Christus das Prädicat ,,gut^^
von sich ablehne, da er sage: Gott allein ist gut, dass er auf die AUwissen-
lieit verzichte Marc. 13, 32, auf die anerschaffene Heiligkeit Joh. 10, 36,
auf die Allmacht, denn er vertreibe die Teufel nicht durch eigene Kraft,
sondern durch Gottes Geist, Matth. 12, 28; seine Auferstehung sei nicht
sein, sondern des Vaters Werk, 1 Kor. 15, 28. Er nenne ausdrücklich den
Vater den allein wahren Gott, Joh. 17, 3. Er habe zugenommen an Alter
und Weisheit, Luc. 2, 52 ; dieses Zunehmen bezog sich nicht auf seine mensch-
liche Natur, sondern auf den Logos, der in ihm die Stelle des menschlichen
Geistes vertrat. Ferner fragten sie: wie kann derjenige, der sich von Gott
verlassen fühlt (Matth. 27, 46) mit Gott eins sein? Paulus nennt ihn 1 Kor.
1, 24 aotpia und dwaniq ^eov ohne Artikel, mithin nicht absolute Weisheit
und Kraft Gottes. Er ist eine von den Weisheiten und Kräften, die Gott
geschaften hat, — wie auch die Heuschrecken (Joel 2, 25) eine grosse Kraft
Gottes genannt werden. Die Stellen, worin von der Einheit des Vaters und des
Sohnes die Rede ist, bezogen die Arianer auf die Willenseinheit, Joh. 14, 10:
ich und der Vater sind eins. Der Sohn ist im Vater, gemäss dem Worte:
in ihm leben, weben und sind wir, Apostelgesch. 17, 28. Jesus sagt: er sei
im Vater und der Vater in ihm, weil er seine Lehre nicht als die seinige
betrachtete — nach dem Arianer Asterius. — Durch gewisse Fragen suchten
die Arianer die Leute in Verlegenheit zu bringen: Er, der da war, hat er
den, der da war, oder der nicht war, geschaften ? Gibt es ein oder zwei
ungeborne, ungeschaffeue Wesen? Und die Weiber fragten sie: hattest du
einen Sohn, bevor du ihn geboren hattest? Es ist offenbar, dass Arius und
seine Anhänger, indem sie den Sabellius bekämpfen, auf ein entgegengesetztes
Extrem gerathen und der Schrift zum Theil Gewalt anthun. Der Logos
Weltschöpfer nach arianischer Lehre erinnert zum Theil an den gnostischen
Demiurg. Es fehlt der wirklich sich offenbarende und sich mittheilende Gott,
und im Christeuthum ist die absolute Religion nicht gegeben, die Versöhnung
der Menschheit mit Gott nicht vollzogen. Auf der anderen Seite ergaben
sich aus den von Arius 'angeführten Bibelstellen, betreffend die menschliche
Natur und Knechtsgestalt des Erlösers, Schwierigkeiten, die irgendwie gelöst
werden raussten, wenn nicht die arianische Lehre oder wenigstens eine sich
ihr sehr annähernde am Ende doch die Oberhand erhalten sollte.
2) Die Synode von Nicäa 325 und das nicänische Symbol.
Es kam zunächst darauf an, die Gottheit des Sohnes festzustellen. Das
geschah in Nicäa, und zwar nur in der allgemeinsten Fassung, denn so viele da-
mit in Verbindung stehende Punkte konnten nicht erläutert werden. Nach eini-
gen Verhandlungen wurde ein Symbol (rj niatig, to fia^r}[ia xmv ev Nixatcc)
angenommen, dem das morgenländische Taufbekenntniss zu Grunde lag, wel-
chem nun die Ausdrücke betreffend die Gottheit des Sohnes und am Schlüsse
einige Antithesen beigefügt wurden ^). Der Arianer Georgius hatte zuge-
1) Bei Athanasius de decretis'^synodi Nicaenae (Thilo I. p. 84), bei Theodoret. H-
E. 1, 12, bei Hahn, Bibliothek der Symbole, S. 105. Münscher-Coeln I. 207.
18*
276 Zweite Periode des alten Katholicismiis.
geben, der Sohn könne ex tov &eov seiend genannt werden, wie alles aus
Gott ist ; daher die Bestimmung ex trjg ovffiag tov ^eov ; diese Bestimmung
sollte auch den Irrthum ausschliessen, dass der Sohn ein Theil des Vatei*s
sei. Der Ausdruck ofioovfTiog war schon längst von den Gnostikern gebraucht,
vielleicht erfunden worden, in dem Sinne, dass mehrere Einzelwesen an einer
ovffta gemeinsam Theil nehmen; so bei den Valentinianern nach Irenäus 1,
5. 1. — Angewendet auf trinitarische Verhältnisse wurde der Ausdruck zum
ersten Male im Schriften Wechsel zwischen den beiden Dionyse, dem Bischof
von Alexandrien und dem Bischof von Rom <). In Nicäa wurde der Ausdruck
von Bischof Alexander empfohlen, von Athanasius vertheidigt, um das festzu-
stellen, dass der Sohn seinem göttlichen Wesen nach keine Aehnlichkeit mit
den Geschöpfen habe, dass er allein dem Vater in allen Dingen öfiotog sei,
dass er aus keiner andern ovcria oder vnoaxaaig sei, insofern auch ungleich-
artige Dinge einander ähnlich sein können, wie Silber und Zinn. Es sollte
gezeigt werden, dass der Sohn eine andre Aehnlichkeit habe als wir, die wir
sie dui'ch Tugend erlangen. Die Arianer gaben auch die Ewigkeit, das aei
des Sohnes zu nach 2 Kor. 4, 11 — ,,denn wir werden immerdar (aei) in den
Tod gegeben.^ Sie gaben dem Sohne das Prädicat unveränderlich, da Paulus
sagt Rom. 8, 35: nichts trennt uns von der Liebe Gottes, wir also auch un-
veränderlich werden. So sollte denn die wahre Aehnlichkeit des Sohnes mit
dem Vater, seine Ewigkeit und Unveränderlichkeit, sein Sein in Gott durch
den Ausdruck ofAoovcriog festgestellt werden. Der betreffende Passus im
nicänischen Symbol lautet so: wir glauben ... an Einen Herrn Jesum Chri-
stum, den Sohn Gottes, gezeugt aus dem Vater als Eingebornen, Gott aus
Gott, Licht aus Licht, wahren Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht ge-
schaffen, gleichen Wesens mit dem Vater, ofioovaiop tto natgi, durch den
Alles geworden u. s. w. Diejenigen aber, die da sagen: es gab einen Mo-
ment, wo er nicht war, und ehe er gezeugt w^orden, war er nicht, oder die
behaupten, dass er aus dem Nichtseienden (e? ovx ovttov) geworden, oder
er sei geschaffen, veränderlich {xQeTctov) oder wandelbar [aUomtov),
belegt die Katholische Kirche mit dem Banne.
3) Der Lehrbegriff des Athanasius.
Der Ausbruch des arianischen Streites fand den Diakon Athanasius
schon gehörig vorbereitet, wie die zwei von ihm fi'üher herausgegebenen
Schriften es beweisen, der Xoyog xata "EXkfjpojv und negi €vav»QMnr](T€(og tov
loyov. Er scheint aber sich mehr dem Sabellius als der Theorie von der
Subordination zu nähern. Es ist ihm mehr um die volle Gottheit des Sohnes,
als um dessen Unterscheidung vom Vater zu thun. Währeiwl des Streites
erhielten seine Ideen eine wesentliche Fortbildung. Die Hauptcpielle sind die
vier Reden gegen die Arianer, die nicht gehalten worden sind; daran reihen
sich einige andere Schriften, eine kurze Darlegung des Glaubens, ex^Eüig
m(Tt€(og, eine bald nach Schluss der nicänischen Synode geschriebene Epistel
1) Marcellus von Ancyra, von Zahn S, 12.
Der Lehrbegriif des Athanasius. 277
Über die nicänischen Decrete, eine andere über die Lehre des Dionysius von
Alexandrien, sodann noch vier Episteln gegen Serapion.
Athanasius gibt eine Kritik der Grundanschauungen des aria-
nischen Lehrbegriffes. Er bezeichnet ihn im Ganzen als eine Neue-
rung, worin er insofern Recht hat, als keiner der vornicänischeu Väter ge-
lehrt hatte, dass der Sohn aus nichts hervorgegangen, dass er anderen We-
sens sei als der Vater. Sodann tadelt Athanasius den Ausgangspunkt des
arianischen Lehrbegriffes, wonach nicht gefragt wird, wie ist Christus, ob-
gleich Gott, Mensch geworden? sondern wie ist er Gott, obgleich Mensch?
Er meint, weil die Arianer von der Menschheit ausgehen, gelangen
sie nicht bis zur Gottheit, diese könne wohl begriffen werden als
Princip ihrer selbst und der Menschheit, diese letzte aber weder als Prin-
cip ihrer selbst noch als Princip der Gottheit, und doch ist diess gerade
die Ursache, w^arum es den Nicänern so schwer wurde, zum vollen Be-
griff der Menschheit Christi zu gelangen. Ferner bekämpft Athanasius den
Satz, dass die Welt Gottes unmittelbares Wirken nicht vertragen kann. Mit
Recht erwidert Athanasius, wenn es sich so verhält, was nützt es, einen Sohn
zu setzen, der die Welt schaffen und doch selbst ein Geschöpf sein soll?
Kann der Sohn, der ein Geschöpf ist, Gottes Wirken ertragen, so kann es
gewiss auch die Welt. Wenn es Gottes nicht unwürdig ist, selbst um die
Haare auf unserm Haupte, um die Sperlinge auf dem Dache zu wissen, so
war es seiner auch nicht unwürdig, uns zu erschaffen. Kann aber die Welt
Gottes unmittelbares Wirken nicht vertragen, so kann es auch der Sohn
nicht, sondern es ist für ihn ein Mittler nöthig, für diesen wieder einer und
so fort ; so wird kein Geschöpf existiren können, weil es immer eines Mittlers
bedarf und jeder Mittler wieder einen Mittler für sich selbst erheischt. —
Soll der Sohn uns mit Gott in Verbindung bringen, so muss er selbst Gegen-
stand des Glaubens sein. Nun aber kann ein Geschöpf nicht Gegenstand des
Glaubens sein, dessen wesenthcher Inhalt das Göttliche ist. Hat aber unser
Glaube neben Gott noch ein Geschöpf zum Inhalte, so erhalten wir zwei
Götter, einen unerschaffenen und einen geschaffenen, zwei Glauben, den einen
an den wahren Gott, den audeni an den geschaffenen Gott. Sofern nun die
Arianer zugaben, dass Christus Gott genannt werde, so erscheint der Aria-
nismus allerdings als eine Art Erneuerung des alten Polytheismus. So sieht
auch Ritter die Sache an. Wiederum, wenn der Sohn ein Geschöpf ist,
so bleibt der Mensch im Tode, weil mit Gott nicht vereinigt. Denn ein Ge-
schöpf kann die Geschöpfe nicht mit Gott verbinden, da es selbst des Ver-
einigenden bedarf ^).
So zeigt Athanasius, dass die ganze Erlösung am Glauben an die Gott-
heit des Sohnes hängt. Wir sollen Gottes Kinder werden. Dazu kann uns
nur der machen, der wii'klich Sohn Gottes ist; unsere adoptive Sohnschaft
setzt in Christo die wirkliche als ihre Ursache voraus. — Vom Fluche, der
auf uns lastet, und der unsere Verbindung mit Gott hindert, können wir nur
durch Gott selbst befreit werden ; Gott muss uns durch sich mit sich versöhnen.
1) Or. 2, 69, ov yttQ xTiff/un Cvyjjnre rn xriü^ara t(o &i(o ^rjiovv xat avTO
10V GVVttTTTOVJa.
278 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Wenn der Mensch soll vergöttlicht werden (^€07ioiei(T&at), so kann es nur durch
Gott geschehen. Der Mensch soll in die göttliche Ebenbildlichkeit eingeführt
werden; das ist nur durch das Urbild möglich, nach dessen Aehnlichkeit wir
von Anfang geschaffen sind. Derjenige, der Gott nur Unvollkommen erkennt,
kann uns Gott nicht vollkommen offenbaren. Bei dem Arianismus kommt es
zuletzt darauf hinaus, dass Christus blos Lehrer und noch dazu ein unge-
nügender Lehrer ist; er soll uns die Sündenvergebung blos ankündigen, dm
durch ein Machtgebot Gottes geschehen; wir bedürfen aber der wirklichen
Erlösung durch unsere Verbindung mit Gott.
Die arianische Formel: '^v no%e oze ovx riv unterzieht Athanasius
einer scharfen Kritik (Or. 1, 11); sie sei absichtlich unbestimmt, um die
Einfältigen zu hintergehen. Es können grammatisch der Vater oder der
Sohn oder die Zeit als Subjekt des Hauptsatzes riv noxe ergänzt werden. Der
Vater könne es nicht sein, da man von ihm nicht sagen könne riv no%e\ der
Sohn könne ebensowenig Subjekt sein. Es wäre ein Widerspruch zu sagen,
der Sohn sei einst gewesen, als er nicht w^ar. Somit bleibe nur die dritte
Ergänzung: es war eine Zeit, wo der Sohn nicht war; das sei falsch. Wenn
der Sohn die Zeiten selbst erschaffen (Hebr. 1, 3), so fällt er nicht selbst in
die Zeit; jene Formel besage also: es war eine Zeit, wo der Ewige nicht
war. Dass aber der Sohn ewig ist, wie der Vater, ergibt sich daraus, dass
er Bild, Abglanz des Vaters ist. Denn, wann hat Gott angefangen, sich selbst
in dem Sohne als in seinem Bilde anzuschauen ? und wie sollte der Vater
sich in einem endlichen Wesen anschauen können V Ist der Sohn ein Geschöpf,
so ist er gewiss nicht das Bild des Vaters. Die arianische Milderung dieser
Formel: der Sohn sei ein Geschöpf, aber nicht wie die übrigen, findet Atha-
nasius betrügerisch, als wenn überhaupt ein Geschöpf wie das andere wäre.
Ist nun auch der Sohn herrlicher als andere Geschöpfe, so ist und bleibt er
doch Geschöpf. Auch ein Stern ist herrlicher als ein anderer; aber des-
wegen kann mau nicht sagen, dass der eine Stern Herr sei, der andere Diener.
Es war aber auch eine Widerlegung der biblischen Einwürfe
der A rianer nöthig. Doch darin gibt sich Athanasius manche Blossen;
wir sehen ab von der Stelle Sprüchw. 8, 23—25, welche, wie bevorwortet,
die Arianer auf den Sohn bezogen, um dessen Ewigkeit zu bekämpfen, wäh-
rend Athanasius sie so wendet, dass er darin die Ewigkeit des Sohnes ange-
zeigt findet, ~ beides ist ohne Grund. Treffend aber weist er die arianische
Erklärung derselben Stellen ab, worin von der Einigung des Vaters und des
Sohnes die Rede ist. Vater und Sohn sind eins durch Gemeinschaft der
Natur und diess begründet Gemeinschaft der Gesinnung, des Willens. Zu
der Stelle Matth. 11, 27 bemerkt er ganz richtig, dass, wenn Christus nur
ein Theil des All wäre, das ihm hier übergeben wird, er nicht der Erbe
des All sein könnte. Ebenso richtig bemerkt er zu der Stelle Hebr. 1, 4,
dass aus dem yeronepog (niedriger als die Engel) kein Gewordensein abzu-
leiten sei. Es wäre derselbe Irrthum, als ob man aus den Worten Psalm 9, 10:
du bist meine Zuflucht geworden, schliessen wollte, dass Gott geworden sei.
Hingegen in die Stelle Philipper 2, 6 kann er sich gar nicht finden, weil sie
zu stark die Subordination des Sohnes unter den Vater aussagt, zu deutlich
der wesentlichen Gleichstellung vom Vater und Sohn widerspricht: Die er-'
Der Lelirbegriff des Ättanasius. 070
höhte Menschheit Christi, wovon die Rede ist, ist ihm auch die gesammte Mensch-
heit. Der Name über alle Namen, den er erhalten, ist der Name Sohn
Gottes, den alle erhalten, die an ihn glauben. Christus in seiner vergöttlich-
ten Menschheit ist als derjenige dargestellt, in welchem alle Erlösten ent-
halten sind, nach Analogie von Apostelgesch. 9, 4, wo der Herr den Verfolger
der Christen mit den Worten anredet: Saul, warum verfolgst du mich?
Or. 1, 40 ff. Aehnlich steht es mit der Erklärung der Worte: warum hast
du mich verlassen? diese Worte spricht Jesus aus unserer Rolle heraus
(ex nQoaooTvov ^fietSQov). Denn er selber ist eins mit dem Vater. Er rief
aber jene Worte aus , weil er die Strafen, die uns gebührten, auf sich ge-
nommen. So machen dem Athanasius auch die Worte: Zeit und Stunde des
Gerichts weiss nur der Vater, keine Schwierigkeit. Der die Zeiten geschaffen
hat, wie sollte der das Ende der Zeiten nicht wissen? Er wusste es als Sohn
Gottes, aber nicht als Mensch. Er sagte es nicht, um uns in der Wachsam-
keit zu erhalten. Besser steht es mit der Auslegung der Worte: ;, warum
nennest du mich gut? Niemand ist gut, als der einige Gott^. Jesus spricht
so nach der Vorstellung jenes Jünglings. Er will sagen, dass das Gutsein
nur Gott, nicht dem Menschen zukomme. Aus dem Zusammenhange ergibt
sich aber, dass Jesus das Gutsein faktisch von sich ausgesagt, indem er un-
bedingte Nachfolge seiner verlangt, was nur unter der Voraussetzung zulässig
ist, dass er gut sei. Am besten spricht sich Athanasius aus über die Worte :
^er nahm zu an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen^^ Wie
sich das Menschliche in Christo immer mehr durch das einwohnende Gött-
liche entwickelt und das Göttliche habe durchscheinen lassen, so habe sich
hiemit die Gottheit immer mehr geoffenbait. Nach und nach sei der Mensch
in Christo ganz vergöttlicht und das Organ geworden, durch welches die Gott-
heit sich ganz habe offenbaren können.
Athanasius suchte auch die arianischen Einwürfe gegen die
nicänische Lehre zu widerlegen. Von diesen Einwürfen war der gewich-
tigste dieser, dass Gott als die absolute Causahtät wesenthch ein ayevprjtov
sei, dass also alles, was an der ayevpijffia nicht Theil habe, nicht Gott sei.
Im Gegensatz dagegen erläutert Athanasius den Begriff der Zeugung, wovon
er alle sinnlichen Vorstellungen streng ausscheidet und ihn definirt als Je-
manden seiner Natur und seines Wesens theilhaftig machen. Daran schliesst
sich der Satz, dass das Gezeugtsein des Sohnes seine Ewigkeit nicht aus-
schliesst. Sowie es zum Wesen des Lichtes gehört, zu leuchten, so wie nie-
mals ein Licht ist ohne Abstrahhiug (anav/afffjka), so ist auch der Vater nie
ohne den Sohn. Es gehört zum Wesen Gottes, Vater zu sein. Damit ist der
Sohn selbst in das Wesen des Vaters versetzt. Die Wirkung hat aufgehört,
der Ursache selbständig gegenüber zu stehen. Damit fällt nun auch dieses
weg, dass es zur Erzeugung des Sohnes eines besonderen göttlichen Willens-
aktes bedui'fte ; daher in dieser Beziehung der Satz aufgestellt wird, dass der
Sohn nicht durch den Willen des Vaters sei ^), was bei Athanasius den Sinn
hat, dass die Zeugung des Sohnes ewig ist, dass das Wesen Gottes ohne den
1) Or. 2, 29, To ytrvjjfAtt ov ßovXi]Get vnoxftrat aXka Tt]S ovümg (ffny
280 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Sohn nicht vollständig gedacht werden kann, so dass dieser nicht mehr etwas
zu Gottes Wesen äusserhch Hinzukommendes ist, — wie im Arianisnms. Die
Arianer machten dagegen geltend, dass, wenn die Zeugung des Sohnes nicht
ein Akt des götthchen Willens sei, Gott unter dem Zwange gestanden, —
was einer deductio ad absurdum gleich kam. — Sei aber die Erzeugung des
Sohnes von Seiten Gottes freiwillig erfolgt, so sei der Sohn ein Geschöpf und
nicht zu des Vaters Wesen gehörig. Athanasius erwidert: ^^Reden die
Arianer von Zwang, weil der Sohn nicht auch nach einem Willensentschluss
gezeugt sein kann, so mögen sie dasselbe auch von Anderem, was zu Gottes
Wesen gehört, sagen, z. B. von seinen Eigenschaften. Besinnt sich Gott etwa
auch, ob er gut sein will ?" fragt Athanasius. Hierin gibt er sich übrigens eim^
Blosse. Denn der Sohn als eine besondere Hypostase der Gottheit gedacht is':
eben nicht einer Eigenschaft Gottes gleich zu stellen. Will man diess thun,
so verfällt man in einen dem sabeUianischen verwandten Irrthum. Was aber
die Freiheit betrifft, so fragt Athanasius mit Recht: ;, besteht sie nur in dei
Möghchkeit der Wahl, im Anderskönnen? Nein, höher als die Wahl steht
die gute Natur^^. Die Arianer, fügt er hinzu, sehen nur das, was der Frei-
heit entgegen steht; das Grössere aber und darüber hinausliegende, das
durch die Natur Gegebene (to aaxa (pvcriv) sehen sie nicht. Der Sohn ist
also Sohn vermöge einer Naturnothweudigkeit, die aber nicht über Gott, son-
dern in Gott hegt und sich mit Gottes Freiheit deckt. So ist also der Vater
nie ohne den Sohn gewesen, weil der Sohn sein Eigenes ist. Sagt man nun,
er sei einst nicht gewesen, so wird der Vollkommenheit des Vaters etwas
entzogen. War der Sohn einmal nicht, so war in Gott nicht ewig die Wahr-
heit; denn der Sohn sagt: ich bin die Wahrheit. Das Ebenbild Gottes ist
nicht ein Gemaltes von aussen, sondern Gott selbst ist dessen Erzeuger, und
sich selbst darin beschauend freut er sich daran ^'. Immerhin gibt es nur
H^a aQXTj, und diese ist der Vater; in ihm, nicht in sich selbst hat der dem
Vater wesensgleiche Sohn den Grund seines Wesens; daher der Vater xat*
i^oxrjp 6 d^sog heisst, avtog 6 ^€0g, der sich selbst genug ist (avtaQxrig).
Aber vom Sohn gilt Alles, w^as vom Vater gilt, mit alleiniger Ausnahme des
Vaternamens (Or. 3, 4). Sonst könnte es nicht heissen: wer den Sohn
sieht, der sieht den Vater. Eben deswegen, weil der Sohn gleichen Wesens i
ist mit dem Vater, hat der Sohn die von Origenes behauptete hypostatische |
Selbständigkeit, daher ovfficodrjg loyog^ ovamdrjg aotpia genannt (Or. c. A. 4, 1). \
So sucht Athanasius die Gottheit des Logos, die hypostatische Selbständig-
keit desselben und auch den Monotheismus mit einander zu vereinigen. Er
weist die Alternative ab, welche die Arianer aufstellten, dass der Logos ent-
weder Gott von Art, aber ohne eigene Hypostase, oder eine besondere Hypo-
stase, aber ohne wirkUche Gottheit sein müsse.
4) Vermittelnde Richtungen. Eusebianer und Semiarianer.
Es war vorauszusehen, dass sich eine Ansicht bilden würde, welche
zwischen den beiden sich schroff entgegenstehenden Lehrformen die Mitte
halten würde. Der nicänische Glaube schien an sich und in der All, wie
Athanasius ihn handhabte, zum Sabellianismus zu führen und einigen Aus-
Dusefeianer und Semiarianei". 2Ö1
sagen der Schrift nicht gerecht zu werden, ja sogar zu widersprechen. Auf
der anderen Seite verletzte der Arianismus das christliche Bewusstsein zu
sehr, als dass er allgemeine Geltung hätte finden können. So entstand eine
vermittelnde Partei, die sich aber im Verlaufe der Streitigkeit in zwei ab-
zweigte, je nach der grösseren Annäherung an Arius oder an Athanasius.
Zunächst begegnet uns hier Euseb von Cäsarea, mit Unrecht von eini-
gen, so z. B. von Hieronymus, zu den Arianern gerechnet, auch nicht, wie
Einige wollten, zur nicänischen Orthodoxie gehörig; sondern sein Lehrbegriff"
hat eine schillernde Gestalt, ein Spiegel der unaufgelösten Aufgaben der
Kirche jener Zeit, wie Dorner sagt.
Euseb schliesst sich vor allem an die Logoslehre des Origenes an; aus
Furcht vor dem Sabellianismus nähert er sich dem Arianismus. Er liebte
nicht dogmatische Bestimmtheit, er drang auf den Gebrauch bibüscher Aus-
drücke, er hatte eine Scheu vor der Metaphysik der sich bildenden trinita-
rischen Schulsprache. Er unterschrieb in Nicäa zuletzt doch das nicänische
Symbol, indem er den Ausdruck o^oovciog in dem Sinne auflasste, dass er
den Sohn als d[ioiov xata navxa natqt darstelle.
Davon ausgehend, dass es nur Ein absolutes Princip, ^iia aqxri^ ev
aidiov. Einen ayeppriTog gebe, setzt er den Sohn als Bild [etxüov) der unge-
wordenen ovaia des Vaters, wodurch dem SabelHus gegenüber die hyposta-
tische Unterschiedenheit, dem Athanasius gegenüber die blosse Abbildhchkeit
anstatt der Wesensgleichheit, dem Arius gegenüber die beiderseitige Gott-
heit ausgedrückt werden sollte. Was nun die Zeugung des Sohnes betrifft,
so lag die Nothwendigkeit derselben nicht im Begriffe der Gottheit, da der
Vater diesen Begriff" schon an und für sich verwirkhcht, sondern der Ur-
sprung des Sohnes steht im Causalnexus mit dem Dasein der Welt; diese
bedurfte eines Hauptes; der Vater konnte es nicht sein, weil seine Gottheit
für die Natur des Erschaffenen zerstörend wäre. Daher Gott, als er die
Welt schaffen wollte, aus sich, vermöge seines Willens den Sohn erzeugte,
der eine Art Mittelwesen zwischen Gott und den Geschöpfen war, zugleich
das persönUche, schöpferische Princip der Welt. Da aber erst mit der Welt
die Zeit gesetzt ist, so folgt, dass er nicht erst in der Zeit gezeugt ist, son-
dern er ist vor allen Aeonen gezeugt, insofern ohne zeitlichen Anlang
{avagxog). Euseb spricht zwar nicht von einer ewigen Zeugung des Sohnes
wie Origenes, aber er kommt nahe an diesen Gedanken. Er ist aus des
Vaters ovaia hervorgegangen. Euseb ertheilt nun dem Sohne die erhaben-
sten Prädicate ; aber inmier hält er fest, dass der Sohn im Vater den Grund
seines Daseins habe, daher ist der Sohn nicht gleicher Würde mit dem Vater.
Er ist ihm untergeordnet und unterworfen. Deutlich ist das Bestreben, die
Subordination mit der Annahme der Gottheit des Sohnes zu vereinbaren.
Euseb ianer {ol neqt Evceßiov häufig bei Athanasius), von Euseb,
Bischof von Nikomedien so genannt, hiessen zunächst alle diejenigen, welche
das nicänische oiioovaiov und die specifisch arianischen Bestimmungen ver-
warfen. Doch schlössen sich sogleich manche arianisch Gesinnte dieser Rich-
tung an; denn sie koimten zugeben, dass der Logos €x &eov sei, wie es
1 Kor. 11, 12 heisse. Alles sei aus Gott. Zunächst kommen hier in Betracht
vier auf der Synode von Autiochia 341 aulgestellte Formeln. Es wird darin
282 Zweite Periode des alten ;fcatiiolicisraüä.
gesagt, dass man weder dem Arius folge, noch sonst irgend eine Neuerung
im Glauben vornehme. Vom Sohne Gottes wird ausgesagt, dass er tiqo
navtMv tcdv amvoav mit dem Vater war, der ihn gezeugt; er wird genannt
liovoyEvriq &€og^ durch welchen Alles geworden, gezeugt aus dem Vater
(nicht €x trjg ovcnag tov rcaxQog) , &eog €x ^eov ^ Xoyog Iwp , aocpia Ewffcc, .
atqemog ytai avaXlomxog , vollkommenes Ebenbild der Gottheit, des We-
sens und des Käthes, der Kraft und Herrlichkeit des Vaters. Folgt Ana-
thema über diejenigen, die da sagen, es habe eine Zeit gegeben, wo der
Sohn gezeugt wurde, die ihn xtt(T[jia aSg kv tatv xTi(7{jbaroov, yevvrina big kv
X. t. L noiriiia «g x. t. L nennen, Anathema über diejenigen, welche sagen,
er sei e^ kteqag vnoatacemg und nicht ex ^eov. Dieselben Bestimmungen
wurden wiederholt von der zweiten Synode von Antiochien 345 in der for-
mula fiaxQO(TTixog , wobei aber zugleich der Gegensatz gegen Athanasius
deutlicher hervorgehoben wird; so wird der Satz verworfen, dass der Vater
den Sohn nicht mit Willen, sondern gezwungen zeugte, sodann wird gesagt,
er sei geschaffen nach Sprüchw. 8, 22, und er sei dem Vater unterworfen.
Wiederholt ist diese Formel in derjenigen der Synode von Philippopolis , und
in derjenigen der ersten Synode von Sirmium.
Die Semiarianer, die ihren zu Ancyra 358 ausgesprochenen Grund-
sätzen treu blieben, die Wesensähnlichkeit festhielten, das ö^oov(7iop nur
im Sinne von tavxovaog, sowie die Wesensunähnlichkeit verwarfen; diese
Semiarianer, welche also sich mehr dem nicänischen Glauben zuneigten, als
die anderen Eusebianer, sie wurden, wie das so zu geschehen pflegt, von
beiden Richtungen, die sie vermitteln wollten, bekämpft. Athanasius hielt
ihnen entgegen, dass von Aehnlichkeit nur in Beziehung auf Eigenschaften die
Rede sein könne, nicht aber so weit sie das Wesen betrifll; dieses sei ent-
weder dasselbe oder nicht. Die Arianer machten gegen sie geltend, dass,
wenn das Wesen des Vaters das Ungezeugtsein sei, das Wesen des Sohnes,
als des gezeugten, dem Wesen des Vaters noth wendig unähnlich sein müsse.
Die genannten Semiarianer näherten sich seit 359 mehr und mehr den Nicänern,
und nahmen das ofioövcriog auf im Sinne von ofioiog xat' e^ovffiap. Athanasius,
so wie er die Lehre Eusebs von Cäsarea nicht als eigentlich häretisch be-
zeichnet hatte, erkannte nun auch die Semiarianer als Brüder an und warf
ihnen nur Uüklarheit vor; es finde zwischen ihnen und den Nicänern ein
Streit statt über den Sinn des Wortes 6fioov(Tiog. Zu diesen Semiarianern
gehörte anfänglich Basihus Magnus, eben so Cyrill von Jerusalem, der, an-
fangs Eusebianer, darauf Semiarianer, endlich sich zum nicänischen Glau-
ben bekannte.
5) Den zwischen Arius und Athanasius mehr oder weniger
vermittelnden Richtungen stehen die extremen Richtungen
beider Parteien gegenüber.
Das Extrem des Arianismus, wie es geschichtlich sich kund gegeben
und Gestalt gewonnen in den Anomoeern und Exukontiem, wurde durch den
Gegensatz nicht blos gegen die Nicäner, sondern auch gegen die vennittelnde
Richtung der Semiarianer hervorgerufen, wirkte nun aber auch dazu mit, dass
die Semiarianer sich mehr und mehr den Nicänern näherten. Unter den drei
Häuptern dieser extremen Partei ragt Eunomins als der bedeutendste her-
LehrbegriJBT des Eunomins und des Marcellus. 283
vor. Sein Lehrbegriff ist zusammengefasst in der sx^ectg nictecog, die er
dem Kaiser Theodosius einhändigte, und wird ausserdem noch erläutert im
Apologeticus i). Eine Abhandlung von Aetius findet sich bei Epiphanius
haeresis 76 §. 10. Diese Arianer nahmen im Gegensatz zu Arius an, 1) dass
die Gottessohnschaft und die Würde als Gott (to sivai vioq ri ^sog) Jesu
zu Theil wurde, nicht in Folge seines Gehorsams, sondern in Folge des
schöpferischen Willens Gottes, 2) dass der Sohn den Vater vollkommen kenne,
wie denn Aetius und Eunomins behauptet haben sollen, dass sie Gott so gut
kennen als sich selbst. Dabei behaupten sie immerhin noch die Gottheit
Christi, nennen ihn Gott, den eingeborenen Gott, d. h. er ist es geworden
durch den Vater 2).
Wenn diese Arianer über den Arianismus nicht hinausgingen, sondern
ihn nur consequent fortbildeten, so lässt sich dasselbe nicht behaupten von
Marcellus und Photinus in ihrem Verhältniss zum nicänischen Bekennt-
niss, und der Vorwurf, den die Arianer und Eusebianer diesem Bekenntniss
machten, dass es consequenter Weise zum SabeUianismus führe, schien durch
die Abwege, worauf jene beiden Männer geriethen, eine Bestätigung zu
erhalten.
Marcellus , Bischof von Ancyra 3) begann mit Bekämpfung der vermit-
telnden Richtung der Eusebianer und Semiarianer in einer verloren gegan-
genen Schrift *). Um die Trennung von Vater und Sohn von Grund aus ab-
zuwehren, scheidet er Alles aus, woran sich diejenigen hielten, die einen
Unterschied von Vater und Sohn und eine Unterordnung des Sohnes unter
den Vater lehrten, d. h. die Begriffe der Zeugung, der Sohnschaft und der
EbenbildUclikeit. Alle diese Begriffe, welche die Nicäner auf das Höhere in
Christo bezogen, wollte Marcellus nur auf die menschliche Seele, auf den
Gottmenschen angewendet wissen, um desto gewisser von der höheren Natur
Christi nichts auszusagen was den Arianern dienen könnte. So gelangt er
zum Begriff eines ungezeugten, ewig mit dem Vater geeinigten, ihm nicht
untergeordneten, aber auch vom Vater nicht als eigene Hypostase unter-
schiedenen Logos. Damit war aber das ganze nicänische Bekenntniss umge-
ändert. Sowie Marcellus sagt, vor der Menschwerdung war kein Sohn, son-
dern nur der Logos, so geht er weiter auf diesem Wege: vor der Welt-
schöpfung war nur Gott allein. Der Logos selbst war nur der Potenz nach
(dvvafiei) im Vater, und mit ihm schlechthin Eins, wie der Gedanke im
Menschen eins ist mit dem Menschen. Das bildet den Begriff des ruhenden
und schweigenden Gottes. Damit nun die Welt entstünde, sprach Gott das
Schöpferwort aus, und das ist das Hervorgehen des Logos als eveqyeicc dqa-
aiixri Ttga^ecog Gottes. Jene göttliche eveqyeia, das Sein des Logos als
wirkende Kraft, dehnt sich aus bis in den Menschen Jesus; diess ist die Mensch-
1) Beide Schriften in Thilo, bibliotheca dogmatica 11.
2) S. Klose, Geschichte und Lehre des Eunomins 1833.
3) S. über ihn die Schrift von Zahn 1867.
4) Der Titel ist nicht: tkqi lyg tov vtov vnoinyrjs 1 Kor. 15, 28, aber diess
ist der Hauptgegenstand der Schrift, deren Fragmente bei Euseb in den zwei Büchern
gegen Marcellus zu finden.
284 ^ Zweite Periode des alten Katholicismdö.
werdung. Insofern nun diese göttliche epegyeia das Handelnde in Christo
ist, ist das Göttliche in ihm nicht eine vom Vater unterschiedene Hypostase,
es ist nichts Persönhches. Persönlich ist nur der Vater. Die Menschheit
ist für den Logos zu enge ; das Menschsein gehört an sich zu seiner Knechts-
gestalt, die auch nicht bleiben kann. Der Logos kann nicht mit dieser ihm
nicht adäquaten Menschheit ewig behaftet sein; denn da würde er nie in
sich vollendet. Er muss alo, nachdem er das Erlösungswerk vollendet hat,
wieder werden, was er zuvor war; er kehrt in Gott zurück, nachdem er das
Fleisch abgelegt, von dem Christus selbst gesagt, es sei nichts nütze. Mit
dem Ende der Herrschaft Christi (1 Kor. 15, 28) hat auch die menschliche
Seinsweise Christi ein Ende, — Jesus geht uns dabei voran in dem Processi,
den auch wir durchzumachen haben. Unsere Bestimmung zur vollkommenen
Einigung mit Gott kann nicht anders erfüllt werden, als wenn auch bei uns
die Menschheit aufhört, damit Gott sei Alles in Allem. — Offenbar näherr.
sich Marcellus dem Sabellius, wie Euseb meint.
Die Lehre des Marcellus führt noch auf einen anderen Abweg. Indem
er in Christo nur eine eveqysia Gottes sein lässt, entgeht er zwar der An-
nahme einer Veränderung im göttlichen Wesen bei der Menschwerdung, allein
damit ist das Sein Gottes in Christo auf ein blos dynamisches reducirt. Da-
gegen bemerkt Euseb mit Recht, eine göttliche Kraft habe auch schon vor
Christo in vielen Menschen gelebt. Das Neue, was das Christenthum ge-
bracht, sei die Einwohnung Gottes in Christo. Somit gelangt Marcellus bis nahe
an den Ebionitisnms. Dieser ebiouitische Ansatz ist in der Lehre des P ho-
tin entwickelt. Es wird ihm sogar, aber freilich nicht in glaubwürdiger
Quelle, die Läugnung der übernatürlichen Geburt Christi aus der Jungfrau
zugeschrieben. Völlig arianisch ist, was er lehrte, dass Christus nicht vor
aller Zeit als Gott existirt habe , sondern dass er durch das Verdienst seiner
Tugend Gott geworden sei (non deum ayite seciila fuisse, sed in deum bonae
actionis merito profecisse) ^).
Die ausgezeichneten Kirchenlehrer, die im Morgenlande sowie im Abend-
lande als Vertheidiger des nicänischen Bekenntnisses auftraten, haben den
Sieg desselben und die Beseitigung des Arianismus wesentlich gefördert; der
Arianismus war geistig überwunden, ehe denn die römische Staatsgewalt
denselben verpönte. Doch lässt sich nicht sagen, dass jene Kirchenlehrer
wesentlich neue Argumente gegen den Arianismus vorgebracht hätten. Es
kommen hier in Betracht BasiUus des Grossen avaxqemixoq gegen den
Apologeticus des Eunomins, Gregors von Nazianz loyoi ^eoXorixoi, Gre-
gors von Nyssa aptiQgyuxog loyog gegen Eunomins, Hilarius von Poitiers
de trinitate, 12 B.
6) Die Lehre vom heiligen Geiste erhielt in Folge der arianischen
Streitigkeit eine wesentliche Fortbildung. Das Concil von Nicäa gab dar-
über, wohl mit Absicht, keine nähere Bestimmung, und begnügte sich mit
der Angabe im nicänischen Symbol (nKTtsvo^ev) xai eig %o äyiov nvevfia.
Es herrschten unter den Anhängern dieses Symbols sehr verschiedenartige
Ansichten, indem die einen den Geist als sveqyeia^ die andei-en ihn als
1) Vgl über Photin Klose, Geschichte und Lehre des Marcellus und Photinus 1837.
Die Pneumatomachen. 285
Geschöpf, noch andere ihn als Gott auffassten (nach Greg. Naz. or. theol. 5).
Da nun die Arianer den Geist als Geschöpf auffassten, so trug dieser Um-
stand dazu bei, dass diese Ansicht bei den Nicänern auf Widerstand
stiess, die Anhänger derselben wurden als nvev^atofiaxoi bekämpft, Se-
miarianer auch genannt, so dass die Semiarianer zuletzt nur noch in der
Lehre vom heiligen Geiste von den Nicänern sich wesentlich unterschieden,
auch M a c e d 0 n i a n e r genannt, nach M a c e d o n i u s, Bischof von Constantinopel,
der jedoch nicht Urheber der Lehre war. Gegen sie schrieben Athanasius
(vier Episteln an Serapion), Gregor von Nazianz a. a. 0. und Basilius
Magnus in der Schrift gegen Eunomins und de spiräu sancto an Bischof Am-
philochius.
Zum Erweis ihrer Lehre beriefen sich die Pneumatomachen auf Job. 1, 3:
^jAlles ist durch ihn (den Logos) gemacht^^ — folglich, sagten sie; auch
der Geist. Sie suchten auch die Annahme der Gottheit des Geistes als
einen unvollziehbaren Begriff darzustellen. Sei der heilige Geist nicht er-
zeugt, so haben wir zwei anftingslose Wesen (avaQxcc), sei er gezeugt, und
zwar vom Vater, so kommen zw^i Söhne Gottes heraus; sei er vom Sohne
gezeugt, so erscheine er als Enkel Gottes.
Athanasius machte dagegen geltend, dass man dem Arianismus nur
dann vollständig entsage, wenn man in der Trias nichts derselben Fremd-
artiges annehme. Wie könnte das, so lehrt er, was für die Geschöpfe Quelle
der Heihgung ist, mit dem Wesen gleichartig sein, wodurch sie geheihgt
werden? In dem heiligen Geist empfangen wir die Gemeinschaft mit Gott,
die Theilnahme am göttlichen Leben. Diess könnte nicht der Fall sein,
wenn der heilige Geist ein Geschöpf wäre ^). Ein gleichartiges Argument
hatte Athanasius angewendet, um zu beweisen, dass der Logos nicht ein
Geschöpf sei, sondern Gott. Wenn aber der Logos göttlichen Wesens war
und sein musste, lyn uns mit Gott zu verbinden, so sieht man nicht ein,
warum ein neues göttliches Wesen nöthig war, um uns durch Heiligung mit
Gott zu verbinden. Basilius will haui)tsächlich das festhalten, dass man den
Geist den Geschöpfen nicht beizähle. Gegen den Einwand, dass der Geist
nach der Schrift eine Gabe Gottes sei, beruft er sich darauf, dass nach der
Schrift auch der Sohn eine Gabe sei, uns von Gott gegeben. Gregor von
Nazianz, um die Lehre von der Gottheit des Geistes zu rechtfertigen, nahm
die Idee einer stufenweisen Offenbarung zu Hülfe. Das Alte Testament ver-
kündigte deutlich den Vater, den Sohn etwas dunkler; das Neue Testament
offenbarte den Sohn, deutete aber die Gottheit des Geistes blos an. Jetzt
aber ist der Geist unter uns wohnend und gibt sich uns deutlicher zu erken-
nen (Or. 5). Er rechnet die Gottheit des Sohnes unter die Job. 16, 2 ange-
deuteten Lehren, von denen der Herr sagte, dass sie die Jünger in ih-
rem dennaligen Zustande nicht tragen könnten. Hilarius lehrt, was die
Tiefen der Gottheit erforsche, — wie vom heibgen Geiste ausgesagt wird
(1 Kor. 2, 10), müsse an Gottes Wesen Antheil haben. — Auf dieser Grund-
lage, die allerdings nicht in allen Stücken solid ist, bildeten sich die Be-
stimmungen der ersten Synode von Constantinopel über den heiligen Geist.
S. S. 273.
1) Et de &(07iOt€t3 OVX CCfKplßoXoVy OTt ri TOVTOV (pV<ftS d^€OV «ffT«.
286 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Nun aber war auch bereits die Frage entstanden, ob der heilige Geist
nur vom Vater oder vom Vater und vom Sohne ausgehe. Die orientalischen
Lehrer Athanasius, Basihus Magnus, Gregor von Nyssa, Theodor von Mop-
suestia, getreu ihrer speculativen Richtung, lösten die Frage in ersterem
Sinne, wonach der Geist sich zum gemeinsamen Urgründe gerade so verhält
wie der Sohn. Doch nahmen einige Lehrer des Morgenlandes, Epiphanius,
Marcellus von Ancyra, Cyrill von Jerusalem den Ausgang vom Vater und
Sohn an. Die abendtodischen Kirchenlehrer giengen in Behandlung dieser
Frage vom heilsökonomischen Standpunkt aus, wonach der Geist vom Sohne?
gesendet wird Job. 15, 26, 16, 7. Lucas 24, 49. So Augustin und Leo der
Grosse. Die griechischen Kirchenlehrer verwarfen nur den Satz, dass der
Geist durch den Sohn das Dasein (vnaQ^ip) habe. Dieses wollten aber die
lateinischen Lehrer mit ihrer Lehre vom Ausgange des Geistes vom Vater
und vom Sohne nicht eigentlich sagen. Später kam es darüber zu weitläu-
figen Verhandlungen, welche einen wesentlichen Grund abgaben zur Trennung
beider Hälften der katholischen Kirche.
Unter den folgenden Entwicklungen der Lehre von der Dreieinigkeit ist die
Lehrform Augustinus hervorzuheben. Er verschärft den Begritl' der göttlichen Ein-
heit in Beziehung auf die göttliche Thätigkeit, daher er den Logos am Acte seiner
eigenen Sendung als SohnTheil nehmen lässt. Er macht die Abhängigkeit des Soh-
nes vom Vater zu einer gegenseitigen, so dass der Vater auch vom Sohne abhängig
ist, wenn er etwas befiehlt; denn das Princip des Befehlens ist der Logos.
Endlich sucht er für die Dreieinigkeit Analogieen in den Geschöpfen überhaupt,
in dem Menschen insbesondere, Analogieen, wodurch die Unterscheidung
der drei Personen bedeutend geschmälert wird; daher Augustin die Unzu-
länglichkeit dieser Analogieen ausdrücklich anerkennt. Denn genau genom-
men und mit Folgerichtigkeit entwickelt führen diese Analogieen zum Moda-
lismus. So z. B. lehrt er, in jedem Geschöpfe sind drei Dinge zu unter-
scheiden: 1) sein Sein überhaupt, 2) sein Sein im Unterschiede von jedem
anderen, 3) beides zusammen in Uebereinstimmung zu einem Ganzen, omne,
quod est, aliud est quo constat. aliud quo discernitur , aliud quo congruit.
Das erste ist der Stoff ; das zweite gibt ihm die Form; die Uebereinstimmung
des Allgemeinen und des Besonderen, des Ganzen und der Theile, ist die
Liebe, in welcher der heilige Geist Vater und Sohn verbindet. Mit allen
diesen Bestimmungen bezweckt Augustin die Durchführung der völligen Gleich-
heit der drei Personen; darin besteht der Fortschritt, den er die trinita-
rische Construction machen lässt.
Noch ist anzuführen,, dass für die Bezeichnung der in Rede stehenden
Gegenstände bestimmte dogmatische Kunstausdrücke mit fest begrenztem
Sinne aufgestellt wurden. Ovaia bezeichnet die Einheit des göttlichen Wa-
sens; es bedeutete anfangs dasselbe, was vnofftaffig, so im nicänischen
Symbol und bei Athanasius. Doch dieser fing bald an, beide zu unterschei-*
den und die kappadocischen Kirchenlehrer folgten seinem Beispiele. Dem-
nach bezeichnet vTiodtaaig das Unterscheidende der drei Personen der Gott-
heit. ^So bemerkt Athanasius zu Jesaia 6,3, das dreimal heilig deute die
drei vnoatadsiq an: das Wort xvqioq bezeichne fnav ovaiav. Basihus Mag- '
nus sagt: ovata ist to xo^yov, vTrotxtacig to xa^' kxctaxov. Der Ausdruck
Origenistische Streitigkeiten. 287
nqocrconov wurde weggelassen, um nicht den Schein des Sabellianismus
auf das nicänische Bekenntniss zu werfen, vnoaxaaiq galt als gleichbedeu-
tend mit iStotrjg, ovGia mit (fvaig. Später wurde auch der Ausdruck tiqocm-
Tiov beliebt, weil er, je mehr er mit vnoataGiq dem Sinne nach identisch
gesetzt wurde, den sabellianischen Beigeschmack verlor. Theodoret ge-
braucht als gleichbedeutend die Ausdrücke v-noatcKTig , tdiotrig, TTQocTcönov.
Dem Vater kommt ay€vvf](na zu, dem Sohne das Gezeugtsein, dem Geiste
die €X7ioQ€V(Tig , exns^ipig; jedesmal das idiop der betreffenden Hypo-
stase. — Augustin nennt die Hypostasen bald substantiae, bald personae;
die ovffia bald essenfia, bald suhstantia^ bald natura. Doch will er zuletzt
lieber die Bezeichnung tres substantiae aufgeben und dafür den Ausdruck
personae gebrauchen. Das Wesen, die ovata^ will er lieber essentia als
substantia genannt wissen.
H. Origenistische Streitigkeiten.
Die arianischen Streitigkeiten lenkten aufs neue im Morgenlande die
Aufmerksamkeit auf den grossen alexandrinischen Lehrer, über den schon
in der ersten Periode war gestritten worden. Jetzt beriefen sich die Ni-
cäner und Arianer, besonders die Eusebianer auf ihn. Jene fanden bei
ihm den Begriff der ewigen Zeugung des Logos, diese die Bezeichnung Christi
als eines Geschöpfes und dessen Subordination unter den Vater. Marcellus
von Ancyra leitete von Origenes die arianische Lehre ab. Dieser behielt
aber viele und höchst bedeutende Anhänger, wie die vorstehende Dar-
stellung es beweist. Sowie die Kirchenlehrer, so waren auch die Mönche,
besonders in Aegypten in ihren Urtheilen über Origenes in zwei Parteien
getheilt. Die einen, einem groben Anthropomorphismus ergeben, verab-
scheuten den spiritualistischen Theologen. Pachomius, der verehrte Gründer
und Vorsteher des Klosters auf der Nilinsel Tabenna, warnte seine Schüler
am meisten vor den Schriften des Origenes, weil er gefährlicher sei, als
andere Häretiker, indem er, unter dem Vorwande, die heilige Schrift zu
erklären , seine Irrlehren in dieselbe hineintrage. Die andere Partei der
Mönche hieng dem Origenes mit Verehrung an.
Die nun alsobald nach der Besiegung des Arianismus ausbrechende
Streitigkeit verläuft in zwei Phasen, wovon die eine hauptsächlich in Pa-
lästina spielt, die andere zwischen Alexandrien und Constantinopel; in
diese letztere zumal mischen sich sehr untheologische Elemente.
In den letzten Jahren des vierten Jahrhunderts lebten in Palästina
drei eifrige Beförderer theologischer Wissenschaft und warme Verehrer des
Origenes, Bischof Johannes von Jerusalem, sein Hausgenosse Rufinus,
der Presbyter aus Aquileja, und Hieronymus, der durch Gregor von
Nazianz auf Origenes aufmerksam gemacht, schon Einiges von ihm über-
setzt und sich in den Vorreden zu diesen Uebersetzungen sehr anerkennend
über den alexandrinischen Theologen ausgesprochen hatte, wenn gleich er
keineswegs das dogmatische System desselben sich angeeignet hatte, das
er wohl nur sehr unvollständig kannte. Es verbreitete sich nun in Folge
davon, dass diese drei angesehenen Männer Origenes so hoch schätzten,
288 Zweite Periode des alten Katholicismus.
das Gerücht, dass in den Kirchen Palästina's die orij^enistischen Ketzereien
im Schwange giengen, worauf der um den Ruf seiner Orthodoxie ängstlich
besorgte Hieronymus alsobald in seinen Urtheilen über Origenes vorsichtig
wurde, sich berufend auf den paulinischen Grundsatz: prüfet Alles und
haltet fest am Guten. Die Sache nahm eine schlimme Wendung, seitdem
der alte Epiphanius sich in dieselbe mischte. Um, den heftigen Gegner des
Origenes, der denselben in sein navaqiov (haeresis 64) aufgenommen, als
Vater des Arianismus und als einen fast in allen Glaubensartikeln gröblich
irrenden Neuerer ausgeschrieen hatte, trieb die Nachricht, dass Origenes
bei den angesehensten Kirchenlehrern in PaLästina in grosser Verehrung
stehe, zu Ostern 394 dahin. Seinem Rufe als gewaltiger Eiferer um die
Reinheit der Lehre und als Beförderer des Mönchthums entsprechend vom
Volke in Jerusalem mit grosser Verehrung aufgenommen, forderte er
alsobald vom Bischof Joliannes die Verdammung des Origenes; darauf wollte
sich der Bischof nicht einlassen ; er gestand nur so viel, dass er bei Origenes
Wahres und Falsches zu unterscheiden gewohnt sei. Epiphanius trat nun
auch auf der Kanzel in Jerusalem als Ankläger des Origenes auf, und
Bischof Johannes predigte gegen den Anthropomorphisnuis. Epiplianius
stimmte in die Verdammung des Anthropomorphismus ein, bestand aber
um so mehr auf Verdammung des Origenes. Da Bischof Johannes nicht
nachgab, gieng Epiphanius nach Bethlehem zu den Mönchen, bei denen er
überhaupt vieles galt. Er bearbeitete sie dermassen, dass sie die Kirchen-
gemeinschaft mit Jerusalem aufgaben und sich die Sacramente nicht mehr
durch Geistliche aus Jerusalem ertheilen Hessen. Da Hieronymus grund-
sätzlich als Presbyter nicht fungiren mochte, weihte Epiphanius dessen Bru-
der, Paulinianus, zum Priester für die Mönclie, wodurch er in die Rechte
des Bischofs von Jerusalem eingriff. Hieronymus stellte sich entschieden
auf die Seite des Epiphanius gegen Bischof Johannes und Rufinus. Dieser
söhnte sich zwar mit Hieronymus wieder aus, es wurde auch 397 die
Kirchengemeinschaft zwischen Bethlehem und Jerusalem wieder hergestellt.
Bald brach aber der Streit von neuem aus. Rufin, der 397 nach Rom ge-
reist war, übersetzte, um dem Abendlande einen besseren Begriff von den Be-
strebungen des Origenes zu geben, dessen Schrift ubqi agxtop, ein höchst un-
überlegtes Unternehmen, das neues Oel in die Flamme des Streites giessen
musste. Er erlaubte sich, gewisse Stellen im Sinne des nicänischen Bekennt-
nisses umzuändern, wobei jedoch noch genug Heterodoxieen zurückblieben;
und was das stärkste war, in der Vorrede zur Uebersetzung gestand er die
von ihm vorgenommenen Aenderungen, doch ohne einzugestehen, dass sie
die wahre Meinung des Origenes alterirten: ausserdem berief er sich,
um seine Verehrung gegen den Mann zu rechtfertigen, auf die Lobpreis-
ungen desselben durch Hieronymus. Die Folge davon war ein ärgerlicher
Schriftwechsel zwischen den beiden einst so befreundeten Männern, wor-
über Augustin gegen Hieronymus sein Herz ausschüttete. Rufin kam in
Rom selbst in üble Lage, so dass er sich wegen der Anhänglichkeit an
Origenes rechtfertigen musste. Er zog sich nach Aquileja zurück und fuhr
fort, sich durch Uebersetzung von Schriften des Origenes um die Kirche
Origenistische Streitigkeiten. 289
verdient zu machen. Bischof Anastasius von Rom sprach das Verdammungs-
urtheil über des Origenes Schriften aus.
Ein neu^r Sturm erhob sich gegen denselben in Aegypten. Der Bischof
Theophil US von Alexandrien, ein Mann von höchst ungeistlichem Charakter,
dem alle Mittel gleich galten, die zum Ziele führten und der selbst seine
Ueberzeugung wechselte, je nachdem seine Herrschsucht oder rein persön-
liche Motive dazu hintrieben, war ursprünglich Gegner der Anthropomorphi-
ten und Verehrer des Origenes gewesen, dessen geläuterte Anschauungen
von der Gottheit er ganz und gar zu theilen schien. Er gerieth dadurch in
Misshelligkeiten mit einem Theile der egyptischen Mönche, die in crasser
Weise sich Gott in Menschengestalt dachten. Viele von ihnen kamen
nach Alexandrien, willens ihn zu tödten. Theophilus gebrauchte eine List,
um der Lebensgefahr zu entgehen. Um sie zu besänftigen, sagte er ihnen :
ich sehe in euch das Antlitz Gottes. Die Mönche, mit dieser Schmeichelei
noch nicht zufrieden, forderten von Theophilus die Verdammung der Schriften
des Origenes, und auch darin fügte er sich unter den Willen jener Fanatiker.
Bald ' wurde der charakterlose Mann sogar Verfolger der origenistisch
gesinnten Mönche; sie wohnten hauptsächlich in den Zellen des nitrischen
Berges nahe bei der sketischen Wüste. Unter ihnen ragten hervor vier
Brüder, wegen ihrer körperlichen Länge die langen (ol iiaxqoi) genannt,
Dioskur, Ammonius, Euseb, Euthymius, ehrwürdige Männer,
welche Theophilus gerne für den Kirchendienst gewonnen hätte. Gezwun-
gen gaben sie sich dazu her; doch bald konnten sie es nicht mehr aus-
halten und kehrten in ihre Wüste zurück. Da warf Theophilus auf sie
und auf die ganze Partei einen tödtlichen Hass. Auf einer Synode in Ale-
xandrien im Jahre 399 wurde über die Lehren und Schriften des Origenes
das Verdammungsurtheil ausgesprochen und das Lesen der letzteren ver-
boten. Da die origenistischen Mönche sich unter diesen Beschluss nicht
beugten, rief Theophilus die Hilfe des Präfecten von Egypten an. Die
widerspenstigen Mönche wurden durch die Soldaten gemisshandelt und zur
Flucht genöthigt, fiinden aber nirgends Aufnahme, da Theophilus sie in
seinen nach allen Seiten ausgesendeten Briefen als wilde Schwärmer dar-
gestellt hatte. Zuletzt entschlossen sie sich, am kaiserlichen Hofe in Con-
stantinopel Hilfe zu suchen, wobei sie sich Hoffnung machten auf die
Unterstützung durch Bischof Johannes Chrysostomus. (S. S. 246).
Dieser stand damals auf der Höhe seines Lebens, seiner Wirksam-
keit, seines Einflusses, hatte aber viele Gegner und Feinde, worunter auch
Geistliche, die er als unwürdig erfunden und abgesetzt hatte. iVuch die
Kaiserin Eudoxia, Gemahlin des schwachen Kaisers Arcadius, allwaltend
unter ihm, fromm und eitel zugleich, anfangs Gönnerin des Chrysostomus,
fühlte sich durch denselben in seinen Predigten öfter verletzt und wurde
gegen ihn aufgebracht, versöhnte sich aber auch wenn das bessere Selbst
in ihr sich regte, wieder mit dem Bischof, der ihr die Wahrheit gesagt
hatte. Allerdings trug er durch eine gewisse Heftigkeit und Barschheit,
auch wohl zuweilen durch unkluge, falsche Massregeln dazu bei, die ohnehin
durch seine Freimüthigkeit verletzten und sich schuldig fühlenden Personen
Herzog, Kirchengeschichte I. 19
290 Zweite Periode des alten Katholicismus.
noch mehr zu reizen ^). So standen die Sachen, als jene nitrischen Mönche
in Constantinopel ankamen ; Chrysostomus nahm sie liebreich auf und sorgte
für ihren Unterhalt. Da sie aber von Theophilus excommunicirt worden,
wollte er, den Kirchengesetzen gemäss, sie nicht als in der Gemeinschaft
der Kirche stehend behandeln. Zugleich bat er den Theophilus in einem
herzlichen Briefe, jenen Mönchen Verzeihung angedeihen zu lassen. Sie
brachten aber allerlei Beschuldigungen gegen den Bischof von Alexandrien
vor und waren willens, sie dem Kaiser vorzutragen. Chrysostomus meldete
diess dem Theophilus mit dem Bemerken, er werde die Mönche von diesem
Schritte nicht abhalten können. Zu gleicher Zeit wurde dem Theophilus dici
falsche Nachricht gebracht, dass Chrysostomus die Mönche in die Kirchen-
gemeinschaft aufgenommen habe. Da suchte Chrysostomus sich aus dei-
Sache zu ziehen. Doch jene Mönche brachten es durch ihren Einfluss auf
Eudoxia, die gerade damals mit Chrysostomus wieder auf gutem Fusse
stand, dahin, dass durch den Kaiser eine Synode nach Constantinopel be-
rufen wurde, unter Vorsitz des Bischofs der Residenz, welche über das
Verfahren des Theophilus urtheilen sollte; zugleich erging an diesen die
Aufforderung, sich vor die Synode zu stellen. Da warf er einen wüthen-
den Hass auf Chrysostomus, suchte ihn zu verderben, und verband sich zu
diesem Zwecke mit den Feinden desselben.
Er bearbeitete den alten Epiphanius, als ob die origenistische Ketzerei
einen neuen Aufschwung nähme. Dieser, nachdem er eine Synode gehal-
ten (401), welche über die Schriften des alexandrinischen Theologen das
Anathema aussprach, reiste nach Constantinopel (402) und forderte von
Chrysostomus, dass er dasselbe thue und jenen Mönchen seinen Schutz
entziehe. Doch, so wenig dieser ein blinder Verehrer des Origenes, so
sehr er namentlich ein Gegner von dessen Allegorieen war, weigerte er sich,
ein Verdammungsurtheil über dessen Schriften auszusprechen. Am Ende
verliess Epiphanius die Stadt, als er sich überzeugt hatte, dass von Seite der
Gegner des Chrysostomus Unreines sich einmische. Da kam Theophilus,
nachdem er Alles gehörig vorbereitet hatte, selbst nach Constantinopel
(403) nicht um als Beklagter , sondern als Richter aufzutreten. Daher
versammelte er eine Synode ihm anhängender Bischöfe , wovon ein Theil
mit ihm gekommen war, auf einem nahe bei der Stadt gelegenen Land-
gute des ehemaligen praefectus Orientis, Rufinus, genannt die Eiche (daher
die Synode den Namen awodog TiQog t^v öqvp, Synodus ad Quercum, er-
hielt). Denn bei seiner Liebe zu Chrysostomus hätte das Volk nicht ruhig
zugesehen, wie man in der Stadt eine Synode gegen ihn hielt. In den
Verhandlungen war von der origenistischen Ketzerei nicht die Rede, wohl
aber von anderen zum Theil sehr geringfügigen Dingen, dass er zu ein-
fach lebe, keine Gastfreundschaft übe, dass er das Kirchengut vergeude ; —
er brauchte allerdings vieles für wohlthätige Zwecke. Unter den Anklagen
gegen ihn war auch ein Majestäts verbrechen genannt, was sich wohl auf
1) Darin sind Sokrates 6, 3 und Sozomenus 8, 3 einig; ihr Zeugniss ist um so
gewichtiger, da sie sonst dem Chrysostomus durchaus Recht geben.
Origenistische Streitigkeiten. 291
Mangel an Schonung der Kaiserin Eudoxia bezog. Chrysostomus , um-
geben von vierzig gleichgesinnten Bischöfen, die auf die Nachricht von
seinen Anfechtungen nach der Residenz geeilt waren, erkLärte, als die
Synode ihn vor sich beschied , vor derselben erscheinen zu wollen , wenn
vier erklärte Feinde, worunter Theophilus, ausgeschieden würden. Darauf
wurde er durch jene Synode abgesetzt und insbesondere des Majestätsver-
brechens angeklagt, wozu die Bemerkung hinzukam, da es den Bischöfen
nicht zukomme, solche Dinge zu untersuchen, so möge der Kaiser selbst
ihn wegen jenes Verbrechens bestrafen. Chrysostomus, nachdem er an
seine Gemeinde eine ergreifende Abschiedsrede gehalten, wurde in das
Exil abgeführt. Doch, kaum war er fort, so erschreckte ein Erdbeben die
Gemüther; es wurde als Gottesgericht gedeutet, und es erschienen also-
bald Boten der Kaiserin bei dem Verbannten, die ihn nach Constantinopel
zurückbrachten. Doch nach zwei Monaten erhob sich ein neuer Sturm.
Vor dem Palast, in welchem der Senat sich versammelte, in der Nähe der
Kirche, wo Chrysostomus Gottesdienst hielt, war der K|Liserin Eudoxia
eine silberne Bildsäule errichtet und mit allerlei lärmenden,- an das Heid-
nische anstreifenden Lustbarkeiten eingeweiht worden. Der Gottesdienst
hatte dadurch einige Störung erlitten, und der Bischof hatte sich in seiner
Predigt gegen solche Lustbarkeiten erklärt; darüber erzürnte Eudoxia
und traf Anstalten zu einer neuen Verurtheilung des Mannes; da hielt er
am Feste Johannes des Täufers eine Predigt, die, nach den Berichten von
Sokrates und Sozomenus, mit den Worten anfing : „wiederum rast Herodias,
wiederum tanzt sie, wiederum begehrt sie das Haupt des Johannes auf
einer Schüssel zu erhalten.'^ Aufs neue wurde ihm der Process gemacht;
die zu diesem Behufe versammelte Synode leitete Theophilus von Alexandrien
aus. So wurde Chrysostomus 404 aufs neue in die Verbannung geführt, zu-
erst nach Cucusus an der Grenze von Armenien und Cilicien. Von hier aus
unterhielt er die Verbindung mit seinen Freunden und Anhängern in Con-
stantinopel und wirkte wohlthätig durch Lehre und Ptath auf die Bischöfe
in seiner Umgebung; das sahen die Gegner ungern; er wurde in ein ent-
fernteres Exil abgeführt, nach Pityus im Pontus 407. Auf der Reise dahin,
nahe bei der Stadt Comana, erlag er den Beschwerden. Seine letzten Worte
waren: „Gott sei gedankt für Alles. ^^ Niemals in seinem Leben hatte er
mehr Seelengrösse in Verbindung mit sanfter Duldung bewiesen als in die-
ser letzten Prüfungszeit. Er hatte in Constantinopel treue und höchst
achtungswerthe Anhänger hinterlassen, die Johanniter genannt; sie be-
standen als eigene Partei, bis Theodosius H. im Jahre 438 die Gebeine
des verehrten Seelenhirten nach Constantinopel bringen und daselbst mit
grossem Pompe bestatten Hess. Dadurch wurde, was noch von Johannitern
übrig war, zur Rückkehr in die Kirche, die das Andenken ihres Hauptes
ehrte, bewogen.
19
292 Zweite Periode des alten Katholicismus,
III. Die nestorianische Streitigkeit.
1) Christologische Verhandlungen und Stand der christologischen Frage bis
zum Ausbruche der nestorianischen Streitigkeit.
Die so bedeutend angeregte dogmatische Thätigkeit musste, durch
ihre eigene dialektische Consequenz vorwärts getrieben, auch das Gebiet
der Christologie ergreifen. Denn die verschiedenen Bestimmungen über
das Verhältniss des Sohnes zum Vater mussten auf die Ansichten über die
menschliche Natur Christi einwirken oder von da aus Einwirkungen em-
pfangen. Die Arianer hatten ein dogmatisches Interesse, die Mensch-
werdung des Logos nur in dessen Verbindung mit einem menschlichen
Körper nebst der tpvxrj ccXoyoq zu setzen. So konnten sie alle Stellen
des Neuen Testamentes, in w^elchen sie etwas eine Beschränktheit Anzei-
gendes, auf ein Subordinationsverhältniss Hinweisendes von Christo aus-
gesagt fanden, als Beweis gegen die Lehre von der Wesenseinheit geltend
machen. Wenn die Nicäner auf die Unterschiede der zwei Naturen zu-
rückgingen, so wurden sie von den Arianern beschuldigt, die wahre per-
sönliche Einheit des Gottmenschen zu läugnen, aus dem Einen Gottessohne
und dem Einen Christus zwei Gottessöhne und zwei Christi zu machen.
Doch finden wir die Nicäner in genannter Beziehung noch eine Zeit lang
im Schwanken begriffen. Athanasius erklärt sich zwar in seiner Schrift
über die Menschwerdung bestimmt gegen eine blosse Theophanie, aber es
geht aus seinen Aussagen nicht mit zwingender Nothwendigkeit hervor,
dass der Logos eine vollständige menschliche Natur angenommen habe.
Hilarius, indem er sich Jesu Leiblichkeit von Leiden, ja sogar von Hunger
und Durst frei denkt, nähert sich unbewusst dem Doketismus. Im Gegen-
satze gegen die Arianer und im Anschlüsse an Origenes wurde zwar der
Satz aufgestellt, dass in Christo der Logos nicht die Stelle des mensch-
lichen vovq oder nvevua angenommen habe; aber diese Lehre war noch
nicht in die Christologie verarbeitet.
Da trat, wohl schon seit 362, Bischof Ap ollin arius von Laodicea
mit seiner eigenthümlichen Auffassung der Person Christi hervor, welche
nach seiner Absicht zunächst zur Vertheidigung des nicänischen Bekennt-
nisses gereichen sollte. Er ging nämlich auf den arianischen Satz ein,
dass in Christo der Logos die Stelle des menschlichen vovq vertreten habe,
den Satz, den die Arianer anwendeten, um den Logos herunterzusetzen.
Er erachtete, man müsse den Arianern jene Concession machen; denn
nur unter dieser Bedingung lasse sich das nicänische Symbol halten. So
glaubte er, die Arianer mit den eigenen Waffen schlagen zu können.
Er ging nämlich von der Ansicht aus, es sei eine unhaltbare Lehre,
dass der Erlöser sowie mit dem Vater gleichen Wesens, so auch mit dem
Menschen gleichen Wesens sei, d. h. dass in Jesus ein vollkommener Gott
und ein vollkommener Mensch zu Einer Person vereinigt gewesen seien. Er
meinte, es sei nicht möglich, diese Vorstellung zu vollziehen: 1) ohne auf
Ungereimtheiten zu gerathen, 2) ohne die wesentlichen Momente der Erlösung
t)ie nestorianische Streitigkeit. Apollinarius. 293
ZU gefährden, 3) ohne auf häretische Abwege zu verfallen. Was den er-
sten Punkt betrifft^ so könnten zwei erkennende und wollende Wesen (ovo
voega xat ^eXrjTixa)^ mit einem Worte zwei Selbstbewusstsein keine Ein-
heit der Person bilden, so wenig als zwei Körper denselben Raum ein-
nehmen könnten. Es entstehe durch diese Annahme eine monströse Zu-
sammenfügung , die er avdqoanod^eoq nannte und mit den mythologischen
Gebilden des Minotaurus und anderer Monstra zusammenstellte. Was den
zweiten Punkt betrifft, so lehrte er, wo ein vollkommener Mensch, da sei
auch Sünde {onov releiog avd^Qoonog, €X€i a^iagtia). Da nämlich die
Sünde im vovg ihren Sitz habe, so sei in Christo, sofern in ihm der povg
das Bestimmende sei, die Sünde gesetzt. Zugleich werde durch jene An-
nahme die Erlösung noch auf andere Weise beeinträchtigt. Weil nämlich
der vollkommene Mensch mit dem vollkommenen Gott sich nicht zur Ein-
heit der Person verbinde , so geschehe es , dass Christus nur als Mensch
leide und sterbe; da heisse es aber: „eines Menschen Tod hebt den Tod
nicht auf.^ Was den dritten Punkt betrifft, so behauptet Apollinarius, dass
diejenigen, welche jene Annahme durchführen wollen, unwillkürlich dahin
kommen, blos eine Wirkung des Logos auf den Menschen Christus anzu-
nehmen und ihn lediglich als göttlichen Menschen (av^qoanog ei^S-eog) aufzu-
fassen. So läuft die Polemik des Apollinarius zuletzt auf folgendes Dilemma
hinaus: entweder ist das Sein Gottes in Christo dem Wesen nach dasselbe,
wie in allen anderen Menschen, oder das Menschliche ist in ihm nicht voll-
ständig vorhanden gewesen, und durch diese Unvollständigkeit ist das We-
sen des Glaubens an Christum und die Vernünftigkeit dieses Glaubens
bedingt.
Diese Ansicht suchte er psychologisch zu erläutern, indem er mit
einer Art von geometrischer Präcision die Grenzen genau absteckte, wo
das Menschliche in Christo aufhört und das Gebiet des Göttlichen beginnt.
Er legte nämlich die Dreitheiligkeit der menschlichen Natur zu Grunde:
1) 7iv€Vfia, vovg, rpvxn Xoyixrj^ das Höchste im Menschen, die Sphäre der
eigentlichen Persönlichkeit, des Selbstbewusstseins , der freien Willensbe-
stimmung, 2) xpvxn aXoyog, die thierische Seele, 3) trcofia. Jenes erste
sprach er Christo ab, an dessen Stelle setzte er den Logos. — Apollinarius
war sich der Tragweite dieser Ansicht vollkommen bewusst. Es fehlte
Cliristo, was das Wesen des Menschen (to xvQianatop) ausmacht. Er war
daher nur als ein Mensch wg av&Qomog Phil. 2,7. Es ergibt sich nun
Eine Person, 'die eine göttliche und eine menschliche Seite hat. Die In-
einsbildung beider ist so organisch, dass die Prädicate beider verwechselt
werden können , so dass man sagen kann : der Menschensohn ist vom Him-
mel, Gott ist gestorben und so weiter. Nun erhält auch das Leiden Jesu
volle, versöhnende Bedeutung und es kann auch ohne Abgötterei das Fleisch
Christi angebetet werden. Da lag der Abweg nahe, dass auch das Fleisch
Christi vom Himmel gekommen sei. Gregor von Nyssa gibt diess dem
Apollinarius schuld. Auf der anderen Seite kam er dahin, in Christo keinen
vollkommenen Gott anzuerkennen; die Spitzen (axQotrjteg) des Göttlichen
wie des Menschlichen in ihm sind abgebrochen ; das gehört zu seiner Eigen-
thümlichkeit als Mittelwesen zwischen Gott und Mensch. Ohne Scheu
294 Zweite Periode des alten Katholicismns.
berief sich Apollinarius hier auf den Maulesel als Mittelwesen zwischen Pferd
und Esel, auf die graue Farbe als Mischung von Weiss und Schwarz, auf
den Frühling als Mittleres zwischen Sommer und Winter. So erst ergibt
sich in Christo Eine Natur.
Diese Lehre machte grosses Aufsehen; denn sie deckte ungeahnte
Schwierigkeiten in der Lehre von der Person Christi auf, und es liess
sich nicht läugnen, dass Viele wie Apollinarius von Christo dachten, ohne
sich dessen völlig bewusst zu sein. Ueberdiess befiiss er sich, seine Lehre in.
Schriften zu vertheidigen. Er suchte Anhänger und fand solche. Er selbst
trat 375 aus der Gemeinschaft der katholischen Kirche aus und ting an,
eine eigene Sekte zu bilden. Seine Lehre wurde vom ökumenischen Concil
in Constantinopel 381 mit dem Anathema belegt. Er starb 390, abei*
seine Anhänger erhielten sich, obgleich vom Staate verfolgt, noch lange,
bis sie sich entweder mit der katholischen Kirche aussöhnten oder zu deii
Monophysiten übergingen. War doch ihre Lehre die eigentliche Präformation
der monophysitischen Lehre. Die Anhänger hiessen Dimoeriten (zuerst
bei Epiphanius haeresis 77), weil sie in Christo nur zwei Bestandtheile der
menschlichen Natur annahmen, avvov(Tia(TTai, weil sie eine Ver-
schmelzung des Fleisches Christi mit seiner Gottheit lehrten, namentlich,
dass das Fleisch Christi himmlischer und ewiger Natur sei; doch dieser
Name passt nur zu der Partei der Polemianer, von ihrem Haupte Po-
lemon so genannt; eine andere Verzweigung der Anhänger hiess Valen-
tinianer, von Valentin so genannt, die sich am wenigsten von Apollina-
rius entfernt zu haben scheinen.
Die Bedeutung, die der Lehre des Apollinarius beigelegt wurde, zeigt
sich darin, dass sie von den angesehensten Kirchenlehrern jener Zeit in
Schriften bekämpft wurde, die leider als alleinige Quelle für die Kenntniss
seiner Lehre dienen; denn alle seine Schriften sind verloren gegangen.
Gegen Apollinarius trat Äthan asius auf, doch ohne den Mann zu nennen,
Gregor von Nazianz in den Episteln an Nektarius und Kelidonius,
Gregor von Nyssa im Antirrheticus, Theodoret im Dialog von den
häretischen Fabeln, Theodor von Mop suestia in einer Schrift, nur bekannt
aus Fragmenten, womit die Synode von Constantinopel im J. 550 die Verdam-
mung des Theodor rechtfertigte ^). Diese Theologen deckten die Irrthümer des
Apollinarius, seine fehlerhafte Auslegung gewisser Bibelstellen, die für den
christlichen Glauben gefährlichen Folgen seiner Lehre auf. Allein eine direkte
Widerlegung seines ontologischen Argumentes, dass zwei vollständige Wesen
nicht in demselben Subjecte zusammen bestehen können, geben sie nicht;
sie berufen sich dagegen darauf, dass der wahrhaftige Christus von keinem
menschlichen Verstände erfasst werden könne, indem das Wesen Christi
etwas Incommensurables sei. So lehrte besonders Athanasius, und wenn
Gregor von Nazianz sagt: ^^ Bedenke, dass auch ich, eine und dieselbe Per-
son, den menschlichen sowohl als den heiligen Geist in mich fassen kann^,
so bedenkt er nicht, dass der heilige Geist in uns nicht personbildend ist
in demselben Sinne, wie das Göttliche in Christo; indem er so unwillkür-
1) Bei Mansi IX p. 203.
Die nestorianische Streitigkeit. Theodor von Mopstiestia. 295
lieh Christum als av&Qtortog ev&eog auffasst, bestätigt er die Meinung
des Apolliuarius, dass man die gewöhnliche Vorstellung von Christo nicht
vollziehen könne, ohne auf einen häretischen Abweg zu gerathen.
Ungeachtet der Uebereinstimmung in Verwerfung des Apollinarismus
gab es doch in Beziehung auf die Christologie sehr verschiedene Auffass-
ungen, die sich an den Unterschied der beiden früher genannten Schulen
und Richtungen, der neuen alexandrinischen und der antiochenischen an-
scMiessen; aus dem Conflicte beider ging die nestorianische Streitigkeit
hervor. Die eine, in Aegypten einheimisch, gründete sich auf eine dem
Athanasius zugeschriebene Schrift, worin Eine Natur des Fleisch gewor-
denen Gottes Logos gelehrt wurde. Die Schrift ist unächt i), wurde aber
für acht gehalten, und der grosse Name des Athanasius diente nun dazu,
diese Auffassung zu bestärken und zu verbreiten. Auch Julius, Bischof
von Rom, der getreue Beschützer des Athanasius, lehrte dasselbe. Die
dieser Lehrform zugethanen Lehrer trugen gerne die Prädicate der gött-
lichen Natur auf die menschliche über, sowie umgekehrt die Prädicate der"
menschlichen Natur auf die göttliche. Sie liebten paradox klingende For-
meln: Gott hat für uns gelitten, Maria hat Gott geboren. Der Schwer-
punkt dieser Richtung liegt durchaus auf der Seite der göttlichen Natur
Christi.
Einen starken Gegensatz dagegen bildet die antiochenische Schule.
Der Schwerpunkt ihres dogmatischen Bewusstseins liegt durchaus auf der
Seite des Unterschiedes zwischen der göttlichen und menschlichen Natur
Christi. Ihr Ilauptvertreter ist Theodor von M o p s u e s t i a. (S.S. 247).
Sein Ausgangspunkt war, dass Christus eine selbständige menschliche
Seele gehabt, welchen Satz er auch gegen Apollinarius geltend gemacht.
Alle Vorgänge in Gethsemane sind ihm ohne diese Annahme unerklärlich.
Allerdings war die Gottheit von Anfang an mit seiner menschlichen Natur
verbunden, aber in so freier Weise, dass die Einheit der göttlichen und
menschlichen Natur erst durch den heiligen Geist vermittelt wurde. So
nahm Jesus zu an Weisheit und Gnade. Da keine Entwicklung und Uebung
ohne Kampf ist, so war er auch nicht frei davon, was die Vorgänge in
Gethsemane beweisen; der Kampf, den er dort bestand, wäre ohne Gewinn
für uns, wenn die Gottheit selbst das Subject desselben gewesen wäre.
Dabei wurde er durch den heiligen Geist in der Liebe zu Gott so befestigt,
dass er im Guten verharrte und durch die immer mehr sich verwirklichende
Einheit mit dem Logos das reine Organ der in ihm wirkenden Gottheit
wurde; seine gottmenschliche Einheit war eine werdende, zwar schon mit
der Geburt gegeben, aber erst seit der Auferstehung zum Abschlüsse ge-
bracht. Die Einheit des Göttlichen und Menschlichen in Christo vollzieht
sich als Einwohnung, svoixfjcng, Gottes; es ist aber eine Einwohnung nicht
dem Wesen nach, noch blos nach der Kraftwirkung (svegyeta), sondern
sie geschieht vermöge des Wohlgefallens, evdoxia, Gottes; die Art und
Weise der Einwohnung bestimmt sich nach dem Grade des göttlichen
1) Wie Hefele 2, 129 nach Montfaucon und Moehler erachtet.
^§g Zweite l*eriode des alten Katholicismüd.
Wohlgefallens; in Christo ist die Einwohnung absolut vorhanden, während
sie in den Heiligen blos relativ vorhanden ist.
Das göttliche Wohlgefallen richtete sich von Anfang auf Christum;
aber erst sein Leben im Stande der Erhöhung zeigt seine Einigung mit
dem Logos vollständig. So kann Maria nur figürlich ^eotoxoq heissen,
insofern Gott in Christo war xa% evdoxiav. Nicht die göttliche Natur ist
aus der Jungfrau geboren, sondern der von dem Saamen Davids ist. Ma-
ria hat eigentlich einen Menschen geboren, in welchem die Einigung mit
dem Logos zwar begonnen, aber noch so wenig vollendet war, dass er
noch nicht Sohn Gottes heissen konnte (Luc. 1, 25). Der Ausspruch: o
XoYO(; (7ccQ^ €y€v6zo ist daher nicht eigentlich zu verstehen, weil sonst der
Logos sich müsste in einen Menschen verwandelt haben, sondern der Aus-
spruch will so viel sagen, dass der Logos vermöge des göttlichen Wohl-
gefallens einen Menschen angenommen. Demgemäss musste die Verbindung
der beiden Naturen eigentlich eine ethische sein. Treffend in seinem Sinne
vergleicht sie Theodor mit der Verbindung von Mann und Frau; die Ver-
bindung der beiden Naturen bezeichnet er mit den Worten (Tvvamsiv^
(Tvva(psia, wobei jede der beiden Naturen ihre Integrität behält, wie Mann
und Frau in ihrer Verbindung mit einander. Nur in der Actualität sind
beide Naturen in Christo Eine Person, insofern die menschliche ganz und
gar von der göttlichen sich bestimmen lässt; in ihrem Wesen sind es so-
viel als zwei Personen. Somit bleibt Theodor bei einem ungelösten Dua-
lismus stehen.
Im lateinischen Abendlande findet sich ein ähnlicher Gegensatz wie
im Morgenlande. Bischof Julius von Rom und Hilarius von Poitiers stehen
mehr auf Seite der egyptischen Lehrform als auf Seite der antiochenischen.
Augustin hält gegen Apollinarius fest, dass der Erlöser eine wahrhaft
menschliche Seele, resp. einen menschlichen Geist gehabt habe, und er-
läutert seinen Satz: Zwei Naturen in Einer Person mit der Analogie von
Seele und Leib, wobei er unbewusst an das Apollinaristische anstreift ; auch
lehrt er ganz deutlich , der Logos habe nicht die Person, sondern die Natur
angenommen, daher er die Person Christi als Mischung Onixtura) Gottes
und des Menschen auffasst ij. Alle weitere Speculation darüber schneidet
Augustin mit dem Satze ab, dass die Aufnahme der menschlichen Natur
in die persönliche Einheit mit Gott lediglich als Werk der Gnade anzu-
sehen sei. Der Mensch in Christo ist von Gott aufgenommen worden, auf
dass er selbst Gott würde. Hierin zeigt sich offenbar eine Annäherung an
die Lehrform des Theodor.
Im Abendlande zeigte sich zur Zeit Augustinus ein Vorspiel dessen,
was sehr bald darauf unter dem Namen der nestorianischen Ketzerei die
griechische Kirche bewegte. Der Mönch Leporius stellte (426) Behaup-
tungen auf, welche die Einheit der Person aufzuheben schienen. Augustin
bewies ihm, dass bei seiner Theorie eine menschliche Person neben der
göttlichen, mithin zwei Christus herauskommen. Leporius erklärte sich für
widerlegt und bekannte, — gemäss dem Augustinischen Satze, Christus
war deus addendo quod non erat, non perdendo quod erat, dass der Logos,
1) So hatte ApoUinarius in seinem Sinne gelehrt: »eov xa$ ay^Qtonov fit^ti-
Die nestorianisciie Streitigkeit. 297
alles annehmend, was des Menschen ist, Mensch wurde und der so ange-
nommene Mensch, alles annehmend, was Gottes ist, nichts Anderes als
Gott war.
In den zwei Lehrformen, die wir betrachtet haben, begegnen wir
demselben Gegensatze, den wir von Anfang an in den christologischen
Verhandlungen wahrgenommen haben, der zuerst in seiner crassesten Ge-
stalt als Ebionitismus und Doketismus auftrat, darauf in Gestalt der zwei
Classen der Monarchianer , deren Häupter einerseits Paul von Samosata,
andererseits Sabellius waren. Es Hess sich allerdings einigermassen vor-
aussehen, dass ein Kampf zwischen beiden Richtungen entstehen würde,
wie denn in der lateinischen Kirche bereits ein leiser Anfang davon ge-
macht wurde. Im Morgenlande entbrannte der Conflict, als der Unter-
schied der beiden Richtungen aus dem Kreise der Schule, der theolo-
gischen Verhandlung heraustrat und auf der Kanzel zur Sprache gebracht
wurde. Dass aber der Conflict so erbittert wurde, solche praktische Re-
sultate hatte , das rührte zum Theil daher , dass es sich nicht blos um die
Ehre des Erlösers, sondern vorzüglich auch um die Ehre seiner Mutter
handelte, welcher zu Ehren seit Anfang des fünften Jahrhunderts Kirchen
waren erbaut worden.
2) Die nestorianische Streitigkeit und das dritte ökume-
nische Concil zu Ephesus, im Jahr 431.
Es Ik das erste Stadium jenes Kampfes, das mit dem äusseren
Siege der alexandrinischen Lehrform endigte.
g. 1. Aeussere Geschichte des Streites.
Nestorius, eine Zeit lang Mönch, sodann Presbyter in Antiochien,
wenn nicht in der Schule des Theodor von Mopsuestia gebildet, so doch
vom Geiste der antiochenischen Dogmatik durchdrungen, wurde 428 auf
den Patriarchenstuhl von Constantinopel erhoben. Er zeigte alsobald mön-
chische Starrheit und hierarchischen Verfolgungseifer. „Gebt mir, so sprach
er zum Kaiser in seiner Antrittspredigt, gebt mir ein von den Häretikern
gereinigtes Land, und ich will euch den Himmel dafür geben. Helft mir
die Häretiker besiegen, und ich will euch die Perser besiegen helfen.''
Denn in diesen kirchlichen Würdeträgern, sie mögen nun Nestorius oder
Cyrillus oder selbst Chrysostonuis heissen , ist, vermöge ihres hohen Selbst-
bewusstseins als der Träger der Hierarchie, besonders wenn noch derEinfluss
des Mönchlebens hinzukommt, etwas Herbes und Hartes. Mit gleichem Eifer
verfolgte Nestorius Arianer, Novatianer und Quartodecimaner, ohne Unter-
scheidung des Wesentlichen und Unwesentlichen i). Indem er nun auch
die bereits grassirende Mariolatrie angriff", gerieth er in einen Kampf, in
dem er schliesslich unterliegen musste.
Es war nämlich die Benennung ^sotdxog, Bei genitrix, Gottesge-
1) Sokrates 7, 29.
298 Zweite Periode des alten Katholicisrauä.
bärerin, Mutter Gottes, im Morgeiilande und im Abeiidlande bereits sehr
gebräuchlich geworden. Athanasius hatte den Ausdruck gebraucht, ebenso
Epiphanius, Cyrill von Jerusalem, Didymus, Gregor von Nazianz, welcher
letztere den sogar für gottlos erklärte, der diesen Namen der Maria zu
geben sich weigerte i). Die Männer der antiochenischen Richtung miss-
billigten die Benennung oder wollten sie nur mit starker Einschränkung
des Sinnes gestatten — mit vollem Rechte. Denn sie enthielt dem Keime
nach die ganze Mariolatrie in sich. Sollte die Wurzel der abgöttischen
Verehrung der Mutter des Herrn getilgt werden, so musste man die Be-
nennung Mutter Gottes beseitigen.
Nestorius traf bei seiner Ankunft in Constantinopel eine sich kund
gebende Divergenz der Ansichten über jene Benennung vor 2) und beson-
ders, wie es scheint, eine starke Neigung, Maria Mutter Gottes zu nennen,
und aus ihr eine Art Göttin {^sav) zu machen 3). Es war übrigens nicht
Nestorius selbst, der den Streit auf der Kanzel eröffnete, sondern, wohl
auf seine Veranlassung, einer der von Antiochien mitgebrachten Presbyter.
Anastasius, der das besondere Vertrauen des Patriarchen genoss. ^J<;einer,
sagte er, nenne die Maria Mutter Gottes, denn sie war ein Mensch, Gott
kann aber von keinem Menschen geboren werden.^ Schon diess machte
Aufsehen und erregte den Verdacht, dass der Prediger Jesum als blossen
Menschen sich denke. Allein ein weit grösseres Aufsehen machte es, als
ein Bischof aus Mösien, der sich gerade in der Residenz aufliielt, in einer
Predigt ausrief: ^Verdammt sei, wer die Maria Mutter Gottes ^iny^ und
als Nestorius diesem Bischof nicht widersprach. Seitdem wurde wie* Frage,
betreffend die Zulässigkeit jener Benennung lebhafte Streitfrage unter
Geistlichen und Laien. Es geschah, dass ein Advokat einen Prediger, der
gegen den Ausdruck ^eotoxog protestirte, vor der ganzen Versammlung
unterbrach. Nun mischte sich auch Nestorius in den Streit. Er verwarf
in seinen Predigten den Ausdruck als falsche Vorstellungen erweckend.
Zugleich suchte er den Schein von sich zu entfernen, als ob er Christo die
göttliche Natur abspreche; er schlug den Ausdruck xQ^^^^otoxog vor, als
mezzo termino zwischen &€oj6xog und ap&QconoToxog, welchen letzteren Aus-
druck manche Anhänger des Nestorius beliebten. In einer Predigt, in
welcher er sich in diesem Sinne aussprach, wurde er selbst von einem
Laien unterbrochen: ;,der ewige Logos selbst hat sich einer zweiten Geburt
unterzogen.^^ Darob entstand unter der versammelten Menge eine heftige
Bewegung, da die Einen Partei für Nestorius, die Anderen für jenen
Laien nahmen. Nestorius fuhr fort zu reden, lobte den Eifer der Einen,
1) Hesychius, Presbyter in Jerusalem, ging soweit, David &€0 7ittTcoQ zu nennen; in
apokryphischen Schriften wird Jakobus a(ffk(fo9fog genannt.
2) Nach dem Brief des Nestorius an Bischof Johannes von Antiochien bei Hefele
2, 136. Hingegen nach Sokrates 7, 32 hat Nestorius durch den Presbyter Anastasius die
Sache zuerst in Anregung gebracht. Auf jeden Fall muss er durch die Stimmung, die er
vorgefunden, dazn veranlasst worden sein, wenn gleich dahin gestellt bleibt, was Nestorius
in jenem Briefe versichert, ob bei seiner Ankunft die Divergenz schon die Gestalt an-
genommen, dass die einen Maria »soroxog, die anderen ar&QCJTioToxog nannten.
3) Es ist diess ein Ausdruck, den Nestorius gebrauchte.
Die nestorianische Streitigkeit. 299
Jenen, der ihn unterbrochen, nannte er einen elenden, frevelhaften Menschen.
Da trat an einem Marienfeste 429, von Nestorius dazu eingeladen, Bischof
Proclus von Cyzicus, in die Schranken. In Anwesenheit des Nestorius
erging er sich in schwülstigen Ausdrücken über Maria als Mutter des
menschgewordenen Logos und gab zu verstehen, dass die Andersgesinnten
die Gottheit Christi läugneten i); nachdem er geendet, ergriff Nestorius
das Wort und warnte die Gemeinde, sich nicht durch den Glanz der Kede
blenden zu lassen. Er hielt nachher noch einige Predigten über denselben
Gegenstand, worin er erklärte, in welchem Sinne er den Ausdruck ^eo-
toxog zugeben könne; er sagte sogar, Maria sei verehrungswürdig, weil
sie Gott in sich aufgenommen habe 2). Allein das Alles war nicht vermö-
gend, die wachsende Gährung der Gemüther zu stillen. In der Haupt-
kirche zu Constantinopel wurde ein Zettel angeschlagen, worauf Nestorius
mit Paul von Samosata verglichen wurde. Ein Mönch erdreistete sich, dem
Nestorius, als er das Ambon betreten wollte, sich entgegenzustellen, weil
der Häretiker nicht öffentlich lehren dürfe; dieser Mönch wurde bestraft
und aus Constantinopel verwiesen. Zu derselben Zeit wurden einige Geist-
hche, Gegner des Patriarchen, die gegen ihn gepredigt, von einer Synode
in Constantinopel, als manichäisch gesinnt, abgesetzt. So bereitete sich
Alles zu einer Kirchenspaltung vor. Sie kam zum Ausbruch durch den
Patriarchen Cyrill von Alexandrien, Nachfolger und Neffen des Theo-
philus, berüchtigten Andenkens. (S. S. 244).
Er war der entschiedenste Vertreter der alexandrinischen Christolo-
gie , und hatte schon vor der Erhebung des Nestorius auf den Patriarchen-
stuhl von Constantinopel in der Schrift über die Menschwerdung des Logos
als Zugabe zu seinem Werke über die Trinität sich in jenem Sinne aus-
gesprochen. Wenn er also Nestorius bekämpfte, so that er es mehr oder
weniger aus Ueberzeugung, womit nicht geläugnet werden soll, dass er
aus theologischer Consequenzmacherei Nestorius Lehren aufbürdete, an die
dieser keineswegs dachte, und dass er in der Hitze des Streites zu Mitteln
griff', die nicht ehrlich waren ^).
Als er von dem in der Residenz ausgebrochenen Streite Kunde er-
hielt, trat er anfangs gegen Nestorius, der am Hofe gut angeschrieben
war, mit Mässigung auf. Ohne dessen Namen zu nennen, bekämpfte er
die Verwerfung des ^eotoxog in einem der gewöhnlichen Osterschreiben,
so wie in einem Warnungsschreiben an die egyptischen Mönche, unter
denen sich Anhänger des Nestorius fanden. Er stellte die Sache so dar,
1) Bei Mansi IV. 578.
2) Nach Cyrill adversus Nestorium 1, 2, lehrte dieser: „so wie das Weib den Leib
des Kindes gebiert, Gott aber die Seele einhaucht, und deswegen das Weib nicht Mutter
der Seele genannt wird, sondern Mutter des Menschen, so gebar auch Maria den Menschen
mit dem durch denselben hindurchgehenden Logos Gottes, und ist deswegen nicht Gottes
Gebärerin." — Es ist ein vollkommen richtiger Gedanke, dass der Satz: Maria hat Gott
geboren, dem entspricht: das gebärende Weib hat die Seele des Kindes geboren.
3) Er war von vornherein sein Gegner, da er der Wiederherstellung der Ehre des
Chrysostoraus , die Nestorius betrieb, sich widersetzte.
300 Zweite Periode des alten Katholicismus.
als ob die Verwerfung des ^eotOxog die Verwerfung der Gottheit Christi
in sich schlösse. Dieser zweite Brief, in vielen Abschriften herumgeboten,
goss neues Oel in die Flamme und Nestorius fühlte sich dadurch auf das
tiefste verletzt. Cyrill schrieb darüber sich rechtfertigend an Nestorius,
dieser an Cyrill. Cyrill that fortan das mögliche, um seine Partei in Con-
stantinopel zu verstärken, des Nestorius Ansehen bei Hofe zu schwächen.
Einen sehr empfindlichen Schlag versetzte er ihm, indem es ihm gelang,
die abendländische Kirche gegen Nestorius zu stimmen, — in einem Schrei-
ben an den römischen Bischof Coelestinus , worin dem Nestorius schuld
gegeben wurde, die Gottheit Christi zu läugnen und zu lehren, dass nicht
der Sohn Gottes, sondern blos ein Mensch für uns gestorben sei. Ver-
gebens erklärte Nestorius in einem Schreiben an Cölestin, er gebe die
Benennung ^eotoxog zu, wenn man dieselbe von der mit der Gottheit ver-
bundenen Menschheit verstehe. Es kam dahin, dass Nestorius auf einer
Synode zu Rom (430) für einen Häretiker erklärt wurde. Cölestin beauf-
tragte Cyrill, das Urtheil der römischen Synode in Vollzug zu setzen, und
wofern Nestorius niclit widerrufen wolle, sogleich für eine neue Besetzung
des Patriarchenstuhles zu sorgen.
Der Bischof von Rom masste sich hierin ein Recht an, das ihm nach
den damals geltenden Grundsätzen keineswegs zukam. Die Sache machte
sich auch nicht sogleich nach dem Wunsche Roms. Es würde zu weit
führen, wenn wir uns in alle einzelnen Verhandlungen und Operationen
des Streites einlassen wollten. Wir beschränken uns auf Angabe der ent-
scheidenden Momente. Cyrill erliess 430 im Namen einer Synode in Ale-
xandrien an Nestorius einen Briefe worin er diesen zum Widerrufe auffor-
derte; er entwickelte zugleich den Lehrbegriff, zu dem er sich bekennen
sollte, und stellte zwölf Anathematismen auf, worin das enthalten war, was
er widerrufen sollte. Es war darin eine h(x)(nq (pvdixti ^^^ beiden Naturen
in Christo gelehrt, und ausdrücklich der Begriff der (Twaipeia abgelehnt.
Nestorius, ohne sich um die Aufforderung zum Widerrufe zu kümmern,
wozu er vollkommen berechtigt war, antwortete durch zwölf Gegenanathe-
matismen. Sie fanden Anklang in den Kirchen Kleinasiens und Syriens,
während Cyrill's Anathematismen Bedenken erregten, weil dabei eine
völlige Vermischung beider Naturen herauszukommen schien. Theodoret,
Bischof von Cyrus, widerlegte dieselben in einer eigenen Schrift , dazu auf-
gefordert durch Bischof Johannes von Ephesus. Da berief Theodosius H.
eine neue allgemeine Kirchenversammlung nach Ephesus auf das Jahr 431.
Cyrill und Nestorius, die auch die Einladung dazu erhalten hatten, kamen
zu dem bestimmten Zeitpunkte in Ephesus an. Cyrill mit seinem Anhange
war zuerst gekommen, indess die Ankunft der morgenländischen, antioche-
nisch gesinnten Bischöfe durch mehrere, von ihrem Willen unabhängige
Ursachen verzögert wurde. Noch waren sie nur noch wenige Tagreisen
von der Stadt entfernt, als Cyrill eigenmächtig das Concil eröffnete, den
Nestorius als Angeklagten behandelnd vor das Concil beschied und deu
sich dessen beharrlich weigernden alsobald verdammen und das Absetzungs-
urtheil über ihn aussprechen Hess. Einige Tage darauf langten die mor-
genländischen Bischöfe an und fanden zu ihrem Erstaunen alles schon
Die nestorianische Streitigkeit. 301
entschieden. Doch versammelten sie sich unter dem Vorsitze des Bischofs
Johannes von Antiochien und erklärten Cyrill sowie dessen vornehmsten
Gehülfen Bischof Memnon von Ephesus für abgesetzt. Theodosius, der
unterdessen durch die cyrillische Partei am Hofe gegen Nestorius bear-
beitet worden und doch von vornherein an dem Benehmen des Cyrill An-
stoss genommen, bestätigte zuerst alle drei Absetzungen. Indessen Cyrill
wusste durch ihm ergebene Mönche und durch Bestechungen sich Gunst
am Hofe zu verschaffen. So verblieben Cyrill und Memnon in ihren Aem-
tern. Nestorius musste sich in sein ehemaliges Kloster, in der nächsten
Nähe von Antiochien gelegen, zurückziehen, wo er nun einige Jahre im
Frieden lebte. Es kam dahin, dass Cyrill und Johannes sich verstän-
digten. Jener unterschrieb das morgenländische, angeblich von Theodoret,
eigentlich von Bischof Johannes abgefasste Glaubensbekenntniss (mit Aus-
lassung des Einganges und des Schlusses, worin Cyrill's Lehre ausdrück-
lich verworfen war). Es wird in diesem Bekenntnisse Jesus vollkommener
Gott und vollkommener Mensch genannt, als solcher aus ipvxrj loyixri und
CMfia bestehend, — diess gegen den Apollinarismus , dessen man Cyrill be-
schuldigte, — derselbe vor der Zeit aus dem Vater gezeugt, in der letzten Zeit
zu unserem Heile aus Maria der Jungfrau nach der Menschheit geboren;
in ihm fand eine Einigung (evoKTig) beider Naturen statt. In Betracht dieser
Einheit ohne Verschmelzung (aavrx^^og hmaiq) wird die heilige Jungfrau
^eotoxog genannt, weil Gott Logos in ihr Mensch geworden und von der
Empfängniss an den aus ihr genommenen Tempel mit sich vereinigt hat.
Ein Bekenntniss, welches ganz und gar die Denkweise des Nestorius aus-
drückte ; denn der Begriff der acrvyx^'^og evwcnq entsprach so ziemlich dem
der avvatpeia beider Naturen, wie sie die antiochenische Schule lehrte. Auch
Bischof Johannes ging nicht rein aus diesem Streite hervor; unter den
drei Männern, die dabei am meisten betheiligt waren, bewahrte allein
Nestorius die Reinheit des Charakters; er blieb seiner Ueberzeugung un-
erschütterlich getreu, — auch in dem, worin er nachgab, aber desto
trauriger war sein Schicksal. Bischof Johannes opferte ihn, zu dem er
bis dahin gehalten hatte, mit dem er befreundet war, auf. Weil er den
von ihm verrathenen Freund nicht gerne in seiner Nähe sah, bewirkte
er, dass er nach der grossen Oase in Aegypten verwiesen wurde. Von
da aus allerlei Gründen oder unter allerlei Vorwänden von einem Orte
zum anderen geschleppt, starb er c. 440. Inmitten dieser Streitigkeiten
wurde auch die Lehre des Theodor von Mopsuestia, als Quelle des Nesto-
rianismus, besonders von Rabulas, Bischof von p]dessa in Mesopotamien,
der eine Zeit lang zu Nestorius gehalten hatte, angegriffen und der Ketzerei
beschuldigt. Die Schule in Edessa wurde eine Zeit lang der Zufluchtsort
der antiochenischen Lehre unter vielen Verfolgungen. Ibas, Bischof von
Edessa, Nachfolger des Rabulas, war sogar entschiedener Anhänger der-
selben und übersetzte die Schriften Theodor's in das Syrische. 489 wurde
die Schule aufgelöst; die Trümmer flüchteten nach Persien; so entstanden
die Nestorianer, chaldäische Christen, Thomaschristen, von denen
an einem anderen Orte die Rede sein wird,
302 Zweite Periode des alten Katholicismus.
§. 2. Nähere Betrachtung der christologischen Momente der
nestoriauischen Streitigkeit.
Des Nestorius Name kam mit dem Vorwurfe einer argen Ketzerei ge-
brandmarkt auf die Nachwelt, als ob Jesus, nach seiner Ansicht, blosser
Mensch gewesen und erst lange nach der Geburt auf irgend eine Weise
mit Gott verbunden worden sei. Es half nichts, dass noch zu Lebzeiten
des Nestorius sich Sokrates 7, 32 seiner annahm und auf Grund der Er-
forschung seiner Schriften die Unwahrheit jenes Urtheils behauptete h.
Luther, in die Fussstapfen des Sokrates tretend, war nach langer Zeit der
erste, der ihn auffallend milde beurtheilte ; er habe nicht die Gottheit
Christi geleugnet, noch zwei Personen in Christo gelehrt, sondern aus
Eitelkeit und Unverstand den Ausdruck Mutter Gottes verworfen 2), Zu
gleicher Zeit gewöhnten sich die lutherischen Theologen, die reformirte
Christologie des Nestorianismus zu beschuldigen, wogegen von Calvin an
die reformirten Theologen protestirten und in die Verwerfung des Nestoria-
nismus einstimmten, während andere reformirte und auch lutherische Theo-
logen urtheilten, es liabe ein blosser Wortstreit obgewaltet; diesem Ur-
theile widersprachen in unseren Tagen Neander, Baur, Dorner.
Nestorius ging zunächst davon aus, dass die Benennung d^eotoxoq et-
was Heidnisches an sich habe. „Hat denn Gott eine Mutter V^ so fragt er
in seiner ersten Predigt über diese Streitfrage. ^^Dann wäre das Heiden-
thum zu entschuldigen, das den Göttern Mütter zuschrieb.^ Diese Art von
Polemik ist derb, rücksichtslos, auch wohl unklug zu nennen, aber sie war,
was den zu Grunde liegenden Gedanken betrifft, vollkommen gerechtfer-
tigt; es war nöthig, die Kirche daran zu erinnern, dass sie mit ihrer Ver-
ehrung der Maria auf dem Wege sei, in Götzendienst zu verfallen. Aber
freilich wehe dem, der es wagte, die Kirche davor zu warnen! Was Chri-
stum betrifft, so sah Nestorius in jener Benennung eine Herabwürdigung
der Gottheit. Wenn er lehrte, dass Maria den Menschen, welcher der
Tempel Gottes w^erden sollte, geboren, so konnte er sich auf einen Aus-
spruch des Herrn berufen (Joh. 2, 19). Ebenso richtig war es, wenn er
die menschliche Natur das Organ, instrumentum, der Gottheit nannte, auch
indumentiim, das man verehrt wegen dessen, der es trägt. Man ehrt, was
sichtbar ist, wegen des darunter Verborgenen. Gott ist unzertrennbar von
dem, was den menschlichen Augen offenbar ist. Wie sollte ich also die
Ehi'e und Würde dessen zertrennen, der selbst nicht zertheilt wird'? Di-
1) Sokrates ist im Irrthum, wenn er meint, Nestorins habe blos deswegen den Aus-
druck (^foToxog verworfen, weil er nicht wusste, dass viele Kirchenlehrer, namentlich schon
Origenes ihn gebraucht und gebilligt hatten.
2) Siehe die Schrift von den Concilien und Kirchen. Erlanger Ausgabe Bd. 25
S. 303. Luther stellt übrigens die Ansicht des Nestorius doch falsch dar : wenn man sage,
die hat den oder den geboren, so meine man nicht, sie sei Mutter seiner Seele, und doch
besage es der Ausdruck; das ist nicht richtig, sondern der Ausdruck Mutter Gottes kommt
dem gleich, dass die und die die Seele des und des geboren habe ; darum verwarf Nestorius
den Ausdruck oder gab ihn nur mit berichtigender Ergänzung zu.
Die nestorianische Streitigkeit. Christologische Momente. 303
vido naturas, sed conjungo reverentiam i). So ist also Maxia d^eodoxog^ aber
nicht ^sozoxog] dieses ist allein Gott, der den Sohn aus sich gezeugt hat.
Der Sohn vereinigte sich mit dem von Maria geborenen, ward aber nicht
selbst von der Maria ; denn sonst würde es darauf hinaus kommen, dass
das Wort (der Logos) Geschöpf des Geistes ist, von dem er empfangen ist.
Maria ist also nur uneigentlich d^eotoxog wegen der geborenen Menschheit,
die mit dem Worte Gottes verbunden war 2). Wer anders lehrt , der ver-
fällt nothwendig in den Irrthum des Arius und ApoUinarius, die Christo einen
wahrhaft menschlichen vovg absprachen: die oft wiederholte aber gewiss
nicht unverdiente Beschuldigung, welche Nestorius gegen Cyrill vorbrachte.
Mit Recht berief er sich darauf, dass er die Schrift für sich habe. So oft
sie von der Geburt Christi rede, so gebrauche sie nie den Ausdruck Gott,
sondern Christus, oder Sohn, oder Herr, da diese drei Namen beide Natu-
ren bezeichnen. Mit Recht hob er hervor, dass der Ausdruck ^eotoxog in
der Schrift nicht vorkomme, dass auch die Väter in Nicäa ihn nicht ge-
braucht hätten. Bei der avva(p€ia^ noch dazu der aGvyxvtog (rwatpeta^
womit er nach Theodor die Verbindung der beiden Naturen bezeichnete, war
das Geheimniss der Menschwerdung des Wortes allerdings nicht erklärt, auch
nicht vollständig ausgedrückt. Aber wer hatte es bis dahin besser ausge-
drückt? Ist es dem Patriarchen von Alexandrien gelungen, eine innigere
Verbindung beider Naturen aufzustellen, ohne die Integrität einer jeden
von beiden zu gefährden?
Sowie es den Anschein hat, als werde nach Nestorius die Vereinigung
beider Naturen zu einer blos nominellen, so fällt derselbe Schein im Lehr-
begriff des Cyrill auf die Unterschiede zwischen beiden Naturen. Er will
in Christo den gegenwärtigen, in der Welt wii'klich gewordenen Gott ha-
ben, der ebenso an all dem Unserigen Theil nimmt, wie er unserer Natur
an dem Seinigen Autheil gibt. Daher sein Lieblingsausdruck: Christus ist
der mit uns seiende Gott, Emanuel. Seine Erlöserkraft liegt nicht im
Logos an sich, sondern darin, dass die Menschheit in ihm realen An-
theil an den Kräften des Logos hat. Um uns zu erlösen, musste der
Logos vollkommene Lebensgemeinschaft mit der Menschheit eingehen^ weil
er sowohl dem Leibe Unsterblichkeit, als der Seele Gerechtigkeit bringen
sollte. Beides hat er dadurch gebracht, dass er nach dem Fleische unser
Bruder ward und unserer Natur, zunächst in sich, belebende Kräfte mit-
theilte, eben dadurch aber an seiner Menschheit ein Organ bekam, um auf
die ganze Menschheit als auf die ihm wesensgleiche einzuwirken. Die
Menschheit des Logos ist also wesentlich das Ineinander der Aneignung
des Unsrigen {oixeiMaig^ idioTiotfjffig) und des Antheilgebens an dem Sei-
nigeu (xQivonoteiv). In der einen Person Christi ist das beides vollzogen,
dass der Sohn Gottes das Menschliche zu dem Seinigen gemacht und dass
er demselben Antheil gegeben an dem Seinigen. Daher alle Stellen der
Schrift, die von Christo handeln, von der Einheit beider Naturen gelten.
1) /(i)QtCo} Tag ifiv(fft<; nXV *Vw ttjv 7i()og xvt^rjffty.
2) propter uatam humanitatem conjanctam Dei verbo.
304 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Offenbar vertritt hier Cyrill eine Seite der Christologie, die durchaus
zur Sprache kommen musste und die ein tief-relijj^öses Interesse darbietet.
Doch, wenn diese Seite in der antiochenischen Lehre nicht hervorgehoben
wurde, so lässt sich deswegen nicht sagen, dass sie einen Widerspruch da-
gegen bildete. Die zwei Seiten schliessen einander nicht aus, sondern er-
gänzen sich gegenseitig. Nun aber gibt Cyrill der Sache eine Wendung,
wodurch ein Widerspruch angebahnt wird. Das Geboren werden, Leiden,
Auferstehen u. s. w. sind um so mehr auch auf die göttliche Natur zu be-
ziehen, als der Sohn Gottes, der Logos allein das Subject ist, das in Christo*
Träger von Prädicaten sein kann. Einem und demselben kommt das ewige
Sein und das Sterben zu, ja auch die Salbung mit dem heiligen Geiste.
Ohne das gibt es keine eigentliche Menschwerdung des Logos. Auch die
Menschheit wird durch den Logos der göttlichen Herrlichkeit theilhaftig;
die Gottheit ist der menschlichen Natur zu eigen geworden. Seine Mensch-
heit ist das Organ seiner Geistesmittheilung. Er belebt uns dadurch, dass
er uns seine erhöhte Menschheit zur Speise darreicht *). Das ist die
€P(o(Tig (fvatitri , aXrj^fjg^ die er der antiochenischen awaipeia entgegen-
stellt.
Wenn Cyrill sich mit diesen Sätzen begnügt hätte, so müssten wir
allerdings die grösste principielle Differenz zwischen ihm und Nestorius
annehmen; denn, wird mit jenen Sätzen voller Ernst gemacht, eignet sich
der Logos die menschliche Unvollkommenheit und Leidentlichkeit an, so
scheint es, dass Gott nach heidnischer Weise leidentlich gedacht werde,
eine Einwendung, die auch schon Nestorius erhoben hatte. Allein Cyrill
weist aufs entschiedenste alle solche Vorstellungen ab. Gott und Menschheit
sind ihm unendlich verschieden. Die menschliche Natur ist der göttlidien
völlig inadäquat («i/tcoc, avoiJLoiog). Gott ist die wesentliche Unwandel-
barkeit. Die göttliche Natur kann ebensowenig ihre Unversehrtheit auf-
geben, als die menschliche in die göttliche verwandelt werden. Es ist also
keine Rede davon, dass der Herr der Aeonen eigentlich geboren worden,
blos dem Fleische nach, (ragxixo^g d. h. xata (ragxa, ist er geboren; er hat
auf unleidentliche Weise gelitten: analog ena&ev. — Diess entspricht
im wesentlichen dem antiochenischen Satze: nicht der Logos hat gelitten,
sondern der Mensch. So musste Cyrill, um nicht auf wahrhaft heidnischen ^
Irrthum zu gerathen, die Spitzen seiner Lehre abbrechen, nur mit andern '
Worten dasselbe sagen, was Nestorius, mitliin unwillkürlich das Gestand- '
niss ablegen, dass kein principieller Gegensatz zwischen den beiderseitigen
Lehrformen bestehe.
Um aber dem Nestorianismus zu entgehen, betont er wieder die Ein-
heit beider Naturen. Vor der kvo^(ng gab es zwei Naturen, seit derselben
nur eine 2). Es gibt nun keinen Unterschied der Naturen mehr, sondern
nur verschiedene göttliche und menschliche Prädicate, aber für beiderlei
Prädicate nur Einen gemeinsamen Einheitspunkt (tpvaig). Als Bezeichnung
2) ^fr« Tr]y IvtaCiv wq ayrjQrj/ifyrjg rtjg (iq ^vo Sini o^rjg [iKtv tivni nKTrfvofify
Tijy Tov oiov (pvßty.
Der entychianische Streit. 305
dafür verwirft er zwar die Ausdrücke xgacfig, Vermischung, tgoTtti, Wand-
lung, (pVQiiog, Vermischung; das hindert ihn aber nicht, das Bild des un-
tereinander gemischten Weines und Wassers zu gebrauchen. Um dem Ein-
wurf zu begegnen, dass diese (pvfftxrj kvoofTig eine Veränderung des Logos
in sich schliesse, machte er geltend, dass es ja von Ewigkeit her Be-
stimmung des Logos gewesen sei, ins Fleisch einzugehen. Bei diesem Ein-
gehen ins Fleisch musste er doch eine Selbstbeschränkung des Logos an-
nehmen; daher die Formel: ^die göttliche Natur machte sich für die
menschliche erträglich" {oktttj) und „indem der Logos die menschliche
Natur annahm, überliess er den Gesetzen derselben eine Macht über sich^^
So Hess also der Logos der Bethätigung seines göttlichen Willens nicht
freien Lauf, um die menschliche Natur nicht aufzuheben. Auf der andern
Seite endigt die Lehre des Cyrill mit einer Verkürzung der menschlichen
Natur. Er gebraucht nämlich vielfach das Bild von Seele und Leib, um die
Verbindung des Logos mit der menschlichen Natur auszudrücken. Da aber
der Leib keine Persönlichkeit hat, so ist hiemit die Schwierigkeit umgan-
gen, oder ist vielmehr wieder aufs neue eine andere Schwierigkeit offenbar
geworden ; d. h. Cyrill ist wieder ganz nahe bei dem Satze angelangt, dass
in Christo der Logos die Stelle des menschlichen vovg eingenommen hat.
Als Resultat des Ganzen stellt sich Folgendes heraus: es findet eine
principielle Differenz zwischen beiden Lehrbegriffen nur insofern statt, als
sie beide aus dem Gesichtspunkte ihrer äussersten Extreme betrachtet und
beurtheilt werden. Das Extrem des nestorianischen Lehrbegriffes ist die
Setzung von zwei Persönlichkeiten in Christo, die nothwendig keine Einheit
bilden können. Das Extrem der Cyrillischen Lehre ist der Begriff eines
als Mensch unter Menschen wandelnden Gottes, wobei der Mensch in Christo
nicht eigentlich erreicht, mithin auch die Menschwerdung nicht eigentlich
vollzogen ist, höchstens physisch, aber durchaus nicht ethisch. Nestorius
nun war w^eit davon entfernt, zwei Söhne Gottes, zwei Christi setzen zu
wollen; was Cyrill betrifft, so hat er wenigstens, wo er schien auf das Ex-
trem seiner Lehre hinaus zu gerathen, immer wieder eingelenkt. Hätte
er mit voller Consequenz seine Anschauung verfolgt, so hätte er zuletzt
im Doketismus endigen können. Hierin zeigt sich deutlich die Opportu-
nität der Opposition, die Nestorius gegen die alexandrinische Christologie
machte.
IV. Der Entychianische Streit. Die Räubersynode von
Ephesus im Jahre 449, und die vierte allgemeine Synode
zu Chalcedon im Jahre 451.
Cyrill behielt ungeachtet der Unterschreibung des von der Synode
zu Ephesus angenommenen Symbols seine Ansicht bei. Die Orientalen
hatten keinen Grund, das genannte Symbol zu verwerfen, obschon darin
die Maria ^eotoxog genannt wurde. So bestand der Zwiespalt fort,
künstlich verdeckt durch jenes Symbol und durch die Verdammung der
Lehre des Nestorius. Cyrill erklärte gegen antiochenisch-gesimite Bischöfe
Herzog, Kirchengeschichte I. 20
306 Zweite Periode des alten Katbolicismns.
die das ^eotoxog völlig annahmen, das genüge nicht zur Tilgung des ne-
storianischen Makels. Wer sich auf Diodor von Tarsus und auf Theodor
von Mopsuestia berufe, der hege noch immer den nestorianischen Irrthum.
Er drang daher auf die Verdammung der Lehre jener im Morgenlande so
hoch angesehenen Männer. Auf seinem Standpunkte war die Behauptung
vollkommen richtig, dass Theodor dieselbe, ja noch grössere Gottlosigkeit
lehre als Nestorius. Er tliat behufs der Verdammung der Lehre Theo-
dor's Schritte bei dem Kaiser und bei Proclus, dem Nachfolger des Nesto-
rius, doch vergebens; demselben Zwecke diente seine schriftstellerische
Thätigkeit bis zu seinem Tode im Jahr 444.
Dioskur, sein Nachfolger, trat ganz in seine Fussstapfen; er war
noch herrschsüchtiger und gewaltthätiger und scheute auch vor keinera
Mittel zurück, das den Sieg seiner dogmatischen Formel sichern konnte.
Vom Hofe begünstigt, suchte er die eifrigsten Bischöfe von der Gegen-
partei zu beseitigen, so namentlich Theodoret, der doch Cyrill für recht-
gläubig, aber freilich die ägyptische Christologie als Rückfall in die-
Lehre des Apollinarius erklärt hatte.
Um so mehr hielten die antiochenisch Gesinnten an ihrem Lehrbe-
griffe fest. Es gelang ihnen sogar, demselben bei einem wichtigen Anlass
Geltung zu verschaiFen und der ägyptischen Lehre eine Niederlage beizu-
bringen. Der Presbyter Eutyches, seit mehr als dreissig Jahren Archi-
mandrit eines Klosters bei Constantinopel , ein im Geruch der Heiligkeit
stehender Greis, der sein Kloster nie verliess, aber viele Besuche empfing,
ein ehrlicher, aber geistig beschränkter Mann, äusserte sich gegen die
Besucher über das Geheimniss der Menschwerdung so, dass er selbst Gleich-
gesinnten Anstoss gab. Er war früher Gehülfe des Cyrill gegen Nesto-
rius gewesen; er war Haupt der cyrillischen Mönchspartei, stand auch mit
Dioskur in Verbindung und galt viel bei dem mächtigen Oberkammerherrn
des Kaisers, Chrysaphius. Im Vollgefühl seiner Autorität erliess er 448
ein Schreiben an den römischen Bischof Leo, dass die nestorianische
Ketzerei wieder um sich greife. Da trat gegen ihn ein Mann auf, der
einer der eifrigsten Anhänger der Lehre CyrilFs und einer der eifrigsten
Gegner des Nestorius war, Euseb, Bischof von Dorylaeum, doch
wollte er die Spitzen oder Extreme der ägyptischen Christologie vermieden
wissen. Da er Eutyches wohl kannte und ihn bisweilen besuchte, lernte
er die Ueberspanntheit des Mannes kennen, und ermahnte sich zu massi-
gen. Da Eutyches darauf nicht einging, wendete sich Euseb an eine
damals in Constantinopel versammelte Synode der gerade in der Residenz
anwesenden Bischöfe (ffvi^odog svÖTj^ovaa) und übergab ihr eine Anklage-
schrift gegen Eutyches, als der über die Menschheit Christi eine blasphe-
mische Lehre vertrete, und die krlehre des Valentin (eines Anhängers
von Apollinarius) und des Apollinarius erneuere (448). Flavian, Patriarch
von Constantinopel, ein mild und friedfertig gesinnter Antiochener, dessen
persönlicher Feind Chrysaphius war, und der neue Verwicklungen und
Erschütterungen befürchtete, rietli zu privater Verständigung, doch ver-
gebens; Eutyches wurde vor die Synode geladen; er erschien erst nach
Der eutychianische Streit. 307
dreimaliger Aufforderung, umgeben von Soldaten und Mönchen, die für
seine Sicherheit sorgen sollten.
Aus dem angestellten Verhöre ergab sich Folgendes als Lehre des
Mannes: vor der Einigung bestanden in Christo zwei Naturen, nach der-
selben nur eine und zwar als des Fleisch gewordenen Gottes. Er war auch
angeklagt worden zu lehren, dass Christus nach seiner Leiblichkeit mit
uns nicht gleichen Wesens sei; dagegen erklärte er: ;,soll ich sagen, dass
Christus (in genannter Beziehung) mit uns gleichen Wesens sei, so sage
ich auch diess ^). Da er aber darauf bestand, dass nach der Einigung nur
noch von Einer (des Fleisch gewordenen Gottes) Natur die Rede sein könne,
sprach die Synode, ungeachtet aller Versuche, sie einzuschüchtern, das
Urtheil über ihn. Eutyches wurde aus dem Priesterstande, aus seinem
Range als Archimandrit, aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgestossen.
Es war ein entschiedener Sieg der antiochenischen Lehre über die cy-
rillische.
Daher gab diese Verurtheilung des Eutyches das Zeichen zu einer
gewaltthätigen Reaction von Seiten derjenigen Partei, deren Vertreter er
war, so wie zu einem augenblicklichen Siege derselben. Dioskur, auf den
sich p]utyches berufen, war die Seele dieser Reaction. Die Gunst, deren
er am Hofe genoss, sowie die Zustimmung des römischen Bischofs, auf die
er hoffte, schien ihm den Weg zu bahnen. Eutyches nämlich hatte also-
bald nach seiner Verurtheilung an die Bischöfe von Alexandrien und von
Rom appellirt und Leo sich verletzt gegen Flavian ausgesprochen, dass er
nicht schon vorher von der Streitsache in Kenntniss gesetzt worden sei.
Er wisse nicht, mit welchem Rechte Eutyches verurtheilt worden, er be-
gehre zu wissen, welch ein neues, dem alten Glauben zuwiderlaufendes
Dogma Eutyches aufgestellt habe. Aber auch Euseb von Doryläum hatte
an Leo berichtet; darüber schrieb dieser an den Kaiser, dass aus den
Aeusserungen Euseb's die Häresie, deren man Eutyches beschuldigt habe,
nicht deutlich erhelle; zu tadeln sei das Stillschweigen Flavian's; er hoffe
aber, dieser werde es brechen, damit er (Leo) das Urtheil fällen könne.
Theodosius H. , dem Eutyches geneigt, durch Chrysaphius gegen
Flavian eingenommen, für Dioskur günstig gestimmt, befahl, auf Grund
der Appellation des Eutyches an ein neues allgemeines Concil, obwohl Leo
und Flavian alles mögliche thaten, um die Sache zu hintertreiben, — die
Versammlung einer neuen Synode nach Ephesus auf das Jahr 449, von
welcher die nestorianische Lehre bis auf ihre letzte teuflische Wurzel aus-
gerottet werden müsse, — so lauteten die Worte des kaiserlichen Aus-
schreibens. Von der Synode blieben alle Männer ausgeschlossen, von
welchen ein kräftiger Widerspruch gegen die ägyptische Lehre zu befürch-
ten war, namentlich Theodoret, so wie alle Mitglieder der Synode, welche
Eutyches verurtheilt hatte. Diese nebst Flavian sollten vor der Synode
als Angeklagte erscheinen, um die Entscheidung des Concils zu verneh-
men. Dioskur sollte den Vorsitz führen und von der Entscheidung des
1) Et (ff cf*i UTiett^ ofioovßioy vf^tv, xai tovto X(y<o. BeiMansi, Sacrorum Con-
ciliorura nova et amplissima collectio VII. 741.
3Q3 Zweite Periode des alten Katholicismns.
Concils sollte es abhängen, ob Theodoret an der Synode Theil nehmen
dürfe. Zugleich verordnete der Kaiser, dass der Abt Barsumas als
Repräsentant der cyrillischen Mönchspartei im Concil Sitz und Stimme
haben sollte. Zwei kaiserliche Bevollmächtigte wurden der Synode beige-
ordnet, mit dem gemessenen Befehl, denjenigen, der zum Nachtheil des
wahren Glaubens Unruhen errege, in sicheren Gewahrsam zu bringen.
So war das Resultat der Verhandlungen im Voraus bestimmt.
Dazu kamen die zum Theil in Gewaltthätigkeiten übergehenden
Drohungen Dioskur's und seines Anhanges, unterstüzt von Mönchen, Sol-
daten und Krankenwärtern, die dieser Synode den Namen Raub er Sy-
node, avvodoq XTjffTQixrj, latrociniiim Ephesiniim eingebrannt ha,-
ben, aber freilich hätten alle Gewaltthätigkeiten nichts gefruchtet ohne
die Feigheit der Bischöfe. Der Plan Dioskur's ging dahin, seiner Sache
den Anschein zu geben, als ob es sich blos um Bestätigung der Beschlüss'3
von Nicäa und Ephesus handle. Daher erklärte er für verdammt denjeni-
gen, der diese Beschlüsse wieder in Frage stelle. Diese Erklärung wurde
mit rauschendem Applaus aufgenommen. ^^Heil dem Dioskur, dem grossen
Wächter des Glaubens/^ Als ein Bischof von zwei Naturen Christi sprach,
riefen die Mönche: ,,schneidet den selbst entzwei, der von zwei Naturer
redet." Als Euseb von Doryläum die Lehre von zwei Naturen vortragen
wollte, riefen viele Stimmen: ;;Wie Euseb den Herrn entzwei geschnitten,
so werde er selbst entzwei geschnitten." Darauf wurden die Bischöfe
Flavian, Euseb von Doryläum, Domnus von Antiochien excommunicirt und
abgesetzt. Dabei erlitt Flavian thätliche Misshandlungen und wurde in
die Verbannung geführt. Theodoret wurde aus seiner DiÖcese entfernt,
und in ein Kloster verwiesen. Es war die brutale Reaction gegen den
Sieg der Antiochenisch- Gesinnten über Eutyches.
Inzwischen konnte es dabei sein Bewenden nicht haben. Es erfolgte
ein Rückschlag gegen diese Räubersynode, wodurch die beiden einander
gegenüber stehenden Lehrbegriffe mit einander einigermassen ausgesöhnt
wurden. Diess geschah auf dem vierten allgemeinen Concil von Chalce-
don. Die Geschichte dieses Concils führt uns auf den wachsenden Einfluss
Roms auch in dogmatischen Dingen. Rom w\ar der Felsen, an welchem
die Schroffheit und Willkür Dioskur's zerschellte und sich die Niederlage
bereitete. Es sass damals auf dem römischen Bischofstuhle ein Mann von
festem Charakter, von grosser Klugheit und Gewandtheit, von theologischer
Bildung, wenn gleich ohne eigentlich speculatives Talent, aber überall das
Wesentliche herauszufinden bemüht, zugleich von eifrigem Streben erfüllt,
den Primat Petri geltend zu machen. Es war der schon genannte Leo L
Sobald er von der Lehre des Eutyches genauere Kunde erhalten,
hatte er in dessen Verurtheilung , sofern er nicht widerrufe, gewilligt und
insbesondere an Flavian einen die streitige Lehre betreffenden Brief ge-
schrieben , der eine grosse normative Bedeutung erhalten hat. Er ist noch
vor der Räubersynode geschrieben und trägt das Datum 13. Juni 449 »).
1) Er findet sich lateinisch in verschiedenen alten Sammlungen nnd zuletzt bei He-
fele 2, 335, deutsch bei Fuchs, Bibliothek der Kirchenversammlungen Bd. 5. Die grie-
Der eutychianisGhe^Streit. Der Brief Leo's.
Ueber diesen Brief sind die verschiedenartigsten Urtheile gefällt
worden. Während lutherische Theologen ihn nestorianisirend finden, läug-
nen diess reformirte Theologen; während Neander darin Beweise von
dialektischer Gewandtheit rindet, urtheilt Dorner, dass Leo geschickter
war , volltönende liturgische Formeln zu bilden, als die Sache wissenschaft-
lich zu fördern, und Baur behauptet, dass Leo mit seinem Bestreben, das
Gleichgewicht zwischen Nestorius und Eutyches zu halten, doch mehr auf
die Seite des ersteren, d. h. der Unterscheidung und Entgegensetzung der
beiden Naturen hinneige.
Es ist daher nöthig, uns mit dem Inhalte des Briefes näher bekannt
zu machen. Vor Allem ist das zu beachten, dass der Gegensatz gegen
Eutyches die ganze Darstellung beherrscht, so wie denn auch Eutyches
allein genannt wird, niemals aber Nestorius. Doch nicht Alles, was Leo
gegen Eutyches vorbringt, ist stichhaltig. Die positiv dogmatische Erör-
terung ist eine Durchführung des Satzes: Eine Person in zwei Naturen,
also nicht zwei Personen, was man dem Nestorius vorwarf, nicht Eine
Natur, die Irrlehre des Eutyches, nicht Verwandlung der menschlichen
Natur in die göttliche noch umgekehrt, nicht Verminderung, Depotenzirung
der göttlichen, nicht Verstümmelung der menschlichen Natur in der Weise
des Apollinariii;^. Allein über die Art und Weise der Peinigung, über das
innere Verhältniss beider Naturen zu einander gibt Leo keine positive
Auskunft. Die beiden Naturen werden so selbständig einander gegenüber
gestellt, dass man Leo mit eben so vielem Hechte wie Nestorius den Vor-
wurf machen könnte , er habe die beiden Naturen so scharf von einander
unterschieden, dass eine Einigung derselben logisch undenkbar sei, dass
vielmehr zwei Personen herauskommen, daher denn auch die Monophysiten
Leo den neuen Nestorius gescholten haben. In der That unterscheidet er
sich von diesem hauptsächlich dadurch , dass er den Ausdruck Bei genitrix,
Mutter Gottes unbedenklich zugab, und dass er die Unversehrtheit und
Vollständigkeit einer jeden der beiden Naturen noch mehr hervorhob, als
es selbst Nestorius getlian hatte.
So lehrt er : ;,in der unversehrten und vollständigen Natur eines wahr-
haften Menschen ist Gott geboren worden, vollkommen in dem Sei-
nen, vollkommen in dem Unsrigen (totus in suis, totus in nostris).
Er nahm die Knechtsgestalt an ohne den Schmutz der Sünde, das Mensch-
liche erhöhend, das Göttliche nicht verringernd. Denn seine Entäusserung,
vermöge welcher der Unsichtbare sich sichtbar darstellte und der Schöpfer
und Herr aller Dinge einer von den Sterblichen sein wollte, war eine
Herablassung des Erbarmens, nicht ein Verlust der Macht O'^c/ewa^eo
fuit miserationis, non defectio potestatisj. Beide Naturen behal-
ten ohne alle Verringerung ihre Eigenheit. So wie die Gestalt Gottes,
forma Dei (Phil. 2, 7), die Knechtsgestalt, /orma servi, nicht aufhebt,
so verringert auch die Knechtsgestalt die Gestalt Gottes nicht. Der Sohn
Gottes, vom himmlischen Throne heruntersteigend, aber von der Herrlich-
clüache Uebersetzung bei Mansi V und bei anderen wurde in Constantinopel gemacht mi
in Clialcedon vorgelesen.
310 Zweite Periode des alten Katholicismns.
keit, die er bei dem Vater hatte, nicht zurücktretend, begibt sich also
in diese unsere Welt u. s. w. — Derselbe, der wahrer Gott ist, ist auch
wahrer Mensch, und in dieser Einheit ist keine J^üge, denn die Niedrigkeit
des Menschen und die Hoheit der Gottheit haben sich in ihm durchdrungen.
Denn, sowie Gott durch das Erbarmen nicht verändert wird, so wird die
Menschheit durch die Würde (mit der Gottheit geeinigt zu sein), nicht
aufgezehrt/^
^Denn beide Formen (beide Naturen) verrichten, jede in Gemeinschaft
mit der anderen, was jeder eigen zukommt. Das Wort (der Logos) wirkt
was des Wortes ist, das Fleisch, was des Fleisches ist. Das eine erglänzt
von Wundern, das andere unterliegt der Schmach. Die fleischliche Geburt
ist eine Kundgebung der menschlichen Natur; die Geburt aus der Jungfrau
ein Zeichen göttlicher Kraft. Derselbe, den als Menschen die teuflische
List versucht, empfängt von den Engeln Dienste als Gott. Hungern, dür-
sten, müde werden und schlafen, ist offenbar menschlich. Aber mit fünf
Broden fünf tausend Menschen sättigen, der Samariterin lebendiges Was-
ser darreichen, welches den Durst der Trinkenden auf ewig stillen soll,
festen Fusses auf dem Rücken des Meeres wandeln, die erregten Wellen
beschwichtigen und den Sturm stillen, das ist ohne Zweifel göttlich. Sowie
es nicht derselben Natur zukommt, den verstorbenen Freund mitleidig zu
beweinen und ihn, nachdem er drei Tage im Grabe gelegen, wieder auf-
zuerwecken, so kommt es auch nicht derselben Natur zu, zu sagen: ^ich
und der Vater sind eins, ^ und ^^ der Vater ist grösser, denn ich." Wegen der
Einheit der Person, die aus zwei Naturen besteht, wird gesagt, dass des
Menschen Sohn vom Himmel herabgestiegen ist, und dass der Sohn Gottes
das Fleisch von der Jungfi'au angenommen i)."
Leo hat das Verdienst, die angefochtene Lehre von zwei Naturen in
Christo aufs neue gegen alle Anfeindungen deutlich und scharf formulirt
zu haben. Allerdings bleibt dabei das Problem der Menschwerdung des
ewigen Wortes, der Einheit von Gottheit und Menschheit in Christo unge-
löst. — Vor allem begreift man nicht, wie Leo den Satz: totus in suis
festhalten kann. Denkt er sich die Entäusserung Christi nach Art und
Weise der Kryptiker des siebzehnten Jahrhunderts? wie ist es möglich,
vom himmlischen Sitze herunterzusteigen, ohne auf die do^a wenigstens
für die Zeit des Erdenlebens soviel als zu verzichten? Leo geht über die
Schrift hinaus, wenn er nicht eine Selbstbeschränkung Gottes setzen will,
nach Phil. 2, 6. 7. Er deutet sie zwar an in einigen der angeführten
Stellen, er hebt sie aber wieder auf an anderen Stellen. Der Ausdruck:
totus in suis macht aber noch in anderer Beziehung Schwierigkeit. Das
1) Eine in denselben Antithesen sich bewegende, eben so erhebende Darstellung
der Doppelnatur Christi und ihrer Prädicate und Verrichtungen gibt Gregor von Nazianz
in seiner dritten theologischen Eede bei Thilo, bibliotheca dogmatica 2. Bd. S. 460. Doch
von grösserer Bedeutung ist es, dass Leo in derselben Epistel sich an Augustin oft bis
zn wörtlicher Uebereinstimmung anschliesst, wie Dorner a. a. 0. S. 105 mit Recht be-
merkt. Namentlich führt auch Augustin die beiden Naturen mit dieser Benennung forma, —
forma Dei, forma servi an. Augustin hat Leo den Grundgedanken zu dessen Epistel geliefert.
Der eutychianische Streit. Synode zu Chalcedon. 311
Göttliche ist also dasjenige, was Jesu eignet, das Menschliche aber nicht.
Da scheint die menschliche Natur nur als Existenzform aufgefasst zu sein und
es ist zweifelhaft, ob und wie weit Jesus ein wahrhaft menschliches Bewusst-
sein hatte. Doch auch die göttliche Natur wird ja nur als Existenzform ge-
fasst, als fwma, — als forma Dei, Gestalt Gottes, sowie die menschliche als
forma servi, als Knechtsgestalt. Wenn es nun heisst, dass die beiden Exi-
stenzformen in der Einheit der Person sich vereinigten, so ergibt sich, dass das
Selbstbewusstsein Jesu weder ein rein göttliches, noch ein rein menschliches,
sondern ein Selbstbewusstsein sui ge^ieris war, aus der Vereinigung von
Gottheit und Menschheit hervorgegangen. Die Einheit der Person steht
über den beiden Existenzformen, und das ist eben der dunkle, unaufge-
hellte Punkt.
Diesen Brief sandte Leo durch drei Abgeordnete an Flavian; sie soll-
ten an der Synode zu Ephesus Theil nehmen, den genannten Brief in
griechischer Uebersetzung vorlesen. Diese Männer mussten aber in Ephesus
eine höchst unbedeutende Rolle spielen; sie waren Zeugen der ärgerlichen
Auftritte, welche diese Synode kennzeichnen, ohne sie hindern zu können.
Vergebens suchten sie nur das durchzusetzen, dass sie Leo's Brief lesen
dürften. Dioskur, ohne es geradezu abzuschlagen, wusste es doch immer
auf geschickte Weise zu hintertreiben oder hinauszuschieben. Flavian
aber übergab einem der römischen Abgeordneten, dem Diakon Hilarius,
eine au den Pabst gerichtete Appellation an ein grösseres in Italien zu
versammelndes Concil mit. Hilarius entging den Gewaltthätigkeiten Dios-
kur's, gelangte auf Umwegen nach Italien und berichtete sofort Leo Alles,
was sich in p]phesus zugetragen.
Dieser that nun alles Mögliclie, um der von ihm vertretenen Lehre
Eingang zu verschaffen und die Lehre des Eutyches zu verdrängen. Sein
Brief an Flavian wurde weithin verbreitet. Er schien die Lösung der
grossen Streitfrage zu geben. Leo schrieb noch mehrere andere Briefe
an den Kaiser^ an den Klerus und das Volk in Constantinopel , worin er
namentlich auch gegen Nestorius auftrat. So schien er also das von Vie-
len ersehnte Ziel zu treffen, weder mit Eutyches noch mit Nestorius es
zu halten, sondern die über beide Extreme hinausliegende Wahrheit zu
vertheidigen. Zu rechter Zeit trat eine für ihn günstige politische Wend-
ung in Constantinopel ein, eine jener Wendungen, wie wir sie in der Ge-
schichte des Pabstthums öfter finden und die, von den Päbsten geschickt
benützt, ihre Sache wesentlich gefördert haben. Theodosius nämlich ent-
zweite sich mit seiner Gemahlin Eudokia, der Gönnerin Dioskur's, und
Chrysaphius, der mächtige Günstling, ebenfalls Gönner Dioskur's, fiel
in Ungnade und wurde ins Exil geschickt. Pulcheria, Schwester des Kai-
sers, Gönnerin Flavian's, wurde wieder an den Hof gezogen, von dem sie
eine Zeitlang entfernt gehalten worden. Was aber vor allem wichtig war,
der Kaiser starb im Jahre 451, worauf Pulcheria den Senator Marcian hei-
rathete und ihm die Kaiserwürde verschaffte. Nun fiel die Partei und
Richtung des Dioskur und Eutyches in Ungnade , und die verbannten Bi-
schöfe, Gegner jener beiden, wurden zurückgerufen. Die neuen Herrscher
beschlossen, eine neue allgemeine Kirchenversammlung zu veranstalten.
312 Zweite Periode des alten Katholicismns.
Leo wünschte, dass sie in Italien statt fände. Marcian aber meinte, das
Concil werde ein besseres Resultat liefern, wenn es im Morgenlande und
zwar nicht weit von Constantinopel sich versammle. Leo musste sich fügen
und schickte seine Abgeordneten dahin ab.
Das Concil, anfangs in Nicäa, darauf in Chalcedon versammelt in der
Ivirche der heihgen Euphemia, hielt seine erste Sitzung am 8. October 451;
die Zähl der Anwesenden wird verschieden angegeben; aber so viel ist ge-
wiss, dass keine der früheren Synoden auch nur annähernd so zahlreich
gewesen i). Nach mannigfachen Verhandlungen, die zum Theil stürmisch wa-
ren, stellte das Concil einDecret (ögog) auf folgenden wesenthchen Inhaltes 2)
Das nicäuische Concil von 325, das von Constantinopel vom Jahre 381 werden
zuerst unverändert bestätigt, darauf die Lehre Cyriirs, wie sie in verschie-
denen Schreiben von ihm vorlag, zu dem bestimmten Zwecke, den Unsinn
{(pqevoßXaßeia) des Nestorius abzuweisen, sodann der dogmatische Brief
Leo's an Flavian zur Beseitigung des eutychianischeu Irithums, welcher Brief
mit dem Glauben Petri übereinstimmend und eine Säule zur Abwehr der
Angriffe der Häretiker genannt wird. Darauf folgt das eigentliche Glaubens-
bekenntniss, zunächst völhg übereinstimmend mit dem ephesiuischen, welches
Cyrill unterschrieben hatte. Die Synode bekennt den einen Herrn Jesum
Christum als vollkommenen Gott und vollkommenen Menschen, nach der
Gottheit gleichen Wesens mit dem Vater, nach der Menschheit gleichen
Wesens mit uns, aus zwei Natui'en {ax ovo ^vtrecop, andere Lesart er dvo
(pv(Te(Jiv) ^) , unvermischt {aavYX^'^^f^ih unwandelbar [atqsTixüiq) , un-
zer theil t {aöiccLQ6T(üg), un zertrennt {axonQKTToaq) , kundgegeben (yrw-
qvQoiievov) , so dass in keiner Weise die Verschiedenheit der Naturen durch
die Einigung aufgehoben ist, die Eigenthümlichkeit jeder Natur gerettet ist
und sie beide zu einer Person [rtqogMTiov) und Hypostase zusammenkommen T
Die vier Beiwöiter sollen die Lehre des Eutyches sowohl als die des Ne-
storius ausschhessen.
Die Synode begnügte sich nicht mit diesen Bestimmungen. Flavian,
der schon gestorben war, wurde mit Lob überhäuft und für einen Märtyrer
des wahren Glaubens erklärt, Dioskur, nachdem er vergebens mehrere Male
1) Die S}Tiode sagt in einem Schreiben an Leo, es seien 520 Bischöfe anwesend
gewesen; Leo gibt die ungefähre Zahl 600 an, — gewöhnlich werden 630 gezählt, alle
Griechen oder Morgenländische, ausser den päbstlichen Legaten und zwei Afrikanern. Die
Synode wurde präsidirt von den kaiserlichen Commissarien (sechs an der Zahl). Die
päbstlichen Legaten figurirten nur als die ersten Votanten, wie selbst Hefele zugibt
2, 402 —404. Wenn die Synode an Leo schreibt: „in deinen Stellvertretern hast du über
die Mitglieder der Synode die Hegemonie geführt, wie das Haupt über die Glieder, so
ist das eben eine Schmeichelei. Das Wahre an der Sache ist, dass Leo durch seine Lehre
die Synode beherrschte.
2) Bei Mansi YH 107, bei Münscher Dogmengeschichte I 304, deutsch bei Hefele
a. a. 0. 2, 450.
3) Die mehrsten und bedeutendsten Manuscripte lesen fy tfro q:vG(Civy die latei-
nischen in duabus naturis; man muss dann ergänzen ovr« oder vjiagxoyra; diese Lesart
passt weniger als die andere zu yv(0(jt^o/u(yop, denn yycjgtCiC&at ex riyog gibt einen
sehr deutüchen Sinn; dass ist weniger der Fall bei der Lesart sv dvo (pvceci yycogtCo'
ixeyov, doch durch diese Lesart ist die eutychianische Häresie bestimmter auggeschlossen.
Die pelagianische und semipelagianische Streitigkeit. 31 3
vor die Synode gefordert worden, abgesetzt und excommunicirt, Theodoret
in sein Amt wieder eingesetzt und der Bann über ihn aufgehoben. Aber er
musste Maria Mutter Gottes nennen und über Nestorius das Anathema aus-
sprechen, was er ungerne und erst nach mehrmaligen Austiüchten that; er
verstand sich dazu in dem Sinne, dass Nestorius den Ausdruck ^eotoxog unbedingt
verworfen und zwei Personen in Christo aufgestellt habe, da er wohl wusste,
dass beides nicht der Fall war. Es zeigte sich auf dieser Synode recht deut-
lich der Eintluss des Hofes. Dieselben Bischöfe, die in Ephesus Flavian ver-
urtheilt, erklärten ihn jetzt für einen Märtyrer des Glaubens, bekannten, sie
hätten geirrt, und schilderten etwas übertrieben die erlittenen Gewaltthätig-
keiten. Einige FeigUnge sagten, man habe ihnen ein ungeschriebenes Papier
zur Unterschrift vorgelegt. Sie priesen selig den Kaiser, die Kaiserin, sie
streuten Weihrauch dem römischen Bischof, einige meinten, sein Brief an
tlavian sei durch Inspiration zu Stande gekommen, und er wurde von den aller-
meisten deranwesenden Bischöfe unterschrieben und erlangte dadurch eigent-
hch symbolische Autorität.
Es gilt von den chalcedonischen Beschlüssen dasselbe, was von Leo's
dogmatischer Epistel an Flavian. Man konnte der Kirche Glück wünschen,
dass die volle Menschheit des Sohnes bei aller Anerkennung seiner Gottheit
definitiv aufgestellt und auch die Vermischung beider Naturen endgültig
abgewiesen wurde. Aufteilend ist es, dass dem Nestorius zuletzt, im ogog
des Concils, nicht sowohl Ketzerei als (pQsvoßXaßeicc zugeschrieben wird.
So theilt er das Loos Anderer, die man als Narren einsperrt, deren Ent-
deckungen man aber geläutert, fortgebildet sich aneignet.
Streitigkeiten, die von der lateinisch- abendländischen
Kirche ausgingen.
Die pelagianische und die semipelagianische Streitigkeit.
Stand der anthropologischen und soteriologischen Fragen bis
zum Ausbruche der pelagianischen Streitigkeit.
Es herrschten im Wesentlichen dieselben Begriöe wie in der früheren
Periode. In der morgenländischen Theologie finden sich nur geringe Ansätze
zu der Lehre von der Erbsünde, wie sie von Augustin ausgebildet worden.
Gregor von Nazianz lehrt, dass der Mensch durch die Sünde Adam's die
Unsterblichkeit und den näheren Umgang mit Gott eingebüsst habe. Von
Adam aus hat sich auf dessen Nachkommen fortgepflanzt eine Neigung zur
Sinnlichkeit, eine Knechtschaft des Fleisches unter den Geist. Im vierten
Carmen wird die Verführung des Urvaters und das verlockende Zureden der
Mutter als Quelle jener Neigung genannt i). Doch hat um deswillen der
Mensch die Freiheit, das Gute zu wählen, nicht eigenthch verloren; aber,
um diese Freilieit recht zu gebrauchen, dazu bedarf er der göttlichen Hilfe.
1) UUmann, Gregor von Nazianz S. 424. 426.
314 Zweite Periode dos alten Katholicismus.
Auf demselben Standpunkte stehen die anderen Lehrer der griechischen
Kirche. Bei den lateinischen Lehrern erhalten und bilden sich fort die Ideen
TertuUian's. Hilarius von Poitiers hält das vitium originis fest und lehrt
eine Ansteckung der Sünde durch die Geburt. Ambrosius beruft sich auf
Psalm 52, 7 in Sünden empfangen und geboren. Doch wird die innere Frei-
heit vom Werke der Bekehrung nicht ausgeschlossen. Hilarius sieht das
Beharren im Glauben als Geschenk Gottes an, hingegen den Anfang des
Glaubens als unsere That. Gott gibt das Wachsthum, weil wir in Folge
unserer Schwachheit die Vollendung nicht erreichen. Damit stimmen die
meisten Kirchenlehrer überein. Chrysostomus lehrt ausdrücklich, Gott komme
unserem freien Willen nicht zuvor, damit unsere Freiheit nicht darunter
leide. Wenn wir aber gewählt haben, dann gewährt er Hilfe. Wenn wij',
sagt er sehr bezeichnend (hom. 12 in Hbr.), alles Gute Gott zuschreiben,
so geschieht diess nach einer gewöhnlichen lledefigur, wie wir z. B. den Bau
eines Hauses einem Baumeister zuschreiben, obgleich auch andere, die Ar-
beitsleute und der Hausherr dazu beigetragen haben. Dieselbe Lehrweis(i
ist auch die der lateinischen Lehrer. Ambrosius allein macht eine Aus-
nahme (Comment. in Lucani 2, 14): Gottes Kraft muss auch zum Anfange
des Guten mitwirken; nur lässt er die Busse, die mit bitterer Heue über
die Sünde und Abwendung von derselben verbunden ist, der Wirkung dei
Gnade vorausgehen. Aber schon zum Anfang des Glaubens ist die Gnade
nöthig als mitwirkend. Was die Gnadenwahl und Vorherbestimmung betrifft,
so ist sie durchaus bedingt durch Gottes Vorherwissen. Gott hat voraus
erkannt, welchen Gebrauch die Menschen von ihrer Freiheit machen werden
und hat sie demgemäss bestimmt, entweder selig oder verdammt zu werden.
Christus ist für Alle gestorben; es wird der Universalismus des Heilsrath-
schlusses festgehalten. Gott will, dass Alle sehg werden, zwingt aber Nie-
manden dazu. Dass einige nicht sehg werden, ist ihre Schuld. So gibt es
einen ersten Willen Gottes, vermöge dessen Gott aller Menschen Heil will,
einen zweiten Willen, nach welchem er ihnen je nach ihrer Würdigkeit oder
Unwürdigkeit die SeUgkeit oder Verdammniss zutheilt.
Aeussere Geschichte der pelagianischen und der semipelagia-
nischen Streitigkeit.
Während die bis jetzt erörterten Streitigkeiten, obwohl von der grie-
chischen Kirche ausgegangen, sich in das Abendland verpflanzten, vom Abend-
land sehr bedeutende, zum Theil entscheidende Einwirkungen empfingen,
ist das nicht der Fall bei denjenigen Streitigkeiten, zu denen wii' jetzt über-
gehen. Der Pelagianismus wurde zwar von der dritten ökumenischen Synode
mit dem Anathema belegt, aber ohne dass irgend ein Kampf zwischen den
zwei im Abendlaude controvers gewordenen Lehrbegritfen voran gegangen
wäre. Ja, man kann sagen, dass der Pelagianismus in gewisser Hinsicht die
ins Extrem getriebene Lehre der griechisch - morgenländischen Kkche ist,
sowie denn die augustinische Lehre niemals im mindesten in dieser Kirche
einheimisch geworden.
Die Hauptperson in den genannten Streitigkeiten ist Augustin, obschon
Die pelagianische und semipelagianische Streitigkeit. 315
sie nicht von ihm den Namen empfangen haben. Schon längt ist die Be-
hauptung widerlegt worden, dass er blos aus Parteileidenschaft in Pelagius
und den Seinen Grundsätze bekämpft habe, zu denen er sich selbst bis zum
Ausbruche des Streites bekaunt hätte. Allerdings hat er in einer Schrift
aus dem Jahre 394 ^) sich sehr- scharf gegen diejenigen ausgesprochen, welche
Rom. 9 von der absoluten Prädestination verstehen. Gott hat, sagt er er-
läuternd, den Glauben erwählt (deus eleglt fidem) , vermöge seiner yrae-
scientia, so dass er diejenigen erwählte, von denen er voraus wusste, dass sie
glauben würden. Damit hängt es zusammen, dass der Glaube als Werk des
Menschen aufgefasst wird, dass wir aber das Gute vollbringen als das Werk
dessen, der den heiligen Geist solchen gibt, die an ihn glauben. Diese An-
sichten gab er lauge vor dem Ausbruch des Streites mit Pelagius auf; in
der Schrift de diversis quaestionibus ad Simplicianum ^ aus dem Jahre 397
stellte er soteriologische Sätze auf, worin sein späterer Lehrbegriff mit grosser
Deutlichkeit präformii't ist 2). Man kann nur so viel sagen, dass er im Ver-
laufe des Streites diesen Lehrbegriff nach allen Seiten hin genauer entwickelt
und begründet hat. Von einer radicalen Umänderung desselben konnte keine
Rede sein, aus dem einfachen Grunde, weil sie schon vollzogen war.
Der Manu , von dem die ganze Bewegung den Namen erhalten hat,
war aus Britannien gebürtig, daher Brito genannt, um ihn von einem an-
deren Pelagius zu unterscheiden. Er wurde Mönch, aber kein Mitglied
einer Klostergenossenschaft, noch auch Eremit. Er war allgemein ge-
achtet und wirklich achtungswerth. Zu Anfang des fünften Jahrhun-
derts nach Rom gekommen, kam er mit Leuten in Berührung, welche
sich mit dem historischen Glauben begnügten und die erasteren Anforder-
ungen des Evangeliums mit dem Vorgeben abwiesen, dass die menschliche
Natur eben verderbt sei. Es kam ihm auch ein Ausspruch Augustinus zu
Ohren: da quod jubes et j übe qiwd vis (Conf. 10, 29), er nahm daran An-
stoss, als ob dadurch dem Menschen der freie Wille abgesprochen wäre. In
Rom schrieb Pelagius seine Conmientare zu den paulinischen Briefen, worin
er seine Ansichten niederlegte. Aber es entstand dadurch noch kein Auf-
sehen. Der Ausbruch des Streites ging von einem anderen Manne aus.
Dieser Mann war Cälestius, den Pelagius in Rom als Advocaten
kennen lernte. Von diesem für das asketische Leben gewonnen, gab er sei-
nen Advocatenstand auf und nahm die theologische Richtung desselben an.
Er, der jüngere war keck, vordringend, während Pelagius sich zurückhaltend
zeigte. Beide Männer begaben sich 411 nach Carthago, wo Cälestius länger
verweilte, indess Pelagius bald nach Palästina segelte. Jener gewann Freunde
und bewarb sich um eine Presbyterstelle, allein der Diakon Pauhnus von
Mailand trat auf einer Synode in Carthago 412 als Ankläger gegen ihn auf
und gab ihm sieben häretische Sätze schuld : 1) Adam wäre gestorben, auch
wenn er nicht gesündigt hätte, 2) die Sünde Adam's hat nur ihm selbst
Schaden gebracht, 3) alle neugeborenen Kinder befinden sich in demselben
Zustande, in welchem Adam vor dem Falle war, 4) um der Sünde und um
1) Expositio quarnndam quaestionnm in ep. ad Romanos.
2) De perseverantia SS. c. 20: plenius sapere coepi in mei episcopatus exordio,
quando et initium fidei donum Dei esse cognovi et asserui.
316 Zweite Periode des alten Katholicismas.
des Todes Adam's willen sterben die Menschen nicht, noch stehen sie wieder
auf blos vermöge der Auferstehung Christi, 5) die neugeborenen Kinder, die
ungetauft sterben, ererben das Reich Gottes, 6) das Gesetz vermittelt den
Eingang zum ewigen Leben so gut wie das Evangehum, 7) auch vor Cliristi
Ankunft hat es sündlose Menschen gegeben.* Cälestius konnte sich nicht
genügend rechtfertigen und wurde daher aus der Kirchengemeinschaft aus-
geschlossen. Da er aber einige Anhänger gewonnen, so schrieb damals Augu-
stin gegen ihn und gegen Pelagius, dessen Schriften er kennen gelenit;,
beide mit Schonung behandelnd.
Des Pelagius Aufenthalt in Palästina gab Anlass, dass der Streit dorthhi
verpflanzt wurde. Pelagius reizte Hierou} nuis dadurch, dass er dessen Commen-
tar zum Briefe an die Epheser und die Schrift gegen Jovinian zu tadeln sich
herausnahm ; fortan galt er ihm als Yerläumder und als Anhänger des ketzeri-
schen Origenes ; so sprach er sich aus in der Vorrede zum Commentar über Jere-
mias; ausserdem schrieb er gegen ihn, docli ohne ihn zu nennen, die Epistel
an Ktesiphon und drei Bücher von Dialogen 415. In der Abneigung gegen
Pelagius wurde er bestärkt durch einen jungen, spanischen Geistlichen,
Orosius, Schüler des Augustinus, der auf dessen Anrathen nach dem Mor-
genlande sich begeben, um daselbst unter der Leitung des Hieronymus sich
weiter auszubilden. Die Sache kam zur Sprache auf zwei Synoden desselben
Jahres 415, in Jerusalem und in Lydda (Diospolis). In Jerusalem trat Oro-
sius als Kläger gegen Pelagius auf; es gelang diesem, sich zu rechtfertigen,
und es wurde ausgemacht , dass die Sache an den r(>mischen Bischof Inno-
centius I. berichtet werden sollte. In Lydda traten zwei abgesetzte abend-
ländische Bischöfe als Kläger gegen Pelagius auf; auch diessmal gelang es
ihm, sich zu rechtfertigen; und das Resultat war, dass Pelagius als Mitghed
der katholischen Kii'che anerkannt wurde, wozu die Klugheit seines Beneh-
mens, die Heftigkeit des Hieronymus, die Unbestinnntheit der griechischen
Theologie das ihrige beigetragen hatten. Augustin, davon unteiTichtet , liess
nun alle Schonung fahren und bekämpfte die i)elagiauische Lehre in vielen
Schriften, ausserdem wurde sie auf zwei africanischen Synoden (zu Mileve
und Carthago) 416 feierhch verdammt. Diese Synoden machten Anzeige
davon an den römischen Bischof lunocentius L; dazu kam, dass fünf africa-
nische Bischöfe, unter welchen Augustin, sich noch besonders an den Pabst
wandten, Pelagius und Cälestius beschuldigend, dass sie die Gnade im
eigentlich biblischen Sinne läugneten und darunter theils die natürlichen
Kräfte und Anlagen des Menschen, theils die historische Offenbarung verstünden.
Innocentius I. entschied zu Gunsten der Africaner und lobte sie, dass sie an
die Kirche des heiligen Petrus appellirt hätten; mit Augustin's LehrbegrifF
stimmte er zwar nicht völlig überein, was aber übersehen wurde. Auch
Pelagius wandte sich an Innocenz; aber sein Schreiben wurde erst nach
dessen Tode abgegeben. An die Stelle des verstorbenen war Bischof Zo-
simus gekommen, der, ein Grieche von Geburt, >vie sein Name es andeutet,
nicht dieselbe dogmatische Ueberzeugung wie sein Vorgänger hatte. Er
schöpfte seine Kenntniss von dem ausgebrochenen Streite theils aus dem
ßrief des Pelagius an Innocenz, theils aus der mündlichen Mittheilung des
nach Rom gekommeneu Cälestius. Dieser stellte die Sache so dar, alß ob
Die pelagianiBche nnd semipelagianische Streitigkeit, 317
es sich blos um speculative Fragen handle; übrigens werde er sich dem
Urtheile des römischen Bischofs williglich unterwerfen; die lateinischen Bi-
schöfe, die in Diospolis gegen Pelagius aufgetreten, seien leichtfertige Men-
schen. Zosimus, durch diese Erklärungen vollkommen zufrieden gestellt,
antwortete nach Caithago, die africanischen Bischöfe hätten die Sache nicht
gehörig untersucht und sich durch leichtfertige Menschen täuschen lassen.
Dazu kam die peremtorische Forderung, entweder solle in Zeit von zwei
Monaten eiu Ankläger gegen Cälestius in Rom erscheinen, oder es sollten
alle Zweifel an der Orthodoxie desselben beseitigt sein. Als jedoch die Afri-
caner, statt sich zu unterwerfen, dem römischen Bischof zu verstehen gaben,
dass er sich habe täuschen lassen, wiederholte dieser in einem zweiten
Briefe nicht mehr das Lob des Cälestius und Pelagius und suspendirte die
Entscheidung bis zu weiterer Untersuchung. Die Africaner hielten noch zwei
Synoden in Caithago 417 und 418, bei ihrer Meinung beharrend, dass wir
nämlich der Gnade Gottes bedürfen, nicht blos um Kenntniss zu haben von
der Gerechtigkeit, sondern auch um sie zu üben. Unterdessen gelang es
dem Augustin, durch den comes Valerius auf Kaiser Honorius einzuwirken,
so dass dieser vom Jahre 418 an mehrere Edicte gegen den Pelagius er-
liess. Zosimus, in dessen Umgebung sich eine mächtige antipelagianische
Partei gebildet, ohnehin eingeschüchtert durch die wiederholten Erklärungen
der Africaner sowie durch jene kaiserlichen Edicte, erhess eiu Circularschrei-
ben (epistola tradoria) , worin er den Beschlüssen der Africaner beitrat.
Mit Recht konnten daher die Pelagianer den Zosimus und die römischen Geist-
lichen, die sich früher so günstig für die Angeklagten ausgesprochen, der
Verläugnung ihrer eigenen Ueberzeugung zeihen. Das Circularschreiben des
Zosimus wurde nun in der ganzen abendländischen Kirche herumgeschickt,
und alle Bischöfe mussten bei Strafe der Absetzung dasselbe unterschreiben.
Achtzehn, die sich weigerten, wurden abgesetzt; unter ihnen war der be-
deutendste Julian, Bischof von Eclanum in Apulien, dem selbst Au-
gustin seine Achtung nicht versagen konnte, Verfasser der bedeutendsten
Schriften der Partei, f gegen Augustins> Schrift de miptiis et concwpiscentia),
die Augustin weitläufiger Widerlegungsschriften werth hielt; Julian ist
der eigentliche Theologe der Partei. Die abgesetzten abendländischen
Bischöfe wendeten sich nach Constantinopel in der Hoffnung, daselbst gute
Aufnahme zu finden, da sie sich der Uebereinstimmung mit Chrysostomus
rühmten. Damals war Nestorius Patriarch; er verwarf zwar die pelagia-
nischen Lehren in einigen Predigten, aber die Bischöfe nahm er freundhch
auf und fand sie nicht iiTgläubig , so dass er sogar den römischen Bischof
Cölestinus fragte, warum man sie verdammt habe (429). Der Schutz, den
Nestorius ihnen angedeihen liess, wurde den Pelagiauern überhaupt ver-
derblich. Man suchte einen Zusammenhang zwischen ihren Lehren und de-
nen des Nestorius. Die Synode von Ephesus im Jahre 431 sprach das
Anathema aus über die Leliren des Pelagius und Cälestinus, doch ohne
nähere Bezeichnung derselben. Die Augustinische Lehre von der Gnade und
Vorherbestimmung wurde in der griechischen Kirche niemals angenommen.
Von Pelagius haben sich drei Schriften dadurch vollständig erhalten, dass
sie unter die Werke des Hieronymus aufgenommen wurden, 1) expositiones in
318 Zweite Periode des alten Katholicismns.
epistolas Pauli, vor 410 geschrieben, 2) epistola ad Demetriadem vom Jahre
413, 3) libellus fidei ad Innocent. vom Jahre 417; dazu kommen Fragmente
von verlorenen Schriften bei Augustin und Hieronymus. Ebenfalls Fragmente
verlorener Schriften von Julian bei Augustin. S. Bahr a. a. 0. S. 317.
Es konnte nun nicht fehlen, dass Einige einen Mittelweg zwischen den
streitenden Parteien einschlugen. Es entstand die Richtung, die in den
Zeiten der Scholastik die semipelagianische genannt wurde. In einem
Kloster von Adrumetum in Africa regte sich der erste Widerspruch gegen
Augustin 426, wogegen Augustin de correctione et gratia schrieb. Weit be-
deutender war aber der Widerspruch des Mönches Johannes Cassian,
Schüler des Chrysostomus , von ihm zum Diakon und Priester geweiht. Von
Constantinopel wendete er sich nach dem Abendlande und stiftete bei Mas-
silia zwei Klöster, eines für Männer, das andere für Frauen, und wurde so
der Hauptbeförderer des klösterlichen Lebens im südlichen Frankreich. Sein
Buch de coenohiorum institutis gibt Anleitung zur Ordnung und Gestaltung
des klösterlichen Lebens. In den collationes patrum trägt er die Haupt-
sätze des semipelagianischen Lehrbegriffes vor. Ein drittes Werk von ihm,
de incarnatione, ist gegen die nestorianische Lehre gerichtet. — Die
semipelagianischen Ansichten fanden auch Eingang im Kloster auf der Insel
L er in um, und fanden an Vincentius von Lerinum (f 450) einen eifrigen
Beschützer. Sein commonitorium , von dem später ausführlicher die Rede
sein wird , ist offenbar gegen Augustin gerichtet und soll der semipelagia-
nischen Denkweise zur Rechtfertigung gereichen. Augustin bekämpfte die
Männer dieser Richtung, die er Massilienser nennt, in seinen letzten Schrif-
ten de praedestinatione Sanctorum, de dono perseverantiae. Ihm stand bei
Prosper, ein Laie aus Aquitanien. Er war es, der dem Bischof von Hippo
das Vorhandensein dieser ihm entgegengesetzten Richtung anzeigte 427 und
darüber auch Klage einbrachte vor dem römischen Bischof Cölestin. Was
er schrieb, ist Alles, soweit es acht ist, der Vertheidigung des augustinischen
Lehrbegriff'es und der Bekämpfung der Semipelagianer gewidmet. Das hin-
derte aber nicht, dass sie hn südlichen Gallien sich verbreiteten und eine
Zeitlang eigentlich herrschten. Faust us, Bischof von Rhiez, der Priester
Gennadius und der Verfasser der Schrift Praedestinatus bekannten
sich dazu.
Uebersicht des augustinischen und des pelagianischen
Lehrbegriffes.
Bei Augustin beherrscht die Idee Gottes das gesammte Denken, daher
er als Inhalt der Philosophie wesentlich nur zwei Dinge, die Erkenntniss
Gottes und der Seele bezeichnet, und auch diese wird zuletzt nur deswegen
in Betracht gezogen, weil wir nur in unserer Seele Gott erkennen können i).
Gott ist ihm Ein und Alles. Um das Interesse Gottes zu wahren, wurde
er Manichäer, und wiederum verliess er die manichäische Secte, weil sie
ihm schien das Interesse Gottes zu gefährden. Aehnhch verhält es sich mit
seiner Hinwendung zum Neuplatonismus und mit der darauf folgenden Ab-
1) Ritter, Geschichte der christlichen Philosophie 2, 203.
Der augustinische und pelagianische Lehrbegriff. 319
Wendung von demselben, daher auch seine Anthropologie sowie seine Sote-
riologie in eine Theodicee Gottes ausmündet. Gott aber wird aufgefasst nach
der Weise des strengsten Theismus, so dass alle Thätigkeit der Geschöpfe
im Ganzen und Einzelnen auf der allmächtigen und allgegenwärtigen Thätig-
keit Gottes ruht, während dagegen bei den Pelagianem das Verhältniss des
Menschen zu Gott, dem Urgeiste, ein möglichst loses wird, so dass die pe-
lagianische Anschauung als auf Deismus gegründet erscheint. Diess ist wohl
die tiefste Differenz zwischen beiden Lehrsystemen, obschon sie während des
Streites zwischen den beiderseitigen Vertretern nicht zur Sprache kam i).
I. Anthropologie.
Beide gehen auf den Anfang des menschlichen Geschlechtes, auf den
Zustand des Menschen vor dem Falle zurück; die verschiedenen
Bestimmungen darüber bedingen diejenigen, betreffend die Sünde und die
Erlösung.
Adam sine ullo vitio /actus rectus hatte als solcher eine ursprüng-
lich gute Willensrichtung; seine Gesinnung war die des Gehorsams gegen
Gott; der Gehorsam ist demnach die Grundtugend, die Mutter aller übrigen
Tugenden. In dieser Richtung des Willens auf Gott besteht des Menschen
wahres Wesen und darum auch die wahre Freiheit. Deo servire liber-
tas. Allerdings hatte der Mensch die formale Freiheit, zwischen Gutem und
Bösem zu wählen, aber sie war nicht das höchste im Menschen. Der Mensch
im Urzustände war nicht indifterent zwischen gut und böse; eine solche
Indifferenz würde selbst eine Schädigung der ursprünghch gut geschaffenen,
zu Gott geschaffenen Natur voraussetzen. Der Mensch hatte die Möglichkeit
zu sündigen; sein auf das Gute gerichteter Wille schloss diese Möglichkeit
nicht aus ; man kann nicht sagen , dass er gar nicht sündigen wollen konnte ;
denn in diesem Falle wäre er unveränderlich wie Gott gewesen; es kam ihm
zu das posse non peccare, nicht aber das non posse peccare, was
allein der göttHchen Natur zukcmmit. Das donum perseverantiae hatte
er also ursprünglich nicht; um im Guten zu beharren, bedurfte er des ad-
jutorium gratiae, und er hatte die Möglichkeit, dieses adjutorium abzu-
weisen und darin bestand eigentlich seine formale Freiheit. — Der Körper
Adam's war vor dem Sündenfalle dem Tode ebenso wenig als irgend einer
Krankheit unterworfen. Adam würde nicht gestorben sein, wenn er nicht
gesündigt hätte. Er konnte sterben und konnte auch nicht sterben. Seine
Sterblichkeit, die der Möglichkeit nach vorhanden war, wäre bei verharren-
der Sündlosigkeit durch Verwandlung absorbirt worden. Es kam ihm das
posse non mori zu, aber nicht das non posse mori, d. h. die immor-
talitas minor, nicht aber die immortalitas major. Es war im
Menschen vollkommene Harmonie, in seinem leibHchen Organismus, im Ver-
1) Innocenz I. Hieronymus, Orosius berührten diese Seite des Streites. S. Neander,
Kirchengeschichte II. 1266. Julian sah die Sache so an, dass der Gott der Traducianer,
— als Traducianer betrachtete er Augustin, — nicht der Gott der biblischen Offenbarung
sein könne.
320 Zweite Periode des alten Katholicismns.
hältniss desselben zum seelischen Leben, und auch in diesem waren die
niederen Kräfte der Seele den höheren unterworfen und diese wiedenim
Gott. Augustin beachtet dabei nur dieses nicht, dass Alles noch unvermit-
telt, nicht sittlich vom Menschen angeeignet war.
Die pelagianische Lehre bildet in allen wesentlichen Punkten einen
schroffen Gegensatz gegen die augustinische. Nach jener war der Zustand
des ersten Menschen vor dem Falle derjenige , der er jetzt ist. Der Mensch
befand sich in vollkommen indifferentem Zustande zwischen gut und bös(i,
und darin allein bestand seine Freiheit; er bedurfte auch nicht der Hilfe
Gottes, um im Guten zu beharren. Sein Leib war von Anfang an dem Tode
unterworfen. Juhan nahm an, dass Adam in dem Sinne unsterblich geschaf-
fen sei, dass er, wenn er nicht gesündigt hätte, durch den Genuss der
Frucht des Baumes des Lebens die T^nsterbhchkeit erlangt haben würde.
Der Sündenfall des ersten Menschen ist nach Augustin im strengsten
Sinne des Wortes zu verstehen; er ist begründet im wandelbaren Wesen des
Menschen. Gott hätte ihn verhindern können, aber er wollte dem Menschen,
die Fähigkeit zu sündigen, nicht rauben; die Freiheit, vennöge welcher der
erste Mensch sich zur Sünde verleiten liess, gehört zum Wesen der Ver-
nunft. Es war übrigens nicht der Sinnenreiz, der ihn verführte, denn eine
solche Verführung setzt schon eine innere Verderbniss voraus. Der Sünden-
fall begann damit, dass der Mensch sich über das göttHche Gebot stellte,
aus Selbsterhebung. Erst als dieser innere Fall geschehen war, konnte der
Sinnenreiz ihn zur Uebertretung des g()ttlichen Gebotes verleiten ^). Der
Sündenfall war eine freiwillige Abwendung von Gott, dem höchsten Gute,
die nicht erklärt werden kann. Der böse Wille kommt nicht von Gott, der
Alles gut geschaffen hat; er kommt aus nichts; nun kann man aber nicht
wissen , was aus Nichts ist 2). Demnach ist die Sünde das Nichtige ; damit
hängt zusammen, dass sie Beraubung des Guten, Schwächung der Seinskraft
ist; sie existirt zwar nie an sich, sondern immer nun an einer essentia, rich-
tet aber dessen ungeachtet eine grosse Verheerung an ; sowie sich der Nahr-
ung enthalten auch keine Substanz ist, und doch schwächt ej> die Natur.
Das Böse kann nun, weil es Mangel ist, das Gute nie aufheben; nur mit
der Natur selbst könnte es aufgehoben werden; auch im verdorbensten
Menschen bleibt die Vernunft, ein Wahrzeichen seines edlen Ursprungs
(index generositatis snae). Wenn nichts Gutes im Menschen zuinick-
geblieben wäre, so würde er auch keinen Schmerz über das verlorene Gut
fühlen; an diesen Schmerz knüpft sich die Möglichkeit der Erlösung an.
An die vorstehende Enirterung über das Wesen der Sünde schliesst sich
nun eine Art Theodicee an. Von der Frage ausgehend : wenn das Böse gegen
den Willen Gottes ist, wie kann mau sagen, dass nichts gegen den Willen
Gottes geschieht, verbreitet sich Augustin dai'über, dass das Böse im Welt-
plan Gottes seine Stelle hat. Es soll sich nämlich die Gerechtigkeit Gottes
am Bösen offenbaren; so muss der sündigende Mensch denn doch zuletzt
1) In paradiso ab anirao coepit elatio et ad praeceptuni transgrediendum deinde
conMBsio.
2) Sein non potest, quod ex nihilo est.
Der augiistinische und der pelagiamsche Lehrbegriff. 321
Gott dienen. Denn die Welt ist ein wohlgeordnetes, harmonisches Offen-
barungsorgan Gottes; sie stellt in harmonischer Weise die Offenbarung der
Liebe und der Gerechtigkeit Gottes dar, der Liebe an den Erwählten, der
Gerechtigkeit an den Verworfenen. Doch geht Augustin nicht so weit, das
Böse als nothwendig hinzustellen, wobei dann freihch unbestimmt bleibt, was
er als Substrat der Offenbarung der Gerechtigkeit zu Grunde legt.
Die Sünde Adam's mm ist auf alle Menschen fortgepflanzt worden , als
Erh?>iXnde^ peccatum originale, haereditarium vitium. Die exe-
getische Begründung davon durch die falsch übersetzte Stelle Rom. 5, 12,
in quo {€(p' (o) omnes peccaveruntj als ob in quo auf Adam ginge, ist
aber verfehlt. Eben so unhaltbar ist die Behauptung, dass die Sünde durch
die sinnliche Lust, concupiscentia, bei der Zeugung fortgepflanzt
wird. Auch die Ansicht, dass die gesammte Menschheit als Gattung in Adam
existirt habe und so die ganze Gattung mit der Sünde und Schuld Adam's
belastet sei, diese auf die philosophische Theorie, wonach das Allgemeine in
den einzelnen Individuen auspeprägt und enthalten sein sollte, gegründete An-
sicht möchte auf dem Standpunkte unserer philosophischen Erkenntniss sich
nicht rechtfertigen lassen. Durch diese Auffassung der Sache wurde Augu-
stin ganz nahe an die traducianische Lehre vom Ursprung der Seele geführt,
doch ohne sie eigentlich anzunehmen, da er zugab, dass sie sich aus der
Schrift nicht eigenthch beweisen lasse. — Mit seiner Auffassung der Erb-
sünde leugnet Augustin nicht den Satz, es könne keine Sünde statt finden
ohne freien Willen, esse non posse sine voluntate peccatum. Sind
nämlich alle Menschen in Adam nicht blos potentiell, sondern real als Gat-
tung, so leitet die Erbsünde ihren Ursprung her vom Willen des Sündigen-
den. Zugleich aber sieht er die Sünde als etwas Zuständliches an, so dass
er auch den Gegensatz aufstellt nnd behauptet, es könne Sünde geben ohne
fi-eien Willen (esse posse sine voluntate peccatum), womit eigentllich
jener Satz, der das Gegentheil davon aufstellt, wieder aufgehoben wird.
Das WesentHche der Sache ist also jener sündliche Zustand oder habitus,
woraus actuelle Sünden hervorgehen, und zwar nicht blos durch Nachahmung,
gemäss dem richtigen Gedanken , dass die Nachahmung des bösen Beispiels
innere Verwandtschaft und Anziehung des Nachahmenden zum Nachgeahm-
ten voraussetzt. Jener süncUiche hahitus mit der damit verbundenen
Schuld ist Folge der Sünde und Strafe der Sünde. Mit der Sünde ist der
Tod und alles Uebel in die Welt gekommen.
Die pelagianische Lehre bildet in allen wesentlichen Punkten einen
schroffen Gegensatz gegen die Augustin's. Der Mensch, gleich zu achten
einem unentwickelten Kinde, wurde durch Sinneslust gereizt; er war über-
diess unvorsichtig und unerfahren ; darum traute er den Worten der Schlange.
Von einer Fortpflanzung der Sünde Adam's auf seine Nachkommen kann
nicht von ferne die Rede sein; die Stelle Rom. 5, 12 kann nicht als Beweis
dafür gelten. Man kann auch nicht sagen, dass die Menschheit als Gattung
in Adam existirt habe. Dazu kommt, dass, wenn die siunhche Begierde,
concupiscentia, Sünde ist, nothwendig auch die Ehe sündlich ist, wogegen
Augustin sich durch die Behauptung zu retten suchte, die concupiscentia
gehöre nicht zum Wesen der Ehe, da im Paradiese Ehe ohne Sünde bestau-
ne r z o g , KirchcngeBchlchte I. 21
322 Zweite Periode des alten Katholicismns.
den habe. Die Ehe, sofern sie die Fortpflanzung des Geschlechts bezwecke,
sei ehrenhaft (honesta); doch sei die concu2nscentia jetzt davon nicht aus-
geschlossen, und so bekommen die Kinder Antheil an der Erbsünde. Die
pelagianische Lehre hielt dagegen fest, dass es keine Sünde gebe ohne freie
Willen sein willigung (null um est sine lihertate peccatum) , dass Nie-
mand von Natur (naturaliter) böse sei, dass das Gute und das Böse nicht
mit uns geboren, sondern von uns ins Werk gesetzt werde (agitur). Aus-
serdem behaupteten die Pelagianer, dass die Annahme von der Fortpflanzung
der Sünde durch die physische Zeugung mit der häretischen Ansicht des
Traducianismus zusammenhänge. Dass nun gar Gott die Sünde durch Sünde
strafe, dass die Sünde hiemit sich selbst strafe, diesen Gedanken findet
Julian gotteslästerlich und verwirft den dafür von Augustin mit Recht ange-
führten Spruch Rom. 1, 28. Augustin weist aber dem Julian nach, dass er
selbst etwas Aehuliches gesagt habe i). — Jeder Mensch wird in dem Zu-
stande geboren, in welchem Adam vor dem Falle war; ;,die Kleinen sini
unschuldig, um deren willfen ihr einen Arzt sucht." Die Sünde Adam's, weil
sie nur seine Sünde ist, wird nur ihm zugerechnet. Sie hat allerdings an-
deren insofern geschadet, als sie ein böses Beispiel aufstellte. Leiden und
Tod ist nicht Folge der Sünde.
Soteriologie.
Nach manchen Aeusserungen zu urtheilen, scheint Pelagius die Bedeutung
und Wirksamkeit der Gnade im Werke der Aneignung des Heiles anerkannt
zu haben, sei es, dass die Ausdrücke so allgemein gehalten sind, dass selbst
Augustin nichts Ketzerisches darin finden kann, wie im Briefe an Demetrias,
oder dass Pelagius, um den Vorwurf abzuwehren, dass die Consequenz seiner
Anthropologie die Negation der Gnade in sich schliesse, diese geflissentlich
hervorhebt. Im Briefe an Innocenz L sagt er: „wir bekennen den freien
Willen so, dass wir das beständige Bedürfniss der Gnade behaupten." Näher
betrachtet, versteht Pelagius unter Gnade zuerst die possibüitas bonij die
Möghchkeit, das Gute zu thun, also eigentlich den freien Willen selbst als
Gabe Gottes. Allerdings ist die sittliche Freiheit des Menschen eine hohe
Gabe Gottes, aber es verwirrt die Begrilfe, wenn man sie als Gnade auflksst.
Pelagius lehrt demnach, dass das Können des Guten von Gott kommt, der
zum Wollen und zum Thun die Möglichkeit gegeben. In diesem Sinne deu-
tete er den Ausspruch des Apostels, dass Gott beides in uns wirke, das
Wollen und das Vollbringen. So ist es auch Gnade, dass unsere Natur bei
ihrer Erschaffung die Möglichkeit erhalten hat, nicht zu sündigen. Zweitens
versteht Pelagius unter Gnade das Gesetz, die Offenbarung, die Lehre Christi,
wodurch dem Menschen die Ausübung des Guten erleichtert wird. Gnade
ist es, wenn Gott durch seine Verheissungen und Belohnungen uns antreibt,
durch seine Offenbarung ein Verlangen nach Gott in uns erweckt, indem er
uns Alles anräth, was gut ist. Insofern gehört auch das mosaische Gesetz
1) Justissime enim sibi bonus homo et malus committitur, ut et bonos se patiatur
et malus se ipse patiatur c. Jul. 5,'35.
Der augustinische und der pelagianiscbe Lehrbegriff. 323
zur Gnade. Besonders aber ist Lehre und Beispiel Christi Sache der Gnade.
Diese zwei Bestimmungen erschöpfen zwar den pelagianischen Begriff von
der Gnade nicht, sondern als Gnadengabe werden auch aufgeführt die Wun-
dergaben, der unmittelbare Beistand Gottes, der den Aposteln zu Theil
wurde, besonders die Vergebung der vor der Bekehrung begangenen Sünden.
Es geht aber aus Allem hervor, dass die Gnade nicht unmittelbar auf den
Willen wirkt, sondern blos auf die Erkenntniss und dass sie das menschliche
Thun blos erleichtert und nicht erst möglich ' macht. Darein setzte Pelagius
das adjutorium gratiae. Er gab in Diospolis zu, gratiam Dei et adju-
torium ad singulos actus dari und verwarf die Läugnung dieses Satzes ;
er verstand aber unter gratia den freien Willen und unter adjutorium die
Belehrungen Christi. Dabei verwarfen die Pelagianer die Unwiderstehlichkeit
der Gnade, eine solche Gnade nannten sie fatum suh nomine gratiae.
Dass die absolute Prädestination in diesem Gedankenkreis keinen Piaum fin-
den konnte, liegt auf der Hand. Prädestination ist bedingt durch Gottes
Vorherwissen; Gott erbarmt sich dessen, von dem er vorherweiss, dass er die
Erbarmung verdienen w^erde; so legten die Pelagianer die Stelle Eöm. 9, 15
aus. Doch wurde diese Lehre erst später genauer erörtert. Hier muss nur
noch soviel bemerkt werden, dass dem abgeschwächten Begrifi von der
Gnade die Vorstellungen von der abgeschwächten Wirkung entsprechend sich
bildeten, so dass die Erlösung weniger als Heilung und Befreiung der ver-
derbten menschlichen Natur, denn als Erhöhung, Veredlung, Verherrlichung
der unvollkommenen, beschränkten, menschhchen Natur über den Standpunkt
hinaus betrachtet wurde, auf welchem sie durch ihre Schöpfung gestellt
worden. Die Pelagianer nahmen an, dass die von Gott gut geschaffene
menschliche Natur durch Christus besser gemacht, mit neuen Kräften aus-
gerüstet werde i). Das hing damit zusammen , dass die Pelagianer die Tu-
genden der Heiden priesen, als Beweis von der sitthchen Kraft der sich
selbst überlassenen menschhchen Natur, und dass sie in keiner Weise dem
Augustin zugeben konnten, dass alle Tugenden der Heiden nur Scheintugen-
den gewesen. Sie nahmen verschiedene Stufen in der göttlichen Erziehung
der Menschheit an, entsprechend dem steigenden Verderben in derselben.
So lange die Natur noch besser war, wurde sie pich selbst überlassen (ju-
stitia per naturam). Als die Sünde zugenommen, gab er das Gesetz
Cjustitia per legem), als die Sünde noch mehr zugenommen, erschien
Christus Cjustitia gratiae), und zwar hat er nicht das erste Vorbild
der Gerechtigkeit gegeben, sondern das grösste.
Augustin's anthropologische Sätze waren die Prämissen zu einem vom
Pelagianismus weit abweichenden Lehrbegriffe. Hatte sich der Mensch durch
den Sündenfall der Freiheit zum Guten beraubt, so dass für ihn die Noth-
wendigkeit eintrat, weiter zu sündigen, so musste der Gnade eine ganz
andere Tragweite, eine viel intensivere Wirkung zugetheilt werden. Augu-
stin gab zwar zu, man könne es im weiteren Sinne Gnade nennen, dass der
1) Julian lehrte: Christus, qui est sui operis redemtor, äuget circa iraaginem suam
continua largitate beneficia et quos fecerat condendo bonos, facit innovando adaptandoque
meliores. Aug. c. Jul. 3, 8.
21 *
324 Zweite Periode des alten KathoUcisniuö,
Mensch ein mit Vernunft begabtes Wesen sei; auch das Gesetz könne man
adjutorium der Gnade nennen, eben so die Taufe und die Offenbarung über-
haupt. Aber er machte zugleich geltend, dass man nach bibhschem, vorzüg-
Hch nach paulinischem Sprachgebrauche das Wort gratia hauptsächlich von
den übernatürlichen Wirkungen des Geistes Gottes auf die Menschen ver-
stehen müsse. Dabei ist alles Magische ausgeschlossen. Der Mensch kann
nicht aus eigener Kraft die Gnade wollen, und doch kann der Mensch
ohne seinen Willen und Bewusstsein zur Gnade nicht gelangen. Beide Sätze
einigen sich dahin, dass die Gnade unter der Form und nach den Gesetzen
unseres Bewusstseins wirkt, indem sie unseren Willen unwiderstehlich an-
lockt, jedoch ohne das liberum arhitrium aufzuheben.
Demnach ist der Glaube, die Quelle aller guten Handlungen und ins-
besondere der Liebe, in seinem Anfange, Fortgange und in seiner Voll-
endung Werk der Gnade, Geschenk Gottes. — Er ist zunächst historischer
Glaube an die durch Jesum vollbrachte Erlösung und Versöhnung. Doct
hat der Glaube auch Christum selber zum Gegenstand, nicht blos dessen
historisches Werk. Christus selbst wirkt als der fortlebende in dem Gläu-
bigen, unmittelbar in den Herzen, nicht diu'ch andere Mittler. Gott wirkt
auf wunderbare Weise, dass wir glauben, und zwar wirkt er zunächst auf das
Erkenntnissvermögen des Menschen, er bewirkt unsere innere Erleuchtung,
so dass wir beständig und weise werden. Damit geht Hand in Hand eine
übernatürliche Wirkung auf den Willen des Menschen, wodurch er befähigt
wird, das Gute zu wollen. Die Liebe, woraus alles Gute hervorgeht, ist
Wirkung der Gnade. Die Bedeutung der Liebe ergibt sich daraus, dass,
wenn man auch wohl weiss, was mau thun soll, man es doch nicht ausführt,
wenn es nicht auch geUebt wird. Damit es aber geliebt werde, wird die
Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen durch den heihgen Geist, der
uns gegeben ist (Rom. 5, 5). Gott giesst die Liebe tief und inwendig ein
mit unaussprechlicher. Lieblichkeit (suavitas), nicht allein durch diejenigen,
die von aussen pflanzen und begiessen, sondern auch durch sich selbst, so
dass er nicht allein die Wahrheit zeigt, sondern auch die Liebe verleiht.
Gnade ist also benedictio dulcedints, vermöge welcher Gnade wir lieben,
was er uns befiehlt; diese Gnade kommt dem Willen zuvor und bereitet
ihn 1) ; sie ist gratia praevenie n s oder afitecedens. In ihrem weite-
ren Fortgange ist sie die notli wendige Bedingung jeder guten Handlung, so
dass auch der perfectissime justl/icatus ihrer bedarf. Die Seele lebt
aus Gott, wenn sie gut lebt; sie kann nicht gut leben, wenn nicht Gott in
ihr wirkt, was gut ist. Selbst den Heiligen fehlt bisweilen das überwiegende
Wohlgefallen an einem guten Werke, damit sie inne werden, dass es von
Gott komme. Daher die Erklärung der Africaner an Zosimus : „Wenn Pela-
gius uns zugeben will, dass nicht allein die Möglichkeit (des Guten), sondern
auch der Wille und die Handlung von Gott unterstützt werde, und zwar so,
dass wir ohne diese Unterstützung nichts Gutes wollen oder thun und dass
es die Gnade Gottes in Christo sei, vemiöge welcher er uns durch seine, nicht
1) Praeparatur bona voluntas a Deo.
Der angnstinische und der pelagianisclie Lehrbegriff. 325
durch unsere Gerechtigkeit gerecht macht, so glauben wir, dass unter uns
über den Beistand der göttlichen Gnade kein Streit mehr übrig bleiben mnV
Mit diesen Sätzen hängt unmittelbar dieser zusammen, dass Gott bei
Ertheilung der Gnade keine Rücksicht nimmt auf Würdigkeit des Men-
schen, sondern er verfährt nach seinem freien Willen. Durch welche Gründe
diese bestimmt wird, darüber steht uns kein Urtheil zu. Zur näheren Er-
örtemng dient folgende Erörterung: der heihge Geist bläst, wo er will, und
folgt nicht auf die Verdienste, sondern bringt die Verdienste hervor, so dass
Gott, wenn er unsere Verdienste belohnt, nichts Anderes belohnt als seine
Geschenke. Gott selbst bewirkt, dass die Würdigen haben, was er ihnen
vergelten wird. So folgen denn die guten Werke der Gnade und gehen ihr
nicht voran; nicht allein keine bona merita^ sondern mala merita gehen
der Gnade voran. Gott könnte auch den Willen der Bösen auf das Gute
lenken, weil er allmächtig ist. Warum hat er es nicht gethan? weil er es
nicht gewollt hat. — Die Ertheilung der Gnade folgt auf unwiderstehliche
Weise. Da nämlich der Mensch seit dem Sündenfalle gegen das Gute an-
kämpft, so kann es nur durch Wirkung der Gnade geschehen, dass er davon
ablässt; diese Wirkung geschieht indeclinabiliter und insuperabiliter
auf den Willen des Menschen i) ; der Mensch büsst dabei seine Freiheit nicht
ein, sondern er wird durch die Gnade erst frei gemacht. Die Frucht der
Ertheilung der Gnade ist die Rechtfertigung ; sie ist zunächst Vergebung der
Sünden, erfasst durch den historischen Glauben an die durch Christum be-
wirkte Versöhnung des Menschen mit Gott, die Befreiung aus der Schuld-
haft des Teufels; diese Befreiung ist die Voraussetzung dafür, dass Gott in
uns weiter wirke, d. h. dass die Einheit mit Gott gegeben werde; diese
Einheit oder Gemeinschaft mit Gott erheischt Aufhebung der Sünde, welche
sowohl im Erkenntnissvermögen als im Willen nur durch unmittelbare Wirk-
samkeit, vor allem durch Inspiration der Liebe aufgehoben wird. So fällt
das Hauptgewicht auf die Liebe; sie ist das für die Seligkeit Entscheidende,
welche Liebe ausserhalb der Kii'che nicht möglich ist. Durch die Liebe er-
folgt die justificatio im Sinne von Gerechtmachuug. Gott rechtfertigt den
Gottlosen nicht blos dadurch, dass er vergibt, was der Gottlose Böses ge-
than, sondern auch dadurch, dass er ihm die Liebe schenkt, so dass er vom
Bösen ablässt und das Gute thut 2). Es hängt sich aber etwas Gesetzliches
daran, sofern jeder sich sündig weiss und sich der Unvollkommenheit seiner
Liebe bewusst ist, und doch von seiner Liebe die Seligkeit abhängen soll,
Daher das Bestreben entstehen muss, durch gute Werke die Seligkeit zu
verdienen; denn wir können nur unter der Bedingung der Verdammniss ent-
gehen und das göttliche Wohlgefallen erlangen, dass wir Werke der Liebe
thun. So ist das pelagianisclie Axiom, dass die Gnade je nach Massgabe
unserer Verdienste uns ertheilt werde, nicht völlig überwunden. Ausserdem
verwickelt sich Augustin hiebei in einen Widerspruch mit sich selbst. Denn,
1) So lehrte er nicht bis 413, nach der Schrift de spiritu et litera c. 61, die in
diese Zeit fällt. — In der Schrift c. duas ep. Pelagianorum 4, 13 vom Jahre 420 trägt
er die Lehre zum ersten Male vor, dann 427 in der S. de correptione et gratia.
2) Gratia Dei justificamür, i. e. justi efficimur.
326 Zweite Periode des alten Katholicismus.
wenn er lehrt , dass blos die Gnade die guten Werke wirke , so begreift man
nicht, wie er sie in gewissem Sinne zur Bedingung der Seligkeit machen
kann. Wirkt sie die Gnade, so ist man im Besitz der Gnade, ehe man die
Werke thiit, und dann können sie nicht als Bedingung für das göttliche
Wohlgefallen angesehen werden ; werden sie aber als solche angesehen, dann
kann mau auch nicht sagen, dass sie von der Gnade gewirkt seien.
Die stärkste Stütze suchte Augustin seiner Lehre von der Gnade zu
geben durch die Lehre von der Erwählung und Vorherbestimmung,
die er im Gegensatz gegen den aufkommenden Semipelagianismus entwickehe
und genauer erörterte. Hier kommen hauptsächlich in Betracht die colla-
tiones patrum von Johannes Cassianus. Dieser erkennt durchaus
den Sündenfall Adam's an, wodurch sein Geist unter die Herrschaft des
Fleisches gerieth und wodurch sein Leib sterbüch wurde, da er, wenn er
nicht gesündigt hätte, vor dem Tode verwahrt geblieben wäre. Ein pecca-
tum originale im Sinne Augustinus nahm Cassian nicht an, sondern seit dem
Sündenfall neigt sich der Mensch mehr zum Laster als zur Tugend. Die
Willensfreiheit zum Guten ist aber im Menschen nicht aufgehoben, nament-
lich ist auch die Empfänglichkeit für das Heil im Menschen keineswegs er-
loschen. Daher ist Cassian geneigt anzunehmen, dass die Entscheidung de^
Menschen für Ergreifung des Heiles in Christo mehr vom menschhcher
Willen, als von der Gnade ausgeht. Zuweilen zwar, meint er, werden wii
wider unseren Willen von der Gnade gezogen ^). So scheint Paulus gleich-
sam wider seinen Willen auf den Weg des Heiles gezogen zu sein. Denn
warum sollte die Gnade nicht auch den Willen des Menschen überwinden
können? Da aber die Freiheit des Willens im gefallenen Menschen nicht
aufgehoben ist, so kann aus uns der Anfang des guten Willens hervorgehen;
der Mensch kann das Gute wollen ; zum Vollbringen bedarf er der göttlichen
Gnade. So ist die Gnade nöthig zu jeder guten Handlung; sie stärkt den
guten Willen. LTthümlich ist beides, dass aus der Gnade immer der gute
Wille entstehe, weil sie nicht unwiderstelüich wirkt, und dass die Gnade
immer vom guten Willen abhängig sei. Um diess klar zu machen, führt
Cassian eine Anzahl Bibelstellen an, wovon die einen die Wirkung des
menschlichen Willens, die anderen die der Gnade betonen Jesaia 1, 19 und
Köm. 9, 15 — Rom. 2, 6 und PhiHpper 2, 13 — Jacobi 4, 8 und Joh. 6, 44 -
Ezecliiel 18, 31 und Ezechiel 11, 19. 20. Es ist dem Cassian darum zu
thuu, das Gleichgewicht zwischen beiden Factoren aufrecht zu halten. Daran
reiht sich als nothwendige Cousequeuz die Verwerfung der Erwählung und
absoluten Prädestination, die Festhaltung der allgemeinen Gnade, die nicht
unwiderstehlich wirkt, die Verwerfung des Satzes, dass die Prädestination
von der Präscieuz unabhängig sei. Dass nicht alle selig werden, ist ledig-
lich ihre Schuld; für den üniversalismus der Gnade führt Cassian Ezechiel
33, 11 und Matth. 23, 37 an.
Gegen diese Lehrweise verfasste Augustin seine letzten Schriften de
praedestinatione Sanctorum und de dono persevera/itiae (429.
430), wovon der wesenthche Inhalt folgender ist.
1) Nonnun^uam etiam inviti trahimur ad salutem.
Der august^nische und der semipelagianische Lehrbegriff. 327
1) Durch die Sünde Adam's ist die ganze Menschheit eine verderbte
Masse, massa perdüionis geworden, der ewigen Verdammniss mit Recht
unterworfen, so dass, wenn Gott Niemand rettete, ihm keine Ungerechtigkeit
vorgeworfen werden könnte. 2) Gleichwohl wird ein Theil der Menschen,
wenn auch nur ein geringer Theil, gerettet, da die Offenbarung Gottes in
Christo und die im Zusammenhang damit wirkende Gnade nicht erfolglos
bleiben kann. 3) Die Errettung geschieht in Folge der Erwählung und
Vorherbestimmung zur SeUgkeit, die Gott vor Erschaffung der Welt ohne
alle Rücksicht auf die sittHche Beschaffenheit der Menschen aus freier Gnade
getroffen hat. Die beiden Begriffe electio und praedestinatio unter-
scheiden sich von einander so, dass diese vorausgeht, jene als Folge davon
aufgefasst wii'd. Gott bestimmt eine Anzahl von Menschen zur Seligkeit und
erwählt sie aus der Masse der sündigen Menschheit. Die Vorherbestimmung
setzt das Vorherwissen voraus, aber nicht v. v. Gott weiss das Böse
voraus, ohne es zu thun. Die Vorherbestimmung ist diese Art des göttlichen
Vorherwissens, welche sich auf dasjenige bezieht, was Gott selbst thut. Die
Vorherbestimmung der Heiligen ist zugleich die Vorherbereitung (praeparatio)
der Wohlthaten Gottes, durch welche alle diejenigen, die überhaupt gerettet
worden, aufs gewisseste gerettet werden. Gott will, indem er so den einen
Theil der Menschen dem verdienten Verderben entzieht, im Himmel die
Lücke ausfüllen, die durch den Austritt der gefallenen Engel entstanden
ist, de civitate Dei (22, 1). Gott findet in den Erwählten nichts vor, als
Sünde und Elend. Selbst das Verlangen nach Erlösung von diesem Elende
ist schon ein Werk der vorbereitenden Gnade. 4) Gott verschafft den Er-
wählten die Mittel, wodurch sie können selig werden, und lässt diese Mittel
bei ihnen anschlagen. Sie erhalten die Taute und mit der Taufe die Gele-
genheit, Kunde vom Evangelium zu erhalten. Hauptsächhch wirkt er in
ihnen den Glauben, wodurch sie aus der Gewalt der Finsterniss befreit und
in das Reich Christi einverleibt werden, d. h. sie erhalten die vocatio
secundum propositum Rom. 8, 28, die wirksame Berufung im Unter-
schiede von der allgemeinen Berufung, die an Alle ergeht, von denen es
heisst: es sind viele berufen, aber wenige sind auserwählt.
Hiebei ist es von wesentücher Bedeutung, dass der Glaube nicht Werk
des Menschen, sondern Gabe Gottes ist. So wie Augustin sich über die-
sen Punkt seine Ueberzeugung gebildet hatte, lehrte er die absolute Prä-
destination. Nicht nur das Wachsthum, sondern auch der Anfang des Glau-
bens kommt von Gott. Darauf bezieht Augustin die Stellen 1 Kor. 4, 7.
Joh. 6, 44. Joh. 6, 28. Ephes. 2, 8. Demnach ist es von Gott verordnet,
wenn der Mensch an Christum glaubt; es geschieht in Folge göttücher Vor-
herbestimmung. Gott hat die Gläubigen erwählt und vorherbestimmt, nicht
darum, weil er wusste, dass sie glauben würden, sondern damit sie glaubten
Ephes. 1, 4. Damit wir die Liebe empfingen, vermöge welcher wir lieben
könnten, sind wir geliebt worden, da wir die Liebe noch nicht hatten.
1 Joh. 4, 10. 5) Diese Vorherbestimmung, weil sie ohne alle Bedingung
geschieht, ist gewiss und unabänderlich. So wie sie ohnfehlbar diejenigen
ergreift, welche sie betrifft, so dass die Gnade unwiderstehlich wirkt, so hält
sie auch die Erwählten unabänderlich fest', so dass sie bis ans Ende im
328 Zweite Periode des alten Katliolicismus.
Glauben beharren. Dieses Beharren, nothwendige Bedingung der Seligkeit,
ist nur möglich in Folge göttlicher Vorherbestimmung und kommt allen Erwähl-
ten zu, aber nur den Erwählten; keiner kann aus eigener Kraft bis zum
letzten Athemzuge beharren. Keiner kann mit Bestimmtheit wissen, dass
er nicht abfallen werde, es sei denn, dass ihm Gott dieses durch eine be-
sondere Offenbarung kund gethan habe. 6) Einige werden übergangen im
Eathschluss der Vorherbestimmung und Erwählung. Solchen wird die Gele-
genheit nicht gegeben, das Evangelium zu hören, oder, wenn sie es hören,
so glauben sie nicht, oder, wenn sie eine Zeitlang geglaubt haben, so be-
harren sie nicht bis ans Ende. Aber Gott wäre nicht ungerecht, wenn er
Niemanden rettete. Was diejenigen betrifft, die dasEvangelium nicht zu hören
bekommen, so findet dabei keine Ungerechtigkeit Gottes statt; wenn solche?
der Verdammniss anheimfallen, so geschieht diess, weil Gott voraus sah, dass
sie nicht glauben, oder im Glauben nicht beharren würden. Wenn es abei
heisst, dass Gott die einen verhärte, so will das nicht sagen, dass er Bos-
heit verleiht, sondern dass er Barmherzigkeit nicht verleiht i). Denn es
gibt keinen Rathschluss Gottes, vermöge dessen er einen Theil der Mensch-
heit bestimmt hätte, böse zu sein und der ewigen Seligkeit verlustig zu
werden. Der Mensch sündigt nicht deswegen, weil Gott vorausgesehen, dass
er sündigen werde; denn Gott sieht die freien Handlungen als freie voraus.
Augustiu ist also nicht Supralapsarier. Doch kann er nicht zugeben, dass
Christus für alle Menschen efficaciter gestorben sei. In diesem Punkte ge-
lingt es ihm nicht, die Einwürfe der Pelagianer zu beseitigen, die sich auf
1 Tim. 2, 4 beriefen: Gott will, dass alle Menschen selig werden und zur
Erkennt niss der Wahrheit kommen. Augustin versteht unter „alle" viele,
oder Menschen omnis generis^ oder er betont das „will" in dem Sinne: alle
Menschen, die selig werden, die werden es dadurch, dass Gott es will.
In dieser absoluten Beseitigung des allgemeinen Gnadenwillens steckt
der Hauptirrthum Augustinus. Er meinte, nur so die particuläre Gnadenwahl,
welche — wie auch der allgemeine Gnadenwille durch die Schrift bezeugt
ist — , festhalten zu können; aber darin irrte er. Der allgemeine Heils-
zweck verhält sich, nach biblischer Anschauung, zu der Gnadenwahl wie die
Bedingung zur Erfüllung, zur Verwirklichung des Rathschlusses der Erlösung
der Welt. Damit der Mensch das Heil erlange und sich aneigne , muss er
zuvor glauben, dass Gott die Welt geliebt habe Joh. 3, 16.'' Aber dass einige
zum Glauben gelangen, das ist Sache der Gnade. Die Erlösung könnte sich
in dem Einzelnen nicht vollziehen, wenn sie nicht als Sache des gesammten
Menschengeschlechts angekündigt wäre. Die Erstreckung des allgemeinen
Gni?denwillens , in seiner Verwirklichung gedacht, auf die Einzelnen, ist die
particuläre Gnadenwahl '-^j. Das also hat Augustin nicht in Betracht gezogen.
1) Non obdurat Deus impertiendo malitiam sed non impertiendo misericordiam.
2) Dorner behauptet a. a. 0. S. 232, Augustin gerathe in der Lehre von der Prä-
destination in einen Widerspruch mit sich seihst, indem einerseits in die Prädestination
die Art und Weise der liistorischen Kealisirung des Vorherbestimmten mit aufgenommen
sein, andererseits aber in der Weise durch die Prädestination Alles entschieden sein soll,
dass die historische Entwicklung etwas relativ Gleichgültiges wird. Doch, diess gesetzt,
Priscillianus und seine Anhänger. 529
Von anderen häretischen Bewegungen im Abendlande sind zu nennen
Priscillianus und seine Anhänger in Spanien als Nachwuchs von
Gnostikeru, die aus Aegypten gekommen waren und sich mit Manichäern,
die während der arianischen Streitigkeit dahin verschlagen worden, verban-
den und von ihnen einiges von der manichäischen Lehre annahmen. Priscil-
lianus, ein Laie, von adeliger Abkunft, reich, überdiess beredt und gewandt
im Disputiren, sehr belesen und bewandert in den welthchen Wissenschaften,
dazu ein Mann von sehr strenger Lebensart, nahm die Grundsätze jener
Gnostiker und Manichäer an und fand vielen Anhang unter den Adeligen,
sowie unter dem Volke; besonders gelang es ihm, Weiber, die gerne nach
neuen Dingen haschen 2), haufenweise anzuziehen. Unter seinen Anhängern
befanden sich sogar Bischöfe wie Instantius und Salvianus; gegen sie
trat zuerst der Bischof H y g i n u s vonCorduba auf, hernach, durch ihn ange-
regt, Bischof Idacius von Emerita; allein dieser beförderte durch seine
Heftigkeit die Ausbreitung der Secte. Eine Synode zu Cäsaraugusta (380)
sprach das Anathema über sie aus und traf Vorkehrungen gegen das Umsich-
greifen derselben; die Synode übertrug die Ausführung dieser Beschlüsse
einem höchst ungeistlichen, unwürdigen Manne, Bischof Ithacius von Sossuba.
Dieser und Idacius, die beiden Hauptgegner, brachten es endlich dahin,
dass Priscillian in Trier 385 auf Befehl des Kaisers Maximus nebst Anderen
mit dem Schwerte hingerichtet wurde, das erste Beispiel der Hinrichtung
eines Häretikers. Vergebens hatte der Bischof Martin von Tours von
Maximus die Verschonung des Unglücklichen erbeten. Zur Ehre der Kirche
sei bemerkt, dass Ambrosius und der römische Bischof Siricius sich
gegen die Himichtung von Häretikern entschieden aussprachen. Ambrosius
verweigerte sogar die Kircheugemeinschaft jenen Bischöfen, welche die Hin-
richtung Priscillians betrieben hatten. Seine Anhänger, obwohl verfolgt, be-
standen bis in das sechste Jahrh. ; denn noch das Concil zu Braga 563 fasste Be-
schlüsse gegen sie. In der Lehre tritt deutlich die manichäische Einwirkung
zu Tage. Ihre Sittenlehre war streng asketisch. Die Beschuldigungen, dass
Priscillian und die Seinen Unzucht getrieben (bei Sulp. Sev. 2, 50), sich grün-
dend auf höchst parteiische Zeugnisse, scheinen keinen Grund zu haben oder
sind wenigstens sehr übertrieben.
Die ungeachtet aller Verfolgungen noch immer fortwuchemden Mani-
chäer hatten im Abendlande, zunächst in Africa proconsularis einen günsti-
aber nicht zugegeben, so Hesse sich derselbe Einwand gegen die durch die Voraussicht
des Glaubens bedingte Prädestination erheben. Wenn die historische Entwickelung durch
die Erwählung zum Glauben etwas Gleichgültiges wird, so wird sie es auch durch die
auf Grund des vorlier gewussten Glaubens erfolgte Erwählung. Denn beide Arten von
Prädestination und Erwählung zum Heile, die absolute und die bedingte, fallen in den
Bereich des vor Erschaffung der Welt gefassten göttlichen Rathschlusses.
1) Für das Geschichtliche ist Quelle Sulpicius Severus 2, 46-51, für die
Lehre das commonitorium des Orosius, Augustin haeresis 70, Leo's Brief an Bischof
Turribius von Asturica. S. d. Bearbeitung bei Neander 2, 3. 1477 ff.
2) novarum rerum cupidae — ad omnia curioso ingenio. Sulp, Sev.
330 Zweite Periode des alten Katholicismus.
gen Boden gefunden ; daselbst that ihnen schon Augustin durch seine Schriften
vielen Abbruch; seine Autorität hierin war um so grösser, je eifriger er vor-
her ihre Lehre festgehalten hatte. In Folge der Eroberung Africa's durch
die Vandalen (429) flüchteten viele Manichäer nach Korn, woselbst Bischof
Leo sich alle Mühe gab, sie auszufoi^schen und zu bekehren; diejenigen, die
nicht widerrufen wollten, wurden verbannt. Doch erhielt sich die Secte bis
ins Mittelalter.
Uebersicht der nicht controvers gewordenen Dogmen.
Die Lehre von den Erkenntnissquellen des Christenthums. — Von der Tra-
dition und der Autorität der Concihen.
Der Ausdruck Kanon, ursprünglich auf die Glaubensregel angewendet,
wurde in dieser Periode 'per metonymiam auf die biblischen Schriften ange-
wendet, woraus die Sätze gezogen wurden, die als Regel der Wahrheit gal-
ten. In Beziehung auf den alttest am entlichen Kanon beginnt eine
Verschiedenheit des Uitheils zwischen der griechischen und der lateinischen
Kirche. In jener wurde mehr und mehr der Unterschied anerkannt, welchen
Origenes gemacht zwischen den kanonischen und den apokiyphischen Schrif-^
teu. Athanasius unterschied dreiClassen von Schriften: 1) xavovLX^oneva,
als göttlich anerkannte Richtschnur und lü'iterium des Glaubens ; es sind die
im jüdischen Kanon enthaltenen Schriften; 2) avaYivtoaxoneva, zwar nicht
zum Kanon gehörig, doch nützlich zu lesen, das sind unsere alttestament-
lichen Apokiyphen, 3) anoxqvtpa, welche wir jetzt Pseudepigrapheu nennen,
von Häretikern unter dem Namen biblischer Personen verfasst; diese Unter-
scheidung blieb in der griechischen Kirche. In der lateinischen Kirche fand
sie Aufnahme bei Rufin, der in der expositio in Symbolum Apos-to-
licum dieselben drei Classen annimmt (canonici, ecclesiastici^ apo-
cryphi)j sodann bei Hieronymus, der die beiden letzten Classen in eine
verschmilzt; so dass der Name apokryphisch auch auf die 2. Classe des
Athanasius angewendet wird. Von ihm, der allein sie so nennt, haben un-
sere Reformatoren die Benennung angenommen. Das Beispiel des Rufinus
und des Hieronymus übten keinen Einfluss auf die lateinische Kirche. Zwei
africanische Synoden, zu Hippo 393 (c. 36), zu Carthago 397 stellten Ver-
zeichnisse der biblischen Bücher auf, in welchen die von Hieronymus als
apokryphisch bezeichneten Schriften zu den kanonischen gezählt werden; so
blieb es im Ganzen in der lateinischen Kirche.
Der Kanon des Neuen Testamentes wurde im Laufe dieser Pe-
riode in dem Umfange festgestellt, wie wir ihn haben. Bei Euseb 3, 25 fin-
den sich noch gewisse Schwankungen. Als allgemein anerkannte {o^oXo-
yoviispa) kanonische Schriften führt er an die vier Evangelien, die Apostel-
geschichte, die Briefe Pauli (mit Einschluss des Briefes an die Hebräer), den
ersten Brief Johannis, den ersten Brief Petri, und wenn man will {eiye (paveiti)
die Apokalypse. — Eine zweite Classe bezeichnet er als apulerofieya, doch
bei Vielen als authentisch geltend {yvcoQifia TioUoig); es sind der zweite
Die Lehre von der heiligen Schrift. 331
und dritte Brief Johannis, der Brief Jacobi, der Brief Judä, der zweite Brief
Petri. — Eine dritte Classe bezeichnet er als falsch (yod^a), — die Acta
Pauli, Hermas Pastor, die Apokalypse des Petrus, die Epistel des Barnabas,
die apostolischen Constitutionen. — Eine vierte Classe umfasst eigentlich hä-
retische Schriften, die als ungereimt {aiona) und gottlos (övgceßrj) zu ver-
werfen sind. Im Laufe des vierten Jahrhunderts wurden alle Schriften der
zweiten Classe zu den kanonischen gerechnet, indem man die ursprünghche
Annahme derselben durch einige Gemeinden als zuverlässige Tradition betrach-
tete; denn die Beschaffenheit dieser Briete machte es wahrscheinlich, dass
sie lange auf einen kleinen Kreis von Gemeinden beschränkt blieben. Auch
die Zweifel über die Apokalypse des Johannes verschwanden; denn sie hatte
für sich die mehrsten und stärksten Zeugen. In der griechischen Kirche
bestanden aber jene Zweifel bis ins sechste Jahrhundert, — eine Nachwirkung
der durch Origenes und seine Schule aufgeworfenen Bedenken ^).
So sehr die Kirchenlehrer an der Inspiration der heiligen Schrift
festhielten, so dachten sie sich dieselbe doch nicht als mechanische. Chry-
sostomus schliesst die Ekstase von der Begeisterung der heiligen Schrift-
steller aus, w^obei also die alte Mantik und Alles, w^as an Montanismus erinnerte,
gründlich beseitigt war. So gross seine Ehrfurcht vor der heiligen Schrift
ist, so sagt er doch bei Anlass von Apostelgesch. 26, 6, Paulus mische hier
von dem Eigenen ein, indem er nicht überall des Beistandes der Gnade ge-
niesse. Er gibt Differenzen in den evangelischen Erzählungen zu. Hiero-
uymus macht öfter aufmerksam auf Verschiedenheiten der Schreibart der
heiligen Schriftsteller; so findet er den Styl des Jesaias weit feiner und ge-
bildeter, als den des Jeremias. Zu Grunde liegt die Unterscheidung des
Göttüchen und Menschlichen in der Schrift, wobei die Verbalinspiration nicht
bestehen konnte ^).
Dabei wiu'de den Laien das Lesen der heiligen Schrift von den Kir-
chenlehrern dringend und oft empfohlen. Pamphilus, der uns bekannte
Verehrer des Origenes, hatte immer eine Menge Exemplare der Bücher der
heiligen Schrift, die er an solche verschenkte, die ein Verlangen darnach be-
zeugten. Hieronymus will, dass Gaudentius seine Tochter die Psalmen aus-
wendig lernen, darauf die Evangelien, Episteln und Propheten lesen lasse.
Er empfiehlt der Demetrias, gewisse Tagesstunden dem Lesen der heiligen
Schrift zu widmen. Die Kirchenlehrer gingen von der Voraussetzung aus,
dass die Schrift unerachtet der unergründhchen Tiefe ihres Inhaltes sich
gar wohl zum Volksbuch eigne. August in hebt hervor, dass die Schrift
den grössten Geistern hinlänglichen Stoff zum Denken gebe und zugleich den
Kindern die ihnen angemessene Nahrung darreiche. Chrysostomus ist
unerschöpflich in Empfehlung des Bibellesens. Aus seineu Ermahnungen
ersehen wir, dass der erste Antrieb dazu, dieses Lesen dem Geistlichen zu
überlassen, von den Laien ausging. Viele in Antiochien sagten, das sei gut
für die von der Welt zurückgezogenen Mönche. Chrysostomus (3. Homilie
1) S. Kirchhofer, Quellensammlung zur Geschichte des neutestamentlichen Ka-
nons bis aiif Hieronymus 1840.
2) S. über diesen Gegenstand Tholuk in J. MüUer's deutscher Zeitschrift 1850.
332 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Über die Geschichte des Lazarus) führt ihnen zu Gemüthe, dass solche, die
mitten in den Sorgen dieser Welt leben, der Stärkung durch die Schrift ge-
rade am meisten bedürfen. Er lässt auch die Entschuldigung nicht gelten,
dass die Schrift so schwer zu verstehen sei; diesen Einwurf nennt er einen
Vorwand zur Trägheit. Er denkt nicht daran, wie es im Mittelalter Ge-
brauch wurde, aus dem Bibellesen die Entstehung der Ketzereien abzuleiten :
vielmehr, sagt er, sind die Ketzereien dadurch entstanden,
dass man das Bibellesen vernachlässigte i).
Was das Verhältniss der Schrift und der Tradition zu ein-
ander betrifft, so ererbte sich aus der ersten Periode die Ansicht, dass der
dogmatische Inhalt der heiligen Schrift und der Tradition derselbe sei, dass
also diese jene nicht materiell ergänze, sondern dass beide einander zu ge-
genseitiger Verstärkung dienen. Cyrill von Jerusalem (4. Kat.) ver-
bietet, das mindeste vorzutragen ohne Beweisstellen aus der Schrift. Atha-
nasius liielt die heiligen Schriften für genügend (avtaQxsig), um daraus die
Verkündigung der Wahrheit zu schöpfen (Or. adv. gentes). Ebenso Augu-
st in de doctrina Christ. 2, 9. Eine Abweichung davon ist es, wenn Basi-
lius (de spiritu s. c. 27) aus der Tradition die Lehre ableitet, dass der
heilige Geist gleich dem Vater und dem Sohne anzubeten sei. Sehr bedenk-
lich war auch die Art, wie Gregor von Nazianz aus einer Fortent-
wickelung der Offenbarung das Dogma von der Gottheit des heiligen Geistes
ableitete 2). Es wurde die Ansicht heiTschend, dass die in der heiligen Schrift
nur undeutlich enthalteneu Lehren durch die Tradition ihr Licht empfin-
gen, dass die Schrift mit Hülfe der dogmatischen Tradition erklärt werden
müsse 3).
So weit ist Augustin nicht gegangen. Er lehrt nirgends, dass die
Kirche deswegen der Schrift zu Hülfe kommen müsse, weil sie unklar sei.
Aber die göttliche Autorität der Schrift gründet er auf das Ansehen der
kirchlichen Tradition. Gegenüber den Manichäern, welche behaupteten, die
heilige Schrift, wie sie die katholische Kirche darbiete, enthalte nicht die un-
verfälschte Lehre Christi, sie allein seien im Besitz der wahrhaften heiligen
Schrift, entstand für ihn die Frage: wo finde ich die ächte heilige Schrift?
1) D. Arnauld, der Jansenist, hat im 8. Bande seiner Werke eine grosse Menge
solcher Zeugnisse zusammengestellt. Aus ihnen hat geschöpft Leander van Ess, Aus-
züge aus den heiligen Vätern und anderen Lehrern der katholischen Kirche über das noth-
wendige und nützliche Bibellesen 1808. 1816. Derselbe von der Vortreflflichkeit der Bibel
u. s. w. 1814. Als Delbrück in der Schrift über Melanthon 1825 die Semler-Lessing-
sche Hypothese wieder aufgefrischt hatte, dass die alte Kirche keinen allgemeinen Ge-
brauch der Schrift zugelassen, da traten gegen ihn Sack, Lücke und Nitzsch in drei
theologischen Sendschreiben 1826 auf. — Schon im 18. Jahrhundert hatte C. W. Fr.
Walch gegen Semler seine kritischen Untersuchungen vom Gebrauch der heiligen Schrif-
ten unter den alten Christen in den ersten drei Jahrhunderten geschrieben 1779.
2) Ullmann a. a. 0. S. 305.
3) Die erste Synode von Sirmium sprach sogar ein Anathema aus über diejenigen,
welche die Worte: „lasset uns Menschen machen" (Genesis 1, 26) nicht als Anrede ded
Vaters an den Sohn verstanden.
Die Lehre von der Tradition, 333
Diese Frage beantwortete er aus der Autorität, die der katholischen Kürche
zukommt, als in welcher Alles, ihr Sieg über das Heidenthum, ihre wunder-
bare Erhaltung mitten in allen Verfolgungen, ihre Ausbreitung ihren Ur-
sprung von Christo beweise. So will er also von der Autorität der Kirche
die heihge Schrift empfangen. Dabei nimmt er zu Hülfe, was er vom sünd-
lichen Elende des Menschen gelehrt hat. So gelangt er zu dem Satze, dass
die menschliche Seele, in Sünde undirrthum verstrickt, nicht ohne die Herr-
schaft einer gewichtigen Autorität die christliche Religion erfassen kön^e i).
Daher der so oft angeführte und benützte Satz : ego vero Evangelio non
crederem, nisi me catholicae ecclesiae moveret auctoritas"^).
Der Glaube an die christliche Wahrheit ist mithin zunächst Autoritätsglaube,
d. h. der Glaube ist nichts Anderes, als einen äusserlich uns gegebenen In-
halt mit Vertrauen auf die gebende Autorität durch den Assensus des Wil-
lens in den Intellect aufnehmen. Obwohl nun Augustin, mit Rücksicht auf
seine eigenen Lebenserfahrungen, da ihn die Manichäer durch das Verspre-
chen rein rationaler Erkenntniss angelockt hatten, lehrt, dass die rein ratio-
nale Erkenntniss Speise der Gesunden sei, und dass die Seele, wenn sie ver-
gisst, dass sie krank ist, und die Speise der Gesunden gemessen will, ver-
fühlt und vergiftet wird, so will er doch, dass wir vom Glauben zum Wissen
fortschreiten, obgleich wir diese höhere Stufe hienieden nicht erreichen. Aber
diese Stufe des Erkennens setzt Erfahrung der göttlichen Dinge voraus. In-
dem der Gläubige sich in die götthche Wahrheit hineinlebt, wird er fähig,
sie — bis auf einen gewissen Grad zu erkennen. Darauf bezog Augustin
die Stelle Jesaia 7, 9 yiisi credideritis ^ non intelligetis (nicht rich-
tig übersetzt), dieselbe Stelle, welche Clemens Alexandrinus für dasselbe Ver-
hältniss von Glauben und Wissen angeführt hatte. In dieser Richtung sich
fortbewegend lehrt er, dass zu Rathe gezogen werden soll Christus, der im
inneren Menschen wohnt, Gottes unveränderliche Kraft und ewige Weisheit 3).
Durch solche und ähnliche Sätze ist Augustin Ausgangspunkt für die Mystik
des Mittelalters geworden, sowie durch die früher erörterten Grundsätze 'die
Stütze der katholischen Hierarchie und ihrer Herrschaft über die Geister.
Die Grundsätze über die Autorität der Tradition sind am schärfsten
ausgeprägt worden von Vincent ins Lirinensis, Mönch und Priester im
Kloster Lerinum, f c. 450, Semipelagianer, in der Schrift, die nach Genna-
dius mit Verschweigung des Namens des Verfassers zuerst den Titel führte:
Peregrini adversum haereticos, später genannt tractatus Pere-
grini pro catholicae fidei antiquitate et universitate adversus
profanas omniuni haereticorum novitates^ noch später Commoni-
torium adv. et cet. V im Jahre 434 verlasst. Die Schrift ist zu begreifen aus
der theologischen Bewegung im südlichen Gallien. Vincentius geht ctirauf
aus, den Semipelagiaiiismus gegen den Vorwurf der Neuerung zu verthei-
ditren und hinf^e^en den augustinischen Lehrbegritf, aber mit gänzlichem Still-
1) de utilitate credendi c. 9. non sine gravi quodam auctoritatis imperio.
2) contra epistolam Manichaci, quam vocant Fundamenti vom Jahre 397.
3) de magistro c 33. Ritter, Geschichte der Philosophie 6. Bd. S. 241.
4) Commonitorium nennt es der Verfasser selbst im Texte zu Anfange.
334 Zweite Periode des alten Katholicismus.
schweigen über den hochverehi'ten Lehrer, als eine Neuerung hinzustellen,
wobei er c. 37 eine Secte von Prädestinatianern vorauszusetzen scheint. Aber
die Schrift hat eine allgemeinere Tendenz. Sie gilt als Normalschrift des äch-
ten Katholicismus, obwohl sie in einem wesentlichen Punkte es durchaus
nicht ist. Zweck des Vincentius ist, feste und allgemeine Kegeln aufzu-
stellen, wodurch man den wahren, katholischen Glauben von häretischen Leh-
ren unterscheiden könne. ;,Es gibt, sagt der Verfasser, zwei Mittel, wodurch
man den katholischen Glauben kennen lerne: zuerst die heilige Schrift, dann
die Ueberlieferung (traditio) der katholischen Kii'che." Vincentius erkennt
zwar an, dass der Kanon der Schrift vollkommen sei und sich selbst in jeder
Hinsicht genüge. ;, Warum muss denn, fragt er, das Ansehen des kirchlichen
Verständnisses (ecclesiastica intelligentia) hinzukommen? — Weil
nicht alle die Schrift in demselben Sinne verstehen, sondern der eine sie so,
der andere sie anders auslegt, woraus grosse Irrthümer entstehen. Darum
müssen wir festhalten: was überall, was zu jeder Zeit, was von Allen
ist geglaubt worden (quod ubique, quod semper, quod ab omnibus
credit um est), das ist eben das wahrhaft Katholische. Zu diesem Behufe
müssen wir uns richten nach der Allgemeinheit (universitas), nach
dem Alterthum (antiquitas), nach der Uebereinstimmung (con-
sensio). Nach der Allgemeinheit richten wir uns, wenn wir nur denjenigen
Glauben für wahr halten, den die über die ganze Welt verbreitete Kiixhe
bekennt; nach dem Alterthum, wenn wir von den Glaubenssätzen der Vor-
fahren nicht abweichen; nach der Uebereinstimmung, wenn wir im Alter-
thume selbst uns an die Sätze aller oder beinahe aller Lehrer uns halten.
Was soll also der katholische Christ thun, wenn in der Gegenwart ein Theil
der Kirche vom gemeinsamen Glauben abfällt ? Was anders, als dass er dem
verpesteten und verderbten Gliede die Gesundheit des ganzen Körpers vor-
zieht? Was soll er aber thun, wenn die Ansteckung eines neuen IiTthums
nicht blos einen Theil der Kirche, sondern die ganze Kii'che zu beflecken
droht? Dann soll er sich an das Alterthum halten, das durch keine List
der Neuerung verführt werden kann. Was aber dann, wenn im Alterthum
selbst Einige im Irrthum sich befinden? Dann soll er wieder auf die älteren
Decrete der Kirche zurückgehen. Was aber dann, wenn so etwas auftaucht,
was von den älteren Synoden gar nicht behandelt worden ist? Dann soll er
(der kathoUsche Christ) die Meinungen der älteren Lehrer vergleichen, zu
Rathe ziehen und befragen, besonders derjenigen, die als vertrauenswürdige
Lehrer (mag is tri probabiles) ^) gehört zu werden verdienen. Und was
nicht blos einer oder zwei, sondern was alle einstimmig und beständig gelehrt
haben, das soll er zweifellos festhalten.''
Auf diesen zuletzt angeführten P'all spitzt sich die ganze Theorie zu.
Sie mündet aus in das Bestreben, einen Schutz zu suchen gegen die diver-
girenden Meinungen der kirchlichen Mächte der Gegenwart, seien es nun
Concilien oder einzelne hoch angesehene, einflussreiche Lehrer, so dass durch
1) Diess die älteste Form des Probabilismus , die ganz dem dogmatischen Gebiete
angehört. Völlig anders war der spätere, der sittliche Probabilismus, wie ihn besonders die
Jesuiten pflegten.
Tradition und Autorität der Concilien. 335
die Autorität der Tradition die Autorität der Kirche, wie sie in den Concilien
oder in hervorragenden Lehren der Gegenwart sich darstellt, in bestimmte Gren-
zen, eingeschlossen wird. Aber was jenen Fall selbst betrifft, wobei der Recurs
an die magistri prohahiles aufgestellt wird, welche Schwierigkeiten sind
damit verbunden! Dass einem Laien nicht zugemuthet werden kann, die
Meinungen der Kirchenlehrer zu erforschen und zu vergleichen, liegt auf der
Hand ; aber auch von den meisten Geistlichen wird solches nicht zu erwarten
sein. So musste die Theorie des Vincentius zuletzt in das doppelte Resultat
auslaufen, dass der Einzelne sein Urtheil mehr und mehr den jeweiligen Be-
stimmungen der Kirche, wie sie ihm durch seinen Geistlichen oder Bischof
vermittelt wurden, unterwarf und dass er sich nicht in der heihgen Schrift
Rath holte.
So sehr nun Vincentius auf das Alterthum zurückgeht, so ist er doch
weit entfernt davon, das Princip der absoluten Stabilität aufstellen zu wollen.
Er fordert durchaus in Aubprägung der Dogmen einen Fortschritt (profec-
tus), der freilich keine Alterirung des Glaubens (permutatio fidei) in
sich schliessen darf. Er unterscheidet den Fortschritt einer Sache, der darin
besteht, dass sie in sich selbst erweitert wird, von der Alterirung, wodurch
sie in etwas Anderes verwandelt wird. Treffend vergleicht er den Fort-
schritt, um den es sich hier handelt, mit dem Wachsthum des menschlichen
Körpers, wobei der äussere Habitus verändert wird, aber die Natur, die Per-
son dieselbe bleibt. Er setzt hinzu, wenn ein neues Glied hinzugefügt oder
ein vorhandenes abgeschnitten wird, so leidet darunter der ganze Körper.
Nach derselben Analogie soll die Entwickelung des Dogmas vor sich gehen.
Allerdings sehr richtige Grundsätze; es kommt nur darauf an, wie sie in
der Anwendung gehandhabt werden ij.
Fortan verschmolzen sieh die Aussprüche der Synoden, besonders der
allgemeinen, mit der Tradition und galten als Theile derselben. Alle katho-
lischen Synoden wurden nach Apostelgesch. 15, 28 als unter der besonderen
Leitung des heiligen Geistes stehend angesehen, deren Entscheidungen mit
der entsprechenden Gesinnung müssten aufgenommen werden. Das erste
Beispiel einer Synode, die sich der Leitung des heiligen Geistes rühmte, ist
das der Synode von Carthago 252 2). Die Synode von Ephesus 431, je mehr
sie sich bewusst war, sehr bedeutende Gegner zu haben, behauptete geradezu.
1) Es liesae sich z. B. leicht zeigen, dass mit der Eucharistie nicht sowohl ein pro-
fectus als eine permutatio erfolgte, dass mit dem sichtbaren Opfer ein neues Glied
dem Dogma eingefügt wurde, wodurch die Eucharistie eigentlich verunstaltet, zu einem
prodigiosum wurde, wie Vincentius sich ausdrückt. Dazu kam, dass das sichtbare
Opfer von Brod und Wein sich nach und nach in die Opferung des Leibes und Blutes
Christi verwandelte. Was Dankopfer war, wurde versöhnendes Opfer. Was eine rheto-
rische Figur war (siehe ! .hier ist das für euch geschlachtete Lamm, - täglich wird Chri-
stus für die Menschen geschlachtet -), das wird zur dogmatischen Formel gestempelt.
Was ein Opfer war, dessen Gott durchaus nicht bedurfte, um für die Menschen gnädig
gestimmt zu werden, das wird zur Bedingung sine qua non des Heiles. Was ein blosses
Gedächtniss des Opfers auf Golgatha war, identifizirt sich mit diesem Opfer und setzt
sich an dessen Stelle
2) Placuit nobis s. spiritu suggerente etc.
336 Zweite Periode des alten Katholicismus.
dass der Herr Jesus Christus durch diese Synode Nestorius verdammt habe.
Weil die ökumenischen Synoden als Repräsentanten der ganzen katholischen
Kirche angesehen wurden, so wurde dadurch die Autorität ihrer Entschei-
dungen erhöht, wie diess nicht blos Coustantin, sondern auch Basilius Magnus
(ep. 114) von der Synode von Nicäa bezeugen. Isidor von Pelusium nennt
dieselbe Synode von Gott inspirirt. Doch konnte diese Anschauung in der
Zeit, wo die Kirche in verschiedene Parteien zerrissen war, gefährhch wer-
, den ; daher man öfter die ökumenischen Synoden auf dieselbe Linie mit dem
Provinzialsynoden stellte. Athanasius, der so oft in der Minorität war, warnt
davor, auf die Zahl ein besonderes Gewicht zu legen. Augustin suchte im
Allgemeinen seinen Gegnern nicht sowohl den ökumenischen Charakter, als die
Wahrheit der Entscheidungen der allgemeinen Concilien nach Schrift und Tra-
dition zu beweisen. Er erklärt, dass allein über die Entscheidungen der hei-
ligen Schrift nicht dürfe gezweifelt und disputirt werden; er gibt zu, dass
die Provinzialsynoden vor der Autorität der allgemeinen Synoden zuinick-
treten sollen, dass selbst frühere allgemeine Synoden durch spätere können
verbessert werden (de Baptismo c. Donatistos 2, 3), indem, was früher noch
verschlossen war, später eröffnet werde. Er gibt ohne Anstand zu, dass Cy-
prian in der Frage von der Ketzertaufe geirrt habe; er entschuldigt ihn da-
mit, dass zu dessen Zeit die Kirche sich über jenen Punkt noch nicht aus-
gesprochen hatte.
Lehre von Gott.
Es lässt sich nicht leugnen, dass dieses Gebiet im Ganzen auf sehr er-
freuHche Weise angebaut wurde.
Was das Dasein Gottes betrifft, so galt es zunächst als unbestritte-
nes Axiom; statt des Beweises für das Dasein Gottes lehrt Athanasius,
dass nur eine reine Seele im Stande sei, Gott zu schauen (nach Matth. 5, 8).
Ebenso Gregor von Nazianz, wobei er den Grundsatz aufstellt: ^^dieThat
ist die Grundlage der Erkenntniss". (Orat. 20.) Indessen ist die Erkenntniss
Gottes auch durch die Geschöpfe vermittelt, und es werden Ansätze gemacht
zu verschiedenen Beweisen für das Dasein Gottes. Gregor von Nazianz
und Augustin tragen den physiko-theologischen Beweis vor, indem sie vom
Werke auf den Schöpfer schhessen. Bei Diodor von Tarsus finden wil-
den kosmologischen Beweis, indem er von der Mannigfaltigkeit und Verän-
derlichkeit der Geschöpfe auf eine schaffende Einheit schhesst. Augustin er-
hebt sich über alle Beweise, indem er zeigt, dass die Idee Gottes allem
menschlichen Denken zu Grunde liegt als die Idee der absoluten Wahrheit;
insofern hat er den ontologischen Beweis präformirt. Die Einheit Gottes
wurde mittelst des Begriffes des vollkommensten Wesens nachgewiesen.
Was die Natur und das Wesen Gottes betrilft, so wurde die Unbegreif-
hchkeit desselben hervorgehoben auch im Gegensatz gegen das Extrem der
Arianer. Die Kii'chenlehrer erhoben sich zu solcher Höhe der Anschauung,
dass sie sogar Bedenken trugen, Gott eine ovaia zu nennen, da er vncQ-
ovCLoq, über alle Wesen erhaben sei. Augustin geht davon aus, dass Wesen
und Natur Gottes alle unsere Sprachmittel und Denkveniiögeu übersteigen;
daher der Satz, dass Gott besser gewusst werde im Nichtwissen als im
Lehre von der Schöpfung. Christologie. 337
Wissen; doch sieht er ein, dass dieses Nichtwissen ein Wissen voraussetzt,
ohne welches es nicht als Nichtwissen gewusst würde. Daran reihen sich
seine sehr treffenden Bestimmungen über Gottes Wesen, über die göttlichen
Eigenschaften, wobei er bemüht ist, die Einfachheit Gottes nicht zu gefähr-
den. — Anthropomorphische Vorstellungen haben wir bei Mönchen gefunden,
denen aber andere entgegenstanden. Ebenso thaten sich als Anthropo-
morphisten und Quartodecimaner hervor Audius und seine Anhänger, die
Audianer in Mesopotamien im Anfang c. 340 i).
Die Lehre von der Schöpfung wurde von einigen Auswüchsen
gereinigt. Die Idee des Origenes aber von zahllosen und anfangslosen Wel-
tenreihen fand auch in dieser Periode Vertreter, zumal an Athanasius.
Dass die Welt nicht durch Emanation entstanden, lehrte Basilius im
Hexaemeron. Die mosaische Schöpfungsgeschichte verstanden Viele buchstäb-
lich. Augustin dagegen wollte nicht bestimmen, von welcher Art jene Tage,
wovon Moses redet, gewesen seien. Man führte auch mehrfach aus, dass
die Welt nicht um Gottes willen, noch um ihrer selbst willen, sondern um
der Menschen willen von Gott erschaffen worden. Die Güte Gottes galt als
Grund der Schöpfung. Bei diesem Satze langt auch zuletzt Augustin an:
der gute Gott wollte Gutes schaffen. Derselbe lehrt ganz richtig, dass die
Schöpfung nicht in der Zeit vollbracht wurde, sondern mit der Welt wurde
die Zeit geschaffen; denn ausser der Welt gibt es keine Zeit, sowie auch
keinen Raum. Doch ist Alles, was Gott vollbringt, in seinem ewigen Wesen
ohne alle Zeit; die Welt war ewig, der Möglichkeit nach, d. h. im Princip.
Augustin machte aufmerksam auf die Zusammengehörigkeit von Schöpf-
ung und Erhaltung. Die Macht des Schöpfers und die Kraft des Allmäch-
tigen und Allerhalters ist die Kraft, wodurch jedes Geschaffene subsistirt.
Wenn diese Kraft von den geschaffenen Dingen wiche, so würde ihre Gestalt
zerfallen, ihre Natur verschwinden. Die Welt kann keinen Augenblick ohne
Gott bestehen. Doch meidet Augustin sorgfältig alle Bestimmungen, die an
Pantheismus anstreifen; Alles ist in Gott, aber nicht so, dass Gott der Ort
ist, sondern auf rein dynamische Weise. Obwohl Alles ohne Gott nicht
wäre, so ist es doch nicht Gott selbst. Die Lehre von der Vorsehung wurde
von mehreren Kirchenlehrern sorgfältig ausgebildet. Chrysostomus,
Theodor et und Salvian verfassten eigene Schriften darüber. In acht
christlichem Sinne wurde gezeigt, dass die Vorsehung sich auf das Einzelnste
erstrecke. /
Die Christologie.
Nachdem die Lehre von Christi Person in Verbindung mit den Strei-
tigkeiten darüber weitläufig erörtert worden, erübrigt noch die Lehre von
Christi Werk, von der Erlösung und Versöhnung 2).
Diese Lehi'e wurde nicht mit der Sorgfalt bearbeitet, die sie
verdiente. Im Ganzen hielt man an der durch Origenes eingeführten
11 S. Neander, Kirchengeschichte 2, 4, 1465 u. if.
2) S. Baur, die christliche Lehre von der Versöhnung n. s. w. 1838.
Herzog, Kirchengesohichte I. 22
338 Zweite Periode des alten KathoMctsmtis.
Theorie von einer Ueberlistung des Teufels, wobei versucht wurde, die Er-
lösung und Versöhnung noch auf andere Weise zu begründen. Zuerst kommt
in Betracht der auf den Teufel bezogene Begriff der Gerechtigkeit , so dass
er die göttliche Gerechtigkeit repräsentirt. Der Teufel hatte nämlich ein
Recht auf die Menschen, da sie freiwillig sich in den Gehorsam unter ihn
begeben hatten, was am stärksten von Augustin betont wurde. Alle Kirchen-
lehrer waren darüber einig, dass die Menschen dem Teufel nicht auf dem
Wege der Gewalt entrissen werden durften. Der Teufel konnte aber seine
Herrschaft nur so lange behaupten, bis er einen Gerechten tödtete, an dem
er nichts des Todes Würdiges fand; dieses dadurch begangene Unrecht
machte ihn seines Rechtes verlustig i). Damit hängt zusammen der dem
Teufel gespielte Betrug (anatt], fram), wie er zwar nicht von Augustin,
aber von Gregor von Nyssa in seinem Xoyoq xatrjxritixog fisyag dargestellt
wird: Jesus bot sich dem Teufel als Lösegeld an für die Befreiung der
Menschen aus des Teufels Gewalt. Dieser glaubte an Jesu einen höchst,
vortheilhaften Tausch zu machen. Denn durch die Menschwerdung warer
die göttlichen Eigenschaften Jesu verhüllt, ,, damit nicht der Anblick dei
nackten Gottheit den Teufel zurückschrecke." Das Fleisch Jesu diente als
Lockspeise, damit, nach der Weise lüsterner Fische, mit der Lockspeise des
Fleisches auch die Angel der Gottheit verschlungen würde. So wurde der
Teufel auf dieselbe Weise betrogen, wie er einst die Menschen durch die
Lockspeise der Lust betrogen hatte. Diese Theorie, bei welcher die Mensch-
heit zu einem Mittel des Betruges herabgewürdigt wird, hebt sich selbst
auf durch inneren Widerspruch. — Das Bedenkliche und Anstössige dieser
Theorie hat Gregor von Nazianz in hohem Grade erkannt und ausgesprochen ;
und doch kann er sich von der herrschenden Vorstellung nicht losmachen,
gegen die er so ernstlich protestiit 2). Den Uebergang zu einer Lehrform,
welche dem biblischen Begriff von Erlösung und Versöhnung gerecht wird,
macht Athanasius in seiner Schrift über die Menschwerdung des Logos.
Athanasius selbst wird ergänzt durch Cyrill von Jerusalem (Katechese
13), insofern er die Idee des stellvertretenden Leidens und des unendlichen
Werthes desselben hinzuninmit. Was Augustin betrifft, so finden sich bei
ihm allerdings Anklänge an die Vorstellung von einer Versöhnung Gottes
durch das Opfer am Kreuz, welches mit den alttestamentlichen Opfern ver-
glichen wird und uns von Schuld und Strafe befreit hat. Da aber Gott
durch die Sünde nicht verletzt wird, noch verletzt werden kann, so kann
Christus Gott nicht eigentlich versöhnt haben; sondern er hat, indem er
sein Blut als Lösegeld dem Teufel überlieferte, also innerhalb der Offen-
barungssphäre ein Werk gethan, wodurch die Offenbarung der Gerechtigkeit
in der Strafe ohne Ungerechtigkeit aufgehoben werden konnte, indess in
Gott selbst keine Veränderung und Umstimmung vorgeht. Das Opfer wird
Gott dargebracht , er nimmt es an , insofern er will, dass die Menschen nicht
ohne Sühne der Gewalt des Teufels entrissen werden. Gott nimmt das Opfer
1) So Augustin: justissime dimittere cogitur credentes in eum, quem injustissime
occidit.
2) Ulhnann S. 455.
Eschatologie. 339
an, insofern als er in der Welt sich als Gerechter offenbaren will. Der
Ausdi'uck, dass Gott das Opfer annimmt, besagt nur soviel, dass durch
Darbringung desselben dem göttlichen Offenbar ungs willen Genüge ofeschehe.
Daher Augustin viel lieber sagt: wii- werden mit Gott versöhnt, als: Gott
wird mit uns versöhnt ^).
Die Eschatologie.
Der Chiliasmus, der sich in sehr fleischlichen Vorstellungen aus-
geprägt hatte, verschwand in dieser Periode besonders durch das Ansehen
Augustin's (de civitate Dei 20, 7. 9). Es wurde Grundsatz, dass die Kirche
das Reich Gottes auf Erden sei. Der Chihasmus gehörte seinem Wesen
nach der im Innersten aufgeregten Zeit der Verfolgungen an. Als diese
aufhörten, als mit der christlich gewordenen Staatsgewalt der natürliche
Lauf der Dinge das , was man vom Chiliasmus erwartete , eiuigermassen zur
Wahrheit machte, da war dem Chiliasmus der Lebensnerv abgeschnitten.
Was die Auferstehung betrifft, so wurde mit dem Chiliasmus auch
die Vorstellung einer doppelten Auferstehung aufgegeben. In der Lehre
selbst treten die früheren beiden Gegensätze einer geistigen und materiellen
Auffassung hervor, jene bei den Schülern des Origenes, auch bei Chrysosto-
mus und, wie oben angeführt, bei Synesius, diese, die materielle Auffassung
bei Epiphanius, Theophilus von Alexandrien und besonders bei Hieronymus,
der seine Ansicht auf die falsch übersetzte Stelle Hiob 19 , 26 gründete ^).
Demnach nimmt er eine Wiederbelebung der menschlichen Körper bis
auf die Haare und Zähne an, er meint sogar, die Auferstandenen w^erden
ventrem und genitalia haben, und doch werden sie der Speisen und der
Frauen entbehren können. Dass wir Zähne haben werden, schhesst er aus
dem Zähneknirschen der Verdammten, das Wiedererhalten der Haare aus
dem Spruche: auch die Haare eures Hauptes sind alle gezählt. Alles aber
gründet er zuletzt auf die Identität des Leibes der Auferstandenen mit dem
Leibe Christi. Augustin hatte etwas mehr geläuterte Vorstellungen (de
fide et symbolo c. 20. Enchiridion c. 84 — 92, de civitate Dei 22, 11 — 21).
Er scheidet sorgfältig Fleisch und Blut aus, als welche das Reich Gottes
nicht ererben können nach 1 Kor. 15, 50, und hält mit Paulus den Begriff
des geistlichen Leibes fest. Diese Ansicht retractirte er später in den Re-
tractationen c. 17, insofern er in gewissem Sinne in den Verklärten Fleisch
zugibt, wie bei Christus nach der Auferstehung (Lukas 24, 39). Und so
bekommen seine Vorstellungen doch einen stark sinnlichen Beigeschmack.
1) Dorner a. a. 0. S. 171 ff. ,
2) Vulgata: scio enim, qnod redemtor mens vivit (unter dem redemtor, P^5!^
ist nicht Jesus, sondern Gott zu verstehen), et in novissimo die de terra resurrecturus
sum (ganz falsch; der iJS!^ wird auftreten auf dem Kampfplatz) et sursum circumdabor
pelle mea (wieder falsch); es ist hier die Hoffnung eines Schauens Gottes nach diesem
Lehen ausgesprochen, so dass anstatt circumdabor came mea zu übersetzen ist: ledig
meines Fleisches, ohne mein Fleisch. S. adv. errores Joa. Hieros. op. II. p. 118 sq. Diese
falsche Uebersetzung ist in die lutherische Bibel und in Osterlieder übergegangen.
22*
340 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Dahin gehört auch die Vergleichiing mit einer zerbröckelten Statue, die
wieder zusammengesetzt wird, wobei es gleichgültig ist, ob der Theil, der
ursprünghch das eine Glied gebildet, auf ein anderes Glied verwendet wird..
So sei es gleichgültig, ob die Haare der Auferstandenen wieder zu den Haa-
ren kommen u. s. w.
Was das Fegefeuer betrifft, so ist keine Kede davon, dass die Vor-
stellungen darüber sich schon zum Dogma ausgebildet hätten und eine die
Gewissen beherrschende Macht in der Weise, wie es zur Zeit Gregor I.
geschah, geworden wären. Die Vorstellung vom reinigenden Feuer, nvq
xa&aqcnov, bei dem Weltbrande, von Origenes auf Grund der Stelle 1 Kor.
3, 12 ausgesprochen, eignete sich auch Gregor von Nazianz (oratio 39. UUmann
S. 504) an, doch trägt er sie in problematischem Sinne vor: ^vielleicht wei'-
den erst jenseits manche mit Feuer getauft , welches die Materie verzehi't
wie Heu und allen Leichtsinn des Lasters hin wegnimmt. Augustin hat auch
die Ansicht vom reinigenden Weltbrande nach 2 Petri 3, 7, welchen aber
die Gerechten nicht zu fürchten haben, de civitate Dei 20, 18. Näher spricht
er sich über das reinigende Feuer (ignis purgatoriiis) aus, indem er
die Stelle 1 Kor. 3, 12 darauf bezieht im Enchiridion c. 88. 89 und de civitate
Dei 21, 18, welche Stelle, von ihrem richtigen Sinne entfremdet, fortan ein
locus classiciis für die Lehre vom Fegefeuer wurde. Augustin hält sich näm-
lich nicht an den ursprünghchen Sinn dieser Stelle, sofern sie sich auf diu
Lehrweise des Evangehums bezieht; er verallgemeinert die Sache und be-
zieht sie auf das christUche Verhalten überhaupt. Er gibt zu, dass nich;
vom ewigen, den Verworfenen bereiteten Feuer die Rede sein könne (Matth.
25, 41). Er versteht unter dem Feuer, wovon der Apostel spricht, zunächst,
die Versuchung der Trübsal (tentatio trihulationis) hienieden i). Vor
da einen Schritt weiter gehend, doch ohne etwas Gewisses aufstellen zu
wollen, bemerkt er, es sei glaublich, dass so etwas auch nach diesem Leben
geschehe 2). Doch sind von dieser Reinigung die groben Sünder ausgeschlossen,
von denen es heisst, dass sie das Reich Gottes nicht ererben werden. Beide
Beziehungen, die auf ^ie trihulatio in diesem Leben und diejenige im ande-
ren Leben zusammenfassend, lehrt er: „die aber mit kleineren Sünden be-
haftet und in Loskaufung derselben nachlässig sind, die werden zuvor hie-
nieden durch die bittersten Trübsale ausgekocht oder befreit mittelst Almo-
sen u. s. w. oder sie werden durch jenes reinigende Feuer lange Zeit hin-
durch gepeinigt.^ — Unter den kleineren Sünden scheinen Heu, Holz,
Stoppeln zu verstehen sein; anderswo versteht er darunter diejenigen, die
zwar Vater und Mutter auf fleischliche Weise lieben, aber doch nicht so weit,
dass sie dieselben Christo vorziehen. Welche Mannigfaltigkeit der Aus-
legungen der Stelle ! welche Unbestimmtheit zugleich ! darunter konnte aber
der L-rthum wachsen ; besonders bedenklich wurde die Sache, sofern die kirch-
liche Werkheiligkeit, der sich auch Augustin nicht entzog, aus jenen Vor-
stellungen Nahrung zog.
1) De civ. D. 21, 26 meint er, man könne auch den Tod, die Verfolgungen u. s.
zu dieser trihulatio rechnen.
2) Tale aliquid etiam post hanc vitam fieri incredihile non est.
Eschatolagie. Dogma. 341
Was den Zustand der Seligen und Verdammten betrifft, so
nahmen einige Kirchenlehrer an, dass die Seele vor der Auferstehung zu
Gott komme. Andere nahmen Mittelzustände, der Ruhe oder der Pein
(aerutnna) an, je nachdem die Seele hienieden sich verhalten (Augustin enchi-
ridion c. 109). Erst nach der Auferstehung erfolgt die eigentüche Ver-
geltung. — Die Seligkeit besteht in erweiterter Erkenntniss, im Umgang
mit den SeUgen, in der Befreiung von den Banden des Körpers. Gregor
von Nazianz setzt die Seligkeit hauptsächlich in die Erkenntniss Gottes,
in die innige Verbindung mit Gott. Für Augustin sind unaussprechücher
Gottesfriede und Anschauen Gottes die Hauptbestandtheile der Sehgkeit. Die
Seügen gelangen zur wahren, vollen Freiheit, so dass sie moraUsch nicht
mehr sündigen können , wobei die höchste sittliche Freiheit mit der sittlichen
Nothwendigkeit zusammenfällt. Sie haben darum die Gewissheit, dass sie
niemals aus dem Stande der unsterblichen Seligkeit herausfallen werden (de
civ. Dei 11, 13). Sie wissen auch um die Qual der Verdammten, doch
ohne dadurch in ihrer Sehgkeit gestört zu werden, weil ihr Wille dem gött-
lichen Willen unterworfen ist. Die Verdammten sind im ewigen Feuer, das
die besseren Theologen sich als ein geistiges Feuer dachten. Augustin
sieht in der Entfenmng von Gott die Verdammniss. Gregor von Nazianz,
Basilius und Augustiu nahmen Stufen der Sehgkeit an, nach Joh. 14, 2.
Was die Ewigkeit der Höllenstrafen betriti't, so finden sich noch einige Theo-
logen, welche die Strenge des Dogmas zu mildern geneigt sind, so Didymus
von Alexandrien, Gregor von Nyssa oratio cat. c. 8, der die Wieder-
herstellung aller Dinge im Sinne des Origenes lehrt. — Die Mehrzahl der
Theologen nahmen die Ewigkeit der Höllenstrafen an. August in stützte
sich darauf, dass das den Gottlosen bereitete Feuer ewig sein müsse wie
das ewige Leben, in welches die Gerechten eingehen Matth. 25, 41. 46
(enchiridion c. 112). Derselbe nahm Grade der Unseligkeit an, weil nach
Matth. 11, 21 Chorazin und Bethsaida härter gestraft werden, als Tyrus und
Sidon. Zugleich aber berichtet er, dass einige, ja sehr viele (nonnuUi, imo
quam plurimi, enchir. c. 112) ein Ende der Höllenstrafen annehmen, sich grün-
dend auf P^alm 77, 10 1).
Anhang zur Geschichte der Theologie.
lieber die Bedeutung des Wortes Dogma seien uns hier einige
nachträgliche Bemerkungen gestattet, die sich anschliessen an das, was wir
am Anlange der Geschichte der Theologie in dieser Periode bemerkt hatten
(S. 242).
Dogma heisst bei den Profanscribenten statutum, decretum, doyiia
cvy^etvai ist so viel po^ioy ^etr^at. Daniel 2, 13. — ^oyf*a heisst das
Gebot des Kaisers Augustus, dass alle Welt geschätzt würde, Lucas 2, 1.
1) Noch führen wir eine morgenländische Secte nachträglich an, die Hypsista-
rier, zu denen anfänglich der Vater des Gregor von Nazianz gehört hatte. (Oratio 18
§. 5). Sie haben mit dem Christenthum nichts gemein, sondern ihre Lehre ist ein Gemisch
aus jüdischen und heidnischen Religionselementen. Siehe Ullmann, Gregor von Nazianz
S. 558. Gieaeler, Kirchengeschichte IL 16. 17.
342 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Weiterhin ist ^0^^1*05 religiöses Gebot Ephes. 2, 15. Kolosser 2, 14; an bei-
den Stellen sind die alttestamentlichen Satzungen gemeint. Der christliche
Glaubensgehalt wird im Neuen Testament niemals doyiia, sondern evayye-
hov, Xoyog ^«ov, xijQvyfia genannt. — Bei den Stoikern ist doy/*« Grund-
satz, Axiom, im Gegensatze gegen Launen, Gefühle, Affecte; daher das
Wort von Marc-Aurel (eig iavtov 2, 3), tavta aoi aQxetco, aet öoyfiata
€(TTco. So auch bei Cicero (acad. quaestiones 4, 9). Sapientia neque de se
ipsa dubitare debet neque de suis decretis, guae philosophi vocant dogmata.
Die christlichen Kiixhenschriftsteller haben das Wort bald in ihren
Sprachgebrauch aufgenommen, aber ihm eine andere Bedeutung gegeben, als
welche es im Neuen Testament hat, eine solche vielmehr, welche an diti
Bedeutung in der philosophischen Sprache erinnert; doy^ia ist ihnen der
feststehende Glaubensinhalt des Christenthums , so bei Ignatius in der Epi-
stel an die Gemeinde zu Magnesia c. 13, wo er sie ermahnt, sich mehr
und mehr zu befestigen, ev toig doy^iaat %ov xvqiov xai zcov anoatoXoiv.
Darin sind noch ungeschieden die, nach unserem Sprachgebrauche, dogma-
tischen Lehren und die moralischen. Dasselbe ist der Fall bei Cyrill in der
vierten Katechese 4, 2: o trig evcxeßeiaq xqonoq ex ovo tovzoiv cvveaxrixe,
doy^aro)v evaeßoöv xai ngct^eioy aya^cop, Ottenbar sind hier die doy^iaia
svasffrj auch moraUsche Lehren; im commonitorium des Vincentius von Le-
rinum umfassen die coelestis philosophiae dogmata ebenfalls die ethischen
Vorschriften; ebenso bei Chrysostomus homilia 27 in Joannem: o xe^o-rta-
PKTfiog ^exa Ttjg xcap öoyfiauoy OQ^otrjtog xai noXiteiav vyiaivovaav
aTiattei. Die Scheidung von Dogmatischem und Ethischem ist angedeutet
von Sozomenus H. E. 2, 44, wo 6oy(jia und rj^ixt} didacxaXia von einander
unterschieden werden; auch noch bei Basilius de spiritu c. 27, alXo yaq
öoy^a xai aXXo x7jQvy[AC(. to fjL€P yaq (XicoTiatai , ta de xrjQvyiiata dtj-
liocievetcci; das öoy^a umfasst hier gewiss die Glaubenswahrheiten; die
sittlichen Gebote werden gewiss nicht als esoterisch behandelt. Auf der
anderen Seite umfassen die x7}Qvy[iata gewiss beides, Dogmatisches und
Ethisches. In der Neuzeit wird Dogma durchaus von den eigentlichen Glau-
benswahrheiten im Unterschied von den ethischen Vorschriften verstanden.
Sodann werden die von den allgemeinen Synoden sanctionirten Lehrsätze
öfter allein Dogmata genannt ^) , doch ohne allen Grund im Sprachgebrauche ;
nur soviel steht fest, dass die Dogmen durch die kirchhche Sanction um so
grössere Autorität erhalten. Hauptsächlich ist dieses festzuhalten, dass
Dogma der begriffliche Ausdruck einer Glaubenswahrheit ist. Damit ist zu-
gleich dieses gesagt, dass es nicht blos Privatmeinung dieses oder jenes
Lehrers ist. Ein einzelner Lehrer für sich betrachtet, kann kein Dogma
schaffen. Es wird immer vorausgesetzt, dass das Dogma das Glaubensbe-
wusstsein einer rehgiösen Gemeinschaft ausdrückt; es ist aber keineswegs
nöthig, dass es durch Synodälbeschlüsse als solches bestätigt worden sei.
So sind laut vorstehender Darstellung Dogmen aufgestellt worden, die durch-
aus nicht Gegenstand der Controverse, noch auch Gegenstand von Synodal-
beschlüssen geworden.
1) Hasse, Kirchengeschichte 1, 153.
343
Dritter Absclinitt ').
Geschichte der Kirchenverfassung, Kirchenzucht, Kirchen-
spaltungen. Das Dogma von der Kirche.
§. 1. Verhältniss des Klerus zum Staate und zur bürgerlichen
Gesellschaft.
Es war in der Natur des Christenthums sowie in der des Menschen
gegründet, dass jenes zunächst mit dem Staat einen blutigen Kampf zu
bestehen hatte. Es war diess aber auch heilsam für die Kirche. Denn es
sollte auf diese Weise das Bewusstsein ihres vom Staate verschiedenen Wesens,
ihrer eigenthümlichen Bestimmung mit unauslöschlichen Zügen ihr eingeprägt
werden. Hätten die römischen Kaiser von Anfang an das Christenthum
angenommen, — um einen unmöglichen Fall zu setzen, — so wäre die Kirche
ungeachtet ihres himmlischen Ursprungs mit dem Staate völlig verschmol-
zen worden. Es kam aber, wie wir gesehen, die Zeit, wo der Staat im
Interesse der Selbsterhaltung die Kirche als zu Hecht bestehend aner-
kannte, den Bund mit ihr einging und ihr seinen Schutz angedeihen Hess.
Dadurch wurde sie in ihrem äusseren Zustande befestigt und befördert, in
die civilisatorischen Aufgaben des Staates verflochten und berufen, den
Uebergriffen der rohen Staatsgewalt Einhalt zu thun. Sie gerieth aber
öfter in sklavische Abhängigkeit vom Staate und wurde dadurch in ihrem
inneren Bestände geschädigt und in ihrer Wirksamkeit gehemmt.
Zuerst begegnen wir einer Reihe von Vergünstigungen, welche die
christlichen Kaiser der Kirche und insbesondere den Geistlichen ertheilten,
wodurch das Ansehen derselben einen bedeutenden Aufschwung nahm, der
hierarchische Charakter sich befestigte, die Kirche in den Stand gesetzt
wurde, grossen Einfluss und grosse Wohlthätigkeit auszuüben. Die Geist-
lichen wurden durch Constantin von den Municipalämtern befreit und die
Kirchen von gewissen ausserordentlichen Lasten und Frohndiensten befreit.
Die Entscheidungen, welche die Bischöfe in kirchlichen Angelegenheiten
und als gewählte Schiedsrichter ex compromisso in bürgerlichen Angele-
genheiten gaben, erhielten, nachdem sie schon lange im Gebrauche ge-
ivesen, durch ein Gesetz vom Jahre 408 gesetzliche Bestätigung. Die
Geistlichen wurden sogar an dieses Gesetz gebunden und in Disciplinar-
sachen an geistliche Gerichte, sei es des Bischofs, sei es der Synoden.
Das bischöfliche Kecht der Oberaufsicht über die Sitten nahm nun eine
grosse Bedeutung an und wirkte auch insofern wohlthätig, als selbst die
obrigkeitlichen Personen sich demselben unterwerfen mussten. Mit dieser
Aufsicht hing zusammen das Recht der Fürsprache bei der weltlichen
Obrigkeit; wie es früher die Vestalinen ausgeübt hatten. Diese Fürsprache
1) 8. im Allgemeinen das S. 152 bereits angeführte Werk von Plankh, Geschichte
der christlich - kirchlichen Gesellschaftsverfassung.
344
Zweite Periode des alten Katholicismus.
wurde besonders auch für solche verwendet, welche zum Tode verurtheilt
waren selbst für ganze Städte und Provinzen. Rechtschaffene Geistliche
führten den obrigkeitlichen Personen ihre Verpflichtung zu Gemüthe, auf
sie die Bischöfe zu hören i). Auch das Recht des Asyls wurde von den
heidnischen Tempeln auf die christlichen Kirchen übergetragen, zunächst
als Gebrauch. Wie Eutropius dieses Recht aufzuheben suchte und zuletzt
doch zu demselben seine Zuflucht zu nehmen gedrängt wurde, haben wir
in der Geschichte des Chrysostomus gesehen. Kaiser Theodosius bestätigte
förmlich 431 dieses Asylrecht.
Während die Kirche diese Vergünstigungen erhielt, wurden auch ihre
Einkünfte bedeutend vermehrt dui'ch die Kaiser, welche ihr aus dem Ge-
meindevermögen der Städte, der heidnischen Tempel, der ketzerischen
Kirchen reichliche Beiträge zufliessen Hessen, und welche die Erlaubniss
oaben Erbschaften und Schenkungen anzunehmen. Wenn daduixh gewis-
senlose Bischöfe sich zu Erbschleichereien verleiten Hessen, so gab es
Andere welche jeden Schein davon mieden und aus christlichem Antriebe
auf Vermächtnisse Verzicht leisteten, welche sie nach dem bürgerlichen
Rechte hätten annehmen können. Doch war das Uebel der Erbschleicherei
schon soweit eingerissen, dass Valentinian I. 370 ein Gesetz dagegen er-
liess wobei Hieronymus, in Beziehung auf das Aergerniss, welches römische
Geistliche gaben, mit Recht bemerkt: „über das Gesetz beklage ich mich
nicht sondern es thut mir leid, dass wir ein solches Gesetz verdient ha-
ben." Die Lichtseite der Bereicherung der Kii'che ist die Wohlthätig-
keit, welche sie dadurch zu üben befähigt wurde. Es entstanden Anstalten
zur Aufnahme von Fremden, Armen, Greisen^ Wittwen, Waisen, Ivranken.
In Cäsarea gründete Basilius so grossartige Anstalten dieser Art, dass
Gregor von Nazianz sie eine Stadt im Kleinen nannte (in der Leichenrede
auf Basilius). Theodoret, Bischof von Kyros, obschon er einen armen
Kircheusprengel hatte , erübrigte doch so viel, dass er zum Besten der
Stadt Säulengänge, zwei grosse Brücken erbauen, einen Canal aus dem
Euphrat in die Stadt leiten Hess und die öffentliche Badeanstalt verbessern
konnte. Diese philanthropischen Bestrebungen gereichten der Kirche so
augenscheinlich zum Vortheil, dass Kaiser Julian sie auf den Boden des
restaurirten Heidenthums zu verpflanzen sich abmühte.
Im persönlichen Verbal tniss der Kleriker, besonders der Bischöfe zu
den Kaisern und obrigkeitlichen Personen zeigt sich ein merkwürdiger
Contrast von Ueberordnung und Unterordnung. Die Bischöfe hatten von
Alters her den höchsten Begriff' von den Vorzügen des Priesterthums
(IsQcoavrri). Schon die apostolischen Constitutionen 2 , 26 u. ff', stellen den
Grundsatz auf, dass sie als geistliche Väter höher zu halten seien, als
die leibüchen Eltern, höher als die Könige. _^Soviel besser die Seele ist,
als der Leib, soviel besser ist das Priesterthum als das Königthum. Ihr
sollt den Bischof lieben als den Vater, fürchten als den König, elu'en
als den Herrn.'' Chrysostomus (de sacerdotio 3, 1) eignet sich dieselbe
Anschauung an: ;,das Priesterthum ist über die Königswürde so erhaben
1) Augnstin an den Tribun Marcellin: audire te episcopum convenit jubentem.
Kirchenverfassung. Klerus und Staat. 345
wie der Geist über das Fleisch." Entsprechend waren die Ehrenbezeugungen,
die den Bischöfen von Kaisern und Kaiserinnen ertheilt wurden; sie beug-
ten das Haupt vor ihnen und küssten ihre Hände. Der Bischof von Tri-
polis schrieb sogar der Kaiserin Eusebia, Gemahlin des Constantius, die
Bedingungen vor, unter welchen er vor ihr erscheinen werde; sie solle,
sobald er eingetreten, ihm entgegen kommen, den Kopf beugen, um sei-
nen Segen zu empfangen, darauf werde er sich niedersetzen, sie aber voll
Ehrfurcht solle stehen bleiben, und erst, wenn er sie geheissen, sich nie-
dersetzen. So wartete die Gemahlin des Kaisers Maximus dem Bischof
Martinus sogar einmal bei Tische auf. Daher die Klage und Rüge des
Hieronymus über den Hochmuth der Bischöfe und die Mahnung: Bischöfe
und Presbyter sollen nicht vergessen, dass die Gemeindeglieder Mitknechte,
aber nicht Knechte seien. Aber schon die Ehrentitel, die ihnen gegeben
wurden, oder die sie sich auch untereinander gaben, waren eine fortwäh-
rende Reizung zum hierarchischen Hochmuthe ^).
Ungeachtet dieser hohen Stellung standen die Bischöfe in mehrfacher
Hinsicht in einem Verhältniss der Abhängigkeit vom Staate. Sie erkann-
ten die Kaiser als ihre obersten Richter an, geschützt gegen alle Strafge-
setze durch die Majestät der Herrschaft {imperii majestas). Dadurch, dass
manche Bischöfe theils durch die Kaiser selbst, theils unter ihrem Einfluss
gewählt wurden, so besonders die Bischöfe von Constantinopel , befestigte
sich die Abhängigkeit der Kirche vom Staate. Dazu trugen auch die theo-
logischen Streitigkeiten bei. Der Umstand, dass die Kaiser die allgemei-
nen Synoden beriefen und sie durch ihre Commissäre präsidirten, beweist
zwar an sich noch nicht, dass die Kaiser auf die synodalen Bestimmungen
Einfluss hatten. Die Kaiser selbst erklärten sich für incompetent, und
wenn sie es vergassen, so wurde es ihnen von den Bischöfen in Erinnerung
gebracht. Indem aber die Kaiser die Synodalbeschlüsse bestätigten und auch
die nöthigen Verordnungen zu ihrer Durchführung gaben, waren sie es,
die der That nach die Entscheidung gaben. Nur diejenigen, gegen welche
die Entscheidung ausfiel, protestirten gegen die Einmischung der Staats-
gewalt. Uebrigens kam die erste Aulforderung, sich in die Angelegen-
heiten der Kirche zu mischen , von einer kirchlichen Partei , von den Do-
natisten, die nun fi-eilich gar sehr sich beklagten, als die Entscheidung
gegen sie ausüel. Am Ende der Periode, auf der Synode von Constanti-
nopel im Jahre 448 wurde zum ersten Male dem christlichen Kaiser, nach
dem Vorgange der heidnischen Kaiser, priesterliche Würde beigelegt, in-
dem die Bischöfe ausriefen: ^^langes Leben dem Hohenpriester, dem Kai-
ser." Wie devot lautet auch die Anrede der Väter von Chalcedon an Theodo-
sius H.! ;,durch dich ist der orthodoxe Glaube befestigt, die Häresie ver-
nichtet worden. Gott allein hat das ausgerichtet. Himmlischer König,
beschütze den irdischen; das ist das Gebet der Gemeinden, das ist das
Gebet der Hirten." Doch erst unter Justinian bricht sich der eigentliche
1) Die Bischöfe wurden genannt dtcnor^s oCtmuTos, tttd€Gifx(OTaTos, ^ ff^
XoriffTOTTig, ^ctxccQionr^g, (?yior^?, aov ^) nyim(rvyv, dominus beatissimus, sanetissimus,
reverendissimus, beatitudo, sanctitas tua. Papa hiess jeder Bischof im Abendlande.
346 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Byzantinismus Bahn. Man hat geglaubt, dass Constantin selbst die ent-
gegengesetzte Theorie vom jus circa sacra, was der Obrigkeit zukomme,
im Unterschiede vom jus in sacra, welches das Vorrecht der Geistlichkeit
sei, aufgestellt habe. Allein auf eine bei einem Gastmahle halb scherzend
hingeworfene Bemerkung, wobei die Wortstellung selbst die Rede doppel-
sinnig erscheinen lässt, kann nicht ein solches Gewicht gelegt werden i).
§. 2. Innere Verhältnisse des Klerus.
Zuvörderst zu erwähnen ist die Vermehrung der kirchlichen Aemter
und Würden, herbeigeführt durch die grössere Ausdehnung der Kirche,
das vermehrte kirchliche Cerimoniell, aber auch durch den sich befesti-
genden hierarchischen Geist. Es gab jetzt also Archipresbyter, Archi-
diakonen, Oekonomen als Verwalter des Kirchenvermögens, Syn-
celli, als Hausprälaten der Bischöfe, Notarien, welche bei den kirch-
lichen Verhandlungen das Protocoll führten, Parabolanen, Kranken-
wärter, so benannt, weil sie bei ihrem Berufe ihr Leben aussetzten, wovon
es im Jahr 418 in Alexandrien 600 gab, Copiaten, Todtengräber, fossores,
die, wo nicht selbst Kleriker, doch zum Klerus in naher Beziehung standen,
wovon es in Constantinopel unter Theodosius II., 1100 gab, die dieser
Kaiser jedoch auf 950 reducirte. Leicht wurde es, alle diese Aemter zu
besetzen, da bei den grossen Vortheilen, die der geistliche Stand darbot,
der Zudrang zu demselben sehr gross wurde, so dass die Kaiser sogar
durch Gesetze demselben Einhalt thun mussten.
Die genannte Vermehrung der Kirchenämter hing zusammen mit der
Erhöhung der bischöflichen Macht. Der Klerus wurde dem Bischof völlig
unterworfen; alle Geistlichen wai'en vom Bischof gewählt, von ihm besol-
det, dem auch die Verwaltung des Kirchenvermögens oblag (daher die
Notarien). Die Landbischöfe oder Chorepiskopen wurden den Stadtbischö-
fen völlig untergeordnet, seit dem vierten Jahrhundert keine neuen bestellt,
daher sie bald gänzlich verschwanden. Mit der Erhöhung der bischöflichen
Macht vermehrten sich auch die Geschäfte, worüber rechtschaffene Bischöfe,
Chrysostomus (de sacerdotio 3, 18), Augustin und Andere bitterlich kla-
1) Euseb de vita Constantini 4, 24; da sagt der Kaiser seinen Gästen, den Bi-
schöfen, sie seien Bischöfe rojy (ico) rrjg fxxXijctas, er, der Kaiser, sei Bischof oder
Aufseher rioy ixrog rtjs ixxXrjCtag. Es fragt sich, ob der Artikel T(oy masculinum oder
neutrum ist; zu jenem Sinn passt einestheils was folgt: Constantin rovg agxo/ueyove
anttvrag enfGxonft; anderntheils passt es nicht, indem ja Constantin so eben gesagt
hat, er sei Bischof derer, die draussen sind, während die in der Kirche sind, unter den
Bischöfen stünden. Nimmt man das masculinum des Artikels an, so will der Kaiser sa-
gen, er sei der Bischof oder Aufseher der Heiden und auch der Christen, dieser aber nur
in Beziehung auf ihre bürgerlichen Verhältnisse; so Gieseler 1, 2 S, 183. Nimmt man
das neutrum des Artikels an, so sind ra exrog r. fxxX. die politischen Verhältnisse,
worüber Gott den Kaiser zum Aufseher gemacht habe, um Alles so einzurichten, damit
seine Unterthanen zu einem frommen Leben hingeleitet würden. Neander 2,1. 283.
Aehnhch Heinicheu im Excurs zu dieser Stelle in seiner Ausgabe des Lebens Constantin's;
die Auslegung Neander's möchte doch am Ende den Vorzug verdienen.
Kircbenverfassung. Innere Verhältnisse des Klerus. 347
gen. Augustiu verdachte es dem Apostel Paulus, dass er 1 Kor. 6 die
Christen angewiesen habe, die unter ihnen obwaltenden Rechtsstreitigkeiten
unter sich zu schlichten ; denn seit Ausbildung der bischöflichen Verfassung
galt es als ein Theil der bischöflichen Amtsverwaltung, diese Streitigkeiten
zu schlichten. Der Bischof wurde übrigens wie früher gewählt durch die
Suffragien des Klerus, mit Beistimmung benachbarter Bischöfe, mit Zu-
stimmung des Volkes. Gefiel der Gewählte dem Volke , so rief es : ct^iog,
bene meritus, bene dignus. Gefiel er nicht, so rief es: aval^iog^ indignus.
Im lateinischen Abendlande w^urde auf diese Theilnahme der Gemeinde
eifrig gehalten. Leo L, der strenge Hierarch, stellte als Regel auf: wer
Allen vorstehen soll , der soll auch von Allen gewählt werden i).
Gegen die Verweltlichung des geistlichen Standes, den Zudrang Un-
würdiger in denselben, gegen geistliche Herrschsucht und Heuchelei, gegen
das Vergessen der priesterlichen Pflichten ist des Chrysostomus Schrift vom
Priesterthum gerichtet, worin er besonders dieses hervorhebt, dass der Prie-
ster die Gabe der Rede haben und ausbilden solle, nach dem Vorbilde des
Apostels Paulus, der durch seine Reden mehr als durch seine Wunder
so grossen Erfolg erzielte. Dabei stellt er doch die eigentliche Priesterwürde
in den Vordergrund. Die Priester sind es, denen der Sohn, nachdem ihm
der Vater das Gericht übergeben, dasselbe gänzlich anvertraut hat (Joh.
20, 23). Aber nicht blos das; ohne die Priester werden wir weder der
Erlösung, noch der verheissenen Güter theilhaftig. ^^Wenn Niemand in das
Himmelreich eingehen kann, der nicht durch das Wasser und den heiligen
Geist wiedergeboren ist, wenn derjenige des ewigen Lebens verlustig ist,
der nicht isst das Fleisch des Herrn und nicht trinkt sein Blut, dieses alles
aber durch Niemand anders als durch jene heiligen Hände, des Priesters
nämlich, — vollbracht wird, wie wird wohl Jemand ohne sie dem Feuer
der Hölle entfliehen können? Durch sie ziehen wir Christum an, — sie
sind die Urheber {attiot) unserer Geburt aus Gott, der seligen Wieder-
geburt (3, 5)." So befestigt sich mehr und mehr die Priesteridee als eine
Vermittlung zwischen Gott und der zu erlösenden Menschheit.
Wenn aber von den Kirchenlehrern die Ehelosigkeit als wesentlicher
Bestandtheil der christlichen Vollkommenheit behandelt wurde, wenn so
viele Laien aus diesem Grunde die Ehe mieden, wenn dieser Zug unter
den Laien mächtig um sich grifl", — im Mönchthum, — so war die Rück-
wirkung davon auf den geistlichen Stand unausbleiblich. Dass die Monta-
nisten die ersten gewesen, welche für die Verwalter der Sacramente das
ehelose Leben forderten, schadete der Sache nicht; sie war zu tief in der
Anschauung der damaligen Zeit gegründet. Uebrigens leistete der ur-
sprünglich christliche Geist noch manchen Widerstand. Das Concil von
Elvira in Spanien 305. c. 33, mit seinem Verbote der Ehe für die drei obe-
ren Grade der Geistlichkeit ist in jener Zeit eine vereinzelte Erscheinung.
Als auf dem Concil von Nicäa 325 die Mehrheit der Bischöfe darauf dran-
gen, jenes Verbot auf die ganze Kirche auszudehnen, widersetzte sich
1) Qui praefecturus est oranibus, ab omnibus eligatur. Vgl. die Wahl des Ambrosiua
zum Bischof S. 225.
348 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Paphnutius, Bischof einer Stadt der oberen Thebais. Sein Wort machte
um so mehr Eindruck, als er Confessor war und in der letzten Verfolgung
des einen Auges beraubt worden, selbst ehelos lebte und von früher Ju-
gend an sich der grössten Enthaltsamkeit befliss. Er machte auf die Ge-
fahren aufmerksam, welche aus solcher Massregel entstehen könnten, und
nannte die Ehe unbefleckt und ehrenhaft; daher genüge es, dass Niemund
nach der Aufnahme in einen der drei oberen Grade des Klerus eine Ehe
eingehe (Sokrates 1, 11). Dieser geläuterten Ansicht hätte es besser ent-
sprochen, die Ehe der Geistlichen völlig zu gestatten. Durch halbe Mass-
regeln dieser Art, wie sie in der katholischen Kirche häufig sind, ist viel
Unheil angerichtet worden. In der griechischen Kirche erhielt sich eim;
mildere Praxis. Eustathius, Gründer des Mönchthums in Armenien, der
die Ehe überhaupt verwarf, wurde nebst seinen Anhängern durch die Sy-
node von Gangra in Paphlagonien verdammt; es wurde dabei namentlich
festgesetzt, dass die bei verheiratheten Priestern nicht communiciren wollten,
Anathema sein sollten. In der griechischen Kirche wurde es herrschende
Sitte, dass die Bischöfe ehelos lebten und dass, wenn sie bei dem Amtsan-
tritt verheirathet waren, sie ihre Frauen entliessen. Doch gibt es viele
Beispiele von verheiratheten Bischöfen im 5. Jahrhundert, z. B. Syuesius, der
Vater des Gregor von Nazianz, vielleicht Gregor von Nyssa. Anders im
Abendlande. Bischof Siricius von Rom verbot 385 in einem Briefe an
Bischof Himerius von Taraco in Spanien die Ehe für Bischöfe, Presbyter
und Diakonen. Leo I. dehnte dieses Verbot auch auf die Subdiakonen
aus. Doch gab es noch immer genug Fälle, wo das Verbot nicht gehalten
wurde.
§. 3. Die Patriarchalverfassung, besonders im Oriente.
Schon in der ersten Periode war eine über die bischöfliche Diöcese
oder Parochie weit hinaus reichende Verbindungsform, die Metropolitan-
verfassuug, entstanden. In dieser Periode kam nichts Neues von Bedeu-
tung hinzu, sondern, was bis dahin durch schweigende Uebereinkunft ge-
bräuchlich gewesen, wurde durch Synodalbeschlüsse geordnet und bestätigt.
Es betraf diess sowohl dasjenige, wodurch die Metropoliten über die ande-
ren Bischöfe eine gewisse Macht ausübten, als auch die Dinge, worin sie
den anderen Bischöfen gleichgestellt wurden ^).
Die Hierarchie schritt in dieser Periode zu einer neuen Verbindungs-
form fort, insofern die Bischöfe mehrerer Provinzen nebst ihren Metropo-
liten einer gewissen Zahl von angesehenen Bischöfen untergeordnet wur-
den. Die Anfänge davon haben wir schon in der vorhergehenden Periode
gefunden. Die Bischöfe von Rom, Alexandrien und Antiochien waren so wie
durch den Reichthum und das Ansehen ihrer Residenzstädte, so auch da-
durch vor den übrigen Bischöfen ausgezeichnet, dass sie viel grössere
Eparchieen hatten und demnach wohl schon mehrere Metropoliten ihnen
mehr oder weniger untergeben waren. Die Synode von Nicäa 325 Kanon i
1) Der neunte Kanon des Concils von Antiochien vom Jahre 341 ist hiefür mass«
gebend. S. Gieseler K. G. I. 359. Note 4.
Kirchenverfassuug. Patriarchalverfassung. 349
6, bestätigte diese alte Einrichtung mit den Worten: ,,die alte Sitte, die
in Egypten, Libyen und Pentapolis stattfindet, soll ferner ihre Gültigkeit be-
halten, dass der Bischof von Alexandrien über alle diese Gewalt habe,
da diess auch bei dem römischen Bischof Gewohnheit ist, so sollten auch
in Antiochien und in deji übrigen Provinzen den Kirchen ihre Vorrechte
erhalten bleiben^). ^ Was römische Herrschsucht aus diesen Worten gemacht,
davon wird bald die Rede sein. Hier wollen wir nur noch bemerken, dass
dasselbe Concil im vierten Kanon die Provinzialsynode als die höchste
kirchliche Instanz anerkannte.
Jene Verbindungsform wurde während der arianischen Streitigkeit
noch mehr ausgebildet. Denn die Provinzialsynoden waren öfter zu schwach,
um den mächtigen Gegnern Widerstand zu leisten, daher man, der grös-
seren Sicherheit wegen, zu grösseren hierarchischen Verbindungen seine Zu-
flucht nahm. Anders aber wurde das Verhältniss im Morgenlande, anders
im Abendlande ausgebildet. Im Morgenlande wurde die Ausbildung da-
durch begünstigt, dass man die kirchliche Eintheilung nach der neuen po-
litischen des Reiches einrichtete. Constantin hatte nämlich das Reich in
Präfecturen, diese in Diöcesen, die Diöcesen in Provinzen eingetheilt. DiePrä-
fectur des Orients bestand 1) aus der Diöcese des Orients, Hauptstadt An-
tiochien; 2) aus der Diöcese Egypten, Hauptstadt Alexandrien; 3) Diöcese
Asien, Hauptstadt Ephesus; 4) Dioecese Pontus, Hauptstadt Caesarea in
Kappadocien; 5) Dioecese Thracien, Hauptstadt Heraclea, später Constan-
tinopel. Die Bischöfe derselben Dioecese traten in nähere Verbindung mit
dem Bischof der Hauptstadt. Was Constantinopel betrifft, das bald an die
Stelle von Heraclea getreten, so vereinigten sich mehrere Umstände, um
den dortigen Bischöfen grössere Ehre zu verschaffen, vor allem das An-
sehen der Kaiserlichen Residenzstadt, sodann der Umstand, dass immer-
fort Bischöfe aus verschiedenen, Theilen des Reiches am Hofe verweilten,
die öfter, unter dem Vorsitz des Bischofs der Residenzstadt zu einer Sy-
node {(TvvoSog evdriiiovGa) zusammentraten. Daher der Einfluss jenes Bi-
schofs weit über die Dioecese Thracien hinaus reichte. Die zweite oeku-
menische Synode vom Jahre 381 bestätigte im zweiten Kanon dieses Ver-
hältniss, erhob die Diöcesansynode über die Provincialsynode zur höchsten
kirchlichen Behörde und erkannte dem Bischof von Constantinopel den
ersten Rang nach dem Bischof von Rom zu und zwar mit Rücksicht auf
die politische Bedeutung der neuen Hauptstadt des Reiches 2).
So erscheinen also die Bischöfe von Constantinopel, Alexan-
drien, Antiochien, Ephesus undCaesarea — nebst demjenigen von
Rom als an Rang und Macht über die anderen hervorragend; sie Messen
Exarchen (im vierten Jahrhundert noch Ehrentitel aller Metropoliten),
1) T« nQxnttt e^Tj XQttTiiTco, T« fu Aiyvnrao xai Aißvri xcei nevranoXsi, uxSts
joy uiUlavSQfiag eni(Sxonoy navioyv jovjoiv «;^f*v rriv elovdiav' (7i€i^rj xai rm
(V rrj Ptofifi entffxonat tovto (fvyii&eg iCrtV. ofioims cTf xara rrjv ^4vTioyjiav xat
ey raig aXXatg fTzaQxtatg x« nQeCßfia Coy^fG^at ratg exxXrjCicug.
2) Kanon 3. rov fjevroi KovGxttyttvov noXscog (ntffxonoy «/f»v tot ngeüßeicc
rrji rt/urjg fifia roy rrjg Pqyfirjg enigxonoy, dta to ftyat avrrjy yeay Pw^rjy.
350 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Patriarchen, im vierten Jahrhundert Ehrennahme jedes Bischofs, Erz-
bischöfe. Indess ging in der Zahl und Macht der Patriarchen bald eine
Aenderung vor. Die herrschsüclitigen Bischöfe von Neu-Roin machten
Eingriffe in die benachbarten Dioecesen Asien und Pontus und brachten
es dahin, dass das Concil von Chalcedon (Kanon- 28) ihnen völlig gleichen
Rang mit dem Bischof von Rom einräumte, ihnen die Oberaufsicht über die
Diöcesen Thracien, Asien und Pontus übergab, in Folge welcher Bestimm-
ung die Patriarchen von Ephesus und Caesarea von ihrem Range zurück-
traten. Zu der genannten Erhebung des Stuhles von Constantinopel hatte
die Politik der oströmischen Kaiser wesentlich beigetragen. Sowie sie
Neu-Rom dem Alt-Rom (/tQegßvteQa Pw/iiy) völlig gleichstellten, so wollten
sie auch, dass der Bischof von Neu-Rom dem von Alt-Rom an Rang gleich-
käme. Sie fanden in den Vätern von Chalcedon willige Vollstrecker
ihres Willens. Im betreffenden Kanon hoben diese sorgfältig hervor, dass
die älteren Väter dem Bischof von Alt-Rom desswegen den Vorrang zuge-
standen, weil Rom die Hauptstadt des Reiches war^), und dass um dersel-
ben Ursache willen die Bischöfe dem Bischof von Neu-Rom dieselben Vor-
rechte 2) ertheilten.
Dem Bischöfe von Jerusalem war es indessen gelungen , sich zur
Patriarchen - Würde aufzuschwingen. Das Concil von Chalcedon gab ihm
Palästina als kirchliches Gebiet. Also bestanden nun mehr vier Patriar-
chen im Morgenlande, die von Constantinopel, Alexandrien, Antiochien,
Jerusalem. Der Umfang ihrer Macht war folgender: Sie ordinirten die
Metropoliten, beriefen die Bischöfe ihrer Dioecesen zu einer Diöcesansynode
und bildeten in Verbindung mit denselben die höchste Appellationsinstanz
in kirchlichen Sachen der Dioecese. Als die höchsten Repräsentanten der
katholischen Kirche angesehen, galten sie dafür, dass sie durch ihre Ge-
meinschaft untereinander die Einheit der Kirche darstellten und dass ihre
Beistimmung erforderlich sei, um Beschlüsse für die ganze Kirche zu fassen.
Daher für sie der Titel episcopus universalis erfunden wurde , den auf der
zweiten Synode von Ephesus ein elender Schmeichler unter den Bischöfen
dem Dioskur, doch ohne weiteren Folgen, beilegte. Endlich erhielt der
Bischof von Constantinopel zu Chalcedon das Vorrecht, Appellationen aus
andern Diöcesen anzunehmen, — welcher Gebrauch seit alter Zeit in Rom
stattfand; deutlich ist das Bestreben, den Stuhl von Neu-Rom dem von
Alt-Rom in Allem gleichzustellen. Uebrigens umfassten diese Patriarchen-
Diöcesen nicht das ganze römische Reich, geschweige denn die ganze Chri-
stenheit.
§4. D er Bischof von Rom.
Indess im Morgenlande verschiedene kirchliche, mehr oder weniger
von einander unabhängige Verbindungen mit monarchischer Zuspitzung ent-
standen, neigte sich im Abendlande die Entwicklung der Hierarchie dahin,
1) Sia To ßaGtkfveiv rrjv noXiu fxftvrju.
2) ra tßa ngtC^Bia,
Kirchenverfassnng. Der BiscTiof von Rom. 351
Einem Bischof den Primat über alle andern zu ertheilen, doch ohne dass
diess eigentlich durchgeführt wurde.
Die römischen Bischöfe waren von Alters her ausgezeichnet durch
ihi'en grossen Metropolitensprengel i), durch den Reichthum an liegenden
und beweglichen Gütern, durch das politische Ansehen von Rom, sodann
als Inhaber der vorzüglichsten und im Abendlande einzigen sedes apostolica^
der cathedra Petri, welche letztere Eigenschaft besonders im Abendlande
Ursache der Verehrung gegen Rom war.
Auf dieser Grundlage wurde nun fortgebaut. Zuerst kommen hier
in Betracht Kaiserliche Rescripte und Synodalbestimmungen. Die Synode
von Sardica 347 ertheilte dem römischen Bischof Julius das wichtige Vor-
recht, dass der von einer Synode verurtheilte Bischof an den römischen
Bischof appelliren dürfe, (c. 3.) Es war diess eine Wohlthat für diesen
oder jenen Bischof, wenn er im Gewirre der theologischen Streitigkeiten
von einer Synode ungerecht behandelt worden, wie denn die Bestimmung
mit Beziehung auf Athanasius getroffen wurde. Zur Appellationsinstanz
eignete sich aber im Abendlande Rom am besten. Uebrigens sollte der
römische Bischof die Sache einer Commission übertragen, wobei man voraus-
setzte , dass er ihre Entscheidung genehmigen werde. 2) Es ist aber die
Frage, ob diese sardicensischen Kanones je eigentlich in Wirksamkeit traten.
So viel ist gewiss, dass die afrikanische Kirche sie nicht als rechtskräftig
anerkannte. Von geringerer Bedeutung war das Rescript, wodurch Kaiser
Gratian 378 dem reimischen Bischof die Entscheidung über alle in dem
Kampfe der zwei Bewerber um den römischen Stuhl verflochtenen Bischöfe
(Damasus und Ursicinus) übertrug, wobei er ihm auch die dazu nö-
thige Unterstützung der weltlichen Behörden gewährte. Ungleich mehr
erlangte 445 Leo I. von dem schwachen Valentinian III., dass der römische
Bischof als Oberhaupt der ganzen abendländischen Kirche aufgestellt wurde,
bei Anlass der Streitigkeit mit Hilarius, Bischof von Arelate, tür den mehrere
gallische Bischöfe Partei ergriffen hatten. In dem desshalb gemachten
Gesetze war gesagt, dass Niemand gegen die Autorität des römischen
Stuhles etwas unternehmen dürfe; denn dann erst werde der Friede der
Kirche überall erhalten werden, wenn die Gesammtheit der Kirche ihren
Beherrscher anerkenne ^). Weiterhin sagte der Kaiser : damit auch nicht die
geringste Unruhe unter den verschiedenen Kirchen entstehe, soll es den
Bischöfen Galliens sowohl als der anderen Provinzen nicht erlaubt sein, et-
was gegen die Autorität des ehrwürdigen Bischofes der ewigen Stadt zu
versuchen; wenn ein Bischof, aufgefordert, sich vor den Richterstuhl des
'römischen Bischofs zu stellen, dieser Aufforderung nicht gehorcht, soll er
1) Er umfasste die subnrbicarischen Provinzen, zehn an der Zahl, die dioecesis
Eomae umfassend, d. h. einen grossen Theil von Italien, dazu Sicilien, Sardinien und Cor-
sica. S. Gieseler II. 194.
2) Die Sache war nicht ganz neu, aber zur Zeit der Synode von Sardica bestritten, da-
her sie die bestimmteDefinition davon gab. Ebenso wenig kann behauptet werden, dass die-
ses Vorrecht bloss dem Bischof Julius für seine Person gegeben ist. S. Hefele I. 548. 549.
3) Tum enim demum ecclesiarum pax ubique servabitur, si rectorem suum agnoscat
nniversitas.
352 Zweite Periode des alten Katholicismus.
dazu gezwungen werden , wobei alles das aufrecht gehalten werden soll, '
was unsere göttlichen Vorfahren der römischen Kirche gewährt haben.
Dieses Gesetz war den Ansprüchen des römischen Bischofs so günstig, dass
einige damals vermutheten, der Entwurf dazu sei aus der Feder Leo's
geflossen. Auffallend aber ist es, dass Hilarius von Arelate, dessen Wider-
spenstigkeit gegen Rom jenes Gesetz veranlasst hatte, in ungeschmälertem
Besitze seiner Rechte blieb. Auf dem Concile von Chalcedon benahmen
sich die römischen Legaten in Gemässheit dessen, was im Gesetze Valen-
tinian'sIII. gesagt war, als Gesandte des apostolischen Mannes, des Pabstes
der Stadt Rom, welche das Haupt aller Kirchen ist; sie verlangten, —
übrigens ein wohl berechtigtes Verlangen, — dass Dioskur auf dem Con-
cil keinen Sitz erhalte, mit der beigefügten Drohung : entweder soll Dioskur
fortgehen, oder sie würden sich entfernen*), wurden aber von den kaiserlichen
Commissären, welche die Versammlung eigentlich präsidirten, zurückgewiesen,
da sie nicht Richter und Ankläger zugleich sein könnten. So behielt Dioskui*
seinen Sitz, bis er abgesetzt wurde, und die Legaten fügten sich. Mit.
einer anderen Forderung ging es ihnen auch nicht nach Wunsch. Als näm-
lich , wie wir gesehen , das Concil die völlige Gleichstellung der beiden
Patriarchen von Rom und Constantinopel aussprach, widersetzten sich die
römischen Abgeordneten. Sie beriefen sich auf den Zusatz, den man in
Rom zum sechsten Kanon der Synode von Nicäa gemacht hatte: ecclesia
Romana semper habuit primatum, eingeschwärzt in den ältesten
Codex von Kanonen der römischen Kirche als Ueberschrift jenes sechsten
Kanon. Die Synode Hess ihnen diesen Kanon in seiner ursprünglichen Ge-
stalt vorlesen, wonach nur die alten Metropolitanrechte des Bischofs
von Rom anerkannt waren. Die römischen Abgeordneten protestirten gegen
jene Gleichstellung im Namen Leo's und verliessen^ als diese Protestation
nicht beachtet wurde, die Synode. Leo fuhr fort, zu protestiren in Briefen
an den Kaiser, die Kaiserin und den Bischof Anatolius von Constantinopel.
Dieser musste ein demüthiges Schreiben an Leo erlassen; allein die Be-
schlüsse von Chalcedon blieben rechtskräftig, und so begann der noch
dauernde Kampf zwischen den hierarchischen Ansprüchen der beiden Pa-,
triarchen von Alt- und Neu-Rom. i
Neuen Zuwachs hatte schon seit geraumer Zeit das Ansehen des rö-
mischen Bischofs erhalten [durch die mehr und mehr überhand nehmende
Sitte, streitige Fragen über apostolische Lehre und Sitte demselben vor-
zulegen, — sowie man gewohnt war, in zweifelhaften bürgerlichen Rechtsfällen
das Gewohnheitsrecht der Stadt Rom als Norm zu betrachten. So
entstanden die epistolae decretales, wovon die erste vom Jahre 385,,
der Ausdruck selbst ist vom Jahre 500; diese Episteln nahmen bald den
Ton apostolischer Verordnungen an. Die theologischen Streitigkeiten mehrten
auch das Ansehen des römischen Bischofs. In den arianischen Streitig-
keiten trug, wie wir gesehen, die abendländische Stabilität über den
schwankenden Orient den Sieg davon. Die Parteien des Morgenlandes
suchten die Stimme des römischen Bischofes zu gewinnen und Hessen sich.
1) ant nie egrediatur, ant nos eximus.
KirchenverfassuDg. Der Bischof von Rom. 853
zu diesem Behufe manches herrische Wort von Rom gefallen und huldigten
ihm auf eine Weise, die mit den sonstigen im Orient verbreiteten Anschau-
ungen nicht ganz harmonirte, obschon der Orient auch wieder den römi-
schen Ansprüchen Einhalt zu thun verstand, wie wir gesehen haben.
Man hat gesagt, dass das Geheimniss des allmählichen Fortschreitens
einer von den Hauptgründen ist, denen das Pabstthum seine Ausbildung
verdankt. In Leo aber ist dieses Geheimniss zur Thatsache der Weltge-
schichte geworden, so dass mit ihm das eigentliche Pabstthum anhebt, zunächst
so, dass es in der Seele dieses römischen Hierarchen zum klaren Bewusstsein
von sich selbst gelangte. Den Primat des Bischofs von Rom begründet er
durch das Verhältniss Petri zu Christo, den Petrus selbst setzte er in das
innigste Verhältniss zu Christo; die Gemeinschaft untheilbarer Einheit, in
die der Herr Petrus aufgenommen, gründet sich auf das gute Bekenntniss,
das Petrus zuerst ablegte. Die persönliche Gemeinschaft sollte sich aber
zu einer Gemeinschaft der Kraftfülle ausdehnen. Zu den Aposteln ver-
hielt sich Petrus so, dass er nicht nur alles das ist, was sie, sondern auch
vieles allein hat. Wie Petrus das Haupt aller Apostel ist, so sind alle
nur i n i h m mit ihrem Amte betraut, alle in ihm gerettet ; darum wird er
vom Herrn in besondere Fürsorge genommen. Wegen dieser innigen Gemein-
schaft Petri mit Christo dauert sein Primat fort — in den Nachfolgern des
Petrus; denn diese verhalten sich zu Petrus, wie dieser zu Christus; wie
Christus in Petrus, so ist dieser in seinen Nachfolgern. Warum aber sollen
gerade die römischen Bischöfe Nachfolger Petri sein? Hier gehen Leo die
dogmatischen Beweise bald aus. Nachdem er erwähnt, dass Rom durch
das Maertyrerthum der beiden grössten Apostel verherrlicht worden, dass
vermöge einer besonderen Leitung der göttlichen Vorsehung Petrus nach
Rom gekommen und mit und in ihm Rom zum Centrum der christlichen
Welt bestimmt war, hebt er hervor, dass nur der Mittelpunkt des Reiches
der Mittelpunkt und die Mutterstadt der neuen Welt des Christenthums
werden konnte. Viele Reiche wurden unter einer Herrschaft vereinigt, da-
mit die Verkündigung des Evangeliums um so leichter zu den verschiedenen
Völkern gelangen könnte. Zugleich hebt Leo hervor, dass Rom die prie-
sterliche Stadt, das Haupt der Welt geworden, eine grössere Macht erlangte,
als es jemals durch seine weltliche Herrschaft besessen hatte. Demnach
gestaltet sich nun Leo das Verhältniss des römischen Bischofes zu den ein-
zelnen Bischöfen so: sie haben zwar alle die gleiche Würde aber nicht
die gleiche Macht. Es ist ein Grundgesetz der Kirche, dass nicht Alle
Alles auf gleiche Weise beanspruchen dürfen, sondern dass in jeder Pro-
vinz einer sei, der die erste Stimme unter seinen Brüdern hat und wiederum
in den grösseren Städten einige eine ausgedehntere Besorgung übernehmen,
durch welche die Sorge für die allgemeine Kirche in dem einen Stuhl Petri
sich concentriren und nichts von seinem Haupte sich trennen sollte. Darum
sagt er anderswo, (ep. 10) wer dem Petrus den Primat abspricht, kann
zwar dessen Würdigkeit keineswegs verringern, sondern aufgeblasen durch
den Geist des Hochmuths stürzt er sich selbst in die Hölle. Doch hütet
sich Leo, die letzten Consequenzen dieser Theorie in Beziehung auf die
Unterordnung der weltlichen Gewalt unter die geistliche zu ziehen, wie denn
Herzog, Kirchengeschichte I. 23
354 Zweite Periode des alten Katholicismus.
selbst das genannte Gesetz Valentinian III. das Bewusstsein verräth, dassüber
den Primat und diesen selbst haltend der Kaiser gesetzt sei. Leo brauchte
zu sehr die kaiserliche Gewalt zur Erreichung seiner Zwecke, als dass er
es mit ihr hätte verderben mögen.
Ueberhaupt ist keine Kede davon, dass die Anschauungen und Ansprüche
Leo's, die übrigens mehr oder weniger schon in den andern römischen
Bischöfen dieser Periode sich geregt hatten , bereits verwirklicht wurden.
Es war schon um deswillen unmöglich, weil so viele andere Kirchen un-
abhängig von Rom entstanden waren und ihre eigene geschichtliche Ver-
gangenheit hatten. Doch nicht nur die morgenländischen Kirchen bildeten in
dieser Beziehung einen Damm gegen die römische Suprematie, sondern
auch einige Theile des Abendlandes. So übte in der Diöcesis Italien mit
der Hauptstadt Mailand der Bischof dieser Stadt so viel wie Patriarchal-
rechte, und es erhielt sich in der mailändischen Kirche, genährt und
befestigt durch Ambrosius, das Bewusstsein einer gewissen Freiheit von
Rom. Ebenso bewahrte der Bischof von Ravenna, seitdem Honorius vor
den Gothen fliehend seine Residenz 403 in diese Stadt verlegt hatte, eine
gewisse Unabhängigkeit von Rom. In dieser Periode zeigte besonders die
africanische Kirche einen Geist der Unabhängigkeit. Wie sie in der pela-
gianischen Streitigkeit dem Bischof Zosimus widerstand, so dass dieser zu-
letzt sich das Urtheil der Africaner über die Pelagianer aneignete, haben
wir früher gesehen. Als derselbe Bischof Zosimus der africanischen Kirche
befahl, einen in Africa durch die Synode abgesetzten Presbyter, Apiarius,
der nach Rom appellirt hatte , in sein Amt wieder einzusetzen , sich auf
die Beschlüsse von Sardica berufend, die er für nicänische ausgegeben,
da erwiderten die Africaner (419) im Schreiben an Bonifacius I. (da Zosimus
unterdessen gestorben), jene Kanones seien keine nicänischen i), und er-
mahnten ihn, mit Weisheit und Gerechtigkeit gegen sie zu verfahren. Als
Bischof Cölestinus (423 — 432) die Wiedereinsetzung des zweimal abgesetzten
Apiarius in sein Amt befahl, verbaten sich die Africaner auf das nach-
drücklichste solche Einmischung und verboten sogar bei Strafe der Excom-
munication alle Appellationen an entfernte Bischöfe. Dem Bischof Cölestin
führten sie insbesondere zu Gemüthe , man könne doch nicht annehmen,
dass Gott einem einzigen die Gnade des gerechten Urtheils verliehen habe,
indess er sie der Menge der auf einer Synode versammelten Bischöfe ver-
weigere. Es trat aber in Beziehung auf die africanische Kirche eine jener
providentiellen Fügungen ein, wie wir sie öfter in dem Pabstthum walir-
nehmen. Die africanische Kirche, in welcher sich der kirchliche Unab-
hängigkeitsgeist am kräftigsten geregt hatte, wurde damals von den Vandalen
verheert. Zu ihrer Wiederherstellung Hess sie nun Leo als Patriarchen unum-
schränkt walten. — Die römischen Bischöfe, besonders Leo, bemühten sich,
auch das oberste Glied in der hierarchischen Entwicklung, die ökumenischen
Synoden in ihre Gewalt zu bringen ; denn allerdings, wenn beides zusammen-
wuchs, das Pabstthum und das allgemeine Concil, dann war der römische
1) Die Verwechslung kam daher, dass in den damaligen Kanonensaramlungen den
nicänischen Kanones die dieser späteren Synode ohne Unterscheidung angehängt waren.
Kirchenzucht. 855
Katholicismus auf die höchste Spitze getrieben. Wie wenig diess gelang,
haben wir oben dargelegt.
Die Autorität des Apostels Petrus war im allgemeinen Bewusstsein
der Zeit durchaus nicht das, was die römischen Bischöfe daraus machten.
Die angesehensten Kirchenlehrer verstanden das Wort Fels (Matth. 16, 18)
vom Bekenntniss des Petrus oder von Christus selbst, höchst selten von
der Person Petri, (was doch die allein richtige Erklärung ist), lieber das
Amt der Schlüssel (Matth. 16, 19) wurde die Ansicht Cypri an 's festgehalten,
dass Petrus die Eine katholische Kirche vorstellt, welche die Schlüssel
empfängt. So Augustin, sich berufend auf Joh. 20, 23, wo allen Apo-
steln die Schlüssel übertragen werden. Daher galten alle Bischöfe als Nach-
folger Petri. Der Herr, sagte Augustin, hat uns seine Schafe anvertraut,
weil er sie dem Petrus anvertraute. Daher wurden mehrere Apostel
dem Petrus an Würde gleichgestellt. August in lehrt, dass Paulus nicht ge-
ringer als Petrus sei, obschon dieser das Fundament der Kirche sei. Hier o-
nymus nennt Petrus und Andreas Fürsten (principes) der Apostel. Andere
stellten Johannes, noch andere Jacobus dem Petrus gleich. Wo irgend ein Bi-
schof ist, lehrt Hieronymus, so hat er dasselbe Priesterthum wie Petrus.
Indem aber bei diesen freieren, ja allein richtigen Ansichten doch die Wurzel
des Irrthums blieb, dass der römische Bischof Nachfolger des Petrus sei in dnem
eminenteren Sinne als die anderen Bischöfe, war den Ansprüchen desselben kein
genügend starker Damm entgegengesetzt, besonders dann nicht, wenn ein
Hierarch gleich wie Leo I. mit kühner Consequenz die aus jenem Irrthum
sich ergebenden Folgerungen zog. Das zeigte sich besonders auch darin,
dass Leo sich den griechischen Gesichtspunkt aneignete, wonach die kirch-
liche Autorität Roms von der politischen Wichtigkeit und Herrlichkeit der
Stadt abgeleitet wurde, wogegen noch Innocentius L c. 415 im Schreiben
an Bischof Alexander von Antiochien entschieden protestirt hatte; diesen
Gesichtspunkt verschmolz Leo mit dem im Abendlande herrschenden kirch-
lichen. Damit war die Verquickung des katholischen Kirchenprincipes durch
den politischen Gesichtspunkt angebahnt und der Grund gelegt zu einer
fortgehenden Reproduction der altrömischen Herrschaft innerhalb der ka-
tholischen Kirche. (S. über das Ganze Leo's Episteln und Perthel a. a. 0.).
§. 5. Kirchenzucht.
Die ganz am Ende der letzten Periode festgesetzten Strafen der Busse
für öffentliche, grobe Sünden wurden festgehalten und mit der complicir-
teren Einrichtung der Kirchengebäude in Verbindung gebracht. Für ge-
ringere Vergehungen wurde auch Kirchenbusse verordnet, und die ver-
schiedenen Synoden gaben über dieselben weitläufige Bestimmungen. In
den grösseren Städten des Morgenlandes war ein eigener Priester dafür
bestellt, die Beichte der Abendmahlsgenossen zu vernehmen und ihnen eine
angemessene Busse aufzuerlegen. Da aber auf diese Weise die Sünde
eines Geistlichen war verrathen worden, schaffte Nektarius, Bischof von
Constantinopel, 390 diesen Gebrauch ab. (Sokrates 5, 19). Eine besondere
Wichtigkeit erhielt die Kirchenzucht seit der vollzogenen Verbindung der
23 *
356 Zweite Periode des alten Katholicismns.
Kirche mit dem Staate, da die Geistlichen mit dem Rechte bekleidet wur-
den, die Kirchenzucht auch auf obrigkeitliche Personen bis zu den höchsten
hinauf auszudehnen. Ein stolzes, hierarchisches Bewusstsein gibt in dieser
Beziehung Gregor von Nazianz kund (17. oratio), wo er die Machthaber
also anredet: ^Christi Gesetz unterwirft euch meiner Gewalt. Oder soll
der Geist dem Fleische dienen und das Himmlische dem Irdischen?'^ Ver-
möge seiner göttlichen Vollmacht schloss Athanasius den Statthalter von
Libyen von der Kirchengemeinschaft aus, Synesius den Präfecten Andro-
nicus. Besonderes Aufsehen erregte das Benehmen des Ambrosius, Bischofs
von Mailand, gegen Kaiser Theodosius I. Im Zorne über einen in Thessa-
lonich ausgebrochenen Aufruhr hatte dieser im Jahr 390 viele Unschuldige der
Wuth der Soldaten preisgegeben i). Der Kaiser war bald darauf nach Mai-
land gekommen, Ambrosius hatte sich unter dem Vorwande einer Krankheit
zurückgezogen, er mied die persönliche Zusammenkunft mit dem Kaiser.
Dagegen, als er erfahren, dass der Kaiser Willens sei, in der Kirche zu
erscheinen und seine Gabe zum Opfer darzubringen und selbst das Abend-
mahl zu gemessen, schrieb er ihm einen Brief, worin er ihm die Grösse
der begangenen Sünde vorstellte. „Du kannst, sagte er, diese Sünde aus-
löschen, indem du deine Seele vor Gott demüthigst. Die Sünde lässt sich
nur durch Thränen und Busse auslöschen. Weder Engel noch Erzengel
vermögen es; allein der Herr kann es, aber auch Gott kann es nur unter
Bedingung einer kräftigen Busse. Füge nicht zu deiner Sünde eine neue
Sünde hinzu, dir das anzumassen, was Vielen zum Verderben gereicht. Ich
wage nicht, das Opfer darzubringen in deiner Gegenwart. Gott will lieber
Gehorsam als Opfer." Theodosius durch diesen Brief erschüttert, unter-
warf sich der öffentlichen Kirchenbusse, nachdem er seinen kaiserlichen
Schmuck abgelegt und beweinte öflfentlich in der Kirche seine Sünde, bat
um Vergebung, wie Ambrosius selbst berichtet in der Leichenrede auf den
Kaiser. Das ist der wahre Hergang der Sache, der in dem Berichte von
Sozomenus 7, 25. Theodoret 5, 17 und Anderen erweitert und ausge-
schmückt worden ist, als ob Theodosius den Zugang zur Kirche habe
ertrotzen wollen und von Ambrosius zurückgehalten worden sei 2j. Das ist
richtig in diesen erweiterten Berichten, dass der Kaiser darauf das allge-
meine Gesetz erliess, wonach künftig jedes Strafurtheil erst 30 Tage nach
seiner Veröffentlichung sollte vollzogen werden.
Wenn in diesem Falle sowie in anderen Fällen die Kirchenzucht ge-
genüber dem Staate wohlthätig wirkte zur Aufrechthaltung der Gesetze
der Gerechtigkeit und der Anforderungen der Humanität, so gerieth sie
dagegen auf einen verhängnissvollen Abweg, indem sie die materielle Hülfe
des Staates in Anspruch nahm, um die Schismatiker und Häretiker mit
Gewalt in ihren Schooss zu treiben. Augustin hegte im Anfang seiner
christlichen Laufbahn die geläuterten Ansichten, welche Tertullian und
1) Nach Theodoret 5 , 19. 7000.
2) Dagegen wissen jene Berichterstatter nichts vom Briefe des Ambrosius an den
Kaiser und lassen jenen mündlich dem Kaiser ungefähr dasselbe sagen, was er ihm im
Briefe sagt. — S. Neander 2, 1. 385.
Die donatistische Kirchenspaltung. 357
Lactanz (S. 74) ausgesprochen. Im Verlaufe des Kampfes mit den Donatisten
zumal gab er sie auf und es wurde seinem Scharfsinne nicht zu schwer,
allerlei Argumente dafür anzuführen. Zwar leugnete er nicht, dass der
Glaube nicht durch äusserliche Mittel in die Seele gebracht werden könne.
Allein er meinte, der Mensch könne durch äusserliche Mittel, durch Lei-
den und Anfechtung für Glaube und Bekehrung vorbereitet werden. Er
berief sich dabei auf das Beispiel des himmlischen so wie des irdischen
Vaters, der den Sohn züchtigt zu dessen Besten. Da nun der Staat befugt
ist, durch Strafen die äusserlichen Ausbrüche des Bösen zu unterdrücken,
so auch die in Betreff der Häresie und des Schisma. Spaltungen und
Secten leite Paulus Gal. 5, 19 aus derselben Quelle ab, wie die anderen
Sünden, und wenn er die einen zu strafen berechtigt sei, so dürfe er auch
die anderen bestrafen. Er führte Christus als Vorbild an, der ja auch
Gewalt anwendete, als er die Wechslertische umwarf und Käufer und Ver-
käufer aus dem Tempel hinausjagte. Er berief sich auf Lucas 14, 23 coge
intrare; diejenigen, sagt er, welche an den Wegen und Zäunen, d. h. in
Häresieen und Schismen aufgefunden werden, die werden gezwungen ein-
zutreten, — diese seitdem geltende katholische Theorie wurde zur Recht-
fertigung der Inquisition, der Dragonnaden und anderer Gewaltmassregeln
verwendet. Augustin beruft sich insbesondere darauf, dass Manche Gott
danken, dass sie durch Zwang aus der Gewohnheit aufgerüttelt worden,
dass sie durch Schrecken zu der Wahrheit gekommen sind. Ueberhaupt
meint er, dass die durch Gewalt in die Kirche Zurückgeführten wenigstens
die äussere Bedingung der Seligkeit, den Frieden mit der Kirche haben;
darin zeigt sich selbst bei einem Augustin die Veräusserlichung des Kirchen-
begriffes und die verderbliche Wirkung des nicht überwundenen gesetz-
lichen Standpunktes in Sachen des Heiles.
§. 6. Die Kirchenspaltungen.
Die Entwicklung der Hierarchie, die Verschiedenheiten im Begriff
von der Kirche, die verschiedenen Grundsätze über Kirchenzucht gaben
wie in der früheren Periode Anlass zu Spaltungen.
Die donatistische Kirchenspaltung,
deren Anfänge bereits am Ende der letzten Periode hervortreten, ist die
wichtigste, den Grundsätzen und Tendenzen nach eine Fortsetzung der
novatianischen auf africanischem Boden , und der Ausbruch derselben wurde
durch die Nachwirkungen der diocletianischen Verfolgung herbeigeführt.
Es gab damals, wie wir gesehen, eine neue Art von Abgefallenen,
traditores, welche die heiligen Schriften den heidnischen Behörden aus-
lieferten.. Es gab schon von Alters her in Beziehung auf den Märtyrertod
eine besonnene und eine schwärmerische Partei; diese drängte in fana-
tischem Geiste zum Märtyrertode, oft aus unlautern Absichten, wohl auch
der Schulden halber und dergleichen. Solche verwarfen auch die Flucht
in der Verfolgung so wie alle unschuldigen Ausflüchte, um sich derselben
i2u entziehen. In diese zwei Parteien theilte sich Carthago und die nord-
africanische Kirche. An der Spitze der besonnenen Partei stand in Gar-
358 Zweite Periode des alten Katholicismns.
thago der Bischof Men SU rius und sein Archidiakon Caecilianus. Beide
widersetzten sich der Märtyrerthums - Schwärmerei und wollten es nicht
haben, dass Alle, welche sich selbst als Christen den heidnischen Behörden
auslieferten, ohne weiteres als Märtyrer angesehen würden, eben so wenig,
dass die Christen sich schaarenweise in die Kerker drängten, um die
gefangenen Christen zu besuchen. Mensurius trug dem Caecilianus auf,
Massregeln dagegen zu treffen. Ueberhaupt hielt er es für seine Pflicht,
für die Erhaltung des Lebens der Christen Alles zu thun, was ohne Ver-
läugnung des Glaubens geschehen konnte. So Hess er aus einer Kirche,
die durchsucht werden sollte, alle Exemplare der Bibel wegnehmen und
in Sicherheit bringen, und an die Stelle derselben häretische Schriften
hinlegen, welche die Heiden als heilige Schriften ansahen, mit deren
Wegschaffung sie sich begnügten. Dadurch entstand eine Spannung zwischen
jenen beiden Männern und der fanatischen Partei: Jenes Vorgeben, dass
blos Schriften der Häretiker ausgeliefert worden, sei eine Erdichtung, um
sich zu entschuldigen; und wenn es auch Grund habe, so sei es jedenfalls
eine Lüge und desshalb verwerflich. Mensurius habe CaeciHan gewaltsame
Massregeln ergreifen lassen, um die Gläubigen vom Besuche der gefange-
nen Brüder abzuhalten." Ob Caecilian bisweilen zu rasch und zu scho-
nungslos verfahren, lässt sich nicht mehr ermitteln. So viel ist gewiss,
dass Kepressivmassregeln nothwendig geworden. Die schwärmerische Par-
tei in Carthago wurde begünstigt durch den damaligen Primas von Numi-
dien, Bischof See und us von Tigisis, der sich erlaubte, dem Bischof
Mensurius Vorwürfe über sein Benehmen zu machen.
So standen die Sachen, als im Jahre 311 Mensurius starb. Der Ge-
wohnheit gemäss sollte sein Archidiakon ihm im Amte nachfolgen. Allein
die fanatische Partei stand ihm entgegen; in derselben hatte grossen Ein-
fluss eine reiche, frömmelnde Wittwe, Lucilla. Sie legte auf irgendwoher
erhaltene heilige Knochen grossen Werth, und nahm in der Kirche nicht
eher die Communion, als bis sie die mitgebrachte Reliquie geküsst hatte.
Caecilian verwies ihr diesen abergläubigen Gebrauch und drohte mit Kir-
chenstrafen. Unterdessen sollte die Wahl des neuen Bischofs vorgenom-
men werden; derselben sollten, der Gewohnheit gemäss, einige Provincial-
bischöfe beiwohnen. Nun aber hegte die Partei Caecilian's die Besorgniss,
dass diese sich der Wahl desselben widersetzen möchten. Wenn die
Wahl einmal vollzogen war, blieb sie gültig; aber die Assistenz der Pro-
vincialbischöfe war nicht gesetzlich geboten. Zufolge dieser Berechnung
wurde die Wahl Caecilianus beschleunigt; ein benachbarter Bischof, Felix
von Aptunga, ertheilte ihm die Ordination. Aber alsobald erklärten sich
die Gemeindeältesten in Carthago sowie Lucilla gegen ihn. Darauf kam
Secundus mit einigen anderen Bischöfen nach Carthago und erklärte die
geschehene Wahl und Ordination als ungültig, mit dem Vorgeben, Bischof
Felix sei ein traditor. Vergebens erbot sich Caecilian, sich aufs neue
ordiniren zu lassen. Ein Günstling der Lucilla, der Lector Majorinus
wurde durch die numidischen Bischöfe gewählt und Caecilian, weil von
einem Traditor ordinirt, auf einer Synode von siebenzig numidischen Bi-
'O
Die donatistische Kirchenspaltung. 359
schöfen aus der Gemeinschaft der Kirche ausgestossen. So war die Spalt-
ung vollzogen.
Beide Parteien suchten auswärts Anerkennung, aber Caecilian wurde
sie mehr zu Theil, als den Gegnern, die sich nun Partei des Majorinus
nannten und deren Seele eine Zeitlang Donatus, Bischof von Casae
nigrae, war; sie zählten denn doch besonders in Africa viele Anhänger. Sie
wendeten sich an Constantin und gaben damit ein verhängnissvolles Beispiel.
Der Kaiser beauftragte Bischof Melchiades (Miltiades) von Rom nebst drei
gallischen Bischöfen (313), sodann das Concil von Arelate (314) mit der
Untersuchung dieser Sache; die Entscheidung fiel gegen die Donatisten
aus. Das genannte Concil ergriff noch Massregeln, um ähnlichen Spalt-
ungen in der Zukunft vorzubeugen : 1) nur die überwiesenen traditores soll-
ten ihr Amt verlieren, 2) selbst die Consecration durch einen Traditor sei
gültig, 3) jede Taufe sei gültig, die auf den Namen der Dreieinigkeit er-
theilt worden. Die Donatisten appellirten wieder an Constantin, der (316)
die Abgeordneten beider Theile in Mailand anhörte, gegen die Donatisten
sich entschied und Gesetze gegen sie gab, wonach ihre Kirchen ihnen ent-
rissen werden sollten. Sie blieben fest; nach dem Tode des Majorinus 315
war ein anderer Donatus an ihre Spitze getreten, von ihnen Donatus der
Grosse genannt, nach welchem sie sich fortan pars Donati nannten, von
den Gegnern Donatisten. Viel schadete es ihnen, dass die agonistici,
milites christi^ wie sie sich nannten, schwärmerisches Gesindel, welches
bettelnd um die Hütten der Bauern sich herum trieb, daher auch Circum-
cellionen genannt, sich für die Donatisten erklärten, indem sie allerlei
Unfug gegen katholische Bischöfe und Kirchen sich erlaubten. Als Con-
stantin 321 den Donatisten Religionsfreiheit gewährte und sogar die Zer-
störung einer katholischen Kirche durch die Circumcellionen ungeahndet
Hess, gewann das Schisma Festigkeit und fand in Africa mehr und mehr
Anhänger. Im Jahre 347 suchte Constantius sie durch Geschenke zu ge-
winnen. Dass Donatus den Kaiser mit den Worten abwiess : Was geht den
Kaiser die Kirche an? trug nicht dazu bei, diesen günstig zu stimmen.
Zu gleicher Zeit erneuerten die Circumcellionen ihre Gewaltthätigkeiten.
Die Bewegung nahm eine social-communistische Wendung ; es handelte sich
darum, die Schuldner von ihren Schulden freizusprechen: wer sjch wider-
setzte, wurde dazu gezwungen. Es kam dahin, dass die Donatisten selbst
den Schutz des Staates gegen diese Leute anriefen; nun aber ergiengen
neue Rescripte gegen die Partei; ihre angesehensten Bischöfe wurden
verbannt. Unter Julian besserte sich ihre Lage. Allein nun trat eine
Spaltung unter ihnen ein. Eine Partei der Donatisten sonderte sich von
der anderen ab und stand zu dieser gerade so wie diese zur katholischen
Kirche. — Ihr gewaltigster Gegner wurde Augustin, der sie in mehreren
Schriften und Unterredungen siegreich bekämpfte. Das Hauptgespräch
mit ihnen fand statt im Jahre 411 ; 186 katholische und 179 donatistische
Bischöfe waren anwesend , unter dem Vorsitze eines kaiserlichen Commis-
särs. Es wurden zwei Streitfragen verhandelt: 1) ob Felix von Aptunga
ein Traditor gewesen , 2) ob die ICirche durch die Gemeinschaft mit un-
würdigen Mitgliedern den Charakter der Kirche verliere. Die Entscheidung
3^0 Zweite Periode des alten Eatholicismus.
fiel gegen die Donatisten aus; alle ihre Geistlichen wurden verbannt, die
Laien, die fest blieben, zu Geldstrafen verurtheilt. — Doch erhielten
sich Donatisten bis in das sechste Jahrhundert. In der bisherigen Dar-
stellung sind die Differenzen zwischen ihnen und den katholischen Christen
bereits im Allgemeinen erwähnt worden. Sie betrafen durchaus nicht die
eigentlichen Glaubensartikel, sondern die Frage, wie weit die Kirchen-
zucht geübt werden müsse, so wie die Frage, betreffend die Prädicate der
Kirche und die nähere Bestimmung dieser Prädicate. Sie behaupteten,
die allein wahre Kirche sine macula et ruga darzustellen, weil sie wis~
sentlich in ihrer Gemeinschaft keine unreinen Mitglieder duldeten; wenn
die Kirche wissentlich solche dulde, so verliere sie das Prädicat der Hei-
ligkeit und Reinheit, und alle ihre sacramentlichen Handlungen werden
unkräftig; daher sie die zu ihnen Uebertretenden wieder tauften. Haupt-
sächlich im Gegensatze gegen sie ist in dieser Periode das Dogma von der
Kirche im Bereiche des lateinischen Abendlandes ausgebildet worden; mit
Recht, denn das donatistische Schisma übertrifft an Bedeutung alle übrigen.
Das meletianische Schisma, das in der vorigen Periode seinen
Anfang nahm, dauerte über das vierte Jahrhundert hinaus.
Das Schisma der Audianer, in der Geschichte der Theologie
bereits kürzlich erwähnt, berührt sich mit den Häresieen so wie mit dem
um sich greifenden Mönchthum. Audius, syrisch Udo, ein Laie von
frommem, ernstem Lebenswandel in Mesopotamien, nahm zu Anfang des
vierten Jahrhunderts Anstoss am Leben und Wandel der katholischen
Geistlichen. Desshalb excommunicirt, hielt er mit seinen Anhängern ab-
gesonderte Versammlungen; desshalb verfolgt und misshandelt mit den
Seinen, worunter selbst Bischöfe und Geistliche, stiftete er eine eigene
Secte und wurde ihr Bischof. Im Alter wurde er nach Scythien verwiesen ;
er verbreitete unter den dort angesiedelten Gothen das Mönchthum; die
Secte verschwand mit dem vierten Jahrhundert. Es wurde ihnen Anthro-
pomorphismus schuld gegeben, so wie die Behauptung, dass Gott nicht
Urheber des Feuers und der Finsterniss sei; eben so, dass sie die vom
Concil von Nicäa verworfene Zeitbestimmung in Hinsicht der Osterfeier
angenommen hätten. (S. Epiphanius haeresis 70. Theodoret H. E. 4, 10).
Das Schisma des Lucifer, Bischofs von Cagliari auf der Insel
Sardinien.
Lucifer, ein eifriger Anhänger des Athanasius und des nicänischen
Concils, ein stolzer, eigensinniger Mann, war einer von den wenigen Bi-
schöfen, welche auf der Synode zu Mailand 355 in die Verurtheilung des
Athanasius nicht eingewilligt hatten. Um deswillen wurde er nach Germa-
nicia in Syrien , darauf nach Eleutheropolis in Palästina verbannt , von da
kam er, unter Julian freigelassen, nach Antiochien. Hier war Spaltung
zwischen den strengen Nicänern und einer milderen Partei, an deren
Spitze Bischof Meletius stand. Lucifer verstärkte die Spaltung, indem er
den strengen Nicänern einen eigenen Bischof, den Presbyter Paulinus
weihte. Er verliess darauf das Morgenland, kam nach Cagliari zurück,
Das Dogma von der Kirche. 361
stiftete eine eigene Partei der fanatischen Anhänger des nicänischen Sym-
bols, die ausser in Sardinien, in Africa, Aegypten, Spanien, Antiochien,
selbst in Rom Eingang fand, eine Zeitlang heftig verfolgt, bis ins fünfte
Jahrhundert andauerte. Lucifer selbst hatte bis an seinen Tod 371 das
bischöfliche Amt verwaltet. Diese Spaltung hatte eine weniger gute Tendenz,
als die früheren, indem sie in keiner Weise aus der Opposition gegen die
Missbräuche und das Verderben in der Kirche, sondern lediglich aus hy-
perorthodoxer Schroffheit hervorging.
Das schon (in der Geschichte des Pabstthums) berührte
Schisma zwischen Damasus und Ursicinus in Rom ist noch uner-
quicklicher. Die römische Kirche war durch die Nachwirkungen der aria-
nischen Streitigkeit in heftiger Gährung begriffen, welche durch die neue
Bischofswahl nach dem Tode des Bischof Liberius sich steigerte (366).
Damasus soll rechtmässig gewählt worden sein, darauf der Diakon Ur-
sinus oder Ursicinus von einer Partei in der Gemeinde. Das Schisma
verbreitete sich weit ausserhalb Roms. In Rom selbst kam es zu blutigem
Kampfe; die Partei des Damasus erstürmte die Kirche des Ursicinus, wo-
bei 137 Personen getödtet wurden. Damasus erhielt die Oberhand, Ursi-
cinus wurde in die Verbannung geschickt. Um dieser Spaltung gründlich
ein Ende zu machen, erliess Gratian (378) das in der Geschichte des römi-
schen Bischofs bereits angeführte Gesetz. (S. S. 351).
§. 7. Das Dogma von der Kirche.
Die Kirche als Leib Christi, in welchem er waltet durch seinen Geist,
in welchem alle Wirkungen des Geistes zusammengefasst sind, die Kirche,
als einzige Inhaberin der christlichen Wahrheit, als höchste Lehrautorität,
ist uns aus der früheren Darstellung bekannt. — Die Prädicate der Ein-
heit, Allgemeinheit sind auch schon in Betracht gekommen. Mit Bezug
auf die Kirchenverfassung , Kirchenzucht und insbesondere im Gegensatze
gegen die Donatisten wurden zumal in der abendländischen Kirche diese
letzteren Prädicate der Einheit, Allgemeinheit und Heiligkeit Gegenstand
ausführlicher Erörterung.
Schon Optatus von Mileve (368) de schismate Donatistarum {\ih. II)
hatte den Gesichtspunkt durchgeführt, dass das wahre Wesen der Kirche in
objectiven Merkmalen, die er als dotes und als membra auffasste, zu suchen
und von der Persönlichkeit der Mitglieder abzulösen sei. August in, der
wie Optatus im Allgemeinen auf dem Standpunkte Cyprian's stand, ist
weiterbildend über den Bischof von Carthago hinausgegangen. Er ist
erfüllt vom Gedanken der Einheit der Kirche, im Sinne zunächst der
Ausschliesslichkeit. — Christus ist ihm identisch mit der katho-
lischen Kirche, sein Leben mit dem ihrigen. Christus ist das Haupt, die
Kirche der Körper, Christus der Bräutigam, die Kirche die Braut. Daher
auch diejenigen, welche in Beziehung auf Christum schriftgemäss denken
und lehren, aber sich nicht an die Kirche halten, nicht von der Kirche
sind (non sunt de ecclesia). Ohne die Gemeinschaft mit der Kirche ist jede
Geraeinschaft mit Christo unmöglich. Niemand kann Christum zum Haupte
362 Zweite Periode des alten Katbolicismus.
haben, als wer in seinem Leibe, in seiner Kirche ist. Wer nicht die
Kirche zur Mutter hat, sagt Augustin mit Cyprian, hat Gott nicht zum
Vater. Nur in der katholischen Kirche kann der heilige Geist empfangen
werden, weil allein in ihr der Geist der Liebe lebt Rom. 5, 5. Liebe
aber haben diejenigen nicht, welche von der Gemeinschaft der Kirche
getrennt sind, welche die Einheit der Kirche nicht lieben; daher man mit
Recht sagen kann, dass der Geist Gottes nur in der katholischen Kirche
empfangen wird. Von dieser Kirche sondern sich nur solche ab, welche
von Stolz aufgeblasen, von Eifersucht berückt, durch fleischliche Furcht
in verkehrte Richtung gebracht sind. Wer noch so löblich zu leben meint,
wird um des einen Verbrechens willen, dass er von der Einheit Christi
abgetrennt ist, das Leben nicht sehen-. Und doch erkannte Augustin die
von Häretikern und Schismatikern rite vollzogene Taufe als giltig an, dazu
veranlasst durch die Donatisten, welche, unter Berufung auf Cyprian, jede
ausser ihrer Gemeinschaft ertheilte Taufe ver\Narfen. Die Taufe ist nacli
ihm giltig, gleichviel, von wem sie adrainistrirt werde; nur um so grössei*
wird dadurch die Schuld des Empfangenden, der das Zeichen Christi an
sich trägt und es durch seine Lostrennung von der Kirche verläugnet.
Die Vorstellung, dass der Segen der Taufe nicht von der Würdigkeit des
Administrirenden abhängig sei, kann er nur so durchführen ^ dass aller-
dings der heilige Geist eo ipso an den Act der Taufe gebunden ist,
dass aber etwas im Täuflinge ist, was ihn des Empfanges unfähig macht
(wenn er nämlich Häretiker oder Schismatiker ist), und dadurch vermehrt
er nur seine Schuld vor Gott. Das Merkmal der Ausschliesslichkeit {extra
ecclesiam nulla salus) hängt mit dem Begriffe der Einheit oder Einzigkeit
enge zusammen und ist eigentlich nur ein Bestandtheil desselben. Gibt
es ausser der katholischen Kirche kein Heil,^ so gibt es eben nur diese
eine, empirisch vorhandene Kirche, und alle Mannigfaltigkeit ist ausge-
schlossen. Die Einheit der Kirche hat aber auch eine nach innen zuge-
kehrte Seite. Sie .beruht wesentlich auf der Einheit des Episkopats, und
diese ist dargestellt in der cathedra Petri, d. h. im römischen Bischof,
als ihrem organischen und Communicationspunkte. Doch das hielt Augu-
stin nicht ab, im pelagianischen Streite dem römischen Bischof Widerstand
zu leisten. 1
Was das Prädicat der Heiligkeit betrifft, so hatte in der fi'üheren
Zeit besonders die novatianische Streitigkeit die Aufmerksamkeit auf die-
sen Punkt gelenkt, der bei der Menge der damals vom christlichen Glau-
ben Abgefallenen Schwierigkeit machte. In weit höherem Grade war diess
der Fall, als seit Constantin die Heiden in Masse in die Kirche einström-
ten, die Kirche furchtbar verunreinigend. Darum fanden die Donatisten einen
so fruchtbaren Boden für ihren Grundsatz, dass die Kirche, welche wis-
sentlich grobe Sünder in ihrem Schoosse dulde , nicht mehr Kirche sei und
von ihrem eigenen Begriffe abfalle. Die Katholiken gaben um deswillen
das Prädicat der Heiligkeit der Kirche nicht auf. Vielmehr kam jetzt erst
die Bezeichnung der Kirche als communio Sanctorum in die Symbole.
Es musste aber der Inhalt des Prädicates der Heiligkeit so bestimmt wer-
den, dass sich sein Vorhandensein an der Kirche nachweisen liess. Einen
Das Dogma von der Kirche. 368
Allfang dazu hatten die alexandrinischen Theologen gemacht, Clemens
mit seinem Begriffe von der himmlischen Kirche, von der die irdische nur
ein schwaches Abbild sei, Ori genes mit seinem Begriffe von der we-
sentlichen Kirche (^ xvqimg exxXricna)^ zu der nur diejenigen gehören, die
vollkommen rein sind. Augustin hat sich eingehend mit diesem Punkte
beschäftigt. Er fixirte diejenige Form der Begriffsfassung, die von nun an
herrschend wurde. Sich anschliessend an Origenes unterschied er eine
doppelte Weise der kirchlichen Mitgliedschaft, eine eigentliche und we-
sentliche und eine blos accidentielle , vorübergehende. Er bezog nun das
Prädicat der Heiligkeit auf diejenigen, die eigentlich und wesentlich den Leib
der Kirche bilden, sie sind die Kirche der Prädestinirten. Die Bösen
scheinen zwar in der Kirche zu sein, in Wahrheit aber sind sie ausserhalb
derselben. Sie sind in der Kirche wie die Spreu im Getreide, wie die bösen
Säfte im menschlichen Körper. Die guten bilden innerhalb der empirischen
Kirche das corpus Christi verum ^ die bösen und heuchlerischen Na-
menchristen das corpus Christi permixtum, simulaium oder fic-
tum. Im gegenwärtigen Weltzustande sind beide Classen untereinander
gemischt, kein Mensch darf sie eigenmächtig von einander scheiden; der
Herr wird es thun bei seiner Zukunft, in Qemässheit der Parabel vom
Unkraut und Waizen Matth. 13 i). Wenn auch die Unterscheidung, die
Augustin macht, richtig ist, so war damit nicht bewiesen, dass die Kir-
chenzucht zu unterlassen sei; Augustin selbst wollte das nicht. So schliesst
sich die Polemik gegen die Donatisten nicht folgerecht ab; diess noch in
anderweitiger Beziehung, insofern Augustin den Begriff der Kirche als die
Gemeinschaft der Heiligen fallen lässt und die auf Erden bestehende
Kirche, worin Böse und Gute untereinander vermischt sind, als heilige
gelten lässt ; sein Gegensatz gegen die Donatisten besteht daher darin, dass
er gleich wie Optatus die Kirche nicht als durch heilige Personen, son-
dern als duixh heilige Anstalten geheiligt ansieht 2).
Es wurde aber auch das Prädicat der Katholicität im Sinne der
allgemeinen Verbreitung hervorgehoben. Darin befanden sich die Katho-
liken im Vortheil gegenüber den Donatisten und sie beuteten diesen Vor-
.theil aus. Daneben wurden aber auch Versuche gemacht, den Begriff der
Katholicität dynamisch zu fassen. Nach Cyrill von Jerusalem (Kate-
chese 18) heisst die Kirche katholisch, nicht blos, weil sie auf der ganzen
Erde verbreitet ist, sondern auch, weil sie Alles lehrt, was zum Heile
nothwendig ist , weil sie alle Classen von Menschen sich unterwirft , alle
Arten von Sünden heilt , weil in ihrem Schoosse alle Arten von Tugenden
und Gnadengaben erworben werden. Nach Optatus vonMileve heisst
die Kirche katholisch, quod sit rationabilis und uhique diffusa.
Das Wort katholisch leitet er ab von xaxa koyop. August in geht tiefer
ein; ihm heisst die Kirche katholisch, weil sie das Ganze {to oXov) der
christlichen Heilswahrheit festhält, von welcher einige Partikeln in den
1) Die Donatisten gründeten sich auf das Wort des Herrn: der Äcker ist die Welt,
nicht die Kirche, und auf Jeremia 23, 28, was soll das Stroh bei dem Korne?
2) Domer a. a. 0. S. 291,
364 Zweite Periode des'alten Katholicismu8.
verschiedenen^ Häresieen gefunden werden. Indessen hebt er doch am
meisten das Prädicat der allgemeinen Verbreitung hervor, weil am meisten
geeignet, gegen die Donatisten mit Erfolg verwendet zu werden, als ent-
sprechend den Verheissungen des Alten und Neuen Testamentes. Die
Donatisten beriefen sich dagegen auf die siebentausend, die ihre Kniee vor
Baal nicht gebeugt hatten, auf den schmalen Weg, den nur Wenige be-
treten, auf das Wort des Herrn Lucas 18, 8. Sodann setzen sie die Ka-
tholicität der Kirche darein, dass sie die wesentlichen Bedingungen der
Ausbreitung enthalte, nämlich die Gemeinschaft der christlichen Heil-
mittel; aber beide Theile waren im Irrthum, insofern keiner den anderea
als christliche Kirche anerkennen wollte.
Die katholischen Lehrer erkannten übrigens gar wohl, dass das Prä-
dicat der Allgemeinheit der wirklichen Ausbreitung nicht adäquat sei.
Daher fassten sie diese als innerhalb der Grenzen des römischen Reiches
beschlossen. Das war nach dem Begriffe jener Zeit der orbis terrarum^
die otxovfievfj, das imperium romanum^ die Gesammtheit der gesitteten
Welt, bestimmt alle Nationen der Erde in sich aufzunehmen. Die Aus-
breitung der Kirche war so gesichert durch ihr Verhältniss als Staats-
kirche zum römischen Reiche. Dieses Verhältniss diente dazu, den Begrifl*
der Katholicität zu verengen, insofern sich damit das Prädicat der An-
erkennung durch den Staat verband. Es knüpfte sich daran der verhäng-
volle Irrthum, die Dissentirenden durch polizeiliche Massregeln nicht blos
aus der Kirche auszutreiben, sondern auch sie in die Kirche zurückzu-
drängen und die Häretiker sogar am Leben zu strafen. Wie Augustin
zuletzt dahin kam, die gewaltthätige Zurückführung der Häretiker und
Schismatiker in die Kirche zu rechtfertigen und zu empfehlen, davon ist
schon die Rede gewesen.
Was die Todesstrafe der Häretiker betrifft, so wurde bereits angeführt,
dass die Hinrichtung des Priscillian von den abendländischen Lehrern ent-
schieden missbilligt wurde. Doch setzte Theodosius I. im Jahre 382 durch
ein Gesetz für die Manichäer die Todesstrafe fest, obwohl er in der Praxis |
die Leute mehr zum Gehorsam zu bringen, als zu strafen sich befliss.
Die griechischen Kirchenlehrer hielten den Grundsatz fest, dass die Häre-
tiker nicht am Leben zu bestrafen seien. Chrysostomus spricht es offen
aus : ;,ich bin gewohnt, verfolgt zu werden, aber nicht selbst zu verfolgen *).*
Doch will er die Versammlungen der Häretiker, auch der Novatianer und
Quartodecimaner verboten wissen 2). Viele betrachteten die Unglücksfälle
am Ende seines Lebens als die Strafe für solches Benehmen. Hieronymus
aber ist in dieser Periode nicht der einzige Lehrer der lateinischen Kirche,
der sich für Todesstrafe der Ketzer ausgesprochen, ^Frömmigkeit für die
Sache Gottes geübt, ist nicht Grausamkeit'' 3), das war sein Wahlspruch,
wobei er sich auf die mosaische Verordnung Deuteronom. 13, 6 u. ff. berief.
1) Efiot e&oi €(fTi dt(oxfG&at xat /ut] di(üx(iy. In Phocam Märtyrern.
2) Hom. 26 in Matth.
3) Non est crndelitas pro Deo pietas.
Gottesdienst. Gebände für den Gottesdienst. 365
Auch Leo I. in der Epistel an Turribius stimmte überein mit Hieronymus,
indem er zu bedenken gab, dass die Furcht vor der Todesstrafe bisweilen
die Menschen antreibe, zum geistlichen Heilmittel die Zuflucht zu nehmen.
Vierter Abschnitt.
Geschichte des Gottesdienstes.
In der vorhergehenden Periode fanden wir den katholischen Gottes-
dienst durch zwei Hauptgrundsätze beherrscht, nämlich 1) durch die Op-
position gegen die sinnliche Gottesverehrung der heidnischen Völker, ver-
bunden mit Anschliessung an den jüdischen Synagogencultus , 2) durch die
Opposition gegen die Häretiker, deren Gebet selbst, nach dem Urtheile
des sonst so milden, weichherzigen Origenes, ihnen zur Sünde angerechnet
wird, gegen die Häretiker, von denen einige zu den Gnostikern gehörige in
ihren Gottesdienst Dinge einführten, die damals den katholischen Christen
höchlich missfielen (Lichter, Weihrauch) und sie in ihrer puritanischen
Einfachheit bestärkten. In unserer Periode ging in Beziehung auf den
ersten Punkt eine Aenderung vor, welche das Zeichen gab zu immer
grösserer Abweichung von der ursprünglichen Einfachheit. In demselben
Maasse, als seit Constantin die Heiden, ganz äusserlich bekehrt, massen-
haft in die Kirche einströmten, schien auch der unreine Geist des Heiden-
thums in die katholische Gottesverehrung einzudringen. Schon Augustin
klagte , mit Bezug auf die sich häufenden Cerimonien , dass es in dieser
Beziehung mit der christlichen Religion schlimmer stehe, als mit dem Ju-
denthum in der Zeit seines grössten Verfalles. Hauptsächlich aber kom-
men hier in Betracht die neuen Gegenstände der Verehrung, das heidnische
Gepränge, mit welchem diese Verehrung sich umgab, die heidnischen Vor-
stellungen, die sich daran knüpften. Die Kirchenlehrer bekämpften diese
Auswüchse, vertraten mit Muth und Beredtsamkeit die Sache der geisti-
gen Gottesverehrung, konnten aber um so weniger die Ausartungen ab-
schneiden, als sie selber zum Theil darin befangen waren oder wenigstens
sich scheuten, die kräftigsten Massregeln dagegen zu ergreifen.
§.1. Gottesdienstliche Gebäude i).
Die Zeiten, da die Kaiser die Kirche beschützten und da die Anzahl
der Mitglieder sich in so ungewöhnlichem Masse vermehrte, waren sehr
geeignet zur Aufführung neuer kirchlicher Gebäude. Seit Constantin er-
hob sich eine bedeutende Anzahl neuer prachtvoller Kirchen. Die kirch-
liche Baukunst wurde mehr ausgebildet. Doch hat sie durchaus nicht den
1) S. die angeführten Werke von Lübke. S. 184.
36© Zweite Periode des alten Katholicismus.
erhabenen Schwung der späteren sogenannten gothischen Baukunst. Sie
hat keine Kreuzbogen, noch lange keine Thürme, selbst keine Kuppeln
wie die byzantinische Kunst. Uebrigens knüpft sie an ein heidnisches
Vorbild an, zwar nicht an den antiken Tempel, sondern an die Basili-
ken, fürstliche Paläste und grosse öffentliche, besonders Gerichtsgebäude,
wovon eine Anzahl von den Kaisern der Kirche überlassen wurde. Die
Grundidee der christlichen Kirchenform, wie sie schon in den apostolischen
Constitutionen 2, 57 dargelegt ist, wurde dem Basilikenbau angepasst.
Die Kirchen bildeten wie die meisten Basiliken ein längliches Viereck
und waren in der Regel, d. h. nicht ohne Ausnahmen, gegen Osten ge-
richtet. Der östliche Theil des inneren Raumes war zur Verrichtung des
eucharistischen Opfers bestimmt, und hier hatten Bischof, Presbyter und
Diakonen ihi'en Sitz — (ßf}fJ>cc, to äyiov^ ayiaa^a). Dazu wurde die Ein-
richtung der Basiliken benützt. An dem hintersten Theile derselben war
ein nach aussen gehender, halbzirkliger Vorsprung, an dessen innere]*,
erhöhter Rundung die Richterstühle der Geschworenen und Richter sicii
anlehnten. Dieselbe Einrichtung wurde in den kirchlichen Gebäuden an-
gebracht. Man öffnete den mittleren Theil der östlichen Mauer des Ge-
bäudes und brachte einen halbkreisförmigen Vorsprung an, der gewölb-
artig mit dem oberen Theile der Schlussmauer zusammenhing, trihuna
genannt wegen der Aehnlichkeit mit dem Richterlocale der heidnischen
Basiliken. Die kreisförmige Umfassungsmauer hiess absis^ die Wölbung
Camera^ concha, fornix; bisweilen hiess absis auch die Wölbung.
concha die ganze Tribüne. An der runden Hintermauer der absis waren
die Sitze für die Presbyter angebracht, zwischen diesen in der Mitte dei
erhöhte Sitz des Bischofs, mit Umhängen öfter versehen, cathedra ve-
lata. Diesem Sitze gegenüber war der Abendmahlstisch, tqaneQa leqa,
livfftixrjy mensa sacra, tremenda, der zum Altar gestempelt wurde,
indem das Opfer darauf gebracht wurde, ayiov &v(Tia(TTrjoiop. Er stand
frei, so dass man um denselben herumgehen konnte, nach Ps. 26, 6: „ich
wasche in Unschuld meine Hände und umgehe deinen Altar, Jehovah." Zur
rechten Seite des Altars war das Nebentischchen, TiaQatQanelop^ mensula^
worauf vor der Darbringung des eucharistischen Opfers die Gaben derj
Gemeinde, die Oblationen gelegt wurden ; zur linken Seite des Altars standi
der Behälter, Gxevotpvlccxiovy diaconicum bematis, worin die Geräthe
gelegt wurden, um gereinigt und eingepackt in die Sacristei, diaconicum
majus, gebracht zu werden. Nun kam zunächst ein Querschiff oder Kreuz-
schiff, entsprechend den heidnischen Basiliken, worin die Parteien und
ihre Sachwalter, sowie ein Theil des Publicums sassen, später in den
christlichen Kirchen Chor genannt. Von dem Querschiff gelangte man
einige Stufen hinuntersteigend in das Langschiff, yavg, na vis, vom Quer-
schiff durch Gitter, cancelU, xixXcdeg und Umhang getrennt; darin stand
der ambo (afißcov), suggestum lectorum, von dem aus die Bibellectionen
statt fanden. Hier war die Gemeinde versammelt; in den heidnischen Ba-
siliken w^urde in diesem Räume Handel und Verkehr getrieben, oft war
er nicht bedeckt, dagegen wurde er in den Kirchengebäuden von Anfang,
an gedeckt. In unserer Periode wurde auch die Predigt in diesem Lang-
Gottesdienst. Gebäude für den Gottesdienst. 367
schiff gehalten, d. h. aus dem Chor in das Langschiff verlegt, auf ein
suggestum neben die cancelli^ daher dieses suggestum cancellus ecdesiasticus
genannt. Die Gläubigen sassen gesondert nach Alter, kirchlichem Stande
und Geschlecht, hinter den Gläubigen die Katechumenen , nach ihnen die
Büssenden, wovon jedoch nicht alle das Schiff der Kirche betreten durften;
im Oriente sassen die Weiber auf den Emporkirchen, vneqoaa. Bis auf
Theodosius I. sassen die Kaiser im Querschiff; dieser Kaiser liess es sich
von Ambrosius in Mailand gefallen, dass sein Sitz zunächst ausserhalb des
Quer Schiffs angebracht wurde. Das Langschiff wurde durch zwei Säulen-
reihen in drei Theile getheilt; manchmal gab es zwei Säulenreihen auf
jeder Seite des Langschiffs , so dass der ganze Raum in fünf Theile zer-
fiel. — Ein dritter Haupttheil des Gebäudes war die Vorhalle, ngOraog
vttQ&rj^^ ferula, Ruthe, von seiner länglichen Gestalt so genannt, in
welchen man durch die nvXai, (oqatai (Apostelgesch. 3, 2. 10) eintrat; hier
hatten die unteren Classen der Katechumenen und der Büssenden ihren
Platz. Vor der Vorhalle war ein Vorhof, ai^qtov, avXri^ a tri um, area,
in welchem ein Wasserbecken, xQrjv^, to (fqnctq, (ptaXrj, cantharus, stand,
zur Lustration bei dem Eintritt in die Kirche. Auf dem grossen, die
Kirche umgebenden Platze, negißoXog, der öfter mit Säulengängen ver-
sehen war, befanden sich noch mehrere zur Kirche gehörige und mit ihr
verbundene Gebäude, worunter das hauptsächlichste die Taufkapelle, to
ßantiatrjQiov, war; darin stand das grosse Wasserbecken, xoXvfißrj^Qcc,
Piscina j für .die Untertauchung der Täuflinge; dazu kamen noch andere
Gebäulichkeiten von verschiedenartiger Bestimmung.
Seit dem vierten Jahrhundert begann der kirchliche Gebrauch der
Kunst, die bis dahin nur im Privatleben der Christen oder an ihren Be-
gräbnissstätten, den Katacomben Aufnahme gefunden. Die Kunst wurde
angewendet theils zur Verzierung der Kirchen und der kirchlichen Ge-
fässe , theils zum Unterrichte des unwissenden Volkes. Es waren Abbild-
jungen aus der biblischen Geschichte oder aus dem Leben und den Leiden
der Märtyrer. Im Oriente finden wir dergleichen zum ersten Male bei
Gregor von Nyssa in seiner Lobrede auf den heiligen Theodorus: ;,das
stumme Wandgemälde spricht und erbaut^ , sagt er in Bezug auf Abbild-
ungen der Leiden der Märtyrer. Derselbe spricht von einem Gemälde,
welches die Opferung Isaaks darstellte, und welches er mit vielen Thränen
betrachtet habe. Doch war diese Neigung zur Kunst noch keineswegs
herrschend geworden. Epiphanius sah in einem Dorfe in Palästina in
einer Kirche einen Vorhang, auf welchem ein Bild Christi oder eines ande-
ren Menschen abgebildet war. Darin eine Uebertretung des zweiten Ge-
botes vom Dekalog erblickend, zerriss er, als ob er eine Ahnung der
späteren abgöttischen Missbräuche gehabt hätte, denselben Vorhang und
rieth den Vorstehern jener Kirche, die Leiche eines Armen damit zu um-
wickeln. Dagegen liess Bischof Paulinus in den Kirchen zu Nola und Fondi
Gemälde aufstellen, um das zum Fest des heiligen Felix zusammenge-
strömte Volk zu beschäftigen und von Trunk und Ausschweifungen abzu-
halten. In diesen Kirchen war, wie auch sonst gewöhnlich, Christus blos
in der Gestalt eines Lammes abgebildet.
368 Zweite Periode des alten KathoUcismus.
§. 2. Gottesdienstliche Tage und Zeiten.
Indem gewisse Tage und Zeiten vor anderen dem Gottesdienste ge-
widmet wurden, drangen doch die Kirchenlehrer mit Macht darauf, dass
man sich damit nicht begnügen solle. So hebt Hieronymus, — um nur
einen Lehrer zu nennen, — hervor, dass vom rein christlichen Standpunkt*
aus alle Tage einander gleich seien; jeder Tag sei für den Christen ein
Freitag, d. h. ein durch das Andenken an den gekreuzigten Christus ge-
weihter Tag, jeder ein Sonntag; denn an jedem Tage könne er in der
Communion die Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus feiern. —
Der ursprüngliche Hauptgedanke aller gottesdienstlichen Feier war die
Verherrlichung des Herrn, zunächst in der Woche an den dies stationum,
Mittwoch und Freitag, als dem Andenken des Leidens Christi gewidmet,
und am Sonntage, als Feier der Auferstehung des Herrn. Der Mittwoch
fiel in unserer Periode meistens weg ^) , weniger der Freitag , der in eini-
gen Kirchen noch durch die Communion ausgezeichnet wurde, sowie durch
Unterlassen von Gerichtsverhandlungen. Der Sonntag wurde gefeiert durch
Unterlassen der Arbeit, der öffentlichen Acte, der Militär Übungen , auf
Grund von Gesetzen, die Constantin gegeben hatte und die Theodosius L
bestätigte. So wie in jeder Woche des Herrn Leiden und Tod einestheils
und seine Auferstehung andererseits gefeiert wurden, so beherrschte der-
selbe Gedanke den jährlichen Festcyklus; dieser wurde noch erweitert. Er
nimmt den Herrn schon in der Wiege, ja schon bei der Empfängniss, und
führt sein Leben bis zur Himmelfahrt fort. Darauf folgt die in der ersten
Periode schon vorhandene Feier der Ausgiessung des Geistes ; daran reihte
sich schon in der ersten Periode die Feier der ersten Früchte des Geistes,
Märtyrerfeste, die in unserer Periode sich mehrten. Stephanus, die Apo-
stel Petrus, Paulus, Johannes, die unschuldigen Kindlein, Johannes der
Täufer, die Makkabäer erhielten ihre Gedenktage. Es kam sogar ein
Marienfest hinzu. Doch fällt die Feier des Advents nicht mehr in diese
Periode. Die Idee des Kirchenjahres ist also noch nicht vollständig durch-
geführt. Von den Nestorianern ging der Gebrauch aus, den Anfang des
kirchlichen Jahres in die Adventszeit zu setzen, und das war vielleicht
mit die Ursache, warum dieser Gebrauch erst später in der katholischen
Kirche durchdrang. In unserer Periode begann das Kirchenjahr mit dem
Ostermonat, mit Rücksicht auf den analogen Beginn des jüdischen Kirchen-
jahres mit dem Monat Nisan und im Hinblick auf das Wiedererwachen der
Natur im Frühling.
Das wichtigste und glänzendste Fest war das Pas sahfest mit dem
dazu gehörigen Festcyklus. Die Verschiedenheit der Occidentalen und der
Asiaten in Bestimmung der Zeit desselben war der zweite Hauptgegen-
stand, der das Concil von Nicäa beschäftigte. Diese Versammlung sprach
sich zu Gunsten derjenigen aus, welche, von der jüdischen Bestimmung
1) In Korn trat noch im vierten Jahrhundert der Sonnabend als Fasttag völlig an
die Stelle des Mittwoch.
Gottesdienstliche Tage nnd Zeiten. ^69
abweichend nicht auf den vierzehnten Nisan, sondern auf den Freitag der
Passahwoche setzten i) , so dass also an diesem Freitag der Tod Jesu und
am darauf folgenden Sonntage die Auferstehung gefeiert wurde. Welche
diesem Beschlüsse sich nicht unterwerfen wollten, wurden excommunicirt,
als tecrffagegdexaTitai, guartodecimani^). Aber damit waren alle Differen-
zen in Berechnung des Passah nicht beseitigt. Um dem Schwanken in den
Berechnungen ein Ende zu machen, wurde von der nicänischen Synode dem
Bischof von Alexandrien, wo man am ehesten die dazu nöthigen Kennt-
nisse voraussetzen konnte, der Auftrag gegeben, alle Jahre den Tag zu
bestimmen, an welchem das Passah gefeiert werden sollte (Leo M. ep. 94). Im
Morgenlande folgte man den alexandrinischen Bestimmungen, aber nicht
durchgängig im Abendlande, hauptsächlich nicht in Rom, so dass, wie Leo
(1. c.) berichtet, das Passah in verschiedenen Kirchen an verschiedenen Ta-
gen gefeiert wurde. Die Römer hielten fest an ihren unsicheren Berechnungs-
principien. Die bei diesem Anlasse entstandenen Streitigkeiten gaben Anlass
zu Versuchen, die Differenz zu beseitigen; doch das geschah auf entschei-
dende Weise erst in der folgenden Periode durch Dionysius exiguus. —
Nach dem Concil von Nicäa wurde hauptsächlich das Auferstehungsfest
Passah genannt, oder man unterschied das Kreuzigungspassah {naG^a
(TtavQcotXifjiov) , welches vom Palmensonntag bis zum Ostertage dauerte,
und das Auferstehungspassah {naaxa avatTtacTifiov)., die ganze Osterwoche
hiess Pascha dominicae passionis et resurr ectionis.
Dem Passah ging ein vorbereitendes Fasten voran, dessen Dauer,
anfangs sehr kurz, sich immer mehr ausdehnte, bis zu drei, sechs, sogar
sieben Wochen; davon ist der Ausdruck tetrcaQaxoffTfi^ quadragesima her-
genommen. Auch in Beziehung auf die Dauer des Fastens an jedem Tage
und auf die Gattung der Speisen, deren man sich enthielt, fanden Verschie-
denheiten statt. Während der Fastenzeit wurden keine oder nur sehr wenig
lärmende Feste gefeiert. Der Palmensonntag, geweiht dem Andenken an den
Eintritt des Herrn in Jerusalem vor seinem Leiden war der letzte Sonn-
tag der Fastenzeit. Mit diesem Tage begann die grosse Woche, die
den Beschluss der Fastenzeit machte (ißdofjiag ueyaXri). Es wurden die
um geringerer Ursachen willen Gefangenen losgelassen, alle Tage fanden
am Morgen und am Abend Gottesdienste statt; es wurde streng gefastet,
viele Almosen wurden gegeben, Werke der Barmherzigkeit verrichtet, die
Staatsgeschäfte unterbrochen. Ausgezeichnete Tage in dieser Woche wa-
ren ausser dem Palmensonntag der Chardonnerstag (fieyaXrj nsfiTCTtj,
feria quinta), geweiht dem Andenken an die Einsetzung des Abend-
mahles: gefeiert durch allgemeine Communion; der Charfreitag, zum
Andenken an Jesu Leiden und Tod, zugleich Buss- und Fasttag, naga-
(Txsvrj genannt, als Vorbereitungstag auf den Sabbath, auch Passah ge-
nannt, gemäss dem ursprünglichen Sinne des Wortes. In Antiochien feierte
1) Ein Kanon hierüber ist nicht vorhanden; sondern die Bestimmnng darüber gibt
ein Schreiben der Synode an die Kirche von Alexandrien bei Sokrates 1, 9.
2) Vom Concil von Laodicea als atgfffis twv TffJCaQegdsxaTiTai bezeichnet, vgl.
Epiphanias haeresis 50, L
Herzog, Kirchengeschichte L 24
370 Zweite Periode des alten Katholicismus.
man an diesem Tage den Gottesdienst auf den Gräbern. Daran schloss
sich der grosse Sabbath, fieya aaßßatov^ an welchem die Katechume-
nen getauft wurden und weisse Kleider anzogen. Abends wurden die
Städte erleuchtet. Die Kirchen waren auch die Nacht über angefüllt, und
unter Gesang, Gebet, Schriftlesen und Predigt wurde die Morgenröthe des
Ostertages erwartet {navvvxideq^ vigiliae paschales). Bei dem Aufgang der
Sonne begrüsste man sich mit den Worten: Christus ist auferstanden.
Besonders dieser Tag wurde ausgezeichnet durch Werke der Wohlthätig-
keit und Liebe. Die Feier der Auferstehung zog sich durch die ganze»,
Woche hindurch, so dass auch die Staatsgeschäfte noch still standen. Am
Sonntage nach Ostern erschienen die an der Ostervigilie Getauften zum
letzten Male mit ihren weissen Kleidern angethan in der Kirche {dominica
in albis, xvQiaxrj ev Xevxoiq^ xaiPfj xvgiaxii^ dies novorum, octava infantium,
dies neophi/tornm^ quasimodogeniti nach 1 Petr. 2, 2). Der Bischof ermahnte
sie, ihrem Taufgelübde treu zu bleiben und sie vereinigten sich mit der
übrigen Gemeinde. Die ganze Zeit zwischen Ostern und Pfingsten hiess
Tf'vtrixofTtri, so wie dieser Tag selbst; diese fünfzig Tage wurden ausge-
zeichnet durch Enthaltung von Fasten an den dies stationum und durch
stehend verrichtetes Gebet. Am vierzigsten Tage dieser Pfingstzeit wurde
seit dem vierten Jahrhundert die Himmelfahrt Christi gefeiert. Acht Tage
nach Pfingsten war das Fest aller Märtyrer, welches erst im neunten
Jahrhundert durch das Fest der Dreieinigkeit ersetzt wurde.
Noch sind einige auf eine frühere Zeit des Jahres fallende Feste zu
erwähnen. Die Ausschweifungen, die bei dem Jahreswechsel statt fanden,
bewogen die Kirchenvorsteher, den ersten Januar als Buss-, Bet- und
Fasttag gottesdienstlich zu feiern. Im lateinischen Abendlande wurde im
Gegensatze gegen die heidnischen Januarfeste sogar eine dreitägige Buss-
und Fastenzeit angeordnet. Später wurde der erste Januar als Fest der
Beschneidung in den kirchlichen Festkreis aufgenommen und mit der
auf den fünfundzwanzigsten December fallenden Feier der Weihnachten in
Verbindung gebracht. Dieser fünfundzwanzigste December wurde, nach
römischer aber willkürlicher Berechnung, als Geburtstag Christi, als nataUs \
Christi im Gegensatz zu dem natalis solis invicti, zuerst in der lateinischen *
Kirche, darauf auch in der griechischen Kirche, aber, nach Chrysostomus,
erst seit dem Jahre 376 gefeiert. Das Epiphanienfest war älter, Fest
der Erscheinung, Offenbarung Christi (2 Tim. 2, 10. Titus 2, 11), es er-
öffnete bis auf Chrysostomus den Festcyklus der griechischen Kirche. Es
war zunächst Fest der Taufe Christi, indem man, wie Chrysostomus sagt,
davon ausging, dass Christus nicht bei seiner Geburt, sondern erst bei
seiner Taufe den Menschen offenbar geworden sei. Ein eigenes Geburts-
fest Christi gab es damals in der griechischen Kirche noch nicht, sondern
die Geburt Christi wurde als das praecedens und untergeordnete am Epipha-
nienfeste, welches auf den sechsten Januar fiel, mitgefeiert. Mit der Feier
der Taufe Christi verband sich die Feier der Taufe der Chi'isten, insofern
man annahm, dass Christus durch seine Taufe dem Wasser die Eigenschaft
mitgetheilt habe, ein Bad der Wiedergeburt zu werden, daher das Fest
auch den Namen ta (paata, ^fieqa tcov ^lotcoy erhielt. Die erste Spur
GottesdienstUclie Tage und Zeiten. 371
der Epiphanie findet sich im lateinischen Ahendlande im Jahre 360, in
welchem Jahre der nachmalige Kaiser Julian in Vienne an der Feier des
Festes Theil nahm. Weil es nicht zur Tradition der lateinischen Kirche
gehörte, konnte seine Bedeutung um so leichter sich ändern. Schon zu
Augustinus Zeit war es Fest der Offenbarung Christi für die Heiden, und
als Substrat diente die Anbetung der Weisen aus dem Morgenlande ; daher
der spätere Name Dreikönigsfest; noch andere Gesichtspunkte wurden
mit dem Feste verbunden. — Merkwürdigerweise waren die Schüler des
Basilides die ersten gewesen, die das Fest gefeiert hatten. Noch muss
bemerkt werden, dass an der Epiphanie die von der alexandrinischen Kirche
berechnete Zeit der Osterfeier des jedesmaligen Jahres verkündigt wurde.
Die Kirchenlehrer beeiferten sich, durch ihre Predigten allen diesen
Festen eine auf Besserung des Lebens und innerliche Erneuerung bezüg-
liche Bedeutung und Anregung zu geben. Sie protestirten kräftig gegen
den religiösen Formalismus, der sich vielfach daran knüpfte. Sie eiferten
gegen diejenigen, welche für die erzwungenen Entbehrungen, welche ihnen
durch die Fasten auferlegt wurden, sich durch Schwelgerei in den voraus-
gehenden Tagen im Voraus zu entschädigen suchten (so Chrysostomus), ebenso
rügten sie kräftig diejenigen, welche aus den Speisen, die ihnen während
der Fasten erlaubt waren, desto auserlesenere Leckereien sich zu bereiten
wussten (so Augustin) i). Sie widersetzten sich auch den Missbräuchen,
wozu die Feste zu Ehren der Märtyrer Anlass gaben. Es wurden nämlich
nach der heidnischen Sitte der Opfermahlzeiten mit jenen Festen Gast-
mähler verbunden. Ein Concil von Hippo zur Zeit Augustin's bestimmte,
dass die Laien, soviel wie möglich (quantum fieri potest)^ davon abgehalten
werden sollten. Die Synoden erklärten sich auch gegen die Missbräuche, welche
mit der Feier des Festes zu Ehren Johannis des Täufers verbunden waren,
sei es, dass in den Strassen der Stadt grosse Feuer angezündet wurden,
über welche die Leute sprangen, um Unglück abzuwenden, — wahrschein-
lich nach dem heidnischen Vorgange der Hirtenfeste, — sei es, dass am
Tage des Täufers die Leute sich in das Wasser tauchten.
Je mehr die MärtjTer in die Vergangenheit rückten, desto höher stieg
ihre Verehrung. Gross und heilsam ist die Macht geschichtlicher Erinner-
ungen und die Kirche hatte vollkommen Recht, die herrlichen, religiös-
sittlich so tief anregenden und stärkenden Erinnerungen, die sie besass,
zu pflegen. Für das Volk nun ersetzte der Märtyrercultus den Heroendienst
des antiken Heidenthums. Die Kirchenlehrer gingen auf diese Vorstellung
ein, in der guten Absicht, dem im Heidenthum irre gehenden religiösen
Bedürfniss auf christlichem Boden Befriedigung zu gewähren. So führt
Euseb von Cäsarea (demonstr. ev. 13, 11) ein Wort Plato's an, dass man
die in der Schlacht eines rühmlichen Todes Gefallenen als gute Geister
verehren solle; das passt, bemerkt er, zum Tode der Gottgeliebten; daher
die Sitte, sich auf ihren Gräbern zu versammeln u. s. w. Theodor et
sagt geradezu, dass der Herr seine ,,todten Angehörigen^' an die Stelle
1) Restringendae sunt deliciae, non mutandae, ein Missbrauch, der bis auf den
heutigen Tag in der katholischen Kirche verbreitet ist.
24*
372 Zweite Periode des alten Katholicisnm^,
der heidnischen Heroen gesetzt habe ; ;,anstatt der Feste des Dionysos und
Anderer werden nun die Feste des Petrus , Pauhis , Sergius und Anderer
gefeiert.** Da war unmittelbare Gefahr vorhanden, dass die Grenzlinie
zwischen Heidenthum und Christenthum überschritten würde. Dass man
im frommen Glauben, dass die Märtyrer für die Zurückgebliebenen beteten,
sich ihrer Fürbitte empfahl, wenn sie in den Tod gingen, das an sich
mochte noch hingehen, obschon Chrysostomus (zu Matth. 15, 21) darauf
dringt, dass die Gläubigen sich unmittelbar an Gott wenden. Denn der
Glaube an die Fürbitte der Märtyrer führte dazu, ihnen eine Art von Ubiquität
beizulegen, wie sie den heidnischen Dämonen war zugeschrieben worden,
besonders geschah diess von Seite der origenistischen Theologen. Hieronymut?
(in der Schrift gegen Vigilantius lib. 2) sucht der Sache eine ganz christ-
liche Wendung zu geben. ^, Willst du, so redet er diesen Gegner der Mär-
tyrerverehrung an, willst du Gott Gesetze vorschreiben? Willst du die
Apostel in Bande legen, so dass sie auf den Tag des Gerichts in Gewahr-
sam gehalten werden und nicht immerdar mit ihrem Herrn sind, vor
welchen doch geschrieben ist, dass sie dem Lamme nachfolgen, wohin es
auch sich wende? Ist das Lamm überall, so muss man auch glauben, dass
diejenigen, die mit dem Lamme sind, überall sind. Wenn der Teufel und
die Dämonen in der ganzen Welt herumschwärmen und vermöge ihrer
grossen Schnelligkeit überall gegenwärtig sind, werden die Märtyrer nach
Vergiessung ihres Blutes an der Stätte ihres Begräbnisses eingeschlossen
bleiben und sie nicht verlassen können?" So wurden denn die Märtyrer
als gegenwärtig angeredet und gepriesen als Hüter des Menschengeschlechts,
als mächtige Fürsprecher u. s. w. (Basilius). Man wählte sie, wie ehemals
die heidnischen Heroen, zu Patronen. Man fand die alte Sitte, an ihren
Gedächtnisstagen sie in die Gebete einzuschliessen , unschicklich. Sogar
Augustin meinte, es sei ein Schimpf, für sie zu beten, in deren Fürbitte
wir uns vielmehr empfehlen sollen. Daher das Opfer nicht mehr für sie
dargebracht wurde, sondern Gott gebeten, dass das Opfer kraft der Für-
bitte der Märtyrer den Darbringenden zum Heile gereiche. Kirchenlehrer!
wie Augustin und Andere suchten zwar dem Märtyrercultus seinen sittlichen
Gehalt zu bewahren: Man solle sie verehren um der Nachahmung willen,
sie aber nicht anbeten in religiöser Weise ^). Aber diese Ermahnungen
selbst bezeugen, wie sehr die abgöttische Verehrung schon um sich ge-
griffen hatte. Zeugen davon sind Prudentius c. 405, in seinem über
7i€Qi (TtBipavoav und Bischof Paulinus von Nola 1431 in seinen Briefen
und Gedichten.
Es kam der Gebrauch auf, ihnen Kirchen zu weihen, und die schon
frühere Verehrung ihrer Reliquien nahm mehr und mehr einen abergläu-
bischen Charakter an. Ursprünglich hatte die Benennung der Kirchen
nach Märtyrern nicht angedeutet, dass sie denselben geweiht wären, aber
sie wurde nach und nach so gedeutet. Sowie die Heiden zu Ehren ihrer
Heroen Tempel bauten, zum Theil auf ihren Gräbern, so nun die Christen,
oder es wurden die Reliquien der Märtyrer, die oft durch besondere Offen-
barungen entdeckt wurden, an die Stelle gebracht, wo man eine Kirche,
1) Honorandi sunt propter imitationem, non adorandi propter religionem.
Märtyrer- und Maria - CultuS. 373
baute und unter den Alter gesetzt, wohl mit Beziehung auf Apokalypse
6, 9. Die Reliquien wirkten Wunder in Menge, wovon auch Augustin (de
civitate dei 22, 7) zu erzählen weiss. Zu diesem Behufe musste die Zahl
der Reliquien bald ins Ungeheure anwachsen, mannigfaltiger Betrug
wurde dadurch veranlasst, und ein einträglicher Handel damit getrieben,
den Augustin zwar ernst rügte und Theodosius I. durch ein Gesetz zu
beseitigen suchte. Eine neue Quelle von Reliquien eröffnete sich in Folge
der Wallfahrten nach dem heiligen Lande, die seit dem vierten Jahrhundert
aufkamen. Die Kirchenlehrer suchten zwar dem groben Aberglauben, der
sich daran knüpfte, zu steuern. Hieronymus, der sehr wohl weiss, dass
es nicht lobenswerth ist, Jerusalem besucht zu haben, sondern daselbst
gut gelebt zu haben, imd dass in Jerusalem gleichmässig wie in Britannien
der Himmel offen steht, sucht dennoch die Leute nach der heiligen Stadt
zu locken, indem die Anbetung an der Stätte, wo des Herrn Füsse ge-
standen haben , ein Theil des Glaubens sei i). Gregor von Nyssa kommt
das Verdienst zu, gegen diese Wallfahrten ohne Rückhalt sich erklärt zu
haben , indem er besonders das betonte , dass es keine Art von Unreinheit
gebe, welche an den heiligen Orten nicht verübt werde. — Seit dem
Ende des vierten Jahrhunderts entstand auch die Sage, dass die Kaiserin
Helena, Mutter Constantin's, bei ihrem Besuche in Jerusalem das Kreuz
Christi wieder aufgefunden habe 2). Die Partikeln desselben galten als
Wunder wirkend, und es entstand der Glaube, dass das Kreuz vermöge
einer inwohnenden Kraft sich immerfort erneuere.
Vom Cultus der Maria findet sich in der ersten Periode keine Spur,
sondern nur die harmlose Vorstellung, dass Maria als Werkzeug der
Menschwerdung Christi die mittelbare Ursache der Segnungen sei, welche
sich an seine Erscheinung knüpfen. Sie galt als Antitypus der Eva; wäh-
rend diese der Schlange glaubte und dadurch Urheberin der Sünde, des
Fluches und des Todes wurde, so glaubte Maria der Botschaft des Engels
und wurde dadurch Werkzeug des Heils und des Lebens. Irenäus nennt
sie , einen Schritt weiter gehend , advocata vlrginis Evae , zwar nur in dem
Sinne, dass sie durch ihren Gehorsam gegen die Botschaft des Engels die
Folgen von Eva's Ungehorsam gut gemacht habe, allein die spätere Zeit
nahm die Benennung advocata als Fürbitterin. Als zweites Moment für
die Entstehung des Marienculfus ist die grosse Werthschätzung des aske-
tischen Lebens und der Virgiuität, welche durch das Mönchthum im vier-
ten Jahrhundert solch einen mächtigen Antrieb erhielt, anzusehen. Es
kam daher die Meinung auf, dass Maria nach der Geburt Jesu mit Joseph
keinen ehelichen Umgang gepflogen und ihm keine Kinder geboren habe.
Die entgegengesetzte Ansicht der Antidikomarianiten, des Helvidius
und des Bonosus, Bischofs von Sardica, wurde als häretisch verworfen
von Epiphanius (haer. 78), und von Hieronymus (adv. Helvid.). Einen
1) Augustin 1. c. berichtet von einem Wunder, welches durch Erdstaub vom Grabe
des Herrn in Jerusalem gewirkt worden.
2) Euseb de vita Const. 3, 41 berichtet weitläufig über die Reise der Kaiserin nach
dem gelobten Lande und über ihre kirchlichen Bauten bei Bethlehem und auf dem Oel-
berge, sagt aber kein Wort davon, dass sie das Kreuz Christi aufgefunden habe.
374 Zweite Periode des alten Katholicismns.
bedeutenden Schritt weiter zu gehen, wurden die Kirchenlehrer veranlasst
durch die Polemik gegen Jovinian, der lehrte, dass mit der Geburt Jesu
die Jungfräulichkeit seiner Mutter aufgehört habe. Die Kirchenlehrer
stellten dagegen den Satz auf, dass Maria sowohl in als auch nach der
Geburt physisch Jungfrau geblieben sei, d. h., dass sie clauso utero gebo-
ren habe, — freilich durch ein Wunder, wozu als Analogon der Eingang
des Auferstandenen zu seinen Jüngern durch verschlossene Thüren gerne
benützt wurde. So Ambrosius und Pelagius. Die apokryphischen Evan-
gelien, besonders das Protevangelium Jacobi, das dem vierten Jahrhundert,
angehört, wurden benützt, um die Geschichte der Maria auszuschmücken.
Bei alledem sprachen die Kirchenlehrer dieser Periode gleichwie die der
fi'üheren offen von den Fehlern der Maria. Chi'ysostomus zu Matth. 12^ 48 ö'.
findet in diesen Worten der Rüge die gerechte Strafe für die Eitelkeit,
womit sie vor dem Volke ihre mütterliche Autorität habe zeigen wollen.
Aber schon in Schriften des fünften Jahi'hunderts wird der Beweis zu
führen gesucht, dass Christus seine Mutter niemals getadelt habe; ja man
verstieg sich schon zu der Behauptung, Maria habe durch ihi'e Tugenden
alle Weiber übertroff'en. Doch Epiphanius, so sehr er sonst für die ver-
meintliche Ehre der Maria eifert, protestirt noch auf das entschiedenste
gegen ihre Anbetung, die allein dem Herrn gebühi'e. Er stritt gegen eine
Partei schwärmerischer Weiber in Ai'abien, die er Collyridiane rinnen
nennt (haeresis 79); sie betrachteten sich als Priesterinnen der Maria und
fuhren an einem ihr gewidmeten Tage geweihte Brodkuchen auf Wagen in
feierlicher Procession herum; diese wurden der Maria als Opfer darge-
bracht und darauf in gemeinsamer Mahlzeit verzehrt. Epiphanius, der
darüber entrüstet war, erklärte, dass Maria keine Göttin sei; in der That
scheint das Ganze den Gebräuchen bei dem heidnischen Erntefest zu Ehi'en
der Ceres nachgebildet zu sein. Doch die Opposition in dieser Beziehung,
sowie in anderer, konnte dem Uebel nicht gründlich abhelfen, da man die
Wurzel des Uebels nicht abschnitt. Je mehr es aufkam, dass man die
Maria Mutter Gottes {d^eotoxog) nannte , seitdem sogar Gregor von Naziauz
Jeden füi- gottlos erklärte, der die Gültigkeit des Ausdrucks zu bestreiten
wage, nahm der Mariencultus einen gewaltigen Aufechwung; denn, wie
richtig bemerkt worden, war derselbe in jenem Ausdi'ucke wie im Keime
enthalten. Der nestorianischen Streitigkeit lag nicht blos ein christologisches,
sondern auch ein marianisches Interesse zu Grunde ; als dieses letztere durch
die Sanctionirung des ^eotoxog hinlänglich gewahrt schien, Hess man sich
in Chalcedon Bestimmungen getallen, welche wesentlich mit denjenigen der
autiochenischeu Schule übereinstimmten. Man sprach von der Mutter des
Herrn in den überschwänglichsten Ausdrücken. Proclus und Cyrill, beide
Gegner von Nestorius , jener auch sein Nachfolger in Constantinopel, wett-
eiferten in ihren Predigten miteinander in den schwülstigsten Lobeser-
hebungen der Mutter Gottes. — Ihre Verehrung verschmolz sich fortan
mit dem Märtyi'ercultus ; sie wurde an die Spitze des Chores der Heiligen
gestellt 1), die Gebete wurden nun an sie gerichtet, Kirchen zu ihrer Ehre
1) Denn es war durch Aufnahme der Frommen des Alten und Neuen Bundes, auch
angesehener Mönche der Märtyrerkreis zum Heüigenchor erweitert worden.
Der öffentliche, sonntägliche Gottesdienst. 375
erbaut. Doch ist es nicht ganz sicher, dass schon ein eigenes Fest ihr zu
Ehren ist gestiftet worden i); aber der Boden dafür war vorbereitet.
3) Der Gottesdienst selbst. Der öffentliche, sonntägliche
Gottesdienst insbesondere.
In der ersten Periode haben wir zwei Theile des gewöhnüchen Gottes-
dienstes wahrgenommen; diese Eintheilung wurde noch befestigt im Zusam-
menhang mit dem Verfahren der Kirche gegen die Katechumenen und die
Excommuniciiten und durch bestimmte Benennungen unterschieden. Zum
ersten Theile gehörte Gesang, Vorlesung aus der Schrift, Predigt, Gebet,
zum zweiten das allgemeine Kirchengebet und die Abendmahlsfeier. Der
nicht vor dem vierten Jahrhundert vorkommende Ausdruck 2) missa (Messe),
ist am wahrscheinlichsten gleich bedeutend mit missio und dieser Ausdruck
gleich ditnissio zu verstehen und wurde gebraucht von der am Ende des
ersten Abschnittes vollzogenen Entlassung der Katechumenen; daher der
Ausdruck missa catechumenorum; davon unterschied man den zweiten
Theil als missa fidelium. Aehnüche Formeln der Entlassung gab es bei
Volksversammlungen und bei der Feier der heidnischen Mysterien. Auf die
Unterscheidung jener beiden Theile wurde um so eifriger gehalten, je mehr
die Arcandiscipüu aufblühte, besonders im vierten Jahrhundert; daher in
den Liturgieen und Predigten dieser Zeit öfter von den Eingeweihten, von
der Einweihung die Rede ist ^j. Mit der Ueberwindung des Heidenthums
und der allgemeinen Einführung der lündertaufe hörte die Arcandisciphn
und die Entlassung eines Theiles der Anwesenden vor der Feier des Abend-
mahles von selbst auf. Ambrosius in der Epistel an seine Schwester Mar-
cellina benannte die missa fidelium in vorzüglichem Sinne als missa; bis
zuletzt das eucharistische Opfer mit den dazu gehörigen Gebeten Messe ge-
nannt wurde. In der griechischen Kirche wurde der Ausdruck Liturgie
{XaixovqY^fx, t(av xazTjxovfi€vo)y, %(üv niattüv) gebräuchlich für die Bezeich-
nung des Gottesdienstes, nach dem Vorgange von Apostelgesch. 13, 2. In
der LXX wird das Wort Liturgie gebraucht vom Opferdienste der Priester
Exod. 28, 31. Numeri 4, 38. Dass es deswegen in der angeführten Stelle
der Apostelgeschichte nicht auch Opferdienst bedeute, versteht sich von
selbst. Gebraucht doch Paulus Rom. 15, 27 denselben Ausdruck in allge-
meinerer Bedeutung.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen wohnen wir dem sonntäghchen
Gottesdienste bei. Die Gläubigen wurden zur Kirche gerufen nicht durch die
erst im siebenten Jahrhundert in der lateinischen Kirche aufkommenden Glocken,
sondern durch einen an eine Platte von Eisenblech anschlagenden Hammer
.1) Die Lobrede auf Maria von Proclus, worauf Augustin sich beruft, enthält keine
bestimmte Andeutung davon, dass schon ein Marienfest bestand.
2) Bellarmin Tom. 3 p. 410 führt dafür keine älteren Zeugen auf, als solche, die
dem vierten Jahrhundert angehören.
3) laactv oi' ^i^vrjfiivoiy oi Gv^^varm im Gegensatz zu den afxvtixoi, sodann
uvri^ivitqy .uvrjGti. Augustin hat als Ausdruck der Arcandisciplin : norunt fideles.
376 Zweite Periode des alten Katholicismus.
(in Klöstern durch Posaunen). Auf dem Vorhofe wuschen sich die Eintre-
tenden nach antikem Vorgange am Waschbecken, x^i/v»/, die Hände und
machten bei dem Eintreten in die Kirche das Zeichen des Kreuzes an der
Stirne. Die Geistlichen versammelteif sich auch an den ihnen angewiesenen
Plätzen, alle bekleidet mit dem weissen Linnengewand {vestis alba, (tti-
xaqiov). Der Bischof, die Presbyter und Diakonen trugen darüber die
(TToXa, das coQaQioy; der Bischof und die Presbyter darüber den weiten
ganz geschlossenen Mantel ((fadoprig, planeta, casula\ wobei bereits seit
dem Anfange der Periode ein gewisser Prunk an den Tag gelegt wurde, um
den Eindruck der gottesdienstlichen Feier zu erhöhen ^).
Der Gottesdienst begann mit dem Gesang, wie schon zu Trajan's Zeit.
Der Gesang, der zunächst recitativ gewesen, wui'de in unserer Periode mehr
ausgebildet. Chrysostomus beklagt sich bereits über theatralischen Ausdruck
desselben , Hieronymus tadelte es , dass heidnische Melodieen christlichen
Gesängen untergelegt wurden. Es wurden eigene Sänger (ipaXtat) dazu
bestellt, gewöhnlich aus den jüngeren Geistlichen genommen, wobei aber
doch die Theilnahme der Gemeinde nicht ausgeschlossen war. Im Oriente
wurde um die Mitte des vierten Jahrhunderts durch die Mönche der Wech-
selgesang, Antiphonen, erfunden, von Basilius und Chrysostomus em-
pfohlen, bald auch im Abendlande durch Ambrosius eingeführt. Es wurden
zunächst Psalmen und Hjmnen gesungen. Ehe die Antiphonen eingeführt
wurden, sang ein Sänger den Psalm vor, und die ganze Gemeinde fiel ein,
die Schlusszeilen wiederholend. Die Psalmen wurden hauptsächlich, doch
nicht ausschliesshch in der missa catechumenorum gebraucht; man wählte
für bestimmte Feste einzelne Psalmen aus (z. B. für den Todestag Jesu den
22. Psalm), so auch für den Morgen- und den Abendgottesdienst. Das
tQigayiov aus Jesaias 6,3, im vierten Jahrhundert etwas erweitert (Const.
apost. 8, 12) kam in der missa fidelium vor. In der missa catechumenorum
wurde nach dem Psalmengesang die kleine Doxologie Apokal. 1, 6 gesungen,
die kleine genannt, im Unterschiede von der grösseren Lucas 2, 14. Frühe
hatten die Christen angefangen, eigene Lieder für den gottesdienstlichen
Gebrauch zu verfassen. Im Occidente gab es im vierten Jahrhundert be-
deutende Liederdichter, Hilarius von Poitiers, Ambrosius von Mailand.
Von den dreissig Hymnen, die diesem zugeschrieben werden, sind aber nur
zwölf imzweifelhaft acht 2) ; dazu kommen einige Lieder von unbekannten
Verfassern. Das besondere Merkmal dieser Hymnendichtung, die gewöhnlich
die römische oder ambrosianische genannt wird, ist, wie Koch bemerkt 5),
Schmucklosigkeit, Einfalt und Wahrheit, verbunden mit gewaltiger Kraft
und acht römischer Objectivität.
Auf» den Gesang folgte das Lesen der Schrift, zunächst des Alten
1) Im gewöhnlichen Leben trugen die Geistlichen ein schwarzes Gewand. Sisinnius,
novatianischer Bischof, der dnrch sein weisses Gewand Aufsehen erregte, fragte, wo ge-
schrieben stehe, dass der Bischof schwarz gekleidet sein müsse.
2) Im zweiten Bande der opera des Ambrosius nach der Benedictinerausgabe. Te
Deum laudamus hat Ambrosius aus dem Griechischen tibersetzt.
3) S. den Artikel Ambrosius in der Realencyklopädie.
Der öffentliche, sonntägliche Gottesdienst. 377
Testamentes, sodann auch des Neuen Testamentes. Es wurde bald verbo-
ten , die Schriften alter Kirchenlehrer zu lesen , höchstens machte man
noch mit den Leidensgeschichten der Märtyrer eine Ausnahme. Man regelte
für die Jahresfeste und deren Yorbereitungszeiten allmählich die Auswahl der
zu lesenden Stücke, verschieden in den verschiedenen Kirchen. In der an-
tiochenischen Gemeinde las man noch vor Pfingsten die Apostelgeschichte ; in
der Fastenzeit, in Antiochien, sowie in Constantinopel die Genesis, in Mai-
land Hiob und Jonas. Für die Festlectionen hatte sich schon in dieser Pe-
riode eine feste kirchUche Regel gebildet. Für die übrigen Tage scheint die
Wahl noch dem Bischöfe überlassen gewesen zu sein. — Der Lector begann
die Function mit dem Segenswunsche: Friede sei mit Euch, worauf die Ge-
meinde antwortete: und mit deinem Geiste. Der Diakon ermahnte zur Auf-
merksamkeit, öfter laut rufend: ^^lasset uns aufmerken" {nqoqexmiiev). Bei
der Vorlesung des evangeüschen Abschnittes wurden im Morgenlande Lichter
angezündet, und zwischen den einzelnen biblischen Lectionen Psalmen ge-
sungen.
Auf das Vorlesen der Schrift folgte, eingeleitet mit demselben Se-
genswunsche wie das Vorlesen der heiligen Scluift, die Predigt, von dem Sitze
des Bischofs, wenn dieser predigte, ausserdem von dem Altare oder auch vom
Ambo aus gehalten; diess wurde von Chrysostomus beobachtet. Es gab sehr
mannigfaltige Arten von Predigten oder Ansprachen, — über den vorgelesenen
Abschnitt der Schrift, über ganze Bücher, die in serie beh^delt wurden, so
von Origenes, von Chrysostomus ; auch Reden ohne eigentlichen Text, Festreden,
Reden bei der Einweihung einer neuen Kirche, oder eines Bischofs in sein
Amt, Reden am Geburts- oder Ordinationstage, — Reden bei Hungersnoth
und Dürre, nach einem Erdbeben, bei dem speciellen Anlasse des Sturzes
des Eutropius von Chrysostonms ; von demselben Reden, die sich auf seine
Verbannung beziehen , sodann Gedächtnissreden , auf Theodosius I. , die kai-
serliche Prinzessin Pulcheria u. s. w. Die Reden der Griechen sind länger
als die der Lateiner schon zu des Origenes Zeiten. Die Reden wurden theils
niedergeschrieben und memorirt, theils nach ausgearbeitetem Plane frei
gehalten, theils ganz improvisiit. Einige Predigten ausgezeichneter Kanzel-
redner wurden in der Kirche nachgeschrieben, einige beklatscht; es gab
Prediger, die daran grosses Gefallen fanden. Augustin erntete auch, ohne
es darauf anzulegen, diese stünnischen Beifallsbezeugungen: ,,Ihr habt, sagte
er bei einem solchem Anlasse, den Samen des Wortes empfangen und mir
datür Worte gegeben ^). Euer Lob ist mir beschwerhch und gefährlich, wü*
tragen es mit Zittern." Wenn ein berühmter Prediger predigte, sah man
das auffallende Schauspiel, dass, so wie die Rede zu Ende war, die über-
füllte Kirche sich alsobald leerte. Chrysostomus * fand es einst angemessen,
seinem Auditorium zuzurufen: „ihr seid hier nicht im Theater, ihr sitzt hier
nicht, um Komödianten zu sehen." — Zum Predigen berechtigt waren in
der früheren Periode Bischöfe, Presbyter und Diakonen gewesen. Je mehr
(üe Macht des Bischofs sich hob, desto mehr kamen die Presbyter in Ab-
hängigkeit von demselben auch in Hinsicht des Predigens; die Presbyter
1) Semen accepistis, verba reddidistia.
378 Zweite Periode des alten Katholicismus.
predigten als Delegirte des Bischofs. Es lag aber in der Natur der Sache,
dass die Presbyter viel predigten; die Vermelirung der Gläubigen brachte
das mit sich; auch Diakonen predigten wie in alter Zeit. In der lateinischen
Kirche wurde das Predigen bei weitem nicht so fleissig geübt, wie im grie-
chischen Morgenlande. Die theologischen Streitigkeiten brachten es mit sich,
dass der Inhalt vieler Predigten ein dogmatischer war ; doch kann man nicht
sagen, dass die Sittenpredigten fehlten. Es war übrigens die Zeit der höchsten
Blüthe der geistlichen Beredtsamkeit; es genügt in der griechischen Kirche
Gregor von Nyssa, Basilius, Gregor von Nazianz, Chrysostomus, in der latei-
nischen Kirche Ambrosius, Hilarius von Poitiers, Augustin, Leo I. zu nennen.
Es darf nicht verschwiegen werden , dass auch die Meister der geistUchen
Beredtsamkeit nicht immer falsche Rhetorik vermieden, viel weniger Prediger
geringeren Banges. Augustin betiiss sich einer schmucklosen Dictiou, die sehr
an das punische Latein erinnerte; er wolle lieber, sagte er, die Vorwürfe
der Grammatiker sich zuziehen als die Vorwürfe der Gemeinde, dass er un-
verständhch predige.
An die Predigt schloss sich unmittelbar ein Gebet ani). Darauf wur-
den die verschiedenen Classen derjenigen, welche nicht am ferneren Gottes-
dienste Theil nehmen durften, die erste Classe der Katechumeneu, die Ener-
gmuenen und die Poenitenten unter Gebet und Segenswunsch entlassen. Das
Volk tiel ein mit den Worten: Herr, erbarme dich [xvqu ileriaov). Damit
war der erste Theil des Gottesdienstes beendet, und es begann nun der
zweite Theil.
Der Diakon ruft: ;,lasset uns aufmerken^ {nqoqex(*ii^^y)'> der Bischof:
;,der Friede Gottes sei mit euch allen,** das Volk : ^^und mit deinem Geiste.^
Der Diakon sagt zu allen : Küsset euch mit dem heiligen Kusse, die Kleiiker
sollen den Bischof küssen, die Männer unter den Laien sich untereinander,
ebenso die Weiber 2). Die Mysterienform 3) wii'd dabei streng beobachtet
durch den Zuruf des einen Diakon : es sei hier kein Katechumene , keiner
der Ungläubigen, kein Heterodoxer : Dazu kommen noch sittUche Ermahnungen !
keiner der etwas gegen den andern habe, keiner in heuchlerischer Gesinnung.
Die Gebete werden theils knieeud, theils aufrechtstehend verrichtet. Darauf
bringen die Diakone die Gaben der Gläubigen zum Altar, wo der Bischof,
der das Prachtgewand, die Casel {^.aiinqav ea^TjTa) angezogen, sie in Em-
pfang nimmt und das Zeichen des Kreuzes darüber macht. Nach dem wie-
derholten Segenswunsch ruft der Bischof: ^ habet droben den Sinn (die
Merzen)"*, arco xov vovv {tag xagdiag). Bei Chrysostomus ist beides verbunden:
ava(rxM(Ji>€r ruAcoy tov vovv xai tag xaqdiag ; — die Gemeinde antwortet :
1) Chrysostomus: fura rrjy naQaiytCty tv&6(og «t;/?y.
2) Also vor der Communion. In der lateinischen Kirche geschieht diess nach der
Consecration.
3) Wie denn überhaupt diese Mysterienform als disciplina arcani öfter sich zeigt j
es wird dafür gebetet, dass die Katechumenen der Einweihung {fxvtjciq) würdig werden;
es werden die a^vr^iot vom zweiten Theile des Gottesdienstes ausgeschlossen u. A. dgl.
Es wird bestimmt gesagt, dass keiner der ungeweihten {afxvfjitay) die Elemente gemessen
soll. Wenn er ungeweiht sich verbergend sie geniesst, so isst er ein ewiges Gericht.
Der öffentliche, sonntägliche Gottesdienst. 379
wir haben sie bei dem Herrn (exo^isp icqog tov xvqiov). Der Bischof: las-
set uns danken dem Herrn. Alle rufen: das ist so geziemend und gerecht
{tthov xat dtxaiov). Nun fällt der Bischof wieder ein mit der Formel:
^wahrhaftig geziemend und gerecht ist es" , und nun folgt ein neues Gebet,
worin Gott der Schöpfer und Erhalter der Welt , Gott der Schöpfer der
Menschen gepriesen wird, ebenso werden die Hauptthatsachen der bibhschen Ge-
schichte angeführt und dafür wii-d Gott gedankt, sowie für die Sendung
seines Sohnes, wobei die Umstände seiner Passion erwähnt werden. Es folgt
die Einsetzung des Abendmahles. Die Einsetzungsworte sind etwas verändert ^)
„Wii- bringen dii-, dem Könige und Gotte, gemäss der Verordnung Christi
dieses Brod und diesen Kelch dar, dir dankend durch ihn, dass du uns ge-
würdigt hast, vor dii' zu erscheinen und heihgen Dienst zu verrichten, und
wir bitten dich, dass du gütig auf diese vorhegenden Gaben (Saga) herab-
sehen und daran Gefallen haben mögest zur Ehre deines Gesalbten und
dass du deinen heiligen Geist auf dieses Opfer herabsenden mögest, den
Zeugen der Leiden des Herrn Jesu, auf dass er dieses Brod als Leib deines
Gesalbten und diesen Kelch als Blut deines Gesalbten an das Licht bringe 2)
auf dass die daran Theilnehmenden in der Frömmigkeit befestigt werden, die
Vergebung der Sünden erlangen, vom Teufel und seinem Truge befreit, mit
dem heiligen Geiste erfüllt, deines Gesalbten wüi^dig werden und das ewige
Leben erlangen^. Das war die Consecration, ayiacfiog, welcher die Enthüllung
der dui'ch den Altarvorhang verdeckten Elemente vorausging. Nun folgte
ein langes Gebet, welches Füi'bitten enthielt für die Kirche und ihre
Diener, für den König und die Aimee, für die Heihgen, die von Alters her
sich das Wohlgefallen Gottes erworben haben, deren einzelne Classen
aufgezählt werden, — dann für das Volk, für die Einwohner dieser Stadt,
für die in die Acht Erklärten; für diejenigen, die uns hassen und verfolgen
um deines Namens willen. Nach erneuertem Segenswunsche des Bischofs und
Erwiederung von Seiten der Gemeinde folgt ein Gebet, das ein Diakon
spricht, dass Gott die dargebrachte Gabe {donQOP nqoüxoiiiad^ev) durch das
Mttleramt Christi auf den himmlischen Altar versetzen möge zum süssen
Gerüche. Hierauf wurde nach vielen Liturgieen, aber nicht nach den apo-
stoüschen Constitutionen, das Unser Vater hergesagt, wobei in der lateinischen
Kirche das Volk jede Bitte mit einem Amen begleitete. Nach erneuter Auf-
forderung zum Aufmerken spricht der Bischof: ;,das Heilige den HeiHgen^^;
die Gemeinde: Einer ist heihg. Einer ist Herr, Einer ist Herr, Einer Chri-
stus, hochgelobt in Ewigkeit, Amen. Darauf die grosse Doxologie: ;,Ehre sei
Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.
Hosianna dem Sohne Davids, der da kommt im Namen des Herrn, und dieser
ist uns erschienen. Hosianna in der Höhe.'' Darauf nimmt der Bischof die
Communiou, nach ihm die übrigen Kleriker nach den verschiedenen Classen.
1) rovro To fdvCrrjQtoy rrjg xatyrjs &iaO-TjXr]g — to Soifxcc fxoi) to nsQi nokX(Ov
2) a7io(f7]yr], — anoifaivsiy aufdecken, enthüllen, an das Licht bringen, zeigen,
dasd etwas sei. In andern Liturgieen liest man statt anoiprjyt] nottj. Der Gedanke,
dass der heilige Geist die Elemente zu Leib und Blut Christi mache, ist der griechischen
Kirche eigenthümlich und kommt in vielen griechischen Liturgieen vor.
380 Zweite Periode des alten Katholicismus.
In entsprechender Keihenfolge nahten die Asketen, Diakonissen, Jungfrauen,
Wittwen, auch die Kinder, das ganze Volk ; die weibHchen Personen mit ver-
hülltem Haupte. Der Bischof reicht das Brod dar mit den Worten : der
Leib Christi; der Empfangende spricht Amen; der Diakon reicht den Kelch
mit den Worten: das Blut Christi, der Kelch des Lebens; der Empfangende
spricht Amen. Nach einigen Gebeten ertheilt der Bischof der knieenden Ver-
sammlung den Segen.
Was das Abendmahl betrifft, so kommen noch Einzelnheiten in Betracht.
Das Brod war durchgängig gesäuertes Brod, auch in der lateinischen Kirche ;
der Wein roth, mit Wasser vermischt nach antikem Gebrauch. Es scheint,
dass die Elemente mit der Hand empfangen wurden und in aufrechter Stell-
ung. Die Manichaeer wurden sehi* getadelt, weil sie ihren Gläubigen den
Wein nicht reichten. In einigen Kii'chen wurde das Abendmahl auch am Frei-
tag gehalten, in andern viermal in der Woche, d. h. am Sonntag, Mittwoch,
Freitag, Sonnabend. Aber schon Chiysostomus beklagt sich, dass die Gläu-
bigen im Empfang des heihgen Mahles so saumselig seien. Dagegen in Rom
und in Alexandiien communicirte man öfter alle Tage. Die Gläubigen
nahmen Stücke von consecrirtem Brode mit sich nach Hause und genossen
es des Morgens, ehe sie an ihre Geschäfte gingen, das erste Beispiel einer
Communion unter einer Gestalt in der kathohschen Kii'che. Vom Weine
durfte Niemand etwas mit sich nach Hause nehmen, damit die Gefahr des
Verschüttens vermieden würde. Daher Chrysostomus seinen Commuuicanten
in Wein getauchte Hostien mit nach Hause gab. Aus dem Gebrauche, Ho-
stien mit nach Hause zu nehmen, entstand bald ein abergläubischer Miss-
brauch. Der Bruder des Bischofs Ambrosius hatte auf eine Seereise Hostien
mitgenommen , die er auf dem Leibe trug. Als das Schiff, auf dem er sich
befand, unterging, wurde er der erste gerettet, und schrieb seine Kettung
der Kraft des neuen Amulets zu. Ein Bänder wurde, wieAugustiu berichtet,
von einer Augenkrankheit durch das Auflegen der Hostie auf die Augen geheilt.
Was die vorstehenden liturgischen Angaben betrifft, so sind sie haupt-
sächhch aus dem achten Buche der apostolischen Constitutionen geschöpft.
Dieses um die Mitte des vierten Jahrhunderts zusammengestellte Pontifical-
Buch, welches zum Gebrauche der Bischöfe besthnmt war, enthielt zwar ge-
wiss Formulare noch aus dem dritten Jahrhundert, aber ebenso gewiss solche
aus dem vierten; zu jenen gehören Bitten ^für die uns Hassenden und Ver-
folgenden, für die im Gefängniss, in den Bergwerken gefangen gehaltenen
Brüder;" es sei denn, dass man diese Angaben ausschliesslich auf die Zeit
der diocletianischen Verfolgung beziehen will. Zu den Bestandtheileu, die im
vierten Jahrhundert und zwar unter den christhchen Kaisern hinzu gekom-
men sind, gehören Formulare, betrettend die Zehnten, die Erwähnung der
Asketen als eines besonderen Standes, die Ersetzung der Thürhüter {ttvXcöqoi)
und Diener (vjirjQiTai), die in den früheren Büchern angeführt werden, durch
die vnodiaxovoi, welche Veränderung in den Anfang des vierten Jahrhun-
derts fällt. So gehört auch die Verordnung über die Festtage in die Zeit
der christhchen Kaiser. Auf jeden Fall ist diese Liturgie, gewöhnUch litiirgia
Clementis gemunt , die älteste der uns erhaltenen, und ihr Vaterland ist
Syrien. Es gab \iele andere Liturgieen, in denen fast jedes Land oder Pro-
Der öffentliche, sonntägliche Gottesdienst. 381
vinz und darin gewisse Städte ihre eigenen hatten; es sind aber nur
einzelne Bruchstücke der altern Zeit davon erhalten. Die uns erhaltenen
Liturgieen, namentlich auch die den Namen des Basilius und des Chrysostomus
tragen , sind alle von späterem Ursprünge *). Die Zweitälteste der uns er-
haltenen Liturgieen, aus der Mitte des fünften Jahrhunderts vielleicht stam-
mend, ist die Liturgie, die den Namen des Apostels Jacobus trägt; die we-
sentlichen Bestandtheile derselben kommen aus früherer Zeit her, aber die
Anrufung der Maria um ihre Fürbitte gehört gewiss nicht der Zeit vor 450 an.
Ueberhaupt muss geraume Zeit verflossen sein, ehe eine Liturgie, die im
Gebrauche war, genau niedergeschrieben wurde, was damit zusammenhängt,
dass der Liturg nicht in allen Punkten an genaue Wiederholung stehender
Formeln gebunden war, wovon wir einen Beweis bei Justin gefunden haben.
(S. oben S. 195j. Was von lateinischen Liturgieen vorhanden ist, das ist
ebenfalls nicht im Bereich unserer Periode schrifthch niedergelegt worden:
Es reicht kein lateinisches Formular bis in die Zeit Leo's L, wohl aber mag
das Sacramentarmm Gelasianum (vom Pabst Gelasius f 496) und das Sacra-
mentarium Gregorianum (Gregor's L) diese oder jene Stücke enthalten, die
aus der früheren Zeit herrührten. Das mag insbesondere vom eigentUchen
Canon niissae gelten 2).
Von wesentlicher Bedeutung ist hiebei die immermehr sich befestigende
Vorstellung vom Opfer im Abendmahl; die Gaben, im Gegensatze zu den
blutigen Opfern des alten Bundes, unblutiges Opfer, avaifiaxtog ^vcia ge-
nannt, sind zunächst Dankopfer und in zweiter Linie, sofern darin die That-
sache des Todes Christi dem Herrn vor die Augen gestellt wird, symbolisches
Sühnopfer, welches aber auf dem geraden Wege sich befindet, sich in ein
eigentliches Sühnopfer zu verwandeln, je mehr nämhch die Vorstellungen von
der Gegenwart Christi sich verdichten. Manche Kirchenlehrer sträubten
sich noch dagegen, so Chrysostomus: ,, Opfern wir nicht täghch? Wir opfern
zwar, aber so dass \vir nur das Andenken des Todes Christi begehen (hom.
17. in ep. ad Hbr.) — Wir bringen immer dasselbe Opfer dar oder vielmehr
wir feiern das Andenken jenes einen Opfers.'' Folgerichtiger Weise hätte
Chrysostomus sagen sollen: Wir opfern nicht; aber zu dieser Consequenz
erhob sich die katholische Lehre nicht und darum konnte sie den aufgekom-
menen L-rthum nicht mit Erfolg bekämpfen. Wie spricht doch derselbe
Chrysostomus: ^Gehe hinzu zu dem schaudervollen Opfer (^vo-«« (pQixtri)',
1) Da Basilius für das Liturgische sehr thätig war, wie Gregor von Nazianz oratio
20 ihm nachrühmt, so ist es um so natürlicher, dass ihm die Abfassung einer Liturgie
zugeschrieben wurde, welche in der orientalischen Kirche, besonders bei den Monophysi-
ten in Gebrauch (bei Kenaudot 1, 7.) kam, und wovon es verschiedene Eecensionen gibt,
— Rheinwald S. 354. Alle uns erhaltenen Liturgieen haben einen gemeinsamen Grund-
typus, der sich ausspricht in gewissen Formeln: justum et aequum — sursum corda u. s.
w. und in dem Opfere ultus.
2) S. über das Ganze Renaudot liturgiarum orientaUum collectio. Daniel codex
liturgicus ecclesiae universae, die ersten 4 Bde. Drey a. a. 0. Rheinwald, Archaeologie
S. 353 u. ff., der die alten Liturgieen aufzählt und die Spuren davon bei den Kirchenvätern
nachweist. Muratori meinte mit Recht, Gelasius habe ein älteres römisches sacramen-
tarium lediglich restaurirt und in bessere Ordnung gebracht»
382 Zweite Periode des alten Katholicismus.
geschlachtet hegt Christus vor dir. Mit Angst und Zittern sollen wir zu dem
Tische hinzutreten, auf welchem das I^amm liegt ^)/^ Auch Augustin lässt keine
Wiederholung des Opfers am Kreuze in unblutiger Weise zu, sondern „wir
feiern, sagt er, das Andenken an das vollzogene Opfer. ^ Allerdings wird an
jedem Tage Christus für das Volk geopfert 2); das ist aber so gemeint, wie
wenn wir am Sonntag sagen: „heute ist der Herr auferstanden, da doch so
viele Jahre seit seiner Auferstehung verflossen," und doch weiss er viel vora
Opfer im Abendmahl zu reden , indem er , im Anschlüsse an Andeutungen
bei anderen Kirchenlehrern die ganze erlöste Gemeinde (redemta civitas)^
als Opfer auffasst, Gott dargebracht durch den grossen Priester, der sich
selbst Gott für uns dargebracht hat, damit wir dieses Hauptes Körper
seien. — Wir sind viele Ein Leib in Christo, und indem das Opfer seines
Leibes im Abendmahle dargestellt wird, ist auch das Opfer der Gemeinde,
die ja sein Leib ist, darin enthalten. Im Sacramente des Altars wird ge-
zeigt, dass die Gemeinde in und mit der ohlatio , die sie darbringt, selbst
dargebracht wird (de civitate Dei 10, 6) was damit zusammenhängt, dass
das Abendmahl aufgefasst wird als Sacrament der Incoi^poration in die Kirche.
Es ist zwar noch verschieden von der späteren römischen Messe; es wiegt
das Selbstopfer der Kirche in der Eucharistie vor, Christus kommt nur in
Betracht , sofern er untrennbar ist von seinem Leibe.
Die weitere Entwicklung und Ausbildung der Idee vom versöhnenden
Opfer hing wesentlich davon ab, welche Wendung die Vorstellungen von der
Gegenwart Christi im Abendmahl nehmen würden. In der griechischen
Kirche finden wir eine Reihe von Theologen, welche an Origenes sich an-
schhessend die symbohsche Auffassung der Einsetzungsw^orte vertreten. Für
Euseb von Cäsarea (demonstratio ev. 1, 10) sind die Worte Christi das
eigentliche Object des eucharistischen Genusses. Fleisch und Blut Christi
sind bildliche Bezeichnungen der Lehre Christi. Athanasius, der Vater
der Orthodoxie genannt, lehrt in seinen Festreden, dass im Abendmahl nichts
Anderes gewährt wird, als was auch die Engel und die vollendeten Gläubigen
im Himmel empfangen, die geistige Wirkung, die der Logos als Princip der
Wahrheit und des Lebens über alle mit Vernunft begabten Geschöpfe übt.
Wer in allen Beziehungen den Zweck der Menschwerdung des Logos an sich
erfüllt, der geniesst in der einzig möghchen Weise sein Fleisch und sein Blut.
In der vierten Epistel an Serapion c. 19 lehrt er, dass Joh. 6, 62—64 nicht
vom leiblichen Essen die Rede sein könne. „Denn für wie viele Menschen
würde der Leib ausreichen, dass er auch für die ganze Welt Nahrung
würde ^)? Um deswillen erwähnt Christus auch seine leibliche Auffahrt,
damit er sie (die Zuhörer) vom fleischlichen Gedanken abziehe und sie so
erkennen lernten, dass das Fleisch, wovon er spricht, eine himmhsche und
geisthche Nahrung sei." Fleisch und Blut Christi werden auf geistUche Weise
1) Wahrlich kein Wunder, wenn das Volk sich nicht beeilte, diese fAvCrriQia
cpQixTtt, (pQtx(o^€CTaTa, mysteria tremenda, in Empfang zu nehmen!
2) Omni die populis immolatur (Christus).
3) lIoGotc yag ijQXfv to Gmucc, ivct xm tov xoG/uov nnvTo? tovto TQOtprj
ytvrirati
Der öffentliche, sonntägliche Gottesdienst. 383
dargereicht und sie werden zu einem Schutzmittel (Amulet, <pvlaxtriQcov)
für die Auferstehung zum ewigen Leben. Im Wesentlichen damit überein-
stimmend lehrt Basilius, mit dem Essen des Leibes und dem Trinken des
Blutes Christi sei nichts Anderes gemeint, als zu dem Logos, dem Princip
aller Wahrheit, in eine innere, intellectuelle und sittliche Beziehung treten.
Wesentlich auf demselben Standpunkte stehen Gregor von Nazianz und
Makarius der Aeltere (f 390). Gregor bezeichnet Brod und Wein als
Typen und Antitypen des Leibes und Blutes Christi, Bilder und Copieen
der grossen Geheimnisse des Heils. Johannes von Damascus meinte, Gregor
nenne die Elemente vor der Consecration Typen und Antitypen, — eine leere
Ausflucht, da sie vor der Consecration eben nichts sind, als Brod und Wein.
Darnach muss die Stelle im Briefe an Bischof Amphilochius erklärt werden,
worin man die Annahme der leiblichen Gegenwart hat finden wollen. In
Wahrheit aber gibt Gregor eine sinnbildliche Bezeichnung des eucharistischen
Opferactes.
Es gab nun eine Reihe von griechischen Theologen, welche der reali-
stischen Auffassung sich zuwendeten und auf die Annahme einer dynamischen
Veränderung, wenn nicht gar Verwandlung der Elemente geführt wurden;
bei einigen sind beide Auff"assungen , die symbolische und die realistische, im
Streite. Cyrill von Jerusalem bildet den Wendepunkt im Uebergange von
jener zu dieser Auffassung. In den fünf letzten, den mystagogischen Kate-
chesen scheint er ganz deutlich die symbolische Erklärung zu vertreten,
wenn er mit Beziehung auf die vierte Bitte im Unser Vater sagt, das heilige
Brod sei für die Substanz der Seele bestimmt, es gehe nicht in den Bauch,
werde nicht €ig acpedqmva geworfen, sondern es vertheile sich in deinem
ganzen Organismus zum Heile des Leibes und der Seele; die Juden meinten
fälschlich, der Herr lade sie zum Fleischessen ((Tagxoipayta) ein, — und an-
derswo: wie das Brod dem Leibe entspricht, so der Logos der Seele. An
anderen Stellen erscheint derselbe Cyrill als entschiedener Realist — : ,,da
Christus selbst vom Brode gesagt: das ist mein Leib, wer dürfte das in
Zweifel ziehen?'' Cyrill zieht sogar die Verwandlung des Wassers in Wein
auf der Hochzeit zu Cana als Beweis für die Verwandlung der Elemente
{iiexaßaXXeiv) herbei. Es ist zwar nicht nöthig, an substantielle Verwand-
lung zu denken, so wenig wie bei Weihung des Salböls, mit dem auch eine
fiSTaßoXri vorgeht.
Gregor von Nyssa, obschon in anderer Beziehung an Origenes sich
anschliessend, hat über das Abendmahl eine Theorie aufgestellt, die sich
sehr der vollen Verwandlungslehre nähert, in seinem Xoyog xatrjxn^tieog [leyccg
c. 37. Er geht vom Gedanken aus, dass Seele und Leib des Menschen der
Erlösung bedürfen. Der Leib ist vergiftet und kann nur durch ein ent-
sprechendes Gegengift gerettet werden; das ist jener Leib, welcher stärker
als der Tod erwiesen wurde, der Leib Christi, der in unseren sterblichen
Leib eingeht; nur durch Essen und Trinken ist das möglich. Nun aber ist
der Nahrungsstoff, der jedem Leibe assimilirt wird , die eigentliche Substanz
desselben. Wer also Brod und Wein sieht, sieht insofern schon künftige
menschliche Leiber. Nun aber nährte sich Jesus auch von Brod und Wein;
also werden Brod und Wein in den Leib des Logos verwandelt. War das
384 Zweite Periode des alten Katholicismus.
zu Lebzeiten des Herrn möglich, so kann auch jetzt Brod und Wein, und
zwar ohne von Jesu gegessen und getrunken zu werden, in seinen Leib
verwandelt werden. Das Unbeholfene und Willkürliche in diesem Versuche,
die manducatio oralis zu beweisen, zeigt dessen Neuheit. Chrysostomus
hat zwar die wunderliche Theorie des Gregor von Nyssa nicht angenommen,
doch ziemhch deutlich die leibliche Gegenwart des Herrn im Abendmahl
gelehrt, wobei er sich wie Gregor von Nyssa, wie Cyrill von Jerusalem auf
die enixXfjcng des heiligen Geistes beruft. Daneben spricht er den Gedanken
aus, dass der im Himmel gegenwärtige Leib durch das Wort (der Einsetz-
ung), das Christus durch den Mund des Priesters spricht, in das Sacrament
kommt, wodurch die Elemente in Leib und Blut Christi verwandelt werden
(petaQQv&iJiileiv , fietaaxsvaleiv). Nun kommen Aussprüche, aus denec
man schliessen könnte, dass er die symbolische Auffassung vertreten will;
sie müssen aber nach Massgabe der angeführten verstanden werden.
In der abendländischen Kirche wird die von Tertullian eingeführte rea-
listische Auffassung von Ambrosius befolgt. Er nimmt eine durch die
Consecration bewirkte Verwandlung des Brodes im Abendmahle an, wodurch
es lebendiges Brod wird, welches das ewige Leben darreicht, so dass, wer da-
von isst, nicht sterben wird in Ewigkeit. Er fragt, wenn das Wort des
Elias bewirkte, dass Feuer vom Himmel herunterkam, werde Christi Wort
nicht soweit wirksam sein, dass es die Natur der Elemente verändere?
lieber die Art und Weise der Veränderung spricht sich Ambrosius nicht aus ;
soviel ist ihm aber gewiss, dass im Abendmahl derselbe Leib gegenwärtig
ist, der gegen die Ordnung der Natur von der Jungfrau geboren ist. Au-
gustin dagegen steht entschieden auf dem Standpunkte der symbolischen
Auffassung. Zu dem in der Schrift figurate dictum rechnet er aus-
drückhch die Worte Leib und Blut Christi im Abendmahl. Wenn die Sa-
cramente (sacrae rei signa) nicht eine gewisse Aehnlichkeit hätten mit
denjenigen Dingen, deren Sacramente sie sind, so wären sie überhaupt keine
Sacramente; wegen dieser Aehnlichkeit empfangen sie auch die Namen der
durch sie bezeichneten Dinge. So ist also das Sacrament des Leibes Christi
secundum qtiendam modum Christi Leib selbst. Dieser quidam modus
ist ihm der figürliche Sinn; daher der Herr, indem er das Zeichen seines
Leibes darreichte, keinen Anstand nahm zu sagen: das ist mein Leib. Es
findet ein geisthches Geniessen des Leibes und Blutes Christi statt, was den
Glauben voraussetzt und was daher mit demjenigen, das ausserhalb des Abend-
mahls statt findet, auf die gleiche Linie gestellt wird, crede et manducasti.
Wer nicht in Christo bleibend ist, der geniesst blos das Sacrament, d. h.
das Zeichen der so herrlichen Sache zu seinem Gerichte. Mit dieser Fest-
haltung des symbolischen Sinnes der Einsetzungsworte steht im Zusammen-
hange die Umschriebenheit des Leibes Christi, vermöge deren er im Him-
mel, wohin er seinen Leib getragen, nothwendig an Einem Orte ist. Ver-
möge seiner Gottheit sagte er: ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt
Ende; nach dem Fleische wird erfüllt, was er sagt: mich werdet ihr nicht
immer haben. Augustin sieht wohl ein , dass die Annahme der leiblichen
Gegenwart zu christologischen Irrtluimern führt: „man kann nicht also
schliessen: was in Gott ist, muss auch wie Gott überall sein. Hüten wii'
Der Öffentliche, sonntägliche Gottesdienst. 385
uns die Gottheit Christi so zu fassen, dass wir die Wahrheit seiner mensch-
lichen Natnr (verüatem carnis) aufheben. Denn, als das Fleisch Christi auf
Erden war, da war es nicht im Himmel, und jetzt, da es im Himmel ist,
ist es nicht auf Erden. ^ Auch die römischen Bischöfe dieser Zeit sind weit
entfernt, die spätere römische Lehre von der Wandlung zu vertreten. Leo
lehrt, dass wir im Abendmahl die virtus coelestis cibi empfangen. Gelasius
wendet die chalcedonensische Lehre von zwei Naturen auf das Abendmahl
an; es macht uns theilhaftig der göttlichen Natur Christi, doch hört die
Substanz des Brodes und Weines nicht auf zu existiren.
Von anderen heiligen Handlungen und Gebräuchen soll hier haupt-
sächlich die Taufe erwähnt werden. Dieselbe Bedeutung wie in der ersten
Periode wurde ihr auch in dieser beigelegt, selbst nachdem die Taufe der
neugeborenen Kinder allgemein geworden. Es gab zwar im vierten und
selbst im fünften Jahrhundert noch immer Beispiele von Aufschub der Taufe.
Aber die Kirchenlehrer erklärten sich auf das entschiedenste dagegen. Au-
gustin, dessen Taufe die Mutter auf spätere Zeiten verschoben hatte, kann
nicht umhin, diess zu missbilligen. Er deutet an, dass man dadurch den
Kindern die Zügel schiessen lasse zum Sündigen; er beruft sich auf Reden,
wie man sie oft zu hören bekomme: „lass ihn machen, denn er ist noch
nicht getauft,^ da wir doch, wenn es sich um das Wohl des Körpers handelt,
nicht sagen: j,lasse ihn gewähren; er möge noch mehr Schaden leiden am
Leibe, denn er ist noch nicht geheilt. Wäre es also, fährt er fort, nicht
viel besser gewesen, ich wäre schnell geheilt und es wäre mit mir so ver-
fahren worden, dass das durch die Taufe gesicherte Heil meiner Seele unter
deinem Schutze fortan gesichert gewesen wäre?^^ (Confessiones 1, 11).
Manche schoben die Taufe auf, weil sie Vergebung der begangenen Sünden
gewährte und für die nach der Taufe begangenen Busse geleistet werden
musste, so dass es vortheilhaft schien, die Taufe erst dann zu empfangen,
wenn man schon alle Sünden begangen hat und keine mehr zu begehen im
Stande ist, am F:nde des Lebens. Gregor von Nazianz hebt dagegen
hervor, wie schändlich es sei, auf solche Weise mit der götthchen Gnade
Wucher zu treiben, wie gefährlich, den Zeitpunkt des Todes abzuwarten, da
kein Mensch auch nur einen Augenblick seines Lebens sicher sei (Ullmann
a. a. 0. S. 468 tf.). Indessen fühlte man denn doch die Schwierigkeit, die
dogmatische Bedeutung der Taufe unmittelbar auch auf die Kindertaufe an-
zuwenden. Daher Gregor von Nazianz die Taufe der Neugeborenen nicht
unbedingt forderte. Er meinte, bei gesunden Kindern könnte man das dritte
Jahr abwarten, weil sie in diesem Falle von den dabei ausgesprochenen
Worten etwas verstehen könnten. August in nahm an, dass die Ku'che,
durch die Pathen vertreten, die Stelle des Glaubens der Kinder vertrete.
Zu Grunde lag der Gedanke, dass das Kind vor seiner selbständigen geist-
lichen Entwicklung von den höheren Lebenskräften der Kirche getragen
werde. Die Kindertaufe erhielt eine besondere Bedeutung, seitdem sie mit
der Lehre von der Erbsünde in Verbindung gebracht wurde. Selbst Gregor
von Nazianz konnte nicht zugeben, dass die ungetauft gestorbenen neuge-
borenen Kinder die volle Seligkeit erlangen, obschon er lehrte, dass sie
Unrecht mehr erlitten, als gethan haben. Augustin nahm an, dass solche
Herzog, Klrchengeschlchte I. 25
38g Zweite Periode des alten Katholicismna.
Kinder der Verdammniss anheimfallen, doch bezeichnet er dieselbe als sehr milde
und erträglich. Was die Ketzertaufe betrifft, so lehrten Basilius Magnus
und Gregor vonNazianz noch im Sinne von Cyprian. Augustin machte
im Kampfe mit den Donatisten die römische Auttassung geltend, ohne jedoch
seinem Grundsatze extra ecclesiam nulla sahis untreu zu werden, sondern
vielmehr ihn noch bestätigend und verstärkend. — Was den Taufritus
betrifft , so kam in dieser Periode die Salbung mit dem heiligen Oele (elait^
ayio)) hinzu, diie der eigentlichen Taufe vorausging.
Taufe und Abendmahl galten als die Sacramente im engeren Sinne;
im weiteren Sinne nennt Augustin das Chrisma, das Salz, das den Katechu-
menen gegeben wurde, auch die Ehe nach Ephes. 5, 25 ein Sacrament.
Taufe und Abendmahl wurden mit Beziehung auf Job. 19, 34, wo aus der
Seite Christi Wasser und Blut herausfloss, von Augustin und Chrysostomus
besonders hervorgehoben. Diese Schwankungen hingen zusammen mit der Be-
griffsbestimmung vom Sacrament, als sichtbarem Zeichen der unsichtbare!
göttlichen Dinge. Bildlichkeit geholt so sehr zum Wesen des Sacrament^,
dass Augustin unwillkürlich Zeichen und Sacrament als identisch setzt. Dio
res sacramenti ist dem Augustin die göttliche Gnade, die Wirkung diese'
Gnade der frucUis spiritalis oder die durch die Gnade an der menschlichen
Seele bewirkte Heiligung. Die sichtbaren Zeichen gehen nur den Leib an, die
durch sie dargestelle Sache, das Gnadengut ist eine Wirkung des heiligen
Geistes. Der Verwalter des Sacraments kann nur die äusseren Zeichet
geben, die Gnade selbst gibt Gott. Das Bindemittel des Sacramentum und
der res sacramenti ist das Einsetzungsw^ort des Sacraments ; daher das Axiom :
accedit verhum ad elementum et fit sacramentum^ etiam ipsum tanquam visi-
hile verhum, nicht als ob durch das Wort dem natürlichen Stoffe übernatür-
liche Kräfte mitgetheilt würden, sondern durch das Wort wird das Element
Zeichen und Bild einer unsichtbaren, an der Seele zu vollziehenden Gna-
denwirkung. Aber die Sacramente sind doch absolut nothwendig zum Heile,
insofern sie füi' die Einzelnen den Zusammenhang mit der Kirche, ausser
welcher es kein Heil gibt, vermitteln. — Bei Optatus von Mileve kommt
zuerst der Ausdruck conferre gratiam vor, zwar noch nicht wie in der
späteren katholischen Dogmatik mit dem Begriff' des opus operatum verbun-
den, doch dazu hinleitend. Augustin hatte diesen Ausdruck nie gebraucht;
vom sechsten Jahrhundert an aber wurde er kirchlich.
387
Fünfter Abschnitt.
Geschichte des christlichen Lebens und der christlichen Sitte.
Erstes Capitel. Das Mönchthum ^).
Auf der Grundlage, die schon in der ersten Periode gelegt worden
war, zertheilte sich das christliche Leben in zwei Hauptzweige, in die soge-
nannte höhere Sittlichkeit, dargestellt und erstrebt im mönchischen Leben,
und in dasjenige sitthche Leben, welches sich in den gewÖhnUchen Ge-
leisen bewegte, — eine Unterscheidung von unermesslichen Folgen, nicht
allein in Beziehung auf das sittliche Leben und die dasselbe leitenden Grund-
sätze, sondern auch was andere Zweige der kirchhchen Entwicklung betrifft.
Das Mönchthum, d. h. das von der menschlichen Gesellschaft sich ab-
sondernde asketische Leben, wovon wir in der ersten Periode die ersten
Keime wahrgenommen, entwickelt sich in dieser Periode schon zu einer
bedeutenden Blüthe und Ausdehnung. Man kann aber durchaus nicht sagen,
dass es rein aus dem Wesen des Christenthums hervorgegangen, sondern im
Gegentheil sehen wir darin eine Rückwirkung der ausserchristlichen Religions-
sphäre auf das Christenthum , welche Rückwirkung wir schon auf anderem
Gebiete wahrgenommen haben. In seiner bestimmteren Gestalt eignete es
den orientalischen Rehgionen und hing mit der mystisch - pantheistischen
Richtung derselben zusammen. Schon die jüdischen Therapeuten in Aegypten,
die Essener in Syrien und in der Nähe des todten Meeres erscheinen als
ein orientalischer Mönchsorden. Nun drang diese Richtung in die Kirche
ein und suchte sich zwar mit christlichen Anschauungen und Bestrebungen zu
verschmelzen, allein sie verunreinigte dieselben auch. Die Opposition gegen
das sittliche Verderben, dem die Christianisirung des Staats- und Volkslebens
durchaus nicht genügenden Abbruch gethan hatte , trieb nun Viele in über-
spannten Rigorismus ; die Mönche wurden die Stoiker oder Pythagoräer der
christlichen Gemeinschaft, wie denn Pythagoras und die Seinen einem Mönchs-
orden ziemlich ähnlich sahen. Ausserdem ist das Mönchthum in der An-
schauung vieler der damaligen Christen eine Fortsetzung der Märtyrerzeit;
das in seinen Tiefen aufgeregte christliche Bewusstsein suchte durch ein
selbstgewähltes, selbstgeschaftenes Martyrium das frühere von Gott geord-
nete zu ersetzen und sich die Segnungen, die als Lohn des letzteren erwartet
1) Ausser Sokrates und Sozomenus S. Rufin. H. E. und Vitae patmm, Pal-
ladius, historia Lausiaca. — Mangold, de monachatus originibus et causia 1852. —
Gas 8, Artikel Mönchthum in der Realencyklopädie. — K ob er, die körperliche Züch-
tigung als Strafmittel gegen Kleriker und Mönche. Theologische Quartalschrift 1875.
3. Heft, enthaltend beachtenswerthe Angaben über die Bildungsstufe der Kleriker und
Mönche. Hauptsächlich: Weingarten, der Ursprung des Mönchthums im nachcon-
stantinischen Zeitalter (Schluss folgt), in der Zeitschrift für Kirchengeschichte, herausge-
geben von D. Theodor B rieger. Erster Band, erstes Heft. Gotha, Eriedr. Andreas
Perthes. 1876.
25'
ggg Zweite Periode des alten Katholicismus.
wurden, zuzusichern. Uebrigens, wenn gleich das Mönchthum schon in
dieser Zeit in die Entwicklung der Kirche mächtig eingriff, so war das Alles
erst die Einleitung zu der weltgeschichtlichen Mission, die es in der folgen-
den Zeit erfüllte. Da zeigte es sich, dass der Trieb zur mystischen Beschau-
lichkeit und Entsagung, welcher die ersten Einsiedler in die thebaische
Wüste geführt hatte, das Werkzeug wurde, um die Civilisation und das
Evangelium in Europa zu verbreiten.
I. Mönchthum im Oriente,
Im christlichen Morgenlande nahm es seinen Anfang, als ein diesem
Himmelsstriche und dem Geiste des Orients besonders entsprechendes Insti-
tut; in dieser Beziehung ist es von Bedeutung, dass Aegypten und zwar
die obere Thebais das specielle Vaterland desselben wurde. Antonius gilt
als der Vater desselben, sofern er den mächtigen Impuls dazu gegeben ha-
ben soll; womit keineswegs geleugnet wird, dass nicht schon friiher und
gleichzeitig einzelne Asketen sich von der Gesellschaft absonderten, noch,
dass das Mönchthum später ganz andere Formen angenommen hat, wodurch
es erst zu seiner tief greifenden Wirksamkeit gelangte. Die fast ausschliess-
liche Quelle für das Leben des Antonius ist die Bearbeitung desselben durch
Athanasius, angeblich geschrieben im Jahr 365 auf Verlangen abendländischer
Mönche, von Bischof Evagrius nach einigen Jahren ins Lateinische übersetzt,
leider, wenn gleich einzelne Angaben das Gepräge der AVahrheit und Ursprüng-
lichkeit tragen, verunstaltet durch manche Dinge, die der verschönernden und
steigernden Sage angehören. Denn wie bald bildet sich der Mythus um eine
solche Persönlichkeit? daher Gieseler urtheilte, die Schrift sei entwedei'
unächt oder interpohrt. Dennoch wird es nothwendig sein, uns damit be-
kannt zu machen, wobei wir freiUch für die Authentie der ganzen Er-
zählung nicht einstehen können.
Es ist bemerkt worden, dass eine neue Richtung in derjenigen Persön-
lichkeit, in welcher sie sich Bahn bricht, öfter gewissermassen einen dämo-
nischen Charakter annimmt. Es trifft diess auch nach der vorUegenden
Darstellung bei Antonius zu, zwar nicht in dem Sinne, dass er gegen die
Aussenwelt Kämpfe zu bestehen gehabt, sondern die von ihm eingeschlagene
Richtung, weil sie der Anlage der menschlichen Natur und darum auch dem
richtig verstandenen Evangelium widersprach, konnte sich nur inmitten
der gewaltigsten inneren Kämpfe behaupten und auf die allgemeine Grund-
lage des christlichen Lebens zurückgefülirt werden. Diesen Kampf hat An-
tonius siegreich durchgekämpft, die Anforderungen des Evangeliums auf diese
abnorme Weise vollzogen und sein Mönchsleben dermassen in sein christ-
liches Bewusstsein verarbeitet und demselben assimiliit, dass manche seiner
Aeusserungen , besoijders aus den späteren Lebensjahren, als Regulative für
das christliche Leben überhaupt in den verschiedensten Verhältnissen gelten
können. In diesem tieferen Sinne ist er der Vater des Mönchthums und hat
er dasselbe in der christlichen Welt eingebürgert.
Geboren 251 im Dorfe Coma an der Grenze der Thebais von wohlha-
benden und frommen Eltern, spürte er früh in sich den Zug zum beschau-
Das christliche Leben. Mönchthum im Orient. 389
liehen Leben und zur Weltentsagung. Ob er nie lesen gelernt, wollen wir dahin-
gestellt sein lassen ; so viel ist gewiss, dass er später, vermöge seines ausge-
zeichneten Gedächtnisses die geschriebene Bibel meinte entbehren zu können.
Im achtzehnten Lebensjahre seiner Eltern beraubt, sorgte er für seine jüngere
Schwester und für das ganze Hauswesen. Als er einst in die Kirche ging,
dachte er gerade an die erste apostolische Gemeinschaft, in welcher keiner
ein Eigenthum besessen haben sollte. Es traf sich, dass in der Kirche ge-
rade der Abschnitt Matth. 19, 21: ^, willst du vollkommen sein, so verkaufe,
was du hast, und folge mir nach", vorgelesen wurde. Das entschied die
Richtung seines Lebens. Die ausgedehnten liegenden Güter, die er von den
Eltern ererbt, übergab er seiner Gemeinde, die ererbten beweglichen Güter
verkaufte er und behielt nur, was zum nothdürftigen Unterhalt seiner
Schwester erforderlich w^ar; er selbst nährte sich von seiner Hände Arbeit.
Bald schenkte er auch das letzte weg, was für den Unterhalt der Schwester
bestimmt w^ar, und übergab sie einem Vereine frommer Jungfrauen. Er
wohnte als Askete im väterlichen Dorfe vor dem von ihm verlassenen väter-
lichen Hause; er suchte ältere Geistesgenossen auf und bestärkte sich durch
sie in der eingeschlagenen Richtung. Während die Dorfbewohner ihn lobten
und bewunderten, war er gräulichen Versuchungen ausgesetzt, d. h. er
musste seine neue Lebensweise gegen die unvertilglichen Gefühle und Triebe
der menschlichen Natur und wohl auch gegen Anwandlungen des Stolzes
behaupten. Um die Dämonen zu besiegen, legte er sich noch grössere Ka-
steiungen auf und begab sich in eine Felsengrotte , den Geist schwächend
durch übertriebenes Fasten.. Da erreichten die Versuchungen den höchsten
Grad. Er glaubte von den Dämonen körperliche Misshandlungen zu erleiden
und wurde bewusstlos in sein Dorf zurückgetragen. Später lebte er zehn
Jahre hindurch auf den Ruinen eines alten Bergschlosses. Darauf ergab er
sich einer Art von pastoraler und seelsorgerischer Wirksamkeit, die ihre
heilende Kraft auch an ihm erwies. Er wurde der geistliche Führer vieler
durch sein Beispiel herbeigezogener Asketen. Rings um ihn bevölkerte sich
die Wüste mit Einsiedlerhütten. Man suchte ihn von ferne auf, um sich
seinen geistüchen Rath zu erbitten, um Streitigkeiten zu schlichten, um
ihm Verehrung zu bezeugen. Dem allem zu entgehen, flüchtete er sich
noch weiter in die Einöde hinein. Aber auch da blieb er nicht unentdeckt
und konnte sich denen nicht entziehen, die seinen Rath und Belehrung
wünschten. In hohem Alter besuchte er noch Alexandrien, um dem Aria-
* nismus entgegen zu wirken (325). Vierzehn Jahre vorher hatte er jene
Stadt besucht, während der Verfolgung des Maximian, und die dortigen
Christen zur Standhaftigkeit ermuntert, welcher Zweck so gut erreicht wurde,
dass der Statthalter alle Mönche aus der Stadt vertrieb. Sterbend, 105
Jahre alt, befahl er, seinen Begräbnissort geheim zu halten, um abgöttische
Verehrung seiner irdischen Ueberreste zu verhindern. Ueberhaupt leuchtet
acht chi'istüche Demuth aus vielen seiner Aeusserungen hervor. Wir heben
hervor die köstlichen Worte; ^das ist das grosse Werk des Menschen, dass
er seine Schuld vor Gott auf sich nehme und bis zum letzten Augenbhcke
seines Lebens auf Versuchungen gefasst sei" und jene anderen Worte: „ver-
traue nicht auf deine Gerechtigkeit." Nach dem Vorgange vieler mystischer
390 Zweite Periode des alten Katholicisraus.
Naturen verachtete er das vermittelte Wissen und sprach es keck aus : ;,wer
eine gesunde Vernunft hat, bedarf keiner positiven Kenntnisse ^). Doch hatte
er einen tiefen Sinn für die Natur. Auf die Frage, wie er es aushalten
könne, ohne Bücher zu leben, erwiederte er: ^^mein Buch ist die ganze
Schöpfung; dieses Buch hegt oft'en vor mir aufgerollt, und ich kann in dem-
selben, wann ich will, das Wort Gottes lesen."
Es ist aber durch Professor Weingarten a. a. 0. eine Darstellung vom
Ursprünge des Mönchthums angefangen worden, welche in wesentlichen
Stücken sich von den bis jetzt gegebenen unterscheidet. Wie sehr wir ihm für
diese lehrreiche und höchst anregende Darstellung danken, können wir ihm
am besten dadurch beweisen, dass wir weitläufig darauf eingehen. Zuerst macht
sich Weingarten an die Schrift des Hieronymus de vita Pauli Monachi,
die einzige Quelle über das Leben dieses wunderhchen Heiligen, und es wird
ihm nicht schwer, zur deutlichen Anschauung zu bringen, dass die ganze
Erzählung der geschichthchen Wahrheit völlig entbehrt. Ganz richtig ur-
theilt der Verfasser, die Absicht des Hieronymus sei gewesen, recht pikant
zu sein: die Schrift sei eine Nachbildung beüebter Romane der römischen
Kaiserzeit, die nur noch durch Abentheuerhches und Schauriges vorüber-
gehend aufgereizt werden konnte. Dazu kommt, dass vor Hieronymus Nie-
mand etwas von diesem Paulus weiss, dass Athanasius in seiner Schrift über
Antonius den Paulus dui'chaus nicht nennt, so dass es überhaupt sehr pro-
blematisch ist, ob Paulus von Theben existirt hat. Weingarten läugnet
dessen Existenz. Auf jeden Fall ist er füi- die Geschichte ohne allen Werth.
Von grösserer Bedeutung ist, was derselbe Gfilehrte über das dem Atha-
nasius zugeschriebene Leben des heihgen Antonius sagt. Gegen die Aechtheit
dieser Schrift führt er vieles Gewichtige an. Es fällt auf, dass bei Eusebius
nicht einmal der Name des Antonius weder in der Kirchengeschichte, noch
im Leben Constantin's sich findet. Allerdings wird er im Chronicon zweimal
genannt, aber nicht in dem urspiünglichen Bestandtheil des Werkes, sondern
nur in der selbständigen Fortsetzung des Hieronymus. Um so autfallender
ist es, dass, nach der Sclirift des Athanasius, ein Briefwechsel statt fand
zwischen Constantin und Antonius, wobei sich herausstellt, dass der Kaiser
und dessen Söhne Antonius als Vater verehrt haben ^j. Sodann fällt auf die
lange, rhetorisch kunstgemässe Erläuterung über das Wesen der Askese
(c. 16 — 44), es fallen auf die speculativen Gespräche mit den griechischen So-
phisten (c. 74 — 78), dazu die Kenntniss und Bekämpfung platonischer, neu-
platonischer und stoischer Philosopheme. Ueberdiess redet Antonius an ge-
wissen Stellen wie ein correcter Dogmatiker über den Glauben als unmittel-
bares Wissen der /Seele, über den Zweck der Menschwerdung. Zuweit geht
wohl Weingarten, wenn er behauptet, das tiefsinnige Wort: ;,eine reine und
der Natur getreue Seele sehe weiter als alle Dämonen," könne nicht im
Schmutz der Wüste entstanden sein. Weingarten sieht aber wohl mit Recht
1) (ü 6 vovg vyiatyfif rovrtü ovx ayayxata ra nQttyfxaxa.
2) Ob Hieronymus von der Schrift des Athanasius nichts wusste, als er die vita
PauH schrieb, weil er darin sagt, quia de Antonio tarn graeco quam romano stilo tradi-
tum est, lassen wir dahingestellt.
Das christliche Leben. Mönchthum im Orient. 391
(lie Schrift als Tendeuzschrift an; er stimmt dem Gregor von Nazianz in
der Oratio 21 , 5 bei , der sagt : die Schrift sei die Darstellung des Ideals
des Möuchthums in Form der Geschichte i). Nicht den ursprünglichen, son-
dern den idealen Charakter des Mönchthums, die Aufgaben desselben habe
der Verfasser der Schrift zeigen wollen, um das vorhandene Mönchthum in
eine reinere, höhere Atmosphäre zu erheben. Das stimmt zu dem, was wir
oben bemerkten.
Dass man die Schrift dem Athanasius zuschrieb, hängt nach Weingarten
damit zusammen, dass derselbe seit 356 in mannigfache Beziehung zum
ägyptischen Mönchthum trat. Dass Gregor von Nazianz das Werk gläubig
als athauasianisch annahm, kann in einer Zeit nicht überraschen, deren lite-
rarischer Glaube nur durch dogmatische Gründe bestimmt wurde. Wenn
aber Weingarten vermuthet, die Schrift sei in den Cirkeln des Hieronymus
entstanden, so müssen wir das dahin gestellt sein lassen. Auf jeden Fall
ist die Schrift aus dem besseren Geiste des Mönchthums entsprungen. Wein-
garten scheint aber selbst die Existenz des Antonius in Zweifel zu ziehen,
worin wir ihm jedoch bis auf weitere Einsicht nicht folgen können.
Indem Weingarten die eigentüchen Ursprünge des Mönchthums auf-
sucht, kommt er auf zwei Männer zu sprechen, deren Berichte bis jetzt dem
traditionellen Bilde des ersten Geschlechts der Mönche zur Bestätigung und
Illustration dienten. Beide Männer haben eine Zeit lang unter den ägyp-
tischen Mönchen in der nitiischen Wüste und in derThebais gelebt und wollen
nur selbst Erlebtes oder von Augenzeugen Erkundetes mittheilen. Es ist
Ruf in, der 374 — 380, und Palladius, später Bischof von Helenopolis , und
noch später von Aspona in Galatien, der 390 in Aegypten verweilte 2). Rufin
spricht sich darüber aus theils in seiner Kirchengeschichte, theils in seiner
historia Monachorum oder patrum eremitica , Palladius in der historia Lau-
siaca (die dem Lausus, Statthalter von Kappadocien gewidmeten vitae sanc-
torum patrum). Weingarten sagt zu den Fabeleien, die namentlich Rufiu
vorbringt: „es ist fast unglaubhch, was er dieser absterbenden, römischen
Welt als von ihm selbst gesehen oder durch Andere Erkundetes bieten
konnte, wenn man nicht wüsste, dass diese Welt eben damals begriffen war
in ihrer Umwandlung aus dem antiken in ihr katholisches Heidenthum^ ^).
1) Tov /iiovttdtxov ßiov vofioB^süitt er nlaGfiart ^iriyrjfikbig.
2) S. den Artikel Palladius von Zoeckler im 20. Bande der Encyklopädie.
3) Rufin sieht, wie aus dem Rücken des ApoUonius ein Dämon herausspringt in
Gestalt eines kleinen Negerknaben — der heilige Helenus ruft ein Krokodil herbei, auf
dessen Rücken er über den Nil fährt - ein anderer Heiliger reist durch die Luft, —
der heilige Makarius beschwört Todte, die noch aus dem Grabe heraus ihren Mörder
nennen, und bezauberte, in Stuten verwandelte Jungfrauen zurück verwandelt. - Ein
jüngerer Makarius sieht, wie bei der Messe ein kleiner Teufel in Gestalt eines braunen
Aethiopierjungen vor jedem Mönche spielt, ihn zum Schlafen, oder zum Gähnen, oder zum
Lachen reizt, kitzelt und hinter den Ohren kratzt, zum Beweise, wie die Teufel dem
Makarius sagen, dass sie bei jeder Messe gegenwärtig seien Palladius will mit eigenen
Augen gesehen haben, wie ein besessener Knabe durch die Berührung des Makarms in
die Luft gehoben worden und schwebend zu einem gewaltigen Schlauch angeschwollen
Ein Heiliger wird vön einer Hirschkuh gesäugt, die ihm in die Zelle ^nacjifolgt
sei.
392 Zweite Periode des alten Katliolicismus.
Doch findet Weingarten bei Rufiu und bei Palladius Erscheinungen des
ältesten christlichen Mönchthums, welche auf Analogieen hinweisen, die sich
schon in der vorchristlichen Zeit Aegyptens zahlreich finden und deren reh-
giösen Charakter die neueren ägyptologischen Forschungen dargethan habend).
Er bezieht sich hier auf die bei Rufin und Palladius vorkommenden Eremi-
ten, die ganze Menschenalter hindurch in Bergzellen, Felsengräbern oder in
Pyramiden sich eingeschlossen hielten, die reclusi oder eyxexXeKTiisvot , die
nur durch ein Fenster sich sehen liessen oder durch die aus dem Fenster
gestreckte Hand die Kranken heilten, auch den Segen spendeten. Eine sehr
in die Augen fallende Parallele dazu bildet daß vollständig organisirte Mönchs*
und Klosterwesen, welches mit dem Dienst des Serapis, des in der alexan-
drinischeu Zeit vor allen verehrten Gottes, verbunden war. Das Serapeion
zu Memphis, das HauptheiKgthum des ägyptischen Serapiscultus der Ptole-
mäer- und der Kaiserzeit umschloss in seinen weiten Räumen eine Gesell-
schaft von Eremiten, die hier in jahrelanger unverbrüchlicher Clausur leb-
ten in abgesonderten Zellen. Diese xatoxoi '^) waren auf das Brod ange-
wiesen, das ihnen ihre Verwandten gaben, sie selbst durften ihre Zellen
nicht verlassen und verkehrten mit der Aussenwelt nur durch ein Luftloch;
unbedingte Ai'muth war nicht geboten. Ein ernster religiöser Grundzug
geht durch die aufbehaltenen Documente. Es ist die Hoffnung, ;,rein" zu
werden, in möglichst langem Dienst des Serapis, welche diese xaroxoi in
ihr lebendiges Grab führte. Dieses Mönchthum beschränkte sich nicht auf
Memphis, es war auch in den anderen Serapis- und selbst Isistempeln hei-
misch. Die grossen Massen von Pilgern, die jährlich nach dem Serapeion
zu Memphis wallfahrteten , trugen die Kunde von diesen reclusi in alle
Schichten der ägyptischen Bevölkerung. Die Aehnlichkeit dieses ägyptischen
Mönchthums mit dem christlichen erstreckt sich bis auf Dinge von geringerer
Bedeutung. Das gemeinsame Ideal beider Arten des Mönchthums, des heid-
nischen und des christUchen scheint die ana&sta zu sein, ein immer höherer
gradus impatibilitatis. Auch die christUchen reclusi empfingen ihre Nahrung
durch das Luftloch ihrer Clause aus der Hand von Dienern. Das Mona-
sterium des Isidorus in der Thebais, aus dem Niemand, der hereingetreten
war, heraus durfte, erinnert au die Abgeschlossenheit des Serapeion. Was
noch zuletzt Beachtung verdient, ist der Umstand, dass die Entstehungs-
und Hauptgebiete des christlichen Mönchthums in unmittelbarer Nähe be-
rühmter Serapistempel lagen. Die Geburtsstätte des Antonius liegt bei
Herakleopolis , in der Nähe des Serapeions von Memphis. Die Nilinsel Ta-
benna in der oberen Thebais, wo durch Pachomius die erste Organisation des
Mönchthums gemacht wurde, ist nahe bei dem Isistempel zu Philae, wo ein
glänzender Dienst des Osiris und Serapis sich bis in die Zeiten des Justinian
u. s. w. Daher Hieronymus (ep. 133) urtheilte, ßufin zähle manche Mönche auf, die nie-
mals existirt haben.
1) Weingarten benützt hier die Arbeiten der französischen Akademiker Lei rönne
und. Brnnet de Presle.
2) Karoxog bezeichnet nicht blos den von einem Gott ergriffenen und begeisterten,
Bondem auch den im Verschluss gehaltenenen , den reclusus.
l)as christliche Leben. Mönchthum im Orient. 593
erhielt. Viele von den aus den zweiundvierzig Serapistentempeln bekannten
Namen kehren in der alten Mönchsgeschichte wieder. Wenn die populär
ägyptischen Culte in die christliche Zeit hineingespielt haben, so ist sich um
so weniger zu wundern, dass das altägyptische, so populäre Mönchthum in
christUcher Form in die christliche Kirche eingedrungen ist. Dagegen kann
von einem Einfluss der Therapeuten auf das sich bildende christliche Mönch-
thum keine Rede sein; denn sie kamen mit dem ägyptischen Volksleben in
keine Berührung, und sind übrigens nach der Mitte des ersten Jahrhun-
derts verschwunden.
Antonius war, nach der angeführten Biographie, der Stifter einer ge-
wissermassen gemeinsamen Lebensweise der Anachoreten geworden; davon
sehen wir ab. Der eigentliche Stifter des geordneten Cönobitenlebens war
Pachomius, der von Antonius unabhängig die Mönche in grossen zusam-
menhängenden Gebäuden vereinigte und dem Mönchsleben eine geregelte feste
Gestalt gab. Er stiftete c. 340 auf der Nilinsel Tabenna in Oberägypten das
erste eigenthche Kloster, xoivoßiov, (davon abgeleitet xo^voßitrjg) fiavSga (Hürde,
laurä), ^ovaarriQiov , (fqovtiGTriqiov, gab ihm eine eigentliche Regel, welche
das ganze Leben der Mönche, alle Beschäftigungen und Gottesdienste ord-
nete, und besonders die strengste Unterordnung unter die Vorsteher {aßßag,
'nyov^eyog, aQxit^ccvdQitrig) zum Gesetz machte. Es wurden mehrere Ge-
werbe getrieben; der Aufnahme in den eigentlichen Klosterverband ging ein
Noviciat voran i). Dieses Kloster wurde bald sehr bevölkert. Es entstanden
ringsherum andere Coenobia, die zu demselben Vereine gehörten; derselbe
umfasste noch bei Lebzeiten des Pachomius dreitausend, später siebentausend,
um die Mitte des fünften Jahrhunderts angeblich sogar fünfzigtausend Mönche.
Die Stiftung des Pachomius gab den Impuls zu vielen anderen ; denn man fühlte
die dringende Nothwendigkeit , das eigentliche Anachoretenthum , das Leben
des Monachos in der Gemeinschaft zu absorbiren. Anuin gründete ein
berühmt gewordenes Kloster auf dem nitrischen Berge in Aegypten, Hila-
rion, Schüler des Antonius eines bei Gaza im alten Phönicien, von wo
aus das Mönchthum sich in Palästina und Syrien verbreitete. Unter den
Klosterstiftern nimmt eine ehrenvolle Stelle ein Makarius der ältere,
der Grosse genannt, c. 300 geboren, als Schüler des heiligen Antonius
angesehen, von früher Jugend an asketischen Uebungen ergeben, daher Ttat-
6aQior€Q(ov zubenannt, zog er sich im dreissigsten Lebensjahre in die ske-
tische Wüste zurück, worin er sechzig Jahre lang verweilte, als Vorsteher
eines Mönchsvereiues , er starb c. 390. Noch jetzt trägt nach dem Bericht
von Tischendorf (Reise in den Orient I, 110) ein Kloster in der libyschen
Wüste den Namen des Makarius und die ganze Gegend lieisst Makarius-
wüste Sein Leben ist mit allerlei Wundergeschichten ausgestattet, in des
Palladius historia Lausiaca c. 20 mitgetheilt. Ihm werden fünfzig Homilieen
1) Die authentische Gestalt der Mönchsregel des Pachomins lässt sich nicht mehr
ermitteln Es gibt zwei Recensionen derselben, eine längere, bei Lucas Holstem, codex
e^lTr m monast. und eine kürzere bei Gazaeus in der Ausgabe von ^-^-^ ^^ ^^^
bi^um institutis, worin wohl ächte Stücke von der Regel des Pachomms enthalten sem
iiögen, die in der Folgezeit vermehrt wurden.
394 Zweite Periode des alten Katholiciamus.
zugeschrieben, die noch vorhanden sind (bei Migne series graeca vol. 34),
dazu kommen (ibid.) sieben asketisclie Abhandhuigen , die aber nicht ächte
Werke des Makarius sind, sondern aus den Ilomilieen ausgezogen. Es kom*
men darin manche gute Gedanken vor, z. B. in der Abhandlung ttsqi (pvXaxrjg
xagdiag, das Fundament des Christenthums bestellt darin, dass der Mensch,
wenn er gute Werke gethan, darin nicht ausruhe ^), noch sich gross zu sein
dünke u. s. w.
Ein anderer Makarius, genannt der alexandrinische, von Ale-
xandrien gebürtig, daher der Städter, noXitixoq, zubenannt, soll auch
Schüler des Antonius gewesen sein, und erst im vierzigsten Lebensjahre die
Taufe empfangen haben; später zog er sich in die nitrische Wüste zurück
und wurde Vorsteher eines Mönchsvereins von c. fünftausend Mönchen; er
soll als hundertjähriger Greis im Jahre 404 gestorben sein. Ihm wird eine
Mönchsregel zugeschrieben, die sich in der Sammlung der Mönchsregeln von
Lucas Holstein und bei Migne a. a. 0. findet, wo auch sein Leben in der
historia Lausiaca c. 20. Eustathius, Bischof von Sebaste in Armenien,
verbreitete das mönchische Leben in diesem Lande.
Denn nicht nur entsprach es einer weit verbreiteten Richtung der
Frömmigkeit, die berühmtesten, angesehensten Kirchenlehrer wetteiferten
als ächte Kinder ihrer Zeit in höchst unvorsichtiger Weise in Bewunderung,
Empfehlung und Förderung der neuen Lebensweise, und zwar in der beschrie-
benen Gemeinschaftsfonn, so Athanasius, die beiden (jTregore, Basilius
der Grosse, Chrysostomus, Ambro sius, August in. Man stellte die
Mönche zusammen mit Johannes dem Täufer, mit den alten Propheten, mit
den Aposteln; diese sollten die Vorbilder und Urbilder des Mönchthums ge-
wesen sein 2). Das mönchische Leben nannte man ein Leben nach Art der
Engel {ayy^^f'^^ öcayMyr], o tojv ayy€?,ü)v ßiog), den hinnnlischen Wandel
(ta enovqavia noXneviiccTa) , das apostolische Leben (o ßioq anofftoXixog),
die höhere Philosophie (rj viprjXr} (piXocrocpia) , die göttliche Philosophie (^
xaxa ^eov (piXoGO(pia) ; das Mönchslel)en führen hiess geradezu philosoi)hiren
{(pi,koao(p6iv ; daher auch iiovaatixrj (piloaotpia Soc. 6, 33).
In Basilius dem Grossen tritt, kann man sagen, der romantische Zug, den das
Christenthum den Gemüthern einhauchte, deutlich hervor. Auf mehreren Rei-
sen in Syrien, Palästina und Aegypten hatte er das Mönchthum näher kennen
gelernt und von Bewunderung desselben ergriffen, gründete er 359 eine
kleine Mönchsgesellschaft in einer Einöde in Pontus nahe bei dem Dorfe
Anesi, in dem seine Mutter Emmelia und seine Schwester Märina mit eini-
gen frommen Jungfrauen ein asketisches Leben führten. Er verblieb daselbst
1) Das erinüert an die Regel, die der Abt von St. Cyran aufstellte: wenn man
eine gute Handlung vollbracht, solle man sie in Gott verlieren (perdre en Dieu).
2) So berichtet Sozomenus 1, 12, dass Elias, wie einige sagen, und Johannes der
Täufer diese Lebensweise angefangen, Hieronymus, dass die erste Kirche in Jerusalem,
worin Gütergemeinschaft eingeführt war, der erste Mönchsverein gewesen. Johannes Cas»
sianus sagt auch, das Mönchthum habe in der ersten Kirche in Jerusalem seinen Anfang
genommen.
Das christliche Leben. Mönchthurn im Orient. 395
bis 364. Er suchte mm, seinen Freund Gregor von Naziauz, seinen
Studiengeuossen in Athen, herbeizuziehen und beschrieb ihm mit Wärme
und Lebendigkeit die Schönheit der Gegend, die er bewohnte. Denn das
Christen thum entwickelte den Sinn für Naturschönheiten. ;,Was mir das
hebste ist , fügt er hinzu , ist dieses , dass dieser Aufenthalt mh' die süsseste
Frucht der Ruhe bringt, nicht blos wegen seiner Entfernung von der Stadt,
sondern weil nicht einmal ein Wanderer diese einsame Wildniss betritt,^^
So stellt sich von dieser Seite das Mönchthum uns dar als Rückkehr zur
Natur , zur ursprünglichen Einfachheit , als ein Fhehen aus der Verfeinerung
einer verderbten Gesellschaft in die einsame, reine Natur. Doch bald machte
Basilius schmerzliche, wenn gleich heilsame Erfahrungen. ^,Was ich in dieser
Einsamkeit Tag und Nacht thue, das schäme ich mich fast zu sagen. Wohl
habe ich den Aufenthalt in der Stadt als die Quelle von tausend Uebeln
verlassen, aber mich selbst konnte ich nicht verlassen. — Ich bin durch
diese Einsamkeit im Ganzen nicht viel gefördert worden.^' Doch gibt er
deswegen das Priucip des Mönchslebens nicht auf; er meint, es sei möglich,
die Leidenschaften wie wilde Thiere durch sanfte Behandlung allmählich zu
zähmen u. s. w.
Gregor folgte der Einladung des Freundes ; beide verbrachten hiÖr
einige Jahre (bis 364) unter Gebeten, geisthchen Betrachtungen, Studium
der heiligen Schrift und Handarbeiten. Eine Frucht ihrer Studien ist die
Philokalie, eine Reihe von Auszügen aus den exegetischen Werken des
Origenes. Gregor gedachte später mit Freuden an diese Zeit. ^^Wer wird
mich, schreibt er an seinen Freund, in jene früheren Tage zurückversetzen,
in welchen ich mit dir in Entbehrungen schwelgte ? wer wird mir jene Lob-
gesänge und Nachtwachen, jene Erhebungen zu Gott, jenes überirdische,
unkörperliche Leben, jene Gemeinschaft und Seelenruhe der Brüder wieder-
geben, die von dir zu einem gottgleichen Leben erhoben wurden?^' Seit 364
von Bischof Euseb von Cäsarea in Kappadocien zum Presbyter geweiht, seit
370 Nachfolger des Euseb, stiftete BasiHus in der Nähe der Stadt einen
Mönchsverein, durchaus gegründet auf dasselbe Princip wie die Stiftungen
des Pachomius. Basilius wollte nichts vom Anachoretenthum wissen, sondern
nur vom Cönobitenleben. „Das Einsiedlerleben, pflegte er zu sagen, wider-
spricht dem Wesen der wahren Liebe, indem jeder nur für das sorgt, was
ihm selbst Noth thut. Es wird ein solcher auch nicht leicht seine Fehler
und Sünden erkennen.^ Er beruft sich auch auf Prediger Salomo 4, 10.
Wehe dem, der allein ist, wenn er fällt; es ist kein anderer da, der ihm
aufhelfe. In einer Gemeinschaft geht die Wirkung des Geistes auf Alle
über; die Jedem verUehene Gnadengabe geht auf Alle über, wer aber nur
für sich allein lebt, hat vielleicht eine Gnadengabe, aber er macht sie unnütz,
indem er sie bei sich selbst vergräbt. ^^ Zugleich befahl BasiHus den Mönchen
Handarbeit und wollte nichts wissen von übertriebener Askese. Auf solchen
Grundsätzen war die Mönchsregel gegründet, welche Basilius seinen Mönchen
gib*). Sein Beispiel zeigt nicht nur deutlich, dass das Cönobitenleben
1) Es gibt eine Reihe von längeren und 'kürzeren Recensionen derselben. In der
Aiwgabe seiner Werke von Garnier sind zwei dem Basilius als Verfasser zugeschrieben. Ob
396 Zweite Periode des alten Katholicismus.
immer mehr iu Aufschwung kam, souderu auch, dass man die Mönche in
grössere Abhängigkeit von der bischöüichen Autorität zu bringen suchte.
Seitdem wurde es Sitte, in der Nähe grosser Städte Mönchsvereine anzu-
legen. So wurde ein solcher in der Nähe von Antiochien auf den benach-
barten Bergen gegründet, auf welchen Chrysostomus in seinen Honiilieen öfter
zu sprechen kommt i), indem er ihr fronnnes, geregeltes, nur auf das Hinnn-
lische gerichtetes Leben dem ausgelassenen Leben iu der reichen Hauptstadt
Syriens entgegenstellt.
Es lässt sich nicht läugnen, dass Viele durch das Beispiel der Mönche
aus dem Schlummer des Weltlebens aufgeweckt wurden. Auch Heiden wur-
den durch Mönche zum christlichen Glauben bekehrt. Ein erhebendes Bei-
spiel davon führt Theodoret an , wie ein grosses Dorf auf dem Libanon , das
noch ganz im Heidenthum versunken war, und das einige Mönche sehr
feindlich behandelt hatte, durch eben diese Mönche eine grosse Sunnne
erhielt, um harte Abgaben zu bezahlen, dadurch zur Aufnahme jener Mönche
bewogen wurde und nach drei Jahren den christlichen Glauben annahm.
Ueberhaupt zeichneten sich die Mönche, d. h. die Coenobiten, die lieissig
arbeiteten, durch grosse Wohlthätigkeit aus. Selbst sehr ärmlich lebend,
machten es sich die Mönche in Syrien und Aegypten durch ihre Arbeiten
und Ersparnisse möglich, ganze, mit Lebensmitteln beladene Schiffe nach
nothleidenden Gegenden abzusenden. Denn die Vorsteher der Klöster so
wie die Kirchenlehrer eiferten dafür, dass die Mönche viel arbeiteten, und
Chrysostomus führte ihnen tretieud zu Gemüthe, dass, wenn der Herr sage:
sorget nicht, das nicht heisse: arbeitet nicht. Die Mönche nahmen sich
auch der Sklaven an und suchten deren Loos zu mildern; das wird besonders
dem frommen Abte Isidor von Pelusium nachgerühmt. Die Mönche leisteten
auch der tyrannischen Härte der Statthalter der Provinzen öfter muthigen
Widerstand. Ein besonderes Verdienst erw^arben sich die Mönche dadurch,
dass sie Jugenderzieher wurden, diess um so höher zu schätzen, je mehr das
Erziehungswesen vernachlässigt war, je mehr Verderbniss aller Art, beson-
ders in den Städten dem jugendlichen Alter drohte. In der Mönchsregel des
ßasiüus sind darüber vortreffliche Anordnungen enthalten. Wenn die Auf-
genommenen erwachsen wären, sollten sie zum Mönchsgelübde zugelassen
werden, falls sie Neigung und Tüchtigkeit zum Mönchsleben zeigten; im
entgegengesetzten Fall sollten sie nicht gebunden sein. Wiewohl Antonius
das positive Wissen verachtete und viele Mönche ihm darin gleichgeartet
waren, so lässt sich doch nicht sagen, dass das Mönchthum principiell sich
zur wissenschaftlichen Bildung in ein feindhches Verhältniss stellte; Män-
ner wie Athauasius, die beiden Gregore, Basihus, Chrysostomus, belorderteu
diese Lebensweise durchaus nicht in solchem Sinne. Gregor von Nazianz
bemerkt in seiner Lobrede auf den verstorbenen Freund Basiiius, dass er
nicht, wie viele Christen es thäteu, die Wissenschaft verachtet habe; seine
Ansicht sei gewesen, dass dem Christen erlaubt sei^ an den erhabenen
sie alle und in der vorliegenden Gestalt von Basiiius herrühren, ist mehr als zweifelhaft,
bemerkt Ulimann u. a. 0. S. 57.
1) Chrysostomus von Neander 1, 80 u. flf. S.
Das christliche Leben. Mönchthum im Orient. 397
Werken der classischen Literatur Gefallen zu finden, so wie es Jedem frei
stehe, an den Werken Gottes in der sichtbaren Schöpfung sich zu erfreuen.
Es wurde in den Klöstern auch theologischer Unterricht ertheilt ; die Kloster-
schulen wurden eine Art Seminare für die Geistlichkeit.
Doch neben diesen Lichtseiten, wie viele Schattenseiten, dunkle Schat-
tenseiten zeigt das Mönchthum schon in dieser Periode! Sie erklären sich
nicht nur daraus , dass sich an jede grosse und weit ausgedehnte geistige
Bewegung auch allerlei Unreines anschliesst, sondern es traten darin auch
die dem Mönchthum von vorn herein zu Grunde liegenden Irrthümer und
die aus denselben sich nothwendig ergebenden Uebel zu Tage. — Viele er-
gaben sich der allgemein verehrten und bewunderten Lebensweise ohne
inneren Beruf, aus blinder Nachahmungssucht, oder um unter dem Scheine
der Entsagung irdische Güter zu erhalten, auf die sie nie hatten rechnen
können. Wenn rohe ungebildete Menschen von den untersten Ständen plötz-
lich Klöster stifteten und Aebte wurden, was Hess sich von ihnen Gutes
erwarten? Man begreift so, dass aus der Mitte der Mönche die heftigsten
Bekämpfer des Heidenthums aufstanden (diess geschah besonders seit Theo-
dosius L), dass sie in den theologischen Streitigkeiten die heftigsten Gegner
der Häretiker wurden, dass unter ihnen der gröbste Aberglaube im Schwange
war. Ueberhaupt war das mönchische Leben der fruchtbare Boden für geist-
lichen Hochmuth, noch genährt durch die Verehrung, die man den Mönchen
darbrachte; ebenso entwickelte sich alsobald in diesen Kreisen arge Werk-
gerechtigkeit und erhielt durch das Mönchthum reichUche Nahrung und die
kräftigste Begründung. Und doch traten bald furchtbare Uebelstände her-
vor, wohl geeignet, den geistlichen Stolz einigeraiassen zu vertreiben und
den Wahn der Werkgerechtigkeit zu vernichten. Viele , die sich in schwär-
merischen Kasteiungen überboten, geriethen in's Verderben; die einen fielen
in Stumpfsinn und Narrheit, andere stürzten sich aus Verzweiflung in den
Strom des Weltlebens und der Leidenschaften, und verloren allen religiösen
Glauben und jeghchen sittlichen Halt; noch andere endeten als Selbstmörder ;
es gab solche, welche Zeitlebens, wie sie klagten, vom Teufel geplagt und
heunruhigt, ein elendes, jammervolles Leben führten. So erging ein ernstes
Gericht über dieses engelgleiche Leben, über diese göttliche Philosophie.
Das Mönchthum selbst ging darüber nicht zu Grunde, denn es hatte zu
viele Anknüpfungspunkte im damaligen Zustande der katholischen Christen-
heit. Der Andrang dazu war so ungeheuer, dass ihm durch kaiserliche
Gesetze Einhalt getlian werden musste und dass Chrysostomus , der grosse
Beförderer dieser Lebensweise, es für angezeigt fand, die Frommen zu war-
nen, dass sie sich nicht der Gemeinschaft der übrigen Christen entzögen,
unter welchen sie Gutes stiften könnten (Chrysostomus v. Neander 1, 90 ff.).
Aber das Bedürfniss nach Kegelung des asketischen Lebens nach dem cöno-
bitischen Mönchsleben machte sich bei den Kirchenlehrern und den besonne-
nen Liebhabern der rein asketischen Lebensweise mehr und mehr geltend.
Besonders in der Nähe der Städte gab es immerfort viele einsam
lebende Asketen, Anachoreten genannt; sie überboten sich in seltsamen
Selbstpeinigungen und es wurden von ihnen Wunderheilungen erzählt; daher
sie vom Volke äusserst verehrt wurden (Sozom. 6, 28—34). Während viele
398 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Asketen inmitten der menschlichen Gesellschaft blieben (Rhemoboth, Sa-
rabaiten genannt), sah man in Mesopotamien ganze Haufen von Mönchen
das Land durchziehen und sich wie das liebe Vieh von den Kräutern des
Feldes nähren (daher ßocrxoi genannt). In demselben Lande schössen seit
360 die Messalianer oder Euchiten auf (so genannt, weil sie nur das
unablässige Gebet für Sünden tilgend hielten), Choreuten (wegen ihrer
mystischen Tänze), auch Enthusiasten. In stolzem Spiritualismus mein-
ten sie des Gottesdienstes und der Sacramente entbehren zu können, ge-
riethen zugleich auf grobsinuhche Vorstellungen über die Einigung der Seele
mit Gott, und wahrscheinlich wurde ihnen mit Recht Unsittlichkeit Schuld
gegeben. Ihr Mysticismus erlaubte ihnen nicht zu arbeiten; sie wollten blos
vom Betteln leben, in Wahrheit die ersten Bettelmönche.
Ein anderes Extrem der mönchischen Werkheiligkeit, wie sie von den
Anachoreten gepflegt wurde, zeigte sich in den Säulenheiligen oder
Styliten, die übrigens wie die Mönche überhaupt heidnische Vorgänger
hatten i). Der Vater dieses neuen christlichen Fakirthums ist S y m e o n ,
genannt der Syrer von seinem Vaterlande, der ältere im Unterschiede von
einem jüngeren Säulenheiligeu desselben Namens. Geboren 390 im nördlichen
Syrien von christlichen Eltern, ergab er sich schon im dreizehnten Lebens-
jahre dem asketischen Leben und brachte es bereits in der mönchischen
Askese zu grosser Virtuosität, wobei er aber keine Ruhe empfand, bis er den
höchsten Grad solcher Vollkommenheit erreicht hatte. Seit 420 machte er
eine sechs bis sieben Ellen hohe Säule zu seinem Aufenthaltsorte; durch
wiederholte Verlängerung wuchs sie bis zu sechsunddreissig Ellen; auf einer
solchen Säule verweilte er seit 429 dreissig Jahre lang. Die Anachoreten
der syrischen Wüste setzten ihn auf die Probe, indem sie ihm befahlen,
seinen Standort zu verlassen. Da er sich bereit zeigte, ihnen Gehorsam zu
leisten, standen sie von ihrer Forderung ab, indem sie die Göttlichkeit
des ihm gewordenen Berufes anerkannten. Auf jener Säule war ringsherum
eine Schranke oder Gitter angebracht, an das er sich anlehnen konnte.
Leute in der Nähe versahen ihn mit den nöthigen Lebensbedürfnissen. In
den Stunden, die er nicht der Betrachtung und dem Gebet widmete, hielt
er Ansprachen an die immerfort ab- und zuströmenden Zuschauer und Zu-
hörer und schUchtete ihre Streitigkeiten; er wurde nicht blos von Christen,
sondern auch von den heidnischen Nomaden Syriens wie ein Gott angestaunt;
er brachte viele der letzteren dazu, dass sie die Taufe annahmen. Er griff
auch in die allgemeinen Angelegenheiten der Kirche ein. IVIit acht mönchi-
schem Fanatismus widersetzte er sich einer humanen und gerechten Mass-
regel von Kaiser Theodosius II. zu Gu^nsten der Juden und schrieb ihm
desshalb einen drohenden Brief. Von besserer Art ist seine Erklärung an
Kaiser Leo I. zu Gunsten des cjialcedonensischen Corfcils. Sein Leichnam wurde
mit Pomp nach Antiochien gebracht und daselbst bestattet. Nahe an der
Stelle, wo seine Säule stand, wurde eine i)rächtige Kirche erbaut, VI2 geo-
1) In den (faXloßarftg bei Hierapolis, wo jährlich ein Mann eine hohe steinerne
Säule in Form eines Phallus bestieg, um daselbst mehrere Tage und Nächte lang zu
beten.
Das christliche Leben. Mönchthmn im Occident. 399
graphische Meilen von Antiochien entfernt. Die Verehrung, die er genoss,
wirkte ansteckend auf Andere. Symeon hatte so viele Nachfolger, dass sie
bald einen eigenen Stand bildeten. Zur Ehre der Kirchenlehrer sei es ge-
sagt, dass sie bei manchen Gelegenheiten ernste Ermahnungen und Straf-
reden an diese wunderlichen Heiligen richteten. So schrieb Synesius an den
hochmüthigen Styliten Nikander: „wer sich selbst erhöht, wird ernie-
drigt werden.'' Die Styliten pflanzten sich lange fort; einer der späteren,
Alypius, verbrachte siebenzig Jahre auf seiner Säule bei Adrianopel. Einer
der letzten war ein Symeon unter Manuel Commenus (1143—1180) lebend,
Fulminatus genannt, weil er vom Blitze erschlagen wurde. Im Abendlande
fand diese Abnormität keinen Eingang i).
Was die Coeuobiten betrifil, so entstand eine neue Abart derselben in
den sogenannten Schlaflosen (axoifiTjtoi). In der ersten Hälfte des fünf-
ten Jahrhunderts hatte nämhch ein Abt die Einrichtung getroffen, dass das
Beten und Singen in seiner Klosterkirche Tag und Nacht fortdauerte, indem
die Mönche sich darin ablösten. Mehrere Klöster, worin diese Einrichtung
angenommen wurde, entstanden in Constantinopel ; das berühmteste ist das
von einem vornehmen Römer Namens Studius gestiftete, um 460; das
Kloster hiess Studium, die Bewohner Studitae^).
Unter dem weiblichen Geschlechte waren ähnliche Verbindungen
entstanden wie unter dem männlichen. Pachomius , der Stifter des Cönobi-
tenlebens für die Mönche, war es auch, der das erste Frauenkloster
gründete; die Vorsteherin hiess Mutter, Mammas. Der Name Nonne für
die weiblichen Asketinnen kommt bei den griechischen Schriftstellern nicht
vor, sondern nur bei den abendländischen; er soll aus Aegypten stammen
und ursprünglich so viel als sanctus, castus bedeuten, er wurde in mascu-
liner Form auch gewissen durch Alter und Frömmigkeit hervorragenden
Mönchen gegeben ^). — Bei der Einweihung der Mönche und Nonnen wurde
ausdrücklich bemerkt, dass dadurch die Heiligkeit des Ehestandes keinen
Abbruch erleiden sollte. Die Mönchsgelübde waren nicht unauflöslich; wer
sie auflöste, musste sich allerdings einer gewissen Busse unterwerfen; doch
selbst so eifrige Beförderer des Mönchthums wie Epiphanius (haeresis 61)
und Hieronymus (ep. 97) riethen in gewissen Fällen dazu, wie denn in der
früheren Periode Cyprian (ep. 62) dieselbe Ansicht ausgesprochen.
IL Mönchthum im Occidente.
Gewöhnlich wird Athanasius als derjenige angesehen, der das Mönch-
thum im Abendlande bekannt gemacht, als er im Jahre 341 zum ersten
Male dahin kam und einige Vertreter des Mönchthums mit sich gebracht
1) S. die Abhandlang von Uhlemann über Symeon in Ilgen's Zeitschrift für hi-
storische Theologie 1845. Heft 4 und den Artikel Styliten von Mall et in der Realen-
cyklopädie, woselbst auch die Quellen genannt sind. Theodoret und Evagrius sind grosse
Verehrer des ersten Symeon.
2) S. Schroekh, 17, 484.
3) S. Du Gange s. v. — sodann Calmet, commentarius zur Eegel des heiligen Be-
nedict, c. 62.
400 Zweite Periode des alten Katholicismus.
haben soll. Weingarten zeigt dagegen, dass die erste Spur von dieser Ein-
führung des Mönchthums in das Abendland erst bei Sokrates sich findet
H. E. 4 , 23. Athanasius selbst in der Schilderung , die er von seiner rö-
mischen Zeit entwirft, spricht nicht davon, sondern nur von seinem regen
Verkehr mit den italienischen Bischöfen. Dazu kommt, dass Augustin, als
er im Jahre 385 nach Mailand kam, weder von Antonius noch vom Mönch-
thum etwas gehört hatte. Die Biographie des Antonius gehörte zur neuesten
Leetüre. Erst als die Tage des Athanasius gezählt >varen, erfuhr man im
Abendlande etwas vom morgenländischen Mönchthum. Ein abendländisches
Mönchthum, an das er die Biographie des Antonius hätte schicken können,
existirte damals gar nicht.
Das steht aber fest, dass das Leben des Antonius, von Evagrius ins
Lateinische übersetzt, ^iel gelesen wurde und eine mächtige Wirkung auf
viele empfänghche Gemüther übte, so auch auf Augustin, dessen Bekehrung,
wie wir gesehen, dadurch entschieden w^urde. Doch hatten die Liebhabei*
der neuen Lebensweise anfangs einen schweren Stand, denn sie galt ah
Ausgeburt der Schwärmerei und Verrücktheit ; daher viele Lateiner, um sich
ungehindert der Asketik hingeben zu können, sich in die thebaische Wüste
zurückzogen. Das Mönchthum fand aber im Abendlande auch eifrige Beför-
derer und Lobredner; unter ihnen ragt hervor Hieronymus, der seit 374
eine Zeitlang als Einsiedler in der Wüste von Chalcis in Syrien lebte, später als
Mönch in einem Kloster zu Bethlehem. Er beförderte auch durch Schriften
das Mönchthum; für die Lateiner, die sich nach der thebaischen Wüste
zurückgezogen, übersetzte er des Pachomius Regel in das Lateinische. Er
beschrieb das Leben der berühmtesten Mönche, z. B. des Paulus von Theben
und Anderer, sie als Muster der Nachahmung hinstellend und viele Fabeln
einmischend. Seine Schriften strömen über vom Lob des Mönchthums. ;,Hin-
längUch reich ist, wer mit Christo arm ist,^ sagte er, um die mönchische
Armuth zu empfehlen. ^^Die Ehe bevölkert die Erde, die Jungfräulichkeit
bevölkert den Himmel,^' „Grausamkeit gegen sich selbst ist die wahre Fröm-
migkeit,^^ mit solchen Kraftsprüchen übte er eine magische Gewalt über die
Gemüther. Er wusste das Mönchthum so darzustellen, dass es erschien als
Reproduction derselben Lebensweise, w^elche Elias, Johannes der Täufer und
die ersten Christen in Jerusalem befolgt hatten, und doch verhehlte er sich
und Anderen keineswegs, welche Versuchungen, welche Qualen er durch sein
Mönchthum zu bestehen, zu erleiden hatte. Ueber seinen Aufenthalt in der
Wüste von Chalcis schreibt er, wohl etwas übertreibend, an Eustochium, Tochter
der eifrigen Asketin Paula ep. 22. ,,0 wie oft wähnte ich damals, als ich in der
Wüste weilte, in jener Ungeheuern Einöde, die von der Sonnengluth ausgebrannt,
den Mönchen eine Wohnstätte des Grauens und des Elendes darbietet, wie
oft wähnte ich damals , ich schwelge in den Wollüsten Roms ! Da sass ich
einsam , von Bitterkeit erfüllt. Die abgezehrten Glieder starrten im härenen
Büssergewande und die schmutzige Haut hatte sich mit dem tiefen Schwarz
eines Aethiopiers überzogen. — Ich also, der ich aus Furcht vor dem höl-
lischen Feuer freiwiUig diesen Kerker erwählt hatte, der ich nur mit Scor-
pionen zusammen lebte und mit wilden Thieren, ich sah mich im Geiste oft
genug unter den Reigen tanzender Mädchen. Mein Antlitz war blass vom
Das christliche Leben. Mönchthum im Ocddent. 401
Fasten, aber in dem kalten Leibe erglühte die Seele von Begierden u. s. w.^
Er schrie oft Tage und Nächte lang, sich die Brust zerschlagend, bis er
einige Ruhe fand; nach vielen Thränen glaubte er sich manchmal unter die
Engel-Schaaren versetzt. So musste er dieselben Erfahrungen wie die bis-
herigen Heroen des Mönchthums durchmachen, und er nahm seine Zuflucht
zu demselben Gegenmittel wie jene; er betrieb verschiedene Handarbeiten,
durch die «r sich seinen Lebensunterhalt verdiente, nach der apostolischen
Regel: ;,wer nichts arbeitet, soll auch nichts essen.^ — Unter seinem Ein-
flüsse wurden, als er nach Rom zurückgekehrt war. Viele daselbst, zum
Theil Abkömmlinge der berühmtesten Geschlechter aus den Zeiten der Re-
publik, namentUch der Famiüe der Scipionen, für das asketische Leben ge-
wonnen. Hier sind besonders einige Frauen und Jungfrauen zu nennen:
Marcella, Asella, Lea, Melania, Paula und ihre Familie und besonders ihre
Tochter Eustochium. Es bildeten sich kleine weibliche und männliche Ge-
nossenschaften des asketischen Lebens. Ein Geist der Busse ergriff die
Söhne und Töchter der alten Römer. Das Mönchthum eröffnete ihnen einen
Kampfplatz, auf welchem die Kämpfe und Siege ihrer heidnischen Vorfahren
erneuert und durch eine bessere Sache übertroffen werden konnten. Sie
stürzten sich in diese neue Laufbahn mit demselben grossherzigen Schwünge,
mit derselben ausdauernden Energie, welche ihren Vorfahren die Herrschaft
über die Welt verschafft hatte. In Rom zumal war aber die neue Lebens-
weise keineswegs populär. Die nachtheiligen Folgen übertriebener Fasten
(öfter volle drei Tage hindurch und noch mehrere in völliger Enthaltung
von aller Nahrung und von allem Tranke) erregten des Volkes Unwillen.
Bei dem Begräbniss der Blaesilla, einer Tochter der Paula, von der es hiess,
sie sei durch Fasten getödtet worden, im Jahre 384, rief das Volk: wie
lange noch wird man anstehen, das abscheuliche Geschlecht der Mönche aus
der Stadt herauszutreiben, sie zu steinigen, ic den Fluss zu werfen? Meh-
rere dieser Asketinnen begaben sich daher nach Palästina zu Hieronymus.
Dieser trieb seine Schülerinnen zur Schriftforschung an, gab ihnen Anleitung
zum Verständniss der Schrift; mehrere seiner exegetischen Arbeiten sind so
entstanden , zugleich erklärte er sich gegen übertriebene Fasten und andere
Kasteiungen.
Unterdessen verbreitete sich das Mönchthum ungeachtet der Hinder-
nisse, die es vorfand, im Abendlande. Der angesehene und einflussreiche
Ambrosius, ein grosser Bewunderer der neuen Lebensweise, that sein Mög-
lichstes, um sie in Aufnahme zu bringen. In der Nähe von Mailand stiftete
er ein Manuskloster, das Augustin rühmend erwähnt. Offenbar, um unge-
störter ihrem Hange folgen zu können , siedelten Viele sich auf Inseln an.
So entstanden auf den Inseln an der Westküste von Italien und an der dal-
matischen Küste zahh-eiche Klöster. Martinus, Bischof von Tours, einer
der angesehensten und einflussreichsten Bischöfe Galliens , geboren c. 319,
t 400 1) gründete in Gallien zwei Klöster, das eine bei Pictavium, das
andere bei Tours. Honoratus, ein Mann aus edler Familie, der sogar das
1) Sem Leben von Sulpicius Severus beschriehen, seine Wunder von Gregor von
Tours. S. über ihn den Artikel von Weingarten in der Bealencyklopädie.
Herzog, Kirchengeschichte I. 26
402 Zweite Periode des alten Kathonciämüs.
Consulat verwaltet haben soll, ergab sich seit seiner Bekehrung zum Christen-
thum dem Mönchsleben und gründete 410 auf der Insel Lerinum (seitdem
St. Honor^ genannt), an der Küste der Provence, ein Kloster, das bald sehr
bevölkert wurde, während Anachoreten einzeln lebend sich auch in Menge
einfanden. Jenes Kloster wurde eine Pflanzschule für Geistliche; der uns
bekannte Vincentius hat daselbst als Mönch gelebt. Eine grosse Anzahl
von Bischöfen ging aus diesem Kloster hervor, unter ihnen Hilarius von
Arles und Eucherius von Lyon. Die dortige Klosterschule blieb mitten
in den Stüimen der Völkerwandening ein Sitz geistiger Bildung und reli-
giösen Lebens ^). Die benachbarte kleine Insel Liro oder Lirone , seitdem
St. Marguerite genannt, einige Zeit hindurch Gegenstand allgemeiner Auf-
merksamkeit als Gefängnissstätte des französischen Marschalls Bazaine, war
auch der Sitz vieler Asketen. Johannes Cassianus stiftete 410 zwei
Klöster bei Marseille, und gab durch seine Schrift über die Einrichtungen
der Klöster (institutiones coenohiales) , sowie durch seine Darstellung der
geistlichen Gespräche orientalischer Mönche (collationes) dem Mönchthum
und zwar dem Cönobitenleben mächtigen Vorschub. In Afrika fand das
Mönchsleben wenig Eingang; die sich in Carthago als Liebhaber dieser Le-
bensweise zeigten, wurden vom Volke ausgepfiffen, ausgelacht, ausgeschimpft,
obwohl Augustin das Mönchthum mit allem Eifer empfahl und mit seinen
Geistlichen in Hippo in einer klosterartigen Gemeinschaft lebte. Die Mönche
in Afrika zeigten freilich oft nicht gerade die Eigenschaften, wodurch sie
das Zutrauen und die Verehrung des Volkes sich hätten erwerben können.
Viele wurden durch ganz gemeine, niedrige Interessen herbeigelockt. In
geistlichem Gewände streiften sie umher, trieben Handel mit erdichteten
KeUquien, erpressten von den Leuten Geld unter dem Scheine der Heilig-
keit, schwelgten des Nachts ungestört, nachdem sie am Tage gefastet hat-
ten. Einige wollten gar nicht mehr arbeiten, sich auf das Wort Christi
berufend , dass man für den anderen Tag keine Sorge tragen müsse und
damit die Ermahnung des Apostels 2 Thessal. 3, 12 abweisend. Augustin
suchte sie eines Besseren zu belehren in seiner Schrift de opere monachorum,
worin er überhaupt die Schattenseiten des Mönchthums in Afrika aufdeckte.
Auch Cassian führte in den von ihm gestifteten Klöstern die Handarbeit ein.
Es zeigte sich auch im Abendlande das cönobitische Leben als das bei wei-
tem bessere; aber es fehlte Gleichföraiigkeit auch bei den Cönobiten. Es
gab, nach Cassian's Berichte, fast eben so viele Arten und Regeln des aske-
tischen Lebens, als es Klöster und Zellen gab. Rufin suchte dem Uebel-
stande abzuhelfen durch Uebersetzung der Regel des Basilius, welche in der
That in manchen Klöstern eingeführt wurde. Im Ganzen war die Lebensart
der abendländischen Mönche weniger streng, als diejenige der orientalischen
Mönche.
in. Verhältniss der Mönche zum Klerus.
Es konnte nicht fehlen, dass eine gewisse Annäherung zwischen den
Mönchen und dem Klerus entstand. Zunächst gingen jene nicht darauf aus,
1) S. den Artikel Lerinum, Kloster, in der Realencyklopädie.
Der Klerus und dessen Einwirkung auf das Volk. 403
sich irgendwie dem Klerus gleichzustellen oder sich in die Reihen des Kle-
rus aufnehmen zu lassen. Diese Neuerung ging von den Bischöfen aus, und
zwar unter starkem Protest der strenger gesinnten Asketen. Cassian dringt,
was bezeichnend ist, darauf, dass der Mönch Bischöfe sowie die Werber
fliehen soll , denn kein Bischof werde dem , den er einmal für sich gewon-
nen, zur stillen Sammlung in der Zelle und zum Studium Ruhe lassen. Es
geschah anfangs, dass Mönche wider ihren Willen ordinirt wurden. Aber
schon vor Ende des vierten Jahrhunderts galten die Klöster als Pflanzschule
des Klerus, besonders der Bischöfe. Im übrigen standen die Mönche in
derselben Abhängigkeit von den Bischöfen wie die übrigen Gemeinden mit
ihren Geisthchen oder Plebanen; gewöhnlich vertrat der Abt oder Vorsteher
die Stelle des Geistlichen. Noch ist zu bemerken, dass, je mehr das Mönch-
thum aufkam und ungeachtet aller Abirrungen und verderblichen Ausartungen
sich als eine die Zeit beherrschende Macht erwies, desto mehr auch die
Forderung gestellt wurde, dass die Kleriker sich der Ehe entzögen; wie
wenig aber der CÖlibat in dieser Periode allgemein durchgeführt war, ist
früher gezeigt worden.
Zweites Capitel. Zustand des Klerus in religiös-sittlicher Beziehung.
Einwirkung desselben auf das Tolk, Sittliche Grundsätze und
christliche Sitte. Einfluss des Christenthums auf die Gesetzgebung.
Vom Zustande des Klerus in der genannten Beziehung geben uns die
bedeutendsten und angesehensten Mitglieder desselben eine ziemlich unvor-
theilhafte Beschreibung. Sie beklagen sich, dass so ungeheuer Viele zum
geistlichen Amte sich nur deswegen hinzu drängen, weil Ehre und Vortheil damit
verbunden. Gregor von Nazianz ergeht sich scharf rügend über die Schmei-
cheleien, Ränke und Bestechungen, welche man sich erlaubte, um geistliche
Stellen zu erhalten; „das herrlichste Amt bei uns, bemerkt er, ist nahe
daran, ausgepfiff"en zu werden." Indem so viele Unwürdige in den Klerus
eintraten, war die Folge davon, dass viele Heuchelei getrieben wurde, dass
Manche in verstellter Demuth die Annahme geistlicher Stellen verweigerten,
nur um desto mehr gesucht zu werden und um als grösserer Ehre würdig zu
erscheinen, dass Viele ihre Ueberzeugung nach der Stimmung des jeweiligen
Kaisers modelten. Bereits fand sich BasiUus veranlasst, gegen Simonie bei
Bischofswahlen zu eifern (ep. 76). Das Concil von Chalcedon (c. 2) und der
dreissigste apostolische Kanon hat denselben Missbrauch im Auge, wenn sie
die Simonie verbieten. Das genannte Concil verordnete , dass der Bischof,
der dieses Vergehens überwiesen ist, „wegen seiner eigenen Stelle in Gefahr
kommen soll.'' Der genannte apostohsche Kanon setzt fest, dass ein Bischof
oder Presbyter oder Diakon, der durch Geld seine Stelle erhalten, und der-
jenige, der ihn ordinirt hat, abgesetzt und excommunicirt werden solle, wie
Simon' der Magier von Petrus. Wenn man dieses Alles in Anschlag bringt,
so begreift man leichter die schnelle Verbreitung des Mönchthums und das
ausserordenthche Ansehen, welches es, im. Ganzen genommen, genoss; man
begreift, dass bei der Ausartung der gesetzm^ssigen Geistlichkeit 'sich eine
26*
404 Zweite Periode des alten Katholicismus.
Art von freiwilliger Geistlichkeit bildete. Uebrigens muss man bedenken,
dass die Geistlichen selbst es sind, die über die Ausartung ihres Standes
Klage führen, und dass ein Klerus, zu welchem Männer wie Athanasius,
die beiden Gregore, Basilius, Augustinus, Hilarius und so viele andere vor-
treffliche Männer gehören, nicht als erstorben geachtet werden kann. Diese
Männer begnügten sich nicht, die Fehler und Sünden ihrer Standesgenossen
zu rügen, wie das besonders Gregor von Nazianz in dem Gedichte auf sich
selbst und über die Bischöfe (eig iavzov xul neqi eniCTtonaiv) that, son-
dern ihnen schwebte auch das Ideal eines Theologen vor, das sie in sich,
in ihrem Leben und Wirken zu erreichen suchten, wenn gleich mit dem
schmerzlichen Gefühle ihrer Unzulänglichkeit. Diess tritt am deutlichsten
hervor bei Gregor von Nazianz, der auch am ausführlichsten sich ausspricht
über die Aufgabe des geistlichen Amtes, über die Anforderungen, die an
die Verwalter desselben gestellt werden müssen. Den Zweck der wissen-
schaftlichen und praktischen Theologie, die er gerne als Seelenheilkunde
auifasste, setzte er darein: ;,die Seele zu beflügeln, sie der Welt zu entreissen
und der Gottheit zu übergeben, das Bild Gottes in derselben entweder zu
erhalten, oder, wenn es erlöschen will, zu erfrischen, oder, wenn es vertilgt
ist, wieder herzustellen, Christo eine Wohnung zu bereiten durch den Geist,
mit einem Worte: den Menschen göttlich zu machen {^bov Ttoirjcai) und ihm
himmlische Seligkeit zu bereiten." Er fordert, dass der Geistliche als Vor-
bild und thätiger Repräsentant des christlichen Lebens in seiner Gemeinde
stehen, nicht blos das Laster meiden, sondern auch im Guten sich auszeich-
nen soll, aber eben so streng verlangt Gregor vom Religionslehrer, dass er
eine festgegründete Erkenntniss von den göttlichen Dingen, dass er die hei-
lige Philosophie inne habe, womit er nicht sagen will, dass der Theologe
das All der Gottheit begreifen soll, was dem beschränkten Menschengeiste
nicht möglich ist, sondern dass er mehr als ein Anderer vom Göttlichen in
sich hineingebildet, mehr als ein Anderer das Bild der Wahrheit in sich
aufgenommen hat. Bei der Mittheilung in einem volksmässigen Vortrage
derselben verlangt Gregor vor allem schlichte und ungeschmückte Einfalt.
Der Geistliche soll sich, seiner Schwäche bewusst, dem vertrauensvoll hin-
geben, der in den Schwachen mächtig ist, und nur ein Werkzeug Gottes,
ein Werkzeug des Logos, ein Werkzeug des heiligen Geistes sein wollen *).
Treffliche, vom Geist ihres Berufes erfüllte Geistliche waren nicht blos in
der Reihe der genannten hervorragenden Lehrer der Kirche zu finden. Das
bezeugt der in seinen Forderungen an seine geisthchen Amtsbrüder gewiss
nicht zu nachsichtige Augustin: ,,wie viele Bischöfe, wie viele Presbyter, wie
viele Diakonen habe ich als vortreffliche und heilige Männer kennen gelernt,
deren Tugend um so mehr Bewunderung erregt und um so preiswürdiger
ist, je schwerer es ist, dieselbe in diesem so stürmischen Leben zu be-
wahren" ^).
Nach welchen Grundsätzen suchte diese Geistlichkeit auf das Volk
einzuwirken? Welche Grundsätze suchte sie dem Volke einzuprägen, welche
1) S. UUmann a. a. 0. S. 521-526.
2) De moribus ecclesiae catholicae c. 32.
Der Klerus und dessen Einwirkung auf das Volk. 405
sittliche Gesinnung bestrebte sie sich im Volke zu wecken und zu näh-
ren i)? Im Allgemeinen haben die Kirchenlehrer gereinigte Begriffe vom
Guten und von der Tugend. Sie dringen auf das Innere, auf die Gesinnung
des Herzens. Die Tugend wird, im Gegensatz gegen das durch Zwang
Abgenöthigte , als Sache der freien Willensbestimmung und der uneigen-
nützigen Liebe, als der Sieg der Vernunft im Kampfe mit der Lust, als
die höchste Freude, Schönheit und Herrlichkeit des Menschen dargestellt,
die ihren Lohn und ihre Strafe in sich selber trägt, so dass Niemand
anders als dui'ch sich selbst in Schaden gebracht wird. Die aristotelische
Vorstellung von der Tugend, dass sie in der Mitte zwischen zwei Extre-
men liege, widerlegt Lactanz durch die richtige Bemerkung, dass es Triebe
gebe, die an sich gut, und andere, die an sich böse seien (instit. 6, 14.
15. 16). Basilius hebt hervor, dass der sittliche Werth des Menschen in
der Beschaffenheit seines Willens liegt. Als Princip der Tugend sehen
die Kirchenlehrer den Glauben oder die Liebe Gottes an. Ohne Glauben
ist kein tugendhaftes Leben denkbar; denn das Gute kann nur mit dem
Glauben erfasst werden; hinwiederum ist die Erkenntniss dessen, was
durch den Glauben erfasst wird, abhängig von der Reinheit der Seele. —
Daher halten die Kirchenlehrer so viel auf Rechtgläubigkeit als Bedingung
der Tugend, doch ist sie durch diese auch wieder bedingt; daher wird die
Ketzerei für etwas Unsittliches gehalten; daher viele Kirchenlehrer so
geneigt sind, die Häretiker als unsittliche Menschen anzusehen; daher
nennt Hieronymus die Ketzerei das Verbrechen des Geistes (delictum
mentiwn). Die Ketzerei wird hauptsächlich auch aus dem Hochmuth, aus
der Selbstüberhebung abgeleitet, wie überhaupt die Sünde von dem Sünden-
falle an; wogegen die Demuth als die Haupttugend, ja als die Quelle aller
Tugenden gepriesen wird.
Indem die Kirchenlehrer für die Ausübung der Tugenden, für den
Kampf des Geistes mit dem Fleische, für die sittliche Erhebung und Rei-
nigung des Gemüthes durchaus Abgezogenheit von den weltlichen Dingen,
Jungfrauschaft, freiwillige Armuth, hartes Leben und Einsamkeit forderten,
mussten sie nothwendig zur Ueberschätzung und Empfehlung des Mönchs-
lebens gefühlt werden, in welchem man, sofern es die Form des Cönobiten-
lebens annahm, die nicht verkannten Vortheile der Geselligkeit mit denjenigen
der Einsamkeit richtig zu verbinden glaubte. Die zu Grunde liegende Unter-
scheidung zwischen einer höheren und einer niederen Tugend hing zusam-
men mit der Unterscheidung zwischen Gebot und Rathschlag nach 1 Kor.
7, 6, welche Unterscheidung in dieser Periode erst recht bestimmt und all-
gemein gefasst wui'de. Die Kirchenlehrer gingen von dem Grundsatz aus,
dass, wenn gleich es zu wünschen wäre, dass Alle nach der Vollkommen-
heit strebten, so müsse man schon zufrieden sein, wenn nur das absolut
Nothwendige geleistet werde, was man ohne Gefahr nicht unterlassen könne.
Dahin gehört die Erfüllung der zehn Gebote, als Theil der ofßcia media,
wie Ambrosius sie nennt (de officiis 1, 3), im Unterschiede von dem, was
Sache des Rathes, nicht der Gebote ist, was Gegenstand der o/ßcia perfecta
1) S. darüber de Wette'g christliche Sittenlehre 2. Theil. S. 842 u. ff.
406 Zweite iPeriode des alten Katholicismuä.
ist, wozu gehört, nach demselben Ambrosius, werkthätige Feindesliebe,
Aufopferung, nach Gregor von Nazianz, dem Bösen nicht widerstreben und
wie gesagt, die mönchische Askese, Ehelosigkeit und Armuth u. s. w. Der
Unterschied zwischen beiden Stufen des sittlichen Lebens wurde dargestellt
als Unterschied des Guten und Besseren; doch derselbe Hieronymus, der
den Unterschied so angibt, bestimmt ihn auch, mit bestimmter Beziehung
auf die Ehe und die Jungfräulichkeit, als non peccare und bene facere. So
sehr man nun sich bemühte , die Ehe in Ehren zu halten, so sehr man die
Uebertreibungen des Eustathius und seiner Anhänger missbilligte, so blieb
doch die Vorliebe für das ehelose Leben vorherrschend. Hieronymus meinte
das göttliche Machtgebot: wachset und mehret euch, habe gepasst zu den
Zeiten nach der Sintfluth und vor der Sintfluth, aber nicht zu uns, auf
welche das Ende der Zeiten gekommen. Man suchte auch den Leuten die
Ehe zu verleiden, indem man sie als einen äusserst beschwerlichen und
für das Seelenheil gefährlichen Stand schilderte.
In ihren Anforderungen an diejenigen, welche sich nicht der mön-
chischen Askese ergaben, zeigen die Kirchenlehrer im Allgemeinen eine
grosse Strenge, indem sie die Ideale des Christenthums zu buchstäblich
fassen. Sie verbieten den Eid, daher Chrysostomus sagte: der wahre
Christ lasse sich lieber die Zunge abschneiden, als dass er schwöre; sie
verbieten das Zinsennehmen, den Krieg, den Handel, die Selbstverthei-
digung, die Todesstrafe. Ambrosius hielt sogar das Privateigenthum für
Usurpation. Unwillkürlich behandeln sie die in der weltlichen Geraein-
schaft Verbleibenden wie Mönche, stellen an sie Anforderungen, die nur
innerhalb der Klostermauern erfüllt werden können. Durch gewisse an-
dere Anforderungen befördern sie in wirksamer Weise die Werkheiligkeit.
Als Mittel der Sündenvergebung werden geradezu angesehen das Weinen,
die äussere Demüthigung, das Fasten, das Almosen. Ambrosius lehrt:
;,du hast Geld, erkaufe deine Sünde. Gott ist zwar nicht käuflich, du aber
bist käuflich. Erkaufe dich durch dein Geld. Geld ist von geringem
Werthe, aber kostbar ist die Barmherzigkeit." Salvian sagt, die Frei-
gebigkeit gegen die Kirche sei eine Loskaufung von den Sünden, er führt
an Dan. 4, 24, peccata tua misericordiis redime.
Dieser Priester versteht es meisterhaft, den Leuten das Geld aus der
Tasche zu locken, was selbst katholische Schrifsteller einigermassen zuge-
stehen (in seiner Schrift adversus avaritiam^ seit Gennadius so benannt), an
die katholische Kirche gerichtet. — Es ist allerdings nicht zu läugnen,
dass er manches Gute gegen die mehr und mehr gesteigerte Habsucht
vorbringt; er scheint aber zu vergessen, dass, wenn die Laien der Hab-
sucht fröhnen, dieses sittliche Uebel auch in den Reihen des Klerus sich
findet, und dass, wenn er die Laien auf besseren Weg zu bringen sucht,
er dagegen den Klerus auf einen Irrweg zu führen im BegriÖ'e ist.
Z seh immer a. a. 0. S. 84, .um zu erklären, wie es gekommen, dass
Salvian sich nicht begnügt, einen Theil des Vermögens für die Armen zu
fordern, sondern auf das ganze Anspruch macht, nimmt seine Zuflucht zu
einer kühnen Hypothese, die aber jedenfalls verdient, in ernstliche Betrachtung
gezogen zu werden. Da Salvian die Gütergemeinschaft, als die Quelle der
Sittliclie Grundsätze und christliche Sitte. 407
Glückseligkeit der Gemeinde zu Jerusalem ansieht, da er überall die Ar-
men und Schwachen von den Reichen und Mächtigen gedrückt sieht, so
vermuthet der Verfasser, dass Salvian mit seiner Schrift eine durchgrei-
fende Reform der ganzen bestehenden Gesellschaftsverhältnisse und zwar
auf christlich -asketischer Grundlage anbahnen wollte. Was die einzelnen
Mönchsverbände in kleinen Kreisen versuchten und durchführten, eine
enge Lebensgemeinschaft mit Aufgeben alles persönlichen Eigenthums , das
wollte Salvian auf die ganze christliche Welt ausgedehnt wissen. Er wollte
allerdings die allermeisten Schätze der Welt in der Kirche zusammenhäu-
fen, aber nur deswegen, weil ihm diess der einzige Weg schien, die un-
gleiche Vertheilung des Besitzes aufzuheben, die daraus entspringenden
Ungerechtigkeiten und Laster wegzuschaffen. Zschimmer sieht dies Alles
an als den ersten Versuch, die sogenannte sociale Frage vom christlichen
Standpunkte aus in gewissem Umfange zu lösen. Man könnte wohl mit
einigem Rechte vermuthen, dass Salvian keine so hoch fliegende Pläne
verfolgte, sondern dass er nach dem Grundsatze handelte, er müsse recht
viel verlangen, um wenigstens einen Theil des Verlangten zu erhalten. —
Folgendes gibt uns eine Vorstellung davon. ^Ob man Alles geben soll?
fragt er und antwortet: ;,wer da meint, nicht Alles schuldig zu sein,^^
— davon hat er früher gesprochen — _^der braucht nicht Alles zu geben. ^^
Er gebe gar nichts, wenn er nicht im Glauben und mit Gebet gibt. Aber
ich meine, Alles ist nicht wenig. Wer weiss denn, wie viel genug ist?
Wer aber das nicht weiss , der gebe doch ja so viel er kann (nämlich
Alles, was er hat), damit, wenn auch die Grösse der Gaben die Sünde
nicht bedecken kann, wenigstens die Demuth des Sinnes es thue. Schätze
also deine Sünden sorgfältig ab; siehe zu, wie viel du für deine Lügen,
Flüche, Meineide, Nachlässigkeit der Gedanken, Unreinheit der Rede und
jede böse Regung schuldig bist. Thue dazu Ehebruch, Schamlosigkeit,
Trunkenheit und Mord. Schätze den Preis für jede einzelne dieser Sün-
den und rechne hinzu, dass, wenn du in deiner Taxe zu niedrig gegriffen
hast, auch diess deine Schuld noch vergrössert" u. s. w.
Auffallend ist überdiess bei der sonstigen Strenge der Kirchenlehrer
ihre offene Vertheidigung der Nothlüge (Chrysost. de sacerdotio 1, 5).
Wenn ein solcher Grundsatz leicht Eingang fand, so waren dagegen an-
dere zu überspannt, zu sehr im Widerspruch mit den Gesetzen und Be-
dingungen des büi'gerlichen Lebens, als dass sie sich allgemeinen Eingang
hätten verschaffen können. Diess wird besonders begreiflich, wenn man
bedenkt, wie die Bevölkerungen beschaffen waren, welche die Kirchenlehrer
geistlich zu bearbeiten hatten. Sie waren meistentheils nur ganz äusser-
lich bekehrt, in Unglauben oder Aberglauben versunken und das Heiden-
thum vielfach mit dem Chiistenthum amalgamirend und heilige Dinge als
Zaubermittel gebrauchend 0- Chrysostomus beklagt es , dass die ein sitt-
liches Leben führen wollen, sich auf die Höhen der Berge zurückziehen,
(Mönche) und entwirft nun in wenigen kräftigen Zügen ein Bild des sftt-
1) Nach Salvian adv. avaritiam, 6. Buch, hielten selbst christliche Consuhi heilige
Hühner, stellten Augurien an, trieben abergläubische Wahrsagerkünste.
40d Zweite Periode des alten Katholicismus.
liehen Zustandes derer, die mcht diesem Beispiele folgten ; jenen überliess
man das Streben nach höherer Tugend, sogar das Bibellesen. Die öfteren
Ermahnungen, die Chrysostomus in dieser Beziehung gibt, zeigen, wie tief
das Uebel eingewurzelt war. Mit der Schrift mochte man sich nicht gerne
beschäftigen, desto mehr aber mit den theologischen Streitigkeiten, deren
Eückwirkung auf das Volk verderblich war. Bezeichnend ist, was Gregor
von Nyssa in Beziehung auf die Bevölkerung von Constantinopel mittheilt
in seiner Lobrede auf den gerechten Abraham: ;,Auch jetzt gibt es solche,
welche nach Art jener Athener (Apostelgesch. 17, 21) auf nichts Anderes
gerichtet sind, als immer etwas Neues zu hören. Manche, welche gestern
oder vorgestern aus den Werkstätten der Handwerker hervorgingen, haben
sich auf einmal zu Lehrern der Theologie aufgeworfen. Manche , die viel-
leicht Sklaven waren und von dem Sklavendienste entflohen, philosophiren
nun mit vieler Würde über die unbegreiflichsten Dinge. Alles in der Stadt
ist voll von solchen Leuten,^ und nun nennt Gregor die verschiedenen
Verkäufer, die man in den Strassen der Hauptstadt findet. ^^Wenn du fragst,
wie viele Obolen du herausbekommst, philosophirt dir einer über das Ge-
zeugt- und Ungezeugtsein etwas vor, und wenn du nach dem Preise des
Brodes fragst, antwortet er dir: der Vater ist grösser, und der Sohn ist
ihm untergeordnet. Wenn du sagst: das Bad ist mir gerade recht, so
entscheidet er, dass der Sohn aus Nichts geschaffen sei.^ Ein ähnlicher
Formalismus war es , wenn die reichen Damen in Constantinopel auf ihre
langen, weiten Gewänder die Abbildungen biblischer Geschichten sticken
Hessen, so dass man eine wahi'e Bilderbibel zu sehen glaubte. Chrysosto-
mus meinte, es wäre besser, diese Geschichten den Herzen einzupflanzen.
Andere Lehrer entschuldigten diese Kleider und meinten, die Christen
dürften wohl auf ihren Kleidern das Bild dessen tragen, dem sie ihre
Liebe geschenkt hätten.
Solche und so viele andere weit bedeutendere Uebelstände veran-
lassten Chrysostomus zu folgendem allgemeinem Urtheil: ;,Wenn man un-
seren jetzigen Zustand genau prüft, so wird man sehen, wie wohlthätig
die Verfolgungen sind. Im Genüsse des Friedens sind wir gesunken und
haben die Kirche mit unzähligen Uebeln angefüllt. Da wir verfolgt wur-
den, waren wir weiser, billiger, eifriger. Denn, was das Feuer für das
Gold, das ist für die Seelen die Anfechtung.^ Doch ist immerhin anzu-
erkennen, dass die Kirchenlehrer, sei es mündlich in ihren Vorträgen,
sei es schriftlich, ihre Pflicht der Rüge und Ermahnung getreulich erfüll-
ten. Es gibt nicht leicht eine sittliche Verkehrtheit, eine sittliche Ver-
irrung, welche sie nicht gerügt hätten. Eine Lichtseite des damaligen
religiös -sittlichen Zustandes ist die Einwirkung des Christenthums auf
das Familienleben. Es werden uns mehrere fromme Mütter genannt, de-
nen ausgezeichnete Kirchenlehrer das beste, was sie hatten, nächst Gott
zu verdanken hatten. Nonna, Mutter des Gregor von Nazianz, gewann
ihren Gatten für das Christenthum und er wurde ein eifriger Bischof. Sie
weihte den neugeborenen Gregor dem Dienste des Herrn, eilte mit ihm in
die Kirche und legte seine zarten Hände zum Zeichen der Weihe auf die
heilige Schrift. Sie zeichnete sich aus in allen christlichen Tugenden.
Einfluss des Christenthums auf die Gesetzgebung. 409
Ihr Sohn, der sie mit der Hanna vergleicht, welche ihren Samuel Gott
weihte, rühmt ihr nach, dass sie am Altare betend gestorben. Die
fromme Anthusa war die Mutter des Chrysostomus. Die fromme Mon-
nica übte ohne viele Worte wohlthätigen Einfluss auf ihren Mann sowie
besonders auf ihren Sohn aus. Solche und ähnliche Beispiele erregten die
Bewunderung der Heiden. ;,Seht, welche Weiber finden sich bei den Chri-
sten," rief Libanius, der heidnische Rhetor aus, indem er die fromme
Anthusa erwähnte ^).
Eine andere Lichtseite dieser Periode ist der Einfluss, den das Chri-
stenthum auf die Gesetzgebung ausübte, und zwar sind mehrere Gesetze
geradezu durch Bischöfe veranlasst worden. Man kann sagen, dass das
Christenthum die Idee der Persönlichkeit wenn nicht eigentlich in das
öffentliche Recht übertragen, so doch ihr erst zu ihrem vollen Rechte
verholfen hat. Das Christenthum stellte vor allem die religiöse Person
auf; diese sollte auch juridische Person werden; denn sie fehlte in der
antiken Welt. Erinnern wir uns an den Zustand des weiblichen Ge-
schlechts, an die väterliche Autorität bei den Römern, an die Sklaven,
die Gefangenen. Schon unter den heidnischen Kaisern war die Gesetz-
gebung des römischen Reiches zum Theil durch den Einfluss des Christen-
thums verbessert worden; das geschah noch in grösserem Masse seit
Constantin.
Vor allem tritt uns in vielen Verordnungen und Gesetzen der christ-
lichen Kaiser eine grössere Achtung des Weibes entgegen. Constantin
erklärte sogar weibliche Personen von achtzehn Jahren, wenn sie untadel-
haft waren und die gehörige Bildung hatten, für majorenn. Aus zarter Rück-
sicht für die weibliche Natur gab er das Verbot, die Weiber vor Gericht
zu laden. Theodosius I. übergab sogar in gewissen Fällen den Müttern
die Vormundschaft über ihre Kinder. Die christlichen Kaiser konnten
zwar zunächst die lupanaria nicht aufheben, aber sie machten anerkennens-
werthe Versuche, um den lenones ihre Opfer zu entreissen. Constantius
verbot christliche Sklavinnen an andere als an christliche Herren zu
verkaufen, in der Voraussetzung, dass sie dadurch vor den lenones sicher
gestellt waren. Dasselbe Gesetz berechtigte die Kleriker, ja alle Christen,
diejenigen Weiber, welche man der Prostitution überlassen wollte, selbst
mit Gewalt zu befreien. Ebenso wurde den lenones verboten, ihren Töch-
tern und Mägden peccandi necessitatetn aufzuerlegen. Kein christliches
Weib, sie sei frei oder eine Sklavin, konnte gezwungen werden, als meretrix
zu dienen. Im Jahre 439 hob Theodosius IL für Constantinopel das Ge-
werbe der lenones auf, bei schwerer Strafe; dadurch erlitt der Fiscus der
Stadt eine bedeutende Einbusse; doch ein rechter Ehrenmann, der Prae-
fectus praetorii Florentius hatte sich anheischig gemacht, aus seinem
eigenen Vermögen den Schaden zu ersetzen. Leider konnte weder das
Gesetz des Kaisers noch die Wohlthätigkeit jenes Präfekten dem Uebel
abhelfen; das Gewerbe blieb. — Doch wurde der raptus einer Jungfrau,
der im römischen Rechte nur als ein am Vater begangener Diebstahl galt,
1) S. Frank, das Christenthum und die Frauen. 1868i
4 10 Zweite Periode des alten Katholicismus.
nun mit Tod bestraft ; die betretfendeu Gesetze von Constantius und Jovian
haben zwar nur Wittwen und Diakonissen im Auge, da solche nicht den
Schutz der Männer und der Väter genossen. Mehrere Gesetze haben zum
Zweck die Befestigung des ehelichen Bandes. Die alte lex Foppaea^ welche
die Grundlage der römischen Ehegesetzgebung bildete, wurde nach und nach
abgeschafft. Sie enterbte und belegte mit Geldstrafen die Ehe losen und
die Kinderlosen. Constantin schaffte diese Bestimmungen ab. Wenn die-
selbe lex Poppaea die Vermächtnisse zwischen Ehegatten nach der Zahl
der Kinder regelte, so wurde diese Bestimmung 410 abgethan. Es wur-
den auch Massregeln getroffen, um die eheliche Treue aufrecht zu hal-
ten. Constantin verbot 320 den verheiratheten Männern das Concubinat;
einige Jahre nachher setzte er Todesstrafe auf den Ehebruch (als facmus
atrocissimum, scelus immane). Derselbe Kaiser bestrebte sich auch, das
Concubinat der Ehelosen zu beschränken oder in Ehe zu verwandeln; die
Kinder sollten als rechtmässige gelten, wenn die Eltern sich ehelichten;
der Concubine durfte nichts vermacht werden. Doch die Verderbniss war
zu gross, als dass die Gesetze sie aufzuheben vermocht hätten. Immerhin
wui'de die Ehescheidung erschwert. Was die Kinder betrifft, so hatten
die Sitten schon zur Zeit des Augustus sich insoweit gemildert, dass da-
mals ein Vater, der seinen Sohn getödtet hatte, selbst vom empörten Volke
getödtet wurde. Die Aussetzung der Kinder war freilich noch nicht aus
den Sitten verschwunden. Doch nahmen manche Väter, die ihre Kinder
ausgesetzt hatten, sie nach einiger Zeit wieder auf. Constantin, um der
Kinderaussetzung vorzubeugen, bestimmte, dass, wer ein ausgesetztes
Kind aufgenommen, es behalten könne. Theodosius I. erklärte die als
Sklaven verkauften Kinder für ü'ei. Die Sklaverei wurde nicht abgeschafft,
aber im Ganzen genommen verfolgten die christlichen Kaiser den Weg des
Fortschi'ittes , den schon die Gesetzgeber der heidnischen Periode betreten
hatten. Constantin erliess zwar sehr strenge Gesetze gegen Sklaven, die ih-
ren Herrn entflohen waren , denn das Sinken der Macht des Reiches , das
Herannahen der Barbaren verleitete damals viele Sklaven zum Aufruhr oder
trieb sie in die Reihen der Feinde des Reiches; der Staat glaubte sie
durch die Androhung der ärgsten Strafen im Zaume halten zu müssen, um
sich selbst nicht den grössten Gefahren auszusetzen. Doch abgesehen da-
von wurden manche Bestimmungen getroffen, um das Loos der Sklaverei
zu erleichtern; die Freilassung w^urde erleichtert. Die Kleriker erhielten
von Constantin die Befuguiss, ihre Sklaven direct, ohne Zeugen und ohne
die gewöhnlichen Ceremouien frei zu sprechen. Der Staat suchte die Zahl
der Ursachen der Sklaverei zu vermindern. Constantin belegte mit Todes-
strafe diejenigen, welche Kinder raubten, um sie als Sklaven zu ge-
brauchen. Gewisse öffentliche Vergnügungen, Masuma genannt, wozu man
Sklaven auf schmachvolle Weise verwendete, wurden von Constantius ver-
boten, zum zweiten Male unter Theodosius I. Die öffentlichen Schauspiele
wurden am Sonntage absolut verboten. Theodosius verbot den Chilsten
das Gewerbe eines Schauspielers. Die Schauspielerin, die Chi'istin wurde,
durfte ihr Gewerbe aufgeben. Seit 325 wurden die Gladiatorenkämpfe
Einfluss des Christenthums auf die Gesetzgebung. 4i;[
absolut verboten; freilich vergebens. Seitdem griff man gegen diese grau-
same Belustigung zu Palliativmassregeln, die zwar auch nicht viel
fruchteten. Da geschah es unter Honorius , dass ein Mönch Namens Te-
lemach aus dem Oriente nach Rom eilte, sich in den Circus stürzte und die
Kämpfenden von einander zu trennen suchte, worauf er von den wüthenden
Zuschauern mit Steinen getödtet wurde (Theodoret 5, 27). Honohus, ge-
rührt von dieser That des Märtyrers für die Nächstenliebe, verbot absolut
die Gladiatoren -Kämpfe und Hess Telemach in die Reihe der Märtyrer
eintragen. Von dieser Zeit an gab es nur noch Kämpfe mit wilden Thie-
ren. — Noch ist zu bemerken, dass die christlichen Kaiser die schärfsten
Gesetze gegen die noch immer weit verbreitete Paederastie erliessen.
Theodosius I. und Valentinian belegten sie mit der Strafe des Todes in
den Flammen.
Während die Kirche, wie wir schon in der ersten Periode nachge-
wiesen haben, sich der Armen und Verlassenen hülfreich annahm und in
unserer Periode grossie Wohlthätigkeitsanstalten ins Leben rief, welche
Kaiser Julian zur Nacheiferung auf heidnischer Grundlage und Boden an-
trieben, stellten sich auch die christlichen Kaiser die Aufgabe^ den ver-
schiedenen Classen der Nothleidenden zu Hülfe zu kommen. Verarmten
Eltern, die vielfach der Versuchung unterlagen, ihre Kinder zu verkau-
fen, zu verpfänden oder gar zu tödten, Hess Constantin aus dem Fiscus
oder auch aus seinem eigenen Vermögen Kleider und Lebensmittel
schenken. Ein besonderes Gesetz desselben Kaisers gebot allen Richtern
die strengste Unparteilichkeit; ein anderes Gesetz sollte die Käuflichkeit
der Richter beseitigen. Da diese Gesetze in vielen Fällen nicht halfen,
erhielten die Armen und Niedrigen die Erlaubniss, die Hülfe ihres Bi-
schofs anzuflehen , und die Magistratspersonen erhielten den Befehl , solch
eine ehrwürdige Fürsprache zu berücksichtigen. Valentinian L und Honorius
gaben den Bischöfen den Auftrag, die Beobachtung der staatlichen Ver-
ordnungen zu Gunsten der Armen und Nothleidenden zu überwachen. Der
Staat übernahm auch den Schutz über die christlichen Wohlthätigkeits-
anstalten, und suchte ihre Einkünfte zu vermehren. Die Formen der
peinlichen Gerichtsbarkeit wurden zwar nur in geringem Masse gemildert;
das Bestreben der Kirchenväter, z. B. des Chrysostomus , die Abschaff'ung
der Todesstrafe zu bewirken, hatte, was wir zwar nicht bedauern können,
keinen Erfolg; aber immerhin ist der darin sich kund gebende Geist der
Humanität anzuerkennen. Constantin, der einen vereinzelten Versuch
machte, die Todesstrafe abzuschaffen, zeigte seine humane Gesinnung da-
durch, dass er die Brandmarkung des Antlitzes verbot und für bessere Be-
handlung der Gefangenen Sorge trug. Seine Nachfolger ahmten sein Bei-
spiel nach. So fragmentarisch diese Verordnungen und Massregeln sein
mögen, so erkennt man doch darin die reformatorische Wirkung des Chri-
stenthums. übi Caritas non est, non potest esse justitia , hat Augustin ge-
sagt. Die noch so unvollständigen Bestrebungen der weltlichen und geist-
lichen Machthaber, um die vielfachen Uebelstände zu beseitigen, beweisen,
412 Zweite Periode des alten Katholicismüs.
dass da, wo Liebe gegen die Menschen waltet, auch dafür gesorgt wird,
dass Gerechtigkeit gegen sie geübt werde i).
Drittes Capitel. Reformatorische Bestrebungen.
Wohin aber die Entwicklung der Kirche in gewissen Beziehungen hin-
neigt, das ersieht man deutlich aus der Aufnahme, welche Versuche zur Ab-
stellung von Missbräuchen, zui' Beseitigung von herrschenden Irrthümern, zur
Verbreitung richtiger, gesunder Grundsätze fanden. Die Kirchenlehrer, wenn
sie auch in manchen Punkten die richtige Einsicht hatten, waren doch wieder
durch den herrschenden Geist der Zeit gehindert an der folgeriqjitigen An-
wendung derselben. Diess zeigt sich z. B. in der Art, wie Chrysostomus die
Ueberschätzung des Mönchthums bekämpfte , während er auf der anderen
Seite ihm so mächtigen Vorschub leistete. Es bildete sich unter den Kirchen-
lehrern die Ansicht, dass man manchen Missbrauch dulden müsse, obschon
man ihn mi^sbillige, eine Ansicht, der sich wohl eine christliche Seite
abgewinnen Hess, die aber auch in der Anwendung schlimme Folgen ha-
ben musste. Augustin bestätigte und besiegelte diese Ansicht mit dem
Gewichte seiner Autorität. In der Schrift an Januarius gesteht er, dass
er manche Missbräuche nicht zu rügen wage, um einigen heiligen aber zur
Unruhstiftung geneigten Personen kein Aergerniss zu geben. Allein das
bedaure er gar sehr, dass manche in der Schrift enthaltene Gebote nicht
berücksichtigt werden und dass Alles so sehi' angefüllt sei mit mensch-
lichen Verordnungen, dass derjenige ärger bestraft werde, der ein ceri-
monielles Gebot übertreten, als derjenige, der sich durch übermässigen
Genuss von Wein um den Verstand gebracht. Unzählbar sei die Menge
solcher Missbräuche. Die Religion, welche der Herr frei haben wollte,
welcher er nur wenige Sacramente gegeben, werde mit knechtischen La-
sten bedrückt, so dass der Zustand der Juden erträglicher scheine. Doch
die Kirche Gottes mitten inne zwischen Spreu und Unkraut gestellt, er-
trage Manches, allein sie billige nicht, was dem Glauben und rechtschaf-
fenen Leben widerspreche, verschweige es nicht und thue es nicht. Der-
selbe Augustin lehrt in der Schrift gegen Faustus: ;, etwas Anderes ist es,
was wir lehren, und wieder ein Anderes, was wir ertragen, ein Anderes
ist es, was wir zu gebieten ^ ein Anderes, was wir zu bessern beauftragt
sind.^ Hiezu wirkte nicht sowohl die Furcht, die Einheit der Kirche zu
zerreissen, als vielmehr die Besorgniss, die Führerschaft der Menge zu
verlieren.
Daher ein Mann, wie Jovinian, der Protestant seinerzeit, für seine
Bestrebungen bei den angesehensten Kirchenlehrern keine Anerkennung
fand. In Rom als strenger Askete lebend, trat er in den letzten Jahren
1) Die Schrift von de ßhoer, dissertatio de effectu religionis christianae in juris-
prudentiam romanam. 1776 und die von Trop long, de l'influence du christianisme sur le
droit civil des Romains 1843 sind jetzt mehr oder weniger tiberflüssig gemacht durch
die früher erwähnte Schrift von Karl Schmidt.
Refonnatorische Bestrebungen. Jovinian. . 413
des vierten Jahrhunderts in einer Schrift, die wir leider nur aus den Be-
richten seiner Gegner kennen, als ßekämpfer der Ueberschätzung des
Mönchthums auf. Sein Hauptprincip war: „es gibt nur Ein göttliches Le-
benselement, welches alle Gläubigen mit einander theilen, Eine Gemein-
schaft mit Christo, Eine Wiedergeburt. Alle, welche diess mit einander
gemein haben, haben denselben himmlischen Beruf, dieselbe Würde, dieselben
himmlischen Güter, daher das ehelose Leben oder die Ehe, das Essen
oder das Fasten keinen Unterschied zwischen den Christen bedingt; es
kommt Alles auf das innerliche Leben an. Somit fiel die Theorie von
einer asketischen Vollkommenheit, von dem Unterschiede zwischen den
Kathschlägen und den Geboten. Daher er sagen konnte, es komme auf
dasselbe hinaus, ob einer sich dieser oder jener Speisen enthalte oder ob
er sie mit Danksagung geniesse. So sagte er auch mit Recht, dass die-
jenigen, die um der gegenwärtigen Noth willen das ehelose Leben er-
wählt haben, sich dessen nicht überheben sollten. Er gab zu, dass Ehelo-
sigkeit und Fasten unter gewissen Umständen gut sein könne , wie er denn
selbst als Asket lebte ; nur sollte das asketische Leben nicht so allgemein
empfohlen werden. Es wurde ihm nicht schwer, aus dem Neuen Testa-
ment seine Empfehlung der Ehe zu begründen (1 Tim. 5, 14. Hebr. 13, 4.
1 Kor. 7, 39 u. a. St.). Was das Fasten betrifft, so führt er an, dass dem
Reinen Alles rein sei, dass Christus von den Pharisäern ein Fresser und
Weinsäufer genannt worden, dass er das Mahl des Zachäus nicht ver-
schmäht und die Hochzeit zu Kana besucht habe. Die Ehelosigkeit und
die Fasten könnten nichts eigenthümlich Cliristliches sein, da sie sich auch
im Cultus der Kybele und der Isis fänden. Wenn man die Furcht vor den
Höllenstrafen, das Streben nach den höheren Stufen der Seligkeit als
Antrieb zu den asketischen Anstrengungen gebrauchte, so behauptete Jo-
vinian dagegen, dass der Christ, der durch den Glauben ein göttliches
Leben empfange, seiner Seligkeit schon gewiss sei. Ja er ging soweit
zu behaupten , dass wer getauft sei , vom Teufel nicht versucht werden
könne; darunter verstand er aber die Geistestaufe; an denjenigen, die
versucht werden, zeige es sich, dass sie nur die Taufe mit Wasser em-
pfangen haben. Mit dieser Ansicht will er keineswegs behaupten, dass
der Zustand des Wiedergeborenen über alle Versuchungen erhaben sei;
immerhin aber ergab sich daraus , dass , wer wirklich wiedergeboren wor-
den, nicht wieder aus der Gnade falle (nach 1 Joh. 3, 9), eine Ansicht,
die selbst von lutherischen Theologen getheilt wird. Hingegen ging er zu
weit, indem er allen Unterschied zwischen den Sünden läugnete, indem
alles Sündhafte, wie verschieden es auch in seiner äusseren Erscheinung
sein möge, dasselbe ungöttliche Leben offenbare. Er wollte dadurch die
willkürliche Eintheilung in Todsünden und lässliche Sünden beseitigen,
nach welcher Eintheilung man die Zahl der vom ewigen Leben ausschlies-
senden Sünden sehr beschränkte. So behauptete er auch, mit Beziehung
auf die bekannte Parabel, dass es gleich sei, ob einer sich früh oder spät
bekehre. Noch verdient erwähnt zu werden, dass Jovinian durchaus den
Begriff der unsichtbaren Kirche, in welcher kein Unreiner ist und deren
Glieder alle von Gott gelehrt sind, hervorhebt. Ueberdiess lehrte Jovinian,
414 '• • Zweite Periode des alten Katholicisinus.
wie Ambrosius und Augustin melden, dass die Jungfrau Maria Christum
zwar als Jungfrau empfangen, aber nicht als Jungfrau geboren habe.
Jovinian's kräftige Polemik gegen die Ueberschätzung des asketischen
Lebens fand Anklang in Rom, so dass mehrere Nonnen, selbst solche von
vorgerücktem Alter sich in die Ehe begaben; daher entbrannte gegen ihn
der Zorn der Kirche und ihrer Lehrer. Auf einer Synode in Rom 39<D
sprach der Bischof Siricius über Jovinian als luxuriae magister und über
acht seiner Anhänger das Verdammungsurtheil aus. Jovinian begab sich
nach Mailand, aber auch hier war seines Bleibens nicht. Bischof Ambro-
sius, welchem Bischof Siricius das Urtheil der genannten Synode mitgetheilt,
Hess auch auf einer Synode zu Mailand den kühnen Bekämpfer des aske-
tischen Lebens verdammen und Jovinian und seine Anhänger aus Mailand
vertreiben. Zwei Mönche in Mailand, Sarmatio und Barbatianus,
mussten, weil sie Ansichten Jovinian's sich angeeignet, die Stadt verlassen ;
auch in Vercelli, wohin sie sich gewendet, Hess ihnen der Feuereifer des
Ambrosius keine Ruhe, indem er ihnen sittliche Zügellosigkeit Schuld
gab. Das that in höherem Maass Hieronymus in seiner Schrift gegen Jovi-
nian, der wir überhaupt die nähere Kenntniss der Ansichten Jovinian's
entnehmen. Hieronymus schadete aber seiner Sache durch die Ueber-
treibungen, in welche er verfiel, in Vertheidigung des asketischen Lebens,
so dass Jovinian Recht zu haben schien mit seiner Behauptung, dass man
jenes Leben nicht preisen könne, ohne den Ehestand herunterzusetzen — ;
diess bewog Augustin zu seiner Schrift de bono conjugali^ worin er durch
seine Mässigung wieder gut zu machen suchte, was Hieronymus durch seine
Heftigkeit verdorben hatte. Was aber die durch Jovinian hervorgerufene
Bewegung betrifft, so wurde sie sehr bald gänzlich unterdrückt. Immer-
hin kommt ihm das Verdienst zu, seine Reformationsbestrebungen an be-
stimmte Principien angeknüpft zu haben, von welchen aus folgerichtiger-
weise noch andere Irrthümer, als die von ihm namentlich bestrittenen,
fallen mussten.
Ein änderer Protestant seiner Zeit, zwar nicht wie Jovinian zu all-
gemeinen Princii)ien aufsteigend, aber schärfer in seinen Angriffen auf die
im Schwange gehenden Irrthümer und Missbräuche, ist Vigilantius i),
von Geburt ein GaHier, aus Calagurris, dem heutigen Casere, einem Dorfe
in der Grafschaft Commenges. Nachdem er eine Zeitlang zu dem von den
Eltern ausgeübten Gewerbe der Gastwirthschaft angehalten worden, wid-
mete er sich der geistlichen Laufbahn und wurde im Jahre 395 in Barce-
lona zum Presbyter geweiht, worauf er (nach Gennadius c. 35) eine geist-
liche Stelle in der Diöcese Barcelona bekleidete. Es scheint aber gewiss,
nach den Angaben des Hieronymus, dass er eine Zeitlang in GaHien, in
der Nähe seiner Heimath als Presbyter fungirt hat. Von wesentlichem
Einfluss auf ihn und auf seine späteren Erlebnisse war sein Aufenthalt in
Palästina (396). Er machte hier nämlich die persönliche Bekanntschaft
des Hieronymus, an den er durch Bischof PauHnus von Nola empfohlen
1) S. über ihn des Hieronymns Schrift adv. Vigil. , desselben Briefsammlung, den
Artikel von Schmidt in der Realencyklopädie.
Reformatorische Bestrebungen. Vigilantius. 415
worden, und der ihn freundlich aufnahm, und ihn in seiner Antwort an
Paulinus sogar den heiligen Presbyter Yigilantius nannte. Doch bald trat
eine Spannung ein zwischen beiden Männern. Hieronymus studirte damals
den Origenes und war voll Begeisterung für ihn. Vigilantius, dem die
Lehrweise des grossen Alexandriners keineswegs zusagte, stellte seinen
Gastwirth darüber zu Rede. Dieser, dessen schwächste Seite es war, den
Ruf seiner Orthodoxie aufrecht zu halten, suchte seine Orthodoxie vor
seinem Gaste zu erweisen und brachte diesen auch auf einen Augenblick
zur Anerkennung derselben. Schliesslich entzog sich Vigilantius durch
schnelle Abreise solchen Discussionen, wendete sich zunächst nach Aegypten
und später nach Gallien zurück. Er scheint aber auf seiner Rückreise
Beschuldigungen gegen Hieronymus in Beziehung auf seine Orthodoxie
ausgesprochen zu haben, Beschuldigungen, denen er auch einen schrift-
lichen Ausdruck gab, worauf Hieronymus ein Sendschreiben an ihn richtete,
voll der heftigsten Vorwürfe und der gemeinsten Spöttereien. Er sollte
nicht Vigilantius, sondern Dormitantius heissen; so sehr sei sein Verstand
von Schlafsucht befallen. Im Jahre 404 erhielt nun Hieronymus durch den
Presbyter Riparius von Tarracon in Spanien die Nachricht, dass Vigilan-
tius sehr auffallende Lehren verbreite (auch in einer eigenen Schrift).
Hieronymus sprach sich in einem Briefe an Riparius in höchstem Grade
erbittert darüber aus und bedauerte nur, nicht die ganze Schrift des Man-
nes vor sich zu haben, um ihn nach Herzenslust angreifen zu können. Er
meinte, Vigilantius verdiene um seiner Irrthümer willen am Leben gestraft
zu werden. Doch suchte er vor Allem, ihn moralisch zu vernichten. Er
Hess sich seine Schriften kommen (406) und verfasste nun in einer einzigen
Nacht die Widerlegungsschrift, welche die Hauptquelle ist für unsere
Kenntniss des Mannes und welche bestimmt war, die durch ihn angeregte
Bewegung zu unterdrücken.
Was sind denn das für schreckliche Dinge, um welcher willen der
gelehrte Kirchenvater sich so sehr ereiferte? Es scheint die Reise nach
Palästina, welches damals für die christliche Welt dieselbe Stellung hatte
wie Rom zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, auf Vigilantius einen
ähnlichen Eindruck gemacht zu haben , wie auf Luther seine Reise nach
Rom. Fortan kämpfte er gegen diejenigen Seiten des kirchlichen Lebens,
welche damals an den heiligen Stätten mit besonderer Liebhaberei gepflegt
wurden und um deren willen die katholischen Christen mit besonderer
Ehrfurcht nach jenen Stätten ihre Blicke richteten. Doch es ist nicht
möglich, aus des Hieronymus Darstellung mit den beigegebenen wörtlichen
Citaten sich ein zusammenhängendes Bild von der Anschauungsweise des
Mannes zu machen. Ein Hauptgegenstand seiner Polemik war der Cultus
der Märtyrer und ihrer Reliquien. In der Verehrung der Märtyrer, sowie
sie seit geraumer Zeit statt fand, sah er mit Recht einen Rückfall in das
Heidenthum, eine Vergötterung der Creatur, indem die Anrufung der
Märtyrer eine Art von Allgegenwart derselben voraussetze; und wenn man
die Anrufung derselben an ihre Reliquien knüpfen wollte, so entstände
die lächerliche Vorstellung, dass die Seelen der Märtyrer allezeit ihren
Staub umflattern. Ihm war auch die Abgötterei, die mit den Reliquien
416 Zweite Periode des alten Katholicismns.
derselben getrieben wurde, zuwider; erstens zweifelte er mit Recht an
der Aechtheit derselben, noch mehr bezweifelte er die Wunder, die von
denselben berichtet wurden; sodann missbilligte er das Herumtragen der
Todtengebeine , die Einhüllung derselben in kostbare Stoffe. Er nannte
die Sammler und Verehrer der Reliquien Aschensammler (cinerarios) und
Abgötter. Auch das Anzünden von Kerzen zu Ehren der Märtyrer sah
er als Nachahmung eines heidnischen Gebrauches an; dabei wollte er kei-
neswegs den Märtyrern und Heiligen Abbruch thun ; spricht er doch davon,
dass das Lamm sie mit dem Glanz seiner Majestät beleuchtet i). Er hielt
auch den nächtlichen Gottesdienst in den Kirchen, die Vigilien, wegen
der dabei vorkommenden sittlichen Aergernisse für verwerflich ; doch wollte
er blos die zu Ehren der Märtyrer gefeierten abgeschafft wissen. Die
Ostervigilien Hess er gelten, sowie auch, dass zu Ostern das Halleluja
gesungen werden sollte, woraus hervorgeht, dass Vigilantius nur die Gleich-
stellung der Feste zu Ehren des Herrn und derjenigen zu Ehren von blossen
Menschen, also wieder Creaturvergöttening, beseitigen wollte. Zugleich
sprach er sich aus gegen den Cölibat der Geistlichen, gegen das asketische
Leben überhaupt. Er wollte nichts wissen von der selbst erwählten Ar-
muth, und meinte, es sei besser, den Armen nach und nach zu helfen,
als sich auf einmal seines Besitzes zu entäussern. Er hat darauf aufmerk-
sam gemacht, dass durch das Mönchthum wesentliche geistliche Aufgaben,
Seelsorge und dergleichen unmöglich würden und dass Weltflucht durch-
aus nicht soviel sei als Besiegung der Welt. Er suchte auch den beson-
deren Nimbus, der das Mönchthum in Palästina umgab, zu zerstören und
meinte, dass die Geldspenden dahin aufliören sollten; das musste dem
Hieronymus beinahe wie ein persönlicher Angriff" erscheinen.
Der Grund der äusserst unwürdigen Polemik des Hieronymus gegen
die reformatorischen Bestrebungen des gallischen Priesters ist nicht blos
in der Gemüthsart des Kirchenvaters zu suchen, sondern auch darin, dass
Vigilantius Anhänger fand. Hieronymus beklagte sich von Anfang an, dass
der Diöcesanbischof dem kühnen Neuerer nicht Stillschweigen auferlege.
In der Lombardei hatte Vigilantius mehrere Bischöfe auf seiner Seite, was
die Verwerfung des Cölibats betrifft, der damals wahrscheinlich schon
manche bittere Frucht gebracht hatte 2). Er hatte auch unter dem nie-
deren Klerus und unter den Laien Anhänger, wie denn Riparius befürchtet,
seine Parochie möchte durch die Grundsätze des Vigilantius angesteckt wer-
den. Doch das geschah nicht; die gerügten Missbräuche und Irrthümer, durch
so gewaltige Autoritäten vertreten oder geduldet, konnten ungehindert fort-
wuchern. Vigilantius antwortete nicht auf des Hieronymus Schmähschrift;
er scheint bald darauf gestorben zu sein. Wenigstens weiss die Geschichte
nichts mehr von ihm.
Etwas früher als die von Jovinian und Vigilantius versuchte Oppo-
sition gegen die Verirrungen der Zeit fällt die von Aerius, Jugendfreund
1) Magnum honorem praebent hnjusce modi homines beatis martyribus, quos agnns,
qui est in medio throni, cum omni fulgore majestatis suae illustrat.
2) Inter Hadriae fluctus Cottiique regis alpes in nos declamando clamavit. Prob
nefas, episcopos sui sceleris dicitur habere consortes.
Ansbreitung des Christenthums. Afrika. 417
des Eustathius, des nachherigen Bischofs von Sebaste in Armenien, Aerius
führte in Gemeinschaft mit ihm eine Zeitlang ein asketisches Leben, und
wurde von Eustathius seit dessen Erhebung zur bischöflichen Würde (355)
zum Presbyter geweiht und zum Vorsteher eines Armenhauses in Sebaste
ernannt. Doch bald geriethen die beiden Männer mit einander in Streit.
Differenzen in den Ansichten über gewisse nicht unwichtige Punkte der
Kirchenverfassung, des Gottesdienstes und des christlichen Lebens mehrten
das Feuer des Streites zwischen beiden ehemals befreundeten Männern.
Aerius stand übrigens in seiner Opposition durchaus nicht vereinzelt. Denn,
als es dahin kam, dass er, ungeachtet der Ermahnung des Eustathius,
das ihm anvertraute Haus in Sebaste verliess (360), schlugen sich eine
Menge Christen beiderlei Geschlechter zu ihm. Es entstand eine eigene
Partei der Ae rianer, die, von allen Seiten verfolgt, ihre Versammlungen
häufig auf freiem Felde, in Wäldern und auf Bergen hielt, doch bald
spurlos verschwand. Gegen die Grundsätze, welche Aerius mit den Seinen
vertheidigte, lässt sich vom Standpunkte des Protestantismus aus nichts ein-
wenden, aus welchem Grunde den Protestanten die aerianische Ketzerei
öfter ist Schuld gegeben worden. Aerius hielt nämlich nach apostolischer
Tradition die Gleichheit von Bischot und Presbyter fest. Mit Berufung
auf 1 Kor. 5, 7 erklärte er sich gegen die in jenen Gegenden herrschende,
offenbar judaisirende Beibehaltung der Passahmahlzeit bei der Feier des
Abendmahles. Aerius bekämpfte auch den Werth der Fürbitte für die
Todten und die sittlichen Auswüchse, die sich daran knüpften. Er wollte
auch von den durch die Kirche gebotenen Fasten nichts wissen, nicht als
ob er, der Askete, das Fasten selbst verworfen hätte. Er erklärte sich
gegen die kirchlich gebotenen Fasten wegen des jüdisch -knechtischen We-
sens, das dadurch befördert werde. So musste denn auch dieser Refor-
mationsversuch in Sand verlaufen und dadurch die bekämpften krthümer
nur noch bestärken i).
Sechster Abschnitt.
Ausbreitung des Christenthums ausserhalb des römischen
Reiches.
Wir wenden uns zuerst nach Africa, von da nach Asien, durchwan-
dern darauf Europa bis nach Spanien. Das isolirte Grossbritannien er-
heischt eine abgesonderte Betrachtung. Auf diesem weiten Schauplatze
begegnen uns die mannigfaltigsten Völker und mannigfaltige Schicksale
des Christenthums, auch verschiedenartige Auffassungen desselben, worin
1) S. Epiphanias. 75 Haeresie. Schroekh 6, 227 ff. Neander 2, 372.
Herzog, Kirchengeachichte I. 27
418 Zweite Periode des alten Katholicismus.
sich die inneren Bewegungen der katholischen Kirche des römischen
Reiches, welches überhaupt auf die »Missionen, deren Entwicklung und Er-
folge einwirkt, abspiegeln. Insbesondere ist die Missionsgeschichte dieser
Zeit unter den germanischen Völkern zum Theil eine Fortsetzung der
Geschichte des Arianismus.
I. In Africa ist das wichtigste Ereigniss die Gründung der abes-
sini sehen Kirche *), die sich merkwürdigerweise mitten unter muhamme-
danischen und heidnischen Völkern bis auf den heutigen Tag erhalten hat.
Ein christlicher Gelehrter aus Tyrus, Meropius, Philosoph, unternahm
unter Constantin eine wissenschaftliche Entdeckungsreise. Als er an der
Küste von Abessinien landete, wurde er nebst der ganzen Mannschaft
des Schiffes getödtet, ausgenommen zwei Jünglinge, Verwandte oder Neffen
des Meropius, Frumentius und Aedesius, deren zartes Alter den Bar-
baren Mitleid eingeflösst hatte. Sie kamen als Sklaven an den Hof des
Königs in Auxuma (Axum im heutigen Tigre), wo der eine zum Schatz-
meister, der andere zum Mundschenk des Königs erhoben wurden. Vor
seinem Tode liess sie der König frei. Die Königin Regentin Hess die
beiden in hohen Aemtern, die sie zur Einführung des Christenthums be-
nutzten. Sie zogen ägyptische Kaufleute herbei, und die Christen erhielten
das freie Niederlassungsrecht mit Privilegien. Aedesius kehrte nach Tyrus
zurück, Frumentius setzte sich in Verbindung mit dem neu erwählten
Patriarchen von Alexandrien Athanasius (326), erbat sich von diesem
Priester für sein neues Vaterland und wurde von ihm zum Bischof geweiht
und kehrte nach Abessinien zurück, als Patriarch Abessiniens Abba Salama
genannt. Der neue König Aizan und sein Bruder wurden getauft, das
Christenthum machte rasche Fortschritte. Während der arianischen Wir-
ren behauptete Frumentius seine Stellung gegen Kaiser Constantius, der
den König bewegen wollte, ihn durch einen arianisch- gesinnten Patriarchen
zu ersetzen. Von wesentlicher Bedeutung ist die im vierten und fünften
Jahrhundert gemachte äthiopische Bibelübersetzung, d. h. in der
alten Landessprache des axumitischen Reiches, die von den Eingeborenen
auch die Geersprache genannt wird. Sie ist nach dem in der alexandri-
nischen Kirche jener Zeit recipirten Texte verfertigt, woraus auf ihr hohes
Alter ein Schluss gemacht werden kann ; denn nur in der ersten Periode der
äthiopischen Literatur wurde aus dem Griechischen übersetzt. Schon Chry-
sostomus scheint diese Uebersetzung zu kennen. Sie ist, nach dem Urtheile
von Dill mann sehr getreu nach dem Griechischen gemacht und im Gan-
zen als eine sehr wohl gelungene und glückliche zu bezeichnen. Bisweilen
trifft sie mit dem Sinn und den Worten des hebräischen Urtextes im Alten
Testament auf überraschende Weise zusammen 2).
IL Was Asien betrifft, so kommt zunächst in Betracht die Ver-
breitung des Christenthums unter den Hamyaren (Homeriten) in Ara-
bien (c. 350) durch den arianisch -gesinnten, von Kaiser Constantius gesen-
deten Theophilus; diese Sendung hatte zunächst glücklichen Erfolg (Philo-
1) S. Sokrates 1, 19. Sozom. 2, 24. Theodoret 1, 22.
2) S. den Artikel äthiopische Kirche von W. Hofmann und äthiopische
Bihelühersetzung von Dillmann, beide in der Realencyklop&die.
Ausbreitung des Christenthums. Persien. Armenien. 419
storgius 2, 6, 3, 4. 5). Doch spater wurden die christlichen Gemeinden
unterdrückt.
Im neupersischen Reiche war das Christenthum am Anfange
der Periode weit ausgebreitet. An der Spitze der Kirchen stand der Bi-
schof von Seleucia-Ktesiphon, der Hauptstadt des Reiches. DerHass
gegen die Römer wurde auf das Christenthum übergetragen, seitdem die
römischen Kaiser den christlichen Glauben angenommen. Daher konnten
die Empfehlungen Constantius bei dem Könige Schapur (Sapora) zu
Gunsten der Christen wenig ausrichten. Zum politischen Argwohn gesellte
sich der religiöse Fanatismus, der schon Mani ins Verderben gebracht
hatte. So begann im Jahr 343 eine Verfolgung, welche viele Christen
aus allen Ständen dahinraffte und welche mit wechselnder Stärke bis zum
Tode des Königs (381) fortdauerte. Der ehrwürdige greise Bischof Symeon
von Seleucia-Ktesiphon war als das erste Opfer dieser Verfolgung gefallen.
Bis zum Jahr 414 trat nun Ruhe ein, König Jezdegerd war sogar den
Christen günstig. Bischof Maruthas von Tagrit genoss sein Vertrauen
und trug viel dazu bei, den Christen bessere Tage zu bereiten. Sie nah-
men ein Ende durch den fleischlichen Eifer des Bischofs Ab das von Susa,
welcher eigenmächtig einen persischen Tempel (ein nvQeiov)^ in welchem
das Feuer als Symbol des Ormuzd verehrt wurde, niederreissen Hess.
Der König machte ihm zuerst in mildem Tone Vorwürfe und forderte ihn
auf, den Tempel wieder aufzurichten. Als der Bischof sich dessen stand-
haft weigerte, begann eine langjährige Verfolgung, worin viele Christen
unter den fürchterlichsten Martern den Tod fanden. Das Christenthum gab
neue Beweise der weltüberwindenden Kraft, welche es seinen Bekennern
einflösst. Theodosius IL erzwang 422 unter dem Nachfolger des Jezdegerd,
König Varanes, durch einen Krieg das Ende der immer wüthender ge-
wordenen Verfolgung. (S. in der Realencyklopädie den Artikel Persien,
Christenthum in.)
In Armenien war das Christenthum in der vorigen Periode einge-
drungen. Am Ende des dritten Jahrhunderts wurde es durch Gregorius,
von Geburt einen Armenier, weiter verbreitet, der dafür den schönen Bei-
namen (fcotKTtrjg, illuminator erhielt, zum Zeichen, dass er in den Gegen-
den , wo die Anbetung des Feuers herrschte , das wahre Licht verbreitet
habe. Durch ihn wurde auch der König Tiridates bekehrt, seinem Bei-
spiele folgten die angesehensten Grossen und der grösste Theil des Volkes.
Darauf zum Bischof Leontius von Cäsarea in Kappadocien gesendet (302),
wurde er von ihm zum Patriarchen der armenischen Kirche geweiht. Seit
dem galt dieses Cäsarea als die Metropole von Armenien. Gregorius war
verheirathet und hatte mehrere Söhne, wovon der eine, Aristax, das nicä-
nische Concil besuchte, dessen Beschlüsse in Armenien angenommen wur-
den. Am Ende seines Lebens übergab er sein Amt dem Sohne Aristax.
Von ihm sind unter seinem Namen vorhanden, doch von zweifelhafter
Aechtheit Homilieen, in Constantinopel 1737 erschienen.
In der späteren Zeit dieser Periode erwarben sich besondere Ver-
dienste um die armenische Kirche Nerses, Patriarch oder Katholikos vom
Jahr 360 bis 390, Sahak sein Sohn und Mesrob (Myesrob), auch
27*
420 Zweite Periode des alten Katholicismus,
Maschthor genannt. Jener Sahak (i. e. Isaak), im Jahr 388 durch
Chosrov im Alter von 50 bis 60 Jahren zur Würde des Katholikos oder
Patriarchen erhoben, zubenannt der Grosse, der letzte Sprössling aus dem
Geschlechte Gregor's des Erleuchters, brachte eine gleichmässige Ordnung
in den ganzen Gultus, wurde der geisliche Rathgeber des Königs und der
Grossen, erbaute oder stellte wieder her Kirchen und Klöster. Mesrob
war sein Jugendfreund. Nachdem er die Stellung eines Staatssecretärs
bei dem Könige verlassen, und einige Zeit in der Einsamkeit als Askete
gelebt, kam er zu Sahak, der ihm auftrug, im Lande herumzuziehen und
das Evangelium zu predigen. Mit Hülfe der weltlichen Machthaber ver-
trieb er die Heiden, welche sich noch in verschiedenen Gegenden verbor-
gen hielten. Während seiner Missionsarbeiten wurde ihm das Bedürfniss
einer eigenen Schrift für das Armenische recht fühlbar. Er brachte dat;
armenische Alphabet erst nach langjährigen Bemühungen in Verbindung
mit seinem Freunde Sahak und unterstützt vom frommen König Wram-
schapuh zu Stande. „Nach den neuesten Untersuchungen, sagt Peter-
mann, gebührt ihm zwar nicht das Verdienst, das ganze Alphabet erfun-
den und gebildet, sondern nur das nicht viel geringere, ein altes, längst
vergessenes wieder hervorgezogen, vervollständigt und im ganzen Lande
eingeführt zu haben." Wegen des mangelnden Alphabets hatte es bis
dahin keine armenische Uebersetzung der Bibel gegeben, die Bibel-
lectionen und Gebete wurden in der dem Volke unverständlichen syrischen
Sprache gehalten. Beide Männer machten sich nun sogleich an diese
Uebersetzung. Mesrob übersetzte das Neue Testament, Sahak das Alte
Testament, und zwar aus dem Syrischen, da durch persischen Einfluss alle
griechischen Schriften vernichtet waren. Diese Uebersetzung, von den
Fachgelehrten sehr gerühmt, wurde sehr verbreitet, erlitt aber seit der
näheren Verbindung mit dem Abendlande mehrere Interpolationen aus der
Vulgata. Die beiden genannten Männer errichteten darauf im ganzen
Lande Schulen zum Unterricht in der Schrift und in der Religion. Sie
waren auch als Schriftsteller sehr thätig; ihre Schriften gelten als Muster
des Stiles bei den Armeniern; sie führten die Glanzperiode der arme-
nischen Literatur herbei, worunter viele Schriften der Kirchenväter, auch
Philo's, sodann selbständige Erzeugnisse ^).
HL Die Bekehrungen auf dem Continente von Eur opa führen uns zu den
germanischen Völkern, durch welche überhaupt eine neue Wendung der
Weltgeschichte eingeleitet wird. Was wäre aus dem Christenthum geworden,
wenn diese Völker dasselbe nicht angenommen hätten? Es hätte das
Loos des weströmischen Reiches getheilt. Von den germanischen Völkern
im Norden und Westen bedrängt, seit den ersten Jahrzehnden des sieben-
ten Jahrhunderts von den Muhammedanern im Osten, die bald auch am
äussersten Westen Europa's erobernd .auftraten , wäre es auf einen kleinen
Flächenraum beschränkt worden — und auf ersterbende Völker. Da wur-
1) S. in der Eealencyklopädie die Artikel Armenien im 19. Bande, von Pe-
termann, Gregor der Erlauchter im 1. Bande, Mesrob im 9. Bande, Sahak im
20. Bande und die daselbst angegebenen Quellen, diese beiden letzten ebenfalls von Pe-
termann.
Ausbreitung des Christenthums. Germanische Völker. 421
den ihm neue, in der ersten Jugendkraft stehende Völker zugeführt, unter
welchen es einen neuen, bald den wichtigsten Schauplatz seiner Thätigkeit
finden sollte i).
Tacitus hat mit seiner Schrift den entarteten Römern seiner Zeit das
unverdorbene, in mancher Hinsicht dem altrömischen ähnliche germanische
Volksthum gleichwie in einem Spiegel zur Nachahmung als Muster vorgehalten
und das von den eigenen Mitbürgern als barbarisch verachtete Volk in sei-
nem wahren Werthe dargestellt. — Die Macht der Sitte grösser als die
der Gesetze, die Keuschheit der Jünglinge, die Achtung vor dem weib-
lichen Geschlechte, die Monogamie, die Seltenheit des Ehebruchs, die
Geradheit und Offenheit des Charakters, das im Ganzen humane Ver-
hältniss zwischen Herren und Knechten, die Tiefe des Gefühles sich kund-
gebend in treuer Erinnerung an die dahingeschiedenen Angehörigen, — das
sind eben so viele bedeutsame Züge des Gemäldes, welches der römische
Geschichtschreiber vor uns entrollt, wobei er übrigens die Schattenseiten
nicht verdeckt, z. B. die Liebe zum Trünke, sowie er auch das anführt,
dass die Germanen nicht nur keine Städte, sondern auch keine unter ein-
ander verbundene Wohnstätten haben; jeder wählt sich nach freiem
Belieben die Stätte für sein Haus und baut es auf, gänzlich abgesondert
von den anderen: ein acht germanischer Zug.
Die germanische Götterlehre, wie sie in der Edda vorliegt, ist bei
aller paganischen Verdunkelung des Gottesbewusstseins , welche sich darin
kund gibt, doch durchaus nicht ohne sittlichen Gehalt. Diess zeigt sich
besonders in der Vorstellung vom Weltende. Das alte Göttergeschlecht,
weil es sich mit dem Riesengeschlecht, den rohen ungebändigten Natur-
kräften in eine Verbindung eingelassen und sich dadurch befleckt hat, geht
unter, die Welt und die auf ihr wohnende Menschheit wird durch Feuer
verzehrt. Nach dem Weltbrande erhebt sich eine durch das Feuer geläu-
terte neue Erde, ein neues Göttergeschlecht, so wie ein neues Menschen-
geschlecht entsteht; das Gute behauptet fortan für immer die Herrschaft
in der Welt, unter der Oberleitung des höchsten Gottes, des Allvaters,
dem die anderen Götter dienstbar sind und der durch seine rathschlagende
und richterliche Thätigkeit die beste Bürgschaft für die Erhaltung des
Friedens darbietet. Dabei wird die altgermanische Vorstellung von einer
Vergeltung nach dem Tode, zusammenhängend mit dem stark ausgepräg-
ten Glauben an die Unsterblichkeit der Seele, wesentlich modificirt, inso-
fern in der neuen Welt alles Böse verschwunden ist und damit die Straf-
leiden von selbst authören. Wenn die jüngere Edda in der erneuerten
Welt die Strafleiden fortdauern lässt, so rührt das her von christlichen
Einflüssen. Noch ist zu bemerken, dass die Germanen eine unsichtbare
♦
1) S. die zu Anfang der Periode angeführten römischen Schriftsteller. Sodann
Tacitus de situ, moribus et populis Germaniae. Jornandes (Jordanis) de origine
actibusque Getarum. Ausgabe vonCloss. Stuttgart 1861 und die Artikel von Weitzsäcker
in der Kealencyklopädie. Jakob Grimm, deutsche Mythologie, 2. Ausgabe, Walz, über
das Leben und die Lehre des Ulfila u. s. w. 1840. B es seil, über das Leben des ülfila
u. s. w. 1860. W. Kr äfft, die Kirchengeschichte der germanischen Völker, 1. Band
1854 — dazu ßettberg'a Kirchengeachichte Deutschlands. 1846.
422 Zweite Periode des alten Katholicismns.
Gottheit verehrten: ;,sie halten es der Hoheit der Himmlischen nicht an-
gemessen, sie in Wände einzuschliessen oder in Gestalt menschlichen
Antlitzes abzubilden; dagegen weihen sie Haine und Gehölze und rufen
unter göttlichen Namen jenes unerforschliche Wesen an, das nur ihr ehr-
furchtsvolles Gemüth erkennf" ^). Doch gab es bei ihnen Bilder der
Gottheit.
Das erste germanische Volk, das hier in Betracht kommt, sind die
Gothen, ursprünglich Geten genannt, den Römern schon mehi'ere Jahr-
hunderte vor Christi Geburt bekannt und in den Gegenden der unteren
Donau angesiedelt. Im Anfang des dritten Jahrhunderts nach Christi Ge-
burt kam der Name Gothen auf, der eine Anzahl Einzelstämme befasste.
Damals drangen sie mit grösserer Kühnheit als früher gegen das römische
Reich vor. Im Kampfe mit ihnen fand Kaiser Decius in den Sümpfen der
Donau seinen Tod (251). Unter der Regierung von Valerian und Gallien
drangen sie in drei grossen Heereszügen zu Wasser und zu Lande vor,
bis nach Kleinasien, wo sie viele Denkmäler des Alterthums, besonders
auch den prächtigen Tempel der Diana zu Ephesus zerstörten. Erst Con-
stantin gelang es, die Gefahren, womit sie das römische Reich bedrohten,
zu beseitigen, indem er mit ihnen einen Frieden abschloss, der so lange
währte, als Glieder der constantinischen Familie (363) regierten; er nahm
40,000 derselbe^ in sein Heer auf. Während ihrer Kriegszüge im dritten
Jahrhundert gegen Valerian und Gallien hatten sie viele Gefangene in Gala-
tien und Kappadocien gemacht, die sie mit sich fortschleppten, unter ihnen
Christen und insbesondere Geistliche, welche unter den Gothen Anhänger
für den christlichen Glauben gewannen. Seit der näheren Verbindung mit
dem römischen Reiche mehrte sich unter ihnen die Zahl der Christen.
Auf dem Concil von Nicäa (325) erscheint bereits ein Bischof Gothiens,
Theophilus, der die Beschlüsse des Concils mit unterzeichnet hat.
Die weitere Verbreitung und Begründung des Christenthums unter
den Gothen war hauptsächlich das \^erk des Ulfila, geboren 313 im
Schoosse einer christlichen Familie, welche die Gothen aus Kappadocien
und zwar von Sadagqkhina in der Nähe der Stadt Parnassus als Gefangene
fortgeschleppt hatten. Da seine Vorfahren wohl schon über ein halbes
Jahrhundert unter den Gothen gelebt hatten, als Ultila geboren wurde,
erhielt er einen gothischen Namen, Vulfila von Vulfs, d. h. Wolf, also
Wölflein 2). Ei' erlernte unter den Gothen ihre Sprache, wurde ausserdem
von seinen Eltern in griechischer Bildung und im Christenthum auferzo-
gen. Er wirkte zuerst als Lehi'er unter den an die Donau vorgerückten,
aber nördlich von derselben wohneuden Westgothen (Wesegothen),
Thervinger, Taifalen. Im Jahr 343 wurde er zum Bischof geweiht
und zwar wahrscheinlich von arianisch - gesinnten Bischöfen; denn er be-
hauptet in se4iiem Glaubenstestamente kurz vor seinem Tode, dass er dem
arianischen Bekenntniss immer ergeben gewesen sei; die leichtere P'ass-
lichkeit der arianischen Lehre muss hiebei wesentlich in Anschlag gebracht
1) Tacitus Germania c. Ö.
^) Phüostorgius nennt ihn Ov^(ftXai.
Ansbreitung des Christenthums. Germanische Völker. 423
werden. Dazu kam, dass die Gothen durch Annahme des arianischen
Bekenntnisses ihre Verbindung mit dem römischen Reiche erleichtern
konnten. Immerhin aber ist Ulfila's Auffassung der Trinitätslehre so be-
schaffen, dass sie mit keiner der von den arianischen Parteien vorgetra-
genen Formel völlig übereinstiöimt i). Er gelangte zu hohem Ansehen,
indem er als politischer Geschäftsträger in den Verhandlungen mit dem
oströmischen Reiche gebraucht wurde. Es hatte sich nämlich, hauptsäch-
lich durch Ulfila's Bemühungen die Zahl der Christen unter den West-
gothen so sehr gemehrt, dass der Beherrscher derselben, Athanarich, der
noch Heide war, auf sie aufmerksam wurde ; da aber die christlichen Gothen
ohnehin als heimliche Freunde der verhassten Römer galten, so erhoben
sich Verfolgungen gegen dieselben; viele starben den Märtyrertod, andere
giengen als Bekenner aus dem Kampfe hervor; diese Verfolgung fällt in
das Jahr 350, sieben Jahre nachdem Ulfila Bischof geworden. Da
bewirkte dieser, dass Kaiser Constantius den christlichen Gothen die Nie-
derlassung auf römischem Boden erlaubte. Unter Anführung des Ulfila
zogen sie in grossen Schaaren über die Donau nach Moesien, in die Ge-
gend von Nikopolis, an den Fuss des Haemus. Daselbst wirkte Ulfila
unter ihnen bis zum Jahre 388. Er dehnte unter mannigfaltigen Gefahren
seine Wirksamkeit auch auf die Gothen auf dem nördlichen Ufer der
Donau aus; dieselbe wurde durch andere Missionäre unterstützt, unter
anderen durch den aus Kappadocien stammenden Eutyches. Die
Folge dieser gesegneten Wirksamkeit war eine neue Verfolgung, welche
Athanarich 370 über diese unter seiner Botmässigkeit stehenden Gothen
verhängte, wobei Viele ihren Glauben mit ihrem Blute besiegelten (Sabas,
Nicetas). Die christlichen Gothen wurden auf den römischen Boden hin-
übergejagt und fanden daselbst eine Zuflucht. Von dieser neuen Verfolgung
war Ulfila selber unmittelbar nicht berührt worden. Die Verfolgung nahm
erst ein Ende, seitdem die Gothen sich in zwei grosse Massen theilten
und Frithigern, der Gegner von Athanarich, den Christen Schutz verlieh.
Frithigern selbst fand bei Kaiser Valens, der dem Arianismus ergeben
war, Schutz gegen Athanarich und nahm mit seinen Gothen das arianische
Christenthum an, was wohl hauptsächlich auf Ulfila's Wirksamkeit zurück-
zuführen ist.
In diese Zeit, bald nach dem Jahr 370 fallen die Arbeiten, wodurch er
besonders bekannt geworden ist. Er gab den Gothen das Alphabet, dessen
sie sich fortan bei dem Schreiben bedienten 2). Er unternahm, wozu er
in jeder Hinsicht vorbereitet war , die Uebersetzung der ganzen heiligen
Schrift aus dem Griechischen in die gothische Sprache. Nur die Bücher
der Könige hat er nicht übersetzt, weil sie von Krieg handeln und das
kriegslustige Volk eher vom Krieg zurückgehalten, als dazu angetrieben
zu werden brauchte 3). Die Uebersetzung ist in ihrer Art ein Meisterstück,
1) Es ist mögHchTdass er seit dem Concile von Constantinopel im Jahr 360, an
welchem er Theil nahm, seinen Arianismus bestimmter ansprägte.
2) Philostorgius 2, 5: yQafx^axuiP avTois oixsicoy €vq€tvs xar«ffT«ff. Sokratea
4, 33. Ovliftlag yga/ujUKra (cpfvgi For^ix«.
3) Philoatorgias 2, 5.
424 Zweite Periode des alten Katholicismüg.
getreu nach dem griechischen Texte, doch ohne knechtisch demselben zu
folgen, und ohne dem Geiste der gothischen Sprache Abbruch zu thun.
Die Uebersetzung ist nicht mehr vollständig vorhanden; die bedeutendsten
Fragmente derselben finden sich im codex argenteus^), Durch diese
vortreffliche Uebersetzung war die Verbreftung des Christenthums unter
den Gothen wesentlich erleichtert.
Die Missionswirksamkeit des Ulfila unter Frithigerns Schutz auf dem
nördlichen Ufer der Donau hatte nur einige Jahre gedauert, als die Gothen
von einem stärkeren Volke gedrängt wurden. Mit dem Einfall der Hunnen
in Europa 375 beginnt die eigentliche Völkerwanderung, welche im Jahr
568 durch Ansiedelung der Longobarden in Italien ihren Ausgang nahm.
Gedrängt von den Hunnen erhielten die Gothen durch die Vermittlung
des Ulfila von Kaiser Valens 375 Wohnsitze in Thracien, in welches
Land mehrere Hunderttausende einzogen, ein neues Feld der Wirksamkeit
für Ulfila: sie nahmen das arianische Christenthum an. Nicht lange nach
der Uebersiedelung rief die harte Behandlung, welche die Gothen in Thracien
von den römischen Statthaltern erfuhren, einen Krieg zwischen den Römern
und Gothen unter Frithigern hervor, der die Missionsthätigkeit des Ulfila
unterbrach. In der Schlacht bei Adrianopel (378), worin Valens fiel, blieben
die Gothen Sieger, verwüsteten weit und breit das Land bis zum adria-
tischen Meerbusen und drangen bis zu den Mauern von Constantinopel vor.
Theodosius suchte den Verheerungen der Gothen zu steuern und sie zu-
rückzutreiben, welcher Versuch begünstigt wurde durch den Tod Frithi-
gerns. Mit Athanarich und seinen Westgothen schloss er ein Bündniss
und nahm sie in den römischen Heeresdienst auf. Um sie, die Arianer
waren, zufrieden zu stellen, was eine Massregel der Politik war, dachte
er zuerst daran, durch ein Concil von Constantinopel im Jahr 383 eine
Unionsformel aufstellen zu lassen, in der sich Nicäner und Arianer ver-
einigen könnten. Doch schliesslich liess er sich die Bekenntnisse der ver-
schiedenen Parteien übergeben und entschied endgültig für das nicänische.
Ulfila, auf Grund jenes Bekenntnisses als Häretiker verurtheilt, tief be-
kümmert über diesen Ausgang der Sache, fiel in eine Krankheit, der er
noch im Jahr 383 erlag. Er hatte aber dafür gesorgt, dass tüchtige Schüler
sein Werk fortsetzten, unter anderen Auxentius, Bischof von Dorostorus
1) Dieser Codex gehört dem ffinften oder spätestens dem Anfang des sechsten Jahr-
hunderts an; er enthält die vier Evangelien in folgender Ordnung: Matthäus, Johannes,
Lukas , Marcus. Den Namen hat er daher erhalten , weil er mit silberner (theilweise mit
goldener) üncialschrift geschrieben ist (auf purpurröthliches Pergament). Er befindet sich
auf der Bibliothek der Universität üpsala. Ehe er nach Schweden kam, war er in Prag
im kaiserlichen Schatze aufbewahrt gewesen, bei der Einnahme von Prag im Jahr 1648
wurde er durch die Schweden erbeutet und an die Königin Christine gesendet. Im Jahr
1699 kam er nach üpsala. Es gibt aber noch mehrere andere Codices, die jedoch mei-
stens nur kleinere Fragmente, besonders aus den paulinischen Briefen enthalten. Sämmt-
liche Fragmente nebst lateinischer Uebersetzung und kritischen Anmerkungen sind von
Gabelentz und J. Loebe herausgegeben worden. Leipzig 1843. S. auch Hug, Ein-
leitung in das Neue Testament I S 130 - 141. Nach seiner Ansicht ist der codex argen-
teus in Italien geschrieben.
Ausbreitung des Christenthums. Germanische Völker. 425
(Silistria). Ungeachtet der von Constantinopel aus gemachten Versuche,
die V^estgothen für das nicänische Bekenntniss zu gewinnen, erhielt sich
unter ihnen der Arianismus und verbreitete sich mit gi'osser Schnelligkeit
unter den übrigen in das römische Reich einbrechenden und in demselben
sich ansiedelnden germanischen Völkern, wozu ausser der grösseren
Verständlichkeit der arianischen Lehre der Hass gegen die Römer, die
am nicänischen Dogma festhielten, beitrug. So nahmen die Ostgothen
und Vandalen das arianische Christenthum an, ebenso einige andere
germanische Völker, die zuerst das katholische Bekenntniss angenommen
hatten. Die Burgunder nahmen, seitdem sie ihre Wohnsitze in den Ge-
genden des Oberrheins aufgeschlagen, das katholische Christenthum an
c. 417 0. Seitdem sie neue Wohnsitze am Jura gefunden, bekannten sie
sich zum Arianismus, doch nicht völlig. Selbst in dei königlichen Familie
drang er nicht völlig durch. Unter den Sueven in Spanien hatte auch
zuerst das katholische Christenthum Eingang gefunden, wurde aber seit
469 durch die Westgothen verdrängt. Diese, so wie die Vandalen be-
drückten die älteren katholischen Bewohner der betreffenden Gegenden.
Fürchterlich litt besonders die afrikanische Kirche, durch die Vandalen
(seit 430). Inmitten dieser Bewegungen eilte das weströmische Reich sei-
nem Untergange entgegen. Alarich, König der Westgothen, eigentlich
im Dienste beider Hälften des römischen Reiches stehend, unzufrieden mit
der Behandlung, die ihm vom weströmischen Hofe widerfuhr, erschien im Jahr
410 mit einem grossen Heere aus verschiedenen, zum Theil noch heidnischen
germanischen Völkern zusammengesetzt, vor Rom; da brach über die
Welthauptstadt das Geschick ein, welches sie über so viele andere Städte
gebracht hatte. Doch da Alarich und die meisten seiner Krieger Christen
waren, so war die angerichtete Zerstörung weder gross noch allgemein.
Alarich gab Befehl, die Kirchen und die darin geflüchteten Christen unan-
getastet zu lassen. In der That sah man mitten in der allgemeinen Ver-
wirrung einen langen Zug von Bewohnern Roms, beladen mit kostbaren
Kirchengefässen und christliche Gesänge anstimmend, unangefochten sich nach
dem Vatican bewegen. — Der neue Einbruch der Hunnen in der Mitte des
fünften Jahrhunderts, an welche mehrere germanische Völker durch Zwang
sich angeschlossen, brachte nicht nur das weströmische Reich in die äus-
serste Gefahr; es war geschehen um die europäische Civilisation , wenn
Etzel (Attila), mit seinen fünf bis siebenhunderttausend Mann den Sieg
davon trug. In der Schlacht bei Chälons (sur Marne) wurde er 451 be-
siegt. Auf der Seite der Römer unter des Aetius Führung standen meh-
rere germanische Völker. Attila wandte sich nach Italien im folgenden
Jahre und brachte ganz Oberitalien in seine Gewalt. Doch drang er nicht
weiter vor; er Hess sich mit Leo L, der begleitet von zwei vornehmen
Römern ihm bis an den Mincio entgegengekommen war, in Unterhandlungen
ein 2), in Folge deren er Italien verliess, worauf er im Jahr 453 durch
1) Die Nachricht bei Sokrates 7, 30, der die Bekehrung in eine spätere IZeit ver-
setzt, ist wahrscheinlich unrichtig.
2) In agro Venetum Ambulejo sagt Jornandes S. 151. Bekanntlich hat sich an
426 Zweite Periode des alten Katholiciamus.
den Tod die Welt vom Schrecken seines Namens befreite. Darauf, nachdem
Aetius, die letzte Stütze des Staates durch den argwöhnischen Valentinian III.
getödtet worden (454), brachen die Vandalen ^iu ItaUen ein. Rom wurde
vierzehn Tage lang geplündert; doch Mord und Brand hatte der König
Geiserich abzuhalten versprochen und er hielt Wort. Das weströmische Reich
schleppte sein sterbendes Dasein noch bis zum Jahr 476 fort, in welchem
Odoacer, König der Rugier, den jungen Kaiser Romulus Augustulus
absetzte.
Welchen Eindruck diese Bewegungen und Umwälzungen und damit ver-
bundenen Verheerungen auf die Gemüther der Bewohner des römischen
Reiches machten, haben wir erst zum Theil angedeutet. Während die Hei-
den darin die Strafe der Götter für die Verwerfung der alten Religion, unter
deren Schutz Rom die Welt erobert hatte, erblickten, erkannten die Chri-
sten darin die gerechte Strafe für das sittliche Verderben, welches unter
ihnen in furchtbarem Maasse sich gesteigert hatte. ;,Wir gehen unter durch
unser eigenes sitthches Verderben,^ sagte Hieronymus. ^^Was ist die
Gesammtheit der Christen anderes als eine Kloake von Lastern,"? sagte Sal-
vian^), der in seiner Schrift de gubernatione Dei ein abschreckendes Bild
der Verkommenheit der christlichen Bewohner des römischen Reiches ent-
wirft, während er die Tugenden der als barbarisch verachteten Germanen
und besonders die Keuschheit hervorhebt, wodurch die Meisten derselben sich
auszeichneten. Daher, während Hieronymus das Ende der Welt kommen
sieht, als er erfährt, dass Alarich Rom erobert hat, während er ausruft,
^mit der einen Stadt ist die Welt untergegangen" 2^, während Ambrosius
ebenfalls alle Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufgegeben, stellen sich,
was sehr beachtenswerth ist. Augustin, Leol. und Salvian auf einen
höheren Standpunkt; sie sehen in allen diesen Bewegungen die Vorboten
einer besseren Zukunft, und setzen ihre Hoffnung auf die germanischen
Völker. Und doch konnten diese Männer sich nicht verhehlen, dass die
germanischen Völker theils von der Häresie angesteckt, theils noch tief im
Heidenthum versunken waren. Die Franken, worunter wir ein Völker-
bündniss der seit dem Anfang des fünften Jahrhunderts am hnken Rheinufer
angesessenen germanischen Stämme zu verstehen haben, traten in den Be-
reich der römischen Civilisation, wie sie in Gallien zur Oberherrschaft gelangt
war, ein, und es war vorauszusehen, dass sie vielleicht auch mit der rö-
mischen Civilisation das Christenthum annehmen würden; aber, obschon bis
zum Ende der Periode einzelne Franken den neuen Glauben annahmen, so
berechtigte im Jahr 451 nichts zu der Hoffnung einer baldigen Bekekrung
dieser wild kriegerischen Stämme, unter denen die Sicambrer die vor-
nehmsten Waren. Unmittelbar bevorstehend War üur eine grosse Gefahr für
diese Zusammenkunft später eine ausschmückende Sage geknüpft. Sehl* gut erörtert
Perthel a. a. 0. S. 90 die Gründe, welche den Hunneükönig zur Rückkehr aus Italien be-
wogen haben.
1) S. über ihn und besonders die Schrift de gubernatione Dei, eine Art Theodicee,
Ebert a. a. 0. S. 437 u. ff. Zschimmer a. a. 0.
2) Zu Psalm 38, 4: in una urbe totus orbis interiit.
Ausbreitung des Christenthnms. Grossbritannien. 427
das Christenthum , wenn diese Völker in ihren Eroberungszügen sich weiter
gegen Süden ausdehnten und die Reiche der arianischen Westgothen und
der Burgunder angrifieu. Eine andere Gefahr bedrohte die Kirche von Seite
der Alemanen, auf dem rechten Rheinufer, die unter den germanischen
Rheinau wohnern am längsten Heiden bUeben und in den Gegenden, wohin
sie kamen, schon aus Hass gegen die Römer, jegliche Spur des Christeh-
thums vertilgten.
IV. Auch in dem den Römern unterworfenen Britannien*) hatte das
daselbst schon seit den Zeiten TertuUian's verkündigte Christenthum grosse
Bedrängnisse erlitten. Nach dem die Kirche Britanniens in der diocletia-
nischen Verfolgung schwere Verluste erlitten und darauf eine Zeitlang Ruhe
und Sicherheit genossen, wurden die Briten von den Scoten (in Schottland
und Irland) und Rieten (in Schottland einheimisch) angefallen, wobei auch
die Kirche in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Hülfe, die sie von dem
römischen Reiche erhielten (404), bUeb bald aus; die Briten hatten immer-
fort von den Einfällen der Rieten zu leiden. Da riefen sie zu ihrem Schutze
die Angeln und Sachsen aus Skandinavien herbei (449). Diese jedoch
benützten die Schwäche der alten Bewohner, um mit Hülfe nachfolgender
Stammgenosseu und Verwandten sich des Landes zu bemächtigen. Die
Briten erhielten sich unabhängig nur in Northumberland und Korn-
wallis, hier allein mit ihnen das Christenthum. Beda sieht darin ein gött-
liches Strafgericht über den verderbten Zustand der christlichen Gemeinden
und der Geistlichen unter den Briten, wovon er ein abschreckendes Bild
entwirft 2). Wann das Christenthum zuerst unter den Scoten in Schottland
verkündigt worden und unter ihnen christUche Gemeinden sich gebildet ha-
ben, ist nicht mehr zu ermitteln. So viel ist jedoch gewiss, dass um die
Mitte des vierten Jahrhunderts sich christliche Gemeinden unter den Scoten
in Schottland fanden. Was Irland betrifft, so wäre nach Beda 1, 13, der
hier dem Prosper Aquitanus folgt, (c. 430) Palladius vom römischen Bi-
schof Coelestin zu den an Christum glaubenden Scoten in Irland als Bischof
geschickt worden 3), wobei vorausgesetzt wird, dass damals das Christenthum
unter den Scoten in Irland schon festen Fuss gefasst hatte. Aber derselbe
Gewährsmann redet anderswo von Irland als von einer heidnischen Insel.
Auf jeden Fall war um die Mitte des vierten Jahrhunderts und noch ge-
raume Zeit später das Christenthum, sei es in England, sei es in Schottland,
1) S. tiber Grossbritannien Beda, bistoria ecclesiastica , bei Migne, Lappenberg,
Geschichte von England. — Ebrard, die iro - schottische Missionskirche im secbsten,
siebenten und achten Jahrhundert 1873. - D. Todd, the book of Hyüintis of tb« ancient
churchoflreland. DubhnlSöö.— Die Artikel Guide er, Ninian, Palladiüs, Patriciiu
von Schoell in der Kealencyklopädie, von demselben: de ecclesiasticae Britonum Scoto-
rumqne historiae fontibus. 1851. - Greith, Bischof von St. Gallen, Geschichte der
altirischen Kirche nnd ihrer Verbindung mit Rom, Galüen und Alemannien (von 480-
630). 1867. - Werner, Bonifacias, der Apostel der Deutschen und die Boraanisirung
von Mitteleuropa. 1875.
2) H. E. 1, 14. _
B) Uebrigens ist diess wahrscheinlich eine Erfindung der römischen KirchenpoUtUc.
Palladius verschwindet spurlos aus der Geschichte.
428 Zweite Periode des alten Katholicismus.
sei es in Irland auf mehr oder minder kleine Kreise beschränkt. Wenn ihm
nicht eine neue Lebensquelle eröffnet wurde, so war grosse Gefahr vorhan-
den, dass es bald dem Verschwinden nahe kommen könnte.
Da wurde durch Patricius (St. Patrick) dem Christenthum eine
Wohnstätte in Irland bereitet, von wo aus es weithin, auf den Continent
von Europa seine Wirksamkeit ausbreitete. Doch des Patricius Lebensge-
schichte ;,ist so mit Sagen verwoben, sagt Scholl a. a. 0., dass die histo-
rischen Fäden nur mit Mühe sich herausfinden lassen. — Der keltischen
Nation hat es nie recht gehngen wollen, von der epischen Auffassung der
Geschichte zui' rein historischen aufzusteigen." Uebrigens sind denn sloch
über Patricius einige glaubwürdige Quellen vorhanden, vor allem die con-
fesssio, eine Autobiographie und die epistola Patricii ad christianos Corotico
stcbditos *); die confessio trägt allerdings das Gepräge hohen Alterthums, das
Gepräge der Aechtheit. Der Verfasser, zurückblickend auf Gottes gnaden-
reiche Führung, nimmt sich vor, bereits hochbetagt und nahe am Ende
seiner irdischen Laufbahn — ein Bekenntniss seines Glaubens abzulegen; er
will zugleich seinen Söhnen in dem Herrn, deren er viele Tausende getauft,
ein Vermächtniss hinterlassen, da er täglich in Gefahr der Ermordung oder
Gefangenschaft schwebt. Der Inhalt der confessio ist folgender: Patricius,
Sohn des Diakon Calpurnius und Enkel des Presbyter Potitus, aus
Baunavon Taberniae (im heutigen Schottland), wird im sechzehnten
Lebensjahre mit vielen tausend Menschen durch irische Seeräuber nach Ir-
land geführt zur Strafe für Abfall von Gott und für Ungehorsam gegen die
Priester. In Irland bekehrt sich der junge Patricius. Nach VerÜuss von
sechs Jahren gelingt es ihm, in das Vaterland zurückzukehren. Doch ihn
erfüllte bald der Trieb, in dem Lande, in welchem er seine Sünden er-
kannt und wo er Gott gefunden, das Evangelium zu verkündigen. Nach
Verfluss einiger Jahre erscheint ihm, ähnlich wie dem Paulus jener Mann
aus Macedonien, im Traum ein gewisser Victorius, der ihm einen Brief
übergibt, dessen Anfang ^^Stimme der Hibernier" lautet. Als er denselben
zu lesen anlängt, glaubt er einen Ruf aus dem Walde Foclut zu vernehmen,
;,wir bitten dich, heiliger Knabe, dass du zu uns kommest und unter uns
wandelst." Diess bewegt ihn auf das tiefste und er erwacht aus dem Traume,
überzeugt, dass ihn Gott gerufen. Keine Einreden der Eltern und der
Freunde vermochten ihn in seinem Entschlüsse, den Irländern das Evangelium
zu verkündigen, wankend zu machen. Er empfing die Ordination als Pres-
byter, schiffte nach Irland hinüber und wirkte daselbst bis in das Greisen-
alter, unter steten Gefahren und Anfeindungen, aber mit glänzendem Er-
folge. Bald erhob sich der erzbischöliiche Stuhl von Armagh. Die epistola
ist an Coroticus, einen Häuptling der Irländer, oder vielmehr an die ihm unter*
worfenen Irländer gerichtet. Dieser Häuptling, dem Namen nach Christ,
hatte eine Anzahl so eben getaufter Christen überfallen, theils getödtet,
theils an die Picten verkauft. Patricius nennt sich in der epistola selbst epis-^
1) Beide abgedruckt bei Ebrard. Beilage I, dazu kommt ein Hymnus von St.
Sechnall auf Patricius, aus dem achten Jahrhundert, bei Todd als hymnus Seeundini auf-
geführt; dazu kommen spätere Biographien.
Ausbreitung des Christenthums. Grossbritannien. 429
copusy was nach der unter den Scoten geltenden Anschauung keine Schwie*
rigkeit macht. — Zu beachten ist , dass Patricius zwar Sohn und Enkel von
verheiratheten Geistlichen, aber selbst nicht in die Ehe getreten. Die Ver-
muthung, dass die Stelle der confessio, wo die Virginität gelobt wird, vom
jesuitischen Herausgeber interpolirt worden, muss wenigstens dahin gestellt
bleiben. Ferner ist zu beachten, dass in der confessio nichts vorkömmt von
einer Reise des Patricius nach Rom, von seinem Aufenthalte daselbst und von
seiner Sendung nach Irland durch Pabst Coelestin. Das Alles ist eine spätere
Ausgeburt der römischen Kirchenpohtik. Des Patricius Wirksamkeit ist von
den späteren Biographen mit Sagen umwoben worden, denen vielleicht ein
geschichtlicher Kern zu Grunde liegt, aber im Einzelnen ist es fast unmög-
lich, das Aechte vom Unächten zu scheiden. Die Angaben über Patricius
gehen so sehr aus einander, dass einige gemeint haben, Palladius und Pa-
tricius seien eine und dieselbe Person, andere haben angenommen, es habe
mehrere Männer des Namens Patricius gegeben; doch diese Ansichten sind
jetzt aufgegeben. Unerklärlich bleibt das Stillschweigen Beda's über Patricius.
Was die Chronologie seines Lebens betrifft, so kann sie nicht aus der con-
fessio, noch aus der epistola geschöpft werden. Nach Tigernach, dem älte-
sten irischen Annalensammler , f 1088, ist Patricius im Jahr 341 geboren,
im Jahr 357 nach Irland abgeführt worden, nach einem alten Liede gestor-
ben 493 , im Alter von 120 Jahren , demnach müsste er 373 geboren sein.
Als Anfang der Missionsthätigkeit des Patricius wird fast einstimmig das
Jahr 432 genannt ^). — Von wesentlicher Bedeutung ist, dass in keiner irgend-
wie glaubwürdigen Quelle von der Verbindung des Patricius mit Rom, von
einer Unterwerfung desselben unter Rom die Rede ist. Vielmehr preist ihn
der Hymnus Seeundini, als den, auf welchen, als auf Petrus, die Kirche
Irlands gegründet ist 2). So wurde dieser Kirche ein acht nationales Ge-
präge aufgedrückt. Um so weniger kann man sich wundern, wenn die hei-
lige Brigitta, eine jüngere Zeitgenossin des heiligen Patricius, mit Maria
zusammengestellt wird 3).
1) S. den Artikel Patricius von Schoell in der Realencyklopädie.
2) Super quem aedificatur, ut Petrum, ecclesia.
3) S. den Artikel Brigitta der Irländer in der Realencyklopädie Bd. 19.
Dritte Periode des alten Katholicismns.
Vom Jahr 451 bis Anfang des achten Jahrhunderts, vom Concil von
Chalcedon bis zu den Bilderstreitigkeiten und bis zu Bonifacius, Apostel der
Deutschen.
Einleitung.
Es ist die Periode des sinkenden alten Katholicismus^und des Ueber-
ganges vom alten Katholicismus zum römischen Kathohcismus. Da nun die
Geschichte in immerwährendem Flusse begriffen ist, so ist im Grunde jedes
Zeitalter eine Zeit des Ueberganges. Doch gibt es gewisse Perioden der
Geschichte, auf welche jene Benennung in vorzüglichem Sinne anwendbar ist.
In jeder Geschichte treten nämlich gewisse Richtungen hervor; sie ha-
ben ihren Anfang, worin sich ihr Wesen noch nicht deutlich und folgerichtig
offenbart und entwickelt; sie erreichen ihren Culminationspunkt , oder, wenn
man will, ihre grösste Breite, ihre grösste Entfaltung; sie sinken, lösen sich
auf und bereiten so den Uebergang zu neuen Erscheinungen, die sich durch
das Hinzutreten neuer Factoren aus ihnen entwickeln.
Eine solche Uebergangsperiode ist diejenige, deren Darstellung wir jetzt
beginnen. Welche sind die Hauptmerkmale dieses Ueberganges? 1) Die begin-
nende Trennung zwischen der griechisch -morgenländischen und der lateinisch-
abendländischen Kirche. Diese beiden Hälften der katholischen Kirche offenbar-
ten, wie wir gesehen, von Anfang an jede ihren eigenthümlichen Charakter.
Während dem sie noch zu einem Ganzen verbunden sind, und friedlich neben ein-
ander bestehen, gehen sie doch in wichtigen Dingen jede ihren eigenen Weg.
In der neuen Uebergangsperiode entstehen mehr oder minder lang dauernde
Conflicte; das Concilium quinisextum am Ende der Periode ist eine wirksame
Vorbereitung auf die Trennung zwischen beiden Kirchen; nur durch diese
Trennung wurde die Ausbildung des römischen Katholicismus ermöghcht.
2) Die Entwicklung und Verstärkung der in der früheren Periode verfolgten
religiösen Richtung, die sich kund gibt als Rückwirkung der jüdischen und
heidnischen Religion auf das Christenthum , welche Rückwirkung ihren stärk-
sten Anhaltspunkt findet im römischen Bischof.
Liese Periode ist der Schauplatz der grössten politischen Umwälzungen,
welche auf die Kirche mannigfach einwirken. Es entsteht dadurch die Noth-
wendigkeit, die Masse des geschichtlichen Stoffes in zwei Theile zu zerlegen,
so schwer es manchmal bei den sich durchkreuzenden Bewegungen wird,
jene Theilung durchzuführen. Im Ganzen aber kann man sagen, dass die
Geschichte a parte potiore sich in zwei Hälften zerlegt, die sich zwar viel-
Ausbreitung und Beschränkung des Christenthums. 431
fach berühren, in gewissen Beziehungen in einander übergehen, aber denn
doch in anderer Beziehung sich als unterschieden kund geben. Auf der
einen Seite steht als fester Hort des Katholicismus die Kirche des römischen
Reiches, dessen politische Hauptstadt Constantinopel ist, das noch einige
Provinzen des Abendlandes, namentUch Rom, als erste kirchüche Hauptstadt
behält, wenngleich dieses eine Zeitlang germanischen Königen unterworfen
ist. Auf der anderen Seite stehen die theils noch heidnischen, theils neu-
bekehrten, aber zunächst dem Arianismus ergebenen germanischen Völker,
welche in den römischen Provinzen des westlichen Europa, so wie auch des
nordwestlichen Africa sich angesiedelt und darin Reiche gegründet haben,
wovon einige allerdings blos ephemeren Bestand haben, während ein anderes
zu kräftigem, vielversprechendem Dasein gelangt. Hauptsächlich im Bischof
von Rom berühren sich, was die kirchlichen Verhältnisse betrifft, die beiden
grossen Massen der Geschichte. Noch eine Zeitlang bleibt die katholische
Kiixhe des römischen Reiches auf dem Vordergrunde. Im Verlauf der Pe-
riode treten die germanischen Völker bedeutender hervor. Am nordwest-
lichen Ende Europa's, jenseits des Canals, gelingt es dem römischen Bischof,
sich einen neuen Schauplatz der Wirksamkeit zu schaffen, von dem aus er
in der folgenden Periode seine Herrschaft über den Continent von Europa
ausdehnt.
Erste Abtheilung.
Die Kirche vorherrschend des römischen Reiches.
Erstes Capitel. Aeussere Schicksale. Ausbreitung und Beschränk-
ung des Christenthums.
Vor allem ist zu erwähnen die völlige Unterdrückung des Heidenthums.
So wie die. Regierung Kaiser Justinian's I. (527—565) die Zeit einer mäch-
tigen Erhebung des alternden Reiches war, so zeichnete sie sich auch aus
in genannter Hinsicht. Erst dieser Kaiser Hess die neuplatonische Schule
in Athen aufheben (529), worauf ihre Lehrer nach Persien wanderten. Der-
selbe Kaiser war es auch, der den bis dahin geduldeten Isiscultus in Philae
in Aegypten aufhob. Den Heiden in Kleinasien wurde die Taufe zwangs-
weise ertheilt; dagegen erhielt sich das Heidenthum bei den Mainotten im
Peloponnes bis in das neunte Jahrhundert. Auch im Abendlande setzte es
sporadisch sein Dasein fort. König Theodorich fand es für nöthig, die heid-
nischen Opfer bei Todesstrafe zu verbieten. Im Jahr 470 fand der Impera-
tor Anthemius in Rom die Lupercalia zum Schutze der Heerden gegen die
Wölfe, das. bezeugte der römische Bischof Gelasius (492— 496). Bis 610
bestand das Pantheon in Rom. In einem Apollotempel auf dem Berge Cas-
sinum wurde bis zu Anfang des sechsten Jahrhunderts geopfert. In Sicilien
und Corsica gab es bis zu Anfang des siebenten Jahrhunderts hin und wie-
der Heiden i), in Sardinien deren viele. Nicht nur die Grundbesitzer, auch
1) Gr. ep. 3, 62. 8, 1.
432 Dritte Periode des alten Katholicismus.
die Bischöfe und weltlichen Beamten Sardiniens duldeten das Heidenthum,
indem sie sich für die Erlaubniss, den Götzen zu opfern, Geld zahlen Hessen.
Gregor forderte die Abstellung solcher Missbräuche; es sollten die Bauern
durch grössere Abgaben vom Heidenthum abwendig gemacht werden ^).
Unter Kaiser Justinian traten einige Völker, welche an den Ufern des
schwarzen Meeres wohnten, sich beugend vor dem mächtigen römischen
Kaiser, in die katholische Kirche, die Abasger, Alanen, Lazen, Zah-
nen, Her u 1er. Wichtiger sind die Fortschritte der Nestorianer. Aus
dem römischen Reiche vertrieben, suchten und fanden sie Schutz in Persien ;
die Lehrer der theologischen Schule von Edessa flüchteten nach diesem
Lande; es erblühte in Nisibis eine neue theologische Schule, im sechsten
Jahrhundert die einzige in der Christenheit. Vom regen Missionstriebe er-
füllt, verbreiteten sie sich weithin in Asien; in Indien sollen sie sich mit
älteren Resten des Christenthums in diesem Lande verschmolzen haben. Im
Jahre 636 sollen sie sogar bis nach China vorgedrungen sein und daselbst
christliche Gemeinden gestiftet haben. Die Jesuiten fanden nämlich im Jahr
1625 in der Nähe von Siganfu, der Hauptstadt der Provinz Xensi ein chi'ist-
liches Denkmal vom Jahr 782, theils in chinesischer, theils in syrischer
Sprache abgefasst; es ist ein grosser, bei Grundlegung einer Mauer ausge-
grabener Stein , auf welchem oben ein Kreuz' eingegraben ist ; darunter folgt
die Inschrift, welche den ganzen Stein einnimmt. Die Jesuiten schrieben
diese Inschrift ab, übersetzten sie ins Lateinische und schickten sie nach
Europa. Es wird darin der christliche Glaube dargelegt, von der Gründung der
christhchen Kirche in China im Jahr 636 geredet, sowie von der Begünstigung
derselben durch den Kaiser. Beigefügt sind die Namen von siebenzig Män-
nern , welche von 636 bis 781 das Evangelium in China verkündigt haben *).
Unter den Nestorianem that sich früher ein bedeutender Gelehrter her-
vor, der Aegyptier Kosmas, zubenannt Indikopleustes, weil er auf
seinen Reisen als Kaufmann nach Indien soll gekonmien sein. Nach Voll-
endung seiner Reisen wurde er Mönch und schrieb mehrere Schriften, wo-
von erhalten ist die c. 535 verfasste ;cßf(rrrai/«xi/ to7toyQa(pta navtog xorr-
/*oi;, von Montfaucon in der CoUectio nova P. P. graec. T. II herausgegeben ;
der Verfasser wurde als Nestorianer erwiesen von La Croze, histoire du
christianisme des Indes 1, 40. Semler, historiae ecclesiasticae capita selecta
1, 421 sieht ihn auch als Nestorianer an, was daraus hervorgeht, dass er
öfter sich gegen Eutyches ausspricht, aber niemals gegen Nestorius. So
schätzt er auch sehr hoch Theodor von Mopsuestia. Der theologische Be-
standtheil seines Werkes ist aus Theodor und aus Diodor von Tarsus gezo-
gen, und enthält manche nützliche Bemerkungen. Semler 1. c. hat geurtheilt,
dass für die Geschichte des griechischen Textes des Neuen Testamentes aus
dieser Schrift Vieles geschöpft werden könne. S. auch Schroekh, 16. Band,
1) Gr. ep. 4, 23-26.
2) S. Mosheim historia ecclesiastica Tartarorum. Blumhard, Missionsgeschichte
3 , 79. Mosheim und Abel Remusat in den melanges asiatiques Tome I haben die Aecht-
heit dieses Denkmals anerkannt; während andere Gelehrte, namenthch Neumann, sie ver-
werfen, Neander sie bezweifelt.
Störung der Ausbreitung des Christenthums durch Muhammed. 433
S. 190, und der theologische Bestandtheil , der zunächst als Nebensache
erscheint, ist viel wichtiger als der Hauptinhalt, der allerlei sonderbare
Meinungen enthält, z. B. , dass die Erde nicht eine Kugel, 'sondern platt und
ein längliches Viereck sei.
Unter Justinian fand das Christenthum von Aegypten aus in Nubien
Eingang; es bildete sich daselbst ein christliches Reich wie in Abessinien,
die Kirchen beider Reiche erkannten den koptischen Patriarchen in Alexan-
drien als ihr Oberhaupt an und Messen von demselben ihre Bischöfe weihen.
Indess auf diese Weise das Christenthum sich weiter verbreitete, erlitt
es von anderer Seite grossen Abbruch durch das Auftreten Muhammed's ^
und die Eroberungen der Araber. Die rehgiöse Gährung, welche durch das
Christenthum in der Menschheit hervorgebracht worden, hat wohl indirect
dazu beigetragen, dass sich ein ähnhcher Gährungsprocess unter den Ara-
bern entwickelte. Muhammed, der sich ausserordentlicher göttlicher Oifen-
barungen rühmte, trat seit 611 unter dem arabischen Volke als religiöser
Reformator auf, und lehrte, dass' ein einiger Gott sei und Muhammed sein
Prophet. Anfangs vom eigenen Volke verfolgt, im Jahr 622 aus Mekka
vertrieben, gelang es ihm, sein Volk für sich zu gewinnen und Arabien sich
zu unterwerfen, so dass es ihm als Propheten und Fürsten huldigte. An-
fangs gegen andere Religionen tolerant, machte er bald den Religionskrieg
zur Pflicht und lehrte, dass das Paradies unter dem Schatten der Schwerdter
ruhe ; denjenigen, die im Glaubenskriege ihre Seele aushauchten, versprach er
die höchsten Freuden des sinnlich ausgemalten Paradieses. Von wildem Erober-
ungsgeiste beseelt, von Religionsfanatismus durchglüht, warfen sich die arabi-
schen Heereshaufen zuerst auf die zunächst gelegenen Provinzen des byzanti-
nischen Reiches, deren Bewohner, zum Theil von der kathohschen Kirche getrennt
und bedrückt, die Ai'aber als Befreier aufnahmen und obwohl nicht gezwun-
gen, so doch durch irdische Vortheile angelockt, zum Theil den christlichen
Glauben aufgaben. Schon im Jahr 639 war die Eroberung von Syrien voll-
endet. Im folgenden Jahre erlag Aegypten den Angriffen der Araber. Im
Jahr 651 begann die Herrschaft des Halbmondes im persischen Reiche. Seit
707 gerieth die ganze Nordküste von Afrika unter arabische Herrschaft.
Von da setzten die Moslemin nach Spanien hinüber, dessen Eroberung bis
711 vollendet war. Constantinopel selbst wurde mehrmals von ihnen be-
drängt, zweimal lauge belagert (669—676, 717 und 718). Das Christenthum
verlor in den entrissenen Provinzen sehr viele seiner Bekenuer; es ver-
schwanden die katholischen Patriarchate von Antiochien, Jerusalem und
Alexandrien. Die Geburtsstätten des Christenthums fielen in die Hände der
Anhänger Muhammed's. Es ist merkwürdig, dass das Heidenthum im rö-
mischen Reiche kaum ausgerottet war, als dieser neue Feind über dasselbe
herfiel. Die Gründung der arabischen Herrschaft war übrigens von grosser
Bedeutuim- für das christliche Europa, wie sich das in späterer Zeit zeigte.
1) S. den Artikel Muhammed und der Islam in der Realencyklopädie.
Herzog, Kirchengeschichte I. 28
434 Dritte Periode des alten 'Katholioiainiia.
Zweites Capitel. Geschichte der theologischen Streitigkeiten.
Die Geschichte der Theologie bewegte sich wieder in Streitigkeiten, die
sehr heftig wurden und allerlei Leidenschaften aufregten. Sie unterscheiden
sich aber von den früheren Streitigkeiten in doppelter Hinsicht. Es wurde
kein eigentlich neuer Controverspunkt behandelt; der Anthe^l des Staates
war viel bedeutender als in der früheren Periode. Es traten die Erschein-
ungen hervor, die man mit dem Namen Byzantinismus gebrandmarkt hat.
§. 1. Der monophysitische Streit
entstand aus einer Reaction gegen die Beschlüsse von Chalcedon, w^elchen
die Theologen der alexandrinischen Schule fortwährend abgeneigt blieben.
Man nannte sie Monophysiten, sie ihre Gegner Nestorianer oder
Dyophysiten. Es entstanden desshalb in Palästina Volksaufstände; in
Alexandrien und Antiochien standen Gegenbischöfe gegen einander auf. In
Antiochien wurde ein Mönch aus Constantinopel , Peter der Walker
(Petrus fullo , o r^atpevg) , ein eifriger Monophysite , auf den Patriarchen-
stuhl erhoben. Er Hess in die Messliturgie die Formel: Gott ist gekreuzigt,
aufnehmen, und wurde deswegen von Kaiser Zeno abgesetzt (470). Allein
der Zwiespalt wurde damit nicht beseitigt. Zeno wurde durch den Usur-
pator Basiliscus vertrieben (476). Dieser, um seine Partei durch die Mono-
physiten zu verstärken, befahl in demselben Jahre den Bischöfen, die Be-
schlüsse von Chalcedon zu verdammen, welchem Befehle viele Bischöfe sich
fügten. Da gelang es dem vertriebenen Zeno, zum Theil durch die Hülfe
des Patriarchen von Constantinopel, Acacius, der einen Aufruhr zu dessen
Gunsten angestiftet hatte, sich wieder auf den Thron zu schwingen. Allein
die Monophysiten waren noch so mächtig, dass er, auf den Rath des Aca-
cius, zwischen ihnen und der katholischen Kirche eine Vermittlung anzu-
bahnen suchte durch sein Henotikon (482) ^), eine an die Kirchen des
alexandrinischen Patriarchates gerichtete Unionsformel. Es waren darin die
Beschlüsse von Nicäa, von Constantinopel (381), als gültig anerkannt, ebenso
die Anathematismen Cyrills gegen Nestorius, über diesen so wie über Euty-
ches der Stab gebrochen, mit Uebergehung der streitigen Benennung ^Natur'^
gelehrt, dass Christus nach der Gottheit gleichen Wesens mit dem Vater,
nach der Menschheit gleichen Wesens mit uns sei, dass Christus einer sei
und nicht zwei ; denn dem einen kommen die Wunder und die Leiden zu 2).
W^elche aber anders denken, sei es jetzt oder ehemals, sei es in Chalcedon
oder auf irgend einer anderen Synode, über die wurde das Anathema ge-
fällt; das erste Beispiel eines von einem Kaiser erlassenen Glaubensedictes.
Die Patriarchen von Constantinopel und Alexandrien unterzeichneten zum
grossen Aerger ihrer Gemeinden dasselbe; andere Bischöfe, die sich dessen
weigerten, wurden abgesetzt. Der so entstandene neue Zwiespalt steigerte
1) Bei Evagrius 3, U.
2) ft^o^ yrro ftvni (fnf^fv rrt Tf (^rrviirtTn xnt rn naS^ij'
Der raonophysitische Streit. 435
sich, als der römische Bischof FeUx H., empört über die Gemeinschaft des
Acacius mit den Monophysiten , den Bannfluch über letzteren aussprach. In
Aegypten trennten sich die strengen Monophysiten von ihrem Patriarchen,
der das Henotikon angenommen. In anderen Theilen des Morgenlandes hielt
das Henotikon den Frieden äusserlich aufrecht. Aber Kaiser Anasta%ius
(491—518), der auf diese Weise für den Frieden zu wirken suchte, starb
von beiden Parteien gehasst. Sein Nachfolger, Justin I. (518-527) entschied
sich gegen die Monophysiten; nur in Aegypten wagte er es nicht, sie anzu-
greifen. Sie schwächten sich, indem sie sich in verschiedene Parteien spal-
teten. Severus, Patriarch von Antiochien, behauptete, dass der Leib
Christi etwas Verwesliches {tp^aqtov ti) gewesen sei; mit ihm stimmte
überein Theodosius, Patriarch von Alexandrien (Severiani, Theodosiani,
(p&aQToXatQai). Julian, Bischof von Halicarnass, behauptete das Gegen-
theil (Julianistae, a^&aQTodoxtjtai , phantasiastae) , von jenen ersten
giengen die Agnoeten oder Themistiani (nach Themistius, Diakon in
Alexandrien) aus, die lehrten, dass Christi menschhche Seele uns in allem,
auch im Nichtwissen gleich gewesen sei (mit Berufung auf Marc. 13, 32.
Joh. 11, 34). Die Julianisten trennten sich wieder in zwei Parteien; die
einen lehrten, dass das Fleisch Christi vom Augenblicke seiner Verbindung
mit dem Logos an unerschaffen gewesen; sie wurden von ihren Gegnern
axtiffTTitai genannt; diese Gegner wurden von ihnen xtiffToXatgat genannt.
Um das Jahr 530 breitete Johannes Philoponus unter den Monophy-
siten seine sonderbaren Meinungen über die Dreieinigkeit aus (Philoponiani,
Tritheitae). Patriarch Damianus von Alexandrien wurde beschuldigt, die
Irrthümer des Sabellius zu erneuern. Andere Verzweigungen übergehen wir.
Justinian I. (527 — 565) war im Grunde des Herzens den Beschlüssen
von Chalcedou zugethan. Aber seine Gemahlin, die Kaiserin Theodor a,
war den Monophysiten günstig und wirkte in diesem Sinne auf den Kaiser
ein ; auf ihren Antrieb liess er Gespräche zwischen kathohschen und mono-
physitischen Bischöfen anstellen. Da sie den gewünschten Erfolg nicht hat-
ten, liess er die monophysitische Formel: Gott ist gekreuzigt, für recht-
gläubig erklären. Auch diess befriedigte die Monophysiten nicht und erbit-
terte die Katholiken. Die Formel galt im Abendlande als monophysitisch
und blieb nur bei den Katholiken in Syrien übhch. Der Monophysitismus
erlitt neue Niederlagen; der durch den Einfluss der Kaiserin Theodora zum
Patriarchen von Constantinopel erhobene Anthimus (536) wurde wiegen
seines Monophysitismus in demselben Jahre wieder abgesetzt. Vigilius,
durch die Bänke der Kaiserin Theodora und der Gattin des siegreichen
Feldherrn Belisar, Antonina, zum Bischof von Rom erhoben (538), sass
kaum fest in seiner neuen Würde, als er die Bedingung, unter welcher er
sie erhalten, ausser Acht setzte und sich im Sinne der Beschlüsse von Chal-
cedon gegen den Kaiser und den Patriarchen Mennas von Constantinopel
aussprach.
Um dieselbe Zeit wurden die origen istischen Streitigkeiten er-
neuert. In den Klöstern Palästina's hatte sich eine eifrige, für Origenes
begeisterte Partei gebildet. Durch zwei Aebte aus ihrer Mitte, Domitiau
und Thcodorus Askidas hatte sie sich Einfluss am Hofe verschafft; sie
28*
436 i)ritte Periode des alten Katholioismua.
hatten die Gunst Justinian's gewonnen, indem sie ihren Eifer für das chal-
cedonische Concil zur Schau trugen. Justinian machte Domitian zum Bischof
von Ancyra, Theodorus von Askidas zum Bischof von Cäsarea in Kappado-
cien, aber beide verweilten meist am Hofe und arbeiteten für ihre Partei in
Palästina. Da wurde Justinian gegen die Lehren des Origenes bearbeitet.
Er befahl dem Mennas, Patriarchen in Constantinopel , auf einer Synode in
Constatinopel über die Irrthümer des grossen Alexandriners das Anathema aus-
sprechen zu lassen, Mennas gehorchte (544), die Synode entschied nach dem
Willen des Kaisers, selbst Domitian und Theodorus Askidas beugten sich
unter den kaiserlichen Willen. Diese. Sache gab Anlass zu einer neuen
Wendung des monophysitischen Streites. Durch ihre Nachgiebigkeit hatten
Domitian und Theodorus Askidas zwar die auf ihren Sturz berechnete Mass-
regel vereitelt. Allein sie fühlten sich in ihrer Stellung nicht sicher und
suchten daher die Aufmerksamkeit des Kaisers von Origenes abzuziehen,
indem sie eine andere Bewegung ins Werk setzten , welche die origenistische
Streitigkeit in Vergessenheit bringen sollte. Sie überredeten Justinian, dass
die Verdammung der Häupter der antiochenischen Schule die Monophysiten
befriedigen werde, ohne die Anhänger des chalcedonischen Concils abzu-
stossen; es waren Theodor von Mopsuestia, Lehrer des Nestorius, Theo-
doret und Ibas, Bischof von Edessa, in Betreff seines Briefes an Maris,
Bischof von Hardaschir in Persien. Es waren Theodoret und Ibas vom Con-
cil von Chalcedon zwar für rechtgläubig erklärt worden, doch verdammte
Justinian (544) die drei Kapitel (xecpalata), wie man die drei Punkte oder
Artikel nannte; die darüber entstandene Streitigkeit erhielt den Namen
Dreicapitelstreit. In derThat wurde dadurch der Streit keinesweges be-
endet. Die Monophysiten blieben nach wie vor Gegner der Beschlüsse von
Chalcedon; die Katholischen, besonders im Abendlande, glaubten, diese
Beschlüsse seien durch die Verdammung der drei Capitel angetastet worden.
Um der Sache ein Ende zu machen, berief der Kaiser im Jahr 553 nach
Constantinopel eine neue ökimienische Synode, die fünfte, welche die Ver-
dammung der drei Capitel bestätigte. Vigilius, der eine Zeitlaug wider-
standen, nahm endlich die Beschlüsse der Synode an (554), ebenso sein
Nachfolger Pelagius I. (555). Darob entzweiten sich viele abendländische
Bischöfe mit Rom sowohl wie mit Constantinopel. Unter den Geisthcheu,
w^elche im Abendlande gegen die Verdammung der drei Capitel schrieben,
ragen hervor Fulgeutius Ferrandus, Diakon in Carthago, f 551, Fa-
cundus, Bischof von Hermiane. Den letzten Versuch, die Monophysiten
zu gewinnen, machte Justinian, indem er (560) die Lehre von der Unver-
weslichkeit des Leibes Christi zum Gesetz erhob. Schon war der Patriarch
Eutychius von Constantinopel entsetzt und verbannt worden, schon drohte
dem ehrwürdigen Patriarchen Anastasius von Antiochien dasselbe Schicksal,
als der Tod den alten Kaiser ereilte (565) i) und damit die Sache ein Ende
nahm. Justinian ist ein sprechender Beweis , wie bei gutem Willen , der
aber nicht durch Einsicht geleitet wird, grosses Unheil angerichtet werden
kann. Er erstrebte eine Versöhnung aller Kirchenparteien und verhärtete
1) Evagrius 4, 38.
Der monotheletische Streit.
437
sie; doch war es von wesentlicher Bedeutung, dass die katholische Kirche
die Beschlüsse von Chalcedon aufrecht hielt.
Die ägyptischen Monophysiten wollten den von Justinian (536) er-
nannten Patriarchen von Alexandrien nicht anerkennen; sie wählten einen
anderen; das sind die koptischen Christen, die von den Arabern, als sie
das Land erobert hatten, begünstigt wurden. Mit ihnen stand in Verbindung
die abessinische Kirche. Die. armenischen Christen verwarfen auch die
chalcedonischen Beschlüsse. Eine Synode zu Twin sprach sich entschieden
für die monophysitische Lehre aus. In Syrien und Mesopotamien ordnete
Jakob Baradai (541—578) die in Auflösung begriffenen Monophysiten-
gemeinden; nach ihm wurden die syrischen Monophysiten Jakobiten ge-
nannt. — Der Monophysitismus wurzelte also hauptsächlich in den morgen-
ländischen Gegenden und fand seine kräftigsten Widersprecher im Abend-
lande. Woher das? Der morgenländische Geist hebt es, das Menschhche
im Götthchen aufgehen zu lassen; der abendländische Geist hält mehr das
Menschliche fest.
§. 2. Der monotheletische Streit
ist eine Fortsetzung des monophysitischen. Den äusseren Anlass dazu gab
Kaiser Heraclius (611 — 641) durch einen neuen Versuch, die Monophy-
siten zur Kirche zurückzuführen. Auf seinem Feldzuge gegen die Perser
erfuhr er in Syrien und Armenien von monophysitisch gesinnten Bischöfen,
dass diejenigen, die dieser Richtung zugethan waren, besonders daran An-
stoss nähmen, dass aus der kathohschen Lehre von zwei Naturen auch eine
Zweizahl von Willen in Christo gefolgert würde. Diese Frage war unbe-
greiflicherweise bis dahin gar nicht in Anregung gekommen. Da Sergius
Patriarch von Constantinopel sich für die Lehre von Einem Willen erklärte,
mit Berufung auf Aussprüche älterer Kirchenlehrer, so betrat nun der Kai-
ser diesen Weg, in der Absicht, die Monophysiten zu gewinnen. Er ver-
bot, fernerhin zwei Willen in Christo zu lehren, und es gelang so dem
Patriarchen Cyrus von Alexandrien einen Theil der Severianer in Aegypten
zur Rückkehr in die kathoUsche Kirche zu bewegen (633). Auch Pabst
Honorius erklärte sich für dieselbe Lehre von Einem Willen in Christo
in zwei Schreiben an Sergius. Er verwarf den Ausdruck zwei Energieen
und erklärte den Ausdruck: Ein Wille für den richtigen; er liess den guten
menschüchen Willen, weil er dem göttlichen sich stets conformirt, in diesen
geradezu übergehen. Die Opposition dagegen ging aus von Sophronius,
seit 634 Patriarchen von Jerusalem, der in der Lehre von Einem Willen Apol-
linarismus sah und sich in diesem Sinne in einem bei Anlass seines Amts-
antrittes erlassenen Schreiben {ev^qoviGxmtov) ^) aussprach. So entstand in
der Kii'che neue Gährung und Bewegung. Um sie zu beschwichtigen, er-
liess Heraklius die von Sergius verfasste Ekthesis (638), worin die Lehre
von Einem Willen, d. h. einem in moralischer Hinsicht sich nicht wider-
1) Hefele 3, 138 führt es zugleich als evvoStxov einer in Jerusalem gegen die
Monotheleten gehaltenen Synode an.
438 Dritte Periode des alten Katholicismus.
sprechenden Willen so vorgetragen war, dass alle göttliche und menschüche
Energie dem einen fleischgewordenen Logos zugesclirieben , und die Lehre
von zwei Willen oder zwei Energieen ausdrücklich verboten war. In Rom
hatte die Gegenpartei seit dem Tode des Honorius ihren Hauptsitz. Pabst
Johannes IV. nahm die Ekthesis nicht an und Pabst Theodor sprach
über Paulus, Patriarchen von Constantinopel, als der monotheletischen Lehre
zugethau, den Bann aus (646), worauf Kaiser Constans IL duixh den tv-
Tiog die Bewegung vergebens zu stillen versuchte (648). Es war darin kei-
ner von beiden Lehrweisen der Vorzug gegeben, sondern nur Stillschweigen
darüber geboten. Pabst Martin I. sprach auf der ersten Lateransynode
(649) den Bann aus über die Lehre von Einem Willen und über die beiden
darüber erlassenen kaiserhchen Verordnungen; darauf wurde er abgesetzt
und musste sein Leben im Exil beschüessen. So wurde die Kirchengemein-
schaft zwischen Rom und Constantinopel auf kurze Zeit wieder hergestellt.
Unter Coust antin Pogonatus trat die alte Trennung wieder ein.
Um ihr ein Ende zu machen, versammelte der Kaiser die Bischöfe des
Reiches zu einem neuen allgemeinen Concil in Constantinopel (680), worin
der Kaiser in eigener Person den Vorsitz führte. Hier wie in Chalcedon
siegte die vom römischen Bischof vertretene Lehre. Pabst Agatho hatte
die Lehre von zwei Willen vor Abhaltung der Synode in einem Schreiben
an den Kaiser entwickelt. Er nahm seinen Ausgang von den zwei Naturen
in Christo, die nicht zwei Personen constituirten , sondern Einen Herrn Je-
sum Christum. Aus dieser Lehre ergebe sich folgerecht die von zwei natür-
lichen Willensvermögen (nciturales voluntates) ^ wie denn der Herr an eini-
gen Stelleu Menschliches, an anderen Göttliches, noch an anderen beides
zugleich von sich kund gebe. Er bittet den Vater, dass dieser Kelch an
ilim vorübergehe, doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe Luc. 22, 42;
Philipper 2, 8 heisst es, er war gehorsam bis zum Tode; Luc. 2, 51: ge-
horsam den Eltern; Joh. 6, 38 sagt er: ich bin vom Himmel gekommen,
nicht um meinen Willen zu thun, sondern den Willen meines Vaters im
Himmel. Darauf folgen Zeugnisse der Väter. Auf das Zusammenwirken
beider Willensvermögen geht Agatho nicht ein ^). Diese Lehre bestätigte
das Concil in seinem oqoq, indem zugleich in der dreizehnten Sitzung das
Anathema über die Anstifter und Anhänger der monotheletischen Lehre
ausgesprochen wurde. ^Nebst ihnen soll, das ist unser gemeinsamer Be-
schluss, aus der Kirche ausgeschlossen und anathematisirt werden der ehe-
malige Pabst Honorius von Altrom, w^eil wir in seinem Briefe an Sergius
landen, dass er in Allem dessen Ansicht folgte und seine gottlose Lehre
bestätigte.'- Gleichlautende Erklärungen gab dieselbe Synode in späteren
Sitzungen. In Form eines Antwortschreibens an den Kaiser, in Schreiben
an die spanischen Bischöfe gab auch Leo IL, der 682 dem Agatho nachge-
folgt war, die Bestätigung des Anathema des Concils. Das Concihum quini-
sextum vom Jahr 692, so wie sie siebente und die achte allgemeine Synode
wiederholten und bestätigten die Beschlüsse der sechsten Synode und na-
mentlich das Anathema über Honorius. Auch in dem von den folgenden
1) Mansi 11, 233 s. 3.
Der monotheletische Streit. 439
Päbsten bei ihrer Stuhlbesteiguug abzulegenden Glaubensbekenntniss wur-
den anathematisirt die Urheber des neuen ketzerischen Dogma — mit
Honorius. Nichts ist historisch so deutlich erwiesen, als dass Honorius die
Lehre von Einem Willen in Christo angenommen und desshalb mit dem
Fluche der Kirche belegt worden. Doch schon in jener Zeit suchte mau ver-
gebens Honorius rein zu waschen, durch die Annahme, dass er gelehrt, in
Christo seien nicht zwei einander streitende Willensvermögen gewesen. Ba-
ronius ging noch weiter, er stellte die haltlose Hypothese auf, dass die Acten
des sechsten allgemeinen Conciles verfälscht worden, dass an Stelle des
Theodorus, Patriarchen von Constantinopel Honorius gesetzt worden. Hefele
meint, Honorius sei im Herzen orthodox gewesen und habe nur des rechten
Ausdruckes verfehlt i). — Mit den Beschlüssen der genannten Synode war
dieser christologische Streit beendet, die Lehre von Chalcedon aufs neue
bestätigt. Alles, was die Beschlüsse von Chalcedon Ungenügendes bieten,
haftet auch den Beschlüssen des sechsten allgemeinen Concils an, wobei
immerhin das Gute anzuerkennen ist, dass die monophysitische Anschauungs-
weise in Form der monotheletischen aufs neue verworfen wurde. Doch
gelangte diese Lehre im Jahr 711 durch den Usurpator Philippicus Bardanes
wieder zur Herrschaft. Er versammelte in Constantinopel ein neues Concil,
welches die Beschlüsse des sechsten verwarf und ein monotheletisches Sym-
bol aufstellte. Viele orientahsche Bischöfe fügten sich unter den kaiserlichen
Willen. Unter denjenigen, die widerstanden, steht in erster Linie Rom.
Das monotheletische Intermezzo dauerte nur bis 713; damals wurde Bardanes
durch einen Mihtäraufstand abgesetzt und ihm die Augen ausgestochen.
Anastasius IL wurde zum Kaiser ausgerufen, der alsobald seine Anhäng-
lichkeit an die orthodoxe Lehre in einem an den Pabst gerichteten Decret
aussprach und damit das Zeichen gab, dass die zur monotheletischen Lehre
abgefallenen Bischöfe sich davon wegwendeten ; von einer Synode in Constan-
tinopel 715 wurde die Lehre von zwei Willen aufs neue bestätigt und die
entgegenstehende aufs neue verworfen.
Der Monotheletismus erhielt sich nur unter denMaroniten und zwar
in Fonn einer besonderen kirchlichen Gemeinschaft (ecclesia Maronitarum) ^
die das Libanongebirge und seine Abhänge und Thäler bewohnt. Ursprünghch
sind es Syrer, was noch immer daraus hervorgeht, dass sie von Anfang an
bis jetzt die Liturgie in syrischer Sprache haben, welche die wenigsten von
ihnen verstehen, da sie arabisch reden. Der Name rührt her von dem Klo-
ster des heiligen Maron und von diesem selbst, der wahrscheinHch um das
Jahr 400 gelebt hat und den die Maroniten noch jetzt als ihren vorzüglich-
sten Heiligen verehren. Verschieden von diesem Maron ist Johannes
Maron, aus Sii'um bei Antiochien gebürtig, unterrichtet in Antiochien, im
1) Er wollte nach Hefele sagen, dass ein unverdorbener menschlicher Wille in
Christo war, moralisch geeinigt mit dem göttlichen Willen. Daraus folgerte er, dass in
Christo, sowie nur eine Person, so auch nur Ein Wille gewesen. S. Hefele 3, 137 ff.
Dasselbe sagt Hefele in der während des vaticanischen Concils geschriebenen Brochure:
Honorius und das sechste aUgemeine Concil. Tübingen 1870; darin geht der Verfasser
Rttch den neuesten Vertheidigern des Honorius zu Leibe.
440 Dritte Periode des alten Katholicismus.
genaimteu Kloster und in Constantinopel, darauf Mönch und Priester, in jenem
Kloster übte er grossen Einfluss unter den Maroniten aus, sowohl in geist-
lichen, als in weltlichen Dingen. Seitdem sie im Jahre 1182 zur römischen
Kirche übergetreten, haben maronitische Schriftsteller mit römischen gewett-
eifert, um den Monotheletisnms der Maroniten zu läugnen; sie lassen Johan-
nes Maron nach Rom reisen, von Houorius, dem Monotheleten, der weit früher
lebte, zum Patriarchen erhoben werden, darauf den ganzen Libanon, Mo-
nophysiten und Monotheleten zum römischen Glauben bekehren. Dagegen
sind nach den besten neuen Forschungen die Maroniten bis 1182 durchaus
der monotheletischen Lehre ergeben gewesen i).
j:^. 3. Augustinische und semipelagianische Streitigkeiten.
Sie gehören ausschliesshch dem lateinischen Abenlande an und haben
insofern ein weit besseres Gepräge, als die bis jetzt behandelten Streitigkei-
ten, w^eil >sich, was die morgenländische Kirche betrifft, die Einmischung
des Staates und die Abhängigkeit der Kirche von der kaiseriichen Willkür
auf die grellste Weise zeigte, aber nichts von alle dem in den genannten
abendländischen Känii)fen. Zunächst wurde in Gallien der Semipelagianismus
herrschend und durch die Synoden von Arles und Lyon 475 bestätigt. Er
hatte eine wesentliche neue Stütze erhalten in der Person des Faustus,
des früheren Abtes des Klosters auf der Insel Lerinum, nachherigen Bischofs
von Riez in der Provence, f c. 490 unter burgundischer HeiTschaft, der
seinen Lehrbegriflf hauptsächlich in der Schrift de gratia Dei et hiDna-
nae 7nentis lihero arhitrio entwickelte, eine Zusammenfassung dessen,
was er in seinen übrigen Schriften lehrte. Die Schrift ist entstanden aus
dem Auftrag der Synode von Arles 475, ihre Verhandlungen schriftlich dar-
zulegen. Die Synode von Lyon ersuchte Faustus, noch einige Zusätze zu
seinem Lehrbegriffe zu machen; dieses Auftrages entledigte er sich in der
professio fidei. Dass er den sehr achtungswerthen Presbyter Lucidus zum
öffentlichen Widerrufe der augustinischen Lehre bewog, musste die von ihm
vertretene Lehre nicht wenig fördern. — Was den Inhalt derselben betrifft,
so ist der Hauptmangel, an dem sie leidet, in der Unbestimmtheit des Be-
griffes der Gnade zu suchen. Er dachte sich unter der Gnade keine über-
natürliche Einwirkung Gottes auf den Menschen, wodurch sein Verstand
erleuchtet und sein Wille die Kraft zum Guten bekommt, — also keine ad-
7ninistratio Spiritus sancti^ sondern nur eine Anregung der dem Menschen
inwohnenden sitthchen Kraft (vermittelst Belehrung , Ennahnung, Drohung).
Auf das schärfste wird die absolute Prädestination verworfen. ^ Anathema
über diejenigen, welche sagen, dass Christus nicht für alle Menschen gestorben
sei.^ Mehrere Schriftsteller, in Gallien vertraten diese Lehrweise und ver-
w^arfen dii^ect die augustinische, Arn ob ins der jüngere, der Verfasser der
Schrift: Praedestinatus (c. 460), Gennadius, Presbyter in Marseille
(t nach 495), welcher letztere in seiner Schrift de scriptoribus ecclesiasticis
1) S. den Artikel von Rödiger über die Maroniten In der Realencyklopädie Bd. X.
S. 176.
Augustinische und semipelagianisclie Streitigkeiten. 44|
dem Augustin Vielschreiberei vorwirft und auf ihn den salomonischen Spruch
anwendet: in multiloqiiio non effugies peccatum. Gewöhnlich aber wurde
die verhasste Lehre von der absoluten Prädestination nicht auf den verehr-
ten Augustin zurück.o-eführt, den der Verfasser des Praedestmatus als voll-
kommen orthodox erklärte, sondern seinen Anhängern, den sogenannten
Prädestinatianern zugeschrieben. Eine eigene Sekte der Prädestinatianer gab
es jedoch nicht, wie denn überhaupt diese Streitigkeiten nicht in Bildung
abgesonderter Kirchengemeinschaften ausliefen.
Von Bedeutung war es, dass Rom durchaus am Augustinismus fest-
hielt, seitdem Zosimus in der epistola tractoria den Pelagianismus verwor-
fen hatte. Auch der semipelagianische Lehrbegriff wurde auf einer römischen
Synode c. 496 von Gelasius verworfen. Es geschah diess in Form eines von
Gelasius verfassten und von der Synode , woran zweiundsiebenzig Bischöfe
Theil nahmen, gebilligten Decrets de libris recipiendis et 7ion reci-
piendis. Es werden darin die Schriften des Augustin und des Prosper
als von der Kirche recipirte Schriften aufgeführt, dagegen die Schriften
des Cassian und des Faustus zu den Apokryphen gezählt, d. h. zu solchen
Schriften, welche zu lesen rechtgläubigen Christen verboten ist. Der Semi-
pelagianismus hatte auch in Gallien, ungeachtet der grossen Autorität des
Faustus, dessen Schriften in diesem Lande sehr viel gelesen wurden, nicht
völlig die Oberhand gewonnen. An der Spitze der augustinisch , gesinnten
Bischöfe Galliens standen zwei Männer, Avitus, 490 als Erzbischof vonVienne
gestorben, der gegen des Faustus Lehre vom freien Willen schrieb, Cäsa-
rius von 502 bis 542 Bischof von Arles, der in einem verloren gegangenen,
von Gelasius erwähnten Buche de gratia et lihero arbitrio die Lehre
vortrug, dass der Mensch aus eigener Kraft ohne die zuvorkommende Gnade
Gottes nichts Gutes thun könne. Vorzüghch aber ragte hervor «als Anhänger
Augustins Fulgentius, Bischof von Kuspe in der Provinz Byzacene in
Afrika, t 533, der in mehreren Schriften die Lehrweise des Bischofs von
Hippo vortrug. Er läugnete mit Becht, dass Augustin eine doppelte Präde-
stination, die eine zur Seligkeit, die andere zur Verdammniss lehre. Er
lehrte, dass die Prädestination der Bösen eine Prädestination zur Bestrafung,
und dass sie von der eigenen Schuld des Menschen abhängig sei. So wie in
Fulgentius eine Neigung sich kund gibt, die Härten der augustinischen Lehre
zu mildern, so trat dieses Streben noch bestimmter hervor in den folgenden
Verhandlungen, besonders in den Beschlüssen der zweiten Synode von Orange
529, unter def Leitung des Cäsarius von Arles zu Stande gekommen. Die
Beschlüsse sind unterschrieben von vierundzwanzig Bischöfen und acht vor-
nehmen Laien, die man zur Synode eingeladen, weil die semipelagianische
Denkweise auch unter den Laien sich Anhänger verschafft hatte. In den
genannten Beschlüssen waren zwar die anthropologischen und die soteriolo-
gischen Sätze Augustin's bestätigt aber nicht diejenigen, betreffend die abso-
lute Prädestination. Aecht augustinisch ist z. B. der dritte Beschluss : ^^wenn
Jemand sagt, dass die Gnade Gottes auf die Anrufung des Menschen ertheilt
werden könne, nicht aber, dass die Gnade selbst es hervorbringe, dass er
von uns angerufen werde, der widerspricht dem Propheten Jesaias oder dem
Apostel, der dasselbe sagt: inventus sum a non quaerentibus me^
442 Dritte Periode des alten Katholicismus.
yalam apparui his^ qui me non interrogabant^ ij — ebenso: ;,wenü
Jemaud behauptet, dass Gott unseren Willen erwarte, damit wir von der
Sünde gereinigt werden, nicht aber bekennt, dass es durch die Eingiessung
und Einwirkung des heihgen Geistes auf uns geschieht, dass wir gereinigt
sein w^ollen, der widersteht dem heiligen Geist, welcher durch Salomo sagt:
praeparatur voluntas a Domino.'^ Demgemäss wird in anderen Sätzen
der Anfang des Glaubens auf ein Geschenk der Gnade zurückgeführt; bei
alledem werden aber die semipelagianischen Lehren nicht namentlich ver-
worfen. Cäsarius erhielt Anfeindungen wegen des von ihm aufgestellten
LehrbegriÖ'es. Daher versammelte er noch in demselben Jahre eine Synode
in Valence, um durch zahh'eiche Stimmen der Lehi'e Augustin's den Sieg
zu verschalfen. Cäsarius wui'de durch Krankheit abgehalten, der Synode
beizuwohnen, an seiner Stelle präsidirte Bischof Cyprian von Toulon. Die
Acten der Synode sind nicht mehr vorhanden; so\iel ist aber gewiss, dass
sie die Beschlüsse von Arles bestätigte. Cäsarius ersuchte nun Pabst Fe-
lix IV., diesen Lehrbegriff zu bestätigen; da dieser unterdessen gestorben,
so that es sein Nachfolger Bonifacius IL Dieser gemilderte Augustinismus
lindet sich auch bei Gregor L Er beherrschte noch eine Zeitlang die Theo-
logie, bis er von der pelagianischen Richtung im Mönchthum und kirchlichen
Werken überwuchert wui'de.
Drittes CapiteL Anbau der theologischen Wissenschaften und der
Wissenschaften überhaupt 2),
Es kamen äussere und innere Verhältnisse der Kirche zusammen, um
diesen Anbau aufzuhalten; die grossen Umwälzungen und Kriege, besonders
im Abendlaude, die unter vielen Mönchen herrschende Verachtung der welt-
Uchen Wissenschaften nicht nur, sondern auch der theologischen Wissen-
schaften wirkten ungünstig. Die theologischen Streitigkeiten konnten aller-
dings die theologische Thätigkeit beleben und haben es auch wenigstens im
Abendlande gethan, wie die vorstehende Darstellung es beweist. Auf der
anderen Seite verengte sich besonders unter den christologischen Streitig-
keiten der Begriff der Orthodoxie so sehr, dass sogar die Werke des Ter-
tulüan, des Lactanz, des Clemens von Alexandrien, des Arnobius zu den
apokrypliischen Schriften gerechnet wiu'den. Diess geht hervor aus dem
oben angeführten decretum de libris recipiendis et non recipiendis^ welches
mit Wahrscheinlichkeit einer römischen Synode unter Gelasius (496) beige-
legt wird. Man fing an, sich sorgfaltig vor Neuerungen zu hüten und sich
hauptsächlich aus der Quelle der älteren Lehrer, unter denen auch eine
Auswahl getroffen wurde, zu sättigen. Was die Bibelerklärung betrifft, be-
gann man die sogenannten Cateneu, Sammlungen von Erklärungen der
älteren Exegeten zu verfertigen. Im Morgenlande wurde der Anfang dazu
durch Procopius Gazaeus um 520, im Abendlande durch Prima sius,
Bischof von Adrumetum um 550 gemacht.
1) Jesaia 65, 1. Römerbrief 10, 20.
2) Bahr uud Ebert a. a. 0.
Anbau der theologischen Wissenschaften. 443
In diesen Geleisen bewegt sich die schriftstellerische Thätigkeit des
Magnus Aureliiis Cassiodorusi), die übrigens, so wenig sie auf den Ruhm
der Originalität Anspruch machen kann, für ihre Zeit bedeutend war und
sehr wohlthätige Anregung gab. Er verdient um so mehr Anerkennung,
als er zugleich Staatsmann und wohl der letzte römische Staatsmann zu nen-
nen war, sich auch in dieser Beziehung grosse Verdienste erwarb und, 'obwohl
selbst nicht Geistlicher noch Theologe von Beruf, doch auf dem Gebiete der
Theologie sehr thätig war. Er war es, der das Studium überhaupt und das
theologische Studium insbesondere in das abendländische Mönchthum ein-
führte. Das hohe Ziel , das er verfolgte , war, die Klöster zu Asylen der
Wissenschaft zu machen, worin die classische und die christliche Literatur
gesammelt würden (Ebert a. a. 0.). Geboren um das Jahr 477 zu Scyllacium,
einem angenehm gelegenen Städtchen in Bruttien, gehörte er einer altrö-
mischen Familie an. Sein Grossvater hatte 440 Sicilien und Bruttien gegen
den Vandalen Geiserich vertheidigt und nachmals verwaltet. Sein Vater
hatte sich in Staatsdiensten hervorgethan. Der Sohn muss einen sehr
guten Jugendunterricht genossen haben, denn er vereinigte in sich, sagt
Manso, alle göttliche und menschliche Weisheit, die damals umhef. Als er
herangewachsen, waren die weströmischen Cäsaren verdrängt, das west-
römische Reich in fremder Hand. Odoacer, König der Heruler, hatte sich
zum Herrscher Italiens erhoben. Zum Glück für die Besiegten erschien es
den deutschen Eroberern bequemer und gerathener, die alten Staatsformen
beizubehalten und für die Leitung des Ganzen Eingeborene zu wählen, die sich
ihnen durch Kenntniss der Verfassung und durch Gewissenhaftigkeit in der
Verwaltung empfahlen. So kam es, dass Cassiodor schon unter Odoacer in
den öffentlichen Geschäftskreis eintrat. Diese Laufbahn wurde durch die
Besiegung Odoacer's nicht unterbrochen. Er empfahl sich dem neuen Herr-
scher, The oder ich, dadurch, dass er, man weiss nicht, ob in ausdrück-
lichem Auftrage oder aus freiem Antriebe sich nach SiciUen begab und die
dem neuen Herrscher abgeneigten Gemüther ohne Gewalt, durch beredte
Vorstellungen gewann. Dadurch erwarb er sich das volle Zutrauen des Für-
sten, von dem das Wohl und Wehe Italiens abhing, und erhielt hohe Staats-
ämter. So lange Theoderich lebte, war er sein Geheimschreiber, oder rich-
tiger gesagt, sein erster Minister. Wenige Anordnungen des Königs sind
ohne ihn, die meisten mit und durch ihn erlassen worden; die wichtigsten
Verfügungen sind aus seiner Feder geflossen; er war die vorzüglichste Stütze
des ostgothisshen Reiches und von unverkennbarem Einfluss auf alle Zweige
der Verwaltung. Mit dem Tode Theoderich's 526 hörte der blühende Zu-
stand des Reiches auf; Cassiodor fuhr zwar fort, den Nachfolgern des ver-
storbenen Königs Dienste zu leisten, konnte aber den Verfall des sich dem
Untergange nähernden ostgothischen Reiches nicht aufhalten. Das Unglück
der Zeit, sein sechzigjähiiges Alter brachte ihn 540 zu dem Entschlüsse,
seine Aemter niederzulegen und sich in die klösterUche Stille zurückzu-
ziehen.
1) S. ausser Bahr und Ebert Manso, Geschichte des ostgothischen Reiches in Ita-
lien. 1824. 's. 85 ff. ßitter, Geschichte der christlichen Philosophie 2, 598.
444 Dritte Periode des alten iCatliolicismus.
Von seiner mehr als vierzi^ährigeu politischen Laufbahn hat er ein
schönes Denkmal hinterlassen in der Sammlung von Schreiben und Verord-
nungen, die er im Namen der ostgothischen Könige erlassen hatte. Man
lernt daraus diese Könige, die Arianer waren, von voitheilhafter Seite ken-
nen. So sagte Theoderich bei Anlass einer kleinen Vergünstigung, die er
den Juden ertheilte: ^^wir können die Religion nicht befehlen, weil Niemand
gezwungen werden kann , wider seinen Willen zu glauben^ i). Noch treffen-
der lässt er den König Theodat an Kaiser Justinian schreiben: ^da die
Gottheit mehrere Religionen duldet, so unterstehen wir uns nicht, den Un-
terthanen eine einzige aufzuerlegen. Denn wir erinnern uns wohl gelesen
zu haben, dass man dem Herrn freiwillig, nicht auf irgend einen zwingen-
den Befehl opfern müsse. Wer anders zu handeln versucht, übertritt offen-
bar die himmlischen Gebote;^ — wie denn die arianischen Herrscher der
Ostgothen gegen die kathoUschen Bewohner des Landes äusserst duldsam
sich zeigten. Schon in den früheren Jahren seines Lebens schrieb Cassiodor
auf Befehl Theoderich's ein Jalu'buch (Chronikon) der Weltgeschichte bis
zum Jahr 519, eine zu compendiöse Schrift, als dass sie Bedeutung für uns
haben könnte. Wichtiger würde seine Geschichte der Gothen (de rebus ge-
stis Gothorum lihri XII) sein, welche König Athalarich in einem Schrei-
ben an den römischen Senat wegen ihrer genauen Untersuchungen bis auf
die älteste Zeit sehr rühmte; sie ist leider verloren; Jornandes hat einen
Auszug daraus gemacht in der Schrift de Getarum sive Gothorum
origine et rebus gestis.
In der Schrift de anima, die er auf Ersuchen einiger Freunde ver-
fasste, gibt sich schon ein asketischer Zug kund, neben dem Bestreben,
einen würdigen Begriff von der menschlichen Seele aufzustellen, an ihre er-
habene Bestinmmng zu erinnern, aber auch zugleich den Unterschied zwi-
schen Schöpfer und Geschöpf nicht ausser Acht zu lassen. Um 540 riss
er sich nun von allen seinen bisherigen Aemtern los, kurz bevor Ravenna
und König Vitiges in die Hände der Römer fielen. Er hatte bereits seit
einiger Zeit in der Nähe seiner Vaterstadt ein Kloster Cmonasterium Viva-
riense) bauen lassen, fast luxuriös ausgestattet mit Gärten, Canälen, Fisch-
behältern und Bädern, Sonnen- und Wasseruhren; eine besondere Zierde,
zugleich sehr wohlthätig anregend war die zahlreiche Bibliothek. Das Klo-
ster war in zwei Abtheilungen angelegt. Auf dem angrenzenden Berge gab
es kleine Einsiedeleien, in welche sich diejenigen Mönche, die sich stark
genug fühlten , einschhessen konnten. In dieses Kloster zog sich der bereits
mehr als sechzigjährige Mann zui'ück, doch ohne je die Stelle eines Abtes
darin zu bekleiden, sondern er führte die Oberaufsicht über das Kloster und
lebte so zienüich als ein Mönch. Dass er aber die Regel Benedict's in sein
Kloster eingeführt, diese von den Benedictinem aufgestellte Behauptung ist
von katholischen Schriftstellern selbst widerlegt worden.
Er munterte seine Mönche nicht nui' überhaupt zum Studiren auf,
sondern bewies ihnen auch durch das Beispiel berühmter Kirchenlehrer, dass
1) Keligionem imperare non possumns , qnia nemo cogitur, ut credat invitus. Eine
Reminiscenz aus der ^uten alten Zeit der Kirche S. 74,
Anbau der theologischen Wissenschaften. 445
es erlaubt und nützlich sei zum Verständniss der heiligen Schrift, sich mit der
heidnischen Gelehrsamkeit zu beschäftigen. Er trug den Mönchen auf, Ab-
schriften von Büchern zu machen, ertheilte ihnen dazu die sorgfältigste An-
weisung, besonders über die Rechtschreibung. Er zog gute Buchbinder in
das Kloster, und entwarf selbst die Bilder, womit die 'Bände geziert werden
sollten, so wie er auch beständig brennende Nachtlampen für die studiren-
den Mönche erfand. — Die Mönche sollten aber vor allen Dingen die Bibel
fleissig lesen , die besten Ausleger vergleichen , die verdächtigen meiden und
vorzüglich auf den sittlichen Unterricht, der unter der einfachsten Erzählung
verborgen liege, aufmerken. Auf das Abschreiben der Bibel legte er be-
sonderen Werth : „der Satan empfängt so viele Wunden, als der Copist Worte
des Herrn abschreibt.^
Cassiodor schrieb selbst mehrere Bücher für seine Mönche, zuerst eine
expositio in psalmos seu Commenta Psalterii, aus den Commen-
taren Augustin's ausgezogen, mit Benutzung der Commentare des Hilarius,
Ambrosius, Hieronymus u. A., viele mystisch -dogmatische Deutungen ent-
haltend. Die expositio in Cantica Canticorum^ in demselben Geiste
verfasst, ist erwiesen unächt. Von besonderer Bedeutung und Wichtigkeit
ist die Schrift de institutione divinarum literarum, — als Anleitung
zum Lesen und zum Verständniss der heiligen Schrift. Dabei durchgeht er
der Reihe nach die einzelnen Schriften der Bibel, und gibt die namhaftesten
Ausleger an; dazu kommen Schilderungen ausgezeichneter Kirchenlehrer,
Anweisungen für das Leben der Mönche und über die dem Geistlichen noth-
wendigen weltlichen Kenntnisse. ^^Es lässt sich nicht läugnen, sagt Bahr, dass
diese Schrift, die sich auch durch einen minder schwulstigen Vortrag und einen
einfachen Stil vor den übrigen Schriften Cassiodor's empfiehlt, zu den nütz-
lichsten und einfiussreichsten Schriften jenes Zeitalters gehört und sowohl
wegen der acht christlichen Gesinnung, die sich darin ausspricht, als wegen
des ausgebreiteten Wissens Cassiodor's und seiner Sorge für die Erhaltung
wissenschaftlichen Sinnes besondere Beachtung verdient. Sie hat daher einen
dauernden Einfluss das ganze Mittelalter hindurch ausgeübt, dessen Schul-
wissenschaft im Ganzen keine andere, als eben die von Cassiodor in dieser
Schrift behandelte und empfohlene ist.'' Als Fortsetzung dieser Schrift
wollte er die de artibus ac disciplinis liberalium literarum an-
gesehen wissen. Er handelt darin in sieben Abschnitten von der Grammatik,
Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie. Noch in
seinem dreiundneunzigsten Jahre schrieb er für seine Mönche ein Buch de
orthographia, Auszug aus zwölf römischen Schriftstellern, welche den-
selben Gegenstand bearbeitet haben. Von den Uebersetzungen griechischer
Schriftsteller, die er für seine Mönche machte, ist diejenige übrig geblieben,
welche sein Freund Epiphanius, ein Sachwalter, von den drei Kirchenge-
schichten des Sokrates, Sozomenus und Theodoret verfasst hat. Er bear-
beitete sie auszugsweise zu Einem Werke. Dieser Auszug, nebst der Ueber-
setzung und Fortsetzung der Kirchengeschichte des Euseb von Rufinus, unter
dem Titel historia tripartita war im Mittelalter das gewöhnliche
Handbuch der abendländischen Geistlichen für die alte Kirchengeschichte. —
Derselbe Cassiodor sah mit Schmerz, dass während die weltlichen Wissen-
446 Dritte Periode des alten Katholicismns.
Schäften noch immer eifrig betrieben und in verschiedenen Schulen die
Philosophie, Arzneiwissenschaft, die Beredtsamkeit , die Rechtswissenschaft
gelehrt wurden, es keine öffentlichen Lehrer für die heiligen Schriften gab.
In Nachahmung der alexandrinischen Schule sowie derjenigen von Nisibis in
Mesopotamien, die sich aus den Resten derjenigen von Edessa gebildet hatte,
verabredete er mit Pabst Agapetus die Gründung einer theologischen Schule in
Rom, „auf dass die Seele das ewige Heil erlange und die Zunge der Gläu-
bigen an reine Diction gewöhnt werde. ^ Er führt darauf an, dass die
Kriegszeiteu die Verwirklichung dieses Planes verhindert hätten. Das gab
ihm die erste Anregung zur Abfassung seiner Schrift de institutione di-
vinarum. literarum ^). — Unter solchen Beschäftigungen erlebte der
verdienstvolle Mann ein sehr hohes Alter (von zwischen neunzig und hundert
Jahren), ohne dass das Todesjahr mit Sicherheit angegeben werden kann.
Den Mangel gelehrter Schulen suchte im Jahr 529 eine gallische Sy-
node zu Vaison in der Grafschaft Venaissiu (c. 1) einigeFmassen zu ersetzen
durch die Verordnung, dass alle Pfarrer nach der heilsamen in Italien be-
obachteten Gewohnheit die jungen Vorleser in ihre Häuser aufnehmen, sie
die Psalmen lehi'eu, zum Lesen der heiligen Schrift anhalten und im Gesetze
des Herrn unterrichten sollten. Mit Unrecht ist Gregor der Grosse als Be-
förderer der Schulen gepriesen w^orden; die von ihm gestifteten Schulen
waren lediglich Singschulen; davon, sowie von seiner Verachtung der welt-
Hchen Wissenschaften wird nachher die Rede sein.
Von anderen Männern des Abendlandes ist hier vor allem noch zu
nennen Boethius Anicius Manlius Torquatus Severinus, rö-
mischer Staatsmann und Philosoph, geboren zu Rom um 480, aus einer der
berühmtesten und schon lange christlichen Familien jener Zeit, der Anicier.
Seine tüchtigen Studien Imhnten ihm den Weg zu hohen Ehrenstellen. Un-
ter König Theoderich war er 510 Consul, und genoss das Vertrauen des
Königs, der auch in gelehrten Dingen seine Hülfe in Anspruch nahm. Sein
wachsendes Ansehen machte ihn den Höflingen, bald auch dem Könige ver-
dächtig; des Hochverraths , jedoch mit Unrecht angeklagt, endete er sein
Leben auf dem Schaffot (524 oder 525). In der Folgezeit entstand das Ge-
rücht, dass sein eifrig katholischer Glaube ihm den Hass Theoderich's zuge-
zogen; so kam es, dass er zum katholisclien Heiligen und Märtyrer gestem-
pelt und in mehreren Städten Italiens als solcher verehrt wurde. In Wahr-
heit aber gehört er, nach seinen ächten Schriften zu urtheilen, kaum der
christlichen Kirche an. Nirgends bekennt er sich ausdrücklich zur christ-
lichen Religion. In der Philosophie hält er eifrig an der alten Lehre des
Aristoteles und Piaton. Es ist ein Hauptpunkt seiner Bestrebungen, die
alte wissenschaftliche Bildung in der Gegenwart aufzufrischen und der Zu-
kunft zu erhalten. Daher theils Uebersetzungen , theils Erklärungen und
Ergänzungen der Schriften des Aristoteles, Poi-phyrius, Euklides u. A.,
Schriften, welche für den Unterricht der späteren Zeit eine grosse Bedeut-
ung erlangt haben. Die Eintheilung der Wissenschaften und Künste in tri'
1) In der Vorrede spricht er sich darüber aus.
Anbau der theologischen Wissenschaften. 447
vium und quadrivium, von ihm gebilligt in der Schrift de arithmetica,
empfahl sich dem Mittelalter auch durch seine Autorität. Sein Hauptwerk,
de consolatione philoso2)hiae, im Gefängniss geschrieben, beruht sei-
nem Hauptinhalte nach auf der heidnisch - antiken Philosophie, hauptsächlich
der platonischen. Durch dieses im Mittelalter sehr viel gelesene Werk hat
er auf die Philosophie und Theologie jener Zeit bedeutenden Einfluss gehabt i).
Gregor!., der Grosse, Bischof von Rom nimmt, so mangelhaft
seine Schriften auch sein mögen, in der Geschichte der Theologie dieser
Zeit eine sehr bedeutende Stelle ein und ist in mehrfachen Beziehungen
theologisch thätig gewesen. Doch wird es angemessen sein, seine Leistungen
auf diesem Gebiete im Zusammenhange mit seinem Leben und mit seinen
übrigen Leistungen zu betrachten.
Von Männern des Abendlandes ist hier noch zu schildern Isidorus,
Erzbischof von Hispalis (Sevilla) , wohl zu unterscheiden von Isidor von Cor-
dova, der um das Jahr 400 blühte, daher öfter Isidorus junior genannt.
Er folgte seinem Bruder Leander auf dem erzbischöflichen Stuhle von Hispa-
lis, und hatte ihn ungefähr vierzig Jahre lang inne bis an seinen Tod
(635 oder 636). Von seinen zahlreichen, fast vollständig erhaltenen Schriften
hat sein Freund, Bischof Branlio von Saragossa (627—646) ein Verzeichniss
(praenotatio) hinterlassen. Sie umfassten ziemlich die damalige Wissenschaft,
sind übrigens nicht die Resultate eigener Forschung, sondern stellen die
Kenntnisse und das Wissen der früheren Zeit in w^ohl geordneten Auszügen
und Sammlungen zusammen. In einer Zeit allgemeiner Verwilderung und
Rohheit haben sie dazu beigetragen, dass die Grundlagen einer höheren
Bildung und der Sinn für Wissenschaft erhalten wurden. Für uns sind von
besonderem Werthe die eigentlich theologischen Schriften. Es' sind theils
mystisch allegorische Bibelerklärungen, ausgezogen aus den Werken früherer
Kirchenväter, theils eine Art von Lehrbuch der Dogmatik und Moral, unter
dem Titel sententiae, aus dem Werke Gregors L über das Buch Hiob
und aus Augustin ausgezogen, w^elche Schrift dazu beigetragen, im Mittel-
alter die dogmatischen Ansichten jener beiden Väter zu erhalten und zu
verbreiten. Die Schrift de ecclesiasticis officiis, von welcher Isidor
in der Vorrede selbst sagt, sie sei aus den Schriften der alten Autoren ge-
schöpft, behandelt die Gebräuche und Einrichtungen der Kirche und sucht
ihren Ursprung nachzuweisen, wozu kommen Anordnungen über die Oblie-
genheiten der Geistlichen. Isidor hat auch eine Mönchsregel geschrieben,
die derjenigen des Benedict von Nursia ähnlich ist, doch nicht gerade dar-
nach gemacht.
Von wesentlicher Bedeutung, jedoch weniger für diese Zeit, als für die
spätere sind die in Aegypten entstandenen, dem DionysiusAreopagita,
dem durch Paulus bekehrten Beisitzer des Areopag, nach Dionysius von
Korinth erstem Bischof von Athen 2), zugeschriebenen Schriften , zu dem
Zwecke, ihnen grössere Autorität zu verschaffen. Die Titel sind: von der
1) S. Ritter, Geschichte der christlichen Philosophie 2. 580 u. ft.; üher denselben
ebenfalls weitläufiger Ebert a. a. C, wo auch die Literatur über ihn angegeben ist.
2) Apostelgeschichte 17, 34. Euseb / Kirchengeschichte 3, 9 und 4, 23.
448 Dritte Periode des alten Katholicismus.
himmlischen Hierarchie, von der kirchlichen Hierarchie, von den göttlichen
Namen, von der mystischen Theologie; dazu kommen zehn Biiefe; ein elf-
ter, der später hinzugekommen, rührt von einem anderen Verfasser her.
Diese wohl am Ende des fünften oder Anfang des sechsten Jahrhunderts
verfassten Schriften tauchen zum ersten Male im Jahr 531 auf, bei Anlass
einer zwischen den Severianern und Katholiken auf Befehl Justinian's in Con-
stantinopel stattgehabten UnteiTedung. Als die Severianer sich auf sie
beriefen, erklärte sie der Erzbischof von Ephesus für unächt, da sonst sich
nicht erklären liesse, warum sie Männern wie Athanasius und Cyrill von .
Alexandrien unbekannt geblieben- seien. In der griechischen Kirche gelang-
ten sie, obgleich die Zweifel an ihrer Aechtheit fortbestanden, zu hohem
Ansehen, wurden mehrfach commentirt und galten als Muster der mystischen
Theologie. Im Abendland erwähnt ihrer zuerst Gregor der Grosse. Sie
wurden bekannter, seitdem Kaiser Michael Ludwig dem Frommen (827) ein
Exemplar zum Geschenk gemacht; sie wurden um so geschätzter, da man
den Verfasser mit dem berühmten fränkischen Schutzheiligen verwechselte
und ihm die Stiftung der Kirche von Paris zuschrieb, — entgegen dem
Zeugnisse des Gregor von Tours, der den Stifter der Pariser Kirche in die
Mitte des dritten Jahrhunderts versetzt. Die ferneren Schicksale dieser
Schriften, die mehrfachen Uebersetzuugen, die im Mittelalter davon gemacht
wurden, der Einfluss, den sie nicht blos auf die mystische, sondern auch
auf die scholastische Theologie ausübten, die Zweifel an der Aechtheit, die
im Refonnationszeitalter wieder auftauchten, bis Dalläus in einer eigenen Schrift
die Unächtheit abschhessend bewies. Alles dieses wird später zur Sprache
kommen. Es ist überflüssig, die verschiedenen Vermuthungen über den
Verfasser durchzugehen und zu prüfen. So viel steht fest, dass sie der
späteren neuplatonischen Schule angehören. Sie sind bestinmit, die Ideen
dieser Schule als den wahren, ursprünglichen Inhalt der christUchen Lehre i
und der kirchlichen Institutionen, als die tiefere geheime göttliche Wissen-
schaft darzustellen, welche vom Verfasser der empfänglichen Jugend zu-
gänglich gemacht wird. Er versteckte sich hinter den verehrten Namen des |
Areopagiten, um sowohl auf die philosophisch gebildeten Heiden, als auf |
die christlichen Kreise zu wirken. Wenn jene den Christen, die sich neu-
platonische Ideen aneigneten, vorwarfen, dass sie den Hellenen ihr recht-
mässiges Eigenthum entwendeten, so suchte der Verfasser die in diesen
Schriften niedergelegte Speculation als altes Eigenthum einer christlichen
Schule der Weisheit zu Athen und als den wahren Gehalt der kirchlichen
Institutionen darzustellen, wodurch die Heiden erkennen sollten, dass sie
keine Ursache hätten, sich gegen den Eintritt in die Kirche zu sträuben.
Auf der anderen Seite meinte der Verfasser den Christen Anleitung zu geben
zur tieferen Erforschung der christliclien Lehre und sie über dogmatische
Streitsucht zu erheben i). Ueber Maximus, f 662, eines anderen Mystikers
Leben und Schriften Siehe Realencyklopädie. 20. Band S. 114—146.
1) Die beste Ausgabe dieser Schriften ist die von Balthasar Corderius. Paris 1615,
Antwerpen 1636, — neu abgedruckt Brixiae 18oi. S. dazu Engelhardt, die angeblichen
Schriften des Dionysius Areopagita u. s. w. 1823, Baur, Geschichte der Lehr« von der
Dreieinigkeit, — den Artikel von K. Vogt in der Realencyklopädie.
449
Viertes Capitel, Geschichte der Verhältnisse zwischen Kirche nnd
Staat und Geschichte der Kirchenverfassung, der Patriarchen, ins-
besondere des römischen.
Da bemerken wir zuerst eine grössere Abhängigkeit der Kirche vom
Staat einerseits und doch auch erweiterte Rechte der Kirche andererseits,
daher auch wieder grössere Abhängigkeit des Staates von der Kirche. Dass
die Kaiser in äusseren kirchlichen Angelegenheiten Gesetze gaben, war ganz
in der Ordnung, und auch die römischen Bischöfe fügten sich ohne Wider-
rede unter solche kaiserliche Verordnungen. Aber auch Glaubensedicte
wurden in den monophysitischen und monotheletischen Streitigkeiten von den
Kaisern erlassen. Rom ging nicht unversehrt aus diesen Kämpfen hervor, ob-
schon anzuerkennen ist, dass keine andere Kirche den kaiserlichen Anmass-
ungen solchen Widerstand leistete wie die römische. Es war von grosser
Bedeutung für das Ansehen des römischen Stuhles, dass ein römischer Bi-
schof, Martinus I. mit der Märtyrerkrone geschmückt wurde, und dass
Agatho den Triumph erlebte, dass seine Lehre von zwei Willen in Christo
vom ökumenischen Concil 680 sanctionirt wurde.
Was die Erweiterung der Rechte der Kirche betrifft, so Hess sich
Justinian dieselbe besonders angelegen sein. Er ordnete die bischöfliche
Gerichtsbarkeit. Die Bischöfe wurden in bürgerhchen Streitigkeiten Richter
der Kleriker, Mönche und Nonnen. Das alte bischöfliche Recht der Auf-
sicht über die Sitten und der Sorge für die Unglücklichen wurde festgestellt
durch l)egünstigende und erleichternde Gesetze. Die Bischöfe erhielten die
nöthigen Befugnisse, um sich der Gefangenen, der Findlinge, der Waisen
anzunehmen. Die Statthalter der Provinzen waren auch in gewissen Be-
ziehungen von den Bischöfen abhängig. Der Bischof hatte Antheil an ihrer
Wahl und konnte gegen die Bedrückungen, die sie verübten, einschreiten.
In gewissen Fällen entschieden die Bischöfe zwischen dem Statthalter und
den von ihm ungerecht Verurtheilten. Dafür sollten auch die Statthalter
die Bischöfe an die Beobachtung der kirchlichen Gesetze erinnern. Kaiser
Heraclius übergab den Bischöfen sogar die Criminalgerichtsbarkeit über die
Kleriker. Doch alle diese Hechte und Obliegenheiten , wodurch die Vor-
steher der Kirche mehr und mehr in die civilisatorische Thätigkeit des
Staates hineingezogen wurden, vermochten nicht, ihnen im Ganzen, besonders
im Morgenlande nicht, einen neuen Geist einzuhauchen.
In der Geschichte der Patriarchen traten nur noch die römischen Bi-
schöfe bedeutend hervor. Ein günstiger Umstand für sie war die Auflösung
des weströmischen Reiches im Jahr 476. Seit dem waren sie eine Zeitlang
germanischen Fürsten unterworfen, dem König Theoderich von 493 bis 526,
der es ruhig geschehen liess, dass 502 eme römische Synode unter dem
Vorsitze des Pabstes Symmachus alle Einmischung der Laien m die inneren
Angelegenheiten der römischen Kirche verwarf, (Mansi 8, 266). Seit unter
Justinian Italien für das oströmische Reich erobert worden, kamen die Päbste
wieder unter römische Botmässigkeit. Justinian hielt sie in grosser Abhangig-
29
Herzog, Kirchengeschichte I.
450 Dritte Periode des alten Katholicismus.
keit. Dieses Verhältniss wurde nicht aufgehoben seit dem Einfalle der
Longobarden in Italien (568). Es verblieben seitdem dem oströmischen Kai-
ser das Exarchat von Ravenna, das Herzogthum Rom und Neapel, die
Seestädte Liguriens und die äussersteu südlichen Gegenden Italiens. Die
römischen Bischöfe waren den Exarchen von Ravenna als den Stellvertretern
des oströmischeu Kaisers untergeben, ihre Wahl bedurfte der kaiserhchen
Bestätigung, sie bezahlten Abgaben. Sie traten als die reichsten Güterbe-
sitzer 1) an die Spitze der Vertheidigungsanstalten gegen die Longobarden.
Auf ihren Besitzungen hatten sie schon kleine befestigte Schlösser. Das
gereichte ihnen zum Vortheil in ihrer kirchlichen Stellung zu den Kaisern.
Sie steigerten ihre hierarchischen Ansprüche und stützten sich dabei we-
sentlich auf ihren Charakter als Nachfolger Petri. Im Jahr 511 wurde zu-
erst von einem lateinischen Bischof, Ennodius von Ticinum, der Grund-
satz ausgesprochen, dass der römische Bischof von Niemand gerichtet wer-
den könne. Doch gestanden sie noch zu, dass sie den allgemeinen Concilien
untergeordnet und dass die Bischöfe nur im Falle einer Verschuldung auf
sie zu hören verpflichtet seien.
Was zur Hebung der römischen Bischöfe wesentlich beitrug, ist der
Umstand, dass unter ihnen gewisse bedeutende Persönlichkeiten auftraten,
deren Einfluss so weit reichte, dass die von anderen gegebenen Blossen we-
niger zum Schaden des römischen Bischofs gereichten.
Zu Anfang der Periode ist uns solch eine mächtige Persönlichkeit be-
gegnet in Pabst Leo I. Im Verlaufe der Periode tritt Gregor L, der
Grosse hervor 2). Seme hohe Bedeutung erhellt schon daraus, dass er in
mannigfaltige Gebiete des Lebens der Kirche eingegritlen hat. Er gehört
der Geschichte der Hierarchie, der Theologie, des Gottesdienstes, der Seel-
sorge, des Mönchthums, der Missionen an. Hier kommt er zunächst in
Betracht als Bischof überhaupt, insbesondere als Bischof von Rom in seiner
hierarchischen Stellung.
Geboren zu Rom c. 540, vom Vater, der aus altem i)atricischem
Geschlecht abstammte, mit Sorgfalt erzogen und für Staatsgeschäfte be-
stimmt, entwickelte sich frühe in ihm eine ernstere Neigung, die ihm aller-
dings keine Liebe zur classischen Literatur einflösste. Doch war er kein
solcher Feind der classischen Bildung, wie man öfter behauptet hat. Aller-
dings gestand er später, er bekünnnere sich nicht um die Granmiatik, es
sei unwürdig, verha coelestis oraculi den Regeln des Donat zu unterwerfen
(in der Epistel an Leander vor dem Commentar über Hieb). Nach dem Tode
des Vaters gründete er aus dem geerbten Vermögen sechs Klöster und nahm
seinen Aufenthalt in einem derselben und befliss sich der äussersteu
Enthaltsamkeit. Er wurde Diakon des Bischofs Pelagius und sein Geschäfts-
träger (apocrisiarius) am kaiserlichen Hofe in Constantinopel. Daselbst fing
1) Patrimonium hiess zunächst das Vermögen der Kaiser; worauf die Kirchen ihre
Güter patrimonia der betreffenden Heiligen nannten, das römische Kirchengut wurde dem-
nach Patrimonium Petri genannt.
2) Lau, Gregor I. der Grosse, nach seinem Leben und seiner Lehre geschildert
1845. Pfahl er, Gregor I. und seine Zeit. 1. Band.
Kirchenverfassung. Der römische Patriarch. Gregor d. G. 451
er an, seinen Commentar zum Buche Hiob zu schreiben, welcher sich weit
weniger mit der eigentlichen Worterklärung und der historischen Interpre-
tation abgibt, als mit allegorischen Auseinandersetzungen zum Behuf der
Auffindung eines tieferen Schriftsinnes, woran sich ausführliche, moralische
Betrachtungen knüpfen; daher die Aufschrift des Werkes Moralia in den
Handschriften desselben. Dazu kommen Erörterungen über dogmatische
Punkte sowohl als über die verschiedensten Lagen und Verhältnisse des
menschlichen Lebens. Daher das Werk, ungeachtet es als exegetische Ar-
beit keinen Werth hat, sehr gute Aufnahme fand, viel gelesen und nament-
lich vielfach in andere Sprachen übersetzt wurde. Als eine in Rom herr-
schende ansteckende Krankheit (590) Bischof Pelagius hingerafft hatte, wähl-
ten Senat, Geistlichkeit und Volk Gregor zu dessen Nachfolger. Dieser
weigerte sich anfangs, die Stelle anzunehmen und wendete sich selbst an
den Kaiser mit der Bitte, die Wahl nicht zu bestätigen. Doch der Brief,
der diese Bitte enthielt, wurde durch den kaiserlichen Statthalter vernichtet
und an dessen Stelle ein anderes Schreiben nach Constantinopel mit der
Bitte um Genehmigung der Wahl geschickt. Während die Bestätigung
durch den Kaiser in Rom erwartet wurde, besorgte Gregor die Geschäfte
des römischen Stuhles. In einer ergreifenden Predigt ermahnte er das Volk
zur Busse. Als Bussübung ordnete er eine grosse Procession an, septi-
formis litania genannt, weil das ganze, freilich sehr zusammengeschmol-
zene Volk in sieben Abtheilungen getheilt war, wovon jede von einer be-
sonderen Kirche ausging, und die alle in derselben Kirche zusammentrafen,
in der Kirche der heiligen Maria, um unter Thränen und Seufzern Ver-
gebung ihrer Sünden zu erflehen. Drei Tage dauerten diese Umzüge, die
selbst dadurch nicht unterbrochen wurden, dass eines Tages in Zeit von
einer Stunde achtzig Menschen todt niederfielen. Nach einer alten Sage
erschien, als der letzte Umzug bei dem Grabmal Hadrian's vorbeikam, dem
Gregor ein Engel auf der Spitze dieses Gebäudes, der das Schwerdt in die
Scheide steckte, zum Zeichen, dass die göttliche Rache jetzt befriedigt sei;
daher das Grabmal Hadrian's, später Engelsburg genannt, 'mit der Statue
eines Engels, der sein Schwerdt in die Scheide steckt, geschmückt wurde.
Als endlich die kaiserliche Bestätigung der Wahl Gregorys eingetroffen
war, gab dieser sein anfänghches, übrigens aufrichtig gemeintes Sträuben
auf und widmete sich fortan mit unermüdlichem Eifer den Obliegenheiten
seines Berufes. Vor allem suchte er selbst das Beispiel der wahren Lebens-
weise eines Bischofs zu geben. Er führte ein einfaches, strenges Leben in
Gemeinschaft mit seinen Klerikern. Die von Alters her gerühmte Wohltkä-
tigkeit der römischen Kirche, wodurch sie ihren Einfluss verstärkte, übte er
in grossartiger Weise, indem er die Armen bis an den Berg Sinai unterstützte.
Bald nach seiner Erwählung schrieb er sein liher regulae pastoralis,
bei Anlass der Vorwürfe, die ihm gemacht worden, weil er sich anfangs
geweigert, die päbstliche Würde anzunehmen. Die Schrift enthält eine
Menge guter und feiner Bemerkungen über die Art, wie die verschiedenen
Geister und Gemüther angefasst werden müssen. Es sind aber lauter mo-
ralische Ermahnungen, die er gibt; in die tieferen Beziehungen zu Christo
lässt er sich nicht ein. ßeachtenswerth ist die Bemerkung, dass die Liebe
29*
452 Dritte Periode des alten Katholicismns.
ZU den Seelen den Antrieb geben soll zur Uebernabme des geistlichen Am-
tes. Folgende Dinge verdienen noch erwähnt zu werden: Das pastorale
Lehramt (pastorale magisterium) ist die Kunst der Künste. Dabei werden
vier Punl^e behandelt: 1) auf welcher Weise einer zur Regierung der Kirche
gelangt (nicht durch schlechte Mittel), 2) auf welche Weise er, nachdem er
dahin gelangt, sein Leben gestaltet, 3) auf welche Weise er lehrt, 4) wie
er täglich seine Schwachheit sich vergegenw^ärtigt. — Der Pastor soll haupt-
sächlich darnach streben, den Untergebenen durch die Art, wie er lebt, den
Weg des Lebens zu zeigen. Denn die Stimme des Redners, den sein Wan-
del empfiehlt, wird am meisten die Herzen der Zuhörer durchdringen. —
Doch empfiehlt Gregor sehr warm das Predigen. Aber dem Tadel soll Lob
beigemischt sein, um die Gemüther derjenigen, die man tadelt, zu gewin-
nen. Diese Schrift wurde das Handbuch des Klerus im Mittelalter, von
Alfred dem Grossen in das Angelsächsische übersetzt. Die eigentlichen
Pastoralgeschäfte waren das Hauptaugenmerk Gregorys. Er predigte öfter
und bedauerte es, dass er nicht noch mehr zu predigen Zeit habe. Das
Predigen galt ihm als Hauptgeschäft des Bischofs. Zweiundzwanzig Homi-
lieen über die dunkeln Stellen des Ezechiel, vierzig Ilomilieen über evan-
gelische Lectionen gal) er heraus. Andere, ihm zugeschriebene exegetische
Schriften sind wahrscheinlich unächt.
In seiner hierarchischen Stellung zeigt er sich sehr verschieden von
den späteren Päbsten. Gegenüber dem Kaiser beobachtete er strengen Ge-
horsam. Als er einst in den Fall kam, gegen eine vom Kaiser Mauritius
getroffene Verordnung zu protestiren , that er es in den demüthigsten Aus-
drücken: ^jWer bin ich. Staub und Wurm, der ich zu meinem Herrn rede"?
Nicht nur diess , er unterwarf sich. Noch weniger gereicht ihm zu Ehren,
dass er Kaiser Phocas, Mörder von Mauritius, aus rein [)olitisch - kirchlichen
Gründen so ehrend anerkannte als Nachfolger des ermordeten. Doch lässt
sich nicht verkennen , dass er sich gegenüber dem Kaiser eine gewisse
Selbständigkeit bewahrte, wobei seine Stellung als einziger Patriarch des
Abendlandes und als der reichste Grundbesitzer Italiens ihm zu Hülfe kam,
so dass er bedeutenden Einfluss auf die Lenkung der italienischen Angele-
genheiten ausübte. — Wenn ihm schien, dass die Staatsgewalt in Sachen
der Kirche ungesetzliche Entscheidungen getroffen, so ruhte er nicht eher,
als bis sie zurückgenommen waren. Auf der anderen Seite wollte er den
Titel allgemeiner Bischof für den römischen Bischof nicht annehmen, ob-
schon er gestand, dass er allein denselben zu führen das Recht habe. Nach
dem Vorgange Augustiji's, der sich servus Christi et 'per ipsum servus ser-
vorum ipsiiis nannte, nannte er sich servus servorum Bei. Das gab Anlass
zu einem Streite zwischen den beiden ersten Patriarchen der kathohschen
Christenheit. Als nämlich nach dem Vorgange mehrerer Metropoliten Asiens,
die für sich den Titel xcc^ohxog angenommen , nach dem Vorgange Kaiser
Justinian's, der den Patriarchen von Constantino])el als ökumenischen Pa-
triarchen angeredet hatte, Joliaiines der Fast er (vricrtsvtrjg^ jejunator),
diesen letzten Titel zu gebrauchen anfing (587), erklärte sich dagegen auf
das schärfste Pelagius H. und besonders Gregor als gegen eine antichrist-
Kirchenverfassung. Der römische Patriarch. Gregor d. G. 453
liehe und teuflische Benennung in einem Briefe an Johannes (ep. 5, 18) 0-
Doch glaubte er sich als Nachfolger Petri berufen, über die ganze Kirche
und auch über die von Constantinopel die Oberaufsicht zu führen. Es lässt
sich nicht läugnen, dass er in dieser Beziehung sehr wohlthätig eingewirkt
hat. Er traf bei Antritt des Pontificats die Kirche Italiens in sehr trauri-
gem Zustande. Er richtete seine Thätigkeit auf Wiederherstellung des
kirchhchen Lebens und der klösterlichen Zucht. Nicht mit Unrecht hat man
ihn einen Reformator der Kirchenzucht genannt. Dabei verschmähte er es
nicht, das Gute, überall, wo er es fand, auch bei geringeren Kirchen nach-
zuahmen. Der Eifer, mit dem er in seiner reformatorischen Wirksamkeit
verfuhr, verbunden mit seiner unparteiischen Gerechtigkeit und der Strenge
der von ihm auferlegten Strafen, hoben wieder den gesunkenen Zustand
Italiens, erwarben ihm aber auch viele Feinde. Dabei war er freilich, wie
übrigens schon seine Vorgänger, bemüht, die Befugnisse und Rechte des
apostolischen Stuhles zu erweitern. Jedes Privilegium desselben, mochte es
durch Usurpation hervorgerufen oder durch besondere Umstände und für
einen einzelnen Fall veranlasst sein, suchte er für alle Zeiten als ein Recht
des apostolischen Stuhles festzuhalten, auch wenn ältere kirchliche Be-
stimmungen dagegen sprachen 2). Doch wollte er für seine Person keine
Ehre; über sich selbst urtheilte er bescheiden und bewies immer unge-
heuchelte Demuth. Er starb am 12. März 604, nachdem er während seines
Pontificats beständig mit Krankheiten und Schmerzen heimgesucht gewesen,
wodurch er sich aber in seiner Amtsthätigkeit nicht hindern Hess. — Sein
Eingreifen in die Entwicklung des Cultus, des Mönchthums, der Missionen
soll später zur Sprache kommen. Hier soll nur noch bemerkt werden, dass
sich aus seinen Schriften eine weitläufige Kenntuiss seiner Ansichten über
alle Theile der christlichen Glaubenslehre schöpfen lässt; davon hat Lau
eine eingehende Darstellung gegeben, wozu dieser Gelehrte bemerkt: ;,er
sammelte mehr nur das in der lateinischen Kirche Uebhche, es jedoch weiter
verarbeitend. Durch unmerklich verschiedene Autfassung des von der Vor-
zeit Ueberkommenen bahnte er, ohne vielleicht die Bedeutsamkeit seines
Thuns zu erkennen , die Entwicklung des späteren (römischen) Katholicismus
an und zeichnete ihr den Weg vor." Seine theologischen Ansichten und
Ueberzeugungen fanden um so mehr Anklang, je mehr sein Charakter und
die Stelle, die er bekleidete, Achtung geboten.
Auf dem Gebiete der lürchenverfassung und Hierarchie bleibt übrig,
noch einen Bück auf che allgemeinen Synoden zu werfen. Wenn sie
auf der einen Seite zur Entwicklung und Befestigung der Kircheneinheit we-
sentlich beitrugen, so geschah es auch durch besondere Umstände, dass sie
Spaltungen veranlassten, so dass eine Synode den Hauptanlass gab zur
1) Seit dem Ende des siebenten Jahrhunderts nahm der römische Bischof den Titel
allgemeiner Bischof an.
2) So verfahr er mit den Beschlüssen der Synode von Sardica. Lau S. 178. Für
aUe die bis jetzt berührten Punkte bildet die Sammlung der Briefe Gregor's die wich^
tigste Quelle.
454 iDritte Periode des alten Katholicisransl.
Trennimg der griechisch - morgenläudischen und der lateinisch - abendländischen
Kirche. Es kommt hier in Betracht
das Concilium qiiiuisextum, als Ergänzung des fünften und
sechsten allgemeinen Concils so genannt, auch Trullanum, weil der TruUus,
ein kaiserlicher Palast in Constantinopel die Versammlungsstätte war. Um
die Kirchenverfassung zu ordnen, mit welcher sich früher die Synoden we-
niger beschäftigt hatten, berief Justinian IL auf das Jalu' 692 ein neues
ökumenisches Concil nach der Residenzstadt. Die griechischen Bischöfe
waren von der bestimmten Absicht geleitet, den Patriarchen von Rom zu
demüthigen. Den Römern missfielen unter anderen folgende Beschlüsse der
Synode: indess die Beschlüsse der meisten griechischen Synoden die Bestä-
tigung erhielten, wurden viele abendländische Synoden und alle Decretalen
der römischen Päbste übergangen. Im Widerspruche mit den abendländischen
Verordnungen wurde den Geisthchen vom Presbyter herab die Ehe erlaubt,
mit Ausnahme der zweiten Ehe, der Ehe mit einer Wittwe und der Heirath
nach empfangener Ordination. Der Patriarch von Constantinopel erhielt die
Bestätigung seines alten Ranges als des zweiten, unmittelbar nach dem rö-
mischen. Obgleich die römischen Legaten die Beschlüsse der Synode unter-
schrieben, nahm Sergius I. sie nicht an. Der Kaiser wurde durch seinen
bald darauf folgenden Tod verhindert, die Annahme zu erzwingen. Die Sy-
node wurde im Abendlande nicht anerkannt und war so die erste öffentliche
Erscheinung der Trennung zwischen den beiden Hälften der katholischen
Kirche, herbeigeführt durch den sich steigernden Hochmuth der römischen
Patriarchen. Es zeigte sich dabei, dass die römischen Bischöfe, wenn gleich
sie eiuestheils sich um die Kirche grosse Verdienste erwarben, sei es durch
Aufrechthaltung der Zucht und Ordnung, sei es als muthige Vertreter der
Glaubenswahrheit, anderntheils einem hierarchischen Geiste Raum gaben,
welcher das Gedeihen und den Erieden der Kii'che gefährdete und für die
Zukunft nichts Gutes erwarten Hess, oder wenigstens nur mit viel mensch-
lichem Be'werk vermischtes Gute.
Die kirchliche Gesetzgebung erzeugte einen eigenen, bald sehr aus-
gedehnten und tief eingreifenden Zweig der theologischen Literatur. Zuerst
sind die sogenannten apostolischen Kanon es zu erwähnen, wovou die
fünfzig ersten bald nach der Mitte des fünften Jahrhunderts unter dem Na-
men des Clemens aus den apostolischen Constitutionen und aus den Kanones
mehrerer Synoden des vierten Jahrhunderts (insbesondere der Synode von
Antiochien, 341) gesammelt wurden; Dionysius exiguus übersetzte sie, und
nur diese hielt die lateinische Kirche fest. Mit dem Anfange des sechsten
Jahrhunderts kamen in der griechischen lürche noch fünfunddreissig hinzu,
welche den Constitutionen angehängt wurden (Drey a. a. 0.). Um dieselbe Zeit
fing man an, die ConciUenbeschlüsse nach einer Sachordnung zusammenzu-
stellen. Die erste Sammlung dieser Art ist die des Johannes Schola-
sticus, des späteren Patriarchen von Constantinopel f 578. In der latei-
nischen Kirche entstand seit dem Concile von Chalcedon die sogenauate
prisca translatio; eine ausgedehntere Sammlung gab Dionysius exiguus
noch vor dem Jahr 500 heraus. In Spanien entstand zwischen 633 und 636
Geschichte des Gottesdienstes. Versammlungsorte. 455
eine für den Gebrauch der dortigen Kirche bestimmte neue Sammlung, welche
später irriger Weise den Namen der isidorischen erhielt, weil man sie dem
hochgefeierten Isidorus von Hispalis zuschrieb.
In die kirchliche Gesetzgebung schlägt auch das Busswesen ein; es
entstanden Bussbücher, Bussordnungen (libri poenitentiales) , als
Anleitung für die Priester zur Verwaltung der Bussdisciphn. Es sind bald
einzelne Kanones von Synoden, päbsthche Decretalen, bischöfliche Schreiben,
Entscheidungen für einzelne Fälle, Register einzelner Vergehen, mit Hinzu-
fügung der entsprechenden Busse, bald auch ausführliche Abhandlungen über
das Busswesen. Solche Bussbücher hat es nach und nach eine grosse Zahl
gegeben. Hier können wir nur auf die Anfänge uns einlassen.
In der morgenländischen Kirche beruhte die Handhabung der Busse
zum Theil auf Gewohnheiten, die sich an die heilige Schrift anlehnten, theils
auf Kanones von Synoden (von Ancyra 314, Nicäa 325 u. a.). Ueberwie-
gende Autorität erhielten die drei Briefe des Basilius von Cäsarea ai? Am-
philochius, deren vierundachtzig Capitel eine förmliche Bussordnung bilden.
Johannes Scholasticus nahm achtundsechzig Kanones davon in seine Samm-
lung der Kirchengesetze auf, und die trullanische Synode bestätigte sie. Ein
eigenes Pönitentialbuch w^urde dem bereits genannten Bischöfe von Constantino-
pel, Johannes dem Faster {vrjatevTtjg 585 — 595) beigelegt, doch ist es er-
wiesen späteren Ursprungs. Auf die Abfassung von Bussordnungen im
Abendlande ist das griechische Kirchenrecht nicht ohne Einfluss geblieben;
indessen verfolgte die lateinische Kirche hierin ihren eigenen Weg und ent-
wickelte auf diesem Gebiete ein viel reicheres Leben. Schon zur Zeit Cy-
prian's hatte man in der afrikanischen Kirche eine Art Bussordnung für die
vielen Lapsi, die Synoden von 251 und 255 stellten die ältesten Pöuitential-
kanones auf. Eine vollständigere Bussdisciphn entwickelte sich zuerst in
den Klöstern. Das abendländische Busswesen wurde besonders in Gross-
britannieu gepflegt und wirkte von da aus auf den Continent von Europa,
insbesondere auf die fränkische Kirche ein. — Wir werden später davon
zu reden Anlass haben. (S. W a s s e r s c h 1 e b e n , die Bussordnungeu der abend-
ländischen Kii-che, Halle 1851 und den Artikel ,, Bussbücher'' von Jacobson
in der Reale ncyclopädie).
Fünftes Capitel. Geschichte des Gottesdienstes.
Was wir in der zweiten Periode des alten Kathohcismus heranwachsen
sahen, äusserliches Wesen und Gepränge zum Behuf der Anziehung der
rohen Volksmassen, das steigerte sich in dieser Periode und überwucherte
den Gottesdienst. Wenn schon darin eine sehr bedenkliche Annäherung an
len Paganismus stattfand, so zeigte sich diess noch deutlicher und stärker
m Opfercultus, wie er mehr und mehr sich gestaltete.
Was zuvörderst die kirchlichen Versammlungsorte betrifft, so erhielt sich
im Abendlande der Basilikenstyl bis in das neunte Jahrhundert. Zu gleicher Zeit
blühte in der griechisch-morgenländischen Kirchelder byzantinische Styl, mit den
run;len Kuppeln. Das vollendete Muster dieser byzantinischen Bauart ist die So-
456 t)ritte Periode des alten Kiatholicismus.
phienkirche in Constantinopel, welcher die Marcuskirche in Venedig nachgebildet
ist, worin sich so recht augenscheinhch die Herrlichkeit des byzantinischen
Staatskirchenthums abspiegelt. Zuerst von Constantin erbaut, unter Anastasius
abgebrannt, wurde sie von Justinian wiederhergestellt und 557 eingeweiht ^).
Ihre Länge betrug 190', die Breite 115', die Höhe 180'. Der Theil der
Kirche, wo der Hauptaltar stand, enthielt an Schmuck und Verzierungen
den Werth von 40,000 Pfund Silber. Es war daher keine Uebeitreibung,
wenn der Kaiser von diesem seinem Werke behauptete, dass er Salomo
übertroffen habe 2). Es wird berichtet, dass er für den Dienst dieser Kirche
sechzig Presbyter, hundert Diakonen, vierzig Diakonissen, neunzig Subdiako-
nen, huudertundzehn Lectoren, fünfundzwanzig Sänger, hundert Thürhüter,
im Ganzen ein Dienstpersonale von fünfhundertundfünfundzwanzig Personen,
verordnet habe. Seit jener Zeit hat die morgenländische Baukunst keine
wesentlichen Fortschritte gemacht. Unter demselben Kaiser wurden noch
viele andere Kirchen erbaut. Es kam jetzt mehr und mehr auf, die Kirchen
mit Gemälden und Statuen der Heiligen zu schmücken. Unsere Periode von
der Mitte des fünften bis zu Anfang des achten Jahrhunderts wird von den
Kennern als die Blüthezeit der altchristlichen Malerei angesehen ^). Also-
bald aber wucherte der Aberglaube und paganisirendes Wesen auf. Im Mor-
genlande wusste man seit 518 durch Theodorus Lector von authentischen
Bildern Christi, die Lucas verfertigt haben sollte, welchem bald andere
Bilder heiliger Personen folgten; darauf kamen ^^die nicht mit Händen ge-
machten Bilder ,^^ ein Gegenstück zu den vom Himmel gefallenen Bildern
(ayakfiata SioTtetri) des Heidenthums *). Bald sprach man auch von Bildern,
die Blut schwitzten, und kam die Anbetung (nQoffxvvTifTtg) der Bilder auf
und wurde in Schutz genommen. Im Abendlande zeigte sich auch bereits
der Uebergang zur paganischen Verehrung der Bilder und gründliche Mass-
regeln dagegen wurden nicht gebilligt. Als Serenus, Bischof von Marseille
dem Unfug der Anbetung der Bilder Einhalt thun wollte durch Entfernung
derselben aus den Kirchen, wurde er von Gregor I. getadelt (ep. 9, 105).
Dieser meinte, die Bilder sollten beibehalten werden, damit diejenigen, die nicht
lesen könnten, durch die Anschauung der Bilder Unterricht empfingen.
Uebrigens gestattete er, dass man sich vor den Bildern niederwerfe, und
that es selbst, aber, fügt er hinzu, wir werfen uns nicht als vor einer
Qottheit nieder, sondern wir beten den an, dessen Erinnerung wir mittelst
des Bildes feiern (ep. 9, 52), — ganz in derselben Weise wie die Heiden
die Anbetung ihrer Götterbilder zu rechtfertigen gewohnt waren. Deutlich
zeigte sich hiebei der Umschwung der altkatholischen Anschauung.
Glocken kamen auf seit dem Anfang des siebenten Jahrhunderts, zuerst
in Nola in Campanien, darauf, unter Sabinianus, Nachfolger Gregorys, in
Rom und anderwärts. In Verbindung damit entstanden die ersten Thürme
worin die Glocken aufgehängt wurden; zuerst waren diese Thürme von den
1) Die Beschreibung davon bei Evagrius H. E. 4, 31 — bei Lübke.
2) ^olofxoivtt y€vtX7]xa.
3) S. Ulrici im Artikel Malerei, christliche in der Realencyklopädie.
4) Apostelgesch. 19, 35. fivagrins 4, 27.
l)er Gottesdienst. Versammlungsorte. ^m
Kirchen abgesondert, wie man noch in Italien welche sieht (in Venedig
und Pisa). Bei den Griechen kamen die Glocken nicht auf.
Doch mehr als auf Glocken und Bilder wurde auf die Reliquien
der Heiligen Gewicht gelegt, welche in den ihnen geweihten Kirchen
unter den Altar gelegt wurden. Sie kamen aber auch im Privatleben vor
und wurden von den Kirchenvorstehern an hohe Personen verschenkt
so z. B. von Gregor I. an den König der Westgothen Reccared Theile
des Kreuzes Christi und Haare Johannis des Täufers (ep. 9, 122). Es
knüpften sich an die Reliquien mehr und mehr Wunderwirkungen, und es
wurde Betrug mit den Reliquien getrieben. Es war verhängnissvoll für
die katholiche Kirche, dass ein Mann von so aufrichtiger und tiefgegrün-
deter Frömmigkeit wie Gregor I. in dieser Beziehung sich nicht nur
über den Aberglauben seiner Zeit nicht erheben konnte, sondern dass er
ihn sogar durch das ganze Gewicht seiner Autorität bekräftigte und beför-
derte. So erschien Rom als die eifrigste Schutzpatronin der sinnlichen,
dem Heidenthum sich nähernden Richtung der katholischen Frömmigkeit.
Gregor legte sich die Sache so zurecht, dass durch die Wunder die Ge-
müther des rohen Volkes für den Glauben gewonnen werden müssten, und
dass der Glaube, wenn er einmal lebendig in der Seele ist, der Wunder
nicht mehr bedürfe. Aber die Erfahrung ergab ein anderes Resultat. Immer
mehrere Wunder wollten die Gläubigen und Gregor war eifrig bemüht, dieser
• Wundersucht Nahrung zu geben. Ihr dienen auch seine Dialogen.
Mit den Reliquien hing zusammen die steigende Verehrung der Hei-
ligen, denen eine Unmasse von Kirchen geweiht wurden. Im Jahr 610
wurde das römische Pantheon in eine Kirche der Maria und aller Heiligen
umgewandelt, was den Sieg des Christenthums über das Heidenthum an-
schaulich darstellte. Dazu kamen neue Feste, ein Fest zu Ehren aller
Heiligen, mehrere Marienfeste, das Fest der Verkündigung Maria
am 25. März, das Fest der Reinigung Maria am 2. Februar, ausser-
dem das Fest der Kreuzerhöhung (festum exaltatmiis crucis) , einge-
setzt für das Morgenland zunächst, als Kaiser Heraclius 631 das vom
Perserkönig geraubte Kreuz Christi nach Jerusalem zurückbrachte und es
in feierlicher Procession auf seinen Schultern den Golgotha hinauf trug,
um es in der wiederhergestellten Kirche des heiligen Grabes zu erhöhen.
Bald darauf führte Honorius I. dieses Fest auch im Abendlande ein.
In Verbindung mit den Festen steht das Kirchenjahr, d. h. die
Anordnung des Jahres nach kirchlichen Bestimmungen, zum Zwecke, theils
die Stiftung, theils die Anordnung des Heiles in ihrem geschichtlichen
Verlaufe darzustellen ; daher zwei Hälften des Kirchenjahres unterschieden
wurden, das seinestre Domini , welches den Weihnachts-, Oster- und Pfingst-
cyklus umfasste , das semestre ecclesiae die anderen Feste. Es begann im
Laufe des fünften Jahrhunderts mit dem Feste von Maria Verkündigung
25. März, welches Fest schon Chrysostomus die Wurzel aller Feste Christi
genannt hatte. Dass der erste Sonntag im Advent als Anfang des Kirchen-
jahres angenommen wurde, ist hauptsächlich dem Einflüsse Roms zuzu-
schreiben. Die morgenländische Kirche begann das Kirchenjahr am ersten
Sonnta<?e nach dem Feste der Kreuzerhöhung, welches auf den 14. Sep-
458 Dritte Periode des alten Katholicismiiä.
tember fällt. Inmitten dieser Entwicklung wurde auch die Osterberech-
nung weiter fortgeführt. Der Abt Dionysius der Kleine führte 525 im
Abendlande den schon längst im Morgenlande herrschenden neunzehnjähri-
gen Ostercyclus ein, worauf er allmälich im Abendlande überall durchdrang.
In Britannien aber bildete er einen Hauptcontroverspunkt zwischen den alt-
katholischen Geistlichen und den römisch-katholischen. Derselbe Abt Dio-
nysius schlug vor, die Jahre statt ab urbe condita von Christi Geburt an
zu zählen, welche Geburt er in das Jahr 754 ab urbe condita setzte, welche
Aera christiana, wie man sie nannte, im achten Jahrhundert durch die
fränkischen Herrscher Pipin und Karl im Abendlande gebräuchlich wurde;
nach den neueren Forschungen ist freilich in dieser Aera das Geburtsjahr
Christi um einige Jahre zu früh angesetzt. (S. Ideler, Chronologie).
Nicht nur gab es eine Anzahl neuer Feste, wovon wir gar nicht alle
genannt haben, es entstanden auch neue Formen der Gottesverehrung.
Mamercus, Bischof von Vienne, war es, der feierliche Buss- und Bittan-
dachten mit Fasten und Processionen verbunden für die drei Tage vor Him-
melfahrt anordnete f/?'^aw2a^; rogationes). Dieser Andacht gab Gregor I. wäh-
rend der grossen in Rom herrschenden Pest die beschriebene eigenthümliche
Gestalt (litania septiformis)'^ wahrscheinlich waren die Theilnehmer, meint
Gregorovius, schon damals eben so gekleidet, wie man es gegenwärtig
noch in Rom sehen kann (die Männer eingehüllt in Busssäcke von grobem
Stoff, das Gesicht ganz verhüllt bis auf die Augen).
Gregor erwarb sich auch Verdienste um den Kirchengesang, er führte
Sängerschulen ein, daher man ihn später als Beförderer der Schulen
überhaupt verehrte; er gilt als Vater des Choralgesanges, der daher der
gregorianische Gesang heisst, und weil er in Rom ursprünglich geübt
wurde, der römische. Er unterschied sich, sagt Lau S. 262, von dem
ambrosianischen durch grössere Weichheit und Lieblichkeit, nur fehlt ihm
die Verbindung des Rhythmus und des Metrums mit der Melodie, welche
dem ambrosianischen eigenthümlich ist. Auch Hymnen zum Gebrauch im
Gottesdienste hat Gregor aufgesetzt, sowie denn schon frülier in der latei-
nischen Kirche solche entstanden waren, worunter besonders die des Am-
brosius von Mailand Erwähnung verdienen. Gregor stattete überhaupt den
Gottesdienst mit neuen Cärimonien aus, daher sein Ehrenname pater
caerinionia r u in.
Wesentlich ist sein Antheil an der Entwicklung und festeren Aus-
prägung des Messcultus. Er fand Arbeiten früherer Päbste vor, ins-
besondere das sacrainentarium, das Gelasius I. c. 495 verfertigt
hatte und welches im Laufe der Zeit durch Zusätze entstellt worden war.
Er gab dasselbe unter seinem Namen neu heraus, vieles auslassend, eini-
ges hinzusetzend, anderes ändernd, wie sein Biograph Johannes diaconus
2, 17 berichtet. Der noch jetzt in der römischen Kirche übliche Canon
missae rührt von Gregor her (ep. 9, 12), womit nicht geläugnet werden
soll, dass darin Aelteres vorhanden ist. Gregor hat auch ein Antipho-
narium verfasst, d. h. eine Sammlung der Antiphonen, die in der Messe
gesungen wurden. Ob er auch das ihm beigelegte liber responsalisy
welches die bei der Messe üblichen Responsorien und den Gesang bei den
Der Gottesdienst. Der Messopfercultus. 459
kanonischen Stunden des Tages und der Nacht enthielt, verfasst habe, ist
mehr als zweifelhaft.
Es ist bezeichnend, dass ein römischer Bischof, einer der wenigen,
die sich mit Theologie ernstlich abgegeben, es war, der den römisch-ka-
tholischen Messopfercultus ausgeprägt, in theologischer sowohl, als in prak-
tisch - kirchlicher Beziehung.
Gregor fand eine Vorstellung vom Opfer im Abendmahl vor, welche
sich der von einem versöhnenden Opfer näherte, obwohl dieselben Kirchen-
lehi'er, die so lehren, auch wieder das Opfer als ein blosses Opfer der
Erinnerung auffassen. Auch Gregor kann sich keine einheitliche An-
schauung vom Messopfer bilden. Zunächst spricht er den Gedanken aus
von einer Wiederholung des Opfers am Ki'euze, wodurch die Segnungen
des letzteren für uns vermittelt werden. ^jChristus wird für uns im Ge-
heimniss der heiligen Darbringung aufs neue geschlachtet'' i). Im Gefühl,
wie es scheint, der Unhaltbarkeit dieser Auffassung und doch bemüht, um
jeden Preis die Idee vom versöhnenden Opfer festzuhalten, spricht er sich
dahin aus, dass nur insofern Christus von den Gläubigen empfangen und
genossen wird, eine Erneuerung seines Leidens, mithin eine Opferung
desselben statt finde, eine Ansicht, welche geradezu die Negation des
Opfers im Abendmahl ist, daher sie das Concil von Trident mit dem Ana-
thema belegt hat 2). Eine sich selbst widersprechende Theorie ist also
die Grundlage derjenigen gottesdienstlichen Handlung, welche den gesamm-
ten katholischen Cultus l)eherrscht und die ihn überwuchert hat.
Die Sache hat noch eine andere Seite. Der sinnige Gedanke älterer
Lehrer, namentlich Augustinus, dass das Abendmahl eine Darstellung der
Selbsthingabe der erlösten Gemeinde an Gott sei, wird von Gregor aufge-
nommen und so fortgesponnen , dass nur unter dieser Bedingung das Opfer
der Messe versöhnende Wirkung habe. So verbindet sich das Thun der
Gläubigen mit der Opferung Christi in der Messe, um das Werk der
Sühne zu vollbringen. „yViv sollen, sagt er, Gotte tägliche Opfer der Thrä-
nen und tägliche Opfer seines Fleisches darbringen." Also werden beide
Opfer, das Christi und das der Gemeinde, völlig auf dieselbe Linie ge-
stellt. ;,Dann erst wird die Eucharistie für uns ein wahrhaftiges Opfer
sein vor Gott, wenn wir selbst uns zum Opfer gemacht haben" 3). So
wird die Wirkung des Messopfers zwar limitirt, aber in dieser Limitation
wird doch die liealität davon sicher gestellt. Nun kann keine Rede mehr
davon sein, dass es blos Erinnerung an das Opfer Christi sei. Es ist ein
Opfer im eigentlichsten Sinne des Wortes, wirkt aber gemeinschaftlich mit
den eigenen Genugthuungswerken der Gläubigen. Nun wird die Ver-
söhnung zu einem fortwährenden Acte Gottes oder Christi einerseits —
und der Menschen andererseits, die durch ihre Büssungen sich jenes Opfers
1) Pro nobis iterum per mysterium sacrae immolationis immolatur. dialogen 4, 58.
2) Sessio XXIL canones de sacrificio missae. 1 si quis dixerit, — quod offerri non
8it aliud quam nobis Christum ad manducandem dari, anathema sit.
3) Tunc ergo vere pro nobis hostia erit Deo, cum nos ipsos hostiam fecerimus.
Dialogen 1. c.
460 Dritte Periode des alten Katholiciamus.
würdig machen. Sowie das Messopfer das Opfer Christi am Kreuz nach-
ahmt, so ahmt auch der Gläubige mit seinen Büssungen dasselbe Opfer
nach; diese beiden Nachahmungen sind als eigentliche Opfer angesehen,
welche die Versöhnung vollziehen. Beide bestärken die Macht der Kirche,
die durch den Priester das Messopfer verrichtet, und die kirchliche Werk-
gerechtigkeit, wodurch die Gläubigen unter die Gebote der Kirche ge-
knechtet werden, die Werkgerechtigkeit, die durch das asketische, das
mönchische Leben geübt wird.
Ist der Begriff des Messopfers auf die genannte Weise festgestellt,
so muss um so mehr der Gedanke der leiblichen Gegenwart sich geltend
machen; denn die Opferung setzt ein zu Opferndes voraus, und so wächst
nun beides immer mehr zusammen, leibliche Gegenwart, die bis zur Ver-
wandlung sich steigert und wahrhaft versöhnendes Opfer, welches für alle
möglichen Fälle und Nöthen wirksam verwendet wird.
Damit fällt zugleich die Nothwendigkeit des Geniessens des Abend-
mahles, der Communion weg; man kommt ja nicht, um zu empfangen,
sondern um zu geben, d. h. zu opfern, und aufs Geben kommt es an, um
des Segens der Handlung theilhaftig zu werden. So sind die bald auf-
kommenden Privatmessen die nothwendige Folge dieser Theorie. Der
Rückfall in die paganische Religionssphäre ist dabei unverkennbar; es ist
unter christlicher Aussenseite und mit christlichem Namen der heidnische
Opfercultus erneuert. Sofern der Gläubige mit seinen Genugthuungswerken
das Opfer Christi nachahmt, so liegt darin die treibende Kraft zu allerlei
Kasteiungen, zu den Abtödtungen des mönchischen Lebens bis zu den
Stigmatisationen herab. Darin wird in Betreff der damit verbundenen
Werkgerechtigkeit der Rückfall in die jüdische Religionssphäre offenbar.
Sowie das Messopfer für alle möglichen Nöthen und Anliegen ver-
wendet wurde , so besonders auch für die im Fegefeuer schmachtenden
Seelen; diese Wendung gab Gregor der Sache, wodurch einestheils die
Vorstellungen von der Tragweite des Messopfers ungeheuer gesteigert
wurden, andererseits die Vorstellungen vom reinigenden Feuer eine sehr
ansehnliche Verstärkung erhielten. Beides trug wesentlich bei zur För-
derung der Macht der Kirche. Es ist ein merkwürdiges Zeichen der Zeit,
dass die Vorstellung vom Fegefeuer, welches fortan im katholischen Leben
solch eine hervorragende Stellung einnimmt, bei Gregor zunächst nur als
Voraussetzung auftaucht, in problematischer Weise behandelt, und auf
keine eigentliche Bibelstelle gegründet wird. Tn Antwort auf die Frage
(in den Dialogen 4, 39), ob man annehmen müsse, dass es nach dem Tode
ein Reinigungsfeuer (ignis purgatorius) gebe, beruft sich Gregor auf einige
Bibelstellen, worin keine Spur von Andeutung des Fegefeuers zu finden ist.
Er meint aber, dass man annehmen müsse, es gebe für gewisse leichtere
Sünden ein dem jüngsten Gerichte vorangehendes Reinigungsfeuer wegen
dessen, was der Herr sagt Matth. 12, 31. 32, woraus hervorgehe, dass
gewisse Schulden in dieser Welt, andere in der zukünftigen Welt können
erlassen werden. Was die Stelle 1 Kor. 3, 12 — 15 betrifft, so lässt er es
völlig unentschieden , ob sie vom Feuer der Trübsal in diesem Leben oder
Der Gottesdienst. Der Messopfercultus. 461
von der zukünftigen Reinigung müsse verstanden werden i). Im Grunde
aber eignet er sich die letztere Auslegung der Stelle an, indem er ihr
jedoch eine andere Wendung gibt, als welche sie bei Augustin hat. Er
versteht nämlich Holz , Heu, Stoppeln, welche der eine auf das Fundament
baut, von den kleinsten und leichtesten Sünden, welche durch das Feuer
können vernichtet werden. Gold, Silber, kostbare Steine, welche der
andere auf das Fundament baut, gelten ihm für grössere und härtere
Sünden , die eben deswegen nicht können vernichtet werden 2).
Nun trug man sich damals mit allerlei Geschichten von Todtener-
scheinungen, wie denn seit geraumer Zeit der Tod, zumal in Italien und
insbesondere in Rom, eine furchtbar grosse Ernte gehalten hatte. Gregor
erklärte sich die häufigen Erscheinungen von Todten auf eine allerdings
sinnige Weise : in demselben Maasse als die gegenwärtige Welt ihrem Ende
sich naht, wird die zukünftige Welt von dieser Annäherung beeinflusst
und offenbart sich in deutlicheren Kennzeichen 3). Bei der in das Unge-
heure wachsenden Bedeutung, welche man dem Messopfer beilegte, wurden
die genannten Erscheinungen sehr bald in diesen magischen Kreis hinein-
gezogen. So kommt Gregor zu dem offenen Geständniss, welches er mit
mehreren auffallenden Beispielen belegt: ;,wenn nach dem Tode keine
unvertilglichen Schulden vorhanden sind, so pflegt nach dem Tode die
heilige Darbringung der heilbringenden Hostie vielen Seelen Hülfe zu
schaffen, so dass bisweilen diese Seelen selbst sie zu verlangen scheinen'^ ^).
Zugleich trug der umsichtige Gregor Sorge dafür, dass das Messopfer dem
Eifer in Vollbringung der kirchlichen Busswerke, im Ergreifen des aske-
tischen Lebens keinen Eintrag thue. Er geht davon aus, dass die heil-
bringende Hostie, die für die Todten dargebracht wird, immerfort nur
insofern wirkt, als sie verbunden ist mit Büssungen der Lebenden, die
das Messopfer für die Todten darbringen, wovon mehrere Beispiele ange-
führt werden ; nur, fährt er fort , sei es besser und sicherer , dass jeder
dasjenige seiht thue, wovon er hofft, dass andere nach seinem Tode es
für ihn thun werden. Es lag darin die Aufforderung, sich dem asketischen
Leben zu ergeben, mit allem, was damit zusammenhängt, und sie war
um so wirksamer, als sie mit dem Siegel der höchsten Autorität der
katholischen Kirche versehen war.
1) Quamvis hoc de igne tribulationis in hac vita nobis apposito possit intelligi,
tarnen si quis hoc de igne futurae purgationis accipiat, pensandnm sollicite est etc.
2) In diese zwei Auslegungen Augustinus einerseits (S. 340), Gregor's andererseits,
theilen sich fortan die katholischen Lehrer.
3) Dialog. 4, 51, quantum praesens seculum propinquat ad finem, tantum futurum
seculum ipsa jara quasi propinquitate tangitur et signis manifestioribus aperitur.
4) Dial. 4, 55: si culpae post mortem insolubiles non sunt, multorum solet animas
etiam post mortem sacra oblatio hostiae salutaris adjuvare, ita ut hanc nonnunquam
ipsae defunctorum animae expetere videantur.
462 Dritte Periode des alten Katholicismus.
Sechstes Capitel. Geschichte des Mönchthnms. Benedict von Nursia
und der Benedictinerorden.
Die in der katholischen Kirche waltenden Anschauungen und Grund-
sätze brachten es mit sich, dass das christliche Leben immer mehr
einen asketischen, bestimmter gesagt, einen mönchischen Anstrich bekam.
Es flüchtet sich in die Zellen der Mönche. Im Oriente verlor es seine
ursprüngliche übertriebene Strenge und Härte, bestand aber fort in ver-
schiedenen Formen. Justinian hatte es sich zum Grundsatz gemacht, das
Mönchsleben zu begünstigen. Er erlaubte den Kindern, wider den Willen
der Eltern in die Klöster zu ziehen, ebenso den Sklaven gegen den Willen
ihrer Herren. Nur denjenigen öffentlichen Beamten, welche einige Zeit
im Kloster verweilt hatten, gestattete er, den geistlichen Stand zu er-
greifen. Er begünstigte das Cönobitenleben und traf Massregeln gegen
das Herumschweifen der Mönche. Im Abendlande nahm das Mönchthum
einen bedeutenden Aufschwung; es befestigte sich innerlich und dehnte
sich äusserlich aus. Es stand nämlich im Abendlande der Mann auf, der
berufen war, einen neuen Wendepunkt in der Geschichte des Mönchthums
zu bilden.
Das Leben Benedictes von Nursia ist von Gregor I. im zweiten Buche
der Dialogen beschrieben worden, vielfach vermischt mit legendenartigen
Zügen, worin sich der Charakter der Zeit und die grosse Verehrung, die
Benedict genoss, abspiegeln. Für die weitere Geschichte des Ordens sind
Hauptquellen, die annales ordinis Benedicti von Mabillon und Mar-
tene 1703—1739 herausgegeben, bis 1157 reichend, die Acta Sancto-
rum ordinis S, Benedicti von D'Achery und Mabillon 1668 — 1701
herausgegeben, bis 1100 reichend.
Benedict, geboren 480, im Schoosse einer geachteten Familie ^) in
Nursia in Umbrien (im ducatus Spoleto, später zum Kirchenstaat gehörig),
von den Eltern nach Rom geschickt, um die Wissenschaften zu erlernen,
fand grosses Missfallen an den ausgelassenen Sitten der Lehrer sowohl
als der Zöglinge und gab daher das Studium auf. Er zog sich in eine
Wildniss zurück in der Nähe von Neapel und lebte als Einsiedler. Eine
grosse heftige Versuchung zur Wollust überwand er für immer, indem er
sich nackt in Dornen und Disteln herumwälzte. Der Ruf seiner heroischen
Frömmigkeit bewirkte, dass die Mönche eines benachbarten Klosters, die
ihren Prior verloren hatten, den heiligen Einsiedler baten, dessen Stelle zu
übernehmen. Das war der entscheidende Wendepunkt in seinem Leben.
Nachdem er die Mönche durch seine Strenge abgestossen, zog er sich
wieder in die Einsamkeit zurück. Doch war in ihm der Trieb zum Re-
gieren und Wirken erwacht, der fort und fort genährt wurde durch die
vielen Leute, welche angezogen durch den Ruf seiner Frömmigkeit und
durch die Wunder, die man von ihm erzählte, sich in seiner Nähe an-
1) Liberiori genere exortus.
Geschichte des Mönchthums. Benedict von Nursia 463
siedelten, um unter seiner geistlichen Leitung ein gottgeweihtes Leben zu
führen. Bald konnte er zwölf Klöster stiften. Manche Römer von Adel
übergaben ihm ihre Söhne zur geistlichen Erziehung. Wie hatte sich seit
Hieronymus die Stimmung in Italien das Mönchthum betreffend ge-
ändert ! Die Zeiten waren aber auch völlig andere geworden. Rom war
fünfmal eingenommen, ein paar Male geplündert worden; das weströmische
Reich hatte ein Ende genommen; die Ostgothen beherrschten Italien. Die
alte Welt sank in den grossen Erschütterungen zusammen. So wie zu des
Hieronymus Zeit die Töchter aus den edelsten Familien Rom's mit Eifer
das asketische Leben ergriffen, so sah man jetzt junge adelige Römer mit
einander wetteifern in derselben Lebensweise, die so ganz der düstern,
durch die öffentlichen Unglücksfälle hervorgerufenen Stimmung entsprach.
Als Streitigkeiten mit einem benachbarten Priester Benedict bewogen, die
bisherige Stätte seines Wirkens zu verlassen, zog er sich auf einen Berg
zurück, wo das alte castrum Cassinum lag, und gründete daselbst auf den
Trümmern eines Apollotempels ein einfaches Kloster, woraus später die
prächtige Abtei Monte - Cassino geworden ist. Im Jahr 529 führte er da-
selbst seine Mönchsregel ein ^). Die grosse Ausbreitung, die sie fand, der
Umstand, dass sie das Muster wurde für alle folgenden Mönchsregeln des
Abendlandes, lassen es als nöthig erscheinen, sie zum Gegenstande einer
besonderen Betrachtung zu machen.
Die Regel hebt an mit einigen Ermahnungen, welche dazu bestimmt
sind, den wahren Begriff des Mönchslebens den Gemütheyn einzuprägen.
An der Spitze des Ganzen steht die Rückkehr zum Gehorsam gegen Je-
sum , von dem der Mensch durch Ungehorsam sich abgewendet. Wer dem
eigenen Willen entsagt, um dem Herrn Jesu Christo zu dienen, der er-
greift die starken Waffen des Gehorsams.
Wenn Jemand sich meldet, um in das Kloster aufgenommen zu wer-
den, so muss man ihm den Eintritt erschweren. Während mehrerer Tage
lässt man ihn allerlei Demüthigungen und Anfechtungen erfahren, um
seinen Glauben zu prüfen, worauf er aus dem Zimmer der Gäste in das
der Novizen geführt wird. Einer der älteren Mönche begibt sich zu ihm
und beschreibt ihm mit lebhaften Farben die Schwierigkeiten des Weges,
der zu Gott führt. Beharrt er auf seinem Entschlüsse, so kann er im
Kloster bleiben ; man liest ihm die Mönchsregel vor — wieder nach sechs
Monaten, nach vier Monaten. Ist man überhaupt mit ihm zufrieden, so
wird er der Aufnahme für würdig erklärt. Er gibt sein Vermögen den
Armen oder dem Kloster. Er schreibt oder lässt eine Bittschrift schrei-
ben, in welcher er Gott und den Heiligen verspricht, seine Mönchsgelübde
zu halten: stabilitas loci (nicht umherzuschweifen), conversio morum
— dabei wird kein besonderes Gelübde der castitas abgelegt, sondern es
wird an einem anderen Orte nur gesagt, der Mönch solle die Keuschheit
lieben (c. 4), obedientia gegen den Abt. Er wiederholt diese Gelübde
im Bethause (oratorium) des Klosters vor der versammelten Brüderschaft.
1) Bei Lucas Holsteinius im codex regularum monasticarum Korn 1661, sodann bei
Calmet mit einem weitläufigen Commentar versehen. Paris 1734—1750.
464 Dritte Periode des alten Katholicismus.
Er legt seine Bittschrift auf den Altar, unter welchem die Reliquien der
Heiligen ruhen, damit auch sie Zeugen seines Versprechens seien. Er
wirft sich darauf zu den Füssen jedes anwesenden Bruders nieder und
bittet jeden, für ihn zu beten. Er legt seine weltliche Kleidung ab und
empfängt das Ordensgewand, dessen Hauptbestandtheile eine tunica und
eine cucidla oder cuculltis sind i). Wenn Eltern von Adel ihre Kinder dem
Kloster übergeben wollen, so machen sie die Bittschrift und wickeln sie
nebst der Hand des Kindes in den Zipfel des Altartuches; das geschah
auch, wenn nichtadelige Eltern ihre Kinder dem Kloster übergaben.
Von dem Augenblicke der Aufnahme an nimmt der Mönch Theil an
allen gottesdienstlichen Uebungen. Sie sind, wie zu erwarten, sehr aus-
gedehnt. In Zeit von vierundzwanzig Stunden versammeln sich die Brüder
siebenmal in der Kirche zu den sieben kanonischen Stunden, nach Psalm
119, 164: siebenmal des Tages habe ich dein Lob gesungen, — in der
Nacht zwei Stunden nach Mitternacht nach Psalm 119, 62: nach Mitter-
nacht stehe ich auf, dir zu danken für deine gerechten Gebote. Die Pau-
sen zwischen den sieben gottesdienstlichen Stunden sind zum Theil der
Handarbeit gewidmet, d. h. der Gewerbsarbeit oder dem Ackerbau — zum
Unterhalte des Klosters; Alles, was verkauft wird, soll zu einem unge-
wöhnlich niedrigen Preise verkauft werden. Die Regel dringt mit vielem
Eifer auf Arbeit, denn sie sagt: der Müssiggang ist eine Pest der Seelen.
Gewöhnlich werden die vier ersten Stunden des Tages der Handarbeit ge-
widmet, — es folgen zwei Stunden, für das Lesen der heiligen Schrift oder
der Schriften der katholischen Lehrer bestimmt, — dann wieder Handarbeit
bis zum Mittagessen. — Nach dem Mittagessen einige Ruhe; darauf wie-
derum Arbeit bis zum Nachtessen, nun nochmals Arbeit, darauf Schlafen,
angethan mit denselben Kleidern wie am Tage. Äer Abt oder seine Un-
tergebenen durchwandern während des Tages das Kloster, um nachzu-
sehen, ob alle bei der ihnen angewiesenen Arbeit fleissig sind. Was die
Nahrung betrifft, so wird sie abwechselnd von den Mönchen selbst bereitet.
In der Regel sollen nur die Kranken Fleisch gemessen, die anderen blos
Gemüse, Fische, Eier, Früchte; während der Sommerarbeiten sind die
ausgetheilten Portionen grösser als gewöhnlich. Wein erlaubt die Regel
aus Herablassung zu dem ausgearteten Geschlecht, da die alten Väter
keinen Wein getrunken hätten. Während der Mahlzeit liest einer der
Brüder aus der Schrift oder katholischen Schriftstellern vor; die grösste
Stille herrscht während der Mahlzeit. In der grossen Fastenzeit wird nur
einmal des Tages gegessen. Die Vergehungen betreffen zum Theil sehr
kleinliche Dinge und Aeusserlichkeiten in Beobachtung der minutiösen
1) Die Cuculla war ursprünglich eine Kopfbedeckung in Form einer Caputze, wie
sie die Kinder trugen und hiess auch Caputze. Später wurde die Cuculla zu einem von
allen Seiten geschlossenen, bis auf die Knöchel reichenden Mantel, der nur oben eine
Oeffnung hatte, um ihn über den Kopf anziehen zu können, daher auch casula und cappa
genannt. Noch später wurde die Cuculla an den Seiten geöffnet und mit Aermeln versehen.
Benedict gab weislich darüber keine ins detail gehende Verordnungen. (S. c. 55 der
Regel und dazu Calmet. Tomus II S. 152 etc. Du Cange s. v.
Das Mönchthum. Die Klöster. 465
Vorschriften , wofür gewisse zum Theil empfindliche Strafen bestimmt sind.
Frecher Ungehorsam, Hochm^th und Verhalten gegen die Oberen, Murren
u. s. w. werden noch härter bestraft. Die Strafen durchlaufen verschiedene
Grade, von der Ermahnung in secreto zur Censur vor allen Brüdern,
Entziehung der Nahrung, Excommunication, Schlägen, Ausstossung aus dem
Kloster. Der Excommunizirte , der von allem Umgang mit den Brüdern
ausgeschlossen ist, wirft sich, während die Brüder im Bethause versam-
melt sind, vor der Thüre desselben auf die Erde, und insbesondere vor
jedem der Austretenden, — und wiederholt diese Acte der Demüthigung,
so lange es der Abt für gut findet.
Von besonderer Wichtigkeit sind die den Abt betreff'enden Verord-
nungen. Er wird von der ganzen Brüderschaft gewählt; es sollen nur die
besten und frömmsten gewählt werden. Denn er ist der Stellvertreter
Christi ; auf ihn geht das Wort des Herrn : wer euch hört , der hört mich.
Gehorsam gegen den Abt ist daher die erste Pflicht des Mönches. Das
dritte Mönchgelübde betrifft zunächst das Verhältniss zum Abte. Niemand
darf ihm widersprechen, nicht einmal ohne seine Erlaubniss sich in seiner
Gegenwart niedersetzen. Dieselbe Ehrfurcht wird den anderen Vorgesetz-
ten erwiesen. Es wurden für den Abt besondere, aber allerdings sehr
weise Vorschriften gegeben. Er soll nichts lehren, oder befehlen, was den
Geboten Christi zuwiderlaufe. Er soll eingedenk sein, dass er von seiner
Lehre und Leitung einst im Gerichte Kechenschaft ablegen müsse. Er
soll das Gute und Heilige mehr durch sein Thun als durch seine Worte
lehren. Er soll sich hüten, dass er nicht andere lehrend selbst verwerf-
lich werde. Er soll keinen Unterschied machen zwischen Mönchen, die als
Freie und denjenigen, die als Unfreie (Leibeigene) in das Kloster getreten
sind 1). i)enn in Christo sind wir alle Eins , und unter demselben Herrn
leisten wir denselben Kriegsdienst. Bei Gott ist kein Ansehen der Person;
nur das begründet vor ihm einen Unterschied, wenn wir reicher an guten
Werken und demüthiger vor ihm erfunden werden. Hier erscheint das
Mönchthum als Princip der Milderung der geselligen Ungleichartigkeit.
Der Abt soll gegen Alle dieselbe Liebe beweisen. Er strafe die Laster
gleich vom Anfang ihres Entstehens an und gedenke ües Priesters Eli und
dessen Söhne. Er möge recht bedenken, was für ein schweres Geschäft
es ist, Seelen zu leiten. Er beklage sich nicht wegen geringen Vermögens
{de minore forte suhstantid), eingedenk der Worte des Herrn: trachtet am
ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird
euch solches Alles zufallen, und: nichts fehlt denjenigen, die ihn fürch-
ten 2). Mit den Excommunizirten soll er wie ein weiser Arzt umgehen,
gleich dem Hirten, der neunundneunzig Schafe zurückliess, um das eine
verlorene zu suchen.
Unter solcher Leitung soll die mönchische Tugend eingeübt werden.
Von Vollkommenheit ist keine Rede. Benedict gesteht, dass er nur den
Anfang der Bekehrung herbeizuführen beabsichtige.
1) Non praeponatur ingenuus ex servitio convertenti c. 2.
2) Nihil deest timentibus enm.
Herzog, Eirchengeschichte L BO
466 Dritte Periode des alten Katholicismus.
• Es gibt zwölf Grade der Demuth. Der Mönch soll iiiinier Gott vor
Augen haben und seiner Gebote allezeit gedenken; diess ist der erste Grad
der Demuth; aber schon vorher c. 5 wird der Gehorsam als der erste Grad
der Demuth aufgestellt, — der Mönch soll nicht seinen Willen lieben,
sondern den Willen dessen erfüllen, der da gesagt: ich bin nicht gekom-
men, zu thun meinen Willen. Er soll aus Liebe zu Gott seinen Vorge-
setzten Gehorsam leisten. In diesem Gehorsam soll er Ungerechtigkeit
und harte Behandlung ertragen, — er soll seinem Obern alle seine bösen
Gedanken beichten. Er soll zufrieden sein, wenn man ihm die niedrigste
Arbeit aufträgt, — er soll sich überdiess als unnützer Knecht ansehen.
Er bekenne sich nicht nur als der unwürdigste unter seinen Brüdern,
sondern er halte sich auch dafür. — Er soll nur reden, wenn er gefragt
wird. — Er sei nicht zum Lachen geneigt. — Er zeige immer seine
Demuth; er gehe einher mit geneigtem Haupte, die Augen auf die Erde
gerichtet, zu jeder Stunde sich wegen seiner Sünden anklagend. Es soll
ihm immer so zu Muthe sein , als wenn er jetzt vor dem furchtbaren Ge-
richte Gottes erscheinen müsste, er soll dazu sagen: Herr, ich bin nicht
werth, meine Augen gegen Himmel aufzuheben. Wenn der Mönch alle
diese Stufen der Demuth erstiegen hat, wird er bald zu jener Liebe Got-
tes gelangen, welche als die vollkommene die Furcht austreibt, und durch
welche er Alles, was er früher nicht ohne Furcht beobachtete, ohne Mühe,
wie von Natur zu beobachten anfangen wird, nicht mehr aus Furcht vor
der Hölle , sondern aus Liebe zu Christo , aus Kraft der guten Gewohnheit
und aus Freude an den Tugenden, welche der Herr seinem von Sünden
reinen Knechte einflössen will. — Hier scheint der gesetzliche Stand-
l)unkt, der das ganze Mönchsleben beherrscht, überwunden zu jpin. Das
Ziel der evangelischen Freiheit wird im Auge behalten. Allein die ganze
Einrichtung des Mönchslebens war nicht dazu geeignet, die Gemüther die-
sem Ziele entgegenzuführen, sie wurden in knechtischer Furcht erhalten
sowie in Werkgerechtigkeit. Die gesetzliche Richtung wurde durch das
Messopfer bestärkt und befestigt. Das Alles passte einigermassen zur
Stufe der Bildung, worauf die Germanen standen.
Hier sollen noch einzelne specielle Züge angeführt werden. Bei den
ersten Benedictinern findet man keine Spur von eigentlich wissenschaft-
licher Thätigkeit. Die Regel verpflichtete durchaus nicht dazu, sondern
nur zum Lesen, wodurch allerdings Sinn für wissenschaftliche Beschäf-
tigung konnte geweckt werden. Cassiodor führte, wie wir gesehen, den
Anfang dazu ein in dem von ihm gestifteten Kloster; worauf auch die
Benedictiner diese Richtung einschlugen. Da der Hang zum Klosterleben
in dieser Zeit so mächtig war, da die Regel Benedict's diesem Hange die
angemessene Befriedigung gab, da sie ein Heil- und Schutzmittel war
gegen manche Auswüchse des Mönchslebens, insbesondere gegen das Um-
herschweifen der Mönche, so verbreitete sich die genannte Regel in Ita-
lien, Gallien, Spanien, verdrängte andere Mönchsregeln und gab dem
abendländischen Mönchsleben mehr Einheit. Doch waren die Klöster ge-
raume Zeit noch völlig unabhängig von einander. Wie zahlreich sie wur-
den, wie später ein fester Verband zwischen ihnen entstand, wie Vieles
Verhältniss der Mönche zur Weltgeistlichkeit. 467
sie geleistet für die Civilisation Europa's, für Erhaltung der heiligen Schrift,
der Werke der alten Classiker und der Kirchenväter, wie sie in vielen
Gegenden des westlichen Europa das Land urbar gemacht, wie sie sehr
wirksame Missionare wurden, das soll später noch zur Sprache kommen.
Monte Cassino wurde 589 von den Longobarden zum ersten Male zerstört,
720 wieder aufgebaut durch Petronax aus Brescia, der auch Abt wurde. —
Von Anfang an gab es auch Nonnenklöster, die nach der Regel Benedicts
eingerichtet waren, befindlich in der Nähe der Mannsklöster, und so, dass
Mönche und Nonnen im Chor zusammentrafen; welcher Gebrauch später
aufhörte. Scholastica, die Schwester Benedicts, ist die Stifterin der Bene-
dictinernonnen.
Von Bedeutung sind die Verhältnisse der Mönche zur Weltgeistlich-
keit. (S. S. 403). Da man das Mönchsleben als die Vollkommenheit des
christlichen Lebens ansah, so hatte man bald angefangen, die Geistlichen
aus den Mönchen zu wählen. Der Widerstand der strengeren Mönche
dagegen, sich darauf gründend, dass die mönchische Demuth mit der
geistlichen Würde unverträglich sei, hatte bald aufgehört. Der Mönch-
stand wurde als Vorbereitung auf den geistlichen Stand angesehen. Die
Forderung des Cölibats sollte die Kleriker den Mönchen gleichstellen. —
Von ihrem Ursprünge an waren die Klöster unter der Aufsicht der Bi-
schöfe ihres Sprengeis gewesen. Die Bischöfe schickten in die Klöster die
zur Verrichtung des Gottesdienstes nöthigen Priester, diese lebten in den
Klöstern, genährt und gekleidet auf Kosten der Congregation. Es gab
aber Klöster, welche nicht einmal beständig Priester bei sich hatten. Es
geschah nun, dass Bischöfe ihr Ansehen missbrauchten. Daher in Africa
einige Klöster in ein Unterthänigkeitsverhältniss zu einem entfernten Bi-
schof, z. B. zum Bischof von Carthago traten. In Italien erklärten sich
mehrere Synode^ für Beibehaltung der alten Sitte, dass die Klöster den
Bischöfen ihrer Sprengel unterworfen sein sollten. Aber in Verbindung
mit dem Bischof von Rom nahmen sie die Klöster in Schutz gegen die
Bedrückungen von Seiten der Bischöfe und verboten diesen jegliche Ein-
mischung in die eigentlichen interiora. — Benedict that einen Schritt,
um die Klöster von den Bischöfen unabhängig zu machen. Es sollten vom
Abt aus der Zahl der Mönche einige zu Priestern und Diakonen gewählt
werden, welche nun die geistlichen Functionen zu verrichten hatten, wobei
Benedict ihnen einzuschärfen gebot, sie sollten sich wegen ihrer geist-
lichen Würde nicht überheben und den Gehorsam unter die Regel nicht
vergessen.
' 30
468 Dritte Periode des alten Katholicismns,
Zweite Abtheilung,
Die Kirche unter den germanischen Völl(ern und in Grossbritannien ^).
Die neuen Entwicklungen der katholischen Kirche, die wir bis dahin
betrachtet haben, werden den germanischen Völkern angeeignet. Diese
sind die Erben der altkatholischen Kirche, mit ihren Vorzügen und Män-
geln , mit ihren Tugenden und ihren Fehlern, mit den grossen Wahrheiten,
welche die Kirche vertritt, so wie auch mit den Irrthümern, in die sie
hineingerathen ist, mit ihrer Grösse und ihrem Verfalle. Es ist insbe-
sondere das lateinische Christenthum , welches zu den genannten Völkern
übergeht, unter ihnen sich Geltung verschafft. Unter diesem Joche ver-
lebten sie ihre religiöse Jugend, verleben noch manche derselben ihr
späteres Alter. Wir haben uns übrigens in der vorstehenden Darstellung
schon mit einigen dieser Völker beschäftigt, deren Geschichte in die des
römischen Reiches besonders verflochten ist.
Erstes Capitel. Yerbreitung des Christenthums unter den germa-
nischen Völkern auf dem Continente von Europa.
Am Anfange der Periode war die im Jahr 375 begonnene Völker-
wanderung noch nicht beendigt, sie wurde es erst seit dem Einzüge der
Longobarden in Italien 568. Inmitten grosser Bewegungen und Umwälz-
ungen fassen die germanischen Völker auf dem Boden des römischen
Reiches festen Fuss, und das Christenthum gründet seine Herrschaft unter
einem Theile derselben, und zwar so, dass mehrere zunächst dem Arianis-
mus zufallen, später aber zur katholischen Kirche übertreten. Man kann
aber kaum sagen, dass der Bischof von Rom unter ihnen Suprematrechte
ausübt. Nur unter einem dieser Völker gründet er eine eigentliche Herr-
schaft, die nun im achten Jahrhundert durch Missionäre dieses Volkes auf
den Continent von Europa verpflanzt wird.
Das interessanteste der neu gestifteten Reiche ist das der Ost-
gothen, welches einen Theil von Italien, Illyrien, Dalmatien, Helvetien,
Rhätien, Pannonien (einen Theil von Steyermark, Kärnthen, Ki'ayn, Un-
garn), Vindelicien (einen Theil von Schwaben, Bayern, Salzburg), Noricum
(Ober- und Innerösterreich, einen Theil von Steyermark, Krayn, Bayern
und Salzburg) umfasste, gestiftet durch Theoderich, der von 493 bis
526 regierte, der bedeutendste germanische König in dieser Zeit, gross
als Feldherr, Gesetzgeber, Regent, Administrator, Freund und Pfleger der
Wissenschaften, eifrig bemüht um die Wohlfahrt und das Gedeihen seiner
Unterthanen, in allen seinen civilisatorischen Bestrebungen trefflich unter-
1) Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands, 2 Bände 1846. 1848, leider unvoll-
endet. — Friedrich, Kirchengeschichte Deutschlands, bis jetzt 2 Bände, 1867. 1869.
Die Quellen und Bearbeitungen, betreffend die Barche in Grossbritannien, sind bereits
genannt worden.
Verbreitung des Christenthums unter den germanischen Völkern. 469
stützt von seinem Geheimschreiber oder Minister Cassiodor (S. 443), übrigens
arianisch gesinnt mit sammt seinem Volke, aber aus Grundsatz sowohl als aus
Politik gegen seine katholischen Unterthanen, die alten Bewohner des
Reiches, tolerant und gerecht. Seinen weitherzigen Grundsatz, dass wir
die Religion nicht befehlen können, weil Niemand kann gezwungen werden,
wider seinen Willen zu glauben, haben wir schon angeführt. Theoderich's
Tod (526) gab das Zeichen zu unheilvollen Verwicklungen, die mit der
Zerstörung des ostgothischen Reiches endigten (553) ^). Als im Jahr 568
die Longobarden (eigentlich Langobarden) nach Italien herabgestiegen,
eroberten sie zunächst die Pogegenden und dehnten sich darauf gegen
Süden hin aus; doch blieben die Landschaften von Rom und Neapel, die
Südspitze von Italien und Sicilien in den Händen von Byzanz. Diess ist
der Anfang der Getheiltheit Italiens, die erst seit wenigen Jahren aufge-
hört hat 2). Da nun die Longobarden bei der Eroberung meistentheils Aria-
ner waren , so sah sich die römische und katholische Bevölkerung in ihrem
katholischen Glauben bedroht, denn die Longobarden waren im Verhältniss
zu den fein gesitteten Ostgothen voh und ungeschlacht 3). Die Königin
Theodelinde, die fromme katholische Gemahlin Königs Autharis, kam der
bedrängten Kirche zu Hülfe; sie fand selbst Unterstützung bei Gregor dem
Grossen. „Das römische Kirchenhaupt ward Einheitspunkt der nationalen
Interessen 4) , der nationalen Bedeutung der Romanen." Erst unter König
Grimoald, f 6'71, wurden alle Longobarden katholisch; das byzantinische
Italien war es immer gewesen. Die Burgunder, zuerst katholisch, dann
Arianer, traten 517 wieder zur katholischen Kirche über, worauf die
Franken und die Ostgothen sich in ihr Reich theilten (534). Die Sueven
in Spanien traten unter König Theodemir I. (550—569) vom Arianismus zur
katholischen Kirche über, ebenso die Westgothen in Spanien, unter
König Reccared 589, auf der Kirchenversammlung zu Toledo. Im Jahr
534 wurde das arianische Vandalenreich in Nordafrica durch Belisar zer-
stört, das ganze von den Vandalen besetzte Land unter die Herrschaft
des byzantinischen Kaisers zurückgebracht, die katholische Kirche, deren
Mitglieder , Geistliche und Laien, unter den Vandalen Unsägliches erlitten,
wieder hergestellt, bis Nordafrica 707 den siegreichen Waifen der Araber
erlag.
Unmittelbar nach Attila's Tode, vom Jahre 453 bis 482 zeichnete
sich in Noricum Severin, wahi'scheinlich aus Italien gebürtig, durch seine
geistliche Wirksamkeit aus, daher der Apostel von Noricum genannt. In
dieser Provinz des römischen Reiches war zwar schon seit geraumer Zeit
das Christenthum eingeführt worden; so fand Severin überall in jenen
Ländern Christenthum vor, und zwar katholisches bei den alten Emwoh-
1) Man so, Geschichte des ostgothischen Reiches in Italien. 1824.
2) Weitzsäcker, Artikel Longobarden in der Realencyklopädie.
3) Gothorum laus est civilitas custodita sagten die Römer unter Theoderich und
Amalasunta. Jornandes sagt von ihnen: pene oranibus barbaris Gothi sapientiores seraper
extiterunt, Graecisque prope consimiles.
4) Wie zu den Zeiten Friedrichs I.
470 Dritte Periode des alten Katholicismus.
nern des Landes, arianisches bei den eingewanderten Germanen, insbe-
sondere bei den Rugiern. Um nach verschiedenen Seiten hin wirken zu
können , nahm er seinen Wohnsitz in der Gegend von Fabiana, einer Stadt
an der Donau, unweit vom heutigen Poechlarn. Daselbst gründete er eine
Zelle, d. h. eine Art von mönchischer Niederlassung in freier Weise, viele
Schüler um sich sammelnd, denen er als leuchtendes Vorbild christlicher
Tugend und besonders asketischer Tugend vorstand. Eine solche Zelle
oder klösterliche Niederlassung gründete er auch bei Wien auf dem Kah-
lenberge, bei Passau und noch an anderen Orten. In der grössten Ab-
tödtung lebend, übte er grosse Gewalt über die Gemüther. Von allen
Seiten wendete man sich an ihn mit Bitten um Rath, Belehrung, auch
um Heilung von Krankheiten ; denn er wurde noch bei Lebzeiten als Wun-
derthäter verehrt, wollte aber nicht dafür angesehen sein. Er hat we-
sentlich zum Sturze des Arianismus, zur Befestigung der katholischen
Kirche , zur Ausbreitung und Befestigung des Mönchthums beigetragen ^).
Ein Ereigniss von ungeheurer Wichtigkeit für die weiteren Schick-
sale des Christenthums , des katholischen insbesondere, war die Bekehrung
der Franken 2), seit dem Siege über den römischen Feldherrn Syagrius
(486) in Gallien festgesetzt, unter ihrem Könige Chi odo wich, aus dem
Geschlechte der Merowinger. Sie fanden in Gallien Christenthum und
zwar katholisches vor. Ihre Feinde, die Burgunder, waren Arianer; die
Alemannen 3j, ebenfalls Feinde der Franken, waren noch Heiden. Es
geschah nun bald nach der Einwanderung, dass katholisches Christenthum
theilweise Eingang bei den Franken fand. Chlodowich selbst heirathete
eine katholische Königstochter, Clothilde (Crotechildis) , aus burgundischem
Geschlechte, die es sich zur ernsten Aufgabe machte, ihren Gemahl zur
Annahme des katholischen Bekenntnisses zu bewegen; sie bearbeitete das
Gemüth Chlodowich's in diesem Sinne. Mittlerweile erhoben sich die krie-
gerischen Alemannen, welche die Gegenden des Oberrheines und einen
Theil der Schweiz inne hatten. Sie überfielen die Franken (496) in der
Gegend zwischen Köln und Aachen '*). Im Getümmel der Schlacht , als
der Sieg sich auf die Seite der Alemannen neigte, rief der bis zu Thränen
gerührte Chlodowich Jesum, den Chlothilde den Sohn des lebendigen Gottes
nennt, um Hülfe an und gelobte ihm, wenn er ihm den Sieg über die
Feinde verschaffe, sich auf seinen Namen taufen zu lassen. ;,Ich sehe,
dass meine Götter keine Gewalt haben, da sie ihren Anhängern nicht zu
Hülfe kommen. Nun flehe ich dich an und wünsche, an dich zu glauben,
1) S. den Artikel Severin in der Realencyklopädie, wo die Quellen und die Literatur
weitläufig angegeben sind.
2) S. S. Gregorii Florentii Gregorii episcopi Turonensis Listoriae ecclesiasticae
Francorum libri decem. (Zuletzt bei Migne). — Loebell, Gregor von Tours und seine
Zeit 1839.
3) S. Stalin, Wirtembergische Geschichte 1. Theil 1841. — Hefele, Geschichte
der Einführung des Christenthums im südwestlichen Deutschland, besonders in Wirtem-
berg. 1837.
4) Ob bei Zülpich (Tolbiacum) scheint zweifelhaft. Gregor von Tours gibt gar
keine Oertüchkeit an 2, 30.
Verbreitung des Christenthuins unter den germanischen Völkern. 47 ^
nur um meiner Feinde los zu werden'^ i). Darauf wurden die Alemannen
in die Flucht geschlagen; als sie sahen, dass ihr König getödtet worden,
unterwarfen sie sich dem Chlodowich, indem sie zu ihm sagten; schone
des Volkes, schon sind wir dein '^). Er gebot sogleich Einstellung aller
Feindseligkeiten und nahm die Unterwerfung des tapfern Volkes an. Ale-
mannien hörte damit auf, ein eigenes Reich zu bilden, es wurde dem
fränkischen Reiche einverleibt. Clothilde, welcher der König nach seiner
Heimkehr das Vorgefallene mittheilte, Hess heimlich Remigius, Erz-
bischof von Rheims kommen , der dem Könige sehr zusprach , er solle
seinen Göttern entsagen. „Dich höre ich gerne an, entgegnete Chlodowich,
(loch will mein Volk seine Götter noch nicht verlassen, aber ich werde zu
ihm reden nach deinem Worte." Doch das war nicht_ nöthig, das Volk er-
klärte sich bereit, seinen Göttern zu entsagen und dem Gotte zu folgen,
den Remigius als unsterblich verkündigt. Sogleich Hess nun der hocher-
freute Bischof Alles zur Taufe vorbereiten. Die Kirche zu Rheims wurde
schön geschmückt, behangen mit Teppichen, erfüllt mit dem Glanz der
Lichter und dem Dufte köstlichen Weihrauchs. Der Taufaltar war mit wohl-
riechendem Balsam übergössen. Als der König die Taufe Empfing, sagte
ihm Remigius: ;7beuge in Sanftmuth deinen Nacken, Sicamber. Bete an,
was du verbrannt ; verbrenne , was du angebetet hast" ^). Dreitausend
Franken emptingen zu gleicher Zeit die Taufe. Aber ein Theil des Heeres
blieb der alten Religion getreu, sagte sich von Chlodowich los, wie er
befürchtet hatte, und begab sich unter die Oberhoheit eines seiner Vettern
(kehrte jedoch später zu Chlodowich zurück).
Man hat behauptet, politische Beweggründe hätten den König zur
Annahme des Christenthums und insbesondere des katholischen bewogen,
um nämlich sich auf einen besseren Fuss zu den alten Einwohnern des
Landes zu stellen, um unter dem Vorwande religiösen Eifers die aria-
nischen Germanen bekriegen zu können. Doch das letzte hätte er immer-
hin thun können. Zudem musste er den Eindruck auf das Heer befürch-
ten. In der That hatte ihn diese Erwägung anfangs nicht ohne Grund
bedenklich gemacht, und was das erste betrifft, so zeigt das Beispiel des
ostgothischen Königs Theoderich, dass es nichtkatholischen Fürsten mög-
lich war, mit den katholischen Unterthanen auf gutem Fusse zu stehen.
Indessen soll keineswegs geläugnet werden, dass ein politisches Moment
in der Bekehrung Chlodovvig's enthalten ist. Nur muss man sich das Ver-
hältniss desselben zum Christenthum nicht denken wie dasjenige Napoleon's
zu dem Islam während des Feldzuges in Aegypten, wo er aus rein mili-
tärischen Rücksichten sich stellte, als ob er im Begriff sei, sich zum Pro-
pheten aus Mekka zu bekennen. Chlodowich glaubte alles Ernstes an den
Sohn Gottes, seitdem er auf sein Gebet bei ihm Hülfe gegen seine Femde
gefunden hatte. Dass er nach wie vor grausam, hinterlistig war, kein
1) Tantum ut eruar ab adversariis meis. Naives Geständniss!
2) Ne amplius, quaesumus, populus pereat, jam tui sumus. ^ ,. ,. .
3) Greg. Tur. 2, 31. Mitis depone colla, Sicamber. Adora quod incendisti, m-
cende quod adorasti.
472 Dritte Periode des alten Katholicismus.
Mittel scheute, um zu seinen Zwecken zu gelangen, dass das Christenthum
von ihm als Deckmantel seiner Eroberungslust gebraucht wurde, das be-
weist nicht, dass das Bekenntniss des christlichen Glaubens, das er ab-
legte, blos ein erlogenes, erheucheltes war; es zeigt nur soviel, dass sein
Christenthum auf sehr niedriger Stufe stand, worüber man um so weniger
sich wundern kann, da auch die Geistlichkeit keine bessere Gesinnung
kund gab. Einen schlagenden Beweis davon gibt die Art, wie Gregor von
Tours 2, 40 bei Erzählung der Schandthaten Chlodowich's sich äussert,
;,dass Gott täglich seine Feinde vor ihm niederstreckte, weil er mit auf-
richtigem Herzen vor ihm wandelte und that, was wohlgefällig war in
Gottes Augen, ^^ womit er natürlich nicht sagen will, dass diese Gräuel-
thateu dem Herrn angenehm waren, sondern dass Chlodowich gut katholisch
gesinnt war, die Zwecke der katholischen Kirche förderte, und dass des-
wegen Gott ihm seine Anschläge gelingen liess. Immerhin aber läuft die
Sache darauf hinaus, dass Gott um des guten Zweckes willen jene Gräuel-
thaten mit günstigem Erfolge krönte. Der politische Gesichtspunkt ver-
drängte den religiös -ethischen und nahm zugleich die Gestalt des letz-
teren an.
Es gibt gewisse Ereignisse in der Geschichte, in welchen Gottes
Finger mit unverkennbarer Deutlichkeit hervortritt. Ein solches ist der
Sieg der Franken über die Alemannen und die Bekehrung Chlodowich's
zum Christenthum. Hätten die Alemannen gesiegt, so würden sie das
Christenthum in furchtbare Gefahr gebracht haben. Denn sie waren
wüthende Feinde des Christenthums und hingen mit grossem Eifer an
ihrer heidnischen Religion. Die Schlacht bei Zülpich befestigte die frän-
kische Ansiedelung in Gallien, die damit verbundene Bekehrung Chlodo-
wich's machte die Franken zur Schutzmacht des katholischen Christen-
thums gegen die germanischen Völker, die theils noch Heiden, theils dem
arianischen Bekenntniss zugethan waren. Sie erwiesen sich später auch als
Schutzmacht des Christenthums gegen die von Spanien her in Gallien ein-
dringenden Araber, die der tapfere Karl Martell bei Poitiers schlug (732).
Dadurch wurde vom Christenthum eine ungeheure Gefahr abgewendet.
Die Bekehrung Chlodowich's und seiner Franken war vor allem wich-
tig für die Stellung dieses Volkes gegenüber den alten gallischen Ein-
wohnern des Landes. Beide Völker konnten sich nun besser zu einem
Volke verschmelzen. Der König setzte nun seine Eroberungen fort. Die
Westgothen unter ihrem König Alarich hatten einen grossen Theil des
südlichen Galliens inne. Chlodowich urtheilte: ;,es ist mir lästig, dass
diese Arianer einen Theil Galliens inne haben. Lasst uns sie überwinden
und ihr Land erobern^ (Gregor 2 , 37). Alarich fiel 507 in der Schlacht
bei Poitiers , die Westgothen wurden in Gallien auf Guyenne und Langue-
doc beschränkt. Chlodowich machte sich auch an die Burgunder. Nach-
dem er den Sohn des Königs Sigbert beredet hatte, den eigenen Vater zu
tödten, tödtete er den Vatermörder und bemächtigte sich seines Königreiches.
Das bei Chlodowich's Tode (511) schon bedeutend erweiterte Reich der
Franken dehnte seitdem seine Grenzen noch weiter gegen Osten aus;
c. 528 wurden die Thüringer und Bayern unterworfen. Das fränkische
t)a8 Christenthum auf den britannischen Inseln. 473
Reich war seit dem Untergang des ostgothischen in Italien, später des
westgothischen in Spanien das bedeutendste germanisch -romanische Reich
in Europa. Seitdem die merovingischen Könige in Schlaffheit und Unthä-
tigkeit versanken, erhoben sich, wie gerufen, um die wankende Macht zu
retten, die fränkischen Majordomen. Pipin von Heristall (Schloss an der
Mosel) durfte sich seit 687 dux et princeps Francorum nennen und erwies
sich durch die That als solchen.
Zweites Capitel. Die britannischen Inseln
wurden die zweite grosse Schutzmacht des katholischen Christenthums.
Die Franken waren hauptsächlich die politische, militärische, Grossbritan-
nien die geistige Schutzmacht der Kirche, der Feuerheerd der Missionen.
In England breitet sich neben dem altkatholischen das römisch-katholische
Christenthum aus. Es entsteht ein zum Theil blutiger Kampf zwischen
beiden Formen des Katholicismus , wobei die römische den endlichen Sieg
davon trägt und England Rom unterworfen wird i).
In Irland nahm seit Patrik das Christenthum einen mächtigen Auf-
schwung; ein Jahrhundert nach ihm war fast ganz Irland christlich; zahl-
reiche Klöster erblühten. Das Land erhielt den Ehrennamen insula
Sanetorum. Columba, der ältere (518 — 597), that sich im sechsten Jahr-
hundert unter ihnen besonders hervor. Von seinem Coenobium Dearmag
aus regierte er als Altbischof die irische Kirche; bald setzte er nach
Schottland hinüber und predigte den wilden Pikten das Evangelium mit
besserem Erfolge als im vorhergehenden Jahrhunderte Ninian es gethan
hatte. Schon hatte ein verjagter Pikten -König, der in Irland den christ-
lichen Glauben angenommen, in der Nähe des jetzigen Perth ein Coenobium
zur Bekehrung seines Volkes gegründet. Da schenkten die bekehrten
Pikten dem von ihnen hochverehrten Columba die Insel Hy, auch Jona,
Jowa genannt, an der Westküste Schottlands gelegen, daselbst gründete
er ein Coenobium. Von diesem sowie von dem zu Dearmag aus wurden in
Grossbritannien sowie in Irland noch sehr viele Coenobien gegründet. Von
Hy aus führte Columba das Regiment über die irisch -schottische Kirche,
als abbas presbyter, dem sowie seinen Nachfolgern selbst die Bischöfe un-
tergeben waren 2). Später that sich unter den Verkündigern des Evan-
geliums Aidan hervor, den König Oswald von Northumberland nach
seinem Uebertritte zur christlichen Kirche als Bekehrer in das Land be-
rufen (635). Am Ostrande desselben auf der Insel Lindisfarne (jetzt
holy Island) gründete er ein Coenobium, durchwanderte zu Fuss das Land
1) S. die früher über Grossbritannien angeführten Werke S. 427, besonders Beda's
Kirchengeschichte, die Werke von Ebrard nnd Greith, von Werner, ßonifacius, der
Apostel der Deutschen und die ßomanisirung von Mitteleuropa. 1875.
2) Beda 3, 4 habere autem solet ipsa insula rectorera seraper abbatem presbyterura,
cujus jure et omnis provincia et ipsi etiam episcopi ordine inusitato debeant esse sub-
jecti, juxta exemplum primi doctoris illius, qui non episcopus sed presbyter extitit et
monacbus.
>^74 Dritte Periode des alten Katholicisnius.
und bekehrte bald die Einwohner, auf die er durch das Beispiel seines
Eiters, seiner Entsagung den besten Eindruck machte. Der fromme Kö-
nig Oswald, voll von Eifer für die geistliche Wohlfahrt seines Volkes, Hess
sich sogar dazu herab , wenn Aidan , der sächsischen Sprache anfangs un-
kundig, predigte, neben ihm stehend, das Vorgetragene zu dollmetschen.
Aidan stand durchaus nicht vereinzelt unter den irisch -schottischen Geist-
lichen. Beda, dessen Urtheil vollkommen unparteiisch ist, da er römischer
Katholik war, gibt jener Geistlichkeit im Allgemeinen ein sehr gutes
Zeugniss. Bald wurden noch andere angelsächsische Königreiche für das
Christenthum gewonnen. In Wallis und Cornwallis hatte sich das Christen-
thum seit der angelsächsischen Einwanderung, wie es scheint, unabhängig
von der iro- schottischen Kirche erhalten. Schon 510 war daselbst das
Kloster Bangor entstanden, welches zweitausend Mönche umfasste, nicht
zu verwechseln mit dem gleichnamigen in Irland.
Unterdessen war in England eine andere Macht zum Schutze und
zur Verbreitung des Christenthums aufgetreten, — die Macht Roms. Beda
(2, 1) berichtet als' eine von den Vätern ererbte Sage, dass Gregor der Grosse,
als er noch Mönch war, einst auf dem Markte zu Rom junge Männer von
edler Physiognomie ausgestellt sah, die als Sklaven verkauft werden soll-
ten. Die verschiedenen Könige der angelsächsischen Ileptarchie führten
nämlich beständig Krieg mit einander — und verkauften die Gefangenen
als Sklaven. Als er erfahren, dass die Ausgestellten Heiden seien, soll
Gregor den Gedanken gefasst haben, das Evangelium in England zu ver-
kündigen; der Pabst war geneigt, ihn als Missionar reisen zu lassen; aber
die Einwohner von Rom sollen sich diesem Vorhaben widersetzt haben.
Die Sache ist an sich wahrscheinlich, wenn auch die Worte, die Gregor
bei dem Anblicke jener Sklaven ausgesprochen haben soll, auf Rechnung
der dichtenden Sage eingeschrieben werden mögen. Fortan beschäftigte
der Gedanke einer Mission unter den Angelsachsen die Seele Gregors.
Wusste er doch um die Existenz der iro -schottischen Kirche, er mochte
befürchten, dass sie mehr und mehr sich ausdehnen und für die Herrschaft
Roms eine drohende Stellung einnehmen könnte. Die Verwerfung der
drei Capitel durch die römischen Bischöfe Vigilius und Pelagius I. hatte
wie überall im Abendlande, so auch in Grossbritannien grosses Misstrauen
gegen Rom geweckt; die Bischöfe Hiberniens hatten ihre Missbilligung der
Verwerfung der drei Capitel in einem eigenen Schreiben an Gregor in
ziemlich scharfem Tone ausgesprochen, indem sie daher die grossen Un-
glücksfälle, die über Italien eingebrochen waren, ableiteten. Gregor fand
es für nöthig, an diese Bischöfe ein Mahn- und Entschuldigungsschreiben
desshalb zu richten, worin er die Sache so darzustellen suchte, als ob die
drei Capitel lediglich Personen, keineswegs eine dogmatische Frage be-
träfen. Er wünscht nun, dass ihr unverfälschter Glaube sie (die hiber-
nischen Bischöfe) zur Mutterkirche, die sie gezeugt habe, zurückführe;
er spricht die Erwartung aus, dass sie zur römischen Einheit {ad unitatem
nostram) zurückkehren werden (592). — Bereits hatte sich also die Fiction
gebildet, dass die britische oder keltische Kirche eine Tochter der römi-
schen sei, und früher ihi' unterworfen gewesen. Um so mehr ist die Ver-
Bas Christenthum auf den tritannischen Inseln. 475
mutliung gegründet, dass der Papst dieser unabhängigen kirchlichen Macht
einen Damm entgegenstellen wollte.
Seitdem er Pabst geworden, schritt er zur Ausführung seines Vor-
habens. Allerdings lieferte er damit ein Meisterstück von pastoraler
Weisheit und berechnender Klugheit sowohl als kühnen Unternehmungs-
geistes. Im Jahr 596 schickte er Augustin, Abt des Benedictinerklosters
St. Andreas in Rom mit mehreren 1) Mönchen nach England. Unterwegs
scheinen sie aus Furcht vor der als grausam bekannten Nation der Angel-
sachsen, deren Sprache sie nicht einmal kannten, den Muth verloren,
ihrem Vorgesetzten den Gehorsam aufgekündigt zu haben; sie schickten
ihn desshalb zurück nach Korn, um sich vom Pabste die Erlaubniss zur
Rückkehr zu erbitten. Gregor wollte nichts davon wissen; in dem Briefe,
den er dem Augustinus mitgab, ermahnte er sie, ihrem Vorgesetzten Ge-
horsam zu leisten. In England angekommen , und auf einer kleinen Insel
Thanet in der Themse gelandet, benachrichtigten sie den König Ethelbert
von Kent von ihrer Ankunft, in beweglichen Worten die Botschaft, die
sie ihm brachten, anpreisend. Ethelbert war zwar kein Christ, doch kein
Feind des Evangeliums, und seine Frau, die fränkische Prinzessin Bertha,
war katholische Christin; bewogen durch dies^, ging er, die neuen An-
kömmlinge zu besuchen. Da er aber befürchtete, sie möchten Zauberer
sein , ging er ihnen auf freiem Felde entgegen. Augustin mit den Seinen
zog heran in einem auf das Gemüth des Barbaren wohl berechneten Auf-
zuge, ein silbernes Crucitix und Gemälde von Christo vor sich her tragend
und unter Absingung von Litaneien. Darauf hielten sie eine geistliche
Ansprache an den König und sein Gefolge, worauf dieser erwiderte: was
sie da vorgebracht hätten, sei zwar recht schön, aber er könne jetzt noch
nicht aufgeben, was die Nation der Angelsachsen so lange Zeit hindurch
festgehalten. Doch werde er für ihren Wohnsitz und ihren Unterhalt sor-
gen; auch wolle er nicht verhindern, dass sie alle, die sie könnten, für
ihren Glauben gewännen. Darauf wies er ihnen ein Haus in seiner Haupt-
stadt Dorovernum, dem späteren Canterbury, an. Ihr stilles, erbauliches,
thätiges und frugales Leben machte auf die Bewohner des Landes den
besten Eindruck. Zu Weihnachten 598 empfingen zehntausend Angelsachsen
die Taufe, welche „die Einfachheit des Lebens der Bekehrer und die
Süssigkeit ihrer himmlischen Lehre bewunderten.^' Nach einiger Zeit be-
kannte sich auch der König Ethelbert, den Gregor durch dessen Gemahlin,
die neue Helena, wie er sie nannte, bearbeiten liess, zum christlichen Glau-
ben. Der Pabst hielt ihm das Verfahren Constantin's zur Nacheiferung vor.
Sein Beispiel bewirkte, dass noch mehrere Angelsachsen die Taufe be-
gehrten, wobei der König, wie Beda berichtet, zwar den Bekehrten seme
Gunst zuwendete, aber gegen die Unbekehrten in keinerlei Weise Zwang
übte; denn er hatte von seinen Lehrern gehört, der Dienst unter Christo
{servitium Christi) müsse ein freiwilliger, nicht ein erzwungener sem.
Darauf begab sich Augustinus nach Arles, um sich, der Anordnung Gre-
1) Beda 1, 23 nennt nur plures, später 1, 25 ferme quadraginta; es waren noch
andere dazu gekommen.
476 Dritte Periode des alten Katholicismas.
goi^s gemäss, vom dortigen Erzbischof zum Erzbischof der Angelsachsen
weihen zu lassen. Bei diesem Anlasse ertheilte er ihm, der, wie es
scheint, beschränkten Sinnes war, als Antwort auf eine Anzahl Fragen,
die Augustin an ihn gerichtet hatte, vortreffliche Instructionen, die den
praktischen Sinn Gregor's bekunden. Unter Anderem empfahl er ihm,
alles Gute, was er anderwärts ftnde, in die neue angelsächsische Kirche
zu übertragen, sich nicht steif an die römischen Gebräuche zu halten.
Alsobald schickte er ihm nach der damals aufkommenden Sitte als beson-
dere Auszeichnung das erzbischöfliche Pallium, welches er bei der Messe
tragen sollte. Er verfuhr überhaupt, als ob das ganze Land schon christ-
lich geworden wäre und zwar in römisch-katholischer Form. Auf sein
Geheiss sollte Augustinus ein zweites Erzbisthum in York errichten, und dies
dem Augustinus unterworfen sein; jedem der beiden Erzbisthümer sollten
zwölf Bisthümer untergeordnet werden , die noch aus den Heiden gebildet
werden sollten. In den päbstlichen Instructionen darüber war angedeutet,
dass diese Erzbisthümer alle Priester in Britannien umfassen sollten. Alle
sollten aus Augustinus Wort und Leben die Form des richtigen Glaubens
und rechten Wandels (et rede credendi et bene vivendi fwmam) empfangen.
Schon früher hatte er ihm geschrieben, dass er ihm alle Bischöfe Britan-
niens übergebe, auf dass die Unwissenden belehrt, die Schwachen gestärkt,
die Schlechten durch Zucht gebessert würden. Indem Gregor dem Augu-
stin solche Arbeit anwies, versäumte er nicht, ihn soviel wie möglich zu
unterstüzen. Es kamen neue Arbeiter, die in das angefangene W^erk ein-
traten; sie brachten kostbare Gefässe, Priestergewänder, Altarzierden,
Bücher, Missale mit. Eine Instruction, die dem Pabste besonders am Her-
zen lag und worüber er lange nachgedacht hatte, schickte er dem Augustin
nachträglich; sie betraf die demselben und dem König früher gegebene Ermahn-
ung, überall die Götzentempel und Insignien des Heidenthums zu zerstören.
Gregor hatte sich inzwischen überzeugt, dass eine solche Massregel der auf-
blühenden Kirche zum Schaden gereichen könnte. So befahl er nun, die Götzen-
tempel nicht zu zerstören, sondern die Götzenbilder hinaus zu werfen, die
Tempel mit Weihwasser zu besprengen, Altäre zu erbauen und Reliquien
hineinzulegen. Als Grund gibt er an, dass das Volk durch solche Schonung
sich eher bewegen lassen werde, seinen Irrthum abzulegen, und an den
gewohnten Stätten sich zu versammeln zur Anbetung des wahren Gottes.
Auch die den Göttern gebrachten Opfer von Rindern sollten nur dahin
abgeändert werden, dass am Tage der Einweihung der Kirchen oder am
Todestage der Märtyrer das Volk um die früher zum Götzendienst benutz-
ten Tempel herum Zelte von Baumzweigen mache und durch religiöse Gast-
mähler das Fest verherrliche. ^^Denn", so sagte der Pabst, „es ist nicht
möglich, rohen Gemüthern Alles zugleich zu nehmen. Wer die höchste
Stufe erreichen will, muss schrittweise, nicht in Sprüngen sich dazu erhe-
ben*' (Beda 1, 30). Diese letzte Verordnung konnte freilich eine gefahr-
drohende Tragweite erhalten, und zur Vermengung von Christlichem und
Paganischem verleiten.
Doch es galt nicht blos, Heiden zu bekehren, sondern die ältere
Kirche Grossbritanniens unter das Joch Rom's zu beugen. Es lässt sich
Das Christenthum auf den britannischen Inseln. 477
von vorn herein erwarten , dass jene Kirche in mehr als einem Punkte
sich von derjenigen unterschied, deren Vertreter Augustin und seine Ge-
fährten waren. Daher entstand ein Kampf zwischen beiden Kirchenformen,
der altkatholischen und der römisch-katholischen, welche letztere in
kräftigem Aufblühen begriffen war. Es ist noch nicht der Ort, alle Eigen-
thümlichkeiten der altkatholischen Kirche Grossbritanniens ins Auge zu
fassen. Wir besprechen vorerst nur diejenigen, über welche gestritten wurde.
Augustin berief nämlich (601) mit Hülfe des Königs Ethelbert die
Bischöfe der zunächst gelegenen Provinz der Britonen zu einer Zusammen-
kunft und suchte sie durch brüderliche Ermahnung zu bereden, dass sie,
den katholischen Frieden im Verhältniss zu einander festhaltend, gemein-
sam den Heiden das Evangelium j)redigen sollten. Hier erwähnt Beda 2, 2
nur die Differenz der Osterberechnung i) und setzt hinzu, dass jene Bischöfe
noch manches Andere thaten, was der kirchlichen Einheit zuwider lief,
und dass sie weder durch Bitten noch durch Scheltworte {increpationibus),
noch durch ein von Augustin verrichtetes Wunder (über dessen Authentie
man in Zweifel sein kann) sich bewegen Hessen, ihre eigenen Traditionen
aufzugeben. Bald darauf fand , nach gemeinsamer Verabredung eine neue
Synode statt, woran auch gelehrte Männer aus dem angesehensten bri-
tischen Kloster, Bangor, Theil nahmen. Sie nahmen vor allem Anstoss
daran, dass Augustin mit den Seinen nicht aufstand, als sie in die Ver-
sammlung traten; darüber erzürnt, wiesen sie alle seine Vorschläge ab.
Er eröffnete ihnen nämlich, dass sie in vielen Dingen der Gewohnheit der
allgemeinen Kirche zuwider handelten; doch, wenn sie in drei Punkten
ihm gehorchen wollten, d. h. Ostern zu der richtigen Zeit feiern, die Taufe
nach dem Ritus der römisch-apostolischen Kirche administriren 2) , gemein-
sam mit ihnen den Angelsachsen das Evangelium verkündigen, so wollten
sie (Augustin und seine Begleiter) alles Uebrige, was sie thäten, obschon
ihren Gebräuchen zuwiderlaufend, mit Gleichmuth tragen. Alles war ver-
gebens, zum grossen Aerger des Erzbischofs Augustin, der sich besonders
auch durch die Erklärung des Abtes D e y n 0 c h von Bangor verletzt fühlte.
Aufgefordert zur Unterwerfung unter Rom, hatte dieser erklärt: er sei
bereit, dem römischen Bischof Gehorsam zu leisten, aber nur wie jedem
anderen frommen Christen durch Liebe, Wohlwollen und thätige Hülfe.
1) Mit dieser Differenz verhielt es sich so; Um den unsicheren Berechnungen, ver-
möge welcher in verschiedenen Kirchen Ostern nicht an demselben Tage gefeiert wurde,
ein Ende zu machen, hatte der Abt Dionysias exiguus im Jahr 525 eine neue Ostertafel
aufgestellt, welche zuerst in Italien, sodann in den übrigen abendländischen Kirchen
Eingang fand (S. 369). Die altbritische Kirche dagegen war bei der vor Dionysius gel-
tenden Berechnung, d. h. bei dem Cyclus von 84 Jahren geblieben (quae computatio
octoginta quatuor annorum circulo continetur Beda 2, 2), so dass nun in England, wo
die altkatholische und die römisch-katholische Kirchenform sich berührten, ähnliche Ver-
wirrung entstand, wie früher in der katholischen Kirche überhaupt. (S. Beda 2, 2. 19.
3, 4. 25).
2) Worin die Kelten hierin von dem römisch-katholischen Ritus abwichen, ist nicht
ganz deutlich.
478 Dritte Periode des alten Katliolicismus.
Von einem anderen Gehorsam wisse man bei den Seinen nichts ^). Augiistin soll
ihnen erkLärt haben, da sie den Frieden mit den Brüdern nicht annehmen
wollten, so würden sie von Feinden Krieg erleiden müssen. In der That
überzog einige Jahre darauf, nach Augustinus Tode, der König von Nort-
humberland, aufgestiftet vom König Ethelbert, das Land mit Krieg. Eine
grosse Menge Mönche von Bangor, die hinter der Schlachtlinie für den
Sieg der Ihrigen beteten, wurden auf Befehl des feindlichen Königs nieder-
gemacht, 1200 an der Zahl, das Kloster wurde zerstört und die Einwohner
des Landes unterwarfen sich Rom. Beda, der sonst so milde Beda, sieht in
diesem Eintreffen des von Augustin angekündigten Verderbens ein göttliches
Strafgericht über die. Verachtung der göttlichen Heilsabsichten; damit spricht
er gewiss das Urtheil mancher Zeitgenossen des Unglückes aus.
So war denn die Frage, betreffend die Unterwerfung unter Rom zu
einer brennenden Frage geworden ; zu der Differenz in der Osterberechnung
kam noch diejenige betreffend die Tonsur der Geistlichen. Während die
römischen die uns bekannte Tonsur hatten, die angeblich vom Apostel Pe-
trus sich ableitet, schoren sich die britischen das Haar auf der Vorderseite
des Kopfes zwischen den Ohren, und li essen ihr langes Haar über den Bücken
herunterwallen, das wurde gewöhnlich die Tonsur des Apostels Paulus ge-
nannt; die römischen aber behaupteten, das sei die Tonsur des Magiers
Simon; so wurde diese unschuldige Differenz neuer Anlass zur Feindschaft.
Es folgte ein halbes Jahrhundert von Unruhen, Streitigkeiten, durch
welche die heidnischen Bewohner nur wenig zum Uebertritte bewogen
werden mochten. In Northumberland zumal stritten sich beide Kirchen-
formen um die Herrschaft. Unter dem Nachfolger des ehrwürdigen, ver-
dienstvollen Aidan, Colman, ereignete es sich, dass der König und die
Königin zu verschiedenen Zeiten Ostern feierten. Der König Oswin ver-
anstaltete deswegen im Nonnenkloster Strenaeshalch (664) ein Reli-
gionsgespräch zwischen Colman und dem römisch-katholischen Priester
Wilfrid im Beisein des Königs und seines Sohnes, so wie noch mehrerer
Geistlichen von beiden Seiten. Nachdem das Gespräch schon eine Zeitlang
sich hingezogen, sagte Wilfrid zu Colman, der sich auf das Vorbild des
hochverehrten Columba berufen hatte, ^obschon Euer Columba, der auch
der unsre war, sofern er Christi war, heilig und mit mächtigen Wunder-
kräften ausgestattet war, kann er vorgezogen werden dem seligen Fürsten
der Apostel, zu dem der Herr gesagt hat: du bist Petrus, und auf diesen
Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden
nichts gegen sie vermögen, und ich werde dir die Schlüssel des Himmel-
reiches geben? Darüber erstaunt, frug der König, ob der Herr Petrus in
der That so ausgezeichnet habe. Auf die bejahende Antwort Colman's frug
der König weiter, ob Cdumba dieselbe Macht erhalten habe. Als Colman
verneinend geantwortet, fuhr der König fort: Ihr stimmt also darin über-
ein, dass jene Worte des Herrn zu Petrus gesagt sind ? beide bejahten die
Frage, worauf der König erwiderte: diesem Thürhüter mag ich nicht wi-
dersprechen. Ich begehre so viel wie möglich allen seinen Befehlen Folge
1) Rettberg 1, 319.
Das Christenthum auf den britannischen Inseln. 479
ZU leisten, damit nicht, wenn ich dereinst vor die Thüre des Himmelreiches
komme, Niemand da sei, der mir sie aufschliesse. Damit war der Sieg
Roms in Northumberland entschieden. Alle Anwesenden gaben mit gen
Himmel erhobenen Hcänden ihre Zustimmung zu erkennen. Colman zog
sich nach Schottland zurück (Beda 3, 25). Wilfrid wurde römischer Bi-
schof von Northumberland; statt des lateinischen führte er den anglischen
Kirchengesang ein.
Die römische Kirchenform machte reissende Fortschritte in England,
ohne jedoch die ältere ganz zu verdrängen. Sie empfahl sich im Gegensatze
gegen die Einfachheit des altkeltischen Gottesdienstes durch imponirenden
Prunk, so wie auch durch steinerne Kirchen, wogegen die altkeltischen von
Holz erbauten Kirchen unvortheilhaft abstachen. Im Jahr 668 kam Theo-
dorus, ein wissenschaftlich gebildeter Mann, als vom Pabst geweihter
Erbischof von Canterbury nach England und war bis 690 unermüdlich thätig
für Rom. Eine Synode in Hertford 673 befestigte das Werk. Als der Abt
Adamnanus von Jowa sich von dem Vorzug der römischen Osterberech-
nung hatte überzeugen lassen , fügten "sich die Irländer. Nur Schottland,
Jowa an der Spitze, das Adamnan verlassen hatte, sammt den Pikten und
einem Theile der Britonen leistete Widerstand. Aber der König der Pik-
ten Naiton IL, bearbeitet durch Abt Ceolfrid in einem langen von
Beda (5, 21) mitgetheilten Briefe, führte die römische Osterberechnung ein
(c. 680). Welch ein wichtiger Streitpunkt die Form der Tonsur geworden
war, ergibt sich aus demselben Briefe des Abtes Ceolfrid an den König der
Pikten. Nun aber wurde sogar das Kloster Jowa unter Abt Dunchad
durch den Mönch Egbert für die römische Berechnung des Osterfestes und
für die römische Form der Tonsur gewonnen, — doch ohne den römischen
Supremat eigentlich anzuerkennen. Die iro - schottische Kirche von Jowa
blieb selbständig und besass als unbestrittenes Gebiet Nordirland nebst
Albanien und das Reich der Briten, welches Cambrien, Strathclyde und
zuletzt auch das Gallowayland umfasste.
Während die Iro -Schotten sich mit Mühe der richtigeren römischen
Osterberechnung erwehrten, zeigten die römisch gewordenen Angelsachsen
grosse Devotion gegen Rom. Es wurde unter ihnen Sitte, zu den limina
apostolortm zu wallfahrten. Mehrere Könige vertauschten in Rom die
königliche Krone mit der Mönchskrone. In der römisch - katholischen Geist-
lichkeit entwickelte sich ein reges Leben. Der Kampf mit der gebildeten
iro-schottischen Geistlichkeit beförderte die wissenschaftliche Bildung. Theodor
und sein Arbeitsgefährte, der römische Abt Hadrian, beförderten die Stu-
dien, legten Schulen an, begünstigten das Studium der griechischen Sprache.
Es entstanden neue bedeutende Klöster, mit guten Schulen versehen, wo-
durch die Angelsachsen abgehalten wurden, die keltischen Schulen in Irland
zu besuchen, die bis dahin grosse Anziehungskraft gezeigt hatten, zumal da
man die jungen Angelsachsen, die der Studien wegen nach Irland kamen,
von Seite der Scoten vortrefflich aufnahm und für ihren Unterhalt sorgte.
Unter der rr.misch- katholischen Geistlichkeit zeichnete sich am meisten
aus Beda Venerabilis, Mönch und Vorsteher des Klosters Jarrow, der
mehrmals Bischofsstelleu ausschlug und die Einladung des Pabstes, nach
480 Dritte Periode des alten Katholicismus.
Rom zu kommen, ablehnte, um in seinem geliebten Kloster zu bleiben,
worin Lernen, Lehren und Schreiben, wie er selbst sagt, 5, 24, seine ein-
zige Freude war. Seine erhaltenen zahlreichen Werke umfassen fast das
gesammte Wissen der Zeit, ausser der Theologie Physik, Chronologie,
Philosophie, Grammatik, Astronomie, Arithmetik, Geschichte, — er schrieb
auch viele Commentare zur heiligen Schrift, Biographieen von Heiligen, die
Kirchengeschichte der Angelsachsen, die Hauptquelle für vorstehende Dar-
stellung. Seine grosse Anhänglichkeit an die römische Kirchenform machte
ihn nicht blind für die Vorzüge der iro - schottischen Geistlichkeit und für
die Fehler der eigenen Geistlichkeit, f 735 ^).
Noch bleibt hier eine Seite des kirchlichen Lebens in Grossbritannien,
sei es des alt -katholischen, sei es des römisch-katholischen, zu besprechen
übrig, das Busswesen. Die alt-katholische Kirche des Landes zeigte einen
praktischen Sinn, welcher sie auf die Handhabung kirchlicher Ordnung,
auf Erhaltung und Verbreitung christlicher Sitte und Disciplin hinwies.
Diese Richtung wurde dadurch befördert, dass. vorzugsweise von den
Klöstern die religiös -kirchliche Thätigkeit ausging. Die Bestimmungen
der Ordensregel wurden Norm und Muster in weiteren Kreisen. Hauptsäch-
lich diejenigen Laster und Vergehen, zu welchen jene Völker besonders hin-
neigten, wurden in den Bussordnungen ausführlich behandelt (Mord, ver-
schiedene Arten von geschlechtlichen Sünden, Sünden wider die Natur
u. s. w.). Es kommen hier in Betracht gewisse Kanones einer irischen
Synode c. 456, unter der Leitung des Patricius gehalten, ein liber Da-
vidis, Bischofs von Minevia, f 544, das Poenitentiale des Vinniaus
geboren c. 450, des Gildas, eines britischen Mönchs im Kloster Bangor,
t 583.
Lange Zeit hindurch ist der uns bekannte Theodor von Tarsus als
Begründer der späteren Bussdisciplin , als Urheber mehrerer Bussordnun-
gen angesehen worden. Es ist aber von Kunstmann und Wasserschieben
bewiesen worden, dass Theodor keine solchen Schriften verfasst hat. Er
gab allerdings Entscheidungen in Gemeinschaft mit englischen Bischöfen,
geschöpft theils aus der griechisch -kirchlichen Praxis, theils aus der dio-
nysischen Sammlung, ausserdem aus altbritischen und scotischen Quellen,
und die Bestimmungen, die seinen Namen tragen, enthalten zwar ursprüng-
liche Aussprüche Theodor's, sind aber von einem Dritten, wohl noch bei
Lebzeiten Theodor's zusammengestellt worden. So entstand das poeniten-
tiale Iheodori oder canon Theodori de ratione poenitentiae,
Quelle fast aller in späteren Sammlungen vorkommenden Excerpte. — Der
folgenden Periode gehören die dem Beda und dem Egbert, Erzbischof von
York (731 — 767) beigelegten Bussordnungen, auf welche in ähnlicher
Weise wie bei Theodor mehrere Bussordnungen zurückgeführt werden;
Beda und Egbert benützten aber fleissig die Bestimmungen Theodor's.
Werfen wir nun einen Blick auf den Inhalt dieser verschiedenen
1) S. den Artikel Beda von Schoell in der Realencyklopädie , D. Karl Werner,
Beda der Ehrwürdige und seine Zeit, Wien 1875, der eine sehr gute Uebersicht der
literarischen Thätigkeit Beda's gibt.
Das Christenthum auf den britannischen Inseln. 431
Bussordnungen, so lässt sich nicht läugnen, dass sie an grossen Gebrechen
leiden, dass sie nicht nur das gesetzliche Wesen, welches die katholische
Kirche angenommen, in hohem Grade verstärken mussten, dass sie aber
zugleich, was weit schlimmer, eine eigentüche Corruption der Busszucht an
den Tag legen.
Die angeführte irische Synode unter des Patricius Leitung bestimmt
offenbar im Zusammenhang mit dem im nationalen Rechte anerkannten Com-
positionensystem , dass derjenige, welcher den Bischof oder den excelsus
princeps verwundet hat, je nachdem das Blut bis auf den Boden geflossen
ist oder nicht, gekreuzigt und ihm die Hand abgehauen werden, oder er im
ersten Falle septem ancillae *) , im zweiten den halben Werth derselben
zahlen solle. Patricius mildert diese Entscheidung, d. h. er verwirft die
Lebens- und Leibesstrafe, er behält zwar die Composition mit sieben ancil-
lae bei , stellt aber neben dieselbe mit gleicher Wirkung die kirchliche Busse
von sieben Jahren, durch welche allmähhch die welthche nationale verdrängt
worden ist. — Wichtiger ist folgender Zug. Ein libellus Scotorum, eine
Sammlung irischer oder schottischer Kanones, welche in das Poenitentiale
Theodor's aufgenommen worden, enthält Bestimmungen, in welchen das
nationale Recht und eine besondere Berücksichtigung desselben von Seiten
der Kirche hervortritt 2). Durch die Zahlung des Wehgeldes soll die
Busse auf die Hälfte reducirt werden. Die Kirche 'sucht also die Blutrache
durch Begünstigung des Wehrgeldsystems und dessen Einfluss auf die Busse
zu beseitigen. Unverkennbar erscheint hier die Bussanstalt bereits corrum-
pirt. Eine äussere Leistung und Handlung gilt hier als eine Art von Er-
satz der Busse, der reuigen Gesinnung, der inneren Besserung. Nach einer
anderen Entscheidung geht die Berücksichtigung des nationalrechtlichen
Standi)unktes von Seiten der Kirche soweit, dass den Dieb, welcher dem
Bestohlenen das Sühngeld zahlt, eine geringere Busse trifft, als denjenigen,
welcher dasselbe nicht zahlen will oder kann.
Theodor wird auch als der Begründer der Bussredemtionen ange-
sehen; doch scheint er sie schon in der altkeltischen Kirche vorgefunden zu
haben. Leider fanden sie einen sehr empfänglichen Boden und breiteten
sich in der abendländischen Kirche sehr weit aus. Arreum ist das hiber-
nische Wort dafür, von Du Gange erklärt als remissio poenae, permidatio, im-
mutatio; das Wort kommt nach Du Gange vom sächsischen Ar tan = parcere,
condonare ^).
Ehe wir weiter gehen, wird es nöthig sein, noch einige Augenblicke
bei der irisch - schottischen Kirchenform in ihrem Unterschiede von der römi-
schen zu verweilen, diess ist um so mehr angemessen, als durch die wichtigen
Forschunj'en Ebrard's in dem anj^eführten Werke die Aufmerksamkeit auf
1) Der Ausdruck ancillarum pretium reddere, od. ancillas reddere bezieht sich auf
das alte Privatrecht, wonach Mägde als eine Art Münze berechnet wurden, so dass an-
cillae, ancellarura pretium einer gewissen Summe Geldes gleichkam. (S. Du Gange s. v.).
2) Si quis pro ultione propinqui hominem occiderit, poeniteat sicut homicida Vit
vel X annos. Si tarnen reddere vult propinquo pecuniam aestimationis , levior erit poeni-
tentia, i.- e. dimidio spatio,
3) Das Ganze aus Wasserschieben a. a. 0.
Herzog, Kirchengcschichte I. 21
482 Dritte Periode des alten Katholicismus,
diesen Gegenstand ist gelenkt worden, wie auch durch Werner, der Ebrard
in einigen Punkten beistimmt, doch in anderen sich von ihm entfernt. Auch
die kathohsche Geschichtschreibung hat von den Forschungen Ebrard's
Kenntniss genommen, wenn gleich sie, wie aus den Werken von Friedrich
und von Greith deuthch erhellt, wohl zu leichten Fusses darüber hinweg-
geschritten ist.
Was zuvörderst die Benennung betrifft, so wäre vielleicht die von Schoell
im Artikel Culdeer empfohlene vorzuziehen: Keltische Kirche, — die in
drei Zweige sich vertheilt, den britischen, den irisch-scotischen
und den albanisch-scotischen. Der britische Zweig umfasste die roma-
nischen Briten und blühte im sechsten Jahrhundert in Wales auf, — wobei
wir uns auf das oben Gesagte bis zur Zerstörung des Klosters Bangor be-
rufen; — wichtiger ist der irisch - scotische Zweig, der Irland und einen Theil
von Schottland umfasste, und den Rom, wie wir gesehen, doch nicht zur
völligen Unterwerfung brachte; der albanisch - scotische Zweig ging unmittel-
bar aus der irischen Kirche hervor. Columba, der ältere, verpflanzte näm-
lich, wie wir gesehen, diese Kirche 563 in das Land der albanischen Scoten
und Pikten. — Ebrard, obschon er die Benennung irisch-schottische Kirche
in der Aufschrift seines Werkes gebraucht hat, empfiehlt doch die Benennung
Culdeer, cu Ideische Kirche und gebraucht sie im Verlaufe seiner Dar-
stellung. Er gibt zu, dass vor dem Jahr 800 der Name nicht vorkomme
(nach Schoell nicht vor 1200). Der Name lautete ursprünglich Kelledei,
Keledei. — Gele bedeutet der Mann, de Gott. Celide = Mann Got-
tes, vir Dei^ so wird Columban, d. j., von den Seinen genannt, die von ihm
gestifteten Klöster hiessen virorwn Dei coenohia ^).
Was vor Allem auffällt, ist dieses, dass der Streit zwischen der iro-
schottischen oder alt -britischen und der römischen Kirchenform sich in
ostensibler Weise durchaus nur auf solche Dinge bezieht, welche nach pro-
testantisch-evangelischer Anschauung das Wesen des Christenthums nicht
von ferne beiiihren. Beide Kirchen haben sich nicht als principiell von ein-
ander geschieden angesehen; diess wird man dem Professor Friedrich und
dem Bischof Greith im Allgemeinen zugeben müssen, wie es denn auch aus
unserer ganzen Darstellung hervorgeht. Selbst in der Frage über die Un-
terwerfung unter Rom herrschte, wie uns das Beispiel Colman's gezeigt hat,
kein absoluter Gegensatz zwischen beiden Kirchen; die Ansicht des Abtes
Deynoch von Bangor, die wir die protestantische nennen können, war nicht
die durchweg geltende. Die Iro- Schotten, die überhaupt den alten Katholi-
cismus vertreten , gestanden, wie es scheint, dem römischen Bischof eine
ähnliche Würde zu wie Cyprian, Augustin und andere Väter; und darum
zeigten sie sich schwach, als die römischen Geistlichen daraus Folgerungen
zogen in Beziehung auf die Befugnisse des römischen Bischofs. Uebrigens
waren diese in damahger Zeit noch nicht sehr ausgedehnt, wie die Vor-
schläge beweisen, welche den alt -britischen Geistlichen gemacht wurden,
1) Ebrard glaubt, dass die keltischen Geistlichen von ihren Gemeinden von Anfang
an so bezeichnet wurden. Sie behielten, meint Schoell, jenen Namen zur Unterscheidung
bei seit der Verdrängung der alten britisch - scotischen Kirche im Mittelalter.
Das Christenthum auf den britannischen Inseln. 433
SO dass der Uebergang zur römischen Form dadurch erleichtert wurde.
Manche nahmen auch die römische, d. h. verbesserte Osterberechnung an^
ohne sich desshalb Rom zu unterwerfen, aber allerdings war es ein Schritt
dazu. Die protestantische Kirche hat zwar den gregorianischen Kalender
annehmen können, ohne im mindesten sich Rom in anderen Beziehungen
zu nähern; aber die alt -britische Kirche war eben keine protestantische,
sondern eine alt -katholische und aus der angegebenen Ursache leichter für
Rom zu gewinnen.
Was die anderen Eigenthümlichkeiten der keltischen Kirche betrifft,
so kommt in Betracht eine Auffassung des geistüchen Amtes, die mit dem
römischen Priesterthum wenig gemein hat, und das war in den gegebenen
Verhältnissen allerdings eine sehr wichtige Differenz, wenn gleich nicht
dogmatischer Art. Die Klöster nahmen eine Stellung ein und übten eine
Wirksamkeit aus, wie sie damals in der kathohschen Kirche unerhört war.
Nicht nur waren sie Feuerheerde weit reichender Missionen, sondern sie
standen auch an der Spitze der Kirche und übten das Kirchenregiment. Die
Aebte, die immer Presbyter waren, sowie auch gewöhnlich die Mönche, ver-
sahen die Seelsorge und das Pastorat in dem zum Kloster gehörigen Kirchen-
sprengel oder Hessen sie unter ihrer Oberaufsicht versehen. Jeder Gemein-
depriester hiess Bischof, so dass die bischöfliche Würde nicht einen höheren
Grad hierarchischer Machtstellung bezeichnete, sondern die pastorale Berufs-
thätigkeit. Zu jeder Kirche gehörte ein Bischof und jeder Bischof war
Missionspfarrer. Die obere Kirchenleitung war in den Händen des Abtes
und sein Kloster genoss als Mutter der von ihm aus gesammelten Gemeinde
eine entsprechende Verehrung. Das bezieht sich auf die Klöster Bangor
und hauptsächlich Hy oder Jowa, Jona dessen Kloster, (sagt Beda 3, 3) bei-
nahe in allen Klöstern der nördhchen Scoten und aller Picten die Oberleitung
nicht kurze Zeit hindurch führte, und auch die dazu gehörige Bevölkerung
regierte ^). Um die Klöster herum siedelten sich nämlich die bekehrten
Landesbewohner an; so wird ein Kloster erwähnt quadraginta familiarum
(Beda 3, 25). Ob aber eine Centralisation der gesammten Kirchenleitung
in Jowa stattgefunden, das muss dahingestellt bleiben. Es lässt sich von
vorn herein erwarten, dass die entfernten Stationen nicht in ganz strictem
Abhängigkeitsverhältniss von Jowa standen. Dazu bemerkt (S. 34) Werner
treffend: „wäre ein einheitliches Kirchenregiment vorhanden gewesen, so
hätte Rom nicht so rasche und leichte Siege erringen können. Aber gerade
die römische Einheit verschaffte einen Vortheil nach dem anderen über die
britische Getheiltheit. Das mehr geistige Band, das die Culdeer umschlang,
war nicht stark genug gegenüber der straffen Zucht der wohlgeschulten
römischen Kriegsmacht. "^ — Dass mit den Klöstern Schulen verbunden wa-
ren, ist bereits erwähnt. Was besonders auffällt, neben dem Mannskloster
war oft ein Nonnenkloster, doch in einem durchaus abgesonderten Gebäude.
Es gab, was noch mehr auffällt, verheirathete Mönche und Nonnen; den
Mönchen wie auch den Nonnen wurde kein Gelübde des CöHbats aufgelegt,
1) Cujus monasterium in cunctis pene septentrionalinm et omnium Pictorum mo-
nasteriis non parvo tempore arcem tenebat regendisque eorum populis praeerat.
31 *
484 Dritte Periode des alten Katholicismus.
— wie übrigens auch Benedict von Nursia ein solches nicht auflegte (S. S. 463).
Das hing damit zusammen, dass die Bischöfe und Presbyter nicht an den Cö-
hbat gebunden waren, so dass es viele gab, die verheii'athet waren. War doch
der heilige Patricius selbst Sohn eines Geistlichen. Nicht selten vererbte
sich die Würde des Abtes vom Vater auf den Sohn. Dieser Punkt wurde
römischerseits nicht urgirt; er sollte keinen Grund abgeben zur Ablehnung
der Verbindung mit Rom, — wie es denn noch im fünften Jahrhundert ver-
ehelichte Bischöfe selbst im römischen Reiche gab.
Die keltischen Geistlichen zeichneten sich aus durch eifriges Studium
der Schrift. Columba der ältere, kannte Hieronymus und schätzte ihn, so-
wie Philo. Er beförderte die biblischen Studien. Hat er doch sogar die
Psalmen aus dem Urtext übersetzt und eine Auslegung derselben geschrie-
ben. Doch bildete diess keinen principiellen Gegensatz gegen das, was in
der römisch-katholischen Kirche geschah. Ohne Zweifel ist die geschilderte
Wirksamkeit des Theodor von Tarsus, die so schöne Erfolge hatte, entstan-
den aus Nachahmung des durch die keltischen Geistlichen gegebenen Bei-
spieles und als Gegenwirkung zu betrachten. Dass aber diese schon in
protestantischer Weise das Schriftprincip , im Gegensatz gegen die Tradition
aufgestellt und angewendet hätten, davon ist keine deutliche Spur vorhan-
den, wie ihnen denn in dieser Beziehung von römischer Seite kein Vorwurf
gemacht wurde. Das hing damit zusammen, dass auf römischer Seite da-
mals der Gegensatz von Schrift und Tradition noch nicht so stark ins Be-
wusstsein getreten.
Ueberhaupt wurde den Kelten keine eigentliche Häresie vorgeworfen *).
In Hinsicht des Messopfers besonders rühmen die römisch-katholischen Theolo-
gen die Uebereinstimmung der Kelten mit der katholischen Kiixhe. Darin
haben sie theils Recht, theils Unrecht. Es hängt diess zusammen mit der
damaligen Beschaffenheit der Lehre vom Messopfer, so dass auch die pro-
testantischen Theologen, welche hierin die Kelten als von der katholischen
Lehre abweichend darstellen , theils Recht , theils Unrecht haben 2).
1) Die von Ebrard S. 134 dagegen angeführten Stellen scheinen mir diesen Satz
nicht umzuwerfen. Man müsste nährere Angaben haben, um ein sicheres Urtheil fällen
zu können.
2) Greith a. a. 0. S. 441 führt aus einem alten keltischen Missale die Worte an:
gratias tibi agimus, domine sancte, qui nos corporis et sanguinis Christi filii tui commu-
nione satiasti. Er führt diese Worte an als Beweis, dass die keltische Kirche das Mess-
opfer kannte, da doch nur von der Communion die Rede ist. Ebenso führt er den von
Todd im book of Hymn. und auch von Ebrard S. 116 mitgetheilten Hymnus an, der in
einer Handschrift vom Jahr 691 aufbehalten sein soll. Allein auch in dem ganzen Hym-
nus ist nicht mehr vom Messopfer die Rede, als in dem angeführten alten Missale. Das
beweist aber nicht, dass die keltische Kirche hierin von der katholischen abwich, sondern
die Sache entspricht der damaligen Lehre vom Messopfer, wie wir sie bei Gregor dem
Grossen gefunden haben S. 459, wobei das eigentliche Opfer in der Vertheilimg der Elemente
besteht, so dass die Begriffe sacrificium und sacramentum zusammenfliessen. Erst weit später
treten beide Begriffe scharf auseinander, und so waren sich in dieser Beziehung beide
Parteien keines Zwiespaltes der Ansicht bewusst, wie denn Bischof Greith diesen Hymnus
anführt als deutlichen Beweis der Uebereinstimmung der Kelten mit der römisch -katho-
Das Christenthnm auf den britanniscben Inseln. 485
Die keltischen Christen kannten allerdings Heilige und empfahlen sich
ihrer Fürbitte i); der Umstand, dass die schottischen Kirchen meist den
einheimischen Heiligen gewidmet sind , scheint mir nicht dagegen zu sprechen.
Das verdient alle Anerkennung, dass die keltische Kirche mit den Heiligen
und ihren Reliquien keinen Götzendienst trieb 2) und die Anbetung der Bil-
der durchaus verwarf; allein wir wissen ja, wie eifrig die fränkische Kirche
sich später gegen die Verehrung der Bilder ausgesprochen. Die Kelten scheinen
auch die Lehre vom Fegefeuer nicht gekannt zu haben, obschon sie für die
Todten beteten ; die Lehre vom Fegefeuer war aber damals noch nicht weit
verbreitet. Es ist den Kelten auch römischerseits , wenigstens damals nicht
vorgeworfen worden, dass sie kein Fegefeuer annähmen. Was nun die evan-
gelischen Aeusserungen betrifft, die sich bei ihnen, namentlich bei Columban
den jüngeren finden und die Ebrard mit Fleiss gesammelt hat, so ist von
römischer Seite desswegen nie eine Klage gegen sie erhoben, nie ein Wort
des Tadels dessw^egen gegen sie laut geworden. Beide Theile waren sich
keines Zwiespaltes in den Dingen, welche die Heilsordnung betreffen, be-
wusst. Bei manchen katholischen HeiUgen findet man Aussprüche ähnUcher
Art, z. B. bei der schwedischen heiligen Brigitta^), bei Franz von Assisi,
bei Anselm von Canterbury, Aussprüche, welche den Glauben an das Ver-
dienst Christi, ohne alle Beimischung von Werkgerechtigkeit, bezeugen, welche
Aussprüche mit den asketischen Uebungen derselben Personen einen ebenso
grossen Contrast bilden, wie die evangehschen Aussprüche Columban's mit
seiner Mönchsregel.
Wir erkennen alle Vorzüge der keltischen Kirche mit Freude an, aber
einen tief gehenden dogmatischen Gegensatz gegen die römische Kirche
können wir bei ihr nicht entdecken. Wir begreifen jedoch, dass die obwal-
tenden Differenzen den Römisch -gesinnten hinlänglichen Anlass gaben zu hef-
tigem Streite und bitterer Feindschaft, die übrigens auch bei den Iroschotten
und den Britonen sich kund gab, Beda 2, 4. 20.
lischen Lehre. Ans demselben Hymnus geht hervor, dass die Kelten die Kelchentziehung
nicht kannten, aber eben so wenig fand sie damals in der römisch-katholischen Kirche
statt
' 1) Der Schutz des Vaters, des Sohnes, des heiligen Geistes, der Schutz Mariens
und der anderen Maria , der Schutz aller Heiligen waltet über uns." Ueberdiess die Bitte,
dass eine Jungfrau durch die Fürbitte des heiligen Devi aufgenommen werde m die Gnade
''***' 2) Sie ehrte aber die Reüquien der Heiligen, wie denn Colman, als er Northumber-
land verhess, die Gebeine Aidan's mit sich nahm. . v, io7a
3) S. St. Brigitta, die nordische Prophetin und Ordensstifterin von Hamerich. 1874.
„VerdammUch ist es zu glauben, - sagt die Heilige, die in allen Satzungen ka^o ischer
Isketik wandelt -, dass man durch eigenes Verdienst selig werden könne. Wenn der
Mensc' tausendmal 'seinen Leib um Gottes willen t5dten Hesse, so taug ^^^^^^^J^^^
um für eine einzige Sünde Gott genug zu thun. - Alles ist lauter Gnade, von mir
selbst vermag ich nichts als zu sündigen."
486 Dritte Periode des alten Katholicismns.
Drittes Capitel. Die Ton Grossbritannien ausgehenden Missionen
auf dem Continente von Europa i).
Grossbritannien wurde ein Feuerheerd der Missionen für das westliche
Europa, insonderheit für Deutschland und die Schweiz. Schon die ungemein
grosse Bevölkerung der grossbritannischen Klöster kam dem Eifer für die
Ausbreitung des Evangeliums sehr willkommen. Die Bewohner Grossbritan-
niens zeigten bereits damals den Missionscharakter, den sie in der neuesten
Zeit glänzend entfaltet haben 2). Sie wandern in Schaaren aus , dringen in
die dichten Wälder des heidnischen Europa und bringen mit sich die ersten
Keime der Bildung, der Civilisation , des geregelten, gesitteten Lebens, und
bieten allen Beschwerden, Mühsalen und Gefahren Trotz. Unter ihnen fin-
den wir Könige, Fürsten und Fürstensöhne, Söhne angesehener Familien.
Es gab aber zwei Classen von Missionaren. Die einen, Irläüder, Schotten
oder Engländer der altbritischen Kirche halten an dem altkatholischen Chri-
sten thum und an der Unabhängigkeit von Kom fest; die anderen sind rö-
misch-katholisch gesinnt und dringen auf Gehorsam gegen Rom. In dieser
Periode gehören die Missionare überwiegend zur ersten Classe. Erst in der
folgenden Periode treten diejenigen der zweiten Classe bedeutend auf. Neben
diesen britannischen Verkündigern des EvangeUums finden wir auch einige
fränkische, welche den ilirer Nation eigeuthümlichen kühnen Unternehmungs-
geist offenbaren.
Nach Fridolin, Fridolt, angeblich von hoher keltischer Geburt, der
zu Anfang des sechsten Jahrhunderts der erste Apostel Alemanniens gewe-
sen sein, das Evangelium in Chur und in Glarus verkündigt und ein Frauen-
kloster in Seckingen gestiftet haben soll 3j, kommt hauptsächlich in Betracht
Columban der jüngere, im Unterschiede von Columban dem älteren,
einer der edelsten Charaktere der keltischen Kirche. Ein geborener Irländer,
erzogen in dem irischen Kloster Bangor, fühlte er im dreissigsten Lebens-
jahre in sich ein feuriges Verlangen, das Evangelium zu verkündigen. Be-
gleitet von zwölf Mönchen , die ihm sein Abt zur Unterstützung mitgegeben,
reiste er c. 590 nach dem Continent, in der Absicht, sich den an den
Grenzen des fränkischen Reiches wohnenden Heiden zu widmen, Doch kam
er, aufgefordert von König Gunthram, nach Burgund, um auf die rohen
Volksmassen zu wirken. In einer Wildniss des Vogesengebirges stiftete er
ein Kloster auf den Ruinen des Schlosses Anegray; der Ruf der Frömmig-
keit der Mönche reizte Andere zur Nacheiferung ; so entstand bald ein neues
Kloster Luxeuil, und darauf ein di'ittes Eon ta in es, endlich noch mehrere
1) S. die friiher angeführten Werke von Kettberg, Hefele, Friedrich.
2) Natio Scotorum, worunter auch die Irländer verstanden werden, quibus consue-
tudo peregrinandi jara paene in naturam conversa est, heisst es in der Vita St. Galli bei
Pertz, monumenta 2, 30.
3) Nach Friedrich 2, 435 ist er wahrscheinlich kein Schotte, sondern ein Aleraanne
oder Franke gewesen, übrigens ein sehr correcter Kathoük. Friedrich meint auch, er
habe in Säckingen vor dem Frauenkloster eines für Mönche gegründet.
Die Missionen auf dem Coutinente von Europa. 437
andere. Von der Regel, die er ihnen gab, und die wahrscheinlich sich an
die Regel des Stammklosters ßangor anschloss, gibt es mehrere Codices, wo-
von die von St. Gallen und von Bobio die bedeutsamsten sind. Im Codex
der Benedictinerabtei Ochsenhausen sind nun die Bestimmungen, die von
den Geschichtschreibern mit vollem Rechte beanstandet worden sind, betref-
fend die Prügelstrafen für kleinliche Vergehen, so dass, wer beim Essen
vergass, seinen Löffel mit dem Kreuzeszeichen zu bezeichnen, fünf Schläge
empfing u. s. w. Man hat aus inneren Gründen die Aechtheit dieses Codex
bestritten, indem die erwähnten Prügelstrafen zu den acht evangelischen
Aeusserungen Columban's nicht passen. Es gibt aber viele solche Contraste
im Katholicismus, wobei wir uns auf das weiter oben Bemerkte berufen.
Uebrigens könnte man sich die Sache so erklären, dass Columban jene klein-
lichen Verordnungen nur als Windeln der Kindheit ansah; das dürfte man
aus mehreren seiner Aussprüche in den instructiones an seine Mönche
schhessen: ^^ Lasset uns nicht gleich sein den übertünchten Gräbern. Trach-
ten wir darnach, innerlich und äusserlich gereinigt zu sein. Denn die wahre
Frömmigkeit besteht nicht in der Demuth des Körpers, sondern in derjeni-
gen des Geistes. — Wir sollen den nicht ferne von uns wohnenden Gott
suchen; denn er wohnt in uns, gleich wie die Seele im Körper, wenn anders
wir seine Glieder sind.^
Columban erwarb sich durch seine strenge Sittenzucht und -seinen Eifer
für Wiederherstellung der alten Ordnung und Strenge im Mönchthum theils
Anhänger und Verehrer, theils heftige Gegner. Dazu kam, dass er die
vaterländischen Gebräuche nicht aufgeben mochte und namenthch an der
keltischen Osterberechnung eifrig festhielt; er erlaubte sich sogar, an Gregor den
Grossen und an Bonifacius IV. in Beziehung auf diese letztere Angelegenheit
sehr freimüthige Briefe zu schreiben. Er hielt Bonifacius das Beispiel der
Bischöfe Polykarp und Anicet vor, die in Liebe von einander geschie-
den seien , obgleich jeder dem Gebrauche seiner Kirche getreu geblieben.
Der Streit über die Osterfeier ward damals so lebhaft geführt, dass sich im
Jahr 602 eine fränkische Synode eigens desshalb versammelte. Columban
richtete an sie einen sehr freimüthigen Brief, worin er den versammelten
Vätern empfahl, sich noch mit wichtigeren Dingen als mit der Osterbe-
rechnung abzugeben, als Hirten dem Vorbilde des ersten der Hirten nach-
zufolgen, indem das blose Wort der Predigt nichts nütze ohne ein damit
übereinstimmendes Leben. Man kann es bedauern, dass solche Ermahnungen
zum Theil unwirksam gemacht wurden durch seine steife Anhänglichkeit an
' die vaterländischen Traditionen und dass er dadurch Anlass gab zur Ver-
treibung aus diesem wichtigen Arbeitsfelde, worin er für Herstellung von
Zucht und Ordnung, für Verbreitung von Religiosität und Sittlichkeit segens-
reich gewirkt hatte. Damals herrschte nach Gunthram's Tode über Burgund
Dietrich H. (Theoderich) in dessen Gebiet die von Columban gestifteten
Klöster lagen und der bis dahin Columban unterstützt hatte. Nun aber
gerieth dieser mit der Grossmutter des Königs, der schrecklichen Brune-
hild in Streit. Sie nahm es sehr übel auf, dass er den lüderlich lebenden
Dietrich zum Verlassen seiner Concubine bewog und ihn zum Eingehen einer
ordentlichen Ehe ermahnte. Brunehild brachte es, indem sie auch den
488 Dritte Periode des alten Katholicismus.
Osterstreit geschickt benutzte, dahin, dass er 610 aus Burgund vertrieben
wurde. Nach mehreren Wandeningen, wobei er auch in den Canton Zürich und
nach Arbon und Bregenz kam, daselbst drei Jahre wirkte, einige seiner Be-
gleiter zurückhess, wurde er auch von da vertrieben; er wendete sich zu
den Longobarden 613 und stiftete das Kloster Bobio und starb 615. In der
letzten Zeit seines Lebens mischte er sich noch in den Dreicapitelstreit und
erklärte sich gegen die Verwerfung der drei Capitel. Der Brief, den er in
dieser Angelegenheit an Bonifacius IV. schrieb, ist ein Beweis zugleich seiner
Achtung gegen die römische Kirche und seiner Vorsicht in Bestimmung der
Grenzen, die er der bevorzugten Stellung Roms anwies; denn er pries die
römische Kirche als Of-bis terrarum caput ecclesiarum^ doch mit Ausnahme
von Jerusalem, wie er hinzusetzte, und zu gleicher Zeit warnte er die rö-
mische Kirche vor einer darauf, dass dem Petrus die Schlüssel des Himmel-
reiches verliehen worden, gegründeten Anmassung. Beiden Parteien ruft er
zu, sie sollten einmüthig sein. Indem er aber Eutyches und Nestorius als
verwandte Irrlehrer zusammenstellte und damit eine sehr mangelhafte Kennt-
niss der älteren Lehrstreitigkeiten verrieth, konnte er um so weniger Er-
folg von seinen Ermahnungen erwarten.
Columban's Wirksamkeit auf dem Continente hat zur Stiftung des Klo-
sters St. Gallen Anlass gegeben, und das ist nicht der geringste Erfolg der-
selben. Uebrigens muss vor allem bemerkt werden, dass dem Gallus sowie
dem Columban und Fridolin und mehreren anderen mehr die Pflege und
Verbreitung christhcher Keime, als die Pflanzung neuer zu verdanken ist.
Um den Bodensee herum waren die Grundsteine mancher christlicher Ge-
meinden gelegt worden; manche Kiixhen hatten später die wilden Aleman-
nen zerstört, ihre Diener zerstreut oder vertrieben; es waren aber noch
solche am Bodensee zu finden, an die der von Columban wegen Krankheit
zurückgelassene Gallus (Gallun) sich anschloss. Als er von seiner Krankheit
genesen war, fühlte er in sich den Trieb, sich in der Nähe anzusiedeln.
Man kennt die liebüche Geschichte von den bescheidenen Anfängen des seit-
dem so bedeutend und mächtig gewordenen Stiftes St. Gallen, — wie der
heilige Mann in Begleitung eines der Gegend kundigen Geistlichen sich in
den benachbarten Wald begab, ohne Furcht vor den wilden Thieren, die im
Walde hausten, wie er endlich an einen Ort kam, wo das Flüsschen Steinach
von einem Felsen herunterströmend einen Weiher gebildet hatte; hier fiel
Gallus, zufällig in ein Gesträuch verwickelt, zu Boden ; er sah darin die gött-
liche Weisung zur Niederlassung. Er fonnte von einem Baumzweige ein
Kreuz, hängte daran die mitgebrachte Reliquien enthaltende Kapsel, und
bezeichnete so den Platz zum Anbau einer Zelle, wie man im Mittelalter
lange die klösterlichen Niederlassungen nannte (613). Wie es sich mit der
Heilung der Tochter des alemannischen Herzogs Kunz verhielt, lassen wir
dahingestellt; soviel ist sicher, dass Kunz ihm das Bisthum Constanz ver-
schaffen wollte. Gallus schlug es beharriich aus, beförderte aber dahin sei-
nen Schüler Johannes. Bald bildete sich eine Mönchsniederlassung, der
Gallus die Mönchsregel Columban's gab, die • erst ein Jahrhundert später
durch die des Benedict von Nursia ersetzt wurde. Die Mönche machten den
Boden ui'bar, verkündigten weit und breit das Evangelium den Landesbe-
Bie Missionen auf dem Continente von Europa. 489
wohnern; viele derselben siedelten sich um die Zelle herum an. Gallus
wirkte unverdrossen bis an sein Lebensende 646. In der folgenden Periode
erhob sich St. Gallen zu einer sehr bedeutenden Culturstätte i).
Auf ähnliche Weise wie am Bodensee und in dessen Nähe wurde das
Evangelium noch an vielen Orten verkündigt; wobei die Klöster eine sehr
bedeutende Stelle einnahmen; es entstand deren in den von den Alemannen
bewohnten Gegenden eine ordentliche Zahl, die in der folgenden Periode
sich noch bedeutend mehrte. Das Kloster Hirse hau wurde 645 gestiftet.
Trutpert gründete 612 das Kloster, das seinen Namen trägt. Landolin,
zu den Alemannen gekommen, um ihnen das Evangelium zu predigen, wurde
von den Einwohnern getödtet; an der Stelle des Mordes entsprang nach der
Sage die Heilquelle, die den Bädern von Landolin ihren Namen gegeben
hat. Das Evangehsationswerk ging überhaupt unter den Alemannen langsam
vorwärts und stiess auf neue Hindernisse, seitdem die Alemannen, als unter
den letzten Merovingern die fränkische Monarchie in Verfall gerieth, wieder
unabhängig geworden. Erst im Jahr 724 wurde durch den Franken Pir-
minius auf einer Insel im Bodensee das Kloster Reichenau gestiftet, ein
Sitz der Bildung, der Wissenschaft, der Missionen. — Unter den Bayern
waren thätig Eustasius, Abt von Luxen, Rupert, der das Evangelium
auch in Salzburg predigte, ausserdem Corbinian, Emmeram; die Mission
wurde wesentlich erleichtert, seitdem Karl Martell 722 die Bayern und Ale-
mannen zum Gehorsam zurückbrachte. Unter den Thüringern zwischen Main
und Saale wirkte Kilian und fand dabei am Ende des siebenten Jahrhun-
derts den Mäityrertod. In Brabaut wirkte Amandus, beschützt durch
Dagobert II. (673—679), er starb 675 als Bischof von Mastricht. Die Mis-
sionare unter den Friesen erfreuten sich des besonderen Schutzes des fränki-
schen Majordomus. Als der Engländer Wilfrid unter den Friesen das
Evangelium verkündigt undRadbod, Fürst der Friesen, das Werk, das unter dem
Schutze des Vaters angefangen worden, so viel an ihm war, zerstört hatte,
zwang Pipin von Heristall den Sohn, die Missionare wohl zu empfangen; es
kamen mehrere aus England, welche Pipin schützte; zwei von ihnen, Ewald
genannt, wendeten sich nach Westphalen zu den Sachsen und wurden von
ihnen erschlagen 694. Ein anderer, Suidbert stiftete das Kloster Kaisers-
wörth auf einer von Pipin geschenkten Rheininsel, f '^13. Em anderer
Missionar, Wilibrord, Hess sich in Rom legitimiren, wurde Bischof von
Utrecht, stiftete auch mehrere Klöster.
Viertes CapiteL Innere Verhältnisse der katholischen Kirche nnter
den germanischen Völkern.
Diese Verhältnisse erhalten dadurch eine besondere Wichtigkeit, dass
sie Anfangspunkte einer langen Entwicklungsreihe sind. Sie geben den
Schlüssel zum Verständniss der Kirchengeschichte des Mittelalters. Bei
iT^eben des heiligen GaUus ist von Walafrid Strabo f^^^^^^^^^^
Grund einer älteren Quelle ans dem achten Jahrhundert, die m der Neuzeit ist heraus
gegeben worden.
490 Dritte I*eriode des alten Katholicismus.
Beleuchtung der äusseren Verhältnisse ist schon darauf Rücksicht genommen
worden; sie erheischen aber eine nähere Betrachtung.
Wir beginnen mit einigen Bemerkungen über den Zustand dieser Völker
im Allgemeinen, über den Grad ihrer Civilisation und Gesittung. Die Vor-
stellung, die man sich gewöhnlich von ihrem barbarischen Zustande macht,
bedarf einiger Einschränkung. Barbarisch war dieser Zustand, verglichen
mit der Stufe der Civilisation, worauf wir stehen. Allein das Eintreten in
civilisirte Länder, die Verschmelzung mit den alten gebildeten Einwohnern
übte alsobald einen grossen Einfluss auf die neuen Herren des Landes aus.
Schon der Umstand, dass sie sich so leicht verschmolzen, ist ein Beweis
von ihrer Bildungsfähigkeit, die allerdings erhöht wurde durch ihre Annahme
des Christenthums ; aber auf der anderen Seite stellte sich diese auch als
Folge dar; es bestand also eine Wechselwirkung.
Die feste Ansiedlung der germanischen Völker in den Ländern des
westlichen Europa und die Gründung der neuen Staaten fiel mit ihrem Ueber-
tritte zum Christenthum zusammen. Dass die Bekehrungen in Masse ge-
schahen, das gehört allerdings einer unteren Stufe der Bildung an, und die
Folge davon war, dass Heidenthum und heidnische Vorstellungen sich noch
lange Zeit hindurch erhielten. Oftmals nahm das Volk das Christenthum
an, folgend dem Beispiel, welches ihm seine Führer gegeben hatten. Dar-
aus ergab sich eine sehr enge Verbindung zwischen Kirche und Staat. Die
Zustände der kathoUschen Kirche unter Constantin, Theodosius, Justiuian
wurden massgebend für die Kirche unter den germanischen Völkern. Aus
dieser engen Verbindung von Kirche und Staat erhielt die königliche Macht
unter diesen Völkern neuen Zuwachs, welche Macht schon in Folge der
vorangegangenen Eroberungszüge bedeutend gewonnen hatte.
Die germanischeu Völker traten in den durch die Römer civilisirten
Ländern unter den Einfluss der römischen Cultur. In dieser Weise wurde
die römische Herrschaft auch nach dem Untergange des weströmischen
Reiches fortgesetzt. Die alten Einwohner blieben und bildeten die Haupt-
masse der Bevölkerung. Denn man muss nicht denken, dass sich immer
ganze Völker in den eroberten Provinzen niederliessen, sondern die erobern-
den Heereshaufen bildeten oft den kleinsten Theil der Bevölkerung. Die
Sprache der Eroberer so wie die der alten Landesbewohner wurde ein Idiom,
gemischt aus der germanischen Sprache und der römischen, wobei das rö-
mische Element das Uebergewicht erhielt und auch noch keltisches seine
Stelle fand.
So entstanden die romanischen Sprachen bei den romanischen Völkern
oder den romanischen Germanen. Seit der Ansiedelung in den ursprünglich
römischen Provinzen begann auch die schriftliche Aufzeichnung ihrer Ge-
setze. Bereits in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts schrieben die
Westgothen ihre Gesetze nieder und zwar in römischer Sprache, wenn gleich
ohne ciceronianische Reinheit. Diese Sprache wurde die officielle, die
Sprache des Staates; es war die alte Sprache der Kirche und blieb es auch.
Der Gebrauch der lateinischen Sprache im Gottesdienst hing ursprünglich
keineswegs mit hierarchischen Interessen zusammen, sondern er ergab sich
aus dem ganzen Culturzustande dieser Völker.
Innere Verhältnisse der katholischen Kirche. 4^1
Unter ihnen fasste der römische Katholicismus seine tiefsten Wurzeln,
er ist zum Theil ihr Werk , das Erzeugniss ihres religiösen Geistes. Die
romanischen Völker gingen den rein germanischen in der Cultur, auch in
der religiösen voran. Die reinen Germanen blieben hinter den Romanen in
jeglicher Art von Cultur zurück. Aber ihre nationale Eigenthümlichkeit,
härter, unbeugsamer, als die der romanischen Germanen, Wieb mehr unver-
sehrt. Daher sie so lange sich stnäubten, das Christenthum anzunehmen,
und sie zum Theil nur durch Gewalt dazu vermocht werden konnten, bis
sie im sechzehnten Jahrhundert, nachdem sie lange das römische Joch ge-
tragen, durch Wiederbelebung des nationalen Bewusstseins dem römischen
Elemente den grössten Abbruch thaten.
Was nun die eigentlich kirchhchen Verhältnisse betrifft, so wurden
die früheren Einrichtungen der altkathoMschen Kirche beibehalten, doch mit
stark ausgeprägter Abhängigkeit vom Staate. Die Kirchen wurden vom
Staate reich begabt, mit Beneficien, Lehengütern ; die Bischöfe wurden ange-
sehen als Vasallen, Dienstmannen des Königs. Gerne stützten sich die Könige
auf sie gegenüber den unruhigen weltlichen Vasallen. Nach altem Gebrauch
wurde der Bischof gewählt von einigen benachbarten Bischöfen, von den
Geistlichen der betreffenden Kirche, mit Gutheissung des Volkes und unter
Bestätigung des Königs. Unter den Merovingern traten die Stimmen der
Geistlichkeit und des Volkes in den Hintergrund gegen die Entscheidungen
der Könige, deren Wort den Ausschlag gab, mehr als in irgend einem an-
deren germanischen Reiche ^). Mehr und mehr kam im fränkischen Reiche
der Gebrauch auf, dass die Bischöfe allein durch den König gewählt wur-
den. Besonders Karl Martell (717 — 741) liess es sich zu Schulden kommen,
die ihm ergebensten Offiziere mit den einträglichsten kirchlichen Aemtern,
Bisthümern und Abteien zu versehen.
Die kirchlichen Güter waren tributpflichtig, und die darauf ange-
siedelten Leute zum Kriegsdienste verpflichtet. Im Jahr 571 haben wir
das erste Beispiel von Bischöfen, welche in den Krieg zogen. Die alten
kirchlichen Synoden durften sich nur mit Erlaubniss des Königs versammeln, die
Beschlüsse derselben unterlagen der königlichen Sanction und wurden durch
den König veröffentlicht. Auf den Reichstagen wurden auch kirchliche An-
gelegenheiten behandelt und beschäftigten bisweilen ausschliesshch die Ver-
sammlung (Spwdus regia, synodale concilhm, mallus regius, Campus
Martins). Da nun die Reichstage von Rechtswegen auch von den Bischöfen
besucht wurden, so hörten die altkirchUchen Synoden auf. Die Bischöfe
genossen übrigens im Allgemeinen grosses Ansehen, besonders bei denWest-
gothen; sie übten die Aufsicht über die gesammte Gerichtsbarkeit und hatten
das Recht, ungerechte Richter zu tadeln. Die Excommunication , die sie
bisweilen verhängten, brachte auch bürgerliche Nachtheile mit sich. Die
Bischöfe hatten volle Gewalt über die ihnen untergeordneten Kleriker und
gingen öfter auf höchst brutale Weise mit ihnen um; denn es waren meistens
ehemalige Leibeigene; den Freien war der Eintritt in den geistlichen Stand
1) Loebell S. 337.
4ÖÖ Öritte Periode des alten Katholicisraus.
sehr erschwert. Der König galt als Richter der Bischöfe. Daher Gregor
von Tours zu König Chilperich sagte: ,^wenn einer von uns vom Wege der
Gerechtigkeit abgewichen ist, so kann er durch dich, o König, eines besseren
belehrt werden. Wenn aber du abweichst, wer ^vird dich zu rügen wagen?"
In diesen Verhältnissen konnte der römische Bischof keine positive
Intervention ausüben. Er war umgeben mit einem gewissen Nimbus als
Inhaber des Stuhles Petri. Aber sein Einfluss wechselte nach den Umstän-
den, nach dem Belieben der welthchen Herrscher. In der Geschichte der
Merovinger gibt es ein einziges Beispiel von päbstlicher Einmischung. Zwei
Bischöfe, Salonius von Embrun und Sagittarius von Gap, waren wegen ge-
waltthätiger Handlungen, eigentlich Mordthaten, vom zweiten Concil in Lyon
567 abgesetzt worden. Sie baten König Guntram, der ihnen gewogen war,
ihnen Empfehlungsbriefe an Pabst Johann III. zu geben ; mit diesen versehen
wanderten sie nach Rom und wussten den Pabst durch lügenhaften Bericht
zu gewinnen; er setzte sie wieder in ihre Aemter ein und König Guntram
setzte es durch ^). Es war ein anerkanntes Recht des Pabstes, dass er über
die Aufrechthaltung der Kanones zu wachen habe und dass bei deren Ver-
letzung an ihn appellirt werden dürfe. Aber die Art, wie er in der erwähn-
ten Angelegenheit dieses Recht ausübte, war wenig geeignet, sein Ansehen
zu erhöhen. Einige Zeit vorher war es geschehen (557), dass Childebert I.
dem Pabste Pelagius L, auf den wegen der Verwerfung der drei Capitel der
Verdacht der Ketzerei gefallen war, zumuthete, sich über seine Orthodoxie
gegen ihn auszuweisen, wozu Pelagius, weil er des Königs bedurfte, sich
verstand, indem er sich darauf berief, dass selbst der Pabst nach der Schrift
den Königen unterthan sein müsse ^). Es kam die Zeit, wo die arianischen
Longobarden den Bestand der kathohschen Ivirche in Italien bedrohten. Von
dieser Zeit an suchte Rom bei den fränkischen Herrschern Schutz gegen die
Longobarden. Gregor suchte auch zu diesem Zwecke Verbindung mit Frank-
reich, und knüpfte sie -geschickt an, durch Geschenke und ReUquien. Aber
im siebenten Jahrhundert finden wir ein einziges Beispiel eines Briefwechsels
mit Rom. Bischof Amandus von Mastricht meldete dem Pabste, dass er
abdanken wolle, weil er seine Kleriker nicht mehr zügeln könne. Obwohl
der Pabst davon abrieth, beharrte Amandus bei seinem Entschlüsse.
Anders gestalteten sich die Verhältnisse in der kathohschen Kirche
Spaniens. Unter dem Drucke der Eroberer, der arianischen Westgothen,
zeigte diese Kirche grosse Devotion gegen Rom, ebenso die Westgothen
selbst, seitdem sie unter König Reccared zur kathohschen Kirche überge-
treten. Damals war die unter den Arianern heiTschende Priesterehe durch
das dritte Concil von Toledo vom Jahr 589 abgeschalTt worden und die
Folge davon wachsende Unsittlichkeit des Klerus gewesen. König W i t i z a
(701 — 710), um diesem Uebel abzuhelfen, brach die Verbindung mit Rom
ab, erklärte die römischen Decretalen, welche den Cöhbat geboten, für nicht
verbindlich und verbot alle Appellationen nach Rom. Doch hatte diese
Emancipation keine weiteren Folgen, da einige Jahre hernach (711) die
1) Greg. Tut. 5, 21.
2) Regibus, quibus nos etiam subditoa esse s. scriptarae praecipiunt.
Innere Verhältnisse der katholischen Kirche. 493
Araber Spanien eroberten. Der Name des Königs Witiza aber wurde seit
dem neunten Jahrhundert in den Chroniken Gegenstand arger Verläumdungen,
als ob er unter der Geisthchkeit die Unzucht befördert hätte.
Was den geistig -sittlichen Zustand der Geisthchkeit, besonders im
Frankenreiche betrifft, so müssen wir vor allem mehrere Generationen oder
Schichten derselben unterscheiden. Zuerst begegnet uns eine Generation
römisch - gallischer Bischöfe, von wissenschaftlicher Bildung und von reinen
und strengen Sitten im Ganzen. Auf dem Concil von Orleans 511 bemerkt
man unter zweiunddreissig anwesenden Bischöfen zwei germanische Namen.
Auf dem Concile ebendaselbst vom Jahr 549 kommen auf achtundsechzig
anwesende Bischöfe acht germanisch-keltische Namen i). Gewiss suchten die
Provincialen ein solches Verhältniss mit Eifer zu erhalten. Mehrere dieser
Bischöfe leisteten kräftigen Widerstand gegen die Bedrückungen der Kirche
durch fränkische Grosse. Unter diesen Geistlichen und Bischöfen ragt hervor
als Schriftsteller und Bischof der bereits angeführte Gregor, Bischof von
Tours, geboren c. 540, im Schoosse einer senatorischen Famihe der Stadt
Arverna (dem heutigen Clermont - Ferrand). Die Famihe gehörte zu den
angesehensten der Romanen GaUiens, mit den vornehmsten Häusern ver-
schwägert. Der Knabe wurde nach dem Tode des Vaters von der Mutter
zum Dienste der Kirche bestimmt und von seinem Oheim Gallus, Bischof
von Arvema und dessen Nachfolger Avitus unterrichtet, von diesem zum
Diaconus geweiht. Der Ruf seiner Gaben und vorzüghchen Eigenschaften
bewirkte, dass, als der bischöfliche Sitz in Tours erledigt wurde. Aller Augen
sich auf den , auch von den Königen geschätzten Mann warfen und dass
Geistlichkeit, Adel und Volk einstimmig ihn zum Bischof wählten (573). Er
weigerte sich zuerst, die Wahl anzunehmen; der König Sigibert nöthigte
ihn dazu. Er erwies sich als ein treuer Hirte seiner Gemeinde und ver-
stand es auch mit weltlicher Klugheit ihre weltlichen Interessen zu vertre-
ten. Sein Einfluss erstreckte sich weit über seinen Sprengel hinaus. Tours,
die Stadt des heiligen Martin, war damals das rehgiöse Centrum Galüens.
Unter König Chilperich kämpfte er muthig für die Kirche gegen die Ueber-
griffe einer tyrannischen Staatsgewalt. Unter König Childebert wurde er in
den wichtigsten Staatsangelegenheiten dessen Berather und Beistand. Allge-
mein verehit starb er 594. Unter seinen zwanzig Schriften nimmt die
historia Francorum die erste Stelle ein. Ueber diese Schrift sprechen
sich Loebell und Ebert a. a. 0. weitläufig aus. Mit Recht wird bemerkt,
dass dieses Werk der Gattung der Memoiren angehört, dass die Geschichte
in lauter Einzelgeschichten sich auflöst, die nicht innerlich verknüpft
sind, doch wird die Darstellung fesselnd durch den Reiz des Individuellen.
Uebrigens ist für Gregor die Geschichte nur eine Geschichte des Reiches
Gottes, sagt Ebert. ,Die Kirche ist so zu sagen der Exponent der Welt-
geschichte. Nur insofern das Geschehene sich auf sie bezieht, hat es histo-
rische Bedeutung.^ - Wie sehr aber der politische Gesichtspunkt den
religiös -kirchlichen beeinflusst, haben wir bereits gezeigt. Dazu kommen
1) Rettberg 1, 288.
494 Dritte Periode des alten Katholicismus.
geistliche Schriften, Leben und Wunder der Heiligen, insbesondere die Schrift
de miraculis S. Marti7ii, des grossen gallischen Heiligen, von welchem Chlo-
dowich sagte: „wie können wir hoffen zu siegen, wenn der heilige Martinus
beleidigt wird?" Auf diesem Gebiete zeigt sich Gregor in seiner ganzen
Schwäche und Blosse, in der grössten Abhängigkeit von dem in Aber- und
Wunderglauben versunkenen Christenthum seiner Zeit. Bisweilen wird es
schwer zu glauben, dass er selbst dem Glauben beimisst, was er seinen Le-
sern auftischt, z. B. dass in einem Brunnen in Bethlehem noch immer der
Stern der Weisen zu sehen sei, wie ihm sein Diaconus, der es selbst ge-
sehen, mitgetheilt habe. Was aber die Wunder der Heiligen betrifft, so
gibt der Verfasser am Ende des Buches c. 50 über die Wunder des heiligen
Julian das Motiv davon an: der Leser solle sich durch diese Wunder über-
zeugen, dass er nur durch die Hülfe der Märtyrer und übrigen Freunde
Gottes selig werden könne ^).
Es folgte von dem Ende des sechsten Jahrhunderts an eine Gene-
ration von fränkisch -gennanischen Bischöfen, an wissenschaftlicher Bildung
der früheren Generation nachstehend, so dass sie in ihre Sprache gewaltige
Barbarismen aufnahmen, die übrigens schon bei der früheren Geistlichkeit
zum Theil vorkommen, aber an Tüchtigkeit der Gesinnung steht diese Ge-
neration der früheren nicht nach. Unter ihnen zeigt sich viel Hang zum
beschaulichen Leben. Manche ziehen sich am Abend ihres Lebens in ein
Kloster zurück 2). Es kam eine neue Generation von Bischöfen unter Karl
Martell, als der rohe Soldatengeist sich der kirchlichen Aemter bemächtigte.
Den Cölibat der Priester hielt das germanische Abendland fest in der Form,
die Pabst Siricius 385 angeordnet hatte, wonach den niederen Graden, ein-
schliesslich des Subdiaconus, die Ehe sollte gestattet sein, aber nur als
erste Ehe und mit einer Jungfrau. Leo L dehnte 446 den Cölibat auch auf
die Subdiakonen, aber nicht für Gallien aus. Die gallischen Synoden des
sechsten Jahrhunderts nahmen diese Gesetze so an, dass die Subdiakonen
bald zum Cöhbat verpflichtet wurden, bald nicht. Es gab aber sehr viele
Beispiele von verheiratheten Geistlichen, es gab presbyterae, diaconissae und
subdiaconissae ; es gab verheirathete Bischöfe 3). Es war unmöglich , den
Cölibat streng aufrecht zu halten, hinwiederum mehrten sich in Folge des
Cöhbats die Fleischessünden der Kleriker, — daneben Trunkenheit und
Habgier.
Eine sehr wichtige Stellung nahmen die Klöster ein als Kolonisations-
heerde. Diesseits des Rheins sind sie volksthümlicher als jenseits, weil an
sie die Einführung des Christenthums in der umliegenden Gegend sich
1) Ergo bis miraculis lector intendens intelligat, non aliter nisi martyrum reliqno-
ramqne amicorum Dei adjutoriis se posse salvari. Ego autem Domini misericordiam per
beati martyris Juliani patrocinia deprecor, ut advocatus in causis alumni proprii, coram
Domino assistens obtineat, ut absque impedimento maculae ullius hujus vitae cursum
peragam, atque illa, quae confessus sum in baptismo irreprehensibiliter teneam, fideliter
exerceam atque visibiliter usque ad consummationem hujus vitae custodiam.
2) Rettberg 1, 300.
3) Rettberg 2, 650 ff.
Innere Verhältnisse der katholischen Kirche. 495
knüpft. Sie sind die ersten Sitze der Missionen. Daher suchen sie sich
der Vormundschaft der Bischöfe zu entziehen, von denen sie öfter zu leiden
haben; sie leben fast in bestäucUgem Streit mit ihnen. Ein Abt von St.
Gallen wurde im Streit mit dem Bischof von Constanz zum Märtyrer. In
manchen Klöstern, vor allem in St. Gallen wurde die Regel Columban's ein-
geführt; in einigen wurden zwei Regeln vorgeschrieben, die Columban's und
die Benedicts ; diese empfahl sich durch grössere Bestimmtheit und durch
grössere Milde in den Verordnungen, die Nahrung und die ganze Behandlung
der Mönche betreffend. Aber die Regel Benedict's wurde in dieser Periode
noch verhältnissmässig selten eingeführt, in St. Gallen erst unter Abt Othmar,
auf die Empfehlung des fränkischen Majordomus Pipin. Es war die blühende
Zeit für das Mönchthum, indem es mehr und mehr als der Weg, zu christ-
licher Vollkommenheit zu gelangen, angesehen wurde; daher Könige und
Königinnen, Fürsten und Fürstinnen in das Kloster gingen, durchaus nicht
blos englische (Schroekh, Kirchengeschichte 20, 10).
Der sittliche Zustand der germanischen Völker, besonders der Franken
und Burgunder war seit ihrer Ansiedelung auf dem Boden des westlichen
Europa sehr gesunken. Insonderheit ist die fränkische Fürstengeschichte
ein Gewebe von Treulosigkeiten und Mordthaten, eine kaum unterbrochene
Kette von Lastern und Tyrannei, von Unthaten blutdürstiger Grausamkeit
und Rachgier, die die Merovinger, gleich den Pelopiden in der Volkssage,
gegen einander selbst üben. Bei dem Lesen dieser Frevelthaten im Ge-
schichtswerke des Gregor von Tours fragt man sich entsetzt, was aus jener
Sittenreinheit geworden, welche die Römer an den Germanen einst so hoch
gerühmt hatten. Das Beispiel der Könige wirkte ansteckend auf die Grossen
des Reiches, selbst auf die Geistlichkeit, wie wir denn gesehen, dass Gregor
von Tours leichten Herzens die Greuelthaten Chlodowich's entschuldigt.
Seitdem begingen selbst Geistliche auf Befehl der merovingischen Herrscher
Schandthaten. Die schreckliche Fredegunde, Gemahhn des Königs Chilperich
zu Soissons, liess sich das zu Schulden kommen i) und sagte noch beruhigend
zu den gegen Sigbert ausgesandten Mördern: Wenn sie in der Ausführung
des ihnen gegebenen Auftrages unterliegen sollten, so werde sie, die Kö-
nigin, für sie viele Almosen an heiligen Orten austheilen lassen. Die Ueber-
tragung des altgermanischen Wehrgeldes auf das kirchliche Gebiet wirkte
auch entsittlichend, indem so die kirchlichen Strafen in Geschenke an Kirchen
und Klöster verwandelt wurden: ein bequemes Mittel, um die Kirche zu
bereichem, zugleich um die Laien durch Vermeidung empfindlicherer Strafen
anzuziehen. Dass, wo solche Gesinnung sich kund gab, auch noch eigent-
liches Heidenthum, so streng es auch von oben verboten war, sich wenig-
stens sporadisch erhielt, darüber kann man sich nicht wundern. Gregor
von Tours (8, 15) berichtet, dass er zu Trier ein Bild der Diana gefunden,
welches das unwissende Volk anbetete. So erhielt sich auch heidnischer
Aberglaube, wogegen die Synoden noch oft ankämpfen mussten. Grimm m
seiner deutschen Mythologie führt lange Verzeichnisse von abergläubischen,
dem Heidenthum entlehnten Meinungen und Gebräuchen an.
1) Gregor von Tours 1, 20. 8, 29.
496 Dritte Periode dos alten Katliolicismus.
Wie sehr in diesen Verhältnissen das Christenthum als Gesetz aufge-
fasst und angewendet wurde, erhellt unter anderen aus einer Predigt des
hochverehrten Bischofs Eligius von Noyon, f 659 ^). Nachdem er zuerst an
das jüngste Gericht, an die Glaubenswahrheiten und auch an die Pflicht,
christhche Werke zu verrichten, erinnert hat, fährt er also fort: „Derjenige
also ist ein guter Christ, der nicht an die Amulete {phyladerid) , die Er-
findungen des Teufels, glaubt, die Füsse seiner Gäste wäscht, sie liebt als
seine Verwandten, unter die Armen Almosen austheilt, oft in die Kirche
geht, die Oblationen darbringt, von den Früchten der Erde nichts kostet,
ehe er einen Theil davon geopfert; der nicht falsche Münze und ein dop-
peltes Mass gebraucht , nicht auf Wucher leiht , keusch lebt und seine
Söhne ermahnt , keusch und gottesfürchtig zu leben , der das apostolische
Symbol und das Unser Vater auswendig lernt und beides seinen Kindern
einprägt. Wer diess Alles thut, der ist fürwahr ein guter Christ. Ihr habt
gehört, meine Brüder, welclie die guten Christen sind. So gebt euch Mühe,
dass der Name Christi nicht leer in euch bleibe. Denkt immer über die
göttlichen Gebote nach und erfüllt sie. Erkaufet eure Seelen von den Stra-
fen, so lange ihr die Mittel dazu habt. Gebt Almosen nach eurem Ver-
mögen, habt Frieden und Liebe unter einander, flieht die Lüge, verabscheut
den Meineid, sagt kein falsches Zeugniss, begeht keinen Diebstahl, bringt
die Oblationen und Zehnten, beschenket nach Vermögen die heiligen Orte
mit Kerzen, behaltet im Gedächtniss das apostolische Symbol und das Vater
Unser. Kommt oft in die Kirche, bewerbet euch demüthig um die Fürbitte
der Heiligen. Heiliget den Tag des Herrn mit Unterlassen der Handarbeit.
Liebet eure Nächsten wie euch selbst. Wenn ihr alles dieses erfüllt habt,
könnt ihr einst in aller Sicherheit vor Gottes Richterstuhl treten und ihm
sagen: ;,HeiT, gib uns, denn wir haben gegeben, erbarme dich über uns,
denn wir haben uns des Nächsten erbarmet. Wir haben gethan, was du
befohlen hast. Gib uns jetzt, was du versprochen hast.'^ Hier zeigt sich
dieselbe Werkgerechtigkeit, die Luther bekämpfte, als er gegen Tetzel den
Satz behauptete, dass man nicht durch Beiträge zum Bau der Peterskirche
in Rom sich von den Strafen der Sünde loskaufen könne.
Schluss.
\ Das ist also das Endresultat des alten Katholicismus , zum deutlichen
Beweise, wie sehr man irre gehen würde, wenn man die Vereinigung der
christlichen Confessionen auf Grund des alten Katholicismus, dessen Ent-
wicklung wir seit dem Abschlüsse des apostohschen Zeitalters verfolgt ha-
ben, bewerkstelligen wollte. Was wir am Ende der ersten Periode des
alten Katholicismus (S. 220) bemerkten, betreifend Gesetz, Priester-
thum und Opfer, worin sich die Reaction der jüdischen und heidnischen
Religionssphäre auf das Christenthum vollzieht, das hat sich seitdem bis in
die ersten Jahrzehnte des achten Jahrhunderts in stets wachsenden Dimen-
sionen entwickelt. Was am Anfange des vierten Jahrhunderts erst keimartig
1) Bei Gieseler 1, 2. 451.
ScMusa. 497
und sporadisch vorhanden war, ist seitdem zur herrschenden Macht in der
Kirche geworden. Die Menschheit ist im Bereiche der kathoHschen Kirche
wieder unter das Gesetz gethan, wozu nothwendig Priesterthum und Opfer
gehören. Es ist hinzugekommen der Cultus der Heiügen, der Glaube an
die durch die Heiligen verrichteten Wunder, und die von den Vorstehern
der Kirche eifrig vertretene und den Gläubigen stark eingeprägte Ueber-
zeugung, dass sie nur durch Hülfe der Märtyrer und übrigen Freunde Gottes
seüg werden können. Daher die hagiographische Literatur sich schon ziem-
lich ausdehnt und, was wichtiger ist, die Wunder der Heiügen sich erstaun-
lich vermehren, so dass dem einzigen Martin von Tours, der freilich der
Hauptheros auf diesem Gebiete ist, mehrere hundert Wunderthaten zuge-
schrieben werden. Der Zauberkreis, in welchen so das rehgiöse Bewusst-
sein eingehüllt wird, kommt der Kirche zu gute, befestigt und erhöht ihre
Autorität uud ihre Wii'kung auf die Gemüther der Völker. Im Cultus
der Heiligen vollendet sich das gesetzliche Wesen dieses altkathoHschen
Christenthums. Der von Gott bestellte Mittler tritt im Bewusstsein des
Volkes sein Amt ab an die rein menschlichen Vermittler und zieht sich
zurück in das Dunkel der immanenten Trinität. Er tritt, kann man auch
sagen, sein Amt ab an die Priester, die das Messopfer darbringen und durch
die Furcht vor den Qualen des Fegefeuers die Gemüther zu beherrschen
anfangen.
Ungeachtet der Entstellungen, die das altkatholische Christenthum
aufweist, behielt es einen Theil seiner rehgiös- sittlich erneuernden Kraft,
deren Erweisungen und Wirkungen, so wie wir sie in der Gesetzgebung des
römischen Reiches verfolgen können , so auch neben viel Rohheit und sitt-
licher Verderbuiss im Leben der christHchen Völker sich zeigen. Denn es
ist mit dem Evangelium das Princip einer sittlich -religiösen Erneuerung in
die Völker gelegt, das zwar oft hintangesetzt und wie überfluthet wird vom
Strom des Verderbens, aber doch immer wieder unerwartet sich geltend
macht. IJeberhaupt müssen wir als Protestanten uns hüten, dass wir nicht
völlige Negation des Christenthums und somit auch seiner Wirkungen da
vermuthen, wo es sich in anderen Formen bewegt, als welche wir gewohnt
sind und wir mit Recht als dem richtig - verstandenen Evangelium allein
entsprechend erachten. Es findet hier die früher gemachte Bemerkung ihre
erweiterte Anwendung, dass die Christen in ihrem Inneren Grösseres be-
sitzen, als was ihnen gegeben wird, begrifflich nicht nur, sondern auch m
den Formen ihres religiösen Lebens auszudrücken.
Doch ist die Arbeit der Kirche in Betreff der Dogmenbildung und der
theologischen Wissenschaften in der ersten und zweiten Periode des alten
Katholicismus von überwiegender Intensität und Bedeutung gewesen und
selbst in der dritten Periode durchaus nicht ganz bei Seite gelassen worden.
Die vorzüghchsten Kirchenlehrer, die freilich den früheren Perioden des
alten Katholicismus angehören, sind mit dem Namen Kirchenvater ge-
schmückt worden, weil sie das Dogma, d. h. die begriffliche Fassung der
Glaubenswahrheit geschaffen haben. Diese dogmatische Arbeit ist zwar mit
vielen Gebrechen behaftet. Es fehlt einiges daran, dass Athanasius die
Alternative überwunden: der Logos entweder Gott von Art, aber ohne eigene
Herzog, Kirchengeschichte I.
49d Dritte Periode des alten Eatholicismus.
Hypostase oder eine besondere Hypostase, aber ohne Gottheit. Es fehlt
einiges daran, dass er die hypostatische Selbständigkeit des Logos, die Gott-
heit desselben und den Monotheismus befriedigend miteinander vereinigt
hätte. Ebenso sind die chalcedonensischen Beschlüsse von Seiten ihrer Be-
gründung, sowie diejenigen, welche gegen die monophysitische und mono-
theletische Lehre gerichtet sind, sehr ungenügend, — nicht zu reden von so
manchen Irithümern oder absonderlichen Gedanken, die in Behandlung anderer
Glaubenspunkte zum Vorschein kamen, die aber damals weniger Anstoss
gaben, als das jetzt der Fall ist. Das bleibt aber fest stehen, die Kirche
hat mit redlichem, unermüdlichem Eifer Jahrhunderte lang gekämpft und
gestritten, um die wesentlichen Bedingungen ihres Lebens und ihrer Wirk-
samkeit, den wesentlichen Inhalt des Glaubens an Christum, die wahre
Gottheit Christi und die wahre Menschheit Christi festzustellen, und sie hat
in dieser Beziehung Grosses geleistet. Sie hat auch redlich sich bemüht,
die richtigen Anschauungen über die menschliche Natur, die richtigen Be-
griffe, betreffend das Verhältniss des Menschen zu Christo aufzustellen, so
dass die That Christi am Menschen nicht entweder als unmöglich oder als
unnöthig erscheinen sollte. Ueberhaupt müssen die Resultate der Dogmen-
bildung nicht allein aus dem Gesichtspunkt dessen, was sie Mangelhaftes an
sich haben, betrachtet und beurtheilt werden, sondern wir müssen sie haupt-
sächhch im Verhältniss zu ihrer Zeit und dem dazu gehörigen Bildungsstande
betrachten, und das Gute und Haltbare, was darin zu Tage gefördert ist,
unterscheiden von dem Unhaltbaren. Wir dürfen auch nicht ausser Acht
lassen, dass in einer Zeit, wo die furchtbarsten Unglücksfälle nicht nur die
Mittel, sondern auch die Lust zu wissenschaftlichen Studien ertödteten oder
lähmten, christliche Geistliche oder fromme Laien (Cassiodor) es waren,
welche sich die Aufgabe stellten und an deren Lösung unverdrossen arbei-
teten, die Schätze der alten Literatur und Wissenschaft zu retten, den
Sinn für wissenschaftliche Bildung und Studien zu pflanzen und zu pflegen.
Ohne die katholische Kirche wäre, das kann man ohne alle Uebertreibung
sagen, in den Stürmen der Völkerwanderung die gesammte bisherige Cultur
vernichtet worden. So kann man auch sagen, dass unsere neuere theolo-
gische Bildung zum Theil auf der patristischen Theologie ruht, so sehr die
Mängel dieser Theologie im protestantischen Kreise sind anerkannt worden.
Selbst unsere Philosophie hat von den Kirchenvätern, den griechischen und
lateinischen, sehr wohlthätige Anregung erhalten. Zunächst aber ruht dar-
auf die Theologie und Philosophie des Mittelalters.
Bei alledem sehen wir in der katholischen Kirche, die einst die Chri-
sten mit Macht zusammengehalten hatte, einen grossen Riss sich vorbereiten,
der mit der Bildung des römischen Katholicismus zusammenhängt. Mit dem
Aufkommen der allgemeinen Kirche hatten die Zeiten des alten Katholicismus
begonnen. Mit der Aussicht auf völlige Zerreissung der allgemeinen Kirche
in zwei getrennte Hälften schliessen sich die Zeiten des alten Katholicismus
ab. Wir haben die Entwicklung der Autorität des römischen Bischofs, der
römischen Kirche verfolgt von der Zeit des Clemens von Rom an, als er
im Namen der römischen Kirche an die korinthische Kirche, ohne alle Auf-
forderung von Seiten dieser letzteren, ein ernstes Mahnschreiben richtete,
Schluss.
499
wie es scheint, von der Voraussetzung ausgehend, dass der römischen Kirche
eine Art Oberaufsicht über die anderen Kirchen rechtmässig zukomme. Wir
haben seitdem die Autorität Roms stufenweise wachsen gesehen; wenn wir
keineswegs verschwiegen haben, dass sich Menschliches in das Aufstreben der
römischen Kirche gemischt hat, so haben wir zugleich die Verdienste derselben
um die Kirche überhaupt dargelegt, ohne welche Verdienste die Macht, welche
Rom erwarb und ausübte, ganz und gar unerklärlich wäre. Die Mischung
von christlichem Geiste und Streben einerseits und von hoffärtig hierarchischem
Geiste und Treiben andererseits, welcher Geist übrigens auf Seite der griechisch-
morgenländischen Kirche auch nicht fehlt, auf der einen Seite gemein-
nütziges, auf der anderen selbstsüchtiges Handeln, einestheils Fürsorge für
das Wohl der Kirche, die keine Arbeit, keine Mühen, keine Gefahren, kein
Leiden scheut, und damit verbundenes eifriges, unablässiges Bestreben, das
Wachsthum der Hausmacht zu befördern (wenn dieser Ausdruck erlaubt ist),
ein Streben, welches ohne Scheu die kathohsche Einheit zerreisst, um sich
die Oberhand zu sichern, dazu kommend jene Mischung von Wahrheit und
Irrthum, die nun einmal der Menschheit auf verschiedenartigen Stufen der
Bildung so sehr zusagt, das ist das Geheimniss der Grösse Roms, welches
letztere wir in den folgenden Zeiten, in den Zeiten des römischen Katholi-
cismus noch ungeheuer wachsen, die höchste Stufe seiner Macht erreichen,
aber auch abnehmen, und die Reformation des sechszehnten Jahrhunderts
vorbereiten sehen werden.
32
Nachträge.
Es herrscht gegenwärtig eine grosse Thätigkeit auf dem Gebiete der
ältesten Kirchengeschichte. Was von den Früchten dieser Thätigkeit zu
unserer Kenntniss gelangte, haben wir benützt oder wo wir nicht mehr Zeit
dazu hatten, bloss eingetragen; denn einiges Neue ist während des Druckes
erschienen und haben wir es noch während des Druckes benützen können ; so
z. ß. die Abhandlung von ScTiultze über die Christologie des Origines, die
Abhandlung von Professor Weingarten über den Ursprung des Mönchthums.
Was die nachträglichen Angaben betrifft, so verweisen wir zunächst
auf die kritische Uebersicht über die kirchengeschichtlichen Arbeiten aus dem
Jahr 1875. I. Geschichte der Kirche bis zum Concil von Nicaea von D. A.
Harnack — in der Zeitschrift für Kirchengeschichte . . herausgegeben von
D. Theodor Brieger. Gotha 1876. 1. Bd. I.Heft.
Im Einzelnen führen wir an patrum apostolicorum opera, herausgegeben
von Oscar de Gebhardt, Adolf Harnack, Theodor Zahn, erstes
Fascikel: die Epistel des Barnabas, die Episteln des Clemens Romanus.
Papiae quae supersimt Presbyterorum reliquiae ab Irenaeo servatae. Die
Epistel an Diognet 1876. Das Ganze nach den besten Ausgaben, mit kri-
tischem und historischem Commentar versehen, das zweite Fascikel enthal-
tend Ignatii et Polycarpi epistolae, martyria fragmenta ist vor Kurzem
erschienen.
Besondere Beachtung verdient die neue Ausgabe des Clemens Romanus,
die vollständige Ausgabe der beiden Briefe desselben von Bryennios,
Metropolit in Serrae in Macedonien, in Constantinopel herausgekommen.
S. das neue Leipziger Literaturblatt von Schürer. 19. Februar 1876. Nr. 4.
Anzeige von A. Harnack. Die römische Gemeinde, die, wohl zu bemerken,
dem grösseren Theile nach aus Nicht -Römern besteht, führt in den neuen
Stücken c. 59 — 63 gegen die korinthische Gemeinde eine Sprache, worin
sich der römische Herrschergeist ankündigt. Sie fordert Gehorsam von der
korinthischen Gemeinde, an die sie ohne alle Aufforderung von ihr, rein von
sich aus, das Mahnschreiben richtet.
Was den zweiten unächten Brief betrifft, so liegt er in dieser neuen
Ausgabe zum ersten Male vollständig vor, und es ergibt sich daraus, dass
es kein Brief, sondern eine Homilie ist.
Neuerdings ist auch Arnobius neu herausgegeben worden als Vol. IV
des corpus scriptorum eccles. lat. Wien 1875.
Dazu kommt eine Arbeit von Weif fenbach, über das Papiasfragment
bei Euseb Kirchengeschichte 3, 39. Giessen 1874, von Hilgenfeld, eine
Abhandlung: Papias von Hierapolis in der Zeitschrift für wissenschafthche
Theologie. 1875.
In dem äusserst reichhaltigen dritten Universitätsprogramm von Gaspari
über die Quellen zur Geschichte des Taufsymbols und der Glaubensregel;
finden sich sehr werthvolle Angaben über den Gebrauch der griechischen
Sprache bei dem Gottesdienste in der lateinischen Kirche, — über Hip-
polytus.
Nachträge. kq<
Ferner nennen wir Lipsius, die Quellen der ältesten Ketzerge-
schichte. 1875. Anzeige von A. Harnack in der Leipziger Literaturzeitung
von Schürer. 1676. Nr. 4.
Ron seh, Studien zur Itala in der Zeitschrift für wissenschaftüche
Theologie. 1875.
Die Abhandlung von A. Harnack, Beiträge zur Geschichte der marcio-
nitischen Kirchen in der Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie. 1876.
Es wäre wohl noch einiges nachzutragen, doch wir beschränken uns
auf das vorstehende, woraus der geehrte Leser schon ersehen mag, dass
wir gesucht haben, einigermassen Schritt zu halten mit der kirchlichen Ge-
schichtsforschung in der Gegenwart.
Zu Seite 186. 187, wo von den Katakomben die Rede ist, sei mir ein
Nachtrag gestattet. Am 10. April 1668 erliess die Congregation der Riten
und Reliquien ein Decret, bestätigt von Clemens IX., folgenden Inhalts:
„die Palme und das Gefäss, das mit dem Blut der Märtyrer gefüllt ist, sollen
für sichere Zeichen gelten, dass das Grab, bei dem man jene Dinge gefunden,
eines Märtyrers Grab sei.^^ Allein, wie im Texte gesagt ist, die Palme ist
ein allgemein christliches Symbol nach Apokal. 7, 9, was auch Benedict XIV.
anerkannte. Das rothgefärbte Gefäss oder die Phiole enthielt den Abend-
mahlswein, der selbst den Kindern bei der Taufe eingegossen wurde, nach
einem im dritten Jahrhundert im Abendlande aufgekommenen Gebrauche
oder vielmehr Missbrauche, — mit Beziehung auf die falsch verstandene
Stelle Joh. 6, 53. Es sind aber ein Fünftel der KindergTäber mit solchen
Phiolen versehen. Obwohl es feststeht nach Euseb 8, 9, dass in der diocle-
tianischen Verfolgung Kinder den Märtyrertod starben, so lässt sich keines-
wegs annehmen, dass ihre Zahl so überaus gross war. Ein belgischer Jesuit,
P. Victor de Bück hat das Verdienst, diesen Irrthum widerlegt zu haben,
worauf Pius IX. am 10. December 1863 ein Decret erliess, es solle das an-
geführte Decret des Jahres 1668 seine Geltung behalten.
Noch will ich anführen, dass aus den Zeiten des Pabstes Damasus
(366—384) das erste Beispiel einer Heiligenanrufung vorkommt, in einer In-
schrift des Pabstes Damasus auf dem Grabe der heihgen Agnes: TJt Damast
precibtcs, precor, faveas, inclita martyr. Dass in einigen Inschriften die Ueber-
lebenden sich in die Gebete der vorangegangenen Angehörigen empfehlen,
ist nichts specifisch - katholisches , ebensowenig das receptus ad Deum in den
Inschriften einiger Gräber, welche Worte ja eine förmUche Negation des
Fegefeuers enthalten.
Zu Seite 149 ist nachzutragen Flügel, Mani und seine Lehre 1862.
Zu Seite 301 über die Nestorianer als Kirchenpartei S. den Artikel
von P et ermann in der Realencyklopädie.
<^.»o^ <5t»
Druckfehler.
Seite 20 Zeile 7 von oben lies: 3 statt 8.
„ 32 „ 18 von unten lies: Bedeutung statt Beachtung.
„38 „10 von oben lies nach Apostel: ausser von Petrus.
„46 „19 von unten lies: la Bastie statt la Baslie.
„ 88 „ 8 „ „ lies: Gewässer statt Geniessen,
„ 121 „ 21 „ „ lies: den Gehalt statt die Gestalt.
„ 121 „ 1 von unten lies xotvatg statt xatuati.
„ 126 „ 1 „ „ lies: Thascius statt Therseires.
„128 „ 14 von unten lies: bei uns statt von uns.
„151 „ 10 von oben lies: sie allein statt die älteren.
„ 161 „ 16 „ „ lies: jenem statt seinem.
„ 229 „ 20 „ „ lies: ein Vetter statt eines Vetters.
„ ibid. „ 20 „ „ lies: Constantius statt Constantiii.
„ 277 „ 2 „ „ lies: an Serapion statt gegen Serapion.
„ 337 „ 8 „ „ streiche: im Anfang.
„ 375 „ 6 von unten lies: Augusti statt Augustin.
„ 390 „ 4 „ „ lies: ypa^^ar« statt 7H)ay^axa.
Berichtigung. Seite 46 Zeile 17 von oben: Afra starb als Opfer der diocletia-
nischen Verfolgung.
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