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PURCHASED FROMTHE INCOME OF THE
SAMUEL WHEELER WYMAN
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AUGENHEILKUNDE
UND
OPHTHALMOSKOPIE.
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AERZTE UND STUDLRENDE
BEARBEITET
VON
Dp, HERMAM SCHMIDT-ßIMPLEß,
ordentl. Professor der Augenheilkunde,
(^eh. Medicinalrath und Director der ophthalmiatrisclien Klinik zu Halle a. S.
SIEBENTE VERBESSERTE AUFLAGE.
MIT 190 ABBILDUNGEN IN HOLZSCHNITT UND ZWEI FARBENDRUCKTAFELN.
LEIPZIG,
VERLAG VON S. HIRZEL.
1901.
/£7)t/(.
Alle Rechte, auch das der Uebersetzung in fremde .Sprachen, vorbehalten.
Druck von August Pries in Leipzig
Vorwort.
Das vorliegen Je Buch verfolgt in erster Linie didaktische Zwecke:
es soll die moderne Augenheilkunde in einer Form bieten, welche die
Aneignung ihres stofflichen Inhalts erleichtert. Dazu war vor Allem
eine scharfe, auch äusserlich hervortretende Trennung der einzelnen Ab-
teilungen und Unterabtheilungen, sowie eine allmählich fortschreitende,
möglichst wenig voraussetzende Darstellung erforderlich. So erklärt
sich auch die Aufnahme der zum Yerständniss nothwendigen optischen
und anatomisch-physiologischen Thatsachen. Besonders wichtig erschien
mir dies bei dem Kapitel der Refractions- und Accommodationsanomalien,
dessen Beherrschung ohne diese Vorkenntnisse unmöglich ist. Da ich
aus Erfahrung den weitverbreiteten — - es lässt sich schwer feststellen,
ob angeborenen oder anerzogenen — Widerwillen der Mediciner gegen
Mathematik kenne, habe ich letztere auf eine so homöopathische Dosis
beschränkt, dass selbst der rechnen- und formelscheueste Studirende sie
ohne nachtheilige Wirkung vertragen kann. Das Behalten von >= — (~t,
was für die Praxis ungefähr ausreicht, dürfte weder zu körperlicher
noch geistiger Ueberbürdung Anlass geben. Aber gerade die Kenntniss
der Brechungsanomalien wird in der ärztlichen Wirksamkeit eine her-
vorragende Verwendung finden, wenn man endlich von der leidigen
Gewohnheit abkommt, die Patienten zum Zweck der Brillenwahl einfach
zum Optiker zu schicken: es ist das etwa ebenso, als wenn man dem
Apotheker die Behandlung seiner Kranken anvertrauen wollte. Eine
besondere Bedeutung haben die Refractionsuntersuchungen — neben
den Seh- und Farbenblindheitsbesrimmungen — noch für die Hygieniker
und Militärärzte : ich habe deshalb auch auf deren specielle Bedürfnisse
an betreffender Stelle Rücksicht genommen. — Weiter ist der Ophthal-
moskopie eine eingehendere Schilderung gewidmet und das Dahin-
IV Vorwort.
gehörige auch loeal zusammengestellt worden, um den Studirenden einen
einigermaassen abgeschlossenen Leitfaden zur Benutzung bei ophthal-
moskopischen Cursen innerhalb des Rahmens der Gesammtaugenheil-
kunde zu bieten. Hingegen ist die Operationslehre, soweit sie für den
Gebrauch des Praktikers weniger in Betracht kommt, nur in ihren
Hauptzügen dargestellt: das hier Gewonnene ist der sonstigen Therapie
zu Gute gekommen.
Dass ich übrigens nicht nur „nach berühmten Mustern" gearbeitet
habe und neben der kritischen Sichtung des Ueberlieferten mancherlei
Eigenes in Form und Inhalt bringe, wird der fachkundige Leser bald
erkennen.
Marburg, im Oetober 1884.
H. Schmidt -Rimpler.
Zur zweiten Auflage.
Die freundliche Beurtheilung seitens der Fachgenossen sowie der
schnelle Absatz der ersten Auflage haben mir gezeigt, dass die auf das
vorliegende Buch verwandte Arbeit nicht nutzlos gewesen ist. Ich habe
mich auch jetzt bemüht, dasselbe durch Verbesserungen und durch Ein-
fügung der neuesten Fortschritte (so der Anwendung des Cocains, exac-
terer Methodik der Lichtsinn-Messungen u. s. w.) auf der Höhe der Zeit
zu halten. Eine erhebliche Erweiterung hat das alphabetische Register
erfahren, indem die Allgemein-Erkrankungen, soweit sie in dem Werke
Erwähnung gefunden, aufgeführt sind: auf diese Weise wird man eines
besonderen Kapitels über die Beziehungen der Augenaffectionen zu All-
gemeinleiden, das immerhin vielfältige Wiederholungen enthalten würde,
am ehesten entrathen können.
.Marl) arg. den 1. April 1886.
H. Schmidt -Rimpler.
Zur vierten Auflage.
Trotz der kurzen Zeit, welche zwischen dem Erseheinen der dritten
und dieser Auflage verflossen ist, haben sich doch mancherlei Zusätze
und Veränderungen in Folge neuerer wissenschaftlicher Arbeiten als
nöthig erwiesen. Weiter sind an der Farbendrucktafel und an mehreren
Holzschnitten Verbesserungen angebracht und einige Kapitel, wie bei-
spielsweise die operative Technik und die Skiaskopie, etwas ausführlicher
behandelt worden.
Vorwort. y
Somit glaube ich, gestützt auf die bisherige Verbreitung des Buches
und die mehrfachen Uebersetzungen in fremde Sprachen, auch für diese
neue Ausgabe eine wohlwollende Aufnahme erhoffen zu dürfen,
Marburg, den 19. März L889.
H. Schmidt- Itimpler.
Zur fünften Auflage.
Durch das Entgegenkommen des Herrn Verlegers erscheint diese
Auflage in grösserem Format und reicher ausgestattet. Die ophthal-
moskopischen Bilder sind neu gezeichnet und in ihrer Zahl erheblich
vermehrt: ich meine, dass sie jetzt den bestgelungenen farbigen Dar-
stellungen dieser Art zugerechnet werden können. Der Text hat die
letztjährigen Forschungen, soweit ihre Wiedergabe in den Plan dieses
Lehrbuches passte, entsprechend berücksichtigt und ist besonders nach
der pathologisch-anatomischen Seite hin erweitert worden.
Göttingen, Ostern 1891.
H. Schmidt -Rimpler.
Zur siebenten Auflage.
Die vorliegende Auflage ist den Fortschritten der ophthalmologischen
Wissenschaft entsprechend umgearbeitet und erweitert worden; beson-
ders waren es die Ergebnisse der bacteriologischen Untersuchungen,
welche eine eingehendere Berücksichtigung erforderten. In einem neu-
hinzugefügten Anhang habe ich die Verletzungen und die durch sie
bedingte Herabsetzung der Erwerbsfähigkeit im Zusammenhange be-
handelt.
Halle a. S., Ende März 1901.
H. Schmidt -Rimpler.
Inhaltsverzeichniss.
Erster Theil.
Seite
Erstes Kapitel. Allgemeine Bemerkungen über Untersuchung und
Behandlung des Auges 3
A. Untersuchung des Auges 3
B. Behandlung der Augenleiden 11
Zweites Kapitel. Anomalien der Refraction und Accommodation . 24
A. Allgemeiner Theil 24
1. Optische Einleitung 24
2. Physiologische Optik 38
3. Refraction und Accommodation 40
B. Specieller Theil 68
1. Myopie 68
2. Hypermetropie 90
3. Astigmatismus 95
4. Anisometropie 104
5. Presbyopie 106
6. Anomalien der Accommodation 109
I. Accommodationslähmung 109
II. Accommodationskrampf. Abnorme Accommodations-
spannung 113
Drittes Kapitel. Amblyopie und Amaurose 117
1. Oiagnose 118
Centrales Sehen 118
Peripheres Sehen 119
Lichtsinn 124
Farbensinn 126
Daltonismus 127
Phosphene 134
[nhaltsverzeichniss. VlI
Seite
Prognose, Aetiologie und Therapie 134
Besondere Formen der Amblyopie L37
Simulation von Amblyopie und Amaurose L53
Binocularea und körperliches Sehen liil
Blindheit 165
Zweiter Theil.
Erstes Kapitel. Ophthalmoskopie 171
1. Theorie der Augenspiegeluntersuchung 171
2. Verschiedene Formen der Augenspiegel ISO
3. Beleuchtungsquelle , 188
4. Praktische Ausführung der Angenspiegeluntersuchnng 189
5. Focale Beleuchtung 197
6. Refractionshestimmung mittels des Augenspiegels 198
7. Diagnose von Niveaudifferenzen im ophthalmoskopischen Bilde des
Angenhintergrundes 215
Zweites Kapitel. Augenspiegelbefunde am gesunden Auge . . . 217
Anatomie des Opticus, der Retina und Tunica uvea. Entwicklung
des Auges 217
1. Papilla optica 231
2. Retina 236
3. Chorioidea 239
I »rittes Kapitel. Erkrankungen des Sehnerven 243
1. Hyperämie und Anämie des Sehnerven . 243
2. Papillitis (Neuritis optico-intraocularis, Stauungspapille) .... 245
3. Neuroretinitis (Neuritis descendens, Papilloretinitis) 2.")4
4. Genuine Entzündung des Sehnerven 256
5. Atrophia n. optici 259
6. Exeavatio papillae n. optici 2(J3
7. Geschwülste des Sehnerven 268
Viertes Kapitel. Erkrankungen der Netzhaut 269
1. Hyperämie und Anämie der Netzhaut 269
2. Retinitis simplex (Retinitis serosa; 270
3. Retinitis parenchymatosa 275
4. Hämorrhagien der Netzhaut. Retinitis haemorrhagica 280
5. Pigmentdegeneration der Netzhaut (Retinitis pigmentosa; .... 282
6. Retinitis proliferans 286
7. Netzhautablösung (Amotio s. Sublatio retinae; 287
8. Embolie und Thrombose der Art. centralis retinae. Isehaemia retinae 293
'.». Gliorna retinae 296
VIII Inhaltsverzeichniss.
Seite
Fünftes Kapitel. Erkrankungen der Chorioidea 299
1. Hyperaemia chorioideae 299
2. Chorioiditis exsudativa 300
•'!. Staphyloma posticum, Sclerectasia posterior, Conus. Selerotico-Cho-
rioiditis posterior 30i>
I. Blutungen in der Chorioidea. Ablösung der Chorioidea .... 308
5. Ruptur der Chorioidea 305)
6. Tuherculose der Chorioidea 310
7. Chorioidealgeschwülste 311
Sechstes Kapitel. Erkrankungen des Glaskörpers ;il4
Anatomie 314
1. Glaskörpertrübungen 315
2. Hyalitis suppurativa 31!»
3. Fremdkörper und Entozoen im Glaskörper 320
4. Persistenz der Arteria hyaloidea. Glaskörperablösung 327
Dritter Theil.
Erstes Kapitel. A. Glaukom 331
1. Krankheitsbild 331
I. Glaucorna simplex 333
II. Glaucorna inflammatorium 336
III. Secundärglaukom 338
2. Vorkommen und Aetiologie 340
3. Pathologische Anatomie 342
4. Theorie über Pathogenese und Wesen des Glaukoms 343
5. Prognose und Therapie 348
B. Oplitlialmornalacie 355
Zweites Kapitel. Erkrankungen der Linse 357
Anatomie und pathologische Anatomie der Linse 357
1. Cataracta 360
I. Allgemeine Diagnose. Reife 360
II. Partielle, nicht fortschreitende Linsentrübungen 364
III. Totale Linsentrübungen 368
Sehstörungen 370
Aetiologie 372
Therapie 374
Staroperationen 377
Vor- und Nachbehandlung 3SS
IV. Nachstar (Cat. secundaria) 393
2. Aphakie 3!»4
'■'>. Lageanomalien. Formanomalien 396
Inhaltsverzeichniss. |\
Seite
Drittes Kapitel. Erkrankungen der Conjunctiva 399
Anatomie 399
t. Eyperaemia conjunctivae 101
2. Conjunctivitis simples (s. catarrhalis) lol
3. Conjunctivitis eczematosa s. phlyctaenulosa (Conj. scrophulosa;
Conj. exanthematica; Herpes conjunctivae). Frühjahrs-Katarrh . . 107
4. Blennorrhoe. -- Schwellungskatarrh. — Granulationen (Trachom).
— Conj. folliculosa 111
Pathologische Anatomie und allgemeine Diagnose . . . . 11 J
1. Conjunctivitis blennorrhoica 416
Ophthalmia gonorrhoica 425
Ophthalmia neonatorum 425
Conjunctivitis membranacea L's
II. Schwellungskatarrh (epidemischer Katarrh) 428
Ophthalmia exanthematosa 429
III. Trachoma (Conjunctivitis granulosa) 430
Ophthalmia militaris (Aegyptiaca) 438
IV. Affectio folliculosa conjunctivae. Conjunctivitis folliculosa. 438
5. Conjunctivitis diphtheritica 440
G. Pterygiuin (Flügelfell) 444
7. Xerosis conjunctivae '. 447
8. Symblepharon 44S
9. Apoplexia subconjunctivalis (Hyposphagmaj. — Chemosis. — Lymph-
angiektasien 4;">0
10. Syphilis. — Lupus. — Tuberculose. — Amyloid 451
11. Verletzungen der Conjunctiva 452
12. Geschwülste der Conjunctiva 4f>4
Viertes Kapitel. Erkrankungen der Hornhaut 456
Anatomie 456
1. Keratitis 457
I. Umschriebene, nicht-eitrige Hornhautaft'ectionen 458
Einfaches Hornhautinfiltrat 458
Keratitis subepithelialis centralis 461
Keratitis punctata 461
Büschelförmige Keratitis (K. fasciculosaj 461
II. Bläschenbildung auf der Hornhaut 462
Herpes corneae (Keratitis vesiculosaj 462
Keratitis bullosa 464
III. Eitrige Hornhauterkrankungen 464
Umschriebenes eitriges Hornhautfiltrat 464
Hypopyonkeratitis. Ulcus serpens corneae 466
Keratomalacie 472
Keratitis xerotica 472
Keratitis neuroparalytica 474
IV. Diffuse Hornhautinfiltrationen 476
Pannus (Keratitis pannosa; 476
Keratitis parenchymatosa 479
Sclerosirendes Hornhautintiltrat 483
\ lnhaltsverzeichniss.
Seite
V. Hornhautgeschwüre 483
Resorptionsgeschwüre und Reparationsgeschwüre . . . 489
Ulcus rodens 490
Ringförmige Hornhautgeschwüre 490
Keratitis dendritica. Chronische periphere Furchen-Keratitis.
Gitterförmige Keratitis 4*. »1
2. Hornhauttrübungen 491
Bandförmige Hornhauttrübungen 496
Gerontoxon 497
Blutungen in der Hornhaut 497
3. Krümmungsveränderungen 498
I. Narbenstaphyloine 498
II. Nichtnarbige Kerektasien 500
III. Abflachungen der Cornea 502
4. Verletzungen der Cornea 502
5. Geschwülste der Cornea 505
Fünftes Kapitel. Erkrankungen der Sclera^ 506
Anatomie 506
1. Episkleritis und Skleritis 506
2. Ektasien und Stapkylome der Sclera 509
3. Verletzungen der Sclera 510
4. Geschwüre und Geschwülste der Sclera 511
Sechstes Kapitel. Erkrankungen der Iris 512
1. Hyperaemia iridis. 512
2. Iritis 513
I. Symptomatologie 513
II. Verlauf und Ausgänge 517
Iritis simplex seu plastica 520
Iritis serosa (Uveitis) 520
Iritis suppurativa 521
Iritis syphilitica 521
III. Aetiologie 523
IV. Therapie .">24
3. Motilitätsstörungen der Iris 527
4. Verletzungen der Iris 529
5. Pseudoplasmen und Fremdkörper in der Iris und vorderen Kammer 531
6. Angeborene Anomalien 533
7. Operationen an der Iris 534
►Siebentes Kapitel. Erkrankungen des Corp. ciliare. Sympathische
AfFectionen. Eitrige Chorioiditis 539
1. Cyklitis 539
•_'. Sympathische Augenleiden 540
Enucleatio. Exenteratio bulbi 548
Neurectomia optico-ciliaris 550
Einsetzen eines künstlichen Auges. Prothesis ocularis 552
3. Chorioiditis suppurativa. Panophthalmitis 553
Inhaltsverzeichniss. X 1
Vierter Theil.
Seite
Erstes Kapitel. Erkrankungen der Augenmuskeln 5(il
Anatomie 561
A. Allgemeiner Theil 564
Physiologische Wirkung der Augenmuskeln. Schielen .... 564
B. Spezieller Theil 573
1. Lähmungen der Augenmuskeln 57.'!
I. Allgemeine Diagnose 573
11. Spezielle Diagnose 579
III. Verlauf und Ausgang 586
IV. Aetiologie 586
V. Therapie 588
2. Strabismus concomitans (musculäres Schielen) 591
I. Allgemeine Diagnose 591
II. Spezielle Diagnose und Aetiologie 597
III. Verlauf 602
IV. Therapie 603
Schieloperation 604
3. Insufticienz der M. recti interni. Asthenopie 611
4. Augenmuskelkrämpfe. Nystagmus 617
Zweites Kapitel. Erkrankungen der Orbita 619
Anatomie 619
1. Knochenerkrankungen 621
2. Entzündung des Fettzellgewebes. Venenthrombose 621
3. Exophthalmus. Morbus Basedowii. Enophthalmus 625
4. Tumoren der Orbita 630
5. Verletzungen der Orbita 632
6. Angeborene Missbildungen des Auges 633
Drittes Kapitel. Erkrankungen der Augenlider . . . m ... . 635
Anatomie 635
1. Erkrankungen des Lidrandes 637
I. Blepharitis marginalis 637
IL Hordeolum 640
III. Distichiasis und Trichiasis 641
IV. Ankyloblepharon. Blepharophimosis 645
2. Erkrankungen der Lidhaut und des Tarsus 646
I. Chalazion 648
IL Geschwülste 649
3. Stellungsanomalien 650
I. Entropium 650
IL Ectropium 652
III. Blepharospasmus 655
IV. Ptosis. Lagophthalmua 656
4. Angeborene Anomalien 660
X [J [nhaltsverzeichniss.
Seite
Viertes Kapitel. Erkrankungen der Thränenorgane 660
Anatomie 660
1. Erkrankungen der Thränendrüse 662
■2. Erkrankungen der Thränenabführungswege 663
I. Anomalien der Thränenpunkte und Thriinenrührchen . . 663
11. Erkrankungen des Thränenschlauches 664
Dakryocystitis 664
Dakryocysto-Blennorrhoe. Stricturen des Thränennasen-
canals 665
Anhang.
Verletzungen des Augapfels. Verringerung der Enverbsfälngkeit . . 672
Erster Theil.
Allgemeine Bemerkungen
über Untersuchung und Behandlung des Auges.
Anomalien der Refraction und Accommodation.
Amblyopie und Amaurose.
Schmidt -Rimpler. 7. Auflage.
Erstes Kapitel.
Allgemeine Bemerkungen
über
Untersuchung und Behandlung des Auges.
A. Untersuchung des Auges.
Wie die Augenheilkunde dem Kranken die Sehkraft zu erhalten
und zu heben sucht, so bringt sie auch dein, der sich mit ihr als Arzt
beschäftigt, für das eigene Sehvermögen Gewinn: er lernt selbst genau
und schart' sehen. Fast alle Affectionen des Auges diagnosticiren wir
mittels des Gesichtssinnes 5 ein schwachsichtiger Augenarzt würde übel
daran sein. Neben der ausreichenden Intensität undTJebung des Sehens,
sowie der Kemitniss der Krankheitsbilder bedarf es aber auch einer
zweckmässigen Methode der Untersuchimg. Wie man in den Kliniken
für innere Medicin ein hervorragendes Gewicht auf die Aufnahme des
Status praesens legt und in bestimmter Reihenfolge den ganzen Körper
einer Inspection unterzieht, um auf diese Weise jedes Uebersehen und
Unbeachtetlassen zu vermeiden, so muss auch bei der Untersuchung der
Augen eine methodische Reihenfolge inne gehalten werden. Hier wie
dort wird der Erfahrene sich gelegentlich Abweichungen und einzelne
Unterlassungen erlauben können.
Man beginne mit der Frage nach den Beschwerden, welche den
Kranken zum Arzte führen. Gerade bei Augenkrankheiten kami man
leicht in Versuchung kommen, diesen Punkt hintenanzusetzen, da bis-
weilen ein einziger Blick uns über das Leiden unterrichtet; jedenfalls
würde hier ein _Ich weiss schon" öfter berechtigt sein als bei anderen
Kranken. Dessenungeachtet höre man möglichst genau auf die Klagen,
zumal man ja gleichzeitig das kranke Organ einer äusseren Besichtigung
unterziehen kann. Bisweilen betreffen die Beschwerden ganz andere
Dinge, als man auf den ersten Blick meint; ein Patient mit chronischer
Lidentzündimg kommt vielleicht gar nicht dieses Leidens wegen, an das
er sich gewöhnt hat, sondern um sich eine Brille bestimmen zu lassen.
Uebermässiger Weitläufigkeit ist natürlich Einhalt zu thun.
4 Allgemeines über Untersuchung und Behandlung «los Auges.
Am besteD kann man das Auge untersuchen, wenn der Patient sein
Gesicht dem Fenster zuwendet. Zuerst beachte man die Beschaffenheit
der Lidhaut, ol> Röthe, Ekzem oder Oedem vorhanden ist. Weiter
wird man sehen, oh die Lider leicht und frei gehoben werden können,
oder ob das Auge von ihnen ganz oder theilweise bedeckt bleibt.
Ktwaiges Thränen oder das Abfliessen von wässrigem, schleimigem
oder eitrigem Secret, welches in den Lidwinkeln oder an den Cilien
haftet, wird die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Durch leichtes Ab-
ziehen der Lider unterrichtet man sich über das Aussehen des Lidrandes,
ob derselbe scharfkantig und blass oder etwa abgestumpft und geröthet,
oh die Wimpern in entsprechender Zahl vorhanden sind und wie sie
stehen. Nicht selten reiben einzelne Haare gegen den Augapfel, oder
auch der ganze Lidrand ist gegen ihn gekehrt (Entropium). In
anderen Fällen ist die Lidkante vom Bulbus abgewendet und mehr oder
weniger nach aussen gerichtet, so dass selbst noch von der die innere
Fläche des Lides überziehenden Schleimhaut Partien sichtbar sind
(Ektropium).
Besondere Aufmerksamkeit ist auf den Thränenpunkt, speciell den
unteren zu verwenden, der öfter absteht und nicht in den Thränensee
taucht. Auch kann man gleichzeitig durch Druck mit dem Zeigefinger
auf die dem inneren Lidwinkel angrenzende Haut auf eine etwa vor-
handene Ausdehnung und Hypersecretion des Thränensackes fahnden.
Bei stärkerer Absonderung der Thränensackschleimhaut und Verschluss
des Thränennasenkanals entleert sich hierbei aus den Thränenpunkten
Flüssigkeit. —
Alsdann gehe man zur Untersuchung des Augapfels selbst über.
Bisweilen kann das Auge wegen der Schwellung der Lider nicht geöffnet
werden, bisweilen auch wird es ohne solche Schwellung krampfhaft ge-
schlossen gehalten, eine Erscheinung, die bei Kindern nicht selten ist.
Man sei hier vorsichtig mit dem Auseinanderziehen der Lider, besonders
wenn man den Zustand des Auges noch nicht kennt, da bei Gewalt-
anwendung gelegentlich ein etwa bestehendes, ausgedehntes und tief-
greifendes Hornhautgeschwür platzen und selbst die Linse herausspringen
kann. Am wenigsten gefährlich ist in solchen Fällen das Einlegen eines
Desmarres'schenElevateurs (Figur 1) unter das obere Lid. Während
man das Lid etwas hebt und abzieht, lässt man die gekrümmte Messing-
resp. Schildpattfiäche zwischen Lid und Bulbus gleiten und zieht damit
das Lid ganz in die Höhe. Um ein Herausgleiten des Elevateurs zu
verhüten, muss man die coneave Fläche stark gegen den oberen
( h'bitalrand drücken. Bei widerwilligen Kindern fixirt man den Kopf
in nachstellender Weise. Man setzt sich, indem man die Füsse auf eine
Fussbank stellt, dem Wärter, der das Kind auf seinem Schoosse liegend
Untersuchung <les Auges. 5
hält, gegenüber und nimmt nun den Kopf des Kindes zwischen die
Kniee, während, der Wärter die Hände hält und die Füsse mit seinem
Arm an sieb drückt. Auf diese Weise ist ohne besondere Anstrengung
die nöthige Untersuchung ermöglicht, während man bei kleinen Kindern,
die auf dem Arm getragen werden, sonst kaum zum Ziele kommt.
Man betrachte nun die Carunkel und die Conjunctiva
bulbiauf ihre Injection oder Schwellung hin. Von besonderer
diagnostischer Bedeutung bezüglich schwerer entzündlicher
Vorgänge ist hier das Vorhandensein eines die Hornhaut
umgebenden schmalen rothen Gefässsaumes, der aus ziemlich
parallel verlaufenden kleinen Gefässreiserchen besteht (so-
genannte pericorneale oder subconjunctivale Injec-
tion). Sieht man diese, so handelt es sich nie um eine
einfache Entzündung der Conjunctiva. Wenn demnach
die Schleimhaut keine schweren Veränderungen (etwa 1
m i i -r.1 i\i i . Desmarres'-
Iraehom oder .Blennorrhoe) erkennen lasst, so ist ganz ^ scher
besondere Aufmerksamkeit auf die Cornea und Iris zu richten.
Bei der Spiegelung der Cornea können leicht kleine Fremdkörper,
Flecke, Trübungen und Geschwüre unbemerkt bleiben, und man muss
hier sein „Sehen" etwas anstrengen. Wie oft werden nicht kleine
Stückchen Eisen oder Kohlenpartikelchen auf der Hornhaut übersehen I
Bei sehr feinen Veränderungen (hier wie in der vorderen Kammer, auf
der Iris, in der Linse) wird man sich der sogenannten seitlichen
Beleuchtung bedienen müssen, indem man mit einem Convexglase
das Licht auf die zu untersuchenden Stellen concentrirt; das Nähere
über diese wichtige Untersuchungsmethode ist in dem Kapitel Ophthalmo-
skopie zu linden.
Ueber die Krümmung der Cornea giebt das von ihr, die wie ein
Convexspiegel wirkt, entworfene Bild von gegenüber befindliehen Gegen-
ständen gute Auskunft. Wenn der Kranke mit dem Gesicht dem Fenster
zugewendet ist, erkennt man deutlich das verkleinerte Fensterbildchen
imd kann aus einer etwaigen Unregelmässigkeit oder Verzogenheit des
selben auf Krümmungsanomahen der Hornhaut schliessen. Ein schärferes
Bildchen erhält man durch Benutzung des Keratoskops (Placido)
(Figur 2). Dasselbe besteht der Hauptsache nach aus einer weissen
Papp- oder Hetallscheibe, auf der schwarze Ringe — wie bei den
Schiessscheiben — concentrisch gezeichnet sind. Diese Scheibe hält man
dem Auge des mit dem Bücken dem Fenster zugekehrten Kranken in
einiger Entfernung und möglichst parallel der Irisfläche gegenüber und
sieht nun durch das im Centrum derselben angebrachte Loch auf der Cornea
die gespiegelten Kreise, wobei etwaige Verzerrungen, durch unregehnässige
Reflexion der Hornhaut hervorgebracht, leicht zu erkennen sind.
q Allgemeines über Untersuchung und Behandlung des Auges.
Nach der Cornea beachtet man die vordere Kammer, ihre Tiefe,
d. h. die Entfernung zwischen Iris-Linse einerseits und Cornea anderer-
seits, ob der Humor aqueus durchsichtig, ob getrübt,
ob Blut (Hyphaema) oder Eiter (Hypopyon) in ihm
nachweisbar ist. Bei der Iris berücksichtigen wir die
Farbe, besonders im Arergieich mit dem gesunden Auge,
ihre Lage, den Glanz und die Structur des Gewebes.
Weiter, ob die Pupille bei Liehteinfall sich gut con-
tra kirt, ob sie regelmässig rund oder eckig (etwa durch
Verwachsungen mit der Linsenkapsel: hintere Syn-
echien) ist; ob eine abnorme Weite (Mydriasis)
oder abnorme Enge (Miosis) besteht. Eine weite
Keratoskop. Pupille bei starker Entzündung des Auges kommt fast
nur beim grünen Star (Glaukom) vor; natürlich muss
man vorher ausgeschlossen haben, dass nicht etwa durch arzneiliche
Mittel (z. B. Atropin) die Erweiterung veranlasst wurde. Das Pupillar-
gebiet ist in der Norm schwarz; bei Auflagerungen auf der Linsenkapsel,
bei Trübungen in der Linse selbst (Cataracta) zeigt sich in ihm eine
graue, weisse oder gelblich-bräunliche Färbung, die Pupille theils ganz,
theils an umschriebenen Stellen deckend. Um die Lage der Linse sowie
etwaige peripher sitzende Trübungen genau zu erkennen, bedarf es oft
der künstlichen Pupillenerweiterung.
In dieser Reihenfolge würde sich die äussere objective Untersuchung
des Auges bis jetzt abgespielt haben. Wenn man die einzelnen Theile
in ihrer Zusammengehörigkeit hintereinander betrachten wollte, so hätte
der Untersuchung der Conjunctiva bulbi die der Conj. palpebralis —
also des die Lider auskleidenden Theils der Schleimhaut — und die der
Uebergangsfalte der Conj. palpebralis in die Conj. bulbi seu sclerae folgen
müssen. Man thut aber gut, dies bis nach Absehluss der eben er-
wähnten Besichtigung zu lassen, da die Patienten durch die mit der
Untersuchung der Conj. palpebralis verknüpfte Unbequemlichkeit und
Schmerzhaftigkeit leicht ängstlich und kopfscheu werden, auch die Augen
sieh röthen und thränen; ■ — davon ganz abgesehen, dass man bei
grossen tiefdringenden Geschwüren der Cornea, bei Irisvorfall und ähn-
lichen Erkrankungen nur mit grösster Sorgfalt und Schonung die Lider
umkehren wird, um jeden Druck auf den Augapfel zu vermeiden.
Schlimmsten Falls muss man hier sogar vorläufig von der Betrachtung
der Lidschleimhaut, besonders der des oberen Lides, dessen Umkehrung
am schwierigsten ist, abstehen.
Das untere Lid lässt sich in der Pegel sehr leicht ektropioniren.
Man lieisst den Patienten das Auge nach oben wenden, legt Zeige- und
Mittelfinger an die Lidhaut, dich! unter dem Lidrande, und zieht sie
Untersuchung dos Auges. 7
nach unten, bis sich die Scjbleimhaut nach aussen wendet und so bis
zum Bulbus hin zu übersehen ist. Beim Ektropioniren des oberen
Lides lässt man den Kranken zuerst scharf nach unten blicken, was
für ilas Gelingen des Manövers von grösster Wichtigkeit ist. Dann
hebt man mit dem dicht unter dem Orbitalrand auf die Lidhaut ge-
setzten Daumen der linken Hand, nach oben ziehend, das Lid und da-
mit die Lidkante vom Augapfel etwas ab, sodass man diese zwischen
Daumen und Zeigefinger der rechten Hand nehmen kann. Nunmehr
zieht man das an der Lidkante — nicht an den Wimpern — gefasste
Lid etwas nach unten und dreht es, indem man jetzt mit denrZeige-
finger der linken Hand oder einem Federhalter die Lidhaut dicht unter
dem Orbitalrande etwas nach hinten drückt, auf diesem Hypomochlion
um, wobei die Lidkante gegen den oberen Orbitalrand geführt wird.
Es wird so der Palpebraltheil der Schleimhaut sichtbar. Um aber den
Uebergangstheil zum Bulbus zu sehen, bedarf es öfter noch einer etwas
fortgesetzten Hebung und Rückwärtswendung der Lidkante, indem
immer von neuem der Patient angehalten wird, seine Augen scharf nach
unten zu richten. Auch nützt hier ein gleichzeitiges leichtes Abziehen
des unteren Lides. Widerstrebende Patienten, die mit dem Kopf be-
ständig zurückgehen, müssen so gesetzt werden, dass entweder der
Kopf gehalten werden kann oder sich hinten an Stuhl oder Wand an-
lehnt. Mit einiger Uebung wird man in der Regel zum Ziele kommen;
aber diese Uebung muss man sich in der That erwerben, um einmal
dem Patienten nicht wehe zu thun, der aus einem ungeschickten Vor-
gehen sofort Misstrauen gegen den Arzt schöpft, und andererseits diese
Lntcrsuchimg nicht etwa im Bewusstsein eigener Impotenz zu unter-
lassen. An der ektropionirten Schleimhaut ist auf Injection, etwaige
Unebenheiten, Einlagerungen oder Fremdkörper zu achten.
Nach dieser äusseren Besichtigung betaste man den Augapfel, um
seine Spannung festzustellen. Da die Umhüllungshäute des Auges als
elastische Membranen einen flüssigen Inhalt umschliessen, wird, wie bei
einer mit Wasser gefüllten Gummiblase, die Spannung eine verschiedene
sein, je nach dem Verhältniss zwischen Inhalt und Weite der Hülle.
Wenn der Inhalt zunimmt, wird die Hülle stärker gespannt wTerden;
das Auge wird beim Betasten härter sein. Dasselbe wird eintreten,
wemi bei gleichbleibendem Lihalt die Weite der Kapsel sich verringert.
Ist hingegen die Umhüllung im Verhältniss zum Inhalt weit oder ist
letzterer relativ gering, so fühlt sich das Auge weich an. Wir werden
demnach durch diese Untersuchung einen Anhalt gewinnen zur Ab-
schätzung des Druckes, der im Innern des Auges herrscht und von
innen her auf den Wandungen lastet. Man spricht daher ebenso wie von
der Spannung des Auges (Tension) auch von der Höhe des intra-
8 Allgemeines über Untersuchung und Behandlung des Auges.
oculareu Druckes. .Fe härter das Auge, je höher ist Spannung
und intraocularer Druck. Eine abnorme Härte ist als Hypertonie, eine
abnorme Weichheit als Hypotonie (Nagel) bezeichnet worden. Man
prüft die Spannung so, dass man das Auge schliessen lässt und dann,
die Zeigefinger auf das obere Lid innen und aussen aufsetzend, mit
den Fingerspitzen sanft und abwechselnd drückt. Auch kann man
den Bulbus direct mit der auf die Sclera gelegten Fingerspitze betasten.
AVeiter hat man besondere Instrumente (Tonometer) zu diesem Zweck
angegeben (cf. Glaukom).
Bei der äusseren Besichtigung achte man ferner darauf, ob etwa
eine ungewöhnliche Prominenz des Bulbus besteht (Exophthalmus)
oder ein tiefes Zurücksinken (Enophthalmus).
Ehe man zur inneren Untersuchung mittels des Augenspiegels oder
schiefer Beleuchtung schreitet, thut man meist gut, die Brechung des
Auges (Refraction) und die 8 eh schärfe festzustellen, für jedes Auge
allein. Beide Bestimmungen werden in der Regel vereinigt, indem man
als Objecte für die mittels Brillengläser vorzunehmende Refractions-
bestimmung Tafeln wählt, welche Buchstaben oder Zahlen enthalten,
bei denen, wie z. B. bei den Snellen'schen und Schweigger'sehen,
gleichzeitig die Entfernung angegeben ist, in der ein normales Auge
sie erkennen muss. Es ergiebt sich hieraus dann sofort, in welchem
Verhältniss die Sehschärfe (S. oder V[isus]) des Patienten zu der nor-
malen steht.
Um das Accommodationsvermögen kennen zu lernen, bestimmt
man alsdann den Nahepunkt des Auges (Punctum proximum).
Da es aber nicht genügt, nur die centrale Sehschärfe zu eruiren,
sondern es nötig ist, sich auch über das Sehvermögen der peripher ge-
legenen Netzhautpartien zu unterrichten, so bedarf es der Feststellung
des Gesichtsfeldes, d. h. des excentrisch gelegenen Gebietes, in dem
bei festgehaltener centraler Fixation eines Punktes noch gesehen werden
kann. Natürlich ist in diesem peripheren Gebiete nicht dieselbe Schürfe
des Unterscheidungsvermögens vorhanden wie in dem centralen. Am
einfachsten lässt sich die Untersuchung so anstellen, dass man dem
Kranken angiebt, das ihm gerade gegenüber befindliebe Auge des
Arztes und zwar die Pupille desselben zu fixiren. Wenn die Entfernung
zwischen Hxirtem und fixirendem Auge etwa 30 cm beträgt, so bewegt
nunmehr der Arzt in einer, senkrecht auf der Mitte der 30 ein langen
Verbindungslinie beider Augen gelegenen Ebene seine Hand von der
Peripherie her zur Mitte hin. Sobald der Kranke angiebt, die Hand
zu sehen, hat man die Grenze seines peripheren Gesichtsfeldes erreicht.
Ob dieselbe der normalen entspricht, controlirt man mit dem eigenen
Auge, da bei der erwähnten Versuchsanordnung der Arzt — natürlich
Untersuchung des; Auges. y
bei Verschluss dos anderen Auges - in demselben Moment wie der
Kranke (bei gleicher normalen Ausdehnung des ( Gesichtsfeldes) die heran-
kommende Hand schon muss. Erkennt der Kranke die Hand erst
später, so hat er eine Gesichtsleideinengung (G esichtsfelddefect), die
Je nach der Lage, als nach oben, unten u. s. w. befindlich bezeichnet
wird. Man beachte, dass der Patient bei diesen Pnifungen nicht direet
das Auge auf die sieh nähernde Hand wendet, sondern stets die cen-
trale Fixation auf das Auge des Arztes beibehält.
Neben eigentlichen Defecten des peripheren Gesichtsfeldes oder
innerhalb des Gesichtsfeldes selbst (Scotome) finden sich auch patho-
logische Herabsetzungen des Sehvermögens: der Kranke sieht etwa noch
die Hand, kann aber einen kleinen Gegenstand nicht mehr erkennen.
Zu genauen Bestimmungen des Gesichtsfeldes und excentrischen Sehens
bedienen wir uns besonderer Instrumente (Perimeter) (cf. Amblyopie
und Amaurose).
An diese Prüfungen sehliessen sich die des Farbensinns und
des Lichtsinns an. Bezüglich des letzteren sei hier nur erwähnt,
dass Krankheiten des Auges vorkommen, bei denen durch Herabsetzung
der Beleuchtung die bei Jedem naturgemäss sinkende Sehschärfe in
abnormem und ungewöhnlich hohem Grade verringert wird.
Nachdem in dieser Weise jedes Auge einzeln untersucht worden,
wird das Zusammenwirken beider Augen in Bezug auf ge-
naue Einstellung auf den fixirten Gegenstand, auf Beweglichkeit und
binoculares Sehen bestimmt (cf. Erkrankungen der Augenmuskeln ). —
Bei erheblichen Entzimdungsersckeinungen darf" man, um das Auge
durch die Anstrengung nicht zu schädigen, die eben erwähnten Unter-
suchungen nicht zu sehr ausdehnen und muss sich eventuell auch mit
etwas weniger genauen Resultaten begnügen, ja einzelne Prüfungen,
wenn sie zur Beurtheilung des Falles nicht direet nöthig sind, ganz
unterlassen. Ist die Exactheit der Untersuchung nur mit einer Schädi-
gung des Kranken zu erreichen, so wird dem gewissenhaften Arzt, dem
der leidende Mitmensch in dem „Krankenmaterial0 nicht ganz ver-
schwindet, die Wahl nicht schwer fallen. Dieselben Erwägungen sind
leitend, wenn wir zur ophthalmoskopischen Untersuchung schreiten.
Während ein flüchtiger Einblick selbst bei stark entzündeten Augen kaum
Schaden bringt, so ist eine längere Abbiendung hier durchaus zu vermeiden.
Bei der Untersuchung mit dem Augenspiegel (Ophthalmoskop)
werfe man zuerst einfach das Licht in das Auge und lasse dabei Be-
wegungen des Auges machen; bald nach aussen, nach oben, nach innen
und unten blicken. Hierbei wird man bei Trübungen in der Cornea,
der Linse oder dem Glaskörper dunklere Schatten auf dem roth reflec-
tirenden Augenhintergrunde auftreten sehen. Zur genauen Bestimmung
10 Allgemeines über Untersuchung und Behandlung des Auges.
der Lage derselben bedürfen wir oft der seitlichen Beleuchtung, bei der
wir etwaige Trübungen der brechenden Medien bis in die Linse und die
ihr nächstliegenden Grlaskörperpartien hinein direct erkennen. Alsdann
untersuche man mit dem Ophthalmoskop unter Vorhalten einer Convex-
linse den Augenhintergrund im umgekehrten Bilde (cf. Ophthalmoskopie):
zuerst den Sehnerveneintritt ( Papilla optica), dann Macula lutea und die
übrigen Partien. Da die Vergrösserung im umgekehrten Bilde, wie es
durch die vorgehaltene Convexlinse vom Augenhintergrunde entworfen
wird, geringer ist als die im aufrechten Bilde, bei der man den Augen-
hintergrund einfach durch die wie eine Lupe wirkenden Augenmedien
betrachtet, so thut man gut, der schnelleren Uebersicht wegen erstere
Untersuchungsmethode der anderen voranzuschicken. Schliesslich wird
auch noch mit dem Augenspiegel die Refraction objectiv zu bestimmen sein.
Bei dieser methodischen Untersuchung des Auges und seiner Func-
tionen kann man nicht leicht in Gefahr kommen, Wichtiges zu über-
sehen. Ist das Krankhafte und die Krankheit erkannt, so wird zu er-
forschen sein, ob und wie weit eine Verbindung des Augenleidens mit
besonderen Schädlichkeiten oder mit Anomalien der Gesammtconstitution
nachweisbar ist. Hier wird die allgemein-ärztliche Bildung zur Geltung
kommen: ohne diese Grundlage kann in vielen Fällen von einer glück-
lichen und angemessenen Behandlung auch des Augenleidens nicht die
Rede sein. Hoffentlich schwindet trotz des überwuchernden Specialisten-
thums einmal die Zeit, wo das Publikum noch fragen kann, ob der
„Augenarzt" auch „Arzt" sei! Häufig genug giebt sogar die Augen-
affection direct Anlass zur Erkennung oder richtigen Auffassung ander-
weitiger Erkrankungen. Ich erinnere nur an den Zusammenhang von
Neuralgien mit Refractionsanomalien, an die Bedeutung der Sehnerven-
und Augenmuskelerkrankungen für Hirn- und Nervenleiden und an die
nicht seltenen Fälle, wo die Kranken wegen Abnahme der Sehschärfe
zum Arzt kommen und die Untersuchung eine Entzündung der Netz-
haut als Folge eines Nierenleidens, oder Accommodationsschwäche,
Schwachsichtigkeit und Star in Folge von Zuckerfuhr ergiebt. Tuberkel
der Chorioidea oder Blutungen in der Netzhaut können gelegentlich
bei der Diagnose der Miliartuberkulose oder von septicämischen Pro-
cessen ausschlaggebend sein.
Wie einerseits jeder Augenarzt ausreichende Kenntnisse der übrigen
Zweige der Medicin besitzen muss, so kann andererseits der praktische
Arzt nur bei einer gewissen Uebung im Erkennen der Augenkrank-
heiten eine auf der Höhe der Wissenschaft stellende Diagnose auch
über Erkrankungen innerer I Irgane stellen.
Behandlung der Augenleiden. \i
B. Behandlung der Augenleiden.
Die Augenkrankheiten erfordern, abgesehen von dem Verhalten,
das für jeden Kranken geboten ist, noeh einige besondere Vorschriften.
Vor allem ist jede Anstrengung der Augen zu vermeiden; bei inten-
siveren Entzündungsprocessen des eigentlichen Augapfels muss auf ge-
naueres Sehen, wie es etwa zum Lesen oder Schreiben erforderlich,
überhaupt verziehtet werden. Hier ist in der Regel schon der blosse
Liehteintall schädlich und lässt man deshalb die Patienten in Räumensich
aufhalten, die durch Vorhänge der Fenster mittels schwarzer oder blauer
Baumwollenstoffe verdunkelt sind. Eine absolute Finsterniss ist nur aus-
nahmsweise erforderlich. Gut wird es sein, wenn das Zimmer nicht
dem directen Sonnenlicht ausgesetzt ist. Auch bezüglich des Liehtein-
talls durch die Thür sind Vorsichtsmassregeln erforderlich. Immer aber
sorge man. dass durch das Abhalten des Lichts nicht auch ein Absperren
von Luft erfolgt. Die Luft muss möglichst rein sein; Aufenthalt in
staubigen oder mit Tabaksdampf erfüllten Räumen ist bei allen entzünd-
lichen Augenkrankheiten zu vermeiden. In schwereren Entzündungs-
fällen ebenso wie nach Operationen hält man die Kranken ganz oder
den grössten Theil des Tages über im Bett.
Ist die Verdunkelung des Zimmers nur massig, oder will man den
Kranken bei leichteren Entzündungsformen ausgehen lassen, so schützt
man das erkrankte Auge noch besonders durch Vorhängen einer Klappe
von Leinewand oder schwarzer Seide, die an einem um Stirn und Kopf
gehenden schmalen Bande befestigt ist. Kann ein gewisser Gebrauch
des Auges gestattet werden, so muss wenigstens ein blendender und
übermässiger Lichteinfall durch das Tragen von Augenschirmen, Schleiern
oder besser von Schutzbrillen, welche gleichzeitig Wind und Staub
abhalten, verhindert werden.
Zu letzteren nimmt man plangeschliffene runde oder muschelförmig
gekrümmte ovale Gläser von blauer oder grauer Färbung. Die ge-
krümmten Gläser schliessen sich der Augenhöhle besser an, wirken aber
etwas zerstreuend auf die Lichtstrahlen wie sehwache Concavgläser und
eignen sich daher besonders für kurzsichtige Patienten. Die Nuance
der Farbe sei nicht zu dunkel; in der Regel genügt Nr. 111 bei der
meist üblichen Bezeichnung von I bis Vi 11, wo I ganz schwach blau
oder schwach grau ist. Die blauen Gläser vermindern nicht nur die
Lichtintensität, sondern schliessen auch die rothen Lichtstrahlen zum
Theil aus und scheinen hierdurch sogar bei einzelnen Affectionen direct
als Therapeuticum zu wirken (Böhm). Dass übrigens auch die grauen
Rauch- oder Smoke-Gläser nicht gleichmässig die verschiedenfarbigen
[2 Allgemeines über l'ntersuchung und Behandlung des Auges.
Strahlen schwächen, erkennt man leicht, wenn man durch mehrere der-
selben oder durch sehr dunkle sieht. Die Gegenstände erhalten bald
einen leicht-gelblichen, bald bläulich-violetten oder anderen Farbenton.
Bei manchen Augenleiden ist es von Wichtigkeit, auch die seitlich
durch die Sclera eintretenden Strahlen abzuhalten; man kann sich hier
nussschalenförmiger Brillen (z. B. der von mir angegebenen Peripherie-
Schutzbrillen) bedienen. Die Entwöhnung von diesen Schutzglasern muss
nach Heilung der Krankheit möglichst bald, aber allmählich erfolgen,
in der Weise, dass sie zuerst im Zimmer oder im Dämmerlicht abge-
lassen, aber Abends bei Lampenlicht und auf der Strasse noch getragen
werden.
Zum vollständigen Verschluss des kranken oder operirten Auges bedient,
man sich eines Druckverbandes oder eines einfachen Schutzverbandes.
Ersterer wirkt zugleich immobilisirend auf das Auge und beeintlusst bei stärkerer
Druckwirkung die Circulation desselben : nach «mehrtägiger Anwendung kann man
in der Kegel eine deutliche' Tensionsabnahme constatiren. Beim Druckverband
legt man zuerst auf das geschlossene Auge ein ovales Stückchen Mull oder Lein-
wand, das die Lider vollständig deckt. Darüber kommen kleine Wattebäuschchen
zur Ausfüllung des zwischen Stirnrand, Nasenrücken und Wange über dem Auge
befindlichen Hohlraums. Durch öfteres Auflegen der flachen Hand überzeugt man
sich von der gleichmässigen, auf keiner Stelle hervorragenden oder drückenden
Ausfüllung. Tritt der Augapfel stark hervor', so wird besonders die ihn um-
schliessende rinnenförmige Höhlung ausgepolstert, um jeden directen Druck von
ihm abzuhalten. Statt des einfachen Mulls — das verwandte Material muss sterilisirt
sein — kann man auch ein Stückchen Borlints, die glatte Fläche dem Auge zu-
gekehrt, oder eine in Sublimatlösung (1:5000) oder Aqua chlor! getauchte 3Iull-
compresse verwenden. Bei alten, decrepiden Leuten meide man feuchte Verbände,
da sie die Haut etwas reizen und bei längerem Liegen selbst Gangrän hervor-
rufen können.
Ueber diesen Verband legt man mittels einer G — 7 m langen und circa (i cm
breiten Binde von gutem Mull oder von appretirter Gaze ( — letztere lässt ange-
feuchtet die Touren zusammenkleben und ist daher bei unruhigen Kindern be-
sonders nützlich — ) einen Monoculus an, indem man von dem gleichseitigen Unter-
kieferwinkel beginnend schräg über das Auge zur entgegengesetzten Stirnseite
geht, dann eine ganze ( ürkeltour, dicht über den Obren, um Hinterkopf und Stirn
macht, und nun die Binde weiter führend, vom Hinterkopf unter das Öhr der
kranken Seite herabgeht und so, auf den ersten Bindengang stossend, oberhalb
desselben den zweiten, steiler gelegten über das Auge führt. Dieser Gang läuft
im übrigen wie der erste'; ihm folgt ein dritter, der nach oben liegt. Man thut
gut, eine Reihe ähnlicher Touren, die schräg gehen und das gleichseitige Ohr
bedecken, hinzuzufügen. Nach grösseren Operationen kann man auch durch ein paar
Bindengänge das mit Watte bedeckte gesunde Auge schliessen, um es gegen Licht
zu schützen und Bewegungen zu verhindern. Anfang und Lüde werden mit
Stecknadeln befestigt; ebenso verschiedene Stellen der Cirkeltouren, besonders die
hinteren, welche Neigung haben nach oben zu gleiten. —
Der einfache Schutzverband wird in verschiedener Weise ausgeführt. So
kann man auf die oben beschriebene Auspolsterung eine festhaltende Bandage
Behandlung der Augenleiden. 13
Legen, die aus einem etwa 14 cm langen, in der .Mitte 6 cm breiten eiförmigen
Flanellstreifen besteht, an dessen beiden Enden schmale Bänder genäht sind, von
denen eines über die entgegengesetzte Stirnhälfte, das andere unter das gleich-
seitige Ohr zum Hinterkopfe geführt wird, um alsdann zusammengeknüpft zu
werden. Oder man schneidet sieh ein entsprechend grosses Oval von amerikani-
schem Kautschuckpflaster, das die Polsterung deck! und mit seinen Rändern an
der stirn-. Nasen- und Wangenhaut anklebt; um die Verdunstung nicht zu hindern,
macht man einige Löcher hinein. Diesen Verband wende ich besonders bei ganz
jungen Kindern an. bei denen die Binden sich leicht verschieben, wenn man nicht
durch Benutzung- einer Kleisterbinde ihnen einen festen Schluss giebt. Das Ab-
reissen des Verbandes mit den Händen kann man vermeiden, wenn man den
Kindern über die Arme längere Pappröhren zieht, die eine Biegung im Ellenbogen-
gelenk bindern.
Neuerdings werden nach Operationen Gitter v e rbä n d e vielfach benutzt. Die
Gitter sind von Draht, gewölbt und uhrglasförmig, und werden mit Bändern, die
um den Kopf gehen, befestigt. An Stelle des etwas schweren Gitters von Fuchs
benutze ich ein von feinerem Draht gearbeitetes in der Art, wie es Schwarz
anwendet. Um gleichzeitig bei Auspolsterung' der Augenhöhle einen Druck aus-
üben zu können, habe ich mir auch glatte Drahtgitter machen lassen. Venu man
das Lieht abhalten will, ohne die Augen mit Mull und Watte zu bedecken, so kannman
dieselben mit schwarzer Seide oder Taffet überziehen. Im Ganzen sind die Gitter
für die Patienten bequemer als die Bindenverbände, auch kann man sie leichter
abnehmen, um nach dem Auge zu sehen. Da bei vielen Operationen ein Druck-
verltand zur Fixirung des Auges nicht nöthig ist, so bilden sie einen ausreichen-
den Ersatz für ihn. Manche Operateure schliessen nach der Operation das Auge
nicht, selbst nicht einmal durch Auflegen eines Mullläppchens oder Pflasters, son-
dern schützen es nur durch das Gitter gegen etwaige Verletzungen (Czermak).
leb halte es für vorsichtiger, wenigstens in den ersten 24 Stunden oder bis zur
Herstellung der vordem Kammer das Auge durch die oben erwähnte Auspolsterung,
die sich auch unter dem uhrglasf orangen Gitter machen lässt, zu schliessen; auch
das andere Auge wird durch einen Pflasterstreifen verklebt. Einen wirklichen
Pruekverband lege ich auf das Augenlid stets an, wenn filaskörperverlust einge-
treten ist. bei glaucomatischen Processen (wegen seiner Wirkung auf Herabsetzung
des intraocularen Druckes) und bei unruhigen Patienten. Als besonderen Nach-
theil des Druckverbandes hat man angeführt, dass sich darunter, wie experimentell
erwiesen (Marthen, Bach) die Zahl der Bacterien mehrt. Die Erfahrung lehrt
jedoch, dass auch unter Druckverbänden fast nie eine Suppuration eintritt, wenn
nicht ein absonderndes Thränensackleiden besteht. Dass aber der Lidschlag an und
für sich nicht im Stande ist, die Infection durch Thränensaeksecret zu verhüten,
lehrt uns die Entstehung der Ulcera serpentia corneae nach kleinen Ver-
letzungen.
Vor einer vollständig offenen Wundbehandlung nach Staroperationen — ohne
Anwendung von Schutzgittern — , wie sie von Hjort und Andern geübt wird,
möchte ich doch warnen, da durch unwillkürliches Gegenstossen leicht Wund-
sprengungen, selbst noch nach 6 Tagen, erfolgen und deletäre Vorgänge dadurch
eingeleitet werden können.
Von localen Mitteln, die bei Augenkrankheiten besonders
zur Verwendung kommen, mögen nachstehende hier hervorgehoben
"werden.
14
Allgemeines über Untersuchung und Behandlung des Auges.
1!
Blutentziehungen. Trotz mancher theoretischer Gegengründe, die
übrigens durch Weil's* experimentelle Untersuchung- hinfällig geworden,
zeigt die Praxis unzweifelhaft den Werth localer Blut-
entziehung in geeigneten Fällen. Man benutzt bei
äusseren Affectionen in der Regel natürliche Blut-
egel, die bei Erwachsenen zu zwei bis vier in die
Schläfengegend gesetzt werden. Man meide das
langweilige Nachblutenlassen und mehre lieber die
Zahl der Egel. Ein Ansetzen an die Lider ist durch-
aus verwerflich, da leicht Sugillationen und An-
schwellung in dem schlaffen Gewebe auftreten; auch
sind Fälle bekannt, wo der Blutegel den Augapfel
selbst angesaugt hat. Für innere Augenentzündungen
(Glaskörpertrübungen, Chorioideal- und Netzhaut-
affectionen) scheint erfahrungsgemäss die Blutent-
ziehimg mittels des künstlichen, Heurteloup' sehen
Blutegels vorteilhafter, jedoch werden auch hier von
einigen die natürlichen Blutegel angewandt: man
setzt sie alsdann an den Proc. mastoideus, wo ein mit
dem Sinus transversus in Verbindung stehendes
Emissariuni ausmündet. Die Blutentziehung nach
Heurteloup geschieht schneller und kann gut dosirt
werden; auch wird eine grössere Hautpartie, ähnlich
wie beim Schröpfkopf, hyperäinisirt. Das Instrument
besteht aus einem schneidenden Locheisen (Figur 3 Aa),
das durch Ziehen an einer Schnur in seinem Gestell
rotirt und eine kreisförmige, etwa 3 mm im Durch-
messer haltende Hautwunde macht. Je nach der
Dicke der Haut und des Fettgewebes wird das Loch-
eisen mehr oder weniger weit aus dem Gestell vor-
geschoben. Nachdem man sich von dem ausreichen-
den Bluten der Wunde überzeugt, beziehentlich durch
Anwendung von warmem Wasser die Wunde stärker
K'iinstl i eher
Bluti- gel.
zum Bluten gebracht hat, wird mittels des aufgesetzten
Glaseylinders (B), der durch das Zurückschrauben
eines festschliessenden Korkes allmählich luftleer ge-
macht wird, das Blut entzogen. Man muss nach den ersten Schraubon-
drehungen den Cylinder nicht mehr zu fest gegen die Haut drücken, da
sich dieselbe sonst leicht stark in den luftleeren Raum presst und durch
die damil verknüpfte Eünschnürung am Rande der Blutzufluss unter-
Zcitsclir. f. klinische Medicin Md. .'17.
Behandlung der Augenleiden. 15
broehen wird: eine häufige Ursache des Misslingens der kleinen Ope-
ration. Gewöhnlich genügt die Entziehung eines Cylinders (ungefähr
2ö bis 30 Gramm) Blut, Auch hier benutzt man die Schlafe zur Ap-
plication: achte aber darauf, dass kein grösseres Gefäss angeschnitten
wml. Das auf die Wunde gelegte englische Heftpflaster wird mit Col-
lodium befestigt, da ein etwaiges Heraustreten des umschnittenen llaut-
evlinders hässliche Narben macht
Kalte Umschläge, besonders bei Conjimetivalentzündiingen üblich,
werden mit Eis, Wasser oder medicamentösen Lösungen gemacht. Bei
Eisanwendung kann man mit Eisstückchen gefüllte kleine Eisblasen
auf das Auge legen, doch wirkt der Druck oft lästig. Gewöhnlich
bringt man eine grössere Zahl von Leinwandcompressen oder Watte-
ballen in Wasser, in dem sich Eisstücke befinden, imd macht mit diesen,
etwa alle halben Minuten wechselnd, die Umschläge. Es ist nicht
nöthig, die Umschläge beständig zu machen; selbst bei sehr heftigen
Erkrankungen (Blennorrhoen der Conjunctiva) kann man in der Regel
nach einstündiger Fortsetzung derselben wieder eine halbe oder ganze
Stunde Pause machen. Um Hautreizung zu vermeiden, besonders bei
kleinen Kindern, legt man auf die Lidliaut ein mit Süssmandel-Oel,
Vaselia oder Ung. leniens bestrichenes Leinwandplättchen, so dass die
feuchten Compressen nicht in directe Berührung mit derselben kommen.
An Stelle der Umschläge mit reinem kalten Wasser, die bei weniger
heftigen Conjunctivalentziüidnngen nur drei- bis viermal täglich eine
viertel bis halbe Stunde lang gemacht werden, benutzt man meist sehwache
Lösungen von Borsäure (ein Theelöftel voll auf lj2 Liter Wasser), Subli-
mat (1 : 5000) oder Blei. Eine beliebte Form ist es, von Bleiessig 10
bis 15 Tropfen in ! 4 Liter Wasser giessen zu lassen. Das so hergestellte
Bleiwasser ist schwächer als das officinelle und die Vorschrift für den
Patienten bequemer. Doch vermeide man das Blei bei Hornhautgesebwü-
ren, da gelegentlich Niederschläge in denselben erfolgen können. Immer
erinnere man ambulante Patienten daran, dass sie nicht kurz nach den kalten
Umschlägen ins Freie gehen oder letztere machen, wenn sie erhitzt sind.
Zu lauen Umschlägen, die bei Hornhautentzündungen vorzugs-
weise benutzt werden, nimmt man meist Kamillenthee oder die oben ge-
nannten antiseptischen Lösungen; ebenso auch Acid. salicyl. in Borlösung
(Rp. Acid. salicyl. 5-0, Acid. boric. 15-0, Aqua destill. 500. Sattler).
Carbolsäure ist besser zu meiden, da sie in etwas stärkerer Lösung
(über 1 bis 2 Procent) auf die Hornhaut irritirend wirkt. Die Tempe-
ratur der Umschläge sei 42 bis 45 Grad C. Dass übrigens durch kalte
Umschläge die Temperatur im Conjunctivalsack herabgesetzt, durch
warme gesteigert wird, ist experimentell erwiesen (Giese, Hertel).
Ferner kann man einen sehr guten feuchtwarmen antiseptischen
[(3 Allgemeines über Untersuchung und Behandlung des Auges.
Verband herstellen, wenn man die zur Auspolsterung der Augenhöhle
benutzte Watte mit warmer Sublimatlösung befeuchtet und zur Be-
festigung anstatt der Flanellbandage eine solche mit G-uttaperchapapier
oder Waehstaffet verwendet. Es bedarf etwa alle Stunden einer neuen
Befeuchtung, um eine entsprechende Temperatur zu behalten.
Trockene Wärme lässt sich in (restalt der kleinen Japanischen
Metall-Wärmekästchen, in denen eine Patrone langsam abbrennt, mit
grosser Bequemlichkeit anwenden. Oder man benutzt die sogenannten
Thermophore, welche dadurch stundenlang Wärme erzeugen, dass das
in ihnen befindliche unterschwef ligsaure Natron, in heissem Wasser
gelöst, beim Wieder-Auskiystallisiren Wärme abgiebt.
Die gebräuchlichen medicamentösen Topica sind in der Augen-
heilkunde nicht zu zahlreich-, jedenfalls kommt man mit verhältnissmässig
wenigen aus. Von Arznei Stoffen, die in Substanz benutzt werden, seien
glatte Stifte von Gupr. sulfur., von Alaun und von mitigirtem Höllen-
stein (Arg. nitric. c. Kali nitric.) erwähnt: der von Stilling wegen
seiner antiseptischen Eigenschaften gegen zahlreiche Augen-Entzündungen
empfohlene Pyoktaninstift (gelbe und blaue Anaün-Farbstoffe) hat sich
im allgemeinen nicht bewährt. Man spricht von „Touchiren", wenn die
betreffenden kranken Stellen direct besh-icken werden. Nimmt man
Höllenstein, so neutralisirt man das Ueberschüssige durch Nachpinseln
mit einer sclrvvaclien Kochsalzlösung, der dann wieder Wasser naehge-
gespült wird. Als Pulver wird mittels eines kleinen Tuchpinsels häufig
Calomel (Rp. Hydrarg. chlorat. mite subtilissime pulv.) eingestreut, das man
vor Feuchtigkeit schützen muss, da es sonst zu kleinen Körnern sich
zusammenballt, und Jodoform. Die übrigen Mittel verwenden wir in
der Regel in Lösungen als Tropfwässer oder in Salbenform. Von den
Lösungen verschreibe man nicht mein- als 5-0 bis 10-0 g; «las dazu ge-
nommene destillirte Wasser muss frisch gekocht sein, um bacterielle
Verunreinigungen zu vermeiden. Ihre Anwendung geschieht so, dass
man unter Abziehen des unteren Lides mit einem reinen Tropfflaschen
ein bis zAvei Tropfen einträufelt oder einen in die Lösung eingetauchten
und mit ihr ordentlich angefüllten Pinsel auf dem ektropionirten Lid-
rande abstreicht. Darauf lässt man das Auge schliessen. Wenn die
Patienten oder ihre Angehörigen die Einträufelung ausführen sollen, so
ist es meist besser, dass sie sich des Pinsels bedienen, da das Glasrohr
bei angeschickter Anwendung verletzen kann; am leichtesten gelingt
ihnen die Einträufelung, wenn die Kranken auf dem Rücken liegen. In
Lösungen giebt man besonders häufig Zinc sulfur., Acid. tannic, Cupr.
•sulfur. (J/5 bis 1 Procent), Natr. biborac. (2 bis 4 Procent) und Eydrarg.
bichloratum corrosirum (1:5000 bei Blennorrhoe]] und zu prophylak-
tischer Antisepsis). Argentum oitricum, Plumbum aceticum können in
Behandlung der Augenleiden. 17
schwachen Lösungen ('/4 bis lj2 Procent) auch zu Einträufelungen be-
nutzt werden, in stärkerer Dosirung (2 Procent) verwendet mau sie meist
nur zum »lirecten Bepinseln der Schleimhaut, wobei ebenfalls das Ueber-
schüssige neutralisirt, respeetive mit Wasser ausgewaschen wird. Aehn-
lieh wie Höllenstein wirkt das L'rotargol, eine Verbindung' des Silbers
mit einem Proteinstoff; man nimmt l/2 bis lOprocentige Losungen
oder 5 bis 10 Procent zu Salben. Als Constituens für Salben, die in
das Auge kommen sollen, bedient man sich des Ung. Paraffini oder
besser noeh des reinen, weissen amerikanischen Vaselins (Marke Chese-
brough Manufacturing Comp.). Wegen seiner Löslichkeit in der Thränen-
flüssigkeit wird auch das Ung. Gdycerini benutzt. Viel verwendet, be-
sonders bei phlyetänulären Processen der Conjimctiva, ist eine Salbe
von Hydrarg. oxyd. flav. via humida paratum (Pagenstecher); letzteres
ist gelb und feiner vertkeilt als das schon langberühmte ophthalmiatrische
Mittel Hydrarg. oxyd. rubrum. Man verschreibt: Rp. Hydrarg. oxyd.
via humid, reeent. parat. 0,1 — 0,2, Vaselini americ. albi 5,0 M. f. ung.
DS. Hanfkorngross mit einem Stückehen Papier ins Auge zu streichen
und dort mit den geschlossenen Lidern zu verreiben. Nach 5 Minuten
sind etwa ungelöste Reste mit einem Läppchen aus dem Conjunctival-
sack zu entfernen. Auch bei Liderkrankungen bedient man sich mit
Vortheil des Hydrarg. oxyd. flav., ferner des Hydrarg. praec. alb. oder
Zinc. oxyd.; hier sind als Constituens die Kühlsalben (Ung. leniens; oder
Adipis lanae und Aqu. destill, aa 1,0, Vaselini amer. alb. pur. 10,0) be-
sonders empfehlenswerth. — Als antiphlogistisches und ableitendes
Mittel ist bei inneren Augenentzündungen sehr beliebt die Arlt'sche
Stirnsalbe (Hydrarg. praec. alb. 1-0, Extr. Bellad. 1-0, Ung. simpl. 10 -0)
oder auch einfacher Ung. einer, mit Ung. simpl. aa 5,0. Diese Salbe
wird eine Erbse gross in Stirn und Schläfe gerieben.
Wegen ihrer eigenartigen Wirkung auf das Auge seien noch zwei neuere
Topica genannt: das Extract. suprarenale (Aterk) (Atrabilin) und das Dionin.
Wenn man vom ersteren einige Tropfen in den Conjunctivalsack bringt, tritt
sofort eine überraschende Anämie ein, entzündliche ausgedehnte Gefässe ver-
engern sich. Leider dauert] die Wirkung nicht lange und ist durch wiederholtes
Einträufeln kein hemerkenswerther therapeutischer Effect zu erzielen. Allen-
falls könnte man die Blutleere bei oberflächlichen Conjunctival-Operationen mit
Vortheil anwenden. Subcutane Injectionen bei Thieren haben sich als sehr
giftig erwiesen. Das Dionin, ein Morphinderivat, verursacht, hanfkorngross und
mehr in den Conjunctivalsack gebracht, starke Chemose, Oedem der Lider und
heftige Schmerzhaftigkeit i'Wolffbergj; ob ein therapeutischer Nutzen dabei
heraus kommt, bleibt abzuwarten.
In der Regel wendet man die Salben wie auch die meisten adstrin-
girenden Augenwässer nur einmal täglich an.
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 2
\$ Allgemeines über Untersuchung und Behandlung des Auges.
Anders mit den mydria tischen Mitteln. Das üblichste Mydriati-
cum (Pupille erweiternde Mittel) ist das Atropin (Atrop. sulfur. 0,02
bis 0,1, Aqu. destill, recenter coct. 10,0, Hydrarg. bichlor. corros. 0,001 ; in
dieser Form wird am besten die Pilzentwicklung vermieden). Auch in
Gelatineplättchen oder in Salbenform wird es angewandt. Bei allen
Hyperämien oder Entzündungen der Regenbogenhaut wird es benutzt,
nicht selten dreimal täglich und öfter. Es bewirkt Immobilität und
Erweiterung der Pupille durch Lähmung der die Iris versorgenden
Fasern des Oculomotorius (Sphincter iridis) und Reizung der Sympa-
thicus-Aeste (Dilatator iridis) oder der Gefäss-Muskulatur. Für Sympa-
thicus-Reizung spricht der Umstand, dass die Weite der atropinisirten
Pupille erheblich die übertrifft, welche man bei einfachen Sphincter-
liilimungen findet. Bei normalen Augen kommt nach einmaliger Ein-
träufelung meist in etwa einer halben Stunde eine maximal weite Pupille
zu Stande, welche nur noch von einem .kleinen Irissaum umgeben ist;
bei neugeborenen Kindern und bei sehr bejahrten Individuen ist die
Ausdehnung weniger erheblich. Neben dieser Wirkung auf die Iris ist
eine Lähmung des Accommodationsmuskels (M. ciliaris) zu constatiren;
das atropinisirte Auge ist auf seinen Fernpunkt eingerichtet. Auf diesen
Umstand und darauf, dass mehrere Tage, oft eine Woche vergehen,
ehe die Wirkung sich ganz verliert, muss man die Kranken aufmerk-
sam machen, da sie sonst leicht durch Verschwommensehen und das
bei Nichtkurzsichtigen auftretende Unvermögen, in der Nähe scharf
zu sehen, beunruhigt werden. Der intraoculare Druck wird durch
Atropin im normalen Auge nach Untersuchungen von Höltzke und
Gräser erhöht. Auch die Praxis lehrt, dass man Atropin bei
Hypertonie des Auges nicht anwenden soll. Die Wirkung erfolgt durch
directe Aufnahme in den Humor aqueus. Selbst bei längerer und
starker Einträufelung treten in der Regel keine Allgemein-Erscheinungen
ein, wenn man den Abfluss durch den Thränennasencanal in Nase und
Rachen hindert. Man erreicht dies, indem man nach dem Einträufeln
das Auge schliessen lässt und mit der Fingerspitze einige Zeit die
Thränenröhrchen comprimirt. Das erste Symptom, welches auf allge-
meine Resorption hindeutet, pflegt die Klage über Trockenheit im Rachen
zu sein. Zu ausgeprägten Vergiftungserscheinungen (Schwäche, Uebel-
keit, Blasenkrampf, llallucinationen etc.) pflegt es durch locale Anwen-
dung selten zu kommen. Morphiumin jeetionen (0-01 bis 0-02) haben
sich als Antidot öfter bewährt; auch Pilocarpin wird empfohlen. — In
einzelnen Fällen tritt in Folge einer Idiosynkrasie gegen das Atropin
oder eines zu intensiven Gebrauches oder schlechter Präparate oder
Pilzbildung eine heftigere, mit Thränen und starkem Lidekzem verknüpfte
Conjunctivitis auf; alter auch ohne diese Erscheinungen bilden sich
Behandlung der Augenleiden. 19
bisweilen in der Conjunctiva kleine, blasse Bervorragungen (Follikel).
Wenn durch Touchiren der Schleimhaut mit einer Lösung von Plum-
bum aceticum; das sieh hier besonders wirksam erweist; der Pröcess
nicht geheilt oder in Schranken gehalten werden kann, so muss man
das Ä.tropin aussetzen. Bei langer Anwentatng stärkerer Atropindosen
thutman überhaupt gut, durch zeitweiliges Bepinseln mit Bleilösung einer
Schleimhautaffection vorzubeugen.
Noch stärker mydriatisch wirkt das Scopolaminum ( Hyoscinum) hvdro-
bromicum (0,2 — 0,3procentig)(Raehlmann); es empfiehlt sieh besonders
dort, wo eine intraoenlare Drucksteigerung besteht oder zn fürchten ist.
Schwächer und weniger nachhaltig wirkt Homatropin (0,05, 0,1 und 10,0).
Man bedient sieh desselben meist nur zu Untersuchungszwecken,
wenn man für kürzere Zeit die Pupille erweitern und die Aeeommodation
lähmen will. Da zum Augenspiegeln nur eine vorübergehende Mydriasis
erforderlich ist, so erweisen sieh hierzu noeh zweckmässiger das mildere
Euphthalmin (5,0 — 10,0 proc), das allerdings auch etwas den Nahepunkt
hinausschiebt, und das Ephedrin, das denselben ganz unverändert lässt.
Besonders ist die Mischung von Ephedrin, muriat. (0,1) mit Homatropin
hydrobromic (0,01) und Aqu. destill. (10,0) zu empfehlen; in etwa >/2 'ns
3 4 Stunden nach mehrmaligem Einträufeln ist die Pupille ausgiebig er-
weitert, in 4 bis 5 Stunden wieder normal; leider sind Euphthalmin.
muriat. und Ephedrin noch ziemlieh theuer. Uebrigens kann man auch
durch 4proeentige, oft wiederholte Coeain-Einträufelungen in der Regel
eine genügende und schnell vorübergehende Pupillendilation erhalten. Die-
ses Mittel, ebenso wie das Euphthalmin wird man vorzugsweise in Fällen
verwenden, in denen man eine Drucksteigerung vermeiden will (z. B. bei
Verdacht auf Grlaucom); doch hat man selbst nach ihnen acute Glaucom-
Anfälle ausbrechen sehen.
Hvoseyamin, Duboisin und Daturin sind nach Ladenburg's Unter-
suchungen mit Atropin identisch und verhältnissmässig wenig im Gebrauch.
Als Mioticum ist besonders das Eserin s. Physo stigmin, das
Alkaloid der Calabarbohne ( Phvsostigma venenosum), gebräuchlich.
Dies ist ein weisses Pulver, das aber in Lösungen, selbst in dunklen
Gläsern sehr bald eine röthliche Färbung annimmt, ohne jedoch da-
durch erheblich an Wirksamkeit zu verlieren. Am besten hält sich das
Phvsostigm. salieylicum P/2 ms 1 proeentig). Neben der Pupillen Ver-
engerung erfolgt nach dem Einträufeln in den Conjunctivalsack auch
eine krampfhafte Contraction des Ciliarmuskels (cfr. „Aeeommodation s-
krampf" |, sodass die Aeeommodation angespannt und der Fernpunkt
herangerückt wird. Im normalen Auge erhöht das Eserin den intraoeu-
laren Druck anfangs, später setzt es ihn quantitativ mehr herab, als es ihn
anfangs gesteigert hatte (Pflüger, Stocker); der letztere Effect wird
2*
20 Allgemeines über Untersuchung und Behandlung des Auges.
von Höltzke als Folge der pupillenverengenden Wirkuno- desselben an-
gesehen; von G rönholm durch Abnahme der Blutmenge und der Secretion
in Folge der eintretenden Gefässverengerung erklärt. Unleugbar erfolgt
eine Herabsetzung des intraoeularen Drucks bei glaucomatösen Augen.
Bald nach derEinträufelung klagen manche Patienten über Druck im Auge
und in der Stirn. Ausser Eserin kann man auch zur Herstellung einer Miose
Lösungen von Pilocarp. muriaticum (1- bis 2procentig); das ebenfalls
nach klinischer Erfahrung den intraoeularen Druck herabsetzt, ein-
träufeln; doch wirkt das Mittel weniger kräftig, hat aber den Vorthcil,
die Accommodatipn in geringerem Grade zu beeinflussen und nicht so
wie Eserin bei Neigung zur Litis die Entzündung zu steigern.
Mannigfache Anwendung bei den verschiedensten Augen- Affectionen
haben in den letzten Jahren die subconjunctivalen Injectionen ge-
funden. Darier bediente sich einer Sublimatlösung (1 auf 1000), von
der ein bis fimf Tropfen etwa 7 mm vom Hornhautrande unter die
Conjunctiva mit einer Pravaz'schen Spritze eingespritzt wurden: später
wurde durch Zusatz von Chlornatrium ('/io Procent) leichtere Resorption
oder durch Anwendung schwächerer Lösung (1 :2000) eine Verringerung der
Reaction zu errreiehen gesucht. Da die Wirkung dieser Einspritzung
nur als eine die Blut- und Lymphcirculation beschleunigende und so
die Entfernung pathologischer Producte anregende sein kann, keines-
falls eine, wie Darier annahm, desinficirende, so erreicht man mit
Injectionen von Kochsalzlösungen (2 bis 5 Procent), von denen */2 bis
1 cm3 eingespritzt wird (Mellinger), dieselben Resultate. Da öfter
nach den Sublimat-Injectionen bedenkliche Verklebungen im subcon-
junctivalen Räume eintreten, wende ich jetzt fast ausnahmslos diese
Kochsalzlösungen an. Auch Darier empfiehlt neuerdings eine Lösung
von Hydrargyri cyanati 0,01, Natr. chlorat. 1.0, Aqu. destillat. 100,0, von
der J/4 bis ganze Pravaz-Spritze injicirt werden kann. Nachdem man die
Conjunctiva durch Cocain oder Eucain unempfindlich gemacht, hebt man
sie etwas mit der Pincette, sticht dann die Canüle ein und schiebt sie
etwa V2 cm weiter vor. Die meist heftigen Schmerzen, welche nach der
Injection der Kochsalzlösung eintreten, kann man vermeiden, wenn man
das Kochsalz nicht in Wasser, sondern 1 procentiger Eucainlösung ver-
schreibt oder bei Kochsalzlösungen über 3 Procent, wo das Eucain aus-
fällt, eine Eucaineinspritzung vorausschickt.
Zur Anästhesirung bei Augenoperationen benutzt man meist Einträu-
felungen von Cocain (Erytroxylon Coca), das 1884 von Koller in die
Augenheilkunde eingeführt wurde. Dasselbe macht die Cornea und Con-
junetiva empfindungslos; bei stärkeren Dosen wird auch die Empfindlich-
keit der Iris herabgesetzt. Ausserdem wird die Lidspalte erweitert und
bisweilen eine leichte Protrusion des Augapfels bewirkt. Der intra-
Behandlung der Augenleiden. 21
oculafe Druck verringert sich, die Pupille erweitert sich, reagirt aber
meist noch gegen Licht. Der Nahepunkt rückt etwas, aber nur sehr
vorübergehend, hinaus. Die Gefässe der Bindehaut und der Iris ver-
engern sich. Es handelt sich demnach um eine Lähmung der peripheren
Trigeminus- und Reizung der Sympathien*- Ai ste. Am besten erreicht
man eine zu Operationen genügende Anästhesie, wenn man von einer
4procentigen Lösung von Cocain, muriaticum wiederholentlich (4 — 6mal)
in Zwischenräumen von 3 Minuten einträufeln lässt; willman eine engere
Pupille für die auszuführende Operation (beispielweise Sclerotomie oder
Star-Extraction) behalten, so muss man einige Stunden vorher einen
Tropfen Eserin instilliren. Die Gefühllosigkeit hält circa 10 Minuten
an. Uebrigens kommen erhebliehe individuelle Verschiedenheiten bezüg-
lich der Aufhebung der Sensibilität vor; auch werden entzündete Augen
schwerer gefühllos. Selbst für leichtere Operationen, wrie Entfernung- von
Fremdkörpern aus der Cornea, Anwendung des Galvanocauters, gelegent-
lich auch beim Sondiren der Thränenwege, empfiehlt sich das Cocaini-
siren. Um bei Scbiel-Operationen die Sehne empfindungslos zu machen,
hat man dieselbe nach Trennung der Conjunctiva direct mit Cocain-
lösung beträufelt; ebenso kann man bei Herausnahme des Augapfels in
das Orbital-Zellgewebe bis an den Sehnerv hin vorher injiciren. Immer-
hin bedarf es einer gewissen Vorsicht in der Anwendung des Mittels,
da schon nach 5 Tropfen einer 3 procentigen Lösung Vergiftungs-Er-
scheinungen: Blässe, kalter Schweiss, Erbrechen etc. beobachtet wurden.
In sehr seltenen Fällen sah man diese unliebsame Wirkung auch nach
Eimräufeluiigen in den Conjunctivalsack; Genuss von Wein oder Ein-
athmen von Amylnitrit erwies sich hier vortheilhaft. Local tritt bisweilen
eine umschriebene Abhebung des Epithels der Cornea, sowie leichte
Trübung ihres Gewebes in Folge lymphatischer Anämie (Eversb u seh)
nach Cocain-Einträufelung ein; doch haben in der Regel diese Er-
scheinungen nichts zu bedeuten und gehen schnell vorüber. Man ver-
meidet sie am ehesten, wenn man die Augen nach jeder Einträufelung
dauernd mit einem feuchten Mullläppchen schliessen lässt. Nur bei
gleichzeitiger starker Sublimat-Einwirkung (als Antisepticum bei Ope-
rationen benutzt) können dauernd intensive Hornhautflecke zurück-
bleiben.
An Stelle des Cocains benutzten wTir deshalb neuerdings mit Vor-
theil Holocain. hydi-ochloricum (1 Procent): 3 bis 5 Tropfen eingeträufelt
anästhesiren stark, der intraoeulare Druck wird nicht herabgesetzt; auch
ist die Wirkung auf die Pupille und das Hornhautepithel unbedeutend. Ho-
locain ist jedoch giftiger, daher nicht zu Injectionen zu benutzen. Aehnlich
wirkt Eucain B. kydrochloricuni, das noch den Vorzug hat, ungiftig zu
sein. Firn Lidoperationen können subcutane Cocain-Ein spritzungen (Maxi-
22 Allgemeines über Untersuchung und Behandlung des Auges.
mal-Dosis 0,05) oder auch die Schleich 'sehen Infiltrationen (Cocain.
muriatic. 0,2, Morph, muriat. 0,02, Natr. chlorat. 0,2, Aqu, destill. 100,0)
bisweilen mit Vortheil angewandt werden; leider wird bei stärkerer In-
filtration das Operationsterrain unklar, bei massiger ist die Wirkung
wiederum zu gering. Ich ziehe daher meist die Anästhesirung durch
Bespritzen mit Aethvl-Chlorid vor, wobei man natürlich den Augapfel
durch Lidschluss schützen muss.
Die Anwendung der Allgemein-Narkose ist bei Augen-Operationen
sehr eingeschränkt worden. Nur noch ausnahmsweise, etwa bei ganz
unbändigen Kindern oder in Fällen, wo jede Bewegung und jedes Pressen
mit den Lidern verhindert werden soll, um Grlaskörperverlust zu ver-
meiden, wird man sie anwenden; ebenso bei Herausnahme des Aug-
apfels oder grösseren Lidoperationen. Ich wende meist Aether an,
den ich mit einer Maske, die nicht fest aufgedrückt wird, einathmen
lasse. Es tritt hierbei keine besondere Erstickungsangst auf, und habe
ich nie Nachtheile erlebt, da ein Schleimröcheln ganz vermieden wird.
Nur bei Lungen- Affectionen wende ich zur Vermeidung einer späteren
Pneumonie, wie sie nach längeren Aethernarkosen beobachtet ist, noch
Chloroform an.
Bei allen Operationen ist auf grösste Reinlichkeit und Asepsis
der Hände, Instrumente und Verbände zu sehen. Die in sodahaltigem
Wasser gekochten Instrumente legen wir kurz vor der ( Operation in
2procentige Karbolsäurelösung; aus dieser Lösung herausgenommen,
werden sie durch Abwischen mit sterilisirter Leinwand getrocknet und
sofort benutzt. Die sorgfältige Reinigung und Desinfection der Lid- und
angrenzenden Haut, sowie des Conjimetivalsaekes geschieht mehrere Stun-
den vor der Operation, aldann wird mit einem in Sublimatlösung ge-
tauchten Verbände das Auge geschlossen. Kurz vor der Operation bespült
man das Auge und den Conjunctivalsack mittels einer Undine noch ein-
mal mit einer desinficirenden Lösung, der Lidrand wird mit feuchtem Mull
abgewischt. Ebenso nach der < )peration. Mai] bedient sich als desin-
ficirender Flüssigkeit meist der Sublimatlösung 1 zu 5000, da das Auge
stärkere Lösungen nicht verträgt. Versuche haben mich belehrt, dass
diese schwache Lösung keine wirksame Desinfection verbürgt; ich wende
daher seit langer Zeit zum Bespülen des Auges und Tränkung der
Verbands laze die officinelle Aqu. chlorata an. Dieselbe ist eines der
kräftigsten desinficirenden Mittel, wenngleich auch sie nach Bach's
Versuchen bei den einfachen Ausspülungen nicht alle Bacterien zu
tödten vermag. In kühlem Raum und in dunkler Flasche kann man sie
mehrere Wochen aufbewahren, ohne dass sie ihre Kraft verliert. Auch
babe ich hierbei nie die intensiven Horntrübungen auftreten sehen, wie
man sie bei Anwendung von Cocain und Sublimatlösung besonders nach
Behandlung der Augenleiden.
23
Star-Operationen beobachtete (Graefe). Bei empfindlicher Haut legt
man nach dem ersten Verbandwechsel einen trocknen Verband (steri-
lisirten Mull, Gaze oder Borlint, Watte) an.
Besonders achte man vor jeder Operation am Bulbus darauf, ob
etwa eine chronische Thränensaek-Blennorrhoe besteht. Da das Seerej
derselben für Hornhautwunden enorm int'ectiös ist, so muss man das
Thränensackleiden vorher zu beseitigen suchen; oder wenn dies unmöglich
ist, jedenfalls den Thränensack desinficiren. Man erreicht dies, wenn man
ihn von aussen spaltet und Jodoform einpudert; meist genügen aber zur He-
bung der Absonderung das vorherige
Sondiren und Lnjectionen mit Aqu.
chlorat., Hydrarg. oxydat. cvanat.
(einige Tropfen einer lprocentigen
Lösung) etc. Ob bei etwa noch vor-
handenem Secret die Infectionsfähig-
keit geschwunden ist, kann man aus
dem Erfolg der Impfung von Kanin-
chen-Hornhäute ersehen. Nach der
Operation bespült man in solchen
Fällen den Conjunctivalsack beson-
ders reichlich mit Aqu. chlorata und
pudert etwas Jodoform in die inneren
Augenwinkel.
Ich habe bei dieser Therapie trotz
erwiesenen Thränensackleidens — ab-
gesehen von einem Fall mit stark ab-
sondernder Conjunctivitis — in den
letzten zehn Jahren keine Suppuration
der Hornhaut eintreten sehen: wohl
aber in einzelnen Fällen, wo das
Thränensackleiden nicht erkannt wor-
den war. da sich kein Secret aus-
drücken Hess. Um dies zu vermeiden, thut man gut, vor der Star-Operation
einen Verband über Nacht auf das Auge zu legen und am nächsten Morgen zu
sehen, ob eine Absonderung eingetreten ist. Vor jeder Star-Operation aber den
Thränensack auszuspritzen, halte ich nicht nur für überflüssig, sondern sogar für
schädlich, da gerade durch die Reizung eine Absonderung angeregt werden kann,
wie ich in einem Falle, der mir verdächtig schien, zu des Patienten Sehaden er-
lebte. Auch ein Thränensackleiden des zweiten, nicht-opei-irten Auges kann die
Suppuration veranlassen, wie ich einige Male beobachtet habe.
S c li m i d t - R i m p 1 e r's
S p e r r - E 1 e v a t e u r.
Alle bei und nach Augen-Operationen angewandten Tropfwässer
( Atropin etc.) sind durch Erhitzen zu sterilisiren und durch Zusatz von
einigen Tropfen Aqua chlori oder einer Sublimatlösung aseptisch zu
24 Anomalien der Refraction und Aecoimnoclation.
halten. Ebenso nöthig ist die vorherige Sterilisation des Verbands-
materials durch heissen Dampf.
Um den Augapfel bloßzulegen, bedarf es der Lidfixation, die ent-
weder mit den Fingern oder mit Elevateuren geschehen kann. Will
man nur ein Lid heben, so bedient man sich der Desmarres'schen
Elevateure, sonst in der Eegel der Sperr-Elevateure (Figur 4). Zur
Fixation des Bulbus wird die Fixationspincette benutzt, die mit einer
kleinen ScHussvomchtung für den Fall versehen ist, dass man sie ge-
schlossen dem Assistenten übergeben will (Figur 5).
Zweites Kapitel.
Anomalien
der Refraction und Accommodation.
A. Allgemeiner Theil.
1. Optische Einleitung.
Ein Gegenstand kann nur dann deutlich gesehen werden, wenn die
von ihm ausgehenden Lichtstrahlen sich zu einem scharfen Bilde auf
der Netzhaut vereinigen. Die verschiedenen brechenden Medien des
Auges (Cornea, Humor acmeus, Krystalllinse und Glaskörper) stellen ein
optisches System dar; dessen Gesammtwirkung mit der einer Convex-
linse übereinstimmt.
Wenn wir von „Lichtstrahlen" sprechen, so benutzen wir einen
Ausdruck, der der älteren Newton'schen Corpusculartheorie über das
Licht entnommen ist. Danach entsendet jeder leuchtende Punkt be-
ständig längs imaginärer Achsen (Strahlen) leuchtende Körperchen nach
allen Richtungen. Diese Anschauung ist zu Gunsten der Undulations-
theorie (lluygens, Thomas Young) aufgegeben, nach welcher das
Licht durch Wellenbewegungen im Aether entsteht und fortgeleitet
wird. Die radiäre Verbindung der Wellengipfel würde dem Laufe der
Lichtstrahlen entsprechen, falls von einem leuchtenden Punkt aus Licht
Optische Einleitung.
25
entsendet wird. Der leuchtende Punkt bildet die Mitte, von der aus
nach allen Richtungen hin divergirende Lichtstrahlen gehen. Wie viele
dieser Strahlen eine bestimmte Fläche a b (Figur 6) treffen, hängt von
der ( I rosse dieser Fläche und von der Entfernung der-
selben vom Lichtpunkt ab. Ist die Fläche a b kreis-
rund, so fällt auf sie ein Kegel von Lichtstrahlen,
dessen Basis die Fläche a b bildet und dessen Spitze
im leuchtenden Punkt L liegt: in einer Durchschnitts-
figurwürden von allen a b treffenden Strahlen L a und
Lb diejenigen sein, welche am meisten divergiren;
der Winkel <p stellt den Divergenzwinkel dar. Entfernt
sich der leuchtende Punkt nach L, , so trifft nur ein
schmälerer Strahlenkegel die Fläche, die Grenz-
strahlen Lj a und L, b werden weniger divergiren.
Rückt der Lichtpunkt schliesslich in die Unendlich-
keit ( 3c), so werden die betreffenden Lichtstrahlen als
untereinander parallel verlaufend betrachtet werden
können, da wir mathematisch als „parallele" Linien
solche bezeichnen, die sich in der Unendlichkeit
schneiden. Ist nun aber die auffangende Fläche sehr
klein, wie etwa die Pupille unseres Auges, so wird
der in sie fallende Lichtkegel schon bei einer nicht all-
zugrossen Entfernung des leuchtenden Punktes so
schmal sein, und die Strahlen werden untereinander so wenig divergiren,
dass man sie als parallel bezeichnen kann. Darauf beruht es, dass
wir bei den Eefractionsbestimmungen des menschlichen Auges die Probe-
objeete nur etwa in 5 bis 6 Meter Entfernung
aufzuhängen pflegen und doch die von
ihnen ausgehenden Lichtstrahlen als paral-
lele betrachten.
Während divergente und parallele
Lichtstrahlen demnach unter natürlichen
Verhältnissen in unser Auge fallen, so
kami eine Convergenz der Strahlen nur
durch optische Mittel künstlich erzeugt 7,
werden.
Convex-Linsen dienen vorzugsweise hierzu. Im Brillenkasten be-
finden sich in der Regel Biconvex-Gläser, d.h. Gläser, deren beide
Oberflächen Segmenten von Kugeln entsprechen, die einen gleichen
Radius haben. Bei der Biconvexlinse L (Figur 1) würde C} der Mittel-
punkt der Kugel sein, aus der die Fläche cx ein Segment ist, und C2
der Mittelpunkt der zweiten Kugel, welcher die Fläche c2 entnommen
26
Anomalien der Refraction und Accommodation.
ist. L\ und C2 liegen gleich weit vom optischen Mittelpunkt (o) der
Linse entfernt: die sie verbindende Linie bezeichnet man als Haupt-
achse der Linse.
Wenn der Hauptachse parallel verlaufende Lichtstrahlen die Mitte
einer Convexlinse treffen, so werden sie zu einem Punkte zusammen
gebrochen. Diesen Punkt bezeichnet man als (Haupt-) Brenn-
punkt der Linse und seine Entfernung vom optischen Mittelpunkt
( — eigentlich vom Hauptpunkt, siehe unten — ) als (Haupt-) Brenn-
weite der Linse. Da die parallelen Strahlen die Linse sowohl von
rechts als von links treffen können, so werden auch zwei (Haupt-)
Brennpunkte anzunehmen sein, die auf verschiedenen Seite]! der Linse
liegen, links der erste Brennpunkt Ft (Figur 8) und rechts der zweite
8.
Brennpunkt F2. Sie werden beide gleich weit von dem optischen
Centrum liegen (also die erste Brennweite ist gleich der zweiten), wenn
die Linse auf ihren beiden Seiten von Luft oder einem gleichbrechenden
Medium begrenzt ist.
Bei Biconvexlinsen ist die Brennweite gleich dem Krümmungsradius
(Cj o, Figur 7) unter der Voraussetzung, dass das Glas einen Brechungs-
index (siehe hierüber den Abschnitt: Physiologische Optik) von l-ö hat,
was aber gewöhnlich nicht genau zutrifft. In der Regel ist der
Brechungsindex des verwandten Tafel- und Crownglases etwas höher,
geht aber nicht über 1-53 hinaus: hierdurch wird die Brennweite etwas
kürzer*. Die neuerdings in den Handel gebrachten „isometropen
Linsen" sind von einer noch stärker brechenden (Index 1-57), sehr
reinen und weissen Glassorte. Der Krümmungsradius wird dem-
nach bei gleicher Brechkraft der Linsen ein kleinerer zu sein brauchen.
* Die Formel für die Brennweite (f) des Convexglases ist -y = (n— 1) [— H ),
wo r und rj die Krümmungsradien der Oberfläche und n der Brechungsindex sind.
Wenn r = rt und n = 1.5, so ist
0.ö x
f r
1.06 . , r
r 'alsof = r.06
f r r
, f danach kleiner als vorher.
also f = r. Bei 1.53 ist aber
Optische Einleitung 27
Dieser Yortheil, der von den Pariser Fabrikanten überaus stark betonl
wird, hat für schwache Linsen keine Bedeutung; für stärker brechende
Linsen kann aber andrerseits die stärkere Farbenzerstreuung des (ilases
nachtheilig werden.
Auf den älteren Linsen ist meist als Bezeichnung die Länge des
Krümmungsradius in Zollen angegeben. Wir sind nach diesen Aus-
führungen eigentlich nicht berechtigt, diese Zahl der Haupfbrennweite
gleich zu setzen. Jedoch geschieht dies für gewöhnlich, da bei sonst
guter Schleifung die Differenzen keine erhebliehe praktische Bedeutung
haben. Danach wird No. 2 eine Linse sein, deren Brennweite in
2 Zoll liegt, Xo. 3 eine solche, deren Brennweite in 3 Zoll liegt u. s. f.
Doch pflegt man in der ( Ophthalmologie die Linsen in der Regel nicht
durch ihre Brennweite, sondern dnreh ihre Brechkraft zu bezeichnen.
Letztere bildet den reeiproken Werth der ersteren; sie wird durch einen
Bruch ausgedrückt, dessen Zähler 1 und dessen Nenner gleich der
Brennweite ist. Eine Linse von 2 Zoll Brennweite wird als ll2 , eine
solche von 4 Zoll Brennweite als ^4 bezeichnet. 2 Linsen von J/4 Brech-
kraft zusammengelegt und zusammenwirkend sind gleich einer Linse
von '.,. Die Brechkraft einer Linse, d. h. ihre Einwirkung auf die sie
treffenden Lichtstrahlen ist demnach am so schwächer, je grösser ihre
Brennweite ist.
Wir sind unter Benutzung einer Formel, welche die Brennweite
der Convexlinse (f), die Entfernung des leuchtenden Punktes (a) und
die Entfernung des Bildpunktes (b) enthält, im Stande, eine dieser
Bestimmungen zu berechnen, wenn die beiden anderen bekannt sind.
Diese Linsenformel, welche für die Lehre der praktischen Refractions-
imd Accommodations-Bestimmung von höchster Bedeutung und ungemein
leicht zu behalten ist, lautet
1 1 1*
f ~~ a + b "
Es möge beispielsweise der leuchtende Punkt a in 20 Zoll Entfernung sieb
befinden; die von ihm ausgehenden Strahlen fallen auf eine Linse von 10 Zoll
* Eine andere übliche Formel ist: 1, l2 = F, F2. Hier ist 1, gleich dem Ab-
stände des Objectes vom ersten Brennpunkte. 1, gleich der Entfernung seines
Bildes vom zweiten Brennpunkte. Ij erhält ein positives Vorzeichen, wenn es vor
dem ersten Brennpunkt (d. h. also links von ihm. wie a in Figur 9), 12, wenn es
hinter dem zweiten Brennpunkt gelegen ist. Liegt hingegen h hinter dem
ersten Brennpunkt, so bekommt es ein negatives Vorzeichen und analog 12, wenn
es vor dem zweiten Brennpunkte liegt. 1\ und F2 würden als erste und zweite
Brennweite, wenn die Linse vor und hinter sich Luft bat. gleich sein. — Ist die
Entfernung des Objectes vom Hauptpunkte (siehe unten) gleich U und die Ent-
Fi ■ F
fernung des Bildes von ihm gleich f2. so lautet die Formel J -f- -*■
° '2 12
£== 1.
28
Anomalien der Refraction und Accommodation.
Brennweite. In welcher Entfernuni;- werden .sie vereinigt, oder, anders ausgedrückt,
wo ist der Bildpunkt des leuchtenden Gegenstandes?
1
10~
Ä+
1
1)
1
1
1
10
20 ~
1»
+Ä-
1
b
+ 20 =
1».
Es ist hierbei zu beachten, dass die Entfernung des Bildpunktes (b) ein po-
sitives Vorzeichen (Figur 9) hat, wenn derselbe sich auf der Seite der Convex-
linse befindet, welche dem leuchtenden Punkte
entgegengesetzt liegt. In diesem Falle
sammeln sich die Strahlen in b zu einem
wirklichen Bildpunkte, der auf einer Fläche,
wie etwa in der Camera obscura der Pho-
tographen aufgefangen werden kann. Es
9. ist ein reelles Bild von a.
Haben wir beispielsweise dieselbe
Linse, aber eine Entfernung des leuchtenden Punktes von nur 6 Zoll, so er-
halten wir
1
L0
~~~6 + b
1 1
15 b
— 15 = b.
Jetzt liegt, wie das negative Vorzeichen (Figur 10) angiebt, der Bildpunkt
auf derselben Seite wo der leuchtende Gegenstand sich befindet. Die Strahlen,
welche durch die Linse hindurchgegangen sind, werden zwar zusammen gebrochen,
aber doch nicht so stark, dass sie auf der anderen Seite ein reelles Bild geben
könnten. Sie scheinen nur von einem etwas ferner gelegenen Punkte (b) zu
kommen. Las Bild ist hier ein virtuelles.
Es ist klar und durch die Formel nachweislich, dass. wenn umgekehrt die
Lichtstrahlen in Figur !» von b ausgegangen sein würden oder in Figur 10 auf b
zielende die Linse getroffen hätten, sie durch die Brechkraft derselben in a ver-
einigt werden würden. Wegen dieses gegenseitigen Verhältnisses zu einander
bezeichnet man a und b als conjugirte Punkte: einmal ist a der Bildpunkt
von b und das andere Mal ist b der Bildpunkt von a.
Optische Einleitung. 29
Wir haben bisher nur von einem leuch.tend.en Punkte gesprochen.
Handelt es sich um einen leuchtenden Gegenstand, so wird sich sein
Bild durch die geometrische Construction leicht bestimmen lassen, wenn
wir nach obiger Formel die Entfernung desselben von der Linse haben.
Es ist hierbei zu beachten, dass die Strahlen, welche durch den
Knotenpunkt der Linse gehen — derselbe fällt bei der Biconvex-
linse mit dem optischen Centrum (o) zusammen -- (sogenannte Rich-
tungsstralhlen) ungebrochen weiter laufen.
Soll die Lage des Bildpunktes von h (Figur 11), der dem Object
acb angehört, construirt werden, so zieht man eine Verbindungslinie
zwischen b und o und verlängert diese: es entspricht dies dem unge-
brochen durch den Knotenpunkt der Linse gehenden Richtungsstrahl.
Ferner zieht man eine Linie bp parallel der Hauptachse FjF^ von
den parallel der Hauptachse die Linse treffenden Strahlen wissen wir,
dass sie durch den Brennpunkt gehen: also bp geht nach F2. Die
Verlängerung dieser Linie schneidet die Verlängerung von bo in B und
giebt uns damit die Lage des Bildpunktes von b. In gleicher Weise
wird die Lage des Bildes von a construirt. Wir erhalten demnach von
bca durch die Brechimg der Linse ein reelles umgekehrtes, hier
vergrössertes Bild in ABC. Andererseits würden Strahlen, die von
ABC als leuchtendem Gegenstände ausgingen, sich in bac zu einem
umgekehrten, verkleinerten Bilde vereinen. Die Grösse von ACB
verhält sich zu der Grösse von acb wie ihre Entfernungen
von der Linse: ACB : acb = Co : co. Die Entfernung, in der das
Bild entsteht, lässt sich aber nach der Linsenformel leicht berechnen.
Befindet sich der Gegenstand (acb) innerhalb der Brennweite des
Convexglases, so liegt, wie wir oben gesehen, das scheinbare Bild
(ACB) auf derselben Seite der Linse wie der Gegenstand; es ist ein
virtuelles, aufrechtes, vergrössertes Bild. Die Constructions-
linien bo und bpF2 schneiden sich nicht hinter der Linse, sondern in
ihrer Rückwärtsverlängerung (Figur 12) auf derselben Seite (B), wo bca
lieo-t. Wir erhalten alsdann in der Linsenformel -~ = (- T den
° t a b
Werth von b (d. h. also hier die Entfernung C o) als negativ. In dieser
Weise stellen sich uns die Gegenstände dar. wenn wir Convexlinsen als
Lupen benutzen.
Concavlinsen. Der Brillenkasten enthält meist Biconcavlinsen.
Bezüglich ihrer Construction, der Lage ihrer Brennpunkte und Krüm-
mungsmittelpunkte gilt dasselbe, was von den Biconvexlinsen gesagt
ist. Die Linsenformel ist die gleiche, wie die der Convexlinsen, nur,
dass wir die Brennweite als negativ setzen: — -j = \- v- Es sind
30
Anomalien der Refraction und Accommodation.
Linsen, welche parallel und divergent sie treffende Strahlen so zer-
streuen, dass sie von einem näher gelegenen Punkte derselben Jansen-
seite zu kommen scheinen. Die Bildconstruction ergiebt sichaus Figur 13.
l"i sei der virtuelle Brennpunkt (Figur 13), ans dem der Hauptachse paral-
lele Strahlen, welche die Concavlinse treffen, nach der Zerstreuung zu kommen
scheinen. Der Strahl bp von dem Object acb wird demnach so gebrochen, als
käme er aus der Richtung r\ p: der Strahl bo geht (als durch den Knotenpunkt
gezogen) ungebrochen. Beide Strahlen schneiden sich in B: dieses ist der Bild-
punkt von 1). Ks entsteht danach ein virtuelles, aufrechtes und verkleinertes Bild
(ACB). Die Entfernung desselben vom optischen Mittelpunkt (o) i^iebt uns die
Linsenformel. Es sei z. B. f = 4, oc = 8, so ist
1
1
1
4 ~
8
+
¥
1
1
1
4
8
b
3
1
l
~8 ~~
■)2
-3
r
b
b =
—
Damit ist auch die lineare Grösse des Bildes gegeben, denn bca:BCA =
8: 22/3.
Da die Gläser des Brillenkastens , wie wir gesehen, nicht nach
ihrer Brennweite, sondern nach dem Radius der Kugelscheibe, auf der
sie geschliffen sind, bezeichnet werden, so ist bei exaeten, wissenschaft-
lichen Untersuchungen nöthig, ihre Brennweite direct zu bestimmen.
Auch sonst hat man gelegentlich dies Bedürfniss, wenn die Optiker die
Nummer überhaupt nicht eingeschliffen haben. Von Snellen und
Badal sind zu dem /wecke besondere Instrumente ( Phakometer)
angegeben. Für Convexgläser kann man die Brennweite einfach so be-
stimmen, dass man mit ihnen das umgekehrte scharfe Bild der Sonne
oder eines weit abgelegenen Gegenstandes auf einer (dienen Fläche
entwirft und die Entfernung zwischen ( i las und Bild misst. Bei der
Bestimmung von Concavgläsern benutzt man Convexgläser von bekannter
Brennweite. Ist die Brennweite des Concavelases der eines bestimmten
I optische Einleitung.
31
Convexglases gleich, so wird, wenn man beide Gläser aufeinander legt,
der durch die ( i läser-Combination angesehene Gegenstand keine Ver-
änderung im Aussehen erfahren, da man alsdann gleichsam durch plan-
paralleles Glas sieht. Man macht den Versuch einfach so, dass man mit
einem Auge durch die etwa 10 cm davor gehaltene ( $äser-Combination
nach dem horizontalen Balken eines Fensterkreuzes sieht und zwar in der
\\ eise, dass ein Theil desselben frei, der angrenzende durch das ( J las ge-
sehen wird. Sieht man durch das( 'entrinn des Glases, so bilden beide Theile
eine einfache horizontale Linie. Verschiebt man nun das (ilas nach
unten, so beobachtet man. wenn die Brechkraft des Concavglases stärker
ist, demnach die Linsencombination als Concavglas wirkt, dass das durch
die Gläser gesehene horizontale Object eine scheinbare Bewegung macht
und zwar gleichartig der Bewegungsrichtung: es rückt von oben nach
unten. Ueberwiegt hingegen das Convexglas, so tritt bei diesem Hin-
und Herschieben eine Scheinbewegung des Objectes in entgegen-
gesetzter Richtung ein. Es beruht dies darauf, dass die prismatische
Wirkung (siehe unten) der Convex- und Concavgläser zu Tage tritt,
wenn man nicht central, sondern durch den Rand derselben blickt.
Das Concavglas (Figur 14 : — ) wirkt als Prisma, dessen Basis dem
Rande zu liegt, das Convexglas (-{-) als Prisma, dessen Kante dem
Rande zu liegt. Auch bei Cylindergläsern kann man dies Verfahren
anwenden, wenn man die Achse den Fensterbalken parallel hält.
Ebenso lässt sich auf diese Weise das Centrum der Brillengläser
bestimmen, was beim Einsetzen in die Gestelle von Bedeutung ist.
Man muss hier die Stelle aussuchen, wo so wohl der horizontale, wie
der vertikale Arm ungebrochen erscheinen: sieht man durch eine andere
Stelle, so erscheinen sie verschoben (Figur 15j.
Ausser den Biconvex- und Biconcavlinsen werden zu Brillen auch
convex-coneave und coneav-convexe Gläser benutzt; dieselben werden
von einer coneaven Fläche auf der einen und einer convexen Fläche
auf der anderen Seite begrenzt. Ist die coneave Fläche stärker ge-
krümmt, so wirken sie zerstreuend (negativer Meniscus b Figur 1(3 );
ist die convexe stärker gekrümmt, als Sammelgläser (convexer Meniscus a).
32 Anomalien der Refraction und Accommodation.
Derartige ( rläser haben den Vortheil (besonders wenn die concave Seite
dem Auge zugekehrt ist), dass beim Bliek durch den Rand derselben
nur geringe Verzerrung- der Bilder eintritt; man hat sie daher auch als
„periskopische Brillen" empfohlen, jedoch bieten nur dieConcav-Gläser
einen bemerkenswertheren Vortheil (Östwalt). Ausser den genannten
Gläsern hat man noch planconvexe (c Fig. 16) und planeonca ve Linsen (d).
Doch werden diese wenig verwandt, da sie noch mein' als die Biconvex-
und Biconcavlinsen diejenigen Lichtstrahlen, welche durch den Band
einfallen, unregelmässig brechen (sphärische Aberration); gemein-
sam mit ihnen haben sie die prismatische Wirkung beim peripheren
Durchblicken.
Die Zahl der in Gebrauch befindlichen Brillengläser ist eine ziem-
lich grosse; das Bedürfniss hat dazu geführt, besonders die Gläser von
schwächerer Brechkraft verhältnissmässig zahlreicher zu führen. Wenn
z. B. auf Linse !/6 die Linse '/7 (Differenz '/42) im Brillenkasten folgt,
so folgt auf '/fi0 als schwächste '/g0. Zwischen diesen beiden ist aber
die Brechungsdifferenz nur V240- Bereits Burow hatte 1864 dem Ver-
langen Ausdruck gegeben, gleiche Refractionsintervalle zwischen den
einzelnen Brillengläsern zu lassen. Mit Einführung des Metermaasses
hat man auch nach der Richtung einen weiteren Schritt gethan, jedoch
haben die Bedürfnisse der Praxis sich einer vollkommen strengen Durch-
führung eines einheitlichen Refractionsintervalles widersetzt. 1875 wurde,
besonders auf Antrieb von Nagel undDonders, zur Bestimmung der
Brennweiten das Metermaass eingeführt. Hiermit war die Unzukömm-
lichkeit beseitigt, die darin lag, dass das Zollmaass nicht überall gleiche
Grösse hatte. Als Grundlage des ganzen Systems wurde die Meter-
linse (Ml) genommen, d. h. eine Linse, deren Hauptbrennweite gleich
1 Meter ist. Die Brechkraft dieser Linse bezeichnet man als
1 Dioptrie (Monover). Eine Linse von 2-0 Dioptrien hat eine dop-
pelte Brechkraft; die Brennweite ist ]/2 m. Eine Linse 3-0 hat eine
Brennweite von '/3 m. u. s. f. Um geringe Refractionsintervalle zu
haben, hat man 0-5 und 0-25 Dioptrien eingeschoben. Die schwächsten
Gläser werden als Brüche von Dioptrien bezeichnet; 0-5 ist gleich einer
Linse, deren Brennweite 2 m ist.
Es ist nicht zu leugnen, dass die frühere, beim Zollmaass übliche
Bezeichnung der Linsenbrechkraft durch einen Bruch bequemer war, da
die Brennweite sofort in dem Nenner hervortrat. Bei Dioptriebezeicli-
nung bedarf es erst des Hineindividirens in 1 m, um die Brennweite zu
erhalten. Sehr häufig kommt es alsdann, wenn man den Meterbruch
in Cent mietern ausdrücken will, zu irrationalen Zahlen; z. B. ist die
Brennweite einer Linse 7-0 = ]i m = 14-2*0714 .... cm!
Die Umrechnung aus Zollmass in Dioptriebestimmung ist leicht.
Optische Einleitung. 33
Man setzt hierbei 1 m = 40 Zoll Zwar hat der Meter eigentlich
38-23 Zoll. Da aber die biconvexen und biconcaven Brillengläser, wie
wir gesehen, von den Brillenschleifern nach dem Radius der Krümmung
bezeichnet werden, und dieser nur dann der Brennweite gleich kommt,
wenn der Brechungsindex des Glases = 1-5 ist, so dürfte die Gleich-
setzung der Brechkraft einer biconvexen oder biconcaven Linse von
40 Zoll Kugelradius, also ' 40 == 1-0 Dioptrie dem wirkliehen Werte
ziemlich entsprechen, da hei dem gewöhnlich etwas höheren Brechungs-
index des Glases die Brennweite eine kürzere wird als der Radius der
Schleifung.
Will man die in Zoll angegebene Brechkraft einer Linse in Dioptrien
umwandeln, so multiplieirt man den Bruch mit 40-, will man Dioptrien
in Brechkraft nach Zollen umwandeln, so dividirt man ihre Anzahl
durch 40: z. B. ' 20 = 40/20 Dioptrien = 2-0; 5-0 D = 5/40 = </s
nach Zollmaass. — Um die nach Zollmaass bestimmten Brillengläser,
hei welchen die Optiker auch die eingeritzte Numerirung meist mit
ganzen Zahlen machen (also z. B. 8 statt '/g), von den nach Dioptrien
bezeichneten zu unterscheiden, pflegt man letztere mit einer Decimal-
stelle zu versehen, beispielweise statt 8 Dioptrien 8-0 zu schreiben.
Die bisher besprochenen Linsen sind sphärische, da sie Kugel-
segmenten entsprechen. Eine andere Form von Linsen, die aus Cyliri-
dern gewonnen sind, soll später (cfr. Astigmatismus) besprochen
werden. —
Prismatische Brillen. Als Prisma bezeichnet man in der
Optik ein durchsichtiges Medium, welches durch zwei gegen einander
geneigte Flächen begrenzt wird. Die Kante K
(Figur 17) des Prismas ist die Linie, in welcher
sich die beiden Grenzflächen schneiden, respec-
tive hinreichend verlängert schneiden würden:
die Basis ist irgend eine der Kante K gegen-
überliegende Fläche B; der brechende Winkel 17t
ist der Winkel, welchen die beiden Flächen des
Prismas miteinander machen (Winkel k). Nach der Grösse dieses Win-
kels wird das Prisma bezeichnet: also ist ein Prisma von 8 Grad ein
solches, dessen Flächen sich unter einem Winkel von 8 Grad schneiden.
In den Prismen unserer Brillenkästen ist Kante und Basis gewöhnlich
leicht erkennbar, da sie die oben gezeichnete Form haben; bei der
Anwendung als Brille giebt man ihnen eine runde Form und erschwert
hierdurch in etwas die genaue Kenntniss der Lage der Basis.
Strahlen, die in ein Prisma fallen, werden nach der Basis hin ab-
gelenkt und zwar um so mehr, je grösser der brechende Winkel ist.
Das Minimum der Ablenkung findet statt, wrenn der einfallende und der
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 3
34 Anomalien der Refraction und Accommodation.
austretende Strahl mit dem Prisma gleiche Winkel einschliessen. Man
kann für schwache Prismen den Ablenkungswinkel ungefähr gleich der
Hälfte des Prismawinkels setzen, sodass ein Prisma von 10 Grad eine
ungefähre Ablenkung von 5 Grad bewirkt. — Hält man sich ein stark
brechendes Prisma (etwa 25 Grad) vor das linke Auge (Figur 18), mit
der Basis nach aussen, und fixirt einen in einiger Entferung befindlichen
Gegenstand (a), so sieht man denselben doppelt. Das rechte unbewaffnete
Auge sieht nämlich den Gegenstand mit der Macula lutea, dem Centrum
der Netzhaut, und projicirt ihn demnach auf die Stelle im Räume, wo
er sich wirklich befindet. Die in das linke Auge fallenden Lichtstrahlen
werden nach der Basis des Prismas, hier also nach aussen hin abgelenkt.
Sie treffen nicht die Macula lutea, sondern einen
temporal gelegenen Ort der Netzhaut; das hier
entstehende Bild wird dementsprechend auf einen
nasalwärts befindlichen Gegenstand (a,) bezogen:
es treten nebeneinanderstehende Doppelbilder auf.
Dass die Ablenkung der Strahlen eine verschiedene
ist je nach der Richtung, in der sie das Prisma treffen,
oder mit anderen Worten je nach dem Winkel,
unter dem sie einfallen, zeigt sich bei diesem Ver-
suche leicht, wenn man das Prisma vor dem linken
Auge um die verticale Achse so dreht, dass die
Kante sich beispielsweise dem Auge abwendet: es wächst alsdann die
Seitenentfernung zwischen den Doppelbildern.
Gehen verschieden gefärbte Strahlen durch ein Prisma, so erleiden
sie eine verschieden starke Ablenkung. Am meisten wird das violette
Licht, am wenigsten das rothe abgelenkt. Einfaches weisses Sonnen-
lieht wird hierdurch in seine Farben (Spectralfarben) zerlegt.
In den grösseren Brillenkästen finden sich Prismen von 1 bis 18
Grad. Für den Gebrauch in Brillengestellen bedient man sich nur der
schwächeren Grade (etwa bis (3 Grad), weil sie sonst zu schwer sind
und auch beim peripheren Durchblick starke Ablenkung und Farben-
zerstreuung bewirken. Die Einfuhrung der prismatischen Brillen in die
praktische Ophthalmologie ist von Donders ausgegangen, ebenso die
der st enopäi sehen Apparate. Letztere bestehen in undurchsichtigen
Schalen oder Platten mit kleinen runden Oerfnungen oder linearen
Schlitzen. Ihr Name rührt von oxsvoq eng und ojtrj Oeffnung her. Sie
gestatten dem Lichte nur durch die betreffende Oeffnung Zutritt zum Auge
und schliessen so einen grossen Theil der Strahlen aus. Dies ist bis-
weilen von Vorfhcil, wenn in dem ausgeschlossenen Gebiete der Cornea
eine so unregelmässige Brechung vorhanden ist, dass Sehstörungen dar-
aus erwachsen. Auch die Abhaltung der peripheren, diffusen Netzhaut-
Optische Einleitung-. 35
beleuchtung durch die Seleva ist bei der erzielten Verbesserung der Seh-
schärfe in einzelnen Fällen von Bedeutung*.
Messinstrumente für kleinste Bildobjecte. [Die Bestimmung des
Krümmungsradius der Cornea ist mittels des Ophthalmometers von Helm-
holtz ausgeführt worden. Sic beruht darauf, dass die Hornhaut wie ein Convex-
spiegel (oder etwa wie die in 0 arten aufgestellten spiegelnden Kugeln) wirkt und
von entfernten Gegenständen verkleinerte, aufrechte
Bilder entwirft. Die Construction dieser Bilder ist
aus Figur 19 ersichtlich. Man zieht nach der Spiegel-
Oberfläche von dem Objectpunkt A eine mit der
Hauptachse parallel laufende Linie A s. Der in dieser
Richtung laufende Lichtstrahl geht durch den Brenn-
punkt l\ : dann zieht man von A nach dem Krüm-
mungsuiittelpunkt des Spiegels C eine Linie: der ent-
sprechende Strahl geht direct und ungebrochen.
Wo sFj und AO sich schneiden (a), liegt das Bild
von A.
Diese Bilder sind grösser, wenn der Krümmungsradius des Spiegels grösser
ist. kleiner bei kleinerem Krümmungsradius, da die Brennweite der Convex-
spiegel gleich der Hälfte ihres Krümmungradius ist und, wie wir ähn-
lich bei Convexlinsen bereits gesehen, die Grösse des Gegenstandes zur Grösse
des Bildes sich verhält wie die Entfernung des Gegenstandes von der Spiegel-
fläche zur Entfernung des Bildes. Ist der Gegenstand so weit entfernt oder so
klein, dass man die von ihm kommenden und die Mitte des Spiegels treffenden
Strahlen als annähernd parallel betrachten kann, so wird sich sein Bild in dem
Brennpunkt des Spiegels (Fj) entwerfen. Es ist in diesem Falle -^r = -f-, wo d
die Entfernung des Gegenstandes von der Spiegelfläche und f die Entfernung des
Brennpunktes von derselben, also die Brennweite ausdrückt. Da aber die Brenn-
weite des Convexspiegels gleich dem halben Krümmungsradius ist, so wird
AB d , , , ab.d
^r = T7- oder V2t= . ^ »
ab i,r AB
Stellt man einen Gegenstand von bekannter Grösse (A) in einer nicht zu
kleinen Entfernung (d) vom Auge auf und misst das hinter der Hornhaut ent-
stehende Spiegelbild (a), so erhält man nach dieser Formel den Krümmungsradius.
Las Helmholtz'sche Ophthalmometer benutzt die Verschiebung, welche ein durch
schiefgehaltene Glasplatten gesehener Gegenstand erfährt, um die kleinen Spiegel-
bilder zu messen. Indem vor einem Fernrohr zwei plane, nebeneinander liegende
und sich mit der Kante berührende Glasplatten in entgegengesetzter Richtung
gedreht werden, wird das fixirte Bild von der einen Platte nach rechts, von der
anderen nach links verschoben. Ist die Verschiebung so weit erfolgt, dass sich
die beiden Bilder gerade noch mit ihren Rändern berühren, so ist diese Ver-
schiebung natürlich gleich der Grösse der Bilder. Wenn an dem Ophthalmometer
vorher empirisch festgestellt worden, dass eine Drehung der Glasplatten um so
und so viel Grad eine Verschiebung des Bildes von so und so viel Millimetern be-
wirkt, kann man aus der Drehung die Grösse des beobachteten Bildes auf das
(Genaueste bestimmen.
Der Javal-Schiötz'sche Apparat (Figur 20) hat den Vortheil besserer
praktischer Verwendbarkeit. Hier ist die Grösse des Hornhautspiegelbildes con-
stant. aber die Grösse des gespiegelten Objectes veränderlich. Als letzteres
3*
::.;
Anomalien der Refraction und Accommodation.
dient der an Grösse veränderliehe Zwischenraum zwischen zwei weissen Porzellan-
Figuren ik.k die auf einem drehbarenKreisbogen(m) verschieb Dar sind. DasSpiegel-
bild auf der Hornhaut betrachtet man nicht direct, sondern durch ein an dem
Kreisbogen befindliches Fernrohr (AB), dessen dem beobachteten Auge zugewand-
tes linde ein Objectiv trägt. Letzteres entwirft einmal durch zwei Convexlinsen
ein umgekehrtes vergrößertes
Bild des Hornhautbildes und
zweitens verdoppelt es dasselbe
durch ein zwischen den Linsen
befindliches doppell »rechendes
Kalkspath-Prisma (wie es früher
bereits von Coccius benutzt
wurde) oder durch zusammenge-
setzte Glasprismen, wie in den
Apparaten von Ragen aar in
Utrecht. Die Wirkung- dieserVer-
doppelung ist eine solche, dass
bei einer Entfernung- des Kreis-
bogens bez. des gespiegelten Ob-
jectes von 350 mm von der
beobachteten Cornea ein Cornea-
bild, welches die Breite von
3 mm hat. in der Weise doppelt
erscheint, dass die Ränder sich
gegenseitig berühren. Da, wie
erwähnt, das gespiegelte Object
durch zwei weisse Figuren, von
denen das eine 6 treppen-
förmige Einseimitte besitzt, be-
grenzt wird, sieht man durch
die Verdoppelung des Ralk-
spathprismas ein Corneabild.
welches 4 Figuren zeigt: durch
Aneinander- oder Abrücken
der Platten auf dem Kreis-
bogen kann man bewirken,
dass die beiden inneren, das
einfache Viereck und das mit
treppenförnügen Einschnitten
(cf. Figur 21), sich gerade berühren: alsdann ist das Corneabild 3 mm gross. Die
Entfernung der beiden Figuren von einander in diesem Moment — also die Grösse
des das Spiegelbild liefernden Zwischenraumes — ist auf dem Kreisbogen zu messen.
Hieraus aus der bekannten Grösse des Corneabildes und der Entfernung des
Objectes von der Cornea liisst sich der ( iornea-Radius, beziehentlich die Brechung
der Cornea berechnen. Der grosse Vorzug des Javal-Schiötz'schen Ophthal-
mometers besteht nun darin, dass bei der oben erwähnten Entfernung des ge-
spiegelten Objectes von der Cornea und Annahme eines Brechungs-Index von P35
für letztere, die bei der Berührung der Spiegelbilder vorhandene Stellung der
Platten auf dem Kreisbogen es erlaubt, ohne weiteres den Hornhautradius und
die Hornhautbrechung zu erkennen. Je 6 mm Abstand der Figuren auf dem
Kreisbogen zeigen eine Dioptrie Cornea-Brechung an. Da der Kreisbogen in
Optische Einleitung. 37
6 mm grosse Abschnitte getheilt ist, kann man die Dioptrie-Zahl einfach ablesen.
Um den Hornhaut-Radius zu ermitteln, dividirt man mit der für die Brechung
gefundenen Dioptrie-Zahl in 350; also beispielsweise bei X> Dioptrie Hornhaut-
brechung beträgt der Hornhautradius 10 mm. An den Utrechter Ophthalmometern
ist — bei Annahme eines Brechungs-Index der Hornhaut von 1,337 — der Radius
der Hornhaut so angegeben, dass mit der gefundenen Dioptrie-Zahl in 337 dividirt
wurde. Durch Drehung des Kreisbogens lässt sich die Refraction in den ver-
schiedenen Meridianen der Hornhaut schnell bestimmen- die Hauptmeridiane (d.h.
der schwächst- und der stärkstbrechende Meridian) pflegen in der Regel senk-
recht aufeinander zu stehen. Die Bestimmung der bei Astigmatismus vor-
handenen Abweichungen wird noch dadurch erleichtert, dass, wenn die Platten
in der Stellung, in welcher sich die
Spiegelbilder in einem Meridian berühr-
ten, stellen bleiben, sie in dem darauf senk-
rechten Meridian entweder sich decken (cf.
Figur 22) oder von einander abstehen. Würde
man sie beim Abstehen durch Verschieben
aneinander bringen, so müssten sie, falls man
jetzt den ersten untersuchten Meridian wie-
der einstellte, natürlich hier sich decken.
Da die Treppenstufen des einen Viereckes
je eine Breite von 6 mm haben, so wird jede
gedeckte Treppenstufe 1 Dioptrie schwächere Brechung als in dem vorigen .Meri-
dian anzeigen. Die Deckung der Treppenstufen zeigt nämlich, dass das gespiegelte
Hornhautbild zu gross ist ("grösser als 3 mm); der betreffende Hornhautmeridian
hat also das Object zu stark vergrössert. Um das zur einfachen Berührung der
Figuren-Ränder erforderliche kleinere Hornhautbild zu erhalten, muss man das Object
vergrössern. d. h. die Platten weiter auseinander rücken. — Bei der Anwendung des
Instrumentes, das besonders für schnelle Bestimmung des regelmässigen Astig-
matismus Nutzen bietet, stellt der Untersucher erst sein Auge durch Verschieben
des Oculars auf einen im Innern des Instrumentes befindlichen Faden genau ein,
indem er das Fernrohr zur Beleuchtung auf ein an der Seite des Kopf gesteiles
angebrachtes Porzellanplättehen richtet. Der Faden befindet sich an der Stelle,
an welcher das von den Objectivlinsen gelieferte Corneabild entworfen wird. Als-
dann stellt er die Cornea des zu Untersuchenden ein, indem er den Fuss des
Intrumentes F nach vorn oder rückwärts schiebt, beziehentlich durch die Schraube
r das Objectiv B hebt oder senkt, bis er die Spiegelbilder scharf auf der Horn-
haut des Untersuchten, der sein Gesicht durch die Oeffnung 0 des Kopfhalters
steckt, erblickt und bringt nun durch Verschieben der Porzellan-Platte 1 — (k
kanu man mit seinem inneren Rande auf dem Theilstrich 20 des Kreisbogens [d. h.
20 x 6 mm von der Mitte des Fernrohr-Tubus entfernt = 20 Dioptrien] festgestellt
lasseni — die Spiegelbilder auf der Hornhaut zur Berührung. Falls eine Höhen-
differenz der Figuren hierbei hervortritt, so zeigt dies natürlich von einer unregel-
mässigen Brechung des eingestellten Hornhautmeridians, vorausgesetzt, dass sich
nicht etwa der Reifen, auf dem die Platten laufen, etwas verbogen hat. Man muss
dann einen Meridian wählen, in welchem die Figuren in gleicher Höhe nebenein-
ander stehen. Dieser Meridian entspricht einem Hauptmeridian des astigmatischen
Auges. Bei Benutzung des Tageslichts sitzt der zu Untersuchende mit dem Rücken,
alier etwas schräg, gegen das Fenster: es ist angenehm, wenn das Zimmer nur
von einem Fenster beleuchtet wird. Künstliche Beleuchtung würde über dem
Kopfhalter anzubringen sein.
38 Anomalien der Refraction und Aeeonimodation.
2. Physiologische Optik.
Die Grösse des Hornhautradius ist an der Stelle, wo die Cornea
von der Sehlinie geschnitten wird, bei normal brechenden Augen im
Durchschnitt nach Donders 7-8 min; jedoch haben die mit dem Javal-
Scniötz'schen Instrumente jetzt leicht ausführbaren Massen-Bestim-
mungen ergeben, dass grosse individuelle »Schwankungen vorkommen,
die zum Theil mit der Körpergrösse der Untersuchten in Verbindung
stehen. Der Radius des verticalen Meridians weicht von dem des hori-
zontalen meist in der Art ab, dass ersterer kleiner ist, die Cornea dem-
nach in verticaler Richtung eine stärkere Krümmung zeigt. Der Krüm-
mungsradius der vorderen Linsenfläche beträgt 10 mm, der der hinteren
6 mm: doch sind dies nur Durchschnittszahlen. Das Brechungsvermögen
der Cornea, des Glaskörpers und des Kammerwassers ist circa 1-33, das
der Kry stalllinse 1-43.
Auf Grund dieser Bestimmungen hat man sich zum Zwecke opti-
scher Betrachtungen und Berechnungen ein schematisches Auge
construirt, welches die zur Berechnung von zusammengesetzten optischen
Systemen erforderliche Lage der sogenannten Cardinalpunkte an-
giebt. Bei jedem centrirten Systeme (d. h. einem Systeme, bei dem die
Centren der sphärischen Flächen auf einer geraden Linie, der Haupt-
achse des Systems, liegen) haben wir drei Paare von Cardinalpunkten.
Ein Paar lernten wir bereits bei den Biconvexlinsen genauer kennen:
die Brennpunkte. Wir unterscheiden den ersten (vorderen) Brenn-
punkt (f,), in dem sich von rechts auf das optische System kommende,
der Hauptachse parallele Strahlen zu einem Punkte vereinigen, und den
zweiten (hinteren) Brennpunkt (f2), der den Vereinigungspunkt eben
solcher von links kommenden Strahlen bildet (Figur 23). Als Brennweite
(1. respective 2.) bezeichneten wir den Abstand des Brennpunktes vom
optischen Centrum. Es ist dies aber nur annähernd richtig: die Brenn-
weite ist der Abstand des Brennpunktes (1. resp. 2.) von dem Haupt-
punkte (1. resp. 2.). Die beiden Hauptpunkte (oder die durch sie
senkrecht zur optischen Achse gelegten Hauptebenen) werden dadurch
cliarakterisirt, dass im zweiten das gleiehgrosse und gleichgerichtete
Bild eines im ersten befindlichen Leuchtobjeetes entstehen würde, wenn
die Strahlen die Brechung des ganzen Systems durchgemacht haben.
Das dritte Paar der Cardinalpunkte: die Knotenpunkte sind dadurch
bestimmt, dass jeder Strahl, der vor der Brechung durch den ersten
Knotenpunkt geht, nach der Brechung durch den zweiten geht und
dabei seiner ersten Richtung parallel bleibt. Ihr Abstand von einander
ist gleich dem der Hauptpunkte von einander. Die beiden Knoten-
Physiologische Optik
39
punkte fallen bei der Bieonvexlinse mit den beiden Hauptpunkten zu-
sammen (h, = kj und h2 = k2), wenn die Linse vor und hinter sieh
ein gleiches Medium hat. Wir hatten bereits gesehen, dass unter dieser
Voraussetzung auch die beiden Hauptbrennweiten gleich waren: ein
Satz, der sieh darauf gründet, dass bei optischen Systemen die beiden
Hauptbrennweiten sieh verhalten wie die Breeluuigsexponenten des
ersten und des letzten Mediums.
Beim Auge, wo die Strahlen aus Luft in die doch stärker brechenden
Augenmedien gehen, sind die erste (vordere) und zweite (hintere) Brenn-
weite nicht gleich. Für das von Listing1 construirte schematische
Auge hat Helmholtz (1886)
das von Listing
folgende
Zahlenangaben gemacht :
der vordere Brennpunkt liegt 13.745 mm vor dem Hornhautscheitel; der
erste Hauptpunkt 1-735 mm, der zweite 2-106 nun, der erste Knoten-
punkt 6-968, der zweite Knotenpunkt 7-321, der zweite Brennpunkt
23.
24.
22.819 mm hinter dem Hornhautscheitel. F$F2 (Figur 24) ist die optische
Augenachse; dieselbe fällt nicht zusammen mit der S eh- und Gresichts-
linie G^G^ (Verbindung zwischen Macula lutea und dem angesehenen
Objeet). Im horizontalen Durchschnitt geht letztere meist nach innen
von ersterer durch die Hornhaut.
Für die Berechnungen in der ophthalmologischen Praxis genügt
die Zugrundelegung eines noch mehr vereinfachten Augenschemas, des
reducirten X ormalauges vonDonders. Dasselbe wird repräsentirt
durch eine einzige gekrümmte brechende Fläche von 5 mm Radius.
Der gemeinsame Hauptpunkt liegt im Scheitel, der gemeinsame Knoten-
punkt 5 mm dahinter im Krümmungsmittelpunkt. Vor dem Auge be-
findet sich Luft, in demselben Wasser.
Der Brechungsindex des Wassers (n) beträgt 4/3, d. h., wenn
ein Lichtstrahl aus Luft in Wasser übergeht, so wird er in der Weise
abgelenkt, dass sich der Sinus des Einfallwinkels i zum Sinus des
Brechungswinkels r wie 4:3 verhält (- = n) (Fig. 25). Umgekehrt
verhält sich der aus Wasser in Luft gehende Lichtstrahl; sein Brechungsex-
40
Anomalien der Refraction und Accommodation.
ponent ist .'5:4. — I >er grössteWerth; den der Einfallswinkel i haben könnte,
wäre 90 Grad; hier liefe der Lichtstrahl parallel der Wasseroberfläche.
In diesem Falle ist sin i = sin 90° = 1, also -: = n: sin r =
sm r n
= :t4 =0-7;"). Da 0.7;") = sin 48" 35' ist, so ist dies der ( Jrcnzwinkel
für Luft und Wasser. Träfe ein im Wasser laufender Lichtstrahl
unter diesem Winkel (r) die Oberfläche des Wassers, so würde er heim
Uebergang in die Luft parallel der Trennungsfläche verlaufen. Ist der
25.
26.
Winkel (r) aber grösser, so wird Winkel i grösser als 90 Grad, d. h.
der im Wasser laufende Lichtstrahl tritt gar nicht in die Luft über,
sondern wird an der Trennungsfläche so reflectirt, dass er im Wasser
bleibt und in entsprechender Richtung zurückgeworfen wird. Man be-
zeichnet dies als totale Reflection. Dieselbe ( — soweit sie zwischen
Luft und Glas, wo n = 23 ist, in Wirkung tritt — ) findet bei manchen
Augenspiegeln ihre Verwerthung.
Die vordere Brennweite (Fjh Figur 2(3) des reducirten Auges
beträgt 15 mm, die hintere (F2h) 20 mm.
F Fi
Die optischen Berechnungen sind nach der Formel ,-•+-,- = ! zu machen:
b i2
hierbei ist Fi die erste Hauptbrennweite , F2 die zweite Hauptbrennweite. ft ist
die Entfernung desObjectes von dem Hauptpunkt und f2 die desBildes von ihm; beim
emmetropischen Auge ist f2 gleich der angenommenen Augenachse (20 nun). Dem-
F • f F f
nach ist f, = ~ — r|- und f2 = j-^-^4- • Auch die Seite 27 angeführte Formel
t2 — V 2 b — v i
b b- = Fi F2 liisst sich benutzen.
3, Refraction und Accommodation.
I. Refraction. Das schematische Auge giebt uns das Bild eines
normal brechenden Auges im Ruhezustand. Danach ist letzteres für
parallele Strahlen eingestellt; die Netzhaut liegt im Brennpunkt des
optischen Systems. Donders, dem wir neben Stellwag die Klärung
Refraction und Accommodation.
41
dieser Verhältnisse vorzugsweise verdanken, hat die Bezeichnung „enime-
tropisches Aug>ea für dasselbe eingeführt (ßfifiETQog niodum tenens,
coip oculus). Wir könneri demnach ein emmetropisches Auge als ein
solches detiniren, welches parallel einfallende Strahlen in einem Punkte
auf der Netzhaut vereinigt. Fs gilt das aber nur für central einfallende
Strahlen, die sich in der Macula Lutea oder deren Umgebung ver-
einigen; peripher einfallende parallele Strahlen vereinigen sieh auch
im emmetropischen Auge nicht zu einem scharfen Bilde auf der
Netzhaut.
Vorausgesetzt ist, wie bereits hervorgehoben, dass sich das Auge
im Ruhezustande befindet, d. h. dass die Aecommodation, welche
durch Vermehrung der Krümmung der Krystalllinse uns befähigt, auch
Strahlen, die aus grosser Nähe kommen, auf dev Netzhaut zu einem
scharfen Bilde zu vereinigen, -- vollständig abgespannt oder auf-
gehoben ist.
Alle Refractionsbestimmungen haben es mit dem ruhenden,
demnach für seinen Fernpunkt eingerichteten Auge zu thun. Der
Fernpunkt des emmetropischen Auges liegt in der Unendlichkeit, da
es die von dort kommenden parallelen Strahlen auf seiner Netzhaut
vereinigt.
Augen, bei denen sich -- immer die Aeeonmiodationslosigkeit vor-
ausgesetzt — parallele Strahlen nicht auf der Netzhaut in einem Punkte
vereinigen, heissen ametropische. In der Regel ist diese Anomalie
nicht durch eine Verschiedenheit der Brechkraft dieser Augen (Breeh_
ungsametropie), sondern durch eine abwei-
chende Länge der Augenachsen (Achsen-
ametropie) bedingt, Ist die Achse zu lang, so
besteht Myopie (Braehymetropie, Kurzsichtig-
keit), ist sie zu kurz, Hypermetropie (Hy-
peropie, Uebersichtigkeit). Wie Figur 27 zeigt,
liegt der Brennpunkt a (= F2) — gleiche Brech-
ung der Medien in den verschiedenen Augen
vorausgesetzt — bei dem längeren myopischen
Auge vor der Netzhaut M, beim hyperopischen
hinter der Netzhaut H: es werden also in bei-
den Fällen auf der ametropischen Netzhaut von unendlich entfernten
leuchtenden Punkten, die parallele Strahlen entsenden, keine scharfen
Bilder, sondern Zerstreuungskreise (bei H in a[ , bei M in a2) ent-
stehen.
Will das myopische Auge parallele Strahlen auf seiner Netzhaut
vereinigen, so bedarf es der Concavgläser. Durch letztere werden die
parallelen Strahlen zerstreut und in divergirende umgewandelt. Ist das
27.
42
Anomalien der Kefraetion und Accommodation.
Glas für die betreffende Länge der Augenachse richtig gewählt, so macht
es die Strahlen gerade so divergent, dass sie sich, wenn die Brechung
der Augenmedien weiter auf sie einwirkt, zu einem Punkte (scharfem
Bilde) auf der Netzhaut (m Figur 28) sammeln. Den Grad der Kurz-
sichtigkeit drückt die Brechkraft des eorrigirenden Concav-
glases aus. Bekommt ein Kurzsiehtiger z.B. mit — 20*0 (concav 72
nach Zollen) von parallelen Strahlen ein scharfes Bild, so bezeichnet
man die Kurzsichtigkeit als = 20-0 oder M(yopie) 20-0 (respective
nach Zollmass 31 {.,). Concav 20-0 zerstreut parallele Strahlen so, als
ob sie aus V20 m Entfernung kämen (+ R Figur 28). Sehen wir von
der etwaigen Entfernung des vorgehaltenen Concavglases vom Auge ab,
so ist damit zugleich gesagt, dass das betreffende Auge optisch einge-
richtet ist für divergente Strahlen, die aus '^o m Entfernung kommen :
sein Fernpunkt (R) liegt 5 cm vor dem Auge.
Das hypermetropische Auge bedarf der Convexgläser, um parallele
Strahlen auf seiner Netzhaut zu vereinigen. Da seine Achsenlänge
kürzer ist als im emmetropischen Auge, würden parallele Strahlen —
wiederum gleiche Brechkraft der optischen Medien vorausgesetzt — sich
erst hinter der Netzhaut zu einem Punkte (e Figur 29) sammeln. Durch
Wahl eines entsprechend starken Convexglases wird die Vereinigung der
Strahlen auf der Netzhaut (h) erreicht; die Brechkraft des eor-
rigirenden Convexglases drückt den Grad der Hyper-
opie aus. Sieht ein Hypermctrop z. B. mit 8-0 scharf in die Ferne,
so ist seine Hypermetropie 8-0. Sein Auge ist eigentlich eingestellt für
convergent in dasselbe fallende Lichtstrahlen; der Fernpunkt [des
Auges Hegt an der Stelle, wo diese Strahlen — falls die Brechung des
Auges nicht einwirken würde — zur Vereinigung kämen, d. h. hier hinter
dem Auge ( — R). Man sagt, um diese Lage und Strahlen-Richtung an-
zudeuten: das hyperopische Auge hat einen negativen Fernpunkt,
und zwar würde derselbe in unserem Beispiele ^3 m hinter dem Auge
liegen.
Tabellarisch kann man die drei Refraktionszustände so charakteri-
siren:
Refraction und Accommodation.
43
Emmetropie.
Parallele Strahlen auf der Netz-
vereinigen sieh haut
Myopie.
vor der Netz-
haut
Hyperopie.
Der Fernpunkt in der Unendlich- in einer bestimm
(punct. remotissi-
mum = R) liegt
keit (oc)
Das Auge ist im für parallele
Ruhestand ein- Strahlen
gerichtet
Es -ieht im Ruhe-
zustand in die
Ferne (^c)
ohne Glas
ten endlicher]
Entfernung vor
dem Auge (-J-)
für divergente
Strahlen
mit Concav
gläsern
hinter der
Netzhaut
in einer bestimm-
ten endlichen
Entfernung hinter
dem Auge ( — )
für convergente
Strahlen
mit Convex-
üdäsern
IL Accommodation. Das Auge vermag in verschiedenen Ent-
fernungen deutlich zu sehen, indem es auf die betreffenden Lichtstrahlen
sieh optisch einstellt oder „accommodirt*. Bei Aufhebung der Accom-
modation ist es auf seinen Fernpimkt eingerichtet. Strahlen, die von
einem näher gelegenen Punkte (p Figur 30) jetzt das Auge träfen,
würden sich erst hinter der Netzhaut vereinigen, auf der Netzhaut aber
ein verschwommenes Bild geben. Bei einem emmetropischen (also für
parallele Strahlen eingerichteten) Auge würden die von p kommenden
Strahlen beispielweise in pt zusammentreffen. Sollen dieselben auf der
Netzhaut vereinigt werden, so muss eine stärkere Brechkraft auf sie
wirken. Dieselbe wird dadurch erreicht, dass die Krystalllinse 1 sich
etwas stärker krüniint: es legt sich gleichsam zu ihrer eigenen Brech-
kraft noch die Brechkraft der schraffirt gezeichneten Convexlinse a
(Figur 31) hinzu. Ist diese Zunahme der Brechkraft entsprechend der
44
Anomalien der Refraction und Accommodation.
Divergenz der aus dem Punkte p kommenden Strahlen, so werden sich
dieselben nunmehr auf der Netzhaut zu dem Punkte pj vereinigen:
p wird scharf gesehen werden. Natürlich hat diese Zunahme der Brech-
kraft (um a Dioptrien) zur Folge, dass jetzt parallele Strahlen sieh
schon vor der Netzhaut vereinigen werden, also undeutliche Bilder
entwerfen. In einem gegebenen Zeitmomente kann das Auge nur für
eine einzige Entfernung optisch genau eingestellt sein.
Ks ist dies leicht zu constatiren. Sieht man beispielsweise durch eine mit
Bläschen oder sonstigen kleinen Unreinlichkeiten versehene Fensterscheibe einen
ausserhalb befindlichen Gegenstand an, so erscheint dieser scharf: von den Bläs-
chen der Fensterscheibe wird kaum etwas wahrgenommen, da von ihnen nur Zer-
streuungskreise die Netzhaut treffen. Richten wir aber auf die Fensterscheibe
unsere Aufmerksamkeit, so treten die Bläschen und Unreinlichkeiten scharf her-
vor und das früher fixirte Object wird verschwommen. Gewöhnlich dient zu einer
ähnlichen Beweisführung der Scheiner'sche Versuch, bei dem man ein un-
durchsichtiges Kartenblatt benutzt, in welches dicht nebeneinander zwei kleine
Löcher gestochen sind. Diese Löcher stehen so nahe, dass sie vor das Auge ge-
halten noch beide in das Gebiet der Pupille fallen. Blickt man durch sie nun
auf einen kleinen Gegenstand, etwa einen Stecknadelknopf (A), so erscheint der-
selbe bei guter Accommodation scharf und einfach. Hält man aber eine zweite
Nadel vor oder hinter die erste,
während man diese dauernd
tixirt, so erscheinen die Bilder
der zweiten (B) verschwommen
und doppelt. Dasselbe ge-
schieht, wenn man mit der ersten
Nadel so weit ab oder so nahe
herangeht, dass das Auge nicht
oo mehr darauf aecommodiren
kann. Das Doppeltsehen erklärt
sich aus Figur 32. Die von B
ausgehenden Strahlen vereinigen sich erst hinter der Netzhaut und bilden auf der
Netzhaut zwei Zerstreuungskreise bi und b2. die durch einen unbeleuchteten
Baum, welcher dem zwischen den Löchern befindlichen Stückchen des Karten-
blattes entspricht, getrennt sind.
Die Krümmungsveränderung der Krvstalllinse bei der
Accommodation für die Nähe lässt sich am lebenden Auge nach-
weisen. Wenn man von der Seite ins Auge blickt, tritt besonders
deutlich die Zunahme der Convexität der vorderen Linsenfläche hervor,
mit der ein gleichzeitiges Vorrücken des Pupillenrandes gegen die Cornea
verknüpft ist. Aber auch die hintere Linsenfläche vermehrt ihre
Krümmung, wenngleich in geringerem Grade. Die Linse wird demnach
beim Nahesehen dicker. Die betreffenden Veränderungen sind genau
studirt, indem man -- wie bei Messung der Hornhautkrümmung — die
von der Linse gelieferten Spiegelbilder maass (M. Langenbeck,
Uefraction und Accommodation. 45
Cranier, Helmholtz): bei Zunahme der Krümmung tritt eine Ver-
kleinerung derselben ein. Stellt man in einem sonst dunklen Zimmer zur
Seite und in gleicher Höhe des beobachtenden Auges eine Lampe
so. dass ihre Lichtstrahlen in die Pupille des Auges fallen, so erkennt
man, von der entgegengesetzten Seite in das Auge blickend, die ver-
kleinerten Spiegelbilder der Lampe und zwar erstens ein sehr helles,
aufrechtes, das von der als Convexspiege] wirkenden Hornhaut geliefert
wird; weiter ein sehr viel schwächeres, verwischteres, aber grösseres von
der ebenfalls eonvexen vorderen LinsenHäehe und sehliesslieh ein kleineres,
als helles Pünktchen erscheinendes umgekehrtes Flammenbild von der
concaven hinteren LinsenHäehe. Accommodirt das beobachtete Auge sich
nun für die Nähe, so wird das Bild der vorderen Linsenfläche kleiner
und nähert sieh auch meist mehr der Mitte der Pupille (Purkinje-
S a n > o n'scher Versuch).
Von sonstigen Veränderungen, die man beim Accommodationsact
beobachtet, ist die Verengerung der Pupille — verknüpft mit
einer geringen Verschiebung nasalwärts — von Bedeutung. Eine Pu-
pillenverengerung wird ebenfalls beobachtet, wenn beide Augen auf einen
nahe gelegenen Punkt convergiren, also gleichzeitig mit der Contraction
der 31. recti interni. Lnter gewöhnlichen Verhältnissen verbindet sich diese
Convergenz der Sehachsen in der Regel mit einer entsprechenden Accommo-
dation auf den fixirten Punkt, und es wäre schwer zu sagen, ob die Pupillen-
verengerung mit der Convergenz oder mit der Accommodation associirt
ist. Da man aber auch, ohne die Convergenz zu wechseln, seine Accom-
modation ändern kann, sei es durch Uebung oder durch Vorlegen von
Coneavgläsern, unter denen das Auge bei beibehaltener Fixation eines
bestimmten Punktes anders accommodiren muss, so lässt sich enveisen,
dass sich schon allein mit der Accommodation eine Pupillenverengerung
verknüpft. Allerdings finde ich, dass Accommodation und Convergenz
eine stärkere Pupillencontraction hervorrufen als erstere allein. Im
Uebrigen hat Pupillenverengerung keinen directen Einfluss auf das
Zustandekommen der Accommodation. Es sind Fälle bekannt, wo bei
fehlender Iris volle Accommodationsfähigkeit bestand (v. Grraefe). Noch
sei erwähnt, dass bei der Accommodation die Ciliarfortsätze nach vorn
und cornealwärts rücken, und weiter das Czermack'sche Accommo-
dationsphänomen. Letzteres zeigt sich in Gestalt eines leuchtenden
Kreises, der im Dunkeln beim Versuch der Nahe-Accommodation ein-
tritt. Eine Zunahme des intraocularen Druckes bei der Accommodation.,
wie öfter behauptet, ist nach den Untersuchungen von Hess und Heine
nicht nachweisbar. Dass durch andere Momente, etwa Veränderungen
in der Krümmung der Hornhaut oder Verlängerung der Augenachse
durch Druck der äusseren Augenmuskeln die Accommodation für die
46
Anomalien der Kefraction und Aceomniodation.
Ruhestand
33.
Accommodation.
Nähe bewirkt werden könnte, ist nicht erwiesen, trotzdem neuerdings
wieder diese Anschauung betreffs des (scheinbaren) Aecommodationsver-
mügens von Star-Operirten Vertreter gefunden hat (Förster, Schneller).
Die Veränderung der Krystalllinsenkrümmung hei der Aceomnio-
dation wird durch die Thätigkeit des M. eiliaris s. tensor ehorioideae
(Brücke) bewirkt. Nach Helmholtz, dessen Annahmen durch die
späteren Untersuchungen (besonders
von Hensen und Völckers) ge-
stützt wurden, erklärt sich der Ac-
commodationsact infolgender Weise.
Die zwischen dem Corp. ciliare und
dem Linsenrand gleichsam als Auf-
hängeband der Linse liegende Zo-
nula Zinnii ist im Ruhestande des
Auges (Einstellung für den Fern-
punkt) so gespannt, dass die der Linse innewohnende Krümmungs-
tendenz — aus dem Auge genommen zeigt die Linse eine erheblich
stärkere Krümmung — nicht zur Wirkung kommen kann. Durch
die Contraction der circulären Fasern des M. eiliaris (cfr. die Ana-
tomie des Uvealtractus) wird der die Linse umschliessende Kreis
verkleinert und damit die Zonula entspannt; diese Entspannung wird
dadurch unterstützt, dass gleichzeitig die longitudinalen Fasern des M.
eiliaris, deren vorderer Ansatzpunkt in der Gegend des Sclerallimbus,
deren hinterer an der Peripherie der Chorioidea liegt, diese letztere
Membran nach vorn ziehen. Die Krystalllinse krümmt sich nunmehr
ihrer Elasticität folgend stärker; sie wird in der Mitte dicker, ihr
Aequator wird kleiner.
Eine neuere Theorie von T scherning hat wenig Anhänger gefunden.
Nach ihr bewirken die meridionalen Fasern des Ciliarmuskels eine Anspan-
nung der Zonula nach hinten hin: die Linse krümmt sich dabei in der Mitte
stärker, ähnlich dem mechanischen Vorgange, der eintritt, wenn man ein
biegsames Rohr an seinen Enden nach hinten biegt; auch hierbei krümmt
sich der mittlere Theil des Rohres stärker. Hiergegen spricht besonders der
Nachweis von Hess, dass bei starker Accommodationsanstrengung die
Linse deutlich schlottert, also eine Zonula-Eiitspannung eintritt: die
Linse sinkt sogar bei stehender Stellung dem Gesetz der Schwere
folgend etwas nach unten. Bei der Aceomniodation für den Nahepunkt
wird demnach eine wesentlich stärkere Contraction des Ciliarmuskels ge-
macht, als zur maximalen Wirkung der Linse erforderlich ist. Heine
ist es gelungen, an Tauben auch microscopisch die zur Erschlaffung
der Zonula führende Contraction des Ciliarmuskels festzustellen.
Die Innervation des Accommodationsmuskels geschieht durch Aeste des
Refraction und Accommodation. 47
Oculomotorius, deren Ursprungszelleii am Hoden des ,"». Ventrikels liegen,
getrennt von den -weiter rückwärts liegenden Kernen, von welchen die
Oculomotoriusfasern, welche die äusseren Augenmuskeln versorgen, ent-
springen.
Nach obiger Darlegung ist das Auge, wenn der Ciliarmuskel sich
im Ruhezustande befindet, für seinen Fernpunkt, bei seiner Contraction
hingegen für nähere Punkte eingerichtet. Dass durch diesen Muskel
etwa auch eine Abflachung der Linse bewirkt werden könnte, also Ein-
stellung über den gewöhnlichen Fernpunkt hinaus (negative Accommo-
dation), erseheint nach den vorliegenden Daten nicht wahrscheinlich. —
Der Accommodationsimpuls erfolgt für beide Augen in der gleichen
Stärke (Hering). Dies ist besonders von Bedeutung für Individuen,
deren Augen eine verschiedene Brechkraft haben; eine Ausgleichung
derselben durch einen für beide Augen verschiedenen Accommodations-
grad ist in der Begel nicht möglich (Hess, Greeff).
Accommodationsbreite. Die Accommodationsbreite umfasst
die ganze Ausdehnung des deutlichen Sehens, also die Strecke zwischen
Fern- und Nahepunkt. Als Nahepunkt
(punet. proximum, P) bezeichnet man
den, dem Auge am nächsten liegenden
Punkt, in welchem mit möglichster Auf-
bietung der gesammten Accommoda-
tionskraft noch gerade scharf gesehen
werden kann: geht man mit dem Sehob-
jeete noch näher heran, so erscheint es 34.
verschwommen.
Um unter verschiedenen Umständen für die Accommodationsbreite
oder nach Dioptrien: a) einen vergleichbaren Maasstab zu haben,
\ A /
drückte Donders sie aus durch die Brechkraft der Sammellinse, welche
die aus dem Nahepunkt kommenden (also stärker divergirenden) Strahlen
so bricht, als wenn sie aus dem Fernpunkt (p. remotum, R) kämen. Es
giebt demnach die Accommodationsbreite den Ausdruck für die vitale
Krümmungsvermehrung, welche die Krystalllinse beim Accommodiren
auf das p. proximum sich zulegen muss. Nehmen wir an, in Figur 34
repräsentirt die Linse -- die Brechkraft des Auges, also die Brechkraft,
welche Strahlen, die aus dem Fernpunkt (ß) kommen, auf der Netz-
haut zu einem Punkte vereinigt. Bei einem emmetropischen Auge
würde es sich um parallele Strahlen handeln. Damit Strahlen vom
Xahepunkt (P) sich auf der Xetzhaut vereinigen, muss die Brechkraft
durch Accommodation vermehrt werden. In der Figur 34 sei diese
4s Anomalien der Refraction und Accommodation.
Krümmungsvermehrung der Krystalllinse durch die vorgelegte Convex-
linse . ausgedrückt. Letztere wird die entsprechende Brechkraft halten,
A ö t
wenn sie die aus P kommenden Strahlen so bricht, als wenn sie aus K kämen,
beim emmetropischen Auge sie also parallel macht. Wir linden den
Wertb von . nach der ohen angesehenen Formel für Convexlinsen:
-A.
. = -j- -=-• Hier ist £ die Brennweite der (Jonvexlinse (A), welch«'
t a b v J
die von einem in a Zoll (hier in P) befindlichen Gegenstand kommen-
den Strahlen so bricht, dass sie in b sich zu einem Bilde vereinigen,
oder, wenn es sich um ein virtuelles Bild handelt, von b (hier R)
zu kommen scheinen. Bei obiger Formel wurde, wie wir gesehen, die
Lage des Bildes mit dem positiven Vorzeichen ausgedrückt, wenn es
auf der anderen Seite der Linse entstand, als wo der Gegenstand sich
befand, lag es auf derselben Seite als negativ. Letzteres trifft
nun bei emmetropischen und myopischen Augen zu, hier ist der Fern-
punkt auf derselben Seite, wo der Nahepunkt liegt (d. h. vor dem Auge).
Es wird demnach für diese Augen die Formel der Accommodation s-
breite lauten:
I 1 *
A — P R '
Bei hypermetropischen Augen hingegen liegt der Fernpunkt hinter
dem Auge, also auf der anderen Seite; danach ist die Formel hier:
1=1 + 1.
A P R
Wenn man will, kann man auch als Accommodationsbreiten-Formel
die erstere testhalten, muss aber dann beim hvperopischen Auge die
Entfernung von R als negativ rechnen.
A P V R
Beispiel. Emmetropie und Nahepunkt in 4 Zoll, so ist die Accommodations-
breite, da R bei Emmetropie in der Unendlichkeit liegt,
i-=i _ i ==i_m
A 4 x 4
M • 1/ •> '/ 11 * ' 1 17 1
Myopie V2o, p. pro*. 3 Zoll; ~v= -., ---gg-^.
Byperopie l/30, p. pröx. 6 Zoll; - = ,. + .,,.=--- = •
Vorstehende Formel der Accommodationsbreite ist von Donders
für die Benutzung der Dioptrien entsprechend umgewandelt.
Refraction und Accommodation. 4(d
Wenn man dieselbe nämlich näher betrachtet, so findet man, dass
jeder Theü derselben den reciproken Werth der bezüglichen Brennweite,
also die Brechkraft der betreffenden Linsen ausdrückt. Unter Anwen-
dung der Dioptrien, welche, wie wir gesehen, eben Ausdruck der
Brechkraft sind, muss man danach die Formel nieht in Bruchform,
sondern so schreiben: a=p — r (Donders).
Einige Beispiele: L) Emmetropie; Nahepunkt in 25 cm. Der Fernpunkt bei
E liegt in x. die Brechkraft einer Linse von x Meter Mrennweite ist = ■ = ('),
X)
also r = 0. p ist die Brechkraft einer Linse von 25 cm oder i/i m Brennweite,
also =4-0 Dioptrien. Danach a = 4'0.
2 Myopie 1*0. Nahepunkt in !5 m, so ist a =5-0 — 1*0 = 4-0.
;i Hyperopie 2*0, Nahepunkt l/2 m; so ist a = 2-0 — ( — 2-0) = 4-0. Die
Addition der 2*0 Dioptrien bei Hyperopie erklärt sich auch, wenn man den Ac-
commodationsvorgang mit dem des Emmetropen vergleicht. Während letzterer,
um parallele Strahlen auf seiner Netzhaut zu vereinigen, keiner accommodativen
Vermehrung seiner Linsenkrümmung bedarf, muss der Hyperop 2'0 bereits um
diese 2*0 Dioptrien accommodiren. Dazu kommt dann für beide in gleicher Weise
die erforderliche Linsenkrümmung für den Nahepunkt.
Die letzten Beispiele zeigen zugleich, dass dieselbe Accommodationsbreite
(4*0) resp. dieselbe Krümmungsvermehrung der Krystalllinse erforderlich ist, um
zu accommodiren 1) von unendlich auf 25 cm oder 2) von 100 cm auf 20 cm oder
3 von 50 cm negativ oder jenseits unendlich auf 50 cm. Der optische Werth
der Accommodationsbreite giebt demnach keine Auskunft über die
Strecke oder Ausdehnung, in welcher deutlich gesehen werden kann.
Die Accommodationsbreite wird entweder für jedes Auge allein be-
stimmt (absolute Accommodationsbreite = a) oder für beide
Augen zugleich (binoculare Accommodationsbreite = a2): a und
a0 sind verschieden gross. Dies liegt in dem Einfluss, den die Conver-
genz der Sehlinien auf den Grad der möglichen Accommodationsspan-
nung ausübt. Früher bestand die Ansicht, dass Convergenz der Seh-
linien und Accommodation zusammenfielen; würden beispielsweise beide
Augen auf einen 25 cm entfernten Punkt gerichtet, so seien auch die
Augen auf diese Entfernung accommodirt und könnten keine Aenderung
in ihrem Aeeommodationszustande eingehen. Volkmann (1836) und
vor Allem Donders (1846) jedoch zeigten, dass die Hache anders
liegt. Es besteht zwar ein gewisses Band zwischen Convergenz der
Sehlinien und Accommodation, aber ein dehnbares. Man kann sich
leicht hiervon überzeugen, wenn man eine in einer bestimmten Entfer-
nung gehaltene Schriftprobe fixirt und nun schwache Concav- und Con-
vexgläser vor seine Augen hält. Mit einer ziemlichen Reibe solcher
Gläser wird man die Schrift scharf sehen und lesen können. Es muss
demnach zum Ausgleich der durch die vorgehaltenen Gläser bewirkten
Brechung der Lichtstrahlen eine Veränderung in der Brechkraft des
•Sc-hmidt-Rimpler. 7. Auflage. 4
50 Anomalien der Refraction und Accommodation.
Auges durch Krümmungsvennehrung I bei vorgehaltenem ( !oncavglas) oder
Krümmuirgsverringerung (bei vorgehaltenem Convexglas) stattfinden,
Trotz gleichbleibender Convergenz der Sehlinien treten also Acconuno-
dationsänderungen ein.
Umgekehrt lässt sich auch zeigen) dass man bei gleichbleibender
Accommodation auf eine Schrift mit (Ter Convergenz der Sehlinien
wechseln kann, indem man z. B. durch Vorlegen eines nicht zu starken
Prismas mit der Basis nach innen vor ein Auge eine Schielstellung des-
selben erzwingt —
Kehren wir zn den Versuchen mit Vorhalten von sphärischen
Gläsern vor die Augen zurück. Es stellt sich hierbei heraus, dass bei
Fixation eines nahen Gegenstandes allerdings die Accommodation, wie
durch das Vermögen, mit gewissen Convexgläsern noch zu sehen, er-
wiesen wird, erschlafft werden und somit factisch die optische Einstel-
lung auf einen ferner gelegenen Punkt 'erfolgen kann, — dass aber die
Einstellung auf den wirklichen Fernpunkt, wie ihn das Auge beim Blick
in die Ferne mit annähernd parallel gerichteten Sehlinien
hat, nicht zu erreichen ist. Mit der Convergenz der Sehlinien
bleibt eine gewisse Accommodationsspannung verknüpft;
je stärker convergirt wird, um so stärker ist die Spannung. Die stärkste
Convergenz ermöglicht es, auch die stärkste Spannung der Accommoda-
tion zu erreichen. Es tritt dies ein, wenn die Sehlinien noch stärker
convergent gemacht werden, als es die Nähe des stark herangerückten
Sehobjectes erfordert. Nehmen wir an, beide Augen eines Emmetropen
seien auf einen Gegenstand, der in 10 cm Entfernung in der Mittellinie
zwischen beiden Augen sich befindet, gerichtet und könnten ihn scharf
sehen, so ist die erforderliche Accommodationskraft = 10-0. Bückt
der Gegenstand noch näher, etwa bis auf 8 cm, so kann auf diese Ent-
fernung wohl noch convergirt, aber nicht mehr aecommodirt werden;
das Auge hat nicht die hierfür erforderliche Accommodationskraft von
12-5 Dioptrien (100/8 = 12-5). Dennoch erfolgt durch die vermehrte
Convergenz mit der Accommodation insofern eine Aenderung, als die-
selbe etwas höher gespannt wird als bei der Convergenz auf 10 cm
und nunmehr die optische Einstellung auf einen etwas näher gelegenen
Punkt (etwa auf 9-5 cm) eintritt. Da die Augen aber nicht auf diese
Entfernung, sondern auf 8 cm convergiren, so trifft das Bild des Punktes,
auf den jetzt aecommodirt wird, nicht identische Netzhautstellen, und
er erscheint doppelt. Letzteres lässt sich vermeiden, wenn nur mit einem
Auge gesehen und das andere durch Verdecken ausgeschlossen wird.
Es ist hierbei auch m ögj^lfjj ^isjsjJ(fes-^erdeckte Auge noch stärker con-
vergirl (d. h. nach i.i>rft>n schielt) unCc^iiirch die hierdurch erzielte
Refraction und A.ccommodation. 51
Accoinmodationsspannung, welche auch dem offenen Auge zu gute kommt,
letzteres zu stärkerer Accommodation befähigt.
Die monoculare Prüfung erzieh* demnach ein näheres p. prox.
als die binoculare, und damit ist auch die absolute Accommodationsbreite
ui=p — r) grösser als die binoculare (a2 = p2 — r2); der Fern-
punkt bleibt bei beiden in gleicher Lage. —
Die Accommodationsbreite der Augen spielt eine grosse Rolle bei
der Beschäftigung in der Nähe: bei Emmetropen und Hypernietropen
kann die Verringerung derselben leicht Mangel an Ausdauer und Er-
müdungserscheinungen hervorrufen, worauf wir später noch zurück-
kommen. Ihre Untersuchung' hat daher eine durchaus praktische Be-
deutung. Dies gilt auch bezüglich der dritten Form der Accommoda-
tionsbreite: der relativen (a,). Bei jeder Convergenz dw Sehlinien
kann, wie wir gesehen, die Accommodation noch in einer gewissen Breite
spielen: diese lässt sich durch die Summe der Brechkrat't des noch eben
zu überwindenden stärksten Concav- und des anderseits noch eben zu-
lässigen stärksten Convexglases beim
Ansehen des in gleicher Entfernung blei-
benden Gegenstandes ausdrücken. Sie
ist „relativ* zur Convergenz oder
mit anderen Worten zur Entfernung des
iixirten Objects; es giebt demnach so
viel relative Accommodationsbreiten; als
es verschiedene Convergenzen der Seh-
linien giebt. Von besonderer Wichtig- 35.
keit ist die Accommodationsbreite für die-
jenige Convergenz ; welche die Augen bei gewöhnlichen Arbeiten in
der Xähe (etwa beim Lesen) annehmen müssen.
In Figur 35 convergiren beide Augen nach f. Hierbei möge bei
gleichzeitiger Accommodation die Kiystalllinse jedes Auges eine Brech-
kraft von 25 Dioptrien haben; ihre Form sei durch die ausgezogenen
Linien angegeben. Werden nun vor beide Augen Concavgläser gelegt,
so kann man mit diesen den Punkt f noch deutlich sehen, so lange
durch vermehrte Accommodation, d. h. durch Krümmungszunahme der
Kiystalllinse ein Ausgleich der zerstreuenden Kraft des Glases möglich
ist. Durch Vorlegen verschieden starker Concavgläser finden wir bei-
spielsweise, dass noch mit — 2 -J0 scharf gesehen werden kann, mit : — 2-5
nicht mehr: — 2-0 bezeichnet [demnach das Maximum der Accommo-
dationszunahme, welche bei der beibehaltenen Convergenz auf f das
Auge leisten kann. Es wird dieses Glas also direct die Krümmungs-
zunahme der Kiystalllinse ausdrücken: vorausgesetzt, dass wir die
geringe Differenz vernachlässigen, die dadurch entsteht, dass das Concav-
4*
52 Anomalien der Refraction und Accommodation.
glas vor dem Auge liegt. Durch den schraffirten Theil der Krystall-
linse in Figur 35 sei diese Kriimmungszunahme (=2-0) angedeutet.
Durch letztere wird das Auge alter factisch auf einen: Punkt pt ein-
gestellt, der näher liegt als f. Die Lage desselben lässt sich, wie wir
unten an einem Beispiel sehen werden, nach der Linsenformel leicht be-
rechnen.
Um nun umgekehrt, wiederum bei Convergenz der Sehlinien auf
den Punkt f, die grösstmögliche Abspannung der Accommodation zu er-
zielen, legt man Convexgläser vor; das stärkste mit dem noch f (Figur 36)
deutlich gesehen werden kann, entspricht der grösstmöglichen Abflachung
der Krystalllinse. Finden wir beispielsweise Convexglas 1-0 als das ent-
sprechende, so ist die ausgleichende Krümmungsverminderung der
Krystalllinse, durch den schraffirten Theil in ihr angedeutet, gleich 1-0.
Diese grösste Abflachung der Krystalllinse bedeutet den Ruhezustand
des Auges oder die Einstellung desselben auf den Fernpunkt, wie sie
eben unterBeibehaltung der Convergenz
auf f möglich ist. — Die Krümmungs-
zunahme, welche von diesem Ruhezu-
stande aus die Krystalllinse erfahren
kann, giebt uns die relative Accommo-
dationsbreite (a,); letztere ist demnach
= 1.0 + 2-0 = 3-0. Das Concavglas
(2-0) entsprach der bei der angenom-
36- menen Convergenz noch möglichen
Steigerung der Accommodation, das
Convexglas (1-0) der noch möglichen Abspannung: wir bezeichnen
den ersten Theil (in der Figur 35 fp,) als positive Accommoda-
tion s breite, den anderen (Figur 36fr,) als negative. —
Die relative Accommodationsbreite lässt sich auch noch in anderer Weise
mit Benutzung der Accommodationsbreiten-Fprmel a, = p, — 1\ feststellen. Es
diene hierzu ein Beispiel. Beide Augen tixiren und aeconnnodiren auf eine Schrift-
probe, die in .'30 cm gehalten wird. Es werden nunmehr von schwächeren an-
fangend allmählich immer stärkere Concavgläser gleicher Brennweite vor beide
Annen gehalten. I>as stärkste Concavglas, mit dem auf diese Weise noch unter
Anstrengung deutlich gesehen werden kann, sei = £-01). Dasselbe Manöver wird
alsdann mit Convexgläsern vorgenommen; das stärkste, das zu überwinden ist,
sei = -2-f). Dann ist die positive Accommodationsbreite =4*0 und die negative
= 2\">: die gesammte relative Accommodationsbreite für eine Entfernung von
.'!() cm ist nach obigen Ueberlegungen = <>•;">. Berechnen wir nun, wo factisch
der relative Nahepunkt (p,) liegt, d. h. für welche Strahlen das Auge eigentlich
aecommodirt, wenn dieselben aus einer Entfernung von 30 cm kommen und durch
ein Concavglas 4-0 gebrochen werden. In der Linsenformel -.- = 1- ^ ist
f ab
f = — 25 cm (d. h. gleich der Brennweite des Concavglases •!•()) a = 30 cm und
Refraction und Accommodation. 53
b-Pl • - |=^ + ^; j^— a~R" i;;'/un"- DerNaüePunktPi '^
demnach 13 7/i i cm vor dem Auge (resp. der vorgehaltenen Concavlinse) , da das
negative Vorzeichen ausdrückt, dass er sich auf derselben Seite der Linse befindet,
wie der fixirte Objectpunkt f. - Der Kernpunkt wird in gleicher Weise berechnet.
I>a die strahlen durch ein Convexglas *2-n (-=40 cm Brennweite) gebrochen
werden, ist 4-^ = ^ + - ; _ = _ cm; r, = - L20 cm.
Die Ausdehnung- der gesammten relativen Accommodationsbreite geht
demnach von 137/ii cm (p^ bis L20 cm fo). Davon ist positiv die Strecke
von 137/n bis 30 cm, negativ von 30 cm bis 1:20 cm.
Nach der Accommodationsformel ist: a, = — __ = 7-33 D — 0-83 D
= 6*5 D. Also dasselbe Resultat wie oben. —
Die Messung der relativen Accommodationsbreite ist deshalb be-
sonders von praktischer Bedeutung, weil man durchschnittlich die Accom-
modation nur für solche Entfernung längere Zeit und ohne Ermüdung
festhalten kann, bei welcher der positive Theil (hier 4-0) im Vergleich
zum negativen (hier 2-5) verhältnissmässig gross ist. Aber auch bezüg-
lich der Wahl von Brillen hat sie Bedeutung, indem sie bei den ver-
schiedenen Refraction s zu ständen (trotz gleicher Entfernung
des Convergenzpunktes) verschieden gross ausfällt. Es ist dies leicht
aus folgendem Beispiel ersichtlich. Wenn ein Emmetrop auf 20 cm
convergirt, so liegt, nach den Ergebnissen der Donders'schen Unter-
suchung, sein relativer Fernpunkt etwa in 60 cm, sein relativer Nahe-
punkt in 12 cm. Richtet hingegen ein Myop 8-0, dessen absoluter Fern-
punkt also bereits in 12-5 cm liegt, ebenfalls seine Augen auf einen 20 cm
entfernten Gegenstand, so ist sein relativer Fernpunkt etwa 12 cm, sein
relativer Nahepunkt etwa 8 cm: d. h. sein ganzes relatives Accommoda-
tionsgebiet wird diesseit des Convergenzpunktes hegen und ist positiv oder
mit anderen Worten, er verbindet mit der Convergenz auf 20 cm noch
gar keine Accommodationsspannung. Würden wir nun diese myopischen
Augen durch die corrigirenclen Brillengläser, mit denen der Fernpunkt
in die Unendlichkeit verlegt wird, gleichsam in emmetropische umzu-
wandeln versuchen, so kämen sie dadurch in ganz ungewohnte und
meist unbequeme Accommodationsverhältnisse, da die relative Accommo-
dationsbreite fin bestimmte Entfernungen eine andere war und für's erste
auch bleiben wird. Da jedoch Uebung und Gewohnheit hier umändernd
einwirken, so ist es erreichbar, dass die Augen jugendlicher Individuen,
die ametropisch sind, aber durch beständig getragene Gläser sich corri-
giren, allmählich auch in ihren relativen Accommodationsbreiten einem
emmetropischen Auge gleich werden.
Die Untersuchuniren von Donders haben betreffs des Verhaltens der rela-
tiven Accommodationsbreite bei den verschiedenen Refractionen ergeben, dass
54 Anomalien der Refraction und Accommodation.
l bei parallelen Sehlinien »bis emmetropische Auge etwa i/3, das myopische nur
. das hypermetropische hingegen 35 seines absoluten Accommodationsver-
4/2
mögens in Anwendung bringen kann: dass 2) bei leichter Convergenz das myo-
pische Auge viel weniger, das hypermetropische Auge viel mehr Accommodations-
kraft hat als das emmetropische und dass 3) bei stärkerer Convergenz die Ac-
commodationskraft des myopischen Auges sehr zunimmt, die des hypermetropi-
schen nur wenig-. —
Hess ist neuerdings durch seine Untersuchungen zu Resultaten gekommen,
welche von den oben gegebenen Do nders' sehen Anschauungen vielfach ab-
weichen. So entspricht nach ihm die Scheidung zwischen binocularem und niono-
cularem Nahepunkt nicht den Thatsachen: ersterer scheine nur weiter heraus-
gerückt, weil bei der gewöhnlichen Methode der Bestimmung — im Gegensatz
zu der von ihm mit Benutzung des Scheiner' sehen Versuches geübten — die in
beiden Augen beim Herausrücken des Objectes auftretenden Zerstreuungskreise
leichter und früher Sichtbarwerden; auch habe die Pupillenverengerung, die bei der
monocularen Nahepuhktshestimmung in Folge der stärkeren Convergenz erfolgte.
Einfluss. Ferner ist nach Hess der Spielraum, in welchem bei festgehaltener Con-
vergenz die Accommodation von der zugehörigen Convergenz gelöst werden kann
(absolute Accommodationsbreite), unabhängig von dem Grade der Convergenz.
III. Presbyopie. Die Grösse der Accomniodationsbreite
ist vom Alter abhängig: sie ist am grössten in der * Jugend und
nimmt mit den Jahren nach und nach ab. Im 30. Lebensjahre betraut
sie etwa die Hälfte von der im 10. Lebensjahre. Ihre Verringerung
erfährt sie dadurch, dass der Nahepunkt immer weiter vom Auge ab-
rückt. Im 40. Lebensjahre liegt letzterer beim Emmetropen etwa in
22 cm (A = 4-5). Mit dem weiteren Hinausrücken desselben pflegen
gewisse Beschäftigungen in der Nähe (z. B. Lesen einer feinen Schrift)
bereits mit Unbequemlichkeiten verknüpft zu sein [und auf die Dauer
eine Ermüdung der Augen hervorzurufen. Donders setzte deshalb
hier den Anfangspunkt der Presbyopie (jtQtößvg Greis [und mip):
dieselbe bezeichnet also eine dem Alter entsprechende physiologische
Abnahme der Accommodationsbreite, bei der der Nakepunkt weiter
als 22 cm (oder, wie man früher usuell annahm, 8 Zoll) vom Auge
abgerückt ist. Sie unterscheidet sich von einer'Aeeommodationslähniung,
die sich ja auch in Verminderung oder Aufhebung^der Accommodations-
breite zeigt, dadurch, dass letztere pathologisch ist, die Presbyopie hin-
gegen physiologisch und in einem dem Alter entsprechenden Grade
auftritt. Um letzteres beurtheilen zu können, muss man einige Daten
im Auge behalten merken. Nach Donders beträgt die Accommoda-
tionsbreite in einem Alter von
10 Jahren = 140 30 Jahren = 7
15 n = 12-0 35 „ = ^
20 „ = 10-0 4() „ = 4-5
25 = 8-5 45 = 3-5
Refraction und Accommodation. 55
50 Jahren = 2-5 65 Jahren = 0-75
55 „ = 1-75 70 „ = 0-25
60 „ = 1 75 ? = 0.
Während bis zum 50. Jahre das p. remot. in seiner normalen Lage
bleibt, beginnt später auch der Fernpunkt etwas hinauszuriicken,
so dass z. B. im ob. Jahre ein Emmetrop Hypermetrop 0-25, im (>f>. Jahre
11. 0-7") und im 75. Jahre H. 1-75 wird. Diese Refractionsabnahme
kann kurzsichtigen geringen Grades im höheren Alter oft merklichen
Yortheil bieten.
Die Ursache der Presbyopie dürfte grösstenteils in dem Härter-
werden und in der Elasticitätsverringerung der Linse liegen, da wenig-
stens für die früheren Lebensjahre eine Abnahme der Kraft des M.
ciliaris nicht wahrscheinlich ist.
IV. Bestimmung der Refraction, Accommodation und
Sehschärfe. Da bei den Refractionsbestimmungen jede Accommoda-
tionsspannung ausgeschlossen sein soll, so müssen sie unter Vermeidung
von Convergenjz der Sehachsen bei paralleler Blickrichtung in die Ferne
gemacht werden, wenn man nicht etwa durch Atropin oder ähnlich
wirkende Mittel die Accommodation direct lähmen will. Man hängt zu
dem Zwecke Sehproben (etwa die grossen Snellen'schen bis zu No. III
herab) auf Papptafeln geklebt in circa 6 m Entfernung gut be-
leuchtet auf und lässt danach blicken. Diese Entfernung ist auch aus-
reichend weit, um die von den kleinen Schriftproben in die Pupille des
Untersuchten fallenden Lichtstrahlen als parallel ansehen zu können.
Die Snellen'schen Tafeln enthalten Buchstaben, Zahlen oder Haken ver-
schiedener Grösse. Die grössten werden in 60 m von einem entsprechend
brechenden und normal sehenden Auge erkannt, dann folgen kleinere,
die in 36 m, 24 m bis 6, 4 und 3 m u. s. f. erkannt werden sollen.
Diese Tafeln gestatten gleich mit der Bestimmung der Refraction auch
die der Sehschärfe vorzunehmen.
Trotzdem bei correcter Brechung der in das Auge fallenden Strahlen
scharfe Xetzhautbilder entstehen, werden sie dann nicht wahrgenommen
werden, wenn die Netzhaut sie nicht mehr empfindet und differente
Theile des Bildes nicht als solche unterscheidet. Dass auch auf dem
Wege von der Xetzhaut zum Gehirn und in diesem selbst das Hinder-
niss für die Wahrnehmung des Xetzhautbildes liegen kann, ist selbst-
verständlich. Wir wrerden demnach unter Sehschärfe (S oder V) die
Fähigkeit verstehen, auf der Xetzhaut entstandene, möglichst scharf be-
grenzte und entsprechend helle Bilder von einer gewissen Grösse wahr-
zunehmen, — die Sehschärfe ist um so bedeutender, je kleinere Bilder
noch percipirt werden. Die Definition zeigt, dass in den Fällen, wo
in Folge mangelhafter Brechung der Augenmedien kein scharf um-
56
Anomalien der Refraction und Accommodation.
grenztes Bild auf der Netzhaut entsteht, dieser Fehler der Kefractioil
erst durch Ldie entsprechenden Brillengläser (so weit als möglich) zu
corrigiren ist, ehe man die Sehschärfe bestimmen kann.
Nur nach Ausgleichung- etwaiger Kefractions-Anomalien kann man eine w issen-
schaftlich eorrecte Sehechärfenbestimmung machen. So wechselt die Sehschärfe
beim Kurzsichtigen je nach der Entfernung: während derselbe innerhalb seines
Kernpunktes normale Sehschärfe hat. verringert sie sich entsprechend dem Ali-
stande des Objectes. In umgekehr-
ter Weise kann dies gelegentlich bei
dem Hypermetropen hervortreten.
Aus praktischen Gründen, wie
etwa bei den Eisenbahnbeamten oder
Matrosen, die keine Brille tragen
sollen, ist es aber bisweilen erforder-
lich, die Sehschärfe für die Entfernung
(etwa in G Meter, da grössere Entfer-
nungen keine bemerkenswerthe Dif-
ferenzen machen) ohne Gläser festzu-
stellen : man muss jedoch, wenn man
Verwirrung vermeiden will, diese wis-
senschaftlich incorrect gefundene Sehschärfe besonders bezeichnen, etwa als .,Seh-
Bchärfe ohne Brechungscorrection".
Wenn man die in den Snellen'schen Sehproben befindlichen Buch-
staben alsObjecte benutzt, so werden von dem als normalsehend angenom-
menen Auge Netzhautbilder als getrennt wahrgenommen und unterschieden,
die einen Abstand von 0-004 mm haben. Dieselben stellen sieh bei
einem emmetropischen Auge unter einem Gesichtswinkel von
einer Minute dar. Entwirft der Gegenstand AB sein Bild auf der Netz-
haut des Auges; so ist die erforderliche Construction; wenn wir in dem
schematischen Auge zwei Knotenpunkte zeichnen; so zu machen., dass A und
B mit k, (Fig. 37) verbunden werden. Von k2 wr erden die Linien k2a paral-
lel kj Aundk2 b parallel k, B gezogen: dieselben begrenzen dasNetzhaut-
bild ab. Den Winkel AkLB nennt man Gesichtswinkel (v). Derselbe ist
dem Winkel bk2a gleich, wenn wir, wie in demDonders'schen reducirten
Auge, beide Knotenpunkte zusammenfallen lassen, so dass die Linie
Aka eine gerade wird. Die Grösse des Gegenstandes ACB und seines
Bildes aEb verhält sich alsdann bei kleinen Gesichtswinkeln wie kC
zu kE (kE ist im reducirten Auge = 15 mm): beispielsweise würde
das Netzhautbild eines gleichgrossen, aber dreimal so Aveit entfernten
Pfeiles nur ein Drittel der jetzigen Grösse haben.
Besteh.1 Ametropie in Folge ungleicher Länge der Augenachsen, so
winde im bypermetropischen Auge trotz gleicher Grösse des Gesichts-
winkels das Netzhautbild ein etwas kleineres (H), im myopischen (M)
ein etwas grösseres sein, und zwar entsprechend Figur 37, wenn diese
verschieden langen Augen hei gleichbleibender Brechung scharfe
Refraction und Accommodation.
57
Bilder auf ihrer Netzhaut erhielten. Dies ist aber nicht möglich: den
Myopen werden wir zum Sehen in die Ferne bei den Sehschärfenbestim-
mungen( Joncavgläser vorlegen müssen; den I [ypermetropen Convexgläser.
Durch Vorlegen dieser Gläser erleiden in dem nun veränderten optischen
Systeme aber die Knotenpunkte eine Verschiebung, die besonders davon
abhängt, in welchem Abstände das corrigirende Glas vom Auge sieh
befindet. Die Grösse des Netzhautbildes hängt von (\<t Lage
lies zweiten Knotenpunktes ab: je näher dieser der Netzhaut, um so
grösser das Netzhautbild. Hingegen wird die Grösse des Gesichts-
winkels von der Lage des ersten Knotenpunktes beeinflusst. Je
weiter letzterer von der Netzhaut entfernt liegt, um so grösser ist der
Gesichtswinkel. Da die Entfernung der beiden Knotenpunkte von ein-
ander durchaus nicht bei den verschiedenen optischen Systemen, wie sie
durch Vorlegen corrigirender Gläser etc. entstehen, gleich ist, so bleibt
die Grösse des Gesichtswinkels auch nicht in demselben eonstanten Ver-
hältniss zur Grösse des Netzhautbildes.
Nach den Berechnungen Mauthner's rückt durch Vorlegung von Concav-
gläsern zur Correction der Myopie der zweite Knotenpunkt unter allen Umstünden
nach rückwärts gegen die Netzhaut
und zwar um so mehr, je weiter das
corrigirende (das vor dem Auge steht.
Dadurch wird für das corrigirte Auge
das Netzhautbild Aerkleinert: es gilt
das ebenso für Myopie, die auf Ver-
längerung der Augenachsen als wie für
ilie. welche auf zu starker Brechung
des dioptrischen Systems beruht. Stellt
man aber einen Vergleich der Grösse
des Netzhautbildes des achsenmyopi-
schen corrigirten Auges mit der des
emmetropischen an. so ist ersteres
nur dann in Wirklichkeit kleiner als letztere?
den vorderen Brennpunkt des Auges gehalten wird.
Figur 38 zeigt letztere Lage des Concavglases und die hierdurch erfolgte
übertrieben irezeiehnete) Verrückung des ersten und zweiten Knotenpunktes nach
Ki und K2: der Gesichtswinkel bei Ki ist grösser, das Netzhautbild, dem Winkel
bei K2 entsprechend, ist kleiner geworden. Die unterbrochenen Linien zeigen
den Lauf der Strahlen im nicht corrigirten Auge mit den beiden Knotenpunkten
kt und k2. E ist die Lage der Netzhaut des emmetropischen, M die des myopi-
schen Auges.
Bei Correction der Hypermetropie durch das entsprechende Convexglas rückt
der zweite Knotenpunkt unter allen Umständen nach vorn gegen die Cornea und
zwar um so mehr, je weiter das corrigirende Glas vor dem Auge steht.
Auch aus diesen Constructionen gebt hervor, dass die Grösse des ( ; < - -- i < • 1 1 r .-> -
winkeis nicht der Grösse des Netzhautbildes entspricht. Die Bestimmung der
Sehschärfe nach ersterem hat demnach etwas Unnatürliches, zumal doch das, was
von den Sehobjecten zu unserer Wahrnehmung kommt. Folge der hAregun.-- der
38.
wenn das corrigirende (das vor
58 Anomalien der Refraction und Accommodation.
Netzhaut, also directe Wirkung des Netzhautbildes ist. Das ändert aber nichts
an der praktischen Verwerthbarkeit der von Snellen entworfenen Buchstaben.
Ks beruht diese einfach auf dem Uebereinkommen, dass das Erkennen von Buch-
staben, deren Strichtheile bei einem emmetropischen, in die Ferne blickenden,
also acconunodationslosen Auge unter einem Gesichtswinkel von einer Minute er-
scheinen, als normal zu betrachten und diese Sehschärfe mit 1 zu bezeichnen sei.
Die ganzen [Buchstaben der Snellen'schen Proben, deren ein-
zelner Strich unter einem Gesichtswinkel von einer Minute erscheint,
nehmen einen Gesichtswinkel von 5 Minuten ein. Wird Nr. VI (Fi-
gur 39) der Proben in 6m gesehen, so besteht volle Sehschärfe; wird
hingegen No. XII in 6 m gesehen, so besteht 6/12
oder halbe Sehschärfe. Man dividirt demnach die
Entfernung, in der die Buchstaben von dem
Untersuchten, aber nach Ausgleichung et-
waiger Refractionsanomalien, gesehen wer-
den (d), durch die neben den Buchstaben an-
gegebene Entfernung (D), in der sie gesehen werden sollen, um die
Sehschärfe zu finden: S = ~- (Cf. centrale Sehschärfe in: Amblyopie
und Amaurose.)
Jedes Auge wird einzeln untersucht. Die Sehproben müssen er-
kannt und genannt werden bis zu den kleinsten herab, die der Unter-
suchte noch ohne Gläser sehen kann. Sollte er hierbei etwa Nr. VI
auf 6 m sehen, so schliesse man nicht daraus, dass er Emmetrop sei
und volle Sehschärfe habe. Es wäre immerhin möglich, dass er mit
schwachen Concavgläsern oder Convexgläsern noch mehr sehen könnte*,
und daher ist nach der Richtung hin die Prüfung fortzusetzen. Die Prü-
fung ohne Gläser ergiebt in diesem Falle nur, dass er mindestens
volle Sehschärfe hat. Man versucht nun zuerst durch Vorhalten von
schwachen Convexgläsern (etwa 0-5 und 0-75) zu erforschen, ob besser
gesehen wird, d. h. ob in derselben Entfernung noch kleinere Buchstaben
erkannt werden, oder wenigstens -die gesehenen ebenso gut und scharf
erscheinen. Alsdann steigt man allmählich mit den Convexgläsern, bis
man dasjenige erreicht, welches das Maximum der Sehschärfe zulässt.
Dieses entspricht dem Grade der Hypermetropie.
Mancherlei Schwierigkeiten tauchen bei diesen Bestimmungen auf.
Einmal werden nicht alle Buchstaben derselben Reihe, die doch nach
S uc Neil in gleicher Entfernung gesehen werden müssten, gleich gut
erkannt. Man könnte meinen, dass nur die Entfernung als Maassstab der
Sehschärfe gelten soll, in der sie alle erkannt werden. Hierbei kommt
man aber bisweilen zu sehr merkwürdigen Resultaten, indem der eine
oder andere Buchstabe einer Reihe noch nicht erkannt wird, während
Refraction und Aeeonnnodation. 59
schon die Buchstaben aus der nächsten gesehen werden, welche viel
kleiner sind. Im (Tanzen begnügt man sich daher damit, dass die Buch-
staben einer Reihe Ins etwa auf einen besonders schwierigen genannt
werden, und sehreiht dann beispielsweise 8 < — • Würden von der
nächsten Reihe noch ein oder zwei Buchstaben genannt, so schreibt
man S >• ", • Im TJebrigen wird man auch dadurch, dass man den
0 ;
Untersuchten etwas näher heran oder weiter ab treten lässt (als die
angenommenen 6 m), genauer die Entfernung feststellen können, in
welcher die Reihe gesehen wird.
Um den Unterschied in der Deutlichkeit den zu Untersuchenden
klar zu machen, fordert man sie schliesslich, wenn man nur noch
schwankend ist zwischen Gläsern mit kleinen Brechungsdifferenzen, auf,
einen bestimmten Buchstaben, den sie eben noch erkennen, zu fixiren
und nun, indem man die bezüglichen Gläser schnell hintereinander
wechselt, anzugeben, mit welchem Glase sie ihn am deutlichsten sehen.
Um den Wechsel schneller vollziehen zu können und überhaupt das
unbequeme Herausnehmen der Gläser aus dem Brillenkasten zu ver-
meiden, haben wir eine entsprechende Serie von Convex- und Concav-
Gläsern in ein linearartiges Gestell (Brillen-Leiter) setzen lassen,
das schnell am Auge vorübergeführt werden kann; für Massen-Unter-
suchungen ist es unentbehrlich.
Manche Patienten beobachten sehr ungenau, sodass ihnen kleine
Unterschiede der Deutlichkeit verschwinden. Z. B. geben sie an, mit
Ob schlechter zu sehen, während mit 2-0 eine erhebliche Hebung der
Sehschärfe nachweisbar ist. Man wird daher immer gut thun, selbst
wenn eine Verschlechterung angegeben wird, doch noch ein stärkeres
Glas zu probiren. Bei hochgradig Kurzsichtigen wird durch schwache
Concavgläser bei 6 Meter Entfernung keine wahrnehmbare Besserung
erzielt. Man lässt sie deshalb erst etwas näher herantreten, bis sie
überhaupt die grossen Buchstaben auf der Tafel \vahrnehmen, und geht
eventuell schnell zu stärkeren Gläsern über.
Auch soll man die gesehenen Buchstaben nennen lassen, um Selbst-
täuschungen der Untersuchten zu vermeiden. Besteht Schwachsichtig-
keit oder sind etwa Hornhauttrübungen vorhanden, oder ist endlich
Astigmatismus im Spiele, so geben die Patienten oft an, mit sehr ver-
schieden brechenden Gläsern gleich gut zu sehen. Es erklärt sich dies
zum Theil daraus, dass die etwas grössere oder geringere Schärfe der
Bilder, welche das Vorhalten der sphärischen Gläser ergiebt, gegen die
sonstige Verschwommenheit der Bilder verschwindet oder gegen die
Schwäche der retinalen Perceptionsfähigkeit zurücktritt. Hier wird man
(',0 Anomalien der Refraction und Accommodation.
gut thun, zu atropinisiren und nach eventueller Prüfung auf Astigmatis-
mus zur Entscheidung auch die ophthalmoskopische Refractionsbestim-
mung heranzuziehen.
Bei Individuen, <lic keinen Buchstaben kennen, benutzt man die
Haken (cf. Fig. 39) und lässt sagen, nach welcher Richtung hin sie
offen sind.
II. Colin verwendet einen einzigen solcher Haken von Pappe, der mit der
Oeffnung nach verschiedenen Eichtungen hin gedreht werden kann. Man wech-
selt zur Bestimmung der Sehschärfe alsdann mit dem Abstände von dem zu Unter-
suchenden.
Im Durchschnitt werden die Haken weiter erkannt als die Buch-
staben derselben Grösse. Auch hieraus folgt, dass die Sehschärfen-
bestimmungen nur eine annähernde Genauigkeit beanspruchen. Um so
erwünschter ist es, dass dann wenigstens nur ein und dieselbe Seh-
probe (also als die älteste und verbreiterte: die Snellen'sche) unseren
Bestimmungen zu Grunde gelegt werde. Die Zahl der Sehproben,
meist nach gleichem Prinzip hergestellt, ist sehr gross: wir haben solche
von Schweigger, Nieden, Wecker u. A., abgesehen von den älteren
Jag er 'sehen Leseproben. Wolffberg hat Buckstabenreihen gewählt,
die bei gleicher Grösse möglichst gleich leicht erkannt werden; auch
bildliche Darstellungen für die Sehschärfenbestimmung bei kleinen
Kindern sind von ihm hergestellt worden. Burchardt u. Guillery
benutzen Punktproben. —
Wird mit verschieden starken Convexgläsern derselbe höchste Grad
der Sehschärfe — hierauf ist aber Gewicht zu legen — erreicht, so
wird die Hypermetropie durch das stärkst brechende Con-
vexglas ausgedrückt. Sieht jemand beispielsweise Nr. VI auf (5 m
mit -f- 2-0 und mit -\- 1-0 gleich gut und mit keinem von diesen
Gläsern nachweislich besser, so ist seine Hyperopie = 2-0 (H l/2o)«
Ebenso besteht H, wenn mit und ohne Convexgläser gleich gut ge-
sehen wird.
Diese Bestimmung beruht darauf, dass die Refraction eben den
Brechzustand des Auges ohne jede Accommodationsspannung repräsentirt.
Sieht ein Hyperop aber mit einem Convexglase 2-0 ebenso gut wie mit
1-0, so befindet sich das Auge unter dem ersten Glase in der grössten
Accommodationsabspannung, da es unter Glas 1-0, um dieselbe Schärfe
der Netzhautbilder zu erreichen, seine Krystalllinse noch um 1-0 stärker
krümmen niuss (Figur 40).
Hat sieh bei der Prüfung mit Convexgläsern eine Verschlechterung
des Sehens ergeben, so Versucht man Concavgläser, ebenfalls mit
schwachen anfangend und zu stärkeren übergehend, ganz in der oben
angegebenen Weise. Wird hier mit Coneavgläsern verschiedener Stärke
Refraction und Accommodation.
Ol
gleich gut gesehen und das Maximum der Sehschärfe erreicht, so be-
zeichnet das schwächste Concavglas den Grad der Kurzsichtig-
keit. Falls mit Concavgläsern nur ebenso gesehen wird, wie ohne
Gläser, so besteht Enimetropie.
Der Grund hierfür ist derselbe,
wie bei Convexgläsern: Aus-
schluss jeder Aceoinmodations-
spannung bei der Refractionsbe-
stimmung. Wird mit concav 2-0
(V20) ebenso gut gesehen wie mit
concav 1-0 (74o)> so muss unter
ersterem Glase die Krystall-
linse sieh gerade so viel mehr gekrümmt haben, wie concav 2-0 stärker
die Strahlen zerstreut als 1-0; daher besteht in Wirklichkeit Myopie
1.0 01 V40).
Nicht selten behaupten Patienten mit stärkeren Concavgläsern (z. B.
mit — 2-0) besser zu sehen als mit sehwäeheren (z. B. mit — 1-0), ohne
dass sie factiseh den Nachweis dadurch führen können, dass sie etwa
einen mit concav 1-0 nicht erkannten Buchstaben jetzt mit concav 2-0
erkennen. Wenn ein derartiger deutlich hervortretender Unterschied
trotz darauf gerichteter Untersuchung nicht nachweisbar ist, wird das
schwächere Glas als das der Myopie entsprechende angenommen. Das
scheinbare Bessersehen beruht meist auf einer unbewusst auftretenden
falschen Ueberlegung. Unter dem stärkeren Concavglase nämlich muss
aecommodirt werden. Da die Accommodation normaler Weise nur für
näher gelegene Gegenstände eintritt, so erscheint dem Patienten der
Buchstabe, auf den er jetzt künstlich und unbewusst aecommodiren
muss. näher liegend und damit auch — da das Netzhautbild (annähernd)
so gross bleibt, wie es der Entfernung entspricht, in welcher es sich
wirklich befindet — kleiner. Je undeutlicher der Kranke bis dahin die
Gegenstände gesehen hatte, um so grösser waren sie ihm aber wegen
der Zerstreuungskreise an den Rändern erschienen. Sieht er den Gegen-
stand nunmehr besonders klein, so ruft dies in ihm auch den Eindruck
besonderer Schärfe hervor.
Der Grad der Refractionsanomalien wurde, wie erwähnt, durch die
Brechkraft des corrigirenden Glases bestimmt. Wir setzen dabei voraus,
dass das Glas dicht vor das Auge gehalten wird, jedenfalls dass die
Entfernung desselben vom Auge seiner Brennweite gegenüber verschwin-
dend klein ist. Will man genau sein, so zieht man diese Entfernung
in Betracht. Ist beispielsweise mit concav 10 -OD, das 2 cm vom Horn-
hautscheitel entfernt gehalten wurde, am deutlichsten gesehen worden,
so heisst dies: das Auge war eingestellt für Strahlen, welche scheinbar
{')•? Anomalien der ßefraction und Accommodation.
kommen von einem Punkte, der 10 cm vom Glase, somit vom Horn-
hatitscheite] 10 + 2 cm entfernt war. Es ist demnach der eigentliche
Fernpunkt des Auges 12 cm vom Hornhautscheitel, also seine Myopie
-~- = 8-33D. Die Myopie ist demnach um so geringer, je weiter das
corrigirende Ooncavglas vom Auge entfernt ist. Man kann diesen Um-
stand auch bei der Refractionsbestimmung in der Weise benutzen, dass
man das ungefähr der Myopie entsprechende Ooncavglas zur Probe
etwas weiter vom Auge abhält; wird jetzt noch ebenso gut gesehen, so
ist die Brechkraft des benutzten Glases zu stark.
Umgekehrt verhält es sich mit Convexgiäsern. Convexglas 10-0, D
('/_)) sei z. B. das corrigirende und ebenfalls 2 cm vom Auge gehalten.
Das Auge ist hier eingestellt auf Strahlen, die nach einem Punkte con-
vergiren, der 10 cm hinter dem Glase liegt oder 8 (d. h. 10 — 2) cm
hinter dem Hornhantscheitel. Der negative Fernpunkt des Auges liegt
also 8 cm hinter dem Hornhautscheitel. Der Grad der Hypermetropie
.100 10 , / „ 1
ist -5- = 12-0 c . ri oT/
0 \ 0 y2
Wenn wir vom Hornhautscheitel ans die Lage des Fern-
punktes (respective die Refraction) bestimmen, so ist dies eorreet, da
der Hornhautscheitel im reducirten Auge mit dem Hauptpunkt zu-
sammenfällt [und von diesem aus bei optischen Systemen die Brenn-
weite bestimmt zu werden pflegt. Die Methode vom Kotenpunkt aus
(der im reducirten Auge 5 mm hinter dem Hornhautscheitel liegt) die
Lage des Fernpunktes zu bestimmen, erscheint weniger zutreffend; doch
hat diese kleine Differenz für praktische Zwecke meist keine Bedeutimg.
Mit der Refraction ist die Lage des Fernpunktes gegeben. Um die
Accommodationsbreite zu bestimmen, bedarf es noch der Feststellung
des Nahepunktes (P). Zu dem Zwecke benutzt man in der Regel eine
sehr kleine Schriftprobe (etwa Nr. 1 der Jäger'schen Schriftproben
oder 04 der Snellen'schen), die man lesen lässt und dabei dem Auge
immer mehr nähert, bis sie unleserlich wird. Der Punkt, in welchem
diese Schrift, wenn auch mit Anstrengung, aber noch scharf und deut-
lich gesehen werden kann, ist das p. proximum der Accommodation,
dessen Entfernung vom Auge zu messen ist. Da möglichst feine Ob-
jecto für diese^Bestimmungen erforderlich sind, empfehlen sich an Stelle
der Schriftproben andere Sehobjecte. So etwa feine Seidenfädchen
in einem Metall-Viereck ausgespannt (v. Graefe's Optometer) oder die
feinen Punktproben von Burchardt oder auch die Benutzung des
Sch.einer'schen]JVersuches (Tort erfield-Young'sches < Optometer).
Ist der Nahepunkt weit hinausgeruckt, so kann man diese kleinen
Sehobjecte nicht gebrauchen, da sie in der notwendigen Entfernung ge-
Refraction und Acoommodation. i;;>
halten nicht mehr entsprechend grosse Netzhautbilder liefern. Dies ist
auch zu beachten, wenn man sehschwache Augen untersucht. Man lasse
sich aher andererseits hierdurch nicht verleiten, zu grosse Sehobjecte
zu nehmen. Diese werden auch bei einer Annäherung erkannt, in <\cv
eine Aecommoilation gar nicht mehr möglich ist; die erhebliche ( rrösse
der auftretenden Netzhautbilder gestattet nämlich trotz etwaiger Zer-
streuungskreise das Erkennen. Man kann sich leicht hiervon über-
zeugen, wenn man sehr grossen Druck dicht an das Auge heranführt.
Da es aher schwer ist, bei herausgerücktem Nahepunkt, dessen Lage ja
eben unbekannt ist, die gerade entsprechende und genügend grosse Schrift-
probe zu wählen, so nimmt man in diesen Fällen Convexgläser
zu Hülfe, durch welche man die Patienten lesen lässt. Jetzt werden auch
kleine Sehproben Anwendung finden können, da durch das Convexglas
das Acconunodationsgebiet dem Auge näher gerückt wird. Wenn bei-
spielsweise einem Enimetropen, dessen Accommodation vollständig gelähmt
ist, convex 8-0 (-j- '/5) vorgehalten ward, so wird er die Schriftprobe
in '/8 m (12-5 cm = circa 5 Zoll) lesen, da die von dort kommenden
Strahlen durch das Convexglas parallel gemacht werden. Man wird
also, um den Nahepunkt zu bestimmen, in den oben erwähnten Fällen gut
thun, ein Convexglas (etwa 5-0 bis 8-0) vorzulegen und damit die Schrift-
probe lesen zu lassen; indem man sich mit ihr dem Auge immer mehr
nähert, bestimmt man den nächstgelegenen Punkt, in welchem noch
scharf gesehen wird. Alsdann misst man die Entfernung desselben vom
Convexglase und berechnet sich nun nach der Linsenformel -~ = -\- ,
a I)
woher die durch die Convexlinse gebrochenen Strahlen factisch kommen.
Dort Hegt das p. proximum des Auges. Hat man beispielsweise gefunden,
mit + 5-0 (Brennweite 20 cm) ward noch auf 10 cm aecommodirt, so ist
^respective p-j= »/2o — Vio = — V20;
Optometer. Convexlinsen können in gleicher Weise auch zur
Feststellung des Fernpunktes des Auges und somit der Refraction
benutzt werden, indem man die Schriftprobe so weit vom Auge ent-
fernt, als sie noch deutlich erkannt werden kann. Hierauf beruhen
eine Reihe von Optometern. Aber es ist mehr zu beachten als ge-
wöhnlich geschieht, dass eigentlich und in der Regel hierdurch nur der
relative Fernpunkt bestimmt wird. Wenn auch die Schriftprobe in
gerader Linie vor dem untersuchten Auge sich befindet, so convergirt
doch das zwTeite, mit der Hand verdeckte Auge auf diesen Punkt. Es
ist also eine Fernpunktbestimmung bei bestehender Convergenz der Seh-
achsen. Hierbei ist aber, wie uns die Betrachtungen über die relative
Accommodationsbreite' gelehrt, eine volle Accommodationsabspannung
64 Anomalien der Refraction und Accommodation.
meist nicht möglich. Wie wir ferner oben gesehen, fällt seihst der
Grad der hierbei möglichen Abspannung noch verschieden ans, je nach
den verschiedenen Refractionszuständen.
l'in einige Abhülfe gegen das Cönvergiren bei diesen Proben zu
schaffen, lässt man das zweite, nicht mitzuuntersuchende Auge offen und
macht ihm durch eine Scheidewand das Sehen auf «las Sehobject unmög-
lich; gleichzeitig fordert man auf möglichst in die Ferne zu blicken.
So sucht man künstlieh parallele Sehachsen zu schaffen. Auch dadurch,
dass man bei Fixation des Sehobjectes vor das zweite Auge ein Prisma,
Basis nach innen, legt, kann man es zum Auswärtsschielen, also zu einer
Veränderung der Convergenz der Sehachsen veranlassen. Aber diese
Hilfsmittel haben nicht überall Erfolg. —
Wenn man eine einfache Convexlinse als Optometer benutzen will,
so lässt man eine entsprechend kleine Schriftprobe damit lesen und
sucht nun durch immer weiteres Abgehen den scheinbaren Fernpunkt
des Auges zu bestimmen, dessen factische Lage nach der Linsenformel
alsdann berechnet wird.
Diese Berechnung kann man vermeiden und durch eine sehr ein-
fache Regel sofort die Refraction erhalten, wenn man ein Convexglas
von 100, in einer Entfernung von 10 cm vom Auge gehalten, zu den
Bestimmungen benutzt. Wird hier das Sehobject ebenfalls in einer Ent-
fernung von 10 cm (= der Hauptbrennweite von 10*0 Dj vom Glase
gehalten deutlich gesehen, so besteht Emmetropie (Strahlen
aus 10 cm werden durch -f- 10"0 parallel gemacht); jeder Centimeter
Differenz ergiebt eine Dioptrie Refractionsanomalie, und
zwar beim Annähern des Objectes Myopie, heim Abgehen
Hypermetropie. Ist beispielsweise das Sehobject in 8 cm deutlich,
so besteht M 2-0 (= 10 — 8), in (3 cm 31. 41) u. s. f. Ist das Seh-
object in 14 cm deutlich, so besteht H 4'0 (= 14 — 10) u. s. f.
Kennt man die Entfernung, in welcher ein mit einer Convexlinse scharfge-
sehener Punkt sich befindet und hezeichnet die Differenz dieser Entfernung von
der Brennweite der benutzten Linse (fj als d. so ist die gültige Formel für die
f2
scheinbare Entfernung des betreffenden Punktes vom Auge =-3-, immer voraus-
gesetzt, dass die Linse um ihre Hauptbrennweite vom Auge entfernt ist. Bei der
f2 100
Benutzung einer Linse + 10'0 (10 em Brennweite) wird , =—5-« Ist beispiels-
d d l
weise alsdann d = 2, so liegt das Bild des betreffenden Punktes in 50 cm. d. h.
das Auge ist auf 50 cm Entfernung (in negativer oder positiver Richtung) einge-
stellt: ea besteht Ametropie 2*0.
Die AMeitung der Formel ist sehr einfach nach der Linsenformel ~ =
— + . • Wird die Entfernung A ('die Lage des Selioli jectesi von der Convex-
Refraction und Accominodation.
G5
linse I. (Figur 42) bei vorhandener Myopie = f — d gesetzt, so ist ,. — ,, ,=
• l ' t t — d
oder
b (f— d) — fb = f(f — d)
1» (f — d — f)=f2_f,i
_M = f2 — fd
i f2
— b= -5-
d
f.
Das myopische Auge wäre also eingestellt für Strahlen, die aus der Ent-
fernung von -,- — f jenseits der Linse kommen (von At). Die Linse selbst ist
alier vom Auge entfernt = f. folglich ist das Auge eingestellt für einen Fern-
punkt von . — f-f-f, d. h. für 5 • Lei hyperopischem Auge wird A = f + d
Figur 43) gesetzt, und man kommt unter ähnlichen Erwägungen zu derselben
Formel.
Bereits Burow hat mittels einer Convexlinse (V4), die als Ocular in einer
Röhre sich befand, welche am andern Ende die Sehprobe enthielt und ausziehbar
war, ein Optometer construirt. Badal (1876) benutzte eine Ocularlinse von +16 1)
in seinem ähnlich construirten Optometer; jede Verschiebung um 4 mm entspricht
hier einer Refractionsveränderung von 1-0 D. Der von mir angegebene und vor-
zugsweise für opthalmoskopische Untersuchung benutzte „Refractionsbestimmer"
43.
Vf. Ophthalmoskopische Refractionsbestimmung) lässt sich auch als Optometer
verwenden. Ein Messband, das sich beim Druck auf einen Knopf in ein Gehäuse
ein- und ausrollen lässt. beim Loslassen des Knopfes arretirt wird, dient zum
Messen der Entfernung. Die Convexlinse befindet sich auf einem Metallstäbchen,
das auf die untere Orbitalwand angesetzt wird und sie so in stets gleicher Ent-
fernung vom Auge hält. Bei Bestimmung des Fernpunktes geht man von grösserer
^Nahe aus allmählich immer weiter ab von der Convexlinse. um die Accomrnodation
Schmidt-Simpler. T.Auflage. 5
66
Anomalien der Refraction und Accommodation.
möglichst zu erschlaffen. I >io gefundene Entfernung giebt bei Benutzung des
Convexglases 10. 0 nach obiger Formel sofort die Refraction. Burchardthat in
seinem Optometer an stelle des Bandmaasses einen verschiebbaren Stab, an welchem
die entsprechende Refractionsanomalie angeschrieben ist.
Beim Seggel'schen Optometer befindet sieh die Probe auf durchscheinendem
Glase am Ende eines ausziehbaren Tubus; eine Convexlinse bildet das Ocular.
Die dem Annähern und Ausziehen entsprechende Refraction ist auf dem
Tubus angegeben. Um die Convergenz der Sehachsen zu vermeiden, befindet sich
neben diesem Tubus (wie bei einem binocularen Opernglas) ein zweiter, der aber
am abgewandten Ende geschlossen ist. Durch diesen blickt das andere nicht
untersuchte Anne. Ohne Zweifel wird hierdurch bei vielen eine annähernde
Parallelität der Sehachsen erreicht.
I >as in der belgischen Armee für Rekrutenaüshebung eingeführte Loisea u'sche
Optometer besteht aus einem Tubus, an dessen hinterem Ende die Sehprobe, eben-
falls auf Milchglas, sich befindet. Als Ocular wird eine Reihe von Gläsern ver-
schiedener Brennweiten benutzt. Dieselben sind sehr klein, sodass eine genügende
Anzahl in die Peripherie zweier kleiner Scheiben eingesetzt und hintereinander
\nr die Oeffnung des Tubus durch Drehen gebracht werden kann. Eine Tabelle
giebt die Refraction an. welche dem vorgelegten bezüglichen (Hase entspricht,
hie Sehprobe kann in zwei Entfernungen (5 und 10 cm) von den Gläsern festge-
stellt werden, je nach dem grösseren oder geringeren Grade der Refractionsano-
malie. Dass die Bestimmung nicht durch ein Zurückschieben der Sehproben,
sondern durch die Verschiedenheit der vorgelegten Convexgläser gemacht wird,
erschwert, besonders bei Ungebildeten, etwas die Bestimmung des Fernpunktes:
denn bei entsprechender Accommodation wird mit einer Reihe von Gläsern scharf
gesehen.
Die zuletzt angeführten Optometer haben gleichzeitig den Zweck, neben der
Bestimmung der Refraction auch die Bestimmung der Sehschärfe zu geben. Auf
den ersten Blick erscheint dies
etwas auffällig. Muss z. B. bei dem
Badal'schen und Burchardt'-
schen Optometer bei einem Emme-
tropen eine bestimmte kleine Seh-
probe der Lage des Fernpunktes
entsprechend weiter abgerückt wer-
den als beim kurzsichtigen Auge,
so sollte man a priori annehmen.
dass das Erkennen dieser Sehprobe
heim Kmmetropen einen höheren
Grad von Sehschärfe voraussetzt als
heim Myopen, dem sie ja näher her-
angerückt wird. Aus der Grösse der bei dieser Methode erkennbaren Schrift-
probe einen Schluss auf die Sehschärfe zu ziehen, könnte demnach als unrichtig
erscheinen. Aber es bleibt unter der Voraussetzung, dass der Brennpunkt der
Convexlinse mit dem Knotenpunkt <les Auges zusammenfällt, «1er Gesichts-
winkel, unter dem das Schob jeet gesehen wird, trotz grösserer Annäherung oder
Entfernung von der Linse gleich.
Fs sei AT» (Figur IL das Sehobject, o Mittelpunkt der Convexlinse
deren Brennpunkt I' mit k. dem Knotenpunkt des Auges zusammenfällt. Ein
von B ausgehender, der Hauptachse paralleler strahl wird so durch die Linse
Refraction und Accommodation.
67
gebrochen, dass er durch Brennpunkt F res]), k geht. Sein Bild fällt auf die
f
HEM
B,B Bt a
X
~N\I
■IM
■ — __
& • ■ i
k
|aja \n..
A, A A, \J-
~T~
i,F~ L
V
■MgVnUllH
45.
Verlängerung dieser Linie. Alle von A ausgehenden Strahlen werden sich auf
die Verlängerung der Linie Aok vereinen. Dasselbe trifft zu, wenn AB etwas
weiter abgerückt (AjBi) oder näher herangerückt ist (A2B2). Sieht der Unter
suchte AB scharf, so fällt das Bild auf seine Netzhaut. Besteht Achsen-
hyperopie, so wird die Netzhaut dem Knotenpunkt näher liegen, besteht Achsen
myopie, ferner: immer alter bleibt der Gesichtswinkel v gleich. Betrachten wir
diesen also als Maass der Sehschärfe, so bleibt die Sehschärfe gleich. Die Netz-
haut b i 1 d e r allerdings wer-
den eine verschiedene Grösse
halien: sie sind kleiner auf
der Netzhaut des hyperopi-
schen Auges, am grössten
auf der des myopischen Auges.
Sollten die Netzhautbilder
gleiche Grösse behalten, so
müsste der Brennpunkt der
Linse mit dem vorderen
Brennpunkt des Auges zu-
sammenfallen (Bravais, Na-
gel), wie Figur 4.~> zeigt. Die
parallel der Hauptachse laufenden Strahlen gehen durch den Brennpunkt der
Linse F. der mit dem vorderen Brennpunkt des Auges (ft) zusammenfällt. Alle
Strahlen, welche aber von letzterem ausgehen, durchlaufen das Auge parallel der
Hauptachse.
Badal hat in seinem Optometer eine Anzahl der Snellen 'sehen Typen
photographisch verkleinert auf der durchscheinenden, dem Licht zugekehrten Object-
platte angebracht und die zum Erkennen derselben erforderliche Sehschärfe ange-
geben. Aehnlieh ist Burchardt mit Punktproben verfahren. Auch in den Opto-
metern von Seggel, Loiseau u. A. ist die Bestimmung der Sehschärfe in gleicher
oder ähnlicher Weise ermöglicht. Allerdings ist zu beachten, dass der Brenn-
punkt der Linse factisch nicht genau mit dem Knotenpunkt des Auges zusammen-
fallen wird, da wir ja die Lage des letzteren erst in jedem einzelnen Falle fest-
stellen müssten. Doch giebt die Sehschärfenbestimmung immerhin auch in dieser
Form eine annähernde Genauigkeit. Störend ist bei der Benutzung von Sehproben
auf durchscheinenden Milchplatten die Irradiation an den Bändern. -
Zur Bestimmung der Refraction bei parallelen Sehachsen können unter
Verwendung der Snellen'schen Sehproben an stelle der Brillengläser auch die
Fernrohr-Optometer von A. v. Graefe, Hirschberg und Plehn dienen. Das
erstere besteht in einer Art Galileischen Fernrohrs (Operngucker). Das Ocular
bildet ein Concav-, das Objectiv ein Convexgläs. Durch Aenderung der Entfernung
dieser Gläser von einander und Wechsel in der Stärke des Concavglases werden
die in den Tubus eintretenden annähernd parallelen Strahlen des fernen Sehobjects
in der Weise gebrochen, dass durch sie die verschiedenen Divergenzen und Con-
vergenzen der Strahlenrichtung repräsentirt weiden, welche den verschiedenen
Refractionsanomalien entsprechen. Indem Hirschberg'schen Optometer, das
nach dem Princip des astronomischen Fernrohrs aus einer Convexlinse als Ocular
und einer Convexlinse als objectiv besteht, wird Aehnliches dadurch erreicht, dass
die Gläser verschiedene Brennweiten haben und in verschiedene Entfernung von
einander gebracht werden können. Sind die Gläser beispielsweise am die Summe
5*
63 Anomalien der Refraction und Accommodation.
ihrer beiden Brennweiten von einander entfernt, so werden parallel das Objectiv
treffende Strahlen auch das Ocular parallel verlassen: der zweite Brennpunkt des
Objectivs fällt mit dein ersten Brennpunkt des Oculars zusammen.
Beide Optometer vergrössern aber die Sehproben und zwar je nach der für
die einzelnen Refractionsgrade zu ändernden Einstellung in verschiedener Stärke.
Sic sind demnach für Bestimmung der Sehschärfe weniger brauchbar. Plehn
sucht diesen üebelständ in seinem Optometer, dass zwei gegeneinander verschieb-
bare Convexlinsen von 5 cm Brennweite enthält, dadurch zu heben, dass er den
Brennpunkt der Ocular-Convexlinse mit dem Knotenpunkt des untersuchten Auges
zusammenfallen lässt: es werden so trotz Ab- und Anrückens des Objectivglases
die von diesem entworfenen umgekehrten Luftbilder immer unter demselben Ge-
sichtswinkel gesehen.
Die objectiye Refractionsbestimmung mittels des Opthalmoskops wird in dem
Abschnitt Opthalmoskopie behandelt werden.
B. Specieller Theil.
1. Myopie.
Die Myopen (jxvsiv blinzeln) sind im Ruhestand ihres Auges auf
divergente Strahlen eingerichtet, also auf Gegenstände, die näher als
unendlich liegen. In der Regel beruht dies auf einer relativ zu grossen
Länge der Augenachsen (Achsenmyopie), seltener allein auf einer
zu starken Brechung oder Krümmung (Krümmungsmyopie); in
letzterem Falle zeigt besonders die Hornhaut die abnorme Krümmung.
Höhere Grade der Kurzsichtigkeit kann man, abgesehen von den oben
erwähnten exaeten Methoden der Refractionsuntersuchung auch annähernd
so bestimmen, dass man kleinen Druck lesen lässt und nach und nach
mit ihm so weit vom Auge abgeht, bis er undeutlich wird. An der be-
treffenden Stelle liegt ungefähr der Fernpunkt des Auges. Druckproben
von verschiedener Grösse (etwa Snellen 0-4, die in 40 cm, oder 0-8,
die bei voller Sehschärfe in 80 cm zu erkennen sind) Averden von Kurz-
sichtigen ungefähr in einer und derselben Entfernung gelesen. Hier-
durch unterscheiden sie sieb sofort von [Schwachsichtigen. So
wird beispielweise ein emmetropischer Schwachsichtiger mit S = J/2
die Snellen'sche Probe 0-4 wegen seiner Sehschwäche nur in 20 cm
lesen, hingegen 0-8 in 40 cm und so entsprechend grössere Proben in
grösserer Entfernung. Der Kurzsichtige aber erkennt alle diese Schriften
mir soweit, als es die Lage seines Fernpunktes erlaubt.
Die Myopie kommt in allen Abstufungen vor: schwächste Grade bis
linauf zu M oO-O ( n-rr 1 und noch höher. Man hat hiernach verschie-
/3 /
dene Klassen der Myopie unterschieden: schwache Myopie etwa bis
M. 2-0 (V2o)> mittlere bis M 6-5 (circa '/6) und hochgradige.
Myopie. 69
Es ist zu bemerken, <lass die Überwiegende Zahl drv Myopen keine
eigentlich kranke Augen hahen; sogar hochgradig kurzsichtige Augen
können, abgesehen von dem Fehlen der Fernsicht und einer eventuellen
Herabsetzung der Sehschärfe, in ihren Functionen vollkommen normal
sein und frei von jeder entzündlichen Affection Weihen. Auf der anderen
Seite aber sehen wir eine Reihe myopischer Augen — und es gehören
hierher vorzugsweise die stark progressiven und höhergradigen Formen
— von schweren inneren Erkrankungen befallen und seihst dem Ver-
luste des Sehvermögens ausgesetzt*.
Subjective Beschwerden. Bei Myopie geringsten Grades
treten die Mängel des Schlechtersehens in der Ferne nicht sehr hervor-,
es giebt Menschen, die gar keine Ahnung von ihrer Kurzsichtigkeit
habenj und erst durch das Vorhalten von Concavgläsern überzeugt
werden, dass sie mehr sehen könnten, als das, womit sie sich begnügen.
Bei höheren Graden ist die Störung schwerwiegend, sie kann sogar
die freie Orientirung beim Gehen auf der Strasse hindern. Da bei
weiter Pupille die Zerstreuungskreise grösser sind, so suchen die Kurz-
sichtigen, um besser zu sehen, durch Verengrung der Lidspalte und
Blinzeln einen Theil der Pupille zu verdecken. Auch sonst drückt sieh
in dem Aeusseren hochgradig Kurzsichtiger, falls eben nicht durch
Gläser die entsprechende Correction vorhanden ist, öfters eine gewisse
Unbeholfenheit aus. Beaehtenswerth ist die Bemerkung von Dechales,
einem im 17. Jahrhundert lebenden Jesuiten, dass ihnen in der AVeit oft
viel mehr entgehe, als ihnen selbst bewusst wird, und dass sie von vielen
Dingen eine weniger richtige Kenntniss haben, weil sie das, was ihnen
fehlt, durch lebhafte Phantasie ersetzen. Auffallend ist, wie verschieden
eine hochgradige Kurzsichtigkeit von den Einzelnen ertragen wird.
Während sehr viele, besonders dort, wo Kurzsichtigkeit in der ganzen
Familie herrscht imd erblich ist, ganz zufrieden mit ihrem Zustande
■■ Deutsehe Heerordnung vom 22. November. 1888. § 7. Bedingte Taug-
lichkeit. 2. Geringe körperliche Felder (im allgemeinen Ersatzreserve, jedoch
ist die Aushebung zum activen Dienst keineswegs ausgeschlossen;. Anlage 1 g ':
Kurzsichtigkeit mit grösserem Fernpunktabstande als 015 m (6 Zoll), wenn die
Sehschärfe mehr als die Hälfte der normalen beträgt. § 9. Untauglich k ei t. 2.
(Landsturm 1. Aufgebots und bei hochgradigem Vorhandensein der Gebrechen
dauernde Untauglichkeit.; Anlage 4a: 10. Kurzsichtigkeit, bei welcher der Fern-
punktabstand auf dem besseren Auge 0.15 m (6 Zoll) oder weniger, die Sehschärfe
aber mehr als i/4 der normalen beträgt. (Cf. die Vorschriften über Herabsetzung
der Sehschärfe in dem Kapitel: Simulation von Amblyopie und Amaurose.) — Nach
dem Webxgesetz in Oesterreich C1889j besteht Tauglichkeit zu jeder Art von
Kriegsdienst bei einer Kurzsichtigkeit bis zu einem Fernpunktabstand von 25 cm
(M 1-0 auf dem kurzsichtigen Auge. Für Einjährig-Freiwillige ist diese Grenze
bis auf M 5'0, für Mediciner und Pharmaceuten sogar auf M 6'5 hinausgerückt.
7o Anomalien der Refraction und Accommodation.
sind — sie können ja, wie sie sagen, als Ersatz für die mangelnde
Fernsicht, in der Nähe ausgezeichnet gut sehen — oder sich wenigstens
mit ihrem Zustande abfinden, tritt uns bei Einzelnen eine hochgradige
psychische Verstimmung entgegen, die beständig durch den Vergleich
mit dem, was Andere sehen können, genährt wird.
Leider kann nicht immer durch Concavgläser vollkommen geholfen
werden. Dies gilt besonders für Myopen höheren Grades, bei denen
meist keine normale Sehschärfe für die Ferne zu erreichen ist. Aus
meinen Untersuchungen von Gymnasiasten (o420 Augen) ergab sich,
dass während volle oder übervolle Sehschärfe bei Emmetropen in
89 Procent vorhanden war, sie sich bei M 1 — 3 nur in 60-3 Procent,
bei M 3 — 0 in 41 Procent und bei 31 > 6 sogar nur in 16-2 Procent
fand; vorzugsweise häufig besteht Sehschwäche bei der angeerbten
Myopie. Bei hochgradigen Myopen beträgt, ohne dass eine andere ob-
jeetiv nachweisbare Ursache vorhanden ist, die Sehschärfe öfter nur
] 2 — */3 der normalen. Die Erklärung hierfür kann nicht allein in der
Wirkung der corrigirenden Concavgläser gesucht werden, die allerdings
durch die Zurücklegung des zweiten Knotenpunktes das Netzhautbild
gegenüber dem, wie es in dem uncorrigirten myopischen Auge war,
kleiner machen: aber dieses relativ kleinere Netzhautbild eines bestimmten
Gegenstandes kann immerhin noch grösser bleiben, als es beim emme-
tropischen Auge ist. Wenn trotzdem die Perceptionsfähigkeit für ein
derartiges Netzhautbild beim Myopen nicht ausreicht, so könnte man
mit Donders und Knapp annehmen, dass durch die Verlängerung
der Augenachse eine Auseinanderzerrung der einzelnen Netzhautzapfen
und Stäbchen in der Macula lutea und am hinteren Augen-Pole in der
Weise erfolgt sei, dass selbst auf einer grösseren Fläche weniger per-
cipirende Elemente vorhanden sind als beim emmetropischen Auge. Aber
auch ohne diese Annahme lässt sich die relative Schwachsichtigkeit, die
bei der Mehrzahl der hochgradigen Myopen vorhanden ist, durch ander-
weitige krankhafte Veränderungen der Zapfen (Heine hat eigenthiim-
liche Degenerationsformen gefunden) erklären.
Auch das periphere Gesichtsfeld für Weiss, noch mehr für Farben
ist bei hochgradigen Myopen im Allgemeinen etwas enger als bei Emme-
tropen (Weiss). Ebenso ist der Lichtsinn öfters herabgesetzt; es beruht,
hierauf die häutige Klage über erhebliche Verschlechterung im Dämmer-
licht. Nicht selten haben Kurzsichtige, aber auch in der Regel nur die
höheren (Jrade, Miickensehen (Myiodesopsie*, Mouches volantes).
Sie nehmen die Schatten der im Glaskörper befindlichen kleinen Form-
eleniente ( Hinge, Ketten, Fäden, Platten u. dgl.) wahr und werden dadurch
* nvla Fliege, uynq das Sehen.
Myopie. 7J
sein- belästigt. Diese Schatten treten bei ihnen besonders auffällig her-
vor, da alle von entfernteren Lichtpunkten ausgehenden Strahlen sich
nicht in einem scharfen Punkte auf der Netzhaut vereinigen, sondern
Zerstreuungskreise bilden; die undurchsichtigen Glaskörperelemente,
welche im Laufe dieser Strahlenbünde] lieget», halten das Licht aber ah
und werfen so Schatten in den Zerstreuungskreis. Ks schwindet daher
bisweilen die Klage über Myiodesopsie, wenn corrigirende Brillen getragen
werden: der jetzt scharfe Lichtpunkt auf der Netzhaut wird zwar durch
die vom Gläskörper abgehaltenen Strahlen etwas liehtschwäoher werden,
hat aber keinen Raum für das Zustandekommen der Schatten. Weiter
erklärt sich die Häufigkeit der Myiodesopsie daraus, dass sich gerade
bei Kurzsichtigen oft pathologische Bildungen im Glaskörper finden.
Sind sie so gross, dass sie der Augenspiegel nachweist, so spricht man
von Glaskörpertrübungen. Auch eine erhöhte Reizbarkeit der Netzhaut,
welche sich öfter gleichzeitig durch Auftreten von Blendungs-Erschein-
imgen. Schlechtersehen beim Blick gegen das Licht kund giebt, kann
Anlass zur belästigenden Wahrnehmung der Mouches volantes gehen.
Metamorphopsie kommt ebenfalls bei Myopen vor. Die Gegen-
stände, besonders in der Ferne, nehmen eine veränderte Gestalt an,
gerade Linien erscheinen gebogen, die Concavität dem Fixations-
punkte zugekehrt (Förster). Verschiebungen der Netzhautzapfen er-
klären dies.
Beschwerden der Asthenopie finden sich nicht zu selten. Es fehlt
die Ausdauer beim Arbeiten in der Nähe; heim Lesen verschwimmen
zuletzt die Buchstaben, es tritt Druck und Brennen in den Augen, seihst
Kopfschmerz ein. Häufig ist diese Asthenopie, besonders im progressiven
Stadium der Myopie, Folge von Hyperämie im Augeninnern oder ab-
normer Accommodationsspanmmg: in anderen Fällen beruht sie auf einer
Insufficienz der AT. recti interni (vgl. das betreffende Kapitel), welche
die dauernde Convergenz der Sehachsen unmöglich macht.
Objective Veränderungen. --Die kurzsichtigen Augen treten
wegen ihrer langgestreckten, eiförmigen Gestalt oft stärker aus der
Orbita hervor, erscheinen grösser. Lässt man sie nasalwärts wenden,
so erkennt man die mehr ovale Krümmung gegenüber der kugelförmigen
der Hypermetropen und Emmetropen. Die Pupillen sind häufig grösser,
wodurch die Augen den Ausdruck grösseren -Feuers" haben. Die
vordere Augenkammer ist tiefer. Nicht selten besteht ein massiges
Irisschlottern (Iridodonesis ) bei Bewegungen. Bisweilen bemerkt man
ein auffallendes Einwärtsstehen der Augen (scheinbarer Strabismus
convergens der Kurzsichtigen). Deckt man aber die einen Gegen-
stand fixirenden Augen abwechselnd mit der- Hand, so findet keine
Stellungsverrückung der Blicklinien statt.
72
Anomalien der Refraction und Accommodation.
Es beruht dies auf folgendem Verhalten. l>ie Blicklinie. Verbindung des
Drehpunktes des Auges (Figur 46D. Rechtes Auge) mit dem fixirten Gegenstande
[Gi], schneidet ebenso wie die Gesichtslinie (Verbindung der Macula Inten [G2]
mit dem Gegenstande [Gi]) in der Regel die Hörn*
haut nicht gerade in der Mitte [MJ, sondern etwas
nach innen (nasalwärts). Wenn man die Horn-
hautmitte mit dem Drehpunkte I» durch eine
Grade verbindet (die Fortsetzung dieser Linie
- Augenachse — trifft die Netzhaut zwischen
Sehnerveneintritt und der Macula lutea in F2).
so sehneidet sich diese mit der Blicklinie in einem
Winkel, der von Woinow y [MDGi] genannt
-wird. Dieser Winkel ist im Durchschnitt hei
Hypermetröpen grösser als hei Emmetropen; bei .Myopen hingegen kleiner als
hei Emmetropen. ja seihst negativ, indem die Blicklinie nach aussen von der
Hornhaut fällt. Da wir nun gewohnt sind, die Stellung heider Augen bei der
Fixation eines in bestimmter Entfernung befindlichen Gegenstandes nach der
Stellung der Hornhautmitte (Figur 47, 48 m) zu beurtheilen, so fallen uns grössere
Lageveränderungen der letzteren auf. Bei Augen, deren Hornhautmitten mehr,
;ils wir gewohnt sind, nasalwärts gerichtet sind (wie dies in Folge der Kleinheit
des Winkels ■■ bei Mvopen der Fall), scheint ein Kinw iirtschielen vorhanden zu
Myopie.
73
sein (Figur 47), bei Augen mit grösseren£Winkel y ein AuswärtsscMelen (Figur 48).
Donders, der diese Beziehungen zuerst erforscht, hatte sie irrthümlicher Weise
auf das Verhalten des Winkels « bezogen: eines 'Winkels, der von der Gesichts-
linie [Gi (VI und der Achse der Bornhaut [h a] gebildet wird. Da letztere in
der Regel auch annähernd durch die .Mitte des betreffenden Eornhautschnittes
geht i es würde demnach M mit h ungefähr zusammen!' allen; in Figur 47 sind sie
der Uebersichtlichkeit wegen zu stark auseinander gerückt), so ist praktisch keine
erhebliche Differenz zwischen dem Winkel a und dem Winke] y (Mauthner).
Her Cüiarmuskel (Figur 49 M) des myopischen Auges ist nach hinten
gerückt; dicker und länger (Arlt) als bei Emmetropen. Nach Iwanoff 's
Untersuchungen findet eine Hypertrophirung der meridionalen Muskel-
fasern statt, gegenüber dem emmetropischen [E] und hypermetropischen
Auge [11 j: die circulären treten hingegen sein- zurück. Doch scheint
diese Differenz vorzugsweise durch die verschiedene Länge der Augen-
achsen bedingt. Bei der Vergrösserung der letzteren im myopischen
Auge werden die circulären Fasern auf ein kleineres Territorium zu-
sammengedrängt, während die radiären und meridionalen Fasern mehr
ausgedehnt werden (Herzog Carl Theodor).
Da der myopische Augapfel sich besonders in der Richtung der
Augenachse vergrössert, so erhält er eine eiförmige Gestalt. Die
Seleralpartien der hinteren Bulbushälfte
sind verdünnt und ausgedehnt. Die
allgemeine Ausdehnimg kann noch
partiell eine umschriebene Erweiterung
von der temporalen Seite des Seh-
nerven zur Macula lutea hin erfahren,
„Staphyloma posticum" (Scarpa)
Figur 50 Sta; linkes Auge). Die
Sclera ist hier besonders verdünnt [s],
die Chorioidea zeigt atrophische Partien,
öfter ist auch der Glaskörper abgehoben
[a]. Gleichzeitig findet sich eine Ver-
grösserung des Zwischenraumes zwi-
schen der äusseren und inneren Seh-
nervenscheide [t].
Im Gegensatz zu diesen Staphylo-
men pflegen sich die weissen Sicheln,
Coni, in anderer Weise zu entwickeln. Mit der Ausdehnung des
Augapfels in der Richtung der Augenachse wird von der nasalen
Seite (n) der Papille her der Seleralrand mit Chorioidea und Netzhaut
schnabelförmig über den Sehnerven-Querschnitt herübergezogen (Nagel),
während gleichzeitig an der temporalen Seite eine stumpfwinklige Ab-
74: Anomalien der Refraction und Accommodation.
rundung ilcs Regrenzungsrandes des Scleroticalkanals mit Herausziehung
von Opticusfasermasse über den eingebogenen Scleralrand auf die Innen-
fläche der Sclera stattfindet (Weiss, Stilling). Dies sind die ersten
Veränderungen an der Papille, und das ophthalmoskopische Bild der
kleinen, völlig weissen Sichel, welche wie eine gegen die Macula
gerichtete Verbreiterung des normalen Scleralringes erscheint,
lässt sieh aus der Herüberziehung der Opticusfasermasse über den
äusseren abgerundeten Scleralrand wohl erklären. Später wird auch
die Chorioidea durch die Zerrung, welche sie besonders an der tempo-
ralen Seite des Opticus-Querschnittes trifft, atrophisch: man erkennt dann
öfter auf der weiss durchscheinenden Sclera noch Reste von Pigment
und kleinere Chorioideal-Gefässe. An der betreffenden Stelle functionirt
in der Regel die Netzhaut nicht mehr, wie die entsprechende Ver-
grösserung des blinden Fleckes zeigt. In schweren Fällen umgiebt
schliesslich eine atrophische Chlorioidealpartie kranzförmig die ganze
Papille. Aber gelegentlich kommen auch umschriebene weissliche Sicheln
nach anderer Richtung (unten, oben) zu Stande.
Man muss die myopischen Sicheln der Kurzsichtigen von den an-
geborenen trennen, die man auch bei Emmetropen und Hypermetropen
gar nicht selten findet; letztere sind vollkommen weiss und verhältniss-
mässig schmal. Die nach unten sitzenden Coni, mit denen meist auch
eine gewisse Herabsetzung der Sehschärfe verknüpft ist, dürften auf einen
mangelhaften Verschluss der fötalen Augenspalte zurückzuführen sein.
Seltener gesellen sich zu den Dehnungs Veränderungen ausgeprägte
entzündliche Affectionen der benachbarten Chorioidea, — Fälle, für die
man dann die v. Grraefe eingeführte Bezeichnung Sclerotico-chorioi-
ditis posterior (cf. Krankheiten der Chorioidea, Abschnitt 3) verwenden
kann. Sclerectasia posterior nennt man die erworbene Ectasie der
Maculagegend.
Alle Augen mit sehr hochgradiger Myopie haben zu den erwähnten
Veränderungen eine Disposition; bei höchsten Graden (etwa über M20-0)
fehlen sie fast nie. Oefter verbinden sich Glaskörpertrübungen damit,
denen hintere Polarkatarakte und schliesslich, wenn auch seltener Netz-
hautablösungen folgen. Aber letztere Affectionen finden sich auch bei
geringeren Graden der Myopie, sodass es durchaus gerechtfertigt er-
scheint, eine mit entzündlichen Processen einhergehende und durch diese
zum Tlieil bedingte Myopie von einer, allein von dem Augenbau ab-
hängenden zu unterscheiden.
Aetiologie und Verlauf.
Die Kurzsichtigkeit kommt nur ausnahmsweise angeboren vor. Die
ophthalmoskopische Refräctionsbestimmung an atropinisirten Neuge-
Myopie. 75
borenen hat ergeben, dass in der weit überwiegenden Zahl der Fälle
Hyperopie besteht, seltener ist Emmetropie, fast verschwindend Myopie
(Königstein, Horstmann, Schleich u. Andere). Selbst in einem Alter
von vier l>is sieben Jahren wurde Myopie noch sehr sparsam beobachtet.
So hat 11. Colin bei der Kefraetionsbostimmung von Dorfkindern, die
/.wischen dem 6. und 13. Lebensjahre standen, unter 456 Augen 435
emmetropisch, 17 hypermetropisch und nur 4 myopisch gefunden. Von
den emmetropischen Augen wurde eine grössere Zahl atropinisirt; auch
hier fand sich nach eingetretener Accommodationslähmung überall Hyper-
metropie. Nach dem 10. Lehens jähre pflegt meist die Kurzsichtigkeit
zu Tage zu treten. Ihre stärkste Zunahme erfolgt in den folgenden
Lebensjahren bis etwa zum 22. Jahre. Hält sich während der Ent-
wicklungsjahre die Kurzsichtigkeit auf einem geringen Grad (etwa 2-0);
so pflegt sie dauernd stationär zu sein.
Bei den höheren Graden der Kurzsichtigkeit (über 8-0) spielt die
Erblichkeit eine grosse Rolle. Aber auch für die niederen Grade kommt
sie in Betracht. Bei einer Untersuchung, die sich über ca. 1700 Gym-
nasiasten und Realgymnasiasten erstreckte, konnte ich bei den Eltern
i Vater oder Mutter) Kurzsichtigkeit unter den Myopen 1-0 — 3-0 in etwa
54 Proc, M 3-0— (3-0 in 57 Proc, M 6.0—8.0 in 62 Proc. und bei
Myopie > 8-0 in 88-2 Proc. nachweisen. Natürlich spricht gegen diese
Ergebnisse nicht, dass bei den Neugeborenen die Kurzsichtigkeit noch
fehlt. Wie die Aehnlichkeit des Gesichts und der übrigen Körpertheile
auch nicht beini Neugeborenen oder in der ersten Kindheit wahrnehmbar
ist, — wie aus nicht unterscheidbaren Embryonen sich so verschieden
gestaltete Wesen entwickeln, so gewinnt auch das Auge erst im Laufe
der weiteren Lebensjahre seine Aehnlichkeit mit dem der Eltern.
Auf die Entstehung der Kurzsichtigkeit und auf die Erhöhung des
Grades derselben wirken vielfach Schädlichkeiten, die in der an-
haltenden Beschäftigung mit nahe gelegenen Dingen zur Zeit der Ent-
wicklung des Körpers und des Augenwachsthums liegen. Selbst die
höchsten Grade der Kurzsichtigkeit können hierdurch ohne nachweis-
bare Vererbung oder angeborene Anomalien des Auges veranlasst werden :
gerade diese Fälle sind, wie meine Untersuchungen ergaben, sehr häufig
mit abnormer Accommodationsspannung verknüpft. — Auch liegen Be-
obachtungen vor, wo die Kinder hyperopischer Eltern bis etwa zum
11. oder 12. Lebensjahre dieselbe Refraction zeigten, sogar mit Strabis-
mus convergens verbunden, dann aber — ohne äussere Augenerkrank-
ung — kurzsichtig wurden.
Besonders beachtenswerth sind für die inBetracht kommenden Verhält-
nisse die Massenuntersuchungen in Schulen von Colin, Erismann u. A.
Die Grade der Kurzsichtigkeit und die Zahl der Kurzsichtigen nimmt mit
76 Anomalien der Refraction and Accommodation.
der Höhe der Klassen und vor allein mit dem Lebens- bezw. Schulalter
zu. Dass in der That die Schädlichkeiten; welche <lic höhere Schulbil-
dung und fortschreitende Oultur mit sieh bringt, wie anhaltende Nahe-
arbeit; Ueberanstrengung; Vernachlässigung der körperlichen Ausbildung;
zu lange Dauer der Gymnasialzeit und Aehnliches, auf die Entwicklung
und Häufigkeit der Kurzsichtigkeit (der sogenannten Arbeits- oder Schul-
myopie) Einfluss haben; kann nach den vorliegenden Untersuchungen
nicht mehr bezweifelt werden. Unterstützt wird diese Anschauung auch
durch Nachforschungen; die bei Völkern, welche ausserhalb unserer
Culturentwicklung stehen, als Kabylen, Nubiern, Patagoniern, Lappen
u. a. angestellt sind: hier fehlt die Kurzsichtigkeit vollkommen.
Um zu erklären, dass bei Einwirkung derselben Schädlichkeiten
manche Augen kurzsichtig werden, andere nicht, hat man — abgesehen
von der nicht definirbaren erblichen Disposition — nach bestimmten
anatomischen Verhältnissen gesucht, welche die Ausdehnung des Aug-
apfels begünstigen können. Hier würde besonders eine angeborene ge-
ringere Resistenzfähigkeit der Sclera und speciell des hinteren Augen-
poles von Bedeutung sein.
Mit einer gewissen Berechtigung kann man auch an den Einfluss einer
grösseren oder geringeren Länge des Sehnerven denken. Ist der Opticus
kurz, so wird bei der Einwärtsstellung des Auges, die bei der Nahe-
arbeit so häufig beansprucht wird, eine gewisse Zerrung desselben ein-
treten (Weiss), die vorzugsweise an der. äusseren Sehnervenscheide zum
Ausdruck kommt, da der Nerv vom Foramen opticum her, wo er be-
festigt ist, nach aussen zum Bulbus läuft. Diese Zerrung wird einmal
einen Einfluss auf die Gestaltung der Papilla n. optic. ausüben und dann
auch wegen der engen Verbindung der Sehnervenscheide mit der Sclera
letztere nach hinten hin ausdehnen und ihre Widerstandsfähigkeit her-
absetzen (Hasner).
Weiter kommt die Lage und Länge der das Auge begrenzenden
Muskeln in Betracht.
Durch die häufige ( 1onvergenz wird bewirkt, dass die M. recti
exierni stärker und dauernd gedehnt werden und so die äussere Bulbus-
seite mit grösserem Drucke belasten. Hierdurch kann neben der me-
chanischen Wirkung, die auf eine Art Abplattung des im Wachsthum
befindlichen, bisher kugelförmigen Bulbus hinausläuft, auch durch Druck
auf die venösen Grefässe eine Blutstauung mit secundärer Inhaltszunahme
im Auge bewirkt werden. Es muss dies besonders hervortreten, wenn
die R. externi schon anatomisch in grösserer Länge dem Bulbus aufliegen.
Stilling schuldigt bezüglich *\v^ Druckes auf die Augenkapsel und
der Zerrung der Sclera vorzugsweise die wechselnden Contractionen des
Oblicpi. superior an, die beim Lesen und Schreiben mit abwärtsgerich-
Myopie. 77
tetem Blicke eintreten: in der von ihm beobachteten Verschiedenheit im
Ansatz der Obliquus-Sehne sucht er die Disposition der einzelnen Indi-
viduen zur Myopie. Er glaubte noch in anderer Weise die Richtigkeit
seiner Anschauung stützen zu können. Wenn die Trochlea sehr hoch
liegt, wird der über sie laufende Obliquus superior dem Augapfel nur
in geringer Ausdehnung anliegen, bei niedriger Trochlea dagegen in
grösserer. In letzterem Falle würde demnach eine Zerrung besonders
leicht möglich und damit die Anlage zur Entwicklung des myopischen
Baues gegeben sein. Vergleichende Messungen der Orbitalöffnung haben
ihm in der That das Resultat gegeben, dass die hohen Augenhöhlen
(Hypsiconchie) vorzugsweise den Emmetropen und Hyperopen, die
platten (Chamaeconchie) den Myopen zukommen. Er glaubt demnach,
hierin die Disposition zur Myopie zu linden. Jedoch haben meine sehr
zahlreichen Nachuntersuchungen (ebenso wie die von Kirchner, Herrn-
heiser. Seggel u.A.) dies in keiner Weise bestätigt; auch Weiss hat,
sowohl bezüglich dieser Frage als auch bezüglich des Einflusses des
Obliquus superior auf das Zustandekommen des Staphyloma posticum,
von den Stilling'schen Angaben abweichende Ergebnisse bekommen.
Was nun die eigentlichen und unmittelbaren Schädlichkeiten der
Nahearbeit betrifft, so werden sie, wie schon aus Obigem hervorgeht,
hauptsächlich und in erster Reihe durch die andauernde und starke
Convergenz der Blicklinie bedingt. Dieselben werden sich steigern,
wenn das Auge bereits einen Langbau hat und kurzsichtig ist. Es
kommt dann noch hinzu, dass der Winkel y kleiner ist als beim emine-
tropischen Auge oder mit anderen Worten, dass die Hornhautmitte
näher dem nach innen von ihr befindlichen Schneidepunkt der Blicklinie
gelegen ist. Blickt, danach der Kurzsichtige auf einen nahen Gegen-
stand, so wird er die Mitte der Hornhaut und damit den ganzen Aug-
apfel stärker nach innen drehen müssen als der Emmetrop.
Auch das Vornüberbeugen des Kopfes, bei welchem der
Blutrückfluss in den Halsvenen erschwert wird, giebt Anlass zu Blut-
stauungen im Auge und einer davon abhängigen seeundären Inhaltszu-
nahme.
Dass, wie öfter behauptet wird, dauernde Accommodations-
anstrengung Achsenmyopie veranlasse, erscheint weniger annehmbar.
Es wäre allerdings möglich, dass das Xaehvorwärtsrücken der Chorioi-
dea, wie es nach Hensen's imd Völker's Versuchen stattfindet, eine
Zerrung und Hyperämie der Aderhautgefässe mit vermehrter Aus-
>ehwitzimg zur Folge habe. Dieses Moment fällt aber bei einem ge-
wissen Grade der Myopie, wo wegen der Nähe des Fernpunktes eine
Accommoclationsanstrengung unnöthig ist, garnicht mehr ins] Gewicht.
Auch spricht gegen eine besondere Schädlichkeit der Accommodations-
78 Anomalien <lev Refraction und Accommodation.
anstrengung die neuerdings von Förster besonders betonte Erfahrung,
dass Myopen, die corrigirende, ja selbst übercorrigirende Concavbrillen
dauernd tragen, unter denen sie beim Arbeiten starke Aecommodations-
anstrengungen machen müssen, recht häufig kein Fortschreiten ihrer
Kurzsichtigkeit zeigen. —
Von dieser Arbeit sm yopie zu unterscheiden ist eine zweite Form
von Kurzsichtigkeit mittleren oder höheren Grades, die ohne die erwähnten
Schädlichkeitsmomente beobachtet wird. Es handelt sich meist um Augen,
die mit inneren Entzündungen, Chorioiditen, Glaskörpertrübungen oder
Netzhautablösungen behaftet sind. Hier dürften die entzündlichen Pro-
eesse die Entwicklung der Kurzsichtigkeit bedingen, indem eine ver-
mehrte Exsudation in den Glaskörper Anlass zur Ausdehnung- der schon
verdünnten oder erweichten Sclera und Chorioidea giebt und zwar dort,
wo die Erkrankung- vorzugsweise sitzt, am hinteren Augenpole. Auf
der andern Seite kann aber, wie Seggvel's und meine Untersuchung
erwiesen haben, auch ein Uebergang der ursprünglichen Arbeits-Myopie
in die letzterwähnte, wenn auch nur selten erfolgen, und ist eine voll-
ständige Trennung-, wie Tscherning will, nicht durchführbar. Selbst
die Behauptung, dass die Arbeits-Myopie immer kleiner als 9,0 D bleibe,
ist unzutreffend. Stilling hat für die hochgradigen und deletären
Myopien als ätiologisches Moment die Verwandsehafts-Ehen hingestellt:
nach ihm sind erstere ein Product der Inzucht! Hiermit stimmen
aber meine und Anderer Erfahrungen nicht überein: so fand sich bei-
spielsweise in einer Zusammenstellung Velha gen' s aus meiner Klinik
unter 50 hochgradigen Myopen nur Einer, dessen Eltern blutsverwandt
waren. —
Krümmungsmyopie kann durch eine stärkere Krümmung der
normalen Cornea bedingt sein, vorzugsweise aber findet sie sich bei
Keratoconus und bei sonstigen Kerectasien, wie sie nach pannöser Horn-
hautentzündung nicht selten sind. — Auch andere Hornhautproeesse.
die keinen grossen Substanzverlust gesetzt haben, veranlassen in Folge
zurückgebliebener leichter, mehr oder weniger diffuser Trübungen Kurz-
sichtigkeit. Hierdurch dürfte sich auch die nicht seltene Angabe, dass
nach einer Ausschlagskrankheit die Kurzsichtigkeit entstanden sei, er-
klären. Zum Theil tritt eine wirkliche Krünunungszunahnie der Cornea
ein, meist ist es aber die durch Trübungen veranlasste Schwachsichtigkeit,
welche eine verstärkte Annäherung der Objecte beim Sehen, und so eine
Achsenverlängerung durch übermässige ( ionvergenz herbeiführt. Anderer-
seits veniiisst man jedoch in nicht wenig Fällen, bei denen der Beginn
di-y Kurzsichtigkeil auf exanthematische Krankheiten, besonders Masern
zurückgeführt wird, die Hornhauttrübungen und die Herabsetzung der
Sehschärfe, Es ist wahrscheinlich, dass hier durch die Krankheit eineVer-
Myopie. 79
ringerung der Widerstandsfähigkeit des Gewebes der Bulbuskapsel
gegen den äussern Muskeldruck entstanden ist.- Dass ans dauernden
abnormen Accommodationsspannungen oder ans einem Accom-
modationskrampf schliesslich wirkliche Achsenmyopie entstellt, er-
klärt 'sich ans der stärkeren Annäherung der Objecto Die bei be-
ginnendem Star auftretende Kurzsichtigkeit ist Folge von Brechungs-
änderungen in der Linsensubstanz.
Prophylaxe.
Da wir ausser Stande sind, die Achsenmyopie rückgängig zumachen,
wird es um so mein- unsere Aufgabe sein, den schädlichen Momenten.
die ihre Entwicklung unterstützen, entgegen zu treten: eine hygienische
Forderung, der in neuerer Zeit von allen Seiten betont und durch detail-
lirte Studien näher beleuchtet ist (Colin, Erismann, Ad. Weber,
Laqueur u. A.). Auch sind bereits von v. Hippel und mir Unter-
suchungs-Ergebnisse mitgetheilt, welche den günstigen Einfluss der be-
treffenden Maassnahmen zeigen.
1) Die Beleuchtung. Um genügendes Licht in den Schulzim-
mern zu schaffen, soll auf 5 qm Bodenfläche je 1 qm Fensterfläche
kommen. Dies wird im Ganzen zutreffen, wenn die Schule frei steht,
und nicht ihre Beleuchtung durch die Umgebung beeinflusst wird. Weiter
soll das Licht von links kommen; sind die Bäume zu gross, so kann
daneben noch Beleuchtung von hinten her angewendet werden; am
besten wäre hier Oberlicht, das sich aber nicht überall anbringen lässt.
Man wird weiter die Fenster wegen des direct einfallenden Sonnenlichts
nicht nach Süden legen und eben so wenig sehr stark reflectirende
Wände und Flächen dem Auge gegenüber anbringen. Dem Augenarzte
kommen nicht selten Fälle vor, wo Sehschwäche von den Patienten
darauf zurückgeführt wird, dass sie lange Zeit bei ihrer Arbeit einer
von der Sonne hell beschienenen Wand gegenüber gesessen haben. Auch
habe ich Aceommodationskrampf unter diesen Verhältnissen ebenso wie
in Folge von dauernder Arbeit bei ungenügender Beleuchtung auftreten
sehen. Wenn das Sonnenlicht zu blendend in das Zimmer einfällt, ist
es durch graue Rouleaux oder andere Verneinungen zu mildern. In <\cv
Dämmerung ist das Lesen und Schreiben aufzugeben und sofort i'\'w
künstliche Beleuchtung zu sorgen. Mit der Verminderung der Hellig-
keit nimmt auch die Sehschärfe ab; ist letztere auf '2 der normalen.
bei Tageslicht vorhandenen gesunken, so wird, wie mich Versuch«'
gelehrt, sogar das Schreiben, das für den Geübten immer weniger Seh-
kraft erfordert als das Lesen, für die Augen anstrengend. Sinkt die
Sehschärfe auf l ., , . so kann man nur noch mit Mühe lesen oder
schreiben. Mit der Verminderung der Sehschärfe im Dämmerlicht ist
3Q Anomalien der Refraction and A.ccommodation.
ein stärkeres Herangehen an Schrift und Druck verknüpft: aber ausser-
dem sind auch die Buchstaben schlechter auf dem dunkler gewordenen
Papier zu erkennen und erfordern eine grössere Anstrengung' der Netz-
haut, die dann wieder zu Reizungszuständen Anlass gieb't. Es sollte
daher nur so lange gelesen und geschrieben werden, als die Helligkeit
gross genug für Sehschärfe = 1 ist. Als Maassstab kann man eine
kleine Schrift, die in 30 Ms 40 cm Entfernung bei voller Sehschärfe
gerade noch scharf erkannt werden kann, benutzen; muss die Schrift
wegen eintretender Dämmerung näher herangenommen werden, so ist
mit Lesen und Schreiben aufzuhören. Fast noch häufiger wie in der
Schule wird im Hause nach der Richtung gefehlt. Wenn die Schüler
ihre Arbeiten für die Schule gemacht haben, benutzen sie gern die Däm-
merung, um sich in ihre Privatlectürc zu vertiefen. Da diese in der
Regel aber die jungen Köpfe etwas mehr erregt als die Schularbeiten,
so kommt noch zu dem anstrengenden vjäehen die geistige Anspannung
und der dadurch bedingte stärkere Blutandrang nach dem Kopfe hinzu.
Es muss daher besonders auch zu Hause darauf Gewicht gelegt werden,
dass in der Dämmerung von den Schülern durchaus nicht gelesen werde.
Man verdunkle lieber etwas früher die Fenster und zünde Licht an.
Bezüglich der Prüfung, ob die Beleuchtung der Pultfläche ausreichend
sei, kann auch für Schulzimmer obige Probe mit kleinen Seh-Objecten
(z. B. den Burchardt'schen Punktproben) benutzt werden. Photo-
metrische Messungen, wie sie H. Cohn mit dem Leonhard Weber'schen
Photometer in grösserer Zahl angestellt hat, oder die Messung des Winkels,
in dem noch directes Himmelslicht auf das S ehr eib-Pult fällt (Förster),
sind mit grösseren Schwierigkeiten verknüpft und übertreffen an prak-
tischer Brauchbarkeit nicht den Versuch mit Seh-Proben. Immer prüfe
man, während die ('lasse besetzt ist, da die Anzahl der Schüler, ihre
Grösse und Placirung von Einfluss darauf ist, wie viel Licht auf die
Tischplatten fällt. Auch bei der künstlichen Beleuchtung ist auf ent-
sprechende Helligkeit zu sehen; als Minimum verlangt Cohn eine Licht-
Intensität von 10 Meter-Kerzen (1 Meter-Kerze ist eine Normalkerze,
die in einem Meter Entfernung sich befindet. Jetzt wird die Hefner-
Lampe nieist als Lichteinheit benutzt; sie ist etwas lichstärker als die
früheren Normalkerzen). Neuerdings hat man für Arbeitsräume in der
Weise die künstliche Beleuchtung erheblich verbessert, dass man durch
besondere Perlectoren das von dem unter der Decke befindlichen Leucht-
körper ausgehende Licht diffus vertheilte.
Zweitens kommen die Sitze und Subsellien der Schüler
in Betracht. Es soll vor allem das Vornüberbeugen, die seitliche
Rückgradsverkrümmung und das Schiefhalten des Kopfes vermieden
werden: I Jebelstände, die besonders heim Schreiben hervortreten. Dazu
Myopie. S|
aber bedarf es für Tisch und Sitz der Berücksichtigung nachstellender
Punkte :
Die Tischfläche muss von dem Sitze eine bestimmte Entfernung
(Differenz) haben; dieselbe wird durchschnittlich gleich !/s der Körper-
grösse -f- 4 cm zu wählen sein. Vom Sitzkndrren big zum Ellenbogen
bei herabhängenden Armen beträgt die Entfernung etwa '/8 der Körper-
lange. Da nun beim Schreiben dir Hand auf der Tischplatte etwas
höher liegt, kann man circa 4 cm zugeben. Hierbei ist das Auge in
genügender Entfernung von dem Schreibheft und auch Unterarm und
Hand können ohne excessive Erhebung, die wiederum eine Höherstellung
der betreffenden Schulter und Schiefstellung der Wirbelsäule zur Folge
haben würde, die Schriftzüge ausführen. Da die Grösse der Kinder in
einer und derselben Schulklasse aber verschieden ist, so muss auch die
Höhe der Subsellien verschieden sein. Im Ganzen wird man mit zwei
bis drei verschiedenen Formen in jeder Klasse auskommen, da ein ge-
wisser Breitegrad in der Differenz zu gestatten ist.
Ferner soll der Rand der Tischplatte so nahe dem Schüler beim
Schreiben herangerückt sein, class ein vom Tischrande auf die Sitzfläche
gefälltes Loth gerade den vorderen Rand derselben (Distanz = 0) oder
die Sitzfläche selbst trifft, etwa 2 bis 3 cm vom Rande entfernt (nega-
tive Distanz). Ist hingegen die Tischplatte vom Sitz weiter entfernt
(positive Distanz), so muss der Schreibende sich vornüber auf die Tisch-
platte beugen und sitzt in extremen Fällen nur noch mit dem hintersten
Theil seines Gesässes auf. — Allerdings wird durch derartiges Nahe-
rücken der Tischplatte an den Sitz das Aufstehen der Kinder und das
Durchgehen verhindert. AÜan hat, um das zu ermöglichen, entweder die
Bänke (Sitze) oder die Tischplatte verschiebbar gemacht. Die ersteren
werden, wemi nicht geschrieben wird, zurückgeschoben (so z. B. bei den
Hippauf-Bänken; die in Hessen-Darmstadt eingeführten Lickroth'-
seken sind Klappsitze, die beim Aufstehen zurückklappen), oder die letz-
teren hinaufgeschoben (so bei Kunze's Tisch, bei der Wiener Schul-
bank u. s. f.). Im übrigen genügt eine O-Distanz vollkommen. Bei Er-
wachsenen (so z. B. in den Universitäts-Auditorien) macht man sie in-
dessen lieber positiv, da sonst etwas dickere Persönlichkeiten zu stark
eingeengt werden.
Die Tischplatte muss eine bestimmte Neigung haben, da das zu starke
Abwärtsblicken anstrengend ist und leicht ein Vornüberlegen des Kopfes
bewirkt. Beim Lesen sollen die Bücher mit der Hand oder mittels eines
Lesebrettes aus demselben Grunde etwa 40 bis 50 Grad gegen die Hori-
zontale geneigt gehalten werden: beim Schreiben ist diese Erhebung für
die Hand unb'erpaem, doch sollten etwa 15 Grad beibehalten werden.
Weiter muss die Bank so weit vom Fussboden oder Fussbrett ent-
- .-bmidt-Eimpler. 7. Auflage. ■ 6
82 Anomalien der Refraction und A.ccommodation.
fernt sein, dass die Füsse gerade gut aufgestellt werden können; auch
soll eine genügende Breite der Sitzfläche vorhanden sein. Zur Stütze
der Wirbelsäule muss die Bank eine bequeme Lehne halten. Ferner wird
mau darauf Rücksicht nehmen, dass die Bänke einer ausgiebigen Reini-
gung der Schulräume nicht hinderlieh sind. Es ist übrigens unglaub-
lich, was betreffs der Reinlichkeit gesündigt wird: in manchen Schulen
werden die Zimmer nur in den Ostern- und Michaelis-Ferien einmal nass
aufgescheuert ; in der Schulzeit aber nur halbwöchentlich oder gar
wöchentlich ausgefegt. —
Aber trotz guter Bänke sitzen die Kinder doch nicht gerade; be-
sonders wird der Kopf gern gebeugt und gedreht. Um dies zu hindern,
sind Kopfhalter mit Stützen zu verwerthen. So die Soenneckcn'sehen
Kinnstützen, die; an den Tisch geschraubt, zum Aufsetzen des Kinns dienen,
oder noch besser die Kallmann'schen Durchsichts-Stative: mit Gummi
überzogene und auf einem Stativ befindliche grosse eiserne, entsprechend
gebogene Ringe, hinter die das Gesicht des Kindes zu liegen kommt.
Mädchen kann man auch mit ihrem Zopf an die Stuhllehne binden.
Es darf aber nicht genügen, dass in den Schulen für entsprechende
Sitze gesorgt wird; auch die Eltern müssen darauf ihre Aufmerksamkeit
richten. Hier empfehlen sich die Arbeitstische, welche nach den oben
angeführten Grundsätzen gearbeitet sind, aber in der Höhe der Sitze etc.
verschiedene Stellungen zulassen und demnach für eine Reihe von Lebens-
jahren ausreichen. Selbst mit einfachen Mitteln, so durch die Wahl der
richtigen Höhe der Stühle und entsprechendes Heranrücken derselben
an den Tisch lässt sich Ausreichendes leisten.
3) Die Haltung der Kinder. Vorzugsweise pflegen die Kinder
schlecht zu sitzen beim Schreiben, weniger beim Lesen. Die Unter-
suchungen haben gezeigt, dass die Haltung des Kopfes beim Schreiben
in erheblichem Grade davon beeinflusst wird, dass beim Visiren der
Schriftzüge die Augenbewegungen möglichst bequem stattfinden können.
In der Mehrzahl der Fälle wird nur die Ausführung der Grundstriche
mit den Augen genauer verfolgt.
Bei der schrägen Currentschrift machen die Grundstriche einen
Winkel von etwa 45 bis 60 Grad mit der Schreiblinie. Da die Augen-
bewegungen am bequemsten gerade nach oben und gerade nach unten
erfolgen, so wird die Kopfstellung beim Visiren der Grundstriche so
sein müssen, dass eine die Drehpunkte beider Augen verbindende hori-
zontale Linie (Basallinie), wenn sie auf das Papier projicirt gedacht
wird, mit den Grundstrichen der Schrift einen rechten Winkel bildet.
|)ies hat sich auch durch zahlreiche Untersuchungen an schreibenden
Kindern, wie sie von Ad. Weber und besonders von Berlin und
llem hold in Stuttgart angestellt sind, als richtig herausgestellt. Bei
Myopie. S;>
über 90 Procent der Untersuchten bestand ein Winkel von annähernd
90 Grad. Hält nun das Kind das Heft gerade vor sich und so, dass
der untere Rand desselben der Tischkante parallel ist, wie es bei uns
meist geschieht, so muss das Gesicht nach rechts gedreht und der Kopf
etwas nach der linken State geschoben werden, damit die Basallinie der
Augen senkrecht auf die (»rundstriche Arv Schrift zu stehen kommt.
Dabei stützt sich unter Verschieben der Wirbelsäule bei schlechten Sub-
sellien der ganze Körper auf den linken Arm. Legen wir hingegen das
Heft gerade in die Mitte vor uns, drehen es aber mit der rechten Ecke
nach oben, so dass sein unterer Rand mit der Tischkante einen Winkel
von 4.") Grad bildet, so schneidet letztere die Grundstriche, wenn sie mit
den Schreiblinien einen Winkel von 45 Grad bilden, unter 90 Grad.
Das Gesicht kann demnach gerade nach vorn gerichtet und die Basal-
linie der Augen der Tischkante parallel bleiben. Diese Haltung der
Schreibhefte wird als die naturgemässe anzustreben sein. Besonders auf-
fällig ist die Abhängigkeit der Kopfhaltung von der Lage der Grund-
striche vorzugsweise bei Kindern, weil diese einmal grösser zu schreiben
pflegen und dann auch mit grösserer Sorgfalt und Genauigkeit die Aus-
führung der Grundstriche mit den Augen verfolgen. Schnellschreibende
Erwachsene pflegen beides zu unterlassen und daher auch eine bessere
Kopfhaltung zu haben, selbst wenn sie das Blatt gerade vor sich legen.
Bei Ausführung einer ganz steilen Schrift, die mit der Schreiblinie einen
rechten Winkel bildet, wird der Rand des Heftes natürlich dem Tisch-
rande parallel bleiben müssen, wenn die Verbindungslinie beider Augen
sich mit der Schrift unter 90 Grad kreuzen soll. Versuche, die in den
letzten Jahren in einzelnen Schulen mit der Steilschrift gemacht sind,
haben zu dem Ergebniss geführt, dass die Kinder hierbei eine entschieden
bessere Haltung gewinnen.
Xeben diesen in den Gesetzen der Augenbewegung liegenden Mo-
tiven zur Anempfehlung einer bestimmten Heftlage kommt auch die
Muskelthätigkeit der Hand beim Schreiben, wrelche ebenfalls eine mög-
lichst wenig anstrengende sein muss, in Betracht.
4 | D a s S c hr ei b m a t erial spielt eine bedeutende Rolle. Griffel
und Schiefertafel sind im Allgemeinen nicht zu empfehlen. Der zu starke
Reflex und das Zerkratzen des Schiefers, wodurch die Schrift schwer
erkennbar wird, sind von allen Seiten als Schädlichkeiten empfunden
worden. Auch die von Thieben in Pilsen gefertigten weissen Steintafeln,
ebenso wie die von "Wenzel in Mainz aus weiss emaillirtoni Eisenblech
haben sich nicht bewährt. Vielleicht lässt sich am besten bei den An-
fängern Blei und weisses Papier verwenden. Es ist dies allerdings
etwas theuerer, auch das häufige Spitzen des Bleies unbequem, aber der
Vortheil gegenüber der Schiefertafel ist in die Augen springend, wenn
6*
g4 Anomalien der Refraction und Accouunodation.
man eben auf Grund pädagogischer Erfahrungen nicht gleich mit Tinte
und Feder anfangen will. Durch eine neuere A^orsehrift des preussi-
schen Cultusministeriums ist der Gebrauch der Schiefertafeln auf die
ersten beiden Schuljahre beschränkt worden, während die Züricher
Schuldirectoren bereits 1879 als Schreibmaterial grundsätzlich Papier
und Federhalter vorgeschrieben haben.
5) Das Lesen. Auch der Druck der Lesebücher ist zu über-
wachen. Hierbei kommen vorzugsweise in Betracht: Die Entfernung
der Buchstaben von einander, ihre Grösse und die Distanz der einzelnen
Linien. Versuche haben ergeben, dass bei leicht lesbarem Druck die
Höhe der Buchstaben (n ist hierbei als Maass angenommen) mindestens
1-5 mm sein soll, die Entfernung zweier Buchstaben (Approche) 0.75 mm
und der Durchschuss oder die Distanz zwischen dem unteren Rande
der kleinen Buchstaben in der oberen Linie und dem oberen Rande
derjenigen in der unteren 2 bis 2'/2 nnn betragen muss. Die Länge
der Zeilen darf ebenfalls nicht zu gross sein, um unbequeme Augen-
bewegungen zu vermeiden; 100 — 110 mm würden entsprechend sein. Was
die Form der Buchstaben betrifft, so sind die lateinischen (Antiqua)
wegen ihrer grösseren Einfachheit und des Mangels an Ecken und
Schnörkeln den deutschen (Fractur) vorzuziehen. Besondere Aufmerk-
samkeit erfordern in den höheren Klassen die Stereotypausgaben der
Klassiker, die Wörterbücher und die Landkarten. In den unteren
Klassen ist der Druck der Bücher, besonders in den Fibeln, meist ent-
sprechend gross; weniger zufriedenstellend aber ist das Papier, das
wegen Dünnheit oft den Druck 'der anderen Seite durchscheinen lässt,
auch gelegentlich zu grau ist. Ebenso ist auf die Wandtafeln zu achten.
Sie dürfen nicht „schwarze Spiegel" bilden, da der starke Reflex die
Schrift unlesbar macht, und müssen entsprechend rein gehalten werden.
6) Die Beschäftigung. Selbst mit Ausschluss der erwähnten
Schädlichkeiten wirkt eine andauernde und ununtcrbrochcneBeschäftigung
mit Schreiben und Lesen für die Augen nachtheilig, aber nicht nur für
diese, sondern für die ganze Entwicklung der Kinder, wenn nicht Pausen
eintreten und eine genügende Zeit zu körperlichen Bewegungen gelassen
wird. Das dauernde Stillsitzen unserer Kinder darf nicht zu früh be-
ginnen und unterstützt werden. Stubenhocker werden schon später viele
von selbst. Ein dankenswerther Erlass des preussischen Cultusministe-
riums vom 10. November 1884 betreffend die Erholungspausen zwischen
den Lehrstunden und die Zeitdauer der häuslichen Arbeiten der Schüler
höherer Unterrichts-Anstalten bestimmt Folgendes. Bei 4 Stunden Vor-
mittags- und 2 Stunden Nachmittags-Unterricht soll die Gesammtdauer
der Erholungspausen nicht weniger als 40 Minuten betragen und darf
4.") Minuten nicht überschreiten; Vormittags nach der 2. und Nachmit-
Myopie. 85
tags nach der 1. Lehrstunde eine Pause von 15 Minuten; nach der 1.
und 3. Stunde Vormittags kürzere Pausen. In diesen sollen die Schüler
die Klassen-Zimmer, welche zu lüften sind, verlassen. Die häuslichen
Arbeiten dürfen folgende Zeit nicht überschreiten: in der Sexta 1 Stunde,
Quinta lr2 Stunde, Quarta und Unter-dYrtia 2 Stunden, Ober-Tertia
und TJnter-Secunda 2]/2 Stunde, Ober-Secunda und Prima 3 Stunden.
Weiter sind vom Vormittag auf Nachmittag keine Aufgaben zu stellen. — •
Am besten wäre es. den Nachmittags-Unterricht ganz ausfallen zulassen;
auch wird betreffs der für die häuslichen Arbeiten bestimmten Zeit, die
recht hoch gegriffen ist, zu betonen sein, dass es sich um das Maximum
der erlaubten Forderung handelt.
Ferner ist zu vermeiden das nutzlose Abschreiben und ebenso das
massenhafte Exempelschreiben in den untersten Klassen, wodurch das
Auge oft übermässig angestrengt wird, — um so mehr als es für die
Ausbildung meist nutzlos ist, da es ganz mechanisch geschieht.
Es Hessen sich noch mancherlei Schädlichkeiten der Schulbeschäfti-
gung anführen: so das officiell eingeführte Zeichnen nach der Stuhl-
mann'schen stigmographischen Methode in einem Grewirr von Punkten
und Xetzen. Aehnlich die Augen angreifend wirken die zahlreichen
schrägen Linien in manchen Schönschreibheften. In den Mädchenschulen
wird viel gesündigt durch Handarbeiten, besonders durch übertriebenes
Weissnähen, Perlenstickereien, Namensticken u. dgl.
In den höheren Schulen sorge man vor allem dafür, dass das Jahres-
Pensum auch in der entsprechenden Zeit von allen Schülern absolvirt
werden kann und das jetzt so übertrieben häufige zweijährige Verbleiben
in einer Klasse vermieden wird. Hiergegen würde schon die allgemeine
Einführung halbjährlicher Versetzungen Nutzen bringen, da auf diese
Weise den Sitzengebliebenen die Möglichkeit gegeben wird, wenigstens
in lr0 Jahr die Klasse durchzumachen. Mit dem 18., höchstens 19.
Leben sjahre sollte das Gymnasium absolvirt sein: in Preussen erreichten
dies 1887 8 nur 40 Procent der Abiturienten,
Therapie.
Durch entsprechende coneave Brillen-Grläser können wir den Myopen
die Fernsicht wiedergeben. Aber auch flu die Nähe sind Concav-Grläser
bisweilen erforderlich, weil sie den Patienten die Möglichkeit gewähret^
in grösserer Entfernung zu lesen und zu arbeiten und so vor allem die
schädliche, übermässige Convergenz zu vermeiden. Doch muss man
auch darauf hinwirken, dass nunmehr in der That in der entsprechenden
Entfernung gearbeitet wird, am besten durch passende Tische, nöthigen-
falls durch Kopfhalter. Man bestimme daher, wenn möglich, die Myopie
stets gleichzeitig objeetiv ophthalmoscopisch; jedenfalls lasse man die
86 Anomalien der Refraction und Accommodation.
Kurzsichtigen auch binocular mit aufgesetzten Gläsern sehen: man
findel dann häufig dass dieselbe Sehschärfe erreicht wird mit schwächeren
G-läsern, als sie bei der monocularen Prüfung nötig waren, wo unter
der deckenden Klappe ein Auge vielleicht etwas convergirte und da-
durch eine Accommodationsspannung herbeiführte.
Die Wahl der Gläser richtet sich nach dem Grade der Kurz-
sichtigkeit, nach der Sehschärfe und nach der Accommodations-
breite des Patienten. Wenn wir von dem Kurzsichtigkeitsgrade hier
sprechen, so ist die reelle Kurzsichtigkeit unter Ausschluss einer com-
plicirenden al »normen Accommodationsspannung' oder eines Accommo-
dationskrampfes gemeint.
Das Brillentragen ist gegen Ende des 13. Jahrhunderts zunächst in Italien
in Gebrauch gekommen; in Deutschland wird die C'oncavbrille seit Mitte des 16.
.Jahrhunderts häufiger benutzt. Xero's concav geschliffener Smaragd diente nur
als Hohlspiegel (Hirschberg). — Man achte vor allem darauf, dass die Brille
gut sitzt und die Gläser grade senkrecht vor dem Auge stehen; nicht etwa die
lateralen Seiten durch die Brillenstange nach hinten gezogen werden. Ebenso
muss ihr Centrum, wenn nicht besondere, später zu erwähnende Gründe es anders
bedingen, grade vor der Pupillenmitte beim Blick grade aus liegen. Die Distance
der Pupillenmitten von einander ist individuell verschieden: rund (iü mm. Auch soll
das Glas klar und ohne Bisse, Schlieren etc. sein. Die „isometropen" Gläser über-
treffen unsere guten Gläser an Klarheit und Durchsichtigkeit kaum und die ge-
rühmte, etwas stärkere Brechung ist für eine grössere Dünnheit und Leichtigkeit
fast ganz bedeutungslos. Ob man Brille, Pince-nez oder Lorgnette benutzen will,
hängt zum Theil von der Dauer des Gebrauches, zum Theil von der Neigung —
und der Nase des Trägers ab. Bei beständigem Aufbehalten oder langfortgesetztem
Gebrauch ist die Brille meist vorzuziehen, da sie am sichersten sitzt.
Bei normaler Sehschärfe, guter Accommodationsbreite
(etwa annähernd bis 120 D.), wie sie dem jugendlichen Alter ent-
spricht und einer Myopie bis etwa 6-5 (circa ]/e) würde wissenschaftlich
nichts dagegen einzuwenden sein, wenn man dem Patienten eine corri-
girende oder fast corrigirendc Brille zum dauernden Tragen giebt. Aller-
dings wird der Myop anfänglich dadurch in andere Accommodations-
verhältnisse beim Nahesehen gesetzt. Wir wissen, dass die relative
Accommodationsbreite bei ihm sich anders ausgebildet hat. als
beim Emmetropen. Wenn ein Myop 5-0 beispielsweise bei einer Conver-
genz auf ein 20 cm entferntes Sehobjeet ohne Brille keine Accommoda-
tionsanstrengung nöthig hatte, so würde er unter der corrigirenden
Brille, die ihm seinen Fernpunkt in die Unendlichkeit legt, jetzt beim
Blick auf 20 cm Entfernung 5-0 aecommodiren müssen. Dies wird ihm
anfänglich viel schwerer und unbequemer fallen, als dem Emmetropen,
bei dem sieh stets mit dieser Convergenz auf 20 cm auch eine Accom-
modationsspannung verknüpft hatte. Alier allmählich wird sich das Auge
eines jugendlichen Individuums den neuen Verhältnissen anpassen
Myopie. 37
und schliesslich wird sich auch für die verschiedenen Convergenzen, und
mit diesen verknüpft, sofort eine Accommodationsspannung (— relative
Aceoinmodation — ) einstellen, wie sie dem emmetropischen Auge ent-
spricht. Aber das Bestehen einer guten Accommodationsbreite bildet
die Voraussetzung. Immerhin wird es empfehlenswert!) sein, nicht mit
einem Schlage diese totale Umwälzung der Accommodationsverhältnisse
zu beanspruchen, wenn es sich um einen einigermaassen höheren Myopie-
grad handelt. Es werden hier für die Nähe hesser Concavbrülen zu
geben sein, die schwächer als die Myopie sind. Bei ganz hohem Grade
der Myopie sind sogar die Patienten, die früher keine Gläser getragen,
meist ausser Stande, mit voll corrigirender Brille sofort lesen zu können.
Als zweites Erforderniss wurde annähernd normale Sehschärfe aufge-
stellt. Jede merkliche Herabsetzung der Sehschärfe bedingt ein näheres
Herannehmen des Gegenstandes. Trotz der corrigirenden Brille könnte
der Patient demnach nicht die Gegenstände entsprechend fern halten;
• las Sehen würde nur noch durch dieselbe erschwert, da mit der starken
Convergenz auf den sehr angenäherten Gegenstand sich jetzt noch
eine ungewohnt hohe Accommodation verbinden muss. Auch wird, wie
wir gesehen, durch Concavgläser der zweite Knotenpunkt im Auge nach
hinten gerückt und so das Netzhautbild verkleinert: ein Nachtheil, der
bei schon vorhandener Sehschwache besonders störend ist. —
Wenn demnach unter gewissen Verhältnissen nichts gegen das
Tragen von corrigirenden Concavgläsern einzuwenden ist, dasselbe im
Gegentheil durch Verhinderung übermässiger Convergenz und vollständige
Gleichstellung des myopischen Auges im Sehen mit dem emmetropischen
Auge seine Vortheile hat, so hat doch das dauernde Brillentragen selbst
so mancherlei Unbequemlichkeiten (zur Verschönerimg des Gesichts dient
es auch nicht!), dass man es nur im Nothfall anwenden wird. Ausserdem
ist die Brille flu* alle niederen Grade der Myopie (etwa unter 2-5) bei
der Nahearbeit überflüssig. "Wenn der Fernpunkt in 40 cm liegt, so
kann die Arbeit soweit abgehalten werden, dass eine schädliche Con-
vergenz der Sehachsen und ein Vornüberbeugen des Kopfes vermieden
wird. Ja selbst noch bis etwa zu einem Fernpunkt von 20 cm (M. 5 • 0)
ist die Arbeit ohne Brille zulässig unter der Voraussetzung, dass die
Myopie nicht progressiv ist und keine Insuffizienz der M. recti interni
besteht. In allen diesen Fällen genügt es, für die Ferne die corri-
girenden Gläser zu geben. Dieselben werden am besten bei den gerin-
geren Graden, wo ohne Glas die Sehschärfe nicht zu erheblich verringert
ist (bei M. 2-0 beträgt sie ohne Glas circa Y35 wenn mit Glas volle
Sehschärfe besteht), inPince-nez- oder Lorgnettenfassung verordnet, um
mir vorübergehend benutzt zu werden; bei den Myopen mittlerer Grade,
die wegen zu schlechten Sehens dauernd Gläser für die Ferne tragen
88 Anomalien der Refraction und Accommodation.
wollen, sind Brillen eher am Platze. Aber es giebt alsdann die Unbe-
quemlichkeil des Absetzeiis leicht Veranlassung, die Brille ancli beim
Nahesehen aufzubehalten.
Kurzsichtige, welche eine Myopie > 5-0 Indien, werden zum guten
Seilen dauernd eine Brille tragen müssen. [Dieselbe kann unter den
(dien ausgeführten Voraussetzungen entweder ganz oder annähernd die
Kurzsichtigkeit corrigiren. Da bei Kurzsichtigen ^> 7-0 in der Regel
»•ine Sehschärfenherabsetzung besteht, so wird man diesen für die Nähe
nicht die voll corrigirende Brille geben, sondern etwa eine solche, die
ihren Fernpunkt auf circa 25 cm verlegt.
Bei M. 10-0 würde beispielsweise durch concav 6-0 der Fernpunkt
auf 25 cm verlegt werden, wie sich aus Folgendem ergiebt. Concav 10-0
legt den Fernpunkt in die Unendlichkeit. Da wir ihn aber nur nach
25 cm verlegen wollen, so ist concav 10-0 um die Brechkraft eines Glases
zu stark, welches parallele Strahlen so .zerstreut, als ob sie aus 25 cm
kämen, das ist concav 4-0: also 10-0 — 4-0 = 6-0. Becmemer ist hier
die Rechnung nach Zollmaass. Bei M. 1ji soll beispielsweise der Fern-
punkt auf 8 Zoll verlegt werden: J/4 — ijs = Vg oder auf 16 Zoll,
wie es zum Klavierspielen meist ausreicht: iji — '/16 = r-— •
Für grössere Entfernung kann dann das zur vollen Neutralisation
ergänzende Glas noch als Pince-nez oder Lorgnette vorgelegt werden.
Also beispielsweise bei M. ]/4, wo für die Nähe Brille — */§ getragen
wird, kann für die Ferne Pince-nez — Vs vor die Brille gesetzt werden.
— Wenn hier allgemeine Regeln zur Brillenwahl gegeben sind, so
bleiben damit Abweichungen für den Einzelfall nicht ausgeschlossen.
Abgesehen von den Fällen, wo das Fortschreiten der Myopie Brillen zur
Verringerung der Convergenz erfordert, sollte man sich auch nach dem
Behagen und den Gewohnheiten der Patienten richten. Warum einer
Dame, die trotz ihrer M. 7-0 keine Brille oder kein Pince-nez für die
Ferne tragen will, und sich eben mit dem begnügt, was sie sieht, diese
optischen Hilfsmittel aufzwingen? Auffallend ist auch, wie nicht-brillen-
tragende Kurzsichtige lernen, ihre Zerstreuungskreise zu einem richtigen
Bilde zu verwerthen und bisweilen erstaunlich gut ohne Gläser sehen
können. Weiter linden wir hochgradig Kurzsichtige, die in grösster
Nähe ohne Brille, aber auch ohne schädliche Convergenz lesen, indem
sie ein Auge nach aussen abweichen lassen. Ebenso wird man der Ge-
wöhnung an eine bestimmte Brillennumcr, wenn sie nur nicht über-
corrigirl oder sonst etwa schädlich gewirkt hat, ihr Recht lassen. Jeden-
falls ist die Brillenwahl sein- sorgsam zu erwägen und nicht den Optikern,
wie es noch zum Theil selbst von Aerzten geschieht, anzuvertrauen.
Im höheren Lebensalter, wo die Accommodationskraft geringer wird,
Myopie. 89
werden brillentragende Myopen öfter zu schwächeren Grläsera für die
Nähe übergehen oder ihre Brille ganz bei Seite legen.
Befindet sieh ein Auge im Stadium starken Fortschreitens der
Myopie, so verbiete man für längere Zeit, mindestens vier bis sechs
Wochen, vollständig alle Arbeit in der Nähe. Um sicher alle Accom-
modarion auszuschliessen und damit auch die Convergenzbewegungen
einzuschränken, kann man Atropin einträufeln, etwa 1' Mal täglich. Die
Atropinkur, wie sie besonders Sehiess-Gemuseus in Vorschlag-
gebracht, bat für diese Fälle und in diesem Sinne ihren Werth; sie aber
auf alle Myopen ausdehnen zu wollen oder auch von ihr eine bleibende
Verringerung der Myopie, abgesehen von den relativ seltenen Fällen
der pathologischen Aecommodationsspannung oder des Accommodations-
krampfes zu erwarten, würde falsch sein. Zum Schutz gegen zu starken
Lichteinfall lasse man während der Atropinkur blaue Schutzbrillen
tragen. Ferner mögen Uebungen im Weitsehen angestellt werden, die
eine parallele Stellung der Blicklinien anstreben sollen. Aufenthalt im
Freien ist zu empfehlen und die körperliche Gesundheit bei Vermeidung-
geistiger Anstrengung möglichst zu heben. Bei manchen Bleichsüchtigen
und Anämischen, bei denen auch abnorme Aecommodationsspannung
häufiger, ist Eisen sehr am Platz. Ist eine stärkere Hyperämie der
Papilla optica vorhanden, so wirken künstliche Blutegel, falls die All-
gemeinconstitution es gestattet, oft recht günstig. Gegen ausgeprägte
und fortschreitende Chorioiditen und Glaskörpertrübungen wird die ent-
sprechende Therapie einzuschlagen sein. —
Bei höchstgradiger Kurzsichtigkeit kann man durch Herausnahme der
Krystalllinse eine Verbesserung des Sehens erreichen. Diese neuerdings be-
sonders durch die Initiative von Fukala in Aufnahme gekommene Operation
bringt in einer Eeihe von Fällen entschiedensten Nutzen, indem einmal ein gutes
Sehvermögen für die Ferne ohne Brille oder wenigstens mit schwächeren Gläsern er-
reicht wird, und sich weiter auch die Sehschärfe bisweilen um das doppelte und mehr
hellt. Diese Besserung des Sehens für die Ferne beruht in der Begel auf der oben
dargelegten Verkleinerung der Xetzhautbilder, welche starke Concavgläser hervor-
bringen, bisweilen aber auch darauf, dass wenig bemerkliche Trübungen der Linse
oder Astigmatismus derselben früher störten. Ein Einfluss auf Hebung oder Ver-
hütung der begleitenden entzündlichen Veränderungen ist nicht anzunehmen.
Als Indication für die Operation gilt vor allem das subjeetive Bedürfnis des
Patienten, der etwa nicht im Stande ist. die entsprechend corrigirende Brille dauernd
zu tragen oder auch sonst mit seinem Seilen unzufrieden ist. Natürlich muss die
Myopie höhergradig sein, da sonst stärkere Hyperopie als Folge der Linsen-Ent-
fernung eintritt: durchschnittlich wird man kaumeine Myopie zu operiren in der
Lage sein, die kleiner als etwa 15.0 ist (d. h. mit Gläsern bestimmt, die circa 15 cm
vor der Hornhaut gehalten sind, also reelle Lage des Fernpunktes vom Hornhaut-
scheitel gemessen = 6,6 cm -f- 1,5 cm = c. 8 cm). Für Achsenmyopie lässt sich
theoretisch die nach der Linsen-Entfernung zu erwartende Eefractioh berechnen,
wenn man die Hälfte der die Myopie corrigirenden Dioptrien von dem vordem Brenn-
Ol) Anomalien der Refraction und Accommodation.
]>mikt gemessen, der 15 mm vor dem Hornhautscheite] liegt) nimmt und sie von 10,0
oder ll.ii abzieht (Hirschberg, Ostwald): danach würde eine M 20,0 sieh etwa
in Emmetropie umwandeln. In der Praxis treten aber öfter sein- abweichende
Resultate hervor, wie es ;ius dem physiologisch schwankenden Brechungs-Index
der Krystalllinse und der verschiedenen Grösse des llornhautradius (Bihler er-
klärbar ist. Für die Nahe wird in der Regel zum Lesen eine Convexbrille nöthig
sein: jedoch lernen die Operirten nicht selten durch Zusammenkneifen der Lider
auch ohne Correction mittleren oder grösseren Druck lesen.
1 >;i über 5 Procent der operirten Annen in Folge von Cnfection, glauco-
matöser Zustünde (auf die man nach der Discission besonders achten muss) oder
Netzhautablösungen — v. Hippel hat unter 184 Operationen 8 Netzhautablösungen,
die auf die Operation geschoben werden können, — zu Grunde gehen, so ist der
Patient auf diese Gefahr aufmerksam zu machen: man wird deshalb auch kaum
operiren, wenn bereits ein Auge erblindet oder wenn ein Auge emmetropisch und
gutsehend ist. Die Operation führt man so aus, dass man zuerst die durchsichtige
Linse ausgiebig- diseidirt — aber ohne die hintere Kapsel zu eröffnen — und wenn
stärkere Quellung eingetreten ist (etwa in 4 — 8 Tagen) durch Eröffnung der vor-
deren Kammer mittels einer Lanze den Linsenbrei herauslässt, wobei man sich
hütet, dass Glaskörper vorfällt: lieber lasse man noch Linsenmassen zurück. Meist
sind später noch eine oder zwei Discissionen erforderlich. Bis zur vollen Ausheilung
pflegen mehrere Monate zu vergehen. Diese Zeit kann man abkürzen, wenn man
durch einen ausgiebigen Schnitt sofort die durchsichtige Linse entleert. Es bedarf
aber hierbei einer ausgiebigen Auslöffelung besonders der Randpartien der Linse
(Weber, Sattler, Hess), die nicht ungefährlich erseheint.
Durchschnittlich eignen sich Personen über 40 Jahre nicht mehr für dies
Operationsverfahren, dürften auch wohl kaum ohne starke Ueberwindung geneigt
sein, nachdem sie ihr ganzes Leben mit ihrer Kurzsichtigkeit ausgekommen sind,
sieh der immerhin vorhandenen Gefahr des Verlustes eines sehenden Auges aus-
zusetzen.
Ist ein Auge etwa ein Jahr nach der Operation vollkommen gesund geblieben,
und war der Heilungsverlauf ein durchaus exaeter, so bietet die Operation des
zweiten kurzsichtigen Auges dem Patienten den grossen Vortheil der Wiederge-
winnung des körperlichen Sehens, das bei der durch die einseitige Operation
veranlassten erheblichen Refractionsdifferenz selbst mit eorrigirender Brille in
der Regel nur unvollkommen bleibt.
2. Hypermetropie.
I )as hypermetropische Auge ist auf convergente Strahlen im Ruhe-
zustände eingerichtet. Da aber die Gegenstände entweder parallele oder
divergente Strahlen aussenden, so müssen letztere, um sich auf der
Netzhaut der Hypermetropen zu vereinigen, vorher convergent gemacht
werden. Dies geschieht durch Vorhalten von Convexgläsern oder durch
Krümmungszunahme der KrystallHnse ( Accommodation ).
Bedient sich der Hypermetrop keines Convexglases, so wird er selbst
zum deutlichen Sehen in die Ferne einer gewissen Aeeommodations-
spannung bedürfen. Dieselbe ist bei einzelnen Uebersichtigen so fest
Hypermetropie. 93
mir dem Schart verknüpft, dass sie seihst bestehen bleibt, wenn sie-
durch Vorhalten geeigneter Convexgläser, wie es bei unseren üblichen
Refractionsbestiminungen für die Ferne geschieht, überflüssig geworden
wäre: es tritt unter diesen Verhältnissen die eigentliche volle Hyperopie
nicht zu Tage, da sie ganz oder theilweise durch die beibehaltene
Accommodation ausgeglichen und verdeckt wird. Wir können demnach
eine manifeste und eine latente Hyperopie unterscheiden. Griebt
z. B. ein Patient als das stärkste Convexglas, mit dem er das Maximum
seiner Sehschärfe für die Ferne erreicht, 1-0 an, während nach Atro-
pinisirung des Auges oder auch bei der ophthalmoskopischen Unter-
suchung, bei der sich die Accommodationsspannung des zu Untersuchen-
den verliert, eine Hyperopie 2-0 gefunden wird, so würde die manifeste
Hypermetropie (Hm) 1-0 und die latente Hypermetropie (Hl) 1-0 be-
trafen: die totale Hypermetropie (Ht) wäre = 2-0. Es ist übrigens zu
beachten, dass nicht stets eine einmalige Atropinisirung die volle H zu
Tage Treten lässt, sondern dass ein häufigeres und fortgesetztes Atro-.
pinisiren bisweilen erforderlich wird. Patienten mit latenter H zeigen
bei den gewöhnlichen Grläserprüfungen nicht selten ein auffälliges Schwan-
ken in ihren Angaben, indem sie jetzt ein stärkeres, bald nachher ein
schwächeres Grlas als das entsprechende angeben. In einer Reihe von
Fällen wird in Folge abnormer Accommodationsspannung ohne Atro-
pinisirung mit Convexgläsern sogar schlechter gesehen 5 die Patienten
erscheinen also als emmetropisch, ja bisweilen geben sie selbst Myopie
an 1 vgl. Accommodationskrampf).
Im Uebrigen dürfen sehr kleine Unterschiede in der Brechung nach
der Atropinisirung für gewöhnlich nicht als abnorme Accommodations-
spannung oder latente H. verwerthet werden, da fast bei jedem Auge
die Brechung eine geringe Herabsetzung (etwa 0-5) durch Atropin er-
fährt, indem der normale Tonus des M. ciliaris sich verringert.
Von Donders ist noch eine weitere Eintheilung der Hyper-
metropie eingeführt worden, welche sich auf das Verhalten der Accom-
modation gegenüber parallelen Lichtstrahlen bezieht. Können parallele
Strahlen einfach durch Accomniodation auf der Netzhaut vereinigt
werden, so besteht facultative Hyperopie: diese Patienten er-
reichen bei unseren gewöhnlichen Prüfungen für' die Ferne auch ohne
Convexgläser das Maximum ihrer Sehschärfe. Reicht hingegen die Accom-
modation zur Vereinigung paralleler Strahlen nicht aus, so ist absolute
Hyperopie vorhanden: die Patienten kommen nur mit Convexgläsern
auf das Maximum ihrer Sehschärfe. Bei einer dritten Kategorie endlich
kann auch ohne Convexgläser das Maximum der Sehschärfe für die
Ferne erreicht werden, aber nur. indem sie in der Weise eine stärkere
Accommodationsanstrengung ermöglichen, dass sie die Parallelität 'Irr
92 Anomalien der Refraction und Accommodation.
Sehachsen aufgeben und convergiren, also meist in einen einseitigen
Strabismus convergens verfallen. Diese Hypermetropie ist als relative
bezeichnet worden. Natürlich werden sich mit Abnahme der Accommo-
dation im späteren Alter bei einem und demselben Individuum die Ver-
hältnisse ändern: so geht etwa eine facultative Hypermetropie all-
mählich in eine absolute über. — Die Grade der Hypermetropie sind
sehr verschieden; Hypermetropie über 5-0 ist verhältnissmässig selten.
Doch kommen noch höhere Grade, selbst bis 22-0 (Roth) vor.
Bei diesen hohen Graden ist mir aufgefallen, dass man gelegentlich Fülle be-
obachtet, wo die genaueste ophtalmöskopisehe Refractionsbestimmung einen andern
und erheblich höheren Grad von Hyperopie ergiebt als er der subjectiven Gläser-
Prüfung- selbst bei atropinisirtem Auge entspricht. Die Erklärung lässt sich vielleicht
in Folgendem finden. Das Netzhautbild des hyperopischen Auges ist verhältniss-
mässig kleiner als das des emmetropischen und myopischen: je stärker die Hy-
peropie, um so kleiner wird das Bild. Durch Vorlegen eines volle orrigirten Con-
vexglases werden nun auch die Zerstreuungskreise, durch die das Bild früher
grösser wurde, gänzlich ausgeschlossen. Die Peremption dieses verkleinerten, wenn
auch scharfen Bildes ist aber dem meist schon schwachsichtigen Hyperopen so
unbequem und schwierig, dass er ein nicht vollcorrigirendes Glas, welches ihm
ein grösseres Bild mit massigen Zerstreuungkreisen lässt, vorzieht.
Aetiologie. In der Regel handelt es sich um eine angeborene,
häufig- vererbte Abnormität, das Auge ist zu klein oder genauer, es hat
eine zu kurze Augenachse. Die vordere Kammer des hyperopischen
Auges pflegt ziemlich flach, die Pupille eng zu sein. Erworben wird
Hypermetropie besonders durch Staroperationen (Aphakie); Emmetropen
werden nach Herausnehmen der Krystalllinse meist Hyperopen von 10-0
bis 12-0. Aber auch durch Hornhauttrübungen, sofern sie die Cornea
abflachen, kann H entstehen.
Beschwerden und Complicationen. Mit höheren Graden der
Hyperopie ist häufig Schwachsichtigkeit verbunden, nicht selten durch
regelmässigen oder unregelmässigen Astigmatismus bedingt. Jedenfalls
liegt besondere Veranlassung vor, gerade bei Hyperopen mit verringerter
Sehschärfe auch auf Astigmatismus zu untersuchen.
Dass durch die Grösse des Winkels y bei Hyperopen bisweilen ein
scheinbarer Strabismus divergens zu Stande kommt, haben wir
schon oben erörtert. Wie ferner manche Hyperopen, um sich eine stärkere
Accommodation heim Nahesehen durch abnorme Convergenz zu ver-
schaffen, in reellen Strabismus convergens verfallen, wird in dem
betreffenden Kapitel ausführlicher besprochen werden.
Die Beschwerden der Hyperopen hängen von dem Grade der Ame-
tropie und von der Accommodationskraft ab. Hochgradige Hyperme-
tropen, die in der Regel auch absolute Hypermetropie haben, da ihre
Accommodationskraft selbst nicht \'\\v parallele Strahlen ausreicht, werden
Hypermetropie. <rj
oft für kurzsichtig gehalten. Wie diese, sehen sie in der Ferne schlecht;
allerdings müssten sie — im Gegensatz zu den Kurzsichtigen — auch
in der Nähe schlecht sehen, da sie natürlich noch viel weniger im Stande
sind, auf nahe Gegenstände zu aeeommodiren. Doch findet man Per-
sonen, die sieh über Schlechtsehen in der .Nahe nicht beklagen; sie
bringen die Gegenstände nämlich ganz dicht vor die Augen und er-
kennen sie dann trotz der Zerstreuungskreise durch die Grösse der
Netzhautbilder. Es ist dies dem bereits Erwähnten ganz analog, dass
eine sehr grosse Schrift noch weit diesseits des aecommodativen Nahe-
punktes gesehen werden kann.
Mittlere und geringere Grade der Hypermetropie können, falls nicht
absolute Hypermetropie vorhanden ist, in der Ferne gut sehen, bedürfen
aber zum Nahesehen einer erheblich stärkeren Accommodation als der
Fmmotrop, da sie bereits flu- parallele Strahlen eine ihrer Hypermetropie
entsprechende Accommodationsspannung nöthig hatten. Wenn beispiels-
weise ein Emmetrop in 25 cm liest, so bedarf er einer Accommodation
von 4-0; ein Hypermetrop 2-0 bedarf einmal derselben Accommodation
4-0 ( — von unendlich auf 25 cm — ), ausserdem aber noch, entsprechend
seiner H 2 0, einer Accommodation von 2-0, um erst parallele Strahlen
auf seiner Netzhaut zu vereinigen: seine Gesammt-Accommodation ist
demnach 4-0-f-2-0==6-0. — Der Nahepunkt des H ist immer weiter
hinaus gerückt als der des gleichaltrigen Emmetropen. Haben z. B.
ein Hyperop 2-0 und ein Emmetrop die gleiche Accommodationsbreite
(a etwa = 8-0), so liegt der Nahepunkt des Hypermetropen in lj6 Meter,
der des Emmetropen in Y8 Meter. Wenn trotzdem im jugendlichen Alter
bei guter Accommodationskraft dem Hyperopen dauernde Arbeit in der
Nähe möglich ist, so wird ihm dieselbe doch mit Abnahme der Accom-
modationsbreite, wie sie mit dem zunehmenden Alter eintritt, immer
schwerer fallen: er wird gewissermaassen früher Presbyop als der Em-
metrop. Ist die Hypermetropie etwas höher, oder die Accommodation
gering, vielleicht auch nur vorrübergehend geschwächt, wie wir es be-
sonders bei Kindern nach schweren Krankheiten, bei Anämischen oder
in Folge zu starker Augenanstrengung bemerken, so treten schon früh-
zeitig Beschwerden auf. Dieselben bestehen in der Regel in Mangel
an Ausdauer beim Arbeiten in der Nähe (Asthenopia, Hebetudo visus,
Kopiopia): die hier in Rede stehende Form fällt in den Bereich der
A s t h e n 0 p i a a c c 0 m m 0 d a t i v a ( D 0 n d e r s). Es kann zwar eine gewi sse
Zeit lang noch aecommodirt werden, dann aber erschlafft die Accom-
modationskraft: das Gesehene wird undeutlich, Buchstaben laufen in
einander, verschwimmen. Tritt eine Ruhepause ein, so kann in Folge
der eingetretenen Erholung wieder eine Zeit lang fortgearbeitet werden.
Bei Handwerkern geht bisweilen nach der Sonntagsruhe die Arbeit in
94 Anomalien der Refraction und Accommodation.
den ersten Wochentagen ,^ut. dann wird sit' immer schwerer. Abends
ist das Sehen mühsamer als Morgens und am Tage. Wird das Arbeiten
trotzdem fortgesetzt, so stellen sich Druck, Brennen im Auge, Schmerzen
in der Stirn und im Kopfe ein. Seihst ausgeprägte Neuralgien können
in dieser Ueberanstrengung ihren Grund haben. Allerdings pflegen bei
längerem Bestehen öfter Kopfschmerz oder Neuralgie in dem Sinne
einen selbständigen Charakter anzunehmen, als sie jetzt auch ohne An-
strengung der Augen auftreten. Aber die Therapie zeigt in den ent-
sprechenden Fällen, dass eine Heilung erst möglich wird, wenn die
Accommodationsüberanstrengung und -Ueberreizung gehoben ist; erst
dann kommen die sonst angezeigten Heilmittel zur Wirkung. Derartige
Fälle sind nicht gar zu selten, und es sollte sich hierbei die Untersuchung
(\r> Arztes immer auch auf die Functionen des Auges richten.
Therapie.
Die Beschwerden der Hyperopen lassen sich meist durch ent-
sprechende Convexgläser heben. Bei absoluter Hyperopie wird immer
das die Hyperopie corrigirende Glas zu tragen sein, um das Sehen für
die Ferne möglichst zu erhöhen; ähnlich bei der relativen. Handelt es
sich um facultative Hyperopie, so bedarf der Patient für die Ferne
keines Glases, wohl aber wird es ihm für die Nähe Erleichterung seiner
Aecommodationsanstrengung schaffen. Es liegt gar kein Grund vor,
weswegen er sieb nicht durch das seine Hyperopie corrigirende oder
annähernd corrigirende ({las wenigstens beim Arbeiten in der Nähe in
dieselhen günstigen Aecommodationsverhältnisse wie der Emmetrop
bringen sollte. Thut er es nicht, so überanstrengt er unnöthiger Weise
seinen Accommodationsmuskel. Treten asthenopisebe Beschwerden auf,
so muss auf jeden Fall zu dem Convexglase gegriffen werden. Das-
selbe sollte mindestens dem Grade der manifesten Hypermetropie ent-
sprechen. Aber oft wird das nicht ausreichen, und man muss auch die
etwa vorhandene latente Hypermetropie mit corrigiren. In Schwäche-
zuständen bedarf es sogar für die Nähe noch stärkerer Gläser, welche
ungefähr die heim gleichaltrigen Emmetropen normale Lage des Nahe-
punktes herbeiführen. Doch muss auch hier individualisirt werden:
nicht für alle Fälle trifft die Regel zu, da besonders in der relativen
Accommodationsbreite viel subjeetive Verschiedenheit herrscht. Wir
werden überall das eigene Behagen des Brillenträgers zu berücksichtigen
haben. Bei eingewurzelter Asthenopie darf trotz der Convexgläser nicht
sofort dauernd in der Nähe gearbeitet werden; es müssen öfter Ruhe-
pausen eintreten und erst allmählich kann die Zeit der ununterbrochenen
Arbeit mehr und mehr verlängert werden. Haben sich ernstliche nervöse
Erscheinungen in Folge der Accommodationsüberanstrengung entwickelt
Astigmatismus. 95
oder gelingt die Hebung der Asthenopie mittels Convexgläser allein
nicht, was bei einzelnen Patienten der Fall ist, bei denen jede ( !onver-
genz schon schmerzhafte Accommodationsspannung hervorruft (Don-
dersi. so empfiehlt es sieh vorerst, durch eine mehrwöchentliche Atropin-
knr den Muskel vollkommen in Ruhestand zu versetzen, danach dann
allmählich mit den entsprechenden Gonvexgläsern wieder die Arbeit be-
ginnen zu lassen. Daneben sind stärkende und das Nervensystem be-
einflussende Mittel (je nach Umständen Eisen, Chinin, Tinct. Valerianae,
constanter Strom u. s. w.) anzuwenden.
Schwer erklärlich ist es, wie bei jugendlichen Individuen mit geringer Hy-
peropie asthenopisehe Beschwerden oft auftreten and durch ganz schwache Con-
vexbrillen gehoben werden. Beispielsweise hat ein 15 jähriger Knabe mit 11 1,0 beim
Arbeiten in der Nähe keine Ausdauer, ungeachtet dass seine normale Accommodations-
breite 12,0 beträgt: das heisst sein Nahepunkt lie,ü,t ohne Glas in (.t cm, mit Glas, wobei
der Fernpunkt in die Unendlichkeit gerückt wird, in 8Vs tan. Da, nun gewöhnlich
die Schrift in 25 .und mehr cm Entfernung' gehalten wird, so hätte er in dieser Ent-
fernung auch ohne Glas noch 8.0 Accommodationsbreite (12.0 — 4,0) zur Disposition.
Und dennoch die Asthenopie, die sich verliert, wenn man ihm durch das vorgesetzte
Convexglas 1.0 seine hei dieser Entfernung vorhandene Accommodationsbreite auf
9,0 hebt! Das Bestreben jugendlicher Individuen möglichst nahe den Druck und die
Schrift zu halten, scheint mir für dieses Phänomen keine genügende Erklärung zu
gelten: eher kann man daran denken, dass die Accommodationskraft in diesen Fällen,
wenn sie auch momentan sich als normal erweist, doch allzu schnell nachlässt:
aber auch hier bleibt immer die heilende Wirkung, wie wir sie von so schwachen
Gläsern, wie 0.5 oder 1.0, oft sehen, einigermaassen räthselhaft.
3. Astigmatismus.
Von einem Punkte ausgehende (homocentrische) Lichtstrahlen wer-
den durch die brechenden Medien des Auges streng genommen nicht
zu einem Punkte wieder vereinigt. Es theilt das Auge, wenn auch in
geringerem Maasse; eben die Fehler der Brechung an
sphärischen Flächen überhaupt: chromatische und
sphärische Aberration. Wenn wir von ersterer hier
absehen und nur einfarbiges (homogenes ) Licht berück-
sichtigen, so kommt die sphärische Aberration in der
W eise zur Geltung, dass selbst die, einen einzigen
Meridian des Auges treffenden (beispielsweise hori-
zontal einfallenden) Strahlen sich nach der Brechung
nicht in einem Punkt vereinigen, sondern in einer Linie,
deren vorderer Brennpunkt dort liegt, wo die am
meisten gebrochenen Strahlen zusammenstossen, und deren hinterer
dort, wo die am wenigsten gebrochenen sich schneiden (Fig. 51).
96 Anomalien der Refraction und Accommodation.
Die Art von Astigmatismus (« privativ., atiyfia Punkt), welche aus
einer verschiedenen Brechung in demselben Meridian hervorgeht,
bezeichnet man als unregelmässigen (irregulären) Astigmatismus;
derselbe rindet sich in geringerem Grade in allen Augen. Die strahlige
Form, in der die Sterne erscheinen, sowie das in einigen Fällen auf-
tretende Vielfachsehen von Objecten (Polyopia monocularis) haben darin
ihren Grund. Er wird physiologisch veranlasst durch Brechimg und
Bau der Linse. Bei mir bewirkt bisweilen langfortgesetzte Accommo-
dationsanstrengung, dass monoculare Diplopie entsteht: über dem an-
gesehenen Buchstaben erscheint ein zweites scharfes, aber licht-
schwächeres Bild desselben.
Wenn As in höherem Grade vorhanden ist, so leidet die Sehschäi*fe
darunter. Auch dieser abnorme irreguläre Astigmatismus kann in der
Linse seine Entstehung finden, indem ungewöhnliche Brechungsverhält-
nisse, die bisweilen z. B. der Starentwicklung vorangehen, oder auch
Lageveränderungen (Luxationen) ihn hervorrufen. Doch spielt die Cornea
in der Mehrzahl der Fälle eine grössere Rolle; recht häufig entsteht
As durch geringe und wenig intensive Trübungen oder dadurch,
dass derselbe Hornhautmeridian in seinen verschiedenen Partieen
wechselnde Krümmung zeigt. Ebenso durch Ulcerationen und Ektasien,
besonders durch Keratoconus. Seme Syinptone bestehen, neben Herab-
setzung der Sehschärfe in Verschwommen- und Verzerrtsehen der Gegen-
stände, in Diplopie oder Polyopie. Die Augenspiegeluntersuchung, bei
der kein vollkommen scharfes Bild der Theile des Augenhintergrundes
zu erlangen ist, wird die Diagnose des Astigmatismus sichern; handelt
es sich um Hornhautastigmatismus, noch anschaulicher das Keratoskop.
An Stelle der regelmässigen Kreise sieht man dann ganz unregelmässig
gestaltete Figuren in dem Hornhautreflexbildchen. Wenn es sich nicht
um materiell zu hebende oder zu bessernde Erkrankungen (so Heilung
von Geschwüren, Tätowirung der Hornhautflecke mit folgender Pupillen-
bildung, Operation des Keratoconus [s. dies] u. s. w.) handelt, ist mit op-
tischen Mitteln bei dem unregelmässigen Astigmatismus meist nicht viel
zu erreichen. Für bestimmte Zwecke kann die Sehschärfe dadurch ge-
hoben werden, dass die Patienten durch kleine Löcher oder schmale
Spalten von 1 bis 3 mm Breite (stenopäische Apparate) blicken. Auch
heben die von Raehlmann empfohlenen konisch geschliffenen, sogen.
hyperbolischen Gläser gelegentlich erheblich die Sehschärfe: und zwar
in einzelnen Fällen sicher mehr als selbst starke cylindrisehe. Gleiches
gill von den torischen Gläsern (Pflüger). Letztere bestehen aus eylin-
drischen Gläsern, die mit sphärischen Menisken combinirt sind. —
Ausser dieser Form von Astigmatismus lässt sich am Auge noch
eine andere und für die Praxis wichtigere Form nachweisen: derrcgel-
Astigmatismus.
97
massige (reguläre) Astigmatismus. Dieser hat seinen Sit/, vor-
zugsweise in der Hornhaut und beruht darauf, dass dir E^rümmungs-
fläche derselben nicht einer Kugelfläche, sondern dem Seheitelsogment
eines Ellipsoids entspricht. Das Minimum der Krümmung fällt vor-
wiegend in den horizontalen Meridian, das Maximum in dvn verticalen
Meridian. Ist es umgekehrt, spricht man von perversem As. Daneben
kommen zuweilen auch durch partielle Contractionen des Ciliarmuskels
in der Linse Verschiedenheiten der Meridiankrümmung zustande, welche
in entgegengesetzter Weise gerichtel zur Verringerung des Hornhaut-
Astigmatismus dienen (Javal, Dobrowolsky). In seltenen Fällen ist
As allein durch Krümmungsanomalien der Linse bedingt und schwindet
nach Atropinisiren.
Beim regelmässigen Astigmatismus erfahren die Strahlen, welche
in verschiedene Meridiane einfallen, eine ungleiche Brechung: sie
werden nicht in einem Punkte, sondern in einer
Brennstrecke vereinigt (Sturm). Sehen wir von
der etwaigen verschiedenen Brechung in demselben
Meridian (unregelmässigem Astigmatismus) ah und
lassen alle durch einen und denselben Meridian
gehenden homocentrischen Strahlen sich in einem
Punkte vereinigen, so versinnlicht Figur b"2 die Ver-
einigung der von einem in der Unendlichkeit be-
findlichen Lichtpunkte ausgehenden Strahlen. Wir
betrachten dabei den horizontalen Meridian (hh) des
astigmatischen Auges als den, den längsten Krüm-
mungsdurchmesser habenden und daher am schwäch-
sten brechenden (beispielsweise hyperopischen)
Meridian, den verticalen (Vv) als den am stärksten
brechenden (beispielsweise myopischen) Meridian.
Die vertical die Hornhaut treffenden Strahlen werden sich alsdann
früher vereinigen (i\) als die horizontal einfallenden (f2). Da in einer
durch fj gelegten senkrechten Ebene alle durch den Meridian vv ge-
gangenen Strahlen eine punktförmige Vereinigung finden, während die
im horizontalen Meridian einfallenden noch eine Anzahl convergirender
Strahlen bilden, so wird an dieser Stelle eine ( — in der Figur nicht
gezeichnete — ) horizontal gestellte leuchtende Linie auftreten; hingegen
in f2 wird die leuchtende Linie vertical sein. Zwischen diesen beiden
Linien (Brennlinien) liegt die Brennstrecke (Intervalle focal, f, f2,
Sturm). In ihr wird eine Stelle sein, wo der Querschnitt der Strahlen
einen Kreis darstellt (n), der kleiner ist als der Querschnitt des Strahlen-
bündels vor dem Auge und der die verhältnissmässig stärkste Lichtcon-
centration hat.
Schmidt-Simpler. 7. Auflage. • 7
98 Anomalien der Refraction und Accommodation.
Je aachdem die Netzhaut eines Auges sich in der einen oder der
anderen Entfernung von Uli und w befindet, wird auch das auf ihr von
einem in unendlicher Ferne befindlichen Lichtpunkt entworfene Bild ein
verschiedenes sein und den oben bezeichneten Figuren entsprechen. Im
Allgemeinen dürfte das Bild am besten sein, wenn die Netzhaut in der
Fl tene der grössten Concentration, wo jeder Funkt als Kreis sich bildet,
liegt. Befindet sie sich in der Ebene einer Brennlinie, so werden nur
die Lichtstrahlen zu einer scharfen Vereinigung kommen, die durch den
senkrecht auf dieser Linie stehenden Meridian gefallen sind; also unter
Annahme der Lage in f,, wo die Brennlinie horizontal ist, die des ver-
ticalen Meridians (w), Es ist ersichtlich, dass für Erkennung bestimmter
( >bjecte, hier etwa horizontaler Linien, diese Lage die vorteilhafteste
sein wird.
Die Brennstrecke wird eine um so grössere Ausdehnung haben, je
grösser die Differenz in der Brechung <• der beiden senkrecht aufeinander
stehenden Meridiane ist; gleich Null wird sie, d. h. sie schrumpft in
einen Brennpunkt zusammen, wenn diese Differenz gleich 0 wird.
Den Grad des regelmässigen Astigmatismus bezeichnen wir
nach Donders durch die Differenz in der Refraction der am meisten
verschieden brechenden, wie erwähnt gewöhnlich senkrecht aufeinander
stehenden Meridiane (Hauptmeridiane). Ist z. B. die Brechung im
horizontalen Meridian einem emmetropischen Auge entsprechend, im ver-
ticalen Meridian aber entsprechend dem einer Myopie 2-0 (V20)/ so ^
der Grad des Astigmatismus = 2-0 — 0 (^ — — j = 2-0 ( ~~
Hat der horizontale Meridian Myopie 1-0, der verticale M 2-0, so be-
steht ausser der, beiden Meridianen zukommenden Myopie 1-0 noch
As 1-0. Ist im horizontalen Meridian hingegen Hyperopie 1-0, im ver-
ticalen Meridian Myopie 2-0, so ist As = 1-0 + 2-0 = 3-0.
Diese Beispiele geben zugleich die drei verschiedenen Formen, in
denen der regelmässige Astigmatismus auftritt.
Einfacher Astigmatismus: in einem Hauptmeridian Einme-
tropie, im anderen Myopie (einfacher myopischer Astigmatismus Am)
oder Hypermetropie (einfacher hyperopischer Astigmatismus Ah). 2. Zu-
sammen gesetzter Astigmatismus: a) in beiden Hauptmeridianen
Myopie, aber verschiedenen Grades (M-f-Am); b) in beiden Haupt-
meridianen Hyperopie, aber verschiedenen Grades (H + Ah). 3. Ge-
mischter Astigmatismus: in einem Meridian Hypermetropie, im
andern Myopie. Je nachdem die eine oder die andere Anomalie in
stärkerem Grade vorhanden ist: a) gemischter Astigmatismus mit über-
wiegender II (Ahm) oder b) mit überwiegender M (Amh).
Astigmatismus. (,)(,)
Vorkommen. Geringe (Irade von Astigmatismus kommen nach
dem eben über die Krümmung der Cornea Gesagten auch im normalen
Auge vor. So wie sie aber höher als etwa 1-0 Dioptrie steigen, sind sie
als pathologisch oder als abnorm zu betrachten. Es zeigt sich alsdann
auch bei den üblichen Sehschärf ebestimmungen' mit Buchstaben, Ilaken
u. s. w. eine deutliche Herabsetzung der Sehschärfe, bedingt durch das
Verschwommensein der Netzhautbilder. Dies ist oft das einzige sub-
jective Zeichen, da die Patienten nur verhältnissmässig selten spontan
angehen, dass sie etwa Linien in der einen Richtung weniger deutlich
sehen als in der anderen, dass Quadrate ihnen als Rechtecke erscheinen
oder Kreise als Ellipsen und Aehnliches. Es gehört schon eine ent-
wickelte Beobachtungsgabe dazu, um darauf von selbst aufmerksam zu
werden. Man wird . daher gut thun, bei jeder, nicht durch sonstige
nachweisbare Veränderungen bedingten Sehschärfenherabsetzung, die
trotz ( 'orrection mit sphärischen Gläsern bleibt, oder wo mit sphärischen
Gläsern sehr verschiedenen Grades annähernd gleich gesehen wird, stets
auch auf abnormen Astigmatismus zu untersuchen. Als weiteres Ver-
dachtsmoment dient der stationäre Charakter der Sehschwäche. Eben-
so versäume man die Untersuchung nicht, wenn asthenopische Be-
schwerden vorliegen, die auch bisweilen in Astigmatismus basiren.
As ist in der Regel angeboren und häufig mit Hyperopie complicirt.
Doch kann er auch erworben werden. So findet man ihn bisweilen bei
Hornhautflecken und in den beim unregelmässigen Astigmatismus her-
vorgehobenen Erkrankungen. Besonders häufig ist er nach Staropera-
tiouen: auch nach Iridectomien kann er auftreten. Interessant ist die
Beobachtung Laqueur's, dass einZug am oberen Lide, sei er temporal-
oder nasalwärts, durch Druck auf den normalen Bulbus eine Abflachung
des horizontalen und stärkere Krümmung des verticalen Meridians be-
wirken kann, sodass ein regelmässiger Astigmatismus von 2 bis 4 D
entsteht. Manche Astigmatiker corrigiren durch einen ähnlichen Druck
ihren Astigmatismus.
Zur Correction und Diagnose bedient man sich der cylindri-
schen Gläser, deren Einführung in die Praxis ein Verdienst von
Donders ist.
Wir können uns ein einfaches plancylindrisches (Jonvexglas aus
einem massiven Glascylinder, in der Weise entstanden denken, dass durch
eine mit der Achse des Cylinders (Figur 53) parallele Ebene abcd
das links gelegene Stück abgeschnitten wird. Ein plancylindrisches
Concavglas wird zustande kommen, wenn aus dem Parallelepipedon
cßefryöt/Z das Stück aßöy, welches dem links stehenden Cylinderab-
schnitt abcd etwa entspricht, herausgeschnitten wird. Wird das an
dem cylindrischen Concavglas stehen gebliebene, von geraden Flächen
II K)
Anomalien der Refraction und Accommodation.
begrenzte Stück ebenfalls in einen Cylinderabschnitt umgewandelt, so
erhalten wir, wenn der Durchmesser dieses ( Zylinders kleiner ist,
ein concav-convexes Cylinderglas oder einen positiven cylindrischen
Meniscus.
Wenn man sich ein planconvex-cylindrisches und ein planconcav-
cylindrisches G las mit gekreuzten Achsen an den planen Seiten auf-
einander gelegt und vereint denkt, hat man ein bicylindrisches Glas
(geschrieben: eoncav-cylindriseh x | convex-cylindrisch y). Wird mit
einem plancylindrischen Glase ein plansphärisches in
gleicher Weise vereinigt, so hat man ein sphärisch-
cylindrisches Glas (sphärisch x o cylindrisch y). —
Jedes cylindrische Glas lässt Lichtstrahlen, die
parallel der Cylinderachse einfallen, unge-
brochen durchgehen. Anders ist es mit Strahlen, die
senkrecht auf die Cylinderachse das Glas treffen.
Diese fallen auf einen kreisförmigen Durchschnitt
des Cylinders und werden dort ganz wie bei sphä-
rischen Gläsern zusammengebrochen oder zerstreut.
Diese Eigenschaft der cylindrischen Gläser, einen
Theil der Strahlen zu brechen, den anderen un-
gebrochen durchzulassen, befähigt sie zur Correction
des regelmässigen Astigmatismus. Die Achse des Cylinderglases
wird immer dem Augenmeridian parallel gelegt, der keiner
Correction bedarf. — In den Cylindergläsern unserer Zeichnung
würden die vertical einfallenden Strahlen ungebrochen durchgehen, die
horizontal einfallenden entsprechend der Brechkraft (wie bei sphäri-
schen Gläsern nach Dioptrien oder Zollmaass bestimmt) abgelenkt
werden. Die Lage der Achse ist meist durch einen Strich | ) auf den
( Jylindergläsern angegeben.
Die Bestimmung des Astigmatismus wird am einfachsten
mit diesen Cylindergläsern gemacht. Man stellt mittels der grossen
Buchstaben der Snellen'schen Tafeln, die in entsprechender Entfer-
nung aufgehängt sind, in gewöhnlicher Weise zuerst die Sehschärfe fest.
Wenn sphärische Gläser bessern, so setzt man das schwächste coneave
beziehentlich stärkste convexe, mit dem das Maximum der Sehschärfe
sieh erreichen Hess, in ein Brillengestell vor das Auge. Nunmehr sucht
mau durch ein vorgehaltenes sehwaches convex-cylindrisches Glas eine
weitere Verbesserung zu erzielen, indem man es im Kreise vor dem
Auge dreht. Bei einer bestimmten Stellung des Glases wird in den ent-
sprechenden Fällen angegeben, dass besser oder wenigstens eben so gut
gesehen wird. Man kennt nunmehr die Lage, in der die convexen
Cylindergläser, oder genauer ihre Achse, gehalten werden müssen, und
Astigmatismus. 10 1
sucht durch immer stärkere ebenso gehaltene Numern ein»' weitere
Besserung der Sehschärfe zu erzielen. Gelingt dies, so giebt das stärkste
( !onvexglas, bei dem das Maximum von Sehschärfe erreicht wird, den
Grad des Astigmatismus an. Tritt aber keine Verbesserung des Sehens,
mit convex-cyhndrischen Gläsern ein, so geht man zu eoneav-evlindrischeii
über und verfährt damit ebenso. Gelingt hier eine Besserung, so be-
zeichnet die Brechkraft des schwächsten cylindrischen Glases den Grad
des Astigmatismus.
Es ist mit dieser Untersuchung gleich das corrigirende Glas ge-
geben. War vorher mit convex- oder coneav-sphärischen Gläsern keine
Besserung zu erzielen gewesen, fand demnach die Bestimmung ohne
diese statt, so besteht einfacher Astigmatismus 5 es wird ein einfaches
cylindrisch.es Glas zur Correetion ausreichen. Man giebt dem Optiker
dabei die Stellung der Cylinderach.se durch einen entsprechenden Strich
an (senkrechten, schrägen oder horizontalen), den man neben die Numer
setzt, also z. B. concav-cylindrisch 2-0 | (d. h. Achse senkrecht); oder
man bedient sich der Bezeichnung nach Winkelgraden, wobei allerdings
ein Uebereinkommen über die Lage des Nullpunktes vorausgesetzt ist.
Doch thut man gut, das gelieferte rundgeformte Uylinderglas noch nicht
definitiv in das Brillengestell festschrauben zu lassen, um erst durch
kleine Hin- und Herdrehungen die richtige Stellung heraussuchen zu
können. -- Ist vorher schon ein sphärisches Glas als bessernd gefunden
worden, so corrigirt ein sphärisch-cylindrisches Glas, das beispielsweise
so verschrieben wird: concav 2.0 sph. o coücav 1.0 cyl. — .
Es ist ersichtlich, dass wir auf diese AYeise der bicylindrischen Gläser gar
nicht bedürfen. In den Füllen von germschtem Astigmatismus, wo sie letzteren
corrigiren sollen, kann dasselbe auch durch sphärisch-cylindrische Gläser geleistet
werden. Es sei z. B. im verticalen Meridian M 2-0, im horizontalen H 1*0; dieser
As Hesse sich corrigiren durch ein bieylindriscb.es Glas: concav 2'0 cyl. - ~ 1
convex 1-0 cyl. . Aber das (deiche lässt sich auch durch concav 2*0 sph. c con-
vex 30 cyl. | erreichen. Concav 2-0 sphärisch corrigirt die Myopie des verticalen
Meridians; die Hyperopie 1-0 im horizontalen Meridian aber erhöht es durch seine
zerstreuende Kraft noch mehr, um 2-0: wir müssen demnach zur Correetion des
horizontalen Meridians jetzt convex 3-0 cylindrisch mit verticaler Achse anwenden.
Man wird auf gemischten Astigmatismus schliessen, wenn sowohl
mit convex- als mit coneav-sphärischen Gläsern besser gesellen wird. -
Will man die wirkliche Brechung in den einzelnen Hauptmeridianen
bestimmen und sich nicht mit der oben angegebenen praktischen Corree-
tion begnügen, so muss man nachstehendes Verfahren benutzen.
Um zuerst die Lage der Hauptmeridiane zu finden, kann
man sich einer Sternfigur (Green; oder, was ja ausreicht, einer in
heistehender Anordnung gezeichneten hallten Sternfigur (wie sie sich
102
Anomalien der Refraction und Accommodation.
entsprechend gross in den Snellen'schen Sehproben findet) bedienen.
Wenn man diese Figur allmählich vom Auge abrückt; so wird den
Astigmatikern schliesslich nur noch ein Strahl deutlich erscheinen: der-
jenige nämlich; welcher durch den gleich-
sam weitsichtigsten (schwachbrechend-
sten) Meridian des Auges gesehen wird;
ein anderer, meist um circa 90 Grad
von ihm entfernter; am verschwommen-
sten. Um nicht zu weit mit der Figur
abgehen zu müssen, kann man Emine-
tropen und Hyperopen durch Vorlage
eines stärkeren Convexglases hei dem
Versuch künstlich myopisch machen. Die Richtung der beiden Linien
deutet die Lage der Hauptmeridiane an. Und zwar ist der Augen-
meridian; welcher senkrecht auf der Richtung der am weitesten scharf
gesehenen Linie steht, der schwächstbrechende (resp.
bei Hyperopie bestbrechende). Zum Scharfsehen dieser
Linien ist es nämlich erforderlich, dass vorzugsweise
ihre Abgrenzung gegen die Zwischenräume deutlich
hervortritt. Die Lichtstrahlen, welche von den Punkten
(a und b, Figur 55) der Linienränder ausgehen, dürfen
nach dem Zwischenräume hin keine Zerstreuungskreise
zeigen. Dies ist aber nur möglich, wenn in dem Augenmeridian ab
scharfe Brechung erfolgt. - - Nachdem so die Hauptmeridiane festge-
stellt sind, hält man einen stenopäischen Spalt erst in der Richtung
des einen und dann in der Richtung des anderen vor und bestimmt in
gewöhnlicher Weise die Refraction derselben.
Von anderen Methoden seien noch folgende erwähnt.
Stokes eonstruirte eine Linse, die aus zwei cylindrischen Gläsern (con-
vex. Vio und concav Vin) besteht, welche, mit den planen Flächen sich berührend,
in einem Geßtell um einander gedreht werden können. Sind ihre Achsen parallel,
so hebt sich ihre Wirkung auf: sind sie gekreuzt, so werden sie in dem einen
Meridiane wie — Vi o - in dem darauf senkrechten wie + Vin wirken. Sie können
demnach AsO bis As 1/5 durch allmähliche Drehung corrigiren und so eine Reihe
von Cylindergläsern gleichsam ersetzen. I>a aber bei den Prüfungen mit der
Stokes'schen Linse öfter Uebercorrection eines Meridians stattfindet, so sind
einfache cylindrische Gläser vorzuziehen. Der weitere Uebelstand, dass sich auch
die Lage der Achse beständig ändert, ist durch eine Modification von Snellen
gehobeil worden.
Java! hat ein eigenes Instrument construkt, das ans einem viereckigen,
ausziehbaren Kasten besteht, in dessen vorderer Wand zwei Oeffnungen mit
Convexgläsern sich befinden. Das zu untersuchende Auge sieht durch eine der-
selben nach einem Kreise, in dem die Radien gezeichnet sind. I >ie Figur wird
so weit herausgerückt, bis nur noch eine Linie deutlich erscheint. Diese steht
Astigmatismus. 103
senkrecht auf dein Meridiane der schwächsten Brechung. Nun werden concav-
cylindrische Gläser verschiedener stärke, die1 sieh in einem drehbaren Gestelle
befinden, mit der Achse dem Meridiane der schwächsten Brechung entsprechend,
so lange vorgelegt. Ins dasjenige gefunden ist, mit dem alle anderen Linien
deutlich gesehen werden. Inzwischen sieht auch das andere Auive, wie bei einem
Stereoskop, durch die zweite Oeffnung auf einen Kreis, alter ohne Radien; durch
die eintretende Verschmelzung zu einem stereoskopischen Hilde ist die gleich-
bleibende Convergenz der Sehlinie gesichert und damit auch die Accommodation
weniger veränderlich. —
Schliesslich seien noch die Buchstaben erwähnt, die aus parallel verlaufenden
kleinen schwarzen Strichen — alter bei jedem einzelnen Buchstaben in verschie-
dener Richtung laufend — zusammengesetzt sind (Pray, lleymann). Je nach-
dem in der einen oder der anderen Richtung der Astigmatiker besser sieht, wird
er auch den entsprechend gebildeten Buchstaben leichter erkennen.
l>ei allen diesen Prüfungen sind partielle Cöntracturen dos Ciliar-
muskels oft störend und verwirren die Resultate, da sie; wie erwähnt,
eine Verringerung oder selbst Aufhebung der astigmatischen Refractions-
anomalie bewirken können. Durch Atropinisiren lässt sich dieser Uebel-
stand heben, doch ist zu beachten, dass die ausgleichenden Brillen,
welche man jetzt findet, nach Wiederherstellung der Accommodation
von dem Patienten oft wieder verworfen werden. Man thut daher gut,
den Patienten, ehe man ihm das cylindrische Glas verschreibt, nach
einiger Zeit noch einmal zu untersuchen, um zu sehen, ob das früher
bestimmte dauernd zusagt.
Objectiv lässt sich regelmässiger Astigmatismus dem Grade nach
am besten und schnellsten durch das Javal-Schiötz'sche Ophthalmo-
meter (vgl. S. 35) bestimmen. Aber auch mittels des Augenspiegels
kann man ihn diagnosticiren. — Höhere Grade treten selbst an den Spiegel-
bildern der Hornhaut hervor; z. B. ein Fenster erscheint nach einer
Richtung hin vergrössert. Besser noch lassen sich die Kreise des
Keratoskops benutzen.
Nach Javal soll der Astigmatismus der Hyperopen im Alter zu-
nehmen, da ihr Cornealastigmatismus in der Jugend durch entgegen-
gesetzt wirkende astigmatische Krümmung der Krystalllinse (mit Hilfe
des AccommodationsmuskelsJ zum Theil compensirt zu werden pflegt.
— Letztere Erklärung trifft auch zu für den bei Emmetropen und
Jlyopen nach meiner Erfahrung gar nicht selten erst im Alter manifest
werdenden Astigmatismus, welcher eine bis dahin nicht vorhandene,
aber eben durch Cylindergiäser corrigirbare Sehschwäche zu Tage
treten lässt. Letztere giebt öfter zu falschen Diagnosen Anlass!
Bei nur geringen Besserungen der Sehschärfe durch cylindrische
< Bläser wird man in der Regel von ihrer Verwendung absehen: sie er-
fordern eine sehr genaue Achsenstellung, um nicht Verschlechterung des
Sehens oder Verzerrungen hervorzubringen. Es muss daher beim Tragen
104 Anomalien der Refraction und Accommodation.
jede Verschiebung des Brillengestells oder der Gläser vermieden werden.
In einer gewissen Zahl von Fällen bieten die Cylindergläser erheblichen
Vortheil, indem sie theils das Sehen ganz bedeutend bessern, theils
asthenopische Beschwerden heben. Uebrigens erreichen manche Brillen-
träger ancli dadurch eine Correction ihres Astigmatismus, dass sie
schräg durch ihre sphärischen Gläser sehen, wobei letztere als sphä-
risch-cylindrische Gläser wirken. Zehender macht darauf aufmerksam,
dass in den Fällen, wo kein Astigmatismus vorhanden ist, das fortge-
setzte Tragen schiefstehender sphärischer Brillen- oder Pincenez-Gläser
möglicher Weise zu einem dauernden Linsen-Astigmatismus führen
könne, wenn derselbe ursprünglich auch nur zur Correction der cylin-
drisehen Wirkung der schief gestellten Gläser eingeleitet wurde.
4. Anisometropie.
(ä privativum. löofiSTQog gleichmässig. coip Gesicht.)
Verschiedene Refraction beider Augen.
Wenn auch meist die Refraction beider Augen eine gleiche ist, so
sind doch mehr oder weniger starke Differenzen gar nicht selten. Einer-
seits ist der Grad der Ametropie auf beiden Augen verschieden,
andererseits kommen die bezüglichen Combinationen zwischen emme-
tropischen, myopischen, hypermetropischen und astigmatischen Augen
vor. In all diesen Fällen wird ein in bestimmter Entfernung befindlicher
Gegenstand nur auf der Netzhaut eines Auges ein scharfes Bild ent-
werfen, auf der des anderen in Zerstreuungskreisen sich darstellen.
Doppelseitige scharfe Netzhautbilder könnten allein zustande kommen,
wenn durch eine auf beiden Augen verschiedene und der Refraction
des einzelnen Auges entsprechende Contraction des M. ciliaris die
correcte Einstellung bewirkt würde. Da aber die Erfahrung zeigt, dass
der Accommodationsimpuls in der Regel mit gleicher Stärke beide
Augen trifft (Hess, Greeff), so können wir von dieser Möglichkeit
hier absehen.
In Folge der Verschiedenheit beider Netzhautbilder kann sieh ein
Verlust des binocularen Sehens zeigen und zwar so, dass bald das
eine, bald das andere Auge zum Sehen benutzt wird, oder in der Weise,
dass ein Auge beständig ausgeschlossen wird. In letzterem Falle pflegt
das ausgeschlossene Auge meist eine hochgradige Sehse.hwäche oder
hochgradige Refractionsanomalie zu haben. Wird ein Gegenstand fixirt,
so zeigt alsdann das vom Sehen ausgeschlossene Auge in der Regel
keine vollkommen exaete Einstellung seiner Blicklinie; öfter besteht
Anisometropie. 105
ein ausgesprochenes und deutliches Abweichen (Strabismus divergens
oder convergens). Auch in den Fällen, wo die Augen abwechselnd
zum Seilen benutzt werden, etwa das emmetropische Auge für das Sehen
in die Ferne, das myopische Auge für das Sehen in die Nähe, weicht
meist das ausgeschlossene Auge mit seiner ßäicklinie; \<>ni jeweiligen
Fixationspunkt ab. Es ist Regel, seihst ohne deutliches Abweichen
eines Auges, dass bei hohen Graden der Anisometropie, z. B. wenn
ein Auge staroperirt ist, das exaete „Körperlichsehen", wie es dureb
den Hering' sehen Fallversuch etc. (siehe unten) erwiesen wird, fehlt,
während ein binoculares Sehen, im Stereoskop und durch Prismen er-
wiesen, noch vorhanden sein kann. Bei geringen Graden von Aniso-
metropie hingegen besteht meist normales Körperlichsehen (cf. das
Kapitel binoculares und körperliches Sehen).
Therapie. Die Behandlung der Anisometropie wird bei fehlendem
binocularen Sehact die Herstellung- desselben zu erzielen suchen, indem
das schlechter sehende Äuge eventuell mit dem entsprechenden Glase,
bei Verschluss des anderen, Separatübungen im Sehen anstellt, und
dann, mittels des Stereoskopes Uebungen im Verschmelzen der stereo-
skopischen Vorlagen gemacht werden. Diese Uebungen sind in ähn-
licher Art auszuführen, wie sie bei der Therapie des Schielens genauer
beschrieben werden sollen.
In einer Reihe von Fällen hochgradiger Anisometropie ist aber
nicht einmal der binoculare Sehact zu erreichen, wie viel weniger ein
correctes Körperlichsehen.
ImUebrigen muss nach den bei den Refractionsanomalien gegebenen
Regeln die erforderliche Correction mit Gläsern gemacht werden. Meist
ist es für das Sehen des Patienten angenehmer, ein gleich starkes
Glas vor beiden Augen zu tragen. Man corrigirt dann das Auge, welches
die geringste Refractionsanomalie zeigt, vorausgesetzt, dass es eine ent-
sprechende Sehschärfe hat. Daraus ergiebt sich, dass in den Fällen,
wo ein Auge emmetropisch ist, in der Regel keine Brille für die Ferne
gegeben wird. Hat das besser sehende Auge aber die grössere Re-
fractionsanomalie, ist es beispielsweise am meisten kurzsichtig, so wird
dieses mit dem entsprechenden Glase versehen, dem anderen aber das
seinem Refractionsgrade entsprechende schwächere gegeben.
Die Correction beider, mit gleicher oder annähernd gleicher Seh-
schärfe ausgestatteten Augen durch die ihre besondere Refractions-
anomalie ausgleichenden Gläser hat meist keinen besonderen Vortheil,
da trotz Verlegung des Fernpunktes beider Augen in die Unendlichkeit
doch für nähergelegene Dinge keine doppelseitige exaete Einstellung
erfolgt, weil die relative Accommodationsbreite, wie wir gesehen, sowohl
bei den verschiedenen Refractionsanomalien als auch bei stark versekie-
[06 Anomalien der Refraction und Accommodation.
denen Graden derselben Refraction eine verschiedene ist. Der für beide
Augen in der Hegel gleiche Aecommodationsimpuls wirkt demnach trotz
der Gleichheit der Accommodationsstrecke (von Unendhch bis zu dem'
Gegenstand, auf den die Sehachsen convergiren) in beiden Augen ver-
schieden. Man wird aber gut thun, sich auch hier nach dem individuellen
Behagen der Anisometropen zu richten. Die oft ausgesprochene Be-
fürchtung mancher Patienten, die im Uebrigen mit ihrer, nur ein Auge
genau corrigirenden Brille ganz zufrieden sind, dass ohne entsprechende
Correction des anderen Auges ein Ausschluss desselben vom Sehact er-
folgen werde, kann ihnen genommen werden, indem man mit ihnen die
oben erwähnten Versuche zur Feststellung des binocularen Sehactes
macht. Stellt sich hierbei etwa das Fehlen desselben heraus, so muss
man den Versuch mit den entsprechend corrigirenden Gläsern anstellen,
— meist werden letztere allein ihn alsdann auch nicht erzwingen.
5. Presbyopie.
Wenn in Folge zunehmenden Alters die Accommodationsbreite sich
so verringert hat, dass der Nahepunkt über 22 cm (früher 8 Zoll) hin-
ausgerückt ist, so pflegt man nach Donders' Vorgang den Beginn
der Presbyopie anzunehmen. Wie oben ausgeführt, liegt beim Emme-
tropen nach dem 40. Lebensjahre der Nahepunkt in 22 cm; jedoch
kommen erhebliche individuelle Schwankungen vor. Hypermetropen
werden früher presbyopisch, Myopen je nach ihrem Grade später oder
garnicht. Ein Myop 6-0 beispielweise, dessen Fernpunkt in J |; m =
16-6 cm liegt, kann selbst bei Verlust seiner ganzen Accommodations-
breite in dem angegebenen Sinne nicht presbyopisch werden.
Mit zunehmendem Alter pflegen übrigens auch andere objeetiv wahr-
nehmbare Veränderungen am Auge vorzugehen: die vordere Kammer
wird flacher; die Iris weniger beweglich, matter in der Farbe; die Pupille
enger und träger reagirend; die Augenmedien verlieren ' an Durch-
sichtigkeit.
Die durch das 1 linausrücken des Nahepunktes veranlassten Be-
schwerden bestehen darin, dass kleine Gegenstände, welche eine
grössere Annäherung erfordern, nicht mehr erkannt werden und dass
selbst gewöhnlicher Druck auf die Dauer nicht gelesen werden kann.
Besonders bei künstlicher Beleuchtung tritt dies hervor; die Presbyopen
suchen dann eine recht helle Beleuchtung auf, bei der die unscharfen
Netzhautbilder stärker beleuchtet werden und vor Allem durch Verengung
dry Pupille eine grössere Schärfe der Bilder eintritt. Bei Tage halten
sie Schrift und Druck möglichst weit vom Auge al>. Zu einer eigent-
Presbyopie. 107
liehen Asthenopie, wie bei jugendlichen Hyperopen, kommt es in der
Regel nicht; indem einerseits die Nähe-Arbeit nicht forcirt wird, anderer-
seits die Erfahrung, dass im Alter die meisten Menschen Convexbrillen
zum Lesen nöthig haben, sie bald zu diesem Auskunftsmittel führt.
Uebrigens kann nach starker Ueberanstrengirng di^v Aecominodation bei
Presbyopen plötzlich eine derartige Schwäche des Auges eintreten, dass
die Nahe-Arbeit vollständig unmöglich wird. Ich habe Fälle beobachtet,
die hierdurch fast den Eindruck einer Accornmodationslähmung machten,
aber nach einigen Tagen der Ruhe zurückgingen.
Die symptomatische Therapie der Presbyopie besteht in der Ver-
wendung einer angemessenen Convexbrille, die natürlich mit zunehmenden
Jahren allmählich stärker gewählt werden muss. Als allgemeine Regel
gilt, dass das Glas den Nahepunkt wieder auf 22 cm verlegt, was beim
Emmetropen einer Aeeommodationsbreite (a) von 4-5 entspricht. Wenn
demnach nach Donders' Zusammenstellung (s. S. 54) im 45. Jahr a
= 3-5 ist, so würde die entsprechende Convexbrille eines Emmetropen
= 1-0 sein (4-5— 3-5); im 50. Jahre = 2-0 (4-5—2.5).
Ein Myop von I/O würde im 45 Jahre bei a = 3*5 noch keine Brille gebrau-
chen, da sein Nahepunkt noch in 22 cm liegt. Bei einem Fernpunkt von 1 m
M 1*0 und einer a von 3-5 (Brennweite -^r m) berechnet sich der Nahepunkt
.)■.>
nach der Accommodationsf ormel (a = p — r) folgendermaassen: p = a-|-r = 3,5 +
1-0 = 4-5. Die Brechkraft der Linse, deren Brennweite der Entfernung des Nahe-
punktes vom Auge entsprechen würde, ist also 4-5 I). die Lage des Nahepunktes
demnach -. - m = 22 cm. Im 50. Lebensjahre, wo a auf 2-5 herabgesunken ist,
4-o
würde der Myop 1/0 eines C'onvesglases bedürfen, da er ohne dieses nur eine
Accommodationsleistung seiner Krystalllinse machen könnte, welche = l'O + 2-5 =
3-5 wäre. Beim Hyperopen stellt sich die Sache anders: ein H 1/0 müsste im
45. Jahre schon ein Convexglas 2-0 haben, denn sein Nahepunkt liegt (nach p =
3'5 + ( — 1'0)= 2-5) schon in — - m Entfernung: um ihn auf -t-=- m zu bringen,
1 2-5 4';>
bedarf er eines Convexglases 2*0 D.
Da aber individuelle Schwankungen vorkommen, so wird man immer
durch Vorlegen des betreffenden Glases erst feststellen, ob wirklich mit
dem Convexglase kleinste Schrift in 22 cm gelesen werden kann. Doch
ist durchaus nicht allen Patienten eine., in dieser Weise bestimmte Brille
angenehm. Sie haben sich daran gewöhnt, die Schrift weiter hinauszu-
halten und sind deshalb in der Regel von einem schwächeren Glase
mehr befriedigt. Besonders bei dem Aussuchen der ersten Brille wird
man dies berücksichtigen müssen. Ebenso im hohen Alter. Ein fi'mf-
undsiebzigj ähriger Emmetrop hat, da im höheren Alter auch der Fern-
punkt hmausrückt. eine H 1-75 erworben bei a = 0. Derselbe müsste
Ins Anomalien der Refraction and Accommodation.
uiu sich auf 22 cm einzustellen, ein ( !onvexglas 1 •75 + 4-5 = b-2ö halten.
AIkt einerseits wird er die Schwere und die Vergrösserung des Glases
unangenehm empfinden, andererseits aber kann er, bei seiner fehlenden
Accommodation, mit diesem (Hase auch nur gerade in 22 cm sehen,
während er gewöhnlichen Druck noch bis etwa 36 cm bequem lesen könnte.
Ein schwächeres Glas (2 -75 (Brennweite circa 36 cm] + 175 = 4-50)
wird ihm daher angenehmer sein. Aber weiter ist zu bedenken, dass
durch stärkere Convexgläser das Gebiet, in dem deutlich gesehen werden
kann, erheblich beschränkt und angenähert wird, da ja natürlich auch
der Fernpunkt unter dem Glase heranrückt. Wenn beispielsweise ein
Sechzigjähriger, der früher Emmetrop war, jetzt Hyperop 0-5 geworden
ist und a = 1-0 hat, so würde die Brille [4-5 — 1-0] 3-5 + 0-5 = 4-0 seinen
Nahepunkt auf 22 cm legen; bei Erschlaffung seiner Accommodation
könnte er aber mit diesem Glase nur bis 28-5 cm sehen. Seine Ueber-
sichtigkeit 0-5 wird nämlich durch das -vorgelegte Convexglas 4-0 um
3-5 übercorrigirt, d. h. mit anderen Worten: er ist Myop 3-5 geworden
und sein Auge demnach im Ruhezustande auf =-=■ m eingerichtet. Alles,
° 3-ö °
was jenseits davon liegt, ist ihm mit dem Convexglase undeutlich.
Daher erklären sich auch die Klagen derer, die eben anfangen Convex-
gläser zu benutzen, dass sie beim Aufblicken Alles verschwommen sehen.
Man thut gut, ihnen dies vorher zu sagen und auseinanderzusetzen, dass
die Brille nur für die Nähe ist. — In anderen Fällen wollen die Patienten
nicht zum Lesen, sondern für bestimmte, in grösserer Entfernung —
etwa ^ Meter — zu leistende Arbeiten eine Brille haben; die Gläser-
bestimmung muss dementsprechend erfolgen. —
Im Allgemeinen wird man den Patienten in der Wahl des Glases
einigermaassen nachgeben; sollten allerdings bei längerer Arbeit trotz
der gewählten Brille Beschwerden eintreten, so ist zu einer stärkereu
Numer überzugehen. Bei etwa vorhandener Sehschwäche wird eben-
falls ein schärferes Glas nöthig sein, da alsdann eine grössere Annäherung
der Objecto erforderlich ist.
Auch lässt im Laufe des Tages die Accommodationskraft öfter nach
und besonders bei Licht ist wegen der schlechteren Beleuchtung das
Erkennen resp. Lesen erschwert. Hier empfiehlt es sich, verschiedene
Brillen zu geben; eine schwächere für den Tag und eine stärkere für
den Abend. ( )ft ist eine leichte Bläuung des Glases (etwa No. I oder II)
nützlich. Kurzsichtige schwächeren Grades, die später Presbyopen ge-
worden sind, bedienen sich zuweilen der sogenannten Frank lin'schen
Brillen: das Glas derselben besteht aus einer eoneav-gesehliffenen oberen
Hälfte zum Sehen für die Ferne und einer convex-geschlitienen unteren
für die Nähe. Zehender hat für Presbyopen Gläser empfohlen, die
A.ccommodationslähmung. K i;>
oben und unten geradlinig und nur an den Seiten abgerundet sind; es
wird hierdurch <
Rand erleichtert.
wird hierdurch das Wegsehen in die Ferne über den oberen geraden
6. Anomalien der Accommodation.
I. Accommodationsläkmvmg.
Die Accommodationslähmung hat eine pathologische Verringerung
oder vollständige Aufhebung der normalen Accommodationsbreite zur
Folge, dadurch bedingt, dass der Nahepunkt weiter vom Auge abrückt.
Nach dem Grade der Einschränkung spricht man von Accommodations-
paralyse oder von Accommodationsparese. Letztere unterscheidet
sieh vor Allem von der Presbyopie dadurch, dass die Accommo-
dationsverringerung nicht dem Alter des Patienten entspricht. Weiter
pflegt die Presbyopie sich auch allmählich zu entwickeln, während die
Parese sieh meist in ziemlich kurzer Zeit ausbildet; erstere trifft beide
Augen, letztere kann auch ein Auge allein befallen. In der Weite der
Pupille rinden sich ebenfalls gelegentlich Unterschiede, indem sich die
Accommodationslähmung öfter -- nicht immer — mit Pupillenerweite-
rung- | Mydriasis) verknüpft, während presbyopische Augen meist engere
Pupillen zeigen.
Zur Diagnose der Accommodationslähmung ist stets die Feststellung
der Aeeoniniodationsbreite erforderlich und der Vergleich des gefun-
denen Werthes mit dem, welcher physiologiseher Weise dem Alter des
Patienten entspricht.
Es ist allerdings hierbei zu beachten, dass Schwäehezustände, wie
sie nach schweren Erkrankungen, bei Anämie und Chlorose eintreten,
auch eine gewisse Verringerung der Aeeoniniodationsbreite hervorrufen
können, die nicht als Accommodationsparese aufzufassen ist. Wenn
Jemand nach einer schweren Krankheit nicht dieselbe Last heben kann
wie früher, so spricht man auch nicht von einer Lähmung der Muskeln.
Es handelt sich hierbei nicht nur. wie Mauthner will, um eine Ver-
ringerung der Energie der Muskeln, sondern um wirkliche Kraftherab-
setzung; bei der Accommodation um eine entschiedene Verringerung der
absoluten Aeeoniniodationsbreite. In anderen Fällen allerdings besteht nur
ein Mangel an Ausdauer in der Accommodationskraft, der zu asthe-
nopischen Beschwerden führt: man beobachtet dies öfter bei nervösen
Individuen.
Als objeetives Symptom der Paralyse kann die Profilbetrachtung der
Iris benutzt werden: es fehlen hier, wenn man seitwärts iu die vordere
Kammer blickt, das unter normalen Verhältnissen bei der Accom-
1 10 Anomalien der Refraction und Accommodation.
modation erkennbare Hervortreten der Regenbogenhaut und die Ab-
flachung der vorderen Kammer (Völckers). Der bei der Accommo-
dationslähmung afficirte Muskel ist der M. ciliaris, sein Nerv ein Ciliaräst
des ( )eulomotorius.
Beschwerden. Die Accommodationslähmung ruft nicht nur nach
ihrer Intensität, sondern auch nach dem Refractionszustande der Augen
mein- oder weniger hochgradige Beschwerden hervor, die denen der
aecommodativen Asthenopie und der Presbyopie in einzelnen Fällen
gleichkommen. Während bei Emmetropen die Klage ist, dass das Sehen
in der Nähe weniger leicht als früher von statten geht; eventuell ganz
unmöglich ist, und Hyperopen selbst in der Ferne schlechter sehen,
findet sich der Kurzsichtige höheren oder selbst mittleren Grades
weniger belästigt. Liegt bei diesem z. B. der Fernpunkt in 25 cm,
so kann er doch noch — vorausgesetzt, dass er nicht neutralisirende
Concavgläser trägt — lesen und sehreiben-, selbst bei totaler Accom-
modationsparalyse reicht diese Entfernung für die meisten Arbeiten aus.
Nur Avird es dem Patienten auffallen, dass bei noch näherem Heran-
halten die Gegenstände undeutlich werden.
Wenn, wie häufig, ein Auge allein von der Lähmung betroffen
wird, so treten diese Symptome weniger klar hervor; meist wird eine
gewisse Unbequemlichkeit mit Verschwommensehen bei binocularer
Fixation angegeben. Es beruht dies darauf, dass ein Auge Zerstreu-
ungskreise erhält, während das andere scharf sieht. Doch kann bei
längerem Bestehen diese Unbequemlichkeit svollkommen verschwinden:
die Patienten treten dann in ähnliche Verhältnisse, wie diejenigen, in
denen sieh Anisometropen befinden.
Bisweilen wird bei Accommodationsparese (ähnlieh wie naeh Atro-
pinisirung) über Mikropsie geklagt: die Gegenstände erseheinen
kleiner. Es erklärt sich dies daraus, dass die scheinbare Grösse der
Gegenstände sowohl nach der Grösse der Netzhautbilder, als auch nach
der Entfernung, in der sie sich unserer Meinung nach befinden, abge-
schätzt wird.
Wenn ein Gegenstand in 1 m Entfernung ein Netzhautbild von bestimmter
Grösse (a) entwirft, so wird dasselbe, wenn der Gegenstand bis auf Va m her-
angerückt ist, doppelt so gross, = 2a werden. Wir halten aber dessen ungeachtet
(Ins Object nicht für doppelt so gross; es wird eben der Effect der Annäherung
mit in Rechnung gezogen. Auf die Schätzung der letzteren hat neben der Seh-
achsenconvergenz auch die zum Scharfsehen erforderliche Accommodationsan-
strengung Einfiuss. Wenn bei einer Accommodationsparese die erforderliche
Accommodationsanstrengung, am das in Im befindliche Object zu erkennen, bei-
spielsweise eben so gross wird, wie sie früher bei Accommodation auf i/2 m war,
ohne dass das Netzhautbild =2a wird, so muss dem Patienten das Object, das
er für näherliegend liält. als es wirklich ist. kleiner als früher erseheinen.
Accommodationslähmung. 111
Als eine nicht seltene Gomplication wird, wie erwähnt, Mydriasis
beobachtet. Dieselbe hat jedoch, selbst wenn der den Sphincter Iridis
versorgende Ast dos Oculomotorius vollkommen gelähmt ist, eine ge-
ringere Weite als nach Atropinisirung. Es fehlt die Keaetion auf Licht-
oder Accommodationsimpulse.
In seltenen Füllen, meistens nur dann, wenn die Affection schon
sehr lange besteht, kommt allerdings eine excessive Erweiterung der
Pupille vor. ähnlich der. wie sie auf AtropineinwLrkung eintritt.
Die Diagnose der Accommodationsparalyse ist durch das Fehlen
jeder Aeeommodation gegeben: es kann nur im Fernpunkte deutlich
gesehen werden. Findet man bei der Untersuchung- nicht eine voll-
ständige Aufhellung, sondern nur eine Verringerung der Accommodations-
breite, die aber ausgesprochen kleiner ist als die in dem betreffenden
Lebensalter normale, so ist Accommodationsparese vorhanden. Natür-
lich sind vorher allgemeine Schwächezustände bei der Bemessung der
zu erwartenden Accommodationskraft, wie oben hervorgehoben, mit zu
berücksichtigen.
Wenn wir bezüglich der Aetiologie absehen von palpablen Er-
krankungen des Centralnervensystems, wie Tumoren, Apoplexien, Scle-
rosen u. dgl., oder von Affectionen, die den Oculomotorius während seines
Verlaufes in Mitleidenschaft ziehen können, wie Verletzungen, Periosti-
ten, Geschwülsten an der Basis cranii oder in der Orbita, so bleiben
noch eine Reihe ursächlicher Momente, in deren Folge besonders häufig
Aeeommodationsparalysen hervortreten. Es sind hier vor Allem die
Diphtheritis des Rachens (Donders) und die Syphilis zu nennen.
Accommodationslähmung kann selbst nach sehr leichten Fällen von
Mandel- oder Rachendiphtheritis auftreten. Bisweilen wurde die Krank-
heit von den Eltern vollständig übersehen und erst die Sehstörungen
veranlassten eine Consultation des Arztes. Dieselben zeigen sich inner-
halb der ersten Tage oder Wochen nach Ablauf der Krankheit und
erreichen, wie ich finde, meist in einigen Tagen ihre volle Höhe. Die
Patienten klagen erst über „Flimmern" beim Lesen; bald ist ihnen das
Erkennen des Druckes unmöglich. Jedoch kommt es in der Mehrzahl
der Fälle nicht zu einer vollständigen Accommodätionsparalyse, son-
dern es bleibt bei einer Parese. In der Regel sind beide Auge be-
troffen: Mydriasis fehlt. Da überwiegend Kinder daran erkranken, so
erklärt es sich, dass so häufig eine hyperopische Refraction zur Zeit
der Lähmung nachweisbar ist, die früher latent war.
Die Sehschärfe ist öfter durch corrigirbaren Astigmatismus herab-
gesetzt, bisweilen aber auch, ohne dass dieser als Grund der Schwach-
sichtigkeit anzunehmen ist (Völckers, Xagelj. In einem von mir
beobachteten Fall schwand die Sehschwäche (S 5/12/), welche mit Hype r-
\\-j Anomalien der Refraction und Accommodation.
ämie und Verscbwommensein des Seimerveneintritts verknüpft war, in
einigen Wochen unter Rückgang des abnormen ophthalmoskopischen
Befundes vollständig. Häufig besteht noch eine Lähmung des Gaumen-
segels und der Sehlundmuskeln. Ebenso wird Abducenslähmung öfter
beobachtet. Auch ein früher nicht bestandener Strabismus convergens
concomitans hyperopicus tritt in Folge der Accommodationsschwäche
bei einzelnen Patienten hervor und kann spontanes Doppeltsehen her-
beiführen.
Bei der Syphilis fällt die Aecommodationslähmung in ein ver-
hältnissmässig spätes Stadium. Oft sind hier alle sonstigen Erschei-
nungen schon Jahre lang geschwunden, wenn die Lähmung plötzlich
von Neuem die Erinnerung an das fast vergessene Uebel wachruft. In
der Regel ist die AfFection einseitig und mit Mydriasis verknüpft. —
In anderen Fällen liegt deutlich eine rheumatische Ursache (plötz-
licher Temperaturwechsel, heftiger Luftzug) zu Grunde. Weiter sollen
auch Accommodationsparesen nach Angina tonsillaris ohne Diphtheritis
vorkommen, doch ist ein Uebersehen der Diphtheritis wahrscheinlicher.
Nach schweren Allgemeinerkankungen , bei Diabetes, Herpes Zoster
ophthalmicus, nach Bleiintoxication, Fleisch- oder Fischvergiftungen,
in Folge von Feuerarbeit (Colsmann), nach Trigeminusneuralgien,
Wunddiphtheritis (Völckers), nach acutem Magenkatarrh (Leber),
Influenza, Contusionen des Augapfels werden sie ebenfalls be-
obachtet. Auch bei sympathischer Ophthalmie zeigt sich bisweilen
im Beginn ein Hinausrücken des Nahepunktes; dass dies nicht
immer, wie behauptet worden, das einleitende Symptom der sympa-
thischen Ophthalmie ist, haben mich eigene Beobachtungen gelehrt.
Das Hinausrücken des Nahepunktes bei Glaucom dürfte ebenso wie
die von mir an jüngeren Individuen nachgewiesenen Accommodations-
beschränkungen bei Zahnleiden edier auf Drucksteigerung im Glaskörper
zurückzuführen sein; es wird hierdurch der ausgiebigen Erschlaffung
der Zonula hindernd entgegengetreten.
Schliesslich sei noch an die aecommodationslähmende und gleich-
zeitig mydriatische Wirkung des Atropins, Scopolamins, Duboisins und
ähnlicher Mittel erinnert.
Die Prognose der Aecommodationslähmung ist, wenn sie nach
Diphtheritis oder schweren sonstigen Erkrankungen oder auch nach
Trauma eingetreten, im Allgemcinen-'günstig. Besonders nach Diphthe-
ritis pflegt sie in einigen Wochen oder Monaten regelmässig vorüber-
zugehen. Ungünstiger ist die Vorhersage, wenn andere ätiologische
Momente vorliegen. So kommt eine Heilung syphilitischer Accommo-
dationslähmungen kaum je zur Beobachtung (Alexander).
Die Therapie muss der Ursache entsprechend gewählt werden.
Aceommodationskrampf. Abnorme Accommodationsspannung'. H3
Bei Lähmungen nach Diphtheritis, die auch spontan heilen, und nach
schweren Erkrankungen ist roborirend v.w verfahren, Wein, Chinin, Eisen
zu geben; bei Syphilis Mercur oder Jodkali. Letzteres Mittel findet
auch bei manchen anderen Können von Accommodationslähmung Ver-
wendung. So bei den durch Knoehonaffectionen bedingten. Auch bei
länger bestehenden rheumatischen Lähmungen ist es indicirt; im Beginn
dürfte eine Schwitzkur (etwa mit Pilocarpin) mehr Erfolg versprechen.
Weiter sind Elektricität und Strychnininjectionen empfohlen worden.
Oertlich können Heurteloup'sche Blutentziehungen in der Schläfe
oder ableitende Salben (Veratrinsalbe) besonders im" Beginn und in
Füllen, wo keine Schwächezustände vorliegen, versucht werden. Auch
Einträuferangen von Eserinlösungen sind angewandt worden: ich habe
mich von einem Nutzen bezüglich der Heilungsdauer nicht überzeugen
können. Prognostisch haben sie insofern eine Bedeutung, als in den
Fallen, wo weder Pupille noch Tensor darauf reagiren, die Aussichten
auf Heilung gering sind (v. Grraefe).
Bei doppelseitiger Accommodationslähmung giebt man, um sym-
ptomatischen Nutzen zu schaffen, für die Arbeit in der Nähe, respec-
tive hei Hyperopen auch für die Ferne Convexbrillen. Dieselben sind
natürlich mit der Hebung der Accommodationskraft immer schwächer zu
nehmen. Bei einseitiger Lähmung ist, wenn das andere Auge sehkräftig,
hiervon in der Begel kein Vortheil zu erwarten. Meist gewöhnen sieb
die Patienten nach einiger Zeit, ähnlieh wie Anisonietropen, an die
Ungleichheit der Bilder. Auch Eserineinträufelungen können insofern
symptomatisch wirken, als durch Heranrücken des Fernpunktes die
Möglichkeit des Lesens gegeben wird; aber auch sonst bessert sich
während der Dauer der Wirkung das Sehen durch die gleichzeitige
starke Pupillenverengerung.
II. Accommodationskraft. Abnorme Accommodationsspannung.
Es handelt sich hier um eine Contraction des M. ciliaris. Die Folge
derselben ist ein Heranrücken des Fernpunktes. Ein emmetropisches
Auge wird demnach kurzsichtig, ein bereits kurzsichtiges Auge erwirbt
eine Myopie höheren Grades.
Es wird mit dem Ausdruck »Aceommodationskrampf vielfach
Missbrauch getrieben. Von dem eigentlichen r Aceommodations-
krampf" ist die „abnorme Accommodationsspannung" zu unter-
scheiden, welche, ohne als -Krampf im sonst üblichen Wortsinne auf-
gefasst werden zu können, nicht gar selten Myopie vortäuscht oder
eine bestehende M. vergrössert. Den diagnostisch durchschlagenden
Unterschied finde ich darin, dass die abnorme, Myopie vortäuschende
Accommodationsspannung bei der ophthalmoskopischen Refractions-
- :hmidt-ßimpler. 7. Auflage. 8
114 Anomalien der Refraction und Accommodation.
bestimmung schwindet, was heim Accommodationskrampf nicht der Fall
ist. Ferner ist bei der „abnormen Accommodationsspannung" (für welche
aber bis jetzt der Ausdruck „Accommodationskrampf* fast überall ge-
brauchtwird) der Nahepunkt nicht herangerückt, was beim eigentlichen
Accommodationskrampf gelegentlich nachweisbar ist. Auch zeigt letz-
terer verhältnissmässig häufiger eine Pupillenverengerung, während bei
ersterer eher eine Pupillenerweiterung vorkommt.
Accommodationskrampf. Das vollkommenste Bild des Krampfes
sehen wir nach Einträufelungen von Physostigmin (Eserin) eintreten
(Fräser [1862] und Argyll Robertson). Hier rückt der Fern- und
Nahepunkt heran- die Einrichtung auf den Nahepunkt ist oft schmerz-
haft. Neben der tonischen Contraction stellen sich nicht selten auch
klonische Krämpfe in Intervallen ein und verändern die Resultate in
den einzelnen Nahe- und Fernpunktsbestimmungen. Die Objecte er-
scheinen, entgegengesetzt wie bei dei\ Accommodationsläkrnung, aus
Gründen, die den dort entwickelten analog sind, grösser (Makrop sie).
Mit dem Accommodationskrampf verknüpft sich Miosis. — Dasselbe be-
wirken Muscarin und Pilocarpin. Auch von subcutanen Morphium-
injectionen hat man bisweilen einen gleichen Effect beobachtet ( v. Gr a et* e,
H. Lawson).
Abgesehen von diesem medicamentösen Accommodationskrampf
kommen ähnliche - Fälle selten zur Beobachtung. Wir diagnosticiren
sie, wenn neben der Gläserbestimmung auch die objective, mit dem
Augenspiegel unternommene Refractionsbestimmung eine unzweideutige
Annäherung des Fernpunktes gezeigt hatte, die nach intensiver Atro-
pinisirung, welche den Krampf löst, wieder verschwunden war. Wenn
der ophthalmoskopischen Refractionsbestimmung, unter der sich, wie
Mauthner zuerst zeigte, die abnorme Accommodationsspannung löst,
hier ein Hauptgewicht für die differentielle Diagnose beizulegen ist, so
müssen andererseits auch die Fehlerquellen, denen die objective Unter-
suchung ausgesetzt ist, beachtet werden. So bedarf es bisweilen öfterer
und längerer Untersuchung und Ermahnung, um die Patienten von ihren
Seit- und Fixationsbestrebuii^'en abzuhalten, die natürlich eine Accom-
modationsanspannung veranlassen. Ferner ist der Unterschied der
Refraction an der Macula und neben der Papille, wo in der Regel die
Refraction ophthalmoskopisch bestimmt wird, nicht immer gleichgültig
(cfr. auch Ophthalmoskopie). Die durch krampfhafte Annäherung des
Fernpunktes bedingte Myopie entwickelt sich meist in ziemlich kurzer
Zeit; bisweilen schwindet sie auch wieder schnell. Ueberhaupt ist ein
häufiges Schwankell der Refraction sehr charakteristisch: die Patienten
verwerfen in kurzen Zeiträumen, nicht selten noch während der Unter-
suchung, die früher gut befundenen Gläser und gehen zu stärkeren oder
Accoiumodationskrampf. Abnorme Acoommodationsspannung. 1 15
schwächeren über. Auch zeitweise Herabsetzung und öfterer Wechsel
in dem Grade der Sehschärfe wird beobachtet, ebenso conccntrisehe
Gesichtsfeldeinengimg. Da der Nahepunkt nicht immer heranrückt,
so ist im Allgemeinen die Aeeommodationsbreite verringert. Häufig be-
steht Miosis. Mit dem Krampf verknüpfen sich Sohmerzempfindung
im Auge und Ermüdung beim Arbeiten.
Die Aecommodationskrämpfe sind meist tonischer Art, selten klonischer.
Letztere wurden von Knies bei einem Epileptiker während des Anfalles
mittels der ophthalmoskopischen Untersuchung festgestellt. Liebreich
beobachtete Fälle, bei denen sich nur bei starker Convergenz der Accom-
modationskrampf einstellte-, ich sah einen Fall, wo den Accommodations-
krampf (bei hyperopisekeni Augenbau) dauernder Strabismus eonvergens
complicirte. A'on ätiologischen Momenten sind, abgesehen von
Hysterie, kleine Verletzungen (v. G raefe), zu nennen, wo der Spasmus
öfter als Retlexneurose von sensiblen Aesten ausgeht; Contusionen des
Bulbus ^Berlin); Neuralgien und Ueberanstrengung der Augen. Die
letzteren Ursachen können in anderen Fällen zur einfachen Accommo-
dationsspannung führen. Auch die Conjimctivitis sicca wird als ätio-
logisches Moment erwähnt (Samelsohn); gleichzeitig mit Oedem der
Conjimctiva sah van Millinger einen Fall. Alfr. Graefe hat Accom-
modationsspasmus bei Blepharospasmus, H. Cohn in der Hypnose be-
obachtet.
Die Dauer des Krampfes ist verschieden. Der nach Traumen
eintretende geht in der Regel schnell vorüber.
Die Therapie besteht vor Allem in Einträufelung von Atropin,
um den Ciliarniuskel zu entspannen. Nicht selten ist es nöthig, die
Einträufelungen mehrere Monate lang fortzusetzen. Um den durch die
künstliche Pupillenerweiterung übermässigen Lichteinfall zu paralysiren,
sind alsdann [blaue oder rauchgraue Brillen zu tragen. Bei örtlichen
Hyperämien - — etwa der Papilla optica oder Chorioidea — oder nach
Traumen können künstliche Blutegel in der Schläfengegend von Nutzen
sein. In anderen Fällen, der Individualität und Aetiologie entsprechend,
werden nervenstärkende Mittel — unter ihnen sind auch Strychnin-
injeetionen (Nagel) empfohlen — und roborirendes Verfahren am Platze
sein. Vor allem möge der Kranke, so viel es angeht, auf die Arbeit
in der Nähe verzichten.
Abnorme Accommodationsspannung. Sie kami bei Hyper-
merropen, Emmetropen und Myopen vorkommen. Erstere werden emme-
fropisch oder kurzsichtig, die Emmetropen werden kurzsichtig und die
Myopen zeigen eine Vermehrung der bereits bestehenden Myopie. Bei
der ophthalmoskopischen Untersuchung stellt sich aber alsbald — wie
nach Atropinisirung — die wahre Refraction heraus. Alle Symptome
8*
116 Anomalien der Refraction und Accommodation.
eines eigentlicheD Krampfes fehlen; es wäre übrigens eine merkwürdige
Air von Krampf;, für den die ophthalmoskopische Untersuchung als
Heilmittel diente. Auch der Vergleich dieses von Vielen als „Accommo-
dationskrampf bezeichneten Zustandes mit dem Schreibkrampf passt
nicht. Letzterer zeigt Erscheinungen, die auch sonst in Krämpfen vor-
kommen: es sind ganze Muskelgruppen befallen, meist auch solche, die
beim Schreiben unbetheiligt sind, weiter folgen Erschöpfung und Tremor.
Endlich hört auch nicht der Krampf auf in dem Moment, wo die Feder
fortgethan wird. Bei der abnormen Aceommodationsspannung aber tritt
der normale Zustand ein in dem Augenblick, wo die Sehintention
(— wie während der Augenspiegeluntersuchung — ) aufhört. Die
Affeetion wird meist doppelseitig, öfter aber auch einseitig oder in ver-
schiedener Stärke an beiden Augen beobachtet. Sie ist aber bei weitem
nicht so häufig, als es nach manchen Untersuchungen scheint, bei denen
manRefraetionsabnahmen von weniger als 1-0 nach Atropinisirung bereits
als Zeichen eines vorher bestandenen Accommodationskrampfes aufge-
fasst hat. Derartige Refractionsherabsetzungen nach Atropin liegen
aber durchaus noch innerhalb der physiologischen Breite.
Abnorme Accommodationsspannungen kommen in manchen Fällen
progressiver Myopie vor. Auch habe ich folgenden Verlauf öfter be-
obachtet. Kinder werden scheinbar kurzsichtig; man findet mittlere
Myopie durch abnorme Aceommodationsspannung, nach Atropinisirung
leichte Hyperopie. Letztere bleibt bei entsprechender Behandlung
längere Zeit bestehen. Dann entwickelt sich allmählich wieder Myopie.
Nach Jahren hat sich endlich Achsenmyopie herausgebildet. —
Doch darf man nicht glauben, dass die Weiterentwickelung der
Myopie etwa immer oder nur überwiegend häufig mit abnormer Aceom-
modationsspannung einhergeht.
Bisweilen sind mit letzterer asthenopische Beschwerden verknüpft.
< )efter ist das Auge leicht hyperämisch, die Papilla optica geröthet.
Die Pupille ist meist etwas erweitert. Die Accommodationsbreite zeigt
sieh verringert, da nur der Fernpunkt heranrückt. Durch die für die
angebliche Myopie ungewöhnliche Entfernung des p. proximum vom
Auge kann man oft schon bei der subjeetiven Prüfung des Patienten
die scheinbare Myopie von der wirklichen unterscheiden.
1 >on nächsten Anlass zur abnormen Aceommodationsspannung, die
Myopie vortäuscht, giebt vorzugsweise die andauernde Sehachsencon-
vergenz. Schon normaler Weise rückt mit der Sehachsenconvergenz
der Fernpunkt (relativer Fernpunkt) heran. Auch findet man bei
binocularer Kefractionsbestimmung mittels Gläser nicht selten einen
geringeren Grad von Myopie (bis 2-0) als bei der üblichen monocu-
I.iren, wo das eine Äuge verdeckt und damit ein anderer Conver-
Amblyopie und Amaurose. 117
genzgrad ermöglicht wird. Blendung kann ebenfalls das Leiden ver-
anlassen.
Daneben spielen oft konstitutionelle Momente mit, so Anämie,
Nervosität, Onanie. Auch Localaffectionen des Auges, welche die Seb>
krat't herabsetzen, gehören hierher. Im Jugendlieben Airer und besonders
bei leichten Graden der Hypermetropie und höheren Graden der Kurz-
sichtigkeit ist die abnorme Accommodationsspannung am häutigsten.
Die Therapie besteht in energischer und fortgesetzter Atropini-
sirung, während deren man zum Abhalten des Lichtes blaue oder graue
Schutzbrillen tragen lässt. Am besten lässt man drei bis vier Wochen
lang zweimal täglich Atropin einträufeln und jede Nahearbeit meiden.
Bisweilen tritt erst nach einiger Zeit der Atropinisirung die vorher mit
dem Augenspiegel festgestellte Refraetionsabnahme ein. Daneben Robo-
rantien und Aufenthalt in freier Luft. Antiphlogistische Mittel, abge-
sehen vielleicht von kühlen Bleiwasserumschlägen gegen bestehende
Conjunctivitis oder Blepharitis, sind selten erforderlieh.
Da aber Neigung zu Recidiven besteht, so wird bei der später
wieder aufgenommenen Beschäftigimg möglichst auf Vermeidung der
in der Xahearbeit liegenden Schädlichkeiten zu sehen sein, eventuell
wird von Zeit zu Zeit die Kur wiederholt werden müssen.
Drittes Kapitel.
Amblyopie und Amaurose.
Die Bezeichnungen Amblyopie, Schwaehsichtigkeit (a[ißXvq, stumpf
roxp Gesiebt) und Amaurose, Blindheit (dfiavQog dunkel) im engeren
Sinne pflegen wir für diejenigen Störungen des Sehvermögens zu ge-
brauchen, welche weder durch dioptrische Hindernisse noch durch Er-
krankungen des Auges selbst bedingt sind. Es handelt sich demnach
bezüglich der Amaurose gewissermaassen um denselben Zustand, den
Philipp v. Wälther seiner Zeit so definirte, dass der Kranke nichts
sähe und der Arzt auch nichts. Doch pflegen wir gewisse Schwach-
sichtigkeiten oder Erblindungen noch hierher zu rechnen, bei denen sich
dennoch später ein pathologischer ophthalmoskopischer Befund heraus-
stellt, nämlich der einer Sehnervenatrophie. Das Fehlen ausgeprägter
118 Amblyopie und Amaurose.
Veränderungen im Beginn des Leidens lässt jedoch die Einreihung in
die Kategorie der Amblyopien und Amaurosen gerechtfertigt erscheinen.
— Es handelt sich bei ihnen immer um Störungen, die Sehnerv, Chiasma,
Tractus opticus oder die cerebralen Centren treffen.
1. Diagnose.
Bei der Prüfung des Sehvermögens sind folgende Functionen des-
selben in Betracht zu ziehen:
1) Das centrale Sehen (Sc).
Die Macula lutea besitzt die grösste Sehschärfe. Wie wir dieselbe
messen, ist in dem Abschnitt über Refraction auseinandergesetzt.
Die Bestimmung des Grades der Sehschärfe erfolgt durch die
Formel S (V) = t=t, wobei d die Entfernung ausdrückt, in der Patient
die Proben sieht und D diejenige, in der er sie sehen soll. Es ist hier-
bei vorausgesetzt, dass etwaige Refractionsanomalien vorher durch die
entsprechenden Gläser corrigirt sind. Die Prüfung wird wie die der
Refraction, mit der sie sich, wie wir oben gesehen, unmittelbar verknüpft,
in der Regel auf eine grössere Entfernung (etwa 5 m) gemacht. Ist die
Sehschwache so bedeutend, dass die grösseren Buchstaben nicht in
dieser Entfernung erkannt werden, so lässt man näher herantreten.
Die in den Snellen'schen Sehproben angegebenen Entfernungen
drücken ein Durchschnittsmaass aus, da die physiologische Sehschärfe
sehr breiten Schwankungen unterliegt. So ist sie nach dem Alter
verschieden; jugendliche Individuen haben in der Regel eine höhere,
seihst über vierfache Sehschärfe, wie besonders die neueren von H.
Colin im Freien angestellten Untersuchungen ergaben. Mit den Jahren
nimmt sie in ziemlich gieichmässigem Grade ab: während sie im 50. Le-
bensjahre noch etwa 1 ist, wird sie im 80. = 4/G (Boema und Walther).
Uukultivirte Völker haben durchschnittlich eine etwas bessere Seh-
schärfe, jedoch finden sich gleich hohe Sehschärfen auch bei uns. Be-
sonderen Einnuss hat die Beleuchtung. Es wird vorausgesetzt, dass
die Prüfung bei hellem Tageslicht stattfindet. Um sich von dem Wechsel
der Tagesbeleuchtung ( — nach Cohn's Untersuchungen mit dem Leon-
hard Weber' sehen Photometer schwankte im Sommer Nachmittags
von 5 his 7 Uhr die Helligkeit zwischen 19 bis 196 Meterkerzen — )
unabhängig zu machen, kann man eine Lampe, in bestimmter Entfer-
nung von den Proben gestellt, benutzen, oder man zieht die am eigenen
Auge beobachtete Verminderung der Sehschärfe, wie sie bei weniger
guter Tagesbeleuchtung eintritt, mit in Rechnung.
Amblyopie und Amaurose. 119
Worden keine Buchstaben mehr erkannt, so bestimmt man, in
welcher Entfernung noch Pinger von dem Kranken gezählt werden.
Der Arzt hält sie ausgespreizt auf dunklem Hintergründe , etwa auf
seinem Hocke. - Der Kranke ist dabei mit dem Rücken dem Fenster
zugekehrt. Das Zählen der Finger kann normaler Weise in ungefähr 60m
erfolgen, ist aber meist entschieden leichter als das Erkennen von
Snellen Nr. LX, welche Probe ebenfalls in 60 m erkannt werden soll.
Worden auch in nächster Nähe Finger nickt mehr gezählt, so prüft
man. oh Patient unterscheidet, dass ihm eine oder zwei Hände vorge-
halten wurden. Endlich, wenn auch dies versagt, ob er noch die Be-
wegung der Hand sieht und in welcher Entfernung. Man beachte aber
dabei, dass, wenn man sich sehr nahe dem Auge befindet, das von der
Hand reflectirte Tageslicht dem Patienten anzeigen kann, ob die Hand
da ist oder fortgenommen wird.
Die bisherigen Prüfungen — etwa die Prüfungen mit der Hand
ausgeschlossen — erstrecken sich auf die qualitative Lichtempfin-
dung des Patienten. Die Prüfung einfacher Lichtempfindung (mit
Lampe u. dgl.) bezeichnet man als quantitative. Man sieht, ob eine
grossbrennende Lampe, ob eine mittelgross, klein oder kleinst brennende
Ovo nur noch mit bläulichem Licht der Rundbrenner leuchtet) erkannt
wird. Die geringste Sehfähigkeit erfordert das Erkennen des Sonnen-
lichtes. —
Bei einer Eeilie von Patienten, die an Blendungs-Erscheinungen leiden, ist
es- von Wichtigkeit auch die Sehschärfe zu bestimmen, wenn sie das Gesicht dem
Fenster zugewandt haben. Man cohstatirt hier oft erhebliche Herabsetzungen, die
sieh in der Begel verringern, wenn man durch nussschalenförmige Brillen mit einer
etwa 10 mm grossen centralen Oeffnung, welche das seitliche Licht abhalten,
blicken lässt. Bei diesem Versuche schliesst man den von mir experimentell nach
gewiesenen, eventuell störenden Einfluss der peripheren diffusen Netzhautbeleuch-
fcung auf die Wahrnehmung des macularen Bildes aus. Therapeutisch kann man
solchen Kranken dann durch dicht anliegende, ähnlich construirte Brillen (Peri-
pherie-Schutzbrillen), allerdings mit grösserer centraler Oeffnung zur Vermeidung
einer hinderlichen Gesichtsfeldeinengung, nicht unwesentlichen Nutzen schaffen.
2) Das periphere Sehen.
(Gesichtsfeld und excentrisches Sehen.)
Ausser der Macula lutea ist auch die übrige Netzhaut bis in die
ISähe ihrer äquatorialen Zone im Stande Lichteindrücke zu percipiren.
Die einfachste Art der Prüfimg des peripheren Gesichtsfeldes geschieht,
wie in der Einleitung ausgeführt, so, dass man, während das zu unter-
suchende Auge central einen Gegenstand flxirt, feststellt, wie weit
peripher noch Handbewegungen gesehen werden. Bei starken Seh-
störungen wird eine Lichtflamme zu diesen Prüfungen benutzt.
120
Amblyopie und Amaurose.
Genauer geschieht die Untersuchung am Perimeter (Förster,
Auliert). Bier (Figur 56) befindet sich das Auge des Patienten im
Centrum (a) eines halben Kreisbogens, der in Winkelgrade getheilt
und drehbar ist. Auf diesem Kreisbogen wird ein weisses Quadrat
bezw. eine weisse Kugel, während der Nullpunkt mit dem Auge tixirt
wird, von der Peripherie her nach dem Centrum geführt, und der Mo-
ment angegeben, wo selbige eben sichtbar wird, d. h. nicht als scharfe
Kugel, sondern als weisses Object. Hierauf ist der zu Untersuchende
besonders aufmerksam zu machen, da man, falls bis zum deutlichen
Erkennen der Kugel gewartet wird, nicht-vorhandene Gesiehtsfeldein-
engungen erhält. Auch kommt die Grösse der Kugel, bezw. des be-
56.
Perimeter von Förster.
57.
Perimeter von Sclierk
nutzten Quadrates in Betracht: dieselbe wird meist von 0,5 — 1-0 cm
Ausdehnung gewählt. Je grösser das Object, um so weiter erstreckt
sich die periphere Wahrnehmung. Es ist daher hei jeder Gesichts-
feldbestimmung auch die Grösse des Probeobjectes anzugeben. Der
auf dem Kreisbogen angegebene Winkelgrad zeigt uns den Gesichts-
winkel, unter dem nach dieser Richtung hin noch gesehen wird.
Am Förster'schen Perimeter muss der Kreisbögen, je nachdem man das Ge-
sichtsfeld in den verschiedenen Meridianen prüfen will, entsprechend gedreht
werden. Einfacher ist das' Scherk'sche Perimeter, welches aus einer in-f.sseren
Ealbkugel mit Gradtheilung besteht (Figur 57). Hier benutzt man. während «1er Null-
punkt tixirt wird, ebenfalls eineweisse Kugel, die aber an einem gebogenen Fischbein-
stäbchen befestigt ist. zur Prüfung. Indem man sich mit Kreide die (irenzen in
den einzelnen .Meridianen bezeichnet, erhält man sofort ein anschauliches Bild des
Gesichtsfeldes. Es besteht aber der Nachtheil, dass der Untersucher die centrale
Fixation des Kranken nur schwer controllircn kann. Neuerdings ist eine kleine
Halbkugel aus durchsichtigem Celluloid construirt worden (Ascher's Perimeter),
Amblyopie und Amaurose.
121
die der Kranke an einem Griff sich .selbst vorhält, während das Prüfungs-
objeet aussen herumgeführt wird: leider ist das Centrum undurchsichtig, sodass
centrale Skotome sieh in der erwähnten Weise nicht feststellen lassen. Für die
Praxis am geeignetsten erseheint mir das Schw eigger'sche kleine Perimeter, das
nur aus einem drehbaren Halbkreisreifen besteht, den der zn Untersuchende an
einem Handgriff hält. McHardy hat ein reeh't praktisches selbstregistri-
rendes Perimeter (ähnlich dem Förster'schen) angegeben, das durch Anschlagen
des hinter dem Fixationspunkte auf eine kleine Platte gespannten Gesicktsfeld-
schemas gegen eine scharfe hervorragende Spitze, deren Stellung der jeweiligen
peripheren Lage des Sehobjectes entspricht, das Gesichtsfeld sofort einzeichnet.
Zum Aufzeichnen benutzt man Gesiehtsfeldschemata, welche zwölf,
denAugenmeridianen entspreclicnde Radion zeigen, in deren Richtung- die
( rrenzen des ( J-esichtsfeldes für g ewöbnlich bestimmt werden. Man hat die
IA
Linkes Auge.
08.
IA.
Rechtes Auge.
Radien Avie Zeiger einer Uhr (I bis XII) bezeichnet. Die Ausdehnung des
Gesichtsfeldes erstreckt sich nach oben (XII) normaler Weise ca. 50 Grad,
nach unten (VI) 70 Grad, nasalwärts 60 Grad, temporalwärts 85 Grad.
In dem Gesichtsfeldschema (Figur 58) sind die Grenzen eingezeichnet;
ebenso die etwas engeren Grenzen für die Erkennung der Farben
(Prüfung mit Farbenquadraten von 1 cm Seitenlange). Es ist beson-
ders darauf zu achten, dass der zu Untersuchende den Nullpunkt
dauernd fixirt und nicht der sich bewegenden Kugel mit dem Auge
folgt. Ferner muss derselbe wiederholentlich darauf aufmerksam ge-
macht werden, sofort anzugeben, wenn er das Kommen der Kugel
Avalirnimmt, und auch darauf, dass er eben nur das Kommen, nicht
die genaue Form derselben zu erkennen braucht. Wenn man dies
nicht beachtet oder die Angaben nicht öfter controlirt, wird man nicht
122 Amblyopie und Amaurose.
allzu selten eoncentrische Gesichtsfeldeinschränkung fälschlich diagno-
sticiren. Eine Reihe derartiger Einschränkungen; die bei Hysterischen
gefunden worden sind, beruhen einfach auf Beobachtungsfehlern.
Gleiches gill für die Feststellung des sogenannten Ermüdungs-
Phänomens, das man besonders bei traumatischer Neurose häufig
gesehen haben will. Wenn man am Perimeter im horizontalen Meri-
dian die Kugel erst von der temporalen »Seite zur nasalen führt
und dann gleich darauf von der nasalen zur temporalen und das einige
Zeit tortsetzt, so kann es sieh zeigen, dass in Folge von „Ermüdung"
die peripheren Grenzen, an denen die Kugel verschwindet, immer
enger werden und so schliesslich bei Perimetrirung aller Meridiane eine
Gesammtverengung des Gesichtsfeldes eintritt (Förster, Wilbrand).
Aber es handelt sich in der Regel hierbei nur um ein Einschlafen der
Aufmerksamkeit: wenn man die Untersuchenden energisch auffordert
aufzupassen, erweitert sich das Gesichtsfeld sofort.
Noch sei hervorgehoben, dass wenn man das Gesichtsfeld nach oben
prüft, das obere Lid etwas gehoben werden muss, da es sonst leicht
Lichtstrahlen abhält; bei der Prüfung des nasalen. Gesichtsfeldes dreht
der Patient den Kopf etwas nach der Seite des entgegengesetzten
Auges, um die Hindernisse, welche eine mehr oder weniger hervor-
ragende Nase dem peripheren Sehen setzt, auszuschliessen.
Man hat an Stelle der Fixation des Nullpunktes mit der Macula
lutea, wie sie hier angegeben, auch den blinden (Mariotte'schen)
Fleck (Papilla optica) als Centrum des Gesichtsfeldes angenommen. Da
derselbe meist circa 15 Grad temporal-
wärts liegt — bei Hyperopie etwas weiter,
bei Myopie ohne Conus etwas näher
(Schleich) — , so Hess man die Macula
lutea auf eine 15 Grad nasalwärts vom
Nullpunkt im horizontalen Meridian ge-
legene Fixirmarke einstellen. Doch ist
diese Methode, zumal die Lage des blin-
den Fleckes bei den verschiedenen In-
dividuen durchaus nicht genau überein-
stimmt, jetzt ziemlich allgemein aufge-
geben.
Audi durch Protection des Gesichtsfeldes auf eine senkrecht
stehende Wandtafel ( < !a m p im eter) oder einen PapierbogenJJkann man
ausreichende Feststellungen machen. Indem das Auge in der Mitte
einen Punkt fixirt, wird mit der weissen Kugel oder Aehnliehem die
Grenze des Sehens und ihre Entfernung vom Fixationspunkt in Centi-
metern gemessen eruirt Doch ist hier immer auch die Entfernung,
Amblyopie und Amaurose. 123
in der das Auge sich vom Fixationspunkte befindet, anzugeben,
da mit Zunahme der Entfernung auch das Gesichtsfeld wächst. Dies
zeigt Figur 5!*. a und ß seien diejenigen peripher gelegenen Netzhaut-
punkte, welche im Auge A eben noch pereipiren; weiter nach vorn
befindliche vermitteln keinen Lichteindruck. Bei Fixation des in der
Entfernung Ac gelegenen Punktes c werden danach a und b die
äussersten wahrnehmbaren Punkte des entsprechenden Gesichtsfeldes
sein. Wird hingegen Punkt c1; in der Entfernung Ac, gelegen, fixirt,
so sind die Punkte a, und bj diejenigen, welche auf a und ß ihr Bild
werfen: das Gesichtsfeld ist demnach für diese grössere Entfernung auch
erweitert. Man kann die campimetrischen Messungen in verschiedenen
Entfernungen sehr gut benutzen, um sich gegen die nicht seltenen
Simulationen von Gesichtsfeldeinengungen zu schützen, da die Ausdeh-
nung des Gesichtsfeldes immer in einem richtigen Verhältniss zur
Entfernung des Auges vom Fixationspunkte stehen muss.
Nicht nur die Grenzen des Gesichtsfeldes, sowohl was die Empfin-
dung für weiss als flu* Farben betrifft, unterliegen pathologischen
Einengungen (periphere Gesichtsfelddefecte), sondern es treten
auch innerhalb der Gesichtsfelder selbst öfter umschriebene Defecte auf.
Man bezeichnet dieselben als Skotome und spricht von centralen, d. h.
im Fixationspunkte Hegenden, von paracentralen, pericentralen und von
peripheren Skotomen. Sie heissen absolute, wenn auch weiss in ihnen
nicht wahrgenommen wird, relative, wenn nur die Farben undeutlich
werden. Auch hat man nach der Art, wie sie dem Patienten zur Er-
scheinung kommen, positive und negative unterschieden (Förster). Bei
den positiven Skotomen, die in der Regel durch materielle Erkrank-
ungen der Retina oder Chorioidea veranlasst sind, aber auch bei Seh-
nervenleiden vorkommen, — empfindet der Kranke selbst die Lücke
in seinem Gesichtsfelde, er weiss, dass z. B. bei centralem Skotom der
fixirte Buchstabe unsichtbar ist, während der nebenstehende Buchstabe
sichtbar bleibt. Bei dem negativen Skotom hingegen kommt der
Defect nicht ohne Weiteres zu seinem Bewusstsein; erst durch ein-
gehendere Untersuchungen wird — ähnlich wie beim blinden Fleck —
der Ausfall oder die Verschlechterung des Sehens an umschriebener
Stelle erwiesen. Besonders wichtig für gewisse centrale Skotome, wie
sie in Folge von Xeuritis retrobulbaris besonders bei der Intoxications-
Amblvopie auftreten, ist die Untersuchung mit grünen und rothen farbigen
Quadraten ( ]9 — 1 ein2), die an der Stelle des Skotoms Abschwächungen
oder Veränderungen ihrer Farbe erfahren. Roth erscheint dann dunkler
oder auch gelegentlich gelblich, grün wird grauweiss u. s. f. —
Zur Entdeckung sehr kleiner Ausfälle im Gesichtsfelde benutzt man
als Perimeter-Objecte kleinste Scheiben (bis 1 mm Durchmesser herab,
124 Amblyopie und Amaurose.
Bjerrum) oder einen Papierbogen, auf den man zahlreiche Tintenflecke
neben einem centralen Fixationskreuz gemacht hat. Indem der Patient
in grosser Nähe ( 15 l>is 25 cm) das Kreuz fixirt, bezeichnet man mit einer
Feder die einzelnen Tintenflecke, welche er nicht sieht, und constatirt
so den Defect. Intelligentere Patienten zeichnen selbst ihre Skotome ein.
(»hm1 dass Anomalien in der Ausdehnung- des Gesichts-
feldes bei der erwähnten Prüfung am Perimeter hervortreten, können
pathologische Veränderungen in der Weise das excentrisehe Sehen be-
fallen, dass sie die excentrisehe Sehschärfe (Se) herabsetzen.
Meist begnügt man sich hier mit gröberen Prüfungen; man untersucht
beispielsweise, wie weit Patient noch peripher Finger zählen kann und
vergleicht dies mit dem eigenen normalen excentrischen Sehen. Will
man genauere Resultate, so benutzt man am Perimeter Sn eilen 'sehe
Schriftproben und bestimmt, bis zu welchem Winkelgrade unter Ver-
gleich mit dem excentrischen Sehvermögen eines normalen Auges die-
selben peripher noch entziffert werden. Doch bedingt hier grössere
oder geringere Uebung bedeutende Unterschiede. Vossius fand, dass
mit Sn eilen 'sehen Buchstaben (1, i, c) S = l nach allen Eichtungen bis
1° um den Fixirpunkt bestand. Von dort nimmt sie, worin die Unter-
suchungen übereinstimmen, verhältnissmässig schnell ab, besonders nach
oben und unten. Uebrigens ist zu erwägen, dass auch bei unseren
üblichen perimetrischen Untersuchungen, falls kleine Probeobjecte be-
nutzt werden, nicht immer ein wirklicher Gesichtsfelddefect die Ursache
der gefundenen peripheren Gesichtsfeldeinengung zu sein braucht: es
kann sich auch hier nur um eine Herabsetzung des excentrischen Sehens
handeln. Prüfimg mit grösseren Objecten erzielt in solchen Fällen ein
freies Gesichtsfeld.
3) Der Lichtsinn.
Bei der Bestimmung des Lichtsinns sind zwei Functionen zu unter-
scheiden: erstens, bei welchem Minimum von Beleuchtung eben noch
Schwarz von Weiss (etwa ein weisses Quadrat auf schwarzem Grunde)
unterschieden wird (Reizschwelle) und zweitens, welches der geringste
Helligkeitsunterschied ist, den zwei gleichbeleuchtete Objeete, etwa mehr
oder weniger graue Ringe auf weissem Grunde, haben müssen, um
noch als verschieden empfunden zu werden (Untcrschiedsschwelle).
Um die Reizschwelle festzustellen, dient der Förster'sche Apparat
(Photonieter). Er besteht aus einem geschlossenen Kasten, welcher sein
Licht von aussen durch ein mittels einer Kerze beleuchtetes, quadrati-
sches Papierdiaphragma, erhält, das vergrössert und verkleinert werden
kann. Die Sn eilen' sehe Tafel LX, welche 5 verticale Striche zeigt,
dient als ( )bject. Ein normales Auge erkennt sie, wenn das leuchtende
Amblyopie und Amaurose. 125
Quadrat etwa gleich 2 qmm ist. Bei dem Minimum der Beleuchtung
beobachtet man ein zeitweises Verschwinden und Wiederauftauchen
der Striche. Der Lichtsinn wird gefunden durch die Formel L = TT,
wo li = '2 qmm und 11 =der Zahl der QuadratBSÖlimeter ist, bei welcher
der zu Untersuchende die Proben sieht. Erkennt ein Patient die Striche
z. B. erst bei 8 qmm Oeflhung, so ist sein L= '% = lji. Der Maass-
stab am Förster'schen Photometer giebt die Diagonale (d) des Lieht-
quadrates an; letzteres ist demnach = '/2 ^ "•
Zur Bestimmung der Unterschiedsschwelle kann man sich der
Masson'schen Scheibe bedienen. Auf dem centralen Theil einer weissen
Kreisfläche wird ein kleiner schwarzer Sectbr angebracht. Beim schnellen
Rotiren erscheint alsdann je nach der Grösse des schwarzen Sectors
die centrale Partie mehr oder weniger grau. Es gilt den kleinsten
schwarzen Seetor (nach Winkel-Graden bezeichnet) festzustellen, bei
welchem der Untersuchte noch das centrale Grau der Scheibe von
dem peripheren Weiss unterscheiden kann. Pflüger benutzt graue
Scheiben, auf denen mehrere verschieden grosse Abschnitte schwarzer,
schmaler Einge concentrisch eingezeichnet sind: beim Rotiren erscheinen
letztere als ganze Einge auf dem grauen Grunde-, ihre Schwärze hängt
von der Grösse des gezeichneten Bingtheiles ab. Zu gleichem Zweck
sind von Ole Bull Tafeln mit grauen Buchstaben verschiedener Inten-
sität auf schwarzem Grunde, von Bjerrum auf weissem Grunde und
von Seggel Tafeln mit schwarzen Buchstaben auf verschieden dunklem
grauem Grunde hergestellt worden. Tr eitel verwendet schwarze Tafeln
mit kleinen, mehr oder weniger dunkelgrauen Quadraten, Wolff-
berg schwarze Sammettafeln, auf denen bunte Tuekstüeke verschie-
dener Grösse aufgeklebt sind, die .bei entsprechender Tagesbeleuch-
tnng, welche durch Vorhänge von Seidenpapier herabgesetzt und ge-
regelt wird, erkannt werden müssen. Diese Tafeln sollen gleich-
zeitig zur Bestimmung der Sehschärfe dienen, indem in den Fällen, wo
ein rundes rothes Tuchstückchen von 2 mm und ein blaues von 7 mm
Durchmesser in 5 Vi Meter erkannt wird, weder eine Veränderung der
Sehschärfe noch des Lichtsinnes noch eine Befractionsanomalie vorliegen
soll. Doch erkennt nachHoor's undS eggel' s Nachprüfungen ein grosser
Procentsatz normaler Augen die Probeobjecte erst in geringerer Entfer-
nung. Weiter macht Wolffberg in den beigelegten Tabellen Angaben,
um aus der in dem Einzelfalle vorhandenen geringeren Entfernung des
Erkennens Eückschlüsse auf Alfection des Lichtsinnes beziehentlich auf
eine Eefractionsanomalie (Astigmatismus) zu ziehen. Auch hier haben
Nachuntersuchungen mancherlei Abweichungen gezeigt.
Bei einigen Augenerkrankungen (z. B. Eetinitis pigmentosa) fällt
J2t> Amblyopie und Amaurose.
eine Erhöhung der Reizschwelle nicht immer mit einer solchen der
ünterschiedsschwelle zusammen; es kommen aber bei den einzelnen
Fällen derselben Erkrankungsform erhebliche Schwankungen vor. -
Andere rechnen bei der Eruirung des Lichtsinnes mit der Seh-
schärfe, welche bei einer bestimmten Beleuchtung vorhanden ist. Hier-
bei werden Apparate benutzt, wo transparente Snellen'sche Buch-
staben von Lichtflamnien, deren Intensität durch vorgelegtes Milchglas
verringert werden kann, in dunklen Zimmern beleuchtet werden
(v. Hippel, Weber). Ich habe Lichtsinnmessungen bei Tagesbeleuch-
tung angestellt, indem ich vor das zu untersuchende Auge Smokegliiser
von mehr oder weniger dunkler Nuance (in einem kleinen, operngucker-
ähnlichen Kasten, der alles Seitenlicht abschliesst) legte. Unter Be-
nutzimg der Snellen' sehen Sehproben wird mm in gewöhnlicher
Weise die Sehschärfe festgestellt und ihre Herabsetzung mit derjenigen
verglichen, welche unter gleichen Gläsern bei einem Normalsehenden
erfolgt.
Bei allen diesen Bestimmungen muss der zu Untersuchende sieh
erst einige Zeit an die verminderte Beleuchtung gewöhnt haben, ehe
die Prüfungen angestellt werden können. Bei alten Leuten und Myopen
zeigt sich der Lichtsinn öfter ohne besondere Augenerkrankungen her-
abgesetzt. Bei Kindern hat H. Colin bisweilen auffallende Feinheit
des Lichtsinns gefunden. Jedenfalls unterliegt derselbe grossen indi-
viduellen Schwankungen. — Auch um Defeete des Gesichtsfeldes zu
eruiren, bedarf es bisweilen der Prüfung bei herabgesetzter Be-
leuchtung.
4) Der Farbensinn.
Nach der Young-Helmholtz'schen Theorie sind drei Grund-
farben (roth, grün, violett bezw. blau) anzunehmen, deren Empfindung
auf Erregung dreier verschiedener Nervenfasern beruht. Diese sollen
im objeetiven homogenen Licht je nach dessen Wellenlänge in ver-
schiedener Stäi-ke, aber immerhin gleichzeitig gereizt werden; rothes
Licht erregt vorzugsweise die rothempfindenden, weniger die grün- und
violettempfindenden, grünes vorzugsweise die grünempfindenden, weniger
die roth- und violettempfindenden Fasern u. s. f. Die Anhänger dieser
Theorie (v. Kries, König) nehmen an, dass den total Farbenblinden die
Zapfen in der Netzhaut fehlen oder funetionsuntüchtig geworden sind,
da diese den Farbensehenden die Farben -Wahrnehmung ermöglichen.
Nach 1 1 ering 's Anschauung handelt es sich um chemische Vorgänge.
Er unterscheidet drei verschiedene* chemische Substanzen, derenZerstörung
und Wiederansammlung (Dissimilation und Assimilation) die Licht- und
l\irl)i iiniiptindimgen hervorruft: die weiss-schwarze, roth-grüne und die
Daltonismus. 127
blau-gelbe Sehsübstanz. Während er die Weisseinpfindung mit der Dissi-
milirung, die Schwarzeiapfindung mit Assimilirung in Verbindung bringt,
lässt er es bei den eigentlichen Farbenpaaren dahingestellt, welche Farben-
empfindung dorn einen oder anderen dieser Processe entspricht. Die
Glieder des ersten Paares (schwarz-weiss) von Empfindungen können
sieh untereinander und mit den anderen Farbenpaaren mischen; letztere
selbst können sieh aber nie mit einander verbinden (daher als Contrast-
t'arben bezeichnet): so nicht reines Blau mit reinem Gelb oder reines
Grün mit reinem Roth. Wirken sie in gleicher Stärke auf eine Netz-
hantstelle ein, so entsteht Weissempfindung (daher die Bezeichnung als
complementäre Farben).
D a 1 1 o n i s m u s.
Störungen des Farbensinnes werden mit Daltonismus (nach
Dalton, der selbst daran litt) oder Farbenblindheit (Dyschroma-
topsie) bezeichnet. Nach den entgegenstehenden Theorien über die
Farbenempfindung unterscheiden die Einen Roth- (Anerythropsie), Grün-
(Achloropsie), Violett- (Akyanopsie) Blindheit (Donders, Holmgren
u. A.); die Anderen Roth-Grünblindheit und Blau-Gelbblindheit (Stil-
ling u. A.). Als Bezeichnung der Farbenblindheit in praxi erscheint
es bequemer, die Ausdrücke „Roth-Grünblindheit" und „Blau-Gelbblind-
heit11 zu wählen, da Fälle vorkommen, bei denen eine strenge Scheidung,
ob es sich um „Roth-" oder „Grünblindheit" handelt, ausserordentlich
schwer oder unmöglich ist. Es treten hier weder die charakteristischen
Farbenverwechselungen, von denen unten die Rede sein wird, noch die
Verkürzung des Spectrurns nach der rothen Seite hin (Rothblindheit),
noch die grössere Lichtschwäche der Farbe, für welche die Blindheit
besteht, in überzeugender Weise hervor. Man kann weiter eine par-
tielle Farbenblindheit (beispielsweise die Roth-Grünblindheit) und
eine totale unterscheiden, wo alle Farbenempfindung aufgehört hat.
Letztere ist sehr selten; genauere Beobachtungen sind in neuerer Zeit
von Hering, Hess, Pflüger, A. v. Hippel und Uhthoff mit-
getheilt worden: sie sprechen gegen ein Fehlen der Zapfen in der
Netzhaut, da ein dem entsprechender Ausfall der Function der Macula,
wo nur Zapfen liegen, nicht nachweisbar ist.
In einer Reihe von Fällen handelt es sich um keine vollständige Blind-
heit für Farben, sondern nur um Schwäche des Farbensinnes, die gewisse
Farbennuancen- zu erkennen hindert oder auch die Farben nicht in der
normalen Entfernung erkennen lässt. Man bezeichnet dies als schwachen
Farbensinn beziehentlich unvollständige Farbenblindheit.
Bei etwa 3 Procent der bisher daraufhin untersuchten Individuen
fand sich angeborene Farbenblindheit: bei Frauen verhältnissmässig sehr
]28 Amblyopie und Amaurose.
selten. Der Farbensinn der uncivilisirterj Völker stimmt mit dem der
civilisirten überein (Magnus).
Jn der Regel trifft die angeborene Farbenblindheit beide Augen;
doch sind auch Fälle bekannt geworden, wo nur ein Auge befallen war
( Becker, v. Hippel, Kolbe). Am häufigsten bandelt es sieh um Blindheit
für Roth und Grün, ausserordentlich selten für Violett (bezw. Blau-Gelb).
Der Daltonismus ist in manchen Familien erblieh. Pathologisch
wird Farbenblindheit besonders häufig bei Sehner venaffeetionen be-
obachtet. Bei Hysterisehen (Landolt) und im Hypnotismus (Colin)
kommt vorübergehende Farbenblindheit ebenfalls vor. Santonin- und
Pierin - Vergiftungen erzeugen Violett-B lindheit (Gelbsehen); bei
manchen Ikterischen tritt gleichfalls Gelbsehen auf. Ebenso ist es
nach Kohlenoxydgasvergiftung (Hubert) beobachtet. Auch wird über
Gelbsehen in mancherlei Schwächezuständen geklagt. Violettsehen fand
sieh in einem Falle von Haschisch -Vergiftung (Eversbusch). An-
schliessend sei erwähnt, dass bei manchen Personen sich mit dem
Hören von Tönen, Geräuschen, Buchstaben und Zahlen bestimmte
Farbenempfindungen verknüpfen.
Man hat dem Daltonismus eine erhöhte Aufmerksamkeit zugewandt,
seit Favre in Lyon seine grosse Wichtigkeit für die allgemeinen Ver-
kehrsinteressen betonte, da farbige Signale beim Eisenbahn- und Marine-
dienst in Gebrauch sind. So bedeutet die grüne Laterne oder Fahne im
Eisenbahndienst: „Vorsicht", die rothe: „Gefahr"; in der Marine wird
auch Gelb und Blau benutzt. Es ist klar, dass Farbenblinde, welche
mit diesen farbigen Signalen zu thun haben, durch Verwechselung ge-
legentlieh schwere Unglücksfälle verursachen können. Dass aber dies
factisch geschehen, ist kaum erwiesen; die Fälle (so ein Zusammenstoss
auf einer schwedischen Eisenbahn bei Lagerlunda), welche darauf zurück-
geführt wurden, lassen auch andere Deutung zu. Der Grund für diese
auffallende Erscheinung liegt darin, dass Personen, die an angeborener
Farbenblindheit leiden, in der Regel einen ausserordentlich feinen Licht-
sinn haben, der sie in den einzelnen Farben Unterschiede der Licht-
stärke wahrnehmen lässt, welche sie zu einem richtigen Urtheil unter
gewöhnliehen Verhältnissen und beider Uebung, die sie im Signaldienst
erlangen, befähigen. So ist die Signalfarbe im Eisenbahndienst „grüiba
weniger lichtstark als „roth". Werden nun aber künstlieh die Bedin-
gungen geändert, etwa das Roth der Laterne dadurch verdunkelt, ' dass
man mehrere rothe Gläser vor das Licht legt, so werden die Farben-
blinden irre; ebenso wenn es sieh um verhältnissmässig sehr kleine
Flächen und sehr grosse Entfernungen handelt.
Auch wird eine von Zeit zu Zeit wiederholte Untersuchung des
Beamtenpersonals Qöthig sein, um über eine etwa in der Zwischenzeit
Daltonismus. 129
erworbene Farbenbliadheit oder über erheblichere Abnahmen der Seh-
schärfe, die ja gleich gefahrlich sind, Auskunft zu bekommen. Bei
einer derartigen Untersuchung babe ich angestellte Beamte gefunden,
deren Sehschwäche auf Sehnerven-Atrophie, Grlaucom und oft auf Ca-
taract zurückzuführen war.
Diagnose. Als Regel bei all diesen Untersuchungen hat zu gelten,
dass mehrere Prüfungsmethoden anzuwenden sind, da die eine nicht
selten von Farbenblinden ganz gut bestanden wird, während bei der
anderen der Fehler hervortritt. Ebenso können sich die Farbenblinden
auf gewisse Proben einüben.
Unzulänglich ist es, die zu Untersuchenden farbige Papiere u. dgl.
einfach mit Namen bezeichnen zu lassen. Einmal lernen eine Reihe von
Farbenblinden die richtige Bezeichnung für die Hauptfarben, indem sie
die ihnen erkennbaren Unterschiede in der Lichtstärke und im Ton be-
nutzen, andererseits giebt es eine überraschend grosse Zahl von Men-
schen, die trotz normalen Farbensinnes die richtige Bezeichnung selbst
für die Hauptfarben nicht kennen. Der Vorschlag von Magnus, im
Schulunterricht Uebungen im Erkennen von Farben unter Benutzung
farbiger Plättchen anzustellen, ist daher sehr beherzigenswerth.
Für Massenuntersuchungen empfiehlt sich die sogenannte Holm-
gren'sche Methode. Bereits Seebeck hat Farbenblinde dadurch
erkannt, dass sie aus einer Reihe von verschiedenfarbigen Wollen un-
gleichfarbige Proben als gleichfarbig bezeichneten und zusammenlegten.
Nach Holmgren beginnt man mit Vorlegen einer Wollenprobe von
hellgrüner Farbe, bei der das Grün weder eine auffallend gelbe noch
blaue Beimischung hat, und lässt die gleichfarbigen Bündel, von denen
etwa vier bis sechs in dem Wollenhaufen sein müssen, heraussuchen.
Wer schnell, ohne auffällig zu vergleichen imd zu zögern ( — hierauf
ist zu achten! — ) die entsprechenden Bündel zulegt, ist nicht farben-
blind. Dem, der unsicher war oder direct falsche Farben zugelegt hat,
wird nunmehr ehi Rosabündel (Mischung von Blau und Roth, auch als
Purpur bezeichnet) in mittlerer Sättigung mit derselben Aufforderung
vorgelegt. Aber man verlange jetzt, dass zwar gleichfarbige Wollen
hinzugelegt werden sollen, aber unter ihnen auch solche, die etwas heller
oder dunkler im Tone sind. Hebt man dies nicht hervor, so suchen
selbst Farbenblinde bisweilen die passenden Wollen heraus, indem sie
sich ganz von ihrem scharfen Sinne für die Lichtstärke der Farbe leiten
lassen. Werden die richtigen Bündel herausgesucht, während die vorige
Prüfimg nicht vorschriftsmässig bestanden war, so handelt es sich um
eine unvollständige Farbenblindheit oder schwachen Farbensinn. Man
kann daher bei Massen-Untersuchungen, wo man nur die wirklich Far-
benblinden feststellen will, gleich mit der Rosa-Probe beginnen. Der
Schmidt-Simpler. 7. Auflage. 9
130 Amblyopie und Amaurose.
eigentlich Farbenblinde macht deutliche Fehler: und zwar soll nach der
1 1 cl mh oltz' sehen Theorie der Rothblinde zu Rosa Blau legen, da ihm
das in Rosa enthaltene Roth entgeht, der Grünblinde zu Rosa Grün
and Grau, der Violettblinde, dem das Violett bezw. Blau entgeht, Roth.
J Heser letztere fügt in der Regel auch bei der ersten Probe zu grüner
Wolle blaue. Doch lässt sieh, wie erwähnt, ein charakteristischer Unter-
schied zwischen Roth- und Grün-Blinden durch die Farben Verwechselung
in sehr vielen Fällen nicht constatiren. Uebrigens erreichen manche
Farbenblinde es durch Uebung, die Wollen richtig zu sortiren. — In
ähnlicher Weise wie die buntfarbigen Wollen sind auch bunte chemische
Pulver benutzt worden. Adler hat verschiedenfarbige Bleistifte zu-
sammengestellt: sie haben den Vortheil, dass man in den mit ihnen
auf Papier gezogenen Strichen gleich ein Document über die getroffene
Auswahl erhält.
1) a a e gab Tafeln heraus, auf denen sich Reihen von verschieden-
farbigen Wollenproben befinden, die so geordnet sind, dass sie den
gewöhnlichen Verwechselungsfarben der Daltonisten entsprechen. Der
Farbenblinde wird nun gefragt, welche von den horizontalen Reihen,
wenn auch in der Lichtstärke verschieden, dieselbe Farbe enthält. Hier-
bei werden die entsprechenden Fehler der Unterscheidung hervortreten:
aber auch nicht bei allen Farbenblinden, da doch gelegentlich dem
einen oder anderen die sonst gewöhnlichen Verwechselungsskalen anders
und verschieden erscheinen.
Diesen eigentlich pseudo-isochromatischen Proben schliesst
sich die mit den Stilling' sehen Tafeln an. Hier sind farbige Buch-
staben, Zahlen oder Figuren, deren Züge sich aus kleinen Quadraten
oder Punkten zusammensetzen, auf andersfarbigen, ebenfalls punktirten
( xrund gedruckt, und zwar sind die auf einer Tafel befindlichen Farben
so gewählt, dass sie von Farbenblinden einer bestimmten Kategorie
nicht unterschieden werden können. Damit fällt auch das Vermögen,
die Buchstaben zu erkennen. In den neusten Ausgaben sind die Tafeln
sehr vollkommen, und es wird kaum ein Farbenblinder im Stande sein,
alle Proben fehlerfrei zu bestehen. Andererseits aber kann gelegentlich
die Anforderung auch für den normal Farbensehenden zu gross sein,
da ausser der Farbenunterscheidung noch eine gewisse Conibinations-
fiihigkeit beansprucht wird. Der zu Untersuchende soll nämlich die
Quadrate oder Punkte, welche zusammengesetzt den ganzen Buchstaben
bilden, aus dem andersfarbigen Grunde heraussuchen und zu einem
Ganzen vereinen. Dazu gehört eine gewisse Gabe der Räthsellösung,
und das Verfahren erinnert etwas an die Bilder mit der Unterschrift:
„Wo ist die Katz?a Man muss sich daher öfter damit begnügen, sich
die einzelner] andersfarbigen Quadrate zeigen zu lassen. Selbst aber für
Daltonismus. Jßl
intelligente Leute mit normalem Farbensinn bietet die Entzifferung ein-
zelner Buchstaben Schwierigkeiten.
Wenn man sich überzeugt hat, dass der zu Untersuchende die
richtigen Bezeichnungen für die einzelnen Farben kennt, so kann man
recht einfache und schlagende Prüfungen anstellen, indem man kleine
kreisförmige Platten von farbigem Papier (Heidelberger Blumen-
papier) auf dunklem Sammt (Weber, Wolf fb er g) oder Farbenpunkte
auf schwarzem Hintergründe (Dor'sche Tafeln) zur Prüfung benutzt.
Es hat sich herausgestellt, dass die Grösse dieser Punkte eine ver-
schiedene sein muss, wenn sie in derselben Entfernung erkannt werden
sollen. Dor hat Tafeln construirt, welche die farbigen Punkte gerade
von der Grösse zeigen (blau = 8 mm im Durchmesser, roth = 3 mm,
gelb = 2,5 mm, grün = 2 mm im Durehmesser für eine Entfernung
von 5 m), dass sie von einem Normalsehenden in der darauf ange-
gebenen Distance erkannt werden. Muss der Farbenblinde (wir setzen
dabei natürlich normale Sehschärfe und eventuelle Correction von Re-
fractionsanomalien voraus) näher herangehen, um die Farben zu er-
kennen, so hat er einen herabgesetzten Farbensinn. Die chromatopto-
metrischen Tafeln von Ole Bull enthalten farbige Quadrate auf matt-
schwarzem Grunde: hier sind die Grundfarben durch Zusetzen von
< Jrau allmählich abgeschwächt. (In noch viel weitgehender Weise sind
die einzelnen Farbennuancen durch Zusatz von Schwarz beziehentlich
von Weiss in den Radde' sehen internationalen Farbentafeln hergestellt).
Mit diesen Hilfsmitteln werden manche sich als farben-amblyopisch
erweisen, die andere Prüfungen bestehen; besonders häufig zeigt sich,
dass Grün erst viel näher von ihnen als von JSTornialsehenden erkannt
wird. Allerdings haftet diesen Proben der Mangel an, dass die Zahl
der bisher Geprüften doch noch nicht gross genug erscheint, um das
A'erhältniss der Grösse der Farbenpunkte zu der Entfernung, in der
sie der Angabe nach gesehen werden sollen, als vollkommen genau
imd dem physiologischen Durchschnitt entsprechend ansehen zu können.
< Trübere Differenzen dürfen indessen sicher als abnorm aufgefasst
werden.
Auch Farbenprüfungen mit bunten Gläsern und durchfallendem
Licht (Laternenprobe) haben Werth, da sie die realen Verhältnisse
des Eisenbahn- und Marinedienstes nachahmen. In einen schwarzen
Schirm wird eine Oeffnung von etwa 100 qmm geschnitten, dahinter das
farbige Glas gehalten und durch eine Lichtflamme beleuchtet. Der zu
Untersuchende befindet sich in dem verdunkelten Zimmer 3 bis 5 m
entfernt und giebt die Farben an. Ein nebenstehender Normalsehender
controlirt, ob in der That die Farbe erkannt werden kann. Auch
Farbenblinde nennen hier gelegentlich eine Zeit lang die Farben richtig;
9*
132 Amblyopie und Amaurose.
aber bei fortgesetzter Prüfung, besonders wenn man durch Vorlegen
doppelter Platten gleichfarbigen Glases die Lichtstärke verändert, kom-
men die falschen Angaben. Everbiisch hat neuerdings einen beson-
deren Apparat constrniren lassen. —
In dasselbe Gebiet fällt die Untersuchung mit Spectral färben
Für den Roth-Grünblinden erscheint Roth, Orange, Gelb, Grün als Gelb,
Blau und Violett als Blau. So wird auch die rothe Linie, welche beim
Verbrennen von Lithium im Spectrum entsteht, ebenso wie die gelbe
Natrium- und grüne Thalliumlinie von ihm als annähernd identisch und
gelb bezeichnet. Eine Verkürzung des rothen Endes ist bei schwacher
Lichtintensität öfter vorhanden, während sie bei starker fehlen kann.
Wenn auch den Roth-Grünblinden nur eine Empfindung für Gelb
und Blau zukommt, so bezeichnen sie dennoch oft genug die etwa durch
einen Schieber eingestellte Einzelfarbe des Spectrums ganz richtig mit
der ihr zukommenden Bezeichnung (Grün, Roth u. s. w.). Lim Spectral-
farben mit Spectralfarben zu vergleichen, kann man sich eines Doppel-
spectrums (Donders, Hirschberg) bedienen, bei dem durch zwei
Röhren die Strahlen auf das brechende Prisma fallen. Deckt man den
Spalt der einen Röhre zur Hälfte oben zu, den der anderen zur Half te
unten, so entstehen zwei übereinander befindliche Spectren und zwar
ist es durch Verschiebung der einen Röhre ermöglicht, das eine Spectrum
von rechts nach links und umgekehrt unter dem ruhenden anderen
wandern zu lassen. Ein Schieber gestattet eine einzige Farbe einzu-
stellen. Man fordert nunmehr den Farbenblinden auf, so lange durch
Drehen der einen Röhre das untere Spectrum wandern zu lassen, bis
dieselbe Farbe eingestellt ist, die in dem Schieber des oberen steht.
Aber fast regelmässig stellt hier selbst der ausgeprägt Grün-Rothblinde
die richtige Farbe ein, indem die verschiedene Lichtintensität der Spec-
tralfarben ihn vollkommen richtig leitet. In diesem Sinne ist daher das
Instrument zur Diagnose der Farbenblindheit nicht verwendbar.
Ferner hat man auch die Simultancontraste der Farben, die von einem
mit normalem Farbensinn ausgestatteten Auge sofort erkannt werden, zur Diagnose
des Daltonismus verwandt. Sehr einfach ist das von ff. Meyer angegebene Ver-
fahren mit Seidenpapier (Florpapier). Man legt auf eine farbige Papierflaehe
(etwa rothi einen aus grauem Papier geschnittenen Ring. Wenn man nun beide
mit einem entsprechend grossen Stück Seidenpapier bedeckt, so erscheint der
.-raiic Ring in der Contra stfarbe (hier bläulichgrün) 5 auf blau erscheint der Ring
gelb 11. s. f. Der Farbenblinde erkennt natürlich die Contrastfafbe derjenigen
Farbe nicht, die ihm fehlt. Pflüger hat in ähnlicher Weise graue Buchstaben
auf farbiges Papier geklebt und bedeckt dieselben dann mit einer oder mehreren
Schichten Seidenpapier; der farbenblinde wird bei einer entsprechenden Ab-
schwächung durch das Seidenpapier die Buchstaben nicht mehr erkennen, wo ein
die Contrastfarbe sehendes Auge sie noch wahrnimmt. —
Auch mit Hilfe der farbigen Schatten, wie sie als Contrasterscheinung auf
Amblyopie und Amaurose. 133
farbig beleuchteten Flächen auftreten (eine Beobachtung, die schon Leonardo
da Vinci gemacht), kann man Farbenblindheit diagnosticiren (Stilling). Be-
leuchtet man eine weisse PapierHäehe durch zwei in einiger Entfernung davon
befindliche Lichtquellen (etwa eine Lampe und ein Licht) und hält vor eine der-
selben etwa vor die Lampe) ein farbiges Glas iroth). so erscheint die weisse
Fläche mit dieser Farbe beleuchtet. Wird jetzt vor die Fläche ein Bleistift ge-
halten, so entstehen zwei Schatten desselben: der eine, welcher von dem far-
bigen Licht beschienen wird, in der entsprechenden Farbe, der ändert1 in der
Contrastfarbe.
Mischfarben, wie sie durch Zusammensetzung aus verschiedenen Farben-
sinnen auf dem schnell sich drehenden Maxwell' sehen Farbenkreisel entstehen,
werden von dem Farbenblinden anders empfunden als von dem Normalsehen-
den. Durch Versuche wird man hier Farbenmischungen rinden, welche dem
Farbenblinden gleich einer dritten Farbe erscheinen. Diese Mischung wird ab-
weichen von derjenigen, welche sich der Normalsehende als der dritten Farbe
gleich zusammensetzt (Farbengleichungen). —
Behandlung. Die angeborene Farbenblindheit ist unheilbar.
Durch Vorhalten rother Gläser oder Glaskästchen mit Fuchsinlösung
gefüllt (Delboeuf und Spring) kann man allerdings den Roth-Grün-
blinden öfter die Möglichkeit schaffen, gewisse Farben von einander zu
trennen, die sie früher nicht trennen konnten: die rothen Gläser lassen
nur die rothen Lichtstrahlen durch ; während sie andere unterdrücken;
demnach werden auch Farben, die keine rothen Strahlen enthalten,
dunkler erscheinen als solche, die viel Roth enthalten. — Durch Uebung,
wie Favre meinte, die Farbenblindheit zu heilen, gelingt nicht; wohl
aber können Farbenblinde durch Uebung erlernen, gewisse Proben ohne
Fehler zu bestehen.
Der Farbensinn der peripheren Netzhautpartien ist geringer
als der des Centrums. Die äussere Peripherie ist physiologisch total
farbenblind, dann kommt eine Zone, die roth-grünblind ist. Am wenig-
sten nach der Peripherie erstreckt sich die Zone, in der Grün wahr-
genommen wird. Das oben gezeichnete Gesichtsfeldschema (S. 121)
enthält die Durchsehnittsgrenzen für grün, roth und blau. Die Prüfung
wird hier so vorgenommen, dass man ein farbiges Quadrat von 1 cm
Seitenlänge am Perimeter von der Peripherie her dem Fixationspunkt
nähert und die Grenze, an der die Farbe als solche erkannt wird, be-
zeichnet. Ximmt man erheblich grössere farbige Flächen, so verschieben
sich die Grenzen etwas nach aussen. Auch im centralen Farbensehen
kommen, wie schon oben bemerkt, an umschriebenen Stellen patho-
logische Veränderungen vor. Bei Farbenblind-Geborenen sind öfter
die peripheren Grenzen der perversen Farbenempfindung eingeengt
(Schirmer); in manchen pathologischen Fällen (so besonders bei Seh-
nervenatrophie) zeigen sie ebenfalls frühzeitige Veränderungen und
Einengungen. —
i;54 Amblyopie und Amaurose.
5) Phosphene.
Drückt man mir der Fingerspitze oder einem Sondenknopf auf die
hintere Partie der Sclera, so entsteht durch die Netzhaut- Verschiebung
eine subjeetive Lichterscheinung, welche nach der entgegengesetzten
Seite hin projicirt wird. Hier ist es die mechanische Reizung, welche
den nervösen Sehapparat treffend, die speeifische Lichtreaction hervor-
treten lässt. Bestehen derartige Druckphosphene, so kann die Leitung
nach dem Gehirn nicht vollständig aufgehoben sein. Doch ist der
Versuch bei ungenauen Beobachtern nicht immer von Erfolg, auch ge-
hört eine bestimmte Schnelligkeit und Tiefe des Druckes dazu, um die
Erscheinung hervorzurufen.
Subjeetive Lichters cheinungen ohne äussere mechanische Ursache
kommen bei mancherlei Beizzuständen der Retina vor: so wird über
feurige Kugeln, Regen von Sternen, glänzende Funken (Photopsien)
oder farbige Erscheinungen (Chromatopsien), wie blaue und rothe Wolken
und ähnliches, oft geklagt. Doch können dieselben ebenso gut im Seh-
centrum ihre Entstehungsursache haben. Absolut Amaurotische haben
öfter noch derartige Photopsien.
Reizungen des Sehnerven mittels des constanten Stromes bewirken
ebenfalls Lichterscheinungen. Bei Atrophie des Sehnerven bleibt das
Phänomen aus oder tritt nur bei stärkeren Strömen ein (Velhagen).
Gelegentlich kann dieses Verhalten zur diagnostischen Unterscheidung
zwischen Netzhaut- Ablösungen und Sehnerven-Atrophien benutzt werden.
2. Prognose, Aetiologie und Therapie.
Bezüglich der Prognose der Amblyopie muss festgehalten
werden, dass es immer einer gewissen, nicht zu kurzen Beobachtungs-
zeit bedarf, ehe man einigermaassen gesicherte Aussprüche fluni kann.
Im Ganzen geben die eben erwähnten Untersuchungen der verschiedenen
Sehfunetionen einen Anhalt. Besonders das Verhalten des Gesichtsfeldes
ist, wie A. v. Graefe ausführlich dargelegt hat, von Bedeutung. Bleibt
die ( S-esichtsfeldgrenze normal und zeigt das excentrische Sehen nur eine
Abnahme, die der des centralen Sehens entspricht, so ist die Prognose
verhältnissmässig gut. Besteht eine umschriebene centrale Herabsetzung
(centrales Skotom) bei freiem Gesichtsfeld und bleibt beides längere Zeit
stationär, so ist ebenfalls eine totale Erblindung selten. Bei den später
zu besprechenden Intoxicationsamblyopien, und auch bei retrobul-
bärer Neuritis etc. tritt öfter selbst bei grösseren Skotomen noch
Besserung und centrales Sehen ein. Widerstehen die oben er-
wähnten einfachen Amblyopien mit gleiehmässiger Herabsetzung des
Amblyopie und Amaurose. [35
Sehens (Amblyopien ohne ophthalmoskopischen Befund) einer
entsprechenden Behandlung, so muss jedenfalls genau und wiederholt
(besonders mit Farben) darauf untersucht werden, ob kein centrales
Skotom besteht. Je mein* man darauf achtet, um so seltener kommen
die Formen, die man früher als „Amblyopie o&ae Befujida beschrieben
hat, zur Beobachtung (abgesehen von eongenitalen Processen); in der
Regel handelt es sieh um retrobulbäre Neuriten, bei denen die macu-
laren Fasern (centrales Skotom) regelmässig besonders stark leiden.
Zeigen sich schliesslich frühzeitig periphere Ausfälle im Gesichtsfelde,
wird das pheriphere Gesichtsfeld für Farben eingeschränkt, so ist ein
progressiver Charakter der Erblindung zu befürchten, vor Allem, wenn
sich noch eine diffuse Abblassung der Papille einstellt (meist pro-
gressive Sehnervenatrophie, vgl. Sehnervenerkrankungen). Auf den
ophthalmoskopischen Befund an der Papille ist dauernd zu achten.
Der Verlauf ist meist ein allmählich fortschreitender, aber es
kann auch in wenigen Tagen die Amblyopie ihren Höhepunkt erreichen.
Ja. es kommt gelegentlich in ganz kurzer Zeit zur vollständigen Amaurose,
ohne dass an der Papilla optica Veränderungen nachweisbar sind oder
irgend eine Ursache der Erblindung erkennbar ist. Für solche Fälle
bietet prognostisch bisweilen die Pupillenreaction auf Licht einen Anhalt.
Ist dieselbe noch vorhanden, so ist die Prognose günstiger, jedoch sind
auch trotz vollkommener Aufhebung der Pupillenreaction noch Heilungen
der Erblindung beobachtet worden.
Wenn ein Lichtreiz die Netzhaut eines Auges trifft, so wird er in
Folge der Sernidecussation der Fasern im Chiasma durch die Tractus
beiderseits zu dem Reflexcentrum für die Pupillenreaction fort-
geleitet, denn auch für die Pupillenfasern wird eine theilweise Kreuzung-
angenommen (Bechterew, Bernheirner). Es ist nämlich wahrschein-
lich, dass die für Sehernpfm düngen und die für die Pupillenreflexe be-
stimmten Fasern — auch morphologisch durch ihre Dicke — verschieden
sind (Schirmer, Bernheirner). Ueber die Lage des Reflexcentrums
weichen die Ansichten auseinander: die meisten halten die vordere Vier-
hügelgegend dafür, von denen die Pupillen-Fasern nach Bernheirner zu
den Sphincterkernen des Oculomotorius am Boden des 3. Ventrikels, die
selbst wieder mit einander in Verbindung stehen, ziehen. Nach der
Ansicht von Bach gehen Fasern von den Vierhügeln zu den alier-
obersten Partien des Halsmarks, wohin er das Reflexcentrum für
die Pupille verlegt. Es folgt jedenfalls hieraus, dass eine Unter-
brechung in diesen Leitungswegen bestehen muss, wenn mit der
Amaurose auch die Pupillenreaction auf Licht aufhört; ist hingegen
der Sitz des Leidens mehr centralwärts, so bleibt dieselbe bestehen.
Ist nur ein Auge erblindet, so wird bei Beleuchtung des anderen
136 Amblyopie und Amaurose
\
l'upillenreaction auch des blinden Auges eintreten, falls diese Wege
intact sind. Wenn man die Pupillenreaction des blinden Auges prüfen
will, muss man demnach das sehende zudecken. Ferner ist zu be-
achten;, dass Pupillenverengung ohne Einfluss des Lichtreizes als ein-
fache Begleiterscheinung der Convergenz der Augen oder der Accom-
modation erfolgt. Pupillenerweiterung hingegen kann auf sensible und
psychische Reize eintreten.
Auch der sogenannte Ha ah 'sehe Rindenreflex der Pupille könnte zu Täusch-
ungen Anlass geben. Wenn der Untersuchte im Dunkelzimmer, das nur durch
eine seitwärts unter einem Winkel von 45° in der Entfernung des Kopfes des
Beobachters stellende Lampe erhellt ist. gerade aus in die Pupille des Arztes
lilickt. so erweitert sich seine Pupille. Fragt man ihn jetzt plötzlich, ohne dass
er die Blickrichtung ändern darf, ob er auch das Licht der Lampe sehe, so ver-
engt sich seine Pupille. Nach Ha ab erklärt sich der Vorgang so, dass durch
das Hinlenken der Aufmerksamkeit auf die bereits im Gesichtsfelde befindliche
Lampe eine erneute Erregung der Xetzhautstelle erfolge; der Reiz gelange durch
den Sehnerv zur Hirnrinde und von dieser durch absteigende Fasern zum Ocu-
lomotorius und rufe so die Pupillenverengerung hervor.
Geht die Erblindung nicht zurück, so stellt sich nach einigen
Monaten eine blasse Verfärbung (Atrophie) der Papilla optica heraus.
Abgesehen von den besonderen ätiologi scheuten Momenten,
welche wegen ihres häufigen Vorkommens zur Aufstellung gewisser,
später zu erwähnender Gruppen von Amblyopien führen, finden wir
vorzugsweise Constitutionsanomalien, Congestionszustände, unterdrückte
Hämorrhoiden, Menstruationsanomalien, Hysterie, Erkältungen, Hirn-
krankheiten, Meningitis, Typhus, Masern, Syphilis, Intermittens, un-
ruhiges, ausschweifendes Leben, Neurasthenie, Schlaflosigkeit und Aehn-
liches als Schädlichkeiten angeschuldigt, auf welche die Amblyopie
oder Amaurose zurückzuführen ist. Auch Erblichkeit spielt eine Rolle.
So liegen Beobachtungen vor, wo die Glieder mehrerer Generationen
in einem gewissen Lebensalter erblindeten.
Bei der Behandlung ist vor Allem nöthig, möglichst streng zu
individualisiren und gegen etwaige ursächliche Leiden vorzugehen. Je
nach letzteren Averden Schwitzkuren (mit Pilocarpin oderNatr. salicylic),
Schmier- oder Sublimatkuren, Abführmittel, Menagoga u. s. w. angezeigt
sein; in anderen Fällen wiederum roborirendes Verfahren, tägliche In-
jeetionen von 0-001 Strych. nitr. in die Schläfe (Nagel). Weiter können
nützlich sein: der constante Strom, Eisbeutel auf den Kopf oder Nacken
(Mooren) oder Haarsei] im Nacken. Das Ansetzen künstlicher Blut-
egel an die Schläfe ist oft vortheilhaft; immer wird man gut thun,
falls es sich nicht um deutlich ausgesprochene anämische oder ab-
gelaufene degenerative Vorgänge handelt, wenigstens einmal eine ver-
suchsweise Application zu machen. Nach der Application ist der Kranke
womöglich einen Tag im Dunkelzimmer zu halten. Die einige Tage
Besondere Formen der Amblyopie. 137
später zu machende Sehprüfung giebt dann Anhalt, ob eine Wieder-
holung der Blutentziehung angezeigt ist.
Dabei ist der Kranke seiner gewohnten Beschäftigung' zu ent-
ziehen, die Augen müssen absolut geschont werden. Aufenthalt im
verdunkelten Zimmer ist wenigstens anfänglich anzuempfehlen: sonst
sind Schutzbrillen zu tragen.
Besondere Formen der Amblyopie.
Man kann unter den Amblyopien und Amaurosen theils dem Krank-
heitsbilde, theils der Aetiologie nach gewisse Gruppen unterscheiden.
1) Die congenitale Amblyopie erstreckt sich auf beide Augen
oder ist, wie auch nicht selten, einseitig. Häufig sind Refractions-
anomalien damit verknüpft, besonders bei hochgradigen Hyperopen ist
ein gewisser Grad der Amblyopie oft vorhanden; ebenso beobachtet man
sie nicht selten, wenn sich eine weisse Sichel unterhalb der Papilla optica
rindet: man wird dieselbe dann mit einem mangelhaften Verschluss
der fötalen Augenspalte in Verbindung bringen können. Als Compli-
cation findet sich Mikrophthalmus, Colobom der Chorioidea und Iris,
Albinismus. Nystagmus und Schielen. Die Herabsetzung der Sehschärfe
im Centrum und in der Peripherie ist gleichmässig; seltener besteht
eine massige Gesichtsfeldeinengung.
2) Amblyopie aus Nichtgebrauch (Ambl. ex anopsia, nach
Hirschberg sprachlich correcter Ambl. ex ablepsia). Wenn in früher
Jugend ein Auge vom binocularen Sehact ausgeschlossen wird, z. B.
durch Strabismus, durch Hornhaut-Flecke, so verringert sich damit
seine Sehfähigkeit. Wir führen dies, wie in dem Kapitel über Schielen
weiter erörtert wird, auf einen Mangel der physiologischen Entwickelung
und Ausbildimg des centralen Sehcentrums zurück. Im höheren Lebens-
alter kann daher eine Amblyopie aus Nichtgebrauch nicht mehr ein-
treten. Sind beide Augen eines Kindes etwa durch angeborene Katarakt
nicht "sehfähig, so gesellt sich zu diesem optischen Hinderniss leicht
seeundär eine Amblyopia ex anopsia. Therapeutisch ergiebt sich daraus
die Regel, durch frühzeitige Operationen etwaige optische Hindernisse
fortzuräumen, andernfalls durch Separatübung des amblyopischen Auges
die Sehfähigkeit zu heben. Zu letzterem Zweck werden bei gleich-
zeitig bestehenden Refraetionsanomalien corrigirende Gläser, oder auch
bei starker Sehschärfenherabsetzung zur Vergrösserung (Jonvexgläser
für die Nähe benutzt.
Nach längerem krampfhaften Verschluss der Augen in Folge
phlyktänulärer Ophthalmie sind einzelne Fälle vollständiger, aber vor-
übergehender Erblindung bei Kindern beobachtet worden, die ebenfalls
auf Ambl. ex anopsia (Leber) zurückgeführt wurden. Es ist jedoch
las
Amblyopie und Amaurose.
^Sof6O-M0-
fraglich, oh hier nicht doch der dauernde mechanische Druck der Lider
auf den Bulbus (Schirm er) oder etwa eine in Folge constitutioneller
Störung eingetretene Affection der Hirnrinde des Hinterhauptlappens
(Silex) die Erblindung verschuldet habe.
3) Skotome. Vorzugsweise kommen hier die centralen (respec-
tive peri- und paracentralen) Skotome in Betracht, welche in der
Regel den Fixirpunkt und ein diesen umschliessendes oder sich ihm
seitlich anschliessendes Queroval einnehmen. Letzteres pflegt seine
I lauptausdehnung in der Richtung nach dem blinden Fleck hin zu haben.
Eine weisse Kugel erscheint an dieser Stelle oft grau. Viele Kranke
nehmen aber erst die Veränderung ihres centralen Sehens dadurch
wahr, dass man sie mit kleinen
Farbenplättchen am Perimeter
prüft: roth wird, sobald es in
das Gebiet des Skotoms kommt,
alsdann als „dunkler", „blas-
ser", „gelblich" angegeben;
grün als „grauweiss", „gelb-
lich", „matter" (siehe Fig. 60;
es sind hier die Grenzen ein-
gezeichnet, an denen die von
der Peripherie her genäherten
Farbenquadrate ihre Farbe
verloren). Blau und Gelb
werden in der Regel länger
erkannt; aber es kann
auch eine der oben erwähnten
Farben noch ziemlich normal
empfunden werden, während
die andere schon deutliche Abweichungen zeigt. Beide Augen sind
meist gleichzeitig befallen, wenn auch in verschiedenem Grade. Die Seh-
schärfe ist hierbei herabgesetzt; sie beträgt etwa '/3 — '/io c^er normalen,
bisweilen noch weniger. Das periphere Gesichtsfeld ist frei, auch für
Farbenempfindung. Eine Herabsetzung der Reizschwelle des Licht-
sinns konnte ich in mehreren Fällen nicht constatiren, während sie sich
bei durch centrale Retinitis bedingtem Skotom in ausgeprägter Weise
fand. Die Entwickelung der Sehschwäche ist eine allmähliche. Die Papilla
optica zeigt im Anfang eine leichte Hyperämie oder bleibt normal. Später
stellt sich oft eine Blässe der macularen Hälfte heraus. Dieses eigent-
lich typische Skotom trifft fast nur Männer, gewöhnlich in den mitt-
leren Lebensjahren. Vorzugsweise häufig ist ein Missbrauch von Al-
coholicis oder Tabak (Förster, Hutchinson) oder auch die Combi-
Gesichtsfeld des linken Auges mit centralem Skotom.
Besondere Formen der Amblyopie. 139
nation beider Schädlichkeiten die Ursache (vgl. Intoxicationsambly-
opien). Aber auch bei multipler Sclerose, Diabetes, Syphilis, Blei-
intoxication, Chininmissbrauch kommt gelegentlich ein centrales Skotom
vor. Ebenso ohne specieU nachweisbares ätiologisches Moment. Es
handelt sich gemeinhin um eine chronische retrobulbäre Neuritis.
Auch progressive Sehnervenatrophien können in seltenen Füllen mil
einem centralen Skotom bei sonst freiem Gesichtsfelde anfangen, doch
leiten hier öfter schwerere Störungen des Nervensystems auf die Dia-
gnose. Auch fehlt in der Regel die Doppelseitigkeit; nach einiger Zeit
treten periphere Einengungen hinzu. - 1 )ie Prognose der reinen In-
toxicationsskotome ist im Ganzen eine gute; meist erfolgt bei ent-
sprechender Behandlung nach einigen Wochen eine Verkleinerung
des Skotoms (in dem übrigens fast ausnahmslos die Lichtpercep-
tion erhalten bleibt) und eine erhebliche Besserung der Sehschärfe.
Weniger günstig bezüglich der Heilung pflegt die Aussicht für die cen-
tralen Skotome zu sein, bei denen eine eigentliche Intoxication nicht
nachweisbar ist. — Die Therapie hat bei der Amblvopia nicotiana et
alcoholica vor Allem strengste Enthaltung von Tabak und Alcoholicis
vorzuschreiben. Sehr angezeigt ist eine darauf gerichtete Beaufsichti-
gung, wie sie am ehesten im Hospkal möglich ist, daneben ein allge-
mein roborirendes Begime. Bei ausgesprochenen Congestionszuständen
können Heurteloup' sehe Blutegel an die Schläfe gesetzt, Fussbäder,
Ableitungen auf die Haut mit Nutzen angewandt werden. Später be-
schleunigen Jodkali und StrychnhiTnjectionen die Heilung. Sind keine
bestimmten ätiologischen Momente vorhanden, die eine Intoxication
veranlassen konnten, so ist die directe Bekämpfung der anzunehmenden
retrobulbären Neuritis entsprechenden Falles durch antiphlogistische
Mittel, durch (Quecksilber und später durch Jodkali anzuempfehlen.
4) Hemianopsie (fjy.L,a privativum, corp) (Hemiopie, Hemiablepsie i
Halbsichtigkeit. Im Allgemeinen und vorzugsweise bezeichnen wir mit
Hemianopsie den Ausfall einer Hälfte des Gesichtsfeldes auf beiden
Augen (z. B. der rechten) imd zwar dann, wenn er in Folge einer
gemeinsamen, im Cranium gelegenen Affeetion des Sehapparates ein-
tritt. Hingegen sollten nicht hierher gerechnet werden die Fälle, bei
denen in Folge doppelseitiger, nicht von einer und derselben localen
Schädlichkeit ausgehenden Erkrankung der Sehnerven (Neuritis, Atrophie)
oder gar der Netzhaut ein ähnlich geformter Gesichtsfelddefect eintritt.
Dieses Zusammenwerfen hat mancherlei Verwirrung bezüglich der
Aetiologie hervorgerufen. Bisweilen handelt es sich nicht um das
Fehlen der ganzen Hälfte des Gesichtsfeldes, sondern nur um Theile
derselben (H. incompleta), die aber immer symmetrisch liegen. Die
reine und typische Hemianopsie kann bedingt sein durch eine Affection
140
Amblyopie und Amaurose.
beider Optici an der Schädelbasis, des Chiasmus, der Tractus; der Cen-
tralorgane des Sehcentrums oder seiner Verbindung mit dem Traetus.
Wir gehen hierbei von der Ansieht aus, dass jeder Traetus zu beiden
AugeD Fasern schickt, dass mit anderen Worten im Chiasma eine Se-
mideeussation vorhanden ist (vgl. auch Anatomie des Sehnerven). Die
Vertheilung der Nervenfasern findet demnach so statt, dass im rechten
Auge der Opticus mit den Fasern des gleichseitigen Traetus die rechte
Netzhäuthälfte (von der Macula aus) versorgt, hingegen mit den Fasern
Verlauf der Sehnervenfasern und Gesichtsfeld.
0. s. Oculus sinister. 0. d. Oculus dexter. F. Fixationspunkt. 55° Gesiclitsfeldausdehuung,
nach der nasalen Seite, 90° nach der temporalen.
ilcs linken Traetus die linke Seite der Netzhaut; analog ist es im
linken Auge. Figur (jl versinnlicht die Theilung; die ausgezogenen Li-
nien gehören dem linken, die unterbrochenen dem rechten Traetus an.
Wird beispielsweise der rechte Traetus leistungsunfähig, so verlieren
die rechten Hälften beider Netzhäute ihr Sehvermögen: es entseht ein
Ausfall des nach links gelegenen ( Jcsiehtsfeldes beider Augen (Hemianopsia
-inistra). Die Halbsiehtigkeit geht entweder gerade und vertical durch
den Fixirpunkt (Figur (52) oder letzterer ist, avus häufiger der Fall zu
Besondere Formen der Amblyopie.
141
sein scheint, noch umgeben von einer kleinen sehenden Zone, die 3 bis
5 Grad in das im Febrigen ausfallende Gesichtsfeld sich erstreckt. Es
erklärt sich dies daraus, dass die Macula von beiden Tract. optici ge-
meinschaftlich versorgt wird.
Wenn die Hemianopsie beider Augen nach einer und derselben
Seite hin gerichtet ist, bezeichnet man sie als homonyme. Diese Form
ist am häufigsten. Wenn jedoch das Chiasma selbst oder beide Optici,
etwa durch eine basale Geschwulst, afficirt werden, treten auch andere
Formen (heteronyme Hemianopsien) auf. Liegt z. B. eine Geschwulst in
dem vorderen oder hinteren AYinkel des Chiasmas (Saemiseh u. A.)
und comprimirt die benachbarten Nervenfasern, so werden an beiden
« 'esichtsfeld des linken Auges. 62. Gesichtsfeld des rechten Auges.
Der Fixirpunkt entspricht dem Centrum des Gesichtsfeldes. Hemianopsia sinistra.
Augen diejenigen Fasern ihre Leitung verlieren, welche die innere Hälfte
der Netzhaut versorgen: es tritt beiderseits ein Defect der äusseren
Gesichtsfeldhälfte ein (Hemianopsia temporalis s. lateralis). In
Folge von syphilitischen Processen an der Basis ist diese Form der
Hemianopsie, zuweilen sogar zurückgehend und wieder auftretend, öfter
beobachtet worden (Oppenheim, Siemerling, Uhtkoff). Ebenso
bei Akromegalie, wo Compression des Chiasma in Folge von Hypo-
phvsis-Hypertrophie Hemianopsia temporalis und Opticus -Atrophien her-
vorruft. Bei den Gesichtsfelddefecten, die beiderseits nach innen liegen
i H. nasalis), müsste man eine doppelseitige Affection annehmen, die (nach
obigem Schema) beide seitlichen Winkel des Chiasma oder beide äusseren
Partien des Opticus träfe. Doch ist es fraglich, ob derartige Fälle vor-
kommen. In einem von Wegner und mir veröffentlichten Fall, den Man-
142 Amblyopie und Amaurose.
clelstamm mit Unrecht als nasale Hemianopsie verwerthet, handelte es
sich nur um die Folgen doppelseitiger Neuritis. Im Uebrigen kommen
hei Sehnervenaffectionen gar nicht selten annähernd halbseitige und
symmetrische < iesiehtsfelddefecte vor. Diese sind aher nicht den eigent-
lichen Hemianopsien zuzurechnen. — Amblyopien und Amaurosen des
einen Auges bei temporaler Hemianopsie des anderen Auges sind eben-
falls beobachtet worden und zwar in Fällen von Tumoren, Gummata
oder Periostitis, die in einem lateralen Winkel ihren Sitz hatten. Durch
ähnliche Ursachen können statt der Hemianopsie einseitige Amblyopien
hei Amaurose des anderen Auges zu Stande kommen: ein Symptonien-
complex; der ebenfalls hei Affectionen in dem hinteren Theile der Cap-
sula interna gleichzeitig mit Hemiplegie und Hemianästhesie der
dem Krankheitsherde entgegengesetzten Körperseite beobachtet wurde
(Charcot).
Hemianopsien aus centraler Ursache, bei denen die Trennungslinie
nicht vertical, sondern horizontal verläuft, sind ausserordentlich selten
(AViethe). Bei Amaurosis partialis fugax (siehe unten) werden aller-
dings solche Erscheinungen bisweilen angegeben, doch bedarf es noch
einer genaueren Feststellung derselben; auch würde immerhin an die
Möglichkeit eines rein retinalen Vorganges hier zu denken sein. Im
Anschluss sei bemerkt, dass eine Art einseitiger Hemianopsie dann zu
Stande kommen kann, wenn ein Opticus zur Hälfte in seiner Leitung
gestört wird. So habe ich eine temporale Hemianopsie des rechten
Auges gesehen bei einem Falle von rechtsseitigem pulsirenden Exoph-
thalmus, wo ein Aneurysma der rechten Carot. intern, mit dem Sin.
cavern. vorlag.
Die peripherische Ausdehnung des erhalten gebliebenen Gesichts-
feldes ist meist ziemlich normal; doch treten bisweilen im Laufe der
Zeit Einschränkungen derselben auf. In einem Falle von rechtsseitiger
Hemianopsie, den ich beobachtet, kam später auch eine linksseitige
Hemianopsie hinzu, die volle Erblindung bewirkte; allmählich wurde der
Fixirpunkt aber wieder frei (S 3/5 =). Einige Zeit vor dem Tode ver-
ringerte sich die Sehschärfe von neuem. Neben leichter grauröthlicher
Verfärbung des linken Thal. opt. und Abflachung des linken vorderen
Hügels des Corp. quadrigem. fand sich ausgedehntes Durhämatom
heider Convexitäten, ferner narbige Einziehung in der Gegend der
linken hinteren Centralwindung und im rechten I linterhautslappen
mehrere Erweichungsherde. Neuerdings sind eine Reihe ähnlicher Fälle
veröffentlicht worden. Das Erhaltenbleiben des centralen Sehens ist
Avohl auf eine besondere Widerstandsfähigkeit der macularen Fasern
zu seliiehen. In einzelnen Fällen war eine Verminderung des Orts-
sinnes auffällig (Förster und Andere, neuerdings Laqueur).
Besondere Formen der Amblyopie. 143
Der Farbensinn bleibt in der Regel erhalten; eine Ausnahme wurde
von Quaglino mftgetheüt. Auch sind einige Fälle von Farbenhemia-
nopsie beobachtet worden, wo Lichtsinn und Sehschärfe intact waren
und nur die Farbenempfindung auf der lateralen Gesichtsfeldhälfte
fehlte. Das centrale Sehen ist ebenfalls meist normal. — Die ophthal-
moskopische Untersuchung zeigt im Beginn des Leidens nichts Krank-
haftes, Später stellt sich oft eine leichte Verfärbung des macularen
Theils der Papilla optica beider Augen heraus; bisweilen wird auch
nur der Sehnerv atrophisch blass, welcher die im Chiasma sich kreuzen-
den Fasern empfängt. Es erklärt sich dies durch eine descendirende
Atrophie, die selbst beim Befallensein des Rindencentrums, wie ich
mikroskopisch nachgewiesen habe, eintreten kann.
1 >ie Pupillenreaetion auf Licht ist erhalten, bisweilen etwas träger.
Von Bedeutung für die Diagnose des Sitzes ist die Feststellung, ob
eine Beleuchtung der nichts ehenden Netzhauthälfte eine Pupillenreaetion
hervorruft oder ob dieselbe ausbleibt (Wernicke's heniianopische Pu-
pillenstarre). In letzterem Falle wäre der Krankheitsherd peripher, vor
dem Oculomotorius-Centrum, wie eben hervorgehoben. Li der Regel
handelt es sich übrigens nicht um ein Ausbleiben der Reaction, sondern
nur um eine ausgeprägte Verringerung. Es liegt das daran, dass ein
vollständiges Abhalten des Lichtes von den empfindenden Netzhaut-
partien, selbst wemi man mit dem Ophthalmoskop das concentrirte
Flammenbildehen (in der Art, wie bei meiner ophthalmoskopischen Re-
fractionsbestimmungsmethode) auf die zu untersuchende Partie der
Netzhaut wirft, kaum möglich ist.
Die Kranken sind besonders in ihrer Orientirung gestört. Da wir
von links nach rechts schreiben und lesen, so sind die Kranken mit
rechtsseitiger Hemianopsie mehr bei diesen Beschäftigungen gehindert
als die mit linksseitiger.
In einzelnen Fällen bilden sich die Hemianopsien zurück. Es trifft
das besonders dann ein, wenn das Sehcentrum etwa durch einen un-
scheinbaren Bluterguss betroffen wurde und sonstige Lähmungserschein-
ungen fehlen. Hier ist auch öfter die Hemianopsie incomplet. In einem
derartigen, später zur Heilung gekommenen Falle bei einer herzkranken
Dame war ohne sonstige Störung plötzlich eine totale Blindheit, bei der
nicht das in der Hand gehaltene Licht gesehen wurde, eingetreten (in Folge
von Fernwirkung) : nach ca. lOMinuten sah sie wieder grössere Gegenstände
und bald stellte sich normale Sehschärfe, aber mit incompleter, homonymer
Hemianopsie ein. Als Ursachen kommen weiter in Betracht Tumoren,
Periostitis, Embolien, Encephalitis, Durhämatom, Akromegalie, Trau-
men. — Der Sitz der Erkrankung ist abgesehen von Chiasma und
Tractus vorzugsweise in den Corp. geniculata, Corp. quadrigemina, dem
144
Amblyopie und Amaurose.
Thalamus, Pulvinar, den Gratiol et' sehen Sehstrahlungen und der
Rinde des Occipitallappens zu suchen.
fx erste Stirnwindung.
f? zweite Stiruwiudung.
f3 dritte Stirnwindung.
Aussenfläche der linken Gehirnhälfte.
t, erste Schläfenwindung.
L zweite Schläfenwindung
U dritte Schläfenwindnng,
oy erste Oceipitalwindung.
02 zweite Oceipitalwindung.
03 dritte Oceipitalwindung.
C Centralfurche (Fissura Rolando)" Z Zwickel (Cuneus). Po Praecuneus. PO Fissnra parieto-
occipitalis (F. occipitalis perpendicularis). S'Fossa Sylvii. I Motorisches Sprachcentrum. II Sen-
sorisches Sprachcentrum. III Facialiscentrum. IV Centrum für den Arm. V Centrum für das
Bein der entgegengesetzten Seite.
64.
Innenfläche der rechten Gehirnhälfte.
entralfurche. POFissura parieto-occipitalis perpendicularis, davon horizontal verlaufend die
Fissura parieto-occipitalis horizontalis s. F. calcarina s. F. Hippocampi. /", erste Stirnwindung,
th Thalamus opticus, o Opticus, q Corpus quadrigeminum. g Corpus geniculatum laterale.
I Sehccntruin.
Bezüglich der letzteren sind die Experimente Munk's von hoher
Bedeutung gewesen. Er hat festgestellt, dass in der Rinde des Hinter-
Besondere Formen der Amblyopie, [45
hauptlappens der gleichseitige Tractus opticus seinen Ursprung hat (s. auch
das Kapitel „Anatomie des Opticus"). Die Verletzung des M unk 'sehen
Eündensehcentrums, das neuerdings speciell in die fissura calcarina an der
Innenseite des EinterhauptJappens verlegt wird, erzeugt Hemianopsie.
Pathologisch-anatomische Befunde sowie klinisc&e Beobj^htungen stützen
diese Anschauung.
Von dem Rindencentrum, welchem durch den betreffenden
Tractus die symmetrisch lateral gelegenen Netzhauteindrücke beider
Augen zugeführt werden, ist nach Munk noeli besonders das eigent-
li ehe Seheentruni abzugrenzen: er bezeichnet damit diejenige Stelle,
an der die einfachen Gesichtswahrnehmungen zu Vorstellungen um-
gewandelt werden. Da letztere aus einer Reihe von Wahrnehmungen
hervorgelien. die im Laufe der Zeit unter einander verknüpft und
psychisch verarbeitet werden, so müssen mit Verlust des eigentlichen
Sehcentrums auch diese Vorstellungen und Erfahrungen verloren gehen:
es wird z. B. eine Peitsche zwar wahrgenommen werden, aber ihre
Bedeutung und ihr Zweck nicht mehr zum Bewusstsein kommen. So
entsteht ..Seelenblindheit". Letztere pflegt nur bei der Affection
beider Hinterhauptslappen einzutreten; sie ist öfter mit psychischen
Störungen verknüpft (Fr. Müller). Ob sie aber in voller Reinheit
überhaupt besteht, erscheint noch zweifelhaft. Im Allgemeinen pflegt
man daher als Sehcentrum diejenige Stelle zu bezeichnen, wo die
Netzhauteindrücke pereipirt werden.
Als Begleiterscheinungen der Hemianopsie sind öfter Hemiplegien,
und Hemianästhesien der der Hemianopsie gleichseitigen oder seltener
der entgegengesetzten Körperhälfte vorhanden. Da die motorische Zone
für die entgegengesetzte Körperhälfte in den beiden Centralwindungen
liegt, so muss alsdann — wenigstens für die Mehrzahl der Fälle — eine
-i-
grosse Ausbreitung der Läsion angekommen werden. Bei rechts
■-'
seitiger Hemianopsie wird auch Aphasie und Alexie beobachtet: bei
ersterer ist an eine gleichseitige Störung in der dritten Stirn-
windung der linken Hemisphäre (Broca'sche Zone) zu denken,
wo das motorische Sprechcentrum (Aphasie) liegt; bei der Alexie (Wort-
blindheit) dürfte das nach hinten von der Fossa Sylvii in der ersten
Schläfenwindung hegende sensorische Sprachcentrum (W ernicke) in
Betracht kommen (cf. Fig. 63 u. 64). Sehr interessante Unterschiede
kann man bei der Alexie beobachten, indem theils das Gredächtniss
für die Buchstaben (literale Alexie), theils für das eigentliche Lesen
(verbale Alexie) verloren geht.
Von Berlin ist auf eine besondere Störung im Lesen, der später
auch Hemianopsie folgen kann, die Aufmerksamkeit gelenkt worden:
sie besteht darin, dass die Kranken, nachdem sie ein paar Worte ge-
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 10
14(5 Amblyopie und Amaurose.
lesen. dasBuch fortlegen, weil einXJnlustgefuh] sie befällt (Dyslexie); es
handelt sich hier nicht um eigentlich asthenopische Beschwerden oder etwa
um eine Herabsetzung der Sehkraft. Bisweilen gehen Kopfschmerzen
und Schwindel dem Leiden vorauf. Meist verschwindet dieses in
einigeu Wochen, aber die Hirnerkrankung, welche die Ursache ist,
sehreitet fort und führt gewöhnlich zu apoplectiformen Anfällen, Para-
plegien u. s. w. mit Exitus letalis. Es findet sich alsdann eine links-
seitige Cerebral -Affection mit Ergriffensein der dritten Stirnwindung.
Doppelseitige plötzliche Erblindungen können als Folge von Affee-
tionen in der Rinde beider Occipitallappen (Oedeme bei Urämie,
Blutungen) auftreten, ebenso durch Erkrankungen des Chiasma. Auch
bei Embolie der Arteria basilaris mit Erweichungsherden in den Thalami
optici und Vierhügeln wurden sie beobachtet. Sie können sich gleich-
falls vorübergehend bei andersartiger centraler Behinderung als Fern-
wirkung einstellen. In den Optici und Tractus pflegen sich die
Processe, abgesehen bei Verletzungen, erst allmählich zu entwickeln
und zur Erblindung zu steigern. Einseitige extrabulbäre Erblindungen
sind nur auf Opticuserkrankungen zu schieben, wenn es sich nicht um
hysterische Processe handelt.
5) Anaesthesia retinae (Gesichtsfeld-Amblyopie). Besonders bei
Kindern und Frauen kommt eine eigentümliche, meist doppelseitige
und ziemlich schnell sich entwickelnde Form von massiger Schwach-
sichtigkeit mit ausgeprägter concentrischer Einengung des Gesichts-
feldes vor, die aber bei den verschiedenen Prüfungen sehr schwankende
Grenzen zeigt; bisweilen mit Störungen des Licht- und Farbensinnes
verknüpft, v. Graefe, der sie zuerst beschrieben, führt sie auf eine
Anästhesie der Netzhaut zurück, indem er auf das Erhaltensein der
Phosphene Gewacht legte; wahrscheinlicher aber handelt es sich um
eine centrale, auf Constitutions- oder nervösen Anomalien beruhende
Störung. Meist sind es anämische, öfter neurasthenische oder hysterische
Individuen oder Reconvalescenten von schweren Krankheiten. Im
Dämmerlicht pflegt das Sehen besser zu sein als bei heller Beleuch-
tung (Hyperästhesie), so dass unter blauen Brillen eine Steigerung
(\c> Sehvermögens eintritt. In einzelnen dieser Fälle gesellt sich aus-
geprägte Asthenopie hinzu, die sich bisweilen mit Accommodations-
Krampf oder -Parese verbindet. Selbst volle Erblindung kann sich
einstellen, doch dürfte in diesen Fällen eine retrobulbäre Neuritis vor-
liegen.
Bei Hysterischen, die eine (meist aber ohne die geschilderten Er-
scheinungen der Anaesthesia retinae auftretende) einseitige Erblindung
angehen, ist darauf zu achten, ob es sich nicht um eine einfache
psychische Unterdrückung dw bezüglichen Gesiehtseindrücke handelt.
Besondere Formen der Amblyopie. 147
Stereoskopische Versuche, bei denen man sieh scheinbar nur um das
Sclien mit dein gesunden Auge kümmert, zeigen meist, dass das angeblich
blinde Auge vollkommen gut sieht. Weiter ist concentrische Gesiehts-
feldeinengung bei multipler Seierose (Gnauck), Chorea (Horstmann),
bei Hysterischen mit localen Anästhesien (ohne Sehschärfenherab-
setzung) und vorübergehend nach epileptischen und hysterischen An-
fällen beobachtet worden. Der Sehnerv zeigt in der Kegel keine Ver-
änderung.
Auch nach Traumen kommen ähnliche Erscheinungen vor. In
neuerer Zeit spielt die concentrische Gesichtst'eldeinengung eine Rolle
als „objeetives Symptom" bei der traumatischen Hysterie (Oppen-
heim). Man hüte sich aber vor Täuschungen: nur wenn durch, in ver-
schiedener Entfernung angestellte campimetrische oder sonstige Ver-
suche (beispielsweise Erweiterung des äusseren Gesichtsfeldes durch
mit der Basis nach Innen vor das Auge gelegte Prismen) die Ueber-
einstimmung der Angaben mit den physiologischen Gesetzen erwiesen
ist. kann man dies Symptom als ein objeetives verwerthen. Wenn
hier aber Widersprüche hervortreten, so handelt es sich entweder um
eine psychische Alteration oder um — was auch nicht selten ist —
direete Simulation. Bei ausgedehnten Untersuchungen haben Frankl-
Hochwart und Topolanski nur dann eine concentrische Gesichts-
feldeinengung constatiren können, wenn gleichzeitig halbseitige Haut-
anästhesie vorhanden war; — leider fehlen auch bei ihnen ver-
gleichende campimetrische Messungen. Ebenso dürfte das oben er-
wähnte und bei traumatischen Neurosen beschriebene „Ermüdungs-Ge-
sichtsfeld* nur in seltensten Fällen vorkommen, beziehentlich von Be-
deutung sein. —
Die Prognose ist für die typischen Anästhesien im Ganzen günstig,
wenngleich bisweilen erst nach Monaten oder Jahren Heilung eintritt.
Die Therapie muss der Constitution entsprechend sein. Neben Eisen,
Chinin u. dgl. hat v. Graefe als besonders empfehlenswert!! die Zink-
präparate gelobt. Stiychnininjectionen und der constante Strom sind
ebenfalls mit Nutzen angewandt worden. Im Beginn der Kur ist an-
haltender Aufenthalt in einem Dunkelzimmer anzurathen; später das
Tragen dunkelblauer Schutzbrillen.
6) Nachtblindheit, Hemeralopie (?iutQa und onp). Der Name
bezeichnet, dass die Patienten „am Tage" sehen, d. h. dass sie in hellerem
Lichte unverkältnissmässig besser als im Dunkeln oder Dämmerlicht
sehen. Sie werden in der Dämmerung bisweilen so schwachsichtig, dass
sie nicht mehr ungeführt gehen können. Alles erscheint ihnen wie in
Nebel gehüllt, die Farben werden matter und leicht verwechselt. Bis-
weilen werden die Sterne am Himmel nicht mein- erkannt. Ausser-
10*
14s Amblyopie und Amaurose.
dem bedürfen Hemeralopen einer längeren Zeit als Gesunde, um ihre
Augen beim plötzlichen Uebergange aus dem Hellen ins Dunkle
so weit zu gewöhnen, um darin einigermaassen zu sehen. Nach
Treitel's Befunden würde es sieh hei ihnen um eine Störung- der
Adaptation handeln, nicht um eine solche des Lichtsinnes; doch gilt
dies meiner Beobachtung nach nur für einzelne Fälle: beide Mängel
Hessen sieh übrigens als Folge eines Torpor retinae auffassen.
Nach Wilbrand, der im Dunkeln perimetrische Messungen (mit
Leuchtfarbe) angestellt hat, zeigen Nervöse imd Hysterisehe dabei eine
länger bestehen bleibende Einengung des Gesichtsfelds als Gesunde. Er
schiebt dies auf Minderwerthigkeit der Xetzhaut und langsamere Wieder-
ergänzung der Sehsubstanz.
Bei der idiopathischen Hemeralopie können wir eine chronische
und acute Form unterscheiden. Erstere ist selten und meist angeboren;
in manchen Familien kommt das Leiden erblich vor. Das acute Auf-
treten zeigt sich vorzugsweise in Epidemien, so unter Soldaten, Matrosen,
in Waisen- und Arbeitshäusern. Adler fand eine massenhafte Erkran-
kung in der Wiener Taubstummenanstalt. Ganz ungewöhnlich ist es,
wie in einem Falle von Magnus, dass nur ein Auge betroffen wird.
Bei Tageslicht pflegt volle Sehschärfe bei freiem Gesichtsfelde vor-
handen zu sein, in der Dunkelheit abnorme Herabsetzung der ersteren
mit Gesichtsfelddefecten. Die Pupille ist im Dunkeln gewöhnlich weit
und träge. An der Conjunctiva sclerae wird öfter Xerose mit Schuppen-
bildung beobachtet; ebenso das Auftreten gelblicher Flecken zu beiden
Seiten des Hornhautrandes. Der Augenspiegelbefund ist meist normal,
bisweilen fand sich Rothung der Papille und Trübung ihrer Umgebung.
Als Ursache der Hemeralopie muss hier eine länger dauernde Ueber-
blendung bei gleichzeitig vorhandener allgemeiner Körperschwäche an-
geschuldigt werden. Ausserdem ist Nachtblindheit auch bei Schwangeren
(Kubli, Ancke), bei Malaria (Rampoldi), bei Alkoholisten (Uhthoff)
und öfter bei Icterus mit Gelbsehen und Xerose (Hirschberg, Manz)
beobachtet worden.
Die acute Hemeralopie, in wenigen Tagen ihren Höhenpunkt er-
reichend, pflegt Wochen, selbst Monate lang zu bestehen. Unter ent-
sprechender Behandlung jedoch heilt sie meist schnell und leicht, doch
bleibt Neigung zu Recidiven. Hauptmittel ist Schutz der Augen gegen
Licht, so, wenn möglich, zuerst Aufenthalt im dunkeln Zimmer. Nach
einigen Tagen allmähliche Gewöhnung an Licht. Dabei gute Ernährung.
Als speeifisches Mittel ist Leberthran empfohlen worden: weiter hat man
Eisen, Chinin, Strychnin und dvn constanten Strom angewendet.
Symptomatisch tritt Hemeralopie vorzugsweise bei Retinitis pigmen-
tosa, ferner bei Chorio-Retinitis und Netzhaut-Ablösungen auf.
Besondere Formen der A.mblyopie. 149
7) Tagblindheit, Nyctalopie (vvg und oxp), bildet den Gegen-
satz zur Hemeralopie. Die Kranken sehen im Dunkeln und bei herab-
gesetzter Beleuchtung besser als im Hellen. Gegenüber der Photophobie,
wo die Lichtscheu das hervorstechend belästigende Moment bildet, ist es
hier die Sehstörung. Meist liegen materielle Veränderungen vor, so
Albinismus, Mydriasis, Iris-Colobom, auch Affectionen der Netzhaut und
des Sehnerven. Patienten, die an centralen Skotomen leiden, ebenso
solche, welche progressive Sehnervenatrophien haben, geben öfter an,
dass sie Abends besser sehen als bei Tage. Zur Erklärung dieses Sym-
ptoms ist vor Allem an den Einfluss der diffusen peripheren Netzhaut-
Beleuchtung auf die Perception des macularen Bildes zu denken. Be-
sonders bei Verringerung der centralen Sehschärfe kann das durch
Sclera, Iris und Pupillenrand dringende helle Tageslicht schon aus-
reichen, um dieselbe noch weiter erheblich herabzusetzen, wie meine
Versuche gezeigt haben. Andererseits kann eine wirkliche Hyperästhesie
der Netzhaut bestehen. — Idiopathisch wird die Affection selten be-
obachtet: bisweilen nach stärkerer Blendung durch ausgedehnte Schnee-
t'elder, bei Personen, die jahrelang in dunkeln Kerkern gesessen haben,
und epidemisch in gewissen Gegenden (Ramazzini). Von der oben er-
wähnten bei Anaesthesia retinae vorkommenden Hyperästhesie unter-
scheidet sich die reine Form der Nyctalopie durch das Fehlen concen-
trischer Gesichtsfeldeinengungen. Für die Behandlung sind besonders
die causalen Momente zu berücksichtigen; dabei allmähliche Gewöhnung
an helle Beleuchtung durch Tragen zweckmässig graduirter smoke oder
blauer Gläser.
Bei der symptomatischen Tagblindheit empfehlen sich Peripherie-
Schutzbrillen, die auch das seitliche Licht in möglichst vollkommener
Weise abhalten. —
Wenn bisweilen nach Ueberblendung durch Schnee wirkliche Heme-
ralopie beobachtet wurde, so ist die eigentliche Schneeblindheit, bei
welcher mit einer Conjunctivitis Umdunkelung des Sehens, Krampf des
Sphincter iridis und heftige Schmerzen eintreten, die aber nach Auf-
hörung der Blendung bald wieder schwinden (Atropinisirung [Ha ab]),
mit ihr doch nicht identisch. Sie ist Folge der reizenden Wirkung der
ultravioletten Strahlen (Widmark). Aehnliche Erscheinungen treten
zuweilen nach starker Einwirkung des electrischen Lichtes ein.
Asthenopia nervosa (Asthenopia retinae). Die Be-
schwerden mangelnder Ausdauer beim Arbeiten mit Verschwimmen und
Dunkelwerden des Betrachteten kommen in Fällen vor, wo wir nicht
selten nach Ausschluss oder Correction von Refractions- und Accommo-
dationsanomalien, der Insuffizienz der M. recti interni und Anderem nur
noch nervöse Ursachen annehmen können. Gewöhnlich sind hier auch
150 Amblyopie und Amaurose.
Schmerzen in den Augen und im Kopfe vorhanden, die selbst fortbe-
stehen, wenn die Arbeit unterlassen wird. Auch starke Empfindlich-
keit gegen Lieht rindet sich öfter; bisweilen erscheinen die schwarzen
Buchstaben roth. Es handelt sieh theils um allgemeine Nervosität, bei
der jegliche Anstrengung der Augenmusculatur empfindlich ist, theils
um eine locale Hyperästhesie der Netzhaut.
Meist sind die Erkrankten anämische, nervöse, neurasthenische oder
hysterische Personen. Förster hat eine besondere Kopiopia hy-
sterica (Schmerzempfindungen verschiedenster Art, oft unabhängig von
der Arbeit, Empfindlichkeit gegen Beleuehtungscontraste und häufiger
Wechsel in den Beschwerden) beschrieben und stellt sie in Abhängigkeit
von einer atrophirenden Parametritis (Freund). Doch dürfte letzterem
Moment keine hervorragende ätiologische Bedeutimg beizumessen sein.
Bei den so sehr häufigen Befunden einer mehr oder weniger ausgeprägten
Abweichung vom physiologischen Verhalten der Genitalorgane bei Frauen
wird der Nachweis eines factischen Zusammenhanges derselben
mit dem Augenleiden ( — und es sind in letzter Zeit auch für andere
Augenaffectionen die Genitalerkrankungen als ätiologisches Moment stark
betont worden [Mooren] — ) in der Mehrzahl der Fälle nicht über-
zeugend zu führen sein. Uebrigens kommen dieselben asthenopischen
Beschwerden auch gelegentlieh bei Männern vor.
Die Behandlung wird vorzugsweise eine Heilung oder Besserung
der constitutionellen Anomalien erstreben müssen. Bei der Hartnäckig-
keit, welche das Leiden oft zeigt, ist vollständiges Aufgeben aller Arbeit
neben Aufenthalt auf dem Lande oder im Gebirge nicht selten noth-
wendig. Bei hysterischen Personen empfiehlt sich die Tinet. Valerianae
mitTinct. Castörei; auch Metallotherapie kann von Erfolg sein (Ab a die).
Oertlich wird das Tragen blauer, in Einzelfällen auch gelber Brillen
zu versuchen sein, Massage und Augendouchen. Ich habe grossen
Nutzen von der Anwendung des constanten Stromes (1 bis 2 Milli-
amperes, eine Electrode im Nacken, die andere auf dem geschlossenen
Auge, abwechselnder Strom, ca. 5 Minuten lang) gesehen: allerdings
spielt eine grosse Bolle hier die Suggestion, welche der Arzt durch
Eingehen auf die Persönlichkeit des Kranken während des Electrisirens
ausüben kann. Gleichzeitig setzt man durch lange fortgesetzte Atro-
pinisirung die Augen in einen vollkommenen Ruhezustand. Besonders
achte man auch auf etwa gleichzeitig bestehende, wenn auch geringe
entzündliche l'rocesse am Auge (z. B. leichte Conjunctiviten, Conj. folli-
culosa, Blepharitis, periphere Chorioiditis) und behandele sie. Allmäh-
lich möge man dann die Wiederaufnahme der Arbeit gestatten. Hier
kann eine methodische Uebung von Nutzen sein. Man lässt mit ent-
sprechender Brille in einem Buche mit gutem Druck Leseübungen an-
Besondere Formen der Amblyopie. 151
stellen und zwar bei Vermeidung sonstiger Nabearbeit nur so lange,
als keine Beschwerden eintreten. Von Tag zu Tag verlängert man die
Uebung um einige Minuten. Sollten in der Zwischenzeit Schmerzen ein-
treten, so ist das ein Merkzeichen, die Uebungen wieder abzukürzen.
9) Amaurosis partialis fugax (Flimmerskotom, Teichopsie*).
l>as Flimmerskotom ist ein sehr häutig" zur Beobachtung kommendes
Leiden. Die Kranken klagen darüber, dass plötzlich eine partielle Ver-
dunkelung in ihrem Gesichtsfelde eintritt, von der aus ein Flimmern,
oft mit glänzenden zackigen Lichtstrahlen sich immer weiter ausbreitet,
das schliesslich das ganze Gesichtsfeld verdecken kann. Ein scharfes
Erkennen wird unmöglich. Nach einer Zeit (etwa nach !/4 bis \ Stunde)
versehwindet das Phänomen wieder. Meist folgen Kopfschmerzen
oder wenigstens ehi gewisser Druck im Kopf. Bei Migränekranken
leitet sich der Migräneanfall öfter in dieser Weise ein. Bisweilen geht
das Flimmerskotom, das überhaupt sehr verschiedenartiges Auftreten
(v. Beuss) zeigt, clirect vom Fixationspunkte aus: es fehlen die fixirten
Buchstaben und erst später wird das Gesichtsfeld befallen. In noch
anderen Fällen ist und bleibt die Erscheinung ganz partiell; ich selbst
habe es ein paar Mal nur etwa 5 Minuten dauernd in einem ganz
kleinen Theil der äussersten unteren Peripherie des Gesichtsfeldes ge-
habt. Eine gewisse Unbequemlichkeit beim Sehen machte mich auf
die Erscheinung aufmerksam. — In anderen Fällen ist das Skotom
hemianopsiseh. Bei einem meiner Patienten ist bald die rechte, bald
die linke Gesichtsfeldhälfte befallen; der folgende Kopfschmerz hat
stets m der entgegengesetzten Kopfhälfte oberhalb des Ohres seinen
Sitz, dabei gleichzeitig Ausdehnung und Pulsiren der betreffenden Haut-
gefässe. Aber auch die obere oder untere Hälfte des Gesichtsfeldes
kann ergriffen sehi. Oefter fehlt bei diesen vorübergehenden Hemianopsien
das Flimmern, es ist ein vollständiger Gesichtsfelddefect. Meist wird
das einmal befallene Individuum in mehr oder weniger langen Zwischen-
räumen von neuem von der Erscheinung heimgesucht; bei Manchen
besteht sie zeitlebens, doch pflegt sie im Alter an Häufigkeit und In-
tensität abzunehmen. Irgend welche Schädigung für den Sehapparat
ist nicht zu befürchten. Mit dem Augenspiegel beobachtet man keine
Veränderungen des Augenhintergrundes. Wie die Hemianopsien und
das fast constante doppelseitige Auftreten zeigt, handelt es sich in der
Regel um eine centrale nervöse Erscheinung. Wir finden sie daher
häufig bei nervös angelegten Individuen, bei Leuten, die viel Kopt-
arbeit zu leisten haben: doch auch bei anderen Individuen kommt das
* Von zat/o; Mauer und oy>iq das Sehen, weil die Ränder der flimmernden
bellen oft in Zickzacklinien, ähnlich Festung-smauern, verlaufen.
152 Amblyopie und Amaurose.
Flimmerskotom nicht allzu selten vor. Bisweilen sind bestimmt nachweis-
bare Veranlassungen vorhanden: so tritt es bei Einzelnen auf, wenn
sie bei nüchternem Magen sieb anstrengen, bei Anderen nach reich-
licher Mahlzeit u. s. f. Ein directes Coupiren der Anfälle gelingt bis-
weilen; dahin wirkende Mittel sind individuell bald eine Tasse Kaffee,
Theo, ein Glas Wein. Manz hat an sieh selbst in einzelnen Anfällen,
die demnach retinalen Ursprungs waren, durch einen starken Druck
auf den Augapfel die Erscheinung zum Schwinden gebracht; einige
Male habe ich ebenfalls davon Yorthcil gesellen. Von Arzneimitteln
empfehlen sich Antifebrin, Antipyrin oder sonstige Nervina neben Re-
gelung der körperlichen und allgemeinen hygienischen Verhältnisse; bei
G-esichtsblässe auch Inhalationen von Amylnitrit (Silex).
10) Reflectorische und traumatische Amblyopie. Ist ein
Auge an Irido-Cyclitis erkrankt, so kann eine sympathische Neu-
rose (Don der s) des anderen Auges auftreten, die als Hyperästhesie
der Netzhaut, Asthenopie, Flimmern, periodische Verdunkelung des
centralen Sehens (Laqueur) oder auch als Amblyopie mit und ohne
concentrischer Verengerung des Gesichtsfeldes (Mooren, Brecht) sich
zeigt. Wenn man abrechnet, dass bei jeder heftigen einseitigen Augen-
Entztindung das zweite Auge in gewissem Sinne mitleidet, von Licht
mehr geblendet wird, andauerndes Arbeiten in der Nähe schmerzhaft
ist, und wenn man ferner erwägt, dass bei den zuletzt genannten Zu-
ständen auch Hysterie eine Rolle spielen kann, so halte ich eine wirk-
lich sichere Diagnose des Zustandes, der als „sympathische Neurose"
beschrieben und von der oben erwähnten Mitleidenschaft des zweiten
Auges bei jeder Entzündung als ein besonders der „sympathischen
( )phthalmiea (sieh das) vergleichbarer Zustand getrennt wird, für sehr
schwierig: ich habe sie bis jetzt noch nicht stellen können. Dass eine
Heilung durch Herausnahme des primär erkrankten Auges erfolgt, be-
weist eben nur für die vom anderen Auge ausgehende Reizung, hat
aher nichts specitisches.
Reflectorisch wurden weiter Erblindungen beobachtet, die von den
Zahnnerven (Wecker), vom N. supraorbitalis (Leber) und von Hel-
minthiasis (Rampoldi) ausgingen. Vielleicht gehört hierher auch ein
Theil der traumatischen Amblyopien, die in Fällen entstanden sind, wo
nur die Umgebung des Auges von der Verletzung getroffen wurde: so
durch dicht vorbeifliegende G-eschosse, Stoss mit dem Oberkiefer gegen
ein Eisen (Schweigger) n. s. w. Auch Amaurosen durch Blitzschlag
sind beobachtet, die aher wieder zurückgingen. Auszuscheiden aus dieser
Kategorie sind die nicht seltenen Fülle, WO directe Sehnervenvorletzuugen,
etwa durch Knochensplitterun-- im Foramen opticum (Hölder-B erlin)
oder orbitale Blutergüsse, die Schwachsichtigkeit herbeiführen, und ebenso
Besondere Formen der Amblyopie. 153
die vorübergebende, oft mit Accommodationskrauipf verknüpfte Sckwach-
sicbtigkeit nacb Contusio bulbi, die auf einer Affection der Netzbaut
(Commotio retinae) (siebe unten) berubt. Seihst totale Erblindungen
nach Contusionen können wieder schwinden; so in Scbweigger's Kall
eine bereits drei Tage lang bestandene volle Amaurose. Es stellte sich
später leichte Sebnervenverfarbung ein.
11) Urämiscbe Amaurosen. Es bandelt sieh meist um transi-
torisebe doppelseitige Erblindungen. Der Verlust des Sehvermögens
ist nicht sogleich vollständig, sondern erreicht in ein bis zwei Tagen
seine Höhe; in seltenen Fällen tritt sofort Amaurose ein. Bei genau
beobachteten Fällen fehlte selbst die quantitative Lichtempfindung eine
Zeit lang. Doch ist dieses Stadium nur sehr kurz; einige Stunden bis
zu einem Tage. Zu dieser Zeit bestehen bisweilen grössere Gesicbtsfeld-
defecte. Später geht die Zunahme der Sehschärfe schnell von statten,
so dass nach 10 bis 18 Stunden kleinere Schrift gelesen werden kann.
Der ganze Process (von voller Sehschärfe durch absolute Erblindung
wiederum zu normaler Sehschärfe führend) spielt sich demnach in .'3
bis 4 Tagen ab. Die Pupillenreaction ist fast durchgehends erhalten.
Der Augenspiegel zeigt in der Regel keine pathologische Veränderung:
einmal habe ich ein Oedeni der Papille gesehen. Einen ausgeprägten
ophthalmoskopischen Befund bieten die Fälle, bei denen sich zu einer
bestehenden Retinitis albuminurica eine urämische Amaurose gesellt.
Urämische Amaurosen sind sowohl bei acuten als auch bei chro-
nischen diffusen Nierenentzündungen beobachtet worden; besonders häutig
nach Scharlach. Aber auch ein Theil der auf Bleiintoxicationen ge-
schobenen schnell vorübergehenden Amaurosen, sowie der bei Eclampsia
gravidarum vorkommenden gehören hierher. — Immer sind gewisse,
wenn auch bisweilen unbedeutende Zeichen der Urämie vorhanden :
Kopfschmerz, Uebelkeit und Erbrechen, Benommenheit des Sensoriums,
Sopor. Convulsionen. Oedenie bestehen oder fehlen. Die Harnsecretion
ist autgehoben oder verringert.
Die Therapie wird gegen die Urämie zu richten sein: Blutent-
ziehungen hinter den Ohren erschienen mir öfter von Nutzen. Evers-
üsch empfiehlt auch kleine Venaesectionen.
12) Intoxicationsamblyopie. Am häufigsten treten diese Am-
blyopien, in der Regel mit centralen Skotomen, nach Tabak- und
Alkoholmissbrauch auf. So fand Uhthoff unter 1000 schweren
Alkokolisten 69, welche daran litten. Die Kranken klagen meist über
Nebligsehen; das Sehvermögen ist auf beiden Augen, wenn auch nicht
immer gleichmässig geschwächt. Die Untersuchung ergiebt ein centrales
Farbenskotom, das in der Regel ein Queroval (Groenouw) darstellt
und sich bisweilen gegen den blinden Fleck hin etwas weiter ausdehnt
154 Amblyopie und Amaurose.
(s. S. l.'!7). Für weiss besteht in »1er Regel kein Defect. Zu Beginn
ist der ophthalmoskopische Befund meist negativ, später tritt eine weisse
Verfärbung der macularen Papillenhälfte auf. Die Prognose ist bei
Enthaltung von den ursächlichen Schädlichkeiten verhältnissmässig
günstig, jedoch kommen, besonders bei Tabak-Intoxicationen, trotz
Abstinenz progressive Processe vor. Jodkali innerlieb und Stiychnin-
Injection werden zur Unterstützung der Kur mit Vortbeil angewandt.
Zu sondern von dieser Form der Alkobol-Intoxieation ist eine andere,
bei der ohne centrale Skotome und ohne Gesichtsfelddefecte eine starke
Amblyopie auftritt. Es handelt sich hier in der Regel um sehr starke
Trinker mit allen sonstigen Zeichen des Alkoholmissbrauches. Bei Ab-
stinenz, stärkendem Regime, Aufenthalt in einer Anstalt tritt oft eine
überraschend schnelle Besserung ein, wenn eben noch nicht der Process
zu lange bestanden und den Sehnerv zu sehr (durch interstitielle Neu-
ritis retrobulbaris) geschädigt hat.
Die Amblyopien bei Diabetes gehen ähnlich wie die Intoxications-
Amblyopien mit centralen Farbenskotomen einher, die, wie ich in einem
Fall nachweisen konnte, Folge einer die macularen Fasern befallenden
retrobulbären Neuritis sind.
Auch nach Blei- und Chinin- Vergiftungen beobachtet man Am-
blyopien. Die Bleiamblyopien zeigen zunehmende Schwachsichtigkeit,
theils gleichmässig über das ganze Gesichtsfeld verbreitet oder mit
centralem Skotome; die, peripheren Farbengrenzen sind bisweilen ein-
geengt und der Lichtsinn herabgesetzt (Stood). Oefter besteht Hy-
perämie der Papille, selbst Neuritis; in der Netzhaut sind Apoplexien
mit Gefäss-Alterationen gesehen worden. Die Therapie richtet sich
gegen die Bleivergiftung. — Ueber Chininamaurosen, die nach grossen
Chiningaben sich einstellen, liegen uns bereits zahlreiche Beobachtungen
vor (Grüning, Knapp). Die eingetretene totale Blindheit schwindet
meist nach Wochen oder Monaten; während die centrale Sehschärfe
öfter wieder normal wird, bleibt das Gesichtsfeld verengt. Die Papilla
optica ist blass und die Netzhautge fasse sind schmal. Die Therapie
beschränkte sich auf horizontale Lage und Roborantien. Amylnitrit,
Electricität waren wirkungslos; Strychnin könnte eher versucht werden
(J. Roosa).
Nach grösseren Dosen von Salicylsäure (Riess), Filix mas,
Carbolsäure, Nitrobenzol (Nieden) und Jodoform (Hirsch-
berg), sowie in Folge dw Einwirkung des Schwefel-Kohlenstoffs
bei Arbeitern in Gutta-Percha-Fabriken (F. Becker) sind ebenfalls
Sehstörungen beobachtet worden.
L3) Amaurosen nach Blutverlust. Nach Blutbrechen, Darm-
blutungen, Hämoptoe, Menorrhagien u. s. w. entstehen bisweilen Seh-
Simulation von Amblyopie und Amaurose. 155
Störungen, die bald sofort, bald erst in den nächstfolgenden Tagen zur
vollen Entwickelung kommen. Es handelt sich entweder um eine
massige Amblyopie, die sieh wieder verringern kann, oder es kommt
zur vollen Amaurose, die alsdann wenig Aussieht auf Heilung gieht.
Auch centrale Skotome habe ich danach auftreten sehen. Meist sind
die Erkrankungen doppelseitig, doch kommen sie auch einseitig vor.
Frisch beobachtet ist in der Regel eine leichte Trübung der Sehnerven
(Horstmann) zu sehen, bisweilen ausgesprochene Neuro-Retinitis
(Hirschberg) — Befunde, die ich ebenfalls öfter constatiren konnte.
Schliesslich wird die Papille blass. Ziegler fand bei der Section einer
Kranken, die nach einer Magenblutung einige Wochen zuvor erblindet
war, bereits Verfettung der Sehnervenfasern, die er als Folge localer
[schände ansieht. In anderen Fällen, wo es sich um plötzliche, aber
schnell vorübergehende Erblindungen handelt, dürfte es sich jedoch
nicht um retrobulbäre Sehnerven- Affectionen, sondern um Oedeme der
centralen Sehcentren handeln. Dafür spricht auch ein von mir be-
obachteter Fall, wo nach einer schweren Entbindung und erschöpfender
Blutung die Patientin nicht mehr das Licht im Zimmer sah und zugleich
bei vollem Bewusstsein das Gehör verlor. Nach einer Stunde sah und
hörte sie wieder.
Die Therapie wird im Allgemeinen eine roborirende sein müssen.
Handelt es sich um eine örtliche Neuritis, so kann, falls sonst keine
Contraindicationen vorliegen, bei der grossen Gefahr voller Erblindung
eine Quecksilberkur (Schmier- oder Injectionskur) versucht werden.
Simulation von Amblyopie und Amaurose.
Die Simulation von Schwachsichtigkeit oder einseitiger Amaurose
ist nicht zu selten. Wir finden sie häufig bei Leuten, die sich dem
Militärdienst entziehen* und bei solchen, welche Unfallrenten u. s. w.
* Deutsche Heerordnung vom 22. November 1888. § 7. Bedingte Taug-
lichkeit. 2. Geringe körperliche Fehler fim allgemeinen Ersatzreserve, jedoch
ist die Aushebung zum aetiven Dienst keineswegs ausgeschlossen). Anlage lh:
Herabsetzung der Sehschärfe, so lange sie mehr als die Hälfte der normalen be-
trägt. 3. Bleibende körperliche Gebrechen* (in der Regel Landsturm ersten Auf-
gebots und nur ausnahmsweise Ersatzreserve). Anlage 2a: Herabsetzung der Seh-
schärfe auf beiden Augen, wenn dieselbe nur die Hälfte oder weniger, aber mehr
als ' 4 der normalen beträgt. §9. Untauglichkeit. 2. (Landsturm 1. Aufgebots
und bei hochgradigem Vorhandensein der Gebrechen dauernde Untauglichkeit .
Anlage 4a : 11. Blindheit auf einem Auge bei guter Gebrauchsfähigkeit des anderen.
3. dauernde Untauglichkeit. ausnahmsweise Landsturm 1. Aufgebots). Anlage 4b:
19. Herabsetzung der Sehschärfe, wenn dieselbe auf dem besseren Auge 1 , der
normalen oder weniger beträgt (hiernach sind auch die durch Nachtblindheit her-
vorgerufenen Sehstörunsren zu beurtheilen, selbst wenn die Untersuchung einen
[56 Amblyopie und Amaurose.
erschleichen wollen; aber auch bei Kindern habe ich sie öfter beob-
achtet, ohne dass immer ein bestimmter Grund für diesen Täuschungs-
versuch nachweisbar war.
Simulation vollständiger, doppelseitiger Erblindung ist weniger
beliebt. Verdächtig wird liier immer sein, wenn die Pupillen auf Licht
reagiren und kein ophthalmoskopischer Befund uns die Erblindung wahr-
scheinlich macht. Allerdings besteht auch bei wirkliehen Amaurosen
zuweilen die Pupillenreaction ; bleibt aber die Erblindung längere Zeit
(etwa über einen Monat) stationär, so hört in der Regel die Reaetion
auf: ebenso stellt sieh meist eine Verfärbung der Papilla optica heraus.
Auch das Benehmen der Simulanten, das genau und ohne ihr Wissen
beobachtet werden muss, ist oft A^erdäcktig. Bei der Untersuchung
kneifen sie gern die Augen zu und zeigen Lichtscheu, was wirklich
Amaurotische kaum thun. Eine einfache Methode, mit der Simulanten
öfter gefangen werden, wende ich iii der Weise an, dass ich ihnen
ihren eigenen Finger nach verschiedenen Richtungen hin vorhalte und
sie auffordere, den Finger anzusehen. Wirklieh Blinde richten ihre
Augen darauf oder geben sich wenigstens Mühe, den Augen die ent-
sprechende Richtung zu geben, da sie ja durch ihr Allgemeingefühl
über die Lage ihrer Hand und ihrer Finger unterrichtet sind. Bei
länger Erblindeten muss man den Finger etwas fest drücken, um sie
über die Lage genau zu orientiren, auch energisch die Aufforderung
zur Einstellung an sie richten: mit diesen Vorsichtsmaassregeln wird
man. falls nicht etwa schon Störungen in den Augenbewegungen selbst
eingetreten sind, fast ausnahmslos die Augen eine wenigstens annähernde
Einstellung ausführen sehen. Anders bei den Simulanten. Diese meinen
durch die Einstellung auf ihren Finger auch ihr Sehvermögen darzuthun,
halten die Aufforderung für eine ihnen gestellte Falle und drehen nun
die Augen absichtlich nach ganz entgegengesetzten Richtungen. Wenn
der Versuch auch nicht absolut beweisend ist, so gewinnt doch zu-
treffenden Falles der Verdacht ausserordentlich an Grund. —
Auch der Welzsche Rrismenversuch lässt sich hier wie bei Simu-
lation einseitiger Erblindung anwenden. Man legt vor ein Auge, während
beide geöffnet sind, ein Prisma von 10 bis 12 Grad mit der Basis nach
Aussen. Bei Fixation eines Gegenstandes tritt zur Vermeidung der
Doppelbilder unwillkürlich Schielen nach Innen unter dem ablenkenden
höheren Grad von Sehschärfe ergiebt). 20. Blindheit auf beiden Augen oder auf
einem Auge bei beschränkter Gebrauchsfähigkeit des andern. -- In Oesterreich
ist vollkommen dienstfähig, wer auf beiden Augen mindestens S V2 ('mich Correction
etwaiger Ametropie) hat. Wer S l/2 auf dem besseren, mindestens S 1/4 auf dem
schlechteren Auge hat, komnrl zur Ersatzreserve. Geringere Sehschärfe macht
untauglich.
Simulation von Amblyopie und Amaurose. 157
Prisma ein. Es ist natürlich das Vorhandensein eines binocularen Seh-
actes hier vorausgesetzt. —
Auch bei der Simulation einseitiger Erblindung ist es ver-
dächtig, wenn bei Verschluss des sehenden Auges die Pupille auf Licht
reagirt Direct Lässt sich die Lichtempfindung in folgender Weise test-
stellen. Man wirft im fast dunklen Ophthalmoskopir-Zimmer, während
der Untersuchte etwas nach eben blickt, mit dem Augenspiegel Licht
in Jas sehende Auge und lässt jedesmal angeben, wenn die Helligkeit
bemerkt wird. Dann wirft man dazwischen auch einmal Licht in das
andere blinde Auge: hierbei wird entsprechenden Falles ebenfalls das
Hellerwerden angegeben, da der Untersuchte nicht weiss, in welches
Auge das Licht fallt. — Sonst spielen auch hier die Prismenversuche eine
Rolle. Man beschäftigt sich beispielsweise nur mit dem sehenden Auge,
während das angeblich blinde jedoch offen bleibt, und lässt nach einem
Licht blicken. Legt man mm vor das sehende Auge ein Prisma, Basis
nach unten oder oben, indem man sagt, jetzt würden Doppelbilder auf-
treten, so gehen in der That die Simulanten bisweilen hierauf ein und
geben die übereinander stehenden Doppelbilder an, womit dann erwiesen
ist, dass auch das angeblich blinde Auge sieht (A. v. Grraefe). Man
schliesse aber aus, dass nicht etwa Reflexe an dem Rande des vorge-
haltenen Prismas ein monoculares Doppelsehen bewirken. - - Feiner,
aber in seiner Ausführung etwas schwieriger zu controliren, ist der Ver-
such von Alfr. Grraefe. Während das angeblich blinde Auge mit der
Hand bedeckt wird, legt man vor das sehende und ein Licht fixirende
Auge ein Prisma (Basis nach unten) in der Weise, dass die Kante
horizontal quer durch die Mitte der Pupille geht, der obere Theil der
Pupille also frei bleibt. Es entsteht jetzt monoculares Doppelsehen,
durch die obere Hälfte der Pupille gehen die Lichtstrahlen ungebrochen,
während die durch die untere Hälfte gehenden nach der Basis des
Prismas hin abgelenkt werden. Die Doppelbilder stehen übereinander.
Nachdem sich so der Simulant überzeugt hat, dass er mit einem Auge
doppelt sieht, nimmt man die Hand von dem angeblich blinden Auge
und schiebt gleichzeitig hiermit, und dem Kranken unmerkbar, das
Prisma so in die Höhe, dass jetzt die ganze Pupille des sehenden Auges
bedeckt wird. Fragt man nun, wie viel Bilder vorhanden seien, so
wird der Simulant zwei angeben, da er meint, dieselben mit dem
sehenden Auge wahrzunehmen. Durch Verschiebung des Prismas über
die ganze Pupille ist aber hier die Ablenkung gleichmässig nach unten
eingetreten und das zweite Bild kann nur von dem angeblich blinden
Auge herrühren.
Das Stereoskop ist viel benutzt worden, besonders mit den Modi-
ficationen der Vorlagen, wie sie von Rabl-Rückhard angegeben und
lös
Amblyopie und Amaurose.
in den Burchardt'schen Proben* ausgeführt sind. Ks ist liier die
bei normalem Sehen unwillkürlich auftretende Verschmelzung der beiden
Hälften der Vorlegeblätter zu einem Sammelbild, welches die Simulanten
entlarvt. Haben wir beispielsweise Vorlegeblatt Figur 65, so wird das-
selbe stereoskopisch die Sammel-Figur 66 zeigen; giebt Patient dieselbe
richtig an, so ist damit seine Simulation entdeckt. Man kann auch auf
diese Weise eine gewisse Anschauung über den Grad der Sehschärfe
des angeblich blinden Auges gewinnen. Aber störend ist, dass nicht
wenige Individuen im Beginn, ohne dass es zu einer Verschmelzung
kommt, die Hälften des Vorlegeblattes einzeln sehen und sich orientiren.
Weiter können manche Personen, besonders solche, bei denen Aniso-
metropie oder Schwachsichtigkeit eines Auges besteht, überhaupt nicht
stereoskopisch sehen; wohl aber erhalten sie mit Prismen noch Doppel-
bilder. Aus diesem Grunde habe ich ein Verfahren benutzt, bei dem
6r>.
67.
vom eigentlichen stereoskopischen Sehen ganz abstrahirt wird und nur
die Verschiebung der Bilder, wie sie die im Stereoskop befindlichen,
mit der Basis beiderseits temporalwärts gerichteten Prismen bewirken,
als ausschlagend in Betracht kommt. Stellt man sich ein Vorlegeblatt
Figur 67 her, so werden bei Betrachtung im Stereoskop das Quadrat
und Kreuz der obersten Reihen durch die Prismenwirkung überkreuzt
werden, d. h. das Kreuz erscheint links von dem Quadrat; hingegen
wird in der dritten Reihe die Prismenbrechung nicht stark genug sein
zur Ueberkreuzung, sondern nur Kreuz und Quadrat der Mittellinie
etwas nähern u. s. f. Ks entsteht bei ähnlichen Vorlagen, deren Zeichen
natürlich noch gemehrt werden können, ein solches Durcheinander, dass
der Simulant, wenn er die von ihm gesehenen Figuren von oben nach
unten nennen soll, vollkommen unklar ist, welche von seinem rechten
oder linken .Auge gesehen werden und so Figuren nennt, die dem an-
geblich blinden Auge gegenüber liegen. Ist letzteres factisch etwas
schwachsichtig, so könnte durch die grössere Undeutlichkeii der mit
diesem Auge gesehenen Figuren ein Anhalt gewonnen werden; man
kann dem entgegenwirken, wenn man die Figuren der betreffenden
* Praktische Diagnostik der Simulationen von Gefühlslähmung, Schwerhörig-
keit und von Schwachsichtiffkeit. Berlin.
Simulation von Amblyopie und Amaurose.
159
Vorlageseite etwas kräftiger und grösser zeichnet als die dem gesunden
Auge vorliegenden. Auch mit diesem Versuch lässt sieh durch ver-
schiedene Grösse der Figuren, die man leicht und schnell herstellen
kann, die Sehschärfe beurtheilen.
Sehr empfehlenswerth ist für diese- Experimente das sogenannte
amerikanische Stereoskop; hier kann man die Vorlegeblätter entsprechend
der Accommodation und Refraction des Untersuchten nähern oder ent-
fernen (die stereoskopischen Prismen sind immer gleichzeitig convex
geschliffen) und auch beobachten, dass der Untersuchte nicht etwa das
angeblich blinde Auge zukneift.
In ähnlicher Weise wie die Prismen-Stereoskope, die überall leicht zu haben
sind, wirkt der Flöes'sche Apparat. Derselbe bestellt aus einem mit Milchglas
gedeckten Kasten, in welchem den beiden Oeffnungen
für die Augen I Figur 68 1 gegenüber sich zwei unter einem
Winkel von 120 Grad gegeneinander gestellte Spiegel (ss)
befinden. Durch dieselben werden Strahlen, welche von
zwei Gegenständen (a, b) ausgehen, die neben den Augen-
öffnungen im Kasten sieh befinden, derartig reflectirt, dass
die von dem links liegenden Gegenstande ausgehenden
in das rechte Auge fallen, aber nach links projicirt werden;
mit dem rechts gelegenen Gegenstand geschieht es um-
gekehrt. Der Simulant meint natürlich mit dem rechten
Auge das rechts erscheinende Bild zu sehen, mit dem
linken das links erscheinende und kommt so zu falschen
Angaben. —
Ravä stellt an die Rückwand eines Kastens eine
rothe Fläche und schiebt nun vor die eine oder andere
Ocularöffnung ein grünes Glas. Die angegebenen Farben
lassen das Auge, mit dem gesehen wird, erkennen.
Sn eil en benutzt T afein , die
mit farbigen
Buchstaben bedruckt sind, z. B. die grossen Stilling' sehen Farben-
tafeln. Sieht man diese Buchstaben durch ein andersfarbiges Glas
an. z. B. die rothen mit einem grünen Glase (doch muss immer
von dem Untersucher das Glas vorher darauf geprüft worden sein);
so werden sie unsichtbar. Man hält nunmehr das betreffende Glas vor
das sehende Auge des Untersuchten; liest derselbe trotzdem die Buch-
stalten, so sieht er mit dem angeblich blinden Auge. Aehnlich ist das
Verfahren, vor das sehende Auge ein starkes Concav- oder Convexglas
zu legen, welches derartig die Strahlen zerstreut, dass keine erkenn-
baren Bilder auf der Netzhaut entstehen. Doch werden einigermaassen
unterrichtete Simulanten sich hierdurch nicht leicht überführen lassen.
Besser ist folgendes Verfahren: Man legt vor das sehende Auge ein
starkes Convexglas (-}- 6 D.) und lässt nun, indem man Leseproben
entsprechend nahe an das Gesicht hält, bei Offensein beider Augen
liiti Amblyopie und Amaurose.
lesen; allmählich geht man mit der Probe weiter ab. Sollte der Simulant
dann noeh viel weiter als ' (i Meter (Fernpunkt des emmetropischen
Auges mit -f- 6-0) lesen, so kann dies nur mit dem angeblich blinden
Auge, dem kein Convexglas vorgesetzt ist, gesehenen. Ein anderes
Manöver führt man so aus, dass man ein Lineal oder Aehnliehes an
die Nasenwurzel zwischen beide Augen hält und lesen lässt. Ist das
Lineal entsprechend breit und geht bis nahe an den Druck, so ist das
linke Auge gehindert, den rechts von der Schneidefläche gelegenen
Tluil der Zeile zu lesen und umgekehrt, während bei binocularem Sehen
die ganze Zeile gelesen wird.
Durch Anwendung der einen oder anderen dieser Methoden wird
man wohl jeden Simulanten einseitiger Blindheit entlarven können.
Sehr viel schwieriger ist es, wenn nur Schwachsichtigkeit
simulirt oder eine bestehende Schwachsichtigkeit übertrieben wird (Ag-
gravation). Hier ist fürs Erste eine, genaue objeetive Untersuchung
des Auges unerlässlich. lieber Refractionsanomalien und Astigmatismus
wird man durch die Augenspiegeluntersuchung bald ins Klare kommen.
Besonders achte man auch auf leichte Hornhauttrübungen oder etwaige
Srliielablenkung eines Auges: beides würde einen Grund für das wirkliehe
Vorhandensein der Amblyopie geben.
Ueber den Grad derselben wird man sich durch Prüfung der Seh-
schärfe auf verschieden grosse Entfernungen und auch selbst für die
Nähe, eventuell mit Brillen, zu unterrichten suchen. Eine gewisse Ueber-
einstimmung muss hier vorhanden sein, besonders wenn die Sehschärfe
verhältnissmässig gut ist. Bei ausgeprägter Amblyopie kommen aller-
dings grössere Unterschiede vor; wird beispielsweise flu' eine bestimmte
Entfernung S= Vi 2; für eme andere S = J/20 (natürlich trotz ent-
sprechender Brillencorrection) angegeben, so ist diese Differenz nicht
immer ausreichend, absichtliche Simulation anzunehmen. Unregelmässiger
Astigmatismus, Verschiedenheit der benutzten Probebuchstaben und An-
deres können die nicht übereinstimmenden Angaben veranlassen: sie
finden sieh auch bei Leuten, bei denen von Simulationsversuchen gar
nicht die Rede ist.
Man wird daher gut thun, sich überhaupt erst von der Glaub-
würdigkeit des zu Prüfenden zu überzeugen. Zu dem Zwecke habe ich
auch die Prüfung des Gesichtsfeldes mit Vortheil benutzt. Stellt man
sieb den zu Untersuchenden in Vs m gegenüber und prüft mit der Hand
das Gesichtsfeld, so hat dasselbe eine kleinere Ausdehnung, als wenn
man in einer grösseren Entfernung (etwa 1 m) die Prüfung vornimmt.
Bei Simulanten habe ich öfter gefunden, dass sie — neben einer sehr
unwahrscheinlichen Einengung — auch für die grössere Entfernung
gerade dieselbe Gesichtsfcldausdehnung, oder wohl noch eine geringere
Binoculares und körperliches Sehen. 261
angaben wie für die kleinere; hiermit war die absichtliehe Unwahrheit
ihrer Aussagen erwiesen. Auch die mit kleineren Sehobjecten ausge-
führte campiinetrische Methode in verschiedenen Entfernungen ist be-
sonders werthvoll. Sie sollte immer benutzt werden, wenn bei con-
eentrisehen Gesichtsfeldeinengungen Verdacht der Simulation vorhanden
ist (siehe das über traumatische Neurose Gesagte).
Hat sich ein bestimmter Grad von Sehschwache eines Auges bei
den Prüfungen ergeben, so kann man noch mit dem Stereoskop in der
Weise eine Probe vornehmen, dass man dem schwachsichtigen Auge
kleinere Sehproben, als sie seiner fangeblichen Sehschärfe entsprechen
würden, vorlegt und beobachtet, ob es dieselben vielleicht doch sieht.
Zu berücksichtigen ist hierbei aber, dass die Convexprismen der Stereo-
skope etwas vergrössern, also geringe Differenzen in den Angaben nicht
in Betracht gezogen werden dürfen.
Binoculares und körperliches Sehen.
Das körperliche Sehen, welches in dem Erkennen der Tiefendimen-
sionen beruht, also in dem Vermögen wahrzunehmen, ob ein Punkt ferner
als der andere liegt, ist durchaus nicht dem binocularen Sehen gleich-
zusetzen. Die Hervorhebung dieses nicht überall genügend betonten
Unterschieds ist von Wichtigkeit. Auch der Einäugige sieht, aber nicht
so vollkommen als der Doppeläugige, körperlich. Es fällt dem Ein-
äugigen, der längere Zeit oder zeitlebens nur mit einem Auge gesehen
hat, gar nicht ein, etwa eine weisse Kugel mit einer ebenso grossen
weissen Kreisfläche zu verwechseln. Andererseits hat nicht Jeder, der
die Seheindrücke beider Augen gleichzeitig empfindet, also binocular
sieht, ein vollkommenes körperliches Sehen.
Das körperliche Sehen ist Sache der Erfahrung und wird erlernt.
Trotzdem das Kind mit beiden Augen sieht, muss es erst mittels des
Tastgefühls eine kreisförmige Fläche von einer Kugel unterscheiden
lernen. Bei Personen, die mit Star geboren waren und erst später
operirt wurden, hat man dieses Lernen des körperlichen Sehens genau
verfolgen können. Ich habe sogar einen 3 J/4 jährigen Knaben an er-
worbenem Star operirt, der ein Jahr vorher noch gut gesehen, aber in
dieser kurzen Zeit das körperliche Sehen bereits verlernt hatte. So
komite er anfangs nach wiedererlangter Sehkraft die Distanzen nicht
schätzen, griff meist weit über die ihm vorgehaltenen Objecte hinaus.
Ein Ei konnte er von einer ebenso grossen weissen Papierscheibe nicht
unterscheiden, was ihm beim Betasten sofort gelang. Er musste alle
Gegenstände von Xeuem wieder kennen lernen. Nur eine Katze und
ein Kalb erkannte er wieder, ohne dass ihm nach wiedererlangter Seh-
kraft und Uebung die Thiere von Xeuem gezeigt worden waren.
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 11
j(j2 Amblyopie und Amaurose.
Es giebt grössere und geringere Grade der Vollkommenheit
im lnnocularen wie im körperlichen Sehen. Ini binoculares Sehen
zu erweisen, legt man ein Prisma mit der Basis nach unten oder oben
vor ein Auge, während das andere frei und offen bleibt: es müssen
dann übereinander stehende Doppelbilder zu Tage treten. Auch stereo-
skopische Prüfungen können benutzt werden. Hierbei stellt sich be-
sonders bei Schielenden oder nach Schieloperationen oft heraus, dass
zwar die beiden Hälften der Vorlage (z. B. bei Verwendung von Oblaten,
von denen die mittlere Oblate auf beiden Hälften roth ist, während die
eine Hälfte eine blaue darüber, die andere Hälfte eine grüne darunter
zeigt, oder der Rabl-Burchardt'schen Proben) gesehen werden, aber
nebeneinander und ohne dass eine körperliche Verschmelzung zu er-
möglichen wäre. Man bezeichnet dies als bino-
culares Doppeltsehen. Ist die Verschmelzung
der congruenten gleichartigen Oblaten oder Figuren
im Stereoskop möglich, so besteht binoculares
Einfachsehen. Der Vorgang der Verschmelzung
zweier Bilder zu einem Sammelbild ist aus Figur 69
ersichtlich. Die von a und a auf identische Netz-
hautpartien (hier auf die Macula lutea) fallenden
• Lichtstrahlen werden als von A kommend aufge-
fasst. Die kleinen, mit der Basis nach aussen ge-
stellten Prismen, welche sich vor beiden O ciliaren
des Stereoskops befinden, ermöglichen, dass beide Augen die für das
Sehen in der Nähe gewohnte Convergenz beibehalten können.
Die Verschmelzung zweier stereoskopischer Bilder in eines ist aber
noch nicht gleichbedeutend mit dem, was wir als stereoskopisches
Körperlichsehen bezeichnen können, wto man statt der Bilder wirkliche
Körper wahrnimmt: besonders nach Schieloperationen constatirt man
öfter, dass mit dem Stereoskop anfangs zwar einfach, aber nicht körper-
lich gesehen werden kann. Auch im stereoskopischen Körpersehen
zeigen sich verschiedene Stufen; beispielsweise sieht Jemand im Stereo-
skop leichtere Vorlagen körperlich, schwerere nicht; den höchsten Grad
des stereoskopischen Körperlichsehens erfordern die Vorlagen mit geo-
metrischen Figuren.
Aber selbst, wer letzteres leistet, ist noch nicht immer im Stande,
im Räume feinere Schätzungen der Tiefendimension vorzunehmen. Ich
benutze zu dieser Prüfung eine Art doppelgerieften Lineals, auf der
zwei Nadeln verschoben werden können: die eine wird beim Versuch
näher, die andere etwas weiter gestellt. Während der vollkommen
Norimilsehende kleinste Entfernungsdifferenzen wahrnimmt, erkennt der
weinger gut sehende erst welche von 1 — 2 cm.
Binoculares und körperliches Sehen. 2^3
Die höchsten Anforderungen an freies körperliches Scheu stellt
der Hering'sche Fallversuch, indem hier eine ausserordentlich sehneile
Tiefenwahrnehmung erforderlich ist. bei der manche Hilfsmittel für das
körperliche Sehen, die zu ihrer Benutzung eine gewisse Zeit erfordern,
nicht zur Geltung kommen können. Man sieht hierbei mit beiden Augen
durch eine kurze (Papp-)Röhre, vor deren anderem Ende in einiger
Entfernuni;- zwischen zwei Drähten ein Faden von oben nach unten ge-
spannt ist. In der Mitte dieses Fadens ist eine weisse Perle befestigt.
l>iese wird mit beiden Augen fixirt. Der Untersuchende Lässt nun bald
vor. bald hinter dieser Perle andere herabfallen, natürlich so, das« die
fixirte und die fallende Perle sich nicht decken. Nur bei ausgebildetem
binocularen und körperlichen Sehen kann durchschnittlich sicher ange-
geben werden, ob die fallende Perle vor oder hinter der fixirten vor-
beifällt. Jedoch erfolgen auch hier noch — wenn der Abstand zwischen
der fixirten und der fallenden Perle nicht zu gross ist - - in einem
gewissen Procentsatz -i°/0 — 18°/0 irrthümliche Angaben, sobald es sich
um Personen handelt, die keine besondere Uebung in optischen Unter-
suchungen haben.
Zum körperlichen Sehen, das vorzugsweise als psychischer Act sich
darstellt, sind wir durch mancherlei Einrichtungen unseres Sehorgane«
befähigt. Von höchster Bedeutung für ein schnelles und exaetes Er-
kennen der Tiefendimension ist es, dass wir für beide Augen verschie-
dene Bilder von den Objecten erhalten. Jedes Auge sieht den Körper
von einer anderen Stelle im Raum: dabei erscheint dem Einzelauge
der ferner gelegene Punkt des Körpers nach seiner — des betrachten-
den Auges — - Seite herübergerückt. Hiervon kann man sich leicht
überzeugen, wenn man ein längeres Lineal mit seitwärts gekehrten
Flächen gegen die Nasenwurzel setzt und in gerader Richtung nach vorn
hält. Betrachtet man dasselbe einäugig, indem man abwechselnd das
rechte und linke Auge schliesst, so bekommt man deutlich den Ein-
druck, dass das entferntere Ende des Lineals beim Sehen mit dem
rechten Auge nach rechts hinüberrückt, dagegen beim Sehen mit dem
linken Auge nach links. Diese Verschiedenheit der beim doppeläugigen
Sehen im Geiste zu einer Wahrnehmung verschmolzenen Bilder giebt
eine ausserordentlich scharfe momentane Empfindung der Distancever-
.schiedenheit zweier Punkte und damit des Körperlichen.
Darauf beruht auch das scheinbar körperliche Sehen mittels des
Stereoskops. Stellt sich beispielsweise das Bild einer durchsichtigen
(.Tlaspyramide, deren Spitze dem Betrachtenden zugekehrt ist, dem linken
Auge als Netzhautbild dar mit nach rechts abweichender Spitze, so
wird für das rechte Auge die Spitze — also das Näherliegende — nach
links gekehrt sein. Die binoculare Verschmelzung beider Bilder giebt
11*
1(34 Amblyopie und Amaurose.
ilfin im körperlichen Sehen Geübten den Eindruck einer körperlichen
Glaspyramide.
Von dieser Verschiedenheit der Bilder abgesehen, fällt bei Ab-
schätzung der Entfernung- eines (näher gelegenen) Punktes a und eines
(ferner gelegenen) Punktes b weiter ins Gewicht, dass bei binocularer
Fixation des Punktes b die von a kommenden Strahlen, falls Punkt
a noch innerhalb des durch die Blicklinien beider Augen gebildeten
Winkels liegt, im linken Auge auf die temporale Netzhauthälfte fallen,
also nasalwärts projicirt werden; ähnlich verhält es sich mit dem rechten
Auge. Der näher gelegene Punkt a erscheint daher doppelt und zwar so,
dass das Bild des rechten Auges links und das des linken rechts steht
(gekreuzte Doppelbilder). Anders würden die Doppelbilder von b er-
scheinen, wenn a fixirt würde: das Bild von b im rechten Auge würde,
da es auf die nasale Hälfte fiele, nach rechts projicirt und vom linken
Auge aus gleichem Grunde nach links (gleichnamige Doppelbilder i.
Dieses verschiedene Verhalten der Doppelbilder hat ebenfalls Einfluss
auf unsere Tiefenwahrnehmung.
Von geringerer Bedeutung, nur bei starken Differenzen in der Tie-
fendimension in Betracht kommend, ist der Umstand, dass ein näher
gelegener Punkt eine stärkere Accommodation und eine stärkere
Convergenz der Sehachsen erfordert, als ein ferner gelegener Punkt.
Auch die Veränderungen des Bildes bei Kopfverschiebungen, die Schatten
der Körper und manche Erfahrungen unterstützen unser körperliches
Sehen. Diese Hilfsmittel stehen dem Einäugigen ebenso gut zu Ge-
bote, als dem binocular Sehenden.
Auch Täuschungen sind beide unterworfen, wenngleich der Ein-
äugige mehr als der binocular Sehende. Sehr plastisch gemalte Objecte
können uns als Körper imponiren; Photographien, die wir durch eine
Lupe etwas vergrössern, machen uns auch bei einäugiger Betrachtung
den Eindruck des Körperlichen. In den jetzt vielfältig gezeigten Pa-
noramen, wo dicht vor dem Beschauer körperliche Gegenstände sich be-
finden, denen erst weiterhin das Gemalte sieh anschliesst, wird die
Täuschuni;- noch dadurch unterstützt, dass wir aus dem Vorhandensein
der Körper in unserer Nähe schlicssen, dass das Gemalte ebenfalls
körperlich sei, — entsprechend unserer gewöhnlichen Erfahrung, wo beim
Blick in die Ferne sich Körper an Körper anreiht. —
Fin gewisses körperliches Sehen kann, wie erwähnt, (unter Benutzung
seitlicher KopfVersohiebungen, wodurch die Objecte wie beim Sehen
mit zwei Augen, von verschiedenen Stellen im Raum gesehen werden,
ferner <\<-v Convergenz der Sehachsen und di-v Accommodation, so-
wie <{<■]• sonstigen Erfahrungen) auch bei nt onoculareni Sehen vor-
handen sein.
Blindheit. 165
Aber nur wer den Herin g'schen Fallversuch -- oder den Versuch
von Donders, welcher in einem Dunkelkasten vor und hinter dem
fixirten Objecte elektrische Funken herüberschlagen lässt — bestehen
kann (beim Käthen ist natürlich 50 Procent Wahrscheinlichkeit), besitzt
den normalen Grad des Körperlichsehens-, da hier die Tiefenwahr-
nehmung einzig und allein von der Verwerthung der verschiedenartigen
Netzhautbilder beider Augen abhängt, Convergenz und Accommodations-
änderung aber bei der Schnelligkeit des Vorganges ausgeschlossen sind.
Die Erfahrung zeigt übrigens, dass selbst solche, die stereosko-
pisch körperlich sehen und auch Distanzverschiedenheit bei der oben
erwähnten Prüfung mit Nadeln schnell und richtig erkennen, doch den
Eering'schen Fallversuch nicht immer bestehen. Dies beobachtet
man z. B. bei vielen Patienten nach Schieloperationen. Oft fehlt es
ihnen nur an der Uebung, allein und schnell aus den verschiedenen Netz-
hauteindrücken beider Augen die Tiefenwahrnehmungen entsprechend
zu construiren. —
Dieselben Verhältnisse finden sich bei Anisometropen. So wie die
Anisometropie sehr hochgradig ist, vermisst man in der Regel die höchste
Stufe des Körperlichsehens (Hering'scher Fallversuch); meist werden
sogar nicht einmal Distanzverschiedenheiten bei der Nadelprobe mit
genügender Schärfe erkannt. Massige Verschiedenheit in der Sehschärfe
beider Augen hat weniger Einfluss auf das Körperlichsehen.
Blindheit.
Es ist nöthig, eine bestimmte Feststellung darüber zu treffen, was
wir unter blind verstehen wollen, zumal auch im Strafgesetz der ana-
loge Ausdruck „Verlust des Sehvermögens" gebraucht wird und dieselbe
Frage bei der Schätzung der Erwerbsfähigkeit nach Unfällen in Be-
tracht kommt. Natürlich kann von einem vollkommenen Aufgehobensein
aller Lichtempfindung nicht die Rede sein; in diesem Sinne wären die
meisten Blinden eben nicht blind. Aber selbst Individuen, welche noch
die Zahl der Hände erkennen oder in nächster Nähe noch Finger zählen
können, stehen in der praktischen Verwerthung ihrer Gesichtseindrücke
ganz den Blinden gleich; auch sie sind nicht im Stande, ungerührt an
fremden Orten den Weg zu finden, sie haben keine irgend erhebliche
Unterstützung bei ihren Arbeiten durch den Rest des erhaltenen Seh-
vermögens und können unsere Schrift und unseren Druck selbst mit
starker Vergrüsserung nicht erkennen; wenn es sich um Kinder handelt,
wird ihre Erziehung am besten so wie die der Blinden erfolgen. Mit
einer gewissen Zunahme des Sehvermögens aber steigt die praktische
Benutzungsfähigkeit desselben in deutlichster Weise. Wenn Jemand bei
annähernd freiem Gesichtsfeld central Finger etwa in ],2 bis 1 m zählt,
L66
Amblyopie und Amaurose.
kann er nicht mehr den Blinden zugerechnet werden und macht auch
äusserlich nicht den Eindruck eines solchen. Man wird demnach Jemand
als blind bezeichnen müssen, der bei gewöhnlicher Beleuchtung (bei sehr
heller Beleuchtung vergrössert sich öfter die Sehweite) Finger nicht
weiter als circa ]/3 m zählt. Hiermit ist ein genügend fester Anhalt
gegeben und es wäre wünschenswert!}, wenn diese von mir vorgeschlagene
Grenze*, welche auch von Magnus acceptirt ist, im Allgemeinen inne-
gehalten würde. Weiter ist natürlich, wenn wir von Erblindung im
gewöhnlichen Wortsinn reden, erforderlich, dass beide Augen davon
unheilbar befallen sind. Auf die Beschaffenheit des Gesichtsfeldes ist
123456789 10
Blenn. neonat. 10-87 %.
Trachom und Bl. adult. 949 %.
Glaukom 8-97 %.
Irido-Cykl. und Cyklitis 8-86 %.
Erkrankungen der Cornea 8-06 %.
Atroph, n. optic. idiop. 7-75 %.
Gehirnerkrankungen (Atr.n. opt.)6,96%.
Sublat, retin. 4-47 %.
Ophth. sympathica träum. 4-50 %.
Directe Verletzung des Auges 4-03 %•
70.
ebenfalls Rücksicht zu nehmen; bei starker Einengung desselben wird trotz
einer besseren centralen Sehschärfe doch Blindheit anzunehmen sein. — ■
Die Hauptursachen der Blindheit ergeben sich aus Figur 70;
sie ist (unter Weglassung seltener vorkommender Ursachen) der von
Magnus auf Grund von 2ö28 Fällen doppelseitiger Blindheit gegebenen
graphischen Darstellung nachgebildet. Eine ziemliche Zahl der Erblin-
dungen würde sich bei frühzeitiger sachverständiger Behandlung ver-
meiden lassen; bei einer daraufhin gemachten Zusammenstellung konnte
ich beinahe die Hälfte hierher rechnen. Die Zahl der Erblindeten ist
in den verschiedenen Ländern sehr wechselnd. In Preussen kam 187.">
»•in Blinder auf 1111 Sehende, in O esterreich (1869) einer auf 1785.
'■■ Vgl. Schmidt-Rimpler, [Jeher Blindsein. 1880. Magnus, Die Blindheit,
ihre Entstehung und Verhütung. L883. — Fuchs (die Ursachen und Verhütung
der Blindheit. L885) nimmt Fingerzählen in 1 Meter Entfernung als Grenze an.
Blindheit. 167
Für die Erziehung jugendlicher Blinden ist in neuerer Zeit
mehr, wenn auch lange noch nicht genug geschehen. Das erste Blindcn-
institut der Art wurde Ende vorigen Jahrhunderts von llaüv in Paris
gegründet. In Deutsehland werden die Kinder gewöhnlich erst im 10.
bis 12. Lebensjahre in die Blindenerziehungsanstalten aufgenommen;
sie erhalten einen vollkommenen Schulunterricht, erlernen ein Handwerk
(vorzugsweise Korbmacher ei ; Seilerei, Bürstenbinderei, Flechtarbeiten
u. s. w.) und meist auch Musik. Zum Lesen bedienen sie sich anfangs
in Holz geschnitzter Buchstaben, die auf einem Lesebrett zusammen-
gesetzt werden; später der Fibeln und Lesebücher, in denen die Buch-
staben auf dickerem Papier in Relief hervorgepresst dem lesenden
Zeigeringer fühlbar sind. Vorwiegend wird das grosse Alphabet der
lateinischen Buchstaben benutzt. Das Relief der Buchstaben wird ent-
weder so hergestellt, dass die einzelnen Linien der Buchstaben als
solche hervorgepresst werden, wie dies in den Berliner Blindendrucken
geschieht, oder dass diese Linien sich aus einzelnen hervorragenden
Punkten zusammensetzen (Breslauer und Stuttgarter Druck) ; ersterer
Druck lässt sich länger ohne Ermüdung der Finger lesen. Ist hingegen
der Tastsinn verringert (etwa bei älteren Blinden), so ist der punktirte
Druck vorzuziehen. Auch eine Art Stenographie, bei der die Buchstaben
durch Punkte ausgedrückt werden (z. B. . A, : B, . . C), ist durch
Braille eingeführt worden und findet in Druck und Schrift viel An-
wendung. Zum Schreiben wird eine Tafel — ähnlich der Schiefertafel
der Kinder - - benutzt, die mit sehr nahestehenden- Querriefen durch-
zogen ist*, auf diese wird das Papier gelegt und mittels eines Rahmens
an den Rändern befestigt. Auf dem Rahmen ist eine Art schmalen
Messinglineals von unten nach oben verschiebbar, das entsprechend dem
zu bildenden einzelnen Punktbuckstab en, dicht nebeneinander befindliche
gleich grosse viereckige Ausschnitte (31 in einer Reihe) zeigt. Indem
der Blinde nun mit dem linken Zeigefinger den Ausschnitt, in den der
einzelne Buchstabe kommt, betastet, macht er mit einem in der rechten
Hand gehaltenen Stift die entsprechenden punktförmigen Eindrücke.
Durch die Querrinnen auf der unterhegenden Tafel, von denen je drei
innerhalb des rechteckigen Linealausschnittes über einander hegen und
in die der Stift beim Eindrücken das Papier presst, wird eine gleich-
massige Entfernung der senkrecht stehenden Punkte erzielt. Um eine
flache, natürlich nur für Sehende lesbare Schrift herzustellen, benutzen
die Blinden das lateinische Alphabet und schreiben mit Blei; das Papier
wird auf eine ähnliche, aber glatte und mit verschiebbarem Messing-
lineal versehene Tafel gelegt.
Zweiter Theil.
Ophthalmoskopie.
Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
Erkrankungen des Sehnerven, der Netzhaut, der
Chorioidea und des Glaskörpers.
Erstes Kapitel.
Ophthalmoskopie.
1. Theorie der Augenspiegeluntersuchung.
Für gewöhnlich erscheint die Pupille des Auges schwarz. Doch war
es schon seit langer Zeit von gewissen Thieren bekannt, dass ihre Pu-
pille gelegentlich in rothem oder grünlichem Licht leuchtete. Mariotte
(1668) war der Erste, welcher diese Erscheinung mit Recht so erklärte,
dass es sich um Lichtstrahlen handele, die von dem glänzenden Chorio-
idealtapet der betreffenden Thiere renectirt würden. Ein solches findet
sich bei vielen Säugethieren (Raubthieren, Wiederkäuern, Beutelthieren,
dem Pferde u. s. f.). Besonders häufig wurde naturgemäss bei unseren
Hausthieren, den Katzen und Hunden, das Leuchten der Pupille gesehen.
Aber gelegentlich ist es auch bei albinotischen Menschen beobachtet.
Hiernach lag die Annahme nahe, dass die Pupille für gewöhnlich nur
deshalb dunkel sei, weil das schwarze Chorioidealpigment die Licht-
strahlen absorbire; dass sie hingegen leuchtend erscheine, wenn beim
Fehlen des Pigments die Strahlen reflectirt würden. Dieser Umstand
kommt allerdings in Betracht; dass er aber nicht ausschlaggebend war,
zeigten die von W. Cumming (1846) und von Brücke (1847) unab-
hängig von einander angegebenen Methoden, die Pupillen auch normal
pigmentirter menschlicher Augen leuchten zu machen. Man stellt zu
diesem Zweck in einem dunklen Zimmer eine mit einem Cylinder ver-
sehene Lampe dicht vor sich auf den Tisch und lässt den zu Beobach-
tenden in einigen Fuss Entfernung sich gegenübersetzen, sodass sein
Auge möglichst in einer Höhe mit der Lichtflamme sich befindet. Nun
heisst man ihn dicht neben der Lichtflamme vorbei ins Dunkle sehen,
während man selbst gerade hinter der Lichtflamme, gegen die man sich
durch einen Schirm schützt, in die Pupille des zu Untersuchenden blickt.
Besonders schön tritt alsdann das Leuchten derselben hervor, wenn sie
sehr weit ist und die Augenmedien, wie bei jugendlichen Individuen.
172 Ophthalmoskopie.
sehr durchsichtig sind. Es gelingt selbst auf diese Weise bei hochgradig
Kurzsichtigen, denen zur Pupillenerweiterung A tropin eingeträufelt wurde,
das umgekehrte Bild des Sehnerveneintritts und der Netzhautgefässe
deutlich zu erkennen. Für gewöhnlich sieht man jedoch, wie erwähnt,
nur die Pupille in röthlichem, oder auch rothweisslichem Lichte strahlen
— letzteres, wenn etwa der mehr blasse Sehnerveneintritt (Papilla optica)
gerade gegenübersteht und reflectirt.
Aber schon früher hatte Mery zufällig- an einer Katze, deren Kopf unter
Wasser gehalten war. beobachtet, dass man den Hintergrund des Auges und die
Gefässe dabei sehen könne. Einige Jahre später studirte de la Hire (1703) dies
Phänomen genauer und erklärte es ganz richtig dahin, dass durch das Wasser
die Brechung der Cornea ausgeschlossen würde und nun die Strahlen in stark
divergenter Richtung das Auge verliessen: hierdurch werde das Erkennen des
Augenhintergrundes ermöglicht. Noch nach der Erfindung des Augenspiegels
wurde diese Untersuchungsmethode auch bei menschlichen Augen benutzt, indem
man kleine Glaswannen mit Wasser (Orthoskope) vor das Auge legte. Coccius
machte 1852 darauf aufmerksam, dass bei tapetumhaltigen Augen und Albinos
schon das sanfte Anlegen einer dünnen Glasplatte mit einem Tropfen Wasser an
die Hornhaut genüge, um die Netzhaut deutlich zu sehen, wenn man Licht mittels
eines Spiegels in das Auge werfe. 1888 ist Bellarmin off auf dasselbe Verfahren
(mit Cocainisirung der Hornhaut) gekommen, um den Augenhintergrund gleichzeitig
mehreren Beobachtern sichtbar zu machen. Das Bild steht aber an Schärfe und
Yergrösserung dem beim Ophthalmoskopiren gewonnenen nach.
Durch Feststellung der dem Brücke 'sehen Versuche zu Grunde
liegenden optischen Verhältnisse kam Helmholtz zur Entdeckung des
Augenspiegels (1851). Wenn Helmholtz in seiner „Beschreibung eines
Augenspiegels zur Untersuchung der Netzhaut im lebenden Auge" sagt:
„ Kurz, ich glaube die Erwartung nicht für übertrieben halten zu
dürfen, dass sich alle bis jetzt an Leichen gefundenen Veränderungen
des Glaskörpers und der Retina auch am lebenden Auge werden er-
kennen lassen, was für die bisher so unausgebildete Pathologie dieser
Gebilde die grössten Fortschritte zu versprechen scheint!" so wissen wir
heute, dass diese Erwartungen nicht nur in Erfüllung gegangen, sondern
noch erheblich übertroffen worden sind.
Der Kern der ganzen Frage des Augenleuchtens und der Ophthal-
moskopie liegt einfach darin, dass beim scharfen Sehen Object und
Netzhautbild in conjugirten Punkten liegen. Ist das Auge B auf einen
( Ibjectpunkt a aecommodirt, so erhält es ein scharfes Bild a, auf seiner
Netzhaut. Alle von a ausgehenden Lichtstrahlen vereinigen sich in a, ;
umgekehrt werden die von dem nunmehr hell und beleuchtet erscheinen-
den Bildpunkt a, ausgehenden Strahlen sich wieder in a vereinigen.
Unter gewöhnliehen Verhältnissen wird demnach ein zweites beobach-
tendes Auge C (Figur 71) von diesen von a zurückkommenden Licht-
strahlen nichts wahrnehmen: die Pupille des Auges B erscheint schwarz.
Theorie der Augenspiegeluntersuchung. 173
Stellt sich C aber so, dass es direct in das Auge B blickt und dass
die von diesem Auge reflectirten Strahlen in seine Pupille kommen
müssten, so wird die Pupille von C das Object (a). Da sie aber kein
Licht ausstrahlt, so erscheint auch die Pupille des Auges B dunkel und
schwarz. Um diese leuchten zu lassen, d. h. Lichtstrahlen, die vom
Augenhintorgrund des Auges B kommen, wahrzunehmen, bedarf es ge-
wisser künstlicher Mittel. Das einfachste
rindet sich in dem oben angeführten Brück e'-
schen Versuch. Da das Auge B nicht auf die
Lichtflamme a aecommodiren soll, so wird auf
seiner Netzhaut auch kein scharfes Bild der-
selben, sondern ein Zerstreuungskreis ent-
stehen: die beleuchtete Fläche der Netzhaut ist demnach verhältnissmässig
gross. Von jedem Punkte dieser Netzhautfläche werden nunmehr die Licht-
strahlen reflectirt und verlassen das Auge in der Richtung des Punktes,
auf welchen es eingestellt ist. Handelt es sich um ein emmetropisches
Auge, das ohne Accommodation in die Ferne blickt, so werden die aus
dem Auge kommenden Strahlen untereinander parallel laufen. Be-
findet sich das Auge C nun dicht neben der Flamme a und in der
Richtung der Gesichtslinie von B, so fällt ein Theil dieser Strahlen in
seine Pupille und es erscheint ihm die Pupille von B leuchtend.
Es kam jetzt darauf an 1) durch eine besondere Einrichtung zu
bewirken, dass das beobachtende Auge (C) vom Augenhintergrunde des
zu untersuchenden Auges (B) möglichst viele Lichtstrahlen empfinge,
und 2) dass diese von B reflectirten Strahlen sich auf der Netzhaut des
Auges C zu einem scharfen Bilde vereinigten: alsdann wird letzteres
den Augenhintergrund von B in seinen Einzelheiten sehen.
Das erstere erreichte Helmholtz dadurch, dass er vor das beob-
achtende Auge eine einfache, schräg gestellte Glasscheibe (s. Figur 72)
hielt, welche das Licht einer Flamme (F) reflectirte und in das Auge B
warf. Die von dem beleuchteten AugenhintergTunde B kommenden Licht-
strahlen gingen nun denselben Weg zurück, wurden allerdings z. Th. von
der Platte (S) nach F reflectirt, z. Th. aber gingen sie durch die Glas-
platte hindurch in das beobachtende Auge C. Später benutzte man statt
der Glasplatten (Helmholtz'sches Ophthalmoskop) belegte Spiegel und
versah dieselben im Centrum mit einer Oeffnung, durch welche die
Lichtstrahlen nach C gelangen konnten. Auch die zweite Schwierigkeit
überwand Helmholtz, indem er zu corrigirenden Concavgläsern seine
Zuflucht nahm und diese hinter den Spiegel legte.
Man sieht bei dieser Untersuchungsweise, bei welcher man sich
mit dem Augenspiegel stark dem untersuchten Auge nähert, die ein-
zelnen Theile des Augenhintergrundes vergrössert und in ihrer normalen
174
Ophthalmoskopie,
Lage, da die optischen Medien des untersuchten Auges ähnlich wie eine
Lupe wirken. Man bezeichnet das Verfahren als die ophthalmoskopische
Untersuchung des Auges im aufrechten Bilde, im Gegensatz zu der
im umgekehrten Bilde, wo durch ein, vor das untersuchte Auge ge-
haltenes Convexglas ein umgekehrtes in der Luft schwebendes Bild des
Augenhintergrundes entworfen wird. —
A. Bei der Untersuchung im aufrechten Bilde werden die
optischen Verhältnisse je nach den Refractionen der Augen sich ver-
schieden gestalten. Nehmen wir fürs Erste an, das untersuchende Auge
Ci(Figur 73) und das untersuchte B seien emmetropisch und aecom-
modationslos: beide Augen sind alsdann flu- parallele Strahlen ein-
gerichtet. Alle Strahlen, welche von dem durch den Augenspiegel (S)
beleuchteten iSletzhautpunkt a des Auges B ausgehen, verlassen dasselbe
in paralleler Richtung und gelangen so durch das unbelegte Glas des
Helmholtz'schen Spiegels in das Auge C. Letzteres, flu" parallele
Strahlen eingerichtet, vereinigt sie in Punkt a, zu einem scharfen Bilde.
Dasselbe gilt von Punkt b. Auge C erhält demnach von a b ein scharfes
Bild. Da nach, dem Projectionsgesetz der Bildpunkt bt , der in unserer
als verticaler Durchschnitt gedachten Zeichnung unter at liegt, auf
einen über a liegenden Objectpunkt b bezogen wird, so erscheint auch
die Netzhautpartie a b in ihrer natürlichen Lage.
Ist das untersuchte Auge B myopisch, also für divergente
Strahlen eingerichtet, so werden die von dem beleuchteten Netzhaut-
punkt a (Figur 74) ausgehenden Strahlen in eben dieser Richtung «las
Auge verlassen: sie treffen demnach das Auge C in convergirender
Richtung. Da C nur für parallele Strahlen eingerichtet ist, so wird ein
entsprechendes Concavglas hinter den Spiegel zu legen sein, um die
convergenten Strahlen parallel zu machen und so die Vereinigung der-
selben zu einem scharfen Bilde in a, zu ermöglichen.
Handelt es sich schliesslich um ein zu untersuchendes hyperopi-
sches, also für convergente Strahlen eingerichtetes Auge, so verlassen
<lie von Punkt a (Figur 75) kommenden Strahlen das Auge B in einer
Richtung, die für das beobachtende Auge 0 divergirend ist. Hier be-
Theorie der Augenspiegeluntersuchung. 175
darf es eines entsprechenden Convexglases; um diese Strahlen parallel
zu machen.
Bis jetzt haben wir angenommen, dass das untersuchende Auge
eminetropisch und accommodationslos sei. Ist dieses nicht der Fall,
so kann eine eorrigirende Brille die Einrichtung' für parallele Strahlen
ermöglichen. — Schwieriger aber ist es, die Acconimodationsthätigkeit
vollkommen auszuschliessen, wenn man nicht etwa Atropin oder ähnliche
accommodationlähmende Mittel anwenden will. Das Bewusstsein, dass
das zu untersuchende Auge sich in der Nähe befindet, bewirkt meist auch
eine Einstellung des Auges für die Xähe, d. h. für divergirende Strahlen.
Bei der Untersuchimg eines emmetropischen Auges wird das accommo-
dirte Auge demnach sich der Concavgläser bedienen müssen, die ihm
die parallelen Strahlen divergent machen; bei Untersuchung von myo-
pischen Augen naturgemäss stärkerer Concavgläser, als sie der Myopie
des betreffendes Auges entsprechen. Nur für die Untersuchung hyper-
opischer Augen ist die Accommodation von Nutzen und erspart die
Convexgläser. Daher wird es auch Anfängern, die noch nicht gelernt
haben, beim Ophtahnoskopiren ihre Accommodation zu erschlaffen, be-
sonders leicht, hyperopische Augen zu untersuchen. Bei letzteren sieht
man sogar öfter, wenn man sich mit dem Ophtalmoskop noch in
einem gewissen Abstände vom untersuchten Auge befindet (etwa schon
in 20 bis 30 cm), die Netzhautgefässe scharf hervortreten, was beim
emmetropischen Auge, selbst wenn man auf parallele Strahlen einge-
richtet ist, nicht der Fall ist. Es erklärt sich dies in folgender Weise.
Die Netzhaut des Hypernietropen liegt vor dem Hauptbrennpunkt der
optischen Medien, während die des Emmetropen sich in demselben be-
findet. Die Yergrösserung des Augenhintergi'undes beim hypermetro-
pischen Auge ist demnach geringer als beim emmetropischen. Da nun
bei grösserer Entfernung von dem zu untersuchenden Auge nur ein
sehr kleiner Theil des betreffenden Augenhintergrundes übersehen wird
(„das ophthalmoskopische Gesichtsfeld" ist sehr klein), so kann ein
stark vergrössertes Blutgefäss des emmetropischen Auges dasselbe ganz
ausfüllen oder noch überschreiten — es erscheint dann das Gesichtsfeld
einfach roth — , während beim hypermetropischen das weniger ver-
grosserte Gefäss noch mit seinen Rändern scharf sichtbar ist.
176 Ophthalmoskopie.
Aber nicht nur von der Entfernung, in welcher sich das oph-
thalmoskopirende Auge vom untersuchten befindet, hängt die Grösse
des ophthalmoskopischen Gesichtsfeldes im aufrechten Bilde
ab, sondern 'auch von der Grösse der Pupille des untersuchten
Auges: je grösser dieselbe um so grösser das Gesichtsfeld. Dass
diese beiden Momente in Betracht kommen, davon kann man sich
experimentell leicht überzeugen, wenn man auf eine starke Convexlinse
(+ 20-0) ein mit einer centralen Oeffnung versehenes Papier legt und
durch dasselbe bald mit dicht angelegtem Auge, bald aus einiger Ent-
fernung nach einer Schrift sieht, die innerhalb der Brennweite der
Linse hegt, und weiter, wenn man der Oeffnung verschiedene Grössen
giebt. —
"Wenn die Grösse des ophthalmoskopischen Gesichtsfeldes im aufrechten
Bilde als von obigen Verhältnissen abhängig hingestellt wurde, so war vorausge-
setzt, dass die Beleuchtung der Netzhaut durch das von dem Augenspiegel hinein-
geworfene Licht eine entsprechende und möglichst ausgedehnte sei. Dies ist aber
nicht immer der Fall. So entsteht bisweilen, wenn der eonjugirte Punkt des vom
Spiegel entworfenen Bildes der Lichtflamme in der Netzhaut liegt, auf ihr das
scharfe, umgekehrte Flammenbild, neben dem die angrenzenden Partien, trotzdem
sie in das ophthalmoskopische Gesichtsfeld fallen, wegen mangelnden Lichtes un-
deutlich bleiben. Man muss hier Spiegel und Flamme durch Hin- und Herschieben
in solche Entfernungen bringen, dass eine möglichst diffuse Beleuchtung der Netz-
haut erzielt wird, die eintritt, wenn ein recht grosses Zerstreuungsbild der Flamme
auf ihr entworfen wird. Die Intensität der Beleuchtung wird gemehrt und das
Gesichtsfeld erweitert, wenn man einen starken Concavspiegel von 7 — 8 cm Brenn-
weite benutzt (etwa 30 cm von der Lichtflamme entfernt gehalten); es wird hier-
bei vor der Netzhaut im Auge selbst das beleuchtende umgekehrte Flammenbild
entworfen (Parent). Das über die Beleuchtung des ophthalmoskopischen Ge-
sichtsfeldes Gesagte gilt auch für die Untersuchung im umgekehrten Bilde (siehe
unten). Um hier eine möglichst ausgedehnte Beleuchtung zu erhalten, muss ein-
mal der Brennpunkt der benutzten Concavlinse im Pupillengebiet liegen und
zweitens auch dort das beleuchtende Flammenbild fallen. Es gelingt dies, wenn
man mit dem Augenspiegel parallele Strahlen auf die Convexlinse wirft: ein Concav-
Augenspiegel von 40 — 50 cm Brennweite, ebenso weit von der Lampe entfernt
gehalten, bewirkt dies (Dimmer).
j B. 1852 führte Th. Ruete eine andere ophthalmoskopische Me-
thode in die Praxis ein: die Untersuchung im umgekehrten Bilde.
Dabei benutzte er gleichzeitig, was aber für die Methode selbst be-
deutungslos ist, an Stelle der unbelegten Glasplatten von Helmholtz
einen Concavspiegel, der zum Durchlassen der Lichtstrahlen in der Mitte
eine Oeffnung hat.
Man lässt hier durch eine vor das untersuchte Auge gehaltene
Convexlinse (etwa 20-0 [V2] oder besser 13-0 [V3] die von dem Augen-
bintergrunde kommenden Lichtstrahlen zu einem umgekehrten, in der
Luft schwebenden reellen Bilde sich sammeln und betrachtet dieses.
Hieorie der Augenspiegeluntersuchung.
177
Das Bild ist grösser als das Netzhautobject, aber nicht so gross wie
das aufrechte Bild.
Nehmen wir wieder au, das zu untersuchende Auge B (Fig. 76)
sei emmetropisch und der Netzhaut-Punkt a durch das von dein Spiegel
S hineingeworfene Lieht be-
leuchtet. Es werden jetzt
die von a ausgehenden,
das Auge parallel verlassen-
den Strahlen auf die vorge-
haltene Linse fallen und in
deren Brennpunkt zu einem
Bilde a{ vereinigt werden. 7(1.
Dasselbe gilt von den von
b ausgehenden Strahlen, die sich in b, vereinigen. Dieses reelle, in
der Luft schwebende Bild sieht nun C, indem es sich darauf wie auf
ein zwischen seinem Spiegel (S) und der Linse L befindliches < )bject
aecommodirt.
Das so entworfene Bild ist umgekehrt; ein oben gelegener Theil
der beleuchteten Netzhaut kommt im Bilde unten zu liegen, ein rechts
befindlicher links.
Die Entfernung des Bildes von der Convexlinse wird etwas
verschieden sein, je nach der Refraction des untersuchten Auges und
damit wird sich auch seine
Grösse ändern. Beim emme-
tropischen Auge liegt das Bild
von der Linse um ihre Haupt-
brennweite entfernt: beim hv-
peropischen Auge, da die
Strahlen hier divergent auf
die Linse fallen (Figur 77),
etwas weiter (in h) tmd hinter
dem Brennpunkt e, beim myopischen Auge etwas näher (in m ). Das
Bild ist also auch am grössten beim hyperopischen, am kleinsten beim
myopischen Auge. Da die Grösse des Bildes im geraden Verhältniss
steht zu seiner Entfernung von der Linse, so wird bei der Benutzung
einer stärker brechenden Convexlinse (z. B. ^2) f^e Vergrösserung
geringer sein als bei der einer schwächer brechenden (z. B. ' 3 1.
Die Grösse des Gesichtsfeldes bei der Untersuchung im um-
gekehrten Bilde hängt von der Entfernung des Convexglases von der
Pupille ab. Liegt letztere in der Brennweite des Glases, so erscheint
sie vergTössert und zwar am meisten, wenn ihre Mitte gerade im Brenn-
punkte der Linse liegt: es werden jetzt aHe vom Pupillarrande aus-
Sehmidt-Rimpler. 7. Auflage. \'l
17s Ophthalmoskopie.
gehendes Strahlen die Linse parallel verlassen. Der Vereinigungspunkt
paralleler Lichtstrahlen liegt alter in der Unendlichkeit, mithin ist auch
«las Bild der Pupille anendlich gross. Man sieht die Pupille nicht mehr
von dem Irisrande begrenzt. Rückt die Linse näher an die Pupille
heran, so ist die Vergrösserung der Pupille eine geringere: man sieht
alsdann noch den Rand der Iris. Liegt die Pupille ausserhalb der
Brennweite der Linse, so erhalten wir ein umgekehrtes Bild von ihr.
das je nach der Entfernung vom Brennpunkt grösser oder kleiner ist.
Es wird sich demnach meist empfehlen, das Convexglas so weit von
der Pupille entfernt zu halten, dass letztere in der Hauptbrennebene
liegt. Wie viel man aber von der so vergrösserten Pupille bei der
Augenspiegeluntersuchung überblickt, hängt von der Grösse der vorge-
haltenen Linse (ihrem Querdurchmesser oder ihrer Oeffnung) ab.
Im Allgemeinen ist die Grösse des Gesichtsfeldes im umgekehrten
Bilde (=18°) etwa doppelt so gross als im aufrechten.
Die Vergrösserung des ophthalmoskopischen Bildes ist eine erheb-
licli stärkere im aufrechten Bilde als im umgekehrten, wenn man hier die üblichen
Convexgläser (Va — V4) anwendet. Die durch optische Hilfsmittel wahrnehmbare
Vergrösserung eines Objectes kommt dadurch zustande, dass das Bild auf unserer
Netzhaut grösser wird. Die Grösse des letzteren ist aber für gewöhnlich abhängig
von der Entfernung, in der sich das Object befindet. Ein und derselbe Gegen-
stand wird ein grösseres Netzhautbüd entwerfen, wenn er sich dem Auge näher
befindet, ein kleineres, wenn er dem Auge ferner steht. Für Vergrösserungen
mittels Lupe und Mikroskop hat man. um einen Vergleichspunkt zu haben, die
Entfernung von 8 Zoll gewählt (sogenannte „deutliche Sehweite"): die Grösse eines
makroskopisch gesehenen Objectes, das sich angenommenermaassen in 8 Zoll befindet,
wird = 1 gesetzt. Mit convex V2 kann ein Object beispielsweise bis auf 2 Zoll
au das Auge angenähert werden, ohne dass eine Accommodationsanstrengung für
den Emmetropen erforderlich ist: es wird das Netzhautbild dementsprechend ver-
grössert; die Vergrösserung verhält sich wie Sri. ist also eine 4fache.
Allerdings würde dies genau nur zutreffen, wenn man den optischen Mittel-
punkt der benutzten Linse mit dem des Auges als zusammenfallend annimmt, was
natürlich nie der Fall ist. Ebenso ist hier die Einwirkung, welche die veränderte
Accommodation auf die Grösse des Netzhautbildes hat. unbeachtet gelassen; in
einer Entfernung von 8 Zoll würde das emmetropische Auge 7s aecommodiren,
H ährend es bei der Betrachtung des Objectes -f- ' ■> auf 2 mit Zoll auf parallele Ferne
eingerichtet ist. — Weiter lässt sich gegen diese Art der Messung anführen, dass
der Begriff „deutliche Sehweite0 und die Festsetzung derselben auf 8 Zoll durchaus
nicht mehr unseren jetzigen Kenntnissen der Lefractions- und Acconnnodationsver-
hältnisse entspricht. — Correcter würde es sein, die Gesichtswinkel, unter denen die
< Ibjecte ohne und mit optischen Hilfsmittelnerscheinen, zu vergleichen (Seh \\ eigger).
Doch ist immerhin jene Bestimmung der Vergrösserung noch üblich und giebt auch
eine \ ollkommen ausreichende Anschauung der vorliegenden Verhältnisse. Nehmen
wir an, dass ein F.niinetrop im aufrechten Bilde ophthalmoskopisch die Netz-
haut oder Pap. optica eines anderen Emmetropen sieht. Im schematischen Auge
liegl die Netzhaut im nichtaeconunodirten emnietropischen Auge L5 nun vom
Knotenpunkt entfernt. Soll das Auge auf 250 mm f= es sei dies gleich der als
Theorie der Augenspiegeluntersuchung. 179
Maassstab dienenden „deutlichen Sehweite", indem für 8 Zoll 25 cra genommen
sind — ) accommodirt werden, so würde sich nach einer von Helmholtz* ange-
gebenen Formel der Radius der brechenden Fläche um 0*3 mm verkürzen müssen ;
der Knotenpunkt entfernt sieh demnächst ebensoviel von der Netzhaut. Dieselbe
liegt nunmehr nicht 15 mm, sondern 15 -3 mm hinter ihm. Nehmen wir nun an,
dass der Knotenpunkt des untersuchenden Auges dem des untersuchten so nahe
ist. dass wir die bezüglichen Entfernungen vernachlässigen können, so sieht das
im aufrechten Bilde ophthalmoskopirende Auge die Papille gleichsam durch eine
Lupe von l.v."> mm Brennweite. Die Vergrösserung im Verhältnis» zu der Grösse,
welche das Object, in einer Entfernung von 250 mm gesehen haben würde, ist
250
demnach für das emmetropische Auge = ., = 16*3 (Snellen). Mauthner,
der mit einer Sehweite von 8 Zoll und einem Knotenpunktabstande von 0-7 Linien
rechnet, bestimmt die Vergrösserung des ophthalmoskopischen Bildes eines emnie-
tropischen Auges auf 14V3- Bei H V31 bedingt durch Verkürzung der Augenachse
und corrigirt durch •—— . */2 Zoll vor dem Knotenpunkt, = 15 Vaiache Vergrösserung.
3/2
Bei derselben 11 l/3, corrigirt durch y4, 1 Zoll vor K, = 133/5. Die ophthalmo-
skopische Vergrösserung nimmt demnach bei der Hyperopie ab, je weiter das
corrigirende das vom untersuchten Auge entfernt ist. Umgekehrt bei Myopie.
Bei 51 ! ;;. durch Verlängerung der Augenachse bedingt, und corrigirt durch -
— . i2 Zoll vor K. ist die Vergrösserung = 13: bei derselben Myopie, corrigirt
2 ' 2
durch — 1/2, 1 Zoll vor K. = I6V3.
Sind II und M nicht, wie gewöhnlich, durch Verschiedenheiten in der Achsen-
länge bedingt, sondern durch Brechungsanomalien, so ist bei H die Vergrösserung
geringer, bei M grösser als oben angegelten. Man hat diese Verschiedenheit in
der Vergrösserung auch benutzt, um zu diagnosticiren, ob es sich in einem gegebenen
Falle um Achsen- oder Brechungsmetropie handelte. Weiss, der dieses Verfahren
eingeschlagen, maass zu dem Zweck die Vergrösserung des aufrechten Bildes dir ect,
indem er sich der Methode ä double vue. wie sie bei Fernrohren üblich ist, bediente.
Man stellt hier bekanntlich in einer bestimmten Entfernung einen Maassstab auf,
den man mit dem einen Auge direct, mit dem andern durch das Fernrohr ansieht.
Die Bilder beider Augen decken sich alsdann und man kann ablesen, wie viel
Theilstriche des mit dem unbewaffneten Auge gesehenen Maassstabes auf einen Theil-
strich des vergrösserten Maassstabes gehen. "Weiss nahm als Grundlage für die
gefundene Vergrösserung im ophthalmoskopischen Bilde die anatomische Grösse
der beobachteten Papilla optica zu 1*5 mm an.
Bei der Untersuchung im umgekehrten Bilde ist die Vergrösserung
geringer.
Sie hängt ab, wie bereits erwähnt, von der Brechkraft der angewandten Con-
vexlinse: eine schwächere Convexlinse vergrössert mehr als eine stärkere. Und
ebenso ist die Entfernung, in welcher die Linse von dem Knotenpunkt des Auges
gehalten wird, bei ametropischen Augen von Bedeutung, während sie bei einem
emmetropischen Auge, aus dem stets parallele Strahlen auf die Linse fallen, gleich-
giltig ist. Beim hypermetropischen Auge wird das Bild kleiner, wenn man die
Convexlinse vom Auge entfernter hält, bei dem myopischen grösser. Um einen
Vergleich zu geben, Bei angeführt, dass Mauthner die Vergrösserung des um-
gekehrten Bildes eines emmetropischen Auges — nach gleichen Principien wie
Physiol. Optik, p. U. Formel 3.
12*
180
Ophthalmoskopie.
die dos aufrechten Bildes berechnet — bei Benutzung einer Convexlinse 12- circa
% Zoll vor den Kotenpunkt des Auges gestellt ( — gewöhnlich wird sie viel weiter
entfernt gehalten — ), als 33/4fach berechnete.
Schweigger, der die reelle (Jrösse des Sehnerven zu der seines umgekehrten
Hildes in directen Vergleich stellt, fand unter Benutzung von + »/3, 3 Zoll vom
Auge entfernt gehalten, das Verhältniss bei E wie 1:5-3; bei M 15 = 1 :4-ii: bei
II i/a == 1:61.
2. Verschiedene Formen der Augenspiegel.
I. Alon.oculare Augenspiegel.
A. Planspiegel.
In Helmholtz's Ophthalmoskop (1851) dienen als Spiegel einfache unbe-
legte Glasplatten, und zwar hat Helm holt z mehrere derselben übereinander gelegt,
um eine möglichst starke Reflection und so die yerhältnissmässig grösste Hellig-
keit des Augenhintergrundes zu erzielen. Diese Platten haben die Gestalt eines
Rechtecks und sind in ein entsprechendes Gestell so eingefügt, dass sie zu der
Lichtflamme in einem schrägen Winkel stehen. Hinter diesem Gestell ist eine
kleine Röhre, welche die etwa erforderlichen Correctionsgläser aufnimmt.
Der Helmholtz'sehe Augenspiegel (Figur 78. nach links die schräggestellten
vier spiegelnden Platten in senkrechtem Durchschnitt) gieht unter allen anderen
die geringste Beleuchtungsintensität. Bei sehr lichtscheuen Augen, sowie
in manchen Fällen, wo besonders die Farbennuanceneinzelner Theile des Augen-
hintergrundes in Frage stehen, empfiehlt sich seine Anwendung.
Epkens construirte bald darauf als Ophthalmoskop einen foliirten Plan-
spiegel. Um dem Untersucher den Durchblick zu gestatten, war in der Mitte
die Folie abgekratzt. Später hat man direct ein
centrales Loch in den belegten Spiegel gemacht.
Letzteres ist deshalb vorzuziehen, weil die Licht-
strahlen ganz ungehindert hindurchziehen, während
bei der durch Abkratzen durchsichtig gemachten
Glasfläche immer eine gewisse Reflection eintritt,
auch das Reinhalten grössere Schwierigkeiten ver-
ursacht. Wendet man statt der Glasspiegel solche
von Metall an, so lässt sich wegen der grösseren
Dünnheit der spiegelnden Platte auch der durch die
centrale Oeffhung veranlasste kleine Canal, der bei
grösserer Länge stören könnte, auf ein Minimum
verringern.
Iiii Correctionslinsen hinter die Spiegelöffnung zu bringen, hat man kleine
federnde Halbringe angebracht, in die sie eingelegt werden. Oder man bedient
sich einer excentrisch befestigten und drehbaren Scheibe (Rekoss), die an ihrer
Peripherie die Linsen eingefügt enthält.
Bei den Planspiegeln ist das eigentliche Beleuchtungsobject für das zu
untersuchende Auge nicht die Lampenflamme als solche, sondern das durch den
Augenspiegel von ihr entworfene Spiegelbild. Lezteresist, wie immer bei Plan-
spiegeln, ein virtuelles aufrechtes und von gleicher Grösse wie die Flamme: es
liegt gerade soweit hinter dem Spiegel, wie die Lampenflamme sich vor dem
Spiegel befindet. I>a die Lampenflamme bei der Untersuchung im umgekehrten
Hei in li i>l tz ' Augenspiegel.
Verschiedene Formen der Augenspiegel.
131
Bilde meist ziemlich weit von dem Spiegel entfernt ist. so liegt ihr Bild auch ziem-
lich weit hinter demselben: dadureb wird die Beleuchtung des Augenhintergrundes
eine verhältnissmässig schwache. Ophthalmoskopirt man hingegen im aufrechten
Bilde, so nähert man sieh erheblich mehr dem untersuchten Auge und damit, auch
der in der Nähe desselben stehenden Lampe: es Steigt somit die Beleuchtungs-
intensität, da auch das Spiegelbild in grössere Nähe rückt. Für die Untersuchung
im aufrechten Bilde ist daher der foliirte Planspiegel vollkommen ausreichend und
sogar öfter den lichtstarkeren Concavspiegeln vorzuziehen.
B. Coneavspiegel.
!• Knete war der Erste, welcher 1852 einen durchbohrten foliirten C o n c a v -
Spiegel zur ophthalmoskopischen Untersuchung construirte. Sein grösseres In-
strument enthielt auf einem Eolzgestell angebracht einen grossen Coneavspiegel,
vor dem sieh auf einer Stange verschiebbar die zur Unter-
suchung im umgekehrten Bilde erforderliehe Convexlinse
befand. Später gab er einen kleineren, in der Hand zu
haltenden Spiegel an. Nach diesem sind eine Menge ähn-
licher Coneavspiegel construirt, die sieh durch Grösse,
Brennweite u. s. w. von einander unterscheiden. Der be-
kannteste von ihnen ist der von Liebreich (Figur 79).
Beim coneaven Spiegel dient das verkleinerte, um-
gekehrte Bild der Liehtflamme zur Beleuchtung. Es hängt
dabei von dem Verhältniss der Brennweite des Spiegels
zu der Entfernung der Lichtflamme ab, ob das umge-
kehrte Bild kleiner oder grösser wird. Ist die Entfernung
der Liehtflamme gleich der doppelten Brennweite des Con-
cavs])ie.i,rels, so sind Bild und Object gleich gross, indem
dieselben optischen Gesetze für Coneavspiegel wie für
( onvexlinsen f siehe S. "29j gelten. Da aber bei der Unter-
suchung im umgekehrten Bilde die Lichtflamme in der
Regel von dem Spiegel weiter entfernt ist, als die doppelte
Hauptbrennweite beträgt, so entwirft dieser von ihr ein
verkleinertes, jedoch sehr lichtstarkes, umgekehrtes,
reelles Bild, dessen Strahlen dann den Augenhintergrund beleuchten. Figur 80
zeigt das Verhalten bei der ophthalmoskopischen Untersuchung im umge-
79.
Liebreich' s Augen-
spiegel.
kehrten Bilde, wenn das umgekehrte verkleinerte Flammenbildchen a nicht in
den der Netzhaut conjugirten Punkt fällt. In der Figur fällt es hinter ihn: es
182
< iphthalmoskopie.
würde sidi demnach mich das Flammenbildchen erst hinter der Netzhaut in a, ab-
lüden: auf der Netzhaut entsteht ein Zerstreuungskreis (k). Diese Art der Be-
leuchtung durch einen Zerstreuungskreis ist. wie oben hervorgehoben, günstiger,
als wenn das Flammenbildchen (gewöhnlich als ein helles Dreieck erkennbar) sich
direct auf der Netzhaut entwirft. Die Entfernung des Spiegelbildes vom Spiegel
— -+-— I berechnen. Ist z. B. die Haupt-
nian nach der Linsenformel
äo hat
-. -.- oder -T- = ---, das heisst:
24 b b
liisst sich nach der Linsenformel ,
\ i a 1 1
brennweite des Spiegels 6 Zoll und die Entfernung von der Flamme 24 Zoll,
1 1,1,1 1
TT = K7 + , oder -r- = 7r
b 24 1» b 6
s Zoll vom Spiegel entfernt liegt das umgekehrte Bild der Flamme. Die Brenn-
weite der jetzt üblichen Concayspiegel, speciell der sog. Liebreich'schen ist für
gewöhnlich eine kleine: sie schwankt zwischen 4*/2 und 7 Zoll:
selten findet man grössere Brennweiten. Auf den exacten
Schliff der Concavspiegel kommt es zwar bei den gewöhnlichen
ophthalmoskopischen Untersuchungen nicht besonders an,
wohl aber bei der von mir angegebenen Refractionsbe-
stimmung. Die Mehrzahl der sogenannten Concavspiegel
sind sehr ungenau geschliffen: die von ihnen entworfenen
Bilder sind verschwommen, selbst Vervielfachung der Bilder
findet man nicht selten. Man wird daher gut thun, beim Kauf
darauf zu achten. Die Prüfung ist sehr leicht, indem man
ähnlich wie mit Convexlinsen von einem hellen Gegenstande
ein umgekehrtes Bild auf einer ebenen Fläche entwirft.
Der Jäger'sche Augenspiegel (Figur 81) gestattet ab-
wechselnd die Einfügung eines Planspiegels (Helmholt z 'scher
Glasplatte oder foliirten Spiegels) und eines Concavspiegels,
indem an dem vorderen Ende einer kleinen schräg abge-
stutzten Röhre die betreffenden Einklemmungsvorrichtüngen
angebracht sind. Ausserdem hat man noch den Yortheil. dass
ähnlich wie beim Helmholtz 'sehen Spiegel, ohne Drehung
der Röhre, einfach durch Schrägstellung der Spiegel das
Licht in das untersuchte Auge geworfen wird. Da die Cor-
rectionslinsen am hinteren Rande der längs der Sehlinie
des Beobachters laufenden Röhre eingesetzt werden, so
bleiben dieselben immer in derselben verticalen Ebene vor
seinem Auge. Bei anderen Spiegeln, z. B. dem Liebreich'-
schen, muss das ganze Ophthalmoskop und damit auch die
hinter ihm liegende Correctionslinse der Stellung der Lampen-
flamme entsprechend etwas schräg gehalten werden: es fallen
daher die Lichtstrahlen auch schief durch die dicht hinter
der Oeffnung befindlichen Correcons linsen, erleiden demnach
eine etwas andere Brechung.
Zur ophthalmoskopischen Refractionsbestimmung (siehe diese) dürften dalier
im Allgemeinen Ophthalmoskope, bei denen nur der Spiegel schräg gestellt zu
werden braucht, vorzuziehen sein; bedeutend sind allerdings die Nachtheile durch
Schrägstellung der Linsen auch nicht.
C. Combination einer Convexünse mit einem Planspiegel.
Coccius (1853) ersann einen Augenspiegel, der sowohl als Planspiegel wie als
Concavspiegel — und zwar mit veränderbarer Brennweite — benutzt werden kann.
81.
•i ä f-r'-j r' s Augenspiegel.
Verschiedene Formen der Augenspiegel.
183
An einem Planspiegel (a) ist eine Metallstange mit federndem Bogen befestigt,
welche zur eventuellen Aufnahme eines Convexglases (f) dient (Figur 82).
Das Convexglas (etwa '/5) ist der Flamme zuge-
kehrt. l>a die Entfernung der Linse von der Flamme
in der Regel grösser als die Brgnnweite der Linse
ist. so werden die Lichtstrahlen, welche durch sie
hindurch gehen, so gebrochen, dass sie convergent
auf den Planspiegel fallen. Von diesem in derselben
Weise reflectirt, sammeln sie sich zu einem umge-
kehrten reellen Hilde a, das nun, wie bei den Con-
cavspiegeln, zur Beleuchtung des zu untersuchenden
Auges dient (Figur 83). Man hat den Yortheil, dass
82.
Cocoius' Spiegel.
man sich gleichsam eine Eeihe von Coneavspiegeln verschiedener Brennweite
schatten kann, indem man verschieden brechende Conyexgläser in das Gestell
einsetzt.
D. Refractionsopkthalmoskope.
Bei der Bestimmuno- der Refraction, wie sie durch die ophthalmoskopische
Untersuchung im aufrechten Bilde gemacht werden kann, bedarf man einer ge-
nügend grossen Anzahl von Convex- und Coneavgläsern zur genauen Correction
der etwa vorhandenen Befractionsanomalien. Diese Gläser befinden sieh hinter
der SpiegelöfFnung und müssen mit Leichtigkeit und schnell gewechselt werden
können. Ein abwechselndes Herausnehmen und Hineinleben, wie es z. B. hei dem
J äg er 'sehen Spiegel nöthig ist. würde unpraktisch sein, da die Refractionsbestim-
mung. wie wir unten sehen werden, davon abhängt, dass man mit einem bestimmten
Correctionsglase den Augenhintergrund des Untersuchten maximal scharf sieht.
Leber Differenzen in der Schärfe kann man jedoch nur in der Weise ein Urtheil
gewinnen, dass man durch schnelles Wechseln der verschiedenen Gläser das-
jenige, welches am genauesten corrigirt, herausfindet. Man setzte deshalb eine
grosse Zahl von kleinen Linsen in den Rand einer runden, an der hinteren Spiegel-
fläche befestigten Platte: indem man letztere dreht, bringt man nacheinander die
verschiedenen Linsen hinter die Oeffnung des Spiegels (Refraetionsspiegel
von Lorin g, Wecker, Knapp). Da jedoch bei zu grosser Kleinheit dieser
<d;'i>er auch die Oeffnung des Loches, durch das man sieht, sehr klein wird, so
kann eine störende stenopä'ische Wirkung eintreten . durch welche allein schon
die unregelmässige Brechung bei Befractionsanomalien einen gewissen Ausgleich
erfährt. Man hat deshalb durch Anwendung von zwei solchen Platten ermöglicht,
184
t Ophthalmoskopie.
grössere Gläser einzusetzen, ohne die Zahl zu verringern. Eine dieser Scheiben
enthält die schwächeren »unser, die andere die stärkeren: sie müssen demnach
entsprechenden Falles herausgenommen und gewechselt werden i Gowers, Eirsch-
berg, Borstmann u. A.) i Fig. 84).
Andererseits hat man zwei Platten übereinander gelegt
und gegeneinander verschiebbar gemacht. In dieser Weise
gelingt es. durch eventuelle Combination zweier Gläser -
eines der oberen und eines der unteren Platte — ebenfalls
eine grosse Zahl verschieden brechender Linsen zu gewinnen
(Landolt, Schweigger u. A.).
Auch in der Form der spiegelnden Flächen rinden sich
Modifikationen. Da bei der Untersuchung- im aufrechten Bilde
ein zu starker Lichteinfall zu einer störenden Verengerung
der Pupille Anlass geben kann, so werden hier meist die Pia ir-
den Concavspiegeln vorgezogen. Letztere senden bei ihrer
gewöhnlichen Brennweite von 4 — 7 Zoll, da man sich dem
untersuchten Auge etwa Ins auf zwei Zoll nähert, conver-
girende und daher auch zahlreichere Lichtstrahlen von der
ausserhalb ihrer Brennweite stehenden Lampe in die Pupille,
während bei Planspiegeln die divergirenden Strahlen des
Spiegelbildes zur Beleuchtung dienen. Dem Uebelstanrle
einer zu intensiven Beleuchtung durch die Concavspiegel
lässt sich übrigens sehr leicht abhelfen, wenn man die
Lampenflamme etwas niedriger schraubt oder weiter abrückt.
Auch hat man zu dem Zweck Concavspiegel von sehr kurzer
Brennweite, etwa l3 4 bis '2 Zoll, gewählt (Parent), bei
denen das umgekehrte als Beleuchtungsobject dienende
Flammenbildchen noch vor das untersuchte Auge fällt. —
Wünschenswerth ist. wie erwähnt, bei einem zur Refractions-
bestimmung benutzten Ophthalmoskop, dass der Spiegel
allein — ohne die dahinter befindlichen Correctionsgläser —
die erforderliche Schiefstellung zur Lampenflamme einnehmen kann, ähnlich wie
beim Jäger' sehen Spiegel. Wadsworth hat zu dem Zwecke einen sehr kleinen
schräggestellten Spiegel angewandt, der aber wegen seiner Kleinheit das Auf-
fangen des Lichtes von der Flamme erschwert (vgl. Figur 84).
Der von mir zur Refractionsbestimmung im umgekehrten Bilde angegebene
kleine Apparat wird bei der Darlegung der betreffenden Methode beschrieben
werden.
IL Binoculare Augenspiegel.
1) Giraud-Teulon benutzte bei seinem Augenspiegel, der die Beobachtung
des Augenhintergrundes mit beiden Augen gestattet, das Princip der totalen
Reflection. Figur 85 zeigt die ( '(Instruction desselben im Querschnitt. Hinter
einem etwas grossen <oiic;i\ Spiegel befinden sich zwei im Querschnitt rhombo-
edrische Glasprismen (abcd und a, bC| dt) so, dass sie gerade mitten hinter dem
centrales Loch des Spiegels mit einer ihrer Kanten aneinander stossen. — Winkel
abd sowie Winkel ae'd beträgt 45 Grad. Senkrecht oder annähernd senkrecht
auf ab (respective bai) fallende Strahlen gehen ungebrochen durch ab, werden
von dli total reflectirt, gehen nach ca, wo sie wieder total reflectirt werden und
verlassen unter einem rechten Winkel (g respective gt) das Prisma. Ist 11 nun
das umgekehrte Bild eines beleuchteten Theiles des Augenhintergrundes (etwa
Verschiedene Formen der Augenspiegel.
L85
der Papille), so werden die davon ausgehenden Lichtstrahlen beide Prismen treffen
und dieselben bei g und g, verlassen. Befinden sieh die beiden Augen des Be-
obachters so hinter dem Spiegel, dass diese Strahlen in ihre Pupillen fallen, so
selien sie K binocular. Hierbei ist vorausgesetzt, dass die Sehlinien des Beob-
achters entsprechend dem Laute der bei g und g| austretenden Lichtstrahlen,
parallel gerichtet sind, was beim Sehen naher Gegenstände gewöhnlich nicht statt
findet, Um diesem Uebelstande abzuhelfen, ist hinter den rhomboedrischen Prismen
noch je ein kleineres Prisma — wie in Stereoskopen — angebracht, mit der Basis
nach aussen. Indem hierdurch die Strahlen nach aussen abgelenkt werden, kann
der Untersucher die. auch für die Accommodation bequemere Convergenzstellung
seiner Augen beibehalten.
Da die Entfernung der Augen von einander d»ei verschiedenen Individuen
eine verschiedene ist. so ist das rechts gelegene der beiden rhomboedrischen
Prismen durchschnitten (bei a2 d2). Rückt man mittels einer Schraube die Theile
von einander ab. so wird der bei gt austretende Strahl etwas weiter nach rechts ver-
schollen: es kann demnach auch ein Untersucher, dessen Pupillen weiter von ein-
ander abstehen, als in der Zeichnung angenommen, diesen Lichtstrahl aufnehmen.
Neuerdings hat Giraud-Teulon eine Modification angegeben, bei der der eigent-
liche Spiegel fehlt, da die Lichtquelle, eine kleine Edinson'sche Lampe, direct
zwischen den beiden Grlas-Rhomboedern (in b der Figur 85) steht.
Der binoculare Augenspiegel hat den Vorzug, dass er eine Art körperlichen
Sehens vermittelt und die (Gegenstände in plastischer Form zeigt, sodass z. B.
eine excavirte Papille als Grube erscheint. Hiervon kann man sich leicht über-
zeugen. Allerdings das Höchste des binocularen und körperlichen Sehens, wie
es der Hering'sche Fallversuch s. S. 163) erfordert, wird auch bei der Be-
nutzung des binocularen Augenspiegels nicht erreicht.
•_' Coccius leirte hinter den gewöhnlichen durchbohrten < oneavspie.^el
einen durchbohrten Planspiegel, der etwa einen Winkel von 4ö Grad mit der
Sehlinie des Beobachters bildete. Empfängt nun beispielsweise das linke Auge,
durch diese beiden Spiegelöffnungen blickend, von dem ophthalmoskopischen
Hilde R Lichtstrahlen, so sieht das rechte Auge dasselbe Bild in einem anderen
1 si I Ophthalmoskopie.
undurchbohrten Planspiegel, der im Winkel von 4") Grad dem durchbohrten
Spiegel zugedreht sich befindet (Figur 86). Jedoch sehen die Augen bei dieser
Anordnung nicht das Objeet, wie es bei dem Spiegel von Girau'd-Teulon mög-
lich ist. zugleich von der rechten und linken Seite.
3) Laurence wandte einen grösseren Spiegel mit zwei Oeffhungen an.
während Schweigger vor jedes Auge einen durchbohrten Concavspiegel legte.
Ks eignen sich diese Methoden aber nur für die Untersuchung der vorderen
Augenpartien; ebenso sind sie bei der Untersuchung im unigekehrten Bilde nicht
verwendbar.
III. Demonstrationsspiegel.
Diese Spiegel sollen dazu dienen, denen, welche nicht ophthalmoskopiren
können, den Augenhintergrund sichtbar zu machen.
1) Das grosse Liebreich'sche Ophthalmoskop gehört hierher. An dem einen
Ende einer Röhre, in einem Ausschnitt und nach der Lichttlamine zu drehbar, befindet
sich ein durchbohrter Concavspiegel, durch den der Untersuchende sieht. In der
Röhre ist eine verschiebbare Convexlinse ; an das andere Ende der Röhre kommt
das Auge des zu Untersuchenden. Oberhalb und seitlich der Röhre ist ein an
einer Stange beweglicher Knopf, der so gestellt werden kann. dass. wenn der
Untersuchte ihn fixirt, seine Papille sich gerade der Röhre gegenüber befindet.
Der Ophthalmoskopirende muss jetzt Spiegel und Convexlinse so stellen, dass ein
umgekehrtes Bild vom Augenhintergrund in der Röhre entworfen wird. Be-
hält der Untersuchte seine Augenstellung und Accommodation bei, so werden
auch Personen, die nicht ophthalmoskopiren können, das Augenspiegelbild wahr-
nehmen.
Besser sind die Spiegel, die gleichzeitig eine Controle des kundigen Be-
obachters zulassen, bei denen also zwei Beobachter zu gleicher Zeit den Augen-
hintergrund (im umgekehrten Bilde) sehen. Sehr empfehlenswerth ist hier der
<;i raud-Teulon'sche binoculare Augenspiegel. Man entfernt zu dem Zweck den
Theil ai dt d2 a2 des rechten rhomboedrischen Prismas (siehe Figur 85). Alsdann
geht der horizontale Strahl in gleicher Richtung weiter. Diesen fängt das Auge
des zweiten Beobachters auf. während der erste Beobachter mit seinem rechten
Auge den Lichtstrahl g erhält.
2) Ebenfalls unter Benutzung der totalen Reflection sind von Sichel und
Schweigger Dcmonstrationsspiegel construirt. Hinter der centralen Oeffnung
eines concaven Augenspiegels ist ein Glasprisma angebracht, welches die Oeffnung
nur zur Hälfte deckt. Ein Theil der Strahlen des ophthalmoskopischen Bildes
geht demnach ungebrochen durch die Oeffnung, während der andere Theil durch
das Prisma (wie oben bei Giraud-Teulon) nach rechts abgelenkt wird, um das
Auge des zweiten Beobachters zu treffen. Doch gelingt es hier nur mit ziemlicher
Schwierigkeit, dass zwei Beobachter gleichzeitig das Bild seilen.
.'!i Peppmüller hat in seinem Ophthalmoskop vor das centrale Loch einen
kleinen schräg gestellten Spiegel angebracht, welcher die Oeffnung ebenfalls nur
zum Theil verdeckt, sodass die Strahlen theilweise durch dieselben gehen, /.um
Theil auf den kleineren Spiegel fallen und hier reflectirt werden.
\< Neuerdings hat Thorner einen stabilen Augenspiegel mit retlexlosem
Bilde construirt. der ebenfalls zu Demonstrationszwecken benutzt werden kann.
Die Bonst auftretenden Störungen durch Reflexe an der Cornea und Linse werden
dadurch beseitigt, dass er durch eine Hälfte der Pupille die Beleuchtungsquelle
Verschiedene Formen der Augenspiegel.
IST
für die Netzhaut mittels eines Prismas und eines optischen Systems in dns Augen-
innere hinter die Linse verlegt. l>ie durch die andere dunkle Pupillenhälfte von
der Netzhaut zurückkommenden Strahlen gelangen alsdann ohne jeden ßeflex in
das Auge des Beobachters, während die durch die beleuchtete Hälfte zurück-
kommenden unschädlich gemacht werden. Mit diesem Spiegel h'isst sich ein Ge-
sichtsfeld von 37° erreichen.
5 sind beide Beobachter im Ophthalmoskopien einigermaassen geübt, so ge-
lingt auch in nachstehender Weise das gleichzeitige Sehen des ophthalmoskopischen
Bildes. Beobachter A. der neben und etwas hinter dem zu beobachtenden Auge
sich befindet, wirft vermittelst eines durchbohrten Augenspiegels Strahlen von
einer Lichtflamme so. dass sie auf den durchbohrten planen Augenspiegel des vor
dem zu Untersuchenden sitzenden Beobachters B fallen, der seinerseits dieselben
in das Auge des Untersuchten wirft. Die Strahlen des ophthalmoskopischen Bildes
werden nun theils durch die centrale Oeffnung des von B gehaltenen Spiegels in
dessen Auge gelangen, theils von dem Spiegel reflectirt von dem Beobachter A
-eschen werden. — Die Methode von Coccius-Bellarminoff s. S. 172.
IV. Spiegel zur Autophthalmoskopie.
Um sich selbst zu Ophthalmoskopien, sind verschiedene Methoden und In-
strumente erdacht. Nach Coccius erweitert man sich die Pupille durch Atropin
oder Homatropin. um zugleich die Accommodation zu lähmen. Der Emmetrop ist
alsdann für parallele Strahlen eingerichtet, der Myop
oder Hyperop muss seine Kefractionsanomalie durch
Vorlegen des entsprechenden Glases corrigiren. Nun-
mehr wird der plane Augenspiegel (siehe Figur 87j,
die spiegelnde Fläche dem Auge zugekehrt.
schräg vor dasselbe gehalten. Die Sehlinie (m k) wird
auf den Band der Spiegelöffnung gerichtet. Durch
letztere dringt von einer Lampe, am besten noch durch
eine Convexlinse (1) eondensirt, Licht in die Pupille.
Bei passender Stellung des Auges kann man es dann
erreichen, dass die einfallenden Lichtstrahlen gerade
die Papilla optica (p) erleuchten. Die von dieser aus-
gehenden Strahlen verlassen parallel p k und unter
einander parallel das Auge, fallen auf die Spiegelfläche
bei pi, wo sie reflectirt werden, gehen in das Auge
zurück und vereinigen sieh auf der Macula. In dieser
Weise sieht der Ophthalmoskopiker seine eigene Papille.
Eine andere eomplicirtere Methode mittels Prismen
hat Heymann angegeben. Das Instrument hat die
Gestalt eines binocularen Opernguckers. Durch' ge-
schickte Benutzung eines schräg gestellten durchbohrten Planspiegels, der am
Ende der einen Bohre, und eines total reflectirenden Prismas, das am Lüde der
anderen Röhre sich befindet, gelingt es. mit dem zweiten Auge den Hintergrund
des ersten zu sehen.
Heine hat neuerdings eine Methode der Autophthalmoskopie im umge-
kehrten Bilde erdacht. Zwischen der Lichtflamme und dem linken Auge, dieses
beschattend, wird in senkrechter Stellung ein kleiner Toilettenspiegel vorgehalten.
Vor dem rechten Auge befindet sich der Liebreich sehe Augenspiegel, mittels
Is> Ophthalmoskopie.
dessen das Licht so auf den Planspiegel geworfen wird, dass es von dort reflec-
tirt in die Pupille des linken Auges fällt. Das von der Netzhaut des letzteren
reflectirte Licht wird durch eine vorgehaltene C'onvex-Linse 13*0 zu einem umge-
kehrten Hilde gesammelt, welches das rechte Auge im Planspiegel wahrnimmt.
Die Frage, welcher Augenspiegel wohl der praktischste sei, lässt
sieb, allgemein gehalten, nicht beantworten, da für die verschiedenen
Zwecke die verschiedenen Spiegel mehr oder minder geeignet sein werden.
Für die Untersuchung im aufrechten Bilde pflegt man, um eine mög-
lichst weite Pupille zu erhalten, lichtschwächere Spiegel (Planspiegel)
zu wählen. Manche liehen sie auch bei der Untersuchung im um-
gekehrten Bilde. Jedoch ziehe ich hier die .Concavspiegel vor, weil sie eine
erheblich hellere Beleuchtung geben; letztere ist von besonderem Nutzen
( — auch bei der Untersuchung im aufrechten Bilde — ), wenn man bei
Trübungen der optischen Medien ein Bild des Augenhintergrundes er-
halten will. Die zuweilen übermässig betonten Nachtheile der stärkeren
Beleuchtung (Verengerung der Pupille, Blendung) lassen sich durch
entsprechende Abschwächung der Lichtcnielle (Lampenflamme, elec-
trische matte Birnengläser) vermeiden. Wer demnach nicht in der
Lage ist, sich einen der ziemlich theuren Refractionsaugenspiegel anzu-
schaffen, wird meist mit dem kleinen Liebreick'schen oderCoccius'scken
auskommen. Genaue ophthalmoskopische Refractionsbestimmungenlassen
sich allerdings nicht damit machen, ausser unter Benutzung meiner
Methode im umgekehrten Bilde.
3. Beleuchtungsquelle.
Für gewöhnlich nimmt man zum Ophthalmoskopiren eine mit
< \ linder versehene Oel-, Petroleum-, Gas- oder electrische Lampe. Diese
Flammen geben dem Augenhintergrunde je nach der Farbe ihres Lichts,
eine gewisse Nuance, die bei lichtstarken Spiegeln etwas mehr hervortritt
als bei lichtschwachen. Man hat deshalb auch diffuses Tageslicht zum
< »phtlialnioskopiren benutzt, das eine sehr lichtschwache Beleuchtung des
Augenhintergrundes giebt und von einigen Autoren empfohlen wird, um
kleinere pathologische Farbenveränderungen (z. B. die leichte Blässe
der Papille bei beginnender Sehnervenatrophie) zu erkennen. Ich kann
nicht rinden, dass das Tageslicht hier von besonderem Nutzen ist. Da
der ganze Augenhintergrund gleichmässig in einem blasseren Liebte
erscheint, so wird natürlich auch die Papille blasser. Eine stärkere
Differenzirung aber in der Farbe zwischen einer normal röthlichen und
einer leicht atrophischen durch diese Beleuchtung habe ich nicht wahr-
Beleuchtungsquelle. lsi i
genommen. AVill man bei Tageslicht ophthalmoskopiren, so lässt man in
das sonst dunkle Zinnner das Licht durch eine kleine < >effnung im
Fensterladen einfallen. Der zu Untersuchende stein oder sitzl dichl
nchen der Oeffnung. Im Uebrigen ist auch das diffuse Tageslicht
in der Regel nicht absolut farblos, da es von den reflectirenden Flächen,
von denen es entnommen wird, eine gewisse Färbung erhält. Selbst
das Licht der Wolken hat verschiedene Färbung. Directes Sonnen-
licht darf man natürlich nicht benutzen, da sonst eine Verbrennung (\vr
Netzhaut eintreten würde.
4. Praktische Ausführung der Augenspiegel-Untersuchung.
In einem dunklen Zimmer stellt man eine brennende Lampe nur mit
einem Cylinder versehen, auf einen Tisch zur Seite und etwas hinter den
Kopf des zu Untersuchenden, sodass dessen Gesicht im Schatten bleibt.
Bei der Untersuchung im umgekehrten Bilde empfiehlt es sich, die Lampe
zur linken Seite des Untersuchten zu stellen, um sich nicht etwa durch
die linke, die Convexlinse tragende Hand das Licht abzuschneiden, falls
man den Spiegel vor seinem eigenen rechten Auge hält. Für die Unter-
suchung im aufrechten Bilde ist es, wenn das rechte Auge untersucht
wird, etwas bequemer, die Lampe rechts zu stellen. Die Flamme der
Lampe muss möglichst in gleicher Höhe mit dem Auge des sitzenden
Patienten sich befinden. Es ist daher angenehm, eine bezügliche Ein-
richtung zum Herauf- und Herunterstellen an der Lampe zu haben.
In den meisten Fällen wird sich ein Rundbrenner mehr empfehlen als
ein Flachbrenner, da sich der Augenspiegel gelegentlich in verschiedenen
Richtungen der Flamme gegenüber befindet und von ihr Licht entnehmen
muss. Der Arzt setzt sich dem Kranken gegenüber und so, dass die
S ti'ihle ziemlich nahe aneinander kommen. Dies erreicht man, indem
man die Beine des Anderen zwischen die eigenen nimmt, oder auch,
indem Arzt und Patient die Beine nach entgegengesetzten Seiten richten.
Das Auge des Beobachters und das des zu Untersuchenden müssen mög-
lichst in einer horizontalen Ebene sich befinden (siehe Figur 88).
Yortheilhaft ist es, wenn man es erreicht, mit beiden Augen Ophthal-
moskopien zu können: der Anfänger wird sich aber begnügen, nur
erst mit einem Auge etwas zu sehen.
Den Spiegel nimmt man, wenn man mit dem rechten Auge -- wie
wohl meist geschieht — ophthalmoskopirt, in die rechte Hand, andern-
falls in die linke und hält ihn, den oberen Rand desselben dem oberen
< »rbitalrand anlegend, dicht vor sein eigenes Auge, indem man durch
die Oeffnuns; hindurchsieht. Darauf wirft man durch leichte Schräg-
190
( Ophthalmoskopie.
Stellung- des Spiegels «las Lampenlicht in die Pupille des zu Unter-
suchenden. Es gelingt dies zuerst nicht immer leicht. Der Anfänger
mag alsdann mit dem freien Auge sehen, wo das bei der jeweiligen
Haltung des Spiegels entworfene Lichtbild sich befindet und nun durch
Drehen des Spiegels es allmählich in die Pupille leiten. Wenn er nun-
mehr das freie Auge schliesst, so wird er; durch die Spiegelöffnung
blickend, die Pupille roth leuchten sehen: damit ist der erste Anfang
zum Ophthalmoskopiren gewonnen.
Manchen Personen wird das Zukneifen des einen Auges schwer:
sie erlernen es erst durch längere Uebung. Diese müssen sich eventuell
88.
eine Klappe vor dasselbe legen. Noch besser ist es, ohne Schliessen des
zweiten Auges zu ophthalmoskopiren, wenn man es eben versteht, von
den dieses Auge treffenden Eindrücken zu abstrahiren.
Zur Untersuchung, ob Trübungen in den brechenden Medien vor-
handen sind, heisst man nun den Patienten sein Auge einige Male nach
oben und unten, rechts und links bewegen. Bei vorhandenen Trübungen,
seien es 1 IornhautHocke, Pupillar-Auflagerungen, Linsen- oder Grlas-
körpertrübungen, freien alsdann graue oder schwarze Flecke in dem
Roth der Pupille hervor: bewegen sich diese Flecke in gleicher Richtung
wie die Hornhaut (h'^ Auges, so liegen sie vor dem Drehpunkt des
Auges. Man lasse sich aber bezüglich der Richtung nicht dadurch
täuschen, dass die Bewegungen der Linsentrübungen weniger ausgiebig
Praktische Ausführung der Augenspiegeluntersuchung. 191
erfolgen, als die der Hornhaut. Noch in anderer Weise kann man
ophthalmoskopisch die Lage der Trübung bestimmen, indem man, während
das beobachtete Auge still steht, Spiegel und eignes Auge seitwärts
bewegt. Die im Pupillengebiet liegenden Trübungen behalten jetzt ihre
trülicre Lage, die vor demselben (z. B. in der Hornhaut) befindlichen
machen hingegen scheinbar eine der eigenen Augenbewegung entgegen-
gesetzte Bewegung, die hinter der Pupillen-Ebene liegenden eine gleich-
artige. Am einfachsten giebt übrigens die Untersuchung mit schiefer
Beleuchtung Auskunft über die Lage der in den vorderen Partien des
Auges befindlichen Trübungen.
Uie Untersuchung des Augenhintergrundes pflegt man mit der des
Sehnerveneintritts (Papilla nervi optici) zu beginnen, einmal, weil sich
an diesem und in seiner Umgebung die meisten Krankheitsprocesse ab-
spielen und weiter auch, weil er durch seine hellere Färbung mit dem
intensiven Roth des übrigen Augenhintergrundes stark contrastirt und
so einen für die erste Accommodation des untersuchenden Auges ge-
eigneten Anhaltspunkt gewährt. Der Sehnerv tritt etwas nasal vom
hinteren Pole des Auges durch die Sclera. "Will man ihn daher bei der
Augenspiegeluntersuchung sich vis-ä-vis haben, so darf der Patient nicht
in die Richtung des Spiegels blicken ■ — alsdann hätte man die Macula
lutea vor sich -- sondern niuss das Auge etwas nasenwärts wenden.
Im (Ganzen wird man die passende Stellung bekommen, wenn man, falls
das linke Auge des Kranken vom rechten des Beobachters Ophthalmo-
skopie wird und beide Gesichter sich gerade gegenüber befinden, den
Kranken anweist, in der Richtung nach dem linken Ohr des Beobachters
hin — in der Höhe der Augen — zu blicken. Will der Beobachter
das rechte Auge des Kranken ebenfalls mit seinem rechten Auge oph-
thalmoskopiren, so muss er mit seinem Kopfe etwas nach links herüber
rücken. Die Blickrichtung des Kranken wird demnach etwas nach
aussen vom rechten Ohre des Beobachters verlaufen müssen.
Dem Anfänger ist es eine grosse Erleichterung, die Pa-
pille sofort sich gegenüber zu haben: mit der eben erwähnten
Blickdirection des zu L'ntersuchenclen wird ihm dies gelingen; nur achte
er ilarauf, dass letzterer wirklich die befohlene Richtung einnimmt und
beibehält. Viele Patienten blicken immer wieder neugierig in den Spiegel.
Das Engerwerden der Pupille und die zahlreichen Reflexe können den
Untersucher auf diese Stellungsänderung aufmerksam machen. Hat man
bei schlechter Augenstellung nicht die Papille vor sich, sondern andere
Netzhautpartien, so kann man zu ersterer gelangen, wenn man die sicht-
baren Netzhautgefässe in ihrem Verlauf verfolgt und zwar von den dicho-
tomischen Verästelungen sich entfernend dem immer stärker werdenden
Hauptaste zu, bis zu seinem Anfange, der in der Papille liegt. —
192 Ophthalmoskopie.
Um die Pupille des Untersuchten möglichst zu erweitern und bei
der ophthalmoskopischen Untersuchung die Aecommodation desselben zu
erschlaffen, lasse man ihn (in der bezeichneten Richtung) in die
Ferne, in das Dunkle des Zimmers hineinblicken, nickt etwa das
( >hr seihst fixiren. Auch das Verdecken des anderen Auges kann zur
Pupillenerweiterung benutzt werden.
Für gewöhnlich bedarf es keiner künstlichen Dilatation. Wenn
jedoch die Pupille eng' ist und die Medien des Auges weniger durch-
sichtig sind, wie besonders bei älteren Individuen, oder wenn es darauf
ankommt, peripher gelegene Theile der Linse oder des Augenhinter-
grundes zu untersuchen — es kann bei erweiterter Pupille noch eben
die Grenze des Ciliarkörpers ophthalmoskopisch gesehen werden
(Magnus) — , hat man dazu zu schreiten. Man bedient sich zur Er-
reichung der Mydriasis vortheilhaft der oben unter den Mydriaticis
erwähnten Lösungen von Ephedrin und Euphthalmin: in 25 bis 30
Minuten ist meist eine zum Ophthalmoskopiren genügende Erweiterung
erreicht. Bei älteren Individuen bedarf es wiederholter Einträufelungen.
Ist Verdacht auf Glaukom vorhanden, so muss man mit mydriatischen
Mitteln vorsichtig sein, jedenfalls Atropin vermeiden, da der Ausbruch
eines acuten Glaukomanfalles unmittelbar danach erfolgen kann. Am
wenigsten gefährlich erscheint hier Cocain.
Bei der Untersuchung im umgekehrten Bilde — ebenso
wenn man nur die vorderen Augenpartien oder den Glaskörper durch-
mustern will — bleibt man mit dem Spiegel weiter von dem untersuchten
Auge entfernt (etwa 35 bis 45 cm) als bei der Untersuchung im auf-
rechten Bilde. Als Convexlinse zur Entfernung des umgekehrten Bildes
empfiehlt sich meist 13-0: hiermit hat man eine entsprechende Ver-
grösserung und braucht doch die Linse nicht gar zu weit vom Auge ab-
zuhalten. Bei starker Hypermetropie, bei Netzhautablösungen, bei Unter-
suchung auf Cysticerken oder wenn man einen grösseren Theil des
Atigenhintergrundes auf einmal übersehen will, sind stärkere Linsen
(20-0 Ins 25-0) angezeigt. Die Convexlinse hält man so vor das zu
untersuchende Auge, dass man sie, falls sie keinen Griff hat, zwischen
dem am oberen Bande angelegten Zeigefinger und dem am unteren
Bande befindlichen Daumen der linken Hand fasst und den kleinen
Finger der gespreizten Hand an die Stirne des Untersuchten legt. Auf
diese Weise kann man die Linse dem Auge nähern und von ihm ent-
fernen. Pupille, Linseneentrum und Augenspiegelöffnung müssen mög-
lichst in einer horizontalen Linie sich befinden. Die Linse soll so weit
von der Pupille entfernt gehalten werden, dass ihr Brennpunkt ungefähr
in letztere fällt. Wenn man sie dem Auge näher hält, so ist die roth-
leuchtende Pupille vom Lrisrand umglänzt. In diesem Falle geht man
Praktische Ausführung der Augenspiegeluntersuckung. 193
langsam weiter ab, bis die Iris ganz aus dem Gesichtsfelde schwindet
und hat dann die richtige Entfernung. Mit seinem eigenen Auge und
dem Augenspiegel muss man von der Linse so weit entfernt sein, dass
man ausreichend auf das zwischen Linse und Spiegel in der Luft
schwebende umgekehrte Bild des Augenhintergrundes accommodiren
kann. Untersuchen wir ein emmetropisches Auge mit 13-0, so wird
das umgekehrte Bild ' I3 m = 79/13 cm von der Linse abliegen. Wenn
wir die bequeme Sehweite auf 25 cm annehmen, so muss demnach der
Augenspiegel und das Auge des Untersuchers circa 33 cm, von der Linse
entfernt sein. Ist Jemand so kurzsichtig, dass er in 25 cm Entfernung
nicht mehr deutlich sehen kann, so nähert er sich mit dem Spiegel so
weit als es ihm nöthig erscheint. Für Kurzsichtige, die gewöhnt sind,
beständig, also auch für die Beschäftigungen in der Nähe, Brillen zu
tragen, empfiehlt es sich, selbige auch beim Ophthalmoskopien aufzu-
behalten. Für LTebersichtige ist ein entsprechendes Zurückgehen mit
dem Spiegel erforderlich, oder die Benutzung einer Convexlinse, welche
hinter den Spiegel gelegt wird. Dasselbe gilt für Presbyopen. Auch
Emmetropen und Myopen können sich gelegentlich hinter den Spiegel
gelegter Ooiivexgläser bedienen, um ihren Accommodationsmuskel zu
schonen und sich gleichzeitig auch — bei stärkeren Gläsern — das Bild
zu vergrössern. Dem Anfänger ist aber die Benutzung der Convexgläser,
wenn sie nur aus diesen Gründen geschieht, nicht zu rathen; er kommt
dadurch in ungewohnte Accommodationsverhältnisse, die ihm das Ophthal-
moskopiren nur noch mehr erschweren.
Die erste Regel ist nun, nicht durch das vorgehaltene Convexglas
hindurch sehen zu wollen, sondern das Auge auf das zwischen ihm
und dem Convexglase befindliche Luftbild zu accommodiren.
Als gute Uebung hierfür dient es, wenn man sich von einer vertical
neben eine Flamme gestellten Schrift mit convex 13-0 ein umgekehrtes
Bild entwirft, indem man die Schrift gleichzeitig mit dem Augenspiegel
beleuchtet: also mit der Schrift ganz so wie bei der ophthalmoskopischen
Untersuchung des Augenhintergrundes verfährt. Weiter ist auch das
Ophthalnioskopiren von Thieren, besonders Kaninchen, dem Anfänger
zu empfehlen. Bei dunkelhaarigen Kaninchen sieht man im Augen-
hintergrunde hellrothe Streifen auf dunklerem Grunde: es sind dies die
Chorioidealgefässe. Bei weissen Kaninchen erscheinen die Gefässe roth
auf hellerem Grunde, da wegen des Pigmentmangels der Chorioidea
die Sclera durchscheint. Die JSetzhautgefässe sind bei Kaninchen sehr
sparsam vorhanden und nur in der Nähe der Papille ausreichend
hervortretend. Will man die Papilla optica sehen, so muss man von
unten und etwas von hinten in das Auge hineinblicken. Man findet
die betreffende Stelle am leichtesten, wenn man erst mit dem Augen-
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 13
1 * »_!- Ophthalmoskopie.
Spiegel — ohne Convexglas — Licht in die Pupille wirft und, sich hin
und her mit dem Kopfe bewegend, die Stelle aufsucht, an der man
keinen rothen, sondern einen mehr weisslichen Reflex sieht. Hält man
nunmehr das Convexglas vor, so erkennt man die bläulichweisse, hier
auch physiologisch vertiefte (excavirte) Papille, von der aus sich, be-
sonders bei pigmentirten Kaninchen, leicht gestreifte, hellweisse, sectoren-
förmige Figuren in die Netzhaut erstrecken. Letztere sind der optische
Ausdruck der hier verlaufenden markhaltigen Nervenfasern. Im auf-
rechten Bilde sind auch die Augen der Frösche leicht zu untersuchen,
besonders interessant ist die Beobachtung der Blutströmung in den Ge-
fässen der Membr. hyaloidea. —
Eine weitere Schwierigkeit ausser der richtigen Augeneinstellung
verursachen oft Lichtreflexe an der Cornea und an der Convexlinse.
Man kann letztere verringern, wenn man das Glas etwas um seine hori-
zontale oder verticale Achse dreht. Auch Verringerung der Lichtin-
tensität oder weiteres Abgehen mit dem Spiegel mindert sie. Das von
der Hornhaut entworfene Spiegelbild des Ophthalmoskops, das der
Untersuchende bisweilen als eine glänzende kleine Scheibe mit einem
schwarzen Punkt (Sehloch) in der Mitte sieht, wird von Anfängern
manchmal für die Papilla optica gehalten.
Ferner ist störend, dass das ophthalmoskopische Gesichtsfeld bis-
weilen nur in kleiner Ausdehnung beleuchtet ist, indem ein ziemlich
scharfes umgekehrtes Flammenbild in der Gestalt eines hellerleuchteten
Dreiecks mit nach oben liegender Basis auf der Netzhaut entworfen wird.
Nur was in dieser erleuchteten Partie liegt, ist alsdann erkennbar. Die
Schärfe, mit der sich das Flammenbild auf der Netzhaut abzeichnet,
hängt von der Brennweite des Spiegels, von der Entfernung, in der sich
dieser vom Auge respective der Convexlinse befindet, und schliesslich von
der Refraction des untersuchten Auges ab. Es ist am schärfsten, wenn
der conjugirte Punkt des als Beleuchtungsquelle dienenden Flammen-
bildchens in der Netzhaut liegt. Tritt in einem gegebenen Falle das
Flammenbild auf der Netzhaut sehr scharf hervor, so geht man, um
diesen Uebelstand zu vermeiden, mit dem Spiegel etwas weiter vom
Auge ab oder näher heran. Im Ganzen pflegen bei den üblichen Ent-
fernungen, wie sie bei der Untersuchung im umgekehrten Bilde inne-
gehalten werden, schwache Concav- oder Planspiegel grössere Zer-
streuungskreise des Flammenbildcs und somit eine diffusere Beleuchtung
der Netzhaut zu geben. Bei guter Beleuchtung und mittelweiter Pupille.
übersieht man mit -j- 13-0 die ganze Papilla optica und eine angren-
zende Zone von einer Breite, die etwa dem halben Papillendurchmesser
entspricht.
Bei der Untersuchung im aufrechten Bilde muss man mit
Praktische Ausführung der Augenspiegeluntersuchung. 195
dem Spiegel auf 5 bis 6 cm an das zu untersuchende Auge herangehen:
eine Annäherung, vor der die Anfänger gewöhnlich zurückschrecken,
Ferner ist es schwer, in dieser Nähe noch das Lieht von der Lichtriamine
zu erhalten und in die Pupille zu reflectiren. Man thut daher gut, die
Ophthalmoskopirlampe etwas weiter nach vorn und mehr zur Seite zu
rücken als bei der Untersuchung im umgekehrten Bilde. Alsdann be-
ginnt man damit, aus einer Entfernung von etwa 20 cm das Licht in
das zu untersuchende Auge zu werten, und geht nun näher, indem man
beständig durch die Spiegelöffnung blickt und darauf achtet, dass die
Pupille roth leuchtend bleibt, was man 'durch entsprechende leichte
Drehungen des Spiegels erreicht.
Besonders die Untersuchung im aufrechten Bilde wird sehr erleich-
tert, wenn man das rechte Auge des Kranken mit dem eigenen rechten
imd das linke mit dem eigenen linken untersucht. Benutzt man das
rechte Auge zur Untersuchung des linken, so wird bei der starken An-
näherung oft die Nase unbequem.
Das Auffinden der Papilla optica geschieht nach den oben gegebenen
Kegeln; wegen der stärkeren Vergrösserung bei der Untersuchung im
aufrechten Bilde gelingt es bei enger Pupille nicht immer, die ganze
Papille mit einem Blicke zu übersehen.
"Während der Emmetrop die ophthalmoskopische Untersuchung im
aufrechten Bilde ohne Correctionsgläser (hinter dem Spiegel) beginnen
soll, hat der Kurzsichtige und Uebersichtige seine Ametropie durch die
entsprechenden Grläser voll zu corrigiren. So wird der Untersucher im
Stande sein, den Augenhintergrund eines emmetropischen Patienten
scharf zu sehen, da von diesem parallele Strahlen kommen, welche von
dem Untersucher zu einem deutlichen Bilde auf seiner Netzhaut ver-
einigt werden können. Jedoch ist der Anfänger hierzu häufig nicht im
Stande, weil er unwülkürlick accommodirt, sich also für divergirende
Strahlen einrichtet. Um dies zu vermeiden, thut man gut, das zweite
Auge offen zu halten mit der Tendenz, vor sich hin zu starren oder
zu divergiren. Manchen gelingt die Accommodationserschlaffung über-
haupt nicht: diese müssen alsdann durch Concavgläser (etwa 3-0 bis
•4-0) die bei der Untersuchung eintretende Accommodationsspannung
ausgleichen.
Ist der zu Untersuchende Myop, so bedarf der Untersucher eben-
falls der Concavgläser, ist der zu Untersuchende Hvperop hingegen der
Convexgläser.
Wemi es sich einfach um "Wahrnehmung des Augenhintergrundes
eines Myopen im aufrechten Bilde handelt, so braucht das benutzte
Concavglas nicht immer dem Grade der Myopie des Patienten zu ent-
sprechen: es darf stärker sein, da der Untersucher alsdann durch
13*
11 »0
( Iphthalmoskopie.
eigene Accommodation die zu starke Zerstreuungskraft der Concavlinse
ausgleicht. Man kann demnach mit verhältnissmässig wenigen Gläsern
auskommen. Die höchsten Grade der Myopie lassen .sich nicht im auf-
rechten Bilde untersuchen, da die von dem Augenhintergrunde eines
solchen Myopen kommenden Strahlen sich dicht vor dem Auge bereits
zu einem umgekehrten Bilde des Augenhintergnmdes vereinen. Bei
Myopie 20-0 D beispielsweise liegt der Fernpunkt des Auges in 5 cm.
Alle vom beleuchteten Augenhintergrunde (ab Figur 89) reflectirten
Strahlen werden sich demnach hier (at bj) vereinen: es entsteht ein
in der Luft schwebendes
Bild. Ist die Myopie noch
stärker, so liegt das Bild
noch näher. Bei der Augen-
spiegeluntersuchung sind
wir aber nicht in der Lage;
so nahe an das Auge heran-
zugehen : wir erhalten dem-
nach in diesen Fällen keine directen Lichtstrahlen vom Augenhinter-
grunde mehr, sondern nur von dem umgekehrten reellen in der Luft
schwebenden Bilde desselben. Man kann dieses Bild bei hochgradigen
Myopen, wenn man einfach mit dem Spiegel Licht in das Auge wirft,
oft schon aus grösserer Entfernung sehen.
Ist der zu Untersuchende Hypermetrop, so muss der emmetropische
Untersucher, falls er nicht accommodirt, corrigirende Convexgläser hinter
den Spiegel legen. Besitzt er aber eine genügend gute Accommodation,
so bedarf er derselben nicht. Da der Anfänger, wie bemerkt, in der
Regel accommodirt, so gelingt es ihm besonders leicht, den Augenhinter-
grund des höhergradigen Hyperopen im aufrechten Bilde zu sehen
(Figur 90).
Wie diese aus etwas grösserer Entfernung bereits erkennbaren Bilder
des Au^enhintergrundcs — das umgekehrte des hochgradigen Myopen
und das aufrechte des Hyperopen — von einander unterschieden werden
können, wird hei der Besprechung der ophthalmoskopischen Refrac-
tionsbestimmung angegeben werden.
Focale Beleuchtung (seitliche Beleuchtung). 1<)7
5. Focale Beleuchtung (seitliche Beleuchtung).
Zur focalen Beleuchtung benutzt mau eine starke Convexlinse, die
das Flammenlicht auf die zu untersuchenden Partien des Auges cou-
centrirt. Es ist diese Methode zu physiologischen Zwecken von Pur-
kinje angewandt, zu augenärztlichen von Sanson und Himly zuerst
empfohlen worden. Man benutzt möglichst starke Linsen (+ 25-0 bis
-f- 20-0). In einem dunkeln Zimmer wird der Patient (ebenso wie beim
Ophthalmoskopiren) neben einen Tisch gesetzt. Die Lampe steht zu
seiner linken Seite, aber jetzt vor seinem Kopfe, sodass das Lampen-
licht durch die vor das Auge gehaltene Convexlinse in gerader Linie
auf die zu untersuchenden Theile fällt. Oefter sieht man, dass die
Lampe ganz auf die Seite (neben oder gar hinter das Auge) gestellt
wird; der Untersucher bemüht sich dann vergebens, Hornhaut oder
Iris durch die Convexlinse zu beleuchten. Sehr bequem ist die Prist-
ley Smith 'sehe Lampe: ein oben offener Metall cylinder trägt in der
Mitte eine kleine Kerze, deren Licht durch zwei der Wand an gegen-
überliegenden Seiten eingefügte Convexlinsen verschiedener Stärke
concentrirt wird.
Nicht immer wirft man das Flammenbildchen direct auf die zu in-
spicirenden GewTebe: oft erkennt man die Veränderungen besser, wenn
nur ein Zerstreuungskreis die Stelle trifft, oder auch wenn sie im Halb-
schatten Hegt, man also die Strahlen sehr schief oder schräg auf das
Auge fallen lässt. Das Verfahren muss eifrig geübt werden, falls man
aus ihm den grösstmöglichsten Nutzen für die Diagnose ziehen will.
Wir verwenden es, wenn es sich um Trübungen und Veränderungen
in Hornhaut, vorderer Kammer, L*is, Linse und den vordersten Grlas-
körperpartien handelt. Von Nutzen ist in vielen Fällen die gleichzeitige
Anwendung einer Lupe, um feinere Details zu erkennen. Die neuer-
dings verbesserte binoculare Lupe von Westien-Zehender, welche
eine etwa zehnfache Vergrösserung giebt, ein grosses Gesichtsfeld und
einen weiten Focusabstand hat, ist besonders empfehlenswerth. Das
Objectiv der Lupe besteht aus zwei Prismen, die in der senkrechten
Mittellinie mit der Kante zusammenstossen; die einfallenden Strahlen
werden hierdurch soweit nach rechts und nach links abgelenkt, dass sie
durch die schräglaufenden Ocular-Röhren in beide Augen fallen.
Durch Benutzung zweier Mikroskope, für jedes Auge eines, hat
Czapski bei seinem binocularen Corneamikroskope den stereoskopischen
Effect noch vergrössert und auch die Möglichkeit verschiedener Ver-
grösserungen (9 bis 63 fache) durch Wechsel der Oculare und Ojective
gegeben: auch ist die am Instrumente selbst angebrachte Beleuchtungs-
quelle bequemer.
198 Ophthalmoskopie.
6. Refractionsbestimmung en mittels des Augenspiegels.
Bereits Helmholtz wies darauf hin, dass der Augenspiegel auch
angewandt werden könne, um Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeit ob-
jectiv zu erkennen. Der Nutzen einer solchen ohjectiven Refractions-
bestimmung ist ein vielfacher. Sie sichert den Arzt gegen absichtlich
falsche Angaben, wie sie bei Simulanten vorkommen, und corrigirt solche,
die aus Unkenntniss mangelhalft und fehlerhaft gemacht werden. Auch
giebt es nicht selten Fälle, wo es bei sehr jungen und zu maassgebenden
Aeusserungen unbefähigten Kindern erwünscht ist, die Refraction fest-
zustellen. Weiter erkeimt man mit dem Augenspiegel etwa vorhandene
latente Hypermetropie und die nicht selten mit Myopie verknüpfte ab-
norme Accommodationsspannung, welche bei der Prüfung mit Gläsern
und Sehproben nicht offenbar wird. Besonders Mauthner hat betont,
dass bei der ophthalmoskopischen Untersuchung das untersuchte Auge
seine Accommodation vollkommen erschlafft und damit seine wahre Re-
fraction zu Tage treten lässt; allerdings bedarf es gewisser Vorsichts-
maassregeln. Wendet man diese an, so wird es, wie jeder Ophthalmologe
bestätigen kann, nur selten vorkommen, dass der Untersuchte darauf
beharrt, seine Accommodation anzuspannen. Vor allem muss man dem
Patienten einschärfen, in die Ferne zu blicken, indem man ihm zugleich
die entsprechende Richtung angiebt, um sich die Papille gegenüber zu
bringen. Man verlangt von ihm, vor sich hin zu starren, gleichsam „als
wenn er träume", und nichts Bestimmtes zu fixiren. Diese Mahnungen
müssen wiederholt werden, wenn trotz alledem von Neuem eine Neigung
zum Accommodiren sich zeigen sollte; man kann dies meist an dem
Engerwerden der Pupille bemerken. Am besten ist es in einem grossen
Zimmer mit vollkommen dunklem Hintergründe zu untersuchen, da hier
am wenigsten ein Anlass zum Fixiren und Accommodiren gegeben ist.
Selten nur bedarf es zur Ausschliessung der Accommodation der Ein-
träufelungen von Homatropin.
Zu einer genauen Refractionsbestimmung kann man sowohl das
aufrechte, als das umgekehrte Bild benutzen.
A. Refractionsbestimmung im aufrechten Bilde. Wenn
wir uns an die oben erörterten optischen Bedingungen erinnern, die uns
in den Stand setzen, im aufrechten Bilde den Augenhintergrund imDetail
zu erkennen, so finden wir auch darin die Mittel, die genaue Refraction
des untersuchten Auges zu bestimmen. Gehen wir davon aus, dass der
Untersuchende Ennnetrop ist und seine Accommodation so völlig erschlafft
hat, dass sich in seinem Auge parallel einfallende Strahlen zu einem
deutlichen Bilde vereinen. Die Accommodationserschlaffung kann durch
Homatropin erreicht werden; jedoch kommen durch Uebung die meisten
Refractionsbestimmungen mittels des Augenspiegels.
199
Ophtfialmoskopiker dazu; diese Accommodationsabspannung wenigstens
in einem solchen Maasse, dass keine zu erheblichen Fehler daraus er-
wachsen, beim Ophthalmoskopiren zu erreichen.
Das Offenlassen des anderen Auges (ein krampfhaftes Zukneifen
veranlasst meist eine gewisse Accommodationsspannung-); besonders das
Bemühen, mit demselben nach Aussen zu sehen, ist anzurathen: die
erstrebte Divergenz der Augenachsen erleichtert, entgegengesetzt der
Convergenz, die Aufhebung der Accommodationsspannung. Kann trotz
alledem keine vollkommene Abspannung erreicht werden, so gelingt
es bisweilen, wenn eben dieser Rest von Accommodation stets derselbe
bleibt, durch das ausgleichende Concavglas die Einstellung für parallele
Strahlen zu ermöglichen. Der Untersucher ist dann gleichsam als Myop
zu betrachten: um keine Fehler in das Untersuchungsresultat zu bringen,
muss das corrigiren.de Concavglas bei der ophthalmoskopischen Bestim-
mung der Refraction des Untersuchten ausser Rechnung bleiben.
Ist der Untersucher Myop oder Hypernietrop, so muss seine Ame-
tropie durch die entsprechenden Gläser bei der ophthalmoskopischen
91.
92.
Refractionsbestimmung voll corrigiren, er wird alsdann — immer voll-
kommene Accommodationserschlaffung vorausgesetzt — ebenso wie der
Emmerrop für parallele Strahlen eingerichtet sein.
Da wir bei dem zu Ophthalmoskopirenden (B) ehe volle Accom-
modationserschlaffung (wie oben ausgeführt, in der Regel mit Recht)
voraussetzen können, so kommt es jetzt nur noch darauf an, festzustellen,
ob die aus seinem Augenhintergrunde kommenden Strahlen parallel, con-
vergirend oder divergirend das Auge verlassen: und weiter den Bunkt,
auf den sie divergiren oder convergiren, um damit den Fernpunkt (bezw.
die Refraction) von B zu kennen.
Ist das zu untersuchende Auge emmetropisch und durch hinein-
geworfenes Licht die Xetzhaut beleuchtet, so werden die von dort aus-
gehenden Strahlen parallel das Auge B verlassen und parallel in das
ophthalmoskopirende Auge C fallen, wo sie sich auf der Netzhaut zu
einem scharfen Bilde vereinen (Figur 91). Erhält das, wie oben aus-
geführt, auf parallele Strahlen eingestellte Auge C des Untersuchenden
demnach ein scharfes Bild des Augenhintergrundes von B (ohne weiteres
Hinzufügen von corrigirenden Gläsern), so ist B emmetropisch.
200 Ophthalmoskopie.
Das hypermetropische Auge (B) (Figur 92) ist für convergente
Strahlen eingerichtet, die es gerade auf seiner Netzhaut vereinigt,
Strahlen, die von seinem Augenhintergrund refiectirt werden, verlassen
in gleicher Richtung das Auge, d. h. sie werden in das gegenüber be-
findliche Auge C divergent fallen. Da dieses nur für parallele Strahlen
eingerichtet ist, erscheint der Augenhintergrund des Hypermetropen un-
klar und verschwommen. Deutlich und scharf wird das Bild, wenn hinter
den Spiegel ein Convexglas gelegt wird, welches die Strahlen parallel
macht. Die Brechkraft dieses Glases giebt dann die Grundlage zjir Be-
stimmung des Grades der Hyperopie des Auges B. Wenn wir uns mit
dem Augenspiegel und dem Convexglase dicht an der Hornhaut des Auges
B befänden, so würde das Glas direct den Grad der Hyperopie von
B ausdrücken. Handelt es sich in diesem Falle z. B. um convex il207
so wäre der Fernpunkt des betreffenden hyperopischen Auges ein nega-
tiver und zwar 20 Zoll hinter dem Glase und hinter der Hornhaut des
Auges gelegen (H. 1/20). Befindet sich hingegen dasselbe Glas 2 Zoll
vor der Hornhaut des Auges, während wir den Hintergrund scharf
sehen, so ist der Untersuchte eingerichtet
auf Strahlen, die sich hinter seiner Horn-
haut in einer Entfernung von 20 — 2 Zoll
vereinigen, d. h. sein negativer Fern-
punkt liegt in 18 Zoll; es besteht H Vis-
Da bei der Augenspiegeluntersuchung
der Spiegel und das corrigirende Glas
immer in einer gewissen Entfernung von
dem untersuchten Auge bleiben, so werden wir diese Entfernung messen
und bei der Refractionsbestimmung in Anschlag bringen müssen, indem
wir sie (in unserem Beispiel: 2 Zoll) abziehen von der Brennweite
(in unserem Beispiel: 20 Zoll) des ophthalmoskopisch bestcorri-
girenden Convexglases. Die Brechkraft des so gefundenen Convex-
glases (also '/1S hier) drückt den Grad der Hypermetropie von B aus.
Das myopische Auge ist für divergente Strahlen eingerichtet.
Der Untersuchende wird also um den Augenhintergrund zu sehen, ein
Concavglas hinter den Spiegel legen müssen (Figur 93). Ist dies
richtig gewählt, so wird es die Strahlen parallel machend ein scharfes
Bild gewähren. Um die factische Refraction von B zu bestimmen,
wird aber wieder die Entfernung des Augenspiegels bezw. des hinter
ihm befindlichen corrigirenden Ooncavglases von B in Rechnung zu
ziehen sein.
Concav '/20 dicht vor ein Auge gelegt zertreut parallele Strahlen
so, als wenn sie von einem 20 Zoll entfernten Punkt kämen. Der Fern-
punkt dieses Auges läge, wenn es die Strahlen auf seiner Netzhaut
Befractionsbestunmungen mittels dos Augenspiegels. 201
vereinigte;, in 20 Zoll (M '''20). Würde hin gegen dasselbe Glas 2 Zoll
entfernt von einem andern Auge gehalten, welches mit dem (Hase gut
in die Ferne sähe., so läge dessen Fernpunkt in 20 + 2 = 22 Zoll;
es bestände M il-22. Beim myopischen Auge muss man demnach die Ent-
fernung des Spiegels vom untersuchten Äugt' zu der Brenn-
weite des ophthalmoskopisch bestcorrigirenden Concav-
glases zuzählen. Die Brechkraft einer so gefundenen Concavlinse (in
unserem Beispiel — ^2) drückt den Grad der Myopie von B aus. —
Es ist nicht gleichgültig, welchen Theil des Augenhintergrundes
man bei der ophthalmoskopischen Refractionsbestimmung*
betrachtet, da letztere an den verschiedenen Partien des Augenhinter-
grundes verschiedene Resultate ergiebt, In den mehr äquatorial ge-
legenen findet sich meist eine schwächere Brechung (z.B. emmetropische
Augen sind hier hyperopisch) und ein stärkerer (zum Theil unregel-
m ä s siger) A stigmatismus .
Leider ist es nicht gut möglich, die Macula, wie es doch eigentlich
nüthig wäre, für die ophthalmoskopische Refractionsbestimmung im auf-
rechten Bilde zu benutzen, weil sie zu wenig Auffallendes bietet, um
Unterschiede in der Schärfe des Bildes wahrzunehmen. Man wählt daher
ein Xetzhautgefäss und zwar am besten ein solches dicht neben der Papilla
optica. Auch die Körnelung des Pigmentepithels an derselben Stelle
kann benutzt werden.
An diesen Objecten vermag man Unterschiede in der Schärfe der
Begrenzung u. s. w. gut zu erkennen. Allerdings werden sich, besonders bei
hochgradiger Myopie, gelegentlich dadurch Fehler einschleichen, dass
die Umgebung der Papille und mit ihr die dort verlaufenden Gefässe
stärker ektasirt sind als die Macula lutea. Es kommen hier erhebliche
Differenzen vor: selbst bis zu 5-0 D habe ich sie beobachtet. Aber
auch bei hyperopischen Augen finden sie sich.
Unumgänglich nöthig zu einer genauen Refractionsbestimmung im
aufrechten Bild ist ein Refractionsophthalmoskop, welches ein schnelles
Wechseln der corrigirenden Lmsen gestattet. Nur so ist die bestcorri-
girende zu finden, da die Unterschiede in der Bildschärfe bei wenig
differirenden Linsen nur gering sind. Das Glas, mit dem man am
schärfsten das Xetzhautgefäss erkennt, entspricht der Refraction des
Untersuchten. Sollte man mit zwei verschieden scharfen Concavgläsern
gleich gut sehen, so ist dies ein Zeichen, dass man aecommodirt hat;
das schwächste dieser Gläser ist alsdann der Refraction des Untersuchten
entsprechend: bei Convexgläsern in gleichem Falle das stärkste. Ferner
beachte man, besonders bei höheren Ametropiegraden, dass, wie oben
ausgeführt wurde, auch die Entfernung des Spiegels vom untersuchten
Auge in Rechnung zu ziehen ist: oft genug wird dies versäumt.
202
Ophthalmoskopie.
B. Refraetionsbestimmung im umgekehrten Bilde. Jenach
dem Refractionszustande des Ophthalmoskopien Auges muss das um-
gekehrte Bild weiter oder näher an der Convexlinse liegen (Figur 94).
Benutzen wir eine Convexlinse von 10-0 D; so wird das umgekehrte Bild
der Papille des emmetropischen Auges (e) 10 cm von der Linse entfernt
Bein, das eines hypermetropischen (h) wird weiter ab, das eines myo-
pischen ('in) näher heranliegen. Ebenso wie die von der Netzhaut kom-
menden Strahlen sich hier zu einem scharfen Bilde vereinen, so werden
umgekehrt die etwa von diesem Bilde (als leuchtendes Object gedacht)
ausgehenden Lichtstrahlen sich auf der Netzhaut zu einem scharfen Bilde
vereinen (d. h. Bild und Netzhaut sind conjugirte Punkte). — Wenn die
Entfernung des Papillenbildes von der Convexlinse bekannt ist,
so wissen wir auch, für welche Strahlen das untersuchte Auge eingestellt
ist oder mit anderen Worten seine Refraction. Wie oben (siehe
f2
Optometer) ausgeführt, bedarf es nach der Formel -3- (d = Differenz
zwischen Brennpunkt und Bildlage) unter der Benutzung der Convex-
linse 10-0, die 10cm vom unter-
suchten Auge entfernt gehalten
wird, gar keiner besonderen
B e r e c h nu 11 g. Ist das ophthal-
moskopische Bild 10 cm von
der Linse entfernt, so besteht
Emmetropie; jeder Centimeter
94. näher bezeichnet = 1-0 Myo-
pie, jeder Centimeter weiter
1-0 Hyperopie. Finden wir beispielsweise, das Bild liege 6-5 cm von
der Linse entfernt, so besteht M 3-5 (d. h. 10 minus 6-5); liegt das
Bild 15 cm von der Linse, so besteht H 5-0 (d. h. 15 minus 10).
Es kommt demnach nur darauf an, zu bestimmen, wo das Papillen-
bild liegt.
Sn eilen hatte vorgeschlagen, ein durchsichtiges Glas zwischen Augenspiegel
und Convexglas zu bringen und dieses so lange hin- und herzuschieben, bis sich
auf ihm das scharfe Papillenbild zeige. Doch ist das Verfahren in dieser Form
kaum verwendbar, da ein gut reflectirendes Glas, auf dem man ein scharfes Pa-
pillenbild sehen könnte, zu wenig Licht vom Augenspiegel durchlässt und ein ganz
durchsichtiges Glas wiederum schlecht reflectirt. Warlomont und Loiseau
haben diesem Uebelstande durch ihr Üphthalnioskoptometer abzuhelfen gesucht.
Dasselbe besteht aus einem ausziehbaren Doppeltuhus (wie bei einem Fernrohr),
der an seiner, dem untersuchten Auge zugekehrten Oeffhung eine durchsichtige
Glasplatte (mit concaven, einander parallelen Flächen) trägt, die als Spiegel dient
und Licht von der Lampe in das Auge wirft. Dicht dahinter ist die entsprechende
Convexlinse zur Entwerfung des umgekehrten Bildes. Der innere verschiebbare
Tubus trägt eine stumpfe Glasplatte, die zum Auffangen des Bildes bestimmt ist;
die Platte .Ic.kt aber nur zur Hälfte das Lumen, um durch die andere freie Hälfte
eine directe ophthalmologisch'e Untersuchung zu gestatten. —
Befraetionsbestinnnung mittels des Augenspiegels.
203
Eine andere Methode zur Ortsbestimmung des Bildes, wie sie von Mauthner
und Burchhardt benutzt ist, gründet sich auf folgende Ueberlegung. Ist der
Untersucher kurzsichtig (etwa M 5*0) oder macht er sich durch Vorlegen eines
Convexglases künstlich kurzsichtig, so braucht er bei der Augenspiegeluntersuchung
im umgekehrten Bilde nur allmählich so weit von der Oonvexlinse abzugehen, bis
er eben noch das Papillenbild deutlich sieht, um zu wissen, dass es nunmehr in
seinem Fernpunkt liegt. Wenn er die Entfernung seines Auges von der Oonvex-
linse kennt, so zieht er hiervon die Entfernung seines eigenen Fernpunktes ab
und erhält die Lage des Papillenbildes. Es habe sich beispielsweise ein eunue-
tropischer Untersucher durch Vorlegen von convex 5*0 myopisch gemacht (Fern-
punktlage = 20 cm). Er sehe bei der Untersuchung, während er sich etwa in
'28 cm Entfernung von der Oonvexlinse (10*0) befindet, das Papillenbild deutlich.
Nun geht er allmählich immer weiter ab: bis 30 cm Entfernung sieht er es noch
scharf: etwas weiter ab wird es undeutlich. Daraus folgt, dass sich bei 30 cm
das Bild gerade in seinem Fernpunkt befand. V,on der Oonvexlinse liegt dem-
nach das Bild ab 30 minus '20 = 10 cm. Der Untersuchte ist also, wie oben ausgeführt.
emmetropisch. Manbedient sich bei dieser Untersuchung zum sicheren Halten derCon-
vexlinse und zu den erforderlichen Messungen mit Vortheil meines „Eefractionsbe-
sthmners".
Aber auch dieser Methode haftet derselbe Uebelstand an. wie der Refractiöns-
bestimmung im aufrechten Bilde: der Untersucher muss seine Accommodation ganz
und dauernd erschlaffen können, da er sich auf seinen Fernpunkt einzustellen hat. —
Bei meiner Methode der Refractionsbestininiung wird auf
die Kenntnis* der Refraction oder Accommodation des Untersuchers
ganz verzichtet: derselbe muss eben nur im umgekehrten Bilde ophthal-
moskopiren können. Auch der, welcher nicht seine Accommodation
hierbei zu erschlaffen vermag, wird sie ohne Fehler ausführen. Während
bei den früheren Methoden die Entfernung des Papillenbildes von der
Linse als Maassstab diente, benutzte ich hierzu das von einem con-
caven Augenspiegel entworfene Flammenbild, welches sich auf der
Netzhaut abbildet und von dort reflectirt vor der Oonvexlinse sicht-
bar wird.
Wendet man bei der Untersuchung im umgekehrten Bilde einen
concaven Augenspiegel (z.B. denLiebreich'schen) von massiger Haupt-
brennweite (etwa 6 Zoll) an, so bildet das von diesem entworfene, uni-
gekehrte, verkleinerte, zwischen Convexlinse und Augenspiegel schwe-
bende reelle Bild der Lichtflamme (B Figur 95) die Beleuchtungsquelle
204 Ophthalmoskopie.
für den Augenhintergrund. Dieses kleine Flammenbild — welches aber
für den Ophtha Imoskopiker unsichtbar bleibt, da er sich nicht in der
Richtung der (entgegengesetzt) nach dem Auge des Beobachters laufenden
Strahlen befindet — kann sich nur dann scharf auf der Netzhaut (Bt)
des Untersuchten abbilden, wenn sie in dem dem Flammenbilde con-
jugirten Punkte liegt, wenn sie mit anderen Worten auf das Flamnien-
bild eingestellt ist. In diesem Falle werden auch die von dem Netz-
hautbild B, reflectirten Strahlen sich wiederum zu einem ebenso scharfen
Flammenbilde, wie es auf der Netzhaut entstanden war, in B vereinigen.
Dieses Bild ist ophthalmoskopisch sichtbar. — Rückt aber das vom
Spiegel entworfene kleine Flammenbild durch Herangehen des ersteren
der Convexlinse näher (nach b) oder entfernt es sich durch Abgehen
mit dem Spiegel von ihr, so entstehen auf der Netzhaut Zerstreuungs-
kreise dieses Bildes (e.j et). Die von e( et ausgehenden Strahlen werden
entsprechend der Brechung des Auges reflectirt und geben ein umge-
kehrtes Bild in e e. Dieses ophthalmoskopisch sichtbare Flammenbild
ist entsprechend dem Netzhautbilde verschwommen und nicht scharf be-
grenzt. Es giebt demnach für jedes untersuchte Auge nur Eine
Entfernung zwischen Concavspiegel und Convexlinse, bei der
ein absolut scharfes Flammenbild auf der Netzhaut entstehen
und als solches im umgekehrten Bilde gesehen werden kann.
Hat man durch An- und Abgehen mit dem Spiegel diejenige Ent-
fernung des Spiegels von der Convexlinse festgestellt, in der man das
Netzhautflammenbild am schärfsten sieht, so berechnet sich die Ent-
fernung, in welcher sich das Flammenbildchen (B) von der Convexlinse
factisch befindet, leicht, und damit kennt man nach obiger Darlegung"
sofort den Refractionszustand des untersuchten Auges. Misst man die
Entfernung des Augenspiegels von der Convexlinse (Figur 95 SL = E)
und zieht hiervon die Brennweite des Spiegels ( SB = F) ab, so erhält
man diese Entfernung (BL = E — F).
Sehr angenehm wäre es, wenn man immer die Hauptbrennweite des Concav-
spiegels als gegeben in Rechnung ziehen könnte, wenn also die von der Beleuch-
tungsquelle kommenden Strahlen parallel gemacht würden, etwa dadurch, das»
man erstere in den Brennpunkt einer Convexlinse stellte und nun die durch die
Convexlinse gehenden Strahlen zur Beleuchtung benutzte, oder dadurch, dass man,
wie Schweigger versucht, die Beleuchtungsquelle in Gestalt einer kleinen elek-
trischen Flamme mit dem Spiegel so verbindet, dass sie seine Bewegungen immer
mitmacht. Doch hat beides immerhin gewisse technische Schwierigkeiten. Ein-
facher ist es, bei jeder Refractionsbestimmung den relativen Brennpunkt des
concaven Augenspiegels (d. h. den Brennpunkt, welcher der heim Scharfsehen des
Flammenbildes auf der Netzhaut vorhandenen Entfernung des Spiegels von der
Lichtflamme entspricht), dadurch direct zu bestimmen, dass man unter Innehalten
dieser Entfernung das umgekehrte Flammenbild mittels des Spiegels auf eine
schwarze Flüche möglichst scharf entwirft und die bezügliche Entfernung misst.
Ecfractionbestimmungen mittels des Augenspiegels.
205
Um recht genau die Schärfe des auf der Netzhaut entstehenden Bildes der
Lichtquelle beurtheilen zu können, nimmt man an Stelle der gewöhnlichen Lampen-
riainme als ophthalmoskopische Boleuehtungsquelle eine durch feine Stäbe ge-
theilte, möglichst helle Figur; die Schatten der Stäbchen treten alsdann auf der
Netzhaut besonders ausgeprägt und deutlich hervor. Zu diesem Zwecke habe ich
den in Figur 96 und 97 gezeichneten Apparat construirt. Er bestellt aus einer
9 cm langen, platten Stange t (auf einer Seite nach Zoll-, auf der anderen nach
Bletermaass getheilt), die mittels einer federnden Klammer an dem Cylinder der
brennenden Lampe — Flach- oder Rundbrenner — so befestigt wird, dass die
Flamme in gleicher Höhe mit der auf der Stange verschiebbaren und eventuell
mittels einer Schraube x fest-
zustellenden Oonvexlinse 1
sich befindet. Die Linse soll
soweit von der Flamme ab-
stehen, dass letztere sich im
Brennpunkt befindet, da ich
gewöhnlich convex 12.0 be-
nutze, also V12 m- Dicht vor
der Linse befindet sich ein
quadratischer schwarzer Blech-
schirm k (Seitenlänge 11 cm),
der mittels einer kleinen an
dem Gestell der Linse angebrachten Feder getragen wird. In der Mitte des
Schirmes liegen die Oeffnungen, welche von der Linse beleuchtet als
Lichtquelle für den Augenspiegel dienen.
Damit eine gleichmässige Entfernung der zur Entfernung des umgekehrten
Bildes benutzten Convexlinse 10*0 vom Auge innegehalten wird, und weiter zur
Vornahme der erforderlichen Messungen dient das .Instrument Figur 98. Die Linse
ruht in einem Gestell c, welches auf der 12 cm langen, platten Stange a verschiebbar
und durch eine Schraube festzustellen ist. Unter der Stange trägt das Gestell
eine linsenförmige Hülse d. in der sich .ein 60 cm langes Bandmaass Tan einer
Seite Zoll-, auf der anderen Centimeter- und Milliinetertheilung führend) zusam-
mengerollt befindet. Die Oeffnung. aus der das Band kommt, muss möglichst
206 Ophthalmoskopie.
senkrecht unter der Linse liegen. Die kleine Platte b ist mit Leder überzogen
und wird gegen den Oberkiefer unter das zu ophthalmoskopirende Auge gesetzt.
Wenn man die Convexlinse 10 '0 von dieser Platte 9-5 bis 10 cm entfernt an der
ebenfalls mit C'entinietereintheilung versehenen Stange festschraubt, so wird sie
ziemlich genau 10 cm von dem Hauptpunkt des Auges entfernt sein; — übrigens
fallen kleine Differenzen hier nicht ins Gewicht. Am vorderen Ende der Stange
befindet sich eine schwarze runde Blechplatte bt von 5 mm Durchmesser, welche
zur Entwerfung des Gitterbildes bei der Bestimmung der relativen Brennweite
des Augenspiegels benutzt wird.
Das in der Hülse d befindliche Bandmaass wird durch eine Feder so gespannt,
dass es nur, wenn man auf den Knopf e drückt, sich — leicht — herausziehen
lässt und bei Nachlass des Zuges sofort wieder zurückgleitet. Lässt man mit dem
Druck auf den Knopf nach, so bleibt der Theil des Maasses, der herausgezogen
war, draussen. Bei dem Apparat ist besonders darauf zu achten, dass nach Los-
lassen des Knopfes nicht noch ein Zurückschnappen des Bandes in das Gehäuse
erfolgt.
Der benutzte coneave Augenspiegel muss eine gute Schleifung haben und
scharfe Bilder entwerfen. Die beste Hauptbrennweite ist etwa 15 bis 17 cm.
Bei der Untersuchung wird durch den an dem Bandmaass befindlichen kleinen
Messingring, der so befestigt sein soll, dass die Spiegelfläche über dem Nullpunkt
des Maasses steht, der Augenspiegelgriff gesteckt, nöthigenfalls durch Abschrauben.
Während man mit der linken Hand den Apparat an dem Blechgehäuse hält und
ihn gegen die Wange des zu Untersuchenden setzt, drückt man mit dem,Daumen
auf den Knopf. Hierdurch wird das Bandmaass frei und folgt dem Ab- und
Herangehen des Augenspiegels.
Die mit dem Beleuchtungsapparat versehene Lampe stellt links neben dem
Kopfe des zu Untersuchenden, möglichst nahe an ihm und so, dass die Lichtöffnung
• les Schirmes in einer Höhe sowohl mit dem Auge des Patienten als des Unter-
suchers sich befindet. Da eine starke Intensität des durch die Oeffnungen auf den
Spiegel fallenden Lichtes das Verfahren erleichtert, so blicke man nach Ansetzung
des Apparates bei der üblichen Augenspiegelhaltung erst durch die Spiegelöffnung
auf die leuchtenden Quadrate und lenke erforderlichen Falls durch Drehung der
Lampe die Strahlen direct auf den Spiegel. Alsdann werfe man das Licht in das
zu untersuchende Auge, indem man gleichzeitig mit dem Spiegel näher heran
oder weiter abgeht, bis man die verkleinerte quadratische Figur mit ihren als
Refractionsbestimmung mittels des Augenspiegels. 207
dunkle Schatten hervortretenden Trennungslinien auf dem Augenhintergrun.de
scharf und deutlich sieht. Es fällt nicht schwer, den Abstand des Augenspiegels
zu finden, bei welchem diese Schärfe maximal ist, wenn man die dünnsten Schatten-
linien in der Mitte der Figur beachtet. Einer mathematisch genauen Ausführung
des Gitterwerks in dem vor der Lampe befindlichen Schirm bedarf es dazu nicht,
da dieses Gitterwerk ja nur in Gestalt eines erheblich verkleinerten, von dem
concaven Augenspiegel entworfenen umgekehrten Bildes als Beleuchtungsquelle
dient. Sollte man dennoch in einem Falle zweifelhaft sein, Avann das Bild seine
grösste Schärfe zeigt, so kann man sich durch weiteres Abrücken der Lampe von
dem Spiegel helfen: hierbei wird das umgekehrte Bild noch kleiner und damit
das Hervortreten von Fnterschieden in der Schärfe noch deutlicher. Besteht
Astigmatismus, so ist ein gleich scharfes Hervortreten der ganzen Figur natürlich
unmöglich, da bei einer und derselben Spiegelentfernung ein scharfes Bild der
horizontalen und verticalen Linien auf der Netzhaut nicht entworfen werden kann.
Auch lasse man sich nicht etwa irre führen durch von der Linse rettectirte kleine
quadratische Bilder, die gelegentlich hervortreten: ihnen fehlt die rothe Färbung
der auf der Netzhaut entworfenen Bilder, ebenso sieht man an ihnen nicht Netzhaut-
details u. s. w. Bezüglich der Stelle des Augenhintergrundes, die man zur Refractions-
stimmung benutzt, empfiehlt es sich, die Lichtquadrate dicht neben der Papilla
optica zu entwerfen. Den zu Untersuchenden fordert man, wie bei der Refractions-
bestimmung im aufrechten Bilde, auf, zur Erschlaffung der Accommodation mög-
lichst in die Ferne zu blicken. Man achte darauf, dass die Lichtquadrate wirklich
neben die Papille fallen, weil an von ihr entfernten Stellen auch die Refraction
des Auges eine andere wird. Auf der Papille selbst erscheinen die Lichtquadrate
wegen der Unebenheit des Gewebes nicht überall scharf.
Auch auf der Macula lutea kann man die Lichtquadrate entwerfen, indem man,
wenn sie scharf hervortreten, mit dem Augenspiegel weiter abgeht, um durch das
hiermit verbundene Abrücken des Flammenbildes die Accommodation des Unter-
suchten zu erschlaffen und eine Einstellung auf seinen Fernpunkt zu erzielen.
Doch gelingt hierbei eine volle Accommodationserschlaffung nicht oft; in einzelnen
Fällen allerdings. Wenn der Untersuchte auf das ihm vorgehaltene Convexglas
blickt, so wird er natürlich in demselben Moment und bei derselben Enfernung
des Augenspiegels von dem Convexglase die Lichtquadrate scharf sehen, wo der
nphthalmoskopiker sie scharf sieht. Will man mit Sicherheit die Refraction an
der Macula latea bestimmen, so muss man die Accommodation des Untersuchten
durch Homatropin lähmen. —
Hat man die möglichste Schärfe des Bildes erreicht, so hebt man den Daumen
von dem Knopf ab und liest an dem Bandmaass, indem man den Apparat von der
Wange des Fntersuckten abhebt, wie gross die Entfernung (E) zwischen Spiegel
und Convexlinse war. Hierbei muss man aber seinen Kopf vollkommen
stillhalten, da es noch erübrigt, die bei dieser Kopf- bezw. Spiegelentfernung
von der Lichtquelle vorhandene relative Brennweite des Spiegels (F) zu bestimmen*.
Zu diesem Zwecke wirft man nunmehr das kleine Lichtquadrat mittels des Spiegels
auf die schwarze Platte b1; indem man wieder, um das Bandmaass in Bewegung
zu setzen, mit dem Daumen auf den Knopf drückt. Ist das Quadrat hier scharf
abgebildet, so lässt man den Knopf los und liest die Entfernung zwischen Spiegel
* Es bedarf dieser Bestimmung in jedem einzelnen Falle, da die von den
Lichtquadraten kommenden Strahlen, indem an den Rändern eine Ablenkung ein-
tritt, nicht parallel sind.
-jus Ophthalmoskopie.
and Platte ab. E — F giebt die Entfernung des Budes von der Convexlinse und
damit die Refraction, da jeder Centimeter mehr oder weniger als 20 cm = 1-0 II
oder .M ist.
Zu beachten ist bei der Abmessung von E, dass die Oeffnung der Blechhülse,
aus der das BandmaasB rollt, meist etwas vor der Linse liegt; liest man demnach
dort die Zahl der Centimeter ab, so wird man den kleinen Entfernungsunterschied
hinzurechnen müssen*: ebenso falls das Bandmaass beim Loslassen des Knopfes
nicht sofort arretirt sein sollte, sondern noch etwas zurückschnappt. Auch muss
der benutzte Concavspiegel, wie erwähnt, eine exaete Krümmung haben, da er
sonst überhaupt kein scharfes Bild entwirft. Ferner ist die Hauptbrennweite der
Convexlinse vorher sicher festzustellen.
Bei hochgradiger Myopie der Untersuchten muss man mit dem Augenspiegel
so dicht an die Convexlinse herangehen, dass die Entfernung von ihr (E) kleiner
wird, als die Entfernung der später festgestellten relativen Brennweite (F). Man
findet z. B. E = 18 cm und F = 21 cm. E — F ist demnach = — 3 cm. Das
Bild liegt also hinter der Convexlinse dem untersuchten Auge zu. Die Myopie
des letzteren beträgt 13 -0 D, da hier die Differenz der Entfernung des Bildes
von der Hauptbrennweite der Linse (10 cm) 13 cm beträgt.
Meine Methode der Refractionsbestimmung ist für jeden, der im
umgekehrten Bilde untersuchen kann und ein ausreichendes Accommo-
dationsgebiet hat (bei den Bestimmungen hochgradigster H und hoch-
gradigster M unter Anwendung eines Concavspiegels von 15 cm Haupt-
brennweite schwankt die Lage der Bilder, auf wrelche aecommodirt
werden muss, etwa zwischen 18 bis 40 cm), mit Leichtigkeit zu erlernen.
Während in der Beurtheilung der Schärfe des umgekehrten Bildes keine
erheblichen Sclxwankungen vorkommen werden, liegt eine gewisse Fehler-
quelle in den Abmessungen, die nicht immer absolut genau ausfallen.
Dennoch steht die Refractionsbestimmung im umgekehrten Bilde der im
aufrechten Bilde an Genauigkeit nicht nach, wie mich vergleichende
Beobachtungen gelehrt haben. Im Durchschnitt darf man bei beiden
Methoden gelegentlich auf Fehler bis zu 1-0 rechnen. Es ist damit
nicht gesagt, dass dieselben nicht in der Mehrzahl der Fälle geringer
sind. Aber das möchte ich doch glauben, dass die Behauptung, in
jedem Falle die Refraction ohne einen höheren Fehler als 0-5 D oph-
thalmoskopisch bestimmen zu können, mehr auf einem subjeetiven Em-
pfinden als auf gesicherten Versuchen beruht.
Gegenüber der Refractionsbestimmung im aufrechten Bilde bietet
die im umgekehrten Bilde folgende Vortheile: 1) Der Untersucher
bedarf keiner Accommodationsersehlaffung, die manchem Ophtalmo-
skopiker ganz unmöglich ist. Uebrigens tritt auch bei geübten Unter-
suchern, falls sie längere Zeit hinter einander ophthalmoskopiren, unbe-
* In den neuen Refractionsbestimmern liegt die Linse unbeweglich am Ende
der Stange über bt und direct über der (»effnung der Blechhülse. Eine etwa er-
forderliche Verlängerung der Stange erfolgt durch Herausschrauben der Platte b.
Refractionsbestimmungen mittels dos Augenspiegels. 209
wusst eine Accommodationsspannung ein, wie bereits Klein mit Rechi
hervorgehoben hat. Diese wird zur Fehlerquelle. 2) Es ist entschiede!]
schwerer im aufrechten Bilde die höchste Schärfe des beobachteten
Netzhautgefasses bezw. der Pigment-Körnelung festzustellen, als im um-
gekehrten Bilde die des Gitterwerkes. 3) Im umgekehrten Bilde kann
man die Refraction des Auges an der Macula lutea bestimmen, im aut-
rechten nicht. 4) Im umgekehrten Bilde können die höheren und höch-
sten Grade der Myopie leicht bestimmt werden, was im aufrechten Bilde
schwer oder unmöglich ist. Aehnliches gilt für höchstgradige Ilyperopie.
Ebenso gelingt die Bestimmung bei enger Pupille und die des Astig-
matismus besser. 5) Kleine Augenzuckungen, wie sie nicht selten bei
den Untersuchten auftreten, stören bei der starken Yergrüsserung des
aufrechten Bildes. Im umgekehrten Bilde kann man selbst bei Nystag-
mus die Refraction feststellen. 6) Man bedarf nicht der starken An-
näherung an den Kopf des zu Untersuchenden, was bisweilen, etwa bei
vorhandener Ozaena, die genaue Untersuchung im aufrechten Bilde voll-
kommen unmöglich macht. - —
Hingegen gelingt bei Trübungen der Hornhaut oder anderer brechen-
der Medien die Befractionsbestimmung im umgekehrten Bilde noch
weniger gut, als im aufrechten Bilde. Es erklärt sich dies daraus, dass
die Trübungen bei ersterer doppelt störend auf die Schärfe des Bildes
wirken: einmal weil sie die Entstehung eines scharfen Bildes auf der
Netzhaut hindern und dann wiederum die vom Netzhautflammenbild
kommenden Strahlen unregelmässig brechen. Auch bei starken Unregel-
mässigkeiten in der Pigmentirung der Chorioidea treten die Schatten
des Flammenbildes nicht immer absolut scharf hervor: der Geübte kann
aber auch aus der relativen Schärfe die richtige Refraction bestimmen. —
C. Als Keratoskopie (besser sind aber die jetzt üblicheren Be-
zeichnungen Retinoskopie, Pupilloskopie, Skiaskopie oder Schatten-
probe i wurde von Cuignet ein neues einfaches Verfahren zur Refrac-
tion sbestimmung beschrieben, ohne dass es ihm jedoch gelang, die
optischen Gründe flu dasselbe zu entwickeln. Dies geschah später
durch Parent.
Man setzt den zu Untersuchenden in einer Entfernung von 1 m
20 cm sich gegenüber: neben seinem Kopfe befindet sich die Ophthal-
moskopirlampe. Mit einem Augenspiegel wirft man Licht in die Pupille:
wenn dieselbe roth leuchtet, macht man kleine Bewegungen mit dem
Spiegel um seine verticale Achse nach rechts und links hin, als ob
man nur die rechte oder linke Hälfte der Pupille beleuchten wollte.
Hierbei beobachtet man das Auftreten eines dunkleren Schattens (oxlc),
der entweder sich an der Seite der Pupille zeigt, nach welcher der
Spiegel gekehrt wurde, oder an der entgegengesetzten Hälfte. Aus
Sehmidt-Riinpler. 7. Auflage. 14
210
Ophthalmoskopie.
di'eser Verschiedenheit in dein Auftreten dr± Schattens der Pupille kann
man den Refractionszustand des Auges diagnosticiren.
Es erklärt sich das in folgender Weise. Nehmen wir an, dass ein
Concavspiegel benutzt wird. Das von ihm entworfene reelle Flam-
menbildchen dient zur Beleuchtung des Auges. Bei gerader Haltung
des Augenspiegels (Figur \)lJA) liegt das Flammenbildchen a vor der
Mitte der Pupille und beleuchtet das Centrum der Netzhaut des emme-
tropi sehen Auges (E) durch seinen /erstreuungskreis (a); wendet man
den Spiegel nach rechts (B), so rückt das Flammenbild ebenfalls nach
rechts (ß): sein Zerstreuungsbild entsteht in b auf der rechten Hälfte
der Netzhaut des beobachteten Auges. Ist letzteres ennnetropisch (E)
oder kyperopiseh, so sieht man den Augenhinter-
grund im aufrechten Bilde: es wird demnach
bei der Rechtswendung des Spiegels nach ß die
Seite b der Netzhaut leuchtend erscheinen,
d. h. diejenige, von der sich der Spiegel ab-
wendet; der Theil der Pupille dagegen, dem
sich der Spiegel zuwendet, wird dunkel oder
beschattet. Handelt es sich hingegen um
ein myopisches Auge (M), dessen Fernpunkt
zwischen unserem Spiegel und dem beobachteten
Auge liegt, so verhält sich das Auftreten des
Schattens gerade umgekehrt. Es wird näm-
lich in dem Fernpunkt des kurzsichtigen Auges
von den zurückkommenden Strahlen ein reelles
umgekehrtes Bild des Augenhintergrundes ent-
stehen; auf der Abbildung falle dasselbe beispiels-
weise mit dem Spiegelflammenbildchen zusammen.
Da der Ophthalmoskopiker dieses umgekehrte
Bild sieht, so wird bei der Rechtswendung des
Spiegels (B) die Stelle leuchtend erscheinen, an der sich das umge-
kehrte Bild der beleuchteten Netzhaut (M) entwirft, d. h. also /?, die-
jenige aber, von der sich der Spiegel abgewendet hat, beschattet.
Da der Untersuchende weder die Details des aufrechten noch des um-
gekehrten Bildes wahrnimmt, so bezieht er die Beleuchtung auf die
Pupille: dieselbe erscheint ihm bei Bewegungen des (Joncavspiegels
an der Seite, wohin der Spiegel gewendet wird, rothleuchteiid, wenn es
-ich um ein myopisches Auge, dunkel, wenn es sieh um ein emme-
tropisches oder hyperopisch.es handelt.
Wenn sich, wie angenommen, der Ophthalmoskopiker 1 m 20 cm
von dem beobachteten Auge befindet, so wird sieh bei einer Myopie
von 1 D. wo das umgekehrte Bild in einem Meter Entfernung vor dem
Refractionsbestiimrmngen mittels des Augenspiegels. 211
beobachteten Auge liegt, das Auftreten des Schattens so verhalten, wie
überhaupt bei kurzsichtigen Annen, [st hingegen die Myopie geringer
(JMC<C1*0); so würde das umgekehrte Bild nicht mehr gut wahrgenommen
werden können oder wohl gar erst lunter dem Kopfe des Ophthalmo-
skopikers entstehen. Dieser erhielte demnach die Wanderung desSchattens
wie bei einem emmetropisehen oder hyperopischen Auge, d. h. derselbe
tritt auf der Seite der Pupille auf, der sich der Spiegel zuwendet. Legt
man jetzt vor das untersuchte Auge convex 1-0, so wird hierdurch
eine etwaige Myopie um 1-0 erhöht werden: der Schatten muss nun-
mehr auch bei schwächeren Graden der Myopie (oder bei Emmetropie,
die sich hierdurch in M 1-0 verwandelt), auf der Seite erscheinen, von
der sich der Spiegel abwendet oder, anders ausgedrückt, der Schatten
wandert im gleichen Sinne über die Pupille, wie der Spiegel sich bewegt.
In diesem, durch vorgehaltene Gläser bewirkten Umschlagen der
Schattenbewegung liegt die Möglichkeit, die Refraction auch dem
Grade nach zu bestimmen. Bewegt sich der Schatten in gleicher
Richtung wie der Concav-Spiegel, so besteht M^>1; man legt
jetzt Concavgläser in steigender Stärke vor das Auge: die Dioptriezahl
des Concavglases, bei dem die Schattenbewegimg eine der Spiegel-
bewegung entgegengesetzte Richtung einschlägt und so die eingetretene
Correction der Kurzsichtigkeit anzeigt, -\- 1 D (da M < 1, wTie oben
erwiesen, keine myopische SchattenbewTegung bewirkt) giebt den Grad
der Myopie. Bewegt sich der Schatten in umgekehrter Rich-
tung wie der Spiegel, so besteht E oder H oder M<1: die
Dioptriezahl des Convexglases, welches die Schattenbewegimg in eine
der Spiegelbewegung gleichgerichtete umwandelt, — 1 D giebt die
Refraction.
Auch die Art der Beleuchtung und Schattenbildung kann einen
gewissen Anhalt darüber geben, ob es sich um schwache oder stärkere
< Trade von Ametropie handelt.
Fällt bei einem myopischen Auge das in der Luft schwebende um-
gekehrte Bild ganz oder annähernd mit dem zur Beleuchtung dienenden
Flammenbildchen des Concavspiegels zusammen, was bei einer Entfer-
nung des Beobachters von 1 m 20 cm imd einer relativen Spiegelbrenn-
weite von ca. 20 cm nur für schwächere Grade der M zutrifft, — oder
liegt die Xetzhaut, wie es bei E und sehwacher H der Fall, unter
diesen Verhältnissen annähernd im conjugirten Punkte d<\s Flammen-
bildchens, so erscheint die Beleuchtung besonders hell, der Schatten
deutlich und mehr geradlinig, seine Excursion bei Bewegungen rascher.
Bei mittleren Ametropie-Graden, wo wegen der grösseren Zerstreuungs-
kreise des Netzhaut-Flammenbildes die Intensität des durch die Pupille
reflectirten Lichtes etwas geringer ist, erscheinen die Schatten besonders
14*
212 Ophthalmoskopie.
dunkel. Bei sehr hohen Graden ist die Erleuchtung der Pupille un-
gemein sehwach, die Schatten verschwommen, kaum erkennbar, klein,
bogenförmig und sehr langsam wandernd. Man thut gut, hier etwas
näher an das beobachtete Auge zu gehen; auch sonst ist gelegentlich
eine Entfernung von etwa 50 cm bequemer; man bekommt aber als-
dann schon bei M <C 2-0 die emmetropische bezw. hyperopische Schatten-
bewegung.
Benutzt man an Stelle eines concaven Augenspiegels einen planen,
so entstehen die Schatten bei den verschiedenen Refractions-Anomalien
gerade an entgegengesetzter Stelle wie bei der Verwendung jenes,
da das als Beleuchtungsquelle dienende gleichsam hinter dem Plan-
spiegel befindliche Flammenbild eine der Spiegeldrehung entgegen-
gesetzte Bewegung macht: dreht man den Planspiegel nach der rechten
Seite, so rückt es nach links und umgekehrt.
Die Skiaskopie ist für objective Refractionsbestimmungen sehr brauchbar; es
ist alier nicht immer leicht zu sehen, bei welchem corrigirenden Glase, wenn der
Brechungs-Unterschied der vorgelegten Gläser nur 1 D beträgt, ein deutliches
Umschlagen der Schattenbewegungen eintritt. Die höheren Grade der Ametropie
sind weniger genau und leicht zu diagnosticiren, da die starken, zur Correction er-
forderlichen Gläser durch Lichtreflexe stören und auch die Entfernung, in der sie
vor dem untersuchten Auge gehalten werden, in Rechnung zu ziehen ist. Bei
engen Pupillen ist eine genaue Bestimmung überhaupt unmöglich. Ferner ist da a
"Wechseln und Vorhalten der Brillengläser umständlich; diese Unbequemlichkeit
kann man dadurch verringern, dass man sich der oben erwähnten Brillenleiter
bedient, die dann der Patient an seinem Auge vorbeiführt, oder eine Scheibe mit ein-
gesetzten Gläsern vor dem Auge herumdreht (Hess). Als principieller Einwurf gegen
das Cuignet'sche Verfahren überhaupt bleibt immer bestehen, dass man nicht
genau weiss, an welcher Stelle des Augenhintergrundes man eigentlich die Re-
fraction bestimmt, da man diesen in seinen Details nicht sieht und durch die
Spiegelbewegung verschiedene Theile des Augenhintergrundes beleuchtet. —
Neuerdings hat Schweigger, um die Benutzung einer Serie von Gläsern
unnöthig zu machen, ein Verfahren wieder aufgenommen, wie ich es ähnlich
schon früher versucht habe (s. l.Aufl. dieses Lehrbuchs S. w20ij). Durch ein vor
das untersuchte Auge gelegtes Convexglas wird dasselbe gleichsam in ein kurz-
sichtiges verwandelt oder mit anderen Worten sein Fernpunkt herangerückt.
Macht man nun mit dem Augenspiegel (am besten Planspiegel) in grösserer Ent-
fernung die entsprechenden Seitenbewegungen, so bekommt man die Schatten-
bilder eines myopischen Auges, nähert man sich allmählich immer mehr, so
werden an der Stelle, wo man den scheinbaren Fernpunkt des untersuchten Auges
erreicht, die Schattenbilder undeutlich (neutrale Zone», gleich nachher aber in die
eines emmetropischen Auges (da jetzt kein umgekehrtes Bild zwischen Spiegel
und vorgehaltener Convexlinse entsteht) umschlagen. Misst man jetzt die Ent-
fernung des Spiegels von der Linse, etwa mit dem Bandmaass. das ich bei meiner
Refractionsbestimmmung benutze, so kann man nach der Linsenformel aus der
Lage des scheinbaren Kernpunktes den wirklichen des untersuchten Auges be-
rechnen. Da man aber in der Regel nur die neutrale Zone, nicht die Stelle des
wirklichen Einschlafens der Schattenbilder auf diese Weise exaet zu bestimmen
vermag, so dürfte im Allgemeinen die zuerst angegebene Methode vorzuziehen sein.
Refractionsbestimmungen mittels des Augenspiegels. 21o
Auf eine andere Art der Diagnose, ob es sich um ein hoch-
gradig myopisches oder hypermetropiscb.es Auge handelt, ist
bereits oben hingedeutet. Wenn man mit dem Augenspiegel einfach
Lieht in ein derartiges Auge wirft, so sieht man schon aus einiger Ent-
fernung Details des Augenhintergrundes: Netzhautgefässe u. s. f. Bei
dem myopischen Auge handelt es sich um das umgekehrte, in der Luft
schwebende und in seinem Fernpunkte entworfene Bild; bei dem hyper-
opischen um das aufrechte Bild.
An folgenden Merkmalen unterscheidet man diese Bilder : 1) Wenn
man sich allmählich dem Auge nähert, so wird das umgekehrte, vor
dem myopischen Auge in der Luft schwebende Bild erst verschwommen
und zuletzt überhaupt nicht gesehen, weil der Untersucher nicht mehr
darauf aecommodiren kann und schliesslich so nahe an das Auge kommt,
dass er nur convergirende Strahlen erhält. Hingegen bleibt das auf-
rechte, hinter dem hyperopischen Auge liegende Bild auch bei der
grössten Annäheruug sichtbar. 2) Geht der Untersucher, während er
das Bild ansieht, mit seinem Kopfe abwechselnd nach rechts und nach
links, so bemerkt er beim myopischen Auge eine scheinbar entgegen-
gesetzte Bewegung des Bildes, bei dem hyperopischen eine gleichnamige,
ein scheinbares Mitgehen des Bildes. Es beruht dies auf derselben
optischen Täuschung, der wir beim Fahren in der Eisenbahn ausgesetzt
sind: die näher gelegenen Gegenstände scheinen in entgegengesetzter
Richtung sich zu bewegen, die entfernten in gleicher. Bei der Augen-
spiegeluntersuchung wird das ophthalmoskopische Bild mit dem Auge,
beziehentlich der Pupille verglichen. Das umgekehrte Bild liegt vor dem
Auge, also näher als die Pupille, das aufrechte hinter dem Auge^ Da-
nach geht das aufrechte Bild bei unserer Kopf bewegung scheinbar mit,
das umgekehrte entgegengesetzt. 3) Der Vergleich der anatomischen
Verhältnisse, also z. B. des Gefässverlaufes in der Netzhaut oder der
Lage der Macula lutea zur Papilla optica, könnte auch zur Unterschei-
dung des umgekehrten von dem aufrechten Bilde herbeigezogen werden.
Er ist aber in der Regel unverwerthbar, weil das ophthalmoskopische
Gesichtsfeld bei dieser Entfernung zu klein ist, um grössere Partien zu
übersehen.
Die Entfernung des umgekehrten Bildes bei einem hochgradig
myopischen Auge und damit den Fernpunkt desselben kann man
übrigens ungefähr feststellen, wenn man sich mit dem Spiegel dem
untersuchten Auge (B) bis zu dem Punkte nähert, an welchem man
noch eben mit grösster Accommodationsanstrengung das Bild sieht.
Letzteres liegt dann in dem P. proximum des Untersuchers; ist die
Entfernung desselben bekannt (z. B. 15 cm), so braucht man sie nur
von der Entfernung, in welcher sich der Augenspiegel vom Auge B zur
214 Ophthalmoskopie.
Zeit befindet (z. B. 2i > cm), abzuziehen, um den Fernpunkt de> Au^cs
B (hier 5 cm; d. h. M. 20-0) zu erhalten.
Bestimmung des Astigmatismus.
Bei unregelmässigem Astigmatismus ist das Netzhautbild verschwom-
men; bisweilen beobachtet man auch im umgekehrten Bilde ein eigen-
thümhches Flimmern des fixirten Theils, z. B. der Papille
Für die Bestimmimg des regelmässigen Astigmatismus
halten wir einen Anhalt in der unregelmässigen Vergrösserung, wie sie
dadurch hervorgebracht wird, dass die optischen Medien in einem Me-
ridian stärker brechen als in dem andern. Aus der der runden Papilla
optica wird eine ovale (Knapp). Da es aber immerhin möglich wäre,
dass ausnahmsweise die Papille anatomisch oval sei, so hat Schweig-
ger empfohlen, ihre Gestalt sowohl im aufrechten als im um-
gekehrten Bilde festzustellen. Beruht die Gestaltveränderung auf
Astigmatismus, so wird die anatomische runde Pupille bei beiden Unter-
suchungen zwar die Form eines Ovals annehmen, aber mit verschieden
gerichteter Längsachse. Ist beispielsweise der senkrechte Meridian des
Auges myopisch und der horizontale emmetropisch, so ist im aufrechten
Bilde, wo wir den Augenhintergrund gleichsam durch eine Lupe be-
trachten, die Vergrösserung am stärksten, wo die stärkste Brechung
erfolgt, hier also im senkrechten Meridian. Die Papille erscheint als
vertical gestelltes Oval. Im umgekehrten Bilde dagegen ist bei Myopie
die Vergrösserung geringer, als bei Emmetropie: die Papille wird dem-
nach horizontal stärker vergrössert erscheinen und ein Quer-Oval bilden.
Der Grad des As lässt sich aber auf diese Weise nicht bestimmen.
Man muss hierzu weitere Untersuchungen anstellen, indem man an
zwei in entgegengesetzter Richtung laufenden und den Hauptmeridianen
(hier also dem senkrechten und horizontalen) folgenden Xetzhautge-
fässen die Refraction im aufrechten Bilde bestimmt. Da man derartige
( refässe nicht immer leicht trifft, auch die Richtung der Hauptmeri-
diane nicht absolut correct wahrnehmbar ist, so bleibt dies Verfahren
mangelhaft.
Besser eignet sich hierzu die Befractionsbestimmung im umge-
kehrten Bilde mit dem Concavspiegel. "Während bei unregelmässigem
As hei keiner Entfernung des Spiegels von der ( 'onvexlinse ein scharfes
Bild des Gitterwerkes vorhanden ist, findet man bei regelmässigem As,
dass bei einer gewissen Entfernung beispielsweise die horizontalen
Schattenlinien, bei einer anderen die verticalen scharf hervortreten
Man bestimmt nun die Refraction für diese beiden Striche und hat da-
mit die Refraction der entsprechenden Meridiane, d. h. die Refraction,
Refractionsbestümuungen mittels des Augenspiegels. 215
welche vorhanden ist. wenn die horizontalen Striche schart' her-
vortreten, gehört dem verticalen Meridian des Auges an und um-
gekehrt. Wenn man auch für die andern Meridiane Bestimmungen
treffen will, kann man als Lichtquelle eine Figur mit strahlenförmige]
Durchbrechung im Schirm benutzen. Doch genügt auch die oben ab-
gebildete Figur, da die Ränder der Dreiecke an den Seiten schräg ver-
laufen und so in verschiedene Meridiane fallen.
Bei der Schattenprobe erkennt man den Astigmatismus sehr leicht
daran, dass die Ket'raetion und damit auch die Form des Schattens eine
verschiedene ist, wenn man den Spiegel in verschiedenen Richtungen
von oben nach unten, von rechts nach links bewegt. Die Haupt-
meridiane zeigen sich dadurch, dass die Schattengrenze ihnen annähernd
parallel lauft.
7. Diagnose von Niveaudifferenzen im ophthalmo-
skopischen Bilde des Augenhintergrundes.
Da man in der Eegel nur mit einem Auge das ophthalmoskopische
Bild sehen kann, so fehlt die exaete körperliche Anschauung desselben;
und es ist schwer, kleinere Niveau-
differenzen (z. B. ob die Papilla optica
tiefer liegt als die Netzhaut, oder ob sie
über diese hervorragt) zu erkennen.
Wir müssen hier zu Hilfsmitteln unsere
Zuflucht nehmen. — Bei der Unter-
suchung im umgekehrten Bilde
verwerthen wir die parallaktische
Verschiebung, welche durch einHin-
und Herbewegen der Convexlinse 100.
( — in horizontaler und verticaler Rich-
tung — ) an den in verschiedenem Niveau liegenden Punkten des oph-
thalmoskopischen Bildes auftritt : die weiter nach vorn gelegenen Partien
(z. B. ein auf der Netzhaut liegendes Gefässstückcken) schieben sich hier-
bei schleierartig über und vor die tiefer liegenden Theile (z. B. die Fort-
setzung desselben Gefässes auf der pathologisch vertieften Papille;.
Es erklärt sich dies aus nebenstehender Zeichnung (Figur 100).
c sei der optische Mittelpunkt der zur ophthalmoskopischen Unter-
suchung benutzten Convexlinse, a und b seien zwei hintereinander lie-
gende Punkte der Papille. Die umgekehrten Bilder dieser Punkte mögen
in c. mid ß entworfen werden. Die Linie ßa liege in der Sehlinie des
Beobachters. Wird nun die Linse nach unten verschoben, so dass der
21C» Ophthalmoskopie.
optische Mittelpunkt nach e fällt, so rücken die umgekehrten Bilder
von a und b nach «, und ^,. Behält der Beobachter unverändert die-
selbe Sehlinie bei., so hat für ihn demnach der Punkt ß eine grössere
mit der Linsenbewegung gleichnamige Verschiebung erfahren als der
Punkt <:; der weiter nach vorn gelegene Punkt hat sich gleich-
sam über den mehr nach hinten gelegenen Punkt fortge-
be li oben.
Man thut gut; bei der ophthalmoskopischen Untersuchung das
Convexglas etwas schnell hin und her zu schieben, indem man gleich-
zeitig auf Punkte achtet, die gerade an der Grenze der Niveaudifferenz
liegen. —
Li ähnlicher Weise, wenn auch bei weitem nicht so deutlieh, findet
bei der ophthalmoskopischen Untersuchung im aufrechten Bilde
eine Verschiebung statt (perspectivische Verschiebung. Reimar),
wenn der Beobachter sein Auge bewegt:, es erfährt dabei das entferntere
Object eine der Bewegung gleichsinnige Verschiebung. Dies ist dieselbe
optische Täuschung, die eintritt, wenn man mit einem Auge zwei hinter-
einander im Räume befindliche Objecte ansieht und nun unter Fixation
des vorderen den Kopf seitlich bewegt: das hintengelegene geht dann
scheinbar mit.
Auch durch die Refractionsbestimmung (sei es im aut-
rechten, sei es im umgekehrten Bilde) lassen sich grössere Niveau-
unterschiede feststellen; von der ferner gelegenen Partie des Augen-
hintergrundes werden die Strahlen stärker convergirend aus dem Auge
kommen als von der näher gelegenen. Bestimmt mau an letzterer
beispielsweise Emmetropie, so wird an ersterer Myopie vorhanden sein.
Durch diese .Refractionsbestimmung lässt sich unter Zugrundelegung der
Werthe des schematischen Auges auch die Niveaudifferenz direct berechnen, und
f F"
zwar nach der Formel f" = f, '- ,,, (Hehuholtz). Hier ist i" = Achsenlänge des
Auges, f = Entfernung des Fernpunktes R von der Cornea (bei Hyperopie
natürlich mit Minusvorzeichen), F' = 15 mm, F" = 20 mm. Findet man beispiels-
weise an einer vertieften Papilla optica eine Myopie von 10.0 (Fernpunkt 10 cm
= 100 mm), so würde die Formel lauten f" = .,»■. ' ir = 23.5 mm. Hat die
100 — 15
Netzhaut bei emmetropischef Refraction ff" — -- " " • = 20 mm), eine Achsen-
1 x — 10
länge = 20 mm, so liegt in obigem Falle die Papilla optica .">.."> mm. tiefer. Eine
Dioptrie Myopie kommt ungefähr 0.3 mm Achsenverlängerung gleich.
Sehr dienlich zur Erkennung von Niveaudifferenzen ist auch die
Untersuchung im umgekehrten Bilde mittels des binocularen Augen-
spiegels von Giraud-Teulon (s. S. 184).
Anatomie des Opticus. 217
Zweites Kapitel.
Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
Anatomie des Opticus, der Retina und Tunica uvea.
Man kann im Verlaufe des Sehnerven drei Abschnitte unter-
scheiden; der erste umt'asst den Ursprung aus dem Gehirn bis zum
Chiasma (Tractus n. optici), der zweite (N. opticus) den Theil vom
Chiasma bis zum Foramen optieum, der dritte den orbitalen Abschnitt.
Der Nerv verlässt das Gehirn mit zwei Wurzeln, die aus dem
Corp. geniculatum mediale und laterale entspringen. Beide platten
Wurzeln, anfänglich noch durch eine schmale Furche getrennt, vereinigen
sich alsbald zu einem Strang; dieser schlägt sich um den Grosshirn-
schenkel herum, geht unter der Substantia perforata anterior bis zum
Tuber cinereum und vereinigt sich dicht vor dem Infundibulum mit dem
Tractus der anderen Seite zum Chiasma nerv, opticorum. Die Tractus
sind aus zweierlei Arten von Fasern zusammgesetzt: den sog. Sehnerven-
fasern und den sog. Commissurenfasern, welche mit dem Sehact nichts
zu thun haben.
Bezüglich der Verbindungen des Sehnerven mit einzelnen Theilen
des Centralorgans liegen eine Reihe von Untersuchungen vor. Die Seh-
nervenfasern treten sicher in Verbindung mit 1. dem äusseren Knie-
höcker (Corp. geniculatum externum) 2. vorderem Vierhügel (Corp.
quadrigemnium anterius) 3. dem Pulvinar thalami optici. Aus diesen
primären Opticusganglien gehen Faserzüge zum hinteren Schenkel
der inneren Kapsel und von dort als Gratiolet'sche Sehstrahlung zur
Rinde des Hinterhauptlappens. Sie endigen hier auf der medialen Fläche
des Cuneus, im besonderen in der Fissura calcarina (optisches Rinden-
feld, Sehsphäre), nachdem die einzelnen Fasern des Tractus schon in
den primären Gehirnganglien sich von einander getrennt haben und
neue Verbindungen eingegangen sind. Da das auch mit den von der
Macula lutea des Auges kommenden Fasern der Fall ist, so lässt sich
in der Sehsphäre keine umschriebene Stelle, in der sie allein enden
i Macula-Insel), nachweisen (Bernheimer).
In dem Chiasma findet eine Halbkreuzung der Nervenfasern in der
Weise statt, dass die lateralen Bündel des Tractus, auf derselben Seite
bleibend, zu dem gleichseitigen X. opticus übergehen, während die nie-
218 Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
dialen Bündel sich kreuzend zur medialen Seite des gegenüberliegenden
Opticus ziehen. Doch darf der Ausdruck Semidecussation nur cum
grano salis genommen werden, indem die Zahl der sich kreuzenden
Nervenfasern eine erheblich grössere ist, als die der ungekreuzten. Die
gekreuzten Fasern versorgen die innere Netzhauthälfte — von der Ma-
cula an gerechnet — , die ungekreuzten die äussere (cf. Figur 61).
Die Semidecussation (J. 31 ü 1 1 e r) hat besonder« durch Biesiadecki und
Michel Angriffe erfahren. Jedoch ist — unter Berücksichtigung der eingehenden
anatomischen und experimentellen Untersuchungen Gudden's, der directen Ver-
folgung der Nervenfasern während der Entwicklung ihrer Markscheide an embry-
onalen und reifen menschlichen Chiasmen und Optici (Bernheimer), einzelner
pathalogisch-anatomischer Befunde, hei denen die Fortsetzung einer einseitigen
Sehnervenatrophie auf beide Tractus constatirt wurde, ferner eines von mir be-
schriebenen Falles, wo sich nach der Verletzung des rechten Hinterhautlappens
eine partielle degenerative Atrophie auch im rechten Opticus nachweisen Hess, und
vor Allem der klinischen Beobachtungen — zur Zeit die Halbkreuzung im Chiasma,
sei weit es sich um das Verhalten beim Menschen handelt, als sichergestellt anzu-
nehmen. Selbst Kölliker. der sie noch in letzter Zeit bezweifelte, hat sich jetzt
soweit bekehrt, dass er zugiebt, dass eine Anzahl von Nervenfasern auf der-
selben Seite bleibt. Gleiches scheint auch für den Affen und Hund zu gelten,
wie die interessanten Untersuchungen Munk's über das Sehcentrum in der
Corticalsubstanz des Hinterhautlappens lehren (vgl. S. 142). Nicht genügend
gestützt erscheint hingegen die Ansicht Charcot's. Nach letzterem Autor be-
steht für jedes Auge in der entgegengesetzten Seite des G-rosshirns
ein Sehcentrum, zu dem die im Chiasma sich kreuzenden Fasern des betreffen-
den Opticus direct hingehen, während die sich nicht kreuzenden Bündel an
irgend einer Stelle der Medianlinie des Gehirns, etwa jenseits der Corp. genicul.
noch nachträglich ihren Tractus verlassen und zu jenem Sehcentrum hinüber-
ziehen. —
Wahrend die Tractus noch in fester Verbindung mit der Hirn-
substanz sich befinden, laufen die Optici als vollständig freie und ab-
gegrenzte Nerven zum Foramen opticum, mit dessen Periost sie an
der oberen Wand verwachsen sind. In der Orbita haben sie eine fast
kreisrunde G-estalt und gehen in S-förmiger Krümmung lateralwärts zu
dem durchschnittlich 17 — 18-5 mm entfernten Bulbus, in den sie etwa
4 mni medianwärts und etwas nach unten von dem hinteren Ende der
Augenachse eintreten. Der Orbitaltheil des Opticus hat bei leichter
Streckung eine Länge von durchschnittlich 23 bis 24-7 mm (Weiss),
doch kommen bezüglich der Länge des < opticus und der Entfernung
zwischen Foramen opticum und Bulbus-Insertion sowie der Differenz
dieser beiden Maasse, welche das „Ahrollungsstück" der Nerven giebt,
an den einzelnen Augen erhebliche Verschiedenheiten vor. Der Nerv
ist in der Augenhöhle von einer äusseren und einer inneren Scheide
umhüllt. Die letztere ist fest mit dem Nerven verbunden und sendet
bindegewebige Septa in ihn hinein: man betrachtet sie als Fortsetzung
Anatomie des Opticus. 219
der Pia des Gehirns. In dein dicht der Piaischeide anliegenden Septen
fehlen die Nervenfasern: ein Vorkommen, das von Fuchs als Atrophie,
aufgefasst wurde; es ist dies jedoch nicht pathologisch, sondern als
normaler Neurogliamante] des Opticus anzusehen (Greeff). Die äus-
sere Sehnervenscheide lässt wiederum eine äussere, dickere Schicht
(Duralseheide) und eine dünnere, zarte Membran (Arachnoidealscheide
.Axel Key und Retzius]) erkennen, die aus feinen, zu einem Netz-
werk verflochtenen Bindegewebsbündeln besteht. Feine Bälkchen ver-
binden diese Theile der äusseren Scheide miteinander: den schmalen,
nur mikroskopisch erkennbaren Zwischenraum zwischen ihnen hat man
Subduralraum genannt, während der grössere makroskopisch sichtbare
Kaum zwischen Arachnoidealscheide und Piaischeide des Sehnerven,
der ebenfalls mit querverlaufenden Bälkchen durchsetzt ist, alsSubarach-
noidealraum bezeichnet wird, lieblicher ist es, da diese beiden Zwischen-
räume, die als Lymphräume (Schwalbe) aufzufassen sind, mit einander
in Verbindung stehen, einfach von einem subvaginalen, besser intra-
vaginalen Kaum, der den Sehnerv umgiebt, zu sprechen. Beide
Seheiden enden in der Sclera (cf. Fig. 103 und 105). Vor seinem Ein-
tritt in den Bulbus dringen in den temporalen unteren Quadranten des
Sehnerven die Art. und Vena centralis retinae: erstere bisweilen etwas
früher, durchschnittlich in einer Entfernung von 10 bis 12 mm vom
Auge. Bald nach ihrem Eintritt giebt die Arterie nicht selten einen
ziemlich starken Seitenast ab, der vor dem Bulbus endet, während der
Hauptast mit seinen Zweigen in Papille und Netzhaut übergeht. Letztere
erhalten der Hauptsache nach von ihm allein ihr Blut; nur einzelne
meist sehr kleine Arterienäste der Papille und angrenzenden Netzhaut
( cilioretinale Gefässe) entstammen aus dem Zinn'schen (Haller'schen)
Gefässring. Letzterer entspringt aus den hinteren Ciliargefässen und
liegt in dem den Opticus umschliessenden Scleralring. Diese Gefässver-
theilung spielt bei der Embolie der Art. centr. retin. eine Rolle.
Beim Durchtritt durch das Scleral- und Chorioidealloch erleidet
der Sehnerv eine Einschnürung, sein Durchmesser sinkt von circa 3 mm
auf 1-5 mm. Auch verliert er seine weisse Farbe, indem die Nerven-
fasern ohne Markscheide weiter gehen: dadurch erhält er ein mehr
graues und durschscheinendes Ansehen. Noch in anderer Beziehung ist
diese Stelle von Wichtigkeit. Es zieht hier quer durch den Sehnerven ein
mehrschichtiges bindegewebiges Maschenwerk, das, von der Sclera aus-
gehend, ihn durchsetzt: die sogenannte Lamina cribrosa. Den Theil
des Sehnerven, der zwischen Lamina cribrosa und Glaskörper liegt, pflegt
man als Papilla optica zu bezeichnen. Doch handelt es sich nicht
um eine wirkliche Papille oder Hervorragung; ein grosser Theil liegt
sogar noch unter dem Niveau der Netzhaut, da die Nervenfasern nicht
220 Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
an allen Stellen in gleicher Menge und Dichtigkeit in die Netzhaut
übergehen. Gewöhnlich zieht die grössere Zahl der Fasern nasalwärts,
die kleinere nach der Gegend der Macula lutea. Dies zeigt sieh oft in
einer mehr oder weniger ausgedehnten, niaeularwärts gelegenen Vertie-
fung, die bei ungewöhnlicher Grösse als physiologische Excavation be-
zeichnet wird. Auch pflegt die Eintrittsstelle der Gefässe in der Mitte
der Papille eine kleinere trichterförmige Vertiefung (fovea) zu zeigen.
Der Querdurchmesser der meist runden Papilla optica beträgt in der
Regel 1-5 mm.
Die Lage der die einzelnen Netzhautpartien versorgenden Fasern
im Opticus bedarf eines Wortes. Vorzugsweise ist es von Interesse, zu
wissen, wo diejenigen liegen, welche die Macula lutea versorgen. Patho-
logisch-anatomische Befunde von Fällen, bei denen es sich klinisch um
ein centrales Skotom in Folge retrobulbärer Neuritis handelte, ergaben
in der Nähe des Foramen opticum eine»centrale Atrophie des Opticus;
mehr nach dem Bulbus zu wendete sich die atrophische Partie einen
Keil bildend temporalwärts (Samelsohn, Bunge, Schmidt-Rimpler,
Uhthoff, U.A.). — Abgesehen von diesem Verlauf der macularen Fasern
liegen in der Nähe des Bulbus nach meinen Untersuchungen die unge-
gekreuzten Fasern, welche die temporale Netzhauthälfte versorgen, vor-
zugsweise an der oberen und unteren Peripherie, sowohl auf die tem-
porale wie auf die nasale Seite etwas übergreifend, während die für die
nasale Netzhauthälfte bestimmten Nerven das Centrum und das mittlere
Drittel der nasalen Opticus-Peripherie einnehmen. Hiermit stimmen
auch die Untersuchungen Dimmer's überein. Im hinteren, dem Formen
opticum, nahe liegenden Theil des Opticus sind die ungekreuzten Fasern
temporal liegend, die gekreuzten medial. Im Ohiasma bleiben nach
ihm erstere lateral, sich allmählich gegen die dorsale Seite wendend,
letztere gehen vorzugsweise zum ventro-medialen Theil der gegenüber-
liegenden Chiasmahälfte, von wo aus sie zum Tractus ziehen und dort
zuerst ungemischt am ventralen Rande liegen. — Man kann im Opticus
dünnere und gröbere Fasern unterscheiden: letztere werden als „Pupillar-
fasern" (v. Gudden) aufgefasst, d. h. als solche, die den Lichtreiz,
welcher den Pupillarreflex (cf. S. L34) auslöst, centripetal leiten.
Die Retina zeigt im Querdurchschnitt nach der Eintheilung von
Max Schnitze von innen nach aussen folgende Schichten (Figur 101):
1 ) Membrana limitans interna (bezw. M. hyaloidea). 2) Nervenfaserschicht.
.'ii ( ianglienzellenschicht (Ganglion n. optici). 4) Innere granulirte (reti-
culäre) Schicht. 5) Innere Körnerschicht (Ganglion retinae). 6) AeusSBre
granulirte Schicht. 1 ) Aensscre Körnerschicht. 8) Membrana limitans
externa. 9) Stäbchen- und Zapfenschicht. 10) Pigmentepithel. Das
Pigmentepithel gehört embryologisch, da es aus dem äusseren Blatt
1
Anatomie der Retina,
221
der secundären Augenblase entsteht (das innere wandelt sieh zur
Retina um), zur Netzhaut. Zieht man jedoch die Netzhaut von der
Chorioidea ab, so bleibt das Pigmentepithel grösstenteils auf letzterer
haften. Den inneren Theil der Netzhaut (Nervenfaser- bis zur äusseren
Körnerschicht) hat man auch als (lehirnschicht, den äusseren Theil
(äussere Körnerschicht bis zum Pigmentepithel) als Neuroepithel- oder
Sehzellenschicht bezeichnet. — Quer von aussen nach innen durch die
Pigmentepithel.
Stäbchen und Zapfenschicht.
Membrana limitans externa.
Aeussere Körnerschicht.
Aeussere granulirte Schicht.
Innere Körnerschicht.
4 Innere granulirte (reticuläre)
Schicht,
Ganglienzellenschicht.
2 Xervenfaserschicht.
^s 1 Membrana limitans interna.
Schematicher Durchschnitt durch die Netzhaut nach M. Schultz e.
verschiedenen Schichten hindurchgehend, ziehen feine bindegewebige
Fasern (Müll er 'sehe Stütz- oder Radialfasern), die mit pinselförmiger
Ausbreitung | a | an der Limitans interna enden. In der Macula lutea
verdünnen sich die Xetzhautschichten zur Fovea centralis, die Stäbchen
fehlen hier ganz und es kommen nur verschmälerte Zapfen vor. Auch
zeigen die Müll er sehen Stützfasern am gelben Fleck nicht ihre pinsel-
förmige Ausbreitung gegen die Limitans interna hin.
222 • Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
Die Netzhaut liegt in ihren hinteren Partien der Ohorioidea nur,
ohne mir ihr ^erwachsen zu sein. Erst vorn, wo der Orbicul. ciliaris
anfängt, haftet sie ihr mit einer ausgezackten Kreislinie beginnend
(Ora serrata) fester an. Es fehlt hier bereits die Nervenfaser- und
Ganglienzellenschicht, während die Müll er 'sehen Stützfasern stark
hervortreten. Im höheren Alter bilden sich nicht selten in der Xähe
der Ora serrata zwischen den Müller'schen Stützfasern mit Flüssigkeit
gefüllte Hohlräume (Iwanoff). Ebenso erfahren die Glashäute Ver-
dickungen; in der Peripherie zeigt sieh öfter eine ausgeprägte Hyper-
trophie der bindegewebigen Elemente mit Atrophie der nervösen (Kuhnt).
Auf dem Corp. ciliare besteht der Pars ciliaris retinae und aus zwei
Schichten: in der äusseren liegen Pigmentzellen, in der inneren hohe
Cylinderzellen. Beide Zellenreihen verschmelzen bei ihrer Fortsetzung
auf die hintere Irisfläche zu einer einzigen Pigmentlage.
Die äusserste JSchicht der Xetzha-ut enthält, wie Boll gezeigt,
rinen Farbstoff (Sehroth oder Sehpurpur), der ihrer Hinterfläche
ein rothes Aussehen giebt, aber durch Einwirkung des Lichts in
einigen Minuten nach der Herausnahme abblasst. Durch entsprechende
Belichtung lassen sieh helle Figuren (Optogramme, Kühne) auf der
Netzhaut — ähnlich wie auf einer photographischen Platte — hervor-
bringen. Der Farbstoff sitzt in den Stäbchen und wird wahrscheinlich
com Pigmentepithel immer wieder von neuem regenerirt. — Ein weiterer
Einfluss des Lichtes auf die Netzhaut wurde beim Frosch beobachtet:
die Aussen- und Tnnenglieder der Stäbchen verkürzen sich im Licht und
verlängern sieh im Dunkeln (Angelucci, Gradenigo); dasselbe gilt
von den Innengliedern der Zapfen (Engelmann). Gleichzeitig ändern
die äusseren Kürner der Retina ihre Gestalt.
Betreffs des histologischen Baues und des Zusammenhanges der Stäbchen
und Zapfenschicht mit den Nervenfasern hat sich Kauion y Ca ja] besondere Ver-
dienste erworben, indem er die Golgi'sche Versilberungsmethode benutzte und die
Neuronlehre (Waldeyer) auf die Netzhaut übertrug. Die Nervenzelle und ihr
leitender Fortsatz, der Achsencylinder mit seinen Endbäumchen, bildet eine Ein-
heit (Neuron) ; dieselbe tritt mit einem andern Neuron nur durch Contact in Ver-
bindung. <>1) die anderen kleineren Protoplasmen Fortsätze der bipolaren Gang-
lienzelle (Dendriten) auch nervöser Natur sind, ist noch zweifelhaft. Nach
den (ajal'schen Ergebnissen, die von Greeff, Kallins u. A. nachuntersucht sind,
besteht die Netzhaut aus 3 Neuronen, wie die beistehende Abbildung zeigt. Die
Fasern enden in den primären Opticus-Ganglien im Gehirn, wo ein 4. Neuron
-einen Ursprung nimmt, um die Leitung zum Sehcentrum zu vermitteln.
Die Schicht der aniakrinen (a, u<;xnuj, lang, Ivoq Faser) Zellen, Zellen ohne
langen Fortsatz, welche den Spongioblasten Müllers entsprechen, liegen in der
untersten Lage der inneren Körnerschicht. In ihnen enden die von Cajal nach-
gewiesenen centrifugalen Nervenfasern (Fig. L02). —
Wenn man einen -an/, frischen, etwa eben durch Operation ent-
fernten Augapfel äquatorial durchschneidet und die hintere Augapfel-
Anatomie »1er Retina.
223
hälfte in situ betrachtet, so ist es anfänglich schwer, die Stelle der
Macula lutea zu sehen: bald aber rindet man einen dunkleren, mehr
I. Pigmenschicht.
II. Stäbchen und Zapfenschicht.
III. Körner der Sehzellen.
IV. Aeussere plexiforme Schicht.
Schicht der horizontalen Zellen.
VI. Schicht der bipolaren Zellen.
VII. S chieht der amakrinen Zellen.
VIII. Innere plexiforme Schicht(5 Etagen i
IX. Ganglienzellenschicht.
X. Xervenfaserschicht.
1. Diffuse aniakrine Zellen. 6. Jlüller'sche Radiärfaser.
2. Diffuse Ganglienzellen, a. Faserkorb.
3. Centrifugale Xervenfaser setzt sich an. b. Seitliche Buchten.
4. Association- Amakrine. c. Kern
■ >. Xeuroo-liazellen.
102.
aa des Baues der menschlichen Ketina nach 'lein Grolgi'sehen Verfahren (Green? in Graefe-
Saemisch, Handl>nck der gesammten Augenheilkunde 2. Auflage 8. 87. )
bräunlich-rothen Fleck, der ihren Sitz zeigt. Dieser Fleck bat etwa die
— e der Papille, wird aber (wohl durch den Eintritt einer leichten
224 Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
Netzhaut-Trübung) bald kleiner, so dass er sich mehr auf den central-
sten Theil der Macula beschränkt. Zieht man die Retina jetzt von der
Chorioidea ab und breitet sie auf ein Objectglas aus, so zeigt die
Macula eine leicht gelbliche Färbung; letztere lässt sich nicht immer
absolut scharf abgrenzen , indem sie sich am Rande allmählich ab-
schwächt. Meist ist die gelbe Färbung etwas ausgedehnter, als vorher
bei der Betrachtung in situ der bräunliche Fleck erschien. In dem
Centrum des gelben Fleckes der Netzhaut erkennt man einen etwas
dunkler pigmentirten Ring oder Halbring, welcher eine kleine hellere,
trichterförmige Vertiefung (Fovea centralis) umgiebt. Die Fovea ist
meist queroval und hat im Durchschnitt einen horizontalen Durch-
messer von 1,7 mm (Dimmer). In ihr sind nur Zapfen vorhanden.
Die frische Netzhaut ist vollkommen durchsichtig. Es tritt daher auf einer
dunkeln Unterlage die hellgellte Eigenfarbe der Macula nicht hervor, sondern
giebt dieser Unterlage nur einen etwas dunkleren Farbenton und ein etwas
stumpferes Aussehen, (ähnlich wie manche Lacke oder etwa eine Gummilösung).
So erklärt sich die dunklere Färbung der Macula, wenn sie auf der Chorioidea in
situ bleibt. Ich konnte übrigens durch Verschieben der Netzhaut auf der Chori-
oidea auch den dunkleren Fleck — entsprechend der Verschiebung der Macula —
wandern lassen. Eine stärkere Pigmentirung der Chorioidea unter der Macula ist
nicht immer nachweisbar, auch zur Herstellung der dunkleren Färbung wie jener
Versuch zeigt, nicht erforderlich. Das Aussehen der Macula lutea im frischen
Auge erklärt in der Hauptsache auch das ophthalmoskopische Bild derselben, in
welchem sie ebenfalls in dunklerer Nuance als die angreuzende Netzhaut erscheint.
Vor meinen diesbezüglichen Untersuchungen hatte man sich mit dem Befunde an
Augen, die bereits A'erwesungserscheinungen zeigten, begnügt: hier aber tritt die
Macula auf der getrübten und undurchsichtig gewordenen Netzhaut, selbst wenn
letztere der Chorioidea aufliegt, in ihrer gelben, citronenähnlichen Eigenfarbe
scharf hervor. Es konnte daher bis zur Klarlegung obiger Thatsachen das oph-
thalmoskopische Bild nicht richtig gedeutet werden.
Die Hauptäste der Netzhautgefässe liegen theils auf, theils in der
Nervenfaserschicht. Einige Zweige ziehen auch in die äusseren Netz-
hautschichten bis zur äusseren granulären Schicht. — Auch in die
Peripherie der Macula erstrecken sich Capillargefässe, wie man an eben
enucleirten Augen, wo noch Blutinjection besteht, sehr gut sehen kann. —
Die Tunica uvea (T. vasculosa s. media) setzt sich aus der Cho-
rioidea, dem ( 'orpus ciliare und der Iris zusammen.
Die Chorioidea ist mit der Sclera nur hinten am Opticuseintritt
und vorn am Sulcus sclerae fester verwachsen. Rings um den Opticus
und mit ihm ebenfalls in Verbindung stehend geht die Chorioidea in
einen dünnen, aus concentrischen Fasern bestehenden Ring über, der
das Forumen optieum chorioideae, mehr oder weniger dicht dem Opticus
anliegend umschliesst. Zwischen Sclera und Chorioidea liegt ein Lymph-
raum (Perichoroidealraum), der mit der Tenon'schen Kapsel und der
Anatomie der Tunica uvea. 225
Sehnervenscheide in Verbindung steht. Man unterscheidet histologisch
in der Chorioidea vier Schichten, von aussen nach innen: 1) Supra-
chorioidea, welche braun aussieht; beim Abziehen haftet ein Theil von
ihr der Sclera an (Lamina fusca); sie enthält grössere Gefässe, Nerven,
elastisches Gewebe und Pigment. 2) Das Stroma chorioidea (Tunica
vasculosa). Hier verlaufen die gröberen Gefässe und vertheilen sich.
In ihr liegen die Ven. vorticosae, von denen meist vier Hauptwirbel,
je ein Paar für die obere und untere Aderhauthälfte gebildet werden
(Tuchs). Sie erscheinen, wie überhaupt die grossen Chorioidealgefässe,
ophthalmoskopisch als helle rothe Streifen, da sich das Pigment, [in
sternförmigen Zellen auftretend, vorzugsweise zwischen ijhnen in den
dunkler aussehenden Intervascularräumen anhäuft. In der äusseren
Schicht hegen die grossen, in der inneren, wenig pigmentirten die
mittleren Gefässe. 3) Die Choriocapillaris, welche von dem Stroma
durch das Sattler' sehe Endothelhäutchen getrennt ist. Sie enthält
kein Pigment, aber zahlreiche Capillargefässe. 4) Lamina elastica
(Glas- oder Basalmembran, M. Bruchii), die in den hinteren Augen-
partien glatt und durchsichtig ist, in der Nähe des Corp. ciliare und
auf ihm mikroskopische Vertiefungen und Erhabenheiten zeigt; im Alter
entwickeln sich drusige Auswüchse auf ihr. Das' ihr aufsitzende Pig-
mentepithel, aus schwarzen sechseckigen Zellen bestehend, gehört, wie
oben erwähnt, genetisch zur Retina. — Kurz vor dem Uebergang der
Chorioidea in das Corp. ciliare verlieren die Schichten der Chorioidea
ihre regelmässige Anordnung, die Choriocapillaris verschwindet ganz.
Man bezeichnet diese Stelle als Orbiculus ciliaris.
Im Orbiculus ciliaris beginnen die Anfänge der Muskelschicht des
Corpus ciliare sich zwischen Suprachorioidea und Stroma einzu-
schieben. Nach vorn hin nehmen dieselben an Dicke zu und bilden
den Hanpttheil des Corp. ciliare. Der Ciliarmuskel (Brücke 'scher
Muskel, vom Uculoinotorius innervirt) stellt sich auf dem Durchschnitt
als spitzes Dreieck dar, die Spitze nach hinten gerichtet. Die äussersten
Schichten des Muskels, dicht unter der Sclera, laufen meridian, die
innersten circulär. Zwischen diesen beiden finden sich Uebergänge, die
Bündel divergiren nach innen und hinten. Mit der inneren Wand des
Schlemm 'sehen Canals ist der Muskel durch ein bindegewebiges Band
i Sehne des M. ciliaris) fest verbunden. Dem Innern des Auges und der
Linse zugewandt trifft man am Corp. ciliare Hervorragungen abwechselnd
mit Vertiefungen: die Ciliarfortsätze, ziemlich constant 70 an der
Zahl (Merkel). —
Die Iris entsteht aus dem Gewebe der Processus ciliares; sie ist
durch das maschenförmige Lig. pectinatum mit der Cornea verbunden.
Letzteres schliesst auch den äussersten Theil des Corp. ciliare von der
Schmidt -ßimpler. T.Auflage. ■ 15
226 Aiiüenspieu-t'Hiefunde am gesunden Auge.
vorderen Kammer ab. Das eigentliche Gewebe der Iris liegt zwischen
zwei Begrenziingshäuten; nach der vorderen Kammer zu befindet sich
ein zartes Endothelhäutchen, nach hinten der Linse zu eine aus be-
sonderen zelligen Elementen zusammengesetzte Membran, deren hintere
Fläche eine embryologisch aus zwei Schichten hervorgehende Pigment-
lage (Fortsetzung der Retina) aufweist, welche sich centralwärts bis zur
Pupille fortsetzt und hier umbiegend oft als schmaler schwarzer Pupillen-
saum erscheint. Hinter dem vorderen Endothelhäutchen Hegt eine
Schicht anastomosirender Zellen mit eingestreuten lymphoiden Zellen
(reticulirte Schiebt, Michel); dann kommt die Gefässschicht. Hinter
den Gefässen sind die Muskelelemente eingeschaltet: der ringförmig
die Pupille einschliessende Sphincter iridis und der radiär verlaufende
Dilatator. Letzterer erstreckt sich als dünne Lage radiär geordneter
Faserzellen, die vom Margo ciliaris theils bis zum freien Margo pupil-
laris verlaufen theils vorher mit dem Sphincter iridis in Verbindung
treten (Merkel); die musculäre Natur dieser Faserzellen ist neuer-
dings wieder von Grunert und ebenso von Heerfordt auf Grund ver-
gleichender anatomischer und an atropinisirten Augen ausgeführter
Untersuchungen bestätigt worden. In Frage gestellt wurde sie früher
besonders von Schwalbe und Eversbusch. Der Sphincter wird vom
Oculomotorius, der Dilatator von Zweigen des Sympathicus innervirt.
Ausserdem sind Zweige des Trigeminus hier und im Uvealtractus, aus
den (Jiliarnerven stammend, verbreitet. Die Pupille liegt nicht ganz in
der Mitte des Irisdiaphragmas sondern etwas nasenwärts. Im embryo-
nalen Leben befindet sich vor ihr und der Iris die Pupillarmembran;
hinter dieser entwickelt sich erst die L'is in Form eines Auswuchses.
Schliesslich wird die Pupillenmembran zu dem vorderen Endothelhäutchen
(Michel), in der Pupille selbst schwindet sie.
Das Pigment im Irisstroma entwickelt sich erst nach der Geburt.
Daher erscheint die Iris der Neugeborenen durch Interferenz (trübes
Medium vor einem dunklen Hintergrunde) blau; je nachdem mehr oder
weniger Pigment (zum Theil in runden und sternförmigen Zellen) sich
bildet, wird die Iris dunkelbraun, braun oder grau. Auf ihr findet man
öfter rostbraune und schwarze Pigmentfleckchen; bei Verletzungen hüte
man sich, sie als eingedrungene kleine Fremdkörner anzusehen. Die
Vorderfläche der Iris zeigt etwa 1 mm vom Pupillarrande entfernt eine
kreisförmige Erhebung (kleiner Kreis), die aus einem Kranz vorspringen-
der Balken gebildet wird; letztere entsenden kleinere Leisten, zwischen
denen iinregelmässige Löcher und Vertiefungen (Krypten) liegen, radial-
wärt s .sowohl in die Pupillenzone wie in die peripher gelegene Ciliarzone
der Iris, hie l>alken des kleinen Kreises enthalten den Circ. arteriös,
iridis minor. Die Krypten stehen mit spaltför m igen Lücken, welche die
Anatomie der Tunica uvea. 227
Irisgefässe umgeben, in Verbindung und vermitteln so eine Communi-
eation der Lymphräume der Iris und des Lig. pectinatum mit der vor-
deren Kammer (Tuchs).
Die Iris trennt die vordere von der hinteren Augenkammer,
bei ihren Bewegungen schleift sie auf einer Flüssigkeitsschieht auf der
Linsenkapsel.
Der Uvealtractus erhält in seinen hinteren Partien (Chorioidea) sein
arterielles Blut von den kurzen hinteren Ciliargefässen; in seinen
vorderen Theilen (Corp. ciliar, und Iris) von den langen hinteren
und den vorderen Ciliararterien. In dieser Partie der Chorioidea
finden sich auch noch eine Anzahl rücklaufender Zweige, welche
zwischen dem vorderen und dem hinteren Gebiete eine Verbindung
herstellen (Leber). Die hinteren Ciliararterien stammen aus der Art.
ophthalmica und durchbohren in der Nähe des Opticus die Sclera; die
vorderen entspringen aus den Arterien der M. recti und durchbohren
nach Abgabe feiner oberflächlicher Zweige (zu Sclera, Cornealrand,
Bindehaut) mit ihren perforirenden Aesten die Sclera nicht weit vom
Hornhautrande. Sie beide bilden am vorderen Ende des Musculus
ciliaris einen circulären Grefässkranz (C. arteriös, iridis major).
Das venöse Blut wird aus dem Uvealtractus der Hauptsache nach
durch die von Lymphscheiden umgebenen Ven. vorticosae abgeführt,
welche in schrägen, langen Canälen die Sclera hinter dem Aequator
durchsetzen. Sie entleeren sich theils direct in die V. ophthalm., theils
in die Muskeläste. Das Blut aus dem Corp. ciliare hingegen wird durch
die V. ciliares anticae fortgeführt, die ähnlich wie die Art. ciliar,
antic. verlaufen, aber enger sind. Diese Art. und V. ciliar, antic. bilden
auf der Sclera am Rande der Cornea ein maschiges Gefässnetz, das, be-
sonders bei Entzündungen stark hervortretend, als ein mehrere Milli-
meter breiter Saum die Cornea umfasst (episclerales Gefässnetz).
Der circuläre im vorderen Ende der Sclera eingelagerte, rings um
den Cornealansatz verlaufende Circul. venös, ciliaris (Leber) oder
Schlemm'sche Canal ist ein Venenkranz, der mit den vorderen Ciliar-
venen und dem episcleralen Gefässnetze in Verbindung steht (Figur 103).
Wird der Blutabfluss durch die Venae vorticosae nach hinten hin
unterdrückt, wie wir es bei Steigerung des intraoeularen Druckes öfter
beobachten, so geht das Blut vorn durch die vorderen Ciliarvenen, die
sich erweitern und starke episcleral verlaufende Aeste zeigen.
Die Lymphe der vorderen Augenhälfte sammelt sich in der hin-
teren und vorderen Augenkammer und verlässt durch das Maschen-
werk das Ligament." pectinatum (Font ana 'scher Raum) das Auge, um
sich in den Schlemm'schen Canal zu ergiessen (Leber): aber auch die
15*
228
Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
Iris betheiKgt sich an der Resorption des Kammerwassers (Leber, Xuel,
Asayama). Klinische Beobachtungen und Experimente haben anderer?
Circulus iridis major
C. iridis nii/inr
Cornea
Randschiingi'rmcts.
b dil muri sehe Caiml.
Vordere Conjiuwtiz>aUiefassc
Retina. {
Clwriaidea
ScUra
Hintue
Cory'tnicUniU
aefässp
—fördere
Ciliar^
ge fasse
Recuismrdi/ib-
■Efiiscerale
^gefässe-
V.-norticosaz
K central, reibt az
tj^\V B.lange Cüiuiarterkii
B. Kurze Ciliar arltriin
~~Ä. cenb'al.retüiae
103.
Blutgefässe des Auges. Schematisch nach Leber. — Aus der Zeichnung ist der Verlauf
der Gefässe erkennbar. Die Retina wird von der Art. und Yen. centralis retinae versorgt. Die
Uvea, von den hinteren kurzen und hinteren langen und von den vorderen Ciliararterien genährt,
sendet ihr venöses Blut zurück durch die Venae vortieosae; nur vom Ciliarmuskel gehen Venen
als vordere Ciliarvenen, die auch mit dem Sehlenim'schen Kanal auastomosirten, aus dem Auge.
l-'.s sei noch bemerkt, dass die vorderen ('iliarnei'asse sieh bei Entzündungen mit den hinteren
('onjunetivalgefüssen durch vordere Coujunctivalgefässen vereinen und zusammen das Kand-
schlingennetz um die Cornea („perioorneale Injection") bilden.
seits erwiesen, <lass in das Kammerwasser auch vom subconjunctionalen
Räume aus Substanzen eindringen können. Die Absonderung in die
Anatomie der Tunica uvea. 229
hintere Kammer erfolgt von den ( 'iliarfortsätzen, deren Epithel bei durch
Punktion der Vorderkammer beschleunigter Absonderung' blasenförmige
Veränderung zeigt (Greeff). Die Flüssigkeit der vorderen Kammer
seheint jedoch, wie besonders Experimente mit Fluorescein-Einspritzungen
erweisen (Ehrlich, Schick und neuerdings Hamburger), unter nor-
malen Verhältnissen auch von den [risgefässen abgesondert zu werden,
wenngleich nach Punktion der vorderen Kammer die Flüssigkeit vor-
zugsweise durch die Pupille aus der hinteren Kammer hervorströmt.
Als hintere abführende Lymphbahnen, die aber gegenüber dem Lymph-
abfluss durch die vordere Augenkammer nur von geringer Bedeutung
sind, dienen die perivasculären Lymphräume der Centralgefässe des
Sehnerven; innerhall) des Glaskörpers erfolgt die Lymphabfuhr durch
seinen Centralcanal bis zum Sehnerveneintritt (Stilling, Ulrich). Von
Lymphräumen des Auges sind noch zu nennen: 1) Der Perichorioideal
räum zwischen Aderhaut und Sclera, 2) der Tenon'sche Kaum zwischen
Sclera und Tenon 'scher Kapsel, 3) der intervaginale Raum zwischen
Sehnervenscheide und Sehnerv, 4) der supra vaginale Raum, der die
Sehnervenscheide umgiebt (Schwalbe). Ebenso wie die Absonderung
der Lymphe erfolgt auch die Ernährung der gefässlosen Theile des
Auges (Linse und Glaskörper) der Hauptsache nach von der Uvea,
speciell vom Ciliarkörper. In die Linse tritt die Flüssigkeit besonders
in der Gegend des Aequators ein und circulirt in den vorderen und
hinteren Rindenschichten, und zwar scheint eine hinter dem Linsen-
äquator mit diesem parallel verlaufende Zone den umfangreichsten
Xährstrom aufzunehmen; ein weniger bedeutender verläuft in einer
gleichen Zone vor dem Linsenäquator und am hinteren Linsenpol
(Magnus). Selbst die äusseren Schichten der Netzhaut scheinen in
ihrer Ernährung von den Gefässen der Chorioidea abhängig zu sein.
Die Nerven entstammen zum Theil als N. ciliares breves aus dem
Ganglion ciliare (Trigeminus, Oculomotorius und Sympathicusäste).
Dasselbe wird von Einzelnen als sympathisches Ganglion angesehen
(Michel, Bach), von anderen als theils sympathisches theils sensorielles
(Bernheimer). Die N. ciliaris longi kommen aus dem N. nasociliaris des
X. Ophthalmie. Trigemini. Sie durchbohren die Sclera in der Nähe
des Opticus und verlaufen in der Suprachorioidea bis zum Corp. ciliare.
Hier bilden sie einen Plexus, aus dem die Irisnerven hervorgehen. —
Die Entwicklung des Auges erfolgt so, dass sich zu beiden
Seiten der Gehirnblase zwei Ausstülpungen, die primären Augen-
blasen bilden, welche durch einen Stiel (Opticus) mit der Gehirnblase
in Verbindung .bleiben. Umgeben sind diese Blasen rings herum von
den Zellen des Mesoderms, nur ihr Scheitel ist vom Ectoderm über-
zogen. In letzterem entsteht alsbald eine Verdickung, die sich in die
i':;.i
Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
Augenblase eindrückt: es ist dies die spätere Linse. Hierdurch wird
die vordere Wand der Augenblase nach innen eingestülpt, sodass sie
jetzt dicht vor die hintere Wand zu liegen kommt: aus der früher ein-
wandigen Kugel ist jetzt ein doppelwandiges Segment einer Kugel ge-
worden (eine Art Schöpflöffel) — die seeundäre Augenblase (Fig. 104).
Aus der äusseren Wand derselben wird später das Pigmentepithel, aus
der inneren (früher vorderen) die Netzhaut. Bei der erwähnten Ein-
stülpung bildet sich in der unteren Hälfte der Augenblase, zum Seh-
nerv hinlaufend, eine Rinne, die fötale Augen spalte. Dieselbe ist
im Anfang dreieckig gestaltet, die Basis gegen den Linsenrand, die
Spitze gegen den Sehnerven gekehrt, in den sie auch rinnenartig ein-
schneidet; sie geht in ziemlich gerader Richtung von vorn nach hinten.
Durch sie wächst nunmehr vom Mesoderm aus neues Gewebe zwischen
Linse und seeundäre Augenblase, einzelne Gewebe-
zellen desselben wären bereits beim Abschnüren der
Linse in die seeundäre Augenblase gedrängt worden:
dies alles gestaltet sich zum Glaskörper um. Wenn
nach einiger Zeit der Schluss der Augenspalte durch
Zusammenrücken der Blätter der seeundären Augen-
blase erfolgt, wird auch das in der Spalte des Seh-
nerven liegende Mesoderm-Gewebe eingeschlossen:
aus ihm entstehen dann die Centralgefässe des
Opticus, welche sich anfänglich in die äussersten
Schichten des Glaskörpers fortsetzen und erst später
zu Netzhautgefässen umwandeln. Ein Zweig der
Centralarterie jedoch zieht direct durch den Glas-
körper nach vorn zum hinteren Linsenpol (Arteria
hyaloidea); er liegt in dem Canalis Cloqueti. Am
hinteren Linsenpol bildet er ein Gefässnetz, welches
den hinteren Theil der Linse umspinnt und mit
einem ähnlichen, die vordere Fläche umspinnenden
Gefässnetz in Verbindung tritt, welches aus dem vorliegen Mesoderm
entstammt (Tunica vasculosa lentis). Diese Gefässe schwinden vor der
Geburt, lassen alter öfter einzelne Ueberbleibsel als Membrana pupil-
laris zurück. — Aus dem die Augenblase umhüllenden Mesoderm ent-
wickeln sieli die Chorioidea, aus welcher nach vorn hin die Iris heraus-
wächst, und die Sclera. Auch der vordere Scheitel der Augenblase,
der ursprünglich vom Ectoderm bedeckt war, wird von dem sich vor-
schiebenden Mesoderm, welcher die eingestülpte Linse abschneidet, über-
zogen: hier entsteht die Cornea.
S e c an d är e Augen-
blase.
E Ectoderm. M Mesoderm.
L Linse. G Glaskörper. R
Retina. P Pigmentblatt. 0
Opticus. SA Seeundäre
Augenblase.
Papilla optica.
231
1. Papilla optica.
Ophthalmoskopisch zeichnet sich der Eintritt des Sehnerven in das
Auge (Sehnervenquerschnitt) durch eine etwas hellere Färbung vor dem
intensiveren lioth des übrigen Augenhintergundes ans. Man kann die
Farbe als rosaweisslich, in anderen Fällen als gelbröthlich bezeichnen.
Die Gestalt ist rund, meist scharf begrenzt. Bisweilen kommen aller-
dings ovalere Formen vor, die nicht immer durch astigmatische Brechung
des Auges bedingt shid.
Die Papille wird in der Regel von einer feinen weissen Linie
(Figur 105 a) begrenzt, die aber meist nicht die ganze Peripherie ein-
nimmt. Oft ist sie nach der
Seite der Macula hin etwas
breiter und bildet hier eine
halbmondförmige Figur. Diese
Grenzlinie (sogenannter Bin-
degewebs- oder Scleral-
ring) kommt dadurch zn
Stande, dass die Chorioidea
nicht überall bis zur Papille
herangeht, sondern eher endet
und so noch zwischen ihr imd
Papille Scleralgewebe zum
Vorschein kommt. In anderen
Fällen hat die weisse Färbung
darin ihren Grund, dass die
der Papille anhaftende Grenze
der Chorioidea nur die Glas-
membran und bindegewebige
Elemente ohne Pigment und
Gefässe enthält. Dort, wo die eigentliche Chorioidea beginnt, findet
nicht selten eine etwas stärkere Anhäufung von dunklerem Pigment statt,
wodurch eine schmale, schwarze Linie (b) (Chorioidealring) zu Stande
kommt, die sich entweder der Papille selbst oder dem weissen Binde-
gewebsring anlegt.
Die Farbe der Papille ist meist nicht gleichmässig. So pflegt für
gewöhnlich die Austrittsstelle der Gefässe (f ) (Fovea der Papille) eine
mehr weissliche Färbimg zu haben, die sich bisweilen auch noch weiter
hin — besonders in der Richtung gegen die Macula — über die Papille
ausdehnt. Diese weissliche, weisslichgraue oder graubläuliche Färbung
entsteht dadurch, dass an der betreffenden Stelle weniger Nervenfasern
und weniger Capülargefässe hegen; die Lainina cribrosa scheint als-
105
232
Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
dann hindurch. Bisweilen erkennt man als Ausdruck des Maschenwerks
derselben und der durchtretenden Nervenbündel auf der weissen Partie
auch eine dunkelgraue Punktirung.1
Die Art. und Yen. centralis retinae theilen .sich gewöhnlich in der
Papille in einen nach oben und einen nach unten gehenden Hauptast.
Geschieht die Theilung nicht auf der Oberfläche der Papille, sondern
schon vorher, so sieht man ophthalmoskopisch nur diese Hauptäste.
Jeder derselben läuft dann wieder, meist in der Nähe des Papillarrandes
jn einen nasal- und einen temporalwärts ziehenden aus. Magnus hat,
dieselben als Art. (respective Ven.) nasalis superior, Art. nasalis in-
ferior, Art. temporalis superior und Art. temporalis inferior bezeichnet.
Während diese Aeste die oberen und unteren Partien der Netzhaut
versorgen, laufen im horizon-
talen Meridian nasalwärts die
A. mediana und macularwärts
zwei sehr feine Gelasse, die
Art. maculai^is superior und
inferior. Allerdings kommen
nicht selten Abweichungen von
diesem typischen Verlaufe vor;
doch giebt die" erwähnte Be-
nennung meist eine ausreichen-
de Grundlage zur Orientirung
(Figur 106).
Die Gefässe stellen sich
ophthalmoskopisch als rothe
Stränge dar. Die Arterien
sind dünner als die Venen,
haben einen mehr gestreckten
\ erlauf und eine etwas hellere Farbe. Auch tritt an ihnen ein central
liegender, heller Lichtreflex stärker hervor. Die grösseren Gefäss-
stänune haben nämlich keine gleichmässig rothe Färbung, sondern
zeigen einen hellen Streifen in der Mitte, der zu beiden Seiten von
einer rothen, dunkleren Linie eingefasst ist. Dieser Streifen rührt
daher, dass die von dem Augenspiegel auf die Mitte des Gefässrohrs
fallenden Strahlen vollkommener reflectirt werden, als von den seitlich
gelegenen Theilen. Nach Dimmer's Untersuchungen entsteht derselbe
.•uif den Venen durch Reflex an der vorderen Fläche der Blutsäule,
während er an den Arterien nur Ausdruck des Achsenstromes ist.
An den Venen bemerkt man auf der Papille dicht an der Stelle,
wo sie sieh in die Tiefe senken, öfter eine sackförmige, dunkele An-
schwellung, welche davon herrührt, dass das (lefäss dort eine Art
106.
Papilla optica. 233
Knickung erleidet, die zu einer Blutstauung Anlass giebt. Bisweilen
sieht man auf der Papille eine Pulsation der Venen. Sie stellt sich
so dar, dass kurze Zeit vor dem Radialpuls ein Hauptstamm — selten
mehrere Aeste — namentlich dort, wo er in die Tiefe geht, blasser
wird. in. lern das Blut nach der Peripherie der Netzhaut zurückströmt;
nach einiger Zeit, kurz nach dem Radialpuls, strömt von der Peripherie
das Blut wieder zu, die Vene füllt sich und wird dunkel. Das Phä-
nomen ähnelt dem Verstössen und Zurückziehen eines dunklen Spritzen-
stempels in einem Glascylinder.
Diese, unter physiologischen Verhältnissen auftretende Pulsation lässt sich
folgendermaassen erklären (Donders). Mit der Herzsystole wird das Blut in
verstärkter Menge in die Arterien geworfen, es kommt mehr Blut in das Auge
und die stärker gefüllten Arterien erhöhen den intraoeularen Druck. So drückt
eine verstärkte Kraft auf die leichter comprimirbaren Netzhautvenen, und zwar
namentlich auf den Hauptstamm derselben, welcher als dem Herzen relativ am
nächsten den wenigsten Seitendruck hat. Es kommt hinzu, dass auch oft durch
das Umbiegen aus der verticalen Ebene der Papille in den nahezu horizontal
laufenden Sehnerven eine Art Knickung entsteht, welche die Compression dieser
Stelle erleichtert. Die Folge des Abschlusses ist ein Zurückstauen des Blutes.
Inzwischen ist die Herzsystole vorüber, es fliesst kein neues Blut den Arterien
zu, der intraoeulare Druck sinkt; gleichzeitig ist das Blut durch das Capillar-
system bis zu den Venen gekommen, hat den Seitendruck in ihnen erhöht, dehnt
sie aus und füllt wieder den comprimirten Hauptstamm, durch welchen es das
Auge verlässt. — Nach Coccius bewirkt die Steigerung des intraoeularen Druckes
zuerst einen vermehrten Blutabfluss und darauf wiederum eine Verengerung der
Venen, während Helfer ich die Pulsation von Drucksckwankungen im Sinus ca-
vernosus (mit der Dilation der arteriellen -Hirngefässe wird das Venenblut ver-
drängt) abhängig sein lässt: doch spricht gegen einen maassgebenden Einfluss der
Blutcirkulation im Sinus cavernosus die Verbindung der Ven. ophthalmica mit den
Facialvenen. Türk hat neuerdings zu erweisen gesucht, dass der physiologische
Venenpuls durch Fortpflanzung der arteriellen Pulswelle, durch die Capillaren in
die Venen fein progressiver Venenpuls) entstehe. Es sei dies ermöglicht durch den
hohen extravasculären Druck, dem die Gefässe im Auge unterworfen sind, derselbe
hat eine Verminderung des intravasculären und damit stärkere Pulsation zur Folge.
Dass die Pulsation am papillären Ende der Venen erst deutlich hervortritt, sei
durch die an der Knickungsstelle vorhandene Verengerung der Vene bedingt.
Die Pulsation der Arterien kommt nur in pathologischen
Fällen vor (s. Druckexcavation), sei es, dass es sich um Augen- oder
Allgemeinerkrankungen handelt. Man kann sie sich künstlich vorführen,
wenn man beim Ophthalmoskopiren mit dem Finger einen Druck auf
den Bulbus ausübt.
Bisweilen beobachtet man eine ungemeine Vergrösserung der vorher
beschriebenen centralen weissen und vertieften Partie auf der Papille.
Zur Unterscheidung dieser Form der Excavation von der pathologischen
führt sie den Xamen -Physiologische Excavation" (s. die Farben-
druektafel ). Am Rande der Aushöhlung machen die Gefässe meist eine
234 Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
Knickung und erscheinen auf dem (.«runde nicht mehr ganz so .schart'.
Man unterscheidet zwei Formen von physiologischer Excavation: eine,
welche gerade im Centrum liegt, und eine, welche sich mehr dem Rande
nähert und sieh meist halbmondförmig nach der Seite der Macula hin
erstreckt, ohne dass sie aber die Grenze der Papille zu erreichen pflegt.
Die erste Form stellt eine ungewöhnliche Vergrösserung der centralen
Fovea dar (cf. Fig. 100). Die letztere erklärt sich so, dass die Zahl
der Nervenfasern, welche direetzur Macula gehen, geringer ist als die der
nach anderen Richtungen hin laufenden. Die Anschauung Schün's,
dass diese physiologische Excavation erst Folge starker Accommoda-
tionsanstrengungen sei und zur glaueomatösen überführen könne, ist durch
ophthalmoskopische und anatomische Untersuchungen (Merkel und
Orr, v. Hippel jun.) widerlegt, die ihr Vorkommen auch bei Neuge-
borenen erwiesen.
Merkwürdiger Weise ist die Aufmerksamkeit der Ophthalmoskopiker
eher auf die pathologischen als auf diese physiologischen Excavationen
gelenkt worden. Zuerst spricht von ihnen Förster (1857); die ersten
anatomischen Untersuchungen gab H. Müller (1858). — Klein stellte
Untersuchungen über die Häufigkeit der physiologischen Excavationen
an und fand sie verschieden zahlreich vertreten bei den einzelnen Re-
fractioiiszuständen: bei Emmetropen und Myopen in 75 Procent, bei
rebersichtigen in 21 Procent.
Bei älteren Individuen erscheint die Papille blasser, weniger glän-
zend, was theils von der Trübimg der Medien, theils von örtlichen,
meist atrophischen Veränderungen in dem Nervengewebe herrührt. Der
Unterschied ist sehr auffallend im Gegensatz zu den Papillen junger
Leute, deren Aiissehen Albrecht v. Graefe als ein „virginales" zu
bezeichnen pflegte.
Abnorme Befunde an der Papille.
Es kommt vor, dass die Papille nicht scharf abgegrenzt ist und
ganz allmählich und verschwommen in die Umgebung übergeht. Bis-
weilen ist sie alsdann fast nur durch den Eintritt der Gefässe erkenn-
bar; eine irgend erhebliche Herabsetzung der Sehschärfe braucht nicht
mit dieser angeborenen Gestaltsanomalie verknüpft zu sein. In anderen
Fällen ist die Papille erheblich kleiner als gewöhnlich, selbst bis zur
Hälfte der normalen, nicht rund, mehr oval, oder mit hervorspringenden
Kcken. Die Farbe kann gelegentlich mattgrauweiss, andererseits wieder
mehr bräunlichroth und selbst dunkler als der übrige Augenhintergrund
sein. Doch sind letztere Formen bei normalem Sehen selten. Bisweilen
heobachtet man sogar ein Hervorragen der Papille bei normalen Augen,
Papilla, optica. 235
die man als Pseudgpapillitis beschrieben hat; ebenso abnorme Röthung
und Yersehwommensein der Grenzen (Pseudoneuritis). In der Rege]
sind diese abnormen Befunde doppelseitig, jedoch habe ich auch das
Bild einer Hervorragung der Papilla, das ganz der Stanungspapilla (Papil-
litis") glich, einseitig gesehen. Bisweilen kann erst längere Beobachtung
entscheiden, ob es sieh um pathologische Zustände handelt.
Auf der Papille selbst zeigen sich in einzelnen Fällen schwarze
Pigmentflecke, auch graue, glänzende auf Drusenbildung zu beziehende
Hervorragungen. Ferner kommen eigenthümliche, theils sectorenförmig,
theils unregelmässig gestaltete weisse Figuren auf ihr vor. Die Gefässe
pflegen an diesen Stellen unterbrochen oder undeutlich zu sein. Es
handelt sich dem Aussehen nach um markhaltige Nervenfasern;
ähnliche Figuren in der Netzhaut werden durch letztere bedingt werden;
auch habe ich Fälle beobachtet, in welchen sowohl auf der Papille als
auch in der angrenzenden Netzhaut diese weissen Figuren vorhanden
waren. Neuerdings hat Manz auch durch anatomische Untersuchung
meine früheren Annahmen bestätigen können. — Oefter sieht man, dass
einzelne Gefässe nicht in die Papille selbst gehen, sondern dicht neben
der Grenzlinie, noch im Gebiete der Netzhaut verschwinden. Möglicher-
weise stammen auch diese Gefässe von den Centralgefässen des Seh-
nerven ab, aber in der Weise, dass letztere sie bereits tief unterhalb
der Papillenoberfläche abgeben; oder es handelt sich um kleinere
perforirende Aestchen, die von dem die Papille umgebenden Zinn'-
schen Gefässkranz entspringen (Cilioretinale Gefässe [Schleich]).
Ganz vereinzelt ist die Beobachtung Axenfeld's, der zwei retinale
Hauptvenen peripherwärts verlaufen und in die Chorioidea sich ein-
senken sah. Seltener ist die Gefässanordnung in der Art verkehrt,
dass alle Gefässe aus der Mitte der Papille unter spitzem Winkel zur
nasalen Netzhauthälfte gehen: erst dort erfolgt die Unibiegung der für
die temporale Seite bestimmten (Szili). Auch .kleine, präpapilläre in
den Glaskörper reichende Gefässschlingen kommen angeboren vor
(Czermak) oder entwickeln sich intra vitam (Hirschberg). Ich be-
obachtete einen von der Papillen- Arterie ausgehenden Strang, der sich
in den Glaskörper erstreckte und aus zwei um einander gedrehten
Arterien bestand: mit dem Einströmen des arteriellen Blutes richtete
er sich auf. Bisweilen handelt es sich um Reste der embryonalen Arteria
hyaloidea.
Als Coloboma vaginae n. optici hat man eine ebenfalls ange-
borene Abnormität beschrieben, bei der sich an die stark vergrößerte
und excavirte Papille eine weissliche, colobomartige Partie (siehe Colo-
boma chorioideae) anschliesst.
236 Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
2. Retina.
< ophthalmoskopisch ist von der Netzhaut im normalen Zustande,
wo sie ganz durchsichtig ist; ausser den Gefässen, die sieli nach der
Peripherie hin immer dünner werdend verästeln, nicht viel zu sehen.
Sn deckt wie ein durchsichtiges Glas die Chorioidea und nur dicht in
der Nähe der Papille erkennt man bisweilen durch starke weissliche
Reflexe die Sehnervenfaserschicht. In Fällen, wo das Pigmentepithel
und die Chbrioideapigmentirung ausserordentlich schwarz ist, wie bei
Negern, erhält man von der ganzen Netzhaut einen ausgeprägteren
Kerlex. Es scheint alsdann, da das dunkle Pigmentepithel das von
den Blutgefässen der Chorioidea stammende Roth, welches dem Augen-
hintergrunde für gewöhnlich seinen Hauptfarbenton verleiht, nicht durch-
scheinen lässt, der Augenhintergrund' im ophthalmoskopischen Bilde
dunkelgrau.
Nach der Entdeckung des Sehpurpurs war man geneigt, diesem
vorzugsweise die rothe Färbung des Augenhintergrundes im ophthal-
moskopischen Bilde zuzuschreiben (Boll). Doch spricht, abgesehen von
der eben erwähnten Färbung des Augenhintergrundes bei dunkelpigmen-
tirten Menschen, vielerlei gegen diese Annahme. Vor Allem sei daran
erinnert, dass die Macula lutea ophthalmoskopisch trotz ihrer etwas
dunkleren Nuancirung doch immer einen entschieden röthlichen Farben-
ton zeigt: dieser kann aber nicht auf Sehpurpur zurückgeführt
werden, da an der Macula die Stäbchen, in denen er allein sich be-
findet, vollständig fehlen. Unter normalen Verhältnissen ist jedenfalls
ein erheblicherer Einfluss des Sehpurpurs auf das Zustandekommen
der rothen Färbung des Augenhintergrundes im ophthalmoskopischen
Bilde nicht erweislich. Jedoch beobachtete Adler bei einer ganz frischen
Netzhautablösung eine, rosa Färbung, die später schwand. — Bisweilen
findet man den Augenhintergrund mit eigentümlichen glänzenden
Lichtstreifen, etwa Eisfiguren ähnlich, durchsetzt, die oft, aber nicht
immer längs der Gefässe verlaufen: er erhält hierdurch einen moirce-
ähnlichen Glanz. Man kann diese ungewöhnliche Reflexerscheinung be-
sonders bei Kindern constatiren (vgl. Neuroretinitis).
Ein sehr interessanter Punkt der Netzhaut ist die Macula lutea.
Im umgekehrten Bilde erkennt man sie, etwa 1 ' /2 Papillendurch-
tnesser von der Papilla (scheinbar) nasalwärts gelegen, als eine braun-
rothe Stelle von matterem Aussehen. Dieselbe erscheint rundlich oder
<pieroval (selten als ein senkrechtes Oval), ihre Grösse ist etwa der
der Papille gleich. Es fehlen in ihr ophthalmoskopisch sichtbare Ge-
fässe. Meist ist die Macula von einem hellen glänzenden Lichtring
Retina. 2c57
Hingeben, einem Ring, der bisweilen als scharfe, gleichbrcite Liehtlinie
auftritt, bisweilen aber auch eine ungleiche Breite und vereinzelte
Unterbrechungen zeigt. In der Mitte der Macula ist ein dunkler kleiner
Kreis oder Halbkreis zu sehen, der oft einen hellleuchtendcn Lichtpunkt
einsehliesst (vgl. Farhendruektafel).
Aber nicht bei allen Individuen, selbst wenn man die dunklere Fär-
bung der Macula erkennt, sind diese Einzelheiten vorhanden ;' besonders
die Lichtreflexe am Rande fehlen öfter, fast immer, wenn Unregel-
mässigkeiten im Pigmentepithel oder pathologische Veränderungen der
Chorioidea vorhanden sind.
Im aufrechten Bilde sieht man (natürlich hier temporalwärts
von der Papille) meist nur einen kleinen dunklen Fleck, oder eine Figur,
die etwa den Schenkeln eines spitzen Winkels entspricht, mit centralem
Lichtpunkt. Erstere ist der optische Ausdruck der wallförmigen, dunkel
gefärbten Umgebung der Fovea centralis. Der centrale Lichtreflex
rührt von der gleichsam als Hohlspiegel wirkenden Fovea centralis.
Nur unter besonders günstigen Verhältnissen erkennt man den peripheren
Lichtkranz.
Zu bemerken ist noch, dass derselbe auch im umgekehrten Bilde,
wenn durch Atropin die Pupille stark erweitert ist, meist fehlt oder
schwacher wird.
Der oben gegebene anatomische Befund der Macula am frischen
Auge erklärt in der Hauptsache das ophthalmoskopische Bild. Weiterer
Ausführung bedarf das Auftreten des hellen Lichtringes um die Macula
und die Gestalt desselben. Der helle Lichtring dürfte als optischer
Ausdruck des Gegensatzes zwischen dem abgestumpften Ton der Macula
lutea, deren Gelb, das auf der Unterlage der Chorioidea nicht in seiner
Eigenfarbe hervortritt, mehr Licht verschluckt, und der stärker reflec-
tirenden angrenzenden Netzhaut zu betrachten sein. Es spricht dafür
auch, dass seine Breite und Ausdehnung durchaus nicht immer eine
gleiche oder gleichmässig begrenzte ist. Auffallend ist, dass der Licht-
ring im aufrechten Bilde gewöhnlich fehlt; da es sich um einen Licht-
reflex handelt, so erscheint es naheliegend, bei der Erklärung hierfür
die Menge des eingeworfenen Lichtes in Betracht zu ziehen. Dieselbe
ist im aufrechten Bilde — ■ selbst bei Anwendung eines Concavspiegels
— geringer als im umgekehrten Bilde. Es ist sehr Avohl denkbar,
dass hierdurch das Auftreten des Lichtringes weniger deutlich wird,
wie andererseits wiederum bei einer zu starken Beleuchtung der Netz-
haut (wie sie bei der Untersuchung eines mydriatischen Auges im um-
gekehrten Bilde stattfindet) der Gegensatz zwischen Macula und Um-
gebung geringer wird. Uebrigens lassen auch leichtere pathologische
Veränderungen (besonders centrale Chorioiditen oder Netzhautaffectionen)
238 Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
den Lichtring um die Macula, sowie auch (he scharfe Abgrenzreuig in
Farbe und Stumpfheit verschwinden.
Die Form und Grösse der Macula erkennen wir genau nur durch
den begrenzenden Lichtring. Anatomisch lässt sich dieselbe, wie oben
erwähnt, bisweilen nicht so scharf bestimmen. Wenn man sie als Quer-
oval beschrieben hat, so ist doch zu betonen, dass sehr häufige Aus-
nahmen hiervon stattfinden. Astigmatische Brechung des x4uges oder
auch astigmatische, durch Schiefhalten der Convexlinse bedingte Ab-
lenkung der Strahlen haben sicher oft Einfluss auf die scheinbare Ge-
stalt der Macula.
Bei der Untersuchung der Macula, sowohl im umgekehrten als
im aufrechten Bilde, thut man gut, die Papilla optica einzustellen und
dann allmählich durch Seitwärtsbewegung mit dem Kopfe sich in die
Sehlinie des Untersuchten zu bringen. Wenn man nur die temporale
Partie der Papilla optica im umgekehrten Bilde (mit -f- 13-0) einstellt,
so hat man meist auch noch einen Theil des Lichtkreises der Macula
im Gesichtsfelde. Bringt man sich gleich die Macula gegenüber, indem
man den Untersuchten heisst, direct in den Spiegel zu blicken, so wird
das Finden des Bildes durch Verengerung der Pupille und Corneal-
reflexe erschwert. Die Lichtreflexe kann man verringern, wenn man die
Convexlinse etwas um ihre horizontale Achse dreht: man bewirkt aller-
dings damit künstlichen Astigmatismus.
Abnorme Befunde an der Netzhaut.
Zuweilen zeigen die Venen ohne sonstige Erkrankungen des Augen-
hintergrundes ungewöhnliche Schlängelungen oder auch in sehr seltenen
Fällen mehr oder weniger zahlreiche Varicositäten. Die Verengerungen
der Arterien oder das Auftreten eines sie begleitenden weisslichen Con-
tours (Verdickung der Adventitia, bisweilen auch Infiltration von Leuko-
cythen) ist in der Regel Begleit- oder Folgeerscheinung anderweitiger
krankhafter Affectionen des Sehnerven oder der Netzhaut. Ganz aus-
nahmsweise habe ich auch in der Nähe der Papille feine weissglänzende
Contouren an den Gefässen bei sonst normalem Befunde beobachtet.
Ueber ihre Pulsation siehe unter Druck-Excavation.
Bei angeborener, doppelseitiger Erblindung ist mehrfach ein breiter
graublauer Hof um die Macula constatirt worden (Knapp, Magnus
und Andere).
Doppelt contourirte Nervenfasern.
Man findet hier in dem weissrothen Augenhintergrunde liebender
Papille kleinen- weisse, glänzende Figuren, sectorenartig gestellt und
Chorioidea.. . 239
zwar so, dass die Basis der Seetoren dein Papillenrande aufsitzt (vgl.
Farbendrucktafel). Zuweilen ist eine ganze Reihe soleker Seetoren vor-
handen. Auch auf der Papille selbst kommen hierbei zuweilen weisse
Plaques vor. Seltener sind die weissen Flecke durch eine Partie roth-
gefarbten Augenhintergrundes von der Papille getrennt. Nicht immer
ist die Farbe gleichmässig weiss; bei stärkerer Vergrösserung (auf-
rechtes Bild) tritt eine streitige Beschaffenheit hervor, an den Rändern
sieht man öfter feine röthliche Linien ; die sich in das Weiss hinein-
erstrecken und dem Ganzen etwas Flammenartiges geben. Treten
Netzhautgefässe an die Flecken heran, so verschwinden sie zum Theil
in ihnen oder werden undeutlich, tauchen aber am entgegengesetzten
Rande wieder auf. Virchow, Recklinghausen u. A. wiesen das
gelegentliche Vorkommen doppelt eontourirter Nervenfasern in der
Netzhaut anatomisch nach. Ich habe Gelegenheit gehabt in zwei Fällen,
Schweigger in einem Falle, durch die nachträgliche Section fest-
zustellen, dass der eben beschriebene ophthalmoskopische Befund in
der That auf Einlagerung doppelt eontourirter Nervenfasern beruhe.
In meinen Fällen hatten die Nervenfasern, welche in der Lamina cri-
brosa ihren doppelten Contour verloren, dieselbe dicht neben der Papille
in einer, im senkrechten Querschnitt keilförmig gestalteten Partie wieder
angenommen. Die Spitze des Keiles war der Netzhaut zugekehrt, in-
dem die Schicht hier dünner wurde. Der blinde Fleck zeigt sich bei
Prüfungen entsprechend der Stelle, wo die doppelt contourirten Fasern
sich der Papille anschliessen, vergrössert. Diese doppelte Contourirung
scheint entsprechend der auch sonst erst spät eintretenden Markscheiden-
bildung an den Sehnervenfasern erst nach der Geburt einzutreten
(v. Hippel jun). Sehr interessant ist die Beobachtung des Schwindens
derselben in einem Fall von Tabes (Wagen mann).
3. Chorioidea.
Die Farbe des Augenhintergrundes schwankt bei der ophthalmo-
skopischen Untersuchung im Ganzen zwischen gelblichroth und röthlich-
braun. Wenn man von dem Einfluss der Beleuchtungsintensität absieht,
die bei lichtschwacheni und lichtstarkem Spiegel im aufrechten oder
umgekehrten Bilde sehr verschieden ausfällt, so ist es hauptsächlich
die grössere oder geringere Pigmentirung der Epithelschicht, welche
Einfluss auf die Farbe hat. Bei hellpigmentirten Individuen kommt
von den Blutgefässen der Chorioidea verhältnissmässig viel Licht und
wird in röthlicher Färbung reflectirt, bei dunkleren wird das einfallende
Licht von dem schwarzen Pigment zum grossen Theile absorbirt. Der
240 Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
Anfänger hüte sich, in ersterem Falle etwa eine „Hyperämie" zu dia-
gnosticiren.
Bei Albinos leuchtet sogar die Sclera mit wcisslichem Lichte durch,
und man sieht auf ihr die Chorioidea lgefässe als rothe Stränge.
Aber auch bei normaler Pigmentirung erkennt man letztere nicht selten
(vgl. Farbendrucktafel). Sie unterscheiden sich sowohl durch grössere
Breite, als auch dadurch von den Netzhautgefässen, dass sie nicht die
diesen charakteristischen Verästelungen zeigen. Besonders nach dem
Aequator bulbi zu lässt die verringerte Pigmentirung des Epithels häufig
röthliche, breite Chorioidealgefässstränge, die oft annähernd parallel
verlaufen, erkennen und zwischen ihnen eine dunkelbraune und schwäi'z-
liche Färbung (intervasculare Räume), die von den pigmentirten zwischen
dem Gefässe Hegenden Stromazellen herrührt. Man darf diese regel-
mässigen Figuren (vgl. Farbendrucktafel) nicht mit pathologischen
Pigmentalihäufungen (Chorioiditis) verwechseln. Bei gering pigmen-
tirten Personen sieht man auch die Ven. vorticosae in ihrem eigen-
thümlichen sternförmigen Verlaufe.
Die sechseckigen Epithelzellen geben dem Augenhmtergrunde bei
starker Vergrösserung ein gekörntes oder chagrinirtes Aussehen.
Abnorme Befunde an der Chorioidea.
Coloboni der Chorioidea. Die gewöhnliche Form der „Chorio-
idealspalte" hat ihren Sitz nach unten von der Papille; sie bildet
in dem Roth des Augenhintergrundes eine weissliche ausgedehnte Fläche,
von bisweilen etwas grauer Nuancirung mit einzelnen schwarzgrauen
Streifen darin (vgl. Farbendrucktafel). Der Rand dieser nicht selten
excavirten Partie ist öfter von schwarzem Pigment umgeben; man er-
kennt auf ihr Gefässe, die unter einander communicirend eigenthümlieh
geschlängelt verlaufen; sie stehen meist nicht mit den Netzhautgefässen
in Verbindung. Letztere vermeiden in der Regel die Gegend des Colo-
boms und ziehen am Rande desselben hin. Bisweilen kami man bei
hellerem Pigmentepithel des Auges die Fortsetzung eines Chorioideal-
gefässes von der normal gefärbten Umgebung aus in die Gefässe des
(Joloboms verfolgen. Das Coloboni hat häufig eine dreieckähnliche Ge-
stalt, dessen abgestumpfte Spitze der Papille, dessen Basis dem Aequator
des Bulbus zugekehrt ist. Zuweilen geht es so weit nach vorn, dass
ii in n ein Aufhören des Coloboms mit dem Augenspiegel nicht mehr er-
kennen kann. In anderen Fällen endet es früher, so dass man peripher
wieder den rothen Augenhintergrund auftauchen sieht. Manchmal ist es
auch in 2 Theile getrennt, die näher und entfernter von der Papille
sieh befinden; in noch anderen Fällen wird die Papille rings von ihm
Chorioidea. 241
eingeschlossen. Die Papille selbst ist meist ziemlich normal; ausnahms-
weise zeigt sie solche Unregelmässigkeiten in Gestalt und Farbe, dass
sie nur an dem Eintritt der Gefasse zu erkennen ist.
Das Chorioidealeolobom ist nicht selten mit partiellem oder voll-
ständigem Colobom der Iris verbunden. Selbst am Corpus ciliare und
an der Linse bemerkt man zuweilen Veränderungen, namentlich Ein-
kerbungen. Mikrophthalmus, Nystagmus eomplieiren öfter das Chorio-
idealeolobom, das sowohl ein- als doppelseitig vorkommt. —
Ausser dem eben beschriebenen Colobom, welches nach unten von
der Papille seinen Sitz hat, sind auch Fälle mitgetheilt, die man als
Coloboma circa maculam luteam bezeichnet hat. Die Veränderung
findet sich hier am hinteren Augenpol und ähnelt in Farbe und Gestalt
den nach unten gerichteten Colobomen.
Diagnose. Man könnte ein Colobom auf den ersten Blick mit
einer Netzhautablösimg oder ausgedehnten Chorioidealatrophie ver-
wechseln. Von letzterer unterscheidet sich dasselbe durch die eigen-
thümliche Form und scharfe Umgrenzung, sowie den Gefässverlauf;
dennoch handelt es sich bei manchen mitgetheilten Fällen von macu-
laren Colobomen wohl nur um Chorioidealatrophien. Der Netzhaut-
ablösung gegenüber zeigt sich ein wesentlicher Unterschied darin, dass
wir es bei ihr mit einer Hervorragung zu thun haben, während das
Colobom entweder im Niveau der Netzhaut sich befindet oder sogar
häutig vertieft ist. Auch das oben erwähnte Verhalten der Netzhaut-
gefässe wird die richtige Diagnose sichern. Dessen ungeachtet kann
sie gelegentlich etwas schwieriger werden, wenn die Patienten an
Nystagmus leiden imd das Hin- und Herzittern der Augen die Unter-
suchung stört.
Aetiologie. Man hatte früher das Colobom als Ausdruck eines mangel-
haften Verschlusses der fötalen Augenspalte aufgefasst.
Handelte es sich aber beim Colobom nur einzig und allein um ein Aus-
bleiben des normalen Verschlusses der Augenspalte, so würden nur
Netzhaut und Pigmentepithel, welche aus den beiden Blättern der secundären
Augenblase hervorgehen, dort fehlen. Chorioidea und Sclera hingegen wären, da
sie von dem Mesoderm gebildet werden, nicht direct dabei betheiligt. Alle mikro-
skopischen Untersuchungen jedoch von Colobomen, die nach Structur und Lage
aus Anomalien des Augenspaltenverschlusses der Retina und des Pigmentepithels
Haase. Litten. Hirschberg) hervorgegangen sind, haben ergeben, dass auch
das Chor ioidealge webe — speciell das Stratum der Choriocapiliaris — an dem
Orte des Coloboma nicht seine normale Entwickelung gefunden hat. Selbst die
Sclera zeigt öfter eine Verdünnung, bisweilen eine Ektasie an der betreffenden
Stelle. Der fehlende Augenspaltenverschluss hat demnach auch einen nach-
theiligen Einfluss auf die Entwickelung ihm örtlich naheliegender
Gewebe geübt, die nicht direct aus der secundären Augenblase hervorgehen.
Trotz dieser Complication sollte man diese Fälle ihrer Genese nach als Retina I-
colobonie ('nicht, wie üblich, als Chorioidealcolobomej bezeichnen.
Schmidt-Rimpler. T.Auflage. 16
242 Augenspiegelbefunde am gesunden Auge.
Wenn man aus der klinischen Untersuchung einen Schluss auf das Vor-
handensein eines wahren Retinalcoloboms ziehen will, so muss an der be-
treffenden Stelle' ein absoluter Gesichtsfelddefect nachgewiesen sein. Hierbei darf
man sich aber nicht damit begnügen am Perimeter mit der Kugel einen Defect
gefunden zu haben, sondern muss feststellen, dass überhaupt jede quantitative
Lichtempfindung — sei es für die Lampe oder für das Augenspiegelbildchen —
daselbst erloschen ist. Nur in diesem Falle dürfen wir ein volles Fehlen der
Netzhautelemente annehmen.
Ist hingegen noch quantitative Lichtempfindung vorhanden, so liegt darin
der Beweis, dass Netzhautelemente an der Stelle thätig sind. Diese Fälle
scheinen nach meinen, auch von Haab bestätigten Beobachtungen nicht selten.
Auch einzelne sogenannte maculare Colobome gehören hierher. — Der klinische
Nachweis vom Vorhandensein funetionirender Netzhaut hat in den mikroskopischen
Untersuchungen eine ausreichende Stütze gefunden. Abgesehen von dem älteren
bekannten Falle Arlt's haben Manz (187G; und Haab (1878) bei der Unter-
suchung von Colobomen Netzhautelemente und Pigmentepithelzellen — bei fehlender
oder mangelhafter Chorioidealentwiekelung — nachweisen können.
Für alle diese Fälle von Colobomen, kwo Netzhautelemente und Pigmente-
pithel vorhanden sind, kann von einem ausgebliebenen Verschluss der primären
Augenspalte nicht wohl die Eede sein. Wir haben es vielmehr nur mit einer
zurückgebliebenen oder auch veränderten Entwicklung in der Gegend der Fötal-
spalte zu thun, die am schärfsten im Chorioidealgewebe hervortritt. Die Störung
fällt, wie bereits Haab mit Eecht betont hat, genetisch vorzugsweise in das Ge-
biet des von den Kopf platten (Mesoderm) gelieferten Gewebes. Es bestehen hier
in der That echte Chorioidealcolobome.
Wenn wir demnach schon berechtigt sind, für eine Keihe von Colobomf allen,
die local und ihrer Lage nach durchaus der fötalen Augenspalte entsprechen, das
Offenbleiben der letzteren nicht als directe Veranlassung der Entwicklungs-
hemmung zu betrachten, so treten noch gewichtigere Bedenken bei den Fällen
hinzu, wo die geometrische Lage des klinisch beobachteten Coloborns (z. B. des
macularen) nicht der der Fötalspalte, soweit wir sie durch embryologische Unter-
suchungen kennen, entspricht. Es ist hieraus zu schliessen, dass die Bildungs-
hemmungen in den hinteren Partien der Augenhüllen zwar mit Vorliebe ihren
Sitz in der Gegend der Augenspalte nehmen, sich aber weder auf das Terrain
derselben streng beschränken, noch stets von ihrem Offenbleiben herrühren.
Auch ist zu beachten, dass intrauterine Entzündungen gelegentlich ähnliche
Gestaltungen hervorrufen. Bei den eigentlichen Colobomen finden sich aber auch
anatomisch keine entzündlichen Veränderungen (Hess;.
Hyperämie und Anämie des Sehnerven. 24.'>
Drittes Kapitel.
Erkrankungen des Sehnerven.
%
Entzündliche Erscheinungen am Augapfel, die äusserlich sichtbar
wären, fehlen bei den Erkrankungen des Sehnerven und der Netzhaut;
meist auch bei den. weiter unten zu besprechenden der Chorioidea.
Hingegen ist das Sehvermögen fast immer in geringerem oder höherem
Grade gestört.
1. Hyperämie und Anämie des Sehnerven.
Die hvp er ä mische Papille erscheint stärker gerottet und tat etwas
weniger Glanz; das Weiss der centralen Vertiefung verschwindet; die
L'ontouren treten meist nicht so scharf wie sonst hervor. Jedoch fehlen
intensivere Gewebstrübungen. Die Diagnose ist nicht immer leicht zu
stellen, da die Färbung des Sehnerven in weiten Grenzen schwankt.
Bisweilen wird sie durch den Vergleich mit dem anderem, gesunden
Auge erleichtert. Wir finden Sehnervenhyperämie in der Regel con-
seeutiv bei Retinitis und bei Chorioiditis; auch bei Iritis ist sie öfter
vorhanden. Im ersteren Falle werden die pathologischen Veränderungen
in der Netzhaut ausreichend hervortreten. Hingegen sind die chorio-
idealen Veränderungen besonders im Beginne der Erkrankung nicht
immer ophthalmoskopisch zu erkennen; oft entwickeln sich erst nach
einiger Zeit die charakteristischen Pigment- und Farbenumwandelungen.
Leichtere Röthungen werden auch sonst an gereizten Augen, z. B. bei
Aecommodationskrampf oder bei nicht corrigirter Hyp er opie7 gelegentlich
beobachtet. Bei der von A. v. Graefe als retrobulbäre Neuritis
aufgefassten Krankheit kann es ebenfalls zeitweise zu einer Hyperämie
der Papille kommen, ehe sich, wie meist, atrophische Veränderungen
zeigen.
0 elter wurde die Ansicht ausgesprochen, dass die Blutcirculation
der Sehnervenpapille in der Weise ein genaues Abbild der cerebralen
gebe, dass bei Hirncongestionen stets Hyperämien, bei Anämien Ent-
färbungen der Papillen beständen. Doch trifft dies nur in verhältniss-
mässig wenigen Fällen zu.
Besonders bei Geisteskranken wollte man oft am Opticus entsprechende
pathologische Veränderungen gesellen haben. Ich selbst habe bei 127 Patienten
der Irrenabtheüung des Professors Westphal in Berlin nur 13 einigermaassen
L6*
244 Erkrankungen des Sehnerven.
nicht einmal absolut sichere pathologische Veränderungen an der Papilla optica
gefunden. Aehnliche Ergebnisse haben andere Ophthalmologen (Manz, Leber)
gehabt. Später untersuchte ich wieder 74 Irre der Marburger, unter der Leitung
des Professor Cramer stehenden Anstalt; ich konnte nur sechs hierhergehörige
pathologische Befunde constatiren. Sclerotico-Chorioiditis, ylauconiato.se Exca-
vation und Aehnliches sind natürlich nicht mitgerechnet. Auch halte ich mich nicht
berechtigt, wie andere Untersucher, eine leichte Trübung der Papille und der
Netzhaut, die sich in einer Art Verschleierung des Augenhintergrundes (er soll
„lichtschwächer und matter" sein) zeigt, bei übrigens normaler Sehschärfe, mit
Sicherheit als pathologisch anzusprechen. Alter, Pigmentirung u. s. w. bewirken
hier breite physiologische Unterschiede. Mit Hinzurechnung derartiger Fälle ist
allerdings Uhthoff (1883) wieder zu einem sehr hohen Procentsatz pathologischer
Befunde gekommen. — Unter den Marburger Kranken, die ich untersuchte, befanden
sich 15 mit progressiver Paralyse. Trotzdem die Untersuchung im umgekehrten
und aufrechten Bilde geschah, war ich nur in einem Falle in der Lage ein Bild
zu sehen, das der von Klein beschriebenen Retinitis paralytica gleich und
nicht in die physiologische Breite zu fallen schien. Dieser Autor bezeichnet mit
obigem Namen einen Augenspiegelbefund, der sich zusammensetzt aus einer Netz-
hauttrübung, ähnlich, aber höhergradig als man sie bei Greisen findet, und einer
eigentümlichen Beschaffenheit der Retinalgef ässe, die sich stellenweise, und zwar
hauptsächlich durch Vergrösserung der beiden dunklen Contouren bei gleich-
bleibendem centralem Lichtreflex, verbreitert zeigen. Klein sah unter 134 Geistes-
kranken in 29 Fällen (18 Mal bei progressiver Paralyse) dieses Bild. Uhthoff
fand ebenfalls die Netzhauttrübung (bisweilen mit Hyperämie der Papille verknüpft)
in 36 Procent der Paralytiker: die Gefässveränderung aber sah er nicht. — Auch
von der pathologischen Bedeutung der Beobachtung Riva's, der unter 117 Geistes-
kranken bei 30 eine mehr oder weniger ausgeprägte Entfärbung der C'horioi-
dea neben leichter Trübung der Netzhaut beobachtete, konnte ich mich nicht
überzeugen. —
Bei acuter Meningitis oder Encephalitis findet sich nach Manz
venöse Hyperämie und etwas Trübung" der Papillengrenze ziemlich regel-
mässig. Derselbe Autor hat auch fast stets einen mehr oder weniger
ausgeprägten Hydrops der Sehnervenscheide nachweisen können. Ich
selbst habe auch in diesen Fällen oft einen ausgeprägteren patho-
logischen Habitus, speciell ein Oedem der angrenzenden Retina ver-
misst.
Bei constitutioneller Syphilis wird häufig eine Hyperämie der Pa-
pille — ohne Functionsstörungen — beobachtet (Schnabel).
Die Anämie der Papille zeigt sich durch grössere Blässe der
Gewebes und geringeren Blutgehalt der Gefässe. Bei Embolie oder
Thrombose der Arter. centralis retinae, Sehnervenblutungen nach hoch-
gradigen.Blutverlusten, bei Chlorose, Ohnmächten, im Stadium algidum
der Cholera wird sie beobachtet.
Papülitis.
245
r&WX^'*
2. Papülitis, Neuritis optico-intraociüaris. Stauungspapille.
Wir bezeichnen hiermit die Erkrankung der eigentlichen Papilla
optica: der extraoculare Sehnerventhei] jenseits der Lamina cribrosa ist
nur secnndär ergriffen. In ausgeprägter Form und doppelseitig findet
sich die Atfection besonders häufig bei Hirntumoren. Die Papille ragt
stark über das Niveau der Netzhaut hervor, oft pilzkopfförmig
und kann eine Höhe von 1 bis 2 mm erreichen (Figur 107); bei einer
Höhe unter 2/3 mm sollte man
die Diagnose nicht sicher stel-
len, da auch bei Neuritis optica
oder Neuroretinitis ähnliche
Schwellungen vorkommen kön-
nen. Auch bei nur einseitigen
Papillen-Sehwellungen sei man
nach dieser Richtung hin vor-
sichtig. Die Grenzön sind ver-
wischt und verbreitert, da durch
die geschwellte Papille der
Chorioidealrand verdeckt wird.
Die Gefasse erfahren eine
Knickung oder Biegung. Man
kann bezüglich der sonstigen
Beschaffenheit der Papille deut-
lich zwei Formen unterschei-
den; bei der einen, sehr selte-
nen und für die Diagnose auf
Hirntumoren weniger charakte-
ristischen Form, die auch aus-
nahmsweise als physiologische
Abnormität angeboren beobach-
tet wird, ist das Gewebe des
geschwellten Sehnervenkopfes im Ganzen klar und durchscheinend, wie
ödematüs aussehend, auch die Gefässe sind deutlich erkennbar und wenig
verändert; nur die Venen erscheinen besonders auf der Netzhaut etwas
dunkler, breiter und oft geschlängelt. Die Erkrankung kann längere
Zeit bestehen und selbst in Atrophie übergehen, ohne dass ausgeprägtere
Gewebstrübungen hinzutreten. Bei starker Yergrüsserung nimmt man
allerdings bisweilen an einzelnen 'Stellen weissliche, trübe Streifen auf
der Papille wahr. Auch bei dieser Form können, wie bei der anderen,
kleine weisse Plaques auf der dicht angrenzenden Retina hervortreten.
107.
246 Erkrankungen des Sehnerven.
Die zweite und bei Hirntumoren bei weitem häufigste Form der
Stauungspapille zeigt viel erheblichere Veränderungen. Die Papille,
im Anfange hyperämisch und auch wohl leicht ödematös geschwellt,
wird bald trüb und mit grauen Streifen durchsetzt, welche die Gefässe
zum Theil ganz verdecken. Meist sind auch deutlich weisse Plaques und
Blutungen auf ihr erkennbar. Die Arterien erscheinen eng, sind kaum
noch als feine, glänzende Striche zu verfolgen, sind unterbrochen und
erlangen erst auf der Netzhaut eine grössere Breite wieder Die Yenen
sind dunkel und geschlängelt (vgl. Farbendrucktafel). Wenn man mit
dem Finger auf den Bulbus drückt, so verlieren die Gefässe ihren cen-
tralen Refiexstreifen, die Wände fallen zusammen und machen den Ein-
druck bläulichrother Striche. Es tritt eine ausgeprägte Ischämie ein.
Nur bei geringerer Gewebsschwellung erfolgt mit der Herzsystole eine
Wiederfüllung (Arterienpuls), v. Graefe hat einige Male einen spon-
tanen Arterienpuls beobachtet.
In den meisten Fällen, wo ich die Stauungspapille habe entstehen
sehen, war das erste Zeichen Hyperämie der Papille und ein Ver-
schwommensein ihrer Grenzen, meist nur nach einer Seite hin und so
unbedeutend, dass zur Zeit keine sichere Diagnose auf die wirkliche
pathologische Bedeutung des Bildes gestellt werden konnte. In seltenen
Fällen beobachtete ich auch folgende Entwickelung : Zuerst Oedem und
Hervorragung der Papille, die centrale Fovea noch vollkommen weiss,
Papillengrenzen verschwommen, Gefässe normal. Einige Tage später
starke Hyperämie, die centrale Fovea geröthet, die Venen verbreitert
und geschlängelt und die Arterien stark gefüllt. Nach kürzerer oder
längerer Zeit entwickelt sich dann das ausgesprochene Krankheitsbild.
— Bisweilen wird auch bei der eigentlichen Stauungspapille seeundär
die Netzhaut ergriffen (Neuroretinitis). Es kann zu Apoplexien,
selbst zu ausgedehnter Bildung weisser Plaques kommen, die vollkommen
das Bild der Retinitis albuminurica liefern können.
Die Stauungspapille pflegt sieh nach längerer oder kürzerer Zeit
anter grauer Verfärbung abzuflachen und in Sehnervenatrophie über-
zugehen. In einem Falle konnte ich über 5/4 Jahre das Vorhandensein
der Papillenschwellung und Gewebstrübung constatiren; nach einem
weiteren Jahre fand ich Atrophie. Doch bleiben hier, wie bei der
Atrophie nach Neuroretinitis, die verschwommene Grenze der
niattweissen opaken Papille, die Enge der Arterien und die Schlängelung
der Venen lange bestehen und können noch nachträglich die Dia-
gnose einer vorangegangenen Papilhtis gegenüber der genuinen Atrophie
siehern. Selbst sehr spät, wenn die Papille glänzend, bläuüchweiss,
scharf abgegrenzt geworden und die Gefässe verengt sind, kann man
Papillitis. 247
an einem gelblichen, öfter mit Pigment durchsetzten Ring, der sie um-
schliesst, zuweilen noch an einer leichten Erhebung an circumscripter
Stelle, die vorangegangene Entzündung diagnosticiren. Ausserordentlich
selten kommt es zu einer fast vollkommenen Restitutio ad integrum, wie
H. Jackson, Mauthner, W ernicke und ich Fälle breobachtel haben.
Bei syphilitischen Gummata als ursächlichem Moment ist diesmil Heilung
der Geschwulst am ehesten zu erwarten.
Die mikroskopische Untersuchung des intraocularen Sehner-
venendes lässt in der Regel eine starke Entwickelung und Neubildung von
feinen ( refässen und Capillaren und eine venöse Stauung erkennen. Die
marklosen Nervenfasern sind leicht zu isoliren und häufig aufgequollen,
sie zeigen eine Reihe von eiförmigen Varicositäten, die zuweilen ganz
klein, an anderen Stellen so gross sind, dass sie ein ganglienähnliches
Aussehen gewinnen. Oft ist in diesen eine Art Kern zu erkennen, oder
sie sind von zahlreichen, fettig glänzenden, groben Körnern erfüllt.
Diese Hypertrophie der Nervenfasern giebt Anlass zu dem ophthalmo-
skopischen Bilde der grauen Strichelung oder einzelner weisser Plaques.
Daneben finden sich zahlreiche Rundzellen im Gewebe zerstreut. Auch
eigentümliche, runde, völlig homogene Körper, etwas grösser als Blut-
körperchen, wurden in der Nervenfaserschicht gesehen (Schweigger).
Mehr oder weniger grosse Lücken, wie ich sie besonders in der Nähe
der nach vorn gebogenen und auseinander gedrängten, gewucherten
Schichten der Lamina cribrosa beobachtet habe, müssen als Ausdruck
einer ödematösen Infiltration gelten. Bei längerem Bestehen der Ent-
zündung tritt eine Hyperplasie des Bindegewebes ein. Die Wandungen
der Gefässe zeigen öfter Verdickung und Sclerose. Auch die angrenzen-
den Netzhautpartien sind bisweilen verändert, indem die Müller'schen
Stützfasern sich nach aussen verlängern und unregelmässige Vorsprünge
hilden: im Gewebe selbst ist zuweilen ein ödematöser Zustand zu con-
statiren. Die weissen Plaques in der Netzhaut sind zum grössten
Theile auf Einlagerungen von Körnchenzellen in die Körnerschichten
zurückzuführen. Auch die angrenzende oder unterliegende Chorioidea
ist bisweilen betheiligt. Ich habe Drusen der Glasmembran, Verfettung
des Epithels, Sclerose der Gefässe der Choriocapillaris und Anhäufung
von Fettkömchenzellen in dem Stratum gefunden. Dieser Nachweis
erklärt es, dass im atrophischen Stadium so häufig Pigmentalterationen
oder ein graugelblicher Ring oder Halbring neben der Papille sichtbar
werden. — Kommt es zur Atrophie, so sieht man in der abgeflachten
Papille dichte, bindegewebige Faserzüge mit Verengerung, beziehent-
lich Schwund der Gefässe. —
Bei der Stauungspapille findet man in der Regel eine stärkere
Füllung des subvaginalen Raumes mit Flüssigkeit, die in
248 Erkrankungen des Sehnerven.
der Nähe des Bulbus am stärksten ist; dort eine sackförmige oder ara-
pullenartige Ausdehnung- bildend. Man hat diesen Zustand als Hydrops
v a g i n a e n. optici bezeichnet. In ausgeprägten Fällen kann man bei der
Section ohne besondere Vorsichtsmaassregeln die Flüssigkeitsansamni-
lung consta tiren: sonst empfiehlt es sich, den Sehnerven vorher am
Foramen opticum zu unterbinden. Gewöhnlich giebt schon eine grosse
Schlaffheit und Verschiebbarkeit der äusseren Scheide den Beweis für
eine ungewöhnliche Ausdehnung des sub vaginalen Raumes, natürlich
vorausgesetzt, dass sie nicht Folge einer atrophischen Vohmisabnahme
des Sehnerven selbst ist.
Der Hydrops ist nicht immer gleich stark ausgeprägt; bei deut-
lichen Stauungspapillen in Folge von Hirntumoren habe ich ihn nie
vermisst. Da aber diese Verhältnisse eine gewisse Breite haben, so
dürfte auch gelegentlich ein Beobachter zweifelhaft sein, ob er es mit
einer pathologischen oder physiologischen Erweiterung zu thun habe.
Bisweilen wird auch eine Wucherung und Zelleninfiltration des binde-
gewebigen Maschenwerkes in dem subvaginalen Raum (Perineuritis
optica) gleichzeitig gefunden (H. Pagenstecher, Michel). Deyl hat
eine Compression der Ven. centralis retinae an ihrer Durchtrittsstelle
durch die äussere Opticusscheide in Folge des Hydrops intervaginalis
gefunden. Der Sehnerv centralwärts von der Lamina cribrosa zeigt
im Beginne der Papillitis in der Regel keine Veränderungen; dicht
vor der Lamina cribrosa beobachtet man bisweilen eine Ausdehnung
der kleinen Arterien. Später kommt es zu (Jedem, Einlagerung von
Rundzellen, die aber nach Fürstner nur gequollene Gliazellen sind,
von Körnchenzellen und Myelin-Tröpfchen, nach deren Schwinden
sich unter Zunahme der Bindegewebssepta graue Degeneration ent-
wickelt. Doch pflegt diese Atrophie sich durchaus als eine von der
Peripherie ausgehende zu kennzeichnen. In einem von mir unter-
suchten Falle war die Atrophie und Verdünnung des Sehnerven in der
Nähe des Bulbus sehr ausgesprochen, sodass er, 9 mm vom Bulbus
entfernt, in einer Richtung nur l3/4 mm, in der anderen nicht ganz
.-> mm maass; 20 mm vom Auge entfernt zeigte hingegen der Nerv
normales Verhalten. In anderen Fällen aber tritt diese Degeneration
ganz entfernt von der Papille im craniellen Theile des Opticus, im
Chiasnia und dem Tractus zuerst und allein auf (Türck, Böttcher).
Türck beschuldigt als Ursache dieser an und in der Nähe des Chiasnia
sich zeigenden Ernährungsstörungen den Druck der so häufig durch
den stark hvdropisch ausgedehnten dritten Ventrikel auf die Oberfläche
des Chiasnia geübt wird.
Das Seh vermögen kann trotz hochgradiger Neuritis optico-
intraocularis normal sein, wie eine Reihe von Füllen es lehrt. Ich habe
Papillitis. 249
beispielsweise bei einer doppelseitigen, '/2 Jahr bestehenden Neuritis
auf einem Auge volle Sehschärfe, auf dem anderen 5/6 gefunden. Die
Grefässalteration war hier nicht erheblich, dagegen waren kleine, weiss-
liehe 8 triebe in der Papille und angrenzenden Netzbaut erkennbar.
Diese letzteren sind, wie erwähnt, Folge gangliöser Entartung der
Nervenfasern, sodass es scheint, dass diese Erkrankung keinen erheb-
liehen Einfluss auf das Sehvermögen hat. In einem anderen Falle von
Stauungspapille, bei* tuberculösem Tumor im rechten Kleinhirn, wurde
von mir zwei Tage vor dem Tode 3/5 Sehschärfe bei freiem Gesichts-
felde und gutem Farbensinne eonstatirt. Die mikroskopische Unter-
suchung ergab eine Stauungspapille, die 1-5 mm über der Chorioidea
hervorragte, mit ausgedehnter gangliöser Entartung der Nervenfasern,
Gefässneubildung und Zellenintiltration. Bei einem dritten Patienten
fand ich sogar bei ausgeprägter Neuritis intraocularis mit starker
Schwellung der Papille und weissen Plaques eine Sehschärfe von -~
bei freiem Gesichtsfelde und erhaltenem Farbensinne.
Es ist daher bei allen Patienten, die irgendwie verdäch-
tige Hirnerscheinungen haben, die ophthalmoskopische
Untersuchung, selbst wo Klagen über das Sehvermögen fehlen, drin-
gend indicirt. In vielen Fällen wird erst durch den Augenspiegelbefund
die Diagnose auf Hirntumor gestellt oder ihr wenigstens eine einiger-
maassen sichere Unterlage gegeben werden können. — In der Kegel
leidet übrigens nach einer gewissen Zeit das Sehvermögen, es kommt zu
ausgeprägten Amblyopien mit Gesicktsfelddefecten, öfter concentrischer
Art. Der Farbensinn ist im Anfange erhalten, verliert sich aber später,
wenn das atrophische Stadium heranrückt. Der Lichtsinn bleibt ganz
oder nahezu normal, selbst bei starker Amblyopie. Ueber subjective
Lichtempfindungen hört man die Patienten äusserst selten klagen. Li
einzelnen Fällen kommen anfallsweise Herabsetzungen des Sehvermögens
oder selbst vollkommene Erblindungen vor, die in Stunden oder Tagen
wieder zurückgehen können und auf centrale Ursachen, Schwellungen
des Tumor cerebri und dergl. zu schieben sind. H. Jackson hat sie
als epileptische Amaurose bezeichnet.
Kegel ist es, dass bei Hirntumoren die Papillitis doppelseitig
auftritt, wenngleich öfter in kleinen Zeitintervallen und mit ungleicher
Entwickelung. Unter 88 Fällen von Hirntumoren mit Sectionsbefund,
die Annuske und Reich zusammenstellten, bestand 82mal doppel-
seitige Neuritis, zweimal nur einseitige; viermal fehlte sie. Oppen-
heim und Elschnig geben sogar 90% an. Auf der anderen Seite
lehrt die Erfahrung, dass in einer Reihe von Fällen, wo die doppel-
seitige Stauungs-Papille. die sogar mit Lähmungserscheinungen (Augen-
250 Erkrankungen des Sehnerven.
muskelparalyse, Alexie) verbunden war, sicher auf einen Hirntumor
hinzuweisen schien, dennoch ein Zurückgehen der. Erscheinungen und
dauernde Gesundheit Jahre lang beobachtet wird. Auch muss man
sich hüten angeborene Papillen-Alterationen, die der Papillitis ähneln
I Pseudo-Papillitis), welche aber natürlich nicht fortschreiten und keine
sonstigen nervösen Complicationen haben, als krankhaft zu betrachten;
von Axenfeld sind solche Fälle veröffentlicht worden.
Erklärungen für das Zustandekommen der Papillitis.
Durch die Steigerung des intracraniellen Druckes , "wie er beson-
ders bei Tumoren eintritt, wird ein Uebertreten der das Gehirn um-
spielenden Lymphe in den intervaginalen Raum der Sehnerven be-
wirkt, der in der Nähe des Bulbus oft ampullenartig anschwillt.
Hierdurch entsteht in den vorderen Partien des Sehnerven besonders in
der lamina cribrosa ein Oedem, das die Ven. centralis retinae einengt
und Stauungen und Oedem in der Papilla optica hervorruft. Dass
der Lymphe noch eine besondere entzündungserregende Eigenschaft
zugeschrieben werden müsste (Leber), scheint mir nicht nöthig.
Die grosse Häufigkeit des Auftretens der Stauungspapille bei Hirntumoren
wurde zuerst von A. v. Graefe (1859) betont. Da in der Eegel keine gröberen
Veränderungen am Sehnerven erkennbar waren, die ein directes Fortkriechen des
Processes vom Gehirn bis zur Papille wahrscheinlich machten, führte A. v. Graefe
die Papillitis auf die durch den Tumor bewirkte Baumbeschränkung im Schädel
und eine intracränielle Druckvermehrung zurück. Dieselbe sollte eine Compression
der Sinus cavernosi bewirken, — eine Annahme, die früher schon Türck gemacht
hat, um von ihm gefundene Netzhautblutungen bei Hirntumoren zu erklären.
Hierdurch entstände eine Stauung in der V. ophthalmica und der V. centralis
retinae. Bei dem letzten Gefässe würde die Hinderung in dem Blutabflusse in
der Gegend der Lamina cribrosa wegen der Unnachgiebigkeit dieses Maschen-
werkes am ehesten zu Stauungserscheinungen führen. Andererseits wird, wenn
die Stauung liier ein Oedem hervorruft, dieses wiederum das Gcfäss zusammen-
drücken, v. Graefe's Erklärung für das Zustandekommen der Stauungspapille
wurde jedoch unhaltbar, als Sesemann (1869) nachwies, dass eine Behinderung
des Blutabflusses im Sinus cavernosus durchaus keine Stauungen in der V. cen-
tralis retinae hervorzurufen braucht, indem durch die Verbindung der V. oph-
thalmica superior mit der Facialvene der Blutabfluss in genügendem Maasse statt-
linden könne.
I »a inzwischen Schwalbe den Zusammenhang zwischen dem [ntervaginal-
raume <\i^ Opticus und dem Subdural-, bezw . Suharachnoidealrauiue des Gehirnes
durch In jeetionsversuche nachgewiesen hatte, sprach ich (1869) die Ansicht aus,
dass bei Steigerung des intracraniellen Druckes die Cerebrospinalflüssigkeit in
den Lymphraum der Opticusscheide eindringe und dann weiter ein Oedem der
Lamina cribrosa hervorriefe. Es war mir nämlich gelungen, beim Kalbe vom
Cranium aus die Lamina cribrosa zu injiciren. Dochmüssen bei dem erfolgreich
ausgeführten [njeetionsverauche gerade bei diesem Thiere besonders günstige
Papilütis. 251
Umstände obgewaltet haben, da ich später beim Menschen durch directe Injection
in den subvaginalen Raum keine Füllung der Lamina cribrosa mehr erzielte und
dieselbe auch von anderen Beobachtern (Manz, Schwalbe) nicht oder nur zum
Theil unter besonderen Vorsichtsmaassregeln erreicht wurde (Wolfring). Wohl
aber gelang es Wolfring durch directen Einstich unter die innere Nervenscheide
die Lamina cribrosa und weitere längs den BindegewebsscheidlSn laufende Räume
zu injiciren. Schwalbe beobachtete hierbei auch einen Austritt der lnjections-
masse in den subvaginalen Kaum und nimmt danach an, dass die Lymphe der
Papille und des Opticus zum Theil durch den subvaginalen Raum nach dem Hirn
hin ihren Abfluss nehme. Quincke hat ebenfalls den physiologischen Zusammen-
hang zwischen den Lymphräumen des Schädels und dem subvaginalen Raum des
Opticus erwiesen, indem er fein vertheilten Zinnober in erstere spritzte und ihn
später im subvaginalen Räume wiederfand. Weiter wurde pathologisch-anatomisch
öfter der Uebertritt von Flüssigkeit aus dem Cranium in die Opticusscheide ge-
sehen Kiter von mir, Blut von Knapp und später bei Pachymeningitis auch von
Schule. Fürstner u. A.). Dies Alles in Verbindung mit dem Nachweise des
Hydrops vag. n. optici lässt die Anschauung-, dass bei Vermehrung des Druckes
im Schädel Flüssigkeit von dort in den Intervaginalraum übertritt, durchaus ge-
rechtfertigt erscheinen. Die Folge hiervon wird eine Lymphstauung sein, die bei
der erwiesenen Verbindung der Lymphräume der Lamina cribrosa mit dem inter-
vaginalen Räume auch in ersteren zu Stauungserscheinungen und Oedemen führen
muss. Die Papilla optica kann nun entweder direct durch Uebergreifen des
Oedems afficirt werden oder in der Art, dass das Oedem der Lamina cribrosa,
die Gefässe einschnürend, zuerst eine venöse Stauung, die seeundär wieder zu
Oedem führt, bewirkt. Für beide Vorgänge sprechen ophthalmoskopische Bilder.
Auch die anatomischen Veränderungen der Nervenfasern lassen sich, wie Kuhnt
hervorhebt, durch den Einfluss des Oedems erklären, da experimentelle Versuche
Rumpfs zeigten, dass der Achsencylinder markhaltiger Nervenfasern in Lymphe
aufquillt und zerfällt: diese Einwirkung der Lymphe muss umsomehr bemerkbar
werden, da die Nervenfasern der Papille nicht durch eine Markscheide geschützt
sind. Im Beginne, und in einer kleinen Zahl von Fällen auch dauernd, ist bei
der Stauungspapille in der That nicht viel Anderes zu sehen. Sehr interessant
sind in dieser Richtung auch die Befunde von Ho che, der ähnliche pathologische
Veränderungen ohne entzündliche Processe an den Rückenmarksnerven beobachtet
hat. ftie später hinzutretenden, mehr entzündlichen Erscheinungen lassen sich
von der Einschnürung der Arterien ableiten, da der Abschluss arteriellen Blutes
nach bekannten experimentellen Ergebnissen zu Entzündungen Veranlassung geben
kann. Auch könnte man daran denken, dass sich durch den eingeleiteten Zerfall der
Nervensubstanz entzündungserregende Toxine bildeten (Krückmann). Im
Ganzen ist es aber gerade bei der Stauungspapille auffallend, dass ausgeprägtere
Entzündungssymptome nicht selten vollkommen fehlen.
Die hier entwickelte Ansicht über die Entstehung der Stauungspapille findet
eine gewichtige Unterstützung in den Untersuchungen von Manz und neuerdings
von Schulten und Merz, die durch Injection von Wasser, defibrinirtem Blut u. s. f.
in den Schädel lebender Kaninchen und Hunde deutliche Hyperämien und Schwellung
der Papilla optica erzielten. Ebenso hat Manz in Uebereinstimmung mit meinen Be-
funden die Häufigkeit des Hydrops vag. n. optici bei Hirnerkranknngen. besonders
Hirntumoren durch zahlreiche Sectionen erwiesen. Dasselbe bestätigt Deyl, der in
etwas anderer Weise, aber ebenfalls unter Annahme einer stärkeren Lymphan-
füllung in der Sehnervenscheide die Entstehung der Stauungspapille durch eine
Compression der Centralvene in der äusseren Sehnervenscheide erklärt.
252 Erkrankungen des Sehnerven.
Die Erfahrungen über den heilsamen Einfluss der Schädel-Eröffnungen*,
selbst wenn die Herausnahme des Tumors nicht gelang (es kam demnach nur die
intracranielle Druckverringerung zur Wirkung) dienen weiter zu einer wesent-
lichen Stütze dieser sogenannten Lymphraum- oder Transporttheorie. Be-
merkenswerth ist auch, dass bisweilen gerade mit dem Auftreten der Stauungs-
papille vorher bestandene heftige Kopfschmerzen aufhören. Dass es in einzelnen
Fällen trotz des Vorhandenseins eines Hirntumors nicht zur Stauungspapille
kommt, ist bei der Zahl der Vorbedingungen nicht gerade verwunderlich. Einmal
bedarf es einer starken intracraniellen Drucksteigerung, die, wie es scheint, be-
sonders bei Tumoren des Clivus öfter ausbleibt, weiter des Uebertrittes von
Flüssigkeit in die Sehnervenscheide und schliesslich — und darauf muss mehr
Gewicht gelegt werden, als es gewöhnlich geschieht — eines Oedems der Lamina
cribrosa, bezw. der Papille. Ehe all das zu Stande kommt, kann der Fall letal
abgelaufen sein. Ich ophthalmoskopirte beispielsweise einen Kranken, der an
Sarcom der rechten Hirnhemisphäre zu Grunde ging, sechs Tage vor seinem Tode
und fand am rechten Auge Verbreiterung und Schlängelung der Venen mit
Trübung der Papille ohne deutliche Hervorragung, das linke Auge normal. Am
Abend vor dem Tode wurde auch links Trübung der Papille und Hyperämie con-
statirt. Die Section ergab massigen Hydrops vaginae n. optici. Wenn demnach
in einzelnen Fällen ein gewisser Grad von Hydrops vaginae beobachtet wird ohne
Stauungspapille, so erklärt sich dies dadurch, dass derselbe nicht hinlänglich
lange bestanden hat, um ein derartiges Oedem der Lamina cribrosa zu veranlassen,
dass hierdurch Störungen im Blutstrome der durchziehenden Gefässe entstehen
mussten. Bezüglich der paar Fälle, in denen bei längerer Beobachtung die Neu-
ritis bei Hirntumoren nur einseitig war, kann, wie ich schon in meiner ersten
Arbeit über diese Frage hervorgehoben, ein Hinderniss in der Gegend des Foramen
opticum die Communication zwischen Hirn und Sehnervenscheide abgeschnitten
haben. — Dass in einzelnen Fällen wiederum keine Hirntumoren oder Cerebral-
erkrankungen trotz doppelseitiger Stauungspapille gefunden sind, ist dem Ver-
ständniss ebenfalls zugänglich, wenn man sich daran erinnert, dass das ophthal-
moskopische Bild der Stauungspapille gelegentlich, wenn auch in ausgesprochenster
Form sehr selten, bei descendirender Neuritis und Perineuritis vorkommt. Weiter
könnte ja eine intracranielle Drucksteigerung ohne Hirntumor vorhanden gewesen
sein. — Auch bestehen, wie oben ausgeführt, bezüglich der Erklärung des Ent-
stehens späterer entzündlicher A'orgänge keine Schwierigkeiten, und glaube ich
nicht, dass es nöthig ist, seine Zuflucht zu einer besonderen entzündungs-
erregenden Eigenschaft des in den Zwischenscheidenraum des Opticus ge-
langenden, serösen Exsudates (als eines Productes intracranieller Entzündung) zu
nehmen (Leber, Deutschmann). Wenn dieses Exsudat eine vorzugsweise ent-
zündungserregende Eigenschaft besässe, so wäre es nicht recht einzusehen, warum
sich nicht sämmtliche Hirnnerven, die doch beständig davon umspült werden, ent-
zündeten. Auch die oben erwähnten Beobachtungen vonlloche sprechen dagegen.
Parinaud (in ähnlicher "Weise auch Ulrich) hat die Neuritis optica intra-
ocularis als Folge eines lymphatischen Oedems in dem Sinne aufgefasst, dass bei
interstitiellem Hirnödem eine Fortpflanzung durch den Sehnerv bis zur Papille hin
erfolgt. Doch widerspricht dies den anatomischen Befunden, die als Hauptsitz
des Leidens die Papille ergeben und die mehr centralen Theile des Sehnerven
relativ frei erscheinen lassen. Das häutige Vorkommen einer hydropischen Aus-
Schmidt-Rimpler, Die Beziehungen der Augen-Affectionen zuAUgemein-
leiden. Wien 1898.
Papillitis. 253
dehnung der Hirnventrikel bei Tumoren ist nicht zu bestreiten; dieselbe giebt
eben eine weitere Veranlassung zur Steigerung des Druckes im Schädel. Dass
im Uebrigen einfacher Hydrocephalus uieist ungenügend ist, um eine zur Ent-
stehung der Stauungspapille ausreichende Drucksteigerung zu bewirken, wird
durch das sehr häufige Fehlen der Neuritis intraocularis bei primärem acutem
Hydrocephalus bewiesen. Auch habe ich andererseits Fälle von Hirntumoren uiit
Stauungspapille gesehen, wo in den Seitenventrikeln bei der Section nur wenig
Serum gefunden wurde. Interstitielles Hirnödem fehlt aber recht häufig
Panas L876) unterscheidet, um das Zustandekommen oder Fehlen der
Stauungspapille bei Hirntumoren zu erklären, zwei Arten, in denen die intra-
cranielle Drucksteigerung auftreten und auf den Opticus wirken könne. Wenn
eine Ansammlung von Flüssigkeit im Arachnoidealraume stattfinde, so komme es
zum Hydrops der Sehnervenscheide und zur Stauungspapille; werde hingegen ein
Druck direct von der Geschwulst oder einer zwischen Dura und Knochen ange-
sammelten Flüssigkeit auf die Sin. cavernosi geübt, so entstehe nur eine Stauung
in den Hetinalvenen.
Vorkommen. Die doppelseitige Stauungspapille in ihrer aus-
geprägten Forin, d. h. mit erheblicher Hervorragung und ohne
stärkere Netzhautbetheiligung, kommt, wie erwähnt, vorzugsweise
bei Hirntumoren (Neuproducten, Cysten u. dgl.) vor; bemerkenswert!).
ist, dass wir sie bei Hypophysentunioren und Tumoren der sella turcica
öfter vermissen, was mit der verschiedenartigen Tiefe der sella turcica
zusammenhängen mag. Die Fälle, in denen die Stauungspapille sonst
beobachtet worden ist, sind erheblich seltener. Es wären hier anzu-
führen: extreme cerebrale Congestion (Jackson), Aneurysma an den
inneren Carotiden mit seeundärem Hydrops vag. n. optic. (Michel),
Schädelmissbildungen, besonders Thurmschädel (Hirschberg, Manz),
Meningitis serosa (Quincke), basilare Meningitis, besonders gummöser
Natur — hierbei kann sich eine starke Perineuritis in dem subvaginalen
Raum entwickeln (Zacher) — , Pachynieningitis haemorrhagica und Blu-
tungen an der Schädelbasis mit Eindringen von Blut in die Scheiden
I Fürstner), Clehirnverletzungen (Commotio cerebri, Fractura cranii) mit
stärkerer Füllung des subvaginalen Raumes (Panas). Auch bei Gehirn-
abscessen und Erweichungsherden wurde in seltenen Fällen Papillitis
beobachtet. Ihr Auftreten lässt sich als Folge eines seeundären Oedems
der cerebralen Lymphrämne auffassen, das zu einer intracraniellen
Raumbeschränkung führte; so zeigt sich an frischen Erweichungsherden
oft kein Zusammensinken der Gehirnpartie, sondern im Gegensatz eine
Voluniens-Vemiehrung (Wernicke, Wilbrand). Einseitig wird die
Stauungspapille bei Orbitaltumoren beobachtet.
Therapie. Die Behandlung ist naturgemäss gegen das ursäch-
liche Moment zu richten. Bei heftigen Kopfschmerzen habe ich öfter
mit Vortheil ein Haarseil im Xacken angewandt, v. AVecker hat in
einigen Fällen zu gleichem Zwecke bei fast erblindeten Augen die Seh-
nervenscheide eingeschnitten, um die Flüssigkeit abzulassen, zuweilen mit
2ö4 Erkrankungen <lcs Sehnerven.
sehr befriedigendem Erfolg für das iUlgemembefinden, was Power,
Broadbent und Carter bestätigen konnten. Jedoch ist die Aus-
führung dieser Operation, insofern man sich durch Sichtbarmachung
des ( opticus vob der Genauigkeit der Punktion überzeugen will, sehr
schwierig. Auch subcutane Pilocarpin-Injectionen nützen in einzelnen
Füllen, (regen das Augenleiden selbst kann man bei kräftigen Indi-
viduen örtliche Blutentziehungen versuchen. Von Benedikt ist die
Galvanisation des Sympathicus empfohlen worden; ieh habe niehts Be-
sonderes davon gesehen.
In neuerer Zeit hat man die Eröffnung des Schädels bei Hirntumoren
sehr oft mit eclatantem Erfolg auf Rückgang der Stauungspapille ge-
macht. Aber ohne annähernd sichere locale Diagnose des Hirnleidens
oder in Fällen, wo der Tumor an der Basis cranii sitzt, wird man sieh
kaum dazu verstehen, allein in dem Interesse, das Opticusleiden zu bes-
sern, eine Schädeleröffnimg zu machen.
3. Neuritis optica descendens. Neuroretinitis.
Der Process kann sich auf die Papille beschränken, öfter zeigt
sich auch die Netzhaut stärker afficirt. Die Papille selbst ist hyperäntisch,
in ihren Grenzen verschwommen, das Gewebe getrübt. Da auch Gewebs-
schwellung und Oedem öfter vorhanden sind, so kann gelegentlich das
Aussehen der Papille ganz dem der Stauungspapille ähneln, doch gilt
— wenigstens für die überwiegende Zahl der Fälle — als charak-
teristischer Unterschied, dass es nicht zu so hochgradiger Schwellung
kommt. Die Affection der Netzhaut besteht in mehr oder weniger verbrei-
teter Trübung, venöser Hyperämie und Auftreten von Blutungen und weis-
sen Plaques, welche letztere sich bisweilen auch in der Nähe der Macula
lutea als ganz kleine Pünktchen, ähnlich wie bei der Retinitis albumi-
nurica zeigen können, v. Graefe hat den Process als descendirende
Neuritis beschrieben, da er vom Hirn aus zum Auge hin vorrückt. Ich
habe, ebenso wie Magnus und Leber, bei Albuminurie eine reine
Neuritis mit massiger Schwellung ohne Netzhautbetheiligung gesehen.
Doch dürften hier wohl gelegentlich auch complieirende Hirn- oder
( »pticusleiden vorliegen. So fand Michel bei Albuminurie Neuritis in
Folge von Blutungen in der Sehnervenscheide. Ich selbst hatte eben-
falls in einem weiteren Falle Gelegenheit, eine doppelseitige Neuritis bei
Albuminurie (Amyloidniere) bei einem Kinde zu sehen, ohne dass es bis
zum Tode zu einer Retinitis gekommen wäre. Die Section ergab aber
neben dem Nierenleiden eine l'aehymeningitis haemorrhagica.
IVinerkenswerth war auch in diesem Falle ein eigentümlicher
Glanz <\rr Netzhaut, der in anregelmässigen Flecken und Strichen
Neuroretinitis. 255
besonders längs der Gefässe auftrat. Leber hat diesen Glanz, welcher
dem Augengrunde ein moirirtes Aussehen verleiht, bei der Hyperämie
der Netzhaut, welche die Miliartubereulose begleitet, öfter beobachtet,
leh habe ihn noch in anderen pathologischen Fällen bei Kindern ge-
sehen, so z. B. bei Atrophia n. optici nach Meningitis und Stauungs-
papille. Hoch hat Mauthner bereits darauf hingewiesen — und ich
kann ihm darin nur beistimmen — , dass selbst vollkommen normale
Net/häute kindlicher Individuen nicht selten sehr starke Reflexe liefern,
welche durch ihre Intensität und durch ihr Umspringen bei Bewegungen
des Auges wie des Spiegels geradezu blendend wirken können. Meist
sind diese Kinder schlecht ernährt und anämisch.
Der Ausgang der Neuritis ist häufig Sehnervenatrophie; doch werden
auch Heilungen beobachtet.
Vorkommen. Die Neuritis descendens kann einseitig vorkommen.
Wenn sie doppelseitig auftritt, so ist doch der Grad ihrer Entwickelung
nicht immer gleich. So habe ich gesehen, dass ein xAuge ausgeprägte
Neuritis zeigte, während das andere nur Schlängelung der Venen und
Arterien aufwies; aber auch hier entwickelte sich später — ohne dass
eine Neuritis aufgetreten wäre — eine Atrophie. Das ist ein Vorgang,
der bei Stauungspapille kaum beobachtet wird.
Die Xeuritis descendens ist nicht selten bei Basilarprocessen des
Gehirns: so bei kleinen Tumoren, welche direct auf das Chiasma oder
den Sehnerv drücken, ferner bei acuter Basilarmeningitis, besonders
tuberculöser Natur. Li letzterem Falle kommt sie allerdings nicht sehr
häufig in ausgeprägter Form vor; meist besteht nur Hyperämie der
Papille. Bei epidemischer Cerebrospinalmeningitis hat Schirm er aus-
nahmsweise eine Neuroretinitis gesehen. — Bisweilen findet man sie
auch bei anderen chronischen Hirnprocessen, besonders bei Kindern; sie
endet dann fast immer mit Atrophie. Die Erblindung erfolgt in der
Regel ziemlich schnell. Auch bei Erwachsenen kommen ähnliche Fälle
vor. Noyes sah doppelseitige Neuritis descendens bei acuter Myelitis,
ued neuerdings hat Wernicke auch bei den von ihm beschriebenen
tödtlichen Erkrankungen, welche capillare Apoplexien im „centralen
Höhlengrau" ohne Zeichen vermehrten intracraniellen Druckes bei der
Section zeigten, Blutungen im Augenhintergrund und Neuritis optica
massigen Grades gefunden.
Bei Syphilis, Blei- oder Alkokol-Litoxication, Diabetes, Diphtheritis,
Lifiuenza, Anämie, im Puerperium — ohne Albuminurie — , bei Men-
struationsstörungen, nach Masern, Scarlatina (Tflüger), starkem Blut-
verlust, bei Sumpffieber (Poncet) und Sonnenstich (Hotz) ist ebenfalls
mehr oder weniger ausgeprägte Sehnervenentzündung beobachtet wTorden:
doch dürften hier nicht selten direct nachweisbare intracranielle Ver-
256 Erkrankungen des Sehnerven.
änderungen die nächste Veranlassung bieten. Die Erkrankung des Seh-
nerven kann, wie es bei chronischer Meningitis erwiesen, durch de-
scendirende Perineuritis vom Centrum her fortgeleitet werden. In anderen
Fällen dürfte auch der Hydrops vaginae n. optici, den Manz, wie er-
wähnt, bei acuter Meningitis regelmässig fand, zur Papillenaffection
Veranlassung geben. Aber auch ein Fortschreiten der Entzündung im
Nerven selbst kommt vor.
Dass die Papille bei Netzhautaffectionen, so besonders bei Ret.
albuminurica, seeundär ergriffen wird, ist nicht zu ungewöhnlich.
Auch bei Orbital-Phleginonen (so nach Gesichts-Erysipel oder Knochen-
leiden), wo wir als ophthalmoskopischen Befund der eingetretenen Er-
blindungen später in der Regel Sehnervenatrophie finden, ist im An-
fangsstadium, durch die Infiltration und Schwellung des Fettzellgewebes
bedingt, bisweilen Neuritis und Neuroretinitis zu constatiren.
Das Sehvermögen pflegt, wegen der stärkeren Atfection der
Nervenfasern und des oft gleichzeitigen Mitergriffenseins der Retina,
gewöhnlich stärker zu leiden als bei der einfachen Stauungspapille; Ein-
engungen des Gesichtsfeldes, auch für Farben, werden beobachtet. Bei
der doppelseitigen Neuroretinitis' apoplectica eines jungen Mädchens
mit Stirnkopfschmerz und Schwindel habe ich vollkommene Amaurose
gefunden. Nach drei Monaten aber war das Sehvermögen auf einem
Auge bis S Yio? auf dem anderen bis circa S V20 gestiegen. Fünf
Jahre später war S ^g auf dem besseren Auge; dabei beiderseits Seh-
nervenatrophie. Der Ausgang in das ophthalmoskopische Bild der Seh-
nervenatrophie bedeutet nicht immer vollständige Erblindung. Da trotz
ausgeprägter Blässe der Papille nicht alle Nervenfasern atrophisch zu
sein brauchen, so kann eine verhältnissmässige Sehschärfe doch noch
vorhanden sein und dauernd bestehen bleiben.
Die Therapie wird, unter Berücksichtigung der ätiologischen
Verhältnisse, öfter in energischer Weise antiphlogistisch durch Blutent-
ziehung, eventuell auch durch Quecksilber- und Schwitzkuren einzu-
greifen haben.
4. Genuine Entzündung des Sehnerven. Neuritis optica.
Es können hier ähnliche Bilder vorkommen, wie die zuletzt be-
schriebene Neuritis descendens sie zeigt. Meist handelt es sich jedoch
mir um Hyperämie der Papille mit mehr oder weniger deutlicher Ge-
webstrübung; die wirkliche Erhebung über das Niveau und Schwellung
der Papille, ebenso wie das Auftreten weisser Plaques in der Netzhaut
ist ausserordentlich selten. Audi die Ausdehnung der Venen pflegt ge-
Genuine Entzündung des Sehnerven. 257
ringer zu sein. Als sicheres Zeichen pathologischer Vorgänge dienen
uns bisweilen kleine Blutungen neben der Papille, wo diese selbst nur
zweifelhafte Abweichungen von der Norm zeigt. In manchen Fällen
fehlt sogar jede ophthalmoskopische Veränderung, nur die Amblyopie
oder plötzliche Erblindung in Verbindung mit der oft erst nach Woehen
sichtbar werdenden seeundären Atrophie der Papille lässt eine directe
Affection des Sehnerven in seinem extrabulbären Verlauf wahrseheinlieh
erseheinen. A. v. Graefe hat speeiell dieser letzten Form den Namen
der retrobulbären Neuritis gegeben. Abgesehen von dem unmittel-
baren Einfluss der Erkrankung der Seimervenfasern, kann für eine
plötzliche Erblindung auch darin die Veranlassung liegen, dass es zu
einer Compression der im Stamme verlaufenden Gelasse und einer
Ischämie der Netzhaut kommt (v. Grraefe).
Vorkommen. Die Erkrankung kann in acuter Form auftreten,
indem plötzliche Erblindung erfolgt, oder sie kann sich langsam ent-
wickeln. Bei der acuten Form kommt es nicht selten, selbst wenn
Tage lang die Erblindung bestanden hat, wieder zur Heilung. Meist
lässt sich das Vorhandensein relativer oder absoluter, mehr oder weniger
ausgedehnter centraler Skotome nachweisen; dies ist mir selbst in sonst
vorgeschrittenen Fällen gelungen: hier schwand central die peripher
nachweisbare quantitative Lichtempfmdung. Man hat die Affection
bei schweren fieberhaften Krankheiten beobachtet; doch dürfte ge-
legentlieh auch eine Verwechselung mit urämischer Amaurose stattge-
funden haben. Auch in Folge von Unterdrückung der Menstruation,
bei Lues, Uterusleiden, Bleiintoxication und nach Erkältungen ist sie
gesehen worden. Nettleship beschreibt eine Form, wo die Seh-
schwäche ziemlich schnell zunimmt, ohne dass gerade plötzliche Er-
blindung eintritt, und stets nur ein Auge befallen wird. Die Papille
zeigt nur leicht entzündliche Erscheinungen und gewöhnlich erfolgt
Heilung. Sehr oft bestehen gleichseitige Kopfschmerzen. Er findet eine
klinische Aehnlichkeit mit der rheumatischen Facialisparalyse. Ich habe
auch eine doppelseitige Erblindung, die in 4 Wochen wieder heilte,
unter gleichen Erscheinungen auftreten sehen. — Eine andere Gruppe,
bei der Schmerzen bei Bewegungen des Auges oder spontan im Auge
und in der Stirn vorhanden sind, hat man mit einer Periostitis am Fo-
ramen opticum (Hock) in Verbindung gebracht und als Ursache Er-
kältimg angenommen; die Affection ist meist einseitig, öfter mit abso-
luten Skotomen und sonstigen Gesichtsfelddefecten verknüpft. In der Regel
tritt Besserung oder Heilung ein. Bisweilen fehlen alle nachweisbaren
Ursachen; so beobachtete Hirschberg einen Fall von Neuritis bei
einem siebenjährigen gesunden Knaben, wo die plötzliche Erblindung
nach sieben Tagen allmählich zurückging. Sehr bemerkenswerth ist die
- hmidt-Rimpler. T.Auflage. 1^
258 Erkrankungen des Sehnerven.
in der Regel doppelseitige Neuritis optica, die in gewissen Familien bei
mehreren ( Miedern auftritt, meist in den Pubertätsjahren oder etwas später.
Auch hier pflegen absolute centrale Skotome von grösserer Ausdehnung
zu bestehen. Trotz zurückbleibender Atrophie der Papille tritt, wie ich
gesehen, bisweilen ein verhältnissmässig gutes Sehvermögen wieder ein.
Die chronische Neuritis zeigt nicht immer deutliche Veränderungen
an der Papille. Bisweilen ist letztere massig hyperämisch mit leichter
Trübung ihrer Grenzen; aber selbst diese Veränderungen können so
temporär sein, dass sie der Beobachtung entgehen und man die Affection
einfach als „Amblyopie ohne Befund" hinstellt. Schweigger hat meh-
rere hierhergehörige einseitige Amblyopien beschrieben: ich habe auch
doppelseitige — bei der einen kam es zu vollständiger Amaurose, die
aber zurückging — beobachtet. Später tritt in der Regel eine (meist
partielle) weisse Verfärbung der Papille hervor. Das Sehvermögen
kann in sehr verschiedener Art leiden. Besonders häufig und eigen-
artig ist die Form, bei der die Abnahme nur die Stelle und nächste
Umgebung des centralen Sehens trifft ; bisweilen zeigt sich das cen-
trale Skotom im Anfang nur so, dass der Farbensinn daselbst ge-
stört ist: grün wird für grau gehalten, roth erscheint dunkler u. s w. Im
Gegensatz zu den gewöhnlichen Intoxications-Amblyopien (siehe S. 153)
wird aber auch weiss schon frühzeitig im Centrum als weniger hell oder
als grau angegeben. Später kann auch ein absolutes centrales Skotom
mit vollkommenem Verschwinden des Prüfungsobjects eintreten. Meist
behaupten die Kranken im Dämmerlicht besser zu sehen. Der oph-
thalmoskopische Befund ist gewöhnlich anfänglich negativ, später tritt
eine Abblassimg der macularen Seite der Papilla optica ein. Es
finden sich längs des Sehnervenstammes verlaufende, auf entzündliche
Vorgänge zurückzuführende circumscripta Veränderungen, die besonders
das interstitielle Bindegewebe treffen und secundär die Nervenfasern
.schädigen (Neuritis interstitialis). Falls das periphere Gesichtsfeld frei
bleibt und das centrale Skotom zum Stillstand gekommen ist, kann
die Prognose für diese Form insofern günstig gestellt werden, als nicht
leicht eine vollkommene Erblindung eintritt. Das Leiden ist in der
Hegel doppelseitig und kommt, abgesehen von der in einzelnen Familien
bei verschiedenen Kindern auftretenden Form, fast nur bei Männern vor.
Als besondere Ursachen werden Erkältung, Blendung durch grelles
Sonnenlicht, Syphilis angeschuldigt. Auch bei disseminirter Cerebro-
spinal-Sclerose findet sich diese Erkrankungsform (Uhthoff). In meh-
reren von mir beobachteten Fällen, die ganz typisch verliefen, bestand
Diabetes: einer derselben, welcher zur Section kam, zeigte eine Atrophie
«ler macularen Fasern des Opticus, welche vom Auge bis etwa über
den Gefässeintritt zu verfolgen war, alter dann aufhörte.
Genuine Entzündung des Sehnerven. 259
Die Therapie wird auch hier vorzugsweise die ätiologischen
Momente zu berücksichtigen haben. Von sonstigen Mitteln pflegt das
Jodkali mit Vorliebe angewandt zu werden, auch Schwitzkuren, etwa
mit Pilocarpineinspritzungen, und Natr. salicylieum sind empfohlen.
Nach meinen Erfahrungen ziehe ich bei acuten und speciell entzünd-
lichen Formen Mercurialien (Schmierkur oder Sublimatinjectionen) vor.
Dieselben bringen bisweilen sogar noch Nutzen, wenn bereits eine atro-
phische Abblassung der Papille vorhanden ist. Von örtlichen Mitteln
ist das Ansetzen künstlicher Blutegel bei nicht zu schwächlichen In-
dividuen oft nützlich: doeli controlire man genau durch häufigere Prü-
fungen ihren Einfluss auf das Sehvermögen. Weiter ist bei mehr in-
differenter Behandlung das Einreiben schwacher Quecksilbersalben in
Stirn und Schläfe üblich. Ist die Atrophie ausgeprägt, so können
Strvehnineinspritzungen (1 — 2 Milligramm) in die Schläfe versucht
werden, ebenso der constante Strom.
5. Atrophia n. optici.
Die normal röthliche Papilla optica zeigt sich bei der ophthalmo-
skopischen Untersuchung entfärbt, blass, von weissem, w^eissgrauem oder
weissbläulichem Farbenton (vgl. Farbendrucktafeln). Dabei pflegen die
schon früher weiss erschienenen Stellen, etwa die Fovea, aus der die
Gefässe treten, oder eine vorhandene physiologische Excavation, noch
länger ihren Unterschied in der Farbennuance zu behalten. Die Grenzen
sind meist scharf, der Scleralring deutlich hervortretend. In gewissen
Fällen verliert die Papille ihren runden Contour und wird unregelmässig
gestaltet, erscheint auch kleiner. Die G-efässe sind entweder normal
weit oder verengt, besonders tritt an den Arterien die Verengung öfter
hervor. Wenn es zum Schwunde der Nervenfasern kommt, ohne dass
durch neugebildetes Bindegewebe ein Ersatz geschaffen wird, so ent-
steht eine muldenförmige Vertiefung, in deren Grunde man die Lamina
cribrosa mit ihrem feinen Maschenwerk durchscheinen sieht, die soge-
nannte atrophische Excavation.
Die Verfärbung der Papille ist im Beginn nicht immer leicht zu
diagnosticiren. Dass die ophthalmoskopische Untersuchung mit Benutzung
des Tageslichtes hier eher zum Ziele führt, habe ich nicht gesehen. Die
Blässe der Papille dürfte zum Theil auf Obliteration feinster Gefässe
beruhen. Wenn die Atrophie der Papille sich als Folge einer Neuritis,
sei sie intraocular oder retrobulbär, entwickelt hat, so pflegt die Enge
der G-efässe auffallend zu sein; sie ist bei den Arterien öfter mit einer
Verdickung ihrer Wandungen verknüpft, wodurch die rothe Blutsäule
17*
2ß() Erkrankungen des Sehnerven.
alsdann verschmälert erscheint. Auch sind, wie oben erwähnt, nach
Papillitis noch eine Zeit lang die Grenzen der Papille verschwommen
und die Venen zeigen eine grössere Breite und Schlängelung; später
tritt oft ein gelber King oder Streifen um die Papille hervor, der
breiter und anders gefärbt ist, als der normale weisse Scleral- oder
Bindegewebsring. Ebenda linden sich auch öfter Pigmentalterationen.
In diesen Fällen kann übrigens, wie bereits bemerkt, das Sehver-
mögen trotz ausgesprochener Atrophie der Papille noch ein relativ
gutes sein. So fand ich bei einer einseitigen weissen Atrophie noch
Sehschärfe 4'9, freies Gesichtsfeld, aber fast vollkommen aufgehobenen
Farbensinn. Diese Form ist es vorzugsweise, beider ein Stationärbleiben
des Sehens zu erwarten ist. Ich habe Kranke eine Reihe von Jahren
in Beobachtung gehabt, deren Sehvermögen trotz ausgesprochenster
doppelseitiger Atrophie nach Neuritis sich unverändert erhalten hat.
Beachtenswerth ist, dass sich bei der 'Prüfung dieser Patienten leicht
Ermüdung einstellt, so dass sie im Anfang erheblich besser sehen
als später.
Auch die partielle Atrophie des Sehnerven, wie sie, oft schon nach
wenigen Tagen, in Folge directer Verletzung (z. B. Stich in die Orbita)
beobachtet wird, bleibt gern stationär. So kenne ich einen Patienten,
der seit über sieben Jahren in Folge eines Stiches, der durch das obere
Lid ging, eine Hemianopsia superior — mit horizontaler Trennungslinie
— bei S V6 hat. Die Lage der besonders atrophisch erscheinenden
Stellen in der Papille stimmt in derartigen Fällen öfter, aber durchaus-
nicht immer, mit der Lage des Gesichtsfelddefectes überein.
Besonders eigenartig ist die Form der Atrophie bei Retinitis
pigmentosa: hier hat die Farbe der Papille meist etwas eigenthümlich
Wachsai'tiges, dabei sind die Gefässe, besonders die Arterien, ausser-
ordentlich eng. Aus dem Aussehen der Papille kann man bi>Av eilen
schon das Vorhandensein der Netzhautpigmentirung vorhersagen.
Nach Phthisis des Augapfels in Folge von Irido-Cyclitis oder
eitrigen, intraocularen Processen pflegt sich auch eine Atrophie des
Sehnerven, die natürlich der ophthalmoskopischen Untersuchung nicht
mehr zugänglich ist, auszubilden. Sie kann sich im Laufe der Jahre
bis zum Chiasma und darüber hinaus erstrecken. Der Sehnerv wird
erheblich dünner und erhält ein graues, glänzendes Aussehen. Bisweilen
linden sich mikroskopisch auch Amyloidkürperehen in der atrophischen
Nervensubstanz. Das interfibrilläre Bindegewebe ist hypertrophirt und
bildet ein enges Rfaschenwerk. Die Nervenfasern können derart zer-
fallen, dass man in Querschnitten erhärteter Präparate von ihnen nichts
mehr wahrnimmt —
Die selbständig, ohne vorangegangene deutliche Entzündungsvoiv
Atrophia n. optici.
261
gänge sich allmählich ausbildende Sehnervenatrophie, die das umschrie-
bene Krankheitsbild der progressiven Amaurose liefert, tritt meist
als graue Degeneration des Sehnerven (Leber) auf.
Sir ergreift den Nerven entweder in seiner ganzen Ausdehnung oder
fleckweise. Die atrophischen Bündel, welche kleiner und von unregel-
mässigem Querschnitt sind, zeigen marklose, blasse Fasern, die später
sich zu ziemlich resistenten Fibrillen umwandeln. Bei der Weigert-
.sehen Färbemethode nehmen sie in Folge des Schwundes der Mark-
scheide nicht die dunkelblaue Farbe der normalen, markkaltigen Nerven-
fasern an (Figur 109 A). Dazwischen linden sich Fettkörnchenzellen
und zahlreiche glänzende
Myelintröpfchen. Bei ge-
ringerer Ausbreitung ist
der Process mikrosko-
pisch nicht zu erkennen:
bei stärkerer wird der
Sehnerv dünner und er-
hält ein gelbliches, durch-
.scheinendes Aussehen. —
In der Netzhaut atrophirt
allmählich die Nervenfa-
ser- und ( xanglienschicht.
Die Aifection entsteht
häufig als Vorläufer von
oder in Verbindung mit
Bückenmarks- oder Ge-
hirnleiden, kann aber
auch selbständig auftre-
ten. Sehr interessant ist
eine Beobachtung von
W agenmann, welche
erweist, dass bei Tabes der Opticus auch zuerst peripher erkranken
kann: bei einem Tabiker wurde im Beginn des Leidens das Verschwin-
den der früher, in der Netzhaut vorhandenen doppelcontourirten Nerven-
fasern constatirt. Oefter ist Syphilis nachweisbar. Es findet sich neben
der gelegentlich erst später sich herausbildenden weissen Verfärbung
der Papilla eine allmählich zunehmende Herabsetzung der Seh-
schärfe mit gleichzeitiger Verengerung des Gesichtsfeldes.
Die bezüglichen Defecte des Gesichtsfeldes können nach den verschie-
densten Richtungen hin auftreten, nicht selten zuerst nach aussen. Zu-
weilen ist die Gesichtsfeldeinschränkung schon sehr hochgradig, während
noch relativ gute centrale Sehschärfe besteht.. So hatte der Kranke,
Querschnitt eines oben und unten atrophischen Seimerven CA, A).
a = Arteria centralis retinae, v = Vena centralis retinae.
0 obere, U untere, T temporale, N nasale Seite.
262
Erkrankungen des Sehnerven.
dem nebenstehendes Gesichtsfeld (Figur 110) angehört, rechts noch fasl
volle Sehschärfe, links r,9. Daneben tritt meist schon frühzeitig Farben-
blindheit auf, und zwar in der Regel so, dass die excentrischen Gren-
zen, bis zu der die einzelnen Farben erkannt werden, sieh immer mehr
einengen und dem Fixirpunkt nähern. Dabei gehen dann grün und
roth am ehesten verloren. Nur in seltenen Fällen beginnt das Leiden
mit einem centralen Farbenskotom. Der Lichtsinn ist bezüglich der
Reizschwelle meist normal, bezüglich der Unterschiedsschwelle meist
verschlechtert. Ueber subjeetive Licht- und Farbenerscheinungen wird
wenig geklagt. In der Regel werden beide Augen ergriffen.
Der frühere oder spätere Ausgang ist fast immer Erblindung, wenn-
gleich bisweilen ein gewisser, selbst jahrelanger Stillstand mit leidlichem
tt L
Linkes Auge.
110.
Rechtes Auge.
Sehvermögen beobachtet wurde. Besonders ist die Prognose un-
günstig, wenn Rückenmarksaffectionen (nach Uhthoff in 37 Procent
der Fälle) mit im Spiele sind. Hier pflegt die Pupille oft eng zu sein
(Miosis bei sogenannter spinaler Amaurose). Weiter ist auf Ataxie,
charakteristische Schmerzen, Lähmungen ü. dgl. zu achten. Auch das
Ausbleiben des Reflexes beim Anschlagen der Patellarsehne, welches
Westphal zuerst als frühzeitiges Symptom des Tabes hervorgehoben,
kann von Bedeutung für die Prognose werden. Ferner stellt die pro-
gressive Paralyse der Irren (4 — 5 Procent der betreffenden Fälle) ihr
Contingent von Sehnervenatrophie.
Die Therapie muss vor Allem schwächende Einflüsse vermeiden:
Aufenthalt in Gebirgsgegend,' gute Diät und Anwendung des constanten
Stromes (2 Milliampere, indem man zuerst die Kathode auf das ge-
Atrophia n. optici. 2('»o
schlossene Lid, die Anode in den Nacken setzt und nach einigen Minuten
damit wechselt) geben noch den besten Erfolg. Von medicanientösen
Mitteln ist weiter Argentum nitrieum und Jodkali besonders empfohlen
worden: von Stryehnin-lnjectionen in die Schläfe (Nagel) habe ich mehr
Nutzen bei den Formen von Atrophie gesehen, die neuritischen Ursprungs
waren. Handelt es sieh um Patienten, die an Lues litten, so wird in ein-
zelnen Fällen, wo noch an ri'ickbildungsfähige syphilitische Producte (etwa
G-ummata, die auf den Sehnerv drücken) zu denken ist, die Schmier-
kur in Anwendung kommen können. Doch sei man mit derselben sehr
vorsichtig, besonders wenn neben einer ausgeprägteren Sehnervenatrophie
noch Tabes dorsalis, selbst wenn sie auf Syphilis zurückzuführen wäre
(Erb), oder sonstige Symptome einer diffusen Erkrankung des Central-
nervensystems bestehen. Hier beschleunigen energische Quecksilber-
kuren recht häufig den Verfall des Sehvermögens. — ■ —
Bei Cerebraler krankungen handelt es sich öfter um ein direetes
Ergriffensein des Nerven. So bei Geschwülsten der Schädelbasis oder
seierotischen Arterien, die unmittelbar auf den Opticus drücken, bei
Exostosen, Gunmiata, Hydrocephalus internus, chronischer Meningitis
und bei hiselförmiger Sclerose. Auch die bei Acromegalie öfter be-
obachtete Hemianopsie ist durch Druck der hypertrophirten Hypophysis
auf das Chiasma zu erklären. Ebenso entwickelt sich nach schweren
Kopfverletzungen, die Erblindung oder Sehschwäche hervorriefen,
nach einiger Zeit meist ausgeprägte Sehnervenatrophie. Hier dürfte
die von Holder so häufig constatirte Fractur des Foramen opticum
mit Bluterguss in den subvaginalen Kaum des Sehnerven oder direetes
Anreissen als nächstliegende Veranlassung in Betracht zu ziehen sein
(Berlin).
Sind Cerebralcongestionen zu vermuthen, so ist ein ableitendes Ver-
fahren, Blutentziehungen, Haarseil angezeigt. Bisweilen sieht man trotz
ausgeprägter Atrophie nach Anwendung des Heurteloups noch Hebung
des Sehvermögens eintreten.
In manchen Fällen fehlt es vollkommen an einem Hinweis auf eines
der eben angeführten ätiologischen Momente; ein an Excessen oder
geistiger und körperlicher Ueberanstrengung reiches Leben scheint oft
Anlass zu dem schweren Sehnervenleiden zu geben.
6. Excavatio papillae n. optici.
1. Atrophische Excavation. In einzelnen Fällen von Seh-
nervenatrophie wird der eingetretene Schwund der Nervenfasern nicht
durch eine ausgleichende Hypertropkirung des Bindegewebes gedeckt.
und es kommt in Folge dessen zu einer muldenförmigen Vertiefung an
264
Erkrankungen des Sehnerven.
111.
der Papille. Diese seichte Vertiefung ist ophthalmoskopisch dadurch
erkennbar, dass die Blutgefässe mit allmählicher Biegung den tiefer ge-
legenen Partien der Papille zu-
laufen (Figur 111). Das ver-
schiedene Niveau, in dem sie
auf ihrem papillären Verlauf
sich befinden, macht, dass bei
ophthalmoskopischer Einstel-
lung auf die Netzhautgefässe
die in dem Papillencentrum be-
findlichen Gefässe blasser und
undeutlicher erscheinen. Die
Papilla selbst zeigt atrophische
Färbung.
2. Druck- oder glauko-
matöse Excavation. Beim
Glaukom tritt durch Steigerung
des intraocularen Druckes, der
sich bisweilen pathologische
Resistenz Verringerungen im Bindegewebe der Papille anschliessen, eine
Verdrängung der Lamina cribrosa nach hinten ein und damit
eine Excavirung der Papilla
(Figur 112 und Farbendruck-
tafel). Diese Verdrängung der
Lamina cribrosa bildet den
durchschlagenden anatomischen
Unterschied gegenüber der atro-
phischen Excavation, bei der
die Lamina cribrosa in ihrer
normalen Lage bleibt. Die Ex-
cavation kann verschiedene For-
men haben: meist kesseiförmig,
zeigt sie bisweilen auf ihrem
Grunde noch eine zweite cen-
trale, trichterförmigeVertiefung,
die der Stelle des Grefässkanals
entspricht, oder auch eine mehr
seitlich gelegene, welche durch
eine bereits vorhandene physio-
logische Excavation bedingt ist.
112.
Ausgekleidet ist diese Höhlung von den Nervenfasern, die am Rande
der Netzhaut scharf geknickt umbiegen, an den Seitenwänden steil
Excavatio papillae n. optici. 265
herabgehen und dann in dünner Schicht den Boden der Lamina cribrosa
bedecken. Bei längerem Bestehen tritt eine Atrophie der gezerrten und
eomprimirten Fasern ein. Die Blutgefässe, welche meist nach der na-
salen ►Seite zusammengedrängt sind, biegen ebenfalls am Rande der
Excavation um und gelangen längs der Seitenwand auf den Boden der
Höhle.
Die Tiefe der letzteren kann bis 1-5 mm und mehr betragen. Aus-
gefüllt ist sie vom Glaskörper. —
Charakteristisch für die Schwierigkeit der Niveaubestimmung im
ophthalmoskopischen Bilde ist es, dass man diese glaukomatöse
Excavation anfänglieh als eine „Hervorwölbimg" besehrieb. Erst durch
eine Section von Heinrich Müller (1857) ergab sich mit Sicherheit
die Excavation, nachdem allerdings schon früher durch genaueres Ein-
gehen auf das ophthalmoskopische Bild Bedenken gegen die Annahme
einer Hervorwölbung ausgesprochen waren (A. v. Grraefe, Ad. Weber).
Die ersten Anfänge der Excavation sind ophthalmoskopisch nicht
leicht zu diagnosticiren. Die Papille erscheint noch normal gefärbt,
manchmal selbst etwas mehr geröthet. In seltenen Fällen wurden auch
Blutextravasate auf ihr beobachtet. Häutig vertieft sich zuerst das
Centrum der Papille: doch ist hier die Unterscheidung von der oft
normal vorhandenen Fovea in der Mitte des S ebner veneintritts schwierig
oder unmöglich. Mit Sicherheit kann die beginnende Druckexcavation
erst dann diagnosticirt werden, wenn ein Gefäss am. Rande der
Papille deutlich eine Knickung macht und das papilläre Ende
desselben nachweisbar tiefer liegt als das retinale. Meist ist eine der-
artige Niveauveränderung zuerst an den Gefässen der temporalen Seite
zu erkennen. Da aber gelegentlich auch die physiologische Excavation
dicht am temporalen Papillenrande beginnt, so ist von mehr ent-
scheidender Bedeutung die Gefäss-Knickung an der nasalen Seite.
Bei weiter fortschreitendem Process erregt schon der ungewöhnliche
Verlauf der Gefässe auf der Netzhaut selbst die Aufmerksamkeit. Die-
selben erscheinen alle nach der Nasalseite hingedrängt. Die Gefässe,
die sonst gerade und gestreckt nach oben und unten gingen, machen
jetzt einen Bogen, dessen Concavität der Macula lutea zugekehrt ist.
Die schon normal sparsamen Aeste, welche temporalwärts hinziehen, sind
fast ganz geschwunden: nur bei starker Vergrösserung und besonderer
Aufmerksamkeit erkennt man sie noch. Dabei werden die Arterien
enger, die Venen zuweilen verbreitert, geschlängelt. Oft aber ist auch
an ihnen eine Volumen Verringerung nachzuweisen, besonders in späteren
Stadien.
Die Knickung der Gefässe am Papillarrande ist bogen- bezw. winkel-
förmig. Bei steiler Excavation scheinen sie am Rande zu enden, die
266 Erkrankungen des Sehnerven.
Venen zeigen öfter eine bläuschwarze Anschwellung. Erst auf dem
Boden der Höhlung siebt man dann ihre Fortsetzung, da sie beim
Herabgehen an einer senkrechten Seitenwand nicht zu verfolgen sind.
Bei weniger steilen Seitenwänden kann man auch hier ihren Verlauf
erkennen; doeli erscheinen sie verschoben und durch ein schräges
Mittelstück verbunden. Die auf der Papille selbst gelegenen Endtheile
sind meist etwas blasser, mehr bellroth gefärbt; es ist oft schwer, die
Venen von den Arterien zu unterscheiden. Zuweilen treten hier einige,
sonst nicht siebtbare Schlingen feinerer Aeste hervor. Die Austritts-
pforte der Gefässe erscheint nach der nasalen Seite bin verschoben.
Die Papille selbst wird allmählich blasser, graubläulich oder weiss
verfärbt. Später erhält der Sehnerv bei weiterer Atrophie ein leicht
punktirtes Aussehen von den zwischen der Lamina durchtretenden Nerven-
bündeln. Er ist bei ausgesprochener Excavation von einem meist ziem-
lich schmalen, grauweissen oder gelben King (Halo glaueomatosus,
Fig. 112 ab) umgeben, der seine Entstehung entweder einer einfachen
Atrophie der Chorioidea (Schweigger) oder einem zwischen der
atrophischen Chorioidea und Netzhaut liegenden Exsudat verdankt (H aab,
Kuhnt). Zuweilen erkennt man auf diesen atrophischen Partien noch
hier und da schwarze Pigmentflecke. Im Anfang pflegt sich die Chorio-
idealatrophie vorzugsweise an der temporalen Seite zu entwickeln.
Wenn die eben angegebenen Symptome schon einigermaassen charak-
teristisch für die Excavation sind, so ist doch der directe Nachweis zu
liefern, dass die Papilla optica in der That ausgehöhlt ist und tiefer
liegt als die Netzhaut. Wir bedienen uns hierbei der oben besprochenen
Hilfsmittel der Niveaubestimmung. —
Bisweilen ist auch Arterienpulsation bei der Druckexcavation zu
constatiren. Dieselbe zeigt sich im Blass- und Wiederrothwerden der
( lentralarterienstämme auf der Papille, oft aber nur eines Astes. Selten
überschreitet der Puls die Papillengrenze. Sein Zustandekommen erklärt
sieb so, dass bei dem gesteigerten intraocularen Drucke nur mit der
Herzsystole Blut in die sonst comprimirten Arterien geworfen werden
kann. Der intraoculare Druck wird aber dort am ehesten das Lumen
verschliessen, wo das Gefäss, wie auf der Papille, schon an und für sieb
eine Biegung oder Knickung macht, um in den nach hinten ziehenden
Sehnervenstamm einzudringen.
Am gesunden Auge wird dieses Pulsationsphänomen sein- selten be-
obachtet. v. Graefe sah es zweimal bei Orbitaltumoren, Wadsworth
und ich während beginnender Ohnmacht.
Weniger deutlich sind die Aarterienpulsationen, die Quincke bei
Aorteninsufficienz zuerst beschrieben hat. Noch geringer sind die Erschei-
nungen bei Morh. Basedow ü i Becker") — ich habe sie in der Regel vermisst
Kxcavatio papillae n. optici. 267
— und bei chlorotischen, anämischen und neurasthenischen Individuen
(Raehlmann). Hier zeigen die Papillär-, vorzugsweise aber die Netz-
hautarterien, besonders an ihren Theilungsstellen, kleine rhythmische
AnschweDungen und Schlängelungen (Locomotionen), bisweilen selbst
mit einem leichten Erröthen und Erblassen der Papille verknüpft; dies
ist jedoch meist nur bei der starken Vergrösserung des aufrechten Bildes
erkennbar. Auch kann das Gefässpkänomen bei ein und demselben
Individuum zeitweise wahrnehmbar sein, zeitweise verschwinden.
Differentielle Diagnose der Excavationen. Bei der phy-
siologischen Excavation ist nie die ganze Papille bis zum Rande
hin ausgehöhlt. Das zeigt sich ophthalmoskopisch schon in dem Ver-
halten der Gefässe (vgl. Figur 107). Dieselben gehen von der Netz-
haut aus erst eine Strecke über die Papille hin, ehe sie in die Tiefe
biegen. Besonders tritt dies an der nasalen Seite hervor, während nach
der Seite der Macula lutea hin die Vertiefung sich schon eher der
Papillengrenze zu nähern pflegt: doch bleibt sie immer seicht. Es findet
hier kein scharfes Abbiegen und keine Knickung der Gefässe statt.
Im Gegensatz dazu reicht die ausgeprägte Druckexcavation bis
zur Netzhautgrenze. Es zeigt sich also scharf am Papillarrande die
Gefässknickung (vgl. Figur 112). Wenn vorher schon eine physio-
logische Excavation bestand, so kann bei Hinzutritt der glaukomatösen
auf diese Weise eine doppelte Knickung der Gefässe zu Stande kommen:
einmal am Rande und dann noch auf der Papille selbst.
Ferner dient auch die Färbung der Papille zur differentiellen
Diagnose. Bei der physiologischen Excavation ist zwar die vertiefte
Partie blasser, oft sogar hellweiss, aber die im Niveau der Netzhaut be-
findliche behält ihre röthliche, normale Färbung bei. Anders bei der
Druckexcavation, wo, wenigstens in ausgesprochenen Fällen, die ganze
vertiefte Papille nirgends mehr ihre ursprüngliche Färbung zeigt, son-
dern blass oder grau aussieht.
Zu einer Täuschung flu- den Ungeübten könnte der Umstand viel-
leicht noch Anlass geben, dass bei der Druckexcavation der sie um-
gebende schmale grauweisse, gelbliche, ja bisweilen gelbrothe Ring leicht
zur Papille gerechnet wird. Es kann so die Auffassung entstehen, dass
die Gefässe nicht am Rande der Papille umknicken, sondern erst —
wie bei der physiologischen Excavation — , nachdem sie ein Stück auf
ihr verlaufen sind. Es bedarf aber nur des Hinweises hierauf und ge-
schärfter Aufmerksamkeit, um diese Klippe in der Regel vermeiden zu
können.
Die atrophische Excavation hat eine seichte, muldenförmige
Aushöhlimg, die oft nur mit Mühe ophthalmoskopisch erkennbar ist.
Sehr schwer ist es, die atrophische Excavation von der glaukomatösen
Erkrankungen des Sehneryen.
zu unterscheiden, wenn erstere sich zu einer vorhandenen physio-
logischen hinzugesellt hat. da alsdann die Gelasse ebenfalls am Rande
der Papille eine Bcharfe Knickung- machen, wenn auch nicht immer in
der ganzen Ausdehnung derselben. Bisweilen kann, bei einseitiger
Schwachsichtigkeit der Befund am anderen Auge leiten, da physiologische
Excavationen nur doppelseitig vorzukommen pflegen. Bei bestehen-
bleibendem Zweifel wäre dann auf den Hof der glaukomatösen Exeavation
zu achten, der breiter ist und mehr gelblich gefärbt sich zeigt als der
physiologische weisse Scleralring (allerdings kann letzterer auch bei ein-
fach atrophischen Papillen durch den Schwund der Sehnervenfasern etwas
deutlicher hervortreten): ferner auf Pulsationsphänomene, und eventuell
auf allgemeine Krankkeitssynitome des Glaukoms.
Schliesslich ist der Anfänger darauf aufmerksam zu machen, die
glaukomatöse Exeavation nicht etwa mit Stapkyloma posticum zu ver-
wechseln, wozu vielleicht gelegentlich 'das ähnliche Verhalten des all-
gemeinen Gefässlaufes, nämlich die Verschiebung nach der nasalen
Seite, wie sie hier durch Schiefstellung der Papilla optica bedingt
ist. verführen könnte. Die grosse, weisse Sichel, ausgedehntere Cho-
rioidealveränderungen, die mangelnde Knickung der Gefässe am Bande
— wenn auch kleinere Biegungen vorkommen — schützen ziemlich
leicht davor.
7. Geschwülste des Sehnerven.
Die orbitale Partie des Sehnerven zeigt öfter Gesclrwülste, die theils
primär entstanden sind, theils seeundär vom Bulbus (bei Gliom der
Netzhaut und Sarcom der Ohorioidea) oder auch vom Orbitalgewebe
auf sie übergingen. Selten aber reicht die nicht vom Auge ausgehende
Sehnerven-Geschwulst soweit nach vorn, dass sie die Papilla optica er-
greift, wie Jacobson in einem Falle gesehen hat. Primär sind im
< opticus besonders Sarcome mit ihren Mischformen der Fibro-, Glio- und
Mvxosarcome, seltener Endotheliome, Psammome, Gliome, Fibrome und
Tuberkel beobachtet: seeundär meist Sarcome. Bisweilen sitzt die Ge-
schwulst nur innerhalb der äusseren Scheide, und der Sehnerv geht,
ohne von ihr ergriffen zu sein, durch sie hindurch. Einmal fand ich
eine grosse Blutcystc, von der Sehnervenscheide ausgehend, welche den
Bulbus stark nach oben gedrängt hatte. Das Leiden fällt verhältniss-
mässig häufig in das kindliche Alter. Entspringen die Geschwülste vom
Sehnerven selbst, so ist eine frühzeitige Erblindung charakteristisch. Der
Bulbus ist hier in der Richtung des Sehnerven nach vorn gerückt und
— im Gegensatz zu den meisten Orbitalgeschwülsten — noch leicht
beweglich. An der Papille ist Neuritis mit grösserer oder geringerer
Geschwülste des Sehnerven. 269
Schwellung oder Atrophie nachweisbar, [n einigen Fällen ist es ge-
lungen, die Sehnervengeschwulst mitErhaltung des Bulbus zu exstirpiren.
Besonders eignet sieh hierzu die von Krönlein angegebene Operation
mir zeitweiser Resection der äusseren Orbitalwand, wodurch man einen
deutlichen Einblick in die tieferen Partien der Augenhöhle erhält.
Viertes Kapitel.
Erkrankungen der Netzhaut.
1. Hyperämie und Anämie der Netzhaut.
Gefässveränderungen.
Bei Hyperämie der Xetzkaut sieht man neben stärkerer Köthung
der Papilla optica Ausdehnung und Schlängelung der Netzhautarterien
und Xetzhautvenen. Auch ein leichtes Verschwommensein der Papillar-
grenze ist öfter vorhanden. Da sieh aber physiologisch ein ziemlieh
weiter Spielraum bezüglich der Gefässentwickelung und Form bei den
einzelnen Individuen findet, so ist eine gesicherte Diagnose nicht über-
all zu stellen: am ehesten noch, wenn die fragliche Hyperämie einseitig
auftritt, durch Vergleich mit der andern Seite.
Bei entzündlichen AugenatFectionen (besonders bei Iritis) besteht
die Hyperämie öfter als Complication; ebenso kommt sie bei Refractions-
anomalien, die zu asthenopischen Beschwerden führen oder nach starker
Ueberanstrengung der Augen vor; weiter bisweilen bei cerebralen
Aftectionen, bei venösen Stauungen, bei Cyanose und in den ersten
Stadien der constitutionellen S}~philis. Auch bei chronischer Anämie
findet sie sich auffallend häufig (Jäger), wo dann auch Pulsationen der
Xetzhautarterien auftreten (Raehlmann). Subjective Beschwerden fehlen
meist, bisweilen besteht Lichtscheu und Mangel an Ausdauer beim Ar-
beiten. Die Therapie wird die ursächlichen Momente zu berücksichtigen
haben. Daneben Augendiät, eventuell Blutentziehungen undDerivantien.
Anämie der Xetzhaut (Blässe der Papille und Enge der Netzhaut-
gefasse) kommt bisweilen bei anämischen und leukämischen Individuen
j>7o Erkrankungen der Netzhaut.
zur Beobachtung; ebenso findet man sie hei Ohnmächtigen. Häufiger
verknüpft sie sieh mit Processen im Sehnerven (Neuritis), welche eine
(Jompression der Blutgefässe bewirken. Hier sind die Arterien bisweilen
ausserordentlich dünn (vgl. „Emholie und Thrombose der Art. centr.
retin. ").
Bei Arteriosclerose zeigen die Netzhautarterien häufig Schlänge-
lung und Verdünnung, weisse Berandung (Periarteriitis hei unverändertem
Lumen, hei gleichzeitiger Endarteriitis Verengung desselben) und auch
partielle Verengung einzelner Gefässabsehnitte, meist ohne Sichtbar-
werdung der "Wandungen. An den verdünnten Arterien treten Pulsations-
erscheinungen in Gestalt von Kaliberschwankungen und kleinen Be-
wegungen auf. Die Venen sind partiell verengt, daneben auch varieüs.
Eine Reihe plötzlicher Erblindungen lässt sich auf eine durch Endar-
teriitis bedingte Störung der Blutcirculation zurückführen (Raehlmann)
oder auf vollständige Thromhosirung. '
Gelbfärbung der Retina und des Opticus (mit Hemeralopie und
Gelbsehen) wurde bei Icterus beobachtet (Hirschberg).
2. Retinitis simplex (Retinitis serosa).
Zu der Hyperämie der Netzhaut und Papille gesellt sich hier eine
ausgedehntere graue Trübung des Gewebes von mehr oder weniger
Intensität. Sie hat ihren Sitz mit Vorliebe in der Nähe der Papilla
optica, deren Grenzen bisweilen so verschwommen sind, dass man den
Sehnerveneintritt nur durch das Zusammenströmen der Blutgefässe
erkennt. In anderen Fällen liegt nur ein leichter Schleier (Oedem)
über dem rothen Augenhintergrund in der Gegend der Papilla optica,
diese etwas überragend. Auch in der Macula lutea oder an peripheren
Partien findet sich diese Trübung. Die Gefässe an den leicht getrübten
Partien sind meist deutlich sichtbar, und besonders erseheinen die Venen
als etwas dickere, dunklere Stränge auf dem mehr grauweisslichen
( i runde. Die Arterien sind bisweilen etwas enger, was auf (Jompression
derselben, besonders im Sehnerven, zurückzuführen ist. Gelegentlich
sind auch die Blutgefässe verdeckt und verschleiert. Blutergüsse fehlen
in der Regel.
Die Diagnose ist nicht immer leicht zu stellen, da eine einfache
Verschleierung des Augenhintergrundes auch durch Hindernisse des
Lichtdurchfalles in den optischen Medien bewirkt werden kann. So
findel sich hei durchsichtiger diffuser Glaskörper- oder Hornhauttrübung
ein ähnliches Bild: auch eine Hyperämie der Papille und Netzhaut ist
liier nicht selten. Als diÜ'erentiell-diagnostisches Moment ist zu be-
achten, dass hei der Retinitis simplex die Trübung des Gewebes nur
lvctinitis simplex. 271
mehr oder weniger ausgedehnte umschriebene Partien des Augen-
hintergrundes ergreift, während bei einer diffusen Glaskörpertrübung
der ganze Augenhintergrund ziemlich gleichmässig versehleiert er-
scheinen wird.
Wenn das (Jedem der Netzhaut stark ist. so lässt sieh nicht immer
die Unterscheidung gegenüber einer flachen Netzhautablösung machen;
in beiden Fällen ist das Gewebe leicht getrübt, die Gefässe laufen ohne
centralen hellen Lichtstreifen wie dunkelrothe Fäden darüber hin; eine
auffalligere Niveaudifferenz aber, welche allein die Ablösung mit Sicher-
heit beweisen würde, kann fehlen. — Bei der Retinitis simplex bandelt
es sieh vorzugsweise um eine Durchü'änkung der Netzhaut mit seröser
Flüssigkeit, wenngleich ein massiger Austritt von Zellen und geringe
parenchymatöse Veränderungen, die sieh besonders später hinzugesellen,
nicht ausgeschlossen sind. Treten letztere pathologische Veränderungen
jedoch durch intensivere Trübungen, Gewebsschwellungen, weisse Plaques
u. s. w. auch ophthalmoskopisch hervor, so bezeichnen wir die Affection
besser als Retinitis parenchymatosa (s. unten).
Die Patienten klagen, dass ein Xebel vor den Gegenständen liege
und ihr »Sehvermögen herabgesetzt sei. Auch Störungen des Lichtsinns
und im (iesichtsfelde kommen vor: doch stehen diese Störungen durch-
aus nicht immer in geradem Verhältnisse zu dem ophthalmoskopisch
wahrnehmbaren B ef unde.
Die Prognose ist stets bedenklich, indem schwerere Affectionen
der Chorioidea oder des Sehnerven daneben bestehen können. Wenn
hingegen während längerer Beobachtung sich kein Fortschritt des Leidens
gezeigt hat, ist eine vollständige oder relative Heilung zu erwarten.
Auch kommt sehr in Betracht, aus welcher Ursache die Retinitis hervor-
gegangen ist. Abgesehen von einigen noch später zu erwähnenden
Momenten hat man Ueberanstrengung, Blendung, Erkältung u. dgl. ange-
schuldigt. Die Behandlung wird sich nach der Aetiologie zu richten
haben. Xeben Schonung der Augen gegen Anstrengung und Licht, oder
selbst Aufenthalt im Dunkeln, sind Heurteloup'sche tBlutegel, ab-
leitendes Verfahren, Schwitz- oder Mercurialkuren nach den vorliegenden
individuellen Verhältnissen in Anwendung zu ziehen.
Einzehie besondere Formen der Retinitis simplex bedürfen noch der
Besprechung.
Retinitis syphilitica. Die Xetzhautaffection an und für sich
bietet meist keine derartigen Characteristica, dass man aus ihr allein die
Diagnose auf Syphilis stellen könnte. Erst durch die Verbindung mit
eigenartigen Chorioideal- und Glaskörperaffectionen wird dieselbe ge-
sicherter. Oft schon sehr frühzeitig nach der Infection zeigt sich eine
gewisse Hyperämie der Netzhaut mit leichtem Verschwommensein der
272 Erkrankungen der Netzhaut.
Papillenränder (Netehautreizung, Schnabel), die dann in eine ausge-
prägtere Retinitis mit Trübung des Gewebes, besonders in der
Nähe der Papille, übergehen kann. Meist aber tritt die gewöhnlich
doppelseitige Retinitis erst in späteren Perioden ein, 1 bis 2 Jahre nach
der Infection. Sie verbindet sich gern mit einer ziemlich durchsichtigen,
staubförmigen, diffusen Glaskörpertrübung. Letztere erschwert die
Diagnose der Retinitis, welche, wie wir gesehen, in der Pegel nur wenig
deutliche Veränderungen ( — hellere Flecke und Apoplexien sind
selten — ) zeigt. Nur ausnahmsweise kommen stärkere Schwellungen der
Papille vor. Bisweilen ist die Macula lutea allein befallen (Retinitis cen-
tralis, v. Graefe); sie wird von einer grauen Trübung eingenommen.
In den äquatorialen Partien entstehen kleine weissliche Flecke, gemischt
öfter mit schwärzlichen Pigmentanhäufungen. Klumpige, bläuliche Flecke
in der Nähe der Gefässe sprechen für das Bestehen einer Arteriitis syphi-
litica (Hirschberg). Durch Defecte im Pigmentblatte treten die Inter-
vascularräume oft deutlich hervor. Eine häufige Complication bilden pei'i-
phere Chorioiditis und Iritis. Bei der centralen Retinitis sieht man später
auch leichte Chorioidealveränderungen in der Gegend der Macula lutea.
In seltenen Fällen kommt es zu ausgedehnteren seeundären Einlage-
rungen schwarzen Pigmentes in die Netzhaut (Chorioretinitis). Ge-
legentlich habe ich in Folge von Lues das vollständige Bild einer Re-
tinitis pigmentosa mit entsprechender Sehnerven- und Gefässveränderung
und peripher sitzenden, schwarzen, knochenkörperähnlichen Pigment-
flecken und zwar ohne erhebliche Chorioidealalteration auftreten sehen.
Förster und Schweigger beschreiben ähnliche Befunde.
Die Patienten erleiden in leichteren Fällen nur eine geringe Herab-
setzung der Sehschärfe (S V3 oder v.2), so dass sie — wenn keine
äusseren Entzündungen bestehen — bisweilen erst spät den Arzt auf-
suchen. In schweren und complicirten Fällen, besonders bei stärkeren
Glaskörpertrübungen, kann das Sehen bis auf das Erkennen der Hand-
bewegungen herabgesetzt sein.
Das Gesichtsfeld ist öfter unterbrochen. So treten bisweilen ring-
förmige Defecte (Förster) auf, bei denen das centrale Sehen ver-
hältnissmässig erhalten ist, dann eine Zone schlechten Sehens folgt,
während in der Peripherie des Gesichtsfeldes wiederum besser gesehen
wird. Bei Retinitis centralis finden sich Skotome am Fixationspunkt.
( M't wird über die Wahrnehmung durchsichtiger, hin und her zitternder
Flecken und Scheiben geklagt. Bisweilen besteht Mikropsie (v. Graefe),
ein Symptom, das sich auch bei anderen UetinaJerkrankungeu gelegent-
lich findet und auf dem Ausfall oder Auseinanderschieben von empfin-
denden Netzhautelementen beruht. Ebenso wie Kleinersehen wird auch
Metamorphopsie (Förster) beobachtet. Die Gegenstände erscheinen
Retinitis parenchymatosa. 273
verzerrt, gerade Linien gebogen; die Ursache dieses Symptomen dürfte
mit der der Mikropsie zusammenfallen. Selbst nach Heilung der Krank-
heit kann die Metamorphopsie noch bestehen bleiben. Hemeralopie ist
gewöhnlich vorhanden.
Der Process läuft meist in 6 bis 8 Wochen, wenn es sich um leichte
Fälle handelt, ab. Eine in dieser Zeit nicht erreichte volle Wieder-
herstellung kann noch später allmählich sich herausbilden. Andere Fälle
aber sind sehr hartnäckig; auch besteht Neigung zu Recidiven. Den-
noch kommen oft schwere Erkrankungen, wenn sie frisch sind und
stark entzündliche Erscheinungen zeigen (Iritis, dicke Grlaskörpertrü-
bungen), trotz hochgradigster Herabsetzung des Sehvermögens und trotz
starker Gesiehtsfelddefeete (selbst für Lampenlicht) unter entsprechen-
der, lange fortgesetzter Behandlung schliesslich zu einem durchaus be-
friedigenden Sehvermögen. Ist der Process abgelaufen, sind ausgeprägte
Chorioidealveränderungen mit seeundärer Sehnervenatrophie vorhanden,
so ist auf eine erhebliche Besserung des bestehenden Sehvermögens
nicht zu rechnen.
Die Therapie ist eine antisyphilitische. Ich habe mit subcutanen
Sublimatinjectionen (0-01 Sublimat) gleiche Erfolge gehabt, wie mit
Schmierkuren; doch ziehe ich letztere — und zwar in starker Dosis
(4: g pro die) vor, wenn der Process mit dicker Glaskörpertrübung und
Iritis complicirt ist. Jodkali- sowie Schwitzkuren bieten nicht denselben
Nutzen. Hingegen ist zur längeren Fortsetzung der Behandlung —
nach Absolvirung der Spritz- oder Schmierkur — Jodkali allein oder in
Verbindung mit Hydrarg. bijod. rubr. empfehlenswerth. Während der
Hauptkur sollten die Kranken immer im Dunkelzimmer gehalten werden.
Bei vollblütigen Individuen empfehlen sich noch Heurteloup'sche
Blutentziehungen.
Commotio retinae. Nach Einwirkung stumpfer Gewalten sieht
man gelegentlich eigenthümliche ödematöse Trübungen der Netzhaut
auftreten (Berlin). An mehr oder weniger ausgedehnten Partien findet
sich an Stelle der sonst vorhandenen rothen Färbung des Augenhinter-
grundes eine grauweisse, die bisweilen mit zackigen Ausläufern in die
rothe Umgebung hineinragt. Auf diesem grauweissen Grunde erscheinen
die Gelasse etwas dunkler, mehr hervortretend und strangähnlich ohne
den centralen Lichtreflex. Daneben besteht gelegentlich selbst eine
Hache Netzhautablösung. Wenn die Trübung in der Nähe des Poles
sitzt, so kann die Macula lutea eine gelbliche, blasse Färbung annehmen,
ihren hellen Lichtring verlieren und die Fovea centralis als dunkler
Fleck erscheinen. Ich habe, wie auch Hock, sogar eine blutige Netz-
hautablösung an der Macula beobachtet; ebenso complicirende Chorioi-
dealrisse. In der Regel pflegt in einigen Tagen jede Spur der Netz-
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 18
274 Erkrankungen der Netzhaut.'
hauttrübung zu verschwinden. Das Sehvermögen ist massig herab-
gesetzt ('4 l»is ; ., der früheren Sehschärfe). In den darauf unter-
suchten Füllen habe ich in der Regel auch Verringerung des Lieht-
si 11 n es (der Reizschwelle) festgestellt. Ebenso sind periphere Gesiehts-
defecte beobachtet (Ostwalt); jedoch fehlen dieselben auch. Die sub-
jeetiven Störungen schwinden meist im Laufe einer Woche. Bisweilen
tritt in Folge von Contusionen des Augapfels ein Accommodations-
krampf auf, der mit traumatischer Mydriasis oder Miosis einhergehen
kann. — Die Ursache des Schlechtersehens liegt nicht, wie Berlin an-
nahm, in einem plötzlich, in Folge kleiner Blutungen im Corp. ciliare
entstehenden, unregelmässigen Linsen-Astigmatismus, sondern in [der
Affection der Netzhaut. Hierfür sprechen die Herabsetzung des Licht-
sinnes und die Gesichtsfelddefecte; vor allem aber fehlte, wie ich mich
ophthalmoskopisch überzeugt habe, irgend welcher in Betracht kommender
unregelmässiger Astigmatismus.. Nach Berlin's Versuchen an Thieren
finden sich kleine Blutungen zwischen Chorioidea und Sclera an den
Stellen, wo das Oedem der Netzhaut sich ausbildet. Denig fand
neben diesen Blutungen, die er als nebensächlich auffasst, .Exsudationen
zwischen den Stäbchen und Zapfen und ebenso noch Zerreissung der
Limitans interna eine vom Glaskörper stammende Flüssigkeit in der Nerven-
fäserschicht: hierdurch ist die weissliche Trübung] bedingt. — Bisweilen
trägt zu weiterer Herabsetzung der Sehschärfe eine leichte, oft nur mit
focaler Beleuchtung zu sehende, zum Theil aus imregelmässigen Figuren
sich zusammensetzende Hornhauttrübung oder auch die Trübung des
Kammerwassers bei. Ruhe des Auges, Atropin, kühle Umschläge ge-
nügen meist die spontane Wiederherstellung zu unterstützen.
Maculare Retinitis durch directes Sonnenlicht. Zu Zeiten,
wo eine Sonnenfinsterniss beobachtet wurde, stellen sich ziemlich regel-
mässig Patienten vor, die durch directes Hineinsehen in die Sonne Seh-
störungen davongetragen haben. Während anfänglich eine starke cen-
trale Verfinsterung des Gesichtsfeldes stattfand, verringert] sich dieselbe
meist soweit, dass schliesslich nur ein leichter Schleier die Fixations-
stelle deckt (centrales Skotom). Oft ist an derselben Stelle ein gewisses
Flimmern vorhanden: Farben erscheinen an der Fixationsstelle matter
und weniger nuancirt; eine eigentliche Farbenblindheit ist aber, wenig-
stens wenn das Sehen wieder einigermaassen hergestellt ist, in der Regel
nicht nachweisbar. Ophtha huoskopisch kann man selbst bei genauer
Beobachtung nur eine geringe Veränderung in dem Centrum der Macula
lutea sehen, und zwar fand ich, ebenso wie Ilaab und Deutschma im .
daselbst an Stelle (U'^ bekannten Bildes der Fovea ein dunkles, etwas
breiteres Fleckchen, bisweilen ohne Lichtring, das grosse Aehnlichkeit
mit einem Bluterguss hatte, ohne dass ich es jedoch dafür ansprechen
Retinitis parenehymatosa. 275
möchte. Diese Veränderung beruht, auf directer Verbrennung der be-
treffenden Netzhautschichten durch das Sonnenlicht, wie Thierversuehe
erwiesen (Czerny). Auch die Einwirkung des elektrischen Lichtes be-
wirkt gleiche Erkrankungen. Die Prognose ist von der Schwere der
Verletzung abhängig; aber selbst durchscheinende Skotome können
Jahre lang bestehen bleiben. Die Therapie besteht in Abhalten des
Lichtes, Blutentziehung und Ableitungen. Später kann man Stryehnin
versuchen.
3. Retinitis parenehymatosa.
Neben der Hyperämie und Grewebstrübung, welche die Retinitis sim-
plex zeigt, sind bei der parenchymatösen Retinitis circumscripte Ver-
änderungen in Gestalt weisser oder weissgelblicher Flecke und Striche
zu constatiren. Daneben sind Blutungen gar nicht selten. Die aus-
gedehntere Betheiligung des
< rewebes veranlasst ferner, _^
dass die Gefässe zum Theil
in ihrem Verlauf verschwom-
men, selbst vollkommen im- 113.
terbrochen erscheinen. Die
Arterien sind bisweilen durch (Jompression enger und weniger gefüllt.
Auch kann durch Hypertrophirung der Adventitia eine Verdickung der
Gefasswände (Retinitis perivasculosa) bewirkt werden, wodurch sich
das Aussehen in der Weise ändert, dass man die schmale rothe Blut-
säule zu . beiden Seiten von weisslichen Linien begrenzt sieht. Die
Papilla optica ist in der Regel in Mitleidenschaft gezogen. Entweder
wird sie einfach trüb und hyperämisch, ihre Abgrenzung gegen die
Netzhaut hin verschwindet, oder sie schwillt an und überragt etwas
das Netzhautniveau, so dass eine wirkliche Neuroretinitis auftritt.
I >ie a natomischen Veränderungen zeigen sich vorzugsweise in Wucher-
ungen der Müller 'sehen Radiärfasern, Hypertrophie und Sclerose der
Nervenfasern, fettigen Degenerationen, Auftreten entzündlicher Ex-
s u (1 a t e und Blutungen.
Die Müller'schen Radiärfasern sind verlängert, verdickt und sclerosirt.
Hierdurch wird in Verbindung mit Wucherungen der äusseren Körnerschicht eine
hügelförmige Erhebung der Stäbchen- und Zapfenschicht an umschriebenen Stellen
bewirkt; besonders in der Nähe der Papilla optica findet dies statt und veranlasst
zum Theil die Hervortreibung der Papillengrenze.
Die Nervenfaserschicht in der Netzhaut und auch in der Papilla optica kann
hypertrophiren und zwar zeigen hierbei die marklosen Nervenfasern neben einer
mehr gleichmässigen Ausdehnung bisweilen umschriebene kolbenförmige An-
schwellungen, welche Aehnlichkeit mit Ganglienzellen haben und anfänglich auch
18*
27(5 Erkrankungen der Netzhaut.
als Bclerosirte Ganglienzellen beschrieben wurden (Zenker, Virchow). II. Müller
jedoch wies ihre Entstehung aus Nervenfasern nach (Fig 113). Diese gangliösen
Entartungen treten oft herdweise auf.
I »ie fettige Degeneration trifft zum Theil die Müller'schen Fasern, zum
Theil die Körnerschichten, in welche sieh Herde von Fettkörnchen einlagern.
In dem Netzhaut.yewebe selbst findet man nach der Erhärtung des Auges
geronnene glänzende Massen, die zum Theil mit Lymphkörperchen durchsetzt
sind. Blutergüsse sind nicht eben selten. Die Gefässe sind zum Theil ausgedehnt,
besonders gilt dies für die A'enen und Capillaren; auch eine Neubildung von
(Massen tritt ein. Die Wände der Gefässe der Netzhaut und auch der Chorioidea
zeigen öfter eine seierotische Intiltration.
Die ophthalmoskopisch wahrnehmbaren weissen Plaques sind ver-
anlasst theils durch Herde von Fettkörnchen, theils durch Nester selero-
sirter und hypertrophirter Nervenfasern. Die strichförmigen, weissen
Trübungen können auf einer fettigen Entartung der inneren Enden der
Radiärfasern beruhen.
Die subjectiven Symptome bestehen in Sehschwache. Das Gesichts-
feld ist in der Regel nicht eingeengt, Farben- und Lichtsinn nicht ge-
stört. Die Kranken klagen öfter noch über eine Art Nebelseben: auch
subjective Lichterscheinungen kommen vor. Ebenso, aber selten. Mi-
kropsie und Metamorphopsie.
Der Verlauf ist meist recht langwierig, die Vorhersage bezüglich
einer Besserung des Sehvermögens sehr zweifelhaft und abhängig von
der Ausdehnung und Aetiologie des Processes. Doch werden Fälle voll-
kommener Heilung beobachtet. Oefters wechselt Besserung mit Ver-
schlechterung ab. Schliesslich kann sich auch Netzbaut- und Sehnerven-
atrophie herausbilden. Die Form von Retinitis, welche bei acuter
Nephritis auftritt (also etwa nach Scharlach), verspricht noch am ehesten
Heilung.
Aetiologie. Parenchymatöse Retinitis ist gelegentlich Folge von
Netzhautblutungen oder auch von Chorioiditis. Sehr häufig kommt sie
bei Albuminurie vor, auch bei Diabetes, Leukämie, Anämie wird sie be-
obachtet und bat hier bisweilen eine für das Grundleiden einigermaassen
charakteristische Form, deren unten noch besonders gedacht werden soll.
Audi bei Phosphorvergiftung sab man sie; oft bleibt die Ursache un-
bekannt.
Die Behandlung wird i'üv Hube der Augen und Abhalten
bellen Lichts zu sorgen haben. Ebenso ist alles zu vermeiden, was
Kopf-( iongestionen machen kann (Genuss von Aleobolicis, starkem
Kaffee oder Thee etc.); öfter sind wanne Fussbäder von Nutzen. Im
Beginne des Leidens empfiehlt sieb, wenn der Allgemeinzustand es er-
laubt, mehrwöchentlicher Aufenthalt in einem verdunkelten Zimmer mit
öfterer Anwendung (etwa 1 bis 2 mal wöchentlich) des Heurteloup'-
Retinitis parencliymatosa. 277
.sehen Blutegels. Um den Erfolg der Blutentziehungen festzustellen,
prüft man das Sehvermögen zwei Tage später. Hat sich nach zwei-
maliger Application keine Besserung- eingestellt, so kann man auf
weitere Blutentziehimg verzichten. Auch subeonjunctivale Kochsalzein-
spritzungen kann man versuchen. Ferner sind Schwitzkuren, Mercuria-
lien oder Jodkali bisweilen angezeigt. - - Bei Anämischen oder bei
Albuminurie wird man auf den Aufenthalt im Dunkelzimmer und auf
Blutentziehungen verzichten; hier sind nur die Medicationen am Platze,
welche gegen das Allgemeinleiden Erfolg versprechen. Um eine ge-
wisse örtliche Ableitung zu erzielen, kann man daneben Arlt'sche oder
Jodsalbe in die Stirn einreiben lassen oder auch Jodtinctur auf Stirn
und Schläfe pinseln.
Retinitis albuminurica. Bisweilen tritt die bei Albuminurie
vorkommende, in der Regel doppelseitige, parenchymatöse Retinitis in
einer so charakteristischen Form auf, dass aus ihr allein mit grosser
Wahrscheinlichkeit das Grundleiden diagnosticirt werden kann. Und in
der That kommen die Fälle nicht selten vor, wo zuerst das Nieren-
leiden mit dem Augenspiegel erkannt wird.|
]\fan findet hier dicht neben der Papilla optica weisse Figuren, die
bisweilen sectorenförmig — ähnlich wie die doppelcontourirten Nerven-
fasern — in die Netzhaut hineinstrahlen (vgl. Farbendrucktafel). Sie
können zusammenfliessen und die ganze Papille mit einem breiten, weiss-
lichen Saume umgeben, der an der Peripherie kleinere, convexe Bogen
macht. Die Gefässe sind zum Theil auf den Flecken sichtbar, zum
Theil verschwinden sie auf ihnen oder werden undeutlich. Die Venen
sind stärker gefüllt und geschlängelt. Auch weiter entfernt finden sich
kleinere weissliche, meist glänzende Plaques in dem Roth des Augen-
hinterüTimdes. Die Papillengrenze ist verschwommen; die Papille hy-
perämisch. Besonders charakteristisch ist die Gegend der Macula
lutea. Letztere wird nämlich von feinen weissen Pünktchen oder
S trieben eingeschlossen; das Bild ist ähnlich, als wenn weisse Farbe
mit einem Pinsel auf einem rothen Grunde ausgespritzt wäre. Weiter
finden sich an verschiedenen Stellen der Netzhaut rundliche oder radäre,
kirschrothe und rothbraune Blutergüsse. Auch auf der Papille sind
öfter Apoplexien. — In einzelnen Fällen betheiligt sich die Papille sehr
lebhaft an dem Process; man findet starke Gewebstrübung, ferner weisse
Plaques und zahlreichere Blutergüsse auf ihr. Auch kann die Schwel-
lung so erheblich sein, dass sie pilzkopfförmig hervorragt: es handelt
sich dann um eine ausgeprägte Neuroretinitis.
Dass übrigens selbst die typische Form des ophthalmoskopischen
Bildes nicht absolut die Diagnose Albuminurie sichert, zeigt ein von
<t. Wegner und mir beschriebener Fall, bei dem dasselbe Bild sich
278 Erkrankungen der Netzhaut.
ohne Albuminurie hei einem Tumor eerebri fand. Recht häufig Treten
auch hei Albuminurie Retinal-Erkrankungen auf, die nichts Charakteri-
stisches haben. 80 einzelne Apoplexien, oder es besteht etwa eine Re-
tinitis simplex mit sparsamen Blutungen oder einzelnen weissen Plaques.
Auch beobachtete ich einige Male im Anfang nur eine ganz geringe
Veränderung in der Gegend der Macula. Letztere war von einer < Grenz-
zone umgeben, die wie leicht bestäubt aussah: von eigentlich weissen
Punkten war noch nichts zu sehen. Erst später entwickelte sich «las
charakteristische Bild.
In sehr seltenen Fällen beschränkt sich die Erkrankung bei Albu-
minurie auf die Sehnerven- Papille (Neuritis). Auch Netzhautablösungen
können als (Jomplication hinzutreten. Die mikroskopischen Befunde
sind im Allgemeinen bereits geschildert; das eigen thümliche Bild der
feinen Striche und Punkte, welche die Macula umsäumen, wird durch
Verfettung der Ausbreitungen der Müller'schen Radiärfasern, die nach
der Macula hin convergiren, bedingt.
Vorkommen. Retinitis bei Albuminurie ist nicht selten: Fre-
richs fand sie in circa 13 Procent. Meist ist sie Begleiterscheinung
der chronischen Nierenaffectionen (Morb. Brightii, Schrumpfniere und
amyloide Degeneration), aber auch bei acuter Nephritis nach Scharlach
und bei der Nephritis gravidarum wird sie öfter beobachtet. Hier
treten die Sehstörungen gewöhnlich bei Erstgebärenden und in der
zweiten Hälfte der Schwangerschaft auf, gelegentlich gesellen sich auch
Eklampsie und urämische Amaurosen hinzu. Handelt es sich nur um
die Folge der Schwangerschaftsnieren, so ist die Prognose quoad vitam
gut, doch erblindeten unter 21 Fällen, bei denen Retinitis albuminurica
während der Schwangerschaft von Sil ex beobachtet wurde, fünf. Bei
starken Gefässveränderungen und zunehmender Schwachsichtigkeit kann
die Einleitung der Frühgeburt in Frage kommen. Da Neigung zu Re-
cidiven besteht, so ist eine neue Schwangerschaft möglichst zu verhüten.
Diabetes und chronische Blei-lntoxication können bei gleichzeitig
bestehender Albuminurie dasselbe ophthalmoskopische Bild der Retinitis
herbeiführen. Auffallend ist die Beobachtung von Blau-Gelbblindheit
bei der Ret. albuminurica, die König gemacht hat.
Es scheint die Retinitis die Folge einer chronischen Urämie
(v. Graefe, Leber) zu sein, für welche Annahme noch das häufige
Vorhandensein von Kopfschmerzen und Uebelkeit spricht. Ferner werden
auch wirkliche urämische Anfälle mit urämischen Amaurosen (s.
S. 153) gelegentlich beobachtet. Als erste locale Veränderung in Folge
dieser Blutalteration ist nach den Untersuchungen des Herzogs Carl
Theodor ein in allen gefässhaltigen Theilen des Auges nachweisbarer
arteriitischer Process zu betrachten. — Das Auftreten der Retinitis bei
Retinitis parenchymatosa. 279
chronischer Nephritis pflegt von schlechter Vorbedeutung zu sein; in
der Regel sterben die Patienten innerhall) der nächsten zwei Jahre.
Die Sehstörungen sind mehr oder weniger hochgradig, können aber
ebenso wie die ophthalmoskopisch sichtbaren Veränderungen wieder
zurückgehen. Vollständige Amaurose ist sehr selten.
Retinitis leucaeniica. Bei Leukämischen ist, wie Liebreich
zuerst beschrieben, die Netzhaut beider Augen bisweilen getrübt. Die
helle Beschaffenheit des Blutes bewirkt eine blassrothe oder blassgelb-
liche Färbung des ganzen Augenhintergrundes; ebenso erscheinen die
Grefasse heller, die Venen sind geschlängelt und von weissen Linien
eingefasst. Auch die Blutextravasate haben eine hellere Färbung. Da-
neben linden sich weissliche rundliche Plaques, die zum Theil in den
oben erwähnten fettigen Degenerationen und sclerotischen Verände-
rungen der Nervenfasern, zum Theil in Anhäufungen von Lymphkör-
perchen ihre Ursache haben. Die Chorioidea zeigt ebenfalls Infiltration
mit weissen Blutkörperchen und starke Ausdehnung der Gefässe. In
anderen Fällen ist jedoch die als charakteristisch bezeichnete helle oder
gelbliche Farbe des Augenhintergrundes und der Blutgefässe durchaus
nicht vorhanden, wie ich öfter gefunden, trotzdem Apoplexien und Netz-
hauttrübung bestanden. Die Sehstörungen entsprechen dem localen
Sitze des Leidens: wird, wie meist, nur die Peripherie befallen, so sind
sie gering. Li einem Falle Becker 's, wo die Macula ergriffen war,
trat ein centrales Skotom mit Metamorphopsie hervor. —
Mit Betinitis albescens punctata s. striata wird eine Form
von parenchymatöser Netzhautaffection bezeichnet, in der eine Menge
kleiner punkt- oder strichförmiger weisser, öfter glänzender Flecke auf-
treten (Mooren). Dieselben können sich auf die Umgegend der Macula
lutea beschränken, auch diese selbst befallen. Oefter wurde ein cen-
trales Skotom beobachtet. Die Prognose erscheint bezüglich der Besse-
rimg des Sehvermögens ziemlich günstig.
Dass aber sehr verschiedenartige Processe ein ziemlich ähnliches ophthalmo-
skopisches Bild hervorrufen können, zeigt sich darin, dass Fuchs unter demselben
Namen eine Afiection beschreibt, die nach ihm der Betin. pigmentosa klinisch ver-
wandt ist: statt mit schwarzen Flecken ist die Netzhaut mit weissen überstreut. —
Auch die von Fuchs als Eetinitis circinata, von Goldzieher als „Hutchinson'schi-
Veränderung des Augenhintergrundes1- beschriebene Erkrankung zeigt weissliche
Flecke im Fmkreise der Macula, während die Fovea anfänglich frei bleibt: später
sieht man auch Blutungen. Der Process scheint degenerativer Art und auf Ge-
fässalterationen zu beruhen.
Aehnliche kleine weisse Herde in der Netzhautrnitte, die zu ge-
lappten Ringen zusammenfliessen können, meist mit Blutpunkten, bei
sonstiger Intaetheit des Gewebes und der Papille finden sich bei Diabetes
(Retinis diabetica i. Oft kann besonders die normal aussehende
i>so Erkrankungen der Netzhaut.
I '.ip illc, wie Eirschber/g mit Kocht betont hat, zur differentiellenDiagnose
gegenüber^ der Ret. albuminurica dienen, wo die Papille in der Regel
mit ergriffen ist; — doch kommen auch hier seltene Ausnahmen vor.
Ferner beobachtet man bei Greisen bisweilen eine Entartung der
Netzhantmitte (rosenfarbene Flecke mit weisslichen Stellen darin, in
der Nähe graublaue Flecke) die jedoch nie zur Erblindung- führt
(Hirschberg).
4. Hämorrhagien der Netzhaut (Retinitis haemorrhagica).
i )ie Blutergüsse in der Netzhaut zeigen sich als kirschrothe oder
braunrothe Flecke. Ihre Farbe hat immer eine dunklere Nuance, als
sie dem normalen AugenhintergTunde zukommt. Die Diagnose der Apo-
plexien ist daher leicht; nur an der Stelle der Macula, die an und für
sich dunkler ist, kann das Erkennen bisweilen etwas erschwert werden.
Auch die Unterscheidung zwischen Blutungen in der Netzhaut und
solchen in der Chorioidea bietet gelegentlich Schwierigkeiten. Wenn
grössere Flecke sich resorbiren, so sieht man als letzten Rest öfter
noch eine dunkle, der Peripherie entsprechende Linie. In anderen
Fällen] entstehen [weisse Plaques, welche später wieder verschwinden
können, oder schwärzliche Flecke an der Stelle der früheren Apoplexie.
Auch Chorioidealveränderung'en, kleine weisse Stippchen und schwarze
Flecke treten bisweilen nachträglich hervor. Die Gestalt der Blutungen
ist verschieden: rund, unregelmässig, öfter auch strichförmig. Diese
letztere Form, welche durch die Ausstrahlungen der Müller'schen
Radiärfasern bedingt ist, findet sich bei Chorioidealblutungen nicht.
Die Anzahl der Apoplexien ist mehr oder weniger gross. Bisweilen
tritt nur ein einziger Bluterguss auf; alsdann aber, wie es scheint, mit
Vorliebe in der Gegend der Macula lutea, wo er sich durch ein deut-
liches centrales Skotom sehr .bemerklich macht. Kleinere und peripher
sitzende Blutergüsse verursachen fast gar keine Störungen; sie ent-
gehen den Patienten meist vollständig. Nur wird öfter über „Flim-
mern" geklagt. Verhältnissmässig häufig finden sich, besonders kleinere
Apoplexien, bei Anämischen und Leukämischen. Bei der Anämie
gesellt sich zuweilen auch eine Trübung der Papille und im höchsten
( rrade eine ausgeprägte Retinitis mit Netzhauttrübung hinzu, die selbst
zur Amaurose führen kann.
Die Anämie kann durch die verschiedensten Ursachen bedingt sein:
iM'inerkenswerth ist die Netzhautbetheiligung bei Vorhandensein von
Ankylostoma duodenale (Nieden), bei Bothrioeephalus latus, nach
Blutungen etc.
Bei der perniciöseii Anämie kommen Apoplexien, neben blasser
Eämorrhagien der Netzhaut. 281
und Trüber Papille und starker Venenausdehnung, oft vor (Homer,
Bieriner, Quincke). Häufig, aber durchaus nicht immer, zeigen sie
ein weisses ('entrinn, das aus einer Anhäufung von Lymphzellen be-
steht (Mauz). tDoch ist andererseits dieses weisse Centrum nicht
charakteristisch: ich habe es auch sonst, z. B. bei linealer Leukämie,
gesehen.
Litten hat es z. Th. auch bei den Apoplexien der Netzhaut beob-
achtet, die er bei Septikämie fand. Hier treten die Blutungen in
der Kegel kurz vor dem Tode, längstens 50 bis 60 Stunden vorher ein.
Auch kommen sie vor in Verbindung mit einer ausgeprägten septi-
kämischen Retinitis (Roth). Dabei finden sich in den Netzhaut-Capillaren
oft Kokken-Embolien (Axenfeld).
Sonst werden Hämorrhagien noch beobachtet bei Menstruations-
anomalien, Herzfehlern, Nierenleiden, Leberkrankheiten, Congestivzu-
ständen, Atherom der Arterien (wo sie öfter Vorläufer von Hirnapo-
plexien sind), Scorbut, Purpura haemorrhagica, Hautverbrennungen
u. s. w. Auch bei Diabetes habe ich sie gesehen. Bisweilen handelt es
sich um locale Veränderungen der G-efässwandungen, wie z. B. bei den
Blutungen, die spontan oder nach der Iridectomie in glaukomatösen Augen
stattfinden, oder auch bei Neuritis optica retrobulbaris. '' Auch Traumen
des Auges veranlassen Blutergüsse.
Die Apoplexien können zu vollständiger Resorption gelangen; man
beobachtet dies öfter bei den vereinzelten, aber das Sehen sehr stören-
den in der Gegend der Macula. In anderen Fällen folgt eine Netzhaut-
atrophie, die partiell oder mehr allgemein ist. In Verbindung hiermit
kann es — wenn auch selten — zur Sehnervenatrophie mit starker Ver-
engerimg der Gefässe kommen. Secundäres Glaukom ist ebenfalls, be-
sonders bei zahlreichen Apoplexien, zu befürchten. Diese schwereren
Zufälle gesellen sich aber meist nur zu ausgedehnten Formen der Reti-
nitis haemorrhaeica.
Die Behandlung wird sich nach den vorliegenden Ursachen zu
richten haben. Neben Ableitimg auf den Darmcanal ist local im Anfang-
Kälte oder Druckverband, besonders nach vorangegangenen Traumen,
angezeigt; später kann man Jodtinctur in die Augenumgebung einpinseln
und zu resorbirenden Mitteln übergehen. Die Anwendung des Atropins
meide man. um nicht den Ausbruch eines secundären Glaukoms zu be-
schleunigen.
Retinitis haemorrhagica. Ist die Betheiligung des Netzhaut-
gewebes stärker hervortretend, so bezeichnet man den Process als Re-
tinitis haeniorrhagica. Hier besteht neben den Apoplexien eine stark
ausgeprägte Trübung des Gewebes. Die Grenze der Papille ist ver-
schwommen, bisweilen ganz unkenntlich: auf der gerötheten oder ge-
2g2 Erkrankungen der Netzhaut.
trübten Papille liegen nicht selten Blutmassen. Die Arterien der Netz-
haut sind meist eng, die Venen dunkel, geschlängelt. Die Blutungen
sind mehr oder weniger zahlreich; ihr Hauptsitz pflegt die Gegend des
hinteren Augenpols zu sein. Bisweilen kommen auch weisse Plaques vor.
Als ursächliche Momente dienen — neben den oben angeführten
— vorzugsweise ( Jet'iisserkrankungen und Herzaffectionen.
Die auf Venenthromboae beruhende Ret. haemorrh. entsteht nach
Michel ziemlich plötzlich, mit starker Abnahme des Sehvermögens,
das sich, wenn auch vorübergehend, wieder bessert. Dass übrigens
nicht immer Blutungen in der Netzhaut als Folge der Thrombose der
V. centralis auftreten, beweisen anderweitige Mittheilungen von Ange-
luc ci. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle entwickelt sich die
Aftection einseitig. Fälle von Venenthrombose mit Netzhautblutungen,
denen Glaukom folgte, sind neuerdings von Weinbaum und Wagen-
mann beschrieben und anatomisch untersucht worden. Ein gleiches
Bild kann auch durch Verschluss multipler Arterien entstehen (Wagen-
mann). Auch Gefässcompressionen können eine Retin. haemorrhagica
hervorrufen; so sieht man sie gelegentlich bei Orbitaltumoren.
Im Ganzen ist die Prognose bei einer verbreiteten Ret. haemorrh.
wenig günstig; oft auch treten neue Nachschübe ein. Der Ausgang
kann ebenfalls Netzhaut- und Sehnervenatrophie sein, nicht selten folgt
secundäres Glaukom. Bei umschriebenen Herden ist ihre Rückbildung
zu erwarten.
Die Therapie ist ähnlich wie die der Netzhautapoplexien. Man
wird für ein ruhiges Verhalten der Kranken, Augendiät, im Beginn
für Aufenthalt in einem verdunkelten Zimmer, Enthalten von Spirituosen,
geregelten Stuhlgang, eventuell, wenn der Allgemeinzustand es erlaubt,
Ableitung auf den Darmeanal sorgen. Oertlich Blutentziehungen. Kin-
reibungen mit der Arlt'schen Stirnsalbe oder Jodbepinselungen. Auch
Krgotineinspritzungen sind^zu versuchen. Später eine die Resorption
befördernde Therapie. Atropin ist auch hier zu vermeiden.
5. Pigmentdegeneration der Netzhaut
(Retinitis pigmentosa).
Die Pigmentdegeneration der Netzhaut bietet ein sehr typisches
Bild sowohl dem ophthalmoskopischen Befunde (Figur 114) als dem
Symptomencomplexe nach.
Vorzugsweise an der Peripherie der Netzhaut finden sich kleine
intensiv schwarze Figuren, zum Theil in der ( lestalt der Knochenkörper-
cben mit untereinander coinniunicirenden Ausläufern, zum Theil als kleine
Pignientdegeneration der Netzhaut.
283
Striche oder Punkte, Grössere schwarze Flecken sind sehr selten. Die
schwarzen Striche liegen oft dicht den Gefässwandungen an; an anderen
Stellen liegen sie ihnen auf und verdecken sie.s Damit ist alsdann ihr
Sitz in der Netzhaut erwiesen. Das Be- oder Verdecken von Netzhaut-
gefassen ist das wichtigste Merkzeichen t'i'ir die Localisirung, da bei der
Dünnheit der Netzhaut kaum in anderer Weise mit Sicherheit diagnosti-
cirt werden kann, ob ein Pigmentfleck in ihr oder in der Chorioidea
gelegen ist. Bei stärkerer Verbreitung des L'rocesses sieht man auch
nach dem hinteren Augenpole hin Pigment auftreten; die nächste Um-
gebung von Papilla optica und
Macula bleibt aber in der Regel
von Einlagerungen frei. Die Pa-
pille selbst ist atrophisch, blass-
gelblich imd hat ein wachsartiges
Aussehen; öfter erscheint sie ver-
kleinert. Ihre Grenzen treten
deutlich hervor. In ihrer ]!!\ähe
wurden bisweilen leuchtende helle
Linien und Stippchen (Drusen
der Glaslamelle der Chorioidea)
beobachtet (Nie den, Ancke).
1 >ie Gefässe zeigen eine sehr
charakteristische Veränderung:
durch A'erdickung ihrer Wandun-
gen wird ihr Lumen so verengt,
dass sie nur schmale rothe Streifen bilden, die bisweilen kaum in ihre
mehr peripheren Verzweigungen zu verfolgen sind. Die Verengerung
trifft am auffälligsten die Arterien. Das Stroma der Chorioidea er-
scheint dabei meist normal; bisweilen ist wegen leichter Entfärbung
des Pigmentepithels an einzelnen Partien der Augenhintergrnnd heller
rosa. Ausgedehntere und hervortretendere Alterationen der Chorioi-
dea aber (wie weisse Flecke, schwarze Pigmentanhäufungen) kommen
ungemein selten vor. Im Glaskörper finden sich im späteren Verlauf
bisweilen Fädchen und Flocken: auch Trübungen am hinteren Pol der
Linse, die selbst zu vollständiger Katarakt führen können, treten als-
dann gelegentlich auf. Aeusserlich erscheint das Auge normal. Oefter
ist mir eine abnorm hohe Spannung aufgefallen. Ich kenne einen zwan-
zigjährigen Mann, bei dem sich zur Retinitis pigmentosa ein acutes
< rlaukom gesellte. Auch von Andern ist das Aufteten von secundären
Glaukomen beobachtet worden.
Im Beginn des Leidens fehlt bisweilen noch eine ausgeprägte
Pigmentirimg. Es kommen sogar Fälle vor, wrelche nur die charakte-
114.
284 Erkrankungen der Netzhaut.
ristische Geiassveränderung und Papillenatrophie neben den klinischen
Symptomen zeigen; man hat hier von einer Ket. pigmentosa sine pig-
menti) gesprochen. Bei einem derartigen Patienten konnte ich jedoch
sechs Jahre später (die concentrische Gesichtsfeldern engung und Am-
blyopie hatte inzwischen zugenommen) einige wenige Pigmentrlecke in
der Netzhaut nachweisen.
In den typischen Fällen sind — mit verschwindenden Ausnahmen —
beide Augen betallen. Die subjectiven Symptome bestehen an-
fanglich meist in Hemeralopie. Die Kranken klagen, dass sie im
Dämmerlicht sehr schlecht sehen, ja sich nicht mehr selbst zu führen
vermögen. Es ist ausserordentlich selten, dass diese auf Torpor retinae
beruhende Hemeralopie gänzlich fehlt; wenn derartige Patienten an-
geben, im Dämmerlicht besser zu sehen, so spielen zum Theil Blendungs-
erscheinungen, die auf Complicationen (z. B. partiellen Linsentrübungen
[Leber]) beruhen, dabei eine Bolle. Auch die Prüfung des Lichtsinnes
ergiebt den Torpor retinae. — Weiter kommt es zur Gesichtsfeldbe-
schränkung und zwar meist in der Form der concentrischen Ge-
sieh tsfeldeinengung, welche nicht immer dem Sitze der Pigment-
flecke entspricht. Das centrale Sehen bleibt anfänglich verhältniss-
mässig gut. So sind Kranke nicht selten, welche noch kleine Schrift
lesen, eine Sehschärfe von '/4 bis V2 haben und dennoch sich nicht
gut allein führen können. Ihr Sehvermögen ist dem eines Gesunden
vergleichbar, der bei Schluss des einen Auges sich vor das andere eine
Papiertüte hält: durch sie blickend kann er das gerade vor ihm Be-
findliche scharf sehen, das seitlich Gelegene ist ihm aber abgeschlossen
und damit die freie und schnelle Bewegung gehindert. In Ausnahme-
fällen ist die Gesichtsfeldeinengung nicht concentrisch, sondern es tritt
ein zonulärer Defect des Gesichtsfeldes ein (v. Graefe). Allmählich
verringert sich mit zunehmender Einengung auch das centrale Sehen
nie In- und mehr, bis es schliesslich zur Erblindung kommt. Ihr
Farbensinn wird erst in späteren Stadien herabgesetzt. Einmal habe
ich ausgesprochene Blau-Gelbblindheit beobachtet.
hie pathologisch-anatomischen Untersuchungen haben ergeben,
dass die Stäbchen- und Zapfenschicht besonders leidet (Leiter, Landolt). Bis-
weilen geht sie ganz verloren. Alter auch die inneren Schichten bis zur Ganglien-
schicht können zerstört werden. Am längsten hält sich die Nervenfaserschicht.
.Mit der Vernichtung der nervösen Elemente geht Hand in Hand eine starke
Hyperplasirung des Bindegewebes, speciell der Müll er 'sehen ßadiärfasern. Hie
Gefässe zeigen eine Verdickung ihrer Wandungen, welche ein homogenes glänzendes
Anseilen bieten i Seierose 1. In den Wandungen findet sich oft Pigment. Das
eigentlich Charakteristische dieser Att'ection. die Einlagerung von Pigment in die
Netzhaut seihst ist durch Einwanderung von pigmentirten Zellen oder auch Ein-
schwemmung 7011 diffusem Pigment veranlasst. Dasselbe nimmt von umschriebenen
Pigmentdegeneration der Netzhaut. 285
Stellen des Pigmentepithels seinen Ursprung, wo gleichzeitig Verklebungen
zwischen ihm und der Netzhaut stattfinden. Au einzelnen solchen Stellen
fehlt das Pigmentepithel vollständig, an anderen hat es seinen Pigmentinhalt ver-
loren. Da aber, wie ophthalmoskopisch erweislich, der Ausfall von Pigmentepithel
in den meisten Fällen nur massig ist, so niuss ein weiterer Wucherungsprocess
der Pigmentzellen in der Netzhaut selbst angenommen werden. Vielleicht be-
theiligen sieh auch noch die Gefässwände an der Bildung des Pigments. Aus-
nahmsweise sind entzündliche Processein derChorioidea gefunden worden (Bürste n-
bindeir). Der Sehnerv ist atrophisch, seine Fasern zeigen fettige Degeneration
Gt-uaita); schliesslich kann sich die Atrophie noch über das Chiasma fortsetzen.
Interessant sind für die Aetiologie dieser Krankheit die Befunde Berlin's und
Wagenmann's. Während ersterer. nach Durchschneidung des Sehnerven und
der Ciliargefässe hei Thieren eine Pigmenteinwanderung in die "Netzhaut constatirte,
erwies letzterer die alleinige Abhängigkeit derselben von der Durchschneidung
der Ciliargefässe. Circulationsstörungen könnten demnach für die Entstehung der
Ret. pigmentosa von Bedeutung sein, zumal sklerotische Veränderungen in den
Aderhautgefässen neuerdings nachgewiesen sind.
Vorkommen und Verlauf. Die AfFection kommt theils ange-
boren vor, theils wird sie in früher Jugend — etwa bis zum 10. Lebens-
jahre — erworben. Auch bei manchen Fällen angeborener einfacher
Amaurose findet sich in späteren Jahren die Pigmentdegeneration
i Mooren, Leber). Dieselbe macht den oben beschriebenen Ent-
Avickelungsgang der subjeetiven Störungen durch, meist mit einer all-
mählich zunehmenden Verschlechterung, sodass im 50. Lebensjahre die
Erblindung ziemlich vollständig ist. In anderen Fällen hingegen erhält
sich ein gewisses Sehvermögen länger, selbst dauernd. Ein von mir
beobachteter Patient, der bereits als 6 jähriger Knabe hemeralopische
Erscheinungen bot, hatte im 52. Lebensjahre noch S V3 bezw. 2/9 bei
einer eoncentrischen (iesichtsfeldeinengung bis durchschnittlich 10 Grad
um den Fixirpunkt. Zwei Brüder, von denen der jüngere als Soldat
gedient hatte, waren schon als Kinder hemeralopisch. Der eine, 37 Jahre
alt. hatte S 5/8 bezw. 5/12, der andere, 50 Jahre alt, S V7 bezw. 12/30.
Dabei war das Gesichtsfeld bei Tagesbeleuchtung frei, bei herabgesetzter
Beleuchtung aber eingeengt. Dass mit Ret. pigmentosa behaftete Indi-
viduen übrigens zum Militärdienste eingezogen werden, kommt öfter vor.
(Joinplicationen mit Nystagmus, Katarakt, angeborenen Missbil düngen,
mit Schwerhörigkeit sind nicht selten. Auch findet sich bei Taubstummen
öfter Pigmentdegeneration der Netzhaut.
Als Lrsache des Leidens ist zum Theil Erblichkeit anzuschuldigen,
auch in dem weiteren Sinne, dass andersartige, aber ähnliche Augen-
leiden bei den Eltern bestehen, z. B. einseitige Sehnervenatrophie. Bis-
weilen werden mehrere Kinder derselben Familie befallen, bisweilen
nur die Knaben, bisweilen nur die Mädchen. Liebreich hat auf das
Moment der Blutsverwandtschaft der Eltern aufmerksam gemacht. Der
2g6 Erkrankungen der Netzhaut.
Beweis ist allerdings schwer zu erbringen, da wir fürs Erste nicht wissen,
in welchem Procentsatz der Ehen überhaupt die Eheleute miteinander
verwandt sind. Aber auffällig erscheint immerhin die bei Nachfrage
häufig hervortretende Verwandtschaft der Eltern.
Bei Syphilis kann in späteren Stadien der Retinitis ebenfalls ein
ophthalmoskopisches Bild sich zeigen, das vollständig dem der typi-
schen Ret. pigmentosa gleicht. Allerdings sind diese Fälle ausser-
ordentlich selten; meist treten, wenn sich Pigmenteinlagerung in der
Netzhaut findet, ausgedehntere Veränderungen der Chorioidea (Ohorio-
Retinitis) hervor. — Auch sind einige Fälle einseitiger typischer Pigment-
entartung beobachtet. Ich selbst ihabe einen Kranken gesehen, der,
ohne vorhergegangene Lues, an einem Auge vollständig das geschilderte
Bild bot. In diesen letzteren Fällen ist aber der klinische Verlauf ein
abweichender, indem das Leiden ziemlich acut beginnt und auch die
concentrische Gesichtsfeldeinengung nicht immer in regelmässiger Form
ausgeprägt ist. Hemeralopie lässt sich jedoch nachweisen.
Einmal sah ich ein durchaus typisches Bild der Ret. pigmentosa, nur ilass
einige sehr feine weisse Linien sich in der Chorioidea (Chorioidealrisse) zeigten.
I >ie Erblindung bestand seit Kindheit. Es war nach den gemachten Mittheilungen
wahrscheinlich, dass die Ohorioidealrisse Eolgen einer unglücklichen Anlegung
der Kopfzange bei der Geburt waren. Welche Verletzungen dabei gelegent-
lich zu Stande kommen, zeigt ein Eall Steinheim's, bei dem der Bulbus in Folge
einer Zangenanlegung vollständig aus der Augenhöhle herausgetrieben war: ich
seil ist sah einmal eine Fractur des Oberkiefers mit seeundärem Ectropium.
Die Therapie ist im Ganzen machtlos. In einzelnen Fällen hat man
Nutzen vom constanten Strome (Dor), von Blutentziehungen (H. Pagen-
s t e eher), von Schwitzkuren (S chies s) und Stryehnininjeetionen gesehen.
In letzter Zeit habe ich, von der Idee ausgehend, dass es sich um Chorioi-
dealprocesse mit Hypertonie handele, in geeigneten Fällen die Sclero-
tomie gemacht und hiermit bisweilen einige Besserung erzielt.
6. Retinitis proliferans.
Ophthalmoskopisch sieht man bei der Ret. proliferans (Manz)
weisse, glänzende und faltige Hervorragungen auf der Netzhaut, die
gelegentlich zwischen sich den rothen Augenhintergrund durchscheinen
bissen. Die Blutgefässe liegen meist in der Tiefe der Falten und ent-
sprechen in Verlauf und Kaliber (Perivasculitis) nicht immer den nor-
malen Netzhautgefassen. Die Papille ist öfter nicht zu sehen, da sie
von den Wucherungen überdeckt ist. Von einer Netzhautablösung
unterscheidet sieh die AffectioD dadurch, dass die Kalten ganz steil
und scharf gegen den Glaskörper, wie ^Gebirgskämme* hervorspringen.
Netzhautablösung. 287
Auch das Verhalten der Gefasse weicht von dem bei Netzhautablösungen
ab; fcheilweise verlaufen sie zwar auf der Oberfläche der Neubildung,
zum Theil alter in dem Gewebe selbst. Fast immer sind Blutungen
in der Netzhaut und im Glaskörper vorhanden, es ist wahrscheinlich,
dass diese oft die Ursache der Bindegewfebs-Hypertrophirung bilden.
Die Iris ist bisweilen grünlich verfärbt. Das Sehvermögen ist herab-
gesetzt: Gesichtsfeld entsprechend defect. Die Affection kann sich zu-
rüekbilden. Jodkali, Schmierkur und Heurteloup'sehe Blutegel haben
sieh vortheilhaft erwiesen. In dem von Manz anatomisch untersuchten
Falle, wo schliesslich Phthisis sich ausgebildet hatte, entstand eine chro-
nische Entzündung der Netzhaut mit von ihrer Innenfläche ausgehenden
starken bindegewebigen Wucherungen mit Kernvermehrung; die ner-
vösen Elemente waren zerstört, die Netzhautgefässe etwas vermehrt.
\n anderen Fällen wurden ausgedehnte Veränderungen der Gefässwan-
dungen nachgewiesen (Purtscher).
7. Netzhautablösung (Amotio s. Sublatio retinae).
Ausgedehntere Netzhautablösungen sind ophthalmoskopisch besonders
gut im aufrechten Bilde zu erkennen. Wirft man Licht mit dem Augen-
spiegel in die Pupille und lässt nunmehr Bewegungen des Auges machen,
so sieht man schon aus einiger Entfernung (etwa 30 cm), wie die rothe
Farbe der Pupille bei gewissen Augenstellungen sich in Weiss oder Grau
verwandelt. Auch erkennt man bei etwas stärkerem Herangehen, event.
unter Zuhiilfenahnie von Convexgläsern, auf der weisslichen Partie
Gefasse (vgl. Farbendrucktafel). Da die abgelöste Netzhaut nach vorn
gerückt ist, so befindet sie sich in derselben Lage wie bei einem stark
nvpermetropischen Auge. Bei genauerer Einstellung zeigt sich die Farbe
grösserer Ablösungen meist nicht gleichmässig zart grau, sondern ent-
hält weissliche Striche und Streifen, welche der Faltenbildung in der
abgelösten Membran entsprechen. Auch beobachtet man in diesen Fällen
öfter ein Hin- und Herbewegen der Membran. Mit diesen Details lässt
sich eine Netzhautablösung sicher diagnosticiren. Die oben erwähnten
Farbenunterschiede allein, welche bei den Augenbewegungen hervor-
treten, können sich auch bei ausgedehnteren Chorioidealatrophien und
Aehnlichem zeigen.
Ist die Ablösung kleiner und gespannt, oder ist das hinter der
Netzhaut hegende Exsudat sehr durchsichtig, so treten sowohl Farben-
veränderung wie Faltenbildung nicht deutlich hervor. Hier muss die
Diagnose hauptsächlich aus der Niveaudifferenz zwischen anliegender
und abgehobener Netzhaut gestellt werden, am besten im umgekehrten
288 Erkrankungen der Netzhaut.
Bilde (-)- 13,0), indem man gerade den Rand der Ablösung einstellt
und nun die auftretende parallaktische Verschiebung beim Bewegen der
Convexlinse beachtet. Meist haben aueh die Gef as.se auf den abgelösten
Partien ein charakteristisches Aussehen: sie erseheinen dunkler, ohne
Reflexstreifeii und strangartig; an einzelnen Stellen tauchen sie auf, an
anderen werden sie undeutlich. Man muss in den Fällen seharfum-
sehriebener Ablösungen vorzugsweise an darunter sitzende Tumoren
oder an Cysticercus denken. Jedoch kommen sie auch vor als Produet
einer umschriebenen Chorioiditis, wie ich in einzelnen Fällen — nach
Wiederanlegung der Netzhaut — sicher constatiren konnte. —
Die Netzhautablösungen rinden sich bei längerem Bestehen vorzugs-
weise in der unteren Hälfte des Bulbus, indem selbst die früher nach
oben gelegenen durch Senkung des Exsudates eine Ablösung der unten
gelegenen Netzhautpartien zur Folge haben. Bisweilen hängt die abge-
löste Netzhaut schleierartig über der Papille und verdeckt sie theilweise
oder ganz. Bei totaler Ablösung, die aber meist wegen anderer secun-
därer Veränderungen nicht mehr ophthalmoskopisch gesehen werden
kann, sitzt die Netzhaut nur noch an der Papille und an der Ora serrata.
Sie bildet demnach eine Art Trichter, in welchem der geschrumpfte
Glaskörper liegt.
Risse in der abgelösteivNetzhaut sind durch die etwas umgeworfenen
Ränder und durch das Durchscheinen der röthlichen Chorioidea erkennbar.
Häufig sind auch Trübungen im Glaskörper vorhanden, zum Theil als
Flocken und in umschriebener Form erkennbar, zum Theil mehr diffus,
so dass ihr Vorhandensein vorzugsweise durch die Undeutlichkeit des
ophthalmoskopischen Bildes zu diagnosticiren ist.
Der subretinale Erguss ist meist seröser Natur (gelegentlich sieht
man Cholestearinkrystalle darin), sehr selten blutig oder gar eitrig. Der
blutige Erguss kennzeichnet sich durch die dunkelrothe, der eitrige
durch die gelbe Farbe der Ablösung.
Bei längerem Bestehen ausgedehnter Netzhautablösungen kommt es
in der Regel zu secundärer Starbildung — meist als geschrumpfte gelb-
lich-weisse Katarakt sich darstellend — und zu chronischer Iritis und Irido-
Cyklitis mit grasgrüner Verfärbung der Regenbogenhaut. Dabei wird
der Augapfel weicher, eilte Consistenzveränderung, die hei frischen
Ablösungen meist fehlt.
Bei frischen Netzhautablösungen findet man anatomisch besonders Verän-
derungen der Stäbchenschicht. Die Stäbchen zeigen Verbiegungen, Verlängerungen
oder völligen Zerfall. Später werden auch die inneren Schichten ergriffen, die
nervösen demente gehen unter Ilypertrophirurig des Bindegewebes zu Grunde. Die
Metzhaut ist alsdann meist stark gefaltet, mit Höhlungen durchsetzt. Das Pigment-
epithel hleilit, falls keine Chorioretinitis vorautfegiintfcn, auf der Chorioidea haften.
I öfters beobachtet man in schweren Fällen auch eine A b I ös« ng des G laskörpers
Netzhautablösung-. 289
von der Net/haut: der durch die Schrumpfung- dos (ülaskövnors zwischen ihm
und der Netzhaut entstandene freie Raum wird durch ein flüssiges Exsudat aus-
gefüllt Ewanoff). Auchkannder Glaskörper eine fibrilläre Degeneration zeigen
(Leber, N ordenson).
Die Sehstörungen stellen sich in der Kegel ziemlich plötzlich
ein. Die Kranken geben an, es hätte sich eine dunkle Wolke vor die
Gegenstände gelegt. Bisweilen halten sich einige Tage vorher Pho-
topsien (feurige Kugeln u. dgl.) gezeigt. Entsprechend der Stelle der
Ablösung findet sich eine Herabsetzung des Sehens. Oefter treten Ge-
sichtsfelddefecte, die bei Tageslicht nicht wahrnehmbar waren, erst her-
vor, wenn man bei herabgesetzter Beleuchtung prüft. Bei längerem
Bestehen kommt es meist zu einem ausgesprochenen Defect sogar für
quantitative Lichtempfindung. Das centrale Sehen pflegt, selbst wenn,
wie häutig, die Macula nicht direct in die abgelöste Partie fällt, eben-
falls bei einiger Ausdehnimg der Ablösung zu leiden. Daneben be-
steht ausgesprochener Torpor retinae, indem fast immer eine starke
Herabsetzung des Lichtsinns vorhanden ist. Auch Metamorphopsie wird
beobachtet. Störungen der Farbenwahrnehmungen sind nicht in allen
Fällen nachweisbar: öfter wird Grün mit Blau verwechselt (Dimmer).
Gelegentlich quälen subjeetive Farbenerscheinungen und besonders ein
der Ablösungsstelle entsprechendes Flimmern im Gesichtsfeld den
Kranken und können lange Zeit bestehen bleiben.
Der Ausgang einer Netzhautablösung in dauernde Heilung ist nicht
häutig: am ehesten ist sie zu erwarten bei umschriebener Ablösung in
Folge exsudativer Chorioiditis. Sie kommt hier durch die Besorption
der subretinalen Flüssigkeit zu Stande; in anderen Fällen kann auch
Durchbruch in den Glaskörper erfolgen. Aber auch durch Senkung
der Flüssigkeit können abgehobene Netzhautpartien sich wieder anlegen
und von Neuem funetioniren. Ausnahmsweise wechseln Anlegung und
Ablösung wochenlang beständig. Kleinere Ablösungen bleiben bisweilen
viele Jahre stationär, ohne dass eine erhebliche Verschlechterung des
Sehens eintritt. In der Mehrzahl der Fälle aber nimmt das Sehen immer
mehr ab und es kommt zur unheilbaren Erblindung.
Aetiologie. Als Ursachen der Netzhautablösung sind anzuführen:
1 1 Verletzungen. So stumpfe Gewalten, die den Bulbus treffen (etwa
abspringende Selterswasser- oder Champagnerpfropfen, Schlag mit
einem Holz u. ähnliches) : perforirende Wunden der Sclera, die bei starkem
Glaskörperverlust sofortige Ablösung veranlasssen oder sie auch noch
später, wenn die Netzhaut in die Narbe eingeheilt ist, durch Narben-
contraction bewirken. Selbst einfache Chorioidealrupturen können nach-
träglich noch zur Netzhautablösimg führen (Saemisch, Knapp). Auch
nach Starextractionen (besonders bei peripher . Wunde mit und ohne
3chmidt-Rimpler. 7. Auflage. 19
290 Erkrankungen der Netzhaut.
cystoide Vernarbung) sieht man gelegentlich nach längerer Zeit Netz-
hautablösung folgen. 2) Hochgradige Myopie. |In der Regel sind
Chorioidealveränderungen und Glaskörpertrübungerj vorhanden. Bis-
weilen werden beide Augen nacheinander befallen. 3) Acute Chorioiditis
mit serösem Erguss. 4) Tumoren sowohl der Netzhaut als der Cho-
rioidea veranlassen nicht selten eine subretinale Exsudation, welche die
Netzhaut abhebt. Die Diagnose 'auf Tumor wird durch stärkere Er-
höhung des intraocularen Druckes gestützt. 5) Retinale Cysticerken.
Die runde Form der Ablösung, eine eigentümlich schillernde weisse
Färbung an der Peripherie, Bewegungen des Wurmes, bisweilen auch
das Durchscheinen des Kopfes dienen zur Diagnose. 6) Retinitis albu-
minurica. 7) Entzündungen des orbitalen Fettgewebes. 8) Chronische
Ohorioiditen, Irido-Cykliten und Glaskörperleiden.
Aber in einer ganzen Reihe von plötzlich auftretenden Netzhaut-
ablösungen ist keines der erwähnten ätiologischen Momente nach-
weisbar. Bisweilen wird als nächste Veranlassung von alten Leuten
das Nehmen eines warmen Bades angegeben (Becker), öfter auch Er-
kältung. —
Die Entstehung der Netzhautablösung ist mechanisch nicht in
allen Fällen leicht zu erklären. Wenn Glaskörper in grosser Menge
abfliesst, so kann durch Exsudation seitens der Chorioidealgefässe oder
auch durch Blutungen die Netzhaut abgedrängt werden. Ebenso wer-
den dicke bindegewebige Stränge im Glaskörper, die sich bisweilen um
Fremdkörper oder auch sonst nach schweren Entzündungen (Iridocyclitis,
Eiterungen) bilden, wenn sie mit der Netzhaut in Verbindung stehen,
diese durch Zug von der Chorioidea abheben (H. Müller). Aber in
der Mehrzahl der ophthalmoskopisch diagnosticirten Netzhautablösungen
handelt es sich nicht um solche gröbere Veränderungen.
Zur Erklärung dieser häufigen Formen stehen sich zwei Theorien
gegenüber: die eine legt das Hauptgewicht auf eine primäre Altera-
tion des Glaskörpers, die andere auf eine Trans- oder Exsudation
seitens der Chorioidea. Leber, der im Glaskörper feine wellige
Fibrillen gefunden hat, die stellenweis zu starken Zügen verbunden,
sich an der Netzhaut ansetzten, nimmt an, dass diese Stränge sich bei
der Glaskörperschrumpfung contrahirten und dabei einen Riss in der
Netzhaut veranlassten. Durch diesen Riss sollte alsdann die präretinale
Flüssigkeit, die bei Glaskörperalilösung zwischen dem geschrumpften
Glaskörper in der Netzhaut liegt, sich hinter die Netzhaut ergiessen
und so die Ablösung bewirken. Gegen diese Anschauung aber spricht
zuerst, dass in einer Reihe von Fällen Netzhautrisse überhaupt fehlen,
wie unter anderem Horstmann's Zusammenstellungen erweisen. Im
üebrigeu können die Risse auch secundär durch Durchbrechen der sub-
Netzhautablösung\ 2lJl
retinalen Flüssigkeit in den G-laskörper entstehen; wie Elschning ge-
zeigt, geschieht »las besonders dort, wo die Chorioidea mit der Re-
tina entzündlich verwachsen ist. Ferner müsste nach dieser Theorie
die präretinale Flüssigkeit dieselben Eigenschaften haben wie die sub-
retinale: ich habe aber in einem Falle nachweisen können, dass scbon
frühzeitig im subretinalen Räume Cholestearinkrystalle waren, während
der ( rlaskörper sich davon vollständig frei zeigte. Auch ist die Senkung
der Flüssigkeit bei älteren Netzhautablösungen nur durch ihre grössere
specifische Schwere möglieh, und in der That hat sie, wie auch ich bei
Ablassung derselben öfter constatirte, einen stärkeren Eiweissgehalt ge-
habt. Dazukommt, dass die erwähnten anatomischen Befunde im Grlas-
körper sich nur bei älteren Fällen rinden. Wir müssen danach annehmen,
dass von der Chorioidea her der subretinale Erguss stammt. Der trübere
oft gemachte Einwand, dass hierbei eine intraoculare Druckzunahme
eintreten müsse, während bei Netzhaut- Ablösungen die Tension herab-
gesetzt sei, ist insofern schon nicht stichhaltig, als eben die Tensions-
abnahme sieh nur bei älteren Ablösungen findet, durchaus nicht bei
frischen. Im Uebrigen ist im Auge ein so treffliches Regulirungssystem
für den Flüssigkeits-Zu- und Abgang, dass die, durch die Chorioideal-
Exsudation bedingte Vermehrung des Augeninhaltes bald ausgeglichen
werden kann. Ebenso "wie aber, trotz des gegenwirkenden Glas-
körperdruckes eine blutige Netzhautablösung zu Stande kommen kann,
so auch eine exsudative. Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, dass bei
den verschiedenen Netzhautablösungen sowohl Exsudate wie Trans-
sudate eine Rolle spielen. Der Unterschied zwischen beiden, auf den
grösseren oder geringeren EiwTeissgehalt gegründet, ist schon pathologisch-
anatomisch nicht immer sicher zu machen. Meist dürfte es sich um eine
Exsudation handeln: nach Raehlmann regt das eiweissreiche Exsudat
der Chorioidea eine reichliche Diffusion vom Glaskörper her an, wo-
durch für die Xetzhautablösung Platz gemacht würde. Schnabel nimmt
als Ursache der Ablösung eine Secretionsneurose an.
Die Behandlung der Netzhautablösungen, besonders frischer und
nicht zu ausgedehnter, ist nicht so aussichtslos, wTie sie früher oft hin-
gestellt wurde. Jedenfalls ist ein Versuch dringend angezeigt und
führt bisweilen zu kaum erhofften Resultaten. Besserung des Sehens
wird ziemlich regelmässig erzielt; aber auch eine temporäre, bisweilen
selbst dauernde Wiederanlegung der Netzhaut kann erreicht werden.
Als einfachstes Mittel empfiehlt sich ein Druckverband auf das Auge
(Samelsohn), horizontale Bettlage und Schwitzen (Xatr. salicylicum
oder Pilocarpin-Injectionen), eventuell mit massiger Trockendiät. Die
ErklärimgswTeise, welche Samelsohn bezüglich des Nutzens des Druck-
verbandes giebt, scheint jedoch nicht zutreffend. Nach ihm ist bei einer
19*
292 Erkrankungen der Netzhaut.
plötzlichen Herabsetzung des Druckes im Glaskörper die unelastisch
gewordene Sclera nielit gefolgt und so die Exsudation zwischen
Chorioidea und Retina entstanden. Der Druckverband soll nun
gleichsam die Contractionsfähigkeit der Sclera unterstützen. Es
niiisste demnach eine Spannungszunahme die Folge sein. Man be-
obachtet aber gerade im Gegentheil, dass unter dem Druckverbande
der intraoeulare Druck auffällig herabgeht: die Augen werden weich.
( )efter treten hierbei graue strichförmige Trübungen der ( 'ornea, bis-
weilen fast wie kleine Falten aussehend, auf, die mit der verringerten
Cornealspannung in Verbindung stehen. Injection kleiner pericornealer
Gefässe findet sich ziemlich regelmässig. Es erscheint demnach annehin-
1 »arer, dass der Druckverband eine eingreifende Aenderung der Circulations-
ond Absonderungsverhältnisse veranlasst und hierdurch seinen oft deutlich
ersichtlichen, bessernden Eintluss ausübt.
Auch durch subconjunctivale Kochsalz-Einspritzungen, Heurte-
loup'sche Blutentzichungen und Ableitung auf den Darmkanal kann
man den Heilungsvorgang unterstützen.
Operative Eingriffe werden sich erst empfehlen, wenn obige Be-
handlung einige Zeit durchgeführt ist und sich als nutzlos erwiesen hat.
Am meisten Vortheil verspricht die ungefährliche Funktion der Sclera,
wie sie besonders von Alfred Graefe empfohlen worden. Nachdem man
sich genau über die Stelle der Netzhautablösung unterrichtet hat,
schneidet man die Conjunctiva ein und legt sich die Sclera, dort
wo die Netzhautablösung sitzt, unter entsprechender Drehung des Bulbus
bloss. An Stelle eines Graefe'schen Starmessers benutze ich jetzt
zum nunmehrigen Einstich in die Sclera ein kürzeres schmales Messer-
chen, das in einer Entfernung von 3 mm von der Spitze sich ver-
jüngt: hierdurch schafft man Baum zum Abfluss des subretinalen Ex-
sudates und ist sicher, nicht zu weit in das Augeninnere zu ^chen. Die
Conjunctivalwunde wird durch Naht vereinigt. In der Regel kann man
nach dieser Operation eilte partielle oder totale Anlegung beobachten:
doch hält sie leider nieist nicht Stand. Alsdann empfiehlt sich öftere
Wiederholung. Tiefere Eingriffe, die, wie die Wecker'sche Drainage
mit Golddraht einen dauernden Abfluss der Flüssigkeit, oder wie das
Schöler'sche, auf der Leber'schen Theorie basirte Einspritzen von
Jodtinctur in den Glaskörper eine Heilung des letzteren bewirken sollten,
sind selbst von ihren Erfindern wegen der öfter beobachteten gefährlichen
Folgen verlassen worden. Deutschmann hat, ursprünglich ebenfalls
auf der Leber'schen Theorie stehend, versucht, durch ein tiefes Ein-
gehen mit dem Graefe'schen schmalen Messer neben der ausgiebigen
Entleerung subretinaler Flüssigkeit auch noch die supponirten mikro-
Einbolie der Art. centralis retinae. 293
skopisehen Glaskörjperstränge zu durchschneiden. Wenn dies nicht ge-
nügte, hat er einen Tropfen Kaninchenglaskörperurnata („Glaskörper-
transplantation") mit physiologischer Kochsalzlösung in den Glaskörper
gespritzt, um diesen umzustimmen. Die Folge war eine mehr oder
weniger heftige Entzündung. Neuerdings hat Deutsehmann die er-
wähnte Theorie zwar aufgegeben, aber das Verfahren mit geringen
Modifikationen beibehalten. Jedenfalls ist vor einer zu ausgiebigen
Bearbeitung des Glaskörpers zu warnen. Am wenigsten bedenklich
erscheint «las Einspritzen der aus dem aufgehängten Glaskörper
austropfenden Flüssigkeit (die etwa die Zusammensetzung des Humor
aqueus hat) zum Zweck des Andrängens der Netzhaut an die Cho-
rioidea: diese Operation kann, wie ieh in einem Falle sah, ohne be-
sondere Reaction verlaufen.
Auch Eleetrolyse (Abadie), Galvanoeauterisation der Sclera sind
versucht worden. Dor hat durch sein, viele Monate lang fortgesetztes
Verfahren (absolut flache Bettlage, 36 Stunden Druckverband, 2 Mal
wöchentlich Heurteloup, wöchentliches Cauterisiren der Sclera an
3 bis 4 Punkten dort, wo die jNetzhautablösung sitzt, und wöchentlich
eine Einspritzimg, subconjunetival oder bei hinterem Sitz der Ablösung
innerhalb der Tenon'sehen Kapsel, von einer 20 bis 30°/0 Kochsalz-
lösung. J :, Pravazspritze) in einem erheblichen Procentsatz von Netz-
hautablösungen eine Heilung erzielt.
8. Embolie und Thrombose der Art. centralis retinae.
Ischaemia retinae.
Bei der embolischen oder thrombotischen Verstopfung der Art. cen-
tralis retinae erscheinen die Arterien und Venen abnorm eng. Besonders die
Arterien sind kaum als schmale, dünne, blasse und blutleere Fäden erkenn-
bar, dir sich bisweilen nur eine Strecke weit in die Netzhaut hinein verfolgen
lassen. In anderen Fällen — es hängt das von dem mehr oder weniger
vollständigen Verschluss des Lumens ab — hat man längere oder
kürzere Zeit nach dem Anfall in den Arterien einen miterbrochenen, in
einzelnen kleinen rothen Säulchen sich fortbewegenden Blutstrom ge-
sehen. Die Venen sind meist dicker als die Arterien und erscheinen
wie dunkle Stränge: auch in ihnen kann der Blutstrom in ähnlicher Weise
sich darstellen, wie in den Arterien. In anderen Fällen von v. Graefe,
und in einem von mir, war das Phänomen nur in den Venen nachweisbar.
Im Anfang des Leidens ist die Unterscheidung zwischen Venen und
Arterien nicht immer leicht.
Die Papilla optica ist meist blass. Einige Stunden oder mehrere
Tage nach dem Eintritt der Verstopfung zeigt sich eine leichte graue
294 Erkrankungen der Netzhaut.
Trübung der Netzhaut, die besonders die Umgebung der Papille und
die Macula lutea trifft. Der centralste Theil der letzteren erscheint als
ein blutrother kleiner Fleck, — es ist dieses Bild durchaus ähnlich
demjenigen, das mau an der Macula siebt, wenn in einem relativ frischen
Auge die Netzhaut anfängt, sich leicht cadaverös zu trüben: es tritt
dann in Folge des Contrastes die braunrothe Stelle der Macula (Netz-
haut und ( 'borioidea in situ) noch schärfer hervor. ( )et'ter dürfte es
sieb aber doch um eine Blutung in der Macula handeln, wenigstens
habe ich einige Male an der betreffenden Stelle später dunklere Pig-
mentirung und auch weisse Stippchen auftreten sehen: ganz ähnlich
wie man sie sonst nach Resorption von Blutergüssen beobachtet.
Das Sehvermögen schwindet plötzlich und vollkommen. Wenn die
Kranken den Eintritt der Erblindung beobachtet haben, so schildern
sie ihn so, dass eine schwarze Wolke sich vor das Auge gezogen habe.
Bisweilen gehen temporäre Verdunkelungen der vollkommenen Amaurose
einige Tage voraus; wahrscheinlich ist dies auf einen zeitweise oder
partiell verstopfenden und weiter geschwemmten Embolus zu schieben
(Mauthner).
In einigen Fällen wird nach einiger Zeit die Circulation wieder
frei, und es kann so zu einer Wiederherstellung des Sehvermögens
kommen. Meist aber entwickelt sich eine Netzhaut- und Seimerven-
atrophie: auffallender Weise bleibt hier noch oft ein nach aussen ge-
legener Sector der Gesichtsfelder frei, in dem in der Nähe Finger ge-
zählt werden können. In einem von mir beobachteten Falle trat am
folgenden Tage eine Irido-Chorioiditis auf, die ebenfalls auf einen em-
bolischen Ursprung (Embolie der Ciliargefässe) zurückführbar erschien.
Es sind zumeist Herzkranke mit Klappenfehlern, bei denen eine
Embolie der Art, centralis retinae anzunehmen ist, Fehlen Gründe für Ein-
scldeppung von Blutgerinnsel, so ist eine Thrombus-Bildung wahrschein-
licher. Nach Michel's Befunden kann dieselbe in Folge von Endarteritis
auftreten, oder als maranthische (bei Nierenschrumpfung und Fettherz),
septische oder Druckthrombose. Letztere kommt vorzugsweise in Betracht
bei retrobulbären Neuritiden mit Exsudationen, bei retrobulbären Blut-
ungen (II. Pagenstecher) oder nach Blutungen in den Sehnerv (Mag-
nus). Ich möchte annehmen, dass häufiger Thrombosen als Embolien als
der Arteria centralis vorliegen. Besonders dann ist daran zu denken,
wenn Jlerzaffectionen fehlen und durch Druck auf den Bulbus eine noch
weitere Verdünnung der massig engen Arterien nachweisbar ist: diesen
nicht vollständigen Blutabschluss trotz eingetretener Erblindung habe
ich mehrmal bei Albuminurie beobachtet. Auch durch vasomotorische
Einflüsse (Epilepsia retinae [Jackson]), die gelegentlich reflectorisch
von den Geschlechtsorganen angeregt werden können (Priestley
Einbolie der Art. centralis retinae. 295
Smith), z. B. im Wochenbett (Königstein), können ähnliche Zustände
hervorgerufen werden. Diese Affectionen unterscheiden sich jedoch
von der Embolie durch ihr doppelseitiges Auftreten. Auch die als
[schaemia retinae von Afred Graefe und Rothmund beschrie-
benen Fälle gehören hierher. Es bandelt sieh um doppelseitige, über
Nacht oder in ein paar Tagen auftretende Erblindungen resp. hoch-
gradige Amblyopien, bei denen die Arterien eine ausserordentliche Enge
bei sonst normalem Augenhindergrunde zeigten. Durch Iridectomie
oder Punktion der vorderen Kammer wurde die Heilung in diesen
Fällen angebahnt. —
Der anatomische Nachweis eines Embolus wurde zuerst in einem v. Graefe
klinisch beobachteten Falle durch Schweigger geführt. Später sind eine Keihe
ähnlicher Befunde, neuerdings von Manz, Elschnig und Wag&nmann, ver-
öffentlicht worden. In einem von mir untersuchten Falle begann die Verstopfung
der Art. centralis retinae bald nach ihrem Eintritt in den Opticus. Ein starker
neben der Centralarterie verlaufender Ast, der sich übrigens anatomisch in der
Regel findet (Schwalbe), war ebenfalls verstopft. Auch in einer Netzhautarterie
sass ein Embolus. Selbst die Art. ophthalm. zeigte an einzelnen Stellen grössere
Blutgerinnsel; kleinere, von ihr in der Nähe der Art. centralis retinae abzweigende
Aeste waren verstopft. — Es ist annehmbar, dass in Fällen, wo das ausgeprägte
Bild der Emolia art. centr. retinae bestand und dennoch innerhalb des Sehnerven
kein Embolus oder anderweitige Erkrankungen gefunden wurden (Hirschberg),
die verstopfende Masse wenigstens in der Nähe sass; centrale Verstopfungen der
Ophthalmica bewirken keine Störungen im Auge (Elschnig). Fälle von Throm-
ben en sind neuerdings anatomisch öfter nachgewiesen worden (Haab, Michel u. A.)
Ein doppelseitiges Auftreten der Verstopfung der Arter. centralis
isr äusserst selten beobachtet; man wird hier eher an thrombolische als
an embolisehe Processe denken müssen.
Bezüglich der Wiederherstellung der Blutcirculation in
der Netzhaut nach der Embolie oder Thrombose der Centralarterie ist
auf verschiedene Möglichkeiten aufmerksam gemacht worden. Die
nächstliegende ist die, dass der Pfropf zerfällt oder fortgeschwemmt
wird. Es würde alsdann der Bluteintritt wieder durch die Hauptarterie
erfolgen. Auch lehrt eine durch Sectionsbefund gestützte Beobachtung,
dass bei einem Embolus, der das Arterienlumen nicht vollständig füllt,
zuerst eine hochgradige Ischämie (wohl Folge einer durch die Verringer-
ung des Blutstroms bedingten zeitweiligen Arteriencontraction) zustande
kommen kann, die nach einiger Zeit wieder verschwindet (Schnabel).
Bei totalen dauernden Verstopfungen wird aber die Bildung eines
Collateral-Kreislaufs in Erwägung zu ziehen sein. Zur Erklärung des-
selben hat man auf die Gefässe des Zinn'schen Scleralkranzes, von
dem in der That bisweilen kleine Aeste in die Papille kommen, zurück-
gegriffen. Doch sind dieselben in der Regel nicht stark genug, um
einen ausgiebigen collateralen Blutzufiuss anzubahnen. Ich möchte mehr
296 Erkrankungen der Netzhaut.
auf den im Sehnerven parallel dem Hauptstamme verlaufenden kleineren
Ast der Art. centr. retinae hinweisen, der in der Norm nur bis zur
Lumina cribrosa geht. Ist dieser nicht verstopft — was dann der Fall
ist, wenn der Embolus oder Thrombus nahe dem Bulbus sitzt — , so
wird die ganze Brutmasse, welche in den Sehnerven tritt, hei einer Ver-
stopfung des Hauptastes in diesen Nebenast geAvorfen werden und ihn
ausdehnen; hierdurch sind die günstigsten Verhältnisse zur Ausbildimg
collateraler Verbindungen mit den papillären Gefässen gegeben. —
Auch Embolie, beziehentlieh Thrombose einzelner Arte-
rienäste, mit entsprechenden Gesichtsfelddefecten wurden gelegentlich
beobachtet. Man findet hier den betreffenden Arterienast verdünnt:
die versorgte Xetzhautpartie wird milchweiss (Saemisch), auch zahl-
reiche Blutungen (hämorrhagischer Infarct) können in ihr auftreten.
Die Therapie bezweckt, die Durchgängigkeit des Arterienrohres
wieder herzustellen.
Man hat zu diesem Zweck die Iridectomie oder Paracenthese em-
pfohlen. Die durch diese Operation beAvirkte Herabsetzung des intra-
ocularen Druckes wird einen vermehrten Blutzufluss bewirken; doch
kann man sich nur dann einen Vortheil davon versprechen, wenn das
Lumen der Centralarterie partiell frei ist; anderenfalls würden die Aende-
rungen im Augendrucke gar keinen Einfluss auf den Blutstrom in dem
rückwärts gelegenen Theil der Sehnervenarterie üben. Eher ist Erfolg
zu erwarten bei Verstopfung von Theilästcn.
Besser erscheint die frühzeitige Massage des Auges (Mauthner);
man hat in der That danach Wiederherstellung der Blutcirculation ein-
treten sehen. — Direct kann man auf den Embolus der Sehnerven-
arterie einwirken, wenn man — wie bei der Xeurotomia optico-ciliaris
— sich längs des Bulbus einen Zugang zum Sehnerven bahnt und mit
dem Schielhaken leichte Compressionen auf denselben ausübt. In einem
von mir in dieser Weise behandelten Falle trat nach einigen Tagen
Füllung und Blutcirculation in der Art. centralis wieder ein.
9. Glioma retinae.
Ein sehr auffälliges Krankheitsbild, das sieh vorzugsweise hei Kin-
dern findet, das „amaurotische Katzenauge" (Beer) wird in der Kegel
durch ein Gliom der Netzhaut bedingt. Man sieht hierbei aus der
Pupille <les Kranken einen gelbliehen Reflex, der hinter der Linse
-einen Sitz hat, hervorleuchten. Bei der Untersuchung mit focaler Be-
Leuchtung findet man im Glaskörper eine weissgelbliehe Masse, die mit
Blutgefässen durchzogen ist; letztere verästeln sich nicht in der für die
Netzhautgefässe charakteristischen Art. Auch kleine Blutungen trifft
Glioma retinae. 2i>7
man gelegentKch. Dabei kann das äussere Ansehen des erblindeten
Auges normal sein. Die Pupille ist gewöhnlich erweitert, doch kommen
auch enge und selbst durch Atropin schwer dilatirbare Pupillen vor: die
Iris ist bisweilen verfärbt. Das Sehvermögen wird meist sehr früh aufge-
hoben; in einzelnen Fällen erhält sich jedoch noch lange guter Lichtsinn.
< lefter gesellen sich Erscheinungen von seeundärem Glaukom hinzu:
Steigerung des intraokularen Druckes, starke Füllung der auf der Sclera
verlaufenden Venen. In anderen Fällen führt eine eitrige Chorioiditis
zur Phthisis bulbi; doch ist damit nicht eine Heilung des Uebels ver-
bunden, da sich später die Geschwulst wieder von Neuem vergrössert
(v. Graefe). Wächst das Gliom, so füllt es den Bulbusraum immer
mehr ans, setzt sich durch den Sehnerven nach hinten in das Gehirn
fort und kann auch am Hornhautrande oder durch die Sclera perforiren.
Schliesslich werden die übrigen Gebilde der Orbita mit ergriffen, bis-
weilen schon vor der Perforation, indem sich durch Propagation längs
der Gefässscheiden episclerale Tumoren bilden. Die knöcherne Orbital-
wand bleibt lange Zeit frei. Die Geschwulst — bisweilen hühnerei-
gross — bekommt ein röthliches, fleischartiges Aussehen und wächst
ans der Orbita heraus: von den einzelnen Theilen des Augapfels sind
alsdann nur noch Spuren wahrzunehmen. Selbst auf Durchschnitten
findet man hier nur durch die Reste der Sclera die frühere Gestalt des
Bulbus angedeutet. Aber selbst bei extraoeularer Fungusbildung kann
ausnahmsweise der orbitale Sehnerv intact bleiben (Schönemann).
In einzelnen Fällen weicht der Verlauf von dem oben geschilderten
ab. So kommt es vor, dass sich frühzeitig zu der Gesclrwulst eine Netz-
hautablösung hinzugesellt, die dann nach vorn gedrängt den Tumor ver-
deckt. Hierdurch wird die Diagnose erschwert. In einem derartigen
Falle habe ich schon Perforation der Sclera in Gestalt einer gelblichen
erbsengrossen Hervorwölbung gesehen, ehe die Geschwulst durch den
Glaskörper erkennbar war. Wie es sich nach der Enucleation zeigte,
sass die Hauptgeschwulstmasse in den vordersten ciliaren Theilen der
Netzhaut, in den hintersten Partien der abgelösten Netzhaut fanden
sich kleine, stecknadelknopfgrosse Nester, die aber nur in den äusseren
Schichten ihren »Sitz hatten; der Sehnerv war frei.
Um ein Gliom von einer Netzhautablösung zu unterscheiden, kann
man. abgesehen von den Faltungen, welche letztere, meist zeigt, auch
den Gefässverlauf benutzen. Bei der Netzhautablösung sieht man die
normale Verästelung der Netzhautgefässe, bei Glioma sind es neuge-
bildete, unregelmässig verlaufende, meist breitere Gefässe. Weiter ist
für die Diagnose verwerthbar die Tension: Drucksteigerung beim Tumor
gegenüber der Druckherabsetzung bei älteren Netzhautablösungen. Doch
kann auch dieses Kriterium versagen, wenn entzündliche Erscheinungen
298 Erkrankungen der Netzhaut.
>/.. 1). Iritis) zu letzterer hinzugetreten sind, die ebenfalls intraoculare
I >ruckernöhung hervorrufen. Diese Schwierigkeiten lassen es verständlich
erscheinen, dass die Seetion mancher wegen Gliom enucleirter Augen
andere Affeetionen, so Netzhautablösungen durch eine citrongelbe Flüssig-
keit (Greeff), subretinalen Cysticercus (v. Graefe), Fibrom der Sclera
(Saemisch), selbst Uvealerkrankungen mit Glaskörper-Infiltration finden
liess. Bezüglich letzterer Affection wird auf die Anamnese zu achten
sein: bei Gliom tritt der gelbe Reflex ohne vorhergegangene Entzim-
dungen auf.
Pathologische Anatomie. Die in Rede stehenden Geschwülste hat
Virchow zuerst als Grlioma retinae beschrieben; Hirschberg betonte, dass die
bösartigen intraoeulären Geschwülste der Kinder fast regelmässig Gliome wären
und von der Netzhaut ausgingen. Durch seine, v. Graefe's und Knapp's Ar-
beiten wurde besonders die klinische Uebereinstimmung mit dem „Markschwamm"
(Fungus haematodes s. medullaris) der alten Autoren festgestellt. Es handelt sich
makroskopisch um eine .weiche, markartige Geschwulst von weisslicher, bisweilen
leicht röthlicher Färbe, ähnlich dem Gliom des Gehirns. Sie wächst nach aussen
gegen die Chorioidea (Gl. exophytum) oder in den Glaskörperraum hinein (Gl.
endophytum).
.Man beobachtet in der Geschwulst Einlagerungen zahlreicher kleiner, rund-
licher Zellen, die theils den normalen Zellen der Körnerschicht gleichen, theils
leicht granulirt einen grossen Kern mit schmalem Protoplasmaring haben. Von
Grundstibstanz ist nur eine structurlose, feingekörnte Masse zu sehen: bisweilen
erkennt man in ihr ein Netz feiner Fäserchen. Der Ausgang der Geschwulstbil-
dung sind die Gliazellen der Netzhaut. Das zeigt sich besonders bei Färbungen
mit der Osmiumbichromat-Silbermethode von Golgi. Hierbei treten in Masse echte
Gliazellen (Spinnenzellen mit zahlreichen Ausläufern) hervor, daneben Ganglien-
zellen von verschiedener Grösse (Greeff, Hertcl). Da die Spinnenzellen nur in
der Nervenfaser- und Ganglienzellensehieht vorkommen, so würde anzunehmen
sein, dass sich hier auch das Gliom entwickelte. Doch sind noch an anderen
Schichten die ersten Ausgänge beobachtet worden; es handelt sich dann um ver-
sprengte Keime, wie Wintersteiner, der die Geschwulst als Neuroepitheliom be-
zeichnet hat, ausführt. Bei längerem Bestehen und starker Ausbreitung treten
grössere Gruppen von vorzugsweise spindelförmigen Zellen mit grossem Kern auf
Glio-Sarkom) ; auch Züge von Bindegewebsbündeln. Als Producte regressiver
Metamorphose findet man gelbbräunliche, breiige Massen, die stark verfettete Zellen,
Fettkrystalle, Pigmentschollen (zum Tlieil wohl von Blutungen herrührend) ent-
halten, selbst Verkalkungen. Setzt sich der Process in den Sehnerven fort, so
findet sich dort eine Einlagerung gliomatöser Zellen: diese sind aber der Form
nach nicht von den, in dem Opticus normal vorkommenden zu unterscheiden.
Leitend für die Annahme eines pathologischen Vorganges ist in zweifelhaften
Fällen die stärkere Zellen-Anhäufung in längeren Zügen oder an umschriebenen
Stellen. Auch durch die Sehnervenscheide kann die Propagation erfolgen.
Verlauf. Die Affection entsteht bald nach der Geburt oder in
den nächst darauffolgenden Jahren. Da im Beginn entzündliche Er-
scheinungen oder Schmerzen fehlen, so werden die Eltern meist erst
durch den gelben aus der Pupille kommenden Reflex aufmerksam. Im
Hyperämie der Chorioidea. 299
Laute eines oder einiger Jahre führt die Affection, wenn keine Hilfe
gebracht wird, in der Regel zum Tode, meist unter Auftreten von Meta-
stasen in den benachbarten Lymphdrüsen; im Gehirn, Leber, Nieren,
Knochen u.s. w. Nicht allzu selten werden beide Augen nacheinander
befallen. Auch mehrere Kinder derselben Familie (bei voller Gesund-
heit der Eltern) erkranken bisweilen an dem Leiden. Ich habe zwei nach-
folgende Söhne unter drei Kindern von (iliom befallen sehen.
Die Therapie besteht in der frühzeitigen Enukleation. Da trotz
scheinbar noch intraocularen Sitzes die ( reschwulst doch in den Sehnerv
sieh fortgesetzt halten kann, so ist von letzterem ein möglichst grosser
Theil zu exstirpiren. Wird frühzeitig enücleirt, so kann, wie eine Reihe
von Fällen erweist, dauernde Heilung erzielt werden. Sehr viel weniger
wahrscheinlich ist dies, wenn die Geschwulst bereits das anliegende Ge-
webe ergriffen hat: hier erfolgen theils locale IJecidive, theils tritt auch
trotz Ausbleibens derselben, durch Metastase der Tod ein. Man wird
al>er immerhin, wenn Metastasen noch fehlen und der Gesundheitszu-
stand des Kindes nicht bereits zu schlecht ist, den Versuch einer mög-
lichst reinen Exstirpation, eventuell mit nachträglicher Anwendung des
Glüheisens oder auch Herausnahme des Periostes machen müssen, da
selbst in derartig vorgeschrittenen Fällen einzelne Heilungen constatirt
sind. Sind beide Augen befallen, so ist die Prognose fast absolut
schlecht.
Fünftes Kapitel.
Erkrankungen der Chorioidea.
1. Hyperaemia Chorioideae.
Hier gilt noch in erhöhtem Maasse das, was bezüglich der Schwierig-
keiten, welche die Diagnose einer Hyperaemia retinae bieten, früher ge-
sagt worden ist. In einer Reihe von Fällen sehen wir wegen der starken
Pigmentirung des Epithels überhaupt nichts von den Chorioidealgefässen,
können also auch eine Hyperämie derselben nicht diagnosticiren. Nur
3()0 Erkrankungen »Irr Chorioidea.
bei geringer Piginentirung des Augenhmtergrundes, wie ßie vorzugsweise
bei blonden [ndividuen oder bei Albinos vorkommt, erkennen wir die
Chorioidealgefässe, [mmerhin ist es aber auch hier schwer, eine ver-
mehrte Füllung derselben zu constatiren, wenn nicht etwa der Vergleich
mit dem anderen gesunden Auge möglieh ist. Keinenfalls aber lasse
man sich verleiten, wie es von Anfängern manchmal geschieht, daraus,
dass bei Pigmentmangel der Augenhintergrund lebhaft roth erscheint
und die Gefässe deutlich hervortreten, eine Hyperämie zu diagnostieiren.
Eine umschriebene Röthung der Papilla optica — ohne Trübung des
anliegenden ( rewebes — kann für die Annahme einer Hyperämie, die bei
anderweitigen Erkrankungen des Uvealtractus eine gewisse Wahrschein-
lichkeit für sich hat, als unterstützendes Moment in's Gesicht fallen.
2. Chorioiditis exsudativa.
Bei der eigentlichen Chorioiditis kommt es zu Exsudationen und
zu Gewebsveränderungen.
Im Beginn mancher Affectionen handelt es sich nur um eine Aus-
schwitzung serösen Exsudates (Chorioiditis serosa), die bisweilen
keine deutlichen ophthalmoskopischen Veränderungen setzt. Doch sieht
man öfter die Netzhaut leicht ödematös getrübt mit fadenartig umge-
wandelten, dunkleren Gefässen, die ihren centralen Lichtreflex mehr oder
weniger verloren haben; besonders an der Papillengrenze tritt eine hier-
durch bedingte Verdickung derselben scharf hervor. In der Peripherie
können bereits flache Ablösungen erfolgt sein. Ferner beobachtet man
bei umschriebenen Processen eine manchmal scharf abgegrenzte kleine
Netzhaut-Ablösung. Erst im weiteren Verlauf erkennt man dann die
Gewebs- und Pigment- Veränderungen der Chorioidea. Die Kranken
klagen über Schlechtsehen, Metamorphopsie, Flimmern vor den Augen
u. dergl.
Ist die Macula lutea befallen, so erscheint sie im Beginn der Affec-
tion bisweilen wie leicht behaucht. Auch ist beachtenswerth das Fehlen
di's Lichtringes und einer schärferen Begrenzung und Absetzung gegen
die Umgebung, wie wir sie sonst bei der Betrachtung im umgekehrten
ophthalmoskopischen Bilde finden. Die Papilla optica ist oft hyper-
ämisch. Da aber diese Erscheinungen sich ebenso bei einer Retinitis
centralis finden, so wird für's Erste die Diagnose in suspenso bleiben
müssen. Sehr wahrscheinlich wird die Annahme einer Chorioiditis cen-
tralis, wenn an anderen Stellen bereits deutliche ( 'horioidealverände-
rungen vorliegen. Besonders häutig findet man bereits kleine Alterationen
in der Peripherie des Augenhintergrundes, während die Maculargegend
noch intacl erscheint.
Chorioiditis exsudativa. 301
Dass man auch ohne ophthalmoskopische Befunde an der Cho-
rioidea bei Glaskörpertrübungen, die sich mit [ritis compliciren; eine
Chorioiditis zu diagnosticiren gewohnt ist. wird später (vergl. Irido-
Chorioiditis und Glaukom) ausgeführt werden.
Die ophthalmoskopisch sicher zu diagnosticirende Chorioiditis (Cho-
rioiditis plastica") charakterisirt sich im Grossen und Ganzen dadurch,
dass das gleichmässige Roth des Augenhintergrundes durch andersfarbige
Flecke unterbrochen wird. Es erscheinen weisse, gelbliche, rothgelbliche,
dunkelrothe Partien, neben grauen und schwarzen (vgl. Farbendruck -
tafel). Oft sind die weissen Flecke von schwarzen Rändern umgeben.
Bisweilen rinden sich nach abgelaufener Chorioiditis feine, weisse, meist
verästelte Streifen (Chorioiditis striata), die einen schwarzen Saum zeigen.
Sie können auch etwas erhaben sein. Bei den weissen Streifen,
die durch Veränderungen der Retina bedingt wird, pflegt die Rand-
Pigmentirung zu fehlen. Gelegentlich kann auch eine leichte Hervor-
hebung der Netzhaut durch das Chorioideal-Exsüdat veranlasst werden.
Dabei besteht nicht selten, namentlich wenn der Process acut ist, Hyper-
ämie der Papille. Die Form der Flecke wechselt zwischen solchen, die
bei der Untersuchung im umgekehrten Bilde mit convex 13-0 kaum
als feine Punkte erkennbar sind und solchen, welche die Grösse der
Papille weit überragen. Bisweilen sind sie rund, bisweilen unregel-
mässig gestaltet oder strichförmig. Auch die Lage ist verschieden.
Zuweilen findet sich die Erkrankung nur um die Macula herum (Cho-
rioiditis centralis): es zeigt sich hier öfter ein röthlicher Fleck von
rundlicher oder unregelmässiger Form, auch erhaben, der später abblasst
und kleine schwarze Pigmentstriche zu Tage treten lässt. Gelegent-
lich ist man zweifelhaft, ob eine maculare Blutung die in der Umgeb-
ong deutlicheren Chorioidealveränderungen (gelbliche und schwärzliche
Flecke) complicirt. In anderen Fällen nehmen die Veränderungen einen
grossen Theil des Augenhindergrundes ein, in wieder anderen Fällen
sind sie auf den Aequator des Bulbus beschränkt (äquatoriale
Chorioiditis).
Von der gewöhnlichen Chorioiditis exsudativa hat man bestimmte
Arten ausgeschieden, die sich durch die Eigenartigkeit des Auftretens
und der Form auszeichnen.
1) Chorioiditis disseminata. Hier bilden sich die Flecke in
besonderen umschriebenen Herden, die in der Regel nicht allzu gross
und durch normal erscheinendes Gewebe von einander getrennt sind.
Es handelt >ich meist um weissliche und gelbliche Flecke, die zum
Theil einen schwärzlichen Rand haben, oder auch um einfach schwarze
Fleck'-.
- Chorioiditis areolaris (Förster). Das Centrum des Er-
302 Erkrankungen der Chorioidea.
krankungsherdes ist die Macula. Die jüngsten Bildungen erscheinen
kohlschwarz und rundlich, während allmählich <'ine Entfärbung eintritt,
so dass die älteren Flecke weisslich aussehen und nur noch einen
schwarzen Ring zeigen. Aubert hat bei dieser Art der Chorioiditis
im Stroma. der Aderhaut rundliche Knoten gefunden, welche der Netz-
haut zugekehrt sind. Diese zeigen an ihrer Oberfläche bisweilen kleine
Vertiefungen, in welche die verdünnte und atrophische Netzhaut hinein-
gezogen ist. Der Knoten besteht aus einem dichten Fasernetz mit
zelligen Elementen. In der Umgebung der Knoten und zum Theil auf
ihnen rindet sich dunkles, in Zellen eingeschlossenes Pigment.
3) Chorioiditis syphilitica. Sie ist dadurch charakterisirt, dass
besonders in der Aequatorgegend sehr kleine dunkle oder auch weiss-
liche Flecke auftreten. Daneben besteht meist eine feine, staubförmige
Trübung des Glaskörpers. Die Complication mit Retinitis (siehe S. 271)
ist häufig. Aus dem Befunde kleiner' äquatorialer Flecke allein ist die
ätiologische Diagnose nicht zu stellen.
Mit grösserer Wahrscheinlichkeit kann man hereditäre Syphilis
diagnosticiren, wenn man bei Kindern Chorioiditis areolaris oder disse-
minirte rundliche helle Herde mit Pigmentumsäumung oder auch schwarze
Pigmenthaufen und -striche constatirt, zumal wenn dabei Abblassung
der Sehnervenpapille besteht (Hirschberg, Antonelli, Silex). Auch
bei Keratitis parenehymatosa luetica rindet, man als Complication öfter
eine Chorio-Eetinitis.
4) Chorio-Retinitis. Wenn auch bei den vorgenannten Formen
die Mitbetheiligung der Netzhaut durch die Herabsetzung der Sehschärfe,
erwiesen ist, so thut man gut, den Namen Chorio-Retinitis flu* die Er-
krankungen festzuhalten, bei denen wirklich die eigentliche Netzhaut
(und zwar nicht nur das Pigmentepithel) ophthalmoskopische Verände-
rungen zeigt. Abgesehen von Trübungen, etwaigen Blutergüssen oder
seeundären Veränderungen (Atrophie der Netzhaut mit Dünnheit der
Blutgefässe und Atrophie der Papille), sind es besonders schwärzliche
Pigmenthaufen, die bei länger bestehenden oder schweren Formen von
Chorioiditis in die Netzhaut gelangen. Da ophthalmoskopisch nicht
direct zu sehen ist, ob das Pigment in der Netzhaut oder in der Cho-
rioidea liegt, so muss man sich daranhalten, ob das Pigmenl an irgend
einer Stelle einem Netzhautgefässe aufsitzt und dasselbe partiell verdeckt.
Gewöhnlich sind ausserdem noch diffuse Veränderungen der Chorioidea,
wie Ent- und Verfärbung grösserer Partien und Ansammlung kleinerer
oiler grösserer Pigmentflecke, sichtbar.
Von der Retinitis pigmentosa unterscheidet sich die Chorio-Retinitis
ophthalmoskopisch dadurch, dass bei letzterer eben die erwähnten
Chorioidealveränderunffen nachweisbar sind, während bei der Retinitis
Chorioiditis exsudativa. 303
pigmentosa die Cliprioidea im Ganzen intact erscheint. Auch die eigen-
fchümliche Form der Pigmentirung in Gestalt kleiner Striche, Punkte
oder Knochenkörper ähnlicher, verzweigter Figuren, weiter die gelblich-
wachsartige Atrophie der Papille mit den engen Grefässen giebt der Ke*
riiütis pigmentosa ihr eigenartiges Gepräge» Ferner die oben erwähnten
klinischen Erscheinungen. Aber dennoch kommen, wie ebenfalls bereits
angeführt, auch vereinzelt Fälle von ophthalmoskopisch typischer Reti-
nitis pigmentosa vor, die klinisch eigentlich in das Gebiet der Chorio-
lvetiniris gehören.
Von pathologisch-anatomischen Veränderungen bei Chorioiditis seien
folgende erwähnt. Auf der inneren Oberfläche der Glaslamella finden sich öfter
Herde von farblosen Zellen, weiter amorphe Exsudatmassen, in welche Kerne ein-
gesprengt sind, und später Wucherungen hyalinen Bindegewebes. Ist das Epithel
seines Pigmentes beraubt, so werden sich diese Herde als hellere, gelblichrothe
Flecke in dem normalen Roth des Augenhintergrundes zu erkennen geben. An
anderen Stellen zeigt das Pigmentepithel starke Wucherungen, so dass schwarze
Flecke entstehen. Die Chorioidea ist mit lymphoiden Zellen durchsetzt. Die Netz-
haut verklebt mit derselben und ihre äusseren Schichten können zu Grunde gehen;
dass Epithel dringt bis tief in sie hinein. In anderen Fällen bildet sich ein
Schwund der Chorioidea und narbige Einziehung, in welche das hypertrophirte
Bindegewebe der Netzhaut hineinwächst. Daneben wiederum Pigmenthypertro-
phirungen. Die atrophischen Partien haben ein helleres Aussehen, als die zuerst
angeführten : bisweilen sieht man grössere Chorioidealgefässe in ihnen verlaufen.
Ist der höchste Grad der Atrophie erreicht, so bildet die Chorioidea nur ein äusserst
feines bindegewebiges Häutchen, durch welches die Sclera bläulichweiss durch-
scheint. Aber auch fettige Degeneration kann eintreten, sowohl in dem Pigment-
epithel, wie in den Stromazellen der Chorioidea. Die Gelasse zeigen ebenfalls
Veränderungen ihrer Wandungen, öfter Seierose.
Bei älteren Personen finden sich mikroskopisch häufig warzenartige Hervor-
wölbungen der Glasmembran der Chorioidea (Drusen), welche das Pigment-
epithel vor sich her drängen. Bisweilen lösen sie sich ganz von ihrem Mutterboden
und dringen bis tief in die Netzhaut hinein. Ophthalmoskopisch sind sie wegen
ihrer Kleinheit selten zu sehen: sind sie sichtbar, so erscheint der betreffende
Theil des Augenhintergruncles (Peripherie und Umgebung der Papille) mit
kleinen weissgelblichen Punkten besetzt. Das Fehlen von Sehstörungen und
sonstigen Chorioidealveränderungen sichert die Diagnose.
Symptome. Eine der häufigsten und ersten Klagen der Patienten,
die an Chorioiditis leiden, ist die über Flimmern; sie vergleichen es
off mir der Bewegung erwärmter Luft. Die Herabsetzung der Sehschärfe
ist nicht immer bedeutend; sie kami sogar ganz fehlen, wenn die Ver-
änderungen in der Peripherie sitzen. Hier handelt es sich nur um
kleinere Ausfälle im Gesichtsfelde, wie sie durch die disseminirten Herde
bedingt sind. Diese lassen sich meist am besten eruiren, wenn man
zur Prüfung ein mit kleinen Punkten bedecktes Papier nimmt und nun
hei entsprechender Xähe (12 bis 15 cm) die ausfallenden Punkte be-
zeichnen lässt. Bisweilen treten rmgförmige Defecte um den Fixations-
304 Erkrankungen der Chorioidea.
punkt herum auf. Ist die Affection central, so ist die Herabsetzung
der Sehschärfe1 bedeutender, es kommt sogar zu positiven centralen
Skotomen. < Jefter wird über Mikropsie, Metamorphopsie, selbst über
Doppelseben geklagt. Der Farbensinn ist in der Regel erbalten; doch
kommen auch Farltenskotome vor (selbst für blau). Der Lichtsinn ist
meist herabgesetzt; stets erheblich, wenn es sich um seröse Netzhaut-
durchtränkung handelt. — Wenn der Proeess zur Heilung gekommen,
so kann auch das Sehvermögen wieder normal werden. Dasselbe steht
dann oft in einem auffälligen Missverhältnisse zu dem mit schwarzen
und entfärbten Stellen übersäeten Augenhintergrunde. Von anderweitigen
Veränderungen sind Glaskörpertrübungen als nicht selten zu nennen.
In einzelnen Fällen kommt es auch zur Netzhautablösung oder Cataract-
bildung. Aeusserlich erscheint das Auge meist normal; bisweilen nur
ist eine leichte Injection und Reizbarkeit zu constatiren. Xoch spiit
kann Iritis hinzutreten.
Die Diagnose der Chorioiditis ist im Beginn nicht immer leicht
zu stellen, wenn, wie bei der Chorioiditis serosa und der Chorioiditis
circa maculain erwähnt, ophthalmoskopisch keine deutlichen Verände-
rungen des Chorioideal-Gewebes nachweisbar sind, trotz bereits vor-
handener Herabsetzung der Sehschärfe. Findet man aber Hyperämie der
Papilla optica und wird über Flimmern geklagt, so ist bei Ausschluss
anderer, besonders neuritischer Processe eine Chorioiditis wahrscheinlich.
Jedenfalls wird man hier auch bei erweiterter Pupille ophthalmoskopiren
müssen, um etwaige peripher sitzende Chorioidealveränderungen oder
auch Glaskörpertrübungen — wodurch die Diagnose gestützt würde —
nicht zu übersehen. Die ausgeprägten Formen der Chorioiditis sind
leicht zu erkennen.
Bei voller partieller Atrophie der Chorioidea scheint die Sclera in
einzelnen scharfumgrenzten Flecken weisslicb durch, und man sieht deut-
lich die darauf verlaufenden, öfter pathologisch veränderten Gcfässe.
Die Prognose ist immer bedenklich. Kommt der Fall ganz frisch
zur Behandlung, so ist am ehesten Heilung zu erwarten, Avenngleich die
Krankheit langwierig ist und meist viele Monate, selbst über ein Jahr
lang dauert. Bisweilen ist ein Auge fast verloren, ehe der Patient den
Arzt befragt, da erst das Befallensein des zweiten Auges ihn aufmerk-
sam macht. Ebenso ist es nicht selten, dass nur über Sehschwäche
eines Auges geklagt wird, während das andere trotz guter Sehschärfe
ebenfalls von der Krankheit bereits ergriffen ist.
S.lhst ausgeprägte positive Skotome im centralen Sehen können
zurückgehen. Doch bleibt immer eine Neigung zu Rückfällen; bisweilen
stellen sieh dieselben erst nach Jahren ein. Ebenso schwindet ofl die Heme-
ralopie trotz wiedererlangten vollen Sehvermögens nicht.
Chorioiditis exsudativa. 305
Hat der Process bereits längere Zeit bestanden, so sind die Aus-
sichten auf Heilung gering-, wenngleich eine gewisse Besserung öfter
erzielt wird. Ist er abgelaufen — wir erkennen dies daraus, dass das
Sehvermögen längere Zeit stationär geblieben — , so ist irgend eine er-
hebliche Besserung meist ausgeschlossen, um so mehr, wenn etwa Dünn-
heit der Netzhautgefässe oder blasse Farbe der Papilla optica eine
Atrophie der nervösen Elemente erkennen lässt.
Die Ursachen der Chorioiditis bleiben häufig im Dunkeln. Abge-
sehen von Lues ist am ersten noch ein Zusammenhang mit hochgradiger
Myopie (Staphyloma posticum) zu statuiren, zu der sich besonders oft
eine Chorioiditis circa maculam gesellt. Sonst findet man die Aftection
sowohl bei anämischen, als bei zu Congestivzuständen geneigten Per-
sonen. Sie kommt sowohl in den Entwickelungsjahren, wie im höheren
Alter vor. Auch bei Leberkranken ist sie beobachtet (Baas).
Die Behandlung muss in acuten Fällen, wo die Sehschärfe ge-
litten, energisch sein. Am besten ist hier, wenn die Constitution es
irgend zulässt, längerer Aufenthalt in verdunkelten Räumen und Schmier-
kur oder subcutane Sublimatinjection (0-01 pro die). Wo Lues zu Grunde
liegt, ist dies unerlässlich. Auch selbst bei Chlorotischen wende ich unter
gleichzeitigem Gebrauch eines milden Eisenwassers (z. B. pyrophosphor-
saures Eisenwasser) Quecksilber ATorsichtig an. — Im Ganzen habe ich
gefunden, dass die ebenfalls brauchbaren Schwitzkuren durch Pilocar-
pininjeetionen oder mit Xatr. salicylicum (1 Gramm morgens mit vielem
wannen Wasser genommen) mehr die Constitution angreifen und eher
schwächend auf das Nervensystem wirken, als die Mercurialien. Bei
Vollblütigen kann man Heurteloup'scheBlutegel an die Schläfe setzen,
etwa alle -4 bis 6 Tage. Local wird Atropin angewandt; subconjuneti-
vale Kochsalzinjectionen bringen auch bisweilen Xutzen. Die Kur ist
auf 4 bis 6 Wochen zu berechnen. Ist alsdann noch nicht Heilung er-
folgt, so muss man mit dem Quecksilbergehrauch dennoch — etwa in
kleineren Dosen und innerlich — fortfahren. Auch halte man den
Kranken noch lange Zeit nachher sehr vorsichtig: er soll möglichst
Monate lang das Arbeiten mit den Augen (Lesen u. dergl.) aufgeben,
sich vor grellem Licht, vor Erhitzungen, Kopfcongestionen u. s. w.
schützen.
Besteht das Leiden bereits längere Zeit und ist es zu einem ge-
wissen Stillstande gekommen, so werden mildere und allmählich wirkende
Mittel am Platze sein. Neben der entsprechenden Augenschonung der
innerliche Gehrauch kleiner Dosen von Sublimat oder Jodkali: bei
anämischen Individuen Jodeisen.
E> ist übrigens oft schwer zu sagen, ob eine Chorioiditis bereits
so weit abgelaufen ist, dass sie den Heilagentien unzugänglich bleibt.
- hmidt-Rimpler. 7. Auflage. 20
306
Erkrankungen de* Choriojdea.
Kann der Patient keine genügende Auskunft über das Verhalten seines
Sehvermögens in der letzten Zeit geben und fehlen Keizerscheinungen
(z. B. Flimmern i, so wird man sich vorzugsweise nach dem Aussehen
der Papilla optica richten müssen. Ist dieselbe hyperämisch, so wird
immerhin Antiphlogose zu versuchen sein.
Sind die entzündlichen Erscheinungen vorüber, so wirken Strychnin-
injeetionon bisweilen vorteilhaft durch ihren Einfluss auf die geschwächte
Erregbarkeit der Netzhaut.
115.
3. Staphyloma posticum, Sclerectasia posterior, Conus,
Sclerotico-Chorioiditis posterior.
Den Typus dieser vielnamigen Affection bildet eine weisse Sichel,
die sich dicht der Papilla optica, und zwar meist nach der Macula
zu gelegen, anschliesst (Figur 115 und Farben-
drucktafel). Es entsteht gewissermaassen eine halb-
mondförmige Verbreiterung der normalen Scleral-
oder Bindegewebsgrenze, so dass in der That Fälle
vorkommen, bei denen es zweifelhaft ist, ob es sich
um eine etwas verbreiterte Seleralgrenze oder um
eine Affection handelt, die eine der obigen Be-
zeichnungen verdient. Ist der Process vorgeschrit-
ten, so kann die Sichel eine ganz beträchtliche
Breite zeigen; sie wird in der Quere selbst grösser
als der Papillendurchmesser. Weiter sitzt bis-
weilen die weissliche Verfärbung nicht nur einer
Seite der Papille auf, sondern sie umgiebt die
ganze Peripherie der Papille, so dass man von
einer eigentlichen Sichel nicht mehr sprechen kann
(Figur 116). Allerdings pflegt die grössere Breite
immer der Macula zugekehrt zu bleiben. Die Farbe
ist theils weiss, theils mehr bläulichweiss oder hellrosa-, auch zeigen oft
die einzelnen Partien verschiedene Färbungen. Eingestreute schwarze
Pigmentflecke oder sichelförmige Pigmentlinien sind häufig (Figur U6
und Farbendrucktafel). Auch einzelne Chorioidealgefässe können auf
den entfärbten Stellen sichtbar werden. Die Netzhautgefässe gehen
unverändert über dieselbe fort. Die Abgrenzung der Sichel gegen das
normale b'otli des Augenhintergrundes ist mehr oder weniger scharf. Ist sie
vollkommen scharf (öfter findet sieh an der ( | renze ein schwarzer Pigment-
streifen), so spricht dies für ein gewisses Abgeschlossensein desProcesses
(stationäre- Staphylom); linden sieh bereits ausserhalb der Grenze
116.
Staphyloma posticum. ;;o,
kleinere Veränderungen in der Färbung imd Pigmenthuing, so ist ein Fort-
schreiten zu befürchten. Bisweilen sieht man an demselben Staphylom noch
die durch zurückgebliebene Pigmentstreifen angedeuteten früheren Gren-
zen. Die Papilla optica ist meist ungewöhnlich rotb; es rührt dies znmTheil
von dem L'ontrast gegen die weissliche rmgehimg her, zum Theil sind
auch wirkliche Hyperämien der Papille vorhanden. Ferner erscheint
die Papille bei ausgedehnten Staphylomen verkleinert, besonders in ihrem
queren Durchmesser. Es beruht dies auf der Schiefstellung der Papille,
welche durch die starke Ausdehnung der Sclera in der Gegend dr^
hinteren Augenpols bedingt ist. Bisweilen ist die weissliche Partie nach
hinten ausgebogen und excavirt: es besteht also eine umschriebene
Sclerectasie. Hierüber geben die für Niveaubestimmung uns zu Gebote
stehenden ophthalmoskopischen Hilfsmittel Auskunft.
( 'omplieationen mit Chorioiditis an entfernteren Stellen des Augen-
hintergrundes, besonders aber an der Macula, sind nicht selten. Auch
Glaskörpertrübungen, sowie Netzhautablösungen gesellen sich in einzelnen
Fällen hinzu. Ebenso kann an der Papille durch intraoeulare Druck-
steigerung ausnahmsweise eine glaukomatöse Excavation zu Stande
kommen.
Der Anfänger im Uphthalrnoskopiren ist öfter geneigt, die weiss-
liche Umgebung zur Papille selbst zu reebnen, so dass ihm in diesen
Fällen die Papille -ungewöhnlich gross" erscheint. Eine genauere Be-
trachtung wird aber die Abgrenzung der Papille, welche immer einen
etwas rötheren Farbenton zeigt, von dem Staphylom erkennen lassen.
Die kleinen Coni, wenn sie nicht angeboren sind, entstehen meist
durch Herauszerren der Sehnervenfasern über den abgestumpften macu-
laren Scleralraiid, ein Vorgang, der durch die Verlängerung der Augen-
achse bei fortschreitender Myopie veranlasst wird; die grösseren sind
Ausdruck einer Dehnungsatrophie der Chorioidea. Zuerst pflegt
das Pigmentepithel sich zu verändern, es nimmt unregelmässige Forma-
tionen an und schwindet schliesslich bis auf wenige Eeste. Alsdann
geht das Chorioidealstronia und die Choriocapillaris mehr oder weniger
zu Grunde. Schliesslich bleibt nur noch eine ganz dünne Membran, in
der man neben Bindegewebszügen noch die Glasmembran und vielleicht
einzelne Gefässe erkennt. Die Netzhaut gebt meist intact über das
Staphvlom fort.
In anderen Fällen handelt es sieb jedoch um wirklich entzündliche
Processe, die mit Apoplexien und Exsudationen einhergehen. Dieselben
compliciren nicht zu selten die Dehnungsatrophie.
TJeber die weiteren anatomischen Veränderungen, welche sich bei
dem Staphyloma posticum finden, sowie über die ursächlichen Momente
habe ich in dem Kapitel _Myo-pie- 'S. 74; bereits gehandelt. Daselbst ist
20*
308 Erkrankungen der Chorioidea.
auch erwähnt, dass der ('onus wohl meist, aber nicht immer an myo-
pischen Augen beobachtet wird.
Es wäre wünschenswerth, wenn man sich über die Verwendung der
verschiedenen Namen für die einzelnen, gut unterscheidbaren Processe
einigte. So könnte man die einfache, kleine weisse Sichel, sei sie an-
geboren oiler später einstanden, als „Conus", die grösseren erworbenen
Ectasien als rSclerectasia posterior" und die mit eigentlich chorioi-
ditischen Veränderungen verbundenen als „Sclerotico-Chorioiditis
posterior" (v. Graefe) bezeichnen. Will man die umschriebene Ectasie
neben der Papille noch besonders betonen, so würde der Ausdruck
„Staphyloma posticum" verwendbar bleiben.
Die Behandlung dieser Affectionen, sowie die Mittel, einem Fort-
schreiten derselben vorzubeugen, haben bei der Myopie ihre Besprechung
gefunden. Ist Chorioiditis daneben vorhanden, so ist die bezügliche
Therapie einzuschlagen.
4. Blutungen in der Chorioidea. Ablösung der Chorioidea.
Die Blutungen in der Chorioidea stellen sich als braunrothe
Flecke dar. Auf ihre Farbe hat die Intensität der Pigmentirung des
Epithels Einfluss. Liegen sie gerade an Stellen, wo Netzhautgefässe
verlaufen, so können die letzteren auf ihnen — zum Unterschiede von
Netzhautblutungen — noch sichtbar sein. Ferner ist für gewisse Fälle
ausschlaggehend die Form der Blutungen: einzelne Striche kommen nur
bei Netzhautapoplexien vor; doch zeigen andererseits letztere auch
häufig genug die Form von Flecken. Traumen sind meist Veranlassung
dazu; kleinere Blutungen entstehen auch spontan oder bei Chorioiditis.
Starke Blutergüsse können durch die Netzhaut in den Glaskörper durch-
brechen.
Die Ablösungen der Chorioidea von der Sclera sind ähnlich
wie die der Netzhaut durch ein blasiges Hervorragen der abgelösten
Partie in den Glaskörper charakterisirt: doch fehlen die Falten und das
Flottiren des betreffenden Theils. Sie haben in der Pegel eine mehr
rothe Färbung und wenn das Pigmentepithel weniger intensiv gefärbt
ist, sieht man auch die Chorioidealgefässe anter der Netzhaut. Die
Ablösung ist bedingt durch Blutung oder seröse Flüssigkeit. Secundär
kann sich zu Ablösungen der Chorioidea noch eine Ablösung der Netz-
haut und Phthisis luilbi gesellen. Es sind nur wenige derartige Fälle
ophthalmoskopisch beobachtet worden, einige Male nach Katarakt-Ex-
fcractionen (Groenouw). Aber nicht alle geschwulstähnliche, meist grau-
weisse Massen, die einige Tage nach der Star-Extraction bisweilen im
vorderen Augenabschnitte bemerkbar werden und dann wieder spurlos
Ruptur der Chorioidea. 309
verschwinden, sind als ChorioideaJablösungen zu betrachten. Vel-
hagen glaubt in seinem Falle eine ausgedehnte blasige Abhebung
des Epithels des ( Jorp. ciliare, wie sie Greeff mikroskopisch nach
Punctum der vorderen Kammer bei Thieren gesehen, annehmen zu
sollen: Haab denkt an eine Cystenbildung in der Netzhantperipherie.
Ich halte diese Massen, die bisweilen getrübten, in der Tiefe liegenden
Linsenmassen gleichen, für gelatinöse Ausschwitzungen des Corpus
ciliare, ähnlich wie sie bei Iritis in die vordere Augenkammer hinein
erfolgen. —
Pathologisch-anatomisch findet man in degenerirten Bulbi häufiger
Abhebung der Chorioidea und auch des Corp. ciliare; letzteres ist bis-
weilen durch Stränge, die zum Glaskörper gehen, nach hinten zurück-
gezogen.
5. Ruptur der Chorioidea.
Die Risse der Chorioidea haben in Folge des Durchscheinens der
Sclera eine weisse Färbung; nur dann, wenn noch Gewebspartien der
Chorioidea in ihnen liegen, sind sie gelblich. Frisch sieht man öfter
Blutungen daneben; später bildet sich längs des Risses meist eine
schwarze Pigmentlinie. Die Zahl und Ausdehnung der Chorioideal-
rupturen, die in der Regel in Linienform zur Beobachtung kommen,
kann sehr verschieden sein. Gewöhnlich haben sie ihren Sitz in der
Nähe des hinteren Pols, in der Gegend der Macula lutea und der Papille;
sie zeigen nicht selten eine Krümmung, deren Concavität dem hinteren
Bulbuspol zugewandt ist. Handelt es sich um starke und ausgedehnte
Zerrungen der Chorioidea, bei denen aber keine grösseren Zerreissun-
gen eingetreten sind, so sieht man an den betreffenden Stellen unregel-
mässig begrenzte Pigmentveränderungen: auf grauweissem Grunde
schwärzlich-graue Flecke und Striche. Die Gefässe der Netzhaut gehen
meist über die verletzten Partien fort. Wenn das Erhaltensein der Re-
tina hierdurch erwiesen erscheint, so haben doch die Stäbchen und
Zapfen gelitten, wie aus den Störungen des Sehvermögens hervorgeht.
Ist die Gegend der Macula lutea getroffen, so entstehen Skotome oder
Metamorphopsie. Ich habe Kranke beobachtet, die in Folge dessen
binoculares Doppeltsehen hatten: es befand sich der mit dem kranken
Auge gesehene Buchstabe über oder unter dem mit dem gesunden
Auge gesehenen. Da hierdurch das Lesen unmöglich werden kann,
muss man bisweilen das leidende Auge durch ein undurchsichtiges Brillen-
glas ausschliessen. Der Zustand blieb einmal während einer jahrelangen
Beobachtungszeit stationär. In anderen Fällen tritt Besserung der Seh-
schwäche ein: auch habe ich, ebenso wie Hersing, ophthalmoskopisch
;;iu Erkrankungen der Choriöidea.
das Verschwinden und Verheilen von Ohorioidealrissen beobachtet. Jn
einem Falle von Saemisch kam es aber nachträglich noch zu einer
Netahauta'blösung. Den Anlas* ya\ den Rupturen bietet gewöhnlich < l i < •
Einwirkung stumpfer Gewalt, z. B. Schlag oder Stoss mit einem Holz.
Schussverletzungen der Orhita n. s. w. Die meist eigentümliche Lage
und Form der Risse dürfte damit zusammenhängen, dass in der Gegend
des hinteren Poles die Cborioidea durch die hinteren Ciliargefässe mit
der Sclera fester verknüpft ist und deshalb bei einer traumatischen
Einknickung des Bulbus dort am ehesten einreisst, wo sie sich nicht
verschieben kann.
Die frühzeitige Diagnose des Chorioidealrisses wird durch Blut-
ergüsse in die vordere Augenkammer oder den Glaskörper öfter ge-
hindert. —
Netzhaut- und Chorioidealstränge können eine gewisse Aehnlieh-
keit mit Chorioidealrissen zeigen; doch 'sind sie durch ihren Sitz, ihre
Verästelung und vor Allem durch anderweitige Zeichen stärkerer De-
generation zu unterscheiden.
6. Tuberkulose der Choriöidea.
Autenrieth (1808) hat anatomisch zuerst Tuberkelknoten in der
Choriöidea beschrieben. Ed. Jäger (1855) hat sie ophthalmoskopisch
gesehen. Weitere exacte histologische Untersuchungen wurden von
Manz (1858) gemacht, während Cohnheim (später auch Bock) die
Häufigkeit ihres Vorkommens bei der acuten Miliartuberkulose, speciell
der Meningitis tuberculosa nachwies. Das ophthalmoskopische Bild
wurde von v. Graefe und Leber genau beschrieben.
In der Regel sind beide Augen befallen. Die Tuberkel haben vor-
zugsweise in der Gegend der Macula und Papille ihren Sitz. Mit dem
Augenspiegel zeigen sie sich hier als weissliche oder weissgelbliche;
runde Flecke von sehr verschiedener Grösse, selbst bis zu Papillen-
grösse und mehr. — Anatomisch sind die einzelnen Tuberkel bisweilen
so klein, dass man sie mit dem blossen Auge nicht sehen kann, bis-
weilen erreichen sie eine Grösse von 2\2 mm Durehmesser. Sie pro-
miniren anfänglich immer nach der Netzhaut hin, erst im späteren
Stadium nach der Sclera. Ihre Entwicklung beginnt in der Ghorio-
capillaris. Allmählich tritt eine Entfärbung (h^ Pigmentepithels ein,
und so entstellen dann die gelhlichweissen Flecke. Als differentielle
Momente zur Unterscheidung von dissentierten Herden einer einfachen
Chorioiditis sind anzuführen: 1) die rundliche Form der Tuberkel,
2) <la>> ihnen der schwarze Pigmentrand meist fehlt, den die Entfär-
Tuberkulose der Chorioidea. oll
bungen bei Chorioiditis ge wohnlich haben, 3) die Prominenz des Tuber-
kels;. Allerdings lässt sich diese oft nicht nachweisen, es sei denn., dass
der Tuberkel sehr gross ist oder gerade ein Netzhautgefäss darüber
hin geht, dessen parallaktische Verschiebung im umgekehrten Bilde bei
Bewegungen der Linse man verwerthen könnte. Andererseits können
auch ( 'horioideal-llerde prominiren.
Die ditt'erentiell-diagnostischen Momente sind demnach nicht gerade
sehr sicher. So kann eine herdförmige Einlagerung von Zellen in der
Chorioidea. wie wir sie bei Chorioid. disseminata finden, gelegentlich
alle Kennzeichen des Tuberkels zeigen. Es wird in einer grossen Zahl
der Fälle eine vorsichtige Zurückhaltung angezeigt sein. Nur bei hoch-
gradig entwickelten Knoten, oder wenn man bei öfterer Beobachtung
eine Weiterentwickelung der vorhandenen und ein Aufschiessen neuer
Tuberkel eonstatiren kann, ist die Diagnose sicher zu stellen.
Kann in diesen Fällen mit Nutzen die ophthalmoskopische Diagnose
bezüglich der allgemeinen Diagnose „Miliar-Tuberkulose" verwerthet
werden, so möchte ich doch vor einer Ueberschätzung des Ophthal-
moskops warnen. Es kommt hier noch die Schwierigkeit hinzu; schwer-
kranke und oft somnolente Patienten genau und lange genug zu unter-
suchen. Ferner kann der Sitz der Tuberkel so peripher sein, dass man
sie mit dem Augenspiegel nicht mehr sehen kann. Denn wenn die
Tuberkel auch mit Vorliebe die Gegend des hinteren Pols einnehmen,
so habe ich doch auch öfter Ausnahmen davon gesehen. Bisweilen be-
steht neben der Tuberkulose der Chorioidea eine Neuritis (Bouchut);
auch ich habe diese Complication beobachtet. Seltener kommen sehr
grosse Tuberkelbildungen vor, die durch das Zusammenwachsen kleinerer
entstehen. Ausnahmsweise kann auch in der Netzhaut und im Sehnerv
(Michel) ein Tuberkel sich entwickeln.
Aber auch wirkliche tuberkulöse Entzündungen der Chorioidea, bei
der die Netzhaut durch eine kuchenförmige gelblichweisse, leicht zackige
(Homer, Haab) Verdickung der Chorioidea abgehoben wird, sind,
meist bei Kindern, beobachtet worden. Die Augen waren dabei stark
entzündet: der Glaskörper durchsichtig, nur selten ist der intraoeulare
Druck erhöht. Meist wird später die Sclera perforirt.
7. Chorioidealgeschwülste.
Die überwiegende Mehrzahl der Geschwülste, welche von der Cho-
rioidea und dem Corp. ciliare ausgehen, hat den Charakter der Sarkome.
Nicht-pigmentirte Sarkome (Leukosarkome) sind etwas seltner als mcla-
notische und kommen häufiger bei Kindern vor. Ferner sind Gummata;
Lepraknoten, Fibrome und Angiome beschrieben.
312 Erkrankungen der Chorioidea.
Die Entstehung der Sarkome als hügelartige Hervorragungen direct
mit dem Augenspiegel zu verfolgen, ist öfter Gelegenheit vorhanden,
wenngleich sieh meist frühzeitig eine Netzhautablösung, ausnahmsweise
eine Retinitis proliferans hinzugesellt. Selbst nach entstandener Netz-
hautablösung gelingt es gelegentlich noch, den unter ihr liegenden Tumor,
wenn er partiell mit der Retina verwachsen ist, an seiner Farbe, an
einer eigentümlichen Gefässordnung und seinen Blutungen zu diagnosti-
ciren. Man wird überhaupt bei Netzhautablösungen, für welche kein
nachweisbarer Grund vorliegt, immer die Frage stellen müssen, ob nicht
etwa eine Geschwulst die Ursache sei. Die Steigerung des intraocularen
Druckes und heftigere Augenschmerzen — die bei einfacher Netzhaut-
ablösung (aber auch öfter bei Sarkomen) fehlen — ■ werden Verdacht auf
Tumor erwecken. Man kann versuchen, sich in zweifelhaften Fällen
direct durch einen Scleraleinstich in der Weise, wie er zur Behandlung
der Netzhautablösungen ausgeführt wird, von dem Vorhandensein oder
Fehlen eines Tumors zu überzeugen. Jedoch müsste man, wenn ersteres
gesichert ist, sofort enucleiren, um einer Propagation der Geschwulst
durch die Stichwunde vorzubeugen. Seltener wird die Netzhaut von der
Geschwulst mit ergriffen, oder es setzen sich in ihr und dem Glas-
körper abgeschwemmte Geschwulsttheile, die dann weiter wuchern, fest
(Ewetzky).
Bisweilen gesellen sich später glaukomatöse Erscheinungen zu in-
traocularen Geschwülsten; in anderen Fällen kann es zu starken Eite-
rungen in Glaskörper und vordere Kammer kommen, die mit einer
Phthisis bulbi endigen. Ein derartig phthisisch gewordener Bulbus, der
einen Tumor in sich birgt, pflegt sich von anderen phthisischen Aug-
äpfeln symptomatisch besonders durch das Auftreten spontaner Schmerzen
zu unterscheiden; öfter dehnen sich auch die hinteren Scleralpartien
aus. Nach der Phthisis kann die Weiterentwickelung des Sarkoms eine
Zeit lang ruhen.
Die extraoculare Geschwulstentwickelung findet durch Uebergreifen
auf den Sehnerven, durch Perforation der Bulbuswände oder auch durch
Auftreten selbständiger orbitaler Herde statt. In einem meiner Fälle,
wo das nicht allzugrosse und ophthalmoskopisch unsichtbare Melano-
sarkom den vorderen Theil des Bulbus einnahm, hatte sich unter der
Conjunctiva eine kleine schwarzblaue, wie eine Venenectasie aussehende
Geschwulst gebildet: die Section ergab, dass die Propagation der Ge-
sehwulstelemente durch die Scheide eines perforirenden Gefässes erfolgt
war. Beim Sitz der Geschwulst im Corp. ciliare beobachtet man auch
öfter eine leichte Hervorwölbung der Iris an der betreffenden Stelle, die
in schwierigen Fällen die Diagnose auf Tumorbildung unterstützen kann.
Anatomisch bandelt es sich um massenhafte Rund- oder Spindelzellen
Chorioidealgeschwülste. 313
meist ohne erhebliches Zwischengewebe. Die pigmentirten Zellen stammen
theils von vorhandenen Pigmentzellen ab und sind dann diffus chocoladen-
artig gefärbt, oder sie haben umschriebenes Pigment von mehr röth-
lichem Farbenton, oder es liegt freies Pigment in der Geschwulst. Letz-
tere Formen der Pigmentaria^ sind hämatogenen Ursprungs (Vossius,
Leber). Das Sarkom entwickelt sich ans den innersten Schichten
der Chorioidea. Am hantigsten tritt es nach dem 40. Lebensjahre auf,
während es im Kindesalter, wo das Grlioma retinae sich findet, höchst
selten vorkommt. Ein ossificirtes cavernosus Aderhaut-Sarkom bei einem
11jährigen Mädchen besehrieb Nordenson.
BezügHch der Aetiologie ist nicht viel bekannt; zuweilen scheint
ein Trauma die Veranlassung zu geben. Metastatische Chorioideal-
geschwülste sind nur wenige beobachtet: sie gingen theils von Naevi,
theils von Carcinomen aus, verhältnissmässig häufig von Mammacar-
einom. In einem von mir beobachteten Falle waren beide Augen
und beide Orbitae befallen. Uhthoff sah Carcinom beider Seh-
nerven.
Die Enucleation des Augapfels hat in einer Reihe von Fällen
dauernde Heilung gebracht, so nach Hirschberg und Freudenthal
in 37 — 38 Procent. Recidive und Metastasen (in Leber, Gehirn u. s. w.)
sind häufig, wenn der Tumor bereits extrabulbär ist oder wenn seeun-
däre glaukomatöse Erscheinungen sich eingestellt haben. Hat sich der
Tumor in der Orbita verbreitet, so wird mit besonderer Sorgfalt die
Exstirpation, eventuell mit Herausnahme des Periosts auszuführen sein.
Selbst bei der Enucleation von Augen mit einem Tumor, der scheinbar
noch intraocular sitzt, empfiehlt sich das Ausschneiden eines möglichst
grossen Stückes des Sehnerven. —
!Xicht selten findet man in phthisischen Augäpfeln eine Knochen-
bildung, welche von der Innenfläche der Chorioidea ausgeht. Bis-
weilen handelt es sich nur um eine dicke Bindegewebsschicht mit ein-
zelnen kleinen Knochenplatten, bisweilen hat sich eine vollständige
Knochenschale entwickelt, welche den ganzen hinteren Theil des Bul-
bus einnimmt: an der Stelle der Papille besteht eine Oeffnung. Auch
die Linse erscheint in diesen Fällen öfter wie in einen Knochen um-
gewandelt, während eine Untersuchung meist nur eine Verkalkung er-
giebt. Jedoch ist auch echte Knochenbildung in ihr beschrieben worden
(Goldzieh er, Berger), allerdings wohl veranlasst durch Hinein-
dringen von Bindegewebe nach Verletzungen (O. Becker). Partielle
Verknöcherungen des Glaskörpers kommen ebenfalls vor (Virchow,
Poncet). Die abnorme und an einzelnen Stellen besonders hervor-
tretende Härte des phthisischen Bulbus lässt die Diagnose auf Knochen-
bildung meist schon vor der Enucleation stellen. . In einem Falle ist bei
314 KrkranUuii^eii des Glaskörpers.
durchsichtigem Glaskörper und gut erhaltenem Bulbus die Verknöeke-
rüng der Chorioidea ophthalmoskopisch gesehen worden (Laqueur).
]S'icht selten tritt mit der Knoehcnbildung wiederum Schmerzhaftigkeit
und Reizbarkeit des Stumpfes ein, die selbst zu sympathischen Er-
scheinungen ( — aber meist nur sympathischen Neurosen — ) am anderen
Auge fuhren können und die Enucleation dringend indiciren. — •
Die eitrige Chorioiditis, sowie die IrMo- Chorioiditis werden bei den
Erkrankungen des vorderen Uvealtraetus behandelt.
Sechstes Kapitel.
Erkrankungen des Glaskörpers.
Anatomie.
Der Glaskörper füllt den hinteren Theil des Bulbus aus. Die
gelatinöse Substanz desselben ist vollkommen durchsichtig, enthält weder
Gefässe noch Nerven und scheint auch structurlos zu sein (Merkel).
Andere Untersucher nehmen dagegen in ihr ein nbrilläres(Rctzius) oder
netzförmiges (Hans Yirchow) Stützgewebe an. Stilling unterscheidet
einen Kern, der -wie in einem Näpfchen in der Kinde steckt, und letztere
überragend vorn bis zum Rande derselben reicht. Von der Sehnerven-
papille nach dem hinteren Linsenpol zieht der Canalis hyaloideus
(Clorpiet'scher Canal), in welchem die fötale Arteria hyaloidea verläuft,
von der man später noch gelegentlich Reste beobachtet.
Besonders die peripheren Theile enthalten zellige Elemente, theüs
den Wanderzellen (Leukocyten), tlieils Derivaten derselben entsprechend.
Die ersteren zeigen amöboide Bewegungen und lassen drei Hauptformen
unterscheiden: a) rundliche Zellen; b) stern- oder spindelförmige Zellen
mit einem oder mehreren Kernen und langen Ausläufern; c) Zellen,
welche Yaenolen enthalten, 1 — 3 Kerne einsehliessen und ebenfalls
vaiicöse Ausläufer halten (Iwanoff). Auch eigenthümliche Ringe, die
zum Theil kettenförmig an einander gereiht sind, kleine Fäserchen und
Grläskörpertrübungen. 315
Platten (Donders) finden sich im G-laskörper. Von der Netzhaut ist
die Glaskörpersubstanz durch die Membrana hyaloidea getrennt. Die-
selbe fällt zusammen mit der Membrana limitans retinae, in welche die
Müller'schen Stützfasern ausstrahlen; sie gehört jedoch entwieklungs-
geschiehtlieh zum (ilaskörper (Lieberkühn). Nach vorn gegen die
hintere Augenkammer ist der Glaskörper begrenzt durch die Zonula
Zinnii, welche aus einem complicirten Fasersystem besteht, das der
Hauptsache nach von der Glaslamelle des Proc. ciliaris retinae (Czer-
maki. vereinzelt aus dem Glaskörper (Salzmann) entspringt und
sieh in der Nähe des Linsenäquators an der vorderen und hinteren
Linsenkapsel ansetzt. Der gesammte Raum zwischen diesen Fasern ist
mit Flüssigkeit aus der hinteren Augenkammer gefüllt; ein eigentlicher
ringförmig um den Linsenrand gehender Kanal (Canalis Petiti) existirt
demnach nicht (Gerlach, Czermak).
1. Glaskörpertrübungen.
Man beginnt die TJntersuchung des Glaskörpers ophthalmoskopisch
am besten so. dass man mit dem Augenspiegel aus einer Entfernung
von etwa '2b bis 30 cm Licht in die Pupille wirft. Alsdann lässt maji
Bewegungen mit dem Auge machen und erkennt hierbei gegebenen-
falls Trübungen und Flecke in dem Roth des Augenhintergrundes.
Oft muss man diese Bewegungen längere Zeit fortsetzen lassen; ehe.
die Trübung durch das Pupillargebiet schiesst. Allerdings werden auch
dunkle Sehatten auftauchen, wenn Trübungen in oder auf der Horn-
haut (beispielsweise auch Schleimpartikelchen), auf der Linsenkapsel
oder in der Linse vorhanden sind. Doch zeigen diese dunklen Schatten
■eine, mit dem von dem Ophthalmoskop gelieferten Hornhautreflex gleich-
artige Bewegung , während die Glaskörpertrübungen ; da sie hinter
dem Krümmungsmittelpunkt der Cornea liegen, eine entgegengesetzte
Richtung einschlagen; sie gehen nach oben; wenn der Reflex nach unten
geht. Zu weiterer Sicherung der Diagnose kann man die schiefe Be-
leuchtung benutzen, welche den Sitz der Trübungen in dem vorderen
Bulbusabschnitte direct erkennen lässt. — Meist machen die Trübungen
im Glaskörper viel ausgiebigere Bewegungen, als das Auge selbst, oder
sie setzen die Bewegung noch weiter fort, während das Auge bereits
wieder still steht. Es tritt dies dann hervor, wenn der Glaskörper seine
gelatinöse und cohärente Beschaffenheit verloren hat und verflüssigt
ist Svnchysis). Zu einer vollkommen exacten Durchforschung des
Glaskörpers bis in seine periphersten Partien ist die künstliche Erweiter-
ung der Pupille erforderlich.
Um die Lage der Trübung zu bestimmen, hat Knapp vorgeschlagen,
316 Erkrankungen des Glaskörpers.
im umgekehrten Bilde den Glaskörper von hinten nach vorn zu durch-
suchen, indem man zuerst die Papille bezw. Netzhaut einstellt und nun,
mit dem Convexglase immer mehr vom Auge abrückend;, die weiter
vorn gelegenen Partien sich vorführt.
l'm ganz feine und durchscheinende Trübungen zu erkennen, ist
stärkere Annäherung an das Auge und die Anwendung eines licht-
schwachen Spiegels, hinter den man noch zur Vergrüsserung ein Convex-
glas legt, von Yortheil. Auch hat es sich mir hier und bei festsitzenden
Trübungen öfter bewährt, bei Benutzung eines Concavspiegels nicht
durch das Loch; sondern am Spiegelrande vorbei zu sehen.
Wir können im Glaskörper circumscripte und diffuse Trüb-
ungen unterscheiden.
Erstere treten in Gestalt von kleinen Flecken, Fäden, Strängen oder
Membranen auf. Ausnahmsweise sieht man kleine Bläschen, die durch
einen Faden mit der Bulbuswand noeb in Verbindung stehen. Es kann
sich hier um fibrinöse Exsudate der Netzhaut oder auch der Chorioidea
— ich beobachtete einmal den Durchbruch durch die Netzhaut —
handeln; sie sind wohl gleicher Art wie die Bläschenbildungen, die man
gelegentlich in der vorderen Kammer beobachtet. Die Farbe der Glas-
körpertrübung' ist verschieden, sie schwankt zwischen grau, grauschwärz-
lich, dunkelbraun, schwarz; bei umschriebener Eiterung ist sie gelblich.
Bisweilen bilden sich coulissenartige Membranen im Glaskörper: be-
sonders bei Cysticercus (v. Graefe). Unter Anwendung starker Con-
vexgläser (25-0) gelingt es gelegentlich, im umgekehrten Bilde durch
sie hindurch noch den Wurm zu sehen. In anderen Fällen, vorzugs-
weise nach vorangegangenen eitrigen Entzündungen, kann dicht hinter
der Linse eine vascularisirte, weissliche, membranartige Bildung auftreten,
die Aehnlichkeit mit Glioma retinae hat. — Die diffusen Trübungen*
sind bisweilen so durchscheinend, dass sie nur wie ein leichter Schleier
oder wie ein feiner Staub den Anblick der Retina verdecken. Besonders
bei der Retinitis syphilitica kommt diese Form der Glaskörpertrübungen
vor; an der betreffenden Stelle ('S. 271) ist die differentielle Diagnose
gegenüber den Trübungen des Netzhautgewebes bereits angegeben wor-
den. In anderen Fällen sind die Trübungen so intensiv, dass sie alles
einfallende Licht verschlucken und der Augenhintergrund trotz des
ophthalmoskopischen Lichteinfalles dunkel bleibt. Wenn man letzteres
beobachtet und durch schiefe Beleuchtung das Vorhandensein von Trü-
bungen in <\rv Cornea, vorderen Kammer oder Linse, welche ähnlichen
Effecl Indien könnten, ausschliesst, so ist die Diagnose auf eine inten-
sive diffuse Glaskörpertrübung gesichert. Ist letztere durch Bluterguss
bewirkt, so erkennt man öfter das hinter der Linse liegende Blut bei
schiefer Beleuchtung an seiner rothen Farbe. —
Glaskörpertrübungen. 317
Einen eigentümlichen Anblick bietet dieSynckysis scintillans.
Hier rinden sich zahlreiche kleinere Cholestearin- und Tyrosinkrystalle
sowie Phosphate (Poncet) im Glaskörper, die bei der ophthalmoskopi-
schen Untersuchung auf das Prächtigste hell Leuchten und glitzern und
bei Bewegungen des Auges oft wie ein Raketenschwäfm vom Grunde
des Annes aufsprühen. Es gehört alter eine gewisse Intensität der Be-
leuchtung dazu, um auch die kleineren und durchsichtigeren Krvstalle
leuchten zu sehen. Besonders günstig ist hier die Untersuchung mit dem
Concavspiegel und eine gewisse Annäherung an das Auge. Man wird
so Trübungen glänzen sehen, die bei der Untersuchung' aus grösserer
Entfernung oder mit einem lichtschwachen Spiegel nur als feine durch-
scheinende, graue Massen erscheinen.
Diese Affection rindet sich oft in sonst gesunden Augen, besonders
bei alten Leuten. Ich habe bei Individuen ausgeprägte Synchysis scin-
tillans gefunden, die gar keine Klagen bezüglich ihres Sehvermögens
hatten und eine gute Sehschärfe besassen. Abgesehen von Störungen,
welche nach etwa nothwendig werdenden Operationen eintreten können,
scheint der Zustand keine Nachtheile mit sich zu führen. Fehlt die
Linse, so dringen die Cholestearinkrystalle gelegentlich auch vom Glas-
körper aus in die vordere Kammer.
Aeusserlich ist an den mit Glaskörpertrübungen behafteten Augen,
falls keine Complicationen bestehen oder umgekehrt die Glaskörper-
affection nicht seeundär zu einer Iritis hinzugetreten ist, nichts Abnormes
zu finden. Nur besteht bei starker Glaskörperverflüssigung bisweilen
Irisschlottern.
Subjective Symptome. Die Kranken klagen in der Regel dar-
über, dass sie schwarze oder graue Punkte, Rädchen, schlangenähnliche
Gebilde u. s.w. vor sich schweben sehen, welche kleinere Gegenstände
theils ganz verdecken, theils verschleiern. Oft können sie genau die
Form der Trübungen angeben. Es ist dies ein Zustand, der gewöhnlich
als Myodesopsie (Mückensehen) bezeichnet wird. Allerdings treten
Mouches volantes auch auf, ohne eigentliche Glaskörpertrübungen; es
handelt sich dann um Schatten, welche von den normaler Weise im
Corp. vitreuni befindlichen Formelementen auf die Netzhaut geworfen
werden. Vorzugsweise häufig klagen Myopen (siehe das betreffende
Kapitel) darüber: auch Schwächezustände (Chlorosa) und Nervosität
befördern das Mückensehen, indem eine Ueberempfindlichkeit der
Netzhaut mit gleichzeitiger, überängstlicher Aufmerksamkeit die Wahr-
nehmung fördert. Nur wenn objeetiv von dem Untersucher Trübungen
wahrgenommen werden, spricht man von „Glaskörpertrübungen".
I ebrigens können gelegentlich auch kleine Schleimpartikelchen, die bei
einer Conjunctivitis über die Cornea gehen, Mouches volantes verursachen.
318 Erkrankungen dos Glaskörpers.
Da (Urse aber durch Bewegungen des Augenlides entfernt werden, so
verschwinden auch damit die durch sie hervorgerufenen Schattenfiguren.
Die Sehschärfe ist nicht immer herabgesetzt: die Abnahme
richtet sich nach der Ausdehnung und Intensität der Affection. Einzelne
dicke, umschriebene Trübungen verringern das Sehvermögen weniger
als eine dünne, durchscheinende, aber diffuse Trübung. Bei flottirenden
Trübungen wird das Resultat der Sehsehärfenbestimmung öfter .schwan-
ken, je nachdem die Trübung gerade in der Sehlinie liegt oder nicht.
Beschränkungen des Gesichtsfeldes kommen gewöhnlich nicht vor, falls
nicht ( "omplicationen mit Netzhautleiden vorliegen.
Die Ursachen sind häufig schwer festzustellen. Besondei-s disponirt
sind Myopen mit Staphyloma posticum. Bei Chorioiditis, Retinitis,
Netzhautablösimg, ferner bei Congestivzuständen, Hämorrhoiden, Grefäss-
atherom, nach Ueberanstrengung der Augen können sie auftreten.
Nach schwereren Allgemeinaffectionen (z. B. Typhus) finden wir als
Folge einer abgelaufenen Irido-Cyklitis ebenfalls Glaskörpertrübungen.
Oefter habe ich sie bei anämischen Mädchen oder jungen Männern in
den Entwicklungsjahren ohne sonstige ätiologische Momente beobachtet.
Weiter sind Syphilis und Verletzungen zu nennen. Letztere geben
besonders Anlass zu Blutergüssen; jedoch entstehen dieselben auch
bisweilen, in grosser Ausdehnung, ohne solche. Es leiden auffälliger
Weise oft junge Leute an diesen Glaskörper-Blutungen.
V erlauf. Nicht selten geht bei diffusen Trübungen, welche den
ganzen Glaskörper einnahmen und keinen Einblick mehr in den Augen-
hintergrund gestatteten, die Lichtung so vor sich, dass sich zuerst dicke,
umschriebene Fetzen zusammenballen, während gleichzeitig die übrige
Masse anfängt, etwas durchsichtiger zu werden. Es kann selbst hei
intensiven diffusen Trübungen noch zu einer vollständigen Klärung
kommen, vorausgesetzt, dass sie nicht Folge von eitrigen Irido-Chorioi-
diten oder einer genuinen eitrigen Hyalitis waren. Auch dicke um-
schriebene Trübungen können sieh resorbrren; doch sind manche der-
selben sehr hartnäckig. — Recidive sind nicht allzu selten. Es giebt
Fälle, wo in grösseren Zwischenräumen immer von Neuem die Glas-
körpertrübung eintritt. Dasselbe gilt von den Glaskörperblutungen
junger Leute, die sich nach viele Monate langem Bestehen öfter noch
klären. Doch kann auch dauernde Schwachsichtigkeit folgen unter Mit-
hetheiligung der Netzhaut, in der sich zuweilen das Bild der Retinitis
proliferans entwickelt; auch zu Netzhautablösungen kann es kommen.
Die Therapie ist im (iauzen die der Chorioiditis. Abgesehen
von besonderen constitutionellen Verhältnissen sind Heurteloup'sche
Blutentziehungen, subeonjunetivale Kochsalz-.! njectionen, Quecksilber-
oder Schwitzkuren indicirt. Den naheliegenden Versuch, bei diffusen,
Hyalins suppurativa. 319
sonstigen Mitteln widerstehenden Trübungen des ( i laskörper zu punctiren,
habe ich ein paar Mal ohne (Kai gewünschten Erfolg gemacht. Handelt
es sich nur um ein paar kleine, umschriebene Trübungen, so wird man
Augendiät, Arlt'sche Stirnsalbe, Kinträufelungen von 1 proeentiger Jod-
kalilösung ( — aber unter Vermeidung der gleichzeitigen Anwendung
von Quecksilberpräparaten — ), gelegentlich Blutentziehungen, Fussbäder
und Abführmittel empfehlen. Oefter ist auch hier, sowie in rückgängigen
schweren Fällen die Anwendung des constanten Stromes von Nutzen
(ein Pol im Nacken, einer auf dem geschlossenen Lide; Sitzung von
drei bis fünf Minuten mit Stromwechsel, etwa ein bis zwei Milliampere
stark).
2. Hyalitis suppurativa.
Die Eiterungen im Glaskörper sind meist Folge von Entzündung
der anliegenden Membranen (der Netzhaut, der Chorioidea, des Corp.
ciliare), aber sie können auch vom Glaskörper selbst ausgehen. Wir
müssen in demselben Sinne eine primäre Hyalitis annehmen, wie wir
eine Keratitis annehmen, trotzdem auch bei letzterer die entzündlichen
Producte selbst zum grössten Theile von aussen her einwandern.
31 an hat sich früher gegen diese Annahme gesträubt. Da Experimente
von H. Pagenstecher ergeben hatten, dass die Einführung von Fremdkörpern
meist reactionslos vertragen wird und die etwa eintretende Trübung des Glas-
körpers nur von der Einstiehwunde her erfolgt, so nahm man mit ihm an, dass
„bei sogenannten Glaskörpertrübungen der Reiz niemals primär vom Glaskörper
ausgehen" könne. Um diese Ansicht zu widerlegen, habe ich zu Einspritzungen
in den Glaskörper ein stark infectiöses Secret, den Thränensackeiter, benutzt und
habe, um weiter den Einwand auszuschliessen, dass die Infection von der Ein-
stichwunde erfolge, nach Extraction der Linse von vorn her durch die Cornea bei
Kaninchen den Eiter mitten in den Glaskörper gespritzt. Man kann hier mit dem
Augenspiegel sehr deutlich den Ablauf des Processes verfolgen. Schon nach circa
vier stunden beobachtet man eine erhebliche Yergrösserung der Trübung um das
eingespritzte Secret: dieselbe nimmt allmählich zu, während man noch rings herum
rothes Licht vom Augenliintergrunde zurückkommen sieht. Erst später tritt Iritis,
eitrige Retinitis und verhältnissmüssig geringere Chorioiditis hinzu. Der Glas-
körper zeigt sich bei der Section in eine molkige Flüssigkeit verwandelt, in der
man meist zahlreiche Mikrokokken sieht. — In letzter Zeit hat Straub ähnliche
Experimente gemacht und tritt ebenfalls, wie schon früher v. Wecker, Schnabel,
Schweigger. Klein u. A., für eine primäre Hyalitis ein. Zur weiteren Stütze
liesse sich anführen, dass Deutsch ma im einmal im Centrum des Glaskörpers
eines enucleirten Menschenauges eine hyalin glänzende käsige Masse fand, die
tuberkulöser Natur war. und, da sonstige tuberkulöse Affectionen des Auges
fehlten, als primäre Glaskörpertuberkulose aufzufassen ist. Haensel beobachtete
gleichfalls einen abgeschlossenen gliomatösen Tumor im Glaskörper.
Es erscheint demnach ausreichend festgestellt, dass vom Glaskörper seihst
320 Erkrankungen des Glaskörpers.
aus eine primäre Entzündung desselben angeregt werden kann. Hiermit stimmen
auch die klinischen Erfahrungen überein. So beobachtet man bisweilen nach
Starextractionen oder Staphylomabtragungen, wie die Eiterung von dem vorge-
fallenen Glaskörper aus beginnt. Ferner treten nicht selten Fälle von Glaskörper-
trübungen auf, ohne dass pathologische Veränderungen der benachbarten Theile
zu erkennen sind.
Eine andere Frage ist die. ob im Glaskörper seihst die Formelemente der
Entzündung entstehen oder ob sie nur von aussen her einwandern, wobei jedoch
nicht einseitig an die Gefässe des Uvealtractus, sondern auch an Retina und Papille
(gerade vor dieser sieht man anatomisch öfter circumscripte Trübungen) zu denken
ist. Die Zelleneinwanderung ist sicher die Regel, aber auch die Möglichkeit einer
Vermehrung der Formelemente ans den im Glaskörper befindlichen Zellen und
Zellresten erscheint nach den Untersuchungen von Haensel, Hehl) und Brailey
vollkommen erwiesen.
Eine ausgesprochene Glaskörpereiterung, erkennbar durch die hell-
gelbe Färbung hinter der Linse, pflegt fast immer zum Ruin des Auges zu
führen. Es gesellt sich hinzu oder es besteht dabei bereits eine Entzün-
dung der Chorioidea u. s. w., öfter kommt es zur Panophthalmitis. Der
Bulbus wird perforirt, der Eiter entleert sich und schliesslich entsteht
Phthisis. Tritt der Process weniger heftig auf, so kann der Augapfel
seine Form behalten. Bleibt die Linse durchsichtig, so erkennt man als
Endausgang bisweilen eine vascularisirte Masse im Glaskörper.
Ist die Eiterung ganz beschränkt, wie sie einige Male beobachtet
und als Glaskörperabscess beschrieben wurde, so kann sie ohne
erhebliche secundäre Entzündungen bestehen bleiben.
Die Behandlung ist die bei intensiven Glaskörpertrübungen oder
eitriger Chorioiditis übliche.
3. Fremdkörper und Entozoen im Glaskörper.
Fremdkörper können bei Perforation der Sclera oder auch bei
Hornhautperforationen in den Glaskörper gelangen. Im ersteren Falle
gehen sie meist durch die Linse: bisweilen aber wissen sie sieh gerade
durch die Zonula einen Eingang zu schaffen, sodass die Linse vollkommen
intact bleibt und selbst von der Iriswunde kaum etwas zu sehen ist.
Es handelt sich gewöhnlich um Eisenstückchen, um Glas, Pulverkörner
oder Steinsplitter bei Explosionen, um Fragmente von Zündhütchen u. dgl.
In der Pegel sind gleichzeitig Blutungen in dem Glaskörper oder in der
vorderen Kammer vorhanden. Die Fremdkörper sind ihrer Farbe nach
nieln immer deutlich ophthalmoskopisch zu erkennen, sie erscheinen
meist nur als dunkle Punkte oder Flecke; das sicherste Zeichen ist noch,
wenn sie glänzen. Besonders schwer ist es, ganz kleine Fremdkörper
zu diagnosticiren, so etwa kleine Glassplitter. Hierzu kommt, dass sich
Fremdkörper und Entozoen im Glaskörper. 321
bald Glaskörpertrübungen einzustellen pflegen. Auch eine secundäre
Linsentrübung kann das Erkennen des Fremdkörpers hindern. Gesellt
sich zu einer Verletzung, bei der aber das Eindringen eines Fremd-
körpers wegen der Kleinheit der perforirenden Wunde und sonstiger
Umstände zu vermuthen war, eine acute und heftige Entzündung, so
gewinnt diese Vermuthung sehr an Wahrscheinlichkeit; sie wird fast
zur Gewissheit, wenn nach der operativen Herausnahme der trauma-
tischen Katarakt eitriger Glaskörper folgt. In manchen Fällen geht
aber trotz des Eindringens eines Fremdkörpers, die Entzündung zu-
rück, der getrübte Glaskörper Hebtet sieh wieder, und man kann
nunmehr die Lage des Fremdkörpers, der frei bleibt oder sich ein-
kapselt, deutlieh erkennen. Doch bildet er eine beständige Quelle der
Gefahr für das Auge: besonders häufig kommt es zu einer Irido-Cy-
klitis. die schliesslich das Sehvermögen vernichtet. Selbst das andere
Auge wird durch sympathische Entzündungen bedroht. In Einzelfällen
können allerdings Fremdkörper im Corpus vitreum — ebenso in der Netz-
haut und Papille — ohne erhebliche Störungen dauernd liegen bleiben;
man beobachtet dies besonders bei den kleinen Stein-Fragmenten, die
bei Dynamit-Explosionen so häufig den Bergleuten in das Auge fliegen.
Am ehesten wird dies eintreten, wenn die Fremdkörper sehr klein und
aseptisch oder fern vom Ciliarkörper fest eingekapselt sind. Doch
scheinen nicht allein bacterielle Infectionen Anlass zu Entzündungen
zu geben, sondern auch gewisse chemische Reize. So habe ich trotz
sorgfältigster Antisepsis nach Einführung von Kupferstäbchen in den
Glaskörper von Kaninchen, wie auch ähnlich Leber, starke eitrige
Entzündungen auftreten sehen. Es erklärt dies vielleicht die besondere
Gefahr abgesprungener Kupferhütchen.
Therapie. Flu' gewöhnlich wird man die Extraction versuchen
müssen. Doch hat dies seine Schwierigkeiten, besonders wenn man die
Fremdkörper nicht sieht und auch aus der Eintrittsstelle ihre Lage
nicht mit Wahrscheinlichkeit zu bestimmen vermag. Denn je nach der
Kraft des Eindringens kann der Fremdkörper dicht an der Stelle, wo
er hineingedrungen ist, hegen oder an der entgegengesetzten Bulbus-
wand oder auch von dort zurückgeprallt, am Boden des Glaskörpers.
Schliesslich kann er auch durch nochmalige Perforation der Sclera das
Auge wieder verlassen haben.
Man geht zur Extraction nach Incision der Conjunctiva und, wenn
nöthig, Ablösung einer Muskelsehne, die später wieder angenäht wird,
mit einer Scheere bis zu der Stelle der Sclera vor, wo man den
Fremdkörper vermuthet, macht dann mit einem schmalen Graefe 'sehen
Starmesser einen meridionalen Schnitt und sucht nun mit Pincette oder
einem stumpfen Haken den Fremdkörper zu fassen, ist derselbe gross,
Schmidt-Riinpler. 7. Auflage. -1
322 Erkrankungen des Glaskörpers.
so wird dies am leichtesten gelingen. Bei kleinen Fremdkörpern ist
der Versuch ziemlich aussichtslos, und man wird ihn besser unterlassen.
Es kommt noch hinzu, dass in vielen Fällen mehrere Splitter in das Auge
gedrungen sind: hat man alsdann einen extrahirt, so würde man möglicher Weise,
sehr zum Schaden des Kranken, der einer sympathischen Entzündung des anderen
Auges ausgesetzt bliebe, sich mit diesem Erfolge begnügen. So konnte ich in
einem Falle bei einem Kranken, dem einige Tage vorher durch Explosion Stücke
eines Reagenzglases gegen das Auge geschleudert waren, nicht mit Sicherheit eine
Perforation der Sclera nachweisen. Im Glaskörper befand sich eine fadenförmige
Trübung, die mit der Chorioidea in Verbindung stand: da dieselbe sich etwas ver-
dichtete und hin- und herschwankend ein etwas dickeres Ende hatte, vermuthete
ich dort den Sitz eines kleinen Grlasspütters. Es wurde vergeblich durch einen
Scleralschnitt die Extraction versucht. Nach der Herausnahme des Auges ergab
sich, dass in der That ein etwa 1 mm langes Glassplitterchen am Ende der faden-
förmigen Trübung sass: aber auch im Ciliarkörper steckte ein noch grösseres
Stückchen, von dem nichts zu sehen gewesen war. —
Gelingt die Entfernung des Fremdkörpers nicht, so ist das Sicherste,
die Enucleation oder Exenteration des Augapfels zn machen, um eine
c
117.
sympathische Äffection des anderen Auges zu vermeiden (s. das be-
treffende Kapitel).
Recht aussichtsvoll sind Versuche, Eisenstückchen aus dem Glas-
körper oder aus den Bulbushiillen zu extrahiren, da man hei ihnen
Magnete anwenden kann: ein Verfahren, das zwar schon früher ge-
übt, erst durch Eirschberg's Verdienst grössere Verbreitung fand.
I derselbe ging mit einem sondenförmig endenden rundlichen Elektro-
magnet (Fig. 117) in den Bulbus ein. In neuerer Zeit hat Haab seinen
Riesenmagneten empfohlen, der bei seiner gewaltigen Anziehungskraft
nur aussen an das Auge angelegt zu werden braucht. Er ist allerdings
noch recht theuer (z. Z. 700 Fr. Elektrische Fabrik in AVinterthur): ein
kleinerer und dementsprechend auch etwas schwächerer, aber meist aus-
reichender „Riesenmagnet" ist von Schlösser construirt worden (Preis
100 M.). Bei Verwendung der Magnete ist immer zu beachten, dass ihre
Anziehungskraft im Verhältniss zu der (i rosse (\rs eingedrungenen Eisen-
stückchens stehl und ferner, dass sich fest im Gewebe haftende Splitter
Fremdkörper und Entozoen im Glaskörper. 323
naturgemäss schwerer entfernen lassen. So konnte ich beispielsweise
ein kleines nadelspitzähnliches Eisenstückchen, dass durch die Cornea
gedrungen war und in die vordere Kammer hineinspiesste, trotz directen
Anlegens des keilförmigen Endes des Riesenmagneten auf das eben noch
auf der Hornhautoberfläche sichtbare Ende nicht herausziehen : es musste
durch Abkratzen der angrenzenden Hornhaut entfernt werden.
Wer im Besitze eines Riesenmagneten ist, wird diesen im Allge-
meinen häutiger anwenden. Besonders liegt eine Indication für ihn
vor, wenn man den Fremdkörper im hinteren Augen-Abschnitte nicht
sehen kann. Aber auch wenn man ihn sieht, wird man versuchen, ihn durch
Anlegen der Spitze des Magneten an der entsprechenden äusseren
Bulbuswand von dort durch die Irisperipherie in die vordere Kammer
zu leiten.
Erleichtert wird die Diagnose sowohl des Vorhandenseins eines Eisenstückes
im Auge wie auch seines Sitzes durch die Benutzung- des Asnius 'sehen Sidero-
skops. Dasselbe besteht aus einer wagrecht aufgehängten Magnetnadel, in deren
Mitte ein kleiner nach vorn gerichteter Spiegel sich befindet: in diesem spiegelt
sieh eine vor ihm aufgestellte und beleuchtete Scala, welche durch senkrechte
Striche getheilt ist. Mittelst eines Fernrohrs, durch dessen Gesichtsfeld ein senk-
rechter Faden geht, der auf einen Strich des Spiegelbildes der Scala eingestellt
wird, beobachtet man den Spiegel und erkennt durch die gleichzeitig mit der Be-
wegung des Magneten wechselnde Lageveränclerung des Spiegels und der in ihm
gespiegelten Scala die kleinste Reaction, welche das Eisen auf die Magnetnadel
ausübt. Da der Ausschlag besonders dort stark sein wird, wo das Eisen im Bul-
bus sitzt, so kann man diese Stelle durch Anlegen der verschiedenen Theile des
Bull >us an die. in einer Glasröhre befindliche Magnetnadel feststellen. Das Instrument
bietet entschiedene diagnostische Yortheile; bei sehr kleinen Eisenstückchen kann
es aber auch versagen. Hirschberg hat neuerdings eine Modification angegeben,
die das kostspielige Fernrohr überflüssig macht.
Tritt das Eisen, vom Magnete angezogen, hinter die Iris, so buckelt
es dieselbe etwas hervor: auch tritt öfter eine kleine Blutung ein. Man
thut dann gut, einen peripheren Einschnitt am Hornhautrande der betreffen-
den Stelle zu machen und mit einer Pincette die Iris herausziehen und
abzuschneiden. Fasst man dabei den Fremdkörper nicht, so legt man die
Magnetspitze an die Schnittwunde an und zieht ihn auf diese Weise
heraus. Würde man ohne Iris-Excision sie an die Wunde legen, so
läge die Gefahr vor, dass mit dem Fremdkörper auch die Iris heraus-
gerissen würde. Liegt der Fremdkörper vollkommen sichtbar auf der
Iris, so kann man auch mit dem Hirschberg'schen Elektromagneten
ohne vorherige Iris-Excision eingehen; jedenfalls läuft man alsdann weniger
Gefahr, die Iris mit Gewalt herauszureissen, selbst wenn das Eisen
noch etwas in ihr eingebettet wäre. Sehr selten lassen sich die ur-
sprünglichen Perforationswunden der Hornhaut zur Magnet-Extraction
benutzen. Anders verhält es sich bei Sclerawunden. Hier kann man
21*
324 Erkrankungen des Glaskörpers.
öfter direct den grossen Magneten anlegen. Gelegentlich habe ich auch,
wenn ich im hinteren Theil des Augeninnern <la.s Eisenstück vennuthete,
aber nichts Sicheres über seinen Sitz feststellen konnte, einen meri-
dionalen Scleraschnitt mit gleichzeitiger Incision der Chorioidea und Re-
tina gemacht und an diese Oeflhung die Spitze des grossen Magneten
gebracht.
Man niög'e übrigens beim Anlegen des grossen Magneten längere
Zeit warten, ehe man von dem Versuche abgeht. Auch der Mangel
an Schmerzempfindung spricht nicht gegen das Vorhandensein eines
Eisenstückes im Augeninnern: Schmerz wird der Patient erst empfinden,
wenn das Eisenstück angezogen wird und seinen Platz verlässt.
In einem Falle hatte ich, da das Eisenstück beim äusseren Anlegen nicht kam.
einen Scleralschnitt gemacht und in die "Wunde die Magnet-Spitze ohne Erfolg- und
längere Zeit gelegt. Da auch das Sideroskop keinen sicheren Ausschlag gab, stand
ich von weiterem Versuch ab. Aber die Art der Wunde und zunehmende Entzündung
veranlasste mich, zwei Tage später noch einmal den Verletzten an den grossen
Magneten zu bringen. Nach längerem Anlegen fühlte er einen heftigen »Schmerz,
bald darauf buckelt sich die Iris an einer Stelle hervor und es erfolgte ein kleines
Byphaema. Nunmehr machte ich an der Stelle einen peripheren Einschnitt und
zog mit der Iris ein in dieser sitzendes ausserordentlich kleines Eisenstückchen
hervor. Die Heilung erfolgte ohne Katarakt mit V3 Sehschärfe.
Der Hirschberg'sche Elektromagnet kommt besonders zur Ver-
werthung, wenn man ihn dicht an den Fremdkörper heranbringen kann;
hier ist das Uebergewicht des Riesenmagneten nicht so bedeutend, da
es vorzugsweise in seiner grösseren Fernwirkung besteht. Bei sehr
kleinen und etwa in den Bulbushüllen eingekeilten Eisenstückchen kann
es passiren, dass der Riesenmagnet versagt, während man den Hirsch-
berg' sehen nach einem, an der entsprechenden Stelle gemachten Ein-
schnitte einführen und direct auf das Eisen lenken kann. Auch für
die Herausnahme von Eisenstückchen aus der vorderen Kammer ist der
kleine Hirschberg'sche Elektromagnet meist vortheilhaft. Ebenso wird
man ihn bei grösseren Eisensplittern, die tief in das Augeninnere ge-
drungen sind, lieber einführen, da man mit ihm das anhaftende Eisen-
stück durch die Wunde und auf dem gewünschten Wege direct extra-
hiren kann, während der Riesenmagnet auf nicht so sicher vorzu-
schreibendem Wege und mit zu grosser Gewalt die Herausbeförderung
bewirken könnte.
Die in der Nähe der Magneten in Verwendung kommenden In-
strumente (besonders Elevateur und Pincette) sind aus Nicolin zu
machen, das nicht angezogen wird.
Natürlich heilen nicht alle Augen, aus denen mit Glück das Eisen
entfernt ist. ja bei seihst gut geheilten mit guter Sehschärfe Entlassenen
kann sieh nachträglich eine Netzhautablösung einstellen. Je früher man
Fremdkörper und Entozoen im Glaskörper. 325
aber operirt, um so grösser siml die Chancen. Gelegentlich hat man
sogar bei bereits eingeleiteter Entzündung (Irido-Chorioiditis) noch Er-
folg. Entwickelt sieh ungünstiger Weise schliesslich nach der Eisen-
extraction eine Irido-Cyklitis, so ist der Bulbus zu entfernen.
Das ist aber sicher, dass ein ziemlicher Procentsatz von verletzten
Augen, die früher absolut zu Grunde gegangen wären, durch die An-
wendung der Elektromagneten erhalten werden. —
Luxirte Linsen können ähnlich wie Fremdkörper im Corp. vitreum
liegen. Das Auge bleibt oft lange Zeit entzündungsfrei, doch kann
auch lebhafte Keaction und Irido-Cyklitis eintreten. Droht letztere^ so
wird ein Extractionsversueh zu machen sein (siehe Linsenluxation).
Die Nachbehandlung nach dem Eindringen oder nach der Extraction
des Fremdkörpers ist dieselbe wie nach sonstigen eingreifenden Augen-
operationen: also Anlegung eines Schlussverbandes. Bei heftigen
Schmerzen können abwechselnd Eisumschläge gemacht werden; ist
dem Auge der Druck eines Verbandes sehr schmerzhaft, so muss darauf
verzichtet werden. Auch Blutegel an die Schläfe, Atropinisirung und
Mercurialisation sind bei stärkerer Entzündung von Nutzen.
In manchen Gegenden finden sich ziemlich häufig Cysticerken
im Auge.
Es hängt dies von der Verbreitung der Taenia solium ab, da die Finne der
Taenia mediocanellata nicht im Menschen gedeiht. Die einzelnen Glieder des
Bandwurms werden ahgestossen und mit dem Roth entleert. Ausserhalb des Kör-
pers auf den Dungstätten (Wiesen, Feldern) werden die in den Fruchthältern
der Glieder befindlichen Embryonen frei. Durch die Nahrungsmittel oder durch
Wasser gelangt der Embryo in den Magen des geeigneten Wirthes (Mensch, Hund,
Schwein u. a. ). geht durch den Magensaft seiner Hülle verlustig, bohrt mit seinen
Häkchen die Blutgefässe an und beginnt zu wandern. Endlich macht er sich
sesshaft und kommt nun in die zweite Phase seiner Entwicklung, die man als
Cysticercus bezeichnet. Er verwandelt sich in eine Blase mit flüssigem Inhalt:
an einer Stelle ihrer Peripherie befindet sich eine quergestreifte strangförmige Fort-
setzung Halstheil i. welche mit einer knopfförmigen Anschwellung (Ropftheil), die
Sangnäpfe und Hakenkranz zeigt, endet. In dieser Form wird der Cysticercus
häufig eingekapselt, so besonders in der Muskulatur des Schweines (Finnen).
Rommt er alsdann mit dem Fleisch in den Magen und Darm des Menschen, so
entwickelt sich aus ihm der Bandwurm. Dass sich aus dem Embryonen des Band-
wurms in demselben Menschen, der ihn trägt. ( 'ysticerken entwickeln, ist selten.
Wie erwähnt, sind es die Embryonen, die durch den Mund aufgenommen werden,
welche sich im Menschen zu Cysticerken umwandeln. In das Auge gelangen die-
selben durch die Blutgefässe.
Meist sitzt der Cysticercus zwischen Chorioidea und Netzhaut oder
nach Perforation der letzteren im Glaskörper.
Zuerst hat ihn ophthalmoskopisch A. v. Graefe (1854) gesehen.
In Nord- und Mitteldeutschland kommt er verhältnissmässig zahl-
reich vor: doch haben sich seit Emfuhrunff der Fleischschau auch hier
,')2l) Erkrankungen des Glaskörpers.
die Fälle vermindert. Aus dem übrigen Deutschland, aus Frankreich,
England und Amerika liegen bezüglich des Glaskörpercysticercus nur
sparsame Mittheilungen vor.
Im durchsichtigen Glaskörper ist der Wurm als rundliche, blau-
grünliche Blase mit weissglänzender Peripherie, an der man man bei
länger turtgesetzter Beobachtung auch ein Aus- und Einstülpen des
Halses sieht, meist leicht zu erkennen. Nur in dem Falle, wo er sehr
klein ist und Bewegungen fehlen, hat die Diagnose Schwierigkeit, da
möglicher Weise zarte Glaskörpertrübungen ein blasenälmliches Aus-
sehen haben können. In der Regel rindet sich an irgend einer Stelle
eine Netzhautablösung. Schwieriger ist die Diagnose bei subretinalem
Sitze (s. oben). Nicht selten besteht äusserlich eine geringe pericor-
neale Injection des Bulbus. Bei längerem Aufenthalt des Cysticercus
pflegen sich dickere, membranartige Glaskörpertrübungen hinzuzuge-
sellen, die ihn verdecken können; es stellt sich Iritis und Irido-Chorioi-
ditis ein und der Augapfel wird phthisisch. Doch kann auch Form
und Spannung des Bulbus erhalten bleiben, wie ein Fall zeigt, der von
v. Graefe 1856 diagnosticirt, 20 Jahre später von Hirschberg unter-
sucht wurde.
Die Sehstörung ist je nach dem Sitz verschieden; meist handelt es
sich im Beginn um Skotome. Schliesslich aber geht das Sehen wohl
immer verloren. Die Gefahr einer sympathischen Irido-Cyklitis scheint
nicht naheliegend (v. Graefe); leichtere sympathische Reizerscheinungen
sind allerdings öfter vorhanden. Der Cysticercus ist nur ganz ausnahms-
weise doppelseitig beobachtet, ebenso selten sind zwei Blasen in dem-
selben Auge gesehen worden (Becker, A. Graefe).
Therapie. Zur Erhaltung des Augapfels und im günstigen Falle
auch des Sehvermögens muss man den Wurm extrahieren. Recht be-
friedigend sind die Erfolge bei Anlegung eines mcridional verlaufen-
den Scleralschnittes, wie er von Arlt bereits geübt, vor Allem aber von
Alfred Graefe gepflegt worden ist. Letzterer hat ein besonderes
Localisirungsophthalmoskop angegeben, bei welchem am Ophthalmoskop
ein halbkreisförmiger, in Winkelgrade getheilter und drehbarer Bogen
sich befindet. Der Nullgrad entspricht dem Loche des Augenspiegels.
Wird das untersuchte Auge so gestellt, dass der Cysticercus sich dem
Beobachter gerade gegenüber befindet, so kann nach dem Grade der
Abweichung, welche die Sehlinie des Auges hierbei macht, die Ent-
fernung des Cysticercus von der Macula leicht berechnet werden. Man
kann aber einfacher Weise auch so die Lage teststellen, dass man die
Entfernung des Wurmes von der Papilla optica in Papillendurchmesser
i== l,f> mm) ophthalmoskopisch bestimmt.
Persistenz der Arteria hyaloidea. Glaskörperablösung, 327
Für gewöhnlich rechnet man die Augenachse, von dem Eornhauteentrum zum
hinteren A.ugenpol zwischen Macula und Papille liegend) gleich 24 mm. Danach
wäre der äussere Umfang des Bulbus nach der Formel 2 r n = 7"> mm. die Hälfte
= 37 mm. (Da aber die Sclera und Hornhaut circa 3 mm Dicke haben, ist der
innere Durchmesser = 22 mm. also der innere Fmt'ang = 68 mm, die Hälfte
= 34 mm. i Wenn wir den halben Hornhaut-Umfäng mit G nun rechnen, so würde
demnach der äussere Bulbusumfang vom Hornhautrande zum hinteren Pol 31 mm
betragen: letzterer liegt von der temporalen Seite der Papille etwa 1 mm entfernt:
also vom äussern Hornhautrande bis zum temporalen Papillenrande beträgt der
Bulbusumfang 30 mm. vom inneren Hornhautrande bis zum nasalen Papillenrande
28V2 mm. Pechnet man nun. um den Unterschied zwischen innerem und äusserem
Bulbusumfang auszugleichen, den Papillendurchmesser (PD) = 1,6 mm, so braucht
man ophthalmoskopisch nur in Pl> zu messen, wie weit der Wurm vom Papillenrand
entfernt ist wenn er nicht im horizontalen Meridian sitzt, muss auch die senkrechte
Entfernung bestimmt werden), und trägt sich dann die betreffenden Entfernungen,
unter Berücksichtigung des angegebenen Bulbusumfanges, auf der Sclera vom Horn-
hautrande nach hinten mittelst eines kleines Messbandes ab. So findet man die be-
treffende Stelle. Dieselbe Berechnung gilt auch für die Feststellung von Fremd-
körpern im Augen-Innern. die eventuell zu entfernen wären.
Ist der Sitz genau festgestellt, so wird ein nieridionaler; von vorn
nach hinten gehender Schnitt, der Sclera, Chorioidea und eventuell
Retina an der Stelle, wo der Wurm sich befindet, durchschneidet,
mittelst des Graefe 'sehen Messers in sägenden Zügen ausgeführt. Oefter
stellt sich die Blase spontan oder beim Klaffenmachen der Wunde
mittelst zweier feiner Häkchen ein, sonst wird sie durch Eingehen mit
einer Pincette extrahirt. Besonders günstig für die Extraction ist ein
subretinaler Sitz derselben. Befindet sich der Cysticercus im Glaskörper,
so untersuche man noch einmal kurz vor der Operation seinen Sitz,
da derselbe sich — wie ich es einmal gesehen — noch im letzten Mo-
ment ändern kann.
Sind bereits ausgedehnte seeundäre Entzündungen hinzugekommen
oder ist der Bulbus phthisisch geworden, so wird nur die Enucleation
übrig bleiben. —
Die Filaria oculi humani ist als ein fadenförmiges Gebilde nur
selten im Glaskörper beobachtet worden (Quadri), noch seltener
aus ihm extrahirt (Kuhnt, SaeniisclA Verwechselungen mit Glas-
körpertrübungen sind naheliegend.
4. Persistenz der Arteria hyaloidea. Glaskörperablösung.
In seltenen Fällen bleibt die fötale A. hyaloidea dauernd bestehen.
Sie zeigt sich als grauer oder röthlicher Strang, der von der Papilla
optica nach vorn zum hinteren Linsenpol zieht. Bisweilen sieht man
auch Reste des Cloqu et sehen Canals, indem ein schlauchartiges durch-
sichtiges Gebilde, das trichterartig einem Theile der Papille aufsitzt,
328 Erkrankungen des Glaskörpers.
von dort zur Linse fuhrt. Jn einem Fall beobachtete ich, dass aus dem
Inneru des Schlauches, in einiger Entfernung- von der Papille hervor-
kommend, Gefasse auf der äusseren Wand sichtbar wurden, die zurück-
laufend die anliegenden Netzhautpartien versorgten.
Der Glaskörper hebt sich summt der Membrana hyaloidea {\l. Mül-
ler) bisweilen nach Traumen, welche einen schnell eintretenden und
grossen Glaskörperabfluss zur Folge haben, von der Netzhaut ab. Bei
chronischen Augenentzündungen, Netzhautablösungen und speciell beim
Staphyloma posticum findet sich ebenfalls in der hinteren Bulbuspartie
eine Glaskörperabhebung: hier trennt sich der Glaskörper von der M.
hyaloidea, die der Retina anhaften bleibt (Iwanoff, Herzog Carl
Theodor in Bayern). Auch in der vorderen Augenhälfte ist diese
( rlaskörperablösung durch seröse Ergüsse in den Can. Petiti beobachtet
worden (IL Pagenstecher). Meist handelte es sich in letzteren Fällen
um glaukomatöse Erscheinungen.
Ophthalmoskopisch ist die Glaskörperablösung in der Regel nicht
zu erkennen; Galezowski hat die in der Nähe der Papilla optica
aufgetretene Ablösung einige Male durch einen an ihrer Grenze sich
zeigenden halbkreisförmigen grauen Saum diagnosticirt. Auch Weiss
schiebt einen silberglänzenden Reflexbogenstreifen, den man im auf-
rechten Bilde nach innen von der Papilla bei Kurzsichtigen beobachten
kann, wenn man ein für den Grad der Myopie des untersuchten Auges
zu schwaches Correctionsglas vorsetzt, — auf die. bei Myopie in Folge
der Bulbusausdehnung eintretende Glaskörperabhebung am hinteren
Augenpol.
Dritter Theil.
Glaukom und Ophthalmomalacie.
Erkrankungen der Linse, der Conjunctiva,
der Cornea, der Sclera, der Iris und des Corpus
ciliare. S3rmpathische Ophthalmie.
Chorioiditis suppurativa.
Erstes Kapitel.
A. Glaukom.
1. Krankheitsbild.
Der Name Glaukom (j/MVx6g meergrün) stammt von einem schon
den Alten auffällig gewordenen Symptome der Krankheit, der grünlichen
Farbe der Pupille. Den Grundtypus der Affection bildet das Glau-
coma simplex (Donders [1862]). Seine Symptome sind: 1) Steige-
rung des intraoeularen Druckes, die sich durch vermehrte Härte des
Augapfels kimdgiebt (Tensionszunahme, Hypertonie); 2) Druckexcavation
der Papilla nervi optici und 3) eine meist zur Erblindung führende
Verringerung des Sehvermögens. Zeigen sich neben diesen Sympto-
men (wobei jedoch zu beachten ist, dass es einer gewissen Zeit
bedarf", ehe die Exkavation zu Stande kommt) entzündliche Erschei-
nungen, so spricht man von einem Glaucoma inflammatorium.
Dieses zerfällt wieder nach Verlauf und Auftreten der Entzün-
dung in ein acut-, chronisch- und intermittirend-entzündliches.
Doch sind die Grenzen bisweilen verwischt und ebenso geht eine
Form häufig in die andere über. So kann ein mit Glaucoma sim-
plex behaftetes Auge von einer acuten, glaukomatösen Entzündung
befallen werden oder ein acutes Glaukom in ein chronisch-entzündliches
abklingen.
Trifft die Affection ein früher gesundes Auge, so bezeichnet man
die Erkrankung als Primärglaukom; war das Auge bereits erkrankt
und durch diese Erkrankung zum Glaukom prädisponirt, als Secundär-
glaukom.
Xicht selten lassen sich gewisse Stadien in dem Krankheits-
verlaufe unterscheiden: ein Prodromalstadium, das dem ausgebildeten
Processe (Glaucoma evolutum) vorangeht und ein Endstadium (Glaucoma
absolutum), in welchem das Sehvermögen vollständig zerstört ist; mit
letzterem verknüpfen sich öfter degenerative Vorgänge.
332 Glaukom.
Kin Prodromalstadium wird nach v. Grraefe in ungefähr drei
Vierte] sämmtlicher Fälle beobachtet, es fehlt fast immer beim Gl. sim-
plex; dasselbe kann Monate und Jahre lang bestehen, ohne dass es zu
einem ausgesprochenen Glaukom kommt. Seine Erscheinungen treten
in umschriebenen Anfällen auf, meist nach bestimmten, den Patienten
oft bekannten Anlässen: so nach stärkeren oder ausgefallenen Mahl-
zeiten, nach Gemüthserregungen, nach Kaltwerden der Füsse u. ähn-
lichem. Die Anfälle dauern kürzere oder längere Zeit; meist schwinden
sie nach eingetretenem Schlafe. Ebenso ist ihre Intensität verschieden.
Wir rechnen zu den Symptomen des Anfalles: 1) das Sehen eines
regenbogenfarbenen Ringes (aussenroth) um Lichtflammen. Dieser
Hing ist durch einen grossen dunklen Zwischenraum von der Flamme
getrennt und zeigt eine erhebliche Intensität der Farben. Mattfarbige
Ringe werden auch bisweilen von Gesunden gesehen: so bei Refractions-
Anomalien, Hornhauttrübungen, Conjunctival-Affection, wenn Schleim-
partikel auf der Hornhaut liegen u. s. w. Die Entstehung der Farben-
ringe ist eine durch Trübung der brechenden Medien bewirkte Inter-
ferenzerscheinung; 2) weitere Sehstörungen, Obscurationen. Die
Gegenstände erscheinen wie in Nebel gehüllt. Bisweilen fallen Theile
des Gesichtsfeldes aus; die centrale Sehschärfe ist mehr oder weniger
herabgesetzt; 3) Ciliarneuralgien. Die Schmerzen strahlen vom Auge
nach Stirn, Wange und Schläfe aus; oft aber fehlen sie gänzlich. Die
Neuralgie dürfte auf eine directe mechanische Nervenirritation durch
plötzliche Steigerung des intraocularen Druckes zurückzuführen sein. —
Objectiv ist im Anfalle in der Regel: 4) eine Spannungszunahme des
Bulbus zu constatiren. Die Prüfung macht man in der Seite 8 be-
schriebenen Weise durch Betasten. Man kommt so schneller und oft
sicherer zu einem Resultate als durch Benutzung der als Tonometer
von Snellen, Monnik, Dor, Fick u. A. beschriebenen Instrumente,
die, dem Augapfel direct aufgesetzt, nach verschiedenen Methoden —
etwa durch das Gewicht, welches erforderlich ist, um eine Grube von
bestimmter Tiefe in die Sclera zu drücken — die Spannung zahlen-
mässig feststellen sollen. Von Bowman ist für die verschiedenen
( rrade der Tension eine abkürzende Bezeichnung vorgeschlagen worden:
Tu bedeutet normale Spannung: Steigerungen derselben werden
durch das Plusvorzeichen, Abnahmen durch das Minusvorzeichen aus-
gedrückt, die Grade durch Hinzufügung der Zahlen von 1 bis 3. So
würde +T:i der höchste Härtegrad (^steinhart") sein. Ist nur ein Auge
befallen, so wird eine Vergleichung der Spannung mit der des gesunden
Auges von Bedeutung sein, da man eine ziemlich grosse physiologische
Breite hei den Augen der einzelnen Individuen rindet; 5) Erweiterung
und Trägheit der Pupille; doch pflegt dieses Symptom im Prodro-
Krankheitsbild. 333
malstadium nicht besonders hervorzutreten. Die Pupille zeigt wegen der
Medientrübung und ihrer Erweiterung bisweilen die graue oder grau-
grünliche Färbung, von der die Krankheit ihren Namen hat; am aus-
gesprochensten beim entwickelten chronisch-entzündlichen Glaukom. Doch
kann man einen ähnlichen Reflex auch ohne Glaukom bei alten Leuten,
bei denen die Linse stärker reflectirt, nach Atropineinträufelungen be-
obachten: 6) leichte Trübung des Kammerwassers und der Cor-
nea. Hierauf wird noch bei der Beschreibung des acuten Glaukom-
anfalles zurückgekommen werden; 7) lässt sich bisweilen Hyperämie und
Verbreiterung der Netzhautvenen, ebenso Venenpuls constatiren. Doch
kommt letzterer auch physiologisch vor. Der pathologische Arterien-
puls, von dem unten die Rede sein wird, ist im Pro dromalanf alle jeden-
falls sehr selten.
Neben den eigentlichen Anfällen ist bei den Patienten oft ein durch
Verringerung der Accommodationsbreite bewirktes Hinausschieben des
Nahepunktes (frühzeitige Presbyopie) auffällig. Es dürfte dies
auf die Zunahme des intraocularen Druckes, speciell im Glaskörper, zu-
rückzuführen sein, wodurch der Krümmungsvermehrung der Krystalllinse
entgegengewirkt wird. Auch könnte die an glaukomatösen Augen ana-
tomisch erwiesene Hyperämie des Ciliarkörpers hier in Betracht kommen.
Ein Hinausrücken des Fernpunktes ist nicht immer damit verknüpft,
wenn auch häufig. Bisweilen zeigt sich während des glaukomatösen
Processes sogar im Gegentheil eine Vermehrung der Refraction7 die in
einem abnormen Vorrücken der Linse ihre Erklärung findet. — ■ Die
Abnahme der Refraction kann durch Anspannung der Zon. Zinnii und
dadurch veranlasstes Flacherwerden der Linse bedingt sein. Eine Ab-
flachung der Hornhaut ist, wie directe Messungen bei Glaukomatösen
ergaben, nicht die Ursache (Coccius, Laqueur).
Der Uebergang aus dem Prodromalstadium in das des entwickelten
(xlaukoms tritt dann ein, wenn auch in der anfallfreien Zeit eine mit
dem Processe zusammenhängende Herabsetzung der Sehschärfe zu con-
statiren ist.
I. Glaucoma simplex.
Aeusserlieh bietet das Auge meist ein normales Ansehen. Die vor-
dere Kammer ist nur bisweilen abgeflacht, die Pupille in der Regel erst
nach eingetretener Erblindung erweitert und starr. Das Hauptsymptom
bleibt die Verringerung der Sehschärfe mit einer ophthalmoskopisch
nachweisbaren Aushöhlimg der Sehnervenpapille. Die Steigerung des
intraocularen Druckes ist nicht immer erheblich und tritt nicht zu allen
Zeiten deutlich hervor. Es ist hierbei aber zu beachten, dass die
334 Glaukom.
physiologische Breite, in der die Spannung des Augapfels schwankt,
eine ziemlich grosse ist, so dass bei einem Auge eine gewisse Spannung
bereits als Ausdruck pathologischer Steigerung dem früheren normalen
Zustande gegenüber gelten muss, die bei einem anderen Auge durchaus
physiologisch ist.
Doch lässt sich fast ausnahmslos auch bei Glaucoma simplex bei
längerer Beobachtung und häufigeren Untersuchungen, wenigstens zu
gewissen Zeiten, deutlich eine pathologische Steigerung nachweisen. Man
ist seit Heinrich Müller (1850) gewöhnt, auf diese Druckzunahme die
glaukomatöse Excavation der Sehnervenpapille zurückzu-
führen, wenngleich für manche Fälle, in denen die Drucksteigerung
eben keine ungewöhnliche ist, eine besondere individuelle Nachgiebigkeit
vorausgesetzt werden muss. Dass hier auch gelegentlich pathologische Pro-
cesse mitspielen, welche die Resistenz vermindern (Schnabel), ist nicht
unwahrscheinlich; doch bleibt es immerhin auffällig, dass wir bei anderen,
mit intensiven Veränderungen in der Papille verknüpften Affectionen (so
bei der Stauungspapille, Neuritis descendens, Atrophie) diese Excavation
nicht zu Stande kommen sehen. Eine Steigerung des intraoeularen
Druckes ist demnach gleichzeitig erforderlich; durch sie wird das den
Sehnerven quer durchsetzende Maschenwerk der Lamina cribrosa als
der schwächste und dünnste Theil der Sclerakapsel nach hinten ge-
drängt und mit ihr die Papilla optica excavirt (vgl. S. 264). Im Be-
ginne des glaukomatösen Leidens pflegt zuerst ihr centralster Theil aus-
gehöhlt und dort die Lamina cribrosa zurückgedrängt zu werden, was
Brailey anatomisch gezeigt hat und ich auch klinisch einige Male be-
obachten konnte. Bald wird dann weiter der eine oder andere Rand-
theil zurücksinken und hiermit, durch Knickung der daselbst verlaufen-
den ( Jefässe die Diagnose gesichert sein.
Noch ein anderes mit dem Augenspiegel erkennbares Symptom
wäre zu erwähnen: das Auftreten eines spontanen Arterienpulses;
doch wollen wir gleich hinzufügen, dass derselbe bei Glaucoma simplex
kaum beobachtet wird. Die oft gemachte Angabe, dass der Arterienpuls
durch Fingerdruck auf den glaukomatösen Bulbus leichter als bei nor-
malen Augen hervorzurufen sei, hat bei den physiologischen Verschieden-
heiten der Augen bezüglich dieses Phänomens keine erhebliche Bedeu-
tung. Ist allerdings Arterienpulsation spontan vorhanden, in der Form
wie wir sie als Druckpulsation beschrieben haben, so kann meist mit
Sicherheit Glaukom diagnosticirt werden, da dieselbe unter normalen
Verhältnissen fast nie beobachtet wird (vgl. S. 266).
Die Abnahme des Sehvermögens und Einschränkung des Ge-
sichtsfeldes pflegt der Ausbildung der Excavation zu entsprechen, wenn-
gleich man gelegentlich auch Ausnahmen rindet. So habe ich lange
Glaucoma simplex. 335
Jahre eine Dame in Beobachtung gehabt mit doppelseitiger ausgeprägter
Druckexcavation — auch von anderen Ophthalmologen diagnosticirt —
bei halber Sehschärfe und freiem Gesichtsfelde, ohne dass eine weitere
Veränderung der Functionen zu constatiren gewesen wäre. In einem
anderen Falle, wo seit 10 bis 12 Jahren glaukomatöse Zufälle sich
zeigten, war trotz einer Exeavation die Sehschärfe noch fast normal
und das Gesichtsfeld frei. Es erweist dies zugleich, wie lange der
Process, allerdings nur in seltenen Fällen, stationär bleiben kann. Für
gewöhnlich kommt es eher zum Verfall des centralen Sehens und zur
Einengung des Gesichtsfeldes, obgleich bei Glaucoma simplex der Ver-
lauf erheblich langsamer als bei den entzündlichen Formen zu sein
pflegt Es scheint, dass der Grund der Functionsstörungen in der
Knickung der Nervenfasern und in dem die Papille treffenden Drucke,
der allerdings auf eine verschiedene Resistenzfähigkeit in der Nerven-
leitung, etwa entsprechend der schnelleren oder langsameren Excava-
tionsausbildung stossen kann, vorzugsweise zu suchen sei. Sehr seltene
Fälle mit intactem Sehvermögen und ohne sonstige glaukomatöse
Symptome lassen vermuthen, dass die Exeavation auch angeboren
vorkommt.
Die Gesichtsfeldbeschränknng geht bisweilen der centralen
Schwachsichtigkeit voran. In der Regel pflegt bei den verschiedenen
Formen des Glaukoms die Einschränkung nach der Nasenseite, nach
oben und nach unten weiter vorgeschritten zu sein als die nach aussen,
selbst bei niehr concentrischen Einengungen ist meist das Gesichtsfeld
nach aussen weiter als nach innen, ein liegendes Oval bildend. Schliess-
lich nähert sich der Defect von innen her dem Fixirpunkt, bis auch
dieser verloren geht. In sehr seltenen Fällen beginnt bei relativ freieren
peripheren Gesichtsfeldgrenzen der glaukomatöse Process mit einem
pericentralen Skotom.
Der Farbensinn bleibt lange erhalten. Die Grenzen jedoch, in
denen die einzelnen Farben in der Gesichtsfeldperipherie empfunden
werden, rücken öfter schon frühzeitig dem Fixationspunkte abnorm nahe,
wenngleich das Verhältniss zwischen den einzelnen Farben bezüglich
ihrer peripheren "Wahrnehmbarkeit das physiologische bleibt. Erst mit
Zunahme der ascendirenden Sehnervenatrophie schwindet die Farben-
empfindung. Der Lichtsinn ist ebenfalls öfter herabgesetzt, sowohl was
die Reizschwelle, als besonders was die Unterschiedsschwelle betrifft.
Den Endausgang der Erkrankung bildet, wenn auch oft erst nach
vielen Jahren eintretend, ohne Eingriff der Therapie fast stets die voll-
kommene Erblindimg.
In der Regel werden die an Glaucoma simplex Erkrankten erst
durch die Beobachtung, dass sie schlechter sehen, zum Arzte geführt.
336 Glaukom.
Oft ist zu der Zeit schon ein Auge ganz oder fast ganz verloren. Auf-
merksameren Patienten pflegt die durch Herausrücken des Nahepunktes
bedingte Erschwerung des Lesens aufzufallen. Bisweilen treten auch
bei Glauconia simplex temporäre Verdunkelungen auf, „ein leichter
Schleier, ein Nebel legt sich vor die Gegenstände", ohne dass an dem
Auge besondere entzündliche Erscheinungen zu bemerken wären. Regen-
bogenfarbige Ringe werden durchaus nicht von allen Patienten gesehen.
Ebenso fehlen fast stets Schmerzen in Stirn und Schläfen.
Wenn sich mit dem Glauconia simplex Anfälle entzündlicher Art
mit ausgeprägten Trübungen der Medien und Gefässinjectionen ver-
knüpfen, so bezeichnet man das Leiden als Glaucoma simplex cum
inflammatione intermittente. Glaukome, welche in der anfalls-
freien Zeit neben den sonstigen Symptomen des Glaucoma simplex
eine besonders enge vordere Kammer zeigen, gehören meist in diese
Kategorie.
II. Glaucoma inflarnmatorium.
Das Glaucoma inflarnmatorium acutum zeigt das Bild einer
acuten Augenentzündung. Doch ist zu betonen, dass ander weitige Er-
scheinungen, wie heftige Kopf- und Gesichtsschmerzen, oft mit Erbrechen
verknüpft, das locale Leiden zuweilen übersehen lassen. Die Lider sind
leicht geschwellt, das Auge thränt, die Conjunctiva bulbi ist stark in-
jicirt, oft ödematös. Neben der Füllung des die Cornea ringförmig um-
gebenden, subconjunctivalen Gefässnetzes sieht man vom Aequator bulbi
her dicke, dunkelblaue Gefässe kommen, die, der Sclera aufliegend,
sich mit den pericornealen verbinden. Die Cornea erscheint in Folge
ödematöser Durchtränkung matt, trüb, oft sind kleinere Epithelialver-
luste vorhanden ; bisweilen Hegen punktförmige, weissliche Exsudate an
ihrer, der vorderen Kammer zugewandten Fläche. Ihre Sensibilität,
durch Berühren mit der Spitze einer Papierdüte oder einem kleinen
Haarpinsel geprüft, ist meist verringert. Die vordere Kammer ist eng,
indem Regenbogenhaut und Linse nach vorn gerückt sind, bisweilen so,
dass sie die Cornea fast berühren. Das Kammerwasser erscheint ge-
trübt. Für eine wirklich vorhandene Mischungsänderung desselben und
Aufnahme lymphoider Zellen, die von manchen Autoren bezweifelt wird,
sprechen sowohl directe mikroskopische Untersuchungen, als auch der
bisweilen klinisch zu constatirende Befund der oben erwähnten Ablage-
rungen auf der Membrana Descemetii. Selbst Blutungen in die vor-
dere Kammer habe ich gesehen. Die Pupille ist in der Regel
weit, bisweilen maximal. Letzterer Befund ist von höchster differential-
diagnostischer Bedeutung, da bei keiner anderen gleich heftigen Augen-
Glaucoma mflammatoriuru. 337
entzündung eine derartige Mydriasis beobachtet wird; darauf hin kann
man fast die Diagnose stellen, wenn man sicher ist, dass kein Mydria-
ticum angewandt ist oder keine Paralyse des Spineter Iridis besteht.
Die Farbe der Pupille ist nicht schwarz, sondern rauchgrau. Nur in
seltenen Ausnahmefällen fehlt die Pupillenerweiterung-; hintere Syne-
chien sind dann die Veranlassung. Wenn man mit dem Augenspiegel
untersucht, so bleibt auf der Höhe des Anfalles die Pupille bisweilen
trotz der Beleuchtung grau oder schwärzlieh, indem alles einfallende
Licht, von den getrübten Medien absorbirt wird. Zu dieser Lichtab-
sorption trägt auch die diffuse Trübung des Glaskörpers bei; umschrie-
bene Flocken sieht man selten, jedoch habe ich sie in einzelnen Fällen
constatiren können.
Gelingt es noch, Details des Angenhintergrund.es zu erkennen, so
erscheint die Papille hyperämisch; die Venen sind stark gefüllt und ge-
schlängelt; die Arterien zeigen oft Pulsation. Eine Excavation ist
hingegen in einem ersten Glaukomanfalle noch nicht vor-
handen. Wohl aber findet sie sich, wenn bereits ein chronisches Glau-
kom vorher bestanden hatte. Die Spannung des Augapfels ist erhöht.
In der plötzlichen Steigerung der Tension, der periodischen Unter-
brechung des arteriellen Blutstromes (Arterienpulsation mit ihrem Ein-
fluss auf die Gefässwände) und der venösen Stauung, die zu einem
acuten Oedem führt, dürfte die nächste Ursache der geschilderten
Symptom»' zu suchen sein.
Das Sehvermögen nimmt während des Anfalles in der Regel er-
bet »lieh ab; es kann bis auf quantitative Liehtempfindung erlöschen.
Dies ist auf die Trübung der Medien, die Unterbrechung der Blutzu-
fuhr für die Netzhaut und auch auf den diese direct treffenden Druck
zurückzuführen.
Meist tritt selbst ohne besondere Therapie eine allmähliche Besse-
rung wieder ein, wenn es auch nicht zu dem früheren Grade des Seh-
vermögens kommt. Vor Allem sieht man dies bei den milderen, subacut
verlaufenden Formen. Dabei gehen denn auch — in Tagen oder
Wochen — die entzündlichen Erscheinungen zurück, und das Auge
kann wieder annähernd ein normales Aussehen bieten. Doch ist die
Krankheit damit nicht erloschen: unter neuen Anfällen oder in einer
mehr chronischen Form bildet sich eine Sehnervenexcavation aus und
•las Auge erblindet.
Höchst selten sind die Fälle, bei denen der erste acute Anfall in
wenigen Stunden und ohne dass später eine Restitution zu Stande käme,
die Sehkraft vollständig vernichtet. A. v. Graefe hat ihnen den Namen
des Glaucoma fulminans beigelegt. Sie sind meist bei älteren Per-
sonen beobachtet: ich habe diesen Verlauf jedoch einmal bei einem
■-'■hmidt-Rimpler. 7. Auflage. 22
338 Glaukom.
24jährigen Mädchen gesehen. Prodrome hatten gefehlt, der Anfall
ging mit heftigsten Kopfschmerzen und Erbrechen einher. Nach der
[ridectomie, bei der Glaskörper kam. wurde der Bulbus weich und leicht
phthisisch.
Im Glaucoma inflainniatoriuni chronicum entwickeln sich
die Erscheinungen, welche wir beim acuten Glaukom kennen gelernt
haben, allmählich, ohne dass eine stärkere Entzündung auftritt. Die
Conjunctiva selbst zeigt wenig Gefässe, aber auffällig sind die unter
ihr, auf den vorderen Scleralpartien verlaufenden und verästelten, dunkel-
bläulichen Stränge (vordere Ciliarvenen); die an Stelle der comprimirten
Yenae vorticosae das Blut aus dem Augeninnern führen. Die Sclera
bekommt ein mehr bleifarbenes Aussehen, bedingt durch Verödung
kleinerer Arterien des episcleralen Gewebes; die Cornea ist weniger
durchsichtig als sonst, zeigt oft kleine Epithelialverluste, das Kammer-
wasser ist bisweilen periodisch getrübt, die vordere Kammer eng; die
Pupille, anfangs von mittlerer Weite, nimmt später an Grösse zu. Die
Iris zeigt eine matte Färbung und sich steigernde Gewebsatrophie.
Der Augenspiegel lässt in der Regel den Augenhintergrund erkennen;
bei einigem Bestehen des Leidens findet sich eine Excavatio papillae n.
optic, die schliesslich zur Sehnervenatrophie führt. Die Tension ist
gesteigert. Dieses Bild kann sich aber plötzlich in das des acuten
Glaukoms umwandeln.
Die Beschwerden der an chronisch-entzündlichem Glaukom leidenden
Patienten sind ähnlich wie bei Glaucoma simplex. Doch treten häufiger
leichte Reizungen im Auge, Farbensehen, Obscurationen und Neuralgien
auf. —
Hat eine oder die andere dieser Formen zur vollkommenen, unheil-
baren Erblindung geführt, so haben wir das Glaucoma absolutum.
Bisweilen bleibt dabei der äussere Zustand des Auges, meist unter zu-
nehmender Trübung der Linse, annähernd der gleiche. In anderen
Fällen aber treten degenerative Processe hinzu, die unter Drucksteige-
rungen zu Ektasien (Scleral- oder Corneal-Staphylomen), oder auch
unter Tensionsabnahme zur Phthisis führen. Dabei können verschieden-
artige Entzündungen und Veränderungen (Glaskörpereiterung, Netz-
hautablösung, Hornhautnieerationen., Keratitis bullosa, Apoplexien in
der Hornhaut n. s. w.) nebenher laufen. Die Kranken leiden auch
midi Erblindung des Auges bisweilen noch an heftigen Neuralgien und
ebenso, wenn auch seltener, an quälenden Lichterscheinungen.
III. Secundärglaukom.
Den eben besehriebeiien Formen von primärem Glaukom gegenüber
stehl das Secundärglaukom (A. v. Graefe). Dasselbe gesellt sich
Secundärglaukom. 339
zu anderweitigen Augenaffectionen gewöhnlich unter dein Bilde des
Glaucoma simplex: das Sehvermögen nimmt unter allmählichem Auf-
treten von Gesichtsfelddefecten ab, während die 'Pension des Bulbus sich
mehrt und eine Excavation der Papille zu Stande kommt. Da liänfii;
die primäre Affection Trübungen gesetzt hat, welche die ophthalmo-
skopische Untersuchung hindern, so beruht die Diagnose in solchen
Fällen auf den Functionsstörungen und der Drueksteigerung. Gewisse
Erkrankungen haben besondere Neigung, secundär glaukomatöse Pro-
cesse einzuleiten. Hierher gehören: die narbigen Ektasien der Horn-
haut und die Synechien der Iris, soavoM vordere als hintere. Wenn eine
totale- hintere Synechie und Verwachsung der Iris mit der Linsenkapsel
besteht, so tritt fast ausnahmslos ein Verlust des Auges ein, der theils
durch secmuläres Glaukom, in anderen Fällen durch iridocyklitis herbei-
geführt wird. Partielle Synechien sind weniger gefährlich. Ferner hat
die Iritis serosa (Uveitis), welche sich auch gern mit Glaskörpertrü-
bung verbindet. Neigung zu secundärer Drueksteigerung; selbst acute
Glaukomanfälle treten dabei auf. Dasselbe gilt von traumatischen
Katarakten bei schneller QueUung, von Linsenluxationen und manchen in-
fcraocülaren Tumoren. Nicht selten wurden nachDiscissionen des Nachstars
glaukomatöse Erscheinungen beobachtet, die durch Iridectomie geheilt
wurden. Nach hämorrhagischen Netzhautprocessen wird gleichfalls öfter
Secundärglaükom beobachtet (das sogenannte Glaucoma haemor-
rhagicum), eine Form, die prognostisch, selbst bei entsprechender The-
rapie, von sehr schlimmer Bedeutung ist.
Schon erheblich seltener findet sich Secundärglaükom bei seniler
Starentwickelung, Selerotico-ehorioiditis posterior, diffuser und pannöser
Keratitis, bandförmigen Infiltrationen und bei Keratitis vesiculosa
(Herpes corneae). Bei letzterer Affection, welche insofern eine patho-
gnomonische Bedeutung hat, als man die Bläschen als Ektasien der
Lymphgefässe auffassen und sie mit einer den glaukomatösen Process
hervorrufenden Lymphstauimg in Verbindung bringen kann, wurde das
Hinzutreten eines acuten Glaukoms einmal von Saemisch beobachtet.
Auch ich hatte Gelegenheit, bei einer 56jährigen Frau, deren rechtes
Auge von Herpes corneae über ein Jahr lang unter beständigen Reei-
diven befallen worden war, ein Secundärglaükom mit Amaurose zu Con-
sta tiren, nachdem sie ein halbes Jahr lang nicht zur Klinik gekommen
war. Der Herpes trat immer wieder von Neuem auf. — Weiter wird
bei Hydrophthalinus congenitus in der Regel eine Excavation der Papille
gefunden und ist dieses Leiden den glaukomatösen Processen zuzu-
rechnen. Hock sah auch nach Tätowirung von Hornhautnarben glau-
komatöse Erscheinungen auftreten. Bisweilen findet man neben anderen
Erkrankungen (so Netzhautablösungen, Retinitis pigmentosa, Sehnerven-
;;40 Glaukom.
atrophien, selbst bei Aphakie und Irideremie) Glaukom; doch dürfte es
sich hier meist nur um Complicationen handeln.
Differentielle Diagnose. Glaucoma simplex kann besonders
mit einfacher Amblyopie oder mit Amblyopie in Folge von Sehneryen-
atrophie verwechselt werden. Die Spannungszunahme giebt öfter einen
Anhalt; doch muss man zu verschiedenen Zeiten untersuchen, da sie
periodischen Schwankungen unterliegt, auch ist sie bisweilen so gering,
dass es schwer wird, sie als pathologisch zu erkennen. Hier wird dann
der ophthalmoskopische Befund derDruckexcavation entscheiden. Doch ist
die differentielle Diagnose der letzteren gegen die anderen Formen der
Papillen -Excavation, besonders die atrophische, nicht immer leicht
(vgl. 8. 267). Für Glaukom spricht dann weiter das Erhaltensein des
Farbensinns, der bei Sehnervenatrophie viel früher leidet. Auch die
Gesichtsfeldeinengung ist zu beachten: das Auftreten eines vorzugs-
weise temporalen Defectes ist bei Glaukom sehr selten. Periodische
Obscurationen oder gar Farbensehen sind ausschlaggebend für die
Glaukom-Diagnose, aber sie fehlen doch auch gelegentlich, so dass ich
Schweigger, der in letzteren Fällen stets einfache Sehnerven- Atrophie
diagnosticirt, nicht zustimmen kann.
Bei Glaucoma simplex mit intermittirenden Entzündungen
ist die Diagnose ebenfalls oft schwierig, wenn man den Patienten in
der entzündungsfreien Zeit untersucht und die Excavation noch nicht
typisch ausgebildet ist. Doch wird die Schilderung der eigenartigen
Symptome des Anfalles, sowie das Verhalten der Pupille, der episcle-
ralen Gefässe und der Tension oft leiten. —
Wenn das Glaucoma acutum typisch auftritt, ist es nicht leicht
zu verkennen: die weite Pupille ist charakteristisch. Gegen einfache
Iritis serosa, wo die Pupille auch öfter etwas erweitert ist, spricht die
Enge der vorderen Kammer: auch pflegen die Gefässinjectionen und
sonstigen entzündlichen Erscheinungen bei der Iritis serosa weniger
hervorzutreten. Bei letzterer finden sich dagegen in der Regel Beschläge
an der Membrana Descemetii: beim Glaukom nur höchst selten. Schwie-
riger aber ist die Diagnose, wenn die Pupille bei acutem Glaukom aus-
nahmsweise eng ist oder Verwachsungen zeigt. Hier kann Verwechs-
lung mit einer acuten Irido-Chorioiditis nahe liegen; doch pflegt bei
acutem Glaukom auch die Hornhaut immer etwas trüb und die Span-
nung stärker vermehrt zu sein; ebenso die vordere Kammer enger. Bei
dir sehr seltenen einfachen serösen Chorioiditis kann ebenfalls die
vordere Kammer aufgehoben, die Pupille erweitert und die Tension
Secundärglaukom. ,•541
gesteigert sein. Doch fehlen stärkere Injektionen des Bulbus, ebenso
die Trübungen der Cornea.
Entwickelt sich bei chronischem Glaukom grauer Star, so
wird das ursächliche Leiden gelegentlich übersehen und eine uncoin-
plicirte Katarakt angenommen. Tn der Regel aber werden die weite
starre Pupille, die starken vorderen Ciliarvenen und die Tensionser-
höhuug schon die Diagnose sichern; weiter kommt die Sehprüfung in
Betracht, da bei glaukomatöser Katarakt G esichtsfelddefeete und stärkere
Herabsetzung des centralen Sehens bestehen; es wird hier nicht mehr
der Schein der kleinsten Lampe wie bei uncomplicirter Katarakt wahr-
genommen. Zu beachten ist noch, dass bisweilen intraoculare Tumoren
mit glaukomatösen Erscheinungen complicirt sind.
2. Vorkommen und Aetiologie.
An Glaukom leidet in Europa etwa ein Procent sämmtlicher, in
den Augenkliniken sich vorstellender Kranken; in Amerika scheint der
l'rocentsatz ein geringerer zu sein (H. Derby)- Die Affection trifft
heide Geschlechter in ziemlich gleicher Häufigkeit, am häufigsten tritt
sie nach dem 50. Lebensjahre auf. Nur ausnahmsweise werden bei
jungen Individuen Primärglaukome beobachtet. In der Mehrzahl der
Fälle ergreift der glaukomatöse Process beide Augen nach einander.
Das acute Auftreten ist erheblich seltener als das chronische: unter
124 glaukomatösen Individuen, die ich zu dem Zwecke zusammenstellte,
litten 24 an acutem Glaukom, 100 an chronischem, d. h. chronisch-
entzündlichem imd Glaucoma simplex. Hyperopische Augen werden
besonders häufig befallen, kurzsichtige selten: die hier in der Ektasie
zum Ausdruck kommende Nachgiebigkeit der Sclera verhindert wahr-
scheinlich die sonstigen schädlichen Folgen drucksteigernder Einflüsse.
In gewissen Familien zeigt sich eine Vererbung des Leidens.
Unter den ätiologischen Momenten spielen Trigeminusneuralgien eine
Rolle. Recht häufig ist zu constatiren, dass sie der Augenerkrankung
schon seit Jahren vorangegangen sind. Auch ein Zusammenhang der
Augenaffection mit der Gicht, der Cessatio mensium in den klimak-
terischen Jahren, Unterdrückung habitueller Hämorrhoidalflüsse oder ge-
wohnter Hautsecretionen, Arterienatherom und Aehnlichem ist in ge-
wissen Fällen nicht unwahrscheinlich. Ebenso entsteht nach Schön
öfter Glaukom, wem Presbyopen ihre Accommodation überanstrengen
und nicht zu den entsprechenden Convexbrillen greifen. Die directe
Veranlassung des glaukomatösen Anfalles bilden nicht selten Ge-
rn üthserregungen, z. B. auch beim Kartenspiel; Excesse, Schlaflosigkeit,
342 Glaukom.
Erkältungen, Schwächezuständej fieberhafte Erkrankungen u. s. w.. i car
nicht selten beobachten wir das Auftreten von glaukomatösen Processen
nach Diseissionen des Nachstars. Auch Instillationen von Atropin, Ho-
matropin halten gelegentlieh einen acuten Anfall bei einem chronischen
Gfiaukom oder Glaucoma simplex hervorgerufen; selbst bezüglich derEin-
träuf elungen vod Duboisin und Cocain (Man z, Maier) liegen vereinzelte
derartige Beobachtungen vor. Es ist demnach hier Vorsieht anzurathen.
— Gleicher Weise wurde öfter ein Entzündungsanfall auf dem zweiten,
bisher anseheinend gesunden oder an nicht-entzündlichem ( rlaukom er-
krankten Auge beobachtet, wenn das andere iridectomirt worden war.
Um dies zu vermeiden, pflege ich in das nicht operirte Auge zur Zeit
der Operation und während der Nachbehandlung Physostigmin oder
Pilocarpin einzuträufeln.
3. Pathologische Anatomie.
Der charakteristische Befund des ausgeprägten Glaukoms ist die Aus-
höhlung der Papilla optica mit Zurückdrängung der Lamina cribrosa
nach hinten (H. Müller). Die anderen Befunde sind nicht in allen
Fällen vorhanden, wenngleich einige derselben ihrer Häutigkeit wegen
für die Erklärung des glaukomatösen Processes Verwerthung finden
müssen.
Hierher gehört vor Allem die Ohliteration des Fontana 'sehen Raumes, der
zwischen den Maschen des Ligain. pectinat. an der Peripherie der vorderen
Augenkanuner liegt : des sogenannten Filtrationswinkels. Es zeigt sich dabei
in frischen Fällen die ganze Umgebung des Sehlemm'schen Kanales zellig in-
ültrirt: in abgelaufenen pflegt sieh eine Narbencontraction concentrisch gegen ihn
hin zu entwickeln und ihn zu verschliessen. Oft ist die Peripherie der Iris mit
ihm durch Zwischensubstanz verklebt (Knies). Da an dieser stelle der Abfluss
der Lymphe aus dem Augeninnera (Leber) stattfindet, so wird ein Verschluss
desselben Stamme und Drucksteigerung hervorrufen. I>ass dieser Verschluss aber
nicht in allen Fällen von Glaukom besteht (BirnbaeKer), im Gegentheil bisweilen
sogar bei Tensionsabnahme vorkommt, haben weitere Untersuchungen gelehrt.
Nach Ad. Weber's Ansicht wird der Verschluss des Fontana'schen Raumes
durch ein venöses Anschwellen der Ciliarfortsätze, welche den [risrand gegen die
Hornhaut anpressen, veranlasst. Brailey, dereine sehr grosse Zahl von glaukoma-
tösen Augen untersuchte, betont, ebenso wie Wedl, als constanten Befund eine
starke Erweiterung der Blutgefässe des Augeninnern; hauptsächlich und fast aus-
schliesslich derjenigen, welche die Ciliargegend versorgen. Damit ist eine Ver-
dünnung der Gefässwandungen verknüpft. Andererseits wurde in den verschie-
denen Gefässgebieten des Auges, auch des Sehnerven, eine Endarteriitis (Kulmt.
und im Uyeal- und Scleraltractus eine Periphlebitis chronica hyperplastica (Birn-
bacher-Czermak, Vossius, Zirm) beobachtet.
Fernei ist beachtenswert!] die Häufigkeit der Atrophie des Ciliarmuskels.
besonders bei einiger I lauer des glaukomatösen Processes. auf welche schon Wedl
Theorie über Pathogenese und Wesen des Glaukoms. ;-54o
aufmerksam gemacht hat. Brailey bringt diese Atrophie in Abhängigkeit vron
den Gefässalterationen; sie sei nicht seeundäre Folge der Druckzunahme, da sie
bei partiellem Auftreten in der Regel auch der partiellen Gefässerweiterung ent-
spreche. Die Adhärenz der Iris an die Corneaperipherie hält er für seeundär; ihr
geht meist eine Entzündung der Iris voraus, welche anfänglich mit sehr vielen Zellen
durchsetzt sei, schliesslich aber atrophire. Der Linsendurchmesser ist nach ihm
nicht vergrössert, wie Priestley Smith behauptet. - Die Retina zeigt nichts
Besonderes, bisweilen Hypertrophie der M.üller'schen Stützfasern. Auch fand
Brailey in allen seinen Fällen, ebenso wie 11. Pagenstecher, Schnabel u. A.
- entgegen den Untersuchungen von Sattler und neuerdings von Birnbacher-
Czermak — keine entzündlichen Veränderungen in der Chorioidea; nur das äqua-
toriale Pigmentepithel ist öfters unregelmässig verfärbt. Die Iris lässt eine aus-
gedehnte Bindegewebs-Sclerose mit entsprechenden Gefässveränderungen erkennen
(Ulrich). Der Glaskörper zeigt in acuten Fällen äusserlich eine Zunahme seiner
Cohsistenz, im Innern Verflüssigung. Die zelligen Elemente sind vermehrt. Auch
Glaskörperablösungen sind von verschiedenen Autoren beschrieben; aber auch
volle Intactheit wurde beobachtet (Birnbacher). Die Sclerotica bietet nach
Brailey keine besondere Rigidität, doch ist sie oft dick und fest, bei uncom-
plicirtem Glaukom aber kaum in höherem Grade als bei anderen hyperopischen
Augen desselben Lebensalters. Hingegen deutet es auf eine Zunahme der Rigi-
dität, dass die inneren Lagen der Scleralfaserbünde einen mehr parallelen Zug.
als ob sie näher aufeinandergedrückt würden, erkennen lassen und ein erhöhtes
Lichtbrechungsvermögen haben: ebenso spricht für die Abnahme der Elasticität
die erwiesene fettige Degeneration (Co ccius, Wedl, Weichselbaum). Directe
Versuche über die Scleralelasticität haben allerding schon bei normalen Augen
so weite Differenzen ergeben, dass aus ihnen nichts Sicheres zu folgern ist
Ad. Weben: jedoch ergeben die Versuche von Ichreyt, dass besonders der
hintere Abschnitt derSclera, die, wie neuere Untersuchungen (Sattler) wieder gezeigt,
reich an elastischen Fasern ist. durch seine Elasticität einen Einfluss auf den in-
traocularen Druck ausüben kann. Neuerdings ist auch der Einfluss der Chorioi-
dealelasticität hervorgehoben worden; durch letztere wird, wie sich bei Fensterung
der Sclera zeigt und worauf die bei Durchschneidung der Augen eintretende
Retraction der Chorioidea hinweist, unter normalen Verhältnissen der Gläskörper-
druck getragen und dadurch eine freiere Blutcirculation in den zwischen ihr und der
Sclera verlaufenden Venen ermöglicht. An glaukomatösen Augen sei nun die elastische
Spannung verringert, die Chorioidea werde gegen die Sclera stärker angedrückt
und damit eine Störung der Circulation in den erwähnten Venen bedingt (Straub).
Die Cornea zeigt neben Veränderungen des Epithels bei stärkeren Trübungen
auch Alterationen des Stromas, wodurch die regelmässige Anordnung der Lamellen
gestört wird: in acuten Fällen Oedem.
4. Theorie über Pathogenese und Wesen des Glaukoms.
lieber die Pathogenese und das Wesen des Glaukoms haben
die Ansichten sehr geschwankt und sind auch noch heute bei Weitem
nicht zu einer Uebereinstimmung gekommen.
Es hat durchaus den Anschein, dass nicht alle Fälle eine gleiche
Entstehimg haben und durch ein und dieselbe Theorie erklärt werden
können.
344 Glaukom.
A. v. Grraefe bat als das eigentliche Wesen der Krankheit
die in trao ciliare Druck zun ahme erkannt (1855). Zweifelhaft aber
bleiben die Momente, welche sie veranlassen und fortdauernd unter-
halten, v. Graefe suchte sie, wenigstens betreffs der entzündlichen
( J-laukome, in einer Chorioiditis serosa. Diese sollte eine diffuse Durcb-
tränkung des Humor aqueus und Corpus vitreum bewirken, bei der
durch die Volumenzunahme eine rasche Steigerung des intraocularen
1 )ruekes mit Compression der Netzhaut und den weiteren Folgezu-
ständen eingeleitet würde. Entgegengesetzt dieser Anschauung, welche auf
der Annahme einer Hypersecretion beruht, lässt sich die Drucksteigerung
im Augeninnern auch durch eine Retention, eine Verringerung des
Abflusses erklären, wie dieselbe z. B. betreffs der Lymphe durch einen
Verschluss (Knies) im Winkel der vorderen Augenkanmier (Fontana-
scher Raum, „Filtrations-Winkel") zu Stande kommen kann. Aber noch
andere Momente können eine Rolle spielen.
Dass das eigentliche Wesen der Krankheit in der pathologischen Steigerung
des intraocularen Druckes beruht, ist fast allgemein angenommen. Die Avenigen
Fälle, in denen bei Gläucoma simplex diese Steigerung nicht die physiologische
Breite überschreitet, lassen sich, wie schon erwähnt, in der Weise deuten, dass
liier ein, in dem physiologischen Breitegrade der Tension sehr tief stehendes Auge
durch pathologische Steigerung an die obere Grenze der physiologischen Spannung
gerückt wird. Weiter aber lässt sich eine unverkennbar pathologische Tension
wenigstens zeitweise fast bei allen diesen Augen nachweisen. In solchen Fällen
hingegen, wo nur aus der Excavation der Papille die Diagnose Gläucoma gestellt
wurde, muss auch an die Möglichkeit eines anderweitigen Zustandekommens der
Vertiefung, etwa durch Sehnervenatrophie, oder auch, bei gleichbleibender Seh-
schärfe, an angeborene Anomalien gedacht werden. Jedenfalls hat noch Niemand
ein Glaukom diagnosticirt, wenn die Spannung des Auges sich unter der physio-
logischen Breite befand, wobei ich natürlich secundäre Degenerationsproeesse des
(Üaucoma absolutuni ausnehme. Es liegt demnach keine Nötkigung vor, etwa aus
dem Grunde, dass eine Sehnerven-Excavation einmal ohne zur Zeit nachweisbare
Druckerhöhung vorkommen kann, die Bedeutung der intraocularen Drucksteigerung
auf das Zustandekommen derselben herabsetzen zu wollen und ein primäres, auf
Gefäss-Erkrankungen beruhendes glaukomatöses Selmervenleiden (Ed. Jäger,
Schnabel) zur Erklärung herbeizuziehen.
Die pathologische Steigerung des intraocularen Druckes kann, rein mechanisch
betrachtet, entweder durch abnorm grossen Inhalt oder durch eine dem
Inhalt, gegenüber abnorm geringe Weite und Ausdehnbarkeit der
Augenkapsel bedingt sein. Wenn eines dieser Momente nicht durch eine ent-
sprechende Anpassung seitens des anderen in seiner Wirkung aufgehoben wird.
so muss die Härte des Bulbus zunehmen. Diese Anpassung und gegenseitige
Regulirung scheint nun unter normalen Verhältnissen in der That in ausgiebiger
Weise einzutreten. Nur wenn der Grad der Störung nach einer oder der anderen
Richtung hin zu hoch geworden ist, um noch ausgeglichen werden zu können, oder
wenn gleichzeitig Störungen in dem zur Regulirung bestimmten Apparat vor-
handen sind, kommt es zu pathologischer Steigerung des intraocularen Druckes
Theorie über Pathogenese und Wesen des Glaukoms. 345
und damit zum Ausgangspunkt glaukomatöser Vorgänge. Hieraus dürfte schon
ersichtlich sein, dass einseitige Anschauungen, welche das Glaukom stets auf eine
und dieselbe Ursache zurückführen wollen, wenig Wahrscheinlichkeit für sich
haben, um so weniger, wenn wir die vielgestaltete Form der Erkrankung berück-
sichtigen. Und doch tauchen immer von Neuem wieder Theorien auf, die alle
Glaukome aus einer und derselben Störung ableiten wollen; alles, was für die ver-
theidigte Ansicht spricht, wird alsdann in voller Breite und mit Glanz vorgeführt,
das Widersprechende verschwiegen oder mit bewundernswerthem Aufwände von
Scharfsinn umgedeutet.
Nachfolgend sollen bei Besprechung der in Betracht kommenden mechanischen
Momente die wichtigeren Theorien, soweit sie in anatomischen, experimentellen und
klinischen Befunden eine Stütze haben, angeführt werden.
1 »er abnorm grosse Inhalt der Bulbuskapsel kann dadurch zu Stande kommen,
dass entweder zu dem physiologischen Inhalte zu viel hinzukommt oder zu wenig
davon fortgeht. Es handelt sich also um Zu- und Abfluss von Blut und
Lymphe, um Secretions- und Absorptions- bezw. Retentionsverhältnisse.
Was das Blut betrifft, so haben Tensionsmessungen des Auges bei Cholerakranken
v. Graefe), Anämischen oder der Agonie nahen Individuen (Stellwag) ebenso-
wenig eine pathologische Veränderung des intraocularen Druckes erwiesen wie die
bei Plethorikern und Fiebernden, wo der Badialpuls unter stürmischer Herzthätig-
keit äusserst voll und kräftig war. Der allgemeine Blutdruck scheint demnach,
entgegengesetzt den manometrischen Messungen an Thieraugen (v. Hippel und
Grünhagen, Adamück), beim Menschen unter normalen Verhältnissen und bei
normaler Regulationsfähigkeit des Auges keinen |Einfluss auf den intraocularen
Druck auszuüben. — Anders allerdings wird es sich verhalten, wenn locale Ver-
änderungen der Blutgefässe im Auge selbst vorhanden sind. Hier erscheint
der Befund Brailey's bezüglich einer fast constanten Erweiterung der Arterien
und Verdünnung ihrer Gefässwandungen besonders im Gebiete des Corp. ciliare von
hoher Bedeutung. Diese Alteration kann sowohl rein mechanisch als auch durch die
vermehrte Ausschwitzung und Secretion — und hiermit haben wir gleich das zweite
Moment activer Inhaltszunahme — eine Drucksteigerung bewirken. In ähnlicher
Weise werden selbst locale Arterien-Verengerungen und -Sclerosen, wenn sie z. B.
die Trisgefässe befallen, zu einer secundären Blutüberfülle des Corpus ciliare führen
[Ulrich) und damit eine Secretionssteigerung dieses, hauptsächlich die intraoculare
Ernährung vermittelnden Organs herbeiführen. Es kommt noch hinzu, dass durch
die primäre Anschwellung des blutstrotzenden Ciliarkörpers bezw. seiner Fort-
sätze, worauf besonders Ad. Weber die Aufmerksamkeit gelenkt hat, secundäre
Störungen eingeleitet werden können, indem die Iris einfach mechanisch nach vorn
gedrängt und damit in gewissen Fällen der Fontana'sche Canal, der Hauptab-
zugsweg der Lymphe, verlegt wird.
Die pathologisch-anatomisch erwiesene Arterienausdehnung selbst aber kann
Folge einer primären Gefässerkrankung oder eines vasomotorischen Leidens sein.
>odass im letzteren Falle die Affection ursächlich eine neuropathische , in das
Gebiet des Trigeminus oder des Sympathicus fallende wäre. Die directe
Reizung des Trigeminus (Wegner, Schulten) bewirkt sowohl durch Dilatation
der Gefässe als auch durch Verminderung der Filtrationswiderstände eine Ver-
mehrung der Secretion und eine Steigerung des intraocularen Druckes. Diese
Beizung wird aber um so eher ihren Einfluss ausüben, je mehr der vom Sympa-
thicus beherrschte Gefässtonus. wie dies bei alten Leuten. Arthritikern u. s. w. voraus-
zusetzen ist. gelitten hat. Dazu kommen die klinischen Erfahrungen, nach denen
;;4<i Glaukom.
Trigenrwusneuralgien eine Hauptrolle in der Aetiologie des Glaukoms spielen. Auch
die von mir gemachte Beobachtung, dass bei Reizung der Zahnnerven durch Garies
oder Periostitis bei jugendlichen Individuen sein- häufig ein Hinausrücken des Nähe-
punktes zu constatiren ist. welches wiederum aus einer intraocularen Druckzunähme
resultirt, spricht für den Einfluss des Trigeminus auf (Ins Zustandekommen glau-
komatöser Processi', l'.ei Secundärglaukomen dürfte der ProceSS öfter aus einer
Reizung der intraocularen Trigerainusäste, z.B. derjenigen dw Iris, hervorgehen.
Donders war der erste, der das Glaukom als Secretionsneurose auffasste.
Neuerdings hat Laqueur wieder diese Theorie zu stützen gesucht: er nimmt an,
dass eine vom ( 'entrinn ausgehende Erregung der Secretionsnerven eine Hyper-
secrfetion aus dem Ciliarkörper bewirke. — Die Exstirpation des Ganglion supre-
niuin des Halssympathicus veranlasst. wie Operationen an Menschen erweisen, eine
Herabsetzung des intraocularen Druckes, ob Reizungen entgegengesetzt wirken,
ist nicht festgestellt.
Berücksichtigen wir andererseits den verhinderten Flüssigkeitsabfluas. so
können Stauungen in den Venen und in den Lymphabführungswegen
in Betracht kommen. Was den Einfluss der Venenunterbindung dicht in der Nähe
des Bulbus betrifft, so haben die an Thieren angestellten Experimente mit Unter-
bindung der Yen. vorticosae eine erhebliche Steigerung des intraocularen Druckes
zu Tage treten lassen (A da m tick, Schulten). Dieselbe ging allerdings in den Ver-
suchen Koster 's an Kaninchen nach einer Reihe von Tagen zurück; doch hatten vor-
her eine Hache Kammer sowie Hornhauttrübungen bestanden, selbst eine Verklebung
des Fonta na 'sehen Raumes war zu Stande gekommen. Ebenso wurde einmal eine
weitere Vertiefung der physiologischen Excavation der Sehnervenpapille des Kanin-
chens beobachtet. Erwägen wir die grossen Schwierigkeiten, welche einer Coiupen-
sirung der durch Blutstauung in den Ciliarvenen notwendigerweise bedingten
Inhaltszunahme des Auges gelegentlich beim Menschen entgegenstehen können,
so dürfen wir diesem Momente, welches unter besonderer Berücksichtigung
der seeundären Transsu da tionen aus dem vorderen Chorioidealabschnitte
in den zur Papille gehenden Cloquet'schen ('anal und in den Glaskörper
auch von Jacobson und Jackson betont worden ist, — seinen Einfluss auf
die Entstehung glaukomatöser Druckerhöhung um so wenige]' absprechen, als auch
die anatomischen Befunde einer Periphlebitis hyperplastica besonders innerhalb
der Scleralcanäle direct darauf hinweisen. Ferner miisste die oben erwähnte Ver-
ringerung der Chorioidealelasticität bei glaukomatösen Augen eine Störung im
Blutabflusse veranlassen. Durch eine Verringerung des Eintrittes von Arterien-
bbit wird kaum ein genügender Ausgleich ermöglicht werden, da die Festigkeit
der Arterienwandungen die dazu nöthige Compression erschwert, und ebensowenig
durch einen vermehrten kvmphabtluss, zumal ausser dem rein mechanischen Mo-
ment der vermehrten Menge des venösen Blutes auch die durch Stauung ver-
mehrten serösen Ausschwitzungen aus den Gefässen in Betracht kommen. Es
I, liebe nur die Nachgiebigkeit und Elasticität der Sclera. die allerdings in einem
gewissen Grade die1 durch Blutstauung bewirkte Inhaltszunalime unschädlich
machen könnte. Wird dieser Grad aber überschritten, oder ist die Sclera unnach-
giebig, so muss eine pathologische Drucksteigerung resultiren. Zu beachten ist
weiter, dass eine Stauung in den Venen gleichzeitig eine Hinderung des vorderen
Lymphabflusses setzen muss. da derselbe an der Peripherie der vorderen Kammer
zum grossem Theile durch venöse Gefässe stattfindet. Wir haben demnach com-
plicirend dasselbe Moment Störung des L\ niph a bt'l ussesi. das vielfach eine
zu einseitige und übertriebene Hervorhebung erfahren hat. Die Verlegung der
in den hinteren Bulbuspartien verlaufenden Lymphwege, speciell durch den Seh-
Theorie über Pathogenese und Wesen des Glaukoms. 347
nerv, scheint nach den bisherigen Experimenten keinen erheblichen Einflnss auf
intraoeulare Drucksteigerung zu haben, zumal selbst aus dein Glaskörper der
Lymphabfluss grösstenteils durch die Zonula zur Äugenkammer geht. Die Ver-
legung des vorderen Lymphabflusses durch Obturirung des Schlemm'schen Canals
oder Ajipressung und Anwachsen der Irisperipherife an den ^Filtrationswinkel"
ist hingegen oft zu constatiren. Eine hier stattfindende Lymphstauung wird
zweifellos zu einer Steigerung des intraoeularen Druckes beitragen, wenngleich
immerhin bei entsprechender Elasticität der Sclera ein Ausgleich durch Beschleuni-
gung des venösen Blutabflusses leichter zu stunde kommen kann als bei der vor-
hin besprochenen directen venösen Stauung. I>ass die Verhinderung des Lymph-
abflusses aus der vorderen Kammer keine Vergrösserung derselben, wie doch an-
zunehmen wäre, bewirkt, Hesse sich auf eine Verödung der Irisgefässe, welche
sich nach Schick's und Bamburger's Untersuchungen bei der Absonderung des
Humor aqueus vorzugsweise betheiligen, zurückführen; allerdings könnte dann kaum
der Verschluss des Fontana 'sehen Raumes als die allererste Ursache der glaukoma-
tösen Erkrankung betrachtet werden. "Weiter beobachtet man nicht selten gerade bei
Leicht phthisischen Augen mit herabgesetztem Drucke ein Anlegen der Irisperipherie
an den Filtrationswinkel mit Kammerverengung. Wir können daher dem in Rede
-Teilenden Momente wohl für gewisse Fälle von Glaukom eine ätiologische Be-
deutungzuschreiben, bei weitem aber nicht für alle. Die Häufigkeit der erwähnten
anatomischen Befunde bei Glaukom lässt sich einfach als Uolge des durch Zunahme
des Druckes im Glaskörper bedingten Vorrückens der Iris und Anpressens ihrer
Peripherie an die Cornea auffassen.
Das Auftreten acuter glaukomatöser Erscheinungen nach Anwendung von
Mydriaticis liesse sich eher mit dem Verschluss der Kammerbucht in Verbindung
bringen, wenn wir Cz er mak's Anschauung zu Grunde legen. Nach diesem Autor
verdicken sich bei Mydriasis die peripheren Iristheile ( — nicht die Iriswurzel — )
und bilden, sich rings um die hintere Hornhautfläche legend, einen Abschluss der
vorderen Kammer gegen den Filtrationswinkel hin. Durch die hierdurch gesetzte
Verhinderun<;' des Kammerwasserabflusses steigt der Druck in der vorderen und hin-
teren Kammer und verlegt nun auch durch Anpressen der Iriswurzel den Fil-
trationswinkel. T)ie Anwendung der Myotica kann, falls keine Verwachsung be-
reits besteht, alsdann die Circulation wieder freilegen. —
Nach Priestley Smith's Theorie tritt im Glaskörper die Retention der
Lymphe ein. Die Linse nimmt noch in späterem Lebensalter an Grösse zu: hier-
durch wird der Kaum zwischen Linsenwand und Ciliarfortsätzen immer mehr ver-
kleinert, am meisten n Augen, die — wie die glaukomatösen nach Priestley
Smith — an und für sich klein sind. Durch diese Verengerung aber wird der
Abfluss der Lymphe aus dem Glaskörper in die hintere und von dort in die vordere
Kammer eingeschränkt, und der Druck im Glaskörper steigt unter Abnahme des
Kammerwassers. Brailey-hat aber, wie wir oben gesehen, keine Vergrösserung
des Linsendurchmessers constatiren können. —
Fs erübrigt noch die Bedeutung der Bujbuskapsel, speciell der Sclera
für die Steigerung des intraoeularen Druckes zu betrachten. Wird die Lederhaut
resistenter, verliert sie an Ausdehnungsfähigkeit und Elasticität, so muss rein
mechanisch der intraoeulare Druck steigen. Auch wird es um so leichter zu einer
dauernden pathologischen Drucksteigerung kommen, als die Ausgleichungen, die
seine elastische Sclera gegenüber temporären Ihhaltszunahinen leisten kann, jetzt
unmöglich geworden sind. Diese Zunahme der Resistenz findet sich im Allgemeinen
schon an den Augen älterer Individuen, wonach sich auch das häufige Vorkommen
des Glaukoms gerade bei diesen erklärt. Fs scheint aber auch, als wenn aussei'-
348 Glaukom.
«lein bei glaukomatösen Augen^die Resistenz der Sclera noch mehr erhöht wäre
als bei anderen gleichalterigen, wenngleich nicht in allen Füllen. Dieser Be-
theiligung der Lederhaut würde auch das häufigere Befallenwerden hyperopischer
Augen von Glaukom entsprechen, da diese an und für sieh eine verhältnissmässig
dicke, bei seniler Entartung also um so eher abnorm resistent werdende Sclera
haben. Als Zeichen der Rigidität habe ich öfter an glaukomatösen Augen con-
statiren können, dass während schon ein leichter Druck mittels eines Sondenknopfes
an der Cornea eine tiefe Grube erzeugte, die Sclera kaum dem Drucke nachgalt:
die Differenz war zu gross, als dass sie allein durch das Bestehen einer gewissen
Ungleichheit der Tension in den. doch immer mit einander in Verbindung blei-
benden vorderen und hinteren Bulbusriiumen erklärt werden könnte. Es liegt
danach volle Berechtigung vor, für eine Reihe von Glaukomfällen grosses Gewicht
auf die Rigiditätszunahme der Sclera zu legen.
Die Symptome des acuten Glaukoms können als ein entzündliches Oedem auf-
gefasst werden, das in Folge einer plötzlichen 'Drucksteigerung und Circulations-
störung auftritt (Fuchs).
5. Prognose und Therapie.
Die Prognose richtet sich nach dem Einfluss der Therapie. Auch
diese ist nicht immer allmächtig' und von verschiedenem Nutzen je nach
der Form und der Zeitdauer der Erkrankung-. Unbehandelt aber führt
das Glaukom — in kürzerer oder längerer Zeit — fast stets zur Er-
blindung.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass die entzündlichen Processe
am ehesten heilbar sind; wenig sicher ist der Erfolg bei Glaucoma
simplex. Günstiger ist ferner die Aussicht, wenn die Therapie in einem
früheren Stadium des Processes und bei noch relativ gutem Sehver-
mögen, wo die excavirte Papille noch keine ausgesprochene Atrophie
zeigt, eingreift,
Therapie. Vielfältige frühere medicamentöse und operative Ver-
suche zur Bekämpfung des Leidens, so auch die von Mackenzie zur
] >ruckherab Setzung empfohlene Scleralpunetion mit Glaskörperentleerung
(1830) und die wiederholten Parazentesen (Desmarres 1847) hatten
kein befriedigendes Resultat ergeben. Erst A. v. Graefe (1856) ge-
lang es, in der Iridectomie, deren Einfluss auf Herabsetzung der
Tension er bereits bei anderen Krankheitsprocessen erprobt hatte, ein
wirksames Heilmittel zu finden. Es war dies eine der segensreichsten
therapeutischen Entdeckungen, trotzdem die früher auf dieselbe ge-
setzten, allzu grossen Erwartungen im Laufe der Zeit sich etwas
verringert haben. Bei der Ausführung [der Iridectomie (vgl. „Ope-
rationen an der Irisa) ist, wenigstens bei den chronischen Glaukoni-
formen, darauf besonders Gewicht zu legen, dass der Schnitt peripher
Prognose und Therapie. ;;49
gelegt und die Iris in ziemlicher Breite exeidirt wird. Im acuten Grlau-
koin genügen oft kleinen1 und weniger periphere Excisionen. Die
Länge der im ScleraJlimbus liegenden äusseren Wunde betrage etwa
(> — 8 mm. Man hüte sieh übrigens, besonders bei den acuten Glaukom-
formon, den Schnitt gar zu Aveit in die Sclera fallen zu lassen, da sonst
die Gefahr eines Grlaskörperaustrittes, zu welchem auch unabhängig von
der Druckerhöhung eine vermehrte Neigung besteht, öder einer Linsen-
luxation nahe liegt. Die Richtung der künstlichen Pupille sei womög-
lich nach oben, da sie hierbei die beste Deckung durch das obere Lid
erfährt und die sehr peripher einfallenden und unregelmässig un-
gebrochenen Lichtstrahlen abgehalten werden. Auch ist es rathsam,
vor der Operation eine künstliche Miosis durch Einträufeln von Eserin
herzustellen. Ebenso träufelt man dasselbe Mittel in das andere Auge,
um einem acuten Anfalle, wie er gelegentlich nach Operationen des
primär afficirten Auges beobachtet worden, vorzubeugen.
Um ein starkes Pressen mittels der Lider und Muskeln, das bei
dem hohen intraocularen Druck besonders schädlich wäre, zu ver-
meiden, muss man in gewissen Fällen die Narkose anwenden; meist
jedoch kommt man auch ohne sie aus.
Nicht ganz selten treten nach der Iridectomie bei entzündlichem
Glaukom Blutungen in der vorderen Kammer auf, oft bedingt durch
Iridodialysen: fast scheint es, als ob gerade bei Glaukom die Iris-
peripherie sich leichter vom Ciliarkörper durch den Zug der Pincette
löse. Das Blut sucht man durch leichtes Klaffenmachen der Wunde
möglichst zu entleeren, der Rest wird mehr oder weniger schnell je nach
Intaktheit des Irisgewebes resorbirt. Bei acutem Glaukom werden auch
Xetzhautapoplexien beobachtet, die ebenfalls in einigen Wochen ver-
schwinden.
In einzelnen Fällen bildet sich nach der Operation schnell eine
Katarakt, die einer Kapselverletzung durchaus nicht immer ihren Ur-
sprung verdankt; die bei dem starken intraocularen Druck besonders
plötzliche Lageveränderung der Linse, längeres Anliegen der Linse an
der Hornhaut bei langsamer Kammerwiederherstellung könnten direct
oder durch Entstehung mikroskopischer Kapselrisse die Ursache bilden.
Die Cornea-Scleralnarbe wird bisweilen cystoid; gelegentlich auch zeigt
sie eine gewisse Breite und Durchsichtigkeit, so dass sie schwärzlich
erscheint. Sehr häufig ist es, dass die Kammerfüllung nur langsam
erfolgt; es vergehen gelegentlich Wochen, ehe eine deutliche vordere
Kammer sich wiederherstellt. Bleibt sie dauernd aus, so ist die Pro-
gnose — mit wenig Ausnahmen — schlecht. —
Die Heilwirkung der Operation in den acuten Fällen, wenn sie
innerhalb der ersten Tage ausgeführt wird, ist meist eclatant und dauernd.
350 Glaukom.
Die Entzündung geht zurück und das Sehvermögen hebt sich sein- l>e-
dentend, bisweilen fast zum normalen im Laufe einiger Wochen. Bei
den chronisch-entzündlichen Formen wird ebenfalls häufig «lern
Fortscbreiten des Processes Halt geboten; das Sehvermögen bleibt aber
länger auf dem Status quo ante und erfährt nur sehr langsam eine
allmähliche Besserung, die sieb mit einer siebtbaren Verringerung der
vorhandenen Excavation verbinden kann.
Am wenigsten gut ist der Erfolg bei dem Glaucoma Sim-
plex; das Meiste ; was man erwarten darf, ist Stillstand oder eine
Spur von Besserung. Relativ günstig sind die Fälle, wo die Druck-
Erhöhung ausgeprägter ist, oder bei denen sich intermittirende entzi'md-
liche Erscheinungen gezeigt haben. Aber in einer ziemlieben Zahl von
Fällen erfolgt nach der lridectomie eine entschiedene Verschlechterung,
die sieb direct dem operativen Eingriffe ansebliesst und ihrem ganzen
Verlaufe nach mit ihm in Verbindung gebracht werden musg. — Es
trifft dies nicht nur Augen, bei denen nacb der Operation die Kammer
lange aufgehoben blieb und leichte Entzündungen hinzutraten (maligne
Glaukome, v. Graefe), sondern auch vollkommen gut gebeilte.
Die Prognose wird überall um so schlechter, je ausgeprägter die
Excavation und Atrophie der Papille und je enger das Gesichtsfeld ist.
In Fällen, bei denen die Gesicbtsfeldeinengung sich dem Fixationspunkte
schon sehr genähert hat, geht das centrale Sehen nacb der Operation
oft verloren. Da dies sogar für einen ziemlich hoben Procentsatz zu-
trifft, so kann ich nicht umbin, die lridectomie für solclie Fälle, be-
sonders wenn es sich um Glaucoma simplex bandelt, als eine in ihrem
Erfolge bedenkliebe Operation zu betrachten. Abgesehen von direeten
Verschlechterungen verringert öfter ein in Folge der Pupillenbildung
auftretender unregelmässiger Astigmatismus das frühere Sebvermögen.
Auch das Glaucoma absolut um erfordert zuweilen noch ein
operatives Einschreiten, um heftigere Schmerzhaftigkeit oder degene-
rativen, durch die Tensionssteigerung bedingten Processen entgegen-
zutreten; schlimmsten Falles kann sogar die Enucleation hier nöthig
werden.
Die Ansichten über das gegen den glaukomatösen Process eigentlich wirk-
same .Moment in der lridectomie sind getheilt. Es scheint, als wenn auch
hier verschiedene Dinge einen günstigen Einfluss übten, von denen bald das eine,
bald d;is andere, je nach der Ursache des speciellen Krankheitsproeesses, besonders
nutzbringend hervortritt. Rein mechanisch wird durch die Incisionswunde, wenn
sie, was beim Glaukom häufig ist. nicht direct und eng verklebt, sondern durch eine,
mit blossem Auge schon erkennbare Zwischensubstanz vereinigt wird, eine gewisse
Vergrösserurig des (Jmfanges der Bulbuskapsel und damit Entspannung gesetzt
(Stellwag). In der That kann man sogar nach der einfachen Anlegung eines
die Conjunctiva und Sclera im Limbus trennenden Schnittes bisweilen eine Hesse-
Therapie. -J51
rung eintreten sehen. Geht die Incision, wie bei der [ridectomie, l»is in die
vordere Kammer, so tritt noch die Möglichkeit einer Art Filtration des Kam-
mervrassers durch die Narbe hinzu: ein Moment, das besonders v. Wecker
betont hat. Einzelne Fälle, bei denen die Kranken wieder auftretende Obscura-
tionen durch Druck auf den Bulbus, wobei sich Flüssigkeit ans der Kammer unter
die Conjunctiva schob, schnell beseitigen, unterstützen diese Anschauung. Wenn
weiter, wie wir gesehen, das Anpressen der Iris an die Eornhautperipherie und
der Verschluss des Schlemm'schen Canals auf den Lymphabfluss hindernden Ein-
Huss üben, so wird ebenfalls der [ncisionsschnitt dem entgegenwirken und einen
neuen Abzug eröffnen.
Noch mehr wird aber die grössere Excision der Iris, welche sicherer das Ab-
reissen der Verklebung von der Hornhautperipherie bewerkstelligt, hiergegen an-
kämpfen. Ebenso ist die Iridectomie von hoher Bedeutung, wenn etwa, wie bei
manchen Formen von seeundärem Glaukom, eine totale circuläre Synechie der Iris
mit der Linsenkapsel eine Unterbrechung der Communication zwischen vorderer
und hinterer Kammer veranlasst hat. Hier wird allein durch die Iridectomie eine
W iederherstellung derselben erreicht und so das ursächliche Leiden beseitigt.
Gleiches ,<rilt. wenn eine Reizung der Lrisnerven reflectorisch die Hypersecretion und
Hypertonie bewirkt hat. - Kxner erklärt im Allgemeinen die Heilwirkung der
Iridectomie so, dass der gesammte Gefässdruck im Auge (und damit auch der ul-
tra okulare Druck) durch Herausschneiden eines Stückes Iris herabgesetzt werde.
Ks wird mit der exeidirten Iris nämlich ein Theil der kleineren Gefässe und des
sie verbindenden ( iapillametzes entfernt. Zwischen den zurückbleibenden grösseren
Arterien und Venen bilden sich, wie Präparate zeigen, directe Anastomosen, durch
welche das Arterienblut, ohne ein Capillarnetz zu passiren, sofort in die Venen
gelangt. Dadurch wird alsdann ein Sinken des Blutdruckes sowohl in der Iris,
als in den weiter zurück gelegenen Chorioidealarterien bedingt.
Manche Fälle von acutem Glaukom legen aber auch die Ansicht nahe, dass
bisweilen schon die ausgiebige Entleerung des Kammerwassers, wie sie bei der
Iridectomie erfolgt, genügt, um den Process zu heilen. So sind die Fälle eben
nicht selten, wo ein acuter Glaukomanfall dauernd .üeheilt wurde, trotzdem bei der
Iridectomie. in Folge unregelmässiger Ausführung, nur ein kleines centrales Stück-
ehen herausgeschnitten wurde oder auch die Incision ganz in das Corneagewebe
fiel. Man muss hier daran denken, dass nach der Kammerwasserentleerung die
durch eine acute Drucksteigerun»' momentan gestörten regulatorischen Kräfte, wie
etwa die Elasticität der Sclera. wieder dauernd zur Geltung kommen konnten.
Die von Stellwag und v. Wecker vertretenen Anschauungen,
dass der Scleralschnitt das eigentlich wirksame Moment bei der Iridec-
tomie sei, fanden durch Quaglino (1^71) insofern eine praktische Aus-
nutzung, als er an Stelle der Iridectomie die einfache Sclerotomie
gegen Glaukom empfahl. Er machte zu dem Zwecke mit einen breiten
Lanzenmesse rcirca l1/2 bis 2 mm von der Cornealinsertion in die Sclera,
wie zu einer Iridectomie, den Einstich und schob die Lanze bis zu einem
Drittel ihrer Länge in die vordere Kammer. Durch langsames Zurück-
gehen wird ein schnelles Ausströmen des Kammerwassers, welches die
Iris leicht in und durch die Wunde presst, möglichst verhindert. Vor-
heriges und nachfolgendes Einträufeln von Eserinlösung wirkt weiter
einem Vorfall der Iris entgegen. Da sich derselbe aber bei dieser
352
( rlaukom.
Methode dennoch nicht immer verhindern lässt, so hat Wecker « ine
andere Operationsweise empfohlen. Hierbei bedient man sich eines
dem v. Graefe 'sehen ähnlichen, aber 3 mm breiten Messers, das etwa
1 2 mm vom durchsichtigen Hornhautrande entfernt, und, wenn man
nach oben hin den Schnitt legt, etwa 1 '/2 mm über dem horizontalen
Meridian in die vordere Kammer gestossen wird, als ob es sich um die
Herstellung eines nach oben gerichteten Hornhautlappens zur Starope-
ration handelte. Nach erfolgter Contrapunction wird das Messer den
Selerallimbus durchschneidend nach oben geführt, bis etwa zwei Drittel
des ganzen Lappenschnittes vollendet sind und nur noch das obere Drittel
stehen geblieben ist (Figur 118); der Schnitt soll etwas tiefer liegen
als die Zeichnung angiebt. Alsdann zieht man das Messer zurück.
Durch die oben ungetrennt gebliebene Cornealscleralverbindung wird
einem Vorfall der Iris in die Schnitt-
wunden möglichst vorgebeugt und ( _1orneal-
Astigmatismus eher vermieden. Diese
Methode eignet sich besonders bei ver-
hältnissmässig tiefer vorderer Kammer,
wo man Raum für die Messerfuhrune hat,
O 7
die Iris beim Zurückziehen des Messers
nicht so leicht vor die Klinge fällt und
wegen der Menge des Kammerwassers
grössere Tendenz zum Hinausschieben und Vorfallen der Iris besteht.
Bei engerer Kammer ist der Lanzenschnitt vorzuziehen; stets ist vor-
her durch Physostigmin möglichst Miosis zu bewirken.
Die Sclerotomie hat in letzter Zeit von ihrem früheren Ansehen
wieder eingebüsst. Es ist nicht zu leugnen, dass sie, falls ihr dieselbe
Heilkraft innewohnte wie der Iridectomie, dieser vorzuziehen wäre. Die
künstliche Pupille, welche den stärker gebrochenen Randstrahlen den
Einfall gestattet und eine vermehrte diffuse Beleuchtung der peripheren
Netzhautpartien zulässt, verursacht hierdurch bisweilen eine erheblichere
Herabsetzung des Sehvermögens, besonders beim Blick ins grelle Licht;
ebenso bewirkt sie zweifellos eine Entstellung des Auges. Aber es
scheint doch, als wenn die Iridectomie wegen ihrer, wie oben hervor-
gehoben, vielseitigeren Heilkraft bei den entzündlichen Glaukomformen
den Vorrang behalten wird. Ich selbst habe Fälle gesehen, wo nach
nutzloser Sclerotomie die Iridectomie Besserung schaffte. Das kann
auch nach den oben entwickelten theoretischen Anschauungen über die
Entstehungsursachen des (llaukoms nicht auffallend sein. Immerhin
aber empfiehlt sich für gewisse Formen als erster operativer Eingriff
die Sclerotomie, deren Nutzen in einer Reihe von Fällen sicher erwiesen
ist. Ich rechne hierher das absolute Glaukom, wo sie zur Hebung
118.
Therapie. 353
vorhandener Beschwerden als einfachstes Mittel versucht werden sollte,
das Grl au c o m a h a 01110 r r h a g i e u m und das G 1 a u c 0 m a s i m p 1 e x , wenn
keine deutliehe Hypertonie vorhanden ist; besonders; und ebenso beim
chronisch-entzündlichen Glaukom, wenn das Gesichtsfeld bis in die Nähe
des Fixirpunktes eingeengt ist. In diesen Fällen sind in der That die
Verschlechterungen nach der Ausführung der Iridectomie so häufig, dass
wir die Sclerotomie, von der directe Nachtheile kaum zu erwarten stehen,
entschieden vorziehen müssen.
In England übt man bisweilen noch die von Hancock empfohlene Myoto-
mie intraoeularis (Dnrchschneidung des CiHarmuskels). Hancock ging dabei
von der Ansicht aus, dass eine Contractur des CiHarmuskels und dadurch be-
wirkte Strangulation der umschnürten Blutgefässe und Nerven die Hauptursache
des Glaukoms sei. Einfach auf Herabsetzung des intraoeularen Druckes durch
Glaskörperabfluss zielt die Punction der Sclera (Sclerotomia posterior): sie
kann l>ei altgelaufenen Fällen gegen stärkere Drucksteigerung und Schmerzen von
Nutzen sein: sie zur Erleichterung der Operation bei sehr enger vorderer Kammer
der Iridectomie voranzuschicken, halte ich für zu eingreifend. Auch die Dehnung
des Nervus na so ciliaris. den man durch Fassen des Nervus infratrochlearis
am inneren oberen Augenhöhlenwinkel anzieht, ist versucht worden (Badal,
Aba die). Sie soll gegen die Ciliarneuralgien, so auch bei abgelaufenem Glaukom,
gelegentlich Nutzen bringen. Weiter hat man die Exstirpation des Ganglion
supremum des Sympathicus oder grosser Stücke des Halssympathicus neuer-
dings versucht (Joanescou, Abadie, Grunert u. A.), davon ausgehend, dass
dieselbe Miosis und Druckherabsetzung ( — neben Ptosis — ) an normalen Augen
bewirkt. Ich habe mich von letzterer "Wirkung an mehreren Patienten, denen wegen
Epilepsie die Operation gemacht wurde, überzeugen können; einmal constatirte
ich auch eine vermehrte Hyperämie der Papilla optica. Den Effect auf Pupille
und intraoeularen Druck habe ich hier noch nach Monaten constatirt; einmal war
aber nach 34 Jahren die betreffende Pupille weiter geworden als die der nicht-
operirten Seite, was mit Beobachtungen, die Langendorf gelegentlich an Thieren
gemacht hat. übereinstimmt. In einer Anzahl von glaukomatösen Augen will man
nach der erwähnten Operation Besserung gesehen haben; immerhin dürften nur
ganz verzweifelte und den localen Operationen Widerstand leistende Fälle ihr zu
unterwerfen sein. Wenn es sich um Gl. absolutum handelt, sollte man beim Ver-
sagen wiederholter Iridectomien oder Sclerotomien lieber enucleiren.
Von nicht operativen Mitteln hat, besonders durch die Empfehlung
Laqueur's und Ad. Weber's, die Anwendung des Physostigmins
und Pilocarpins bei Glaukom eine berechtigte Verbreitung erfahren.
Man träufelt eine 1 2procentige Lösung des ersteren, oder eine 2procentige
des letzteren zwei bis sechsmal täglich ein. Dabei sieht man Anfälle
des Prodromalstadiums, sowie nicht selten acute Anfälle des Glaucoma
evolutum allmählich zurückgehen und auch bei manchen chronischen
Formen anfänglich eine gewisse Besserung und Hebung des Sehver-
vermügens eintreten. Es dürfte die Hauptwirkung der erwähnten
Miotica darauf zurückzuführen sein, dass bei der Pupillenverengung
der Fontana'sche Filtrationsraurn wieder frei wird. Nach den bis-
Schmidt-Rimpler. T.Auflage. 23
354 Glaukom.
herigen Beobachtungen sind die Erfolge jedoch — mit wenigen Aus-
nahmen — ■ keine dauernden. Einmal habe ich die Heilung eines acuten
Glaukomanfalles unter Eserineinträut'elung beobachtet, wo das Auge
Finger nur noch in zwei Fuss sah. Die Sehschärfe kam auf "',, mit
eylindrischen Gläsern. Seit einer Reihe von Jahren ist das Auge ge-
sund geblieben. Das andere, zu gleicher Zeit erkrankte, wurde durch
Irideetomie geheilt. — Glaucoma simplex kann gelegentlich unter der
Anwendung dieser Miotica Jahre hindurch stationär bleiben : wenn man
die Kranken in Beobachtung behält, so ist hier jedenfalls ein Versuch
mit diesen Mitteln, ehe man zu der in ihren Erfolgen recht zweifel-
haften Operation schreitet, dringend anzuempfehlen. Ebenso sind die
Miotica in dem Prodromal-Stadium zur Hebung der periodischen
Obscurationen anzuwenden. Auch bei Glaucoma haemorrhagicum
empfiehlt sich ein Versuch.
Vorübergehend träufelt man ferner' mit Nutzen Eserin ein, um die
stark entzündlichen Erscheinungen eines acuten Glaukonianfalles so
weit herabzusetzen, dass die enge Kammer wieder tief genug ist, um
eine exaete Operation zu gestatten; hier muss man aber beständig das
Verhalten des Sehvermögens controliren, um mit der Operation nicht
zu lange zu warten. Nach ausgeführter Operation, wenn sieh etwa von
Neuem kleinere Recidiverscheinungen, wie leichtere Obscurationen und
Aehnliches zeigen, kann man gerade so wie im Prodromalstadium das
Pilocarpin mit Erfolg anwenden. Es ist übrigens nicht selten, dass
Pilocarpin von den Kranken besser vertragen wird, als Physostigmin,
weil letzteres ihnen Schmerzen macht. Auch habe ich unter seinem
lang fortgesetzten Gebrauch gelegentlich hintere Synechien entstehen
sehen. Bisweilen nützt gegen Schmerzen die intercurrente Anwendung
des Cocain, das gleichfalls den Druck herabsetzt.
Sollte trotz gemachter Operation die Krankheit nicht gehoben wer-
den, so würde, wenn Eserin oder Pilocarpin nicht helfen, die Iridee-
tomie oder Sclerotomie zu wiederholen sein. v. Graefe empfahl bei
vorausgegangener Irideetomie die zweite Operation so anzulegen, dass
das Colobom dem zuerst gesetzten gerade gegenüber liegt. Wenn man
noch öfter die Irideetomie wiederholt, so gelingt es meist, die Tension
herabzusetzen, aber das Sehvermögen ist inzwischen verloren gegangen.
Wecker räth das Wiederaufschneiden der ursprünglichen Operations-
narbe (Uletomie) an.
Bei der Behandlung des Glaukoms ist auch die Regulirung der
ganzen Lebensweise von Wichtigkeit; besonders sind die wahrschein-
lichen Entstehungsursachen des Leidens zu beachten. So sind gleich-
zeitige Neuralgien (durch Antipyrin, Narcotica u. dergl.) zu be-
kämpfen; bei Congestionen nach dem Kopfe ist für Ableitung zu
Ophthalmoiualacie. 355
sorgen, gichtische oder rheumatische Dispositionen sind entprechend zu
behandeln u. s. w. Das Chinin in Dosen von 0-2 mehrere Male täglich,
hat bisweilen gegen glaukomatöse Exacerbationen eine ausgesprochene
Wirkung.
B. Ophthalmomalacie.
Als Ophthalmomalacie (essentielle Phthisis bulbi; v. Graefe)
bezeichnen wir eine deutlich constatirbare Spannungsabnahme und mehr
oder weniger ausgeprägte Verkleinerung des Augapfels, die sich unab-
hängig von einer Entzündung an einem ausgebildeten Bulbus
entwickelt.
Man kann zwei Formen unterscheiden: die einfache Ophthal-
momalacie und die intermittirende. Bei der letzteren tritt die Er-
weichimg in einzelnen Anfällen auf; die Stunden oder Tage lang dauern,
um dami wieder einer normalen Beschaffenheit des Bulbus Platz zu
machen; bei der ersteren besteht der Zustand in gleicher Form und
unverändert längere Zeit hindurch, um schliesslich in Heilung überzu-
gehen oder auch permanent zu bleiben. Zuweilen ist stärkeres Thränen-
trüufeln, eine gewisse Reizbarkeit gegen Licht, das Gefühl von Druck
im Auge oder selbst ausgeprägte Neuralgie mit der Ophthalmomalacie
verknüpft. Erreicht die Spannungsabnahme einen hohen Grad, so wird
der Bulbus in der Gegend der geraden Augenmuskeln abgeplattet, die
Hornhaut gerunzelt und dadurch die Sehschärfe herabgesetzt.
Die Ophthalmomalacie ist zu unterscheiden sowohl von der ge-
wöhnlichen Phthisis (Atrophia) bulbi, als auch von den Tensions-
verringerungen (Hypotonien), wie sie im Verlauf der verschieden-
artigsten Entzündungen (phlvktänuläre Keratitis, Keratitis diffusa, Cty-
klitis u. s. w.) auftreten, als auch schliesslich von der auf mangelnder
Entwickelung beruhenden Verkleinerung des Bulbus (Microphthal-
mus congenitus und infantilis).
Die gewöhnliche Phthisis ist der Endausgang verschiedener innerer
Augenentzündungen, wie Iridocykliten, eitriger Chorioiditen und eitriger
Glaskürperinhltrationen. Die durch diese gesetzten anatomischen Alte-
rationen sind in der Regel hinreichend deutlich, um auch noch nach
eingetretenem Augapfelschwund die vorangegangenen Entzündungen
2o*
356 Ophthalmomalacie.
erkennen zu lassen. Bezüglich des Mikrophthalmus giebt die Anamnese
Auskunft. Auch fehlt hier die pathologische Weichheit des Bulbus. —
Die intermittirende Ophthalmomalacie; welche nur sehr selten vor-
kommt (v. Graefe, Laqueur, Strzeminski), Avar öfter Folge von
A'erletzungen. Sie ist mit hochgradiger, anfallsweiser Erweichung des
Auges und gelegentlich starker Lichtscheu und Schmerzhaftigkeit ver-
knüpft. Die Dauer des Anfalles beträgt mehrere Tage. In einigen
Fällen trat erst nach längerer Zeit Heilung ein. Morphiuminjectionen
scheinen gegen den Anfall von Nutzen zu sein.
Häufiger ist die einfache Ophthalmomalacie. Das auffälligste
Zeichen ist die Verkleinerung des Augapfels. Die Affection ist meist
einseitig, bisweilen mit Ptosis incompleta und Miosis — also dem von
Homer beschriebenen und auf Lähmung von Sympathicusästen zurück-
geführten Symptomencomplex — verbunden. Auch Ernährungsstörungen
an der betreuenden Gesichtsseite kommen vor.
Die Tensionsabnahme, meist stark ausgeprägt, kann in einzelnen
Fällen weniger hervortreten, steigert sich aber auch hier periodisch.
Sonstige pathologische Veränderungen am Auge fehlen. Das Sehver-
mögen ist normal. Den Kranken ist selbst meist die Verkleinerung des
Augapfels aufgefallen. (N atmlich sind scheinbare Verkleinerungen, etwa
durch Herabsinken des oberen Lides bedingt, wie man es, abgesehen
von der eigentlichen Ptosis, in gewissem Maasse bei vielen Üonjunctival-
und sonstigen Augenentzündungen findet, auszuschliessen; auch ist darauf
zu achten, dass nicht ein Schwimd des orbitalen Fettzellgewebes, der
sich allerdings mit Ophthalmomalacie verknüpfen kann, die alleinige
Ursache der scheinbaren Verkleinerung bilde.) Bisweilen tritt die Oph-
thalmomalacie nach schweren Krankheiten (Typhus) ein.
Ich hatte Gelegenheit, in einem Falle die factische Verkleinerung des Bulbus
bei der Section volumetrisch nachweisen zu können: es bestand gegen den ge-
sunden Bulbus eine Differenz von IV2 cc. Wasser. Auch das Fettzellgewebe war
verringert. Im Gehirn waren die oberen Schichten des linken Thal, opticus auf-
fallend weich. Am Ilalssympathicus fanden sich keine wesentlichen Abnormitäten.
In einem zweiten Falle, wo ich neben Ptosis und Miosis linksseitige Ophthal-
momalacie beobachtet hatte, zeigte die Section chronische Meningitis an der Con-
vexität des Gehirns neben einem frischen Extravasate im rechten Thal, opticus
und Corp. striatum. Giovanni hat in einem ähnlichen Falle Sclerose des be-
treffenden lüdssympnthicus mit Atrophie der Ganglienzellen gefunden. Fs scheint,
dass sowohl cerebrale Affectionen als solche des Ilalssympathicus. zumal auch die
einzelnen Fälle, besonders bezüglich des gleichzeitigen Vorhandenseins der Miosis
und Ptosis. Verschiedenheiten zeigen, als ursächliche Momente eine Rolle spielen
können. Einmal sali ich Ophthalmomalacie des linken Auges in Verbindung mit
dem Eorner'schen Symptomencomplex bei einem jungen Mann, wo tiefgehende
Balsdrüsen-Packete auf den linken Sympathicus drückten.
Pathologische Anatomie der Linse. 357
Zweites Kapitel.
Erkrankungen der Linse.
Anatomie und pathologische Anatomie der Linse.
Die Linse Hegt in der tellerförmigen Grube (Fovea patellaris) des
Glaskörpers und ist in der Zonula Zinnii (Ligamentum Suspensorium
lentis), die sich am Aequator (d. h. an der dem Corp. ciliare zugewandten
Peripherie) der vorderen und hinteren Linsenkapsel inserirt, gleichsam
aufgehängt. Der zwischen den Fasern der Zonula befindliche Raum wird
als Canalis Petitii bezeichnet. Die Linse hat beim Erwachsenen einen
meridionalen Durchmesser von circa 10 mm; und einen sagittalen von
-t mm. Ueber ihre Krümmung und Brechung ist bereits S. 38 gehandelt.
Die Linsenkapsel bildet eine durchsichtige, glashelle Membran; die vordere
Hälfte derselben besitzt auf ihrer Innenfläche eine Epithellage; welche bis
zum Aequator reicht. An der hinteren Fläche der Kapsel kommen Epithel-
zellen nach der Geburt nicht mehr vor; da sie zu Linsenfasern ausge-
wachsen sind. Man kann die Kapsel in grösseren Stücken von der
Linse abziehen. Bei Startrübungen wird der Zusammenhang zwischen
Kapsel und Linsensubstanz noch erheblich lockerer. An der Linse
älterer Menschen unterscheidet man eine weiche periphere Schicht
(Corticalschicht)und einen etwas consistenteren Kern, der sich erst im
späteren Lebensalter — etwa Ende der zwanziger Jahre — entwickelt.
Dieser durch eine mit Wasserverlust verknüpfte Sclerosirung entstehende
Nucleus nimmt mit den Jahren an Grösse beständig zu. Die Linsen-
substanz besteht histologisch aus glatten Fasern, welche die Form lang-
gestreckter sechsseitiger Prismen haben. Die Fasern, welche der Rinde
der Linse angehören, zeigen häufig gekörnte Kerne; in den centralsten
Theilen der Linse fehlen dieselben. Ebenso ist ein Unterschied in der
Randeontour. Letztere ist glatt in den Corticalpartien, zahnartig ein-
gekerbt in den centralen. Es ist dies auf die Altersschrumpfung der
Fasern zurückzuführen (Becker): die peripheren, durch Auswachsen
der Epithelzellen und zwar vorzugsweise vom Linsenäquator her ge-
bildeten Linsenfasern sind die jüngeren, die centralen die älteren. Die
:',')S Erkrankungen der Linse.
Linsenfasern werden durch eine Kittsubstanz zusammengehalten. In-
dem jede einzelne Faser in der Richtung der Meridiane von der Vorder-
zur Hinterfläche läuft, stossen ihre Enden in den Linsenpolen in der
Weise zusammen, dass eine Sternfigur entsteht. Dieselbe hat beim
Neugeborenen an der Vorderfläche die Form eines umgekehrten Y (\ ):
auf der Hinterfläche zeigt sie eine ähnliche, aber anders gestellte Figur:
der gerade Strich geht hier nach unten, die beiden anderen nach oben.
Beim Erwachsenen wird die Figur dadurch, dass die Hauptstrahlen sieh
theilen und andere sich ihr anschliessen, complicirter. Es kommt hier-
durch zu einer, besonders bei Starbildung, aber auch bisweilen ohne
diese, im höheren Alter hervortretenden Theilung m Sectoren, deren
Spitze dem Linsenpol, deren Basis dem Linsenäquator zugekehrt ist.
Auch werden die Linsenfasern später härter und zeigen eine mehr gelb-
liehe Färbung. Am Aequator bildet sich öfter eine aus kurzen, weissen
Strichen zusammengesetzte Trübung, welche analog der Randtrübung
der Cornea, als Gerontoxon lentis bezeichnet wird. Der Kern setzt
sich durch eine grössere Härte und stärkeren gelblichen Reflex schärfer
von der Cornea ab. Der Wassergehalt nimmt ab.
Die Ernährung- der Linse geschieht besonders durch die Uvea; aber auch
der (daskörper hat nach klinischen Erfahrungen darauf Einfluss. Magnus, der
vorzugsweise nach den, durch Naphthalin-Fütterung entstehenden Katarakten bei
Thieren die Ernährung der Linse stuclirt hat, fand die Haupternährungszone etwas
hinter dem Linsen- Aequator in der Linsenperipherie, eine zweite vor dem Aequator
noch innerhalb des Ansatzes der Zonulafasern. Nach Schlösser strömt die Nähr-
rlüssigkeit vom Aequator zum Centrum der hinteren Kinde, dann durch perinueleare
Kanäle nach vorn und verlässt die Linse durch die Kapsel in einer vor dem
Aequator liegenden Zone.
Pathologische Anatomie. Dem Auftreten des Alter sstares
gebt eine Volumenabnahme der Linse (Priestley Smith) voran:
dieser folgt eine Volumenzunahme, indem bei reifender Katarakt eine
Vermehrung des Wassergehaltes eintritt. Auch der Cholestearingehalt
(Z ehender, Jacobson) ist erhöht, während die Eiweissstoffe sich ver-
ringern (Michel). Mikroskopisch lässt sich stets eine von den intra-
eapsulären Zellen ausgehende Neubildung von Zellen nachweisen, die
als Wucherung des Kapselepithels, eventuell mit Ausgang in Kapsel-
star, ferner in der Gestalt bläschenartiger Zellen und als epithelartiger
Ueberzug an der Innenfläche der hinteren Kapsel zu Tage ti'itt
(Becker). Mit diesen progressiven oder, wenn man will, entzündlichen
Vorgängen, verbinden sieb regressive. Die Linsenfasern atrophiren
und verringern ihr Volumen. Es bilden sich Lücken, in denen abnorme
.Mengen von Flüssigkeiten sich ansammeln. Dieselben können durch-
scheinende kugelförmige Gerinnungen (sogenannte Morgagni'sche
Kugeln) oder auch algenförmig getheilte, durchscheinende, faserartige
Pathologische Anatomie der Linse. 359
Formationen bilden. Die eigentlichen Linsenfasern zeigen punktförmige
moleculare Trübung, Tröpfchen, Querstreifen, Aufquellung, schliesslich
tritt molecularer Zerfall ein mit Fett, Cholestearinkrystallen und Kalk-
kömern.
Beim S c lach tstar finden sich in der getrübten Zone grössere und
kleinere mit Detritus und Myelintropfen gefüllte Vacuolen, die auch im
Kern nicht ganz fehlen.
Die Kapselkatarakte entstehen nach zwei Typen. Es bilden
sieh streifenartige oder drusenförmige Verdickungen auf der Innenseite
der Linsenkapsel, die theils hell und durchsichtig wie die Kapsel selbst,
theils mehr gelblich aussehen und mit helleren und dunkleren Flecken
und Zellen versehen sind (FI. Müller). Diese Drusen gehen aus den
Epithelzellen hervor (Becker). Eine andere Form von Kapselkatarakt
entsteht durch Auswachsen des protoplasmatischen Zellenleibes der
Epithelien; es bilden sich dabei spitze Fortsätze, welche sich in die
Kapsel hineinschieben. Daneben finden sich Kerne und runde Epithel-
zellen. Auch findet man dicht der Kapsel anliegend öfters eine durch-
scheinende helle Schicht, die durch Kapselspaltung (Becker) entstanden
ist Die ganze Masse der Kapselkatarakt kann durch Bildung neuer
Schichten von Zwischensubstanz das Aussehen des Bindegewebes an-
nehmen (Manfredi). Nach innen zu wird die Kapselkatarakt in ihrer
ganzen Ausdehnung oder nur an ihren Rändern von emporgehobenen
normalen Epithelzellen bekleidet.
Xach Beck er 's Ansicht gehen auch die durch entzündliche Pro-
eesse im Auge (Hornhauteiterungen, eitrige Pupillarauflagerungen) ent-
standenen Kapselkatarakte aus einer Proliferation des Kapselepithels
hervor. Ein directes Eindringen von Eiterkörperchen in die Linse kann
durch Usur der Kapsel bei entzündlichen Processen stattfinden; selbst
rothe Blutkörperchen sind in dem fettig metamorphosirten Detritus einer
congenitalenKatarakt gefunden worden (B o c k). Ebenso wurden Knochen-
bildungen beobachtet, aber nie bei intacter Kapsel (Becker).
Bei traumatischen Staren in Folge eines Einrisses in der vor-
deren Kapsel finden sich anfänglich in den Linsenfaser enden der ganzen
Vorderfläche Vacuolen; weiter bildet sich in der hinteren Corticalis und
in einer perinuclearen Zone ein mit kleinkörniger Masse gefülltes
Lückensystem. Xoeh später quellen die Linsenfasern auf, und es ent-
leeren sich Myelinkugeln unter die Kapsel und in die vordere Kammer.
Alier alle diese Veränderungen sind noch reparabel, und es kann wieder
Klärung eintreten (Schlösser, Schmidt-Rimpler).
Die senile Startrübung beginnt meist in den, vor imd hinter dem
Linsenäquator concentrisch verlaufenden Zonen (Schön, Magnus),
welche, wie oben erwähnt, dem stärksten Nährstrom entsprechen;
360 Erkrankungen der Linse.
seltener vom Kernäquator aus. Sie tritt in der Form von mit Flüssig-
keit gefüllten Spalträumen auf; welche Tropfen-, Birnen- und Spindel-
gestalt zeigen.
1. Cataracta.
I. Allgemeine Diagnose. Reife.
Die als grauer Star (Katarakt) bezeichnete pathologische Ver-
änderung der Linse ist charakterisirt durch das Auftreten von trüben
Massen an Stelle der sonst durchsichtigen Substanz. Schon bei Tages-
licht nimmt man gröbere Veränderungen wahr, wemTsie in den vorderen
Linsenpartien ihren Sitz haben; das Pupillargebiet erscheint nicht schwarz,
sondern ganz oder stellenweise getrübt, grau oder weiss. Doch bedarf
es stets der Untersuchung mit dem Augenspiegel und mit schiefer Be-
leuchtung, um sich vor Täuschung zu schützen. Für gröbere Trübungen
genügt einfach das Hineinwerfen des Lichtes mit dem Augenspiegel.
Bleibt die ganze Pupille undurchsichtig, so wird alles Licht von der
Linse reflectirt oder absorbirt; sieht man grauschwärzliche Flecke,
Kugeln, Striche in dem Pupillenroth, so sind nur einzelne Partien un-
durchgängig. Um sehr kleine und durchscheinende Linsentrübungen und
Tropfenbildungen zu erkennen, geht man mit einem Augenspiegel,
hinter den eine starke Convexlinse (Magnus' Lupenspiegel) gelegt ist,
dicht an das Auge heran: es ist etwas schwierig hierbei die richtige
Entfernung und beste Beleuchtung zu gewinnen. Gelingt dies aber
— am leichtesten bei mydriatischer Pupille — , so bekommt man einen
vollen und oft überraschenden Ueberblick über alle vorhandenen Trü-
bungen. Die schiefe Beleuchtung, eventuell unter Benutzimg der
Westien-Zehender'schen oder Czapki-Schanz'schen binoeularen
Lupe, lässt in ähnlicher Weise die gröberen Details erkennen, gestattet
aber nur eine kleinere, nämlich die gerade schief beleuchtete Stelle
mit einem Blick zu übersehen. Im Uebrigen wird man immer auch
die schiefe Beleuchtung heranziehen, wenn man sich über die Lage
und Art der Trübungen, welche beim Einwerfen des Lichtes mit dem
Augenspiegel Schatten im Pupillarroth veranlassen, sicher unterrichten
will, da mit ihr Hornhautrlecke, Kapselauflagerungen und die ver-
schiedenen Färbungen der Linsentrübungen am besten erkannt werden.
Allein jedoch gestattet die schiefe Beleuchtung nicht immer mit Sicher-
heit die Diagnose einer pathologischen Linsentrübung, da bei ihrer
Anwendung, ebenso wie auch bei Tagesbeleuchtung, besonders
bei alten Leuten, der Kern oder auch einzelne Sectoren der Linse,
selbst das ganze Linsensystem öfter in einer Weise reflectiren, die voll-
kommen pathologisch erscheint, während man mit dem Augenspiegel
Katarakt. 3(51
ganz unverschleiert die Details des Augeimintergrundes erkennen kann.
Aber mir die Trübungen, welche dem durchfallenden, mit dem Augen-
spiegel hineingeworfenen Licht ein Hinderniss bereiten, also den Reflex
des Augenhintergrundes in irgend welcher Weise aufheben oder be-
einträchtigen, können als pathologisch betrachtet werden.
Zeigen sieh bei der schiefen Beleuchtung die vorderen brechenden
Medien einschliesslich der Linse klar, so rühren die etwa vorher ophthal-
moskopisch gesehenen Schatten oder dunkleren Flecke auf dem rothen
Augenhintergrund von umschriebenen Glaskörpertrübungen her. Auch
abnorme Pigmentanhäufungen in der Chorioidea können gelegentlich als
dunklere Punkte im Pupillenroth erscheinen; die detaillirte Untersuchung
des Augenhintergrundes wird über ihren Ursprung Auskunft geben.
Will man zu einer durchaus exacten Diagnose betreffs der Linsen-
trübungen kommen, so rnuss man stets die Pupille durch ein Mydriaticum
i etwa Euphthalmin i erweitern, um die peripheren Partien frei zu legen.
Die Trübung ist umschrieben oder total. Es kann der Kern
der Linse allein getrübt sein (Kernstar), während die Corticalis noch
frei und durchsichtig ist. In anderen Fällen ist letztere getrübt (C o r t i -
calstar) imd ersterer frei. An der Lage der Trübung lässt sich dies
leicht erkennen, da eine in der Mitte der Linse gelegene, in der Regel
etwas gelbliche oder leichtbräunliche Trübung, ohne dass sectorenförmige
Abtheilungen darin hervortreten, den Kernstar kennzeichnet. Der
Cortiealstar nimmt die peripheren Partien ein, zeigt meist eine mehr
grauweisse Färbung und sectoren- oder strichförmige, bisweilen auch
pimkt- und fleckförmige Trübungen. Sind beide Theile der Linse be-
fallen, wie in der Regel im höheren Lebensalter, so wird die Kern-
trül rang durch die vorliegenden Corticalmassen oft verdeckt und ist nur
durch die im Centrum sitzende, etwas gesättigtere gelbliche Färbung
(besonders bei erweiterter Pupille und auffallendem Tageslicht wahr-
nehmbar) zu diagnosticiren. In seltenen Fällen ist selbst bei älteren
Individuen der Kern ganz milchweiss, von ähnlichein Aussehen wie die
Trübungsstreifen der Corticalis.
Vor dem 30. Lebensjahre finden sich in der Regel keine harten
Kerne im Star, nach dem 45. Lebensjahre enthält der Star fast immer
einen Kern. In diesem höheren Lebensalter haben die Kataraktkerne
einen Durchmesser bis zu 8 mm und eine Dicke von circa 3 mm. Der
ganze in der Kapsel extrahirte Star hat durchschnittlich einen Durch-
messer von 9 mm und eine Dicke von 4 mm. Sein Gewicht ist geringer
als das normaler Linsen, 0-13 — 0-19 Gramm (Nagel).
Aligesehen von gewissen stationär bleibenden Formen mit partieller
Trübung, pflegt meist eine allmähliche Ausbreitung der Trübung einzu-
treten. Man nennt dies das Reifen des Stares. Wie lange es
362
Erkrankungen der Linse.
dauert, bis ein Star vollkommen reif oder, was in der Meinung des
Patienten gleichbedeutend ist, operationsfahig wird, ist nicht mit Sicher-
heit zu bestimmen. Am ehesten ist auf schnellere Zunahme der Trübung
zu rechnen, wenn breite opaleseirende Seetoren in der Corticalis vor-
handen sind. Auch bei jugendlichen Individuen oder bei Allgemeinleiden
i I Habetes, Schwächezuständen) kommt es früher zu einer vollkommenen
Trübung. Es giebt aber, wie weiter unten zu ersehen, gewisse Starformen,
die, trotzdem noch sehr viele durchsichtige Theile vorhanden sind, demi-
noch sich leicht aus der Kapsel entleeren lassen und so im Sinne der
Operationsfähigkeit als reif betrachtet werden können.
Im ersten Stadium der sich entwickelnden Starbildung (Cat. inci-
piens) bemerkt man nur einzelne Trübungen in der sonst durchsichtigen
Linse, die Kammer hat ihre normale Tiefe. Dann aber nimmt die Linse
an Volumen zu (Cat. in turne scens s. im-
niatura), sie wird in grösserer Ausdehnung
trübe, meist zeigt sie breite, weissliche,
opaleseirende Sectoren. Die der Kapsel zu-
nächst liegenden Partien bleiben anfänglieh
noch durchsichtig.
Als werthvolles Zeichen hierfür dient
der Schlagschatten der Iris. Befindet sich
seitlich in L (Figur 119) eine Lichtquelle,
so werden von dieser aus die Strahlen La
und Lc in die Pupille fallen. Das Auge
U9. des Beobachters B wird alsdann hinter e
einen schwarzen Schatten sehen, den die
Iris auf die Linsentrübung d wirft,
Ist hingegen letztere so weit
nach vorn vorgeschritten, dass sie die Kapsel und Iris erreicht, so
fällt der schwarze Zwischenraum fort: die Iris liegt dicht und un-
getrennt auf der grauen Linsentrübung. Es ist hierdurch die Starreife
festgestellt. Man hüte sich übrigens, den nicht selten zu beobachtenden
feinen, schwarzen Saum am Pupillenrande der Iris, der durch das Her-
vortreten des hinteren Pigmentblattes bedingt ist, für den Schlagschatten
anzusehen. Auch ist weiter zu beachten, dass in einzelnen Fällen, wo
bei ganz schiefem Hineinsehen deutlich zu constatiren ist, dass die
Trübung dicht unter der Kapsel liegt, dennoch ein Schlagschatten be-
steht. Hier hat nämlich die Linsensubstanz (besonders der stark ver-
grösserte Kern) eine mehr bernsteinartige Durchsichtigkeit statt der
gewöhnlichen grauweisslichen Färbung angenommen, und lässt deshalb
das Licht tiefer einfallen. In diesen Füllen pflegt auch noch ein ge-
wisser röthlicher Reflex hei der ophthalmoskopisches Untersuchung vom
Augenhintergrunde her zu kommen.
Katarakt. 363
Durch die Dickenzunahme der Linse wird die Iris nach vorn ge-
drängt und die vordere K;unmer eng.
AU reif (Cat. matura) bezeichnet man den Star dann, wenn das
ganze Linsensystem, also der ganze Inhalt der Linsenkapsel eine patho-
logische Veränderung, die sich durch den Verlust der normalen Durch-
sichtigkeit kennzeichnet, eingegangen ist. Die Kammer hat jetzt wieder
ihre normale Tiefe, der Schlagschatten fehlt. — In der Regel hat diese
totale, bis zur Kapsel sich erstreckende Trübung zur Folge, dass nach
einem Einreissen der Linsenkapsel, wie es bei der Starextraction aus-
geführt wird, die getrübte Linse sich wie eine reife Frucht aus der
Schale entleert, ohne dass Reste an der Kapsel haften bleiben, die sich
noch nachträglich trüben oder autquellen. Doch kommen Ausnahmen
vor: ist beispielsweise die Corticalis breiig-weich, so pflegen trotz voll-
ständiger Trübung dennoch Reste haften zu bleiben. Andererseits ent-
leeren sich leicht und vollständig auch unreife Stare: so Linsen mit
dunkelgelbem Kern und durchsichtiger, mit schmalen Streifen durchsetz-
ter Corticalis; ferner solche, welche zwischen massenhaften, strich- und
punktförmigen Trübungen noch kleinste durchsichtige Lins entheil chen
zeigen (Alfr. Grraefe), und gewisse Corticalstare mit hinterer, schalen-
förmiger Trübimg, die in den vorderen Partien Verhältnis smässig unge-
trübt sind. Ueberhaupt gelingt die Entleerung der Stare, selbst wenn
sie noch durchsichtige Partien enthalten, bei Individuen über 60 Jahre
meist ausreichend. Auch Katarakte jugendlicher Individuen mit milchig-
weissem Kern imd opalescirenden Corticalspeichen, zwischen denen noch
durchsichtige Massen Hegen, pflegen leicht aus der Kapsel herauszugehen.
Xach der Reifimg des Stares tritt ein regressiver Process ein; die
während der Reifimg sich blähende und vergrössernde Linse verkleinert
sich wieder und schrumpft. Der Star ist überreif (Cataracta hyper-
matura).
Hier kann von Xeuem der Schlagschatten auftreten, wenn bei
der Schrumpfung das getrübte Linsensystem etwas von der Iris ab-
rückt imd so ein Zwischenraum entsteht. Es sind dann noch weitere
Momente heranzuziehen, um den unreifen von dem überreifen Star zu
unterscheiden. So die grössere Tiefe der vorderen Kammer und das
Aussehen der Katarakt selbst. Oefters zeigt sich auch Irisschlottern
(Iridodonesis), da die Regenbogenhaut ihre Unterlage verloren hat.
Ferner pflegt das Aussehen einer überreifen Katarakt ziemlich charak-
teristisch zu sein. Es finden sich in der Corticalis unregelmässige, in-
tensiv weissliche Striche und Punkte, während die regelmässigen, mehr
grauen und opalescirenden Sectoren abnehmen oder ganz schwinden.
In anderen Fällen ist beim überreifen Star eine totale Verflüssigung
der Corticalis eingetreten, so dass eine weissliche, milchige Trübung
364 Erkrankungen der Linse.
ohne oder doch mit nur wenigen punkt- oder strichförmigen Form-
elementen sich zeigt. Auch pflegen Kapseltrübungen eher den überreifen
Star zu befallen.
Die Kapsel stare charakterisiren sich durch eine meist intensiv
Aveisse Färbung und flächenartige Ausdehnung; am besten kann man
sie ihrem Aussehen nach 'mit einem Stückchen weisses Papier ver-
gleichen, das bald mehr, bald weniger gross, öfter mit unregelmässig
gezackten Rändern, im Pupillengebiet liegt.
II. Partielle, nicht fortschreitende Linsentrübungen.
Umschriebene Trübungen, bei sonst vollständig freier und durch-
sichtiger Linsensubstanz sind nicht so gar selten. Wenn man sie bei
jugendlichen Individuen trifft — bisweilen als kleine Punkte und Striche
(Cat. punctata und striata) — , so kann man sie in der Regel als
angeboren betrachten, und es liegt kein Grund vor, eine weitere Trü-
bung der übrigen Linsensubstanz zu befürchten, da sie meist zeitlebens
unverändert bestehen bleiben. Es trifft das vor Allem dann zu, wenn
sie sehr intensiv und scharf abgegrenzt sind. Ist die Färbung mehr
grau oder opalescirend, auch die Zwischensubstanz nicht vollkommen
klar, so liegt eher Verdacht auf weiterschreitenden Star vor; man wird
dann längerer Beobachtungszeit bedürfen, um zur Klarheit zu kommen.
Aber selbst bei älteren Individuen können einzelne weisse Striche und
Sectoren Jahre lang bestehen, ohne dass eine weitere Trübung eintritt.
Bei Personen in sehr hohem Lebensalter — über 75 und 80 Jahr -
linden sich partielle Trübungen in der Linsenperipherie sogar recht
häufig. Die Zahl, in der diese partiellen Linsentrübungen auftreten,
ist eine sehr verschiedene: von einem kleinen weisslichen Sector, Strich
oder Punkt, bis zu zahlreichen, die Linse durchsetzenden.
Besonders hervorzuheben sind: 1) der stationäre Kernstar, der
als eine weissliche, kugelige Trübung bei jugendlichen Individuen zu-
weilen vorkommt. 2) Der vordere, centrale Kapsellinsenstar.
Hier besteht dem vorderen Pole der Linse entsprechend eine rund-
liche, meist stecknadelkopfgrosse, weisse Trübung, die sich noch etwas
in die Linsensubstanz erstreckt. Bisweilen ragt auch die trübe Masse,
welche aber immer von der Linsenkapsel überzogen wird, in die vordere
Kammer hinein und bildet so eine kleine Pyramide (Cat. pyramidalis).
Diese Starform entsteht öfters nach einer Blennorrhoe bei Neugeborenen
und ihr Sitz mitten in der Pupille spricht dafür, dass sie durch directe
Scliiidlichkciten, welche diese Stelle der Linse trafen, bedingt wurde.
So liegt beispielsweise, wenn in Folge der Perforation eines Hornhaut-
geschwiüs die vordere Kammer längere Zeit fistelt, gerade der Linsen-
Partielle, nicht fortschreitende Linsentrübungen. 365
pol der Hornhaut an, selbst noch zu einer Zeit, wo man bereits in der
Kammerperipherie durch Ansammlung des Kammerwassers einen ge-
wissen Zwischenraum zwischen Hornhaut und Iris wahrnehmen kann.
Wenn ausserdem eitriges Secret sich in der Kammer befindet, so wird
bei der Enge der Pupille, wie sie selbst nach Atropinisirung bei Neu-
geborenen oft besteht, gerade und allein der centralste Linsentheil
davon bedeckt werden. Es erklärt sich so das Zustandekommen des
centralen Kapsellinsenstars, selbst wenn das Hornhautgeschwür sich
nicht direct dem Linsenpole gegenüber befand. Dass dieser Star sich
auch ohne Hornhautperforation nach Blennorrhoen entwickeln könne, wie
Einige meinen, scheint nur dann annehmbar, wenn eitrige Pupillar-
exsudate längere Zeit vorhanden waren. 3) Die hintere Polarkata-
rakt. Hier findet sich eine weissliche oder weisslichgelbe Trübung
mit nach vorn gerichteter Concavität am hinteren Linsenpol. Da nicht
selten Glaskörperairectionen bei dieser Kataraktbildung bestehen, so
ist auch ein weiteres Fortschreiten der Trübung relativ häufig. 4) Der
Spindelstar (Cat. fusiformis); es durchsetzt eine spindel-
förmige Trübung die ganze Linse quer vom vorderen zum
hinteren Pol ziehend. 5) Der Schichtstar (Cataracta
zonularis s. perinuclearis). Den freien Kern der Linse
schalenförmig umgebend findet sich eine grauweissliche
Schicht getrübter, centraler Corticalsubstanz, die wiederum
von der Kapsel durch eine durchsichtige, periphere Linsenlage
getrennt ist (Figur 120). Der Rand der Trübung ist von 120.
vorn gesehen kreisförmig; zuweilen liegen ihm kleine Zacken
auf, welche in die durchsichtige, periphere Linsensubstanz hineinragen.
In seltenen Fällen umkränzt auch, durch eine schmale Linie durchsich-
tiger Substanz getrennt, eine zweite oder dritte grauweisse kreislinien-
fömiige Trübung die centrale.
In der Trübimg lassen sich in der Regel ziemlich breite zum Theil
opalescirende Sectoren wahrnehmen. Das Centrum ist etwas durch-
scheinender als die Peripherie, wo bei dem dichten Aufeinanderliegen
der getrübten Schichten eine stärkere Lichtabsorption stattfindet. Keinen-
falls zeigt sich wie bei Kerntrübungen eine stärkere Litensität oder dunklere
Färbung der centralen Starpartie. Hierdurch kann man den Schicht-
star leicht vom Kernstar unterscheiden. Die Grösse und Durchsichtig-
keit des Schichtstars ist sehr verschieden und damit natürlich auch der
Grad der Sehstörung. Zuweilen ist die Trübimg nur 3 bis 4 mm im
Durchmesser gross, bisweilen erstreckt sie sich bis nahe an den Aequator
der Linse. Je breiter das peripher durchsichtige Gebiet, um so besser
das Sehvermögen. L^m die Grösse desselben vollkommen zu übersehen,
bedarf es der künstliehen Mydriasis. Bei kleinen Schichtstaren kann
36(3 Erkrankungen der Linse.
es geschehen, dass die Patienten ein vollkommen genügendes Sehver-
mögen haben und keine Veranlassung linden, zum Arzt zu gehen. Ver-
engert sieh aber im höheren Lebensalter die Pupille, so wird die durch-
sichtige, periphere Linsenpartie immer mehr von der Iris bedeckt und
die hierdurch bedingte Verschlechterung des Sehens lässt die Kranken
alsdann Hülfe suchen. Wenn der Arzt hier nicht die Pupille ordentlich
erweitert und das ganze Linsensystem genau untersucht, kann er leicht
fälschlich zu der Diagnose eines Kernstares gelangen, da die Entwick-
lung dieses ja dem höheren Lebensalter entsprechen würde.
Der Schichtstar kommt angeboren vor oder entwickelt sich, wie
wohl meistens, in den ersten Lebensjahren. Besonders häufig wird er bei
Kindern beobachtet, die an Zahnkrämpfen gelitten haben, so dass eine
durch die Trigeminusreizung bedingte reflectorische Ernährungsstörung
der Linse als Ursache anzunehmen ist. Da das Wachsen der Linsen-
fasern von dem Aecmator her erfolgt, so würde sich bei einer tempo-
rären Ernährungsstörung um die vorhandene, durchsichtige Linsensub-
stanz eine periphere Schicht getrübter Masse legen. Hört die Ernährungs-
störung auf, und wird wieder normale Linsensubstanz gebildet, so ent-
steht um die trübe Masse eine durchsichtige. So erklärt sich die
eigenthümliche Schichtform. Dass der Schichtstar besonders häufig,
gleichzeitig mit Anomalie der Zähne (Homer), bei Rhachitis vorkommt,.
ist nicht erwiesen; aber auch in diesen Fällen scheinen Krämpfe
(Tetanie) die directe Veranlassung zu geben (Peters).
Die Kapselstare pflegen, wenn sie sich primär entwickeln, meist
stationär zu sein. So etwa als Folge kleiner Verletzungen, oder wenn
bei Iritis oder Hornhautulcerationen eitrige Massen der Linse längere
Zeit aufliegen oder wenn Verklebungen mit der Iris oder Cornea vor-
handen sind. Auch die sich anschliessenden Trübungen der nächstan-
grenzenden Corticalpartien haben meist einen stationären Charakter. —
Die Sehstörungen, welche die partiellen Starformen hervor-
rufen, sind vorzugsweise von ihrer Durchsichtigkeit, ihrer Ausdehnung
und ihrem Sitze abhängig. Je mehr peripher sie sind, um so weniger
werden sie einen nachtheiligen Einfluss üben. Aber selbst bei cen-
tralerem Sitz kann ein vollkommen genügendes Sehvermögen bestellen.
Therapie. Viele der liicrhergehörigen Formen bedürfen keiner
besonderen Behandlung. Sollten zerstreut sitzende Trübungen ganz
ungewöhnlich zahlreich und störend sein, so kann man überlegen, ob
man nicht durch die Entfernung *\v^ Linsensystems ein brauchbares
Seilen schaffen könne.
Bei jugendlichen Individuen wird man zunächst künstlich die Re-
sorption einzuleiten suchen, indem man durch einen operativen Kapsel-
riss (Discissio) dem Kammerwasser Zutritt schafft. Ks tritt dann all-
Partielle, nicht fortschreitende Linsentrübungen. o(>7
mählich eine Quelhmg und Trübung auch der bis dahin ungetrübten
Massen ein; welche so vorbereitet von dem zutretenden Kammerwasser
resorbirt werden. Man geht mit einer Discissionsnadel (Figur 121),
etwa 2 mm vom durchsichtigen Rande einstechend, durch die Cornea in
die vordere Kammer und macht bei atropinisirter Pupille einen Kreuz-
schnitt in die Linsenkapsel. Andere bevorzugen den Einstich im Scleral-
limbus. Gewöhnlich erfordert die Resorption der Linse bei nicht über-
stürztem Verlaut" 6 — 8 Wochen. Bei den Linsen älterer Individuen
(etwa über das 20. Lebensjahr hinaus) ist die Resorption noch lang-
samer und wegen der stärkeren Entwickelung des Kernes unvollstän-
diger; auch ist die Gefahr einer durch die quellende und reizende
Linsensubstanz hervorgerufenen secundären Iritis grösser. Man wird
daher hier, nachdem man eine vollständige Trübung der Linse eben-
falls durch Discission erreicht hat, möglichst bald die Heraus-
nahme der Starmassen folgen lassen. Dies Verfahren ist
auch bei jugendlichen Individuen angezeigt, weim man Zeit
ersparen will oder wenn die Quellung zu heftig wird und
erheblichere Entzündungserscheinungen erregen sollte. Man
macht am besten mit einer breiten Lanze einen Linear-
schnitt in den Hornhautrand. Eine gleichzeitige Iridectomie
ist meist mmöthig. Um das Herausfüessen der gequollenen
breiigen Massen zu befördern, drückt man das Lanzenmesser
nach hinten gegen die Iris und macht so die Wunde klaffend.
Vorzugsweise häufig erfordert der Schichtstar einen
operativen Eingriff, wenn durch den Sitz desselben im Cen- 121.
trum der Pupille die Sehschärfe besonders herabgesetzt Discissious-
• • • • t • nadel (st°i)"
wird. Hier wird man oft in oben erwähnter Weise disci- needie).
diren müssen. Gelegentlich kann sich auch die Extrac-
tion (s. unten) empfehlen, da sie Zeit erspart; jedoch wende man
sie nur bei älteren und ruhigen Kindern an, da sonst leicht Compli-
cationen (Glaskörperverlust, unvollständige Entleerung etc.) eintreten
können. Wenn die Trübung nicht zu gross ist, kann man auch durch
eine Iridectomie, welche eine freie periphere Linsenpartie (wie z. B. in
Figur 120) blosslegt, genügende Sehschärfe schaffen. Man hat dann
immer gegenüber der Vernichtung des Linsensysteins den Vortheil, dass
das Accommodationsvermögen den Kranken erhalten bleibt und diese
nicht auf den Gebrauch von Starbrillen angewiesen sind, durchweiche die
verloren gegangene Brechung der Krystalllinse ersetzt werden muss.
Wieviel ihnen eine zweckentsprechende Iridectomie an Sehvermögen
schafft, kann man ungefähr wenigstens vorher feststellen, indem man
mit Homatropin die Pupille stark dilatirt und durch einen breiteren
stenopäischen Schlitz alsdann sehen lässt. Bei der Iridectomie wird ein
368 Erkrankungen der Linse.
möglichst schmales Stück von Regenbogenhaut excidirt und der peri-
pherste Theil derselben stehen gelassen. Es nähert sich dann die Oeft-
nung einem Schlitze, bei dem diejenigen Lichtstrahlen, welche durch
die äusserste Linsenpartie gehen würden, durch den stehengebliebenen
Irisrand noch abgehalten werden; hierdurch wird die Schärfe des Netz-
hautbildes vergrössert. Aber nicht immer wird eine bemerkenswerthe
Erhöhung der Sehschärfe erreicht; der Vortheil besteht besonders darin,
dass ein besseres Sehen bei directem Lichteinfalle, wo früher durch
die Pupillencontraction die durchscheinenden Randpartien gedeckt
wurden, stattfindet. An Stelle der Iridectomie kann man auch die
Iridotomie machen. Hier liegt jedoch die Gefahr vor, dass man die Linsen-
kapsel mit der einen, hinter die Iris geführten Scheerenbranche verletzt.
Um dies zu vermeiden, hat Seh öl er empfohlen, den Einschnitt in die
Iris zu machen, nachdem man sie nach aussen vor die Corneawunde
gezogen hat (praecorneale Iridotomie), und sie dann wieder in das
Auge zu reponiren. Aber auch die Iridectomie gestattet bei entsprechen-
der Ausführung, genügend kleine Pupillen zu machen.
III. Totale Linsentrübungen.
Vorzugsweise ist es das höhere Lebensalter, in dem sich ein totaler
Star (Alters star, Cat. senilis) entwickelt. Vor dem 40. Jahre ist
derselbe — ohne besondere ätiologische Mo-
mente — verhältnissmässig selten; doch
kommt totale Katarakt selbst angeboren vor.
Die Consistenz der Corticalis ist
verschieden. Man kann unterscheiden: eine
breiige (etwa dem Buchbinderkleister ent-
sprechend), eine harte (dem Wachs sich
nähernd) und eine flüssige Beschaffenheit.
Bei der Herausnahme der Katarakt streift sich die breiige Corticalis
leicht vom Kerne ab, während die härtere ihm fester anhaftet und enger
mit ihm verbunden ist. Aus dem Aussehen des Stares lässt sich meist
schon vor der Extraction die Diagnose bezüglich der Consistenz stellen.
Bei breiiger Corticalis zeigen sich breite perlmutterartige und opalesci-
rende Speichen, welche ihre breite Basis der Linsenperipherie zugekehrt
haben (Fig. 122); und ähnliche Platten in der Linse bei harter Corticalis
treten schmälere, mehr weisse Speichen und Striche auf. Ist der Star
überreif, so ist die Corticalis durch Wasserabgabe geschrumpft, zusammen-
gebacken, hart und bröcklig geworden. Man sieht dann, wie oben er-
wähnt, in einer mehr gleiehmässig grauen Masse intensiv weisse Striche,
Punkte i nid Flecke. Die flüssige Corticalis, die man auch in überreifen
Totale Linsentrübungen. 369
Staren antrifft, ist Product einer weiteren regressiven Metamorphose
und durch ein Aussehen gekennzeichnet, welches am besten mit dem
der Milch verglichen wird. Im Uebrigen kommen Mischzustände vor;
besonders findet man öfter verflüssigte Massen in sonst zusammenge-
backenen, regressiven Staren.
Die Gesammtt'arbe des Stares ist meist eine graue; wobei der etwa
vorhandene Kern durch eine etwas gelbliche oder bräunliche Nuance,
die übrigens bei Tageslicht besser als bei künstlicher Beleuchtung zu
erkennen ist, nach Lage und Grösse hervortritt. Der Unterschied in
der Farbe des Kerns und der Corticalis ist oft so gering, dass er über-
sehen werden kann. Und doch ist eine richtige Diagnose der Kern-
grösse und Corticalconsistenz wegen der vorzunehmenden Operationsart
von grosser Bedeutung. In seltenen Fällen nimmt das ganze Linsen-
system bei der Kataraktbildung eine mehr bräunliche Färbung und bern-
steinartige Beschaffenheit an, so dass die Pupille bei Tageslicht und
oberflächlicher Betrachtung fast schwarz erscheint (Cataracta nigra).
Es handelt sich hier um eine totale Sclerose, die noch ein gewisses
Sehen dauernd gestattet; es fehlt das Quellungsstadium, jedoch
sind die Stare ungewöhnlich gross. Ist bei einem Altersstar die Cor-
ticalis ganz verflüssigt, so kann der dunklere Kern darin Ortsverände-
rungen eingehen. Lässt man beispielsweise die Kranken Rückenlage
einnehmen, so wird der dunkle Kern zurücksinken und das Pupillar-
gebiet erscheint milchweiss; wird alsdann der Kopf unter Schütteln
einige Zeit vornübergebeugt, so rückt der Kern gegen den vorderen
Linsenpol, und man kann ihn nunmehr in der milchigen Umgebung
wahrnehmen. Diese Starform hat den Namen Cataracta Mor-
gagniana erhalten, indem man eine Analogie mit dem post mortem
innerhalb der Linsenkapsel auftretenden Liquor Morgagni machte.
Bildet sich bei jugendlichen Individuen eine totale Verflüssigung der
Linsenmasse — also ohne dass ein Kern zurückbleibt — , so spricht
man von Cat. lactea oder, falls die Kapsel sehr fest ist, von Cat.
cystica; letztere Stare kann man bisweilen wie eine Cyste mit ihrem
Inhalte aus dem Auge extrahiren. ■ —
Während sich diese Formen in der Regel als spätere Folgen der
regressiven Metamorphose einer sonst in gewohnter Weise mit allmäh-
licher Trübimg und Quellung des Linsensystems einhergehenden Katarakt-
bildung zeigen, giebt es eine Reihe anderer eigenartiger Starformen, die
nach inneren Entzündungen des Auges (Cataracta complicata) auf-
treten. Gewöhnlich handelt es sich hier um lang bestandene Litis,
Cykhtis, Lido-Chorioiditis, Hyalitis oder Netzhautablösung. Sie sind
hiernach auch von einer viel übleren prognostischen Bedeutung. Ihr
Aussehen unterscheidet sie in der Regel von den vorher geschilderten
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 24
370 Erkrankungen der Linse.
Staren, indem sie äusserst selten in ihrer Entwicklung die Speichen-
bildung der Corticalis und die scharfe Abgrenzung des Kernes erkennen
lassen. Sie pflegen eine mehr gleichmässige, intensiv weisse, papier-
artige Beschaffenheit zu haben und als eine flache, zusammengedrückte,
oft kalkartige Punkte oder Cholestearinkry stalle enthaltende Masse in
dem in Folge hinterer Irissynechien oft verengten Pupillargebiet zu
liegen; die Kapsel ist verdickt, getrübt. Man hat diese Formen, welche
auch angeboren vorkommen, als Cat.calcarea, Cat. aridosiliquata
(trockenhülsige Stare), oder bei Irisverwachsung auch als Cat. accreta
bezeichnet. In anderen Fällen — und es trifft dies besonders bei
Affectionen der tieferen Augengebilde, des Glaskörpers und der Netz-
haut zu — ist die Pupille von gewöhnlicher Weite, die darin liegende
Katarakt aber zeigt eine eigenthümlich gelbliche Färbung, ebenfalls ohne
die charakteristischen Speichenformen. Bei einiger Uebung sind die
Unterschiede der Formation in all diesen Fällen so auffallend, dass
man nicht leicht derartige secundäre Katarakte mit uncomplicirten Staren
verwechseln wird.
Ein ähnliches Aussehen, wie die zuerst beschriebene Form der com-
plicirten Katarakte, zeigt in seinem Endstadium der traumatische
Star. Wenn durch Eröffnung der Linsenkapsel das Kammerwässer
Zutritt zur Linsensubstanz gewonnen hat, so tritt eine Quellung und
Trübung der nächstliegenden Corticalmassen ein. Bei kleinen Kapsel-
wunden kann nach Schluss derselben wieder eine mehr oder weniger
ausgedehnte Lichtung der getrübten Linsensubstanz zu Stande kommen.
Ist die Wunde grösser, so dringen aus ihr graue Flocken in die vordere
Kammer, wo sie allmählich aufgesogen werden. Unter Umständen
wird nach und nach das ganze Linsensystem getrübt und schliesslich
resorbirt. Es bleiben aber in der Regel an der Kapsel noch trübe,
härtere Massen zurück, die dann mit der Kapsel zusammen eine ziem-
lich feste und dicke grau-weissliche Membran im Pupillargebiet (Nach-
star, Catar. secundaria) bilden. Die Anamnese oder auch Hornhaut-
narben werden hier auf die richtige Diagnose führen. —
Sehstörungen.
Die Sehstörung, welche der Star bewirkt, entspricht den von
ihm gesetzten optischen Hindernissen; sie wird also verschieden sein
nach der Ausdehnung und Art der Trübung. Einen gewissen Anhalt
wird hierbei die Untersuchung mit dem Augenspiegel geben; je mehr
<hr I >phthalmoskopiker vom Augenhintern'runde erkennt oder je mehr
rothes Licht von letzterem noch reflectirt wird, um so besser muss auch
das SeheD des Patienten sein.
Zur Diagnose etwa vorhandener (Jomplieationen, die auf
Totale Linsentrübungen. 371
das Sehvermögen Einfluss haben, muss eine genaue Prüfung der quali-
tativen, bezw. quantitativen Lielitempfindung angestellt werden. Selbst
bei einem vollständig getrübten Linsensystem, bei dem kein rotlies Lieht
mehr vom Augenhintergrunde bei der ophthalmoskopischen Unter-
suchung zurückkommt, muss der Kranke mindestens noch „kleinste
Lampe" i vgl. Amblyopie und Amaurose) auf etwa !/3 m erkennen können.
Sieht der Kranke erst die Lampe, wenn sie höher geschraubt ringsherum
mit hellgelber Flamme brennt — also sogenannte kleine Lampe — ,
so ist eine Complieation (etwa mit Netzhautaffectionen, Sehnervenleiden
oder Glaukom) zu vermuthen. Wie man sich selbst leicht überzeugen
kann, empfindet ein normales Auge das Hell und Dunkel der kleinen
Lampe noch bei geschlossenen Lidern. Eine Complieation des grauen
Stares ist weiter anzunehmen, wenn das Gesichtsfeld nicht frei ist. Man
muss zur Prüfung desselben die Lampe etwas höher schrauben und hält
sie dann nach den verschiedenen Richtungen hin, indem man das Licht
der Lampe bald mit der Hand verdeckt und bald wieder frei lässt.
Es muss die Richtung (rechts, links, oben oder unten) exaet angegeben
werden, wenn wir gewiss sein sollen, dass schwerere Complicationen
fehlen. Nur eine Ausnahme ist zuweilen zu constatiren. Wenn näm-
lich lange Zeit ein einseitiger Star bestanden hat, kann nach der na-
salen Seite hin, die ja in das Gesichtsfeld des sehenden Auges fällt, die
Projection verloren gehen oder unsicher werden, ohne dass eine schwerere
Complieation besteht.
Die Erfüllung der eben besprochenen Erfordernisse schliesst jedoch
das Bestehen leichterer Comphcationen, beispielsweise von Glaskörper-
trübungen, Chorioiditis centralis, einer Amblyopie aus Nichtgebrauch bei
schielenden Augen nicht aus. Ja bei jugendlichen Individuen mit an-
geborenen oder frühzeitig entstandenen Katarakten kann sogar trotz
exaeter Lichtempfindimg hochgradige Amblyopie vorhanden sein: selbst
eine glückliche Operation vermag in diesen Fällen das Sehvermögen
nur wenig zu heben.
Die meisten Kataraktösen sind übrigens trotz vollkommener Star-
reife noch im Stande, in nächster Nähe Finger zu zählen oder
wenigstens Zahl oder Bewegung der Hände zu erkennen. —
Abgesehen von dieser subjeetiven Prüfung wird uns das Aussehen
der Katarakte und der Augen selbst weiter über etwaige Comphcationen
belehren, ebenso auch die mehr oder minder exaete Reaction der
Pupillen auf Lichteinfall. Sehr verdächtig ist immer eine weite und
starre Pupille: hier ist neben Amaurose auch besonders auf Glaukom
als Comphcation zu achten. —
Gewöhnlich kommen aufmerksame Patienten mit Star schon früh-
zeitig zum Arzt, da die Trübungen sich am häufigsten auf beiden Augen
24*
g j 2 Erkrankungen der Linse.
zugleich einstellen und so das Sehvermögen herabsetzen. Die Fälle; in
denen ein Auge vollkommen' reifen Star hat, während das andere ganz
frei ist; sind seltener: hier werden die Kranken ihr Leiden leichter
übersehen. — Auch eine gewisse Myodesopsie rindet sich bei Star-
kranken, indem sie dunkle Flecke, Striche u. s. w. wahrnehmen, welche
den Schatten der objeetiv sichtbaren Linsentrübungen entsprechen; ebenso
kann Polyopie auftreten. Bisweilen wird über eine Aenderung in der
Farbenwahrnehmung geklagt, die durch die gelbliche oder bräunliche
Trübung des Kernes bedingt ist. — Je centraler die Trübung liegt, um
so schlechter ist das Sehen, besonders bei enger Pupille. Diese Kranken
geben dann an, dass sie bei trübem Wetter und im Schatten, wo die
Pupille sich natürlich erweitert und so das Licht durch die durch-
sichtigen Randpartien eindringt, besser sehen. Sie tragen daher auch
gern einen Augenschirm oder eine blaue Brille und gehen, um das Auge
zu beschatten, mit vornübergebeugtem Kopf. In anderen Fällen, wo
die Trübungen besonders in der Corticalis sitzen, können durch Ver-
engung der Pupille die etwa entstehenden Zerstreuungskreise ausge-
schlossen werden. Hier wird gerade umgekehrt im hellen Lichte ein
besseres Sehen vorhanden sein.
Aetiologie.
1) Acute und chronische Augenaffectionen. In Folge von Iritis,
Irido-Chorioiditis und Lido-Üyklitis sind, wie wir gesehen, eigentümlich
gestaltete Kataraktformen nicht selten. Bei Glaskörperleiden, wie sie
bei Sclerotico-Chorioiditis posterior öfter vorhanden sind, kommt es auch
zu Katarakten, die, am hinteren Pole beginnend, zu einem regel-
mässigen Totalstar führen können. Bei lange bestehender ausgedehnter
Netzhautablösung, die allerdings meist mit Glaskörpei'leiden complieirt
ist, ist es fast Regel, dass sich noch schliesslich Katarakt hinzugesellt.
Ebenso complieirt sich Glaukom nicht selten mit Katarakt, sowohl in
einem Stadium, wo noch ein relatives Sehvermögen vorhanden ist, als
auch später, wenn der glaukomatöse Process bereits zur Amaurose ge-
führt hat. — Heftige eitrige Entzündungen (eitrige Chorioiditis, Panoph-
thalmitis) haben fast immer eine Trübung und Zerstörung des Linsen-
systems zur Folge, so dass schliesslich nur noch eine graue, schmale
Platte übrig bleibt. Auffallend ist auch, dass nach Hypopyon-Keratitis,
besonders wenn die quere Durchschneidung des Geschwürs gemacht ist,
sich gar nicht selten partielle und später auch totale Katarakt entwickelt.
Aber auch ohne die quere Durchschneidung sieht man die Kapsellinsen-
trübungen entstehen. Die Hauptursache derselben scheint mir in dein
langen Aufliegen von Ilypopyen auf der Kapsel und die Berührung
«lieser mit dem Hornhautulcus bei Kammerabfluss zu liegen, wodurch
Totale Linsentrübungen. 373
Ernährungsstörungen gesetzt werden. Daneben können auch sehr zarte,
traumatisch entstandene Kapselrisse eine Rolle spielen (Deutschmann).
2) Das Lebensalter. Die Totalkatarakt kommt vorzugsweise häufig
nach dem 50. Lebensjahre vor; selbst über siebzigjährige Kranke, bei
denen sieh noch Katarakt entwickelt, sind nicht selten. Es ist eine
Alterskrankheit; öfter kann man beobachten, dass sie eintritt, wenn die
schon rückgängige Körperkraft durch anderweitige Krankheiten oder
geistige Depression, Kummer u. s. w. noch mehr geschwächt worden
ist. Aber auch jüngere Individuen, selbst noch in den dreissiger Jahren,
werden bisweilen von Katarakt befallen, die den Typus der Altersstare
zeigt, wenngleich sie sich meist schneller entwickelt, ohne dass be-
sondere ätiologische Momente vorhanden sind.
3) Diabetes mellitus. Wenn man den Urin der Starkranken unter-
sucht, so rindet man nicht selten Zuckergehalt; es werden so Diabetiker
entdeckt, bei denen sonstige ausgesprochene Symptome der Zuckerruhr
fehlen. Besonders verdächtig sind Starkranke im jugendlichen Alter.
Die anatomische Untersuchung dieser Stare hat ein eigenthümliches Ver-
halten der in den Linsenfasern gelegenen Kerne gegen Farbstoff ( — so
reagiren sie fast gar nicht gegen Alauncarmin und Hämatoxylin — )
gezeigt (Becker): ebenso auffallend war eine starke ödematöse Auf-
quellung des Pigmentbelages der hinteren Irisfläche. Weiter ist Zucker
sowohl in der kataraktösen Linse als auch in den Augenflüssigkeiten
gefunden; erst neuerdings habe ich denselben in reicher Menge im
Glaskörper constatiren können. Dass die Kataraktentstehung auf eine
grössere Concentration der die Linse umgebenden Flüssigkeiten und
eine hierdurch, bewirkte Wasserentziehung aus der Linsensubstanz zu-
rückzuführen sei, ist für die Mehrzahl der Fälle unwahrscheinlich, wenn-
gleich nach Kunde 's Untersuchungen, die vonHeubel bestätigt werden,
auch subcutane Kochsalzeinspritzungen bei Fröschen Linsentrübungen
verursachen. Eher ist an eine, durch Hyperämie des Ciliarkörpers be-
dingte Ernährungsstörung zu denken.
In einzelnen Fällen von Katarakt besteht auch Albuminurie, doch
ist nach statistischen Zusammenstellungen Becker 's eine ätiologische
Verbindung beider nicht wahrscheinlich.
4) Ergotismus. Bei einigen Epidemien von Kriebelkrankheit wurde
das Auftreten von Katarakt beobachtet (J. Meier). In einer von mir
in Hessen beobachteten habe ich einen einzigen Fall von Katarakt-
bildung bei einer verhältnissmässig jungen Frau, die übrigens auch
starke Krampfanfälle gehabt hatte, constatiren können. Auch fehlen
sonstige bestätigende Angaben betreffs des Einflusses des Ergotismus.
5) Bei gewissen Haut äff ectionen sah v. Rothmund complicirende
Katarakte.
374 Erkrankungen der Linse.
6) Krämpfe, epileptischer und hysterischer Form, bestehen in auf-
fallender Häufigkeit bei Kataraktösen im jugendlichen oder mittleren
Lebensalter. Nicht selten ist anfänglich nur der Kern befallen, während
die Peripherie lange ungetrübt bleibt; aber es kommen auch »Stare vor,
wo die Corticalis zuerst erkrankt. Wie oben erwähnt, gehen Krämpfe
auch häufig dem Schichtstar voraus.
7) Atherom der Carotis (Michel). Jedoch dürfte nach den Unter-
suchungen Anderer (Becker), denen ich mich anschliessen kann, dieses
Moment keine hervorragende ätiologische Bedeutung haben.
8 1 Heredität. Beispielsweise kenne ich eine Familie, in der die
Mutter und drei Söhne in höherem Lebensalter kataraktös wurden; in
einer anderen Hess sich die Kataraktentwickelung durch mehrere Gene-
rationen verfolgen.
9) Traumen. Es handelt sich entweder um seeundäre Ernährungs-
störungen durch Lockerung der Zonula' u. s w. oder um directe Ver-
letzungen, indem die Kapsel reisst oder Verschiebungen der Linsen-
fasern, ähnlich wie bei der künstlichen Reifung durch Massage, ein-
treten. Letztere, durch Contusion bewirkt, können oberflächliche graue,
schnell vorübergehende Trübungen (Magnus) zur Folge haben; in
anderen Fällen zeigen sich eigenthümliche sternförmige Figuren in der
Corticalis, die sich ebenfalls wieder aufhellen können. — Li gewissem
Sinne ist hierher auch das Auftreten von Katarakten nach Blitzschlag
zu rechnen; gewöhnlich ist damit Mydriasis, Accommodationslähmung
und Neuritis optica mit nachfolgender Atrophie verknüpft. Nach Ex-
perimenten von C. Hess dürften die Linsentrübungen meist Folge der
Ertödtung einer grösseren oder kleineren Gruppe von Kapselepithelien
und der dadurch bedingten Veränderung der Ernährungs Verhältnisse
der vorderen Linsenfasern sein. —
Ferner hat man bei jugendlichen Glasarbeitern auffallend häufig
Katarakte gefunden, die Meyhöfer mit der stark vermehrten Wasser-
abgabe in Zusammenhang bringt, welche diese Arbeiter durch die be-
trächtliche Transpiration erleiden; möglicherweise handelt es sich aber
um den directen Einfluss des Feuers, da meist das diesem zugewandte
Auge zuerst kataraktös wird. — Bei Kaninchen gelingt es durch Fütte-
rung mit Naphthalin eine Starbildung (neben Synchysis und weissen
Plaques in der Netzhaut) künstlich zu erzeugen (Bouchard).
Therapie.
Bei sehr geringen Trübungen der Linse wird der Arzt zu erwägen
halien, oh er dem Patienten gleich die Diagnose „grauer Star" mit-
theilen soll. Einmal können einzelne Speichen lange und selbst dauernd
Totale Linsentrübungen. 375
stationär bleiben, besonders wenn sie ganz scharf umgrenzt in durch-
sichtiger Substanz sieh befinden, andererseits sieht man dieselben in den
höchsten Lebensaltern sehr häufig, ohne dass die Patienten eine erheb-
liche Zunahme oder ja ein Reifwerden des Stares erleben. AVozu also
ihnen den Blick in die Zukunft mit dem Schreckensgespenst „Grauer
Star" verdüstern? Es wird schlimmsten Falls — um sich selbst gegen
rücksichtslosere Diagnosenstellung anderer Aerzte zu schützen — ge-
nügen, wenn man den Kranken mittheilt; dass sie kleine Trübungen
in der Linse hätten, ohne eben den Ausdruck grauer Star zu ge-
brauchen. Auch kann man der Umgebung Mittheilung machen.
Bei unreifen Staren wird man vor Allem suchen, durch optische
Mittel das Sehvermögen möglichst zu heben, so etwa durch Correction
vorhandener Refraetionsanomalien mittels passender Brillen. Sehr oft
nämlich stellt sich eine Brechungszunahme während der Kataraktbil-
dung ein, Emmetropen werden meist kurzsichtig. Für die Nähe wird
eine Besserung der Sehkraft nöthigenfalls mit starken Convexgläsern
oder Lupen zu erstreben sein. Ist bei weiter vorgeschrittener Trübung
vorzugsweise der Kern befallen, die Corticalis aber noch frei, so kann
durch künstliche Pupillenerweiterung, sei es mittels eines Mydriaticums
oder einer Iridectomie, das Sehen gehoben werden. Auch dunklere
Gläser nützen hier, indem sich unter ihnen die Pupille erweitert. Ferner
wird man die Allgemeinconstitution des Patienten berücksichtigen, um
ihn in einen möglichst guten Gesundheitszustand zu versetzen, der für
den Ausfall der späteren Operation von Bedeutung ist. Personen, die
übermässig stark oder zu Congestionen geneigt sind, werden entziehend,
andere roborirend zu behandeln sein. Gegen sonstige Allgemeinleiden,
die mit der Kataraktbildung in directerer Beziehung stehen, wie etwa
Diabetes, ist einzuschreiten. Ferner werden örtliche Affectionen zu
heben sein, so Katarrhe der Conjunctiva u. s. w. Besonders beachte
man alte Thränensackleiden, da deren Secret leicht später die Ope-
rationswunde inficirt und so zu Vereiterungen führen kann.
Ob die fortgesetzte Einträufelung einer Jodkalilösung (0-1 auf
In. ii eine Verlangsamimg im Fortschreiten des Stares bewirkt, lässt
sich schwer feststellen: ich glaube jedoch (in Uebereinstimmung mit
Arlt und Pagenstecher, welche Jodkalisalbe in die Umgebung
des Auges einreiben lassen), gelegentlich diese Wirkung beobachtet zu
haben. Jedenfalls ist das Mittel schadlos (ich lasse 4 Wochen ein-
träufeln imd dann 14 Tage aussetzen, um Conjunctivalreizungen zu ver-
meiden) und dient dem Patienten oft zur Beruhigung.
Bei sehr langsam fortschreitenden Staren, die aber erhebliche Seh-
störungen setzen, kommt man gelegentlich in die Lage, die Reifung
befördern zu müssen, um eher operiren zu können. Oft nimmt die
37G Erkrankungen der Linse.
Trübung schon nach der Ausführung einer Iridectomie schneller zu.
Förster empfiehlt, um eine Art Zertrümmerung der Linsenmassen her-
beizuführen, mit der Iridectomie nach Abfluss des Kammerwassers noch
die Tritur (Massage) der Linse zu verbinden, indem man mit einem
Schielhaken auf der Cornea reibt. Wie Thierexperimente gezeigt
haben, wird hierbei die Trübung eingeleitet durch Degenerationsvorgänge
im Kapselepithel und Lückenbildung zwischen den verschobenen Linsen-
fasern (0. Schirmer). Es genügt, statt der Iridectomie einfach die
Paracentese der Kammer der Tritur vorauszuschicken. Das Verfahren,
welches aber gelegentlich auch zu iritischen Reizungen Anlass geben
kann, ist oft nützlich. Jedoch bedarf man bei Individuen über 60 Jahre
der künstlichen Reifung nicht, da sich bei ihnen auch die nicht ganz ge-
trübten Linsen gut entleeren; man kann daher hier schon operiren, wenn
die Sehschärfe in irgend erheblicherer Weise durch die Starbildung herab-
gesetzt ist.
Eine definitive Heilung und Wiederklärung eines ausgesprochenen
Stares (traumatisch entstandene, umschriebene Linsentrübungen sieht
man nach Wiederverschluss der Kapsel bisweilen verschwinden) steht
in der Regel nicht zu erwarten. Nur in wenigen Fällen hat man eine
vollkommene Resorption uncomplicirter überreifer Stare unter Ent-
stehung von Cholestearinkrystallen innerhalb der unverletzten Kapsel
beobachtet; es scheint immer erst eine Verflüssigung vorangegangen zu
sein (Brettauer, Mitvalsky, v. Hippel jun. u. Andere). Ich selbst
habe mehrere solcher Fälle gesehen.
Beim Star nützt nur die Operation. Dieselbe giebt eine relativ
sehr günstige Prognose. Man kann etwa 85 — 90 Procent „gute" Er-
folge rechnen, d. h. die Patienten kommen mindestens zum Lesen mitt-
lerer Schrift, 7 — 12 Procent „halbe" Erfolge, wo Finger noch in grösserer
Entfernung gezählt werden, und 3 Procent Verluste. Suppuration des
Auges habe ich in den letzten zehn Jahren nur in sehr wenigen Fällen nach
der Extraction eintreten sehen: ausgenommen einen Fall, wo eine
stark absondernde Conjunctivitis bestand, handelte es sich stets um
Fälle, bei denen ein chronisches Thränensackleiden bestand, aber über-
sehen worden war. In den Fällen, wo es erkannt und behandelt war,
ist nie Infection erfolgt. — Ist nur ein Auge starkrank, das andere
aber gesund, so wird die Operation in der Regel nicht besonders an-
zurathen sein. Der Nutzen, dass das Gesichtsfeld sich nach der Seite
des operirten Auges hin vergrössert, erscheint gegen die möglichen
Nachtheile nicht gross genug, zumal ein vollkommener binocularer Seh-
act bei der Ungleichheit der Refraction doch fast nie hergestellt wird.
Bisweilen — wenn auch bei weitem nicht immer — stört sogar das
operirte Auge das gesunde beim Sehen. Auch könnten nach der Ope-
Staropevationen. 377
ration Entzündungen entstehen (Iridocyklitis), welche das gesunde Auge
auf sympathischem "Wege schädigten. Es wird demnach nur dem aus-
drücklichen Verlangen der Kranken nach Ausführung der Operation
Folge zu geben sein. Anders verhält es sich, wenn das zweite Auge
schlecht sieht und vielleicht ebenfalls beginnende Katarakt zeigt; hier
wird man ohne Anstand extrahiren.
Hatten beide Augen reife Katarakte, so kann man, besonders bei
günstigem Operationsverlauf am ersten Auge, beide Augen in einer
Sitzung operiren. Vorsichtiger ist es aber, die Heilung des ersten Auges
abzuwarten und etwa nach sechs oder acht Tagen die zweite Operation
nachzuschicken. Es können unvorhergesehene Ereignisse eintreten, z. B.
Delirien der Kranken, welche die Heilung ernstlich in Frage stellen
und bei gleichzeitiger Operation beide Augen schädigen würden.
Auch lässt sich bei üblem Heilungsverlauf auf einem Auge vielleicht
bei der zweiten Operation die eine öder andere Schädlichkeit ver-
meiden.
Staroperationen.
Lappen- und Graefe'sche periphere Linearextraction. —
Die radicalste Operation des Stares besteht in seiner Entfernung (Ex-
tr actio). Jacob Da viel (1748) in Marseille war der Erste, welcher
die Herausnahme der Katarakt durch einen grossen, in der durch-
sichtigen Hornhautperipherie liegenden Schnitt methodisch übte. Er
trennte mehr als die Hälfte der Hornhaut, eröffnete so die vordere
Kammer und Hess die Linse aus ihrer angeritzten Kapsel heraus.
Zwei Hauptmethoden der Extraction kommen je nach der Form
des Schnittes, der zur Herauslassung der Linse naturgemäss in der
Hornhaut oder im Hornhautlimbus liegen muss, in Betracht: die Lappen-
extraction und die Linearextraction. Letztere erstrebt einen
Schnitt, der möglichst einer geraden Linie gleichkommt. Es ist das
nur zu erreichen, wenn dieser Schnitt in einen „grössten Kreis" der
Kugelob erflii che des Auges fällt, weil die kürzeste, also am meisten der
geraden Linie sich nähernde Verbindung zweier Punkte auf einer Kugel-
oberfläche immer in einen grössten Kreis derselben fällt. Der grösste
Kreis, der durch zwei Punkte einer Kugeloberfläche geht, befindet
sich in einer Ebene, welche durch diese Punkte und den Mittelpunkt
der Kugel gelegt ist. Wenn beispielsweise (Figur 123) a der Punkt ist,
an welchem das Messer eingestossen wird, und b der Ausstichspunkt,
so würde die zwischen a und b liegende punktirte Linie (a c b) etwa
in einen grössten Kreis fallen, denn eine durch a und b und den
Mittelpunkt der Hornhautkrümmung gelegte Ebene würde die Ober-
378 Erkrankungen der Linse.
fläche in diesem Kreisthei] schneiden. Ein Linearschnitt zwischen
a und b wird demnach in dieser Richtung verlaufen. Würde man aber
andererseits, nachdem das Messer bei b wieder ausgestossen ist, parallel
der Iris am Cornealränd den Schnitt fuhren, wie es durch die ausge-
zogene Linie a d b angedeutet ist, so erhalten wir einen Lappen-
schnitt: acbd ist der gebildete Lappen. Als „Höhe des Lappens"
bezeichnet man die Grösse des Lothes de, welches von dem höchsten
Punkt d des Lappenschnittes auf den linearen Schnitt gefallt wird. Je
mehr der Lappenschnitt von dem letzteren abweicht, um so grösser ist
die Lappenhöhe: so spricht man von einer Lappenhöhe von 1, 2 und
mehr Millimetern.
Jeder Schnitt nmss so gross sein, das die kataraktöse Linse, welche in ihrem
horizontalen Durchschnitt eine Ellipse bildet, bequem heraus kann. Beim Lappen-
schnitt erfolgt der Austritt so, dass
der Lappen der Hornhaut von der
Sclera abgebogen wird. Die Länge
des Schnittes wird hier also an-
nähernd den Durchmesser der Kata-
rakt von rechts nach links . bei-
ni%&;.. spielsweise 8 bis 9 mm haben müs-
_-^ sen, während die Lappenhöhe min-
destens gleich dem Durchmesser
der Katarakt von hinten nach vorn,
z. B. 3 bis 4 mm, sein muss. Wenn
man den horizontalen Querdurch-
messer der durchsichtigen Horn-
haut, — ohne den Selerallimbus, der
sich zu jeder Seite etwa 0*5 mm herüberschiebt — mit 11 mm annimmt, so würde ein die
Hälfte der Hornhautperipherie einnehmender Lappenschnitt (Lappenhöhe über 5 mm)
sogar das Maass der grössten Katarakt überschreiten. Allerdings ist zu beachten.
du ss die Ausdehnung der Wunde in der Membrana Descemetii (innere Hornhaut-
wunde) etwas kleiner ausfällt als die in der äusseren Hornhautschicht i äussere
Hornhautwunde). Soll die Katarakt aber durch einen Linearschnitt treten, so muss
letzterer zum Klaffen gebracht werden. Es wird dies dadurch erreicht, dass die
beiden Endpunkte etwas näher gegen einander rücken und so eine ellipsoidc Oeff-
nung entsteht. I >ie Schnittlänge muss demnach grösser sein als der Linsendurch-
messer, bei 9 mm Durchmesser etwa gleich 10 mm. Ein Linearschnitt von solcher
Länge lässt sich nur ausführen, wenn man ihn quer durch die Hornhaut legt.
Will man den Schnitt, wie es gewöhnlich geschieht, zum grösseren Theil in
den Ilornhautrand legen, so wird man von einer absoluten Lmearität absehen
müssen; die meisten der sogenannten Linearschnitte sind daher eigentlich keine
Linearschnitte, sondern Lappenschnitte, allerdings von nur geringer Lappenhöhe.
Als besonderer Vorzug der Linearschnitte ist zu betrachten, dass ihre Neigung
zum Klaffen eine geringere ist als bei Lappenschnitten: ein starker intraoeularer
Druck kann bei letzteren eher ein Abheben des Lappens veranlassen.
M.iii legt den Schnitt bei der Lappen- und peripheren Linear-Ex-
traction in die obere oder untere Hälfte der Cornea (bezw. des Scleral-
Ausführung der Extraction. 379
limbus). Die beste Deckung durch das Lid erfährt er, wenn er oben
liegt; dies ist besonders von Nutzen, wenn eine künstliche Pupille zum
Theil verdeckt werden soll. Allerdings ist die Ausführung etwas
schwieriger, weil die Augen bei der Operation meist Tendenz haben;
nach oben zu fliehen. Bei der Lage des Schnittes nach unten ist es
öfter unbequem, dass bei alten Leuten unter dem Verbände ein
spastisches Entropium eintritt, so dass die Lidkante sich gegen die
Wunde legt.
1 >ie Grösse des Schnittes wird sich nach der Grösse und Consistenz
der Katarakt zu richten haben. So wird eine weiche Corticalis, die
sich beim Durchtritt verschiebt und der Wunde entsprechend umformt,
eine kleinere Oeffnung erfordern als eine harte. Ebenso ist die Grösse
des Kerns von Bedeutung.
Ausführung der Extraction.
Wir unterscheiden als Operationsacte 1) die Schnittbildung, 2) die
Kapseleinreissung (Cystitomie), 3) die Linsenentbindung. Zwischen den
ersten und zweiten Act schiebt sich
die Iridectomie ein, wenn dieselbe an-
gezeigt erscheint. Sie wird immer
nöthig sein, wenn der Schnitt so peri- 12.
pher, d. h. so nahe dem Scleralrande Beer'sches stlrmesser.
fällt, dass die L'is durch das ab-
rliessende Kammerwasser hinausgedrückt wird und prolabirt. Ferner
erleichtert sie den Linsenaustritt und die vollständige Entleerung der
Corticalis: auch wird durch sie der Gefahr einer durch Quellung resti-
render Massen veranlassten Litis vorgebeugt und ein Einheilen der Lis
in die Wunde eher vermieden. Als Nachtheile sind die Verunstaltung
der Pupille, der Einfall peripherer Lichtstrahlen, der aber bei kleinen
Pupillen nach den bisherigen Erfahrungen keine Verringerung der Seh-
schärfe gegenüber den mit runder Pupille Operirten bewirkt, und ge-
legentlich Blendungserscheinungen zu betrachten.
a) Den Lappenschnitt führt man meist mit einem dreieckig ge-
stalteten Messer (etwa dem Beer' sehen Starmesser, Figur 124) aus.
Nachdem die Lider durch einen Sperrelevateur oder mittels der Finger
vom Bulbus abgezogen, wird dieser vom Operateur mit der Fixations-
pincette gefasst. Nach der alten Methode soll der Schnitt etwa Y2 mm
central vom Sclerallimbus ganz in die durchsichtige Hornhaut fallen.
Man wird ungefähr in dem horizontalen Meridian der Cornea einstechen
(Punctionsstelle Figur 125 a) und quer durch die vordere Kammer an
380 Erkrankungen der Linse.
der anderen Seite (Contrapunctionb) ausstechen. Indem man das Messer
alsdann weiter schiebt, durchschneidet es in Folge seiner keilförmigen
Gestalt die ganze Hornhaut. Je nachdem man die Schneide noch oben
oder nach unten gewandt, erhält man einen oberen oder einen unteren
Lappen.
1863 schlug Jacobson vor, den Schnitt nicht in die durchsichtige
Hornhaut, sondern in den Sclerallimbus (Figur 126) zu legen. Da
man hierbei auf jeder Seite etwa '/2 mm an Länge des Schnittes ge-
winnt, so kann man etwas entfernter (2 mm höher oder tiefer) vom
horizontalen Hornhautdurchmesser Ein- und Ausstich machen. Die ge-
ringere Höhe des Hornhautlappens und dadurch verminderte Neigung-
zum Klaffen, weiter auch die günstigeren Heilungsbedingungen für die
im Sclerallimbus liegenden Wunden schafften diesem Verfahren grosse
125. 126.
Estraction mit Corneallappen. Lappenextraction im Sclerallimbus nach Jacobson.
Verbreitung. Allerdings fordert die stark periphere Schnittlage eine
Excision der Iris. —
In den letzten Jahren ist der Hornhautlappenschnitt ohne Iridee-
tomie wieder sehr in Aufnahme gekommen. Aber abweichend von der
älteren Methode legt man den Schnitt jetzt. meist gerade in den Rand
der durchsichtigen Hornhaut und trennt mit ihm etwa 2/5 der Peripherie ;
man kann sich hier mit Vortheil des Graefc' sehen Messers (s. Fig. 127)
bedienen. Die Anwendung von Eserin unterstützt das Zurückhalten
der Iris in ihrer normalen Lage. Es ist nicht zu leugnen, dass derartig
operirte und mit runder Pupille gutgeheilte Augen kosmetisch und op-
tisch einen Vorzug vor den iridectomirten haben. Der Nachtheil des
Verfahrens liegt jedoch darin, dass einmal die Entleerung abgestreifter
Corticalismassen schwieriger ist, vor Allem aber, dass die Iris, selbst
wenn sie nach der ( »peration ganz normal liegt, noch oft in der Heilungs-
periode vorfällt. Die nachherige Abtragung des Prolapses ist aber nicht
immer gefahrlos. Besonders ist ein Prolaps bei stärkerem intraoeularem
Drucke und bei hustenden und unruhigen Patienten zu befürchten; oft
ist alier gar keine bestimmte Veranlassung festzustellen. Man wird
Ausführung der Extraction. 381
demnach die Indic&tion für den Hornhautlappensehnitt ohne Iriclectomie
zu individualisiren Laben. Besonders geeignet ist er bei härteren Kata-
rakten, bei denen sich die Corticalis nicht leicht abstreift, und bei ruhigen
Patienten. Ein besonderes Zurückziehen der durch die Katarakt vor-
gestülpten Iris mittels Haken zu besserer Entbindung halte ich nicht für
nöthig. Wenn die Pupille nach der Extraction nicht ganz rund wird
und die Iris sich theihveise der Wunde nähert, so mache man noch
nachträglich die Iridectomie.
b) Die Anwendung des Linearschnittes auch auf Extraction
von Altersstaren wurde hauptsächlich durch A. v. Graefe (periphere
Lincarextraction 18G5) vertreten. Graefe bediente sich dazu eines
strohhalmartigen Messers (Figur 127). Die Punction geschah (bei der
Ausführung des Schnittes nach oben) 1-0 mm vom Hornhautrande ent-
fernt im Selerallimbus an einem Punkte (a Figur 128), der sich circa
1*5 mm unter der Tangente befand, die man sich an dem höchsten
Punkt der Hornhaut gelegt dachte. Der Einstich wurde mit gerader
127. 128.
v. Graefe's Linearmesser. Periphere Linearextraction
nach v. Graefe.
Pachtung der Spitze zur Pupillenmitte gemacht und dann erst durch
Senken des Griffes nach der Contrapunctionsstelle (b) weiter geschoben.
Die Vollendung des Schnittes erfolgt durch Vor- und Eückwärtsschieben
des Messers, indem die Schneide von ihrer bisher nach oben gerichteten
Lage etwas nach vorn gedreht wird, so dass der höchste Punkt des
Schnittes (c), in der Tendenz der Linearität, noch etwas in die durch-
sichtige Hornhaut fällt. Das Zielen nach der Pupillenmitte beim Ein-
stich hat die Folge, dass die innere Hornhautwunde ebenso gross wird
als die äussere.
Allmählich hat man sich — und v. Graefe selbst — von der
strengen Linearität etwas entfernt, da der Schnitt für eine ausreichend
grosse Wunde zu sehr dem Corp. ciliare genähert werden musste. Hier-
durch entstand leicht Glaskörpervorfall: auch ist grössere Gefahr einer
.-ecundären Cyklitis vorhanden. — Die meisten Operateure sind jetzt
unter Beibehaltung des schmalen Messers und der Einführung desselben
mit der Bichtung nach der Pupillenmitte hin zu einem flachen Lappen-
schnitt übergegangen. Man legt Punctions- und Contrapunctionsstelle
:;s2
Krkrankuniieii der Linse.
circa V2 mm vom durchsichtigen Hornhautrande entfernt in den Scleral-
limbus und durchschneidet unter geringer Drehung der Messerschneide
nach vorn die Cornea so; dass der Scheitel des Lappens
gerade die
durchsichtige
Hornhautürenze trifft. Einstich
und Ausstich liegen, je nach der Grösse des Stares, 2 bis
3 mm über (bezw. unter) dem horizontalen Durchmesser der
Cornea.
Bei der peripheren Lage des Schnittes fällt hier sowohl
wie auch bei dem Lappenschnitt im Hornhautlimbus (Jacob-
son) die Iris leicht in die Wunde. Bei beiden Methoden
muss demnach iriclectomirt (zweiter Act der Operation)
werden. Nachdem man die geschlossene Fixationspincette
dem Assistenten übergeben, fasst man mit der Irispincette
die Iris und schneidet sie mit der Scheere ab. Doch empfiehlt
es sich nicht, ein zu grosses Stück zu excidiren. Immer
sehe man darauf, dass keine Iris in der Wunde liegen bleibt
und dass die Ecken des pupillaren Randes des Sphincters sich
wieder aus der Wunde herausziehen. Nöthigenfalls ist vor-
sichtiges Eingehen mit einem kleinen Spatel oder Einträufeln
von Eserin angezeigt, um cystoide Vernarbungen zu ver-
hüten.
Den dritten Act der Extraction bildet die Cystitomie,
die Eröffnung der Linsenkapsel. Man bedient sich hierzu
des flietenförmigen Cystitoms (Figur 129a) von Graefe's
(oder des mit zwei Häkchen versehenen Cystitoms von Ad.
Weber) und macht in die Kapsel einen möglichst ausgiebigen
Querschnitt. Die Schnitte in der Kapsel können auch so ge-
führt werden, dass in der Mitte ein viereckiges Stückchen
durch sie umschrieben wird, welches mit der Linse das
Auge verlässt. Um ein Hineinfallen und Einheilen der
Kapsel in die Wunde zu verhüten und andererseits nach
dem Heraustreten der Linse den Wiederverschluss des
Kapselsackes, der dann das schädliche und reizende Auf-
quellen der restirenden Corticalmassen hindert, zu erleichtern,
wird von Knapp systematisch nur ein, der Cornealschnitt-
wunde parallel verlaufender peripherer Einschnitt in den
Kapselsack gemacht; in der Regel tritt aber bei diesem
Verfahren Nachstar auf, der später diseidirt werden muss.
Es empfiehlt sich jedoeli diese Art des Kapselschnittes
immer beim Morgagni'schen Star, um dm in der Flüssigkeit schwim-
menden Kern sehneil und sicher herauszubekommen. Um grossen'
129.
v. (iraefe's
Cysl it'iin mit,
Scli m idt-
l.'ini|il i
Linsenlöffel.
Ausführung der Extraction.
383
Kapselstücke herauszureisson, kann man sich mit Vortheil der Kapsel-
pincetten bedienen.
Im vierten Act erfolgt die Entbindung der Linse, indem man mit
einem Löffel (Figur 129 b), der an dem Cystitomgriff angebracht ist,
auf die Cornea und zwar in der Gegend des der Schnittwunde gegen-
überliegenden Linsenrandes drückt. Hierdurch wird der der Wunde
nächstliegende Rand nach vorn gestellt und tritt in diese ein. Durch
weiteres Streichen nach der Wunde zu wird die ganze Linse herausge-
schoben. An Stelle des v. G-raefe'schen Kautschuklöffels (Figur 130)
verwende ich den in Figur 129 abgebildeten Metalllöffel, der zugleich
geeignet ist, wenn es noththut, in das Auge einzugehen, um die Linse
direct zu fassen und zu extrahiren.
Sind keine Oortiealmassen zurückgeblieben, so ist
die Operation hiermit vollendet; andernfalls sucht man
dieselben durch Druck mit dem Löffel oder auch, nach
Herausnahme der Lidelevateure,
mittels Drückens und Schiebens mit
dem entsprechenden Lide, während
130.
131.
Weber' s Drahtsclilinge.
132.
Scheere von
Wecker.
das andere Lid durch Druck auf den scleralen Wundrand die Wunde etwas
klaffend macht, zu entfernen. Eine sorgfältige Entleerung der zurück-
gebliebenen Massen ist von grosser Wichtigkeit für den Heilungsver-
lauf: besonders aber achte man darauf, dass nicht grössere Eeste in
oder dicht an der Wimde liegen bleiben. Neuerdings hat man auch
Ausspülungen der vorderen Kammer mit lauer, lproc. Borsäurelösung
oder sterilisirter, physiologischer Kochsalzlösung zu diesem Zwecke
vorgenommen: das Verfahren ist meist unnöthig, bisweilen gefährlich.
Von ungünstigen Ereignissen bei der Operation sei zuerst der G-las-
kürpervorfall hervorgehoben, wenn er dem Linsenaustritt vorangeht. Hier muss
sofort, gleichgültig, ob cystitomirt ist oder nicht, mit dem Linsenlöffel (oder etwa
384 Erkrankungen der Linse.
der Drahtschlinge (Figur 131) eingegangen werden und die Linse, indem man
hinter sie geht und sie gegen die Cornea drückt, durch die Wunde herausgezogen
werden. Der Anfänger hat besonders darauf zu achten, dass er gleich nach dem
Eingehen durch die Corneawunde mit dem Löffel, dessen Stiel entsprechend ge-
bogen ist, ausreichend tief in den Glaskörper dringt, um hinter die Linse zu ge-
langen und nicht etwa, gegen den Hand derselben stossend, diese erst recht ver-
senkt. Sollte unglücklicher Weise die Linse ganz im Glaskörper verschwinden und
der starke Glaskörperverrast ein weiteres Suchen verbieten, so schliesst man das
Auge mit einem Verbände und wartet die Wiederansammlung von Flüssigkeit im
Auge einige Zeit ab. Alsdann legt man den Patienten auf das Gesicht. Hierbei
senkt sich die Linse wieder nach vorn gegen die Cornea, und es kann jetzt noch
gelingen, sie mit dem Löffel herauszubefördern. An Stelle desselben kann man
sich kleiner Haken bedienen; doch erscheint mir dies weniger vortheilhaft, weil
sie nicht so sicher fassen und sich die Corticalis leichter abstreift. Letzteres ist
auch ein Nachtheil der Drahtschlinge gegenüber meinem Löffel. — Der Glaskörper-
vorfall, ehe die Linse sich einstellt, kann nur durch Zerreissen der Zonula Zinnii
erfolgen. Da diese bei überreifem Star oder bei nachweisbarem Irisschlottern
in der Kegel sehr dünn ist, muss man besonders hier auf dies Ereigniss vorbereitet
sein; ebenso natürlich bei Linsenluxation, die übrigens während der Operation
selbst durch ein zu starkes Drücken und Zerren mit dem Cystitom gelegentlich
veranlasst wird. Auch kann der Druck mit dem Löffel auf die Cornea, falls die
Linse bei zu enger Wunde sich zwar einstellt, aber nicht durchzuschlüpfen ver-
mag, zur Folge haben, dass hinter der Linse Glaskörper in die Wunde tritt. Glas-
körper-Austritt nach Extraction der Linse ist weniger bedenklich, da ein nicht zu
grosser Glaskörperverlust im Ganzen ungefährlich ist; immerhin wird die Prognose,
wie auch eine ausgedehnte, auf der Arlt 'sehen Klinik gemachte Statistik ergiebt
etwas weniger günstig, wenn man mit Instrumenten in den Glaskörper eingegangen
ist. — Ist die Wunde zu klein gerathen, so vergrössert man sie am besten mit
der AVecker'schen Scheere (Figur 132); auch stumpfe Messer (couteaux mousses)
wurden zu dem Zweck benutzt. —
Mooren gab 1862 als eine besondere Methode an, die Iridectomie sechs bis
acht Wochen der Lappen-Extraction voranzuschicken. Abgesehen von der Un-
bequemlichkeit, in zwei verschiedenen Zeiten die Patienten einer Operation unter-
ziehen zu müssen, hat das Verfahren in der That den Vortheil, dass Irisprolaps
und cystoide Vernarbung gänzlich verhütet und die eigentliche Extraction er-
leichtert werden. Will man daher besonders vorsichtig vorgehen, so ist die Methode
zu empfehlen.
Der Schnitt kann bei den Extractionen nach oben oder nach unten
gelegt werden; ersteres ist im Ganzen vorzuziehen. Das nach oben
gerichtete Coloborn wird etwras besser vom oberen Lide bedeckt. Auch
tritt unter dem Druckverbande bei älteren Leuten leicht ein Entropium des
unteren Lides ein, das sich gegen die etwa nach unten angelegte Wunde
anstemmt. Einen direct nachtheiligen Einfluss auf die Wundheihmg habe
ich jedoch hiervon kaum je gesehen, zumal sich das Entropium in der
Kegel erst einstellt, wenn die prima intentio erfolgt ist. Wohl aber ist
die Schnittführung nach unten leichter, da der obere Orbitalrand be-
sonders bei tief liegenden Augen hinderlich sein kann, auch die meisten
Patienten die Neigung haben, mit den Augen nach oben zu fliehen.
Ausführung der Extraction.
385
Andere Methoden der Extraction des Stares. Reclination. —
Ad. Weher macht den Schnitt mit einer Hohllanze (Figur 133). Diebreite
Fläche derselben ist in horizontaler Richtung concav geschliffen. Eine grössere
Serie solcher Lanzen von verschiedener Breite, entsprechend den verschiedenen
Grössen der Stare berechnet, muss zur Verfügung stehen. Nachdem man mit der
Weber'schen Fixirpincette (Figur 134) in der Nähe des Cornealrandes die Con-
junctiva gefasst und das Auge nach unten gezogen hat.
sticht man mit der Lanze an dem obersten Punkt des senk-
rechten Hornhautmeridians ein. Die Lanze wird parallel der
Iris, mit ihrer Spitze nach dem tiefsten Punkt der Hornhaut
zielend, durch die vordere Kammer geführt. Der Schnitt der
holdgeschliffenen Lanze ist annähernd linear (mit einer ge-
ringen Lappenhöhe) und hat wenig Neigung zum Klaffen.
Es ist aber unbequem, gleichsam für jede Stargrösse ein
besonderes und schwer zu schärfendes Messer bereit halten
zu müssen. — Jäger hat zum Schnitt ein hohlgeschliffenes
Beer'sches Starmesser angegeben. —
Liebreich führte, um die Iridectomie zu vermeiden,
einen annähernd linearen Schnitt so aus, dass er mit dem
Graefe' sehen Messer dicht unter dem horizontalen Meridian
der Cornea Ein- und Ausstich (Figur 135 a und b) machte
und die durchsichtige Cornea so durchschnitt, dass etwa der
stehenbleibende untere Theil ein Drittel ihrer Höhe betrug.
Da aber die Iris sich der Wunde anlegt, entstehen oft vor-
133 1 ji
dere Svnechien. — L ehr un benutzte einen ähnlichen Schnitt „ , , " „. . . "
Hohllanze Fixirpin-
nach oben. — nach eettenach
Die idealste Art der Kataraktextraction ist die Ent- Weber. Weber.
fernung der Linse mit der Kapsel. Hierdurch werden
die Reizungen, welche von zurückbleibenden Corticalmassen herrühren, und
die Wucherungen des Kapselepithels ausgeschlossen. AI. Pagenstecher hat
dies Verfahren besonders geübt und methodisch ausgebildet. Nachdem die
vordere Kammer durch den Schnitt eröffnet, ging er mit einem eigens con-
struirten Löffel hinter die Linse in die tellerförmige Grube, während gleich-
zeitig der Assistent mit dem Kautschucklöffel auf die Cornea — wie bei der
Graefe'schen Operation — gegen den entgegengesetzten Linsenrand drückte.
In der That gelingt es so häutig, die Linse in der Kapsel zu extrahiren und ein
vollkommen freies Pupillargebiet herzustellen. Aber recht oft
tritt auch Glaskörperverlust ein, ein Ereigniss, das für die Heilung
doch nicht absolut gleichgültig ist; auch das Eingehen mit dem
Löffel übt nach Arlt's Erfahrungen auf den Gesammtprocentsatz
der Heilungen einen ungünstigen Einfluss aus. Ebenso sind Glas-
körpertrübungen nicht selten. Am ehesten indicirt ist das Ver-
fahren bei überreifen Staren, bei Irisschlottern und bei Staren
in hochgradig myopischen Augen, also überall, wo eine grössere
Dünnheit der Zonula Zinnii zu vermuthen ist. —
Die erwähnten ITethoden finden ihre Anwendung besonders beim
Altersstar, der wegen seiner Grösse einer ausgiebigen Wunde bedarf.
Die schon bei den partiellen Staren besprochene Discission hat hier
wegen der Härte des Kernes, der sich nicht resorbirt, keine Indication.
Wohl aber kann man bei jugendlichen Individuen, etwa unter
Sehmidt-Rimpler. T.Auflage. '25
135.
Extraction nach
Liebreich.
386
Erkrankungen der Linse.
Die ursprünliche modificiite Liuearextraction
v. Graefe's.
20 bis 25 Jahren; auch einen Totälstar, der in diesem Lebensalter
in der Regel keinen harten Kern hat, durch Discisskra zur Resorption
bringen; — mit Ausnahme einzelner Fälle eines grau oder weiss aus-
sehenden angeborenen Stares, die wegen der Härte des Kernes der
Discission widerstehen (AI fr. Graefe). Sollte nach der Discission
eine iritische Heizung oder Druckerhöhung im Innern des Auges auf-
treten, so ist die Linsenmasse durch einen kleinen linearen Hornhaut-
schnitt, mit der Irislanze oder dem Graefe 'sehen Messer gemacht, bei
ihrer breiigen Beschaffenheit
leicht zu entleeren. Immer-
hin ist die Resorption aber
ein sich über Monate hin-
ziehender Process. Während
der ganzen Zeit muss durch
Atropinisirung die Pupille
möglichst maximal weit ge-
halten werden, um einer
Iritis vorzubeugen. Auch
kann man, als bestes Mittel
zur Verhütung derselben, eine Iridectoinie der Discission voranschicken,
wenn bei der versuchsweisen Atropinisirung sich die Pupille nicht gut
erweitert.
. v. Graefe hatte, ehe er seine periphere Liuearextraction
einführte, zur Extraction der weichen Stare jugend-
licher Individuen bereits den linearen Hornhautschnitt
mit Hülfe eines breiten Lanzenmessers (Figur 136 a), und
zwar nach der temporalen Seite hin, vielfältig ausgeübt,
dem er ebenfalls vor der Kapselöffnung eine Iridectomie
folgen Hess (sogenannte m o d i f i c i r t e L i n e a r e x t r a c t i o n).
Da die Wunde zu klein ist, um den Star in seiner Totali-
tät durchzulassen, entleert man die Massen, indem man
durch Druck mit einem Da viel' sehen Löffel (Figur 137)
gegen den Scleralrand der Wunde ein Klaffen derselben
zu Stande bringt; nötigenfalls kann man auch mit dem
Löffel eingehen und die Linsenmasse direct herausfördern.
In der Regel kommt man auch ohne Iridectomie aus (ein-
facher Linearschnitt). Das Verfahren ist besonders zu
empfehlen bei der Extraction angeborener Stare im Kindes-
alter; hier bekommt man durch Schnitte mit dem schmalen Messer, welche
grössere Neigung zum Klaffen haben, oft Glaskörpervorfall. Ebenso
findel es neuerdings viel Verwendung bei der Operation hochgradiger
Alb]
137.
Daviel-
seher Löffel.
Ausführung der Extraction. 387
Myopie, wo mit demselben die nach der Discission gequollenen Linsen-
massen herausgelassen werden. Da meist derjenige Meridian der Cornea,
der senkrecht auf der Lanzenschnittfläche steht, sich später etwas ab-
tlacht, so kann man bestehenden Astigmatismus durch eine dement-
sprechend gewählte Schnittrichtung zu corrigiren versuchen.
I >ie Verfahren von Waldau, Critchett und Anderen, durch einen ähn-
lichen Schnitt auch Altersstare mittels eingeführten Löffels oder Hakens zu extra -
liiren. sind verlassen worden.
Bei den weichen Katarakten hat man auch die Suctionsmethode angewandt,
indem man mittels einer eingeführten Canüle die Starmasse mit dem Munde
i Laugier) oder mit einer Spritze (Coppez) aussaugt. Ebenso einfach gelingt
die Entfernung durch Linearschnitt.
Bei zusammengeschrumpften Staren (z. B. Cataracta aridosiliquata
mit enger Pupille und hinteren Synechien), wie sie in Folge chronischer
Iritiden oder nach Cyklitis auftreten, bietet, wegen der schwartigen Ver-
wachsung mit der Hinterfläche der Iris, die Extraction oft Schwierig-
keiten. Hier thut man gut, mit dem Beer 'sehen oder schmalen Star-
messer, sobald man in der vorderen Kammer ist, sofort auch die Iris
zu durchstossen, hinter ihr fortzugehen und auf der entgegengesetzten
Seite zu contrapunetiren (Wenzel' sehe Operation); doch darf der
Schnitt wegen zu befürchtenden Glaskörperverlustes nicht zu peripher
fallen. Das abgeschnittene Irisstück wird mit der Pincette entfernt.
Bisweilen gelingt es, auf diese Weise noch ein genügendes Resultat
zu erhalten. Critchett hat hingegen besonders bei den complicirten
Katarakten, wie sie sich bei sympathischer Iridocyklitis entwickeln, em-
pfohlen, nicht zu extrahiren, sondern mit der Discissionsnadel allmählich
ein centrales Loch in den Star zu bohren: ein Verfahren, das jedenfalls
weniger unmittelbare Gefahr bietet. Geschrumpfte Stare finden sich
auch öfter angeboren in Folge von intrauterinen Vorgängen. Bei diesen
Formen, wie überhaupt bei den angeborenen Staren, versuche man immer
erst die Discission und wiederhole sie eventuell. Bei der Extraction
entstehen leicht Zerrungen des Corp. ciliare, und die Augen gehen an
I .'yklitis zu Grunde: dazu kommt die Unruhe der Kinder, die zu Glas-
körperverlust und sonstigen Complicationen Anlass giebt. Bei Kindern
unter 2 Jahren sollte als Staroperation die Discission stets die Regel
bilden: gelegentlich nach vorausgeschickter Iridectomie.
Auch die Reste der traumatischen Stare sind für die Discission
geeignet. Ist die Verletzung der Linse eben erst erfolgt, so sucht man
durch starke Atropinisirung vor Allem einer Iritis vorzubeugen. Der
Kranke wird ins Bett gelegt und antiphlogistisch bezw. ableitend be-
handelt. Wenn bei starker Quellung der Linsenmasse die Iris gereizt
wird und Erscheinungen von Druckzunahme sich zeigen, so sind die
25*
388
Erkrankungen der Lin.se.
Massen durch einen Linearschnitt mit der Lanze zu entleeren: einer
Iridectomie bedarf es in der Regel nicht. In einzelnen Fällen jedoch
kommt es bei der Entwickelung der traumatischen Katarakte trotz aller
Bemühungen zu chronischen Iritiden mit gleichzeitiger Betheiligung des
Corpus ciliare. —
Vor Daviel, der zuerst durch den guten Erfolg, den er mit der Extraction
einer in die vordere Kammer gefallenen Linse erzielt hatte, auf die Oultivirung
des Lappenschnittes bei allen Altersstaren gekommen
war, übte man die Versenkung des Stares in den Glas-
körper: eine Methode, die in vereinzelten Fällen auch jetzt
noch hier und da geübt wird.
Man geht mit einer Starnadel durch die Sclera (Sclera-
tonyxis), etwa 3 bis 4 mm vom temporalen Hornhautrande
und etwas unterhalb des horizontalen Meridians, in den
Glaskörper, schiebt dann die Nadel hinter die Iris — eine
Fläche nach vorn, die 'andere nach hinten — bis zur Pupillen-
mitte und bringt nun durch Druck mit der Nadel die Linse
aus dem Pupillargebiet nach unten-aussen in den Glaskörper.
Begnügt man sich damit, die Linse einfach nach unten zu
luxiren, so spricht man von Depression, wird sie hin-
gegen, was leichter, gleichzeitig um ihre horizontale Achse
nach hinten und unten-aussen gedreht, von Keclination
(Figur 138).
138.
Reclination (schema-
tisch, von oben in den
halbirten Augapfel ge-
sehen).
Vor- und Nachbehandlung.
Vor jeder Star-Operation sind etwaige mit Absonderung verknüpfte
Affectionen der Conjunctivae vor Allem aber die des Thränensackes zu
beseitigen. Die durch das infectiöse Secret aller Thränensackleiden
bedingten Gefahren haben einzelne Operateure veranlasst, vor jeder
Star-Operation antiseptische Durchspülungen der Thränenwege (Haab)
vorzunehmen oder auch die Thränenpunkte durch Cauterisation etc.
undurchgängig zu machen. Es ist übrigens oft schwer, die Dakryocysto-
Blennorrhoe zu constatiren, da sich beim Druck auf den Thränensack
nicht immer das Secret durch den Thränensack entleert; selbst öftere
derartige Versuche können negativ ausfallen. Am ehesten kommt man
zu einem Resultat, wenn man dem Patienten die Nacht über einen
Druckverband anlegt und nun am Morgen nachsieht, ob Secret vor-
handen ist. Dieses Verfahren sollte vor jeder Star-Extraction geübt
werden. Besteht ein Thränensackleiden, so muss die infectiöse Ab-
sonderung vor der Operation gehoben werden; es gelingt dies durch
Sondiren und Einspritzungen in nicht allzulanger Zeit. Durch
Kinimpfung des Secrets in die Hornhaut des Kaninchens kann man
sich eventuell von der vorhandenen oder fehlenden lnfectionsfähigkeit
Nachbehandlung. 389
überzeugen. Die Incision des Thränensackes zum Abfliessen des Secrets
nach aussen oder die Verödung der Thränenröhrchen halte .ich nicbt für
nöthig. Kurz vor der Operation mache man jedoch keine reizenden Ein-
spritzungen, da dieselben momentan die Secretion steigern. Auch achte
man auf den Thriinensack des zweiten, nicht zu operirenden Auges:
auch von diesem aus kann Infection erfolgen. Besteht keine Gefahr vom
Thrünensaek aus, so ist bei sonstiger aseptischer oder antiseptischer
exacter Methode jetzt kaum noch eine Suppuration nach Star-Extraction
zu befürchten.
In den letzten Jahren hat man sowohl nach Star-Operationen wie
nach anderen Augenoperationen die früher üblichen festen Druckver-
1 lande v. Grraefe's modificirt oder verlassen. Einmal glaubte man,
keinen so grossen Werth auf völlige Ruhestellung der Augen legen zu
müssen und andererseits versprach man sich gerade durch die Lid-
bewegimg den Thränenabfluss zu beschleunigen und hiermit eine Art
antiseptische Wirkung auf die im Conjunctivalsack befindlichen Bacterien
zu üben: letztere Anschauung beruht besonders auf den experimentellen
Untersuchungen von Bach, der der Thränenflüssigkeit einen derartigen
Einrluss zuschreibt. Doch kann ich diesem Moment keine besondere
Bedeutung beilegen, da die Erfahrung lehrt, dass auch unter dem
Druckverbande fast nie eine Suppuration eintritt, wenn nicht ein
Thränensackleiden besteht. Dass die Infection durch das letztere aber
auch bei offenen Augen nicht verhindert werden kann, zeigen uns die
zahlreichen Ulcera serpentia, die nach leichten Hornhautwunden durch
Infection seitens des Thränensackeiters entstehen. Für viele Fälle ist aber
in der That eine so lang dauernde Ruhestellung der Augen, wie man sie
früher übte, nicht nöthig: die hier frühzeitig erfolgende Wiederher-
stellung der vorderen Kammer giebt uns den Beweis, dass die angelegte
Wunde verklebt ist. Bis zu dieser Verklebung wird jedoch eine möglichste
Ruhestellung des Auges, wie es auch sonst bei Operationswunden in der
Chirurgie üblich, zu erstreben sein. Es kommt noch hinzu, dass die
Wunde, selbst wenn sie verklebt ist, durch einen Stoss gegen das Auge,
wie er besonders in der Nacht unwillkürlich eintreten kann, wieder auf-
platzen kann. Ich habe dies noch gelegentlich nach 5 bis 6 Tagen ein-
treten sehen! Dies ist für mich Grund genug, auf eine offene Wund-
behandlung ohne jeden Verband, wie sie zuerst Hjort empfohlen, von
vornherein zu verzichten.
Die jetzt üblich gewordenen Drahtgitter, welche theils mit einem
darunter befindlichen Watteverbande zum Augenverschluss, theils ohne
diesen nur als Schutz angewandt werden, sind für den Operirten meist an-
genehmer als die älteren mit Binden angelegten Druckverbände. Man kann
dazu die verschiedenen eiförmig gestalteten Gitter (Fuchs, Czermak,
;;« Kl Erkrankungen der Linse.
Schwarz) oder Metallschalen (Herrnheiser) benutzen. Um das
Auge geschlossen und richtig zu halten, lege ich zuerst in Chlor-
wasser getauehte Mullläppchen auf die Lider und fülle darüber
die Augenhöhle bis zum Gitter bin mit Watte aus; aueb das nicht-
operirte Auge verklebe ieh; um zu verhindern, dass das andere
Auge Mitbewegungen macbe. Am näebsten Tage siebt man vor-
sichtig nach, ob die Wunde geschlossen ist, und kann nun bei ruhigen
Patienten die Augen unter dem durch einen dunklen Ueberzug ver-
deckten Gitter lassen, ohne dass Mull und Watte erneuert werden. Bei
unruhigen Patienten, bei Hypertonie, bei Glaskörpervorfall oder sonstigen
Complieationen halte ich aber einen länger fortgesetzten Druckver-
band für sicherer. An Stelle des früheren Verbandes mit Gazebinden
wende ich öfters ein ähnlichwirkendes feines Drahtgitteroval (glatt, nicht ei-
förmig gewölbt) an, das gerade wie eine Binde den auf das Auge gelegten
Mull-Watte-Verband andrückt: es ist bfnocular und wird mit Bändern, die
um den Kopf gehen, befestigt. Dauert die Wiederherstellung der vorderen
Kammer eine längere Zeit, so muss man auch den festen Verband länger
iegen lassen. Bis zum 6. — 7. Tage lege man den Schutzverband an,
^ann ersetze man ihn, wenn alles gut gegangen ist, bei Tage durch eine
Klappe, aber Nachts halte man das Auge noch etwas länger unter Schutz,
um unwillkürliche Verletzungen desselben zu vermeiden. Da es sich um
die ganze Zukunft des Operirten handelt, sei man lieber etwas zu vorsichtig.
Nach der Operation wird der Patient ins Bett gebracht; das Zimmer massig
verdunkelt. Gewöhnlich folgen der Operation keine oder nur unbedeutende
Schmerzen (Brennen), die gegen Abend schwinden. Falls kein Schlaf
eintritt, gebe man für die Nacht ein Opiumpulver oder Chloralhydrat.
Oefters sind die Schmerzen nur durch angesammelte Thränen oder durch
zu festes Anliegen oder Verschieben des Verbandes veranlasst. Störungen
im Heilungsverlauf zeigen sich vor Allem durch Eiter auf dem Ver-
bandmull, der sonst vollkommen trocken erscheint. Wenn bis zum
Ende des vierten Tages Alles gut gegangen, ist die Heilung der Wunde
durchschnittlich als gesichert zu betrachten. Vom 2. oder o. Tage an
träufele man ein- bis zweimal täglich reichlich Atropin ein, um hinteren
Synechien vorzubeugen, wie sie bei enger Pupille leicht entstehen.
Sollte ein Irisprolaps bestehen, so wird Eserin angewandt. In den
ersten Tagen gebe man nur dünne Diät, um das Kauen zu vermeiden;
auch ist das Eintreten des Stuhlgangs möglichst hintanzuhalten, weil
das dabei erfolgende Pressen schädlich sein kann. Ist bis zum fünften
Tage kein Stuhlgang erfolgt, so muss man ihn künstlich anregen.
Durchschnittlich halte man die Operirten .-> bis 6 Tage im Bette; nach
Ablauf «1er ersten beiden Tage können sie sich darin aufsetzen. Handelt
es sich um sehr alte und schwache Personen, so wird man sie eher
Nachbehandlung". 391
aus »lein Bette lassen und roborirend behandeln. Nach 10 — 14 Tagen
können die Operirten bei gutem Verlauf und gutem Wetter meist in's
Freie gehen.
Störungen der Wundheilung. Die grösste Gefahr nach der
( Operation ist die Hornhaut- und Glaskörpervereiterung. Sie pflegt sich
in ihren Anfängen gewöhnlich nach 36 bis 48 Stunden, ausnahmsweise
später zu zeigen. Die Kranken klagen meist über Schmerzen in Auge und
Stirn; wenn man alsdann den Verband abnimmt, so ist das dem Auge
aufliegende Läppehen mit reichlicherem, eiterähnlichem Secret bedeckt.
Es ist dies das wichtigste Anzeichen der drohenden Eiterung; — natür-
lich vorausgesetzt, dass keine Oonjunctivalprocesse früher vorhanden
waren, welche die vermehrte Absonderung erklären. Beim Oeffnen des
Auges rindet man meist Hyperämie der Conj. bulbi und massiges Oedem.
1 >ie Hornhaut sieht gewöhnlich noch klar aus, auch an den Wundrän-
dern ist nichts Abnormes zu finden. Im Verlauf der nächsten 24 Stun-
den aber wird der Wundrand gelblich infiltrirt, dicker und steht von
dem Sclerallappen ab. Die Iris verfärbt sich etwas, in der vorderen
Kammer liegt Eiter. In anderen, seltenen Fällen, besonders nach Glas-
körperverlust bei der Operation, kann die Hornhaut noch vollkommen
durchsichtig sein, während der Glaskörper schon gelblich infiltrirt ist.
(ieht der Process weiter, so kommt es zur Panophthalmitis oder wenig-
stens eitrigen Chorioiditis. Es gelingt verhältnissmässig selten, früh-
zeitig beginnende Suppurationen zu beschränken, und wenn es gelingt,
entstehen meist erhebliche hintere Synechien der bis und Nachstar. Man
kann versuchen, durch Cauterisation der infiltrirten Wundränder mit dem
Galvanocauter dem Fortschreiten entgegenzuwirken. Bei Ausbreitung
des Eiters in die vordere Kammer ist innere Cauterisation (Eversbusch)
oder Einführen von Jodoformstäbchen (Ha ab) empfohlen worden. Auch
die Wiedereröffnung der Wunde ist bisweilen von Nutzen, ebenso eine
subconjimctivale Sublimat-Injection (1 Tropfen einer Lösung von 1:1000,
täglich einmal) (Darier) oder eben solche Kochsalz-Injection. Weiter
macht man im Beginn kalte, später laue Umschläge mit Sublimatlösung
und träufelt Aqu. chlorat. ein. Zum Glück sind diese deletären Vor-
gänge bei der jetzt üblichen grösseren Reinlichkeit und Antisepsis sehr
selten geworden. Jedoch scheinen mir einzelne Fälle besonders von später
auftretenden Eiterungen, denen allgemeine Krankheitserscheinungen
vorangingen, auch für die Möglichkeit einer von innen ausgehenden In-
fection zu sprechen. Aeusserliche Tnfection kann noch nachträglich durch
das Verhalten des Patienten, Abreissen des Verbandes u. a., stattfinden;
besonders ist dies möglich, wenn die Operirten in Delirien verfallen.
Diese von Sichel zuerst beschriebenen Delirien nach Staropera-
tionen sind nicht Wunddelirien, sondern einfach Folge der Einwir-
392 Erkrankungen der Linse.
kung des Lichtabschlusses auf Individuell, die körperlich oder geistig
geschwächt sind; ich halte sie auch sonst bei Augenkranken beobachtet,
die in DunkelzimmerB gehalten wurden. Vom Delirium tremens unter-
scheiden sie sich durch den Mangel des Tremor und Alkoholismus, sowie
auch durch den andersartigen Inhalt der Ilallucinationen. Sie gehen
in der Regel in 1 — 2 Tagen vorüber, wenn man durch Oefihen der
Augen den Patienten wieder Lichteindrücke schafft.
Bedenklich für die Zukunft des Auges ist es, wenn Iris in grösserer
Ausdehnung sich zwischen die Schnittwunde legt und ihre unmittelbare
Verklebung verhindert. Es bildet sich dann entweder ein wirklicher
frisprolaps oder eine blasenartige, von Conjunctiva überzogene durch-
sichtige Hervorwölbung, die meist in den Wundecken sitzt und mit der
Kammer communicirt (cystoide Vernarbung). Wenn auch eine
grössere Reihe derartiger Augen dauernd erhalten bleibt, so ist doch
die Gefahr naheliegend, dass von dort aus noch später eine eitrige
Iritis sich entwickelt, die in wenigen Tagen durch Ausdehnung auf
die Chorioidea das Auge zerstören kann. Meist tritt die Infection
dieser Vorfälle von aussen ein, wie die bacteriellen Befunde Wagen-
mann's ergeben haben; in einzelnen Fällen handelt es sich aber
auch um endogene Infection. Man trägt möglichst frühzeitig die
Irisvorfälle ab; bei grösseren cystoiden Vernarbungen kann man
auch den Galvanocauter anwenden. Bestehen dieselben schon
längere Zeit, ohne das Auge geschädigt zu haben, so wird man
meist auf die Operation verzichten, da diese dem Auge Gefahr bringen
könnte.
Auch Regenbogenhautcntzündimgen können auftreten; meist han-
delt es sich um leichtere, die zu vereinzelten Synechien Anlass geben.
Die eitrigen Formen jedoch führen öfters zum Ruin des Auges. Das-
selbe bewirken schleichende Irido-Cykliten, die bisweilen selbst sym-
pathische AfFection des anderen gesunden Auges veranlassen. Schmerzen,
pericornealc Injection, Pupillenveränderung machen darauf aufmerksam.
In der Regel sind es StaiTeste, welche die Entzündung veranlassen.
Bemerkenswerth ist, dass in seltenen Fällen bei den Iritiden nach der
Starextraction graue consistentere Massen im Glaskörper in der Nähe
des Ciliarkörpers auftreten, die meist in einigen Tagen sich wieder
resorbiren (Velhagen). Ich halte sie \'i\v gelatinöse Exsudationen, ähn-
lich wie wir sie in der vorderen Kammer gelegentlich sehen (cf. S. 309).
Die Behandlung dieser Entzündungen besteht in starkem Atropinisiren;
bei grosser Heftigkeit des Processes ist als energischstes Mittel die
Mercurialisation zu empfehlen. Nicht allzu selten erfolgen kleine Blu-
tungen in die vordere Kammer, so nach heftigeren Augenbewegungen,
Husten, Pressen beim Stuhlgang U. S. w.; sie werden meist bald resor-
Nachstar. 393
birt. Oefters verzögert sich die Wiederherstellung der vorderen Kammer,
bisweilen können Wochen darüber vergehen.
Recht häufig (besonders bei der gleichzeitigen Benutzung des Cocains
und Sublimates) sieht man in derlleilungsperiode von der Schnittwunde aus
kleine, durchscheinende graue Streif en imllornhautgewcbe auftreten und
centripetal verlauten (Streifen-Keratitis). [Dieselben schwinden meist
in einiger Zeit; nur in seltenen Fällen, besonders bei sehr ausgiebiger
Anwendung der Sublimatlösung, bleibt eine intensive Trübung zurück,
die das Sehvermögen stark beeinträchtigen kann. Seitdem ich zur
Desinfection die Aqua chlori anwende, habe ich dauernde Trübungen
der Cornea auch bei Coeaingebrauch nicht mehr beobachtet. Da bei
stärkerer Anwendung des letzteren aber das Epithel der Cornea sich
trübt, benutze man lieber Holocain, wenn man nicht in dem Einzelfalle
besondei en Werth auf die druckherabsetzende Wirkung des Cocain legt.
Nach Discissionen bedarf es einer weniger strengen Behandlung.
Doch ist für eine ausgiebige Mydriasis durch Atropin zu sorgen; bei
Drucksteigerung in Verbindung mit Cocain.
IV. Nachstar (Cataracta secundaria).
Auch nach erfolgreichen und im Heilverlauf nicht besonders ge-
störten Staroperationen findet sich öfters Nachstar. Da die Kapsel bei
den meisten Operationsmethoden zurückgelassen wird und ihr in der
Kegel etwas Corticalmasse anhaften bleibt, so sieht man fast stets an
enizelnen Stellen des Pupillargebietes bei schiefer Beleuchtung durch-
scheinende Verdickungen und Trübungen derselben. Man pflegt von
Nachstar aber erst zu sprechen, wenn es zu etwas dichteren, das Sehen
genirenden Membranen, von denen die binoculare Lupe und der
-Lupen-Augenspiegel" uns sehr instruetive Bilder liefert, kommt. Er
kann sich auch noch später, selbst Jahre nach der Operation, durch
Wucherung des Kapselepithels entwickeln. Ist er dünn, so geht man
mit einer Discissionsnadel (Stopneedle) durch die Cornea-Peripherie
und dann in den Xachstar, in welchem man durch Querschnitte eine
möglichst centrale und ausgiebige Oeffnung macht, sich die durch-
sichtigste Partie aussuchend, wo eben die Membran am dünnsten
ist. Meist gelingt die Operation, besonders wenn man nach dem Ein-
stich die feine Membran auf die Schneide der Xadel nimmt und nun
ausgiebige Bewegungen in der vorderen Kammer damit macht oder auch
die Schneide hin imd her schiebt. Unter Benutzung der schiefen Be
leuchtung mittelst einer elektrischen Lampe lassen sich die Verhältnisse
sehr gut übersehen. Nur wenn die Membran sehr hart und fest ist, hat man
nicht gleich einen ausreichenden Erfolg, man muss dann wiederholte Dis-
;>,i4 Erkrankungen der Linse.
cissionen ausführen. Auch kann man nach Bowman so verfahren, class
man mit zwei Discissionsnadeln durch entgegengesetzt liegende Hornhaut-
stellen nasal- und temporalwärts eingeht, die Spitzen an derselben Stelle in
den Nachstar stösst und nun eine Oeffnung durch Auseinanderschneidei)
nach entgegengesetzten Richtungen zu machen sucht. In einzelnen Fällen
genügt auch diese Methode nicht, man wird dann mit der Wecker -
sehen Scheere, nachdem man einen Lanzenschnitt angelegt hat, den
Nachstar durchschneiden: als regelmässige Nachstaroperation halte
ich das Verfahren für zu eingreifend und ziehe die Nadeloperation
vor. Ebenso halte ich es nicht für nöthig als Regel, bei allen Katarakt-
< >perirten nach 4 — 6 AVochen die Nachstar-Durchschneidung auszu-
führen, wie es einzelne Operateure thun; wenn man auch meist ein
besseres Sehvermögen erhält, so liegt doch immerhin eine gewisse Ge-
fahr darin (Auftreten eines glaukomatösen Anfalles, wie er öfter danach
beobachtet), die bei einem wieder sehkräftigen Auge um so höher an-
zuschlagen ist. Bei S V3 — '/2 wird man besser thun, nur auf Wunsch
des Patienten zu operiren. Uebrigens können sich die Nachstare oft
noch nach Monaten lichten, wie man andererseits auch gelegentlich später
eine vermehrte Trübung eintreten sieht. Die Extraction des Nachstares
ebenso wie die empfohlene Reclination ist wegen der dabei stattfinden-
den Zerrung des Ciliarkörpers gefährlich. Man kann letztere indessen
vermeiden, wenn man in mehreren Sitzungen den Nachstar mit der Dis-
cissionsnadel peripher umschneidet und so von seinen Verbindungen mit
dem Corp. ciliare trennt, ehe man die Extraction vornimmt.
Ist die Pupille durch Irisgewebe, das bisweilen ganz nach der Horn-
hautwunde gezerrt wird, verlegt, so muss nachträglich iridectomirt oder
iridotomirt werden ; letztere Operation ist weniger eingreifend und giebt,
da sie auch etwaige hinter der Iris befindliche Schwarten durchschneidet,
bisweilen sehr gute Resultate. Ueber die Brillen der Staroperirten
siehe unten.
2. Aphakie.
Als Aphakie (a privativum, cpaxog Linse) bezeichnet man das Fehlen
der Krystalllinse. Jeder Starextrahirte ist demnach aphakisch. Gewöhn-
lich erkennt man das Fehlen der Linse durch grössere Tiefe der vor-
deren Kammer und eine ungewöhnliche Schwärze der Pupille; es fehlt
der bei alten Leuten besonders bemerkliche Linseiireflex. Auch Iris-
schlottern ist öfter vorhanden. Weiter kann der Purkinje-Sanson-
sche Versuch benutzt werden: bei Aphakie fehlen die kleinen Linsen-
reflexbilder. Da aber auch die Glaskörperoberflächc reflectirt und die
Linsenreflexe sehr genaue Beobachtung erfordern, ist für die Praxis
dieses letztere, sonst entscheidende Symptom von geringer Bedeutung.
Aphakie. 395
Eine bessere Auskunft wird in der Regel die Untersuchung mit schiefer
Beleuchtung bei erweiterter Pupille geben, da man alsdann meist
irgendwo Spuren der zurückgebliebenen und getrübten Kapsel sieht.
Die Refraction der aphakischen Augen ist gewöhnlich hochgradig liyper-
metropiseh. Früher emmetropische Augen bekommen etwa H 10-0.
Ferner fehlt das Accommodationsvermögen.
Behandlung. Um Aphakischen und Staroperirten ein entsprechen-
des Selten zu schaffen, müssen wir ihnen Convexgläser („Starbrillen")
geben; und zwar pflegt man eine Fernbrille und eine Nahebrille, letztere
für das Lesen und Arbeiten in der Nähe, zu verschreiben. Da die Seh-
schärfe der Operirten nur selten = 1 wird und, abgesehen von jugend-
lichen Individuen, meist nur 34 bis ' ; beträgt, so muss man ihnen durch
die Brille die Entfernung, in der sie lesen und kleine Gegenstände er-
kennen sollen, oft stärker heranrücken. Wenn für die Ferne convex
lii.d gegeben wird, giebt man für die Nähe etwa 16-0 bis 20-0. Mit
convex 20-0 könnte der Operirte in 10 cm lesen. Convex 10-0 für die
Ferne im'd convex 20-0 für die Nähe würden, streng genommen, den
Aphakischen nur die Möglichkeit schaffen, die Strahlen, welche von unend-
lich, und die, welche aus der Entfernung von 10 cm kommen, auf ihrer Netz-
haut zu vereinigen: alles Andere sehen sie in mehr oder weniger grossen
Zerstreuungskreisen. Sie gewöhnen sich aber bald daran, hiermit aus-
zukommen, zumal sie sich durch weiteres Abrücken ihrer Fernbrillen
vom Auge auch flu" nähere Punkte einstellen können und auf diese Art
mit demselben Glase in verschiedenen Entfernungen sehen. Es kommt
hinzu, dass überhaupt im höheren Alter — und die meisten Aphakischen
sind an seniler Katarakt Operirte — an und für sich die Accommo-
dation eine sehr geringe ist, und so kein erheblicher Unterschied gegen
früher vorhanden ist. Manche hochgradig Kurzsichtige gebrauchen nach
der Operation für die Ferne keine oder nur eine sehr schwache Convex-
brille. — Bei einer grossen Schaar der Operirten genügen zu einer voll-
kommenen Correction aber die sphärisch geschliffenen Gläser nicht, da
sich in Folge der Operation häufig Astigmatismus entwickelt, ein Astig-
matismus, der übrigens noch längere Zeit (3 bis 4 Monate) gewissen
Schwankungen unterliegt (Laqueur). Gewöhnlich ist die stärkere
Krümmung, im Gegensatz zu dem gewöhnlichen Vorkommen, im hori-
zontalen Durchmesser (perverser Astigmatismus), da durch den nach
oben oder unten gelegten Schnitt meist eine Abflachung der Cornea im
senkrechten Meridian eintritt. Man wird hier Combinationen mit cylin-
drischen Gläsern wählen müssen. — Bei Aphakie nach Staroperationen
darf man nicht zu bald den vollen Gebrauch der Brillen gestatten; es
ist gut, wenn man etwa 6 bis 8 Wochen verstreichen und mit dem
Tragen der Fernbrillen besännen lässt.
396 Erkrankungen der Linse.
Einzelne Staroperirte klagen über plötzlich auftretende und nach
einiger Zeit wieder vorübergehende Anfälle von Rothsehen (Eryfliropsie).
Es beruht dies nieist auf einer Ermüdung der Netzhaut gegen die stärker
brechbaren Lichtstrahlen (Purtschler; Hirschler); jedoch können
auch vom Auge unabhängige cerebrale Reizungen die Erscheinung her-
vorrufen. In einem von mir beobachteten Fall beschränkte sich das
Rothsehen schliesslich auf einen peripheren Theil des Gesichtsfeldes.
3. Lageanomalien. Formanomalie.
Wenn von Geburt an die Linse sich nicht in ihrer normalen Lage
befindet, sondern etwa im Glaskörper oder an einer entfernteren Stelle
der Augenhäute befestigt ist, so nennt man den Zustand Ectopia
lentis; in der Regel finden sich alsdann auch andere Entwickelungs-
fehler des Auges, besonders Mikrophthalmus.
Hat hingegen die Linse ihre normale Lage ursprünglich innegehabt
und erst später verlassen, so pflegt man dies als Luxatio oder Sub-
luxatio lentis zu bezeichnen.
In ersterem Falle liegt nach Trennung der Zonula die Linse nicht
mehr in der tellerförmigen Grube, sondern ist in die hintere oder vor-
dere Augenkammer gerückt, in den Glaskörper gesunken oder selbst
durch einen Seleralriss nach aussen unter die Conjimctiva gelangt.
Meist sind es Contusionen des .Bulbus, die diese Lageveränderungen her-
vorbringen; bisweilen aber entstehen bei Glaskörperverflüssigung Luxa-
tionen auch spontan. Oft bilden sich Luxationen auch so, dass eine
Subluxation der Linse, meist doppelseitig und mit Ektopie der Pupille,
angeboren besteht, aber im Laufe der Jahre die Linse immer tiefer
in den Glaskörper sinkt. Es giebt Familien, bei denen in mehreren
Generationen dieses Verhalten zu constatiren ist. In einem Falle doppel-
seitiger Subluxation, den ich gesehen, zeigte eine Linse auch an ihrem
unteren Rande zwei rundliche Einkerbungen (Linsencolobom). — Die.
Linsen, welche in ihrer Kapsel die Locomotion durchmachen, können
lange Zeit, vor Allem, wenn sie in der hinteren Kammer und somit zum
Theil in der tellerförmigen Grübe bleiben, ihre Durchsichtigkeit behalten.
< j-elangeE sie in den Glaskörper, in die vordere Kammer oder unter die
Conjunctiva, so trüben sie sich meist allmählich und gehen einen
Schrumpfungsprocess ein, so dass sie intensiv weissliche, zusammen-
gebackene Katarakten bilden. Die Luxation der Linse kann monocu-
la ns Doppelsehen bewirken, wenn der Linsenrand durch das Pupillen-
gebiet geht: ein Theil der einfallenden Strahlen wird alsdann durch die
Linse gebrochen und abgelenkt, der andere geht durch das freie Pupillar-
gebiet Beim Hineinwerfen des Lichtes mit dem Augenspiegel stellt
Lageanomalien 397
sieb der Rand der durchsichtigen Linse als dunkler, aber meist nicht absolut
kreisrunder Bogen in dem reflectirten Roth des Augenhintergrundes dar:
bei auffallendem Licht ist, selbst bei Linsen, tue in die vordere Kammer
gefallen sind, der Rand nicht immer leicht zu erkennen: er hat eine zartrosa
Färbung. — Ist die Linse in den Glaskörper luxirt, so bestehen die Er-
scheinungen der Aphakie. Meist wird es auch gelingen, ophthalmoskopisch
die Lage des Krvstalls zu finden. Oefter wandern auch luxirte Linsen
durch die Pupille aus dem Glaskörper in die vordere Kammer und umge-
kehrt. Durch Kopfbewegungen können die Patienten selbst willkürlich
diese Lageveränderung hervorrufen. — Die durch eine, in der Nähe des
Oorneallimbus und ihm parallel laufende Scleralruptur (am häufigsten
nach Verletzungen des Auges durch stumpfe Gewalt, besonders Kuhhorn-
Stoss i unter die Conjimctiva luxirte Linse ist ebenfalls meist leicht zu
diagnosticiren, da die unter der Conjimctiva befindliche Geschwulst die
Linsenform zeigt: Anamnese und die vorhandene Aphakie geben den
Aussehlag. —
Falls die durchsichtige Linse in der hinteren Kammer sich befindet
und einen Theil des Pupillargebietes deckt, kann, je nach der Lage,
durch Miotiea bisweilen die Doppelbrechung der in die Pupille fallenden
Strahlen ausgeschlossen werden. Ist die Linse kataraktös geworden,
so wird man sie, sei es hier oder anderswo im Bulbus, zu extrahiren
suchen, sobald sie erhebliche Störungen im Sehen oder Reizzustände
veranlasst. Doch pflegt die Extraction, da meist gleich nach dem Horn-
hautschnitt der Glaskörper, welcher mit der vorderen Kammer frei
eommunicirt, hervorstürzt, gewisse Schwierigkeiten zu bieten. Der aus-
strömende Glaskörper kann die Linse ganz von der Wunde abdrängen
und. wenn sie durch die Pupille in den Glaskörper zurücksinken sollte,
sogar vollkommen dem Anblick entziehen. Es ist daher bei einer voll-
ständig beweglichen Linse angezeigt, sie vor der Hornbautincision zu
fixiren. Zu dem Zweck sucht man sie zuerst, falls sie im Glaskörper sitzt,
bei starker künstlicher Mydriasis durch entsprechende Kopflage in die vor-
dere Kammer zu bringen und dann durch Anwendung von Mioticis am
Zurückschlüpfen zu hindern, was aber nicht immer gelingt. Auch kann
man die Linse, falls sie nicht verkalkt ist, vorher mit einer Starnadel
anspiessen und nun durch den Hornhautschnitt mit dem Löffel oder
einem Haken extrahiren.
Einfacher ist die Herausnahme einer subconjunetival sitzenden Linse.
Bisweilen jedoch liegt die Linse noch zum Theil in der Scleralwunde und
es können alsdann, wemi eine längere Zeit seit dem Trauma vergangen
ist, bereits Verwachsungen mit Sclera und Corp. ciliare eingetreten
sein. Besteht in einem solchen Falle keine besondere Indication zur
Operation, so wird man die luxirte Linse lieber an ihrem Sitz lassen.
398 Erkrankungen der Linse.
Ich habe derartige luxirte Linsen gesehen, die seit vielen .Jahren unter
der Conjunctiva sassen. Die Augen waren entzündungsfrei und hatten
zum Theil gute Sehschärfe. — Es sei hier noch erwähnt, dass bei
Hornhautstaphylomen, mit denen die Iris verwachsen ist, häufig
gleichzeitig die Linse luxirt ist und sich in die Hornhautvortreibung
hineingelegt hat. Sie hält sich in dieser Lage bisweilen lange durchsichtig,
wie man wahrnehmen kann, wenn man sie bei der Staphylomoperation
herauslässt.
Die Subluxationen, bei denen die Linse nur eine geringe Ver-
schiebung erfährt, congenital oder nach Traumen, sind nicht immer leicht
zu diagnosticiren. Als besonders verdächtiges Moment muss es gelten,
wenn neben stärkerem Irisschlottern die vordere Kammer an verschie-
denen Stellen eine ungleiche Tiefe zeigt. Meist ist die Pupille erweitert.
Bisweilen gelingt es, eventuell unter Zuhülfenahme von Mydriaticis,
den dem Pupillencentrum näher gerückten Linsenrand ophthalmoskopisch
wahrzunehmen; in einzelnen Fällen beobachtet man, von ihm nach den
Ciliarfirsten hingehend, die in Folge der Zerrung veränderte, leicht radiär
gestreifte Zonula. Die subluxirte Linse kann Jahre lang durchsichtig
bleiben. Einen ungewöhnlichen Fall, der auch in diese Kategorie ge-
zählt werden muss, beobachtete ich bei einem Manne, der auf einem
Auge eine subluxirte kataraktüse Linse hatte. Auf dem andern war
die Linse ebenfalls kataraktös, aber etwas geschrumpft und abgeplattet:
sie war fast in ihrer ganzen Peripherie von der Zonula gelöst, nur an
der temporalen Seite noch angeheftet, so dass sie bei Augenbewegungen
klappenartig bald ganz in den Glaskörper zurückschlug, bald wieder die
Pupille vollständig verdeckte. Durch entsprechende Augenbewegung
konnte sich der Kranke ein temporäres Sehen verschaffen. —
Als Formanomalie ist — abgesehen von den Linsenveränderungen
bei Schrumpfungen etc. — besonders das Oolobom der Linse und der
Lenticonus posterior bemerkenswerth. Ersteres besteht in einer Ein-
kerbung des Randes und kommt häufig gleichzeitig mit dem Chorioideal-
und rris-Colobom vor. Bei Lenticonus posterior (F. Meyer) zeigt die
hintere Linsenfläche im ( 'entrinn eine conische Hervorbuckelung; man er-
kennt den Zustand ophthalmoskopisch dadurch, dass im Centrum der
rothen Pupille eine rothe Scheibe sich befindet, die von einem schwarzen
King umgeben ist. Bisweilen besteht gleichzeitig eine Cataracta polaris
posterior, seltener anterior (Pergens.) Eine Verlagerung des Kernes
nach hinten während des Entwicklungsstadiums scheint die Ursache
(Hess).
Anatomie. 399
Drittes Kapitel.
Erkrankungen der Conjunctiva.
Anatomie.
Die Bindehaut des Auges, eine dünne, ziemlich durchsichtige Mem-
bran, beginnt an den freien Lidrändern, kleidet die dem Augapfel zu-
gewandte Fläche der Lider aus und geht dann auf diese selbst über.
Man unterscheidet an ihr drei Partien:
1) Conjunctiva palpebralis s. tarsalis. Sie erscheint auf
ihrer Unterlage von weisslichem bis blassrothem Aussehen, je nach ihrer
Blutfülle. Zuweilen sieht man einzelne grössere Gefässäste deutlich
hervortreten, ohne dass man deshalb eine krankhafte Hyperämie anzu-
nehmen hat. Gegen die Lidränder hin scheinen, besonders bei älteren
Individuen, die fast parallel den Wimperwurzeln im Lidknorpel (Tarsus)
eingebetteten Meibom 'sehen Talgdrüschen gelblichroth durch; in ihrer
Xähe linden sich auch grössere tubulo-acinöse Schleimdrüschen (Wolf-
ring). Die Conjunctiva palpebralis hängt ziemlich fest mit dem hinteren
Theil der Tarsi zusammen. Ihr Stroma besteht aus adenoidem Binde-
gewebe : doch tritt die eigenthümliche netzförmige Anordnung hier und
in der Uebergangsfalte erst nach der Geburt im ersten Lebensjahre ein,
indem sich das Gewebe zwischen das fibrilläre Bindegewebe der inneren
Knorpeloberfläche und das Epithel einschiebt; letzteres zeigt in seinen
oberen Lagen Platten-, in den tiefsten Cylinderzellen. Mit dem Auf-
treten des adenoiden Gewebes entwickeln sich in der Conjunctivalober-
fläche umschriebene Hervorragungen (sogenannte Papillen), kleine Leisten
und Falten (Stieda's Rinnensystem). Sind die Papillen leicht ge-
schwellt, so treten sie als kleine Hervorragungen, etwa wie eine ab-
gestumpfte Stecknadelspitze aussehend, hervor und geben der Schleim-
haut Aehnlichkeit mit geschorenem Sainmt; man findet dies besonders
in den äusseren Lidwinkeln. Zwischen ihnen senkt sich das Epithel
in die Tiefe: so kann unter gewissen Verhältnissen das Aussehen
tubulöser Drüsen entstehen; wirkliche Drüsen sind von Henle be-
schrieben worden. Ausserdem sind in diesem Theil der Bindehaut
— ebenfalls dicht unter der Oberfläche — rundliche Anhäufungen von
40U Erkrankungen der Conjunctiva.
Leukocyten, sogen. Lymphfollikel ähnlich «Ich Peyer'schen
Plaques -- eingelagert. Mikroskopisch stellen sich dieselben als voll-
ständig abgegrenzte, runde oder längliche Knötchen dar, in deren
Höhlungen sieh feine Capillarnetze ausbreiten; sie sind erfüllt mit rund-
lichen, blassen, kernhaltigen Zellen, eine Umhüllungsmembran ist nicht
nachweisbar. »Sowohl anatomische Untersuchungen .(Baumgarten,
Stöhr) als die klinischen Beobachtungen sprechen dafür, dass sie in ge-
wisser Zahl und Grösse als physiologisch zu betrachten sind, trotzdem
manche Untersucher sie stets als pathologische und dem Trachom zu-
gehörige Gebilde auffassen.
2) Uebergangstheil oderUebergangsfalte (Fornix): die Partie,
an der sich die Conjunctiva von den Lidern auf den Bulbus überschlägt.
Ihre Structur ist der des Palpebraltheils verwandt, nur dass das Binde-
gewebe grobmaschiger ist (daher grössere ^Neigung zu Schwellungen
und Ergüssen). Auch die Papillen verlieren ihre umschriebene Gestalt
und vereinen sich zu faltenartigen Erhabenheiten. Weiter findet sich
hier eine Anzahl tubulo-acinöser Schleimdrüschen, deren Mehrzahl (ge-
wöhnlich 12 bis 18) ihren Sitz in der äusseren Hälfte der oberen Ueber-
gangsfalte hat; einzelne zerstreute rinden sich in dem übrigen Theil der
oberen und in der unteren Uebergangsfalte (Krause). — Am inneren
Augenwinkel bildet die Conjunctiva vor ihrem Uebergang auf den Bulbus
eine Duplicatur, in der bisweilen ein Knorpel sich befindet: die Plica
semilunaris. Ihren dem inneren Augenwinkel zugewandten hervor-
ragenden Theil, welcher circa ein Dutzend Talgdrüsen, umgeben von
vielen Fettzellen, enthält, nennt man Thränenkarunkel (Caruncula
lacrymalis). Sie ist mit einigen sehr zarten Härchen besetzt.
3) Conjunctiva bulbi s. sclerae. Sie überzieht die vordere
Hälfte des Augapfels, liegt im Anfang ziemlich locker der Tenon'schen
Kapsel, die als fibröse Haut die Sclera von dem umgebenden Fettgewebe
trennt, auf, verbindet sich aber näher der Hornhaut immer enger mit
der Sclera selbst, nachdem die Tenon'sche Kapsel sich im subcon-
junctivalen Gewebe verloren hat. Die äusserste Peripherie der Horn-
haut überzieht sie noch mit einem schmalen ringförmigen Wall (Lim-
bus conjunctivae), der sich, oben und unten etwas weiter als an
den Seiten, noch über den äusseren Hornhautrand fortschiebt. Der
Conjunctivaliiberzug der Cornea besteht in einer Fortsetzung des
Pflasterepithels mit darunter befindlicher structurloser Membran. Die
( 'on junctiva bulbi, ohne Drüsen und Papillen, zeigt wenige dünne
conjunctivale Gefässe, die von der Peripherie des Bulbus nach der
( lornea zu verlaufen.
Die Arterien und Venen der Conjunctiva tarsajis und desUeber-
gangstheiles communiciren mit den Gelassen der Lider.
Il\ peraemia conjunctivae.
401
Auf der Sclera unterscheidet man eine oberflächliche conjunctivale
Gefässschicht und eine darunter liegende subconjunctivale oder episclerale.
Die erstere (Figur 139) bestellt aus den hinteren, verästelten Bindehautge-
f äs sen aus den Axt. palpebral. entspringend) und den vorderen geradgestreckten,
in der Norm sehr wenig hervortretenden BindehatTtgefäss-ea-, die aus dem epi-
scleralen Gefässnetze dicht an der Cornea hervorgehen und nach rückwärts ziehend
mit den hinteren Bindehautgefässen communiciren. — Von besonderer Bedeutung
ist das episclerale Gefässnetz (Figur 140) und zwar vorzugsweise der Theil,
welcher dicht um tue Hornhaut herumliegt. Dieses Gefässsystem entstammt aus
den vorderen Ciliargefässen. (cf. Fig.) Die oft geschlängelten Arterien bilden
um die Hornhautperipherie ein Randschlingennetz aus kleinen, durch Bogen mit
einander verbundenen Aestchen. Die Venen, welche das Blut von hier, sowie aus
den Ciliarmuskel- und den Bindehautgefässen fortführen, bilden ebenfalls ein dichtes
139.
C ■"» ii j unetiv alge fasse.
Vordere und hintere Ge-
fässe).
140.
Episclerale Gefässe. Ciliar-Venen
nnd -Arterien, die Venen stark
injicirt (von Wo er den).
Maschenwerk. Bei schwereren Augenentzündungen injicirt sich dasselbe lebhaft
und lässt einen, mehrere Millimeter breiten rothen Saum um die Cornea hervor-
treten (pericorneale Injection).
Lymphgefässe finden sich in grosser Anzahl in der Conjunctiva,
und zwar in der Xähe der Cornea in Kranzforni (Teichmann). Die
Nerven sind Zweige des N. trigeminus.
Der flüssige Tu halt des Conjunctivalsackes entstammt aus den
Thränendriisen, deren 6 bis 12 feine Ausführungsgänge die Conjunctiva
oberhalb des äusseren Augenwinkels durchbohren, aus den zusammen-
gesetzten acinösen Schleimdrüschen mid den Blutgefässen. Es finden
sich im Conjunctivalsecret neben der Flüssigkeit abgestossene Epithelial-
zellen, Detritus, Fett; ebenso sind darin häufig verschieden geartete,
nicht pathogener Bacterien nachzuweisen (E. Fick).
1. Hyperaemia conjunctivae.
Die Bindehaut der Augenlider zeigt eine abnorme Injection. Die
vermehrten Verästelungen der Gefässe treten zum Theil scharf hervor,
zum Theil verschwimmen sie zu einer gleichmässigen Rüthe.
~ nmidt-Riinpler. 7. Auflage. 26
Dadurch
402 Erkrankungen der Conjunctiva.
verliert die Conjunctiva ihr gleichmässiges Aussehen. Die in der Nähe
des Lidrandes verlaufenden Meibom' sehen Drüsen werden hier und
da verdeckt. Die Papillen schwellen bisweilen zu kleinen, rothon Er-
habenheiten in der Stärke von Stecknadelspitzen an; besonders in den
äusseren Augenwinkeln. Die Uebergangsfalte ist von dickeren Ge-
fässstämmen durchzogen. Eine Injection der Scleralbindehaut ist bei
primärer Hyperämie selten. Eine Füllung des pericornealen Gefäss-
netzes kommt weder bei der Hyperämie noch bei der einfachen Con-
junctivitis vor.
Bei der primären Hyperämie ist zwar eine vermehrte Thränen-
absonderung, aber keine Schleimsecretion vorhanden (C ata rrhus siecus).
Die subjeetiven Symptome (Schwere der Lider; Brennen; das Gefühl,
als ob ein fremder Körper im Auge wäre; Augenschmerzen; Lichtscheu)
sind oft äusserst belästigend und nehmen besonders des Abends und bei
jeder Anstrengung des Auges zu. Sie" können so stark sein, dass das
Lesen und Schreiben fast unmöglich wird und alle Erscheinungen der
Asthenopie zu Tage treten. Die Hyperämie stellt sich meist ziemlich
acut ein und schwindet häufig ohne jede ärztliche Behandlung. In
seltenen Fällen dagegen ist sie hartnäckig, selbst gegen Medicationen,
und geht dann leicht in einen chronischen Zustand oder in Conjunctival-
katarrh über.
Diagnose. Man hüte sich, nicht jede etwas stärker scheinende
Gefässbildung auf der Conjunctiva palpebralis für Hyperämie gelten
zu lassen. Vielfältige Untersuchung gesunder Schleimhäute belehrt
uns über die physiologische Breite der Gefässentwicklung. Vom Katarrh
und der Blennorrhoe unterscheidet sich die reine Hyperämie schon
durch den Mangel der Absonderung und die geringe Schwellung der
Schleimhaut.
Aetiologie. Abgesehen von constitutionellen Verhältnissen und
allgemeinen Schädlichkeiten (Erkältung u. s. av.) führen zur Conjunctival-
Tlyperämie besonders locale Irritationen: so fremde Körper, die in das
Auge gekommen sind; schiefstehende oder umgebogene Augenwimpern;
Kalkinfarcte der Meibom 'sehen Drüsen, besonders bei älteren Per-
sonen; Abstehen oder Verschluss der Thränenpunkte, wodurch ein längerer
irritirender Aufenthalt etwaigen Secrets im Conjunctivalsack bewirkt
wird; Absonderungen, die von Thränensackleiden herrühren und durch
die Thränenwege in das Auge gelangen; Tabakrauch; Chausseestaub;
schlechte Luft u. s. w. Aber auch Ueberanstrengungen der Augen,
nicht oder falsch corrigirtc Refractionsanomalien, Trigeminus-Neuralgien
bieten öfter die Veranlassung. Entzündungen oder Hyperämien
anderer Augenhäute können die Hyperaemia conjunctivae seeundär her-
vorrufen.
Uyperaemia conjunctivae. 403
Therapie. Wenn die veranlassenden Ursachen noch fortbestehen,
so wird ihre Hebung- den Beginn (und häufig auch den Schluss) der
Behandlung bilden. Vor Allem sind etwaige in das Auge gelangte
fremde Körper (Staub, kleine Insecten u. s. f.) zu entfernen. Es müssen
zu dem Zweck die Uebergangsfalten besonders genau untersucht wer-
den. Schiefstehende Augenwimpern sind auszuziehen, umgebogene mit
einem Mvrthenblatt gerade zu richten. — Bei Kalkinfarcten der Mei-
bom sehen Drüsen mache man mit einer Paracenthesennadel einen
kleinen Einschnitt und entferne dann mit dem daran befindlichen Stilet
den harten Inhalt. — Steht der untere Thränenpunkt ab und ist, an-
statt in den Thränensee zu tauchen, nach aussen gewendet (es tritt
dies besonders hervor, wenn man den Patienten stark nach oben blicken
lässt), so muss das im unteren Lide verlaufende Thränenröhrchen auf-
geschnitten werden; ein ähnliches Verfahren beobachte man beim Ver-
schluss des Thränenpunktes (vgl. Erkrankungen der Lider). Bestehen
Thränensackleiden, so sind diese zu behandeln. Refractionsanomalien
muss man corrigiren. Gegen Trigeminus-Neuralgien, bei
denen sich öfter Verdickungen am Frontalis, Supratrochlearis
oder Nasociliaris finden, hat sich die Massage wirksam er-
wiesen. — Fehlen derartige Ursachen, so empfehle man dem
Patienten besonders Schonung der Augen und Vermeidung
von schlechter Luft und Tabaksrauch. Ebenso ist spätes
Aufbleiben schädlich. Ein ruhiger Schlaf (früh zu Bett und
früh auf) ist bei Augenkranken von der allergrössten Wich-
tigkeit. 0 ertlich lasse man Umschläge von kaltem Wasser
Bleiwasser (10 Tropfen Acet. plumbi auf V3 Liter Wasser) oder
Borsäurelösung machen. Die Kranken selbst benutzen oft
Waschungen mit Rommershausen'schem Augenwasser, das
aus Fencheltinctur und Fenchelwasser besteht. Besonders
bei heftigen Schmerzempfindungen und sonstigen nervösen Erschei-
nungen ist die Augendusche von grossem Vortheil, welche auf das
geschlossene Auge einige Male täglich, aber nur 1 bis 5 Minuten lang,
angewandt wird (Figur 141). Man beginnt mit Wasser, dem man
etwas Eau de Cologne zusetzen kann, von einer Temperatur von
circa 20 Grad Celsius und geht dann allmählich bis etwa 12 Grad
herab. — An Stelle der Umschläge mit reinem Wasser lässt man
bei weniger acut verlaufenden Hyperämien die Augen zweimal täg-
lich mit einer schwachen Zinklösung (Rp. Zinci sulfurici 0-6, Tinct.
Opii 1-0, Acpiae destillatae 150, Aquae foeniculi 50-0) waschen oder
befeuchten. In hartnäckigeren Fällen muss man Einträufelungen
in den Conjunctivalsack mit adstringirenden Lösungen, etwa ein-
halbprocentiger Lösung von Zincum sulfuric. oder Tannin, ein-
26*
404 Erkrankungen der Conjunctiva.
mal täglich; am besten gegen Abend, machen. Selbst directes Touchiren
mit der 1 1/2procentigen Lösung von PI. acetic. perf. neutralis. oder Arg.
nitricum ist bisweilen nöthig. Treten die nervösen Beschwerden und
Schmerzen stark liervor; so kann man eine 2- bis 4procentige Cocain-
lösung anwenden. A. v. Grraefe träufelte hier auch die Tinct. Opii aa
mit Aqua destillata in den Conjunctivalsack ein. Der Schmerz gleich
nach der Einträufelung ist sehr heftig, verliert sich aber etwa innerhalb
einer Viertelstunde. Man thut gut; nach den Einträufelungen kalte
Umschläge machen zu lassen.
2. Conjunctivitis simplex (s. catarrhalis).
Der ( 'onjimctivalkatarrh zeigt ähnliche Symptome wie die Hyper-
aemia conjunctivae; nur dass bei ihm die Schwellung der Bindehaut
bedeutender ist und ein neuer Factor; die Schleimabsonderung hinzu-
tritt. — Die Conjunctiva palpebralis hat eine röthliche Färbung; die je
nach der Intensität der Erkrankung von helleren bis zu dunkleren
Nüancirungen übergeht. Die Uebergangsfalten werden auch bei leich-
teren Formen mit ergriffen und stechen durch eine blassere Röthe, über
der sich aber eine starke Entwickelung grösserer Gefässe zeigt, von der
mehr gleichmässigen, gesättigten Färbung der Tarsalbindehaut ab. Die
halbmondförmige Falte und Carunkel tritt wegen ihres starken Gefäss-
reichthums häufig in einem sehr intensiven Roth hervor. Ist diese Partie
allein betroffen; so hat man die Affection auch als Ophthalmia angularis
bezeichnet. Die Scleralbindehaut zeigt nur bei sehr acuten Entzün-
dungen Injection. Es können sich dann in ihr; wie auch in dem übrigen
Conjunctivalgebiete; kleinere Blutergüsse finden. Die Schwellung
des Gewebes behält meist einen massigen Grad, und ausgedehntere Er-
güsse in die Conjunctiva bulbi, welche ein Oedem derselben (Chemosis)
verursachen, sind beim einfachen Katarrh selten. Bei blonden Indivi-
duen mit sehr zarter Haut zeigt sich gelegentlich auch ein leichtes
Oedem der Lider.
Die Absonderung ist verschieden nach der Höhe und der Dauer
der Krankheit. Im Anfang tritt vermehrtes Timmen auf. Doch deutet
bald eine gewisse Klebrigkeit und etwas veränderte Färbung die Ver-
mischung mit Exsudat an. Die Steigerung der Secretion bekundet sich
.uieli durch Absetzung kleiner gelblicher Borken an den Lidrändern,
vorzüglich in den Augenwinkeln. Es sind alsdann die Augen am Morgen
verklebt, und Patient kann sie nur mit Mühe öffnen. — Später zeigen
sieh in der secernirten Flüssigkeit selbst kleine lichtgraue oder gelbliche
Flöekehen und Fädchen, die besonders in der unteren Uebergangs falte
Conjunctivitis simplex. 405
ihren Sitz haben. Auffallend ist bei einzelnen Individuen der weisse
Schaum, der sich in den Winkeln absetzt. Man findet in ihm meist
-dir zahlreiche, schlanke Bacillen. — Bei reichlicher Absonderung und
langem Bestehen dos Katarrhs beobachtet man auch Excoriationen der
Lidhaut, besonders am äusseren Winkel und Entzündungen der Lid-
ränder (Blepharitis marginalis).
Die subjectiven Symptome sind dieselben wie bei der Hyperaemia
conjunctivae; besonders Schwere der Lider, Jucken, das Gefühl, als ob
ein fremder Körper im Auge wäre. Letztere Empfindung rührt wahr-
scheinlich von dem Reiben der gefüllten Gefässschlingen in den Papillen
auf die an Nerven reiche Conjunctiva bulbi her. Dies Gefühl ist häufig
so täuschend, dass der Patient beständig bei der Behauptung verbleibt,
er müsse etwas im Auge haben. Dazu gesellt sich meist massige Licht-
scheu, geringe Ausdauer bei der Arbeit, Gesichtsstörungen. Letztere
bestehen in zeitweiligem Trübsehen und in kleinen Farbenkreisen, die
sich z. B. um Kerzenflammen legen. Es rührt das von dünnen Flöck-
chen und Epithelzellen her, die sich über die Hornhaut schieben. Die
Erscheinungen schwinden, wenn die Hornhaut durch öfteren Lidschlag
gereinigt wird. Aber es kann auch eine factische Abnahme der Seh-
schärfe in Folge eines einfachen Conjunctivalkatarrhs auftreten, wenn
die Kranken früher HornhaütafFectionen gehabt und Trübungen zurück-
behalten haben; dieselben nehmen durch die Entzündung temporär eine
grössere Intensität an. —
Der reine Katarrh schwindet bei passender Haltung meist in 8 bis
14 Tagen. In seltenen Fällen, wenn die m'sächlichen Momente fort-
wirken oder bei alten Leuten, geht er in die chronische Form über.
Es verringern sich dann die subjectiven Beschwerden, dagegen zeigt sich
objeetiv in der Bindehaut eine immer grössere Erschlaffung; dieselbe
nimmt besonders an dem Tarsal- und Uebergangstheil des unteren
Lides eine eigenthümliche leicht bläuliche Färbung an, und schliesslich
kann man sogar einzelne, kleine sehnenartige Striche finden, die in
Folge von Epithelialverlust und partieller Schrumpfung des Conjunc-
tivalgewebes entstehen. Am häufigsten treten diese Veränderungen,
die wir sonst nur bei Trachom sehen, ein, wenn sich die chronische
< "onjuncrivitis mit einer chronischen Blepharitis verknüpft hat. Hier
kehrt sich auch öfters das untere Lid nach aussen (Ectropium), in-
dem sich mit der Erschlaffung der Conjunctiva auch die des Ring-
muskels ( M. orbicularis) und der Haut verbindet. — Cornealerkrankungen
in Folge eines reinen Conjunctivalkatarrhs sind selten und unbe-
deutend.
Diagnose. Der Conjunctivalkatarrh unterscheidet sich von der
Blennorrhoea conjunctivae dadurch, dass bei letzterer die Schleimhaut
406 Erkrankungen der Conjunctiva.
eine viel bedeutendere Schwellung und reichliche Faltenentwicklung zeigt.
Weiter tritt die acute Blennorrhoe erheblich viel heftiger auf: starkes
( >edem der Lider und der Conj. bulbi; stärkere Secretion von katarrha-
lischem oder eiterähnliehem Exsudat, pericorneale Injeetion, nicht selten
schnell eintretende, schwere üornealaffectionen. Bei der chronischen
Blennorrhoe sind die Erscheinungen zwar weniger ausgeprägt, doch
dient die Schwellung und Wucherung des Papillarkörpers und die grosse
Neigung zu Hornhautaöectionen zur Unterscheidung vom Katarrh. Be-
züglich der Unterschiede von dem sogenannten Schwellungskatarrh siehe
den betreffenden Abschnitt.
Aetiologie. Die Schädlichkeiten, welche zur Hyperaemia con-
junctivae führen, können auch einen Katarrh hervorrufen. Von anderen
Momenten sind noch anzuführen: katarrhalische oder sonstige Erkran-
kungen der Nasenschleimhaut oder der Bronchien; Erkrankungen der
Gesichtshaut; Ekzema, Impetigo u. s.w.; Gesichtsrose; Masern; Schar-
lach; Influenza; Typhus. —
Bacterien verschiedener Art sind bei acuten und vorzugsweise bei epidemisch
auftretenden Conjunctiviten gefunden worden. So bei einer theils chronisch,
theils acut auftretenden Form, die besonders durch Hautekzem im Lidwinkel öfters
einen eigenartigen Charakter zeigt, ein Diplo-Bacillus (Morax, Axenfeldj. Doch
kann das Krankheitsbild wechseln: ich fand den Diplo-Bacillus beispielsweise in
einer Familie beim Vater, der Mutter und dem Kinde, die kurz hinter einander an
acuter Conjunctivitis, aber mit durchaus ungleichem Charakter (nur beim Kinde
starke Schwellung und Absonderung) erkrankt Avaren. Oefters sieht man die
Fraenkel-Weickselbaum1 sehen Pneumokokken im Secret; auch Staphylococcus.
Streptococcus und Bacterium coli kommen darin vor. In grösseren Fpidemien
hat gelegentlich ein sehr kleiner Bacillus, der von Koch und Weeks beschrieben
wurde, constatirt werden können; so in einer Hamburger Epidemie vermischt mit
einem Diplococcüs (Willbrand-Sänger-Stählin).
In einzelnen Fällen haben Impfungen mit der Cultur die Pathogenität dieser
Bacterien erwiesen (Gelpke), in anderen waren sie erfolglos (Axenfeld). Jeden-
falls sind wir noch nicht in der Lage, die verschiedenen klinischen Bilder der Oon-
junctivalerkrankungen durch das Auftreten verschiedenartiger Bacterien zu er-
klären. Wir finden oft gleiche Krankheitsbilder trotz des Vorhandenseins ungleicher
Bacterien. Dies gilt auch bezüglich der unten zu besprechenden Blennorrhoe und
Diphtherie der Conjunctiva.
Therapie. Zuerst suche man durch Umkehren der Lider zu
constatiren, ob etwa ein fremder Körper die Ursache des Katarrhs ist.
Entropien oder Ektropien sind eventuell zu operiren (vgl. Lidkrankheiten).
— Hängt der Augenkatarrh mit acuten Nasen- oder Bronchialkatarrhen
zusammen, so rege man die Diaphorese an; bei chronischen Nasen-
affectionen unterziehe man diese einer localen Behandlung. — Im acuten
»Stadium der Conjunctivitis empfiehlt sich Aufenthalt in einem leicht
verdunkelten Zimmer und Enthaltung von jeder Arbeit. Kühle Wasser-
iimschläge mit Bleiwasser- oder Borsäurelösimg (2%), viermal täglich
Conjunctivitis phlyctaenulosa. 407
V4 bis ,/2 Stunde lang, werden meist gut vertragen und befördern die
Heilung. Abends bestreicht man die Lidränder mit Fett, um eine Ver-
klebung zu vermeiden. Unter dieser Behandlung lässt man die hef-
tigsten Entzündungserscheinungen erst vorübergehen.
Ist die Secretion reichlicher und die Schleimhaut sueculenter ge-
worden, so nimmt man etwas kältere Umschläge. Noch energischer auf die
erschlaffte und hyperämisehe Schleimhaut wirken die Augentropfwässer
l Oollyrien). So in '/o- bis 1 procentigen Lösungen Zincum sulfuricum (fast
speeifisch bei derDiplo-Bacillen-Conjunctivitis) und Tannin, oder '/sprocen-
tig Arg. nitrieum. Bei ganz chronischen Katarrhen touchirt man direct
die Schleimhaut. Mit steigend adstringirender Wirkung würden hier zu
nennen sein : Tannin, Plumb. acet. perfecte neutralis. (1 1j2 bis 2 Procent),
der Alaun stift und 1 '/2 procentige Lösung von Arg. nitrieum. Auch die
organischen Höllen steinverbin düngen werden empfohlen: so vorzugs-
weise das Protargal, welches lOprocentig etwa der 2procentigen Lapis-
lösung entspricht, — einen besonders hervorstechenden Nutzen gegenüber
dem Arg. nitrieum habe ich aber nicht gesehen. Nach jedem Touchiren,
das einmal täglich erfolgt, lässt man ]l4 bis 1/2 Stunde lang kalte Um-
schläge machen. In diesen chronischen Fällen kann man auch die
Augendusche mit Vortheil anwenden. — Manche Augen vertragen die
Augenwässer schlecht: man bedient sich dann genannter Mittel in Salben-
form, besonders gern der Bleisalbe (Plumb. acet. perf. neutral. 0-2, ung.
paraffm. 8-0). Gegen die nicht selten noch einige Zeit nach dem Ka-
tarrh zurückbleibende Trockenheit der Augen, besonders beim Erwachen,
empfehlen sich Cocain-Einträufelung abends und das Einfetten der Lid-
ränder.
3. Conjunctivitis phlyctaenulosa seu eczematosa.
(Conj. scrophulosa; Conj. exanthematica; Herpes con-
junctivae.)
Bei der sogenannten phlyktänulären Conjunctivitis finden sich kleine
Infiltrate theils auf der Conj. sclerae theils dicht am Hornhautrande,
welche an der Spitze eines Gefässbündels sitzen, das von der Peripherie
herkommend sich allmählich verschmälert.
Die Infiltrationen bilden mehr oder weniger ausgeprägte Knötchen
von graulich-weisser Farbe, nur selten machen sie den Eindruck von
Bläschen; sie entstehen durch massenhafte Anhäufung von Kundzellen,
in denen zahlreiche Blutgefässe verlaufen. Bisweilen aber fehlt eine deut-
liche PhlyktänenentAvickelung; doch lässt die eigenthümliche, keilförmig
tos Erkrankungen der Conjunctiva.
zugespitzte Gefässinjection den Krankheitstypus erkennen. Sitzen
die Phlyktänen in der Nähe der Cornea, so tritt gleichzeitig an der
Stelle eine subeonjuuctivale Injeetion hinzu. Die übrige Schleimhaut
kann l>ci diesem Process ganz unbetheiligt erscheinen, und nur bei zahl-
reicherer Phlyktänenbildung und längerem Bestände der Krankheit be-
obachtet man eine gleichzeitige Entzündung der Conjunctiva palpebralis
und der Uebergangsfalte. — Man kann drei Formen der Conjunctivitis
phlyctaenulosa unterscheiden, die auch für die Therapie von Bedeutung
sind: 1) einfache Phlyktänen. Sie treten stets einzeln oder in nur ge-
ringerer Anzahl auf. ihr Sitz ist gewöhnlich die Scleralbindehaut oder
der äusserste Cornealrand. Die zuführenden Gelasse bilden einen
Büschel. In kurzer Zeit, 8 bis 14 Tagen, werden die Phlyktänen ent-
weder ohne weitere Umwandlung resorbirt oder es entstehen an ihrer
Spitze kleine Geschwüre, durch Verlust der Epithelialdecke, die indessen
grosse Tendenz zur Heilung haben. 2) Disseminirte, randständige
Phlyktänen. Sie erscheinen in grosser Menge als kleine, kaum steck-
nadelkopfgrosse Erhebungen am Rande der Cornea und sitzen häufig
ihrer ganzen Circumferenz auf, so dass der Limbus conjunctivae wie
mit feinem Sande bedeckt erscheint. Dabei besteht eine ziemlich starke
conjunctivale und subeonjuuctivale Gefässinjection. Nach einigen Tagen
verwandeln sie sich meist in kleine, seichte Geschwürchen. 3) Breite
Phlyktänen. Es sind dies circa l4/2 bis 2 mm grosse, erhabene Knöt-
chen, die ebenfalls meist am Cornealrande oder wenigstens in seiner
Nähe sitzen. Ihre Zahl ist eine verschiedene, aber nie so gross, wie
die der disseminirten Phlyktänen. Oefters verbindet sich mit ihnen eine
leichte Scleritis, die sich durch eine violett-bläuliche Verfärbung kund-
giebt. Bisweilen zerfallen die Infiltrate in tiefe Geschwüre mit zer-
rissenen, unregelmässigen Rändern und gelblichem Grunde. Diese Form
ist die langwierigste und besteht oft 4 bis 6 Wochen. — Die Phlyk-
tänen der Conjunctiva, besonders die randständigen, sind häufig mir
Hornhautaffectionen verknüpft, so mit kleinen Infiltrationen und flachen,
seltener tiefgehenden Geschwüren. Auch entspringt öfters die büschel-
förmige Keratitis aus einer Phlyktäne.
Bei längerem Bestehen der phlyktänulären Erkrankungen kann es
zu einer diffusen, oberflächlichen Trübung der ganzen Hornhaut mit
Gefässneubildung (Pannus phlyctaenulosus) kommen.
Die Secretionsanomalie besteht bei der reinen Conj. phlyctaenulosa
nur in einer vermehrten Absonderung der Thränenflüssigkeit. jedoch
verknüpft sich oft eine Conjunctivitis palpebralis mit ihr. Meist ist eine
sehr bedeutende Photophobie vorhanden, die besonders bei Kindern
zu Blepharospasmus ausartet. Manche Kinder liegen den ganzen Tag
über mit dem Gesichte und geschlossenen Augen auf dem Arm oder
Conjunctivitis phlyctaenulosa. 409
ihrem Kopfkissen. Heftige Schmerzen bestehen nur vor Beginn der
Eruption; Druck und Brennen in den Augen ist häutig" vorhanden.
Der Verlauf ist bei entsprechender Behandlung in der Begel
günstig. Hinzugetretene Hornkautprocesse, ebenso wie eine secundäre
katarrhalische Schwellung der Conjunctiva verzögern die Heilung.
Ausserdem sind Recidive sehr häufig.
Aetiologü'. Die Phlyctaenulosa ist vorzugsweise eine Krankheit
des Kindesalters. Das Hauptcontingent stellen die scrophulösen Kinder:
hier rinden sich meist noch anderweitige Symptome der Dyskrasie (Ek-
zeme, geschwollene Drüsen etc.). Auch in Folge von Masern, Scharlach
und Pocken treten Phlyktänen auf. - - Seltener findet sich die Krank-
heit bei Erwachsenen; hier bisweilen in der Form, dass nur die
charakteristische Gefässinjection vorhanden ist. Eine specifische bac-
terielle Infection ist bisher nicht erwiesen.
Therapie. Bei Kindern ist die starke Lichtscheu oft ein Hinder-
niss sowohl der Behandlung wie der Heilung. Ein gutes Mittel dagegen
ist das Eintauchen des ganzen Kopfes in einen Eimer kalten Wassers
iJüngken. v. Graefe). Hat sich das Kind von seiner Erstickungs-
angst erholt, so wird es das Auge ohne Weiteres öffnen. Sollte ein
einmaliges Untertauchen nicht genügen, so muss es wiederholt werden.
Milder und oft wirksam ist das Einträufeln von Cocain. Jedenfalls ist
das Zuhalten und Zukneifen der Augen möglichst durch Zusprechen und
durch Aufenthalt in einem massig verdunkelten Zimmer zu verhindern.
Den grössten Einfluss auf die Hebung der Lichtscheu aber übt un-
zweifelhaft die entsprechende Behandlung des localen Processen; in
dieser Hinsicht empfiehlt sich Folgendes. Gegen einfache Phlyktänen
und gegen die einfache pklyktänuläre Gefässinjection: tägliches Ein-
streuen von feinem Calomelpulver in kleiner Dosis. Es ist dabei darauf
zu achten, dass keine grössere Klümpchen im Conjunctivalsack verbleiben.
Ebenso ist der gleichzeitige innerliche Gebrauch von Jod wegen der
Bildung ätzenden Jodquecksilbers zu vermeiden. — Gegen disseminirte,
randständige und breite Phlyktänen gewährt Calomel nicht so grossen
Xutzen. Hier ist die gelbe Präcipitatsalbe, welche hanfkorngross in das
Auge gebracht, darin verrieben und nach einigen Minuten entfernt wird,
von specifischer Wirkung. Selbst bei starker Eöthung und Entzündung
des Auges wirkt sie oft überraschend; jedoch möge man in diesen Fällen
erst einen vorsichtigen Versuch machen. Tritt hier keine Besserung
nach einmaliger Application ein, so verfahre man nur antiphlogistisch,
indem man 3 bis 4 mal täglich % Stunde lang kalte Bleiwasser- oder
Borsäureumschläge machen lässt und Atropin 3 bis 4 mal einträufelt.
Das Atropin ist auch sonst von Xutzen; wenn sich die Pupille, welche
meist bei heftigeren phlyktänulären Processen stark verengt ist, erst
410 Erkrankungen der Conjunctiva.
ausgiebig erweitert, pflegt auch die Lichtscheu zu schwinden; mit dem
< )effnen der Augen alter ist bei Kindern der Anfang zur Heilung
gemacht.
Bei ulcerirten breiten Phlyktänen ist das Betupfen mit einer 2 bis
öprocentigen Höllensteinlösung vortheilhaft.
Besteht eine Entzündung oder Schwellung der Conjunctiva palpe-
bralis, so werden neben dieser Therapie kalte Umschläge und gelegent-
lich auch directes Touchiren mit Blei-, Tannin-, selbst Höllensteinlösung
am Platze sein. Besonders bei Schwellungskatarrhen der Uebergangs-
falten, welche langbestehende phlyktänuläre Processe oft begleiten,
kommt man ohne dies nicht zum Ziel. Man touchirt an einem Tage
die Schleimhaut, am anderen wendet man gelbe Salbe an. — Selbst
wenn oberflächliche Hornhautinfiltrate neben den Phlyktänen bestehen,
kann man die Anwendung der gelben Präcipitatsalbe versuchen. Gegen
Pannus phlyet. ist dieselbe von grosser Wirkung.
Von ableitenden Mitteln auf die Haut habe ich keinen Nutzen ge-
sehen; ich möchte im Gregentheil davon abrathen. Man muss die Ge-
sammteonstitution beachten und das Nöthige verordnen. So bei scro-
phulösen Kindern Mutterlaugenbäder, Leberthran, Jodeisen, Stomachica
u. s. w. Bisweilen leisten hier bei starker und sonst schwer weichender
Augenentzündung die bekannten Plu mm er sehen Pulver (Calomel und
Stib. sulphur. aurant. aa) gute Dienste. Lidekzeme sind mit Hebra'scher,
Theer- oder Borsalbe zu bedecken und womöglich durch einen Verband
gegen das Berühren und Kratzen seitens der Kinder zu schützen.
Nöthigenfalls kann man auch, wie nach Operationen, den Kindern grosse
Pappcylinder über beide Arme ziehen, die durch ein um den Hals
gehendes Band festgehalten werden, und die Krümmung im Ellbogen-
gelenk und damit das Hinaufführen der Hände zum Gesicht verhüten.
Von grösster Wichtigkeit aber ist es, die Behandlung nicht zu früh
auszusetzen; sonst treten ziemlich sicher Becidive ein. Man muss nach
Heilung der phlyktänulären Conjunctivitis noch AYoehen lang Tag um
Tag Calomel einpudern.
Frühjahrs- und Sommerkatarrh (Phlyetaena pallida).
Der Frühjahrskatarrh (Saemisch) hat eine gewisse Aehnlich-
keit mit der sandkornförmigen phlyktänulären Conjunctivitis. Auch hier
ist es der Linibus conjunctivae, Avelcher vorzugsweise befallen wird. Er
ist von rundlichen, meist stecknadelkopfgrossen, wulstigen Prominenzen
von fester Consistenz und grauweisslicher Farbe bedeckt, die dicht
aneinanderliegen und so eine mehr gleichmässige Verdickung des Horn-
limbus hervorrufen. Die Afl'ection befällt nur selten die ganze Peri-
Anatomie der Blennorrhoe und des Trachoms. 411
pherie der Hornhaut. Daneben besteht massige pericorneale und episcle-
rale Injection. Die Conj. palpebralis zeigt am oberen Lide meist pflaster-
förmige Papillarwucherungen, öfters auch eine eigentümliche, weissliche
Trübung, als wenn sie mit Milch begossen wäre. Es tritt diese Trü-
bung besonders hervor, wenn man das Lid ektropionirt hat: ist die
milchige Schleimhaut einige Zeit der Luft ausgesetzt, so röthet sie sich
wieder. Die Secretion ist massig. Die subjectiven Beschwerden sind
ausser der fast eonstanten Lichtscheu gering.
Charakteristisch für die Affection, die übrigens nur in bestimmten
Gegenden vorkommt, ist es, dass sie im Frühjahr und Sommer auftritt,
im "Winter aber wieder schwindet. Dabei hat sie grosse Neigung all-
jährlich zu reeidiviren. Die Cornea leidet meist nicht dabei; in der
Regel erfolgt vollständige Heilung. Aber ich habe doch Kranke ge-
sellen, wo sich in Folge des Frühlingskatarrhs dichte weissliche Horn-
hauttrübungen bildeten, die in einem Falle doppelseitig das Sehvermögen
auf Fimrerzählen herabsetzten; ich habe den Kranken mehrere Jahre
beobachtet, ohne dass eine wesentliche Besserung eintrat. Nur Indivi-
duen im kindlichen und jugendlichen Alter, und fast nur männlichen
(Geschlechts, werden befallen; meist erkranken beide Augen. Die
Therapie ist eine abwartende, jede Beizung zu vermeiden. Irgend
welche deutliche Heilwirkung habe ich von keinem Mittel (gelbe oder
weisse Präcipitatsalbe, Cocamsalbe, Borsäurelösung oder der ver-
dünnten Essigsäure [1 Tropfen auf 10 — 20 gr Wasser], die van Mil-
lingen empfahl) gesehen; bisweilen mindern sie die subjectiven Be-
sehwerden. Bei verstärkter Secretion wende man die mildesten Ad-
stringentien an; gegen die Lichtscheu eine blaue Schutzbrille.
4. Blennorrhoe. — Schwellungskatarrh.
Trachom (Granulationen.) — Conj. folliculosa.
Pathologische Anatomie und allgemeine Diagnose.
Die Blennorrhoe, der Schwellungskatarrh, die Granulationen
i Trachom) und die Conj. folliculosa zeigen zum Theil ähnliche anato-
mische Veränderungen, sind jedoch klinisch streng von einander zu
sondern. In der Mehrzahl der Krankheitsfälle gelingt dies zweifellos
und sicher, jedoch kommen Uebergänge vor — so besonders zwischen
chronischer Blennorrhoe und Schwellungskatarrk einerseits und zwischen
Granulationen und Follikelkatarrh andererseits — , bei denen selbst der
Geübte schwankend sein kann und erst den weiteren Verlauf der Affec-
tion abwarten muss.
412
Erkrankungen der Conjunctivae
A. Die Blennorrhoe zeigt anatomisch vorzugsweise eine llvper-
trophie der Papillen der Conjunctiya, bezw. der in ihr vor-
kommenden Leisten. Besonders der Uebergangstheil der Conjunctiva
ist stark geröthet, gewulstet und oft zu mehreren, parallel gestellten
Falten hypertrophirt. Die Papillen treten theils als kleinere, theils als
grössere Hervorragungen (bisweilen bis zu hahnenkaniniähnlichen
Wucherungen sich steigernd) über das Niveau heraus und verleihen
ihm ein unebenes Aussehen. Bisweilen backen die dicht an einander
liegenden Papillen zu pflasterförmigen, kleineren Abschnitten zusammen.
Das Epithel ist gewuchert und liegt in mehrfachen Schichten über-
einander. Unter der Epitheldecke findet sich eine tiefgehende Infiltrations-
zone^von lymphoiden Zellen, die aber in diffuser Ausbreitung (nicht
142.
Blennorrhoe (halbschematiscli). Hypertrophirnng der Papillen und Falten mit Zellen- und Kern-
emlagernngen. Hypertrophirtrag des Epithels. Starke Vascnlarisation.
in knötchenförmigen Anhäufungen) auftreten. Die Schleimhaut ist stark
hyperämisch. — Im rückgängigen Stadium kommt es in der Regel zu
gar keiner oder wenigstens nur zu sparsamer Bindegewebsentwiekelung.
Entsteht, eine Narbe, so pflegt sie eine flächenartige Ausdehnung zu
zeigen.
B. Bei dem Trachom (Granulationen) finden sich eigenartige Neu-
bildungen: Trachomfollikel oder Trachomkörner. Es sind dies
runde oder ovale Körner, welche im adenoiden Gewebe der Conjunc-
tiva sitzen und makroskopisch bläulichgrau, gelblichgrau oder gelblich
durchschimmern. 31 it Wundgranulationen haben sie gar keine Aehnlich-
keit. Sie bestehen aus einer Anhäufung von lymphoiden Zellen, die so
geordnel sind, dass die in der Mitte gelegenen grösser, die peripheren
kleiner sind. Letztere bilden demnach eine Art Grenzschicht gegen das
umliegende Gewebe (Jacobson jun.). Im Inneren fand Leber eigen-
thi'nuliche Zellen, die ausser dem Kern einen grösseren, sehwerfärbbaren,
an den Rand gedrängten, kernähnlichen Körper haben (Körperchen-
zellen). Bei jüngeren Trachomfollikeln fehlt eine eigentliche Grenz-
Anatomie der Blennorrhoe und des Trachoms. 413
membran; bei älteren kann sieh eine faserige Bindegewebshülle bilden
(Mandelstamm). Zwischen den Zellen des Follikels finden sich feine
Fäserchen und Blutgefässe. Letztere sieht man bei frischer Unter-
suchung noch injicirt.
Der Inhalt der Körner kann erweichen, indem sich eine breiige
Masse bildet, oder auch induriren, indem verdickte Bindegewebsfasern
von der I Iiille her die Granulationshöhle durchsetzen. Auch sclerosirende
Blutgefässe scheinen bei dieser bindegewebigen Umformung (Sattler)
eine Bolle zu spielen. Die Tendenz zur Narbenbildung ist eine sehr
ausgesprochene. — In dem Bindegewebe zwischen den einzelnen Trachom-
follikeln finden sich ebenfalls Lymphzellen, die zum Theil diffus oder
nesterartiff sitzen: bisweilen wird durch die diffuse Infiltration die Ab-
IIIIä
143.
Trachom, a = Traehonifollikel; drei derselben liegen nebeneinander, b = schlauchförmige
Epitheleinsenkung. Zellige Infiltration der Papillen und zahlreiche Gefässdurchschnitte.
grenzung und Unterscheidung einzelner Traehomfollikel erschwert. Da-
neben ist eine reichliche Entwickelung von Blut- und Lymphgefässen
vorhanden. Eine Wucherung der Papillen kann ganz fehlen; doch tritt
sie meist später in niehr oder weniger ausgeprägter Form, öfters nur an
bestimmten Partien der Lidschleimhaut, hinzu. Das Epithel verliert
allmählich den cylinderförmigen Charakter und wird mehr abgeplattet;
häufig rindet man in ihnen — wie auch sonst bei Conjunctiviten — zahl-
reiche Becherzellen, später kommt es zu Abstossungen mit Geschwürs -
bildungen, die zu ausgedehnten narbigen Umwandlungen an der Ober-
fläche Anlass geben (Baehlmann). Schlauchförmige Epitheleins en-
kungen (Berlin-Iwanoff's Trachomdrüsen) finden sich sehr zahlreich;
sie sind aber nicht als specifische Entzündungsproducte des Trachoms,
sondern nur als Vergrösserungen der normal vorkommenden Einbuch-
tungen, wenn auch mit Hinzukommen der durch die Hypertrophirung
der Falten neugebildeten Spalträume, zu betrachten. Wenn die Aus-
gänge dieser Einsenkungen verwachsen, so können cystenähnliche Bil-
dungen entstehen. Auch bei der Conjunctivitis follicularis und der
Blennorrhoe kommen öfters derartige Schläuche vor.
414 Erkrankungen der Conjunctiva.
Nach diesen Befunden wird der Blennorrhoe (und im geringeren
Grade dem sogenannten Schwellungskatarrh) die Hypertrophirung des
Papillarkürpers mit diffuser Zelleninfiltration, dem Trachom das Auf-
treten der Traehonifollikel den charakteristischen Stempel aufdrücken.
Aber es kommen Mischformen zwischen Blennorrhoe und Trachom
vor. Wird die Blennorrhoe chronisch, so sieht man nicht selten hier und da,
besonders in den Lidwinkeln, vereinzelte Follikel auftreten, doch so
wenig zahlreich, dass sie das klinische Bild nicht eben verwischen.
Anders beim Trachom. Gesellt sich später eine Wucherung des
Papillarkürpers hinzu, so bilden sich besonders im Uebergangstheil starke
Schwellungen und grössere Falten der Schleimhaut; die röthlich gefärbten
Papillen mit ihren warzenförmigen Hervorragungen können dabei die
Traehonifollikel ganz verdecken; in der Regel sieht man aber doch noch
an dem Hervortreten umschriebener, rundlich gestalteter Figuren und
dem Durchscheinen eines gelblichen Farbentons das ursächliche Leiden.
Dieser Zustand ist auch als Trachoma mixtum beschrieben worden;
passender ist es, von „Trachom (Granulationen) mit seeundärer
Blennorrhoe" zu sprechen. Ist die Papillarwucherung nur gering,
so findet man die Follikel als graue oder graugelbliche Körner, „frosch-
laichartig0 in Reihen geordnet in der Conjunctiva.
Haben sich bereits Narben gebildet, so treten in der meist unge-
wöhnlich glänzenden Schleimhaut weissliche Striche hervor, am Tarsal-
theil des oberen Lides oft auch strahlige, von einem fleckförmigen Cen-
trum ausgehende Figuren. Am unteren Lide zeigt die Schleimhaut eine
eigentümliche, hellbläuliche, diffuse Färbung statt des normalen Weiss
mit den scharf sich abgrenzenden Gefässreiserchen. Neben diesen
Narben können noch vereinzelte Follikel bestehen oder auch nur noch
Papillarwucherungen. Da aber eine Blennorrhoe nicht derartige strahlige
Narbenbildungen macht, so wird man selbst hier die Diagnose „Narben-
trachom" stellen. Diese Fälle sind es besonders, in denen man bis-
weilen in der Uebergangsfalte eine langhingestreckte graugelbliche,
ziemlich gleichmässig, d. h. nicht mehr deutlich kornförmig abgegrenzte
Einlagerung (sulziges Trachom [Stellwag]) sieht,
C. Conj. folliculosa. Einfache Follikel. In einem gewissen
Stadium der Erkrankung lässt sich mikroskopisch zwischen den Lymph-
zellen - Knötchen (Follikeln) der Conj. folliculosa und denen des
Trachoms kein Unterschied finden. Eher lassen sich noch Verschieden-
lieiten in dem umgebenden Conjunctivalgewebe nachweisen. So pfle-
gen die einfachen Follikel, falls keine ausgeprägte Entzündung sie
complicirt, was öfters der Fall ist, auch auf mikroskopischen Schnitten
als kleine Kugelsegmente mehr hervorzuragen, während die Traehoni-
follikel weniger die Oberfläche über sich heben, da auch das zwischen
Anatomie der Blennorrhoe und des Trachoms. 415
ihnen liegende Gewebe durch sehr zahlreiche Einlagerung' lymphoider
Zellen geschwellt ist. Ferner sind die Lymph- und Blutgefässe zwischen
und um Trachomfollikel meist zahlreicher als bei einlacher Conj. follicu-
losa. Vor Allem ist der weitere Verlauf des Processes ganz verschieden.
Bei Trachom kommt es stets zu Bindegewebs-Neubildungen und mehr
oder weniger ausgedehnter Narbenentwickelung, oft zu käsigem Zerfall
und zu seeundärer, hochgradiger Papillenwucherung: Vorgänge, die als
Folgezustände der Conj. folliculosa nie beobachtet werden. In einer
Reihe leichterer Fälle dürfte es sich bei letzteren wohl einzig und allein
nur um »Schwellung und stärkeres Hervortreten bereits physiologisch
vorhandener Follikel handeln.
Uebi'igens sind von diesen Lymphknötchen andere kleinere, bläschen-
artige Hervorragungen der Conjunctivae welche durchsichtiger sind
und eine zarte Oberfläche haben, zu trennen. Es sind dies durch
Lvmphausschwitzungen bedingte Erhebungen des Epithels oder auch
der Basalmembran; sie entleeren beim Anstechen eine meist klare
Flüssigkeit.
Die eigentlichen Follikel finden sich entweder in einer vollkommen
normalen oder in einer entzündeten hyperäniischen, aber nicht stärker ge-
schwellten oder infiltrirten und gewucherten Conjunctiva. Ich habe nie
eine ausgesprochene Conj. folliculosa in Trachom übergehen oder zu
Xarbenbildung führen sehen, trotzdem ich manche Fälle von Conj. folli-
culosa viele Jahre lang verfolgt habe; neuerdings ist dieselbe Erfahrung
wieder von May weg bei seinen langjährigen Schuluntersuchungen be-
stätigt worden. Die Trennung beider Affectionen ist unzweifelhaft von
höchster praktischer Bedeutung, und es ist ein besonderes Verdienst von
Th. Saemisch, dass er im Anschluss an A. v. Graefe die klinisch
differentiellen Momente dieser Affection gegenüber dem Trachom
scharf betont hat. Vielleicht etwas zu scharf; es darf nämlich nicht
verschwiegen werden, dass Fälle vorkommen, bei denen anfänglich die
Diagnose zweifelhaft sein kann. Dieselben gehören fast alle in die
Unterabtheilung der Conj. folliculosa, bei der das Auftreten der Follikel
mit entzündlicher Conjunctivitis einhergeht. Unter ganz demselben Bilde
habe ich öfters acutes Trachom an dem zweiten Auge des Kranken
unter meiner Beobachtung auftreten sehen, dessen erstes Auge bereits
an ausgesprochenem Trachom litt. Bald aber Hess hier die Massen-
haftigkeit und Grösse der Follikelentwickelung, sowie die starke Mit-
betheiligung des Bindehautgewebes keinen Zweifel übrig. Aehnlich
kann es gelegentlich mit dem „ Schwellungskatarrh a gehen, der sich nach
einigen Tagen als „acutes Trachom" entpuppt. Derartige Krankheits-
bilder, welche eine gewisse Unsicherheit der Diagnose im Beginn des
Leidens veranlassen, können aber — ■ zumal sie nur selten vorkommen
410 Erkrankungen der Conjunctiva.
— keinen Grund abgeben, diese in Prognose und Verlauf so ver-
schiedenartigen Krankheiten zusammenzuwerfen.
Der von Sattler und Michel gefundene Diplococcus, der als Ursache der
Trachominfection hingestellt, bei der Impfung auf menschliche Conjunctiva Folli-
kel! tildungen hervorrief, kann nicht als Beweis für die Gleichartigkeit beider Affee-
tionen dienen, zumal, wie meine Nachuntersuchungen zeigten, die von Michel ge-
nauer beschriebene Pilzform bei einer Anzahl von Trachomkranken fehlte. Weiter
haben nur drei Impfungen mit Reincultureh (und zwar nach so zahlreichen Ab-
impfungen, dass eine Uebertragung des ursprünglichen Traehomsecrets ausge-
schlossen war) in menschliche Conjunctiva ein durchaus negatives Resultat ge-
geben. Anderen ist es ebenso gegangen. Nach diesen Ergebnissen kann man in
dem Michel 'sehen Diplococcus nipht die Ursache des Trachoms sehen. Auch die
später von verschiedenen Untersuchern beschriebenen Bacterien haben sich nicht
als speeifisch erwiesen: dasselbe scheint von dem neuerdings von L. Müller
(Wien) gefundenen Bacillus zu gelten.
Dass in ein paar Fällen tuberculöse oder syphilitische Producte oder in die
Schleimhaut gerathene Pflanzenhaare, wie letzteres aus meiner Klinik von Markus
beschrieben worden, zu trachomähnlicher Körnerbildung Anlass gaben, begründet
selbstverständlich nicht die Berechtigung, verschiedene ätiologische Momente für
diese wohl eharakterisirte Krankheit anzunehmen.
1. Conjunctivitis blennorrhoica.
Das anatomische Substrat der Blennorrhoe bilden vorzugsweise, wie
oben erwähnt, die Schleimhautfalten und Papillen. Doch tritt nicht
gleich im Beginn einer acuten Blennorrhoe durch deren Hypertrophirung
eine Unebenheit in der Schleimhaut hervor. Erst nach einiger Zeit zeigt
sich die Uebergangsfalte durch Neubildung von parallel verlaufenden
Falten vergrössert; die Masse des Conjunctivalgewebes nimmt zu. Auf
diesen gerötheten Falten oder am Tarsaltheil auch auf der glatt an-
liegenden Schleimhaut können, dicht aneinandergedrängt, kleine um-
schriebene Erhabenheiten, durch Furchen voneinandergetrennt, später
sichtbar werden. Je länger der Process besteht, um so rauher und ge-
wulsteter wird meist die Scheimhaut. Kommt die Affection zur Heilung,
so verlieren sich die Wulstungen und Falten. Letztere verschwinden
zum Theil durch Verkleben. Im entwickelten Stadium der Krankheit
findet man oft mehrere Reihen parallel laufender Falten im Uebergangs-
theil; etwas später zeigt sich die Zahl dieser Falten verringert, die
einzelnen sind breiter geworden, zieht man aber beim Ektropioniren
den Lidrand stärker ab, so gelingt es hier und da, eine dieser breiteren
Falten in zwei schmälere wieder auseinanderzureissen. Bei mehr chro-
nischem Verlauf blassen die Papillen allmählich ab, werden durch den
gegenseitigen Druck glatter und verschwinden schliesslich. Einzelne
dieser Papillenconvolute können andererseits mehr im Wachsthum fort-
Conjunctivitis blennorrhoica. 417
schreiten und endlich halmenkanmi-und warzenförmige Vorspränge bilden;
doch ist dies bei der primären Blennorrhoe ausserordentlich selten, häufiger
hingegen bei der secundären Blennorrhoe, die sich zum Trachom gesellt
(Trachoma papilläre [Stellwag]). Aber auch ohne vorangegangenes
Trachom und ohne entzündliche Blennorrhoe habe ich ausnahmsweise
diese hahnenkammähnlichen Schleimhautwucherungen massenhaft am
oberen Lide auftreten sehen.
Acute Blennorrhoe. Das erste und auffallendste Zeichen ist die
starke Schwellung der Lidhaut. Das ödematöse und geröthete obere
Lid hängt über das Auge herab; letzteres kann nur mit Mühe geöffnet
werden. Die Conjunctiva palpebralis und die Uebergangsfalte sind stark
injicirt und geschwellt. Die Conj. bulbi wird gleichfalls hyperämisch.
Im Anfange erkennt man deutlich auch die Injection der subconjuncti-
valen Gefässe um die Cornea: doch wird dieselbe bei Steigerung der
Entzündung bald durch seröse oder gelatinöse Verdickung des Gewebes
verdeckt. Die Chemosis bildet dann einen ringförmigen Wall um die
Hornhaut, der öfters die Peripherie derselben überragt.
Das Secret ändert in den einzelnen Stadien der Entzündung seine
Beschaffenheit. Im Anfang schwimmt das Auge in Thränen, die aber
ähnlich wie beim Katarrh schäumend sind. Doch bald nimmt die Ab-
sonderung eine mehr trübe und molkige Form an. Sie tritt in solcher
Stärke auf, wie es beim Katarrh nie vorkommt. Nach zwei- bis drei-
tägigem Bestehen der Krankheit werden reichlichere Mengen von Schleim
imd Eiterzellen abgesondert, welche das Secret dickflüssiger machen.
Beim Oeffnen des Auges bedarf es jetzt schon einer sorgfältigen Reinigung
zur deutlichen Erkennung der Theile, da das Secret Conjunctiva und
Bulbus überfluthet und ihnen anhaftet. Noch später, allmählich oder
auch ohne L'ebergang, verwandelt sich diese Form des Secrets in eine
mehr gelbliche, selbst eiterähnliche Flüssigkeit (Pyorrhoe).
Die örtliche Temperatur ist bei der ausgesprochenen Blennorrhoe
stets erhöht: allgemeines Fieber ist nur selten — bei den stärksten
Entzündungsformen und sehr erregbaren Individuen — vorhanden. —
Die subjectiven Beschwerden sind anfänglich die des Katarrhs: Brennen,
das Gefühl eines fremden Körpers im Auge u. s. w. In der Regel
stellen sich jedoch bald heftige Schmerzen in Auge und Stirn ein, die sich
verringern, wenn der Ausfluss reichlicher wird.
Die acute Blennorrhoe gehört zu den schwersten Augenkrankheiten.
In besonders günstigen Fällen kann sie in drei bis vier Wochen in Hei-
lung übergehen. Es schwindet dann zuerst, etwa nach acht bis zehn
Tagen, das Oedem der Lider; allmählich verliert sich auch die Schwel-
lung und Injection der Bindehaut und die Secretion lässt nach. Doch
ist ein derartiger schneller Verlauf verhältnissmässig selten, zumal es sehr
Schmidt-Rimpler. 7, Auflage. 27
418 Erkrankungen der Conjunctiva.
häufig zu Complicationen kommt, die eine lange Heilungszeit erfordern.
Ebenso kann sich aus der acuten Blennorrhoe die chronische entwickeln :
doch geschieht dies nur ausnahmsweise.
Eine chronische Blennorrhoe gesellt sich bisweilen zu
chronischen Conjunctivae oder Lidentzündungen; besonders oft zu
Trachom. Die entzündlichen Erscheinungen sind bei weitem nicht so
heftig wie bei der acuten Blennorrhoe. Es besteht kein Oedem der
Lider; die Conjunctiva bulbi ist meist ohne stärkere Injeetion. Dagegen
sind Palpebralbindehaut und Uebergangsfalte geröthet und gewulstet;
die hypertrophirten Papillen treten meist stärker als in der acuten Form
hervor, die Krause 'sehen Drüsen sind entzündlich infiltrirt und stark
vergrössert (Wolfring). Bisweilen werden auch einzelne grössere Fol-
likel sichtbar. Die Secretion ist massenhafter als beim gewöhn-
lichen Katarrh und hat eine mehr gelbliche Färbung und bisweilen
eiterähnliche Beschaffenheit. Die chronische Blennorrhoe hat, ebenso
wie die acute, grosse Neigung, Cornealaffectionen einzuleiten, wenn auch
nicht in so schwerer Form.
Complicationen. Die Cornealaffectionen sind es vorzugsweise,
welche bei der Conjunctivitis blennorrhoica dem Auge so grosse Gefahr
bringen. ■ — In der acuten Blennorrhoe tritt stets eine Ernährungs-
störung der Cornea ein, die sich anfänglich durch eine leichte, durch-
scheinende, diffuse, grauliche Trübung der ganzen Membran zu erkennen
giebt. So lange es nur bei dieser verbleibt, ist der Zustand nicht be-
denklich: mit dem Rückgang des blennorrhoischen Processes ver-
schwindet auch die Trübung. Schlimmer ist es, wenn sich eine mehr
oder weniger ausgedehnte graue Infiltration in der Cornea bildet. Es
löst sich dann meist nach einigen Stunden oder Tagen die oberfläch-
liche Hornhautschicht ab, und es entsteht ein Hornhautgeschwür; je
mehr sich dasselbe ausbreitet, je tiefer es in die Substanz eindringt,
um so grösser die Gefahr. Hat das Geschwür dagegen Tendenz zur
Heilung, so bildet sich in seiner Umgebung ein leicht grauer Hof und
es kommen vom Hornhautrande Gefässe zu ihm; ein gelbeitriger, käsiger
Hof hingegen spricht für weiteren Zerfall.
Die llornhautaffection kann noch in einer anderen und besonders
gefährlichen Form auftreten. Es entsteht gleich eine ausgedehnte grau-
liche Trübung des Gewebes, die mit intensiveren Strichen und Punkten
durchsetzt ist und oft ihre durchsichtige Umgebung überragt; dann stösst
sich meist die befallende Partie ab und verwandelt sich in ein durchsichtiges
Geschwür. Die Durchsichtigkeit des Geschwürs kann trotz grosser Aus-
dehnung desselben ziemlich erhalten bleiben. Da der Kranke dem-
entsprechend sieht, so wird die Gefahr, in der das Auge schwebt, bis-
weilen garnicht bemerkt. Es kommt hinzu, dass der dünne Geschwürs-
Conjunctivitis blennorrnoica. 419
grund durch den Kammerwasserdruek etwas nach vorn gedrängt wird
HD d so fast in gleichem Niveau mit dem normalen Hornhautrande liegt.
( >ft ist hier erst unter Anwendung der schiefen Beleuchtung die genaue
Diagnose zu stellen; doch wird der erfahrene Arzt schon durch eine
ungewöhnliche Durchsichtigkeit der Hornhaut und davon abhängige un-
gewöhnliche Schwärze der Pupille aufmerksam. Hier droht immer
baldige und ausgedehnte Perforation. Bei der acuten Blennorrhoe der
Erwachsenen sind solche Formen nicht selten, noch häufiger bei der
1 Hphtheritis. —
Tritt ein Durchbruch der Cornea ein; so entleert sich die vordere
Augenkammer; und die Regenbogenhaut oder die Linse legt sich in den
Gesehwürsgrund. Die Iris kann bei kleineren Perforationsöffnungen nach
neuer Ansammlung von Flüssigkeit in der Augenkammer, und weim das
Geschwür sich abschliesst, wieder in ihre normale Lage zurückgehen.
Dies geschieht jedoch nur selten, meist bleibt der vorgefallene Theil in
der Hornhautöffnung liegen und wird vom Rande her übernarbt. Bleibt
die Narbe im Niveau der Hornhaut, so entsteht ein Leucoma adhaerens,
wölbt sie sich hervor, ein Staphyloma corneae, In einigen Fällen setzt
sich der Entzündungsprocess auf die Iris und Chorioidea fort. Selbst
zu einer Panophthalmitis kommt es bisweilen, die dann zur Zerstörung
und Schrumpfung des Augapfels führt. Hat sich die Linse an den Ge-
schwürsgrund gelegt, so entsteht in der Kapsel meist eine partielle
Trübung, die sich aber auch in die Linsensubstanz fortsetzen kann.
Wenn der Hornhautdurchbruch plötzlich und in grösserer Ausdehnung
eintritt, und die Augenhäute unter einem starken Druck von innen
her stehen, kann sogar eine Zerreissung der Zonula Zinnii mit seeun-
därem Linsen- und Glaskörperaustritt aus der Hornhautwunde die
Folge sein.
Die chronische Blennorrhoe, obwohl auch sie ausnahmsweise ähn-
liche Hornhautaffectionen hervorruft, veranlasst in der überwiegenden
Mehrzahl der Fälle, wo sie die Cornea in Mitleidenschaft zieht, nur
kleine Infiltrationen und Ulcerationen, oder auch Pannus.
Diagnose. Eine sehr acut auftretende Blennorrhoe mit ihrer
starken Schwellung der Lidhaut, Hypersecretion u. s. w. wird nicht
leicht zu Verwechslungen Anlass geben. Doch kommen subacute Formen
vor, die wohl als Lebergangsformen zum Schwellungskatarrh aufgefasst
werden können: hier bleibt es dem Belieben des Einzelnen überlassen,
sie dieser oder jener Krankheitsgruppe einzureihen. — Von dem acuten
Trachom (Granulationen) unterscheidet sich die Blennorrhoe dadurch,
dass selbst im Anfangsstadium der ersteren, wo die Trachom-Follikel noch
nicht so deutlich zu Tage Hegen, die entzündlichen Symptome viel
weniger heftig sind und die Secretion keine so stürmische ist. Nach
27*
4^0 Erkrankungen der Conjunctiva.
zwei bis drei Tagen zeigt sieh die Körnerbildung, wodurch die Dia-
gnose gesichert ist. Bei längerem Bestehen der Granulationen gesellt
sich nicht selten eine chronische Blennorrhoe hinzu.
Die differentielle Diagnose zwischen Blennorrhoe und Diphtheritis
siehe bei letzterer.
Ich will noch anführen, dass auch bei einem acuten Chalazion bis-
weilen im Beginn eine bedeutende ödematöse Schwellung der Lidhaut,
seröser Erguss in die Conjunctiva bulbi und starke Schleimabsonderung
vorkommt, so dass dieses Bild (geschwelltes Lid, das Auge kaum zu
öffnen u. s. w.) eine Blennorrhoe vortäuschen könnte. Die Diagnose
wird noch erschwert, da die Lidinfiltration, besonders wenn das Hagel-
korn im oberen Lidwinkel sitzt, ein Ektropioniren und Besichtigen der
Sehleimhaut erschwert. Aber beim Chalazion findet sich stets eine
umschriebene harte und infiltrirte
a c Stelle' in der Nähe des Lidrandes.
.loV!." >J§ Uebrigens würde der weitere Verlauf
M,':j0" bald Aufklärung geben. —
;! - ... Ebenso hüte man sich vor Verwech-
selungen mit Erysipel der Lider oder
144. etwa mit eitriger Chorioiditis (Panoph-
Gouokokken a freiliegend bin einem thalmitis). Bei letzterer sind die Lider
Eiterkorperchen, c in einer Epithelzelle. '
ebenfalls geröthet und geschwellt. Die
Absonderung ist schleimig-eitrig und vermehrt. Die starke Röthung,
Spannimgszunahme und das Hervortreten des Augapfels selbst, sowie
die sonst erkennbaren Symptome der Chorioiditis lassen in Verbindung
mit der Anamnese sofort das Richtige erkennen.
Aetiologie. Die gewöhnliche Entstehungsursache der schweren
acuten Blennorrhoe ist in einer directen Uebertragung infectiöser Stoffe
in das Auge zu suchen.
Meist findet man in dem Secret der acuten Blennorrhoe Neisser'-
sche Gonokokken, jedoch können die vorhandenen semm eiförmigen Diplo-
kokken als solche nur diagnosticirt werden, wenn sie zu Haufen vereint
in den Eiterzellen selbst, den Kernen aufsitzend, liegen (vgl. Figur 144),
und sich nach Gram' scher Tinetion entfärben, da auch andere ähnlich
gestaltete Arten von Diplokokken gelegentlich vorkommen. Bei Er-
wachsenen ist als Ursache einer acuten Blennorrhoe wohl stets die
Gonokokken-lnfection (Blennorrhoea gonorrhoica) anzusehen, sei
sie Folge der Uebertragung des Secrets eines Harnröhren-Trippers oder
einer gonorrhoischen Augenblennorrhoe. Bei Kindern, deren Schleimhaut
sneruleiiter ist und leichter in den blennorrhoischen Zustand übergeht,
kann auch ohne Gonokokken eine Blennorrhoe entstehen. So durch
[nfection mit einer auf andern Ursachen beruhenden Vaginalleukorrhoe.
Conjunctivitis blennorrhoica. 421
Letztere kommt spcciell auch bei Kindern vor; die nicht tripper-inticirt
sind, wie E. Friinkel erwies, der bei dieser Colpitis einen, demNeisser'-
sclien Diplococcus sehr ähnlichen, aber doch von ihm verschiedenen
Coccus gefunden. Derselbe, Micrococcus subflavus, ist auch im Lochial-
fluss constatirt worden (Bumm) (siehe Blennorrhoa neonatorum).
Nach klinischen Erfahrungen scheint es nicht ausgeschlossen, dass das Secret
der Conjunct. diphtheritica gelegentlich auch eine einfache Blennorrhoe hervor-
rufen kann, ebenso wi,e das blennorrhoische oder gonorrhoische Secret eine Diph-
theritis conjunctivae. Es erklärt sich dies daraus, dass nach unserer Kenntniss
gleichartige Bacterien dennoch verschiedenartige klinische Krankheitsbilder er-
zeugen können. —
Chronische Blennorrhoen und die subacuten Formen mit starken Schleimhaut-
wucherungen und eitriger Secretion, wie man sie öfters bei scrophulösen Kindern
rindet, können sich auch ohne nachweisbare besondere Infection auf der Basis
längerbestehender anderer Conjunctivalleiden entwickeln. In diesen Fällen habe
ich nie Gonokokken, wohl aber oft zahlreiche Gruppen ausserhalb der Zellen
liegender dickerer Bacillen neben grossen Kokken gesehen.
Therapie. Man suche vor Allem einer möglichen Ansteckung
vorzubeugen. Tripp erkranke und Leukorrhoische mache man auf die
Gefahr aufmerksam, der sie sich bei Uebertragung des Secrets auf das
Auge aussetzen. Auf Waschzeug, Handtücher ist nach der Bichtung
hin besonders zu achten. Ich habe Fälle gesehen, wo bei Tripper-
kranken, vermuthlich durch ihr Pince-nez, das herabhängend mit dem
Harnröhrensecret in Berührung kam, eine Uebertragung stattfand.
Ebenso wende man bei der Behandlung der Blennorrhoe die grösste Vor-
sicht an, um nicht Gesunde oder an anderen Augenkrankheiten Leidende
anzustecken. Man sollte den mit acuter Blennorrhoe Behafteten, selbst
im Hospital, in ein besonderes Zimmer bringen. Vermuthet man, dass bei
einem Individuuni Infection erfolgt ist, so kann man durch Einträufelung
imd Auswaschung mit Aqu. chlorata oder Höllensteinlösung das Gift zu
zerstören suchen. Ist nur ein Auge ergriffen, so muss man das andere gegen
Infection schützen. Man kann hierzu ein stark coneaves Uhrglas benutzen,
das an seinen Rändern mit breiten Heftpflasterstreifen beklebt und be-
festigt wird. So kann der Patient sein Auge gebrauchen und der Arzt
gleichzeitig den Zustand desselben dauernd beobachten. Oder man legt
ein Borlintläppchen auf das Auge, darüber Salicylwatte. Der Verband
wird mit einem grossen Stück gelben Heftpiasters bedeckt und festge-
klebt. Man muss ihn alle 24 Stunden erneuern, um sich von dem Zu-
stande des verdeckten Auges zu überzeugen. Zuweilen stellt sich unter
dem Verbände eine Hyperämie oder ein leichter Katarrh der Conjunc-
tiva ein: diese geben noch keine Contraindication gegen den Schutz-
verband. Xur bei wirklich beginnender Blennorrhoe ist derselbe fort-
zulassen. Bei acuter Blennorrhoe ist der Patient im Bett zu halten.
Vor Allem bedarf es häufiger Reinigung des Auges und Entfernung des
422 Erkrankungen der Conjunctiva.
zwischen den Lidern gesammelten Secrets. Man bedient sich dazu in
Sublimatlösung getauchter Mullläppchen oder Watte. Indem man nach
Auseinanderziehen der Lider die feuchten Lappen über dem Auge in
einiger Höhe ausdrückt;, werden durch das überströmende Wasser die
consistenteren Partikelchen fortgeschwemmt. Oder man giesst mittels
einer Undine die Lösung in das Auge; bei tieferen Hornhautaffectionen
aber vermeide man es, den Strahl auf diese zu richten. Bei bösartigen
Formen muss die Reinigung alle halbe Stunden vorgenommen werden,
selbst während der Nacht. — Als bestes Mittel gegen die Blennorrhoe
der Erwachsenen haben sich mir die Kalt' sehen L'rigationen, mit einer
lauwarmen Lösung von Kali hypermanganicum (1:10000) bewährt. Mit
Hiüfe eines Irrigators wird drei- bis viermal am Tage 1j2 — 1 Liter dieser
Flüssigkeit durch das Auge gespült. Diese Irrigationen werden bis zur
Heilung fortgesetzt. Daneben sind eiskalte Umschläge von Borsäure-
oder Sublimatlösung zu verordnen. Man halte streng darauf, dass, wenn
die Umschläge gemacht werden, sie wirklich kalt sind. Nach etwa zwei
Stunden fortgesetzter Umschläge kann man ]l2 bis 1 Stunde Pause ein-
treten lassen. Die Lider trockne man zuweilen mit weicher Leinwand ab ;
um ein durch die Feuchtigkeit leicht entstehendes Ekzem zu verhindern,
bestreiche man die Haut mit etwas Oleum anrygdalarimi dulcium. Lässt
die Entzündung nach einigen Tagen nach und nimmt die Schwellung ab,
so kann man grössere Ruhepausen in den Umschlägen gestatten, z. B. eine
Stunde Umschlag und eine Stunde Unterbrechung. Noch später bedarf
es der Umschläge nur 2bis4mal täglich J/2 bis eine Stunde; sie sind aber
immer sofort nach der Anwendung der Topica zu machen. Ist die
Spannung der Augenlider sehr gross und liegen sie dem Bulbus straff
auf, so kann man durch Erweiterung der äusseren Lidcommissur
(A. v. Graefe) den Druck, welchen Bindehaut und Augapfel durch die
Lidhaut und den Ringmuskel (M. orbicularis) erleiden, bedeutend mil-
dern und zugleich eine ergiebige Blutung erzielen. Der Schnitt wird
horizontal in den äusseren Lidwinkel gemacht und ungefähr (3 mm lang
nach aussen durch Haut, Muskel und Fascie geführt. Es wird hierdurch
ein kleines arterielles Gefäss getroffen, das besonders bei Kindern eine
ziemlich starke Blutung giebt. Auch erreicht man durch Drücken der
Lider zwischen den Fingern oder Streichen (wenn man es so nennen
will, durch Massage) oft eine auffällige Abnahme des Oedems und der
Lidschwellung, so dass Patienten, die vorher das Auge spontan nicht
öffnen konnten, es gleich nachher thun. Dies bringt grossen Nutzen,
da eine schnellere Blutcirculation eintritt und die venöse Stauung ge-
hoben wird. Gegen die meist vorhandene Hyperämie der Regenbogen-
haut wird 2 bis 3mal täglich Atropin eingeträufelt.
Unter den sonstigen örtlichen Mitteln spielt bei der Blennorrhoe
( lonjunctivitis blennorrhoica.
423
der Höllenstein eine Hauptrolle. Aber es ist mit ihm in der Weise
viel gesündigt worden, dass man einmal zu früh und dann zu intensiv
ätzte, was in der That starke Zunahme der Entzündung und selbst
Diphtheritis zur Folge haben kann. Man muss erst abwarten, bis
die Lider ihre brettharte Spannung verlieren, die Schleimhaut aus-
geprägte Papillenwueherung zeigt und weich wird, sowie reichliche
und mehr schleimig-eitrige Secretion eingetreten ist.
Dies geschieht
bei schwerer, acuter Blennorrhoe etwa nach 3 bis 4 Tagen. Früheres
Touehiren, wie es zum Zweck des „Coupirens" geübt wurde, ist
schädlich. Ich halte es sogar flu' besser, in der
gekennzeichneten
Periode an Stelle der Höllensteinlösung zuerst einen oder zwei Tage
mit 1 ' 2 procentiger Lösung von Plumb. acet. zu touehiren,
um zu sehen, wie der Eingriff vertragen wird; eventuell
kann man mit diesem milderen Adstringens morgens und
abends touehiren. I^immt aber die Absonderung und
Schwellung der Schleimhaut mehr zu, so ist die 2procen-
tige Höllensteinlösung am Platze. Auch kann besonders
von solchen, welche in der Höllenstein- Anwendung nicht
genügend geübt sind, das mildere Protargol (in 5 — lOproc.
Lösimg) benutzt werden. Genügt nach einiger Zeit auch
diese nicht mehr, indem beständig eitrige Flüssigkeit secer-
nirt wird und die Schleimhaut stark wuchert, so bestreicht
man sie leicht mit einem Stift von Arg. nitric. c. Kai. nitric.
(Lapi mitigatus), natürlich mit nachfolgender Neutralisation
vgl. S. 16). Es ist von grosser Wichtigkeit, die Ueber-
gangsfalte mit dem Mittel zu treffen; man muss daher
sehr exaet ektropioniren und sich eventuell das nicht
ektropionirte Lid von einem Assistenten abziehen lassen. Die Tarsal-
schleimhaut bedarf seltener der Bestreichung.
In der Regel genügt ein einmaliges Touehiren am Tage. Besonders
darf man die Aetzung nicht wiederholen, wenn etwa noch ausgedehnter
Aetzschorf vorhanden ist oder das Epithel sich nach Abstossung des-
selben noch nicht vollständig regenerirt hat. Man erkennt dies an einem
weniger glatten Aussehen und leichtem Bluten der betreffenden Con-
junctivalpartie. Diese Stelle ist jedenfalls nicht von Neuem zu ätzen.
Bei starker Hyperämie und Schwellung kann man nach dem Aetzen
auch noch durch oberflächliche kleine Einschnitte mit dem Scarificateur
(Figur 145) eine nützliche Entspannung und Blutung herbeiführen.
Selbst bei schon eingetretenen Hornhautaffectionen muss mit der Cau-
terisation zur Beschränkung des blennorrhoischen Processes fortgefahren
werden, nur neutralisire man dabei um so aufmerksamer. Die Conjunc-
145.
Scarificatenr
von
Desmarres.
424 Erkrankungen der Conjunctiva.
tiva bulbi ist für gewöhnlich nicht zu cauterisiren. Tritt eine erbebliche
ödematöse Infiltration (Chemosis) hervor, so macht man kleine Jncisionen
radial gegen die Hornhaut mit der Seheere und lässt so die Flüssig-
keit aus.
Einträufelungen von Augenwässern in stärkerer Dose (z. B. Höllen-
steinlösungen, Protargol) halte ich nicht für so günstig. Sie sind zwar
für den Arzt bequemer, doch ätzt man auf solche Weise auch die Cornea
und kann selbst durch eine Zerstörung des Epithels den Anstoss zu
tieferen Cornealaffectionen geben. Schwächere Augenwässer oder anti-
septische Lösungen (Sublimat u. dgl.) wirken aber nicht entsprechend.
Nur bei den gelinder verlaufenden Blennorrhoen und im rückgängigen
Stadium kommen neben den kalten Umschlägen zur Geltung die Tropf-
wässer von Argent. nitricum, Zinc. sulphuric, Tannin u. s. f. Bei stärkerer
Wucherung und Absonderung muss aber auch hier die kranke Schleim-
haut direct touchirt werden. Treten Hornhautaffectionen ein, so sind
dieselben entsprechend zu behandeln (vgl. Krankheiten der Cornea).
Droht ein Hornhautgeschwür mit Durchbruch, so kommt man letzterem
durch eine frühzeitig gemachte Paracentese zuvor. Auch giebt bei aus-
gedehnten Geschwüren die Entfaltung der Iris durch Eserin oft eine
wünschenswerthe Scheide- und Schutzwand gegen das Vordringen von
Linse und Glaskörper. Stemmt sich die luxirte Linse in die Geschwürs-
öffnung, so lässt man sie nach Durchreissung der Linsenkapsel aus-
treten, um sonst leicht entstehenden inneren Entzündungen des Auges
vorzubeugen. Bildet sich während der Behandlung der acuten Blennor-
rhoe ein Ectropium des Lides, so muss man es dauernd zu reponiren
suchen. Am besten gelingt dies, indem man nach der Reposition einen
Druckverband anlegt und ihn 12 bis 24 Stunden liegen lässt. Die Re-
position ist für die ganze Behandlung von grosser Bedeutung, da z. B.
kalte Umschläge nicht gut von der ektropionirten blossliegenden Schleim-
haut vertragen werden. —
Die chronische Blennorrhoe behandelt man gleichfalls bei stär-
kerer Schleimhautwucherung und Absonderung am besten durch tägliches
Touchiren der Bindehaut mit Höllenstein-, Blei- oder Tanninlösung,
je nach der Schwere des Falles, und durch kalte Umschläge. Auch der
Alaun- oder Kupferstift (oder auch ein Stift von Cuprargol) — letzterer
vorzugsweise bei fleischigen Papillarwueherungcn ohne erhebliche Secre-
tion — empfiehlt sich hier oft. Wird Höllenstein zu lange Zeit ange-
wandt, so kann sich durch Aufnahme des Silbers in das Gewebe eine grau-
schwärzliche Färbung, Argyrose der Conjunctiva, bilden. DiePigmen-
tirung trifft besonders das elastische Gewebe der Conjunctiva (Hoppe).
Man wechselt auch aus diesem Grunde gern; überhaupt gewöhnt sich
die Schleimhaut nach einiger Zeit an die topischen Mittel, und man
Ophthalmia gonorrhoica. 325
erzielt alsdann durch andere bessere Fortschritte. Von grossem Nutzen
sind auch bei der chronischen Blennorrhoe die adstringirenden Augen-
wässer und Salben, zumal sie den Vortheil haben, dass der Patient
sie zu Hause ohne Beihülfe des Arztes anwenden kann. Zu ersteren
wird das Argent. nitric. lMumb. aeetic, Zinc. sulphuricum u. s. w.
verwandt, zu den Salben besonders Cupr. sulphur. und Plumb. acet.
(etwa 2%). Doch nur wo Hornhautuleerationen fehlen, bediene man
sich des Bleis, da andernfalls Niederschläge in das Geschwür erfolgen
kennten. — Recht empfehlenswerth ist auch hier, besonders wenn gleich-
zeitig Pannus besteht, die modificirte Guthrie'sche Salbe (Argent.
nitric. fus. 0--4-, Acet. plumb. gtt. IV, Ung. Paraffini 8-0. Täglich ein
Hanfkorn gross ins Auge zu streichen).
Ophthalmia gonorrhoica. Mit diesem X amen wird die acute Conj. blen-
norrhoica bezeichnet, welche in Folge einer Uebertragung von Trippersecret auf
die Conjunctiva auftritt. Derartige directe Uebertragung ist bei Weitem die
häutigste Ursache der Ophthalmia gonorrhoica. RicordundRoosbroekkaben aber
auch eine consensuelle Blennorrhoe bei Tripperkranken beschrieben, die stets sehr
milde verläuft und sich meist mit Gelenkaffectionen verbindet; so ist in dem von
Roosbroek beobachteten Falle bei demselben Individuum in sechs Jahren örual
eine Blennorrhoe beider Augen mit gleichzeitigem Tripper und Gelenkaffectionen
aufgetreten. Auch ich habe mehrmals doppelseitige Conjunctivitis, unter dem Bilde
einer sehr leichten Blennorrhoe oder eines Schwellungskatarrhs verlaufend, gleich-
zeitig mit Tripper-Rheumatismus beobachtet: einer der betreffenden Patienten
wurde einige Zeit später von einer leichten Iritis befallen. Haltenhoff hat
neuerdings eine Anzahl solcher Fälle zusammengestellt. — Die durch directe An-
steckung hervorgerufene Ophthalmia gonorrhoica geberdet sich in der Regel als
äusserst acute Blennorrhoe; nicht selten erscheint sie sogar als Diphtheritis mit
grosser Neigung zu Hornhautaffectionen. Im Conjunctivalsecret, selbst in der
ulcerirten Hornhaut und im Irisgewebe (D in kl er) werden Gonokokken gefunden.
Ausnahmsweise beobachtete ich bei einem Erwachsenen trotz Gonokokken im
Secret eine in einigen Tagen heilende einfache Conjunctivitis. — Auch eine Iritis
kommt, wie erwähnt, in Folge von Gonorrhoe, besonders in Fällen, wo Tripper-
Rheumatismus vorhanden ist. gelegentlich vor.
Ophthalmia neonatorum.
Unter diesem Namen sind verschiedene Bindekautaffectionen der
Neugeborenen zusammengeworfen worden: Hyperaemia conjunctivae,
Conjunctivitis catarrhalis, Blennorrhoea conjunctivae, Keratitis xerotica
und die hier ausserordentlich seltene Diphtheritis. Die Häufigkeit dieser
Krankheiten bei Neugeborenen — (leichte Absonderung der Conjunc-
tiva mit Schwellung des unteren Lides kommt in den ersten Lebens-
tagen ungemein oft vor) — erklärt sich zum Theil durch ungewohnten
Lichtreiz, Temperaturwechsel, unreinliche Behandlung u. s. w.
Die eigentlichen Blennorrhoen sind wohl meist auf Uebertragung
ansteckenden Secrets zurückzuführen, nicht immer ist aber Trippergift,
420 Erkrankungen der Conjunctiva.
was sie verschuldet Ich habe den Gonococcus in einer Reihe von
Fällen — selbst bei der Mutter — nicht gefunden. Neuerdings hat
Groenouw unter 40 Fällen ihn 14mal vermisst: ausser Gonokokken
fanden sich oft Staphylokokken, bisweilen Pneumokokken, Bacterium
coli etc. Axenfeld constatirte einmal bei einer schweren Blennorrhoe eines
Neugeborenen mit ausgedehnten Pseudomembranen virulente Diphtherie-
bacillen. Das öftere Fehlen der Gonokokken wurde in letzter Zeit auch
von v. Ammon; Bach; Cramer und Anderen bestätigt. Es ist zweifel-
los, dass auch durch nicht-gonorrhoisches Secret der einfachen Leu-
korrhoe oder des Wochenflusses — ähnlich wie nach Bockhart>
Untersuchungen durch nicht-gonorrhoisches Scheidensecret eine Ure-
thritis — ebenfalls eine Blennorrhoea neonatorum veranlasst werden
kann, zumal bei Neugeborenen eine besondere Neigung der Conjunc-
tiva und Lidhaut zu Hyperämien und Schwellungszuständen vorhanden
ist, die auf histologischen Eigenheiten beruht. Nach Ablauf der acuten
Blennorrhoe schwillt die Schleimhaut allmählich ab: eine chronische
Blennorrhoe mit Auftreten einer länger währenden Papillarhypertrophi-
rung (chronische Blennorrhoe) wird bei Neugeborenen nicht beobachtet.
Die Prophylaxe ist von besonderer Wichtigkeit. Neben dem Aus-
spülen der Scheide leukorrhoischer Frauen mit antiseptischen Lösungen
vor und während der Geburt (Haussmann), empfiehlt sich sofortiges,
sorgfältiges Abwaschen der Lider der Neugeborenen gleich nach der
Geburt, womöglich noch vor dem Wickeln. Crede hatte zuerst in
seiner Gebäranstalt die Prophylaxe in der Weise auf sämmtliche Neu-
geborene ausgedehnt, dass er noch ausser E einigen der Lider einen
Tropfen 2procentiger Höllensteinlösung in den Conjunetivalsack zur
directen Desinfection einträufeln Hess. Allerdings folgt bisweilen eine
gewisse Reizung der Instillation; ja es sind sogar einzelne Fälle be-
kannt geworden, wo schwere Hornhautaffectionen danach eintraten. Ich
kann daher nicht empfehlen, dass den Hebammen vorgeschrieben wird,
allen Neugeborenen die Crede 'sehen Einträufelungen zu machen. Auch
könnten etwa trotz der Einträufelungen entstehende Blennorrhoen (wie
ich solche beobachtet) einfach auf den Reiz der Höllensteinlösung ge-
schoben und dem Arzt nicht zugeführt werden; letzteres geschieht leider
auf Anlass der Hebammen auch ohne dies schon oft genug ! Wohl aber sollte
die Instillation von ihnen ausgeführt werden überall dort, wo die Mutter
an verdächtiger oder reichlicher Leukorrhoe leidet oder die vorher ge-
borenen Kinder an Blennorrhoe erkrankt waren. Anders ist es in Gebär-
aiistalten, in denen die früher so überaus häufigen Ophthalmien nach
Entführung des Crede 'sehen Verfahrens oder ähnlicher Maassnahmen
bisweilen auch auf blosse Reinigung der Augen nach der Geburt) fast
ganz verschwunden sind. Als weniger reizend und mindestens ebenso
Ophthalmia neonatorum. 427
desinficirend, möchte ich die Anwendung der Aqua chlorata vorschlagen.
Auch später muss beim Waschen und Baden der Neugeborenen grösste
Reinlichkeit in Schwämmen und Wasser beobachtet werden.
Die Ophthalmia neonatorum tritt gewöhnlich am 3. — 8. Tage nach
der Geburt auf. Doch sind auch einzelne Fälle beobachtet, wo die
Blennorrhoe intrauterin entstanden war.
Handelt es sich um eine durch Trippergift entstandene Blennor-
rhoe, so ist die Affection meist — aber durchaus nicht immer — eine
schwere, doch entschieden weniger bedenklich als die gleiche Krank-
heit bei Erwachsenen. In einem von mir beobachteten Falle hatte
das neugeborene, von der gonorrhoischen Mutter inficirte Kind eine
massige, ohne Hornhautbetheiligung und ohne ärztliche Behandlung
geheilte Blennorrhoe durchgemacht; die zwölfjährige Schwester, welche
das Kind pflegte, steckte sich an und bekam eine sehr schwere,
zu Cornea-Perforation führende Blennorrhoe: sowohl bei ihr als bei dem
Neugeborenen wurden zahlreiche Gonokokken im Conjunctivalsecret ge-
funden. Andererseits kommen auch ohne Gonokokken-Befund schwerere
Blennorrhoen gelegentlich zur Beobachtung.
Die Behandlung richtet sich natürlich nach dem Grade der
Erkrankung. Bei einfachen Hyperämien und Katarrhen wird man mit
häutiger Reinigung, kalten Umschlägen und adstringirenden Augenwässern
auskommen. Die Blennorrhoe ist wie S. 423 angegeben zu behandeln;
auch hier touchire man anfänglieh mit milderen Adstringentien. (Blei-
lösimg) und gehe erst, wenn die Eiterung stärker und die Schleim-
haut weicher geworden ist, zur 2procentigen Höllensteinlösung oder
bei übermässig starker imd langbestehender Schleimhautwucherung
zum mitigirten Stifte über. Die kalten Umschläge (bei stärkerer Lid-
schwellung mit Eis gekühlt) von 2procentiger Borsäurelösung, lasse man
1 ., Stunde lang mit folgender 1 — 2 stündiger Pause machen; zum Schutze
der empfindlichen Haut der Neugeborenen kann man die Lider mit Süss-
mandelöl bestreichen. Scarificationen und Liderweiterungen vermeide
man wegen des Blutverlustes. Besonders ist auch für gute Pflege und
Ernährung der Kinder zu sorgen. Dass bei letzterer einfach durch
Reinigung der Augen und Vermeidung jeder Hornhautverletzung Fälle
zur Heilung kommen, lässt sich vielfach beobachten (Lamhofer).
Meist sind beide Augen bereits erkrankt, wenn das Kind zur Behandlung
kommt. Ist nur eins erkrankt, so kann man öfters das zweite durch tägliches
Einträirfelnvon 2procentiger Höllensteinlösung von derlnfection freihalten;
ein Sehutzverband lässt sich bei Neugeborenen schlecht machen. In
der Regel heilt bei entsprechender und frühzeitiger Behandlung der
Process, ohne dass die Hornhaut verloren geht. Es können umschriebene
Perforationen eintreten, aber ausgedehntere Leukome und Staphylome,
428 Erkrankungen der Conjunctiva.
die einen so grossen Procentsatz von Erblindungen gerade nach der
Ophthalmia neonatorum liefern, sind fast immer Folge zu später oder
nicht correcter Behandlung. Die bei Erwachsenen empfohlenen Kalt-
scheu Irrigationen halte ich für zu umständlich.
Man muss von der Blennorrhoea neonatorum die Keratomalacie
der kachektischen Neugeborenen trennen. Bei letzterer erweicht und
exfoliirt die Hornhaut und ist rettungslos verloren; da aber die Injection
der trocken aussehenden Conjunctiva ganz gering [ist, ebenso die
Secretion fehlt, so ist die Unterscheidung leicht. Meist gehen diese
Kinder bald zu Grunde. — Der Arzt wird gut thun, bei der Behand-
lung der blennorrhoischen Kinder eine Schutzbrille aufzusetzen, da beim
gewaltsamen Auseinanderziehen der Lider oft das Secret fontaineartig
hervorspritzt.
Conjunctivitis membranacea s. crouposa.
Bei gewissen Blennorrhoen, besonders jüngerer Kinder, bedeckt sich
die Conj. palpebralis mit einer croupösen Membran, die sich grössten-
theils von der unterliegenden Schleimhaut leicht abziehen lässt. Von
der eigentlichen Diphtheritis conjunctivae unterscheidet sich die Affection
meist durch die grössere Dünnheit der Häute und dadurch, dass letz-
tere sich eben abziehen lassen, was bei der Diphtheritis wenigstens in
dieser Ausdehnung nicht der Fall ist, da die Einlagerung in das Schleim-
hautgewebe selbst stattfindet. Dennoch sind auch bei ihr die Löff ler'-
schen Diphtheriebacillen gefunden worden (Uhthoff-Fränkel). Ich
habe sie ebenfalls in einzelnen Fällen constatirt, in anderen fehlten sie;
einmal waren Staphylokokken in voller Reincultur vorhanden: auch
Streptokokken kommen vor.
Die Membranbildung tritt öfters bei scrophulösen Kindern auf: sie
kann sich zu dem seeundären Schwellungskatarrh einer Ophthalmia
phlyctaenulosa oder zu Lidausschlägen gesellen. Die Prognose ist im
Ganzen günstig, indem die Cornea verhältnissmässig selten ergriffen
wird. Die Behandlung besteht in einem Abziehen der Membranen,
die sich bisweilen sogar über die Conj. sclerae fortsetzen, und Tou-
chiren der blossgelegten Schleimhaut mit Adstringentien (Tannin, Blei
oder Arg. nitric). Daneben kalte Umschläge mit schwachen Borsäure-
lösungen.
II. Sehwellungskatarrh (epidemischer Katarrh).
Der Sehwellungskatarrh tritt in der Form des acuten Conjunetival-
katarrhs auf, unterscheidet sich aber von diesem dadurch, dass er eine
erheblichere Schwellung, Infiltration und Hyperämie der Uebergangs-
Ophthalmia exanthematosa. 429
falte zeigt. Auch ist die Absonderung eines schleimig-eitrigen Secrets
reichlicher. Der SchweUungskatarrh bildet gewissermaassen ein Zwischen-
glied zwischen der Conj. simples und der Blennorrhoe. Die Affection
zeigt sich primär bisweilen in kleineren Epidemien, so in Schulen; ihr
Secret ist ansteckend. Da bei jugendlichen Individuen öfters Follikel-
bildung hinzutritt, so werden irrthümlicher Weise diese Schulepidemien
hier und da als traehomatöse (ägyptische Augenkrankheit) bezeichnet.
Secundär gesellt sich der SchweUungskatarrh besonders gern zu scro-
phulösen Augenleiden, z. B. Phlyktänen oder eitrigen Hornhautinfil-
trationen, so dass ihn Klein auch als „Blennorrhoea scrophulosa" be-
schrieben hat. Der Verlauf ist der des acuten Katarrhs, doch meist
viel langwieriger. Die Therapie nmss beim primären SchweUungskatarrh
anfangs ableitend imd antiphlogistisch sein. Abführmittel, kalte Um-
schläge mit Wasser oder schwacher Borsäurelösung mehrmals täglich
1 2 bis 1 Stunde lang. Aqua chlori kann schon früh mit Vortheil ein-
geträufelt werden; nicht selten leistet auch die Einpinselung von Tannin-
lösung vorzügliche Dienste. Sind die heftigsten Zufälle geschwunden,
so wird der Schwellungskatarrh wie die Conj. catarrhalis adstringirend
behandelt, am besten durch directes Touchiren der Uebergangs-
falten. Dieses ist auch bei secundär auftretendem Schwellungskatarrh
angezeigt.
Ophthalmia exanthematosa.
Masern, Scharlach, Gesichtsrose und Blattern sind in ihrer Aus-
bruchs- und Blütheperiode meist mit Affectionen der Conjunctiva ver-
knüpft, die sich als reine Hyperämie oder Katarrh darstellen. Nur in
seltenen Fällen, wenn die Exantheme gerade auf den Lidern ihren Sitz
haben, steigert sich die Entzündung zu Schwellungskatarrhen. Beson-
ders bei scrophulöser Anlage findet dies häufiger statt, gleichzeitig mit cir-
cimiscripter Hornhautinfiltration. Charakteristisch selbst bei den leich-
testen Formen ist eine bedeutende Lichtscheu. - — Treten hingegen der-
artige Augenentzündungen im Desquamationsstadium ein, so sind sie
erheblich gefährlicher und geben zu ausgeprägten Schwellungskatarrhen,
selbst zu leichten Blennorrhoen und Cornealaffectionen Veranlassung.
So finden sich besonders bei der Variola blatterpustelähnliche Eiterab-
seesse und -Infiltrationen in der Hornhaut, die nicht selten zur Perfo-
ration fahren. Aber selbst nach Masern und Scharlach kann man im
Nachstadium schwere eitrige Hornhautprocesse gleichzeitig mit Conjunc-
tivalaffectionen auftreten sehen. Auch stammt nicht selten von der Zeit
der Ausschlagskrankheiten her eine Neigung zu reeidivirenden Augen-
affectionen beispielsweise zur Conj. phlyctaenulosa.
430 Erkrankungen der Conjunctiva.
Bei den einfachen Hyperämien und Katarrhen genügt es meist,
wenn man durch massiges Verdunkeln des Zimmers das Auge gegen
besonders grelles Licht schützt. Es ist aber nützlich;, so viel Licht zu
lassen, dass die Kinder durch Beschäftigen mit grösserem Spielzeug
zum Oeflhen der Augen veranlasst werden. Die Augen sind öfters mit
lauem Wasser zu waschen. Nur bei stärkerer Conjunctivitis und Ab-
sonderung wende man 2 bis 3 mal täglich kühle Wasserumschläge an-
wobei man die empfindliche Haut durch auf die Lider aufgelegte, mit
Süssmandelöl angefeuchtete Leinwandläppchen schützt. Im Uebrigen
werden Adstringentien je nach Form und Schwere der Krankheit in An-
wendung zu ziehen sein.
III. Trachoma. Conjunctivitis granulosa.
Das Trachom kann mit starker "Entzündung der Conjunctiva
(acutes Trachom; acute Granulationen) oder in mehr chronischer Form
ohne besondere entzündliche Erscheinungen auftreten. Nicht selten ist
es; dass zum chronischen Trachom sich von Zeit zu Zeit eine acute
Conjunctivalentzündung, selbst Phlyktänenbildung gesellt.
1) Acutes Trachom. Die Körnerbildung tritt hier unter dem
Bilde eines intensiven Bindehautkatarrhs auf. Die Conjunctiva ist stark
geröthet, ihre Schwellung anfangs aber nur massig. Dazu gesellt sich
eine vermehrte Thränenabsonderung, welcher nur sparsam und selten
ein Schleimflöckchen beigemischt ist.
In der Regel besteht — zum Unterschiede gegen den einfachen
Katarrh — pericorneale Injection. Diese kann jedoch bald schwinden
und ist nie so ausgedehnt und gesättigt, wie bei Erkrankungen der
Cornea, Iris u. s. w. Die Trachomfollikel selbst haben ihren Sitz an-
fänglich auf der Lidbindehaut, besonders in der Nähe der Uebergangs-
falte und des äusseren Augenwinkels. Sie erscheinen als Stecknadel-
kopf- bis hirsekorngrosse, weissliehgelbe, etwas durchscheinende Her-
vorragungen. Vorzugsweise auf der gerötheten Tarsalschleimhaut des
oberen Lides kommen daneben noch kleine, stecknadelkopfgrosse, in-
tensiv graue oder gelblich gefärbte Flecke vor, die im Niveau liegen
oder es nur wenig überragen (crude Granulationen). Nach einigen
Tagen vergrössern sich die Körner und werden undurchsichtiger. Auch
die Uebergangsfalterj sind jetzt stärker befallen. Bald gesellt sich auch
eine massige Schwellung der Conjunetivalfalten und Papillen hinzu.
Nach 8 bis 10 Tagen sind durch die Röthung und Schwellung der
Schleimhaut und der Papillen die Granulationen meist dem Anblick
einigermaassen entzogen, indem ihre gelblich-weisse Farbe und ihre halb-
kugel- oder eiförmige Gestalt nicht mehr so deutlich hindurchscheinen.
Trachoma. 431
Es kann jetzt die Affection ähnliche Erscbeinnngen bieten, wie die der
secundären Blennorrhoe. Doch lässt die rundliche Form der Erhaben-
heiten immer nocb das ursprüngliche Leiden erkennen, zumal sieb auch.
hier und da immer nocb durchscheinende Trachomfollikel rinden. Die
subjeetiven Beschwerden sind die eines acuten Katarrhs.
So kann der Zustand AVocben lang besteben, bis endlicb die Schleim-
haut nach Resorption der Körner zur Norm zurückkehrt. In anderen
Fällen wird die Schleimhaut- und Papillenschwellung chronisch oder
sie schwindet und lässt nunmehr die Trachomfollikel als gröbere, sago-
ähnliche Körner zurück.
Die Hornhaut wird bei den acuten Affectionen nur wenig gefährdet;
kleine randständige Geschwüre oder Abscesse, in seltenen Fällen eine
mit Gefässen durchzogene Trübung (Pannus) können seeundär auf-
treten.
2) Chronisches Trachom. Die chronischen Granulationen bleiben
entweder nach Ablauf eines acuten Granulationsprocesses zurück oder
sie zeigen sich gleich von Anfang an ohne besonders ausgeprägte ent-
zündliche Erscheinungen als etwa hirsekorngrosse, graugelbliche, wenig
durchscheinende, mehr oder weniger hervorragende Körnchen in der
Conjunctiva. Ihr Hauptsitz ist das in derUebergangsfalte oder ihrer Nähe
gelegene Gebiet der Conj. palpebralis; besonders gern nehmen sie die
Gegend des äusseren Augenwinkels ein, doch sind sie im ganzen Con-
junctivalsack verbreitet. Stets wird auch das obere Lid befallen. Selbst
auf der Conjunctiva bulbi können echte Trachomfollikel auftreten.
Die diagnostischen Unterschiede zwischen dem Trachom und der
Conj. folliculosa sollen bei der Besprechung der letzteren Affection an-
gegeben werden.
Die chronischen Granulationen können ohne erhebliche Röthung der
Schleimhaut vorkommen oder mit ausgesprochener Hyperämie; aber auch
in ersterem Falle sieht man Gewebsveränderungen in Infiltration oder
Narbenbildung bestehend. Meist ist die Gefässinjection vermehrt, die
Schleimhaut zeigt mehr oder weniger ausgeprägte Papillenschwellung.
Es können die Papillen nur so gering hervortreten, dass sie der Schleim-
haut das Aussehen geschorenen Sammts geben, indem sie etwa steck-
nadelspitzgross sind, oder sie wuchern stärker, selbst zu kleinen Wärz-
chen sich erhebend. Man muss nicht selten genau zusehen, um bei den
stark ins Auge springenden, pallisadenartigen, röthlichen Hypertrophien
der Papillen die kleinen gelblichen Granulationskörner nicht zu über-
sehen. Stellwag beschreibt diese Form als „gemischtes Trachom",
während er die reine Granulations- (Trachom-) Bildung als „reines,
körniges Trachom" abhandelt. Sein sogenanntes „rein papilläres Tra-
chom" wird besser als chronische Blennorrhoe aufgefasst, da eben die
\l\-j Erkrankungen der Conjunctiva.
Papillen das Substrat des Krankheitsprocesses bilden ; aber auch sie ist
oft Folge von Trachom.
In späteren Stadien, meist wenn schon Narbenbildung eingetreten
ist. kommt auch ein mehr diffuses Zusammenschmelzen der Granulationen
vor: die Schleimhaut, besonders am orbitalen Rande der Tarsalbinde-
haut, ist alsdann mit einer grauen, undurchsichtigen, nicht mehr in ein-
zelne Körner zerlegbaren Masse infiltrirt (sulziges Trachom).
Auch die Conjunctiva bulbi injicirt sich gelegentlich. Eine gewisse
Neigung zu Congestivzuständen fehlt überhaupt selten: sie tritt bei jedem
kleinen Reize, beim Erwachen aus dem Schlafe, selbst bei Gemüths-
affecten hervor. Dennoch kommen häufig Fälle vor, wo schon lange
chronische Granulationen bestehen, ohne dass die Patienten es wissen, da
sie auf die geringen subjeetiven und äusserlich wenig sichtbaren objeetiven
Symptome kein Gewicht gelegt haben. Das Secret bei den chronischen
Granulationen ist äusserst verschieden. • Bei einfachen und wenig zahl-
reichen Einlagerungen kann eine Absonderung fast ganz fehlen, oder es
zeigt sich nur ein vermehrter Thränenfluss, meist untermischt mit kleinen
Flocken trüben Schleimes. Je mehr jedoch die Papillen sich seeundär
an dem Process betheiligen, um so reichlicher und eiterähnlicher wird
die Secretion. In der Regel werden beide Augen befallen; doch habe
ich Fälle gesehen, bei denen trotz jahrelangen Bestehens der Er-
krankung ein Auge frei geblieben war.
Die subjeetiven Beschwerden sind, wie erwähnt, oft unbedeutend.
Wegen der vermehrten Reizbarkeit der Augen können die Patienten
den Aufenthalt im Tabaksrauch, starken Wind, Staub u. s. w. nicht gut
vertragen. Bei grellem Licht, besonders künstlicher Beleuchtung ver-
liert das Auge seine Ausdauer.
Verlauf. Die chronischen Granulationen bestehen Monate und
Jahre lang. Meist bildet sich dabei eine leichte Ptosis heraus. Die ver-
mehrte Schwere des Lides, Narben Verbindungen zwischen Lid- undBulbus-
Schleimhaut, schliesslich auch die Gewohnheit bei langdauernden Augen-
entzündungen durch Zukneifen dem Lichtreiz zu entgehen, spielt hier-
bei eine Rolle. Die spontane Heilung des Trachoms ist selten. Bei
ausdauernder und zweckentsprechender Behandlung kann aber ein voll-
ständiges Schwinden derselben erreicht werden, so dass nach Jahren
kaum eine Spur der früheren Krankheit zu erkennen ist. Nur bleibt
meist eine eigentümliche, diffuse, etwas bläulich weisse Färbung
der sonst intact aussehenden Schleimhaut, vorzugsweise am unteren
Lide, übrig, welche den Geübten auf die Diagnose des früheren Lei-
dens führt.
In vernachlässigten Fällen kommt es zu ausgedehnten Bindehaut-
schrumpfungen. Die Narben liegen als sehnige, milchfarbene Streifen
Trachom. 433
oder Flecke in der Con j. palpebralis, besonders in der des oberen Lides.
Ebenso wird auch der Uebergangsthei] von senkrecht verlaufenden
NarbenfaltcheD durchzogen; öfters liegen zwischen den Narben noch ver-
einzelte Granulationen oder Papillarwueherungen (Narbentrachom).
Ist die Schrumpfung sehr ausgedehnt, so kann die ganze Uebergangsfalte
verloren gehen, indem die Conjunctiva palpebralis direct in die Conj. bulbi
übersetzt (Symblepharon posterius). Ein noch höherer Grad des Leidens
zieht auch die Scleralbindehaut mit in den Process und bringt sie zum
Schwunde. Die Bindehaut des Lidrandes erscheint dann mit dem Corneal-
rande verbunden (Symblepharon anterius). Die Lider können nicht
mehr geschlossen werden, es entsteht Lagophthalmus. Durch derartige
Veränderungen der Schleimhaut wird natürlich auch die Befeuchtung
des Auges gemindert: es kommt zu einer Austrocknung der Theile. Das
Epithel wird, wo es noch vorhanden, nicht mehr von der unzureichenden
Flüssigkeit abgelöst und fortgeschwemmt und erscheint rauh und trocken
(Xerophthalmus). — Ebenso führen die Narben und Schrumpfprocesse
in der Conjunctiva zu Veränderungen in der Stellung der Augen-
wimpern (Trichiasis und Distichiasis). Nicht selten entsteht Entropium,
besonders des oberen Lides. Das schon äusserlich sichtbare mulden-
artige Aussehen des Lides deutet auf Schrumpfung der Schleimhaut und
Verkrümmung des Knorpels. Auch Verengerung der Lidspalte (Blepharo-
phimosis) ist häufig. Im Gegensatz zum Entropium kann, bei einer
gleichzeitigen Mitbetheiligung des Lidknorpels am Entzündungsprocess
durch Erweichung und Formveränderung und durch Hypertrophirung
der Schleimhaut, wenn auch seltener, das Lid nach auswärts gewendet
werden. Es ist hiermit, besonders beim unteren Lide, zugleich ein
Abstehen des Thränenpunktes gesetzt. In Folge dessen können die
Thronen nicht in normaler Weise in die Nase geleitet werden und laufen
über die Wangen (Epiphora).
Die Cornea wird in verschiedener Art befallen: durch kleine Epi-
thelialverluste, Geschwüre, Infiltrate; vor Allem aber durch Pannus.
Der Pannus, meist in der oberen Hälfte der Cornea sitzend, entsteht
primär entweder in Gestalt kleiner umschriebener Hornhautinfiltrate
oder als eine den ganzen oberen Hornhautsaum einnehmende, graue
Infiltration, in die sich die Randgefässschlingen erstrecken, secundär
durch mechanisches Reiben der Lidgranulationen und der schief stehenden
Wimpern, wodurch kleine Substanzverluste und Infiltrate veranlasst
werden. Er ist bei einiger Intensität nur langsam rückgängig zu
machen; selbst wenn dies geglückt, bleibt Neigung zu Recidiven. Doch
kann man mit Ausdauer oft überraschende Erfolge für das Sehvermögen
erzielen. Nur die sehr tief liegenden intensiven Trübungen sind einer
genügenden Klärung unzugängig. Ebenso störend für das Sehen wirkt
8 Iimidt-Rimpler. T.Auflage. 28
434 Erkrankungen der Conjunctiva.
die öfters vorhandene unregelmässige Krümmung (Kerektasie u. s. w.)
der Cornea.
Aetiologie. Das Trachom (Körnerkrankheit entsteht durch directe)
Uebertragung von infectiösern Secret einer trachomatösen Erkrankung.
Je mehr durch Zusammenwohnen vieler Menschen (so in Kasernen,
Waisenhäusern, Pfleganstalten u. s. w.); durch Unreinlichkeit (Benutzung
desselben Waschzeuges, der Handtücher) oder gegenseitige Berührung
(z. B. beim Zusammenschlafen, wie es noch in manchen Gegenden Sitte
ist; in hessischen Dörfern schläft oft die ganze Familie in einem ein-
zigen Bett) die Uebertragung begünstigt wird, um so häufiger tritt die
Krankheit auf. Es kann so zu grösseren Epi- oder Endemien kommen.
Am stärksten verbreitet ist die Krankheit in Aegypten („ägyptische Augen-
entzündung") und Arabien, in Europa besonders im Osten. In den
Provinzen Ost- und Westpreussen hat die Krankheit eine solche Aus-
breitung gefunden, dass in den letzten Jahren von Seiten des Staats
in energischer Weise eingeschritten werden musste (cf. die Veröffent-
lichungen von Greeff, Hirschberg, Hoppe, Kirchner, Kuhnt).
Ebenso findet sie sich auch häufig in Ungarn, Holland, Belgien, Hessen.
Gebirgsländer wie die Schweiz sind fast ganz frei; es erscheint mir aber
fraglich, ob gerade die Höhenlage, wie Chibret will, hierbei eine aus-
schlaggebende Rolle spielt: Zusammenstellungen aus der Provinz Hessen
haben mir gezeigt, dass dort wenigstens der Höhenlage der Ortschaften
keine besondere Bedeutung zuzuschreiben ist. In den bessern Ständen
kommt das Leiden sehr selten vor, — weil eben die Gefahr einer In-
fection ferner liegt. Auch bei Kindern in den ersten beiden Lebens-
jahren ist Trachom selten. Ob auch ohne directe Uebertragung die
granuläre Ophthalmie entstehen kann, ist zweifelhaft, doch scheinen
mir einzelne Fälle, bei denen eine solche vollkommen ausgeschlossen
war, sowie andere, bei denen man nach längerem Bestehen chronischer
Conjunctivalprocesse gelegentlich eine Granulationsentwickelung beob-
achtete, dafür zu sprechen.
Die Prognose ist um so günstiger, je früher eine correcte Be-
handlung eingeleitet wird. Ist der Process noch nicht zu weit vor-
geschritten, fehlen also noch ausgeprägte narbige Veränderungen oder
tiefere Hornhautaffectionen, so kann durch die Therapie, welche aber
lange und sorgfältig, oft durch Jahre fortzusetzen ist, Heilung erzielt
werden. Nicht allzu selten setzt aber auch der allgemeine Körperzustand
derselben Hindernisse; besonders schwere und hartnäckige Erkrankungen
findet man bei Scrophulösen.
Therapie. Im Beginne der acuten Granulationen mache
man kalte Umschlüge mit schwacher Blei- oder Borsäurelösung. Gegen
stärken' Lidschwelhmg ist das Bestreichen der äusseren Lidhaut mit
Trachom.
435
Bleiessig oder Höllensteinlösung mit Vortheil anzuwenden. Dabei em-
pfehle man dem Kranken absolute Schonung des Auges und Schutz
gegen helles Licht. Sobald die Papillarwucherung zunimmt, bildet
man durch Einträufelung von Aq. chlorata den Uebergang zu stärkeren
Adstringentien. Es bedarf hierbei einer gewissen Umsicht, da man
einen bestimmten Entzündungs- und Schwellungsgrad der Conjunctiva
bestehen lassen muss, um die Granulationen zur Kesorption zu bringen
und ihr Chronischwerden zu vermeiden. Es würden sich demnach, wie
der Reizungszustand es erfordert, Inclicationen finden für den Gebrauch
der schwachen Adstringentien (Tannin, Alaun, Zinc. sul-
fur., Plumb. aeetic.) bis zur Höllensteinlösung. Letztere ^
ist jedoch nur bei ausgesprochener secundärer Blennor-
rhoe anzuwenden. Auch eine lprocentige Creolinlösung
kann gelegentlich von Nutzen sein.
Die Coriiealaffectionen und Iris-Hyperämien sind mit
Atropin zu behandeln; in hartnäckigeren Fällen ist nach
den später bei den Hornhautkrankheiten zu gebenden
Regeln vorzugehen.
Ist das Trachom in das chronische Stadium ge-
kommen, oder handelt es sich überhaupt um ein solches,
das ohne entzündliches Stadium entstanden ist, so wird
man die Trachomkörner mechanisch zu entfernen suchen.
Als bestes und bequemstes Mittel erscheint mir das
unter localer Anästhesirung (Cocain, Holocain) vorzu-
nehmende Ausquetschen derselben. Man bedient sich
hierzu der Knapp 'sehen Rollpincette, welche die tracho-
matöse Conjunctivalfalte zwischen sich fasst. Sie be-
steht aus zwei kleinen horizontalen, gerieften, gegen ein-
ander reibenden und sich drehenden Cylindern an Pincetten-Branchen (a).
Um auch eine Branche auf die Lidhaut setzen zu können, habe ich einen
Arm der Pincette in eine glatte Platte auslaufen lassen, so dass nur auf die
Conjunctiva die Rolle wirkt. Kuhnt bedient sich an Stelle der Roll-
pincette eines pincettenähnlichen Instrumentes (Expressor), das in zwei
durchlöcherten Platten ausläuft. Bei der Rollpincette darf man die
zwischen den Rollen gefasste Schleimhaut nicht zu sehr anziehen, um
sie nicht einzureissen. Man quetscht nicht nur die Trachomfollikel mit
ihr aus, sondern wirkt auch auf die zwischen ihnen liegenden Lymph-
zellen-Einlagerungen zerstörend; wie mir mikroskopische Präparate
zeigten, werden dieselben in ihrer Gestalt verändert und in das an-
hegende Bindegewebe eingepresst. Die Operation ist nicht übermässig
schmerzhaft und kann nöthigenfalls in verschiedenen Sitzungen vorge-
nommen und wiederholt werden. Nach dem Ausquetschen spült man
28*
146.
Knapp 's Roll-
pincette.
436 Erkrankungen der Conjunctiva.
die Schleimhaut mit Sublimatlösung (1:5000) ab und lässt kalte Um-
schläge machen.
Die Zerstörung" der Trachomkörner ist auch in anderer Weise ver-
sucht worden. So durch Cauterisiren mit dem Galvanocauter (Korn),
durch Anstechen und Auskratzen mit einem scharfen Löffel (Sattler)
und durch die Excision der befallenen Schleimhautpartien. Während
man früher nur einzelne Granulationen ausschnitt (Pilz), hat man
neuerdings die ganze Uebergangsfalte (Galezowski) oder wenigstens
grosse Stücke der mit Granulationen durchsetzten Schleimhaut und des
darunter liegenden erkrankten Tarsus (vom oberen Lide bis zu einer
Länge von 1 '/2 cm uncl Breite von 1 cm) in einer Sitzung excidirt
(Heisrath aus Jacobson 's Klinik). Wenn die Wunde nicht zu gross
ist, bedarf es keiner Naht. Sonst lege man die Nähte nur an den
Enden der Wunde an und lasse die Mitte frei, um nicht die Hornhaut
zu reizen; nach der Operation werden beide Augen durch einen Druck-
verband geschlossen und mehrere Tage unter demselben gehalten. Die
Excision ist öfters von Nutzen, doch hüte man sich, zu grosse Partien der
Schleimhaut zu entfernen.
Ausser diesen operativen Mitteln erfordert die Schleimhaut noch
eine weitere medicamentöse Behandlung. Meist wird es sich um ad-
stringirende Mittel handeln (Zinc. sulfuricum, Tannin). Ist die Papillar-
wucherung und die Absonderung stärker, so sind energischere Mittel
anzuwenden: directes Touchiren der ektropionirten Lidschleimhaut
mit 2procentiger Lösung von Plumb. acetic. mit folgendem Wasser-
nachspülen oder mit lprocentiger Höllensteinlösung mit nachfolgender
Neutralisation; auch das Bestreichen mit stärkerer Sublimatlösung (1:500)
oder dem glatten Alaunstift bringt Nutzen.
Der Blaustift (Cuprum sulfuricum) ist nur indicirt als Heilmittel
bei starken, trockenen Papillarwucherungen ohne erhebliche Secretion
und ferner bei den Trachomformen, wo die Körner in einer ziemlich
blassen Schleimhaut eingelagert sind: auf letztere wirkt er reizend und
hyperämisirend, damit die Trachomkörner leichter resorbirt werden;
man wende ihn daher hier nur von Zeit zu Zeit an. Ich finde im All-
gemeinen, dass der Blaustift viel zu häufig benutzt wird; bei falscher
Indication entstehen leicht übermässige Reizungen und Narben. Die
Lösungen oder Salben von Cupr. sulfuricum, die adstringirend wirken,
lassen sich durch weniger schmerzerregende Mittel ersetzen. An Stelle
des Kupferstiftes kann man übrigens für die gleichen Indicationen auch
den milderen Cuprargolstift benutzen. Finden sich Narben zwischen
den Papillarhypertrophirungen, so sind natürlich nur die der letzteren
mit dem Topicum zu bestreichen. Uebrigens thut man gut, von Zeit zu
Zeit mit den Mitteln zu wechseln.
Trachom. 437
Als specifisches Mittel ist auch das starke Abreiben der granulösen
Schleimhaut mit einer Sublimat-Lösung (1:2000) empfohlen worden
(Keining, v. Hippel). Ich habe den Eindruck, dass das Verfahren
nur durch den mechanischen Reiz beziehentlich das Zerquetschen der
Körner wirkt, da man ohne sehr kräftiges Abreiben --es bildet sich
danach ein weisslieher Belag auf der Schleimhaut — keine, andere
Topica übertreffende Wirkung erzielt.
Die Complication der Granulationen mit Pannus erfordert kein Ab-
weichen von der sonstigen Behandlungsweise-, mit dem Schwinden der
Granulationen geht auch er meist zurück. Andernfalls wird er noch
besonders in Angriff zu nehmen sein (vgl. Keratitis pannosa).
Vorzugsweise durch Weck er 's Empfehlung- ist ein in Brasilien bereits lange
übliches Yolksmittel gegen die Granulationen, Jequirity, hier und da in Aufnahme
gekommen. Man benutzt eine 2 bis Sprocentige Maceration der enthülsten und
gepulverten Körner von Abrus precatorius, die man sich am besten selbst durch
dreistündiges Ausziehen mit kaltem Wasser frisch bereitet. Bepinselt man aus-
fiel dg und mehrmals innerhalb einer Viertelstunde mit einer solchen Lösung die
ektropionirte granulirte Schleimhaut, so beginnt meist nach einigen Stunden eine
charakteristische Conjunctivalentzündung. Die Lidhaut schwillt an und wird prall,
geröthet und enorm hart, die Conjunctiva zeigt schon am nächsten Tage einen
croupösen Belag, wässeriges molkiges Secret fliesst reichlich aus dem Auge. Hef-
tigere Schmerzen und Schlaflosigkeit treten bei stärkeren Entzündungen auf. Die
Heizperiode mit Neubildung croupösen Belags und unter Absonderung einer
schleimig-eitrigen Secretion dauert mehrere Tage; dann tritt allmählicher Rück-
gang ein. Oft schwillt die Lid- und Wangenhaut an; selbst Gangrän derselben
ist beobachtet worden (Vossius). Aber nicht immer genügt eine einmalige Be-
pinselung. — man muss sie alsdann am nächsten Tage wiederholen oder auch
zehn Minuten lang Umschläge mit der Lösung machen lassen. Manche Augen
zeigen überhaupt wenig Neigung zu heftigerer Reaction; besonders bei Narben-
trachom fehlen öfters die acuten Erscheinungen.
Die Ursache der Wirkung des Jequirity-Infuses wurde anfänglich von S attler
in den zahlreichen Bacillen gesucht, welche man nach einigem Stehen in ihm
ündet. Doch haben die Versuche von v. Hippel, der trotz allen Fehlens der
Spaltpilze an carbolisirten Lösungen; dieselbe Ophthalmie hervorrief, und weitere
Untersuchungen fNeisser, Salomonson) die Unhaltbarkeit dieser Anschauung
erwiesen. Das Secret selbst ist nicht ansteckend, demnach auch keine Ueber-
tragung auf das andere Auge zu befürchten. Da bisweilen die Hornhaut ange-
griffen wüd, so unterlägst man bei intacter Hornhaut am besten die Einimpfung
der Jequirity-Ophthalinie, zumal ihre gute Wirkung vorzugsweise bei Pannus her-
vortritt. Bei seeundärer Papillarwuclierung und Blennorrhoeschwellung ist die Ein-
impfung überhaupt contraindicirt. In der Regel zeigt sich der Erfolg aber erst nach
wiederholten Anwendungen, so dass es mir fraglich geblieben ist, ob nicht die sonst
üblichen Behandlungsmethoden Gleiches in derselben Zeit geleistet haben würden.
Jedenfalls ist die Jequirity-Ophthalmie der zur Heilung des Pannus empfohle-
nen Einimpfung von Trippersecret vorzuziehen. Der Eintluss auf Rückbildung
der Granulationen selbst ist gering.
Trichiasis; Blepharophimosis, Ectropium oder Entropium bedingen
meist operative Eingriffe.
438 Erkrankungen der Conjunctiva.
Ophthalmia militaris (Aegyptica)-
Es sind unter diesem Namen verschiedenartige, epidemisch unter dem Militär
auftretende Augenkrankheiten zusammengefasst worden. Die erste derartige Epi-
demie wurde l>ei der französischen Armee in Aegypten (1788) von Larrey ge-
nauer beschrieben. Später wütheten Epidemien in der französischen Armee in
Italien und in den englischen Heeren, 1813 in der preussischen Armee, noch in
neuerer Zeit in der belgischen. Dieselben wurden in ihrer Verbreitung begünstigt
durch Strapazen, enges Zusammensein, mangelnde Bekleidung u. s. w. So wurden
Officiere, Aerzte und Chargirte viel seltener befallen. Die sogenannte Ophthalmia
militaris umfasst einfache Katarrhe, epidemische Katarrhe, Trachom, Blennor-
rhoen, vielleicht auch Diphtheritis : es spricht hierfür die Angabe Jüngken's, dass
nicht selten Augen in 24 Stunden verloren gegangen sind. Jetzt bezeichnet man
als „ägyptische Augenkrankheit" gewöhnlich das Trachom.
IV. Affectio folliculosa conjunctivae. Conjunctivitis folliculosa.
Die einfachen Follikel zeigen sich als weissliche, blassrothe oder Mass-
gebliche, halbkugelige oder ovale; meist durchscheinende oder bläschen-
förmige Körnchen, die das Niveau der Conjunctiva überragen; sie
sitzen häufig in den äusseren Augenwinkeln und sind in der Regel nur
sparsam vorhanden; sind sie zahlreicher, so zeigen sie eine perlschnur-
artige Anordnung. Das obere Lid ist in der Regel normal. Man be-
zeichnet diese Affection am besten als Affectio folliculosa conjunctivae
oder einfach als Follikelbilclung. Gesellt sich hierzu eine mehr oder
weniger stark ausgeprägte Conjunctivitis, so passt der Name Conjunc-
tivae folliculosa. Besonders häufig sieht man sie — ohne erhebliche
Conjunctivitis — bei Schulkindern oder bei anämischen Individuen.
Die einfachen Follikel sind oft recht hartnäckig, doch bergen sie
keine Gefahr für das Auge und sind nicht wie die Trachomfollikel von
Narben gefolgt. Tritt die Follikelbildung acut mit einer Conjunctivitis
auf, so erfolgt auch meist schnellere Heilung.
Es wird jetzt fast von allen Ophthalmologen die Conj. folliculosa
(Bläschenkatarrh) vom Trachom (Körnerkrankheit) unterschieden. Nur
noch Wenige stehen auf dem unitarischen Standpunkt und betrachten
beide Affectionen als eine einzige Krankheit, aber auch diese trennen
dieselbe klinisch in eine leichtere (Conj. folliculosa) und in eine schwerere
Form (Trachom).
Die Aetiologie ist in manchen Fällen durch Aufenthalt in engen,
schlecht ventilirten Räumen gegeben; in anderen scheint die Constitu-
tion, besonders Anämie und Scrophulosc, und ebenso Ueberanstrengung
der Augen von Einfluss. Auch nach länger fortgesetzten Atropinein-
träufelungen treten zahlreiche Follikel bei einzelnen Individuen auf;
ebenso habe ich sie nach Eserininstillationen gesehen.
Conjunctivitis folliculosa. 439
Folgende Momente, welche zur differentiellen Diagnose
gegenüber dem Trachom dienen, sind besonders zu beachten. Die
einfachen Follikel treten nicht so zahlreich wie die Trachomfollikel auf;
sie reichen fast nie bis zum vorderen Theile der Tarsalschleimhaut.
Am oberen Lide fehlen sie in der Regel ganz; jedoch sieht man ge-
legentlich ein paar kleine Follikel am orbitalen Rande der Tarsal-
schleimhaut oder in dem äusseren Winkel. Das Vorhandensein ein-
zelner Follikel am oberen Lide spricht also nicht absolut gegen die
1 Diagnose Conj. folliculosa. Eher kann man ihr Fehlen als gegen das
Vorhandensein von Trachom argumentirend ansehen.
Die einfachen Follikel zeigen ein mehr durchscheinendes bläschen-
artiges Aussehen und haben etwa die Grösse eines Stecknadelkopfes,
sind scharf abgegrenzt und ragen — im Verhältniss zu ihrer Grösse —
stärker hervor als die Trachomkörner, welche durchschnittlich undurch-
sichtiger und mehr gelblich, auch gewöhnlich im Horizontaldurch-
messer grösser sind und stets auch das obere Lid befallen. Immer
fehlt bei der Conj. folliculosa ein stärkeres Ergriffensein
des conjunctivalen Bindegewebes. Die Conjunctiva behält selbst
bei lange bestehender Follikeleinlagerung ihr durchsichtiges, glattes
Aussehen, während bei Granulationen bald Trübung7 Verdickung,
gleichmässig rothe Injection, Unebenheiten und grössere Hervor-
ragmigen auftreten; selbst bei torpiden Granulationen ohne stärkere
Gefassentwicklung nimmt die Schleimhaut ein eigenthümlich trübes,
bisweilen wachsähnliches Aussehen an. Sobald Narbenbildung sicht-
bar, kann überhaupt nicht mehr an eine Conj. folliculosa gedacht
werden (fortgesetztes Touchiren mit dem Kupferstift kann allerdings
auch bei einfacher Conj. folliculosa in der Schleimhaut eine leichte
narbige Verfärbung herbeiftihren). —
In der AEehrzahl der Fälle ist mit Sicherheit die Diagnose zwischen
Conj. folliculosa und Granulationen zu stellen*. Trotzdem wird dieselbe
noch oft verfehlt: manche sogenannte Trachomepidemie in einem
Truppentheil oder einer Schule verschwand einfach dadurch, dass ein
* Leider stehen die im Jahre 1897 für das deutsche Heer erlassenen „Direc-
tiven zur Untersuchung und Beurtheilung augenkranker Militärpersonen" noch
auf dem unitarischen Standpunkt. Doch unterscheiden sie eine schwere und
eine leichtere Form der Trachomerkrankung; unter letzterer sind diejenigen
-granulösen 'folliculäre) Bindehautkatarrhe (Augen-Gr. I) zu verstehen, bei welchen
vorwiegend oder ausschliesslich die untere Uebergangsfalte und die Bindehaut
des unteren Lides Neubildung auf gesunder oder höchstens massig gerötheter,
aufgelockerter und absondernder Bindehaut zeigt, während das obere Lid gesunde
oder nur leicht katarrhalische Bindehaut aufweist". Becruten, die diese Form
haben, können eingestellt werden.
440 Erkrankungen der Conjunctiva.
anderer Arzt sie als Conj. folliculosa erkannte. Bei einer epidemischen,
schnell sich ausbreitenden acuten Conjunctival-Erkrankung in den
Schulen handelt es sich nie um Trachom; natürlich werden sich aber in
Orten, wo Trachom endemisch ist, unter den erkrankten Schillern
auch Trachomatöse linden. — Leider werden noch allzu oft Eltern, deren
Kinder ein paar Follikel in der Schleimhaut des unteren Lides haben,
onnöthigerweise mit dem Schreckbilde der granulären Ophthalmie ge-
ängstigt.
Nur in Einzelfällen ist die Diagnose nicht sofort mit Sicherheit zu
stellen. So kann acutes Trachom ganz im Anfang — ehe die Schleim-
hautwucherung hinzutritt — einer Follikelhildung mit acuter Conjunc-
tivitis ähnlich sehen, und andererseits kann bei sehr zahlreicher Fol-
likelentwickelung mit ungewöhnlicher Conjimetivalhyperäniie und Schwel-
lung eine sichere Trennung von chronischen Granulationen schwer
fallen. Doch unterscheidet auch hier die längere Beobachtung: bei der
Conj. folliculosa kommt es nicht zu so starken Papillarwucherungen,
auch treten, wie erwähnt, keine Narbenbildungen ein, ebenso entwickelt
sich kein Pannus.
Die Therapie hat eine vorhandene Conjunctivitis durch kühle Um-
schläge und Adstringentien zu bekämpfen; besonders ist hier Natr.
biboracic. (4proc.) und der Alaunstift empfehlenswerth. Fehlt jede
Hyperämie der Schleimhaut, so kann man durch gelegentliches Be-
tupfen mit Cupr. sulphuric. — etwa alle Wochen einmal — oder Ein-
träufeln von Kupferglycerin die Conjunctiva zeitweise hyperämisiren
und so die Resorption der Follikel befördern. Sehr zweckmässig zur
Abkürzung des Processes ist auch hier die Anwendung der Roll-Pin-
cette. Weiter wird man für eine gesunde Lebensweise bezüglich Luft
und Nahrung zu sorgen haben. Uebrigens schwinden die Follikel,
welche man bei Kindern findet, häufig mit zunehmendem Lebensalter
von selbst.
5. Conjunctivitis diphtheritica.
Die Diphtheritis der Conjunctiva charakterisirt sich durch Einlage-
rung von fibrinösem Exsudat in das Gewebe. Im allerersten Beginn
der Affection bietet die Conjunctiva nur die Zeichen des Katarrhs; sie
ist geröthet, Thrünen und Secretion sind vermehrt. Doch deutet eine
gewisse Steifheit der Lider beim Befühlen und Ektropioniren, die sich
bald zu einer fast brettartigen Festigkeit steigert, auf fibrinöse Einlage-
rungen hin, selbst ehe sie für das Auge sichtbar, werden. In kurzer
Zeit, meist 12 bis 24 Stunden, gesellt sich Oedem der äusseren Lidhaut,
Conjunctivitis cüphtheritica. 441
damit verbundenes Herabhängen des prallen, glänzenden oberen Lides
und Chemosis hinzu. Jetzt zeigen sieh auch auf der Palpebralbindehaut
die eingelagerten fibrinösen Massen als weisslich-graue Flecke, in denen
die normale Gefässbildung vollständig fehlt. Zwischen diesen Plaques ist
die Sehleimhaut massig geröthet und es lassen sich stärkere Gefässe
in ihr unterscheiden, die plötzlich am Rande der Einlagerungen ab-
schneiden. — Nicht selten sind bei ausgedehnter Diphtheritis die Lid-
ränder und die äussere Lidhaut ergriffen. Aber oft sitzen auch ab-
ziehbare Faserstotfmembranen (eroupöse) der Conjunctiva auf; dar-
unter findet sieh dann das diphtheritisch durchsetzte Conjunctivalgewebe.
Aehnliche Pseudomembranen können auch, wie erwähnt, bei der Blennor-
rhoea membranacea vorkommen, doch ist hier das darunter liegende Con-
junctivalgewebe nicht von faserstoffhaltigen Exsudaten durchsetzt; auch
fehlt die Steifheit und Härte der Lider. Allerdings ist zu beachten, dass in
manchen Epidemien von Diphtheritis die Lider verhältnissmässig weich und
leicht ektropionirbar bleiben. Mikroskopisch zeigen die Membranen eine
amorphe, mehr oder weniger körnige, fibrinöse Masse, an deren Ober-
fläche und Rändern Eiterzellen haften. Die Secretion bei der Conj.
diphtheritica besteht in einer dünnen, schmutzig gefärbten Flüssigkeit,
in der wenige gelbliche Flocken schwimmen. In dem Secret finden
sich in der Regel Diphtherie-Bacillen. Aber ich habe auch ausnahms-
weise Fälle von ausgeprägter klinischer Conjunctival-Diphtherie gesehen,
in denen bei Culturanlegung nur Staphylokokken oder auch nur Strepto-
kokken vorhanden waren: Befunde, die von bacteriologischer Seite be-
stätigt wurden. — Meist besteht bei dieser Affection bedeutende Schmerz-
haftigkeit, die sich beim Berühren der Lider zu einer oft unerträg-
liehen Höhe steigert, sodass man selbst in einzelnen Fällen genöthigt
sein kann, um die Lider zu ektropioniren, zum Chloroformiren der
Patienten seine Zuflucht zu nehmen. Daneben ist oft Fieber vorhanden;
besonders bei Kindern habe ich sehr hohe Temperaturen beobachtet.
Verlauf. Am 6. bis 12. Tage, zuweilen noch früher, geht die
Diphtheritis bei günstigem Verlauf in Blennorrhoe über. Die brettharten
Lider werden weicher und elastischer. Die Einlagerungen schwinden
allmählich, indem sie zum Theil abgestossen, zum Theil resorbirt wer-
den: das Conjunctivalgewebe wird blut- und saftreicher.
Die vermehrte Papillarwucherung zeigt sich in Form von kleinen
ruthlichen Erhabenheiten. Auch das Secret nimmt einen schleimig-
eitrigen, blennorrhoischen Charakter an. Der Verlauf wird jetzt ähnlich
dem der Blennorrhoe, doch lässt die bald eintretende Schrumpfung und die
Ausbildung ausgedehnteren Xarbengewebes Rückschlüsse auf die voraus-
gegangenen tieferen Einlagerungen machen. — Besonders deletär für das
Auge sind bei der Diphtheritis die Hornhautaffectionen. Die-
442 Erkrankungen der Conjunctiva.
selben treten in verschiedenen Formen auf; zuweilen mit einer solchen
Schnelligkeit^ dass in 24 Stunden eine normale Hornhaut in einen gelb-
lichen Brei verwandelt wird; der dann berstet und den Augeninhalt
theilweise herauslässt. Schliesslich findet man als Rest der Cornea eine
kleine, gelbliche Scheibe bei gleichzeitiger Atrophie des Auges. In den
weniger heftigen AfFectionen bildet sich erst eine leicht grauliche Trü-
bung der ganzen Hornhaut, die dann an einer Stelle ein mit schmutzigem,
gelbgrauem Detritus bedecktes Geschwür erkennen lässt, das mit grosser
Schnelligkeit in die Tiefe greift und in die vordere Kammer durchbricht.
Doch verschliessen sich diese Perforationsöffnungen gerade bei der
Diphtheritis sehr rasch, indem sich eine weissliche, cohärente diphthe-
ritische Masse kappenförmig auf sie legt. Eine dritte Form des secun-
dären Hornhautleidens bilden die bei der Blennorrhoe beschriebenen
Abstossungen des Epithels und der einzelnen Corneallamellen, bei denen
die Durchsichtigkeit noch lange erhalten bleibt. Nach Perforation der
Cornea können die bei der Blennorrhoe geschilderten Folgezustände
(Irisvorfall, Linsenverlust u. s. w.) eintreten.
Die Prognose ist stets sehr bedenklich; sie ist um so günstiger,
je später, also je näher dem blennorrhoischen Stadium, die Hornhaut-
affection eintritt. Die allerschlechteste Aussicht ist in dieser Beziehung
vorhanden, wenn der diphtherische Belag confluirend die ganze Schleim-
haut einnimmt; hier geht die Cornea meist sehr früh verloren, und es
wird kaum gelingen, ein sehfähiges Auge zu erhalten. Weniger schlecht
ist die Prognose bei umschriebenen und partiellen Einlagerungen. Doch
kann selbst die leichteste Diphtheritisform zum Ruin des Auges führen.
Differentielle Diagnose. Wir beschränken uns hier darauf,
die Unterschiede zwischen Blennorrhoe und Diphtheritis aufzuzählen,
da die übrigen Conjunctivalerkrankungen, abgesehen von der bereits
erwähnten Conj. membranacea, kaum mit der Diphtheritis verwechselt
werden können. l)Die echte Diphtheritis ist ein Allgemeinleiden. Gelegent-
lich folgt bei Kindern Rachen- und Larynxdiphtherie, selten gehen sie
voran. 2) Viel stärkere Wärmeentwicklung im diphtherischen Auge.
3) Li der Regel grosse Steifheit des Lides, das sich brettartig anfühlt
und schwer zu ektropioniren ist, selbst bei längerem Bestehen der
Diphtheritis; bei der Blennorrhoe verliert sich die anfängliche Steifheit
viel früher. 4) Die diphtheritis che Schleimhaut zeigt glatte, gelbliche,
gefässlose Plaques in grösserer oder geringerer Ausdehnung eingelagert.
Dieselben lassen sich nicht entfernen. Daneben röthliche, mit kleinen
Apoplexien durchsetzte Conjunctivalpartien. Bei der Blennorrhoe gleich-
mässige Röthung und starke, saftige Schwellung der Schleimhaut, später
Faltenbildung mit Papillarwucherung. 5) Bei der Diphtheritis ist das
Gewebe mit fibrinösem Exsudate (wie Einschnitte zeigen) bis in die
Conjunctivitis diphtheritica. 443
Tiefe hinein durchtränkt; während bei der Blennorrhoe die Schleimhaut
nur durch flüssiges und zelliges Exsudat unter dem Epithel geschwellt
ist. Findet sich hier eine membranöse Auflagerung, die besonders bei
Knidorn vorkommt, so lässt sie sich grösstenteils abziehen oder ab-
wischen. 6) Bei der Diphtheritis ist durch die Einlagerung die Blut-
circulation gehemmt, die Schleimhaut wenig blutreich; bei der Blennor-
rhoe ist der Blutlauf relativ frei, die Schleimhaut mit stark gefüllten;
zahlreichen Blutgefässen überall durchsetzt. 7) Bei der Diphtheritis
sehr lebhaftes und dauerndes Schmerzgefühl, besonders beim Berühren
der Lider: massigeres, oft früh verschwindendes bei der Blennorrhoe.
Wie schon erwähnt, geht die Diphtheritis später in ein blennor-
rhoisehes Stadium über, wo dann natürlich die Symptome beider Affec-
tionen zusammenfallen.
Aetiologie. Man findet das klinische Bild der Diphtherie der
Conjunctiva auch in Fällen, wo eine Einwirkung des speeifischen diph-
theritischen Contagiums nicht vorhanden ist (Pseudo-Diphtherie) : so
kann eine Blennorrhoe durch übermässige Höllenstein- Anwendung den
Charakter der Diphtherie annehmen: bei scrophulösen Kindern setzen
oft schmutzig belegte Ulcerationen der Lidränder auf die Conjunctiva
über und bilden daselbst diphtherische Infiltrationen. Wie oben er-
wähnt, sind in einzelnen Fällen nur Staphylokokken oder Streptokokken
gefunden worden. Die eigentliche Diphtheritis der Conjunctiva tritt
nur selten auf. Am gefährdetsteii ist das zweite bis vierte Lebensjahr.
Schon vorhandene Augenentzündungen und frische traumatische Ein-
griffe prädisponiren bei entstehender diphtheritischer Epidemie vorzugs-
weise zu dieser Affection. Durch directe Uebertragung kann das diph-
therische Contagium ebenfalls fortgepflanzt werden, aber auch aus
blennorrhoischer, gonorrhoischer oder leukorrhoischer Infection sieht
man gelegentlich das klinische Bild einer Diphtheritis des Auges sich
entwickeln. —
Therapie. Ist nur ein Auge von der Diphtheritis ergriffen, so
suche man das andere durch einen Schutzverband zu sichern. Es
wird dies im Allgemeinen weniger leicht gelingen als bei der Blen-
norrhoe: doch mache man den Versuch. Auf das Auge selbst werden
Eisumschläge gelegt, im Beginn häufiger, später mit grösseren Unter-
brechungen. Manche Ophthalmologen empfehlen auch warme Um-
schläge. Dabei ist für häufige Beinigung des Auges mit einer des-
inficirenden Flüssigkeit (z. B. Sublimatlösung 1:5000) zu sorgen. Ein-
mal hatte ich einen sehr günstigen Erfolg von den bei der Blennorrhoe
beschriebenen Kalt' sehen Irrigationen mit Lösung von Kali hyperman-
ganicum: es war ein Fall, wo nur Streptokokken sich fanden. In an-
deren Fällen schien mir die Lijection von Behring' schem Heilserum
444 Erkrankungen der Conjunctiva.
besonderen Nutzen gebracht zu haben, da ausser Reinigung und kalten
l Anschlägen nichts angewandt wurde und doch der Verlauf sehr günstig
war. Früher habe ich von Scariricationen der Conjunctiva (Jacobson),
aber zwischen den infiltrirten Partien in das rothe, blutreiche Gewebe
gemacht, auch öfters Nutzen gesehen. Ebenso schien mir die von Wolf-
ring gerühmte Behandlung von Vortheil. Man reibt dabei mit dem
Finger, täglich 1 bis 2 Mal, direct und energisch in die infiltrirten
Partien der ektropionirten Schleimhaut gelbe Präcipitatsalbe (0-3 auf
10-0 Vaseline) ein. Weiter sind Bepinselungen mit Kalkwasser, starker
Sublimatlösung, Citronensaft empfohlen worden.
O ertliche Blutentziehungen in der Schläfe sind nur bei grosser
Sehmerzhaftigkeit und bei kräftigen Individuen zu machen. Das Aetzen
der Schleimhaut [mit Arg. nitricum ist auf der Höhe der Diphtheritis
durchaus verwerflich.
Nur im ausgesprochenen blennorrhoischen Stadium ist in der, bei
der Therapie der Blennorrhoe ausführlich geschilderten Weise zu tou-
chiren und zwar anfänglich noch sehr vorsichtig, etwa mit einer Blei-
lösung beginnend.
Ferner hat man die acute Mercurialisation angewandt, da sie einen
Einfluss auf die Ueberführung der Diphtheritis in Blennorrhoe zu haben
scheint (v. Graefe). Doch wird man auf die eingreifende Wirkung des
Quecksilbers wohl besser verzichten, wenngleich die Augendiphtheritis
in der Regel nicht eine derartige schwere constitutionelle Erkrankung
darstellt, dass ein letaler Ausgang zu befürchten wäre. Nur in seltenen
Fällen und bei sehr schwächlichen Kindern habe ich denselben beob-
achtet. Frühzeitig ist Atropin einzuträufeln, um Hyperämien der Iris
entgegenzutreten. Bei tiefen, umschriebenen Hornhautgeschwüren macht
man die Paracentese im Geschwürsgrunde und sucht einen dauernden
Abfluss des Kammerwassers und damit Herabsetzung des intraoeularen
Druckes dadurch zu erhalten, dass man die stets sich neubildenden
und die Oeffnung verschliessenden diphtheritischen Klappen beständig
entfernt.
6. Pterygium, Flügelfell.
Das Pterygium wird gebildet durch eine sich von der Peripherie
des Bulbus nach dem Hornhautrande hin und später über ihn fort-
erstreckende dreieckige, hypertrophische Conjimctivalfalte, welche eine
gewisse Aehnlichkeit mit dem Flügel einer Fliege hat. Man unterscheidet
an ihm 1) den breiteren Rumpf, welcher sich peripher in die Conjunc-
tiva verliert; 2) den Hals, der über dem Hornhautrande liegt und vor-
zugsweise als Falte hervortritt; man kann ihn hin- und herschieben,
Pterygium. 445
ot'r auch mit der Sonde 2 bis 3 mm unter seine umgestülpten Ränder
gehen; 3) den Kopf, der gewöhnlich als weisser, gewulsteter oder auch
sehnenartiger, stumpf abgerundeter Fleck dem Cornealgewebe aufsitzt;
meist noch vorn von einem kleineren Hof umgeben. Die Farbe des
Fliigelfelles ist verschieden je nach der stattgefundenen Gewebs- und
Gefässhypertrophie; sie kann von AVeiss bis zu gleichmässigem Roth
übergehen. In letzterem Falle bezeichnet man es als Pterygium crassum
s. carnosum. — Das Pterygium sitzt in der Lidspaltenzone, am häufigsten
an der inneren Seite des Bulbus, seltener an der äusseren. Zuweilen
treten an demselben Auge zwei Pterygien auf; auch beide Augen werden
öfters befallen.
Die mikroskopische Untersuchung zeigt grösstentheils die Bestand-
teile der Conjunctiva : Bindegewebe mit eingestreuten, elastischen Fasern
von oft zahlreichen meridional verlaufenden Blutgefässen durchsetzt.
Bisweilen entstehen darin kleine Cysten. Die Oberfläche wird von
Epithel bedeckt: die Bowman' sehe Membran unter ihm geht grössten-
theils zu Grunde.
Die echten Pterygien gehen aus der Pinguecula hervor. Der hier
bestehende Degenerationsprocess schiebt sich auf die Hornhaut fort,
wobei die Bindehaut als Falte nachgezogen wird (Fuchs). Während
im Beginne das Pterygium progressiv ist, kann später ein vollkommener
Stillstand eintreten: alsdann pflegt der vordere Randsaum dick und
narbenähnlich auszusehen. Zu trennen hiervon sind die Pseudo-Ptery-
gien. So geben kleine randständige Hornhaut-Ulcerationen öfters die
Veranlassung zu ähnlichen Faltenbildungen, indem sie bei ihrer Ver-
narb ung die anliegende Conjunctiva heranziehen (Arlt). Ferner kann
während einer Blennorrhoe, wo sich die Conjunctiva als ödematöser
Wall um die Cornea erhebt, ein Theil dieser Chemosis mit einem Horn-
hautulcus verwachsen. Es findet sich dann häufig, wenn das Ulcus von
der Peripherie etwas entfernt sitzt, ein röhrenartiger Gang unter dem
Halse des Pterygiums.
Je näher der Kopftheil des Pterygiums dem Hornhautcentrum rückt,
um so niehr tritt natürlich der schädliche Einfluss dieses undurchsich-
tigen Gewebes auf die Sehkraft hervor. Ganz am Rande auslaufende
Pterygien schaden dem Sehvermögen nicht viel; nur aus kosmetischen
Gründen wird öfters ihre Entfernung gewünscht.
Vorzugsweise häufig werden echte Flügelfelle bei gewissen Hand-
werkern beobachtet, die bei ihrer Beschäftigung sich kleineren Ver-
letzungen der Augen durch Einfallen von Staub u. dgi. aussetzen müssen:
so bei Cigarrenarbeitern, Maurern, Steinmetzen u. s. w. Da ihre Ent-
stehung durch eine grössere Schlaffheit der Conjunctiva begünstigt wird,
44G Erkrankungen der Conjunctiva,
so leiden vor Allem ältere Individuen daran. In südlicheren Klhnaten
kommen sie am häufigsten vor. —
Therapie. Bei Entzündung- und Injection der Pterygien touehirt
man sie mit adstringirenden Lösungen und lässt kühle Umschläge machen.
Ist das Pterygium progressiv und bedroht die Sehkraft, oder wird sonst
die Entfernung gewünscht, so lässt sich die Operation in verschiedener
Weise ausführen.
Man trennt die auf der Cornea sitzende Spitze mit einer gebogenen
Lanze oder einem bajonettähnlichen schmalen Messer sorgfältig ab und
präparirt dann noch den Hals auf 3 bis 4 mm von dem Cornealrande
nach der Peripherie zu von der Sclera ab. Die beiden so entstandenen
divergirenden Wundränder werden durch zwei nach der Peripherie des
Bulbus gerichtete convergirende Schnitte wieder vereinigt und das da-
zwischen liegende Flügelfell entfernt (siehe Figur 147). Der rhomboid-
ähnliche Defect wird gedeckt, indem man die Wundränder der Conjunc-
tiva zusammennäht. Es entsteht so eine lineare Narbe, in der a mit b durch
Naht vereinigt wurden. Um bei breite-
,=£=J^ ren Pteiygien den Defect nicht zu gross
zu machen — es kann sonst durch Con-
traction der zur Bedeckung herange-
zogenen Conjunctiva nach einiger Zeit
eine Beweglichkeitsbeschränkung, selbst
^^^ vollkommene Seitwärtsstellung des Bul-
1";1 bus zu Stande kommen — , legt man die
147. . o
nach der Basis convergirenden Schnitte
in das Pterygiumgewebe selbst, sodass man einen peripheren Theil des-
selben stehen lässt. Besser ist es in diesen Fällen, wenn man das
Pterygium bis zur Basis löst, ohne letztere jedoch zu durchschneiden:
alsdann wird etwa 4 mm vom Hornhautrande entfernt eine Incision,
parallel demselben, 6 bis 8 mm lang vom unteren Wundrande aus
in die Conjunctiva gemacht. In den Winkel, der durch das Auseinander-
treten der Ränder dieser neuen Incision entsteht, wird das abgetrennte
Pterygium eingenäht und der ursprüngliche Sitz desselben durch herbei-
gezogene Conjunctiva gedeckt (Dosmarres).
Knapp macht auch nach oben hin eine ähnliche Incision durch
die Conjunctiva. Das Pterygium wird alsdann durch einen Schnitt
seiner Länge nach getheilt und die obere Hälfte in die obere Conjune-
tivalw iindc, die untere in die untere eingenäht. Die horizontale Conjune-
tivalwunde, welche dem ursprünglichen Sitze des Pterygiums entspricht,
wird zusammengenäht.
Xerosis conjunctivae. 447
7. Xerosis conjunctivae.
Man kann eine parenchymatöse Xerosis (§rjQog} trocken) der
Conjunctiva und eine epitheliale unterscheiden: erstere ist in der
Regel Folge localer, letztere allgemeiner Erkrankung (Colin).
Die parenchymatöse Xerosis führt zu einer mehr oder weniger aus-
gedehnten Yertroeknung der Conjunctiva und Cornea in Folge des
Mangels der normalen Befeuchtung. Sie ist bedingt durch eine narbige
Umwandlung des Conjunctivalgewebes an einzelnen Stellen oder in seiner
Totalität. Das Epithel wird derb; nähert sich überhaupt in seinem
Aussehen und Verhalten mein- den Epidermiszellen. Die vollständige
Atrophie und narbige Schrumpfung der Bindehaut, des Unterbindehaut-
gewebes, Tarsus und der secretorischen Organe führt zu dem Zustande,
den man als Xerophthalmus squamosus oder totalis bezeichnet hat. Hier
ist die Uebergangs- und halbmondförmige Falte meist vollständig ver-
sehwunden, das die Bindehaut vertretende narbige Gewebe setzt vom
Tarsus gleich direct auf die Sclera über, da zugleich die Ausführungs-
gänge der Thränendrüse verwachsen sind, so ist hiermit die Befeuchtung
imd Abspülimg des Auges vollständig aufgehoben. Man findet dasselbe
bedeckt mit kleinen Schüppchen, die aus vertrockneten, den Epidermis-
platten ähnlichen Epithelien, Fett, Schleim u. s. w. zusammengesetzt
sind, und ihm ein bestäubtes Ansehen geben. Die Cornea ist pannös
getrübt oder mit einem undurchsichtigen, sehnenartigen Epithel über-
setzt, das mehr oder weniger das Hindurchscheinen der tieferen Augen-
gebilde hindert. Die Sensibilität ist herabgesetzt, die Beweglichkeit der
Lider durch den Schwund des Conjunctivalsackes vermindert, oft ein
Schliessen des Auges unmöglich. Als subjeetive Symptome treten hervor:
eine entsprechend den Cornealtrübungen verminderte Sehkraft und
das Gefühl bedeutender Trockenheit im Auge. — Der parenchyma-
töse Xerophthalmus bildet den Ausgang langwährender Bindehautent-
zündungen, wie sie durch Trachom, Conj. blennorrhoica, Conj. diph-
theritica, En- und Ectropium u. s. w. gesetzt sind. Chemische An-
ätzungen oder Verbrennungen führen ihn seltener herbei. Er kann in
jedem Alter vorkommen und ist unheilbar. In seiner Verhütung durch
entsprechende Behandlung der ursächlichen Krankheiten besteht die
ärztliche Aufgabe. Symptomatisch suche man das Leiden zu erleichtern
durch Befeuchtung des Auges mit Milch, Glycerin, Mandelöl oder
dünnen Lösungen von Kochsalz. Ferner ist eine Schutzbrille, um
Staub und "Wind abzuhalten, zu tragen. Auch die Transplantation von
Kaninchenschleimhaut ist versucht worden, jedoch ohne besonderen Erfolg.
44s Erkrankungen der Conjunctiva.
Die epitheliale Form ist hingegen transitorisch, sie zeigt sich
öfters 'in Epidemien und ist meist mit Hemeralopie (Bitot), zuweilen
seihst mit concentrischer Gesichtsfeldeinengung (AI fr. Graefe, Kusch-
hey t) verknüpft. Ich habe einen Fall mit Hemeralopie beobachtet, wo
sie reeidivirend auftrat. Bisweilen folgt ihr eine Keratitis xerotica
(siehe ] lornhauterkrankungen).
Die Schleimhaut des Augapfels erscheint in der Ausdehnung
der Lidspalte trocken, glanzlos, hier und da mit kleinen Flecken und
Schuppen bedeckt, als wenn weisser Schaum aufgetrocknet wäre: es
scheint die Färbung von dem Eindringen von Luft zwischen die fettig
degenerirten Epithelien herzurühren (Braunschweig). Nur selten greift
diese Veränderung auf die Hornhaut über (vgl. Xerosis corneae). Dabei
ist die Conj. bulbi gelockert und legt sich bei Augenbewegungen in
Falten. Auch gesellt sich öfters stärkere Secretion hinzu. Complicationen
mit katarrhalischen Zuständen sind nicht selten. Die Körperhaut hat
bisweilen eine schmutzige Farbe, ist grau, trocken und zeigt kleienartige
Ab s chuppungen.
Die Heilung erfolgt meist spontan. Sind constitutionelle Ab-
normitäten (Anämie, Scorbut u. s. w.) vorhanden, so werden diese zu
behandeln sein. Bei der Complication mit Hemeralopie wird Leber-
thran und das Essen von Lebern gerühmt. Oertlich ist die Anwen-
dung warmer Umschläge von Salicyllösungen empfehlenswerth.
In einer von Kuschbert beobachteten Epidemie fand Neisser stets in dem
abgestreiften Conjunctivalbelag sogen. Xerose-Bacillen, die den Diphtherie-Baeillen
gleichen. Doch meint Schleich, dass diese sogen. Xerose-Bacillen (Luftstäbchen
M i cli eT s) keine pathologische Bedeutung haben, da sie in dem schaumigen Secret
verschiedener anderer Conjunctivalerkrankungen vorkommen. Neuerdings sind
sie den ungiftigen Diphtherie-Baeillen (Pseudo-Diphtherie-Bacillen. Hoff mann,
Löffler) von Schanz gleich gesetzt worden, während Axenfeld glaubt, sie
davon trennen zu müssen.
8. Symblepharon.
Die Schleimhaut der Lider kann entweder an einzelnen Stellen des Tar-
saltheils durch Adhäsionen mit der Schleimhaut des Bulbus verwachsen
(Symblepharon anterius), oder auch in ihrer Totalität, indem eine Ver-
kürzung oder Zerstörung der Uebergangsfalte eintritt (Symblepharon
posterius). In ersterem Falle sieht man aus Bindegewebssträngen und
Blutgefässen bestehende Falten oder vollständige Brücken, unter die man
mit einer Sonde gehen kann, von dem Lide aus sich nach dem Bulbus hin
erstrecken. Haften derartige Adhäsionen der Cornea an, so sind damit
mehr oder weniger erhebliche Sehstörungen gegeben, jedenfalls wird
Symblepharon. 44(J
das Auge in seiner freien Beweglichkeit gehindert, so dass selbst ein
auffälligeres Schielen eintreten kann.
Als Ursachen des Symblepharon sind anzuführen: langwierige
Bindehautentzündungen (Blennorrhoe, Trachom); Verbrennungen, be-
sonders durch chemische Agentien, und sonstige Traumen miuSub-
stanzenverlust.
Ebenso kann in Folge von Pemphigus der Gonjunctiva, welcher
weniger unter der Form von Bläschen als von umschriebenen grau-
gelblichen Belägen auftritt, eine Schrumpfung des Bindehautsackes und
xero tische Trübung der Cornea zu Stande kommen; aber auch ohne dass
hier oder anderweitig Pemphigus nachweisbar war, wurde die gleiche
Schrumpfung („essentielle Schrumpfung der Bindehaut" [Alfr.
Graefe]) beobachtet. Jedoch ist es nicht immer leicht, das Bestehen
von Schleimhaut-Pemphigus auszuschliessen, da die grauen Beläge nur
zeitweise sichtbar sind und bald verschwinden. Die Prognose ist sehr
schlecht.
Therapie. Man suche bei drohenden partiellen Verwachsungen
nach Trauma ein Symblepharon dadurch zu verhindern, dass man,
wenn es angeht, den Defect auf der Conj. sclerae durch Verschiebung
und Zusammennähen der unterminirten angrenzenden Conjunctiva deckt.
Auch die Transplantation von Schleimhaut (s. unten) kann gleich an-
fänglich versucht werden. Sonst lässt man den Bulbus viel bewegen,
stülpt das Lid nach aussen um und hält es nöthigenfalls durch einen
Verband bis zur Heilung der Wunde in dieser Stellung. Doch ist bei
tief in die Uebergangsfalte gehenden Verbrennungen u. s. w. kaum ein
befriedigender Erfolg zu erwarten. — Bei vorhandenem Symblepharon
geben die brückenartigen Adhäsionen die meiste Aussicht auf Heilung;
aber auch hier sei man in der Prognose nicht zu sicher. Faltenförmige
Symblephara sind in brückenförmige zu verwandeln, indem man mit
einer krummen Nadel einen massig dicken Bleidraht quer durch die
tiefste , Stelle der Verwachsung zieht und die Enden dann aus dem
Bindehautsack herauszieht und auf der Lidhaut befestigt. Man lässt
den Draht so lange liegen, bis sich ein überhäuteter Canal unter dem
Symblepharon gebildet hat.
Zur Operation empfiehlt sich das Verfahren von Arlt. Eine ein-
gefädelte Nadel wird quer durch den Theil des Symblepharon gestochen
und durchgezogen, der dem Bulbus aufsitzt; dann wird das Symble-
pharon unter dem Faden durch vorsichtige Schnitte vollständig vom
Bulbus abgetrennt, so dass es einen dem Lide aufsitzenden Lappen
bildet, durch dessen freies Ende der Faden quer verläuft. Nun wird
auch das andere Ende des Fadens in eine Nadel gefädelt, der Symble-
pharonlappen nach innen umgeschlagen, so dass seine frühere äussere
Schmidt-Rimpler. T.Auflage. 29
450 Erkrankungen der Gonjunctiva.
Seite der Bulbuswunde gegenüber liegt, und in dieser Lage befestigt,
indem man beide Nadeln nach aussen durch das Lid führt und auf der
äusseren Lidliaut die Fadenenden verknüpft. DerDefect in der Conjunct.
bulbi wird durch Zusammennähen der Wundränder gedeckt. Nach voll-
ständiger Verkeilung wird das »Symblepharon auch von der Conjunctiva
palpebr. entfernt. Bei hinterem »Symblepharon und ausgedehnter Schleim-
hautschrumpfung kann man die Transplantation von »Schleimhaut
Wolfe) versuchen, welche den Lippen, der Vagina, der menschlichen
Conjunctiva oder auch der des Kaninchens entnommen wird. Der
Effect ist anfänglich befriedigend, doch tritt nach längerer Zeit meist
eine »Schrumpfung des Lappens ein. — Mehr empfiehlt sich die directe
Transplantation eines Hautlappens mit »Stiel aus der Wange her, was
durch eine knopfartige Oeffnung des Lides geschehen kann. Auch dicht
neben dem äusseren Lidwinkel kann man einen senkrechten Schnitt legen,
der bis zum Conjunctivalsack eindringt und durch diese Oeffnung hindurch
von der »Schläfenhaut her einen Lappen transplantiren. Bei ausgedehn-
teren Verwachsungen von Bulbus und Lidern müssen meist mehrfache
Operationen ausgeführt werden: wobei man dann auch neben den eben
erwähnten Methoden durch Einheilung von Thiersch 'sehen Lappen
eine weitere Vergrösserung des Conjunctivalsackes erstreben kann.
9. Apoplexia subconjunctivalis (Hyposphagma). —
Chemosis. — Lymphangiektasien.
Blutaustritt in das subconjunctivale Gewebe erfolgt durch Trauma,
Compression des Unterleibes, bei Kopfcongestion, Epilepsie, »Stickhusten-
anfällen, bei Arterienatherom, Diabetes u. s. w\ Bei orbitalen Fracturen
kann sich die Blutung im Fettzellgewebe bis unter die Conjunctiva er-
strecken. Die Ausdehnung ist eine sehr verschiedene, von Stecknadel-
kopf grosse bis zur vollständigen Anfüllung der ganzen Conj. sclerae.
selbst der Uebergangsfalte. Der Erguss wird allmählich resorbirt unter
entsprecl Lenden Farbenveränderungen.
Die Chemosis der Conjunctiva tritt als seröse Infiltration des
Gewebes mit bisweilen starker, waUförmiger Erhebung um die Cornea
bei vielen schweren Augenaffectionen ein. Abgesehen von Conjunctival-
erkrankungen findet sie sich besonders bei eitriger Chorioiditis. Ge-
ie^entlieli kann man sie selbst ohne Katarrh oder sonstige Entzündung
bei älteren Individuen sehen; in einem Fall, den ich beobachtete, traten
einige Jahre später auf Arterienatherom zurückzuführende Netzhaut-
hämorrhagien ein. Audi seeundär habe ich sie bei einer Zalm-Periostitis
gesehen, ist die Chemosis sehr prall, so macht man mit der Scheere
kleine Einschnitte zur Entleerung der Flüssigkeit.
Syphilis, Lupus, Tuberculose, Amyloid. 451
Nicht gerade allzuselten findet man auf der Conjunctiva etwa
stecknadelkopfgrosse Bläschen, die, aneinandergereiht, perlensclmur-
ähnliche Figuren bilden. Bisweilen treten sie mit halbseitigem Kopf-
schmerz und Lidschwellung auf. Dabei kann jede ausgeprägtere Blut-
gefässinjeetion fehlen. Es handelt sich hier um Lymphangiektasien.
10. Syphilis. Lupus. — Tuberculose. — Amyloid.
Sy p hilitis c h e A t't'e c tio n e n der Conjunctiva können in Folge
directer Infection entstehen. Meist ist es alsdann die Randpartie des
Lides, an der ein speckig aussehendes Geschwür sitzt. Ein ähnliches
Aussehen können übrigens die gelegentlich durch Unvorsichtigkeit hier
entstehenden und geplatzten Vaccinepusteln bieten. Aber auch indem
eigentlichen ( 'onjunctivalsack und auf der Plica semilunaris sind Indura-
tionen mit folgender Ulceration beobachtet worden. So bei einem Arzte,
dem syphilitisches Secret ins Auge geflogen war. Als Folge constitu-
tioneller Lues findet man Condylome, Hautgummata, die auf die Con-
junctiva übergreifen, trachomähnliche Knötchenbildungen in der Lid-
schleimhaut (Goldzieher, Sattler) und gummöse Geschwülste von
livider Farbe auf der Scleralconjunctiva. Die Diagnose liegt in dem
Nachweis constitutioneller Syphilis; bei primärer Conjunctivalaffection
ist sie oft schwierig. Ich erinnere mich eines etwa 15jährigen Mädchens
mit verdächtigem Ulcus am Lidrande, bei der die Untersuchung keine
Spur von Syphilis und volle Virginität ergab. Später trat Roseola auf;
die Infection war durch einen Kuss geschehen. — Die Therapie ist die
der Syphilis.
Die lupöse Erkrankung greift vom Lidrande auf die Con-
junctiva über oder tritt selbständig in ihr auf. Beim Ektropioniren des
verdickten Lides sieht man die Schleimhaut in mehr oder weniger
grosser Ausdehnung mit massenhaften, hahnenkammähnlichen und
rothen Papillenwucherungen bedeckt, daneben und dazwischen speckige
U/lcerationen und Infiltrationen; letztere können spontan mit narbiger
Schrumpfung heilen. Bisweilen findet man auch grössere in das sub-
conjunctivale Gewebe hineinsetzende Knoten. Der Process hat Aehn-
lichkeit mit sehr vernachlässigtem Trachoma mixtum; als unterschei-
dendes Moment kann man anführen, dass der Lupus in der Regel nur
ein Auge ergreift, und ferner das nicht seltene Uebergreifen auf den
intermarginalen Theil des Lides, die oberflächlichen speckigen Infiltrationen
und gelegentlich die subconjunctivale Knotenbildung. Die Behandlung
besteht im Entfernen oder Auskratzen der einzelnen Knoten mit dem
scharfen Löffel, Anwendung des Galvanocauters oder Touchiren mit
29*
452 Erkrankungen der Conjunctiva.
Höllenstein. Auch Injectionen mit Koch' sehe m Tuberculin können hier
wie bei der Tuberculose der Conjunctiva, die ein ähnliches Bild
zeigt, versucht werden. Nur ausnahmsweise beobachtet man bei letz-
terer eine eigentliche Eruption graulich-durchscheinender Tuberkel-
knötchen. Zur differentiellen Diagnose dürfte das Fehlen von Haut-
lupus dienen; weiter pflegt die Conjunctival-Tubereulose nicht den Lid-
rand zu überschreiten und nicht spontan zu vernarben (Walb; Ha ab).
Sie kommt auch bei scheinbar nicht tuberculösen Individuen vor, wie
mehrere Beobachtungen erweisen. Der Bulbus kann noch nachträglich
von der Conjunctiva und Cornea aus ergriffen werden.
Die Amyloiddegeneration tritt anfänglich im subconjunctivalen
Gewebe und meist in der Uebergangsfalte auf. Die Oberfläche der
Neubildung ist glatt, nur bisweilen mit sagokornähnlichen Höckern be-
setzt; ihr Aussehen ist glasig, hellgelblich bis röthlich oder rothbraun;
die Consistenz bei den wenig vascularisirten Geschwülsten derb, elastisch
oder brüchig, bei den anderen weich. In einer sehr grossen Zahl der
Fälle besteht gleichzeitig Trachom. Beim Fortschreiten der Affection
können auch die Conj. sclerae und die Carunkel befallen werden. Eine
hyaline Degeneration des Gewebes geht der Amyloiddegeneration öfters
voran (Raehlmann). Später können Verkalkungen und Verknöcherungen
hinzukommen (Kubli). Die Therapie besteht in totaler oder wieder-
holter partieller Exstirpation.
11. Verletzungen der Conjunctiva.
Fremdkörper, die in den Conjunctivalsack gelangen, werden meist
durch die Lidbewegung und Thränen in den inneren Lidwinkel ge-
schwemmt, von wo sie leicht ausgewischt werden können. Bisweilen aber
bleiben kleine Partikel (Staub-, Rauchkörnchen u. dgl.); besonders an
dem Tarsalthal des oberen Lides, haften; kleine Grannen oder etwas
grössere Körper sitzen oft in der oberen Uebergangsfalte fest und
machen Entzündung und Schmerz. Liegen sie dort lange Zeit, so erfolgt
eine seeundäre Papillarhypertrophirung, welche sie einbettet. So halte
ich einmal ein Krebsauge gefunden, das ursprünglich zur Entfernung
eines kleinen Fremdkörpers unter das obere Lid geschoben wurde, und
dort, ganz in Vergessenheit gerathen, über ein Jahr gesessen hatte.
Nach der Ektropionirung des Lides gelingt meist die Entfernung leicht;
bisweilen muss man die Uebergangsfalte des oberen Lides, wenn man
sie nicht ohne weiteres zu Gesicht bekommt, mit einer Pincetto hervor-
ziehen oder mittels eines Daviel'schen Löffels die verdächtige Partie
durchsuchen. Uebrigens ist zu beachten, das öfters Patienten behaupten,
Verletzungen der Conjunctiva. 45o
etwas im Auge zu haben, ohne dass ein Fremdkörper vorbanden ist;
ein Katarrh kann die gleiche Empfindung veranlassen.
Nach Eindringen von Raupenhaaren in das Auge sind in einzelnen
Füllen acute ( 'onjunetiviten und Iritiden, zum Tkeil mit Knötchen-
bildungen beobachtet worden (Pagenstecher, Wagenmann u. A.).
Neuerdings babe ich in meiner Klinik einen Fall gesehen, wo sich
trachomfollikelähnliche Knötchen in der Conjunctiva zeigten, die um
eingedrungene Pflanzenhaare (wahrscheinlich von Hagebutten) sich ge-
bildet hatten. Der Fall ist von Markus genauer beschrieben worden.
Bedenklicher sind Verätzungen und Verbrennungen, welche
die Conjunctiva durch Säuren, Kalk oder glühende Massen (etwa Eisen)
erleidet. Hier wird oft das Gewebe in seiner ganzen Dicke zerstört,
und es tritt die porcellanfarbene Sclera zu Tage. Sind die Ver-
brennungen nicht zu ausgedehnt, so erfolgt unter starker Injection und
Abstossung die Heilung. Gefährlich sind immer diejenigen Zerstörungen,
bei denen gleichzeitig die Conj. sclera und die ihr gegenüberliegende
Conj. palpebral. getroffen ist, weil sehr leicht ein Zusammenwachsen
des Lides und Bulbus erfolgt. Je ausgedehnter der Substanzverlust ist,
um so ernster die Prognose. Ich habe bei einem Manne, dem flüssiges,
glühendes Eisen in beide Augen gespritzt war, so dass später die ge-
härtete Masse einen Abdruck der Vorderfläche des Bulbus bildete, ein
totales Verwachsen mit Zusammenwachsen der Lidränder eintreten
sehen. Für das Sehvermögen deletär werden die Hornhaut -Verbrenn-
ungen. — Man wird bei frischen Verbrennungen die etwa noch vor-
handene Materia peccans unschädlich zu machen suchen: bei Säuren
mit schwachen Lösungen von Narr, carbon., bei Alkalien am einfachsten
mit Oel. Bei festen oder festgewordenen Substanzen ist eine genaue
Durchsuchung des ganzen Conjunctivalsackes zur Entfernung derselben
nöthig. Kleinere Stückchen, die tief in das Gewebe gedrungen und
unschädlich sind, wie etwa Pulverkörner oder kleine Steinpartikel (nicht
selten zu beobachten in Folge der Explosion von Dynamitpatronen),
kann man auch sitzen lassen. Die weitere Behandlung besteht in
kalten Umschlägen und Antiphlogose. Gegen das Entstehen eines
Symblepharon sucht man mit den oben empfohlenen Hülfsmitteln an-
zukämpfen.
Besonders häufig sind die Kalk- Verätzungen, bei denen für gewöhnlich'
(z. B. beim Kalkmörtel. Kalkmilch; nur die chemische Wirkung, nicht die Tempe-
ratur-Erhöhung schädigend wirkt. Beim Hineinkommen von Kalkhydrat während
des Löschens (Uebergiessen des Aetzkalkes, Co, mit Wasser j spielt allerdings die
Temperatur eine Eolle. die an der Oberfläche, wo das Wasser verdampft, 100 ° C.
beträgt, aber in der Tiefe und dann, wenn sich eine Decke über dem flüssigen
Kalkhydrat gebildet hat. sehr viel höhere Hitzegrade erreichen kann. — Vor Allem
kommt es darauf an. dass der Kalk schnell aus dem Auge entfernt wird : es empfiehlt
454 Erkrankungen der Conjunctiva.
sieh dazu das directe Abwischen von der Cornea und ektropionirten Lidschleimhaut
mit in Oel getauchter (schlimmstenfalls trockener) Watte oder Leinwand. Bisweilen
bedarf es der Anwenduni;- von Instrumenten (Da viel' scher Löffel, Pincette). Dann
Durchspülung des Auges mit Oel i Trovcnzeröl, Siissmandelül) mittelst einer Spritze.
A ndrea e hat neuerdings die sofortige Wasser-Durchspülung der Augen mittels [rri-
gators empfohlen. Es ist zutreffend, dass bei reichlichen Wassermengen wedereine
Ausbreitung der Aetzung durch die verdünnten Massen noch eine Temperatursteige-
rung, die beim Löschen überhaupt erst nach circa 10 Minuten eintritt, zu befürchten
ist. Aber sitzenbleibende Kalkpartikel — und diese sind besonders in der öfteren
Uebergangsfalte zu erwarten — werden hierbei aufgeweicht und können so in
Folge allmählicher, durch die Thränen bedingten weiteren Verflüssigung die Aetzung
über bisher verschonte Partien ausbreiten. Einfaches Auswaschen der Augen mit
Wasser wird diese Gefahr besonders leicht herbeiführen. Ich halte daher die Anwen-
dung des Oels, dass die Kalkpartikel einhüllt und ihre Aetzkraft verringert, für besser.
Schnittwunden der Conjunctiva heilen leicht spontan, grössere kann
man zusammennähen.
12. Geschwülste der Conjunctiva.
Pinguecula. Sehr häufig findet sich besonders bei älteren Leuten
in der Nähe des äusseren oder inneren Cornealrandes auf der Conjunc-
tiva eine kleine gelbliche Hervorragung von etwa Hirsekorngrösse. Die-
selbe besteht trotz ihrer Bezeichnung als Pinguecula nicht aus Fett,
sondern aus einer Verdickung der Bindehaut mit Einlagerung zahlreicher
Concremente einer gelblichen hyalinen Substanz (Fuchs). Wenn grosse
Conjunctivalgefässe zu ihr verlaufen, könnte man an Conj. phlyctaenu-
losa denken, doch spricht die Farbe und glatte Oberfläche der Pingue-
cula gegen diese Annahme. Die Geschwulst ist durchaus unschädlich:
kaum wird man in die Lage kommen, sie aus kosmetischen Gründen
entfernen zu sollen.
Lipome sitzen besonders zwischen dem R. superior und extermis
(v. Graefe); sie bilden weiche, gelbliche Massen mit unregelmässiger
Oberfläche. Sie sind stets angeboren, können aber später wachsen.
Wenn sie Störungen machen, müssen sie exstirpirt werden.
Dermoide finden sich angeboren am Iiornhautrande und greifen
oft auf die Hornhaut über, in deren Gewebe sie sich hinein erstrecken.
Polypen der Conjunctiva entstehen verhältnissmässig am häufigsten in
der Uebergangsfalte; es sind glatte, gestielte, von Bindehaut überzogene
Geschwülste, die gelegentlich exuleeriren. Die Papillome haben eine
mehr gelappte, blumenkohlartige Oberfläche. Bisweilen sitzen sie in
grosser Menge, dicht nebeneinander, der Tarsalbindehaut des oberen
Lides auf. Auch bei chronischer Blennorrhoe entwickeln sie sich. Auf
der PI. semilunaris und Carunkel werden sowohl Papillome als Polypen
Geschwülste der Conjunctiva. 455
beobachtet. Beide Formen von Wucherungen können Anlass zu sich
wiederholenden Conjunctivalblutungen geben. Bei der Exstirpation
derselben tritt eine etwas stärkere Blutung auf, die jedoch durch Be-
tupfen mit Höllenstein und Druckverband leicht steht. Einmal habe
ich jedoch trotz aller Bemühungen ein 3/4 Jahre altes Kind an recidi-
virenden Blutungen aus einer wunden Stelle der Tarsalconjunctiva,
die bereits von einem Arzte vorher geätzt war (wahrscheinlich handelte
es sich auch um eine polypöse Wucherung), schliesslich zu Grunde
geben sehen.
Die Cysten der Conjunctiva zeigen sich als kugel- oder eiförmige,
fast durchsichtige Hervorragungen meist in der Conjunctiva bulbi. Aucb
auf dem Kopfe eines Pterygiums sah ich eine wenig erhabene, aber
5 bez. 2 mm in der Länge und Breite messende Cyste, ebenso in der
inneren Uebergangsfalte eine bohnengrosse. Sie sind, abgesehen von
den Blasen in Pterygien, angeboren oder Folge von Trauma (Zander
und Geissler, Uhthoff). Eine partielle Entfernung der Cysten-
wand (eventuell mit nachfolgender Injection von Lapislösung) genügt
meist zur Heilung.
Aehnliches Aussehen bieten die subconjunctivalen Cysticerken;
doch ist die Blase der letzteren trüber, weniger durchsichtig, zuweilen
ist noch ein umschriebener weisser Fleck (Halstheil des Cysticercus) in
ihr erkennbar. Der Cysticercus bewirkt in der Begel einen gewissen
Reizzustand in der darüber liegenden Conjunctiva (A. v. Graefe).
Sarkome der Conjunctiva treten als kleine, anfangs Stecknadelkopf-
grosse Geschwülste vorzugsweise häufig am Corneallimbus oder dicht
neben demselben auf. Sie sind weisslich-grau oder braunschwarz. Die
hellen Sarkome sind, wie es scheint, weniger gefährlich; die Exstirpation
kann dauernde Heilung bringen. Einmal beobachtete ich, dass nach Exstir-
pation eines hirsekorngrossen, weissen Sarkoms nach Jahren ein kleines
Melanosarkom in einiger Entfernung von dem ursprünglichen Sitze ent-
stand. Die Melanosarkome haben, sobald sie in das Stadium der Ver-
größerung und Wucherung getreten sind, wobei sie den Cornealrand
pilzkopfförmig überdecken, grössere Neigung zu Rückfällen. Sie können
alsdann ausgedehnte, lappige und leicht blutende Geschwülste bilden.
Auffallend ist, dass man gleichzeitig mit ausgeprägten Melanosarkomen
gelegentlich kleine braune Fleckchen in der Conj. bulbi und palpebralis
(auch in der Lidhaut ) beobachten kann, die mikroskopisch Einlagerungen
von Pigmentzellen in normalem Bindegewebe zeigen, ohne erhebliche
Zellenwucherung. Selbst nach Entfernung der Geschwulst gehen die
Patienten öfters durch Metastasen (Gehirn, Leber, Haut u. s. w.) zu
Grunde. Um die Geschwulst total zu entfernen, muss man sich öfter
zur Exstirpation des noch sehkräftigen Auges entschliessen. —
456 Erkrankungen der Hornhaut.
Auch nicht hervorragende schwarzbraune Flecke (Melanome)
kommen in der Conjunctiva vor, zuweilen in Folge von Verletzungen;
so beobachtete man sie nicht selten nach den Blutergüssen, die bei den
jetzt häutig angewandten subconjunctivalen Injectionen entstehen. Die-
selben bleiben in der Regel dauernd ohne Veränderung bestehen; äusserst
selten entwickeln sich auf ihnen Geschwülste. — Weiter wären noch
Lepraknoten, Angiome, Epitheliome und Carcinome zu er-
wähnen. Auch sah ich in einem Falle multiple umschriebene, erbsen-
bis bohnengrosse Geschwülste unter der Conj. tarsalis und in der Ueber-
gangsfalte auftreten, die nach der Exsth-pation an anderen Stellen
reeidivirten und anfänglich fibromatöse Structur zeigten, später aber als
Lymphombildungen sich erwiesen (Axenfeld). Von Leber sind
neben Retinitis haemorrhagica derartige Wucherungen in Lid und Orbita
in einem Falle von Leukämie beobachtet worden.
Auch hei dunkelpigmentirten Xaevi der Lidhaut und Lidränder findet man oft
gleichzeitig- schwärzlich-braune Flecke in der Conjunctiva. Oefters habe ich ganz
schwarze Xaevi auf der Plica semilunaris und Carunkel gesehen. Die ersterejwar ein-
mal vollständig in einen weichen, langgestreckten, wurstartigen Naevus umgewandelt.
Ebenso fand ich einmal die ganze Carunkel in eine erbsengrosse Geschwulst um-
gewandelt, die von Kindheit bestanden, aber etwas gewachsen sein sollte. Die
Geschwulst hatte eine fibromatöse Structur, lag unter der Conjunctiva in einer
Kapsel, welche sich lappenartig nach hinten in das Orbitalgewebe erstreckte.
Viertes Kapitel.
Erkrankungen der Hornhaut.
Anatomie.
Die Hornhaut ist in ihrer Krümmung als Abschnitt eines Rotations-
ellipsoids aufzufassen, das durch Drehung einer Ellipse um ihre Längs-
.irlise entsteht. Von der vorderen Kammer aus gesehen, zeigt sie ana-
tomisch eine vollkommen kreisförmige Peripherie, während sie von vorn
eher einer horizontal gestellten Ellipse ähnelt, deren transversaler Durch-
Anatomie der Hornhaut. 457
messer ca. 11-0 mm, deren verticaler ca. 10-5 mm beträgt, indem die
Sclera sieh vorn über die durch sichtige Hornhautperipherie etwas, und
/war oben und unten mehr, hinüberschiebt. Diese Stelle bildet den
Limbus corneae oder sclerae, der im horizontalen Durchmesser auf jeder
Seite etwa 0-5 mm breit ist. Das Waehsthum der Hornhaut ist etwa
im 6. Lebensjahre abgeschlossen; jenseits der ersten Lebenshälfte wird
sie sogar öfters kleiner (Priestley Smith). Man unterscheidet an der
Hornhaut von vorn nach hinten im Querschnitt fünf Schichten: 1) Das
Cornealepithel, ein mehrschichtiges Plattenepithel, 2) die Bowman'sche
(Reichert'sche) oder vordere Basalmembran. Sie bildet eine dünne
Schicht stark lichtbrechenden, homogenen Gewebes. 3) Die Haupt-
gewebsmasse, Substantia propria. Dieselbe besteht aus einer ziemlich
dichten Masse, die sich aus Bündeln von Fibrillen, welche wiederum
zu übereinander geschichteten Lamellen vereinigt sind, und einer zwischen
den Fibrillen liegenden Kittsubstanz susammensetzt. In der interhbrillären
Kittmasse findet sich ein Lückensystem, welches knochenkörperähnliche
Figuration zeigt: die vonRecklinghausen'schen Saftcanäle. In diesen
Hohlräumen und dem in ihnen befindlichen Gewebssaft finden sich die
fixen Hornhautzellen, welche aus einem Protoplasma und Kern bestehen
und die Hohlräume nicht vollständig ausfüllen. Weiter kommen Wander-
zellen darin vor. an Form den weissen Blutkörperchen entsprechend.
4) Die hintere Begrenzung bildet die elastische Membrana Desce-
metii. Sie ist glashell, sehr widerstandsfähig und findet sich oft noch
in eingerolltem Zustande bei starken Hornhautzerstörungen erhalten.
Bei älteren Personen zeigt sie kugelige Auswüchse. 5) Ihr sitzt nach
der vorderen Kammer zu ein Lager platter Endothelzellen auf. — Die
Nerven treten am Hornhautrande theils von der Sclera, theils von der
L'onjunctiva her in die Substantia propria und verästeln sich als feinste
Aehsenfibrillen. Hierbei bilden sie oft Netze, die auch unter und zwischen
dem Epithel sich finden. Dass die Nervenfäden mit frei flottirenden
Enden über das Niveau des vorderen Epithels hinausragten, oder mit
regulären Endknöpfen (Cohnheim) versehen seien, hat Waldeyer nie
beobachtet. — Gefässe sind unter normalen Verhältnissen in der eigent-
lichen Cornea nicht vorhanden. Nur an ihrer Grenze findet sich unter
dem Epithel ein aus den Art. ciliares anteriores stammendes episklerales
Pumdschlingennetz. Leber die pericorneale Injection siehe Seite 401.
1. Keratitis.
Die Keratitis kommt in sehr verschiedenartigen Formen vor, die
nicht alle scharf begrenzte Krankheitsbilder zeigen. Der Hauptsache
458 Erkrankungen der Hornhaut.
nach können wir die pathologischen Veränderungen unterscheiden nach
folgenden Typen :
I. Umschriebene nicht-eitrige Hornhautinfiltrate. Es sind acut
auftretende, weissliche oder grau-gelbliche Flecke, die einzeln oder
multipel vorkommen, peripher und central. Hie können bei oberfläch-
lichem Sitze exulceriren, heilen jedoch, ohne intensivere Trübungen
zurückzulassen.
II. Bläschenbildungen.
III. Eitrige Hornhauterkrankungen, umschrieben oder diffus auf-
tretend. Hier ist eine ausgesprochene gelbe Eiterfärbung in den ge-
trübten Flecken und Partien vorhanden. Die Erkrankung geht tief in
das Hornhautgewebe, zerstört es und lässt meist dickere Trübungen
zurück. Wenn sich die Oberfläche abstösst, so giebt es tiefgreifende
Geschwüre. Sehr häufig kommt es zur Perforation, so dass Kammer-
wasser abfliesst. Eiteransammlung im Humor aqueus (Hypopyon) ist
nicht selten; ebenso treten Complicationen mit Litis häufiger auf.
IV. Diffuse Hornhautinfiltrationen. Sie können oberflächlich sitzen
oder sich durch die ganze Dicke der Cornea erstrecken.
V. Geschwüre. Kleine oberflächliche Geschwüre ohne ausge-
prägtere Infiltration oder tiefgehende, mit meist getrübtem Grunde
oder Eande.
( >bige Erkrankungen lassen, falls sich das afficirte Gewebe nicht
vollkommen wieder aufhellt, „Hornhautflecke" oder „Hornhauttrübungen''
zurück. Diese können so durchsichtig sein, dass es einer sehr geschickten
Anwendung der schiefen Beleuchtung bedarf, um sie wahrzunehmen,
oder sie treten als graulich-durchscheinende Partien oder als intensiv
weisse Narben auf. Nach schweren Erkrankungen kommt es auch zu
Krümmungsveränderungen, so zu starken Hervorraguiigen(Staphylomen )
oder selbst schlimmsten Falles zum Schwunde der Cornea (Phthisis
corneae), von der dann nur noch ein kleines Plättchen übrig bleibt.
I. Umschriebene nicht- eitrige Hornhautinfiltrate.
Kinfachcs Hornhautinfiltrat.
Die Trübungen sind graulich oder grauweiss, meist etwa stecknadel-
kopfgross oder noch kleiner. Das Centrum zeigt eine mehr gesättigte
Färbung und oft eine kleine Hervorwölbung. Diese Veränderungen be-
ruhen auf einer vermehrten und umschriebenen Zellenanhäufung unter-
halt» Ar^ Kpithels im Mornhautparenchym.
Häufig treten bei Kindern und jugendlichen Individuen die Trü-
bungen multipel auf und zeigen stärkere Blähung, so dass sie stecknadel-
spitzartig hervorragen. .Man pflegt alsdann die Atfection - — entsprechend
Keratitis. 40«)
dem ähnlichen Proeess der ( 'onjunetiva, mit dem sie übrigens meist
combinirt ist — als Keratitis eezematosa s. phlyctaenulosa (scro-
phnlosa s. lymphatica) zu bezeichnen. Stellwag nennt diese Form
Herpes corneae, doch ist es üblicher, letzteren Namen für die später
zu beschreibende ausgeprägte Bläschenbildung zu bewahren.
Neben der ITornhautaffection besteht meist pericorneale Injection,
nur bei einzelnen Infiltraten und in selteneren Fällen kann sie fehlen.
Dabei ist Thränenträufeln und häutig sehr ausgeprägte Lichtscheu vor-
handen, die bei Kindern zu Blepharospasmus Veranlassung geben kann.
Es hängt dies wahrscheinlich mit einer Reizung der Cornealnerven zu-
sammen, längs derenjVerlauf, besonders unter dem Epithel, sich Zellen-
anhäufungen finden (Iwanoff). Heftige Schmerzen sind nicht häufig.
Wenn die oberflächlichen Schichten sich abstossen (exuleerirtes Horn-
hautinfiltrat), giebt es kleine Geschwüre, die aber keine besondere
Tendenz zur Weiterverbreitung haben. Die Heilung erfolgt meist, in-
dem zu den Infiltraten neugebildete Gefässe verlaufen, die öfters aus
einem die Hornhautränder übersetzenden rothen Gefässnetz hervorgehen.
Dabei lassen die Reizerscheinungen nach. Das Infiltrat selbst verliert
seine intensive Färbung und scharfe Abgrenzung gegen die durchsichtige
T mgebung und wird mehr graulich. Schliesslich heilt es, ohne dauernde
Spuren zurückzulassen. Während bei Erwachsenen mehr vereinzelt
stehende, umschriebene Hornhautinfiltrate vorkommen, treten sie bei
Kindern häufig multipel auf, sind hartnäckiger und haben mehr* Neigung
zu Rückfällen. Hier geschieht es denn auch bei längerem Bestände,
dass eine oberflächliche lichtgraue Trübung der Hornhaut (Pannus
phlyetaenulosus ) in grösserer Ausdehnung, in der verästelte, vom Rande
herkommende, oberflächliche Gefässe verlaufen, zu Stande kommt. Aber
selbst in diesen Fällen kann noch vollständige Klärung eintreten. Als
Complication gesellt sich zu der oberflächlichen Hornhautinfiltration
gern eine stärkere Conjunctivitis, besonders mit Schwellung der Ueber-
gangsfalte.
Differentielle Diagnose. Das oberflächliche Hornhautinfiltrat
unterscheidet sich a) von einer alten Hornhauttrübung 1) durch die peri-
corneale Injection und den Reizzustand, 2) durch die Farbe. Es ist
mehr graulich-gelb und sitzt fast wie ein Fremdkörper in dem Hornhaut-
gewebe, wogegen der Hornhautfleck meist mehr diffus in die Umgebung
übergeht oder, wenn er scharf umschrieben ist, eine mehr weissliche
Farbe zeigt: b) von dem eitrigen Hornhautinfiltrate vor Allem durch die
Farbe; das Eiterinfiltrat ist ausgeprägt gelb. Weiter ist das einfache
Infiltrat durchschnittlich kleiner und hat weniger destruetive Tendenz.
Für die multiplen Infiltrate der Kinder ist häufig Scrophulose als
ursächliches Moment zu betrachten; doch kommen sie auch gelegentlich
4(;o Erkrankungen der Hornhaut.
bei sonst gesunden Kindern vor. Die mein- einzeln auftretenden Infil-
trate der Erwachsenen sind bisweilen auf Verletzungen zurückzuführen,
oft fehlt jeder ätiologische Anhalt.
1 >ie Therapie muss verschieden sein, je nachdem es sieh um
phlyktänuläre Keratitis oder um vereinzelte Infiltrate handelt. Bei der
Keratitis phlyctaenulosa ist neben dem Atropin, das dauernde Mydriasis
unterhalten soll, meist der Gebrauch der gelben Präcipitatsalbe von
überraschender Wirkung; dieselbe wird hanfkorngross eingestrichen, bei
geschlossenen Lidern verrieben und nach etwa 5 Minuten wieder aus-
gewaschen. Selbst bei stärkerem Reizzustande und ausgeprägter peri-
cornealer Injection ist sie zu versuchen. In der Regel wird sie sehr gut
vertragen. Sollte sich hingegen die Injection vermehren oder gewinnen
etwa die Infiltrate ein gelbliches, eitriges Ansehen, so muss zur Zeit
von ihrer Anwendung abgesehen werden. Man möge dann erst den
Reizzustand bekämpfen, wozu laue Kamillenthee-oder Borsäureumschläge,
3mal täglich 74 Stunde, dienen. Ist jedoch eine ausgeprägtere Conjunc-
tivitis vorhanden, so sind kühle Wasserumschläge zu machen; bei Schwel-
lung der Uebergangsfalte ist dieselbe mit einer Lösung von Plumb. acet.
perf. neutralis. oder Tannin direct zu touchiren; bei sehr starker Schwel-
lung und eitriger Conjunctivalabsonderung selbst mit 1 procentiger Höllen-
steinlösung, — immer mit sofortigem Neutralisiren oder Ausspülen (vgl.
S. 16). Um die Lichtscheu und den Blepharospasmus zu heben, nützt
öfters die Einträufelung von Cocain, sonst kommt das bei Besprechung
der Conjunctiv. eczematosa Hervorgehobene in Betracht.
Sollte die Haut der Lider oder Wange Ekzeme zeigen, so werden
die etwa nöthigen kalten Umschläge nicht gut vertragen; man suche
dann erst das Ekzem durch Bestreichen mit Theervaselinsalbe, Höllen-
steinlösung oder Einwicklungen mit Hebra'scher Salbe zu heilen, oder
mache, wenn man die Anwendung der Kälte für durchaus nöthig hält,
dieselbe so, dass man auf die Lidhaut erst ein Oelläppchen legt und
darauf die kalten Compressen. Bei vorhandener Scrophulose wird die-
selbe durch entsprechende innere Medication und Bäder zu bekämpfen
sein. Nur bei constitutioneller Besserang ist mit einiger Sicherheit auf
das Ausbleiben der lästigen Recidive zu rechnen. Als örtliches Mittel,
um letztere hintenan zu halten, empfiehlt es sich, nach Schwinden der
Infiltrate und Hebung der Entzündung noch Wochen bis Monate lang
gelbe Salbe oder Calomel von Zeit zu Zeit anzuwenden.
Die umschriebenen Infiltrate der Erwachsenen vertragen in der
Regel nicht die gelbe Präcipitatsalbe. Hier ist vorzugsweise Atropin
und, falls die Conjunetiva nicht erkrankt ist, die Anwendung lauer Um-
schläge zu empfehlen. Später kann mit Nutzen Calomel angewandt
werden; vor Allem aber sehe man streng darauf, dass nicht vor voll-
Keratitis subepithelialis centralis. 461
ständiger Heilung durch Wiederbeginn der Arbeit oder in anderer Weise
neue Schädlichkeiten einwirken. Die Affection zieht sich mit immer
wieder auftretenden Verschlechterungen oft deswegen sehr in die Länge,
weil sie nie ganz geheilt war,
Keratitis subepithelialis centralis (Adler). K. punctata super-
ficialis (Fuchs). Keratitis maculosa (v. Reuss).
Unter obigen Namen ist eine in den letzten Jahren in Wien besonders häufig
beobachtete Hornhautaffection beschrieben worden, bei der nach einem vorange-
gangenen Schwellungskatarrh und Ciliarinjection in den oberflächlichen Schichten
zahlreiche punktförmige Infiltrate, meist im Gebiete der Pupille sitzend, entstehen.
Die zwischenliegenden Hornhautschichten und das Epithel bleiben gewöhnlich un-
getrübt. Die kleinen Infiltrate fliessen später zu Fleckchen zusammen, dann lichtet
sich die Hornhaut wieder: jedoch vergehen darüber Monate. Iritis fehlt. Fuchs
nimmt eine katarrhalische Affection als Ursache an, da er das Leiden häufig mit
Schnupfen und Husten beginnen sah. Doch fehlen auch häufig Allgemeinerkran-
kungen Adler). Therapie: Atropin und kühle Umschläge.
Keratitis punctata.
Die Keratitis punctata zeigt punktförmige, weisse Infiltrationen in den hin-
tersten Schichten der Cornea. Man hat den Namen mit Unrecht auch für die
eigentliche Descemetitis angewandt, bei welcher ähnlich aussehende Pünktchen
der Hinterfläche der Hornhaut aufliegen. Bei der Keratitis punctata hingegen
sitzt die Infiltration im Hornhautgewebe selbst. Es geht letzterer in der Regel
eine Descemetitis. die von einer Iritis herrührt, vorauf; von dieser aus kommt es
dann zu den punktförmigen, weissen Infiltraten in der Hornhaut. Sie bleiben
noch bestehen, wenn die Exsudate auf der M. Descemetii bereits verschwunden
sind, pflegen allmählich aber auch resorbirt zu werden.
Büschelförmige Keratitis (K. fasciculosa).
Vom Hornhautrande her, bei gleichzeitig bestehender Conj. eeze-
matosa häufig von einem randständig sitzenden Lifiltrat entspringend,
erstreckt sich ein etwa 2 mm breites Bündel parallel verlaufender Ge-
lasse gegen das Hornhautcentrum zu, welches vor sich ein Infiltrat in
halbmondförmiger Gestalt schiebt. Bisweilen theilt es sich auch in zwei
Büschel mit je einer Infiltration. Die Gefässe selbst liegen auf einer
infiltrirten Unterlage und bilden gleichsam ein rothes Band (scrophulöses
Gefässband). Das Infiltrat an der Spitze hat eine graue Färbung und
ist gelegentlich leicht exuleerirt. Zuweilen kommen mehrere solcher
Gelassbänder von verschiedenen Seiten. Daneben besteht pericorneale
Injection, Thränen, Lichtscheu. Beginnt die Heilung, so werden die
Gefässe blasser und verschwinden, doch zeigt noch längere Zeit ein
leicht graulicher Streifen in der Cornea ihren früheren Sitz. Das In-
li'cj Erkrankungen der Bornhaut.
tiltrat lässt eine weisse, oft halbmondförmige Trübung' zurück, die natür-
lich l»ei centralem Sitz das Sehen schädigt.
Es handelt sieh meist um scrophulöse Kinder, die in der Regel auch
an phlyktänulärer Conjunctivitis und Keratitis gelitten haben.
Die Therapie ist darauf zu richten, das Vorschieben des Infiltrats
nach dem ('entrinn zu verhüten. Oft genügt das Einstreichen von
gelber Präcipitatsalbe, wie bei der phlyktänulären Keratitis. In anderen
Fällen muss man die Gefässe über dem Sclerallimbus mit einem Messer-
chen, einer Scheere oder dem Galvanocauter ausgiebig durchschneiden
und nüthigenfalls diese kleine Operation ein paar Mal wiederholen.
Auch das Betupfen des Infiltrats mit dem Höllensteinstift ist bisweilen
empfehlenswerth. Im Uebrigen wird die Behandlung nach denselben
Principien zu leiten sein, wie die der Kerat. eczematosa, besonders ist
zur Vermeidung von Recidiven die Anwendung von gelber Salbe oder
Calomel noch länger fortzusetzen.
II. Bläschenbildung auf der Hornhaut.
Herpes corneae (Keratitis vesiculosa).
Es zeigen sich auf der Hornhautoberfläehe kleinere Bläschen, theils
rund, theils birn- oder strichfürmig, die mit hellem, klarem Serum ge-
füllt sind. Mikroskopisch finden sich in dem Inhalt grosse, stark glän-
zende und durchsichtige, kugelige, ei- und spindelförmige Gerinnungs-
figuren und nur ausserordentlich spärliche Zellen und Kerne. Die Epithel-
iale bildet den Ueberzug. Die Grösse des einzelnen Bläschens kann
die eines kleinen Stecknadelkopfes, zuweilen die eines Hirsekorns er-
reichen, meist stehen sie gruppenweise zusammen. Ihre Zahl ist ver-
schieden; in einem Falle zählte ich 15 Bläschen, bisweilen sieht man
nur eins oder zwei. Dem Auftreten derselben geht in der Regel eme
mehr oder weniger grosse Unbequemlichkeit im Auge voraus, die sieh
in Brennen, Stechen, selbst in intensiverer Schmerzhaftigkeit äussert.
Bisweilen alter, auch entstehen sie dem Kranken unbemerkt. Nach
einigen Stunden oder am nächsten Tage sind sie geplatzt, und man
sieht dann nur noch den Epitheldefect, öfters mit anhaftendem Epithel-
häutchen. In einzelnen Fällen hingen sogar lange weissliche Fädehen herab
(Fädchen-Keratitis. Leber, Uhthoff). Dieselben entstehen aus
dem losgelösten Epithel, das sich durch die Lidbewegung fadenförmig
zusammenrollt; dazu kommen noch Schleimpartikel der Conjunctiva
( ( '. Hess). Die Iris ist meist normal, seltener verfärbt und schlecht
auf Atroph: reagirend. Die Tension ist etwa in 75 Procent der Fälle
verringert.
Bläschenbildung auf der Hornhaut. 463
Man kann drei Formen von Herpes corneae unterscheiden: 1) den
inflammatorischen oder febrilen, von Homer zuerst als „ka-
tarrhalischer" beschrieben. Hier ist die Hornhaut meist vollkommen
intact vor der Bläscheneruption, die sich unter stärkerer pericornealer
Gefässinjection und mit Schmerzen einstellt. In der Mehrzahl der Fälle
besteht eine Entzündung des Respirationstractus (Pneumonie, katarrha-
lischer Husten, Schnupfen u. s. w.) oder anderer Schleimhäute; mau
rindet alsdann oft gleichzeitig einen Herpes labialis oder nasalis. Jedoch
sind nicht immer derartige Allgemeinerkrankungen vorhanden. Recidive
sind selten. Die Regeneration des Epithels geht in der Kegel nur
langsam vor sich, indem die Hornhaut sich gleichzeitig etwas trübt.
Es kann selbst zu einer eitrigen Hornhautinfiltration und Hypopyon
kommen.
2) Herpes neuralgicus. Meist ist die Cornea schon in einem
gewissen Reizzustand, sei es, dass Pannus, Phlyktänen, Ulcera u. s. w.
bestehen, sei es, dass Verletzungen oder Operationen (z. B. beobachtet
man die Bläschenbildung gelegentlich nach Kataraktoperationen) statt-
gefunden haben; doch kann die Affection auch eine sonst gesunde Horn-
haut befallen.
Oefters bestehen Trigeminusneuralgien. Ihren eigenthümlichen Cha-
rakter zeigt diese Form besonders durch den Mangel erheblicherer
Entzündungserscheinungen und die schnelle Heilung der einzelnen Erup-
tionen, aber grosse Neigung zu typischen Recidiven, die bisweilen mit
intermittirenden Neuralgien in Trigeruinus ästen zusammenfallen. Treten
die Recidive sehr zahlreich auf, so bleiben leicht Trübungen der Horn-
haut zurück.
3) Herpes zoster der Lid- und Stirnhaut kann ebenfalls mit
Bläschenbildungen auf der Cornea einhergehen; letztere haben in ihrem
Verlaufe den Charakter des inflammatorischen Herpes. Aber nicht alle
Hornhautaffectionen, die den Zoster begleiten, treten als Bläschen-
eruption auf, und so darf der sogenannte Zoster ophthalmicus nicht
ohne Weiteres dem Herpes corneae gleichgesetzt werden.
Nicht nur bei dem y.o.x ls()'/Jlv a^s neuralgisch bezeichneten Herpes
corneae ist die Ursache in einer Affection der Nerven zu suchen, son-
dern auch bei den anderen Formen. Hierfür spricht das oft gleich-
zeitige Bestehen von Herpes labialis, sowie das häufige Zusammenfallen
mit Zoster.
Diagnostisch ist der Herpes von der Keratitis phlyctaenulosa zu
trennen, bei welcher letzteren auch bisweilen kleine bläschenähnliche
Hervorragungen, aber mit trübem Inhalt auftreten.
Die Therapie kann bezüglich der Bläschenbildung bei Herpes
neurakneus passiv bleiben; wenn Beschwerden vorhanden sind, träufle
4(j4 Krkninkun^'cn der Hornhaut.
man Cocain ein und bringe durch Anstechen oder Einpudern von grobem
Oalonielpulver die Bläschen zum Platzen. Bedenklicher ist aber die
Sache, -wenn sich fortgesetzt Recidive einstellen. Bisweilen nützt auch
hier Calomeleinpudern, sonst sind eonstanter Strom, Druckverband,
Abschneiden der betreffenden Hornhautpartien (Hasner) oder Cauteri-
siren neben den üblichen Nervenmitteln zu versuchen; in seltenen Fällen
bleibt alles erfolglos.
Den inflammatorischen Herpes behandelt man mit Atropin und
feuchtwarmem Druckverband; bei heftigeren Schmerzen mit Cocain und
Narcoticis.
Keratitis bullosa.
Auf Hornhäuten mit parenchymatösen Trübungen, so nach Ver-
brennungen, ferner an degenerirten Augäpfeln — z. B. bei abgelaufenem
Glaukom oder nach chronischer lrid'ochorioiditis — entstehen in ein-
zelnen Fällen grosse, schwappende Blasen mit einem leicht trüben, selbst
blutigen Inhalt. Entzündliche Erscheinungen und Schmerzen sind öfters
vorhanden, können aber auch ganz fehlen. Die Blasen platzen nach
einigen Tagen, oder bleiben auch längere Zeit bestehen. Nach dem
Platzen tritt meist Heilung ein.
Das abgehobene Hornhautblatt zeigte neben Epithel und Bowman-
scher Membran in einem von v. Graefe untersuchten Falle auch Horn-
hautgewebe, in anderen Fällen nur Epithel (Schweigger, Saemisch).
Etwa vorhandene Schmerzhaftigkeit sucht man durch Abtragen der
vorderen Wand zu heben; Recidive müssen, falls sie Beschwerden ver-
anlassen, vorzugsweise durch Behandlung der ursprünglichen Augen-
aflfection (z. B. des etwa bestehenden glaukomatösen Processes) bekämpft
werden.
III. Eitrige Hornhauterkrankungen.
Umschriebenes eitriges Hornhautinfiltrat.
Es 1 lüdet sich in der Hornhaut eine mehr oder weniger grosse
gelbe, durch massenhafte Zellenanhäufung bedingte eitrige Infiltration,
während gleichzeitig pericorneale Injeetion auftritt. Die Infiltration
pflegt in die Tiefe des Gewebes einzudringen; die oberflächlichen
Schichten stossen sich ab. Oft kommt es zur Hornhautperforation, mit
welcher dann plötzlich eine erhebliche Besserung und die ausgesprochene
Tendenz zur Heilung eintritt, Schon vor der Perforation pflegen Ge-
fässe vom Hornhautrand her, und zwar meist neben oberflächlichen
solche, die in tieferen Lagen der Cornea sich befinden, zum Infiltrat zu
verlaufen. Die Infiltrate treten einzeln oder multipel auf. Letzteres
findel sich besonders häufig bei Kindern nach Exanthemen, so in der
Eitrige Eornhauterkrankungen. 405
Reconvalescenz nach Masern, Scharlach, indem dicht am Hornhautrande
dickgelbe, etwas geblähte und pustulös aussehende Infiltrationen mit
starker Tendenz zur Perforation entstehen. Alte Hornhaut-Flecke und
-Narben gerathen auch häufig in eitrigen Zerfall. Hyperämie der Regen-
bogenhaut ist oft nachweisbar, eine Iritis selten. Ebenso fehlen meist
Hypopyen und wenn sie vorhanden, sind sie in der Regel nur klein.
Ueber starke Lichtscheu, Thränen und Schmerzen, die sich in Stirn
und Schläfe fortsetzen, wird nicht selten geklagt.
In der Mehrzahl der Fälle ist in einer gewissen constitutionellen
Schwäche die Neigung zum eitrigen Zerfall zu suchen. So nach er-
schöpfenden Krankheiten, nach zu lange fortgesetztem Nähren der
Frauen. Aber auch örtliche Ursachen sprechen mit, beispielsweise
finden sich bei Granulationen öfters eitrige Infiltrationen.
1 >ie Prognose ist immerhin vorsichtig zu stellen, da es häufig zu
Perforationen mit Irisvorfällen kommt. Da aber die Tendenz, sich in
die Fläche auszubreiten, dieser Form fehlt, so pflegt nicht der Verlust
des Auges herbeigeführt zu werden.
I >ie Therapie muss sich hauptsächlich danach richten, ob Con-
junctivitis besteht oder nicht. Ist dieselbe und stärkere Absonderung
vorhanden, so wird directes Touchiren der ektropionirten Lider mit
Tannin- oder Bleilösimgen besonders angezeigt sein. Feuchte Wärme,
welche bei reinen eitrigen Hornhautprocessen sehr nützlich ist, ist in
derartigen Fällen zu vermeiden, ja nötigenfalls durch kühle Umschläge
— etwa drei Mal täglich '/4 Stunde — zu ersetzen. Die Hyperämie der
Regenbogenhaut erfordert Atropin. Ist die Perforation des Geschwürs
nahe, so sucht man ein Hineinfallen des Sphincter iridis in die Wunde zu
verhüten. Entsprechend der Lage des Geschwürs, also z. B. bei peripherer,
wird gelegentlich auch Eserin oder Pilocarpin einzuträufeln sein, um die
Pupille zur Contraction zu bringen. Bei gleichzeitiger Litis sei man
aber mit den Mioticis vorsichtig, da sie leicht die Entzündung steigern.
Bei sehr heftigem Schmerz, vorzugsweise wenn die Ciliargegend auf
Druck stark empfindlich ist, setzt man drei bis fünf Blutegel in die
Schläfengegend und giebt, neben Anwendung der Arlt 'sehen Stirn-
salbe. Xarcotica.
Ist keine Conjunctivitis vorhanden, so sind neben Einträufelungen
von Aqua chlori am empfehlenswerthesten die lauen antiseptischen Dauer-
verbände. Sollten dieselben Schmerzen hervorrufen, so wende man laue
Umschläge mit Kamillenthee, Borsäure- oder Sublimatlösung mehrere
Male täglich r2 Stunde lang an. Man muss aber hier auch die
Empfindungen des Patienten etwas berücksichtigen; es giebt Individuen,
welche selbst laue Umschläge wegen Vermehrung der Schmerzen nicht
vertragen. — Ist die Perforation sehr nahe, buchten sich etwa schon
Selunidt-Rimpler. /.Auflage. 30
466
Erkrankungen der Hornhaut.
die untersten Schichten des Geschwürs hervor, so macht man die
Paracentese im Geschwürsgrund. Man bedient sich hierzu der
Desniarres'schen Paracentesen- oder Punctionsnadel (Fig. 148). Nach
Abfluss des Kammerwassers verengt sich die Pupille; die Refraction
wird erhöht. Will man die Wunde längere Zeit offen
halten ; so kann man die eingetretene A'erklebung mit
dem an der anderen Seite der Nadel befindlichen Spatel
trennen. Bezüglich der Allgemeinbehandlung sind meist
Roborantia angezeigt.
Hypopyonkeratitis.
Dieser von Roser eingeführte Namen bezeichnet
eitrige Processe in der Hornhaut , die — im Gegensatz
zum umschriebenen Eiterinfiltrat — die Tendenz haben,
sich nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Fläche
auszubreiten und sich mit grösseren Hypopyen zu ver-
binden. Die Hornhautaffection tritt unter verschiedenen
Formen auf und hat danach auch verschiedene Namen
erhalten: so Hornhautabscess (Arlt, Weber), torpi-
des eitriges Hornhautinfiltrat (v. Graefe), Ulcus
serpens (Saemisch). Die zerstörende Tendenz, die
Complication mit Hypopyen, wie auch Aerlauf und Aus-
gang gestatten aber die Einreihung dieser Formen in eine
Krankheitskategorie-
Am häufigsten beobachtet man die Form des Ulcus
serpens. Hier besteht meist in den mittleren Partien
der Cornea ein rundlicher oder ovaler, anfänglich sehr
oberflächlicher Substanzverlust, an dessen Stelle die Cor-
nea leicht grau und durchscheinend ist. An einem kleineren
oder grösseren Theile des Randes — selten das Geschwür
ganz umgebend — findet sich eine dicke, käsige, grau-
weisse, ziemlich schmale und bogenförmige Infiltration,
bisweilen daneben punktförmige Herde. Da besonders die
Infiltration des Randes ins Auge fällt und die Gesehwiirs-
tiäche fast im Niveau der übrigen Hornhaut zu liegen
scheint, zeigt die Affection ein von sonstigen Gesclrvvüren abweichendes
Aussehen: es fehlt die eigentlich grubenförmige Vertiefung. —
Aehnlich, wie oben beschrieben, schildert Arlt das zweite Stadium
des von ihm als Abscess bezeichneten Processes, nach Resorption oder
Perforation des Eiters. Der ursprüngliche Abscess bildet eine abge-
sackte gelbeitrige Infiltration unter Schmelzung der tieferen Hornhaut-
Paracentesen-
nadel von
Desmarres.
Hypopyonkeratitis. 467
lamellen: Jas Epithel und die obersten Schichten bleiben anfänglich
erhalten. Diese Affection ist sehr selten.
Bei dem torpiden Eiterinfiltrat sind in grosser Ausdehnung
die oberen Schichten eitrig infiltrirt. Später kommt es meist zu Ulce-
rationen, ohne dass jedoch das typische Bild des Ulcus serpens auftritt,
indem der Grund gelblich-eitrig infiltrirt bleibt. Gemeinsam mit dem
Ulcus serpens ist ihm die Tendenz zur Ausbreitung und Hypopyon-
bildung.
Bisweilen können diese Formen allerdings als verschiedene Stadien
desselben Processes vorkommen: doch ist dies durchaus nicht nöthig.
Wenn z. B. das Epithel durch ein Trauma abgerissen ist und eine
Infection der Wunde stattfindet, so entsteht sofort ein Ulcus serpens,
nicht etwa erst ein Abscess.
Von den Rändern des Geschwürs oder Eiterinfiltrats aus sieht man
bei schiefer Beleuchtung weisslieh-graue, nach der Hornhautperipherie
hin verlaufende feine Striche — Zelleninfiltrationen entsprechend — ,
die tief in das Parenchym hineingehen und öfters mit einander in Ver-
bindung treten. Schon frühzeitig finden sich Veränderungen des Kammer-
wassers, indem es sich leicht trübt, und bald entstehen theils graue,
rein fibrinöse, theils gelbe, meist nur mit/ wenigen Eiterzellen durchsetzte
Massen am Boden der Kammer. Sehr häufig lassen sich Verbindungs-
stränge von der Hornhautinnltration zum tieferliegenden Hypopyon ver-
folgen. Da erstere sich nach der Function der vorderen Kammer eben-
falls entleeren, so ist die Lage derselben auf der hinteren Hornhaut-
flache — nicht etwa zwischen den Hornhautlamellen — erwiesen. Es
handelt sich hier um ein Hindurchkriechen der Eiterzellen in die vor-
dere Kammer an der Stelle des Infectionsherdes und eine Senkung
derselben auf der Membr. Descemetii (Homer). Umgekehrt kann auch,
nach den Untersuchungen von Fuchs und Elschnig, von den Gefässen
an der Hornhautperipherie von der Kammerbucht aus eine Eiterwanderung
von der Membrana Descemetii hinauf zur hinteren Wand des Ulcus er-
folgen und von dort aus durch die Membrana Descemetii in die Horn-
hautlamellen dringen. Ueberhaupt sind bei manchen tiefen Hornhautaffec-
tionen die Veränderungen des Endothels der M. Descemetii von Bedeutung,
indem hierdurch dem Kammerwasser leichterer Zugang zum Hornhaut-
gewebe gewährt wird; durch Fluorescin-Einträufelungen kann man direct
die Störungen des Endothel-Bezuges constatiren (v. Hippel jun.).
Uebrigens besteht das Hypopyon in seiner Hauptmasse aus Fibrin. In
sehr seltenen Fällen findet eine Senkung des Eiters zwischen den Horn-
hautlamellen selbst statt: der so an der unteren Hornhautperipherie zu
Stande gekommene, kleine, gelbliche Halbmond führt den Namen Onyx
oder Unguis: in der Regel handelt es sich jedoch um ein wirkliches,
30*
(r,s Erkrankungen der Hornhaut.
in der vorderen Kaiinner befindliches Hypopyon. Die Iris ist an dem
Zustandekommen des Eiters meist wenig betheiligt, hingegen gehen
die fibrinösen Absonderungen von ihr aus. Hyperämien derselben
fehlen selten, auch kommt es oft zu adhäsiver Iritis; selbst Iridocyklitis
kann eintreten.
Die Kranken verhalten sich bisweilen auffallend indolent, indem
die Röthung des Auges; das Thränen und Schlechtersehen sie wenig
genirt. In anderen Fällen bestehen heftige Ciliarneurosen, die Tag
und Nacht die Ruhe rauben. — Das Ulcus serpens pflegt sich sehr
schnell peripher auszubreiten; in acht Tagen hat es bisweilen den
grössten Theil der Hornhaut zerstört. Daneben geht es auch in die
Tiefe; doch ist ein stärkerer Substanzverlust selten sichtbar, indem die
Vertiefung dadurch wieder ausgeglichen wird, dass die übrigbleibende
dünne Schicht Hornhaut dem intrao ciliaren Drucke nachgiebt und nach
vorn getrieben wird. Auch die torpiden Eiterinfiltrate dehnen sich oft
mit erheblicher Schnelligkeit aus und richten grosse Partien der Horn-
haut zu Grunde. Bei den eigentlichen Abscessen ist diese Tendenz
weniger ausgeprägt. Ist es zur Perforation der Hornhaut gekommen,
so pflegt sich der Process meist günstiger zu gestalten, indem sich in
der Hornhaut Gelasse entwickeln und den Substanzverlust zur Heilung
bringen, allerdings mit weisser Narbe. Häufig ist die Iris mit ihr
verwachsen. Ebenso bilden sich bisweilen umschriebene Kapsellinsen-
stare, die sich selbst zu totaler Linsentrübung erweitern können. Ist
der Substanzverlust sehr ausgedehnt gewesen, so entsteht ein Staphy-
lom oder auch Phthisis corneae. In seltenen Fällen treten innere
heftigere Entzündungen auf, die zur Chorioiditis suppurativa und Pan-
ophthalmitis führen.
Aetiologie. Die Hypopyonkeratits ist am häufigsten durch
septische Infection veranlasst, und zwar in einer grossen Zahl der Fälle
durch Secret alter Thränensackblennorrhoen. Auf letztere ist bei jeder
1 iypopyonkeratitis zu fahnden. Ich habe Thränensackleiden in ca. 54
Procent der Erkrankungen beobachtet. Bisweilen besteht das Thränen-
-.■u-kleiden nicht auf der Seite des erkrankten, sondern auf der des
anderen Auges; auch muss man öfters daraufhin untersuchen, da bei
der ersten Untersuchung zufällig kein ausdrückbares Secret im Thränen-
sack vorhanden sein kann.
Impfungen des Thränensaeksecrets auf Kaninchenhornhäute, die ich ange-
stellt, haben die infectiüse Wirkung desselben erwiesen. In dem Secret vieler
Thränensackblennorrhoen (nicht alle haben sich nach meinen Impfversuchen an
Kaninchenhornhäuten in gleichem Maasse infectiüs gezeigt) finden sich verschieden-
artige Mikrokokken und Stäbchen. Unter ihnen auch der Fränkel-Weichsel-
baum'sche I'neumococcus. Da letzterer ebenfalls indem Gewebsdetritus, weichet
dem l'lc. serpens entnommen wird, wieühthoff und Axenfeld nachgewiesen ur
Hypopyonkeratits. 4.(39
ich bestätigen kann, fast regelmässig vorkommt und seine Impfung auf Kanincken-
hornhaut eitrige Infiltration hervorruft, so liegt eine grosse Wahrscheinlichkeit
vor. dass eine von ihm ausgehende [nfection bei der Entstehung des Ulc. serpens
eine Rolle spielt. Doch soll die Möglichkeit einer anderen Art der Entstehung,
besonders von Bßschinfectionen, nicht, ausgeschlossen sein, zumal auch bei anderen
Hornhaut/processen, so bei der Keratomalacie, Pneumokokken gefunden sind
(v. Hippel, Dötsch), weil ferner dieselben bei ( 'onjunctival-Affectionen überhaupt
nicht selten sind, und schliesslich auch die Impfung auf Kaninchenhornhaut kein
specitisches Ulc. serpens hervorgerufen hat.
Leber hat die Entwicklung der Eiterungsprocesse in der Hornhaut besonders
eingehend studirt. Es sind nach ihm die Stoffwechselproducte der Bacterien,
welche, in starker Concentration die Zellen tödtend, in schwächerer reizend, die
eigenartige Form der eitrigen Hornhautentzündung bedingen. Während sie an
der Stelle ihrer Einimpfung einen nekrotischen Herd verursachen , wirken sie auf
Leukocyten in den Gefässen des Hornhautrandes reizend (chemotactisch) und ver-
anlassen das Auskriechen derselben. Die weissen Blutkörperchen wandern nun-
mehr zur Impfstelle, an deren Grenze sie gelähmt werden und absterben. Hier-
durch entsteht der Infiltrationsring.
Dass selbst Schimmelpilz eine Hypopyonkeratitis bewirken kann, lehren
Fälle von Leber und Anderen, wo Aspergillus glaucus sich im Hornhautgewebe
fand | Keratomykosis aspergillina) ; aber es sind auch leichtere Affectionen nach
dem Eindringen dieser Pilze beobachtet (Uhthoff).
Den directen Anlass zur Infection geben meist Verletzungen der
Cornea durch Zweige, Getreidehalme u. s. w.; bei Landleuten ist in der
Erntezeit (Keratite des moissonneurs) die Affection besonders häufig.
Aber auch ohne Verletzung und nachweisbare Infection kommen
Hypopyonkeratiten vor. So in der Gestalt des torpiden Hornhautinfiltrats
bei schwächlichen oder scrophulösen Kindern und nach Exanthemen,
oder bei älteren herabgekommenen Individuen.
Besonders nach Pocken treten ähnliche schwere eitrige Infiltrationen
der Hornhaut auf. Es handelt sich hier nur selten um Efflorescenzen, die
der Pockeneruption auf der Haut analog wären und gleichzeitig mit ihr
auftreten, sondern in der Regel um später entstehende Hornhautprocesse,
wie sie auch sonst bei herabgekommenen Individuen sich nach Typhus,
Puerperalfieber, Diabetes u. s. w. zeigen. Zur Zeit der Hauteruptionen
selbst habe ich bei Pockenkranken öfters Conj. phlyctaenulosa gesehen.
Die Prognose ist um so schlechter, je länger eine entsprechende
Therapie ausbleibt; bei umschränkter Erkrankung ist Heilung wahr-
scheinlich. Ebenso wenn bei Ulcus serpens frühzeitig spontane Perforation
eintritt. Günstig verlaufen öfters bei frühzeitiger Behandlung auch die
diffusen torpiden Eiterinfiltrationen der Kinder, die sich auffallend voll-
ständig resorbiren können.
Therapie. Im Beginn des Ulcus serpens und bei nicht zu
grosser Ausbreitung desselben genügt die einfach meclicamentöse Be-
handlung mit feucht-warmen, antiseptischen Verbänden neben Atropini-
sirung des Auges und täglich zweimaligem Einpudern von Jodoform-
470 Erkrankungen der Hornhaut.
pulver. Letzteres Mittel übertrifft hier oft die sonst sehr brauchbare
offieinelle Aqua chlori. Diese oder eine lprocentige Creolinlösung kann
man 1 bis 2 mal täglich reichlich einträufeln, wenn Jodoform nicht ver-
tragen wird oder unwirksam ist, Avas gelegentlich vorkommt. Das Xero-
form, welches ebenfalls empfohlen ist und ähnlich wie Jodoform wirkt,
bildet leicht im Auge eine cementartige Masse, die, wie ich beobachtet,
sogar bei Substanzverlusten zum Theil einheilen und Trübungen veran-
lassen kann. Auch das directe Bepinseln des Geschwürs mit Aqua chlori,
Creolin oder mit Sublimatlösung (1 : 1000) ist entsprechenden Falls zu
versuchen. Von der gleichfalls empfohlenen subconjunctivalen Koch-
salzlösung habe ich nicht viel gesehen. An Stelle der dauernd ge-
tragenen feucht-warmen antiseptischen Verbände, die eventuell auch
durch Umhüllung eines Augen-Thermophor (gefüllt mit Krystallen von
unterschwef licht- oder essigsaurem Natron) mit feuchtem Mull hergestellt
werden können, sind, falls der Druck des Verbandes schmerzhaft wird,
feucht-warme Compressen mit 2- bis oprocentiger Borsäurelösung oder
Sublimatlösung mehrmals am Tage eine halbe Stunde lang, anzuwenden.
Bei dieser Therapie heilen eine Reihe von leichteren Processen;
bisweilen tritt auch eine spontane Perforation des Geschwürs ein, ohne
allzu grossen Substanzverlust. Droht dieselbe, so wird man bei peri-
pherem Sitze des Geschwürs das Atropin mit Pilocarpin oder Eserin
vertauschen, um den Sphincterrand möglichst fern der Durchbruchstelle
zu bringen. Manchmal scheinen Miotica die Heilung zu unterstützen, in
anderen Fällen aber verschlechtern sie den Process; besonders dann,
wenn stärkere Iritis besteht.
Daneben ist ein etwa vorhandenes Thränensackleiden zu behandeln,
indem man durch Sondiren dem Secret möglichst Abzug in die Nase
verschafft und es desinficirt. Auch hier wirkt Jodoform vortrefflich;
schon das einfache Einpudern in den Conjunctivalsack hebt bisweilen
die Secretion auf. Sonst kann man auch durch die erweiterten Thränen-
canälchen mittels einer Spritze Jodoformsalbe oder Jodoformöl in den
Thränensack einführen. Auch Ausspritzungen mit Aqua chlori oder
Zinc. sulfuric. -Lösungen sind zu empfehlen.
Bei heftigen Schmerzen und wenn der Augapfel auf Druck empfind-
lich ist, erscheint bei nicht zu herabgekommenen Individuen das Ansetzen
von Blutegeln angezeigt, daneben Narcotica. Bei torpiden Individuen
sind Wein und Roborantia zu geben.
Selbst bei etwas grösseren Geschwüren und stärkerem Hypopyon
kann man wohl ein bis zwei Tage das erwähnte friedliche Verfahren
versuchen, doch wird es hier oft in Stich lassen, und man muss — neben
den feucht-warmen Umschlägen und Jodoform — zu operativen Ein-
griffen schreiten, besonders dann, wenn der dünne Geschwürsgruud
Hypopyonkeratitis. 471
durch den Kammerwasserdruck schon hervorgebuchtet ist. Um dem
Fortschreiten des Geschwürs entgegenzutreten, ist es das Beste, mit
dem ( ialvanocauter die Geschwürsränder zubrennen; bisweilen ist das
Verfahren zu wiederholen, wenn sich eine neue fortschreitende Kand-
luriltration zeigt. Zur Entleerung des Kamnierwassers und Hypopyons
kann man bei sehr dünnem Geschwürsgrunde gleich mit dem Galvano-
cauter an einer Stelle durchbrennen. Sonst empfiehlt sich mehr am
unteren Hornhautrande, nicht zu peripher, mit einer Lanze eine nicht
zu kleine Punctum zu machen. Hierbei entleert sich das Hypopyon
meist leicht und bleibt nicht, wie es bei Perforationen in der Nähe des
Hornhautcentrums öfters geschieht, auf der Linsenkapsel liegen und
veranlasst hierdurch das Entstehen von Kapselstaren. Ueberhaupt ist
die volle Entleerung des Hypopyons nicht immer erreichbar, da es
meist aus einem grösseren, fest zusammenhängenden Fibringerinnsel mit
wenigen Eiterkörperchen besteht, das man in continuo mit der Pincette
herausziehen kann. Aber es macht auch nicht zu viel aus, wenn etwas
davon noch in der vorderen Kammer bleibt, da durch das neu-
gebildete Kammerwasser eine bessere Lösung und Resorption desselben
eingeleitet wird. Die Punctionswunde muss übrigens, wenn sie sich
schliesst, längere Zeit durch wiederholtes Lüften mit dem Spatel oder
bei der queren Durchschneidimg (s. unten) mit dem Knopfe des Weber-
sehen Thränenröhrchen-Messers offen gehalten werden, so dass täglich
wenigstens eine einmalige Entleerimg des Kammerwassers erfolgt. Erst
wenn deutliche Heilungstendenz vorhanden ist und keine neuen Hypopyen
auftreten, kann man die Wunde verheilen lassen.
Vor der Einführung der Cauterisation' mit Ferrum canclens, Gal-
vanocauter (Gayet, Sattler) oder dem von Eversbusch modificirten
Thermocauter wurde besonders die von Saemisch angegebene quere
Durchschneidung des ganzen Geschwürs geübt. Es war das ein
erheblicher Fortschritt in der Behandlung dieses bösartigen Processes.
Zur Entleerung von Hypopyen ist neben der Cauterisation auch jetzt
noch dies Verfahren empf ehlenswerth ; in einer Anzahl von Fällen ge-
nügt es allein schon zur Heilung.
Man geht hierbei mit einem schmalen Graefe' sehen Messer
an einem Rande des Geschwürs noch im gesunden Gewebe in die
vordere Kammer, führt dann das Messer, mit der Schneide nach
vom, in der vorderen Kammer hinter dem Geschwür entlang zum ent-
gegengesetzten Rande, sticht dort aus und durchschneidet nach vorn
ziehend quer den ganzen Geschwürsgrund. Das Kammerwasser fliesst
jetzt ab und der Eiter entleert sich, wenn auch nicht immer vollständig.
Auch hier muss man durch vorsichtiges Eingehen mit einer Irispincette
noch oft das Gerinnsel herausziehen. Die heftigen Schmerzen, die der
472 Erkrankungen der Hornhaut.
Kammerentleerung folgen, hören unter einem feucht-warmen Verbände
bald auf.
Bei länger bestehenden und grösseren Ulcera mit Hypopyon ent-
wickeln sieh in einer Reihe von Fällen Kapsellinsentrübungen, die um-
schriebener bleiben können, bisweilen aber auch zu vollständiger kam rak-
töser Trübung führen. Sie sind wohl vorzugsweise Folg«' des
längeren Anliegens der Linse an die geschwürige Cornea und der Ein-
wirkung des auf der Kapsel haftenden Eiters. Möglich ist, dass
auch bei der mit der Kammeröffnung eintretenden Linsenverlagerung
kleinere Kapselrisse zu Stande kommen; aber auch ohne diese sieht
man öfters umschriebene Linsentrübungen nach Ulcus serpens ent-
stehen. —
Man thut bei grösseren Substanzverlusten gut, in der Heilungs-
periode und noch lange nachher dauernd einen Druckverband tragen
und Pilocarpin, das durch die Irisentfaitung dem Vorrücken der Linse
entgegenwirkt, einträufeln zu lassen. Keinenfalls darf der Kranke zu früh
seine Arbeiten aufnehmen; man sieht sonst leicht den mit glatter Cor-
neanarbe Entlassenen mit grossem Staphylom sich wieder vorstellen.
Die Abscesse und eitrigen Hornhautinfiltrate erfordern im
Ganzen dieselbe medicamentöse Behandlung, nur ist die Wirkimg des
Jodoforms hier nicht so erprobt. Man wird besser Aqua chlori, Creolin-
lösung oder 1 bis 2procentige Lösungen von Chin. muriaticum mehr-
mals täglich einträufeln. Besteht ein wirklicher Abscess, so kann man
ihn mit einer breiten Paracentesennadel anstechen, doch gelingt eine
eigentliche Entleerung meist nicht, da die Eiterzellen in den Hornhaut-
lamellen haften. Eine quere Durchschneidung der infiltrirten Hornhaut
erscheinen hier, sowie bei dem diffusen Eiterinfiltrat nicht indicirt, wohl
aber ist öfters die Anwendung des Galvanocauters angezeigt. Grössere
Hypopyen, wenn sie etwa mehr als ein Drittel der vorderen Kammer
einnehmen, entleert man mit einer breiten Punctionsnadel, die man in
der Nähe der unteren Hornhautperipherie einsticht. Nöthigenfalls er-
öffnet man in den nächsten Tagen die Wunde wieder von Neuem.
Keratomalacie.
In sehr seltenen Fällen bildet sich im Centrum oder in der Peri-
pherie (Ptingabsccss) der Cornea eine Eiterinfiltration, die in wenigen
Tagen sich über die ganze Hornhaut erstreckt und diese in einen ne-
krotischen Brei umwandelt, der sich zum Theil abstösst und zu aus-
gedehnten Perforationen führt oder auch eine Art Vertrocknung ein-
geht, als deren Endresultat dann ein Schwund der Hornhaut eintritt,
so dass dieselbe schliesslich nur eine kleine, flache, weissliche, vielleicht
noch an einer Stelle durchseheinende Platte am vorderen Pole des
Keratitis xerotica. 473
Auges bildet. Nach intieirten Kataraktextractionen, bei acuten Conjunc-
TivalblemioiTlioen und Diphtheritis conjunctivae, sowie auch ohne andere
örtliche Affection bei geschwächten, elenden Individuen, nach schweren
Allgemeinkrankheiten, wohl auch als Folge septischer Infection (Manz),
wird die Keratoraalaeie (ftaZaxog, weich) gelegentlich beobachtet. Ich
habe eine junge, sehr anämische Frau gesehen, die am dritten Tage
nach einer normalen Entbindung an einer doppelseitigen eitrigen Ilorn-
haurintiltration erkrankte. In drei weiteren Tagen waren beide Horn-
häute total vereitert.
Feucht-warme Umschläge neben Roborantien können angewandt
werden, ohne dass man sich jedoch bei entwickelter Keratomalacie be-
züglich der Erhaltung der Hornhaut etwas versprechen darf.
Keratitis xerotica.
Bei kachektischen Individuen beobachtet man eine eigenthümliche
Hornhautverschwärung, der in der Regel eine Xerosis der Conjunctiva
und oft, wie Mittheilungen Gouvea's ergeben, auch Hemeralopie voran-
geht. Die Conjunctiva ist trocken, mit feinem Schaum und Schüppchen
bedeckt, die unter dem Mikroskop Pflasterepithelzellen und Fett zeigen,
ihrer Hauptmasse nach aber aus Bacillen bestehen (vgl. Xerosis con-
junctivae).
Bei Bewegungen des Bulbus heben sich auf der zwischen den
Lidern freiliegenden Schleimhaut kleine senkrechte Falten. Die Sensi-
bilität der Cornea ist vermindert. Es treten einzelne vordere Conjunc-
tivalvenen und Episcleralgefässe scharf hervor, ohne dass jedoch eine
ausgeprägtere pericorneale Injection vorhanden wäre. Das Auge ist
lichtscheu und thränt.
Ein kleiner meist central gelegener Bezirk der Cornea wird trocken,
matt, grau, später gelblich getrübt. Das Epithel stösst sich in grosser
Ausdehnung ab. Dann bildet sich eine fortschreitende Eiterinfiltration
mit ulceröser Schmelzung, die in kurzer Zeit die Cornea gänzlich oder
bis auf einen schmalen Rand zerstören kann. In anderen Fällen geht
der Process langsamer voran und hält sich mehr im Bezirke der Lid-
spalte. Die Iris pflegt sich beim Fortschreiten auch zu betheiligen: nach
Abstossung der Cornea kann sich eine Panophthalmitis entwickeln.
In einzelnen Fällen von infantiler xerotischer Hornhautverschwärung
sind im Gewebe imd zum Theil in den Gefässen massenhafte Kokken
gefunden worden (Leber und Wagenmann), in anderen Streptokokken
(Schanz, Uhthoff und Axenfeld), und auch Pneumokokken.
v. Uraefe hat diese Affection, die er besonders bei elenden Kindern im
zweiten bis fünften Lebensmonate beobachtete, als „Hornhautverschwärung-
bei infantiler Encephalitis- bezeichnet.
474 Erkrankungen der Hornhaut.
Es fand sich nämlich im Gehirn ausgedehnte fettige Degeneration der Neu-
rogliaelemente, ohne dass jedoch klinisch eigentliche Hirnsymptome bestanden.
Nachdem aber durch Jastrowitz' Untersuchungen die pathognomonische Be-
deutung eines reichlichen Gehalts an Fettkörnchenzellen in den Gehirnen so
jugendlicher Individuen zweifelhaft geworden ist, kann die Aft'ection nicht wohl
auf ein Gehirnleiden zurückgeführt werden, zumal sich ganz gleiche Hornhaut-
affectionen auch bei älteren Individuen finden, die an anderen Erkrankungen
leiden. So hat (iouvea sie bei kachektischen Negern in Brasilien vielfältig be-
obachtet; ich sah sie auch bei einem etwa achtjährigen, an Knochenaffection seit
Jahren erkrankten Kinde. Es scheint, als wenn der nicht vollkommene Lidschluss,
indem in Folge der allgemeinen Schwäche die Lidspalte etwas offen bleibt, für
eine Beihe von Fällen die nächste Veranlassung durch Austrocknung der Hornhaut-
oberfläche giebt. Eine weitere Bolle dabei wird der mykotischen Infection zufallen.
Die Prognose ist bei ganz jugendlichen Kindern für die Augen
schlecht; in der Regel tritt bald der Tod ein. Bei Erwachsenen ist sie
etwas günstiger.
Auch bei Lagophthalmus und Exophthalmus kann eine partielle
Hornhaut -Vertrocknung auftreten: bei ersterem befällt sie meist die
untere, im Schlaf blossliegende Hornhautpartie, auf der sich oft einge-
trocknete Secretkrusten finden, bei letzterem, da die Beweglichkeit des
Bulbus verringert ist, den unbedeckten centralen Theil.
Die Therapie hat für Verschluss der Augen, Anwendung der
feuchten Wärme und Hebung des Allgemeinbefindens zu sorgen; mit
Berücksichtigung des Nachweises von Bacterien würde sich der feucht-
warme antiseptische Verband und Einträufeln von Chlorwasser em-
pfehlen. — Gouvea hat bei frühzeitigem Eingreifen sehr gute Erfolge
vom Dampfspray von 40 Grad C. gesehen, den er 1 bis 3 mal täglich
15 Minuten lang auf das Auge wirken lässt. Dazwischen Druckverband.
Er benutzt zum Zerstäuben Kamillenthee oder einfaches Wasser.
Keratitis neuroparalytica.
Die Keratitisform, welche sich bei Trigeminuslähmung bildet, kann
in ihrem Aussehen und Verlauf ganz der xero tischen entsprechen; in
anderen Fällen kommt es nur zu einfachen Infiltraten oder Ulcerationen,
die der Heilung wieder zugeführt werden können. Da die Sensibilität
der Conjunctiva und Cornea aufgehoben ist, haften kleine Fremdkörper
länger auf dem Bulbus, ehe sie durch Lidschlag entfernt werden. Und
in der That wurde von Snellen und später von Senftleben (neuer-
dings von Hanau) die entstehende Keratitis einfach als eine trauma-
tische aufgefasst, da man bei Kaninchen nach Trigeminusdurchschneidung
durch entsprechenden Schutz der Augen die Entstehung derselben ver-
hüten kann. Jedoch spricht gegen diese Auffassung, dass Form und
Ablauf der Entzündung andere sind, als die, welche wir sonst nach
Traumen sehen; trotz Schutzes des erkrankten Auges pflegt der Hei-
Keratitis neuroparalytica. 475
lungsverlauf ein bei Weitem schlechterer zu sein als bei traumatischen
Entzündungen gleicher Ausdehnung. Zudem haben Versuche von
Meissner und Schiff ergehen, dass ungeachtet erhaltener Sensibilität
die Entzündung der Hornhaut erfolgt, wenn der mediale Theil des
Trigeminus allein durchschnitten wird. Bleibt dieser unverletzt, so tritt
keine Entzündung auf (Meissner, Schüler und Uhthoff): es müssen
demnach hier Nerven verlaufen, die in einer directen Beziehung zur
Ernährung der Cornea stehen. Dafür spricht ferner, dass nach Ver-
letzungen des Ganglion Gasseri sofort Veränderungen im Hornhaut-
Epithel beobachtet wurden (Gaule). Auch F. Krause, der nach Ex-
stirpation desselben am Menschen keine Entzündungen des Auges be-
obachtete, im Gegensatz zu Lexer, der unter 9 Fällen 2 mal Keratitis
sah, fand doch eine Verringerung der Befeuchtung und geringere
Widerstandsfälligkeit gegen entzündungserregende Einflüsse. Hierdurch
ist ein günstiger Boden geschaffen für die schädliche Einwirkung von
Traumen und für eine durch Verringerung des Lidschlages und der
reflectorischen Thränenseeretion veranlasste Vertrocknung, auf die
v. Graefe, neuerdings Feuer und v. Hippel jun. das Hauptgewicht
legen, und endlich vielleicht auch für die Einwanderung von Bacterien.
"Wenn man hiergegen anführen wollte, dass nach der Neurotomia optico-
ciliaris keine ähnliche Entzündung der Cornea eintritt, so ist zu be-
achten, dass, wenngleich die die Hornhaut versorgenden Ciliarnerven
durchschnitten sind, doch die Sensibilität der Conjunctiva erhalten bleibt
und weiter der Lidschlag sich nicht vermindert, demnach viel weniger
Veranlassung zu Traumen und keine zur Vertrocknung vorhanden ist.
Beides kommt auch in Betracht für die meist entzündungsfrei bleibenden
Fälle von Trigeminuslähmung, wo bei gleichzeitiger Oculomotoriuspara-
lyse das herabgesunkene obere Lid das Auge schützt.
Die Prognose ist ungünstig, da beim Fortbestehen der Trigeminus-
lähmung ein dauernder Schutz des Auges schwer herzustellen ist. Ge-
wöhnlich kommt es zu einem Leukom, bisweilen selbst zu totalem Ver-
lust der Cornea.
Die Therajne hat vor Allem Befeuchtung des Auges und Abwehr
von Verletzungen zu erstreben. Es ist daher ein dauernder feucht-
warmer antiseptischer Verband indicirt; bei gleichzeitiger Conjunctivitis
ist diese zu behandeln, und es wird in solchen Fällen die feuchte Wärme
nicht zu lange angewendet werden können. Daneben Atropin, oder
aus früher auseinandergesetzten Gründen beim Fehlen einer Iritis ge-
legentlich Eserin. Auch Elektricität und Stiychnin-Injectionen unter die
Schlaf enhaut (Xieden) kann man versuchen. Ist ein Leukom ent-
standen, so wird bisweilen nachträglich durch eine Iridectomie, die in
der Regel gut heilt, noch Besserung des Sehens geschaffen.
476
Erkrankungen der Hornhaut.
IV. Diffuse Hornhautinfiltrationen.
Pannus (Keratitis pannosa).
Grössere verästelte Gefässstänime, die, ursprünglich aus dein epi-
skleralen Randschlingennetz entstehend, sich meist bis zu den hinterm
Conjunctivalgefässen verfolgen lassen, setzen auf die Hornhaut über
und verbreiten sich in ihrer Oberfläche. Ihre Lage ist zwischen Epithel
und Bowman'scher Membran beziehentlich dicht unter dieser. Daneben
zeigt die Hornhautoberfläche eine leichte diffuse Trübung durch An-
häufung von Zellen unter dem Epithel; ebenso Unregelmässigkeit,
Hypertrophie und kleine Substanzverluste des letzteren. Auch die
Bowmansche Membran kann durchbrochen werden und so eine Zellen-
einwanderung in das Hornhautparenehym stattfinden (vergl. Figur 14t»)-
Der Verbreitungsbezirk der Gefässe ist bisweilen so ausgedehnt, dass
die ganze Hornhaut mit ihnen durchsetzt ist; in anderen Fällen bleiben
149.
Pannus. E = Epithel. P = Pannus-Infiltration mit Gefässen. B = Bow man 'sehe
Membran hei a perforirt. C = Cornea-Stratum.
sie auf eine Partie beschränkt. Häufig ist nur die obere Hälfte be-
fallen. Je nach der Intensität der Gefässentwiekelung und Hornhaut-
trübung unterscheidet man einen Pannus tenuis und einen Pannus
crassus oder Sarcomatosis ; hier kann die Cornea ein fleischähnliches
rothes Aussehen annehmen. In den schweren Fällen kommt es später
zu ausgedehnten Bindegewebsbildungen in den oberflächlichen Horn-
hautpartien. Ist das Ilornhautgewebe nur wenig at'ficirt und sind vor-
zugsweise die oberflächlich verlaufenden, geschlängelten und verästelten,
mit den hinteren Conjunrtivalget'ässen in Verbindung stehenden Gefässe
das Pathologische, so ist es correcter, nicht von Keratitis pannosa,
sondern nur von pannöseu Gefässen zu sprechen, die übrigens in sehr
Pannus. 477
seltenen Fällen auch zu kleinen ( lornealapoplexien Anlass geben
können. — Von subjeetiven Erscheinungen bringt das acute Auftreten
oft starke Lichtscheu, Thränen, Schmerzen; später treten die Sek-
störungen mehr in den Vordergrund. Bei sehr dickem Pannus können
die Kranken sieh nicht mehr allein führen, sehen kaum noch die Zahl
der Hände. Daneben ist oft vermehrte Secretion vorhanden, die von
den complicirenden ( Jonjunctivalaffectionen abhängig ist.
Wenn der Pannus sich zurückbildet, verschwinden die Gefässe all-
mählich und die ( Jornea lichtet sich. Die Trübung kann der Therapie
ganz weichen, besonders bei jugendlichen Individuen, oder noch einen
leichten durchsichtigen Schleier, oft nur bei schiefer Beleuchtung und
an umschriebenen Stellen erkennbar, zurücklassen. In anderen Fällen,
wenn der Pannus länger bestanden und wenn sich, wie nicht selten, um-
schriebene Hornhautinfiltrate, selbst eitriger Natur, hinzugesellt haben,
bleibt eine intensive oberflächliche Trübung neben umschriebenen weiss-
lichen Narben. Auch veranlasst ein derartiges eitriges Infiltrat ge-
legentlich eine Perforation mit Irisprolaps, so dass eine vordere
Synechie entsteht.
Iritis complicirt öfters den Pannus; besonders ist auf Iritis serosa
zu achten, bei der ohne stärkere Miosis die vordere Kammer tiefer
wird und seeundäre Steigerung des intraoeularen Druckes auftritt. In
sehr schweren Fällen erfolgt eine Art Schrumpfung der Hornhaut: sie
wird weisslich, trocken und abgeflacht, meist nur noch mit spärlichen
Gelassen durchzogen.
Aetiologie. 1) Trachom bildet die häufigste Ursache des Pannus,
der hierbei lange Zeit auf die obere Hälfte der Cornea beschränkt bleibt.
'1 Keratitis phlyctaenulosa führt bei längerem Bestehen zu Pannus, der
meist die ganze Hornhaut einnimmt. 3) Chronische Blennorrhoen, selbst
einfacher Katarrh kann bei alten Leuten gelegentlich eine umschriebene
pannöse Trübung veranlassen. 4) Trauma. Sowohl die directe Ver-
letzung der Cornea durch schiefstehende Cilien bei Trichiasis und
Entropium oder durch Fremdkörper, als auch die bei Ectropium durch
grössere Blosslegung der Cornea bewirkte Reizung kann Pannus ver-
ursachen. 5) In der Heilungsperiode von Infiltraten oder Geschwüren
treten nicht selten pannöse Gefässe auf (Pannus regenerativus).
Die Prognose richtet sich nach der Ursache. Ist diese schnell zu
beseitigen, so ist auch baldige Heilung zu erwarten. Von den einzelnen
Formen pflegt die bei Trachom vorkommende besonders hartnäckig zu
sein, doch kann man bei Ausdauer oft überraschende Erfolge erzielen.
Kaum der Heilung zugänglich ist der Pannus bei totaler narbiger Um-
wandlung der Conjunctiva. Der phlyktänuläre Pannus klärt sich in
der Resre!.
«
478 Erkrankungen der Hornhaut.
Behandlung. Der trachomatöse Pannus pflegt sich mit der
Heilung des Schleimhautprocesses zurückzubilden, besonders ist hierauf
zu hoffen, wenn die Schleimhaut noch Hyperämie und Körner zeigt,
weniger, wenn sich ausgedehnte Narben gebildet haben; aber auch hier
kann die Behandlung der einzelnen, zwischen den Narben befindlichen
hyperämischen und geschwellten Schleimhautpartien oder der noch vor-
handenen Granulationen Erfolge erzielen. Auf diese Behandlung, die
im Kapitel Trachom besprochen ist, muss das Hauptgewicht gelegt
werden. Giebt jedoch die Beschaffenheit der Schleimhaut keine be-
sonderen Indicationen mehr, so ist der Pannus direct anzugreifen. Hier
ist die Guthrie 'sehe Salbe (Argent. nitricum 0-4, Acet. plumb. gtt. 8,
Vaselini 8-0) oft von gutem Erfolge. Auch der Zerstäubungsapparat,
durch den laue, schwach adstringirende Lösungen gegen den offen-
gehaltenen Bulbus geworfen werden, ist bisweilen mit Nutzen ver-
wendbar. Besondere Aufmerksamkeit ist der Vernichtung der zu-
führenden Gefässe am Hornhautrande zuzuwenden. Man kann hier
die punktförmige Cauterisation der einzelnen Gefässe mit dem Glüh-
eisen anwenden, oder auch sie öfters mit dem Höllensteinstift — unter
nachfolgender Neutralisation — touchiren. Weniger ausreichend wirkt
die einfache Durchschneidung der Gefässe. Ist die Gefässentwickelung
sehr stark und verbreitet, so empfiehlt es sich, die Peridectomie oder
Syndectomie auszuführen. Man schneidet hierbei mit der Scheere
ein 2 bis 3 mm breites Stück Conjunctiva, circulär mit dem Hornhaut-
rande und diesem sich anschliessend, heraus. Um eine wirkliche Unter-
brechung und Zerstörung der Gefässe zu erreichen, wird das darunter-
liegende episklerale Gewebe stark scarificirt. Die Reaction auf diesen
Eingriff führt anfänglich zu einer stärkeren Trübung der Cornea, die
sich nach und nach wieder zurückbildet. 1 >ie gute Wirkung tritt eist
nach Wochen zu Tage. Sehr vortheilhaft ist es auch, die Gefässe auf der
Hornhaut selbst mit einem Lanzenmesser einzeln aufzuschneiden: man
kann dies Verfahren mit gleichzeitiger Durchschneidung der zuführenden
Gefässe am Hornhautrande verbinden.
I lie Einimpfung einer acuten Blennorrhoe — am besten wird das Secret einer
Ophthalmia neonatorum benutzt — wurde bereits von Jäger gegen Pannus em-
pfohlen und ist in neuerer Zeit in Frankreich und England wieder mehr geübt
worden. Natürlich darf man die Methode nicht anwenden, wenn noch ein Auge
intact ist, da leicht Uebertragung und Zerstörung der durchsichtigen Hornhaut
eintreten könnte. Die veröffentlichten Resultate sind nicht gerade sehr ver-
lockend; in den günstigsten Fällen ist nach vielmonatlicher Behandlung eine
Itesserung- erzielt, die, wie mir scheint, in dieser Zeit auch mit milderen Mitteln
zu erreichen wäre. Bei vier- bis sechsmonatlicher Klinikbehandlong habe ich es
ebenfalls öfters erreicht, dass Patienten, die Finger in ein paar Meter zählten oder
selbst nur noch Bandbewegungen erkannten, zu V3 bis '/2 Sehschärfe kamen. Das
intensive und tiefliegende Narbengewebe in der Eornhaut lichtet sich aber weder
Pannus. 479
durch eine künstliche Blennorrhoe noch durch andere Mittel. Der Inoculation
blennorrhoischen oder gonorrhoischen Secrets ist das Bepinseln mit Jequirity-
Maceration (s. S. 437) jedenfalls vorzuziehen, vorausgesetzt, dass keine Papillar-
schwellung besteht.
Der Pannus nach chronischer Blennorrhoe pflegt weniger gefährlich
zu sein, da das Gfrundleiden sich meist leichter heben lässt: darauf ist
die Therapie zu richten. Gegen phlvktänuläreii Pannus ist bei nicht
zu heftigem Reizzustande (anderesfalls ist erst antiphlogistisch mit massig
kühlen Umsehlägen und Atropin vorzugehen) von bester Wirkung die
gelbe Quecksilbersalbe, die; wie bei der phlyktänulären Keratitis, täglich
einmal eingestrichen und verrieben wird. Das Verreiben (Massage)
kann man auch etwas verlängern. —
Bei traumatischem Pannus sind die Ursachen zu heben: so schief-
stehende Cilien, die bisweilen wegen ihrer Feinheit und weissen Farbe
übersehen werden, mit der Pincette auszuziehen oder durch Lidoperation
oder Abtragung zu entfernen. Verkalkte Meibom 'sehe Drüsen sind
zu öffnen und ihres Inhaltes zu entleeren. Distichiasis, En- oder
Ectropium sind operativ anzugreifen. — Der regenerative Pannus ist
natürlich nicht zu bekämpfen, sondern eventuell durch laue Umschläge
zu unterstützen. Er schwindet mit der Heilung der primären Hornhaut-
aifectionen meist auffallend schnell.
Ist die Hornhaut bereits weissnarbig und geschrumpft, so ist eine
Aufhellung nicht zu erwarten. In Fällen, wo auch die Conjunctiva
geschrumpft ist, sorgt man für Befeuchtung des Auges, indem man
öfters laue Milch oder eine dünne Lösung von Narr, carbon. oder Chlor-
natrium (0-3 ad 50-0) einträufelt.
Keratitis parenehyniatosa (interstitialis, profunda, diffusa).
Anfänglich bildet sich im Centrum der Cornea oder auch am Rande
eine leichte, sehr durchscheinende grauliche Trübung, die sich allmäh-
lich immer mehr ausdehnt und schliesslich die ganze Hornhaut einnimmt,
so dass dieselbe, zumal die Oberfläche meist eine zarte Stichelung
zeigt, den Anblick von behauchtem Glase bieten kann. In sehr seltenen
Fällen sind punktförmige Trübungen von solcher Kleinheit und Durch-
sichtigkeit vorhanden, dass man sie nur mit der Lupe entdeckt: Reiz-
barkeit des Auges mit leichter pericornealer Injection, für die sonst
keine Erklärung vorliegt, macht oft erst auf das Leiden aufmerksam.
Bei entwickelter Krankheit gelingt es nicht mehr, mit dem Augenspiegel
die Details des Augenhintergrundes zu erkennen, während man die
Iris und Pupille noch durchscheinen sieht. Einzelne Partien der Horn-
haut sind etwas intensiver getrübt als andere. Dies tritt besonders im
Stadium der Heilung hervor, wo die Trübungen sich an bestimmten
4si i Erkrankungen der Hornhaut.
Stellen verdichten, während andere Partien wieder durchsichtig werden.
Ein eitriger Zerfall wird nur ganz ausnahmsweise beobachtet. In der
Regel klärt sich die Hornhaut ziemlich vollständig, wenngleich kleine
sehr durchsichtige Trübungen, die man schliesslich nur noch mit
schieter Beleuchtung erkennt, nicht selten zurückbleiben. Oft ist die
Injeetion der Conj. bulbi dabei sehr gering, ja sie kann ganz fehlen.
Bei Reizung des Auges stellt sich aber auch selbst hier eine pericor-
neale Röthe ein. Eine Gefässentwickelung in der Cornea, wenigstens
soweit sie makroskopisch erkennbar, ist zur Resorption der Infiltrate
nicht erforderlich.
In anderen Fällen hingegen zeigt sich gleich beim Beginn oder
später ausgeprägte conjunctivale und pericorneale Röthe, selbst mit
stärkeren Reizerscheinungen. Auch in die tieferen Schichten der
Cornea gehen Gefässe, die sich zu Netzen entwickeln können; dieselben
schwinden nach der Heilung nur sehr langsam und können gelegent-
lich (durchaus nicht immer) mit der Lupe noch nach Jahren constatirt
werden.
Die subjectiven Störungen sind bisweilen, abgesehen von den Seh-
störungen, fast Null, so dass die Patienten selbst längere Zeit eine ein-
seitige ausgeprägte diffuse Keratitis haben können, ehe sie durch das
Befallensein des anderen Auges und die nunmehr hervortretende Schwach-
sichtigkeit zum Arzte geführt werden. Dies kann so stark sein, dass nur
noch Bewegungen der Hand in der Nähe erkannt werden. In anderen
Fällen hingegen sind Thränen und Lichtscheu und sogar erheblichere
Schmerzen vorhanden.
Complicationen zeigen sich in der Hornhaut, in der Iris und Cho-
rioidea. So entstehen in seltenen Fällen in der Hornhaut intensive
umschriebene dicke Infiltrate, die schliesslich weisse Flecke und hoch-
gradigere Sehschwäche zurücklassen. Auch die Membrana Descemetii
hat bisweilen punktförmige Beschläge, abstammend von einer beglei-
tenden Iritis serosa. Die Pupille ist fast immer eng und reagirt schlecht
auf Atropin. Auch kann es zu plastischer Iritis mit hinteren Synechien,
selbst kleinen Hypopyen kommen. Gelegentlich sieht man eigentüm-
liche, stecknadelkopfgrosse, weissliche Exsudationen ganz am Kammer-
rande vor dem Ligam. pectinatum, die sich zur Membrana Descemetii
herüber fortsetzen und kleine Brücken (vordere Synechien) bilden, die
sich nach Heilung der Krankheit noch lange erhalten. Ebenso finden
sich bisweilen mehr oder weniger intensive Glaskörpertrübungen und
disseminirte Chorioiditis. Während hier in der Regel der intraoculare
Druck hoch ist, so wird doch ausnahmsweise auch eine primäre oder
scciindäre Hypotonie beobachtet. In zwei höchst merkwürdigen Fällen,
die Klein beschrieb, kam es bei total getrübter Cornea sogar zu
Keratitis parenchymatosa. 481
einer vollständigen Phthisis mit Erblindung, indem die vordere Kammer
aufgehoben und der Bulbus matsch -wurde: dennoch erfolgte später
Restitution. —
Es ist die Beschaffenheit der Iris und das Sehvermögen immer
genau zu untersuchen: letzteres muss, falls man Complicationen aus-
schliessen will, den durch die Hornhauttrübung gesetzten optischen
Hindernissen entsprechen, darf also beispielsweise in Fällen, wo die
Iris noch gut zu erkennen ist, nicht auf quantitative Lichtempfindung
herabgesetzt sein. Das Gesichtsfeld ist bei uncomplicirten Fällen
natürlich frei.
Der Verlauf der Krankheit ist ein ausserordentlich langwieriger;
Monate, selbst Jahre können vergehen. In der Regel wird ein Auge
nach dem anderen befallen, meist so, class das erste noch erkrankt ist,
wenn das zweite anfängt, krank zu werden. Ich habe auch gesehen,
»lass ein Auge über ein Jahr schon gesund war, als das zweite erkrankte.
In seltenen Fällen bleibt ein Auge dauernd verschont. Fast alle er-
krankten Individuen stehen im Alter von (3 bis 20 Jahren. Auch Recidive
werden beobachtet.
Pathologisch-anatomisch wurde eine dichte Zellen-Infiltration be-
sonders der hintersten Hornhautschichten gefunden; auch im Ligam.
pectinatum und in der Iris sind zahlreiche, zum Theil zu kleinen Knöt-
chen verdichtete Zellen angehäuft. Daneben neugebildete Gelasse; auf
dem Endothel der Membr. Descemetii an umschriebenen Stellen Auf-
lagerungen von Rundzellen.
Die Aetiologie der Affection scheint in einer constitutionellen
Anomalie gesucht werden zu müssen. Dafür spricht die Doppelseitigkeit
des Auftretens und das Aussehen der Patienten. Meist sind es bleiche,
anämische Individuen, oft besteht oder bestand Scropkulose. Auch
Tuberculose ist in Erwägung zu ziehen. Menstruationsanomalien sind
oft vorhanden. Selten handelt es sich um vollkommen gesunde blühende
Personen.
Hutchinson hat als Ursache der Kerat. diffusa hereditäre
Lues hingestellt. Wichtig für die Diagnose der letzteren ist ihm be-
sonders das Aussehen der oberen bleibenden Schneidezähne, die an
ihrer Schneide anfänglich kleine conische Spitzen zeigen, welche sich
allmählich abnutzen, so dass schliesslich die Schneidefläche einen con-
caven Bogen mit seitwärts hervorragenden Spitzen zeigt. Diese Zahn-
form ist übrigens von der bei Rhachitis und sonst vorkommenden zu
unterscheiden, wo auf der Schneidefläche kleine Zacken, in der Schmelz-
fläche querlaufende Furchen vorhanden sind. Daneben gelten ihm als
Symptome der hereditären Lues eine eigenthümliche Bildung des Ge-
sichtes und Schädels (Oberkiefer und Nasenrücken auffallend flach);
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 31
482 Erkrankungen der Hornhaut.
ferner Narben an den Mundwinkeln, in der Mund- und Nasenhöhle als
Folge von Ulcerationen, Halslymphdrüsen, Auftreibungen der Tibia
und Schwerhörigkeit. Wenngleich in der überwiegenden Zahl der Fälle
in der That hereditäre Lues nachweisbar ist, so fehlt sie doch sicher
in anderen. Man wird diese letzteren Fälle natürlich am seltensten
in unseren Metropolen sehen, wo die Syphilis eine so ausgedehnte Ver-
breitung gefunden hat. Im Uebrigen können auch die angegebenen
Merkmale durchaus nicht ohne Weiteres als beweiskräftig für hereditäre
Lues gelten.
Die Prognose ist im Ganzen günstig, da die meisten Fälle heilen
und ein gutes Sehvermögen wieder erlangen. Getrübt wird sie durch
etwaige Complicationen. Jedoch pflegen selbst nach schweren Com-
plicationen oft im Laufe der Jahre demioch Heilungen zu Stande zu
kommen.
Die örtliche Behandlung übt -in der Regel keinen sehr erheb-
lichen Einfluss auf den Ablauf des Processes. Sie wird vorzugsweise
darauf gerichtet sein, Complicationen abzuhalten und die vorhandenen
zu bekämpfen. Man thut gut, dem Patienten gleich mitzutheilen, dass
die Krankheit Monate lang dauern wird, dass, falls erst ein Auge er-
krankt ist, auch das zweite wahrscheinlich erkranken werde, dass aber
andererseits auch Heilung und Wiedererlangung eines guten Sehver-
mögens zu erwarten stehen. Vor Allem ist die Constitution zu berück-
sichtigen. Bei schlechtem Appetit und Anämie würde zuerst die
Nahrungszufuhr durch entsprechende, die Verdauung fördernde Mittel
zu heben sein; später ist Eisen am Platze. Bei scrophulöser Anlage
letzteres als Jodeisen. Auch der lange fortgesetzte Gebrauch von
Leberthran empfiehlt sich. Ist Lues vorhanden, so muss Quecksilber
oder Jodkali benutzt werden. Bei Kindern wende ich meist die Schmier-
cur an (Ug. einer 1,0 — 2,0) bei älteren Individuen subcutane Sublimat-
Injectionen. Gegen die Reizbarkeit der Iris ist Atropin oder Scopol-
amin einzuträufeln. Zur Beschleunigung des Krankheitsverlaufs hat
man warme Umschläge empfohlen, ohne dass davon jedoch viel Nutzen
zu sehen ist. Besonders bei complicirender Iritis ist ein Versuch mit
subconjunctivalen Kochsalz-Injectionen (eine halbe Spritze voll täglich
oder Tag um Tag) zu empfehlen. Hier, sowie bei Chorioiditis ist die
Mercurialisation, wenn der Körperzustand es einigermaassen erlaubt,
vorzugsweise angezeigt. Ist starke Descemetitis vorhanden, so kann
man bei normalem oder erhöhtem intraocularen Druck wiederholt Punc-
tionen machen; bisweilen ist hier die Iridectomie indicirt. In einzelnen
Fällen, wo jede Injcction fehlt, scheint das Bestreichen der Uebergangs-
falte des unteren Lides mit mitigirtem Lapis, alle 2 bis 4 Tage wieder-
holt, die Klärung zu beschleunigen. Beginnt dieselbe, so kann man in
Sclerosirendes Bornhautinfiltrat. 483
vorsichtiger Weise und die Irritation beachtend, auch Calomel oder
gelbe Präcipitatsalbe und Massage versuchen. Ist der Reizzustand der
Augen nicht erheblich, so lasse man die Kranken mit einer Schutzbrille
an die Luft gehen. Bei starker Gefässinjecti<$a, die lange unverändert
bleibt, hat man mit Erfolg die Peritomie angewandt.
Sclerosirendes 1 1 ornhautint'iltrat.
An einer Stelle, die der Hornhaut benachbart ist, rindet sich zuerst
eine seleri tische oder episkleritische Infiltration. Von dieser aus gehen
Gefasse zur Hornhaut; am Rande derselben bildet sich alsdann eine
grauweissliche tieckentormige Verfärbung, die sich nicht scharf von der
Umgebung abgrenzt und allmählich mehr nach dem Centrum der Cornea
zuschiebt, wo sich umschriebene, fast wie Leukome aussehende weisse
Infiltrate bilden können. Oefters kommen von mehreren Seiten solche
Schübe, bisweilen ist die ganze Peripherie grau getrübt. Anatomisch
hat E. Berlin m einem Falle eine Einwanderung adenoiden Gewebes
mit einkernigen Rundzellen und massenhafter Bildung hyaliner Substanz
gefunden. Meist klären sich die Trübungen wieder, aber nur sehr
langsam im Verlaufe von Monaten. Auch centrale, graue, mit intensiv
weissen, kalkartigen Stellen durchsetzte Infiltrate, Iritis, Descenietitis
und Glaskörpertrübungen compliciren verhältnissmässig häufig diese
Atfection. Im Uebrigen entspricht der Verlauf sehr dem der Kerat. paren-
ehymatosa diffusa, nur dass die Trübungen nicht so diffus sind und
schliesslich am Rande der Cornea bläulich-weisse Verfärbungen, ähn-
lich dem Seleragewebe, zurückbleiben: die Sclera greift scheinbar in
das Gebiet der Corneaperipherie hinein. Auf der Lederhaut selbst
bilden sich an der Stelle der früheren Scleritis dunklere violette Flecke.
Wie bei der einfachen diffusen Keratitis werden meist beide Augen
hinter einander befallen. Die Therapie hat sich besonders gegen die
scleritischen Processe und gegen etwaige Complicationen zu wenden.
Für die Hornhaut selbst genügt in der Regel neben Atropinisirung ein
abwartendes Verfahren. In widerspenstigen Fällen, bei ausgebreiteten
Trübungen mit starker Sehschärfenabnahme, empfiehlt sich die Peri-
dectomie, von der ich vortreffliche Wirkungen gesehen habe. Auch
werden etwaige Säfteanomalien zu heben sein; so hat man bei Gicht
von Lithium salicylic. Nutzen gesehen (Dufour). Ferner sind Pilocarpin -
Einspritzungen gelegentlich von Vortheil gewesen.
V. Hornhautgesehwüre.
Die Geschwüre der Hornhaut entstehen von der Oberfläche her,
indem das Epithel verloren geht und die Zerstörung in die Tiefe fort
schreitet, oder von innen her, indem zuerst eine Infiltration sich bildet,
31*
484 Erkrankungen der Hornhaut.
die dann exnlccrirt. Im Ganzen pflegt bei letzterer Entstehungsweise
der Grund der Geschwüre trüber und undurchsichtiger zu sein als bei
ersterer. Sie compliciren sich bisweilen mit Hypopyon und Iritis. Kommt
es bei nicht zu tief gehenden Geschwüren zur Heilung, so stellt sich,
nachdem sich der trübe Grund gereinigt hat7 zuerst das Epithel wieder
her und dann erst allmählich das verloren gegangene Hornhautgewebe,
so dass noch längere Zeit Vertiefungen mit glänzender Oberfläche nach-
weisbar sind (Reparationsgeschwüre). Um zu erkennen, ob das
Epithel noch fehlt, hat Straub das Betupfen mit einer Fluoreseein-
lüsung (nach Thomalla am besten 2proc. Lösung von Grübler' s
Fluorescein in 3-5proc. Natr. carbonic.-Lösung) empfohlen: der Defect
färbt sich dann intensiv grün; nach einer Stunde ist die Färbung wieder
verschwunden. — Bei grösserem Substanzverlust ist das neugebildete
Gewebe nicht durchsichtig, sondern bildet eine mehr oder weniger trübe
Narbe, die entweder im Niveau der übrigen Hornhaut liegt oder her-
vortritt (ektatische Hornhautnarbe, bei grösserer Ausdehnung
Staphyloma corneae), oder auch sich abflachend zu einer Ver-
kleinerung der Cornealfläche führen kann, die bei stärkster Entwicklung
als Phthisis corneae bezeichnet wird.
Der Beginn der Heilungsperiode der meisten tieferen Geschwüre
kennzeichnet sich dadurch, dass Gefässe in der Cornea entstehen, die
vom Limbus her zu dem Geschwüre laufen, dessen Grund gleichzeitig
seine schmutzige oder intensiv gelbliche Färbung verliert.
Gehen die Geschwüre immer mehr in die Tiefe und zerstören sie
die Hornhaut bis auf ihre hintersten Schichten, so widerstehen letztere,
sobald der Substanzverlust auch in der Fläche eine gewisse Ausdehnung
erreicht hat, nicht mehr dem Drucke des Kammerwassers und werden
etwas nach vorn gebuchtet (Hernia corneae oder Keratocele); es
bildet sich eine Art durchsichtigen Bläschens. Wird nun die Niveau-
differenz mit der gesunden Hornhaut ausgeglichen, so kann beim ober-
flächlichen Anblick der Zustand übersehen werden. Bei manchen Ge-
schwüren, die bei acuter Blennorrhoe oder Diphtheritis auftreten, ist
dies besonders häufig. Die focale Beleuchtung wird hier Auskunft geben.
Kommt es zur Perforation, so fliesst das Kammerwasser ab, und
Iris und Linse legen sich der Hornhaut an unter gleichzeitiger Ver-
engerung der Pupille. Die Abnahme des Augeninhalts bedingt eine
starke Herabsetzung des intraoeularen Druckes. Meist tritt im Moment
plötzlichen Kammerwasserabflusses eine sehr heftige, aber bald vorüber-
gehende Ciliarneuralgie auf. Ist die Oeffnung sehr klein, so fliesst der
Humor aqueus nur langsam ab; es kann auch zum Verschluss kommen,
ehe er ganz ausgelaufen ist Steigt der intraoeulare Druck, so entleert
sidi von Neuem die Flüssigkeit; gelegentlich sickert sie Tage lang be-
Hornhautgeschwttre. 485
ständig- ab, ohne dass die vordere Kammer sieh herstellt (Fistula
corneae). Je kleiner die Durchbruchstelle ist, um so geringer die
Gefahr für das Auge. Bei sehr ausgedehnten PerforationsöfFnungeii
können sich Linse und Glaskörpertheile entleeren, selbst stärkere in.tr a-
oculare Blutungen eintreten. Gewöhnlich bildet sich, falls eine grössere
Uornhautötlnung der Iris gegenüber liegt, ein Vorfall derselben (Iris-
prolaps), der selbst, wenn ei" sich zurückbildet, doch eine Anheftung
der Iris an die Cornea (vordere Synechie) zurücklässt. Bei kleinerer
Perforation legt sich die Iris nur an; aber auch hierdurch kann eine
bleibende vordere Synechie zu Stande kommen. Diese ist am
ehesten zu befürchten, wenn der Pupillarrand in die Cornealöffnung
fällt; liegt die Iris mit ihrer Fläche an, so wird sie durch das Wieder-
ansammeln des Humor aqueus leichter von der Wunde abgedrängt.
Der Irisprolaps zeigt sich im Beginn als ein schwarzer Fleck oder als
schwarze Hervorragung; später nimmt er eine mehr schiefergraue Fär-
bung an. Sammelt sich das Kamnierwasser dahinter an, so bildet er
eine gespannte Blase. Bei einigem Bestehen pflegt eine Wucherung
der vorgefallenen Iris einzutreten, bei der sich ein bräunlich-rothes
Granulationsgewebe bildet. Kleinere Irisprolapse werden in der Hei-
lungsperiode durch die weissliche Narbenbildung, die vom Rande des
Hornhautgeschwüres beginnt, wieder zurückgepresst, so dass schliesslich
ein weisser Fleck, an den die Iris geheftet ist (Leucoma adhaerens),
übrig bleibt. In anderen Fällen behält aber die Partie, vorzugsweise
in ihrem centralen Theile, auch nach der Heilung ihre schwärzliche
Färbung. —
Ist der Vorfall sehr gross, so giebt es in der Regel ein Staphylom;
aber man kann bisweilen Vorfälle von 3 bis 4 mm im Durchmesser
vollkommen zurückgehen und im Niveau verheilen sehen.
Alle vorderen Synechien schliessen für die Zukunft eine gewisse
Gefahr in sich, indem es zu frischen Erweichungen oder auch ohne
diese zu Drucksteigerungen mit Secundärglaukom kommen kann. Selbst
deletäre Entzündungen, wie schleichende oder acute eitrige Irido-Cyklitis,
können noch nach Jahren von ihnen ihren Ursprung nehmen, besonders
wenn umschriebene Iris-Staphyloine, die ihre dunkle Färbung und Dünn-
heit behalten haben, in der Nähe der Hornhautperipherie zurückgeblieben
sind. Dieselben scheinen einer bacteriellen Infection besonders zugäng-
lich zu sein (Wagenmann).
Nach der Perforation der Geschwüre oder auch noch während ihres
Fortschreitens setzt sich bei den schwereren Formen und in selteneren
Fällen die Entzündung auch auf Chorioidea und Glaskörper fort, so dass
das Auge vereitern kann.
Aetiologie. 1) Aeussere Verletzungen, die zu einem Verlust der
486 Erkrankungen der Hornhaut.
Epithelschicht führen, heilen für gewöhnlich leicht. Nur bei Infection
der Wunde, etwa durch das Secret einer Thra'nensackblennorrhoe,
kommt es zu schweren Erkrankungen, wie sie z. B. das Ulcus serpens
(vgl. Hypopyon-Keratitis) darbietet. 2) Conjunctivalaffectionen. Bei
phlyktänulärer Conjunctivitis finden sich öfters randständige kleinere
Geschwüre, ferner bei Conjunctivitis alter Leute, bei chronischen Con-
junctivitiden, bei Trachom; besonders tiefe Ulcerationen treten bei
Blennorrhoe und Diphtheritis auf. 3) Lidaffectionen. Trichiasis, En-
imd Ectropium. 4) Voraufgegangene Hornhautinfiltrate oder Abscesse.
5) Allgemeine constitutionelle Erkrankungen, besonders Scrophulose.
Die Prognose richtet sich nach der Tiefe und Ausdehnung des
Geschwürs. Ist Perforation eingetreten, so pflegt die an der betreffenden
Stelle entstehende Narbe nicht zu verschwinden. Hingegen lichten sich
bei mehr oberflächlichem Substanzverlust die zuerst weisslichen Narben
im Laufe der Jahre immer mehr-, die im Kindesalter entstandenen
können später fast ganz durchsichtig werden. Einzelne, unten noch zu
erwähnende Geschwürsformen zeigen erfahrungsgemäss einen ganz
typischen Verlauf. —
Bezüglich der Therapie ist als Hauptgesetz festzuhalten, dass
ein anregendes, die Blutgefässentwicklung in der Cornea beförderndes
Verfahren angezeigt ist. Nur in den Fällen, wo die Geschwürsbildung
in directer Abhängigkeit von Conjunctivalerkrankungen (wie z. B. bei
Blennorrhoe) steht, sind diese vor Allem zu bekämpfen und hier ist
die Anwendung der Kälte indicirt. Sonst ist im Gegentheil feuchte
AVärme, sei es durch Umschläge mit Kamillenthee, antiseptischen Lö-
sungen oder auch in Gestalt des antiseptischen feuchtwarmen Verbandes,
in Anwendung zu ziehen. Allerdings ist immer zu beachten, dass
durch die feuchte Wärme keine erheblichere Conjunctivitis hervor-
gerufen werde. Nöthigenfalls hält man letztere durch directes Be-
pinseln der Conjunctiva palpebralis mit Tanninlösungen im Zaum. Auch
muss man bei den Umschlägen sich hüten, dass nicht Niederschläge in
das Geschwür kommen, so etwa ausgeschiedene Salicylsäure; ebenso
sind Bleilösungen als Umschläge aus diesem Grunde zu meiden. Ein-
pudern von Jodoform oder die Anwendung von Aqua chlor, können
gelegentlich Besserung bringen. — Um das Auge durch Aufhebung
der Accommodation in Ruhe zu setzen und gleichzeitig eine Hyperämie
der Iris zu hindern, wird mehrere Mal täglich Atropin eingeträufelt.
Bei heftigeren Schmerzen sind Blutegel öfters von Nutzen. Ebenso
empfiehlt sich zur Ableitung die Arlt'sche Stirnsalbe. Aehnlich wirken
Einpinselungen von Jodtinctur auf die Stirn- und Schläfenhaut oder
auch bei stärkerer Schwellung der Lidhaut das Bestreichen derselben
mit Bleiessig oder ein quer herüber geführter Strich mit dem feuchten
1 lovnhautg-eschwüre. 487
Lapisstift unter nachfolgender Neutralisation. Bei sehr tiefgehenden
und sonstiger Behandlung widerstehenden Geschwüren hat man auch
durch Bedecken mit einem abgelösten oder gestielten Conjunctival-
lappen günstigere Heilungsbedingungen zu setzen gesucht (Schöler,
Kuhnt).
Die erwähnten Mittel finden vorzugsweise ihre Verwendung, so-
lange der Geschwürsgrund oder Rand grau-gelblich und käsig infiltrirt
ist und ein reparativer Gefässpannus sich noch nicht entwickelt hat.
Ist letzteres der Fall und fängt die Oberfläche des Geschwürs nach
Reinigung desselben an zu spiegeln, so kann unter einfachen Atropin-
einträufelungen und Augenklappe ein mehr abwartendes Verfahren
eingeschlagen werden. Direct reizende Einträufelungen wie mit ver-
dünnter Tinct. Opii (1 : 5), oder Einpudern von Calomel7 Einstreichen
gelber Präcipitatsalbe haben allenfalls bei ganz reizlosen und im Re-
parationsstadium stationär bleibenden Geschwüren Nutzen; in der Regel
sind sie zu unterlassen. Ist hingegen das Geschwür geheilt, so ist,
wenn phlyktänuläre Processe mit im Spiele waren, zur Vermeidung
von Recidiven noch längere Zeit Calomel einzustreuen.
Neben dieser örtlichen Therapie muss bei vorliegender Indication
eine allgemeine nebenher laufen. So hat besonders die Bekämpfung
der etwa vorhandenen Scrophulose mit Leberthran, Jodeisen, Bädern
in Kreuznacher Mutterlauge u. s. w. grosse Bedeutung. Etwaig i Haut-
ausschläge sind möglichst zur Heilung zu bringen, besonders falls sie
ihren Sitz an den Lidern haben. Einmal vertragen sie meist die zur
Behandlung des Hornhaut-Ulcus erforderliche feuchte Wärme schlecht,
andererseits können sie durch Uebergreifen auf den Lidrand zu crou-
pösen Belägen hier und an der Conj. tarsalis Anlass geben. Will man
beim Bestehen der Lidausschläge Umschläge machen, so muss man die
Haut durch ein Oelläppchen schützen. — Schwächlichen und schlecht
genährten Individuen giebt man neben roborirender Nahrung Chinin
und Wein, anämisches Eisen. —
Nähert sich ein Geschwür der Perforation, so ist zu überlegen, ob
dieselbe künstlich zu bewirken oder der Natur zu überlassen sei. Bei
kleinen und trichterförmig in die Tiefe gehenden Geschwüren kann
letzteres geschehen. Haben aber die Geschwüre eine breitere Fläche
mit mehr gleichmässiger Verdünnung, so ist die Punction vorzuziehen,
weil hierdurch nur eine umschriebene Oeffnung gemacht wird, während
bei späterer spontaner Perforation ein erheblich weiteres Einreissen
des Geschwürsgrundes erfolgt; bei Keratocele sollte immer punctirt
werden. Es kommt noch hinzu, dass die frühzeitige Punction in der Regel
auch den Heilungsprocess anregt, indem nach der Kammerentleerung
der Druck gegen die verdünnte Hornhaut verringert wird. Die Punc-
4&s Erkrankungen der Hornhaut.
tion wird im Geschwürsgrunde gemacht, nicht in der gesunden Hörn*
haut, indem leicht bei letzterem Vorgehen <ler auf die Cornea mit dem
.Messer geübte Druck gleichzeitig den dünnen Geschwürsgrund zum
Platzen bringt, andererseits auch allein durch die Function im Geschwüre
Aussicht auf ein nicht so schnelles Wiederverschliessen der Wunde
und längeres Fisteln gegeben wird. Zeigt sich nach Wiederherstellung
der vorderen Kammer in den nächsten Tagen der Geschwürsgrund
btervorgebuchtet, so muss man mit dem Spatel von Neuem die frühere
Wunde öffnen.
Ist Hypopyon vorhanden, so wird es bei der Function entleert;
bei sehr faserstoffreicher Beschaffenheit desselben, welche ein Hinaus-
schlüpfen hindert, kann man den in der Wunde liegenden Theil mit
einer Irispincette fassen und so das Gerinnsel herausziehen. Im Uebri-
gen braucht man sich nicht darauf zu versetzen, allen Eiter zu ent-
leeren. Die Resorption geringer Massen erfolgt von selbst. Das Hy-
popyon an sich bietet nur, wenn es etwa mehr als ein Drittel der
vorderen Kammer einnimmt und stationär bleibt, eine Indication zur
Parazentese. —
Droht eine Perforation oder will man sie künstlich herbeiführen,
so muss man suchen, den Pupillarrand aus dem Bereiche der Oeffnung
zu bringen. Je nach der peripheren oder centralen Lage des Geschwürs
träufelt man Eserin (bezw. Pilocarpin) oder Atropin (bezw. Scopolamin)
vorher ein, indem man gleichzeitig in Rechnung zieht, dass nach der
Kammerentleerung an und für sich eine Verengerung der Pupille ein-
zutreten pflegt.
Gleich nach der Function legt man zur Bekämpfung des momentan
entstehenden heftigen Schmerzes einen Druckverband an oder lässt
kurze Zeit kalte Umschläge machen. Hat sich ein Irisvorfall gebildet,
so ist nur bei starken Schmerzen und bläschenförmigem Vortreiben
eine Function desselben nüthig. In der Regel zieht sich der Vorfall
bei der Narbenbildung wieder in das Niveau zurück. Bei längerem
Bestehen kann man gelegentlich die Vernarbung durch leichtes Be-
tupfen mit dem Höllensteinstift befördern. Hierdurch, durch Eserin
beziehentlich Atropin und Tragen eines Druckverbandes wird man das
Abschneiden des Vorfalls, das gelegentlich zu gefährlichen Entzündungen
Anlass gehen kann, in der Regel vermeiden. Es bedarf aber der Ge-
duld und langer fortgesetzter Schonimg. Nur ausnahmsweise und bei
grösseren Vorfällen, wenn sie trotz längerer Behandlung nicht zurück-
gehen, halte ich das Alttragen für angezeigt-, man bildet hierbei mit
einem Graefe 'sehen Starmesser einen unteren Lappen, fasst diesen
nun mit dev l'incette und durchschneidet mit der Scheere die obere
Peripherie des Vorfalls. So wird die Zerrung vermieden, welche ein
Resorptionageschwüre und Reparationsgeschwüre. 489
einfacher Scheerenschlag verursachen würde. Gewöhnlich sieht man
einige Tage nach dem Abtragen wieder eine Zunahme des Prolapses
eintreten, die sich aber später zurückbildet. Das von Gama Pinto
vorgeschlagene Verfahren, nach Abtragen des Vorfalls ein Bindehaut-
läppchen auf den 1 )efect zu drücken und anheilen zu lassen, kann
grössere bläschenförmige Flecke zur Folge haben. Sollte später durch
die vonlere Synechie Drucksteigerung entstehen, so iridectomirt man
neben ihr; auch kann man versuchen, unter Anwendung des schmalen
Messers oder einer Wecker 'sehen Scheere die Iris von der Cornea zu
trennen (Schul eck).
Die Kranken bleiben mit einer Klappe oder einem Verbände vor
dem Auge im massig verdunkelten Zimmer; bei schwereren Formen ist es
oft günstig, sie einige Tage im Bett zu halten. Ausgehen ins Freie
ist nur bei langwierigen und wenig entzündlichen Processen zu ge-
statten. —
Unter den sehr verschiedenartig gestalteten und verlaufenden Horn-
hautgeschwüren seien einige charakteristische Formen hervorgehoben.
Die wichtigste, das Ulcus serpens, ist in dem Kapitel Hypopyon-Keratitis
bereits besprochen.
Resorptionsgeschwüre und Reparationsgeschwüre.
Es sind dies kleine, etwa stecknadelkopfgrosse Geschwüre, die einen
sehr durchsichtigen Grund und in der Umgebung keine erheblichere
Infiltration zeigen. Die pericorneale Injection ist fast gleich Null, ebenso
sind die subjeetiven Beschwerden sehr gering. Auch verheilende
Hornhautgeschwüre haben bisweilen, wenn ihr Grund gereinigt und das
Epithel wieder hergestellt ist, dieses spiegelnde facettenähnliche Aus-
sehen (Reparationsgeschwür). In anderen Fällen aber tritt dieselbe
Greschwürsform primär und progressiv auf; in selteneren Ausnahmen
gehen sie selbst kraterfürmig in die Tiefe und perforiren. Da sie, wie
erwähnt, meist Avenig Beschwerden machen, kommt es vor, class der
Patient erst von seinem Augenleiden belästigt wird, wenn plötzlich das
Kammerwasser ausfüesst.
Der Verlauf ist in der Regel recht langwierig; auch die Reparations-
u'eschwüre bleiben lange Zeit stationär. Neben Schutz des Auges und
Atropmisiren empfehlen sich lauwarme Umschläge, ebenso kann man
in ganz reizlosen Fällen versuchen, durch Einträufeln verdünnter
< Jpiumtinctur (1 : 5) oder schlimmsten Falls durch leichtes Betupfen
mit dem Höllensteinstift oder dem Galvanocauter den Verlauf zu be-
schleunigen.
490 Erkrankungen der Hornhaut.
Ulcus rodens.
Ein halbmondförmiges Geschwür beginnt an der Peripherie der
( Jornea und schreitet centripetal über die ganze Hornhautfläche hin,
indem das dem centralen Geschwürsrande nächstliegende Gewebe be-
sonders inficirt ist7 öfters auch einzelne graue Infiltrationspunkte zeigt.
Letztere fliessen dann zu einer Begrenzungslinie zusammen, welche
später zerfällt und einen unterminirten Rand hat (Mooren, Saemisch).
Sehr frühzeitig ziehen vom Hornhautrande her zu dem Geschwüre
parallel laufende Gefässe. Oft geht der Process schubweise vor und
wandert allmählich über die ganze Hornhaut, eine weisse Narbe zurück-
lassend. Gelegentlich sind aber noch Klärungen derselben beobachtet
worden, die einiges Sehen gestatteten. Perforation und Hypopyon sind
selten. Bisweilen besteht starke Schmerzhaftigkeit.
Ein von mir mikroskopisch untersuchtes Auge zeigte am centralen
Geschwürsrande eine ausgedehntere Epithelabhebung, unter der das
Gewebe besonders infiltrirt war, während an der peripheren Begrenzung
unter starker Gefässentwickelung eine bindegewebige Vernarbung be-
reits eingeleitet war. Unter dem abgelösten Epithel fanden sich
Jlikrokokken ; jedoch kann in ihnen nicht der Grund des Leidens liegen,
da sich in der Cultur Staphylococcus pyogenes entwickelte, der bei
Impfung in die Kaninchenhornhaut nur ein Infiltrat, kein Ulc rodens
hervorbrachte und auch sonst bei Affectionen der Conjunctiva und
Cornea oft vorkommt.
Die Therapie pflegt meist machtlos zu sein, doch sind einige
Fälle zur Heilung gekommen. Am meisten empfiehlt sich die Anwendung
des Galvanocauters; daneben laue Umschläge und Atropin. Bei un-
aufhörlichem Fortschreiten kann man einen Versuch mit Transplantation
von Conjunctiva machen. Einmal sah ich nach etwa einem Jahre ein
Recidiv auftreten, das ebenfalls heilte.
Ringförmige Hornhautgeschwüre.
Am Hornhautrande bildet sich ein meist langgestrecktes, schmales und wenig
infiltrirtes Geschwür, welches an der Peripherie weiter schreitet und so schliesslich
die ganze Hornhaut ringförmig umgeben kann. Die centralen Partien bleiben
dabei ziemlich durchscheinend, auch zeigt das Geschwür selbst keine erheblichere
Trübung. Die Injection der Conjunctiva bulbi ist in der Kegel sehr beträchtlich.
Hei der Tendenz zur Ausbreitang des Geschwürs ist die Prognose dubiös. Neben
antiseptischen lauen Verbänden, Bepinselungen mit Aqua chlorata haben mir früh-
zeitige und wiederholte Paracentesen am meisten geleistet.
Keratitis dendritica. 491
Keratitis dendritica (Furchen-Keratitis).
Von einem seichten Hornhautgeschwür gehen strichfömige, sich später wieder
verästelnde Fortsätze ars. die unter Abstossung der Oberfläche zu schmalen, aber
tiefen Kinnen mit grauen Rändern werden. Dabei besteht oft Lichtscheu und
starker Thränenfluss. Der Process dauert unter bestandiger Neubilduni;- solcher
Sprossen mehrere Wochen und Iässt eine Zeit lang- charakteristische Trübungen
zurück lEmmert, Hansen Grut). Im Beginn scheint das Abspritzen der Herde
mit Sublimatlösung und die Anwendung des Eserin von Nutzen.
Chronische periphere Furchen-Keratitis.
Gelegentlich beobachtet man eine andere Form von rinnenförmigen Ge-
schwüren besonders am oberen Hornhautrande, die ich als chronische peri-
phere Furchen-Keratitis bezeichnen möchte. Ein grösserer oder kleinerer
Theil der Hornhautperipherie ist etwa in 1 mm Breite leicht grau getrübt (ähnlich
etwa wie beim Gerontoxon) ; die Trübung ist centralwärts begrenzt durch eine tief-
gehende durchsichtige Furche. Sparsame Gefässe gehen in die Randtrübung und
hier und da auch durch das furchenförmige Geschwür; Reizerscheinungen und
Schmerzen fehlen in der Regel, doch kommen auch Fälle mit periodisch auftreten-
den Entzündungen vor. Ein centripetales Fortschreiten wie bei Ulc. rodens wird
nicht beobachtet. Der Zustand kann in dieser Form Jahre lang unverändert
bleiben. Ich habe an einem solchen Auge mit Erfolg die Kataraktextraction ge-
macht: ein Jahr später bestand noch die Furche und Randtrübung.
G-itterförniige Keratitis.
Ohne erhebliche Entzündungserscheinungen entwickelt sich eine ziemlich
gleichmässige Trübung der oberen Hornhautschichten, welche sich unter der Lupe
als aus einzelnen Linien zusammengesetztes Gitterwerk zerlegen lässt. Die
Randzone bleibt frei. Das Sehvermögen wird meist schwer geschädigt (Haab).
Nach D immer sind die Linien wahrscheinlich Folge von Faltungen und Runze-
lungen der Bowman' sehen Membran mit anschliessenden Trübungen.
2. Hornhauttrübungen.
Die meisten Hornhauttrübungen oder Hornbautflecke sind Folgen
einer vorangegangenen Entzündung, indem die Restitution eines voll-
kommen durchsichtigen Gewebes ausgeblieben ist. Auch bei manchen
angeborenen Hornhauttrübungen, die sich später meist auffallend lichten,
kann man an ähnliche Vorgänge denken. Ferner fuhren Verbrennungen,
Anätzen mit Kalk (hier unter Bildung eines Kalk-Albuminats) u. s. w.
bisweilen direct eine Zerstörung des Hornhautgewebes herbei. An Stelle
des durchsichtigen Hornhautgewebes ist ein narbiges Bindegewebe ge-
treten. Dasselbe, aus den fixen Hornhautzellen der Nachbarschaft her-
vorgegangen, zeigt eine unregelmässige Faserung, in welcher sich keine
sternförmigen Hornhautkörper eben finden. Die Bowman'sche Mein-
492 Erkrankungen der Hornhaut.
bran fehlt, das Epithel hat nicht die normale Anordnung und regel-
mässige Dicke. Gelbe Flecke in alten Hornhauttrübungen sind durch
anivloide oder colloide Kugeln und Schollen bedingt (Saemiseh,
Beselin, Vossius). In weisslichen, wie Bleiniederschläge aussehenden
kleinen Flecken, sind fettig degenerirte Zellen beobachtet worden
(Kamocki).
Die Trübung* zeigt sich als intensiv weisser Fleck (Leucoma)
oder mehr durchscheinend, leicht grau (Macula) oder ganz durchsichtig
(Nubecula). Bisweilen gehen noch Gelasse zu ihr hin (vasculari-
sirter Hornhautfleck); letztere Trübung kann jedoch nicht als voll-
kommen abgeschlossen betrachtet werden.
Die Krümmung der mit Trübungen behafteten Hornhäute ist in
der Regel mehr oder weniger unregelmässig; man sieht dies deutlich
mit dem Keratoskop. Der unregelmässige Astigmatismus bewirkt in
Verbindung mit dem Lichtabschluss mnd vor Allem der diffusen Licht-
zerstreuung, welche der Fleck macht, die Seh Störungen. Dieselben
treten am meisten hervor, wenn die Trübung vor der Pupille sitzt. Ist
die ganze Pupille durch ein grosses centrales Leukoni gedeckt, so ist
die Sehschärfe ähnlich herabgesetzt, wie die eines Starkranken.
Kleinere Flecke im Pupillargebiet werden für das Sehen weniger
Bedeutung haben, und zwar sind hier die intensiv weissen Flecke weniger
störend als ebenso grosse graulich durchscheinende, da die ersteren
wohl mehr Licht abhalten, aber die Entwertung eines scharfen Bildes
auf der Netzhaut kaum hindern, während die letzteren durch ihre licht-
zerstreuende Wirkung das Netzhautbild verschwommen machen. Oft
sind die mit Hornhautflecken behafteten Augen myopisch. Die Patienten
geben dann nicht selten an, dass ihre Augen erst nach der Hornhaut-
erkrankung kurzsichtig geworden seien.
Donders hebt zwar hervor, dass Patienten mit Hornhautflecken
öfters nur scheinbar kurzsichtig seien, indem sie eine Zunahme ihrer
Sehschärfe unter Concavgläsern nur in der Weise erlangen, dass durch
die Aeeommodation, mit der sie die Gläser neutralisiren, ihre Pupille
sich verenge und somit ein Theil der durch die Hornhauttrübung un-
regelmässig gebrochenen Strahlen ausgeschlossen werde. Die über-
wiegende Zahl der in Betracht kommenden Personen ist aber reell
kurzsichtig, und es giebt uns die Thatsaehe, dass die Betreffenden
wegen ihrer Sehschärfenverringerung bei der Arbeit in der Nähe die
Gegenstände stärker an das Auge herannehmen müssen, genügende
Erklärung für das Zustandekommen dieser Refractionsanomalie. -
* Deutsche Heerordnung. 2. Geringe körperliche Fehler. Anlage li: seitliche
Hornhautflecke, wenn sie das Sehvermögen nicht beeinträchtigen. — Vgl. S. 69.
Bornhauttrübungen. 493
Auch kann bisweilen mono ciliares Doppel t sehen durch Trü-
bungen der Hornhaut veranlasst sein.
Weiter bleibt oft eine Neigung zu neuen Erweichungen der Trü-
bungen und zu Ulcerationen. Aus der Anamnese und dem Vorhanden-
sein einzelner unveränderter Reste der alten Trübung kann man meist
die Diagnose stellen, dass es sich um einen „frisch erweichten Horn-
haut Heck" und nicht um ein neu gebildetes Infiltrat oder Ulcus
handelt. Die alten Flecke haben den Infiltraten gegenüber in der Regel
eine schärfere Abgrenzung und eine mehr glatte Oberfläche. Auch
fehlt ihnen der gelbliche Ton, den die Infiltrate häufig zeigen. Ferner
wird die lnjeetions- und Reizlosigkeit des Auges in Betracht kommen.
Im Uebrigen ist die Diagnose der Trübungen bei intensiven Ver-
änderungen der Durchsichtigkeit leicht und vom blossen Auge aus zu
stellen, bei sehr geringen aber oft recht schwierig. Hier bedarf es einer
geschickten Benutzung der focalen Beleuchtung, bei der man den Licht-
focus bald auf, bald neben, bald hinter die verdächtige Stelle fallen
lässt, und selbst der Lupenvergrösserung, um zu einem bestimmten
Urtheil zu kommen, das positiv wird, wenn in einer grösseren ver-
dächtigen Stelle mit Sicherheit eine, wenn auch kleine, umschriebene
Partie als getrübt erkennbar ist. Einen ganz leichten grauen Reflex
zeigen auch die normalen Hornhautpartien bei schiefer Beleuchtung.
Weiter kann man das durchfallende Licht des Augenspiegels — im
aufrechten Bilde — benutzen. Bei intensiven Trübungen findet sich
ein mehr oder weniger dunkler, grauer Fleck auf dem Roth des leuch-
tenden Augenhintergrundes. Für sehr durchscheinende Trübungen ist
die Untersuchung mit dem Augenspiegel — man hat besonders den
Planspiegel empfohlen — weniger zuverlässig, als die geschickt an-
gewandte focale Beleuchtung. Sind die Trübungen in grösserer Aus-
dehnung vorhanden, so tritt bei der Augenspiegeluntersuchung im um-
gekehrten Bilde ein eigenthiünliches Verziehen und Flimmern der Pa-
pilla optica ein, wenn man das Convexglas etwas seitlich bewegt, als
Ausdruck des unregelmässigen Astigmatismus. Die Diagnose gerade
der geringen und durchsichtigen Hornhauttrübungen hat grosse Be-
deutung: manche scheinbare Amblyopie lässt sich auf Hornhauttrübungen
zurückführen. Besonders in militärärztlichen Verhältnissen oder bei
Patienten, bei denen ein zu entschädigender Unfall in Frage kommt,
wo man bei einer Amblyopie ohne objeetiven Befund leicht geneigt ist,
an Simulation zu denken, — ist der sichere Ausschluss derartiger op-
tischer Hindernisse von Wichtigkeit.
Die medicamentöse Therapie gegen abgelaufeneHornhautproces.se
hat meist wenig Einfluss. Im Laufe der Jahre verringern sich die
Trübungen spontan: besonders ist dies zu erwarten, wenn Individuen
4(J4 Erkrankungen der Bornhaut.
im jugendlichen Lebensalter davon befallen sind. War jedoch eine
Perforation der Hornhaut vorangegangen und hat sich an der Stelle
eine durchgehende weisse Narbe gebildet, so bleibt in der Regel ein
Fleck. Man hüte sich, wenn man sich zur Klärung reizender Mittel
bedienen will, vor zu früher Anwendung derselben. Viel wichtiger ist
es, die Affection durch Schonung der Augen und längeren Gebrauch
von Atropin möglichst zur vollkommenen Heilung zu bringen. Alsdann
wird das nächstliegende sein, neue Entzündungen zu vermeiden; es
werden besonders etwa bestehende Conjunctivalerkrankungen oder die
Neigung zu Phlyktänenbildimg oder auch chronische Thränensackent-
zündungen Angriffspunkte bieten. Erst später kommt die etwaige Be-
handlung der Flecke in Betracht. Hier hat man Einträufeln von Oel,
verdünnter Tinct. Opii, das Zerstäuben warmer Wasserdämpfe, Ein-
pudern von Calomel, gelbe Präcipitatsalbe, subconjunctivale Injection
von Kochsalzlösung (Rothmund), Jodkalilösung oder -salbe (1-0 Jodkali,
0-5 Natr. bicarb. ad Adip. suill. 15-0), Massage, die Anwendung des con-
stanten Stromes und Elektrolyse (Adler) empfohlen. Letztere wird bei
leichteren Trübungen — nicht eigentlichen Leukomen — so angewandt,
dass man den knopfförmigen Zinkpol einer Batterie von etwa vier
Elementen direct auf die trübe Stelle setzt, während der Kupferpol
dicht daneben steht und nun 10 bis 20 Secunden darauf hin- und her-
reibt; nach einigen Wochen wird nöthigenfalls die Anwendung wieder-
holt. Ich habe öfters Besserung der Sehschärfe danach beobachtet. Auch
das Dionin, das, stecknadelkopfgross in den Bindehautsack gebracht,
ein mit Schmerzhaftigkeit verknüpftes Oedem der Conjunctiva hervor-
ruft, hat mir bei Anwendung in grösseren Zwischenräumen in letzter
Zeit gelegentlich Nutzen gebracht. — Bei all den erwähnten Mitteln ist
darauf zu achten, dass nicht etwa durch zu starke Reizung eine frische
Erweichung und Eiterinfiltration des Fleckes eintrete.
Handelt es sich um Fremdkörper in den Flecken, etwa Bleiein-
lagerungen oder Kalkincrustationen, so suche man sie mit der Star-
nadel zu entfernen.
Falls die Pupille so von einem Hornhautfleck gedeckt ist, dass
bei gewöhnlicher Weite kein Licht mehr in sie fällt, kann man durch
eine Iridectomie den Lichtstrahlen seitlichen Zugang schaffen. Diese
optischen Pupillen legt man besonders gern nach innen an, weil
hier die äussersten Randstrahlen durch die Nase abgehalten werden;
(Jolobome nach oben oder unten würden leicht durch die Lider zu sehr
gedeckt. Auch macht man die Pupillen schmal und nicht zu weit nach
der Peripherie hingehend, in einzelnen Fällen ist — falls die Linse
fehlt — die Iridotomie wegen Enge und geringer Periphericität der
entstehenden Oeffnung vorzuziehen. Wird die Pupille nicht ganz vom
Hornhauttrübungen. 405
H ornhautfleck gedeckt, so dass noch daneben Licht einfallen kann, so
ist zu erwägen, ob eine mehr peripher gelegene Oeffnmig, wie die
lridectomie sie bewirkt, wirklich eine Besserung des Sehvermögens
schaffen wird; zuweilen tritt danach sogar eine Verschlechterung ein,
weil zuviel unregelmässig gebrochenes Licht Zutritt erhält. Man kann
ein ungefähres Urtheil über den Effect gewinnen, wenn man die Pupille
durch Atropin erweitert; hebt sich hierbei das Sehvermögen, so wird
auch eine geschickt angelegte künstliche Pupille Gleiches erreichen.
Im Uebrigen ist zu beachten, dass selbst für optisch günstige Fälle in
der ersten Zeit nach der Operation bisweilen dadurch eine Verschlech-
terung des Sehens eintritt, dass die über der künstlichen Pupille ge-
legene Hornhaut sich etwas trübt. Meist sind es alte, sehr durchsichtige
Trübungen, die nunmehr deutlicher hervortreten. Doch pflegt nach
einiger Zeit Klärung zu erfolgen. Ist die Pupille mit einer nicht in-
tensiv weissen, sondern durchscheinenden, aber das Licht sehr unregel-
mässig zerstreuenden Trübung bedeckt, so ist in einzelnen Fällen in
der Weise Besserung zu schaffen, dass man ein künstliches Colobom
seitlich anlegt und die Trübung durch Täto wirung mit schwarzer chine-
sischer Tusche (s. unten) undurchsichtig macht. Bisweilen lässt sich
das Sehen durch eine stenopäische Brille erheblich heben. Doch wird
dies nur einen beschränkten Nutzen bringen, da sich das Gesichtsfeld
hierbei stark einengt.
Wenn nur ein kleiner Randsaum der Hornhaut noch durchsichtig
ist, so kann ebenfalls das Herausschneiden eines Stückchens Iris, was
aber wegen der meist complicirenden schwartigen Verwachsungen und
Atrophie des Gewebes schlecht gelingt, versucht werden.
Es sind dies in der Regel traurige Fälle, bei denen es trotz Er-
haltenbleibens der Netzhautfunction unmöglich ist, dem Lichte Zutritt
zu schaffen. Man hat daher bis in die neueste Zeit wieder Versuche
gemacht, an Stelle des undurchsichtigen Narbengewebes im
Hornhautcentrum ein durchsichtiges Medium zu setzen. So be-
mühte man sich, nachdem man ein centrales Stück der getrübten Horn-
haut herausgeschnitten oder heraustrepanirt hatte, ein ähnlich wie
Hemdenknöpfe (mit Zwischenglied und vorderer und hinterer Platte)
gestaltetes Glas (Nussbaum) oder neuerdings durchsichtiges Celluloid
(Dimmer) oder Bergkrystall (Salz er) einzusetzen, oder man versuchte
auch nach Himly's, Wolfe 's und Po wer 's Angaben Stücke einer
frisch herausgenommenen Kaninchen- oder Menschenhornhaut ( — von
exstirpirten Bulbi — ) in den Defect einheilen zu lassen. Bis jetzt ist
aber hiermit kaum irgendwo ein dauernder Erfolg erzielt worden, indem
die Gläser herausfielen und die transplantirten Hornhäute, soweit sie
überhaupt einheilten, sich wieder trübten. Hingegen ist es nach
496 Erkrankungen der Hornhaut.
v. Hippel'« Vorgang in einigen Fällen gelungen, eine runde Seheibe
Kaninchenhornhaut in die Trepanöflnung einer leukomatösen Hornhaut,
bei Avelcher man die innersten Schichten stehen lässt, einzuheilen und
durchsichtig- zu erhalten. Die Methode kann natürlich nur Vortheil
bringen, wenn eben diese innersten Hornhautschichten, was sehr selten
zutrifft, ungetrübt sind. — Neuerdings hat Strawbridge nach Tenotomie
des Internus mit dem Trepan eine runde Oeffnung durch die Sclera
bis zum Glaskörper an der Ansatzstelle der Sehne angelegt und sie mit
Conjunetiva überdeckt.
Bisweilen können Gründe der Kosmetik zu Operationen veranlassen
in Füllen, wo für das Sehvermögen nichts mehr zu erreichen ist. Man
kann die störenden weissen Flecke durch Tätowiren mit schwarzer
chinesischer Tusche (Wecker) unsichtbar machen. Letztere soll vorher
durch Einwirken von trockner Wärme (60°, eine halbe Stunde lang
[v. Sicherer]) sterilisirt werden. Eine Starnadel, oder ein Bündel von
etwa vier gewöhnlichen Nadeln, in ein Heft gefasst, wird zu der kleinen
Operation benutzt. Nachdem die Lider mit einem Sperrelevateur aus-
einander gehalten sind, bestreicht man den Fleck mit der nicht zu
dünnen chinesischen Tusche und stösst nun in das Leukom mehrere
Male massig tief und in leicht schräger Richtung hinein. Die chine-
sische Tusche dringt theils hierbei schon in die kleinen Oeffnungen,
theils reibt man sie mit einem Spatel oder der Fingerspitze weiter
ein; sie bleibt darin haften, wenn man den Patienten noch etwa
il2 Stunde lang mit offenen Lidern, damit die Tusche nicht abgewischt
wird, liegen lässt. Um die Reaction des Auges zu prüfen, muss man
bei der ersten Sitzung nur wenige Einstiche machen; dies ist besonders
nöthig bei Verwachsungen der Iris mit der Narbe. Eine Fixation des
Bulbus an der Conjunetiva mit Hakenpincetten vermeide man, damit
nicht etwa dahin sich Tusche verirre und einen Fleck mache. Durch
eine Reihe von Sitzungen, die man alle paar Tage wiederholt, kann man
eine ziemlich gleichmässige und Jahre dauernde Färbung herstellen.
Dies Verfahren ist in der Mehrzahl der Fälle der Anlegung einer
kosmetischen künstlichen Pupille, die durch ihre Schwärze dem Auge
ebenfalls mehr Feuer giebt und so den Eindruck des weissen Fleckes
abschwächt, vorzuziehen. — Will man eine der Iris ähnliche Färbung
eines Leukoms bewirken, so kann man als blau Berlinerblau, als gelb
geschlemmten Ockei*, als roth Carmin, als weiss geschlemmte kohlen-
saure Kreide verwenden (Vacher).
Band f ö r m ige H ornhautt r ü b u n g e n .
inlichen Hornhauttrübungen schliesst si<
genuines Leiden, die bandförmige Keratitis an. Hier rindet sich eine
Den gewöhnlichen Hornhauttrübungen schliesst sich als ein mehr
Gerontoxon. Blutungen in der Hornhaut. 497
undurchsichtige, weissliche, bandförmige Trübung, welche die Cornea-
mitte quer durchsetzt und gewöhnlich in ihrer Entwicklung von der
Schläfen- und Nasenseite, öfters den äussersten Rand freilassend, ausgeht.
Entzündliche Erscheinungen, die mit dem Horuhautleiden in Verbindung-
stehen, fehlen ganz. In der Regel sind es Augen, die bereits lange er-
krankt waren, besonders an Iridozyklitis gelitten hatten. Aber gelegent-
lieh werden auch, vorzugsweise bei älteren Personen, gesunde Augen
befallen und erst später treten anderweitige Veränderungen hinzu. Hier
entspricht die Verschlechterung des Sehens dem gesetzten optischen
Binderniss. Die Iridectomie kann von guter Wirkung sein (v. Graofe).
Ein Abkratzen der trüben Schicht hat in der Regel keinen Nutzen,
trotzdem es sich zum Theil um Ablagerung von Kalksalzen handelt.
Gerontoxon.
Das Gerontoxon (Arcus senilis) zeigt sich als eine weissliche, etwa
1 bis 1 "2 mm breite Trübung mit glatter Oberfläche, welche ihren Sitz
im Cornealrande hat, aber meist noch durch eine schmale Linie durch-
sichtiger Hornhautsubstanz von der Sclera geschieden ist. Es
erscheint im Beginn am häufigsten als Halbmond am oberen und
unteren Rande; später wird auch der nasale und temporale Rand be-
fallen. Sehstörungen werden hierdurch nicht verursacht. Gewöhnlich
tritt erst im höheren Alter diese Trübung auf. Es handelt sich um
eine Ablagerung colloider Substanz in den oberflächlichsten Hornhaut-
schichten (Fuchs).
Blutungen in der Hornhaut. Durchblutung der Hornhaut.
In einzelnen Fällen findet man kleine umschriebene Blutungen im
Hornhautgewebe von röthlicher Farbe; es handelt sich hier um kleine
Extravasate. Die eigentliche Durchblutung der Hornhaut (Hirsch-
berg) zeigf sich in der Regel als eine grünlich - graue, scheiben-
förmige Verfärbung der Hornhaut, die so gross ist, dass nur noch eine
periphere Zone annähernd normal erscheint. Es wird hierdurch der
Eindruck geschaffen, als ob die Linse in die vordere Kammer luxirt
sei oder sich ein linsen-ähnliches gelatinöses Exsudat in ihr befinde.
Immer ist dieser Zustand mit einem Bluterguss verknüpft, der die
vordere Kammer anfüllt. Jedoch trägt derselbe nur wenig zu dem
frappanten Aussehen der Cornea bei; nach einer Punction der vorderen
Kammer, wobei ich auch das gebildete Fibringerinnsel entleerte, nahm
die Corneafärbung doch keine wesentliche Veränderung an. Mikroskopisch
Sehmidt-Rimpler. 7. Auflage. 32
498 Erkrankungen der Hornhaut.
fand .sich in der grünlich-grauen Hornhaut eine hyaline Degeneration
der Hornhautfibrillen (Vossius). Es handelt sich immer um die Folge
schwerer Verletzungen (Contusionen, auch nach Kuhhorn-Stoss) des
Auges-, in einigen Tagen kann sich die Trübung der Hornhaut ent-
wickeln und nach längerer Zeit wieder schwinden.
3. Krümmungs Veränderungen.
I. Narbenstaphylome.
Bei Narbenbildungen der Cornea, die nach ausgedehnterem Sub-
stanzverlust und Perforation entstanden sind, kommt es häufig zu Her-
vortreibungen. Man bezeichnet den Zustand als Staphylom (oracpv/Lt],
die Traube) : letzteres ist total, wenn die ganze Hornhaut sich hervor-
wölbt. Gewöhnlich ist die Farbe des Narbengewebes intensiv Aveiss:
nur selten bleibt bei partiellen Staphylomen eine dunklere Färbung
von der in den Substanzverlust der Cornea hineingefallenen Iris
dauernd bestehen. Die Form der Hervorwölbung ist verschieden, bis-
weilen ziemlich gleichmässig und mehr kugelförmig, bisweilen stark
conisch und rüsselförmig: sie kann so hochgradig sein, dass die Lider
darüber nicht zum Schluss kommen. Es zeigt alsdann die Oberfläche
Unregelmässigkeiten und Vertrocknungen. Die Iris bildet — abge-
sehen von seltenen Fällen eines partiellen Staphyloms, wo nur Horn-
hautgewebe hervorgetrieben ist — die Grundlage der Narbe an der
Perforationsstelle. In dem derberen Gewebe derselben finden sich
öfters Blutgefässe und Pigmentreste, die Epithellage ist unregelmässig.
Die Bowm an 'sehe und Descemet 'sehe Membran ist nur an den
Stellen nachweisbar, wo noch einigermaassen intactes Hornhautgewebe
vorhanden ist. Bei totalen Staphylomen liegt die verdünnte Iris auch
an den nickt perforirten Stellen der Hornhaut meist ganz oder fast
ganz an. Corpus ciliare, Netzhaut und Chorioidea werden atrophisch,
der Glaskörper verflüssigt sich; die Papilla optica wird excavirt. Die
Linse ist in manchen Fällen bereits bis auf geringe, trübe und hülsen-
förmige Reste evaeuirt, in anderen ist sie luxirt und liegt in dem Sta-
phylom; selten bleibt sie bei länger bestehenden Processen vollkommen
intact. Selbst scheinbar durchsichtige Linsen zeigen mikroskopisrhe
Veränderungen. An einer derartigen Linse, die aus einer nach Per-
foration der Cornea und Irisprolaps entstandenen, staphylomatösen und
noch nicht übernarbten Hervorwölbung bei einem Kinde entleert wurde,
fand ich bei der sofort vorgenommenen Untersuchung dicht auf der
Linscnkapsel liegende Kerne und Detritus, in dem sich verästelte feine
Capillargefässe vcrtheilten. In der Linse selbst zeigte sich in Fasern,
lvrüiiimungsveränderunyiMi. 499
die der Kapsel nahe sassen, eine feine Körnung und Anhäufung zahl-
reicher und verschieden grosser Kerne: an anderen Stellen hatten die
Fasern ihre normale Beschaffenheit. Doch bemerkte man auch hier
einzelne parallel laufende Linien, die gleichsam aus kleinsten unregel-
mässigen Tröpfchen sieh zusammensetzten: Formen, die Becker wohl
mit Recht als Fettkügelchen aufgefasst hat.
Die Entstehung der staphylomatösen Ilervortreibung erklärt sich
dadurch, dass die an der Perforationsstelle entstandene Narbe und
häutig auch das durch Ulceration verdünnte Hornhautgewebe dem in-
traocularen Drucke nicht mehr Widerstand leisten konnten.
Ausgedehntere Staphylome führen, wie erwähnt, in der Regel zu
seeundären Veränderungen in dem hinteren Bulbus ab schnitt, indem es
zu Steigerungen des intraoeularen Druckes und Glaukom kommt. Aeusser-
lich zeigt sich dieser Folgezustand durch ein Verstreichen der seichten
Rinne zwischen Cornea und Sclera oder Auftreten einer bläulichen Her-
vorragung im Scleralgebiet. Aber auch partielle Staphylome veranlassen
oft Secundärglaukom.
Die Sehstörungen entsprechen den optischen Hindernissen; man
findet demnach bei partiellen Staphylomen, welche nicht central- sitzen,
bisweilen ein ganz befriedigendes Sehen. Steht das Sehvermögen nicht
mehr im Verhältniss zur Trübung — ■ und selbst bei totalem Staphylom
sollte ungefähr das Sehen Kataraktöser vorhanden sein — , so sind
Complicationen anzunehmen. Meist wird eine Tensionsvermehrung auf
Secundärglaukom hinweisen.
Die Therapie muss durch entsprechende Behandlung der ursäch-
lichen Affectionen, speciell der Irisvorfälle, die Entstehung der Staphy-
lome zu vermeiden suchen. Bildet sich eine partielle Hervortreibung,
so kann man durch eine frühzeitig gemachte Iridectomie oft ein Zurück-
gehen derselben bewirken. Ueberkaupt wird diese Operation meist
angezeigt sein, um den hier häufigen Secundärglaukomen vorzubeugen.
Sonst kann man auch durch einen Schnitt mit dem schmalen Messer,
der die zur Cornealnarbe gezerrte Iris von ihrem Ciliarzusatz trennt,
eine Besserung anstreben (Ab a die). Bei Staphylomen, in denen die
luxirte Linse hegt, erreicht man besonders im Anfang noch einen guten
Effect durch einen einfachen Querschnitt, der die Linse herauslässt. Ist
das Staphylom abgeschlossen und ausgedehnter, so kann man es, wenn
es den Kranken stört oder Sitz von Reizzuständen ist, abtragen. Doch
werden beim Totalstaphylom an Stelle der Abtragung noch die Exen-
teration oder Enucleation des Bulbus in Frage kommen. Beide haben
eine kürzere Heilungsdauer und sind bei starker intraoeularer Druck-
steigerung wegen der Gefahr von Blutungen der. Abtragung vorzuziehen.
32*
500
Erkrankungen der Hornhaut.
Sir gehen allerdings für ein später zu tragendes künstliches Auge einen
weniger guten Stumpf.
Von den verschiedenen Staphylomoperationen ist die einfachste
die alte Beer'sche Abtragung (Fig. 150). Man geht hier quer mit
dem Beer'schen Starmesser, wie bei dem Lappenschnitt zur Starex-
traction, durch das Staphylom, bildet einen unteren Lappen, fasst diesen
mit der Pincette und trennt die obere Peripherie mit der Scheere. In
der Regel entleert sich hier-
nach Glaskörper, so dass man
die Operation etwas schnell
ausführen und das Auge
mittels Druckverbandes sofort
schliessen muss. Bei sehr
hochgespanntem Bulbus kann
es auch zu Blutungen aus
dem Augeninnern kommer:.
Aehnlich ist die Staphylom-
IgQ Operation von Wecker, nur
löst dieser vor der Abtragung
die Conjunctiva rings um die Cornea in grosser Ausdehnung von der
Sclera ab und führt durch ihre Cornealperipherie einen Seidenfaden mit
aus- und eingehenden Stichen rings herum, ähnlich wie das Band durch-
gezogen ist, welches die Oeffnung eines Tabaksbeutels schliesst. Nach
der Abtragung des Staphyloms wird die entstandene Bulbusöffnung*
dann durch Zusammenziehen des Conjunctivalfadens, wobei die Con-
junctiva vor die Oeffnung rückt, geschlossen.
II. Nichtnarbige Kerektasien.
Dieselben haben eine Kugelform oder sind mehr conisch.
Am häufigsten, meist angeboren und in dem ersten Lebensjahre
sich weiter entwickelnd, findet man die kugelförmige Ausdehnung einer
durchsichtigen oder leicht getrübten Cornea (C. globosa) beim Hydro -
phthalmus oder Buphophthalmus (siehe: Angeborene Missbildungen).
Auch nach Pannus kommen kleinere Hervorwölbungen zu Stande. Das
Sehvermögen wird durch abnorme Brechung und unregelmässigen
Astigmatismus gestört. Bei den pannösen Hervorwölbungen kann eine
Iridectomie wegen ihres Einflusses auf die Iritis und den intraocularen
Druck von Nutzen sein.
Die conische Form kommt typisch als Keratoconus (Staphy-
lo ma pellucidum) vor. Hierbei nimmt, gewöhnlich um das zwan-
zigste Lebensjahr herum beginnend und sehr allmählich fortschreitend,
Nichtnarbige Kerektasien. 501
die durchsichtige Hornhaut eine zuckerhutähnliche Form an, deren
Spitze bisweilen leicht getrübt ist. Die Patienten kommen nur, da keine
entzündlichen Erscheinungen vorliegen, wegen der eintretenden Seh-
schwache zum Arzt. Oefters bestellt Polyopie, meist Kurzsichtigkeit.
In der Regel sind beide Augen befallen. Der Process kann spontan
stationär werden.
Die Diagnose ist im Beginn nicht immer leicht. Durch die Un-
regelmässigkeit der Reflexbilder der Cornea (z. B. mit dem Keratoskop
beobachtet) wird die Gestaltveränderung erwiesen, da im Centrum wegen
der stärkeren Krümmung die Grösse der Bilder geringer ist, als an
der Peripherie. Beim Fortschreiten des Processes kann man durch
Profilansicht die abnorme Gestalt direct constatiren. Die ophthalmo-
skopische Untersuchung lässt den unregelmässigen Astigmatismus eben-
falls zu Tage treten; bei einfacher Durchleuchtung tritt öfters in dem
Roth der Pupille ein dunkler Kreis auf. Es scheint sich um ein
genuines Leiden der Hornhaut zu handeln; die Abnahme der Hornhaut-
dicke konnte anatomisch constatirt werden.
Die Therapie muss möglichste Correction durch Gläser (sphä-
rische und cylindrische) suchen; in neuerer Zeit sind hyperbolische
Gläser (Raehlmann hat die Fabrik in Rathenow zur Herstellung ver-
schiedener Formen veranlasst) geschliffen worden, mit denen sich er-
hebliche Besserung in einer Reihe von Fällen erzielen lässt. Fick em-
pfiehlt Contact-Gläser: Glashornhäute, die mit einer Flüssigkeitsschicht
der schlechtbrechenden Hornhaut aufliegen. Roborirende Behandlung
und Enthaltsamkeit von jeder Augenarbeit in Verbindung mit Ein-
träufelung eines Mioticunis wurde von Arlt in einzelnen Fällen mit
Erfolg geübt. Rampoldi rühmt im Gegentheil lange fortgesetztes
Atropinisiren. Weiter sind eine Reihe operativer Eingriffe zur Heilung
versucht worden. Ursprünglich wurden Iridectomien, aber ohne Nutzen
angewandt. Alsdann bemühte sich v. Graefe durch einen auf der
Spitze des Conus angeregten Xarbenprocess eine Abflachung zu er-
zielen: hierdurch werden in der That Besserungen erreicht. Man trägt
ein kleines Stück oberflächlichen Hornhautgewebes von dem Centrum
des Conus ab und sucht durch Touchiren mit Höllenstein ein Gesclrwür
zu Stande zu bringen, das bis zur Perforation, die später mit der Paracen-
tesennadel künstlich gemacht wird, in die Tiefe dringt. Ich ziehe es vor,
central mit dem Galvanocauter einen kleinen Substanzverlust zu setzen
imd nach Entstehung eines Geschwürs zu perforiren. Die sich danach bil-
dende kleine Xarbe bewirkt eine genügende Abflachung. Würde das
Leukoni zu gross, so wäre eventuell eine Iridectomie nachzuschicken.
Letzteres ist immer der Fall bei dem Bowman' sehen Verfahren, wo
direct mittels eines kleinen Trepans ein centrales Hornhautstück heraus-
502 Erkrankungen der Hornhaut.
geschnitten wird. Doch ist dieses Verfahren nicht gefahrlos, indem
meist ausgedehntere Verwachsungen der Iris mit einer centralen Narbe
danach entstehen. —
III. Abflachung der Cornea.
Die Abflachung der Cornea tritt nach manchen ausgedehnten Sub-
stanzverlusten ein, indem die Narbe sich zusammenzieht, flach wird
und den etwa restirenden durchsichtigen Tkeil ebenfalls durch Dehnung
abflacht (Applanatio corneae). Auch spielt die verminderte Absonderung
des Kamnierwassers hierbei gleichfalls eine Rolle.
Nach Panophthalmitis oder zerstörenden Keratiten findet sich an
Stelle der Hornhaut fast nur Narbengewebe (Phthisis corneae); bis-
weilen bleibt ihr nur ein kaum hanfkorngrosses Stückchen zurück, das
im vorderen Pole des mehr oder weniger geschrumpften Bulbus sitzt.
4. Verletzungen der Cornea.
Am häufigsten sind es kleine Fremdkörper, wie Sandtheilchen,
Pauchpartikelchen (z. B. bei Eisenbahnfahrten), Steinsplitter, Eisen-
stückchen, meist beim Schlagen erhitzt und glühend geworden, welche
oberflächliche Substanzverluste herbeiführend in das Hornhautgewebe
eindringen. Es bedarf hier oft einer sehr genauen Untersuchung, zu-
weilen unter Anwendung der focalen Beleuchtung, um die punktförmigen
Partikel zu erkennen. Immerhin wird man, abgesehen von der Anamnese,
bei der das plötzliche Auftreten einer Schmerzempfindimg und starken
Thränens meist auf den Moment der Verletzung hinweist, Verdacht
schöpfen, wenn ohne sonstige entzündliche Veränderungen an einem
Auge sich eine zarte rosige pericorneale Injection findet. Diese ist in
ihrer Zartheit beinahe charakteristisch für Fremdkörper auf der Cornea.
Die Behandlung ist auf Entfernung des Fremdkörpers gerichtet,
indem man nach vorheriger Cocainisirung denselben mit einer Starnadel
oder einem kleinen Hohlmeisel heraushebt. Bei Eisensplitterchen be-
darf es einer Art von Radiren, bei welchem Vorgehen sich ein Eisen-
plättchen nach dem andern ablöst. Man hüte sich, zu ausgiebige Epithel-
abstreifungen zu machen, setze vielmehr die Nadel möglichst an der
Stelle des Fremdkörpers auf. Eine Fixation des Bulbus mittels Pincette
ist meist unnöthig; man hält mit der linken Hand die Lider auseinander
und giebt dabei durch einen gewissen Druck dem Auge eine festere
Stellung. Es lohnt sich nicht immer, sich darauf zu versetzen, auch
das kleinste Restpartikelcherj — bisweilen handelt es sich schliesslich
inir um eine Färbung, die das Gewebe selbst angenommen hat- ab-
zuschaben. Wenn die Entfernung grosse Schwierigkeiten hat, kann
Verletzungen der Cornea. 503
man auch einige Tage -warten, bis die beginnende Eiterung den Fremd-
körper gelockert hat. Es bleibt alsdann aber eine etwas grössere Narbe.
Die Anwendung Jos gewöhnlichen Magneten hat bei Eisensplittern in
der Hornhaut keine besondere Bedeutung: sitzen sie so lose, dass sie
ihm folgen, so sind sie auch mit der Starnadel leicht abzustreifen. Sehr
starke Magneten können bei grösseren Partikeln von Nutzen sein. Be-
malet sieh das Auge in einem gewissen Reizzustande, so träufelt man
nach der Entfernung des Fremdkörpers Atropin ein und lässt kühle
Umschläge machen. Nicht selten heilen kleine Fremdkörper (Pulver-
kürner. Steinstückchen z. B. nach Dynamitexplosionen) ohne be-
sonderen Sehaden dauernd ein.
In einem Falle jedoch bedarf es seihst bei kleinen Fremdkörpern
einer gewissen Vorsicht: wenn sie nämlich sehr tief in die Cornea ge-
drungen sind oder gar schon in die vordere Kammer hineinragen. Ein
Hinein stossen derselben in die vordere Kammer ist sehr übel, da es
dann meist in den Kammerwinkel versinken und sich dem Anblick ent-
ziehen, so dass es selbst nach Durchschneidung der Hornhaut mit
einem Lanzenmesser nicht immer gelingt, den Fremdkörper zu fassen.
In solchem Falle würde man, falls die Stelle des Sitzes mit Wahr-
scheinlichkeit bekannt wäre, gleichzeitig das betreffende Stück Iris ex-
eidiren. Um den in die Cornea gedrungenen Fremdkörper überhaupt
vor dem Hineinfallen in die vordere Kammer zu bewahren, führt man
hier vor allen Extractionsversuchen ein schmales Lanzenmesser in die
vordere Kammer und drückt mit dessen Fläche von hinten her den
Fremdkörper gegen das Hornhautgewebe.
Grössere Wunden der Hornhaut werden häufig mit Scheeren,
Messern, zersprungenem Glase (auch durch zerschlagene Brillengläser)
gemacht: aber auch stumpfspitze Gegenstände führen Hornhautrisse
herbei. Zuweilen sind dieselben so gross, dass Linse und Glaskörper
sich sofort entleeren. In einem Falle habe ich auch Netzhautstücke
in einem, von einem Kuhhorn gemachten Hornhautrisse liegen sehen.
Hier ist die baldige Enucleation des Bulbus angezeigt. Bei kleineren
Wunden und geringen Augenverletzungen, bei denen die Hornhaut-
wunde meist glatt heilt, wird man das Auge zu erhalten suchen. Immer
bedenklich sind die Wunden, welche über den Rand der Cornea tief
in den Sclerallimbus hineinlaufen, weil hier die Gefahr einer Cyklitis
und damit die einer sympathischen Affection des anderen Auges ge-
geben ist. Auch spielt die septische oder aseptische Beschaffenheit
des verletzenden Gegenstandes eine bedeutende Rolle. Man wird nach
Reinigung der Wunde mit Aqu. chlori oder Sublimatlösung — ist Iris
hineingefallen, so thut man gut, falls es unmöglich ist, sie durch Mio-
tica oder Mvdriatica sofort zurückzuführen, da,s Stück abzuschneiden
504 Erkrankungen der Hornhaut.
— und nach eventueller Atropinisirung des Auges einen Druckverband,
wie nach Starextra ctionen, anlegen. Auch ist das Einpudern von Jodo-
form von Nutzen. Nur bei heftigeren Schmerzen sind abwechselnd
Eisumschläge zu machen. Bei grösseren Hornhautwunden kann man
eine Deckung mit Conjunctiva versuchen, weniger empfiehlt sich das
directe Vernähen durch Einlegen von Fäden in die Hornhaut selbst.
Tritt später etwa durch Verletzung der Linsenkapsel Quellung
der Linsensubstanz und Iritis ein, so bedarf es strenger Antiphlogose
mit energischer Atropinisirung. Hier ist bei intraocularer Druckzu-
nahme die Anlegung einer breiten Iridectomie mit gleichzeitigem
Herauslassen der gequollenen Linsenmassen angezeigt.
Nicht selten erhebt sich die Frage, ob ein Fremdkörper durch die
Cornea in das Augeninnere gedrungen ist? Vor Allem wird man die
Art, wie die Verletzung geschehen, den Gegenstand, mit dem sie aus-
geführt ist, genau feststellen müssen. v Kleine perforirende Hornhaut-
wunden sprechen, falls eben nicht die Verletzung mit einem grossen
Gegenstande sicher festgestellt ist, immer dafür, dass das verletzende
Stückchen durch die Cornea in das Augeninnere gelangt ist. Diese
Vermuthung wird weiter gestützt, wenn Trübungen in der Linse oder
im Glaskörper nachweisbar sind. Der Mangel an sichtbaren Ver-
letzungen der Linse ist kein Gegengrund, da der Fremdkörper durch
die Zonula Zinnii in den Glaskörper gedrungen sein kann. Für Eisen-
verletzungen haben wir in der Benutzung der Magnetnadel ein gutes
diagnostisches Mittel (siehe Fremdkörper im Glaskörper).
Ausgedehntere Verletzungen der Hornhaut entstehen auch durch
Verbrennen und Anätzen. Kalk, Chemikalien, explodirendes Pulver,
Steinstückchen bei Dynamitsprengungen oder glühendes Eisen, die in
das Auge spritzen, bewirken oft Verlust des Sehvermögens. Man hüte
sich bei Verbrennungen oder Verätzungen mit Chemikalien auf eine
scheinbare Durchsichtigkeit und Klarheit der Hornhaut hin, wie sie
sich gleich nach der Verletzung bisweilen noch findet, eine zu günstige
Prognose zu stellen. Häufig tritt erst nach einigen Tagen die Trübung
ein. Hier muss immer die focale Beleuchtung (eventuell auch die oben
angegebene Fluoresce'in-Reaction) mit herangezogen werden, um die
etwaige Zerstörung der Hornhautschichten übersehen zu können.
Die Behandlung besteht in Entfernung der eingedrungenen Massen:
im Uebrigen gilt das bei den Conjunctivalverletzungen Gesagte. Zur
Bekämpfung der ersten Entzündung empfehlen sich kalte Umschläge;
später kommen die sonst bei Hornhautaffectionen üblichen therapeuti-
schen Kegeln zur Geltung.
Die Durchblutung der Cornea in Folge von Verletzungen ist oben
besprochen.
Geschwülste der Cornea. 5Q5
5. Geschwülste der Cornea.
Eine primäre Geschwulstbildung in der Cornea ist ausserordentlich
selten. Meist wird ihr Gewebe durch Tumoren, die sich im Innern
des Auges entwickelt haben und nun durchwachsen (wie Sarkome und
Gliome oder Iristuberkel), oder durch solche, welche auf dem Corneal-
limbus in dem Conjunctivalüberzuge entstanden sind, erst seeundär er-
griffen. Besondere Bedeutung haben die am Corneallimbus sitzenden
Geschwülste, die allmählich sich vergrössernd bis in das Pupillargebiet
vorrücken und so das Sehen stören können. In der Regel pflegt die
Hornhaut nur in ihren oberflächlichen Schichten ergriffen zu werden.
Am häufigsten handelt es sich um Sarkome und zwar Melanosarkome,
seltener um Careinonie.
Die Prognose ist für diese Geschwülste mit Vorsicht zu stellen,
da Recidive, selbst Metastasen zu befürchten sind. Es wird immerhin
eine frühzeitige Exstirpation angezeigt sein; gewöhnlich kann man die
Geschwulst von den oberflächlichsten Hornhautschichten abschaben.
Sollte besonders im Scleralgebiete ein tieferes Eindringen schon statt-
gefunden haben, so bleibt nur die Enucleatio bulbi übrig.
Ausser den Sarkomen kommen Epitheliome und Melanocancroide,
ferner Lepraknoten von gelblicher Färbung, äusserst selten Fibrome
^Bognian), vor (vergl. Geschwülste der Conjunctiva). Die Lepraknoten
charakterisiren |sich als Leukosarkome, es finden sich in ihnen massen-
hafte Leprabacillen, sie können auftreten, ehe die Haut befallen ist
(Meyer und Berg er). Sehr selten sind syphilitische Papeln (Pepp-
niüllejr, Wolff). Angeboren finden sich graue oder gelblich aus-
sehende Dermoide, die als kleine Erhebungen meist auf den Grenz-
partien der Cornea und Sclera aufsitzen.
506 Erkrankungen der Sclera.
Fünftes Kapitel.
Erkrankungen der Sclera.
Anatomie.
Die Sclera bildet die äussere elastische Kapsel des Bulbus. Nasal
von ihrem hinteren Pole tritt der Sehnerv ein, dessen bindegewebige
Scheiden in sie ausstrahlen. Von! geht sie in die Hornhaut über;
zuerst nehmen ihre innersten Lagen das durchsichtige Gefüge der
letzteren an, während die äusseren noch eine kurze Strecke ihre Un-
durchsiehtigkeit behalten (Scleral- oder Corneallimbus). Kurz vor dem
Uebergang rindet sich in der Sclera ein venöser Plexus, welcher ihre
ganze Peripherie kreisförmig umzieht (Sinus venosus [Leber] oder
Canalis Schlemmii). Die Sclera ist in ihren hinteren Partien am
dicksten, wird nach vorn hin dünner und ist besonders an den Stellen,
die unter den Sehnenansätzen der Muskeln liegen, am dünnsten. Die
Sehneninsertionen verstärken sie dann wieder etwas. Sie wird von
Nerven und Gelassen, die in das Innere des Auges gehen, durchbohrt.
Sic selbst hat wenig Gefässe. Am hinteren Pole senken sich die hin-
teren Ciliargefässe und -nerven, kurz vor dem Limbus die vorderen
( 'iliargefässe und -nerven, welche die Iris versorgen, in sie ein und bilden
thrilweise in ihr längere Canäle. Das Scleralgewebe besteht aus gröberen
Bindegewebsbündeln, die zum Theil von vorn nach hinten, zum Theil
um den Hornhautrand cireulär verlaufen; sie sind vielfältig mit elas-
tischen Fasern untermischt (Sattler). Die innersten Schichten ent-
halten Pigmentzellen. Im Alter (vgl. auch Glaukom) finden sich öfters
Verkalkungen in der Sclera: ebenso in den verdickten Lederhäuten
der phthisischen Augäpfel, wo auch Verknöcherungen vorkommen.
1. Episkleritis und Skleritis.
Bei den Entzündungen der Sclera kann man eine oberflächliche
Form, wo besonders episklerales Gewebe betheiligt ist, als Epi-
skleritis und eine die tieferen Schichten treffende, als Skleritis unter-
scheiden; jedoch kommen Uebergänge zwischen beiden vor. Bei der
i
Episkleritis und Skleritis. 507
Episkleritis zeigt sich im Beginn der Affection in einiger Entfernung
von der Cornea in der Sclera ein meist kleiner, blau-röthlicher Flock
von unregelmässigei Form, der durch stärkt' Füllung des episkleralen
Venennetzes bedingt ist: über ihn ziehen mehr hellrothe Conjunctival-
gefasse. Es folgt dann eine Infiltration des darüberliegenden Gewebes,
oft mit buckeiförmiger Erhebung. Diese Buckel pflogen ein bis zwei
.Monate lang zn bestehen, um dann wieder meist mit Zurücklassung
kleiner schiefergrauer Flecke zu schwinden. Bisweilen umziehen sie
nach und nach einen grösseren Theil der Hornhautperipherie. Stärkere
Conjunctival-Injection pflegt nicht zu bestehen, oft verläuft überhaupt
der Process ohne besondere Beschwerden, seltener unter starken
Schmerzen, In zwei Fällen, wo die Buckel auffallende Aehnlich-
keit mir Tuberkelknötchen hatten, haben wir sie excidirt und untersucht;
es fanden sieh jedoch nur Anhäufungen von Bundzellen ohne Tuber-
kelbacillen: auch Impfungen in die vordere Augenkammer des Kanin-
chens blieben erfolglos.
Diese umschriebenen Hervorragungen können auch eine gewisse
Aehnlichkeit mit den breiten Phlyktänen der Conjunctiva zeigen. Doch
ist bei letzteren das Infiltrat in der Oberfläche der Conjunctiva gelegen,
während man bei der Skleritis die wenig betheiligte Bindehaut über
der Erhebung einigermaassen verschieben kann: auch fehlt meist die
charakteristische, von derUebergangsfalte herkommende büschelförmige
Injection der verlängerten hinteren ( .'onjunctivalgefas.se. Ferner pflegt
gerade diejenige Form der breiten Phlyktänen, welche zu Verwechs-
lungen Anlass geben könnte, dicht am Sclerallimbus zu liegen, während
bei der Episkleritis der Haupterkrankungsort in einer gewissen Ent-
fernung von letzterem sitzt.
Die eigentliche Skleritis kennzeichnet sich durch das Auftreten
mehr oder weniger grosser bläulich-violetter Flecke: die nicht befallene
Partie des Bulbus bleibt oft ganz blass und injectionslos. Die subjec-
riven Svmptome sind meist sehr gering. Nur selten besteht heftigeres
Thränen, Lichtscheu oder erheblichere Schmerzhaftigkeit. Während
in einer Zahl von Fällen der Process auf die Sclera beschränkt ist,
wird er in anderen Fällen von Chorioidea-, Iris-, Glaskörper- und Horn-
hautarfectionen begleitet. Die Hornhaut zeigt vom Rande ausgehende,
in den tieferen Schichten gelegene, grauliche Infiltrationen, die fleck-
weise entstehen. Ausgeprägtere Eiterfärbung oder Neigung zu Ex-
ulcerationen fehlt ihnen. Nach erfolgter Heilung verschwinden sie fast
spurlos, nur dicht am Bande bleiben öfters graue Trübungen, die wie
eine Fortsetzung der Sclera auf die Cornea (sclerosirende Trübungen)
aussehen. Meist ist gleichzeitig mit dem Hornhautleid. en eine Iritis
vorhanden, gewöhnlich in der Form der serösen. Auch Glaskörper-
f> is Erkrankungen der Sclera.
trübungen sind in diesen Fällen nicht selten. Schliesslich kann es zu
Ektasien der Sclera kommen.
Das Leiden, ob complicirt oder uncomplieirt, ist sehr langwierig;
viele Monate, selbst 1 bis 2 Jahre lang, kann die Affection währen.
Auch treten gelegentlich an anderen Stellen der Sclera neue Nach-
schübe ein. Anfänglich erkrankt in der Regel nur ein Auge, oft folgt
das andere nach.
Die Prognose bezüglich der Episkleritis ist im Ganzen günstig;
die Affection ist zwar hartnäckig und zu Recidiven neigend; schädigt
aber selten das Sehvermögen. Letzteres ist in Folge der angegebenen
Complicationen bei der eigentlichen Skleritis häufiger der Fall. Doch
kann auch diese günstig verlaufen, so dass nur die zurückbleibenden
violetten Verfärbungen, welche durch das Durchscheinen der Chorioidea
durch die atrophische Sclera bedingt sind, von der überstandenen Krank-
heit zeugen.
Vorzugsweise werden Erwachsene befallen, häufiger Frauen als
Männer. Im Beginn der zwanziger Jahre und dann wieder im späteren
Lebensalter ist die Erkrankung verhältnissmässig am häufigsten. Man
findet bisweilen rheumatische Ursachen, Gicht, Syphilis, Scrophulose,
Abdominal-Plethora, Anämie, Menstruationsanomalien. — Skleritis in
der Gegend des hinteren Augenpoles (mit Chorioiditis verknüpft) hat
Jacobson ophthalmoskopisch gelegentlich bei Kindern nach Masern
und Variola beobachtet.
Die locale Behandlung kann eine mehr abwartende sein. Jeden-
falls sind reizende Mittel (gelbe Quecksilbersalbe u. s. w.) im Beginn
zu vermeiden. Atropinisirung des Auges, Anwendung der Stirnsalbe
genügen oft; bei heftigeren Schmerzen kann man Blutegel und Opiate
anwenden. Auch lauwarme Kamillentheeumschläge mehrere Male des
Tages Vo Stunde lang, oder Anwendung des feucht-warmen Druck-
vorbandes sind hier bisweilen angezeigt. Bei stärkerer Gewebsinfil-
tration sind Scarificationen und Massage mit Cocainsalbe von Nutzen.
Auch subconjunctivale Kochsalz- oder Sublimat-Injectionen sind em-
pfohlen worden. Treten Complicationen mit Iritis ein, so ist stärkere
Atropinisirung erforderlich. Ist die Iritis sehr heftig und sind gleich-
zeitig Chorioiditis oder Glaskörpertrübungen vorhanden, so wende
man allgemeine Mercurialisation (etwa durch subcutane Sublimat-Injec-
tionen, 0-01 pro die) an. Selbst von anämisch aussehenden Individuen
werden sie neben sonstigem roborirendem Verfahren gut vertragen.
Bei diesen, oft sichtbarlieh mit constitutionellen Diathesen zusam-
menhängenden Leiden ist in der Regel auch eine weitere innerliche
Behandlung von Nöthen. So ist der Gebrauch von Jod, Jodeisen,
Eisen oft indicirt. Pagenstecher hat besonders nach sehr grossen
Ektasien und Staphylome der Sclera. 50i)
Dosen (5 bis 25 gT pro die) von Jodkali und Jodnatrium eclatante
Besserungen gesehen. Die Lösung- (20 gr ad 200 gr Wasser) wird ess-
löffelweise in Milch nach dem Essen genommen; die Cur ist wochenlang
fortzusetzen. Bei gichtischer Diathese wird das Xatr. und Lithium sali-
eyücum sowie Colchicin gerühmt. Sind keine speciellen Indicationen
vorhanden, so ist der längere Gebrauch von Leberthran empfehlens-
werth.
2, Ektasien und Staphylome der Sclera.
Eine allgemeine Ausdehnung der Sclera rindet sich bei angeborenem
Buphthalmus; es ist hier meist auch eine Verdünnung derselben ein-
getreten. Bei Cornealstaphvlomen sieht man bisweilen den vorderen
Abschnitt der Sclera gleichmässig ausgedehnt, besonders charakteristisch
ist hier das Verstreichen der Rinne zwischen Cornea und Sclera.
Partielle Hervortreibungen kommen vor in der Nähe des Cornea-
randeSj im conjunctivalen Theil und dicht neben dem Sehnerven. Letztere,
zuerst von Scarpa als Staphylonia posticum beschrieben und später
von Arlt als Begleitsymptoni der Myopie erfasst, wurden bei den Re-
fractionsanomalien besprochen (S. 73). Die an dem vorderen Abschnitt
befindlichen Staphylome der Sclera haben eine bläulich-schwärzliche
Farbe und entstehen durch Hervorbuchtung der verdünnten Sclera und
der mit ihr verwachsenen Uvea. Bisweilen sitzen sie dicht am Horn-
hautrande zwischen Iris und Corp. ciliare (Staph. intercalare) und
umgeben in seltenen Fällen als gewulsteter Ring die ganze Cornea.
Die mehr äquatorial gelegenen Buckel können mit Chorioidealsarkomen,
welche die Sclera hervordrängen, oder Gumniata verwechselt werden.
Doch sind bei focaler Beleuchtung die eigentlichen Staphylome meist
durchscheinend und Licht durchlassend, was bei Geschwülsten nicht
der Fall ist. Ebenso zeigen letztere beim Daraufdrücken einen grössseren
Willerstand: ein Symptom, dass auch sonst für Tumoren diagnostisch
verwendbar ist. — Auch bei eitrigen Glaskörperentzündungen beobachtet
man gelegentlich umschriebene Scleralbuckel, trotzdem es nicht immer
zur Eiterperforation daselbst kommt. Das Sehvermögen ist in der
Regel bei den umschriebenen Staphylomen fast ganz aufgehoben, da
anderweitige Augenaffectionen, besonders glaukomatöse Processe da-
neben bestehen. Irgend welche operative Eingriffe, abgesehen vielleicht
von der Sclerotomie zur Herabsetzung der Tension, sind zu vermeiden:
aus kosmetischem Grunde kann die Enucleatio oder Exenteratio bulbi
angezeigt sein. —
510 Erkrankungen der Sclera.
3. Verletzungen der Sclera.
Die mit mehr oder weniger .scharfen und spitzen Instrumenten der
Sclera beigebrachten Wunden sind meist mit gleichzeitiger Verletzung
des üvealtractus und der Netzhaut verknüpft. Glaskörperausfluss,
Linsenverlust, Hineinfallen der Chorioidea und des ( !orp. ciliare sind
bei grösseren perforirenden Traumen die Regel, ebenso Blutungen in
vordere Kammer und Glaskörper. Selbst wenn kleinere Wunden an-
fänglich wenig gefährlich erscheinen, so kann doch nachträglich durch
Einheilen der Netzhaut eine Ablösung derselben erfolgen. Dieses Ein-
heilen der Netzhaut geschieht, wie Schöler's Experimente gezeigt
hal)en; vorzugsweise durch eine bindegewebige Verbindung zwischen
der sich in die Scleralwunde legenden Conjunctiva und der Netzhaut.
Besonders gefährlich sind die Verletzungen, welche die Gegend des
Corp. ciliare treffen, indem die eingeleitete Cyklitis oft sympathische
Affection des anderen Auges zur Folge hat.
Rupturen der Sclera werden meist durch stumpfe Gewalt bewirkt.
Wenn beispielsweise der untere vordere Theil der Sclera von einem
stumpfen Körper heftig getroffen wird, so kommt eine Compression des
Bulbus in der Richtung von unten-vorn durch den Mittelpunkt nach
oben-hinten zu Stande. Der Inhalt des Augapfels weicht aus und
spannt die Bulbuswände in dem auf dieser Stossachse senkrecht stehen-
den Aequator am meisten. Falls dieselben nicht gestützt werden, etwa
durch das Orbitalfett oder die Muskeln, können sie platzen (Arlt): so
finden wir denn in der That die meisten Scleralrisse, mehrere Millimeter
vom Corneallimbus entfernt, äquatorial verlaufen. Häufig ist die ( 1on-
junetiva dabei unzerrissen. Es bleibt alsdann der ausgetretene Glas-
körper oder die ausgetretene Linse unter der Conjunctiva.
Die anzuwendende Therapie bei Scleralwunden wird sich nach
der Grösse, Art und Lage der Wunde richten. Ist die Wunde sehr
gross, ist viel Glaskörper ausgeflossen, liegt Chorioidea in der Wunde
und ist vor Allem das Corp. ciliare getroffen, so ist sofortige Enuclea-
tion oder Exenteration das beste Mittel. In solchen Fällen würden
langwierige Entzündungen unausbleiblich sein, irgend ein in Betracht
kommendes Sehvermögen ist nicht zu erwarten und die Gefahr einer
sympathischen Affection drohend. Bei nicht zu grossen Wunden ist
die Heilung zu versuchen; wenn möglich wird man hier die Scleral-
oder mindestens die Conjunctivalwunde nach entsprechender Desinfection
durch Nähte schliessen. Sodann pudert man etwas Jodoform ein und
legt einen antiseptischen Druckverband an. Bei sehr heftigen Schmerzei
wendet man Narc.otica oder auch intermittirend mit dem Druckverband
Geschwüre und Geschwülste der Sclera. 511
Eisumschläge an. Die weitere Behandlung würde dieselbe wie nach
Starextractionen sein. Sollten innere eitrige Entzündungen sich ein-
stellen; so kann man Blutentziehungen und zeitweilig kalte Umschläge
oder auch subconjunctivale Sublimat- oder Kochsalz-Iujectionen ver-
suchen; bei ausgesprochener eitriger Chorioiditis und Panophthalmitis
pflegen Kataplasmen. die aber sein- klein und leicht sein müssen, oder
beständige laue Umschläge schmerzmildernd zu wirken.
Durch Verbrennungen und Aetzungen werden bisweilen mit der
( 'onjunctiva auch die oberflächlichen Schichten der Sclera zerstört, so
dass die Uvea alsdann bläulich-grau durchschimmert. — Recht häutig
kommen kleine eingesprengte Stein- und Pulverkörner in der Sclera
nach Explosionen von Pulver- oder Dynamit-Patronen zur Beobachtung.
Meist dringen die kleinen Partikelchen noch in den Glaskörper, die
Iris und die Linse ein und bewirken schwere Entzündungen. Auf ein
Herausholen aus dem Augeninnern ist hier in der Regel zu verzichten;
oberflächlich in der Sclera sitzende Körner kann man entfernen. Ebenso
dringen Eisenstückchen gelegentlich durch die Sclera in das Augeninnere
(cf. Fremdkörper in Glaskörper).
4. Geschwüre und Geschwülste der Sclera.
In sehr seltenen Fällen sind in der Sclera perforirende Geschwüre
beobachtet worden. — Ebenso sind primäre Geschwülste der Sclera —
abgesehen von den oben besprochenen am Sclerallimbus — ausser-
ordentlich selten; tuberculose, syphilitische, lepröse Granulationsge-
schwülste ebenso wie Sarkome und Fibrome (Saemisch) wurden be-
schrieben. Die Gliome der Xetzhaut ebenso wie die Sarkome der (Jho-
rioidea finden in der Sclera einen starken Widerstand und ergreifen sie
erst sehr spät und partiell an. Bisweilen entwickeln sich durch Wande-
rung von Gesehwulsteleinenten längs der Gefässscheiden oder Lymph-
wege episklerale Geschwülste, ohne dass die Sclera selbst ausgiebiger
in die Geschwulst einbezogen ist. — Angeboren finden sich dunkelviolette
oder schwärzKch-bräunliche Flecke (Melanosis sclerae), bisweilen mit
ähnlichen Pigmentirungen an anderen Körperstellen.
512 Erkrankungen der Iris.
Sechstes Kapitel.
Erkrankungen der Iris.
Die Anatomie der Iris findet sich bei der Anatomie des Uveal-
tractus S. 225.
1. Hyperaemia iridis.
Bei sehr vielen acuten Erkrankungen des Auges lässt sich secun-
där auch eine Hyperämie der Iris constatiren. So besonders bei acuten
Granulationen, bei Blennorrhoe, bei Keratitis, bei Skleritis, bei Chorioi-
ditis und Cyklitis. Aber auch nach äusseren Verletzungen, die andere
Theile des Bulbus betreffen, sieht man sie auftreten. Die Hyperämie
charakterisirt sich durch eine Farbenveränderung, die durch Zumischung
von Rothgelb entsteht. Eine blaue Iris wird grünlich, eine graue mehr
schmutzig-grün, eine braune und schwärzliche rothbraun. Bisweilen
kann man übrigens ähnliche Farben- Veränderungen an hellen Regen-
bogenhäuten auch bei momentan vermehrtem Blutzufluss beobachten,
z. B. während der Ausführung der Schieloperation. Auch bei Resorp-
tion subconjunctivaler Blutergüsse habe ich eine Verfärbung der Iris
gesehen und zwar öfters local entsprechend dem Sitz des Hyposphagma ;
es ist hieraus ein Ueberwandern des Blutfarbstoffes abzunehmen. — Zur
Hyperämie gesellt sich eine Verlangsamung in der Contraction (Träg-
heit) der Pupille auf Lichteinfall und Neigung zur Miosis. Zuweilen
besteht ein leichter pericornealer Gefässring. Tritt letztere Injection
aber stärker hervor, vei'liert das Irisgewebe seinen Glanz, so haben wir
es mit wirklichen Entzündungen zu thun.
Der Verlauf ist verschieden, je nach der Grundursache der Affe ction.
Zuweilen geht die Hyperämie schnell wieder zurück, zuweilen entwickelt
sich eine Iritis.
Die Behandlung ist darauf gerichtet, letztere durch Bekämpfung
des Grundleidens zu vermeiden. Vor Allem empfiehlt sich hier das-
Atropin.
Iritis. 513
2. Iritis.
I. Symptomatologie.
Verfärbung- und Verlust des Glanzes bei Trägheit der Pupillen-
bewegung sind die charakteristischen Symptome der Regenbogenhaut-
entzündung. Oft gesellen sich Enge der Pupille und Verwachsungen
der Iris mit der Linsenkapsel (hintere Synechien) hinzu. Um letztere,
welche eine unregelmässige Gestalt der Pupille veran-
lassen, zu eonstatiren, bedarf es bisweilen der Einträufelungen von
Atropin. In chronisch verlaufenden Fällen kann die pericorneale In-
jection fehlen: dies ist zu beachten, da sonst die Affection leicht zum
Schaden der Kranken übersehen wird.
A. Objective Symptome.
1) Hyperämie der Conjunctiva und des subconjunctivalen
Gewebes. Bei sehr starker acuter Iritis legt sich ein etwa 1 1/2 bis
2 mm breiter violettrother Ring um die Cornea, an dem man kaum
noch die einzelnen Gefässstämmchen unterscheiden kann. Auch die
hinteren Conjunctivalgefässe sind bisweilen injicirt und stehen mit den
vorderen pericornealen in Verbindung. Besonders in der allerersten Zeit
der Entzündung findet sich eine massige seröse Durchtränkung des
subconjunctivalen Gewebes, selbst ein leichter chemotischer Ring um
die Cornea.
2) Verfärbung der Iris. Die verschiedenen Farbennüancen
sind schon bei der Hyperaemia iridis besprochen. Gelegentlich ist die
Verfärbung nur partiell. Bei sehr chronischen, lange bestehenden Iriten
oder Hyperämien (wie wir sie z. B. bei der Irido-Cyklitis, Netzhaut-
ablösung u. s. w. finden) kann die Iris eine papageigrüne Farbe an-
nehmen.
3) Verlust des Glanzes. Eine normale Iris zeigt eine leicht
glänzende Oberfläche, bei der Entzündung wird dieselbe matt und
stumpf.
4) Auflockerung oder Atrophie des Gewebes. Einzelne
Partien erscheinen geschwollen, oft haben dieselben einen besonders
hervorstechenden gelben Farbenton, von eitriger Infiltration herrührend.
Es kommen auch gelegentlich kleine Knoten von etwa Stecknadelkopf-
es Hirsekorngrösse vor, theils von intensiv gelblicher Färbung (Eiter-
anhäufungen), theils mehr röthlich (so bei Condylomen und Gummata)
oder mehr weisslich (bei Tuberkeln und Lymphomen). Bei einer gleich-
massigen Infiltration verliert sich die Färbung und feine Zeichnung
der Iris.
Sehmidt-Rimpler. 7. Auflage. 33
514 Erkrankungen der Iris.
In Folge lange bestehender Entzündung tritt nach Rückgang der
Infiltration eine Atrophie der Iris ein, sie erscheint dünner und ohne
ihre normale Zeichnung meist schiefergrau. Ein oder das andere dicke,
rothe Gefäss ist in ihr zu erkennen.
5) Verengerung der Pupille. Die Miosis ist hauptsächlich
durch die stärkere Blutfülle und damit verbundene Volumenzunahme
des Gewebes zu erklären. So sehen wir auch nach Punctionen der
vorderen Hornhaut mit Kammerwasserabfluss Verengerung der Pupille
erfolgen, indem zugleich eine acute Hyperämie eintritt. Dass übrigens
durch Reizung der Trigeminusfasern gleichzeitig reflectorisch eine Con-
traction des Sphincter iridis ausgelöst wird, dürfte nicht auszuschliessen
sein. Es verbindet sich mit der Pupillenenge eine geringere Reactions-
fähigkeit auf Licht und Mydriatica.
6) Hintere Synechien und Pupillarmembran. Die Verkle-
bungen zwischen der Iris und Linsenkapsel sitzen in der Regel nur
an umschriebenen Stellen des Pupillarrandes. Man erkennt sie an Un-
regelmässigkeiten und eckigen Verziehungen der Pupille. Ist die Pupille
eng, so sind diese Abweichungen von der runden Form schwer zu
sehen. Durch Beschatten des Auges erweitert man die Pupille alsdann
und beobachtet ihre Gestalt. Wenn dies nicht genügt, so wendet man
Mydriatica, besonders Atropin an. Indem die Iris sich jetzt auf ein
geringes Volumen, nach ihrem Ciliaransatz zu, contrahirt, treten die
Stellen, wo der Pupillarrand mit der Linsenkapsel verklebt ist, meist
als zungenförmige, schwarze oder rostbraune Fortsätze hervor. Häufig
ist es nur das hinterste Pigmentblatt, welches, in dieser Form haften
bleibend, der Contraction des Irisgewebes nicht folgt. In den Fällen,
wo schliesslich doch eine vollständige Lösung der Iris eintritt, bleiben
dunkle radiäre Sectoren oder auch Punkte und Linien auf der Linsen-
kapsel zurück. So sieht man bisweilen einen kleinen schwarzen oder
braunen Kreis auf der Linse, welcher der Stelle entspricht, wo früher
der Rand der verengten Pupille gesessen hat. Im Laufe der Zeit ver-
lieren diese Pigmentreste ihre intensivere Färbung. Wenn der Pupillar-
rand in seiner ganzen Ausdehnung angeheftet ist, besteht eine totale
hintere Synechie. Bisweilen ist hierbei die ganze hintere Irisfläche
mit der Linse verklebt, in anderen Fällen aber nur die Pupillarperi-
pherie. Es treten alsdann durch Ansammlungen von Flüssigkeit in
der hinteren Augenkammer buckeiförmige Hcrvortreibungen der Iris
auf, die, wenn sie bedeutend sind, die Irisfläche der Cornea nahe
bringen, während der Pupillarrand und die Pupille kraterförmig tief
liegen (Figur 151).
Die Pupille selbst kann mit Exsudaten bedeckt werden, indem die
neugebildete Schicht, welche Pigmentblatt mit Linsenkapsel verklebt,
Symptomatologie der Iritis. 515
in das Pupillargebiet hineinreicht, oder indem sich direct Exsudate
aus der vorderen Kammer absetzen. Weisslieh-gTaue häutige Auflage-
rungen der Pupille werden als Pupillarmembranen bezeichnet. Auch
kann es zu einem vollkommenen Verschluss der Pupille, Pupillen-
sperre (Occlusio pupillae), durch ein undurchsichtiges Häutchen
kommen.
7) Die Trübungen des Humor aqueus sind von sehr ver-
schiedener Intensität7 je nach der grösseren oder geringeren Zahl
suspendirter Zellenelemente in der Kammerflüssigkeit. Oft scheidet
sieh eine Masse, von Fibrin und Eiterzellen gebildet, als gelbes Hypo-
pyon ab. Das Hypopyon folgt hierbei dem Gesetz der Schwere und
setzt sieh am tiefsten Theile der vorderen Kammer ab: es hat eine
halbmondförmige Gestalt, indem die Convexität der unteren Kammer-
bueht entspricht. Sehr kleine Hypopya sind schwer zu erkennen, da
sie noch von dem Sclerallimbus verdeckt werden. Doch sieht man meist
deutlich, dass an der untersten Stelle der Cornea die Peripherie der
durchsichtigen Hornhautgrenze nicht mehr kreisrund ist, sondern eine
kleine gelbliehe Linie bildet. Oft gelingt die Wahr-
nehmung derartiger sehr kleiner Hypopya nur bei
Lupenuntersuchung mit Anwendung schiefer Be-
leuchtung. Ein sehr gutes Hülfsmittel besteht darin,
. . . 1«1«
dass man durch in die Höheschieben des unteren
Augenlides eine Schicht Thränenflüssigkeit über den unteren Horn-
hautrand bringt. Diese wirkt dann als Convexlinse und zugleich pris-
matisch. — Liegen die Kranken auf der Seite, so rücken die Hypopya
nach der entsprechenden tiefstliegenden Seite der Kammer. Sie füllen
bisweilen J:, der vorderen Kammer aus; doch finden sich die grossen
Hypopya häufiger bei secundären Entzündungen der Iris, bei Horn-
liauraffectionen (Ulcus serpens) oder eitriger Chorioiditis. Ohne aus-
gesprochene Iritis kommen Hypopya, abgesehen von Hornhaut-
processen, auch bei Cyklitis vor: bei letzterer AfFection aber nur in
sehr geringer Masse und meist ephemer auftretend und verschwindend.
Reine Blutergüsse in die vordere Kammer (Hyphaema) erfolgen
fast nur bei Traumen der Iris. Doch habe ich sie auch nach Stick-
hustenanfällen gesehen. Kleine Blutstreifen zeigen sich zuweilen in
den Eiterergüssen. Eine eigenthümliche Erscheinung findet sich ge-
legentlich in der Gestalt sogenannter linsenförmiger oder gela-
tinöser Exsudationen. Sie haben eine meist runde und linsenähn-
liche Form: die Farbe ist grau. Der erste Fall, den ich beschrieben,
hatte täuschende Aehnlichkeit mit einer in die vordere Kammer luxirten,
getrübten Linse. Die Resorption des Exsudats, dass sich aus einer
ursprünglich ungeformten Trübung linsenähnlich gestaltet hat, geschieht
516 Erkrankungen der Iris.
meist in einigen Tagen, indem vom Rande her, oft unter Zackenbildung,
die Verkleinerung eintritt. Diese gelatinösen Exsudationen können bei
den verschiedensten Formen von Iritis (syphilitische, traumatische [z. B.
auch nach Kataraktoperationen] u. s. w.) beobachtet werden.
Auch Bläschen, die sich später verkleinern und zu Exsudathäutchen
zusammenschmelzen, kommen vor.
8) Präcipitate an der hinteren Hornhautwand. Man sieht
kleine, stecknadelspitz- bis stecknadelkopfgrosse, grauweisse, zuweilen
auch leicht bräunliche Präcipitate der Membrana Descemetii aufsitzen:
bei einer grösseren Menge derselben spricht man von Descemetitis
oder Hydromeningitis. Diese Präcipitate bestehen meist aus Fibrin
und Rundzellen, die zum Theil Pigmentkörper enthalten. Die Con-
traction des Fibrins giebt ihnen wahrscheinlich die runde Form. Unter
ihnen geht bisweilen das Endothel der M. Descemetii zu Grunde,
während am Rande Regenerationsvorgänge desselben stattfinden. In
einzelnen Fällen erstrecken sich von diesen Pünktchen aus nach vorn
in die Hornhaut hinein Infiltrationen, die ebenfalls in Punktform auf-
treten. Es entsteht so eine seeundäre tiefliegende Keratitis punctata.
Wenn sich in der Peripherie der Hornhaut dickere graue Auf-
lagerungen an der Membrana Descemetii finden, so können sie mit dem
anliegenden ciliaren Rande der Iris in Verbindung kommen und kleine
knopfförmige Synechien bewirken.
9) Auch die Hornhaut zeigt bisweilen eine leicht diffuse oder
strichförmige Trübung, die besonders bei schiefer Beleuchtung
hervortritt.
B. Subjective Symptome.
Schmerzen sind bei den acuten Formen vorhanden und dann
oft ungemein heftig. Sie haben ihren Sitz im Bulbus (Ciliarschmerz),
strahlen aber von dort in die Stirn- und Schläfengegend aus, so dass
eine förmliche Hemikranie auftreten kann; bisweilen ist eine Stelle auf
der Mitte des behaarten Kopftheiles alleiniger Sitz des Schmerzes, es
dürfte sich um die Endausläufer des N. frontalis (supraorbitalis) handeln.
Gegen Abend oder des Nachts pflegen sie zu exaeerbiren. Gemeinhin
ist dann auch der Augapfel auf Druck in der Ciliargegend stark em-
pfindlich, ohne dass jedoch hieraus allein die Diagnose auf Cyklitis ge-
stellt werden dürfte. Die Lichtscheu ist vorzugsweise im Beginn der
Krankheit und bei sehr acutem Auftreten belästigend.
Die Seh Störungen sind bedingt durch die optischen Hindernisse:
Kammerwassertrübung, Hornhauttrübung oder Pupillarmembranen. Aber
Verlauf und Ausgänge der Iritis. 517
auch eine gewisse Hyperämie der Papilla optica und Netzhaut, die man
öfters bei Iritis findet, dürfte mit in Rechnung zu ziehen sein. Aller-
dings sind im Grossen und Ganzen die Sehstörungen annähernd ent-
sprechend den optischen Störungen: ein Patient, der keine Pupillar-
membran und nur massige Trübung des Kamnierwassers hat, liest mit
convex 6-0 immer noch kleine Schriftproben; ebenso ist sein Gesichts-
feld frei. Herabsetzung der Sehschärfe oder Einschränkung des Ge-
sichtsfeldes deuten auf Complicationen, meist mit Cyklitis, Glaskörper-
trübungen, Retinitis, Sehnervenexcavation u. s. w. — Bei starker Ent-
zündung darf man weder die Sehprüfung noch die Augenspiegelunter-
suchung zu eingehend und langdauernd machen. Bezüglich ersterer
genügt meist das Lesenlassen in der Nähe mit einem Convexglas (letz-
teres wird zum Ausgleichen etwaiger Refractionsanomalien benutzt).
Allgemeinerscheinungen, wie Fieber, Uebelkeit und Erbrechen, sind
im Ganzen selten.
II. Verlauf und Ausgänge.
Man unterscheidet acute und chronische Formen der Iritis. Die
ersteren treten unter erheblichen Schmerzen, Lichtscheu, Thränen-
träufeln auf, zeigen meist starke pericorneale Injection, selbst leichte
Chemosis der Conjunctiva. Später bilden sich Exsudationen in der
vorderen Kammer, Hypopyen oder hintere Synechien. Sie verlaufen
in etwa vier bis sechs Wochen. Die chronischen Formen dauern viel
länger und werden leicht wegen ihrer wenig alarmirenden Symptome
übersehen. Die entzündlichen Erscheinungen sind gering, oft fehlen
sie ganz, so die Schmerzen und die ausgeprägtere pericorneale Injec-
tion. Allerdings sieht man bei genauerer Beobachtung, dass bei einem
das Auge treffenden Reiz eine abnorme pericorneale Röthe, auch Thränen
sich zeigen. Doch kommt es oft zu einer circulären Synechie und er-
heblichen Herabsetzung des Sehvermögens, ohne dass die Patienten die
Empfindung eines schweren Augenleidens haben.
Die Iritis kann vollständig heilen. Das Gewebe wird wieder nor-
mal und die entzündlichen Producte verschwinden. Oder auch die
Entzündung hört auf, aber es sind hintere Synechien (partielle oder
totale) oder Pupillarmembranen zurückgeblieben. Partielle hintere Syn-
echien lösen sich bisweilen noch nachträglich unter lange fortgesetzter
AtropiDisirung. Man hat ihnen einen besonderen Einfluss auf die Her-
beiführung von Recidiven, zu denen die Iritis überhaupt neigt, zuge-
schrieben. Und in der That zeigen Augen mit hinteren Synechien,
wie auch eine Zusammenstellung von Horstmann lehrt, etwas häufiger
Rückfälle von Iritis. Die Ursache mag wohl in den Zerrungen liegen,
518 Erkrankungen der Iris.
denen die Regenbogenhaut bei den Bewegungen der Pupille an der
Stelle der Verwachsungen ausgesetzt ist. Andererseits ist aber die
Gefahr der partiellen Synechien vielfältig überschätzt worden: trotz
ihres Vorhandenseins bleiben Rückfälle oft dauernd aus.
Entschieden gefährlich aber für das Auge sind die totalen hinteren
Synechien, die zu einem Pupillenabschluss führen (Seclusio pupillae).
Hier kommt es, falls die Iris nicht mit ihrer ganzen hinteren Fläche
mit der Linsenkapsel verklebt ist, wie bereits oben erwähnt, zu mehr
oder weniger starken Hervorbuckelungen durch Anhäufung von Flüssig-
keit in der hinteren Kammer. Dazu gesellt sich in der Regel Secun-
därglaukom mit Drucksteigerung und Sehnervenexcavation. In anderen
Fällen und besonders dort, wo eine ausgedehnte Flächenverklebung
stattfindet, treten öfters secundär cyklitische Erscheinungen, besonders
durch Glaskörpertrübungen erkennbar, auf. Hier wird der Bulbus
meist weich und die Linse kataraktös; jedoch bleiben in einer Reihe
von Fällen diese schweren Folgen aus.
Pupillarmembranen, die zurückbleiben, haben eine sehr verschiedene
Dicke; sie sind bald weisslich und papierähnlich, bald so dünn und
durchsichtig, dass sie nur mit schiefer Beleuchtung erkannt werden
können. Hinter ihnen trübt sich zuweilen die Linse, und es kommt zu
umschriebenen Kapsel- bezw. Kapsellinsenstaren, Formen, die als Cata-
racta accreta, spuria oder lymphatica bezeichnet werden. Ausgedehntere
Kataraktbildung tritt meist nur bei Complicationen der Iritis mit Cyklitis
oder Chorioiditis auf.
Mikroskopisch finden sich bei Iritis zahlreiche Rundzellen und
Kerne im Gewebe, zum Theil zu Knötchen verdichtet, daneben kleine
Blutungen. Die Gefässe sind stark gefüllt; bei der syphilitischen Iritis
besteht Endarteriitis und Perivasculitis. Das vordere Endothel der
Iris ist zerstört oder gewuchert. Später kann bindegewebige De-
generation eintreten mit Schwund der Pigmentzellen. Aus Fibrin und
Rundzellen, denen Pigmentkörnchen beigemischt sind, bestehende Ex-
sudate werden auf die Oberfläche und in die vordere und hintere
Kammer abgesetzt; sie können sich auch zu grauweisslichen Häutchen
organisiren. Verwachsungen der Iris mit diesen oder einfache Ver-
klebungen der Pigmentschicht mit der Linsenkapsel führen zu hinteren
Synechien.
Complicationen. In einzelnen Fällen gesellt sich eine aus-
geprägtere AfYection der Cornea zur Iritis und zwar dann meist durch
Vermittelung der Membr. Desccmetii. Von grösserer Bedeutung aber
sind die secundärcn Erkrankungen der hinteren Partien des Uveal-
tractus. Vor Allem zeigen auftretende Glaskörpertrübungen ein Fort-
schreiten des Processes auf das Corpus ciliare und die Chorioidea an.
Verlauf und Ausgänge der Iritis. 519
Ist eine ophthalmoskopische Untersuchung nielit möglich, so wird
durch eine unverhältnissmässige Herabsetzung" der Sehschärfe und et-
waige Gesichtsfelddefecte Verdacht erregt werden.
Auch dauernde Schnierzhaftigkeit des Corp. ciliare auf Druck
rindet sich hei secundärer Cyklitis. Man kann die bezügliche Prüfung
mit dem Finger oder mit dem Sondenknopf vornehmen. Es ist auf-
fallend, dass überwiegend häufig Stellen der oberen Hälfte des Bulbus
empfindlich sind, selten solche in der unteren Hälfte. Aber wie schon
erwähnt, finden sieh auch bei einfacher Iritis öfters derartige Points
douloureux, die später wieder verschwinden. Für eine acute Affection
des Corp. ciliare spricht nur die dauernde Schnierzhaftigkeit, besonders
wenn eine intensive episklerale Röthe oder (Jedem den Stellen der
schmerzhaften Punkte entspricht. Bei chronisch gewordener Irido-
cyklitis können übrigens auch die Schmerzen — sowohl spontan als
auf Druck — fehlen.
Von hoher Bedeutung ist weiter die Spannung des Bulbus. Da
die Ernährung des Glaskörpers durch Erkrankung des Uvealtractus
verändert wird, sieht man auch abnorme Tensionsverhältnisse auftreten.
Während bei einfacher Iritis der Bulbus normale oder sogar etwas
erhöhte Spannung zeigt, pflegt bei Cyklitis die Tension nach einem
kurzen, aber nicht constanten Stadium der Zunahme bald herunter-
zugehen.
Bei chronischer Iridocyklitis wird der Bulbus ganz weich. Gleich-
zeitig bilden sich dann die Veränderungen heraus, die wir bei der sym-
pathischen Iridocyklitis kennen lernen werden. —
Bei secundärer Irido Chorioiditis, speciell der serösen Form, ist meist
eine länger dauernde Spannungsvermehrung vorhanden, es kann selbst
eine so hohe Drucksteigerung auftreten, dass wir vollständig das Bild
des Glaukoms mit Sehnervenexcavation finden. Uebrigens sind bei
der serösen Iridochorioiditis anfänglich, aber durchaus nicht immer, Ver-
änderungen der Chorioidea ophthalmoskopisch nachweisbar. Auch dürfte
stets das Corp. ciliare in gewissem Grade mitbetheiligt sein, da ein
Ueberspringen desselben, indem die Iritis direct auf die Chorioidea
überginge, unannehmbar erscheint. Es wird deshalb auch von manchen
Autoren zwischen den hier in Rede stehenden Erkrankungen keine
strenge Grenze gezogen, wenngleich meist die AfFectionen, welche bei
längerem Bestehen Tensionszunahme zeigen, als Iridochorioiditis,
die mit Tensionsabnahme als Iridocyklitis bezeichnet werden. —
Es lassen sich nach ihrem Auftreten und Verlauf verschiedene
Formen der Iritis unterscheiden. Doch kommen öfters Ueber-
ffäng-e vor.
520 Erkrankungen der Iris.
Iritis siniplex seu plastica.
Hier besteht besonders die Tendenz zu Verwachsungen des Ge
webes mit der Linsenkapsel. Tiefere Veränderungen in der Regen-
bogenhaut selbst sind gemeinhin nicht vorhanden; so fehlen eitrige
Infiltrationen, Hypopya — wenigstens in grösserer Ausdehnung — und
intensive Kammerwassertrübungen. Doch ist die Iris verfärbt, matt,
oft leicht geschwellt, die Pupille träge. Pericorneale Röthe ist in den
acuten Fällen vorhanden; in den chronischen fehlt sie oft vollständig.
Fast alle chronischen Formen, sobald sie ohne vorangegangenes acutes
Stadium sich entwickeln, haben den Charakter der plastischen Iritis
und führen oft unbeachtet zu den ausgedehntesten Synechien. Später
atrophirt dann das Gewebe, verliert seine Struct;ur, seine Farbe und
seinen Glanz.
Iritis serosa (Uveitis).
Bei der serösen Iritis tritt eine seröse Hypersecretion in den
Vordergrund, die zu einer Vermehrung des Kammerwassers führt.
Die vordere Kammer wird tiefer, das Kammerwasser ist massig trüb.
Auf der Hinterfläche der Cornea finden sich punktförmige Niederschläge
(Descemetitis). Diese sind nicht immer leicht zu sehen, bisweilen be-
darf es dazu der Lupenvergrösserung. ; Auch ist es oft nützlich, mit
dem Augenspiegel bei einfallendem Lichte und unter Zuhülfenahme
einer starken Convexlinse hinter dem Spiegel zu untersuchen; ähn-
lichen Vortheil bietet es, wenn man im umgekehrten Bilde untersuchend
die hintere Hornhautfläche in den Brennpunkt des Convexglases bringt.
In Folge der Beschläge kann es bei längerem Bestehen der Krankheit
und häufigeren Recidivirungen zu ausgeprägten Hornhauttrübungen
kommen. Das Irisgewebe ist relativ wenig ergriffen, allerdings ver-
färbt und stumpf, aber kaum geschwollen. Am Ciliarrande treten bis-
weilen durch Vermittlung kleiner, grauer, knötchenförmiger Exsudationen
Verklebungen mit der Hornhautperipherie ein. Die Pupille kann im
Anfang noch verhältnissmässig weit sein, später folgen Verengerung
und Verwachsungen.'1 Wegen des Mangels stärkerer iritischer Er-
scheinungen und der häufigen Mitbetheiligung der übrigen Uvea, die
auch durch den anatomischen Befund reichlicher Zelleneinlagerung er-
wiesen ist (Knies), wird diese Affection von Einzelnen als Uveitis be-
zeichnet. Auch Glaskörpertrübungen sind nicht selten. Die Spannung
dv* Bulbus kann sich erhöhen, selbst eine Druckexcavation der Seh-
nerven ist zu befürchten. Die Affection wird beim Fehlen stärkerer
Injection am Bulbus gar nicht selten übersehen, und erst die Seh-
Iritis suppurativa, syphilitica. 521
störungeil, welche in Folge der Beschläge auf den M. Descemetii ziem-
lich hochgradig sein können, machen auf sie aufmerksam. Der Verlauf
ist ungemein langwierig, erstreckt sich über viele Monate und neigt
sehr zu Rückfällen. Selbst nach Jahren kann man oft noch Reste der
Beschläge sehen. Secundär entwickelt sie sich gelegentlich bei pannöser
und parenchymatöser Keratitis, wenn auch nicht in aller Reinheit.
Iritis suppurativa.
Man rindet eine deutliche Schwellung und Verdickung der Regen-
bogenhaut mit erheblicher Verfärbung, die durch Eiterbildung in dem
Gewebe selbst bedingt ist. An einzelnen Stellen können kleine Knöt-
chen von leicht gelblichem Ton entstehen, die das umliegende eben-
falls intensiv alterirte Gewebe in etwas überragen. Meist haben diese
dickeren Knötchen ihren Sitz an der Pupillargrenze und gern bilden
sich von ihnen aus hintere Synechien. Zur Hypopyonbildung besteht
eine ausserordentlich grosse Neigung, und es ist dies die Form, bei
welcher der Eitererguss seine grösste Ausdehnung erreicht. Zuweilen
setzt sich der Process auf die Chorioidea fort und kann auch hier zu
eitrigen Processen (Chorioiditis suppurativa) führen, die dann eine ver-
mehrte Schwellung des subconjunctivalen Gewebes und — in ausge-
prägter Form — auch Protrusion des Bulbus veranlassen. Im Ganzen
ist diese Form sehr selten; Traumen, locale Infectionen (bei Irisprolaps,
ülc. serpens) oder kachektische Zustände nach schweren Erkrankungen
liegen meist zu Grunde. Secundär tritt sie auch nach eitriger Chorioi-
ditis auf. Sie ist erheblich gefährlicher als die einfache Regenbogen-
hautentzündung. Meist verfällt auch das Gewebe nach abgelaufenem
Process in einen Zustand massiger Atrophie.
Iritis syphilitica.
Bei Syphilis kann die Regenbogenhautentzündung in verschiedener
Form auftreten. Die hier speciell als condylomatös (gummös) be-
zeichnete ist eine plastische Iritis mit Bildung umschriebener Steck-
nadelkopf- bis hirsekorngrosser (papulöser) Hervorragungen. Letztere
unterscheiden sich von den umschriebenen Knötchen, wie sie bei eitriger
Iritis öfters vorkommen, besonders dadurch, dass sie auf einem relativ
wenig infiltrirten und veränderten Gewebe knopfförmig emporwachsen.
Dabei besteht sehr selten eine Hypopyonbildung. Die Farbe ist meist
röthlich, rothbräunlich. Ihre mikroskopische Untersuchung hat eine
ähnliche Zusammensetzung ergeben, wie die der Gummata und Condy-
lome an anderen Körpertheilen. Eine Unterscheidung beider lässt sich
in der Iris weder mikroskopisch (Widder) noch klinisch machen, wenn
man nicht das Stadium der Syphilis in Betracht zieht. "So habe ich
522 Erkrankungen der Iris.
auch Knoten im Ciliartheil bezw. im Corp. ciliare, die meist als Gummata
aufgefasst werden, ohne käsigen Zerfall zurückgehen sehen. Auf der Iris
entsteht hierbei ein weissgraues, der Linsenkapsel adhärirendes Narben-
gewebe. — Die Knötchen haben ihren Sitz meist am Pupillarrande,
können aber auch zuweilen die Peripherie einnehmen. Auch im Corp.
ciliare und in der Chorioidea kommen sie vor und wachsen bisweilen
hinter der Corneascleralgrenze nach aussen. Die Sclera buchtet sich
dann an einer umschriebenen Stelle hervor und zeigt daselbst eine
leicht graublaue Färbung. In einigen Fällen habe ich auch hierbei
Heilung eintreten sehen.
Die Behauptung einiger Autoren, dass diese condylomatüse Iritis
nicht pathognomonisch für Lues sei, lässt sich nur so verstehen, dass in
gewissen Fällen condvlomaähnliche Knoten vorkommen, die syphilitische
Producte vortäuschen Von 47 an syphilitischer Iritis leidenden Augen,
die ich zusammengestellt, zeigten 7 knotenförmige Wucherungen. Die
knötchenförmige sowohl, als die einfache syphilitische Iritis tritt in der
Regel zur Zeit der seeundären Periode (Ricord) auf, meist im Verein mit
Haut- oder Schleimhautaffectionen. Ich ziehe daher, und nachdem auch
durch die mikroskopischen Untersuchungen die früher angenommene
gummöse Structur sich als nicht charakteristisch erwiesen hat, für erstere
den Namen condylomatöse Iritis vor; die Bezeichnung gummöse kann
man sich aufsparen für Fälle, wo — es ist dies aber eine grosse Aus-
nahme — die Knötchen in tertiären Stadien der Syphilis auftreten.
Die nichtknötchenförmige Form der syphilitischen Iritis hat
klinisch nichts Charakteristisches; jedoch fand Fuchs mikroskopisch in
einem Falle, wo während der Krankheit condylomatöse Hervorragungen
fehlten, eine Reihe abgegrenzter kleiner Knoten, die peripher aus
kleinsten Zellen, central aus Riesenzellen bestanden. Alle syphilitischen
Entzündungen der Iris zeichnen sich durch grosse Plasticität aus.
Hypopya sind hingegen ausserordentlich selten; unter 47 Fällen habe
ich sie nur zweimal gesehen. Die Schmerzen sind oft sehr heftig, be-
sonders Nachts, und erstrecken sich über den ganzen Kopf; doch rühren
sie nicht immer von der AugenafFection her, sondern hängen auch mit
sonstigen syphilitischen Affeetionen zusammen.
Complicationen mit Retinitis sind öfters vorhanden, allerdings nicht
immer mit ausgeprägteren Formen derselben. Hyperämie der Papille
und Netzhaut (Netzhautreizung, Schnabel) sind in frühen Stadien
der Lues, ohne dass andere Augenaffectionen daneben bestehen, häufig.
Descemetitis, umschriebene, graugclbe, tiefliegende Hornhautinfiltrate
kommen ebenfalls zur Beobachtung, häufiger noch Glaskörpertrübungen
und Chorio-Retinitis. Meist wird anfänglich nur ein Auge ergriffen. —
Der Verlauf dieser Affection ist im Ganzen nicht ungünstig; jedoch
A.etiologie der Iritis. 523
sind gummöse beziehentlich condylomatöse Knoten des Corp. ciliare,
welche die Sclera hervortreiben, sehr bedenklich, da es bei ihnen leicht
zur Phthisis bnlbi kommt. Immer besteht grosse Neigung zu Recidiven.
Falls der Sehnerv und die Netzhaut betheiligt sind, kann das Sehver-
mögen stark herabgesetzt werden. Hingegen habe ich hochgradige
Schwachsichtigkeiten, die vorzugsweise durch complicirende dicke Glas-
körpertrübungen bedingt waren, sieh auffallend bessern sehen. Im
Grossen und Ganzen haben Untersuchungen, die ich darauf hin richtete,
ergeben, dass circa 50 Procent der Patienten nach überstandener Iritis
syphilitica weniger als halbe Sehschärfe besitzen.
III. Aetiologie.
Die Iritis kommt als primäres Leiden am seltensten im kindlichen
Lebensalter vor (zuweilen bei congenitaler Lues), am häufigsten im mitt-
leren. Sie kann auf einem Auge allein oder auf beiden zugleich oder
kurz nacheinander sich zeigen. Manche Autoren meinen, das linke
Auge sei häufiger als das rechte afficirt (Arlt, Amnion), ferner dass
Männer häufiger befallen würden, als Frauen.
Als Ursache sind zu nennen:
1) Directe Verletzungen: Wunden, Stiche oder Contusionen. Auch
in Folge von Operationen tritt Iritis auf, so nach Kataraktextractionen
und nach Discissionen. Ebenso können in die vordere Kammer ge-
drungene Fremdkörper (Cilien, Steinfragmente, Raupenhaare u. dergl.)
sie veranlassen. 2) Nach anderen Augenkrankheiten durch Fortsetzung
des Processes; besonders bei Blennorrhoen, Diphtheritis, wo die Cornea
gemeinhin vorher afficirt wird; oft bei Keratiten und hier vielleicht am
häufigsten bei der Hypopyonkeratitis. Auch von der Chorioidea aus
kann sich der Process nach vorn hin — wenn auch selten — auf die
Iris erstrecken. 3) Einwirkung von Erkältung. Oft sind gleichzeitig
rheumatische Schmerzen an anderen Körpertheilen vorhanden. Dass
speciell gern die seröse Iritis aus rheumatischer Ursache hervorgeht,
wie einige wollen, scheint nicht unbegründet. 4) Scrophulose; auch
hier sind häufig gleichzeitig Cornealaffectionen vorhanden. 5) Syphilis.
6) Tuberculose. 7) Diabetes. 8) Gicht (Galezowski, Hutchinson).
9) Tripper; doch kommt die Iritis hier nur selten vor, gewöhnlich nur
dann, wenn gleichzeitig Tripperrheumatismus besteht oder vorangegangen
ist. 10) Gewisse kachektische Zustände in Folge mangelhafter Ernährung
oder nach schweren Allgemeinleiden (Typhus, Variola, Febr. recurrens,
Tuberculose, Nephritis, bei Anämie u. s. w.). Nach Influenza habe ich
besonders oft Iritis serosa auftreten sehen. 11) Krankheiten der Circu-
lationsorgane. 12) Auch als sympathische AfFection wird die Iritis nicht
selten beobachtet.
524 Erkrankungen der Iris.
IV. Therapie.
Als hauptsächliche locale Mittel, die wir bei Iritis anwenden, sind
die Mydriatica (Atropin, Scopolamin etc.) anzuführen. Man sucht durch
häutiges Einträufeln eine möglichst maximale Erweiterung der Pupille zu
erreichen. Doch ist dies nicht immer möglich. Selbst in den schwersten
Fällen lassen wir daher nicht öfters als 3 bis 4 mal am Tage eine ein-
procentige Atropin-Lösung instilliren, aber in der Weise, dass jedes
Mal dreimal hintereinander in Zwischenräumen von fünf Minuten die
Einträufelung stattfindet. Bisweilen wirkt das Einlegen von Atropin-
Gelatine-Plättchen noch kräftiger. Ist der Process weniger acut oder
die Pupille weit, so beschränken wir die Häufigkeit der Anwendung.
Es ist unrichtig, etwa so häufig einträufeln zu wollen, bis die Synechien
sich lösen, da eben manche Synechien überhaupt nicht mehr zu lösen
sind. Wird das Atropin nicht vertragen, so sind andere Mydriatica
anzuwenden.
Sind heftige Schmerzen vorhanden, ist besonders die Ciliargegend
auf Druck empfindlich, so lässt man 2 bis 4 Blutegel an die Schläfe
setzen. Sehr häufig erfolgt schnelles Nachlassen der Schmerzen; man
findet nicht selten, dass nunmehr auch bessere Atropinwirkung zu con-
statiren ist. Coeam-Einträufelungen, abwechselnd mit Atropin, ver-
stärken bisweilen die Wirkung des letzteren und lindern die Schmerzen.
Auch laue Kamillentheeumschläge, mehrere Male eine halbe Stunde
lang gemacht, oder das Auflegen von Thermophoren sind vortheilhaft;
in einzelnen Fällen aber steigern sie die Beschwerden. Man lässt sie
alsdann fort, ebenso wenn eine zu starke Injection oder Chemosis
ihnen folgt. In einer Beihe von Fällen erwiesen sich mir subconjtinctivale
Kochsalzinjectionen von Nutzen. - — Als ableitendes und antiphlogistisches
Mittel ist das Einreiben der Arlt' sehen Stirnsalbe in die Stirngegend
beliebt; auch Bepinselungen mit Jodtinctur auf Stirn und Schläfe
empfehlen sich. Für Nachtruhe sorgt man nöthigenfalls durch Narcotica.
Besonders streng antiphlogistisch muss das Verfahren sein, wenn
sich (Jyklitis oder Chorioiditis hinzugesellt. Hier ist oft eine schnelle
Mercurialisation angezeigt. Was das Allgemeinverhalten betrifft, so ist
bei allen acuteren Fällen der Patient im verdunkelten Zimmer und
selbst im Bett zu halten. Dabei leichte, entziehende Diät und Regelung
des Stuhlganges.
Für die einzelnen Formen und ätiologischen Momente treten noch
besondere therapeutische Indicationen hinzu. So empfehlen sich bei
Iritis aus rheumatischen Ursachen Schwitzkuren mit Natr. sali-
cylicum (1 bis 2 g in '/8 Liter warmen Wasser). Auch Pilocarpinen^
.spritzungen können, besonders wenn Complicationen mit Glaskörper
Therapie der Iritis. 525
trübungen vorhanden sind, zu gleichem Zwecke gemacht werden. Jedoch
collabiren schwächliche Patienten bei Anwendimg- dieses Mittels leicht;
selbst acute Delirien mit llallucinationen habe ich bei der Cur auf-
treten sehen.
Beider eitrigen Iritis ist öfters eine energische Schmier cur in-
dicirt, um einen Uebergang auf den hinteren Uvealtractus zu vermeiden,
oder auch dann, wenn derselbe schon eingetreten ist.
Die Entleerung des Hypopyon mittels der Paracentese richtet sich
nach der Grösse des Eiterergusses und der Beschaffenheit des Kammer-
wassers. Ist das Hypopyon so gross, dass es fast die Hälfte der Kam-
mer füllt, so ist. kaum eine Resorption zu erwarten; doch thut man
2,'ut, die Höhe der Entzündung erst vorübergehen zu lassen, da sonst
wieder eine Neubildung des Hypopyon erfolgt.
Bei der Iritis serosa wirken wiederholte Paracentesen oft günstig
zum Theil dadurch, dass das abfliessende Kammerwasser die Beschläge
der M. Descemetii mit abspült. Um einer Tensionssteigerung vorzu-
beugen giebt man Cocain neben Atropin. Nimmt diese Tension dennoch
zu und dabei die Sehschärfe ab, so sind ebenfalls wiederholte Para-
centesen zu machen. Die Iridectomie führe man nur im Nothfall aus,
da sie das Sehvermögen öfters dauernd verschlechtert. Selbst in den
Fällen, wo ausgedehnte hintere Synechien bestehen, vermeide ich sie
meist; jedenfalls wird man sie bei Erkrankung beider Augen vorläufig
nur an einem Auge ausführen. Ich habe öfters beobachtet, dass das
operirte Auge schliesslich das schlechter sehende war und gerade so
wie das nicht-operirte von Recidiven befallen wurde. Unter Berück-
sichtigung des Allgemeinbefindens können Schwitzcuren oder subcutane
Subhmat-Injectionen öfters nützlich werden.
Bei der condylomatösen Iritis sowie bei allen aus Lues her-
vorgegangenen muss eine antisyphilitische Behandlung eintreten. Man
reibt Ung. cinereum (3 bis 4 g) ein oder macht Sublimateinspritzungen.
Innerliehe Medication ist bei acuten Fällen weniger angezeigt; hingegen
kann bei chi'onischem Verlauf Sublimat oder Jodquecksilber mit Vor-
theil gegeben werden.
Die Condylome der Iris sind besonders rebellisch; in sehr bös-
artigen Fällen habe ich von häufig wiederholten Paracentesen noch Er-
folg gesehen. —
Ist die Litis geheilt, so wird man gut thun, noch mehrere Wochen
lang Atropin einträufeln und das Auge schonen zu lassen, um Rückfälle
zu vermeiden. Daneben ist auch eine fortgesetzte Behandlung etwaiger
Constitutionsanomalien, die für die Iritis ätiologische Bedeutung hatten,
am Platze. Vereinzelte Synechien erfordern meist kein besonderes
Einschreiten. Zum Theil lösen sie sich unter der fortgesetzten Atro-
526 Erkrankungen der Iris.
pinisirung. Ist jede entzündliche Reizung verschwunden, so kann man
noeh abwechselnde Einträufelung von Atropin und Eserin dagegen ver-
suchen. Treten öfters Reeidive auf, so dass eine directe Schädlichkeit
in dem Fortbestehen der Synechie mit einiger Wahrscheinlichkeit zu
suchen ist; so ist ihre Lösung (Corelyse) oder die Iridectomie empfohlen
worden. Im Allgemeinen habe ich aber von diesen Operationen keinen
besonderen Nutzen auf Ausbleiben der Reeidive gesehen und vermeide
sie möglichst, wenn keine totale Synechie vorliegt.
Nach Passavant verfährt man bei der Corelyse so, dass nach Eröffnung der
vorderen Kammer durch einen peripheren Lanzen-Hornhautschnitt die Iris mit
einer nichtgezahnten Irispincette an der Stelle der Synechie gefasst und von der
Linse abgezogen wird. Ich habe das Verfahren öfters geübt, doch sind Wieder-
verklebungen nicht selten und wird es nur bei sehr umschriebenen Synechien zu
empfehlen sein. Nach Streatfield und Weber löst man mit einem stumpfen
Haken, der zwischen Linse und Hinterfläche der Iris geführt wird, die Verwach-
sungen-, man muss sich aber vor einer Verletzung der Linsenkapsel hüten. Durch-
schnittlich wird man besser thun, in den zur Operation nöthigenden Fällen die
Iridectomie auszuführen, und sie, um optisch möglichst wenig zu schaden, nach
oben oder unten zu legen. Dennoch ist meist eine gewisse Verschlechterung des
Sehvermögens danach zu constatiren, indem einerseits durch die künstliche Ver-
grösserung der Pupille Blendungserscheinungen veranlasst Averden und anderer-
seits auch astigmatische Störungen in Folge einer Krümmungsveränderung der
Hornhaut hervortreten können. Man vermeidet bei der Operation gern die Stelle,
wo die Synechie sitzt, da bei starker Verwachsung die Linsenkapsel bei dem er-
forderlichen Anziehen der Iris verletzt werden kann oder in anderen Fällen das
Pigmentblatt haften bleibt. Der Zweck einer freieren Pupillenbewegung wird
durch jedes künstliche Colobom erreicht, gleichgültig, wo es sitzt.
Bei totaler hinterer Synechie muss iridectomirt werden, wenn die
Iris hervorgewölbt und der Druck gesteigert ist. Nur auf diese Weise
kann das Auge erhalten werden. Besteht hingegen eine Verklebung
der ganzen hinteren Irisfläclie mit gleichzeitiger Iridoeyklitis, so verzichte
man lieber auf die Iridectomie; ich habe selbst bei vorhandener Hypertonie
eine Verschlechterung unter gleichzeitigem Eintritt von Hypotonie be-
obachtet. Besteht letztere, so ist schon an und für sich die Iridectomie
contraindicirt. Im Uebrigen erreicht man es in diesen Fällen auch
meist nicht, die Iris in ihrer ganzen Dicke zu excidfren, indem das
Pigmentblatt auf der Linsenkapsel haften bleibt- Anders verhält es
sich in den Fällen, wo ausserdem Katarakt besteht: hier extraliirt
man letztere mit gleichzeitiger Iris-Excision nach der Wenzel'schen
Methode (vgl. S. 387).
Motilitätsstörung der Iris. 527
3. Motilitätsstörung der Iris.
Mydriasis. Die Pupillenerweiterung kann eine spastische (Reizung
des Sympathicus mit Contraction des Diktator iridis) oder eine para-
lytische (Lähmung des Oculomotoriusastes für den Sphincter iridis)
sein. Nicht immer lässt sich zwischen beiden eine sichere Unterscheidung
treffen. Die Mydriatica (A tropin etc.) wirken durch Lähmung des
Sphincter und Reizung des Diktators: die Grösse der Pupille über-
trifft demnach erheblich diejenige, welche auf einer einfachen Lähmung
beruht. Letztere sehen wir vorzugsweise bei Erkrankungen des Cen-
tralnervensystems, die den Oculomotorius mit in ihren Bereich ziehen:
hier ist auch gleichzeitig oft der Accommodationsmuskel gelähmt (Oph-
thalmoplegia interna). Besonders basale Geschwülste, Gummata kommen
in Betracht. Ausserdem tritt bei Syphilis noch im späteren Lebens-
alter nicht allzu selten eine einseitige Lähmungs-Mydriasis auf ohne
sonstige Lähmungserscheinungen, die in der Regel zeitlebens besteht.
Auch nach Diphtherie finden wir, wenn auch erheblich weniger oft als
eine Accommodationslähmung, die Pupillenlähmung. Ebenso nach Fleisch-
oder Fisch-Vergiftungen. Zweifelhaft ist, ob die einseitige Mydriasis bei
Tabes und progressiver Paralyse der Irren eine Folge von Sphinkter-
Lähmung ist: Arndt führt sie auf Sympathieusreizung zurück.
Galvanisationen und Reizungen des Halssympathicus bewirken, wie
Eulenburg 's und meine Versuche sowie operative Eingriffe gezeigt
haben, Pupillenerweiterungen und so findet man letztere auch öfters bei
der Form der Migräne, die auf SympathicusAifection zurückgeführt
wird. Einseitige periodische Mydriasis, bald kommend, bald schwin-
dend, beobachten wir bisweilen bei Leuten, die später an einer Geistes-
krankheit oder an Tabes erkranken.
Es wird auch angegeben, dass nach peripherer Reizung (so durch
Würmer im Darm [Quaglino], Uterinleiden [Mannhardt])reflectorisch
Mydriasis auftreten kann.
Eine traumatische Mydriasis entsteht oft nach Contusionen des
Bulbus. Die Pupille ist hierbei unregelnrässig erweitert, indem ein
Theil der Iris bei dem Trauma besonders gezerrt wurde. Man kann
sich dies so erklären, dass der Fremdkörper an der Stelle, wo er die
Sclera traf, diese einbuchtete und den Ciliartheil der Iris somit nach
hinten zog. Die Contraction der Iris, wie sie bei dem Antreffen in
Folge Trigeminusreizung reflectorisch erfolgte, bildete das Gegengewicht
zu dieser Einbuchtung: in Folge dessen wurden die betreffenden Iris-
theile gezerrt und litten in ihrer Function; bei noch heftigerer Zerrung
kommt es zu einer Abreissimg der Iris vom Ciliarkörper (L'idodialyse).
Dass es sich bei der traumatischen Mydriasis neben der Erschütterung
'rjs Erkrankungen der Iris.
der Oculomotoriusfasern noch um locale Veränderungen des Gewebes
handelt, zeigt sich daran, dass die betreffende Stelle weder auf Atropin
noch Eserin entsprechend reagirt, während die übrigen Theile der
Pupille sich erweitern und verengern. Spuren dieser Mydriasis bleiben
oft noch sehr lange Zeit zurück. — Erblindete Augen haben meist
weite Pupillen, die auf Licht nicht reagiren. Uebrigens ist das Vor-
handensein einer etwas grösseren Pupille an einem Auge nicht eben
allzu selten und öfters auf Anisometropie — (bei myopischen Augen ist
die Pupille häufig weiter als bei emmetropischen oder hypermetropischen)
— oder auch auf Schwachsichtigkeit des betreffenden Auges zurück-
zuführen; zuweilen ist die Ungleichheit auch angeboren.
Die Beschwerden sind gewöhnlich unbedeutend. Die Therapie
ist gegen das Grundleiden zu richten. O ertlich kann Eserin versucht
werden.
Miosis (fisicootq, Verengerung), Pupillenverengerung. Im Alter
verengen sich die Pupillen oft auffallend. Die Miosis kann als spas-
tische bedingt sein durch Contractionen des Sphincter iridis oder als
paralytische durch Lähmung der Dilatatorfasern. Erstere kommt bei
Anwendung von Mioticis und einzelnen Allgemeinvergiftungen (Opium,
Nicotin, Alkohol) vor, ebenso bei manchen hysterischen Anfällen; letztere
besonders bei Rückenmarksleiden. Auch die Miosis in dem Horner-
schen Symptomen-Complex (Ptosis und Miosis; cf. Ophthalmomalacie)
ist paralytischer Natur.
Bei Tabes reagirt häufig die miotische Pupille nicht mehr auf
Licht, wohl aber auf Accommodations- und Convergenz-Impulse: reflec-
torische Pupillenstarre (Argyll Robertson). Dieses Fehlen der
Pupillenreaction auf Licht bei Erhaltenbleiben accommodativer Ver-
engung findet sich auch häufig bei der progressiven Paralyse der Irren,
bisweilen bei Syphilis, im Typhus u. s. f.; die Pupille ist dabei nicht
immer verengt. —
Da bei einseitiger Lähmungs-Mydriasis wegen des stärkeren Licht-
einfalles die andere Pupille oft verengt ist, so kann es gelegentlich,
z. B. bei Fällen von progressiver Paralyse, fürs Erste zweifelhaft sein, ob
die Pupillcncontraction (spastische Miosis) oder die Pupillenerweiterung
(Lähmung) das Pathologische ist. Hier wird man zur Entscheidung
die Reaction jeder einzelnen Pupille auf Licht heranziehen; nöthigen-
falls auch die Reaction auf Atropin und Eserin prüfen.
Macht man nach dem Tode eine Paracentese der vorderen Kammer,
so tritt ebenfalls Pupillenverengerung ein. Ferner sei erwähnt, dass
l»al<l nach dein Tode eine Pupillenerweiterung sich zeigt, der in den
nächsten Tagen eine an beiden Augen oft ungleiche Verengerung
folgt. - - Die Messung der Pupillenweite geschieht am besten durch
Verletzungen der Iris. 529
Vergleich mit einem vorgehaltenen Glaslineal, auf dem entsprechende
Kreise von verschiedenem Durchmesser nebeneinander eingekratzt sind.
Hippus ist ein sehr selten beobachteter klonischer Krampf der
Iris, der Pupillenerweiterung mit Pupillenverengerung wechseln lässt.
Alier auch ohne Lupe kann man öfters deutliche und schnell wechselnde
Veränderungen der Pupillengrösse bei ganz gesunden Menschen be-
obachten;, so dass es schwierig ist, hiervon einen pathologischen Hippus
zu unterscheiden, der als klonische Krampfform besonders häufig im
Anfangsstadium der Meningitis acuta, bei progressiver Paralyse, bei
Epilepsie, bei multipler Sclerose, bei Neurasthenischen und Hysterie
vorkommen soll (Dänisch, Michel). Mit der Lupe kann man an jedem
Auge beständig kleine Pupillen-Oscillationen beobachten, die von Puls
und Respiration unabhängig sind (Laqueur) und wohl als Reflexe auf
leichtere sensilbe Eeize auftreten.
Als Iridodonesis (doi'so/u, schwanken) (Iris tremulans) bezeich-
net man ein bei Bewegungen des Auges auftretendes Zittern und wellen-
förmiges Hin- und Pierschwanken (Schlottern) des Irisdiaphragmas.
Bisweilen ist nur an einer umschriebenen Partie die Bewegung deut-
lich. Das Iriszittern tritt ein, wenn die Hinterfläche der Iris ihre feste
Stütze verloren hat oder die Zonula Zinnii abnorm erschlafft ist. So
bei Linsenluxationen, Aphakie und Glaskörperverflüssigung. Ein leichtes
Schlottern, vorzugsweise in der Ciliarhälfte der Iris, beobachtet man
öfters bei sonst normalen Augen, besonders bei Myopen.
4. Verletzungen der Iris.
Einfache Schnittwunden werden, wie jede Lidectomie zeigt, sehr
gut von der Iris vertragen. In der Regel aber setzen Verletzungen,
mit einem Messer, einer Scheerenspitze u. s. w. ausgeführt, gleichzeitig
auch Linsenwunden, die dann zu Trübungen und entzündlichen Rei-
zungen führen Während in uncomplicirten Fällen nur ein antisep-
tischer Druckverband erforderlich ist, wird hier auch starke Atropini-
sirung nothig. Sind die Wunden der Hornhaut oder des Sclerallimbus
umfänglich, so fällt die Lis in grösserer Ausdehnung hinein. Derartige
Traumen haben wegen der Gefahr seeundärer Cyklitis und selbst sym-
pathischer Affection des anderen Auges immer eine dubiöse Prognose.
Besonders gilt dies für die peripheren Wunden des Sclerallimbus —
hier entwickelt sich bei grosser Ausdehnung meist eine Cyklitis — ,
weniger für die in die Cornea fallenden. Kommt man zu einer ganz
frischen Verletzung, so kann man nach sorgfältiger Desinfection die
vorliegende L'is mit der Scheere abschneiden und durch Atropin oder
Pilocarpin, je nach der Lage der Wunde, die Iris in ihre normale Stellung
Sehmidt-Rimpler. 7. Auflage. 34
;).",() Erkrankungen der Iris.
zurückzubringen suchen. Danach Anwendung des Druckverbandes,
bezw. kurze Zeit kalte Umschläge gegen die Schmerzen und die Blutung.
ist aber die Wunde schon einigermaassen verklebt, so vermeide man
operative Eingriffe. Der Irisprolaps in der Hornhaut vernarbt als-
dann unter Druckverband; Atropin oder Pilocarpin und Bettruhe in der
Regel ganz glatt und es bleibt eine einfache vordere Synechie. Dieses
abwartende Verfahren ziehe ich hier — auch Rothmund hat sich da-
hin ausgesprochen — dem operativen (Abtragen des Irisvorfalles und
Anlegen einer Iridectomie dicht neben dem Prolaps) entschieden vor.
Es ist aber unter allen Umständen viele Wochen lang das Auge unter
strenger Aufsicht zu behalten. Sind alle Reizerscheinungen seit Monaten
verschwunden, so kann man die etwa optisch nöthige Iridectomie
machen. Tritt eine Druckerhöhung ein, wie bisweilen bei vorderen
Synechien, und damit Gefahr eines Secundärglaukoms, so ist ebenfalls
die Iridectomie am Platze.
Bei grossen peripheren Wunden, meist mit partieller Linsenluxation,
Blutungen in die vordere Kammer und Glaskörper, wird die Iris öfters
von ihrem Ciliaransatze abgerissen. Auch stülpt sie sich bisweilen
partiell um, so dass eine Art Colobom entsteht, oder sie weicht sogar
ganz nach hinten und entschwindet so dem Anblick. In der Mehrzahl
dieser schweren, gewöhnlich mit dem Verlust des Sehvermögens ver-
bundenen Fälle ist die Exenteration oder die Herausnahme des Aug-
apfels das Sicherste, da immer eine sympathische Affection des anderen
Auges droht. Will man noch einige Tage warten, so ist ebenfalls ein
antiseptischer Druckverband anzulegen; nur wemi derselbe wegen
Schmerzen nicht vertragen wird, lässt man statt seiner kalte Umschläge
machen, setzt Blutegel und schafft mit Narcoticis Ruhe.
Kleinere Fremdkörper (z. B. Eisensplitter) können in die vordere
Kammer dringen, in der Iris sitzen bleiben, oder sie durchschlagen.
Bisweilen zerren sie die Iris mit sich und reissen sie vom Corpus
ciliare ab. Kleine Löcher, die im Gewebe hierbei entstehen, kann
man bisweilen nur daran erkennen, dass beim Ophthalmoskopien an der
betreffenden Stelle rothes Licht vom Augenhintergrunde reflectirt wird.
Contusionen, die den Bulbus treffen, führen oft zu mehr oder
weniger ausgedehnter Trennung der Iris von ihrem Ciliaransatze
(Iridodialysis). Blutungen in der vorderen Kammer sind meist Folge
derartiger Abreissungen, die oft schwer zu sehen sind. Bei grösserer
Ausdehnung derselben erkennt man sie durch den schwarzen Spalt,
der sich an der Irisperipherie zeigt und gleichsam eine zweite Pupille
bildet. Kleinere Abreissungen können übrigens wieder verheilen; ihre
Entstehung ist oben bei der „traumatischen Mydriasis", welche eben-
falls in Folge von Contusionen zu Stande kommt, erklärt worden.
Pseudoplasmen und Fremdkörper in der Iris. 531
In sehr seltenen Fällen werden auch Einrisse des Pnpillarrand.es
oder selbst Zerreissungen in der Continuität der Iris nach Contusionen
beobachtet, ebenso Umstülpungen nach hinten.
Gleich nach der Verletzung -wird man durch Kälte weiterer Blutung-
vorzubeugen suchen, später Druckverband. Hält das Hyphäma sich
sehr lange, so kann man die Paracentese machen und das Blut durch
den Cornealeinstich entleeren. Doch recidiviren nicht selten die Blut-
ergüsse.
5. Pseudoplasmen und Fremdkörper in der Iris und
vorderen Kammer.
Ausser den Condylomen entwickeln sich im Irisgewebe Sarkome,
als gelbliche oder bräunliche Geschwülste mit Neigung zu secundären
Drucksteigerungen (Fuchs) und Tuberkel; sehr selten Teleangiektasien,
Granulationsgeschwülste, Myome, Carcinome und Lepraknoten.
Wenn man experimentell tuberculöse Massen in die vordere
Kammer von Kaninchen bringt, so entstehen nach Resorption derselben
nach zwei oder mehreren Wochen kleine graue Knötchen (Cohnheim),
die sich histologisch und bacteriell als Tuberkel erweisen. Auch beim
Mensehen kommen Tuberkel der Iris vor, meist mit gleichzeitiger oder
folgender Tuberculöse, ausnahmsweise aber auch ohne nachweisbare
Allgemeinerkrankung. Sie treten als kleine disseminirte graue oder
graugelbliche Knötchen auf oder als solitäre (conglobirte) Geschwulst-
niasse, die dann grosse Aehnlichkeit mit einem nicht -pigmentirten
Sarkom hat, jedoch unterscheidet man in ihnen meist noch Tuberkel-
knütchen. Ferner wird als diagnostisches Moment noch das Alter zu
verwerthen sein, da Iristuberkel fast nur bei jugendlichen Individuen
vorkommen. Meist sind die Tuberkel grauweiss, die Sarkome gefäss-
reicher: auch die Condylome der Iris haben eine mehr röthlich-gelbe
Färbung und sitzen vorzugsweise an der pupillaren oder ciliaren Peri-
pherie der Iris. — In der Regel vergrössern sich die Tuberkel all-
mählich und fallen die ganze vordere Kammer aus. Jedoch können
sich die kleineren disseminirten Tuberkel auch zurückbilden, ein Vor-
gang, den Leber auf abgeschwächte Tuberculöse zurückführt. Die
solitären Tuberkel durchbrechen die Hornhaut nahe an ihrem Rande
und zerfallen dann, so dass schliesslich das Auge atrophisch wird.
• In den Tuberkeln der menschlichen Iris gelingt der Nachweis der
Tuberkelbacillen sehr schwer; zur Sicherung der Diagnose benutzt man
dann das Thier-Experiment, in den Iris-Tuberkeln des Kaninchens
finden sie sich leicht. Kleine Tuberkel können mit einer Iridectomie
34*
532 Erkrankungen clor Iris.
entfernt werden; bei grossen Geschwülsten ist die Enucleatio bulbi
angezeigt.
Kleine weisse Knötchen, ähnlich den disseminirten Tuberkeln sind
auch nach Eindringen von Raupenhaaren in der Iris beobachtet worden,
nachdem vorher heftige Entzündungserscheinungen aufgetreten waren,
(H. Pagenstecher); ferner kommen sie bei Leukämie vor (Lym-
phome).
Die Cysten der Iris entstehen meist nach Verletzungen des Auges,
bei denen kleine Epithelstücke oder Cilien in die vordere Kammer ge-
schleudert wurden. Man hat ihr Zustandekommen auf Wucherung der
hineingedrungenen Zellen zurückgeführt (Rothmund); vor allen bilden
sie sich nach Ho seh 's experimentellen Versuchen, wenn mit den kleinen
Hautstückchen Drüsen mittransplantirt werden. Um Cilien können sich
auch festere, atheromähnliche Geschwülste entwickeln (Schweigger).
Bei anderen mehr peripher gelegenen Cysten lässt sich ihre Entstehung
durch eine Ablösung des Lig. pectinatum und der sich anschliessenden
Theile der M. Descemetii sowie der vorderen Iris schichten, in welchen
Hohlraum dann Flüssigkeit secernirt wird, ausreichend erklären (Evers-
busch, Guaita). Doch kommen auch Fälle vor, wo die Iris in die
Hornhaut einheilt und dann allmählich durch Flüssigkeitsansammlung
eine Ausdehnung und Atrophirung der Irisfalte und Umbildung in eine
Cyste erfolgt, wie es Wecker und auch ich gesehen haben. Einmal
konnte ich (— später auch Schröter) verfolgen, wie eine durchsichtige
Cyste ohne vorangegangenes Trauma und ohne vordere Synechie
mitten im Irisgewebe sich ausbildete; dieselbe wurde in meinem Fall über
erbsengross und dann mittels Lanzenschnittes und Fassens mit der L-is-
pincette entfernt. Die Entstehung ist so zu denken, dass sich eine der
normal vorhandenen Iris-Krypten vollkommen abgeschlossen und später
durch Flüssigkeitsansammlung cystenartig vergrössert hat. — Auch be-
wegliche braune, aus einem Theil des Pigmentblattes entstandene Cysten
kommen vor (Fuchs).
Cysticerken der vorderen Kammer sind ebenfalls beobachtet.
Wenn das Kammerwasser klar ist und die Blase frei liegt, kann man
Kopf und Hals an ihnen unterscheiden. Bisweilen aber liegt der Wurm
in Eiter eingehüllt. So sah ich in einem Auge, das wegen diffuser Glas-
körpertrllbung mit Iritis behandelt wurde, eines Tages an der Pupillar-
grenze einen etwa hirsekorngrossen Pfropf von dickmembranöser Be-
schaffenheit und gelblicher Färbung. Dieser Pfropf senkte sich an den
Boden der vorderen Kammer und umhüllte sich mit Eiter. Nach der
Herausnahme desselben zeigte das Mikroskop an ihm den Hakenkranz
des Cysticercus.
Ein frühzeitiges Entfernen all dieser Neubildungen, besonders der
angeborene Anomalien. 533
Sarkome, durch einen Hornhautschnitt ist angezeigt. Dasselbe gilt von
eingedrungenen Fremdkörpern. Bei kleineren Fremdkörpern, welche
sich in die Kammerbucht gebettet haben, ist die Entfernung oft sehr
schwierig. Man bedient sich hier mit Vovtheil zur Extraction eines
kleinen gerieften Hohlhakens (Knapp), eventuell excidirt man die ver-
dächtige Irispartie. Bei Eisenfragmenten wendet man den Elektro-
magneten an (s. S. 322). Uebrigens können Fremdkörper auch ein-
heilen und es sind Fälle bekannt, in denen sie mehrere Jahrzehnte
reizlos in der Regenbogenhaut sassen (Schenkl, Berger, Birn-
b ach er).
6. Angeborene Anomalien.
Die Farbe der Iris ist bei Albinos blassroth. -- Bisweilen zeigt
bei demselben Individuum ein Auge eine andere Irisfärbung als das
zweite Auge (Heterophthalmus). — Kleine schwarze, rothbraune und
gelbe Flecke kommen im Irisgewebe öfters eingestreut vor und dürfen
nicht mit Fremdkörpern verwechselt werden, wie es möglicher Weise nach
Verletzungen des Auges geschehen könnte.
Mit Aniridie oder Irideremie bezeichnet man das Fehlen der
Iris. Diese Anomalie findet sich gelegentlich zusammen mit Mikroph-
thalmus, selbst mit Druckexcavation (Klein). Auch artificiell kann die
ganze Iris herausgerissen werden.
Das angeborene Colobom der Iris ist in der Regel nach unten
gerichtet und zeigt sich als eine annähernd dreieckige Spalte in der Iris.
Dieselbe kann bis zum Ciliarrande reichen oder eher enden. Bisweilen
beobachtet man an Stelle eines wirklichen Defectes eine dünne, pig-
mentirte Membran, die dem hinteren Pigmentblatte der Iris entspricht.
Mit dem Iriscolobom ist nicht selten ein Chorioidealcolobom verknüpft;
ebenso findet sich an der betreffenden Stelle auch öfters eine Ein-
kerbung der Linsenperipherie.
Liegt die Pupille nicht wie gewöhnlich in der Mitte, sondern stärker
nach einer Seite gerückt, so besteht Korektopie. Auch kommen Fälle
vor, wo die Pupille nach oben gerückt ist; das einseitige Auftreten dieser
Anomalien ist nicht häufig. Auch hier zeigt die Linse bisweilen Ein-
kerbungen; meist sitzen dieselben an der unteren Peripherie, doch habe
ich sie auch an der oberen Linsenperipherie gesehen. Ausser den reinen
Fällen von Korektopie kommen solche mit anderen Hemmungsbildungen
(Mikrophthalmus, Linsenluxationen, Resten von Pupillarmembranen) oder
mit Resten intrauteriner Entzündungen zur Beobachtung. — Sind meh-
rere Pupillen vorhanden (Polykorie), so haben dieselben meist eine un-
regelmässige Gestalt. —
534
Erkrankungen der Iris.
Bleibt die fötale Pupillarmembran bestehen, so kann ein voll-
ständiger Verschluss der Pupille stattfinden. Die Membran ist grau-
weiss, bisweilen pigmentirt. In der Regel finden sich aber nur Reste
der Pupillarmembran erhalten: es liegt in der Mitte meist, eine un-
regelmässig gestaltete weissliche Membran, von der aus kleine Fa'd-
chen zur Vorderfläche der Iris gehen. Dies dient zur Unterscheidung
von Membranen entzündlichen Ursprungs, bei denen die Verbindungen
zur Hinterfläche der Iris ziehen. Nicht selten sind nur die Fädchen
übrig geblieben oder sogar nur ein mit der Lupe erkennbares
Pünktchen, welches, wie ein am anderen Auge bestehender grösserer
Rest gelegentlich zeigt, als Ueberbleibsel der Pupillarmembran auf-
zufassen ist.
7. Operationen an der Iris.
1) Iridectomie. Das Herausschneiden eines Stückes der Regen-
bogenhaut wurde in ähnlicher Form, wie es jetzt geübt wird, zuerst
von Beer (1789) ausgeführt. — Nachdem
durch Einlegen eines Elevateurs die Lider
festgestellt sind, wird mit einer Fixirpincette
der Bulbus gefasst.
An Instrumenten braucht man weiter
1) ein gerades oder gebogenes Lanzen-
messer (Figur 152), eventuell auch das
Grraefe'sche Linearmesser, 2) eine Iris-
pincette nach Fischer (Figur 153 gebogen)
oder nach Liebreich-Mathieu (Figur 15-1),
3) eine kleine, auf der Fläche gebogene
oder auch knieförmige Irisscheere, oder die
Scheere von W e ck e r (Figur 132). Letztere
hat entweder stumpfe oder spitze Branchen
1. Act der Operation. Je nachdem
man die Iris in ihrer ganzen Ausdeh-
nung bis zum Ciliaransatz hin (periphere Iridectomie) oder weniger
weit ausschneiden will, geht man mit dem Lanzenmesser im Scleral-
limbus oder etwas davon entfernt in den durchsichtigen Hornhaut-
rand ein. Man richtet in letzterem Falle die Spitze beim Einstich ziem-
lich senkrecht auf die Bulbusmitte, um keinen zu langen Wundcanal
in der Hornhaut zu haben (vergl. Figur 155), der das spätere Fassen
der Iris erschwert oder selbst unmöglich macht. Geht man in den
S clerallimbus ein, so schiebt man das Messer mehr horizontal in der
153.
1Ö4.
Operationen an der lri*. 535
Ebene der Iris und vor derselben gegen das Centruin der Pupille.
Dieselbe l\ichtung wird auch sofort eingeschlagen, wenn die Cornea
bei steilerem Aufsetzen des Messers durchstochen ist. Ist das Messer
genügend weit in die vordere Kammer — entsprechend der beabsich-
tigten Schnittgrösse — vorgeschoben, so zieht man es langsam zurück,
indem man den Griff etwas senkt und so die Spitze immer mehr von
der Linse und Iris entfernt und der Cornea nähert, um Kapselver-
letzungen zu vermeiden. Nötigenfalls kann man beim Herausziehen
des Messers noch etwas die ITornhautschnittwunde erweitern. Am
leichtesten operirt es sich mit der geraden Lanze, doch ist die ge-
bogene wegen Kaummangels immer erforderlich, wenn man den Schnitt
nach oben, innen oder unten anlegt. An Stelle der Lanze benutzt man
auch zum Hornhautschnitt, für nach oben oder unten zu legende Pu-
pillen, das schmale Graefe 'sehe Messer; die Schnittführung ist analog
der bei Starextractionen. Besonders wenn man sehr breite und peri-
phere Iridectomien machen will, ist dasselbe vortheilhaft. Zeigt sich
nach Herausnahme der Lanze oder des Messers die Wunde als zu
klein ausgefallen, so erweitert man sie mit der Weck er 'sehen
Scheere.
Der zweite Act der Operation besteht im Fassen und Heraus-
ziehen der Iris. Man geht hier mit geschlossener Irispincette in die
vordere Kammer, öifnet kurz vor dem Pupillarrande der Iris die Branchen,
fasst die Iris und -zieht sie heraus.
Wenn der innere Theil der Cornealwunde (Figur 155, a äussere,
b innere Wunde) zu central fällt, so gelingt das Fassen und Heraus-
ziehen der Iris nicht. Man muss dann die Wunde heilen lassen und
später von Xeuem operiren. Liegt die Wunde sehr peripher, so wird
durch das abfliessende Kammerwasser die Iris gleich nach dem Schnitte
nach aussen gedrängt. Man kann sie alsdann, ohne Eingehen in die
Wunde, aussen mit der Pincette fassen. Um auch den Sphinkterrand
ausserhalb der Wunde zu haben, muss die Iris ziemlich stark an-, be-
ziehungsweise heraus und etwas in die Höhe gezogen werden, wobei
zu vermeiden ist, dass nicht in Folge des Zuges eine Dialyse am
Ciliarrande der benachbarten Irispartie eintritt. In England benutzt
man an Stelle der Irispincette vielfältig den Tyrrel' sehen stumpfen
Haken.
Ist die Iris genügend herausgezogen, so schneidet (dritter Act)
der Assistent dieselbe mit der Scheere ab, wobei die Flächen der
Branchen, besonders der der Cornea zugewandten, stark dem Bulbus
aufgedrückt werden müssen, wenn man alles Vorliegende abtrennen
will. Die Scheerenbranchen müssen parallel der Schnittwunde liegen.
An Stelle des Schnittes mit einem Scheerenschlage ist es bei ausge-
536
Krkrankungen der Iris.
de Unteren Iris-Excisionen, die aber höchstens bei chronischem Glaukom
nöthig sind, besser in mehreren Schnitten zu schneiden. Will, was
meist vorzuziehen, der Operateur selbst den Schnitt ausführen, so über-
sieht er vor Einführung der Irispineette die Fixirpincette dem Assis-
tenten, nimmt mit der linken Hand die Irispineette, fasst so die Iris
und schneidet sie mit der in die rechte Hand genommenen Scheere ab.
Wurde der Pupillarrand nicht mit abgeschnitten, so zeigt sich,
wenn die Iris wieder in die vordere Kammer zurückgegangen ist, eine
Doppelpupille. Es entsteht übrigens ge-
wöhnlich hierdurch keine Diplopie, die man
in den Fällen, wo das Auge auf den ein-
gestellten Gegenstand nicht aecommodirt,
vermuthen sollte (vgl. S. 44 Figur 32).
Wie Schul eck ausgeführt, fällt bei der
geringen Entfernung, welche zwischen den
beiden distineten Netzhautbildern besteht,
in der Eegel so viel diffuses Licht auf den
Zwischenraum, dass keine Doppelbilder wahrgenommen werden. Man
kann jedoch versuchen, durch vorsichtiges Eingehen mit der Irispineette
und Fassen einer, dem künstlichen Colobom angrenzenden Irispartie,
noch einmal den Sphinkterrand herauszuziehen und dann exaet zu
excidiren. —
Fehlt die Linse und ist die Iris mit der restirenden Kapsel eng
verklebt, so gelingt es bisweilen, mit einem gebogenen scharfen L*is-
häkchen (Figur 156) besser die Iris herauszuziehen als mit der
Pincette.
155.
156.
157.
158.
Das künstliche Colobom hat, wenn es bis zur Ciliarperipherie geht,
die Gestalt eines Schlüsselloches (Figur 157), sonst eine mehr ovale
Form (Figur 158). Immer ist darauf zu sehen, dass die Sphinkterecken
nicht in die Hornhautwunde (Figur 157 an) einheilen oder zu ihr hin
abnorm verzogen werden. Durch Eingehen mit einem Spatel, wie er
mV.1i an der Paracentesennadel findet (Figur 148), gelingt es, sie aus
der Wunde heraus in die vordere Kammer zu stossen; auch bewirkt
Operationen an der Iris. 537
öfters die auf Eserineinträufelungen oder starken Lichteinfall eintretende
Miosis dasselbe. — Ist Blut in die vordere Kammer geflossen, so kann
man es, nachdem vorerst durch kalte Umschläge die Blutquelle ver-
stopft worden, durch Lüften der Cornealwunde mit dem Spatel ent-
leeren. Uebrigens werden selbst ausgedehntere Hyphämata resorbirt,
wenn das Irisgewebe annähernd normal ist. Bei atrophischer Iris
hingegen bilden sich oach Blutergüssen leicht weissliche Exsudatmem-
brauen: in diesen letzteren Fällen lege man besonderes Gewicht auf
Entfernung des Blutes.
Bei totalen hinteren Synechien, chronischen Iriteii bleibt bisweilen
das Pigmentblatt auf der Linse haften und nur die vorderen Iris-
schichten werden herausgerissen. Man sieht dann erst bei schräger
Beleuchtung, dass die scheinbar schwarze künstliche Pupille undurch-
sichtig ist.
Die Stelle, an welcher das Colobom anzulegen ist, wird oft durch
die Indicationen bestimmt, welche uns zur Operation veranlassen. Hat
man die Wahl, so wird man, falls man nicht den Lichtstrahlen einen
neuen Zugang schaffen will, das Colobom am besten nach oben legen,
weil hier das obere Lid es deckt und so das Eindringen unregelmässig
gebrochener Bandstrahlen hindert; nicht ganz so vortheilhaft ist die
Lage nach unten: die Iridectomie lässt sich jedoch in dieser Richtung
bequemer ausführen, da die Kranken bei der Operation in der Regel
mit dem Auge nach oben fliehen. Will man hingegen den Licht-
strahlen Zugang schaffen (sogenannte optische Pupille), so legt man
die Pupille am besten nach innen an, weil hier der Nasenrücken die
peripheren Strahlen abhält-, auch schneidet man womöglich nur ein
kleines und nicht bis zur Peripherie gehendes Irisstückchen aus.
Die Nachbehandlung besteht in Schluss verband während 2 bis
6 Tagen. Die ersten Tage hält man am besten den Patienten im Bett.
Nach Wiederherstellung der vorderen Kammer — also meist am 2. Tage
— kann man bei etwaiger Hyperämie und Litis Atropin einträufeln;
gleich nach der Operation vermeidet man es — ausser etwa bei hinteren
Synechien — , um kein Hineinfallen von Irisgewebe in die Wunde zu
veranlassen. Bei Glaukom wird später Eserin angewandt. Die nächst-
folgende Zeit muss der Patient noch im Zimmer bleiben, eine Klappe
tragen und die Augen schonen. Vor 8 bis 10 Tagen sollte er nicht
ins Freie gehen. In der Regel heilt die Wunde ganz glatt. Doch sind
immerhin einige wenige Fälle bekannt, wo eine Wundvereiterung ein-
trat. Ist die Kapsel etwa verletzt worden, so stellt sich Linsentrübung
ein, die aber umschrieben bleiben kann. Bei stärkerer Quellung muss
man wie bei traumatischem Stare verfahren. Doch bilden sich auch
gelegentlich — so besonders bei entzündlichen Glaukomen — ohne directe
538 Erkrankungen der Iris.
Kapselverletzung totale Linsentrübungen in kurzer Zeit nach der Iri-
dectomie heraus.
Die Iridectomie wird gemacht 1) um Entzündungen zu bekämpfen
oder ihnen vorzubeugen, so bei Irido-(Jhorioiditis; chronischer Iritis,
hinteren Synechien, Kataraktextractionen u. s. w.} 2) zur Herabsetzung
des intraocularen Druckes, so bei Glaukom und Vorgängen, die zu
Secundar-Glaukom neigen, 3) aus optischen Zwecken, so bei Hornhaut-
flecken, Pupillarverschluss, Schichtstar und manchen Formen des Kei'n-
stares u. s. w., 4) zur Entfernung von Geschwülsten oder Fremdkörpern,
5) aus kosmetischen Gründen, um einem mit centralem Leukom be-
hafteten Auge mehr Feuer und Leben zu geben.
2) Iridotomie. Mit Iridotomie wird das Einschneiden der Iris
bezeichnet. Bereits Cheselden (1828) hatte mittels einer Starnadel
die Iris eingeschnitten und so eine Oeffnung für die Lichtstrahlen her-
gestellt, wenn es nach der Stardepi*ession zu einem Pupillarverschluss
gekommen war. Später ist die Operation besonders von v. Graefe
und Wecker wieder in die Praxis eingeführt worden. Man verfährt
nach Wecker so, dass man einen Hornhautschnitt mit einem kleinen
Lanzenmesser macht, die Weck er 'sehe Scheere einführt, deren eine
stumpfe Branche durch die Pupillaröffnung hinter, die andere vor die
Iris bringt und dann durch Scheerenschluss das Gewebe durchschneidet.
Falls keine offene Pupille vorhanden ist, durch welche die eine Scheeren-
branche zu führen wäre, macht man entweder mit der Spitze des Lanzen-
messers die entsprechende Oeffnung oder benutzt eine Wecker'sche
Scheere, deren eine Branche zugespitzt ist. Ist die Iris, wie es am
vorteilhaftesten, in der Richtung quer durch den Sphinkter (also von
der natürlichen Pupille zum Ciliaransatz hin) durchschnitten, so klafft
durch Contraction der Sphinkterenmusculatur die Wunde und bildet ein
kleines Dreieck, dessen Spitze dem Ciliarrande der Iris zugewendet ist.
Weniger vorteilhaft erscheint die einfache Durchstechung der Iris mit
einem schmalen Graefe 'sehen Messer.
Die Iridotomie hat gegenüber der Iridectomie den Vortheil, dass
sie nur eine kleine, schmale — also optisch besonders günstige — Pu-
pille macht, dass sie noch weniger eingreifend ist und auch Schwarten,
die hinter der Iris sitzen, durchschneidet. Sie empfiehlt sich daher be-
sonders, wenn nach Kataraktextractionen durch Iritis ein Pupillarab-j
schluss erfolgt ist, ebenso bei manchen ausgedehnten centralen, adhärenten
Leukomen, wo die Linse bei der vorangegangenen Entzündung verlorei
gegangen ist und die Iris Nachstarreste hinter sich hat. Weniger an]
gezeigt ist sie, wenn die Linse erhalten ist. Hier droht die Gefahr
einer Kapselverletzung; daher wird man die Iridotomie bei Schichtstar
besser durch eine schmale Iridectomie ersetzen.
Cyklitis. 539
Siebentes Kapitel.
Erkrankungen des Corp. ciliare.
Sympathische Affectionen. Eitrige
Chorioiditis.
1. Cyklitis.
Die Erkrankung des Corp. ciliare ist als Primärleiden sehr selten.
Auch beschränkt sich die Atfeetion meist nur kurze Zeit auf den Ciliar-
körper, bald complicirt sie sich mit anderen Krankheiten des Uveal-
fcractus, speciell der Iris. Es gesellt sich Hyperämie oder auch aus-
gesprochene Iritis hinzu. Man wird eine Cyklitis als primäres Leiden
diagnosticiren, wenn Trübungen im vorderen Theil des Glaskörpers
neben pericornealer Injection und Schmerzhaftigkeit des Corp. ciliare
vorhanden sind ohne nachweisbare Iritis. Auch das Auftreten von
Hypopyon (ausnahmsweise findet sich Eiter hinter der Iris und drängt
sie nach vorn) oder Beschlägen an der Membrana Descemetii ohne Iritis
oder Keratitis spricht für Cyklitis. Bei chronischer Cyklitis wird das
Auge weich. Ist die Iris secundär afficirt, so bleiben doch meist die
Erscheinungen der Cyklitis die hervortretendsten. Wir finden derartige
Iridocykliten (auch als Iridochorioiditen bezeichnet, wenn die Schmerz-
haftigkeit des Corpus ciliare fehlt) bei Allgemeinerkrankungen, theils
während des Bestehens derselben, theils als ]N achkrankheit, so bei Febr.
recurrens, bei Typhus, Meningitis cerebrospinalis, Variola, Rheumatismus,
Tuberculose u. s. f.
Die Prognose ist im Ganzen bedenklieh, jedoch sieht man bisweilen
nach Hebung der Entzündung auch sehr intensive Glaskörpertrübungen
zurückgehen und ein gutes Sehvermögen wiederkehren. So beobachtete
ich bei einem Kinde, das im Typhus eine Iridocyklitis durchmachte,
eine totale Glaskörpertrübung, die in etwa 3/4 Jahren zur Aufklärung
kam: nur an dem unteren Rande der Linse blieb eine gelbliche Trübung,
entsprechend der Stelle des Corp. ciliare, von der wahrscheinlicher
Weise die Exsudarion in den Glaskörper ausgegangen war. —
540 Erkrankungen des Corp. ciliare.
Massige Atropinisirung des Auges — sehr intensives und zu lange
fortgesetztes Atropinisiren scheint bei Cyklitis nachtheilig zu wirken — ,
warme Umschläge neben örtlicher und allgemeiner Antiphlogose, wie
wir sie bei den schweren Formen der Iritis anwenden, sind, falls der
Allgemeinzustand es erlaubt, angezeigt.
2. Sympathische Augenleiden.
Bereits Mackenzie hat darauf aufmerksam gemacht, dass nicht
selten bei Leuten, die ein Auge durch eine Verletzung verloren haben,
bald darauf das zweite sympathisch erkrankt und erblindet, dass diese
Erkrankung aber ausbleibt, wemi man frühzeitig das verletzte Auge
herausnimmt. In der Regel handelt es sich um schwere perforirende
Verletzungen, besonders solche, bei denen ein Fremdkörper in das
Augeninnere gelangt (z. B. Steinfragmente, Kupferzündhütchen oder
-patronen, Eisensplitter, Glas) und dort verweilt. Vorzugsweise bedenk-
lich sind die Traumen, welche das Corpus ciliare oder seine Nachbar-
schaft treffen. Auch nach Operationen (Starextraction, Iridodesis), welche
eine Cyklitis zur Folge hatten, wurden sympathische Affectionen beobach-
tet. Aber selbst nicht-traumatische Cyklitis kann eine derartige traurige
Folge haben. So ist in gewissem Sinne jeder phthisische Augapfel ge-
fahrdrohend, wenn Cyklitis in ihm noch besteht oder auch von Neuem
angefacht wird; gelegentlich hat auch das Tragen künstlicher Augen
eine neue Cyklitis veranlasst und somit den Ausgangspunkt einer sym-
pathischen Affection gebildet. Am wenigsten gross ist die Gefahr —
wenngleich nicht vollkommen ausgeschlossen — bei den phthisischen
Augen, die in Folge einer Panophthalmitis zu Grunde gegangen sind.
Es scheint, dass ohne Cyklitis eine eigentliche sympathische Ent-
zündung nicht eingeleitet werden kann (Schirmer). Allerdings sind
auch ohne Traumen bei Linsenluxationen und Chorioideal-Tumoren
sympathische Entzündungen beobachtet worden, doch könnte hier eben-
falls als Zwischenglied eine Cyklitis vorgelegen haben. A'on der sym-
pathischen Entzündung pflegt man die sympathische Reizung oder sym-
pathische Neurose zu unterscheiden. Zu ihr rechnet man leichte Injec-
tion des anderen Auges, Lichtscheu, Thränen, Accommodationsschwäche,
Unfähigkeit zu arbeiten; von directen Sehstörungen (Amblyopie,
Einengungen des Gesichtsfeldes), die von einzelnen Autoren als
sympathische Neurosen beschrieben sind, habe ich nie etwas gesehen.
Ich halte es für wahrscheinlich, dass dieselben in das Gebiet der
hysterischen Sehstörungen fallen. Reizzustände am zweiten Auge
müssen uns immer vorsichtig machen und auf den Ausbruch einer
S\ mpathische Augenleiden. 541
sympathischen Ophthalmie vorbereiten. Letztere kann allerdings auch
gelegentlich ohne derartige äussere Anzeichen sich entwickeln.
Als sympathische Entzündungen (Ophthalmia migratoria,
Deatschmann ) treten uns vor Allem die Affeetionen entgegen, welche
einige Zeit nach einer Verletzung und ihr folgender Cyklitis das
andere, bislang gesunde Auge — und zwar in den gewöhnlichen
charakteristischen Formen ergreifen. Meist verstreichen vier bis acht
Wochen, bis das zweite Auge erkrankt; aber auch bereits nach neun
Tagen hat man eine sympathische Erkrankung beobachtet. Es sei aber
bemerkt, dass ganz dieselben Krankheitsbilder auch ohne die erwähnte
Aetiologie zur Beobachtung kommen. In Ausnahmefallen erkrankte
sogar noch nach 15 bis 20 Jahren, besonders wenn Fremdkörper in dem
Auge zurückgeblieben waren, das bis dahin gesunde Auge. Es geben
dann meist Ortsveränderungen des Corpus alienum Anlass zu frischen
Reizungen. Hingegen ist es bei nicht-traumatischen Cykliten, denen
später eine Affection des anderen Auges folgt, oft schwer festzustellen,
dass wirklich eine sympathische Erkrankung und nicht vielleicht eine
von der Ersterkrankung ganz unabhängige Affection des zweiten Auges
vorliegt. Falls die Herausnahme des erstaffieirten Auges das Leiden des
zweiten Auges sofort höbe, wäre der Zusammenhang wohl erwiesen.
Doch spricht andererseits das Ausbleiben eines Erfolges nicht dagegen,
da wir wissen, dass auch unzweifelhaft sympathische Affectionen, wenn
sie einmal einen gewissen Grad erreicht haben, sich durch Enucleation
des ersterkrankten Auges durchaus nicht immer heilen lassen. Man wird
bei der Beurtheilung dieser Frage besonderes Gewicht auf die Form der
secundären Erkrankung legen müssen. Entspricht dieselbe den am häu-
tigsten vorkommenden sympathischen xAffectionen (der Uveitis und der
Irido cyklitis ), so wächst die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs.
Die sympathische Iridocyklitis entwickelt sich in der Regel
schleichend und chronisch, so dass der Beginn selbst unter sorgfältiger
Ueberwachung übersehen werden kann. Die häufig aufgestellte Be-
hauptung, dass ein Hinausrücken des Nahepunktes als erste
Erscheinung auftrete und den entzündlichen Processen voranginge, trifft
nach meinen Beobachtungen durchaus nicht immer zu. Auch eine
intensivere pericorneale Röthe kann fehlen-, meist allerdings sieht man
die Conjunctivalgefässe hier und da etwas mehr gefüllt. Da aber dies
auch ohne sympathische Affection bei längerem Zimmeraufenthalt und
Kranksein des anderen Auges vorkommt, so ist eine geringe Injection
nicht beweisend: sie sollte aber immer vorsichtig machen und Anlass
geben zur Atropinisirung und genauen Untersuchung des zweiten Auges.
Trotzdem die Pupille nämlich gut reagirte und nicht verengt war, auch
die Iris normal erschien, können sich jetzt nach der Atropinisirung
542 Erkrankungen des Corp. ciliare.
schon kleinere hintere Synechien zeigen. Mir ist in Fällen, bei denen
unter meinen Augen die sympathische Affection entstand, sogar bis-
weilen zu dieser Zeit eine ungewöhnlich lebhafte Reaction der Pupille
auf Licht und Schatten aufgefallen.
Die leichtere Form der sympathischen Entzündung ist die Iritis serosa
(Uveitis) mit Beschlägen auf der Membrana Descemetii und Glaskörper-
trübungen, ohne zu schnelle Ausbildung hinterer Synechien. Hier ist die
Prognose verhältnissmässig günstig und es kann zur Heilung kommen.
Die schwerere ist die Iridocyklitis, bei der ausgedehntere Verklebungen der
Iris mit der Linsenkapsel entstehen; die Iris verfärbt sich, die Pupille wird
eng. Jetzt ist auch pericorneale Injection vorhanden; es treten Schmerzen
auf, wenn man bestimmte Theile des Corp. ciliare betastet. Bisweilen
sieht man periphere Chorioidealveränderungen. Bald bildet sich eine
Pupillarmembran, der Glaskörper wird diffus getrübt. Im weiteren
Verlauf wird die vordere Kammer eng; in der Peripherie ist die Iris
durch Schwarten, die sich zwischen ihr und dem Corp. ciliare bilden,
nach hinten gegen den Ciliarkörper gezogen. Die Cornea ist leicht ge-
trübt. Der Bulbus wird weich. Alle diese Veränderungen können sich
ohne erhebliche Schmerzen oder stärkere Entzündungserscheinungen ab-
spielen, so dass manche Patienten — besonders bei Kindern beobachtet
man dies — erst in Folge der nachweisbaren Sehschwäche zum Arzt
geführt werden. Seltener ist das Auftreten der Entzündung in sehr
acuter Form mit heftigen Schmerzen, starker Lichtscheu und Injection.
Allmählich wird auch die Linse trüb und kataraktös, indem sie gleich-
zeitig schrumpft und sich abplattet, Der Process kann so viele Monate
lang fortbestehen, bis sich in dem stark erweichten und verkleinerten
Bulbus schliesslich Netzhautablösung und damit unheilbare Erblindung-
herausgestellt hat. In anderen selteneren Fällen hört endlich die Ent-
zündung auf; der Bulbus erholt sich wieder und gewinnt eine bessere
Spannung. Bei beiden Erkrankungen kann man gelegentlich eine
Hyperämie der Papilla optica beobachten; ebenso kann später eine Trü-
bung ihres Gewebes eintreten. Aber ähnliche Vorgänge sehen wir auch
sonst bei diesen schweren Uveal-Erkrankungen. ■ — Auch eine einfache
Papillo-Rctinitis sympathica ist beschrieben worden. Die als sympathisch
bezeichneten Glaukome sind in ihrer Aetiologie nicht sicher, wenn
man von ;den glaukomatösen Processen absieht, die sich gelegentlich
auf der Basis der sympathischen Uveal-Erkrankung entwickeln.
Therapie. Bei der Iritis serosa sympathica ist am ehesten eine
Heilung zu erwarten, falls nicht, wie es bisweilen geschieht, eine
iridoeyklitis nachträglich hinzutritt. Hingegen führt die Iridocyklitis
sympathica fast stets zum Ruin des Auges, nur in den ersten Stadien
der Erkrankung, wo es noch nicht zu festen und ausgedehnten hinteren
Sympathische Augenleiden.
Synechien gekommen ist, auch die Consistenz des Bulbus nicht zu sehr
gelitten hat, ist bisweilen eine volle Wiederherstellung und Heilung zu
erreichen. Bei ausgebrochener sympathischer Ophthalmie soll die Be-
handlung mit der Enuclcation des primär erkrankten Auges, falls das-
selbe bereits erblindet ist. beginnen. Schwieriger wird die Frage, wenn
dasselbe noch Sehvermögen besitzt. Hier würde der Grad dieses Seh-
vermögens und die etwaige Aussieht auf Erhaltung oder Hebung des-
selben in Betracht kommen. Ist das Erhalten eines einigermaassen
ausreichenden Sehvermögens zu erwarten, so darf das Auge nicht
enucleirt werden, da die Enucleation die bereits ausgesprochene Ent-
zündung des sympathisch erkrankten Auges durchaus nicht immer heilt.
Meist allerdings sieht man nach der Enucleation in diesem ersten Sta-
dium sofort eine gewisse Besserung eintreten. Doch ist letztere nicht
selten trügerisch, der Process exaeerbirt nach einigen Tagen wieder
und führt schliesslich doch zu einem deletären Ende. Es ist verständ-
lich, dass ein einmal erkranktes Organ zu Grunde gehen kann, selbst
wenn wir die ursprüngliche Ursache des Leidens entfernen; aber anderer-
seits wird die Entfernimg immerhin insoweit einen günstigen Einfluss
auf die Heilungsbedingungen äussern, als das Auge vor neuen Schädi-
gungen gesichert bleibt. [Ab a die hat an Stelle der Enucleation einen
Tropfen Sublimatlösung (1 : 1000) in den Glaskörper des primär ver-
letzten Auges injicirt und die Narbe eventuell mit dem Galvanocauter
ausgebrannt. Er berichtet über einige bemerkenswerthe Erfolge.]
Neben der Enucleation sind in diesem Stadium der sympathischen
Affection eine energische Schmiercur oder subcutane Sublimatinjection am
Platze; örtlich Atropin, nötigenfalls Blutegel. Auch subconjunctivale
Injectionen mit Kochsalz oder Sublimat können versucht werden. Dabei
absolutes Abhalten des Lichtes. Vor operativen Eingriffen (L'idectomie)
hüte man sich: in der Regel verschlimmern sie die Krankheit, auch
selbst dann, wenn Hypertonie besteht. Man sucht letztere besser durch
Cocain oder selbst Pilocarpm-Emträufelungen zu bekämpfen. Be-
steht der Process bereits längere Zeit und ist es zu ausgedehnten hin-
teren Synechien, Abflachung der vorderen Kammer, diffuser Glaskörper-
trübung und Weichheit des Bulbus (Hypotonie) bei fast aufgehobenem
Sehvermögen gekommen, so ist Atropin überflüssig, öfters sogar schäd-
lich und selbst die Schmiercur nutzlos. Man beobachtet dann ein ab-
wartendes Verhalten, indem man die Allgemeinconstitution möglichst
zu heben sucht; vor Allem vermeide man auch jetzt einen frühzeitigen
operativen Eingriff. Bisweilen muss man viele Monate bis Jahre ver-
streichen lassen, ehe man eine Operation mit Aussicht auf Erfolg ver-
suchen darf. In der Zeit geht allerdings durch Netzhautablösung das
Sehvermögen häufig unrettbar verloren, ohne dass wir es hindern können.
:")44 Erkrankungen des Corp. ciliare.
Hat schliesslich jede entzündliche Erscheinung- aufgehört und ist
noch ein einigermaassen genügender Lichtschein vorhanden (man scheue
selbst umschriebene Gesichtsfelddet'ecte nicht), so kann man die Linsen-
extraction mit gleichzeitiger Iridectomie nach der oben beschriebenen
Wenzel 'sehen Methode ausführen, — ein Verfahren, das für diese
Fälle v. Graefe empfohlen hat. Uebrigens zeigt sich nicht immer die
Linse hierbei getrübt, bisweilen handelt es sich nur um Kapselstar.
Man darf den Schnitt nicht zu peripher führen, um nicht zu viel von
dem verflüssigten Glaskörper zu verlieren. Oefters verlegt sich die ge-
machte Pupillenöffnung wieder und man muss von Neuem iridectomiren
oder auch iridotomiren. Doch gelingt es schliesslich in einzelnen Fällen,
ein massiges Sehen zu schaffen. — Critchett hat empfohlen, nur die
Linse zu diseidiren und zwar, da dieselbe meist mit einer dicken Pupillar-
membran bedeckt, auch häufig getrübt und membranartig geschrumpft
ist, sich mittels zweier Discissionshadeln (Bowman'sche Operation)
allmählich in verschiedenen Sitzungen ein centrales Loch zu bohren. In
einigen Fällen hatte er einen befriedigenden Erfolg. Im Ganzen ist
aber die Prognose für die vorgeschrittenen Formen der sympathischen
Iridocyklitis eine schlechte. —
Bezüglich der Art, in welcher die Uebertragung der Entzün-
dung von einem Auge auf das andere stattfindet, gehen die Ansichten
auseinander. Es stehen sich hier die Ciliarnerven-Theorie (reflec-
torische Uebertragung der Reizung auf das andere Auge durch die
Ciliarnerven) und die Migrationstheorie (Bacterienwanderung durch
den Opticus oder dessen Scheide zum anderen Auge) einander gegenüber.
Meiner Meinung nach hat die erstere mit der von mir gegebenen Mo-
dification, dass durch die reflectorische Reizung der Nerven nur die
Disposition gegeben wird, auf der die im Körper vorhandenen entzün-
dungserregenden Momente leichter ihren schädlichen Einfluss üben
können, die grössere Berechtigung. Bezüglich der sympathischen Reiz-
zustände wird allgemein der reflectorische Einfluss der afficirten Ciliar-
nerven anerkannt.
Die reflectorische Einwirkung- der Ciliarnerven auf die Gefässe, die Ernährung
und Secretionsvorgänge des andern Auges erscheint durch die experimentellen
Versuche an Thieren erwiesen. Jesner und Bach haben gefunden, dass hei
Reizung des einen Auges eines Kaninchens der Fibringehalt im Kammerwasser
des anderen Auges zunimmt, während Moll bei intravenöser Einspritzung von
Bac. pyoeyaneus constatirte, dass nicht nur in dem gereizten Auge, sondern auch
in dem anderen Anne eine Ausscheidung der Bacillen stattfindet. Allerdings hat
Wessely die Ergebnisse von Jesner und Bacli nicht bestätigen können, jedoch
fand er bei Fluoreseein-Injectionen in einem Drittel seiner Versuche bei Reizung
des einen Auges auch eine Vermehrung der Fluoreseein-Ausscheidungen im anderen
Auge: man kann bei diesen Ergebnissen auch daran denken, ob nicht indivi
duelle Verschiedenheiten eine Rolle spielen, — eine Anschauung, die, wenn mal
Sympathische Augenleiden. 545
das Auftreten der sympathischen Ophthalmie beim Menschen betrachtet, auch für
diesen eine gev isse Berechtigung haben könnten. Die Affection der Ciliarnerven
ist in verschiedenen Füllen anatomisch erwiesen. So habe ich, und später Gold-
zieher, Zelleninfiltrationen zwischen den Fibrillen gesehen. Uhthoff hat eine
spindelförmige Anschwellung der Nervenfaser beschrieben, Ayres ebenfalls Ge-
staltsveränderungen und Vermehrung der interfibrillären Kerne. — Auch die meist
bestehende Schmerzhaftigkeit der Ciliargegend auf Druck, welche allerdings
zur Zeit, wo wir die sympathische Entzündung zur Beobachtung bekommen, auf-
gehört haben kann, spricht für ihr Ergriffensein. Weiter entstehen gerade am
häutigsten sympathische Affectionen, wenn bei Verletzungen des Corp. ciliare durch
Fremdkörper eine dauernde Reizung auf die Ciliarnerven geübt wird. Aber zur
Entstehung einerwirklichen Entzündung bedarf es noch der entzündungserregenden
Momente: vor Allem kommen hier Bacterien und Toxine in Betracht. Wir nehmen
demnach an. dass die Disposition zur Erkrankung durch die reflectorische
Nervenreizung gegeben ist, die eigentliche Entzündung aber erst ausbricht, wenn
die erwähnten Schädlichkeiten auf den so disponirten Boden einwirken. Bei dieser
Auffassung tindet die ungemein grosse Verschiedenheit des Zeitintervalls zwischen
der primären Verletzung und der sympathischen Erkrankung eine befriedigende
Deutung. Dass für gewöhnlich letztere nicht vor Ablauf zweier Wochen eintritt,
lässt sich so erklären, dass eben dievom sympathisirenden Auge ausgehende Beizung
eine gewisse Zeit lang bestehen muss. um eine ausreichende Disposition für die
Wirkung der vorhandenen Entzündungserreger zu geben. Auch finden wir in ihr
eine Erklärung, dass so häufig dieselbe Art der Verletzung bei dem einen Indi-
viduum eine sympathische Ophthalmie herbeiführt, während sie bei dem anderen
ausbleibt. Dass im (ranzen die sympathischen Ophthalmien nach Einführung der,
antiseptischen Behandlungsweise seltener geworden sind, spricht nicht für einen
bacteriellen Ursprung derselben, sondern lässt sich ebensogut in der Weise denken
dass die Heilung hierbei schneller erfolgt und weniger lange die (sensiblen, vaso-
motorischen und trophischenj Ciliarnerven einer Irritation unterworfen sind.
Nach der Migrationstheorie erfolgt eine directe Ueberleitung der Ent-
zündung von einem Auge zum andern durch den Sehnerven beziehentlich
durch die Sehnervenscheide und zwar durch Bacterien (Leber, Deutsch-
niann . Es ist nicht abzulehnen, dass die Möglichkeit vorliegt, dass auf diese
Weise durch Bacterien oder Toxine eine directe Uebertragung stattfinden könnte,
alier die Versuche Deut seh mann 's, wonach bei Kaninchen in ein Auge gespritzte
Staphylokokken-Cultur bis zum anderen Auge wandern sollte, sind nicht bestätigt
worden. Ich selbst habe durch directe Einimpfung eines Stückes Iris, Corpus
cüiare und Opticus von Augen, die eine sympathische Ophthalmie hervorgerufen
hatten, in den Glaskörper von Kaninchen ebenfalls keine sympathische Affection
erzielt. Sollte die sympathische Ophthalmie in der von Deutschmann be-
schriebenen Weise übertragen werden, so muss sie zuerst als Neuro-Betinitis auf-
treten. Aber für den Typus der sympathischen Affection, für die Iridocyklitis
bleibt uns das Experiment die Erklärung schuldig, ebenso für die allgemein an-
erkannte besondere Gefährlichkeit der Verletzungen des Corp. ciliare. Dass der
Iridocyklitis aber nicht immer eine ausgeprägte Sehnervenaffection vorausgeht
( — auf eine sogenannte Hyperämie ist nicht viel Gewicht zu legen, da sie sich,
abgesehen von der Unsicherheit ihrer Diagnose, auch sonst bei schweren Er-
krankungen des anderen Auges gelegentlich findet — ), habe ich bei Fällen sym-
pathischer Ophthalmie, deren Entstehung ich verfolgen konnte, sicher constatirt.
Neuerdings hat sogar Grunert bei der mikroskopischen Untersuchung eines sym-
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 35
r>4li Erkrankungen des Corp. ciliare.
pathisch erkrankten Auges constatirt, dass die entzündlichen Veränderungen im
Opticus von der Pupille an eerebralwärts immer mehr abnehmen.
Noch weniger wahrscheinlich erscheint die Uebertragung durch den Sehnerven,
wenn man bedenkt, dass gerade in den Fällen deutlichster und acutester infec-
tiöser Entzündung, wie wir sie bei manchen Formen der eitrigen Chorioiditis
haben, die sympathische Erkrankung ausbleibt, trotzdem man anatomisch ausge-
prägte Opticusaffectionen in dem primär erkrankten Auge findet. Ja die Er-
fahrung hat ergeben, dass nach eitriger Chorioiditis oder Panophthalmitis zurück-
bleibende phthisische Stümpfe, im Gegensatz zu den in anderer Form phthisisch
gewordenen Augen, am wenigsten Neigung haben, später eine sympathische Affec-
tion zu veranlassen; wie ich meine, wohl in Folge der eingetretenen Destruction
der Ciliarnerven. Auch der Einwand trifft nicht zu, dass bei schleichender Irido-
cyklitis gerade die wiederholte und fortgesetzte Uebertragung der infectiösen
Masse die Entzündung hervorrufe. Die eitrigen Chorioiditen pflegen sich eben-
falls 6 bis 8 Wochen lang im Eiterstadium zu befinden; selbst wenn nur eine
wiederholte und dauernde Uebertragung die sympathische Affection bewirken sollte,
so würde diese Zeit sicher ausreichen, da wir bekanntlich sympathische Ophthal-
mien oft in einer viel kürzeren Zeitspanne, entstehen sehen. Diese Ueberlegung
spricht auch dagegen, dass durch überwandernde Toxine von Staphylococcus pyo-
genes, wie Selenkowsky aus seinen Thierversuchen neuerdings schliesst, die
sympathische Ophthalmie veranlasst würde. Den weiteren Erklärungsversuch,
dass bei Panophthalmitis durch die massenhafte Eiterbildung die Entzündungs-
erreger beseitigt und zerstört würden, kann ich ebenfalls nicht für zutreffend
erachten, da einmal im Beginn der Erkrankung die Eiterung eben noch nicht
massenhaft ist und weiter in panophthalmitischen Augen noch nach Wochen
lebensfähige Mikrokokken gefunden werden. Ich habe in einem Falle, wo die
Panophthalmitis bereits vier Wochen bestand, aus dem Eiter des Augeninnern
Staphylococcus pyogenes aureus gezüchtet und mit der Keincultur bei Kaninchen
durch Hornhautimpfung eitrige Keratitis und Iritis erzielt. Aehnliches hat
Schirmer constatirt. Dass in einer Reihe von Augen, welche Anlass zu sym-
pathischen Affectionen gaben, auch Staphylococcus pyogenes nachgewiesen ist,
Avill nicht viel sagen, da dieser Pilz auch bei Entzündungen, die keine sympa-
thischen Affectionen hervorrufen, vorkommt; bedeutungsvoller ist, dass in einer
grossen Anzahl von enucleirten sympathisirenden Augen überhaupt bei sorgfäl-
tigster bacteriologischer Untersuchung keine Bacterien gefunden sind(Hirschberg,
Kuhnt, Greeff, Bach,Schmidt-Rimpler lind Andere). Selbst Deutschmann
suchte in einem Falle vergeblich nach ihnen, fand sie aber im Tenon'schen
Räume. Wenn man diesen Befund für genügend erachten wollte, so müssten so-
gar orbitale Processe eine migratorische Ophthalmie hervorrufen können! Das
erscheint jedenfalls sicher, dass es sich bei Erregung sympathischer Ophthalmien
nicht um eine der uns bisher bekannten und auf unseren üblichen Nährboden
wachsenden Bacterie handeln kann. — Gegen die Allgemeingültigkeit der er-
wähnten Hypothese spricht aber besonders nachstehender Fall. Wegen zu be-
fürchtender sympathischer Ophthalmie führte ich an dem linken an Iridocyklitis
in Folge einer perforirenden Wunde erkrankten Auge die Neurectomia optico-
ciliaris aus. 1 i/2 Jahre später erkrankte das rechte Auge an einer sympathischen
Iridocyklitis, die nach Enucleation des linken Bulbus heilte. Bei der Untersuchung
desselben waren keinerlei Mikrokokken nachweisbar, ebensowenig fanden sie sich
in dem resecirten, 1 V2 cm langen Sehnervenstück. Hingegen waren im ( 'orp.
ciliare, sowie in der Cornea, einzelne wohlerhaltene Nerven vorhanden, während
dieselben in den hinteren Partien des Bulbus, specicll an den Eintrittsstellen in
Sympathische Augenleiden. 547
der Nahe des Opticus atrophirt waren. Es ist hier also sicher eine Uebertragung
durch Mikroorganismen ausgeschlossen, hingegen durch das Erhaltensein von
Ciliarnerven, die, wie es zuweilen vorkommt, weiter vorn in den Bulbus getreten
sind, der Gedanke an reiiectorische Erregung nahegelegt. Der experimentelle
Versuch Deuts chmann's. bei dem derselbe nach Eesection eines Stückes Opti-
cus beim Kaninchen die Neubildung eines directen bindegewebigen Verbindungs-
stranges zwischen dem centralen Opticusende und dem Bulbus gesehen hat, durch
den ein Fortkriechen der Bacterien erfolgen könnte, scheint mir gegen den obigen
Fall nichts zu beweisen, da hier eben die Bacterien im Sehnervenstumpf fehlten.
Im Uebrigen gelang es bei Nachuntersuchungen, die Velhagen auf meine Ver-
anlassung anstellte, nicht, einen derartigen Verbindungsstrang nachzuweisen. Zu
denselben negativen Ergebnissen gelangten Bach und Zimmermann. Auch
konnte die Verbreitung von Farbstoffen, die in die Schädelhöhle eingespritzt
wurden, von dem centralen Opticusende in den Stumpf am Bulbus nicht verfolgt
werden. Es trat gewöhnlich keine, ausnahmsweise eine diffuse Färbung des orbi-
talen Gewebes ein. Dass nach ausgiebiger Eesection des einen Opticus sich eine
auch nur annähernd gleiehwerthige Verbindung zwischen beiden Augäpfeln wieder
herstelle, halte ich danach für vollkommen ausgeschlossen.
Die Prophylaxe der sympathischen Affection ist von höchster
Bedeutung, bietet aber oft Anlass zu den schwersten und verantwort-
lichsten Ueberlegungen — : sie besteht in der möglichst frühzeitigen
Enukleation (bezw. Exenteration oder Neurectomia optico-ciliaris) des
gefahrbringenden Augapfels. Allerdings habe ich mit Anderen sogar
trotz und nach der Herausnahme noch sympathische Ophthalmien ent-
stehen sehen — in einem von Nettleship mitgetheilten Falle selbst
25 Tage danach — , doch sind diese Fälle ausserordentlich selten; sie
lassen sich so deuten, dass der zweite Bulbus bereits soweit durch die
vorangegangene reflectorische Einwirkung alterirt worden war, dass er
fin eine ihn selbst nachträglich treffende Schädlichkeit noch einen
günstigen Boden abgab. Bei den nach der Neurectomia optico-ciliaris
entstandenen sympathischen Ophthalmien kann in das Erhaltenbleiben
von vorderen Ciliarnerven, wie ich gesehen, oder in das Wiederhinein-
wachsen durchschnittener in den Bulbus (Axenfeld) eine Erklärung
gesucht werden. Ebenso dürften bei den gleichen Erkrankungen nach
Exenterationen, von denen ich zwei beobachtet, die zurückgebliebenen
Nerven anzuschuldigen sein.
Ist das verletzte Auge erblindet und in seiner Form entstellt, so
wird die Herausnahme kaum Bedenken machen, doch entschliessen sich
manche Patienten auch dann noch schwer.
Unter allen Umständen aber muss man einen phthisischen Aug-
apfel oder ein erblindetes Auge entfernen oder durch andere Opera-
tionen unschädlich machen, wenn ein Fremdkörper sich darin befindet.
Dasselbe gilt, wenn ein phthisischer oder ein schwer verletzter Augapfel
mit geringem Sehvermögen auf Druck länger anhaltende, cyklitische
Schmerzhaftigkeit zeigt. Der cyklitische Schmerz, bei dem die Kranke])
54S Erkrankungen des Corp. ciliare.
beim Betasten des Corp. ciliare lebhaft zurückzucken, ist ein Zeichen
drohender Gefahr. Bisweilen kann er sich zwar wieder verlieren, ohne
dass eine sympathische Affection eintritt; auch kommen andererseits
ausnahmsweise Fälle vor, wo, ohne dass derartige cyklitische Schmerzen
vorhanden sind, dennoch eine sympathische Affection ausbricht. Aber
es ist hier immerhin möglich, dass dieselben zur Zeit der Untersuchung
geschwunden sind oder die Untersuchung (Betasten des ganzen Corp.
ciliare mit einem Sondenknopf) nicht exact durchgeführt wurde.
Augäpfel, die sehr ausgedehnte Verletzungen mit Glaskörper- und
Linsenaustritt, Netzhautablösungen u. s. w. erlitten haben, wird man am
besten sofort nach dem Unfall herausnehmen.
Schwieriger ist die Frage dann, wenn bei geringeren Verletzungen
noch ein einigermaassen genügendes Sehvermögen zu erwarten ist. Hier
wird vor Allem die Entfernung etwa eingedrungener Fremdkörper zu
versuchen sein. Bei Eisensplittern im Augeninnern leistet der Elektro-
magnet öfters treffliche Dienste; sonst müssen Pincetten und krumme
stumpfe Häkchen in Anwendung kommen. Wird der Fremdkörper ent-
fernt, so kann man unter beständiger, sorgsamster Beobachtung des
Kranken — besonders muss derselbe lange im dunklen Zimmer ge-
halten werden — die Weiterentwicklung des Heihmgsprocesses ab-
warten. Gelingt die Entfernung nicht, so ist die Enucleation immer
das Sicherste. Aber auch ohne dass Fremdkörper im Augapfel ver-
weilen, sehen wir gelegentlich sympathische Affectionen auch nach
kleineren Verletzungen ausbrechen. Besonders gefährlich sind, wie er-
wähnt, diejenigen, welche in die Gegend des Corp. ciliare fallen. Treten
überhaupt bei verletzten Augen cyklitische Schmerzen, die anderer
Therapie (Blutegel, Quecksilber) nicht schnell weichen, auf, wird der
Bulbus weich, so ist immer die Enucleation (Exenteratio bezw. Neu-
rectomia optico-ciliaris) anzurathen, selbst wenn noch einiges Sehver-
mögen vorhanden ist.
Enucleatio. Exenteratio bulbi. Neureetomia optieo-ciliaris.
Die Enucleation ist seit Bonnet an Stelle der früher üblichen
Exstirpation getreten. Während bei letzterer der Augapfel mit den
anhaftenden Theilen, Muskelstümpfen u. s. w. mittels eines Messers aus
der Orbita herausgeschnitten wird, löst man bei der Enucleation sorg-
fältig die Sehnen von der Sclera und schält den Bulbus aus der Tenon-
schen Kapsel. Man beginnt die Operation, indem man vor dem R. ex-
ternus oder intei-nus eine Conjunctivalfalte dicht neben dem Corneal-
rnnde aufhebt und mit der ffeboß'cnen Scheere einschneidet. Alsdann
Enucleatio. Exenteratio bullü. Neurectomia optioao-ciliaris. 549
löst mau nach dem Aequator bin die Conjunctiva in grösserer Aus-
dehnung vom Bulbus ab. Darauf wird die Sehne des Muskels auf den
Schielhaken genommen und von der Sclera abgetrennt. Indem man als-
dann nach oben oder unten mit dem Schielhaken geht, spannt man die
Conjunctiva und schneidet mit der Scheere in Fortsetzung des ersten
Conjimctivalschnittes dieselbe wieder concentrisch zur Hornhaut ein;
darauf fasst und trennt man die entsprechende Sehne. In derselben
Weise löst man sämmtliche Recti nacheinander ab; die Conjunctival-
wunde ist kreisförmig und parallel der Hornhautperipherie. Bei einiger
Uebimg kann man auch ohne Anwendung der Schielhaken mit einer
geraden Scheere, nach Circumcision der Conjunctiva um die Cornea
herum, die Sehnen direct vom Bulbus trennen. Man hüte sich sehr,
Conjunctiva unnöthiger Weise herauszuschneiden, da hierdurch der
Raum für das Einsetzen eines künstlichen Auges verkleinert, ja bis-
weilen das Einsetzen ganz unmöglich gemacht wird. Um den Bulbus
aus der Orbita zu luxiren und den Sehnerven anzuspannen, nimmt
man am besten den Bulbus zwischen Daumen und Zeigefinger der
linken Hand, zieht ihn kräftig hervor und geht an der äusseren oder
inneren Seite mit einer etwas grösseren, halbgekrümmten Scheere ein,
schiebt sie längs der Sclera nach hinten und durchschneidet den Seh-
nerven. Um ein Einschneiden in die Sclera zu vermeiden, hat Welz
einen ganz praktischen Enucleationslöffel angegeben, der hinter den
Bulbus geschoben wird und in einer Rinne den Opticus aufnimmt.
Will man ein grösseres Stück Sehnerv am Auge lassen, so muss man
entsprechend tief mit der Scheere in die Orbita dringen. Nachträglich
den Opticus in dem Fettgewebe zu finden und herauszuziehen, ist oft
schwer. Die stärkere Blutung zeigt uns, dass der Sehnerv durchtrennt
ist. Den stark hervorgezogenen Bulbus hat man noch von den Obliquus-
S ebnen zu lösen.
Operirt man ohne Chloroform, so kann man constatiren, dass bei
der schnellen Sehnervendurchschneidung, entgegen früheren Angaben,
keine Lichterscheinungen wahrgenommen werden; wohl aber reagirt
nach der Heilung der in der Orbita lagernde Sehnervenstumpf in vielen
Fällen mit Photopsien, wenn man ihn kräftig stösst, zerrt oder elek-
trisch reizt.
Die Blutung steht meist sehr schnell. Nachdem man mit Aqu.
chlori oder Subliinatlösung die Orbita ausgespült hat, legt man auf die
geschlossenen Lider einen festen antiseptischen Druckverband an. Ein
Zimähen der Conjunctivalwunde oder ein Ausfüllen der Orbita mit
einem von Sublimatmull oder Borlint umhüllten Wattetampon ist in der
Regel bei der Enucleation nicht nöthig, eher bei der Exstirpation. In
vier bis fünf Tagen ist die Heilung vollendet. Die Operation ist fast
550 Erkrankungen des Corp. ciliare.
vollkommen ungefährlich, nur vereinzelte Fälle — zumeist wenn im
Stadium beginnender oder ausgesprochener Panophthalmitis enucleirt
wurde — sind bekannt geworden, bei denen ein letaler Ausgang (durch
Meningitis u. s. w.) erfolgt ist.
Um diese Gefahr zu vermeiden und weiter einen besseren Stumpf
zu erhalten, empfiehlt Alfr. Graefe die Exenteratio bulbi. Man
geht im Sclerallimbus mit einem schmalen Graefe'schen Messer ein
und macht, hinter der Iris bleibend, einen Lappenschnitt nach oben,
fasst dann diesen Lappen und trennt in gleicherweise die untere Horn-
hauthälfte hinter der Iris. Durch Einführen eines flachen, münzen-
förmigen, scharfgeränderten Löffels (Bunge 's Exenterationslöffel)
zwischen Uvea und Sclera entleert man den ganzen Augeninhalt; die
vordere Scleralwunde wird nach Ausspülung der Höhle mit Aqu. chlori
in horizontaler Richtung durch 3 — 4 ^ähte geschlossen. Die Nähte fassen
Sclera und Conjunctiva; nöthigenfalls bedeckt man die etwa partiell
freiliegende Scleralwunde noch durch Uebernähen mit Conjunctiva. Die
der Operation folgende Reaction ist in der Regel unbedeutend, bei
stärkerer Conjunctivalchemose macht man Eisumschläge; jedoch dauert
die Heilung etwas länger als nach der Enucleatio. Der anfänglich ge-
füllte Scleralsack schrumpft meist im Laufe der Jahre, wenngleich eine
Gewebsneubildung aus dem Exsudat erfolgen kann (Bunge). Die Exen-
teration ist an Stelle der Enucleation oft mit Nutzen auszuführen; be-
sonders angezeigt ist sie bei beginnenden oder schon ausgeprägten
eitrigen Entzündungen. Um die Verkleinerung des Stumpfes zu ver-
meiden, hat man mit meist nur vorübergehendem Erfolg eine Glaskugel
oder vergoldete Silberhohlkugel (Mules, Kuhnt) in die Scleralkapsel
eingeheilt; auch wurde zwei Mal nach einigen Wochen eine sympathische
Ophthalmie beobachtet (Cross). —
An Stelle der Entfernung des Auges bat man versucht, nur die Bahnen, auf
welchen die Uebertragung der sympathischen Ophthalmie auf das andere Auge
erfolgt, ungangbar zu machen, indem man die Ciliarnerven und den Opticus durch-
schnitt. Schon A. v. (iraefe hatte vorgeschlagen, die Ciliarnerven, welche der
Stelle der cyklitischen Schmerzhaftigkeit entsprechen, mit der Scheere zu trennen.
Methodisch ist dieser Gedanke erst durch Schüler verfolgt worden, der bei der
Neurotomia optico-ciliaris den Sehnerven und die um ihn liegenden hinteren Ciliar-
nerven durchschnitt. Etwas früher waren von Boucheron an Thieren ähnliche
Versuche angestellt worden. Besser ist es, ein Stück des Sehnerven zu reseciren.
Das Verfahren der Neurectomia optico-ciliaris ist in folgender Weise
auszuführen. Man ineidirt die Conjunctiva dicht über dem Sehnenansatz des Beet.
internus, circa G mm von dem Ilornhautrande entfernt, und erweitert den Schnitt
parallel der Corneaperipherie ausgiebig nach oben und unten. Alsdann nimmt
man. wie bei der Schieloperation, die Muskelsehne auf dem Schielhaken und legt
durch ihren peripheren Tlieil einen Faden, womit man den Muskel nach der darauf
folgenden Trennung der Sehne festhält und nasenwärts vom Bulbus abzieht.
Enucleatio. Exenteratio bulbi. Neurectomia optico-ciliaris. 551
Letzterer wird nunmehr stark temporalwärts gerollt. Mit einer etwas grösseren
Seheere geht man längs der Sclera in die Tiefe bis jenseits des Sehnervenein-
tritts und durchschneidet den Sehnerven in der Weise, dass ein Theil desselben
noch am Bulbus bleibt. Alsdann Bucht man, indem man den Bulbus mittels' eines
scharfen Doppelhakens, welcher in die blossgelegte Sclera eingesetzt wird, mög-
lichst stark nach aussen zieht und dabei die äussere Hälfte desselben gleichzeitig
mit einer Pincette nach hinten drückt, den hinteren Pol des Bulbus durch die
über dem R. internus gelegene Conjunctivalwunde hervor zu ziehen und sich zu
Gesicht zu bringen.
Man dreht den Bulbus also eigentlich um. Liegt der Sehnerveneintritt vor,
so resecirt man das an dem Bulbus haften gebliebene Stück des Opticus und
säubert den angrenzenden Theil der Sclera in der Ausdehnung von etwa einem
Oentimeter durch Seheerensehnitte, welche die Beste der Ciliarnerven treffen-
Darauf wird der Bulbus wieder reponirt und der R. internus an seinen Sehnen-
stumpf angenäht : auch die Conjunctivalwunde vereinigt man durch Naht. Um zu
verhüten, dass die in der Nähe der Ansätze der M. recti in die Sclera sich einsenkenden
Nervenäste später in das Corp. ciliare hineinwachsen und so vielleicht neue
reflectorische Reizungen bewirken, kann man noch vor Lösung des Rect. internus
an den betreffenden Stellen die Conjunctiva ineidiren und das episklerale Gewebe
scarifierren. Während der Heilungsperiode wird ein Druckverband angelegt.
Durch starke Blutungen ist zuweilen ein Heraustreiben des Bulbus aus der
Orbita bewirkt worden. Doch lässt sich dies ziemlich sicher vermeiden, wenn man
nach Durchschneidung des Opticus nicht sofort den Bulbus umkehrt, sondern erst
das Auge schliesst und durch festen Druck mit in kalte Sublimatlösung oder Aqu.
chlori getauchter Watte die retrobulbäre Blutung stillt. Das Herumdrehen des
Bulbus ist bei phthisischen Augen leicht, schwerer bei Augen von normaler Grösse
oder bei Stapbylomen. Hier muss einmal die Conjunctivalöffnung verhältniss-
mässig gross sein und dann mit grösserer Kraft der Bulbus herumgedreht werden.
Um letzteres zu erleichtern, kann man die M. obliqui ablösen (Schweigger).
Beim Eingehen von der Aussenseite, nach Ablösung des R. extern., ist die Drehung'
des Bulbus und die Opticusresection schwieriger. Man hat allerdings den Vortheil,
dass. im Falle die Wiederanheilung der gelösten Sehne nicht gut gelingt, der ent-
stehende Strabismus (nach innen) weniger stört, als das divergirende Schielen
nach nicht gelungener Anheilung der Internussehne.
Ohne die durch Umdrehung ermöglichte Inspection des Seimerveneintrittes ist
das Verfahren unsicher, ebenso ohne Resection des Sehnerven und entsprechende
ausgiebige Lageveränderungen des Bulbus, zumal anatomische Untersuchungen von
Krause gezeigt haben, dass von den centralen Enden der durchschnittenen
Ciliarnerven neue Aeste später wieder in den Bulbus hineinwachsen können. Dies
muss ebenso wie eine directe Wiedervereinigung der Stümpfe vermieden werden.
Als Zeichen der Durchschneidung der Ciliarnerven dient uns die eintretende Ge-
fühllosigkeit der Cornea. Die Conjunctiva, welche nicht von Ciliarnerven versorgt
wird, behält ihre Empfindung; aber auch auf dem eigentlichen Hornhautgebiet
kann dieselbe partiell bestehen bleiben oder wieder eintreten, wenn, wie nicht
selten bei phthisischen oder entzündeten Augen, Conjunctivalgefässe mit ihren
Nerven auf die Cornea übergehen. Nach längerer Zeit stellt sich durch Hinein-
wachsen der Conjunctivalnerven in der Regel die Sensibilität wieder her.
•Die Neurectomia optico-ciliaris bietet nicht dieselbe prophylaktische Sicher-
heit wie die Enucleation. Selbst wenn durch die Resection eine Wiederver-
wachsung der Nerven vermieden wird, so ist es möglich, dass bei, von der Norm
abweichendem A'erlauf der Ciliarnerven einzelne Aeste. die — wde es constatirt
552 Erkrankungen des Corp. ciliare.
ist — vielleicht weiter vorn sich in die Sclera senken, undurchschnitten bleiben:
ebenso kann eine Neubildung derselben wie in dem oben mitgeth eilten Fall er-
folgen oder auch ein Wiederhineinwachsen. So treten auch bisweilen nachträglich
wieder neue cyklitische Schmerzen ein, die eine nachträgliche Entfernung des
Bulbus indiciren. In einem derartigen Falle hat Asenfeld Neurome an den
durchschnittenen Nerven gefunden. Auch zeigt die oben mitgetheilte Beobachtung,
dass selbst nach der Neurectomie noch eine sympathische Affection sich aus-
bilden kann.
Andererseits ist es jedoch von Vortheil, ein gut aussehendes, wenn auch
blindes Auge dem Patienten zu erhalten. Man wird an Stelle der Enucleation die
Xeurectomia optico-ciliaris ausführen dürfen, wenn es sich um Augen handelt.
die erfahrungsgemäss nicht besonders gefahrdrohend sind, aber doch gelegentlich
zu sympathischen Leiden führen können: so bei manchen Verletzungen ohne Zu-
rückbleiben eines Fremdkörpers. Phthisische und schlecht aussehende Augen enu-
cleirt oder exenterirt man lieber, da ein künstliches Auge alsdann getragen werden
kann, das erheblich besser aussieht. Bei Kindern ist es allerdings bisweilen
wünschenswerth, den Bulbus zu erhalten, weil ohne ihn die betreffende Orbita zu-
sammensinkt und die Gesichtshälfte in ihrer Entwicklung leidet. Auch in den
Fällen, bei welchen die Patienten sich absolut der Enucleation widersetzen, wird
man dieses, in der Resel reinigende Auskunftsmittel ergreifen.
Einsetzen eines künstliehen Auges. Prothesis ocularis.
Nach der Exenteration oder Enucleation des Augapfels oder bei
Phthisis bulbi sucht man durch Einlegen eines künstlichen Auges (in
Gestalt einer dem erhaltenen Auge entsprechend bemalten, emaillirten
Porzellanschale , Fig. 159), den Verlust kosmetisch auszugleichen.
Neuerdings hat Snellen eine etwas andere Form des künstlichen Auges
eonstruirt: an Stelle der einfachen hohlen Schale ist noch eine zweite,
etwas flachere hinten angefügt, die sich dem Bul-
busstumpf besser anlegt; diese Modification macht
natürlich das künstliche Auge etwas schwerer. — Das
künstliche Auge bietet auch den Vortheil, dass die
j^g Lider besser beweglich werden; gewöhnlich hängt
ohne dasselbe das obere Lid leicht herab, da dem
Levator palpebralis superior die ausreichende Unterlage fehlt, auf der
er das Lid nach hinten zieht und so hebt: auch besteht öfters Entro-
pium. Ebenso wird bei Kindern der Verkleinerung der Orbitalhöhle
in etwas vorgebeugt. Kann man ihnen noch keine Stücke von Porzellan
anvertrauen, so benutzt man mit Vortheil Schalen von Celluloid oder
von in warmem Wasser biegsamen Vulcanit.
Man darf das künstliche Auge erst einsetzen, wenn die Conjunctiva
und der Stumpf reizlos sind; nie, wenn ein etwa vorhandenes phthisi-
sches Auge auf Druck noch empfindlich ist. Nach der Enucleation, bei
der die Sehnen der Muskeln an den Narbenstumpf anwachsen, macht
Einsetzen eines künstlichen Auges. 553
das eingesetzte künstliche Auge ganz ausreichende Bewegungen, noch
bessere nach der Exenteration oder wenn der Bulbus, selbst in ver-
kleinertem Zustande, erhalten geblieben ist. Es ist alsdann nicht immer
leicht, das künstliche Auge als ein solches zu erkennen. Allerdings
wird es bei excessiven Blickrichtungen immer etwas zurückbleiben:
auch haften gelegentlich kleine Schleimfäserchen auf der Cornea, die
bei einem sehenden Auge, da sie stören, durch Lidschlag sofort ent-
fernt werden.
Bisweilen hat die Einsetzung eines künstlichen Auges Schwierig-
keiten, wenn nach Exstirpationen, schlecht ausgeführten Enucleationen,
Verletzungen oder malignen Conjunctivalaffectionen der Bindehautsack
sehr geschrumpft ist. Man verwendet dann entweder besonders ge-
arbeitete Porzellanaugen oder schneidet die Celluloidschalen entsprechend
zu; durch Implantation von Kaninchenschleimhaut oder sonstige Ope-
rationen (siehe Symblepharon) das Terrain entsprechend zu vergrössern,
ist schwierig und gelingt nicht immer.
Das Einlegen des künstlichen Auges geschieht so, dass man zuerst
das obere Lid etwas abzieht und darunter die Schale schiebt, alsdann
durch Abziehen des unteren Lides auch den unteren Rand in die Orbi-
talhöhle gleiten lässt. Es darf keine Schmerzen verursachen, vor Allem
also nicht zu gross sein. Zum Herausnehmen wird eine etwas um-
gebogene Haarnadel nach dem Abziehen des unteren Lides unter den
unteren Band des künstlichen Auges geschoben. Während der Nacht
ist das Auge immer aus der Augenhöhle zu entfernen und nach
Reinigung mit destilhrtem Wasser in Watte aufzubewahren. Leichtere
Reizungen der Conjunctiva kann man mit häufigeren Einträufelungen
von physiologischer Kochsalzlösung bisweilen vortheilhaft bekämpfen.
Zur Ersetzung eines künstlichen Auges hat Chibret versucht, gleich nach
der Enucleation das Auge eines Kaninchens in die Augenhöhle durch Annähen
der Muskeln und der Conjunctiva einzuheilen. Es trat jedoch bei seinem und
Anderer Versuche bald Vereiterung ein, welche zur Herausnahme des implantirten
Bulbus zwang. Xur von Bradfort ist ein Fall bekannt, wo das Kaninchenauge,
dessen Sehnerv mit dem Nerven des enucleirten Auges vernäht worden war, ein-
heilte und noch nach 12 Wochen eine normale Beschaffenheit zeigte.
3. Chorioiditis suppurativa. Panophthalmitis.
Die Affectionen der Chorioidea treten entweder ohne erhebliche Ex-
sudation und Eiterbildung auf und zeigen dann sich vorzugsweise bei der
Augenspiegeluntersuchung durch Gewebsveränderungen (Formen, die als
Chorioiditis disseminata, Chorio-Retinitis u. s. w. bereits ihre Beschreibung
554 Erkrankungen der Chorioidea.
gefunden haben), oder sie veranlassen mehr oder weniger ausgedehnte
Exsudationen, die unter stark entzündlichen Erscheinungen auf Netzhaut
und Glaskörper übersetzen. Der Process ergreift alsdann meist auch
die Regenbogenhaut, wenn er nicht, wie häufig, von einer Entzündung
dieser Partie der Uvea ausgegangen ist. Als Irido-Chorioiditis wird,
wie oben erwähnt, letztere AfFection bezeichnet, sobald die Exsudation
in den Glaskörper nicht besonders massenhaft und nicht direct eitriger
Natur ist. Besteht gleichzeitig eine Steigerung des intraocularen Druckes
und seröse Durchtränkung der Netzhaut, öfters mit flachen Abhebungen
derselben, so spricht man von einer Chorioiditis serosa: diese Affection
ist in voller Reinheit ausserordentlich selten.
Handelt es sich dagegen um stark eitrige und massenhafte Exsu-
dationen, so bezeichnet man den Process als Chorioiditis suppura-
tiva. Hier sind immer sehr hervortretende äussere Entzündungs-
erscheinungen vorhanden: starke pericorneale und conjunctivale
Injection, Oedem der Conjunctiva bulbi und Schwellung der Lid-
haut. Daneben Absonderung eines schleimig-eitrigen Conjunctival-
secrets. Der Bulbus ist hart. Der Glaskörper ist vollkommen un-
durchsichtig; die Iris hyperämisch verfärbt, Pupille eng, Kammerwasser
trüb, oft frühzeitig Hypopyon in der vorderen Kammer, die Cornea
leicht diffus getrübt. Das Sehvermögen ist fast ganz aufgehoben.
Dabei bestehen heftige Schmerzen im Auge und in der Stirn und öfters
Fieber.
Steigert sich die Entzündung noch mehr, sind auch Orbitalgewebe,
Cornea und Sclera betheiligt, so haben wir das Bild der Panophthal-
mitis. Hier ist der hochrothe, mit ödematöser Schleimhaut bedeckte
Bulbus oft so stark hervorgetrieben, dass man an eine retrobulbäre
Geschwulst denken könnte. Die Lider sind geröthet, ödematös und
können kaum geöffnet werden. Nach einigem Bestehen der Entzün-
dung entleert sich der Eiter aus dem Augeninnern entweder durch
eine bereits vorhandene Oeffnung (etwa durch ein Hornhaut-Ulcus
oder, wenn die PanOphthalmitis nach Operationen entstanden ist, durch
die Operationswunde), oder es bildet sich in der Sclera eine Per-
forationsstelle.
Bei der anatomischen Untersuchung von Augen mit suppurativer
Chorioiditis findet man grosse Massen von Eiterkörperchen im Stratum und der
(Japillarschicht, die eine erhebliche Verdickung bewirken und das Pigmentcpithel
oft weit fort gegen den Glaskörper drängen. Zwischen den unregelmässig ge-
formten Pigmentzellen des Epithels, soweit es als Schicht erhalten ist, sind eben-
falls ein und mehrkernige, auch granulirte Zellen eingestreut. Die Suprachorioi-
dea pflegt weniger afficirt zu sein. Die Iris ist öfters durch hinterliegendes Ex-
sudat stark nach vorn geschoben. Netzhaut und Papilla optica zeigen eitrige
Chorioiditis suppurativa. 555
Infiltrationen, erstere auch hämorrhagische Infarcte. Der Glaskörper ist bisweilen
in eine einzige Eitermasse verwandelt. An freien Stellen derselben findet man
graue hyaline Massen, Fäserehen und Fett. Die Sclera ist in der Umgebung der
Perforationsstelle meist verdickt.
Die Eiterung dauert lauge Zeit fort und erst in 6 bis 8 Wochen
schwinden die entzündlichen Erscheinungen. Der Augapfel ist nach
und nach erheblich kleiner geworden; die Cornea pflegt stark an ihrem
Unifange einzubüssen, wird abgeflacht, die vordere Kammer ist aufge-
hoben; auch von der Iris sind nur noch Reste zu sehen; die Pupille ist
geschlossen. Die Spannung des Stumpfes ist herabgesetzt: es ist eine
Phthisis (Atrophia) bulbi entstanden. Der Sehnerv wird atrophisch-, die
Atrophie sehreitet allmählich rückwärts bis zum Chiasma und bisweilen
darüber hinaus in beide Tractus.
Nicht immer steigert sich die Chorioiditis suppurativa zur Panoph-
thalmitis. Es kann, trotzdem eine Perforation der Sclera eingetreten
ist, zu einer Eitereinkapselung und einem Rückgange des Processes
kommen, so dass der Bulbus in seiner Form erhalten bleibt. In weniger
intensiven Processen stellt sich sogar ein gewisses Sehvermögen, wenn
auch selten, wieder her. Häufig wird die eitrige Chorioiditis durch
Verletzungen angeregt.
Während, wie Leber's Versuche zeigen, aseptische Körper
vom Auge in der Regel ohne lebhaftere Reaction vertragen
werden, tritt auf inficirende Eingriffe und auch auf manche
chemische Einwirkungen (beispielsweise durch Kupfer und Quecksilber;
weiter wären hierher noch die Stoffwechselproducte der Bacterien zu
rechnen) lebhafteste eitrige Reaction hervor. Aber auch secundär
werden durch Hornhaut- und Regenbogenhautentzündungen eitrige
Chorioiditen angeregt. Besonders gefährlich sind periphere Irisvor-
fälle und cystoide Vernarbungen. — Bisweilen entstehen ohne jeden
sichtbaren Anlass zur Panophthalmitis führende eitrige Chorioiditen in
scheinbar entzündungsfreien Augen: es handelt sich alsdann meist
um solche, die früher schwere Erkrankungen (Netzhautablösung, Irido-
Chorioiditis u. s. w.) oder Operationen (z. B. Starextraction) überstanden
haben. Auch in entzündungsfreien, staphylomatösen Augen habe ich
den Ausbruch einer Panophthalmitis unter Fiebererscheinungen ohne nach-
weisbare Ursachen beobachtet; es ist hier an endogene Infection zu denken.
Zu den eitrigen Chorioiditen, welche nicht gerade häufig in Pan-
ophthalmitis übergehen, gehört die metastatische Irido-Chorioiditis
oder metastatische Ophthalmie (Axenfeld). Sie findet sich be-
sonders bei länger dauernder Pyämie, wie sie beim Puerperalfieber
und nach inficirenden Verletzungen oder chirurgischen Operationen
vorkommt. Es handelt sich meist um eitrige Thrombophlebitis, von der
556 Erkrankungen der Cborioidea.
aus das inficirte Material verschleppt wird. Die inneren Allgemein-
krankheiten, bei denen metastatische Ophthalmien vorkommen, gehören
oft der kryptogenetischen Septikämie (Leube) an, bei denen sich keine
primären Affectionen finden, welche den Mikroben als Eintrittsstelle
dienen: es sind hier Fälle einzureihen, die unter dem Bilde des acuten
Gelenkrheumatismus, Typhus, der Meningitis, Miliartuberculose oder un-
bestimmter Fiebererscheinungen verlaufen. Li anderen zahlreichen Fällen
entsteht die Augen-Affection bei Infectionskrankheiten: acuten Exan-
themen, Diphtherie, Erysipel, Typhus, Pneumonie, Cerebrospinalmeningitis,
Febris recurrens, Pocken, Parotitis epidemica. Bisweilen erscheint sie
als einzig nachweisbare Metastase. Ueberaus häufig findet sich gleich-
zeitig Endocarditis ulcerosa.
Als Ursache der metastatischen Ophthalmie sind septische Embolien,
besonders in den Capillaren der Retina (Axenfeld) anzusehen, erst
später pflegt die Chorioidea afficirt zu werden. Störungen in der Blut-
circulation scheinen die Ansiedlung der Bacterien zu unterstützen und
so können auch maranthische Thrombosen den Ausgangspunkt des Leidens
bilden. Man hat Streptokokken, seltener Staphyloccus pyogenes aureus
und Pneumococcus gefunden.
Die metastatische Ophthalmie tritt in etwa ein Drittel der Fälle
doppelseitig auf. Sie bietet meist eine schlechte Prognose auch für
das Leben; häufiger sind Heilungen bei einseitiger Augenerkrankung.
Jedoch sind bei Puerperalfieber einzelne Fälle von selbst doppelseitigen
metastatischen Ophthalmien ohne letalen Ausgang beobachtet worden
(Hirschberg U.A.). Iridochorioiditen bei Pneumonien und Meningitis
haben keine prognostische Bedeutung.
Für das Auge selbst ist die Prognose bei ausgeprägter Panoph-
thalmitis immer schlecht; massige eitrige Chorioiditen können wenig-
stens mit Erhaltung der normalen Form des Augapfels enden. Dass
ein geringes Sehvermögen sich wiederherstellt, kommt, wie erwähnt,
nur selten vor. —
Die Behandlung des erkrankten Auges wird im Beginn ent-
zündungswidrig sein müssen: Blutegel an die Schläfe, Atropin, Stirn-
salbe, Ableitung auf den Darmcanal. Auch Eisumschläge können
versucht werden; ebenso subconjunctivale Sublimat- oder Kochsalz-
Injectionen. Bei inficirten Wunden ist die Anwendung des Galvano-
cauters und der Aqu. chlori empfehlenswerth ; auch das Einführen
von Jodoform kann versucht werden (Ha ab). Gegen die Schmerzen
sind Narcotica zu reichen. Ist es zu einer ausgesprochenen Panoph-
thalmitis gekommen, so dienen zur Beschleunigung des Ablaufes
lauwarme Kataplasmen; dieselben müssen aber sehr klein sein, um
keinen Druck auf das hervorgetriebene, schmerzhafte Auge zu üben.
Chorioiditis suppurativa. 557
Sollten sie, wie es nicht selten der Fall., die Schmerzen steigern, so
muss man davon absehen. Das Einstechen in den Bulbus, um die
Eiterentleerung zu beschleunigen, ist nicht zu empfehlen. Einmal kommt
es dabei leicht zu stärkeren Blutungen, und weiter ist der Effect nicht
erheblich, da der Eiter in der Begel nicht so dünnflüssig ist, um
gleich in grösserer Menge herauszukommen. Noch weniger anzurathen
ist die Enucleation des Bulbus, da dieselbe, in diesem Entzündungs-
stadium ausgeübt, durchaus nicht ungefährlich ist und öfters zu tödt-
liehem Ausgange geführt hat. Eher kann man die Exenteratio vor-
nehmen.
Vierter Theil.
Erkrankungen der Augenmuskeln, der Orbita,
der Augenlider und der Thränenorgane.
Erstes Kapitel.
Erkrankungen der Augenmuskeln.
Anatomie.
Das Auge wird durch sechs Muskeln bewegt: Rectus superior, Rect.
inferior, R. externus (s. abducens s. lateralis), R. internus (s. medialis),
Obliquus superior und Öbliquus inferior (Figur 160). Die Recti nehmen
ihren Ursprung an der Periorbita in der Nähe desForamen opticum und um-
schliessen hier eng den Sehnerven und den Nervus oculomotorius, alsdann
gehen sie auseinander, laufen anfangs dicht an den entsprechenden Orbital-
wänden und wenden sich darauf, durch das Fettzellgewebe der Augenhöhle
streichend, dem Bulbus zu, in dieser
Weise eineArtTrichterbildend.Um TrocMea
zu ihr ein Anlief tungspunkt an den
vorngelegenen Theil der Sclera
zu kommen, durchbohren sie die
Tenon'sche Kapsel. Letztere
stellt eine aus lockerem Bindege-
webe bestehende Schicht dar,
welche als Grenzmembran des
Fintzellgewebes aufzufassen ist.
Sie schliesst dasselbe gegen den
Bulbus hin ab und verbindet sich
vorn mit der Conjunctiva. Die
Fascien der geraden Augenmuskeln senden in die T e n o n ' sehe
Kapsel Ausläufer; mittels einzelner durch das 'Fettgewebe hindurch-
streichender Bindegewebszüge stehen sie aber auch mit der Orbital-
wand in Zusammenhang und bilden so Hemmungsvovrichtungen gegen
eine übertriebene Wirkung der Muskeln (Merkel). Die Sehnen setzen
sich, nachdem sie durch die Tenon'sche Kapsel hindurchgegangen,
meist in bogenförmigen Anheftungslinien vorn an die Sclera. Sie stehen
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 36
Drehpunkt
OWicra.inf.
160.
Rechtes Auge.
562 Erkrankungen der Augenmuskeln.
ausserdem noch an ihrer dem Bulbus zugekehrten Fläche, ebenso wie
an ihren Seitenrändern durch mehr oder weniger starke Bindegewebs-
bündel mit dieser Membran in Verbindung: ein Verhalten, welches bei
der Schieloperation in Betracht kommt indem zur Erreichung stärkerer
Rücklagerung des Muskels nicht nur der Sehnenansatz, sondern auch
die sonstigen Verbindungen getrennt werden müssen. Die Entfernung
des Sehnenansatzes vom Hornhautrande zeigt bei den einzelnen Augen
erheblichere Abweichungen: eine von Merkel ausgeführte Reihe von
Messungen ergab im Durchschnitt für die Sehne des R. internus eine
Entfernung von 6-5 nim, für die des R. externus von (3-8 mm, flu den
R. superior von 8-0 mm, für den R. inferior von 7-2 mm. Am stärksten
ist die Musculatur des R. internus entwickelt, am schwächsten die des
R. superior. — Der Ursprung des Obl. superior befindet sich etwas
nach vorn von dem des R. internus, dicht unter dem des Levator
palpebr. superioris. An der oberen Wand der Augenhöhle entlang
ziehend, geht seine Sehne über die Trochlea am inneren Theile des
oberen Orbitalrandes, schlägt sich dann in einem Winkel von circa
58 Grad wieder nach hinten zurück und setzt sich, unter dem Rectus
superior durchtretend, an der hinteren Hemisphäre des Bulbus und zwar
am oberen und äusseren Quadranten desselben an. Der Obli-
quus inferior entspringt im Gegensatz zu obigen Muskeln vorn in der
Xähe des unteren Orbitalrandes an der medialen Augenwand, geht,
zwischen Bulbus und R. inferior sowie später zwischen Bulbus und
R. externus gelegen, an die hintere Hemisphäre des Auges und setzt
sich gegenüber der Sehne des Obliquus superior daselbst an.
Der Rectus superior, inferior, internus und der Obliquus inferior
werden vom Oculomotorius innervirt, der R. externus vom Abducens,
der Obliquus superior vom X. trochlearis.
Die Ursprungsstelle des Oculomotorius im Gehirn liegt zum Theil
am Boden des dritten Ventrikels, zum Theil unter dem Aquaeductus Sylvii.
Seine Wurzelfasern ziehen durch die Haube des Hinischenkels und treten
zwischen dieser und dem Hirnschenkelfuss an die Oberfläche der Gehirn-
basis. Vorher findet eine partielle Kreuzung derselben statt. An der
Gehirnbasis verläuft der Oculomotorius zuerst nach vorn und aussen.
lagert sich dann in die oberere äussere Wand des Sinus cavernosus ein und
tritt schliesslich, in zwei Aeste getheilt, durch dieFissura orbitalis superior
mit den anderen Nerven in die Orbita. Der Trochleariskern liegt
weiter nach hinten, unterhalb der grauen Masse, welche den Aquaeductus
Sylvii umgiebt: seine Fasern kreuzen sich mit denen der anderen Seite
vollständig. Schliesslich am Boden des vorderen Theiles des 4. Ven-
trikels — vom Trochleariskern noch durch die zwischenliegenden Tri-
geniinuskorne getrennt, aber andererseits durch die „hinteren horizontalen
Anatomie der Augenmuskeln.
563
Fasern* (Flechsig) verbunden ■ — liegt der Kern des Abducens, dessen
Fasern, auf derselben Seite bleibend, durch die Brücke zur Oberfläche
ziehen. In seinem weiteren Verlauf durchbohrt er die hintere Wand
des Sinus cavernosus und liegt an der äusseren Seite der Carotis interna.
Man unterscheidet am Oculomotorius-Ursprung eine Reihe von Kernen;
über deren Bedeutung und Lage gehen aber die Meinungen auseinander. Während
Bernheim er das nachstehend gezeichnete Schema der Lage der Kerne und ihrer
Bedeutung für die einzelnen Augenmuskeln giebt, wird von Bach eine wirkliche ana-
tomische Gliederung des Oculomotoriusursprungs überhaupt geleugnet. — Am meisten
vorn liegen nach Bernhei-
mer die Mediankerne für
Sphincter iridis (entsprechend
den kleinzelligen Medianker-
nen von Edinger-West-
phal).
Für die Convergenz-
1 > e\v e g u n g a ccommodative
Bewegung) muss an ein be-
sonderes Convergenz-Cen-
trum gedacht werden: das
selbe würde bei einer doppel-
seitigen Innervation des Rec-
tus internus (cf. Schema von
Bemheimer) in den betref-
fenden Kernen zu suchen sein.
Um die Ausführung der
Bewegungen nach rechts und
nach links auf Grund eines
Xervenimpulses zu erklären,
muss eine Verbindung des
Abducenskernes eines Auges
mit den Oculomotoriuskernen
Reetus internus) des anderen
Auges angenommen werden
cf. das Schema von Bern-
heimer). Diese assoeiir-
ten Bewegungen (auch
co njugirte Bewegungen ge-
nannt; nach rechts und links,
nach oben und unten scheinen unter normalen Verhältnissen von der Sehsphäre
Munk und Schäfer; ausgelöst zu werden. Von letzterer gehen theils Fasern
zu den subcorticalen Bewegungscentren, welche die unwillkürliche Bewegung der
Augen erregen, bei denen die Blickrichtung auf vorher undeutlich Gesehenes
gewendet wird, theils gehen Associationsfasern zu den motorischen Rindenfeldern,
welche der willkürlichen Bewegung vorstehen. Diese Rindenfelder liegen für das
Auge nach Ferrier im Gyrus angularis, nach Hitzig in der vorderen Central-
Avindung, nach Wer nicke im unteren Scheitelläppchen. Als weitere Centren für
die conjugirten Bewegungen werden die Yierhügel genannt (Adamück). Auch
das Kleinhirn soll einen Einfluss auf die Augenstellung haben; experimentelle
Reizungen brachten Nystagmus hervor 'Rüssel).
36*
161.
Schematisehe Flächenprojection der Zellgruppen in den
Seitenhauptkernen und den Nebenkernen. Nach Bemheimer.
Die dicken Striche zeigen die Fasern, welche gekreuzt ver-
laufen, die dünnen die ungekreuzten, die unterbrochenen
(beim R. internus und Obliquus inferior), diejenigen, die bei
verschieden verlaufenden Fasern diekleinere Anzahl bedeuten.
564 Erkrankungen der Augenmuskeln.
Für den Levator palpeprae superioris wird ein motorisches Centrum am oberen
Ende der vorderen Centralwindung der entgegengesetzten Hirnhemisphäre an-
genommen (Hitzig).
Der Facialiskern liegt am Boden des 4. Ventrikels noch weiter nach hinten.
Nach Mendel's Annahme ist der Kern des Augenfacialis (M. orbicularis pal-
pebrarum und M. frontalis innervirend) von denen der übrigen Facialisäste getrennt:
er verlegt ihn in den hinteren Theil des Oculomotoriuskernes. Klinisch wird diese
Annahme dadurch gestützt, dass bei der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, wo
centrale Facialislähmungen vorhanden sind, gerade obige Aeste freibleiben, während
sie bei peripheren Lähmungen mit getroffen sind.
A. Allgemeiner Theil.
Physiologische Wirkung der Augenmuskeln. Schielen.
Wirkung der Augenmuskeln. Durch die Muskeln wird der
Bulbus wie in einem Kugelgelenk liegend nach allen Richtungen hin
bewegt. Der Drehpunkt, um den diese Bewegungen ausgeführt werden,
entspricht nicht ganz dem Mittelpunkt des Augapfels, 'sondern liegt
über 1 mm hinter ihm, durchschnittlich 13-5 mm hinter dem Hornhaut-
scheitel (D o n d e r s , V o 1 k m a n n). Er hat eine andere Lage im
emmetropischen, myopischen und hyperopischen Auge. Auch übt die
durch Verschiedenheit in der Länge der Augenachse bedingte Refrac-
tionsametropie einen Einfluss auf die Excursionsweite der Beweglichkeit
aus; die der eiförmigen kurzsichtigen Augen pflegt geringer zu sein.
Der am Perimeter gemessene Winkel zwischen äusserster Wendung
des Auges temporalwärts und medialwärts (Blickfeld) schwankt etwa
zwischen 85 Grad und 110 Grad, dabei übertrifft die Innenwendung-
die Aussenwendung um einige Grade; bei Myopen ist dies öfters um-
gekehrt. Meist kann das Auge so weit nach aussen gerichtet werden,
dass der äusserste Punkt des Hornhautrandes den äusseren Lidwinkel
fast oder ganz erreicht, während|bei^stärkster Innenwendung eine auf
dem unteren Thränenpunkt errichtete Senkrechte fast die Mitte der
Pupille schneidet. Das Maximum dieser Excursion kommt nur zu Stande
bei gleichzeitiger Bewegung beider Augen nach rechts und links (bei
.i'ssociirten Bewegungen), nicht wemi man etwa die Innenwendung
durch binoculare Fixation eines stark genäherten Gegenstandes (aecom-
modative Bewegung) erzielen will.
Die Wirkung des einzelnen Muskels ergiebt sich aus der Lage
seines Ursprunges, seines Ansatzes [am Auge undE[dcs Drehpunktes.
Denkt man sich durch diese drei Punkte eine Ebene gelegt, so ent-
spricht dieselbe der Ebene des Muskelzuges, und ein auf dieser Ebene
im Drehpunkt errichtetes Loth ist die Drehungsachse, um welche die
Physiologische Wirkung der Augenmuskeln.
51)5
Bewegung des Au^es erfolgt. Ihre Lage bleibt im Ganzen ziemlich
unverändert, welche Richtung auch die Blicklinie (Verbindung- des Dreh-
punktes mit dem fixirten Object) haben mag.
Von den sechs Augenmuskeln haben
je fcwei dieselbe Drehungs-
achse, um welche sie das Auge im antagonistischen Sinne bewegen.
Die Drehungsachse des R. internus und externus liegt in der sagittalen
(verticalen) durch den Drehpunkt des Auges gehenden Ebene und zwar
senkrecht von oben nach unten. Die des R superior und inferior liegt
in der horizontalen durch den Drehpunkt gehenden Ebene, aber nicht
gerade von aussen nach innen, sondern so7 dass das innere Ende der
Drehungsachse etwas nach vorn, dasr äussere etwas nach hinten gerich-
tet ist (Figur 162 RR); der Winkel zwischen ihr und dem genau trans-
versalen Durchmesser beträgt ungefähr
23 Grad (v. G-raefe). Die Drehungsachse
der Obliqui liegt ebenfalls annähernd in
der horizontalen Durchschnittsebene des
Auges, sie hat aber eine Richtung von vorn-
aussen nach hinten-innen (Figur 162 00)
und zwar weicht ihr vorderer Endpunkt
circa 37 Grad von der gerade von vorn
nach hinten gehenden optischen Achse ab
(Volk mann).
Aus der Lage der Drehungsachsen
lässt sich mit Leichtigkeit die von den
einzelnen Muskelpaaren ausgeübte Bewe-
gung des Augapfels ersehen. Es ist dabei
zu beachten, dass ausser den Veränderungen
in der Richtung der Blicklinie (Verbindung
des fixirten Objectes mit dem Drehpunkt) auch noch eigentliche Rota-
tionen des Bulbus selbst (Raddrehungen) eintreten können.
Zur Bestimmung der letzteren benutzt man vorzugsweise das Ver-
halten des verticalen Meridians (V. M.), d. h. des Meridians, in welchem
eine durch den vorderen und hinteren Augenpol senkrecht gelegte
Ebene die Bulbusoberfläche schneiden würde. Wenn bei den Rad-
drehungen die obere Hälfte des V. M. (nach dieser wird immer be-
stimmt) sich nach der rechten Seite des Untersuchten dreht, so spricht
man von positiver Raddrehung und umgekehrt bei Linkswendung von
negativer, oder mit anderen Worten, wenn das Irisrad nach rechts
läuft, wird die Bewegung positiv, wenn es nach links läuft, negativ
genannt.
Man geht
Ruhestellung
162.
Linkes Auge.
HV Blieklinie. A aussen. J innen.
00 Drehungsachse des Obliquus su-
perior und inferior. ER Drehungs-
achse des Eectus superior u. inferior.
bei der Wirkung der Muskeln von der
oder Normalstellung der Augen aus
sogenannten
einer Stellung,
566 Erkrankungen der Augenmuskeln.
bei welcher der Blick beider Augen in horizontaler Richtung mit parallelen
Augenachsen in die Ferne gerichtet ist.
Wirkung des ersten Muskelpaares. Der R. internus zieht
das Auge gerade nach innen, der R. externus gerade nach aussen.
Zweites Muskelpaar. R. superior zieht das Auge nach oben;
da aber seine Achse nicht vollkommen horizontal, sondern etwas von
vorn-innen nach hinten-aussen verläuft, auch gleichzeitig etwas nach
innen. Dabei wird V. M. mit seinem oberen Ende nach innen gedreht.
- R. inferior zieht das Auge nach unten und etwas nach innen; der
obere Theil des V. M. wird nach aussen gedreht.
Drittes Muskelpaar. Obliquus superior, der sich an der hinter
dem Drehpunkt gelegenen oberen Augenhälfte ansetzt, zieht diese
nach oben-innen; es geht demnach der vordere Augenabschnitt bezw.
die Hornhaut nach unten und etwas nach aussen. Der V. M. wird mit
seinem oberen Theil nach innen gedroht. — Obliquus inferior zieht die
obere hinter dem Drehpunkt gelegene Augenhälfte nach unten-innen,
die Cornea oder das Auge geht demnach nach oben und etwas nach
aussen. Der V. M. wird mit seinem oberen Theil nach aussen ge-
dreht. —
Aus dieser Wirkungsweise der Muskeln folgt, dass bei den Augen-
bewegungen nach oben und unten die in Betracht kommenden Muskeln
gleichzeitig Raddrehungen machen, die einander entgegen wirken. Bei
einer ganz bestimmten Ausgangsstellung der Augen lässt sich die Be-
wegung gerade nach oben oder nach unten ausführen, ohne dass eine
Drehung des verticalen Meridians erfolgt, weil die Wirkungen des R.
superior und Obliquus inferior bezw. des R. inferior und Obliquus
superior auf die Raddrehung sich gegenseitig aufheben. Diese Stellung,
welche individuell verschieden ist und von der die oben angegebene
Normal- oder Ruhestellung meist dadurch abweicht, dass die Augen nicht
ganz horizontal, sondern ein wenig gesenkt in die Ferne gerichtet sind,
bezeichnet man als Primärstellung, die aus ihr hervorgehenden als
Secundärstellungen. Bei allen anderen Blickrichtungen erfolgen
Raddrehungen. Aber mit jeder gegebenen Blickrichtung ist ein be-
stimmter Grad der Raddrehung vei'knüpft; so beim Blick des Auges
nach oben-aussen und unten-innen eine Drehung temporalwärts, hingegen
beim Blick nach oben-innen und unten-aussen medialwärts (Donders-
sches Gesetz). Man kann sich die Art der Raddrehung leicht merken,
indem sie immer der Wirkung des Muskels entspricht, welcher seiner
Zugkraft nach vorzugsweise die Blickrichtung bestimmen müsste. Also
beispielsweise beim Blick nach oben-innen tritt eine mediale Neigung
des V. M. hervor, wie sie vom R. superior, der das Auge nach oben-
innen zieht, geübt wird. In Wirklichkeit aber kommt die intermediäre
Physiologische Wirkung- der Augenmuskeln. 567
Stellung liier in anderer Weise zu Stande. Es verbinden sich nämlich
die beiden Heber (R. superior und Obliquus inferior) mit dem Innen-
wender (R. internus) zu gemeinsamer Wirkung. Dass bei dieser G-e-
sammtwirkung gerade der R. superior gegenüber dem Obliquus inferior
die Raddrehung beeinflusst, ist Folge der durch die Wirkung des R. in-
ternus bedingten Innenwendung des Auges (Adductionsstellung).
Wir haben gesehen, dass die Drehungsachse des R. superior und inferior
nicht gerade transversal durch das Auge läuft, sondern mit ihrem
inneren Ende etwas nach vorn, mit ihrem äusseren Ende etwas nach
hinten abweicht. Da nun ferner die Lage der Drehungsachsen im
Räume trotz verschiedener Blickrichtung (oder mit anderen Worten bei
jeder Stellung des Auges) immer dieselbe bleibt, so kann, falls wir uns
das Auge sehr stark nach innen gerichtet denken, etwa so stark, dass
die Blicklinie mit der Drehungsachse des R. superior zusammenfiele,
dieser Muskel bei seiner Contraction das Auge nur radförmig um die
Blieklinie drehen. Die Hauptwirkung des R. superior auf die Rad-
drehung tritt demnach ein bei einer Stellung des Auges, bei der die
Blicklinie sich dem Verlauf seiner Drehungsachse nähert, d. h. in der
Adduction.
Hingegen wird die stärkste Wirkung des R. superior auf die He-
bung des Auges vorhanden sein, wenn die Blicklinie senkrecht auf
seiner Drehungsachse steht, d. h. wenn die Blicklinie stark nach aussen
gerichtet ist (Abductionsstellung). Dieser Einfluss der Blickrich-
tung auf die Wirkung der Muskeln ist von hervorragender Bedeutung
besonders bei Lähmungen. So würde bei einer Lähmung des R. superior
des linken Auges, wenn der Blick stark nach innen gewendet ist, eine
versuchte Hebung zwar erfolgen, da in dieser Stellung der Obliquus in-
ferior fast allein die Hebung besorgt, aber mit unregelmässiger Rad-
drehung ( temporalwärts) verknüpft sein. Ist hingegen der Blick stark
abducirt, so würde die Hebung des Auges ausbleiben. — Natürlich
gelten diese Betrachtungen in gleicher Weise für den Einfluss der Blick-
stellung auf die Wirkung der Obliqui; letztere heben oder senken das
Auge vorzugsweise bei Adduction, rotiren es bei der Abduction.
Projection. Beim directen Sehen wird die Macula lutea auf den
Gegenstand eingestellt. Die Verbindung des Objectes mit seinem Netz-
hautbilde bezeichnet man als Richtungslinie (Projections- oder Visirlinie).
Die Richtungslinien c c,, b bl und a a: kreuzen sich im Kreuzungs-
punkt k (Figur 163), der für nicht zu peripher gelegene Punkte seiner Lage
nach mit dem Knotenpunkt des Auges zusammenfällt. Die Richtungslinie
c c1; welche die Macula mit dem direct angesehenen Punkt c verbindet,
fällt mit der Gesichts- oder Sehlinie zusammen und geht durch den
Drehpunkt. Für die Richtungslinien des indirecten Sehens trifft letz-
568
Erkrankungen der Augenmuskeln.
teres aber nicht zu. Die Richtung- und Lage eines Objectes im Räume
rinden wir, wenn wir das Netzhautbild desselben mit dem Kreuzungs-
punkt der Richtungsstrahlen verbinden und diese Linie nach aussen
verlängern,
Ueber den Ort des Kreuzungspunktes der Richtungsstrahlen bei
den verschiedenen Augenstellungen und Blickrichtungen sind wir durch
den Nervenimpuls, den wir auf die Augenmuskeln wenden, genügend
unterrichtet, und so können wir das central Gesehene im Räume wenig-
stens seiner Richtimg- nach, wenn wir die Entfernung nicht berücksich-
tigen, entsprechend localisiren. Die den peripheren Netzhautbildern zu-
gehörigen Objecte werden im Verhältniss zu ihrer Excentricität neben
und um das central Gesehene gruppirt: ein Vorgang, der, psychischer
Natur, nur seine Anregung von der peripheren Reizung erhält. Im
Grossen und Ganzen steht die Pro-
jektion der peripheren Netzhaut-
bilder im Veihältniss zu der ana-
tomischen Entfernung des Netz-
hautbildes von der Macula: das
nach oben gelegene Netzhautbild
wird nach unten, das nach rechts
gelegene nach links projicirt.
163- Das binoculare Sehen giebt
uns, vorzugsweise durch das Maass
des Impulses zur Convergenz der Augenachsen, die factische Lage des
central fixirten Objectes, während das monoculare mehr auf die Rich-
tung leitet. Das Object liegt unserer Anschauung nach dort, wo die
Sehlinien beider Augen sich in der Aussenwelt schneiden.
Es wird demnach mit beiden Augen einfach gesehen, wenn beide
Netzhautbilder auf denselben Ort im Räume projicirt werden. Es be-
ruht dies auf einer unter Zuhülfenahme der anderen Sinne, besonders
des Tastgefühls, ursprünglich gewonnenen Erfahrung, die jetzt aber in
der Regel und Norm auf Grund der Erfahrung früherer Geschlechter
uns angeboren ist. Im Grossen und Ganzen — doch nicht ausnahmslos,
was besonders unter pathologischen Verhältnissen hervortritt — - sind
die Netzhautbilder beider Augen, welche auf ein und dasselbe Object
im Räume bezogen werden, auch anatomisch identisch.
Legt man die hinteren Abschnitte beider Augen so ineinander,
dass Macula auf Macula liegt, so hat man in den sich deckenden Netz-
hautpunkten die anatomisch -identischen. Letztere sollen nach der so-
genannten Identitätslehre stets mit den phvsiologisch - identischen
correspondiren : dies trifft, wie oben bemerkt, allerdings meist, aber
nicht immer zu. Es ist bezüglich der Localisation der Netzhautbilder
Physiologische Wirkung der Augenmuskeln. 569
identisch die temporale Hälfte des rechten Auges mit der nasalen des
linken u. s. w. In Figur 164 werden demnach neben Punkt c auch
noch Punkt a und Punkt b einfach gesehen, weil sie ihre Netzhaut-
bilder auf die identischen Punkte ax und b, entwerfen.
Fallen die Netzhautbilder eines Gegenstandes nicht auf solche
correspondirende Punkte, so erscheinen dieselben doppelt (Diplopie). -
Bei normaler Stellung beider Augen schneiden sich, wie wir ge-
sehen, die Sehlinien in dem fixirten Objecte. Wir behalten diese Ein-
stellung beider Augen auf das fixirte Object in der Eegel auch bei,
wenn ein Auge nicht sieht: so z. B. wenn wir es mit der Hand be-
decken. Einmal wirkt hier die Accommodation, dann aber auch das „Con-
vergenzgefühl" (Alfr. Graefe) oder der „Nahezwang" (Hans en). Aber
leichte Abweichungen von der Richtungslinie kommen dabei doch häufig
vor: eine ganz correcte Einstellung beider Augen
für die Dauer wird im Grossen und Ganzen nur
durch den binocularen Sehact gesichert, der even-
tuell auch kleine Schwächen in der Muskelwirkung
durch entsprechende stärkere Innervation aus-
gleicht. Blindgewordene Augen pflegen meist
nach einiger Zeit abzuweichen: bei jugendlichen
Individuen nach innen, bei älteren nach aussen.
Weicht ein Auge von der richtigen Stellung
ab, so bezeichnen wir dies als Schielen. Wir
constatiren die sichtbare Abweichung eines
Auges (manifestes Schielen) in der Weise, dass
wir in einiger Entfernung einen zu fixirenden 1"^-
Gegenstand vorhalten. Alsdann bedecken wir das
eingestellte Auge mit der Hand und beobachten, ob das frei bleibende
seine Stellung etwa verändert, um sich einzurichten. Darauf kann man,
nachdem beide Augen wieder freigegeben und zur Fixation veranlasst
sind, der Sicherheit wegen dasselbe Verfahren auch mit dem anderen Auge
vornehmen. Bei nicht correcter Einstellung wird die zur Fixation erfor-
derliche Stellungsveränderung (abgesehen von etwaigen einseitigen Er-
blindungen oder den Fällen, wo nicht mehr die Macula lutea, sondern eine
excentrischeNetzhautpartie zum Sehen benutzt wird) deutlich hervortreten.
Man darf aber den Versuch nicht so anstellen, dass man fixiren lässt,
während das eine Auge verdeckt ist, und nun dieses freilassend, das
andere sofort verdeckt. Hier wird öfters das früher verdeckte Auge
eine Einstellungsbewegung (dynamisches oder latentes Schielen) machen,
trotzdem bei vorhergegangener binocularer Fixation eine durchaus
correcte Stellung bestand, da im Interesse des binocularen Sehactes
570
Erkrankungen der Augenmuskeln.
die kleine Kraftverschiedenheit der Muskeln durch einen erhöhten
Nervenimpuls auf den schwächeren Muskel ausgeglichen war.
Nach den Hauptrichtungen, die das abgewichene Auge einschlägt,
unterscheidet man: 1) Strabismus eonvergens s. internus. Hier
schneidet die Sehlinie des nach innen abgelenkten Auges die des einge-
richteten vor dem fixirten Gegenstande. Das Bild desselben fällt dem-
nach auf die nasale Netzhauthälfte dieses Auges. Dementsprechend
wird es auf einen scheinbar temporalwärts befindlichen Gegenstand be-
zogen. Das Bild des linken Auges steht links, das Bild des rechten
Auges steht rechts. Derartige Doppelbilder nennt man gleichnamige
oder gleichseitige.
Es sei beispielsweise das linke Auge nach innen gewendet (Figur 165),
während das rechte den Punkt c fixirt. Die Doppelbilder würden als-
dann nach der, bezüglich pathologischer Verhält-
nisse besonders von Alfr. Graefe und Nagel
vertretenen Projectionslehre in folgender Art
zu Stande kommen.
Das Bild des Punktes c, welches im rechten
Auge die Macula lutea (m) trifft, fällt im linken
Auge auf die innere Netzhauthälfte (ct ) und wird
dementsprechend nach aussen (links) auf einen
Punkt c2 projicirt. Auf Grund früherer Erfah-
rungen nämlich weiss der Patient, dass der gleich-
massig beide Augen treffende Nervenimpuls, der
zur Einrichtung auf Punkt c erforderlich ist, den
165. Knotenpunkt der Richtungslinien nach k verlegt.
Die Lage von k ist aber erfahrungsgemäss für
beide Augen eine in der Weise übereinstimmende, dass die Verbindungs-
linie zwischen Macula lutea und Object in jedem Auge durch k geht.
Es wird demnach in beiden Augen k symmetrisch liegen. Bei einer ab-
normen Convergenz des linken Auges (L) rückt der Kreuzungspunkt
aber nach kr Da nun der Patient nach der ihm vorschwebenden
Lage (k), nicht nach der reellen Lage (kt), des Kreuzungspunktes der
Richtungsstrahlen das Netzhautbild (ct) projicirt, so wird er das Bild ^
des linken Auges als einem Object entsprechend auffassen, das in der
Verlängerung der Richtungslinie c, k in c2 liegt. — Bei der falschen
Projection beim Lähmungsschielen wird weiter hierauf eingegangen
werden.
2) Strabismus divergens oder externus. Die Sehlinie des ab-
gelenkten Auges würde die Verlängerung der Verbindungslinie zwischen
Hxirendem Auge und fixirtem Gegenstand erst hinter letzterem schneiden;
das Auge ist nach aussen gewendet. Die Lichtstrahlen, welche, von
Physiologische Wirkung der Augenmuskeln. 571
dem fixirten Gegenstände ausgehend, das eingestellte Auge in der Macula
treffen, fallen auf die temporale Seite des nach aussenabgelenkten Auges.
Die Projection des Gegenstandes erfolgt demnach von diesem Auge
nasalwärts. Es entstehen ungleichnamige oder gekreuzte Doppel-
bilder: das Bild des linken Auges liegt rechts.
3) Strabismus deorsum vergens, wo das abgelenkte Auge ab-
wärts gewendet ist; sein Doppelbild demnach über dem des fixirenden
Auges steht. 4) Strab. sursum vergens, wo das abgelenkte Auge
nach oben gewendet ist, sein Doppelbild also unter dem des fixirenden
Auges steht.
Künstlich kann man mit Hülfe von Prismen Schielen
hervorrufen und zwar vorzugsweise convergirendes und divergirendes.
Wenn man beispielsweise ein Prisma mit der Basis nach aussen vor das
linke Auge legt, so werden die von dem fixirten Punkte kommenden
Strahlen nach der Basis des Prismas hin abgelenkt, fallen also bei nor-
maler Einstellung des Auges nicht mehr auf die Macula, sondern auf
die temporale Hälfte der Netzhaut (vgl. Figur 18) und werden medial-
wärts projicirt: es entstehen ungleichnamige Doppelbilder. Ist aber die
Entfernung dieser Doppelbilder voneinander nicht zu gross, d. h. mit
anderen Worten, ist die ablenkende Kraft des Prismas nicht zu stark,
so bewirkt der psychische Widerwille gegen Doppelbilder ein entsprechen-
des Schielen des linken Auges, wodurch das Netzhautbild wieder auf
die Macula lutea gebracht wird. Es wird das Auge zum Ausgleich
unter dem Prisma nach innen schielen.
Man bezeichnet hiernach die Prismen, welche mit der Basis nach
aussen vorgelegt werden, auch als Adductionsprismen, — sie ad-
duciren das Auge; die Prismen, welche mit der Basis nach innen vor-
gelegt ein Auswärtsschielen bewirken, als Abductionsprismen.
Die psychische Anregung, welche im Interesse des Einfachsehens dieses
Schielen veranlasst, hat man Fusionstendenz genannt. Die Stärke
der Prismen, welche von den einzelnen Individuen durch Schielen über-
wunden werden können (Fusionsbreite), ist verschieden. Sie hängt
nicht nur von der Muskelkraft der beanspruchten Recti, sondern auch
von dem psychischen Widerwillen gegen Doppelbilder ab. Das über-
wundene Prisma kann demnach nicht ohne Weiteres als ein Maass für
die Stärke des beanspruchten Muskels gelten. Durchschnittlich wurden
in einer Versuchsreihe (Becker) beim Blick in die Ferne von Emme-
tropen mit musculärem Gleichgewicht durch Einwärtsschielen Prismen
von 13-2 °, durch Auswärtsschielen von 6-2 ° überwunden. —
Von Xagel ist die durch vorgelegte Prismen bewirkte Ablenkung in Meter-
winkel berechnet und eine Formel für die gesammte Fusionsbreite fConvergenz-
breite i ähnlich der Accommodationsbreite angegeben worden. Unter Meterwinkel
572 Erkrankungen der Augenmuskeln.
)n\\ versteht Nagel den Winkel, um welchen jedes Auge sich beim binoeularen
Sehen ;uis der Buhestellung nach innen drehen muss, um ein 1 m entferntes in
der Medianlinie liegendes Öbject zu fixiren. Beim Blick auf i/2 m Entfernung be-
stellt demnach eine Convergenz von 2 mir, beim Blick auf 5 m Entfernung eine
solche von ' 5 mw. Wenn man die Nummer eines vor ein Auge gehaltenen und
im Interesse des Kinfachsehens überwundenen Prismas mit 7 dividirt, so erhält
man annähernd die Ablenkung in Meterwinkel, welche jedes Auge macht: z. B.
14
Prisma 11° erfordert von jedem Auge eine Drehung von -=- = 2 mw. Die Fusions-
oder Convergenzbreite (amplitudo = a nach Landolt) ist gleich der Differenz
zwischen dein Maximum und Minimum der Convergenz (a = p [normaler Weise
ungefähr 10 mw] — r [normaler Weise = — V2 bis 1 mw, d. h. Divergenz für
die Ferne]). Die Bestimmung des Convergenznahepunktes c geschieht, indem man
ein ( >b je et in der Medianlinie so lange nähert, als es noch einfach gesehen wird
und dann die Entfernung von der Basallinie der Augen misst (z. B. V10 m5 dem-
nach p = 10 mw). Den Convergenzfernpunkt giebt das Prisma, welches beim
Blick in die Ferne noch durch Divergenz überwunden werden kann (z. B. 7°,
Basis nach innen = _ = 1 mw; der Divergenz wegen mit negativem Vorzeichen 1.
Ein Meterwinkel beträgt, wenn die Verbindungslinie der Drehpunkte beider Augen
64 mm lang ist, durchschnittlich 1IJ50'. —
Auf- und Abwärtsschielen im Interesse der Fusion von Doppel-
bildern ist nur in geringem Grade möglich; etwa entsprechend einem
Prisma von 1° bis 2 °, ein Moment, das bei der Hebung des Doppelt-
sehens bei den verschiedenen Schielformen von Bedeutung ist. Es be-
stehen jedoch nicht nur individuelle Verschiedenheiten sehr hohen
Grades; sondern es kommt auch in Betracht, vor welches der beiden
Augen das Prisma gelegt wird. Da nur dieses in Schielstellung rückt,
so wird bei Verschiedenheit in der Kraft der M. recti an den einzelnen
Augen auch eventuell ein verschieden starkes Prisma überwunden werden
können, je nachdem dasselbe vor das eine oder andere Auge gehalten
wird. Werden die Versuche mit sehr starken Prismen längere Zeit
fortgesetzt, so tritt Ermüdung ein und die früher überwundenen Prismen
können nicht mehr durch Schielen corrigirt werden. Der Act der Ver-
schmelzung der Doppelbilder geht so von Statten, dass die entfernt
stehenden Bilder sich zuerst langsam nähern, dann aber schnell und
plötzlich sich vereinen. Nach Versuchen, die ich angestellt, dauert die
Verschmelzung der Doppelbilder bei Anwendung der stärksten, von dem
betreffenden Individuum noch zu überwindenden Adductions- oder Ab-
duetionsprismen durchschnittlich 2% Secunde: doch bestehen auch hier
grosse individuelle Verschiedenheiten.
Die Ablenkung eines Auges erfolgt — wenn wir von mechanischen
Verschiebungen (Luscitas) durch Tumoren, Empyem der Stirn- oder
( »birkieferhöhle, Blutergüsse u. s. w. absehen — entweder dadurch,
dass ein Muskel gelähmt wird (Lähmungsschielen, Strabismus
1
Lähmung der Augenmuskeln. 573
paralyticus) oder im Gegensatz hierzu dadurch, dass ein Muskel —
sei es durch stärkeren Nervenimpuls, vermehrte Spannung, durch über-
wiegende Kraft oder durch seinen günstiger gelegenen Ansatzpunkt an
der Sclera — den Augapfel in seine Zugrichtung hinüberzieht. Man
bezeichnet letztere Form als eigentliches, typisches, musculäres oder
concomitirendes Schielen. Beide erwähnte Formen sind in ihrem
Wesen und ihrer Behandlung so verschieden, dass sie streng von-
einander"" getrennt werden müssen.
B. Specieller Theil.
1. Lähmung der Augenmuskeln.
I. Allgemeine Diagnose.
Wir haben es mit Paralysen und mit Paresen* zu thun; danach
werden die einzelnen diagnostischen Momente mehr oder weniger deut-
lich hervortreten.
1) Beschränkung in der Beweglichkeit nach der Zug-
richtimg des gelähmten Muskels hin. Bei Paralysen tritt der Bewegungs-
defect sehr deutlich hervor, bei Paresen ist er bisweilen kaum bemerk-
lich oder wenigstens nicht mit Sicherheit nachweisbar. Letzteres gilt
noch mehr für Blickrichtungen, bei deren Zustandekommen mehrere
Muskeln thätig sind, so beim Blick nach oben und nach unten. Hier
sind bei associirten Bewegungen der Augen eher die abnormen Rad-
drehungen des erkrankten auffällig, indem bei gleichem Nervenimpuls
für beide Augen der erkrankte Muskel in seiner Leistung zurückbleibt.
Man erkennt die Raddrehungen besonders, wenn man horizontal oder
vertical verlaufende Blutgefässe der Conjunctiva bei den betreffenden
Blickrichtungen ins Auge fasst; sie zeigen uns dann objectiv die Ver-
schiebung des horizontalen und verticalen Augenmeridians.
Die Prüfimg der Beweglichkeit erfolgt so, dass man den etwa
1 2 Meter vor dem zu untersuchenden Auge gehaltenen Finger zuerst
bei Schluss des anderen Auges, aber darauf auch unter dessen Mitbe-
theiligung so weit nach rechts und links, nach oben und unten und in
intermediären Richtungen herüberführt, als das Auge ihm folgen kann.
Es ist hierbei darauf zu achten, dass der Patient auch mit Aufmerk-
samkeit den Finger ansieht und ihn verfolgt. Xöthigenfalls werden
* Nach der Deutschen Heeresordnung machen zeitig untauglich (§ 8 Anlage 3)
Augenmuskellähmungen.
574 Erkrankungen der Augenmuskeln.
entsprechende kleine Hülfsmittel, wie Knallen mit den Fingern, Vor-
halten einer Uhr statt des Fingers u. s. w. anzuwenden sein. Ist das bezüg-
liche Auge sehschwach, so sind durch das andere Auge die associirten
Bewegungen einzuleiten. Immer wird ein Vergleich mit der Excursions-
fähigkeit des gesunden Auges nöthig sein, da die individuellen Grenzen
sehr verschieden sind. Besonders die Bewegungen der Augen nach
oben sind bei verschiedenen Individuen -- zum Theil aus Mangel an
Uebung — sehr wenig ausgiebig. Auch die Bewegung nach aussen
sehen wir oft unter dem normalen Maasse; bei manchen Personen mit
ganz gesunden Beet, externi bleibt der äussere Hornhautrand bei grösster
Seitwärtsstellung selbst 2 bis 2rl2 mm von der äusseren Lidcommissur
entfernt. Verdächtig auf pathologische Ursachen ist es, wenn die
äusserste Blickstellung nur stoss- oder ruckweise erreicht werden kann,
jedoch keinenfalls entscheidend.
Selbst wenn deutlich ein pathologischer Beweglichkeitsdefect nach
einer Seite vorhanden ist, so kann daraus noch nicht sofort eine Läh-
mung des betreffenden Muskels diagnosticirt werden. Auch beim con-
comitirenden Schielen sind derartige Defecte vorhanden. Hier wird
jedoch der Defect der Bewegung nach einer Seite ausgeglichen durch
ein Plus von Bewegung nach der entgegengesetzten. Beim Lähmungs-
schielen hingegen tritt ein factischer Ausfall von Bewegung ein.
2) Schielstellung der Augen. Dieselbe dürfte, wenn sie ein-
fach Folge einer ausbleibenden Muskelwirkung wäre, eigentlich nur ein-
treten, wenn die Blickrichtung beider Augen nach der Seite gewendet
ist, wohin der gelähmte Muskel das Auge zu richten hat. Dies trifft
in der That bei ganz frischen Lähmungen meist zu. Da aber der
Antagonist des gelähmten Muskels sein Gegengewicht verloren hat, zieht
er später in der Regel das Auge etwas zu sich hinüber, und so finden
wir bei der Paralyse eines Augenmuskels in einem grossen Gebiete des
gemeinsamen Blickfeldes die Schielstellung. Ja es kann selbst überall
Schielstellung eintreten, wenn der Antagonist in einen abnormen Con-
tractionszustand geräth, wenn sich also zum Lähmungsschielen ein eigent-
liches concomitirendes Schielen hinzugesellt.
Wenn auch im Grossen und Ganzen anzunehmen ist, dass die
Lähmung einen Muskel des abgewichenen Auges betroffen haben
wird, so kommen doch Ausnahmen dann vor, wenn das gesunde Auge
sehschwach ist. Hier wird das gelähmte Auge zur Fixation benutzt
und das gesunde schielt.
Die Messung der Schielstellung kann objeetiv durch Messung
der Augenablenkung geschehen oder subjeetiv durch Messung der Ent-
fernung zwischen den auftretenden Doppelbildern; bei letzteren spielen
allerdings noch mancherlei Momente mit, die später besprochen werden.
Lähumng; der Augenmuskeln.
575
Sehr einfach ist die Messung der Sehielstellung nach linearem Maass.
Bei Fixation eines Gegenstandes, der in bestimmter Entfernung in der
Mittellinie vor die Augen gehalten wird, misst man*an jedem Auge die
Entfernung in Millimetern zwischen dem Punkte des unteren Lidrandes,
der von dem mitten durch die Hornhaut gehenden verticalen Meridian
des Auges getroffen wird, und dem Thränenpunkte des-
selben Lides. Die Differenz, welche zwischen beiden
Augen bezüglich dieser Entfernungen besteht, giebt das
lineare Maass des Schielens (beispielsweise Strabismus
convergens von 4 mm u. s. w.). Man bedient sich hier-
bei mit Vorliebe eines kleinen Instrumentes von Lau-
renee (Strabometer), das eine Maasstheilung hat und
an «las untere Lid gelegt wird (Figur 166). Man kann
die Messung auch so machen, dass man, wenn z. W. das
rechte Auge fixirt, den Strabometer an dasselbe legt
und sich die Stelle merkt, wo der senkrechte Meridian
der Cornea die Maasstheilung trifft, alsdann das linke
Auge fixiren lässt und die hierbei erfolgende Ablenkung
des rechten Auges am Strabometer feststellt. Jedoch ist
diese Methode nicht immer zu benutzen, weil beim concomitirenden
Schielen wegen Sehschwäche häufig nur ein Auge den Gegenstand ge-
nau fixiren kann.
166.
Hirsehberg lässt nach einem 30 cm vom Patienten entfernten, in der Median-
ebene vorgehaltenen Licht blicken und betrachtet die von den Hornhäuten ent-
worfenen Eefiexbilder. Bei genauer Einstellung stehen sie beiderseits in der
Mitte der Pupille; schielt ein Auge, so rückt das betreffende Cornealbild nach
der Peripherie zu : fällt es gerade auf den Hornhautrand, so ist es um den halben
Hornhautdurchmesser (circa 6 min) von dem Pupillencentrum entfernt; es besteht
demnach ein Strabismus von 6 mm. Auch nach Winkelgraden kann man das
Schielen bestimmen, d. h. man giebt den Winkel an, den die Blickrichtung des
schielenden Auges mit derjenigen Blickrichtung, die bei richtiger Einstellung vor-
handen sein würde, am Drehpunkte des Auges bildet. Der betreffende Winkel-
grad lässt sich am Perimeterbogen ablesen, wenn man den Drehpunkt des schie-
lenden Auges in den Mittelpunkt des Perimeterkreises bringt und von dem anderen
Auge bei gerader Kopfhaltung die auf dem 0- Punkt des Bogens stehende Marke
fixiren lässt. Man braucht alsdann nur durch Visiren von dem Perimeterbogen
aus festzustellen, auf welchen Grad desselben das schielende Auge gerichtet ist.
45' Schielwinkel entsprechen etwa ß mm linearer Ablenkung.
a) Der Grad des Schielens nimmt zu, wenn der fixirte Gegen-
stand in die Richtung der Zugwirkung des gelähmten Muskels gebracht
wird, verkleinert sich bei entgegengesetzter Richtung. Bei den Muskeln,
deren Wirkung nicht nur in einer Ablenkung der Blicklinie, sondern
auch in einer Raddrehung besteht (wie R. superior und inferior und
,">it; Erkrankungen der Augenmuskeln.
vor Allem die Übliqui), wird das Schielen, d. h. die Ablenkung der Bliek-
linic, besonders bei derjenigen intermediären Augenstellung hervortreten,
bei welcher die Wirkung auf Höhenablenkung dem gelähmten Muskel
zufallt, z. B. bei Lähmung des Obliquus superior wird das Auge beim
Blick nach unten vorzugsweise dann zurückbleiben, wenn es vorher
nasalwärts gerichtet wurde.
b) Der primäre Schielwinkel ist nicht gleich dem secun-
dären. Wenn man einen Gegenstand, der etwa in der Mittellinie sich
befindet, mit beiden Augen fixirt, so wird, falls das gesunde Auge fixirt,
das gelähmte um ein lineares Maass abweichen; beispielsweise bei Läh-
mung des R. externus des linken Auges wird ein Strabismus convergens
desselben eintreten. Wir wollen diese Ablenkung als primären Schiel-
winkel (etwa gleich a) bezeichnen. Veranlasst man nun das erkrankte
linke Auge zur Einstellung auf denselben Gegenstand, indem man das
rechte Auge zeitweise verdeckt, so wird die jetzt associirt eintretende
convergirende Schielstellung des rechten Auges (secundärer Schielwinkel)
grösser (a + x) werden, als früher die Ablenkung des linken Auges war.
Es bedarf nämlich, um den paretischen R. externus des linken Auges zu
der für die Fixation des Gegenstandes erforderlichen Contraction zu
bringen, eines sehr hohen Nervenimpulses ; dieser trifft in gleicher Stärke
den associirten R. internus des gesunden Auges und bewirkt nunmehr
eine hochgradige Contraction desselben und damit stärkere Ablenkung
dieses Auges.
3) Doppelbilder. Die meist plötzlich und in einem Lebensalter,
in welchem der binoculare Sehact bereits ausgebildet ist, auftretenden
AugenmuskeUähmiingen bewirken, dass die bei der Schielstellung auf
nicht-identische Netzhautpunkte fallenden Bilder des fixirten Objectes
zu Doppeltsehen Veranlassung geben. Ist die Abweichung des schielen-
den Auges sehr gering, so wird an Stelle eines wirklichen Doppeltsehens
nur ein Verschwommensein der Gegenstände wahrgenommen. Die
Klage über derartige Sehstürungen bildet beim Lähmungsschielen, im
Gegensatz zum concomitirenden Schielen, fast die Regel. Allerdings
kommen beim concomitirenden Schielen auch gelegentlich spontaji auf-
tretende Doppelbilder vor, besonders bei Erwachsenen.
Gewöhnlich ist das Bild des abgelenkten Auges, da es auf eine
periphere Netzhautstelle fällt, matter und weniger scharf als das dos
eingestellten Auges ; es wird gelegentlich auch als „Seheiiibild1- im
Gegensatz zu dem vom fixirenden Auge gelieferten „wahren" Bilde be-
zeichnet.
Um sich aber genau darüber zu unterrichten, welchem Auge das
eine oder andere Doppelbild angehört — oder auch um etwa unter-
drückte Doppelbilder wieder hervorzurufen — , hält man vor ein Auge
Lähmung der Augenmuskeln. 577
ein rotkes Glas und lässt nach einem Kerzenlicht blicken. Man wird
bei verschiedener Sehschärfe beider Augen oder auch bei dauernder
Ablenkung des einen Auges gut thun, vor das besser sehende oder das
dauernd eingerichtete Auge das Glas zu halten, weil die Gläser Licht
absorbiren und auf diese Weise eine schon herabgesetzte Sehschärfe
noch mehr gemindert würde. Werden nicht sofort die entsprechenden
Doppelbilder angegeben, so lässt man durch Verdecken des eingestellten
Auges zuerst die Aufmerksamkeit auf das Bild des abgelenkten oder
schwachsichtigen Auges concentriren und zieht dann schnell mit der
Frage, ob nicht nunmehr ein zweites Bild hinzutrete, von dem bisher
verdeckten Auge die Hand fort. Doch finden diese Hülfsmittel vor-
zugsweise beim concomitirenden Schielen, wenn spontan keine Doppel-
bilder wahrgenommen werden, ihre Stelle. Versagen auch sie, so er-
hält man hier noch zuweilen Angaben über Doppelbilder, wenn man
durch Prismen mit der Basis nach oben oder nach unten vor ein Auge
gehalten, künstlich Doppelbilder schafft, welche Höhendifferenzen haben.
Bei der Prismenanwendung ist immer zu beachten, dass die ab-
lenkende Kraft derselben eine verschieden starke ist, je nach der Rich-
tung, in der man durch dieselben nach einem Gegenstand blickt: ob
wir ihn also mit gerader, gehobener oder gesenkter Blickrichtung an-
sehen. — Besonders bei Lähmungsschielen, wo man die Prismen auch
zur Differenzirung des, je dem einen oder anderen Auge gehörigen
Doppelbildes benutzen könnte, sind sie nicht zu empfehlen, da die be-
wirkte Höhenablenkung nicht selten die schon schwierigen Verhältnisse
der Lage der Doppelbilder weiter complicirt.
Die Entfernung der Doppelbilder steht in der Regel in einem ent-
sprechenden Verhältnisse zur Ablenkung des gelähmten Auges. Man
pflegt sie für eine bestimmte Entfernung und Blickstellung in Meter-
maass zu bestimmen. Auch nach Winkelgraden lässt sie sich niitVor-
theil angeben, indem der Patient sich so setzt, dass die Mitte seiner
Basallinie den Mittelpunkt einer Perimeterhalbkugel einnimmt. Wird
nun eine weisse Kugel oder ein Licht in der Mitte des Perimeterbogens
Coder auch seiflich, um die Doppelbilder bei seitlichen Blickrichtungen
zu bestimmen) gehalten und vom Kranken fixirt, so kann dieser die
Lage des gesehenen Doppelbildes am Perimeter und somit denWinkel-
grad der Abweichung desselben bezeichnen. Für grössere Entfernungen
wird eine entsprechende Projection der Winkelgrade auf eine ebene
Wandfläche (Landolt, Hirschberg) erforderlich.
Da beim Lähmungsschielen die Ablenkung des einen Auges zunimmt,
sobald der fixirte Gegenstand in eine Richtung gebracht wird, die der
Zugrichtung des gelähmten Muskels entspricht, so weichen alsdann auch
die Doppelbilder auseinander, bei der Blickwendung in entgegengesetzter
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 37
578 Erkrankungen der Augenmuskeln.
Richtung nähern sie sich immer mehr. Im Gegensatz hierzu bleiben
beim conconiitirenden Schielen die Doppelbilder bei den verschiedenen
Blickrichtungen in stets gleicher Entfernung voneinander. —
Das Auftreten und die Distanz der Doppelbilder ist beim Lähmungs-
schielen gewöhnlich verschieden, je nachdem man die Untersuchung mit
einer Blickrichtung, in der noch Einfachsehen besteht, beginnt, oder von
entgegengesetzter Richtung ausgeht. Im ersten Falle werden die Doppel-
bilder wegen der Fusionstendenz erst später auftreten. Auch werden
seitliche Doppelbilder, die auf einer Lähmung des R. internus oder ex-
ternus beruhen, eine etwas andere Distanz haben, wenn man sie bei
gehobener oder gesenkter Blickrichtung bestimmt, da physiologisch bei
Senkung der Blicklinie die R. interni ein gewisses Uebergewicht haben,
bei Hebung die R. externi.
4) Falsche Projection der Gegenstände seitens des ge-
lähmten Auges. Es wurde schon oben erwähnt, dass die Projection
des Netzhautbildes in die Aussenwelt, seine Localisation in derselben,
nicht allein von der örtlichen Lage des Netzhautbildes abhängt, sondern
dass hier Erfahrungen, die sich an Augenbewegungen u. s. w. knüpfen,
mitsprechen. Dies zeigt sich sehr deutlich bei plötzlichen Muskel-
lähmungen durch folgenden Versuch. Ist beispielsweise der R. externus
des linken Auges gelähmt, so lässt man einen etwas nach links befind-
lichen Gegenstand von diesem Auge, bei Schluss des anderen, fixiren
und heisst den Kranken, mit seinem Zeigefinger schnell auf den Gegen-
stand stossen. Während unter normalen Verhältnissen mit Leichtig-
keit der Gegenstand getroffen wird, so stösst jetzt der Kranke mit
seinem Finger links an dem Gegenstande vorbei. Es erklärt sich dies
so. Die Richtung der Projection des Objectes wird durch die Lage des
Netzhautbildes und die des Kreuzungspunktes der Richtungslinien be-
stimmt; über letzteren aber giebt uns der auf die Contraction des Ex-
ternus gerichtete Nervenimpuls Auskunft. Wird das erkrankte linke
Auge auf das Object mittels des paretischen Externus eingestellt, so
bedarf es eines erheblich höheren Nervenimpulses als früher. Dieser
täuscht den Kranken auch über die Lage des Kreuzungspunktes; der-
selbe dünkt ihm erheblich mehr nach links hinüber gerückt, Dement-1
sprechend verlegt er die Projectionslinie ebenfalls mehr nach links.
Auch der Gesunde verfällt dieser Täuschung, wenn er vor ein Auge —
bei Schluss des andern — ein stark brechendes Prisma (beispielsweise von -M"
T.asis nach innen i gelegt hat. und jetzt mit einem Finger schnell auf den fixirten
Gegenstand stnsst. Er wird immer nach aussen vorbeifahren, da er hei der Ein-
stellung der Sehlinie (d. h. der Macula lutea) auf das Ohject jetzt (las Auge un-
gewohnt stark nach aussen wenden muss, indem sonst das Prisma die Strahlen
auf die innere Netzhauthälfte wirft. Der Finger muss übrigens rasch vorgestossen
Speeielle Diagnose der Lähmungen. 579
werden, weil er andernfalls auf seinem Wege von Punkt zu Punkt eontrolirt wird
und so bisweilen richtig das Object trifft. Bei öfterer Wiederholung des Ver-
suches kann allmählich eine Correction dieser falschen Vorstellung eintreten.
5) Schwindelerscheinungen. Dieselben beruhen zum Theil
auf der erwähnten falschen Protection, zum Theil auf den störenden
Doppelbildern.
6) Bei einzelnen Patienten zeigt sich bei längerem Vorhandensein der
Lähmung eine eigenthümliche Kopfhaltung, welche in einer
Drehung des Kopfes besteht, die dem Kranken ermöglicht, das gerade
vor ihm Befindliche einfach zu sehen. Diese Kopfdrehung wird demnach
erfolgen um eine Achse, welche senkrecht steht zur Zugwirkung des
gelähmten Muskels und zwar mit einer Gesichtswendung, die dem ge-
lähmten Muskel zugerichtet ist. Bei den Hebern und Senkern des Auges
kann in Folge dessen gelegentlich auch eine Neigung des Kopfes nach
der Schulter zu Stande kommen. —
Die Augenmuskellähmungen kommen isolirt oder combinirt vor; in
letzterem Falle sind mehrere theils. von demselben Nerven (Oculomo-
torius), theils von verschiedenen Nerven versorgte Muskeln zu gleicher
Zeit befallen. Nach Alfr. Graefe's Zusammenstellung, die mit ander-
weitigen Beobachtungen übereinstimmt, wird isolirt der Rectus externus
(Abducens) am häutigsten gelähmt-, in zweiter Linie steht der Obliquus
superior ( Trochlearis).
Speeielle Diagnose.
Wir supponiren bei den Erklärungen und Angaben der Raddrehungen,
dass das linke Auge befallen sei. Zur Fixation benutzen wir einen
vertical gehaltenen Gegenstand, z. B. eine Kerze. In den beigefügten
Abbildungen der Doppelbilder ist das Scheinbild schattirt gezeichnet.
Paralyse oder Parese des R. externus sinister.
Linksseitige 1) Beweglichkeitsdefect beim Blick nach Rechtsseitige
Lähmung. ,. , Lahmung.
links.
L b
L
2) Strabismus convergens in der linken
Hälfte des Blickfeldes, zunehmend bei stark nach
166. links gerichtetem Blick. 167.
3) Gleichnamige, nebeneinander stehende
Doppelbilder, die beim Blick nach links weiter auseinander gehen,
beim Blick nach rechts mehr aneinander rücken, beziehentlich ver-
schwinden.
Bisweilen werden auch kleine Höhendifferenzen angegeben, die von
37*
580 Erkrankungen der Augenmuskeln.
dem dynamischen Uebergewicht eines nach oben oder nach unten
ziehenden Muskels abhängen; bei Aufhebung des gemeinschaftlichen
Sehens kann letzteres zur Geltung kommen. Wenn die Höhenunter-
schiede bei Hebung und Senkung des fixirten Objectes nicht zu- oder
abnehmen, so ist die Annahme einer Lähmung des betreffenden Hebers
oder Senkers ausgeschlossen.
Parese und Paralyse des R. internus sinister.
r L 1) Beweglichkeitsdefect beim Blick nach R L
j rechts.
U i 2) Strabismus divergens in der rechten Hälfte "
irk ■ • 169
ioö. c|eg Blickfeldes, zunehmend bei nach rechts ge-
richtetem Blick.
3) Gekreuzte, nebeneinanderstehende Doppelbilder, die beim Blick
nach rechts weiter auseinander, beim Blick nach links mehr aneinander
rücken, beziehentlich verschwinden. Auch hier sind zuweilen kleine
Höhendifferenzen vorhanden.
Parese- und Paralyse des Obliquus superior sinister.
1) Der Beweglichkeitsdefect des gelähmten linken Auges tritt am
meisten hervor beim Blick nach unten in der Adductionsstellung (also
Blick nach innen-unten), indem dasselbe hier etwas nach oben und innen
im Vergleich zum anderen Auge steht. Es kommt nach den früher ge-
machten Ausführungen unter normalen Verhältnissen in der Adductions-
stellung vorzugsweise die Zugkraft des Obliquus superior nach aussen-
unten zur Geltung, die jetzt ausfällt. Beim Blick nach unten hingegen
in der Abductionsstellung (d. h. also beim Blick nach unten-aussen) tritt
eine abnorme Raddrehung des Auges hervor, indem jetzt der in antago-
nistischem Sinne wirkende R. inferior das Uebergewicht bekommt und
das obere Ende des verticalen Meridians (V. M.) — d. h. des Meridians,
dessen Ebene senkrecht durch die Mitte der Pupille geht — nach links
(negativ) dreht. (Bei Lähmung des rechten Auges würde die Raddrehung
positiv ausfallen.)
2) Ein leichter Strabismus convergens et v
sursum vergens in der unteren Hälfte des Blick- I R
feldes. U %
3) Beim Blick nach unten treten gleichnamige *
170 171.
I )o|>pclbilder auf, das Bild des linken Auges steht
etwas tiefer und ist in der Weise schief gestellt, dass es sich mit seinem
oberen Ende dem des rechten zuneigt. In der Adductionsstellung nimmt
Specielle Diagnose der Lähmungen.
581
Linkes Auge
Normale Stellung
die Höhendifferenz zu, in der Abductionsstellung die Schiefheit. Der
Kranke sieht die Doppelbilder, wie sie in Figur 170 gezeichnet sind.
Der Höhenunterschied der Bilder erklärt sich dadurch, dass das ge-
lähmte Auge nach oben zurückbleibt. Der fixirte Gegenstand wirft
demnach sein Bild nicht auf die Macula lutea; sondern auf einen Punkt
der oberen Netzhauthälfte, Die Projection der scheinbaren Lage des
Gegenstandes erfolgt demnach umgekehrt nach unten hin.
Die Schiefheit des Bildes erklärt sich aus der negativen Raddrehung.
Wenn von einem senkrechten Gegenstand bei normaler Stellung des
Auges das umgekehrte Bild (Figur 172 b c a) sich auf der Netzhaut des
linken Auges in dem gerade durch die Macula lutea gehenden verticalen
Meridian befindet, so wird bei einer negativen
Rollung dieser verticale Meridian jetzt schräg
zu stehen kommen und zwar mit seinem oberen
Theil temporalwärts (Figur 172 der untere Kreis).
Es fällt nunmehr der obere Theil des Bildes
(b c) in den oberen-inneren Quadranten (1) der
Netzhaut, diese Hälfte des verticalen Gegen-
standes wird also nach unten-aussen projicirt;
der untere Theil des Bildes (ca) fällt in den
unteren-äusseren Quadranten (3), und es wird
diese Hälfte des Gegenstandes demnach nach
oben-innen projicirt. Es erscheint der Gegen-
stand dem kranken Auge von oben-innen nach
unten-aussen zulaufen oder mit anderen Worten,
er erscheint schräg, wie in Figur 160 die linke
schraffirte Kerze und ist mit seinem oberen
Ende nasalwärts gerichtet. Es ist bei diesen
Zeichnungen zu erwägen, dass Figur 172 so dar-
gestellt ist, wie ein Beobachter, der vor dem erkrankten Auge steht, das
Netzhautbild sehen würde. Figur 170 giebt uns die Doppelbilder, wie
sie dem Patienten erscheinen. — Einzelnen Kranken kommt es so
vor, als ob das Bild des gesunden Auges schräg stehe. Es wird von
ihnen demnach das Bild des linken Auges als gerade, hingegen das des
rechten Auges als schräg stehend und zwar mit dem oberen Ende
nasalwärts gerichtet, angegeben. Sehr häufig wird das tieferstehende
Bild des kranken Auges als näher liegend bezeichnet (v. Graefe)-
Dieselbe Erscheinung tritt auch bei anderen Lähmungen auf, wenn ein
Bild tiefer steht. Auch dem normal Sehenden erscheint von überein-
anderstehenden Doppelbildern eines fernstehenden Objectes (künstlich
durch Vorlegen eines Prismas erzeugt) das tieferstehende deutlich näher
und kleiner: je geringer die Differenz in der Höhe ist, um so geringer
Lähmung des Obliq. sup.
172.
582 Erkrankungen der Augenmuskeln.
erscheint auch die Differenz in der Entfernung. Es entspricht dies
unseren sonstigen Erfahrungen. Für gewöhnlich nämlich entwerfen die
mit gesenktem Blick betrachteten Gegenstände, welche näher als das
tixirte Object liegen, ihr Bild auf der oberen Netzhauthälfte (Förster).
So z. B. beim Schreiben der untere uns näher liegende Rand des
Papiers. Aber auch bei anderen Blickrichtungen trifft dies öfters zu, so
beim Blick in die Ferne, wo die niedrigen Gegenstände, über die wir
dabei fortblicken, ebenfalls sich auf der oberen Netzhauthälfte abbilden.
Aus dieser Erfahrung entwickelt sich unter den uns unbekannten und
neuen Verhältnissen einer bezüglichen Lähmung oder beim Vorhalten
eines Prismas, wie oben angegeben, die Täuschung, dass das tiefere Bild
das nähere sei.
Ausnahmsweise können bei Trochlearislähmung auch ungleichnamige
Doppelbilder auftreten, wenn nämKch die Rect. interni stark insufticient
sind und die früher im Interesse des Einfachsehens unterdrückte In-
sufficienz nunmehr manifest wird. Derartige Muskel-Insufficienzen, die
schon bei der Lähmung der Rect. externi und interni Erwähnung ge-
funden, compliciren nicht selten die Symptome der Lähmungen und
erschweren ihre Deutung.
Parese und Paralyse des Rectus inferior sinister.
1) Der Beweglichkeitsdefect tritt am meisten hervor beim Blick nach
unten in der Abductionsstellung des gelähmten Auges (der Blick nach
unten-aussen gerichtet), indem dasselbe etwas nach aussen rückt und
nach oben zurückbleibt. Wie bei der Betrach-
Ötung der Wirkung der einzelnen Muskelgruppen ^
hervorgehoben, beeinflussen die Recti inferiores ^ J
| und superiores in der Abductionsstellung Vorzugs- M
j^o weise die Höhenbewegungen des Auges. Beim 174.
Blick nach unten in der Adductionsstellung
hingegen ti'itt mehr die abnorme Raddrehung hervor, da durch die
Lähmung dem Obliqu. superior sein Antagonist genommen ist und
jener nunmehr das obere Ende des V. M. nasalwärts wendet.
2) Ein leichter Strabismus divergens et sursums vergens in der
unteren Hälfte des Gesichtsfeldes.
3) Beim Blick nach unten treten ungleichnamige Doppelbilder auf,
das Bild des linken Auges steht etwas tiefer und ist in der Weise schief
gestellt, dass es sich mit seinem oberen Ende dem des gesunden zuneigt.
In der Ahductionsstellung nimmt die Höhendifferenz zu, in der Ad-
ductionsstellung die Schiefheit. Der Kranke sieht die Doppelbilder,
wie sie in Figur 173 gezeichnet sind. (Bei rechtsseitiger Lähmung wie
Figur 174).
Specielle Diagnose der Lähmungen. 583
Die Schiefheit erklärt sich aus der positiven Raclclrehuiig. Das
Netzhautbild des verticalen Gegenstandes fällt jetzt mit seinem oberen
Theil auf den äusseren-oberen Quadranten; der untere Tbeil des Gegen-
standes, von dem das Bild herrührt, wird demnach nach unten-innen
projicirt. Hingegen fällt der untere Theil des Netzhautbildes in den
inneren-unteren Quadranten; entgegengesetzt projicirt erscheint der
obere Theil des Gegenstandes nach oben-aussen gerichtet.
Da die Bilder gekreuzt stehen, so wird das Bild des linken Auges
(L) sich mit seinem oberen Ende dem des rechten zuwenden.
Das Bild des gelähmten Auges steht näher.
Parese und Paralyse des Obliquus inferior sinister.
1) Der Beweglichkeitsdefect tritt am meisten hervor beim Blick nach
oben in der Adductionsstellung des gelähmten Auges, indem dasselbe
etwas nach innen geht und nach unten zurückbleibt. Beim Blick nach
. oben in der Abductionsstellung tritt besonders
R die abnorme Raddrehung hervor: der V. M. wird l *
nasalwärts gedreht. 5
2) Ein leichter Strabismus convergens et
deorsum vergens in der oberen Hälfte des Blick-
feldes.
3) Beim Blick nach oben treten gleichnamige Doppelbilder auf, das
Bild des gelähmten Auges steht etwas höher und ist in der Weise schief
gestellt, dass es sich mit seinem oberen Ende von dem des gesunden
abwendet. In der Adductionsstellung nimmt die Höhendifferenz zu, in
der Abductionsstellimo- die Schiefheit.
Parese und Paralyse des Rectus superior sinister.
1) Der Beweglichkeitsdefect tritt am meisten hervor beim Blick
nach oben in der Abductionsstellung des gelähmten Auges, indem das-
selbe etwas nach aussen rückt und nach unten zurückbleibt. Beim Blick
r nach oben in der Adductionsstellung tritt beson-
ders abnorme Raddrehung hervor: der V. M. wird
temporalwärts gewendet. \ l
2) Ein leichter Strabismus divergens et
11 7. deorsum vergens in der oberen Hälfte des Blick- -^~^
feldes.
3) Beim Blick nach oben treten gekreuzte Doppelbilder auf, das Bild
- gelähmten Auges steht etwas höher imd ist mit seinem oberen Ende
von dem Bilde des gesunden Auges abgekehrt.
584 Erkrankungen der Augenmuskeln.
Lähmung- des Oculomotorius.
Da der Lev. palpebr. superioris, Sphincter iridis, Tensor cliorioideae
und sämmtliche äusseren Augenmuskeln mit Ausnahme des R. externus
und Obliquus superior bei totaler Oculomotoriuslähmung- ausser Func-
tion sind, steht das Auge in leichter Abductionsstellung; öfters ist es
etwas nach vorn gerückt (Exophthalmus paralyticus). Die Pupille ist er-
weitert, die Accommodation aufgehoben und das obere Lid hängt herab.
Eine Bewegung des Bulbus ist nur nach aussen möglich; nach unten
kommt dieselbe nicht zu Stande, da der Obliquus superior bei der
vorhandenen Abductionsstellung des Auges vorzugsweise auf die Rad-
drehung wirkt. —
Eigenartig ist das Bild der sogenannten „recidi vir enden Ocu-
lomotoriuslähmungen", das von den bei gewissen Allgemeinerkrank-
ungen, wie Lues und Tabes, ebenfalls gelegentlich in Rückfällen sich
zeigenden Lähmungen zu trennen ist. Es handelt sich bei den recidi-
virenden Oculomotoriuslähmungen um das Befallensein des Oculomo-
torius einer Seite, in allen oder einzelnen Aesten, dessen Lähmung nach
ihrem verhältnissmässig schnellen Rückgange in grösseren oder kleineren
Zeiträumen sich immer wieder von Neuem einstellt. Auch in der
Zwischenzeit bleiben meist leichtere Lähmungsspuren zurück. In fast
allen Fällen gehen Schmerzen in der betreffenden Kopfseite dem An-
fall voraus, sehr oft unter migräneartigen Symptomen (Migraine ophthal-
mopk'gique, Charcot). In seltenen Fällen werden später andere Nerven
(Abducens, Trigeminus) ebenfalls einbezogen. Bei einer Section von
Kar plus fand sich ein Neurofibrom des Oculomotorius.
Multiple Lähmungen.
Erschwert wird die Diagnose, inwieweit der einzelne Muskel be-
theiligt ist, in den Fällen, wo multiple Lähmungen an demselben Auge
theils in der Gestalt der Paralysen, theils der Paresen auftreten. Auch
bei beide Augen treffenden Lähmungen erwachsen oft Schwierigkeiten.
So können in Fällen, wo beide R. externi gleichmässig gelähmt sind,
gleichnamige Doppclbilder auftreten, die im Blickfelde ähnlich wie bei
concomitirendem Schielen ihre gleiche Entfernung beibehalten; lateral-
wärts werden sie aber beiderseits stärker auseinander weichen. Ferner
hat man Personen beobachtet, bei denen sich eine symmetrische, schliess-
lich vollständige Lähmung der Muskeln beider Augen entwickelte, ohne
dass ein eigentliches Schielen entstand (v. G-raefe). Die Diagnose mul-
tipler Lähmungen beruht vorzugsweise auf Feststellung der Beweglich-
Specielle Diagnose der Lähmungen. 585
keitsdefecte, da die Zerlegung der auftretenden Doppelbilder meist zu
complieirt ist. — Sind eine Reihe von Muskelnerven eines Auges oder
einzelne an beiden Augen gelähmt, aber unter Erhaltung der Accommo-
dation und Pupillencontraction, so spricht man von Ophthalmoplegia
exterior (Hutchinson, Mautkner), sind hingegen die den Ciliar-
muskel und die Iris versorgenden Fasern des Oculomotorius allein afti-
cirt, von Ophthalmoplegia interior.
C o n j u gir t e A b 1 e n k u n g. C o n v e r g e n z 1 ä h m u n g.
Die pathologischen conjugirten Ablenkungen rinden meist nach den
Seiten hin statt, seltener nach oben oder unten. Es handelt sich in
der Regel um Contracturen der associirten Muskeln, welche von Reizungen
deroben erwähnten cerebralen Centren ausgehen. Prevo st glaubte, ausden
conjugirten Ablenkungen der Augen bestimmte Schlüsse auf die Lage
des Krankheitsherdes ziehen zu können. Bei den gewöhnlichen apoplek-
tischen Hemiplegien sind die Augen, wie auch der Kopf oft nach der
nichtgelähmten Seite, also nach der Stelle der Hirnläsion gewendet.
Richten sich hingegen die Augen nach der gelähmten Seite, so soll die
Störimg ihren Sitz im Mittelhirn, vom Tuber cinereum bis zur Medulla
oblongata, GrosshmischenkelundBilickenschenkel eingeschlossen, haben.
Jedoch kommt diesen Sätzen keine allgemeine Gültigkeit zu (B ernhar dt).
Neben den Apoplexien veranlassen auch Encephalitis, eitrige Meningitis
der Convexität, progressive Paralyse und Hirntumoren diese Deviation.
Die Convergenzlähmung zeigt sich darin, dass bei Annäherung
eines Objectes in der Mittellinie die Augen nicht darauf convergiren
können, sondern starr stehen bleiben; hingegen ist die Function der
R. interni normal, wenn die Augen nach rechts oder links gerichtet
werden. Entsprechend der mangelnden Bewegung treten gekreuzte
Doppelbilder auf. Es wird übrigens öfters von Convergenzlähmung ge-
sprochen, wo nur eine Insufficienz der R. interni vorliegt: bei letzterer
pflegt zwar in der Regel ein Auge, den sich nähernden Gegenstand
fixirend, zu convergiren, während das andere nach aussen abweicht,
aber ausnahmsweise divergiren auch schon frühzeitig beide Augen.
Auch hier hat die associirte Seitenbewegung keine Störung erlitten.
Der diagnostische Unterschied ist darin zu suchen, dass bei wirklicher
Convergenzlähmung die Convergenztendenz schon in grosser Entfernung
vom Auge ausbleibt: auch nimmt hier nicht, wie bei der Insufficienz
der R. interni, die Kraft der Externi zu. Als Ursache der eigentlichen
Convergenzlähmung nimmt man eine Störung in den supponirten ner-
vösen Centren flu' die Convergenzinnervation an: die Affection findet
sich bisweilen bei sonst gesunden Individuen, die allerdings häufig an
586 Erkrankungen der Augenmuskeln.
S cli windeige fühlen leiden. - - Entgegengesetzt der Convergenzlälimnng
kann gelegentlich die aecommodative Convergenzbcwegung fortbestehen,
während die assoeiirte Nasalbewegung bei Seitwärtsführung des Objectes
vollständig ausbleibt (Hunnius, Moebius).
III. Verlauf und Ausgang.
Die Lähmungen können sich zurückbilden oder stationär werden
In letzterem Falle kommt es bisweilen zu einer vollständigen Contraction
des antagonistischen Muskels, der das Auge zu sich herüberzieht und
fast unbeweglich fixirt (paralytische Contractur). Bleibt nach Rückgang
der Lähmung noch eine vermehrte Spannung des Antagonisten, so
haben wir das Bild des concomitirenden Schielens, oder auch des
latenten, wenn die Spannung des Antagonisten so gering ist, dass eine
im Interesse des Einfachsehens stattfindende vermehrte Innervation des
früher gelähmten Muskels eine exaete Stellung beim binocularen Sehen
erzielt.
Man darf am ehesten den Rückgang einer Lähmung erwarten, wenn
sie auf periphere Ursachen, die der Behandlung zugänglich sind, so
etwa rheumatische, zurückzuführen ist; aber auch hier dauert die Hei-
lung Monate lang. Vorzugsweise häufig ist in dieser Weise der Abducens
befallen. Treten die Lähmungen an beiden Augen auf und in der < re-
stalt von Paresen, so ist die Vermuthung eines centralen Leidens nahe-
liegend und damit die Prognose bedenklich.
IV. Aetiologie.
Die Augennerven können ausserhalb des Gehirns in ihrem orbitalen
und cerebralbasalen Verlauf erkranken. Im Gehirn selbst zwischen
Austritt aus dem Gehirn und den Nervenkernen (fasciculäre
Lähmungen, Dufour) und in den Kernen (Nuclearlähmung). Hier-
zu kommen noch die eigentlichen cerebralen Lähmungen.
Liegt die Ursache in der Orbita, so handelt es sich meist um
Folgen von Traumen, um Knochenaffection oder Tumoren. Gewöhnlich
leitet Exophthalmus, subconjunctivaler Blutcrguss, Schmerzhaftigkeit,
oder das Fühlen einer Geschwulst beim Eingehen mit dem Finger, auf
die Diagnose. Oeftcrs sind mehrere Nerven getroffen und selten ist die
Lähmung vollständig. Eine vollständige Lähmung des Nerven spricht
mehr für einen Proccss an der Basis cranii; hier werden oft mehrere
Nerven einer Seite nacheinander befallen, mit Einschluss des Opticus.
Doch kommen auch Ausnahmen vor: selbst im basalen Verlauf des
< leulomotoriusstammes können bei Läsionen gerade die Aeste verschont
Verlauf, Ausgang. Aetiologie. 587
bleiben, welche Aecommodation und Pupille versorgen. Ebenso können
mehrere Augennerven und der ( )ptieus ohne basale Erkrankung gleich-
zeitig befallen sein; wenn Allgemeinerkrankungen des centralen Nerven-
systems Avie Tabes, multiple Sclerose, allgemeine Paralyse etc. vorliegen.
Bei den Nuclearlähmungen handelt es sich oft um Ophthalmoplegia
interior oder exterior. Auch beobachtet man nicht selten ein Fort-
sehreiten der Lähmung auf andere Augennerven. Der Krankheitspro-
eess besteht meist in einer progressiven Poliencephalitis, die bei
chronischem Verlaufe allmählich eine vollständige Augenmuskellähmung
herbeiführen kann. Die Affeetion bietet so eine gewisse Analogie zu
der Bulbärparalyse, wo auch eine Reihe functionell verknüpfter Nerven-
kerne (N. hypoglossus, glossopharyngeus, einzelne Facialisäste etc.) nach
und nach in Mitleidenschaft gezogen werden. Die acute Poliencepha-
litis kann schnell zum Tode führen.
Im Allgemeinen sprechen für eine cerebrale Lähmung: a) conjugirte Ab-
lenkungen, seien sie Folge eines Krampfes oder einer Lähmung assoeiirt wir-
kender Muskeln: b) Lähmung gleichartiger oder in gleicher Richtung wirkender
Muskeln an beiden Augen: jedoch kommen auch doppelseitige symmetrische Läh-
mungen vor. die basaler Natur sind; c) nacheinander auftretende Lähmungen
einzelner Muskeln, die der Lage der einzelnen Nervenkerne entsprechen. Auch
die Flüchtigkeit der Lähmungen, sowie ihre Unvollständigkeit sprechen mehr für
cerebralen Sitz. Dazu kommen dann sonstige Symptome der Hirnerkrankung.
So wurden Lähmungen der für die äusseren Augenmuskeln bestimmten Oculomo-
toriusäste mit contralateraler Hemiplegie verknüpft, bei AfTectionen des Hirnschenkels
gefunden: besteht eine Abducenslähmung unter gleichen Umständen, so ist an
Ponserkrankungen zu denken: hier sind meist auch noch Trigeminus und Facialis
betheiligt. Nach Haemorrhagien oder Erweichungen in der Gegend der Corpora
quadrigemina können gekreuzte Hemiplegie neben Oculomotoriuslähmungen sich
zeigen: diese treffen hier auch meist die Pupillenäste des Nerven. Ptosis allein
wurde öfters bei corticalen Erkrankungen gesehen, ebenso die Lähmung des
Augenfacialis. Letzterer bleibt meist verschont bei der Bulbärparalyse und
bei Hemiplegien nach Apoplexia sanguinea.
Von mechanischen Ursachen, die auf die Nerven wirken, sind Ge-
schwülste, Basisfracturen (besonders oft wird der Abducens durch
Brüche des Felsenbeines oder Blutungen an dieser Stelle getroffen
[Panas]), Exostosen, Periostitis, Aneurysmen (so Riss der Carotis im
Sin. cavernosus, vergl. pulsirender Exophthalmus), gummöse Menin-
gitis und sonstige Exsudate besonders zu nennen. Hirntumoren,
Blutungen, Encephalitis, disseminirende Hirnsclerose, Atrophie der
Ganglienzellen, graue Degeneration der Hinterstränge des Rückenmarks
führen zu centralen Augenmuskel-Lähmungen, deren Diagnose in der
Regel durch sonstige pathologische Erscheinungen gesichert ist. Aber es
scheint, dass auch vorübergehende Hyperämien und Anämien zu Paresen
führen können, die alsdann, meist nicht alle Fasern des Nerven treffend.
588 Erkrankungen der Augenmuskeln.
wieder schwinden, um gelegentlich an anderen Stellen wieder aufzu-
tauchen. Derartige leichtere Lähmungen bilden bisweilen Vorläufer
.schwerer Hirn- oder Rückenmarkserkrankungen. Doch treten auch völlige
Heilungen ein; besonders bei jüngeren Individuen habe ich Paresen,
selbst doppelseitige, bei denen eine centrale Ursache (Nuclear-Affeetionen)
angenommen werden musste, wieder zurückgehen sehen, ohne dass bei
einer Jahre langen Beobachtung andere cerebrale Symptome sich zeigten.
In anderen Fällen sind mit Sicherheit Erkältungen nachweisbar: so
sieht Jemand schweisstriefend aus dem Wagenzuge eines Eisenbahn-
zuges, wird von dem scharfen Zugwinde getroffen und bekommt darauf
eine Lähmung des Abducens. Oefters begleiten gleichseitige Kopf-
schmerzen die rheumatischen Lähmungen. Bei vielen Kranken ist
Syphilis die Ursache. In selteneren Fällen tritt nach Diphtheritis (eine
fast vollständige Ophthalmoplegie beiderseits wurde von Mendel mit-
getheilt), Diabetes, Influenza oder nach 'Blutvergiftung eine Augenmuskel-
lähmung auf; ebenso kommen hysterische und angeborene Lähmungen
zur Beobachtung. —
Eine directe Schwächung der Augenmuskeln sehen wir bei Orbi-
talphlegmonen, bei Geschwülsten, nach Traumen und bei Trichinosis
entstehen.
V. Therapie.
Die Behandlung wird sich, soweit es angeht, gegen die ursäch-
lichen Momente zu richten haben. Bei rheumatischen Lähmungen ist
im Beginn ein diaphoretisches Verfahren, Schwitzcuren, Pilocarpin-
einspi'itzungen, Salicylsäure u. s. w. angezeigt, später wird Jodkali ge-
geben. Auch örtliche Blutentziehungen, ableitende Hautreize (Jod-
tineturbepinselungen, Veratrinsalbe auf Schläfe und Stirn) sind am
Platze. Bei Syphilis ist unter gewissen Verhältnissen eine Schmier-
oder Spritzcur mit Sublimat indicirt. Doch hüte man sich damit vor-
zugehen, wenn etwa schon atrophische Sehnervenaffectionen das Leiden
eompliciren. Hier ist Jodkali zu geben, ein Mittel, das in steigender
Dosis und in Verbindung mit Galvanisation des Sympathicus auch
bei Nuclear-Lälimungen empfohlen wird. Später kann man die Elek-
tricität local anwenden, indem man von einem nicht zu starken in-
ducirten Strome beide Pole auf die geschlossenen Lider in die Gegend
des gelähmten Muskels, oder auch die Kathode dieses oder des con-
stanten Stromes (etwa 1 bis 2 Milliamperes), direct über dem Muskel
.iiif die cocainisirte Conjunctiva setzt. Michel hat empfohlen, in der
Weise den geliilimten .Muskel orthopädisch zu behandeln, dass man die
Conjunctiva über dem Antagonisten mit einer Pincette fasst, das Auge
Therapie. 589
nach der betreffenden Seite herüberzieht und diese Bewegungen syste-
matisch wiederholt. Auch Stryehnininjeetionen in die Schläfe sind zu
versuchen.
Um die Beschwerden der Kranken, welche durch das Auftreten
der Doppelbilder bedingt sind, zu heben, lasse man sie eine Brille
tragen, bei der das Glas vor dem kranken Auge mit Pflaster verklebt
oder sonst undurchsichtig gemacht ist. Auch undurchsichtige Monocles
sind für Liebhaber geeignet. Wollte man das gesunde Auge verdunkeln,
so würde die falsche Protection, wie wir oben gesehen, dem Kranken
Schwindelgefühl und Unbehagen verursachen. In besonders unange-
nehmer Lage sind Patienten mit Ungleichheit der Sehkraft beider
Augen, wenn das sehkräftigere und für gewöhnlich benutzte Auge von
der Lähmung befallen ist.
Ferner könnte man daran denken, durch Prismen die Doppel-
bilder zur Verschmelzung zu bringen. Dieselben müssten so vorgelegt
werden, dass die Lage der Prismabasis der Zugwirkung des gelähmten
Muskels entspricht. Besteht beispielsweise Lähmung des linken Ab-
ducens, so werden die entstehenden gleichnamigen Doppelbilder ver-
einigt durch ein Prisma mit der Basis temporalwärts vor das linke
Auge gelegt; dasselbe lässt das linke Doppelbild nasalwärts herüber-
rücken.
[Zur leichteren und schnelleren Orientirung über die Wirkung der
Prismen kann man sich merken, dass das entsprechende Doppelbild
sich immer auf der Seite befindet, nach welcher die brechende Kante
gerichtet ist.]
Bestehen Höhenunterschiede neben seitlichem Abstand der Doppel-
bilder, so niuss durch ein weiteres Prisma, Basis nach oben oder
unten, der Höhenunterschied ausgeglichen werden. Man erreicht dies
bisweilen auch durch schräge Haltung eines und desselben Prismas.
Wenn ein Prisma von einem bestimmten Winkelgrade gefunden ist,
das die Doppelbilder zum Verschmelzen bringt, so könnte es in ein
Brillengestell gesetzt und getragen werden. Falls das Prisma aber
stärker als etwa 5 Grad ist, wird es zu schwer und giebt unangenehme
Farbenränder. In der Regel vertheilt man die Wirkung auf beide
Augen, indem man vor jedes ein Prisma von der halben »Stärke setzt.
Also wenn Prisma 10 Grad, Basis nach aussen, vor das linke Auge
gehalten die Doppelbilder vereinigt, legt man vor beide Augen ein
Prisma von 5 Grad, Basis nach aussen. Es wird hierdurch das Bild
des linken und des rechten Auges nasalwärts verschoben.
Abgesehen davon, dass oft erst sehr starke und deshalb praktisch
nicht mehr verwendbare Prismen die Vereinigung der Doppelbilder er-
zielen, so spricht gegen ihre Anwendung auch noch, dass sie nur für
590 Erkrankungen der Augenmuskeln.
eine ganz bestimmte Blickrichtung genügen, während gerade beim
Lähmungsschielen die Ablenkung des Auges je nach der Blickrichtung
erheblich wechselt.
Meist wird man daher von ihrer Benutzung zu diesem Zwecke
absehen müssen. Hingegen werden sie zu orthopädischen Uebungen bis-
weilen verwendet. Man rückt nämlich durch Prismen die Doppelbilder
so dicht aneinander (ohne sie jedoch mechanisch zur vollen Deckung
zn bringen), dass das Interesse des Einfachsehens angeregt wird: eine
stärkere Innervation des paretischen Muskels soll alsdann die Ver-
schmelzung bewirken. Bequemer ist das Verfahren, dass man einen
Gegenstand (z. B. den eigenen Finger) aus dem Gebiete des Einfachsehens
vor den Augen in das Gebiet des Doppelsehens hinüberführen lässt mit
dem Auftrage, möglichst lange das Einfachsehen festzuhalten. Doch
ist bei beiden Versuchen darauf zu achten, dass man nicht durch Ueber-
anstrengung, wie leicht möglich, die' paretischen Muskeln übermüdet
und damit schwächt. Es dürfen derartige Versuche höchstens einige
Male hintereinander angestellt werden. Benutzt man zur Uebung Pris-
men, so geht man allmählich zu schwächeren über, um eine immer
stärkere Contraction des paretischen Muskels anzuregen.
Operative Eingriffe, von denen die Tenotomie des Antagonisten am
kranken Auge (äquilibrirende) oder des assoeiirten Muskels am gesunden
Auge (compensatorische Operationen) oder endlich die Vorlagerung des
geschwächten Muskels in Frage kommen kann, werden meist nur in den
Fällen gemacht, wo nach abgelaufener Lähmung sich eine seeundäre
Spannungszunahme des Antagonisten gebildet hat oder die Lähmung
stationär geworden ist: eine zu frühzeitige Ausführung derselben würde
bei etwaigem Rückgang der Lähmung Schielen nach entgegengesetzter
Richtung zur Folge haben. Alfred Graefe empfiehlt für das Con-
vergentschielen nach Abducensparalyse die Tenotomie des assoeiirten
Rectus internus des gesunden Auges oder bei höheren Schielgraden die
Combination derselben mit einer Rücklagerung des Internus am kranken
Auge. Ist der Abductionsdefect neben entwickelter Secundärconvergenz
ein sehr bedeutender, so ist sogar die Vorlagerung des gelähmten Ab-
ducens unter Entfernung eines Endstückes seiner Sehne damit zu ver-
binden. Aehnliches winde von Lähmungen des Rectus internus gelten.
Bei Lähmung des Obliquus superior tenotomirt man den Rectus inferior
des gesunden Auges, der als dem Obl. superior assoeiirt zu betrachten
ist; bei Lähmung des Obliqu. inferior den R. superior der anderen
Seite. Bei Schwächezuständen des R. superior und R. inferior bleibt
um' die Vorlagerung dieser Muskeln übrig.
Strabismus concomitans. 591
2. Strabismus concomitans (musculäres Schielen).
Die (im Gegensatz zum paralytischen Schielen auftretenden) Ab-
lenkungen eines Auges von dem fixixten Object, welche in Folge von
grösserer Zugkraft eines Muskels oder Spannimgsvermehrung oder auch
abnormer Schwäche des Antagonisten zu Stande kommen, führen die Be-
zeichnung concomitirendes Schielen deshalb, weil das abgelenkte Auge
das tixirende bei den verschiedenen Blickrichtungen begleitet*).
I. Allgemeine Diagnose.
Als unterscheidende Momente gegenüber dem paralytischen Schielen
kommen folgende in Betracht:
1) Beim concomitirenden Schielen ist kein eigentlicher Beweg-
lichkeit sdefe et vorhanden. Zwar ist häufig bei der Einzelprüfung
des abgelenkten Auges die Beweglichkeit in der dem ablenkenden Muskel
entgegengesetzten Richtung etwas verringert. Die Gesammtausdehnung
des Blickfeldes ist aber normal, indem eine gewisse Verschiebung des
Gebietes zu Gunsten des stärker contrahirten Muskels besteht. In der
Regel lässt sich Aehnliches, wenn auch nicht in dem Maasse, bezüglich
des Blickfeldes des nicht schielenden Auges constatiren; auch hier pflegt
der gleichnamige Muskel (etwa bei Strab. convergens der Rect. internus)
stärkeren Einfluss auf den Bewegungsbogen des Auges zu üben.
2) Schielstellung, a) Der Schielgrad bleibt gleich gross durch
das ganze Blickfeld. Führt man z. B. bei Strab. convergens eine Licht-
flamme in horizontaler Ebene von rechts nach links, so ist der Grad
der Ablenkimg überall ein gleicher. Damit ist nicht ausgeschlossen,
dass bei der Einstellung auf verschiedene Entfernungen der Grad des
Schielens wechselt; ja selbst bei der Einstellung auf dieselbe Entfernung
und dasselbe Object kann das schielende Auge gelegentlich stärker oder
weniger stark abgelenkt sein. Besonders häufig ist dies beim Strab.
convergens der Hyperopen der Fall, wo die grössere oder geringere Ac-
commodationsspannung und das grössere oder geringere Interesse, scharfe
Xetzhautbilder zu gewinnen, ihren Einfluss auf die Contraction der M.
recti intemi in grösserem oder geringerem Grade, wie später noch ge-
nauer darzulegen ist, ausüben, b) Der Primär schielwinkel ist gleich dem
* Deutsche Heeresordnung. Bedingt tauglich (§ 7, Anlage 2; Landsturm
1. Aufgebots, nur ausnahmsweise Ersatzreserve; : h) Schielen, wenn beim Gerade-
aussehen des einen Auges das andere mit dem Hornhautrande den inneren oder
äusseren Lidwinkel berührt. — (§ 7. Anlage 1: Ersatzreserve; jedoch ist die Aus-
heb ung zum activen Dienst keineswegs ausgeschlossen; : f) Schielen geringeren Grades.
592 Erkrankungen der Augenmuskeln.
Secundärwinkel. Da es sich um eine bei allen Blickrichtungen gleich-
bleibende Kraftzunahme des ablenkenden Muskels, nicht um eine Läh-
mung des Antagonisten handelt, so wird, falls das abgelenkte Auge ein-
gerichtet wird, der erforderliche Nervenimpuls in gleicher Weise und
mit demselben Effect auf den assoeiirten Muskel des anderen Auges
wirken. Besteht beispielsweise am linken Auge bei Strabism. convergens
eine Ablenkung von 4 mm, so wird zur Einstellung dieses Auges auf
den fixirten Gegenstand, was man durch vorübergehendes Verdecken
des rechten Auges bewirken kann, der R. externus des linken Auges
einen entsprechenden Nervenimpuls erhalten, der in gleicher Weise auf
den assoeiirten R. internus des rechten Auges wirkend, das rechte Auge
um 4 mm nach innen ablenkt. Uebrigens kommen gelegentlich kleine
Differenzen vor, besonders bei Verschiedenheit der Refraction beider
Augen. Sie stehen dann in Verbindung mit dem grösseren oder ge-
ringeren Accommodationsimpuls, den das eine oder andere Auge fordert.
Dieser Accommodationsimpuls aber beeinflusst in gewissem Grade auch
die Convergenz Stellung. Auch ist weiter zu erwägen, dass bisweilen
bei dem dauernd abgelenkten Auge nicht die Macula zum Fixiren be-
nutzt wird, sondern eine excentrisch davon liegende Netzhautstelle.
Dies hat natürlich auch Einfluss auf das Maass der seeundären Schiel-
ablenkung.
3) Da der Schielwinkel gleich bleibt, behalten auch die Doppel-
bilder, wenn sie vorhanden sind, eine gleiche Entfernung durch das
ganze Blickfeld. Doch werden spontan nur selten Doppelbilder an-
gegeben. Es beruht dies darauf, dass in der Regel schon in früher
Jugend das concomitirende Schielen sich entwickelt, wo die mangelhafte
Beobachtungsgabe das Auftreten der Doppelbilder meist nicht zum
Ausdruck kommen lässt. Dass sie aber anfänglich vorhanden sind, da-
für spricht — neben den Angaben intelligenter Kinder — der Umstand,
dass Erwachsene, die von concomitirendem Schielen befallen werden,
ganz regelmässig über Doppelbilder klagen. Auch kommt hinzu, dass
in der Jugend die Doppelbilder eher wieder verschwinden werden, da
der binoculare Sehact sich noch nicht so zwingend und unabänderlich
festgesetzt hat. Dieses Verschwinden der Doppelbilder geht in der
Regel so vor sich, dass das Bild des abgelenkten Auges verschwindet,
indem sich die Aufmerksamkeit ganz auf das Bild des eingestellten
Auges concentrirt. Der Ausdruck, dass das Bild des anderen Auges
^unterdrückt^ wird, ist nicht voll bezeichend: die Unterdrückung als
solche ist keine active Thätigkeit, sondern ist nur die Folge der ver-
mehrten und angestrengten Aufmerksamkeit auf das von dem fixirenden
Auge Gesehene.
Strabismus conoomitans, allgemeine Diagnose. 593
Dass auch bei normalem Sehen das völlige Abstrahiren von dein, dem einen
Auge gebotenen Sehobjecte möglich ist. beobachtet man trotz Offenhaltens beider
Augen beim Mikroskopiren und Ophthalmoskopiren genügend oft. Ebenso, wenn
man etwa eine Schrift liest, während man durch ein Blatt Papier, in der Mittel-
linie des Gesichtes gehalten, das dem rechten Auge" Gebotene von dem, was das
linke Auge sieht, scheidet. Je nach der Seite, auf welche die Aufmerksamkeit
sieh richtet, wird mit dem rechten oder dem linken Auge gelesen. Wenn nun in
der Jugend das eintretende Schielen zu einer absichtlichen Unterdrückung des
störenden Doppelbüdes, das im Uebrigen im schielenden Auge wegen seiner ex-
centrischen Laue schwächer ist, führt, wenn absichtlich ein monoculares Sehen
geübt wird, so ist es verständlich, dass bei der weiteren körperlichen und geisti-
gen Entwicklung die Fähigkeit, die Netzhautbilder beider Augen zu gleicher Zeit
im Geiste zu verarbeiten und zum Bewusstsein zu bringen, abnimmt: es entwickelt
sich eine psychische Abnormität. Die äussere sichtbare Scheidewand, durch welche
wir experimentell das Gesichtsfeld beider Augen der Normalsehenden trennen
können, findet bei vielen Schielenden ihre Analogie in einer geistigen Scheidung
beider Gesichtsfelder. "Wendet sich die Aufmerksamkeit dem einen Auge allein
zu. so kommt das Gesichtsfeld des anderen, soweit es stören könnte, unter ge-
wöhnlichen Verhältnissen nicht mehr zum Bewusstsein. Dessenungeachtet aber
können grössere Gegenstände, welche sich auf der Seite des ausgeschlossenen
Auges rinden, bei darauf gelenkter Aufmerksamkeit von Schielenden wahrgenommen
werden. So hat Schweigger gezeigt, dass von dem schielenden Auge das Bild
einer durch Beflex hineingeworfenen Lichtflamine in der Begel empfunden wird,
selbst wenn dieses Bild auf eine Stelle der Netzhaut fällt, welche dem Theil des
Gesichtsfeldes entspricht, der von dem fixirenden Auge beherrscht wird.
Aehnlich spricht für eine Mitbetheiligung des schielenden Auges, im Falle
dass sein Sehen nicht stört, Folgendes:
Führt man bei Fixation eines Gegenstandes in der Mittellinie eine Kerze
durch den horizontalen Meridian, während der Schielende ein rothes Glas vor
dem schielenden Auge hält, so bekommt an der Stelle, welche ihr Bild auf die
Macula lutea des abgelenkten Auges wirft, in der Begel das Licht eine röthliche
Färbung als Beweis, dass die Macula dieses Auges doch stärker empfindet als die
entsprechende periphere Netzhautparthie des eingestellten Auges. Auch pflegt
das schielende Auge stark seitlich gelegene Gegenstände, die ausserhalb des Ge-
sichtsfeldes des fixirenden Auges liegen, wahrzunehmen.
Legen wir Patienten mit concomitirendern. Schielen ein rothes Glas
vor die Augen, das die Bilder differenzirt, so kommen sie oft dahin,
dieselben als Doppelbilder wahrzunehmen. Man hält am besten das
Glas vor das fixirende Auge.
Bei vielen inuss man diesen Versuch öfters wiederholen, indem man durch Vor-
halten der Hand vor ein Auge bald das schielende, bald das gewöhnlich einge-
richtete sich einstellen lässt und die Kranken direct darauf hinweist, dass im
Moment des Freilassens des früher verdeckten Auges Doppelbilder sich zeigen
würden. Es macht hier recht lebhaft den Eindruck, dass es einer ganz besonderen
Anstrengung und ungewohnten Aufmerksamkeit auf die Bilder des schielenden
Auges bedarf, um die subjeetive Wahrnehmung der Doppelbilder hervorzurufen.
Der grosse Unterschied in der Häufigkeit der Diplopie bei para-
lytischem und concomitirendem Schielen ist vorzüglich dadurch bedingt,
Schmidt Rimpler. 7. Aufl. 38
594 Erkrankungen der Augenmuskeln.
dass von Augenmuskellähmungen in der Hegel Erwachsene befallen
werden. Ihnen wird es natürlich viel schwerer, oder es ist ihnen auch
für immer unmöglich, die Doppelbilder zu unterdrücken, da bei ihnen
bereits der psychische Verschmelzungsact beider Gesichtsfelder als ein
anwillkürlicher und mit elementarer Gewalt einhergehender sich aus-
gebildet hat. Und doch wird dies nicht selten nach einiger Zeit er-
reicht; besonders leicht gelingt es, wenn das abgelenkte Auge schwach-
sichtig. So hören wir bei Aphakie eines Auges, z. B. nach trauma-
tischem Katarakt, anfänglich öfters die Klage, dass das Sehen des ge-
sunden Auges durch die verschwommenen Bilder des anderen gestört
wird; wenn alsdann das aphakische nach aussen abgewichen ist, wie
es in einer Reihe von Fällen eintritt, schwinden auch hier allmählich
die Doppelbilder. Andererseits klagen auch Erwachsene, bei denen
concomitirendes Schielen sich entwickelt, oft dauernd über Doppel-
bilder.
Zeigen sich bei kleinen Kindern, wie es auch gelegentlich vorkommt, Augen-
muskellähmungen, so fehlen entweder die Klagen über Doppelbilder oder, wenn
sie vorhanden, so schwinden sie bald. Lehrreich ist folgendes Beispiel: Ein
älterer Patient, der an einer in frühester Jugend entstandenen Parese des R.
superior litt, hatte beiderseits volle Sehschärfe und konnte die Augen nach Willkür
abwechselnd zum Sehen benutzen. Diplopie sowie binoculares Sehen jedoch
fehlten. Die Projection erfolgte richtig.
Der Verlust der gleichzeitigen Verwerthung binocularer Eindrücke
kann sich auf bestimmte Regionen beschränken. Besonders häufig wird
diejenige Netzhautpartie des schielenden Auges ausgeschlossen, welche
in der Richtungslinie des von dem anderen Auge fixirten Objectes liegt.
Diese Partie würde ja das am meisten störende Doppelbild, nämlich das
des fixirten Objectes geben, wenn nicht von der Verwerthung ihrer
Netzhautbilder abstrahirt Avürde. Man bezeichnet dies als regionäre
Exclusion (Graefe). Während man in solchen Fällen weder spontan
noch mit vorgehaltenem buntem Glase Doppelbilder bekommt, entstehen
dieselben und werden oft der Schielstellung entsprechend projicirt, wenn
man durch vorgehaltene Prismen die von der fixirten Lichtflamme aus-
gehenden Strahlen auf andere periphere Netzhautpartien lenkt.
Nicht immer ist eine Uebereinstimmung der einzelnen Doppelbilder-
distanz mit der linearen Ablenkung des einen Auges zu finden. Es
kommen sogar Fälle von Strabismus convergens vor, wo anfänglich nach
einer Schieloperation, die nur eine Verringerung der Convergenz erzielte,
gekreuzte Doppelbilder angegeben werden, während nach der Identitäts-
lehre doch gleichnamige vorhanden sein müssten. Man hat hier von
einer Netzhaut-Incongruenz gesprochen. Wahrscheinlicher ist die
Auffassung, zumal diese gekreuzten Doppclbilder in der Regel bald
wieder schwinden, dass sich für jedes Auge eine der früheren Schiel-
Strabismus concomitans, allgemeine Diagnose. 595
stelluiii;- entsprechende besondere Protection ausgebildet hatte, die ein
binoculares Sehen ohne Doppelbilder ermöglichte. In dem angenomme-
nen Falle von Strabismus convergens würden demnach die Macula lutea
des fixirenden Auges and die ihr bei dieser Schielstell ung anatomisch
correspondirende Stelle der inneren Netzhauthälfte des abgelenkten
Auges ihre Netzhautbilder auf einen und denselben Punkt im Raum
beziehen. Wird diese Correspondenz durch eine Schieloperation gestört,
so treten eben Doppelbilder auf, die aber unter den neuen Erfahrungen
bald wieder schwinden, um so leichter, da zweifellos die anatomisch
identischen Stellen beider Netzhäute eine angeborene Beanlagung für
gleichartige Projection und Einfachsehen haben. Auch die seltenen
Fälle von Strabismus divergens, bei denen gleichnamige Doppelbilder an-
gegelten werden, lassen sich in ähnlicher Weise durch falsche Projection
erklären. Ich beobachtete eine Patientin mit Strabism. divergens alter-
nans, bei der für gewöhnlich das fixirende Auge nicht die Macula, son-
dern eine nach aussen gelegene excentrische Stelle auf das Object ein-
richtete. In dieser Schielstellung bestanden keine Doppelbilder. Be-
nutzte die Kranke hingegen, was sie willkürlich konnte, die Macula zur
Fixation, so traten trotz restirenden Strab. divergens gleichnamige
Doppelbilder auf, die ihre Erklärung in der jetzt eingetretenen und zum
Bewusstsein gekommenen Verrückung des Kreuzungspunktes der Rich-
tungsstrahlen nach innen finden.
Wir können demnach zusammenfassend bei den concomitirend Schie-
lenden bezüglich des Ausbleibens oder Auftretens der Doppelbilder
Folgendes constatiren: In der Regel besteht ein mehr oder weniger
hochgradiger Defect in der psychischen Verwerthung der Netzhaut-
eindrüeke des schielenden Auges zum binocularen Sehen. Derselbe kann
sich auf bestimmte Regionen der Netzhaut oder auf die ganze Netzhaut
beziehen. Die Projection ist entsprechend der anatomischen Identität
oder sie weicht mehr oder weniger von ihr ab. In Ausnahmefällen ist
das Vermögen einer binocularen Verwerthung beider Netzhautbilder
vorhanden.
4> Schwachsichtigkeit eines Auges. Sehr häufig ist beim
eoneomitirenden Schielen ein Auge schwachsichtig; volle Sehschärfe
beider Augen findet sich bei Schielenden verhältnissmässig selten. Auch
Refractionsdifferenzen f Anisometropie) sind oft nachweisbar. Oefters er-
klärt sich die Sehschwäche, wenigstens zumTheil, durch vorangegangene
Krankheiten, welche Hornhauttrübungen und Aehnliches zurückgelassen
haben. In anderen Fällen fehlt jedes palpable Moment, wir haben dann
eine Amblyopie ohne pathologischen Befund. Das Gesichtsfeld ist in der
Regel von normaler Weite, gelegentlich sind Verengungen desselben zu
constatiren. Auch Herabsetzungen des Lichtsinns habe ich hier und da
38 *
596 Erkrankungeil der Augenmuskeln.
gefunden. Bei Aufnahme des binocularen Gesichtsfeldes pflegt an der
Stelle, aufweiche die Sehlinie des abgelenkten Auges direct gerichtet ist,
die Sehempfindung durch dieses vermittelt zu werden. In anderen Fällen
ist aber beim convergenten Schielen das centrale Sehen so gering, dass
das abgelenkte Auge — ■ bei Verschluss des anderen — nicht mit der
Macula lutea, sondern mit einem excentrisch nach innen von ihr ge-
legenen Theil das Object fixirt. Da die Mitbenutzung des convergent
abgelenkten Auges sich vorzugsweise auf den Theil seines temporalen
Gesichtsfeldes, welcher von dem normal eingestellten Auge nicht ge-
sehen werden kann, beschränken wird, so bleibt die innere Netzhaut-
hälfte besonders in Uebung.
Man hat diese vorzugsweise bei monolateralem Schielen vorkommende
Schwachsichtigkeit als Amblyopie aus Nichtgebrauch aufgefasst.
Ihre Entstehung kann sich in der Weise erklären, dass der absichtliche
Ausschluss des betreffenden Auges bei der psychischen Verarbeitung
der Netzhauteindrücke zu einer aus Nichtübung entstandenen Minder-
werthigkeit der betreffenden Hirntheile führt; es muss (dabei voraus-
gesetzt werden, was hier zutrifft, dass in der Jugend dieser Aus-
schluss beim Beginnen des Schielens erfolgt, also zu einer Zeit, wo
das Hirn noch in voller Entwicklung ist. — Gegen die Anschauung,
dass diese Schwachsichtigkeiten immer unabhängig vom Schielen seien
und stets als congenitale Amblyopien aufgefasst werden müssten,
sprechen verschiedene Gründe.
So die ungemeine Häufigkeit ihres Vorkommens bei monocularem Strabismus
und vor Allem, dass Amblyopien, bei denen — ohne pathologischen Befund —
die grössere Sehschärfe sich wie in den erwähnten Fällen an einer excentrischen
Netzhaut findet, ohne gleichzeitiges Schielen sonst nicht zur Beobachtung kommen.
Weiter sind Fälle verfolgt worden, wo ein in der Jugend sehkräftiges schielendes
Auge später amblyopisch wurde. Ich operirte einen siebenjährigen Knaben wegen
höhergradigen Strab. convergens oculi dextri, der zur Zeit der Operation am
rechten Auge noch volle Sehschärfe bei H y4n, aber ohne binocularen Sehact be-
sass. Es blieb ein Strab. convergens von circa 1 i/2 mm bestehen. Zehn Jahre
später zählte Patient nur Finger in 4 m und fixirte mit einer Stelle der inneren
Netzhauthälfte: eine Augenerkrankung war inzwischen nicht eingetreten. Roosa
berichtet über einen Fall, wo in 4 Jahren die vorher volle Sehschärfe des schie-
lenden Auges auf 2/5 gesunken war und Schnabel führt als für unsere Auffassung
sprechend an, dass nach seiner ausgedehnten statistischen Zusammenstellung
(527 Personen mit Strabis. convergens), der Zunahme des Alters entsprechend die
Zahl derjenigen, welche auf dem schielenden Auge schlechter sehen, erheblich zurück-
geht. -- Fs ist durch die zur Erklärung der Unterdrückung von Doppelbildern
gemachte Annahme einer centralen Minderwerthigkeit in der Perception der Netz-
liautbilder weiter auch verständlich, dass später durch einseitige Uebung des Auges
die verloren gegangene Sehschärfe in der Regel nur in massigem Grade gehoben
werden kann. Wohl aber sieht man nicht selten durch derartige Uebungen und
besonders durch Oeradestellung des Auges nach der Operation eine erhebliche
Strabismus concomitans, specielle Diagnose und Aetiologie. 597
Verbesserung des Sehvermögens bezüglich .seiner G-ebrauchsfähigkeit zu Stande
kommen.
In einer grösseren Reibe von Fällen ist allerdings ans gewissen
Anzeichen (z. B. Ast irregularis) eine angeborene Schwachsichtigkeit
des schielenden Auges anzunehmen; dieselbe begünstigt die Ablenkung.
II. Speeielle Diagnose und Aetiologie.
Das concornitirende Schielen tritt entweder so auf; dass ein und
dasselbe Auge beständig in der Schielstellung sich befindet, während
das andere beständig zur Fixation benutzt wird (monoculares Schie-
lend, oder in der Art; dass beide Augen abwechselnd zur Fixation ver-
wendet werden (Strab. alternans). In letzterem Falle gestaltet sich
der Vorgang, wenn man ein Object in horizontaler Ebene von rechts,
nach links vor dem Kranken vorbeiführt, in der Regel annähernd so,
dass auf der rechten Seite des Blickfeldes das rechte Auge, auf der
linken das linke zur Fixation verwendet wird.
Ferner können wir entweder ein beständiges Abweichen eines Auges
bei Schielenden constatiren oder ein periodisch auftretendes (Strab.
periodicus). Diese letztere Form ist besonders bei Strabismus con-
vergens zur Zeit, wo dieses Schielen sich ausbildet, meist im vierten bis
sechsten Lebensjahre, sehr häufig; das Schielen tritt dann ein, wenn
das Kind „einen deutlichen Seheindruck erzielen will" (Böhm), mit
anderen Worten, wenn es accommodirt. Die Augen sind für gewöhnlich
normal eingestellt: hält man dem Kinde aber einen kleineren Gegen-
stand, etwa die Zeiger einer Uhr, nahe vor die Augen, so tritt die
convergirende Abweichung hervor und bisweilen in einem erschreckend
hohen Grade. Es kann sich dieser Zustand des periodischen Schielens
beständig erhalten oder spontan schwinden: in den meisten Fällen
kommt es zu constantem Schielen. —
Xach den oben erwähnten Verschiedenheiten diagnosticiren wir bei-
spielsweise einen Strabismus convergens alternans oder Strab. conv.
monocularis (oc. dextri oder sinistri), oder einen Strab. conv. periodicus
alternans oder Strab. conv. periodicus oc. dextri u. s. w.
Strabismus convergens concomitans.
Der Strabismus convergens ist nicht selten mit einer leichten
Höhenablenkung des schielenden Auges verknüpft. Letztere ist ent-
weder ein ungewöhnlicher, vielleicht durch besondere Ansatz- oder
Innervationsverhältnisse bedingter Effect der Contraction des R. internus,
598 Erkrankungen der Augenmuskeln.
oder es handelt sieh um eine .selbständige Mitbetheiligung der Auf-
und Abwärtswender. In ersterem, bei weitem häutigeren Falle geht
immer das nach innen abgelenkte Auge, gleichgültig, ob man mit dem
rechten oder linken tixiren lässt; nach oben; diese Ablenkung schwindet
fast regelmässig nach der Tenotomic des R. internus. Im anderen Falle
gestaltet sich die Sache folgendermaassen: Bei der Fixationsstellung
des rechten Auges steht beispielsweise das linke nach innen und etwas
nach oben gerichtet. Lässt man nun das linke Auge den betreffenden
Gegenstand tixiren, so macht das rechte Auge eine assoeiirte Bewegung
nach innen und nach unten. Meist wird auch hier, wenn nach der gegen
den Strab. convergens gerichteten Operation ein binocularer Sehact er-
reicht wird, der Höhenunterschied im Interesse des letzteren durch
entsprechende Innervation ausgeglichen; nur selten bedarf es noch
eines operativen Vorgehens gegen den Rect. superior.
Die überwiegende Zahl derer, welche an Strabismus convergens
leiden, sind Hyperopen. Eine Zusammenstellung von 154 Fällen aus
meiner Klinik ergab in 75°/0 das Bestehen von ein- oder doppelseitiger
Hyperopie. Der Einfluss, welchen diese Refractionsanomalie auf das
Zustandekommen des Strabism. eonverg. übt, wurde vorzugsweise von
Donders klar gelegt. Der Hyperop bedarf zum Sehen in der Xähe
einer grösseren Accommodationsanstrengung als der Emmetrop. Bei
der gewöhnlichen, auf den fixirten Gegenstand gerichteten binocularen
Convergenz ist ihm die erforderliche Accommodationsspannung un-
möglich. Da aber mit zunehmender Convergenz, d. h. mit erhöhter
Contraction der M. recti interni gleichzeitig eine Vermehrung der Ac-
commodationsspannung eintritt, so sucht der Hyperop sich dieselbe in
der Weise zu ermöglichen, dass er ein Auge in der für den fixirten
Gegenstand erforderlichen Convergenzstellung lässt, den R. internus
des anderen Auges aber stärker contrahirt und somit mit diesem Auge
nach innen schielt. Da die Gesammtspannung beider R. interni bei
der Accommodationsspannung jedes einzelnen Auges in Rechnung
kommt, so erhält hierdurch auch das eingestellte Auge eine höhere
Accommodation. Der Patient kann nunmehr aecommodiren, giebt aber
den binocularen Sehact auf. Das typische periodische Schielen tritt
daher immer dann auf, wenn ein in der Nähe befindlicher Gegenstand
scharf gesehen werden soll, oft steigert sich der Grad der Einwärts-
stellung ruckweise mit der zunehmenden Tendenz zu einer genauen
Accommodation auf das Objcct. Am häutigsten kommt es bei Hype-
ropen niedrigeren und mittleren Grades vor: ihnen schafft die vermehrte
Spannung des R. internus noch die Möglichkeit ausreichender Accom-
modation. Hei hochgradigen I lypermetropen reicht diese Convergenz-
erhbhunff aber nicht aus: hier ist das Schielen auch selten. Anderer-
Strabismus convergens concomitans. 599
seits sieht man es gelegentlich auftreten, wenn Hyperopen nach, schweren
Krankheiten allgemeine Muskelsehwäehe zurückbehalten haben: zur Zeit
der Gesundheit waren sie im Stande1;, mittels ihres kräftigen Accommo-
dationsmuskels ohne Zuhülfenahme übermässiger Convergenz genügend
zu aecommodiren; jetzt müssen sie zu letzterer ihre Zuflucht nehmen.
Nach Wiedergewinnung der früheren Muskelkraft sehwindet dann auch
das Schielen.
Am ehesten werden diejenigen Hyperopen zum Schielen kommen,
bei denen der binoculare Sehact schon durch Ungleichheit beider
Augen in Frage gestellt ist Dies trifft zu, wenn ein Auge sehschwach ist
oder geworden ist, (wie beispielsweise durch Hornhautflecke nach Keratitis,
wie sie nach Ausschlagkrankheiten vorkommen), wenn erhebliche Re-
fraetionsditferenzen oder wenn unregelmässiger Astigmatismus die bino-
culare Verschmelzung der Netzhautbilder erschweren. Auch zeigt sich
die Wichtigkeit der geringeren oder grösseren Festigkeit des bin-
o cularen Sehactes als Erleichterungs- oder Erschwerungsgrund für die
Kmstehung des Strabismus conv. hyperopicus darin, dass derselbe sich
in frühester Kindheit in der Regel entwickelt, während ein Entstehen
bei Erwachsenen mit sicher ausgebildetem binocularem Sehen kaum
je beobachtet wird.
Es wird ferner das bei den verschiedenen Refractionen ungleiche
Verhalten des Winkels y (vergl. S. 72) in Betracht zu ziehen sein.
Beim Hyperopen ist dieser Winkel am grössten; es steht also die
Pupillenmitte oder das Hornhautcentrum am meisten nach aussen von
der Blicklinie. Bei Einstellung beider Augen auf einen Gegenstand in
bestimmter Entfernung werden danach beim Hypermetropen die Augen
bezw. die Hornhautcentra etwas weiter nach aussen gedreht werden
müssen als beim Emrnetropen oder dem Myopen; hierzu ist eine grössere
Contraction der R. externi erforderlich, welche bei zu starken An-
forderungen nicht mehr geleistet werden kann und so eine Insuffizienz
den tnterni gegenüber hervortreten lässt.
Durch die häufige periodische Inanspruchnahme der Contraction
des R. internus kann sich nach und nach eine dauernde elastische
Spannungs Vermehrung des Muskels und damit ein constantes Schielen
entwickeln.
Wenn es trotz des Vorhandenseins der oben entwickelten ätio-
logischen Momente in einer Reihe von Fällen nicht zum Convergent-
schielen kommt, so können individuelle Hinderungsgründe, z. B. starker
Widerwille gegen Doppelbilder, Schwäche der R. interni (Ulrich) oder
auch Modificationen der normaler Weise zwischen Convergenz und
Accommodationsspannung bestehenden Beziehungen (Graefe) vorliegen,
welche uns hierfür eine Erklärung geben.
600 Erkrankungen der Augenmuskeln.
Andererseits wird Strabismus convergens auch beobachtet, ohne
dass wir hyperopisehe Refraetion oder Aceommodationssehwäche linden.
Hier handelt es sich um ein bereits bestehendes elastisches Ueber-
gewicht oder eine ungewöhnlich grosse Kraft der M. recti interni,
musculäre Anomalien; welche Schweigger mit besonderem Nachdruck
auch für das hyperopisehe Convergentschielen in den Vordergrund stellt.
Schon in der Norm überwiegt der Krafteffeet der Interni den der
Externi; sie drehen das Auge im Blickfeld nach innen circa 45 Grad,
während die R. externi es nach aussen nur circa 40 Grad bewegen.
Doch bestehen hier zahlreiche Abweichungen, besonders von der Re-
fraction und dem Alter abhängig. Es lässt sich nun nachweisen, dass
bei einer Reihe von Oonvergentsehielenden ein selbst über dieses normale
Maass hinausgehendes Plus von Bew^egungskraft den R. interni zu-
kommt. Nach Sehne 11er 's Untersuchungen würde es sich nicht mehr
um reines Accommodationsschielen handeln, wenn die Blickfeldgrenzen
nach innen um mehr als 11 bis 14 Grad die nach aussen überragten.
Diese Fälle ganz eigentlich musculären Schielens liefern ihr Contingent
besonders zu der Kategorie der constant Schielenden, unter denen wir
auch eine grössere Reihe von Emmetropen, selbst Myopen finden.
Allerdings wird durch den Umstand allein, dass zur Zeit der Unter-
suchung Emmetropie oder geringe Myopie besteht , noch nicht ausge-
schlossen, dass es sich ursprünglich doch um aecommodatives Schielen
gehandelt habe. In zahlreichen Fällen geht die früher bestandene
Hypermetropie mit zunehmendem Alter in Emmetropie oder Myopie
über; der in Folge des Accommodations- Impulses ursprünglich ent-
standene Strabismus convergens bleibt aber bestehen, weil sich in-
zwischen eine dauernde Spannungszunahme der Interni entwickelt hat. —
Bisweilen beobachtet man auch bei einseitigen Augenentzündungen
mit stärkerer Lichtscheu oder unter Schluss verband, wenn das Auge
geöffnet und untersucht Avird, eine früher nicht vorhandene eonvergirende
Ablenkung, besonders bei Kindern; aber auch bei Erwachsenen kommt
dies gelegentlich vor. Nach Hebung der Krankheit verschwindet das
Schielen, das in einzelnen Fällen als Folge eines refieetorisehen Reizes
und somit als krampfartige Contraction des R. internus, in anderen als
Ausdruck eines musculären, unter gewöhnlichen Verhältnissen durch
den binocularen Sehact beherrschten Uebergewichts dieses Muskels auf-
zufassen ist.
Sehr eigenthümlich ist das convergente Schielen, das sich bei
Myopen mittleren Grades in dem zweiten Jahrzehnt ihres Lebens oder
noch später entwickelt Da bei ihnen der binoculare Sehact schon voll
ausgebildel ist, klagen sie viel über Doppelbilder. Meist tritt das
Schielen zuerst periodisch auf, dabei wird längere Zeit hindurch für die
Strabismus divergens. (i()l
Nähe noch eorrect eingestellt, während für die Ferne bereits Convergenz
besteht. Später kann für die Nähe selbst Divergenz vorhanden sein.
In manchen Familien ist das Schielen erblich; in der Regel be-
steht in diesen Fällen liv|>eropisehe Refraction.
Der Strabismus convergens (weniger der Strabismus divergens) ist
häutig von einer schiefen Kopfhaltimg begleitet: die dem schielenden
Auge angehörige Gesichtshälfte wird meist nach vorn gedreht. Es ge-
schieht dies im Interesse des fixirenden Auges, das jetzt beim Gerade-
aussehen die seinem musculären Gleichgewicht entsprechende Adductions-
stellung einnehmen kann (Hock).
Strabismus divergens.
Die dauernde Naehaussenwendung eines Auges pflegt sich später
zu entwickeln als das Einwärtsschielen. Während letzteres vorzugsweise
Hvperopen befällt, finden sich unter den nach auswärts Schielenden
überwiegend Myopen. Mancherlei Gründe - — abgesehen von bereits
bestehenden Kraftanomalien der Muskeln — erklären uns diese Neigung
zur Divergenz. Selbst bei normaler Augenstellung ist, sowohl was
die Grenzen des Blickfeldes als die Ueberwindung von Prismen be-
trifft, bei Myopen kein derartiges Ueberwiegen der Interni über die
Externi zu eonstatiren, wie bei Hypermetropen und Emmetropen. Die
Verlängerung des Auges, die eiförmige Gestalt desselben bei höher-
gradiger Myopie bewirkt ein Nachvornrücken der Ansatzstellen der
Recti: hierbei wird aber besonders stark der Rect. externus gedehnt
werden, da er von seinem medialen Ursprung am Foram. opticum sich
nach aussen und vorn um den Bulbus herumschlägt, während der
Internus in mehr gerader, nach vorn gehender Richtung zu seinem An-
satzpunkt gelangt. Die erhöhte Dehnung des R. externus hat die Folge,
dass jeder ihn treffende Innervationsimpuls einen stärkeren Contractions-
effeet hervorrufen und somit das Auge ausgiebiger temporalwärts be-
wegen wird. Weiter kommt hinzu, dass der Winkel 7 kleiner ist als bei
Emmetropen und Hvperopen. Eine bestimmte Convergenzstellung er-
fordert für den Myopen eine stärkere Einwärtsrichtung der Hornhaut-
mitte, also eine stärkere Anspannung der R. interni als beim Emme-
tropen. Daraus folgt, dass bei dem gleichzeitigen Hinderniss, welches
die vermehrte Spannung des Externus bietet, dieser leichter das Ueber-
gewicht erhält und das Auge nach aussen zieht. Auch ist zu erwägen,
dass bei dem innigen Zusammenhang zwischen Accommodation und
Convergenz die geringere Accommodationsspannung, deren die Myopen
bedürfen, auch die Convergenztendenz verringert. Wenn wir, ohne zu
accommodiren, vor uns hinstarren, kommen die Augen leicht in Diver-
602 Erkrankungen der Augenmuskeln.
genzstellung, wie die auftretenden gekreuzten Doppelbilder erweisen.
Dieses Uebergewicht der Externi beim „gedankenlosen" Blick, bei dem
Mangel der strengeren Fixation und Aceommodation erklärt es, dass
Strabismus divergens sich so häutig bei Personen entwickelt, bei denen
ein Auge erblindet ist. Selten nur beobachten wir, dass das Auge
nach innen abweicht: hier handelt es sich meist um Erblindungen
in den ersten Lebensjahren, wo noch hyperopisehe Refraction die
Regel ist.
III. Verlauf.
Es ist zu betonen, dass eine Reihe von Convergentschielenden in
späteren Jahren spontan aufhört zu schielen. Da dies fast ausnahms-
los nur bei dem mit Hyperopie verknüpften Strabismus eintritt, so
unterstützt es die Ansieht, dass es sich hier nicht immer um unab-
änderliche, gleichsam organische Aenderungen der Muskelkraft handelt.
Besonders oft verschwindet der periodische Strabismus convergens. Die
Zahl derer, welche angeben, in ihrer Jugend geschielt zu haben, ist
gar nicht gering. Es ist interessant zu beobachten, dass gelegentlieh
einer von diesen, wxenn er in die Zeit der Presbyopie kommt und nicht
die entsprechende Convexbrille benutzt, wiederum hei starker Aceommo-
dationstendenz auf die Künste seiner Jugend verfällt und ein Auge
abnorm stark nach innen rollt, jetzt aber meist ohne den gewünschten
Effeet.
Beim Zustandekommen der spontanen Heilung spielen verschiedene
Momente mit. Vor Allem ist, wie bereits A. v. Gracfe ausgeführt hat,
eine Umwandlung der hypermetropischen Refraction in Emmetropie oder
Myopie gar nicht so selten; es fällt damit der eigentliche Zweck
des Schielens, die Accommodationserleichterung fort, und es wird, be-
sonders wenn im jüngeren Alter die Umwandlung stattfindet, beim Fehlen
secundärer Muskelanomalien eine Geradstellung der Augen erfolgen.
Aber auch trotz erhaltener Hyperopie schwindet bisweilen das Schielen.
Hier kann einmal die Abnahme der Aeeommodationsbreite bei zuneh-
mendem Alter eine Rolle spielen, da trotz Convergenz doch keine ge-
nügende Aceommodation mehr erzielt würde, andererseits nimmt auch
die Neigung, die Gegenstände mögliehst nahe an die Augen zu bringen,
wie sie sieb bei jungen Kindern zeigt, mit den Jahren allmählich ab.
Für eine grössere Entfernung aber reicht die Areommodationskraft
ohne abnorme Convergenzanspannung aus. Auch spielt der Wille
zur binoeularen Fixation eine erhebliehe, bisher nicht genügend
betonte Rolle, wenn es sich darum handelt. Schielstellungen zu ver-
meiden: so worden manche erwachsene Schielende einfach aus kosme-
Therapie des concomitirenden Schielens. (303
tischen Gründen veranlasst, die Augen richtig einzustellen. Hierdurch
löst sich allmählich das Band, welches sich zwischen Aeeommodations-
tendenz und abnormer Convergenz gebildet hat. Auch mögen Verän-
derungen im Sehnenansatz der Muskeln, wie sie mit der Vergrößerung
der Orbita in den Jahren des Wachsens verknüpft sind (Weiss), weiter
in Betracht kommen.
IV. Therapie.
Die Behandlung des Strabismus convergens muss in den Fällen,
wo sich eine Abhängigkeit von Hyperopie zeigt, zuerst danach streben,
auf friedlichem Wege eine normale Einstellung der Augen zu erzielen.
Die meiste Aussicht hierzu ist vorhanden, wenn grössere Anomalien in
der Muskelkraft, worüber besonders die Blickfeldmessung Auskunft giebt,
fehlen, wenn das Sehvermögen beider Augen ein annähernd gleiches
ist und ein gewisses, normales, binoculares Sehen (durch Hervorbringung
von Doppelbildern erweisbar) noch besteht. Vor Allem muss man hier
eine übermässige Accommodation durch Tragen von entsprechenden
Gonvexgläsern unnöthig machen. Für die Nähe sind jedenfalls diejenigen
Convexgläser zu tragen, welche die volle, oft latente Hypermetropie
ausgleichen. Für die Ferne lasse man Gläser entsprechend der mani-
festen Hyperopie verwenden. Ausserdem ist auf eine Stärkung des
binocularen Sehactes hinzuarbeiten. Falls das Auge erheblich seh-
schwacher sein sollte und vor Allem, wenn es seine Gebrauchsfähigkeit
eingebüsst hat, sind Separatübungen anzustellen. Man lässt zu dem
Zweck täglich einige Male etwa V4 bis ]/2 Stunde lang unter Verdeckung
des besseren Auges mit einer Klappe das sehschwache Auge grössere
Schrift lesen, entsprechend seiner Sehkraft und nötigenfalls mit Zu-
hülfenahme von Convex- oder cylindrischen Gläsern. In einiger Zeit
lässt sich hierdurch oft eine erheblich gesteigerte Ausdauer und Ver-
wendbarkeit des Auges erreichen. Alsdann sucht man durch stereo-
skopische Uebungen, auf die du Bois-Reymond als Heilpotenz für
Schielende zuerst aufmerksam gemacht hat, binoculares Sehen zu
schaffen und die Gradstellung zu befördern.
Man benutzt am besten das sogenannte amerikanische .Stereoskop. Xach
Javal's Vorgang kann man sich hierbei farbiger Oblaten bedienen, die, ent-
sprechend der Schielstellung, auf der Seite des convergent schielenden Auges etwas
näher an der trennenden Mittellinie des Vorlegeblattes aufgeklebt werden. Ich
benutze als Vorlegeblatt eine starke Pappe, welche horizontale Rinnen enthält,
in denen sich je zwei übereinanderstehende kleine farbige Scheiben mit einem
Drahtstäbchen verschieben und so sehr bequem mehr oder weniger der Mittellinie
annähern lassen: auf beiden Hälften liegt in der Mitte eine rothe Scheibe, darüber
auf der ünken Hälfte eine blaue, auf der rechten Hälfte darunter eine grüne
iii)4 Erkrankungen der Augenmuskeln.
Scheibe. Wird nun beispielsweise bei Strabismus convergens des linken Auges
auf der linken Hälfte des Yorlegeblattes die rothe Scheibe so der senkrechten
Trennungslinie genähert, dass ihre Lage der Macula des linken Auges entspricht,
während die rothe Scheibe der rechten Hälfte — entsprechend der Macula des
rechten Auges — etwas entfernter von der senkrechten Trennungsfläche steht, so
uiuss der Schielende, wenn binoculares Einfachsehen vorhanden ist, beide rothe
Scheiben zu einer verschmelzen und darüber eine blaue und darunter eine grüne
Scheibe sehen. Das einmal erregte binoculare Einfachsehen kann alsdann dazu be-
nutzt werden, indem man die linken farbigen Seheiben allmählich so weit abzieht, dass
sie in gleicher Entfernung von der Mittellinie des Vorlegeblattes stehen, dass eine
correcte Augenstellung erzielt wird. Doch haben diese Uebungen meist nur Er-
folg nach Ausführung der Schieloperation, um das hierdurch annähernd erreichte
musculäre Gleichgewicht im Interesse des Einfachsehens zu einem vollen zu
machen. Wohl aber kann man, besonders wenn man die Oblaten der Schielseite
hin und her bewegt, in Fällen, wo die Gesichtswahrnehmungen des schielenden
Auges ganz unterdrückt waren, meist wenigstens eine Wahrnehmung der Seh-
eindrücke (ein binoculares Doppeltsehen) erzielen. — Auch anderweitige stereo-
skopische Uebungen haben meist erst nach der Operation den Effect, binoculares
Einfachsehen zu schaffen.
Leider sind stereoskopische Uebungen beim Beginn des Schielens
gewöhnlich nicht ausführbar, da es sich in der Regel um kleine, nicht
genügend verständige Kinder handelt. Dasselbe gilt bezüglich des
Tragens von Convexbrillen, die in diesem Lebensalter leicht zerschlagen
werden und so den Augen selbst Gefahr bringen können. Man ward
sich daher hier mit den Separatübungen des schlechter sehenden Auges
begnügen müssen, und, wenn es geht, zu vermeiden suchen, dass ein
monolaterales Schielen sich entwickelt. Aber auch durch Aufmerksam-
machen und Ermahnen sind die Kinder vom Schielen abzuhalten und
so ihr „Wille zur binocularen Fixation" zu stärken. Von der An-
wendung medicamentöser Mittel, wTelche die Accommodation beein-
flussen, ist nicht viel zu erwarten. Man hat Atropinlösungen empfohlen,
um die Accommodation ganz zu lähmen und damit die Schielstellung
als nutzlos zu hintertreiben, oder auch im Gegensatz dazu Eserinein-
träufelungen, um durch den auftretenden Accommodationskrampf die
optische Naheeinstellung ohne übermässige Convergenz zu ermöglichen :
einen dauernden Heileffect habe ich von beiden Mitteln nicht gesehen.
Schieloperation (Strabotomie). Wir bekämpfen das Schielen durch
die Tenotomie (Rücklagerung) des zu stark wirkenden Muskels oder
durch die Vorlagerung des Antagonisten.
Stromeyer (1838), der die Tenotomie an anderen Muskeln so emsig geübt
hat sie auch gegen das Schielen empfohlen. Am Lebenden haben Dieffenbach
(1839) and Jules Guerin (1839) sie zuerst ausgeführt. Hoch waren im Beginn
die Resultate, da zum Theil der Muskel durchschnitten wurde, sehr wenig er-
freulich: gleich nach der Operation erhielt man allerdings eine gute Augenstellung.
aber nach einiger Zeit zog der Antagonist das Auge nach der anderen Seite.
Ich habe selbst noch einen \<>n Dieffenbach operirten .Mann gesehen, der früher
Schieloperation. ö05
nach innen geschielt hatte und jetzt mit beiden Augen nach aussen schielte:
d. h. die beiden durchschnittenen li. interni waren fast vollkommen unthätig. —
Allmählich kam man dazu, einfach die Sehne von derSclerazu lösen, wie Böhm
L845 es eingehend beschrieben hat: das Verdienst Albr. v. G-raefe's war es,
durch genaue Feststellung des Endeffectes und der Indicationen die Operation
auf die Höhe gebracht zu haben, auf der sie jetzt steht.
Bei der Rücklagerung wird die Sehne des abnorm stark wirken-
den Muskels an ihrer Anheftungsstelle von der Sclera getrennt. Der
Antagonist kann nunmehr den Bulbus zu sich hinüberziehen. Diese
Lageveränderung in Verbindung mit der eigenen Contraction des teno-
tomirten Muskels bewirkt, dass die Sehne einige Millimeter hinter dem
früheren Ansatzpunkte anheilt. Durch dieses Abrücken vom vorderen
Augenpol wird der Einfluss des Muskels auf die Drehung des Auges
dauernd verringert. Es kommt noch hinzu, dass die Länge der An-
heftungslinie der Sehne an der Sclera in der Regel bei der Anheilung
eine kleinere wird.
Da die Sehne, wie wir gesehen, bei ihrem Durchtritt durch die
Tenon'sche Kapsel seitliche Einscheidungen abgiebt und auch sonst
an ihrer der Sclera zugewandten Seite mehrfache Anheftungsfäden hat,
so wird nach einfacher Abtrennung ihrer bogenförmigen Ansatzlinie der
Einfluss des Muskels auf die Augendrehung — selbst ehe es zur Wieder-
anheilung gekommen — doch noch nicht gänzlich aufgehoben. Je mehr
man jedoch die Tenon'sche Kapsel seitlich einschneidet und je voll-
ständiger die sonstigen Verbindungen gelöst werden, um so weiter
rückwärts wird die neue Anheftung der Sehne erfolgen oder mit anderen
Worten, um so grösser ist der Effect der Schieloperation.
Dieselbe wird beim R. externus oder internus so ausgeführt, dass
man eine horizontal verlaufende Conjunctivalfalte in der Nähe des
Sehnenansatzes emporhebt, indem man eine Pincette, die eine Branche
oben, die andere unten, etwa 4 oder 5 mm beim Internus, 6 mm beim
Externus vom Hornhautrande entfernt, aufsetzt. Mit einer leicht ge-
bogenen, aber zur Vermeidung von Einstichen in den Bulbus beiderseits
stumpf endenden Scheere wird nunmehr die Conjunctivalfalte senkrecht
in einer Ausdehnung von 5 bis 6 mm eingeschnitten, dann geht man mit
der Scheere unter die Conjunctiva ein und schiebt sie, sich auf dem Bul-
bus haltend und mit kleinen Schnitten schneidend, in schräger Richtung
(nach oben-innen oder unten-innen beim R. internus, oder nach oben-
aussen oder unten-aussen beim R. externus) ziemlich weit nach hinten
in die Tiefe. Man legt sich hiermit den Zugang zu dem oberen oder
unteren Rande des Sehnenansatzes frei. Welchen von beiden man
übrigens wählt, hängt von der Bequemlichkeit der Schnittführung ab :
sitzt man vor dem liegenden Patienten, so geht man bequemer zu dem
oberen Rande, sitzt man hinter seinem Kopfe, zu dem unteren. Als-
601 i
Erkrankungen der Auerenmuskeln.
dann wird ein Schielhaken (Figur 17(J) in die freigelegte Bahn so vor-
geschoben, dass der Kopf desselben dem Sehnenrand abgewandt ist.
Befindet man sich mit dem Schielhaken ein Stück hinter dem Sehnen-
ansatz, so führt man ihn unter die Sehne, indem man ihn mit dem
Knopf auf der Sclera zu ihr hindreht. Nunmehr den Schielhaken in
die linke Hand nehmend, präsentirt man sich den Sehnenansatz und
durchschneidet ihn dicht unter dem Haken. Häufig wird darin gefehlt,
dass man sowohl mit der Scheere als mit dem Haken nicht genügend
in die Tiefe geht: es befindet sich dann nur etwas Bindegewebe und
nicht die straffe und deutlich erkennbare Sehne auf dem Haken. Nach
der Trennung geht man mit einem zweiten kleineren Haken noch
einmal nach oben und unten, um etwa stehengebliebene Verbindungen
hervorzuziehen und zu durchschneiden. Man hüte sich, zu sehr in das
Orbital-Fettzellgewrebe mit dem Haken zu kommen, da
<sss^ alsdann, besonders bei Kindern, leicht etwas vorfällt. Mit
der Dosirung der ausserordentlich selten erforderlichen
Strabotomie des R. superior oder inferior muss man be-
sonders vorsichtig sein. Hier genügt gewöhnlich eine
partielle Trennung der Sehne, die hingegen für die Seit-
wärtswender fast ohne jeden Effect bleiben würde. Gleich
nach der Operation wird constatirt, ob ein entsprechender
Verlust an Beweglichkeit nach der operirten Seite hin nach-
weisbar ist. Ist dies nicht der Fall, so kann man sicher
sein, dass noch directe Verbindungen der Sehne mit der
Sclera bestehen und muss demnach noch einmal mit dem
Schielhaken danach suchen.
Der Effect einer in dieser Weise vorsichtig ausgeführten
Operation ohne stärkere Einschnitte in die Seitenverbin-
dungen corrigirt im Durchschnitt bei Strab. convergens
2 bis 3 mm Schielablenkung; bei Strab. divergens weniger.
Dies ist natürlich nur eine sehr bedingte Angabe, da der
Grad der Correction von sehr vielen Nebenumständen (wie Kraft des
Antagonisten, Refraetion des Auges u. s. w.), von denen zum Theil noch
später die Rede sein soll, abhängig ist.
Um aber ein annäherndes Urtheil über den Erfolg der Operation
zu haben, nehme man nach derselben eine Prüfung vor; doch wrarte
man etwas, besonders bei Kindern, bis die Operirten wieder sich er-
holt haben und willenskräftig geworden sind. Man lässt den Patienten
mit etwas gesenkter Visirebcne ein Licht in einer Entfernung von circa
179.
Schielhaken.
3 bis 4 m fixiren, das in der Richtung der Mittellinie des Kopfes sich
befindet und beachte die Augenstcllung. Bei Strab. convergens ist ein
restirendes Einwärtsschielen von 1 bis 2 mm erwünscht. Alsdann ist
Schieloperation. (>07
hier noch zu prüfen, ob keine Insufticienz des zurückgelagerten Mus-
kels eingetreten ist. Der Patient muss ein ihm in der Mittellinie ge-
nähertes Object (z.B. die Fingerspitze) noch bis zu einer Annäherung
von etwa 12 cm dauernd fixiren können; weicht das Auge früher nach
aussen, so ist ein späteres Uebersehlagen in Divergenz zu befürchten
und der Operationseffeet sofort zu beschränken. Zu dem Zwecke näht
man die periphere Schnittfläche der Conjunctiva, die bei obiger Ope-
rationsweise noch zum Theil mit der Sehne und dem Muskel in Ver-
bindung bleibt, an die corneale an. Diese Conjunctivalnaht zieht mit
der central gerückten Conjunctiva auch die Sehne wieder näher an die
Cornea heran. Die Naht lässt man vier Tage liegen, bis die definitive
Anheilung der Sehne erfolgt ist. Will man hingegen den Effect ver-
grössern, so macht man grössere seitliche Einschnitte in die Tenon'sche
Kapsel, oder auch man legt eine Naht unter die Conjunctiva der ent-
gegengesetzten Augenhälfte in grösserer oder geringerer Länge, welche
geknüpft die Conjunctiva zusammenschnürt und so das Auge nach der
betreffenden Seite wendet.
I >ie einfache Strabotomie hat eine Eeihe von Modificationen in der Ausführung
erfahren. So machten Bowman und Critchett die Operation gleichsam subcutan,
indem sie den Conjunctivalschnitt nicht senkrecht, sondern horizontal längs des
unteren Sehnenrandes anlegen, dann die Scheere einführen (eine Branche vor,
eine hinter die Sehne) und den Ansatz durchschneiden. Sie vermeiden damit
gleichzeitig ein Zurücksinken der peripheren Conjunctivalpartie. Letzteres ist
kosmetisch besonders störend bei der Internusoperation, weil mit der Conjunctiva
auch die Carunkel etwas zurücksinkt. Um dasselbe wie bei der englischen Methode
zu erzielen, und dennoch einen ausgiebigen Zugang zum Operationsterrain zu
haben, empfiehlt es sich nach Liebreich, die Conjunctiva bis zur Carunkel hin
vollständig von ihrer Unterlage zu lösen und dann nach erfolgter Tenotomie die
Conjunctivalwunde zu vernähen. Es tritt hierbei keine Verkleinerung des Opera-
tionseffectes ein, da die Conjunctiva eben nicht mehr mit der gelösten Sehne in
Verbindung steht. Nach Arlt macht man den Conjunctivaleinschnitt dicht vor
dem Sehnenansatz, lüftet dann die Conjunctiva und fasst die Sehne mit einer
Pincette. —
Bei höheren Graden der Schielablenkung (etwa über 3 mm bei Strab.
convergens und über 2 mm bei Strab. divergens) wird die einmalige
Schieloperation meist nicht genügen. Man kann alsdann die Operation
auf beide Augen symmetrisch vertheilen, beispielsweise bei Strab. con-
vergens beide E. interni tenotomiren; hierdurch erfolgt beiderseits eine
entsprechende Auswärtsstellung. Diese Methode hat den grossen Vor-
theil, dass man nicht, wie bei einer ausgiebigen einseitigen Operation,
eine derartig starke Schwächung des operirten Muskels bewirkt, dass
ein absoluter Beweglichkeitsdefect des Auges die Folge ist. Anderer-
seits ist zu erwägen, dass bei sehr hohen Graden selbst eine dreimalige
Tenotomie (zweimal an demselben AugeJ nöthig werden kann. Weiter
608 Erkrankungen der Augenmuskeln.
können sich gegen dies Verfahren Bedenken erheben, wenn das stark
schielende Auge sehr sehschwach ist. Hier könnte ein Unglückstall,
der bei der Operation das sehende Auge schädigte, zur vollen Er-
hlindung führen.
Man verlagert deshalb in solchen Fällen, um eine stärkere Wirkung
zu erzielen, nach der Strabotomie des contrahirten Muskels den Antago-
nisten weiter nach vorn. Die hierzu erforderliche Vorlagerung (Guerin,
Grit che tt) wird in folgender Weise ausgeführt. Man incidirt die
Conjunctiva über dem schwachen Muskel (bei Strabismus divergens
also, nach der Strabotomie des Externus, über dem Internus), als wenn
man die Tenotomie ausführen wollte, nimmt nach ausgiebiger Lockerung
der Conjunctiva von dem unterliegenden Gewebe die Sehne auf den
Schielhaken und legt nun Fäden durch den Muskel in der Nähe seines
Uebergangs in das Sehnengewebe. Man kann hier zwei, mit je zwei
krummen Nadeln versehene Fäden benutzen. Der eine Faden dient
zur Sicherung der oberen Partie des Muskels, der andere zu der der
unteren; ersterer wird demnach in der Nähe des oberen, letzterer in
der Nähe des unteren Muskelrandes von hinten her durchgeführt. Als-
dann wird die Sehne von der Sclera gelöst, wobei man darauf achten
muss, die Fäden nicht zu durchschneiden. An diesen zieht man nun-
mehr den Muskel mit seiner Sehne nach vorn und näht ihn an, indem
man die zweite krumme Nadel jedes Fadens wiederum von hinten her
durch die gegenüberliegende (d. h. der Cornea anhaftende) Conjunctiva
sticht und dann, nach Entfernung auch dieser Nadel, die Enden jedes
einzelnen Fadens verknüpft. Je näher an der Cornea man die Con-
junctiva — eventuell auch in schräger Richtung nach oben, bezw.
nach unten dem verticalen Meridian des Auges zu — durchsticht, um
so weiter wird die Sehne vorgezogen werden. Man achte darauf, dass
der Muskel gerade nach vorn, nicht etwa nach oben oder unten, ver-
lagert wird. Die Conjunctivalwun.de wird über der Sehne ebenfalls
vernäht. Wenn es sich um secundäres Divergenzschielen nach einer
Strabotomie des Internus mit Zurücksinken der Carunkel behandelt,
bewirkt man ein Wiederhervorziehen der letzteren noch besser so,
dass man, nachdem die Conjunctiva von dem unterliegenden Ge-
webe bis zur Carunkel hin gelöst ist, von dem peripheren Wund-
rande ein mehrere Millimeter breites, halbmondförmiges Stückchen
Conjunctiva abschneidet und nun erst die Conjunctivalwunde durch
Nähte vereinigt.
Ein Vornähen des geschwächten Muskels ohne vorangegangene
Lösung der Sehne des Antagonisten hat nur geringen Effect. Wohl
aber habe ich einen, die einfache Schieloperation übertreffenden Effect
erzielt, indem ich nach Tenotomie des Antagonisten den geschwächten
Schieloperation. (JQ9
Muskel in der oben angegebenen Weise vornähte, ohne jedoch seine
Sehne von ihrem Ansatz gelöst zu haben. Wecker hat in ähnlicher
Weise die Tenon'sche Kapsel vorgenäht, indem er oberhalb und unter-
halb der Sehne sie incidirte und hier die Nadeln einführte.
Die Fäden entfernt man nach drei bis vier Tagen oder lässt sie
auch durchreissen bezw. einheilen.
Während die Yornähung bei Divergentschielen, wo ein excessiver
( >perationseffeet sieh im Laufe der Zeit zu verringern pflegt, häufiger
indicirt ist, sollte man beim Convergentschielen, bei welchem ziemlich
regelmässig, oft noch nach Jahren, eine Steigerung der Operations-
wirkimg zu Stande kommt, doch recht vorsichtig sein, da durch das
1 lei überziehen des Bulbus nach der Seite des vorgenähten Muskels
der tenotomirte leicht zu weit hinten anheilt. Muss man hier vor-
nähen, so ist es besser, die Tenotomie und Vornähung in zwei
Tempi zu machen: d. h. letztere erst nach sechs bis acht Tagen
auszuführen, wenn die Sehne des tenotomirten [Muskels bereits an-
geheilt ist.
Landolt empfiehlt als Regel die A^ornähung des Antagonisten
und des gleichnamigen Muskels des anderen Auges ohne Tenotomie
des contrahirten Muskels. Ich kann nur betonen, dass mir die oben
entwickelten Indicationen bei den von mir gemachten Operationen im
Allgemeinen recht gute Resultate gegeben haben.
Die Nachbehandlung besteht im Anlegen eines Schlussverbandes
mit gleichzeitiger Verklebung des anderen Auges.
In den ersten drei bis vier Tagen lässt man den Operirten im
Zimmer bleiben. Wenn auch im Grossen und Ganzen sowohl die
Vornähung als besonders die einfache Strabotomie als durchaus un-
gefährliche Operationen zu betrachten sind, so werden doch Fälle
mitgetheilt, in denen durch Vereiterungen im Orbitalfettgewebe, durch
Scleralaffection und eitrige Chorioiditis die Augen zu Grunde ge-
gangen sind. Vor Allem dürften hier wohl directe Wundinfectionen in
Frage kommen, gelegentlich aber auch Schädlichkeiten in der Heilungs-
periode.
Schon aus diesem Grunde empfiehlt sich die gleichzeitige Ope-
ration beider Augen, wenn ein höherer Schielgrad eine doppelseitige
Tenotomie indiciren sollte, nicht. Aber auch die Rücksicht auf die
Augenstellung lässt es vorsichtiger erscheinen, erst den Effect der
einen Operation in seiner Weitergestaltung abzuwarten. Wir be-
obachten nämlich noch lange dauernde Nachwirkungen, welche bei
Strab. convergens in der Regel den Effect vermehren, bei Strab. di-
vergens ihn vermindern.
Die unmittelbar nach der Operation bestehende Ablenkung wird
Schmidt-Rimpler. T.Auflage. 39
610 Erkrankungen der Augenmuskeln.
mit der Wiecleranheilung der Sehne an die Sclera, vom dritten Tage
an, etwas vermindert, indem der Muskel jetzt wieder einen festen An-
satzpunkt für seine Wirkung erlangt hat. Aber in einer dritten Periode,
die etwa nach sechs bis acht Wochen beginnt, vergrössert sich in der
Kegel dureh Erschlaffung der Anheftungsstelle bei Strab. convergens
der Operationseffect von Neuem.
Für den Enderfolg ist maassgebend, ob ein binocularer Sehact,
wenn auch nur in massigem Grade, besteht oder nicht. Ist derselbe
aufgehoben, so ist die Tendenz zur Divergenz eine erheblich stärkere.
Ja selbst ein ziemlicher Grad von Strab. convergens, den man nach
der Operation noch bestehen lässt, kann allmählich in Strab. diver-
gens übergehen. Weniger häufig, auch in Fällen, wo der binoculare
Sehact fehlt, wird dies eintreten, wenn Hyperopie des sehenden Auges
vorhanden ist, da die Accommodationsanstrengung die Convergenz
unterstützt. Doch ist selbst hier zu beachten, dass sich bei jugend-
lichen Individuen die Hyperopie mit der Zeit in Myopie umgestaltet
und damit die Accommodationstendenz, welche dem U eberschlagen in
Divergenz entgegensteht, verloren geht. Die Fälle, wo nach Jahren
— selbst bei früherem binocularen Sehact — Divergenz eintritt, wenn-
gleich in der latenten Form, sind recht häufig, trotzdem sie von den
besten Operateuren operirt sind. Es spielen hier zu viele Momente
mit, als dass man mit absoluter Sicherheit den Endeffect bestimmen könnte.
Bei jugendlichen Individuen muss man auf jeden Fall noch einen Strab.
convergens von 1 bis 2 mm, wenigstens bei Ausschluss eines Auges
unter der deckenden Hand, nach der Operation stehen lassen. Sollte
selbst, wie es ausnahmsweise geschieht, besonders wenn von Hyperopen
nicht die corrigirenden Brillen getragen werden, die Convergenz im
Laufe der Zeit sich mehren, so ist damit weniger verloren, da sich
die Operation alsdann wiederholen lässt. — Bei Strab. divergens hin-
gegen geht selbst eine, gleich nach der Operation vorhandene Ueber-
correction meist zurück.
Falsche Dosirungen des Effectes, die in der, der Operation nächst-
folgenden Zeit hervortreten, kann man in etwas ausgleichen, indem
man Schielbrillen tragen lässt. Wird die eine Hälfte des Brillen-
glases verklebt, die andere, welche sich dem Antagonisten des operirten
Muskels gegenüber befindet, offen gelassen, so muss das Auge sich
beim Sehen dahin wenden. Es wird hierdurch der noch nicht feste
Ansatz des tenotomirten Muskels gelockert und der Effect der Ope-
ration gesteigert. Eine Verringerung des Effectes ist mittels der um-
gekehrt angelegten Schielbrille kaum zu erhoffen. Zwingt man nämlich
das Auge, nach der Seite des tenotomirten Muskels zu blicken, so wird
die < 'ontraction desselben zerrend auf den noch nicht festen Sehnen-
[nsufficienz der M. recti interni. (>H
ansatz wirken und so der durch Dehnung des Antagonisten erstrebte
Effect nicht erreicht werden.
Handelt es sich um hyperopischen Strab, convergens, so kann
man, wenn der Sehnenansatz nach einiger Zeit genügend gesichert
ist, durch Arbeiten in der Nähe ohne Brille dem Muskel eine höhere
aecommodative Spannung geben. Andererseits wird man bei zu ge-
ringem Effect oder bei guter Stellung die corrigirende Convexbrille
für die Xahearbeit, eventuell selbst für die Fernarbeit tragen lassen.
Auch kann eine vollkommene Accommodationslähmung durch Atropin
die Convergcnztendcnz zeitweise verringern.
Ist ein binoculares Sehen vorhanden — und es tritt öfters selbst
in den Fällen zu Tage, wo vor der Operation absolut keine Doppel-
bilder erzielt werden konnten — , so sind methodisch stereoskopische
Uebungen zu machen; um eine correcte Stellung zu erzielen und dauernd
zu erhalten. Man beginnt mit meiner oben beschriebenen Vorlage mit
farbigen Scheiben, geht dann über zu Bildervorlagen, wie sie beispiels-
weise von Burchardt, Kroll-Perlia und Dahlfeld herausgegeben
sind ( vergi. S. 158) und endet mit den das körperliche Sehen anregenden
gewöhnlichen stereoskopischen beziehentlich geometrisch-stereosko-
pischen Bildern. Sehr selten werden die geometrischen Figuren von
Schieloperirten sofort körperlich gesehen, jedoch gelingt es nach einiger
Uebung doch in einer Reihe von Fällen. Noch schwieriger ist das
Bestehen des Hering'schen Fallversuches: aber auch dies wird von
Einigen erreicht. — Immer ist der „Wille zur binocularen Fixation"
dauernd anzuregen.
Der Enderfolg der Schieloperationen wird je nach der bestehenden
Sehschärfe der Augen und der erreichten Normalisirung der Stellung
verschieden ausfallen. In einer beträchtlichen Zahl der operirten Fälle
— so bei hochgradiger Schwachsichtigkeit eines Auges — ist der factische
Effect nur ein kosmetischer. In anderen wird eine Steigerung der Ge-
brauchs- und Sehfähigkeit des früher abgelenkten Auges und ein mehr
oder weniger vollkommener binocularer Sehact erzielt. Da aber hierzu
Xachübungen erforderlich sind, so thut man gut, die Kinder erst eine
gewisse geistige Reife erreichen zu lassen und nicht vor Ablauf des
5. oder 6. Lebensjahres zu operiren, wenn es sich nicht etwa um ganz
hochgradige Schielformen handelt, bei denen man sich vorläufig mit
einer annähernden Richtigstellung begnügen kann.
3. Insuffizienz der M. recti interni. Asthenopie.
Bei nicht wenigen Menschen geht die sonst vorhandene genaue
Augeneinstellung beim Blick auf einen nahen Gegenstand verloren,
39*
612 Erkrankungen der Augenmuskeln.
sobald man ein Auge mit der Hand verdeckt: ausgeschlossen vom
binocularen Sehact weicht dasselbe, und zwar meist nach aussen ab.
Diese Stellung entspricht seiner musculären Ruhelage. Die genaue Ein-
stellung beider Augen auf ein nahes Object findet, abgesehen von dem
Einflüsse des binocularen Sehens und dem Widerwillen gegen Doppel-
bilder (Fusionstendenz), eine weitere Stütze in der zum ISSahesehen er-
forderlichen Accommodationsspannung, die, wie wir wissen, stets mit
Anspannung des R. internus verknüpft ist, und im Convergenzgefühle.
Da Kurzsichtige weniger Accommodation bedürfen als Emmetropen und
Hypermetropen, so erklärt sich, dass vorzugsweise bei ihnen eine stärkere
Verminderung des Convergenzvermögens hervortritt. Es gesellen sich
bei höheren Graden der Kurzsichtigkeit hierzu noch die Momente, die
wir oben als den manifesten Strab. divergens begünstigend kennen
gelernt haben. Aber auch bei Emmetropen und Hyperopen können
wir diese Insuffizienz (dynamische Divergenz, latenter Strab.
divergens) beobachten, wenngleich sie weniger häufig belästigt, da
beim Lesen und Schreiben keine so starke Annäherung der Objecte
erforderlich ist.
Die Beschwerden sind die der Asthenopie: der Mangel an Aus-
dauer beim Arbeiten in der Nähe. Wenn die Patienten beispielsweise
lesen, so werden nach einiger Zeit die Buchstaben undeutlich, selbst
doppelt gesehen. Dazu gesellt sich Druck in und über den Augen:
auch Kopfschmerzen und Uebelkeit kann die Folge sein. Es beruht
dies Alles auf der unzulänglichen und bald ermüdenden Thätigkeit der
R. interni. Im Beginn des Lesens werden noch beide Augen genau
eingestellt; nach einiger Zeit erschlafft die Kraft der R, interni: die
Augen kommen in Divergenzstellung. Damit treten gekreuzte Doppel-
bilder auf, die dem Kranken meist nicht voll zum Bewusstsein kommen,
sondern nur die Erscheinung eines „Flininierns" oder „Verschwommen-
seins" machen. Sucht er nun durch neuen Convergenzimpuls wieder
richtig einzustellen, so wird die Schrift wieder deutlicher. Dass sich
wiederholende An- und Abspannen des Muskels, die Doppelbilder und
die vermehrte Innervation zu ihrer momentanen Ueberwindung geben
dann Anlass zu den complicirenden nervösen Erscheinungen.
Insuffizienz der R. externi kann ebenfalls Asthenopie veranlassen
(Noyes).
Diese Form der Asthenopie wird vorzugsweise als mus ciliare
bezeichnet, im Gegensatz zu der oben geschilderten aecommodativen,
retinalen und nervösen. Jedoch beruht das Hervortreten d er Beschwerden,
wenn auch die Muskelschwäche die directe Ursache bildet, häufig auf
hiniTvationsstörungen aus centralen Ursachen (neuralgische Insuffizienz)
oder liegt in allgemeinen Schwächezuständen, die eine entsprechende
Insufficienz der M. recti interni. Diagnose. (IIB
stärkere Innervation des schwachen Muskels verhindern. Dafür spricht
das zeitweilige Auftreten der Asthenopie und ihr Verschwinden, ohne
dass eine directe Stärkung des Muskels eingetreten wäre.
Nicht selten werden hohe Grade von Insuffieienz überwunden, bei
denen jegliche asthenopische Beschwerden fehlen. Für die stärkere Inner-
vation des insufficienten Muskels können von Bedeutung sein die Stärke
des Fusionsvermögens für Doppelbilder und andere Momente (Accom-
modation; Xahebewusstsein [Hansen Grut] oder Convergenzgefühl
[A. Graefe]; Wille zur binocularen Fixation) ; selbst bei insufficienter
Muskelkraft kann so eine dauernd correcte Einstellung bewirkt werden.
Auch sei hervorgehoben, dass die mechanische Hebung oder Aus-
gleichung der Muskel-lnsufficienz durchaus nicht immer die betreffenden
Beschwerden verschwinden lässt. Es besteht hier oft eine Complication
mit sonstiger Nervosität.
Diagnose. Die Schwierigkeit der Diagnose liegt darin, dass zeit-
weise durch einen erhöhten Nervenimpuls die Muskeln ihre volle Kraft
zeigen können. So kann das P. proximum der Convergenz bei An-
näherung eines zu fixirenden Objectes vollkommen normal sein, ebenso
die Breite des durch Prismen (Basis nach aussen vor ein Auge gelegt)
zu bestimmenden Adductionsvermögens. Sollten hier erheblichere Ab-
normitäten hervortreten, so würde die Diagnose sich daraus ergeben;
doch wird bei den auch physiologisch nicht geringen Schwankungen
durch diese Bestimmungen in der Regel keine ausreichende Sicherheit
gewonnen.
Albrecht von Graefe hat deshalb einen anderen Versuch
(Gleichgewichts versuch) angegeben, indem er dem Patienten
durch Vorhalten eines Prismas mit der Basis nach unten oder oben vor
ein Auge künstlich übereinanderstehende Doppelbilder schafft. Jetzt
kann das Interesse des Einfachsehens, welches ihn für gewöhnlich ver-
anlasst, die R. interni abnorm zu innerviren und die Augen richtig zu
stellen, nicht mehr in Frage kommen; die Augen werden sich so stellen,
wie sie nach ihrem musculären Gleichgewicht stehen sollten. Die Prüfung
wird für eine Entfernung gemacht, die der individuellen Leseweite, welche
nach dem Grade der Myopie und der etwaigen Correction durch Concav-
gläser verschieden ist, entspricht. Als Object wird ein schwarzer Punkt
(Tintenfleck) auf weissem Papier benutzt. Dies ist besser als eine senk-
rechte Linie mit einem darauf befindlichen Punkte, weil bisweilen schon
durch die Linie, welche in eine einzige verschmolzen werden kann, die
Fusionstendenz angeregt wird.
Hält man beispielsweise vor das linke Auge ein Prisma von 18 < Jrad
Basis nach unten, und blickt auf den schwarzen Punkt des in 25 cm
Entfernung vorgelegten Papiers, so wird der, welcher eine normale
IJ14 Erkrankungen der Augenmuskeln.
Augenstellung hat, jetzt zwei Punkte sehen, die gerade übereinander
.stehen: der höhere gehört dem linken Auge an. Tritt aber eine Diver-
genz der Augen ein, so rückt das höhere Bild des linken Auges nach
rechts herüber. Dieses Auftreten von gekreuzten Doppelbildern erweist
die Insuffizienz der M. recti interna. Den Grad der Insufficienz können
wir durch dasjenige Prisma ausdrücken, welches mit der Basis nach innen
vor das andere Auge gelegt, die Doppelbilder wieder gerade über-
einander bringt. In der Regel sind beide R. interni insufficient; sollte
der eine es im höheren Grade sein, so lässt sich dies meist erkennen.
Bei Bestimmung des P. prox. der Convergenz durch Annäherung eines
< )bjectes in der Mittellinie wird nämlich das betreffende Auge mit
ziemlicher Regelmässigkeit zuerst abweichen; jedoch können hier auch
1 >ifferenzen in der Refraction und Sehschärfe eine beeinflussende
Rolle spielen.
Besser noch ist es für die Xähe (etwa 30 cm) das Adductionsvermögen zu be-
stimmen, indem man zuerst das stärkste Prisma feststellt, welches beim Vorlegen
vor das linke Auge (Basis nach aussen) im Interesse des Einfachsehens des
fixirten Ob jeetes überwunden werden kann; alsdann — aber nach längerer Kuhe-
pause — macht man dieselbe Bestimmung, indem man das Prisma vor das rechte
Auge legt. Zeigen sich hier Differenzen in der Stärke der Prismen, so hat das
Auge, welches nur das schwächere Prisma durch Schielen überwindet, auch den
schwächeren R. internus. —
Der Gleichgewichtsversuch ist zur Diagnose der Insufficienz nicht
in allen Fällen ausreichend, da er durch Accommodationsänderungen,
durch den AVillen zur genauen binocularen Fixation und selbst durch
eintretende Fusionstendenz bisweilen schwankende Resultate giebt: öfters
gehen dem Kranken die Punkte hin und her, stehen nicht fest u. s. w.
Alfred Graefe bestimmt den Grad der Insufficienz daher etwas
anders. Er legt vor ein Auge ein Prisma mit der Basis nach innen,
lässt einen Punkt in der entsprechenden Entfernung fixiren, bedeckt
alternirend die Augen und sieht nun, ob nach dem Wiederfreilassen
das betreffende Auge eine Einstellungsbewegung macht. Rückt es nasal-
wärts, so ist seine Ruhestellung eine mehr divergente, das Prisma wäre
also zu schwach, und umgekehrt. Das Prisma, unter dem die Augen,
bedeckt und wieder frei gelassen, still stehen bleiben, entspracht der
Ruhestellung.
Es liegt in der Natur der Insufficienz, dass der Grad derselben fin-
den Blick auf nähere oder fernere Gegenstände ein verschiedener ist,
\uv weitere Entfernungen geringer. Es ist daher nicht selten, dass der
Gleichgewichtsversuch, beim Blick auf ein in 4 oder 5 m befindliches
Licht angestellt, vollständig normale Stellung, ja selbst einen latenten
Strabismus eonvergens ergiebt.
Insufficienz der M. recti interni. Therapie. (315
Therapie. Die Behandlung kann eine friedliche oder operative
sein. Bei geringerem Grade ist die erstere immer vorzuziehen und
selbst bei höheren Graden wird man öfters durch theilweise Correction
die Beschwerden heben. Man kann versuchen, durch sehr vorsichtig
angestellte stereoskopische Hebungen, wie wir sie oben zur Behandlung
des Strab. convergens empfohlen haben, eine Stärkung der R. interni zu
erzielen: doch muss man eine genaue Controle führen, da eine Ueber-
anstrengung derselben, wie sie hierbei leicht vorkommt, gerade im
Gregentheil eine Verringerung ihrer Kraft zur Folge haben könnte.
Mehr verspricht der constante Strom, Aufgeben jeder Nahebeschäftigung
während 4 — 6 Wochen, allgemeine Kräftigung. Symptomatischen Nutzen
bringen Prismen, deren Gebrauch für eine Insufficienz bis zu sechs
oder acht Grad immer angezeigt ist. Hat man in der Leseweite des
Patienten (beispielsweise 30 cm) eine Insufficienz von sechs Grad ge-
funden, so verordnet man ihm zur Arbeit eine Brille, die beiderseits
Prismen von drei Grad hat. Prismen über fünf Grad sind wegen ihrer
Schwere und Farbenzerstreuung nicht gut verwendbar. Bei den höher-
gradigen Insufficienzen wird man sich demnach, wenn man nicht
operiren will, mit partieller Correction oder einer Combination mit
sphärischen Gläsern helfen. Durch letztere legt man die Leseweite
etwas hinaus und wird dann in der Regel für die grössere Entfernung
auch eine geringere Insufficienz constatiren. Hätte ein Myop 6-0, wenn
er in seinem Fernpunkt (16.6 cm) die Schrift liest, ohne Correction
eine Insufficienz von 10 Grad, so könnte man durch ein Concavglas 3-0
den Fernpunkt auf 33-3 cm hinrausrücken. Liest er nunmehr in 22 cm,
so ergiebt die Messung in der Regel eine geringere Insufficienz (bei-
spielsweise sechs Grad). Es hat hier nicht nur die Entfernung einen
Einrluss auf Verringerung der Insufficienz geübt, sondern auch die unter
der Brille erfolgende stärkere Accommodationsspannung. Die Brille
würde dann so verschrieben werden: Brille, beiderseits: — -3-0, Prisma
3 Grad, Basis nach innen. Bisweilen genügt schon einfach das Tragen
sphärischer Gläser, um durch Hinausrücken der Leseweite die In-
sufficienz zum Verschwinden zu bringen oder auf ein minimales Maass
zurückzuführen. In letzterem Falle kann man auch die prismatische
Wirkung, welche stärkere Concavgläser ausüben, sobald man durch
ihre Randpartien sieht, benutzen. Man lässt das Brillengestell so ein-
richten, dass der Kranke beiderseits durch die innere Hälfte des Concav-
glases sehen muss.
Die operative Behandlung der Insufficienz der R. interni besteht
in der Tenotomie des R. externus: wenn sich der R. externus eines
Auges stärker als der des anderen erweist, so wird am ersteren Auge
operirt.
(516 Erkrankungen der Augenmuskeln.
Wie wir gesehen, ist die Insufficienz für verschiedene Entfernungen ver-
schieden. Hauptsächlich kommt die Leseweite und die grössere Sehweite in
4 bis 5 m in Betracht. Nehmen wir an, in ersterer Entfernung hestehe eine In-
sufficienz von 16 Grad: in letzterer gar keine Insufticienz. Würden wir jetzt durch
eine Tenotomie des E. externus, die gleich IG Grad Prismawirkung wäre, für die
Leseweite Gleichgewichtsstellung erreichen, so entstünde für die Entfernung ein
Strabismus convergens von IG Grad; Patient würde für die Ferne gleichnamige
Doppelbilder erhalten. Allerdings könnte er bei gutem Fusionsvermögen die-
selben vielleicht zusammenbringen und so den entstehenden Strabismus conver-
gens latent machen. Ob er dazu im Stande ist, müssen wir vor der Operation
in der Weise zu erfahren suchen, dass wir ihm durch Prismenvorlegung, Basis
nach innen, für die Ferne gleichnamige Doppelbilder schaffen und sehen, ob er
sie dauernd durch dynamische Divergenz vereinen kann. Ist beispielsweise unser
Patient im Stande, wenn er auf ein 5 m entfernt stehendes Licht blickt, während ihm
vor ein Auge ein Prisma von 16 Grad mit der Basis nach innen gelegt wird, die
entstehenden Doppelbilder zu verschmelzen, so wird er es voraussichtlich auch
nach der Tenotomie können: wir können also eine Operation = 16 Grad ausführen.
Ueberwindet er hingegen nur Prisma von 10 Grad, so wird die Tenotomie nur
daraufhin zu dosiren sein; es bliebe dann für die Nähe noch eine Insufficienz von
6 Grad, welche durch Prismen eventuell corrigirt werden könnte. Bei erheblich
höheren Differenzen ist die Operation überhaupt nicht mit Nutzen auszuführen.
Um gleich nach der Tenotomie des Externus — die, vorsichtig ausgeführt, v. Graefe
für diese Fälle durchschnittlich in ihrem definitiven Erfolg gleich der Ablenkung
eines Prismas von IG Grad setzt — die definitive Stellung ungefähr absehätzen zu
können, ist ein Licht in mindestens 3 m Entfernung, welches etwa 15 Grad nach
der Seite des nicht operirten Auges hin gehalten wird, bei etwas gesenkter Ebene
zu fixiren. In dieser sogenannten Electionsstellung soll Gleichgewicht oder
höchstens eine Convergenz von Prisma 3 Grad bestehen; Abweichungen nach einer
oder der anderen Richtung sind zu corrigiren. Alfred Graefe, der genaue
Nachuntersuchungen angestellt hat, betont, dass durchaus nicht immer die Elec-
tionsstellung der definitiven Wirkung entspreche. Er legt mehr Gewicht auf die
nach der Tenotomie des Externus auftretende Abductionsbeschränkung, die nie
über 5 mm steigen darf, und weiter auf die Lage des Indifferenzpunktes (d. h. des-
jenigen Punktes, auf welchen unter der deckenden Hand binoculare Einstellung
erfolgt), der in der Pegel nicht näher als 30 cm liegen soll. Tritt auch bei noch
grösserer Annäherung keine Divergenz ein, so ist eine den Effect verringernde
Sutur einzulegen, um spätere Convergenz zu vermeiden. Wenn man nach diesen
Kegeln die Operation dosirt, so hat in den ersten Tagen das Auftreten gleich-
namiger Doppelbilder, welche das Vorhandensein einer Convergenzstellung be-
Meisen, in der Kegel nicht viel zu bedeuten, da sie mit der zunehmenden Wirkung
des Kxternus wieder zu verschwinden pflegen.
Im Grossen und Ganzen wird man gut thirn, die Operation auf die
Fälle zu beschränken, bei denen auch für die Ferne eine Insufficienz
der [nterni nachweisbar ist. Der definitive Erfolg der Operation tritt
in der Rege] nach sechs bis acht Wochen hervor.
Augenniuskelkräinpfe. 017
4. Augenmuskelkrämpfe. Nystagmus.
l>ic Augenmuskelkrämpfe sind meist tonischer Natur. So beob-
achtet man starre, assoeiirte Blickrichtungen bei verschiedenen Hirn-
undMeningealaffectionen; ebensobei epileptischen und anderenKrämpfen.
Bei einer Hysterischen stellte sich, wie ich gesehen, zeitweise eine
krampfhafte Convergenz der Sehachsen, die gegen den Nasenrücken
hin gerichtet waren, ein und bewirkte das Auftreten von Doppelbildern
und Schwindelerscheinungen. Auch dauernden Strabismus convergens
als Ausdruck eines Krampfes des R. medialis habe ich bei Hysterischen
gesehen. In dasselbe Gebiet gehört das Convergentschielen, welches
wir gelegentlich bei entzündlichen Augenkrankheiten in dem Moment
eintreten sehen, wo wir die Augen öffnen und untersuchen.
Bekannt ist die Deviation conjuguee, die Pre"vost beschrieben
hat. Hier besteht eine starke Seitwärtsstellung der Augen, welche bei
Grosshirnverletzung der betreffenden Seite zugekehrt — die Kranken
sehen den Krankheitsherd an — , bei Erkrankungen im Pons, Pedunculus
cerebelli und Cerebellum nach der entgegengesetzten Seite gerichtet ist.
Doch sind neben bestätigenden Erfahrungen auch entgegengesetzte
(Bernhardt) veröffentlicht worden. Nach den oben erwähnten Unter-
suchungen würden Reizungen der Rinde, speciell des Hinterhautlappens
ebenfalls assoeiirte Abweichung der Augen nach der entgegengesetzten
Seite bewirken.
Als Nystagmus*) (vvöt<x^co} ich nicke), Augenzittern, bezeichnen
wir eigentümliche, hin und her zitternde Bewegungen, die fast stets
beide Augen treffen und assoeiirt verlaufen. Wenn die Bewegungen
wie meist von rechts nach links, oder von -oben nach unten gerichtet
sind — eine diagonale Richtung ist selten — , so nennt man den
Nystagmus o sei IIa torisch: drehen sich die Augen um die Blicklinie
in Radbewegungen, rotatorisch. Bisweilen werden auch gleichzeitig
schwankende Kopfbewegungen gemacht.
Der Nystagmus findet sich in der Regel bei Individuen, die von
Kindheit an sehschwach sind; gewöhnlich ist der Grad der Sehschwäche
bei beiden Augen verschieden.
Aber auch bei Individuen mit voller Sehschärfe wird bisweilen ein
von Kindheit an bestehendes Augenzittern beobachtet. Eine Störung
in der Localisation der gesehenen Gegenstände ist trotz der beständigen
Bewegungen bei diesen Formen nicht vorhanden. Nicht selten besteht
* Deutsche Heerordnung'. §9 Abs. 2. Landsturm 1. Aufgebots: Anlage 4.9a.
Augenzittern 'Nystagmus). — Vergl. S. 69.
(513 Erkrankungen der Augenmuskeln.
neben dem Nystagmus noch Strabismus convergens. Häutig findet sich
eine bestimmte Blickstellung, bei der eine annähernde Ruhe der Augen
eintritt (Böhm), während bei anderen Blickrichtungen ein sehr vermehrtes
Zucken sich einstellt. Auch Gemüthserregungen häufen die Zuckungen.
Im Alter verringern sie sich bisweilen. Vorübergehende Zuckungen be-
obachtet man gelegentlich an disponirten Augen während entzündlicher
Augenaffectionen, wenn sie plötzlich dem Licht ausgesetzt werden, nach
Trigeminusreizungen (Raehlmann) u. s. f.
Die Ursachen des Nystagmus sind vorzugsweise in Innervationsano-
malien zu suchen.
Für die meisten Fälle erscheint die Wilbr and' sehe Erklärung mit einer
gewissen Modification zutreffend. Dieselbe geht von der Anschauung aus. dass
die Centren im Mittel- und Kleinhirn, welche auf Reflexe hin die Augenbewegungen
beeinflussen, hier überwiegend zur Geltung kommen gegenüber den Seh- und
willkürlich wirkenden Bewegungscentren des Grosshirns. "Werden letztere in den
Hintergrund gedrängt, etwa durch primäre oder auch reflectorische Reize, die von
den Hautnerven, den sensiblen Fasern des Trigeminus und den halbcirkelförmigen
Canälen des Ohres den Klein- und Mittelhirncentren zugehen, so entstehen nystag-
mische Bewegungen. Dass überwiegende Beize der reflectorischen Centren Augen-
zuckungen hervorbringen können, dafür sprechen physiologische und pathologische
Befunde. Um aber den typischen Nystagmus zu Stande zu bringen, bedarf es
ausserdem noch der Sehintentionen. Denn abgesehen davon, dass eigentlicher
Nystagmus bei denen, die im späteren Alter erblindet . sind, fast stets fehlt, so
finden wir ihn auch meist nicht bei Individuen, die .in früher Jugend vollständig
erblindet sind. Dieselben zeigen zwar häufig unwillkürliche assoeiirte Augen-
bewegungen, die bald nach rechts, bald nach links oder unten gerichtet sind; aber
das eigentliche nystagmische Zucken, wo bei den excessivsten Bewegungen ein
Spiel von Nachlassen und Wiederanspannen eintritt, fehlt ihnen. Meiner Meinung
nach ist bei diesem nystagmischen Zucken gerade dem Mitwirken des Sehactes
eine hervorragende Rolle zuzuschreiben. Durch ihn werden die unwillkürlichen
Bewegungen, welche durch das Ueberwiegen der reflectorischen Centren bedingt
sind, im Interesse des Sehens durch willkürliche Fixationsbestrebungen unter-
brochen. Dies giebt zu einem zwischen beiden Einflüssen ausbrechenden Kampf
Anlass.
Unwillkürliche nystagmusähnliche Augenzuckungen entwickeln sich
gelegentlich bei Centralleiden: so besonders bei disseminirter Sclerose
(Chareot, Uli th off), bei Pachvmeiiingitis (Fürstner), »Sinusthrom-
bose (Nothnagel), hereditärer Ataxie (Friedreich), Cerebrospinal-
Meningitis (Leyden) und Hirntumoren. Hier werden die Kranken
auch durch die Scheinbewegungen der angesehenen ( >bjecte belästigt.
Eigenartig ist der Nystagmus, der bei Bergleuten der Kohlen-
wi srke zur Beobachtung kommt (P. Schröter). Während bei hellem
Licht die Augen ihre normale Stellung innehaben, befällt sie im Dämmer-
licht Nystagmus. Die Bewegungen treten am stärksten beim Blick
nach aufwärts hervor, beruhigen sieh bei gesenkter Yisirlinie. Dabei
Augenmuskelkrämpfe. ß!9
entstehen durch die Seheinbewegungen, welche die Gegenstände an-
nehmen, erhebliche Sehstörungen. Oft ist Hemeralopie damit verknüpft.
Die Ursache der Erkrankung liegt in einer durch Ueberanstrengung
entstandenen Parese des Muskeltonus der Heber des Auges (Nieden),
die durch die gebückte Körperhaltung und die gewöhnlich nach oben ge-
richtete Augenstellung, welche die Leute bei der Arbeit anwenden
müssen, veranlasst ist; hierzu kommt die beständige Anstrengung, im
Dunkeln zu erkennen.
Die Behandlung des Nystagmus der Schwachsichtigen ist im
Ganzen aussichtslos. Besteht gleichzeitig Strabismus eonvergens, so
kann man durch Operation desselben meist auch eine gewisse Ver-
ringerung der nystagmischen Zuckungen erzielen. Blaue Brillen sind
öfters den Kranken angenehm.
Die Bergleute, welche von Nystagmus befallen werden, müssen ihre
Beschäftigung aufgeben. Neben roborirendem Verfahren sind Strychnin-
injectionen und der constante Strom mit Nutzen angewandt worden.
Gehen die Patienten nach erlangter Heilung wieder in die Bergwerke,
so treten in der Regel Recidive auf.
Zweites Kapitel.
Erkrankungen der Orbita.
Anatomie.
Die Orbita entspricht ihrer Form nach einer abgestumpften vier-
seitigen Pyramide, deren basale Oeffnung der Gesichtsfläche zugekehrt
ist. Sie hat von letzterer bis zum Canalis opticus gemessen eine Tiefe
von durchschnittlich 40 mm beim Weibe, 43 mm beim Manne (Merkel).
Die Achsen beider Augenhöhlen convergiren in der Weise nach hinten,
dass sie sich bis zur Sella turcica verlängert, unter einem spitzen
Winkel schneiden würden. Dieser Winkel ist bei den einzelnen Indi-
viduen verschieden gross. Die obere Wand (das Dach) der Orbita wird
620 Erkrankungen der Orbita.
von der Pars orbitalis des Stirnbeines, die vorn in den Margo supra-
orbitalis endet, weiter hinten vom kleinen Flügel des Keilbeins gebildet;
die untere Wand vom Planum orbitale des Oberkiefers und Proc. maxil-
laris des Jochbeines (Margo infraorbitalis), — nach hinten vom Processus
orbitalis des Gaumenbeines; die innere dünnste Wand von der Lam.
papyracea des Siebbeines, vom Thränenbein und ganz vorn vom Proc.
frontalis des Oberkieferbeines (letzterer bildet mit dem Proc. nasalis des
Stirnbeines den inneren Augenhöhlenrand), nach hinten vom vorderen
Theil der Seitenfläche des Keilbeinkörpers; die äussere Wand hinten
von dem grossen Keilbeinflügel und vorn von dem Jochbein (Margo
temporalis). Durch das an der Spitze des Pyramidenraumes befindliche
Foramen opticum treten der N. opticus, unter- und lateralwärts von
ihm die Art. ophthalmica ein. Weiter nach aussen liegt die Fissura
orbital, super., welche dem N. oculomotorius, trochlearis, abducens,
R. ophthalm. n. trigemini sowie der Ven. ophthalmica superior und
inferior Durchtritt gewährt, und dieser gegenüber nach unten mit
lateraler Richtung die Fiss. orbitalis inferior, welche theilweise von
Fasermassen ausgefüllt für den Subcutaneus malae und Infraorbitalis
nebst den Vasa infraorbitalia und einem Ast der Ven. ophthalmica
facialis bestimmt ist. Sie verbindet die Orbita mit der Fossa pterygo-
palatina und der unteren Schläfengrube, was für die Fortsetzung von
Geschwülsten von Bedeutung ist.
Die vordere Grenze der Augenhöhle bildet der starke Orbitalrand.
Um die von ihm eingeschlossene Orbitalöffnung in ihrer Grösse zu be-
stimmen, pflegt man den Höhendurchmesser und den Breitendurchmesser
festzustellen und daraus den Orbital-Index (Höhendurchmesser x 100,
dividirt durch den Breitendurchmesser) zu berechnen. Besonders in den
letzten Jahren sind zahlreiche derartige Messungen ausgeführt worden,
um etwaige Beziehungen der Augenhöhlen-Oeffnung zu der Entstehung
des myopischen Augenbaues klarzulegen (vergl. S. 77).
Am oberen Rande der Orbita, etwa dem Ende des inneren Drittels
entsprechend, findet sich die Incisura supraorbitalis, durch welche der
gleichnamige Nerv und die Arterie zur Stirn ziehen. Häutig liegt
etwas medianwärts davon für den frontalen Nerv und die Arter.
und Ven. frontalis noch eine besondere Incisur (Incisura frontalis). Etwa
4 mm unter dem unteren Orbitalrande verlassen Nervus und Arteria
infraorbitalis auf der Wange durch das Foramen infraorbitale den
Canalis infraorbitalis, durch welchen sie am Boden der Augenhöhle ge-
zogen sind.
Die Arteria ophthalmica, welche aus der Carotis interna stammt,
giebt zuerst einen Ast ab, aus dem die Arter. centralis retinae und die
medialen I üliararterien entspringen, weiterhin die lateralen ( üliararterien,
Anatomie. (;2 1
die Arteria lacrymalis und die Art. supraorbitalis. Ueber den Sehnerv
zur medialen Seite fortgehend, heisst der Hauptstamm Arteria naso-
frontalis und endet in die Arteria frontalis und A. ethmoidalis anterior.
Das venöse Blut wird durch die Von. ophthalmica supcrior und in-
ferior — letztere ergiesst sieh meist noch innerhalb der Augenhöhle in
die erstere ■ — in den Sinus cavernosus der Schädelhöhle entleert.
Aber es bestehen ausgedehnte Communicationen mit den Venen der
Schläfengegend und der Kopfhaut, so dass bei Stauungen in dem
Sin. cavernosus ein Abftuss des Blutes dorthin um so eher möglich ist,
da den Orbitalvenen die Klappen fehlen. An der äusseren Seite des
I opticus liegt das Ganglion ciliare, welches eine lange Wurzel vom
X. nasociliaris des Trigeminus und eine kurze vom N. oculomotorius,
ausserdem sympathische Pasern aus dem Plexus caroticus erhält.
Aus ihm entspringen die kurzen Ciliarnerven, welche am hinteren
Pole in den Bulbus dringen; die langen Ciliarnerven kommen vom N.
nasociliaris.
Abgesehen von dem Bulbus und den zu ihm gehörigen Muskeln,
Grefassen u. s. w. enthält die Orbita reichliches Fettgewebe. Dasselbe
zerfällt in zwei abgetrennte Partien, von denen die eine innerhalb des
Muskeltrichters, die andere ausserhalb desselben liegt. Die Grenzmem-
bran des Fettzellgewebes gegen den Bulbus und die Conjunctiva hin
bildet die Tenon'sche Kapsel. Die sich gegenüberliegenden Flächen
der letzteren und des Bulbus sind mit einem Endothel überzogen;
zwischen ihnen liegt ein Lymphraum, welcher nach hinten in den über
der äusseren Sehnervenscheide liegenden supravaginalen Raum über-
geht (Schwalbe). Die Tenon'sche Kapsel wird von den Sehnen
der Augenmuskeln durchbrochen; an diesen Stellen schlägt sie sich auf
die Muskel über und tritt mit deren Fasern in Verbindung.
Das Periost der Orbita (Periorbita) setzt sich am Orbitalrande in
eine Fascie fort, welche an den Tarsus der beiden Lider und an dem
Ligamentum canthi internum und externum endet (Fascia tarso-orbi-
talis). Hierdurch wird der Orbital -Inhalt nach vorn vollständig ab-
geschlossen; eine Verletzung der Fascie bei Lidoperationen lässt
das Fettzellgewebe der Augenhöhle oft in unangenehmer Weise her-
vorquellen.
Von Bedeutung für die Erkrankungen des Orbita sind auch die
ihr anliegenden Höhlen: Highmorshöhle, Stirnhöhle, Xasenhöhle,
Keilbeinhöhle und Siebbeinzellen.
\\2'J Erkrankungen der Orbita.
1. Knochenerkrankungen.
In der Regel treten die Erkrankungen der knöchernen Orbital-
wände unter dem Bilde der Periostitis auf; welcher später Caries und
Nekrose folgen; seltener sind letztere Affectionen primär. Besonders
häutig wird der Randtheil der Orbita betroffen. Unter dumpfer Schrnerz-
empfmdung schwillt das betreffende Augenlid an und röthet sich.
Es kommt zu einer umschriebenen Geschwulst, die anfangs sehr hart,
sich später meist erweicht; nach erfolgtem Durchbruch entleert sich
Eiter. Die Sonde stösst auf rauhen Knochen. Gewöhnlich folgt dann
Verwachsung der Haut mit dem Knochen, Narbenschrunipfung und
bei entsprechendem Sitz des Leidens Ectropium. In einzelnen
Fällen erfolgt auch Resorption und Zertheilung ohne Eiterung. Be-
ginnt die Knochenaffection in der Tiefe der Orbita; so bestehen meist
heftigere Entzündungserscheinungen : der Augapfel tritt hervor, die (Jon-
junctiva bulbi wird chemotisch; oft entsteht durch die Verschiebung
des Auges Doppeltsehen. Es lässt dies auf ein Ueb ergreifen der Ent-
zündung auf das benachbarte orbitale Fettzellgewebe schliessen.
Als besonders charakteristisch für die Periostitis gilt die Schmerz-
haftigkeit der entsprechenden Orbitalwand bei Druck mit dem Finger.
Um den Sitz der Affection zu finden, muss man die Orbita betasten
und oft tief mit dem Zeigefinger eingehen. Ferner pflegt die Haut
und das subcutane Bindegewebe selbst bei tiefsitzender Periostitis
weniger intensiv betheiligt zu sein, als bei einer primären Entzündung
des Fettzellgewebes der Orbita. Gesellt sich zu tiefsitzenden Peri-
ostiten secundär eine Entzündung des Fettzellgewebes, so ist dieselbe
gewöhnlich local begrenzt, fühlt sich als festere umschriebene Masse
an und drängt den Bulbus zur Seite, so dass seine Beweglichkeit nach
der entsprechenden Richtung hin beschränkt wird. Dennoch lässt sich
zwischen primärer Fettzellgewebsentzündung und Periostitis nicht immer
mit Sicherheit die Diagnose stellen. Heftige Schmerzen, oft in der
Nacht exacerbirend, begleiten nicht selten das Leiden. —
Die Knochenaffectionen der Orbita, besonders des Randes derselben,
kommen vorzugsweise im jugendlichen Lebensalter zur Beobachtung.
Ich habe bei einem dreivierteljährigen Säugling eine ohne Ursache ent-
standene acute Ostitis des rechten Oberkiefers mit Lidödem und Ex-
ophthalmus beobachtet, die innerhalb 8 Tagen zu ausgedehntem Eiter-
durchbruch in die Alveolen und in die Nase führte. Meist liegt
scrophulöse und tuberculöse Diathese zu Grunde, öfters geben auch
Traumen den unmittelbaren Anlass. Im späteren Lebensalter spielt
Syphilis eine bedeutende Rolle.
Die Prognose ist, falls nur die Randpartie ergriffen, eine verhält-
Entzündung des Fettzellgewebes. 623
nissmässig gute. Hat jedoch die Periostitis oder Caries in der Tiefe
der Orbita ihren Sitz, so wird sie bedenklieh, da durch die Fortsetzung
der Erkrankung auf das Fettzellgewrebe oder auf die Venen, wobei
eine Thrombosirung derselben zu Stande kommt, deletäre Augenent-
zündungen, Sehnervenatrophie, selbst ein Uebergreifen auf das Ge-
hirn oder Prämie veranlasst werden kann. Plötzlich auftretendes hohes
Fieber, starker Exophthalmus, Benommenheit pflegen diesen Ausgang
einzuleiten. Besonders gefährlich sind die am Orbitaldache in der Tiefe
sitzenden Processe. Es kann Durchbruch in die Stirnhöhlen und von
diesen aus, oder auch direct, in das Gehirn erfolgen.
Die Behandlung wird die Constitution berücksichtigen müssen.
Besonders gilt dies von Scrophulose und Syphilis. Bei letzterer sind
grosse Dosen von Jodkali oft von Nutzen. Local kann man im Beginn
durch Blutentziehungen, Einreibungen mit Mercurialsalbe in die Um-
gebung oder Bepinselung mit Jodtinctur die Entzündung zu bekämpfen
suchen. Kalte Umschläge werden selten Verwendung finden. Ist die
Arreetion weiter vorgeschritten, so dass eine Eiterung zu erwarten steht,
so sind warme antiseptische Umschläge angezeigt. Durch Einschnitte
mit nachfolgender Drainage suche man frühzeitig dem Eiter Abfluss
zu schaffen. Es ist dies besonders bei tief sitzenden Affectionen von
Nöthen. Man geht hier an der Seite, wo das Leiden vermuthet wird,
mir einem schmalen Scalpell durch die Conjunctiva oder Lidhaut längs
der Orbitalwand möglichst in die Tiefe; — die Orbita misst in sagit-
taler Eichtung bei Erwachsenen, wie oben angeführt, circa 40 — 43 cm.
Natürlich hüte man sich, den Bulbus oder die Knochenwand zu per-
foriren. Selbst wemi sich- wenig oder kein Eiter entleert, pflegt diese
Incision durch die folgende Blutung und Entspannung Vortheil zu
bringen, auch ist dem sich bildenden Eiter ein Weg gebahnt, den man
durch Einlegen von Jodoform-Gase offen halten kann. Besteht eine
Eiterung, so sucht man durch Drainröhren Abfluss zu schaffen. Ein-
spritzungen sind zu vermeiden, da sie den Orbitalinhalt und die Spann-
ung vermehren; hingegen ist die Einführung von Tampons mit Jodo-
form oder Jodoformsalbe von Nutzen. Nekrotische Knochenstücke ex-
tra hire man.
2. Entzündung des Fettzellgewebes. Venenthrombose.
Bei der Entzündung des Fettzellgewebes der Orbita (Orbital-Phleg-
mone, Cellulitis orbitalis) besteht eine Protrusion des Augapfels, meist
gerade nach vorn: Röthung und Chemose der Conjunctiva; Röthung
und Schwellung der Lidhaut, besonders das obere Lid hängt in den
schweren Fällen unbeweglich herab; dabei ist der Bulbus in seiner
i;24 Erkrankungen d?r Orbita.
Motilität beschränkt, öfters sind Doppelbilder vorhanden. Auch Stö-
rungen des Sehvermögens treten auf: ebenso Schmerzen in der Tiefe
der Augenhöhle und Stirngegend; Fiebererscheinungen und Dyspepsie.
Der Augapfel erseheint bei der Betastung härter, ebenso die Um-
gebung desselben. Bildet sieh Eiterung, so tritt an einer umschrie-
benen Stelle der Conjunetiva oder Lidhaut eine Geschwulst auf, die
später fluctuirt. Mit der Eiterentleerung verringern sich sämmtliche
Erscheinungen.
Nicht selten setzt die Affection auf das Auge über; es kommt zu
eitriger Chorioiditis, die zur Phthisis führt, oder auch die mangelhafte
Lidbedeckung bewirkt Hornhautverschwärung. Ebenfalls nicht selten
sind Erblindungen durch Erkrankungen des Sehnerven (Neuritis, Throm-
bose der V. centralis retinae [Lebe r, Vo s sius]; gelegentlich auch nur eine
einfache Venensehlängelung, nach der schliesslich doch noch Atrophie
eintritt). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die plötzlich entstehenden
Erblindungen vorzugsweise auf die Gefäss-Compression zu schieben sind.
Auch Netzhautblutungen und -ablösungen sind beobachtet.
Bisweilen werden die Orbitalvenen thrombosirt und geben zu Py-
ämie Anlass. Die Thrombose dringt öfters bis in den Sin. cavernosus
und kann selbst durch die Sin. intercavernosi auf den Sin. cavernosus
der anderen Seite übergreifen und so doppelseitigen Exophthalmus
hervorrufen; ausnahmsweise, wie ich in einem Fall gesehen, bleibt sie
auf die Orbitalvenen beschränkt. Handelt es sich, wie meist, um eine
septische Venenthrombose, so beobachtet man auch in der Umgebung
des Auges, besonders an den Lidern Abscedirungen, bisweilen so
kleine, dass sie als Eiterpunkte erscheinen. In den Muskeln der Orbita
und in den Gefiisswänden habe ich ebenfalls Abscesse, zum Theil mit
Kokken durchsetzt, gefunden. Das Fettzellgewebe ist serös oder eitrig
infiltrirt.
In diesen schweren Fällen gehen die Kranken meist an eitriger
Meningitis, Hirnabscessen oder Pyämie zu Grunde.
Die primäre Hirnsinusthrombose kann ähnliche Erscheinungen, wie wir
sie bei der Orbitalphlegmone haben, hervorrufen: so einseitigen Exophthalmus,
Hyperämie und Oedem der Bindehaut, des Orbitalfettzellgewebes und des Augen-
lides. Sie führt aber nicht zu Eiterungen; jedoch kann sie sich mit
eitriger Chorioiditis compliciren. Als besonders charakteristisch wird das gleich-"
zeitige Bestehen eines Oedems in der Gegend des Processus mastoideus angegeben,
ebenfalls durch Stauung von in den sin. cavernosus sich ergiessenden Venen
bedingt.
Die Orbitalphlegmone entstellt abgesehen von directen infectiösen
Verletzungen <>dvr < Operationen - am häufigsten durch ein Ueber-
greifen der Entzündung von nahe gelegenen Krankheitsherden (Gesichts-
erysipel, Periostitis und Caries der Orbita, eitrigen Thränensackleiden,
Exophthalmus. .Morbus Basedowii. Enophthalmus. (325
Affectionen der angrenzenden Knochenhöhlen, Wurzelerkrankungen der
Oberkieferzähne u. s. w.). Ich habe in Folge einer umschriebenen
syphilitischen Caries eines Nasenbeines erst einseitige, dann doppel-
seitige Phlegmone der Orbita mit Vcnenthvombosirung und letalem Aus-
gange auftreten sehen.
In anderen Fällen handelt es sich um metastatische Vorgänge: so
bei Carbunkel-, Milzbrand- oder Rotzinfectionen, Pyämie, gelegentlich
selbst bei Gesichtsfurunkel. Auch nach schweren Typhen, Pneumonien
epidemischer Pneumokokken-Meningitis und Scharlach werden Orbital-
phlegmonen beobachtet. — Uebrigens ist eine gewisse Entzündung des orbi-
talen Fettzellgewebes und besonders der Tenon'schen Kapsel bei jeder
Panophthalmitis, bisweilen auch bei Chorioiditis suppurativa vorhanden.
Die Therapie wird sich nach den Ursachen richten. Bei genuiner
Fettzellgewebsentzündung kann man im Anfang, wie oben bei der
Periostitis orbitae erwähnt, antiphlogistische Behandlung anwenden,
später sind lauwarme antiseptische Umschläge und vor Allem früh-
zeitige Entleerung des Eiters angezeigt.
Bei der Phlegmone des orbitalen Fettzellgewebes pflegt die Tenon'sche
Kapsel durch Verdickung und Infiltration mit betheiligt zu sein. Sie scheint sich
auch, ohne dass das Fettzellgewebe in Mitleidenschaft gezogen wird, isolirt ent-
zünden zu können: einzelne klinische Beobachtungen und ein anatomischer Be-
fund von Kuhnt können so gedeutet werden. Man hat die bezügliche Affection
als Tenonitis bezeichnet. Ihre Symptome bestehen in gehinderter Beweglichkeit
des Bulbus mit leichter Hervortreibung und Chemose der Conjunctiva und Böthung
und starker Schwellung der Lidhaut: also in Erscheinungen, die auch bei der
< »rbitalphlegmone vorhanden sind , nur weniger heftig und ausgeprägt. Als
differenzielles Moment kann man noch anführen,' dass bei der Tenonitis die Be-
schränkung der Beweglichkeit stärker hervortritt, bei der Orbitalphlegmone hin-
gegen die Protrusio. Die Affection ist bei acutem Schnupfen, bei Influenza
Fuchs), bei rheumatischen Gelenkentzündungen (Panas) meist doppelseitig be-
obachtet worden. Der Verlauf dieser Fälle ist gewöhnlich ein günstiger. Die
Therapie besteht in Schwitzcuren mit Natr. salicylicum und Auflegen von Thermo-
phoren. Nur in traumatischen Fällen (z. B. nach Schieloperationen) empfehlen
sich Eisumschläo-e.
3. Exophthalmus. Morbus Basedowii. Enophthalmus.
Abgesehen von den eben behandelten Affectionen finden wir den
Bulbus nach vorn gedrängt (Exophthalmus), wenn der Inhalt der
I »rbita durch vermehrte Füllung (Hypertrophie des Fettzellgewebes,
stärkere Blutfülle und Oedem [so bei Hirnsinus-Thrombose]7 Blutungen,
Emphysem, Cysten, Tumoren) zunimmt, oder wenn durch Knochen-
verdickungen (Exostosen, allgemeiner Verdickung der Knochen: Leon-
tiasis ossea) oder durch Ausdehnung der anliegenden Höhlen (Antr.
Sehmidt-Rimpler. 7. Auflage. 40
Ö26 Erkrankungen der Orbita.
Highmori, Stirnhöhlen, Nasenraum u. s. w.) der Orbitalraum be-
schränkt wird.
Uni das Hervorstehen des Augapfels dem Grade nach zu messen, sind eine
Reihe von Exophthalmometern angegeben worden (H. Colin, Emmert,
Zeliender, Snellen u. A.). Sie gehen der Hauptsache nach davon aus, dass
auf den äusseren Orbitalrand (bezw. Stirnrand) horizontal ein mit Maasstheilung
versehenes Lineal gesetzt wird, an welchem man durch Visiren auf den Hornhaut-
scheitel die Entfernung dieses vom Orbitalrande bestimmt. Wenn man durch Ver-
schieben eines horizontalen Stäbchens auf dem Lineal gegen die Cornea hin den
Abstand messen will, so sieht man oft ein deutliches Zurückziehen des Bulbus vor
der drohenden Berührung. Die Schwankungen in der Entfernung zwischen Horn-
hautscheitel und Orbitalwand sind bei den einzelnen Individuen ziemlich gross.
In pathologischen Fällen ist die Vergleichung beider Augen des Kranken von be-
sonderer "Wichtigkeit; doch kommen auch angeborene Verschiedenheiten beider
Gesichtsseiten vor. —
Blutungen in der Orbita treten, abgesehen von directen Ver-
letzungen, gelegentlich in Stickhustenanfällen, bei Scorbut und Hae-
niophilie auf. Je nach ihrer Ausdehnung können sie die Stellung des
Bulbus beeinflussen und auch durch Compression des Opticus und
der Augennerven functionelle Störungen hervorrufen. Neuerdings sind
nach Rurnpf-Compressionen neben Hautextravasaten auch Stauungs-
blutungen in der Orbita mit Exophthalmus, Pupillenerweiterung und
Sehschwäche, bisweilen selbst mit Netzhautblutungen beschrieben worden
(H. Braun). — In der Regel erfolgt unter Eisanwendung oder Druck-
verband baldige Resorption der Blutungen ; in einzelnen Fällen geben
sie zur Bildung von Blutcysten Anlass (Mitvalsky), die bei einiger
Grösse alle Erscheinungen einer Orbitalgeschwulst machen können. In
einem von mir operirten Falle sass die Blutcyste längs der unteren
Wand des Auges, sich von der Sclera noch etwas über den Opticus
erstreckend, und hatte das Auge stark nach oben verschoben.
Emphysem der Orbita mit Exophthalmus kommt gelegentlich
nach einer Verletzung des Thränensackes und Thränenbeines oder des
Siebbeins durch die abnorme Communication zwischen Nase und Or-
bita beim Niesen und Schneuzen zu Stande; es verschwindet bald wieder,
aber durch ähnliche Veranlassungen kann es sich in den nächsten
Tagen wieder von Neuem bilden. Mit der Heilung, die in der Regel
spontan erfolgt, ist dem Lufteintritt in die Orbita der Weg verlegt.
Von grosser Bedeutung sind die Erkrankungen der Neben-
höhlen der Orbita. Es kommt zuweilen zu einer oft erheblichen
Ausdehnung derselben, indem sich Eiter (Empyem), schleimige oder
seröse Flüssigkeit (Hydrops) darin sammelt. Die der Augenhöhle an-
liegende Wand wird alsdann in dieselbe liineingedriiekt und bewirkt
mehr oder weniger beträchtliche Störungen: so Beweglichkeits-
Exophthalmus. Morbus Basedowii. 627
beschränkungen, Protrusion, bei Perforation selbst eine Entzündung des
orbitalen Fettzellgewebes. Von Sehstörungen sind — abgesehen von
Fällen directer. Optieusbetkeiligung — besonders asthenopische Be-
schwerden beobachtet; auch concentrische G-esichtsfeldeinengungen sind
beschrieben (Ziem, Kuhnt). Am häufigsten sind die Affectionen der
Stirnhöhle (Sinusitis frontalis), die vorzugsweise Kuhnt neuerdings
studirt hat. Meist weisen zuerst Stirnschmerzen, die ganz den Charakter
der Neuralgia supraorbitalis haben können und Empfindlichkeit des
Orbitaida dies auf Druck daraufhin. Hat sich die Höhle partiell stärker
ausgedehnt, so entwickelt sich in der Regel eine Geschwulst über dem
innern Augenwinkel am Orbitaldach; ist der Knochen daselbst dünner
geworden, so fühlt man Fluctuation; schliesslich erfolgt Durchbruch
meist nach aussen hin durch die Haut des oberen Lides. Ueber-
haupt wird man gut thun, falls man eine Fistel dort findet, die nach
dem Orbitaldach führt, vor Allem an ein Stirnhöhlen-Empyem zu
denken und zu versuchen, mit der Sonde in den Sinus zu kommen.
Bisweilen kann die Stirnhöhle sich aber ziemlich gleichmässig aus-
dehnen und auf den Orbital-Inhalt so drücken, dass ein starker
Exophthalmus mit Ablenkung des Auges nach unten zu Stande kommt;
dies tritt besonders bei schleimigem Inhalt auf. Die kleineren Ge-
schwülste bewirken bisweilen durch Mitbetheiligung der Trochlea Läh-
mungserscheinungen des Oblicpius superior. — Ist die Highmorshöhle
ausgedehnt, so wird der Bulbus nach oben verschoben. Die Ausdehnung
der Siebbeinzellen veranlasst eine Geschwulst an der inneren Augen-
wand, die wegen der Dünnheit der Lamina papyracea leicht eindrück-
bar erscheint. Erweiterungen der Keilbeinhöhle sind nur bei gleich-
zeitiger Betheiligung der Siebbeinzellen zu diagnosticiren; sie können
im Canal. opticus einen directen Druck auf den Sehnerv ausüben.
DieDiagnose der erwähntenEnipyeme ist wenigstens imBeginn nicht
immer leicht. Vor Allem wird eine rhinoskopische Untersuchung über
etwaige Secret-Entleerungen derselben nach der Nase hin Auskunft
geben müssen. Für die Füllung der Stirnhöhlen und der Highmors-
höhle kann man bisweilen mit Nutzen die Durchleuchtung anwenden,
indem man eine kleine Glühlampe unter den oberen Rand der Orbita
beziehentlich im Mund am hinteren Gaumen im Dunkelzimmer anlegt.
Streicht man die Haut, so leuchtet das Licht roth durch, wenn die
Höhlen von Secret frei sind; ein Vergleich zwischen beiden Gesichts-
hälften lässt den Unterschied hervortreten. Jedoch ist das Phänomen
nicht sicher, da z. B. die verschiedene Dicke der Knochenwand dabei
einen irreleitenden Einfluss üben kann.
Die Therapie ist auf Heilung der Höhlen- Affectionen zu richten.
Bei der Stirnhöhle kann man oberhalb der Augenbrauen eine aus-
40*
(j28 Erkrankungen der Orbita.
-cdeliiite Oeffnung durch Fortnahme der ganzen vorderen Knoehen-
wand mit Erhaltung des Periostes sich schaffen (Kuhnt), den Inhalt
entleeren und die entartete Schleimhaut herau skr atzen. Zu gleichem
Zweck ist das Einleiten heissen Dampfes durch eine kleine Knochen-
öffhung zu empfehlen (Golovine). Ich habe aber auch gelegentlich
durch eine- ebensolche kleine Oeffnung unter Anwendung einer elek-
trischen Lampe , die ihr Licht in die Sinus-Ausläufer sendete, die
Schleimhaut in ausreichender Weise mit dem scharfen Löffel auskratzen
können. Von der etwa bestehenden Fistel aus durch längere Drainage
dies Empyem zu heilen, ist nur wenig Aussicht. Auch die Highmors -
höhle bedarf der Eröffnung, um mittelst Durchspülungen eine Heilung
herbeizuführen. —
Eine eigenthümliche Form der Protrusion des Bulbus bildet der
pulsirende Exophthalmus. Er ist die Folge von entweder spon-
tan entstandenen (Aneurysma verum) oder traumatischen Aneurysmen.
Am häufigsten handelt es sich um eine Ruptur der Carotis interna im
Sin. cavernosus, die besonders bei Basalfracturen zu Stande kommt. Das
Hauptsymptom besteht in einer Pulsation des hervortretenden Augapfels.
Dieselbe ist leicht erkennbar, wenn man die Hand auf den Bulbus legt
und ihn etwas zurückdrückt. Auscultatorisch hört man nur selten ein Blase-
geräusch. Oft bilden sich später kleine pulsirende Geschwülste (durch
Hineinströmen von arteriellem Blut in die Venen) neben dem Bulbus,
so besonders im inneren-oberen Winkel der Orbita. Auch die Stirn-
venen pulsiren öfters. Comprimirt man die gleichseitige Carotis com-
munis, so hört die Pulsation auf. Der Augapfel leidet entsprechend
der Hervordrängung. Bisweilen erkrankt auch der Sehnerv, häufig sind
complicirende Lähmungen im Gebiete der Augen- Und Gesichtsnerven.
Besonders störend ist für die Patienten ein beständiges Klopfen und
Brausen im Kopfe; auch heftige Schmerzen sind nicht selten. Meist
treten die Haupterscheinungen (auch in den nicht-traumatischen Fällen)
unter einem heftigen Schmerz plötzlich auf; doch nehmen sie in nächster
Zeit gewöhnlich noch zu.
Im weiteren Verlauf kommen gelegentlich Blutungen aus der Con-
junctiva vor, die selbst letal werden können; auch erfolgt bisweilen nach
einiger Zeit plötzlicher Tod. Doch werden auch spontane Rückbildungen
beobachtet. In einem von mir verfolgten Falle war nach circa vier
Jahren die Pulsation und der Exophthalmus verschwunden, aber das
Sehvermögen durch einen die obere Gesichtsfeldhälfte treffenden Ge-
Bichtsfelddefect geschwächt. Bei der Behandlung kommt vorzugsweise
die länger fortzusetzende Instrumental- oder Digitalcompression der
( larot communis und die Unterbindung derselben in Betracht. Letztere,
wegen pulsirenden Exophthalmus ausgeführt, hatte bei 61 Kranken
Exophthalmus. Morbus Basedowii. Enophthalmus. 629
36 Mal Erfolg, 8 Mal erfolgte der Tod (Sattler). Neuerdings bat
Siegrist zwei Fälle von Erblindung des betreffenden Auges durch
Embolie der Art. centralis retinae nacb Carotisunterbindung mitgetheilt.
Ich sah einmal nach derselben den pulsirenden Exophthalmus sich in
einen pulsirenden Enophthalmus umbilden. Da auch ohne die Operation,
wie erwähnt, Heilung vorkommt, so wird man den operativen Eingriff
so lange aufschieben, bis wirklich gefahrdrohende Zufälle auftreten.
Jedenfalls aber ist die Instrumental- oder Digitalcompression zuvor zu
versuchen.
Periodischer Exophthalmus wurde in einzelnen Fällen als Folge varicöser
Venen-Erweiterung beobachtet (Magnus, Vossius u. A.). Hier tritt beim Jucken.
Heben schwerer Gegenstände der Augapfel hervor; im Beginn des Leidens ist
er für gewöhnlich in normaler Lage, später bleibt er auch dauernd ein wenig
prominent. In einem von mir beobachteten Falle trat ganz plötzlich ein starker
Exophthalmus ohne besonderen Grund auf, der erst nach mehreren Tagen zurück-
ging; dies wiederholte sich nach mehreren Jahren noch einmal; alsdann ent-
wickelte sich der oben geschilderte periodische Exophthalmus.
Bei Morbus Basedowii sind beide Augen her vorgedrängt; nur
ausnahmsweise beschränkt sich die Prominenz auf ein Auge. Schon ehe
dieses Hervortreten einen deutlich pathologischen Charakter zeigt, fällt
es auf, dass beim Senken des Blickes das obere Lid in auffälliger Weise
zurückbleibt (v. Graefe's Symptom). Auch klafft die Lidspalte unge-
wöhnlich weit und der Lidschlag erfolgt seltener (St eil wag). Diese Sym-
ptome sind von besonderer diagnostischer Bedeutung, wenn es sich um
höhergradige Kurzsichtige handelt, deren Augen an und für sich häufiger
stärker hervorragen. Später kann die Prominenz des Augapfels, welche
anatomisch durch Erweiterung der Blutgefässe, seröse Infiltration und
Hypertrophie des Fettzellgewebes verursacht ist, so stark werden, dass
die mangelnde Lidbedeckung zu Hornhautverschwärungen Anlass giebt.
An den Xetzhautarterien sieht man zuweilen ganz schwache, spontane
Arterienpulsation (vergl. S. 266); in ausgeprägter Weise habe ich sie
nie constatiren können. Zum weiteren Erscheinungscomplex des Mor-
bus Basedowii gehören Herzpalpitationen und Struma. Die Augen-
Symptome erklären sich durch eine Sympathicus-jSTeurose : der Exoph-
thalmus, welcher nach dem Tode schwindet, durch Erweiterung der
Orbital- Arterien und das Graefe'sche Symptom durch einen Reizzu-
stand in dem Müller' sehen Muskel, der mit zur Hebung des oberen
Lides dient. Ob diese Sympathicus-jSTeurose primär ist oder ob eine
durch die Schilddrüsen-Erkrankung veranlasste Toxinbildung (Moebius)
oder eine Affection der Medulla oblongata (Bulbärtheorie, Geigel) oder
schliesslich eine functionelle Störung des ganzen Nervensystems vor-
liegt, darüber weichen die Meinungen auseinander; es ist wahrscheinlich,
ijoO Erkrankungen der Orbita.
dass die Einzelfälle verschiedene ätiologische Momente haben. Was
die locale Therapie betrifft, so ist bei starkem Exophthalmus öfters ein
Druckverband während der Xacht angezeigt, um den Lidschluss zu
sichern. Auch kann zur Verkleinerung der Lidspalte die Tarsoraphie
nöthig werden. Letztere ist auch so ausgeführt worden, dass nur der
mittlere Theil der Lidränder nach Wundmachung vernäht wurde.
Gegen die Trockenheit des Auges, etwaige Conjunctiviten und Kera-
titen sind die entsprechenden Mittel anzuwenden. Die Allgemeinbe-
handlung muss roborirend sein; Aufenthalt in guter Luft, Ivaltwasser-
curen, Eisen, Chinin haben meist sichtlichen Erfolg; ebenso scheint das
Galvanisiren des Halssympathicus von Nutzen zu sein. Bei Frauen,
die vorzugsweise von Morb. Basedowii befallen werden, beobachtet
man unter dieser Behandlung oft ein Zurückgehen aller belästigenden
Erscheinungen; bei Männern hingegen ist die Prognose übler, hier tritt
häufiger durch secundäre Herzfehler, durch allgemeine Erschöpfung oder
Hydrops letaler Ausgang ein. Die Behandlung mit Thyreoidin-Tabletten
scheint ohne Nutzen zu sein; die partielle Exstirpation der Schilddrüse
(Rehn) dürfte nur in ganz verzweifelten Fällen in Anwendung zu
ziehen sein. —
Ein abnormes Zurücksinken des Augapfels (Enophthalmus) tritt
bei starkem Schwund des Fettzellgewebes ein: bei asiatischer Cholera
bisweilen innerhalb weniger Stunden durch denWasserverlust(v. Graef e).
Ebenso beobachtet man das Zurücksinken bei neurotischen Gesichts-
atrophien und bei Ophthalmomalacie. Auch nach Traumen sieht man
bisweilen Enophthalmus; er ist bedingt durch eine narbige Schrumpfung'
des Fettzellgewebes oder durch Lageveränderung in Folge von Knochen-
fractur. Das Auge ähnelt dann, wenn es seine natürliche Lage behalten
hat, sehr einem künstlichen. Ich habe einen derartigen Fall gesehen,
der durch Eindringen einer Revolverkugel von der Schläfe her bedingt
war. In einem zweiten Falle war der Bulbus zurückgesunken und nach
unten dislocirt in Folge schwerer cariöser Processe, die neben den
< Mbitalwandungen noch die Nasenknochen betroffen hatten. Auch
pulsirender Exophthalmus kann in Enophthalmus später übergehen.
4. Die Tumoren der Orbita.
Die Neubildungen in der Augenhöhle entstehen entweder primär in
den dieselbe ausfüllenden Geweben, oder sie sind von dem Bulbus oder
den Nachbartheilen her fortgeleitet, oder schliesslich metastatischen Ur-
sprunges; letzteres ist sehr selten, vorzugsweise spielen Mainnia-Carei-
nome hier eine Rolle. Ich habe nach Exstirpation eines solchen die
Knochenränder beider Orbitae carcinomatös werden sehen.
Die Tumoren der Orbita. 631
In der Regel bewirken die Tumoren einen mehr oder weniger
hohen Grad von Exophthalmus und Beweglieldceitsbeschränkung des
Auges. Sitaen sie in dem Muskeltrichter, so pflegt ein Vorwärtsdrängen
des Bulbus in der sagittalen Richtung stattzufinden ; befinden sie sich
ausserhalb desselben, so erfolgt die Verschiebung entsprechend ihrer
mechanischen Druckwirkung. Der Augapfel kann durch die erfolgende
Protrusion oder durch Entzündungen und directes Uebergreifen der
( reschwulst leiden. Die Papilla optica zeigt öfters Neuritis oder Atrophie ;
auch Netsshautblutungen und -ablösungen kommen vor. In der Regel
ist nur eine Orbita ergriffen; Fälle; in denen, ohne dass ein directes
Herüberwachsen der Geschwulstmasse stattfindet, beide Orbitae befallen
wurden, sind ausserordentlich selten. Bei einem Manne im mittleren
Lebensalter habe ich das Auftreten umschriebener Sarkomknoten inner-
halb einiger Monate in beiden Augenhöhlen beobachtet; der Tod er-
folgte durch Metastasen.
Die gutartigen Geschwülste pflegen langsamer zu wachsen, die
malignen schneller, unter Schmerzen und mit starken Beweglichkeits-
störungen, da sie die Muskeln angreifen.
Es seien von primären Geschwülsten der Orbita besonders die Cysten
(Atherome oder Dermoidcysten — dieselben, öfters angeboren und zur
Pubertätszeit wachsend, sitzen besonders in den oberen Augenwinkeln dicht
unter der Lidhaut, — Blutcysten, Schleimcysten, Echinokokken, Cysticer-
ken i. die Angiome (einfache, lipomatöse [vanDuyse], cavernöse), Neuro-
fibrome (Billroth, Marchand), Lymphome, die meist an beiden Augen
vorkommen imd unter der Conjunctiva liegen (vorzugsweise bei Leuk-
ämie), Carcinome und die verschiedenen Sarkomformen genannt. Unter
letzteren sind die sehr zu Recidiven neigenden Cylindrome (Billroth,
Sattler) bemerkenswerth, deren kolbige hyaline Bildungen aus der Ge-
fässadventitia hervorgehen. Von den Wänden der Orbita entwickeln
sich häufig Osteome; hier geben Traumen gelegentlich die Veranlassung.
Der Sitz der Geschwulst ward sich, wenn er nicht direct erkenn-
bar ist, durch Eingehen mit dem Finger, nöthigenfalls in der Narkose,
feststellen lassen. Die Art des Tumors ist schwierig zu bestimmen;
bei cavemösen Geschwülsten wird ein An- und Abschwellen beobachtet,
durch Compression kann man sie verkleinern. Mit Dermoidcysten
könnten die sehr selten vorkommenden angeborenen Hirnbrüche ver-
wechselt werden, die ebenfalls oben -in neu liegen, indem sie die Naht
zwischen Siebbein und Stirnbein durchbrechen. Sie sind aber nicht verschieb-
lich, dagegen durch Druck zu verkleinern und zeigen die Hirnpulsationen ;
auch fühlt man bisweilen die Knochenöffnung. Probepunctionen oder
Harpuniren können öfters zur Diagnosenstellung bei den Orbitaltumoren
erforderlich werden.
632 Erkrankungen der Orbita.
Die Therapie wird in der Kegel in der Exstirpation der Geschwulst,
wenn möglich mit Erhaltung des Bulbus, bestehen. Dermoidcysten und
andere Cysten werden in gewöhnlicher Weise mit ihrem Sack exstirpirt;
bedenklicher sind die sehr seltenen cavernösen Geschwülste, bei denen
übrigens auch Spontanheilungen beobachtet wurden. Sitzen sie in einer
Kapsel, so gelingt ebenfalls die Exstirpation; sonst kann man Elektrolyse
versuchen.
Für tiefer liegende Geschwülste ist zur Exstirpation die von Krönlein an-
gegebene osteoplastische liesection sehr vorteilhaft, bei der es gelingt, ent-
sprechenden Falles den Bulbus zu erhalten. Xach Ausführung eines Hautschnittes,
der etwa dort beginnt, wo man über dem oberen Augenhöhlenrande die Linea
semicircularis durchfühlt und dann längs des äusseren Orbitalrandes bis zum Joch-
bogen verläuft, wird nach der Periost-Ablösung ein keilförmiges Stück der äusseren
Orbitalwand durchmeisselt: die Spitze des Keiles liegt in der Fissura orbitalis in-
ferior, die Basis bildet der äussere Orbitalrand in der Ausdehnung der Hautwunde.
Wenn man diesen Hautknochenlappen nach aussen umschlägt, liegt die Orbita in
grosser Ausdehnung frei.
Ist die ganze Orbita mit Geschwulstmasse erfüllt, so wird man die
Exenteration machen. Durch Erweiterung der Lidspalte im äusseren
Augenwinkel gelingt es meist, die Lider mit Elevateuren ausreichend
auseinander zu ziehen; dann löst man das Periost und entfernt mit ihm
den Gesammtinhalt der Orbita. Sehr vorsichtig wegen der lebensge-
fährlichen Blutungen muss man mit den, mehr in das eigentlich chirur-
gische Gebiet fallenden gefässreichen Fibromen sein, die von der Basis
des Gehirns oder der Fissura pterygopalatina ausgehend in den Rachen,
die Schläfengrube und durch die Fissura infraorbitalis in die Augen-
höhle wachsen. Die Füllung der Schläfengrube und das Hervordrängen
des Oberkiefers mit der entsprechenden Wangenseite leitet auf die
Diagnose dieser nur bei Knaben und jungen Männern vorkommenden
Erkrankung. —
5. Verletzungen der Orbita.
Bei den Verletzungen der Orbita handelt es sich häufig umKnochen-
brüche. So ist bei Fractur der Basis cranii oft das Dach der Orbita
getroffen; besonders wichtig sind die Risse, welche in das Can. opticus
gehen, da hierbei Verletzungen des Sehnerven mit folgender Amblyopie
oder Amaurose zu Stande kommen (Berlin). Auch können dislocirte
Knochenstücke Muskclzerreissungen veranlassen. Blutungen in das ( >r-
bitalfettzellgewebe dringen bisweilen bis unter die Conjunetiva vor und
stören durch Comprcssion die Functionen der Muskeln und des Sehnerven;
d;i.- Sehvermögen kann hier sogar bis auf Lichtempfindung herabgehen, mit
Resorption des Blutes tritt die Wiederherstellung ein. Weiter sind directe
Angeborene Missbildungen des Au^-es. 633
Verletzungendes Orbitalrandes und seiner Wandungen durch Kugeln (so
bei Selbstmordversuchen), Stiche oder Eindringen von Fremdkörpern
nicht selten. Bisweilen folgen ihnen erheblichere Entzündungen des
Fettzellgewebes; einfache Wunden pflegen aber in der Regel ohne Ent-
zündung zu heilen: doch können sie durch Verletzungen des Bulbus
oder Opticus das Sehvermögen gefährden. Ich habe auch mehrere Male
stationäre I resichtsfelddefecte durch Opticusverletzungen eintreten sehen.
Durch Abreissen eines Augenmuskels oder durch Verletzung desselben
bei Knochenfracturen mit Dislocation kann sehr belästigende Diplopie
veranlasst werden. - - Ist der Fremdkörper noch in der Orbita, so wird
man ihn zu entfernen suchen. Doch ist dies nicht immer leicht, oft
werden langwierige Eiterungen durch abgebrochene Holzstückchen,
Rohr u. s. w. unterhalten.
Die Contusionen, welche die Orbita und ihren Inhalt treffen,
schädigen auch oft den Augapfel (siehe das Schlusskapitel „Allge-
meine Verletzung des Augapfels").
Auch Luxationen des Augapfels werden beobachtet; so besteht
in manchen Gegenden die Unsitte, bei Raufereien durch Eindrängen
des Daumens in die Orbita den Augapfel des Gegners aus der Augen-
höhle hervorzudrücken. Sind keine erheblichen Verletzungen des Opticus
oder Bulbus dabei eingetreten, so kann das Sehvermögen erhalten
bleiben (Rothmund). Weiter wird bisweilen bei Zangenentbindungen
durch die Compression des Löffels ein Herausdrücken des Augapfels
zu Stande gebracht. Man muss den Augapfel nach Auseinanderziehen
der Lider in die Orbita zurück zu bringen suchen, ihn dann mit den
Lidern bedecken und einen Druckverband anlegen. Irrsinnige reissen
sich gelegentlich mit den Fingern das Auge heraus (Axenfeld).
6. Angeborene Missbildungen des Auges.
In einer Reihe von Fällen ist ein angeborener Mangel des Aug-
apfels constatirt worden (An Ophthal mus), meist doppelseitig. In der
Orbitahöhle, welche von der Conjunctiva ausgekleidet ist, fehlt alsdann
entweder jede Spur eines Bulbus oder man findet ein kleines Knötchen
oder eine Cyste. Auch habe ich einen Fall beobachtet, wo auf der einen
Seite in der Tiefe ein kleiner weisser Fleck, der beim Betasten etwa
Erbsengrüsse hatte, zu sehen war, während in der Tiefe der anderen
Orbita ein gleichsam phthisischer Bulbus lag, an dem man noch Reste
der Hornhaut (6 mm im Durchmesser) mit durchscheinender Iris er-
kennen konnte. Dabei bestand eine Verkleinerung des Conjunctivalsackes
und Verlust der oberen Uebergangsfalte. Es handelte sich hier um den
(534 Erkrankungen der Orbita.
Ausgang einer intrauterinen Entzündung. Mit dem Fehlen des Aug-
apfels verbinden sich öfters anderweitige Entwieklungsstürungen: so
Schmalheit des gleichseitigen Gesichtsskelettes, Verschluss des äusseren
Gehörganges u. s. w. — Bei Cyklopie findet sich nur ein Auge an der
Stelle sitzend, wo im normalen Gesicht die Nasenwurzel liegt. — Ist das
Auge in seinen Dimensionen zurückgeblieben, so haben wir einen Mikr-
o p h thalmus. Diese Verkleinerung betrifft meist beide Augen, besonders
häutig sind die vorderen Partien (Cornea) kleiner. Die Sehschärfe ist
verringert, oft besteht Nystagmus. Auch sonstige Anomalien sind
nicht selten: Strabismus, Ptosis, Katarakt, Linsenluxation, Colobom
der Iris und Chorioidea.
Die Vergrösserung des Auges wird als Megalophthalmus oder
Hydrophthalmus congenitus bezeichnet. Dieselbe entwickelt sich
meist in den ersten Lebensjahren noch weiter; neben abnormer Ausdehnung
der vorderen Kammer ist oft auch eine diffuse Hornhauttrübung vorhanden.
Diese giebt ein sicheres differenzielles Moment gegenüber einer wenn
auch ungewöhnlichen, doch noch physiologischen Grösse des Auges, an
die man, wenn es sich um ganz jugendliche Individuen handelt, denken
kann. In der Regel führt der Process allmählich fortschreitend zu
einer glaukomatösen Sehnerven-Excavation und Erblindung, jedoch pflegt
letzterer Ausgang erst nach Jahren einzutreten. In anderen Fällen kann
der Process stationär bleiben. Der angeborene Hydrophthalmus kommt
ein- oder, wie gewöhnlicher, doppelseitig vor. Gegen das Fortschreiten
kann man die Sclerotomie versuchen; gefährlicher als diese ist die
Iridectomie, da hierbei leicht Linsenluxation und Glaskörperabfluss ein-
tritt. Jedenfalls darf die Operation nur in tiefer Narkose gemacht werden,
um jedes Pressen zu vermeiden. Handelt es sich um doppelseitigen Hy-
drophthalmus, so empfiehlt es sich, wenigstens ein Auge zu operiren und
den Erfolg abzuwarten. Sonst ist Eserin oder Pilocarpin einzuträufeln.
Im Allgemeinen ist die Prognose unsrünstm-.
Anatomie. 635
Drittes Kapitel.
Erkrankungen der Augenlider.
Anatomie.
Oberes und unteres Augenlid (palpebra superior und inferior)
stossen im äusseren und inneren Augenwinkel (Cantkus) zusammen.
Ihre winklige Vereinigungsstelle bezeichnet man auch als Commissur.
Der innere Augenwinkel ist weniger spitz: zwischen ihm und der Plica
semilunaris rindet sich der Thränensee. Die Ränder der Augenlider
haben in dem grössten Theil ihres Verlaufes eine Breite von etwa
2 bis 3 mm; ihre innere Kante ist gegen die Conjunctivae die äussere
gegen die Lidhaut gewendet: den zwischen den Kanten liegenden Theil
bezeichnet man als Intermarginaltheil. Gegen die Augenwinkel hin
werden die Lidränder schmäler und abgerundet. Etwa 5 mm vom
inneren Augenwinkel entfernt findet sich im Beginn dieser Ver-
schmälerimg, sowohl am oberen als unteren Lide eine kleine Hervor-
ragung (Papilla lacrimalis) mit einer centralen Oeffnung, demThränen-
punkt. Von diesem aus verlaufen dicht unterhalb der Lidrandober-
fläche die Thränenröhrchen in den Thränensack, der im inneren
Winkel der Orbita liegt. Die äussere Kante des Lidrandes ist von
den "Wimpern (Cilien) durchbohrt, die eine vom Bulbus abgewandte
Richtung haben. Ihre Wurzeln gehen circa 2 mm in die Tiefe und
liegen der äusseren Fläche des Tarsus auf. In die Haarbälge münden
Talgdrüsen (Z eis s' sehe Drüsen). Weiter finden sich zwischen den
Cilien modificirte Schweissdrüsen (Mo 11' sehe Drüsen).
Das Lid selbst setzt sich im Querschnitt zusammen aus: Haut,
Muskellage und Tarsus; die dem Auge zugekehrte Seite des Tarsus
ist von der Conjunctiva bedeckt. Unter der leicht verschiebbaren und
lockeren Lidhaut sitzt ein circulär die Lidöffnung umkreisender und
noch peripher über den knöchernen Orbitalrand hinausgreifender
grosser, willkürlicher Muskel (M. orbicularis). Er zerfällt in drei
Abtheilungen, M. palpebralis (superior und inferior), M. orbitalis und
M. malaris (Henle). Die M. palpebrales haben zwei Ansatzpunkte:
636 Erkrankungen der Augenlider.
am inneren Augenwinkel das Lig. palpebrale internuni, am äusseren
das externum. Das Lig. palpebral. intern, entspringt am Proc. fron-
talis des Oberkiefers, gebt über das obere Ende des Tbränensackes
und dann längs seiner binteren Wand an die Crista lacrym. posterior
des Tbränenbeins. Von dem binteren Schenkel des Ligam. internum
entspringen Muskelfasern (Homer 'scber Muskel), die, sieb nacb vorn
um die Tbränenröbrcben legend und diebt an der Lidkante verlaufend,
den innersten Kreis der M. palpebrales bilden. Dem M. orbitalis ge-
boren die äussersten an den Knocbenrändern der Orbita verlaufenden
Muskelzüge an; am oberen Lide steben sie mit dem M. frontalis in
Verbindung. Von dem medialen und lateralen Ende des Orbital-
muskels des unteren Lides aus geben als M. malaris zwei conver-
girende Scbenkel nacb unten, die in der Haut der Wange und des
Mundwinkels enden.
Der M. orbicularis, vom N. facialis versorgt, dient zum Scbliessen
der Lider.
Unter ibm, dureb Bindegewebe getrennt, liegt eine feste, aus ver-
filztem Bindegewebe bestebende Bandscbeibe (Tarsus), deren einer
Rand am Lidrande endet; der andere freie Rand stebt mit der Fascia
orbitalis in Verbindung. Der Tarsus des oberen Lides ist dicker als
der des unteren; sein Querschnitt beträgt etwa 1 x/2 mm. Mit der Con-
junetiva ist die betreffende Fläcbe sebr eng verknüpft, so dass eine
Trennung niebt sieber gelingt.
In dem Tarsus eingebettet und nacb der Conjunctiva bin bellgelb-
licb durebsebeinend liegen die Tarsal- oder Meibom' seben Drüsen.
Dieselben besteben aus langen Scbläucben, denen kleine Acini aufsitzen.
Ihr feinkörniges, fettiges Secret (Sebum palpebrale) entleert sich am
Lidrande.
Die Hebung des oberen Lides wird durch den vom Oculomotorius
innervirten Levator palpobrae superioris besorgt. Derselbe entspringt
in der Nähe des Foramen opticum und inserirt sich am oberen Rande
des Tarsus. Auf der Unterlage des Augapfels zieht er den Tarsus
nach hinten und bringt so eine Hebung des Lides hervor. Er wird
hierbei etwas unterstützt durch den Müller' sehen Muskel, der aus
glatten Fasern besteht und vom Sympatbieus innervirt ist. Dieser.
auch M. tarsalis (superior und inferior) genannt, liegt auf der Conjunc-
tivalseite des betreffenden Lides dicht unter der Schleimhaut, ist nur
sehr kurz (am oberen Lide etwa 10 mm, Merkel) und inserirt sich
ebenfalls am freien Rande des Tarsus. Seinen Anfang nimmt er am
oberen Lide zwischen den Muskelfasern des Lev. palpebr. superioris.
Wenn die Lider geöffnet sind, wird in der Lidspalte der vordere Tbeil
des Bulbus sichtbar. Je breiter die Lidspalte ist, um so grösser ist die
Blepharitis marginalis. ()37
freiliegende Partie des Augapfels; das Auge seihst erseheint demnach
grösser. Manche Individuen können besonders das obere Lid unge-
wöhnlich hoch heben. — Beim Lidschlag erfolgt zuerst eine Verengung
des äusseren Endes der Lidspalte und somit ein Fortschieben der im
( Jon junctivalsack befindlichen Flüssigkeit nasenwärts zu den Thränen-
punkteii hin. Mit dem einfachen Sehluss .der Lider, wie er im Schlaf
eintritt; und ebenso beim Zukneifen, wobei gleichzeitig die anliegende
Haut gegen das Auge gezogen wird, pflegt der Augapfel nach oben
zu gehen und eine Pupillenverengerung einzutreten.
Die Arterien der Lider stammen meist von der Arter. naso-fron-
talis der Ophthalmica: die Art. palpebr. mediales super, et infer. ziehen
als Endäste lateralwärts, doch sind auch Communicationen mit den
Aesten der Maxillaris externa, besonders mit der Art. angularis vor-
handen. Das Blut der medialen Seite der Lider wird durch die Vena
angularis in die Ven. facialis anterior, an der lateralen Seite durch die
Facial- und Temporalvene abgeführt. Die sensiblen Nervenäste der
Lider kommen vom N. trigeminus.
1. Erkrankungen des Lidrandes.
I. Blepharitis marginalis.
Der Lidrand ist nicht selten Sitz von Hyperämien oder Ent-
zündungen, ohne dass dabei eine ausgedehntere Betheiligung der be-
nachbarten Partien der Lidhaut stattzufinden braucht.
Hyperaemia marginalis. In einer Reihe von Fällen handelt
es sich um eine einfache Röthung, die besonders nach Einwirkung
äusserer Reize, beim Gehen in scharfer Luft, in der Kälte oder auch
in Folge innerer Erregung und bei Anstrengung der Augen eintritt.
Ueber die ^.rothen Lidränder" klagen besonders Individuen mit zarter
Haut, so vor Allem blondhaarige. Es können dabei intensivere Pro-
cesse, wie etwa vermehrte Absonderung der Talgdrüsen, Schüppchen-
bildungen ganz fehlen. Als örtliches Mittel empfiehlt sich die Augen-
dusche, täglich 1 bis 2mal angewendet, und das Bepinseln mit einer
Tannin - Borsäurelösung (2°/0 aa) oder lprocentigen Höllensteinlösung
Tag um Tag. Auch kühle Bleiwasserumschläge können in Betracht
kommen, doch werden sie nicht immer vertragen. Die sonst üblichen
Salben (mit gelbem oder weissem Präcipitat, Zinc. oxyd. u. s. w.)
pflegen weniger wirksam zu sein. Ferner wird hier wie bei den
Lidranderkrankungen überhaupt darauf zu achten sein, ob nicht Re-
fractionsanomahen oder Conjuncriviten die Hyperämie unterhalten; ent-
sprechenden Falls ist dagegen einzuschreiten. Daneben ist der Aufent-
(338 Erkrankungen der Augenlider.
halt in schlechter oder zu kalter Luft; in Tabaksdamfrf, zu spätes
Aufbleiben, langes Lesen bei Lampenlicht und Aehnliches zu vermeiden.
Ferner ist die Allgemeinconstitution zu beachten, etwa vorhandene Scro-
phulose oder Chlorose zu behandeln.
Seborrhoea marginalis (Blepharadenitis, Blepharitis
squamosa). Es besteht eine Hypersecretion der Talgdrüsen. Das
Sebum erstarrt zu kleinen gelblich-weissen Schüppchen, die auf dem
Lidrande und zwischen den Cilien sitzen. Entfernt man sie mit einem
beulten Läppchen, so ist die darunter befindliche Haut meist leicht ge-
röthet. Die Patienten haben das Gefühl von Brennen, Jucken und
Drücken in den Lidern; bisweilen aber werden sie auch gar nicht be-
lästigt. Später leiden auch die Cilien, sie verlieren ihren Glanz, ihre
Biegung und können selbst ausfallen. Die Behandlung besteht neben
Berücksichtigung des oben Gesagten in Umschlägen von Lösungen von
Liquor plumbi subacetici (Bleiessig) in Wasser oder kaltem
Kamillenthee, etwa zweimal täglich 10 Minuten lang, und
Anwendung einer auf die Lidränder zu streichenden
Salbe. Doch sind vorher die Schüppchen durch Ein-
weichung mit Ol. amygdal. dulcium oder warmem Wasser
zu entfernen. Hierauf ist besonders zu achten, da sonst
die Behandlung nichts nützt. Häufig wendet man als Lid-
salbe an: Hydrarg. oxydat. flav. 0-1, Vaselini 5-0. Die-
selbe wird etwa linsengross mit dem Finger auf den Lid-
180. rand verrieben, der dann mit einem Leinwandläppchen
Cüienpincette; sanft abgetupft wird, damit nichts in den Conjunctivalsack
komme. Man kann die Salbe Abends einreiben und Morgens
entfernen, wird aber die Salbe nicht genügend wieder abgewischt, so kommt
sie leicht ins Auge und die Patienten klagen über Brennen undRöthung:
hier ist dann die Einreibung am Morgen angezeigter, wo keinenfalls die
Salbe länger im Auge bleibt. Ausser dem gelben Quecksilber benutzt
man auch Hydrarg. praec. alb., Zinc. oxydat., Plumb. acet. (1 — 2 Pro-
cent) in Salben, gelegentlich auch mehrere dieser Mittel miteinander
verbunden. Ferner sind mit den Fingern oder einer Cüienpincette
(Figur 180) die losen Wimpern, welche reizen und leicht in das Auge
fallen, zu entfernen; hiergegen sträuben sich oft die Kranken, weil sie
mit Unrecht einen dauernden Verlust derselben befürchten. Derselbe
tritt nur ein, wenn durch die lange bestehenden Affectionen ein Ueber-
greifen auf die Haarwurzeln stattfindet.
Blepharitis ciliaris. Der Lidrand ist Sitz eines Ekzems. Er
ist geschwollen, geröthet, nässend und mit dicken gelblichen Krusten
besetzt, besonders um die Cilien herum finden sich Excoriationen. Ent-
stellen tiefere Ulcerationen (Blephar. ciliar, ulcerosa), wie bei dem
Blepharitis marginalis.
639
Eczema pustulosum oder syeomatosuni, so ist die einzelne Cilie von
einem kraterförmigen Geschwüre umgeben. Löst man die Krusten, so
findet sieh darunter eine oxeoriirte, leicht blutende Fläche — im Gegen-
satz zur einfachen Seborrhoe» palpebralis. Auch die Lidhaut ist häufig
betheiligt; besonders bei scrophulösen Kindern findet man hier ausge-
dehntere Ekzeme. Kommt es zur Heilung, so schwinden die Geschwüre
zuerst, es bleibt aber noch längere Zeit die Krustenbildung. Die Cilien
fallen bei dieser Form zahlreich aus; sie werden kürzer, starrer und
trockner. Die Haarwurzel ist stark aufgequollen, bei acuten Processen
mit Eiterzellen durchsetzt. Später ist die Marksubstanz bis zur Haar-
zwiebel hin pigmentirt (Sehiess-Gemuseus). Es sei erwähnt, dass
von Stieda gelegentlich in den Haarbälgen Acarus oder Dermodexfolli-
culorum gesehen wurde; neuerdings hat Rä hl mann diesen Befund
als einen sehr häufigen nachgewiesen und die Anwendung
einer Salbe von 2 Theilen Perubalsam auf 6 Theile Fett
dagegen empfohlen.
Wird die Affection vernachlässigt, so verliert schliess-
lich die Lidkante ihre viereckige Gestalt, wird schmäler,
nach der Conjunctiva und Haut hin abgestumpft, roth,
verdickt. Die Cilien fehlen, andere sind noch als kleine
weissliche Borsten, oft in schiefer Stellung (Trichiasis)
vorhanden. Die Conjunctivalschleimhaut hypertrophirt,
die äussere Lidhaut schrumpft und es kommt zu einem
Ectropium.
Oft complicirt sich die Blepharitis ciliaris mit Con-
junctivitis. Lange bestehende Blephariten sind immer mit
Erkrankungen der Conjunctiva verknüpft (Blepharo-
Conjunctivitis), die zu Narbenbildungen in der Schleim-
haut führen und gelegentlich auch Entropium veranlassen.
Die Therapie ist eine ähnliche wie die der Seborrhoea marginalis.
Laue Blei-Kamillentheeumschläge oder solche von 2proc. Borsäurelösung
sind von Xutzen : nur wenn ein Ekzem der Lidhaut besteht, werden sie
nicht immer vertragen. Man behandelt dann das Ekzem durch Be-
pinseln mit Theersalbe (Ol. cadini 1, Vaseline 2), mit der Hebra 'sehen
Salbe (Ung. diaehylon) oder mit Höllensteinlösung. Die Lidränder
werden sorgfältig von den anhaftenden und vorher erweichten Borken
o-ereink-t und mit einer der oben erwähnten Lidsalben bestrichen. Bei
ausgeprägten Ulcerationen ist das T.ouchiren derselben mit 2proc. Höllen-
steinlösung oder dem Lapisstift vortheilhafter. Auch das Bepinseln mit
Sublimatlösungen (1 : 1000) ist empfohlen worden. Die locker sitzenden
Wimpern werden entfernt. Beginnt die Heilung, so sind die Lidsalben
inehr am Platz. Eine gleichzeitig bestehende Conjunctivitis muss ent-
181.
W eb er 's
Thränen-
röhrchen-
messer.
640 Erkrankungen der Augenlider.
sprechend behandelt werden. Ist, wie nicht selten, der Thränenpunkt
des unteren Lides nach aussen gewendet und taucht nicht in den Thränen-
see, so schlitzt man mit dem Weber 'sehen Messer (Figur 181) das ganze
Thränenröhrchen und hält durch etwaiges neues Aufreissen diese Rinne,
deren mediales Ende sich in dem Thränensee befindet, offen. Nicht
selten bestehen constitutionelle Anomalien, besonders bei Kindern Sero-
phulose; dieselben bedürfen einer entsprechenden Berücksichtigung.
Selbst wenn Heilung erfolgt ist, lasse man noch Monate lang die Salbe
des Abends auf die Lidränder streichen, da grosse Neigung zu Rück-
fällen besteht.
Ist bereits die Lidkante abgestumpft und verdickt, sind die Cilien
zu Grunde gegangen (Madarosis*), so ist von einer Wiederherstellung
natürlich nicht mehr die Rede. Die etwa vorhandene Röthung und Ver-
dickung bekämpft man mit Höllensteinbepinselungen; auch bei bereits
eingetretenem Ectropium empfiehlt sich diese Behandlungsweise. Gegen
letzteres ist unter Umständen operativ — allerdings nicht immer mit
Aussicht auf vollbefriedigenden Erfolg — vorzugehen.
Sudamina (Miliaria) in Gestalt von wasserhellen Bläschen finden
sich öfters am Lidrande. BiswTeilen veranlassen sie ein juckendes Ge-
fühl. Man kann sie durch i^nstechen entleeren.
Weiter kommen kleine Wärzchen, die sich leicht abschneiden
lassen, ebendort vor. Seltener werden Condylome und syphilitische
Ulcerationen am Lidrande beobachtet. Eine gewisse Aehnlichkeit mit
letzteren zeigen wegen ihres weisslichen Belages die durch Unvorsichtig-
keit gelegentlich auf die Pfleger der Kinder überimpften Vaccine-
pusteln nach ihrem Platzen: nur einmal habe ich gesehen, dass das
geimpfte Kind selbst am Lidrande eine Pustel bekam. Die Aifection
heilt in der Regel gut und ohne Affection der Cornea.
II. Hordeolum.
Entsprechend dem Sitze einer Talgdrüse oder eines Haarbalges
tritt an der äusseren Kante des Lidrandes eine umschriebene Infiltration
auf, die zu einer knotenförmigen Verdickung fuhrt. In der Mitte der-
selben zeigt sich früher oder später ein gelber Eiterpunkt. Man kann
eine mit ausgeprägteren Entzündungserscheinungen verknüpfte Form,
etwa dem Furunkel der Haut entsprechend (Michel), und eine der
Akne ähnliche mildere unterscheiden.
Bei ersterer ist stärkere Hyperämie und ödematöse Durchtränkung
<\rv umgebenden Lidhaut vorhanden: sogar das ganze Lid kann an-
uaih'.v. ausgehen.
Distichiasis und Trichiasis. 641
schwellen. Die Gonjunctiva wird injieirt und chemotisch. Bisweilen
gesellt sieb noch eine eitrige Infiltration einer benachbarten Meibom-
schen Drüse hinzu. Dabei bestehen erheblichere Schmerzen. Doch
lässt die umschriebene Infiltration, welche sich durch ihre Härte und
Sehmerzhaftigkeit zu erkennen giebt, schon früh die Affection von
anderen schweren Augenleiden trennen. Am zweiten oder am dritten
Tage kommt es zur Eiterung.
Bei der milden Form bildet sich ein kleines, etwa hirsekorn- bis
erbsengrosses Knötchen mit gelblichem Eitercentrum.
Zuweilen geben mechanische Irritationen Veranlassung zur Bildung
von Hordeola; oft linden sie sich bei sonstiger Blepharitis. Manche
Individuen sind besonders von häufig recidivirenden Gerstenkörnern
geplagt, meist aber auch nur in gewissen Lebensperioden: so z. B.
junge Mädchen in den Entwicklungsjahren.
Die Behandlung besteht anfänglich in lauen Bleiwasserumschlägen;
bat sich Eiter gebildet, so wird er durch einen Einstich entleert. Doch
kann man die Entleerung auch der Natur überlassen; es scheint sogar,
als wenn hierbei die restirende Infiltration kürzere Zeit bestände und
weniger intensiv wäre.
Gegen Kecidive ist die Anwendung der Augendusche und das Be-
pinseln mit Höllensteinlösimg anzurathen. Auch die sogenannte Lotio
Kummerfeld (Camphor. 0,1. Lact, sulfur. 1-0. Aqu. calcar. Aqu. rosar.
aa 10-0. Gummi arab. 0-2), umgeschüttelt des Abends mit einem Pinsel
auf die Lidränder getragen, die Schwefelquecksilbersalbe (Hydrarg. sul-
furat. rubr. 0,05, Flor, sulfuric. 0,15, Vaselin und Lanolin aa 2,5) und
die rothe Präcipitatsalbe werden empfohlen. Etwaige Refractions- oder
Accommodations-Anomalien sind zu behandeln.
III. Distichiasis und Trichiasis.
Treten die Cilien in doppelter Reihe auf dem Lidrande auf, so be-
zeichnet man den Zustand als Distichiasis (d'/q doppelt, ox'r/oc, Reihe), sind
sie gegen das Auge schief gewachsen als Trichiasis (#o/s Haar). Letztere
ist meist Folge von Blepharitis oder Trachom. Es entwickeln sich hier
neue Reihen von Cilien auf der intermarginalen Kantenfläche des
Augenlides; dieselben erscheinen an ihren Spitzen wie abgebrochen, die
Haarzwiebel ist unregelmässig aufgetrieben, atrophisch, häufig stark
pigmentirt. Die Farbe der Härchen ist oft verändert, bisweilen sind
sie ganz weisslich oder grau, beim Fassen mit einer Pincette brechen
sie leicht ab. [Partielle Entfärbungen der sonst normalen Cilien finden
sich auch in Folge nervöser Störungen. Ich kenne einen Herrn, bei
dem etwa ein Drittel der Brauen, der Cilien und des Schnurrbartes der
linken Gesichtshälfte nach Typhus eine weisse Farbe angenommen hat.]
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 41
(j42 Erkrankungen der Augenlider.
Belästigend wird der Zustand, der häutig mit Entropium verbunden
ist, durch das Reiben der Wimpern gegen den Bulbus; Conjunctivitis
und vor Allem Ilornhautaffectionen (Pannus, Ulcerationen u. s. w.) werden
hierdurch verursacht. Es ist daher immer grosse Aufmerksamkeit auf
die Stellung der Cilien zu wenden. Man lässt bei der Untersuchung
das Lid in seiner normalen Stellung: die falsch stehenden Wimpern
werden durch das Eintauchen in Thränenflüssigkeit und auf dem dunklen
Hintergründe der Iris, wenn sie auf der Cornea streifen, am leichtesten
erkannt.
Die Behandlung besteht in ihrer Entfernung, sei es temporär oder
dauernd. Die Cilien werden mit der Cilienpincette ausgezogen (Epi-
lation). Sind kleinere, leicht abbrechende Cilien mit der Pincette gar
nicht zu fassen, so muss man sie mit der Scheere abschneiden oder
durch Einreiben mit einer Lösung von Schwefelcalcium zerstören, doch
ist hier Conjunctiva und Bulbus durch Einlegen einer Jäger 'sehen
Hornplatte (Fig. 182a) zu schützen. Da die Wimpern wieder wachsen,
ist die Entfernung in einiger Zeit zu wiederholen: die Patienten können
dies oft allein machen.
Um dauernde Heilung zu erzielen, sind eine Reihe von Opera-
tionsmethoden, die zum Theil mit denen des Entropiums zusammen-
fallen, in Gebrauch.
Die Zerstörung der einzelnen Cilien durch Elektrolyse - — Ein-
führung des negativen, nähivulelförmigen Poles in die Haarwurzel,
positiver Pol mit Schwammelektrode auf die Stirn oder Wange — ist
zweckentsprechend, aber schmerzhaft. Man bedarf nur eines verhält-
nissmässig schwachen constanten Stromes; es entsteht ein feiner Schaum
aus der Wurzel des Härchens.
Handelt es sich um einzelne nebeneinander befindliche schief-
stehende Wimpern, so kann man sie mit einem feinen, messerähnlichen
( ialvanocauter ausbrennen. Man legt zu dem Zwecke unter das Lid
— wie bei allen Lidoperationen — die Hornplatte oder den Blepha-
rostaten (Fig. 184), zieht den Lidrand etwas ab und theilt die Lidkante
wie bei der Fla r er 'sehen Operation (s. unten) in zwei Theile; hierbei
treten die Wurzeln der Haare als schwarze Striche und Punkte hervor.
Ist die ganze Lidkante mit schiefstehenden Härchen besetzt, so
wird man sich fragen, ob diesselbe erhalten werden sollen oder ob
sie so verkrüppelt sind, dass ihre Entfernung besser erscheint. In
letzterem Falle kann man nach Flarer den ganzen Lidrand ab-
schneiden. Es bildet sich nach der Heilung eine durchaus glatte Lid-
kante. Diese Operation, welche übrigens vor der Cauterisation nichts
voraus hat, wird folgemlcniiaassen ausgeführt. Man wendet (z. B. am
oberen Lide) mit zwei Fingern der linken Hand d'w Lidkante etwas
I
Distichiasia und Trichiasis.
643
zu tätowiren.
nach aussen und oben, sticht mit einem spitzen Scalpell oder gebogenem
Lanzenmesser dicht neben dem äusseren Lidwinkel ein und führt
längs der ganzen Lidkante nach innen bis in die Nähe des Thränen-
punktes einen etwa 2 mm tiefen, d. h. nach oben eindringenden
Schnitt, welcher die Lidkante in zwei Platten spaltet, von denen die
der Conjunetiva zugewandte den Knorpel, die der Haut zugewandte
die Cilien enthält (Fig 182). Durch einen zweiten Schnitt, der durch
die äussere Haut etwa 2 mm von der Lidkante entfernt und ihr
parallel geführt wird, trennt man alsdann die Lidrandportion mit den
Cilien ab. Kuhnt empfiehlt, auf den Defect Lippenschleimhaut zu
transplantiren und den Uebergang zwischen ihr und der Haut
schwarz — zur Nachahmung der Wimpern
Zur Erhaltung der Wimpern ist die
Verl a g e r u n g des sie tragenden Lidrandes
in verschiedener Weise versucht worden.
Eines der ältesten Verfahren ist das von
Jaesche-Arlt'sche. Man spaltet wie bei
der Fl ar er 'sehen Operation die Lidkante
in zwei Platten; alsdann legt man (beispiels-
weise am oberen Lide) etwa 3 bis 4 mm
oberhalb der Lidkante und ihr parallel
laufend durch die Lidhaut einen Schnitt,
der zu beiden Seiten die Cilien tragende
Partie etwas überragt, und 4 bis 6 mm
darüber einen zweiten halbmondförmigen,
dessen Enden sich mit denen des ersten
verbinden. Die so umschriebene halbmond-
förmige Hautfalte wird excidirt. Durch Vernähung
wobei man die durch den unteren Wundrand geführte Nadel in der
Xähe der Lidkante aussticht, wird die äussere, Cilien tragende Platte
der Lidkante (welche von ihrer Unterlage nicht vollständig getrennt,
sondern nur mobil gemacht ist) nach oben gerückt und somit eine Ent-
fernung und Abhebung derselben vom Bulbus erzielt.
Dies Verfahren ist bei einfacher Trichiasis meist ausreichend;* ist
daneben aber ein Entropium mit Verkrümmung des Tarsus vorhanden,
so genügt es in der Regel nicht. Es sind alsdann die entsprechenden
Entropiumoperationen (s. unten) angezeigt.
Dem Ja esche-Arlt' sehen Verfahren ziehe ich, wenn es sich um
eine nicht die ganze Lidkante einnehmende Trichiasis handelt, das von
v. Grraefe empfohlene vor. Hier wird, wie oben, an der entsprechenden
Stelle die Lidkante tief gespalten. Alsdann werden durch die Lidhaut
zwei etwa 1 cm lange, senkrechte Schnitte geführt, welche die Enden
41*
Ränder,
i;i4 Erkrankungen der Augenlider.
der gespaltenen Lidkantenpartie treffen. Löst man nun die Cilien
tragende Platte der Lidkante und die von den senkrecht geführten
Schnitten begrenzte Haut von ihrer Unterlage, so kann man (beispiels-
weise am oberen Lide) ein Hinaufrücken dieser Platte dadurch er-
zielen ; dass man die Plaut nach oben verschiebt und in dieser Lage
durch Nähte befestigt.
Ganz vortrefflich, auch bei Entropium, ist die Verbindung des Inter-
marginalschnittes mit dem Hotz 'sehen Verfahren. — Bei letzterem
führt man den Hautschnitt längs des oberen Randes des Tarsus, excidirt
ein Bündel Orbicularisfasern und näht nun die Wunde so, dass der
untere Hautrand mit dem oberen Tarsalrand in Verbindung gebracht
wird. Zu dem Zweck werden die Fäden durch obere Hautwunde, Tarsal-
rand und untere Hautwunde geführt und dann geknüpft. Durch die Be-
festigung an dem Tarsus-Rande wird, der nach oben gerückten Cilien-
partie ein festerer Halt gegeben als bei der Jaesche-Arlt'schen Me-
thode. Hotz selbst macht keinen Intermarginalschnitt. — Aehnlich wie
.er verfährt H. Pagenstecher. Nach Ausführung eines Hautschnittes
in der Gegend des oberen Tarsalrandes wird der Orbicularis nach oben
und unten hin vom Tarsus gelöst und der zum Orbitalrande hinziehende
nächstliegende Theil der Fascia tarsoorbitalis ebenfalls- freigelegt. Eine
gekrümmte Nadel wird alsdann 1 mm über dem Ciliarrande durch Haut
und Muskel gestochen, auf der Tarsaloberfläche nach oben geführt,
dann durch eine circa 3 mm der Fascie und der darunter liegenden
Levatorsehne umfassende Falte gestossen und schliesslich durch die
darüber liegende Hautmuskelschicht geführt. Durch die Verknüpfung
des Fadens wird die Levatorsehne verkürzt und nach vorn verlagert
und so das Lid gehoben und vom Bulbus abgezogen. Es sind drei
solcher Nähte anzulegen.
Noch in anderer Weise ist die Verschiebung der schiefstehenden
( 'ilien versucht worden, indem man nach Ausführung des Intermarginal-
schnittes, etwa 3 mm vom Lidrande entfernt, einen diesem parallel
laufenden Schnitt durch die Haut legte. Oberhalb dieses Schnittes
(oberes Lid), etwa 2 bis 3 mm entfernt, wird ein zweiter, ihm parallel
laufender Schnitt in gleicher Weise geführt, der nasal- und temporal-
wärts ihn etwas überragt. Der so entstandene bandförmige Hautlappen
wird von seiner Unterlage gelöst, abgeschnitten und unter die Cilien
tragende Brücke in den intei'marginalen Raum gezogen und dort mit
Nähten befestigt; letzteres^geschieht darauf auch mit dem nach oben
gerückten, die Cilien tragenden Lappen (Watson, Gayet u. A.). Ich
halte es für vorteilhafter, um ein Absterben zu vermeiden, den band-
förmigen Hautlappen nicht abzuschneiden, sondern über die nach oben
gezogene Cilien tragende Brücke in den Intermarginalraum zu schieben
1
Ankyloblepharon. Hlepharophimosis. (345
und dort nötigenfalls mit * einer durch den Tarsus gelegten Naht,
welche ihn sehlingenartig umfasst; festzuhalten. Hiermit habe ich sehr
gute Resultate erzielt; die Stellen, an denen innen und aussen die Haut-
brücke über dem nach oben gerückten Cilienboden liegt, verdünnt sich
sehr bald. Jacobson benutzt zur Transplantation in den Intermarginal-
schnitt einen von der äusseren Ecke des Lides nach oben in die Schläfen-
haut oder nach unten in die Wangenhaut geschnittenen schmalen ge-
stielten Hautlappen; Vossius nimmt diesen Lappen aus der Lidhaut
selbst. Da die fernen Härchen der transplantirten Haut aber lästig
werden könnten, so emptieh.lt sich mehr die Einheilung eines abgelösten
Stückchens der Lippenschleimhaut in den breit blossgelegten Inter-
marginalschnitt (Benson, van Millingen). Um den aus der Unterlippe
genommenen Schleimhautlappen (die entstandene Wunde in der Lippe
ist zu vernähen) besser festzuhalten, kann man an beiden Enden des
Intermarginalschnittes durch die Haut des oberen Lides zwei kleine
senkrechte Schnitte führen und hier hinein die Enden des Schleimhaut-
lappens eindrücken. Es ist diese Methode der Transplantation die
cmpfehlenswertheste.
Zur Anästhesirung kann bei allen Lidoperationen die Besprühung
mit Aefhylchlorid angewandt werden. Subcutane Injectionen nach
Schleich verändern durch ödematöse Schwellungen das Operations-
terrain.
II. Ankyloblepharon. Blepharophimosis.
Die Verwachsung beider Lidränder miteinander (Ankyloble-
pharon)*) ist partiell oder total. Sie kommt angeboren oder in Folge
von Verletzungen (besonders Verbrennungen) oder schweren Liderkran-
kungen (Diphtheritis, Lupus u. dgl.) vor. Partielle Verwachsungen, die
nicht mit Symblepharon verknüpft sind, lassen sich meist leicht durch
einen Scheerenschnitt heilen. Nöthigenfalls ist eine Umsäumung mit
Conjunctiva von Xutzen.
Bei der Blepharophimosis ist die Lidspalte an ihrem äusseren
Winkel verkürzt. Es kommt dies angeboren vor oder es entwickelt
sich die Lidspaltenverengerung nach chronischen Lid- und Conjunctival-
erkrankungen (Trachom). Nach Fuchs entsteht sie durch quere Schrum-
pfung der Lidhaut, wobei eine senkrechte Hautfalte von der Schläfe
her über den äusseren Lidwinkel gezogen wird. Die Erweiterung der
Lidspalte fOanthoplastik) wird so ausgeführt, dass man den äusseren
Lidwinkel mit einer geraden Scheere, deren eine stumpfe Branche
'■■■ dyxv'/.rj. Steifheit der Glieder.
646 Erkrankungen der Augenlider.
zwischen Lidcomniissur und Bulbus eingeführt wird, während die andere
Branche auf der Haut liegt, in entsprechender Ausdehnung (etwa 4
bis" 8Ämm) horizontal durchschneidet und die entstandene Hautwunde
mit der durchschnittenen und gelösten Conjunctiva mittels Naht umsäumt.
2. Erkrankungen der Lidhaut und des Tarsus.
Die Lidhaut zeigt dieselben Erkrankungen wie die übrigen Haut-
decken.
Besonders häufig sind Ekzeme, welche bei scrophulösen Kindern
die eigentlichen Augenaifectionen compliciren. Bedenklich ist die ulce-
röse Blepharitis, welche sich aus einem pustulösen Ekzem entwickelt.
Die Ulcera haben bisweilen diphtherischen Belag und können, wenn
sie in der Nähe des Lidrandes sitzen, Anlass zu diphtheritischen In-
filtrationen der Conjunctiva geben. Die Behandlung geschieht vorteil-
haft mit Ung. diachylon Hebrae, das auf Leinwand gestrichen, und,
wenn es der Zustand des Auges erlaubt, mit einer Binde befestigt wird.
In ähnlicher Weise wirken lprocentige Salben von Zinc. oxydat. oder
Hydrarg. praecipat. alb. oder auch Theersalben (1 : 4). Bei diphtheri-
tisch belegten Geschwüren wende ich Höllensteinlösungen an.
Mit dem Lid-Erysipel verknüpfen sich öfters Entzündungen des
Orbitalfettzellgewebes, die theils direct auf den Opticus übergreifen und
eine Neuritis bezw. Atrophie veranlassen, theils das Auge indirect schä-
digen, indem sie durch Compression der Gefässe eine Thrombose der
Retinalvenen und Unterbrechung der arteriellen Zufuhr (mit Apoplexien
der Netzhaut [Knapp]) herbeiführen.
Phlegmone der Haut kommt gelegentlich nach Infection durch
thierische Gifte (Milzbrand), nach Insectenstichen u. s. w. vor; es bilden
sich meist unter Fieber eine oder mehrere eitrige Pusteln, das Lid
schwillt stark an und röthet sich. Auch habe ich diese Entzündung bei
alten Leuten in Folge von Druckverband mit feuchten Sublimatcom-
pressen auftreten sehen. Ferner geben Traumen gelegentlieh Veran-
lassung. In leichteren Fällen erfolgt unter lauen Borwasserumschlägen
die Abschwcllung, in anderen kommt es zu tiefen Eiterungen mit Haut-
gangrän, Schwellung der Halslymphdrüsen und Abscedirungen in der
Halsgegend, selbst zum Exitus letalis. Einfache Furunkelbildungen sind
selten; häufiger beobachtet man bei Kindern Abscesse in der Lidhaut.
Der Herpes Zoster im Gebiete der in der Nähe des Auges ver-
laufenderj Tri^vminus-Aeste wird als Herpes Zoster ophthalmicus
(Hutchinson) bezeichnet. Dem Ausbruch der Blasen gehen heftige
neuralgische Schmerzen voran. Die Blasen stehen gruppenweise auf
gerötheter Haut, indem sie den Ausbreitungen der Nerven-Aeste folgen
Erkrankungen der Lidhaut und des Tarsus. 647
mul .scharf in der Mittellinie des Gesiebtes abschneiden. Der anfänglich
wasserhelle Inhalt trübt sieh bald, es bilden sieb Krusten und später
Geschwüre, die dauernde Narben zurücklassen. Der Process spielt sieb
in circa 3 Woeben ab. Oft betheiligt sieb die Cornea, indem theils
wasserhelle Herpesbläschen auftreten, tbeils Infiltrate. Die Behandlung
ist eine symptomatische, die Haut wird mit Oelläppcben oder Streu-
pulver bedeckt. —
Bei der Chromhidrose entstehen dunkelbläuliche Flecke an den
Lidern; entfernt man die farbige Substanz, so erscheint sie nach einiger
Zeit wieder. Besonders bei jungen Mädchen wurde diese AfFection, die
allerdings in einer Reihe von Fällen als Product künstlicher Färbung
sieh herausstellte, beobachtet.
üedem der Lidhaut tritt äusserst selten primär, meist in Ver-
bindung mit anderen Augen- und Lid-Afiectionen auf: so bei Blen-
norrhoe oder Diphtheritis conjunctivae, Panopbthalmitis, Orbitalphleg-
mone, Periostitis orbitae, Periostitis der Oberkiefer-Zähne, Thrombose
des Sinus cavernosus, Hordeolum, Cbalazion, Dakryoadenitis, Dakryo-
eystitis, Furunkel, Milzbrandpustel, Lidabscess. Auch nach Ein-
spritzungen in den Thränensack, falls etwas Flüssigkeit in das sub-
mueöse Gewebe geräth, beobachtet man es. Ebenso kommt Oedem bei
Influenza und Trichinose vor. Das Oeffnen der Lider nötigenfalls
unter Zuhülfenahme eines Desmarres 'sehen Elevateurs klärt darüber
auf, ob der Bulbus oder die Conjunctiva betbeiligt ist. leichtentzünd-
liche Lidödeme siebt man, besonders oft Morgens nach dem Schlaf,
bei Anämischen, bei Nieren- oder Herzkranken. — Hämorrhagien
finden sich besonders nach Traumen. Wenn der Bluterguss in Folge von
Fracturen der knöchernen Schädelbasis erfolgt, so pflegt er sich zuerst an
der Conjunctiva bulbi und dann erst unter der Lidhaut zu zeigen. Auch
nach Stickhustenanfällen habe ich Blutergüsse unter der Haut gesehen.
Lidemphysem entsteht bisweilen nach Brüchen der knöchernen
Nasenwand oder des Sinus frontalis, wobei Luft von der Nase her in
das orbitale oder subcutane Zellgewebe gelangt. Die Heilung erfolgt in
der Regel schnell. —
Der Tarsus ist häufig der Sitz chronischer Entzündungen, die sich
zum Conjunctivaltrachoni hinzugesellen. Es tritt hier besonders Ver-
dickung und Verkrümmung des Tarsus ein. Auch Amyloiddegeneration
wird beobachtet.
Die syphilitische Tarsitis befällt meist beide Lider gleichzeitig
und geht unter Schwellung des Lides, die auf die Verdickung des
knorpelharten Tarsus zurückzuführen ist, einher. Die Lidbaut ist venös
injicirt, die Conjunctiva meist hypertropbirt. Der Verlauf ist sehr lang-
sam, doch kann vollkommene Heilung eintreten;
('48 Erkrankungen der Augenlider.
I. Chalazion.
Beim acuten Chalazion zeigt sich die Lidhaut in der Nähe des
Lidrandes gerüthet und geschwellt. Man fühlt daselbst eine umschriebene
Härte etwa von Erbsengrösse. Bei sehr starker Entzündung ist das Lid
in seiner ganzen Ausdehnung afficirt; es wird dann schwerer beweglieh,
ödematös und kann, wenn es sich um das obere Lid handelt, herab-
hängend das Auge decken. Die Conj. bulbi ist öfters chemotisch. Kehrt
man das Lid um, was aber besonders dann7 wenn das Hagelkorn in
den Lidwinkeln sitzt, nicht immer in ausgiebiger Weise möglich ist, so
sieht man eine umschriebene, kleine, meist gelbliche Hervorragung der
Tarsalschleimhaut, entsprechend dem Sitze der Meiboin-
schen Drüsen. Incidirt man dieselbe, so entleert sich
eitrige Flüssigkeit.
Die differentielle Diagnose sehr acuter Chalazien
gegenüber dem Anfangsstadium der acuten Blennorrhoe
ist bereits bei letzterer besprochen worden.
Das chronische Chalazion ist eine linsen- bis
über erbsengrösse Geschwulst, die, unter der intacten Haut
sitzend, mit dem Tarsus verschieblich ist. Entzündet sich
die Geschwulst, so wird die Haut darüber ebenfalls etwas
geröthet. Beim Ektropioniren des Lides sieht man an der
entsprechenden Stelle eine Hervorragung, bei deren Ein-
schnitt sich eine gelatinöse, bisweilen auch eingedickte
käsige Masse entleert. Nach dem Einstich oder der
spontanen Perforation können in seltenen Fällen rothe
Wundgranulationen aus der Oeffnung hervorwachsen.
Häufig entsteht das chronische Chalazion, nachdem ein
acutes vorangegangen war; bisweilen entwickelt es sich
jg;3 auch ohne acutes Stadium. Ausnahmsweise sitzen an dem-
Schmidt- selben Lide mehrere derartige Geschwülste.
LöffeF-Messer.8 Den Ausgangspunkt des Chalazion bildet eine Er-
nährungsstörung in einer Meibom' sehen Drüse mit Secre-
tionsretention und Entzündung des umliegenden Binde- und Tarsusge-
webes. Angrenzendes Bindegewebe, Muskelfasern und verdünnter
Tarsus stellen eine Art Kapsel dar (de Vincentiis, Fuchs).
Die Behandlung besteht beim acuten Chalazion ganz im Anfang
und bei starker Entzündung in kalten, später in lauen Umschlägen von
Borsäurelösung oder Bleiwasser. Zeigt sich beim Ektropioniren an der
Tarsalflache die beschriebene Hervorragung, so wird in dieselbe mit
dem Messer (den Rücken desselben gegen den Bulbus gekehrt) ein
Geschwülste. 1)49
Einstich gemacht und der Inhalt entleert. Auch beim chronischen
( lhalazion ist die Entleerung durch Einstich von der Conjunctiva aus
in der Regel indicirt; um den oft zähen und breiigen Inhalt herauszu-
pressen, übt man mit dem Scalp eilstiel einen stärkeren Druck auf die
Lidhaut aus. Auch durch Eingehen mit einem kleinen Löffel kann
ausgiebige Entleerung erreicht werden. Ich habe mir zu dem Zweck
ein kleines Messerchen, ähnlich einem zugespitzten und zugeschärften
Da viel' sehen Löffel anfertigen lassen, mit dem man den genannten
Indieationen nachkommen kann (Figur 183). Gleich nach der Ent-
leerung tritt eine seröse oder blutige Ansammlung in der Chalazion-
kapsel ein, welche in den nächsten Tagen ein Wiederanschwellen der
< reschwulst veranlasst; allmählich aber erfolgt eine zunehmende Ver-
kleinerung, nur die Kapsel bleibt, noch lange fühlbar. Will man letztere
entfernen oder handelt es sich um sehr grosse, dicht unter der Haut
liegende Chalazien, so exstirpirt man sie durch einen horizontalen
Hautschnitt. Zertheilende Einreibungen (Jodsalbe u. s. w.) sind ohne
vorherige Eröffnung in der Regel nutzlos.
Einfache Infarcte der Meibom 'sehen Drüsen, die bisweilen verkalken,
zeigen sich als gelbliche Punkte oder Striche auf der inneren Lidfläche. Sie
kommen besonders bei älteren Personen vor. Ihr Inhalt kann durch Einschnitt
entleert werden, da bisweilen Reizungen von ihnen ausgehen. Aehnliche gelbe
Pünktchen sieht man zuweilen in der Uebergangsfalte ; nach Euchs handelt es
sich um Concremente in neugebildeten schlauchförmigen Drüsen.
II. Geschwülste.
Das Milium findet sich als etwa stecknadelkopfgrosses, weisses
Korn nicht selten in der Lidhaut. Der talgartige Inhalt wird nach
einem kleinen Einstich entleert.
Xanthelome treten in der Regel in der Form von unregelmässig
begrenzten, etwas prominenten Flecken, die eine gelbliche bis bräunliche
Färbung haben, in der Lidhaut auf. Es handelt sieh um Bindegewebs-
hyperplasie und Fettdegeneration (Waldeyer, Manz). Ist die Ge-
schwulst klein, so kann sie leicht excidirt werden, ohne die Entstehung
von Ectropium zu veranlassen.
Ferner kommen nicht selten Naevi und Teleangiektasien an-
geboren vor. Mit den schwarzbraunen Naevi an den Lidrändern sind
nicht selten bräunliche Flecke in der Conjunctiva verknüpft. Wenn
sie nicht zu gross sind, entfernt man sie durch Exstirpation; doch achte
man darauf, dass kein Ectropium entsteht. Bei Teleangiektasien wendet
man mit Yortkeil den Galvanocauter an; für grössere ist die subcutane
Einführung oder die Elektrolyse zu empfehlen. Die eigentlichen caver-
nösen Geschwülste entstehen meist erst nach der Geburt im jugend-
lichen Lebensalter.
f;50 Erkrankungen der Augenlider.
Sonst verdienen noch Warzen, Hauthörner, Mollusken (M. simplex;
bis erbsengrosse, öfters gestielte, gelblich gefärbte Ausdehnung der
Talgdrüsen; M. contagiosum eine rundliche Geschwulst mit abge-
platteter Oberfläche und centraler Vertiefung, aus der sich bei Druck
eine talgartige Mas.se entleert: diese Geschwülste kommen auch am Lid-
rande vor), ferner Atheromcysten (vorzugsweise im äusseren Winkel unter
dem oberen Lide sitzend), Lepraknoten, Lipome, Fibrome, Angiome,
Sarkome und Epitheliome der Lider besonderer Erwähnung. Letztere
treten besonders gern an einem Winkel, gewöhnlich dem inneren, des
unteren Lidrandes und zwar in Geschwürsform mit infiltrirten Rändern
(Ulc. rodens) auf. Der Verlauf ist ein sehr langsamer, wobei öfters eine
partielle Vernarbung beobachtet wird. Bei längerem Bestehen geht
die Infiltration auch auf den Bulbus und das Orbitalgewebe über. Eine
frühzeitige und reine Exstirpation kann dauernde Heilung erzielen.
3. Stellungsanomalien.
I. Entropium.
Beim Entropium ist die Lidkante nach innen gekehrt, etwa vor-
handene Wimpern berühren den Bulbus. Diese Stellungsveränderung
ist entweder Folge einer krampfhaften Contraction der dem Lidrande
nächstgelegenen Fasern des M. orbicularis (Entropium spasticum) oder
Folge von Narbenschrumpfung der Conjunctiva und muldenförmiger
Einwärtskehrung des Tarsus.
Die erstere Form findet man fast nur am unteren Lide, besonders
häufig bei älteren Individuen (Entrop. senile), wo ihr Auftreten durch
Erschlaffung der Haut unterstützt wird. Auch längere Anwendung des
Druckverbandes ruft sie hervor, ebenso sieht man sie zuweilen bei acuten
Augenentzündungen. Zieht man mit dem Finger das Lid ab, so nimmt
die Lidkante momentan ihre normale Stellung wieder an.
Die Behandlung kann sich in Fällen, wo das Entropium durch
den Druckverband oder eine Entzündung veranlasst ist, darauf be-
schränken, durch einen von oben nach unten verlaufenden Streifen eng-
lischen Heftpflasters, der unter dem Lidrande beginnt und diesen nach
.Hissen ziehend auf der Wange endet, das Lid richtig zu stellen: um
dem Pflasterstreifen grössere Befestigung zu geben, wird er mit Collo-
dium bepinselt. Energischer ist die Wirkung, wenn man von der unteren
Lidhaut eine horizontal verlaufende Falte hoch hebt, diese mit einer
eingefädelten Nadel von oben nach unten — etwa in 1-5 cm Aus-
dehnung — durchsticht und den Faden über der Falte zusann neu knüpft
und abschneidet.
Auch beim Entropium senile ist diese Fadenoperation anwendbar, aber
Entropium.
651
in der Weise moditieirt, dass man den Faden so lange liegen lässt, bis
die Wunde eitert. Um ein Einselmeiden desselben zu vermeiden, knüpft
man ihn auf einer Heftpflasterrolle oder auf einer Perle, durch welche
das eine Fadenende gezogen wird. Meist legt man hier zwei solcher
senkrecht verlaufender Fäden in einigem Abstände voneinander durch
die Hautfalte (Gaillard'sehe Ligaturen). Auch durch horizontale, ovale
Hautausschnitte oder bei Blepharophimose durch die Canthoplastik kann
man Heilung erstreben, v. Graefe legte bei Entropium des unteren
Lides, etwa 3 mm vom Lidrande entfernt, einen diesem parallelen Haut-
schnitt, der aber von den Lidcommissuren beiderseits etwa 4 mm ent-
fernt bleibt. Der mittlere Theil dieses Schnittes bildet die Basis eines
nach unten gerichteten, zu exstirpirenden Hautdreieckes, dessen Seiten
nach Lockerimg der anliegenden Haut zu einer senkrecht verlaufenden
Wundlinie zusammengenäht werden. Einfacher und sehr empfehlens-
werth beim Entropium spasticum ist die schräge Blepharo-
tomie (Stell wag). Man macht hier dicht neben dem
äusseren Lidwinkel einen kleinen, durch die Lidkante
(schräg nach dem Ohrzipfel hin gerichtet) gehenden
Scheerenschnitt, welcher die Randfasern des Orbicularis
trennt. Die Heilung erfolgt in der Regel glatt, und man
sieht nachher kaum eine kleine Einkerbung; doch ist
der Erfolg nicht immer dauernd.
Die von Schneller angegebene Methode der Un-
terheilung eines Hautstückes, welches als Keil wirkend
den orbitalen Theil des unteren Lides einwärts drückt
und so den Lidrand vom Bulbus abwendet, habe ich mit
einer Modification auch öfters mit Nutzen angewandt. Ich
führe den ersten unteren, fast horizontalen Hautschnitt in
der Höhe des orbitalen Knochenrandes, 3 — 4 mm darüber
den zweiten etwas convex nach oben gerichtet, so dass
er mit dem ersten an den Enden zusammenstösst.
Nun lockert man nach oben und unten die Haut mit dem darüber-
liegenden Orbicularis und vernäht dann die Wunde über dem stehen-
gebliebenen, an der Oberfläche leicht abgekratzten Hautstück.
Handelt es sich um Entropium in Folge von Tarsusverkrümmung,
so muss eine gleichzeitige Stellungsverbesserung des Tarsus operativ
erstrebt werden. Um Blutungen zu vermeiden, bedient man sich hier
>tatt der einfachen Hornplatte meist des Blepharostaten (Snellen,
Knapp), bei dem eine Art Klammer die Lidhaut gegen die zwischen
Conjunctiva und Bulbus Kegende Hornplatte drückt (Figur 184).
Berlin hat ein einfaches und brauchbares Verfahren angegeben.
Man fuhrt durch das obere Lid, etwa 3 bis 5 mm oberhalb der Wimpern,
184.
jj52 Erkrankungen der Augenlider.
einen dem Lidrande parallelen Schnitt, der Haut, Muskel, Tarsus und
Conjunetiva durchschneidet. Durch Zurückschieben der oberen Haut-
wunde legt man den Tarsus bloss und schneidet aus ihm und der
Conjunetiva ein horizontales, etwa 2 mm hohes Band längs der ganzen
Wunde heraus. Alsdann vereinigt man die Hautwunde durch Nähte.
Jacobson durchschneidet ebenfalls Haut, Muskel, Tarsus und Conjune-
tiva, ohne jedoch vom Knorpel etwas zu entfernen, und näht dann nach
Excision einer halbmondförmigen Hautfalte mit tiefgehenden, durch den
Intermarginalrand geführten Nähten die Wunde zusammen.
Snellen's Verfahren ist etwas complicirtcr. Nach Anlegung eines
3 mm vom Lidrande entfernten und ihm parallelen Hautschnittes wird
die darunter liegende Orbicularismusculatur in circa 2 mm Höhe excidirt,
dann durch Zurückschieben der Tarsus ganz frei gelegt. Aus letzterem
sehneidet man ein keilförmiges Stück (Basis nach aussen, Kante der
Conjunetiva zu) längs der ganzen Hautwunde heraus. Darauf wird
durch den oberen Theil des Tarsus ein Faden gelegt, der mit zwei
Nadeln versehen ist. Die Schlinge kommt in den Tarsus, während die
Enden des Fadens durch die an die Cilien grenzende Hautpartie gehen
und dort über einer Perle verknüpft werden. Es sind 2 bis 3 solcher
Nähte anzulegen. Die Methode von Streatfield ist ähnlich. — Auch
lineare Cauterisationen mit dem Thermocauter etwa 4 mm vom Lidrande
entfernt durch Haut und Muskel bis in den Knorpel dringend, sind sehr
empfehlenswerth. Weiter können in einer Reihe von Fällen die gegen
Trichiasis angegebenen Operationen, besonders die Hauttransplantation
in den getrennten Lidrand, von Nutzen sein; Rückfälle kommen aber
gelegentlich bei allen Methoden vor.
II. Ectropium.
Beim Ectropium*) ist das Lid nach aussen gekehrt, die Conjunetiva
liegt zu Tage, theils in der ganzen Länge des Lidrandes, theils nur an
einer umschriebenen Partie. Hierdurch wird neben der unangenehmen
Entstellung ein dauernder Reizzustand des Auges unterhalten, zumal
auch die Thränen nicht mehr durch den Thränenpunkt, der absteht,
in den Thränensack geleitet werden. Am häufigsten ist das untere Lid
befallen. Wenn das Ectropium durch acute Hypertrophirung der Con-
junetiva (Ectropium sareomatosum), so z. B. bei Blennorrhoen, zu Stande
kommt, pflegt es mit der Abschwellung der Schleimhaut zurückzugehen-
'■■ Deutsche Heerordnung. $ !». Abs. 2. Landsturm bez. dauernd untauglich.
Anlage 4 7 a. Umkehrung eines oder beider Augenlider nach innen oder aussen,
narbige Entartung der Augenlidbindehaut, Mangel der Wimperhaare und Einwärts-
kehrung derselben, ausgedehntere Verwachsung der Lidbindehaut mit der des Aug-
apfels oder der Hornhaut. — Vgl. S. 69.
Ectropium.
653
Durch Searitieationen und Anlegung eines Druckverbandes nach Repo-
sition des Lides wird die Heilung beschleunigt.
Eingreifendere Heilverfahren bedürfen in der Regel die Ektropien,
welche nach chronischer Blepharitis marginans, Trachom (Ectropium
spasticum), nach Verletzungen mit folgender Hautnarbe, Caries, bei
Fistelöffnungen in Folge von Empvein des Sinus frontalis, Lupus, nach
einer in Folge von Ekzem auftretenden Lidhautverkürzung (Narben-
Ectropium) oder auch bei Schwäche der ciliaren Theile des Orbicularis
auftreten (Ectropium paralyticum). Letztere beiden Momente ver-
ursachen besonders bei älteren Individuen öfters ein Ectropium (Ectro-
pium senile).
Leichtere Fälle können ebenfalls durch einen längere Zeit hindurch
angelegten Druckverband zurückgebracht werden. Taucht der untere
Thränenpunkt nicht in den Thränensee, so ist das Thränenröhrchen
aufzuschlitzen. Bei Narbenektropien, wo, wie z. B. nach Caries, die
Haut mit dem Knochen durch Bindegewebsstränge verbunden ist, hat
Dieffenbach die Hautnarbe in Form eines gleichschenkligen Drei-
ecks, dessen Basis dem Lidrande parallel läuft, excidirt und dann
nach Unterminirung der angrenzen-
den Haut die äussere und innere
Seite des Dreiecks durch Naht ver-
einigt (Figur 185).
Nach Wharton Jones um-
schneidet man die Narbe durch zwei
Schnitte, welche vom inneren und
äusseren Lidwinkel beginnend nach
unten convergiren, so dass die um-
schnittene, aber nicht excidirte Haut
185.
Figur 185 die schraffirte Partie
Haut von ihrer Unterlage ab,
durch zwei ähnliche Schnitte wie in
begrenzt ist. Alsdann löst man die
schiebt sie in die Höhe, reponirt das Ectropium und näht den unter
der Hautspitze entstandenen Defect zu einer senkrecht verlaufenden
Wunde zusammen. Schliesslich werden auch die Seiten des beweglich
gemachten Lappens mit der angrenzenden Haut vereinigt.
Bei grösseren Substanzverlusten sind plastische Operationen aus
der angrenzenden Stirn-, Schläfen- oder Wangenhaut angezeigt, oder
auch die Transplantation abgelöster Hautlappen (Reverdin) oder
kleiner, dünner Epidermisstückchen (Thiersch, Eversbusch), die
dachziegelförmig übereinander geschichtet den Defect decken. Ueber
letztere wird Guttaperchapapier und ein feuchter Sublimatverband gelegt.
Die Form des Ectropiums des unteren Lides, welche als Folge
von Blepharitis auftritt, ist z. Th. auch durch Hautverkürzungen und
054 Krkrankungen der Augenlider.
Schrumpfungen bedingt, die sich auf die beständige Befeuchtung der
Lidhaut durch überfliessendes Seeret zurückführen lassen. Hier vist
eine dauernde Bcfettung mit Oleum amygd. dulcium oder Vaselin
angezeigt, sowie Bekämpfung von etwa bestehenden Ekzemen. Als
einfachste operative Methode empfiehlt sich die von Snellen ange-
gebene Fadenoperation. Man führt durch die beiden Enden eines
Fadens je eine Nadel; die Mitte des Fadens kommt in einer Aus-
dehnung von etwa 5 mm horizontal auf die ektropionirte Schleimhaut
zu liegen, während jede der Nadeln hinten durch die Conjunctiva ge-
geführt und dann unter die Haut bis in die Nähe des Orbitalrandes fort-
gestochen wird; hier sticht man sie aus. Die beiden Fadenenden werden
auf einer durchbohrten Perle auf der Haut zusammengeknotet; durch den
hierbei vermittels der Fadenmitte auf die Conjunctiva geübten Druck wird
das Ectropium reponirt. Solcher Fäden werden in einiger Entfernung"
zwei bis drei angelegt. Man lasse sie so lange liegen, bis ausgeprägte
Eiterung eingetreten ist, vermeide aber ein Durchschneiden der Haut.
In Folge der Eiterung bilden sich Bindegewebsstränge, welche eine
dauernde Richtigstellung bewirken können. Jedoch reicht dies Ver-
fahren nur für leichte Fälle aus.
In etwas anderer Weise wendet Fukala die Nähte an. Er macht
10 mm unter dem unteren Lidrande einen horizontalen Schnitt, der
Haut und Muskelschicht trennt und löst beide bis zur Lidkante hin vom
Knorpel. Dann wird eine Nadel 4 mm unter dem Lidrande durch
Haut und Muskelschicht gestochen, auf dem Knorpel zum Lidrande
geführt und hier durch den Knorpel zur Conjunctiva durchgestochen.
In einem wagerechten Abstände von 3 mm erfolgt dann die Zurück-
leitung der Nadel in gleicher Weise zur Haut, wo die Knotung der
beiden Faden-Enden erfolgt. Nach Anlegung zweier weiterer Nähte
wird die Hautwunde geschlossen.
Adams schnitt aus der ganzen Dicke des ektropionirten unteren
Lides ein keilförmiges Stück aus, dessen Basis in der Lidkante liegt
und in seiner Grösse der durch das Ectropium veranlassten Lidver-
längerung entspricht. Die entstandene Wunde wird durch tiefgreifende
Nähte geschlossen. Da bei nicht gut erfolgender Heilung ein Lid-
colobom entstehen kann, excidirt Kuhnt den Keil nur aus der Binde-
haut und dem Knorpel (sehr empfehlenswerth!), während v. Ammon
den bezüglichen Keil am äusseren Lidwinkel in der Verlängerung der
Lidspalte ausschneidet.
In anderen Fällen ist die Tarsoraphie von Nutzen. Durch
dieselbe wird die Lidspalte verkleinert, indem man neben der tem-
poralen Commissur die Ränder, sowohl am oberen als am unteren Lide,
in einer Ausdehnung von etwa 4 mm abträgt und durch Nähte vereinigt.
Blepharospasmus. ^55
Besser ist es, ein kleines dreieckiges Hautstück abc; dessen eine
Seite ab die Verlängerung der Lidspalte von dem äusseren LidAvinkel
nach, aussen-oben hin ist und dessen Spitze c sich nach unten richtet
aus der Schläfenhaut zu exstirpiren und nun nach Abtragung des tem-
poralen Endes des Lidrandes am unteren ektropionirten Lide und nach
Unterminirung der anliegenden Haut den wund gemachten Lidrand-
theil so nach oben-aussen zu verschieben, dass das früher dem Lid-
winkel entsprechende Ende a nach b zu liegen kommt und dort durch
Naht befestigt wird (v. Graefe).
Bei grossen Ektropien des unteren Lides, bei welchen viel überschüssige
Conjunctiva nach aussen liegt, verfahrt man am besten so, dass man die nach
aussen gekehrte Schleimhaut durch zwei parallel laufende Schnitte mit dem
Messer abschneidet, dann am äusseren und inneren Lidwinkel zwei senkrechte
Schnitte nach unten durch das Lid, etwa 1 1/2 cm lang-, durch Haut und Muskel führt
und diesen Hautmuskellappen vom Tarsus löst. Der Lappen wird nun durch eine
laterale Tarsoraphie, eventuell mit Ausschneiden eines kleinen temporalen Haut-
dreieeks. wie oben beschrieben, in die Höhe gezogen und durch entsprechend
geführte Xähte (tiefer im Lappen, höher im lateralen Wundrande liegend) die Ver-
einigung der beiden senkrechten Längsschnittwunden bewirkt. Der horizontale
Wundrand der Conjunctiva wird durch Fadenschlingen, welche etwas unterhalb
des durch obiges Verfahren in die Höhe gezogenen Lidrandes mit ihren Enden
auf die äussere Haut geführt und dort über einer Perle geknüpft sind, mit der
Innenfläche des Hautmuskellappens vernäht. Bei weniger starkem Ectropium kann
man die senkrechten Längsschnitte fortlassen und nur durch submusculäre Lösung
des Hautmuskellappens mit Tarsoraphie ein Höherrücken des unteren Lides er-
zielen. Dieses Verfahren nützt noch in manchen Fällen, in denen man sonst nicht
zum Ziele kommt.
III. Blepharospasmus.
Krampfhafte Contractionen des Orbicularis bewirken den Verschluss
des Auges; bisweilen ist der Krampf so heftig und andauernd, dass
längere Zeit hindurch trotz Aufbietens aller Willenskraft das Oeffnen
unmöglich ist. Sind die Krämpfe klonisch, so erscheinen sie unter der
Form des Blinzeln (Xictitatio), das sich besonders bei Kindern, welche
an Conjunctivitis leiden oder gelitten haben, findet.
Am häutigsten sieht man Blepharospasmus symptomatisch bei ent-
zündlichen Augenaffectionen, so vorzugsweise bei scrophulösen Kindern
mit phlyktänulärer Ophthalmie und Photophobie. Nur in seltenen Fällen
bleibt er nach Heilung des Augenleidens noch bestehen. Als sym-
pathische Xeurose bei Iridocyklitis hat ihnDonders beschrieben; aus-
nahmsweise wurde auch nach einem Stoss gegen das Auge ein Fall
von dauerndem Blepharospasmus beobachtet (Schenkl).
Die Behandlung richtet sich in erster Linie gegen das Augenleiden
(siehe das Kapitel Conjunctivitis phlyctaenulosa). Häufig werden anti-
scrophulöse Medicamente am Platze sein. —
(,;"><; Erkrankungen der Augenlider.
Auch ohne Augenaffection kommt Blepharospasmus vor. Vorzugs-
weise werden nervöse oder hysterische Individuen befallen; besonders bei
ii Heren Individuen ist er nicht selten. Oft breiten sich die Muskel-
zuckungen über die gleichseitige Wange und Mundgegend aus. Bis-
weilen sind es sensible Zahn- und Gesichtsnerven, von denen aus der
Krampf reflectorisch hervorgerufen wird. Ein Druck auf den betreffenden
Nerven (N. supraorbitalis, infraorbitalis; temporalis; alveolaris u. s. w.)
unterbricht alsdann den Krampf sofort. Man kann durch wiederholte
Injectionen von Morphium oder besser Eucain in die Druckstelle und
Anwendung des constanten Stromes hier öfters Heilung erzielen.
Schlimmsten Falles wird man die subcutane Durchschneidung des be-
treffenden Nerven machen (A. v. Graefe). Doch hat auch diese nicht
immer einen dauernden Erfolg; nach einiger Zeit kann der Krampf
von Neuem auftreten, indem sich wieder neue Druckpunkte (oft müssen
mehrere zu gleicher Zeit comprimirt werden) zeigen, die ihn heben.
Einer Hysterischen, die schliesslich nach Jahren auch epileptiforme
Krämpfe bekam, wurden auf diese Weise in der Graefe' sehen Klinik
ungefähr sämmtliche sensible Gesichtsnerven nach und nach durch-
schnitten.
In Fällen, wo Druckpunkte fehlen, werden die Mittel, welche gegen
Hysterie oder Nervosität im Allgemeinen ankämpfen, angezeigt
sein; örtlich ist Elektricität anzuwenden: doch sind bei älteren Per-
sonen diese Mittel meist ohne dauernden Erfolg. In leichteren Fällen,
vorzugsweise wenn Lichtscheu den Krampf hervorruft, kann man das
zeitweise Einlegen eines Sperrelevateurs, kalte Augenduschen oder
Eintauchen des Gesichts in kaltes Wasser mit Aussicht auf Erfolg ver-
suchen. —
Ueber unangenehme Bewegungen, besonders im unteren Lide, die
auf klonischen Contractionen einzelner Fasern des Orbicularis beruhen,
wird nicht selten von sonst gesunden Individuen Klage geführt. Zu
gewissen Zeiten tritt dieselbe so häufig auf, dass man fast an ein epi-
demisches Vorkommen der Affection denken könnte. Nach einigem
Bestände verlieren sich diese Zuckungen in der Regel von selbst.
IV. Ptosis. Lagophthalmus.
Das Herabhängen des oberen Lides (Ptosis)* kann einfach mecha-
nisch zu Stande kommen. So als Folge einer vermehrten Schwere
desselben (bei Blennorrhoen der Conjunctiva, Trachom u. s. w.), oder
auch, weil die genügende Unterlage, auf der die Hebemuskeln das Lid
* Ttlnzeiv, fallen.
Ptosis. Lagophthalmus. (357
In die Orbita zurückziehen, fehlt (so bei phthisischem Bulbus oder nach
Enucleation desselben). Der Orad dieser Ptosis ist sehr verschieden;
ein geringes Herabhängen des Lides findet sich bei sehr vielen Augen-
affectionen. Die Kranken pflegen gern von einem Kleinerwerden des
Auges zu sprechen.
Eine besondere Art von Ptosis entsteht öfters im Alter, indem die
horizontale Lidfalte des oberen Lides sich, da ihre frühere straffe Ver-
bindung mit dem Tarsus gelöst ist, über die Lidkante herablegt. Eben-
falls zum Herabhängen der Haut des oberen Lides giebt der Zustand
Anlass, den Fuchs als Blepharochalasis (#a2ao7c, Erschlaffung) be-
schrieben hat: hier ist meist in Folge von recidivirenden Oedemen die
Haut schlaff geworden und zeigt eine Menge kleiner Fältchen, die wie
zerknittertes Oigarrettenpapier aussehen. In einem Falle, wo bei einem
jungen Mädchen beide oberen Lider ein ähnliches Aussehen boten,
konnte ich bei der Operation feststellen, dass der M. orbicularis ein
Loch hatte, durch das sich mit der Fascie bedecktes Orbitalfett hervor-
gedrängt hatte (Fetthenne). —
Zu trennen von diesen Formen ist die Ptosis in Folge von Lähmung
der betreffenden Musculatur: also des Levator palpebrae superioris
oder des Müll er' sehen Muskels. Die Ptosis ist ausgeprägter, wenn
der Levator gelähmt ist; bei vollständiger Paralyse desselben fällt das
Lid bis über die Pupille, so dass die Patienten es, um sehen zu können,
mit dem Finger in die Höhe heben müssen. Meist sind noch andere
Aeste des Oculomotorius in Folge centraler Erkrankungen befallen,
jedoch kommt auch isolirte Ptosis bei Tabes und progressiver Paralyse
vor. In selteneren Fällen hat man allmählich sich entwickelnde und
fortschreitende doppelseitige Ptosis — beim Fehlen aller sonstigen
Lähmungen — beobachtet, die Folge einer primären Atrophie des
Levators war (Goldzieher, Fuchs).
Das geringere Herabsinken des Lides, welches wir bei Lähmung
des Müll er 'sehen Muskels finden, ist oft mit Miosis combinirt; dieser
sogenannte Horner'sche Symtomencomplex tritt in der Kegel ein-
seitig auf und ist auf eine Affection der Sympathicusfasern zurück-
zuführen. Dass öfters auch Tensionsabnahme und reelle Verkleinerung
des Bulbus hierbei besteht, wurde in dem Kapitel Ophthalmomalacie
erwähnt.
Schliesslich kommt" Ptosis, einseitig und doppelseitig, auch ange-
boren vor. Häufig ist hiermit eine Schwäche des Rectus superior und
Obliquus inferior verknüpft, wie man aus dem Zurückbleiben des Auges
beim Blick nach oben ersehen kann. In einzelnen Fällen wurde eine
Mifbewegung des hängenden Lides bei dem Oeffnen und seitlichen
Verschieben des Unterkiefers beobachtet, indem dasselbe ruckweise in
Schmidt-Rimpler. 7. Anflage. 42
658 Erkrankungen der Augenlider.
die Höhe ging. Man kann zur Erklärung an eine abnorme Verbindung
des Kernes des Oculomotorius mit denen des Trigeminus (M. masseter)
und Facialis denken (Gunn, Hei frei eh).
Die Behandlung der symptomatischen Form der Ptosis wird gegen
das ursächliche Lid- oder Augenleiden zu richten sein. Bei phthisischen
oder fehlenden Bulbi bewirkt Einlegung eines künstlichen Auges Besse-
rung der Beweglichkeit.
Gegen Lähmungsptosis sind die entsprechenden Heilmittel anzu-
wenden. Besonders spielt hier die elektische Behandlung eine Rolle.
Dieselbe wird bei dem Symptomencoinplex Ptosis und Miosis in der
Form angewandt, dass man den gleichseitigen Halssyrnpathicus gal-
vanisirtj bemerkenswerthe Erfolge habe ich allerdings nicht hiervon
gesehen.
Für ausgeprägtere Ptosisfälle, seien sie unheilbare Reste von Läh-
mungen oder angeboren, ist ein symptomatisches oder operatives Ver-
fahren angezeigt. So kann man durch eine Serre fine oder ähnlich
construirte Ptosispincette eine Hautfalte in die Höhe heben; gleiches
kann auch durch den verbreiterten oberen Rand des Brillenglases er-
zielt werden. Operativ hat man die Excision einer querovalen Falte
von Haut und Muskel in Anwendung gebracht. Doch ist der Erfolg
meist unzureichend, da die Haut sich wieder herabzieht, bei zu aus-
giebiger Excision aber der Schluss des Auges in Gefahr kommt. Besser
sind die Methoden, welche die Herstellung eines Narbenstranges zwischen
Lid und M. frontalis bezwecken (Dransart, H. Pagenstecher); sie
gründen sich auf die Beobachtung, dass die Ptosiskranken das Lid
heben, indem sie die Stirn runzeln. Es werden zu diesem Zweck zwei
bis drei subcutane Fadenschlingen im Lide angelegt, deren Enden nahe
am Lidrande und deren Schlingen — etwa 2 mm lang — oberhalb der
Augenbrauen auf der Stirnhaut sich befinden; die Enden werden über
einem Pflastercylinder oder einer Perle zusammengeknüpft. — C. Hess
hat durch gleichzeitige Lockerung der Lidhaut das Verfahren vorteil-
haft modificirt. Er macht einen Horizontalschnitt durch die vorher ab-
rasirten Augenbrauen und trennt von dort aus bis zum Lidrande hin
die Lidhaut vom Orbicularis. Alsdann legt er ungefähr in der Mitte
des Lides drei Fadenschlingen, deren Fäden unter der Haut nach oben
über den horizontalen Augenbrauenschnitt hinaus und subcutan bis circa
2 cm oberhalb der Augenbrauen geführt werden. Dort erfolgt der
Ausstich der beiden Nadeln und die Knüpfung, welche das Herauf-
ziehen der Lidhaut bewirkt. Die Wunde in den Augenbrauen wird
vernäht
Sehr gute Resultate giebt das Verfahren von Panas. Derselbe
stellt die Verbindung des Lides mit dem M. frontalis in folgender Weise
Ptosis. Lagophthalmus. (359
her. Er macht etwa in der Mitte des Lides einen rechteckigen Haut-
schnitt, der in seinem äusseren und inneren Theil (je 8 mm lang) pa-
rallel dem oberen Rande des Tarsus verläuft, in der Mitte aber, sich
beiderseits nach oben wendend, einen nach oben gerichteten Lappen
bildet, dessen obere Seite parallel den Augenbrauen und dicht unter
ihnen liegt (_ ™"D- Alsdann wird oberhalb der Augenbrauen ein,
ihrem Rande folgender und dem oberen Lidlappenschnitt paralleler
Schnitt in einer Ausdehnung von 3 cm bis auf die Knochenhaut, diese
schonend, geführt, die so entstandene Augenbrauenbrücke mit einem
unter sie geführten Scalpell gelöst und der ebenfalls bis tief zum
Ciliarrande hin zwischen Muskel und Tarsus verschiebbar gemachte
Lidhautlappen mit einer stumpfen Pincette unter die Augenbrauen nach
oben gezogen und dort mit dem M. frontalis und der Stirnhaut vernäht.
Falls das Lid Neigung zeigt, sich zu ektropioniren, so legt man zwei
seitliche Ligaturen an, welche, die Conjunctiva und das Tarsalligament
fassend, diese ebenfalls mit der oberhalb der Augenbrauen liegenden
Hautwunde verbinden.
Auch die Verlegung des Levator palpebrae superioris an eine tiefere
Stelle des Tarsus ist mit Erfolg gemacht worden (Eversbusch). Ein
horizontaler Schnitt wird etwa in der Mitte des Lides bis auf den
Tarsus geführt. Dann trennt man von diesem den Orbicularis nach
unten und bis zum oberen Tarsusrande. Durch die sich an letzteren
ansetzende Sehne des Levators legt man eine Fadenschlinge, deren
beide Enden mit Nadeln armirt sind, und geht dann mit diesen Nadeln
zwischen Orbicularis und Tarsus, die voneinander gelöst sind, nach
unten, sticht im Ciliarrande die Nadeln in 3 mm Entfernung vonein-
ander aus und knüpft auf einer Glasperle die beiden Fadenenden zu-
sammen. Solcher Nähte werden drei angelegt. —
Die Lidspalte kann durch Lähmung des M. orbicularis, durch Ver-
kürzung der Lider, meist in Folge von Hautzerstörung entstanden, durch
Ectropium und durch Protrusion des Augapfels, so etwa bei orbitalen
Tumoren oder bei Morbus Basedowii, erweitert sein. Der ausbleibende
oder ungenügende Schluss der Lider (Lagophthalmus, Hasenauge),
den man gelegentlich auch bei Schwerkranken beobachtet, führt zur
Austrocknung (Xerosis) der Conjunctiva und Cornea und kann Anlass
zu schwereren Hornhautulcerationen geben.
Die Behandlung muss sich nach der Ursache richten. Symptoma-
tisch ist eine öftere Befeuchtung des Auges (etwa mit Milch oder phy-
siologischer Kochsalzlösung) angezeigt; für die Nacht ein Verschluss
durch Heftpflaster oder durch Verband. Bisweilen wird auch die
Tarsoraphie, welche eine Verkleinerung der Liuspalte herbeiführt, von
Nutzen sein.
42 *
660 Erkrankungen der Thrähenorgane.
4. Angeborene Anomalien.
In seltenen Fällen hat man eine mangelhafte Entwicklung oder ein
vollständiges Fehlen der Lider (Ablepharia totalis) beobachtet. Ebenso
kommt das angeborene Coloboin, bei dem das Lid eine keilförmige
Spalte zeigt, nur ausnahmsweise vor; bisweilen liegt mitten in der Spalte
ein zungenförmiges und häutiges Zwischenstück (Ö. Becker, Manz).
Es dürfte sich meist um Entwickelungshemmungen handeln, die durch
eine Anpressung des Amnium an die Augen bedingt sind (van Duyse.
Hoppe).
Als Epikanthus wurde von Ammon zuerst eine eigenthümliche
Missbildung beschrieben, die darin besteht, dass im inneren Augenwinkel
vom oberen zum unteren Lide eine halbmondförmige Hautfalte herab-
zieht; ihr concaver Abschnitt verdeckt die Carunkel und die anliegenden
Theile des Bulbus, der bisweilen abnorm klein ist. Mit zunehmenden
Jahren pflegen die Hautfalten sich zu verkleinern, indem der wachsende
Nasenrücken dieselben mehr nach der Mitte hinzieht. Will man schliess-
lich operiren, so schneidet man aus dem zwischen den Augen liegenden
Theil des Nasenrückens ein senkrechtes Hautoval heraus. Durch das
Zusammennähen der Wundränder wird die Hautfalte von den Augen-
winkeln abgezogen. Bei stärkerem Epikanthus ziehe ich es vor, auf
beiden Seiten des Nasenrückens ein Hautoval zu excidiren. — Auch
Symblepharon und Ankyloblepharon kommen angeboren vor.
Viertes Kapitel.
Erkrankungen der Thränenorgane,
Anatomie.
Die Thränendrüse (Glandula lacrymalis) liegt am temporalen
Ende des oberen Orbitalrandes in der Fossa glandulae lacrymalis und
besteht aus einem oberen (orbitalen) und unteren (palpebralen) Theil.
Beide sind durch einen Fascienzipfel getrennt, der aus den Blättern des
Anatomie der Thränenorgane. Ijlil
Levator palpebr. superioris und Rect. superior stammt und sich an den
Seitenrand der Orbita ansetzt. Die untere, kleinere Tkränendrüse liegt
dem temporalen Theil des Fornix der Conjunctiva auf. Das Secret der
acinösen Drüse wird durch eine Anzahl von Ausführungsgängen in den
Conjunctivalsack entleert.
1 He Abführung der Thränen aus letzterem erfolgt durch die
Thränenröhrchen (Canaliculi lacrymales) des oberen und unteren
Lides. Diese beginnen auf der Lidkante in der Nähe des inneren
Augenwinkels mit dem Thränenpunkt, der auf einer kleinen Erhöhung
(Papilla) sitzt und in den Thränensee taucht. Der Thränensack, in
den sie gegeneinander convergirend enden ; liegt im inneren Winkel
der Orbita in der Fossa lacrynialis, welche nach hinten vom Thränen-
bein; nach vorn von dem Oberkieferfortsatz gebildet wird. Nach der
Gesichtsfläche zu Hegt der circa 12 mm lange Thränensack dicht unter
der Haut; das Ligam. palpebr. internum geht quer über ihn weg, doch
überragt er es noch nach oben und nach unten. Nach unten setzt er
sich in den Ductus lacrymalis fort, welcher in seiner grössten Aus-
dehnung in einem engen knöchernen Canal, der von dem Oberkiefer-
bein und dem Nasenmuschelbein gebildet wird, verläuft und die Thränen
in den unteren Nasengang abführt. Der Thränennasencanal erreicht
nicht zusammen mit seiner knöchernen Röhre sein Ende; sondern durch-
zieht noch eine Strecke weiter die Schleimhaut des unteren Nasenganges,
ehe er in eine ovale Spalte ausläuft. Seine Gesammtrichtung geht nicht
senkrecht nach unten, sondern etwas nach hinten. Die innere Wand des
Thränensackes und Thränennasenganges wird von einer Schleimhaut
mit Cylinderepithel gebildet; ein fibröses Gewebe umgiebt dieselben
aussen und verbindet sie mit dem Periost.
Die Thränen, eine an Kochsalz besonders reiche Flüssigkeit, werden
unter gewöhnlichen Verhältnissen nur sehr sparsam abgesondert; sie
verbinden sich mit den Secretionen der Conjunctiva und ihrer Schleim-
drüsen zur Befeuchtung des Augapfels. Eine Vermehrung der Ab-
sonderung tritt auf psychische und reflectorische Reize ein; die letzteren
gehen besonders von Trigeminusästen aus. So bewirkt beispielsweise
das Ausziehen von Haaren aus der Nasenschleimhaut Thränen des
gleichseitigen Auges; Migräneanfälle sind häufig mit Thränen ver-
knüpft. Dass vor Allem Entzündungen des Auges reichlicheres Thränen
veranlassen, ist bereits angeführt.
Die Fortleitung der Thränen aus dem Thränensee in den Thränen-
sack erfolgt vorzugsweise durch die Erweiterung des letzteren beim
Lidschluss, da Fasern des Orbicularis vom inneren Lidbande ent-
springen (Homer' scher Muskel). Bei ihrer Contra ction ziehen sie
dieses und die damit verbundene vordere Wand des Thränensackes
(3(32 Erkrankungen der Thränenorgane.
vom Thränenbein ab; durch die dann wieder folgende Zusammen-
ziehung des ausgedehnten elastischen Sackes erfolgt die Weiterbe-
förderung der Thränen in den Thränennasencanal. Einen gewissen
Einfluss kann hierbei unter normalen Verhältnissen auch der beim Ein-
und Ausathmen durch die Nase gehende Luftstrom haben, wenn er
ähnlich wie bei dem Refraichisseur und ähnlichen Instrumenten eine
Luftverdünnimg in dem Ductus lacrimalis bewirkt.
Erkrankungen der Thränendrüse.
Die acute Entzündung der Thränendrüse (Dakryoadenitis) ist
sehr selten. Unter heftigen Schmerzen schwillt die äussere Hälfte des
oberen Lides an, die Conjunctiva wird chemotisch und schleimig-eitrige
Absonderung erfolgt. Selbst leichter Exophthalmus, sowie Fieber kann
auftreten. Mit dem Finger in den Conjunctivalsack eingehend, erkennt
man die geschwollene Drüse an ihrer in einzelne Lappen zerfallenden
Form. Es wird hierdurch die diiferentielle Diagnose gegen eine,
etwa an der äussern Orbitalwand sitzende acute Periostitis gegeben,
da deren Exsudat eine glatte Oberfläche hat. Bisweilen wurde die
Dakryoadenitis gleichzeitig mit einer Entzündung der Parotis (Mumps
der Thränendrüse) beobachtet. Die Entzündung kann in Eiterung
übergehen oder, wie meist, sich zertheilen. Lauwarme Umschläge oder
auch Narcotica sind angezeigt; besteht Fluktuation oder wird Eiter ver-
muthet, so ineidire man frühzeitig.
Häufiger sieht man eine einfache Hypertrophirung derselben, be-
sonders bei Kindern. Beim Ektropioniren des oberen Lides sieht man
alsdann die vergrösserte Drüse mit ihrer kleingelappten Oberfläche im
Conjunctiva lfo rnix hervortreten. Bei der chronischen Entzündung fühlt
man als differentielles Moment umschriebene Härten. Subjective Be-
schwerden fehlen meist. Das Bepinseln der äusseren Lidhaut mit Jod-
tinetur ist von Nutzen: ebenso kann Jodsalbe oder auch Ung. cinereum
versucht werden. Innerlich Jodkali.
Als Dakryops hat man eine cystenartige Erweiterung eines
Thränendrüsen-Ausführungsganges beschrieben; die Geschwulst sitzt in
der oberen Uebergangsfalte der Conjunctiva. Zur Heilung zieht man
einen Faden epaer 'durch, knotet ihn und lässt ihn bis zum Durch-
schneiden der Wand liegen (v. Graefe).
Thränendrüsenfisteln, die in der Regel Folge von Verletzungen
sind, kann man in folgender Weise operiren. Die beiden Enden eines
Seidenfadens werden mit einer Nadel armirt. Jede dieser Nadeln wird
in die äussere Fistelöffnung geführt, dann die eine etwas höher, die
andere etwas tiefer durch die Conjunctiva ausgestochen. Nach Ent-
Erkrankungen der Thränenabführungswege. ()(>;>
fernung der Nadeln werden hier die Fadenenden geknotet und bis zum
Durchseimeiden liegen gelassen (Hulke).
Von Geschwülsten der Thränendrüsen sind Cysten, Sarkome
und Carcinome besonders zu nennen. Bei der nothwendig werdenden
Exstirpation kann man entweder nach Spaltung der äusseren Lid-
eommissur von der Uebergangsfalte den Tumor fassen, oder man trennt,
am sich einen Zugang zu schaffen, das Lid vom oberen Orbitalrande.
Auch bei unheilbarer Epiphora ist die Exstirpation der gesunden Drüse
ausgeführt worden (Laurence); neuerdings wurde diese wenigstens
bezüglich eines Theiles der Drüse wieder empfohlen: Eversbusch
entfernt nur den orbitalen Theil, von aussen durch die Haut eingehend,
v. W ecker nur den palpebralen, indem er durch starkes Abwärts-
wenden des Auges sieh die unter der Conjunctiva vorspringende Drüse
zu Gesicht, führt und durch eine etwa 12 bis 15 mm grosse Bindehaut-
wunde herausschält. Durch letztere Operation habe ich einmal eine
bereits Jahre lang reeidivirende Keratitis und Conjunctivitis mit stärkeren
Thränen, bei vollkommener Durchgängigkeit des Thränennasencanals,
bei einem Kinde zu dauernder Heilune; gebracht.
2. Erkrankungen der Thränenabführungswege.
I. Anomalien der Thränenpunkte und Thränenröhrchen.
Das Abstehen des unteren Thränenpunktes bei Ectropium ist bereits
erwähnt; ebenso die dabei erforderliche Spaltung des Thränenröhrchens.
— Bei Verengerung der Thränenröhrchen, die auch angeboren vorkommt,
kann man durch Einführung conischer Sonden allmähliche Erweiterung
anstreben. Ist das Thränenpünktchen ganz verschlossen, aber noch sicht-
bar, so geht man mit einer Stecknadel an der betreffenden Stelle ein,
erweitert sie und spaltet schliesslich mit dem Weber 'sehen Messer das
Thränenröhrchen. Sieht man den Thränenpunkt nicht mehr, so wird
man durch eine Incision das Thränenröhrchen oder die dem Auge zu-
gekehrte Wand des Thränensackes eröffnen müssen. Bisweilen findet
man auch doppelte Thränenpunkte.
Selten beobachtet man eine Verstopfung der Thränenröhrchen mit
Pilzmassen (Streptothrix Foersteri [F. Cohn], nach Andern richtiger
Actinomyces, und Mikrokokken) ; meist sitzen dieselben im unteren
Thränenröhrchen, doch kommen sie auch im oberen vor (Schirmer).
Andere Fremdkörper dringen ebenfalls gelegentlich in die Ductus.
gg4 Erkrankungen der Thränenorgane.
II. Erkrankungen des Thränenschlauches.
Dakryocystitis. iPlilcgmonc des Thränensackes.)
Wenn sich derThränensack mit seiner fibrösen Umhüllung entzündet.,
so gerathen die umliegenden Weichtheile in Mitleidenschaft. Die Haut
zwischen innerem Lidwinkel und Nase röthet sich und wird ödematös;
meist zeigt sich auch eine, der Lage des Thränensackes entsprechende
Hervortreibung. Das Auge thränt stark; Lider und Conjunctiva
können injicirt und chemotisch werden. Dabei sind heftigere Schmerzen
vorhanden, selbst Fieber. Nach einigen Tagen pflegt die diffusere
Röthung und Schwellung zurückzugehen; schliesslich bricht meist der
Eiter an einer Stelle der den Thränensack überziehenden Haut hervor.
Seltener tritt eine grössere Senkung desselben ein, so dass man weiter
unten eine geröthete oder bläuliche Hervorwölbung sieht, welche den
Eiter enthält. Da inzwischen die Hautentzündung über dem Thränen-
sack selbst zurückgegangen sein kann, so sind Verwechselungen mit
einfachen Abscessen möglich. Doch ist es jedenfalls das Häufigere,
dass die in dieser Gegend sitzenden Eitersäcke mit dem Thränensack
in Verbindung stehen. — Eine Entleerung des Secrets durch die un-
gespaltenen Thränenröhrchen tritt bei Druck auf die Thränensack-
gegend im acuten Stadium in der Regel nicht ein. Ausnahmsweise kann
sich seeundär eine Orbital-Phlegmone hinzugesellen.
Wenn der Eiter spontan perforirt, so entsteht meist eine Thränen-
sackfistel*, durch die dann nach Heilung der Entzündung Secret der
Thränensackschleimhaut heraussickert. Allmählich schliesst sich die
Fistel. Seltener bleibt dauernd eine feine Oeffnung (Haarfistel).
In der Mehrzahl der Fälle tritt eine acute Thränensackentzündung
nur auf, wenn bereits eine Erkrankung der Thränensackschleimhaut
bestanden hat oder Stricturen im Thränennasencanal den Abfluss der
Thränen hinderten. Auch nach forcirtem Sondiren kommt sie vor.
Nicht allzu selten ist sie Folge einer Caries der angrenzenden Knochen.
Die Behandlung kann ganz im Anfange der Entzündung ein
Coupiren des Processes anstreben, indem man Eisumschläge anwendet
und zur Entleerung des Secrets die Thränenröhrchen und den zwischen
ihrem Ende liegenden Theil der dem Auge zugekehrten Wand des
Thränensackes spaltet. Wenn bereits stärkere Eiterbildung vorhanden
ist, so macht man warme Umschläge und spaltet durch eine etwa 1 cm
grosse [ncision die vordere Wand des Thränensackes; nach gestillter
* Deutsche Beerordnung. Landsturm bezw. dauernde Untauglichkeit. >? i>.
Alis. 2. Anlage 1. 8a. Thränenfieteln, anheilbarer Verschluss oder Verengerung
der Thränenwege. Vgl. S. 69.
Stricturen dos Thränennasencanals. l5(}5
Blutung führt man Jodoformgaze ein und sucht die Wunde längere
Zeit offen zu halten, um die Schleimhaut dos Thränensackes dircct be-
handeln zu können. Ist die Entzündung im Rückgange, so kann man
von der Hantwunde aus eine Bowman'sehe Sonde (siehe unten) in
den Thränennasencanal fuhren, um etwaige Stricturen desselben zu
bekämpfen. Gelingt die Freimachung des Ganges, so sucht man den
Thränensack zu erhalten und durch Einpudern von Jodoform, directes
Touchiren mit lOprocentiger Lapislösung, nöthigenfalls selbst mit dem
Höllensteinstift die Schleimhaut zur Norm zu bringen beziehentlich
Knochenafleetion zu heilen. Ist dies gelungen, so lässt man die äussere
I lautwunde sieh schliessen. Ist eine Communication des Thränensackes
mit der Nase nicht zu erreichen, so ist die Verödung des ersteren oder
seine Exstirpation angezeigt.
Zur Heilung von Thränensackfisteln ist ebenfalls zuerst für die
Freilegung der normalen Abflusswege zu sorgen. Die Fistel selbst
sehneide man auf und suche sie durch Cauterisation (mit Lapis oder
Galvanocauter) zum Verschluss zu bringen. Bei verhärteten Wandungen
exeidirt man den Fistelgang und näht die angrenzenden Hautränder
zusammen.
Dakryo cysto -Blennorrhoe.
Stricturen des Thränennasencanals.
Wenn die Schleimhaut des Thränensackes erkrankt, so kommt es-
zu einer vermehrten Absonderung und Stauung von Secret im Thränen-
sack. Das Secret ist bisweilen glasig, bisweilen leicht trüb, mit kleinen
weisslichen Flocken vermischt, dann wieder ausgeprägt katarrhalisch
oder blennorrhoisch, zuweilen selbst eitrig. Demgemäss spricht man
auch von _ alten Thränensackleiden", von Katarrh des Thränensacks,
Dakryocysto-BlennorrhoeundDakiTOcysto-Pyorrhoe.Nicht selten kommen
seeundäre Veränderungen vor: so bildet sich eine Erweiterung (Ektasie)
des Thränensackes, wobei die vordere Wand deutlich hervortritt: in
anderen Fällen entstehen Schleimhautfalten, welche kleinere Kammern
und Absackungen in dem Thränensack zu Stande bringen, ferner poly-
pöse Wucherungen und käsige Secreteindickungen.
Sehr häufig ist der Thränennasencanal verengt. Die Verengerung
wird veranlasst entweder durch eine gleichmässige oder umschriebene
Schwellung der Schleimhaut oder durch Falten- und Klappenbildungen,
oder durch fibröse Stricturen. die bisweilen den ganzen Canal durch-
setzen, oder schliesslich durch Knochenauftreibungen, die einen unheil-
baren Verschluss bewirken können. Umschriebene Verengerungen finden
sich besonders häufig am Anfang und Ende des Canal s.
<i66
Erkrankungen der Thränenorgane.
Zur Diagnose der chronischen Thränensackblennorrhoe kommt
man in der Weise, dass man auf den Thränensack (also auf den inneren
Lidwinkel i mit dem Zeigefinger drückt und nun beachtet, ob Seeret aus
einem der Thranenpunkte austritt. Entleert sich kein Seeret, so ist da-
mit das Bestehen der Affection noch nicht ausgeschlossen, da vielleicht
momentan kein ausdrückbares Seeret im Sacke war oder auch das-
selbe in seiner ganzen Menge in die Nase entwich. Man wird jeden-
falls hier öfters die Untersuchung machen müssen. Aeusserlich ragt
die Gegend, wo der Thränensack liegt, bei stärkeren Ansammlungen
etwas hervor. Dieser Umstand spricht selbst in Fällen, wo sich kein
I) Secret durch die Thranenpunkte bei Druck
entleert, für das Bestehen eines Thränen-
s ackleidens.
Die Diagnose der Strictur des Thränen-
nasencanals kann nur durch Einspritzungen
in den Thränensack oder durch Ein-
I ührung von Sonden gestellt werden.
Wenn die Canüle einer An el' sehen
Spritze sehr fein ist, so dringt sie durch
den oberen Thränenpunkt in das Thränen-
röhrchen und kann bis zum Thränensack
vorgeschoben werden (Figur 186). Man
giebt ihr zu dem Zweck erst eine von unten
nach oben gehende Richtung, welche den
Eingang in den Thränenpunkt erleichtert;
aber eine horizontale zum Durch-
passiren des Thränenröhrchens. Ist man
im Thränensack, so stellt man die Canüle senkrecht von oben nach
unten. Hat man laues Wasser in der Spritze, so wird jetzt bei sanftem
Druck des Stempels ein Durchmessen desselben bis in die Nase er-
folgen, falls der Thränennasenschlauch vollkommen durchgängig ist
In directer Weise überzeugt man sich hiervon durch Einführen der
Bowman' sehen Sonden (Figur 187), welche nach ihren verschiedenen
Dicken von 1 bis 8 numerirt sind. Man beginnt mit einer der dünnsten
(etwa 1 oder 2). Um sie leicht in den Thränensack zu führen, spaltet
man zuvor mit dem Weber'schen Messer (Figur 181) das Thränen-
röhrchen bis zum Thränensack. Die Sonde wird nun durch letzteres in
horizontaler Richtung soweit geführt, bis man auf die innere, knöcherne
Wand des Thränensaekes stösst. Während man das Sondenende fest
gegen dieses drückt, macht man eine viertelkreisfürmige Bewegung nach
oben, so dass die Sonde aus der horizontalen Lage in eine verticale
kommt und schiebt nun dieselbe langsam und vorsichtig durch den
186.
Au el' sehe Spritze.
187.
B o w in a ii -
scheSonde. alsdann
Stricturen des Thränennasencanals. (5(j7
Thränennaseneanal bis auf den Nasenboden. Wenn man, wie erwähnt,
das Sondenende fest gegen die Knoehemwancl gedrückt hält, so befindet
man sich über dem Anfang des Thränennasencanals und kommt leicht
in denselben. Zeigen sieh Schwierigkeiten beim Weiterführen, so ziehe
man die Sonde etwas zurück und schiebe sie dann wieder vor; auch
werden durch leicht drehende Bewegungen manche Widerstände über-
wunden. Bei diesem Vordringen fühlt man deutlich etwaige Hindernisse
und Stricturen. Bisweilen muss man ziemliche Gewalt anwenden, um
letztere zu durchstossen. Allerdings darf man dies nur, wenn man
sicher ist, sich in dem Nasencanal zu befinden, da man andernfalls
nach Durchbohrung des sehr dünnen Thränenbeines einen falschen Weg,
> ■■
188.
so z. B. in die Highmors-Höhle, bahnen könnte; — ein Verfahren,
das bei absolutem Verschluss des Thränennasencanals ausnahmsweise
auch mit Absicht zur Ableitung derThränen eingeschlagen werden kann.
Wenn man den Boden der Nase erreicht hat, liegt das kleine Plättchen,
welches sich in der Mitte der Bowman'schen Doppelsonden befindet,
bei normaler Gesichtshöhe und bei Erwachsenen meist vor dem oberen
Orbitalrande (Figur 188). Uebrigens kann man die Entfernung von
diesem bis zum Nasenboden vorher am Gesicht des Patienten abmessen.
Da der Canal etwas nach hinten (und meist auch etwas nach aussen)
gerichtet ist und ebenso der obere Orbitalrand vorsteht, giebt man der
Sonde vor der Benutzung eine leichte, bogenförmige Krümmung, deren
Concavität bei der Einführung nach vorn gerichtet bleibt.
Auch ohne Spalten des Thränenröhrchens lassen sich nach Er-
i,i ;s Erkrankungen der Thränenorgane.
Weiterung mittels eoniseh zugespitzter Sonden die dünneren Bowin an-
sehen einfuhren; jedoch wird bei der senkrechten, zur Einführung in
den Thränennasencanal erforderlichen Stellung der Sonde das Thränen-
canälchen verschoben und kann die dadurch bedingte Zerrung ein
feineres Sondiren erschweren.
Man fchut aber gut; ehe man bei bestehender Epiphora zu den
eben geschilderten Mitteln der Diagnosenstellung schreitet, erst genau
andere Ursachen auszuschliessen (so etwa Conjunctivitis u. s. w.) und
zu bekämpfen, da das Manöver für die Kranken immerhin unange-
nehm ist. Bei engen Canälen verursacht die Sondeneinführung heftige
Schmerzen, die bis in die Zähne des Oberkiefers hin ausstrahlen. Durch
vorheriges Einspritzen von ein paar Tropfen Eucainlösung kann man
dieselben verringern. —
Die subjectiven Symptome sind oft unbedeutend; hauptsächlich
wird über Thränenfliessen geklagt. Aber auch Conjunctiviten conipli-
ciren das Leiden, besonders wenn das Thränensacksecret in den Binde-
hautsack gelangt. Da dasselbe stark infectiöser Natur ist, so können
etwa vorhandene Hornhautwunden oder Ulcerationen, wenn sie mit ihm
in Berührung kommen, leicht einen gefährlichen Charakter annehmen
(vergl. Hypopyon-Keratitis).
Die chronischen Erkrankungen des Thränenschlauches gehen in
der Mehrzahl der Fälle von Affectionen der Nasenschleimhaut aus ; so
findet man sie häufig bei chronischem Nasenkatarrh und bei Ozaena.
Verhältnissmässig selten ist es, dass chronische Conjunctiviten und
Trachom sie veranlassen: jedoch sind auch Trachomkörner (Kuhnt) in
der Schleimhaut gefunden worden, allerdings darf man die häufigeren
Follikelbildungen, die man in ihr antrifft, nicht mit echtem Trachom
identificiren (Hertel); noch seltener sind Tuberkelknoten. Bisweilen
handelt es sich um Knochenleiden, welche die Gewebe des Thränen-
schlauches in Mitleidenschaft ziehen. So bei Scrophulösen, Tubercu-
losen und Syphilitischen. Auch der Bau des knöchernen Canals scheint
von Einfluss zu sein, da bei plattgedrückten Nasen die Affection eben-
falls relativ häufig vorkommt. Im kindlichen Alter sieht man Thränensack-
blennorrhoe selten: doch kommt sie selbst bei Neugeborenen vor, wo die
Zurückhaltung des Secrets öfters auf einer Atresie der Nasenmündung
des Thränennasencanals beruht (Peters) und nachSondirung schnell heilt;
aber ich habe hier auch langwierige cariöse Processe beobachtet.
Die Behandlung geht darauf hinaus, den durch Stricturen uc-
1 änderten Abfluss der Thränen wiederherzustellen und eine etwa vor-
handene Schleimhautaffection (auch in der Nase) zu bekämpfen.
Zu ersterem Zwecke empfiehlt sich vor Allem die fortgesetzte Son-
dirung, wie sie oben beschrieben ist. Anstatt der Bowman'schen
Stricturen des Thränennaseiicanals. 669
JSondeii werden auch die, weniger zu empfehlenden, von Weber, welehe
dicker sind und mehr konisch verlaufen, benutzt. Ihre Einführung ge-
schieht am besten durch das obere Thränenröhrchen. Bei den Bow-
man sehen Sonden ist es gleichgültig., ob man dieses oder das untere
benutzt; bisweilen gelingt die Durchführung der Sonde durch das eine
Thränenröhrchen nicht, Avohl aber durch das andere. Leicht tritt bei
länger fortgesetztem Sondiren eine Verengerung der Oeffnung der
Thränenröhrchen in den Thränensack ein; dieselbe ist dann von Neuem
mit dem Web er 'sehen Messer zu erweitern. Die Thränenröhrchen selbst
haben, wenn sie einige Zeit offen gehalten wurden, geringe Tendenz
wieder zusammenzuwachsen. Im Uebrigen bringt die Spaltung keiner-
lei Nachtheile für die Thränenabfuhrung.
Im Anfang muss man die Sonden täglich einführen. Nach jeder
Einführung lässt man sie einige Zeit (etwa 5 bis 15 Minuten im Canal
liegen. Bei den fibrösen Stricturen ist vor 4 bis 8 Wochen selten
ein Erfolg zu erreichen. Und selbst dann wird von Zeit zu Zeit von
Neuem sondirt werden müssen. Man steigt allmählich mit der Dicke
der Sonden, ohne aber allzu dicke zunehmen: Nr. 6 der Bowman-
schen braucht kaum überschritten zu werden. Wie auch Arlt betont,
genügt ein verhältnissmässig enger Canal zum Abfluss der Thränen;
zu dicke Sonden machen Schleimhautrisse und schieben gelegentlich
die Schleimhaut vom Knochen ab — ein Unfall, der auch sonst beim
Sondiren eintreten kann. Man muss in solchen Fällen das Sondiren
einige Tage aussetzen; ebenso soll man es nicht mit Gewalt versuchen,
wenn einmal die Sondeneinführung nicht gelingt. Können die Kranken
nicht zum Arzt kommen, so lässt es sich, wenn der Canal genügend
durchgängig geworden, meist erreichen, dass dieselben sich selbst zu son-
diren lernen. Hier bringen auch kleine Sonden von Silberdraht mit
einem horizontalen, auf dem Lidrande ruhenden Schenkel, die man
sich selbst anfertigt, oft Nutzen, da sie Wochen lang im Canal reizlos
liegen.
Bei engen Stricturen kann man mittels eines kleinen Messerchens
eine Durchschneidung derselben machen und dann durch Sondiren
die Stelle offen halten (Ja es che). Das Verfahren von Stilling, der ein
keilförmiges Messerchen angegeben hat, besteht darin, einfach ausgiebig
die Stricturen zu ineidiren, danach aber nicht zu sondiren; dasselbe
hat in der Regel den Erfolg, dass die Strictur nach einiger Zeit noch
enger ist, als vorher. Hingegen ist die durch die Incision erfolgende
Blutung oft heilsam für gleichzeitig bestehende Schleimhautschwellungen.
Wenn der Durchgang sehr eng ist und trotz längeren Sondirens
immer von Neuem Neigung hat, sich zu schliessen, ferner wenn Caries
vorhanden ist, so thut man besser, ganz von der Sondeneinführung
070
Erkrankungen der Tliränenornane.
abzustehen, da sie stets neue Irritationen setzt. Hier begnüge man sich
mit der Behandlung der Schlcimhautblennorrhoe durch Einspritzungen
von antiseptischen (etwa Aqua chlori oder 4procentige Borsäurelösung)
oder adstringirenden Mitteln. Von letzteren benutze ich eine lprocentige
Lösung von Zinc. sulfuricum besonders gern ; auch Einspritzen von Höllen-
steinlösung, Jodoformsalbe oder Jodoformöl ist oft vortheilhaft. Eine
schnelle Besserung erreicht man nicht selten durch das Einspritzen einiger
Tropfen einer lprocent. Lösung von Hydrarg. oxyeyanatum (Schlösser),
so dass ich bei stärkerer Absonderung mit dieser meist beginne. Da
sie ätzend wirkt, muss man achten, dass nichts in den Conjunctivalsack
kommt, und darf erst nach einiger Zeit die Injection
\ wiederholen. Von den anderen genannten Flüssig-
\ keiten kann man täglich injiciren. Doch hüte man sich
;\ vor einem zu starken Druck mit dem Stempel, da
NA sonst leicht durch Schleimhautwunden oder Abhebungen
^ die Flüssigkeit in das umliegende Gewebe kommen
und ein erhebliches entzündliches Lidödem, das jedoch
in einigen Tagen zurückgeht, hervorrufen kann. Des-
halb soll man auch die Einspritzung vermeiden, wenn
man eben sondirt hat.
In entsprechenden Fällen werden die Sondirungen
mit den Injectionen abwechselnd zu combiniren sein*,
doch kommen auch Blennorrhoen ohne Stricturen vor.
Sehr vortheilhaft ist bei stärkerer Absonderung
und Schleimhautschwellung ein ausgiebiges Scari-
ficiren des ganzen Thränenschlauches. Mankannhier-
zu kleine Messerchen, wie ich sie angegeben (Figur 189
und 190), benutzen und damit Einschnitte in Thränensack und Thränen-
nasencanal machen. Oft durchschneidet man hierbei im Thränensack
vollständige Membranen
Secretmassen abgekapselt und zurückgehalten wurden
nügt eine einmalige Scarification — in den nächsten Tagen nach der-
selben wird weder sondirt noch injicirt — zur Heilung des Schleimhaut-
leidens. Auch bei Ektasien des Thränensackes sind tiefgehende, öfters
wiederholte Scarificationen von Nutzen; nöthigenfalls schneidet man von
aussen her ein Oval aus der Vorderwand heraus. In besonders hart-
näckigen Fällen legt man durch einen senkrechten Schnitt den Thränen-
sack offen und cauterisirt mit Höllenstein die Schleimhaut direct, ohne sie
zu zerstören; später lässt man die Wunde zuheilen. Guaita empfiehlt
Auskratzen des Thränensackes und darauf folgendes Einlegen einer
Canüle von decalcinirtem Knochen in den, wenn erforderlich, durch
Jncision erweiterten Thränennasencanal.
189.
190.
Scarificationsmesser
für den
Thränenschlauch .
durch welche Flüssigkeit oder eingedickte
Bisweilen ge-
Stricturen dos Thränennasencanals. (571
Als letztes Mittel bleibt die Verödung oder Exstirpation des
Thränensackes. Der Thränenabfluss in die Nase ist damit natürlich
dauernd aufgehoben; doch werden die Beschwerden der Patienten trotz-
dem geringer, da die Reizungen der Üonjunetira durch das Thränen-
sacksecret aufhören. Auch ist die stets drohende Inf ectionsge fahr bei
einer etwa eintretenden Hornhautverletzung alsdann gehoben.
Man kann den Thränensack so zerstören, dass man nach Schlitzung
des oberen und unteren Thränenpunktes auch die zwischen ihnen
liegende Partie der inneren Thränensackwand spaltet und nun ein
Stückchen ( 'hlorzinkpaste (1:3), in Watte gewickelt, tief in den
unteren Theil des Thränensackes hineinstösst und darauf andere
Watte packt (Pagenstecher). Durch allmähliches Durchsickern des
gelösten Aetzmittels wird die Schleimhaut vernichtet; man entfernt
die Paste nach einigen Stunden. Am sichersten ist jedoch die Er-
öffnung des ganzen Thränensackes von der Haut aus durch einen
langen verticalen Schnitt. Nachdem man durch Einlegen von Press-
schwamm oder Laminaria den Sack alsdann noch weiter ausgedehnt
und blossgelegt hat, cauterisirt man die gesammte Schleimhautfläche
mit dem Galvanocauter. Man achte besonders darauf, dass die Ein-
mündung der Thränenröhrchen zuerst getroffen und obturirt wird.
Weniger sicher ist die Benutzung von Aetzpasten oder das Touchiren
mit Höllensteinstift, das öfters wiederholt werden muss.
Die schon früher geübte Exstirpation des ganzen Thränensackes
(Platner, Berlin) ist in neuerer Zeit besonders von Alfr. Graefe,
empfohlen worden. Nach Anlegung eines Hautschnittes wird der
Thränensack möglichst geschlossen und in seiner Totalität exstirpirt,
etwaige Reste werden mit dem scharfen Löffel vom Knochen ent-
fernt. Unter strenger Antisepsis erfolgt die Vereinigung der genähten
Hautwundränder per primam. Bleibt eine stärker belästigende Epiphora
zurück, so kann, wie oben erwähnt, die partielle Entfernung der Thränen-
drüse vorgenommen werden.
Anhang.
Verletzungen des Augapfels.
Verringerung der Erwerbsfähigkeit.
Die die einzelnen Theile des Auges durch Verletzungen treffenden
Schädigungen sind bereits in den vorhergehenden Kapiteln angeführt
worden. Es seien hier noch einige Traumen zusammenfassend erwähnt,
die auf den ganzen Bulbus oder auf mehrere Theile desselben gleich-
zeitig einwirken.
Stumpfe Gewalten können Contusionen des Auges veranlassen
oder zu Perforationen der äusseren Hüllen führen. Es handelt sich
meist um Gegenfliegen mehr oder weniger grosser Gegenstände (Bälle,
Pfropfen) oder um direct gegen das Auge geführte Schläge (mit der Faust,
Stöcken u. s. f.) oder um Stösse (besonders bei Landleuten durch die Hörner
von Kühen). Man findet alsdann Blutungen in der Lidhaut, in der Con-
junctiva, in der vorderen Augenkammer, im Glaskörper und in der Netz-
haut. Auch in die Hornhaut hinein kann Blut diffundiren. so hat Czer-
mak Blutstreifen in den tieferen Schichten, vom Limbus kommend,
beobachtet; häufiger ist eine mehr diffuse Durchblutung von der vorderen
Kammer her (s. Cornea), die ihr eine grünlich-graue Färbung giebt.
Rupturen treten in der Sclera dicht hinter dem Hornhautrande (seltener
mit gleichzeitigem Conjunctivalriss), besonders an seiner oberen Hälfte, ein;
in sie hinein kann dann auch die Linse luxiren. Ausserordentlich selten
ist es, dass die Cornea selbst halbmondförmig nahe am Rande einreisst.
Ebenso selten sind Risse in der Iris, häufiger hingegen Dialysen der-
selben vom Corp. ciliare und traumatische Mydriasis. Die Chorioidea be-
kommt besonders am hinteren Augenpole oft Rupturen, die, wenn
auch weniger häufig, gleichzeitig die Netzhaut treffen. Luxationen
and Subluxationen der Linse mit Irisschlottern sind öfters Folge
stumpfer Gewalten; ebenso die Connnotio retinae, seltener die Netz-
hautablösung. Die Regenbogenhaut kann ganz nach hinten um-
Perforirende Verletzungen. 673
klappen oder abreissen oder auch bei gleichzeitiger Wunde der Bul-
bnswand mit der Linse nach aussen geschleudert werden.
lieber die Behandlung der einzelnen Affeetionen ist schon oben
gesprochen worden. Nur sei noch hervorgehoben, dass man bei frischen
Sclerarupturen, in denen die luxirte Linse liegt, und zwar, wie fast
immer unter der erhaltenen Oonjunctiva, durch eine Incision der
letzteren den Krystallkörper entfernen soll. Bekommt man den Fall
erst später und geheilt in Behandlung, so kann man die Linse ruhig
sitzen lassen, zumal ihre Entfernung wegen entstandener Verwachsungen
nicht immer ohne stärkere Eingriffe gelingt. Es ist dies ein Vor-
kommniss, wie man es nach Kuhhornstössen öfters sieht. Im Uebrigen
kann sich trotz anfänglich starker Blutungen im Augen-Innern und
trotz der Scleralruptur in derartigen Fällen ein recht gutes Sehver-
mögen wieder herstellen. Die Behandlung im Beginn besteht in Aus-
waschen mit Chlorwasser oder Sublimatlösung, Einpudern von Jodo-
form und Druckverband. Bei grösserer Schmerzhaftigkeit kann man
eine Eisblase auflegen.
Bei perforirenden Verletzungen mit scharfen Instrumenten
oder sonstigen Gegenständen (Glas, Eisenstücken, platzenden
Patronen, kleinen Körnern bei Pulver-, Dynamit-Explosionen etc.)
ist die Hauptfrage, ob der Fremdkörper im Auge ist oder nicht.
Oft giebt die Anamnese Auskunft: wenn mit einem Messer gestochen
ist. oder mit dem Auge in einen spitzen, festen Gegenstand gerannt
wurde, so ist natürlich bei entsprechender Grösse und Ausdehnung
der Wunde ein Gorp. alienum im Auge nicht zu erwarten. Anders
hingegen bei Hineinspringen von Eisen-, Glas-, Kupferstücken u. s. f.
Wenn die perforirende Wunde in der Hornhaut oder Sclera klein ist,
so ist im Allgemeinen die Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass der Fremd-
körper sich noch im Auge befindet, selbst wenn der Verletzte das Gegentheil
behauptet, oft auf den Grund hin, „dass er keine Schmerzen im Auge
fühlt". Es ist nicht verständlich, wie ein kleiner Körper wieder abspringen
sollte, nachdem er einmal ins Auge gedrungen war. Allerdings ist nicht
selten der Nachweis des Fremdkörpers sehr schwierig, selbst wenn nicht
Linsentrübung oder Blut in der vorderen Kammer oder im Glaskörper
die Untersuchung erschweren. Man sei hier besonders vorsichtig, dass
man nicht etwa kleine schwarze Pigmentflecke der Iris oder ähnliche
dunkle Stellen in der partiell getrübten Linse fälschlich für den Fremd-
körper hält: der in der Iris sitzende Fremdkörper würde im Gegen-
satz zu den Pigmentflecken, die man übrigens wohl auch an anderen
Punkten der Regenbogenhaut finden wird, scharf abgegrenzt sein und
hervorragen. Die dunklen Partien in der Linse können dadurch zu
Stande kommen, dass durchsichtige Linsensubstanz in graugetrübter
.Schmidt-Kim pler. 7. Auflage. 43
674 Verletzungen des Augapfels.
liegend dunkel aussieht: hier wird besonders die schiefe Beleuchtung
und genauere Untersuchung Auskunft geben. Im Glaskörper können
Blutmassen den Fremdkörper vortäuschen. Auch die Benutzung der
Röntgenstrahlen kann gelegentlich bei grossen Fremdkörpern von Vortheil
sein: zur Orientirung heftet man auf Stirn, Schläfe, Wange und Nase Blei-
stückehen, die sich dann als dunkle Punkte in dem Bilde zeigen. Am günstig-
sten ist es, wenn es sich um eingedrungenes Eisen handelt. Hier haben
wir so wohl diagnostisch (Sideroskop) wie therapeutisch (Magnet) die
besten Chancen (cf. Kapitel Glaskörper-Veidetzung). Bei langem Ver-
weilen von Eisen im Augen-Innern kann eine bräunliche Verfärbung
der Iris, der Linse, der M. Descemetii und der Cornea eintreten
(Siderosis bulbi. Bunge). Auch die Netzhaut kann Einlagerungen von
Eisenoxyd zeigen (v. Hippel jun.). Andere Fremdkörper können, wenn
man sie sieht, mechanisch mit Pincette, Löffel oder stumpfem Haken
nach eventueller Ausführung eines entsprechend grossen Schnittes ent-
fernt werden; zum Fassen von Glasstücken, die den Metallbranchen
der Pincette leicht entweichen, kann man Pincetten benutzen, deren
Endstücke mit Hörn oder Kautschuk überzogen sind. Sehr unsicher ist
die Entfernung von Fremdkörpern aus dem Glaskörper; hier wird man
gut thun, von dem Verletzten die Erlaubniss zu verlangen, den Bulbus
gleich enucleiren oder exenteriren zu dürfen, falls der Fremdkörper nicht
gefunden wird. Nur bei kleinen Fremdkörpern, die fest in den Bulbus-
Häuten sitzen, kann man bei sonstiger Reizlosigkeit auf operative
Eingriffe verzichten. Uebrigens muss man auch mit der Möglichkeit
rechnen, dass ein Fremdkörper durch eine zweite Perforationswunde
das Auge wieder verlassen hat, wie einige Fälle lehren (Wagen-
mann). —
Liegt die Iris in der Hornhautwunde vor, so wird man sie sofort
abschneiden. Kommt man aber erst später hinzu und besteht bereits
ein Vorfall mit Verwachsung, so ziehe ich es vor, ihn fürs erste in Ruhe
zu lassen: nicht selten hat man gerade bald nach dem Abtragen des-
selben — wohl mit durch die Zerrung bedingt — eine sympathische
Ophthalmie ausbrechen sehen. Kleinere Vorfalle bilden sich auch von
selbst zurück.
Bei Verletzungen der Linse entsteht sehr schnell traumatische
Katarakt, die aber umschrieben bleiben und selbst später sich etwas
lichten kann. Bei stärkerer Quellung und bei Reizerscheinungen ist sie
zu entfernen; doch pflegt dies meist erst später nöthig zu Averden. Hat
sich nach Verletzung ein Nachstar gebildet, der das Sehen stört, so mache
lti.in die nöthige Operation nicht zu früh, sondern warte lieber mehrere
.Monate, bis das Auge längere Zeit, entzündungsfrei geblieben ist.
Bei sehr grossen Wunden, welche die Hornhaut und Sclera spalten -
Verbrennungen. i;7f,
besonders wenn die Gegend des Corp. ciliare getroffen ist — , und bei
gleichzeitigem Felden entsprechenden Lichtscheines (also beim Nicht-
erkennen kleiner Lampe oder bei Gesichtsfelddefecten), was auf ein Er-
griffensein der Net/haut schliessen lässt, ist die sofortige Enueleation
anzurathen. Hier pflegt in der Regel schliesslich doch nur ein blinder
und phthisischer Bulbus zurückzubleiben, der für das unverletzte andere
Auge eine dauernde Gefahr in sich birgt. Allerdings kann es selbst
bei ungenügender quantitativer Lichtempfindung gleich nach der Ver-
letzung gelegentlich zu einer gewissen Wiederherstellung des Sehver-
mögens kommen; — man ist überhaupt bisweilen überrascht über die
gute Heilung selbst ausgedehnter Wunden. Aber in der Mehrzahl der
o o o
Fälle muss man doch noch schliesslich enucleiren, weil die sich ent-
wickelnde Cyklitis eine sympathische Ophthalmie befürchten lässt. Die
frühzeitige Enueleation bei schweren Unfällen erspart dem Verletzten
viel Zeit, macht ihn schnell wieder arbeitsfähig und sichert ihn gegen
sympathische Ophthalmien.
In der Regel wird die sonstige Behandlung starke Atropinisirung
und bei dröhnender Infection Mercurialisation erfordern. Sind die
Scleralwunden nicht allzu gross, so kann man sie durch Nähte, die die
Sclera oberflächlich mitfassen, schliessen; auch das Herübernähen
der benachbarten Conjunctiva ist oft ausreichend. Cornealwunden
pflegen auch ohne Naht zu verkleben. Die Operationen müssen natürlich
mit allen Cautelen der Antisepsis geschehen; alsdann Einpudern von
Jodoform und Verband.
Sind beide Augen zu gleicher Zeit schwer verletzt, was besonders
bei Pulver- und Dynamit-Explosionen (v. Hippel) häufig der Fall
ist, so wird man weniger schnell die Enueleation anrathen, sondern die
weitere Entwickelung abwarten. Man sucht nach Explosionen aus der
Cornea und Conjunctiva die kleinen Körnchen zu entfernen, während
man sie in der Linse und im Glaskörper natürlich sitzen lassen muss.
Später ist dann die etwa entstandene traumatische Katarakt zu operiren
Nicht allzu selten entsteht und bleibt, trotzdem sich im Glaskörper
kleine Fremdkörper befinden, auch wohl partielle Netzhautablösungen
vorliegen, noch ein einigermaassen brauchbares Sehvermögen.
Die Verbrennungen und Anätzungen des Auges treffen vor-
zugsweise die Cornea und die Conjunctiva. Besonders häufig sind
Kalk Verätzungen (cf. Verletzungen der Cornea und Conjunctiva).
In Folge der deutschen Gesetzgebung über Invaliden- und
Unfall-Versicherung ist der Arzt häufig in der Lage, Gutachten über
43*
(S76 Verringerung der Enverbsfähigkeit.
die Kranken mit Bezug auf ihre eventuell verringerte Erwerbsfähigkeit
abzugeben. In dem Ergänzungsgesetz vom 30. Juni 1900 ist sogar an-
geordnet, dass zu den Verhandlungen vor dem Schiedsgerichte sach-
verständige Aerzte zuzuziehen sind; ebenso ist bestimmt, dass, falls die
Bewilligung einer Entschädigung abgelehnt oder nur eine Theilrente
festgestellt werden soll, vorher der behandelnde Arzt gehört sein muss.
Die Fürsorge der Unfall- Versicherung tritt mit Beginn der 14. Woche
nach der Verletzung ein; bis dahin haben die Krankenkassen nach den
bezüglichen Reichsgesetzen für die Krankenpflege zu sorgen. Nicht
alle Personen, die zum Eintritt in Krankenkassen verpflichtet sind,
gehören Betrieben an, die unfallsversicherungspflichtig sind; jedoch ist
die Zahl der letzteren allmählich immer weiter ausgedehnt worden. Er-
wähnt sei, dass auch die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe dahin
gehören. — Auch die Invaliden-Versicherung (Reichsgesetz vom 13. Juli
1899) giebt ihren Versicherten eine Invalidenrente — ohne Rücksicht
auf das Lebensalter, wenn sie nicht mehr im Stande sind, % des orts-
üblichen Tagelohnes zu verdienen; Altersrente tritt erst vom 70. Lebens-
jahre ein.
Bei den augenärztlichen Untersuchungen auf Verringerung der
Erwerbsfähigkeit ist in erster Linie darauf zu achten, ob auch die
Angaben der Kranken mit dem objectiven Befunde inUeber-
einstimmung stehen, da Uebertreibungen ausserordentlich häufig
.vorkommen. Es ist ebenso falsch, allzu leichtgläubig allen Aussagen
zu trauen, wie es verwerflich sein würde, ohne genügende Beweise
die Klagen als unrichtig hinzustellen. Zum Glück haben wir gerade
in der Ophthalmologie eine Menge von Hülfsmitteln, die uns wenigstens
gestatten, festzustellen, ob. der Untersuchte absichtlich die Unwahrheit
sagt, wenngleich es nicht selten schwer ist, den Grad der Ueber-
treibung (Aggravation) mit Genauigkeit zu erforschen (cf. das Ka-
pitel: Simulation von Amblyopie und Amaurose). Bisweilen sind übrigens
die Verletzten bei ihren Angaben auch im guten Glauben, dass ein
Unfall ihr Sehvermögen geschädigt habe: so z. B. nicht selten, wenn
nach irgend einer kleinen Verletzung sich eine Sehschwäche des be-
treffenden Auges herausstellt, die allerdings schon früher bestanden
hatte, aber unbemerkt geblieben war, weil das Auge nie allein ge-
prüft wurde.
Sind vom Arzte wirkliche Augen- Affectionen oder Störungen
des Sehvermögens constatirt worden, so handelt es sich bei den An-
sprüchen auf Unfall-Entschädigungen zweitens darum, ob ein „Be-
triebs-Unfall" die Ursache gegeben hat. Das Gesetz spricht nur
von den „bei dem Betriebe sich ereignenden Unfällen", giebt aber
keine Definition des Wortes Unfall. Der Jurist v. Wo edtke schreibt:
Invaliden- und Unfall-Versicherung. (577
„Ein Unfall bei dem Betriebe setzt einen ursächlichen (unmittelbaren
oder mittelbaren) Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Be-
triebe, sowie ein dem Betriebe fremdes abnormes Ereigniss voraus,
dessen Folgen für das Leben oder die Gesundheit schädlich sind.
Nachtheile für die Gesundheit, welche lediglich die Folge davon sind,
dass ein Betrieb auch unter normalen Verhältnissen an sich ungesund
istj sind keine Betriebsunfälle." In der Regel werden sich die durch
einen Unfall bewirkten Körperverletzungen als gewaltsam und plötz-
lich darstellen, jedoch ist eine allmählich eintretende körperschädigende
Wirkung nicht ausgeschlossen. Besonders häufig kommt letzteres in
der Ophthalmologie in Betracht, wenn etwa aus einer unbedeutenden
Hornhautverletzung (z. B. in der Ernte durch Gegenstoss einer
Granne etc.) sich ein deletäres Ulcus serpens entwickelt hat oder etwa
nach der Verletzung eines Auges eine sympathische Ophthalmie ent-
steht: hier handelt es sich immer um die Folgen des Unfalles.
In der Regel wird drittens auch an den Arzt die Frage ge-
richtet, um wieviel Procent die Erwerbsfähigkeit sich ver-
ringert habe, da hiernach die zu gewährende Rente berechnet wird,
— wobei allerdings nur 2/:! des wirklichen Arbeits-Verdienstes gleich
der vollen Erwerbsfähigkeit gesetzt wird, so dass also bei vollem Ver-
lust derselben der Versicherte nur 2/3 seines bisherigen Lohnes erhält.
Diese Frage ist schwer zu beantworten, da der Arzt die Anforderung
an das Sehvermögen in den einzelnen Betrieben nicht genau kennen
kann . individuelle Verschiedenheiten vorkommen etc. Es gehen daher
selbst bei dem einfachsten Vorkommniss, dass z. B. ein Auge erblindet,
während das andere Auge volle Sehschärfe hat, die Ansichten der
Aerzte über die erfolgte Schädigung noch auseinander. Auch die wirk-
lich nachgewiesene Arbeitsfähigkeit kann nicht maassgebend sein,
wenn wir erwägen, dass fast in allen Berufsklassen Einäugige mit
voller Erwerbsfähigkeit thätig sind. So hat eine Zusammenstellung
von Magnus ergeben, dass über 3/4 der ausserhalb des Berufes ein-
äugig gewordenen Arbeiter denselben Jahresverdienst haben wie der
zweiäugige Arbeiter; am geringsten ist überhaupt der Unterschied in
der Erwerbsfähigkeit zwischen beiden, wenn die Erblindung vor dem
15. Lebensjahre eintrat. Erfolgt nach dem 35. Lebensjahr der Ver-
lust eines Auges, so leidet die Arbeitsfähigkeit in grösserem Umfange.
Weitere Nachforschungen und Berechnungen von Magnus haben
gezeigt, dass die durch Betriebsunfall einäugig Gewordenen im Durch-
schnitt einen um 14°/0 geringeren Jahresverdienst haben als die Zwei-
äugigen; hierzu kommt noch die geringere Concurrenzfähigkeit. da
manche Betriebe Einäugige principiell ausschliessen. Daraufhin nimmt
Magnus bei Betrieben, die höhere optisch - erwerbliche Ansprüche
t;7,s Verringerung der Erwerbsfähigkeit.
machen, im ersten Jahre einen Erwerbsverringerung von 30,9 °/0 an, im
zweiten von 21,1 °/0 , bei solchen mit geringeren optischen Ansprüchen
27,3 °/0 bez. 18,3%. Früher wurde der zur Entschädigung kommende
Verlust an Erwerbsfähigkeit bei Einäugigen gewöhnlich auf 33 '/3 %
angenommen. Es beruht dies auf einer Formel von Zehen der I — ~ —
wo a die Sehschärfe des erhaltenen Auges bezeichnet), welche die be-
stehende Erwerbsfähigkeit ausdrücken soll: jedoch kommt man mit
mathematischen Formeln hier nicht weit! Jetzt ist auch vom Reichs-
versicherungsamte ein geringerer Procentsatz festgesetzt worden: bei ge-
wöhnlichen Arbeitern etwa 25 °/0. Nach individuellen Verhältnissen
(wobei auch besonders das Lebensalter in Betracht zu ziehen ist).
kann man die Verringerung etwa zwischen 20 °/0 bis 30 °/0 schwanken
lassen. Dabei ist nicht nöthig, dass das erhaltene Auge S==l hat;
für gewöhnliche Tagelöhner kann die Arbeit schon mit S1/2 ge-
leistet werden; für Berufe mit höheren Sehansprüchen hält Magnus
S3/4, Groenouw S2/3 erforderlich. Es würde demnach bei Verletzungen,
die eine Herabsetzung der Sehschärfe bedingen, welche diese Grenzen
nicht überschreitet, auch keine Verringerung der Erwerbsfähigkeit an-
zunehmen sein. Volle Erwerbsunfähigkeit bei gewöhnlichen Arbeitern,
soweit dabei der Verlust des Sehvermögens eine Rolle spielt, würde
ich erst dann annehmen, wenn die Sehschärfe etwa unter ]/20 bis V30
sänke, da ich nicht selten Individuen gefunden habe, die noch viele
Dienstleistungen der Tagelöhner und Knechte mit dieser Sehschärfe
ausführten.
Die durch Verlust eines Auges bewirkte Sehstörung wird sich im
Anfange bemerklicher machen als später, wenn eine gewisse Ge-
wöhnung und Einübung eingetreten ist.
Der Hauptschaden des einäugigen Sehens beruht nämlich in dem
Verluste des Körperlichsehens; später bildet sich wieder ein gewisses
Körperlichsehen heraus, wie man dies, abgesehen von den Beobachtungen
der Arbeiter, selbst auch direct constatiren kaim, wenn man Distancc-
Sehätzungen vornehmen lässt, indem man auf einem Lineal zwei Stäb-
chen (dicke Nadeln mit Knöpfen) in verschiedener Entfernung aufstellt
und nun sagen lässt, welches Stäbchen näher oder ferner steht (P f a 1 z
hat hierzu ein kleines Instrument angegeben). Durch leichte Kopf-
bewegungen, Convergenz- oder Aecommodations-Aenderungen kann auch
der Einäugige allmählich ein für die Arbeiten in der Regel ausreichen-
des Körperlichsehen erlangen, wenn es auch nie die Vollkommenheit
des binocularen Sehens erreicht. Ausserdem ist die Verkleinerung
des Gesichtsfeldes bei manchen Arbeiten, besonders bei gefährlichen
Betrieben (bei Maschinen), als störend in Betracht zu ziehen: auch
Aphakie. Gesichtsfelddefecte. (379
hier kann eine allmählich erlernte Kopfdrehung aushelfen. Dessen-
ungeachtet halte ich es jedoch nicht für praktisch, im ersten Jahre eine
höhere Rente zu geben und diese dann vom zweiten Jahre ab, wie
Magnus vorschlägt, herabzusetzen. Einmal pflegt es gar nicht ein
Jahr zu dauern, bis diese Gewöhnung eingetreten ist, und dann wird
sich bei einer erneuten Untersuchung kaum eine Besserung direct con-
statiren lassen, da wir hierbei auf die subjeetiven Angaben der Ver-
letzten angewiesen sind und letztere natürlich mit einer Herabsetzung
der Rente nicht einverstanden sein werden. Zu einer Herabsetzung
der Keine ist aber erforderlich der directe Nachweis einer wesentlichen
Veränderung in den Verhältnissen, welche für die Feststellung der
Entschädigung maassgebend gewesen sind. Es erregt ein solches Vor-
gehen mehr Unzufriedenheit, als wenn wirklich der Procentsatz für die
ersten Monate nach der Verletzung etwas geringer angenommen ist.
Ausserdem bleibt doch immer zu bedenken, dass diese Schätzungen
nie den reellen Verhältnissen entsprechen können und in der Regel diesen
gegenüber zu hoch sind. - —
Sehr häufig wird inFolge von Verletzungen die Linse getrübt und später
das Auge aphakisch. Trotzdem mit entsprechenden Stargläsern eine
gute Sehschärfe erreicht wird, pflegt hier fast stets das Körperlichsehen
zu leiden: meist sogar geht das Auge bald etwas in Schielstellung.
Nur wenige Individuen, und zwar nur, wenn sie in jugendlichem
Alter stehen und die erforderliche Starbrille tragen, kommen zu einem
einigermaassen befriedigenden Körperlichsehen. Dieser Verlust ist bei
Sehätzung der Erwerbsfähigkeit in Rechnung zu ziehen. Gegenüber dem
Einäugigen wird jedoch die Erwerbsfähigkeit eine höhere bleiben, da
das Gesichtsfeld nicht verkleinert ist und auch die Concurrenzfähigkeit
im Erwerbe nicht in so hohem Maasse verringert ist: ich pflege den Ver-
lust auf circa 15 ° (l zu schätzen. Ebenso ist bei den durch Verletzungen
eintretenden einfachen Herabsetzungen des Sehvermögens ein beson-
deres Gewicht auf das Körperlichsehen zu legen und stets eine Prüfung
desselben vorzunehmen: im Allgemeinen findet sich, dass das Körper-
lichsehen — ausser bei stärkeren Sehschwächen — hier (im Gegensatz
zu den aphakisch gewordenen Verletzten) wenig leidet.
Ferner würden auch etwaige Gesichtsfelddefecte zu berücksich-
tigen sein: so nehmen beispielsweise bei concentrischer Verengerung
beider Gesichtsfelder bis zum 30° und sonstiger guter Sehschärfe Mag-
nus 45°|0. Groenouw 50°/0 Erwerbsverringerung an. Ist das Gesichts-
feld noch weiter emgeschränkt, so schätzt bei einem Gesichtsfeld von
nur 10° Schröter die Verringerung der Erwerbsfähigkeit auf min-
destens 75%. —
Ist bei Lähmungen Doppeltsehen in allen Richtungen vorhanden.
682
Alphabetisches Register.
Augenbewegung 564, Innervationscen-
trum der 562.
Augenblase 229.
Augendrainage 292.
Augenhintergrund 2.">2.
Augenmuskel-Erkrankungen 561, Ana-
tomic 561. Krampf 617, Lähmungen
573.
Augenoperationen 20.
Augensalben 17.
Augenschmerz bei nervöser Asthenopie
149, bei musculärer 612.
Augenspalte, fötale 229.
Augenspiegel 10. 180, binocularer 184.
Theorie 171, Untersuchung mit dem
189, verschiedene Formen 180.
Augenspiegelbild, umgekehrtes 176, auf-
rechtes 174. Vergrösserung des 178.
Augentrepan 495. 496.
Auirenwasser 16.
Autophthalmoskopie 187.
Bacterien 406. 416. 420. 428.
Basallinie 82.
Basedow'scke Krankheit 629.
Behandlung der Augenleiden 11.
Beleuchtung 79, seitliche 197.
Bild, reelles 28. virtuelles 29, Grösse der
Bilder 30.
Bläschenbildung auf der Cornea 462, auf
dem intermarginalen Lidrande 640.
Blaublindheit. 127.
Bläschen-Katarrh s. Conj. folliculosa.
Bleivergiftung. Accommodationslähmung
Lei 112, Amaurose bei 154, centrale
Skotome bei 138, Neuritis bei 255. Neu-
roretinitis bei 255, Retinitis 278.
Blennorrhoea conjunctivae 416, sacci
lacrymalis 665.
Blepharitis 637. 638.
Blepharophimosis 645.
Blepharoplastik 653.
Blepharospasmus 408. 459. 655.
Blicklinie 72.
Blinder Fleck 122.
Blindheit 165.
Blitzschlag 374.
Blutentziehung 14, mit dem Heurteloup-
schen Blutegel 14.
Bowman'sche Sonde WW.
Brechkraft 27. 32.
Brechungsametropie 41, Exponent 26.
39.
Brennpunkt 26. 38, conjugirte Punkte
28.
Brennstrecke 97.
Brennweite 26. Bestimmung derselben
30.
Brillengläser 25, Bezeichnung 27. 33,
sphärische 33, prismatische 33, cylin-
drische 99. Franklin'sche 108, perisko-
pisclic 32.
Buphophthalmus •"><»). 634.
Büschelförmige Keratitis 461.
Calabar 19. 114.
Canalis Cloqueti 230. 327. 346.
Canthoplastik 645.
Capillarpuls an der Papilla optica 266.
Carbunkel 625.
Cardinalpunkte 38.
Caries der Orbita 622. 624.
Cataracta 360, aecreta 370, aridosiliquata
s. membranacea 370, calcarea 370, cap-
sularis 364. 366, capsulo-lenticularis
364, complicata 369, congenita 364. cor-
ticalis 361, cystica 369, diabetica 37;:.
lactea 369, matura 363, Morgagniana
369, nigra 369, nuclearis 361. 3(34, ossea
359, polaris 365, pyramidalis 364, se-
cundaria 370. 393, senilis 368, striata
364, traumatica 370, zonularis 365.
Cataract-Operation 377, Depression 388.
Discission 366. 385. 393, Extraction
377, Reclination 388.
Caustica, Anwendung bei Conjunctivitis
423.
Cavernöse Geschwülste der Orbita 631.
Centrirung der Brillengläser 31.
Chalazion 648.
Chemosis 404. 450.
Chiasma 217.
Chininvergiftung, centrale Skotome 139.
Amaurose bei 154.
Chlorose, Accommodationsschwäche bei
109, Anaemia papillae 244. Arterien-
pulsation 266, Blepharitis 637.
Cholera 244. 630. '
Cholestearin im Glaskörper 317.
Chorea. 147.
Chorio-Retinitis 272. 302.
Chorioidea, Ablösung 308. Anatomie 221.
Blutungen 308, Colobom 240, Ge-
schwülste 311, hyaline Drusen 221.
303, Hyperämie der 299, Knochenbil-
dung 313, Myopie 307. ophthalmosko-
pisches Bild der 239, Riss 309, Tuber-
culose 310.
Chorioidealring 231.
Chorioiditis areolaris 301, disseminata
301, exsudativa 300. metastatica .rif>.">.
suppurativa 553, serosa 300. 344. .">."> I .
syphilitica 302.
Chorioiditis c. maculam luteam (Centralis
301.
( Ihromhidrosis 647.
Chromopsie bei Phosphenen L34, bei
Glaukom 332.
CiüaTkörper, Anatomie 225, Entzündung
539, Gummata 522.
Ciliarmuskel 7.;. 225, Krampf 113. Liili-
mung 109.
Ciliarnerven 229, Durchschneiduiii;- 550.
Ciliarneuralgie 332. 516.
Ciliarstaphylom 509.
Cocain 19. 645.
Colobom der Chorioidea 210. Iris 533.
Retina 242. der Sehnervenscheide 235,
des Lides 660.
Alphabetisches Register.
683
( loncavlinsen 29.
Congestion nach dem Kopf L36. 253.281.
305. 318.
Conjunctiva, Amyloid 451, Anatomie 399,
Apoplexie 150, Erkrankungen 101,
Follikel 414, Fremdkörper 452, Ge-
schwülste 454, Lupus 451, Touchirung
16. 403. Tuberculose 451.
Conjunctivitis Aegyptiaca 438, blennor-
rhoica 411. 416, catarrhalis 404. crou-
posa s. Conj. membranacea 428. diph-
theritica 440. eczematosa -107. exan-
thematosa 429, fofficulosa 414. 438,
granulosa 4.iO. 411. gonorrhoica 425.
438, neonatonmi 42."). phlyctaenulosa
4u7. simple\404. trachomatosa 430. 411.
traumatica 452.
Oonsistenz der Katarakt 367. 368.
Contusio l>ulbi 112. 147. 273. 289. 315.
632. 072.
Conus 73. 306.
Convergenz der Lichtstrahlen 25. der
Blieklinien 50. 72. 564, -breite 572.
Convexlinsen 25.
Convexspiegel 35.
Corelysis 526
Cornea. Anatomie 450. conica 500, Fistel
485. (^schwülste 505. (beschwüre 483,
globosa 500. Infiltrate 458. Krankheiten
457, Staphyloin 408. Trübungen 491.
Verletzungen ">n2.
Corpus vitreum s. Glaskörper.
( yklirij 539.
Cylindergläser 99.
Cysten der Conjunctiva 454, der Iris 532.
Cysticercus des Ciaskörpers 325, in der
Bindehaut 455. in der vorderen Kam-
mer 532. subretinaler 290.
Cystoide Vernarbung 351. 392. 556.
Dakryoadenitis (302.
Dakryozystitis 664.
Dakryix-'ysto-Blennorrhoe ^i~K
Dakryops 662.
Daltönismus 127.
Delirien nach .Staroperationen 391.
Dermoid 454. 631.
Descemetitis 461. 483. 516. 520.
Deutliche Sehweite 178.
Diabetes. Accommodationslähmung 112,
Aji^enmuskellährnungen 588. Katarakt
373~ centrale Skotome 138. Iritis 523.
Keratitis 469. Neuritis 255. 258, Reti-
nitis 276. 278. 279.
Dietyitis s. Retinitis.
Dioptrie 33.
Diphtherie, metastatische Ophthalmie 556.
Diphtheritis conjunctivae 440.
Diphtheritis faucium. Accommodations-
lähmung 111. Amblyopie 111. Augen-
muskellähmungen 588, Neuritis 255
Diplopie 569. 570. 590. monoculare 493.
mit Prismen 34. 574. 594. 613.
Disrission der Katarakt 366, des Nach-
stars 394.
Distichiasis 641.
Divergenz der Lichtstrahlen 25.
Doppelbilder s. Diplopie.
Drehpunkt 56 1.
Druck und Satz 84.
Druckpunkte 656.
Druckverband 12.
Duboisin 19. 342.
Dunkelzimmer 11.
Dynamisches Schielen 569. 612.
Dysrhromatopsie 127.
Dyslexie 146.
Ecchymosen unter der Conjunctiva 450.
Echinokokken der Orbita 631.
Eclampsia 374.
Ectopie der Linse 396, der Pupille 533.
Ectropium 652.
Einfachsehen 568.
Einträufelung in das Auge 16.
Eisenbahnbeamte, Vorschriften für 53.
Ektropioniren der Lider 7.
Elektrisches Licht 145.
Elektrolyse 494. 642.
Elevateür 5. 23.
Embolie der Art. central, retin. 293.
Emmetropie 40.
Emphysem der Orbita 626, der Lider 647.
Enophthalmus 8. 630.
Entoptische Erscheinungen s. Myiodesop-
sie. 71.
Entropium 650.
Enucleatio bulbi 548.
Epicanthus 660.
Epilepsia retinae 294.
Epilepsie. Accommodationskrampf bei
115. Katarakt bei 373.
Epiphora (Ueberfliessen der Thränen)402.
662. 657. 652.
Episkleritis 506.
Ergotismus 374.
Erkältungen 136.257. 341. 461. 403. 523. 5ns.
Erysipel 256. 406. 429. 556. 625. 646.
Erwerb sfähigkeit 672. 676.
Erythropsie bei Staroperirten 300.
E serin 19, bei Glaukom 353.
Exantheme s. die einzelnen Formen 429.
Excavation der Papille 263. atrophische
259. 263. glaukomatöse (Druck-) 264.
334. physiologische 233.
Exenteratio bulbi 550. orbitae 632.
Exophthalmometer 626.
Exophthalmus 8. 023. bei Morb. Ba>e-
dowii 025. paralytischer 584. pulsiren-
der 628.
Exstirpatio bulbi 548, der Thränendrüse
663. 671. des Thränensaekes 671.
Fädchen-Keratitis 459.
Farbenblindheit 127. bei Sehner ven- Atro-
phie 262.
Farbenempfindung 127.
884
Alphabetisches Register.
Febris recurrens 523. 539. 556.
Fernpunkt 41, relativer 51.
Fernsichtigkeit s. Presbyopie.
Fettzellgewebe, Entzündung 623.
Filaria oculi humani 327.
Fixation, excentrische 596.
Flhmnerskotom 151.
Flügelfell 444.
Focale Beleuchtung 197.
Focus s. Brennpunkt.
Fontana'scher Baum 347.
Fovea centralis 224, ophthalmoskopisches
Bild 237.
Fraeturen der Orbita 632.
Fremdkörper in der Conjunctiva 452,
Cornea 502, Glaskörper 320, Iris 531.
Linse 374, Orbita 632, Thränenwegen
663, vorderen Kammer 532.
KrühjahrskataiTh 410.
Fusionsbreite 571, Tendenz 612.
Grefässneubildung in Glaskörpermembra-
nen 320.
Gehirn- und Rückenmarkserkrankungen
111. 136. 137. 140. 141. 142. 143. 243.
244. 250. 253. 255. 257. 258. 263. 269.
281. 474. 528. 539. 556. 586. 587. 612.
617. 624.
Oeisteskrankheiten.ophthalmoskopischer
Befund bei 243. Pupillen-Reaction 528.
Delirien nach Staroperationen 391.
Gerontoxon corneae 497.
Gerstenkorn s. Hordeolum.
Gesichtsfeld, Defeet 9. 123. (574, bei My-
opie 70, Prüfung 9. 119, ringförmige
272. 304, Unterbrechung 123. Erwerbs-
fähigkeit 678.
Gesichtslinie 39.
Gesichtsschwindel 571).
Gesichtswinkel 50: 66.
Gicht 341. 508. 523.
Glaskörper, Ablösung 290. 327, Anatomie
314. Blutung 318,'Entozoen 320, Ent-
zündung 319. Erkrankungen 315,
Fremdkörper im 320, Trübung 315,
Tuberculose 319, Verflüssigung 315.
Glaucoma 331, absolutum 338, acutum
.".:;ii, Aetiologie 341. chron. inflammat.
338, fulminans 337. haemorrhagicum
339, malignum 350, Pathol. Anatomie
342, Prodromalstadium 332, Secundär-
338, simples 333, Theorie über die
Pathogenese 343, Therapie 348.
Glaukomatöse Degeneration 338.
Gleichgewichtsversuch 613.
Glioma retinae 296.
Gonorrhoe 120. 125. 523.
Granulationen der Conjunctiva 130.
(irauer Star s. Cataract.
Criinblindheit 127.
Grüner Star s. Glaucoma.
Hagelkorn 648.
Hämatemesis 154.
Hämoptoe 154.
Hämorrhoiden 136. 318. 341.
Hauptachse 26.
Hauptbrennweite 26.
Hauptmeridiane 101.
Hauptpunkt 38.
Hautausschläge 15. 281. 374. 409. 14.;.
44s. 450. 469. 508. 625. 638. 646.
Hebetudo visus 93.
Heerordnung *. Militärdienst.
Helminthiasis 152. 325.
Hemeralopie 147. 283. 619.
Hemiopie = Hemianopsie 139.
Hering's Fallversuch 163. 611. Farben-
theorie 127.
Hernia corneae 484.
Hernia sacci lacrymalis (Ectasie) t>7<>.
Herpes corneae 402.
Herpes zoster 463. 646.
Herzaffectionen 281. 294. 526. 615.
Hippus 529.
Hirnsinusthrombose (524. 625.
Holmgren'sche Farbenprüfung 129.
Hordeolum 640.
Hornhaut s. auch Cornea. Absces* 466.
Achse 72. Fleck 491. Geschwüre 483^
Infiltrat 458, sclerosirendes Infiltrat
483, torpides Infiltrat 46ti. Krümmung 35,
Krümmungsanomalien 498. Tätowirung
496, Trübung 491.
Hyalitis 319.
Hydromeningitis 516.
Hydrophthalmus 500. 634.
Hydrops vaginae n. opt. 247. 200.
Hyoscyamin 19.
Hyperämie der Conjunctiva 404, Chorioi-
dea 299. Iris 512. Papilla optica 243,
Retina 269.
Hyperaesthesia retinae 150.
Hypermetropie 41. 90. absolute 91, Be-
stimmung 42. 60, ophthalmoskopische
Bestimmung 198, 200. 210. 213, facul-
tative 91. latente 91. manifeste. 91 . re-
lative 92, totale 91.
Hypertonie 8. 332.
Hyphaema 6. 515.
llvpnotisinus 115. 128.
llypopvon 6. 466. 515.
Hypopyon-Keratitis 166.
Hyposphagma 450.
Eypotonie 8. 35."».
Hysterie 136. 146. L50. 374. 538.
Icterus 12S. 147. 270.
IdentitätslcliTc ."»es.
Impfung der Blennorrhoe 137.
[ncongruenz der Netzhaut 594.
Influenza 253. 406. .".23. (117.
Innervation der Augenmuskeln 562.
Insuffizienz der R. interni 611, der li.
extern i 612.
Intercalarstaphylotn 509.
Alphabetisches Register.
685
Intermittens L35. 144. 482. 556.
Intervalle focal üT.
Intraocularer Drucks. Messung* desselben
8. 332.
Invalidenversicherung' (174.
Iridectoiuie 534, bei Glaukom 348.
[rideremie = Aniridie 533.
Irido-Chorioiditis 519. 539, metastatica
Iridozyklitis 519. 539, sympathica 541.
Iridodialysis 530.
Iridodonesis 529, bei Myopie 71, bei Ka-
tarakt 363.
Iridotomie 538.
Iris. Anatomie 22"). Kolobom 533, Krank-
heiten 512, Neubildungen 531, Prolaps
485. 488. 530, Schlottern 529, Ver-
letzung 529.
Iritis 513, acuta 517. chronica 517, con-
dylomatosa s. gummosa 521, recidivi-
rende 517, serosa 520, simplex 520,
suppurativa 521, syphilitica 521.
Ischaemia retinae 295.
Isometrope Linsen 26.
Jequirity 437.
Kapselstar 364. 366.
Katarakt s. Cataracta.
Katzenauge, amaurotisches 296.
Keratitis 457. bullosa 464, büschelförmige
461, dendritiea 491. diffusa (interstitia-
lis, profunda, parenchymatosa) 479,
gitterförmige 491. neuroparalytica 474,
pannosa 476. punctata 461, scrophulo-
sas. K.plüyctaenulosas.eczematosa459,
subepithelialis centralis 461, suppu-
rativa 464. vesiculosa 462, xerotica 473.
Keratocele 484. -conus 500, -malacie 472,
-plastik 495, -tomie (Querdurchschnei-
dung nach Saemisch) 471.
Keratoskop 6.
Keratoskopie 6. 209.
Kerektasie 500.
Kernstar 361.
Knochenneubildung 313. 359.
Knotenpunkt 29. 38.
Kopfhalter 82.
Kopiopie 's. Asthenopie; 93, hysterische
150.
Korektopie 533.
Körnerkrankheit s. Trachom.
Künstliches Auge 552.
Kurzsichtigkeit s. Myopie.
I.agophthalmus 656.
Lähmung der Augenmuskeln 573. des
Abducens 579. Oculomotorius 584,
Troehlearis 580.
Lamina cribrosa 219.
Langbau des Auges 68.
Lappenschnitt 377.
Leberleiden 270. 281. 294.
Leontiasis ossea 625.
Lepra 456. 505. 649.
Leptothrix b. Streptothrix 663.
Leucoma 492, adhaerens 485.
Leucorrhoea vaginalis 420. 426.
Leukämie. Retinitis bei 276. 279, Blu-
tungen 280.
Lichtempfindung, qualitative 119, quan-
titative 119.
Lichtscheu 409.
Lichtsinn 124.
Lichtstrahlen 24.
Lider, Anatomie 635, Erkrankungen 636,
Ekzem 646, Erysipel 646, Krampf 655,
Neubildung 649* Seborrhoe 636, Syphi-
lis 640. 647.
Lidspaltenerweiterung 645.
Linibus sclerae 506, conjunctivae 400.
Linearextraction 377, periphere (sclerale)
v. Graefe's 381, moditicirte 386.
Linse, Anatomie und pathologische Ana-
tomie 357, Erkrankungen 358, Luxation
325. 396, senile Veränderungen 358.
Linsenkapsel 357, Verletzung 359. 369.
374.
Lipom 454.
Lupus der Conjunctiva 451.
Luscitas 572.
Luxatio lentis 325. 396, bulbi 633.
Lymphabfluss aus der vorderen Kammer
346.
Lymphangiektasien 450.
Lymphfollikel der Conjunctiva 399.
Macula corneae 492.
Macula lutea, Anatomie 223, Erkrankung
270. 274. 278, ophthalmoskopisches Bild
236.
Macularcolobom 241.
Madarosis 640.
Magenkatarrh, Accommodationslähmung
nach 112.
Magnet, Anwendung 322.
Makropsie 114.
Markhaltige Nervenfasern der Retina 236,
Papilla 235.
Markschwamm der Netzhaut 296.
Masern 78. 135. Neuritis nach 255, Con-
junctivitis nach 406. 429, Phlyktänen
nach 409, Keratitis 469, Skleritis 508.
Meibom'sche Drüsen 399. 636.
Membrana pupillaris perseverans230.534.
Meningitis 136. 255. 257. 306. 356. 556.
617.
Meniscus 31.
.Menstruationsanomalien 136. 154. 257.
263. 280. 341. 4SI. 509.
Meridian-Asymmetrie 96.
Messinstrumente 35.
Metamorphopsie 71. 272. 289. 304. 309.
Metastatische Ophthalmie 555.
Meterwinkel 571.
Migräne 150.
686
Alphabetisches Register.
Mikrophthalmus 355. 396. 634.
Mikropsie 110. 272. 304.
Militärdienst. Vorschriften zur Aushebung-
69. 155. 492. 573. 591. 617. 652. 664.
Milium 649.
.Milzbrand 625. 647.
Miosis 6. 2(12. 356. 528.
Miotica 19.
Mouches volantes s. Myiodesopsie.
Muscarin 19.
Mydriasis 6. 109. 332. 527. 672.
Mydriatica 18.
Myiodesopsie (Myodesopsie) 70. 317. 372.
Myopie 41. 68, Aushebung- zum Militär-
dienst bei 69, Bestimmung 41. 61,
ophthalmoskopische Bestimmung 198.
200. 210. 213, Prophylaxe 79, scheinbare
113. 116, Therapie 85, Operation 86.
Myotomia intraocularis 353.
Nachstar 370. 393.
Nachtblindheit s. Hemeralopie.
Nahepunkt 47, binocularer49, relativer 51.
Narkose bei Augenoperationen 22.
Nephritis (Vgl. "Albuminurie) 153. 277.
281. 523.
Nervenfasern, doppelt contourirte 235.236.
Nervus nasociliaris, Dehnung 353.
Nervus opticus s. Opticus.
Netzhaut s. Betina.
Netzhautbild, Grösse des 56. 66.
Neuralgien 10. 93. 94. 112. 115. 117. 341.
402. 463. 612.
Neurasthenie 136. 146. 150.
Neurectomia optico-ciliaris 550.
Neuritis 256, axialis 257, descendens 254,
nach Blutverlust 154, optica 256, optico-
intraocularis 245, retrobulbaris 139,
243. 257.
Neuro-Ketinitis 246. 254.
Neurosis sympathica 540, traumatica 146.
Niveaudifferenzen 161, ophthalmosko-
pische Diagnose 215, Berechnung 216.
Nubecula 492.
Nuclearlä 1 tmung 585.
Nyctalopie 149.
Nystagmus 617.
Obliteration des Thränenkanals 665. der
Thränenpunkte 671.
Occlusio pupillae 515. 534.
Oculomotoriuslähmung 584.
Oedem der Lider 417. 440. 553. 647.
Netzhaut 270. subcon junctivales IM».
Onyx s. Unguis 467.
Ophthalmia eczematosa 407, exanthema-
fcica 429, gonorrhoica 425, migratoria
541, mihtaris 138, neonatorum 125,
sympathica 541.
< Iphthalmomalacie 355.
Ophthalmometer 35.
Ophthalmoplegie 585.
Ophthalmoskop s. Augenspiegel.
Ophthalmoskopie 171.
I >pticus, Anämie 243. Anatomie 217, Atro-
phie 259. Entzündungen 256, Erkran-
kungen 24.-;, Geschwülste 268, Hyper-
ämie 243, ophthalmoskopisches Bild
231, Verletzungen 152. 260. 263.
Optische Achse 26, Einleitung 24.
Optisches Centrum 26. 38.
Optometer 63.
( )rbicularislähmung 659.
( »rbita, Anatomie 619, Erkrankungen 622,
Neubildungen 633, Verletzungen 632.
Pagenstecher'sche Salbe 17.
Pannus 476, phlyctaenulosus 408. 476,
trachomatosus 470, traumaticus 477.
Panophthalmitis 553.
Papilla optica, Anatomie 219, atrophische
Excavation 263, Erkrankungen 243,
glaukomatöse Excavation 264, ophthal-
moskopisches Bild 231. physiologische
Excavation 233.
Papillitis 245.
Paracentese der Cornea 466. 4* <. 525.
Parallaktische Verschiebung 215.
Paralyse, progressive 263. 528.
Parotitis 556.
Pemphigus 448.
Peridectomie (Peritomie der Cornea) 478.
Perimeter 120.
Perineuritis 248. 253. 255.
Periostitis der Orbita 622.
Perivasculitis retinae 269. 275.
Petit'scher Kanal 314.
Phakomalacie = weicher Totalstar 361.
Phakometer 30.
Phlegmone der Orbita 623. der Lidhaut 646.
Phlyktänen 407.
Phosphene 134.
Photophobie 409. 429. 459.
Photopsie 134. 289.
Phthisis bulbi 260. 355. 552. 553, corneae
(anterior) 484, essentielle 355.
Physostigmin 19.
Pigmentirung der Betina 282.
Pilocarpin 19. 353.
Pinguecula 454.
Pneumonie 556.
Polyopia monocularis 96.
Polypen der Conjunctiva 454.
Presbyopie 54. L06, frühzeitige bei Glau-
kom 333.
Prismen 33, Ueberwindung 571, thera-
peut. 615.
Probebuchstaben 58. 118.
Progressive Amaurose 261.
Protection 570. 576.
Prothesis ocuh' 552.
Pterygium III.
Ptosis 356. 656.
Puerperium 256. 469. 473. 556.
Pulsirender Exophthalmus 628.
Pulverisateur 178. 191.
Alphabetisches Register.
687
Function der ScleiS bei Netzhautab-
Lösung 292.
Pupillarmembran "»15.
Pupillar-Reaction 110. 135. 14a. 527. 528.
-w eite 528.
Pupilloskopie s. Retinoskopie.
Purpura 281.
Pyämie 280. 556. 623. 624. 625.
Pyramidenstar 364.
Baddrehungen 565.
Reclinatio cataractae 385.
Reflexamaurose 152.
Reflexion, totale 40.
Refraction 8. 40. Augenspiegel 183, Diffe-
renz s. Anisometropie, Bestimmung 55,
ophthalmoskopische Bestimmung 198.
Schema 43.
Regenbogenhaut s. Iris.
Reparations-Pannus 470.
Resorptionsgeschwüre 489.
Retina, Ablösung 287, Anämie und Hy-
perämie 269, Anästhesie und Hyperäs-
thesie 14»;. Anatomie 220. Blutungen
280, Oommotio 273. 032, Embolie
293, Epilepsie 294, Erkrankungen 269,
Gliom 296, Ischämie 293. ophthalmo-
skopisches Bild 230. Torpor 148. 284.
289, Verletzungen 289.
Retinitis albescens 279, albuminurica 277,
centralis (Macula lutea) 270. 272, cir-
cumpapillaris 270. haemorrhagica 280,
leukaemica 279, paralytica 244, paren-
chymatosa (exsudativa) 275, pigmen-
tosa 260.282, proliferans 280, sünplex
270. syphilitica 271.
Retinoskopie 209.
Retrobulbäre Neuritis 243. 257.
Rheumatische Affectionen 112. 255. 509.
523. 53$. 556. 588.
Richtungsstrahl 29.
Rothblindheit 127.
Roth-Grünl »lindheit 127.
Rotz 025.
Rücklagerung von Augenmuskeln 005.
Scaritieationen 423. 070.
Scharlach 255. 258. 406. 409. 429. 409. 625.
Sekeiner'scher Versuch 44.
Schichtstar 365.
Schiefe Beleuchtung 197.
Schielen 569, alternirendes 597, concomi-
tirendes 591, convergirendes 570, diver-
girendes 570, Operation 004, paraly-
tisches 572, periodisches 597. schein-
bares 71. 92.
Schielwinkel 570.
Schieloperation. Enderfolg 611.
Sehlemm'scher Canal 227.
Schneeblindheit 148.
Schreibmaterial und Schrift 83.
Schriftproben (s. Sehproben) 8.
Schule 75. 79.
Schutzbrillen 11.
Schutzverband 12.
Schwachsichtigkeit s. Amblyopie,
Schwangerschaft 144. 1-18.
Schwarze« Star s. Amaurose.
Schweüungskatarrh" 128.
Schwindel bei Lähmungen 579.
Sclera, Anatomie 506, Erkrankungen 506,
Geschwülste 511, Staphylome 509, Ver-
letzungen 510.
Scleralring 231.
Scleratonyxis 385.
Sclerectasia posterior 73. 306.
Scleritis 506.
Sclerosirendes Hornhautinfiltrat 483.
Sclerotico-chorioiditis posterior 73. 306.
Sclerotomie 351.
Scopolamtn 19.
Scorbut 281 508.
Scotome 123. 138. 258.
Scrophulose Conjunctivitis bei 409. 421.
428. 438. 443, Keratitis 458. 460. 462.
469. 481. 486, Scleritis 509, Iritis 523,
Lidentzündung 637. 638, Periostitis
623. 637. 638. 608.
Seborrhoea marginalis 638.
Seelenblindheit 145.
Sehcentrum 145. 146.
Sehen, binoculares 161, körperliches 101.
677.
Sehlinie 39.
Sehnerv s. Opticus.
Sehroth 222. 236.
Sehschärfe, centrale 8, Bestimmung der-
selben 55, 66. 118, excentrische 123,
periphere 8. 119, cpialitative 119, quan-
titative 119.
Sehweite, deutliche 178.
Semidecussation 139. 217.
Senile Katarakt 368.
Septikämie (vgl. Pyämie) 280. 473.
Siderosis bulbi 322.
Simulation 155.
Simultancontrast 132.
Skiaskopie 209.
Snellen'sche Tafeln 58.
Sondiren des Thränennasencanals 060.
Sonnenlicht, Retinitis durch directes 272,
Neuritis durch 203.
Sonnenstich 256.
Spectralfarben 34. 132.
Sphärische Gläser 25.
Staphvloma corneae 484. 498, intercalare
509, pellucidum 500, posticum Scarpae
73. 306, sclerae 509.
Star, grauer s. Cataracta, grüner s. Glau-
coma, -Brillen 395, Reife 362. 375,
schwarzer s. Amaurose.
Stauungspapille 245.
Stenopäische Brillen 34.
Stereoskop 162, bei Simulationen 156,
bei Strabismus 603. 611. 615.
Stickhusten. Blutungen bei 450.515. 647.
688
Alphabetisches Register.
Stokes'sche Linse 102.
Strabismus s. Schielen.
Strabometer 575.
Stricturen der Thränenwege «>or>.
Subsellien 80.
Siu-tion des Stares 387.
Sudainina 640.
Symblepharon 448.
Sympathische Augenleiden 540.
Synclivsis 315, acintillans 317.
Syndesmitis s. Conjunctivitis.
Synechie, hintere 514. 517, vordere 485.
Syphilitische Affectionen der Conjunctiva
454, des Lidrandes 640, Chorioiditis 302,
des Glaskörpers 318, Iritis 521. 523,
Keratitis 481, Neuritis 244. 247. 255.
257. 263, der Retina 269. 271. 286,
Accommodationslähmung bei 112, Pu-
pillenstarre 527, Amblyopie bei 136.
141, Sehnerven-Atrophie 262, Scleritis
509, der Augenmuskeln 588, der Orbita
623, des Lides 640. 646, des Thränen-
sackes 668.
Tabes 263. 528. 587.
Tarsoraphie 629.
Tarsus 635, Erkrankungen 646.
Tätowirung 496.
Teichoskopie 151.
Teleangiektasie der Lider 649.
Tenon'sche Kapsel 561. 609. 621, Ent-
zündung 625
Tenotomie 604
Tension 7. 332.
Thränencarunkel 399, 454.
Thränendrüse, Anatomie 660, Erkrankung
662, Exstirpation 6(53.
Thränennasencanal, Anatomie 660, Er-
krankungen 663.
Thränenorgane 660.
Thränenröiirchen 661. 663.
Thränensack, Anatomie 661, Blennorrhoe
168. 665, Entzündung 664, Eistel 664,
Obliteration 671.
Thrombose der Vren. centr. retinae 282,
der Orbitalvenen 623.
Tonometer 8. 332.
Topica, medicamentöse 16.
Torpor retinae 148. 2<s4. 289.
Toucliiren der Conjunctiva 16. 404. 423.
Trachom 430. 411, Follikel 412.
Transplantation der Cornea 496.
Trepanatio corneae 496. 501.
Trichiasis 611.
Trichinose 588. 647.
Trübungen des Glaskörpers 315, der
Hornhaut 491.
Tuberkeln der Chorioidea 310, der Con-
junctiva l.".l. Glaskörper 319, Iris 531.
Tuberculose 310. 319. 451. 523. 531. 539.
556. 668.
Tunica uvea, Anatomie der 224.
Typhus 136. 318. 356. 406. 469. 523. 528.
539. 556. 624. 641.
TJebersichtigkeit = Hyperopie.
Ulcus rodens corneae 490, serpens cor-
neae 466.
Uletomie 354.
Umschläge, kalte 15. laue 15.
Unfall 165, -Versicherung 674.
Unguis 467.
Unterdrückung von Netzhautbildern 502.
Untersuchung- des Auges 3.
Urämische Amaurose 153. 278.
Uterinleiden 146. 150. 154. 257. 295. 527.
(vgl. auch Syphilis.)
Vaccine 450.
Variola 409. 429. 469. 509. 523. 539. 556.
Vaseline 17.
Venenpuls 233.
Verband, antiseptischer 12, feuchter anti-
septischer 15. 23.
Verbrennung der Conjunctiva 453, Cor-
nea 504.
Verdunkelung der Zimmer 11. 429.
Verflüssigung des Glaskörpers 315.
Verkalkung der Linse 359.
Verknöcherung der Chorioidea 313.
Verletzung des- Augapfels 672. Ciliar-
körper 509. 539, Conjunctiva 453, Cor-
nea 502, Glaskörper 320. Iris 529,
Linse 370. 374, Orbita 602,'Sclera 509,
durch Anlegung der Geburtszange 286.
Vornähung der Augenmuskeln 608.
Winkel a 73.
Winkel y 72.
Wurstvergiftung
mung bei 112.
Accommodationsläli-
Xanthelom der Lider 649.
Xerophthalmus 447.
Xerosis conjunctivae 447. 659.
Young-Helmholtz'sche Farbentheorie 126.
Zahnleiden, Hinausrücken des Nahe-
punktes bei 1 12.
Zerreissung der Chorioidea 309, der Sclera
510.
Zerstörung des Thränensackes 671.
Zerstreuungskreise 41.
Zonula Zinna 357.
Zoster ophthalmicus 112. 403. 646.
Farbendrucktafeln.
Figur 1. Normaler Augenhintergrund mit Macula lutea. Die Papilla
optica ist von einem Scleral- und Chorioidealring umgeben.
Umgekehrtes Bild.
Figur 2. Normaler Augenhintergrund von einem etwas dunkler pig-
mentirten Individuum. Physiologische Excavation der Papille.
Im unteren Theil der Abbildung treten die Intervascularräume
stärker hervor.
Figur 3. Doppelcontourirte Nervenfasern neben der Papille.
Figur 4. Colobom der Chorioidea,
Figur 5. Atrophia n. optici.
Figur 6. Netzhautablösung mit Faltenbildung.
Figur 7. Glaukomatöse Excavation der Papille.
Figur 8. Retinitis albuminurica mit den charakteristischen Stippchen in
der Gegend der Macula lutea.
Figur 9. Staphyloma posticum. Die Farbendifferenz zwischen dem Theil
der Sichel, welcher der Papille näher sitzt, und dem femer
gelegenen deutet an, class der Process absatzweise fortge-
schritten ist.
Figur 10. Chorioiditis. Der nach oben und links laufende Venenast
wird zum Theil durch in die Netzhaut geschwemmtes Pigment
gedeckt (Chorio-Retinitis).
Figur 11. Retinitis apoplectica.
Figur 12. Papillitis bei Hirntumor.
Schmidt-Rimpler. 7. Auflage. 44
Medicinischer Verlag
von
S. HIRZEL in LEIPZIG
Die hier angezeigten Bücher sind durch jede Buchhandlung oder auch direkt
vom Verleger, S. Hirzel in Leipzig, Königsstrasse 2, zu beziehen.
Handatlas
der
Anatomie des Menschen
in 750 theils farbigen Abbildungen mit Text.
Mit Unterstützung
von Wilhelm His, Professor der Anatomie an der Universität Leipzig
bearbeitet von
Werner Spalteholz
a. o. Professor an der Universität Leipzig nnd Custos der anatomischen Sammlungen.
Drei Bände.
Dritte Anflage (7—10. Tausend).
I. Knochen, Gelenke, Bänder. Preis geheftet 13 Mark, gebunden 14 Mark.
II. Regionen, Muskeln, Fascien, Herz, Blutgefässe. Preis geh. 13 Mark, geb. 14 Mark.
III. I. Eingeweide. Preis geheftet 8 Mark.
III. 2. Gehirn, Nerven, Sinnesorgane (befindet sich im Druck).
Die Abbildungen sind in ein- und mehrfarbiger Autotypie hergestellt, weil
dieses mechanische Verfahren die Originale in weit grösserer Naturtreue wieder-
giebt, als es der Holzschnitt vermag.
Für die Namen im Text und an den Abbildungen ist durchweg die neue ana-
tomische Nomenclatur zu Grunde gelegt worden.
Als Ergänzung des Handatlas der Anatomie von W. Spalteholz ist erschienen:
Handbuch der Anatomie des Menschen
mit einem Synonymenregister auf Grundlage der neuen Baseler
anatomischen Nomenclatur.
Unter Mitwirkung von W. His und W. Waldeyer
bearbeitet von
W. Krause
in Berlin.
I. Abtheilung: Osteologie, Syndesmologie, Myologie.
=^= Preis 4 Mark. ==
Das Handbuch enthält keine Abbildungen, sondern ist als Text zu dem Atlas
gedacht, auf dessen Figuren es am Rande der Druckseiten verweist.
Beide Werke vereinigen sich somit zu einem ausführlichen Handbuch der
Anatomie mit mustergiltigen farbigen Abbildungen.
Lehrbuch
der
Physiologie des Menschen
von
Dr. Robert Tigerstedt
Professor der Physiologie an der Universität Helsingfors.
Zwei Bände.
Mit 328 teilweise farbigen Abbildungen im Text.
Preis geheftet 24 Mark, gebunden 28 Mark.
Die Abgrenzung des physiologischen Lehrstoffes ist eine schwierige. Im vor-
liegenden Falle kann nicht bloss diese Aufgabe als gelungen angesehen werden,
sondern die Auswahl der medicinisch und biologisch wichtigsten Capitel ist ausser-
dem so sorgfältig geschehen, dass sie fast allgemeines Interesse beanspruchen können:
ein Umstand, der für das Lehrbuch um so höher in Anschlag kommt, da der junge
Mediciner gar oft den Lehrstoff der Physiologie als lästigen Prüfungsballast be-
trachtet, uneingedenk der grossen Wichtigkeit desselben für das praktische Können.
Dazu kommt noch die leichtfassliche Dai'stellung selbst schwieriger Capitel (Ohr,
Raumvorstellung, Zelle) , die fliessende Diction und die lobenswerte Uebersichtlich-
keit, da die wichtigsten physiologischen Lehrsätze in gesperrtem Drucke gegeben
sind. — Das Lehrbuch zerfällt in zwei Teile. Im ersten Band kommen, nach kurzer
Besprechung der gebräuchlichsten physiologischen Methoden, der Eigenschaften,
Lebensbedingungen und Lebenserscheinungen der Organismen und der Einwirkungen
der äusseren Einflüsse auf dieselben, die grossen Capitel Ernährung, Verdauung,
Blut und Athmung zur Sprache. Mit den drüsigen Organen, Abbau des Körpers,
Ausscheidungen, Körpertemperatur schliesst der erste Band. Der zweite Band ent-
hält die Physiologie der Muskeln, der Sinne, des Nervensystems, der Zeugung und
Entwicklung. Die zahlreichen Illustrationen unterstützen das leichte Verständnis.
Angeio Mosso
o. Professor der Physiologie an der Universität Turin.
Die Furcht.
Aus dem Italienischen übersetzt
von W. Finger.
Deutsche Originalausgabe. Mit 7 Holz-
schnitten u. 2 Tafeln. Preis geheftet 5 Mk.
Die Ermüdung.
Aus dem Italienischen übersetzt
von J. Glinzer.
Deutsche Originalausgabe. Mit 30 Holz-
schnitten. Preis geheftet 6 Mark.
J. Gad und J. F. HeVITianS, Kurzes Lehrbuch der Physiologie
£ 1 des Menschen. Mit 62 Abbildungen in
Holzschnitt und einer lithograph. Tafel. 1S92. Geheftet 10 Mark, gebunden
11 Mk. 40 Pf.
Carl Llldwid ^*e Physiologischen Leistungen des Blutdrucks.
**_' Mk. — .50. — Die wissenschaftliche Thätigkeit in
den physiologischen Instituten. Mk. —.50.
Carl Ludwig und F. Schweigger-Seidel, ?ie i^mphgeßsse
r 2E : der Fascien und
Sehnen. Mit 3 Tafeln. Folio. Mk. 8.—.
Die Krankheiten der Frauen
für Aerzte und Studierende
dargestellt von
Dr. med. Heinrich Fritsch
Professor der Gynäkologie und Geburtshülfe, Geh. Medicinalrath und Director
der Königlichen Frauenklinik an der Universität zu Bonn.
Neunte, völlig umgearbeitete Auflage.
Mit 271 Abbildungen in Holzschnitt.
Preis geheftet 13 Mark 60 Pf., gebunden 15 Mark.
Heinrich FritSCh Tabulae gynaecologicae. Gynäkologische Wand-
' tafeln zum Unterricht. 20 Tafeln von 90:110 cm, mit
Text in deutscher, französischer und englischer Sprache. 1885. Preis CO Mark.
(Probetafel gratis und franco.)
Aus der Breslauer Frauenklinik. Bericht über die gynäkologischen
Operationen des Jahrgangs 1891/92. Mit 13 Abbildgn. in Holzschn. 6 Mk.
Lehrbuch der Gynäkologischen Diagnostik
von
Dr. Georg Winter
o. ö. Professor der Gynäkologie, Medicinalrath und Director der Kgl. Universitäts-Frauenkliuik
zu Königsberg.
Unter Mitarbeit von
Prof. Dr. Carl Rüge in Berlin.
Mit 20 Tafeln und 140 Textabbildungen.
Zweite Auflage.
Preis geheftet 14 Mark, gebunden 16 Mark.
Aus dem Vorwort: Ich fühle mich zu der Bearbeitung der gynäkologischen Diagnostik dadurch
veranlasst, dass ich seit acht Jahren dieses Gebiet lehre ; dabei habe ich mich eingehend mit der
Verfeinerung derselben beschäftigt und meine Ansichten in eine Form gebracht, deren didaktische
Brauchbarkeit ich vielfach erprobt habe. Den Wünschen des praktischen Arztes bin ich dadurch
entgegengekommen, dass ich allen diagnostischen Punkten, welche ich in dem langjährigen engen
Verkehr mit meinen ärztlichen Zuhörern als wichtig erkannt habe, eine besondere Berücksichtigung
schenkte. Auf diese Weise habe ich mein Lehrbuch im unmittelbaren Anschluss an den Unter-
richt geschrieben und hoffe, mit demselben dem Lernenden und dem praktisch thätigen Arzte zu-
gleich nützen zu können.
Pathologische Anatomie
der
weiblichen Sexualorgane
von
Dr. C. Gebhard
a. o. Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität zu Berlin.
Mit 200 zum Teil farbigen Abbildungen.
Preis geheftet 18 Mark, gebunden 20 Mark.
Uterus und Kind
von der ersten Woche der Schwangerschaft bis zum Beginn
der Geburt und der Aufbau der Placenta.
Geburtshülflich - anatomischer Atlas
30 Tafeln enthaltend,
mit erläuterndem Text und 5 Texttafeln.
Herausgegeben
von
Professor Dr. G. Leopold
Geheimen Medicinalrath, Director der kgl. Frauenklinik und ordentlichem Mitgled
des kgl. Landes -Medicinal-Collegium in Dresden.
Preis für Atlas mit Text 120 Mark.
OPERATIONES TOKOLOGICAE
TABULAE XXX
IN USUM
STUDIOSORUM MEDICINAE
QUI IN OPERATIONIBUS PERPETRANDIS PHANTOMATE
ADHIBITO EXERCENTUB
EDITAE
A
PAULO ZWEIFEL
AliTIS OUSTETRICIAE ET GYNAKKOUXlIAK l'KOFKKKORE PUBLICO OKDINARIO LIPSIENSI.
Preis 36 Mark.
4
Die
Pathologie der weiblichen Sexualorpie
in Lichtdruck - Abbildungen
nach der Natur in Originalgrösse durch anatomische und klinische Erfahrungen
erläutert von
F. von Winckel
K. ß. Geheimem Eatb, Professor der Gynäkologie, Director der Kgl. Universitäts-Frauenklinik,
Mitglied des Medicinal-Oomites der Universität und des K. Obermedicinalausschusses in München.
Mit 49 Tafeln und 5 Holzschnitten.
Preis gebunden 70 Mark.
Lehrbuch
der
Frauenkrankheiten
von
Dr. F. von Winckel.
Mit 206 Holzschnitten. Zweite umgearbeitete Auflage.
Preis geheftet 16 Mark, gebunden 18 Mark 50 Pf.
WinrllPl F V Berichte und Studien ans dem königl. sächsischen Ent-
"' bindungs-Institute in Dresden. 3 Bände. 34 Mark 40 Pf.
1. Band: Mit 11 Holzschnitten und 4 lithographirten Tafeln. 1874.
10 Mark 40 Pf.
2. Band: über die Jahre 1874 und 1875. 1876. 10 Mark.
3. Band: über die Jahre 1876, 1877 und 1878. Mit 10 lithographirten
Tafeln. 1879. 14 Mark.
Arbeiten aus der königl. Frauenklinik in Dresden, gr. 8.
I. Band: 1. Die königliche Frauenklinik in Dresden 1884—1891, nament-
lich als Unterrichtsanstalt für Aerzte. 2. Die geburtshilflichen
Operationen bei engem Becken: Künstliche Frühgehurt, Wendung und
Extraction, Perforation, Sectio caesarea und Symphyseotomie. Von
G. Leopold. Mit 10 Abbildungen und 1 Curventafel. 1893. 15 Mark.
II. Band: Geburtshülfe und Gynäkologie von G. Leopold. Mit 2 litho-
graphischen Tafeln, 12 Curventafeln und 37 Abbildungen. 1895.
24 Mark.
Universitäts- Frauenklinik, "''f'*' "T-lT tfÄ
7 1884 — 1890. Berichte und Studien.
Herausgegeben von F. v. Winckel. 1892. 16 Mark.
Lehrbuch
der
Kinderkrankheiten
für Aerzte und Studirende
von
Dr. Adolf Baginsky
a. 0. Professor der Kinderheilkunde an der Universität Berlin, Director des Kaiser- und
Kaiserin Friedrich-Kinderkrankenhauses.
Sechste vielfach vermehrte und verbesserte Auflage.
= Preis geheftet 20 Mark, gebunden 21 Mark 80 Pf. =
Diese ti. Auflage des Lehrbuches der Kinderkrankheiten erscheint nach einer erneuten,
eingehenden und sorgsamen Durcharbeitung des ganzen Werkes. Ist auch an der erprobten,
und durch die bisherige günstige Aufnahme, von der medicinischen Welt gebilligten Anlage und
Anordnung, eine wesentliche Aenderung nicht getroffen worden , so ist doch kaum ein einziger
Abschnitt vorhanden, welchem nicht bis zu einem gewissen Grade Verbesserung und Bereicherung
zu Theil geworden ist.
Aetiologie, Prophylaxis und Therapie
der
Rhachitis
von
Dr. Paul Zweifel
K. S. Geh. Medicinalrath, ord. Professor der Geburtshülfe und Gynäkologie an der Universität
in Leipzig.
Preis geheftet 6 Mark.
pe crlteu flnttftjijlidiien «nn w ft|k priwyjlrgf.
SBeleljriutgSbudj für junge grauen uub SMtter Hon
Dr. g% % toon Sfotmon
rocitaub acibni'ät ©v. SDlajcftät bcS ffiönigS tooit ©nd)[cn :c.
@icftemwt>frrdftirtftc gtuftoße, tuttdjflcfcQcu bon
Dr. %. \>on mnätl
©etjetinet !Hatb, ^rofcfjov bcr ©intiitotogic, ©ircctor bcr SUnigtidjen ttni»eifitfit§=3ftnuenttfnil,
SJlitglicb be§ 3Jcebtcinat=Eomite3 bcr Umbcrfttät unb be» ffi. DbermebicinalauSföuffeS in 3ttündjcu.
Wti litelüiflnettc. 12. SßreiS gebunben mit ©olbjclmitt 3 3Rarf 75 5ßf.
SHuö beut si?üVtuovt Des frernuöflcbcrö: 3^cr Sliifforbcnuig be8 SBerlegerS, „"Sic erfien SWuttetbftidjten"
bor einer neuen Stuflage 511 reinbtreu, ift ber Herausgeber gern nacfjgcfommcn; öon Wmmoit'S SBcrf cnt=
bau eine f^üllc wichtiger (5rfafjrung5iäi.\c unb trefflitfjcr SRatrjfdjtfigc, bic fcU»f* &*r ^*?t oft cvft am
iUnnuenlu-tt ber eigenen ffiinbcr fcuitcu unb fdjaöen lernt.
2)a8 ®ud) wirb mand)cr jungen Mutter Söcrinjiguitg unb $alt gcwärjvcn , uidjt weit fic in bcmfctucii
Vlntafe finbct, ftdj mit ärjtltdjcn fingen ju befcfjäftigcn , bereit Seetüre ÜJt bcit ©tauben beibringen tonnte,
al<> nerftetje jic mandjcS Don bcr orjtltdjen fiuntr, foiiberu weit Don 9immon'§ 2Bcrt immer jut eigenen unb
jur Söeobadjtung 2lnberer brängt unb bic ©renjen be§ eigenen SBiffenB für fief) unb Slnbcrc [0 fdjöti barftettt,
baß ber CrntfctjtuB, ftd) an bcS ÜtttteS Cülfc ju wenben, ntdjt metjr nl§ uttaugenefime Scotljwcnbigfeit, foubetn
nt§ ein fcttiftl'erftänblidjer, natürlidjcr SDJnnfdj crfdjcint.
Bottini H. ^'e Chirurgie des Halses. Eine klinische Studio. Deutsche Ueber-
"' setzung von S, Arkel. Mit 52 Abbildungen, gr.
Fkrhpr H specielle Chirurgie für Aerzte und Studirende. Mit J!)0 Abbildungen
■ouiici, ii.. jn Hokschnitt- gr g. iö92. Preis geheftet M. 20.— , g
LellllltlUn-NitSChe R. Beträge zur historischen Chirurgie nach Funden aus
' deutscher Vorzeit. Mit einer Tafel, gr. 8.
ungen. gr. 8. 1898. M. 8.—
Abbildungen
eb. M. 21.S0.
Fanden aus
L898. M. 1.—
Handbuch der Ohrenheilkunde
Für Aerzte und Studirende
von
Dr. Wilhelm Kirchner
Professor der Ohrenheilkunde und Vorstand der otiatrischen Universitäts-Poliklinik in Würzburg.
Sechste Auflage. Mit 44 Abbildungen in Holzschnitt.
Preis geheftet M. 4.80, gebunden M. 0.— .
Das vorliegende Handbuch, welches eine kurze Zusammenfassung der Erkrankungen des
Gehororganes bieten soll, wurde in der Absicht und mit dem Wunsche bearbeitet, den Studirenden
und praktischen Aerzten eine Anleitung zu geben, in vorkommenden Fällen diese Leiden richtig
zu erkennen und, soweit dies möglich, auch mit Erfolg zu behandeln. Es ist daher in der Aus-
wahl und Anordnung des Stoffes hauptsächlich auf die Bedürfnisse des praktischen
Arztes Rücksicht, genommen, weshalb manche Kapitel, die in anderen Lehrbüchern der Ohren-
heilkunde eingehender beschrieben sind, namentlich anatomische und physiologische Schilderungen,
hier nur auf das Notwendigste beschränkt sind.
Schemata zum Einzeichnen ophthalmologischer Krankheitsbefunde
von
Dr. med. Otto Lange.
Preis M. 1.80 (oder in vier einzelnen Couverts ä M. — 50).
Von demselben Verfasser erschien früher:
Topographische Anatomie des menschlichen Orbitalinhalts in Tafeln.
Preis M. 10.—.
Augenheilkunde und Ophthalmoskopie
Für Aerzte und Studirende
bearbeitet von
Dr. H. Schmidt-Rimpler
ord. Prof. der Augenheilkunde, Geh. Medicinalrath u. Director der ophtalmiatrischen Klinik zu Halle.
7. verbesserte Auflage (1901).
Mit 190 Abbildungen im Text und 2 Farbentafeln.
Preis geheftet M. 12. — , gebunden M. 14. — .
Das Buch verfolgt in erster Linie didaktische Zwecke; es bietet die moderne Augen-
heilkunde in einer Form, welche die Aneignung ihres stofflichen Inhalts erleichtert. Dies wird
ermöglicht durch die scharfe, auch äusserlich hervortretende Trennung der einzelnen Abtheilungen
und Cnterabtheilungen, sowie durch die allmählich fortschreitende möglichst wenig voraussetzende
Darstellung. Ebenso hat der Verfasser die Aufnahme der zur Erkennung der itefractions- und
Accommodations-Anomalien erforderlichen mathematischen Vorkenntnisse durch Einschränkung
auf ein möglichst geringes Maass und durch fassliche Vorführung besonders erleichtert. Speciell
ist bei diesem Abschnitt noch auf die Bedürfnisse der Militärärzte nnd Hygieniker Rück-
sicht genommen. — Der Ophthalmoskopie ist eine eingehendere Schilderung gewidmet und
das Dahingehörige auch local zusammengestellt, um den Studirenden einen einigermaassen ab-
geschlossenen Leitfaden zur Benutzung bei ophthalmoskopischen Kursen innerhalb des Rahmens
der Gesammt-Augenheilkunde zu bieten. — Die Allgemeinleiden, soweit sie in Beziehung zu
Augenaffectionen stehen, sind in dem alphabetischen Sachregister aufgeführt, und damit ist ein
besonderes Kapitel über diese Beziehungen, das viele Wiederholungen würde enthalten müssen,
entbehrlich geworden. — Die zwölf am Schlüsse des Buches auf zwei Tafeln zusammengestellten
ophthalmoskopischen Bilder können wohl den bestgelungenen farbigen Darstellungen dieser Art
zugerechnet werden.
Schliesslich bedarf es kaum besonderer Erwähnung, .dass der Verfasser dem Fortgänge
seiner Wissenschaft sorgfältigst auf Schritt und Tritt gefolgt ist und demnach in dieser siebenten
Auflage seines Lehrbuches ein Werk bietet, das ganz und gar auf der Höhe der Zeit steht.
SCHMIDTS JAHRBÜCHER
DER
IN- USD AUSLÄNDISCHEN
GESAMMTEN MEDICIN.
Herausgegeben von
P J. Möbius und H. Dippe
in Leipzig.
68. Jahrgang.
gr. Quart. 12 Hefte ca. 180 Druckbogen. Preis 36 Mark.
Inhalt der einzelnen Hefte:
A. Originalabhandlungen und Übersichten.
B. Auszüge.
Medicinische Physik, Chemie und Botanik.
Anatomie und Physiologie.
Allgemeine Pathologie und pathologische
Anatomie.
Pharmakologie und Toxikologie.
Neuropathologie und Psychiatrie.
C. Bücheranzeigen.
D. Medicinisehe Bibliographie des In- und Auslandes. Sach- und
Namensregister.
Innere Medicin.
Gehurtshülfe , Frauen- und Kinderheil-
kunde.
Chirurgie, Augen- und Ohrenheilkunde.
Hygiene und Staatsarzneikunde.
Medicin im Allgemeinen.
Nie war es schwieriger für den Arzt, der Ent Wickelung seiner Wissen-
schaft zu folgen, als jetzt. Unübersehbar gross ist die Literatur und, was
Goethe voraussah, haben wir thatsächlich für die Medicin: eine Weltliteratur,
denn in allen gebildeten Völkern wird auf gleicher Grundlage gearbeitet und
keine Sprachgrenzen trennen die Arbeiter. Der Einzelne steht dieser Fülle
hülflos gegenüber und ist in Gefahr, entweder dem wissenschaftlichen Leben
und Wachsen ganz fremd zu werden, oder doch sich in einem engen Kreise,
irgend einem Sonderfache eingeschlossen zu sehen. Dieser Gefahr beugen
unsere Jahrbücher vor, denn „Schmidfs Jahrbücher der in- und ausländischen
gesammten Medicin" enthalten ein so vollständiges Bild der medicinischen
Literatur, wie es nirgends sonst zu finden ist. Sie bringen so rasch und so
ausführlich wie möglich Nachricht von allen wichtigen Fortschritten und
suchen in erster Linie den Bedürfnissen des Arztes zu entsprechen, indem sie das
praktisch Wichtige voranstellen. Besonders geschätzt sind seit lange die
regelmässig wiederkehrenden Uebersichten über hervorragend wichtige und
..actuelle" Themata. Die Bibliographie der Jahrbücher, welche von keiner
anderen an Vollständigkeit und Uebersichtlichkeit erreicht wird, ist auch durch
ihre „Verweise" ausserordentlich praktisch, so dass der wissenschaftliche
Arbeiter rasch die gesuchten Nachweise finden kann.
Die Jahrbücher werden in Zukunft bestrebt sein, ihre alten Vorzüge zu
bewahren und neue zu gewinnen. Insbesondere ist beabsichtigt, durch kurze,
regelmässig wiederkehrende Aufsätze aus der Feder hervorragender Gelehrter
die Uebersicht über alle praktischen Fächer zu erleichtern. So soll über jedes
Hauptgebiet der Medicin auf die einzelnen Hefte vertheilt jährlich je ein Be-
richt erscheinen, der einen Ueberblick über die Fortschritte, die neuen Er-
gebnisse und die wichtigsten Erscheinungen des vergangenen Jahres bietet.
Die Bearbeitung derartiger Uebersichten zu übernehmen haben sich zu-
nächst bereit erklärt die Herren:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. H. Fritsch (Bonn): Gynäkologie u. Geburtshülfe,
Geh. Med.-Eath Prof. Dr. H. Helferich (Kiel): Chirurgie,
Geh.-Rath Prof. Dr. 0. Heubner (Berlin): Kinderkrankheiten,
Prof. Dr. G. Riehl (Leipzig): Haut- und Geschlechtskrankheiten,
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. H. Schmidt- Rimpler (Halle): Augenheilkunde.
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. H. Senator (Berlin): Innere Krankheiten,
Prof. Dr. W. Spalteholz (Leipzig): Anatomie,
Prof. Dr. R. Tigerstedt (Helsingfors): Physiologie.
Auch sollen noch mehr als bisher eigentliche Originalarbeiten, soweit
diese auf allgemeine ärztliche Theilnahme rechnen können, gebracht werden.
Auf diese Weise hoffen wir, zu den alten Freunden neue hinzu erwerben zu
können und den seit beinahe siebzig Jahren bewährten Ruf der Jahrbücher
im In- und Auslande zu bewahren.
Die Herausgeber Der Verleger
P. J. Möbius. H. Dippe. S. Hirzel.
KueSSner, B., und R. Pott, Die acuten «nfectionskrankheiten. gr. S^ 1882.
Wpcpiipi* F Lehrbuch der chemischen Untersuchungsmethoden zur Diagnostik
«Ubeiiei, r., innerer Krankheiten. Mit 28 Abbildungen in Holzschnitt, gr. 8.
1890. geb. Mk. 6.—, gbdn. Mk. 7.20.
Qipnlp P Die Behandlung der Hals- und Lungenieiden mit Inhalationen. 3., stark
Oieyie. c, vemehl.te Auflage, gr. 8. 1809. Mk. 4.—
Lehrbuch
der
Klinischen Untersuchungsmethoden
innerer Krankheiten
von
Dr. Hermann Eichhorst
o. ö. Professor der spec. Pathologie u. Therapie u. Director der medicinischen Universitätsklinik
in Zürich.
Vierte umgearbeitete Auflage.
rz= Mit 281 Abbildungen in Holzschnitt. =n
Preis geheftet 20 Mark, gebunden 21 Mark 80 Pf.
Inhalt: Constitution des Kranken. Lage des Kranken. Gesichtsausdruck des
Kranken. Bewusstsein des Kranken. Untersuchung der Körpertemperatur. Unter-
suchung des Pulses. Untersuchung der Haut. Untersuchung der Respirationsorgane.
Untersuchung des Circulationsapparates. Untersuchung des Verdauungsapparates. Unter-
suchung des Harn- und Geschlechtsapparates. Untersuchung der Nerven und Muskeln.
Der Inhalt der vorliegenden vierten Auflage ist im Vergleiche zu ihren Vorgänge-
rinnen ein umfangreicherer geworden, denn während früher nur die physikalischen
Untersuchungsmethoden besprochen wurden, sind diesmal alle solche klinischen
Untersuchungsmethoden dargestellt, welche für die Erkennung von inneren Krank-
heiten von Wichtigkeit sind.
Gedanken und Gespräche
aus
Schweninger's Aerzteschule.
Erstes Heft: Magen und Magengymnastik.
Preis geheftet I Mark 50 Pf.
FÜrbriliper P. Die 'nneren Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane, für
2 1 L' Aerzte und Studirende. 2. umgearbeitete und vermehrte Auf-
lage. Mit 18 Abbildungen in Holzschnitt, gr. 8. 1890.
geh. Mk. 12.—, gebdn. Mk. 13.60.
Hebra. H V Dil' krankhaftei1 Veränderungen der Haut und ihrer Anhangsgebilde,
1 '. — 12 mit ihren Beziehungen zu den Krankheiten des Gesamtorganismus
dargestellt. Mit 35 Abbildungen in Holzschnitt, gr. 8. 1884.
geh. Mk. 12.—, gebdn. Mk. 13.00.
Knnn C Lehrbuch der venerischen Erkrankungen, für Aerzte und Studirende.
HH' ' Mit 25 Abbildungen in Holzschnitt, gr. 8. 1889.
geh. Mk. 12.—, gebdn. Mk. 13.00.
10