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Full text of "Augenheilkunde und Ophthalmoskopie : für Aerzte und Studirende"

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PURCHASED  FROMTHE  INCOME  OF  THE 

SAMUEL  WHEELER  WYMAN 
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AUGENHEILKUNDE 

UND 

OPHTHALMOSKOPIE. 


PUB 

AERZTE  UND  STUDLRENDE 

BEARBEITET 

VON 

Dp,  HERMAM  SCHMIDT-ßIMPLEß, 

ordentl.  Professor  der  Augenheilkunde, 
(^eh.  Medicinalrath  und  Director  der  ophthalmiatrisclien  Klinik  zu  Halle  a.  S. 


SIEBENTE  VERBESSERTE  AUFLAGE. 


MIT  190  ABBILDUNGEN  IN  HOLZSCHNITT  UND  ZWEI  FARBENDRUCKTAFELN. 


LEIPZIG, 

VERLAG  VON  S.  HIRZEL. 
1901. 


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Alle  Rechte,  auch  das  der  Uebersetzung  in  fremde  .Sprachen,  vorbehalten. 


Druck  von  August  Pries  in  Leipzig 


Vorwort. 


Das  vorliegen  Je  Buch  verfolgt  in  erster  Linie  didaktische  Zwecke: 
es  soll  die  moderne  Augenheilkunde  in  einer  Form  bieten,  welche  die 
Aneignung  ihres  stofflichen  Inhalts  erleichtert.  Dazu  war  vor  Allem 
eine  scharfe,  auch  äusserlich  hervortretende  Trennung  der  einzelnen  Ab- 
teilungen und  Unterabtheilungen,  sowie  eine  allmählich  fortschreitende, 
möglichst  wenig  voraussetzende  Darstellung  erforderlich.  So  erklärt 
sich  auch  die  Aufnahme  der  zum  Yerständniss  nothwendigen  optischen 
und  anatomisch-physiologischen  Thatsachen.  Besonders  wichtig  erschien 
mir  dies  bei  dem  Kapitel  der  Refractions-  und  Accommodationsanomalien, 
dessen  Beherrschung  ohne  diese  Vorkenntnisse  unmöglich  ist.  Da  ich 
aus  Erfahrung  den  weitverbreiteten  — -  es  lässt  sich  schwer  feststellen, 
ob  angeborenen  oder  anerzogenen  —  Widerwillen  der  Mediciner  gegen 
Mathematik  kenne,  habe  ich  letztere  auf  eine  so  homöopathische  Dosis 
beschränkt,  dass  selbst  der  rechnen-  und  formelscheueste  Studirende  sie 

ohne  nachtheilige  Wirkung  vertragen  kann.    Das  Behalten  von  >= — (~t, 

was  für  die  Praxis  ungefähr  ausreicht,  dürfte  weder  zu  körperlicher 
noch  geistiger  Ueberbürdung  Anlass  geben.  Aber  gerade  die  Kenntniss 
der  Brechungsanomalien  wird  in  der  ärztlichen  Wirksamkeit  eine  her- 
vorragende Verwendung  finden,  wenn  man  endlich  von  der  leidigen 
Gewohnheit  abkommt,  die  Patienten  zum  Zweck  der  Brillenwahl  einfach 
zum  Optiker  zu  schicken:  es  ist  das  etwa  ebenso,  als  wenn  man  dem 
Apotheker  die  Behandlung  seiner  Kranken  anvertrauen  wollte.  Eine 
besondere  Bedeutung  haben  die  Refractionsuntersuchungen  —  neben 
den  Seh-  und  Farbenblindheitsbesrimmungen  —  noch  für  die  Hygieniker 
und  Militärärzte :  ich  habe  deshalb  auch  auf  deren  specielle  Bedürfnisse 
an  betreffender  Stelle  Rücksicht  genommen.  —  Weiter  ist  der  Ophthal- 
moskopie   eine    eingehendere    Schilderung   gewidmet   und    das   Dahin- 


IV  Vorwort. 

gehörige  auch  loeal  zusammengestellt  worden,  um  den  Studirenden  einen 
einigermaassen  abgeschlossenen  Leitfaden  zur  Benutzung  bei  ophthal- 
moskopischen Cursen  innerhalb  des  Rahmens  der  Gesammtaugenheil- 
kunde  zu  bieten.  Hingegen  ist  die  Operationslehre,  soweit  sie  für  den 
Gebrauch  des  Praktikers  weniger  in  Betracht  kommt,  nur  in  ihren 
Hauptzügen  dargestellt:  das  hier  Gewonnene  ist  der  sonstigen  Therapie 
zu  Gute  gekommen. 

Dass  ich  übrigens  nicht  nur  „nach  berühmten  Mustern"  gearbeitet 
habe  und  neben  der  kritischen  Sichtung  des  Ueberlieferten  mancherlei 
Eigenes  in  Form  und  Inhalt  bringe,  wird  der  fachkundige  Leser  bald 
erkennen. 

Marburg,  im  Oetober  1884. 

H.  Schmidt  -Rimpler. 


Zur  zweiten  Auflage. 

Die  freundliche  Beurtheilung  seitens  der  Fachgenossen  sowie  der 
schnelle  Absatz  der  ersten  Auflage  haben  mir  gezeigt,  dass  die  auf  das 
vorliegende  Buch  verwandte  Arbeit  nicht  nutzlos  gewesen  ist.  Ich  habe 
mich  auch  jetzt  bemüht,  dasselbe  durch  Verbesserungen  und  durch  Ein- 
fügung der  neuesten  Fortschritte  (so  der  Anwendung  des  Cocains,  exac- 
terer  Methodik  der  Lichtsinn-Messungen  u.  s.  w.)  auf  der  Höhe  der  Zeit 
zu  halten.  Eine  erhebliche  Erweiterung  hat  das  alphabetische  Register 
erfahren,  indem  die  Allgemein-Erkrankungen,  soweit  sie  in  dem  Werke 
Erwähnung  gefunden,  aufgeführt  sind:  auf  diese  Weise  wird  man  eines 
besonderen  Kapitels  über  die  Beziehungen  der  Augenaffectionen  zu  All- 
gemeinleiden, das  immerhin  vielfältige  Wiederholungen  enthalten  würde, 
am  ehesten  entrathen  können. 

.Marl)  arg.  den  1.  April  1886. 

H.  Schmidt -Rimpler. 


Zur  vierten  Auflage. 

Trotz  der  kurzen  Zeit,  welche  zwischen  dem  Erseheinen  der  dritten 
und  dieser  Auflage  verflossen  ist,  haben  sich  doch  mancherlei  Zusätze 
und  Veränderungen  in  Folge  neuerer  wissenschaftlicher  Arbeiten  als 
nöthig  erwiesen.  Weiter  sind  an  der  Farbendrucktafel  und  an  mehreren 
Holzschnitten  Verbesserungen  angebracht  und  einige  Kapitel,  wie  bei- 
spielsweise die  operative  Technik  und  die  Skiaskopie,  etwas  ausführlicher 
behandelt  worden. 


Vorwort.  y 

Somit  glaube  ich,  gestützt  auf  die  bisherige  Verbreitung  des  Buches 
und  die  mehrfachen  Uebersetzungen  in  fremde  Sprachen,  auch  für  diese 
neue  Ausgabe  eine  wohlwollende  Aufnahme  erhoffen  zu  dürfen, 


Marburg,  den  19.  März  L889. 


H.  Schmidt- Itimpler. 


Zur  fünften  Auflage. 

Durch  das  Entgegenkommen  des  Herrn  Verlegers  erscheint  diese 
Auflage  in  grösserem  Format  und  reicher  ausgestattet.  Die  ophthal- 
moskopischen Bilder  sind  neu  gezeichnet  und  in  ihrer  Zahl  erheblich 
vermehrt:  ich  meine,  dass  sie  jetzt  den  bestgelungenen  farbigen  Dar- 
stellungen dieser  Art  zugerechnet  werden  können.  Der  Text  hat  die 
letztjährigen  Forschungen,  soweit  ihre  Wiedergabe  in  den  Plan  dieses 
Lehrbuches  passte,  entsprechend  berücksichtigt  und  ist  besonders  nach 
der  pathologisch-anatomischen  Seite  hin  erweitert  worden. 

Göttingen,  Ostern  1891. 

H.  Schmidt -Rimpler. 


Zur  siebenten  Auflage. 

Die  vorliegende  Auflage  ist  den  Fortschritten  der  ophthalmologischen 
Wissenschaft  entsprechend  umgearbeitet  und  erweitert  worden;  beson- 
ders waren  es  die  Ergebnisse  der  bacteriologischen  Untersuchungen, 
welche  eine  eingehendere  Berücksichtigung  erforderten.  In  einem  neu- 
hinzugefügten Anhang  habe  ich  die  Verletzungen  und  die  durch  sie 
bedingte  Herabsetzung  der  Erwerbsfähigkeit  im  Zusammenhange  be- 
handelt. 

Halle  a.  S.,  Ende  März  1901. 

H.  Schmidt -Rimpler. 


Inhaltsverzeichniss. 


Erster  Theil. 

Seite 
Erstes  Kapitel.     Allgemeine  Bemerkungen  über  Untersuchung  und 

Behandlung  des  Auges 3 

A.  Untersuchung  des  Auges 3 

B.  Behandlung  der  Augenleiden 11 

Zweites  Kapitel.     Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation  .  24 

A.  Allgemeiner  Theil 24 

1.  Optische  Einleitung 24 

2.  Physiologische  Optik 38 

3.  Refraction  und  Accommodation 40 

B.  Specieller  Theil 68 

1.  Myopie 68 

2.  Hypermetropie 90 

3.  Astigmatismus 95 

4.  Anisometropie 104 

5.  Presbyopie 106 

6.  Anomalien  der  Accommodation 109 

I.  Accommodationslähmung 109 

II.  Accommodationskrampf.      Abnorme    Accommodations- 

spannung 113 

Drittes  Kapitel.     Amblyopie  und  Amaurose 117 

1.  Oiagnose 118 

Centrales  Sehen 118 

Peripheres  Sehen 119 

Lichtsinn 124 

Farbensinn 126 

Daltonismus 127 

Phosphene 134 


[nhaltsverzeichniss.  VlI 

Seite 

Prognose,  Aetiologie  und  Therapie 134 

Besondere  Formen  der  Amblyopie L37 

Simulation  von  Amblyopie  und  Amaurose L53 

Binocularea  und  körperliches  Sehen liil 

Blindheit 165 


Zweiter  Theil. 

Erstes  Kapitel.     Ophthalmoskopie 171 

1.  Theorie  der  Augenspiegeluntersuchung 171 

2.  Verschiedene  Formen  der  Augenspiegel ISO 

3.  Beleuchtungsquelle , 188 

4.  Praktische  Ausführung  der  Angenspiegeluntersuchnng 189 

5.  Focale  Beleuchtung 197 

6.  Refractionshestimmung  mittels  des  Augenspiegels 198 

7.  Diagnose  von  Niveaudifferenzen  im  ophthalmoskopischen  Bilde  des 
Angenhintergrundes 215 

Zweites  Kapitel.     Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge    .    .    .  217 

Anatomie   des  Opticus,   der  Retina   und  Tunica   uvea.    Entwicklung 

des  Auges 217 

1.  Papilla  optica 231 

2.  Retina       236 

3.  Chorioidea 239 

I  »rittes  Kapitel.     Erkrankungen  des  Sehnerven 243 

1.  Hyperämie  und  Anämie  des  Sehnerven    . 243 

2.  Papillitis  (Neuritis  optico-intraocularis,  Stauungspapille)      ....  245 

3.  Neuroretinitis  (Neuritis  descendens,  Papilloretinitis) 2.")4 

4.  Genuine  Entzündung  des  Sehnerven 256 

5.  Atrophia  n.  optici 259 

6.  Exeavatio  papillae  n.  optici 2(J3 

7.  Geschwülste  des  Sehnerven 268 

Viertes  Kapitel.     Erkrankungen  der  Netzhaut 269 

1.  Hyperämie  und  Anämie  der  Netzhaut       269 

2.  Retinitis  simplex  (Retinitis  serosa; 270 

3.  Retinitis  parenchymatosa 275 

4.  Hämorrhagien  der  Netzhaut.    Retinitis  haemorrhagica 280 

5.  Pigmentdegeneration  der  Netzhaut  (Retinitis  pigmentosa;    ....  282 

6.  Retinitis  proliferans 286 

7.  Netzhautablösung  (Amotio  s.  Sublatio  retinae; 287 

8.  Embolie  und  Thrombose  der  Art.  centralis  retinae.  Isehaemia  retinae  293 
'.».  Gliorna  retinae 296 


VIII  Inhaltsverzeichniss. 

Seite 

Fünftes  Kapitel.     Erkrankungen  der  Chorioidea 299 

1.  Hyperaemia  chorioideae 299 

2.  Chorioiditis  exsudativa 300 

•'!.  Staphyloma  posticum,  Sclerectasia  posterior,  Conus.  Selerotico-Cho- 

rioiditis  posterior 30i> 

I.  Blutungen  in  der  Chorioidea.     Ablösung  der  Chorioidea       ....  308 

5.  Ruptur  der  Chorioidea 305) 

6.  Tuherculose  der  Chorioidea 310 

7.  Chorioidealgeschwülste 311 

Sechstes  Kapitel.     Erkrankungen  des  Glaskörpers ;il4 

Anatomie       314 

1.  Glaskörpertrübungen 315 

2.  Hyalitis  suppurativa 31!» 

3.  Fremdkörper  und  Entozoen  im  Glaskörper 320 

4.  Persistenz  der  Arteria  hyaloidea.     Glaskörperablösung 327 


Dritter  Theil. 

Erstes  Kapitel.     A.  Glaukom 331 

1.  Krankheitsbild 331 

I.  Glaucorna  simplex 333 

II.  Glaucorna  inflammatorium 336 

III.  Secundärglaukom 338 

2.  Vorkommen  und  Aetiologie 340 

3.  Pathologische  Anatomie 342 

4.  Theorie  über  Pathogenese  und  Wesen  des  Glaukoms 343 

5.  Prognose  und  Therapie 348 

B.  Oplitlialmornalacie 355 

Zweites  Kapitel.     Erkrankungen  der  Linse 357 

Anatomie  und  pathologische  Anatomie  der  Linse 357 

1.  Cataracta 360 

I.  Allgemeine  Diagnose.    Reife 360 

II.  Partielle,  nicht  fortschreitende  Linsentrübungen 364 

III.  Totale  Linsentrübungen 368 

Sehstörungen 370 

Aetiologie 372 

Therapie 374 

Staroperationen 377 

Vor-  und  Nachbehandlung 3SS 

IV.  Nachstar  (Cat.  secundaria) 393 

2.  Aphakie 3!»4 

'■'>.  Lageanomalien.    Formanomalien 396 


Inhaltsverzeichniss.  |\ 

Seite 

Drittes  Kapitel.     Erkrankungen  der  Conjunctiva 399 

Anatomie 399 

t.  Eyperaemia  conjunctivae 101 

2.  Conjunctivitis  simples  (s.  catarrhalis) lol 

3.  Conjunctivitis    eczematosa    s.    phlyctaenulosa    (Conj.  scrophulosa; 
Conj.  exanthematica;  Herpes  conjunctivae).    Frühjahrs-Katarrh  .    .  107 

4.  Blennorrhoe.   --   Schwellungskatarrh.  —  Granulationen  (Trachom). 

—  Conj.  folliculosa 111 

Pathologische  Anatomie  und  allgemeine  Diagnose    .    .    .    .  11 J 

1.  Conjunctivitis  blennorrhoica 416 

Ophthalmia  gonorrhoica 425 

Ophthalmia  neonatorum 425 

Conjunctivitis  membranacea L's 

II.  Schwellungskatarrh  (epidemischer  Katarrh) 428 

Ophthalmia  exanthematosa 429 

III.  Trachoma  (Conjunctivitis  granulosa) 430 

Ophthalmia  militaris  (Aegyptiaca) 438 

IV.  Affectio  folliculosa  conjunctivae.   Conjunctivitis  folliculosa.  438 

5.  Conjunctivitis  diphtheritica 440 

G.  Pterygiuin  (Flügelfell) 444 

7.  Xerosis  conjunctivae '. 447 

8.  Symblepharon 44S 

9.  Apoplexia  subconjunctivalis  (Hyposphagmaj.  —  Chemosis.  —  Lymph- 
angiektasien 4;">0 

10.  Syphilis.  —  Lupus.  —  Tuberculose.  —  Amyloid 451 

11.  Verletzungen  der  Conjunctiva 452 

12.  Geschwülste  der  Conjunctiva 4f>4 

Viertes  Kapitel.     Erkrankungen  der  Hornhaut 456 

Anatomie 456 

1.  Keratitis 457 

I.  Umschriebene,  nicht-eitrige  Hornhautaft'ectionen 458 

Einfaches  Hornhautinfiltrat 458 

Keratitis  subepithelialis  centralis 461 

Keratitis  punctata 461 

Büschelförmige  Keratitis  (K.  fasciculosaj 461 

II.  Bläschenbildung  auf  der  Hornhaut 462 

Herpes  corneae  (Keratitis  vesiculosaj 462 

Keratitis  bullosa 464 

III.  Eitrige  Hornhauterkrankungen 464 

Umschriebenes  eitriges  Hornhautfiltrat 464 

Hypopyonkeratitis.   Ulcus  serpens  corneae 466 

Keratomalacie 472 

Keratitis  xerotica 472 

Keratitis  neuroparalytica 474 

IV.  Diffuse  Hornhautinfiltrationen 476 

Pannus  (Keratitis  pannosa; 476 

Keratitis  parenchymatosa 479 

Sclerosirendes  Hornhautintiltrat 483 


\  lnhaltsverzeichniss. 

Seite 

V.  Hornhautgeschwüre 483 

Resorptionsgeschwüre  und  Reparationsgeschwüre     .    .    .  489 

Ulcus  rodens 490 

Ringförmige  Hornhautgeschwüre 490 

Keratitis  dendritica.  Chronische  periphere  Furchen-Keratitis. 

Gitterförmige  Keratitis 4*.  »1 

2.  Hornhauttrübungen 491 

Bandförmige  Hornhauttrübungen 496 

Gerontoxon 497 

Blutungen  in  der  Hornhaut 497 

3.  Krümmungsveränderungen 498 

I.  Narbenstaphyloine 498 

II.  Nichtnarbige  Kerektasien 500 

III.  Abflachungen  der  Cornea 502 

4.  Verletzungen  der  Cornea 502 

5.  Geschwülste  der  Cornea 505 

Fünftes  Kapitel.     Erkrankungen  der  Sclera^ 506 

Anatomie 506 

1.  Episkleritis  und  Skleritis 506 

2.  Ektasien  und  Stapkylome  der  Sclera 509 

3.  Verletzungen  der  Sclera 510 

4.  Geschwüre  und  Geschwülste  der  Sclera 511 

Sechstes  Kapitel.    Erkrankungen  der  Iris 512 

1.  Hyperaemia  iridis. 512 

2.  Iritis 513 

I.  Symptomatologie 513 

II.  Verlauf  und  Ausgänge 517 

Iritis  simplex  seu  plastica 520 

Iritis  serosa  (Uveitis) 520 

Iritis  suppurativa 521 

Iritis  syphilitica 521 

III.  Aetiologie 523 

IV.  Therapie .">24 

3.  Motilitätsstörungen  der  Iris 527 

4.  Verletzungen  der  Iris 529 

5.  Pseudoplasmen  und  Fremdkörper  in  der  Iris  und  vorderen  Kammer  531 

6.  Angeborene  Anomalien 533 

7.  Operationen  an  der  Iris 534 

►Siebentes  Kapitel.    Erkrankungen  des  Corp.  ciliare.    Sympathische 

AfFectionen.     Eitrige  Chorioiditis 539 

1.  Cyklitis 539 

•_'.  Sympathische  Augenleiden 540 

Enucleatio.    Exenteratio  bulbi 548 

Neurectomia  optico-ciliaris 550 

Einsetzen  eines  künstlichen  Auges.     Prothesis  ocularis 552 

3.  Chorioiditis  suppurativa.    Panophthalmitis 553 


Inhaltsverzeichniss.  X 1 


Vierter  Theil. 

Seite 

Erstes  Kapitel.     Erkrankungen  der  Augenmuskeln 5(il 

Anatomie 561 

A.  Allgemeiner  Theil 564 

Physiologische  Wirkung  der  Augenmuskeln.    Schielen  ....  564 

B.  Spezieller  Theil 573 

1.  Lähmungen  der  Augenmuskeln 57.'! 

I.  Allgemeine  Diagnose 573 

11.  Spezielle  Diagnose 579 

III.  Verlauf  und  Ausgang 586 

IV.  Aetiologie 586 

V.  Therapie 588 

2.  Strabismus  concomitans  (musculäres  Schielen) 591 

I.  Allgemeine  Diagnose 591 

II.  Spezielle  Diagnose  und  Aetiologie 597 

III.  Verlauf 602 

IV.  Therapie 603 

Schieloperation 604 

3.  Insufticienz  der  M.  recti  interni.    Asthenopie 611 

4.  Augenmuskelkrämpfe.    Nystagmus 617 

Zweites  Kapitel.     Erkrankungen  der  Orbita 619 

Anatomie 619 

1.  Knochenerkrankungen 621 

2.  Entzündung  des  Fettzellgewebes.    Venenthrombose 621 

3.  Exophthalmus.    Morbus  Basedowii.     Enophthalmus 625 

4.  Tumoren  der  Orbita 630 

5.  Verletzungen  der  Orbita 632 

6.  Angeborene  Missbildungen  des  Auges 633 

Drittes  Kapitel.     Erkrankungen  der  Augenlider     .    .    .   m    ...    .  635 

Anatomie 635 

1.  Erkrankungen  des  Lidrandes 637 

I.  Blepharitis  marginalis 637 

IL  Hordeolum 640 

III.  Distichiasis  und  Trichiasis 641 

IV.  Ankyloblepharon.    Blepharophimosis 645 

2.  Erkrankungen  der  Lidhaut  und  des  Tarsus 646 

I.  Chalazion 648 

IL  Geschwülste 649 

3.  Stellungsanomalien 650 

I.  Entropium 650 

IL  Ectropium 652 

III.  Blepharospasmus 655 

IV.  Ptosis.    Lagophthalmua 656 

4.  Angeborene  Anomalien 660 


X  [J  [nhaltsverzeichniss. 

Seite 

Viertes  Kapitel.     Erkrankungen  der  Thränenorgane 660 

Anatomie 660 

1.  Erkrankungen  der  Thränendrüse 662 

■2.  Erkrankungen  der  Thränenabführungswege 663 

I.  Anomalien  der  Thränenpunkte  und  Thriinenrührchen      .    .  663 

11.  Erkrankungen  des  Thränenschlauches 664 

Dakryocystitis 664 

Dakryocysto-Blennorrhoe.    Stricturen  des  Thränennasen- 

canals 665 

Anhang. 

Verletzungen  des  Augapfels.     Verringerung  der  Enverbsfälngkeit  .    .  672 


Erster  Theil. 


Allgemeine  Bemerkungen 
über  Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 
Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

Amblyopie  und  Amaurose. 


Schmidt -Rimpler.    7.  Auflage. 


Erstes  Kapitel. 


Allgemeine  Bemerkungen 

über 


Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 


A.  Untersuchung  des  Auges. 

Wie  die  Augenheilkunde  dem  Kranken  die  Sehkraft  zu  erhalten 
und  zu  heben  sucht,  so  bringt  sie  auch  dein,  der  sich  mit  ihr  als  Arzt 
beschäftigt,  für  das  eigene  Sehvermögen  Gewinn:  er  lernt  selbst  genau 
und  schart'  sehen.  Fast  alle  Affectionen  des  Auges  diagnosticiren  wir 
mittels  des  Gesichtssinnes  5  ein  schwachsichtiger  Augenarzt  würde  übel 
daran  sein.  Neben  der  ausreichenden  Intensität  undTJebung  des  Sehens, 
sowie  der  Kemitniss  der  Krankheitsbilder  bedarf  es  aber  auch  einer 
zweckmässigen  Methode  der  Untersuchimg.  Wie  man  in  den  Kliniken 
für  innere  Medicin  ein  hervorragendes  Gewicht  auf  die  Aufnahme  des 
Status  praesens  legt  und  in  bestimmter  Reihenfolge  den  ganzen  Körper 
einer  Inspection  unterzieht,  um  auf  diese  Weise  jedes  Uebersehen  und 
Unbeachtetlassen  zu  vermeiden,  so  muss  auch  bei  der  Untersuchung  der 
Augen  eine  methodische  Reihenfolge  inne  gehalten  werden.  Hier  wie 
dort  wird  der  Erfahrene  sich  gelegentlich  Abweichungen  und  einzelne 
Unterlassungen  erlauben  können. 

Man  beginne  mit  der  Frage  nach  den  Beschwerden,  welche  den 
Kranken  zum  Arzte  führen.  Gerade  bei  Augenkrankheiten  kami  man 
leicht  in  Versuchung  kommen,  diesen  Punkt  hintenanzusetzen,  da  bis- 
weilen ein  einziger  Blick  uns  über  das  Leiden  unterrichtet;  jedenfalls 
würde  hier  ein  _Ich  weiss  schon"  öfter  berechtigt  sein  als  bei  anderen 
Kranken.  Dessenungeachtet  höre  man  möglichst  genau  auf  die  Klagen, 
zumal  man  ja  gleichzeitig  das  kranke  Organ  einer  äusseren  Besichtigung 
unterziehen  kann.  Bisweilen  betreffen  die  Beschwerden  ganz  andere 
Dinge,  als  man  auf  den  ersten  Blick  meint;  ein  Patient  mit  chronischer 
Lidentzündimg  kommt  vielleicht  gar  nicht  dieses  Leidens  wegen,  an  das 
er  sich  gewöhnt  hat,  sondern  um  sich  eine  Brille  bestimmen  zu  lassen. 
Uebermässiger  Weitläufigkeit  ist  natürlich  Einhalt  zu  thun. 


4  Allgemeines  über  Untersuchung  und  Behandlung  «los  Auges. 

Am  besteD  kann  man  das  Auge  untersuchen,  wenn  der  Patient  sein 
Gesicht  dem  Fenster  zuwendet.  Zuerst  beachte  man  die  Beschaffenheit 
der  Lidhaut,  ol>  Röthe,  Ekzem  oder  Oedem  vorhanden  ist.  Weiter 
wird  man  sehen,  oh  die  Lider  leicht  und  frei  gehoben  werden  können, 
oder  ob  das  Auge  von  ihnen  ganz  oder  theilweise  bedeckt  bleibt. 
Ktwaiges  Thränen  oder  das  Abfliessen  von  wässrigem,  schleimigem 
oder  eitrigem  Secret,  welches  in  den  Lidwinkeln  oder  an  den  Cilien 
haftet,  wird  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  lenken.  Durch  leichtes  Ab- 
ziehen der  Lider  unterrichtet  man  sich  über  das  Aussehen  des  Lidrandes, 
ob  derselbe  scharfkantig  und  blass  oder  etwa  abgestumpft  und  geröthet, 
oh  die  Wimpern  in  entsprechender  Zahl  vorhanden  sind  und  wie  sie 
stehen.  Nicht  selten  reiben  einzelne  Haare  gegen  den  Augapfel,  oder 
auch  der  ganze  Lidrand  ist  gegen  ihn  gekehrt  (Entropium).  In 
anderen  Fällen  ist  die  Lidkante  vom  Bulbus  abgewendet  und  mehr  oder 
weniger  nach  aussen  gerichtet,  so  dass  selbst  noch  von  der  die  innere 
Fläche  des  Lides  überziehenden  Schleimhaut  Partien  sichtbar  sind 
(Ektropium). 

Besondere  Aufmerksamkeit  ist  auf  den  Thränenpunkt,  speciell  den 
unteren  zu  verwenden,  der  öfter  absteht  und  nicht  in  den  Thränensee 
taucht.  Auch  kann  man  gleichzeitig  durch  Druck  mit  dem  Zeigefinger 
auf  die  dem  inneren  Lidwinkel  angrenzende  Haut  auf  eine  etwa  vor- 
handene Ausdehnung  und  Hypersecretion  des  Thränensackes  fahnden. 
Bei  stärkerer  Absonderung  der  Thränensackschleimhaut  und  Verschluss 
des  Thränennasenkanals  entleert  sich  hierbei  aus  den  Thränenpunkten 
Flüssigkeit.  — 

Alsdann  gehe  man  zur  Untersuchung  des  Augapfels  selbst  über. 
Bisweilen  kann  das  Auge  wegen  der  Schwellung  der  Lider  nicht  geöffnet 
werden,  bisweilen  auch  wird  es  ohne  solche  Schwellung  krampfhaft  ge- 
schlossen gehalten,  eine  Erscheinung,  die  bei  Kindern  nicht  selten  ist. 
Man  sei  hier  vorsichtig  mit  dem  Auseinanderziehen  der  Lider,  besonders 
wenn  man  den  Zustand  des  Auges  noch  nicht  kennt,  da  bei  Gewalt- 
anwendung gelegentlich  ein  etwa  bestehendes,  ausgedehntes  und  tief- 
greifendes Hornhautgeschwür  platzen  und  selbst  die  Linse  herausspringen 
kann.  Am  wenigsten  gefährlich  ist  in  solchen  Fällen  das  Einlegen  eines 
Desmarres'schenElevateurs  (Figur  1)  unter  das  obere  Lid.  Während 
man  das  Lid  etwas  hebt  und  abzieht,  lässt  man  die  gekrümmte  Messing- 
resp.  Schildpattfiäche  zwischen  Lid  und  Bulbus  gleiten  und  zieht  damit 
das  Lid  ganz  in  die  Höhe.  Um  ein  Herausgleiten  des  Elevateurs  zu 
verhüten,  muss  man  die  coneave  Fläche  stark  gegen  den  oberen 
(  h'bitalrand  drücken.  Bei  widerwilligen  Kindern  fixirt  man  den  Kopf 
in  nachstellender  Weise.  Man  setzt  sich,  indem  man  die  Füsse  auf  eine 
Fussbank  stellt,  dem  Wärter,  der  das  Kind  auf  seinem  Schoosse  liegend 


Untersuchung  <les  Auges.  5 

hält,  gegenüber  und  nimmt  nun  den  Kopf  des  Kindes  zwischen  die 
Kniee,  während,  der  Wärter  die  Hände  hält  und  die  Füsse  mit  seinem 
Arm  an  sieb  drückt.  Auf  diese  Weise  ist  ohne  besondere  Anstrengung 
die  nöthige  Untersuchung  ermöglicht,  während  man  bei  kleinen  Kindern, 
die  auf  dem  Arm  getragen  werden,  sonst  kaum  zum  Ziele  kommt. 

Man  betrachte  nun  die  Carunkel  und  die  Conjunctiva 
bulbiauf  ihre  Injection  oder  Schwellung  hin.  Von  besonderer 
diagnostischer  Bedeutung  bezüglich  schwerer  entzündlicher 
Vorgänge  ist  hier  das  Vorhandensein  eines  die  Hornhaut 
umgebenden  schmalen  rothen  Gefässsaumes,  der  aus  ziemlich 
parallel  verlaufenden  kleinen  Gefässreiserchen  besteht  (so- 
genannte pericorneale  oder  subconjunctivale  Injec- 
tion).  Sieht  man  diese,  so  handelt  es  sich  nie  um  eine 
einfache  Entzündung  der  Conjunctiva.  Wenn  demnach 
die    Schleimhaut    keine    schweren    Veränderungen    (etwa  1 

m        i  i         -r.1  i\i  i  .  Desmarres'- 

Iraehom  oder    .Blennorrhoe)    erkennen    lasst,    so    ist   ganz      ^  scher 

besondere  Aufmerksamkeit  auf  die  Cornea  und  Iris  zu  richten. 
Bei  der  Spiegelung  der  Cornea  können  leicht  kleine  Fremdkörper, 
Flecke,  Trübungen  und  Geschwüre  unbemerkt  bleiben,  und  man  muss 
hier  sein  „Sehen"  etwas  anstrengen.  Wie  oft  werden  nicht  kleine 
Stückchen  Eisen  oder  Kohlenpartikelchen  auf  der  Hornhaut  übersehen  I 
Bei  sehr  feinen  Veränderungen  (hier  wie  in  der  vorderen  Kammer,  auf 
der  Iris,  in  der  Linse)  wird  man  sich  der  sogenannten  seitlichen 
Beleuchtung  bedienen  müssen,  indem  man  mit  einem  Convexglase 
das  Licht  auf  die  zu  untersuchenden  Stellen  concentrirt;  das  Nähere 
über  diese  wichtige  Untersuchungsmethode  ist  in  dem  Kapitel  Ophthalmo- 
skopie zu  linden. 

Ueber  die  Krümmung  der  Cornea  giebt  das  von  ihr,  die  wie  ein 
Convexspiegel  wirkt,  entworfene  Bild  von  gegenüber  befindliehen  Gegen- 
ständen gute  Auskunft.  Wenn  der  Kranke  mit  dem  Gesicht  dem  Fenster 
zugewendet  ist,  erkennt  man  deutlich  das  verkleinerte  Fensterbildchen 
imd  kann  aus  einer  etwaigen  Unregelmässigkeit  oder  Verzogenheit  des 
selben  auf  Krümmungsanomahen  der  Hornhaut  schliessen.  Ein  schärferes 
Bildchen  erhält  man  durch  Benutzung  des  Keratoskops  (Placido) 
(Figur  2).  Dasselbe  besteht  der  Hauptsache  nach  aus  einer  weissen 
Papp-  oder  Hetallscheibe,  auf  der  schwarze  Ringe  —  wie  bei  den 
Schiessscheiben  —  concentrisch  gezeichnet  sind.  Diese  Scheibe  hält  man 
dem  Auge  des  mit  dem  Bücken  dem  Fenster  zugekehrten  Kranken  in 
einiger  Entfernung  und  möglichst  parallel  der  Irisfläche  gegenüber  und 
sieht  nun  durch  das  im  Centrum  derselben  angebrachte  Loch  auf  der  Cornea 
die  gespiegelten  Kreise,  wobei  etwaige  Verzerrungen,  durch  unregehnässige 
Reflexion  der  Hornhaut  hervorgebracht,  leicht  zu  erkennen   sind. 


q  Allgemeines  über  Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 

Nach  der  Cornea  beachtet   man   die   vordere  Kammer,  ihre  Tiefe, 
d.  h.  die  Entfernung  zwischen  Iris-Linse  einerseits  und  Cornea  anderer- 
seits,    ob    der  Humor  aqueus  durchsichtig,    ob  getrübt, 
ob  Blut  (Hyphaema)  oder  Eiter  (Hypopyon)  in  ihm 
nachweisbar  ist.     Bei  der  Iris   berücksichtigen  wir   die 
Farbe,  besonders  im  Arergieich  mit  dem  gesunden  Auge, 
ihre  Lage,   den  Glanz  und  die  Structur  des  Gewebes. 
Weiter,    ob  die   Pupille  bei  Liehteinfall  sich   gut    con- 
tra kirt,  ob  sie  regelmässig  rund  oder  eckig  (etwa  durch 
Verwachsungen  mit  der  Linsenkapsel:  hintere   Syn- 
echien)   ist;    ob    eine    abnorme    Weite    (Mydriasis) 
oder    abnorme    Enge    (Miosis)    besteht.      Eine    weite 
Keratoskop.        Pupille  bei  starker  Entzündung  des  Auges  kommt  fast 
nur  beim  grünen  Star  (Glaukom)   vor;   natürlich  muss 
man  vorher  ausgeschlossen  haben,    dass  nicht   etwa   durch    arzneiliche 
Mittel  (z.  B.  Atropin)  die  Erweiterung  veranlasst  wurde.    Das  Pupillar- 
gebiet  ist  in  der  Norm  schwarz;  bei  Auflagerungen  auf  der  Linsenkapsel, 
bei  Trübungen  in  der  Linse  selbst  (Cataracta)  zeigt  sich  in  ihm  eine 
graue,  weisse  oder  gelblich-bräunliche  Färbung,  die  Pupille  theils  ganz, 
theils  an  umschriebenen  Stellen  deckend.    Um  die  Lage  der  Linse  sowie 
etwaige  peripher  sitzende  Trübungen  genau  zu  erkennen,  bedarf  es  oft 
der  künstlichen  Pupillenerweiterung. 

In  dieser  Reihenfolge  würde  sich  die  äussere  objective  Untersuchung 
des  Auges  bis  jetzt  abgespielt  haben.  Wenn  man  die  einzelnen  Theile 
in  ihrer  Zusammengehörigkeit  hintereinander  betrachten  wollte,  so  hätte 
der  Untersuchung  der  Conjunctiva  bulbi  die  der  Conj.  palpebralis  — 
also  des  die  Lider  auskleidenden  Theils  der  Schleimhaut  —  und  die  der 
Uebergangsfalte  der  Conj.  palpebralis  in  die  Conj.  bulbi  seu  sclerae  folgen 
müssen.  Man  thut  aber  gut,  dies  bis  nach  Absehluss  der  eben  er- 
wähnten Besichtigung  zu  lassen,  da  die  Patienten  durch  die  mit  der 
Untersuchung  der  Conj.  palpebralis  verknüpfte  Unbequemlichkeit  und 
Schmerzhaftigkeit  leicht  ängstlich  und  kopfscheu  werden,  auch  die  Augen 
sieh  röthen  und  thränen;  ■ —  davon  ganz  abgesehen,  dass  man  bei 
grossen  tiefdringenden  Geschwüren  der  Cornea,  bei  Irisvorfall  und  ähn- 
lichen Erkrankungen  nur  mit  grösster  Sorgfalt  und  Schonung  die  Lider 
umkehren  wird,  um  jeden  Druck  auf  den  Augapfel  zu  vermeiden. 
Schlimmsten  Falls  muss  man  hier  sogar  vorläufig  von  der  Betrachtung 
der  Lidschleimhaut,  besonders  der  des  oberen  Lides,  dessen  Umkehrung 
am   schwierigsten  ist,  abstehen. 

Das  untere  Lid  lässt  sich  in  der  Pegel  sehr  leicht  ektropioniren. 
Man  lieisst  den  Patienten  das  Auge  nach  oben  wenden,  legt  Zeige- und 
Mittelfinger   an    die    Lidhaut,   dich!    unter   dem  Lidrande,  und  zieht  sie 


Untersuchung  dos  Auges.  7 

nach  unten,  bis  sich  die  Scjbleimhaut  nach  aussen  wendet  und  so  bis 
zum  Bulbus  hin  zu  übersehen  ist.  Beim  Ektropioniren  des  oberen 
Lides  lässt  man  den  Kranken  zuerst  scharf  nach  unten  blicken,  was 
für  ilas  Gelingen  des  Manövers  von  grösster  Wichtigkeit  ist.  Dann 
hebt  man  mit  dem  dicht  unter  dem  Orbitalrand  auf  die  Lidhaut  ge- 
setzten Daumen  der  linken  Hand,  nach  oben  ziehend,  das  Lid  und  da- 
mit die  Lidkante  vom  Augapfel  etwas  ab,  sodass  man  diese  zwischen 
Daumen  und  Zeigefinger  der  rechten  Hand  nehmen  kann.  Nunmehr 
zieht  man  das  an  der  Lidkante  —  nicht  an  den  Wimpern  —  gefasste 
Lid  etwas  nach  unten  und  dreht  es,  indem  man  jetzt  mit  denrZeige- 
finger  der  linken  Hand  oder  einem  Federhalter  die  Lidhaut  dicht  unter 
dem  Orbitalrande  etwas  nach  hinten  drückt,  auf  diesem  Hypomochlion 
um,  wobei  die  Lidkante  gegen  den  oberen  Orbitalrand  geführt  wird. 
Es  wird  so  der  Palpebraltheil  der  Schleimhaut  sichtbar.  Um  aber  den 
Uebergangstheil  zum  Bulbus  zu  sehen,  bedarf  es  öfter  noch  einer  etwas 
fortgesetzten  Hebung  und  Rückwärtswendung  der  Lidkante,  indem 
immer  von  neuem  der  Patient  angehalten  wird,  seine  Augen  scharf  nach 
unten  zu  richten.  Auch  nützt  hier  ein  gleichzeitiges  leichtes  Abziehen 
des  unteren  Lides.  Widerstrebende  Patienten,  die  mit  dem  Kopf  be- 
ständig zurückgehen,  müssen  so  gesetzt  werden,  dass  entweder  der 
Kopf  gehalten  werden  kann  oder  sich  hinten  an  Stuhl  oder  Wand  an- 
lehnt. Mit  einiger  Uebung  wird  man  in  der  Regel  zum  Ziele  kommen; 
aber  diese  Uebung  muss  man  sich  in  der  That  erwerben,  um  einmal 
dem  Patienten  nicht  wehe  zu  thun,  der  aus  einem  ungeschickten  Vor- 
gehen sofort  Misstrauen  gegen  den  Arzt  schöpft,  und  andererseits  diese 
Lntcrsuchimg  nicht  etwa  im  Bewusstsein  eigener  Impotenz  zu  unter- 
lassen. An  der  ektropionirten  Schleimhaut  ist  auf  Injection,  etwaige 
Unebenheiten,  Einlagerungen  oder  Fremdkörper  zu  achten. 

Nach  dieser  äusseren  Besichtigung  betaste  man  den  Augapfel,  um 
seine  Spannung  festzustellen.  Da  die  Umhüllungshäute  des  Auges  als 
elastische  Membranen  einen  flüssigen  Inhalt  umschliessen,  wird,  wie  bei 
einer  mit  Wasser  gefüllten  Gummiblase,  die  Spannung  eine  verschiedene 
sein,  je  nach  dem  Verhältniss  zwischen  Inhalt  und  Weite  der  Hülle. 
Wenn  der  Inhalt  zunimmt,  wird  die  Hülle  stärker  gespannt  wTerden; 
das  Auge  wird  beim  Betasten  härter  sein.  Dasselbe  wird  eintreten, 
wemi  bei  gleichbleibendem  Lihalt  die  Weite  der  Kapsel  sich  verringert. 
Ist  hingegen  die  Umhüllung  im  Verhältniss  zum  Inhalt  weit  oder  ist 
letzterer  relativ  gering,  so  fühlt  sich  das  Auge  weich  an.  Wir  werden 
demnach  durch  diese  Untersuchung  einen  Anhalt  gewinnen  zur  Ab- 
schätzung des  Druckes,  der  im  Innern  des  Auges  herrscht  und  von 
innen  her  auf  den  Wandungen  lastet.  Man  spricht  daher  ebenso  wie  von 
der  Spannung    des  Auges  (Tension)    auch  von    der  Höhe    des  intra- 


8  Allgemeines  über  Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 

oculareu  Druckes.  .Fe  härter  das  Auge,  je  höher  ist  Spannung 
und  intraocularer  Druck.  Eine  abnorme  Härte  ist  als  Hypertonie,  eine 
abnorme  Weichheit  als  Hypotonie  (Nagel)  bezeichnet  worden.  Man 
prüft  die  Spannung  so,  dass  man  das  Auge  schliessen  lässt  und  dann, 
die  Zeigefinger  auf  das  obere  Lid  innen  und  aussen  aufsetzend,  mit 
den  Fingerspitzen  sanft  und  abwechselnd  drückt.  Auch  kann  man 
den  Bulbus  direct  mit  der  auf  die  Sclera  gelegten  Fingerspitze  betasten. 
AVeiter  hat  man  besondere  Instrumente  (Tonometer)  zu  diesem  Zweck 
angegeben  (cf.  Glaukom). 

Bei  der  äusseren  Besichtigung  achte  man  ferner  darauf,  ob  etwa 
eine  ungewöhnliche  Prominenz  des  Bulbus  besteht  (Exophthalmus) 
oder  ein  tiefes  Zurücksinken  (Enophthalmus). 

Ehe  man  zur  inneren  Untersuchung  mittels  des  Augenspiegels  oder 
schiefer  Beleuchtung  schreitet,  thut  man  meist  gut,  die  Brechung  des 
Auges  (Refraction)  und  die  8  eh  schärfe  festzustellen,  für  jedes  Auge 
allein.  Beide  Bestimmungen  werden  in  der  Regel  vereinigt,  indem  man 
als  Objecte  für  die  mittels  Brillengläser  vorzunehmende  Refractions- 
bestimmung  Tafeln  wählt,  welche  Buchstaben  oder  Zahlen  enthalten, 
bei  denen,  wie  z.  B.  bei  den  Snellen'schen  und  Schweigger'sehen, 
gleichzeitig  die  Entfernung  angegeben  ist,  in  der  ein  normales  Auge 
sie  erkennen  muss.  Es  ergiebt  sich  hieraus  dann  sofort,  in  welchem 
Verhältniss  die  Sehschärfe  (S.  oder  V[isus])  des  Patienten  zu  der  nor- 
malen steht. 

Um  das  Accommodationsvermögen  kennen  zu  lernen,  bestimmt 
man  alsdann  den  Nahepunkt  des  Auges  (Punctum  proximum). 

Da  es  aber  nicht  genügt,  nur  die  centrale  Sehschärfe  zu  eruiren, 
sondern  es  nötig  ist,  sich  auch  über  das  Sehvermögen  der  peripher  ge- 
legenen Netzhautpartien  zu  unterrichten,  so  bedarf  es  der  Feststellung 
des  Gesichtsfeldes,  d.  h.  des  excentrisch  gelegenen  Gebietes,  in  dem 
bei  festgehaltener  centraler  Fixation  eines  Punktes  noch  gesehen  werden 
kann.  Natürlich  ist  in  diesem  peripheren  Gebiete  nicht  dieselbe  Schürfe 
des  Unterscheidungsvermögens  vorhanden  wie  in  dem  centralen.  Am 
einfachsten  lässt  sich  die  Untersuchung  so  anstellen,  dass  man  dem 
Kranken  angiebt,  das  ihm  gerade  gegenüber  befindliebe  Auge  des 
Arztes  und  zwar  die  Pupille  desselben  zu  fixiren.  Wenn  die  Entfernung 
zwischen  Hxirtem  und  fixirendem  Auge  etwa  30  cm  beträgt,  so  bewegt 
nunmehr  der  Arzt  in  einer,  senkrecht  auf  der  Mitte  der  30  ein  langen 
Verbindungslinie  beider  Augen  gelegenen  Ebene  seine  Hand  von  der 
Peripherie  her  zur  Mitte  hin.  Sobald  der  Kranke  angiebt,  die  Hand 
zu  sehen,  hat  man  die  Grenze  seines  peripheren  Gesichtsfeldes  erreicht. 
Ob  dieselbe  der  normalen  entspricht,  controlirt  man  mit  dem  eigenen 
Auge,  da  bei  der  erwähnten  Versuchsanordnung  der  Arzt  —  natürlich 


Untersuchung  des;  Auges.  y 

bei  Verschluss  dos  anderen  Auges  -  in  demselben  Moment  wie  der 
Kranke  (bei  gleicher  normalen  Ausdehnung  des  ( Gesichtsfeldes)  die  heran- 
kommende Hand  schon  muss.  Erkennt  der  Kranke  die  Hand  erst 
später,  so  hat  er  eine  Gesichtsleideinengung  (G  esichtsfelddefect),  die 
Je  nach  der  Lage,  als  nach  oben,  unten  u.  s.  w.  befindlich  bezeichnet 
wird.  Man  beachte,  dass  der  Patient  bei  diesen  Pnifungen  nicht  direet 
das  Auge  auf  die  sieh  nähernde  Hand  wendet,  sondern  stets  die  cen- 
trale Fixation  auf  das  Auge  des  Arztes  beibehält. 

Neben  eigentlichen  Defecten  des  peripheren  Gesichtsfeldes  oder 
innerhalb  des  Gesichtsfeldes  selbst  (Scotome)  finden  sich  auch  patho- 
logische Herabsetzungen  des  Sehvermögens:  der  Kranke  sieht  etwa  noch 
die  Hand,  kann  aber  einen  kleinen  Gegenstand  nicht  mehr  erkennen. 
Zu  genauen  Bestimmungen  des  Gesichtsfeldes  und  excentrischen  Sehens 
bedienen  wir  uns  besonderer  Instrumente  (Perimeter)  (cf.  Amblyopie 
und  Amaurose). 

An  diese  Prüfungen  sehliessen  sich  die  des  Farbensinns  und 
des  Lichtsinns  an.  Bezüglich  des  letzteren  sei  hier  nur  erwähnt, 
dass  Krankheiten  des  Auges  vorkommen,  bei  denen  durch  Herabsetzung 
der  Beleuchtung  die  bei  Jedem  naturgemäss  sinkende  Sehschärfe  in 
abnormem  und  ungewöhnlich  hohem  Grade  verringert  wird. 

Nachdem  in  dieser  Weise  jedes  Auge  einzeln  untersucht  worden, 
wird  das  Zusammenwirken  beider  Augen  in  Bezug  auf  ge- 
naue Einstellung  auf  den  fixirten  Gegenstand,  auf  Beweglichkeit  und 
binoculares  Sehen  bestimmt  (cf.  Erkrankungen  der  Augenmuskeln ).  — 

Bei  erheblichen  Entzimdungsersckeinungen  darf"  man,  um  das  Auge 
durch  die  Anstrengung  nicht  zu  schädigen,  die  eben  erwähnten  Unter- 
suchungen nicht  zu  sehr  ausdehnen  und  muss  sich  eventuell  auch  mit 
etwas  weniger  genauen  Resultaten  begnügen,  ja  einzelne  Prüfungen, 
wenn  sie  zur  Beurtheilung  des  Falles  nicht  direet  nöthig  sind,  ganz 
unterlassen.  Ist  die  Exactheit  der  Untersuchung  nur  mit  einer  Schädi- 
gung des  Kranken  zu  erreichen,  so  wird  dem  gewissenhaften  Arzt,  dem 
der  leidende  Mitmensch  in  dem  „Krankenmaterial0  nicht  ganz  ver- 
schwindet, die  Wahl  nicht  schwer  fallen.  Dieselben  Erwägungen  sind 
leitend,  wenn  wir  zur  ophthalmoskopischen  Untersuchung  schreiten. 
Während  ein  flüchtiger  Einblick  selbst  bei  stark  entzündeten  Augen  kaum 
Schaden  bringt,  so  ist  eine  längere  Abbiendung  hier  durchaus  zu  vermeiden. 

Bei  der  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  (Ophthalmoskop) 
werfe  man  zuerst  einfach  das  Licht  in  das  Auge  und  lasse  dabei  Be- 
wegungen des  Auges  machen;  bald  nach  aussen,  nach  oben,  nach  innen 
und  unten  blicken.  Hierbei  wird  man  bei  Trübungen  in  der  Cornea, 
der  Linse  oder  dem  Glaskörper  dunklere  Schatten  auf  dem  roth  reflec- 
tirenden  Augenhintergrunde  auftreten  sehen.    Zur  genauen  Bestimmung 


10  Allgemeines  über  Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 

der  Lage  derselben  bedürfen  wir  oft  der  seitlichen  Beleuchtung,  bei  der 
wir  etwaige  Trübungen  der  brechenden  Medien  bis  in  die  Linse  und  die 
ihr  nächstliegenden  Grlaskörperpartien  hinein  direct  erkennen.  Alsdann 
untersuche  man  mit  dem  Ophthalmoskop  unter  Vorhalten  einer  Convex- 
linse  den  Augenhintergrund  im  umgekehrten  Bilde  (cf.  Ophthalmoskopie): 
zuerst  den  Sehnerveneintritt  (  Papilla  optica),  dann  Macula  lutea  und  die 
übrigen  Partien.  Da  die  Vergrösserung  im  umgekehrten  Bilde,  wie  es 
durch  die  vorgehaltene  Convexlinse  vom  Augenhintergrunde  entworfen 
wird,  geringer  ist  als  die  im  aufrechten  Bilde,  bei  der  man  den  Augen- 
hintergrund  einfach  durch  die  wie  eine  Lupe  wirkenden  Augenmedien 
betrachtet,  so  thut  man  gut,  der  schnelleren  Uebersicht  wegen  erstere 
Untersuchungsmethode  der  anderen  voranzuschicken.  Schliesslich  wird 
auch  noch  mit  dem  Augenspiegel  die  Refraction  objectiv  zu  bestimmen  sein. 

Bei  dieser  methodischen  Untersuchung  des  Auges  und  seiner  Func- 
tionen kann  man  nicht  leicht  in  Gefahr  kommen,  Wichtiges  zu  über- 
sehen. Ist  das  Krankhafte  und  die  Krankheit  erkannt,  so  wird  zu  er- 
forschen sein,  ob  und  wie  weit  eine  Verbindung  des  Augenleidens  mit 
besonderen  Schädlichkeiten  oder  mit  Anomalien  der  Gesammtconstitution 
nachweisbar  ist.  Hier  wird  die  allgemein-ärztliche  Bildung  zur  Geltung 
kommen:  ohne  diese  Grundlage  kann  in  vielen  Fällen  von  einer  glück- 
lichen und  angemessenen  Behandlung  auch  des  Augenleidens  nicht  die 
Rede  sein.  Hoffentlich  schwindet  trotz  des  überwuchernden  Specialisten- 
thums  einmal  die  Zeit,  wo  das  Publikum  noch  fragen  kann,  ob  der 
„Augenarzt"  auch  „Arzt"  sei!  Häufig  genug  giebt  sogar  die  Augen- 
affection  direct  Anlass  zur  Erkennung  oder  richtigen  Auffassung  ander- 
weitiger Erkrankungen.  Ich  erinnere  nur  an  den  Zusammenhang  von 
Neuralgien  mit  Refractionsanomalien,  an  die  Bedeutung  der  Sehnerven- 
und  Augenmuskelerkrankungen  für  Hirn-  und  Nervenleiden  und  an  die 
nicht  seltenen  Fälle,  wo  die  Kranken  wegen  Abnahme  der  Sehschärfe 
zum  Arzt  kommen  und  die  Untersuchung  eine  Entzündung  der  Netz- 
haut als  Folge  eines  Nierenleidens,  oder  Accommodationsschwäche, 
Schwachsichtigkeit  und  Star  in  Folge  von  Zuckerfuhr  ergiebt.  Tuberkel 
der  Chorioidea  oder  Blutungen  in  der  Netzhaut  können  gelegentlich 
bei  der  Diagnose  der  Miliartuberkulose  oder  von  septicämischen  Pro- 
cessen ausschlaggebend  sein. 

Wie  einerseits  jeder  Augenarzt  ausreichende  Kenntnisse  der  übrigen 
Zweige  der  Medicin  besitzen  muss,  so  kann  andererseits  der  praktische 
Arzt  nur  bei  einer  gewissen  Uebung  im  Erkennen  der  Augenkrank- 
heiten eine  auf  der  Höhe  der  Wissenschaft  stellende  Diagnose  auch 
über  Erkrankungen  innerer  I  Irgane  stellen. 


Behandlung  der  Augenleiden.  \i 


B.  Behandlung  der  Augenleiden. 

Die  Augenkrankheiten  erfordern,  abgesehen  von  dem  Verhalten, 
das  für  jeden  Kranken  geboten  ist,  noeh  einige  besondere  Vorschriften. 
Vor  allem  ist  jede  Anstrengung  der  Augen  zu  vermeiden;  bei  inten- 
siveren Entzündungsprocessen  des  eigentlichen  Augapfels  muss  auf  ge- 
naueres Sehen,  wie  es  etwa  zum  Lesen  oder  Schreiben  erforderlich, 
überhaupt  verziehtet  werden.  Hier  ist  in  der  Regel  schon  der  blosse 
Liehteintall  schädlich  und  lässt  man  deshalb  die  Patienten  in  Räumensich 
aufhalten,  die  durch  Vorhänge  der  Fenster  mittels  schwarzer  oder  blauer 
Baumwollenstoffe  verdunkelt  sind.  Eine  absolute  Finsterniss  ist  nur  aus- 
nahmsweise erforderlich.  Gut  wird  es  sein,  wenn  das  Zimmer  nicht 
dem  directen  Sonnenlicht  ausgesetzt  ist.  Auch  bezüglich  des  Liehtein- 
talls durch  die  Thür  sind  Vorsichtsmassregeln  erforderlich.  Immer  aber 
sorge  man.  dass  durch  das  Abhalten  des  Lichts  nicht  auch  ein  Absperren 
von  Luft  erfolgt.  Die  Luft  muss  möglichst  rein  sein;  Aufenthalt  in 
staubigen  oder  mit  Tabaksdampf  erfüllten  Räumen  ist  bei  allen  entzünd- 
lichen Augenkrankheiten  zu  vermeiden.  In  schwereren  Entzündungs- 
fällen ebenso  wie  nach  Operationen  hält  man  die  Kranken  ganz  oder 
den  grössten  Theil  des  Tages  über  im  Bett. 

Ist  die  Verdunkelung  des  Zimmers  nur  massig,  oder  will  man  den 
Kranken  bei  leichteren  Entzündungsformen  ausgehen  lassen,  so  schützt 
man  das  erkrankte  Auge  noch  besonders  durch  Vorhängen  einer  Klappe 
von  Leinewand  oder  schwarzer  Seide,  die  an  einem  um  Stirn  und  Kopf 
gehenden  schmalen  Bande  befestigt  ist.  Kann  ein  gewisser  Gebrauch 
des  Auges  gestattet  werden,  so  muss  wenigstens  ein  blendender  und 
übermässiger  Lichteinfall  durch  das  Tragen  von  Augenschirmen,  Schleiern 
oder  besser  von  Schutzbrillen,  welche  gleichzeitig  Wind  und  Staub 
abhalten,  verhindert  werden. 

Zu  letzteren  nimmt  man  plangeschliffene  runde  oder  muschelförmig 
gekrümmte  ovale  Gläser  von  blauer  oder  grauer  Färbung.  Die  ge- 
krümmten Gläser  schliessen  sich  der  Augenhöhle  besser  an,  wirken  aber 
etwas  zerstreuend  auf  die  Lichtstrahlen  wie  sehwache  Concavgläser  und 
eignen  sich  daher  besonders  für  kurzsichtige  Patienten.  Die  Nuance 
der  Farbe  sei  nicht  zu  dunkel;  in  der  Regel  genügt  Nr.  111  bei  der 
meist  üblichen  Bezeichnung  von  I  bis  Vi  11,  wo  I  ganz  schwach  blau 
oder  schwach  grau  ist.  Die  blauen  Gläser  vermindern  nicht  nur  die 
Lichtintensität,  sondern  schliessen  auch  die  rothen  Lichtstrahlen  zum 
Theil  aus  und  scheinen  hierdurch  sogar  bei  einzelnen  Affectionen  direct 
als  Therapeuticum  zu  wirken  (Böhm).  Dass  übrigens  auch  die  grauen 
Rauch-  oder  Smoke-Gläser  nicht   gleichmässig  die  verschiedenfarbigen 


[2  Allgemeines  über  l'ntersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 

Strahlen  schwächen,  erkennt  man  leicht,  wenn  man  durch  mehrere  der- 
selben oder  durch  sehr  dunkle  sieht.  Die  Gegenstände  erhalten  bald 
einen  leicht-gelblichen,  bald  bläulich-violetten  oder  anderen  Farbenton. 
Bei  manchen  Augenleiden  ist  es  von  Wichtigkeit,  auch  die  seitlich 
durch  die  Sclera  eintretenden  Strahlen  abzuhalten;  man  kann  sich  hier 
nussschalenförmiger  Brillen  (z.  B.  der  von  mir  angegebenen  Peripherie- 
Schutzbrillen)  bedienen.  Die  Entwöhnung  von  diesen  Schutzglasern  muss 
nach  Heilung  der  Krankheit  möglichst  bald,  aber  allmählich  erfolgen, 
in  der  Weise,  dass  sie  zuerst  im  Zimmer  oder  im  Dämmerlicht  abge- 
lassen, aber  Abends  bei  Lampenlicht  und  auf  der  Strasse  noch  getragen 
werden. 

Zum  vollständigen  Verschluss  des  kranken  oder  operirten  Auges  bedient, 
man  sich  eines  Druckverbandes  oder  eines  einfachen  Schutzverbandes. 
Ersterer  wirkt  zugleich  immobilisirend  auf  das  Auge  und  beeintlusst  bei  stärkerer 
Druckwirkung  die  Circulation  desselben :  nach  «mehrtägiger  Anwendung  kann  man 
in  der  Kegel  eine  deutliche'  Tensionsabnahme  constatiren.  Beim  Druckverband 
legt  man  zuerst  auf  das  geschlossene  Auge  ein  ovales  Stückchen  Mull  oder  Lein- 
wand, das  die  Lider  vollständig  deckt.  Darüber  kommen  kleine  Wattebäuschchen 
zur  Ausfüllung  des  zwischen  Stirnrand,  Nasenrücken  und  Wange  über  dem  Auge 
befindlichen  Hohlraums.  Durch  öfteres  Auflegen  der  flachen  Hand  überzeugt  man 
sich  von  der  gleichmässigen,  auf  keiner  Stelle  hervorragenden  oder  drückenden 
Ausfüllung.  Tritt  der  Augapfel  stark  hervor',  so  wird  besonders  die  ihn  um- 
schliessende  rinnenförmige  Höhlung  ausgepolstert,  um  jeden  directen  Druck  von 
ihm  abzuhalten.  Statt  des  einfachen  Mulls  —  das  verwandte  Material  muss  sterilisirt 
sein  —  kann  man  auch  ein  Stückchen  Borlints,  die  glatte  Fläche  dem  Auge  zu- 
gekehrt, oder  eine  in  Sublimatlösung  (1:5000)  oder  Aqua  chlor!  getauchte  3Iull- 
compresse  verwenden.  Bei  alten,  decrepiden  Leuten  meide  man  feuchte  Verbände, 
da  sie  die  Haut  etwas  reizen  und  bei  längerem  Liegen  selbst  Gangrän  hervor- 
rufen können. 

Ueber  diesen  Verband  legt  man  mittels  einer  G — 7  m  langen  und  circa  (i  cm 
breiten  Binde  von  gutem  Mull  oder  von  appretirter  Gaze  ( —  letztere  lässt  ange- 
feuchtet die  Touren  zusammenkleben  und  ist  daher  bei  unruhigen  Kindern  be- 
sonders nützlich  — )  einen  Monoculus  an,  indem  man  von  dem  gleichseitigen  Unter- 
kieferwinkel beginnend  schräg  über  das  Auge  zur  entgegengesetzten  Stirnseite 
geht,  dann  eine  ganze  ( ürkeltour,  dicht  über  den  Obren,  um  Hinterkopf  und  Stirn 
macht,  und  nun  die  Binde  weiter  führend,  vom  Hinterkopf  unter  das  Öhr  der 
kranken  Seite  herabgeht  und  so,  auf  den  ersten  Bindengang  stossend,  oberhalb 
desselben  den  zweiten,  steiler  gelegten  über  das  Auge  führt.  Dieser  Gang  läuft 
im  übrigen  wie  der  erste';  ihm  folgt  ein  dritter,  der  nach  oben  liegt.  Man  thut 
gut,  eine  Reihe  ähnlicher  Touren,  die  schräg  gehen  und  das  gleichseitige  Ohr 
bedecken,  hinzuzufügen.  Nach  grösseren  Operationen  kann  man  auch  durch  ein  paar 
Bindengänge  das  mit  Watte  bedeckte  gesunde  Auge  schliessen,  um  es  gegen  Licht 
zu  schützen  und  Bewegungen  zu  verhindern.  Anfang  und  Lüde  werden  mit 
Stecknadeln  befestigt;  ebenso  verschiedene  Stellen  der  Cirkeltouren,  besonders  die 
hinteren,  welche  Neigung  haben  nach  oben  zu  gleiten.  — 

Der  einfache  Schutzverband  wird  in  verschiedener  Weise  ausgeführt.  So 
kann    man    auf    die    oben    beschriebene  Auspolsterung  eine  festhaltende  Bandage 


Behandlung  der  Augenleiden.  13 

Legen,  die  aus  einem  etwa  14  cm  langen,  in  der  .Mitte  6  cm  breiten  eiförmigen 
Flanellstreifen  besteht,  an  dessen  beiden  Enden  schmale  Bänder  genäht  sind,  von 
denen  eines  über  die  entgegengesetzte  Stirnhälfte,  das  andere  unter  das  gleich- 
seitige Ohr  zum  Hinterkopfe  geführt  wird,  um  alsdann  zusammengeknüpft  zu 
werden.  Oder  man  schneidet  sieh  ein  entsprechend  grosses  Oval  von  amerikani- 
schem Kautschuckpflaster,  das  die  Polsterung  deck!  und  mit  seinen  Rändern  an 
der  stirn-.  Nasen-  und  Wangenhaut  anklebt;  um  die  Verdunstung  nicht  zu  hindern, 
macht  man  einige  Löcher  hinein.  Diesen  Verband  wende  ich  besonders  bei  ganz 
jungen  Kindern  an.  bei  denen  die  Binden  sich  leicht  verschieben,  wenn  man  nicht 
durch  Benutzung-  einer  Kleisterbinde  ihnen  einen  festen  Schluss  giebt.  Das  Ab- 
reissen  des  Verbandes  mit  den  Händen  kann  man  vermeiden,  wenn  man  den 
Kindern  über  die  Arme  längere  Pappröhren  zieht,  die  eine  Biegung  im  Ellenbogen- 
gelenk bindern. 

Neuerdings  werden  nach  Operationen  Gitter  v e rbä  n d e  vielfach  benutzt.  Die 
Gitter  sind  von  Draht,  gewölbt  und  uhrglasförmig,  und  werden  mit  Bändern,  die 
um  den  Kopf  gehen,  befestigt.  An  Stelle  des  etwas  schweren  Gitters  von  Fuchs 
benutze  ich  ein  von  feinerem  Draht  gearbeitetes  in  der  Art,  wie  es  Schwarz 
anwendet.  Um  gleichzeitig  bei  Auspolsterung'  der  Augenhöhle  einen  Druck  aus- 
üben zu  können,  habe  ich  mir  auch  glatte  Drahtgitter  machen  lassen.  Venu  man 
das  Lieht  abhalten  will,  ohne  die  Augen  mit  Mull  und  Watte  zu  bedecken,  so  kannman 
dieselben  mit  schwarzer  Seide  oder  Taffet  überziehen.  Im  Ganzen  sind  die  Gitter 
für  die  Patienten  bequemer  als  die  Bindenverbände,  auch  kann  man  sie  leichter 
abnehmen,  um  nach  dem  Auge  zu  sehen.  Da  bei  vielen  Operationen  ein  Druck- 
verltand zur  Fixirung  des  Auges  nicht  nöthig  ist,  so  bilden  sie  einen  ausreichen- 
den Ersatz  für  ihn.  Manche  Operateure  schliessen  nach  der  Operation  das  Auge 
nicht,  selbst  nicht  einmal  durch  Auflegen  eines  Mullläppchens  oder  Pflasters,  son- 
dern schützen  es  nur  durch  das  Gitter  gegen  etwaige  Verletzungen  (Czermak). 
leb  halte  es  für  vorsichtiger,  wenigstens  in  den  ersten  24  Stunden  oder  bis  zur 
Herstellung  der  vordem  Kammer  das  Auge  durch  die  oben  erwähnte  Auspolsterung, 
die  sich  auch  unter  dem  uhrglasf  orangen  Gitter  machen  lässt,  zu  schliessen;  auch 
das  andere  Auge  wird  durch  einen  Pflasterstreifen  verklebt.  Einen  wirklichen 
Pruekverband  lege  ich  auf  das  Augenlid  stets  an,  wenn  filaskörperverlust  einge- 
treten ist.  bei  glaucomatischen  Processen  (wegen  seiner  Wirkung  auf  Herabsetzung 
des  intraocularen  Druckes)  und  bei  unruhigen  Patienten.  Als  besonderen  Nach- 
theil des  Druckverbandes  hat  man  angeführt,  dass  sich  darunter,  wie  experimentell 
erwiesen  (Marthen,  Bach)  die  Zahl  der  Bacterien  mehrt.  Die  Erfahrung  lehrt 
jedoch,  dass  auch  unter  Druckverbänden  fast  nie  eine  Suppuration  eintritt,  wenn 
nicht  ein  absonderndes  Thränensackleiden  besteht.  Dass  aber  der  Lidschlag  an  und 
für  sich  nicht  im  Stande  ist,  die  Infection  durch  Thränensaeksecret  zu  verhüten, 
lehrt  uns  die  Entstehung  der  Ulcera  serpentia  corneae  nach  kleinen  Ver- 
letzungen. 

Vor  einer  vollständig  offenen  Wundbehandlung  nach  Staroperationen  —  ohne 
Anwendung  von  Schutzgittern  — ,  wie  sie  von  Hjort  und  Andern  geübt  wird, 
möchte  ich  doch  warnen,  da  durch  unwillkürliches  Gegenstossen  leicht  Wund- 
sprengungen, selbst  noch  nach  6  Tagen,  erfolgen  und  deletäre  Vorgänge  dadurch 
eingeleitet  werden  können. 

Von  localen  Mitteln,  die  bei  Augenkrankheiten  besonders 
zur  Verwendung  kommen,  mögen  nachstehende  hier  hervorgehoben 
"werden. 


14 


Allgemeines  über  Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 


1! 


Blutentziehungen.  Trotz  mancher  theoretischer  Gegengründe,  die 
übrigens  durch  Weil's*  experimentelle  Untersuchung-  hinfällig  geworden, 
zeigt  die  Praxis  unzweifelhaft  den  Werth  localer  Blut- 
entziehung  in  geeigneten  Fällen.  Man  benutzt  bei 
äusseren  Affectionen  in  der  Regel  natürliche  Blut- 
egel, die  bei  Erwachsenen  zu  zwei  bis  vier  in  die 
Schläfengegend  gesetzt  werden.  Man  meide  das 
langweilige  Nachblutenlassen  und  mehre  lieber  die 
Zahl  der  Egel.  Ein  Ansetzen  an  die  Lider  ist  durch- 
aus verwerflich,  da  leicht  Sugillationen  und  An- 
schwellung in  dem  schlaffen  Gewebe  auftreten;  auch 
sind  Fälle  bekannt,  wo  der  Blutegel  den  Augapfel 
selbst  angesaugt  hat.  Für  innere  Augenentzündungen 
(Glaskörpertrübungen,  Chorioideal-  und  Netzhaut- 
affectionen)  scheint  erfahrungsgemäss  die  Blutent- 
ziehimg mittels  des  künstlichen,  Heurteloup' sehen 
Blutegels  vorteilhafter,  jedoch  werden  auch  hier  von 
einigen  die  natürlichen  Blutegel  angewandt:  man 
setzt  sie  alsdann  an  den  Proc.  mastoideus,  wo  ein  mit 
dem  Sinus  transversus  in  Verbindung  stehendes 
Emissariuni  ausmündet.  Die  Blutentziehung  nach 
Heurteloup  geschieht  schneller  und  kann  gut  dosirt 
werden;  auch  wird  eine  grössere  Hautpartie,  ähnlich 
wie  beim  Schröpfkopf,  hyperäinisirt.  Das  Instrument 
besteht  aus  einem  schneidenden  Locheisen  (Figur  3  Aa), 
das  durch  Ziehen  an  einer  Schnur  in  seinem  Gestell 
rotirt  und  eine  kreisförmige,  etwa  3  mm  im  Durch- 
messer haltende  Hautwunde  macht.  Je  nach  der 
Dicke  der  Haut  und  des  Fettgewebes  wird  das  Loch- 
eisen mehr  oder  weniger  weit  aus  dem  Gestell  vor- 
geschoben. Nachdem  man  sich  von  dem  ausreichen- 
den Bluten  der  Wunde  überzeugt,  beziehentlich  durch 
Anwendung  von  warmem  Wasser  die  Wunde  stärker 


K'iinstl  i  eher 
Bluti-  gel. 


zum  Bluten  gebracht  hat,  wird  mittels  des  aufgesetzten 
Glaseylinders  (B),  der  durch  das  Zurückschrauben 
eines  festschliessenden  Korkes  allmählich  luftleer  ge- 
macht wird,  das  Blut  entzogen.  Man  muss  nach  den  ersten  Schraubon- 
drehungen  den  Cylinder  nicht  mehr  zu  fest  gegen  die  Haut  drücken,  da 
sich  dieselbe  sonst  leicht  stark  in  den  luftleeren  Raum  presst  und  durch 
die  damil   verknüpfte  Eünschnürung  am    Rande    der  Blutzufluss   unter- 


Zcitsclir.  f.  klinische   Medicin   Md.  .'17. 


Behandlung  der  Augenleiden.  15 

broehen  wird:  eine  häufige  Ursache  des  Misslingens  der  kleinen  Ope- 
ration. Gewöhnlich  genügt  die  Entziehung  eines  Cylinders  (ungefähr 
2ö  bis  30  Gramm)  Blut,  Auch  hier  benutzt  man  die  Schlafe  zur  Ap- 
plication: achte  aber  darauf,  dass  kein  grösseres  Gefäss  angeschnitten 
wml.  Das  auf  die  Wunde  gelegte  englische  Heftpflaster  wird  mit  Col- 
lodium  befestigt,  da  ein  etwaiges  Heraustreten  des  umschnittenen  llaut- 
evlinders  hässliche  Narben  macht 

Kalte  Umschläge,  besonders  bei  Conjimetivalentzündiingen  üblich, 
werden  mit  Eis,  Wasser  oder  medicamentösen  Lösungen  gemacht.  Bei 
Eisanwendung  kann  man  mit  Eisstückchen  gefüllte  kleine  Eisblasen 
auf  das  Auge  legen,  doch  wirkt  der  Druck  oft  lästig.  Gewöhnlich 
bringt  man  eine  grössere  Zahl  von  Leinwandcompressen  oder  Watte- 
ballen in  Wasser,  in  dem  sich  Eisstücke  befinden,  imd  macht  mit  diesen, 
etwa  alle  halben  Minuten  wechselnd,  die  Umschläge.  Es  ist  nicht 
nöthig,  die  Umschläge  beständig  zu  machen;  selbst  bei  sehr  heftigen 
Erkrankungen  (Blennorrhoen  der  Conjunctiva)  kann  man  in  der  Regel 
nach  einstündiger  Fortsetzung  derselben  wieder  eine  halbe  oder  ganze 
Stunde  Pause  machen.  Um  Hautreizung  zu  vermeiden,  besonders  bei 
kleinen  Kindern,  legt  man  auf  die  Lidliaut  ein  mit  Süssmandel-Oel, 
Vaselia  oder  Ung.  leniens  bestrichenes  Leinwandplättchen,  so  dass  die 
feuchten  Compressen  nicht  in  directe  Berührung  mit  derselben  kommen. 
An  Stelle  der  Umschläge  mit  reinem  kalten  Wasser,  die  bei  weniger 
heftigen  Conjunctivalentziüidnngen  nur  drei-  bis  viermal  täglich  eine 
viertel  bis  halbe  Stunde  lang  gemacht  werden,  benutzt  man  meist  sehwache 
Lösungen  von  Borsäure  (ein  Theelöftel  voll  auf  lj2  Liter  Wasser),  Subli- 
mat (1 :  5000)  oder  Blei.  Eine  beliebte  Form  ist  es,  von  Bleiessig  10 
bis  15  Tropfen  in  !  4  Liter  Wasser  giessen  zu  lassen.  Das  so  hergestellte 
Bleiwasser  ist  schwächer  als  das  officinelle  und  die  Vorschrift  für  den 
Patienten  bequemer.  Doch  vermeide  man  das  Blei  bei  Hornhautgesebwü- 
ren,  da  gelegentlich  Niederschläge  in  denselben  erfolgen  können.  Immer 
erinnere  man  ambulante  Patienten  daran,  dass  sie  nicht  kurz  nach  den  kalten 
Umschlägen  ins  Freie  gehen  oder  letztere  machen,  wenn  sie  erhitzt  sind. 

Zu  lauen  Umschlägen,  die  bei  Hornhautentzündungen  vorzugs- 
weise benutzt  werden,  nimmt  man  meist  Kamillenthee  oder  die  oben  ge- 
nannten antiseptischen  Lösungen;  ebenso  auch  Acid.  salicyl.  in  Borlösung 
(Rp.  Acid.  salicyl.  5-0,  Acid.  boric.  15-0,  Aqua  destill.  500.  Sattler). 
Carbolsäure  ist  besser  zu  meiden,  da  sie  in  etwas  stärkerer  Lösung 
(über  1  bis  2  Procent)  auf  die  Hornhaut  irritirend  wirkt.  Die  Tempe- 
ratur der  Umschläge  sei  42  bis  45  Grad  C.  Dass  übrigens  durch  kalte 
Umschläge  die  Temperatur  im  Conjunctivalsack  herabgesetzt,  durch 
warme  gesteigert  wird,  ist  experimentell  erwiesen  (Giese,  Hertel). 

Ferner  kann  man   einen  sehr  guten   feuchtwarmen    antiseptischen 


[(3  Allgemeines  über  Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 

Verband  herstellen,  wenn  man  die  zur  Auspolsterung  der  Augenhöhle 
benutzte  Watte  mit  warmer  Sublimatlösung  befeuchtet  und  zur  Be- 
festigung anstatt  der  Flanellbandage  eine  solche  mit  G-uttaperchapapier 

oder  Waehstaffet  verwendet.  Es  bedarf  etwa  alle  Stunden  einer  neuen 
Befeuchtung,  um  eine  entsprechende  Temperatur  zu  behalten. 

Trockene  Wärme  lässt  sich  in  (restalt  der  kleinen  Japanischen 
Metall-Wärmekästchen,  in  denen  eine  Patrone  langsam  abbrennt,  mit 
grosser  Bequemlichkeit  anwenden.  Oder  man  benutzt  die  sogenannten 
Thermophore,  welche  dadurch  stundenlang  Wärme  erzeugen,  dass  das 
in  ihnen  befindliche  unterschwef ligsaure  Natron,  in  heissem  Wasser 
gelöst,  beim  Wieder-Auskiystallisiren  Wärme    abgiebt. 

Die  gebräuchlichen  medicamentösen  Topica  sind  in  der  Augen- 
heilkunde nicht  zu  zahlreich-,  jedenfalls  kommt  man  mit  verhältnissmässig 
wenigen  aus.  Von  Arznei  Stoffen,  die  in  Substanz  benutzt  werden,  seien 
glatte  Stifte  von  Gupr.  sulfur.,  von  Alaun  und  von  mitigirtem  Höllen- 
stein (Arg.  nitric.  c.  Kali  nitric.)  erwähnt:  der  von  Stilling  wegen 
seiner  antiseptischen  Eigenschaften  gegen  zahlreiche  Augen-Entzündungen 
empfohlene  Pyoktaninstift  (gelbe  und  blaue  Anaün-Farbstoffe)  hat  sich 
im  allgemeinen  nicht  bewährt.  Man  spricht  von  „Touchiren",  wenn  die 
betreffenden  kranken  Stellen  direct  besh-icken  werden.  Nimmt  man 
Höllenstein,  so  neutralisirt  man  das  Ueberschüssige  durch  Nachpinseln 
mit  einer  sclrvvaclien  Kochsalzlösung,  der  dann  wieder  Wasser  naehge- 
gespült  wird.  Als  Pulver  wird  mittels  eines  kleinen  Tuchpinsels  häufig 
Calomel  (Rp.  Hydrarg.  chlorat.  mite  subtilissime  pulv.)  eingestreut,  das  man 
vor  Feuchtigkeit  schützen  muss,  da  es  sonst  zu  kleinen  Körnern  sich 
zusammenballt,  und  Jodoform.  Die  übrigen  Mittel  verwenden  wir  in 
der  Regel  in  Lösungen  als  Tropfwässer  oder  in  Salbenform.  Von  den 
Lösungen  verschreibe  man  nicht  mein-  als  5-0  bis  10-0  g;  «las  dazu  ge- 
nommene destillirte  Wasser  muss  frisch  gekocht  sein,  um  bacterielle 
Verunreinigungen  zu  vermeiden.  Ihre  Anwendung  geschieht  so,  dass 
man  unter  Abziehen  des  unteren  Lides  mit  einem  reinen  Tropfflaschen 
ein  bis  zAvei  Tropfen  einträufelt  oder  einen  in  die  Lösung  eingetauchten 
und  mit  ihr  ordentlich  angefüllten  Pinsel  auf  dem  ektropionirten  Lid- 
rande abstreicht.  Darauf  lässt  man  das  Auge  schliessen.  Wenn  die 
Patienten  oder  ihre  Angehörigen  die  Einträufelung  ausführen  sollen,  so 
ist  es  meist  besser,  dass  sie  sich  des  Pinsels  bedienen,  da  das  Glasrohr 
bei  angeschickter  Anwendung  verletzen  kann;  am  leichtesten  gelingt 
ihnen  die  Einträufelung,  wenn  die  Kranken  auf  dem  Rücken  liegen.  In 
Lösungen  giebt  man  besonders  häufig  Zinc  sulfur.,  Acid.  tannic,  Cupr. 
•sulfur.  (J/5  bis  1  Procent),  Natr.  biborac.  (2 bis  4 Procent)  und  Eydrarg. 
bichloratum  corrosirum  (1:5000  bei  Blennorrhoe]]  und  zu  prophylak- 
tischer Antisepsis).     Argentum  oitricum,  Plumbum  aceticum  können  in 


Behandlung  der  Augenleiden.  17 

schwachen  Lösungen  ('/4  bis  lj2  Procent)  auch  zu  Einträufelungen  be- 
nutzt werden,  in  stärkerer  Dosirung  (2  Procent)  verwendet  mau  sie  meist 
nur  zum  »lirecten  Bepinseln  der  Schleimhaut,  wobei  ebenfalls  das  Ueber- 
schüssige  neutralisirt,  respeetive  mit  Wasser  ausgewaschen  wird.  Aehn- 
lieh  wie  Höllenstein  wirkt  das  L'rotargol,  eine  Verbindung'  des  Silbers 
mit  einem  Proteinstoff;  man  nimmt  l/2  bis  lOprocentige  Losungen 
oder  5  bis  10  Procent  zu  Salben.  Als  Constituens  für  Salben,  die  in 
das  Auge  kommen  sollen,  bedient  man  sich  des  Ung.  Paraffini  oder 
besser  noeh  des  reinen,  weissen  amerikanischen  Vaselins  (Marke  Chese- 
brough  Manufacturing  Comp.).  Wegen  seiner  Löslichkeit  in  der  Thränen- 
flüssigkeit  wird  auch  das  Ung.  Gdycerini  benutzt.  Viel  verwendet,  be- 
sonders bei  phlyetänulären  Processen  der  Conjimctiva,  ist  eine  Salbe 
von  Hydrarg.  oxyd.  flav.  via  humida  paratum  (Pagenstecher);  letzteres 
ist  gelb  und  feiner  vertkeilt  als  das  schon  langberühmte  ophthalmiatrische 
Mittel  Hydrarg.  oxyd.  rubrum.  Man  verschreibt:  Rp.  Hydrarg.  oxyd. 
via  humid,  reeent.  parat.  0,1 — 0,2,  Vaselini  americ.  albi  5,0  M.  f.  ung. 
DS.  Hanfkorngross  mit  einem  Stückehen  Papier  ins  Auge  zu  streichen 
und  dort  mit  den  geschlossenen  Lidern  zu  verreiben.  Nach  5  Minuten 
sind  etwa  ungelöste  Reste  mit  einem  Läppchen  aus  dem  Conjunctival- 
sack  zu  entfernen.  Auch  bei  Liderkrankungen  bedient  man  sich  mit 
Vortheil  des  Hydrarg.  oxyd.  flav.,  ferner  des  Hydrarg.  praec.  alb.  oder 
Zinc.  oxyd.;  hier  sind  als  Constituens  die  Kühlsalben  (Ung.  leniens;  oder 
Adipis  lanae  und  Aqu.  destill,  aa  1,0,  Vaselini  amer.  alb.  pur.  10,0)  be- 
sonders empfehlenswerth.  —  Als  antiphlogistisches  und  ableitendes 
Mittel  ist  bei  inneren  Augenentzündungen  sehr  beliebt  die  Arlt'sche 
Stirnsalbe  (Hydrarg.  praec.  alb.  1-0,  Extr.  Bellad.  1-0,  Ung.  simpl.  10 -0) 
oder  auch  einfacher  Ung.  einer,  mit  Ung.  simpl.  aa  5,0.  Diese  Salbe 
wird  eine  Erbse  gross  in  Stirn  und  Schläfe  gerieben. 

Wegen  ihrer  eigenartigen  Wirkung  auf  das  Auge  seien  noch  zwei  neuere 
Topica  genannt:  das  Extract.  suprarenale  (Aterk)  (Atrabilin)  und  das  Dionin. 
Wenn  man  vom  ersteren  einige  Tropfen  in  den  Conjunctivalsack  bringt,  tritt 
sofort  eine  überraschende  Anämie  ein,  entzündliche  ausgedehnte  Gefässe  ver- 
engern sich.  Leider  dauert]  die  Wirkung  nicht  lange  und  ist  durch  wiederholtes 
Einträufeln  kein  hemerkenswerther  therapeutischer  Effect  zu  erzielen.  Allen- 
falls könnte  man  die  Blutleere  bei  oberflächlichen  Conjunctival-Operationen  mit 
Vortheil  anwenden.  Subcutane  Injectionen  bei  Thieren  haben  sich  als  sehr 
giftig  erwiesen.  Das  Dionin,  ein  Morphinderivat,  verursacht,  hanfkorngross  und 
mehr  in  den  Conjunctivalsack  gebracht,  starke  Chemose,  Oedem  der  Lider  und 
heftige  Schmerzhaftigkeit  i'Wolffbergj;  ob  ein  therapeutischer  Nutzen  dabei 
heraus  kommt,  bleibt  abzuwarten. 

In  der  Regel  wendet  man  die  Salben  wie  auch  die  meisten  adstrin- 
girenden  Augenwässer  nur  einmal  täglich  an. 

Schmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  2 


\$  Allgemeines  über  Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 

Anders  mit  den  mydria  tischen  Mitteln.  Das  üblichste  Mydriati- 
cum  (Pupille  erweiternde  Mittel)  ist  das  Atropin  (Atrop.  sulfur.  0,02 
bis  0,1,  Aqu.  destill,  recenter  coct.  10,0,  Hydrarg.  bichlor.  corros.  0,001 ;  in 
dieser  Form  wird  am  besten  die  Pilzentwicklung  vermieden).  Auch  in 
Gelatineplättchen  oder  in  Salbenform  wird  es  angewandt.  Bei  allen 
Hyperämien  oder  Entzündungen  der  Regenbogenhaut  wird  es  benutzt, 
nicht  selten  dreimal  täglich  und  öfter.  Es  bewirkt  Immobilität  und 
Erweiterung  der  Pupille  durch  Lähmung  der  die  Iris  versorgenden 
Fasern  des  Oculomotorius  (Sphincter  iridis)  und  Reizung  der  Sympa- 
thicus-Aeste  (Dilatator  iridis)  oder  der  Gefäss-Muskulatur.  Für  Sympa- 
thicus-Reizung  spricht  der  Umstand,  dass  die  Weite  der  atropinisirten 
Pupille  erheblich  die  übertrifft,  welche  man  bei  einfachen  Sphincter- 
liilimungen  findet.  Bei  normalen  Augen  kommt  nach  einmaliger  Ein- 
träufelung  meist  in  etwa  einer  halben  Stunde  eine  maximal  weite  Pupille 
zu  Stande,  welche  nur  noch  von  einem  .kleinen  Irissaum  umgeben  ist; 
bei  neugeborenen  Kindern  und  bei  sehr  bejahrten  Individuen  ist  die 
Ausdehnung  weniger  erheblich.  Neben  dieser  Wirkung  auf  die  Iris  ist 
eine  Lähmung  des  Accommodationsmuskels  (M.  ciliaris)  zu  constatiren; 
das  atropinisirte  Auge  ist  auf  seinen  Fernpunkt  eingerichtet.  Auf  diesen 
Umstand  und  darauf,  dass  mehrere  Tage,  oft  eine  Woche  vergehen, 
ehe  die  Wirkung  sich  ganz  verliert,  muss  man  die  Kranken  aufmerk- 
sam machen,  da  sie  sonst  leicht  durch  Verschwommensehen  und  das 
bei  Nichtkurzsichtigen  auftretende  Unvermögen,  in  der  Nähe  scharf 
zu  sehen,  beunruhigt  werden.  Der  intraoculare  Druck  wird  durch 
Atropin  im  normalen  Auge  nach  Untersuchungen  von  Höltzke  und 
Gräser  erhöht.  Auch  die  Praxis  lehrt,  dass  man  Atropin  bei 
Hypertonie  des  Auges  nicht  anwenden  soll.  Die  Wirkung  erfolgt  durch 
directe  Aufnahme  in  den  Humor  aqueus.  Selbst  bei  längerer  und 
starker  Einträufelung  treten  in  der  Regel  keine  Allgemein-Erscheinungen 
ein,  wenn  man  den  Abfluss  durch  den  Thränennasencanal  in  Nase  und 
Rachen  hindert.  Man  erreicht  dies,  indem  man  nach  dem  Einträufeln 
das  Auge  schliessen  lässt  und  mit  der  Fingerspitze  einige  Zeit  die 
Thränenröhrchen  comprimirt.  Das  erste  Symptom,  welches  auf  allge- 
meine Resorption  hindeutet,  pflegt  die  Klage  über  Trockenheit  im  Rachen 
zu  sein.  Zu  ausgeprägten  Vergiftungserscheinungen  (Schwäche,  Uebel- 
keit,  Blasenkrampf,  llallucinationen  etc.)  pflegt  es  durch  locale  Anwen- 
dung selten  zu  kommen.  Morphiumin jeetionen  (0-01  bis  0-02)  haben 
sich  als  Antidot  öfter  bewährt;  auch  Pilocarpin  wird  empfohlen.  —  In 
einzelnen  Fällen  tritt  in  Folge  einer  Idiosynkrasie  gegen  das  Atropin 
oder  eines  zu  intensiven  Gebrauches  oder  schlechter  Präparate  oder 
Pilzbildung  eine  heftigere,  mit  Thränen  und  starkem  Lidekzem  verknüpfte 
Conjunctivitis    auf;    alter    auch    ohne    diese   Erscheinungen   bilden   sich 


Behandlung  der  Augenleiden.  19 

bisweilen  in  der  Conjunctiva  kleine,  blasse  Bervorragungen  (Follikel). 
Wenn  durch  Touchiren  der  Schleimhaut  mit  einer  Lösung  von  Plum- 
bum  aceticum;  das  sieh  hier  besonders  wirksam  erweist;  der  Pröcess 
nicht  geheilt  oder  in  Schranken  gehalten  werden  kann,  so  muss  man 
das  Ä.tropin  aussetzen.  Bei  langer  Anwentatng  stärkerer  Atropindosen 
thutman  überhaupt  gut,  durch  zeitweiliges  Bepinseln  mit  Bleilösung  einer 
Schleimhautaffection  vorzubeugen. 

Noch  stärker  mydriatisch  wirkt  das  Scopolaminum  (  Hyoscinum)  hvdro- 
bromicum  (0,2 — 0,3procentig)(Raehlmann);  es  empfiehlt  sieh  besonders 
dort,  wo  eine  intraoenlare  Drucksteigerung  besteht  oder  zn  fürchten  ist. 
Schwächer  und  weniger  nachhaltig  wirkt  Homatropin  (0,05,  0,1  und  10,0). 

Man  bedient  sieh  desselben  meist  nur  zu  Untersuchungszwecken, 
wenn  man  für  kürzere  Zeit  die  Pupille  erweitern  und  die  Aeeommodation 
lähmen  will.  Da  zum  Augenspiegeln  nur  eine  vorübergehende  Mydriasis 
erforderlich  ist,  so  erweisen  sieh  hierzu  noeh  zweckmässiger  das  mildere 
Euphthalmin  (5,0 — 10,0  proc),  das  allerdings  auch  etwas  den  Nahepunkt 
hinausschiebt,  und  das  Ephedrin,  das  denselben  ganz  unverändert  lässt. 
Besonders  ist  die  Mischung  von  Ephedrin,  muriat.  (0,1)  mit  Homatropin 
hydrobromic  (0,01)  und  Aqu.  destill.  (10,0)  zu  empfehlen;  in  etwa  >/2  'ns 
3  4  Stunden  nach  mehrmaligem  Einträufeln  ist  die  Pupille  ausgiebig  er- 
weitert, in  4  bis  5  Stunden  wieder  normal;  leider  sind  Euphthalmin. 
muriat.  und  Ephedrin  noch  ziemlieh  theuer.  Uebrigens  kann  man  auch 
durch  4proeentige,  oft  wiederholte  Coeain-Einträufelungen  in  der  Regel 
eine  genügende  und  schnell  vorübergehende  Pupillendilation  erhalten.  Die- 
ses Mittel,  ebenso  wie  das  Euphthalmin  wird  man  vorzugsweise  in  Fällen 
verwenden,  in  denen  man  eine  Drucksteigerung  vermeiden  will  (z.  B.  bei 
Verdacht  auf  Grlaucom);  doch  hat  man  selbst  nach  ihnen  acute  Glaucom- 
Anfälle  ausbrechen  sehen. 

Hvoseyamin,  Duboisin  und  Daturin  sind  nach  Ladenburg's  Unter- 
suchungen mit  Atropin  identisch  und  verhältnissmässig  wenig  im  Gebrauch. 

Als  Mioticum  ist  besonders  das  Eserin  s.  Physo stigmin,  das 
Alkaloid  der  Calabarbohne  ( Phvsostigma  venenosum),  gebräuchlich. 
Dies  ist  ein  weisses  Pulver,  das  aber  in  Lösungen,  selbst  in  dunklen 
Gläsern  sehr  bald  eine  röthliche  Färbung  annimmt,  ohne  jedoch  da- 
durch erheblich  an  Wirksamkeit  zu  verlieren.  Am  besten  hält  sich  das 
Phvsostigm.  salieylicum  P/2  ms  1  proeentig).  Neben  der  Pupillen  Ver- 
engerung erfolgt  nach  dem  Einträufeln  in  den  Conjunctivalsack  auch 
eine  krampfhafte  Contraction  des  Ciliarmuskels  (cfr.  „Aeeommodation  s- 
krampf"  |,  sodass  die  Aeeommodation  angespannt  und  der  Fernpunkt 
herangerückt  wird.  Im  normalen  Auge  erhöht  das  Eserin  den  intraoeu- 
laren  Druck  anfangs,  später  setzt  es  ihn  quantitativ  mehr  herab,  als  es  ihn 
anfangs  gesteigert  hatte  (Pflüger,  Stocker);  der  letztere  Effect  wird 

2* 


20  Allgemeines  über  Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 

von  Höltzke  als  Folge  der  pupillenverengenden  Wirkuno-  desselben  an- 
gesehen;  von  G  rönholm  durch  Abnahme  der  Blutmenge  und  der  Secretion 
in  Folge  der  eintretenden  Gefässverengerung  erklärt.  Unleugbar  erfolgt 
eine  Herabsetzung  des  intraoeularen  Drucks  bei  glaucomatösen  Augen. 
Bald  nach  derEinträufelung  klagen  manche  Patienten  über  Druck  im  Auge 
und  in  der  Stirn.  Ausser  Eserin  kann  man  auch  zur  Herstellung  einer  Miose 
Lösungen  von  Pilocarp.  muriaticum  (1-  bis  2procentig);  das  ebenfalls 
nach  klinischer  Erfahrung  den  intraoeularen  Druck  herabsetzt,  ein- 
träufeln; doch  wirkt  das  Mittel  weniger  kräftig,  hat  aber  den  Vorthcil, 
die  Accommodatipn  in  geringerem  Grade  zu  beeinflussen  und  nicht  so 
wie  Eserin  bei  Neigung  zur  Litis  die  Entzündung  zu  steigern. 

Mannigfache  Anwendung  bei  den  verschiedensten  Augen- Affectionen 
haben  in  den  letzten  Jahren  die  subconjunctivalen  Injectionen  ge- 
funden.    Darier  bediente  sich  einer  Sublimatlösung  (1  auf  1000),  von 
der   ein  bis  fimf   Tropfen    etwa  7  mm  vom  Hornhautrande    unter    die 
Conjunctiva  mit  einer  Pravaz'schen  Spritze  eingespritzt  wurden:  später 
wurde  durch  Zusatz  von  Chlornatrium  ('/io  Procent)  leichtere  Resorption 
oder  durch  Anwendung  schwächerer  Lösung  (1 :2000)  eine  Verringerung  der 
Reaction  zu  errreiehen  gesucht.     Da  die  Wirkung  dieser  Einspritzung 
nur    als    eine  die  Blut-  und  Lymphcirculation  beschleunigende    und    so 
die  Entfernung  pathologischer  Producte  anregende   sein  kann,   keines- 
falls eine,    wie  Darier    annahm,    desinficirende,    so    erreicht   man   mit 
Injectionen  von  Kochsalzlösungen  (2  bis  5  Procent),  von  denen   */2  bis 
1  cm3  eingespritzt  wird  (Mellinger),  dieselben  Resultate.      Da   öfter 
nach    den   Sublimat-Injectionen   bedenkliche  Verklebungen   im   subcon- 
junctivalen Räume    eintreten,  wende  ich    jetzt  fast    ausnahmslos    diese 
Kochsalzlösungen  an.    Auch  Darier  empfiehlt  neuerdings  eine  Lösung 
von  Hydrargyri  cyanati  0,01,  Natr.  chlorat.  1.0,  Aqu.  destillat.  100,0,  von 
der  J/4  bis  ganze  Pravaz-Spritze  injicirt  werden  kann.    Nachdem  man  die 
Conjunctiva  durch  Cocain  oder  Eucain  unempfindlich  gemacht,  hebt  man 
sie  etwas  mit  der  Pincette,  sticht  dann  die  Canüle  ein  und  schiebt  sie 
etwa  V2  cm  weiter  vor.    Die  meist  heftigen  Schmerzen,  welche  nach  der 
Injection  der  Kochsalzlösung  eintreten,  kann  man  vermeiden,  wenn  man 
das  Kochsalz  nicht  in  Wasser,  sondern  1  procentiger  Eucainlösung  ver- 
schreibt oder  bei  Kochsalzlösungen  über  3  Procent,  wo  das  Eucain  aus- 
fällt, eine  Eucaineinspritzung  vorausschickt. 

Zur  Anästhesirung  bei  Augenoperationen  benutzt  man  meist  Einträu- 
felungen von  Cocain  (Erytroxylon  Coca),  das  1884  von  Koller  in  die 
Augenheilkunde  eingeführt  wurde.  Dasselbe  macht  die  Cornea  und  Con- 
junetiva  empfindungslos;  bei  stärkeren  Dosen  wird  auch  die  Empfindlich- 
keit der  Iris  herabgesetzt.  Ausserdem  wird  die  Lidspalte  erweitert  und 
bisweilen    eine    leichte    Protrusion    des    Augapfels    bewirkt.      Der   intra- 


Behandlung  der  Augenleiden.  21 

oculafe  Druck  verringert  sich,  die  Pupille  erweitert  sich,  reagirt  aber 
meist  noch  gegen  Licht.  Der  Nahepunkt  rückt  etwas,  aber  nur  sehr 
vorübergehend,  hinaus.  Die  Gefässe  der  Bindehaut  und  der  Iris  ver- 
engern sich.  Es  handelt  sich  demnach  um  eine  Lähmung  der  peripheren 
Trigeminus-  und  Reizung  der  Sympathien*- Ai  ste.  Am  besten  erreicht 
man  eine  zu  Operationen  genügende  Anästhesie,  wenn  man  von  einer 
4procentigen  Lösung  von  Cocain,  muriaticum  wiederholentlich  (4 — 6mal) 
in  Zwischenräumen  von  3  Minuten  einträufeln  lässt;  willman  eine  engere 
Pupille  für  die  auszuführende  Operation  (beispielweise  Sclerotomie  oder 
Star-Extraction)  behalten,  so  muss  man  einige  Stunden  vorher  einen 
Tropfen  Eserin  instilliren.  Die  Gefühllosigkeit  hält  circa  10  Minuten 
an.  Uebrigens  kommen  erhebliehe  individuelle  Verschiedenheiten  bezüg- 
lich der  Aufhebung  der  Sensibilität  vor;  auch  werden  entzündete  Augen 
schwerer  gefühllos.  Selbst  für  leichtere  Operationen,  wrie  Entfernung-  von 
Fremdkörpern  aus  der  Cornea,  Anwendung  des  Galvanocauters,  gelegent- 
lich auch  beim  Sondiren  der  Thränenwege,  empfiehlt  sich  das  Cocaini- 
siren.  Um  bei  Scbiel-Operationen  die  Sehne  empfindungslos  zu  machen, 
hat  man  dieselbe  nach  Trennung  der  Conjunctiva  direct  mit  Cocain- 
lösung  beträufelt;  ebenso  kann  man  bei  Herausnahme  des  Augapfels  in 
das  Orbital-Zellgewebe  bis  an  den  Sehnerv  hin  vorher  injiciren.  Immer- 
hin bedarf  es  einer  gewissen  Vorsicht  in  der  Anwendung  des  Mittels, 
da  schon  nach  5  Tropfen  einer  3  procentigen  Lösung  Vergiftungs-Er- 
scheinungen: Blässe,  kalter  Schweiss,  Erbrechen  etc.  beobachtet  wurden. 
In  sehr  seltenen  Fällen  sah  man  diese  unliebsame  Wirkung  auch  nach 
Eimräufeluiigen  in  den  Conjunctivalsack;  Genuss  von  Wein  oder  Ein- 
athmen  von  Amylnitrit  erwies  sich  hier  vortheilhaft.  Local  tritt  bisweilen 
eine  umschriebene  Abhebung  des  Epithels  der  Cornea,  sowie  leichte 
Trübung  ihres  Gewebes  in  Folge  lymphatischer  Anämie  (Eversb u seh) 
nach  Cocain-Einträufelung  ein;  doch  haben  in  der  Regel  diese  Er- 
scheinungen nichts  zu  bedeuten  und  gehen  schnell  vorüber.  Man  ver- 
meidet sie  am  ehesten,  wenn  man  die  Augen  nach  jeder  Einträufelung 
dauernd  mit  einem  feuchten  Mullläppchen  schliessen  lässt.  Nur  bei 
gleichzeitiger  starker  Sublimat-Einwirkung  (als  Antisepticum  bei  Ope- 
rationen benutzt)  können  dauernd  intensive  Hornhautflecke  zurück- 
bleiben. 

An  Stelle  des  Cocains  benutzten  wTir  deshalb  neuerdings  mit  Vor- 
theil  Holocain.  hydi-ochloricum  (1  Procent):  3  bis  5  Tropfen  eingeträufelt 
anästhesiren  stark,  der  intraoeulare  Druck  wird  nicht  herabgesetzt;  auch 
ist  die  Wirkung  auf  die  Pupille  und  das  Hornhautepithel  unbedeutend.  Ho- 
locain ist  jedoch  giftiger,  daher  nicht  zu  Injectionen  zu  benutzen.  Aehnlich 
wirkt  Eucain  B.  kydrochloricuni,  das  noch  den  Vorzug  hat,  ungiftig  zu 
sein.  Firn  Lidoperationen  können  subcutane  Cocain-Ein spritzungen  (Maxi- 


22  Allgemeines  über  Untersuchung  und  Behandlung  des  Auges. 

mal-Dosis  0,05)  oder  auch  die  Schleich 'sehen  Infiltrationen  (Cocain. 
muriatic.  0,2,  Morph,  muriat.  0,02,  Natr.  chlorat.  0,2,  Aqu,  destill.  100,0) 
bisweilen  mit  Vortheil  angewandt  werden;  leider  wird  bei  stärkerer  In- 
filtration das  Operationsterrain  unklar,  bei  massiger  ist  die  Wirkung 
wiederum  zu  gering.  Ich  ziehe  daher  meist  die  Anästhesirung  durch 
Bespritzen  mit  Aethvl-Chlorid  vor,  wobei  man  natürlich  den  Augapfel 
durch  Lidschluss  schützen  muss. 

Die  Anwendung  der  Allgemein-Narkose  ist  bei  Augen-Operationen 
sehr  eingeschränkt  worden.  Nur  noch  ausnahmsweise,  etwa  bei  ganz 
unbändigen  Kindern  oder  in  Fällen,  wo  jede  Bewegung  und  jedes  Pressen 
mit  den  Lidern  verhindert  werden  soll,  um  Grlaskörperverlust  zu  ver- 
meiden, wird  man  sie  anwenden;  ebenso  bei  Herausnahme  des  Aug- 
apfels oder  grösseren  Lidoperationen.  Ich  wende  meist  Aether  an, 
den  ich  mit  einer  Maske,  die  nicht  fest  aufgedrückt  wird,  einathmen 
lasse.  Es  tritt  hierbei  keine  besondere  Erstickungsangst  auf,  und  habe 
ich  nie  Nachtheile  erlebt,  da  ein  Schleimröcheln  ganz  vermieden  wird. 
Nur  bei  Lungen- Affectionen  wende  ich  zur  Vermeidung  einer  späteren 
Pneumonie,  wie  sie  nach  längeren  Aethernarkosen  beobachtet  ist,  noch 
Chloroform  an. 

Bei  allen  Operationen  ist  auf  grösste  Reinlichkeit  und  Asepsis 
der  Hände,  Instrumente  und  Verbände  zu  sehen.  Die  in  sodahaltigem 
Wasser  gekochten  Instrumente  legen  wir  kurz  vor  der  ( Operation  in 
2procentige  Karbolsäurelösung;  aus  dieser  Lösung  herausgenommen, 
werden  sie  durch  Abwischen  mit  sterilisirter  Leinwand  getrocknet  und 
sofort  benutzt.  Die  sorgfältige  Reinigung  und  Desinfection  der  Lid-  und 
angrenzenden  Haut,  sowie  des  Conjimetivalsaekes  geschieht  mehrere  Stun- 
den vor  der  Operation,  aldann  wird  mit  einem  in  Sublimatlösung  ge- 
tauchten Verbände  das  Auge  geschlossen.  Kurz  vor  der  Operation  bespült 
man  das  Auge  und  den  Conjunctivalsack  mittels  einer  Undine  noch  ein- 
mal mit  einer  desinficirenden  Lösung,  der  Lidrand  wird  mit  feuchtem  Mull 
abgewischt.  Ebenso  nach  der  <  )peration.  Mai]  bedient  sich  als  desin- 
ficirender  Flüssigkeit  meist  der  Sublimatlösung  1  zu 5000,  da  das  Auge 
stärkere  Lösungen  nicht  verträgt.  Versuche  haben  mich  belehrt,  dass 
diese  schwache  Lösung  keine  wirksame  Desinfection  verbürgt;  ich  wende 
daher  seit  langer  Zeit  zum  Bespülen  des  Auges  und  Tränkung  der 
Verbands  laze  die  officinelle  Aqu.  chlorata  an.  Dieselbe  ist  eines  der 
kräftigsten  desinficirenden  Mittel,  wenngleich  auch  sie  nach  Bach's 
Versuchen  bei  den  einfachen  Ausspülungen  nicht  alle  Bacterien  zu 
tödten  vermag.  In  kühlem  Raum  und  in  dunkler  Flasche  kann  man  sie 
mehrere  Wochen  aufbewahren,  ohne  dass  sie  ihre  Kraft  verliert.  Auch 
babe  ich  hierbei  nie  die  intensiven  Horntrübungen  auftreten  sehen,  wie 
man  sie  bei   Anwendung  von  Cocain  und  Sublimatlösung  besonders  nach 


Behandlung  der  Augenleiden. 


23 


Star-Operationen  beobachtete  (Graefe).  Bei  empfindlicher  Haut  legt 
man  nach  dem  ersten  Verbandwechsel  einen  trocknen  Verband  (steri- 
lisirten  Mull,  Gaze  oder  Borlint,  Watte)  an. 

Besonders  achte  man  vor  jeder  Operation  am  Bulbus  darauf,  ob 
etwa  eine  chronische  Thränensaek-Blennorrhoe  besteht.  Da  das  Seerej 
derselben  für  Hornhautwunden  enorm  int'ectiös  ist,  so  muss  man  das 
Thränensackleiden  vorher  zu  beseitigen  suchen;  oder  wenn  dies  unmöglich 
ist,  jedenfalls  den  Thränensack  desinficiren.  Man  erreicht  dies,  wenn  man 
ihn  von  aussen  spaltet  und  Jodoform  einpudert;  meist  genügen  aber  zur  He- 
bung der  Absonderung  das  vorherige 
Sondiren  und  Lnjectionen  mit  Aqu. 
chlorat.,  Hydrarg.  oxydat.  cvanat. 
(einige  Tropfen  einer  lprocentigen 
Lösung)  etc.  Ob  bei  etwa  noch  vor- 
handenem Secret  die  Infectionsfähig- 
keit  geschwunden  ist,  kann  man  aus 
dem  Erfolg  der  Impfung  von  Kanin- 
chen-Hornhäute ersehen.  Nach  der 
Operation  bespült  man  in  solchen 
Fällen  den  Conjunctivalsack  beson- 
ders reichlich  mit  Aqu.  chlorata  und 
pudert  etwas  Jodoform  in  die  inneren 
Augenwinkel. 


Ich  habe  bei  dieser  Therapie  trotz 
erwiesenen  Thränensackleidens  —  ab- 
gesehen von  einem  Fall  mit  stark  ab- 
sondernder Conjunctivitis  —  in  den 
letzten  zehn  Jahren  keine  Suppuration 
der  Hornhaut  eintreten  sehen:  wohl 
aber  in  einzelnen  Fällen,  wo  das 
Thränensackleiden  nicht  erkannt  wor- 
den war.  da  sich  kein  Secret  aus- 
drücken Hess.  Um  dies  zu  vermeiden,  thut  man  gut,  vor  der  Star-Operation 
einen  Verband  über  Nacht  auf  das  Auge  zu  legen  und  am  nächsten  Morgen  zu 
sehen,  ob  eine  Absonderung  eingetreten  ist.  Vor  jeder  Star-Operation  aber  den 
Thränensack  auszuspritzen,  halte  ich  nicht  nur  für  überflüssig,  sondern  sogar  für 
schädlich,  da  gerade  durch  die  Reizung  eine  Absonderung  angeregt  werden  kann, 
wie  ich  in  einem  Falle,  der  mir  verdächtig  schien,  zu  des  Patienten  Sehaden  er- 
lebte. Auch  ein  Thränensackleiden  des  zweiten,  nicht-opei-irten  Auges  kann  die 
Suppuration  veranlassen,  wie  ich  einige  Male  beobachtet  habe. 


S  c  li  m  i  d  t  -  R  i  m  p  1  e  r's 
S  p  e  r  r  -  E 1  e  v  a  t  e  u  r. 


Alle  bei  und  nach  Augen-Operationen  angewandten  Tropfwässer 
( Atropin  etc.)  sind  durch  Erhitzen  zu  sterilisiren  und  durch  Zusatz  von 
einigen   Tropfen  Aqua  chlori   oder    einer  Sublimatlösung    aseptisch    zu 


24  Anomalien  der  Refraction  und  Aecoimnoclation. 

halten.      Ebenso    nöthig    ist    die   vorherige    Sterilisation    des  Verbands- 
materials durch  heissen  Dampf. 

Um  den  Augapfel  bloßzulegen,  bedarf  es  der  Lidfixation,  die  ent- 
weder  mit  den  Fingern  oder  mit  Elevateuren  geschehen  kann.  Will 
man  nur  ein  Lid  heben,  so  bedient  man  sich  der  Desmarres'schen 
Elevateure,  sonst  in  der  Eegel  der  Sperr-Elevateure  (Figur  4).  Zur 
Fixation  des  Bulbus  wird  die  Fixationspincette  benutzt,  die  mit  einer 
kleinen  ScHussvomchtung  für  den  Fall  versehen  ist,  dass  man  sie  ge- 
schlossen dem  Assistenten  übergeben  will  (Figur  5). 


Zweites  Kapitel. 

Anomalien 
der  Refraction  und  Accommodation. 


A.  Allgemeiner  Theil. 

1.  Optische  Einleitung. 

Ein  Gegenstand  kann  nur  dann  deutlich  gesehen  werden,  wenn  die 
von  ihm  ausgehenden  Lichtstrahlen  sich  zu  einem  scharfen  Bilde  auf 
der  Netzhaut  vereinigen.  Die  verschiedenen  brechenden  Medien  des 
Auges  (Cornea,  Humor  acmeus,  Krystalllinse  und  Glaskörper)  stellen  ein 
optisches  System  dar;  dessen  Gesammtwirkung  mit  der  einer  Convex- 
linse  übereinstimmt. 

Wenn  wir  von  „Lichtstrahlen"  sprechen,  so  benutzen  wir  einen 
Ausdruck,  der  der  älteren  Newton'schen  Corpusculartheorie  über  das 
Licht  entnommen  ist.  Danach  entsendet  jeder  leuchtende  Punkt  be- 
ständig längs  imaginärer  Achsen  (Strahlen)  leuchtende  Körperchen  nach 
allen  Richtungen.  Diese  Anschauung  ist  zu  Gunsten  der  Undulations- 
theorie  (lluygens,  Thomas  Young)  aufgegeben,  nach  welcher  das 
Licht  durch  Wellenbewegungen  im  Aether  entsteht  und  fortgeleitet 
wird.  Die  radiäre  Verbindung  der  Wellengipfel  würde  dem  Laufe  der 
Lichtstrahlen  entsprechen,  falls  von  einem  leuchtenden  Punkt  aus  Licht 


Optische  Einleitung. 


25 


entsendet  wird.  Der  leuchtende  Punkt  bildet  die  Mitte,  von  der  aus 
nach  allen  Richtungen  hin  divergirende  Lichtstrahlen  gehen.  Wie  viele 
dieser  Strahlen  eine  bestimmte  Fläche  a  b  (Figur  6)  treffen,  hängt  von 
der  ( I  rosse  dieser  Fläche  und  von  der  Entfernung  der- 
selben vom  Lichtpunkt  ab.  Ist  die  Fläche  a  b  kreis- 
rund, so  fällt  auf  sie  ein  Kegel  von  Lichtstrahlen, 
dessen  Basis  die  Fläche  a  b  bildet  und  dessen  Spitze 
im  leuchtenden  Punkt  L  liegt:  in  einer  Durchschnitts- 
figurwürden von  allen  a  b  treffenden  Strahlen  L  a  und 
Lb  diejenigen  sein,  welche  am  meisten  divergiren; 
der  Winkel  <p  stellt  den  Divergenzwinkel  dar.  Entfernt 
sich  der  leuchtende  Punkt  nach  L, ,  so  trifft  nur  ein 
schmälerer  Strahlenkegel  die  Fläche,  die  Grenz- 
strahlen Lj  a  und  L,  b  werden  weniger  divergiren. 
Rückt  der  Lichtpunkt  schliesslich  in  die  Unendlich- 
keit ( 3c),  so  werden  die  betreffenden  Lichtstrahlen  als 
untereinander  parallel  verlaufend  betrachtet  werden 
können,  da  wir  mathematisch  als  „parallele"  Linien 
solche  bezeichnen,  die  sich  in  der  Unendlichkeit 
schneiden.    Ist  nun  aber  die  auffangende  Fläche  sehr 


klein,  wie   etwa  die  Pupille   unseres  Auges,   so  wird 
der  in  sie  fallende  Lichtkegel  schon  bei  einer  nicht  all- 
zugrossen   Entfernung    des    leuchtenden  Punktes    so 
schmal  sein,  und  die  Strahlen  werden  untereinander  so  wenig  divergiren, 
dass   man   sie   als   parallel   bezeichnen  kann.     Darauf  beruht    es,  dass 
wir  bei  den  Eefractionsbestimmungen  des  menschlichen  Auges  die  Probe- 
objeete  nur  etwa  in  5  bis  6  Meter  Entfernung 
aufzuhängen   pflegen    und    doch    die    von 
ihnen  ausgehenden  Lichtstrahlen  als  paral- 
lele betrachten. 

Während  divergente  und  parallele 
Lichtstrahlen  demnach  unter  natürlichen 
Verhältnissen  in  unser  Auge  fallen,  so 
kami  eine  Convergenz  der  Strahlen  nur 
durch    optische    Mittel    künstlich    erzeugt  7, 

werden. 

Convex-Linsen  dienen  vorzugsweise  hierzu.  Im  Brillenkasten  be- 
finden sich  in  der  Regel  Biconvex-Gläser,  d.h.  Gläser,  deren  beide 
Oberflächen  Segmenten  von  Kugeln  entsprechen,  die  einen  gleichen 
Radius  haben.  Bei  der  Biconvexlinse  L  (Figur  1)  würde  C}  der  Mittel- 
punkt der  Kugel  sein,  aus  der  die  Fläche  cx  ein  Segment  ist,  und  C2 
der  Mittelpunkt  der  zweiten  Kugel,   welcher  die  Fläche  c2   entnommen 


26 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


ist.  L\  und  C2  liegen  gleich  weit  vom  optischen  Mittelpunkt  (o)  der 
Linse  entfernt:  die  sie  verbindende  Linie  bezeichnet  man  als  Haupt- 
achse der  Linse. 

Wenn  der  Hauptachse  parallel  verlaufende  Lichtstrahlen  die  Mitte 
einer  Convexlinse  treffen,  so  werden  sie  zu  einem  Punkte  zusammen 
gebrochen.  Diesen  Punkt  bezeichnet  man  als  (Haupt-)  Brenn- 
punkt der  Linse  und  seine  Entfernung  vom  optischen  Mittelpunkt 
( —  eigentlich  vom  Hauptpunkt,  siehe  unten  — )  als  (Haupt-)  Brenn- 
weite der  Linse.  Da  die  parallelen  Strahlen  die  Linse  sowohl  von 
rechts  als  von  links  treffen  können,  so  werden  auch  zwei  (Haupt-) 
Brennpunkte  anzunehmen  sein,  die  auf  verschiedenen  Seite]!  der  Linse 
liegen,  links  der  erste  Brennpunkt  Ft   (Figur  8)  und  rechts  der  zweite 


8. 

Brennpunkt  F2.  Sie  werden  beide  gleich  weit  von  dem  optischen 
Centrum  liegen  (also  die  erste  Brennweite  ist  gleich  der  zweiten),  wenn 
die  Linse  auf  ihren  beiden  Seiten  von  Luft  oder  einem  gleichbrechenden 
Medium  begrenzt  ist. 

Bei  Biconvexlinsen  ist  die  Brennweite  gleich  dem  Krümmungsradius 
(Cj  o,  Figur  7)  unter  der  Voraussetzung,  dass  das  Glas  einen  Brechungs- 
index  (siehe  hierüber  den  Abschnitt:  Physiologische  Optik)  von  l-ö  hat, 
was  aber  gewöhnlich  nicht  genau  zutrifft.  In  der  Regel  ist  der 
Brechungsindex  des  verwandten  Tafel-  und  Crownglases  etwas  höher, 
geht  aber  nicht  über  1-53  hinaus:  hierdurch  wird  die  Brennweite  etwas 
kürzer*.  Die  neuerdings  in  den  Handel  gebrachten  „isometropen 
Linsen"  sind  von  einer  noch  stärker  brechenden  (Index  1-57),  sehr 
reinen  und  weissen  Glassorte.  Der  Krümmungsradius  wird  dem- 
nach bei  gleicher  Brechkraft  der  Linsen  ein  kleinerer  zu  sein  brauchen. 


*  Die  Formel  für  die  Brennweite  (f)  des  Convexglases  ist  -y  =  (n— 1)  [—  H ), 

wo  r  und  rj  die  Krümmungsradien  der  Oberfläche  und  n  der  Brechungsindex  sind. 


Wenn  r  =  rt  und  n  =  1.5,  so  ist 


0.ö  x 


f  r 


1.06      .      ,        r 
r    'alsof  =  r.06 


f  r        r 

,  f  danach  kleiner  als  vorher. 


also  f  =  r.  Bei  1.53  ist  aber 


Optische  Einleitung  27 

Dieser  Yortheil,  der  von  den  Pariser  Fabrikanten  überaus  stark  betonl 
wird,  hat  für  schwache  Linsen  keine  Bedeutung;  für  stärker  brechende 
Linsen  kann  aber  andrerseits  die  stärkere  Farbenzerstreuung  des  (ilases 
nachtheilig  werden. 

Auf  den  älteren  Linsen  ist  meist  als  Bezeichnung  die  Länge  des 
Krümmungsradius  in  Zollen  angegeben.  Wir  sind  nach  diesen  Aus- 
führungen eigentlich  nicht  berechtigt,  diese  Zahl  der  Haupfbrennweite 
gleich  zu  setzen.  Jedoch  geschieht  dies  für  gewöhnlich,  da  bei  sonst 
guter  Schleifung  die  Differenzen  keine  erhebliehe  praktische  Bedeutung 
haben.  Danach  wird  No.  2  eine  Linse  sein,  deren  Brennweite  in 
2  Zoll  liegt,  Xo.  3  eine  solche,  deren  Brennweite  in  3  Zoll  liegt  u.  s.  f. 
Doch  pflegt  man  in  der  ( Ophthalmologie  die  Linsen  in  der  Regel  nicht 
durch  ihre  Brennweite,  sondern  dnreh  ihre  Brechkraft  zu  bezeichnen. 
Letztere  bildet  den  reeiproken  Werth  der  ersteren;  sie  wird  durch  einen 
Bruch  ausgedrückt,  dessen  Zähler  1  und  dessen  Nenner  gleich  der 
Brennweite  ist.  Eine  Linse  von  2  Zoll  Brennweite  wird  als  ll2 ,  eine 
solche  von  4  Zoll  Brennweite  als  ^4  bezeichnet.  2  Linsen  von  J/4  Brech- 
kraft  zusammengelegt  und  zusammenwirkend  sind  gleich  einer  Linse 
von  '.,.  Die  Brechkraft  einer  Linse,  d.  h.  ihre  Einwirkung  auf  die  sie 
treffenden  Lichtstrahlen  ist  demnach  am  so  schwächer,  je  grösser  ihre 
Brennweite  ist. 

Wir  sind  unter  Benutzung  einer  Formel,  welche  die  Brennweite 
der  Convexlinse  (f),  die  Entfernung  des  leuchtenden  Punktes  (a)  und 
die  Entfernung  des  Bildpunktes  (b)  enthält,  im  Stande,  eine  dieser 
Bestimmungen  zu  berechnen,  wenn  die  beiden  anderen  bekannt  sind. 
Diese  Linsenformel,  welche  für  die  Lehre  der  praktischen  Refractions- 
imd  Accommodations-Bestimmung  von  höchster  Bedeutung  und  ungemein 
leicht  zu  behalten  ist,  lautet 

1  1         1* 

f  ~~  a  +  b  " 

Es  möge  beispielsweise  der  leuchtende  Punkt  a  in  20  Zoll  Entfernung  sieb 
befinden;   die   von   ihm   ausgehenden  Strahlen  fallen  auf  eine  Linse  von  10  Zoll 


*  Eine  andere  übliche  Formel  ist:  1,  l2  =  F,  F2.  Hier  ist  1,  gleich  dem  Ab- 
stände des  Objectes  vom  ersten  Brennpunkte.  1,  gleich  der  Entfernung  seines 
Bildes  vom  zweiten  Brennpunkte.  Ij  erhält  ein  positives  Vorzeichen,  wenn  es  vor 
dem  ersten  Brennpunkt  (d.  h.  also  links  von  ihm.  wie  a  in  Figur  9),  12,  wenn  es 
hinter  dem  zweiten  Brennpunkt  gelegen  ist.  Liegt  hingegen  h  hinter  dem 
ersten  Brennpunkt,  so  bekommt  es  ein  negatives  Vorzeichen  und  analog  12,  wenn 
es  vor  dem  zweiten  Brennpunkte  liegt.  1\  und  F2  würden  als  erste  und  zweite 
Brennweite,  wenn  die  Linse  vor  und  hinter  sich  Luft  bat.  gleich  sein.  —  Ist  die 
Entfernung  des  Objectes  vom  Hauptpunkte   (siehe  unten)  gleich  U  und   die  Ent- 


Fi    ■   F 


fernung  des  Bildes  von  ihm  gleich  f2.  so  lautet  die  Formel    J  -f-  -*■ 

°  '2  12 


£==  1. 


28 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


Brennweite.  In  welcher  Entfernuni;-  werden  .sie  vereinigt,  oder,  anders  ausgedrückt, 
wo  ist  der  Bildpunkt  des  leuchtenden  Gegenstandes? 


1 

10~ 

Ä+ 

1 

1) 

1 

1 

1 

10 

20  ~ 

1» 

+Ä- 

1 
b 

+  20  = 

1». 

Es  ist  hierbei  zu  beachten,  dass  die  Entfernung  des  Bildpunktes  (b)  ein  po- 
sitives Vorzeichen  (Figur  9)  hat,  wenn  derselbe  sich  auf  der  Seite  der  Convex- 

linse  befindet,  welche  dem  leuchtenden  Punkte 
entgegengesetzt  liegt.  In  diesem  Falle 
sammeln  sich  die  Strahlen  in  b  zu  einem 
wirklichen  Bildpunkte,  der  auf  einer  Fläche, 
wie  etwa  in  der  Camera  obscura  der  Pho- 
tographen aufgefangen  werden  kann.  Es 
9.  ist  ein  reelles  Bild  von  a. 

Haben  wir  beispielsweise  dieselbe 
Linse,  aber  eine  Entfernung  des  leuchtenden  Punktes  von  nur  6  Zoll,  so  er- 
halten wir 


1 

L0 

~~~6  +  b 

1        1 
15       b 

— 15  =  b. 

Jetzt  liegt,  wie  das  negative  Vorzeichen  (Figur  10)  angiebt,  der  Bildpunkt 
auf  derselben  Seite  wo  der  leuchtende  Gegenstand  sich  befindet.  Die  Strahlen, 
welche  durch  die  Linse  hindurchgegangen  sind,  werden  zwar  zusammen  gebrochen, 


aber  doch  nicht  so  stark,  dass  sie  auf  der  anderen  Seite  ein  reelles  Bild  geben 
könnten.  Sie  scheinen  nur  von  einem  etwas  ferner  gelegenen  Punkte  (b)  zu 
kommen.    Las  Bild  ist  hier  ein  virtuelles. 

Es  ist  klar  und  durch  die  Formel  nachweislich,  dass.  wenn  umgekehrt  die 
Lichtstrahlen  in  Figur  !»  von  b  ausgegangen  sein  würden  oder  in  Figur  10  auf  b 
zielende  die  Linse  getroffen  hätten,  sie  durch  die  Brechkraft  derselben  in  a  ver- 
einigt werden  würden.  Wegen  dieses  gegenseitigen  Verhältnisses  zu  einander 
bezeichnet  man  a  und  b  als  conjugirte  Punkte:  einmal  ist  a  der  Bildpunkt 
von  b  und  das  andere  Mal  ist  b  der  Bildpunkt  von  a. 


Optische  Einleitung.  29 

Wir  haben  bisher  nur  von  einem  leuch.tend.en  Punkte  gesprochen. 
Handelt  es  sich  um  einen  leuchtenden  Gegenstand,  so  wird  sich  sein 
Bild  durch  die  geometrische  Construction  leicht  bestimmen  lassen,  wenn 
wir  nach  obiger  Formel  die  Entfernung  desselben  von  der  Linse  haben. 
Es  ist  hierbei  zu  beachten,  dass  die  Strahlen,  welche  durch  den 
Knotenpunkt  der  Linse  gehen  —  derselbe  fällt  bei  der  Biconvex- 
linse  mit  dem  optischen  Centrum  (o)  zusammen  --  (sogenannte  Rich- 
tungsstralhlen)  ungebrochen  weiter  laufen. 

Soll  die  Lage  des  Bildpunktes  von  h  (Figur  11),  der  dem  Object 
acb  angehört,  construirt  werden,  so  zieht  man  eine  Verbindungslinie 
zwischen  b  und  o  und  verlängert  diese:  es  entspricht  dies  dem  unge- 
brochen durch  den  Knotenpunkt  der  Linse  gehenden  Richtungsstrahl. 
Ferner  zieht  man  eine  Linie  bp  parallel  der  Hauptachse  FjF^  von 
den  parallel  der  Hauptachse  die  Linse  treffenden  Strahlen  wissen  wir, 
dass  sie  durch  den  Brennpunkt  gehen:  also  bp  geht  nach  F2.  Die 
Verlängerung  dieser  Linie  schneidet  die  Verlängerung  von  bo  in  B  und 
giebt  uns  damit  die  Lage  des  Bildpunktes  von  b.  In  gleicher  Weise 
wird  die  Lage  des  Bildes  von  a  construirt.  Wir  erhalten  demnach  von 
bca  durch  die  Brechimg  der  Linse  ein  reelles  umgekehrtes,  hier 
vergrössertes  Bild  in  ABC.  Andererseits  würden  Strahlen,  die  von 
ABC  als  leuchtendem  Gegenstände  ausgingen,  sich  in  bac  zu  einem 
umgekehrten,  verkleinerten  Bilde  vereinen.  Die  Grösse  von  ACB 
verhält  sich  zu  der  Grösse  von  acb  wie  ihre  Entfernungen 
von  der  Linse:  ACB  :  acb  =  Co  :  co.  Die  Entfernung,  in  der  das 
Bild  entsteht,   lässt  sich  aber  nach  der  Linsenformel  leicht  berechnen. 

Befindet  sich  der  Gegenstand  (acb)  innerhalb  der  Brennweite  des 
Convexglases,  so  liegt,  wie  wir  oben  gesehen,  das  scheinbare  Bild 
(ACB)  auf  derselben  Seite  der  Linse  wie  der  Gegenstand;  es  ist  ein 
virtuelles,  aufrechtes,  vergrössertes  Bild.  Die  Constructions- 
linien  bo  und  bpF2  schneiden  sich  nicht  hinter  der  Linse,  sondern  in 
ihrer  Rückwärtsverlängerung  (Figur  12)  auf  derselben  Seite  (B),  wo  bca 

lieo-t.     Wir   erhalten   alsdann   in   der  Linsenformel  -~  = (-  T    den 

°  t  a         b 

Werth  von  b  (d.  h.  also  hier  die  Entfernung  C  o)  als  negativ.  In  dieser 
Weise  stellen  sich  uns  die  Gegenstände  dar.  wenn  wir  Convexlinsen  als 
Lupen  benutzen. 

Concavlinsen.  Der  Brillenkasten  enthält  meist  Biconcavlinsen. 
Bezüglich  ihrer  Construction,  der  Lage  ihrer  Brennpunkte  und  Krüm- 
mungsmittelpunkte gilt  dasselbe,  was  von  den  Biconvexlinsen  gesagt 
ist.     Die  Linsenformel  ist  die  gleiche,  wie  die  der  Convexlinsen,  nur, 

dass  wir  die  Brennweite  als  negativ  setzen:  — -j  = \-  v-     Es  sind 


30 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


Linsen,  welche  parallel  und  divergent  sie  treffende  Strahlen  so  zer- 
streuen, dass  sie  von  einem  näher  gelegenen  Punkte  derselben  Jansen- 
seite zu  kommen  scheinen.    Die  Bildconstruction  ergiebt  sichaus  Figur  13. 

l"i  sei  der  virtuelle  Brennpunkt  (Figur  13),  ans  dem  der  Hauptachse  paral- 
lele Strahlen,  welche  die  Concavlinse  treffen,  nach  der  Zerstreuung  zu  kommen 
scheinen.  Der  Strahl  bp  von  dem  Object  acb  wird  demnach  so  gebrochen,  als 
käme  er  aus  der  Richtung  r\  p:  der  Strahl  bo  geht  (als  durch  den  Knotenpunkt 
gezogen)  ungebrochen.  Beide  Strahlen  schneiden  sich  in  B:  dieses  ist  der  Bild- 
punkt  von  1).  Ks  entsteht  danach  ein  virtuelles,  aufrechtes  und  verkleinertes  Bild 
(ACB).  Die  Entfernung  desselben  vom  optischen  Mittelpunkt  (o)  i^iebt  uns  die 
Linsenformel.    Es  sei  z.  B.  f  =  4,  oc  =  8,  so  ist 


1 

1 

1 

4  ~ 

8 

+ 

¥ 

1 

1 

1 

4 

8 

b 

3 

1 

l 

~8  ~~ 

■)2 
-3 

r 

b 

b  = 

— 

Damit  ist  auch  die  lineare  Grösse  des  Bildes  gegeben,  denn  bca:BCA  = 
8:  22/3. 

Da  die  Gläser  des  Brillenkastens ,  wie  wir  gesehen,  nicht  nach 
ihrer  Brennweite,  sondern  nach  dem  Radius  der  Kugelscheibe,  auf  der 
sie  geschliffen  sind,  bezeichnet  werden,  so  ist  bei  exaeten,  wissenschaft- 


lichen Untersuchungen  nöthig,  ihre  Brennweite  direct  zu  bestimmen. 
Auch  sonst  hat  man  gelegentlich  dies  Bedürfniss,  wenn  die  Optiker  die 
Nummer  überhaupt  nicht  eingeschliffen  haben.  Von  Snellen  und 
Badal  sind  zu  dem  /wecke  besondere  Instrumente  ( Phakometer) 
angegeben.  Für  Convexgläser  kann  man  die  Brennweite  einfach  so  be- 
stimmen, dass  man  mit  ihnen  das  umgekehrte  scharfe  Bild  der  Sonne 
oder  eines  weit  abgelegenen  Gegenstandes  auf  einer  (dienen  Fläche 
entwirft  und  die  Entfernung  zwischen  ( i  las  und  Bild  misst.  Bei  der 
Bestimmung  von  Concavgläsern  benutzt  man  Convexgläser  von  bekannter 
Brennweite.    Ist  die  Brennweite  des  Concavelases  der  eines  bestimmten 


I  optische  Einleitung. 


31 


Convexglases  gleich,  so  wird,  wenn  man  beide  Gläser  aufeinander  legt, 
der  durch  die  ( i  läser-Combination  angesehene  Gegenstand  keine  Ver- 
änderung im  Aussehen  erfahren,  da  man  alsdann  gleichsam  durch  plan- 
paralleles Glas  sieht.  Man  macht  den  Versuch  einfach  so,  dass  man  mit 
einem  Auge  durch  die  etwa  10  cm  davor  gehaltene  (  $äser-Combination 
nach  dem  horizontalen  Balken  eines  Fensterkreuzes  sieht  und  zwar  in  der 
\\  eise,  dass  ein  Theil  desselben  frei,  der  angrenzende  durch  das  (  J  las  ge- 
sehen wird.  Sieht  man  durch  das(  'entrinn  des  Glases,  so  bilden  beide  Theile 
eine  einfache  horizontale  Linie.  Verschiebt  man  nun  das  (ilas  nach 
unten,  so  beobachtet  man.  wenn  die  Brechkraft  des  Concavglases  stärker 
ist,  demnach  die  Linsencombination  als  Concavglas  wirkt,  dass  das  durch 
die  Gläser  gesehene  horizontale  Object  eine  scheinbare  Bewegung  macht 
und  zwar  gleichartig  der  Bewegungsrichtung:   es  rückt  von  oben  nach 


unten.  Ueberwiegt  hingegen  das  Convexglas,  so  tritt  bei  diesem  Hin- 
und  Herschieben  eine  Scheinbewegung  des  Objectes  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  ein.  Es  beruht  dies  darauf,  dass  die  prismatische 
Wirkung  (siehe  unten)  der  Convex-  und  Concavgläser  zu  Tage  tritt, 
wenn  man  nicht  central,  sondern  durch  den  Rand  derselben  blickt. 
Das  Concavglas  (Figur  14  :  — )  wirkt  als  Prisma,  dessen  Basis  dem 
Rande  zu  liegt,  das  Convexglas  (-{-)  als  Prisma,  dessen  Kante  dem 
Rande  zu  liegt.  Auch  bei  Cylindergläsern  kann  man  dies  Verfahren 
anwenden,  wenn  man  die  Achse  den  Fensterbalken  parallel  hält. 
Ebenso  lässt  sich  auf  diese  Weise  das  Centrum  der  Brillengläser 
bestimmen,  was  beim  Einsetzen  in  die  Gestelle  von  Bedeutung  ist. 
Man  muss  hier  die  Stelle  aussuchen,  wo  so  wohl  der  horizontale,  wie 
der  vertikale  Arm  ungebrochen  erscheinen:  sieht  man  durch  eine  andere 
Stelle,  so  erscheinen  sie  verschoben  (Figur  15j. 

Ausser  den  Biconvex-  und  Biconcavlinsen  werden  zu  Brillen  auch 
convex-coneave  und  coneav-convexe  Gläser  benutzt;  dieselben  werden 
von  einer  coneaven  Fläche  auf  der  einen  und  einer  convexen  Fläche 
auf  der  anderen  Seite  begrenzt.  Ist  die  coneave  Fläche  stärker  ge- 
krümmt, so  wirken  sie  zerstreuend  (negativer  Meniscus  b  Figur  1(3 ); 
ist  die  convexe  stärker  gekrümmt,  als  Sammelgläser  (convexer  Meniscus  a). 


32  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

Derartige  ( rläser  haben  den  Vortheil  (besonders  wenn  die  concave  Seite 
dem  Auge  zugekehrt  ist),  dass  beim  Bliek  durch  den  Rand  derselben 
nur  geringe  Verzerrung-  der  Bilder  eintritt;  man  hat  sie  daher  auch  als 
„periskopische  Brillen"  empfohlen,  jedoch  bieten  nur  dieConcav-Gläser 
einen  bemerkenswertheren  Vortheil  (Östwalt).  Ausser  den  genannten 
Gläsern  hat  man  noch  planconvexe  (c  Fig.  16)  und  planeonca  ve  Linsen  (d). 
Doch  werden  diese  wenig  verwandt,  da  sie  noch  mein'  als  die  Biconvex- 
und  Biconcavlinsen  diejenigen  Lichtstrahlen,  welche  durch  den  Band 
einfallen,  unregelmässig  brechen  (sphärische  Aberration);  gemein- 
sam mit  ihnen  haben  sie  die  prismatische  Wirkung  beim  peripheren 
Durchblicken. 

Die  Zahl  der  in  Gebrauch  befindlichen  Brillengläser  ist  eine  ziem- 
lich grosse;  das  Bedürfniss  hat  dazu  geführt,  besonders  die  Gläser  von 
schwächerer  Brechkraft  verhältnissmässig  zahlreicher  zu  führen.  Wenn 
z.  B.  auf  Linse  !/6  die  Linse  '/7  (Differenz  '/42)  im  Brillenkasten  folgt, 
so  folgt  auf  '/fi0  als  schwächste  '/g0.  Zwischen  diesen  beiden  ist  aber 
die  Brechungsdifferenz  nur  V240-  Bereits  Burow  hatte  1864  dem  Ver- 
langen Ausdruck  gegeben,  gleiche  Refractionsintervalle  zwischen  den 
einzelnen  Brillengläsern  zu  lassen.  Mit  Einführung  des  Metermaasses 
hat  man  auch  nach  der  Richtung  einen  weiteren  Schritt  gethan,  jedoch 
haben  die  Bedürfnisse  der  Praxis  sich  einer  vollkommen  strengen  Durch- 
führung eines  einheitlichen  Refractionsintervalles  widersetzt.  1875  wurde, 
besonders  auf  Antrieb  von  Nagel  undDonders,  zur  Bestimmung  der 
Brennweiten  das  Metermaass  eingeführt.  Hiermit  war  die  Unzukömm- 
lichkeit  beseitigt,  die  darin  lag,  dass  das  Zollmaass  nicht  überall  gleiche 
Grösse  hatte.  Als  Grundlage  des  ganzen  Systems  wurde  die  Meter- 
linse (Ml)  genommen,  d.  h.  eine  Linse,  deren  Hauptbrennweite  gleich 
1  Meter  ist.  Die  Brechkraft  dieser  Linse  bezeichnet  man  als 
1  Dioptrie  (Monover).  Eine  Linse  von  2-0  Dioptrien  hat  eine  dop- 
pelte Brechkraft;  die  Brennweite  ist  ]/2  m.  Eine  Linse  3-0  hat  eine 
Brennweite  von  '/3  m.  u.  s.  f.  Um  geringe  Refractionsintervalle  zu 
haben,  hat  man  0-5  und  0-25  Dioptrien  eingeschoben.  Die  schwächsten 
Gläser  werden  als  Brüche  von  Dioptrien  bezeichnet;  0-5  ist  gleich  einer 
Linse,  deren  Brennweite  2  m  ist. 

Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  die  frühere,  beim  Zollmaass  übliche 
Bezeichnung  der  Linsenbrechkraft  durch  einen  Bruch  bequemer  war,  da 
die  Brennweite  sofort  in  dem  Nenner  hervortrat.  Bei  Dioptriebezeicli- 
nung  bedarf  es  erst  des  Hineindividirens  in  1  m,  um  die  Brennweite  zu 
erhalten.  Sehr  häufig  kommt  es  alsdann,  wenn  man  den  Meterbruch 
in  Cent  mietern  ausdrücken  will,  zu  irrationalen  Zahlen;  z.  B.  ist  die 
Brennweite  einer  Linse  7-0  =   ]i  m  =  14-2*0714  ....  cm! 

Die  Umrechnung  aus  Zollmass  in  Dioptriebestimmung  ist  leicht. 


Optische  Einleitung.  33 

Man  setzt  hierbei  1  m  =  40  Zoll  Zwar  hat  der  Meter  eigentlich 
38-23  Zoll.  Da  aber  die  biconvexen  und  biconcaven  Brillengläser,  wie 
wir  gesehen,  von  den  Brillenschleifern  nach  dem  Radius  der  Krümmung 

bezeichnet  werden,  und  dieser  nur  dann  der  Brennweite  gleich  kommt, 
wenn  der  Brechungsindex  des  Glases  =  1-5  ist,  so  dürfte  die  Gleich- 
setzung der  Brechkraft  einer  biconvexen  oder  biconcaven  Linse  von 
40  Zoll  Kugelradius,  also  '  40  ==  1-0  Dioptrie  dem  wirkliehen  Werte 
ziemlich  entsprechen,  da  hei  dem  gewöhnlich  etwas  höheren  Brechungs- 
index des  Glases  die  Brennweite  eine  kürzere  wird  als  der  Radius  der 
Schleifung. 

Will  man  die  in  Zoll  angegebene  Brechkraft  einer  Linse  in  Dioptrien 
umwandeln,  so  multiplieirt  man  den  Bruch  mit  40-,  will  man  Dioptrien 
in  Brechkraft  nach  Zollen  umwandeln,  so  dividirt  man  ihre  Anzahl 
durch  40:  z.  B.  '  20  =  40/20  Dioptrien  =  2-0;  5-0  D  =  5/40  =  </s 
nach  Zollmaass.  —  Um  die  nach  Zollmaass  bestimmten  Brillengläser, 
hei  welchen  die  Optiker  auch  die  eingeritzte  Numerirung  meist  mit 
ganzen  Zahlen  machen  (also  z.  B.  8  statt  '/g),  von  den  nach  Dioptrien 
bezeichneten  zu  unterscheiden,  pflegt  man  letztere  mit  einer  Decimal- 
stelle  zu  versehen,  beispielweise  statt  8  Dioptrien  8-0  zu  schreiben. 

Die  bisher  besprochenen  Linsen  sind  sphärische,  da  sie  Kugel- 
segmenten  entsprechen.  Eine  andere  Form  von  Linsen,  die  aus  Cyliri- 
dern  gewonnen  sind,  soll  später  (cfr.  Astigmatismus)  besprochen 
werden.  — 

Prismatische    Brillen.      Als    Prisma    bezeichnet    man    in     der 
Optik  ein  durchsichtiges  Medium,   welches  durch  zwei  gegen   einander 
geneigte  Flächen  begrenzt  wird.     Die  Kante  K 
(Figur  17)  des  Prismas  ist  die  Linie,  in  welcher 
sich  die  beiden  Grenzflächen  schneiden,  respec- 
tive   hinreichend  verlängert    schneiden  würden: 
die   Basis  ist  irgend  eine  der  Kante  K  gegen- 
überliegende Fläche  B;  der  brechende  Winkel  17t 
ist  der  Winkel,  welchen  die  beiden  Flächen  des 

Prismas  miteinander  machen  (Winkel  k).  Nach  der  Grösse  dieses  Win- 
kels wird  das  Prisma  bezeichnet:  also  ist  ein  Prisma  von  8  Grad  ein 
solches,  dessen  Flächen  sich  unter  einem  Winkel  von  8  Grad  schneiden. 
In  den  Prismen  unserer  Brillenkästen  ist  Kante  und  Basis  gewöhnlich 
leicht  erkennbar,  da  sie  die  oben  gezeichnete  Form  haben;  bei  der 
Anwendung  als  Brille  giebt  man  ihnen  eine  runde  Form  und  erschwert 
hierdurch  in  etwas  die   genaue  Kenntniss  der  Lage  der  Basis. 

Strahlen,  die  in  ein  Prisma  fallen,   werden  nach  der  Basis  hin  ab- 
gelenkt und  zwar   um   so   mehr,  je   grösser   der  brechende  Winkel  ist. 
Das  Minimum  der  Ablenkung  findet  statt,  wrenn  der  einfallende  und  der 
Schmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  3 


34  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

austretende  Strahl  mit  dem  Prisma  gleiche  Winkel  einschliessen.  Man 
kann  für  schwache  Prismen  den  Ablenkungswinkel  ungefähr  gleich  der 
Hälfte  des  Prismawinkels  setzen,  sodass  ein  Prisma  von  10  Grad  eine 
ungefähre  Ablenkung  von  5  Grad  bewirkt.  —  Hält  man  sich  ein  stark 
brechendes  Prisma  (etwa  25  Grad)  vor  das  linke  Auge  (Figur  18),  mit 
der  Basis  nach  aussen,  und  fixirt  einen  in  einiger  Entferung  befindlichen 
Gegenstand  (a),  so  sieht  man  denselben  doppelt.  Das  rechte  unbewaffnete 
Auge  sieht  nämlich  den  Gegenstand  mit  der  Macula  lutea,  dem  Centrum 
der  Netzhaut,  und  projicirt  ihn  demnach  auf  die  Stelle  im  Räume,  wo 
er  sich  wirklich  befindet.  Die  in  das  linke  Auge  fallenden  Lichtstrahlen 
werden  nach  der  Basis  des  Prismas,  hier  also  nach  aussen  hin  abgelenkt. 
Sie  treffen  nicht  die  Macula  lutea,  sondern  einen 
temporal  gelegenen  Ort  der  Netzhaut;  das  hier 
entstehende  Bild  wird  dementsprechend  auf  einen 
nasalwärts  befindlichen  Gegenstand  (a,)  bezogen: 
es  treten  nebeneinanderstehende  Doppelbilder  auf. 
Dass  die  Ablenkung  der  Strahlen  eine  verschiedene 
ist  je  nach  der  Richtung,  in  der  sie  das  Prisma  treffen, 
oder  mit  anderen  Worten  je  nach  dem  Winkel, 
unter  dem  sie  einfallen,  zeigt  sich  bei  diesem  Ver- 
suche leicht,  wenn  man  das  Prisma  vor  dem  linken 
Auge  um  die  verticale  Achse  so  dreht,  dass  die 
Kante  sich  beispielsweise  dem  Auge  abwendet:  es  wächst  alsdann  die 
Seitenentfernung  zwischen  den  Doppelbildern. 

Gehen  verschieden  gefärbte  Strahlen  durch  ein  Prisma,  so  erleiden 
sie  eine  verschieden  starke  Ablenkung.  Am  meisten  wird  das  violette 
Licht,  am  wenigsten  das  rothe  abgelenkt.  Einfaches  weisses  Sonnen- 
lieht  wird  hierdurch  in  seine  Farben  (Spectralfarben)  zerlegt. 

In  den  grösseren  Brillenkästen  finden  sich  Prismen  von  1  bis  18 
Grad.  Für  den  Gebrauch  in  Brillengestellen  bedient  man  sich  nur  der 
schwächeren  Grade  (etwa  bis  (3  Grad),  weil  sie  sonst  zu  schwer  sind 
und  auch  beim  peripheren  Durchblick  starke  Ablenkung  und  Farben- 
zerstreuung bewirken.  Die  Einfuhrung  der  prismatischen  Brillen  in  die 
praktische  Ophthalmologie  ist  von  Donders  ausgegangen,  ebenso  die 
der  st enopäi sehen  Apparate.  Letztere  bestehen  in  undurchsichtigen 
Schalen  oder  Platten  mit  kleinen  runden  Oerfnungen  oder  linearen 
Schlitzen.  Ihr  Name  rührt  von  oxsvoq  eng  und  ojtrj  Oeffnung  her.  Sie 
gestatten  dem  Lichte  nur  durch  die  betreffende  Oeffnung  Zutritt  zum  Auge 
und  schliessen  so  einen  grossen  Theil  der  Strahlen  aus.  Dies  ist  bis- 
weilen von  Vorfhcil,  wenn  in  dem  ausgeschlossenen  Gebiete  der  Cornea 
eine  so  unregelmässige  Brechung  vorhanden  ist,  dass  Sehstörungen  dar- 
aus erwachsen.    Auch  die  Abhaltung  der  peripheren,  diffusen  Netzhaut- 


Optische  Einleitung-.  35 

beleuchtung  durch  die  Seleva  ist  bei  der  erzielten  Verbesserung  der  Seh- 
schärfe in  einzelnen  Fällen  von  Bedeutung*. 

Messinstrumente  für  kleinste  Bildobjecte.  [Die  Bestimmung  des 
Krümmungsradius  der  Cornea  ist  mittels  des  Ophthalmometers  von  Helm- 
holtz  ausgeführt  worden.  Sic  beruht  darauf,  dass  die  Hornhaut  wie  ein  Convex- 
spiegel  (oder  etwa  wie  die  in  0  arten  aufgestellten  spiegelnden  Kugeln)  wirkt  und 
von  entfernten  Gegenständen  verkleinerte,  aufrechte 
Bilder  entwirft.  Die  Construction  dieser  Bilder  ist 
aus  Figur  19  ersichtlich.  Man  zieht  nach  der  Spiegel- 
Oberfläche  von  dem  Objectpunkt  A  eine  mit  der 
Hauptachse  parallel  laufende  Linie  A  s.  Der  in  dieser 
Richtung  laufende  Lichtstrahl  geht  durch  den  Brenn- 
punkt l\ :  dann  zieht  man  von  A  nach  dem  Krüm- 
mungsuiittelpunkt  des  Spiegels  C  eine  Linie:  der  ent- 
sprechende Strahl  geht  direct  und  ungebrochen. 
Wo  sFj  und  AO  sich  schneiden  (a),  liegt  das  Bild 
von  A. 

Diese  Bilder  sind  grösser,  wenn  der  Krümmungsradius  des  Spiegels  grösser 
ist.  kleiner  bei  kleinerem  Krümmungsradius,  da  die  Brennweite  der  Convex- 
spiegel  gleich  der  Hälfte  ihres  Krümmungradius  ist  und,  wie  wir  ähn- 
lich bei  Convexlinsen  bereits  gesehen,  die  Grösse  des  Gegenstandes  zur  Grösse 
des  Bildes  sich  verhält  wie  die  Entfernung  des  Gegenstandes  von  der  Spiegel- 
fläche  zur  Entfernung  des  Bildes.  Ist  der  Gegenstand  so  weit  entfernt  oder  so 
klein,  dass  man  die  von  ihm  kommenden  und  die  Mitte  des  Spiegels  treffenden 
Strahlen  als  annähernd  parallel  betrachten  kann,  so  wird  sich  sein  Bild  in  dem 

Brennpunkt  des  Spiegels  (Fj)  entwerfen.    Es  ist  in  diesem  Falle  -^r  =  -f-,   wo  d 

die  Entfernung  des  Gegenstandes  von  der  Spiegelfläche  und  f  die  Entfernung  des 
Brennpunktes  von  derselben,  also  die  Brennweite  ausdrückt.  Da  aber  die  Brenn- 
weite   des   Convexspiegels    gleich    dem   halben  Krümmungsradius    ist,   so   wird 

AB        d       ,      , ,         ab.d 
^r  =  T7-  oder  V2t=    .  ^  » 
ab       i,r  AB 

Stellt  man  einen  Gegenstand  von  bekannter  Grösse  (A)  in  einer  nicht  zu 
kleinen  Entfernung  (d)  vom  Auge  auf  und  misst  das  hinter  der  Hornhaut  ent- 
stehende Spiegelbild  (a),  so  erhält  man  nach  dieser  Formel  den  Krümmungsradius. 
Las  Helmholtz'sche  Ophthalmometer  benutzt  die  Verschiebung,  welche  ein  durch 
schiefgehaltene  Glasplatten  gesehener  Gegenstand  erfährt,  um  die  kleinen  Spiegel- 
bilder zu  messen.  Indem  vor  einem  Fernrohr  zwei  plane,  nebeneinander  liegende 
und  sich  mit  der  Kante  berührende  Glasplatten  in  entgegengesetzter  Richtung 
gedreht  werden,  wird  das  fixirte  Bild  von  der  einen  Platte  nach  rechts,  von  der 
anderen  nach  links  verschoben.  Ist  die  Verschiebung  so  weit  erfolgt,  dass  sich 
die  beiden  Bilder  gerade  noch  mit  ihren  Rändern  berühren,  so  ist  diese  Ver- 
schiebung natürlich  gleich  der  Grösse  der  Bilder.  Wenn  an  dem  Ophthalmometer 
vorher  empirisch  festgestellt  worden,  dass  eine  Drehung  der  Glasplatten  um  so 
und  so  viel  Grad  eine  Verschiebung  des  Bildes  von  so  und  so  viel  Millimetern  be- 
wirkt, kann  man  aus  der  Drehung  die  Grösse  des  beobachteten  Bildes  auf  das 
(Genaueste  bestimmen. 

Der  Javal-Schiötz'sche  Apparat  (Figur  20)  hat  den  Vortheil  besserer 
praktischer  Verwendbarkeit.  Hier  ist  die  Grösse  des  Hornhautspiegelbildes  con- 
stant.   aber   die  Grösse   des   gespiegelten   Objectes   veränderlich.     Als   letzteres 

3* 


::.; 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


dient  der  an  Grösse  veränderliehe  Zwischenraum  zwischen  zwei  weissen  Porzellan- 
Figuren  ik.k  die  auf  einem  drehbarenKreisbogen(m)  verschieb  Dar  sind.  DasSpiegel- 
bild  auf  der  Hornhaut  betrachtet  man  nicht  direct,  sondern  durch  ein  an  dem 
Kreisbogen  befindliches  Fernrohr  (AB),  dessen  dem  beobachteten  Auge  zugewand- 
tes linde  ein   Objectiv  trägt.    Letzteres  entwirft  einmal  durch  zwei  Convexlinsen 

ein  umgekehrtes  vergrößertes 
Bild    des    Hornhautbildes    und 
zweitens  verdoppelt  es  dasselbe 
durch  ein  zwischen  den  Linsen 
befindliches     doppell  »rechendes 
Kalkspath-Prisma  (wie  es  früher 
bereits   von  Coccius   benutzt 
wurde)  oder  durch  zusammenge- 
setzte Glasprismen,  wie  in  den 
Apparaten  von  Ragen  aar   in 
Utrecht.  Die  Wirkung-  dieserVer- 
doppelung  ist  eine  solche,  dass 
bei  einer  Entfernung-  des  Kreis- 
bogens bez.  des  gespiegelten Ob- 
jectes   von   350   mm    von    der 
beobachteten  Cornea  ein  Cornea- 
bild,    welches    die    Breite    von 
3  mm  hat.  in  der  Weise  doppelt 
erscheint,  dass  die  Ränder  sich 
gegenseitig  berühren.    Da,  wie 
erwähnt,  das  gespiegelte  Object 
durch  zwei  weisse  Figuren,  von 
denen    das     eine     6    treppen- 
förmige  Einseimitte  besitzt,  be- 
grenzt  wird,   sieht  man  durch 
die    Verdoppelung    des    Ralk- 
spathprismas     ein    Corneabild. 
welches  4  Figuren  zeigt:  durch 
Aneinander-     oder     Abrücken 
der    Platten    auf    dem    Kreis- 
bogen    kann    man    bewirken, 
dass    die   beiden   inneren,   das 
einfache  Viereck  und  das  mit 
treppenförnügen     Einschnitten 
(cf.  Figur  21),  sich  gerade  berühren:  alsdann  ist  das  Corneabild  3  mm  gross.    Die 
Entfernung  der  beiden  Figuren  von  einander  in  diesem  Moment  —  also  die  Grösse 
des  das  Spiegelbild  liefernden  Zwischenraumes  —  ist  auf  dem  Kreisbogen  zu  messen. 
Hieraus     aus    der   bekannten  Grösse   des  Corneabildes   und    der  Entfernung  des 
Objectes  von  der  Cornea  liisst  sich  der  ( iornea-Radius,  beziehentlich  die  Brechung 
der  Cornea  berechnen.    Der  grosse  Vorzug  des  Javal-Schiötz'schen  Ophthal- 
mometers besteht  nun  darin,    dass    bei   der  oben  erwähnten   Entfernung  des  ge- 
spiegelten Objectes  von  der  Cornea  und  Annahme  eines  Brechungs-Index  von  P35 
für  letztere,   die   bei   der  Berührung  der  Spiegelbilder  vorhandene  Stellung  der 
Platten  auf  dem  Kreisbogen  es  erlaubt,  ohne   weiteres  den  Hornhautradius  und 
die   Hornhautbrechung   zu   erkennen.     Je  6  mm  Abstand   der  Figuren  auf  dem 
Kreisbogen    zeigen   eine  Dioptrie  Cornea-Brechung   an.     Da   der   Kreisbogen  in 


Optische  Einleitung.  37 

6  mm  grosse  Abschnitte  getheilt  ist,  kann  man  die  Dioptrie-Zahl  einfach  ablesen. 
Um  den  Hornhaut-Radius  zu  ermitteln,  dividirt  man  mit  der  für  die  Brechung 
gefundenen  Dioptrie-Zahl  in  350;  also  beispielsweise  bei  X>  Dioptrie  Hornhaut- 
brechung beträgt  der  Hornhautradius  10  mm.  An  den  Utrechter  Ophthalmometern 
ist  —  bei  Annahme  eines  Brechungs-Index  der  Hornhaut  von  1,337  —  der  Radius 
der  Hornhaut  so  angegeben,  dass  mit  der  gefundenen  Dioptrie-Zahl  in  337  dividirt 
wurde.  Durch  Drehung  des  Kreisbogens  lässt  sich  die  Refraction  in  den  ver- 
schiedenen Meridianen  der  Hornhaut  schnell  bestimmen-  die  Hauptmeridiane  (d.h. 
der  schwächst-  und  der  stärkstbrechende  Meridian)  pflegen  in  der  Regel  senk- 
recht aufeinander  zu  stehen.  Die  Bestimmung  der  bei  Astigmatismus  vor- 
handenen Abweichungen  wird  noch  dadurch  erleichtert,  dass,  wenn  die  Platten 
in  der  Stellung,  in  welcher  sich  die 
Spiegelbilder  in  einem  Meridian  berühr- 
ten, stellen  bleiben,  sie  in  dem  darauf  senk- 
rechten Meridian  entweder  sich  decken  (cf. 
Figur  22)  oder  von  einander  abstehen.  Würde 
man  sie  beim  Abstehen  durch  Verschieben 
aneinander  bringen,  so  müssten  sie,  falls  man 
jetzt  den  ersten  untersuchten  Meridian  wie- 
der einstellte,  natürlich  hier  sich  decken. 
Da  die  Treppenstufen  des  einen  Viereckes 
je  eine  Breite  von  6  mm  haben,  so  wird  jede 

gedeckte  Treppenstufe  1  Dioptrie  schwächere  Brechung  als  in  dem  vorigen  .Meri- 
dian anzeigen.  Die  Deckung  der  Treppenstufen  zeigt  nämlich,  dass  das  gespiegelte 
Hornhautbild  zu  gross  ist  ("grösser  als  3  mm);  der  betreffende  Hornhautmeridian 
hat  also  das  Object  zu  stark  vergrössert.  Um  das  zur  einfachen  Berührung  der 
Figuren-Ränder  erforderliche  kleinere  Hornhautbild  zu  erhalten, muss  man  das  Object 
vergrössern.  d.  h.  die  Platten  weiter  auseinander  rücken.  — Bei  der  Anwendung  des 
Instrumentes,  das  besonders  für  schnelle  Bestimmung  des  regelmässigen  Astig- 
matismus Nutzen  bietet,  stellt  der  Untersucher  erst  sein  Auge  durch  Verschieben 
des  Oculars  auf  einen  im  Innern  des  Instrumentes  befindlichen  Faden  genau  ein, 
indem  er  das  Fernrohr  zur  Beleuchtung  auf  ein  an  der  Seite  des  Kopf  gesteiles 
angebrachtes  Porzellanplättehen  richtet.  Der  Faden  befindet  sich  an  der  Stelle, 
an  welcher  das  von  den  Objectivlinsen  gelieferte  Corneabild  entworfen  wird.  Als- 
dann stellt  er  die  Cornea  des  zu  Untersuchenden  ein,  indem  er  den  Fuss  des 
Intrumentes  F  nach  vorn  oder  rückwärts  schiebt,  beziehentlich  durch  die  Schraube 
r  das  Objectiv  B  hebt  oder  senkt,  bis  er  die  Spiegelbilder  scharf  auf  der  Horn- 
haut des  Untersuchten,  der  sein  Gesicht  durch  die  Oeffnung  0  des  Kopfhalters 
steckt,  erblickt  und  bringt  nun  durch  Verschieben  der  Porzellan-Platte  1  —  (k 
kanu  man  mit  seinem  inneren  Rande  auf  dem  Theilstrich  20  des  Kreisbogens  [d.  h. 
20  x  6  mm  von  der  Mitte  des  Fernrohr-Tubus  entfernt  =  20  Dioptrien]  festgestellt 
lasseni  —  die  Spiegelbilder  auf  der  Hornhaut  zur  Berührung.  Falls  eine  Höhen- 
differenz der  Figuren  hierbei  hervortritt,  so  zeigt  dies  natürlich  von  einer  unregel- 
mässigen Brechung  des  eingestellten  Hornhautmeridians,  vorausgesetzt,  dass  sich 
nicht  etwa  der  Reifen,  auf  dem  die  Platten  laufen,  etwas  verbogen  hat.  Man  muss 
dann  einen  Meridian  wählen,  in  welchem  die  Figuren  in  gleicher  Höhe  nebenein- 
ander stehen.  Dieser  Meridian  entspricht  einem  Hauptmeridian  des  astigmatischen 
Auges.  Bei  Benutzung  des  Tageslichts  sitzt  der  zu  Untersuchende  mit  dem  Rücken, 
alier  etwas  schräg,  gegen  das  Fenster:  es  ist  angenehm,  wenn  das  Zimmer  nur 
von  einem  Fenster  beleuchtet  wird.  Künstliche  Beleuchtung  würde  über  dem 
Kopfhalter  anzubringen  sein. 


38  Anomalien  der  Refraction  und  Aeeonimodation. 


2.  Physiologische  Optik. 

Die  Grösse  des  Hornhautradius  ist  an  der  Stelle,  wo  die  Cornea 
von  der  Sehlinie  geschnitten  wird,  bei  normal  brechenden  Augen  im 
Durchschnitt  nach  Donders  7-8  min;  jedoch  haben  die  mit  dem  Javal- 
Scniötz'schen  Instrumente  jetzt  leicht  ausführbaren  Massen-Bestim- 
mungen ergeben,  dass  grosse  individuelle  »Schwankungen  vorkommen, 
die  zum  Theil  mit  der  Körpergrösse  der  Untersuchten  in  Verbindung 
stehen.  Der  Radius  des  verticalen  Meridians  weicht  von  dem  des  hori- 
zontalen meist  in  der  Art  ab,  dass  ersterer  kleiner  ist,  die  Cornea  dem- 
nach in  verticaler  Richtung  eine  stärkere  Krümmung  zeigt.  Der  Krüm- 
mungsradius der  vorderen  Linsenfläche  beträgt  10  mm,  der  der  hinteren 
6  mm:  doch  sind  dies  nur  Durchschnittszahlen.  Das  Brechungsvermögen 
der  Cornea,  des  Glaskörpers  und  des  Kammerwassers  ist  circa  1-33,  das 
der  Kry stalllinse  1-43. 

Auf  Grund  dieser  Bestimmungen  hat  man  sich  zum  Zwecke  opti- 
scher Betrachtungen  und  Berechnungen  ein  schematisches  Auge 
construirt,  welches  die  zur  Berechnung  von  zusammengesetzten  optischen 
Systemen  erforderliche  Lage  der  sogenannten  Cardinalpunkte  an- 
giebt.  Bei  jedem  centrirten  Systeme  (d.  h.  einem  Systeme,  bei  dem  die 
Centren  der  sphärischen  Flächen  auf  einer  geraden  Linie,  der  Haupt- 
achse des  Systems,  liegen)  haben  wir  drei  Paare  von  Cardinalpunkten. 
Ein  Paar  lernten  wir  bereits  bei  den  Biconvexlinsen  genauer  kennen: 
die  Brennpunkte.  Wir  unterscheiden  den  ersten  (vorderen)  Brenn- 
punkt (f,),  in  dem  sich  von  rechts  auf  das  optische  System  kommende, 
der  Hauptachse  parallele  Strahlen  zu  einem  Punkte  vereinigen,  und  den 
zweiten  (hinteren)  Brennpunkt  (f2),  der  den  Vereinigungspunkt  eben 
solcher  von  links  kommenden  Strahlen  bildet  (Figur  23).  Als  Brennweite 
(1.  respective  2.)  bezeichneten  wir  den  Abstand  des  Brennpunktes  vom 
optischen  Centrum.  Es  ist  dies  aber  nur  annähernd  richtig:  die  Brenn- 
weite ist  der  Abstand  des  Brennpunktes  (1.  resp.  2.)  von  dem  Haupt- 
punkte (1.  resp.  2.).  Die  beiden  Hauptpunkte  (oder  die  durch  sie 
senkrecht  zur  optischen  Achse  gelegten  Hauptebenen)  werden  dadurch 
cliarakterisirt,  dass  im  zweiten  das  gleiehgrosse  und  gleichgerichtete 
Bild  eines  im  ersten  befindlichen  Leuchtobjeetes  entstehen  würde,  wenn 
die  Strahlen  die  Brechung  des  ganzen  Systems  durchgemacht  haben. 
Das  dritte  Paar  der  Cardinalpunkte:  die  Knotenpunkte  sind  dadurch 
bestimmt,  dass  jeder  Strahl,  der  vor  der  Brechung  durch  den  ersten 
Knotenpunkt  geht,  nach  der  Brechung  durch  den  zweiten  geht  und 
dabei  seiner  ersten  Richtung  parallel  bleibt.  Ihr  Abstand  von  einander 
ist    gleich    dem    der   Hauptpunkte  von   einander.     Die  beiden  Knoten- 


Physiologische  Optik 


39 


punkte  fallen  bei  der  Bieonvexlinse  mit  den  beiden  Hauptpunkten  zu- 
sammen (h,  =  kj  und  h2  =  k2),  wenn  die  Linse  vor  und  hinter  sieh 
ein  gleiches  Medium  hat.  Wir  hatten  bereits  gesehen,  dass  unter  dieser 
Voraussetzung  auch  die  beiden  Hauptbrennweiten  gleich  waren:  ein 
Satz,  der  sieh  darauf  gründet,  dass  bei  optischen  Systemen  die  beiden 
Hauptbrennweiten  sieh  verhalten  wie  die  Breeluuigsexponenten  des 
ersten  und  des  letzten  Mediums. 

Beim  Auge,  wo  die  Strahlen  aus  Luft  in  die  doch  stärker  brechenden 
Augenmedien  gehen,  sind  die  erste  (vordere)  und  zweite  (hintere)  Brenn- 
weite nicht  gleich.     Für  das  von  Listing1   construirte   schematische 


Auge     hat     Helmholtz     (1886) 


das  von  Listing 
folgende 


Zahlenangaben    gemacht : 


der  vordere  Brennpunkt  liegt  13.745  mm  vor  dem  Hornhautscheitel;  der 
erste  Hauptpunkt  1-735  mm,  der  zweite  2-106  nun,  der  erste  Knoten- 
punkt 6-968,    der  zweite  Knotenpunkt  7-321,    der  zweite  Brennpunkt 


23. 


24. 


22.819  mm  hinter  dem  Hornhautscheitel.  F$F2  (Figur  24)  ist  die  optische 
Augenachse;  dieselbe  fällt  nicht  zusammen  mit  der  S  eh-  und  Gresichts- 
linie  G^G^  (Verbindung  zwischen  Macula  lutea  und  dem  angesehenen 
Objeet).  Im  horizontalen  Durchschnitt  geht  letztere  meist  nach  innen 
von  ersterer  durch  die  Hornhaut. 

Für  die  Berechnungen  in  der  ophthalmologischen  Praxis  genügt 
die  Zugrundelegung  eines  noch  mehr  vereinfachten  Augenschemas,  des 
reducirten  X ormalauges  vonDonders.  Dasselbe  wird  repräsentirt 
durch  eine  einzige  gekrümmte  brechende  Fläche  von  5  mm  Radius. 
Der  gemeinsame  Hauptpunkt  liegt  im  Scheitel,  der  gemeinsame  Knoten- 
punkt 5  mm  dahinter  im  Krümmungsmittelpunkt.  Vor  dem  Auge  be- 
findet sich  Luft,  in  demselben  Wasser. 

Der  Brechungsindex  des  Wassers  (n)  beträgt  4/3,  d.  h.,  wenn 
ein  Lichtstrahl  aus  Luft  in  Wasser  übergeht,  so  wird  er  in  der  Weise 
abgelenkt,    dass    sich    der   Sinus    des   Einfallwinkels    i   zum   Sinus   des 

Brechungswinkels  r  wie  4:3  verhält  (-        =  n)  (Fig.  25).  Umgekehrt 

verhält  sich  der  aus  Wasser  in  Luft  gehende  Lichtstrahl;  sein  Brechungsex- 


40 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


ponent  ist  .'5:4.  —  I  >er  grössteWerth;  den  der  Einfallswinkel  i  haben  könnte, 
wäre  90  Grad;  hier  liefe  der  Lichtstrahl  parallel  der  Wasseroberfläche. 

In    diesem    Falle    ist    sin  i  =  sin  90°  =  1,    also  -: =  n:  sin  r  = 

sm  r  n 

=  :t4  =0-7;").     Da  0.7;")  =  sin  48"  35'  ist,  so  ist  dies  der  ( Jrcnzwinkel 

für    Luft    und    Wasser.      Träfe    ein   im    Wasser    laufender  Lichtstrahl 

unter  diesem  Winkel  (r)  die  Oberfläche  des  Wassers,  so  würde  er  heim 

Uebergang  in  die  Luft  parallel  der  Trennungsfläche  verlaufen.     Ist  der 


25. 


26. 


Winkel  (r)  aber  grösser,  so  wird  Winkel  i  grösser  als  90  Grad,  d.  h. 
der  im  Wasser  laufende  Lichtstrahl  tritt  gar  nicht  in  die  Luft  über, 
sondern  wird  an  der  Trennungsfläche  so  reflectirt,  dass  er  im  Wasser 
bleibt  und  in  entsprechender  Richtung  zurückgeworfen  wird.  Man  be- 
zeichnet dies  als  totale  Reflection.  Dieselbe  ( —  soweit  sie  zwischen 
Luft  und  Glas,  wo  n  =  23  ist,  in  Wirkung  tritt  — )  findet  bei  manchen 
Augenspiegeln  ihre  Verwerthung. 

Die    vordere  Brennweite   (Fjh  Figur  2(3)    des    reducirten   Auges 
beträgt  15  mm,  die  hintere  (F2h)  20  mm. 

F        Fi 
Die  optischen  Berechnungen  sind  nach  der  Formel    ,-•+-,-  =  !  zu  machen: 

b       i2 

hierbei  ist  Fi    die  erste  Hauptbrennweite ,  F2  die  zweite  Hauptbrennweite.    ft  ist 

die  Entfernung  desObjectes  von  dem  Hauptpunkt  und  f2  die  desBildes  von  ihm;  beim 

emmetropischen  Auge  ist  f2  gleich  der  angenommenen  Augenachse  (20  nun).   Dem- 

F   •  f  F     f 

nach  ist  f,  =  ~ — r|-  und  f2  =  j-^-^4-  •      Auch    die    Seite   27    angeführte   Formel 
t2  —  V  2  b  —  v  i 

b  b-  =  Fi  F2  liisst  sich  benutzen. 


3,    Refraction  und  Accommodation. 


I.  Refraction.  Das  schematische  Auge  giebt  uns  das  Bild  eines 
normal  brechenden  Auges  im  Ruhezustand.  Danach  ist  letzteres  für 
parallele  Strahlen  eingestellt;  die  Netzhaut  liegt  im  Brennpunkt  des 
optischen  Systems.     Donders,  dem  wir  neben  Stellwag  die  Klärung 


Refraction  und  Accommodation. 


41 


dieser  Verhältnisse  vorzugsweise  verdanken,  hat  die  Bezeichnung  „enime- 
tropisches  Aug>ea  für  dasselbe  eingeführt  (ßfifiETQog  niodum  tenens, 
coip  oculus).     Wir  könneri   demnach  ein   emmetropisches  Auge   als  ein 

solches  detiniren,  welches  parallel  einfallende  Strahlen  in  einem  Punkte 
auf  der  Netzhaut  vereinigt.  Fs  gilt  das  aber  nur  für  central  einfallende 
Strahlen,  die  sich  in  der  Macula  Lutea  oder  deren  Umgebung  ver- 
einigen; peripher  einfallende  parallele  Strahlen  vereinigen  sieh  auch 
im  emmetropischen  Auge  nicht  zu  einem  scharfen  Bilde  auf  der 
Netzhaut. 

Vorausgesetzt  ist,  wie  bereits  hervorgehoben,  dass  sich  das  Auge 
im  Ruhezustande  befindet,  d.  h.  dass  die  Aecommodation,  welche 
durch  Vermehrung  der  Krümmung  der  Krystalllinse  uns  befähigt,  auch 
Strahlen,  die  aus  grosser  Nähe  kommen,  auf  dev  Netzhaut  zu  einem 
scharfen  Bilde  zu  vereinigen,  --  vollständig  abgespannt  oder  auf- 
gehoben ist. 

Alle  Refractionsbestimmungen  haben  es  mit  dem  ruhenden, 
demnach  für  seinen  Fernpunkt  eingerichteten  Auge  zu  thun.  Der 
Fernpunkt  des  emmetropischen  Auges  liegt  in  der  Unendlichkeit,  da 
es  die  von  dort  kommenden  parallelen  Strahlen  auf  seiner  Netzhaut 
vereinigt. 

Augen,  bei  denen  sich  --  immer  die  Aeeonmiodationslosigkeit  vor- 
ausgesetzt —  parallele  Strahlen  nicht  auf  der  Netzhaut  in  einem  Punkte 
vereinigen,  heissen  ametropische.  In  der  Regel  ist  diese  Anomalie 
nicht  durch  eine  Verschiedenheit  der  Brechkraft  dieser  Augen  (Breeh_ 
ungsametropie),  sondern  durch  eine  abwei- 
chende Länge  der  Augenachsen  (Achsen- 
ametropie)  bedingt,  Ist  die  Achse  zu  lang,  so 
besteht  Myopie  (Braehymetropie,  Kurzsichtig- 
keit),  ist  sie  zu  kurz,  Hypermetropie  (Hy- 
peropie,  Uebersichtigkeit).  Wie  Figur  27  zeigt, 
liegt  der  Brennpunkt  a  (=  F2)  —  gleiche  Brech- 
ung der  Medien  in  den  verschiedenen  Augen 
vorausgesetzt  —  bei  dem  längeren  myopischen 
Auge  vor  der  Netzhaut  M,  beim  hyperopischen 
hinter  der  Netzhaut  H:  es  werden  also  in  bei- 
den Fällen  auf  der  ametropischen  Netzhaut  von  unendlich  entfernten 
leuchtenden  Punkten,  die  parallele  Strahlen  entsenden,  keine  scharfen 
Bilder,  sondern  Zerstreuungskreise  (bei  H  in  a[ ,  bei  M  in  a2)  ent- 
stehen. 

Will  das  myopische  Auge  parallele  Strahlen  auf  seiner  Netzhaut 
vereinigen,  so  bedarf  es  der  Concavgläser.  Durch  letztere  werden  die 
parallelen  Strahlen  zerstreut  und  in  divergirende  umgewandelt.    Ist  das 


27. 


42 


Anomalien  der  Kefraetion  und  Accommodation. 


Glas  für  die  betreffende  Länge  der  Augenachse  richtig  gewählt,  so  macht 
es  die  Strahlen  gerade  so  divergent,  dass  sie  sich,  wenn  die  Brechung 
der  Augenmedien  weiter  auf  sie  einwirkt,  zu  einem  Punkte  (scharfem 
Bilde)  auf  der  Netzhaut  (m  Figur  28)  sammeln.  Den  Grad  der  Kurz- 
sichtigkeit drückt  die  Brechkraft  des  eorrigirenden  Concav- 
glases  aus.  Bekommt  ein  Kurzsiehtiger  z.B.  mit  — 20*0  (concav  72 
nach  Zollen)  von  parallelen  Strahlen  ein  scharfes  Bild,  so  bezeichnet 
man  die  Kurzsichtigkeit  als  =  20-0  oder  M(yopie)  20-0  (respective 
nach  Zollmass  31  {.,).  Concav  20-0  zerstreut  parallele  Strahlen  so,  als 
ob  sie  aus  V20  m  Entfernung  kämen  (+  R  Figur  28).  Sehen  wir  von 
der  etwaigen  Entfernung  des  vorgehaltenen  Concavglases  vom  Auge  ab, 
so  ist  damit  zugleich  gesagt,  dass  das  betreffende  Auge  optisch  einge- 
richtet ist  für  divergente  Strahlen,  die  aus  '^o  m  Entfernung  kommen : 
sein  Fernpunkt  (R)  liegt  5  cm  vor  dem  Auge. 

Das  hypermetropische  Auge  bedarf  der  Convexgläser,  um  parallele 
Strahlen  auf  seiner  Netzhaut  zu  vereinigen.  Da  seine  Achsenlänge 
kürzer  ist  als  im  emmetropischen  Auge,  würden  parallele  Strahlen  — 
wiederum  gleiche  Brechkraft  der  optischen  Medien  vorausgesetzt  —  sich 


erst  hinter  der  Netzhaut  zu  einem  Punkte  (e  Figur  29)  sammeln.  Durch 
Wahl  eines  entsprechend  starken  Convexglases  wird  die  Vereinigung  der 
Strahlen  auf  der  Netzhaut  (h)  erreicht;  die  Brechkraft  des  eor- 
rigirenden Convexglases  drückt  den  Grad  der  Hyper- 
opie  aus.  Sieht  ein  Hypermctrop  z.  B.  mit  8-0  scharf  in  die  Ferne, 
so  ist  seine  Hypermetropie  8-0.  Sein  Auge  ist  eigentlich  eingestellt  für 
convergent  in  dasselbe  fallende  Lichtstrahlen;  der  Fernpunkt  [des 
Auges  Hegt  an  der  Stelle,  wo  diese  Strahlen  —  falls  die  Brechung  des 
Auges  nicht  einwirken  würde  —  zur  Vereinigung  kämen,  d.  h.  hier  hinter 
dem  Auge  ( — R).  Man  sagt,  um  diese  Lage  und  Strahlen-Richtung  an- 
zudeuten: das  hyperopische  Auge  hat  einen  negativen  Fernpunkt, 
und  zwar  würde  derselbe  in  unserem  Beispiele  ^3  m  hinter  dem  Auge 
liegen. 

Tabellarisch   kann   man   die  drei  Refraktionszustände  so  charakteri- 
siren: 


Refraction  und  Accommodation. 


43 


Emmetropie. 


Parallele  Strahlen     auf  der  Netz- 
vereinigen sieh  haut 


Myopie. 


vor  der  Netz- 
haut 


Hyperopie. 


Der  Fernpunkt    in  der  Unendlich-  in  einer  bestimm 


(punct.  remotissi- 

mum  =  R)  liegt 


keit  (oc) 


Das  Auge  ist  im        für  parallele 
Ruhestand  ein-  Strahlen 

gerichtet 


Es  -ieht  im  Ruhe- 
zustand in  die 
Ferne  (^c) 


ohne  Glas 


ten  endlicher] 

Entfernung  vor 
dem  Auge  (-J-) 


für  divergente 
Strahlen 


mit  Concav 
gläsern 


hinter  der 
Netzhaut 


in  einer  bestimm- 
ten endlichen 
Entfernung  hinter 
dem  Auge  ( — ) 

für  convergente 
Strahlen 


mit  Convex- 
üdäsern 


IL  Accommodation.  Das  Auge  vermag  in  verschiedenen  Ent- 
fernungen deutlich  zu  sehen,  indem  es  auf  die  betreffenden  Lichtstrahlen 
sieh  optisch  einstellt  oder  „accommodirt*.  Bei  Aufhebung  der  Accom- 
modation ist  es  auf  seinen  Fernpimkt  eingerichtet.  Strahlen,  die  von 
einem  näher  gelegenen  Punkte   (p  Figur   30)   jetzt   das  Auge   träfen, 


würden  sich  erst  hinter  der  Netzhaut  vereinigen,  auf  der  Netzhaut  aber 
ein  verschwommenes  Bild  geben.  Bei  einem  emmetropischen  (also  für 
parallele  Strahlen  eingerichteten)  Auge  würden  die  von  p  kommenden 
Strahlen  beispielweise  in  pt  zusammentreffen.  Sollen  dieselben  auf  der 
Netzhaut  vereinigt  werden,  so  muss  eine  stärkere  Brechkraft  auf  sie 
wirken.  Dieselbe  wird  dadurch  erreicht,  dass  die  Krystalllinse  1  sich 
etwas  stärker  krüniint:  es  legt  sich  gleichsam  zu  ihrer  eigenen  Brech- 
kraft noch  die  Brechkraft  der  schraffirt  gezeichneten  Convexlinse  a 
(Figur  31)  hinzu.     Ist  diese  Zunahme  der  Brechkraft  entsprechend  der 


44 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


Divergenz  der  aus  dem  Punkte  p  kommenden  Strahlen,  so  werden  sich 
dieselben  nunmehr  auf  der  Netzhaut  zu  dem  Punkte  pj  vereinigen: 
p  wird  scharf  gesehen  werden.  Natürlich  hat  diese  Zunahme  der  Brech- 
kraft (um  a  Dioptrien)  zur  Folge,  dass  jetzt  parallele  Strahlen  sieh 
schon  vor  der  Netzhaut  vereinigen  werden,  also  undeutliche  Bilder 
entwerfen.  In  einem  gegebenen  Zeitmomente  kann  das  Auge  nur  für 
eine  einzige  Entfernung  optisch  genau  eingestellt  sein. 

Ks  ist  dies  leicht  zu  constatiren.  Sieht  man  beispielsweise  durch  eine  mit 
Bläschen  oder  sonstigen  kleinen  Unreinlichkeiten  versehene  Fensterscheibe  einen 
ausserhalb  befindlichen  Gegenstand  an,  so  erscheint  dieser  scharf:  von  den  Bläs- 
chen der  Fensterscheibe  wird  kaum  etwas  wahrgenommen,  da  von  ihnen  nur  Zer- 
streuungskreise  die  Netzhaut  treffen.  Richten  wir  aber  auf  die  Fensterscheibe 
unsere  Aufmerksamkeit,  so  treten  die  Bläschen  und  Unreinlichkeiten  scharf  her- 
vor und  das  früher  fixirte  Object  wird  verschwommen.  Gewöhnlich  dient  zu  einer 
ähnlichen  Beweisführung  der  Scheiner'sche  Versuch,  bei  dem  man  ein  un- 
durchsichtiges Kartenblatt  benutzt,  in  welches  dicht  nebeneinander  zwei  kleine 
Löcher  gestochen  sind.  Diese  Löcher  stehen  so  nahe,  dass  sie  vor  das  Auge  ge- 
halten noch  beide  in  das  Gebiet  der  Pupille  fallen.  Blickt  man  durch  sie  nun 
auf  einen  kleinen  Gegenstand,  etwa  einen  Stecknadelknopf  (A),  so  erscheint  der- 
selbe bei  guter  Accommodation  scharf  und  einfach.    Hält  man  aber  eine  zweite 

Nadel  vor  oder  hinter  die  erste, 
während  man  diese  dauernd 
tixirt,  so  erscheinen  die  Bilder 
der  zweiten  (B)  verschwommen 
und  doppelt.  Dasselbe  ge- 
schieht, wenn  man  mit  der  ersten 
Nadel  so  weit  ab  oder  so  nahe 
herangeht,  dass  das  Auge  nicht 
oo  mehr     darauf      aecommodiren 

kann.  Das  Doppeltsehen  erklärt 
sich  aus  Figur  32.  Die  von  B 
ausgehenden  Strahlen  vereinigen  sich  erst  hinter  der  Netzhaut  und  bilden  auf  der 
Netzhaut  zwei  Zerstreuungskreise  bi  und  b2.  die  durch  einen  unbeleuchteten 
Baum,  welcher  dem  zwischen  den  Löchern  befindlichen  Stückchen  des  Karten- 
blattes entspricht,  getrennt  sind. 

Die  Krümmungsveränderung  der  Krvstalllinse  bei  der 
Accommodation  für  die  Nähe  lässt  sich  am  lebenden  Auge  nach- 
weisen. Wenn  man  von  der  Seite  ins  Auge  blickt,  tritt  besonders 
deutlich  die  Zunahme  der  Convexität  der  vorderen  Linsenfläche  hervor, 
mit  der  ein  gleichzeitiges  Vorrücken  des  Pupillenrandes  gegen  die  Cornea 
verknüpft  ist.  Aber  auch  die  hintere  Linsenfläche  vermehrt  ihre 
Krümmung,  wenngleich  in  geringerem  Grade.  Die  Linse  wird  demnach 
beim  Nahesehen  dicker.  Die  betreffenden  Veränderungen  sind  genau 
studirt,  indem  man  --  wie  bei  Messung  der  Hornhautkrümmung  —  die 
von    der    Linse    gelieferten    Spiegelbilder    maass    (M.    Langenbeck, 


Uefraction  und  Accommodation.  45 

Cranier,  Helmholtz):  bei  Zunahme  der  Krümmung  tritt  eine  Ver- 
kleinerung derselben  ein.  Stellt  man  in  einem  sonst  dunklen  Zimmer  zur 
Seite  und  in  gleicher  Höhe  des  beobachtenden  Auges  eine  Lampe 
so.  dass  ihre  Lichtstrahlen  in  die  Pupille  des  Auges  fallen,  so  erkennt 
man,  von  der  entgegengesetzten  Seite  in  das  Auge  blickend,  die  ver- 
kleinerten Spiegelbilder  der  Lampe  und  zwar  erstens  ein  sehr  helles, 
aufrechtes,  das  von  der  als  Convexspiege]  wirkenden  Hornhaut  geliefert 
wird;  weiter  ein  sehr  viel  schwächeres,  verwischteres,  aber  grösseres  von 
der  ebenfalls  eonvexen  vorderen  LinsenHäehe  und  sehliesslieh  ein  kleineres, 
als  helles  Pünktchen  erscheinendes  umgekehrtes  Flammenbild  von  der 
concaven  hinteren  LinsenHäehe.  Accommodirt  das  beobachtete  Auge  sich 
nun  für  die  Nähe,  so  wird  das  Bild  der  vorderen  Linsenfläche  kleiner 
und  nähert  sieh  auch  meist  mehr  der  Mitte  der  Pupille  (Purkinje- 
S  a  n  >  o  n'scher  Versuch). 

Von  sonstigen  Veränderungen,  die  man  beim  Accommodationsact 
beobachtet,  ist  die  Verengerung  der  Pupille  —  verknüpft  mit 
einer  geringen  Verschiebung  nasalwärts  —  von  Bedeutung.  Eine  Pu- 
pillenverengerung wird  ebenfalls  beobachtet,  wenn  beide  Augen  auf  einen 
nahe  gelegenen  Punkt  convergiren,  also  gleichzeitig  mit  der  Contraction 
der  31.  recti  interni.  Lnter  gewöhnlichen  Verhältnissen  verbindet  sich  diese 
Convergenz  der  Sehachsen  in  der  Regel  mit  einer  entsprechenden  Accommo- 
dation  auf  den  fixirten  Punkt,  und  es  wäre  schwer  zu  sagen,  ob  die  Pupillen- 
verengerung mit  der  Convergenz  oder  mit  der  Accommodation  associirt 
ist.  Da  man  aber  auch,  ohne  die  Convergenz  zu  wechseln,  seine  Accom- 
modation ändern  kann,  sei  es  durch  Uebung  oder  durch  Vorlegen  von 
Coneavgläsern,  unter  denen  das  Auge  bei  beibehaltener  Fixation  eines 
bestimmten  Punktes  anders  accommodiren  muss,  so  lässt  sich  enveisen, 
dass  sich  schon  allein  mit  der  Accommodation  eine  Pupillenverengerung 
verknüpft.  Allerdings  finde  ich,  dass  Accommodation  und  Convergenz 
eine  stärkere  Pupillencontraction  hervorrufen  als  erstere  allein.  Im 
Uebrigen  hat  Pupillenverengerung  keinen  directen  Einfluss  auf  das 
Zustandekommen  der  Accommodation.  Es  sind  Fälle  bekannt,  wo  bei 
fehlender  Iris  volle  Accommodationsfähigkeit  bestand  (v.  Grraefe).  Noch 
sei  erwähnt,  dass  bei  der  Accommodation  die  Ciliarfortsätze  nach  vorn 
und  cornealwärts  rücken,  und  weiter  das  Czermack'sche  Accommo- 
dationsphänomen.  Letzteres  zeigt  sich  in  Gestalt  eines  leuchtenden 
Kreises,  der  im  Dunkeln  beim  Versuch  der  Nahe-Accommodation  ein- 
tritt. Eine  Zunahme  des  intraocularen  Druckes  bei  der  Accommodation., 
wie  öfter  behauptet,  ist  nach  den  Untersuchungen  von  Hess  und  Heine 
nicht  nachweisbar.  Dass  durch  andere  Momente,  etwa  Veränderungen 
in  der  Krümmung  der  Hornhaut  oder  Verlängerung  der  Augenachse 
durch  Druck    der  äusseren  Augenmuskeln    die  Accommodation  für  die 


46 


Anomalien  der  Kefraction  und  Aceomniodation. 


Ruhestand 


33. 


Accommodation. 


Nähe  bewirkt  werden  könnte,  ist  nicht  erwiesen,  trotzdem  neuerdings 
wieder  diese  Anschauung  betreffs  des  (scheinbaren)  Aecommodationsver- 
mügens  von  Star-Operirten  Vertreter  gefunden  hat  (Förster,  Schneller). 
Die  Veränderung  der  Krystalllinsenkrümmung  hei  der  Aceomnio- 
dation wird  durch  die  Thätigkeit  des  M.  eiliaris  s.  tensor  ehorioideae 
(Brücke)    bewirkt.      Nach  Helmholtz,    dessen  Annahmen   durch  die 

späteren  Untersuchungen  (besonders 
von  Hensen  und  Völckers)  ge- 
stützt wurden,  erklärt  sich  der  Ac- 
commodationsact  infolgender  Weise. 
Die  zwischen  dem  Corp.  ciliare  und 
dem  Linsenrand  gleichsam  als  Auf- 
hängeband der  Linse  liegende  Zo- 
nula  Zinnii  ist  im  Ruhestande  des 
Auges  (Einstellung  für  den  Fern- 
punkt) so  gespannt,  dass  die  der  Linse  innewohnende  Krümmungs- 
tendenz —  aus  dem  Auge  genommen  zeigt  die  Linse  eine  erheblich 
stärkere  Krümmung  —  nicht  zur  Wirkung  kommen  kann.  Durch 
die  Contraction  der  circulären  Fasern  des  M.  eiliaris  (cfr.  die  Ana- 
tomie des  Uvealtractus)  wird  der  die  Linse  umschliessende  Kreis 
verkleinert  und  damit  die  Zonula  entspannt;  diese  Entspannung  wird 
dadurch  unterstützt,  dass  gleichzeitig  die  longitudinalen  Fasern  des  M. 
eiliaris,  deren  vorderer  Ansatzpunkt  in  der  Gegend  des  Sclerallimbus, 
deren  hinterer  an  der  Peripherie  der  Chorioidea  liegt,  diese  letztere 
Membran  nach  vorn  ziehen.  Die  Krystalllinse  krümmt  sich  nunmehr 
ihrer  Elasticität  folgend  stärker;  sie  wird  in  der  Mitte  dicker,  ihr 
Aequator  wird  kleiner. 

Eine  neuere  Theorie  von  T  scherning  hat  wenig  Anhänger  gefunden. 
Nach  ihr  bewirken  die  meridionalen  Fasern  des  Ciliarmuskels  eine  Anspan- 
nung der  Zonula  nach  hinten  hin:  die  Linse  krümmt  sich  dabei  in  der  Mitte 
stärker,  ähnlich  dem  mechanischen  Vorgange,  der  eintritt,  wenn  man  ein 
biegsames  Rohr  an  seinen  Enden  nach  hinten  biegt;  auch  hierbei  krümmt 
sich  der  mittlere  Theil  des  Rohres  stärker.  Hiergegen  spricht  besonders  der 
Nachweis  von  Hess,  dass  bei  starker  Accommodationsanstrengung  die 
Linse  deutlich  schlottert,  also  eine  Zonula-Eiitspannung  eintritt:  die 
Linse  sinkt  sogar  bei  stehender  Stellung  dem  Gesetz  der  Schwere 
folgend  etwas  nach  unten.  Bei  der  Aceomniodation  für  den  Nahepunkt 
wird  demnach  eine  wesentlich  stärkere  Contraction  des  Ciliarmuskels  ge- 
macht, als  zur  maximalen  Wirkung  der  Linse  erforderlich  ist.  Heine 
ist  es  gelungen,  an  Tauben  auch  microscopisch  die  zur  Erschlaffung 
der  Zonula  führende  Contraction  des  Ciliarmuskels  festzustellen. 

Die  Innervation  des  Accommodationsmuskels  geschieht  durch  Aeste  des 


Refraction  und  Accommodation.  47 

Oculomotorius,  deren  Ursprungszelleii  am  Hoden  des ,"».  Ventrikels  liegen, 
getrennt  von  den  -weiter  rückwärts  liegenden  Kernen,  von  welchen  die 
Oculomotoriusfasern,  welche  die  äusseren  Augenmuskeln  versorgen,  ent- 
springen. 

Nach  obiger  Darlegung  ist  das  Auge,  wenn  der  Ciliarmuskel  sich 
im  Ruhezustande  befindet,  für  seinen  Fernpunkt,  bei  seiner  Contraction 
hingegen  für  nähere  Punkte  eingerichtet.  Dass  durch  diesen  Muskel 
etwa  auch  eine  Abflachung  der  Linse  bewirkt  werden  könnte,  also  Ein- 
stellung über  den  gewöhnlichen  Fernpunkt  hinaus  (negative  Accommo- 
dation),  erseheint  nach  den  vorliegenden  Daten  nicht  wahrscheinlich.  — 
Der  Accommodationsimpuls  erfolgt  für  beide  Augen  in  der  gleichen 
Stärke  (Hering).  Dies  ist  besonders  von  Bedeutung  für  Individuen, 
deren  Augen  eine  verschiedene  Brechkraft  haben;  eine  Ausgleichung 
derselben  durch  einen  für  beide  Augen  verschiedenen  Accommodations- 
grad  ist  in  der  Begel  nicht  möglich  (Hess,  Greeff). 

Accommodationsbreite.  Die  Accommodationsbreite  umfasst 
die  ganze  Ausdehnung  des  deutlichen  Sehens,  also  die  Strecke  zwischen 
Fern-  und  Nahepunkt.  Als  Nahepunkt 
(punet.  proximum,  P)  bezeichnet  man 
den,  dem  Auge  am  nächsten  liegenden 
Punkt,  in  welchem  mit  möglichster  Auf- 
bietung der  gesammten  Accommoda- 
tionskraft  noch  gerade  scharf  gesehen 
werden  kann:  geht  man  mit  dem  Sehob- 
jeete  noch  näher  heran,  so  erscheint  es  34. 

verschwommen. 

Um  unter  verschiedenen  Umständen  für  die  Accommodationsbreite 

oder  nach  Dioptrien:   a)  einen  vergleichbaren  Maasstab  zu  haben, 

\  A  / 

drückte  Donders  sie  aus  durch  die  Brechkraft  der  Sammellinse,  welche 
die  aus  dem  Nahepunkt  kommenden  (also  stärker  divergirenden)  Strahlen 
so  bricht,  als  wenn  sie  aus  dem  Fernpunkt  (p.  remotum,  R)  kämen.  Es 
giebt  demnach  die  Accommodationsbreite  den  Ausdruck  für  die  vitale 
Krümmungsvermehrung,  welche  die  Krystalllinse  beim  Accommodiren 
auf  das  p.  proximum  sich  zulegen  muss.     Nehmen  wir  an,  in  Figur  34 

repräsentirt  die  Linse  --  die  Brechkraft  des  Auges,  also  die  Brechkraft, 

welche  Strahlen,  die  aus  dem  Fernpunkt  (ß)  kommen,  auf  der  Netz- 
haut zu  einem  Punkte  vereinigt.  Bei  einem  emmetropischen  Auge 
würde  es  sich  um  parallele  Strahlen  handeln.  Damit  Strahlen  vom 
Xahepunkt  (P)  sich  auf  der  Xetzhaut  vereinigen,  muss  die  Brechkraft 
durch  Accommodation   vermehrt  werden.      In   der  Figur  34  sei   diese 


4s  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

Krümmungsvermehrung  der  Krystalllinse  durch  die  vorgelegte  Convex- 

linse    .    ausgedrückt.  Letztere  wird  die  entsprechende  Brechkraft  halten, 
A        ö  t 

wenn  sie  die  aus  P  kommenden  Strahlen  so  bricht,  als  wenn  sie  aus  K  kämen, 

beim    emmetropischen  Auge    sie  also  parallel  macht.     Wir  linden    den 

Wertb   von  .    nach    der    ohen    angesehenen   Formel  für   Convexlinsen: 
-A. 

.  =        -j-  -=-•     Hier  ist  £  die  Brennweite  der  (Jonvexlinse  (A),  welch«' 
t         a         b  v    J 

die  von  einem  in  a  Zoll  (hier  in  P)  befindlichen  Gegenstand  kommen- 
den Strahlen  so  bricht,  dass  sie  in  b  sich  zu  einem  Bilde  vereinigen, 
oder,  wenn  es  sich  um  ein  virtuelles  Bild  handelt,  von  b  (hier  R) 
zu  kommen  scheinen.  Bei  obiger  Formel  wurde,  wie  wir  gesehen,  die 
Lage  des  Bildes  mit  dem  positiven  Vorzeichen  ausgedrückt,  wenn  es 
auf  der  anderen  Seite  der  Linse  entstand,  als  wo  der  Gegenstand  sich 
befand,  lag  es  auf  derselben  Seite  als  negativ.  Letzteres  trifft 
nun  bei  emmetropischen  und  myopischen  Augen  zu,  hier  ist  der  Fern- 
punkt auf  derselben  Seite,  wo  der  Nahepunkt  liegt  (d.  h.  vor  dem  Auge). 
Es  wird  demnach  für  diese  Augen  die  Formel  der  Accommodation  s- 
breite  lauten: 

I         1  * 

A  —  P        R ' 

Bei  hypermetropischen  Augen  hingegen  liegt  der  Fernpunkt  hinter 
dem  Auge,  also  auf  der  anderen  Seite;  danach  ist  die  Formel  hier: 

1=1  +  1. 
A        P        R 

Wenn  man  will,  kann  man  auch  als  Accommodationsbreiten-Formel 
die  erstere  testhalten,  muss  aber  dann  beim  hvperopischen  Auge  die 
Entfernung  von  R  als  negativ  rechnen. 

A       P       V     R 

Beispiel.  Emmetropie  und  Nahepunkt  in  4  Zoll,  so  ist  die  Accommodations- 
breite,  da  R  bei  Emmetropie  in  der  Unendlichkeit  liegt, 

i-=i  _  i  ==i_m 

A        4        x         4 

M  •       1/  •>    '/    11       *  '  1  17  1 

Myopie  V2o,  p.   pro*.  3  Zoll;  ~v=  -.,  ---gg-^. 

Byperopie  l/30,  p.  pröx.  6  Zoll;  -   =  ,.  +  .,,.=---  =  • 

Vorstehende  Formel  der  Accommodationsbreite  ist  von  Donders 
für  die    Benutzung  der  Dioptrien   entsprechend  umgewandelt. 


Refraction  und  Accommodation.  4(d 

Wenn  man  dieselbe  nämlich  näher  betrachtet,  so  findet  man,  dass 
jeder  Theü  derselben  den  reciproken  Werth  der  bezüglichen  Brennweite, 
also  die  Brechkraft  der  betreffenden  Linsen  ausdrückt.  Unter  Anwen- 
dung der  Dioptrien,  welche,  wie  wir  gesehen,  eben  Ausdruck  der 
Brechkraft  sind,  muss  man  danach  die  Formel  nieht  in  Bruchform, 
sondern  so  schreiben:  a=p  —  r  (Donders). 

Einige  Beispiele:  L)  Emmetropie;  Nahepunkt  in  25  cm.  Der  Fernpunkt  bei 
E  liegt  in  x.  die  Brechkraft  einer  Linse   von  x    Meter  Mrennweite  ist  =     ■  =  ('), 

X) 

also  r  =  0.  p  ist  die  Brechkraft  einer  Linse  von  25  cm  oder  i/i  m  Brennweite, 
also  =4-0  Dioptrien.    Danach  a  =  4'0. 

2    Myopie  1*0.  Nahepunkt  in  !5  m,  so  ist  a  =5-0 — 1*0  =  4-0. 

;i  Hyperopie  2*0,  Nahepunkt  l/2  m;  so  ist  a  =  2-0 —  ( — 2-0)  =  4-0.  Die 
Addition  der  2*0  Dioptrien  bei  Hyperopie  erklärt  sich  auch,  wenn  man  den  Ac- 
commodationsvorgang  mit  dem  des  Emmetropen  vergleicht.  Während  letzterer, 
um  parallele  Strahlen  auf  seiner  Netzhaut  zu  vereinigen,  keiner  accommodativen 
Vermehrung  seiner  Linsenkrümmung  bedarf,  muss  der  Hyperop  2'0  bereits  um 
diese  2*0  Dioptrien  accommodiren.  Dazu  kommt  dann  für  beide  in  gleicher  Weise 
die  erforderliche  Linsenkrümmung  für  den  Nahepunkt. 

Die  letzten  Beispiele  zeigen  zugleich,  dass  dieselbe  Accommodationsbreite 
(4*0)  resp.  dieselbe  Krümmungsvermehrung  der  Krystalllinse  erforderlich  ist,  um 
zu  accommodiren  1)  von  unendlich  auf  25  cm  oder  2)  von  100  cm  auf  20  cm  oder 
3  von  50  cm  negativ  oder  jenseits  unendlich  auf  50  cm.  Der  optische  Werth 
der  Accommodationsbreite  giebt  demnach  keine  Auskunft  über  die 
Strecke  oder  Ausdehnung,  in  welcher  deutlich  gesehen  werden  kann. 

Die  Accommodationsbreite  wird  entweder  für  jedes  Auge  allein  be- 
stimmt (absolute  Accommodationsbreite  =  a)  oder  für  beide 
Augen  zugleich  (binoculare  Accommodationsbreite  =  a2):  a  und 
a0  sind  verschieden  gross.  Dies  liegt  in  dem  Einfluss,  den  die  Conver- 
genz  der  Sehlinien  auf  den  Grad  der  möglichen  Accommodationsspan- 
nung  ausübt.  Früher  bestand  die  Ansicht,  dass  Convergenz  der  Seh- 
linien und  Accommodation  zusammenfielen;  würden  beispielsweise  beide 
Augen  auf  einen  25  cm  entfernten  Punkt  gerichtet,  so  seien  auch  die 
Augen  auf  diese  Entfernung  accommodirt  und  könnten  keine  Aenderung 
in  ihrem  Aeeommodationszustande  eingehen.  Volkmann  (1836)  und 
vor  Allem  Donders  (1846)  jedoch  zeigten,  dass  die  Hache  anders 
liegt.  Es  besteht  zwar  ein  gewisses  Band  zwischen  Convergenz  der 
Sehlinien  und  Accommodation,  aber  ein  dehnbares.  Man  kann  sich 
leicht  hiervon  überzeugen,  wenn  man  eine  in  einer  bestimmten  Entfer- 
nung gehaltene  Schriftprobe  fixirt  und  nun  schwache  Concav-  und  Con- 
vexgläser  vor  seine  Augen  hält.  Mit  einer  ziemlichen  Reibe  solcher 
Gläser  wird  man  die  Schrift  scharf  sehen  und  lesen  können.  Es  muss 
demnach  zum  Ausgleich  der  durch  die  vorgehaltenen  Gläser  bewirkten 
Brechung   der  Lichtstrahlen    eine   Veränderung  in    der  Brechkraft    des 

•Sc-hmidt-Rimpler.     7.  Auflage.  4 


50  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

Auges  durch  Krümmungsvennehrung  I  bei  vorgehaltenem  ( !oncavglas)  oder 
Krümmuirgsverringerung  (bei  vorgehaltenem  Convexglas)  stattfinden, 
Trotz  gleichbleibender  Convergenz  der  Sehlinien  treten  also  Acconuno- 
dationsänderungen  ein. 

Umgekehrt  lässt  sich  auch  zeigen)  dass  man  bei  gleichbleibender 
Accommodation  auf  eine  Schrift  mit  (Ter  Convergenz  der  Sehlinien 
wechseln  kann,  indem  man  z.  B.  durch  Vorlegen  eines  nicht  zu  starken 
Prismas  mit  der  Basis  nach  innen  vor  ein  Auge  eine  Schielstellung  des- 
selben erzwingt  — 

Kehren    wir    zn    den    Versuchen    mit    Vorhalten    von    sphärischen 
Gläsern  vor  die  Augen  zurück.    Es  stellt  sich  hierbei  heraus,  dass  bei 
Fixation  eines  nahen  Gegenstandes  allerdings  die  Accommodation,  wie 
durch  das  Vermögen,  mit  gewissen  Convexgläsern  noch  zu  sehen,   er- 
wiesen wird,  erschlafft  werden  und  somit  factisch  die  optische  Einstel- 
lung auf  einen  ferner  gelegenen  Punkt  'erfolgen  kann,  —  dass  aber  die 
Einstellung  auf  den  wirklichen  Fernpunkt,  wie  ihn  das  Auge  beim  Blick 
in    die    Ferne    mit    annähernd    parallel    gerichteten    Sehlinien 
hat,    nicht  zu   erreichen  ist.     Mit   der   Convergenz   der   Sehlinien 
bleibt     eine     gewisse     Accommodationsspannung     verknüpft; 
je  stärker  convergirt  wird,  um  so  stärker  ist  die  Spannung.    Die  stärkste 
Convergenz  ermöglicht  es,  auch  die  stärkste  Spannung  der  Accommoda- 
tion zu  erreichen.    Es   tritt  dies  ein,    wenn  die  Sehlinien  noch  stärker 
convergent  gemacht  werden,  als  es  die  Nähe  des  stark  herangerückten 
Sehobjectes  erfordert.     Nehmen  wir  an,  beide  Augen  eines  Emmetropen 
seien  auf  einen  Gegenstand,  der  in  10  cm  Entfernung  in  der  Mittellinie 
zwischen  beiden  Augen  sich  befindet,  gerichtet  und  könnten  ihn  scharf 
sehen,    so    ist    die    erforderliche    Accommodationskraft  =  10-0.     Bückt 
der  Gegenstand  noch  näher,  etwa  bis  auf  8  cm,  so  kann  auf  diese  Ent- 
fernung wohl  noch   convergirt,    aber  nicht  mehr  aecommodirt  werden; 
das  Auge  hat  nicht  die  hierfür  erforderliche  Accommodationskraft  von 
12-5  Dioptrien   (100/8  =  12-5).     Dennoch  erfolgt    durch  die  vermehrte 
Convergenz  mit  der  Accommodation  insofern  eine  Aenderung,  als  die- 
selbe  etwas    höher   gespannt  wird   als   bei   der  Convergenz  auf  10  cm 
und  nunmehr  die  optische  Einstellung  auf  einen   etwas  näher  gelegenen 
Punkt  (etwa  auf  9-5  cm)  eintritt.     Da  die  Augen  aber  nicht  auf  diese 
Entfernung,  sondern  auf  8  cm  convergiren,  so  trifft  das  Bild  des  Punktes, 
auf  den  jetzt  aecommodirt  wird,    nicht  identische  Netzhautstellen,    und 
er  erscheint  doppelt.     Letzteres  lässt  sich  vermeiden,  wenn  nur  mit  einem 
Auge    gesehen    und    das    andere    durch   Verdecken   ausgeschlossen   wird. 
Es  ist  hierbei  auch  m  ögj^lfjj  ^isjsjJ(fes-^erdeckte  Auge  noch  stärker  con- 
vergirl     (d.   h.     nach    i.i>rft>n    schielt)    unCc^iiirch    die    hierdurch    erzielte 


Refraction  und  A.ccommodation.  51 

Accoinmodationsspannung,  welche  auch  dem  offenen  Auge  zu  gute  kommt, 
letzteres  zu  stärkerer  Accommodation  befähigt. 

Die  monoculare  Prüfung  erzieh*  demnach  ein  näheres  p.  prox. 
als  die  binoculare,  und  damit  ist  auch  die  absolute  Accommodationsbreite 
ui=p  —  r)  grösser  als  die  binoculare  (a2  =  p2 —  r2);  der  Fern- 
punkt bleibt  bei  beiden  in  gleicher  Lage.  — 

Die  Accommodationsbreite   der  Augen  spielt  eine  grosse  Rolle   bei 
der  Beschäftigung  in  der  Nähe:  bei  Emmetropen  und  Hypernietropen 
kann   die  Verringerung  derselben  leicht  Mangel  an  Ausdauer  und   Er- 
müdungserscheinungen  hervorrufen,    worauf  wir   später   noch   zurück- 
kommen.    Ihre  Untersuchung'   hat   daher   eine  durchaus  praktische  Be- 
deutung.    Dies   gilt  auch  bezüglich  der  dritten  Form  der  Accommoda- 
tionsbreite:  der  relativen  (a,).     Bei  jeder  Convergenz   dw  Sehlinien 
kann,  wie  wir  gesehen,  die  Accommodation  noch  in  einer  gewissen  Breite 
spielen:  diese  lässt  sich  durch  die  Summe  der  Brechkrat't  des  noch  eben 
zu  überwindenden  stärksten  Concav-  und  des  anderseits  noch  eben  zu- 
lässigen   stärksten    Convexglases    beim 
Ansehen  des  in  gleicher  Entfernung  blei- 
benden Gegenstandes  ausdrücken.     Sie 
ist   „relativ*    zur  Convergenz    oder 
mit  anderen  Worten  zur  Entfernung  des 
iixirten    Objects;    es    giebt  demnach   so 
viel  relative  Accommodationsbreiten;  als 
es  verschiedene  Convergenzen  der  Seh- 
linien giebt.     Von   besonderer  Wichtig-  35. 
keit  ist  die  Accommodationsbreite  für  die- 
jenige Convergenz ;    welche   die  Augen   bei  gewöhnlichen   Arbeiten  in 
der  Xähe  (etwa  beim  Lesen)  annehmen  müssen. 

In  Figur  35  convergiren  beide  Augen  nach  f.  Hierbei  möge  bei 
gleichzeitiger  Accommodation  die  Kiystalllinse  jedes  Auges  eine  Brech- 
kraft von  25  Dioptrien  haben;  ihre  Form  sei  durch  die  ausgezogenen 
Linien  angegeben.  Werden  nun  vor  beide  Augen  Concavgläser  gelegt, 
so  kann  man  mit  diesen  den  Punkt  f  noch  deutlich  sehen,  so  lange 
durch  vermehrte  Accommodation,  d.  h.  durch  Krümmungszunahme  der 
Kiystalllinse  ein  Ausgleich  der  zerstreuenden  Kraft  des  Glases  möglich 
ist.  Durch  Vorlegen  verschieden  starker  Concavgläser  finden  wir  bei- 
spielsweise, dass  noch  mit — 2 -J0  scharf  gesehen  werden  kann,  mit : — 2-5 
nicht  mehr:  — 2-0  bezeichnet  [demnach  das  Maximum  der  Accommo- 
dationszunahme,  welche  bei  der  beibehaltenen  Convergenz  auf  f  das 
Auge  leisten  kann.  Es  wird  dieses  Glas  also  direct  die  Krümmungs- 
zunahme der  Kiystalllinse  ausdrücken:  vorausgesetzt,  dass  wir  die 
geringe  Differenz  vernachlässigen,  die  dadurch  entsteht,  dass  das  Concav- 

4* 


52  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

glas   vor  dem  Auge  liegt.     Durch  den  schraffirten  Theil  der  Krystall- 
linse  in   Figur  35  sei  diese  Kriimmungszunahme  (=2-0)  angedeutet. 

Durch  letztere  wird  das  Auge  alter  factisch  auf  einen:  Punkt  pt  ein- 
gestellt, der  näher  liegt  als  f.  Die  Lage  desselben  lässt  sich,  wie  wir 
unten  an  einem  Beispiel  sehen  werden,  nach  der  Linsenformel  leicht  be- 
rechnen. 

Um  nun  umgekehrt,  wiederum  bei  Convergenz  der  Sehlinien  auf 
den  Punkt  f,  die  grösstmögliche  Abspannung  der  Accommodation  zu  er- 
zielen, legt  man  Convexgläser  vor;  das  stärkste  mit  dem  noch  f  (Figur  36) 
deutlich  gesehen  werden  kann,  entspricht  der  grösstmöglichen  Abflachung 
der  Krystalllinse.  Finden  wir  beispielsweise  Convexglas  1-0  als  das  ent- 
sprechende, so  ist  die  ausgleichende  Krümmungsverminderung  der 
Krystalllinse,  durch  den  schraffirten  Theil  in  ihr  angedeutet,  gleich  1-0. 
Diese  grösste  Abflachung  der  Krystalllinse  bedeutet  den  Ruhezustand 
des  Auges  oder  die  Einstellung  desselben  auf  den  Fernpunkt,   wie  sie 

eben  unterBeibehaltung  der  Convergenz 
auf  f  möglich  ist.  —  Die  Krümmungs- 
zunahme,  welche  von  diesem  Ruhezu- 
stande aus  die  Krystalllinse  erfahren 
kann,  giebt  uns  die  relative  Accommo- 


dationsbreite (a,);  letztere  ist  demnach 
=  1.0  +  2-0  =  3-0.     Das  Concavglas 
(2-0)  entsprach  der  bei  der  angenom- 
36-  menen     Convergenz    noch    möglichen 

Steigerung  der  Accommodation,  das 
Convexglas  (1-0)  der  noch  möglichen  Abspannung:  wir  bezeichnen 
den  ersten  Theil  (in  der  Figur  35  fp,)  als  positive  Accommoda- 
tion s breite,    den   anderen   (Figur  36fr,)  als  negative.  — 

Die  relative  Accommodationsbreite  lässt  sich  auch  noch  in  anderer  Weise 
mit  Benutzung  der  Accommodationsbreiten-Fprmel  a,  =  p,  — 1\  feststellen.  Es 
diene  hierzu  ein  Beispiel.  Beide  Augen  tixiren  und  aeconnnodiren  auf  eine  Schrift- 
probe, die  in  .'30  cm  gehalten  wird.  Es  werden  nunmehr  von  schwächeren  an- 
fangend allmählich  immer  stärkere  Concavgläser  gleicher  Brennweite  vor  beide 
Annen  gehalten.  I>as  stärkste  Concavglas,  mit  dem  auf  diese  Weise  noch  unter 
Anstrengung  deutlich  gesehen  werden  kann,  sei  =  £-01).  Dasselbe  Manöver  wird 
alsdann  mit  Convexgläsern  vorgenommen;  das  stärkste,  das  zu  überwinden  ist, 
sei  =  -2-f).  Dann  ist  die  positive  Accommodationsbreite  =4*0  und  die  negative 
=  2\">:  die  gesammte  relative  Accommodationsbreite  für  eine  Entfernung  von 
.'!()  cm  ist  nach  obigen  Ueberlegungen  =  <>•;">.  Berechnen  wir  nun,  wo  factisch 
der  relative  Nahepunkt  (p,)  liegt,  d.  h.  für  welche  Strahlen  das  Auge  eigentlich 
aecommodirt,  wenn  dieselben  aus  einer  Entfernung  von  30  cm  kommen  und  durch 

ein  Concavglas  4-0    gebrochen    werden.     In   der   Linsenformel   -.-  = 1- ^    ist 

f        ab 

f  =  —  25  cm   (d.  h.  gleich  der  Brennweite  des  Concavglases  •!•())  a  =  30  cm  und 


Refraction  und  Accommodation.  53 

b-Pl  •  -   |=^  +  ^;  j^— a~R"     i;;'/un"-  DerNaüePunktPi  '^ 

demnach  13  7/i  i  cm  vor  dem  Auge  (resp.  der  vorgehaltenen  Concavlinse) ,  da  das 
negative  Vorzeichen  ausdrückt,  dass  er  sich  auf  derselben  Seite  der  Linse  befindet, 
wie  der  fixirte  Objectpunkt  f.  -  Der  Kernpunkt  wird  in  gleicher  Weise  berechnet. 
I>a   die   strahlen   durch   ein    Convexglas   *2-n  (-=40  cm   Brennweite)   gebrochen 

werden,  ist  4-^  =  ^  +  -  ;  _  =    _  cm;  r,  =    -  L20  cm. 

Die  Ausdehnung-  der  gesammten  relativen  Accommodationsbreite  geht 
demnach  von  137/ii  cm  (p^  bis  L20  cm  fo).  Davon  ist  positiv  die  Strecke 
von  137/n  bis  30  cm,  negativ  von  30  cm  bis  1:20  cm. 

Nach  der  Accommodationsformel  ist:  a,  =  —  __  =  7-33  D  —  0-83  D 

=  6*5  D.    Also  dasselbe  Resultat  wie  oben.  — 

Die  Messung  der  relativen  Accommodationsbreite  ist  deshalb  be- 
sonders von  praktischer  Bedeutung,  weil  man  durchschnittlich  die  Accom- 
modation nur  für  solche  Entfernung  längere  Zeit  und  ohne  Ermüdung 
festhalten  kann,  bei  welcher  der  positive  Theil  (hier  4-0)  im  Vergleich 
zum  negativen  (hier  2-5)  verhältnissmässig  gross  ist.  Aber  auch  bezüg- 
lich der  Wahl  von  Brillen  hat  sie  Bedeutung,  indem  sie  bei  den  ver- 
schiedenen Refraction  s  zu  ständen  (trotz  gleicher  Entfernung 
des  Convergenzpunktes)  verschieden  gross  ausfällt.  Es  ist  dies  leicht 
aus  folgendem  Beispiel  ersichtlich.  Wenn  ein  Emmetrop  auf  20  cm 
convergirt,  so  liegt,  nach  den  Ergebnissen  der  Donders'schen  Unter- 
suchung, sein  relativer  Fernpunkt  etwa  in  60  cm,  sein  relativer  Nahe- 
punkt  in  12  cm.  Richtet  hingegen  ein  Myop  8-0,  dessen  absoluter  Fern- 
punkt also  bereits  in  12-5  cm  liegt,  ebenfalls  seine  Augen  auf  einen  20  cm 
entfernten  Gegenstand,  so  ist  sein  relativer  Fernpunkt  etwa  12  cm,  sein 
relativer  Nahepunkt  etwa  8  cm:  d.  h.  sein  ganzes  relatives  Accommoda- 
tionsgebiet  wird  diesseit  des  Convergenzpunktes  hegen  und  ist  positiv  oder 
mit  anderen  Worten,  er  verbindet  mit  der  Convergenz  auf  20  cm  noch 
gar  keine  Accommodationsspannung.  Würden  wir  nun  diese  myopischen 
Augen  durch  die  corrigirenclen  Brillengläser,  mit  denen  der  Fernpunkt 
in  die  Unendlichkeit  verlegt  wird,  gleichsam  in  emmetropische  umzu- 
wandeln versuchen,  so  kämen  sie  dadurch  in  ganz  ungewohnte  und 
meist  unbequeme  Accommodationsverhältnisse,  da  die  relative  Accommo- 
dationsbreite fin  bestimmte  Entfernungen  eine  andere  war  und  für's  erste 
auch  bleiben  wird.  Da  jedoch  Uebung  und  Gewohnheit  hier  umändernd 
einwirken,  so  ist  es  erreichbar,  dass  die  Augen  jugendlicher  Individuen, 
die  ametropisch  sind,  aber  durch  beständig  getragene  Gläser  sich  corri- 
giren,  allmählich  auch  in  ihren  relativen  Accommodationsbreiten  einem 
emmetropischen  Auge  gleich  werden. 

Die  Untersuchuniren  von  Donders  haben  betreffs  des  Verhaltens  der  rela- 
tiven Accommodationsbreite   bei   den   verschiedenen  Refractionen  ergeben,    dass 


54  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

l    bei  parallelen  Sehlinien  »bis  emmetropische  Auge  etwa  i/3,  das  myopische  nur 
.   das   hypermetropische   hingegen   35   seines   absoluten  Accommodationsver- 

4/2 

mögens  in  Anwendung  bringen  kann:  dass  2)  bei  leichter  Convergenz  das  myo- 
pische Auge  viel  weniger,  das  hypermetropische  Auge  viel  mehr  Accommodations- 
kraft  hat  als  das  emmetropische  und  dass  3)  bei  stärkerer  Convergenz  die  Ac- 
commodationskraft  des  myopischen  Auges  sehr  zunimmt,  die  des  hypermetropi- 
schen  nur  wenig-.  — 

Hess  ist  neuerdings  durch  seine  Untersuchungen  zu  Resultaten  gekommen, 
welche  von  den  oben  gegebenen  Do nders' sehen  Anschauungen  vielfach  ab- 
weichen. So  entspricht  nach  ihm  die  Scheidung  zwischen  binocularem  und  niono- 
cularem  Nahepunkt  nicht  den  Thatsachen:  ersterer  scheine  nur  weiter  heraus- 
gerückt, weil  bei  der  gewöhnlichen  Methode  der  Bestimmung  —  im  Gegensatz 
zu  der  von  ihm  mit  Benutzung  des  Scheiner' sehen  Versuches  geübten  —  die  in 
beiden  Augen  beim  Herausrücken  des  Objectes  auftretenden  Zerstreuungskreise 
leichter  und  früher  Sichtbarwerden;  auch  habe  die  Pupillenverengerung,  die  bei  der 
monocularen  Nahepuhktshestimmung  in  Folge  der  stärkeren  Convergenz  erfolgte. 
Einfluss.  Ferner  ist  nach  Hess  der  Spielraum,  in  welchem  bei  festgehaltener  Con- 
vergenz die  Accommodation  von  der  zugehörigen  Convergenz  gelöst  werden  kann 
(absolute  Accommodationsbreite),  unabhängig  von  dem  Grade  der  Convergenz. 

III.  Presbyopie.  Die  Grösse  der  Accomniodationsbreite 
ist  vom  Alter  abhängig:  sie  ist  am  grössten  in  der  * Jugend  und 
nimmt  mit  den  Jahren  nach  und  nach  ab.  Im  30.  Lebensjahre  betraut 
sie  etwa  die  Hälfte  von  der  im  10.  Lebensjahre.  Ihre  Verringerung 
erfährt  sie  dadurch,  dass  der  Nahepunkt  immer  weiter  vom  Auge  ab- 
rückt. Im  40.  Lebensjahre  liegt  letzterer  beim  Emmetropen  etwa  in 
22  cm  (A  =  4-5).  Mit  dem  weiteren  Hinausrücken  desselben  pflegen 
gewisse  Beschäftigungen  in  der  Nähe  (z.  B.  Lesen  einer  feinen  Schrift) 
bereits  mit  Unbequemlichkeiten  verknüpft  zu  sein  [und  auf  die  Dauer 
eine  Ermüdung  der  Augen  hervorzurufen.  Donders  setzte  deshalb 
hier  den  Anfangspunkt  der  Presbyopie  (jtQtößvg  Greis  [und  mip): 
dieselbe  bezeichnet  also  eine  dem  Alter  entsprechende  physiologische 
Abnahme  der  Accommodationsbreite,  bei  der  der  Nakepunkt  weiter 
als  22  cm  (oder,  wie  man  früher  usuell  annahm,  8  Zoll)  vom  Auge 
abgerückt  ist.  Sie  unterscheidet  sich  von  einer'Aeeommodationslähniung, 
die  sich  ja  auch  in  Verminderung  oder  Aufhebung^der  Accommodations- 
breite zeigt,  dadurch,  dass  letztere  pathologisch  ist,  die  Presbyopie  hin- 
gegen physiologisch  und  in  einem  dem  Alter  entsprechenden  Grade 
auftritt.  Um  letzteres  beurtheilen  zu  können,  muss  man  einige  Daten 
im  Auge  behalten  merken.  Nach  Donders  beträgt  die  Accommoda- 
tionsbreite  in  einem  Alter  von 

10  Jahren  =  140  30  Jahren  =    7 

15       n       =  12-0  35       „       =    ^ 

20       „       =  10-0  4()       „       =    4-5 

25  =    8-5  45  =    3-5 


Refraction  und  Accommodation.  55 

50  Jahren  =  2-5  65  Jahren  =  0-75 

55       „       =  1-75  70       „       =  0-25 

60       „      =  1  75       ?       =  0. 

Während  bis  zum  50.  Jahre  das  p.  remot.  in  seiner  normalen  Lage 
bleibt,  beginnt  später  auch  der  Fernpunkt  etwas  hinauszuriicken, 
so  dass  z.  B.  im  ob.  Jahre  ein  Emmetrop  Hypermetrop  0-25,  im  (>f>.  Jahre 
11.  0-7")  und  im  75.  Jahre  H.  1-75  wird.  Diese  Refractionsabnahme 
kann  kurzsichtigen  geringen  Grades  im  höheren  Alter  oft  merklichen 
Yortheil  bieten. 

Die  Ursache  der  Presbyopie  dürfte  grösstenteils  in  dem  Härter- 
werden und  in  der  Elasticitätsverringerung  der  Linse  liegen,  da  wenig- 
stens für  die  früheren  Lebensjahre  eine  Abnahme  der  Kraft  des  M. 
ciliaris  nicht  wahrscheinlich  ist. 

IV.  Bestimmung  der  Refraction,  Accommodation  und 
Sehschärfe.  Da  bei  den  Refractionsbestimmungen  jede  Accommoda- 
tionsspannung  ausgeschlossen  sein  soll,  so  müssen  sie  unter  Vermeidung 
von  Convergenjz  der  Sehachsen  bei  paralleler  Blickrichtung  in  die  Ferne 
gemacht  werden,  wenn  man  nicht  etwa  durch  Atropin  oder  ähnlich 
wirkende  Mittel  die  Accommodation  direct  lähmen  will.  Man  hängt  zu 
dem  Zwecke  Sehproben  (etwa  die  grossen  Snellen'schen  bis  zu  No.  III 
herab)  auf  Papptafeln  geklebt  in  circa  6  m  Entfernung  gut  be- 
leuchtet auf  und  lässt  danach  blicken.  Diese  Entfernung  ist  auch  aus- 
reichend weit,  um  die  von  den  kleinen  Schriftproben  in  die  Pupille  des 
Untersuchten  fallenden  Lichtstrahlen  als  parallel  ansehen  zu  können. 
Die  Snellen'schen  Tafeln  enthalten  Buchstaben,  Zahlen  oder  Haken  ver- 
schiedener Grösse.  Die  grössten  werden  in  60  m  von  einem  entsprechend 
brechenden  und  normal  sehenden  Auge  erkannt,  dann  folgen  kleinere, 
die  in  36  m,  24  m  bis  6,  4  und  3  m  u.  s.  f.  erkannt  werden  sollen. 
Diese  Tafeln  gestatten  gleich  mit  der  Bestimmung  der  Refraction  auch 
die  der  Sehschärfe  vorzunehmen. 

Trotzdem  bei  correcter  Brechung  der  in  das  Auge  fallenden  Strahlen 
scharfe  Xetzhautbilder  entstehen,  werden  sie  dann  nicht  wahrgenommen 
werden,  wenn  die  Netzhaut  sie  nicht  mehr  empfindet  und  differente 
Theile  des  Bildes  nicht  als  solche  unterscheidet.  Dass  auch  auf  dem 
Wege  von  der  Xetzhaut  zum  Gehirn  und  in  diesem  selbst  das  Hinder- 
niss  für  die  Wahrnehmung  des  Xetzhautbildes  liegen  kann,  ist  selbst- 
verständlich. Wir  wrerden  demnach  unter  Sehschärfe  (S  oder  V)  die 
Fähigkeit  verstehen,  auf  der  Xetzhaut  entstandene,  möglichst  scharf  be- 
grenzte und  entsprechend  helle  Bilder  von  einer  gewissen  Grösse  wahr- 
zunehmen, —  die  Sehschärfe  ist  um  so  bedeutender,  je  kleinere  Bilder 
noch  percipirt  werden.  Die  Definition  zeigt,  dass  in  den  Fällen,  wo 
in    Folge   mangelhafter    Brechung   der    Augenmedien    kein    scharf   um- 


56 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


grenztes  Bild  auf  der  Netzhaut  entsteht,  dieser  Fehler  der  Kefractioil 
erst  durch  Ldie  entsprechenden  Brillengläser  (so  weit  als  möglich)  zu 
corrigiren  ist,  ehe  man  die  Sehschärfe  bestimmen  kann. 

Nur  nach  Ausgleichung-  etwaiger  Kefractions-Anomalien  kann  man  eine  w  issen- 
schaftlich  eorrecte  Sehechärfenbestimmung  machen.     So  wechselt  die  Sehschärfe 
beim  Kurzsichtigen  je  nach  der  Entfernung:    während    derselbe  innerhalb   seines 
Kernpunktes  normale  Sehschärfe  hat.  verringert  sie    sich  entsprechend   dem  Ali- 
stande des  Objectes.    In  umgekehr- 
ter Weise  kann  dies  gelegentlich  bei 
dem  Hypermetropen  hervortreten. 

Aus  praktischen  Gründen,  wie 
etwa  bei  den  Eisenbahnbeamten  oder 
Matrosen,  die  keine  Brille  tragen 
sollen,  ist  es  aber  bisweilen  erforder- 
lich, die  Sehschärfe  für  die  Entfernung 
(etwa  in  G  Meter,  da  grössere  Entfer- 
nungen keine  bemerkenswerthe  Dif- 
ferenzen machen)  ohne  Gläser  festzu- 
stellen :  man  muss  jedoch,  wenn  man 
Verwirrung  vermeiden  will,  diese  wis- 
senschaftlich incorrect  gefundene  Sehschärfe  besonders  bezeichnen,  etwa  als  .,Seh- 
Bchärfe  ohne  Brechungscorrection". 

Wenn  man  die  in  den  Snellen'schen  Sehproben  befindlichen  Buch- 
staben alsObjecte  benutzt,  so  werden  von  dem  als  normalsehend  angenom- 
menen Auge  Netzhautbilder  als  getrennt  wahrgenommen  und  unterschieden, 
die  einen  Abstand  von  0-004  mm  haben.  Dieselben  stellen  sieh  bei 
einem  emmetropischen  Auge  unter  einem  Gesichtswinkel  von 
einer  Minute  dar.  Entwirft  der  Gegenstand  AB  sein  Bild  auf  der  Netz- 
haut des  Auges;  so  ist  die  erforderliche  Construction;  wenn  wir  in  dem 
schematischen  Auge  zwei  Knotenpunkte  zeichnen;  so  zu  machen.,  dass  A  und 
B  mit  k,  (Fig.  37)  verbunden  werden.  Von  k2  wr erden  die  Linien  k2a  paral- 
lel kj  Aundk2  b  parallel  k,  B  gezogen:  dieselben  begrenzen  dasNetzhaut- 
bild  ab.  Den  Winkel  AkLB  nennt  man  Gesichtswinkel  (v).  Derselbe  ist 
dem  Winkel  bk2a  gleich,  wenn  wir,  wie  in  demDonders'schen  reducirten 
Auge,  beide  Knotenpunkte  zusammenfallen  lassen,  so  dass  die  Linie 
Aka  eine  gerade  wird.  Die  Grösse  des  Gegenstandes  ACB  und  seines 
Bildes  aEb  verhält  sich  alsdann  bei  kleinen  Gesichtswinkeln  wie  kC 
zu  kE  (kE  ist  im  reducirten  Auge  =  15  mm):  beispielsweise  würde 
das  Netzhautbild  eines  gleichgrossen,  aber  dreimal  so  Aveit  entfernten 
Pfeiles   nur  ein    Drittel   der  jetzigen   Grösse  haben. 

Besteh.1  Ametropie  in  Folge  ungleicher  Länge  der  Augenachsen,  so 
winde  im  bypermetropischen  Auge  trotz  gleicher  Grösse  des  Gesichts- 
winkels das  Netzhautbild  ein  etwas  kleineres  (H),  im  myopischen  (M) 
ein  etwas  grösseres  sein,  und  zwar  entsprechend  Figur  37,  wenn  diese 
verschieden   langen   Augen   hei  gleichbleibender  Brechung  scharfe 


Refraction  und  Accommodation. 


57 


Bilder  auf  ihrer  Netzhaut  erhielten.  Dies  ist  aber  nicht  möglich:  den 
Myopen  werden  wir  zum  Sehen  in  die  Ferne  bei  den  Sehschärfenbestim- 
mungen(  Joncavgläser  vorlegen  müssen;  den  I  [ypermetropen  Convexgläser. 
Durch  Vorlegen  dieser  Gläser  erleiden  in  dem  nun  veränderten  optischen 
Systeme  aber  die  Knotenpunkte  eine  Verschiebung,  die  besonders  davon 
abhängt,  in  welchem  Abstände  das  corrigirende  Glas  vom  Auge  sieh 
befindet.  Die  Grösse  des  Netzhautbildes  hängt  von  (\<t  Lage 
lies  zweiten  Knotenpunktes  ab:  je  näher  dieser  der  Netzhaut,  um  so 
grösser  das  Netzhautbild.  Hingegen  wird  die  Grösse  des  Gesichts- 
winkels von  der  Lage  des  ersten  Knotenpunktes  beeinflusst.  Je 
weiter  letzterer  von  der  Netzhaut  entfernt  liegt,  um  so  grösser  ist  der 
Gesichtswinkel.  Da  die  Entfernung  der  beiden  Knotenpunkte  von  ein- 
ander durchaus  nicht  bei  den  verschiedenen  optischen  Systemen,  wie  sie 
durch  Vorlegen  corrigirender  Gläser  etc.  entstehen,  gleich  ist,  so  bleibt 
die  Grösse  des  Gesichtswinkels  auch  nicht  in  demselben  eonstanten  Ver- 
hältniss  zur  Grösse  des  Netzhautbildes. 

Nach  den  Berechnungen  Mauthner's  rückt  durch  Vorlegung  von  Concav- 
gläsern  zur  Correction  der  Myopie  der  zweite  Knotenpunkt  unter  allen  Umstünden 
nach  rückwärts  gegen  die  Netzhaut 
und  zwar  um  so  mehr,  je  weiter  das 
corrigirende  (das  vor  dem  Auge  steht. 
Dadurch  wird  für  das  corrigirte  Auge 
das  Netzhautbild  Aerkleinert:  es  gilt 
das  ebenso  für  Myopie,  die  auf  Ver- 
längerung der  Augenachsen  als  wie  für 
ilie.  welche  auf  zu  starker  Brechung 
des  dioptrischen  Systems  beruht.  Stellt 
man  aber  einen  Vergleich  der  Grösse 
des  Netzhautbildes  des  achsenmyopi- 
schen  corrigirten  Auges  mit  der  des 
emmetropischen  an.  so  ist  ersteres 
nur  dann  in  Wirklichkeit  kleiner  als  letztere? 
den  vorderen  Brennpunkt  des  Auges  gehalten  wird. 

Figur  38  zeigt  letztere  Lage  des  Concavglases  und  die  hierdurch  erfolgte 
übertrieben  irezeiehnete)  Verrückung  des  ersten  und  zweiten  Knotenpunktes  nach 
Ki  und  K2:  der  Gesichtswinkel  bei  Ki  ist  grösser,  das  Netzhautbild,  dem  Winkel 
bei  K2  entsprechend,  ist  kleiner  geworden.  Die  unterbrochenen  Linien  zeigen 
den  Lauf  der  Strahlen  im  nicht  corrigirten  Auge  mit  den  beiden  Knotenpunkten 
kt  und  k2.  E  ist  die  Lage  der  Netzhaut  des  emmetropischen,  M  die  des  myopi- 
schen Auges. 

Bei  Correction  der  Hypermetropie  durch  das  entsprechende  Convexglas  rückt 
der  zweite  Knotenpunkt  unter  allen  Umständen  nach  vorn  gegen  die  Cornea  und 
zwar  um  so  mehr,  je  weiter  das  corrigirende  Glas  vor  dem  Auge  steht. 

Auch  aus  diesen  Constructionen  gebt  hervor,  dass  die  Grösse  des  ( ; < - -- i < •  1 1 r .-> - 
winkeis  nicht  der  Grösse  des  Netzhautbildes  entspricht.  Die  Bestimmung  der 
Sehschärfe  nach  ersterem  hat  demnach  etwas  Unnatürliches,  zumal  doch  das,  was 
von  den  Sehobjecten  zu  unserer  Wahrnehmung  kommt.  Folge   der  hAregun.--  der 


38. 


wenn   das  corrigirende  (das  vor 


58  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

Netzhaut,  also  directe  Wirkung  des  Netzhautbildes  ist.  Das  ändert  aber  nichts 
an  der  praktischen  Verwerthbarkeit  der  von  Snellen  entworfenen  Buchstaben. 
Ks  beruht  diese  einfach  auf  dem  Uebereinkommen,  dass  das  Erkennen  von  Buch- 
staben, deren  Strichtheile  bei  einem  emmetropischen,  in  die  Ferne  blickenden, 
also  acconunodationslosen  Auge  unter  einem  Gesichtswinkel  von  einer  Minute  er- 
scheinen, als  normal  zu  betrachten  und  diese  Sehschärfe  mit  1  zu  bezeichnen  sei. 

Die  ganzen  [Buchstaben  der  Snellen'schen  Proben,  deren  ein- 
zelner Strich  unter  einem  Gesichtswinkel  von  einer  Minute  erscheint, 
nehmen  einen  Gesichtswinkel  von  5  Minuten  ein.  Wird  Nr.  VI  (Fi- 
gur  39)  der  Proben  in  6m  gesehen,  so  besteht  volle  Sehschärfe;  wird 
hingegen  No.  XII  in  6  m  gesehen,  so  besteht  6/12 
oder  halbe  Sehschärfe.  Man  dividirt  demnach  die 
Entfernung,  in  der  die  Buchstaben  von  dem 
Untersuchten,  aber  nach  Ausgleichung  et- 
waiger Refractionsanomalien,  gesehen  wer- 
den (d),  durch  die  neben  den  Buchstaben  an- 
gegebene Entfernung  (D),    in  der  sie  gesehen  werden   sollen,    um  die 

Sehschärfe  zu  finden:  S  =  ~-     (Cf.  centrale  Sehschärfe  in:  Amblyopie 

und  Amaurose.) 

Jedes  Auge  wird  einzeln  untersucht.  Die  Sehproben  müssen  er- 
kannt und  genannt  werden  bis  zu  den  kleinsten  herab,  die  der  Unter- 
suchte noch  ohne  Gläser  sehen  kann.  Sollte  er  hierbei  etwa  Nr.  VI 
auf  6  m  sehen,  so  schliesse  man  nicht  daraus,  dass  er  Emmetrop  sei 
und  volle  Sehschärfe  habe.  Es  wäre  immerhin  möglich,  dass  er  mit 
schwachen  Concavgläsern  oder  Convexgläsern  noch  mehr  sehen  könnte*, 
und  daher  ist  nach  der  Richtung  hin  die  Prüfung  fortzusetzen.  Die  Prü- 
fung ohne  Gläser  ergiebt  in  diesem  Falle  nur,  dass  er  mindestens 
volle  Sehschärfe  hat.  Man  versucht  nun  zuerst  durch  Vorhalten  von 
schwachen  Convexgläsern  (etwa  0-5  und  0-75)  zu  erforschen,  ob  besser 
gesehen  wird,  d.  h.  ob  in  derselben  Entfernung  noch  kleinere  Buchstaben 
erkannt  werden,  oder  wenigstens  -die  gesehenen  ebenso  gut  und  scharf 
erscheinen.  Alsdann  steigt  man  allmählich  mit  den  Convexgläsern,  bis 
man  dasjenige  erreicht,  welches  das  Maximum  der  Sehschärfe  zulässt. 
Dieses  entspricht  dem  Grade  der  Hypermetropie. 

Mancherlei  Schwierigkeiten  tauchen  bei  diesen  Bestimmungen  auf. 
Einmal  werden  nicht  alle  Buchstaben  derselben  Reihe,  die  doch  nach 
S uc Neil  in  gleicher  Entfernung  gesehen  werden  müssten,  gleich  gut 
erkannt.  Man  könnte  meinen,  dass  nur  die  Entfernung  als  Maassstab  der 
Sehschärfe  gelten  soll,  in  der  sie  alle  erkannt  werden.  Hierbei  kommt 
man  aber  bisweilen  zu  sehr  merkwürdigen  Resultaten,  indem  der  eine 
oder   andere    Buchstabe   einer   Reihe   noch   nicht  erkannt  wird,  während 


Refraction  und  Aeeonnnodation.  59 

schon  die  Buchstaben  aus  der  nächsten  gesehen  werden,  welche  viel 
kleiner  sind.  Im  (Tanzen  begnügt  man  sich  daher  damit,  dass  die  Buch- 
staben einer  Reihe   Ins   etwa   auf  einen  besonders  schwierigen  genannt 

werden,    und    sehreiht    dann    beispielsweise   8  <  —  •    Würden  von  der 

nächsten  Reihe   noch   ein   oder  zwei    Buchstaben  genannt,    so   schreibt 

man  S  >•    ",  •     Im  TJebrigen  wird    man    auch   dadurch,    dass   man   den 
0  ; 

Untersuchten    etwas    näher  heran    oder   weiter  ab    treten  lässt   (als   die 

angenommenen  6  m),    genauer    die    Entfernung   feststellen  können,    in 

welcher  die  Reihe  gesehen  wird. 

Um  den  Unterschied  in  der  Deutlichkeit  den  zu  Untersuchenden 
klar  zu  machen,  fordert  man  sie  schliesslich,  wenn  man  nur  noch 
schwankend  ist  zwischen  Gläsern  mit  kleinen  Brechungsdifferenzen,  auf, 
einen  bestimmten  Buchstaben,  den  sie  eben  noch  erkennen,  zu  fixiren 
und  nun,  indem  man  die  bezüglichen  Gläser  schnell  hintereinander 
wechselt,  anzugeben,  mit  welchem  Glase  sie  ihn  am  deutlichsten  sehen. 
Um  den  Wechsel  schneller  vollziehen  zu  können  und  überhaupt  das 
unbequeme  Herausnehmen  der  Gläser  aus  dem  Brillenkasten  zu  ver- 
meiden, haben  wir  eine  entsprechende  Serie  von  Convex-  und  Concav- 
Gläsern  in  ein  linearartiges  Gestell  (Brillen-Leiter)  setzen  lassen, 
das  schnell  am  Auge  vorübergeführt  werden  kann;  für  Massen-Unter- 
suchungen ist  es  unentbehrlich. 

Manche  Patienten  beobachten  sehr  ungenau,  sodass  ihnen  kleine 
Unterschiede  der  Deutlichkeit  verschwinden.  Z.  B.  geben  sie  an,  mit 
Ob  schlechter  zu  sehen,  während  mit  2-0  eine  erhebliche  Hebung  der 
Sehschärfe  nachweisbar  ist.  Man  wird  daher  immer  gut  thun,  selbst 
wenn  eine  Verschlechterung  angegeben  wird,  doch  noch  ein  stärkeres 
Glas  zu  probiren.  Bei  hochgradig  Kurzsichtigen  wird  durch  schwache 
Concavgläser  bei  6  Meter  Entfernung  keine  wahrnehmbare  Besserung 
erzielt.  Man  lässt  sie  deshalb  erst  etwas  näher  herantreten,  bis  sie 
überhaupt  die  grossen  Buchstaben  auf  der  Tafel  \vahrnehmen,  und  geht 
eventuell  schnell  zu  stärkeren  Gläsern  über. 

Auch  soll  man  die  gesehenen  Buchstaben  nennen  lassen,  um  Selbst- 
täuschungen der  Untersuchten  zu  vermeiden.  Besteht  Schwachsichtig- 
keit oder  sind  etwa  Hornhauttrübungen  vorhanden,  oder  ist  endlich 
Astigmatismus  im  Spiele,  so  geben  die  Patienten  oft  an,  mit  sehr  ver- 
schieden brechenden  Gläsern  gleich  gut  zu  sehen.  Es  erklärt  sich  dies 
zum  Theil  daraus,  dass  die  etwas  grössere  oder  geringere  Schärfe  der 
Bilder,  welche  das  Vorhalten  der  sphärischen  Gläser  ergiebt,  gegen  die 
sonstige  Verschwommenheit  der  Bilder  verschwindet  oder  gegen  die 
Schwäche  der  retinalen  Perceptionsfähigkeit  zurücktritt.    Hier  wird  man 


(',0  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

gut  thun,  zu  atropinisiren  und  nach  eventueller  Prüfung  auf  Astigmatis- 
mus zur  Entscheidung  auch  die  ophthalmoskopische  Refractionsbestim- 
mung  heranzuziehen. 

Bei  Individuen,  <lic  keinen  Buchstaben  kennen,  benutzt  man  die 
Haken  (cf.  Fig.  39)  und  lässt  sagen,  nach  welcher  Richtung  hin  sie 
offen   sind. 

II.  Colin  verwendet  einen  einzigen  solcher  Haken  von  Pappe,  der  mit  der 
Oeffnung  nach  verschiedenen  Eichtungen  hin  gedreht  werden  kann.  Man  wech- 
selt zur  Bestimmung  der  Sehschärfe  alsdann  mit  dem  Abstände  von  dem  zu  Unter- 
suchenden. 

Im  Durchschnitt  werden  die  Haken  weiter  erkannt  als  die  Buch- 
staben derselben  Grösse.  Auch  hieraus  folgt,  dass  die  Sehschärfen- 
bestimmungen nur  eine  annähernde  Genauigkeit  beanspruchen.  Um  so 
erwünschter  ist  es,  dass  dann  wenigstens  nur  ein  und  dieselbe  Seh- 
probe (also  als  die  älteste  und  verbreiterte:  die  Snellen'sche)  unseren 
Bestimmungen  zu  Grunde  gelegt  werde.  Die  Zahl  der  Sehproben, 
meist  nach  gleichem  Prinzip  hergestellt,  ist  sehr  gross:  wir  haben  solche 
von  Schweigger,  Nieden,  Wecker  u.  A.,  abgesehen  von  den  älteren 
Jag  er 'sehen  Leseproben.  Wolffberg  hat  Buckstabenreihen  gewählt, 
die  bei  gleicher  Grösse  möglichst  gleich  leicht  erkannt  werden;  auch 
bildliche  Darstellungen  für  die  Sehschärfenbestimmung  bei  kleinen 
Kindern  sind  von  ihm  hergestellt  worden.  Burchardt  u.  Guillery 
benutzen  Punktproben.  — 

Wird  mit  verschieden  starken  Convexgläsern  derselbe  höchste  Grad 
der  Sehschärfe  —  hierauf  ist  aber  Gewicht  zu  legen  —  erreicht,  so 
wird  die  Hypermetropie  durch  das  stärkst  brechende  Con- 
vexglas  ausgedrückt.  Sieht  jemand  beispielsweise  Nr.  VI  auf  (5  m 
mit  -f-  2-0  und  mit  -\-  1-0  gleich  gut  und  mit  keinem  von  diesen 
Gläsern  nachweislich  besser,  so  ist  seine  Hyperopie  =  2-0  (H  l/2o)« 
Ebenso  besteht  H,  wenn  mit  und  ohne  Convexgläser  gleich  gut  ge- 
sehen wird. 

Diese  Bestimmung  beruht  darauf,  dass  die  Refraction  eben  den 
Brechzustand  des  Auges  ohne  jede  Accommodationsspannung  repräsentirt. 
Sieht  ein  Hyperop  aber  mit  einem  Convexglase  2-0  ebenso  gut  wie  mit 
1-0,  so  befindet  sich  das  Auge  unter  dem  ersten  Glase  in  der  grössten 
Accommodationsabspannung,  da  es  unter  Glas  1-0,  um  dieselbe  Schärfe 
der  Netzhautbilder  zu  erreichen,  seine  Krystalllinse  noch  um  1-0  stärker 
krümmen  niuss  (Figur  40). 

Hat  sieh  bei  der  Prüfung  mit  Convexgläsern  eine  Verschlechterung 
des  Sehens  ergeben,  so  Versucht  man  Concavgläser,  ebenfalls  mit 
schwachen  anfangend  und  zu  stärkeren  übergehend,  ganz  in  der  oben 
angegebenen  Weise.     Wird  hier  mit  Coneavgläsern  verschiedener  Stärke 


Refraction  und  Accommodation. 


Ol 


gleich  gut  gesehen  und  das  Maximum  der  Sehschärfe   erreicht,   so  be- 
zeichnet das  schwächste  Concavglas  den  Grad  der  Kurzsichtig- 
keit.    Falls    mit  Concavgläsern    nur    ebenso    gesehen  wird,    wie  ohne 
Gläser,    so    besteht  Enimetropie. 
Der  Grund    hierfür   ist   derselbe, 
wie     bei     Convexgläsern:     Aus- 
schluss   jeder     Aceoinmodations- 
spannung  bei   der  Refractionsbe- 
stimmung.   Wird  mit  concav  2-0 
(V20)  ebenso  gut  gesehen  wie  mit 
concav  1-0  (74o)>  so  muss  unter 
ersterem     Glase     die     Krystall- 

linse  sieh  gerade  so  viel  mehr  gekrümmt  haben,  wie  concav  2-0  stärker 
die   Strahlen  zerstreut  als  1-0;    daher  besteht  in  Wirklichkeit  Myopie 

1.0  01  V40). 

Nicht  selten  behaupten  Patienten  mit  stärkeren  Concavgläsern  (z.  B. 
mit  — 2-0)  besser  zu  sehen  als  mit  sehwäeheren  (z.  B.  mit — 1-0),  ohne 
dass  sie  factiseh  den  Nachweis  dadurch  führen  können,  dass  sie  etwa 
einen  mit  concav  1-0  nicht  erkannten  Buchstaben  jetzt  mit  concav  2-0 
erkennen.  Wenn  ein  derartiger  deutlich  hervortretender  Unterschied 
trotz  darauf  gerichteter  Untersuchung  nicht  nachweisbar  ist,  wird  das 
schwächere  Glas  als  das  der  Myopie  entsprechende  angenommen.  Das 
scheinbare  Bessersehen  beruht  meist  auf  einer  unbewusst  auftretenden 
falschen  Ueberlegung.  Unter  dem  stärkeren  Concavglase  nämlich  muss 
aecommodirt  werden.  Da  die  Accommodation  normaler  Weise  nur  für 
näher  gelegene  Gegenstände  eintritt,  so  erscheint  dem  Patienten  der 
Buchstabe,  auf  den  er  jetzt  künstlich  und  unbewusst  aecommodiren 
muss.  näher  liegend  und  damit  auch  —  da  das  Netzhautbild  (annähernd) 
so  gross  bleibt,  wie  es  der  Entfernung  entspricht,  in  welcher  es  sich 
wirklich  befindet  —  kleiner.  Je  undeutlicher  der  Kranke  bis  dahin  die 
Gegenstände  gesehen  hatte,  um  so  grösser  waren  sie  ihm  aber  wegen 
der  Zerstreuungskreise  an  den  Rändern  erschienen.  Sieht  er  den  Gegen- 
stand nunmehr  besonders  klein,  so  ruft  dies  in  ihm  auch  den  Eindruck 
besonderer  Schärfe  hervor. 

Der  Grad  der  Refractionsanomalien  wurde,  wie  erwähnt,  durch  die 
Brechkraft  des  corrigirenden  Glases  bestimmt.  Wir  setzen  dabei  voraus, 
dass  das  Glas  dicht  vor  das  Auge  gehalten  wird,  jedenfalls  dass  die 
Entfernung  desselben  vom  Auge  seiner  Brennweite  gegenüber  verschwin- 
dend klein  ist.  Will  man  genau  sein,  so  zieht  man  diese  Entfernung 
in  Betracht.  Ist  beispielsweise  mit  concav  10 -OD,  das  2  cm  vom  Horn- 
hautscheitel entfernt  gehalten  wurde,  am  deutlichsten  gesehen  worden, 
so  heisst  dies:  das  Auge  war  eingestellt  für  Strahlen,  welche  scheinbar 


{')•?  Anomalien  der  ßefraction  und  Accommodation. 

kommen  von  einem  Punkte,  der  10  cm  vom  Glase,  somit  vom  Horn- 
hatitscheite]  10  +  2  cm  entfernt  war.  Es  ist  demnach  der  eigentliche 
Fernpunkt   des  Auges  12  cm  vom  Hornhautscheitel,  also  seine  Myopie 

-~-  =  8-33D.    Die  Myopie  ist  demnach  um  so  geringer,  je  weiter  das 

corrigirende  Ooncavglas  vom  Auge  entfernt  ist.  Man  kann  diesen  Um- 
stand auch  bei  der  Refractionsbestimmung  in  der  Weise  benutzen,  dass 
man  das  ungefähr  der  Myopie  entsprechende  Ooncavglas  zur  Probe 
etwas  weiter  vom  Auge  abhält;  wird  jetzt  noch  ebenso  gut  gesehen,  so 
ist  die  Brechkraft  des  benutzten  Glases  zu  stark. 

Umgekehrt  verhält  es  sich  mit  Convexgiäsern.  Convexglas  10-0,  D 
('/_))  sei  z.  B.  das  corrigirende  und  ebenfalls  2  cm  vom  Auge  gehalten. 
Das  Auge  ist  hier  eingestellt  auf  Strahlen,  die  nach  einem  Punkte  con- 
vergiren,  der  10  cm  hinter  dem  Glase  liegt  oder  8  (d.  h.  10 — 2)  cm 
hinter  dem  Hornhantscheitel.  Der  negative  Fernpunkt  des  Auges  liegt 
also  8  cm  hinter  dem  Hornhautscheitel.    Der  Grad  der  Hypermetropie 

.100       10  ,  /        „    1 
ist  -5-  =  12-0      c  .  ri  oT/ 

0  \         0  y2 

Wenn  wir  vom  Hornhautscheitel  ans  die  Lage  des  Fern- 
punktes (respective  die  Refraction)  bestimmen,  so  ist  dies  eorreet,  da 
der  Hornhautscheitel  im  reducirten  Auge  mit  dem  Hauptpunkt  zu- 
sammenfällt [und  von  diesem  aus  bei  optischen  Systemen  die  Brenn- 
weite bestimmt  zu  werden  pflegt.  Die  Methode  vom  Kotenpunkt  aus 
(der  im  reducirten  Auge  5  mm  hinter  dem  Hornhautscheitel  liegt)  die 
Lage  des  Fernpunktes  zu  bestimmen,  erscheint  weniger  zutreffend;  doch 
hat  diese  kleine  Differenz  für  praktische  Zwecke  meist  keine  Bedeutimg. 

Mit  der  Refraction  ist  die  Lage  des  Fernpunktes  gegeben.  Um  die 
Accommodationsbreite  zu  bestimmen,  bedarf  es  noch  der  Feststellung 
des  Nahepunktes  (P).  Zu  dem  Zwecke  benutzt  man  in  der  Regel  eine 
sehr  kleine  Schriftprobe  (etwa  Nr.  1  der  Jäger'schen  Schriftproben 
oder  04  der  Snellen'schen),  die  man  lesen  lässt  und  dabei  dem  Auge 
immer  mehr  nähert,  bis  sie  unleserlich  wird.  Der  Punkt,  in  welchem 
diese  Schrift,  wenn  auch  mit  Anstrengung,  aber  noch  scharf  und  deut- 
lich gesehen  werden  kann,  ist  das  p.  proximum  der  Accommodation, 
dessen  Entfernung  vom  Auge  zu  messen  ist.  Da  möglichst  feine  Ob- 
jecto für  diese^Bestimmungen  erforderlich  sind,  empfehlen  sich  an  Stelle 
der  Schriftproben  andere  Sehobjecte.  So  etwa  feine  Seidenfädchen 
in  einem  Metall-Viereck  ausgespannt  (v.  Graefe's  Optometer)  oder  die 
feinen  Punktproben  von  Burchardt  oder  auch  die  Benutzung  des 
Sch.einer'schen]JVersuches  (Tort  erfield-Young'sches  <  Optometer). 

Ist  der  Nahepunkt  weit  hinausgeruckt,  so  kann  man  diese  kleinen 
Sehobjecte  nicht  gebrauchen,  da  sie  in  der  notwendigen  Entfernung  ge- 


Refraction  und  Acoommodation.  i;;> 

halten  nicht  mehr  entsprechend  grosse  Netzhautbilder  liefern.  Dies  ist 
auch  zu  beachten,  wenn  man  sehschwache  Augen  untersucht.  Man  lasse 
sich  aher  andererseits  hierdurch  nicht  verleiten,  zu  grosse  Sehobjecte 
zu  nehmen.  Diese  werden  auch  bei  einer  Annäherung  erkannt,  in  <\cv 
eine  Aecommoilation  gar  nicht  mehr  möglich  ist;  die  erhebliche  ( rrösse 
der  auftretenden  Netzhautbilder  gestattet  nämlich  trotz  etwaiger  Zer- 
streuungskreise das  Erkennen.  Man  kann  sich  leicht  hiervon  über- 
zeugen, wenn  man  sehr  grossen  Druck  dicht  an  das  Auge  heranführt. 
Da  es  aher  schwer  ist,  bei  herausgerücktem  Nahepunkt,  dessen  Lage  ja 
eben  unbekannt  ist,  die  gerade  entsprechende  und  genügend  grosse  Schrift- 
probe zu  wählen,  so  nimmt  man  in  diesen  Fällen  Convexgläser 
zu  Hülfe,  durch  welche  man  die  Patienten  lesen  lässt.  Jetzt  werden  auch 
kleine  Sehproben  Anwendung  finden  können,  da  durch  das  Convexglas 
das  Acconunodationsgebiet  dem  Auge  näher  gerückt  wird.  Wenn  bei- 
spielsweise einem  Enimetropen,  dessen Accommodation vollständig  gelähmt 
ist,  convex  8-0  (-j-  '/5)  vorgehalten  ward,  so  wird  er  die  Schriftprobe 
in  '/8  m  (12-5  cm  =  circa  5  Zoll)  lesen,  da  die  von  dort  kommenden 
Strahlen  durch  das  Convexglas  parallel  gemacht  werden.  Man  wird 
also,  um  den  Nahepunkt  zu  bestimmen,  in  den  oben  erwähnten  Fällen  gut 
thun,  ein  Convexglas  (etwa  5-0  bis  8-0)  vorzulegen  und  damit  die  Schrift- 
probe lesen  zu  lassen;  indem  man  sich  mit  ihr  dem  Auge  immer  mehr 
nähert,  bestimmt  man  den  nächstgelegenen  Punkt,  in  welchem  noch 
scharf  gesehen  wird.     Alsdann  misst  man  die  Entfernung  desselben  vom 

Convexglase  und  berechnet  sich  nun  nach  der  Linsenformel  -~  =       -\-      , 

a         I) 

woher  die  durch  die  Convexlinse  gebrochenen  Strahlen  factisch  kommen. 

Dort  Hegt  das  p.  proximum  des  Auges.  Hat  man  beispielsweise  gefunden, 

mit  +  5-0  (Brennweite  20  cm)  ward  noch  auf  10  cm  aecommodirt,  so  ist 

^respective  p-j=  »/2o  —  Vio  =  —  V20; 


Optometer.  Convexlinsen  können  in  gleicher  Weise  auch  zur 
Feststellung  des  Fernpunktes  des  Auges  und  somit  der  Refraction 
benutzt  werden,  indem  man  die  Schriftprobe  so  weit  vom  Auge  ent- 
fernt, als  sie  noch  deutlich  erkannt  werden  kann.  Hierauf  beruhen 
eine  Reihe  von  Optometern.  Aber  es  ist  mehr  zu  beachten  als  ge- 
wöhnlich geschieht,  dass  eigentlich  und  in  der  Regel  hierdurch  nur  der 
relative  Fernpunkt  bestimmt  wird.  Wenn  auch  die  Schriftprobe  in 
gerader  Linie  vor  dem  untersuchten  Auge  sich  befindet,  so  convergirt 
doch  das  zwTeite,  mit  der  Hand  verdeckte  Auge  auf  diesen  Punkt.  Es 
ist  also  eine  Fernpunktbestimmung  bei  bestehender  Convergenz  der  Seh- 
achsen. Hierbei  ist  aber,  wie  uns  die  Betrachtungen  über  die  relative 
Accommodationsbreite'  gelehrt,   eine   volle  Accommodationsabspannung 


64  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

meist  nicht  möglich.  Wie  wir  ferner  oben  gesehen,  fällt  seihst  der 
Grad  der  hierbei  möglichen  Abspannung  noch  verschieden  ans,  je  nach 
den  verschiedenen  Refractionszuständen. 

l'in  einige  Abhülfe  gegen  das  Cönvergiren  bei  diesen  Proben  zu 
schaffen,  lässt  man  das  zweite,  nicht  mitzuuntersuchende  Auge  offen  und 
macht  ihm  durch  eine  Scheidewand  das  Sehen  auf  «las  Sehobject  unmög- 
lich; gleichzeitig  fordert  man  auf  möglichst  in  die  Ferne  zu  blicken. 
So  sucht  man  künstlieh  parallele  Sehachsen  zu  schaffen.  Auch  dadurch, 
dass  man  bei  Fixation  des  Sehobjectes  vor  das  zweite  Auge  ein  Prisma, 
Basis  nach  innen,  legt,  kann  man  es  zum  Auswärtsschielen,  also  zu  einer 
Veränderung  der  Convergenz  der  Sehachsen  veranlassen.  Aber  diese 
Hilfsmittel  haben  nicht  überall  Erfolg.  — 

Wenn  man  eine  einfache  Convexlinse  als  Optometer  benutzen  will, 
so  lässt  man  eine  entsprechend  kleine  Schriftprobe  damit  lesen  und 
sucht  nun  durch  immer  weiteres  Abgehen  den  scheinbaren  Fernpunkt 
des  Auges  zu  bestimmen,  dessen  factische  Lage  nach  der  Linsenformel 
alsdann  berechnet  wird. 

Diese  Berechnung  kann  man  vermeiden  und  durch  eine  sehr  ein- 
fache Regel  sofort  die  Refraction  erhalten,  wenn  man  ein  Convexglas 
von  100,  in  einer  Entfernung  von  10  cm  vom  Auge  gehalten,  zu  den 
Bestimmungen  benutzt.  Wird  hier  das  Sehobject  ebenfalls  in  einer  Ent- 
fernung von  10  cm  (=  der  Hauptbrennweite  von  10*0  Dj  vom  Glase 
gehalten  deutlich  gesehen,  so  besteht  Emmetropie  (Strahlen 
aus  10  cm  werden  durch  -f-  10"0  parallel  gemacht);  jeder  Centimeter 
Differenz  ergiebt  eine  Dioptrie  Refractionsanomalie,  und 
zwar  beim  Annähern  des  Objectes  Myopie,  heim  Abgehen 
Hypermetropie.  Ist  beispielsweise  das  Sehobject  in  8  cm  deutlich, 
so  besteht  M  2-0  (=  10  —  8),  in  (3  cm  31.  41)  u.  s.  f.  Ist  das  Seh- 
object in  14  cm  deutlich,  so  besteht  H  4'0  (=  14  —  10)  u.  s.  f. 

Kennt  man  die  Entfernung,  in  welcher  ein  mit  einer  Convexlinse  scharfge- 
sehener Punkt  sich  befindet  und  hezeichnet  die  Differenz  dieser  Entfernung  von 
der  Brennweite  der  benutzten  Linse  (fj  als  d.   so  ist  die  gültige  Formel  für  die 

f2 

scheinbare  Entfernung  des  betreffenden  Punktes  vom  Auge  =-3-,  immer  voraus- 
gesetzt, dass  die  Linse  um  ihre  Hauptbrennweite  vom  Auge  entfernt  ist.    Bei  der 

f2       100 
Benutzung  einer  Linse  +  10'0  (10  em  Brennweite)  wird   ,  =—5-«    Ist  beispiels- 

d  d  l 

weise  alsdann  d  =  2,  so  liegt  das  Bild  des  betreffenden  Punktes  in  50  cm.  d.  h. 
das  Auge  ist  auf  50  cm  Entfernung  (in  negativer  oder  positiver  Richtung)  einge- 
stellt: ea  besteht  Ametropie  2*0. 

Die    AMeitung    der    Formel    ist    sehr    einfach    nach    der    Linsenformel    ~  = 
—  +  .    •      Wird   die  Entfernung  A  ('die  Lage  des  Selioli  jectesi  von    der  Convex- 


Refraction  und  Accominodation. 


G5 


linse  I.  (Figur  42)  bei  vorhandener  Myopie  =  f  —  d  gesetzt,  so  ist    ,.  —  ,,       ,= 

•    l  '  t        t  —  d 


oder 


b  (f—  d)  —  fb  =  f(f  —  d) 
1»  (f  —  d  —  f)=f2_f,i 
_M  =  f2  — fd 

i        f2 
—  b=  -5- 

d 


f. 


Das  myopische  Auge  wäre  also  eingestellt  für  Strahlen,  die  aus  der  Ent- 
fernung von  -,- — f  jenseits  der  Linse  kommen  (von  At).  Die  Linse  selbst  ist 
alier  vom  Auge  entfernt  =  f.  folglich  ist  das  Auge  eingestellt  für  einen  Fern- 
punkt von   .  — f-f-f,  d.  h.  für  5  •      Lei    hyperopischem    Auge    wird   A  =  f  +  d 

Figur  43)  gesetzt,  und  man  kommt  unter  ähnlichen  Erwägungen  zu  derselben 
Formel. 

Bereits  Burow  hat  mittels  einer  Convexlinse  (V4),  die  als  Ocular  in  einer 
Röhre  sich  befand,  welche  am  andern  Ende  die  Sehprobe  enthielt  und  ausziehbar 
war,  ein  Optometer  construirt.  Badal  (1876)  benutzte  eine  Ocularlinse  von  +16  1) 


in  seinem  ähnlich  construirten  Optometer;  jede  Verschiebung  um  4  mm  entspricht 
hier  einer  Refractionsveränderung  von  1-0  D.  Der  von  mir  angegebene  und  vor- 
zugsweise für  opthalmoskopische  Untersuchung  benutzte  „Refractionsbestimmer" 


43. 

Vf.  Ophthalmoskopische   Refractionsbestimmung)   lässt   sich  auch    als  Optometer 

verwenden.  Ein  Messband,  das  sich  beim  Druck  auf  einen  Knopf  in  ein  Gehäuse 
ein-  und  ausrollen  lässt.  beim  Loslassen  des  Knopfes  arretirt  wird,  dient  zum 
Messen  der  Entfernung.  Die  Convexlinse  befindet  sich  auf  einem  Metallstäbchen, 
das  auf  die  untere  Orbitalwand  angesetzt  wird  und  sie  so  in  stets  gleicher  Ent- 
fernung vom  Auge  hält.  Bei  Bestimmung  des  Fernpunktes  geht  man  von  grösserer 
^Nahe  aus  allmählich  immer  weiter  ab  von  der  Convexlinse.  um  die  Accomrnodation 
Schmidt-Simpler.    T.Auflage.  5 


66 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


möglichst  zu  erschlaffen.  I  >io  gefundene  Entfernung  giebt  bei  Benutzung  des 
Convexglases  10. 0  nach  obiger  Formel  sofort  die  Refraction.  Burchardthat  in 
seinem  Optometer  an  stelle  des  Bandmaasses  einen  verschiebbaren  Stab,  an  welchem 
die  entsprechende  Refractionsanomalie  angeschrieben  ist. 

Beim  Seggel'schen  Optometer  befindet  sieh  die  Probe  auf  durchscheinendem 
Glase  am  Ende  eines  ausziehbaren  Tubus;  eine  Convexlinse  bildet  das  Ocular. 
Die  dem  Annähern  und  Ausziehen  entsprechende  Refraction  ist  auf  dem 
Tubus  angegeben.  Um  die  Convergenz  der  Sehachsen  zu  vermeiden,  befindet  sich 
neben  diesem  Tubus  (wie  bei  einem  binocularen  Opernglas)  ein  zweiter,  der  aber 
am  abgewandten  Ende  geschlossen  ist.  Durch  diesen  blickt  das  andere  nicht 
untersuchte  Anne.  Ohne  Zweifel  wird  hierdurch  bei  vielen  eine  annähernde 
Parallelität  der  Sehachsen  erreicht. 

I  >as  in  der  belgischen  Armee  für  Rekrutenaüshebung  eingeführte  Loisea  u'sche 
Optometer  besteht  aus  einem  Tubus,  an  dessen  hinterem  Ende  die  Sehprobe,  eben- 
falls auf  Milchglas,  sich  befindet.  Als  Ocular  wird  eine  Reihe  von  Gläsern  ver- 
schiedener Brennweiten  benutzt.  Dieselben  sind  sehr  klein,  sodass  eine  genügende 
Anzahl  in  die  Peripherie  zweier  kleiner  Scheiben  eingesetzt  und  hintereinander 
\nr  die  Oeffnung  des  Tubus  durch  Drehen  gebracht  werden  kann.  Eine  Tabelle 
giebt  die  Refraction  an.  welche  dem  vorgelegten  bezüglichen  (Hase  entspricht, 
hie  Sehprobe  kann  in  zwei  Entfernungen  (5  und  10  cm)  von  den  Gläsern  festge- 
stellt werden,  je  nach  dem  grösseren  oder  geringeren  Grade  der  Refractionsano- 
malie.  Dass  die  Bestimmung  nicht  durch  ein  Zurückschieben  der  Sehproben, 
sondern  durch  die  Verschiedenheit  der  vorgelegten  Convexgläser  gemacht  wird, 
erschwert,  besonders  bei  Ungebildeten,  etwas  die  Bestimmung  des  Fernpunktes: 
denn  bei  entsprechender  Accommodation  wird  mit  einer  Reihe  von  Gläsern  scharf 
gesehen. 

Die  zuletzt  angeführten  Optometer  haben  gleichzeitig  den  Zweck,  neben  der 
Bestimmung  der  Refraction  auch  die  Bestimmung  der  Sehschärfe  zu  geben.    Auf 

den  ersten  Blick  erscheint  dies 
etwas  auffällig.  Muss  z.  B.  bei  dem 
Badal'schen  und  Burchardt'- 
schen  Optometer  bei  einem  Emme- 
tropen  eine  bestimmte  kleine  Seh- 
probe der  Lage  des  Fernpunktes 
entsprechend  weiter  abgerückt  wer- 
den als  beim  kurzsichtigen  Auge, 
so  sollte  man  a  priori  annehmen. 
dass  das  Erkennen  dieser  Sehprobe 
heim  Kmmetropen  einen  höheren 
Grad  von  Sehschärfe  voraussetzt  als 
heim  Myopen,  dem  sie  ja  näher  her- 
angerückt wird.  Aus  der  Grösse  der  bei  dieser  Methode  erkennbaren  Schrift- 
probe einen  Schluss  auf  die  Sehschärfe  zu  ziehen,  könnte  demnach  als  unrichtig 
erscheinen.  Aber  es  bleibt  unter  der  Voraussetzung,  dass  der  Brennpunkt  der 
Convexlinse  mit  dem  Knotenpunkt  <les  Auges  zusammenfällt,  «1er  Gesichts- 
winkel, unter  dem  das  Schob  jeet  gesehen  wird,  trotz  grösserer  Annäherung  oder 
Entfernung  von  der  Linse  gleich. 

Fs  sei  AT»   (Figur    IL   das   Sehobject,   o    Mittelpunkt   der  Convexlinse 

deren  Brennpunkt  I'  mit   k.   dem    Knotenpunkt    des   Auges    zusammenfällt.     Ein 
von  B  ausgehender,   der  Hauptachse   paralleler  strahl    wird  so   durch  die   Linse 


Refraction  und  Accommodation. 


67 


gebrochen,  dass  er  durch  Brennpunkt  F  res]),  k  geht.    Sein  Bild  fällt  auf  die 


f 

HEM 

B,B   Bt   a 

X 

~N\I 

■IM 

■ — __ 

&  •  ■    i 

k 

|aja  \n.. 

A,  A   A,   \J- 

~T~ 

i,F~ L 

V 

■MgVnUllH 

45. 


Verlängerung  dieser  Linie.    Alle   von  A    ausgehenden  Strahlen   werden   sich  auf 
die  Verlängerung  der  Linie  Aok  vereinen.     Dasselbe  trifft   zu,   wenn  AB  etwas 
weiter  abgerückt  (AjBi)  oder  näher  herangerückt  ist  (A2B2).     Sieht   der  Unter 
suchte    AB    scharf,   so   fällt   das  Bild   auf  seine    Netzhaut.         Besteht   Achsen- 
hyperopie,  so  wird  die  Netzhaut  dem  Knotenpunkt  näher  liegen,  besteht  Achsen 
myopie,   ferner:   immer   alter  bleibt  der  Gesichtswinkel  v  gleich.   Betrachten  wir 
diesen  also  als  Maass  der  Sehschärfe,  so  bleibt  die  Sehschärfe  gleich.    Die  Netz- 
haut b  i  1  d  e  r   allerdings  wer- 
den eine  verschiedene  Grösse 
halien:    sie    sind  kleiner   auf 
der    Netzhaut  des   hyperopi- 
schen    Auges,    am    grössten 
auf  der  des  myopischen  Auges. 
Sollten     die    Netzhautbilder 
gleiche  Grösse  behalten,   so 
müsste   der  Brennpunkt   der 
Linse      mit      dem     vorderen 
Brennpunkt    des    Auges    zu- 
sammenfallen (Bravais,  Na- 
gel),  wie  Figur  4.~>  zeigt.  Die 

parallel  der  Hauptachse  laufenden  Strahlen  gehen  durch  den  Brennpunkt  der 
Linse  F.  der  mit  dem  vorderen  Brennpunkt  des  Auges  (ft)  zusammenfällt.  Alle 
Strahlen,  welche  aber  von  letzterem  ausgehen,  durchlaufen  das  Auge  parallel  der 
Hauptachse. 

Badal  hat  in  seinem  Optometer  eine  Anzahl  der  Snellen 'sehen  Typen 
photographisch  verkleinert  auf  der  durchscheinenden,  dem  Licht  zugekehrten  Object- 
platte  angebracht  und  die  zum  Erkennen  derselben  erforderliche  Sehschärfe  ange- 
geben. Aehnlieh  ist  Burchardt  mit  Punktproben  verfahren.  Auch  in  den  Opto- 
metern von  Seggel,  Loiseau  u.  A.  ist  die  Bestimmung  der  Sehschärfe  in  gleicher 
oder  ähnlicher  Weise  ermöglicht.  Allerdings  ist  zu  beachten,  dass  der  Brenn- 
punkt der  Linse  factisch  nicht  genau  mit  dem  Knotenpunkt  des  Auges  zusammen- 
fallen wird,  da  wir  ja  die  Lage  des  letzteren  erst  in  jedem  einzelnen  Falle  fest- 
stellen müssten.  Doch  giebt  die  Sehschärfenbestimmung  immerhin  auch  in  dieser 
Form  eine  annähernde  Genauigkeit.  Störend  ist  bei  der  Benutzung  von  Sehproben 
auf  durchscheinenden  Milchplatten  die  Irradiation  an  den  Bändern.  - 

Zur  Bestimmung  der  Refraction  bei  parallelen  Sehachsen  können  unter 
Verwendung  der  Snellen'schen  Sehproben  an  stelle  der  Brillengläser  auch  die 
Fernrohr-Optometer  von  A.  v.  Graefe,  Hirschberg  und  Plehn  dienen.  Das 
erstere  besteht  in  einer  Art  Galileischen  Fernrohrs  (Operngucker).  Das  Ocular 
bildet  ein  Concav-,  das  Objectiv  ein  Convexgläs.  Durch  Aenderung  der  Entfernung 
dieser  Gläser  von  einander  und  Wechsel  in  der  Stärke  des  Concavglases  werden 
die  in  den  Tubus  eintretenden  annähernd  parallelen  Strahlen  des  fernen  Sehobjects 
in  der  Weise  gebrochen,  dass  durch  sie  die  verschiedenen  Divergenzen  und  Con- 
vergenzen  der  Strahlenrichtung  repräsentirt  weiden,  welche  den  verschiedenen 
Refractionsanomalien  entsprechen.  Indem  Hirschberg'schen  Optometer,  das 
nach  dem  Princip  des  astronomischen  Fernrohrs  aus  einer  Convexlinse  als  Ocular 
und  einer  Convexlinse  als  objectiv  besteht,  wird  Aehnliches  dadurch  erreicht,  dass 
die  Gläser  verschiedene  Brennweiten  haben  und  in  verschiedene  Entfernung  von 
einander  gebracht  werden  können.    Sind  die  Gläser  beispielsweise  am  die  Summe 

5* 


63  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

ihrer  beiden  Brennweiten  von  einander  entfernt,  so  werden  parallel  das  Objectiv 
treffende  Strahlen  auch  das  Ocular  parallel  verlassen:  der  zweite  Brennpunkt  des 
Objectivs  fällt  mit  dein  ersten  Brennpunkt  des  Oculars  zusammen. 

Beide  Optometer  vergrössern  aber  die  Sehproben  und  zwar  je  nach  der  für 
die  einzelnen  Refractionsgrade  zu  ändernden  Einstellung  in  verschiedener  Stärke. 
Sic  sind  demnach  für  Bestimmung  der  Sehschärfe  weniger  brauchbar.  Plehn 
sucht  diesen  üebelständ  in  seinem  Optometer,  dass  zwei  gegeneinander  verschieb- 
bare Convexlinsen  von  5  cm  Brennweite  enthält,  dadurch  zu  heben,  dass  er  den 
Brennpunkt  der  Ocular-Convexlinse  mit  dem  Knotenpunkt  des  untersuchten  Auges 
zusammenfallen  lässt:  es  werden  so  trotz  Ab-  und  Anrückens  des  Objectivglases 
die  von  diesem  entworfenen  umgekehrten  Luftbilder  immer  unter  demselben  Ge- 
sichtswinkel gesehen. 

Die  objectiye  Refractionsbestimmung  mittels  des  Opthalmoskops  wird  in  dem 
Abschnitt  Opthalmoskopie  behandelt  werden. 


B.  Specieller  Theil. 

1.  Myopie. 

Die  Myopen  (jxvsiv  blinzeln)  sind  im  Ruhestand  ihres  Auges  auf 
divergente  Strahlen  eingerichtet,  also  auf  Gegenstände,  die  näher  als 
unendlich  liegen.  In  der  Regel  beruht  dies  auf  einer  relativ  zu  grossen 
Länge  der  Augenachsen  (Achsenmyopie),  seltener  allein  auf  einer 
zu  starken  Brechung  oder  Krümmung  (Krümmungsmyopie);  in 
letzterem  Falle  zeigt  besonders  die  Hornhaut  die  abnorme  Krümmung. 
Höhere  Grade  der  Kurzsichtigkeit  kann  man,  abgesehen  von  den  oben 
erwähnten  exaeten  Methoden  der  Refractionsuntersuchung  auch  annähernd 
so  bestimmen,  dass  man  kleinen  Druck  lesen  lässt  und  nach  und  nach 
mit  ihm  so  weit  vom  Auge  abgeht,  bis  er  undeutlich  wird.  An  der  be- 
treffenden Stelle  liegt  ungefähr  der  Fernpunkt  des  Auges.  Druckproben 
von  verschiedener  Grösse  (etwa  Snellen  0-4,  die  in  40  cm,  oder  0-8, 
die  bei  voller  Sehschärfe  in  80  cm  zu  erkennen  sind)  Averden  von  Kurz- 
sichtigen ungefähr  in  einer  und  derselben  Entfernung  gelesen.  Hier- 
durch unterscheiden  sie  sieb  sofort  von  [Schwachsichtigen.  So 
wird  beispielweise  ein  emmetropischer  Schwachsichtiger  mit  S  =  J/2 
die  Snellen'sche  Probe  0-4  wegen  seiner  Sehschwäche  nur  in  20  cm 
lesen,  hingegen  0-8  in  40  cm  und  so  entsprechend  grössere  Proben  in 
grösserer  Entfernung.  Der  Kurzsichtige  aber  erkennt  alle  diese  Schriften 
mir  soweit,  als  es  die  Lage  seines  Fernpunktes  erlaubt. 

Die  Myopie  kommt  in  allen  Abstufungen  vor:  schwächste  Grade  bis 

linauf  zu  M  oO-O  (  n-rr  1  und  noch  höher.    Man  hat  hiernach  verschie- 


/3  / 

dene    Klassen    der   Myopie    unterschieden:    schwache   Myopie    etwa   bis 
M.  2-0  (V2o)>  mittlere   bis   M   6-5  (circa    '/6)  und  hochgradige. 


Myopie.  69 

Es  ist  zu  bemerken,  <lass  die  Überwiegende  Zahl  drv  Myopen  keine 
eigentlich  kranke  Augen  hahen;  sogar  hochgradig  kurzsichtige  Augen 
können,  abgesehen  von  dem  Fehlen  der  Fernsicht  und  einer  eventuellen 
Herabsetzung  der  Sehschärfe,  in  ihren  Functionen  vollkommen  normal 
sein  und  frei  von  jeder  entzündlichen  Affection  Weihen.  Auf  der  anderen 
Seite  aber  sehen  wir  eine  Reihe  myopischer  Augen  —  und  es  gehören 
hierher  vorzugsweise  die  stark  progressiven  und  höhergradigen  Formen 
—  von  schweren  inneren  Erkrankungen  befallen  und  seihst  dem  Ver- 
luste  des   Sehvermögens   ausgesetzt*. 

Subjective  Beschwerden.  Bei  Myopie  geringsten  Grades 
treten  die  Mängel  des  Schlechtersehens  in  der  Ferne  nicht  sehr  hervor-, 
es  giebt  Menschen,  die  gar  keine  Ahnung  von  ihrer  Kurzsichtigkeit 
habenj  und  erst  durch  das  Vorhalten  von  Concavgläsern  überzeugt 
werden,  dass  sie  mehr  sehen  könnten,  als  das,  womit  sie  sich  begnügen. 

Bei  höheren  Graden  ist  die  Störung  schwerwiegend,  sie  kann  sogar 
die  freie  Orientirung  beim  Gehen  auf  der  Strasse  hindern.  Da  bei 
weiter  Pupille  die  Zerstreuungskreise  grösser  sind,  so  suchen  die  Kurz- 
sichtigen, um  besser  zu  sehen,  durch  Verengrung  der  Lidspalte  und 
Blinzeln  einen  Theil  der  Pupille  zu  verdecken.  Auch  sonst  drückt  sieh 
in  dem  Aeusseren  hochgradig  Kurzsichtiger,  falls  eben  nicht  durch 
Gläser  die  entsprechende  Correction  vorhanden  ist,  öfters  eine  gewisse 
Unbeholfenheit  aus.  Beaehtenswerth  ist  die  Bemerkung  von  Dechales, 
einem  im  17.  Jahrhundert  lebenden  Jesuiten,  dass  ihnen  in  der  AVeit  oft 
viel  mehr  entgehe,  als  ihnen  selbst  bewusst  wird,  und  dass  sie  von  vielen 
Dingen  eine  weniger  richtige  Kenntniss  haben,  weil  sie  das,  was  ihnen 
fehlt,  durch  lebhafte  Phantasie  ersetzen.  Auffallend  ist,  wie  verschieden 
eine  hochgradige  Kurzsichtigkeit  von  den  Einzelnen  ertragen  wird. 
Während  sehr  viele,  besonders  dort,  wo  Kurzsichtigkeit  in  der  ganzen 
Familie   herrscht  imd  erblich  ist,    ganz  zufrieden   mit   ihrem   Zustande 


■■  Deutsehe  Heerordnung  vom  22.  November.  1888.  §  7.  Bedingte  Taug- 
lichkeit. 2.  Geringe  körperliche  Felder  (im  allgemeinen  Ersatzreserve,  jedoch 
ist  die  Aushebung  zum  activen  Dienst  keineswegs  ausgeschlossen;.  Anlage  1  g ': 
Kurzsichtigkeit  mit  grösserem  Fernpunktabstande  als  015  m  (6  Zoll),  wenn  die 
Sehschärfe  mehr  als  die  Hälfte  der  normalen  beträgt.  §  9.  Untauglich  k ei t.  2. 
(Landsturm  1.  Aufgebots  und  bei  hochgradigem  Vorhandensein  der  Gebrechen 
dauernde  Untauglichkeit.;  Anlage  4a:  10.  Kurzsichtigkeit,  bei  welcher  der  Fern- 
punktabstand  auf  dem  besseren  Auge  0.15  m  (6  Zoll)  oder  weniger,  die  Sehschärfe 
aber  mehr  als  i/4  der  normalen  beträgt.  (Cf.  die  Vorschriften  über  Herabsetzung 
der  Sehschärfe  in  dem  Kapitel:  Simulation  von  Amblyopie  und  Amaurose.)  —  Nach 
dem  Webxgesetz  in  Oesterreich  C1889j  besteht  Tauglichkeit  zu  jeder  Art  von 
Kriegsdienst  bei  einer  Kurzsichtigkeit  bis  zu  einem  Fernpunktabstand  von  25  cm 
(M  1-0  auf  dem  kurzsichtigen  Auge.  Für  Einjährig-Freiwillige  ist  diese  Grenze 
bis  auf  M  5'0,  für  Mediciner  und  Pharmaceuten  sogar  auf  M  6'5  hinausgerückt. 


7o  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

sind  —  sie  können  ja,  wie  sie  sagen,  als  Ersatz  für  die  mangelnde 
Fernsicht,  in  der  Nähe  ausgezeichnet  gut  sehen  —  oder  sich  wenigstens 
mit  ihrem  Zustande  abfinden,  tritt  uns  bei  Einzelnen  eine  hochgradige 
psychische  Verstimmung  entgegen,  die  beständig  durch  den  Vergleich 
mit  dem,  was  Andere  sehen  können,  genährt  wird. 

Leider  kann  nicht  immer  durch  Concavgläser  vollkommen  geholfen 
werden.  Dies  gilt  besonders  für  Myopen  höheren  Grades,  bei  denen 
meist  keine  normale  Sehschärfe  für  die  Ferne  zu  erreichen  ist.  Aus 
meinen  Untersuchungen  von  Gymnasiasten  (o420  Augen)  ergab  sich, 
dass  während  volle  oder  übervolle  Sehschärfe  bei  Emmetropen  in 
89  Procent  vorhanden  war,  sie  sich  bei  M  1 — 3  nur  in  60-3  Procent, 
bei  M  3 — 0  in  41  Procent  und  bei  31  >  6  sogar  nur  in  16-2  Procent 
fand;  vorzugsweise  häufig  besteht  Sehschwäche  bei  der  angeerbten 
Myopie.  Bei  hochgradigen  Myopen  beträgt,  ohne  dass  eine  andere  ob- 
jeetiv  nachweisbare  Ursache  vorhanden  ist,  die  Sehschärfe  öfter  nur 
]  2 — */3  der  normalen.  Die  Erklärung  hierfür  kann  nicht  allein  in  der 
Wirkung  der  corrigirenden  Concavgläser  gesucht  werden,  die  allerdings 
durch  die  Zurücklegung  des  zweiten  Knotenpunktes  das  Netzhautbild 
gegenüber  dem,  wie  es  in  dem  uncorrigirten  myopischen  Auge  war, 
kleiner  machen:  aber  dieses  relativ  kleinere  Netzhautbild  eines  bestimmten 
Gegenstandes  kann  immerhin  noch  grösser  bleiben,  als  es  beim  emme- 
tropischen  Auge  ist.  Wenn  trotzdem  die  Perceptionsfähigkeit  für  ein 
derartiges  Netzhautbild  beim  Myopen  nicht  ausreicht,  so  könnte  man 
mit  Donders  und  Knapp  annehmen,  dass  durch  die  Verlängerung 
der  Augenachse  eine  Auseinanderzerrung  der  einzelnen  Netzhautzapfen 
und  Stäbchen  in  der  Macula  lutea  und  am  hinteren  Augen-Pole  in  der 
Weise  erfolgt  sei,  dass  selbst  auf  einer  grösseren  Fläche  weniger  per- 
cipirende  Elemente  vorhanden  sind  als  beim  emmetropischen  Auge.  Aber 
auch  ohne  diese  Annahme  lässt  sich  die  relative  Schwachsichtigkeit,  die 
bei  der  Mehrzahl  der  hochgradigen  Myopen  vorhanden  ist,  durch  ander- 
weitige krankhafte  Veränderungen  der  Zapfen  (Heine  hat  eigenthiim- 
liche   Degenerationsformen  gefunden)  erklären. 

Auch  das  periphere  Gesichtsfeld  für  Weiss,  noch  mehr  für  Farben 
ist  bei  hochgradigen  Myopen  im  Allgemeinen  etwas  enger  als  bei  Emme- 
tropen (Weiss).  Ebenso  ist  der  Lichtsinn  öfters  herabgesetzt;  es  beruht, 
hierauf  die  häutige  Klage  über  erhebliche  Verschlechterung  im  Dämmer- 
licht.  Nicht  selten  haben  Kurzsichtige,  aber  auch  in  der  Regel  nur  die 
höheren  (Jrade,  Miickensehen  (Myiodesopsie*,  Mouches  volantes). 
Sie  nehmen  die  Schatten  der  im  Glaskörper  befindlichen  kleinen  Form- 
eleniente  (  Hinge,  Ketten,  Fäden,  Platten  u.  dgl.)  wahr  und  werden  dadurch 

*  nvla  Fliege,  uynq  das  Sehen. 


Myopie.  7J 

sein-  belästigt.  Diese  Schatten  treten  bei  ihnen  besonders  auffällig  her- 
vor, da  alle  von  entfernteren  Lichtpunkten  ausgehenden  Strahlen  sich 
nicht  in  einem  scharfen  Punkte  auf  der  Netzhaut  vereinigen,  sondern 
Zerstreuungskreise  bilden;  die  undurchsichtigen  Glaskörperelemente, 
welche  im  Laufe  dieser  Strahlenbünde]  lieget»,  halten  das  Licht  aber  ah 
und  werfen  so  Schatten  in  den  Zerstreuungskreis.  Ks  schwindet  daher 
bisweilen  die  Klage  über  Myiodesopsie,  wenn  corrigirende  Brillen  getragen 
werden:  der  jetzt  scharfe  Lichtpunkt  auf  der  Netzhaut  wird  zwar  durch 
die  vom  Gläskörper  abgehaltenen  Strahlen  etwas  liehtschwäoher  werden, 
hat  aber  keinen  Raum  für  das  Zustandekommen  der  Schatten.  Weiter 
erklärt  sich  die  Häufigkeit  der  Myiodesopsie  daraus,  dass  sich  gerade 
bei  Kurzsichtigen  oft  pathologische  Bildungen  im  Glaskörper  finden. 
Sind  sie  so  gross,  dass  sie  der  Augenspiegel  nachweist,  so  spricht  man 
von  Glaskörpertrübungen.  Auch  eine  erhöhte  Reizbarkeit  der  Netzhaut, 
welche  sich  öfter  gleichzeitig  durch  Auftreten  von  Blendungs-Erschein- 
imgen.  Schlechtersehen  beim  Blick  gegen  das  Licht  kund  giebt,  kann 
Anlass  zur  belästigenden  Wahrnehmung  der  Mouches   volantes  gehen. 

Metamorphopsie  kommt  ebenfalls  bei  Myopen  vor.  Die  Gegen- 
stände, besonders  in  der  Ferne,  nehmen  eine  veränderte  Gestalt  an, 
gerade  Linien  erscheinen  gebogen,  die  Concavität  dem  Fixations- 
punkte  zugekehrt  (Förster).  Verschiebungen  der  Netzhautzapfen  er- 
klären dies. 

Beschwerden  der  Asthenopie  finden  sich  nicht  zu  selten.  Es  fehlt 
die  Ausdauer  beim  Arbeiten  in  der  Nähe;  heim  Lesen  verschwimmen 
zuletzt  die  Buchstaben,  es  tritt  Druck  und  Brennen  in  den  Augen,  seihst 
Kopfschmerz  ein.  Häufig  ist  diese  Asthenopie,  besonders  im  progressiven 
Stadium  der  Myopie,  Folge  von  Hyperämie  im  Augeninnern  oder  ab- 
normer Accommodationsspanmmg:  in  anderen  Fällen  beruht  sie  auf  einer 
Insufficienz  der  AT.  recti  interni  (vgl.  das  betreffende  Kapitel),  welche 
die  dauernde  Convergenz  der  Sehachsen  unmöglich  macht. 

Objective  Veränderungen.  --Die  kurzsichtigen  Augen  treten 
wegen  ihrer  langgestreckten,  eiförmigen  Gestalt  oft  stärker  aus  der 
Orbita  hervor,  erscheinen  grösser.  Lässt  man  sie  nasalwärts  wenden, 
so  erkennt  man  die  mehr  ovale  Krümmung  gegenüber  der  kugelförmigen 
der  Hypermetropen  und  Emmetropen.  Die  Pupillen  sind  häufig  grösser, 
wodurch  die  Augen  den  Ausdruck  grösseren  -Feuers"  haben.  Die 
vordere  Augenkammer  ist  tiefer.  Nicht  selten  besteht  ein  massiges 
Irisschlottern  (Iridodonesis )  bei  Bewegungen.  Bisweilen  bemerkt  man 
ein  auffallendes  Einwärtsstehen  der  Augen  (scheinbarer  Strabismus 
convergens  der  Kurzsichtigen).  Deckt  man  aber  die  einen  Gegen- 
stand fixirenden  Augen  abwechselnd  mit  der-  Hand,  so  findet  keine 
Stellungsverrückung  der  Blicklinien  statt. 


72 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


Es  beruht  dies  auf  folgendem  Verhalten.  l>ie  Blicklinie.  Verbindung  des 
Drehpunktes  des  Auges  (Figur  46D.  Rechtes  Auge)  mit  dem  fixirten  Gegenstande 
[Gi],  schneidet  ebenso    wie   die  Gesichtslinie  (Verbindung  der  Macula  Inten  [G2] 

mit  dem  Gegenstande  [Gi])  in  der  Regel  die  Hörn* 
haut  nicht  gerade  in  der  Mitte  [MJ,  sondern  etwas 
nach  innen  (nasalwärts).  Wenn  man  die  Horn- 
hautmitte mit  dem  Drehpunkte  I»  durch  eine 
Grade  verbindet  (die  Fortsetzung  dieser  Linie 
-  Augenachse  —  trifft  die  Netzhaut  zwischen 
Sehnerveneintritt  und  der  Macula  lutea  in  F2). 
so  sehneidet  sich  diese  mit  der  Blicklinie  in  einem 
Winkel,  der  von  Woinow  y  [MDGi]  genannt 
-wird.      Dieser    Winkel    ist    im    Durchschnitt    hei 


Hypermetröpen  grösser  als  hei  Emmetropen;  bei  .Myopen  hingegen  kleiner  als 
hei  Emmetropen.  ja  seihst  negativ,  indem  die  Blicklinie  nach  aussen  von  der 
Hornhaut  fällt.     Da    wir   nun   gewohnt   sind,   die  Stellung  heider  Augen  bei  der 


Fixation  eines  in  bestimmter  Entfernung  befindlichen  Gegenstandes  nach  der 
Stellung  der  Hornhautmitte  (Figur  47,  48  m)  zu  beurtheilen,  so  fallen  uns  grössere 
Lageveränderungen  der  letzteren  auf.  Bei  Augen,  deren  Hornhautmitten  mehr, 
;ils  wir  gewohnt  sind,  nasalwärts  gerichtet  sind  (wie  dies  in  Folge  der  Kleinheit 
des   Winkels  ■■  bei   Mvopen  der  Fall),    scheint    ein   Kinw  iirtschielen    vorhanden  zu 


Myopie. 


73 


sein  (Figur  47),  bei  Augen  mit  grösseren£Winkel  y  ein  AuswärtsscMelen  (Figur  48). 
Donders,  der  diese  Beziehungen  zuerst  erforscht,  hatte  sie  irrthümlicher  Weise 
auf  das  Verhalten  des  Winkels  «  bezogen:  eines  'Winkels,  der  von  der  Gesichts- 
linie [Gi  (VI  und  der  Achse  der  Bornhaut  [h  a]  gebildet  wird.  Da  letztere  in 
der  Regel  auch  annähernd  durch  die  .Mitte  des  betreffenden  Eornhautschnittes 
geht  i  es  würde  demnach  M  mit  h  ungefähr  zusammen!' allen;  in  Figur  47  sind  sie 
der  Uebersichtlichkeit  wegen  zu  stark  auseinander  gerückt),  so  ist  praktisch  keine 
erhebliche  Differenz  zwischen  dem  Winkel  a  und  dem  Winke]  y  (Mauthner). 


Her  Cüiarmuskel  (Figur  49 M)  des  myopischen  Auges  ist  nach  hinten 
gerückt;  dicker  und  länger  (Arlt)  als  bei  Emmetropen.  Nach  Iwanoff  's 
Untersuchungen  findet  eine  Hypertrophirung  der  meridionalen  Muskel- 
fasern statt,  gegenüber  dem  emmetropischen  [E]  und  hypermetropischen 
Auge  [11  j:  die  circulären  treten  hingegen  sein-  zurück.  Doch  scheint 
diese  Differenz  vorzugsweise  durch  die  verschiedene  Länge  der  Augen- 
achsen bedingt.  Bei  der  Vergrösserung  der  letzteren  im  myopischen 
Auge  werden  die  circulären  Fasern  auf  ein  kleineres  Territorium  zu- 
sammengedrängt, während  die  radiären  und  meridionalen  Fasern  mehr 
ausgedehnt  werden  (Herzog  Carl  Theodor). 

Da  der  myopische  Augapfel  sich  besonders  in  der  Richtung  der 
Augenachse  vergrössert,  so  erhält  er  eine  eiförmige  Gestalt.  Die 
Seleralpartien  der  hinteren  Bulbushälfte 
sind  verdünnt  und  ausgedehnt.  Die 
allgemeine  Ausdehnimg  kann  noch 
partiell  eine  umschriebene  Erweiterung 
von  der  temporalen  Seite  des  Seh- 
nerven zur  Macula  lutea  hin  erfahren, 
„Staphyloma  posticum"  (Scarpa) 
Figur  50  Sta;  linkes  Auge).  Die 
Sclera  ist  hier  besonders  verdünnt  [s], 
die  Chorioidea  zeigt  atrophische  Partien, 
öfter  ist  auch  der  Glaskörper  abgehoben 
[a].  Gleichzeitig  findet  sich  eine  Ver- 
grösserung  des   Zwischenraumes    zwi- 


schen  der   äusseren  und  inneren  Seh- 
nervenscheide  [t]. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  Staphylo- 
men  pflegen  sich  die  weissen  Sicheln, 
Coni,  in  anderer  Weise  zu  entwickeln.  Mit  der  Ausdehnung  des 
Augapfels  in  der  Richtung  der  Augenachse  wird  von  der  nasalen 
Seite  (n)  der  Papille  her  der  Seleralrand  mit  Chorioidea  und  Netzhaut 
schnabelförmig  über  den  Sehnerven-Querschnitt  herübergezogen  (Nagel), 
während  gleichzeitig  an  der  temporalen  Seite  eine  stumpfwinklige  Ab- 


74:  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

rundung  ilcs  Regrenzungsrandes  des  Scleroticalkanals  mit  Herausziehung 
von  Opticusfasermasse  über  den  eingebogenen  Scleralrand  auf  die  Innen- 
fläche der  Sclera  stattfindet  (Weiss,  Stilling).  Dies  sind  die  ersten 
Veränderungen  an  der  Papille,  und  das  ophthalmoskopische  Bild  der 
kleinen,  völlig  weissen  Sichel,  welche  wie  eine  gegen  die  Macula 
gerichtete  Verbreiterung  des  normalen  Scleralringes  erscheint, 
lässt  sieh  aus  der  Herüberziehung  der  Opticusfasermasse  über  den 
äusseren  abgerundeten  Scleralrand  wohl  erklären.  Später  wird  auch 
die  Chorioidea  durch  die  Zerrung,  welche  sie  besonders  an  der  tempo- 
ralen Seite  des  Opticus-Querschnittes  trifft,  atrophisch:  man  erkennt  dann 
öfter  auf  der  weiss  durchscheinenden  Sclera  noch  Reste  von  Pigment 
und  kleinere  Chorioideal-Gefässe.  An  der  betreffenden  Stelle  functionirt 
in  der  Regel  die  Netzhaut  nicht  mehr,  wie  die  entsprechende  Ver- 
grösserung  des  blinden  Fleckes  zeigt.  In  schweren  Fällen  umgiebt 
schliesslich  eine  atrophische  Chlorioidealpartie  kranzförmig  die  ganze 
Papille.  Aber  gelegentlich  kommen  auch  umschriebene  weissliche  Sicheln 
nach  anderer  Richtung  (unten,  oben)  zu  Stande. 

Man  muss  die  myopischen  Sicheln  der  Kurzsichtigen  von  den  an- 
geborenen trennen,  die  man  auch  bei  Emmetropen  und  Hypermetropen 
gar  nicht  selten  findet;  letztere  sind  vollkommen  weiss  und  verhältniss- 
mässig  schmal.  Die  nach  unten  sitzenden  Coni,  mit  denen  meist  auch 
eine  gewisse  Herabsetzung  der  Sehschärfe  verknüpft  ist,  dürften  auf  einen 
mangelhaften  Verschluss   der  fötalen  Augenspalte  zurückzuführen  sein. 

Seltener  gesellen  sich  zu  den  Dehnungs Veränderungen  ausgeprägte 
entzündliche  Affectionen  der  benachbarten  Chorioidea,  —  Fälle,  für  die 
man  dann  die  v.  Grraefe  eingeführte  Bezeichnung  Sclerotico-chorioi- 
ditis  posterior  (cf.  Krankheiten  der  Chorioidea,  Abschnitt  3)  verwenden 
kann.  Sclerectasia  posterior  nennt  man  die  erworbene  Ectasie  der 
Maculagegend. 

Alle  Augen  mit  sehr  hochgradiger  Myopie  haben  zu  den  erwähnten 
Veränderungen  eine  Disposition;  bei  höchsten  Graden  (etwa  über  M20-0) 
fehlen  sie  fast  nie.  Oefter  verbinden  sich  Glaskörpertrübungen  damit, 
denen  hintere  Polarkatarakte  und  schliesslich,  wenn  auch  seltener  Netz- 
hautablösungen folgen.  Aber  letztere  Affectionen  finden  sich  auch  bei 
geringeren  Graden  der  Myopie,  sodass  es  durchaus  gerechtfertigt  er- 
scheint, eine  mit  entzündlichen  Processen  einhergehende  und  durch  diese 
zum  Tlieil  bedingte  Myopie  von  einer,  allein  von  dem  Augenbau  ab- 
hängenden zu  unterscheiden. 

Aetiologie   und   Verlauf. 

Die  Kurzsichtigkeit  kommt  nur  ausnahmsweise  angeboren  vor.  Die 
ophthalmoskopische    Refräctionsbestimmung    an    atropinisirten    Neuge- 


Myopie.  75 

borenen  hat  ergeben,  dass  in  der  weit  überwiegenden  Zahl  der  Fälle 
Hyperopie  besteht,  seltener  ist  Emmetropie,  fast  verschwindend  Myopie 
(Königstein,  Horstmann,  Schleich  u.  Andere).  Selbst  in  einem  Alter 
von  vier  l>is  sieben  Jahren  wurde  Myopie  noch  sehr  sparsam  beobachtet. 
So  hat  11.  Colin  bei  der  Kefraetionsbostimmung  von  Dorfkindern,  die 
/.wischen  dem  6.  und  13.  Lebensjahre  standen,  unter  456  Augen  435 
emmetropisch,  17  hypermetropisch  und  nur  4  myopisch  gefunden.  Von 
den  emmetropischen  Augen  wurde  eine  grössere  Zahl  atropinisirt;  auch 
hier  fand  sich  nach  eingetretener  Accommodationslähmung  überall  Hyper- 
metropie.  Nach  dem  10.  Lehens  jähre  pflegt  meist  die  Kurzsichtigkeit 
zu  Tage  zu  treten.  Ihre  stärkste  Zunahme  erfolgt  in  den  folgenden 
Lebensjahren  bis  etwa  zum  22.  Jahre.  Hält  sich  während  der  Ent- 
wicklungsjahre die  Kurzsichtigkeit  auf  einem  geringen  Grad  (etwa  2-0); 
so  pflegt  sie  dauernd  stationär  zu  sein. 

Bei  den  höheren  Graden  der  Kurzsichtigkeit  (über  8-0)  spielt  die 
Erblichkeit  eine  grosse  Rolle.  Aber  auch  für  die  niederen  Grade  kommt 
sie  in  Betracht.  Bei  einer  Untersuchung,  die  sich  über  ca.  1700  Gym- 
nasiasten und  Realgymnasiasten  erstreckte,  konnte  ich  bei  den  Eltern 
i  Vater  oder  Mutter)  Kurzsichtigkeit  unter  den  Myopen  1-0 — 3-0  in  etwa 
54  Proc,  M  3-0— (3-0  in  57  Proc,  M  6.0—8.0  in  62  Proc.  und  bei 
Myopie  >  8-0  in  88-2  Proc.  nachweisen.  Natürlich  spricht  gegen  diese 
Ergebnisse  nicht,  dass  bei  den  Neugeborenen  die  Kurzsichtigkeit  noch 
fehlt.  Wie  die  Aehnlichkeit  des  Gesichts  und  der  übrigen  Körpertheile 
auch  nicht  beini  Neugeborenen  oder  in  der  ersten  Kindheit  wahrnehmbar 
ist,  —  wie  aus  nicht  unterscheidbaren  Embryonen  sich  so  verschieden 
gestaltete  Wesen  entwickeln,  so  gewinnt  auch  das  Auge  erst  im  Laufe 
der  weiteren  Lebensjahre  seine  Aehnlichkeit  mit  dem   der  Eltern. 

Auf  die  Entstehung  der  Kurzsichtigkeit  und  auf  die  Erhöhung  des 
Grades  derselben  wirken  vielfach  Schädlichkeiten,  die  in  der  an- 
haltenden Beschäftigung  mit  nahe  gelegenen  Dingen  zur  Zeit  der  Ent- 
wicklung des  Körpers  und  des  Augenwachsthums  liegen.  Selbst  die 
höchsten  Grade  der  Kurzsichtigkeit  können  hierdurch  ohne  nachweis- 
bare Vererbung  oder  angeborene  Anomalien  des  Auges  veranlasst  werden : 
gerade  diese  Fälle  sind,  wie  meine  Untersuchungen  ergaben,  sehr  häufig 
mit  abnormer  Accommodationsspannung  verknüpft.  —  Auch  liegen  Be- 
obachtungen vor,  wo  die  Kinder  hyperopischer  Eltern  bis  etwa  zum 
11.  oder  12.  Lebensjahre  dieselbe  Refraction  zeigten,  sogar  mit  Strabis- 
mus convergens  verbunden,  dann  aber  —  ohne  äussere  Augenerkrank- 
ung —  kurzsichtig  wurden. 

Besonders  beachtenswerth  sind  für  die  inBetracht  kommenden  Verhält- 
nisse die  Massenuntersuchungen  in  Schulen  von  Colin,  Erismann  u.  A. 
Die  Grade  der  Kurzsichtigkeit  und  die  Zahl  der  Kurzsichtigen  nimmt  mit 


76  Anomalien  der  Refraction  and  Accommodation. 

der  Höhe  der  Klassen  und  vor  allein  mit  dem  Lebens-  bezw.  Schulalter 
zu.  Dass  in  der  That  die  Schädlichkeiten;  welche  <lic  höhere  Schulbil- 
dung und  fortschreitende  Oultur  mit  sieh  bringt,  wie  anhaltende  Nahe- 
arbeit; Ueberanstrengung;  Vernachlässigung  der  körperlichen  Ausbildung; 
zu  lange  Dauer  der  Gymnasialzeit  und  Aehnliches,  auf  die  Entwicklung 
und  Häufigkeit  der  Kurzsichtigkeit  (der  sogenannten  Arbeits-  oder  Schul- 
myopie) Einfluss  haben;  kann  nach  den  vorliegenden  Untersuchungen 
nicht  mehr  bezweifelt  werden.  Unterstützt  wird  diese  Anschauung  auch 
durch  Nachforschungen;  die  bei  Völkern,  welche  ausserhalb  unserer 
Culturentwicklung  stehen,  als  Kabylen,  Nubiern,  Patagoniern,  Lappen 
u.  a.  angestellt  sind:  hier  fehlt  die  Kurzsichtigkeit  vollkommen. 

Um  zu  erklären,  dass  bei  Einwirkung  derselben  Schädlichkeiten 
manche  Augen  kurzsichtig  werden,  andere  nicht,  hat  man  —  abgesehen 
von  der  nicht  definirbaren  erblichen  Disposition  —  nach  bestimmten 
anatomischen  Verhältnissen  gesucht,  welche  die  Ausdehnung  des  Aug- 
apfels begünstigen  können.  Hier  würde  besonders  eine  angeborene  ge- 
ringere Resistenzfähigkeit  der  Sclera  und  speciell  des  hinteren  Augen- 
poles  von  Bedeutung  sein. 

Mit  einer  gewissen  Berechtigung  kann  man  auch  an  den  Einfluss  einer 
grösseren  oder  geringeren  Länge  des  Sehnerven  denken.  Ist  der  Opticus 
kurz,  so  wird  bei  der  Einwärtsstellung  des  Auges,  die  bei  der  Nahe- 
arbeit so  häufig  beansprucht  wird,  eine  gewisse  Zerrung  desselben  ein- 
treten (Weiss),  die  vorzugsweise  an  der. äusseren  Sehnervenscheide  zum 
Ausdruck  kommt,  da  der  Nerv  vom  Foramen  opticum  her,  wo  er  be- 
festigt ist,  nach  aussen  zum  Bulbus  läuft.  Diese  Zerrung  wird  einmal 
einen  Einfluss  auf  die  Gestaltung  der  Papilla  n.  optic.  ausüben  und  dann 
auch  wegen  der  engen  Verbindung  der  Sehnervenscheide  mit  der  Sclera 
letztere  nach  hinten  hin  ausdehnen  und  ihre  Widerstandsfähigkeit  her- 
absetzen (Hasner). 

Weiter  kommt  die  Lage  und  Länge  der  das  Auge  begrenzenden 
Muskeln  in  Betracht. 

Durch  die  häufige  ( 1onvergenz  wird  bewirkt,  dass  die  M.  recti 
exierni  stärker  und  dauernd  gedehnt  werden  und  so  die  äussere  Bulbus- 
seite  mit  grösserem  Drucke  belasten.  Hierdurch  kann  neben  der  me- 
chanischen Wirkung,  die  auf  eine  Art  Abplattung  des  im  Wachsthum 
befindlichen,  bisher  kugelförmigen  Bulbus  hinausläuft,  auch  durch  Druck 
auf  die  venösen  Grefässe  eine  Blutstauung  mit  secundärer  Inhaltszunahme 
im  Auge  bewirkt  werden.  Es  muss  dies  besonders  hervortreten,  wenn 
die  R.  externi  schon  anatomisch  in  grösserer  Länge  dem  Bulbus  aufliegen. 

Stilling  schuldigt  bezüglich  *\v^  Druckes  auf  die  Augenkapsel  und 
der  Zerrung  der  Sclera  vorzugsweise  die  wechselnden  Contractionen  des 
Oblicpi.    superior  an,   die    beim    Lesen   und  Schreiben    mit   abwärtsgerich- 


Myopie.  77 

tetem  Blicke  eintreten:  in  der  von  ihm  beobachteten  Verschiedenheit  im 
Ansatz  der  Obliquus-Sehne  sucht  er  die  Disposition  der  einzelnen  Indi- 
viduen zur  Myopie.  Er  glaubte  noch  in  anderer  Weise  die  Richtigkeit 
seiner  Anschauung  stützen  zu  können.  Wenn  die  Trochlea  sehr  hoch 
liegt,  wird  der  über  sie  laufende  Obliquus  superior  dem  Augapfel  nur 
in  geringer  Ausdehnung  anliegen,  bei  niedriger  Trochlea  dagegen  in 
grösserer.  In  letzterem  Falle  würde  demnach  eine  Zerrung  besonders 
leicht  möglich  und  damit  die  Anlage  zur  Entwicklung  des  myopischen 
Baues  gegeben  sein.  Vergleichende  Messungen  der  Orbitalöffnung  haben 
ihm  in  der  That  das  Resultat  gegeben,  dass  die  hohen  Augenhöhlen 
(Hypsiconchie)  vorzugsweise  den  Emmetropen  und  Hyperopen,  die 
platten  (Chamaeconchie)  den  Myopen  zukommen.  Er  glaubt  demnach, 
hierin  die  Disposition  zur  Myopie  zu  linden.  Jedoch  haben  meine  sehr 
zahlreichen  Nachuntersuchungen  (ebenso  wie  die  von  Kirchner,  Herrn- 
heiser. Seggel  u.A.)  dies  in  keiner  Weise  bestätigt;  auch  Weiss  hat, 
sowohl  bezüglich  dieser  Frage  als  auch  bezüglich  des  Einflusses  des 
Obliquus  superior  auf  das  Zustandekommen  des  Staphyloma  posticum, 
von  den  Stilling'schen  Angaben  abweichende  Ergebnisse  bekommen. 

Was  nun  die  eigentlichen  und  unmittelbaren  Schädlichkeiten  der 
Nahearbeit  betrifft,  so  werden  sie,  wie  schon  aus  Obigem  hervorgeht, 
hauptsächlich  und  in  erster  Reihe  durch  die  andauernde  und  starke 
Convergenz  der  Blicklinie  bedingt.  Dieselben  werden  sich  steigern, 
wenn  das  Auge  bereits  einen  Langbau  hat  und  kurzsichtig  ist.  Es 
kommt  dann  noch  hinzu,  dass  der  Winkel  y  kleiner  ist  als  beim  emine- 
tropischen  Auge  oder  mit  anderen  Worten,  dass  die  Hornhautmitte 
näher  dem  nach  innen  von  ihr  befindlichen  Schneidepunkt  der  Blicklinie 
gelegen  ist.  Blickt,  danach  der  Kurzsichtige  auf  einen  nahen  Gegen- 
stand, so  wird  er  die  Mitte  der  Hornhaut  und  damit  den  ganzen  Aug- 
apfel stärker  nach  innen  drehen  müssen  als  der  Emmetrop. 

Auch  das  Vornüberbeugen  des  Kopfes,  bei  welchem  der 
Blutrückfluss  in  den  Halsvenen  erschwert  wird,  giebt  Anlass  zu  Blut- 
stauungen im  Auge  und  einer  davon  abhängigen  seeundären  Inhaltszu- 
nahme. 

Dass,  wie  öfter  behauptet  wird,  dauernde  Accommodations- 
anstrengung  Achsenmyopie  veranlasse,  erscheint  weniger  annehmbar. 
Es  wäre  allerdings  möglich,  dass  das  Xaehvorwärtsrücken  der  Chorioi- 
dea,  wie  es  nach  Hensen's  imd  Völker's  Versuchen  stattfindet,  eine 
Zerrung  und  Hyperämie  der  Aderhautgefässe  mit  vermehrter  Aus- 
>ehwitzimg  zur  Folge  habe.  Dieses  Moment  fällt  aber  bei  einem  ge- 
wissen Grade  der  Myopie,  wo  wegen  der  Nähe  des  Fernpunktes  eine 
Accommoclationsanstrengung  unnöthig  ist,  garnicht  mehr  ins]  Gewicht. 
Auch  spricht  gegen  eine  besondere  Schädlichkeit  der  Accommodations- 


78  Anomalien  <lev  Refraction  und  Accommodation. 

anstrengung  die  neuerdings  von  Förster  besonders  betonte  Erfahrung, 
dass  Myopen,  die  corrigirende,  ja  selbst  übercorrigirende  Concavbrillen 
dauernd  tragen,  unter  denen  sie  beim  Arbeiten  starke  Aecommodations- 
anstrengungen  machen  müssen,  recht  häufig  kein  Fortschreiten  ihrer 
Kurzsichtigkeit  zeigen.  — 

Von  dieser  Arbeit sm yopie  zu  unterscheiden  ist  eine  zweite  Form 
von  Kurzsichtigkeit  mittleren  oder  höheren  Grades,  die  ohne  die  erwähnten 
Schädlichkeitsmomente  beobachtet  wird.  Es  handelt  sich  meist  um  Augen, 
die  mit  inneren  Entzündungen,  Chorioiditen,  Glaskörpertrübungen  oder 
Netzhautablösungen  behaftet  sind.  Hier  dürften  die  entzündlichen  Pro- 
eesse  die  Entwicklung  der  Kurzsichtigkeit  bedingen,  indem  eine  ver- 
mehrte Exsudation  in  den  Glaskörper  Anlass  zur  Ausdehnung-  der  schon 
verdünnten  oder  erweichten  Sclera  und  Chorioidea  giebt  und  zwar  dort, 
wo  die  Erkrankung-  vorzugsweise  sitzt,  am  hinteren  Augenpole.  Auf 
der  andern  Seite  kann  aber,  wie  Seggvel's  und  meine  Untersuchung 
erwiesen  haben,  auch  ein  Uebergang  der  ursprünglichen  Arbeits-Myopie 
in  die  letzterwähnte,  wenn  auch  nur  selten  erfolgen,  und  ist  eine  voll- 
ständige Trennung-,  wie  Tscherning  will,  nicht  durchführbar.  Selbst 
die  Behauptung,  dass  die  Arbeits-Myopie  immer  kleiner  als  9,0  D  bleibe, 
ist  unzutreffend.  Stilling  hat  für  die  hochgradigen  und  deletären 
Myopien  als  ätiologisches  Moment  die  Verwandsehafts-Ehen  hingestellt: 
nach  ihm  sind  erstere  ein  Product  der  Inzucht!  Hiermit  stimmen 
aber  meine  und  Anderer  Erfahrungen  nicht  überein:  so  fand  sich  bei- 
spielsweise in  einer  Zusammenstellung  Velha gen' s  aus  meiner  Klinik 
unter  50  hochgradigen  Myopen  nur  Einer,  dessen  Eltern  blutsverwandt 
waren.  — 

Krümmungsmyopie  kann  durch  eine  stärkere  Krümmung  der 
normalen  Cornea  bedingt  sein,  vorzugsweise  aber  findet  sie  sich  bei 
Keratoconus  und  bei  sonstigen  Kerectasien,  wie  sie  nach  pannöser  Horn- 
hautentzündung nicht  selten  sind.  —  Auch  andere  Hornhautproeesse. 
die  keinen  grossen  Substanzverlust  gesetzt  haben,  veranlassen  in  Folge 
zurückgebliebener  leichter,  mehr  oder  weniger  diffuser  Trübungen  Kurz- 
sichtigkeit.  Hierdurch  dürfte  sich  auch  die  nicht  seltene  Angabe,  dass 
nach  einer  Ausschlagskrankheit  die  Kurzsichtigkeit  entstanden  sei,  er- 
klären. Zum  Theil  tritt  eine  wirkliche  Krünunungszunahnie  der  Cornea 
ein,  meist  ist  es  aber  die  durch  Trübungen  veranlasste  Schwachsichtigkeit, 
welche  eine  verstärkte  Annäherung  der  Objecte  beim  Sehen,  und  so  eine 
Achsenverlängerung  durch  übermässige  ( ionvergenz  herbeiführt.  Anderer- 
seits veniiisst  man  jedoch  in  nicht  wenig  Fällen,  bei  denen  der  Beginn 
di-y  Kurzsichtigkeil  auf  exanthematische  Krankheiten,  besonders  Masern 
zurückgeführt  wird,  die  Hornhauttrübungen  und  die  Herabsetzung  der 
Sehschärfe,   Es  ist  wahrscheinlich,  dass  hier  durch  die  Krankheit  eineVer- 


Myopie.  79 

ringerung  der  Widerstandsfähigkeit  des  Gewebes  der  Bulbuskapsel 
gegen  den  äussern  Muskeldruck  entstanden  ist.-  Dass  ans  dauernden 
abnormen  Accommodationsspannungen  oder  ans  einem  Accom- 
modationskrampf  schliesslich  wirkliche  Achsenmyopie  entstellt,  er- 
klärt 'sich  ans  der  stärkeren  Annäherung  der  Objecto  Die  bei  be- 
ginnendem Star  auftretende  Kurzsichtigkeit  ist  Folge  von  Brechungs- 
änderungen in  der  Linsensubstanz. 

Prophylaxe. 

Da  wir  ausser  Stande  sind,  die  Achsenmyopie  rückgängig  zumachen, 
wird  es  um  so  mein-  unsere  Aufgabe  sein,  den  schädlichen  Momenten. 
die  ihre  Entwicklung  unterstützen,  entgegen  zu  treten:  eine  hygienische 
Forderung,  der  in  neuerer  Zeit  von  allen  Seiten  betont  und  durch  detail- 
lirte  Studien  näher  beleuchtet  ist  (Colin,  Erismann,  Ad.  Weber, 
Laqueur  u.  A.).  Auch  sind  bereits  von  v.  Hippel  und  mir  Unter- 
suchungs-Ergebnisse mitgetheilt,  welche  den  günstigen  Einfluss  der  be- 
treffenden  Maassnahmen  zeigen. 

1)  Die  Beleuchtung.  Um  genügendes  Licht  in  den  Schulzim- 
mern zu  schaffen,  soll  auf  5  qm  Bodenfläche  je  1  qm  Fensterfläche 
kommen.  Dies  wird  im  Ganzen  zutreffen,  wenn  die  Schule  frei  steht, 
und  nicht  ihre  Beleuchtung  durch  die  Umgebung  beeinflusst  wird.  Weiter 
soll  das  Licht  von  links  kommen;  sind  die  Bäume  zu  gross,  so  kann 
daneben  noch  Beleuchtung  von  hinten  her  angewendet  werden;  am 
besten  wäre  hier  Oberlicht,  das  sich  aber  nicht  überall  anbringen  lässt. 
Man  wird  weiter  die  Fenster  wegen  des  direct  einfallenden  Sonnenlichts 
nicht  nach  Süden  legen  und  eben  so  wenig  sehr  stark  reflectirende 
Wände  und  Flächen  dem  Auge  gegenüber  anbringen.  Dem  Augenarzte 
kommen  nicht  selten  Fälle  vor,  wo  Sehschwäche  von  den  Patienten 
darauf  zurückgeführt  wird,  dass  sie  lange  Zeit  bei  ihrer  Arbeit  einer 
von  der  Sonne  hell  beschienenen  Wand  gegenüber  gesessen  haben.  Auch 
habe  ich  Aceommodationskrampf  unter  diesen  Verhältnissen  ebenso  wie 
in  Folge  von  dauernder  Arbeit  bei  ungenügender  Beleuchtung  auftreten 
sehen.  Wenn  das  Sonnenlicht  zu  blendend  in  das  Zimmer  einfällt,  ist 
es  durch  graue  Rouleaux  oder  andere  Verneinungen  zu  mildern.  In  <\cv 
Dämmerung  ist  das  Lesen  und  Schreiben  aufzugeben  und  sofort  i'\'w 
künstliche  Beleuchtung  zu  sorgen.  Mit  der  Verminderung  der  Hellig- 
keit nimmt  auch  die  Sehschärfe  ab;  ist  letztere  auf  '2  der  normalen. 
bei  Tageslicht  vorhandenen  gesunken,  so  wird,  wie  mich  Versuch«' 
gelehrt,  sogar  das  Schreiben,  das  für  den  Geübten  immer  weniger  Seh- 
kraft erfordert  als  das  Lesen,  für  die  Augen  anstrengend.  Sinkt  die 
Sehschärfe  auf  l ., , .  so  kann  man  nur  noch  mit  Mühe  lesen  oder 
schreiben.     Mit  der  Verminderung  der  Sehschärfe  im    Dämmerlicht    ist 


3Q  Anomalien  der  Refraction  and  A.ccommodation. 

ein  stärkeres  Herangehen  an  Schrift  und  Druck  verknüpft:  aber  ausser- 
dem sind  auch  die  Buchstaben  schlechter  auf  dem  dunkler  gewordenen 
Papier  zu  erkennen  und  erfordern  eine  grössere  Anstrengung'  der  Netz- 
haut, die  dann  wieder  zu  Reizungszuständen  Anlass  gieb't.  Es  sollte 
daher  nur  so  lange  gelesen  und  geschrieben  werden,  als  die  Helligkeit 
gross  genug  für  Sehschärfe  =  1  ist.  Als  Maassstab  kann  man  eine 
kleine  Schrift,  die  in  30  Ms  40  cm  Entfernung  bei  voller  Sehschärfe 
gerade  noch  scharf  erkannt  werden  kann,  benutzen;  muss  die  Schrift 
wegen  eintretender  Dämmerung  näher  herangenommen  werden,  so  ist 
mit  Lesen  und  Schreiben  aufzuhören.  Fast  noch  häufiger  wie  in  der 
Schule  wird  im  Hause  nach  der  Richtung  gefehlt.  Wenn  die  Schüler 
ihre  Arbeiten  für  die  Schule  gemacht  haben,  benutzen  sie  gern  die  Däm- 
merung, um  sich  in  ihre  Privatlectürc  zu  vertiefen.  Da  diese  in  der 
Regel  aber  die  jungen  Köpfe  etwas  mehr  erregt  als  die  Schularbeiten, 
so  kommt  noch  zu  dem  anstrengenden vjäehen  die  geistige  Anspannung 
und  der  dadurch  bedingte  stärkere  Blutandrang  nach  dem  Kopfe  hinzu. 
Es  muss  daher  besonders  auch  zu  Hause  darauf  Gewicht  gelegt  werden, 
dass  in  der  Dämmerung  von  den  Schülern  durchaus  nicht  gelesen  werde. 
Man  verdunkle  lieber  etwas  früher  die  Fenster  und  zünde  Licht  an. 
Bezüglich  der  Prüfung,  ob  die  Beleuchtung  der  Pultfläche  ausreichend 
sei,  kann  auch  für  Schulzimmer  obige  Probe  mit  kleinen  Seh-Objecten 
(z.  B.  den  Burchardt'schen  Punktproben)  benutzt  werden.  Photo- 
metrische Messungen,  wie  sie  H.  Cohn  mit  dem  Leonhard  Weber'schen 
Photometer  in  grösserer  Zahl  angestellt  hat,  oder  die  Messung  des  Winkels, 
in  dem  noch  directes  Himmelslicht  auf  das  S ehr eib-Pult  fällt  (Förster), 
sind  mit  grösseren  Schwierigkeiten  verknüpft  und  übertreffen  an  prak- 
tischer Brauchbarkeit  nicht  den  Versuch  mit  Seh-Proben.  Immer  prüfe 
man,  während  die  ('lasse  besetzt  ist,  da  die  Anzahl  der  Schüler,  ihre 
Grösse  und  Placirung  von  Einfluss  darauf  ist,  wie  viel  Licht  auf  die 
Tischplatten  fällt.  Auch  bei  der  künstlichen  Beleuchtung  ist  auf  ent- 
sprechende Helligkeit  zu  sehen;  als  Minimum  verlangt  Cohn  eine  Licht- 
Intensität  von  10  Meter-Kerzen  (1  Meter-Kerze  ist  eine  Normalkerze, 
die  in  einem  Meter  Entfernung  sich  befindet.  Jetzt  wird  die  Hefner- 
Lampe  nieist  als  Lichteinheit  benutzt;  sie  ist  etwas  lichstärker  als  die 
früheren  Normalkerzen).  Neuerdings  hat  man  für  Arbeitsräume  in  der 
Weise  die  künstliche  Beleuchtung  erheblich  verbessert,  dass  man  durch 
besondere  Perlectoren  das  von  dem  unter  der  Decke  befindlichen  Leucht- 
körper  ausgehende   Licht  diffus   vertheilte. 

Zweitens  kommen  die  Sitze  und  Subsellien  der  Schüler 
in  Betracht.  Es  soll  vor  allem  das  Vornüberbeugen,  die  seitliche 
Rückgradsverkrümmung  und  das  Schiefhalten  des  Kopfes  vermieden 
werden:   I  Jebelstände,  die  besonders  heim  Schreiben  hervortreten.     Dazu 


Myopie.  S| 

aber  bedarf  es  für  Tisch  und  Sitz  der  Berücksichtigung  nachstellender 

Punkte : 

Die  Tischfläche  muss  von  dem  Sitze  eine  bestimmte  Entfernung 
(Differenz)  haben;  dieselbe  wird  durchschnittlich  gleich  !/s  der  Körper- 
grösse  -f-  4  cm  zu  wählen  sein.  Vom  Sitzkndrren  big  zum  Ellenbogen 
bei  herabhängenden  Armen  beträgt  die  Entfernung  etwa  '/8  der  Körper- 
lange.  Da  nun  beim  Schreiben  dir  Hand  auf  der  Tischplatte  etwas 
höher  liegt,  kann  man  circa  4  cm  zugeben.  Hierbei  ist  das  Auge  in 
genügender  Entfernung  von  dem  Schreibheft  und  auch  Unterarm  und 
Hand  können  ohne  excessive  Erhebung,  die  wiederum  eine  Höherstellung 
der  betreffenden  Schulter  und  Schiefstellung  der  Wirbelsäule  zur  Folge 
haben  würde,  die  Schriftzüge  ausführen.  Da  die  Grösse  der  Kinder  in 
einer  und  derselben  Schulklasse  aber  verschieden  ist,  so  muss  auch  die 
Höhe  der  Subsellien  verschieden  sein.  Im  Ganzen  wird  man  mit  zwei 
bis  drei  verschiedenen  Formen  in  jeder  Klasse  auskommen,  da  ein  ge- 
wisser Breitegrad  in  der  Differenz  zu  gestatten  ist. 

Ferner  soll  der  Rand  der  Tischplatte  so  nahe  dem  Schüler  beim 
Schreiben  herangerückt  sein,  class  ein  vom  Tischrande  auf  die  Sitzfläche 
gefälltes  Loth  gerade  den  vorderen  Rand  derselben  (Distanz  =  0)  oder 
die  Sitzfläche  selbst  trifft,  etwa  2  bis  3  cm  vom  Rande  entfernt  (nega- 
tive Distanz).  Ist  hingegen  die  Tischplatte  vom  Sitz  weiter  entfernt 
(positive  Distanz),  so  muss  der  Schreibende  sich  vornüber  auf  die  Tisch- 
platte beugen  und  sitzt  in  extremen  Fällen  nur  noch  mit  dem  hintersten 
Theil  seines  Gesässes  auf.  —  Allerdings  wird  durch  derartiges  Nahe- 
rücken der  Tischplatte  an  den  Sitz  das  Aufstehen  der  Kinder  und  das 
Durchgehen  verhindert.  AÜan  hat,  um  das  zu  ermöglichen,  entweder  die 
Bänke  (Sitze)  oder  die  Tischplatte  verschiebbar  gemacht.  Die  ersteren 
werden,  wemi  nicht  geschrieben  wird,  zurückgeschoben  (so  z.  B.  bei  den 
Hippauf-Bänken;  die  in  Hessen-Darmstadt  eingeführten  Lickroth'- 
seken  sind  Klappsitze,  die  beim  Aufstehen  zurückklappen),  oder  die  letz- 
teren hinaufgeschoben  (so  bei  Kunze's  Tisch,  bei  der  Wiener  Schul- 
bank u.  s.  f.).  Im  übrigen  genügt  eine  O-Distanz  vollkommen.  Bei  Er- 
wachsenen (so  z.  B.  in  den  Universitäts-Auditorien)  macht  man  sie  in- 
dessen lieber  positiv,  da  sonst  etwas  dickere  Persönlichkeiten  zu  stark 
eingeengt  werden. 

Die  Tischplatte  muss  eine  bestimmte  Neigung  haben,  da  das  zu  starke 
Abwärtsblicken  anstrengend  ist  und  leicht  ein  Vornüberlegen  des  Kopfes 
bewirkt.  Beim  Lesen  sollen  die  Bücher  mit  der  Hand  oder  mittels  eines 
Lesebrettes  aus  demselben  Grunde  etwa  40  bis  50  Grad  gegen  die  Hori- 
zontale geneigt  gehalten  werden:  beim  Schreiben  ist  diese  Erhebung  für 
die  Hand  unb'erpaem,   doch  sollten   etwa   15  Grad  beibehalten  werden. 

Weiter  muss  die  Bank  so  weit  vom  Fussboden  oder  Fussbrett  ent- 
-  .-bmidt-Eimpler.    7.  Auflage.  ■  6 


82  Anomalien  der  Refraction  und  A.ccommodation. 

fernt  sein,  dass  die  Füsse  gerade  gut  aufgestellt  werden  können;  auch 
soll  eine  genügende  Breite  der  Sitzfläche  vorhanden  sein.  Zur  Stütze 
der  Wirbelsäule  muss  die  Bank  eine  bequeme  Lehne  halten.  Ferner  wird 
mau  darauf  Rücksicht  nehmen,  dass  die  Bänke  einer  ausgiebigen  Reini- 
gung der  Schulräume  nicht  hinderlieh  sind.  Es  ist  übrigens  unglaub- 
lich, was  betreffs  der  Reinlichkeit  gesündigt  wird:  in  manchen  Schulen 
werden  die  Zimmer  nur  in  den  Ostern-  und  Michaelis-Ferien  einmal  nass 
aufgescheuert ;  in  der  Schulzeit  aber  nur  halbwöchentlich  oder  gar 
wöchentlich  ausgefegt.  — 

Aber  trotz  guter  Bänke  sitzen  die  Kinder  doch  nicht  gerade;  be- 
sonders wird  der  Kopf  gern  gebeugt  und  gedreht.  Um  dies  zu  hindern, 
sind  Kopfhalter  mit  Stützen  zu  verwerthen.  So  die  Soenneckcn'sehen 
Kinnstützen,  die;  an  den  Tisch  geschraubt,  zum  Aufsetzen  des  Kinns  dienen, 
oder  noch  besser  die  Kallmann'schen  Durchsichts-Stative:  mit  Gummi 
überzogene  und  auf  einem  Stativ  befindliche  grosse  eiserne,  entsprechend 
gebogene  Ringe,  hinter  die  das  Gesicht  des  Kindes  zu  liegen  kommt. 
Mädchen  kann  man  auch  mit  ihrem  Zopf  an  die  Stuhllehne  binden. 

Es  darf  aber  nicht  genügen,  dass  in  den  Schulen  für  entsprechende 
Sitze  gesorgt  wird;  auch  die  Eltern  müssen  darauf  ihre  Aufmerksamkeit 
richten.  Hier  empfehlen  sich  die  Arbeitstische,  welche  nach  den  oben 
angeführten  Grundsätzen  gearbeitet  sind,  aber  in  der  Höhe  der  Sitze  etc. 
verschiedene  Stellungen  zulassen  und  demnach  für  eine  Reihe  von  Lebens- 
jahren ausreichen.  Selbst  mit  einfachen  Mitteln,  so  durch  die  Wahl  der 
richtigen  Höhe  der  Stühle  und  entsprechendes  Heranrücken  derselben 
an  den  Tisch  lässt  sich  Ausreichendes  leisten. 

3)  Die  Haltung  der  Kinder.  Vorzugsweise  pflegen  die  Kinder 
schlecht  zu  sitzen  beim  Schreiben,  weniger  beim  Lesen.  Die  Unter- 
suchungen haben  gezeigt,  dass  die  Haltung  des  Kopfes  beim  Schreiben 
in  erheblichem  Grade  davon  beeinflusst  wird,  dass  beim  Visiren  der 
Schriftzüge  die  Augenbewegungen  möglichst  bequem  stattfinden  können. 
In  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  nur  die  Ausführung  der  Grundstriche 
mit  den  Augen  genauer  verfolgt. 

Bei  der  schrägen  Currentschrift  machen  die  Grundstriche  einen 
Winkel  von  etwa  45  bis  60  Grad  mit  der  Schreiblinie.  Da  die  Augen- 
bewegungen am  bequemsten  gerade  nach  oben  und  gerade  nach  unten 
erfolgen,  so  wird  die  Kopfstellung  beim  Visiren  der  Grundstriche  so 
sein  müssen,  dass  eine  die  Drehpunkte  beider  Augen  verbindende  hori- 
zontale Linie  (Basallinie),  wenn  sie  auf  das  Papier  projicirt  gedacht 
wird,  mit  den  Grundstrichen  der  Schrift  einen  rechten  Winkel  bildet. 
|)ies  hat  sich  auch  durch  zahlreiche  Untersuchungen  an  schreibenden 
Kindern,  wie  sie  von  Ad.  Weber  und  besonders  von  Berlin  und 
llem  hold  in  Stuttgart   angestellt  sind,    als  richtig  herausgestellt.     Bei 


Myopie.  S;> 

über  90  Procent  der  Untersuchten  bestand  ein  Winkel  von  annähernd 
90  Grad.  Hält  nun  das  Kind  das  Heft  gerade  vor  sich  und  so,  dass 
der  untere  Rand  desselben  der  Tischkante  parallel  ist,  wie  es  bei  uns 
meist  geschieht,  so  muss  das  Gesicht  nach  rechts  gedreht  und  der  Kopf 
etwas  nach  der  linken  State  geschoben  werden,  damit  die  Basallinie  der 
Augen  senkrecht  auf  die  (»rundstriche  Arv  Schrift  zu  stehen  kommt. 
Dabei  stützt  sich  unter  Verschieben  der  Wirbelsäule  bei  schlechten  Sub- 
sellien  der  ganze  Körper  auf  den  linken  Arm.  Legen  wir  hingegen  das 
Heft  gerade  in  die  Mitte  vor  uns,  drehen  es  aber  mit  der  rechten  Ecke 
nach  oben,  so  dass  sein  unterer  Rand  mit  der  Tischkante  einen  Winkel 
von  4.")  Grad  bildet,  so  schneidet  letztere  die  Grundstriche,  wenn  sie  mit 
den  Schreiblinien  einen  Winkel  von  45  Grad  bilden,  unter  90  Grad. 
Das  Gesicht  kann  demnach  gerade  nach  vorn  gerichtet  und  die  Basal- 
linie der  Augen  der  Tischkante  parallel  bleiben.  Diese  Haltung  der 
Schreibhefte  wird  als  die  naturgemässe  anzustreben  sein.  Besonders  auf- 
fällig ist  die  Abhängigkeit  der  Kopfhaltung  von  der  Lage  der  Grund- 
striche vorzugsweise  bei  Kindern,  weil  diese  einmal  grösser  zu  schreiben 
pflegen  und  dann  auch  mit  grösserer  Sorgfalt  und  Genauigkeit  die  Aus- 
führung der  Grundstriche  mit  den  Augen  verfolgen.  Schnellschreibende 
Erwachsene  pflegen  beides  zu  unterlassen  und  daher  auch  eine  bessere 
Kopfhaltung  zu  haben,  selbst  wenn  sie  das  Blatt  gerade  vor  sich  legen. 
Bei  Ausführung  einer  ganz  steilen  Schrift,  die  mit  der  Schreiblinie  einen 
rechten  Winkel  bildet,  wird  der  Rand  des  Heftes  natürlich  dem  Tisch- 
rande parallel  bleiben  müssen,  wenn  die  Verbindungslinie  beider  Augen 
sich  mit  der  Schrift  unter  90  Grad  kreuzen  soll.  Versuche,  die  in  den 
letzten  Jahren  in  einzelnen  Schulen  mit  der  Steilschrift  gemacht  sind, 
haben  zu  dem  Ergebniss  geführt,  dass  die  Kinder  hierbei  eine  entschieden 
bessere  Haltung  gewinnen. 

Xeben  diesen  in  den  Gesetzen  der  Augenbewegung  liegenden  Mo- 
tiven zur  Anempfehlung  einer  bestimmten  Heftlage  kommt  auch  die 
Muskelthätigkeit  der  Hand  beim  Schreiben,  wrelche  ebenfalls  eine  mög- 
lichst wenig  anstrengende  sein  muss,  in  Betracht. 

4  |  D  a  s  S  c  hr ei b m  a  t erial  spielt  eine  bedeutende  Rolle.  Griffel 
und  Schiefertafel  sind  im  Allgemeinen  nicht  zu  empfehlen.  Der  zu  starke 
Reflex  und  das  Zerkratzen  des  Schiefers,  wodurch  die  Schrift  schwer 
erkennbar  wird,  sind  von  allen  Seiten  als  Schädlichkeiten  empfunden 
worden.  Auch  die  von  Thieben  in  Pilsen  gefertigten  weissen  Steintafeln, 
ebenso  wie  die  von  "Wenzel  in  Mainz  aus  weiss  emaillirtoni  Eisenblech 
haben  sich  nicht  bewährt.  Vielleicht  lässt  sich  am  besten  bei  den  An- 
fängern Blei  und  weisses  Papier  verwenden.  Es  ist  dies  allerdings 
etwas  theuerer,  auch  das  häufige  Spitzen  des  Bleies  unbequem,  aber  der 
Vortheil  gegenüber  der  Schiefertafel  ist  in   die  Augen  springend,  wenn 

6* 


g4  Anomalien  der  Refraction  und  Accouunodation. 

man  eben  auf  Grund  pädagogischer  Erfahrungen  nicht  gleich  mit  Tinte 
und  Feder  anfangen  will.  Durch  eine  neuere  A^orsehrift  des  preussi- 
schen  Cultusministeriums  ist  der  Gebrauch  der  Schiefertafeln  auf  die 
ersten  beiden  Schuljahre  beschränkt  worden,  während  die  Züricher 
Schuldirectoren  bereits  1879  als  Schreibmaterial  grundsätzlich  Papier 
und  Federhalter  vorgeschrieben  haben. 

5)  Das  Lesen.  Auch  der  Druck  der  Lesebücher  ist  zu  über- 
wachen. Hierbei  kommen  vorzugsweise  in  Betracht:  Die  Entfernung 
der  Buchstaben  von  einander,  ihre  Grösse  und  die  Distanz  der  einzelnen 
Linien.  Versuche  haben  ergeben,  dass  bei  leicht  lesbarem  Druck  die 
Höhe  der  Buchstaben  (n  ist  hierbei  als  Maass  angenommen)  mindestens 
1-5  mm  sein  soll,  die  Entfernung  zweier  Buchstaben  (Approche)  0.75  mm 
und  der  Durchschuss  oder  die  Distanz  zwischen  dem  unteren  Rande 
der  kleinen  Buchstaben  in  der  oberen  Linie  und  dem  oberen  Rande 
derjenigen  in  der  unteren  2  bis  2'/2  nnn  betragen  muss.  Die  Länge 
der  Zeilen  darf  ebenfalls  nicht  zu  gross  sein,  um  unbequeme  Augen- 
bewegungen zu  vermeiden;  100 — 110  mm  würden  entsprechend  sein.  Was 
die  Form  der  Buchstaben  betrifft,  so  sind  die  lateinischen  (Antiqua) 
wegen  ihrer  grösseren  Einfachheit  und  des  Mangels  an  Ecken  und 
Schnörkeln  den  deutschen  (Fractur)  vorzuziehen.  Besondere  Aufmerk- 
samkeit erfordern  in  den  höheren  Klassen  die  Stereotypausgaben  der 
Klassiker,  die  Wörterbücher  und  die  Landkarten.  In  den  unteren 
Klassen  ist  der  Druck  der  Bücher,  besonders  in  den  Fibeln,  meist  ent- 
sprechend gross;  weniger  zufriedenstellend  aber  ist  das  Papier,  das 
wegen  Dünnheit  oft  den  Druck  'der  anderen  Seite  durchscheinen  lässt, 
auch  gelegentlich  zu  grau  ist.  Ebenso  ist  auf  die  Wandtafeln  zu  achten. 
Sie  dürfen  nicht  „schwarze  Spiegel"  bilden,  da  der  starke  Reflex  die 
Schrift  unlesbar  macht,  und  müssen  entsprechend  rein  gehalten  werden. 

6)  Die  Beschäftigung.  Selbst  mit  Ausschluss  der  erwähnten 
Schädlichkeiten  wirkt  eine  andauernde  und  ununtcrbrochcneBeschäftigung 
mit  Schreiben  und  Lesen  für  die  Augen  nachtheilig,  aber  nicht  nur  für 
diese,  sondern  für  die  ganze  Entwicklung  der  Kinder,  wenn  nicht  Pausen 
eintreten  und  eine  genügende  Zeit  zu  körperlichen  Bewegungen  gelassen 
wird.  Das  dauernde  Stillsitzen  unserer  Kinder  darf  nicht  zu  früh  be- 
ginnen und  unterstützt  werden.  Stubenhocker  werden  schon  später  viele 
von  selbst.  Ein  dankenswerther  Erlass  des  preussischen  Cultusministe- 
riums vom  10.  November  1884  betreffend  die  Erholungspausen  zwischen 
den  Lehrstunden  und  die  Zeitdauer  der  häuslichen  Arbeiten  der  Schüler 
höherer  Unterrichts-Anstalten  bestimmt  Folgendes.  Bei  4  Stunden  Vor- 
mittags- und  2  Stunden  Nachmittags-Unterricht  soll  die  Gesammtdauer 
der  Erholungspausen  nicht  weniger  als  40  Minuten  betragen  und  darf 
4.")  Minuten  nicht  überschreiten;   Vormittags   nach  der  2.  und  Nachmit- 


Myopie.  85 

tags  nach  der  1.  Lehrstunde  eine  Pause  von  15  Minuten;  nach  der  1. 
und  3.  Stunde  Vormittags  kürzere  Pausen.  In  diesen  sollen  die  Schüler 
die  Klassen-Zimmer,  welche  zu  lüften  sind,  verlassen.  Die  häuslichen 
Arbeiten  dürfen  folgende  Zeit  nicht  überschreiten:  in  der  Sexta  1  Stunde, 
Quinta  lr2  Stunde,  Quarta  und  Unter-dYrtia  2  Stunden,  Ober-Tertia 
und  TJnter-Secunda  2]/2  Stunde,  Ober-Secunda  und  Prima  3  Stunden. 
Weiter  sind  vom  Vormittag  auf  Nachmittag  keine  Aufgaben  zu  stellen. — • 
Am  besten  wäre  es.  den  Nachmittags-Unterricht  ganz  ausfallen  zulassen; 
auch  wird  betreffs  der  für  die  häuslichen  Arbeiten  bestimmten  Zeit,  die 
recht  hoch  gegriffen  ist,  zu  betonen  sein,  dass  es  sich  um  das  Maximum 
der  erlaubten  Forderung  handelt. 

Ferner  ist  zu  vermeiden  das  nutzlose  Abschreiben  und  ebenso  das 
massenhafte  Exempelschreiben  in  den  untersten  Klassen,  wodurch  das 
Auge  oft  übermässig  angestrengt  wird,  —  um  so  mehr  als  es  für  die 
Ausbildung  meist  nutzlos  ist,  da  es  ganz  mechanisch  geschieht. 

Es  Hessen  sich  noch  mancherlei  Schädlichkeiten  der  Schulbeschäfti- 
gung anführen:  so  das  officiell  eingeführte  Zeichnen  nach  der  Stuhl- 
mann'schen  stigmographischen  Methode  in  einem  Grewirr  von  Punkten 
und  Xetzen.  Aehnlich  die  Augen  angreifend  wirken  die  zahlreichen 
schrägen  Linien  in  manchen  Schönschreibheften.  In  den  Mädchenschulen 
wird  viel  gesündigt  durch  Handarbeiten,  besonders  durch  übertriebenes 
Weissnähen,  Perlenstickereien,  Namensticken  u.  dgl. 

In  den  höheren  Schulen  sorge  man  vor  allem  dafür,  dass  das  Jahres- 
Pensum  auch  in  der  entsprechenden  Zeit  von  allen  Schülern  absolvirt 
werden  kann  und  das  jetzt  so  übertrieben  häufige  zweijährige  Verbleiben 
in  einer  Klasse  vermieden  wird.  Hiergegen  würde  schon  die  allgemeine 
Einführung  halbjährlicher  Versetzungen  Nutzen  bringen,  da  auf  diese 
Weise  den  Sitzengebliebenen  die  Möglichkeit  gegeben  wird,  wenigstens 
in  lr0  Jahr  die  Klasse  durchzumachen.  Mit  dem  18.,  höchstens  19. 
Leben sjahre  sollte  das  Gymnasium  absolvirt  sein:  in  Preussen  erreichten 
dies  1887  8  nur  40  Procent  der  Abiturienten, 

Therapie. 

Durch  entsprechende  coneave  Brillen-Grläser  können  wir  den  Myopen 
die  Fernsicht  wiedergeben.  Aber  auch  flu  die  Nähe  sind  Concav-Grläser 
bisweilen  erforderlich,  weil  sie  den  Patienten  die  Möglichkeit  gewähret^ 
in  grösserer  Entfernung  zu  lesen  und  zu  arbeiten  und  so  vor  allem  die 
schädliche,  übermässige  Convergenz  zu  vermeiden.  Doch  muss  man 
auch  darauf  hinwirken,  dass  nunmehr  in  der  That  in  der  entsprechenden 
Entfernung  gearbeitet  wird,  am  besten  durch  passende  Tische,  nöthigen- 
falls  durch  Kopfhalter.  Man  bestimme  daher,  wenn  möglich,  die  Myopie 
stets  gleichzeitig  objeetiv  ophthalmoscopisch;    jedenfalls  lasse  man  die 


86  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

Kurzsichtigen  auch  binocular  mit  aufgesetzten  Gläsern  sehen:  man 
findel  dann  häufig  dass  dieselbe  Sehschärfe  erreicht  wird  mit  schwächeren 
G-läsern,  als  sie  bei  der  monocularen  Prüfung  nötig  waren,  wo  unter 
der  deckenden  Klappe  ein  Auge  vielleicht  etwas  convergirte  und  da- 
durch eine  Accommodationsspannung  herbeiführte. 

Die  Wahl  der  Gläser  richtet  sich  nach  dem  Grade  der  Kurz- 
sichtigkeit,  nach  der  Sehschärfe  und  nach  der  Accommodations- 
breite  des  Patienten.  Wenn  wir  von  dem  Kurzsichtigkeitsgrade  hier 
sprechen,  so  ist  die  reelle  Kurzsichtigkeit  unter  Ausschluss  einer  com- 
plicirenden  al »normen  Accommodationsspannung'  oder  eines  Accommo- 
dationskrampfes  gemeint. 

Das  Brillentragen  ist  gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  zunächst  in  Italien 
in  Gebrauch  gekommen;  in  Deutschland  wird  die  C'oncavbrille  seit  Mitte  des  16. 
.Jahrhunderts  häufiger  benutzt.  Xero's  concav  geschliffener  Smaragd  diente  nur 
als  Hohlspiegel  (Hirschberg).  —  Man  achte  vor  allem  darauf,  dass  die  Brille 
gut  sitzt  und  die  Gläser  grade  senkrecht  vor  dem  Auge  stehen;  nicht  etwa  die 
lateralen  Seiten  durch  die  Brillenstange  nach  hinten  gezogen  werden.  Ebenso 
muss  ihr  Centrum,  wenn  nicht  besondere,  später  zu  erwähnende  Gründe  es  anders 
bedingen,  grade  vor  der  Pupillenmitte  beim  Blick  grade  aus  liegen.  Die  Distance 
der  Pupillenmitten  von  einander  ist  individuell  verschieden:  rund  (iü  mm.  Auch  soll 
das  Glas  klar  und  ohne  Bisse,  Schlieren  etc.  sein.  Die  „isometropen"  Gläser  über- 
treffen unsere  guten  Gläser  an  Klarheit  und  Durchsichtigkeit  kaum  und  die  ge- 
rühmte, etwas  stärkere  Brechung  ist  für  eine  grössere  Dünnheit  und  Leichtigkeit 
fast  ganz  bedeutungslos.  Ob  man  Brille,  Pince-nez  oder  Lorgnette  benutzen  will, 
hängt  zum  Theil  von  der  Dauer  des  Gebrauches,  zum  Theil  von  der  Neigung  — 
und  der  Nase  des  Trägers  ab.  Bei  beständigem  Aufbehalten  oder  langfortgesetztem 
Gebrauch  ist  die  Brille  meist  vorzuziehen,  da  sie  am  sichersten  sitzt. 

Bei  normaler  Sehschärfe,  guter  Accommodationsbreite 
(etwa  annähernd  bis  120  D.),  wie  sie  dem  jugendlichen  Alter  ent- 
spricht und  einer  Myopie  bis  etwa  6-5  (circa  ]/e)  würde  wissenschaftlich 
nichts  dagegen  einzuwenden  sein,  wenn  man  dem  Patienten  eine  corri- 
girende  oder  fast  corrigirendc  Brille  zum  dauernden  Tragen  giebt.  Aller- 
dings wird  der  Myop  anfänglich  dadurch  in  andere  Accommodations- 
verhältnisse  beim  Nahesehen  gesetzt.  Wir  wissen,  dass  die  relative 
Accommodationsbreite  bei  ihm  sich  anders  ausgebildet  hat.  als 
beim  Emmetropen.  Wenn  ein  Myop  5-0  beispielsweise  bei  einer  Conver- 
genz  auf  ein  20  cm  entferntes  Sehobjeet  ohne  Brille  keine  Accommoda- 
tionsanstrengung  nöthig  hatte,  so  würde  er  unter  der  corrigirenden 
Brille,  die  ihm  seinen  Fernpunkt  in  die  Unendlichkeit  legt,  jetzt  beim 
Blick  auf  20  cm  Entfernung  5-0  aecommodiren  müssen.  Dies  wird  ihm 
anfänglich  viel  schwerer  und  unbequemer  fallen,  als  dem  Emmetropen, 
bei  dem  sieh  stets  mit  dieser  Convergenz  auf  20  cm  auch  eine  Accom- 
modationsspannung verknüpft  hatte.  Alier  allmählich  wird  sich  das  Auge 
eines    jugendlichen     Individuums    den    neuen     Verhältnissen     anpassen 


Myopie.  37 

und  schliesslich  wird  sich  auch  für  die  verschiedenen  Convergenzen,  und 
mit  diesen  verknüpft,  sofort  eine  Accommodationsspannung  (—  relative 
Aceoinmodation  — )  einstellen,  wie  sie  dem  emmetropischen  Auge  ent- 
spricht. Aber  das  Bestehen  einer  guten  Accommodationsbreite  bildet 
die  Voraussetzung.  Immerhin  wird  es  empfehlenswert!)  sein,  nicht  mit 
einem  Schlage  diese  totale  Umwälzung  der  Accommodationsverhältnisse 
zu  beanspruchen,  wenn  es  sich  um  einen  einigermaassen  höheren  Myopie- 
grad handelt.  Es  werden  hier  für  die  Nähe  hesser  Concavbrülen  zu 
geben  sein,  die  schwächer  als  die  Myopie  sind.  Bei  ganz  hohem  Grade 
der  Myopie  sind  sogar  die  Patienten,  die  früher  keine  Gläser  getragen, 
meist  ausser  Stande,  mit  voll  corrigirender  Brille  sofort  lesen  zu  können. 
Als  zweites  Erforderniss  wurde  annähernd  normale  Sehschärfe  aufge- 
stellt. Jede  merkliche  Herabsetzung  der  Sehschärfe  bedingt  ein  näheres 
Herannehmen  des  Gegenstandes.  Trotz  der  corrigirenden  Brille  könnte 
der  Patient  demnach  nicht  die  Gegenstände  entsprechend  fern  halten; 
•  las  Sehen  würde  nur  noch  durch  dieselbe  erschwert,  da  mit  der  starken 
Convergenz  auf  den  sehr  angenäherten  Gegenstand  sich  jetzt  noch 
eine  ungewohnt  hohe  Accommodation  verbinden  muss.  Auch  wird,  wie 
wir  gesehen,  durch  Concavgläser  der  zweite  Knotenpunkt  im  Auge  nach 
hinten  gerückt  und  so  das  Netzhautbild  verkleinert:  ein  Nachtheil,  der 
bei  schon  vorhandener  Sehschwache  besonders  störend  ist.  — 

Wenn  demnach  unter  gewissen  Verhältnissen  nichts  gegen  das 
Tragen  von  corrigirenden  Concavgläsern  einzuwenden  ist,  dasselbe  im 
Gegentheil  durch  Verhinderung  übermässiger  Convergenz  und  vollständige 
Gleichstellung  des  myopischen  Auges  im  Sehen  mit  dem  emmetropischen 
Auge  seine  Vortheile  hat,  so  hat  doch  das  dauernde  Brillentragen  selbst 
so  mancherlei  Unbequemlichkeiten  (zur  Verschönerimg  des  Gesichts  dient 
es  auch  nicht!),  dass  man  es  nur  im  Nothfall  anwenden  wird.  Ausserdem 
ist  die  Brille  flu*  alle  niederen  Grade  der  Myopie  (etwa  unter  2-5)  bei 
der  Nahearbeit  überflüssig.  "Wenn  der  Fernpunkt  in  40  cm  liegt,  so 
kann  die  Arbeit  soweit  abgehalten  werden,  dass  eine  schädliche  Con- 
vergenz der  Sehachsen  und  ein  Vornüberbeugen  des  Kopfes  vermieden 
wird.  Ja  selbst  noch  bis  etwa  zu  einem  Fernpunkt  von  20  cm  (M.  5  •  0) 
ist  die  Arbeit  ohne  Brille  zulässig  unter  der  Voraussetzung,  dass  die 
Myopie  nicht  progressiv  ist  und  keine  Insuffizienz  der  M.  recti  interni 
besteht.  In  allen  diesen  Fällen  genügt  es,  für  die  Ferne  die  corri- 
girenden Gläser  zu  geben.  Dieselben  werden  am  besten  bei  den  gerin- 
geren Graden,  wo  ohne  Glas  die  Sehschärfe  nicht  zu  erheblich  verringert 
ist  (bei  M.  2-0  beträgt  sie  ohne  Glas  circa  Y35  wenn  mit  Glas  volle 
Sehschärfe  besteht),  inPince-nez-  oder  Lorgnettenfassung  verordnet,  um 
mir  vorübergehend  benutzt  zu  werden;  bei  den  Myopen  mittlerer  Grade, 
die  wegen  zu  schlechten  Sehens   dauernd  Gläser  für  die   Ferne  tragen 


88  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

wollen,  sind  Brillen  eher  am  Platze.  Aber  es  giebt  alsdann  die  Unbe- 
quemlichkeil des  Absetzeiis  leicht  Veranlassung,  die  Brille  ancli  beim 
Nahesehen  aufzubehalten. 

Kurzsichtige,  welche  eine  Myopie  >  5-0  Indien,  werden  zum  guten 

Seilen  dauernd  eine  Brille  tragen  müssen.  [Dieselbe  kann  unter  den 
(dien  ausgeführten  Voraussetzungen  entweder  ganz  oder  annähernd  die 
Kurzsichtigkeit  corrigiren.  Da  bei  Kurzsichtigen  ^>  7-0  in  der  Regel 
»•ine  Sehschärfenherabsetzung  besteht,  so  wird  man  diesen  für  die  Nähe 
nicht  die  voll  corrigirende  Brille  geben,  sondern  etwa  eine  solche,  die 
ihren  Fernpunkt  auf  circa  25  cm  verlegt. 

Bei  M.  10-0  würde  beispielsweise  durch  concav  6-0  der  Fernpunkt 
auf  25  cm  verlegt  werden,  wie  sich  aus  Folgendem  ergiebt.  Concav  10-0 
legt  den  Fernpunkt  in  die  Unendlichkeit.  Da  wir  ihn  aber  nur  nach 
25  cm  verlegen  wollen,  so  ist  concav  10-0  um  die  Brechkraft  eines  Glases 
zu  stark,  welches  parallele  Strahlen  so  .zerstreut,  als  ob  sie  aus  25  cm 
kämen,  das  ist  concav  4-0:  also  10-0 — 4-0  =  6-0.  Becmemer  ist  hier 
die  Rechnung  nach  Zollmaass.  Bei  M.  1ji  soll  beispielsweise  der  Fern- 
punkt    auf   8  Zoll   verlegt   werden:    J/4 — ijs    =    Vg    oder    auf   16  Zoll, 

wie  es   zum  Klavierspielen  meist  ausreicht:    iji — '/16  =  r-—  • 

Für  grössere  Entfernung  kann  dann  das  zur  vollen  Neutralisation 
ergänzende  Glas  noch  als  Pince-nez  oder  Lorgnette  vorgelegt  werden. 
Also  beispielsweise  bei  M.  ]/4,  wo  für  die  Nähe  Brille  —  */§  getragen 
wird,  kann  für  die  Ferne  Pince-nez  —  Vs  vor  die  Brille  gesetzt  werden. 
—  Wenn  hier  allgemeine  Regeln  zur  Brillenwahl  gegeben  sind,  so 
bleiben  damit  Abweichungen  für  den  Einzelfall  nicht  ausgeschlossen. 
Abgesehen  von  den  Fällen,  wo  das  Fortschreiten  der  Myopie  Brillen  zur 
Verringerung  der  Convergenz  erfordert,  sollte  man  sich  auch  nach  dem 
Behagen  und  den  Gewohnheiten  der  Patienten  richten.  Warum  einer 
Dame,  die  trotz  ihrer  M.  7-0  keine  Brille  oder  kein  Pince-nez  für  die 
Ferne  tragen  will,  und  sich  eben  mit  dem  begnügt,  was  sie  sieht,  diese 
optischen  Hilfsmittel  aufzwingen?  Auffallend  ist  auch,  wie  nicht-brillen- 
tragende  Kurzsichtige  lernen,  ihre  Zerstreuungskreise  zu  einem  richtigen 
Bilde  zu  verwerthen  und  bisweilen  erstaunlich  gut  ohne  Gläser  sehen 
können.  Weiter  linden  wir  hochgradig  Kurzsichtige,  die  in  grösster 
Nähe  ohne  Brille,  aber  auch  ohne  schädliche  Convergenz  lesen,  indem 
sie  ein  Auge  nach  aussen  abweichen  lassen.  Ebenso  wird  man  der  Ge- 
wöhnung an  eine  bestimmte  Brillennumcr,  wenn  sie  nur  nicht  über- 
corrigirl  oder  sonst  etwa  schädlich  gewirkt  hat,  ihr  Recht  lassen.  Jeden- 
falls ist  die  Brillenwahl  sein-  sorgsam  zu  erwägen  und  nicht  den  Optikern, 
wie  es  noch  zum  Theil  selbst  von  Aerzten  geschieht,  anzuvertrauen. 
Im    höheren   Lebensalter,  wo  die   Accommodationskraft  geringer  wird, 


Myopie.  89 

werden  brillentragende  Myopen  öfter  zu   schwächeren  Grläsera   für  die 
Nähe  übergehen  oder  ihre  Brille  ganz  bei  Seite  legen. 

Befindet  sieh  ein  Auge  im  Stadium  starken  Fortschreitens  der 
Myopie,  so  verbiete  man  für  längere  Zeit,  mindestens  vier  bis  sechs 
Wochen,  vollständig  alle  Arbeit  in  der  Nähe.  Um  sicher  alle  Accom- 
modarion  auszuschliessen  und  damit  auch  die  Convergenzbewegungen 
einzuschränken,  kann  man  Atropin  einträufeln,  etwa  1'  Mal  täglich.  Die 
Atropinkur,  wie  sie  besonders  Sehiess-Gemuseus  in  Vorschlag- 
gebracht,  bat  für  diese  Fälle  und  in  diesem  Sinne  ihren  Werth;  sie  aber 
auf  alle  Myopen  ausdehnen  zu  wollen  oder  auch  von  ihr  eine  bleibende 
Verringerung  der  Myopie,  abgesehen  von  den  relativ  seltenen  Fällen 
der  pathologischen  Aecommodationsspannung  oder  des  Accommodations- 
krampfes  zu  erwarten,  würde  falsch  sein.  Zum  Schutz  gegen  zu  starken 
Lichteinfall  lasse  man  während  der  Atropinkur  blaue  Schutzbrillen 
tragen.  Ferner  mögen  Uebungen  im  Weitsehen  angestellt  werden,  die 
eine  parallele  Stellung  der  Blicklinien  anstreben  sollen.  Aufenthalt  im 
Freien  ist  zu  empfehlen  und  die  körperliche  Gesundheit  bei  Vermeidung- 
geistiger  Anstrengung  möglichst  zu  heben.  Bei  manchen  Bleichsüchtigen 
und  Anämischen,  bei  denen  auch  abnorme  Aecommodationsspannung 
häufiger,  ist  Eisen  sehr  am  Platz.  Ist  eine  stärkere  Hyperämie  der 
Papilla  optica  vorhanden,  so  wirken  künstliche  Blutegel,  falls  die  All- 
gemeinconstitution  es  gestattet,  oft  recht  günstig.  Gegen  ausgeprägte 
und  fortschreitende  Chorioiditen  und  Glaskörpertrübungen  wird  die  ent- 
sprechende Therapie  einzuschlagen  sein.  — 

Bei  höchstgradiger  Kurzsichtigkeit  kann  man  durch  Herausnahme  der 
Krystalllinse  eine  Verbesserung  des  Sehens  erreichen.  Diese  neuerdings  be- 
sonders durch  die  Initiative  von  Fukala  in  Aufnahme  gekommene  Operation 
bringt  in  einer  Eeihe  von  Fällen  entschiedensten  Nutzen,  indem  einmal  ein  gutes 
Sehvermögen  für  die  Ferne  ohne  Brille  oder  wenigstens  mit  schwächeren  Gläsern  er- 
reicht wird,  und  sich  weiter  auch  die  Sehschärfe  bisweilen  um  das  doppelte  und  mehr 
hellt.  Diese  Besserung  des  Sehens  für  die  Ferne  beruht  in  der  Begel  auf  der  oben 
dargelegten  Verkleinerung  der  Xetzhautbilder,  welche  starke  Concavgläser  hervor- 
bringen, bisweilen  aber  auch  darauf,  dass  wenig  bemerkliche  Trübungen  der  Linse 
oder  Astigmatismus  derselben  früher  störten.  Ein  Einfluss  auf  Hebung  oder  Ver- 
hütung der  begleitenden  entzündlichen  Veränderungen  ist  nicht  anzunehmen. 

Als  Indication  für  die  Operation  gilt  vor  allem  das  subjeetive  Bedürfnis  des 
Patienten,  der  etwa  nicht  im  Stande  ist.  die  entsprechend  corrigirende  Brille  dauernd 
zu  tragen  oder  auch  sonst  mit  seinem  Seilen  unzufrieden  ist.  Natürlich  muss  die 
Myopie  höhergradig  sein,  da  sonst  stärkere  Hyperopie  als  Folge  der  Linsen-Ent- 
fernung eintritt:  durchschnittlich  wird  man  kaumeine  Myopie  zu  operiren  in  der 
Lage  sein,  die  kleiner  als  etwa  15.0  ist  (d.  h.  mit  Gläsern  bestimmt,  die  circa  15  cm 
vor  der  Hornhaut  gehalten  sind,  also  reelle  Lage  des  Fernpunktes  vom  Hornhaut- 
scheitel gemessen  =  6,6  cm  -f-  1,5  cm  =  c.  8  cm).  Für  Achsenmyopie  lässt  sich 
theoretisch  die  nach  der  Linsen-Entfernung  zu  erwartende  Eefractioh  berechnen, 
wenn  man  die  Hälfte  der  die  Myopie  corrigirenden  Dioptrien  von  dem  vordem  Brenn- 


Ol)  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

]>mikt  gemessen,  der  15  mm  vor  dem  Hornhautscheite]  liegt)  nimmt  und  sie  von  10,0 
oder  ll.ii  abzieht  (Hirschberg,  Ostwald):  danach  würde  eine  M  20,0  sieh  etwa 
in  Emmetropie  umwandeln.  In  der  Praxis  treten  aber  öfter  sein-  abweichende 
Resultate  hervor,   wie  es  ;ius  dem  physiologisch  schwankenden  Brechungs-Index 

der  Krystalllinse  und  der  verschiedenen  Grösse  des  llornhautradius  (Bihler  er- 
klärbar ist.  Für  die  Nahe  wird  in  der  Regel  zum  Lesen  eine  Convexbrille  nöthig 
sein:  jedoch  lernen  die  Operirten  nicht  selten  durch  Zusammenkneifen  der  Lider 
auch  ohne  Correction  mittleren  oder  grösseren  Druck  lesen. 

1  >;i  über  5  Procent  der  operirten  Annen  in  Folge  von  Cnfection,  glauco- 
matöser  Zustünde  (auf  die  man  nach  der  Discission  besonders  achten  muss)  oder 
Netzhautablösungen  —  v.  Hippel  hat  unter  184  Operationen  8  Netzhautablösungen, 
die  auf  die  Operation  geschoben  werden  können,  —  zu  Grunde  gehen,  so  ist  der 
Patient  auf  diese  Gefahr  aufmerksam  zu  machen:  man  wird  deshalb  auch  kaum 
operiren,  wenn  bereits  ein  Auge  erblindet  oder  wenn  ein  Auge  emmetropisch  und 
gutsehend  ist.  Die  Operation  führt  man  so  aus,  dass  man  zuerst  die  durchsichtige 
Linse  ausgiebig-  diseidirt  —  aber  ohne  die  hintere  Kapsel  zu  eröffnen  —  und  wenn 
stärkere  Quellung  eingetreten  ist  (etwa  in  4 — 8  Tagen)  durch  Eröffnung  der  vor- 
deren Kammer  mittels  einer  Lanze  den  Linsenbrei  herauslässt,  wobei  man  sich 
hütet,  dass  Glaskörper  vorfällt:  lieber  lasse  man  noch  Linsenmassen  zurück.  Meist 
sind  später  noch  eine  oder  zwei  Discissionen  erforderlich.  Bis  zur  vollen  Ausheilung 
pflegen  mehrere  Monate  zu  vergehen.  Diese  Zeit  kann  man  abkürzen,  wenn  man 
durch  einen  ausgiebigen  Schnitt  sofort  die  durchsichtige  Linse  entleert.  Es  bedarf 
aber  hierbei  einer  ausgiebigen  Auslöffelung  besonders  der  Randpartien  der  Linse 
(Weber,  Sattler,  Hess),  die  nicht  ungefährlich  erseheint. 

Durchschnittlich  eignen  sich  Personen  über  40  Jahre  nicht  mehr  für  dies 
Operationsverfahren,  dürften  auch  wohl  kaum  ohne  starke  Ueberwindung  geneigt 
sein,  nachdem  sie  ihr  ganzes  Leben  mit  ihrer  Kurzsichtigkeit  ausgekommen  sind, 
sieh  der  immerhin  vorhandenen  Gefahr  des  Verlustes  eines  sehenden  Auges  aus- 
zusetzen. 

Ist  ein  Auge  etwa  ein  Jahr  nach  der  Operation  vollkommen  gesund  geblieben, 
und  war  der  Heilungsverlauf  ein  durchaus  exaeter,  so  bietet  die  Operation  des 
zweiten  kurzsichtigen  Auges  dem  Patienten  den  grossen  Vortheil  der  Wiederge- 
winnung des  körperlichen  Sehens,  das  bei  der  durch  die  einseitige  Operation 
veranlassten  erheblichen  Refractionsdifferenz  selbst  mit  eorrigirender  Brille  in 
der  Regel  nur  unvollkommen  bleibt. 


2.  Hypermetropie. 

I  )as  hypermetropische  Auge  ist  auf  convergente  Strahlen  im  Ruhe- 
zustände eingerichtet.  Da  aber  die  Gegenstände  entweder  parallele  oder 
divergente  Strahlen  aussenden,  so  müssen  letztere,  um  sich  auf  der 
Netzhaut  der  Hypermetropen  zu  vereinigen,  vorher  convergent  gemacht 
werden.  Dies  geschieht  durch  Vorhalten  von  Convexgläsern  oder  durch 
Krümmungszunahme  der  KrystallHnse  ( Accommodation ). 

Bedient  sich  der  Hypermetrop  keines  Convexglases,  so  wird  er  selbst 
zum  deutlichen  Sehen  in  die  Ferne  einer  gewissen  Aeeommodations- 
spannung  bedürfen.     Dieselbe  ist  bei   einzelnen   Uebersichtigen  so  fest 


Hypermetropie.  93 

mir  dem  Schart  verknüpft,  dass  sie  seihst  bestehen  bleibt,  wenn  sie- 
durch  Vorhalten  geeigneter  Convexgläser,  wie  es  bei  unseren  üblichen 
Refractionsbestiminungen  für  die  Ferne  geschieht,  überflüssig  geworden 
wäre:  es  tritt  unter  diesen  Verhältnissen  die  eigentliche  volle  Hyperopie 
nicht  zu  Tage,  da  sie  ganz  oder  theilweise  durch  die  beibehaltene 
Accommodation  ausgeglichen  und  verdeckt  wird.  Wir  können  demnach 
eine  manifeste  und  eine  latente  Hyperopie  unterscheiden.  Griebt 
z.  B.  ein  Patient  als  das  stärkste  Convexglas,  mit  dem  er  das  Maximum 
seiner  Sehschärfe  für  die  Ferne  erreicht,  1-0  an,  während  nach  Atro- 
pinisirung  des  Auges  oder  auch  bei  der  ophthalmoskopischen  Unter- 
suchung, bei  der  sich  die  Accommodationsspannung  des  zu  Untersuchen- 
den verliert,  eine  Hyperopie  2-0  gefunden  wird,  so  würde  die  manifeste 
Hypermetropie  (Hm)  1-0  und  die  latente  Hypermetropie  (Hl)  1-0  be- 
trafen: die  totale  Hypermetropie  (Ht)  wäre  =  2-0.  Es  ist  übrigens  zu 
beachten,  dass  nicht  stets  eine  einmalige  Atropinisirung  die  volle  H  zu 
Tage  Treten  lässt,  sondern  dass  ein  häufigeres  und  fortgesetztes  Atro-. 
pinisiren  bisweilen  erforderlich  wird.  Patienten  mit  latenter  H  zeigen 
bei  den  gewöhnlichen  Grläserprüfungen  nicht  selten  ein  auffälliges  Schwan- 
ken in  ihren  Angaben,  indem  sie  jetzt  ein  stärkeres,  bald  nachher  ein 
schwächeres  Grlas  als  das  entsprechende  angeben.  In  einer  Reihe  von 
Fällen  wird  in  Folge  abnormer  Accommodationsspannung  ohne  Atro- 
pinisirung mit  Convexgläsern  sogar  schlechter  gesehen  5  die  Patienten 
erscheinen  also  als  emmetropisch,  ja  bisweilen  geben  sie  selbst  Myopie 
an  1  vgl.  Accommodationskrampf). 

Im  Uebrigen  dürfen  sehr  kleine  Unterschiede  in  der  Brechung  nach 
der  Atropinisirung  für  gewöhnlich  nicht  als  abnorme  Accommodations- 
spannung  oder  latente  H.  verwerthet  werden,  da  fast  bei  jedem  Auge 
die  Brechung  eine  geringe  Herabsetzung  (etwa  0-5)  durch  Atropin  er- 
fährt, indem  der  normale  Tonus  des  M.  ciliaris  sich  verringert. 

Von  Donders  ist  noch  eine  weitere  Eintheilung  der  Hyper- 
metropie eingeführt  worden,  welche  sich  auf  das  Verhalten  der  Accom- 
modation gegenüber  parallelen  Lichtstrahlen  bezieht.  Können  parallele 
Strahlen  einfach  durch  Accomniodation  auf  der  Netzhaut  vereinigt 
werden,  so  besteht  facultative  Hyperopie:  diese  Patienten  er- 
reichen bei  unseren  gewöhnlichen  Prüfungen  für'  die  Ferne  auch  ohne 
Convexgläser  das  Maximum  ihrer  Sehschärfe.  Reicht  hingegen  die  Accom- 
modation  zur  Vereinigung  paralleler  Strahlen  nicht  aus,  so  ist  absolute 
Hyperopie  vorhanden:  die  Patienten  kommen  nur  mit  Convexgläsern 
auf  das  Maximum  ihrer  Sehschärfe.  Bei  einer  dritten  Kategorie  endlich 
kann  auch  ohne  Convexgläser  das  Maximum  der  Sehschärfe  für  die 
Ferne  erreicht  werden,  aber  nur.  indem  sie  in  der  Weise  eine  stärkere 
Accommodationsanstrengung  ermöglichen,   dass  sie  die  Parallelität  'Irr 


92  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

Sehachsen  aufgeben  und  convergiren,  also  meist  in  einen  einseitigen 
Strabismus  convergens  verfallen.  Diese  Hypermetropie  ist  als  relative 
bezeichnet  worden.  Natürlich  werden  sich  mit  Abnahme  der  Accommo- 
dation im  späteren  Alter  bei  einem  und  demselben  Individuum  die  Ver- 
hältnisse ändern:  so  geht  etwa  eine  facultative  Hypermetropie  all- 
mählich  in  eine  absolute  über.  —  Die  Grade  der  Hypermetropie  sind 
sehr  verschieden;  Hypermetropie  über  5-0  ist  verhältnissmässig  selten. 
Doch  kommen  noch  höhere  Grade,  selbst  bis  22-0  (Roth)  vor. 

Bei  diesen  hohen  Graden  ist  mir  aufgefallen,  dass  man  gelegentlich  Fülle  be- 
obachtet,  wo  die  genaueste  ophtalmöskopisehe  Refractionsbestimmung  einen  andern 
und  erheblich  höheren  Grad  von  Hyperopie  ergiebt  als  er  der  subjectiven  Gläser- 
Prüfung-  selbst  bei  atropinisirtem  Auge  entspricht.  Die  Erklärung  lässt  sich  vielleicht 
in  Folgendem  finden.  Das  Netzhautbild  des  hyperopischen  Auges  ist  verhältniss- 
mässig kleiner  als  das  des  emmetropischen  und  myopischen:  je  stärker  die  Hy- 
peropie, um  so  kleiner  wird  das  Bild.  Durch  Vorlegen  eines  volle  orrigirten  Con- 
vexglases  werden  nun  auch  die  Zerstreuungskreise,  durch  die  das  Bild  früher 
grösser  wurde,  gänzlich  ausgeschlossen.  Die  Peremption  dieses  verkleinerten,  wenn 
auch  scharfen  Bildes  ist  aber  dem  meist  schon  schwachsichtigen  Hyperopen  so 
unbequem  und  schwierig,  dass  er  ein  nicht  vollcorrigirendes  Glas,  welches  ihm 
ein  grösseres  Bild  mit  massigen  Zerstreuungkreisen  lässt,  vorzieht. 

Aetiologie.  In  der  Regel  handelt  es  sich  um  eine  angeborene, 
häufig-  vererbte  Abnormität,  das  Auge  ist  zu  klein  oder  genauer,  es  hat 
eine  zu  kurze  Augenachse.  Die  vordere  Kammer  des  hyperopischen 
Auges  pflegt  ziemlich  flach,  die  Pupille  eng  zu  sein.  Erworben  wird 
Hypermetropie  besonders  durch  Staroperationen  (Aphakie);  Emmetropen 
werden  nach  Herausnehmen  der  Krystalllinse  meist  Hyperopen  von  10-0 
bis  12-0.  Aber  auch  durch  Hornhauttrübungen,  sofern  sie  die  Cornea 
abflachen,  kann  H  entstehen. 

Beschwerden  und  Complicationen.  Mit  höheren  Graden  der 
Hyperopie  ist  häufig  Schwachsichtigkeit  verbunden,  nicht  selten  durch 
regelmässigen  oder  unregelmässigen  Astigmatismus  bedingt.  Jedenfalls 
liegt  besondere  Veranlassung  vor,  gerade  bei  Hyperopen  mit  verringerter 
Sehschärfe  auch  auf  Astigmatismus  zu  untersuchen. 

Dass  durch  die  Grösse  des  Winkels  y  bei  Hyperopen  bisweilen  ein 
scheinbarer  Strabismus  divergens  zu  Stande  kommt,  haben  wir 
schon  oben  erörtert.  Wie  ferner  manche  Hyperopen,  um  sich  eine  stärkere 
Accommodation  heim  Nahesehen  durch  abnorme  Convergenz  zu  ver- 
schaffen,  in  reellen  Strabismus  convergens  verfallen,  wird  in  dem 
betreffenden   Kapitel  ausführlicher  besprochen  werden. 

Die  Beschwerden  der  Hyperopen  hängen  von  dem  Grade  der  Ame- 
tropie und  von  der  Accommodationskraft  ab.  Hochgradige  Hyperme- 
tropen,  die  in  der  Regel  auch  absolute  Hypermetropie  haben,  da  ihre 
Accommodationskraft  selbst  nicht  \'\\v  parallele  Strahlen  ausreicht,  werden 


Hypermetropie.  <rj 

oft  für  kurzsichtig  gehalten.  Wie  diese,  sehen  sie  in  der  Ferne  schlecht; 
allerdings  müssten  sie  —  im  Gegensatz  zu  den  Kurzsichtigen  —  auch 
in  der  Nähe  schlecht  sehen,  da  sie  natürlich  noch  viel  weniger  im  Stande 
sind,  auf  nahe  Gegenstände  zu  aeeommodiren.  Doch  findet  man  Per- 
sonen, die  sieh  über  Schlechtsehen  in  der  .Nahe  nicht  beklagen;  sie 
bringen  die  Gegenstände  nämlich  ganz  dicht  vor  die  Augen  und  er- 
kennen sie  dann  trotz  der  Zerstreuungskreise  durch  die  Grösse  der 
Netzhautbilder.  Es  ist  dies  dem  bereits  Erwähnten  ganz  analog,  dass 
eine  sehr  grosse  Schrift  noch  weit  diesseits  des  aecommodativen  Nahe- 
punktes gesehen  werden  kann. 

Mittlere  und  geringere  Grade  der  Hypermetropie  können,  falls  nicht 
absolute  Hypermetropie  vorhanden  ist,  in  der  Ferne  gut  sehen,  bedürfen 
aber  zum  Nahesehen  einer  erheblich  stärkeren  Accommodation  als  der 
Fmmotrop,  da  sie  bereits  flu-  parallele  Strahlen  eine  ihrer  Hypermetropie 
entsprechende  Accommodationsspannung  nöthig  hatten.    Wenn  beispiels- 
weise ein  Emmetrop  in  25  cm  liest,  so  bedarf  er  einer  Accommodation 
von  4-0;  ein  Hypermetrop  2-0  bedarf  einmal  derselben  Accommodation 
4-0  ( — von  unendlich  auf  25  cm  — ),  ausserdem  aber  noch,  entsprechend 
seiner  H  2  0,  einer  Accommodation  von  2-0,  um  erst  parallele  Strahlen 
auf  seiner  Netzhaut  zu  vereinigen:    seine  Gesammt-Accommodation  ist 
demnach  4-0-f-2-0==6-0. — Der  Nahepunkt  des  H  ist  immer  weiter 
hinaus  gerückt  als  der  des  gleichaltrigen  Emmetropen.     Haben  z.  B. 
ein  Hyperop  2-0  und  ein  Emmetrop  die  gleiche  Accommodationsbreite 
(a  etwa  =  8-0),  so  liegt  der  Nahepunkt  des  Hypermetropen  in  lj6  Meter, 
der  des  Emmetropen  in  Y8  Meter.    Wenn  trotzdem  im  jugendlichen  Alter 
bei  guter  Accommodationskraft  dem  Hyperopen  dauernde  Arbeit  in  der 
Nähe  möglich  ist,  so  wird  ihm  dieselbe  doch  mit  Abnahme  der  Accom- 
modationsbreite, wie   sie  mit  dem  zunehmenden  Alter  eintritt,    immer 
schwerer  fallen:  er  wird  gewissermaassen  früher  Presbyop  als  der  Em- 
metrop.    Ist  die  Hypermetropie  etwas  höher,  oder  die  Accommodation 
gering,  vielleicht  auch  nur  vorrübergehend  geschwächt,  wie  wir  es  be- 
sonders bei  Kindern  nach  schweren  Krankheiten,  bei  Anämischen  oder 
in  Folge  zu  starker  Augenanstrengung  bemerken,  so  treten  schon  früh- 
zeitig Beschwerden  auf.     Dieselben  bestehen  in   der  Regel  in  Mangel 
an  Ausdauer  beim  Arbeiten  in  der  Nähe  (Asthenopia,  Hebetudo  visus, 
Kopiopia):    die   hier  in  Rede   stehende  Form  fällt  in  den  Bereich  der 
A  s  t  h  e  n  0  p  i  a  a  c  c  0  m m  0  d  a  t  i  v  a  ( D  0  n  d  e  r s).    Es  kann  zwar  eine  gewi sse 
Zeit  lang  noch  aecommodirt  werden,   dann  aber  erschlafft  die  Accom- 
modationskraft:   das    Gesehene  wird  undeutlich,    Buchstaben  laufen  in 
einander,  verschwimmen.     Tritt  eine  Ruhepause  ein,  so  kann  in  Folge 
der  eingetretenen  Erholung  wieder  eine  Zeit  lang  fortgearbeitet  werden. 
Bei  Handwerkern  geht  bisweilen  nach  der  Sonntagsruhe  die  Arbeit  in 


94  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

den  ersten  Wochentagen  ,^ut.  dann  wird  sit'  immer  schwerer.  Abends 
ist  das  Sehen  mühsamer  als  Morgens  und  am  Tage.  Wird  das  Arbeiten 
trotzdem  fortgesetzt,  so  stellen  sich  Druck,  Brennen  im  Auge,  Schmerzen 

in  der  Stirn  und  im  Kopfe  ein.  Seihst  ausgeprägte  Neuralgien  können 
in  dieser  Ueberanstrengung  ihren  Grund  haben.  Allerdings  pflegen  bei 
längerem  Bestehen  öfter  Kopfschmerz  oder  Neuralgie  in  dem  Sinne 
einen  selbständigen  Charakter  anzunehmen,  als  sie  jetzt  auch  ohne  An- 
strengung der  Augen  auftreten.  Aber  die  Therapie  zeigt  in  den  ent- 
sprechenden Fällen,  dass  eine  Heilung  erst  möglich  wird,  wenn  die 
Accommodationsüberanstrengung  und  -Ueberreizung  gehoben  ist;  erst 
dann  kommen  die  sonst  angezeigten  Heilmittel  zur  Wirkung.  Derartige 
Fälle  sind  nicht  gar  zu  selten,  und  es  sollte  sich  hierbei  die  Untersuchung 
(\r>   Arztes  immer  auch  auf  die  Functionen   des  Auges  richten. 

Therapie. 

Die  Beschwerden  der  Hyperopen  lassen  sich  meist  durch  ent- 
sprechende Convexgläser  heben.  Bei  absoluter  Hyperopie  wird  immer 
das  die  Hyperopie  corrigirende  Glas  zu  tragen  sein,  um  das  Sehen  für 
die  Ferne  möglichst  zu  erhöhen;  ähnlich  bei  der  relativen.  Handelt  es 
sich  um  facultative  Hyperopie,  so  bedarf  der  Patient  für  die  Ferne 
keines  Glases,  wohl  aber  wird  es  ihm  für  die  Nähe  Erleichterung  seiner 
Aecommodationsanstrengung  schaffen.  Es  liegt  gar  kein  Grund  vor, 
weswegen  er  sieb  nicht  durch  das  seine  Hyperopie  corrigirende  oder 
annähernd  corrigirende  ({las  wenigstens  beim  Arbeiten  in  der  Nähe  in 
dieselhen  günstigen  Aecommodationsverhältnisse  wie  der  Emmetrop 
bringen  sollte.  Thut  er  es  nicht,  so  überanstrengt  er  unnöthiger  Weise 
seinen  Accommodationsmuskel.  Treten  asthenopisebe  Beschwerden  auf, 
so  muss  auf  jeden  Fall  zu  dem  Convexglase  gegriffen  werden.  Das- 
selbe sollte  mindestens  dem  Grade  der  manifesten  Hypermetropie  ent- 
sprechen. Aber  oft  wird  das  nicht  ausreichen,  und  man  muss  auch  die 
etwa  vorhandene  latente  Hypermetropie  mit  corrigiren.  In  Schwäche- 
zuständen bedarf  es  sogar  für  die  Nähe  noch  stärkerer  Gläser,  welche 
ungefähr  die  heim  gleichaltrigen  Emmetropen  normale  Lage  des  Nahe- 
punktes herbeiführen.  Doch  muss  auch  hier  individualisirt  werden: 
nicht  für  alle  Fälle  trifft  die  Regel  zu,  da  besonders  in  der  relativen 
Accommodationsbreite  viel  subjeetive  Verschiedenheit  herrscht.  Wir 
werden  überall  das  eigene  Behagen  des  Brillenträgers  zu  berücksichtigen 
haben.  Bei  eingewurzelter  Asthenopie  darf  trotz  der  Convexgläser  nicht 
sofort  dauernd  in  der  Nähe  gearbeitet  werden;  es  müssen  öfter  Ruhe- 
pausen eintreten  und  erst  allmählich  kann  die  Zeit  der  ununterbrochenen 
Arbeit  mehr  und  mehr  verlängert  werden.  Haben  sich  ernstliche  nervöse 
Erscheinungen  in  Folge  der  Accommodationsüberanstrengung  entwickelt 


Astigmatismus.  95 

oder  gelingt  die  Hebung  der  Asthenopie  mittels  Convexgläser  allein 
nicht,  was  bei  einzelnen  Patienten  der  Fall  ist,  bei  denen  jede  ( !onver- 
genz  schon  schmerzhafte  Accommodationsspannung  hervorruft  (Don- 
dersi.  so  empfiehlt  es  sieh  vorerst,  durch  eine  mehrwöchentliche  Atropin- 
knr  den  Muskel  vollkommen  in  Ruhestand  zu  versetzen,  danach  dann 
allmählich  mit  den  entsprechenden  Gonvexgläsern  wieder  die  Arbeit  be- 
ginnen zu  lassen.  Daneben  sind  stärkende  und  das  Nervensystem  be- 
einflussende Mittel  (je  nach  Umständen  Eisen,  Chinin,  Tinct.  Valerianae, 
constanter  Strom  u.  s.  w.)  anzuwenden. 

Schwer  erklärlich  ist  es,  wie  bei  jugendlichen  Individuen  mit  geringer  Hy- 
peropie  asthenopisehe  Beschwerden  oft  auftreten  and  durch  ganz  schwache  Con- 
vexbrillen  gehoben  werden.  Beispielsweise  hat  ein  15  jähriger  Knabe  mit  11  1,0  beim 
Arbeiten  in  der  Nähe  keine  Ausdauer,  ungeachtet  dass  seine  normale  Accommodations- 
breite  12,0  beträgt:  das  heisst  sein  Nahepunkt  lie,ü,t  ohne  Glas  in  (.t  cm,  mit  Glas,  wobei 
der  Fernpunkt  in  die  Unendlichkeit  gerückt  wird,  in  8Vs  tan.  Da,  nun  gewöhnlich 
die  Schrift  in  25  .und  mehr  cm  Entfernung'  gehalten  wird,  so  hätte  er  in  dieser  Ent- 
fernung auch  ohne  Glas  noch  8.0  Accommodationsbreite  (12.0 — 4,0)  zur  Disposition. 
Und  dennoch  die  Asthenopie,  die  sich  verliert,  wenn  man  ihm  durch  das  vorgesetzte 
Convexglas  1.0  seine  hei  dieser  Entfernung  vorhandene  Accommodationsbreite  auf 
9,0  hebt!  Das  Bestreben  jugendlicher  Individuen  möglichst  nahe  den  Druck  und  die 
Schrift  zu  halten,  scheint  mir  für  dieses  Phänomen  keine  genügende  Erklärung  zu 
gelten:  eher  kann  man  daran  denken,  dass  die  Accommodationskraft  in  diesen  Fällen, 
wenn  sie  auch  momentan  sich  als  normal  erweist,  doch  allzu  schnell  nachlässt: 
aber  auch  hier  bleibt  immer  die  heilende  Wirkung,  wie  wir  sie  von  so  schwachen 
Gläsern,  wie  0.5  oder  1.0,  oft  sehen,  einigermaassen  räthselhaft. 


3.  Astigmatismus. 

Von  einem  Punkte  ausgehende  (homocentrische)  Lichtstrahlen  wer- 
den durch  die  brechenden  Medien  des  Auges  streng  genommen  nicht 
zu  einem  Punkte  wieder  vereinigt.  Es  theilt  das  Auge,  wenn  auch  in 
geringerem  Maasse;  eben  die  Fehler  der  Brechung  an 
sphärischen  Flächen  überhaupt:  chromatische  und 
sphärische  Aberration.  Wenn  wir  von  ersterer  hier 
absehen  und  nur  einfarbiges  (homogenes )  Licht  berück- 
sichtigen, so  kommt  die  sphärische  Aberration  in  der 
W  eise  zur  Geltung,  dass  selbst  die,  einen  einzigen 
Meridian  des  Auges  treffenden  (beispielsweise  hori- 
zontal einfallenden)  Strahlen  sich  nach  der  Brechung 
nicht  in  einem  Punkt  vereinigen,  sondern  in  einer  Linie, 
deren  vorderer  Brennpunkt  dort  liegt,  wo  die  am 
meisten  gebrochenen  Strahlen  zusammenstossen,  und  deren  hinterer 
dort,  wo  die  am  wenigsten  gebrochenen  sich  schneiden  (Fig.  51). 


96  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

Die  Art  von  Astigmatismus  («  privativ.,  atiyfia  Punkt),  welche  aus 
einer  verschiedenen  Brechung  in  demselben  Meridian  hervorgeht, 
bezeichnet  man  als  unregelmässigen  (irregulären)  Astigmatismus; 
derselbe  rindet  sich  in  geringerem  Grade  in  allen  Augen.  Die  strahlige 
Form,  in  der  die  Sterne  erscheinen,  sowie  das  in  einigen  Fällen  auf- 
tretende Vielfachsehen  von  Objecten  (Polyopia  monocularis)  haben  darin 
ihren  Grund.  Er  wird  physiologisch  veranlasst  durch  Brechimg  und 
Bau  der  Linse.  Bei  mir  bewirkt  bisweilen  langfortgesetzte  Accommo- 
dationsanstrengung,  dass  monoculare  Diplopie  entsteht:  über  dem  an- 
gesehenen Buchstaben  erscheint  ein  zweites  scharfes,  aber  licht- 
schwächeres Bild  desselben. 

Wenn  As  in  höherem  Grade  vorhanden  ist,  so  leidet  die  Sehschäi*fe 
darunter.  Auch  dieser  abnorme  irreguläre  Astigmatismus  kann  in  der 
Linse  seine  Entstehung  finden,  indem  ungewöhnliche  Brechungsverhält- 
nisse, die  bisweilen  z.  B.  der  Starentwicklung  vorangehen,  oder  auch 
Lageveränderungen  (Luxationen)  ihn  hervorrufen.  Doch  spielt  die  Cornea 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  grössere  Rolle;  recht  häufig  entsteht 
As  durch  geringe  und  wenig  intensive  Trübungen  oder  dadurch, 
dass  derselbe  Hornhautmeridian  in  seinen  verschiedenen  Partieen 
wechselnde  Krümmung  zeigt.  Ebenso  durch  Ulcerationen  und  Ektasien, 
besonders  durch  Keratoconus.  Seme  Syinptone  bestehen,  neben  Herab- 
setzung der  Sehschärfe  in  Verschwommen-  und  Verzerrtsehen  der  Gegen- 
stände, in  Diplopie  oder  Polyopie.  Die  Augenspiegeluntersuchung,  bei 
der  kein  vollkommen  scharfes  Bild  der  Theile  des  Augenhintergrundes 
zu  erlangen  ist,  wird  die  Diagnose  des  Astigmatismus  sichern;  handelt 
es  sich  um  Hornhautastigmatismus,  noch  anschaulicher  das  Keratoskop. 
An  Stelle  der  regelmässigen  Kreise  sieht  man  dann  ganz  unregelmässig 
gestaltete  Figuren  in  dem  Hornhautreflexbildchen.  Wenn  es  sich  nicht 
um  materiell  zu  hebende  oder  zu  bessernde  Erkrankungen  (so  Heilung 
von  Geschwüren,  Tätowirung  der  Hornhautflecke  mit  folgender  Pupillen- 
bildung, Operation  des  Keratoconus  [s.  dies]  u.  s.  w.)  handelt,  ist  mit  op- 
tischen Mitteln  bei  dem  unregelmässigen  Astigmatismus  meist  nicht  viel 
zu  erreichen.  Für  bestimmte  Zwecke  kann  die  Sehschärfe  dadurch  ge- 
hoben werden,  dass  die  Patienten  durch  kleine  Löcher  oder  schmale 
Spalten  von  1  bis  3  mm  Breite  (stenopäische  Apparate)  blicken.  Auch 
heben  die  von  Raehlmann  empfohlenen  konisch  geschliffenen,  sogen. 
hyperbolischen  Gläser  gelegentlich  erheblich  die  Sehschärfe:  und  zwar 
in  einzelnen  Fällen  sicher  mehr  als  selbst  starke  cylindrisehe.  Gleiches 
gill  von  den  torischen  Gläsern  (Pflüger).  Letztere  bestehen  aus  eylin- 
drischen  Gläsern,  die  mit  sphärischen  Menisken  combinirt  sind.  — 

Ausser  dieser  Form   von  Astigmatismus   lässt   sich    am  Auge  noch 
eine  andere  und  für  die  Praxis  wichtigere  Form  nachweisen:  derrcgel- 


Astigmatismus. 


97 


massige  (reguläre)  Astigmatismus.  Dieser  hat  seinen  Sit/,  vor- 
zugsweise in  der  Hornhaut  und  beruht  darauf,  dass  dir  E^rümmungs- 
fläche  derselben  nicht  einer  Kugelfläche,  sondern  dem  Seheitelsogment 
eines  Ellipsoids  entspricht.  Das  Minimum  der  Krümmung  fällt  vor- 
wiegend in  den  horizontalen  Meridian,  das  Maximum  in  dvn  verticalen 
Meridian.  Ist  es  umgekehrt,  spricht  man  von  perversem  As.  Daneben 
kommen  zuweilen  auch  durch  partielle  Contractionen  des  Ciliarmuskels 
in  der  Linse  Verschiedenheiten  der  Meridiankrümmung  zustande,  welche 
in  entgegengesetzter  Weise  gerichtel  zur  Verringerung  des  Hornhaut- 
Astigmatismus  dienen  (Javal,  Dobrowolsky).  In  seltenen  Fällen  ist 
As  allein  durch  Krümmungsanomalien  der  Linse  bedingt  und  schwindet 
nach  Atropinisiren. 

Beim  regelmässigen  Astigmatismus  erfahren  die  Strahlen,  welche 
in  verschiedene  Meridiane  einfallen,  eine  ungleiche  Brechung:  sie 
werden  nicht  in  einem  Punkte,  sondern  in  einer 
Brennstrecke  vereinigt  (Sturm).  Sehen  wir  von 
der  etwaigen  verschiedenen  Brechung  in  demselben 
Meridian  (unregelmässigem  Astigmatismus)  ah  und 
lassen  alle  durch  einen  und  denselben  Meridian 
gehenden  homocentrischen  Strahlen  sich  in  einem 
Punkte  vereinigen,  so  versinnlicht  Figur  b"2  die  Ver- 
einigung der  von  einem  in  der  Unendlichkeit  be- 
findlichen Lichtpunkte  ausgehenden  Strahlen.  Wir 
betrachten  dabei  den  horizontalen  Meridian  (hh)  des 
astigmatischen  Auges  als  den,  den  längsten  Krüm- 
mungsdurchmesser habenden  und  daher  am  schwäch- 
sten brechenden  (beispielsweise  hyperopischen) 
Meridian,  den  verticalen  (Vv)  als  den  am  stärksten 
brechenden  (beispielsweise  myopischen)  Meridian. 

Die  vertical  die  Hornhaut  treffenden  Strahlen  werden  sich  alsdann 
früher  vereinigen  (i\)  als  die  horizontal  einfallenden  (f2).  Da  in  einer 
durch  fj  gelegten  senkrechten  Ebene  alle  durch  den  Meridian  vv  ge- 
gangenen  Strahlen  eine  punktförmige  Vereinigung  finden,  während  die 
im  horizontalen  Meridian  einfallenden  noch  eine  Anzahl  convergirender 
Strahlen  bilden,  so  wird  an  dieser  Stelle  eine  ( —  in  der  Figur  nicht 
gezeichnete  — )  horizontal  gestellte  leuchtende  Linie  auftreten;  hingegen 
in  f2  wird  die  leuchtende  Linie  vertical  sein.  Zwischen  diesen  beiden 
Linien  (Brennlinien)  liegt  die  Brennstrecke  (Intervalle  focal,  f,  f2, 
Sturm).  In  ihr  wird  eine  Stelle  sein,  wo  der  Querschnitt  der  Strahlen 
einen  Kreis  darstellt  (n),  der  kleiner  ist  als  der  Querschnitt  des  Strahlen- 
bündels vor  dem  Auge  und  der  die  verhältnissmässig  stärkste  Lichtcon- 
centration  hat. 

Schmidt-Simpler.    7.  Auflage.  •  7 


98  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

Je  aachdem  die  Netzhaut  eines  Auges  sich  in  der  einen  oder  der 
anderen  Entfernung  von  Uli  und  w  befindet,  wird  auch  das  auf  ihr  von 
einem  in  unendlicher  Ferne  befindlichen  Lichtpunkt  entworfene  Bild  ein 
verschiedenes  sein  und  den  oben  bezeichneten  Figuren  entsprechen.  Im 
Allgemeinen  dürfte  das  Bild  am  besten  sein,  wenn  die  Netzhaut  in  der 
Fl tene  der  grössten  Concentration,  wo  jeder  Funkt  als  Kreis  sich  bildet, 
liegt.  Befindet  sie  sich  in  der  Ebene  einer  Brennlinie,  so  werden  nur 
die  Lichtstrahlen  zu  einer  scharfen  Vereinigung  kommen,  die  durch  den 
senkrecht  auf  dieser  Linie  stehenden  Meridian  gefallen  sind;  also  unter 
Annahme  der  Lage  in  f,,  wo  die  Brennlinie  horizontal  ist,  die  des  ver- 
ticalen  Meridians  (w),  Es  ist  ersichtlich,  dass  für  Erkennung  bestimmter 
( >bjecte,  hier  etwa  horizontaler  Linien,  diese  Lage  die  vorteilhafteste 
sein  wird. 

Die  Brennstrecke  wird  eine  um  so  grössere  Ausdehnung  haben,  je 
grösser  die  Differenz  in  der  Brechung  <•  der  beiden  senkrecht  aufeinander 
stehenden  Meridiane  ist;  gleich  Null  wird  sie,  d.  h.  sie  schrumpft  in 
einen  Brennpunkt  zusammen,  wenn  diese  Differenz  gleich  0  wird. 

Den  Grad  des  regelmässigen  Astigmatismus  bezeichnen  wir 
nach  Donders  durch  die  Differenz  in  der  Refraction  der  am  meisten 
verschieden  brechenden,  wie  erwähnt  gewöhnlich  senkrecht  aufeinander 
stehenden  Meridiane  (Hauptmeridiane).  Ist  z.  B.  die  Brechung  im 
horizontalen  Meridian  einem  emmetropischen  Auge  entsprechend,  im  ver- 
ticalen  Meridian  aber  entsprechend  dem  einer  Myopie  2-0  (V20)/  so  ^ 

der  Grad    des  Astigmatismus  =  2-0  —  0  (^  —  —  j  =  2-0  (  ~~ 

Hat  der  horizontale  Meridian  Myopie  1-0,  der  verticale  M  2-0,  so  be- 
steht ausser  der,  beiden  Meridianen  zukommenden  Myopie  1-0  noch 
As  1-0.  Ist  im  horizontalen  Meridian  hingegen  Hyperopie  1-0,  im  ver- 
ticalen  Meridian  Myopie  2-0,  so  ist  As  =  1-0  +  2-0  =  3-0. 

Diese  Beispiele  geben  zugleich  die  drei  verschiedenen  Formen,  in 
denen  der  regelmässige  Astigmatismus  auftritt. 

Einfacher  Astigmatismus:  in  einem  Hauptmeridian  Einme- 
tropie,  im  anderen  Myopie  (einfacher  myopischer  Astigmatismus  Am) 
oder  Hypermetropie  (einfacher  hyperopischer  Astigmatismus  Ah).  2.  Zu- 
sammen gesetzter  Astigmatismus:  a)  in  beiden  Hauptmeridianen 
Myopie,  aber  verschiedenen  Grades  (M-f-Am);  b)  in  beiden  Haupt- 
meridianen Hyperopie,  aber  verschiedenen  Grades  (H  +  Ah).  3.  Ge- 
mischter Astigmatismus:  in  einem  Meridian  Hypermetropie,  im 
andern  Myopie.  Je  nachdem  die  eine  oder  die  andere  Anomalie  in 
stärkerem  Grade  vorhanden  ist:  a)  gemischter  Astigmatismus  mit  über- 
wiegender II   (Ahm)  oder  b)  mit  überwiegender  M  (Amh). 


Astigmatismus.  (,)(,) 

Vorkommen.  Geringe  (Irade  von  Astigmatismus  kommen  nach 
dem  eben  über  die  Krümmung  der  Cornea  Gesagten  auch  im  normalen 
Auge  vor.  So  wie  sie  aber  höher  als  etwa  1-0  Dioptrie  steigen,  sind  sie 
als  pathologisch  oder  als  abnorm  zu  betrachten.  Es  zeigt  sich  alsdann 
auch  bei  den  üblichen  Sehschärf ebestimmungen'  mit  Buchstaben,  Ilaken 
u.  s.  w.  eine  deutliche  Herabsetzung  der  Sehschärfe,  bedingt  durch  das 
Verschwommensein  der  Netzhautbilder.  Dies  ist  oft  das  einzige  sub- 
jective  Zeichen,  da  die  Patienten  nur  verhältnissmässig  selten  spontan 
angehen,  dass  sie  etwa  Linien  in  der  einen  Richtung  weniger  deutlich 
sehen  als  in  der  anderen,  dass  Quadrate  ihnen  als  Rechtecke  erscheinen 
oder  Kreise  als  Ellipsen  und  Aehnliches.  Es  gehört  schon  eine  ent- 
wickelte Beobachtungsgabe  dazu,  um  darauf  von  selbst  aufmerksam  zu 
werden.  Man  wird  .  daher  gut  thun,  bei  jeder,  nicht  durch  sonstige 
nachweisbare  Veränderungen  bedingten  Sehschärfenherabsetzung,  die 
trotz  ( 'orrection  mit  sphärischen  Gläsern  bleibt,  oder  wo  mit  sphärischen 
Gläsern  sehr  verschiedenen  Grades  annähernd  gleich  gesehen  wird,  stets 
auch  auf  abnormen  Astigmatismus  zu  untersuchen.  Als  weiteres  Ver- 
dachtsmoment dient  der  stationäre  Charakter  der  Sehschwäche.  Eben- 
so versäume  man  die  Untersuchung  nicht,  wenn  asthenopische  Be- 
schwerden vorliegen,  die  auch  bisweilen  in  Astigmatismus  basiren. 

As  ist  in  der  Regel  angeboren  und  häufig  mit  Hyperopie  complicirt. 
Doch  kann  er  auch  erworben  werden.  So  findet  man  ihn  bisweilen  bei 
Hornhautflecken  und  in  den  beim  unregelmässigen  Astigmatismus  her- 
vorgehobenen Erkrankungen.  Besonders  häufig  ist  er  nach  Staropera- 
tiouen:  auch  nach  Iridectomien  kann  er  auftreten.  Interessant  ist  die 
Beobachtung  Laqueur's,  dass  einZug  am  oberen  Lide,  sei  er  temporal- 
oder  nasalwärts,  durch  Druck  auf  den  normalen  Bulbus  eine  Abflachung 
des  horizontalen  und  stärkere  Krümmung  des  verticalen  Meridians  be- 
wirken kann,  sodass  ein  regelmässiger  Astigmatismus  von  2  bis  4  D 
entsteht.  Manche  Astigmatiker  corrigiren  durch  einen  ähnlichen  Druck 
ihren  Astigmatismus. 

Zur  Correction  und  Diagnose  bedient  man  sich  der  cylindri- 
schen  Gläser,  deren  Einführung  in  die  Praxis  ein  Verdienst  von 
Donders  ist. 

Wir  können  uns  ein  einfaches  plancylindrisches  (Jonvexglas  aus 
einem  massiven  Glascylinder,  in  der  Weise  entstanden  denken,  dass  durch 
eine  mit  der  Achse  des  Cylinders  (Figur  53)  parallele  Ebene  abcd 
das  links  gelegene  Stück  abgeschnitten  wird.  Ein  plancylindrisches 
Concavglas  wird  zustande  kommen,  wenn  aus  dem  Parallelepipedon 
cßefryöt/Z  das  Stück  aßöy,  welches  dem  links  stehenden  Cylinderab- 
schnitt  abcd  etwa  entspricht,  herausgeschnitten  wird.  Wird  das  an 
dem  cylindrischen  Concavglas  stehen  gebliebene,  von  geraden  Flächen 


II  K) 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


begrenzte  Stück  ebenfalls  in  einen  Cylinderabschnitt  umgewandelt,  so 
erhalten  wir,  wenn  der  Durchmesser  dieses  ( Zylinders  kleiner  ist, 
ein  concav-convexes  Cylinderglas  oder  einen  positiven  cylindrischen 
Meniscus. 

Wenn  man  sich  ein  planconvex-cylindrisches  und  ein  planconcav- 
cylindrisches  G las  mit  gekreuzten  Achsen  an  den  planen  Seiten  auf- 
einander gelegt  und  vereint  denkt,  hat  man  ein  bicylindrisches  Glas 
(geschrieben:  eoncav-cylindriseh  x  |  convex-cylindrisch  y).  Wird  mit 
einem  plancylindrischen  Glase  ein  plansphärisches  in 
gleicher  Weise  vereinigt,  so  hat  man  ein  sphärisch- 
cylindrisches  Glas  (sphärisch  x  o  cylindrisch  y).  — 
Jedes  cylindrische  Glas  lässt  Lichtstrahlen,  die 
parallel  der  Cylinderachse  einfallen,  unge- 
brochen durchgehen.  Anders  ist  es  mit  Strahlen,  die 
senkrecht  auf  die  Cylinderachse  das  Glas  treffen. 
Diese  fallen  auf  einen  kreisförmigen  Durchschnitt 
des  Cylinders  und  werden  dort  ganz  wie  bei  sphä- 
rischen Gläsern  zusammengebrochen  oder  zerstreut. 
Diese  Eigenschaft  der  cylindrischen  Gläser,  einen 
Theil  der  Strahlen  zu  brechen,  den  anderen  un- 
gebrochen durchzulassen,  befähigt  sie  zur  Correction 
des  regelmässigen  Astigmatismus.  Die  Achse  des  Cylinderglases 
wird  immer  dem  Augenmeridian  parallel  gelegt,  der  keiner 
Correction  bedarf.  —  In  den  Cylindergläsern  unserer  Zeichnung 
würden  die  vertical  einfallenden  Strahlen  ungebrochen  durchgehen,  die 
horizontal  einfallenden  entsprechend  der  Brechkraft  (wie  bei  sphäri- 
schen Gläsern  nach  Dioptrien  oder  Zollmaass  bestimmt)  abgelenkt 
werden.  Die  Lage  der  Achse  ist  meist  durch  einen  Strich  |  )  auf  den 
( Jylindergläsern  angegeben. 

Die  Bestimmung  des  Astigmatismus  wird  am  einfachsten 
mit  diesen  Cylindergläsern  gemacht.  Man  stellt  mittels  der  grossen 
Buchstaben  der  Snellen'schen  Tafeln,  die  in  entsprechender  Entfer- 
nung aufgehängt  sind,  in  gewöhnlicher  Weise  zuerst  die  Sehschärfe  fest. 
Wenn  sphärische  Gläser  bessern,  so  setzt  man  das  schwächste  coneave 
beziehentlich  stärkste  convexe,  mit  dem  das  Maximum  der  Sehschärfe 
sieh  erreichen  Hess,  in  ein  Brillengestell  vor  das  Auge.  Nunmehr  sucht 
mau  durch  ein  vorgehaltenes  sehwaches  convex-cylindrisches  Glas  eine 
weitere  Verbesserung  zu  erzielen,  indem  man  es  im  Kreise  vor  dem 
Auge  dreht.  Bei  einer  bestimmten  Stellung  des  Glases  wird  in  den  ent- 
sprechenden Fällen  angegeben,  dass  besser  oder  wenigstens  eben  so  gut 
gesehen  wird.  Man  kennt  nunmehr  die  Lage,  in  der  die  convexen 
Cylindergläser,  oder  genauer  ihre  Achse,  gehalten  werden  müssen,  und 


Astigmatismus.  10 1 

sucht  durch  immer  stärkere  ebenso  gehaltene  Numern  ein»'  weitere 
Besserung  der  Sehschärfe  zu  erzielen.  Gelingt  dies,  so  giebt  das  stärkste 
( !onvexglas,  bei  dem  das  Maximum  von  Sehschärfe  erreicht  wird,  den 
Grad  des  Astigmatismus  an.  Tritt  aber  keine  Verbesserung  des  Sehens, 
mit  convex-cyhndrischen  Gläsern  ein,  so  geht  man  zu  eoneav-evlindrischeii 
über  und  verfährt  damit  ebenso.  Gelingt  hier  eine  Besserung,  so  be- 
zeichnet die  Brechkraft  des  schwächsten  cylindrischen  Glases  den  Grad 
des  Astigmatismus. 

Es  ist  mit  dieser  Untersuchung  gleich  das  corrigirende  Glas  ge- 
geben. War  vorher  mit  convex-  oder  coneav-sphärischen  Gläsern  keine 
Besserung  zu  erzielen  gewesen,  fand  demnach  die  Bestimmung  ohne 
diese  statt,  so  besteht  einfacher  Astigmatismus 5  es  wird  ein  einfaches 
cylindrisch.es  Glas  zur  Correetion  ausreichen.  Man  giebt  dem  Optiker 
dabei  die  Stellung  der  Cylinderach.se  durch  einen  entsprechenden  Strich 
an  (senkrechten,  schrägen  oder  horizontalen),  den  man  neben  die  Numer 
setzt,  also  z.  B.  concav-cylindrisch  2-0  |  (d.  h.  Achse  senkrecht);  oder 
man  bedient  sich  der  Bezeichnung  nach  Winkelgraden,  wobei  allerdings 
ein  Uebereinkommen  über  die  Lage  des  Nullpunktes  vorausgesetzt  ist. 
Doch  thut  man  gut,  das  gelieferte  rundgeformte  Uylinderglas  noch  nicht 
definitiv  in  das  Brillengestell  festschrauben  zu  lassen,  um  erst  durch 
kleine  Hin-  und  Herdrehungen  die  richtige  Stellung  heraussuchen  zu 
können.  --  Ist  vorher  schon  ein  sphärisches  Glas  als  bessernd  gefunden 
worden,  so  corrigirt  ein  sphärisch-cylindrisches  Glas,  das  beispielsweise 
so  verschrieben  wird:  concav  2.0  sph.  o  coücav  1.0  cyl.  — . 

Es  ist  ersichtlich,  dass  wir  auf  diese  AYeise  der  bicylindrischen  Gläser  gar 
nicht  bedürfen.  In  den  Füllen  von  germschtem  Astigmatismus,  wo  sie  letzteren 
corrigiren  sollen,  kann  dasselbe  auch  durch  sphärisch-cylindrische  Gläser  geleistet 
werden.  Es  sei  z.  B.  im  verticalen  Meridian  M  2-0,  im  horizontalen  H  1*0;  dieser 
As  Hesse  sich  corrigiren  durch  ein  bieylindriscb.es  Glas:  concav  2'0  cyl.  -  ~ 1 
convex  1-0  cyl.  .  Aber  das  (deiche  lässt  sich  auch  durch  concav  2*0  sph.  c  con- 
vex 30  cyl.  |  erreichen.  Concav  2-0  sphärisch  corrigirt  die  Myopie  des  verticalen 
Meridians;  die  Hyperopie  1-0  im  horizontalen  Meridian  aber  erhöht  es  durch  seine 
zerstreuende  Kraft  noch  mehr,  um  2-0:  wir  müssen  demnach  zur  Correetion  des 
horizontalen  Meridians  jetzt  convex  3-0  cylindrisch  mit  verticaler  Achse  anwenden. 

Man  wird  auf  gemischten  Astigmatismus  schliessen,  wenn  sowohl 
mit  convex-  als  mit  coneav-sphärischen  Gläsern  besser  gesellen  wird.  - 

Will  man  die  wirkliche  Brechung  in  den  einzelnen  Hauptmeridianen 
bestimmen  und  sich  nicht  mit  der  oben  angegebenen  praktischen  Corree- 
tion begnügen,    so  muss   man   nachstehendes  Verfahren   benutzen. 

Um  zuerst  die  Lage  der  Hauptmeridiane  zu  finden,  kann 
man  sich  einer  Sternfigur  (Green;  oder,  was  ja  ausreicht,  einer  in 
heistehender  Anordnung  gezeichneten    hallten  Sternfigur    (wie  sie  sich 


102 


Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 


entsprechend  gross  in  den  Snellen'schen  Sehproben  findet)  bedienen. 
Wenn  man  diese   Figur    allmählich    vom  Auge    abrückt;    so    wird    den 
Astigmatikern  schliesslich  nur  noch  ein  Strahl  deutlich  erscheinen:  der- 
jenige nämlich;  welcher  durch  den  gleich- 
sam  weitsichtigsten    (schwachbrechend- 
sten) Meridian  des  Auges  gesehen  wird; 
ein    anderer,  meist    um    circa    90   Grad 
von  ihm  entfernter;  am  verschwommen- 
sten.    Um  nicht  zu  weit  mit  der  Figur 
abgehen  zu  müssen,   kann  man  Emine- 
tropen    und  Hyperopen    durch  Vorlage 
eines   stärkeren   Convexglases   hei    dem 
Versuch  künstlich  myopisch  machen.    Die  Richtung  der  beiden  Linien 
deutet    die  Lage    der  Hauptmeridiane    an.     Und  zwar  ist  der  Augen- 
meridian; welcher  senkrecht  auf  der  Richtung  der  am  weitesten  scharf 
gesehenen  Linie  steht,  der  schwächstbrechende  (resp. 
bei  Hyperopie  bestbrechende).  Zum  Scharfsehen  dieser 
Linien  ist  es  nämlich  erforderlich,   dass  vorzugsweise 
ihre   Abgrenzung    gegen    die   Zwischenräume   deutlich 
hervortritt.  Die  Lichtstrahlen,  welche  von  den  Punkten 
(a  und  b,  Figur  55)  der  Linienränder  ausgehen,  dürfen 
nach  dem  Zwischenräume  hin  keine  Zerstreuungskreise 
zeigen.     Dies  ist  aber  nur  möglich,    wenn  in   dem  Augenmeridian  ab 
scharfe  Brechung  erfolgt.  -  -  Nachdem  so  die  Hauptmeridiane  festge- 
stellt   sind,    hält    man    einen   stenopäischen  Spalt  erst  in  der  Richtung 
des  einen  und  dann  in  der  Richtung  des  anderen  vor  und  bestimmt  in 
gewöhnlicher  Weise  die  Refraction  derselben. 

Von  anderen  Methoden  seien  noch  folgende  erwähnt. 

Stokes  eonstruirte  eine  Linse,  die  aus  zwei  cylindrischen  Gläsern  (con- 
vex.  Vio  und  concav  Vin)  besteht,  welche,  mit  den  planen  Flächen  sich  berührend, 
in  einem  Geßtell  um  einander  gedreht  werden  können.  Sind  ihre  Achsen  parallel, 
so  hebt  sich  ihre  Wirkung  auf:  sind  sie  gekreuzt,  so  werden  sie  in  dem  einen 
Meridiane  wie  —  Vi o -  in  dem  darauf  senkrechten  wie  +  Vin  wirken.  Sie  können 
demnach  AsO  bis  As  1/5  durch  allmähliche  Drehung  corrigiren und  so  eine  Reihe 
von  Cylindergläsern  gleichsam  ersetzen.  I>a  aber  bei  den  Prüfungen  mit  der 
Stokes'schen  Linse  öfter  Uebercorrection  eines  Meridians  stattfindet,  so  sind 
einfache  cylindrische  Gläser  vorzuziehen.  Der  weitere  Uebelstand,  dass  sich  auch 
die  Lage  der  Achse  beständig  ändert,  ist  durch  eine  Modification  von  Snellen 
gehobeil  worden. 

Java!  hat  ein  eigenes  Instrument  construkt,  das  ans  einem  viereckigen, 
ausziehbaren  Kasten  besteht,  in  dessen  vorderer  Wand  zwei  Oeffnungen  mit 
Convexgläsern  sich  befinden.  Das  zu  untersuchende  Auge  sieht  durch  eine  der- 
selben nach  einem  Kreise,  in  dem  die  Radien  gezeichnet  sind.  I  >ie  Figur  wird 
so  weit  herausgerückt,   bis   nur  noch  eine   Linie  deutlich  erscheint.    Diese  steht 


Astigmatismus.  103 

senkrecht  auf  dein  Meridiane  der  schwächsten  Brechung.  Nun  werden  concav- 
cylindrische  Gläser  verschiedener  stärke,  die1  sieh  in  einem  drehbaren  Gestelle 
befinden,  mit  der  Achse  dem  Meridiane  der  schwächsten  Brechung  entsprechend, 
so  lange  vorgelegt.  Ins  dasjenige  gefunden  ist,  mit  dem  alle  anderen  Linien 
deutlich  gesehen  werden.  Inzwischen  sieht  auch  das  andere  Auive,  wie  bei  einem 
Stereoskop,  durch  die  zweite  Oeffnung  auf  einen  Kreis,  alter  ohne  Radien;  durch 
die  eintretende  Verschmelzung  zu  einem  stereoskopischen  Hilde  ist  die  gleich- 
bleibende Convergenz  der  Sehlinie  gesichert  und  damit  auch  die  Accommodation 
weniger  veränderlich.  — 

Schliesslich  seien  noch  die  Buchstaben  erwähnt,  die  aus  parallel  verlaufenden 
kleinen  schwarzen  Strichen  —  alter  bei  jedem  einzelnen  Buchstaben  in  verschie- 
dener Richtung  laufend  —  zusammengesetzt  sind  (Pray,  lleymann).  Je  nach- 
dem in  der  einen  oder  der  anderen  Richtung  der  Astigmatiker  besser  sieht,  wird 
er  auch  den  entsprechend  gebildeten  Buchstaben  leichter  erkennen. 

l>ei  allen  diesen  Prüfungen  sind  partielle  Cöntracturen  dos  Ciliar- 
muskels  oft  störend  und  verwirren  die  Resultate,  da  sie;  wie  erwähnt, 
eine  Verringerung  oder  selbst  Aufhebung  der  astigmatischen  Refractions- 
anomalie  bewirken  können.  Durch  Atropinisiren  lässt  sich  dieser  Uebel- 
stand  heben,  doch  ist  zu  beachten,  dass  die  ausgleichenden  Brillen, 
welche  man  jetzt  findet,  nach  Wiederherstellung  der  Accommodation 
von  dem  Patienten  oft  wieder  verworfen  werden.  Man  thut  daher  gut, 
den  Patienten,  ehe  man  ihm  das  cylindrische  Glas  verschreibt,  nach 
einiger  Zeit  noch  einmal  zu  untersuchen,  um  zu  sehen,  ob  das  früher 
bestimmte  dauernd  zusagt. 

Objectiv  lässt  sich  regelmässiger  Astigmatismus  dem  Grade  nach 
am  besten  und  schnellsten  durch  das  Javal-Schiötz'sche  Ophthalmo- 
meter (vgl.  S.  35)  bestimmen.  Aber  auch  mittels  des  Augenspiegels 
kann  man  ihn  diagnosticiren.  —  Höhere  Grade  treten  selbst  an  den  Spiegel- 
bildern der  Hornhaut  hervor;  z.  B.  ein  Fenster  erscheint  nach  einer 
Richtung  hin  vergrössert.  Besser  noch  lassen  sich  die  Kreise  des 
Keratoskops  benutzen. 

Nach  Javal  soll  der  Astigmatismus  der  Hyperopen  im  Alter  zu- 
nehmen, da  ihr  Cornealastigmatismus  in  der  Jugend  durch  entgegen- 
gesetzt wirkende  astigmatische  Krümmung  der  Krystalllinse  (mit  Hilfe 
des  AccommodationsmuskelsJ  zum  Theil  compensirt  zu  werden  pflegt. 
—  Letztere  Erklärung  trifft  auch  zu  für  den  bei  Emmetropen  und 
Jlyopen  nach  meiner  Erfahrung  gar  nicht  selten  erst  im  Alter  manifest 
werdenden  Astigmatismus,  welcher  eine  bis  dahin  nicht  vorhandene, 
aber  eben  durch  Cylindergiäser  corrigirbare  Sehschwäche  zu  Tage 
treten  lässt.     Letztere  giebt  öfter  zu  falschen  Diagnosen  Anlass! 

Bei  nur  geringen  Besserungen  der  Sehschärfe  durch  cylindrische 
<  Bläser  wird  man  in  der  Regel  von  ihrer  Verwendung  absehen:  sie  er- 
fordern eine  sehr  genaue  Achsenstellung,  um  nicht  Verschlechterung  des 
Sehens  oder  Verzerrungen  hervorzubringen.  Es  muss  daher  beim  Tragen 


104  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

jede  Verschiebung  des  Brillengestells  oder  der  Gläser  vermieden  werden. 
In  einer  gewissen  Zahl  von  Fällen  bieten  die  Cylindergläser  erheblichen 
Vortheil,  indem  sie  theils  das  Sehen  ganz  bedeutend  bessern,  theils 
asthenopische  Beschwerden  heben.  Uebrigens  erreichen  manche  Brillen- 
träger ancli  dadurch  eine  Correction  ihres  Astigmatismus,  dass  sie 
schräg  durch  ihre  sphärischen  Gläser  sehen,  wobei  letztere  als  sphä- 
risch-cylindrische  Gläser  wirken.  Zehender  macht  darauf  aufmerksam, 
dass  in  den  Fällen,  wo  kein  Astigmatismus  vorhanden  ist,  das  fortge- 
setzte Tragen  schiefstehender  sphärischer  Brillen-  oder  Pincenez-Gläser 
möglicher  Weise  zu  einem  dauernden  Linsen-Astigmatismus  führen 
könne,  wenn  derselbe  ursprünglich  auch  nur  zur  Correction  der  cylin- 
drisehen  Wirkung  der  schief  gestellten  Gläser  eingeleitet  wurde. 


4.  Anisometropie. 

(ä  privativum.     löofiSTQog  gleichmässig.     coip  Gesicht.) 
Verschiedene  Refraction  beider  Augen. 

Wenn  auch  meist  die  Refraction  beider  Augen  eine  gleiche  ist,  so 
sind  doch  mehr  oder  weniger  starke  Differenzen  gar  nicht  selten.  Einer- 
seits ist  der  Grad  der  Ametropie  auf  beiden  Augen  verschieden, 
andererseits  kommen  die  bezüglichen  Combinationen  zwischen  emme- 
tropischen,  myopischen,  hypermetropischen  und  astigmatischen  Augen 
vor.  In  all  diesen  Fällen  wird  ein  in  bestimmter  Entfernung  befindlicher 
Gegenstand  nur  auf  der  Netzhaut  eines  Auges  ein  scharfes  Bild  ent- 
werfen, auf  der  des  anderen  in  Zerstreuungskreisen  sich  darstellen. 
Doppelseitige  scharfe  Netzhautbilder  könnten  allein  zustande  kommen, 
wenn  durch  eine  auf  beiden  Augen  verschiedene  und  der  Refraction 
des  einzelnen  Auges  entsprechende  Contraction  des  M.  ciliaris  die 
correcte  Einstellung  bewirkt  würde.  Da  aber  die  Erfahrung  zeigt,  dass 
der  Accommodationsimpuls  in  der  Regel  mit  gleicher  Stärke  beide 
Augen  trifft  (Hess,  Greeff),  so  können  wir  von  dieser  Möglichkeit 
hier  absehen. 

In  Folge  der  Verschiedenheit  beider  Netzhautbilder  kann  sieh  ein 
Verlust  des  binocularen  Sehens  zeigen  und  zwar  so,  dass  bald  das 
eine,  bald  das  andere  Auge  zum  Sehen  benutzt  wird,  oder  in  der  Weise, 
dass  ein  Auge  beständig  ausgeschlossen  wird.  In  letzterem  Falle  pflegt 
das  ausgeschlossene  Auge  meist  eine  hochgradige  Sehse.hwäche  oder 
hochgradige  Refractionsanomalie  zu  haben.  Wird  ein  Gegenstand  fixirt, 
so  zeigt  alsdann  das  vom  Sehen  ausgeschlossene  Auge  in  der  Regel 
keine  vollkommen    exaete    Einstellung  seiner   Blicklinie;    öfter   besteht 


Anisometropie.  105 

ein  ausgesprochenes  und  deutliches  Abweichen  (Strabismus  divergens 
oder  convergens).  Auch  in  den  Fällen,  wo  die  Augen  abwechselnd 
zum  Seilen  benutzt  werden,  etwa  das  emmetropische  Auge  für  das  Sehen 
in  die  Ferne,  das  myopische  Auge  für  das  Sehen  in  die  Nähe,  weicht 
meist  das  ausgeschlossene  Auge  mit  seiner  ßäicklinie;  \<>ni  jeweiligen 
Fixationspunkt  ab.  Es  ist  Regel,  seihst  ohne  deutliches  Abweichen 
eines  Auges,  dass  bei  hohen  Graden  der  Anisometropie,  z.  B.  wenn 
ein  Auge  staroperirt  ist,  das  exaete  „Körperlichsehen",  wie  es  dureb 
den  Hering' sehen  Fallversuch  etc.  (siehe  unten)  erwiesen  wird,  fehlt, 
während  ein  binoculares  Sehen,  im  Stereoskop  und  durch  Prismen  er- 
wiesen, noch  vorhanden  sein  kann.  Bei  geringen  Graden  von  Aniso- 
metropie hingegen  besteht  meist  normales  Körperlichsehen  (cf.  das 
Kapitel  binoculares  und  körperliches  Sehen). 

Therapie.  Die  Behandlung  der  Anisometropie  wird  bei  fehlendem 
binocularen  Sehact  die  Herstellung-  desselben  zu  erzielen  suchen,  indem 
das  schlechter  sehende  Äuge  eventuell  mit  dem  entsprechenden  Glase, 
bei  Verschluss  des  anderen,  Separatübungen  im  Sehen  anstellt,  und 
dann,  mittels  des  Stereoskopes  Uebungen  im  Verschmelzen  der  stereo- 
skopischen Vorlagen  gemacht  werden.  Diese  Uebungen  sind  in  ähn- 
licher Art  auszuführen,  wie  sie  bei  der  Therapie  des  Schielens  genauer 
beschrieben  werden  sollen. 

In  einer  Reihe  von  Fällen  hochgradiger  Anisometropie  ist  aber 
nicht  einmal  der  binoculare  Sehact  zu  erreichen,  wie  viel  weniger  ein 
correctes  Körperlichsehen. 

ImUebrigen  muss  nach  den  bei  den  Refractionsanomalien  gegebenen 
Regeln  die  erforderliche  Correction  mit  Gläsern  gemacht  werden.  Meist 
ist  es  für  das  Sehen  des  Patienten  angenehmer,  ein  gleich  starkes 
Glas  vor  beiden  Augen  zu  tragen.  Man  corrigirt  dann  das  Auge,  welches 
die  geringste  Refractionsanomalie  zeigt,  vorausgesetzt,  dass  es  eine  ent- 
sprechende Sehschärfe  hat.  Daraus  ergiebt  sich,  dass  in  den  Fällen, 
wo  ein  Auge  emmetropisch  ist,  in  der  Regel  keine  Brille  für  die  Ferne 
gegeben  wird.  Hat  das  besser  sehende  Auge  aber  die  grössere  Re- 
fractionsanomalie, ist  es  beispielsweise  am  meisten  kurzsichtig,  so  wird 
dieses  mit  dem  entsprechenden  Glase  versehen,  dem  anderen  aber  das 
seinem  Refractionsgrade  entsprechende  schwächere  gegeben. 

Die  Correction  beider,  mit  gleicher  oder  annähernd  gleicher  Seh- 
schärfe ausgestatteten  Augen  durch  die  ihre  besondere  Refractions- 
anomalie ausgleichenden  Gläser  hat  meist  keinen  besonderen  Vortheil, 
da  trotz  Verlegung  des  Fernpunktes  beider  Augen  in  die  Unendlichkeit 
doch  für  nähergelegene  Dinge  keine  doppelseitige  exaete  Einstellung 
erfolgt,  weil  die  relative  Accommodationsbreite,  wie  wir  gesehen,  sowohl 
bei  den  verschiedenen  Refractionsanomalien  als  auch  bei  stark  versekie- 


[06  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

denen  Graden  derselben  Refraction  eine  verschiedene  ist.    Der  für  beide 

Augen  in  der  Hegel  gleiche  Aecommodationsimpuls  wirkt  demnach  trotz 
der  Gleichheit  der  Accommodationsstrecke  (von  Unendhch  bis  zu  dem' 
Gegenstand,  auf  den  die  Sehachsen  convergiren)  in  beiden  Augen  ver- 
schieden. Man  wird  aber  gut  thun,  sich  auch  hier  nach  dem  individuellen 
Behagen  der  Anisometropen  zu  richten.  Die  oft  ausgesprochene  Be- 
fürchtung mancher  Patienten,  die  im  Uebrigen  mit  ihrer,  nur  ein  Auge 
genau  corrigirenden  Brille  ganz  zufrieden  sind,  dass  ohne  entsprechende 
Correction  des  anderen  Auges  ein  Ausschluss  desselben  vom  Sehact  er- 
folgen werde,  kann  ihnen  genommen  werden,  indem  man  mit  ihnen  die 
oben  erwähnten  Versuche  zur  Feststellung  des  binocularen  Sehactes 
macht.  Stellt  sich  hierbei  etwa  das  Fehlen  desselben  heraus,  so  muss 
man  den  Versuch  mit  den  entsprechend  corrigirenden  Gläsern  anstellen, 
—  meist  werden  letztere  allein  ihn  alsdann  auch  nicht  erzwingen. 


5.  Presbyopie. 

Wenn  in  Folge  zunehmenden  Alters  die  Accommodationsbreite  sich 
so  verringert  hat,  dass  der  Nahepunkt  über  22  cm  (früher  8  Zoll)  hin- 
ausgerückt ist,  so  pflegt  man  nach  Donders'  Vorgang  den  Beginn 
der  Presbyopie  anzunehmen.  Wie  oben  ausgeführt,  liegt  beim  Emme- 
tropen  nach  dem  40.  Lebensjahre  der  Nahepunkt  in  22  cm;  jedoch 
kommen  erhebliche  individuelle  Schwankungen  vor.  Hypermetropen 
werden  früher  presbyopisch,  Myopen  je  nach  ihrem  Grade  später  oder 
garnicht.  Ein  Myop  6-0  beispielweise,  dessen  Fernpunkt  in  J  |;  m  = 
16-6  cm  liegt,  kann  selbst  bei  Verlust  seiner  ganzen  Accommodations- 
breite in  dem  angegebenen   Sinne  nicht  presbyopisch  werden. 

Mit  zunehmendem  Alter  pflegen  übrigens  auch  andere  objeetiv  wahr- 
nehmbare Veränderungen  am  Auge  vorzugehen:  die  vordere  Kammer 
wird  flacher;  die  Iris  weniger  beweglich,  matter  in  der  Farbe;  die  Pupille 
enger  und  träger  reagirend;  die  Augenmedien  verlieren '  an  Durch- 
sichtigkeit. 

Die  durch  das  1  linausrücken  des  Nahepunktes  veranlassten  Be- 
schwerden bestehen  darin,  dass  kleine  Gegenstände,  welche  eine 
grössere  Annäherung  erfordern,  nicht  mehr  erkannt  werden  und  dass 
selbst  gewöhnlicher  Druck  auf  die  Dauer  nicht  gelesen  werden  kann. 
Besonders  bei  künstlicher  Beleuchtung  tritt  dies  hervor;  die  Presbyopen 
suchen  dann  eine  recht  helle  Beleuchtung  auf,  bei  der  die  unscharfen 
Netzhautbilder  stärker  beleuchtet  werden  und  vor  Allem  durch  Verengung 
dry  Pupille  eine  grössere  Schärfe  der  Bilder  eintritt.  Bei  Tage  halten 
sie   Schrift   und   Druck    möglichst  weit  vom  Auge   al>.     Zu   einer  eigent- 


Presbyopie.  107 

liehen  Asthenopie,  wie  bei  jugendlichen  Hyperopen,  kommt  es  in  der 
Regel  nicht;  indem  einerseits  die  Nähe-Arbeit  nicht  forcirt  wird,  anderer- 
seits die  Erfahrung,  dass  im  Alter  die  meisten  Menschen  Convexbrillen 
zum  Lesen  nöthig  haben,  sie  bald  zu  diesem  Auskunftsmittel  führt. 
Uebrigens  kann  nach  starker  Ueberanstrengirng  di^v  Aecominodation  bei 
Presbyopen  plötzlich  eine  derartige  Schwäche  des  Auges  eintreten,  dass 
die  Nahe-Arbeit  vollständig  unmöglich  wird.  Ich  habe  Fälle  beobachtet, 
die  hierdurch  fast  den  Eindruck  einer  Accornmodationslähmung  machten, 
aber  nach  einigen  Tagen  der  Ruhe  zurückgingen. 

Die  symptomatische  Therapie  der  Presbyopie  besteht  in  der  Ver- 
wendung einer  angemessenen  Convexbrille,  die  natürlich  mit  zunehmenden 
Jahren  allmählich  stärker  gewählt  werden  muss.  Als  allgemeine  Regel 
gilt,  dass  das  Glas  den  Nahepunkt  wieder  auf  22  cm  verlegt,  was  beim 
Emmetropen  einer  Aeeommodationsbreite  (a)  von  4-5  entspricht.  Wenn 
demnach  nach  Donders'  Zusammenstellung  (s.  S.  54)  im  45.  Jahr  a 
=  3-5  ist,  so  würde  die  entsprechende  Convexbrille  eines  Emmetropen 
=  1-0  sein  (4-5— 3-5);  im  50.  Jahre  =  2-0  (4-5—2.5). 

Ein  Myop  von  I/O  würde  im  45  Jahre  bei  a  =  3*5  noch  keine  Brille  gebrau- 
chen,  da   sein  Nahepunkt  noch   in  22  cm  liegt.     Bei    einem   Fernpunkt   von  1  m 

M  1*0    und  einer  a  von  3-5  (Brennweite  -^r  m)   berechnet   sich   der   Nahepunkt 

.)■.> 

nach  der  Accommodationsf ormel  (a  =  p  —  r)  folgendermaassen:  p  =  a-|-r  =  3,5  + 
1-0  =  4-5.  Die  Brechkraft  der  Linse,  deren  Brennweite  der  Entfernung  des  Nahe- 
punktes vom  Auge  entsprechen  würde,  ist  also  4-5  I).  die  Lage  des  Nahepunktes 

demnach     -.  -  m  =  22  cm.     Im  50.  Lebensjahre,  wo  a  auf  2-5  herabgesunken  ist, 
4-o 

würde  der  Myop  1/0  eines  C'onvesglases   bedürfen,    da    er    ohne    dieses  nur  eine 

Accommodationsleistung  seiner  Krystalllinse  machen  könnte,  welche  =  l'O  +  2-5  = 

3-5  wäre.    Beim  Hyperopen    stellt    sich  die  Sache  anders:    ein   H  1/0   müsste   im 

45.  Jahre  schon  ein  Convexglas  2-0  haben,  denn  sein  Nahepunkt  liegt  (nach  p  = 

3'5  +  ( — 1'0)=  2-5)  schon  in  — -  m  Entfernung:  um  ihn  auf  -t-=-  m    zu    bringen, 
1  2-5  4';> 

bedarf  er  eines  Convexglases  2*0  D. 

Da  aber  individuelle  Schwankungen  vorkommen,  so  wird  man  immer 
durch  Vorlegen  des  betreffenden  Glases  erst  feststellen,  ob  wirklich  mit 
dem  Convexglase  kleinste  Schrift  in  22  cm  gelesen  werden  kann.  Doch 
ist  durchaus  nicht  allen  Patienten  eine.,  in  dieser  Weise  bestimmte  Brille 
angenehm.  Sie  haben  sich  daran  gewöhnt,  die  Schrift  weiter  hinauszu- 
halten und  sind  deshalb  in  der  Regel  von  einem  schwächeren  Glase 
mehr  befriedigt.  Besonders  bei  dem  Aussuchen  der  ersten  Brille  wird 
man  dies  berücksichtigen  müssen.  Ebenso  im  hohen  Alter.  Ein  fi'mf- 
undsiebzigj ähriger  Emmetrop  hat,  da  im  höheren  Alter  auch  der  Fern- 
punkt hmausrückt.  eine  H  1-75  erworben  bei  a  =  0.    Derselbe  müsste 


Ins  Anomalien  der  Refraction  and  Accommodation. 

uiu  sich  auf  22  cm  einzustellen,  ein  ( !onvexglas  1  •75  +  4-5  =  b-2ö  halten. 
AIkt  einerseits  wird  er  die  Schwere  und  die  Vergrösserung  des  Glases 
unangenehm  empfinden,  andererseits  aber  kann  er,  bei  seiner  fehlenden 
Accommodation,  mit  diesem  (Hase  auch  nur  gerade  in  22  cm  sehen, 
während  er  gewöhnlichen  Druck  noch  bis  etwa  36  cm  bequem  lesen  könnte. 
Ein  schwächeres  Glas  (2 -75 (Brennweite  circa  36  cm]  +  175  =  4-50) 
wird  ihm  daher  angenehmer  sein.  Aber  weiter  ist  zu  bedenken,  dass 
durch  stärkere  Convexgläser  das  Gebiet,  in  dem  deutlich  gesehen  werden 
kann,  erheblich  beschränkt  und  angenähert  wird,  da  ja  natürlich  auch 
der  Fernpunkt  unter  dem  Glase  heranrückt.  Wenn  beispielsweise  ein 
Sechzigjähriger,  der  früher  Emmetrop  war,  jetzt  Hyperop  0-5  geworden 
ist  und  a  =  1-0  hat,  so  würde  die  Brille  [4-5 — 1-0]  3-5 +  0-5  =  4-0  seinen 
Nahepunkt  auf  22  cm  legen;  bei  Erschlaffung  seiner  Accommodation 
könnte  er  aber  mit  diesem  Glase  nur  bis  28-5  cm  sehen.  Seine  Ueber- 
sichtigkeit  0-5  wird  nämlich  durch  das -vorgelegte  Convexglas  4-0  um 
3-5  übercorrigirt,  d.  h.  mit  anderen  Worten:  er  ist  Myop  3-5  geworden 

und  sein  Auge  demnach  im  Ruhezustande  auf  =-=■ m  eingerichtet.    Alles, 
°  3-ö  ° 

was  jenseits  davon  liegt,  ist  ihm  mit  dem  Convexglase  undeutlich. 
Daher  erklären  sich  auch  die  Klagen  derer,  die  eben  anfangen  Convex- 
gläser zu  benutzen,  dass  sie  beim  Aufblicken  Alles  verschwommen  sehen. 
Man  thut  gut,  ihnen  dies  vorher  zu  sagen  und  auseinanderzusetzen,  dass 
die  Brille  nur  für  die  Nähe  ist.  —  In  anderen  Fällen  wollen  die  Patienten 
nicht  zum  Lesen,  sondern  für  bestimmte,  in  grösserer  Entfernung  — 
etwa  ^  Meter  —  zu  leistende  Arbeiten  eine  Brille  haben;  die  Gläser- 
bestimmung muss  dementsprechend  erfolgen.  — 

Im  Allgemeinen  wird  man  den  Patienten  in  der  Wahl  des  Glases 
einigermaassen  nachgeben;  sollten  allerdings  bei  längerer  Arbeit  trotz 
der  gewählten  Brille  Beschwerden  eintreten,  so  ist  zu  einer  stärkereu 
Numer  überzugehen.  Bei  etwa  vorhandener  Sehschwäche  wird  eben- 
falls ein  schärferes  Glas  nöthig  sein,  da  alsdann  eine  grössere  Annäherung 
der  Objecto  erforderlich  ist. 

Auch  lässt  im  Laufe  des  Tages  die  Accommodationskraft  öfter  nach 
und  besonders  bei  Licht  ist  wegen  der  schlechteren  Beleuchtung  das 
Erkennen  resp.  Lesen  erschwert.  Hier  empfiehlt  es  sich,  verschiedene 
Brillen  zu  geben;  eine  schwächere  für  den  Tag  und  eine  stärkere  für 
den  Abend.  ( )ft  ist  eine  leichte  Bläuung  des  Glases  (etwa  No.  I  oder  II) 
nützlich.  Kurzsichtige  schwächeren  Grades,  die  später  Presbyopen  ge- 
worden sind,  bedienen  sich  zuweilen  der  sogenannten  Frank  lin'schen 
Brillen:  das  Glas  derselben  besteht  aus  einer  eoneav-gesehliffenen  oberen 
Hälfte  zum  Sehen  für  die  Ferne  und  einer  convex-geschlitienen  unteren 
für  die  Nähe.     Zehender  hat   für  Presbyopen  Gläser  empfohlen,  die 


A.ccommodationslähmung.  K  i;> 

oben  und  unten  geradlinig  und  nur  an  den  Seiten  abgerundet  sind;   es 
wird  hierdurch  < 
Rand  erleichtert. 


wird  hierdurch  das  Wegsehen  in  die  Ferne  über  den   oberen   geraden 


6.  Anomalien  der  Accommodation. 
I.   Accommodationsläkmvmg. 

Die  Accommodationslähmung  hat  eine  pathologische  Verringerung 
oder  vollständige  Aufhebung  der  normalen  Accommodationsbreite  zur 
Folge,  dadurch  bedingt,  dass  der  Nahepunkt  weiter  vom  Auge  abrückt. 
Nach  dem  Grade  der  Einschränkung  spricht  man  von  Accommodations- 
paralyse  oder  von  Accommodationsparese.  Letztere  unterscheidet 
sieh  vor  Allem  von  der  Presbyopie  dadurch,  dass  die  Accommo- 
dationsverringerung  nicht  dem  Alter  des  Patienten  entspricht.  Weiter 
pflegt  die  Presbyopie  sich  auch  allmählich  zu  entwickeln,  während  die 
Parese  sieh  meist  in  ziemlich  kurzer  Zeit  ausbildet;  erstere  trifft  beide 
Augen,  letztere  kann  auch  ein  Auge  allein  befallen.  In  der  Weite  der 
Pupille  rinden  sich  ebenfalls  gelegentlich  Unterschiede,  indem  sich  die 
Accommodationslähmung  öfter  --  nicht  immer  —  mit  Pupillenerweite- 
rung- |  Mydriasis)  verknüpft,  während  presbyopische  Augen  meist  engere 
Pupillen  zeigen. 

Zur  Diagnose  der  Accommodationslähmung  ist  stets  die  Feststellung 
der  Aeeoniniodationsbreite  erforderlich  und  der  Vergleich  des  gefun- 
denen Werthes  mit  dem,  welcher  physiologiseher  Weise  dem  Alter  des 
Patienten  entspricht. 

Es  ist  allerdings  hierbei  zu  beachten,  dass  Schwäehezustände,  wie 
sie  nach  schweren  Erkrankungen,  bei  Anämie  und  Chlorose  eintreten, 
auch  eine  gewisse  Verringerung  der  Aeeoniniodationsbreite  hervorrufen 
können,  die  nicht  als  Accommodationsparese  aufzufassen  ist.  Wenn 
Jemand  nach  einer  schweren  Krankheit  nicht  dieselbe  Last  heben  kann 
wie  früher,  so  spricht  man  auch  nicht  von  einer  Lähmung  der  Muskeln. 
Es  handelt  sich  hierbei  nicht  nur.  wie  Mauthner  will,  um  eine  Ver- 
ringerung der  Energie  der  Muskeln,  sondern  um  wirkliche  Kraftherab- 
setzung;  bei  der  Accommodation  um  eine  entschiedene  Verringerung  der 
absoluten  Aeeoniniodationsbreite.  In  anderen  Fällen  allerdings  besteht  nur 
ein  Mangel  an  Ausdauer  in  der  Accommodationskraft,  der  zu  asthe- 
nopischen  Beschwerden  führt:  man  beobachtet  dies  öfter  bei  nervösen 
Individuen. 

Als  objeetives  Symptom  der  Paralyse  kann  die  Profilbetrachtung  der 
Iris  benutzt  werden:  es  fehlen  hier,  wenn  man  seitwärts  iu  die  vordere 
Kammer    blickt,    das    unter    normalen    Verhältnissen    bei    der    Accom- 


1 10  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

modation  erkennbare  Hervortreten  der  Regenbogenhaut  und  die  Ab- 
flachung  der  vorderen  Kammer  (Völckers).  Der  bei  der  Accommo- 
dationslähmung afficirte  Muskel  ist  der  M.  ciliaris,  sein  Nerv  ein  Ciliaräst 

des   (  )eulomotorius. 

Beschwerden.  Die  Accommodationslähmung  ruft  nicht  nur  nach 
ihrer  Intensität,  sondern  auch  nach  dem  Refractionszustande  der  Augen 
mein-  oder  weniger  hochgradige  Beschwerden  hervor,  die  denen  der 
aecommodativen  Asthenopie  und  der  Presbyopie  in  einzelnen  Fällen 
gleichkommen.  Während  bei  Emmetropen  die  Klage  ist,  dass  das  Sehen 
in  der  Nähe  weniger  leicht  als  früher  von  statten  geht;  eventuell  ganz 
unmöglich  ist,  und  Hyperopen  selbst  in  der  Ferne  schlechter  sehen, 
findet  sich  der  Kurzsichtige  höheren  oder  selbst  mittleren  Grades 
weniger  belästigt.  Liegt  bei  diesem  z.  B.  der  Fernpunkt  in  25  cm, 
so  kann  er  doch  noch  —  vorausgesetzt,  dass  er  nicht  neutralisirende 
Concavgläser  trägt  —  lesen  und  sehreiben-,  selbst  bei  totaler  Accom- 
modationsparalyse  reicht  diese  Entfernung  für  die  meisten  Arbeiten  aus. 
Nur  Avird  es  dem  Patienten  auffallen,  dass  bei  noch  näherem  Heran- 
halten die  Gegenstände  undeutlich  werden. 

Wenn,  wie  häufig,  ein  Auge  allein  von  der  Lähmung  betroffen 
wird,  so  treten  diese  Symptome  weniger  klar  hervor;  meist  wird  eine 
gewisse  Unbequemlichkeit  mit  Verschwommensehen  bei  binocularer 
Fixation  angegeben.  Es  beruht  dies  darauf,  dass  ein  Auge  Zerstreu- 
ungskreise erhält,  während  das  andere  scharf  sieht.  Doch  kann  bei 
längerem  Bestehen  diese  Unbequemlichkeit svollkommen  verschwinden: 
die  Patienten  treten  dann  in  ähnliche  Verhältnisse,  wie  diejenigen,  in 
denen  sieh  Anisometropen  befinden. 

Bisweilen  wird  bei  Accommodationsparese  (ähnlieh  wie  naeh  Atro- 
pinisirung)  über  Mikropsie  geklagt:  die  Gegenstände  erseheinen 
kleiner.  Es  erklärt  sich  dies  daraus,  dass  die  scheinbare  Grösse  der 
Gegenstände  sowohl  nach  der  Grösse  der  Netzhautbilder,  als  auch  nach 
der  Entfernung,  in  der  sie  sich  unserer  Meinung  nach  befinden,  abge- 
schätzt wird. 

Wenn  ein  Gegenstand  in  1  m  Entfernung  ein  Netzhautbild  von  bestimmter 
Grösse  (a)  entwirft,  so  wird  dasselbe,  wenn  der  Gegenstand  bis  auf  Va  m  her- 
angerückt  ist,  doppelt  so  gross,  =  2a  werden.  Wir  halten  aber  dessen  ungeachtet 
(Ins  Object  nicht  für  doppelt  so  gross;  es  wird  eben  der  Effect  der  Annäherung 
mit  in  Rechnung  gezogen.  Auf  die  Schätzung  der  letzteren  hat  neben  der  Seh- 
achsenconvergenz  auch  die  zum  Scharfsehen  erforderliche  Accommodationsan- 
strengung  Einfiuss.  Wenn  bei  einer  Accommodationsparese  die  erforderliche 
Accommodationsanstrengung,  am  das  in  Im  befindliche  Object  zu  erkennen,  bei- 
spielsweise eben  so  gross  wird,  wie  sie  früher  bei  Accommodation  auf  i/2  m  war, 
ohne  dass  das  Netzhautbild  =2a  wird,  so  muss  dem  Patienten  das  Object,  das 
er  für  näherliegend  liält.  als  es  wirklich  ist.  kleiner  als  früher  erseheinen. 


Accommodationslähmung.  111 

Als  eine  nicht  seltene  Gomplication  wird,  wie  erwähnt,  Mydriasis 
beobachtet.  Dieselbe  hat  jedoch,  selbst  wenn  der  den  Sphincter  Iridis 
versorgende  Ast  dos  Oculomotorius  vollkommen  gelähmt  ist,  eine  ge- 
ringere Weite  als  nach  Atropinisirung.  Es  fehlt  die  Keaetion  auf  Licht- 
oder Accommodationsimpulse. 

In  seltenen  Füllen,  meistens  nur  dann,  wenn  die  Affection  schon 
sehr  lange  besteht,  kommt  allerdings  eine  excessive  Erweiterung  der 
Pupille  vor.  ähnlich  der.  wie  sie  auf  AtropineinwLrkung  eintritt. 

Die  Diagnose  der  Accommodationsparalyse  ist  durch  das  Fehlen 
jeder  Aeeommodation  gegeben:  es  kann  nur  im  Fernpunkte  deutlich 
gesehen  werden.  Findet  man  bei  der  Untersuchung-  nicht  eine  voll- 
ständige Aufhellung,  sondern  nur  eine  Verringerung  der  Accommodations- 
breite,  die  aber  ausgesprochen  kleiner  ist  als  die  in  dem  betreffenden 
Lebensalter  normale,  so  ist  Accommodationsparese  vorhanden.  Natür- 
lich sind  vorher  allgemeine  Schwächezustände  bei  der  Bemessung  der 
zu  erwartenden  Accommodationskraft,  wie  oben  hervorgehoben,  mit  zu 
berücksichtigen. 

Wenn  wir  bezüglich  der  Aetiologie  absehen  von  palpablen  Er- 
krankungen des  Centralnervensystems,  wie  Tumoren,  Apoplexien,  Scle- 
rosen  u.  dgl.,  oder  von  Affectionen,  die  den  Oculomotorius  während  seines 
Verlaufes  in  Mitleidenschaft  ziehen  können,  wie  Verletzungen,  Periosti- 
ten,  Geschwülsten  an  der  Basis  cranii  oder  in  der  Orbita,  so  bleiben 
noch  eine  Reihe  ursächlicher  Momente,  in  deren  Folge  besonders  häufig 
Aeeommodationsparalysen  hervortreten.  Es  sind  hier  vor  Allem  die 
Diphtheritis  des  Rachens  (Donders)  und  die  Syphilis  zu  nennen. 
Accommodationslähmung  kann  selbst  nach  sehr  leichten  Fällen  von 
Mandel-  oder  Rachendiphtheritis  auftreten.  Bisweilen  wurde  die  Krank- 
heit von  den  Eltern  vollständig  übersehen  und  erst  die  Sehstörungen 
veranlassten  eine  Consultation  des  Arztes.  Dieselben  zeigen  sich  inner- 
halb der  ersten  Tage  oder  Wochen  nach  Ablauf  der  Krankheit  und 
erreichen,  wie  ich  finde,  meist  in  einigen  Tagen  ihre  volle  Höhe.  Die 
Patienten  klagen  erst  über  „Flimmern"  beim  Lesen;  bald  ist  ihnen  das 
Erkennen  des  Druckes  unmöglich.  Jedoch  kommt  es  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  nicht  zu  einer  vollständigen  Accommodätionsparalyse,  son- 
dern es  bleibt  bei  einer  Parese.  In  der  Regel  sind  beide  Auge  be- 
troffen: Mydriasis  fehlt.  Da  überwiegend  Kinder  daran  erkranken,  so 
erklärt  es  sich,  dass  so  häufig  eine  hyperopische  Refraction  zur  Zeit 
der  Lähmung  nachweisbar  ist,  die  früher  latent  war. 

Die  Sehschärfe  ist  öfter  durch  corrigirbaren  Astigmatismus  herab- 
gesetzt, bisweilen  aber  auch,  ohne  dass  dieser  als  Grund  der  Schwach- 
sichtigkeit anzunehmen  ist  (Völckers,  Xagelj.  In  einem  von  mir 
beobachteten  Fall  schwand  die  Sehschwäche  (S  5/12/),  welche  mit  Hype r- 


\\-j  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

ämie  und  Verscbwommensein  des  Seimerveneintritts  verknüpft  war,  in 
einigen  Wochen  unter  Rückgang  des  abnormen  ophthalmoskopischen 
Befundes  vollständig.  Häufig  besteht  noch  eine  Lähmung  des  Gaumen- 
segels und  der  Sehlundmuskeln.  Ebenso  wird  Abducenslähmung  öfter 
beobachtet.  Auch  ein  früher  nicht  bestandener  Strabismus  convergens 
concomitans  hyperopicus  tritt  in  Folge  der  Accommodationsschwäche 
bei  einzelnen  Patienten  hervor  und  kann  spontanes  Doppeltsehen  her- 
beiführen. 

Bei  der  Syphilis  fällt  die  Aecommodationslähmung  in  ein  ver- 
hältnissmässig  spätes  Stadium.  Oft  sind  hier  alle  sonstigen  Erschei- 
nungen schon  Jahre  lang  geschwunden,  wenn  die  Lähmung  plötzlich 
von  Neuem  die  Erinnerung  an  das  fast  vergessene  Uebel  wachruft.  In 
der  Regel  ist  die  AfFection  einseitig  und  mit  Mydriasis  verknüpft.  — 

In  anderen  Fällen  liegt  deutlich  eine  rheumatische  Ursache  (plötz- 
licher Temperaturwechsel,  heftiger  Luftzug)  zu  Grunde.  Weiter  sollen 
auch  Accommodationsparesen  nach  Angina  tonsillaris  ohne  Diphtheritis 
vorkommen,  doch  ist  ein  Uebersehen  der  Diphtheritis  wahrscheinlicher. 
Nach  schweren  Allgemeinerkankungen ,  bei  Diabetes,  Herpes  Zoster 
ophthalmicus,  nach  Bleiintoxication,  Fleisch-  oder  Fischvergiftungen, 
in  Folge  von  Feuerarbeit  (Colsmann),  nach  Trigeminusneuralgien, 
Wunddiphtheritis  (Völckers),  nach  acutem  Magenkatarrh  (Leber), 
Influenza,  Contusionen  des  Augapfels  werden  sie  ebenfalls  be- 
obachtet. Auch  bei  sympathischer  Ophthalmie  zeigt  sich  bisweilen 
im  Beginn  ein  Hinausrücken  des  Nahepunktes;  dass  dies  nicht 
immer,  wie  behauptet  worden,  das  einleitende  Symptom  der  sympa- 
thischen Ophthalmie  ist,  haben  mich  eigene  Beobachtungen  gelehrt. 

Das  Hinausrücken  des  Nahepunktes  bei  Glaucom  dürfte  ebenso  wie 
die  von  mir  an  jüngeren  Individuen  nachgewiesenen  Accommodations- 
beschränkungen  bei  Zahnleiden  edier  auf  Drucksteigerung  im  Glaskörper 
zurückzuführen  sein;  es  wird  hierdurch  der  ausgiebigen  Erschlaffung 
der  Zonula  hindernd  entgegengetreten. 

Schliesslich  sei  noch  an  die  aecommodationslähmende  und  gleich- 
zeitig mydriatische  Wirkung  des  Atropins,  Scopolamins,  Duboisins  und 
ähnlicher  Mittel  erinnert. 

Die  Prognose  der  Aecommodationslähmung  ist,  wenn  sie  nach 
Diphtheritis  oder  schweren  sonstigen  Erkrankungen  oder  auch  nach 
Trauma  eingetreten,  im  Allgemcinen-'günstig.  Besonders  nach  Diphthe- 
ritis pflegt  sie  in  einigen  Wochen  oder  Monaten  regelmässig  vorüber- 
zugehen. Ungünstiger  ist  die  Vorhersage,  wenn  andere  ätiologische 
Momente  vorliegen.  So  kommt  eine  Heilung  syphilitischer  Accommo- 
dationslähmungen  kaum  je  zur  Beobachtung  (Alexander). 

Die   Therapie    muss    der  Ursache    entsprechend    gewählt  werden. 


Aceommodationskrampf.    Abnorme  Accommodationsspannung'.  H3 

Bei  Lähmungen  nach  Diphtheritis,  die  auch  spontan  heilen,  und  nach 
schweren  Erkrankungen  ist  roborirend  v.w  verfahren,  Wein,  Chinin,  Eisen 
zu  geben;  bei  Syphilis  Mercur  oder  Jodkali.  Letzteres  Mittel  findet 
auch  bei  manchen  anderen  Können  von  Accommodationslähmung  Ver- 
wendung. So  bei  den  durch  Knoehonaffectionen  bedingten.  Auch  bei 
länger  bestehenden  rheumatischen  Lähmungen  ist  es  indicirt;  im  Beginn 
dürfte  eine  Schwitzkur  (etwa  mit  Pilocarpin)  mehr  Erfolg  versprechen. 
Weiter  sind  Elektricität  und  Strychnininjectionen  empfohlen  worden. 
Oertlich  können  Heurteloup'sche  Blutentziehungen  in  der  Schläfe 
oder  ableitende  Salben  (Veratrinsalbe)  besonders  im"  Beginn  und  in 
Füllen,  wo  keine  Schwächezustände  vorliegen,  versucht  werden.  Auch 
Einträuferangen  von  Eserinlösungen  sind  angewandt  worden:  ich  habe 
mich  von  einem  Nutzen  bezüglich  der  Heilungsdauer  nicht  überzeugen 
können.  Prognostisch  haben  sie  insofern  eine  Bedeutung,  als  in  den 
Fallen,  wo  weder  Pupille  noch  Tensor  darauf  reagiren,  die  Aussichten 
auf  Heilung  gering  sind  (v.  Grraefe). 

Bei  doppelseitiger  Accommodationslähmung  giebt  man,  um  sym- 
ptomatischen Nutzen  zu  schaffen,  für  die  Arbeit  in  der  Nähe,  respec- 
tive  hei  Hyperopen  auch  für  die  Ferne  Convexbrillen.  Dieselben  sind 
natürlich  mit  der  Hebung  der  Accommodationskraft  immer  schwächer  zu 
nehmen.  Bei  einseitiger  Lähmung  ist,  wenn  das  andere  Auge  sehkräftig, 
hiervon  in  der  Begel  kein  Vortheil  zu  erwarten.  Meist  gewöhnen  sieb 
die  Patienten  nach  einiger  Zeit,  ähnlieh  wie  Anisonietropen,  an  die 
Ungleichheit  der  Bilder.  Auch  Eserineinträufelungen  können  insofern 
symptomatisch  wirken,  als  durch  Heranrücken  des  Fernpunktes  die 
Möglichkeit  des  Lesens  gegeben  wird;  aber  auch  sonst  bessert  sich 
während  der  Dauer  der  Wirkung  das  Sehen  durch  die  gleichzeitige 
starke  Pupillenverengerung. 

II.  Accommodationskraft.     Abnorme  Accommodationsspannung. 

Es  handelt  sich  hier  um  eine  Contraction  des  M.  ciliaris.  Die  Folge 
derselben  ist  ein  Heranrücken  des  Fernpunktes.  Ein  emmetropisches 
Auge  wird  demnach  kurzsichtig,  ein  bereits  kurzsichtiges  Auge  erwirbt 
eine  Myopie  höheren  Grades. 

Es  wird  mit  dem  Ausdruck  »Aceommodationskrampf  vielfach 
Missbrauch  getrieben.  Von  dem  eigentlichen  r Aceommodations- 
krampf" ist  die  „abnorme  Accommodationsspannung"  zu  unter- 
scheiden, welche,  ohne  als  -Krampf  im  sonst  üblichen  Wortsinne  auf- 
gefasst  werden  zu  können,  nicht  gar  selten  Myopie  vortäuscht  oder 
eine  bestehende  M.  vergrössert.  Den  diagnostisch  durchschlagenden 
Unterschied  finde  ich  darin,  dass  die  abnorme,  Myopie  vortäuschende 
Accommodationsspannung    bei    der    ophthalmoskopischen    Refractions- 

-  :hmidt-ßimpler.    7.  Auflage.  8 


114  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

bestimmung  schwindet,  was  heim  Accommodationskrampf  nicht  der  Fall 
ist.  Ferner  ist  bei  der  „abnormen  Accommodationsspannung"  (für  welche 
aber  bis  jetzt  der  Ausdruck  „Accommodationskrampf*  fast  überall  ge- 
brauchtwird) der  Nahepunkt  nicht  herangerückt,  was  beim  eigentlichen 
Accommodationskrampf  gelegentlich  nachweisbar  ist.  Auch  zeigt  letz- 
terer verhältnissmässig  häufiger  eine  Pupillenverengerung,  während  bei 
ersterer  eher  eine  Pupillenerweiterung  vorkommt. 

Accommodationskrampf.  Das  vollkommenste  Bild  des  Krampfes 
sehen  wir  nach  Einträufelungen  von  Physostigmin  (Eserin)  eintreten 
(Fräser  [1862]  und  Argyll  Robertson).  Hier  rückt  der  Fern-  und 
Nahepunkt  heran-  die  Einrichtung  auf  den  Nahepunkt  ist  oft  schmerz- 
haft. Neben  der  tonischen  Contraction  stellen  sich  nicht  selten  auch 
klonische  Krämpfe  in  Intervallen  ein  und  verändern  die  Resultate  in 
den  einzelnen  Nahe-  und  Fernpunktsbestimmungen.  Die  Objecte  er- 
scheinen, entgegengesetzt  wie  bei  dei\  Accommodationsläkrnung,  aus 
Gründen,  die  den  dort  entwickelten  analog  sind,  grösser  (Makrop sie). 
Mit  dem  Accommodationskrampf  verknüpft  sich  Miosis.  —  Dasselbe  be- 
wirken Muscarin  und  Pilocarpin.  Auch  von  subcutanen  Morphium- 
injectionen  hat  man  bisweilen  einen  gleichen  Effect  beobachtet  ( v.  Gr  a  et* e, 
H.  Lawson). 

Abgesehen  von  diesem  medicamentösen  Accommodationskrampf 
kommen  ähnliche  -  Fälle  selten  zur  Beobachtung.  Wir  diagnosticiren 
sie,  wenn  neben  der  Gläserbestimmung  auch  die  objective,  mit  dem 
Augenspiegel  unternommene  Refractionsbestimmung  eine  unzweideutige 
Annäherung  des  Fernpunktes  gezeigt  hatte,  die  nach  intensiver  Atro- 
pinisirung,  welche  den  Krampf  löst,  wieder  verschwunden  war.  Wenn 
der  ophthalmoskopischen  Refractionsbestimmung,  unter  der  sich,  wie 
Mauthner  zuerst  zeigte,  die  abnorme  Accommodationsspannung  löst, 
hier  ein  Hauptgewicht  für  die  differentielle  Diagnose  beizulegen  ist,  so 
müssen  andererseits  auch  die  Fehlerquellen,  denen  die  objective  Unter- 
suchung ausgesetzt  ist,  beachtet  werden.  So  bedarf  es  bisweilen  öfterer 
und  längerer  Untersuchung  und  Ermahnung,  um  die  Patienten  von  ihren 
Seit-  und  Fixationsbestrebuii^'en  abzuhalten,  die  natürlich  eine  Accom- 
modationsanspannung  veranlassen.  Ferner  ist  der  Unterschied  der 
Refraction  an  der  Macula  und  neben  der  Papille,  wo  in  der  Regel  die 
Refraction  ophthalmoskopisch  bestimmt  wird,  nicht  immer  gleichgültig 
(cfr.  auch  Ophthalmoskopie).  Die  durch  krampfhafte  Annäherung  des 
Fernpunktes  bedingte  Myopie  entwickelt  sich  meist  in  ziemlich  kurzer 
Zeit;  bisweilen  schwindet  sie  auch  wieder  schnell.  Ueberhaupt  ist  ein 
häufiges  Schwankell  der  Refraction  sehr  charakteristisch:  die  Patienten 
verwerfen  in  kurzen  Zeiträumen,  nicht  selten  noch  während  der  Unter- 
suchung, die  früher  gut  befundenen  Gläser  und  gehen  zu  stärkeren  oder 


Accoiumodationskrampf.    Abnorme  Acoommodationsspannung.  1  15 

schwächeren  über.  Auch  zeitweise  Herabsetzung  und  öfterer  Wechsel 
in  dem  Grade  der  Sehschärfe  wird  beobachtet,  ebenso  conccntrisehe 
Gesichtsfeldeinengimg.  Da  der  Nahepunkt  nicht  immer  heranrückt, 
so  ist  im  Allgemeinen  die  Aeeommodationsbreite  verringert.  Häufig  be- 
steht Miosis.  Mit  dem  Krampf  verknüpfen  sich  Sohmerzempfindung 
im  Auge  und  Ermüdung  beim  Arbeiten. 

Die  Aecommodationskrämpfe  sind  meist  tonischer  Art,  selten  klonischer. 
Letztere  wurden  von  Knies  bei  einem  Epileptiker  während  des  Anfalles 
mittels  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  festgestellt.  Liebreich 
beobachtete  Fälle,  bei  denen  sich  nur  bei  starker  Convergenz  der  Accom- 
modationskrampf  einstellte-,  ich  sah  einen  Fall,  wo  den  Accommodations- 
krampf  (bei  hyperopisekeni  Augenbau)  dauernder  Strabismus  eonvergens 
complicirte.  A'on  ätiologischen  Momenten  sind,  abgesehen  von 
Hysterie,  kleine  Verletzungen  (v.  G raefe),  zu  nennen,  wo  der  Spasmus 
öfter  als  Retlexneurose  von  sensiblen  Aesten  ausgeht;  Contusionen  des 
Bulbus  ^Berlin);  Neuralgien  und  Ueberanstrengung  der  Augen.  Die 
letzteren  Ursachen  können  in  anderen  Fällen  zur  einfachen  Accommo- 
dationsspannung  führen.  Auch  die  Conjimctivitis  sicca  wird  als  ätio- 
logisches Moment  erwähnt  (Samelsohn);  gleichzeitig  mit  Oedem  der 
Conjimctiva  sah  van  Millinger  einen  Fall.  Alfr.  Graefe  hat  Accom- 
modationsspasmus  bei  Blepharospasmus,  H.  Cohn  in  der  Hypnose  be- 
obachtet. 

Die  Dauer  des  Krampfes  ist  verschieden.  Der  nach  Traumen 
eintretende  geht  in  der  Regel  schnell  vorüber. 

Die  Therapie  besteht  vor  Allem  in  Einträufelung  von  Atropin, 
um  den  Ciliarniuskel  zu  entspannen.  Nicht  selten  ist  es  nöthig,  die 
Einträufelungen  mehrere  Monate  lang  fortzusetzen.  Um  den  durch  die 
künstliche  Pupillenerweiterung  übermässigen  Lichteinfall  zu  paralysiren, 
sind  alsdann  [blaue  oder  rauchgraue  Brillen  zu  tragen.  Bei  örtlichen 
Hyperämien  - —  etwa  der  Papilla  optica  oder  Chorioidea  —  oder  nach 
Traumen  können  künstliche  Blutegel  in  der  Schläfengegend  von  Nutzen 
sein.  In  anderen  Fällen,  der  Individualität  und  Aetiologie  entsprechend, 
werden  nervenstärkende  Mittel  —  unter  ihnen  sind  auch  Strychnin- 
injeetionen  (Nagel)  empfohlen  —  und  roborirendes  Verfahren  am  Platze 
sein.  Vor  allem  möge  der  Kranke,  so  viel  es  angeht,  auf  die  Arbeit 
in  der  Nähe  verzichten. 

Abnorme  Accommodationsspannung.  Sie  kami  bei  Hyper- 
merropen,  Emmetropen  und  Myopen  vorkommen.  Erstere  werden  emme- 
fropisch  oder  kurzsichtig,  die  Emmetropen  werden  kurzsichtig  und  die 
Myopen  zeigen  eine  Vermehrung  der  bereits  bestehenden  Myopie.  Bei 
der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  stellt  sich  aber  alsbald  —  wie 
nach  Atropinisirung  —  die  wahre  Refraction  heraus.     Alle  Symptome 

8* 


116  Anomalien  der  Refraction  und  Accommodation. 

eines  eigentlicheD  Krampfes  fehlen;  es  wäre  übrigens  eine  merkwürdige 
Air  von  Krampf;,  für  den  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  als 
Heilmittel  diente.  Auch  der  Vergleich  dieses  von  Vielen  als  „Accommo- 
dationskrampf  bezeichneten  Zustandes  mit  dem  Schreibkrampf  passt 
nicht.  Letzterer  zeigt  Erscheinungen,  die  auch  sonst  in  Krämpfen  vor- 
kommen: es  sind  ganze  Muskelgruppen  befallen,  meist  auch  solche,  die 
beim  Schreiben  unbetheiligt  sind,  weiter  folgen  Erschöpfung  und  Tremor. 
Endlich  hört  auch  nicht  der  Krampf  auf  in  dem  Moment,  wo  die  Feder 
fortgethan  wird.  Bei  der  abnormen  Aceommodationsspannung  aber  tritt 
der  normale  Zustand  ein  in  dem  Augenblick,  wo  die  Sehintention 
(—  wie  während  der  Augenspiegeluntersuchung  — )  aufhört.  Die 
Affeetion  wird  meist  doppelseitig,  öfter  aber  auch  einseitig  oder  in  ver- 
schiedener Stärke  an  beiden  Augen  beobachtet.  Sie  ist  aber  bei  weitem 
nicht  so  häufig,  als  es  nach  manchen  Untersuchungen  scheint,  bei  denen 
manRefraetionsabnahmen  von  weniger  als  1-0  nach  Atropinisirung  bereits 
als  Zeichen  eines  vorher  bestandenen  Accommodationskrampfes  aufge- 
fasst  hat.  Derartige  Refractionsherabsetzungen  nach  Atropin  liegen 
aber  durchaus  noch  innerhalb  der  physiologischen  Breite. 

Abnorme  Accommodationsspannungen  kommen  in  manchen  Fällen 
progressiver  Myopie  vor.  Auch  habe  ich  folgenden  Verlauf  öfter  be- 
obachtet. Kinder  werden  scheinbar  kurzsichtig;  man  findet  mittlere 
Myopie  durch  abnorme  Aceommodationsspannung,  nach  Atropinisirung 
leichte  Hyperopie.  Letztere  bleibt  bei  entsprechender  Behandlung 
längere  Zeit  bestehen.  Dann  entwickelt  sich  allmählich  wieder  Myopie. 
Nach  Jahren  hat  sich  endlich  Achsenmyopie  herausgebildet.  — 

Doch  darf  man  nicht  glauben,  dass  die  Weiterentwickelung  der 
Myopie  etwa  immer  oder  nur  überwiegend  häufig  mit  abnormer  Aceom- 
modationsspannung einhergeht. 

Bisweilen  sind  mit  letzterer  asthenopische  Beschwerden  verknüpft. 
<  )efter  ist  das  Auge  leicht  hyperämisch,  die  Papilla  optica  geröthet. 
Die  Pupille  ist  meist  etwas  erweitert.  Die  Accommodationsbreite  zeigt 
sieh  verringert,  da  nur  der  Fernpunkt  heranrückt.  Durch  die  für  die 
angebliche  Myopie  ungewöhnliche  Entfernung  des  p.  proximum  vom 
Auge  kann  man  oft  schon  bei  der  subjeetiven  Prüfung  des  Patienten 
die  scheinbare  Myopie  von  der  wirklichen  unterscheiden. 

1  >on  nächsten  Anlass  zur  abnormen  Aceommodationsspannung,  die 
Myopie  vortäuscht,  giebt  vorzugsweise  die  andauernde  Sehachsencon- 
vergenz.  Schon  normaler  Weise  rückt  mit  der  Sehachsenconvergenz 
der  Fernpunkt  (relativer  Fernpunkt)  heran.  Auch  findet  man  bei 
binocularer  Kefractionsbestimmung  mittels  Gläser  nicht  selten  einen 
geringeren  Grad  von  Myopie  (bis  2-0)  als  bei  der  üblichen  monocu- 
I.iren,    wo    das    eine    Äuge    verdeckt    und    damit   ein    anderer    Conver- 


Amblyopie  und  Amaurose.  117 

genzgrad  ermöglicht  wird.  Blendung  kann  ebenfalls  das  Leiden  ver- 
anlassen. 

Daneben  spielen  oft  konstitutionelle  Momente  mit,  so  Anämie, 
Nervosität,  Onanie.  Auch  Localaffectionen  des  Auges,  welche  die  Seb> 
krat't  herabsetzen,  gehören  hierher.  Im  Jugendlieben  Airer  und  besonders 
bei  leichten  Graden  der  Hypermetropie  und  höheren  Graden  der  Kurz- 
sichtigkeit ist  die  abnorme  Accommodationsspannung  am  häutigsten. 

Die  Therapie  besteht  in  energischer  und  fortgesetzter  Atropini- 
sirung,  während  deren  man  zum  Abhalten  des  Lichtes  blaue  oder  graue 
Schutzbrillen  tragen  lässt.  Am  besten  lässt  man  drei  bis  vier  Wochen 
lang  zweimal  täglich  Atropin  einträufeln  und  jede  Nahearbeit  meiden. 
Bisweilen  tritt  erst  nach  einiger  Zeit  der  Atropinisirung  die  vorher  mit 
dem  Augenspiegel  festgestellte  Refraetionsabnahme  ein.  Daneben  Robo- 
rantien  und  Aufenthalt  in  freier  Luft.  Antiphlogistische  Mittel,  abge- 
sehen vielleicht  von  kühlen  Bleiwasserumschlägen  gegen  bestehende 
Conjunctivitis  oder  Blepharitis,  sind  selten  erforderlieh. 

Da  aber  Neigung  zu  Recidiven  besteht,  so  wird  bei  der  später 
wieder  aufgenommenen  Beschäftigimg  möglichst  auf  Vermeidung  der 
in  der  Xahearbeit  liegenden  Schädlichkeiten  zu  sehen  sein,  eventuell 
wird  von  Zeit  zu  Zeit  die  Kur  wiederholt  werden  müssen. 


Drittes  Kapitel. 

Amblyopie  und  Amaurose. 

Die  Bezeichnungen  Amblyopie,  Schwaehsichtigkeit  (a[ißXvq,  stumpf 
roxp  Gesiebt)  und  Amaurose,  Blindheit  (dfiavQog  dunkel)  im  engeren 
Sinne  pflegen  wir  für  diejenigen  Störungen  des  Sehvermögens  zu  ge- 
brauchen, welche  weder  durch  dioptrische  Hindernisse  noch  durch  Er- 
krankungen  des  Auges  selbst  bedingt  sind.  Es  handelt  sich  demnach 
bezüglich  der  Amaurose  gewissermaassen  um  denselben  Zustand,  den 
Philipp  v.  Wälther  seiner  Zeit  so  definirte,  dass  der  Kranke  nichts 
sähe  und  der  Arzt  auch  nichts.  Doch  pflegen  wir  gewisse  Schwach- 
sichtigkeiten oder  Erblindungen  noch  hierher  zu  rechnen,  bei  denen  sich 
dennoch  später  ein  pathologischer  ophthalmoskopischer  Befund  heraus- 
stellt, nämlich  der  einer  Sehnervenatrophie.     Das  Fehlen  ausgeprägter 


118  Amblyopie  und  Amaurose. 

Veränderungen  im  Beginn  des  Leidens  lässt  jedoch  die  Einreihung  in 
die  Kategorie  der  Amblyopien  und  Amaurosen  gerechtfertigt  erscheinen. 
—  Es  handelt  sich  bei  ihnen  immer  um  Störungen,  die  Sehnerv,  Chiasma, 
Tractus  opticus  oder  die  cerebralen  Centren  treffen. 

1.  Diagnose. 

Bei  der  Prüfung  des  Sehvermögens  sind  folgende  Functionen  des- 
selben in  Betracht  zu  ziehen: 

1)  Das  centrale  Sehen  (Sc). 

Die  Macula  lutea  besitzt  die  grösste  Sehschärfe.  Wie  wir  dieselbe 
messen,  ist  in  dem  Abschnitt  über  Refraction  auseinandergesetzt. 

Die    Bestimmung    des    Grades    der    Sehschärfe    erfolgt    durch    die 

Formel  S  (V)  =  t=t,  wobei  d  die  Entfernung  ausdrückt,  in  der  Patient 

die  Proben  sieht  und  D  diejenige,  in  der  er  sie  sehen  soll.  Es  ist  hier- 
bei vorausgesetzt,  dass  etwaige  Refractionsanomalien  vorher  durch  die 
entsprechenden  Gläser  corrigirt  sind.  Die  Prüfung  wird  wie  die  der 
Refraction,  mit  der  sie  sich,  wie  wir  oben  gesehen,  unmittelbar  verknüpft, 
in  der  Regel  auf  eine  grössere  Entfernung  (etwa  5  m)  gemacht.  Ist  die 
Sehschwache  so  bedeutend,  dass  die  grösseren  Buchstaben  nicht  in 
dieser  Entfernung  erkannt  werden,  so  lässt  man  näher  herantreten. 

Die  in  den  Snellen'schen  Sehproben  angegebenen  Entfernungen 
drücken  ein  Durchschnittsmaass  aus,  da  die  physiologische  Sehschärfe 
sehr  breiten  Schwankungen  unterliegt.  So  ist  sie  nach  dem  Alter 
verschieden;  jugendliche  Individuen  haben  in  der  Regel  eine  höhere, 
seihst  über  vierfache  Sehschärfe,  wie  besonders  die  neueren  von  H. 
Colin  im  Freien  angestellten  Untersuchungen  ergaben.  Mit  den  Jahren 
nimmt  sie  in  ziemlich  gieichmässigem  Grade  ab:  während  sie  im  50.  Le- 
bensjahre noch  etwa  1  ist,  wird  sie  im  80.  =  4/G  (Boema  und  Walther). 
Uukultivirte  Völker  haben  durchschnittlich  eine  etwas  bessere  Seh- 
schärfe, jedoch  finden  sich  gleich  hohe  Sehschärfen  auch  bei  uns.  Be- 
sonderen Einnuss  hat  die  Beleuchtung.  Es  wird  vorausgesetzt,  dass 
die  Prüfung  bei  hellem  Tageslicht  stattfindet.  Um  sich  von  dem  Wechsel 
der  Tagesbeleuchtung  ( — nach  Cohn's  Untersuchungen  mit  dem  Leon- 
hard  Weber' sehen  Photometer  schwankte  im  Sommer  Nachmittags 
von  5  his  7  Uhr  die  Helligkeit  zwischen  19  bis  196  Meterkerzen  — ) 
unabhängig  zu  machen,  kann  man  eine  Lampe,  in  bestimmter  Entfer- 
nung von  den  Proben  gestellt,  benutzen,  oder  man  zieht  die  am  eigenen 
Auge  beobachtete  Verminderung  der  Sehschärfe,  wie  sie  bei  weniger 
guter  Tagesbeleuchtung  eintritt,  mit  in  Rechnung. 


Amblyopie  und  Amaurose.  119 

Worden  keine  Buchstaben  mehr  erkannt,  so  bestimmt  man,  in 
welcher  Entfernung  noch  Pinger  von  dem  Kranken  gezählt  werden. 
Der  Arzt  hält  sie  ausgespreizt  auf  dunklem  Hintergründe ,  etwa  auf 
seinem  Hocke.  -  Der  Kranke  ist  dabei  mit  dem  Rücken  dem  Fenster 
zugekehrt.  Das  Zählen  der  Finger  kann  normaler  Weise  in  ungefähr  60m 
erfolgen,  ist  aber  meist  entschieden  leichter  als  das  Erkennen  von 
Snellen  Nr.  LX,  welche  Probe  ebenfalls  in  60  m  erkannt  werden  soll. 

Worden  auch  in  nächster  Nähe  Finger  nickt  mehr  gezählt,  so  prüft 
man.  oh  Patient  unterscheidet,  dass  ihm  eine  oder  zwei  Hände  vorge- 
halten wurden.  Endlich,  wenn  auch  dies  versagt,  ob  er  noch  die  Be- 
wegung der  Hand  sieht  und  in  welcher  Entfernung.  Man  beachte  aber 
dabei,  dass,  wenn  man  sich  sehr  nahe  dem  Auge  befindet,  das  von  der 
Hand  reflectirte  Tageslicht  dem  Patienten  anzeigen  kann,  ob  die  Hand 
da  ist  oder  fortgenommen  wird. 

Die  bisherigen  Prüfungen  —  etwa  die  Prüfungen  mit  der  Hand 
ausgeschlossen  —  erstrecken  sich  auf  die  qualitative  Lichtempfin- 
dung  des  Patienten.  Die  Prüfung  einfacher  Lichtempfindung  (mit 
Lampe  u.  dgl.)  bezeichnet  man  als  quantitative.  Man  sieht,  ob  eine 
grossbrennende  Lampe,  ob  eine  mittelgross,  klein  oder  kleinst  brennende 
Ovo  nur  noch  mit  bläulichem  Licht  der  Rundbrenner  leuchtet)  erkannt 
wird.  Die  geringste  Sehfähigkeit  erfordert  das  Erkennen  des  Sonnen- 
lichtes. — 

Bei  einer  Eeilie  von  Patienten,  die  an  Blendungs-Erscheinungen  leiden,  ist 
es-  von  Wichtigkeit  auch  die  Sehschärfe  zu  bestimmen,  wenn  sie  das  Gesicht  dem 
Fenster  zugewandt  haben.  Man  cohstatirt  hier  oft  erhebliche  Herabsetzungen,  die 
sieh  in  der  Begel  verringern,  wenn  man  durch  nussschalenförmige  Brillen  mit  einer 
etwa  10  mm  grossen  centralen  Oeffnung,  welche  das  seitliche  Licht  abhalten, 
blicken  lässt.  Bei  diesem  Versuche  schliesst  man  den  von  mir  experimentell  nach 
gewiesenen,  eventuell  störenden  Einfluss  der  peripheren  diffusen  Netzhautbeleuch- 
fcung  auf  die  Wahrnehmung  des  macularen  Bildes  aus.  Therapeutisch  kann  man 
solchen  Kranken  dann  durch  dicht  anliegende,  ähnlich  construirte  Brillen  (Peri- 
pherie-Schutzbrillen), allerdings  mit  grösserer  centraler  Oeffnung  zur  Vermeidung 
einer  hinderlichen  Gesichtsfeldeinengung,  nicht  unwesentlichen  Nutzen  schaffen. 

2)  Das  periphere  Sehen. 
(Gesichtsfeld  und  excentrisches  Sehen.) 

Ausser  der  Macula  lutea  ist  auch  die  übrige  Netzhaut  bis  in  die 
ISähe  ihrer  äquatorialen  Zone  im  Stande  Lichteindrücke  zu  percipiren. 
Die  einfachste  Art  der  Prüfimg  des  peripheren  Gesichtsfeldes  geschieht, 
wie  in  der  Einleitung  ausgeführt,  so,  dass  man,  während  das  zu  unter- 
suchende Auge  central  einen  Gegenstand  flxirt,  feststellt,  wie  weit 
peripher  noch  Handbewegungen  gesehen  werden.  Bei  starken  Seh- 
störungen wird  eine  Lichtflamme  zu  diesen  Prüfungen  benutzt. 


120 


Amblyopie  und  Amaurose. 


Genauer  geschieht  die  Untersuchung  am  Perimeter  (Förster, 
Auliert).  Bier  (Figur  56)  befindet  sich  das  Auge  des  Patienten  im 
Centrum  (a)  eines  halben  Kreisbogens,  der  in  Winkelgrade  getheilt 
und  drehbar  ist.  Auf  diesem  Kreisbogen  wird  ein  weisses  Quadrat 
bezw.  eine  weisse  Kugel,  während  der  Nullpunkt  mit  dem  Auge  tixirt 
wird,  von  der  Peripherie  her  nach  dem  Centrum  geführt,  und  der  Mo- 
ment angegeben,  wo  selbige  eben  sichtbar  wird,  d.  h.  nicht  als  scharfe 
Kugel,  sondern  als  weisses  Object.  Hierauf  ist  der  zu  Untersuchende 
besonders  aufmerksam  zu  machen,  da  man,  falls  bis  zum  deutlichen 
Erkennen  der  Kugel  gewartet  wird,  nicht-vorhandene  Gesiehtsfeldein- 
engungen  erhält.     Auch  kommt  die  Grösse   der  Kugel,   bezw.    des  be- 


56. 

Perimeter  von  Förster. 


57. 

Perimeter  von  Sclierk 


nutzten  Quadrates  in  Betracht:  dieselbe  wird  meist  von  0,5 — 1-0  cm 
Ausdehnung  gewählt.  Je  grösser  das  Object,  um  so  weiter  erstreckt 
sich  die  periphere  Wahrnehmung.  Es  ist  daher  hei  jeder  Gesichts- 
feldbestimmung auch  die  Grösse  des  Probeobjectes  anzugeben.  Der 
auf  dem  Kreisbogen  angegebene  Winkelgrad  zeigt  uns  den  Gesichts- 
winkel, unter  dem  nach  dieser  Richtung  hin  noch  gesehen  wird. 

Am  Förster'schen  Perimeter  muss  der  Kreisbögen,  je  nachdem  man  das  Ge- 
sichtsfeld in  den  verschiedenen  Meridianen  prüfen  will,  entsprechend  gedreht 
werden.  Einfacher  ist  das'  Scherk'sche  Perimeter,  welches  aus  einer  in-f.sseren 
Ealbkugel  mit  Gradtheilung  besteht  (Figur  57).  Hier  benutzt  man.  während  «1er  Null- 
punkt tixirt  wird,  ebenfalls  eineweisse  Kugel,  die  aber  an  einem  gebogenen  Fischbein- 
stäbchen  befestigt  ist.  zur  Prüfung.  Indem  man  sich  mit  Kreide  die  (irenzen  in 
den  einzelnen  .Meridianen  bezeichnet,  erhält  man  sofort  ein  anschauliches  Bild  des 
Gesichtsfeldes.  Es  besteht  aber  der  Nachtheil,  dass  der  Untersucher  die  centrale 
Fixation  des  Kranken  nur  schwer  controllircn  kann.  Neuerdings  ist  eine  kleine 
Halbkugel  aus  durchsichtigem  Celluloid  construirt  worden  (Ascher's  Perimeter), 


Amblyopie  und  Amaurose. 


121 


die  der  Kranke  an  einem  Griff  sich  .selbst  vorhält,  während  das  Prüfungs- 
objeet  aussen  herumgeführt  wird:  leider  ist  das  Centrum  undurchsichtig,  sodass 
centrale  Skotome  sieh  in  der  erwähnten  Weise  nicht  feststellen  lassen.  Für  die 
Praxis  am  geeignetsten  erseheint  mir  das  Schw  eigger'sche  kleine  Perimeter,  das 
nur  aus  einem  drehbaren  Halbkreisreifen  besteht,  den  der  zn  Untersuchende  an 
einem  Handgriff  hält.  McHardy  hat  ein  reeh't  praktisches  selbstregistri- 
rendes  Perimeter  (ähnlich  dem  Förster'schen)  angegeben,  das  durch  Anschlagen 
des  hinter  dem  Fixationspunkte  auf  eine  kleine  Platte  gespannten  Gesicktsfeld- 
schemas  gegen  eine  scharfe  hervorragende  Spitze,  deren  Stellung  der  jeweiligen 
peripheren  Lage  des  Sehobjectes  entspricht,  das  Gesichtsfeld  sofort  einzeichnet. 

Zum  Aufzeichnen  benutzt  man  Gesiehtsfeldschemata,  welche  zwölf, 
denAugenmeridianen  entspreclicnde  Radion  zeigen,  in  deren  Richtung-  die 
(  rrenzen  des  ( J-esichtsfeldes  für g ewöbnlich  bestimmt  werden.  Man  hat  die 


IA 

Linkes  Auge. 


08. 


IA. 

Rechtes  Auge. 


Radien  Avie  Zeiger  einer  Uhr  (I  bis  XII)  bezeichnet.  Die  Ausdehnung  des 
Gesichtsfeldes  erstreckt  sich  nach  oben  (XII)  normaler  Weise  ca.  50  Grad, 
nach  unten  (VI)  70  Grad,  nasalwärts  60  Grad,  temporalwärts  85  Grad. 
In  dem  Gesichtsfeldschema  (Figur  58)  sind  die  Grenzen  eingezeichnet; 
ebenso  die  etwas  engeren  Grenzen  für  die  Erkennung  der  Farben 
(Prüfung  mit  Farbenquadraten  von  1  cm  Seitenlange).  Es  ist  beson- 
ders darauf  zu  achten,  dass  der  zu  Untersuchende  den  Nullpunkt 
dauernd  fixirt  und  nicht  der  sich  bewegenden  Kugel  mit  dem  Auge 
folgt.  Ferner  muss  derselbe  wiederholentlich  darauf  aufmerksam  ge- 
macht werden,  sofort  anzugeben,  wenn  er  das  Kommen  der  Kugel 
Avalirnimmt,  und  auch  darauf,  dass  er  eben  nur  das  Kommen,  nicht 
die  genaue  Form  derselben  zu  erkennen  braucht.  Wenn  man  dies 
nicht  beachtet  oder  die  Angaben  nicht  öfter  controlirt,  wird  man  nicht 


122  Amblyopie  und  Amaurose. 

allzu  selten  eoncentrische  Gesichtsfeldeinschränkung  fälschlich  diagno- 
sticiren.  Eine  Reihe  derartiger  Einschränkungen;  die  bei  Hysterischen 
gefunden  worden  sind,  beruhen  einfach  auf  Beobachtungsfehlern. 

Gleiches  gill  für  die  Feststellung  des  sogenannten  Ermüdungs- 
Phänomens,  das  man  besonders  bei  traumatischer  Neurose  häufig 
gesehen  haben  will.  Wenn  man  am  Perimeter  im  horizontalen  Meri- 
dian die  Kugel  erst  von  der  temporalen  »Seite  zur  nasalen  führt 
und  dann  gleich  darauf  von  der  nasalen  zur  temporalen  und  das  einige 
Zeit  tortsetzt,  so  kann  es  sieh  zeigen,  dass  in  Folge  von  „Ermüdung" 
die  peripheren  Grenzen,  an  denen  die  Kugel  verschwindet,  immer 
enger  werden  und  so  schliesslich  bei  Perimetrirung  aller  Meridiane  eine 
Gesammtverengung  des  Gesichtsfeldes  eintritt  (Förster,  Wilbrand). 
Aber  es  handelt  sich  in  der  Regel  hierbei  nur  um  ein  Einschlafen  der 
Aufmerksamkeit:  wenn  man  die  Untersuchenden  energisch  auffordert 
aufzupassen,  erweitert  sich  das  Gesichtsfeld  sofort. 

Noch  sei  hervorgehoben,  dass  wenn  man  das  Gesichtsfeld  nach  oben 
prüft,  das  obere  Lid  etwas  gehoben  werden  muss,  da  es  sonst  leicht 
Lichtstrahlen  abhält;  bei  der  Prüfung  des  nasalen.  Gesichtsfeldes  dreht 
der  Patient  den  Kopf  etwas  nach  der  Seite  des  entgegengesetzten 
Auges,  um  die  Hindernisse,  welche  eine  mehr  oder  weniger  hervor- 
ragende Nase  dem  peripheren  Sehen  setzt,  auszuschliessen. 

Man  hat  an  Stelle  der  Fixation  des  Nullpunktes  mit  der  Macula 
lutea,  wie  sie  hier  angegeben,  auch  den  blinden  (Mariotte'schen) 
Fleck  (Papilla  optica)  als  Centrum  des  Gesichtsfeldes  angenommen.    Da 

derselbe  meist  circa  15  Grad  temporal- 
wärts  liegt  —  bei  Hyperopie  etwas  weiter, 
bei  Myopie  ohne  Conus  etwas  näher 
(Schleich)  — ,  so  Hess  man  die  Macula 
lutea  auf  eine  15  Grad  nasalwärts  vom 
Nullpunkt  im  horizontalen  Meridian  ge- 
legene Fixirmarke  einstellen.  Doch  ist 
diese  Methode,  zumal  die  Lage  des  blin- 
den Fleckes  bei  den  verschiedenen  In- 
dividuen durchaus  nicht  genau  überein- 
stimmt, jetzt  ziemlich  allgemein  aufge- 
geben. 
Audi  durch  Protection  des  Gesichtsfeldes  auf  eine  senkrecht 
stehende  Wandtafel  ( <  !a  m  p  im  eter)  oder  einen  PapierbogenJJkann  man 
ausreichende  Feststellungen  machen.  Indem  das  Auge  in  der  Mitte 
einen  Punkt  fixirt,  wird  mit  der  weissen  Kugel  oder  Aehnliehem  die 
Grenze  des  Sehens  und  ihre  Entfernung  vom  Fixationspunkt  in  Centi- 
metern  gemessen  eruirt    Doch  ist  hier  immer  auch  die  Entfernung, 


Amblyopie  und  Amaurose.  123 

in  der  das  Auge  sich  vom  Fixationspunkte  befindet,  anzugeben, 
da  mit  Zunahme  der  Entfernung  auch  das  Gesichtsfeld  wächst.  Dies 
zeigt  Figur  5!*.  a  und  ß  seien  diejenigen  peripher  gelegenen  Netzhaut- 
punkte, welche  im  Auge  A  eben  noch  pereipiren;  weiter  nach  vorn 
befindliche  vermitteln  keinen  Lichteindruck.  Bei  Fixation  des  in  der 
Entfernung  Ac  gelegenen  Punktes  c  werden  danach  a  und  b  die 
äussersten  wahrnehmbaren  Punkte  des  entsprechenden  Gesichtsfeldes 
sein.  Wird  hingegen  Punkt  c1;  in  der  Entfernung  Ac,  gelegen,  fixirt, 
so  sind  die  Punkte  a,  und  bj  diejenigen,  welche  auf  a  und  ß  ihr  Bild 
werfen:  das  Gesichtsfeld  ist  demnach  für  diese  grössere  Entfernung  auch 
erweitert.  Man  kann  die  campimetrischen  Messungen  in  verschiedenen 
Entfernungen  sehr  gut  benutzen,  um  sich  gegen  die  nicht  seltenen 
Simulationen  von  Gesichtsfeldeinengungen  zu  schützen,  da  die  Ausdeh- 
nung des  Gesichtsfeldes  immer  in  einem  richtigen  Verhältniss  zur 
Entfernung  des  Auges  vom  Fixationspunkte  stehen  muss. 

Nicht  nur  die  Grenzen  des  Gesichtsfeldes,  sowohl  was  die  Empfin- 
dung für  weiss  als  flu*  Farben  betrifft,  unterliegen  pathologischen 
Einengungen  (periphere  Gesichtsfelddefecte),  sondern  es  treten 
auch  innerhalb  der  Gesichtsfelder  selbst  öfter  umschriebene  Defecte  auf. 
Man  bezeichnet  dieselben  als  Skotome  und  spricht  von  centralen,  d.  h. 
im  Fixationspunkte  Hegenden,  von  paracentralen,  pericentralen  und  von 
peripheren  Skotomen.  Sie  heissen  absolute,  wenn  auch  weiss  in  ihnen 
nicht  wahrgenommen  wird,  relative,  wenn  nur  die  Farben  undeutlich 
werden.  Auch  hat  man  nach  der  Art,  wie  sie  dem  Patienten  zur  Er- 
scheinung kommen,  positive  und  negative  unterschieden  (Förster).  Bei 
den  positiven  Skotomen,  die  in  der  Regel  durch  materielle  Erkrank- 
ungen der  Retina  oder  Chorioidea  veranlasst  sind,  aber  auch  bei  Seh- 
nervenleiden vorkommen,  —  empfindet  der  Kranke  selbst  die  Lücke 
in  seinem  Gesichtsfelde,  er  weiss,  dass  z.  B.  bei  centralem  Skotom  der 
fixirte  Buchstabe  unsichtbar  ist,  während  der  nebenstehende  Buchstabe 
sichtbar  bleibt.  Bei  dem  negativen  Skotom  hingegen  kommt  der 
Defect  nicht  ohne  Weiteres  zu  seinem  Bewusstsein;  erst  durch  ein- 
gehendere Untersuchungen  wird  —  ähnlich  wie  beim  blinden  Fleck  — 
der  Ausfall  oder  die  Verschlechterung  des  Sehens  an  umschriebener 
Stelle  erwiesen.  Besonders  wichtig  für  gewisse  centrale  Skotome,  wie 
sie  in  Folge  von  Xeuritis  retrobulbaris  besonders  bei  der  Intoxications- 
Amblvopie  auftreten,  ist  die  Untersuchung  mit  grünen  und  rothen  farbigen 
Quadraten  (  ]9 — 1  ein2),  die  an  der  Stelle  des  Skotoms  Abschwächungen 
oder  Veränderungen  ihrer  Farbe  erfahren.  Roth  erscheint  dann  dunkler 
oder  auch  gelegentlich  gelblich,  grün  wird  grauweiss  u.  s.  f.  — 

Zur  Entdeckung  sehr  kleiner  Ausfälle  im  Gesichtsfelde  benutzt  man 
als  Perimeter-Objecte  kleinste  Scheiben  (bis  1  mm  Durchmesser  herab, 


124  Amblyopie  und  Amaurose. 

Bjerrum)  oder  einen  Papierbogen,  auf  den  man  zahlreiche  Tintenflecke 

neben  einem  centralen  Fixationskreuz  gemacht  hat.  Indem  der  Patient 
in  grosser  Nähe  ( 15  l>is  25  cm)  das  Kreuz  fixirt,  bezeichnet  man  mit  einer 
Feder  die  einzelnen  Tintenflecke,  welche  er  nicht  sieht,  und  constatirt 
so  den  Defect.  Intelligentere  Patienten  zeichnen  selbst  ihre  Skotome  ein. 
(»hm1  dass  Anomalien  in  der  Ausdehnung-  des  Gesichts- 
feldes bei  der  erwähnten  Prüfung  am  Perimeter  hervortreten,  können 
pathologische  Veränderungen  in  der  Weise  das  excentrisehe  Sehen  be- 
fallen, dass  sie  die  excentrisehe  Sehschärfe  (Se)  herabsetzen. 
Meist  begnügt  man  sich  hier  mit  gröberen  Prüfungen;  man  untersucht 
beispielsweise,  wie  weit  Patient  noch  peripher  Finger  zählen  kann  und 
vergleicht  dies  mit  dem  eigenen  normalen  excentrischen  Sehen.  Will 
man  genauere  Resultate,  so  benutzt  man  am  Perimeter  Sn eilen 'sehe 
Schriftproben  und  bestimmt,  bis  zu  welchem  Winkelgrade  unter  Ver- 
gleich mit  dem  excentrischen  Sehvermögen  eines  normalen  Auges  die- 
selben peripher  noch  entziffert  werden.  Doch  bedingt  hier  grössere 
oder  geringere  Uebung  bedeutende  Unterschiede.  Vossius  fand,  dass 
mit  Sn  eilen 'sehen  Buchstaben  (1,  i,  c)  S  =  l  nach  allen  Eichtungen  bis 
1°  um  den  Fixirpunkt  bestand.  Von  dort  nimmt  sie,  worin  die  Unter- 
suchungen übereinstimmen,  verhältnissmässig  schnell  ab,  besonders  nach 
oben  und  unten.  Uebrigens  ist  zu  erwägen,  dass  auch  bei  unseren 
üblichen  perimetrischen  Untersuchungen,  falls  kleine  Probeobjecte  be- 
nutzt werden,  nicht  immer  ein  wirklicher  Gesichtsfelddefect  die  Ursache 
der  gefundenen  peripheren  Gesichtsfeldeinengung  zu  sein  braucht:  es 
kann  sich  auch  hier  nur  um  eine  Herabsetzung  des  excentrischen  Sehens 
handeln.  Prüfimg  mit  grösseren  Objecten  erzielt  in  solchen  Fällen  ein 
freies  Gesichtsfeld. 

3)  Der  Lichtsinn. 

Bei  der  Bestimmung  des  Lichtsinns  sind  zwei  Functionen  zu  unter- 
scheiden: erstens,  bei  welchem  Minimum  von  Beleuchtung  eben  noch 
Schwarz  von  Weiss  (etwa  ein  weisses  Quadrat  auf  schwarzem  Grunde) 
unterschieden  wird  (Reizschwelle)  und  zweitens,  welches  der  geringste 
Helligkeitsunterschied  ist,  den  zwei  gleichbeleuchtete  Objeete,  etwa  mehr 
oder  weniger  graue  Ringe  auf  weissem  Grunde,  haben  müssen,  um 
noch  als  verschieden  empfunden  zu  werden  (Untcrschiedsschwelle). 
Um  die  Reizschwelle  festzustellen,  dient  der  Förster'sche  Apparat 
(Photonieter).  Er  besteht  aus  einem  geschlossenen  Kasten,  welcher  sein 
Licht  von  aussen  durch  ein  mittels  einer  Kerze  beleuchtetes,  quadrati- 
sches Papierdiaphragma,  erhält,  das  vergrössert  und  verkleinert  werden 
kann.  Die  Sn  eilen' sehe  Tafel  LX,  welche  5  verticale  Striche  zeigt, 
dient  als  ( )bject.     Ein  normales  Auge  erkennt  sie,  wenn  das  leuchtende 


Amblyopie  und  Amaurose.  125 

Quadrat  etwa  gleich  2  qmm  ist.  Bei  dem  Minimum  der  Beleuchtung 
beobachtet   man   ein   zeitweises    Verschwinden    und    Wiederauftauchen 

der  Striche.     Der  Lichtsinn  wird  gefunden  durch  die  Formel  L  =  TT, 

wo  li  =  '2  qmm  und  11  =der  Zahl  der  QuadratBSÖlimeter  ist,  bei  welcher 
der  zu  Untersuchende  die  Proben  sieht.  Erkennt  ein  Patient  die  Striche 
z.  B.  erst  bei  8  qmm  Oeflhung,  so  ist  sein  L=  '%  =  lji.  Der  Maass- 
stab am  Förster'schen  Photometer  giebt  die  Diagonale  (d)  des  Lieht- 
quadrates  an;  letzteres  ist  demnach  =   '/2  ^  "• 

Zur  Bestimmung  der  Unterschiedsschwelle  kann  man  sich  der 
Masson'schen  Scheibe  bedienen.  Auf  dem  centralen  Theil  einer  weissen 
Kreisfläche  wird  ein  kleiner  schwarzer  Sectbr  angebracht.  Beim  schnellen 
Rotiren  erscheint  alsdann  je  nach  der  Grösse  des  schwarzen  Sectors 
die  centrale  Partie  mehr  oder  weniger  grau.  Es  gilt  den  kleinsten 
schwarzen  Seetor  (nach  Winkel-Graden  bezeichnet)  festzustellen,  bei 
welchem  der  Untersuchte  noch  das  centrale  Grau  der  Scheibe  von 
dem  peripheren  Weiss  unterscheiden  kann.  Pflüger  benutzt  graue 
Scheiben,  auf  denen  mehrere  verschieden  grosse  Abschnitte  schwarzer, 
schmaler  Einge  concentrisch  eingezeichnet  sind:  beim  Rotiren  erscheinen 
letztere  als  ganze  Einge  auf  dem  grauen  Grunde-,  ihre  Schwärze  hängt 
von  der  Grösse  des  gezeichneten  Bingtheiles  ab.  Zu  gleichem  Zweck 
sind  von  Ole  Bull  Tafeln  mit  grauen  Buchstaben  verschiedener  Inten- 
sität auf  schwarzem  Grunde,  von  Bjerrum  auf  weissem  Grunde  und 
von  Seggel  Tafeln  mit  schwarzen  Buchstaben  auf  verschieden  dunklem 
grauem  Grunde  hergestellt  worden.  Tr  eitel  verwendet  schwarze  Tafeln 
mit  kleinen,  mehr  oder  weniger  dunkelgrauen  Quadraten,  Wolff- 
berg  schwarze  Sammettafeln,  auf  denen  bunte  Tuekstüeke  verschie- 
dener Grösse  aufgeklebt  sind,  die  .bei  entsprechender  Tagesbeleuch- 
tnng,  welche  durch  Vorhänge  von  Seidenpapier  herabgesetzt  und  ge- 
regelt wird,  erkannt  werden  müssen.  Diese  Tafeln  sollen  gleich- 
zeitig zur  Bestimmung  der  Sehschärfe  dienen,  indem  in  den  Fällen,  wo 
ein  rundes  rothes  Tuchstückchen  von  2  mm  und  ein  blaues  von  7  mm 
Durchmesser  in  5  Vi  Meter  erkannt  wird,  weder  eine  Veränderung  der 
Sehschärfe  noch  des  Lichtsinnes  noch  eine  Befractionsanomalie  vorliegen 
soll.  Doch  erkennt  nachHoor's  undS eggel' s Nachprüfungen  ein  grosser 
Procentsatz  normaler  Augen  die  Probeobjecte  erst  in  geringerer  Entfer- 
nung.  Weiter  macht  Wolffberg  in  den  beigelegten  Tabellen  Angaben, 
um  aus  der  in  dem  Einzelfalle  vorhandenen  geringeren  Entfernung  des 
Erkennens  Eückschlüsse  auf  Alfection  des  Lichtsinnes  beziehentlich  auf 
eine  Eefractionsanomalie  (Astigmatismus)  zu  ziehen.  Auch  hier  haben 
Nachuntersuchungen  mancherlei  Abweichungen  gezeigt. 

Bei  einigen  Augenerkrankungen  (z.  B.  Eetinitis  pigmentosa)  fällt 


J2t>  Amblyopie  und  Amaurose. 

eine  Erhöhung  der  Reizschwelle  nicht  immer  mit  einer  solchen  der 
ünterschiedsschwelle  zusammen;  es  kommen  aber  bei  den  einzelnen 
Fällen  derselben  Erkrankungsform  erhebliche  Schwankungen  vor.  - 

Andere  rechnen  bei  der  Eruirung  des  Lichtsinnes  mit  der  Seh- 
schärfe, welche  bei  einer  bestimmten  Beleuchtung  vorhanden  ist.  Hier- 
bei werden  Apparate  benutzt,  wo  transparente  Snellen'sche  Buch- 
staben von  Lichtflamnien,  deren  Intensität  durch  vorgelegtes  Milchglas 
verringert  werden  kann,  in  dunklen  Zimmern  beleuchtet  werden 
(v.  Hippel,  Weber).  Ich  habe  Lichtsinnmessungen  bei  Tagesbeleuch- 
tung  angestellt,  indem  ich  vor  das  zu  untersuchende  Auge  Smokegliiser 
von  mehr  oder  weniger  dunkler  Nuance  (in  einem  kleinen,  operngucker- 
ähnlichen Kasten,  der  alles  Seitenlicht  abschliesst)  legte.  Unter  Be- 
nutzimg der  Snellen' sehen  Sehproben  wird  mm  in  gewöhnlicher 
Weise  die  Sehschärfe  festgestellt  und  ihre  Herabsetzung  mit  derjenigen 
verglichen,  welche  unter  gleichen  Gläsern  bei  einem  Normalsehenden 
erfolgt. 

Bei  allen  diesen  Bestimmungen  muss  der  zu  Untersuchende  sieh 
erst  einige  Zeit  an  die  verminderte  Beleuchtung  gewöhnt  haben,  ehe 
die  Prüfungen  angestellt  werden  können.  Bei  alten  Leuten  und  Myopen 
zeigt  sich  der  Lichtsinn  öfter  ohne  besondere  Augenerkrankungen  her- 
abgesetzt. Bei  Kindern  hat  H.  Colin  bisweilen  auffallende  Feinheit 
des  Lichtsinns  gefunden.  Jedenfalls  unterliegt  derselbe  grossen  indi- 
viduellen Schwankungen.  —  Auch  um  Defeete  des  Gesichtsfeldes  zu 
eruiren,  bedarf  es  bisweilen  der  Prüfung  bei  herabgesetzter  Be- 
leuchtung. 

4)  Der  Farbensinn. 

Nach  der  Young-Helmholtz'schen  Theorie  sind  drei  Grund- 
farben (roth,  grün,  violett  bezw.  blau)  anzunehmen,  deren  Empfindung 
auf  Erregung  dreier  verschiedener  Nervenfasern  beruht.  Diese  sollen 
im  objeetiven  homogenen  Licht  je  nach  dessen  Wellenlänge  in  ver- 
schiedener Stäi-ke,  aber  immerhin  gleichzeitig  gereizt  werden;  rothes 
Licht  erregt  vorzugsweise  die  rothempfindenden,  weniger  die  grün-  und 
violettempfindenden,  grünes  vorzugsweise  die  grünempfindenden,  weniger 
die  roth-  und  violettempfindenden  Fasern  u.  s.  f.  Die  Anhänger  dieser 
Theorie  (v.  Kries,  König)  nehmen  an,  dass  den  total  Farbenblinden  die 
Zapfen  in  der  Netzhaut  fehlen  oder  funetionsuntüchtig  geworden  sind, 
da  diese  den  Farbensehenden  die  Farben  -Wahrnehmung   ermöglichen. 

Nach  1 1  ering 's  Anschauung  handelt  es  sich  um  chemische  Vorgänge. 
Er  unterscheidet  drei  verschiedene* chemische  Substanzen,  derenZerstörung 
und  Wiederansammlung  (Dissimilation  und  Assimilation)  die  Licht-  und 
l\irl)i  iiniiptindimgen  hervorruft:  die  weiss-schwarze,  roth-grüne  und  die 


Daltonismus.  127 

blau-gelbe  Sehsübstanz.  Während  er  die  Weisseinpfindung  mit  der  Dissi- 
milirung,  die  Schwarzeiapfindung  mit  Assimilirung  in  Verbindung  bringt, 
lässt  er  es  bei  den  eigentlichen  Farbenpaaren  dahingestellt,  welche  Farben- 
empfindung dorn  einen  oder  anderen  dieser  Processe  entspricht.  Die 
Glieder  des  ersten  Paares  (schwarz-weiss)  von  Empfindungen  können 
sieh  untereinander  und  mit  den  anderen  Farbenpaaren  mischen;  letztere 
selbst  können  sieh  aber  nie  mit  einander  verbinden  (daher  als  Contrast- 
t'arben  bezeichnet):  so  nicht  reines  Blau  mit  reinem  Gelb  oder  reines 
Grün  mit  reinem  Roth.  Wirken  sie  in  gleicher  Stärke  auf  eine  Netz- 
hantstelle ein,  so  entsteht  Weissempfindung  (daher  die  Bezeichnung  als 
complementäre  Farben). 

D  a  1 1  o  n  i  s  m  u  s. 

Störungen  des  Farbensinnes  werden  mit  Daltonismus  (nach 
Dalton,  der  selbst  daran  litt)  oder  Farbenblindheit  (Dyschroma- 
topsie)  bezeichnet.  Nach  den  entgegenstehenden  Theorien  über  die 
Farbenempfindung  unterscheiden  die  Einen  Roth-  (Anerythropsie),  Grün- 
(Achloropsie),  Violett-  (Akyanopsie)  Blindheit  (Donders,  Holmgren 
u.  A.);  die  Anderen  Roth-Grünblindheit  und  Blau-Gelbblindheit  (Stil- 
ling  u.  A.).  Als  Bezeichnung  der  Farbenblindheit  in  praxi  erscheint 
es  bequemer,  die  Ausdrücke  „Roth-Grünblindheit"  und  „Blau-Gelbblind- 
heit11  zu  wählen,  da  Fälle  vorkommen,  bei  denen  eine  strenge  Scheidung, 
ob  es  sich  um  „Roth-"  oder  „Grünblindheit"  handelt,  ausserordentlich 
schwer  oder  unmöglich  ist.  Es  treten  hier  weder  die  charakteristischen 
Farbenverwechselungen,  von  denen  unten  die  Rede  sein  wird,  noch  die 
Verkürzung  des  Spectrurns  nach  der  rothen  Seite  hin  (Rothblindheit), 
noch  die  grössere  Lichtschwäche  der  Farbe,  für  welche  die  Blindheit 
besteht,  in  überzeugender  Weise  hervor.  Man  kann  weiter  eine  par- 
tielle Farbenblindheit  (beispielsweise  die  Roth-Grünblindheit)  und 
eine  totale  unterscheiden,  wo  alle  Farbenempfindung  aufgehört  hat. 
Letztere  ist  sehr  selten;  genauere  Beobachtungen  sind  in  neuerer  Zeit 
von  Hering,  Hess,  Pflüger,  A.  v.  Hippel  und  Uhthoff  mit- 
getheilt  worden:  sie  sprechen  gegen  ein  Fehlen  der  Zapfen  in  der 
Netzhaut,  da  ein  dem  entsprechender  Ausfall  der  Function  der  Macula, 
wo  nur  Zapfen  liegen,  nicht  nachweisbar  ist. 

In  einer  Reihe  von  Fällen  handelt  es  sich  um  keine  vollständige  Blind- 
heit für  Farben,  sondern  nur  um  Schwäche  des  Farbensinnes,  die  gewisse 
Farbennuancen-  zu  erkennen  hindert  oder  auch  die  Farben  nicht  in  der 
normalen  Entfernung  erkennen  lässt.  Man  bezeichnet  dies  als  schwachen 
Farbensinn  beziehentlich  unvollständige  Farbenblindheit. 

Bei  etwa  3  Procent  der  bisher  daraufhin  untersuchten  Individuen 
fand  sich  angeborene  Farbenblindheit:  bei  Frauen  verhältnissmässig  sehr 


]28  Amblyopie  und  Amaurose. 

selten.  Der  Farbensinn  der  uncivilisirterj  Völker  stimmt  mit  dem  der 
civilisirten  überein  (Magnus). 

Jn  der  Regel  trifft  die  angeborene  Farbenblindheit  beide  Augen; 
doch  sind  auch  Fälle  bekannt  geworden,  wo  nur  ein  Auge  befallen  war 
(  Becker,  v.  Hippel,  Kolbe).  Am  häufigsten  bandelt  es  sieh  um  Blindheit 
für  Roth  und  Grün,  ausserordentlich  selten  für  Violett  (bezw.  Blau-Gelb). 
Der  Daltonismus  ist  in  manchen  Familien  erblieh.  Pathologisch 
wird  Farbenblindheit  besonders  häufig  bei  Sehner venaffeetionen  be- 
obachtet. Bei  Hysterisehen  (Landolt)  und  im  Hypnotismus  (Colin) 
kommt  vorübergehende  Farbenblindheit  ebenfalls  vor.  Santonin-  und 
Pierin  -  Vergiftungen  erzeugen  Violett-B lindheit  (Gelbsehen);  bei 
manchen  Ikterischen  tritt  gleichfalls  Gelbsehen  auf.  Ebenso  ist  es 
nach  Kohlenoxydgasvergiftung  (Hubert)  beobachtet.  Auch  wird  über 
Gelbsehen  in  mancherlei  Schwächezuständen  geklagt.  Violettsehen  fand 
sieh  in  einem  Falle  von  Haschisch -Vergiftung  (Eversbusch).  An- 
schliessend sei  erwähnt,  dass  bei  manchen  Personen  sich  mit  dem 
Hören  von  Tönen,  Geräuschen,  Buchstaben  und  Zahlen  bestimmte 
Farbenempfindungen  verknüpfen. 

Man  hat  dem  Daltonismus  eine  erhöhte  Aufmerksamkeit  zugewandt, 
seit  Favre  in  Lyon  seine  grosse  Wichtigkeit  für  die  allgemeinen  Ver- 
kehrsinteressen betonte,  da  farbige  Signale  beim  Eisenbahn-  und  Marine- 
dienst in  Gebrauch  sind.  So  bedeutet  die  grüne  Laterne  oder  Fahne  im 
Eisenbahndienst:  „Vorsicht",  die  rothe:  „Gefahr";  in  der  Marine  wird 
auch  Gelb  und  Blau  benutzt.  Es  ist  klar,  dass  Farbenblinde,  welche 
mit  diesen  farbigen  Signalen  zu  thun  haben,  durch  Verwechselung  ge- 
legentlieh schwere  Unglücksfälle  verursachen  können.  Dass  aber  dies 
factisch  geschehen,  ist  kaum  erwiesen;  die  Fälle  (so  ein  Zusammenstoss 
auf  einer  schwedischen  Eisenbahn  bei  Lagerlunda),  welche  darauf  zurück- 
geführt wurden,  lassen  auch  andere  Deutung  zu.  Der  Grund  für  diese 
auffallende  Erscheinung  liegt  darin,  dass  Personen,  die  an  angeborener 
Farbenblindheit  leiden,  in  der  Regel  einen  ausserordentlich  feinen  Licht- 
sinn haben,  der  sie  in  den  einzelnen  Farben  Unterschiede  der  Licht- 
stärke wahrnehmen  lässt,  welche  sie  zu  einem  richtigen  Urtheil  unter 
gewöhnliehen  Verhältnissen  und  beider  Uebung,  die  sie  im  Signaldienst 
erlangen,  befähigen.  So  ist  die  Signalfarbe  im  Eisenbahndienst  „grüiba 
weniger  lichtstark  als  „roth".  Werden  nun  aber  künstlieh  die  Bedin- 
gungen geändert,  etwa  das  Roth  der  Laterne  dadurch  verdunkelt, '  dass 
man  mehrere  rothe  Gläser  vor  das  Licht  legt,  so  werden  die  Farben- 
blinden irre;  ebenso  wenn  es  sieh  um  verhältnissmässig  sehr  kleine 
Flächen  und  sehr  grosse  Entfernungen  handelt. 

Auch  wird  eine  von  Zeit  zu  Zeit  wiederholte  Untersuchung  des 
Beamtenpersonals  Qöthig  sein,   um   über  eine  etwa  in  der  Zwischenzeit 


Daltonismus.  129 

erworbene  Farbenbliadheit  oder  über  erheblichere  Abnahmen  der  Seh- 
schärfe, die  ja  gleich  gefahrlich  sind,  Auskunft  zu  bekommen.  Bei 
einer  derartigen  Untersuchung  babe  ich  angestellte  Beamte  gefunden, 
deren  Sehschwäche  auf  Sehnerven-Atrophie,  Grlaucom  und  oft  auf  Ca- 
taract  zurückzuführen  war. 

Diagnose.  Als  Regel  bei  all  diesen  Untersuchungen  hat  zu  gelten, 
dass  mehrere  Prüfungsmethoden  anzuwenden  sind,  da  die  eine  nicht 
selten  von  Farbenblinden  ganz  gut  bestanden  wird,  während  bei  der 
anderen  der  Fehler  hervortritt.  Ebenso  können  sich  die  Farbenblinden 
auf  gewisse  Proben  einüben. 

Unzulänglich  ist  es,  die  zu  Untersuchenden  farbige  Papiere  u.  dgl. 
einfach  mit  Namen  bezeichnen  zu  lassen.  Einmal  lernen  eine  Reihe  von 
Farbenblinden  die  richtige  Bezeichnung  für  die  Hauptfarben,  indem  sie 
die  ihnen  erkennbaren  Unterschiede  in  der  Lichtstärke  und  im  Ton  be- 
nutzen, andererseits  giebt  es  eine  überraschend  grosse  Zahl  von  Men- 
schen, die  trotz  normalen  Farbensinnes  die  richtige  Bezeichnung  selbst 
für  die  Hauptfarben  nicht  kennen.  Der  Vorschlag  von  Magnus,  im 
Schulunterricht  Uebungen  im  Erkennen  von  Farben  unter  Benutzung 
farbiger  Plättchen  anzustellen,  ist  daher  sehr  beherzigenswerth. 

Für  Massenuntersuchungen  empfiehlt  sich  die  sogenannte  Holm- 
gren'sche  Methode.  Bereits  Seebeck  hat  Farbenblinde  dadurch 
erkannt,  dass  sie  aus  einer  Reihe  von  verschiedenfarbigen  Wollen  un- 
gleichfarbige  Proben  als  gleichfarbig  bezeichneten  und  zusammenlegten. 
Nach  Holmgren  beginnt  man  mit  Vorlegen  einer  Wollenprobe  von 
hellgrüner  Farbe,  bei  der  das  Grün  weder  eine  auffallend  gelbe  noch 
blaue  Beimischung  hat,  und  lässt  die  gleichfarbigen  Bündel,  von  denen 
etwa  vier  bis  sechs  in  dem  Wollenhaufen  sein  müssen,  heraussuchen. 
Wer  schnell,  ohne  auffällig  zu  vergleichen  imd  zu  zögern  ( —  hierauf 
ist  zu  achten!  — )  die  entsprechenden  Bündel  zulegt,  ist  nicht  farben- 
blind. Dem,  der  unsicher  war  oder  direct  falsche  Farben  zugelegt  hat, 
wird  nunmehr  ehi  Rosabündel  (Mischung  von  Blau  und  Roth,  auch  als 
Purpur  bezeichnet)  in  mittlerer  Sättigung  mit  derselben  Aufforderung 
vorgelegt.  Aber  man  verlange  jetzt,  dass  zwar  gleichfarbige  Wollen 
hinzugelegt  werden  sollen,  aber  unter  ihnen  auch  solche,  die  etwas  heller 
oder  dunkler  im  Tone  sind.  Hebt  man  dies  nicht  hervor,  so  suchen 
selbst  Farbenblinde  bisweilen  die  passenden  Wollen  heraus,  indem  sie 
sich  ganz  von  ihrem  scharfen  Sinne  für  die  Lichtstärke  der  Farbe  leiten 
lassen.  Werden  die  richtigen  Bündel  herausgesucht,  während  die  vorige 
Prüfimg  nicht  vorschriftsmässig  bestanden  war,  so  handelt  es  sich  um 
eine  unvollständige  Farbenblindheit  oder  schwachen  Farbensinn.  Man 
kann  daher  bei  Massen-Untersuchungen,  wo  man  nur  die  wirklich  Far- 
benblinden feststellen  will,   gleich  mit  der  Rosa-Probe  beginnen.     Der 

Schmidt-Simpler.    7.  Auflage.  9 


130  Amblyopie  und  Amaurose. 

eigentlich  Farbenblinde  macht  deutliche  Fehler:  und  zwar  soll  nach  der 
1 1  cl  mh oltz' sehen  Theorie  der  Rothblinde  zu  Rosa  Blau  legen,  da  ihm 
das  in  Rosa  enthaltene  Roth  entgeht,  der  Grünblinde  zu  Rosa  Grün 
and  Grau,  der  Violettblinde,  dem  das  Violett  bezw.  Blau  entgeht,  Roth. 
J  Heser  letztere  fügt  in  der  Regel  auch  bei  der  ersten  Probe  zu  grüner 
Wolle  blaue.  Doch  lässt  sieh,  wie  erwähnt,  ein  charakteristischer  Unter- 
schied zwischen  Roth-  und  Grün-Blinden  durch  die  Farben  Verwechselung 
in  sehr  vielen  Fällen  nicht  constatiren.  Uebrigens  erreichen  manche 
Farbenblinde  es  durch  Uebung,  die  Wollen  richtig  zu  sortiren.  —  In 
ähnlicher  Weise  wie  die  buntfarbigen  Wollen  sind  auch  bunte  chemische 
Pulver  benutzt  worden.  Adler  hat  verschiedenfarbige  Bleistifte  zu- 
sammengestellt: sie  haben  den  Vortheil,  dass  man  in  den  mit  ihnen 
auf  Papier  gezogenen  Strichen  gleich  ein  Document  über  die  getroffene 
Auswahl  erhält. 

1)  a  a  e  gab  Tafeln  heraus,  auf  denen  sich  Reihen  von  verschieden- 
farbigen Wollenproben  befinden,  die  so  geordnet  sind,  dass  sie  den 
gewöhnlichen  Verwechselungsfarben  der  Daltonisten  entsprechen.  Der 
Farbenblinde  wird  nun  gefragt,  welche  von  den  horizontalen  Reihen, 
wenn  auch  in  der  Lichtstärke  verschieden,  dieselbe  Farbe  enthält.  Hier- 
bei werden  die  entsprechenden  Fehler  der  Unterscheidung  hervortreten: 
aber  auch  nicht  bei  allen  Farbenblinden,  da  doch  gelegentlich  dem 
einen  oder  anderen  die  sonst  gewöhnlichen  Verwechselungsskalen  anders 
und  verschieden  erscheinen. 

Diesen  eigentlich  pseudo-isochromatischen  Proben  schliesst 
sich  die  mit  den  Stilling' sehen  Tafeln  an.  Hier  sind  farbige  Buch- 
staben, Zahlen  oder  Figuren,  deren  Züge  sich  aus  kleinen  Quadraten 
oder  Punkten  zusammensetzen,  auf  andersfarbigen,  ebenfalls  punktirten 
( xrund  gedruckt,  und  zwar  sind  die  auf  einer  Tafel  befindlichen  Farben 
so  gewählt,  dass  sie  von  Farbenblinden  einer  bestimmten  Kategorie 
nicht  unterschieden  werden  können.  Damit  fällt  auch  das  Vermögen, 
die  Buchstaben  zu  erkennen.  In  den  neusten  Ausgaben  sind  die  Tafeln 
sehr  vollkommen,  und  es  wird  kaum  ein  Farbenblinder  im  Stande  sein, 
alle  Proben  fehlerfrei  zu  bestehen.  Andererseits  aber  kann  gelegentlich 
die  Anforderung  auch  für  den  normal  Farbensehenden  zu  gross  sein, 
da  ausser  der  Farbenunterscheidung  noch  eine  gewisse  Conibinations- 
fiihigkeit  beansprucht  wird.  Der  zu  Untersuchende  soll  nämlich  die 
Quadrate  oder  Punkte,  welche  zusammengesetzt  den  ganzen  Buchstaben 
bilden,  aus  dem  andersfarbigen  Grunde  heraussuchen  und  zu  einem 
Ganzen  vereinen.  Dazu  gehört  eine  gewisse  Gabe  der  Räthsellösung, 
und  das  Verfahren  erinnert  etwas  an  die  Bilder  mit  der  Unterschrift: 
„Wo  ist  die  Katz?a  Man  muss  sich  daher  öfter  damit  begnügen,  sich 
die  einzelner]  andersfarbigen  Quadrate  zeigen  zu  lassen.   Selbst  aber  für 


Daltonismus.  Jßl 

intelligente  Leute  mit  normalem  Farbensinn  bietet  die  Entzifferung  ein- 
zelner Buchstaben  Schwierigkeiten. 

Wenn  man  sich  überzeugt  hat,  dass  der  zu  Untersuchende  die 
richtigen  Bezeichnungen  für  die  einzelnen  Farben  kennt,  so  kann  man 
recht  einfache  und  schlagende  Prüfungen  anstellen,  indem  man  kleine 
kreisförmige  Platten  von  farbigem  Papier  (Heidelberger  Blumen- 
papier) auf  dunklem  Sammt  (Weber,  Wolf fb er g)  oder  Farbenpunkte 
auf  schwarzem  Hintergründe  (Dor'sche  Tafeln)  zur  Prüfung  benutzt. 
Es  hat  sich  herausgestellt,  dass  die  Grösse  dieser  Punkte  eine  ver- 
schiedene sein  muss,  wenn  sie  in  derselben  Entfernung  erkannt  werden 
sollen.  Dor  hat  Tafeln  construirt,  welche  die  farbigen  Punkte  gerade 
von  der  Grösse  zeigen  (blau  =  8  mm  im  Durchmesser,  roth  =  3  mm, 
gelb  =  2,5  mm,  grün  =  2  mm  im  Durehmesser  für  eine  Entfernung 
von  5  m),  dass  sie  von  einem  Normalsehenden  in  der  darauf  ange- 
gebenen Distance  erkannt  werden.  Muss  der  Farbenblinde  (wir  setzen 
dabei  natürlich  normale  Sehschärfe  und  eventuelle  Correction  von  Re- 
fractionsanomalien  voraus)  näher  herangehen,  um  die  Farben  zu  er- 
kennen, so  hat  er  einen  herabgesetzten  Farbensinn.  Die  chromatopto- 
metrischen  Tafeln  von  Ole  Bull  enthalten  farbige  Quadrate  auf  matt- 
schwarzem    Grunde:    hier   sind   die   Grundfarben   durch  Zusetzen  von 

<  Jrau  allmählich  abgeschwächt.  (In  noch  viel  weitgehender  Weise  sind 
die  einzelnen  Farbennuancen  durch  Zusatz  von  Schwarz  beziehentlich 
von  Weiss  in  den  Radde' sehen  internationalen  Farbentafeln  hergestellt). 

Mit  diesen  Hilfsmitteln  werden  manche  sich  als  farben-amblyopisch 
erweisen,  die  andere  Prüfungen  bestehen;  besonders  häufig  zeigt  sich, 
dass  Grün  erst  viel  näher  von  ihnen  als  von  JSTornialsehenden  erkannt 
wird.  Allerdings  haftet  diesen  Proben  der  Mangel  an,  dass  die  Zahl 
der  bisher  Geprüften  doch  noch  nicht  gross  genug  erscheint,  um  das 
A'erhältniss  der  Grösse  der  Farbenpunkte  zu  der  Entfernung,  in  der 
sie  der  Angabe  nach  gesehen  werden  sollen,  als  vollkommen  genau 
imd  dem  physiologischen  Durchschnitt  entsprechend  ansehen  zu  können. 

<  Trübere  Differenzen  dürfen  indessen  sicher  als  abnorm  aufgefasst 
werden. 

Auch  Farbenprüfungen  mit  bunten  Gläsern  und  durchfallendem 
Licht  (Laternenprobe)  haben  Werth,  da  sie  die  realen  Verhältnisse 
des  Eisenbahn-  und  Marinedienstes  nachahmen.  In  einen  schwarzen 
Schirm  wird  eine  Oeffnung  von  etwa  100  qmm  geschnitten,  dahinter  das 
farbige  Glas  gehalten  und  durch  eine  Lichtflamme  beleuchtet.  Der  zu 
Untersuchende  befindet  sich  in  dem  verdunkelten  Zimmer  3  bis  5  m 
entfernt  und  giebt  die  Farben  an.  Ein  nebenstehender  Normalsehender 
controlirt,  ob  in  der  That  die  Farbe  erkannt  werden  kann.  Auch 
Farbenblinde  nennen  hier  gelegentlich  eine  Zeit  lang  die  Farben  richtig; 

9* 


132  Amblyopie  und  Amaurose. 

aber  bei  fortgesetzter  Prüfung,  besonders  wenn  man  durch  Vorlegen 
doppelter  Platten  gleichfarbigen  Glases  die  Lichtstärke  verändert,  kom- 
men die  falschen  Angaben.  Everbiisch  hat  neuerdings  einen  beson- 
deren Apparat  constrniren  lassen.  — 

In  dasselbe  Gebiet  fällt  die  Untersuchung  mit  Spectral  färben 
Für  den  Roth-Grünblinden  erscheint  Roth,  Orange,  Gelb,  Grün  als  Gelb, 
Blau  und  Violett  als  Blau.  So  wird  auch  die  rothe  Linie,  welche  beim 
Verbrennen  von  Lithium  im  Spectrum  entsteht,  ebenso  wie  die  gelbe 
Natrium-  und  grüne  Thalliumlinie  von  ihm  als  annähernd  identisch  und 
gelb  bezeichnet.  Eine  Verkürzung  des  rothen  Endes  ist  bei  schwacher 
Lichtintensität  öfter  vorhanden,  während  sie  bei  starker  fehlen  kann. 

Wenn  auch  den  Roth-Grünblinden  nur  eine  Empfindung  für  Gelb 
und  Blau  zukommt,  so  bezeichnen  sie  dennoch  oft  genug  die  etwa  durch 
einen  Schieber  eingestellte  Einzelfarbe  des  Spectrums  ganz  richtig  mit 
der  ihr  zukommenden  Bezeichnung  (Grün,  Roth  u.  s.  w.).  Lim  Spectral- 
farben  mit  Spectralfarben  zu  vergleichen,  kann  man  sich  eines  Doppel- 
spectrums (Donders,  Hirschberg)  bedienen,  bei  dem  durch  zwei 
Röhren  die  Strahlen  auf  das  brechende  Prisma  fallen.  Deckt  man  den 
Spalt  der  einen  Röhre  zur  Hälfte  oben  zu,  den  der  anderen  zur  Half te 
unten,  so  entstehen  zwei  übereinander  befindliche  Spectren  und  zwar 
ist  es  durch  Verschiebung  der  einen  Röhre  ermöglicht,  das  eine  Spectrum 
von  rechts  nach  links  und  umgekehrt  unter  dem  ruhenden  anderen 
wandern  zu  lassen.  Ein  Schieber  gestattet  eine  einzige  Farbe  einzu- 
stellen. Man  fordert  nunmehr  den  Farbenblinden  auf,  so  lange  durch 
Drehen  der  einen  Röhre  das  untere  Spectrum  wandern  zu  lassen,  bis 
dieselbe  Farbe  eingestellt  ist,  die  in  dem  Schieber  des  oberen  steht. 
Aber  fast  regelmässig  stellt  hier  selbst  der  ausgeprägt  Grün-Rothblinde 
die  richtige  Farbe  ein,  indem  die  verschiedene  Lichtintensität  der  Spec- 
tralfarben ihn  vollkommen  richtig  leitet.  In  diesem  Sinne  ist  daher  das 
Instrument  zur  Diagnose  der  Farbenblindheit  nicht  verwendbar. 

Ferner  hat  man  auch  die  Simultancontraste  der  Farben,  die  von  einem 
mit  normalem  Farbensinn  ausgestatteten  Auge  sofort  erkannt  werden,  zur  Diagnose 
des  Daltonismus  verwandt.  Sehr  einfach  ist  das  von  ff.  Meyer  angegebene  Ver- 
fahren mit  Seidenpapier  (Florpapier).  Man  legt  auf  eine  farbige  Papierflaehe 
(etwa  rothi  einen  aus  grauem  Papier  geschnittenen  Ring.  Wenn  man  nun  beide 
mit  einem  entsprechend  grossen  Stück  Seidenpapier  bedeckt,  so  erscheint  der 
.-raiic  Ring  in  der  Contra stfarbe  (hier  bläulichgrün) 5  auf  blau  erscheint  der  Ring 
gelb  11.  s.  f.  Der  Farbenblinde  erkennt  natürlich  die  Contrastfafbe  derjenigen 
Farbe  nicht,  die  ihm  fehlt.  Pflüger  hat  in  ähnlicher  Weise  graue  Buchstaben 
auf  farbiges  Papier  geklebt  und  bedeckt  dieselben  dann  mit  einer  oder  mehreren 
Schichten  Seidenpapier;  der  farbenblinde  wird  bei  einer  entsprechenden  Ab- 
schwächung  durch  das  Seidenpapier  die  Buchstaben  nicht  mehr  erkennen,  wo  ein 
die  Contrastfarbe  sehendes  Auge  sie  noch  wahrnimmt.  — 

Auch  mit  Hilfe   der  farbigen  Schatten,  wie  sie  als  Contrasterscheinung  auf 


Amblyopie  und  Amaurose.  133 

farbig  beleuchteten  Flächen  auftreten  (eine  Beobachtung,  die  schon  Leonardo 
da  Vinci  gemacht),  kann  man  Farbenblindheit  diagnosticiren  (Stilling).  Be- 
leuchtet man  eine  weisse  PapierHäehe  durch  zwei  in  einiger  Entfernung  davon 
befindliche  Lichtquellen  (etwa  eine  Lampe  und  ein  Licht)  und  hält  vor  eine  der- 
selben  etwa  vor  die  Lampe)  ein  farbiges  Glas  iroth).  so  erscheint  die  weisse 
Fläche  mit  dieser  Farbe  beleuchtet.  Wird  jetzt  vor  die  Fläche  ein  Bleistift  ge- 
halten, so  entstehen  zwei  Schatten  desselben:  der  eine,  welcher  von  dem  far- 
bigen Licht  beschienen  wird,  in  der  entsprechenden  Farbe,  der  ändert1  in  der 
Contrastfarbe. 

Mischfarben,  wie  sie  durch  Zusammensetzung  aus  verschiedenen  Farben- 
sinnen auf  dem  schnell  sich  drehenden  Maxwell' sehen  Farbenkreisel  entstehen, 
werden  von  dem  Farbenblinden  anders  empfunden  als  von  dem  Normalsehen- 
den. Durch  Versuche  wird  man  hier  Farbenmischungen  rinden,  welche  dem 
Farbenblinden  gleich  einer  dritten  Farbe  erscheinen.  Diese  Mischung  wird  ab- 
weichen von  derjenigen,  welche  sich  der  Normalsehende  als  der  dritten  Farbe 
gleich  zusammensetzt  (Farbengleichungen).  — 

Behandlung.  Die  angeborene  Farbenblindheit  ist  unheilbar. 
Durch  Vorhalten  rother  Gläser  oder  Glaskästchen  mit  Fuchsinlösung 
gefüllt  (Delboeuf  und  Spring)  kann  man  allerdings  den  Roth-Grün- 
blinden öfter  die  Möglichkeit  schaffen,  gewisse  Farben  von  einander  zu 
trennen,  die  sie  früher  nicht  trennen  konnten:  die  rothen  Gläser  lassen 
nur  die  rothen  Lichtstrahlen  durch ;  während  sie  andere  unterdrücken; 
demnach  werden  auch  Farben,  die  keine  rothen  Strahlen  enthalten, 
dunkler  erscheinen  als  solche,  die  viel  Roth  enthalten.  —  Durch  Uebung, 
wie  Favre  meinte,  die  Farbenblindheit  zu  heilen,  gelingt  nicht;  wohl 
aber  können  Farbenblinde  durch  Uebung  erlernen,  gewisse  Proben  ohne 
Fehler  zu  bestehen. 

Der  Farbensinn  der  peripheren  Netzhautpartien  ist  geringer 
als  der  des  Centrums.  Die  äussere  Peripherie  ist  physiologisch  total 
farbenblind,  dann  kommt  eine  Zone,  die  roth-grünblind  ist.  Am  wenig- 
sten nach  der  Peripherie  erstreckt  sich  die  Zone,  in  der  Grün  wahr- 
genommen wird.  Das  oben  gezeichnete  Gesichtsfeldschema  (S.  121) 
enthält  die  Durchsehnittsgrenzen  für  grün,  roth  und  blau.  Die  Prüfung 
wird  hier  so  vorgenommen,  dass  man  ein  farbiges  Quadrat  von  1  cm 
Seitenlänge  am  Perimeter  von  der  Peripherie  her  dem  Fixationspunkt 
nähert  und  die  Grenze,  an  der  die  Farbe  als  solche  erkannt  wird,  be- 
zeichnet. Ximmt  man  erheblich  grössere  farbige  Flächen,  so  verschieben 
sich  die  Grenzen  etwas  nach  aussen.  Auch  im  centralen  Farbensehen 
kommen,  wie  schon  oben  bemerkt,  an  umschriebenen  Stellen  patho- 
logische Veränderungen  vor.  Bei  Farbenblind-Geborenen  sind  öfter 
die  peripheren  Grenzen  der  perversen  Farbenempfindung  eingeengt 
(Schirmer);  in  manchen  pathologischen  Fällen  (so  besonders  bei  Seh- 
nervenatrophie) zeigen  sie  ebenfalls  frühzeitige  Veränderungen  und 
Einengungen.  — 


i;54  Amblyopie  und  Amaurose. 

5)  Phosphene. 

Drückt  man  mir  der  Fingerspitze  oder  einem  Sondenknopf  auf  die 
hintere  Partie  der  Sclera,  so  entsteht  durch  die  Netzhaut- Verschiebung 
eine  subjeetive  Lichterscheinung,  welche  nach  der  entgegengesetzten 
Seite  hin  projicirt  wird.  Hier  ist  es  die  mechanische  Reizung,  welche 
den  nervösen  Sehapparat  treffend,  die  speeifische  Lichtreaction  hervor- 
treten lässt.  Bestehen  derartige  Druckphosphene,  so  kann  die  Leitung 
nach  dem  Gehirn  nicht  vollständig  aufgehoben  sein.  Doch  ist  der 
Versuch  bei  ungenauen  Beobachtern  nicht  immer  von  Erfolg,  auch  ge- 
hört eine  bestimmte  Schnelligkeit  und  Tiefe  des  Druckes  dazu,  um  die 
Erscheinung  hervorzurufen. 

Subjeetive  Lichters cheinungen  ohne  äussere  mechanische  Ursache 
kommen  bei  mancherlei  Beizzuständen  der  Retina  vor:  so  wird  über 
feurige  Kugeln,  Regen  von  Sternen,  glänzende  Funken  (Photopsien) 
oder  farbige  Erscheinungen  (Chromatopsien),  wie  blaue  und  rothe  Wolken 
und  ähnliches,  oft  geklagt.  Doch  können  dieselben  ebenso  gut  im  Seh- 
centrum ihre  Entstehungsursache  haben.  Absolut  Amaurotische  haben 
öfter  noch  derartige  Photopsien. 

Reizungen  des  Sehnerven  mittels  des  constanten  Stromes  bewirken 
ebenfalls  Lichterscheinungen.  Bei  Atrophie  des  Sehnerven  bleibt  das 
Phänomen  aus  oder  tritt  nur  bei  stärkeren  Strömen  ein  (Velhagen). 
Gelegentlich  kann  dieses  Verhalten  zur  diagnostischen  Unterscheidung 
zwischen  Netzhaut- Ablösungen  und  Sehnerven-Atrophien  benutzt  werden. 

2.  Prognose,  Aetiologie  und  Therapie. 

Bezüglich  der  Prognose  der  Amblyopie  muss  festgehalten 
werden,  dass  es  immer  einer  gewissen,  nicht  zu  kurzen  Beobachtungs- 
zeit bedarf,  ehe  man  einigermaassen  gesicherte  Aussprüche  fluni  kann. 
Im  Ganzen  geben  die  eben  erwähnten  Untersuchungen  der  verschiedenen 
Sehfunetionen  einen  Anhalt.  Besonders  das  Verhalten  des  Gesichtsfeldes 
ist,  wie  A.  v.  Graefe  ausführlich  dargelegt  hat,  von  Bedeutung.  Bleibt 
die  ( S-esichtsfeldgrenze  normal  und  zeigt  das  excentrische  Sehen  nur  eine 
Abnahme,  die  der  des  centralen  Sehens  entspricht,  so  ist  die  Prognose 
verhältnissmässig  gut.  Besteht  eine  umschriebene  centrale  Herabsetzung 
(centrales  Skotom)  bei  freiem  Gesichtsfeld  und  bleibt  beides  längere  Zeit 
stationär,  so  ist  ebenfalls  eine  totale  Erblindung  selten.  Bei  den  später 
zu  besprechenden  Intoxicationsamblyopien,  und  auch  bei  retrobul- 
bärer Neuritis  etc.  tritt  öfter  selbst  bei  grösseren  Skotomen  noch 
Besserung  und  centrales  Sehen  ein.  Widerstehen  die  oben  er- 
wähnten   einfachen   Amblyopien    mit    gleiehmässiger   Herabsetzung    des 


Amblyopie  und  Amaurose.  [35 

Sehens  (Amblyopien  ohne  ophthalmoskopischen  Befund)  einer 
entsprechenden  Behandlung,  so  muss  jedenfalls  genau  und  wiederholt 
(besonders  mit  Farben)  darauf  untersucht  werden,  ob  kein  centrales 
Skotom  besteht.  Je  mein*  man  darauf  achtet,  um  so  seltener  kommen 
die  Formen,  die  man  früher  als  „Amblyopie  o&ae  Befujida  beschrieben 
hat,  zur  Beobachtung  (abgesehen  von  eongenitalen  Processen);  in  der 
Regel  handelt  es  sieh  um  retrobulbäre  Neuriten,  bei  denen  die  macu- 
laren  Fasern  (centrales  Skotom)  regelmässig  besonders  stark  leiden. 
Zeigen  sich  schliesslich  frühzeitig  periphere  Ausfälle  im  Gesichtsfelde, 
wird  das  pheriphere  Gesichtsfeld  für  Farben  eingeschränkt,  so  ist  ein 
progressiver  Charakter  der  Erblindung  zu  befürchten,  vor  Allem,  wenn 
sich  noch  eine  diffuse  Abblassung  der  Papille  einstellt  (meist  pro- 
gressive Sehnervenatrophie,  vgl.  Sehnervenerkrankungen).  Auf  den 
ophthalmoskopischen  Befund  an  der  Papille  ist  dauernd  zu  achten. 

Der  Verlauf  ist  meist  ein  allmählich  fortschreitender,  aber  es 
kann  auch  in  wenigen  Tagen  die  Amblyopie  ihren  Höhepunkt  erreichen. 
Ja.  es  kommt  gelegentlich  in  ganz  kurzer  Zeit  zur  vollständigen  Amaurose, 
ohne  dass  an  der  Papilla  optica  Veränderungen  nachweisbar  sind  oder 
irgend  eine  Ursache  der  Erblindung  erkennbar  ist.  Für  solche  Fälle 
bietet  prognostisch  bisweilen  die  Pupillenreaction  auf  Licht  einen  Anhalt. 
Ist  dieselbe  noch  vorhanden,  so  ist  die  Prognose  günstiger,  jedoch  sind 
auch  trotz  vollkommener  Aufhebung  der  Pupillenreaction  noch  Heilungen 
der  Erblindung  beobachtet  worden. 

Wenn  ein  Lichtreiz  die  Netzhaut  eines  Auges  trifft,  so  wird  er  in 
Folge  der  Sernidecussation  der  Fasern  im  Chiasma  durch  die  Tractus 
beiderseits  zu  dem  Reflexcentrum  für  die  Pupillenreaction  fort- 
geleitet, denn  auch  für  die  Pupillenfasern  wird  eine  theilweise  Kreuzung- 
angenommen  (Bechterew,  Bernheirner).  Es  ist  nämlich  wahrschein- 
lich, dass  die  für  Sehernpfm düngen  und  die  für  die  Pupillenreflexe  be- 
stimmten Fasern  —  auch  morphologisch  durch  ihre  Dicke  —  verschieden 
sind  (Schirmer,  Bernheirner).  Ueber  die  Lage  des  Reflexcentrums 
weichen  die  Ansichten  auseinander:  die  meisten  halten  die  vordere  Vier- 
hügelgegend dafür,  von  denen  die  Pupillen-Fasern  nach  Bernheirner  zu 
den  Sphincterkernen  des  Oculomotorius  am  Boden  des  3.  Ventrikels,  die 
selbst  wieder  mit  einander  in  Verbindung  stehen,  ziehen.  Nach  der 
Ansicht  von  Bach  gehen  Fasern  von  den  Vierhügeln  zu  den  alier- 
obersten  Partien  des  Halsmarks,  wohin  er  das  Reflexcentrum  für 
die  Pupille  verlegt.  Es  folgt  jedenfalls  hieraus,  dass  eine  Unter- 
brechung in  diesen  Leitungswegen  bestehen  muss,  wenn  mit  der 
Amaurose  auch  die  Pupillenreaction  auf  Licht  aufhört;  ist  hingegen 
der  Sitz  des  Leidens  mehr  centralwärts,  so  bleibt  dieselbe  bestehen. 
Ist   nur    ein  Auge    erblindet,    so    wird    bei   Beleuchtung    des    anderen 


136  Amblyopie  und  Amaurose 

\ 

l'upillenreaction    auch  des  blinden  Auges  eintreten,    falls  diese  Wege 

intact  sind.  Wenn  man  die  Pupillenreaction  des  blinden  Auges  prüfen 
will,  muss  man  demnach  das  sehende  zudecken.  Ferner  ist  zu  be- 
achten;, dass  Pupillenverengung  ohne  Einfluss  des  Lichtreizes  als  ein- 
fache Begleiterscheinung  der  Convergenz  der  Augen  oder  der  Accom- 
modation  erfolgt.  Pupillenerweiterung  hingegen  kann  auf  sensible  und 
psychische  Reize  eintreten. 

Auch  der  sogenannte  Ha  ah 'sehe  Rindenreflex  der  Pupille  könnte  zu  Täusch- 
ungen Anlass  geben.  Wenn  der  Untersuchte  im  Dunkelzimmer,  das  nur  durch 
eine  seitwärts  unter  einem  Winkel  von  45°  in  der  Entfernung  des  Kopfes  des 
Beobachters  stellende  Lampe  erhellt  ist.  gerade  aus  in  die  Pupille  des  Arztes 
lilickt.  so  erweitert  sich  seine  Pupille.  Fragt  man  ihn  jetzt  plötzlich,  ohne  dass 
er  die  Blickrichtung  ändern  darf,  ob  er  auch  das  Licht  der  Lampe  sehe,  so  ver- 
engt sich  seine  Pupille.  Nach  Ha  ab  erklärt  sich  der  Vorgang  so,  dass  durch 
das  Hinlenken  der  Aufmerksamkeit  auf  die  bereits  im  Gesichtsfelde  befindliche 
Lampe  eine  erneute  Erregung  der  Xetzhautstelle  erfolge;  der  Reiz  gelange  durch 
den  Sehnerv  zur  Hirnrinde  und  von  dieser  durch  absteigende  Fasern  zum  Ocu- 
lomotorius  und  rufe  so  die  Pupillenverengerung  hervor. 

Geht  die  Erblindung  nicht  zurück,  so  stellt  sich  nach  einigen 
Monaten  eine  blasse  Verfärbung  (Atrophie)   der  Papilla  optica  heraus. 

Abgesehen  von  den  besonderen  ätiologi scheuten  Momenten, 
welche  wegen  ihres  häufigen  Vorkommens  zur  Aufstellung  gewisser, 
später  zu  erwähnender  Gruppen  von  Amblyopien  führen,  finden  wir 
vorzugsweise  Constitutionsanomalien,  Congestionszustände,  unterdrückte 
Hämorrhoiden,  Menstruationsanomalien,  Hysterie,  Erkältungen,  Hirn- 
krankheiten, Meningitis,  Typhus,  Masern,  Syphilis,  Intermittens,  un- 
ruhiges, ausschweifendes  Leben,  Neurasthenie,  Schlaflosigkeit  und  Aehn- 
liches  als  Schädlichkeiten  angeschuldigt,  auf  welche  die  Amblyopie 
oder  Amaurose  zurückzuführen  ist.  Auch  Erblichkeit  spielt  eine  Rolle. 
So  liegen  Beobachtungen  vor,  wo  die  Glieder  mehrerer  Generationen 
in  einem  gewissen  Lebensalter  erblindeten. 

Bei  der  Behandlung  ist  vor  Allem  nöthig,  möglichst  streng  zu 
individualisiren  und  gegen  etwaige  ursächliche  Leiden  vorzugehen.  Je 
nach  letzteren  Averden  Schwitzkuren  (mit  Pilocarpin  oderNatr.  salicylic), 
Schmier-  oder  Sublimatkuren,  Abführmittel,  Menagoga  u.  s.  w.  angezeigt 
sein;  in  anderen  Fällen  wiederum  roborirendes  Verfahren,  tägliche  In- 
jeetionen  von  0-001  Strych.  nitr.  in  die  Schläfe  (Nagel).  Weiter  können 
nützlich  sein:  der  constante  Strom,  Eisbeutel  auf  den  Kopf  oder  Nacken 
(Mooren)  oder  Haarsei]  im  Nacken.  Das  Ansetzen  künstlicher  Blut- 
egel an  die  Schläfe  ist  oft  vortheilhaft;  immer  wird  man  gut  thun, 
falls  es  sich  nicht  um  deutlich  ausgesprochene  anämische  oder  ab- 
gelaufene degenerative  Vorgänge  handelt,  wenigstens  einmal  eine  ver- 
suchsweise Application  zu  machen.  Nach  der  Application  ist  der  Kranke 
womöglich    einen  Tag   im  Dunkelzimmer  zu  halten.     Die  einige  Tage 


Besondere  Formen  der  Amblyopie.  137 

später   zu   machende  Sehprüfung  giebt  dann  Anhalt,   ob  eine  Wieder- 
holung der  Blutentziehung  angezeigt  ist. 

Dabei  ist  der  Kranke  seiner  gewohnten  Beschäftigung'  zu  ent- 
ziehen, die  Augen  müssen  absolut  geschont  werden.  Aufenthalt  im 
verdunkelten  Zimmer  ist  wenigstens  anfänglich  anzuempfehlen:  sonst 
sind  Schutzbrillen  zu  tragen. 

Besondere  Formen  der  Amblyopie. 
Man  kann  unter  den  Amblyopien  und  Amaurosen  theils  dem  Krank- 
heitsbilde,   theils    der  Aetiologie  nach  gewisse  Gruppen  unterscheiden. 

1)  Die  congenitale  Amblyopie  erstreckt  sich  auf  beide  Augen 
oder  ist,  wie  auch  nicht  selten,  einseitig.  Häufig  sind  Refractions- 
anomalien  damit  verknüpft,  besonders  bei  hochgradigen  Hyperopen  ist 
ein  gewisser  Grad  der  Amblyopie  oft  vorhanden;  ebenso  beobachtet  man 
sie  nicht  selten,  wenn  sich  eine  weisse  Sichel  unterhalb  der  Papilla  optica 
rindet:  man  wird  dieselbe  dann  mit  einem  mangelhaften  Verschluss 
der  fötalen  Augenspalte  in  Verbindung  bringen  können.  Als  Compli- 
cation  findet  sich  Mikrophthalmus,  Colobom  der  Chorioidea  und  Iris, 
Albinismus.  Nystagmus  und  Schielen.  Die  Herabsetzung  der  Sehschärfe 
im  Centrum  und  in  der  Peripherie  ist  gleichmässig;  seltener  besteht 
eine  massige  Gesichtsfeldeinengung. 

2)  Amblyopie  aus  Nichtgebrauch  (Ambl.  ex  anopsia,  nach 
Hirschberg  sprachlich  correcter  Ambl.  ex  ablepsia).  Wenn  in  früher 
Jugend  ein  Auge  vom  binocularen  Sehact  ausgeschlossen  wird,  z.  B. 
durch  Strabismus,  durch  Hornhaut-Flecke,  so  verringert  sich  damit 
seine  Sehfähigkeit.  Wir  führen  dies,  wie  in  dem  Kapitel  über  Schielen 
weiter  erörtert  wird,  auf  einen  Mangel  der  physiologischen  Entwickelung 
und  Ausbildimg  des  centralen  Sehcentrums  zurück.  Im  höheren  Lebens- 
alter kann  daher  eine  Amblyopie  aus  Nichtgebrauch  nicht  mehr  ein- 
treten. Sind  beide  Augen  eines  Kindes  etwa  durch  angeborene  Katarakt 
nicht  "sehfähig,  so  gesellt  sich  zu  diesem  optischen  Hinderniss  leicht 
seeundär  eine  Amblyopia  ex  anopsia.  Therapeutisch  ergiebt  sich  daraus 
die  Regel,  durch  frühzeitige  Operationen  etwaige  optische  Hindernisse 
fortzuräumen,  andernfalls  durch  Separatübung  des  amblyopischen  Auges 
die  Sehfähigkeit  zu  heben.  Zu  letzterem  Zweck  werden  bei  gleich- 
zeitig bestehenden  Refraetionsanomalien  corrigirende  Gläser,  oder  auch 
bei  starker  Sehschärfenherabsetzung  zur  Vergrösserung  (Jonvexgläser 
für  die  Nähe  benutzt. 

Nach  längerem  krampfhaften  Verschluss  der  Augen  in  Folge 
phlyktänulärer  Ophthalmie  sind  einzelne  Fälle  vollständiger,  aber  vor- 
übergehender Erblindung  bei  Kindern  beobachtet  worden,  die  ebenfalls 
auf  Ambl.    ex  anopsia   (Leber)    zurückgeführt  wurden.     Es  ist  jedoch 


las 


Amblyopie  und  Amaurose. 


^Sof6O-M0- 


fraglich,  oh  hier  nicht  doch  der  dauernde  mechanische  Druck  der  Lider 
auf  den  Bulbus  (Schirm er)  oder  etwa  eine  in  Folge  constitutioneller 
Störung  eingetretene  Affection  der  Hirnrinde  des  Hinterhauptlappens 
(Silex)  die  Erblindung  verschuldet  habe. 

3)  Skotome.  Vorzugsweise  kommen  hier  die  centralen  (respec- 
tive  peri-  und  paracentralen)  Skotome  in  Betracht,  welche  in  der 
Regel  den  Fixirpunkt  und  ein  diesen  umschliessendes  oder  sich  ihm 
seitlich  anschliessendes  Queroval  einnehmen.  Letzteres  pflegt  seine 
I  lauptausdehnung  in  der  Richtung  nach  dem  blinden  Fleck  hin  zu  haben. 
Eine  weisse  Kugel  erscheint  an  dieser  Stelle  oft  grau.  Viele  Kranke 
nehmen    aber    erst    die   Veränderung   ihres    centralen    Sehens    dadurch 

wahr,  dass  man  sie  mit  kleinen 
Farbenplättchen  am  Perimeter 
prüft:  roth  wird,  sobald  es  in 
das  Gebiet  des  Skotoms  kommt, 
alsdann  als  „dunkler",  „blas- 
ser", „gelblich"  angegeben; 
grün  als  „grauweiss",  „gelb- 
lich", „matter"  (siehe  Fig.  60; 
es  sind  hier  die  Grenzen  ein- 
gezeichnet, an  denen  die  von 
der  Peripherie  her  genäherten 
Farbenquadrate  ihre  Farbe 
verloren).  Blau  und  Gelb 
werden  in  der  Regel  länger 
erkannt;  aber  es  kann 
auch  eine  der  oben  erwähnten 
Farben  noch  ziemlich  normal 
empfunden  werden,  während 
die  andere  schon  deutliche  Abweichungen  zeigt.  Beide  Augen  sind 
meist  gleichzeitig  befallen,  wenn  auch  in  verschiedenem  Grade.  Die  Seh- 
schärfe ist  hierbei  herabgesetzt;  sie  beträgt  etwa  '/3 — '/io  c^er  normalen, 
bisweilen  noch  weniger.  Das  periphere  Gesichtsfeld  ist  frei,  auch  für 
Farbenempfindung.  Eine  Herabsetzung  der  Reizschwelle  des  Licht- 
sinns konnte  ich  in  mehreren  Fällen  nicht  constatiren,  während  sie  sich 
bei  durch  centrale  Retinitis  bedingtem  Skotom  in  ausgeprägter  Weise 
fand.  Die  Entwickelung  der  Sehschwäche  ist  eine  allmähliche.  Die  Papilla 
optica  zeigt  im  Anfang  eine  leichte  Hyperämie  oder  bleibt  normal.  Später 
stellt  sich  oft  eine  Blässe  der  macularen  Hälfte  heraus.  Dieses  eigent- 
lich typische  Skotom  trifft  fast  nur  Männer,  gewöhnlich  in  den  mitt- 
leren Lebensjahren.  Vorzugsweise  häufig  ist  ein  Missbrauch  von  Al- 
coholicis  oder  Tabak  (Förster,  Hutchinson)   oder  auch   die   Combi- 


Gesichtsfeld  des  linken  Auges  mit  centralem  Skotom. 


Besondere  Formen  der  Amblyopie.  139 

nation  beider  Schädlichkeiten  die  Ursache  (vgl.  Intoxicationsambly- 
opien).  Aber  auch  bei  multipler  Sclerose,  Diabetes,  Syphilis,  Blei- 
intoxication,  Chininmissbrauch  kommt  gelegentlich  ein  centrales  Skotom 
vor.  Ebenso  ohne  specieU  nachweisbares  ätiologisches  Moment.  Es 
handelt  sich  gemeinhin  um  eine  chronische  retrobulbäre  Neuritis. 

Auch  progressive  Sehnervenatrophien  können  in  seltenen  Füllen  mil 
einem  centralen  Skotom  bei  sonst  freiem  Gesichtsfelde  anfangen,  doch 
leiten  hier  öfter  schwerere  Störungen  des  Nervensystems  auf  die  Dia- 
gnose. Auch  fehlt  in  der  Regel  die  Doppelseitigkeit;  nach  einiger  Zeit 
treten  periphere  Einengungen  hinzu.  -  1  )ie  Prognose  der  reinen  In- 
toxicationsskotome  ist  im  Ganzen  eine  gute;  meist  erfolgt  bei  ent- 
sprechender Behandlung  nach  einigen  Wochen  eine  Verkleinerung 
des  Skotoms  (in  dem  übrigens  fast  ausnahmslos  die  Lichtpercep- 
tion  erhalten  bleibt)  und  eine  erhebliche  Besserung  der  Sehschärfe. 
Weniger  günstig  bezüglich  der  Heilung  pflegt  die  Aussicht  für  die  cen- 
tralen Skotome  zu  sein,  bei  denen  eine  eigentliche  Intoxication  nicht 
nachweisbar  ist.  —  Die  Therapie  hat  bei  der  Amblvopia  nicotiana  et 
alcoholica  vor  Allem  strengste  Enthaltung  von  Tabak  und  Alcoholicis 
vorzuschreiben.  Sehr  angezeigt  ist  eine  darauf  gerichtete  Beaufsichti- 
gung, wie  sie  am  ehesten  im  Hospkal  möglich  ist,  daneben  ein  allge- 
mein roborirendes  Begime.  Bei  ausgesprochenen  Congestionszuständen 
können  Heurteloup' sehe  Blutegel  an  die  Schläfe  gesetzt,  Fussbäder, 
Ableitungen  auf  die  Haut  mit  Nutzen  angewandt  werden.  Später  be- 
schleunigen Jodkali  und  StrychnhiTnjectionen  die  Heilung.  Sind  keine 
bestimmten  ätiologischen  Momente  vorhanden,  die  eine  Intoxication 
veranlassen  konnten,  so  ist  die  directe  Bekämpfung  der  anzunehmenden 
retrobulbären  Neuritis  entsprechenden  Falles  durch  antiphlogistische 
Mittel,  durch  (Quecksilber  und  später  durch  Jodkali  anzuempfehlen. 

4)  Hemianopsie  (fjy.L,a  privativum,  corp)  (Hemiopie,  Hemiablepsie i 
Halbsichtigkeit.  Im  Allgemeinen  und  vorzugsweise  bezeichnen  wir  mit 
Hemianopsie  den  Ausfall  einer  Hälfte  des  Gesichtsfeldes  auf  beiden 
Augen  (z.  B.  der  rechten)  imd  zwar  dann,  wenn  er  in  Folge  einer 
gemeinsamen,  im  Cranium  gelegenen  Affeetion  des  Sehapparates  ein- 
tritt. Hingegen  sollten  nicht  hierher  gerechnet  werden  die  Fälle,  bei 
denen  in  Folge  doppelseitiger,  nicht  von  einer  und  derselben  localen 
Schädlichkeit  ausgehenden  Erkrankung  der  Sehnerven  (Neuritis,  Atrophie) 
oder  gar  der  Netzhaut  ein  ähnlich  geformter  Gesichtsfelddefect  eintritt. 
Dieses  Zusammenwerfen  hat  mancherlei  Verwirrung  bezüglich  der 
Aetiologie  hervorgerufen.  Bisweilen  handelt  es  sich  nicht  um  das 
Fehlen  der  ganzen  Hälfte  des  Gesichtsfeldes,  sondern  nur  um  Theile 
derselben  (H.  incompleta),  die  aber  immer  symmetrisch  liegen.  Die 
reine  und  typische  Hemianopsie  kann  bedingt  sein  durch  eine  Affection 


140 


Amblyopie  und  Amaurose. 


beider  Optici  an  der  Schädelbasis,  des  Chiasmus,  der  Tractus;  der  Cen- 
tralorgane  des  Sehcentrums  oder  seiner  Verbindung  mit  dem  Traetus. 
Wir  gehen  hierbei  von  der  Ansieht  aus,  dass  jeder  Traetus  zu  beiden 
AugeD  Fasern  schickt,  dass  mit  anderen  Worten  im  Chiasma  eine  Se- 
mideeussation  vorhanden  ist  (vgl.  auch  Anatomie  des  Sehnerven).  Die 
Vertheilung  der  Nervenfasern  findet  demnach  so  statt,  dass  im  rechten 
Auge  der  Opticus  mit  den  Fasern  des  gleichseitigen  Traetus  die  rechte 
Netzhäuthälfte  (von  der  Macula  aus)  versorgt,  hingegen  mit  den  Fasern 


Verlauf  der  Sehnervenfasern  und  Gesichtsfeld. 

0.  s.  Oculus  sinister.     0.  d.  Oculus  dexter.    F.  Fixationspunkt.    55°  Gesiclitsfeldausdehuung, 

nach  der  nasalen  Seite,  90°  nach  der  temporalen. 

ilcs  linken  Traetus  die  linke  Seite  der  Netzhaut;  analog  ist  es  im 
linken  Auge.  Figur  (jl  versinnlicht  die  Theilung;  die  ausgezogenen  Li- 
nien gehören  dem  linken,  die  unterbrochenen  dem  rechten  Traetus  an. 
Wird  beispielsweise  der  rechte  Traetus  leistungsunfähig,  so  verlieren 
die  rechten  Hälften  beider  Netzhäute  ihr  Sehvermögen:  es  entseht  ein 
Ausfall  des  nach  links  gelegenen  ( Jcsiehtsfeldes  beider  Augen  (Hemianopsia 
-inistra).  Die  Halbsiehtigkeit  geht  entweder  gerade  und  vertical  durch 
den  Fixirpunkt  (Figur  (52)  oder  letzterer  ist,  avus  häufiger  der  Fall  zu 


Besondere  Formen  der  Amblyopie. 


141 


sein  scheint,  noch  umgeben  von  einer  kleinen  sehenden  Zone,  die  3  bis 
5  Grad  in  das  im  Febrigen  ausfallende  Gesichtsfeld  sich  erstreckt.  Es 
erklärt  sich  dies  daraus,  dass  die  Macula  von  beiden  Tract.  optici  ge- 
meinschaftlich versorgt  wird. 

Wenn  die  Hemianopsie  beider  Augen  nach  einer  und  derselben 
Seite  hin  gerichtet  ist,  bezeichnet  man  sie  als  homonyme.  Diese  Form 
ist  am  häufigsten.  Wenn  jedoch  das  Chiasma  selbst  oder  beide  Optici, 
etwa  durch  eine  basale  Geschwulst,  afficirt  werden,  treten  auch  andere 
Formen  (heteronyme  Hemianopsien)  auf.  Liegt  z.  B.  eine  Geschwulst  in 
dem  vorderen  oder  hinteren  AYinkel  des  Chiasmas  (Saemiseh  u.  A.) 
und  comprimirt   die  benachbarten  Nervenfasern,    so  werden   an  beiden 


« 'esichtsfeld  des  linken  Auges.  62.  Gesichtsfeld  des  rechten  Auges. 

Der  Fixirpunkt  entspricht  dem  Centrum  des  Gesichtsfeldes.    Hemianopsia  sinistra. 

Augen  diejenigen  Fasern  ihre  Leitung  verlieren,  welche  die  innere  Hälfte 
der  Netzhaut  versorgen:  es  tritt  beiderseits  ein  Defect  der  äusseren 
Gesichtsfeldhälfte  ein  (Hemianopsia  temporalis  s.  lateralis).  In 
Folge  von  syphilitischen  Processen  an  der  Basis  ist  diese  Form  der 
Hemianopsie,  zuweilen  sogar  zurückgehend  und  wieder  auftretend,  öfter 
beobachtet  worden  (Oppenheim,  Siemerling,  Uhtkoff).  Ebenso 
bei  Akromegalie,  wo  Compression  des  Chiasma  in  Folge  von  Hypo- 
phvsis-Hypertrophie  Hemianopsia  temporalis  und  Opticus -Atrophien  her- 
vorruft. Bei  den  Gesichtsfelddefecten,  die  beiderseits  nach  innen  liegen 
i  H.  nasalis),  müsste  man  eine  doppelseitige  Affection  annehmen,  die  (nach 
obigem  Schema)  beide  seitlichen  Winkel  des  Chiasma  oder  beide  äusseren 
Partien  des  Opticus  träfe.  Doch  ist  es  fraglich,  ob  derartige  Fälle  vor- 
kommen. In  einem  von  Wegner  und  mir  veröffentlichten  Fall,  den  Man- 


142  Amblyopie  und  Amaurose. 

clelstamm  mit  Unrecht  als  nasale  Hemianopsie  verwerthet,  handelte  es 
sich  nur  um  die  Folgen  doppelseitiger  Neuritis.  Im  Uebrigen  kommen 
hei  Sehnervenaffectionen   gar   nicht    selten   annähernd   halbseitige  und 

symmetrische  <  iesiehtsfelddefecte  vor.  Diese  sind  aher  nicht  den  eigent- 
lichen Hemianopsien  zuzurechnen.  —  Amblyopien  und  Amaurosen  des 
einen  Auges  bei  temporaler  Hemianopsie  des  anderen  Auges  sind  eben- 
falls beobachtet  worden  und  zwar  in  Fällen  von  Tumoren,  Gummata 
oder  Periostitis,  die  in  einem  lateralen  Winkel  ihren  Sitz  hatten.  Durch 
ähnliche  Ursachen  können  statt  der  Hemianopsie  einseitige  Amblyopien 
hei  Amaurose  des  anderen  Auges  zu  Stande  kommen:  ein  Symptonien- 
complex;  der  ebenfalls  hei  Affectionen  in  dem  hinteren  Theile  der  Cap- 
sula interna  gleichzeitig  mit  Hemiplegie  und  Hemianästhesie  der 
dem  Krankheitsherde  entgegengesetzten  Körperseite  beobachtet  wurde 
(Charcot). 

Hemianopsien  aus  centraler  Ursache,  bei  denen  die  Trennungslinie 
nicht  vertical,  sondern  horizontal  verläuft,  sind  ausserordentlich  selten 
(AViethe).  Bei  Amaurosis  partialis  fugax  (siehe  unten)  werden  aller- 
dings solche  Erscheinungen  bisweilen  angegeben,  doch  bedarf  es  noch 
einer  genaueren  Feststellung  derselben;  auch  würde  immerhin  an  die 
Möglichkeit  eines  rein  retinalen  Vorganges  hier  zu  denken  sein.  Im 
Anschluss  sei  bemerkt,  dass  eine  Art  einseitiger  Hemianopsie  dann  zu 
Stande  kommen  kann,  wenn  ein  Opticus  zur  Hälfte  in  seiner  Leitung 
gestört  wird.  So  habe  ich  eine  temporale  Hemianopsie  des  rechten 
Auges  gesehen  bei  einem  Falle  von  rechtsseitigem  pulsirenden  Exoph- 
thalmus, wo  ein  Aneurysma  der  rechten  Carot.  intern,  mit  dem  Sin. 
cavern.  vorlag. 

Die  peripherische  Ausdehnung  des  erhalten  gebliebenen  Gesichts- 
feldes ist  meist  ziemlich  normal;  doch  treten  bisweilen  im  Laufe  der 
Zeit  Einschränkungen  derselben  auf.  In  einem  Falle  von  rechtsseitiger 
Hemianopsie,  den  ich  beobachtet,  kam  später  auch  eine  linksseitige 
Hemianopsie  hinzu,  die  volle  Erblindung  bewirkte;  allmählich  wurde  der 
Fixirpunkt  aber  wieder  frei  (S  3/5  =).  Einige  Zeit  vor  dem  Tode  ver- 
ringerte sich  die  Sehschärfe  von  neuem.  Neben  leichter  grauröthlicher 
Verfärbung  des  linken  Thal.  opt.  und  Abflachung  des  linken  vorderen 
Hügels  des  Corp.  quadrigem.  fand  sich  ausgedehntes  Durhämatom 
heider  Convexitäten,  ferner  narbige  Einziehung  in  der  Gegend  der 
linken  hinteren  Centralwindung  und  im  rechten  I  linterhautslappen 
mehrere  Erweichungsherde.  Neuerdings  sind  eine  Reihe  ähnlicher  Fälle 
veröffentlicht  worden.  Das  Erhaltenbleiben  des  centralen  Sehens  ist 
Avohl  auf  eine  besondere  Widerstandsfähigkeit  der  macularen  Fasern 
zu  seliiehen.  In  einzelnen  Fällen  war  eine  Verminderung  des  Orts- 
sinnes auffällig  (Förster  und  Andere,  neuerdings  Laqueur). 


Besondere  Formen  der  Amblyopie.  143 

Der  Farbensinn  bleibt  in  der  Regel  erhalten;  eine  Ausnahme  wurde 
von  Quaglino  mftgetheüt.  Auch  sind  einige  Fälle  von  Farbenhemia- 
nopsie  beobachtet  worden,  wo  Lichtsinn  und  Sehschärfe  intact  waren 
und  nur  die  Farbenempfindung  auf  der  lateralen  Gesichtsfeldhälfte 
fehlte.  Das  centrale  Sehen  ist  ebenfalls  meist  normal.  —  Die  ophthal- 
moskopische Untersuchung  zeigt  im  Beginn  des  Leidens  nichts  Krank- 
haftes, Später  stellt  sich  oft  eine  leichte  Verfärbung  des  macularen 
Theils  der  Papilla  optica  beider  Augen  heraus;  bisweilen  wird  auch 
nur  der  Sehnerv  atrophisch  blass,  welcher  die  im  Chiasma  sich  kreuzen- 
den Fasern  empfängt.  Es  erklärt  sich  dies  durch  eine  descendirende 
Atrophie,  die  selbst  beim  Befallensein  des  Rindencentrums,  wie  ich 
mikroskopisch  nachgewiesen  habe,  eintreten  kann. 

1  >ie  Pupillenreaetion  auf  Licht  ist  erhalten,  bisweilen  etwas  träger. 
Von  Bedeutung  für  die  Diagnose  des  Sitzes  ist  die  Feststellung,  ob 
eine  Beleuchtung  der  nichts ehenden  Netzhauthälfte  eine  Pupillenreaetion 
hervorruft  oder  ob  dieselbe  ausbleibt  (Wernicke's  heniianopische  Pu- 
pillenstarre).  In  letzterem  Falle  wäre  der  Krankheitsherd  peripher,  vor 
dem  Oculomotorius-Centrum,  wie  eben  hervorgehoben.  Li  der  Regel 
handelt  es  sich  übrigens  nicht  um  ein  Ausbleiben  der  Reaction,  sondern 
nur  um  eine  ausgeprägte  Verringerung.  Es  liegt  das  daran,  dass  ein 
vollständiges  Abhalten  des  Lichtes  von  den  empfindenden  Netzhaut- 
partien, selbst  wemi  man  mit  dem  Ophthalmoskop  das  concentrirte 
Flammenbildehen  (in  der  Art,  wie  bei  meiner  ophthalmoskopischen  Re- 
fractionsbestimmungsmethode)  auf  die  zu  untersuchende  Partie  der 
Netzhaut  wirft,  kaum  möglich  ist. 

Die  Kranken  sind  besonders  in  ihrer  Orientirung  gestört.  Da  wir 
von  links  nach  rechts  schreiben  und  lesen,  so  sind  die  Kranken  mit 
rechtsseitiger  Hemianopsie  mehr  bei  diesen  Beschäftigungen  gehindert 
als  die  mit  linksseitiger. 

In  einzelnen  Fällen  bilden  sich  die  Hemianopsien  zurück.  Es  trifft 
das  besonders  dann  ein,  wenn  das  Sehcentrum  etwa  durch  einen  un- 
scheinbaren Bluterguss  betroffen  wurde  und  sonstige  Lähmungserschein- 
ungen  fehlen.  Hier  ist  auch  öfter  die  Hemianopsie  incomplet.  In  einem 
derartigen,  später  zur  Heilung  gekommenen  Falle  bei  einer  herzkranken 
Dame  war  ohne  sonstige  Störung  plötzlich  eine  totale  Blindheit,  bei  der 
nicht  das  in  der  Hand  gehaltene  Licht  gesehen  wurde,  eingetreten  (in  Folge 
von Fernwirkung) :  nach  ca.  lOMinuten  sah  sie  wieder  grössere  Gegenstände 
und  bald  stellte  sich  normale  Sehschärfe,  aber  mit  incompleter,  homonymer 
Hemianopsie  ein.  Als  Ursachen  kommen  weiter  in  Betracht  Tumoren, 
Periostitis,  Embolien,  Encephalitis,  Durhämatom,  Akromegalie,  Trau- 
men. —  Der  Sitz  der  Erkrankung  ist  abgesehen  von  Chiasma  und 
Tractus  vorzugsweise  in  den  Corp.  geniculata,  Corp.  quadrigemina,  dem 


144 


Amblyopie  und  Amaurose. 


Thalamus,   Pulvinar,    den    Gratiol et' sehen   Sehstrahlungen    und   der 
Rinde  des  Occipitallappens  zu  suchen. 


fx  erste  Stirnwindung. 
f?  zweite  Stiruwiudung. 
f3  dritte  Stirnwindung. 


Aussenfläche  der  linken  Gehirnhälfte. 
t,  erste  Schläfenwindung. 


L  zweite  Schläfenwindung 
U  dritte  Schläfenwindnng, 


oy  erste  Oceipitalwindung. 

02  zweite  Oceipitalwindung. 

03  dritte  Oceipitalwindung. 

C  Centralfurche  (Fissura  Rolando)"     Z  Zwickel  (Cuneus).    Po  Praecuneus.    PO  Fissnra  parieto- 

occipitalis  (F.  occipitalis  perpendicularis).    S'Fossa  Sylvii.   I  Motorisches  Sprachcentrum.   II  Sen- 

sorisches  Sprachcentrum.     III  Facialiscentrum.     IV  Centrum  für  den  Arm.     V  Centrum  für  das 

Bein  der  entgegengesetzten  Seite. 


64. 

Innenfläche  der  rechten  Gehirnhälfte. 
entralfurche.    POFissura  parieto-occipitalis  perpendicularis,  davon  horizontal  verlaufend  die 
Fissura  parieto-occipitalis  horizontalis  s.  F.  calcarina  s.  F.  Hippocampi.    /",  erste  Stirnwindung, 
th  Thalamus  opticus,    o  Opticus,    q  Corpus  quadrigeminum.    g  Corpus  geniculatum  laterale. 

I  Sehccntruin. 


Bezüglich  der  letzteren    sind  die  Experimente  Munk's  von  hoher 
Bedeutung  gewesen.   Er  hat  festgestellt,  dass  in  der  Rinde  des  Hinter- 


Besondere  Formen  der  Amblyopie,  [45 

hauptlappens  der  gleichseitige  Tractus  opticus  seinen  Ursprung  hat (s. auch 
das  Kapitel  „Anatomie  des  Opticus").  Die  Verletzung  des  M  unk  'sehen 
Eündensehcentrums,  das  neuerdings  speciell  in  die  fissura  calcarina  an  der 
Innenseite  des  EinterhauptJappens  verlegt  wird,  erzeugt  Hemianopsie. 
Pathologisch-anatomische  Befunde  sowie  klinisc&e  Beobj^htungen  stützen 
diese  Anschauung. 

Von  dem  Rindencentrum,  welchem  durch  den  betreffenden 
Tractus  die  symmetrisch  lateral  gelegenen  Netzhauteindrücke  beider 
Augen  zugeführt  werden,  ist  nach  Munk  noeli  besonders  das  eigent- 
li ehe  Seheentruni  abzugrenzen:  er  bezeichnet  damit  diejenige  Stelle, 
an  der  die  einfachen  Gesichtswahrnehmungen  zu  Vorstellungen  um- 
gewandelt werden.  Da  letztere  aus  einer  Reihe  von  Wahrnehmungen 
hervorgelien.  die  im  Laufe  der  Zeit  unter  einander  verknüpft  und 
psychisch  verarbeitet  werden,  so  müssen  mit  Verlust  des  eigentlichen 
Sehcentrums  auch  diese  Vorstellungen  und  Erfahrungen  verloren  gehen: 
es  wird  z.  B.  eine  Peitsche  zwar  wahrgenommen  werden,  aber  ihre 
Bedeutung  und  ihr  Zweck  nicht  mehr  zum  Bewusstsein  kommen.  So 
entsteht  ..Seelenblindheit".  Letztere  pflegt  nur  bei  der  Affection 
beider  Hinterhauptslappen  einzutreten;  sie  ist  öfter  mit  psychischen 
Störungen  verknüpft  (Fr.  Müller).  Ob  sie  aber  in  voller  Reinheit 
überhaupt  besteht,  erscheint  noch  zweifelhaft.  Im  Allgemeinen  pflegt 
man  daher  als  Sehcentrum  diejenige  Stelle  zu  bezeichnen,  wo  die 
Netzhauteindrücke  pereipirt  werden. 

Als  Begleiterscheinungen  der  Hemianopsie  sind  öfter  Hemiplegien, 
und  Hemianästhesien  der  der  Hemianopsie  gleichseitigen  oder  seltener 
der  entgegengesetzten  Körperhälfte  vorhanden.  Da  die  motorische  Zone 
für  die  entgegengesetzte  Körperhälfte  in  den  beiden  Centralwindungen 
liegt,  so  muss  alsdann  —  wenigstens  für  die  Mehrzahl  der  Fälle  —  eine 


-i- 


grosse    Ausbreitung    der  Läsion    angekommen    werden.      Bei    rechts 


■-' 


seitiger  Hemianopsie  wird  auch  Aphasie  und  Alexie  beobachtet:  bei 
ersterer  ist  an  eine  gleichseitige  Störung  in  der  dritten  Stirn- 
windung der  linken  Hemisphäre  (Broca'sche  Zone)  zu  denken, 
wo  das  motorische  Sprechcentrum  (Aphasie)  liegt;  bei  der  Alexie  (Wort- 
blindheit) dürfte  das  nach  hinten  von  der  Fossa  Sylvii  in  der  ersten 
Schläfenwindung  hegende  sensorische  Sprachcentrum  (W ernicke)  in 
Betracht  kommen  (cf.  Fig.  63  u.  64).  Sehr  interessante  Unterschiede 
kann  man  bei  der  Alexie  beobachten,  indem  theils  das  Gredächtniss 
für  die  Buchstaben  (literale  Alexie),  theils  für  das  eigentliche  Lesen 
(verbale  Alexie)  verloren  geht. 

Von  Berlin  ist  auf  eine  besondere  Störung  im  Lesen,  der  später 
auch  Hemianopsie  folgen  kann,  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  worden: 
sie  besteht  darin,  dass  die  Kranken,  nachdem  sie  ein  paar  Worte  ge- 

Schmidt-Rimpler.     7.  Auflage.  10 


14(5  Amblyopie  und  Amaurose. 

lesen.  dasBuch  fortlegen,  weil  einXJnlustgefuh]  sie  befällt  (Dyslexie);  es 
handelt  sich  hier  nicht  um  eigentlich  asthenopische  Beschwerden  oder  etwa 
um  eine  Herabsetzung  der  Sehkraft.  Bisweilen  gehen  Kopfschmerzen 
und  Schwindel  dem  Leiden  vorauf.  Meist  verschwindet  dieses  in 
einigeu  Wochen,  aber  die  Hirnerkrankung,  welche  die  Ursache  ist, 
sehreitet  fort  und  führt  gewöhnlich  zu  apoplectiformen  Anfällen,  Para- 
plegien  u.  s.  w.  mit  Exitus  letalis.  Es  findet  sich  alsdann  eine  links- 
seitige Cerebral -Affection   mit  Ergriffensein   der   dritten  Stirnwindung. 

Doppelseitige  plötzliche  Erblindungen  können  als  Folge  von  Affee- 
tionen  in  der  Rinde  beider  Occipitallappen  (Oedeme  bei  Urämie, 
Blutungen)  auftreten,  ebenso  durch  Erkrankungen  des  Chiasma.  Auch 
bei  Embolie  der  Arteria  basilaris  mit  Erweichungsherden  in  den  Thalami 
optici  und  Vierhügeln  wurden  sie  beobachtet.  Sie  können  sich  gleich- 
falls vorübergehend  bei  andersartiger  centraler  Behinderung  als  Fern- 
wirkung einstellen.  In  den  Optici  und  Tractus  pflegen  sich  die 
Processe,  abgesehen  bei  Verletzungen,  erst  allmählich  zu  entwickeln 
und  zur  Erblindung  zu  steigern.  Einseitige  extrabulbäre  Erblindungen 
sind  nur  auf  Opticuserkrankungen  zu  schieben,  wenn  es  sich  nicht  um 
hysterische  Processe  handelt. 

5)  Anaesthesia  retinae  (Gesichtsfeld-Amblyopie).  Besonders  bei 
Kindern  und  Frauen  kommt  eine  eigentümliche,  meist  doppelseitige 
und  ziemlich  schnell  sich  entwickelnde  Form  von  massiger  Schwach- 
sichtigkeit mit  ausgeprägter  concentrischer  Einengung  des  Gesichts- 
feldes vor,  die  aber  bei  den  verschiedenen  Prüfungen  sehr  schwankende 
Grenzen  zeigt;  bisweilen  mit  Störungen  des  Licht-  und  Farbensinnes 
verknüpft,  v.  Graefe,  der  sie  zuerst  beschrieben,  führt  sie  auf  eine 
Anästhesie  der  Netzhaut  zurück,  indem  er  auf  das  Erhaltensein  der 
Phosphene  Gewacht  legte;  wahrscheinlicher  aber  handelt  es  sich  um 
eine  centrale,  auf  Constitutions-  oder  nervösen  Anomalien  beruhende 
Störung.  Meist  sind  es  anämische,  öfter  neurasthenische  oder  hysterische 
Individuen  oder  Reconvalescenten  von  schweren  Krankheiten.  Im 
Dämmerlicht  pflegt  das  Sehen  besser  zu  sein  als  bei  heller  Beleuch- 
tung (Hyperästhesie),  so  dass  unter  blauen  Brillen  eine  Steigerung 
(\c>  Sehvermögens  eintritt.  In  einzelnen  dieser  Fälle  gesellt  sich  aus- 
geprägte Asthenopie  hinzu,  die  sich  bisweilen  mit  Accommodations- 
Krampf  oder  -Parese  verbindet.  Selbst  volle  Erblindung  kann  sich 
einstellen,  doch  dürfte  in  diesen  Fällen  eine  retrobulbäre  Neuritis  vor- 
liegen. 

Bei  Hysterischen,  die  eine  (meist  aber  ohne  die  geschilderten  Er- 
scheinungen der  Anaesthesia  retinae  auftretende)  einseitige  Erblindung 
angehen,  ist  darauf  zu  achten,  ob  es  sich  nicht  um  eine  einfache 
psychische   Unterdrückung   dw  bezüglichen  Gesiehtseindrücke  handelt. 


Besondere  Formen  der  Amblyopie.  147 

Stereoskopische  Versuche,   bei  denen  man   sieh  scheinbar  nur  um  das 

Sclien  mit  dein  gesunden  Auge  kümmert,  zeigen  meist,  dass  das  angeblich 
blinde  Auge  vollkommen  gut  sieht.  Weiter  ist  concentrische  Gesiehts- 
feldeinengung  bei  multipler  Seierose  (Gnauck),  Chorea  (Horstmann), 
bei  Hysterischen  mit  localen  Anästhesien  (ohne  Sehschärfenherab- 
setzung) und  vorübergehend  nach  epileptischen  und  hysterischen  An- 
fällen beobachtet  worden.  Der  Sehnerv  zeigt  in  der  Kegel  keine  Ver- 
änderung. 

Auch  nach  Traumen  kommen  ähnliche  Erscheinungen  vor.  In 
neuerer  Zeit  spielt  die  concentrische  Gesichtst'eldeinengung  eine  Rolle 
als  „objeetives  Symptom"  bei  der  traumatischen  Hysterie  (Oppen- 
heim). Man  hüte  sich  aber  vor  Täuschungen:  nur  wenn  durch,  in  ver- 
schiedener Entfernung  angestellte  campimetrische  oder  sonstige  Ver- 
suche (beispielsweise  Erweiterung  des  äusseren  Gesichtsfeldes  durch 
mit  der  Basis  nach  Innen  vor  das  Auge  gelegte  Prismen)  die  Ueber- 
einstimmung  der  Angaben  mit  den  physiologischen  Gesetzen  erwiesen 
ist.  kann  man  dies  Symptom  als  ein  objeetives  verwerthen.  Wenn 
hier  aber  Widersprüche  hervortreten,  so  handelt  es  sich  entweder  um 
eine  psychische  Alteration  oder  um  —  was  auch  nicht  selten  ist  — 
direete  Simulation.  Bei  ausgedehnten  Untersuchungen  haben  Frankl- 
Hochwart  und  Topolanski  nur  dann  eine  concentrische  Gesichts- 
feldeinengung constatiren  können,  wenn  gleichzeitig  halbseitige  Haut- 
anästhesie vorhanden  war;  —  leider  fehlen  auch  bei  ihnen  ver- 
gleichende campimetrische  Messungen.  Ebenso  dürfte  das  oben  er- 
wähnte und  bei  traumatischen  Neurosen  beschriebene  „Ermüdungs-Ge- 
sichtsfeld* nur  in  seltensten  Fällen  vorkommen,  beziehentlich  von  Be- 
deutung sein.  — 

Die  Prognose  ist  für  die  typischen  Anästhesien  im  Ganzen  günstig, 
wenngleich  bisweilen  erst  nach  Monaten  oder  Jahren  Heilung  eintritt. 
Die  Therapie  muss  der  Constitution  entsprechend  sein.  Neben  Eisen, 
Chinin  u.  dgl.  hat  v.  Graefe  als  besonders  empfehlenswert!!  die  Zink- 
präparate gelobt.  Stiychnininjectionen  und  der  constante  Strom  sind 
ebenfalls  mit  Nutzen  angewandt  worden.  Im  Beginn  der  Kur  ist  an- 
haltender Aufenthalt  in  einem  Dunkelzimmer  anzurathen;  später  das 
Tragen  dunkelblauer  Schutzbrillen. 

6)  Nachtblindheit,  Hemeralopie  (?iutQa  und  onp).  Der  Name 
bezeichnet,  dass  die  Patienten  „am  Tage"  sehen,  d.  h.  dass  sie  in  hellerem 
Lichte  unverkältnissmässig  besser  als  im  Dunkeln  oder  Dämmerlicht 
sehen.  Sie  werden  in  der  Dämmerung  bisweilen  so  schwachsichtig,  dass 
sie  nicht  mehr  ungeführt  gehen  können.  Alles  erscheint  ihnen  wie  in 
Nebel  gehüllt,  die  Farben  werden  matter  und  leicht  verwechselt.  Bis- 
weilen werden   die   Sterne   am  Himmel   nicht  mein-    erkannt.     Ausser- 

10* 


14s  Amblyopie  und  Amaurose. 

dem  bedürfen  Hemeralopen  einer  längeren  Zeit  als  Gesunde,  um  ihre 
Augen  beim  plötzlichen  Uebergange  aus  dem  Hellen  ins  Dunkle 
so  weit  zu  gewöhnen,  um  darin  einigermaassen  zu  sehen.  Nach 
Treitel's  Befunden  würde  es  sieh  hei  ihnen  um  eine  Störung-  der 
Adaptation  handeln,  nicht  um  eine  solche  des  Lichtsinnes;  doch  gilt 
dies  meiner  Beobachtung  nach  nur  für  einzelne  Fälle:  beide  Mängel 
Hessen  sieh  übrigens  als  Folge  eines  Torpor  retinae  auffassen. 

Nach  Wilbrand,  der  im  Dunkeln  perimetrische  Messungen  (mit 
Leuchtfarbe)  angestellt  hat,  zeigen  Nervöse  imd  Hysterisehe  dabei  eine 
länger  bestehen  bleibende  Einengung  des  Gesichtsfelds  als  Gesunde.  Er 
schiebt  dies  auf  Minderwerthigkeit  der  Xetzhaut  und  langsamere  Wieder- 
ergänzung der  Sehsubstanz. 

Bei  der  idiopathischen  Hemeralopie  können  wir  eine  chronische 
und  acute  Form  unterscheiden.  Erstere  ist  selten  und  meist  angeboren; 
in  manchen  Familien  kommt  das  Leiden  erblich  vor.  Das  acute  Auf- 
treten zeigt  sich  vorzugsweise  in  Epidemien,  so  unter  Soldaten,  Matrosen, 
in  Waisen-  und  Arbeitshäusern.  Adler  fand  eine  massenhafte  Erkran- 
kung in  der  Wiener  Taubstummenanstalt.  Ganz  ungewöhnlich  ist  es, 
wie  in  einem  Falle  von  Magnus,  dass  nur  ein  Auge  betroffen  wird. 
Bei  Tageslicht  pflegt  volle  Sehschärfe  bei  freiem  Gesichtsfelde  vor- 
handen zu  sein,  in  der  Dunkelheit  abnorme  Herabsetzung  der  ersteren 
mit  Gesichtsfelddefecten.  Die  Pupille  ist  im  Dunkeln  gewöhnlich  weit 
und  träge.  An  der  Conjunctiva  sclerae  wird  öfter  Xerose  mit  Schuppen- 
bildung beobachtet;  ebenso  das  Auftreten  gelblicher  Flecken  zu  beiden 
Seiten  des  Hornhautrandes.  Der  Augenspiegelbefund  ist  meist  normal, 
bisweilen  fand  sich  Rothung  der  Papille  und  Trübung  ihrer  Umgebung. 
Als  Ursache  der  Hemeralopie  muss  hier  eine  länger  dauernde  Ueber- 
blendung  bei  gleichzeitig  vorhandener  allgemeiner  Körperschwäche  an- 
geschuldigt werden.  Ausserdem  ist  Nachtblindheit  auch  bei  Schwangeren 
(Kubli,  Ancke),  bei  Malaria  (Rampoldi),  bei  Alkoholisten  (Uhthoff) 
und  öfter  bei  Icterus  mit  Gelbsehen  und  Xerose  (Hirschberg,  Manz) 
beobachtet  worden. 

Die  acute  Hemeralopie,  in  wenigen  Tagen  ihren  Höhenpunkt  er- 
reichend, pflegt  Wochen,  selbst  Monate  lang  zu  bestehen.  Unter  ent- 
sprechender Behandlung  jedoch  heilt  sie  meist  schnell  und  leicht,  doch 
bleibt  Neigung  zu  Recidiven.  Hauptmittel  ist  Schutz  der  Augen  gegen 
Licht,  so,  wenn  möglich,  zuerst  Aufenthalt  im  dunkeln  Zimmer.  Nach 
einigen  Tagen  allmähliche  Gewöhnung  an  Licht.  Dabei  gute  Ernährung. 
Als  speeifisches  Mittel  ist  Leberthran  empfohlen  worden:  weiter  hat  man 
Eisen,  Chinin,  Strychnin  und  dvn  constanten  Strom  angewendet. 

Symptomatisch  tritt  Hemeralopie  vorzugsweise  bei  Retinitis  pigmen- 
tosa, ferner  bei  Chorio-Retinitis  und  Netzhaut-Ablösungen  auf. 


Besondere  Formen  der  A.mblyopie.  149 

7)  Tagblindheit,  Nyctalopie  (vvg  und  oxp),  bildet  den  Gegen- 
satz zur  Hemeralopie.  Die  Kranken  sehen  im  Dunkeln  und  bei  herab- 
gesetzter Beleuchtung  besser  als  im  Hellen.  Gegenüber  der  Photophobie, 
wo  die  Lichtscheu  das  hervorstechend  belästigende  Moment  bildet,  ist  es 
hier  die  Sehstörung.  Meist  liegen  materielle  Veränderungen  vor,  so 
Albinismus,  Mydriasis,  Iris-Colobom,  auch  Affectionen  der  Netzhaut  und 
des  Sehnerven.  Patienten,  die  an  centralen  Skotomen  leiden,  ebenso 
solche,  welche  progressive  Sehnervenatrophien  haben,  geben  öfter  an, 
dass  sie  Abends  besser  sehen  als  bei  Tage.  Zur  Erklärung  dieses  Sym- 
ptoms ist  vor  Allem  an  den  Einfluss  der  diffusen  peripheren  Netzhaut- 
Beleuchtung  auf  die  Perception  des  macularen  Bildes  zu  denken.  Be- 
sonders bei  Verringerung  der  centralen  Sehschärfe  kann  das  durch 
Sclera,  Iris  und  Pupillenrand  dringende  helle  Tageslicht  schon  aus- 
reichen, um  dieselbe  noch  weiter  erheblich  herabzusetzen,  wie  meine 
Versuche  gezeigt  haben.  Andererseits  kann  eine  wirkliche  Hyperästhesie 
der  Netzhaut  bestehen.  —  Idiopathisch  wird  die  Affection  selten  be- 
obachtet: bisweilen  nach  stärkerer  Blendung  durch  ausgedehnte  Schnee- 
t'elder,  bei  Personen,  die  jahrelang  in  dunkeln  Kerkern  gesessen  haben, 
und  epidemisch  in  gewissen  Gegenden  (Ramazzini).  Von  der  oben  er- 
wähnten bei  Anaesthesia  retinae  vorkommenden  Hyperästhesie  unter- 
scheidet sich  die  reine  Form  der  Nyctalopie  durch  das  Fehlen  concen- 
trischer  Gesichtsfeldeinengungen.  Für  die  Behandlung  sind  besonders 
die  causalen  Momente  zu  berücksichtigen;  dabei  allmähliche  Gewöhnung 
an  helle  Beleuchtung  durch  Tragen  zweckmässig  graduirter  smoke  oder 
blauer  Gläser. 

Bei  der  symptomatischen  Tagblindheit  empfehlen  sich  Peripherie- 
Schutzbrillen,  die  auch  das  seitliche  Licht  in  möglichst  vollkommener 
Weise  abhalten.  — 

Wenn  bisweilen  nach  Ueberblendung  durch  Schnee  wirkliche  Heme- 
ralopie beobachtet  wurde,  so  ist  die  eigentliche  Schneeblindheit,  bei 
welcher  mit  einer  Conjunctivitis  Umdunkelung  des  Sehens,  Krampf  des 
Sphincter  iridis  und  heftige  Schmerzen  eintreten,  die  aber  nach  Auf- 
hörung  der  Blendung  bald  wieder  schwinden  (Atropinisirung  [Ha ab]), 
mit  ihr  doch  nicht  identisch.  Sie  ist  Folge  der  reizenden  Wirkung  der 
ultravioletten  Strahlen  (Widmark).  Aehnliche  Erscheinungen  treten 
zuweilen  nach  starker  Einwirkung  des  electrischen  Lichtes  ein. 

Asthenopia  nervosa  (Asthenopia  retinae).  Die  Be- 
schwerden mangelnder  Ausdauer  beim  Arbeiten  mit  Verschwimmen  und 
Dunkelwerden  des  Betrachteten  kommen  in  Fällen  vor,  wo  wir  nicht 
selten  nach  Ausschluss  oder  Correction  von  Refractions-  und  Accommo- 
dationsanomalien,  der  Insuffizienz  der  M.  recti  interni  und  Anderem  nur 
noch  nervöse  Ursachen  annehmen  können.     Gewöhnlich  sind  hier  auch 


150  Amblyopie  und  Amaurose. 

Schmerzen  in  den  Augen  und  im  Kopfe  vorhanden,  die  selbst  fortbe- 
stehen, wenn  die  Arbeit  unterlassen  wird.  Auch  starke  Empfindlich- 
keit gegen  Lieht  rindet  sich  öfter;  bisweilen  erscheinen  die  schwarzen 
Buchstaben  roth.  Es  handelt  sieh  theils  um  allgemeine  Nervosität,  bei 
der  jegliche  Anstrengung  der  Augenmusculatur  empfindlich  ist,  theils 
um  eine  locale  Hyperästhesie  der  Netzhaut. 

Meist  sind  die  Erkrankten  anämische,  nervöse,  neurasthenische  oder 
hysterische  Personen.  Förster  hat  eine  besondere  Kopiopia  hy- 
sterica  (Schmerzempfindungen  verschiedenster  Art,  oft  unabhängig  von 
der  Arbeit,  Empfindlichkeit  gegen  Beleuehtungscontraste  und  häufiger 
Wechsel  in  den  Beschwerden)  beschrieben  und  stellt  sie  in  Abhängigkeit 
von  einer  atrophirenden  Parametritis  (Freund).  Doch  dürfte  letzterem 
Moment  keine  hervorragende  ätiologische  Bedeutimg  beizumessen  sein. 
Bei  den  so  sehr  häufigen  Befunden  einer  mehr  oder  weniger  ausgeprägten 
Abweichung  vom  physiologischen  Verhalten  der  Genitalorgane  bei  Frauen 
wird  der  Nachweis  eines  factischen  Zusammenhanges  derselben 
mit  dem  Augenleiden  ( —  und  es  sind  in  letzter  Zeit  auch  für  andere 
Augenaffectionen  die  Genitalerkrankungen  als  ätiologisches  Moment  stark 
betont  worden  [Mooren]  — )  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht  über- 
zeugend zu  führen  sein.  Uebrigens  kommen  dieselben  asthenopischen 
Beschwerden  auch  gelegentlieh  bei  Männern  vor. 

Die  Behandlung  wird  vorzugsweise  eine  Heilung  oder  Besserung 
der  constitutionellen  Anomalien  erstreben  müssen.  Bei  der  Hartnäckig- 
keit, welche  das  Leiden  oft  zeigt,  ist  vollständiges  Aufgeben  aller  Arbeit 
neben  Aufenthalt  auf  dem  Lande  oder  im  Gebirge  nicht  selten  noth- 
wendig.  Bei  hysterischen  Personen  empfiehlt  sich  die  Tinet.  Valerianae 
mitTinct.  Castörei;  auch  Metallotherapie  kann  von  Erfolg  sein  (Ab  a  die). 
Oertlich  wird  das  Tragen  blauer,  in  Einzelfällen  auch  gelber  Brillen 
zu  versuchen  sein,  Massage  und  Augendouchen.  Ich  habe  grossen 
Nutzen  von  der  Anwendung  des  constanten  Stromes  (1  bis  2  Milli- 
amperes, eine  Electrode  im  Nacken,  die  andere  auf  dem  geschlossenen 
Auge,  abwechselnder  Strom,  ca.  5  Minuten  lang)  gesehen:  allerdings 
spielt  eine  grosse  Bolle  hier  die  Suggestion,  welche  der  Arzt  durch 
Eingehen  auf  die  Persönlichkeit  des  Kranken  während  des  Electrisirens 
ausüben  kann.  Gleichzeitig  setzt  man  durch  lange  fortgesetzte  Atro- 
pinisirung  die  Augen  in  einen  vollkommenen  Ruhezustand.  Besonders 
achte  man  auch  auf  etwa  gleichzeitig  bestehende,  wenn  auch  geringe 
entzündliche  l'rocesse  am  Auge  (z.  B.  leichte  Conjunctiviten,  Conj.  folli- 
culosa,  Blepharitis,  periphere  Chorioiditis)  und  behandele  sie.  Allmäh- 
lich möge  man  dann  die  Wiederaufnahme  der  Arbeit  gestatten.  Hier 
kann  eine  methodische  Uebung  von  Nutzen  sein.  Man  lässt  mit  ent- 
sprechender Brille  in  einem  Buche  mit  gutem  Druck  Leseübungen  an- 


Besondere  Formen  der  Amblyopie.  151 

stellen  und  zwar  bei  Vermeidung  sonstiger  Nabearbeit  nur  so  lange, 
als  keine  Beschwerden  eintreten.  Von  Tag  zu  Tag  verlängert  man  die 
Uebung  um  einige  Minuten.  Sollten  in  der  Zwischenzeit  Schmerzen  ein- 
treten, so  ist  das  ein  Merkzeichen,  die  Uebungen  wieder  abzukürzen. 
9)  Amaurosis  partialis  fugax  (Flimmerskotom,  Teichopsie*). 
l>as  Flimmerskotom  ist  ein  sehr  häutig"  zur  Beobachtung  kommendes 
Leiden.  Die  Kranken  klagen  darüber,  dass  plötzlich  eine  partielle  Ver- 
dunkelung in  ihrem  Gesichtsfelde  eintritt,  von  der  aus  ein  Flimmern, 
oft  mit  glänzenden  zackigen  Lichtstrahlen  sich  immer  weiter  ausbreitet, 
das  schliesslich  das  ganze  Gesichtsfeld  verdecken  kann.  Ein  scharfes 
Erkennen  wird  unmöglich.  Nach  einer  Zeit  (etwa  nach  !/4  bis  \  Stunde) 
versehwindet  das  Phänomen  wieder.  Meist  folgen  Kopfschmerzen 
oder  wenigstens  ehi  gewisser  Druck  im  Kopf.  Bei  Migränekranken 
leitet  sich  der  Migräneanfall  öfter  in  dieser  Weise  ein.  Bisweilen  geht 
das  Flimmerskotom,  das  überhaupt  sehr  verschiedenartiges  Auftreten 
(v.  Beuss)  zeigt,  clirect  vom  Fixationspunkte  aus:  es  fehlen  die  fixirten 
Buchstaben  und  erst  später  wird  das  Gesichtsfeld  befallen.  In  noch 
anderen  Fällen  ist  und  bleibt  die  Erscheinung  ganz  partiell;  ich  selbst 
habe  es  ein  paar  Mal  nur  etwa  5  Minuten  dauernd  in  einem  ganz 
kleinen  Theil  der  äussersten  unteren  Peripherie  des  Gesichtsfeldes  ge- 
habt. Eine  gewisse  Unbequemlichkeit  beim  Sehen  machte  mich  auf 
die  Erscheinung  aufmerksam.  —  In  anderen  Fällen  ist  das  Skotom 
hemianopsiseh.  Bei  einem  meiner  Patienten  ist  bald  die  rechte,  bald 
die  linke  Gesichtsfeldhälfte  befallen;  der  folgende  Kopfschmerz  hat 
stets  m  der  entgegengesetzten  Kopfhälfte  oberhalb  des  Ohres  seinen 
Sitz,  dabei  gleichzeitig  Ausdehnung  und  Pulsiren  der  betreffenden  Haut- 
gefässe.  Aber  auch  die  obere  oder  untere  Hälfte  des  Gesichtsfeldes 
kann  ergriffen  sehi.  Oefter  fehlt  bei  diesen  vorübergehenden  Hemianopsien 
das  Flimmern,  es  ist  ein  vollständiger  Gesichtsfelddefect.  Meist  wird 
das  einmal  befallene  Individuum  in  mehr  oder  weniger  langen  Zwischen- 
räumen von  neuem  von  der  Erscheinung  heimgesucht;  bei  Manchen 
besteht  sie  zeitlebens,  doch  pflegt  sie  im  Alter  an  Häufigkeit  und  In- 
tensität abzunehmen.  Irgend  welche  Schädigung  für  den  Sehapparat 
ist  nicht  zu  befürchten.  Mit  dem  Augenspiegel  beobachtet  man  keine 
Veränderungen  des  Augenhintergrundes.  Wie  die  Hemianopsien  und 
das  fast  constante  doppelseitige  Auftreten  zeigt,  handelt  es  sich  in  der 
Regel  um  eine  centrale  nervöse  Erscheinung.  Wir  finden  sie  daher 
häufig  bei  nervös  angelegten  Individuen,  bei  Leuten,  die  viel  Kopt- 
arbeit zu  leisten  haben:  doch  auch  bei  anderen  Individuen  kommt  das 


*  Von  zat/o;  Mauer  und  oy>iq  das  Sehen,   weil  die  Ränder  der  flimmernden 

bellen  oft  in  Zickzacklinien,  ähnlich  Festung-smauern,  verlaufen. 


152  Amblyopie  und  Amaurose. 

Flimmerskotom  nicht  allzu  selten  vor.  Bisweilen  sind  bestimmt  nachweis- 
bare Veranlassungen  vorhanden:  so  tritt  es  bei  Einzelnen  auf,  wenn 
sie  bei  nüchternem  Magen  sieb  anstrengen,  bei  Anderen  nach  reich- 
licher Mahlzeit  u.  s.  f.  Ein  directes  Coupiren  der  Anfälle  gelingt  bis- 
weilen; dahin  wirkende  Mittel  sind  individuell  bald  eine  Tasse  Kaffee, 
Theo,  ein  Glas  Wein.  Manz  hat  an  sieh  selbst  in  einzelnen  Anfällen, 
die  demnach  retinalen  Ursprungs  waren,  durch  einen  starken  Druck 
auf  den  Augapfel  die  Erscheinung  zum  Schwinden  gebracht;  einige 
Male  habe  ich  ebenfalls  davon  Yorthcil  gesellen.  Von  Arzneimitteln 
empfehlen  sich  Antifebrin,  Antipyrin  oder  sonstige  Nervina  neben  Re- 
gelung der  körperlichen  und  allgemeinen  hygienischen  Verhältnisse;  bei 
G-esichtsblässe  auch  Inhalationen  von  Amylnitrit  (Silex). 

10)  Reflectorische  und  traumatische  Amblyopie.  Ist  ein 
Auge  an  Irido-Cyclitis  erkrankt,  so  kann  eine  sympathische  Neu- 
rose (Don der s)  des  anderen  Auges  auftreten,  die  als  Hyperästhesie 
der  Netzhaut,  Asthenopie,  Flimmern,  periodische  Verdunkelung  des 
centralen  Sehens  (Laqueur)  oder  auch  als  Amblyopie  mit  und  ohne 
concentrischer  Verengerung  des  Gesichtsfeldes  (Mooren,  Brecht)  sich 
zeigt.  Wenn  man  abrechnet,  dass  bei  jeder  heftigen  einseitigen  Augen- 
Entztindung  das  zweite  Auge  in  gewissem  Sinne  mitleidet,  von  Licht 
mehr  geblendet  wird,  andauerndes  Arbeiten  in  der  Nähe  schmerzhaft 
ist,  und  wenn  man  ferner  erwägt,  dass  bei  den  zuletzt  genannten  Zu- 
ständen auch  Hysterie  eine  Rolle  spielen  kann,  so  halte  ich  eine  wirk- 
lich sichere  Diagnose  des  Zustandes,  der  als  „sympathische  Neurose" 
beschrieben  und  von  der  oben  erwähnten  Mitleidenschaft  des  zweiten 
Auges  bei  jeder  Entzündung  als  ein  besonders  der  „sympathischen 
( )phthalmiea  (sieh  das)  vergleichbarer  Zustand  getrennt  wird,  für  sehr 
schwierig:  ich  habe  sie  bis  jetzt  noch  nicht  stellen  können.  Dass  eine 
Heilung  durch  Herausnahme  des  primär  erkrankten  Auges  erfolgt,  be- 
weist eben  nur  für  die  vom  anderen  Auge  ausgehende  Reizung,  hat 
aher  nichts   specitisches. 

Reflectorisch  wurden  weiter  Erblindungen  beobachtet,  die  von  den 
Zahnnerven  (Wecker),  vom  N.  supraorbitalis  (Leber)  und  von  Hel- 
minthiasis  (Rampoldi)  ausgingen.  Vielleicht  gehört  hierher  auch  ein 
Theil  der  traumatischen  Amblyopien,  die  in  Fällen  entstanden  sind,  wo 
nur  die  Umgebung  des  Auges  von  der  Verletzung  getroffen  wurde:  so 
durch  dicht  vorbeifliegende  G-eschosse,  Stoss  mit  dem  Oberkiefer  gegen 
ein  Eisen  (Schweigger)  n.  s.  w.  Auch  Amaurosen  durch  Blitzschlag 
sind  beobachtet,  die  aher  wieder  zurückgingen.  Auszuscheiden  aus  dieser 
Kategorie  sind  die  nicht  seltenen  Fülle,  WO  directe  Sehnervenvorletzuugen, 
etwa  durch  Knochensplitterun--  im  Foramen  opticum  (Hölder-B erlin) 
oder  orbitale  Blutergüsse,  die  Schwachsichtigkeit  herbeiführen,  und  ebenso 


Besondere  Formen  der  Amblyopie.  153 

die  vorübergebende,  oft  mit  Accommodationskrauipf  verknüpfte  Sckwach- 
sicbtigkeit  nacb  Contusio  bulbi,  die  auf  einer  Affection  der  Netzbaut 
(Commotio  retinae)  (siebe  unten)  berubt.  Seihst  totale  Erblindungen 
nach  Contusionen  können  wieder  schwinden;  so  in  Scbweigger's  Kall 

eine  bereits  drei  Tage  lang  bestandene  volle  Amaurose.  Es  stellte  sich 
später  leichte  Sebnervenverfarbung  ein. 

11)  Urämiscbe  Amaurosen.  Es  bandelt  sieh  meist  um  transi- 
torisebe  doppelseitige  Erblindungen.  Der  Verlust  des  Sehvermögens 
ist  nicht  sogleich  vollständig,  sondern  erreicht  in  ein  bis  zwei  Tagen 
seine  Höhe;  in  seltenen  Fällen  tritt  sofort  Amaurose  ein.  Bei  genau 
beobachteten  Fällen  fehlte  selbst  die  quantitative  Lichtempfindung  eine 
Zeit  lang.  Doch  ist  dieses  Stadium  nur  sehr  kurz;  einige  Stunden  bis 
zu  einem  Tage.  Zu  dieser  Zeit  bestehen  bisweilen  grössere  Gesicbtsfeld- 
defecte.  Später  geht  die  Zunahme  der  Sehschärfe  schnell  von  statten, 
so  dass  nach  10  bis  18  Stunden  kleinere  Schrift  gelesen  werden  kann. 
Der  ganze  Process  (von  voller  Sehschärfe  durch  absolute  Erblindung 
wiederum  zu  normaler  Sehschärfe  führend)  spielt  sich  demnach  in  .'3 
bis  4  Tagen  ab.  Die  Pupillenreaction  ist  fast  durchgehends  erhalten. 
Der  Augenspiegel  zeigt  in  der  Regel  keine  pathologische  Veränderung: 
einmal  habe  ich  ein  Oedeni  der  Papille  gesehen.  Einen  ausgeprägten 
ophthalmoskopischen  Befund  bieten  die  Fälle,  bei  denen  sich  zu  einer 
bestehenden  Retinitis  albuminurica  eine  urämische  Amaurose  gesellt. 

Urämische  Amaurosen  sind  sowohl  bei  acuten  als  auch  bei  chro- 
nischen diffusen  Nierenentzündungen  beobachtet  worden;  besonders  häutig 
nach  Scharlach.  Aber  auch  ein  Theil  der  auf  Bleiintoxicationen  ge- 
schobenen schnell  vorübergehenden  Amaurosen,  sowie  der  bei  Eclampsia 
gravidarum  vorkommenden  gehören  hierher.  —  Immer  sind  gewisse, 
wenn  auch  bisweilen  unbedeutende  Zeichen  der  Urämie  vorhanden : 
Kopfschmerz,  Uebelkeit  und  Erbrechen,  Benommenheit  des  Sensoriums, 
Sopor.  Convulsionen.  Oedenie  bestehen  oder  fehlen.  Die  Harnsecretion 
ist  autgehoben  oder  verringert. 

Die  Therapie  wird  gegen  die  Urämie  zu  richten  sein:  Blutent- 
ziehungen hinter  den  Ohren  erschienen  mir  öfter  von  Nutzen.  Evers- 
üsch  empfiehlt  auch  kleine  Venaesectionen. 

12)  Intoxicationsamblyopie.  Am  häufigsten  treten  diese  Am- 
blyopien, in  der  Regel  mit  centralen  Skotomen,  nach  Tabak-  und 
Alkoholmissbrauch  auf.  So  fand  Uhthoff  unter  1000  schweren 
Alkokolisten  69,  welche  daran  litten.  Die  Kranken  klagen  meist  über 
Nebligsehen;  das  Sehvermögen  ist  auf  beiden  Augen,  wenn  auch  nicht 
immer  gleichmässig  geschwächt.  Die  Untersuchung  ergiebt  ein  centrales 
Farbenskotom,  das  in  der  Regel  ein  Queroval  (Groenouw)  darstellt 
und  sich  bisweilen  gegen  den  blinden  Fleck  hin  etwas  weiter  ausdehnt 


154  Amblyopie  und  Amaurose. 

(s.  S.  l.'!7).  Für  weiss  besteht  in  »1er  Regel  kein  Defect.  Zu  Beginn 
ist  der  ophthalmoskopische  Befund  meist  negativ,  später  tritt  eine  weisse 
Verfärbung  der  macularen  Papillenhälfte  auf.  Die  Prognose  ist  bei 
Enthaltung  von  den  ursächlichen  Schädlichkeiten  verhältnissmässig 
günstig,  jedoch  kommen,  besonders  bei  Tabak-Intoxicationen,  trotz 
Abstinenz  progressive  Processe  vor.  Jodkali  innerlieb  und  Stiychnin- 
Injection  werden   zur  Unterstützung   der  Kur  mit  Vortbeil   angewandt. 

Zu  sondern  von  dieser  Form  der  Alkobol-Intoxieation  ist  eine  andere, 
bei  der  ohne  centrale  Skotome  und  ohne  Gesichtsfelddefecte  eine  starke 
Amblyopie  auftritt.  Es  handelt  sich  hier  in  der  Regel  um  sehr  starke 
Trinker  mit  allen  sonstigen  Zeichen  des  Alkoholmissbrauches.  Bei  Ab- 
stinenz,  stärkendem  Regime,  Aufenthalt  in  einer  Anstalt  tritt  oft  eine 
überraschend  schnelle  Besserung  ein,  wenn  eben  noch  nicht  der  Process 
zu  lange  bestanden  und  den  Sehnerv  zu  sehr  (durch  interstitielle  Neu- 
ritis retrobulbaris)  geschädigt  hat. 

Die  Amblyopien  bei  Diabetes  gehen  ähnlich  wie  die  Intoxications- 
Amblyopien  mit  centralen  Farbenskotomen  einher,  die,  wie  ich  in  einem 
Fall  nachweisen  konnte,  Folge  einer  die  macularen  Fasern  befallenden 
retrobulbären  Neuritis  sind. 

Auch  nach  Blei-  und  Chinin- Vergiftungen  beobachtet  man  Am- 
blyopien. Die  Bleiamblyopien  zeigen  zunehmende  Schwachsichtigkeit, 
theils  gleichmässig  über  das  ganze  Gesichtsfeld  verbreitet  oder  mit 
centralem  Skotome;  die,  peripheren  Farbengrenzen  sind  bisweilen  ein- 
geengt und  der  Lichtsinn  herabgesetzt  (Stood).  Oefter  besteht  Hy- 
perämie der  Papille,  selbst  Neuritis;  in  der  Netzhaut  sind  Apoplexien 
mit  Gefäss-Alterationen  gesehen  worden.  Die  Therapie  richtet  sich 
gegen  die  Bleivergiftung.  —  Ueber  Chininamaurosen,  die  nach  grossen 
Chiningaben  sich  einstellen,  liegen  uns  bereits  zahlreiche  Beobachtungen 
vor  (Grüning,  Knapp).  Die  eingetretene  totale  Blindheit  schwindet 
meist  nach  Wochen  oder  Monaten;  während  die  centrale  Sehschärfe 
öfter  wieder  normal  wird,  bleibt  das  Gesichtsfeld  verengt.  Die  Papilla 
optica  ist  blass  und  die  Netzhautge fasse  sind  schmal.  Die  Therapie 
beschränkte  sich  auf  horizontale  Lage  und  Roborantien.  Amylnitrit, 
Electricität  waren  wirkungslos;  Strychnin  könnte  eher  versucht  werden 
(J.  Roosa). 

Nach  grösseren  Dosen  von  Salicylsäure  (Riess),  Filix  mas, 
Carbolsäure,  Nitrobenzol  (Nieden)  und  Jodoform  (Hirsch- 
berg), sowie  in  Folge  dw  Einwirkung  des  Schwefel-Kohlenstoffs 
bei  Arbeitern  in  Gutta-Percha-Fabriken  (F.  Becker)  sind  ebenfalls 
Sehstörungen  beobachtet  worden. 

L3)  Amaurosen  nach  Blutverlust.  Nach  Blutbrechen,  Darm- 
blutungen, Hämoptoe,  Menorrhagien   u.  s.  w.  entstehen  bisweilen  Seh- 


Simulation  von  Amblyopie  und  Amaurose.  155 

Störungen,  die  bald  sofort,  bald  erst  in  den  nächstfolgenden  Tagen  zur 
vollen  Entwickelung  kommen.  Es  handelt  sich  entweder  um  eine 
massige  Amblyopie,  die  sieh  wieder  verringern  kann,  oder  es  kommt 
zur  vollen  Amaurose,  die  alsdann  wenig  Aussieht  auf  Heilung  gieht. 
Auch  centrale  Skotome  habe  ich  danach  auftreten  sehen.  Meist  sind 
die  Erkrankungen  doppelseitig,  doch  kommen  sie  auch  einseitig  vor. 
Frisch  beobachtet  ist  in  der  Regel  eine  leichte  Trübung  der  Sehnerven 
(Horstmann)  zu  sehen,  bisweilen  ausgesprochene  Neuro-Retinitis 
(Hirschberg)  —  Befunde,  die  ich  ebenfalls  öfter  constatiren  konnte. 
Schliesslich  wird  die  Papille  blass.  Ziegler  fand  bei  der  Section  einer 
Kranken,  die  nach  einer  Magenblutung  einige  Wochen  zuvor  erblindet 
war,  bereits  Verfettung  der  Sehnervenfasern,  die  er  als  Folge  localer 
[schände  ansieht.  In  anderen  Fällen,  wo  es  sich  um  plötzliche,  aber 
schnell  vorübergehende  Erblindungen  handelt,  dürfte  es  sich  jedoch 
nicht  um  retrobulbäre  Sehnerven- Affectionen,  sondern  um  Oedeme  der 
centralen  Sehcentren  handeln.  Dafür  spricht  auch  ein  von  mir  be- 
obachteter Fall,  wo  nach  einer  schweren  Entbindung  und  erschöpfender 
Blutung  die  Patientin  nicht  mehr  das  Licht  im  Zimmer  sah  und  zugleich 
bei  vollem  Bewusstsein  das  Gehör  verlor.  Nach  einer  Stunde  sah  und 
hörte  sie  wieder. 

Die  Therapie  wird  im  Allgemeinen  eine  roborirende  sein  müssen. 
Handelt  es  sich  um  eine  örtliche  Neuritis,  so  kann,  falls  sonst  keine 
Contraindicationen  vorliegen,  bei  der  grossen  Gefahr  voller  Erblindung 
eine  Quecksilberkur  (Schmier-  oder  Injectionskur)  versucht  werden. 

Simulation  von  Amblyopie  und  Amaurose. 

Die  Simulation  von  Schwachsichtigkeit  oder  einseitiger  Amaurose 
ist  nicht  zu  selten.  Wir  finden  sie  häufig  bei  Leuten,  die  sich  dem 
Militärdienst  entziehen*  und  bei  solchen,  welche  Unfallrenten   u.  s.  w. 


*  Deutsche  Heerordnung  vom  22.  November  1888.  §  7.  Bedingte  Taug- 
lichkeit. 2.  Geringe  körperliche  Fehler  fim  allgemeinen  Ersatzreserve,  jedoch 
ist  die  Aushebung  zum  aetiven  Dienst  keineswegs  ausgeschlossen).  Anlage  lh: 
Herabsetzung  der  Sehschärfe,  so  lange  sie  mehr  als  die  Hälfte  der  normalen  be- 
trägt. 3.  Bleibende  körperliche  Gebrechen*  (in  der  Regel  Landsturm  ersten  Auf- 
gebots und  nur  ausnahmsweise  Ersatzreserve).  Anlage  2a:  Herabsetzung  der  Seh- 
schärfe auf  beiden  Augen,  wenn  dieselbe  nur  die  Hälfte  oder  weniger,  aber  mehr 
als  '  4  der  normalen  beträgt.  §9.  Untauglichkeit.  2.  (Landsturm  1.  Aufgebots 
und  bei  hochgradigem  Vorhandensein  der  Gebrechen  dauernde  Untauglichkeit  . 
Anlage  4a  :  11.  Blindheit  auf  einem  Auge  bei  guter  Gebrauchsfähigkeit  des  anderen. 
3.  dauernde  Untauglichkeit.  ausnahmsweise  Landsturm  1.  Aufgebots).  Anlage  4b: 
19.  Herabsetzung  der  Sehschärfe,  wenn  dieselbe  auf  dem  besseren  Auge  1  ,  der 
normalen  oder  weniger  beträgt  (hiernach  sind  auch  die  durch  Nachtblindheit  her- 
vorgerufenen Sehstörunsren  zu  beurtheilen,  selbst  wenn  die  Untersuchung  einen 


[56  Amblyopie  und  Amaurose. 

erschleichen  wollen;  aber  auch  bei  Kindern  habe  ich  sie  öfter  beob- 
achtet, ohne  dass  immer  ein  bestimmter  Grund  für  diesen  Täuschungs- 
versuch nachweisbar  war. 

Simulation  vollständiger,  doppelseitiger  Erblindung  ist  weniger 
beliebt.  Verdächtig  wird  liier  immer  sein,  wenn  die  Pupillen  auf  Licht 
reagiren  und  kein  ophthalmoskopischer  Befund  uns  die  Erblindung  wahr- 
scheinlich macht.  Allerdings  besteht  auch  bei  wirkliehen  Amaurosen 
zuweilen  die  Pupillenreaction ;  bleibt  aber  die  Erblindung  längere  Zeit 
(etwa  über  einen  Monat)  stationär,  so  hört  in  der  Regel  die  Reaetion 
auf:  ebenso  stellt  sieh  meist  eine  Verfärbung  der  Papilla  optica  heraus. 
Auch  das  Benehmen  der  Simulanten,  das  genau  und  ohne  ihr  Wissen 
beobachtet  werden  muss,  ist  oft  A^erdäcktig.  Bei  der  Untersuchung 
kneifen  sie  gern  die  Augen  zu  und  zeigen  Lichtscheu,  was  wirklich 
Amaurotische  kaum  thun.  Eine  einfache  Methode,  mit  der  Simulanten 
öfter  gefangen  werden,  wende  ich  iii  der  Weise  an,  dass  ich  ihnen 
ihren  eigenen  Finger  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  vorhalte  und 
sie  auffordere,  den  Finger  anzusehen.  Wirklieh  Blinde  richten  ihre 
Augen  darauf  oder  geben  sich  wenigstens  Mühe,  den  Augen  die  ent- 
sprechende Richtung  zu  geben,  da  sie  ja  durch  ihr  Allgemeingefühl 
über  die  Lage  ihrer  Hand  und  ihrer  Finger  unterrichtet  sind.  Bei 
länger  Erblindeten  muss  man  den  Finger  etwas  fest  drücken,  um  sie 
über  die  Lage  genau  zu  orientiren,  auch  energisch  die  Aufforderung 
zur  Einstellung  an  sie  richten:  mit  diesen  Vorsichtsmaassregeln  wird 
man.  falls  nicht  etwa  schon  Störungen  in  den  Augenbewegungen  selbst 
eingetreten  sind,  fast  ausnahmslos  die  Augen  eine  wenigstens  annähernde 
Einstellung  ausführen  sehen.  Anders  bei  den  Simulanten.  Diese  meinen 
durch  die  Einstellung  auf  ihren  Finger  auch  ihr  Sehvermögen  darzuthun, 
halten  die  Aufforderung  für  eine  ihnen  gestellte  Falle  und  drehen  nun 
die  Augen  absichtlich  nach  ganz  entgegengesetzten  Richtungen.  Wenn 
der  Versuch  auch  nicht  absolut  beweisend  ist,  so  gewinnt  doch  zu- 
treffenden Falles  der  Verdacht  ausserordentlich  an  Grund.  — 

Auch  der  Welzsche  Rrismenversuch  lässt  sich  hier  wie  bei  Simu- 
lation einseitiger  Erblindung  anwenden.  Man  legt  vor  ein  Auge,  während 
beide  geöffnet  sind,  ein  Prisma  von  10  bis  12  Grad  mit  der  Basis  nach 
Aussen.  Bei  Fixation  eines  Gegenstandes  tritt  zur  Vermeidung  der 
Doppelbilder  unwillkürlich  Schielen  nach  Innen  unter  dem  ablenkenden 

höheren  Grad  von  Sehschärfe  ergiebt).  20.  Blindheit  auf  beiden  Augen  oder  auf 
einem  Auge  bei  beschränkter  Gebrauchsfähigkeit  des  andern.  --  In  Oesterreich 
ist  vollkommen  dienstfähig,  wer  auf  beiden  Augen  mindestens  S  V2  ('mich  Correction 
etwaiger  Ametropie)  hat.  Wer  S  l/2  auf  dem  besseren,  mindestens  S  1/4  auf  dem 
schlechteren  Auge  hat,  komnrl  zur  Ersatzreserve.  Geringere  Sehschärfe  macht 
untauglich. 


Simulation  von  Amblyopie  und  Amaurose.  157 

Prisma  ein.  Es  ist  natürlich  das  Vorhandensein  eines  binocularen  Seh- 
actes  hier  vorausgesetzt.  — 

Auch  bei  der  Simulation  einseitiger  Erblindung  ist  es  ver- 
dächtig, wenn  bei  Verschluss  des  sehenden  Auges  die  Pupille  auf  Licht 
reagirt  Direct  Lässt  sich  die  Lichtempfindung  in  folgender  Weise  test- 
stellen. Man  wirft  im  fast  dunklen  Ophthalmoskopir-Zimmer,  während 
der  Untersuchte  etwas  nach  eben  blickt,  mit  dem  Augenspiegel  Licht 
in  Jas  sehende  Auge  und  lässt  jedesmal  angeben,  wenn  die  Helligkeit 
bemerkt  wird.  Dann  wirft  man  dazwischen  auch  einmal  Licht  in  das 
andere  blinde  Auge:  hierbei  wird  entsprechenden  Falles  ebenfalls  das 
Hellerwerden  angegeben,  da  der  Untersuchte  nicht  weiss,  in  welches 
Auge  das  Licht  fallt.  —  Sonst  spielen  auch  hier  die  Prismenversuche  eine 
Rolle.  Man  beschäftigt  sich  beispielsweise  nur  mit  dem  sehenden  Auge, 
während  das  angeblich  blinde  jedoch  offen  bleibt,  und  lässt  nach  einem 
Licht  blicken.  Legt  man  mm  vor  das  sehende  Auge  ein  Prisma,  Basis 
nach  unten  oder  oben,  indem  man  sagt,  jetzt  würden  Doppelbilder  auf- 
treten, so  gehen  in  der  That  die  Simulanten  bisweilen  hierauf  ein  und 
geben  die  übereinander  stehenden  Doppelbilder  an,  womit  dann  erwiesen 
ist,  dass  auch  das  angeblich  blinde  Auge  sieht  (A.  v.  Grraefe).  Man 
schliesse  aber  aus,  dass  nicht  etwa  Reflexe  an  dem  Rande  des  vorge- 
haltenen Prismas  ein  monoculares  Doppelsehen  bewirken.  -  -  Feiner, 
aber  in  seiner  Ausführung  etwas  schwieriger  zu  controliren,  ist  der  Ver- 
such von  Alfr.  Grraefe.  Während  das  angeblich  blinde  Auge  mit  der 
Hand  bedeckt  wird,  legt  man  vor  das  sehende  und  ein  Licht  fixirende 
Auge  ein  Prisma  (Basis  nach  unten)  in  der  Weise,  dass  die  Kante 
horizontal  quer  durch  die  Mitte  der  Pupille  geht,  der  obere  Theil  der 
Pupille  also  frei  bleibt.  Es  entsteht  jetzt  monoculares  Doppelsehen, 
durch  die  obere  Hälfte  der  Pupille  gehen  die  Lichtstrahlen  ungebrochen, 
während  die  durch  die  untere  Hälfte  gehenden  nach  der  Basis  des 
Prismas  hin  abgelenkt  werden.  Die  Doppelbilder  stehen  übereinander. 
Nachdem  sich  so  der  Simulant  überzeugt  hat,  dass  er  mit  einem  Auge 
doppelt  sieht,  nimmt  man  die  Hand  von  dem  angeblich  blinden  Auge 
und  schiebt  gleichzeitig  hiermit,  und  dem  Kranken  unmerkbar,  das 
Prisma  so  in  die  Höhe,  dass  jetzt  die  ganze  Pupille  des  sehenden  Auges 
bedeckt  wird.  Fragt  man  nun,  wie  viel  Bilder  vorhanden  seien,  so 
wird  der  Simulant  zwei  angeben,  da  er  meint,  dieselben  mit  dem 
sehenden  Auge  wahrzunehmen.  Durch  Verschiebung  des  Prismas  über 
die  ganze  Pupille  ist  aber  hier  die  Ablenkung  gleichmässig  nach  unten 
eingetreten  und  das  zweite  Bild  kann  nur  von  dem  angeblich  blinden 
Auge  herrühren. 

Das  Stereoskop  ist  viel  benutzt  worden,  besonders  mit  den  Modi- 
ficationen  der  Vorlagen,  wie  sie  von  Rabl-Rückhard  angegeben  und 


lös 


Amblyopie  und  Amaurose. 


in  den  Burchardt'schen  Proben*  ausgeführt  sind.  Ks  ist  liier  die 
bei  normalem  Sehen  unwillkürlich  auftretende  Verschmelzung  der  beiden 
Hälften  der  Vorlegeblätter  zu  einem  Sammelbild,  welches  die  Simulanten 
entlarvt.  Haben  wir  beispielsweise  Vorlegeblatt  Figur  65,  so  wird  das- 
selbe stereoskopisch  die  Sammel-Figur  66  zeigen;  giebt  Patient  dieselbe 
richtig  an,  so  ist  damit  seine  Simulation  entdeckt.  Man  kann  auch  auf 
diese  Weise  eine  gewisse  Anschauung  über  den  Grad  der  Sehschärfe 
des  angeblich  blinden  Auges  gewinnen.  Aber  störend  ist,  dass  nicht 
wenige  Individuen  im  Beginn,  ohne  dass  es  zu  einer  Verschmelzung 
kommt,  die  Hälften  des  Vorlegeblattes  einzeln  sehen  und  sich  orientiren. 
Weiter  können  manche  Personen,  besonders  solche,  bei  denen  Aniso- 
metropie oder  Schwachsichtigkeit  eines  Auges  besteht,  überhaupt  nicht 
stereoskopisch  sehen;  wohl  aber  erhalten  sie  mit  Prismen  noch  Doppel- 
bilder.    Aus  diesem  Grunde  habe  ich  ein  Verfahren  benutzt,  bei  dem 


6r>. 


67. 


vom  eigentlichen  stereoskopischen  Sehen  ganz  abstrahirt  wird  und  nur 
die  Verschiebung  der  Bilder,  wie  sie  die  im  Stereoskop  befindlichen, 
mit  der  Basis  beiderseits  temporalwärts  gerichteten  Prismen  bewirken, 
als  ausschlagend  in  Betracht  kommt.  Stellt  man  sich  ein  Vorlegeblatt 
Figur  67  her,  so  werden  bei  Betrachtung  im  Stereoskop  das  Quadrat 
und  Kreuz  der  obersten  Reihen  durch  die  Prismenwirkung  überkreuzt 
werden,  d.  h.  das  Kreuz  erscheint  links  von  dem  Quadrat;  hingegen 
wird  in  der  dritten  Reihe  die  Prismenbrechung  nicht  stark  genug  sein 
zur  Ueberkreuzung,  sondern  nur  Kreuz  und  Quadrat  der  Mittellinie 
etwas  nähern  u.  s.  f.  Ks  entsteht  bei  ähnlichen  Vorlagen,  deren  Zeichen 
natürlich  noch  gemehrt  werden  können,  ein  solches  Durcheinander,  dass 
der  Simulant,  wenn  er  die  von  ihm  gesehenen  Figuren  von  oben  nach 
unten  nennen  soll,  vollkommen  unklar  ist,  welche  von  seinem  rechten 
oder  linken  .Auge  gesehen  werden  und  so  Figuren  nennt,  die  dem  an- 
geblich blinden  Auge  gegenüber  liegen.  Ist  letzteres  factisch  etwas 
schwachsichtig,  so  könnte  durch  die  grössere  Undeutlichkeii  der  mit 
diesem  Auge  gesehenen  Figuren  ein  Anhalt  gewonnen  werden;  man 
kann    dem    entgegenwirken,    wenn    man    die  Figuren    der  betreffenden 


*  Praktische  Diagnostik  der  Simulationen  von  Gefühlslähmung,  Schwerhörig- 
keit und  von  Schwachsichtiffkeit.    Berlin. 


Simulation  von  Amblyopie  und  Amaurose. 


159 


Vorlageseite  etwas  kräftiger  und  grösser  zeichnet  als  die  dem  gesunden 
Auge  vorliegenden.  Auch  mit  diesem  Versuch  lässt  sieh  durch  ver- 
schiedene Grösse  der  Figuren,  die  man  leicht  und  schnell  herstellen 
kann,  die  Sehschärfe  beurtheilen. 

Sehr  empfehlenswerth  ist  für  diese-  Experimente  das  sogenannte 
amerikanische  Stereoskop;  hier  kann  man  die  Vorlegeblätter  entsprechend 
der  Accommodation  und  Refraction  des  Untersuchten  nähern  oder  ent- 
fernen (die  stereoskopischen  Prismen  sind  immer  gleichzeitig  convex 
geschliffen)  und  auch  beobachten,  dass  der  Untersuchte  nicht  etwa  das 
angeblich  blinde  Auge  zukneift. 


In  ähnlicher  Weise  wie  die  Prismen-Stereoskope,  die  überall  leicht  zu  haben 
sind,  wirkt  der  Flöes'sche  Apparat.  Derselbe  bestellt  aus  einem  mit  Milchglas 
gedeckten  Kasten,  in  welchem  den  beiden  Oeffnungen 
für  die  Augen  I  Figur  68 1  gegenüber  sich  zwei  unter  einem 
Winkel  von  120  Grad  gegeneinander  gestellte  Spiegel  (ss) 
befinden.  Durch  dieselben  werden  Strahlen,  welche  von 
zwei  Gegenständen  (a,  b)  ausgehen,  die  neben  den  Augen- 
öffnungen  im  Kasten  sieh  befinden,  derartig  reflectirt,  dass 
die  von  dem  links  liegenden  Gegenstande  ausgehenden 
in  das  rechte  Auge  fallen,  aber  nach  links  projicirt  werden; 
mit  dem  rechts  gelegenen  Gegenstand  geschieht  es  um- 
gekehrt. Der  Simulant  meint  natürlich  mit  dem  rechten 
Auge  das  rechts  erscheinende  Bild  zu  sehen,  mit  dem 
linken  das  links  erscheinende  und  kommt  so  zu  falschen 
Angaben.  — 

Ravä  stellt  an  die  Rückwand  eines  Kastens  eine 
rothe  Fläche  und  schiebt  nun  vor  die  eine  oder  andere 
Ocularöffnung  ein  grünes  Glas.  Die  angegebenen  Farben 
lassen  das  Auge,  mit  dem  gesehen  wird,  erkennen. 


Sn eil en   benutzt    T afein ,    die 


mit   farbigen 


Buchstaben  bedruckt  sind,  z.  B.  die  grossen  Stilling' sehen  Farben- 
tafeln. Sieht  man  diese  Buchstaben  durch  ein  andersfarbiges  Glas 
an.  z.  B.  die  rothen  mit  einem  grünen  Glase  (doch  muss  immer 
von  dem  Untersucher  das  Glas  vorher  darauf  geprüft  worden  sein); 
so  werden  sie  unsichtbar.  Man  hält  nunmehr  das  betreffende  Glas  vor 
das  sehende  Auge  des  Untersuchten;  liest  derselbe  trotzdem  die  Buch- 
stalten, so  sieht  er  mit  dem  angeblich  blinden  Auge.  Aehnlich  ist  das 
Verfahren,  vor  das  sehende  Auge  ein  starkes  Concav-  oder  Convexglas 
zu  legen,  welches  derartig  die  Strahlen  zerstreut,  dass  keine  erkenn- 
baren Bilder  auf  der  Netzhaut  entstehen.  Doch  werden  einigermaassen 
unterrichtete  Simulanten  sich  hierdurch  nicht  leicht  überführen  lassen. 
Besser  ist  folgendes  Verfahren:  Man  legt  vor  das  sehende  Auge  ein 
starkes  Convexglas  (-}-  6  D.)  und  lässt  nun,  indem  man  Leseproben 
entsprechend   nahe    an    das  Gesicht   hält,   bei  Offensein  beider  Augen 


liiti  Amblyopie  und  Amaurose. 

lesen;  allmählich  geht  man  mit  der  Probe  weiter  ab.  Sollte  der  Simulant 
dann  noeh  viel  weiter  als  '  (i  Meter  (Fernpunkt  des  emmetropischen 
Auges  mit  -f-  6-0)  lesen,  so  kann  dies  nur  mit  dem  angeblich  blinden 
Auge,  dem  kein  Convexglas  vorgesetzt  ist,  gesehenen.  Ein  anderes 
Manöver  führt  man  so  aus,  dass  man  ein  Lineal  oder  Aehnliehes  an 
die  Nasenwurzel  zwischen  beide  Augen  hält  und  lesen  lässt.  Ist  das 
Lineal  entsprechend  breit  und  geht  bis  nahe  an  den  Druck,  so  ist  das 
linke  Auge  gehindert,  den  rechts  von  der  Schneidefläche  gelegenen 
Tluil  der  Zeile  zu  lesen  und  umgekehrt,  während  bei  binocularem  Sehen 
die  ganze  Zeile  gelesen  wird. 

Durch  Anwendung  der  einen  oder  anderen  dieser  Methoden  wird 
man  wohl  jeden  Simulanten  einseitiger  Blindheit  entlarven  können. 

Sehr  viel  schwieriger  ist  es,  wenn  nur  Schwachsichtigkeit 
simulirt  oder  eine  bestehende  Schwachsichtigkeit  übertrieben  wird  (Ag- 
gravation). Hier  ist  fürs  Erste  eine,  genaue  objeetive  Untersuchung 
des  Auges  unerlässlich.  lieber  Refractionsanomalien  und  Astigmatismus 
wird  man  durch  die  Augenspiegeluntersuchung  bald  ins  Klare  kommen. 
Besonders  achte  man  auch  auf  leichte  Hornhauttrübungen  oder  etwaige 
Srliielablenkung  eines  Auges:  beides  würde  einen  Grund  für  das  wirkliehe 
Vorhandensein  der  Amblyopie  geben. 

Ueber  den  Grad  derselben  wird  man  sich  durch  Prüfung  der  Seh- 
schärfe auf  verschieden  grosse  Entfernungen  und  auch  selbst  für  die 
Nähe,  eventuell  mit  Brillen,  zu  unterrichten  suchen.  Eine  gewisse  Ueber- 
einstimmung  muss  hier  vorhanden  sein,  besonders  wenn  die  Sehschärfe 
verhältnissmässig  gut  ist.  Bei  ausgeprägter  Amblyopie  kommen  aller- 
dings grössere  Unterschiede  vor;  wird  beispielsweise  flu'  eine  bestimmte 
Entfernung  S=  Vi  2;  für  eme  andere  S  =  J/20  (natürlich  trotz  ent- 
sprechender Brillencorrection)  angegeben,  so  ist  diese  Differenz  nicht 
immer  ausreichend,  absichtliche  Simulation  anzunehmen.  Unregelmässiger 
Astigmatismus,  Verschiedenheit  der  benutzten  Probebuchstaben  und  An- 
deres können  die  nicht  übereinstimmenden  Angaben  veranlassen:  sie 
finden  sieh  auch  bei  Leuten,  bei  denen  von  Simulationsversuchen  gar 
nicht  die  Rede  ist. 

Man  wird  daher  gut  thun,  sich  überhaupt  erst  von  der  Glaub- 
würdigkeit des  zu  Prüfenden  zu  überzeugen.  Zu  dem  Zwecke  habe  ich 
auch  die  Prüfung  des  Gesichtsfeldes  mit  Vortheil  benutzt.  Stellt  man 
sieb  den  zu  Untersuchenden  in  Vs  m  gegenüber  und  prüft  mit  der  Hand 
das  Gesichtsfeld,  so  hat  dasselbe  eine  kleinere  Ausdehnung,  als  wenn 
man  in  einer  grösseren  Entfernung  (etwa  1  m)  die  Prüfung  vornimmt. 
Bei  Simulanten  habe  ich  öfter  gefunden,  dass  sie  —  neben  einer  sehr 
unwahrscheinlichen  Einengung  —  auch  für  die  grössere  Entfernung 
gerade  dieselbe  Gesichtsfcldausdehnung,  oder  wohl  noch  eine  geringere 


Binoculares  und  körperliches  Sehen.  261 

angaben  wie  für  die  kleinere;  hiermit  war  die  absichtliehe  Unwahrheit 
ihrer  Aussagen  erwiesen.  Auch  die  mit  kleineren  Sehobjecten  ausge- 
führte campiinetrische  Methode  in  verschiedenen  Entfernungen  ist  be- 
sonders werthvoll.  Sie  sollte  immer  benutzt  werden,  wenn  bei  con- 
eentrisehen  Gesichtsfeldeinengungen  Verdacht  der  Simulation  vorhanden 
ist  (siehe  das  über  traumatische  Neurose  Gesagte). 

Hat  sich  ein  bestimmter  Grad  von  Sehschwache  eines  Auges  bei 
den  Prüfungen  ergeben,  so  kann  man  noch  mit  dem  Stereoskop  in  der 
Weise  eine  Probe  vornehmen,  dass  man  dem  schwachsichtigen  Auge 
kleinere  Sehproben,  als  sie  seiner  fangeblichen  Sehschärfe  entsprechen 
würden,  vorlegt  und  beobachtet,  ob  es  dieselben  vielleicht  doch  sieht. 
Zu  berücksichtigen  ist  hierbei  aber,  dass  die  Convexprismen  der  Stereo- 
skope etwas  vergrössern,  also  geringe  Differenzen  in  den  Angaben  nicht 
in  Betracht  gezogen  werden  dürfen. 

Binoculares  und  körperliches  Sehen. 

Das  körperliche  Sehen,  welches  in  dem  Erkennen  der  Tiefendimen- 
sionen beruht,  also  in  dem  Vermögen  wahrzunehmen,  ob  ein  Punkt  ferner 
als  der  andere  liegt,  ist  durchaus  nicht  dem  binocularen  Sehen  gleich- 
zusetzen. Die  Hervorhebung  dieses  nicht  überall  genügend  betonten 
Unterschieds  ist  von  Wichtigkeit.  Auch  der  Einäugige  sieht,  aber  nicht 
so  vollkommen  als  der  Doppeläugige,  körperlich.  Es  fällt  dem  Ein- 
äugigen, der  längere  Zeit  oder  zeitlebens  nur  mit  einem  Auge  gesehen 
hat,  gar  nicht  ein,  etwa  eine  weisse  Kugel  mit  einer  ebenso  grossen 
weissen  Kreisfläche  zu  verwechseln.  Andererseits  hat  nicht  Jeder,  der 
die  Seheindrücke  beider  Augen  gleichzeitig  empfindet,  also  binocular 
sieht,  ein  vollkommenes  körperliches  Sehen. 

Das  körperliche  Sehen  ist  Sache  der  Erfahrung  und  wird  erlernt. 
Trotzdem  das  Kind  mit  beiden  Augen  sieht,  muss  es  erst  mittels  des 
Tastgefühls  eine  kreisförmige  Fläche  von  einer  Kugel  unterscheiden 
lernen.  Bei  Personen,  die  mit  Star  geboren  waren  und  erst  später 
operirt  wurden,  hat  man  dieses  Lernen  des  körperlichen  Sehens  genau 
verfolgen  können.  Ich  habe  sogar  einen  3  J/4  jährigen  Knaben  an  er- 
worbenem Star  operirt,  der  ein  Jahr  vorher  noch  gut  gesehen,  aber  in 
dieser  kurzen  Zeit  das  körperliche  Sehen  bereits  verlernt  hatte.  So 
komite  er  anfangs  nach  wiedererlangter  Sehkraft  die  Distanzen  nicht 
schätzen,  griff  meist  weit  über  die  ihm  vorgehaltenen  Objecte  hinaus. 
Ein  Ei  konnte  er  von  einer  ebenso  grossen  weissen  Papierscheibe  nicht 
unterscheiden,  was  ihm  beim  Betasten  sofort  gelang.  Er  musste  alle 
Gegenstände  von  Xeuem  wieder  kennen  lernen.  Nur  eine  Katze  und 
ein  Kalb  erkannte  er  wieder,  ohne  dass  ihm  nach  wiedererlangter  Seh- 
kraft und  Uebung  die  Thiere  von  Xeuem  gezeigt  worden  waren. 

Schmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  11 


j(j2  Amblyopie  und  Amaurose. 

Es  giebt  grössere  und  geringere  Grade  der  Vollkommenheit 
im  lnnocularen  wie  im  körperlichen  Sehen.  Ini  binoculares  Sehen 
zu  erweisen,  legt  man  ein  Prisma  mit  der  Basis  nach  unten  oder  oben 
vor  ein  Auge,  während  das  andere  frei  und  offen  bleibt:  es  müssen 
dann  übereinander  stehende  Doppelbilder  zu  Tage  treten.  Auch  stereo- 
skopische Prüfungen  können  benutzt  werden.  Hierbei  stellt  sich  be- 
sonders bei  Schielenden  oder  nach  Schieloperationen  oft  heraus,  dass 
zwar  die  beiden  Hälften  der  Vorlage  (z.  B.  bei  Verwendung  von  Oblaten, 
von  denen  die  mittlere  Oblate  auf  beiden  Hälften  roth  ist,  während  die 
eine  Hälfte  eine  blaue  darüber,  die  andere  Hälfte  eine  grüne  darunter 
zeigt,  oder  der  Rabl-Burchardt'schen  Proben)  gesehen  werden,  aber 
nebeneinander  und  ohne  dass  eine  körperliche  Verschmelzung  zu  er- 
möglichen wäre.  Man  bezeichnet  dies  als  bino- 
culares Doppeltsehen.  Ist  die  Verschmelzung 
der  congruenten  gleichartigen  Oblaten  oder  Figuren 
im  Stereoskop  möglich,  so  besteht  binoculares 
Einfachsehen.  Der  Vorgang  der  Verschmelzung 
zweier  Bilder  zu  einem  Sammelbild  ist  aus  Figur  69 
ersichtlich.  Die  von  a  und  a  auf  identische  Netz- 
hautpartien (hier  auf  die  Macula  lutea)  fallenden 
•  Lichtstrahlen  werden  als  von  A  kommend  aufge- 
fasst.  Die  kleinen,  mit  der  Basis  nach  aussen  ge- 
stellten Prismen,  welche  sich  vor  beiden  O ciliaren 
des  Stereoskops  befinden,  ermöglichen,  dass  beide  Augen  die  für  das 
Sehen  in  der  Nähe  gewohnte  Convergenz  beibehalten  können. 

Die  Verschmelzung  zweier  stereoskopischer  Bilder  in  eines  ist  aber 
noch  nicht  gleichbedeutend  mit  dem,  was  wir  als  stereoskopisches 
Körperlichsehen  bezeichnen  können,  wto  man  statt  der  Bilder  wirkliche 
Körper  wahrnimmt:  besonders  nach  Schieloperationen  constatirt  man 
öfter,  dass  mit  dem  Stereoskop  anfangs  zwar  einfach,  aber  nicht  körper- 
lich gesehen  werden  kann.  Auch  im  stereoskopischen  Körpersehen 
zeigen  sich  verschiedene  Stufen;  beispielsweise  sieht  Jemand  im  Stereo- 
skop leichtere  Vorlagen  körperlich,  schwerere  nicht;  den  höchsten  Grad 
des  stereoskopischen  Körperlichsehens  erfordern  die  Vorlagen  mit  geo- 
metrischen Figuren. 

Aber  selbst,  wer  letzteres  leistet,  ist  noch  nicht  immer  im  Stande, 
im  Räume  feinere  Schätzungen  der  Tiefendimension  vorzunehmen.  Ich 
benutze  zu  dieser  Prüfung  eine  Art  doppelgerieften  Lineals,  auf  der 
zwei  Nadeln  verschoben  werden  können:  die  eine  wird  beim  Versuch 
näher,  die  andere  etwas  weiter  gestellt.  Während  der  vollkommen 
Norimilsehende  kleinste  Entfernungsdifferenzen  wahrnimmt,  erkennt  der 
weinger  gut  sehende  erst  welche  von  1 — 2  cm. 


Binoculares  und  körperliches  Sehen.  2^3 

Die  höchsten  Anforderungen  an  freies  körperliches  Scheu  stellt 
der  Hering'sche  Fallversuch,  indem  hier  eine  ausserordentlich  sehneile 
Tiefenwahrnehmung  erforderlich  ist.  bei  der  manche  Hilfsmittel  für  das 
körperliche  Sehen,  die  zu  ihrer  Benutzung  eine  gewisse  Zeit  erfordern, 
nicht  zur  Geltung  kommen  können.  Man  sieht  hierbei  mit  beiden  Augen 
durch  eine  kurze  (Papp-)Röhre,  vor  deren  anderem  Ende  in  einiger 
Entfernuni;-  zwischen  zwei  Drähten  ein  Faden  von  oben  nach  unten  ge- 
spannt ist.  In  der  Mitte  dieses  Fadens  ist  eine  weisse  Perle  befestigt. 
l>iese  wird  mit  beiden  Augen  fixirt.  Der  Untersuchende  Lässt  nun  bald 
vor.  bald  hinter  dieser  Perle  andere  herabfallen,  natürlich  so,  das«  die 
fixirte  und  die  fallende  Perle  sich  nicht  decken.  Nur  bei  ausgebildetem 
binocularen  und  körperlichen  Sehen  kann  durchschnittlich  sicher  ange- 
geben werden,  ob  die  fallende  Perle  vor  oder  hinter  der  fixirten  vor- 
beifällt. Jedoch  erfolgen  auch  hier  noch  —  wenn  der  Abstand  zwischen 
der  fixirten  und  der  fallenden  Perle  nicht  zu  gross  ist  -  -  in  einem 
gewissen  Procentsatz  -i°/0 — 18°/0  irrthümliche  Angaben,  sobald  es  sich 
um  Personen  handelt,  die  keine  besondere  Uebung  in  optischen  Unter- 
suchungen haben. 

Zum  körperlichen  Sehen,  das  vorzugsweise  als  psychischer  Act  sich 
darstellt,  sind  wir  durch  mancherlei  Einrichtungen  unseres  Sehorgane« 
befähigt.  Von  höchster  Bedeutung  für  ein  schnelles  und  exaetes  Er- 
kennen der  Tiefendimension  ist  es,  dass  wir  für  beide  Augen  verschie- 
dene Bilder  von  den  Objecten  erhalten.  Jedes  Auge  sieht  den  Körper 
von  einer  anderen  Stelle  im  Raum:  dabei  erscheint  dem  Einzelauge 
der  ferner  gelegene  Punkt  des  Körpers  nach  seiner  —  des  betrachten- 
den Auges  — -  Seite  herübergerückt.  Hiervon  kann  man  sich  leicht 
überzeugen,  wenn  man  ein  längeres  Lineal  mit  seitwärts  gekehrten 
Flächen  gegen  die  Nasenwurzel  setzt  und  in  gerader  Richtung  nach  vorn 
hält.  Betrachtet  man  dasselbe  einäugig,  indem  man  abwechselnd  das 
rechte  und  linke  Auge  schliesst,  so  bekommt  man  deutlich  den  Ein- 
druck, dass  das  entferntere  Ende  des  Lineals  beim  Sehen  mit  dem 
rechten  Auge  nach  rechts  hinüberrückt,  dagegen  beim  Sehen  mit  dem 
linken  Auge  nach  links.  Diese  Verschiedenheit  der  beim  doppeläugigen 
Sehen  im  Geiste  zu  einer  Wahrnehmung  verschmolzenen  Bilder  giebt 
eine  ausserordentlich  scharfe  momentane  Empfindung  der  Distancever- 
.schiedenheit  zweier  Punkte  und  damit  des  Körperlichen. 

Darauf  beruht  auch  das  scheinbar  körperliche  Sehen  mittels  des 
Stereoskops.  Stellt  sich  beispielsweise  das  Bild  einer  durchsichtigen 
(.Tlaspyramide,  deren  Spitze  dem  Betrachtenden  zugekehrt  ist,  dem  linken 
Auge  als  Netzhautbild  dar  mit  nach  rechts  abweichender  Spitze,  so 
wird  für  das  rechte  Auge  die  Spitze  —  also  das  Näherliegende  —  nach 
links  gekehrt  sein.    Die  binoculare  Verschmelzung  beider  Bilder  giebt 

11* 


1(34  Amblyopie  und  Amaurose. 

ilfin  im  körperlichen  Sehen  Geübten  den  Eindruck  einer  körperlichen 
Glaspyramide. 

Von  dieser  Verschiedenheit  der  Bilder  abgesehen,  fällt  bei  Ab- 
schätzung der  Entfernung-  eines  (näher  gelegenen)  Punktes  a  und  eines 
(ferner  gelegenen)  Punktes  b  weiter  ins  Gewicht,  dass  bei  binocularer 
Fixation  des  Punktes  b  die  von  a  kommenden  Strahlen,  falls  Punkt 
a  noch  innerhalb  des  durch  die  Blicklinien  beider  Augen  gebildeten 
Winkels  liegt,  im  linken  Auge  auf  die  temporale  Netzhauthälfte  fallen, 
also  nasalwärts  projicirt  werden;  ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  rechten 
Auge.  Der  näher  gelegene  Punkt  a  erscheint  daher  doppelt  und  zwar  so, 
dass  das  Bild  des  rechten  Auges  links  und  das  des  linken  rechts  steht 
(gekreuzte  Doppelbilder).  Anders  würden  die  Doppelbilder  von  b  er- 
scheinen, wenn  a  fixirt  würde:  das  Bild  von  b  im  rechten  Auge  würde, 
da  es  auf  die  nasale  Hälfte  fiele,  nach  rechts  projicirt  und  vom  linken 
Auge  aus  gleichem  Grunde  nach  links  (gleichnamige  Doppelbilder  i. 
Dieses  verschiedene  Verhalten  der  Doppelbilder  hat  ebenfalls  Einfluss 
auf  unsere  Tiefenwahrnehmung. 

Von  geringerer  Bedeutung,  nur  bei  starken  Differenzen  in  der  Tie- 
fendimension in  Betracht  kommend,  ist  der  Umstand,  dass  ein  näher 
gelegener  Punkt  eine  stärkere  Accommodation  und  eine  stärkere 
Convergenz  der  Sehachsen  erfordert,  als  ein  ferner  gelegener  Punkt. 
Auch  die  Veränderungen  des  Bildes  bei  Kopfverschiebungen,  die  Schatten 
der  Körper  und  manche  Erfahrungen  unterstützen  unser  körperliches 
Sehen.  Diese  Hilfsmittel  stehen  dem  Einäugigen  ebenso  gut  zu  Ge- 
bote, als  dem  binocular  Sehenden. 

Auch  Täuschungen  sind  beide  unterworfen,  wenngleich  der  Ein- 
äugige mehr  als  der  binocular  Sehende.  Sehr  plastisch  gemalte  Objecte 
können  uns  als  Körper  imponiren;  Photographien,  die  wir  durch  eine 
Lupe  etwas  vergrössern,  machen  uns  auch  bei  einäugiger  Betrachtung 
den  Eindruck  des  Körperlichen.  In  den  jetzt  vielfältig  gezeigten  Pa- 
noramen, wo  dicht  vor  dem  Beschauer  körperliche  Gegenstände  sich  be- 
finden, denen  erst  weiterhin  das  Gemalte  sieh  anschliesst,  wird  die 
Täuschuni;-  noch  dadurch  unterstützt,  dass  wir  aus  dem  Vorhandensein 
der  Körper  in  unserer  Nähe  schlicssen,  dass  das  Gemalte  ebenfalls 
körperlich  sei,  —  entsprechend  unserer  gewöhnlichen  Erfahrung,  wo  beim 
Blick  in  die  Ferne  sich  Körper  an  Körper  anreiht.  — 

Fin  gewisses  körperliches  Sehen  kann,  wie  erwähnt,  (unter  Benutzung 
seitlicher  KopfVersohiebungen,  wodurch  die  Objecte  wie  beim  Sehen 
mit  zwei  Augen,  von  verschiedenen  Stellen  im  Raum  gesehen  werden, 
ferner  <\<-v  Convergenz  der  Sehachsen  und  di-v  Accommodation,  so- 
wie <{<■]•  sonstigen  Erfahrungen)  auch  bei  nt  onoculareni  Sehen  vor- 
handen  sein. 


Blindheit.  165 

Aber  nur  wer  den  Herin  g'schen  Fallversuch  --  oder  den  Versuch 
von  Donders,  welcher  in  einem  Dunkelkasten  vor  und  hinter  dem 
fixirten  Objecte  elektrische  Funken  herüberschlagen  lässt  —  bestehen 
kann  (beim  Käthen  ist  natürlich  50  Procent  Wahrscheinlichkeit),  besitzt 
den  normalen  Grad  des  Körperlichsehens-,  da  hier  die  Tiefenwahr- 
nehmung einzig  und  allein  von  der  Verwerthung  der  verschiedenartigen 
Netzhautbilder  beider  Augen  abhängt,  Convergenz  und  Accommodations- 
änderung  aber  bei  der  Schnelligkeit  des  Vorganges  ausgeschlossen  sind. 

Die  Erfahrung  zeigt  übrigens,  dass  selbst  solche,  die  stereosko- 
pisch körperlich  sehen  und  auch  Distanzverschiedenheit  bei  der  oben 
erwähnten  Prüfung  mit  Nadeln  schnell  und  richtig  erkennen,  doch  den 
Eering'schen  Fallversuch  nicht  immer  bestehen.  Dies  beobachtet 
man  z.  B.  bei  vielen  Patienten  nach  Schieloperationen.  Oft  fehlt  es 
ihnen  nur  an  der  Uebung,  allein  und  schnell  aus  den  verschiedenen  Netz- 
hauteindrücken beider  Augen  die  Tiefenwahrnehmungen  entsprechend 
zu  construiren.  — 

Dieselben  Verhältnisse  finden  sich  bei  Anisometropen.  So  wie  die 
Anisometropie  sehr  hochgradig  ist,  vermisst  man  in  der  Regel  die  höchste 
Stufe  des  Körperlichsehens  (Hering'scher  Fallversuch);  meist  werden 
sogar  nicht  einmal  Distanzverschiedenheiten  bei  der  Nadelprobe  mit 
genügender  Schärfe  erkannt.  Massige  Verschiedenheit  in  der  Sehschärfe 
beider  Augen  hat  weniger  Einfluss  auf  das  Körperlichsehen. 

Blindheit. 

Es  ist  nöthig,  eine  bestimmte  Feststellung  darüber  zu  treffen,  was 
wir  unter  blind  verstehen  wollen,  zumal  auch  im  Strafgesetz  der  ana- 
loge Ausdruck  „Verlust  des  Sehvermögens"  gebraucht  wird  und  dieselbe 
Frage  bei  der  Schätzung  der  Erwerbsfähigkeit  nach  Unfällen  in  Be- 
tracht kommt.  Natürlich  kann  von  einem  vollkommenen  Aufgehobensein 
aller  Lichtempfindung  nicht  die  Rede  sein;  in  diesem  Sinne  wären  die 
meisten  Blinden  eben  nicht  blind.  Aber  selbst  Individuen,  welche  noch 
die  Zahl  der  Hände  erkennen  oder  in  nächster  Nähe  noch  Finger  zählen 
können,  stehen  in  der  praktischen  Verwerthung  ihrer  Gesichtseindrücke 
ganz  den  Blinden  gleich;  auch  sie  sind  nicht  im  Stande,  ungerührt  an 
fremden  Orten  den  Weg  zu  finden,  sie  haben  keine  irgend  erhebliche 
Unterstützung  bei  ihren  Arbeiten  durch  den  Rest  des  erhaltenen  Seh- 
vermögens und  können  unsere  Schrift  und  unseren  Druck  selbst  mit 
starker  Vergrüsserung  nicht  erkennen;  wenn  es  sich  um  Kinder  handelt, 
wird  ihre  Erziehung  am  besten  so  wie  die  der  Blinden  erfolgen.  Mit 
einer  gewissen  Zunahme  des  Sehvermögens  aber  steigt  die  praktische 
Benutzungsfähigkeit  desselben  in  deutlichster  Weise.  Wenn  Jemand  bei 
annähernd  freiem  Gesichtsfeld  central  Finger  etwa  in  ],2  bis  1  m  zählt, 


L66 


Amblyopie  und   Amaurose. 


kann  er  nicht  mehr  den  Blinden  zugerechnet  werden  und  macht  auch 
äusserlich  nicht  den  Eindruck  eines  solchen.  Man  wird  demnach  Jemand 
als  blind  bezeichnen  müssen,  der  bei  gewöhnlicher  Beleuchtung  (bei  sehr 
heller  Beleuchtung  vergrössert  sich  öfter  die  Sehweite)  Finger  nicht 
weiter  als  circa  ]/3  m  zählt.  Hiermit  ist  ein  genügend  fester  Anhalt 
gegeben  und  es  wäre  wünschenswert!},  wenn  diese  von  mir  vorgeschlagene 
Grenze*,  welche  auch  von  Magnus  acceptirt  ist,  im  Allgemeinen  inne- 
gehalten würde.  Weiter  ist  natürlich,  wenn  wir  von  Erblindung  im 
gewöhnlichen  Wortsinn  reden,  erforderlich,  dass  beide  Augen  davon 
unheilbar  befallen  sind.     Auf  die  Beschaffenheit  des  Gesichtsfeldes  ist 


123456789   10 


Blenn.  neonat.  10-87  %. 

Trachom  und  Bl.  adult.  949  %. 

Glaukom  8-97  %. 

Irido-Cykl.  und  Cyklitis  8-86  %. 

Erkrankungen  der  Cornea  8-06  %. 

Atroph,  n.  optic.  idiop.  7-75  %. 

Gehirnerkrankungen  (Atr.n.  opt.)6,96%. 

Sublat,  retin.  4-47  %. 

Ophth.  sympathica  träum.  4-50  %. 

Directe  Verletzung  des  Auges  4-03  %• 


70. 


ebenfalls  Rücksicht  zu  nehmen;  bei  starker  Einengung  desselben  wird  trotz 
einer  besseren  centralen  Sehschärfe  doch  Blindheit  anzunehmen  sein.  — ■ 
Die  Hauptursachen  der  Blindheit  ergeben  sich  aus  Figur  70; 
sie  ist  (unter  Weglassung  seltener  vorkommender  Ursachen)  der  von 
Magnus  auf  Grund  von  2ö28  Fällen  doppelseitiger  Blindheit  gegebenen 
graphischen  Darstellung  nachgebildet.  Eine  ziemliche  Zahl  der  Erblin- 
dungen würde  sich  bei  frühzeitiger  sachverständiger  Behandlung  ver- 
meiden lassen;  bei  einer  daraufhin  gemachten  Zusammenstellung  konnte 
ich  beinahe  die  Hälfte  hierher  rechnen.  Die  Zahl  der  Erblindeten  ist 
in  den  verschiedenen  Ländern  sehr  wechselnd.  In  Preussen  kam  187."> 
»•in    Blinder  auf  1111   Sehende,  in  O esterreich  (1869)  einer  auf  1785. 

'■■  Vgl.  Schmidt-Rimpler,  [Jeher  Blindsein.  1880.  Magnus,  Die  Blindheit, 
ihre  Entstehung  und  Verhütung.  L883.  —  Fuchs  (die  Ursachen  und  Verhütung 
der  Blindheit.  L885)  nimmt  Fingerzählen  in  1   Meter  Entfernung  als  Grenze  an. 


Blindheit.  167 

Für  die  Erziehung  jugendlicher  Blinden  ist  in  neuerer  Zeit 
mehr,  wenn  auch  lange  noch  nicht  genug  geschehen.  Das  erste  Blindcn- 
institut  der  Art  wurde  Ende  vorigen  Jahrhunderts  von  llaüv  in  Paris 
gegründet.  In  Deutsehland  werden  die  Kinder  gewöhnlich  erst  im  10. 
bis  12.  Lebensjahre  in  die  Blindenerziehungsanstalten  aufgenommen; 
sie  erhalten  einen  vollkommenen  Schulunterricht,  erlernen  ein  Handwerk 
(vorzugsweise  Korbmacher  ei ;  Seilerei,  Bürstenbinderei,  Flechtarbeiten 
u.  s.  w.)  und  meist  auch  Musik.  Zum  Lesen  bedienen  sie  sich  anfangs 
in  Holz  geschnitzter  Buchstaben,  die  auf  einem  Lesebrett  zusammen- 
gesetzt werden;  später  der  Fibeln  und  Lesebücher,  in  denen  die  Buch- 
staben auf  dickerem  Papier  in  Relief  hervorgepresst  dem  lesenden 
Zeigeringer  fühlbar  sind.  Vorwiegend  wird  das  grosse  Alphabet  der 
lateinischen  Buchstaben  benutzt.  Das  Relief  der  Buchstaben  wird  ent- 
weder so  hergestellt,  dass  die  einzelnen  Linien  der  Buchstaben  als 
solche  hervorgepresst  werden,  wie  dies  in  den  Berliner  Blindendrucken 
geschieht,  oder  dass  diese  Linien  sich  aus  einzelnen  hervorragenden 
Punkten  zusammensetzen  (Breslauer  und  Stuttgarter  Druck) ;  ersterer 
Druck  lässt  sich  länger  ohne  Ermüdung  der  Finger  lesen.  Ist  hingegen 
der  Tastsinn  verringert  (etwa  bei  älteren  Blinden),  so  ist  der  punktirte 
Druck  vorzuziehen.  Auch  eine  Art  Stenographie,  bei  der  die  Buchstaben 
durch  Punkte  ausgedrückt  werden  (z.  B.  .  A,  :  B,  .  .  C),  ist  durch 
Braille  eingeführt  worden  und  findet  in  Druck  und  Schrift  viel  An- 
wendung. Zum  Schreiben  wird  eine  Tafel  —  ähnlich  der  Schiefertafel 
der  Kinder  -  -  benutzt,  die  mit  sehr  nahestehenden-  Querriefen  durch- 
zogen ist*,  auf  diese  wird  das  Papier  gelegt  und  mittels  eines  Rahmens 
an  den  Rändern  befestigt.  Auf  dem  Rahmen  ist  eine  Art  schmalen 
Messinglineals  von  unten  nach  oben  verschiebbar,  das  entsprechend  dem 
zu  bildenden  einzelnen  Punktbuckstab en,  dicht  nebeneinander  befindliche 
gleich  grosse  viereckige  Ausschnitte  (31  in  einer  Reihe)  zeigt.  Indem 
der  Blinde  nun  mit  dem  linken  Zeigefinger  den  Ausschnitt,  in  den  der 
einzelne  Buchstabe  kommt,  betastet,  macht  er  mit  einem  in  der  rechten 
Hand  gehaltenen  Stift  die  entsprechenden  punktförmigen  Eindrücke. 
Durch  die  Querrinnen  auf  der  unterhegenden  Tafel,  von  denen  je  drei 
innerhalb  des  rechteckigen  Linealausschnittes  über  einander  hegen  und 
in  die  der  Stift  beim  Eindrücken  das  Papier  presst,  wird  eine  gleich- 
massige  Entfernung  der  senkrecht  stehenden  Punkte  erzielt.  Um  eine 
flache,  natürlich  nur  für  Sehende  lesbare  Schrift  herzustellen,  benutzen 
die  Blinden  das  lateinische  Alphabet  und  schreiben  mit  Blei;  das  Papier 
wird  auf  eine  ähnliche,  aber  glatte  und  mit  verschiebbarem  Messing- 
lineal versehene  Tafel  gelegt. 


Zweiter  Theil. 


Ophthalmoskopie. 

Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

Erkrankungen  des  Sehnerven,  der  Netzhaut,  der 

Chorioidea  und  des  Glaskörpers. 


Erstes  Kapitel. 

Ophthalmoskopie. 


1.  Theorie  der  Augenspiegeluntersuchung. 

Für  gewöhnlich  erscheint  die  Pupille  des  Auges  schwarz.  Doch  war 
es  schon  seit  langer  Zeit  von  gewissen  Thieren  bekannt,  dass  ihre  Pu- 
pille gelegentlich  in  rothem  oder  grünlichem  Licht  leuchtete.  Mariotte 
(1668)  war  der  Erste,  welcher  diese  Erscheinung  mit  Recht  so  erklärte, 
dass  es  sich  um  Lichtstrahlen  handele,  die  von  dem  glänzenden  Chorio- 
idealtapet  der  betreffenden  Thiere  renectirt  würden.  Ein  solches  findet 
sich  bei  vielen  Säugethieren  (Raubthieren,  Wiederkäuern,  Beutelthieren, 
dem  Pferde  u.  s.  f.).  Besonders  häufig  wurde  naturgemäss  bei  unseren 
Hausthieren,  den  Katzen  und  Hunden,  das  Leuchten  der  Pupille  gesehen. 

Aber  gelegentlich  ist  es  auch  bei  albinotischen  Menschen  beobachtet. 
Hiernach  lag  die  Annahme  nahe,  dass  die  Pupille  für  gewöhnlich  nur 
deshalb  dunkel  sei,  weil  das  schwarze  Chorioidealpigment  die  Licht- 
strahlen absorbire;  dass  sie  hingegen  leuchtend  erscheine,  wenn  beim 
Fehlen  des  Pigments  die  Strahlen  reflectirt  würden.  Dieser  Umstand 
kommt  allerdings  in  Betracht;  dass  er  aber  nicht  ausschlaggebend  war, 
zeigten  die  von  W.  Cumming  (1846)  und  von  Brücke  (1847)  unab- 
hängig von  einander  angegebenen  Methoden,  die  Pupillen  auch  normal 
pigmentirter  menschlicher  Augen  leuchten  zu  machen.  Man  stellt  zu 
diesem  Zweck  in  einem  dunklen  Zimmer  eine  mit  einem  Cylinder  ver- 
sehene Lampe  dicht  vor  sich  auf  den  Tisch  und  lässt  den  zu  Beobach- 
tenden in  einigen  Fuss  Entfernung  sich  gegenübersetzen,  sodass  sein 
Auge  möglichst  in  einer  Höhe  mit  der  Lichtflamme  sich  befindet.  Nun 
heisst  man  ihn  dicht  neben  der  Lichtflamme  vorbei  ins  Dunkle  sehen, 
während  man  selbst  gerade  hinter  der  Lichtflamme,  gegen  die  man  sich 
durch  einen  Schirm  schützt,  in  die  Pupille  des  zu  Untersuchenden  blickt. 
Besonders  schön  tritt  alsdann  das  Leuchten  derselben  hervor,  wenn  sie 
sehr  weit  ist   und  die  Augenmedien,  wie   bei  jugendlichen  Individuen. 


172  Ophthalmoskopie. 

sehr  durchsichtig  sind.  Es  gelingt  selbst  auf  diese  Weise  bei  hochgradig 
Kurzsichtigen,  denen  zur  Pupillenerweiterung  A tropin  eingeträufelt  wurde, 
das  umgekehrte  Bild  des  Sehnerveneintritts  und  der  Netzhautgefässe 
deutlich  zu  erkennen.  Für  gewöhnlich  sieht  man  jedoch,  wie  erwähnt, 
nur  die  Pupille  in  röthlichem,  oder  auch  rothweisslichem  Lichte  strahlen 
—  letzteres,  wenn  etwa  der  mehr  blasse  Sehnerveneintritt  (Papilla  optica) 
gerade  gegenübersteht  und  reflectirt. 

Aber  schon  früher  hatte  Mery  zufällig-  an  einer  Katze,  deren  Kopf  unter 
Wasser  gehalten  war.  beobachtet,  dass  man  den  Hintergrund  des  Auges  und  die 
Gefässe  dabei  sehen  könne.  Einige  Jahre  später  studirte  de  la  Hire  (1703)  dies 
Phänomen  genauer  und  erklärte  es  ganz  richtig  dahin,  dass  durch  das  Wasser 
die  Brechung  der  Cornea  ausgeschlossen  würde  und  nun  die  Strahlen  in  stark 
divergenter  Richtung  das  Auge  verliessen:  hierdurch  werde  das  Erkennen  des 
Augenhintergrundes  ermöglicht.  Noch  nach  der  Erfindung  des  Augenspiegels 
wurde  diese  Untersuchungsmethode  auch  bei  menschlichen  Augen  benutzt,  indem 
man  kleine  Glaswannen  mit  Wasser  (Orthoskope)  vor  das  Auge  legte.  Coccius 
machte  1852  darauf  aufmerksam,  dass  bei  tapetumhaltigen  Augen  und  Albinos 
schon  das  sanfte  Anlegen  einer  dünnen  Glasplatte  mit  einem  Tropfen  Wasser  an 
die  Hornhaut  genüge,  um  die  Netzhaut  deutlich  zu  sehen,  wenn  man  Licht  mittels 
eines  Spiegels  in  das  Auge  werfe.  1888  ist  Bellarmin  off  auf  dasselbe  Verfahren 
(mit  Cocainisirung  der  Hornhaut)  gekommen,  um  den  Augenhintergrund  gleichzeitig 
mehreren  Beobachtern  sichtbar  zu  machen.  Das  Bild  steht  aber  an  Schärfe  und 
Yergrösserung  dem  beim  Ophthalmoskopiren  gewonnenen  nach. 

Durch  Feststellung  der  dem  Brücke 'sehen  Versuche  zu  Grunde 
liegenden  optischen  Verhältnisse  kam  Helmholtz  zur  Entdeckung  des 
Augenspiegels  (1851).  Wenn  Helmholtz  in  seiner  „Beschreibung  eines 
Augenspiegels  zur  Untersuchung  der  Netzhaut  im  lebenden  Auge"  sagt: 

„ Kurz,  ich  glaube  die  Erwartung  nicht  für  übertrieben  halten  zu 

dürfen,  dass  sich  alle  bis  jetzt  an  Leichen  gefundenen  Veränderungen 
des  Glaskörpers  und  der  Retina  auch  am  lebenden  Auge  werden  er- 
kennen lassen,  was  für  die  bisher  so  unausgebildete  Pathologie  dieser 
Gebilde  die  grössten  Fortschritte  zu  versprechen  scheint!"  so  wissen  wir 
heute,  dass  diese  Erwartungen  nicht  nur  in  Erfüllung  gegangen,  sondern 
noch  erheblich  übertroffen  worden  sind. 

Der  Kern  der  ganzen  Frage  des  Augenleuchtens  und  der  Ophthal- 
moskopie liegt  einfach  darin,  dass  beim  scharfen  Sehen  Object  und 
Netzhautbild  in  conjugirten  Punkten  liegen.  Ist  das  Auge  B  auf  einen 
( Ibjectpunkt  a  aecommodirt,  so  erhält  es  ein  scharfes  Bild  a,  auf  seiner 
Netzhaut.  Alle  von  a  ausgehenden  Lichtstrahlen  vereinigen  sich  in  a,  ; 
umgekehrt  werden  die  von  dem  nunmehr  hell  und  beleuchtet  erscheinen- 
den Bildpunkt  a,  ausgehenden  Strahlen  sich  wieder  in  a  vereinigen. 
Unter  gewöhnliehen  Verhältnissen  wird  demnach  ein  zweites  beobach- 
tendes Auge  C  (Figur  71)  von  diesen  von  a  zurückkommenden  Licht- 
strahlen nichts  wahrnehmen:  die  Pupille  des  Auges  B  erscheint  schwarz. 


Theorie  der  Augenspiegeluntersuchung.  173 

Stellt  sich  C  aber  so,  dass  es  direct  in  das  Auge  B  blickt  und  dass 
die  von  diesem  Auge  reflectirten  Strahlen  in  seine  Pupille  kommen 
müssten,  so  wird  die  Pupille  von  C  das  Object  (a).  Da  sie  aber  kein 
Licht  ausstrahlt,  so  erscheint  auch  die  Pupille  des  Auges  B  dunkel  und 
schwarz.  Um  diese  leuchten  zu  lassen,  d.  h.  Lichtstrahlen,  die  vom 
Augenhintorgrund  des  Auges  B  kommen,  wahrzunehmen,  bedarf  es  ge- 
wisser künstlicher  Mittel.  Das  einfachste 
rindet  sich  in  dem  oben  angeführten  Brück e'- 
schen  Versuch.  Da  das  Auge  B  nicht  auf  die 
Lichtflamme  a  aecommodiren  soll,  so  wird  auf 
seiner  Netzhaut  auch  kein  scharfes  Bild  der- 
selben, sondern  ein  Zerstreuungskreis  ent- 
stehen: die  beleuchtete  Fläche  der  Netzhaut  ist  demnach  verhältnissmässig 
gross.  Von  jedem  Punkte  dieser  Netzhautfläche  werden  nunmehr  die  Licht- 
strahlen reflectirt  und  verlassen  das  Auge  in  der  Richtung  des  Punktes, 
auf  welchen  es  eingestellt  ist.  Handelt  es  sich  um  ein  emmetropisches 
Auge,  das  ohne  Accommodation  in  die  Ferne  blickt,  so  werden  die  aus 
dem  Auge  kommenden  Strahlen  untereinander  parallel  laufen.  Be- 
findet sich  das  Auge  C  nun  dicht  neben  der  Flamme  a  und  in  der 
Richtung  der  Gesichtslinie  von  B,  so  fällt  ein  Theil  dieser  Strahlen  in 
seine  Pupille  und   es   erscheint  ihm   die  Pupille  von  B  leuchtend. 

Es  kam  jetzt  darauf  an  1)  durch  eine  besondere  Einrichtung  zu 
bewirken,  dass  das  beobachtende  Auge  (C)  vom  Augenhintergrunde  des 
zu  untersuchenden  Auges  (B)  möglichst  viele  Lichtstrahlen  empfinge, 
und  2)  dass  diese  von  B  reflectirten  Strahlen  sich  auf  der  Netzhaut  des 
Auges  C  zu  einem  scharfen  Bilde  vereinigten:  alsdann  wird  letzteres 
den  Augenhintergrund  von  B  in  seinen  Einzelheiten  sehen. 

Das  erstere  erreichte  Helmholtz  dadurch,  dass  er  vor  das  beob- 
achtende Auge  eine  einfache,  schräg  gestellte  Glasscheibe  (s.  Figur  72) 
hielt,  welche  das  Licht  einer  Flamme  (F)  reflectirte  und  in  das  Auge  B 
warf.  Die  von  dem  beleuchteten  AugenhintergTunde  B  kommenden  Licht- 
strahlen gingen  nun  denselben  Weg  zurück,  wurden  allerdings  z.  Th.  von 
der  Platte  (S)  nach  F  reflectirt,  z.  Th.  aber  gingen  sie  durch  die  Glas- 
platte hindurch  in  das  beobachtende  Auge  C.  Später  benutzte  man  statt 
der  Glasplatten  (Helmholtz'sches  Ophthalmoskop)  belegte  Spiegel  und 
versah  dieselben  im  Centrum  mit  einer  Oeffnung,  durch  welche  die 
Lichtstrahlen  nach  C  gelangen  konnten.  Auch  die  zweite  Schwierigkeit 
überwand  Helmholtz,  indem  er  zu  corrigirenden  Concavgläsern  seine 
Zuflucht  nahm  und  diese  hinter  den  Spiegel  legte. 

Man  sieht  bei  dieser  Untersuchungsweise,  bei  welcher  man  sich 
mit  dem  Augenspiegel  stark  dem  untersuchten  Auge  nähert,  die  ein- 
zelnen Theile  des  Augenhintergrundes  vergrössert  und  in  ihrer  normalen 


174 


Ophthalmoskopie, 


Lage,  da  die  optischen  Medien  des  untersuchten  Auges  ähnlich  wie  eine 
Lupe  wirken.  Man  bezeichnet  das  Verfahren  als  die  ophthalmoskopische 
Untersuchung  des  Auges  im  aufrechten  Bilde,  im  Gegensatz  zu  der 
im  umgekehrten  Bilde,  wo  durch  ein,  vor  das  untersuchte  Auge  ge- 
haltenes Convexglas  ein  umgekehrtes  in  der  Luft  schwebendes  Bild  des 
Augenhintergrundes  entworfen  wird.  — 

A.  Bei  der  Untersuchung  im  aufrechten  Bilde  werden  die 
optischen  Verhältnisse  je  nach  den  Refractionen  der  Augen  sich  ver- 
schieden gestalten.    Nehmen  wir  fürs  Erste  an,  das  untersuchende  Auge 


Ci(Figur  73)  und  das  untersuchte  B  seien  emmetropisch  und  aecom- 
modationslos:  beide  Augen  sind  alsdann  flu-  parallele  Strahlen  ein- 
gerichtet. Alle  Strahlen,  welche  von  dem  durch  den  Augenspiegel  (S) 
beleuchteten  iSletzhautpunkt  a  des  Auges  B  ausgehen,  verlassen  dasselbe 
in  paralleler  Richtung  und  gelangen  so  durch  das  unbelegte  Glas  des 
Helmholtz'schen  Spiegels  in  das  Auge  C.  Letzteres,  flu"  parallele 
Strahlen  eingerichtet,  vereinigt  sie  in  Punkt  a,  zu  einem  scharfen  Bilde. 
Dasselbe  gilt  von  Punkt  b.  Auge  C  erhält  demnach  von  a  b  ein  scharfes 
Bild.  Da  nach,  dem  Projectionsgesetz  der  Bildpunkt  bt ,  der  in  unserer 
als  verticaler  Durchschnitt  gedachten  Zeichnung  unter  at  liegt,  auf 
einen  über  a  liegenden  Objectpunkt  b  bezogen  wird,  so  erscheint  auch 
die  Netzhautpartie  a  b  in  ihrer  natürlichen  Lage. 

Ist  das  untersuchte  Auge  B  myopisch,  also  für  divergente 
Strahlen  eingerichtet,  so  werden  die  von  dem  beleuchteten  Netzhaut- 
punkt  a  (Figur  74)  ausgehenden  Strahlen  in  eben  dieser  Richtung  «las 
Auge  verlassen:  sie  treffen  demnach  das  Auge  C  in  convergirender 
Richtung.  Da  C  nur  für  parallele  Strahlen  eingerichtet  ist,  so  wird  ein 
entsprechendes  Concavglas  hinter  den  Spiegel  zu  legen  sein,  um  die 
convergenten  Strahlen  parallel  zu  machen  und  so  die  Vereinigung  der- 
selben zu  einem  scharfen  Bilde  in  a,   zu  ermöglichen. 

Handelt  es  sich  schliesslich  um  ein  zu  untersuchendes  hyperopi- 
sches,  also  für  convergente  Strahlen  eingerichtetes  Auge,  so  verlassen 
<lie  von  Punkt  a  (Figur  75)  kommenden  Strahlen  das  Auge  B  in  einer 
Richtung,  die  für  das  beobachtende  Auge  0  divergirend  ist.     Hier  be- 


Theorie  der  Augenspiegeluntersuchung.  175 

darf  es  eines  entsprechenden  Convexglases;  um  diese  Strahlen  parallel 
zu  machen. 

Bis  jetzt  haben  wir  angenommen,  dass  das  untersuchende  Auge 
eminetropisch  und  accommodationslos  sei.  Ist  dieses  nicht  der  Fall, 
so  kann  eine  eorrigirende  Brille  die  Einrichtung'  für  parallele  Strahlen 
ermöglichen.  —  Schwieriger  aber  ist  es,  die  Acconimodationsthätigkeit 
vollkommen  auszuschliessen,  wenn  man  nicht  etwa  Atropin  oder  ähnliche 
accommodationlähmende  Mittel  anwenden  will.  Das  Bewusstsein,  dass 
das  zu  untersuchende  Auge  sich  in  der  Nähe  befindet,  bewirkt  meist  auch 


eine  Einstellung  des  Auges  für  die  Xähe,  d.  h.  für  divergirende  Strahlen. 
Bei  der  Untersuchimg  eines  emmetropischen  Auges  wird  das  accommo- 
dirte  Auge  demnach  sich  der  Concavgläser  bedienen  müssen,  die  ihm 
die  parallelen  Strahlen  divergent  machen;  bei  Untersuchung  von  myo- 
pischen Augen  naturgemäss  stärkerer  Concavgläser,  als  sie  der  Myopie 
des  betreffendes  Auges  entsprechen.  Nur  für  die  Untersuchung  hyper- 
opischer  Augen  ist  die  Accommodation  von  Nutzen  und  erspart  die 
Convexgläser.  Daher  wird  es  auch  Anfängern,  die  noch  nicht  gelernt 
haben,  beim  Ophtahnoskopiren  ihre  Accommodation  zu  erschlaffen,  be- 
sonders leicht,  hyperopische  Augen  zu  untersuchen.  Bei  letzteren  sieht 
man  sogar  öfter,  wenn  man  sich  mit  dem  Ophtalmoskop  noch  in 
einem  gewissen  Abstände  vom  untersuchten  Auge  befindet  (etwa  schon 
in  20  bis  30  cm),  die  Netzhautgefässe  scharf  hervortreten,  was  beim 
emmetropischen  Auge,  selbst  wenn  man  auf  parallele  Strahlen  einge- 
richtet ist,  nicht  der  Fall  ist.  Es  erklärt  sich  dies  in  folgender  Weise. 
Die  Netzhaut  des  Hypernietropen  liegt  vor  dem  Hauptbrennpunkt  der 
optischen  Medien,  während  die  des  Emmetropen  sich  in  demselben  be- 
findet. Die  Yergrösserung  des  Augenhintergi'undes  beim  hypermetro- 
pischen  Auge  ist  demnach  geringer  als  beim  emmetropischen.  Da  nun 
bei  grösserer  Entfernung  von  dem  zu  untersuchenden  Auge  nur  ein 
sehr  kleiner  Theil  des  betreffenden  Augenhintergrundes  übersehen  wird 
(„das  ophthalmoskopische  Gesichtsfeld"  ist  sehr  klein),  so  kann  ein 
stark  vergrössertes  Blutgefäss  des  emmetropischen  Auges  dasselbe  ganz 
ausfüllen  oder  noch  überschreiten  —  es  erscheint  dann  das  Gesichtsfeld 
einfach  roth  — ,  während  beim  hypermetropischen  das  weniger  ver- 
grosserte  Gefäss  noch  mit  seinen  Rändern  scharf  sichtbar  ist. 


176  Ophthalmoskopie. 

Aber  nicht  nur  von  der  Entfernung,  in  welcher  sich  das  oph- 
thalmoskopirende  Auge  vom  untersuchten  befindet,  hängt  die  Grösse 
des  ophthalmoskopischen  Gesichtsfeldes  im  aufrechten  Bilde 
ab,  sondern  'auch  von  der  Grösse  der  Pupille  des  untersuchten 
Auges:  je  grösser  dieselbe  um  so  grösser  das  Gesichtsfeld.  Dass 
diese  beiden  Momente  in  Betracht  kommen,  davon  kann  man  sich 
experimentell  leicht  überzeugen,  wenn  man  auf  eine  starke  Convexlinse 
(+  20-0)  ein  mit  einer  centralen  Oeffnung  versehenes  Papier  legt  und 
durch  dasselbe  bald  mit  dicht  angelegtem  Auge,  bald  aus  einiger  Ent- 
fernung nach  einer  Schrift  sieht,  die  innerhalb  der  Brennweite  der 
Linse  hegt,  und  weiter,  wenn  man  der  Oeffnung  verschiedene  Grössen 
giebt.  — 

"Wenn  die  Grösse  des  ophthalmoskopischen  Gesichtsfeldes  im  aufrechten 
Bilde  als  von  obigen  Verhältnissen  abhängig  hingestellt  wurde,  so  war  vorausge- 
setzt, dass  die  Beleuchtung  der  Netzhaut  durch  das  von  dem  Augenspiegel  hinein- 
geworfene Licht  eine  entsprechende  und  möglichst  ausgedehnte  sei.  Dies  ist  aber 
nicht  immer  der  Fall.  So  entsteht  bisweilen,  wenn  der  eonjugirte  Punkt  des  vom 
Spiegel  entworfenen  Bildes  der  Lichtflamme  in  der  Netzhaut  liegt,  auf  ihr  das 
scharfe,  umgekehrte  Flammenbild,  neben  dem  die  angrenzenden  Partien,  trotzdem 
sie  in  das  ophthalmoskopische  Gesichtsfeld  fallen,  wegen  mangelnden  Lichtes  un- 
deutlich bleiben.  Man  muss  hier  Spiegel  und  Flamme  durch  Hin-  und  Herschieben 
in  solche  Entfernungen  bringen,  dass  eine  möglichst  diffuse  Beleuchtung  der  Netz- 
haut erzielt  wird,  die  eintritt,  wenn  ein  recht  grosses  Zerstreuungsbild  der  Flamme 
auf  ihr  entworfen  wird.  Die  Intensität  der  Beleuchtung  wird  gemehrt  und  das 
Gesichtsfeld  erweitert,  wenn  man  einen  starken  Concavspiegel  von  7 — 8  cm  Brenn- 
weite benutzt  (etwa  30  cm  von  der  Lichtflamme  entfernt  gehalten);  es  wird  hier- 
bei vor  der  Netzhaut  im  Auge  selbst  das  beleuchtende  umgekehrte  Flammenbild 
entworfen  (Parent).  Das  über  die  Beleuchtung  des  ophthalmoskopischen  Ge- 
sichtsfeldes Gesagte  gilt  auch  für  die  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde  (siehe 
unten).  Um  hier  eine  möglichst  ausgedehnte  Beleuchtung  zu  erhalten,  muss  ein- 
mal der  Brennpunkt  der  benutzten  Concavlinse  im  Pupillengebiet  liegen  und 
zweitens  auch  dort  das  beleuchtende  Flammenbild  fallen.  Es  gelingt  dies,  wenn 
man  mit  dem  Augenspiegel  parallele  Strahlen  auf  die  Convexlinse  wirft:  ein  Concav- 
Augenspiegel  von  40 — 50  cm  Brennweite,  ebenso  weit  von  der  Lampe  entfernt 
gehalten,  bewirkt  dies  (Dimmer). 

j  B.  1852  führte  Th.  Ruete  eine  andere  ophthalmoskopische  Me- 
thode in  die  Praxis  ein:  die  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde. 
Dabei  benutzte  er  gleichzeitig,  was  aber  für  die  Methode  selbst  be- 
deutungslos ist,  an  Stelle  der  unbelegten  Glasplatten  von  Helmholtz 
einen  Concavspiegel,  der  zum  Durchlassen  der  Lichtstrahlen  in  der  Mitte 
eine  Oeffnung  hat. 

Man  lässt  hier  durch  eine  vor  das  untersuchte  Auge  gehaltene 
Convexlinse  (etwa  20-0  [V2]  oder  besser  13-0  [V3]  die  von  dem  Augen- 
bintergrunde  kommenden  Lichtstrahlen  zu  einem  umgekehrten,  in  der 
Luft  schwebenden  reellen  Bilde   sich  sammeln  und   betrachtet    dieses. 


Hieorie  der  Augenspiegeluntersuchung. 


177 


Das  Bild  ist  grösser  als   das   Netzhautobject,  aber  nicht  so   gross  wie 
das  aufrechte  Bild. 

Nehmen  wir  wieder  au,  das  zu  untersuchende  Auge  B  (Fig.  76) 
sei  emmetropisch  und  der  Netzhaut-Punkt  a  durch  das  von  dein  Spiegel 
S  hineingeworfene  Lieht  be- 
leuchtet. Es  werden  jetzt 
die  von  a  ausgehenden, 
das  Auge  parallel  verlassen- 
den Strahlen  auf  die  vorge- 
haltene Linse  fallen  und  in 
deren  Brennpunkt  zu  einem 
Bilde   a{   vereinigt  werden.  7(1. 

Dasselbe  gilt   von  den  von 

b  ausgehenden  Strahlen,  die  sich  in  b,  vereinigen.  Dieses  reelle,  in 
der  Luft  schwebende  Bild  sieht  nun  C,  indem  es  sich  darauf  wie  auf 
ein  zwischen  seinem  Spiegel  (S)  und  der  Linse  L  befindliches  <  )bject 
aecommodirt. 

Das  so  entworfene  Bild  ist  umgekehrt;  ein  oben  gelegener  Theil 
der  beleuchteten  Netzhaut  kommt  im  Bilde  unten  zu  liegen,  ein  rechts 
befindlicher  links. 

Die  Entfernung  des  Bildes  von  der  Convexlinse  wird  etwas 
verschieden  sein,  je  nach  der  Refraction  des  untersuchten  Auges  und 
damit  wird  sich  auch  seine 
Grösse  ändern.  Beim  emme- 
tropischen  Auge  liegt  das  Bild 
von  der  Linse  um  ihre  Haupt- 
brennweite entfernt:  beim  hv- 
peropischen  Auge,  da  die 
Strahlen  hier  divergent  auf 
die  Linse  fallen  (Figur  77), 
etwas   weiter  (in  h)  tmd  hinter 

dem  Brennpunkt  e,  beim  myopischen  Auge  etwas  näher  (in  m ).  Das 
Bild  ist  also  auch  am  grössten  beim  hyperopischen,  am  kleinsten  beim 
myopischen  Auge.  Da  die  Grösse  des  Bildes  im  geraden  Verhältniss 
steht  zu  seiner  Entfernung  von  der  Linse,  so  wird  bei  der  Benutzung 
einer  stärker  brechenden  Convexlinse  (z.  B.  ^2)  f^e  Vergrösserung 
geringer    sein  als  bei  der  einer  schwächer  brechenden  (z.  B.    '  3  1. 

Die  Grösse  des  Gesichtsfeldes  bei  der  Untersuchung  im  um- 
gekehrten Bilde  hängt  von  der  Entfernung  des  Convexglases  von  der 
Pupille  ab.  Liegt  letztere  in  der  Brennweite  des  Glases,  so  erscheint 
sie  vergTössert  und  zwar  am  meisten,  wenn  ihre  Mitte  gerade  im  Brenn- 
punkte der  Linse  liegt:   es  werden  jetzt  aHe   vom  Pupillarrande   aus- 

Sehmidt-Rimpler.     7.  Auflage.  \'l 


17s  Ophthalmoskopie. 

gehendes  Strahlen  die  Linse  parallel  verlassen.  Der  Vereinigungspunkt 
paralleler  Lichtstrahlen  liegt  alter  in  der  Unendlichkeit,  mithin  ist  auch 
«las  Bild  der  Pupille  anendlich  gross.    Man  sieht  die  Pupille  nicht  mehr 

von  dem  Irisrande  begrenzt.  Rückt  die  Linse  näher  an  die  Pupille 
heran,  so  ist  die  Vergrösserung  der  Pupille  eine  geringere:  man  sieht 
alsdann  noch  den  Rand  der  Iris.  Liegt  die  Pupille  ausserhalb  der 
Brennweite  der  Linse,  so  erhalten  wir  ein  umgekehrtes  Bild  von  ihr. 
das  je  nach  der  Entfernung  vom  Brennpunkt  grösser  oder  kleiner  ist. 
Es  wird  sich  demnach  meist  empfehlen,  das  Convexglas  so  weit  von 
der  Pupille  entfernt  zu  halten,  dass  letztere  in  der  Hauptbrennebene 
liegt.  Wie  viel  man  aber  von  der  so  vergrösserten  Pupille  bei  der 
Augenspiegeluntersuchung  überblickt,  hängt  von  der  Grösse  der  vorge- 
haltenen Linse  (ihrem  Querdurchmesser  oder  ihrer  Oeffnung)  ab. 

Im  Allgemeinen  ist  die  Grösse  des  Gesichtsfeldes  im  umgekehrten 
Bilde  (=18°)  etwa  doppelt  so  gross  als  im  aufrechten. 

Die  Vergrösserung  des  ophthalmoskopischen  Bildes  ist  eine  erheb- 
licli  stärkere  im  aufrechten  Bilde  als  im  umgekehrten,  wenn  man  hier  die  üblichen 
Convexgläser  (Va — V4)  anwendet.  Die  durch  optische  Hilfsmittel  wahrnehmbare 
Vergrösserung  eines  Objectes  kommt  dadurch  zustande,  dass  das  Bild  auf  unserer 
Netzhaut  grösser  wird.  Die  Grösse  des  letzteren  ist  aber  für  gewöhnlich  abhängig 
von  der  Entfernung,  in  der  sich  das  Object  befindet.  Ein  und  derselbe  Gegen- 
stand wird  ein  grösseres  Netzhautbüd  entwerfen,  wenn  er  sich  dem  Auge  näher 
befindet,  ein  kleineres,  wenn  er  dem  Auge  ferner  steht.  Für  Vergrösserungen 
mittels  Lupe  und  Mikroskop  hat  man.  um  einen  Vergleichspunkt  zu  haben,  die 
Entfernung  von  8  Zoll  gewählt  (sogenannte  „deutliche  Sehweite"):  die  Grösse  eines 
makroskopisch  gesehenen  Objectes,  das  sich  angenommenermaassen  in  8  Zoll  befindet, 
wird  =  1  gesetzt.  Mit  convex  V2  kann  ein  Object  beispielsweise  bis  auf  2  Zoll 
au  das  Auge  angenähert  werden,  ohne  dass  eine  Accommodationsanstrengung  für 
den  Emmetropen  erforderlich  ist:  es  wird  das  Netzhautbild  dementsprechend  ver- 
grössert;  die  Vergrösserung  verhält  sich  wie  Sri.  ist  also  eine  4fache. 

Allerdings  würde  dies  genau  nur  zutreffen,  wenn  man  den  optischen  Mittel- 
punkt der  benutzten  Linse  mit  dem  des  Auges  als  zusammenfallend  annimmt,  was 
natürlich  nie  der  Fall  ist.  Ebenso  ist  hier  die  Einwirkung,  welche  die  veränderte 
Accommodation  auf  die  Grösse  des  Netzhautbildes  hat.  unbeachtet  gelassen;  in 
einer  Entfernung  von  8  Zoll  würde  das  emmetropische  Auge  7s  aecommodiren, 
H  ährend  es  bei  der  Betrachtung  des  Objectes  -f-  '  ■>  auf  2  mit  Zoll  auf  parallele  Ferne 
eingerichtet  ist.  —  Weiter  lässt  sich  gegen  diese  Art  der  Messung  anführen,  dass 
der  Begriff  „deutliche  Sehweite0  und  die  Festsetzung  derselben  auf  8  Zoll  durchaus 
nicht  mehr  unseren  jetzigen  Kenntnissen  der  Lefractions-  und  Acconnnodationsver- 
hältnisse  entspricht.  —  Correcter  würde  es  sein,  die  Gesichtswinkel,  unter  denen  die 
<  Ibjecte  ohne  und  mit  optischen  Hilfsmittelnerscheinen,  zu  vergleichen  (Seh  \\  eigger). 
Doch  ist  immerhin  jene  Bestimmung  der  Vergrösserung  noch  üblich  und  giebt  auch 
eine  \  ollkommen  ausreichende  Anschauung  der  vorliegenden  Verhältnisse.  Nehmen 
wir  an,  dass  ein  F.niinetrop  im  aufrechten  Bilde  ophthalmoskopisch  die  Netz- 
haut oder  Pap.  optica  eines  anderen  Emmetropen  sieht.  Im  schematischen  Auge 
liegl  die  Netzhaut  im  nichtaeconunodirten  emnietropischen  Auge  L5  nun  vom 
Knotenpunkt  entfernt.     Soll  das  Auge  auf  250  mm  f=  es  sei  dies  gleich  der  als 


Theorie  der  Augenspiegeluntersuchung.  179 

Maassstab  dienenden  „deutlichen  Sehweite",  indem  für  8  Zoll  25  cra  genommen 
sind  — )  accommodirt  werden,  so  würde  sich  nach  einer  von  Helmholtz*  ange- 
gebenen Formel  der  Radius  der  brechenden  Fläche  um  0*3  mm  verkürzen  müssen ; 
der  Knotenpunkt  entfernt  sieh  demnächst  ebensoviel  von  der  Netzhaut.  Dieselbe 
liegt  nunmehr  nicht  15  mm,  sondern  15 -3  mm  hinter  ihm.  Nehmen  wir  nun  an, 
dass  der  Knotenpunkt  des  untersuchenden  Auges  dem  des  untersuchten  so  nahe 
ist.  dass  wir  die  bezüglichen  Entfernungen  vernachlässigen  können,  so  sieht  das 
im  aufrechten  Bilde  ophthalmoskopirende  Auge  die  Papille  gleichsam  durch  eine 
Lupe  von  l.v.">  mm  Brennweite.  Die  Vergrösserung  im  Verhältnis»  zu  der  Grösse, 
welche   das   Object,    in   einer  Entfernung  von  250  mm  gesehen  haben  würde,  ist 

250 
demnach  für  das  emmetropische  Auge  =       .,  =  16*3  (Snellen).     Mauthner, 

der  mit  einer  Sehweite  von  8  Zoll  und  einem  Knotenpunktabstande  von  0-7  Linien 
rechnet,  bestimmt  die  Vergrösserung  des  ophthalmoskopischen  Bildes  eines  emnie- 
tropischen  Auges  auf  14V3-    Bei  H  V31  bedingt  durch  Verkürzung  der  Augenachse 

und  corrigirt  durch   •—— .  */2  Zoll  vor  dem  Knotenpunkt, = 15  Vaiache  Vergrösserung. 

3/2 
Bei   derselben   11  l/3,  corrigirt  durch  y4,  1  Zoll  vor  K,  =  133/5.     Die  ophthalmo- 
skopische Vergrösserung   nimmt  demnach   bei   der  Hyperopie  ab,  je  weiter  das 
corrigirende   das   vom   untersuchten  Auge  entfernt  ist.    Umgekehrt  bei  Myopie. 
Bei  51   ! ;;.   durch  Verlängerung  der  Augenachse  bedingt,  und  corrigirt  durch  - 

—  .  i2  Zoll  vor  K.  ist  die  Vergrösserung  =  13:  bei  derselben  Myopie,  corrigirt 
2  '  2 

durch  —  1/2,  1  Zoll  vor  K.  =  I6V3. 

Sind  II  und  M  nicht,  wie  gewöhnlich,  durch  Verschiedenheiten  in  der  Achsen- 
länge bedingt,  sondern  durch  Brechungsanomalien,  so  ist  bei  H  die  Vergrösserung 
geringer,  bei  M  grösser  als  oben  angegelten.  Man  hat  diese  Verschiedenheit  in 
der  Vergrösserung  auch  benutzt,  um  zu  diagnosticiren,  ob  es  sich  in  einem  gegebenen 
Falle  um  Achsen-  oder  Brechungsmetropie  handelte.  Weiss,  der  dieses  Verfahren 
eingeschlagen,  maass  zu  dem  Zweck  die  Vergrösserung  des  aufrechten  Bildes  dir  ect, 
indem  er  sich  der  Methode  ä  double  vue.  wie  sie  bei  Fernrohren  üblich  ist,  bediente. 
Man  stellt  hier  bekanntlich  in  einer  bestimmten  Entfernung  einen  Maassstab  auf, 
den  man  mit  dem  einen  Auge  direct,  mit  dem  andern  durch  das  Fernrohr  ansieht. 
Die  Bilder  beider  Augen  decken  sich  alsdann  und  man  kann  ablesen,  wie  viel 
Theilstriche  des  mit  dem  unbewaffneten  Auge  gesehenen  Maassstabes  auf  einen  Theil- 
strich  des  vergrösserten  Maassstabes  gehen.  "Weiss  nahm  als  Grundlage  für  die 
gefundene  Vergrösserung  im  ophthalmoskopischen  Bilde  die  anatomische  Grösse 
der  beobachteten  Papilla  optica  zu  1*5  mm  an. 

Bei  der  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde  ist  die  Vergrösserung 
geringer. 

Sie  hängt  ab,  wie  bereits  erwähnt,  von  der  Brechkraft  der  angewandten  Con- 
vexlinse:  eine  schwächere  Convexlinse  vergrössert  mehr  als  eine  stärkere.  Und 
ebenso  ist  die  Entfernung,  in  welcher  die  Linse  von  dem  Knotenpunkt  des  Auges 
gehalten  wird,  bei  ametropischen  Augen  von  Bedeutung,  während  sie  bei  einem 
emmetropischen  Auge,  aus  dem  stets  parallele  Strahlen  auf  die  Linse  fallen,  gleich- 
giltig  ist.  Beim  hypermetropischen  Auge  wird  das  Bild  kleiner,  wenn  man  die 
Convexlinse  vom  Auge  entfernter  hält,  bei  dem  myopischen  grösser.  Um  einen 
Vergleich  zu  geben,  Bei  angeführt,  dass  Mauthner  die  Vergrösserung  des  um- 
gekehrten Bildes  eines   emmetropischen  Auges  —  nach  gleichen  Principien  wie 


Physiol.  Optik,  p.  U.  Formel  3. 

12* 


180 


Ophthalmoskopie. 


die  dos  aufrechten  Bildes  berechnet  —  bei  Benutzung  einer  Convexlinse  12-  circa 
%  Zoll  vor  den  Kotenpunkt  des  Auges  gestellt  ( — gewöhnlich  wird  sie  viel  weiter 
entfernt  gehalten  — ),  als  33/4fach  berechnete. 

Schweigger,  der  die  reelle  (Jrösse  des  Sehnerven  zu  der  seines  umgekehrten 
Hildes  in  directen  Vergleich  stellt,  fand  unter  Benutzung  von  +  »/3,  3  Zoll  vom 
Auge  entfernt  gehalten,  das  Verhältniss  bei  E  wie  1:5-3;  bei  M  15  =  1  :4-ii:  bei 
II   i/a  ==  1:61. 


2.    Verschiedene  Formen  der  Augenspiegel. 


I.  Alon.oculare  Augenspiegel. 

A.  Planspiegel. 

In  Helmholtz's  Ophthalmoskop  (1851)  dienen  als  Spiegel  einfache  unbe- 
legte Glasplatten,  und  zwar  hat  Helm  holt  z  mehrere  derselben  übereinander  gelegt, 
um  eine  möglichst  starke  Reflection  und  so  die  yerhältnissmässig  grösste  Hellig- 
keit des  Augenhintergrundes  zu  erzielen.  Diese  Platten  haben  die  Gestalt  eines 
Rechtecks  und  sind  in  ein  entsprechendes  Gestell  so  eingefügt,  dass  sie  zu  der 
Lichtflamme  in  einem  schrägen  Winkel  stehen.  Hinter  diesem  Gestell  ist  eine 
kleine  Röhre,  welche  die  etwa  erforderlichen  Correctionsgläser  aufnimmt. 

Der  Helmholtz'sehe  Augenspiegel  (Figur  78.  nach  links  die  schräggestellten 
vier  spiegelnden  Platten  in  senkrechtem  Durchschnitt)  gieht  unter  allen  anderen 
die  geringste  Beleuchtungsintensität.  Bei  sehr  lichtscheuen  Augen,  sowie 
in  manchen  Fällen,  wo  besonders  die  Farbennuanceneinzelner  Theile  des  Augen- 
hintergrundes in  Frage  stehen,  empfiehlt  sich  seine  Anwendung. 

Epkens  construirte  bald  darauf  als  Ophthalmoskop  einen  foliirten  Plan- 
spiegel.    Um  dem  Untersucher  den  Durchblick  zu  gestatten,  war  in  der  Mitte 

die  Folie  abgekratzt.  Später  hat  man  direct  ein 
centrales  Loch  in  den  belegten  Spiegel  gemacht. 
Letzteres  ist  deshalb  vorzuziehen,  weil  die  Licht- 
strahlen ganz  ungehindert  hindurchziehen,  während 
bei  der  durch  Abkratzen  durchsichtig  gemachten 
Glasfläche  immer  eine  gewisse  Reflection  eintritt, 
auch  das  Reinhalten  grössere  Schwierigkeiten  ver- 
ursacht. Wendet  man  statt  der  Glasspiegel  solche 
von  Metall  an,  so  lässt  sich  wegen  der  grösseren 
Dünnheit  der  spiegelnden  Platte  auch  der  durch  die 
centrale  Oeffhung  veranlasste  kleine  Canal,  der  bei 
grösserer  Länge  stören  könnte,  auf  ein  Minimum 
verringern. 

Iiii  Correctionslinsen  hinter  die  Spiegelöffnung  zu  bringen,  hat  man  kleine 
federnde  Halbringe  angebracht,  in  die  sie  eingelegt  werden.  Oder  man  bedient 
sich  einer  excentrisch  befestigten  und  drehbaren  Scheibe  (Rekoss),  die  an  ihrer 
Peripherie  die  Linsen  eingefügt  enthält. 

Bei  den  Planspiegeln  ist  das  eigentliche  Beleuchtungsobject  für  das  zu 
untersuchende  Auge  nicht  die  Lampenflamme  als  solche,  sondern  das  durch  den 
Augenspiegel  von  ihr  entworfene  Spiegelbild.  Lezteresist,  wie  immer  bei  Plan- 
spiegeln,  ein  virtuelles  aufrechtes  und  von  gleicher  Grösse  wie  die  Flamme:  es 
liegt  gerade  soweit  hinter  dem  Spiegel,  wie  die  Lampenflamme  sich  vor  dem 
Spiegel  befindet.     I>a  die  Lampenflamme  bei  der  Untersuchung  im  umgekehrten 


Hei  in  li  i>l  tz '  Augenspiegel. 


Verschiedene  Formen  der  Augenspiegel. 


131 


Bilde  meist  ziemlich  weit  von  dem  Spiegel  entfernt  ist.  so  liegt  ihr  Bild  auch  ziem- 
lich weit  hinter  demselben:  dadureb  wird  die  Beleuchtung  des  Augenhintergrundes 
eine  verhältnissmässig  schwache.  Ophthalmoskopirt  man  hingegen  im  aufrechten 
Bilde,  so  nähert  man  sieh  erheblich  mehr  dem  untersuchten  Auge  und  damit,  auch 
der  in  der  Nähe  desselben  stehenden  Lampe:  es  Steigt  somit  die  Beleuchtungs- 
intensität, da  auch  das  Spiegelbild  in  grössere  Nähe  rückt.  Für  die  Untersuchung 
im  aufrechten  Bilde  ist  daher  der  foliirte  Planspiegel  vollkommen  ausreichend  und 
sogar  öfter  den  lichtstarkeren  Concavspiegeln  vorzuziehen. 

B.  Coneavspiegel. 

!•  Knete  war  der  Erste,  welcher  1852  einen  durchbohrten foliirten  C o n c a v - 
Spiegel  zur  ophthalmoskopischen  Untersuchung  construirte.    Sein  grösseres  In- 
strument enthielt  auf  einem  Eolzgestell  angebracht  einen  grossen  Coneavspiegel, 
vor  dem  sieh  auf  einer  Stange  verschiebbar  die  zur  Unter- 
suchung im   umgekehrten  Bilde  erforderliehe  Convexlinse 
befand.     Später  gab  er  einen  kleineren,  in    der  Hand  zu 
haltenden  Spiegel  an.     Nach  diesem  sind  eine  Menge  ähn- 
licher  Coneavspiegel   construirt,   die    sieh   durch   Grösse, 
Brennweite  u.  s.  w.  von  einander  unterscheiden.    Der  be- 
kannteste von  ihnen  ist  der  von  Liebreich  (Figur  79). 

Beim  coneaven  Spiegel  dient  das  verkleinerte,  um- 
gekehrte Bild  der  Liehtflamme  zur  Beleuchtung.  Es  hängt 
dabei  von  dem  Verhältniss  der  Brennweite  des  Spiegels 
zu  der  Entfernung  der  Lichtflamme  ab,  ob  das  umge- 
kehrte Bild  kleiner  oder  grösser  wird.  Ist  die  Entfernung 
der  Liehtflamme  gleich  der  doppelten  Brennweite  des  Con- 
cavs])ie.i,rels,  so  sind  Bild  und  Object  gleich  gross,  indem 
dieselben  optischen  Gesetze  für  Coneavspiegel  wie  für 
(  onvexlinsen  f  siehe  S.  "29j  gelten.  Da  aber  bei  der  Unter- 
suchung im  umgekehrten  Bilde  die  Lichtflamme  in  der 
Regel  von  dem  Spiegel  weiter  entfernt  ist,  als  die  doppelte 
Hauptbrennweite  beträgt,  so  entwirft  dieser  von  ihr  ein 
verkleinertes,  jedoch  sehr  lichtstarkes,  umgekehrtes, 
reelles  Bild,  dessen  Strahlen  dann  den  Augenhintergrund  beleuchten.  Figur  80 
zeigt    das     Verhalten    bei     der    ophthalmoskopischen    Untersuchung    im    umge- 


79. 

Liebreich' s  Augen- 
spiegel. 


kehrten  Bilde,  wenn   das   umgekehrte   verkleinerte  Flammenbildchen  a  nicht  in 
den   der  Netzhaut  conjugirten  Punkt  fällt.     In  der  Figur  fällt  es  hinter  ihn:  es 


182 


<  iphthalmoskopie. 


würde  sidi  demnach  mich  das  Flammenbildchen  erst  hinter  der  Netzhaut  in  a,  ab- 
lüden: auf  der  Netzhaut  entsteht  ein  Zerstreuungskreis  (k).  Diese  Art  der  Be- 
leuchtung durch  einen  Zerstreuungskreis  ist.  wie  oben  hervorgehoben,  günstiger, 
als  wenn  das  Flammenbildchen  (gewöhnlich  als  ein  helles  Dreieck  erkennbar)  sich 
direct  auf  der  Netzhaut  entwirft.    Die  Entfernung  des  Spiegelbildes  vom  Spiegel 

—  -+-— I  berechnen.     Ist  z.  B.  die  Haupt- 


nian  nach  der  Linsenformel 


äo  hat 

-. -.-  oder  -T-  =  ---,  das  heisst: 
24  b         b 


liisst  sich  nach  der  Linsenformel  , 

\  i        a        1 1 

brennweite  des  Spiegels  6  Zoll  und  die  Entfernung  von  der  Flamme  24  Zoll, 

1  1,1,1  1 
TT  =  K7  +  ,  oder  -r-  =  7r 
b       24       1»  b        6 

s  Zoll  vom  Spiegel  entfernt  liegt  das  umgekehrte  Bild  der  Flamme.  Die  Brenn- 
weite der  jetzt  üblichen  Concayspiegel,  speciell  der  sog.  Liebreich'schen  ist  für 
gewöhnlich  eine  kleine:  sie  schwankt  zwischen  4*/2  und  7  Zoll: 
selten  findet  man  grössere  Brennweiten.  Auf  den  exacten 
Schliff  der  Concavspiegel  kommt  es  zwar  bei  den  gewöhnlichen 
ophthalmoskopischen  Untersuchungen  nicht  besonders  an, 
wohl  aber  bei  der  von  mir  angegebenen  Refractionsbe- 
stimmung.  Die  Mehrzahl  der  sogenannten  Concavspiegel 
sind  sehr  ungenau  geschliffen:  die  von  ihnen  entworfenen 
Bilder  sind  verschwommen,  selbst  Vervielfachung  der  Bilder 
findet  man  nicht  selten.  Man  wird  daher  gut  thun,  beim  Kauf 
darauf  zu  achten.  Die  Prüfung  ist  sehr  leicht,  indem  man 
ähnlich  wie  mit  Convexlinsen  von  einem  hellen  Gegenstande 
ein  umgekehrtes  Bild  auf  einer  ebenen  Fläche  entwirft. 

Der  Jäger'sche  Augenspiegel  (Figur  81)  gestattet  ab- 
wechselnd die  Einfügung  eines  Planspiegels  (Helmholt z 'scher 
Glasplatte  oder  foliirten  Spiegels)  und  eines  Concavspiegels, 
indem  an  dem  vorderen  Ende  einer  kleinen  schräg  abge- 
stutzten Röhre  die  betreffenden  Einklemmungsvorrichtüngen 
angebracht  sind.  Ausserdem  hat  man  noch  den  Yortheil.  dass 
ähnlich  wie  beim  Helmholtz 'sehen  Spiegel,  ohne  Drehung 
der  Röhre,  einfach  durch  Schrägstellung  der  Spiegel  das 
Licht  in  das  untersuchte  Auge  geworfen  wird.  Da  die  Cor- 
rectionslinsen  am  hinteren  Rande  der  längs  der  Sehlinie 
des  Beobachters  laufenden  Röhre  eingesetzt  werden,  so 
bleiben  dieselben  immer  in  derselben  verticalen  Ebene  vor 
seinem  Auge.  Bei  anderen  Spiegeln,  z.  B.  dem  Liebreich'- 
schen, muss  das  ganze  Ophthalmoskop  und  damit  auch  die 
hinter  ihm  liegende  Correctionslinse  der  Stellung  der  Lampen- 
flamme entsprechend  etwas  schräg  gehalten  werden:  es  fallen 
daher  die  Lichtstrahlen  auch  schief  durch  die  dicht  hinter 
der  Oeffnung  befindlichen  Correcons linsen,  erleiden  demnach 
eine  etwas  andere  Brechung. 

Zur  ophthalmoskopischen  Refractionsbestimmung  (siehe  diese)  dürften  dalier 
im  Allgemeinen  Ophthalmoskope,  bei  denen  nur  der  Spiegel  schräg  gestellt  zu 
werden  braucht,  vorzuziehen  sein;  bedeutend  sind  allerdings  die  Nachtheile  durch 
Schrägstellung  der  Linsen  auch  nicht. 

C.  Combination  einer  Convexünse  mit  einem  Planspiegel. 

Coccius  (1853)  ersann  einen  Augenspiegel,  der  sowohl  als  Planspiegel  wie  als 
Concavspiegel  —  und  zwar  mit  veränderbarer  Brennweite  —  benutzt  werden  kann. 


81. 

•i  ä  f-r'-j  r'  s  Augenspiegel. 


Verschiedene  Formen  der  Augenspiegel. 


183 


An  einem  Planspiegel  (a)  ist  eine  Metallstange  mit  federndem  Bogen  befestigt, 
welche  zur  eventuellen  Aufnahme  eines  Convexglases  (f)  dient  (Figur  82). 

Das  Convexglas  (etwa  '/5)  ist  der  Flamme  zuge- 
kehrt. l>a  die  Entfernung  der  Linse  von  der  Flamme 
in  der  Regel  grösser  als  die  Brgnnweite  der  Linse 
ist.  so  werden  die  Lichtstrahlen,  welche  durch  sie 
hindurch  gehen,  so  gebrochen,  dass  sie  convergent 
auf  den  Planspiegel  fallen.  Von  diesem  in  derselben 
Weise  reflectirt,  sammeln  sie  sich  zu  einem  umge- 
kehrten reellen  Hilde  a,  das  nun,  wie  bei  den  Con- 
cavspiegeln,  zur  Beleuchtung  des  zu  untersuchenden 
Auges  dient  (Figur  83).    Man  hat  den  Yortheil,  dass 


82. 
Cocoius'  Spiegel. 

man  sich  gleichsam  eine  Eeihe  von  Coneavspiegeln  verschiedener  Brennweite 
schatten  kann,  indem  man  verschieden  brechende  Conyexgläser  in  das  Gestell 
einsetzt. 


D.  Refractionsopkthalmoskope. 

Bei  der  Bestimmuno-  der  Refraction,  wie  sie  durch  die  ophthalmoskopische 
Untersuchung  im  aufrechten  Bilde  gemacht  werden  kann,  bedarf  man  einer  ge- 
nügend grossen  Anzahl  von  Convex-  und  Coneavgläsern  zur  genauen  Correction 
der  etwa  vorhandenen  Befractionsanomalien.  Diese  Gläser  befinden  sieh  hinter 
der  SpiegelöfFnung  und  müssen  mit  Leichtigkeit  und  schnell  gewechselt  werden 
können.  Ein  abwechselndes  Herausnehmen  und  Hineinleben,  wie  es  z.  B.  hei  dem 
J  äg  er 'sehen  Spiegel  nöthig  ist.  würde  unpraktisch  sein,  da  die  Refractionsbestim- 
mung.  wie  wir  unten  sehen  werden,  davon  abhängt,  dass  man  mit  einem  bestimmten 
Correctionsglase  den  Augenhintergrund  des  Untersuchten  maximal  scharf  sieht. 
Leber  Differenzen  in  der  Schärfe  kann  man  jedoch  nur  in  der  Weise  ein  Urtheil 
gewinnen,  dass  man  durch  schnelles  Wechseln  der  verschiedenen  Gläser  das- 
jenige, welches  am  genauesten  corrigirt,  herausfindet.  Man  setzte  deshalb  eine 
grosse  Zahl  von  kleinen  Linsen  in  den  Rand  einer  runden,  an  der  hinteren  Spiegel- 
fläche befestigten  Platte:  indem  man  letztere  dreht,  bringt  man  nacheinander  die 
verschiedenen  Linsen  hinter  die  Oeffnung  des  Spiegels  (Refraetionsspiegel 
von  Lorin g,  Wecker,  Knapp).  Da  jedoch  bei  zu  grosser  Kleinheit  dieser 
<d;'i>er  auch  die  Oeffnung  des  Loches,  durch  das  man  sieht,  sehr  klein  wird,  so 
kann  eine  störende  stenopä'ische  Wirkung  eintreten .  durch  welche  allein  schon 
die  unregelmässige  Brechung  bei  Befractionsanomalien  einen  gewissen  Ausgleich 
erfährt.    Man  hat  deshalb  durch  Anwendung  von  zwei  solchen  Platten  ermöglicht, 


184 


t  Ophthalmoskopie. 


grössere  Gläser  einzusetzen,  ohne  die  Zahl  zu  verringern.  Eine  dieser  Scheiben 
enthält  die  schwächeren  »unser,  die  andere  die  stärkeren:  sie  müssen  demnach 
entsprechenden  Falles  herausgenommen  und  gewechselt  werden  i  Gowers,  Eirsch- 
berg,  Borstmann  u.  A.)  i  Fig.  84). 

Andererseits  hat  man  zwei  Platten  übereinander  gelegt 
und  gegeneinander  verschiebbar  gemacht.  In  dieser  Weise 
gelingt  es.  durch  eventuelle  Combination  zweier  Gläser  - 
eines  der  oberen  und  eines  der  unteren  Platte  —  ebenfalls 
eine  grosse  Zahl  verschieden  brechender  Linsen  zu  gewinnen 
(Landolt,  Schweigger  u.  A.). 

Auch  in  der  Form  der  spiegelnden  Flächen  rinden  sich 
Modifikationen.  Da  bei  der  Untersuchung-  im  aufrechten  Bilde 
ein  zu  starker  Lichteinfall  zu  einer  störenden  Verengerung 
der  Pupille  Anlass  geben  kann,  so  werden  hier  meist  die  Pia  ir- 
den Concavspiegeln  vorgezogen.  Letztere  senden  bei  ihrer 
gewöhnlichen  Brennweite  von  4 — 7  Zoll,  da  man  sich  dem 
untersuchten  Auge  etwa  Ins  auf  zwei  Zoll  nähert,  conver- 
girende  und  daher  auch  zahlreichere  Lichtstrahlen  von  der 
ausserhalb  ihrer  Brennweite  stehenden  Lampe  in  die  Pupille, 
während  bei  Planspiegeln  die  divergirenden  Strahlen  des 
Spiegelbildes  zur  Beleuchtung  dienen.  Dem  Uebelstanrle 
einer  zu  intensiven  Beleuchtung  durch  die  Concavspiegel 
lässt  sich  übrigens  sehr  leicht  abhelfen,  wenn  man  die 
Lampenflamme  etwas  niedriger  schraubt  oder  weiter  abrückt. 
Auch  hat  man  zu  dem  Zweck  Concavspiegel  von  sehr  kurzer 
Brennweite,  etwa  l3  4  bis  '2  Zoll,  gewählt  (Parent),  bei 
denen  das  umgekehrte  als  Beleuchtungsobject  dienende 
Flammenbildchen  noch  vor  das  untersuchte  Auge  fällt.  — 
Wünschenswerth  ist.  wie  erwähnt,  bei  einem  zur  Refractions- 
bestimmung  benutzten  Ophthalmoskop,  dass  der  Spiegel 
allein  —  ohne  die  dahinter  befindlichen  Correctionsgläser  — 
die  erforderliche  Schiefstellung  zur  Lampenflamme  einnehmen  kann,  ähnlich  wie 
beim  Jäger' sehen  Spiegel.  Wadsworth  hat  zu  dem  Zwecke  einen  sehr  kleinen 
schräggestellten  Spiegel  angewandt,  der  aber  wegen  seiner  Kleinheit  das  Auf- 
fangen des  Lichtes  von  der  Flamme  erschwert  (vgl.  Figur  84). 

Der  von  mir  zur  Refractionsbestimmung  im  umgekehrten  Bilde  angegebene 
kleine  Apparat  wird  bei  der  Darlegung  der  betreffenden  Methode  beschrieben 
werden. 


IL  Binoculare  Augenspiegel. 

1)  Giraud-Teulon  benutzte  bei  seinem  Augenspiegel,  der  die  Beobachtung 
des  Augenhintergrundes  mit  beiden  Augen  gestattet,  das  Princip  der  totalen 
Reflection.  Figur  85  zeigt  die  ( '(Instruction  desselben  im  Querschnitt.  Hinter 
einem  etwas  grossen  <oiic;i\  Spiegel  befinden  sich  zwei  im  Querschnitt  rhombo- 
edrische  Glasprismen  (abcd  und  a,  bC|  dt)  so,  dass  sie  gerade  mitten  hinter  dem 
centrales  Loch  des  Spiegels  mit  einer  ihrer  Kanten  aneinander  stossen.  —  Winkel 
abd  sowie  Winkel  ae'd  beträgt  45  Grad.  Senkrecht  oder  annähernd  senkrecht 
auf  ab  (respective  bai)  fallende  Strahlen  gehen  ungebrochen  durch  ab,  werden 
von  dli  total  reflectirt,  gehen  nach  ca,  wo  sie  wieder  total  reflectirt werden  und 
verlassen  unter  einem  rechten  Winkel  (g  respective  gt)  das  Prisma.  Ist  11  nun 
das  umgekehrte  Bild   eines   beleuchteten  Theiles   des  Augenhintergrundes   (etwa 


Verschiedene  Formen  der  Augenspiegel. 


L85 


der  Papille),  so  werden  die  davon  ausgehenden  Lichtstrahlen  beide  Prismen  treffen 
und  dieselben  bei  g  und  g,  verlassen.  Befinden  sieh  die  beiden  Augen  des  Be- 
obachters so  hinter  dem  Spiegel,  dass  diese  Strahlen  in  ihre  Pupillen  fallen,  so 
selien  sie  K  binocular.  Hierbei  ist  vorausgesetzt,  dass  die  Sehlinien  des  Beob- 
achters entsprechend  dem  Laute  der  bei  g  und  g|  austretenden  Lichtstrahlen, 
parallel  gerichtet  sind,  was  beim  Sehen  naher  Gegenstände  gewöhnlich  nicht  statt 
findet,  Um  diesem  Uebelstande  abzuhelfen,  ist  hinter  den  rhomboedrischen  Prismen 
noch  je  ein  kleineres  Prisma  —  wie  in  Stereoskopen  —  angebracht,  mit  der  Basis 
nach  aussen.  Indem  hierdurch  die  Strahlen  nach  aussen  abgelenkt  werden,  kann 
der  Untersucher  die.  auch  für  die  Accommodation  bequemere  Convergenzstellung 
seiner  Augen  beibehalten. 

Da  die  Entfernung  der  Augen  von  einander  d»ei  verschiedenen  Individuen 
eine  verschiedene  ist.  so  ist  das  rechts  gelegene  der  beiden  rhomboedrischen 
Prismen  durchschnitten  (bei  a2  d2).   Rückt  man  mittels  einer  Schraube  die  Theile 


von  einander  ab.  so  wird  der  bei  gt  austretende  Strahl  etwas  weiter  nach  rechts  ver- 
schollen: es  kann  demnach  auch  ein  Untersucher,  dessen  Pupillen  weiter  von  ein- 
ander abstehen,  als  in  der  Zeichnung  angenommen,  diesen  Lichtstrahl  aufnehmen. 
Neuerdings  hat  Giraud-Teulon  eine  Modification  angegeben,  bei  der  der  eigent- 
liche Spiegel  fehlt,  da  die  Lichtquelle,  eine  kleine  Edinson'sche  Lampe,  direct 
zwischen  den  beiden  Grlas-Rhomboedern  (in  b  der  Figur  85)  steht. 

Der  binoculare  Augenspiegel  hat  den  Vorzug,  dass  er  eine  Art  körperlichen 
Sehens  vermittelt  und  die  (Gegenstände  in  plastischer  Form  zeigt,  sodass  z.  B. 
eine  excavirte  Papille  als  Grube  erscheint.  Hiervon  kann  man  sich  leicht  über- 
zeugen. Allerdings  das  Höchste  des  binocularen  und  körperlichen  Sehens,  wie 
es  der  Hering'sche  Fallversuch  s.  S.  163)  erfordert,  wird  auch  bei  der  Be- 
nutzung des  binocularen  Augenspiegels  nicht  erreicht. 

•_'  Coccius  leirte  hinter  den  gewöhnlichen  durchbohrten  <  oneavspie.^el 
einen  durchbohrten  Planspiegel,  der  etwa  einen  Winkel  von  4ö  Grad  mit  der 
Sehlinie  des  Beobachters  bildete.  Empfängt  nun  beispielsweise  das  linke  Auge, 
durch  diese  beiden  Spiegelöffnungen  blickend,  von  dem  ophthalmoskopischen 
Hilde  R  Lichtstrahlen,  so  sieht  das  rechte  Auge  dasselbe  Bild  in  einem  anderen 


1  si  I  Ophthalmoskopie. 

undurchbohrten  Planspiegel,  der  im  Winkel  von  4")  Grad  dem  durchbohrten 
Spiegel  zugedreht  sich  befindet  (Figur  86).  Jedoch  sehen  die  Augen  bei  dieser 
Anordnung  nicht  das  Objeet,  wie  es  bei  dem  Spiegel  von  Girau'd-Teulon  mög- 
lich ist.  zugleich  von  der  rechten  und  linken  Seite. 

3)  Laurence  wandte  einen  grösseren  Spiegel  mit  zwei  Oeffhungen  an. 
während  Schweigger  vor  jedes  Auge  einen  durchbohrten  Concavspiegel  legte. 
Ks  eignen  sich  diese  Methoden  aber  nur  für  die  Untersuchung  der  vorderen 
Augenpartien;  ebenso  sind  sie  bei  der  Untersuchung  im  unigekehrten  Bilde  nicht 
verwendbar. 

III.  Demonstrationsspiegel. 

Diese  Spiegel  sollen  dazu  dienen,  denen,  welche  nicht  ophthalmoskopiren 
können,  den  Augenhintergrund  sichtbar  zu  machen. 

1)  Das  grosse  Liebreich'sche  Ophthalmoskop  gehört  hierher.  An  dem  einen 
Ende  einer  Röhre,  in  einem  Ausschnitt  und  nach  der  Lichttlamine  zu  drehbar,  befindet 
sich  ein  durchbohrter  Concavspiegel,  durch  den  der  Untersuchende  sieht.  In  der 
Röhre  ist  eine  verschiebbare  Convexlinse ;  an  das  andere  Ende  der  Röhre  kommt 
das  Auge  des  zu  Untersuchenden.  Oberhalb  und  seitlich  der  Röhre  ist  ein  an 
einer  Stange  beweglicher  Knopf,  der  so  gestellt  werden  kann.  dass.  wenn  der 
Untersuchte  ihn  fixirt,  seine  Papille  sich  gerade  der  Röhre  gegenüber  befindet. 
Der  Ophthalmoskopirende  muss  jetzt  Spiegel  und  Convexlinse  so  stellen,  dass  ein 
umgekehrtes  Bild  vom  Augenhintergrund  in  der  Röhre  entworfen  wird.  Be- 
hält der  Untersuchte  seine  Augenstellung  und  Accommodation  bei,  so  werden 
auch  Personen,  die  nicht  ophthalmoskopiren  können,  das  Augenspiegelbild  wahr- 
nehmen. 

Besser  sind  die  Spiegel,  die  gleichzeitig  eine  Controle  des  kundigen  Be- 
obachters zulassen,  bei  denen  also  zwei  Beobachter  zu  gleicher  Zeit  den  Augen- 
hintergrund (im  umgekehrten  Bilde)  sehen.  Sehr  empfehlenswerth  ist  hier  der 
<;i  raud-Teulon'sche  binoculare  Augenspiegel.  Man  entfernt  zu  dem  Zweck  den 
Theil  ai  dt  d2  a2  des  rechten  rhomboedrischen  Prismas  (siehe  Figur  85).  Alsdann 
geht  der  horizontale  Strahl  in  gleicher  Richtung  weiter.  Diesen  fängt  das  Auge 
des  zweiten  Beobachters  auf.  während  der  erste  Beobachter  mit  seinem  rechten 
Auge  den  Lichtstrahl  g  erhält. 

2)  Ebenfalls  unter  Benutzung  der  totalen  Reflection  sind  von  Sichel  und 
Schweigger  Dcmonstrationsspiegel  construirt.  Hinter  der  centralen  Oeffnung 
eines  concaven  Augenspiegels  ist  ein  Glasprisma  angebracht,  welches  die  Oeffnung 
nur  zur  Hälfte  deckt.  Ein  Theil  der  Strahlen  des  ophthalmoskopischen  Bildes 
geht  demnach  ungebrochen  durch  die  Oeffnung,  während  der  andere  Theil  durch 
das  Prisma  (wie  oben  bei  Giraud-Teulon)  nach  rechts  abgelenkt  wird,  um  das 
Auge  des  zweiten  Beobachters  zu  treffen.  Doch  gelingt  es  hier  nur  mit  ziemlicher 
Schwierigkeit,  dass  zwei  Beobachter  gleichzeitig  das  Bild  seilen. 

.'!i  Peppmüller  hat  in  seinem  Ophthalmoskop  vor  das  centrale  Loch  einen 
kleinen  schräg  gestellten  Spiegel  angebracht,  welcher  die  Oeffnung  ebenfalls  nur 
zum  Theil  verdeckt,  sodass  die  Strahlen  theilweise  durch  dieselben  gehen,  /.um 
Theil  auf  den   kleineren  Spiegel  fallen  und  hier  reflectirt  werden. 

\<  Neuerdings  hat  Thorner  einen  stabilen  Augenspiegel  mit  retlexlosem 
Bilde  construirt.  der  ebenfalls  zu  Demonstrationszwecken  benutzt  werden  kann. 
Die  Bonst  auftretenden  Störungen  durch  Reflexe  an  der  Cornea  und  Linse  werden 
dadurch   beseitigt,  dass  er  durch  eine  Hälfte  der  Pupille  die   Beleuchtungsquelle 


Verschiedene  Formen  der  Augenspiegel. 


IST 


für  die  Netzhaut  mittels  eines  Prismas  und  eines  optischen  Systems  in  dns  Augen- 
innere  hinter  die  Linse  verlegt.  l>ie  durch  die  andere  dunkle  Pupillenhälfte  von 
der  Netzhaut  zurückkommenden  Strahlen  gelangen  alsdann  ohne  jeden  ßeflex  in 
das  Auge  des  Beobachters,  während  die  durch  die  beleuchtete  Hälfte  zurück- 
kommenden unschädlich  gemacht  werden.  Mit  diesem  Spiegel  h'isst  sich  ein  Ge- 
sichtsfeld von  37°  erreichen. 

5  sind  beide  Beobachter  im  Ophthalmoskopien  einigermaassen  geübt,  so  ge- 
lingt auch  in  nachstehender  Weise  das  gleichzeitige  Sehen  des  ophthalmoskopischen 
Bildes.  Beobachter  A.  der  neben  und  etwas  hinter  dem  zu  beobachtenden  Auge 
sich  befindet,  wirft  vermittelst  eines  durchbohrten  Augenspiegels  Strahlen  von 
einer  Lichtflamme  so.  dass  sie  auf  den  durchbohrten  planen  Augenspiegel  des  vor 
dem  zu  Untersuchenden  sitzenden  Beobachters  B  fallen,  der  seinerseits  dieselben 
in  das  Auge  des  Untersuchten  wirft.  Die  Strahlen  des  ophthalmoskopischen  Bildes 
werden  nun  theils  durch  die  centrale  Oeffnung  des  von  B  gehaltenen  Spiegels  in 
dessen  Auge  gelangen,  theils  von  dem  Spiegel  reflectirt  von  dem  Beobachter  A 
-eschen  werden.  —  Die  Methode  von  Coccius-Bellarminoff  s.  S.  172. 


IV.  Spiegel  zur  Autophthalmoskopie. 

Um  sich  selbst  zu  Ophthalmoskopien,  sind  verschiedene  Methoden  und  In- 
strumente erdacht.  Nach  Coccius  erweitert  man  sich  die  Pupille  durch  Atropin 
oder  Homatropin.  um  zugleich  die  Accommodation  zu  lähmen.  Der  Emmetrop  ist 
alsdann  für  parallele  Strahlen  eingerichtet,  der  Myop 
oder  Hyperop  muss  seine  Kefractionsanomalie  durch 
Vorlegen  des  entsprechenden  Glases  corrigiren.  Nun- 
mehr wird  der  plane  Augenspiegel  (siehe  Figur  87j, 
die  spiegelnde  Fläche  dem  Auge  zugekehrt. 
schräg  vor  dasselbe  gehalten.  Die  Sehlinie  (m  k)  wird 
auf  den  Band  der  Spiegelöffnung  gerichtet.  Durch 
letztere  dringt  von  einer  Lampe,  am  besten  noch  durch 
eine  Convexlinse  (1)  eondensirt,  Licht  in  die  Pupille. 
Bei  passender  Stellung  des  Auges  kann  man  es  dann 
erreichen,  dass  die  einfallenden  Lichtstrahlen  gerade 
die  Papilla  optica  (p)  erleuchten.  Die  von  dieser  aus- 
gehenden Strahlen  verlassen  parallel  p  k  und  unter 
einander  parallel  das  Auge,  fallen  auf  die  Spiegelfläche 
bei  pi,  wo  sie  reflectirt  werden,  gehen  in  das  Auge 
zurück  und  vereinigen  sieh  auf  der  Macula.  In  dieser 
Weise  sieht  der  Ophthalmoskopiker  seine  eigene  Papille. 

Eine  andere  eomplicirtere  Methode  mittels  Prismen 
hat  Heymann   angegeben.     Das   Instrument  hat   die 
Gestalt    eines   binocularen  Opernguckers.     Durch' ge- 
schickte Benutzung  eines    schräg   gestellten   durchbohrten  Planspiegels,  der  am 
Ende   der  einen  Bohre,   und  eines  total  reflectirenden  Prismas,   das  am  Lüde  der 
anderen  Röhre  sich  befindet,  gelingt  es.   mit  dem  zweiten  Auge  den  Hintergrund 
des  ersten  zu  sehen. 

Heine  hat  neuerdings  eine  Methode  der  Autophthalmoskopie  im  umge- 
kehrten Bilde  erdacht.  Zwischen  der  Lichtflamme  und  dem  linken  Auge,  dieses 
beschattend,  wird  in  senkrechter  Stellung  ein  kleiner  Toilettenspiegel  vorgehalten. 
Vor  dem  rechten  Auge   befindet    sich    der  Liebreich  sehe  Augenspiegel,    mittels 


Is>  Ophthalmoskopie. 

dessen  das  Licht  so  auf  den  Planspiegel  geworfen  wird,  dass  es  von  dort  reflec- 
tirt  in  die  Pupille  des  linken  Auges  fällt.  Das  von  der  Netzhaut  des  letzteren 
reflectirte  Licht  wird  durch  eine  vorgehaltene  C'onvex-Linse  13*0  zu  einem  umge- 
kehrten Hilde  gesammelt,  welches  das  rechte  Auge  im  Planspiegel  wahrnimmt. 


Die  Frage,  welcher  Augenspiegel  wohl  der  praktischste  sei,  lässt 
sieb,  allgemein  gehalten,  nicht  beantworten,  da  für  die  verschiedenen 
Zwecke  die  verschiedenen  Spiegel  mehr  oder  minder  geeignet  sein  werden. 
Für  die  Untersuchung  im  aufrechten  Bilde  pflegt  man,  um  eine  mög- 
lichst weite  Pupille  zu  erhalten,  lichtschwächere  Spiegel  (Planspiegel) 
zu  wählen.  Manche  liehen  sie  auch  bei  der  Untersuchung  im  um- 
gekehrten Bilde.  Jedoch  ziehe  ich  hier  die  .Concavspiegel  vor,  weil  sie  eine 
erheblich  hellere  Beleuchtung  geben;  letztere  ist  von  besonderem  Nutzen 
( —  auch  bei  der  Untersuchung  im  aufrechten  Bilde  — ),  wenn  man  bei 
Trübungen  der  optischen  Medien  ein  Bild  des  Augenhintergrundes  er- 
halten will.  Die  zuweilen  übermässig  betonten  Nachtheile  der  stärkeren 
Beleuchtung  (Verengerung  der  Pupille,  Blendung)  lassen  sich  durch 
entsprechende  Abschwächung  der  Lichtcnielle  (Lampenflamme,  elec- 
trische  matte  Birnengläser)  vermeiden.  Wer  demnach  nicht  in  der 
Lage  ist,  sich  einen  der  ziemlich  theuren  Refractionsaugenspiegel  anzu- 
schaffen, wird  meist  mit  dem  kleinen  Liebreick'schen  oderCoccius'scken 
auskommen.  Genaue  ophthalmoskopische  Refractionsbestimmungenlassen 
sich  allerdings  nicht  damit  machen,  ausser  unter  Benutzung  meiner 
Methode  im  umgekehrten  Bilde. 

3.  Beleuchtungsquelle. 

Für    gewöhnlich    nimmt    man    zum    Ophthalmoskopiren    eine    mit 

<  \  linder  versehene  Oel-,  Petroleum-,  Gas-  oder  electrische  Lampe.  Diese 
Flammen  geben  dem  Augenhintergrunde  je  nach  der  Farbe  ihres  Lichts, 
eine  gewisse  Nuance,  die  bei  lichtstarken  Spiegeln  etwas  mehr  hervortritt 
als  bei  lichtschwachen.  Man  hat  deshalb  auch  diffuses  Tageslicht  zum 

<  »phtlialnioskopiren  benutzt,  das  eine  sehr  lichtschwache  Beleuchtung  des 
Augenhintergrundes  giebt  und  von  einigen  Autoren  empfohlen  wird,  um 
kleinere  pathologische  Farbenveränderungen  (z.  B.  die  leichte  Blässe 
der  Papille  bei  beginnender  Sehnervenatrophie)  zu  erkennen.  Ich  kann 
nicht  rinden,  dass  das  Tageslicht  hier  von  besonderem  Nutzen  ist.  Da 
der  ganze  Augenhintergrund  gleichmässig  in  einem  blasseren  Liebte 
erscheint,  so  wird  natürlich  auch  die  Papille  blasser.  Eine  stärkere 
Differenzirung  aber  in  der  Farbe  zwischen  einer  normal  röthlichen  und 
einer  leicht  atrophischen  durch  diese  Beleuchtung  habe  ich  nicht  wahr- 


Beleuchtungsquelle.  lsi  i 

genommen.  AVill  man  bei  Tageslicht  ophthalmoskopiren,  so  lässt  man  in 
das  sonst  dunkle  Zinnner  das  Licht  durch  eine  kleine  <  >effnung  im 
Fensterladen  einfallen.  Der  zu  Untersuchende  stein  oder  sitzl  dichl 
nchen  der  Oeffnung.  Im  Uebrigen  ist  auch  das  diffuse  Tageslicht 
in  der  Regel  nicht  absolut  farblos,  da  es  von  den  reflectirenden  Flächen, 
von  denen  es  entnommen  wird,  eine  gewisse  Färbung  erhält.  Selbst 
das  Licht  der  Wolken  hat  verschiedene  Färbung.  Directes  Sonnen- 
licht darf  man  natürlich  nicht  benutzen,  da  sonst  eine  Verbrennung  (\vr 
Netzhaut   eintreten   würde. 


4.  Praktische  Ausführung  der  Augenspiegel-Untersuchung. 

In  einem  dunklen  Zimmer  stellt  man  eine  brennende  Lampe  nur  mit 
einem  Cylinder  versehen,  auf  einen  Tisch  zur  Seite  und  etwas  hinter  den 
Kopf  des  zu  Untersuchenden,  sodass  dessen  Gesicht  im  Schatten  bleibt. 
Bei  der  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde  empfiehlt  es  sich,  die  Lampe 
zur  linken  Seite  des  Untersuchten  zu  stellen,  um  sich  nicht  etwa  durch 
die  linke,  die  Convexlinse  tragende  Hand  das  Licht  abzuschneiden,  falls 
man  den  Spiegel  vor  seinem  eigenen  rechten  Auge  hält.  Für  die  Unter- 
suchung im  aufrechten  Bilde  ist  es,  wenn  das  rechte  Auge  untersucht 
wird,  etwas  bequemer,  die  Lampe  rechts  zu  stellen.  Die  Flamme  der 
Lampe  muss  möglichst  in  gleicher  Höhe  mit  dem  Auge  des  sitzenden 
Patienten  sich  befinden.  Es  ist  daher  angenehm,  eine  bezügliche  Ein- 
richtung zum  Herauf-  und  Herunterstellen  an  der  Lampe  zu  haben. 
In  den  meisten  Fällen  wird  sich  ein  Rundbrenner  mehr  empfehlen  als 
ein  Flachbrenner,  da  sich  der  Augenspiegel  gelegentlich  in  verschiedenen 
Richtungen  der  Flamme  gegenüber  befindet  und  von  ihr  Licht  entnehmen 
muss.  Der  Arzt  setzt  sich  dem  Kranken  gegenüber  und  so,  dass  die 
S  ti'ihle  ziemlich  nahe  aneinander  kommen.  Dies  erreicht  man,  indem 
man  die  Beine  des  Anderen  zwischen  die  eigenen  nimmt,  oder  auch, 
indem  Arzt  und  Patient  die  Beine  nach  entgegengesetzten  Seiten  richten. 
Das  Auge  des  Beobachters  und  das  des  zu  Untersuchenden  müssen  mög- 
lichst in  einer  horizontalen  Ebene  sich  befinden  (siehe  Figur  88). 

Yortheilhaft  ist  es,  wenn  man  es  erreicht,  mit  beiden  Augen  Ophthal- 
moskopien zu  können:  der  Anfänger  wird  sich  aber  begnügen,  nur 
erst  mit  einem  Auge  etwas  zu  sehen. 

Den  Spiegel  nimmt  man,  wenn  man  mit  dem  rechten  Auge  --  wie 
wohl  meist  geschieht  —  ophthalmoskopirt,  in  die  rechte  Hand,  andern- 
falls in  die  linke  und  hält  ihn,  den  oberen  Rand  desselben  dem  oberen 
<  »rbitalrand  anlegend,  dicht  vor  sein  eigenes  Auge,  indem  man  durch 
die  Oeffnuns;  hindurchsieht.     Darauf  wirft  man   durch  leichte  Schräg- 


190 


( Ophthalmoskopie. 


Stellung-  des  Spiegels  «las  Lampenlicht  in  die  Pupille  des  zu  Unter- 
suchenden. Es  gelingt  dies  zuerst  nicht  immer  leicht.  Der  Anfänger 
mag  alsdann  mit  dem  freien  Auge  sehen,  wo  das  bei  der  jeweiligen 
Haltung  des  Spiegels  entworfene  Lichtbild  sich  befindet  und  nun  durch 
Drehen  des  Spiegels  es  allmählich  in  die  Pupille  leiten.  Wenn  er  nun- 
mehr das  freie  Auge  schliesst,  so  wird  er;  durch  die  Spiegelöffnung 
blickend,  die  Pupille  roth  leuchten  sehen:  damit  ist  der  erste  Anfang 
zum  Ophthalmoskopiren  gewonnen. 

Manchen   Personen  wird   das  Zukneifen  des  einen  Auges  schwer: 
sie  erlernen  es  erst  durch  längere  Uebung.    Diese  müssen  sich  eventuell 


88. 

eine  Klappe  vor  dasselbe  legen.  Noch  besser  ist  es,  ohne  Schliessen  des 
zweiten  Auges  zu  ophthalmoskopiren,  wenn  man  es  eben  versteht,  von 
den   dieses  Auge  treffenden  Eindrücken  zu  abstrahiren. 

Zur  Untersuchung,  ob  Trübungen  in  den  brechenden  Medien  vor- 
handen sind,  heisst  man  nun  den  Patienten  sein  Auge  einige  Male  nach 
oben  und  unten,  rechts  und  links  bewegen.  Bei  vorhandenen  Trübungen, 
seien  es  1  IornhautHocke,  Pupillar-Auflagerungen,  Linsen-  oder  Grlas- 
körpertrübungen,  freien  alsdann  graue  oder  schwarze  Flecke  in  dem 
Roth  der  Pupille  hervor:  bewegen  sich  diese  Flecke  in  gleicher  Richtung 
wie  die  Hornhaut  (h'^  Auges,  so  liegen  sie  vor  dem  Drehpunkt  des 
Auges.  Man  lasse  sich  aber  bezüglich  der  Richtung  nicht  dadurch 
täuschen,  dass  die  Bewegungen  der  Linsentrübungen  weniger  ausgiebig 


Praktische  Ausführung  der  Augenspiegeluntersuchung.  191 

erfolgen,  als  die  der  Hornhaut.  Noch  in  anderer  Weise  kann  man 
ophthalmoskopisch  die  Lage  der  Trübung  bestimmen,  indem  man,  während 
das  beobachtete  Auge  still  steht,  Spiegel  und  eignes  Auge  seitwärts 
bewegt.  Die  im  Pupillengebiet  liegenden  Trübungen  behalten  jetzt  ihre 
trülicre  Lage,  die  vor  demselben  (z.  B.  in  der  Hornhaut)  befindlichen 
machen  hingegen  scheinbar  eine  der  eigenen  Augenbewegung  entgegen- 
gesetzte Bewegung,  die  hinter  der  Pupillen-Ebene  liegenden  eine  gleich- 
artige. Am  einfachsten  giebt  übrigens  die  Untersuchung  mit  schiefer 
Beleuchtung  Auskunft  über  die  Lage  der  in  den  vorderen  Partien  des 
Auges  befindlichen  Trübungen. 

Uie  Untersuchung  des  Augenhintergrundes  pflegt  man  mit  der  des 
Sehnerveneintritts  (Papilla  nervi  optici)  zu  beginnen,  einmal,  weil  sich 
an  diesem  und  in  seiner  Umgebung  die  meisten  Krankheitsprocesse  ab- 
spielen und  weiter  auch,  weil  er  durch  seine  hellere  Färbung  mit  dem 
intensiven  Roth  des  übrigen  Augenhintergrundes  stark  contrastirt  und 
so  einen  für  die  erste  Accommodation  des  untersuchenden  Auges  ge- 
eigneten Anhaltspunkt  gewährt.  Der  Sehnerv  tritt  etwas  nasal  vom 
hinteren  Pole  des  Auges  durch  die  Sclera.  "Will  man  ihn  daher  bei  der 
Augenspiegeluntersuchung  sich  vis-ä-vis  haben,  so  darf  der  Patient  nicht 
in  die  Richtung  des  Spiegels  blicken  ■ —  alsdann  hätte  man  die  Macula 
lutea  vor  sich  --  sondern  niuss  das  Auge  etwas  nasenwärts  wenden. 
Im  (Ganzen  wird  man  die  passende  Stellung  bekommen,  wenn  man,  falls 
das  linke  Auge  des  Kranken  vom  rechten  des  Beobachters  Ophthalmo- 
skopie wird  und  beide  Gesichter  sich  gerade  gegenüber  befinden,  den 
Kranken  anweist,  in  der  Richtung  nach  dem  linken  Ohr  des  Beobachters 
hin  —  in  der  Höhe  der  Augen  —  zu  blicken.  Will  der  Beobachter 
das  rechte  Auge  des  Kranken  ebenfalls  mit  seinem  rechten  Auge  oph- 
thalmoskopiren,  so  muss  er  mit  seinem  Kopfe  etwas  nach  links  herüber 
rücken.  Die  Blickrichtung  des  Kranken  wird  demnach  etwas  nach 
aussen  vom  rechten  Ohre  des  Beobachters  verlaufen  müssen. 

Dem  Anfänger  ist  es  eine  grosse  Erleichterung,  die  Pa- 
pille sofort  sich  gegenüber  zu  haben:  mit  der  eben  erwähnten 
Blickdirection  des  zu  L'ntersuchenclen  wird  ihm  dies  gelingen;  nur  achte 
er  ilarauf,  dass  letzterer  wirklich  die  befohlene  Richtung  einnimmt  und 
beibehält.  Viele  Patienten  blicken  immer  wieder  neugierig  in  den  Spiegel. 
Das  Engerwerden  der  Pupille  und  die  zahlreichen  Reflexe  können  den 
Untersucher  auf  diese  Stellungsänderung  aufmerksam  machen.  Hat  man 
bei  schlechter  Augenstellung  nicht  die  Papille  vor  sich,  sondern  andere 
Netzhautpartien,  so  kann  man  zu  ersterer  gelangen,  wenn  man  die  sicht- 
baren Netzhautgefässe  in  ihrem  Verlauf  verfolgt  und  zwar  von  den  dicho- 
tomischen  Verästelungen  sich  entfernend  dem  immer  stärker  werdenden 
Hauptaste  zu,  bis  zu  seinem  Anfange,  der  in  der  Papille  liegt.  — 


192  Ophthalmoskopie. 

Um  die  Pupille  des  Untersuchten  möglichst  zu  erweitern  und  bei 
der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  die  Aecommodation  desselben  zu 
erschlaffen,  lasse  man  ihn  (in  der  bezeichneten  Richtung)  in  die 
Ferne,  in  das  Dunkle  des  Zimmers  hineinblicken,  nickt  etwa  das 
( >hr  seihst  fixiren.  Auch  das  Verdecken  des  anderen  Auges  kann  zur 
Pupillenerweiterung  benutzt  werden. 

Für  gewöhnlich  bedarf  es  keiner  künstlichen  Dilatation.  Wenn 
jedoch  die  Pupille  eng'  ist  und  die  Medien  des  Auges  weniger  durch- 
sichtig sind,  wie  besonders  bei  älteren  Individuen,  oder  wenn  es  darauf 
ankommt,  peripher  gelegene  Theile  der  Linse  oder  des  Augenhinter- 
grundes zu  untersuchen  —  es  kann  bei  erweiterter  Pupille  noch  eben 
die  Grenze  des  Ciliarkörpers  ophthalmoskopisch  gesehen  werden 
(Magnus)  — ,  hat  man  dazu  zu  schreiten.  Man  bedient  sich  zur  Er- 
reichung der  Mydriasis  vortheilhaft  der  oben  unter  den  Mydriaticis 
erwähnten  Lösungen  von  Ephedrin  und  Euphthalmin:  in  25  bis  30 
Minuten  ist  meist  eine  zum  Ophthalmoskopiren  genügende  Erweiterung 
erreicht.  Bei  älteren  Individuen  bedarf  es  wiederholter  Einträufelungen. 
Ist  Verdacht  auf  Glaukom  vorhanden,  so  muss  man  mit  mydriatischen 
Mitteln  vorsichtig  sein,  jedenfalls  Atropin  vermeiden,  da  der  Ausbruch 
eines  acuten  Glaukomanfalles  unmittelbar  danach  erfolgen  kann.  Am 
wenigsten  gefährlich  erscheint  hier  Cocain. 

Bei  der  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde  —  ebenso 
wenn  man  nur  die  vorderen  Augenpartien  oder  den  Glaskörper  durch- 
mustern will  —  bleibt  man  mit  dem  Spiegel  weiter  von  dem  untersuchten 
Auge  entfernt  (etwa  35  bis  45  cm)  als  bei  der  Untersuchung  im  auf- 
rechten Bilde.  Als  Convexlinse  zur  Entfernung  des  umgekehrten  Bildes 
empfiehlt  sich  meist  13-0:  hiermit  hat  man  eine  entsprechende  Ver- 
grösserung  und  braucht  doch  die  Linse  nicht  gar  zu  weit  vom  Auge  ab- 
zuhalten. Bei  starker  Hypermetropie,  bei  Netzhautablösungen,  bei  Unter- 
suchung auf  Cysticerken  oder  wenn  man  einen  grösseren  Theil  des 
Atigenhintergrundes  auf  einmal  übersehen  will,  sind  stärkere  Linsen 
(20-0  Ins  25-0)  angezeigt.  Die  Convexlinse  hält  man  so  vor  das  zu 
untersuchende  Auge,  dass  man  sie,  falls  sie  keinen  Griff  hat,  zwischen 
dem  am  oberen  Bande  angelegten  Zeigefinger  und  dem  am  unteren 
Bande  befindlichen  Daumen  der  linken  Hand  fasst  und  den  kleinen 
Finger  der  gespreizten  Hand  an  die  Stirne  des  Untersuchten  legt.  Auf 
diese  Weise  kann  man  die  Linse  dem  Auge  nähern  und  von  ihm  ent- 
fernen. Pupille,  Linseneentrum  und  Augenspiegelöffnung  müssen  mög- 
lichst in  einer  horizontalen  Linie  sich  befinden.  Die  Linse  soll  so  weit 
von  der  Pupille  entfernt  gehalten  werden,  dass  ihr  Brennpunkt  ungefähr 
in  letztere  fällt.  Wenn  man  sie  dem  Auge  näher  hält,  so  ist  die  roth- 
leuchtende  Pupille  vom   Lrisrand  umglänzt.     In  diesem  Falle  geht  man 


Praktische  Ausführung  der  Augenspiegeluntersuckung.  193 

langsam  weiter  ab,  bis  die  Iris  ganz  aus  dem  Gesichtsfelde  schwindet 
und  hat  dann  die  richtige  Entfernung.  Mit  seinem  eigenen  Auge  und 
dem  Augenspiegel  muss  man  von  der  Linse  so  weit  entfernt  sein,  dass 
man  ausreichend  auf  das  zwischen  Linse  und  Spiegel  in  der  Luft 
schwebende  umgekehrte  Bild  des  Augenhintergrundes  accommodiren 
kann.  Untersuchen  wir  ein  emmetropisches  Auge  mit  13-0,  so  wird 
das  umgekehrte  Bild  '  I3  m  =  79/13  cm  von  der  Linse  abliegen.  Wenn 
wir  die  bequeme  Sehweite  auf  25  cm  annehmen,  so  muss  demnach  der 
Augenspiegel  und  das  Auge  des  Untersuchers  circa  33  cm,  von  der  Linse 
entfernt  sein.  Ist  Jemand  so  kurzsichtig,  dass  er  in  25  cm  Entfernung 
nicht  mehr  deutlich  sehen  kann,  so  nähert  er  sich  mit  dem  Spiegel  so 
weit  als  es  ihm  nöthig  erscheint.  Für  Kurzsichtige,  die  gewöhnt  sind, 
beständig,  also  auch  für  die  Beschäftigungen  in  der  Nähe,  Brillen  zu 
tragen,  empfiehlt  es  sich,  selbige  auch  beim  Ophthalmoskopien  aufzu- 
behalten. Für  LTebersichtige  ist  ein  entsprechendes  Zurückgehen  mit 
dem  Spiegel  erforderlich,  oder  die  Benutzung  einer  Convexlinse,  welche 
hinter  den  Spiegel  gelegt  wird.  Dasselbe  gilt  für  Presbyopen.  Auch 
Emmetropen  und  Myopen  können  sich  gelegentlich  hinter  den  Spiegel 
gelegter  Ooiivexgläser  bedienen,  um  ihren  Accommodationsmuskel  zu 
schonen  und  sich  gleichzeitig  auch  —  bei  stärkeren  Gläsern  —  das  Bild 
zu  vergrössern.  Dem  Anfänger  ist  aber  die  Benutzung  der  Convexgläser, 
wenn  sie  nur  aus  diesen  Gründen  geschieht,  nicht  zu  rathen;  er  kommt 
dadurch  in  ungewohnte  Accommodationsverhältnisse,  die  ihm  das  Ophthal- 
moskopiren  nur  noch  mehr  erschweren. 

Die  erste  Regel  ist  nun,  nicht  durch  das  vorgehaltene  Convexglas 
hindurch  sehen  zu  wollen,  sondern  das  Auge  auf  das  zwischen  ihm 
und  dem  Convexglase  befindliche  Luftbild  zu  accommodiren. 
Als  gute  Uebung  hierfür  dient  es,  wenn  man  sich  von  einer  vertical 
neben  eine  Flamme  gestellten  Schrift  mit  convex  13-0  ein  umgekehrtes 
Bild  entwirft,  indem  man  die  Schrift  gleichzeitig  mit  dem  Augenspiegel 
beleuchtet:  also  mit  der  Schrift  ganz  so  wie  bei  der  ophthalmoskopischen 
Untersuchung  des  Augenhintergrundes  verfährt.  Weiter  ist  auch  das 
Ophthalnioskopiren  von  Thieren,  besonders  Kaninchen,  dem  Anfänger 
zu  empfehlen.  Bei  dunkelhaarigen  Kaninchen  sieht  man  im  Augen- 
hintergrunde  hellrothe  Streifen  auf  dunklerem  Grunde:  es  sind  dies  die 
Chorioidealgefässe.  Bei  weissen  Kaninchen  erscheinen  die  Gefässe  roth 
auf  hellerem  Grunde,  da  wegen  des  Pigmentmangels  der  Chorioidea 
die  Sclera  durchscheint.  Die  JSetzhautgefässe  sind  bei  Kaninchen  sehr 
sparsam  vorhanden  und  nur  in  der  Nähe  der  Papille  ausreichend 
hervortretend.  Will  man  die  Papilla  optica  sehen,  so  muss  man  von 
unten  und  etwas  von  hinten  in  das  Auge  hineinblicken.  Man  findet 
die  betreffende  Stelle  am  leichtesten,  wenn  man  erst  mit  dem  Augen- 

Schmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  13 


1  * »_!-  Ophthalmoskopie. 

Spiegel  —  ohne  Convexglas  —  Licht  in  die  Pupille  wirft  und,  sich  hin 
und  her  mit  dem  Kopfe  bewegend,  die  Stelle  aufsucht,  an  der  man 
keinen  rothen,  sondern  einen  mehr  weisslichen  Reflex  sieht.  Hält  man 
nunmehr  das  Convexglas  vor,  so  erkennt  man  die  bläulichweisse,  hier 
auch  physiologisch  vertiefte  (excavirte)  Papille,  von  der  aus  sich,  be- 
sonders bei  pigmentirten  Kaninchen,  leicht  gestreifte,  hellweisse,  sectoren- 
förmige  Figuren  in  die  Netzhaut  erstrecken.  Letztere  sind  der  optische 
Ausdruck  der  hier  verlaufenden  markhaltigen  Nervenfasern.  Im  auf- 
rechten Bilde  sind  auch  die  Augen  der  Frösche  leicht  zu  untersuchen, 
besonders  interessant  ist  die  Beobachtung  der  Blutströmung  in  den  Ge- 
fässen  der  Membr.  hyaloidea.  — 

Eine  weitere  Schwierigkeit  ausser  der  richtigen  Augeneinstellung 
verursachen  oft  Lichtreflexe  an  der  Cornea  und  an  der  Convexlinse. 
Man  kann  letztere  verringern,  wenn  man  das  Glas  etwas  um  seine  hori- 
zontale oder  verticale  Achse  dreht.  Auch  Verringerung  der  Lichtin- 
tensität oder  weiteres  Abgehen  mit  dem  Spiegel  mindert  sie.  Das  von 
der  Hornhaut  entworfene  Spiegelbild  des  Ophthalmoskops,  das  der 
Untersuchende  bisweilen  als  eine  glänzende  kleine  Scheibe  mit  einem 
schwarzen  Punkt  (Sehloch)  in  der  Mitte  sieht,  wird  von  Anfängern 
manchmal  für  die  Papilla  optica  gehalten. 

Ferner  ist  störend,  dass  das  ophthalmoskopische  Gesichtsfeld  bis- 
weilen nur  in  kleiner  Ausdehnung  beleuchtet  ist,  indem  ein  ziemlich 
scharfes  umgekehrtes  Flammenbild  in  der  Gestalt  eines  hellerleuchteten 
Dreiecks  mit  nach  oben  liegender  Basis  auf  der  Netzhaut  entworfen  wird. 
Nur  was  in  dieser  erleuchteten  Partie  liegt,  ist  alsdann  erkennbar.  Die 
Schärfe,  mit  der  sich  das  Flammenbild  auf  der  Netzhaut  abzeichnet, 
hängt  von  der  Brennweite  des  Spiegels,  von  der  Entfernung,  in  der  sich 
dieser  vom  Auge  respective  der  Convexlinse  befindet,  und  schliesslich  von 
der  Refraction  des  untersuchten  Auges  ab.  Es  ist  am  schärfsten,  wenn 
der  conjugirte  Punkt  des  als  Beleuchtungsquelle  dienenden  Flammen- 
bildchens in  der  Netzhaut  liegt.  Tritt  in  einem  gegebenen  Falle  das 
Flammenbild  auf  der  Netzhaut  sehr  scharf  hervor,  so  geht  man,  um 
diesen  Uebelstand  zu  vermeiden,  mit  dem  Spiegel  etwas  weiter  vom 
Auge  ab  oder  näher  heran.  Im  Ganzen  pflegen  bei  den  üblichen  Ent- 
fernungen, wie  sie  bei  der  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde  inne- 
gehalten werden,  schwache  Concav-  oder  Planspiegel  grössere  Zer- 
streuungskreise  des  Flammenbildcs  und  somit  eine  diffusere  Beleuchtung 
der  Netzhaut  zu  geben.  Bei  guter  Beleuchtung  und  mittelweiter  Pupille. 
übersieht  man  mit  -j-  13-0  die  ganze  Papilla  optica  und  eine  angren- 
zende Zone  von  einer  Breite,  die  etwa  dem  halben  Papillendurchmesser 
entspricht. 

Bei  der   Untersuchung    im    aufrechten    Bilde    muss   man  mit 


Praktische  Ausführung  der  Augenspiegeluntersuchung.  195 

dem  Spiegel  auf  5  bis  6  cm  an  das  zu  untersuchende  Auge  herangehen: 
eine  Annäherung,  vor  der  die  Anfänger  gewöhnlich  zurückschrecken, 
Ferner  ist  es  schwer,  in  dieser  Nähe  noch  das  Lieht  von  der  Lichtriamine 
zu  erhalten  und  in  die  Pupille  zu  reflectiren.  Man  thut  daher  gut,  die 
Ophthalmoskopirlampe  etwas  weiter  nach  vorn  und  mehr  zur  Seite  zu 
rücken  als  bei  der  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde.  Alsdann  be- 
ginnt man  damit,  aus  einer  Entfernung  von  etwa  20  cm  das  Licht  in 
das  zu  untersuchende  Auge  zu  werten,  und  geht  nun  näher,  indem  man 
beständig  durch  die  Spiegelöffnung  blickt  und  darauf  achtet,  dass  die 
Pupille  roth  leuchtend  bleibt,  was  man  'durch  entsprechende  leichte 
Drehungen  des  Spiegels  erreicht. 

Besonders  die  Untersuchung  im  aufrechten  Bilde  wird  sehr  erleich- 
tert, wenn  man  das  rechte  Auge  des  Kranken  mit  dem  eigenen  rechten 
imd  das  linke  mit  dem  eigenen  linken  untersucht.  Benutzt  man  das 
rechte  Auge  zur  Untersuchung  des  linken,  so  wird  bei  der  starken  An- 
näherung oft  die  Nase  unbequem. 

Das  Auffinden  der  Papilla  optica  geschieht  nach  den  oben  gegebenen 
Kegeln;  wegen  der  stärkeren  Vergrösserung  bei  der  Untersuchung  im 
aufrechten  Bilde  gelingt  es  bei  enger  Pupille  nicht  immer,  die  ganze 
Papille  mit  einem  Blicke  zu  übersehen. 

"Während  der  Emmetrop  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  im 
aufrechten  Bilde  ohne  Correctionsgläser  (hinter  dem  Spiegel)  beginnen 
soll,  hat  der  Kurzsichtige  und  Uebersichtige  seine  Ametropie  durch  die 
entsprechenden  Grläser  voll  zu  corrigiren.  So  wird  der  Untersucher  im 
Stande  sein,  den  Augenhintergrund  eines  emmetropischen  Patienten 
scharf  zu  sehen,  da  von  diesem  parallele  Strahlen  kommen,  welche  von 
dem  Untersucher  zu  einem  deutlichen  Bilde  auf  seiner  Netzhaut  ver- 
einigt werden  können.  Jedoch  ist  der  Anfänger  hierzu  häufig  nicht  im 
Stande,  weil  er  unwülkürlick  accommodirt,  sich  also  für  divergirende 
Strahlen  einrichtet.  Um  dies  zu  vermeiden,  thut  man  gut,  das  zweite 
Auge  offen  zu  halten  mit  der  Tendenz,  vor  sich  hin  zu  starren  oder 
zu  divergiren.  Manchen  gelingt  die  Accommodationserschlaffung  über- 
haupt nicht:  diese  müssen  alsdann  durch  Concavgläser  (etwa  3-0  bis 
•4-0)  die  bei  der  Untersuchung  eintretende  Accommodationsspannung 
ausgleichen. 

Ist  der  zu  Untersuchende  Myop,  so  bedarf  der  Untersucher  eben- 
falls der  Concavgläser,  ist  der  zu  Untersuchende  Hvperop  hingegen  der 
Convexgläser. 

Wemi  es  sich  einfach  um  "Wahrnehmung  des  Augenhintergrundes 
eines  Myopen  im  aufrechten  Bilde  handelt,  so  braucht  das  benutzte 
Concavglas  nicht  immer  dem  Grade  der  Myopie  des  Patienten  zu  ent- 
sprechen:   es    darf   stärker    sein,    da    der   Untersucher    alsdann    durch 

13* 


11  »0 


( Iphthalmoskopie. 


eigene  Accommodation  die  zu  starke  Zerstreuungskraft  der  Concavlinse 
ausgleicht.  Man  kann  demnach  mit  verhältnissmässig  wenigen  Gläsern 
auskommen.  Die  höchsten  Grade  der  Myopie  lassen  .sich  nicht  im  auf- 
rechten Bilde  untersuchen,  da  die  von  dem  Augenhintergrunde  eines 
solchen  Myopen  kommenden  Strahlen  sich  dicht  vor  dem  Auge  bereits 
zu  einem  umgekehrten  Bilde  des  Augenhintergnmdes  vereinen.  Bei 
Myopie  20-0  D  beispielsweise  liegt  der  Fernpunkt  des  Auges  in  5  cm. 
Alle  vom  beleuchteten  Augenhintergrunde  (ab  Figur  89)  reflectirten 
Strahlen  werden  sich   demnach  hier  (at   bj)  vereinen:    es  entsteht   ein 

in  der  Luft  schwebendes 
Bild.  Ist  die  Myopie  noch 
stärker,  so  liegt  das  Bild 
noch  näher.  Bei  der  Augen- 
spiegeluntersuchung sind 
wir  aber  nicht  in  der  Lage; 
so  nahe  an  das  Auge  heran- 
zugehen :  wir  erhalten  dem- 
nach in  diesen  Fällen  keine  directen  Lichtstrahlen  vom  Augenhinter- 
grunde mehr,  sondern  nur  von  dem  umgekehrten  reellen  in  der  Luft 
schwebenden  Bilde  desselben.  Man  kann  dieses  Bild  bei  hochgradigen 
Myopen,  wenn  man  einfach  mit  dem  Spiegel  Licht  in  das  Auge  wirft, 
oft  schon  aus  grösserer  Entfernung  sehen. 

Ist  der  zu  Untersuchende  Hypermetrop,  so  muss  der  emmetropische 
Untersucher,  falls  er  nicht  accommodirt,  corrigirende  Convexgläser  hinter 
den  Spiegel  legen.    Besitzt  er  aber  eine  genügend  gute  Accommodation, 


so  bedarf  er  derselben  nicht.  Da  der  Anfänger,  wie  bemerkt,  in  der 
Regel  accommodirt,  so  gelingt  es  ihm  besonders  leicht,  den  Augenhinter- 
grund des  höhergradigen  Hyperopen  im  aufrechten  Bilde  zu  sehen 
(Figur  90). 

Wie  diese  aus  etwas  grösserer  Entfernung  bereits  erkennbaren  Bilder 
des  Au^enhintergrundcs  —  das  umgekehrte  des  hochgradigen  Myopen 
und  das  aufrechte  des  Hyperopen  —  von  einander  unterschieden  werden 
können,  wird  hei  der  Besprechung  der  ophthalmoskopischen  Refrac- 
tionsbestimmung  angegeben  werden. 


Focale  Beleuchtung  (seitliche  Beleuchtung).  1<)7 

5.  Focale  Beleuchtung  (seitliche  Beleuchtung). 

Zur  focalen  Beleuchtung  benutzt  mau  eine  starke  Convexlinse,  die 
das  Flammenlicht  auf  die  zu  untersuchenden  Partien  des  Auges  cou- 
centrirt.  Es  ist  diese  Methode  zu  physiologischen  Zwecken  von  Pur- 
kinje angewandt,  zu  augenärztlichen  von  Sanson  und  Himly  zuerst 
empfohlen  worden.  Man  benutzt  möglichst  starke  Linsen  (+  25-0  bis 
-f-  20-0).  In  einem  dunkeln  Zimmer  wird  der  Patient  (ebenso  wie  beim 
Ophthalmoskopiren)  neben  einen  Tisch  gesetzt.  Die  Lampe  steht  zu 
seiner  linken  Seite,  aber  jetzt  vor  seinem  Kopfe,  sodass  das  Lampen- 
licht durch  die  vor  das  Auge  gehaltene  Convexlinse  in  gerader  Linie 
auf  die  zu  untersuchenden  Theile  fällt.  Oefter  sieht  man,  dass  die 
Lampe  ganz  auf  die  Seite  (neben  oder  gar  hinter  das  Auge)  gestellt 
wird;  der  Untersucher  bemüht  sich  dann  vergebens,  Hornhaut  oder 
Iris  durch  die  Convexlinse  zu  beleuchten.  Sehr  bequem  ist  die  Prist- 
ley  Smith 'sehe  Lampe:  ein  oben  offener  Metall  cylinder  trägt  in  der 
Mitte  eine  kleine  Kerze,  deren  Licht  durch  zwei  der  Wand  an  gegen- 
überliegenden Seiten  eingefügte  Convexlinsen  verschiedener  Stärke 
concentrirt  wird. 

Nicht  immer  wirft  man  das  Flammenbildchen  direct  auf  die  zu  in- 
spicirenden  GewTebe:  oft  erkennt  man  die  Veränderungen  besser,  wenn 
nur  ein  Zerstreuungskreis  die  Stelle  trifft,  oder  auch  wenn  sie  im  Halb- 
schatten Hegt,  man  also  die  Strahlen  sehr  schief  oder  schräg  auf  das 
Auge  fallen  lässt.  Das  Verfahren  muss  eifrig  geübt  werden,  falls  man 
aus  ihm  den  grösstmöglichsten  Nutzen  für  die  Diagnose  ziehen  will. 
Wir  verwenden  es,  wenn  es  sich  um  Trübungen  und  Veränderungen 
in  Hornhaut,  vorderer  Kammer,  L*is,  Linse  und  den  vordersten  Grlas- 
körperpartien  handelt.  Von  Nutzen  ist  in  vielen  Fällen  die  gleichzeitige 
Anwendung  einer  Lupe,  um  feinere  Details  zu  erkennen.  Die  neuer- 
dings verbesserte  binoculare  Lupe  von  Westien-Zehender,  welche 
eine  etwa  zehnfache  Vergrösserung  giebt,  ein  grosses  Gesichtsfeld  und 
einen  weiten  Focusabstand  hat,  ist  besonders  empfehlenswerth.  Das 
Objectiv  der  Lupe  besteht  aus  zwei  Prismen,  die  in  der  senkrechten 
Mittellinie  mit  der  Kante  zusammenstossen;  die  einfallenden  Strahlen 
werden  hierdurch  soweit  nach  rechts  und  nach  links  abgelenkt,  dass  sie 
durch  die  schräglaufenden  Ocular-Röhren  in  beide  Augen  fallen. 

Durch  Benutzung  zweier  Mikroskope,  für  jedes  Auge  eines,  hat 
Czapski  bei  seinem  binocularen  Corneamikroskope  den  stereoskopischen 
Effect  noch  vergrössert  und  auch  die  Möglichkeit  verschiedener  Ver- 
grösserungen  (9  bis  63  fache)  durch  Wechsel  der  Oculare  und  Ojective 
gegeben:  auch  ist  die  am  Instrumente  selbst  angebrachte  Beleuchtungs- 
quelle bequemer. 


198  Ophthalmoskopie. 


6.  Refractionsbestimmung  en  mittels  des  Augenspiegels. 

Bereits  Helmholtz  wies  darauf  hin,  dass  der  Augenspiegel  auch 
angewandt  werden  könne,  um  Kurzsichtigkeit  und  Weitsichtigkeit  ob- 
jectiv  zu  erkennen.  Der  Nutzen  einer  solchen  ohjectiven  Refractions- 
bestimmung  ist  ein  vielfacher.  Sie  sichert  den  Arzt  gegen  absichtlich 
falsche  Angaben,  wie  sie  bei  Simulanten  vorkommen,  und  corrigirt  solche, 
die  aus  Unkenntniss  mangelhalft  und  fehlerhaft  gemacht  werden.  Auch 
giebt  es  nicht  selten  Fälle,  wo  es  bei  sehr  jungen  und  zu  maassgebenden 
Aeusserungen  unbefähigten  Kindern  erwünscht  ist,  die  Refraction  fest- 
zustellen. Weiter  erkeimt  man  mit  dem  Augenspiegel  etwa  vorhandene 
latente  Hypermetropie  und  die  nicht  selten  mit  Myopie  verknüpfte  ab- 
norme Accommodationsspannung,  welche  bei  der  Prüfung  mit  Gläsern 
und  Sehproben  nicht  offenbar  wird.  Besonders  Mauthner  hat  betont, 
dass  bei  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  das  untersuchte  Auge 
seine  Accommodation  vollkommen  erschlafft  und  damit  seine  wahre  Re- 
fraction zu  Tage  treten  lässt;  allerdings  bedarf  es  gewisser  Vorsichts- 
maassregeln.  Wendet  man  diese  an,  so  wird  es,  wie  jeder  Ophthalmologe 
bestätigen  kann,  nur  selten  vorkommen,  dass  der  Untersuchte  darauf 
beharrt,  seine  Accommodation  anzuspannen.  Vor  allem  muss  man  dem 
Patienten  einschärfen,  in  die  Ferne  zu  blicken,  indem  man  ihm  zugleich 
die  entsprechende  Richtung  angiebt,  um  sich  die  Papille  gegenüber  zu 
bringen.  Man  verlangt  von  ihm,  vor  sich  hin  zu  starren,  gleichsam  „als 
wenn  er  träume",  und  nichts  Bestimmtes  zu  fixiren.  Diese  Mahnungen 
müssen  wiederholt  werden,  wenn  trotz  alledem  von  Neuem  eine  Neigung 
zum  Accommodiren  sich  zeigen  sollte;  man  kann  dies  meist  an  dem 
Engerwerden  der  Pupille  bemerken.  Am  besten  ist  es  in  einem  grossen 
Zimmer  mit  vollkommen  dunklem  Hintergründe  zu  untersuchen,  da  hier 
am  wenigsten  ein  Anlass  zum  Fixiren  und  Accommodiren  gegeben  ist. 
Selten  nur  bedarf  es  zur  Ausschliessung  der  Accommodation  der  Ein- 
träufelungen von  Homatropin. 

Zu  einer  genauen  Refractionsbestimmung  kann  man  sowohl  das 
aufrechte,  als  das  umgekehrte  Bild  benutzen. 

A.  Refractionsbestimmung  im  aufrechten  Bilde.  Wenn 
wir  uns  an  die  oben  erörterten  optischen  Bedingungen  erinnern,  die  uns 
in  den  Stand  setzen,  im  aufrechten  Bilde  den  Augenhintergrund  imDetail 
zu  erkennen,  so  finden  wir  auch  darin  die  Mittel,  die  genaue  Refraction 
des  untersuchten  Auges  zu  bestimmen.  Gehen  wir  davon  aus,  dass  der 
Untersuchende  Ennnetrop  ist  und  seine  Accommodation  so  völlig  erschlafft 
hat,  dass  sich  in  seinem  Auge  parallel  einfallende  Strahlen  zu  einem 
deutlichen  Bilde  vereinen.  Die  Accommodationserschlaffung  kann  durch 
Homatropin  erreicht  werden;  jedoch  kommen  durch  Uebung  die  meisten 


Refractionsbestimmungen  mittels  des  Augenspiegels. 


199 


Ophtfialmoskopiker  dazu;  diese  Accommodationsabspannung  wenigstens 
in  einem  solchen  Maasse,  dass  keine  zu  erheblichen  Fehler  daraus  er- 
wachsen,  beim  Ophthalmoskopiren  zu  erreichen. 

Das  Offenlassen  des  anderen  Auges  (ein  krampfhaftes  Zukneifen 
veranlasst  meist  eine  gewisse  Accommodationsspannung-);  besonders  das 
Bemühen,  mit  demselben  nach  Aussen  zu  sehen,  ist  anzurathen:  die 
erstrebte  Divergenz  der  Augenachsen  erleichtert,  entgegengesetzt  der 
Convergenz,  die  Aufhebung  der  Accommodationsspannung.  Kann  trotz 
alledem  keine  vollkommene  Abspannung  erreicht  werden,  so  gelingt 
es  bisweilen,  wenn  eben  dieser  Rest  von  Accommodation  stets  derselbe 
bleibt,  durch  das  ausgleichende  Concavglas  die  Einstellung  für  parallele 
Strahlen  zu  ermöglichen.  Der  Untersucher  ist  dann  gleichsam  als  Myop 
zu  betrachten:  um  keine  Fehler  in  das  Untersuchungsresultat  zu  bringen, 
muss  das  corrigiren.de  Concavglas  bei  der  ophthalmoskopischen  Bestim- 
mung der  Refraction  des  Untersuchten  ausser  Rechnung  bleiben. 

Ist  der  Untersucher  Myop  oder  Hypernietrop,  so  muss  seine  Ame- 
tropie   durch   die   entsprechenden  Gläser  bei  der  ophthalmoskopischen 


91. 


92. 


Refractionsbestimmung  voll  corrigiren,  er  wird  alsdann  —  immer  voll- 
kommene Accommodationserschlaffung  vorausgesetzt  —  ebenso  wie  der 
Emmerrop  für  parallele  Strahlen  eingerichtet  sein. 

Da  wir  bei  dem  zu  Ophthalmoskopirenden  (B)  ehe  volle  Accom- 
modationserschlaffung (wie  oben  ausgeführt,  in  der  Regel  mit  Recht) 
voraussetzen  können,  so  kommt  es  jetzt  nur  noch  darauf  an,  festzustellen, 
ob  die  aus  seinem  Augenhintergrunde  kommenden  Strahlen  parallel,  con- 
vergirend  oder  divergirend  das  Auge  verlassen:  und  weiter  den  Bunkt, 
auf  den  sie  divergiren  oder  convergiren,  um  damit  den  Fernpunkt  (bezw. 
die  Refraction)  von  B  zu  kennen. 

Ist  das  zu  untersuchende  Auge  emmetropisch  und  durch  hinein- 
geworfenes Licht  die  Xetzhaut  beleuchtet,  so  werden  die  von  dort  aus- 
gehenden Strahlen  parallel  das  Auge  B  verlassen  und  parallel  in  das 
ophthalmoskopirende  Auge  C  fallen,  wo  sie  sich  auf  der  Netzhaut  zu 
einem  scharfen  Bilde  vereinen  (Figur  91).  Erhält  das,  wie  oben  aus- 
geführt, auf  parallele  Strahlen  eingestellte  Auge  C  des  Untersuchenden 
demnach  ein  scharfes  Bild  des  Augenhintergrundes  von  B  (ohne  weiteres 
Hinzufügen  von  corrigirenden  Gläsern),  so  ist  B  emmetropisch. 


200  Ophthalmoskopie. 

Das  hypermetropische  Auge  (B)  (Figur  92)  ist  für  convergente 
Strahlen  eingerichtet,  die  es  gerade  auf  seiner  Netzhaut  vereinigt, 
Strahlen,  die  von  seinem  Augenhintergrund  refiectirt  werden,  verlassen 
in  gleicher  Richtung  das  Auge,  d.  h.  sie  werden  in  das  gegenüber  be- 
findliche Auge  C  divergent  fallen.  Da  dieses  nur  für  parallele  Strahlen 
eingerichtet  ist,  erscheint  der  Augenhintergrund  des  Hypermetropen  un- 
klar und  verschwommen.  Deutlich  und  scharf  wird  das  Bild,  wenn  hinter 
den  Spiegel  ein  Convexglas  gelegt  wird,  welches  die  Strahlen  parallel 
macht.  Die  Brechkraft  dieses  Glases  giebt  dann  die  Grundlage  zjir  Be- 
stimmung des  Grades  der  Hyperopie  des  Auges  B.  Wenn  wir  uns  mit 
dem  Augenspiegel  und  dem  Convexglase  dicht  an  der  Hornhaut  des  Auges 
B  befänden,  so  würde  das  Glas  direct  den  Grad  der  Hyperopie  von 
B  ausdrücken.  Handelt  es  sich  in  diesem  Falle  z.  B.  um  convex  il207 
so  wäre  der  Fernpunkt  des  betreffenden  hyperopischen  Auges  ein  nega- 
tiver und  zwar  20  Zoll  hinter  dem  Glase  und  hinter  der  Hornhaut  des 
Auges  gelegen  (H.  1/20).  Befindet  sich  hingegen  dasselbe  Glas  2  Zoll 
vor    der   Hornhaut    des  Auges,    während   wir    den  Hintergrund  scharf 

sehen,  so  ist  der  Untersuchte  eingerichtet 
auf  Strahlen,  die  sich  hinter  seiner  Horn- 
haut in  einer  Entfernung  von  20 — 2  Zoll 
vereinigen,  d.  h.  sein  negativer  Fern- 
punkt liegt  in  18  Zoll;  es  besteht  H  Vis- 
Da  bei  der  Augenspiegeluntersuchung 
der  Spiegel  und  das  corrigirende  Glas 
immer  in  einer  gewissen  Entfernung  von 
dem  untersuchten  Auge  bleiben,  so  werden  wir  diese  Entfernung  messen 
und  bei  der  Refractionsbestimmung  in  Anschlag  bringen  müssen,  indem 
wir  sie  (in  unserem  Beispiel:  2  Zoll)  abziehen  von  der  Brennweite 
(in  unserem  Beispiel:  20  Zoll)  des  ophthalmoskopisch  bestcorri- 
girenden  Convexglases.  Die  Brechkraft  des  so  gefundenen  Convex- 
glases  (also  '/1S  hier)  drückt  den  Grad  der  Hypermetropie  von  B  aus. 

Das  myopische  Auge  ist  für  divergente  Strahlen  eingerichtet. 
Der  Untersuchende  wird  also  um  den  Augenhintergrund  zu  sehen,  ein 
Concavglas  hinter  den  Spiegel  legen  müssen  (Figur  93).  Ist  dies 
richtig  gewählt,  so  wird  es  die  Strahlen  parallel  machend  ein  scharfes 
Bild  gewähren.  Um  die  factische  Refraction  von  B  zu  bestimmen, 
wird  aber  wieder  die  Entfernung  des  Augenspiegels  bezw.  des  hinter 
ihm  befindlichen  corrigirenden  Ooncavglases  von  B  in  Rechnung  zu 
ziehen  sein. 

Concav  '/20  dicht  vor  ein  Auge  gelegt  zertreut  parallele  Strahlen 
so,  als  wenn  sie  von  einem  20  Zoll  entfernten  Punkt  kämen.  Der  Fern- 
punkt   dieses  Auges  läge,   wenn  es    die  Strahlen   auf  seiner  Netzhaut 


Befractionsbestunmungen  mittels  dos  Augenspiegels.  201 

vereinigte;,  in  20  Zoll  (M  '''20).  Würde  hin  gegen  dasselbe  Glas  2  Zoll 
entfernt  von  einem  andern  Auge  gehalten,  welches  mit  dem  (Hase  gut 
in  die  Ferne  sähe.,  so  läge  dessen  Fernpunkt  in  20  +  2  =  22  Zoll; 
es  bestände  M  il-22.  Beim  myopischen  Auge  muss  man  demnach  die  Ent- 
fernung des  Spiegels  vom  untersuchten  Äugt'  zu  der  Brenn- 
weite des  ophthalmoskopisch  bestcorrigirenden  Concav- 
glases  zuzählen.  Die  Brechkraft  einer  so  gefundenen  Concavlinse  (in 
unserem  Beispiel  —    ^2)  drückt  den  Grad  der  Myopie  von  B  aus.  — 

Es  ist  nicht  gleichgültig,  welchen  Theil  des  Augenhintergrundes 
man  bei  der  ophthalmoskopischen  Refractionsbestimmung* 
betrachtet,  da  letztere  an  den  verschiedenen  Partien  des  Augenhinter- 
grundes verschiedene  Resultate  ergiebt,  In  den  mehr  äquatorial  ge- 
legenen findet  sich  meist  eine  schwächere  Brechung  (z.B.  emmetropische 
Augen  sind  hier  hyperopisch)  und  ein  stärkerer  (zum  Theil  unregel- 
m ä  s siger)  A stigmatismus . 

Leider  ist  es  nicht  gut  möglich,  die  Macula,  wie  es  doch  eigentlich 
nüthig  wäre,  für  die  ophthalmoskopische  Refractionsbestimmung  im  auf- 
rechten Bilde  zu  benutzen,  weil  sie  zu  wenig  Auffallendes  bietet,  um 
Unterschiede  in  der  Schärfe  des  Bildes  wahrzunehmen.  Man  wählt  daher 
ein  Xetzhautgefäss  und  zwar  am  besten  ein  solches  dicht  neben  der  Papilla 
optica.  Auch  die  Körnelung  des  Pigmentepithels  an  derselben  Stelle 
kann  benutzt  werden. 

An  diesen  Objecten  vermag  man  Unterschiede  in  der  Schärfe  der 
Begrenzung  u.  s.  w.  gut  zu  erkennen.  Allerdings  werden  sich,  besonders  bei 
hochgradiger  Myopie,  gelegentlich  dadurch  Fehler  einschleichen,  dass 
die  Umgebung  der  Papille  und  mit  ihr  die  dort  verlaufenden  Gefässe 
stärker  ektasirt  sind  als  die  Macula  lutea.  Es  kommen  hier  erhebliche 
Differenzen  vor:  selbst  bis  zu  5-0  D  habe  ich  sie  beobachtet.  Aber 
auch  bei  hyperopischen  Augen  finden  sie  sich. 

Unumgänglich  nöthig  zu  einer  genauen  Refractionsbestimmung  im 
aufrechten  Bild  ist  ein  Refractionsophthalmoskop,  welches  ein  schnelles 
Wechseln  der  corrigirenden  Lmsen  gestattet.  Nur  so  ist  die  bestcorri- 
girende  zu  finden,  da  die  Unterschiede  in  der  Bildschärfe  bei  wenig 
differirenden  Linsen  nur  gering  sind.  Das  Glas,  mit  dem  man  am 
schärfsten  das  Xetzhautgefäss  erkennt,  entspricht  der  Refraction  des 
Untersuchten.  Sollte  man  mit  zwei  verschieden  scharfen  Concavgläsern 
gleich  gut  sehen,  so  ist  dies  ein  Zeichen,  dass  man  aecommodirt  hat; 
das  schwächste  dieser  Gläser  ist  alsdann  der  Refraction  des  Untersuchten 
entsprechend:  bei  Convexgläsern  in  gleichem  Falle  das  stärkste.  Ferner 
beachte  man,  besonders  bei  höheren  Ametropiegraden,  dass,  wie  oben 
ausgeführt  wurde,  auch  die  Entfernung  des  Spiegels  vom  untersuchten 
Auge  in  Rechnung  zu  ziehen  ist:  oft  genug  wird  dies  versäumt. 


202 


Ophthalmoskopie. 


B.  Refraetionsbestimmung  im  umgekehrten  Bilde.  Jenach 
dem  Refractionszustande  des  Ophthalmoskopien  Auges  muss  das  um- 
gekehrte Bild  weiter  oder  näher  an  der  Convexlinse  liegen  (Figur  94). 
Benutzen  wir  eine  Convexlinse  von  10-0  D;  so  wird  das  umgekehrte  Bild 
der  Papille  des  emmetropischen  Auges  (e)  10  cm  von  der  Linse  entfernt 
Bein,  das  eines  hypermetropischen  (h)  wird  weiter  ab,  das  eines  myo- 
pischen ('in)  näher  heranliegen.  Ebenso  wie  die  von  der  Netzhaut  kom- 
menden Strahlen  sich  hier  zu  einem  scharfen  Bilde  vereinen,  so  werden 
umgekehrt  die  etwa  von  diesem  Bilde  (als  leuchtendes  Object  gedacht) 
ausgehenden  Lichtstrahlen  sich  auf  der  Netzhaut  zu  einem  scharfen  Bilde 
vereinen  (d.  h.  Bild  und  Netzhaut  sind  conjugirte  Punkte).  —  Wenn  die 
Entfernung  des  Papillenbildes  von  der  Convexlinse  bekannt  ist, 
so  wissen  wir  auch,  für  welche  Strahlen  das  untersuchte  Auge  eingestellt 
ist    oder    mit    anderen    Worten    seine    Refraction.      Wie    oben    (siehe 

f2 

Optometer)  ausgeführt,  bedarf  es  nach  der  Formel  -3-  (d  =  Differenz 

zwischen  Brennpunkt  und  Bildlage)  unter  der  Benutzung  der  Convex- 
linse 10-0,  die  10cm vom  unter- 
suchten Auge  entfernt  gehalten 
wird, gar  keiner  besonderen 
B  e  r  e  c  h  nu  11  g.  Ist  das  ophthal- 
moskopische Bild  10  cm  von 
der  Linse  entfernt,  so  besteht 
Emmetropie;  jeder  Centimeter 
94.  näher   bezeichnet  =  1-0  Myo- 

pie, jeder  Centimeter  weiter 
1-0  Hyperopie.  Finden  wir  beispielsweise,  das  Bild  liege  6-5  cm  von 
der  Linse  entfernt,  so  besteht  M  3-5  (d.  h.  10  minus  6-5);  liegt  das 
Bild  15  cm  von  der  Linse,  so  besteht  H  5-0  (d.  h.  15  minus  10). 

Es  kommt  demnach  nur  darauf  an,  zu  bestimmen,  wo  das  Papillen- 
bild  liegt. 

Sn  eilen  hatte  vorgeschlagen,  ein  durchsichtiges  Glas  zwischen  Augenspiegel 
und  Convexglas  zu  bringen  und  dieses  so  lange  hin-  und  herzuschieben,  bis  sich 
auf  ihm  das  scharfe  Papillenbild  zeige.  Doch  ist  das  Verfahren  in  dieser  Form 
kaum  verwendbar,  da  ein  gut  reflectirendes  Glas,  auf  dem  man  ein  scharfes  Pa- 
pillenbild sehen  könnte,  zu  wenig  Licht  vom  Augenspiegel  durchlässt  und  ein  ganz 
durchsichtiges  Glas  wiederum  schlecht  reflectirt.  Warlomont  und  Loiseau 
haben  diesem  Uebelstande  durch  ihr  Üphthalnioskoptometer  abzuhelfen  gesucht. 
Dasselbe  besteht  aus  einem  ausziehbaren  Doppeltuhus  (wie  bei  einem  Fernrohr), 
der  an  seiner,  dem  untersuchten  Auge  zugekehrten  Oeffhung  eine  durchsichtige 
Glasplatte  (mit  concaven,  einander  parallelen  Flächen)  trägt,  die  als  Spiegel  dient 
und  Licht  von  der  Lampe  in  das  Auge  wirft.  Dicht  dahinter  ist  die  entsprechende 
Convexlinse  zur  Entwerfung  des  umgekehrten  Bildes.  Der  innere  verschiebbare 
Tubus  trägt  eine  stumpfe  Glasplatte,  die  zum  Auffangen  des  Bildes  bestimmt  ist; 
die  Platte  .Ic.kt  aber  nur  zur  Hälfte  das  Lumen,  um  durch  die  andere  freie  Hälfte 
eine  directe  ophthalmologisch'e  Untersuchung  zu  gestatten.  — 


Befraetionsbestinnnung  mittels  des  Augenspiegels. 


203 


Eine  andere  Methode  zur  Ortsbestimmung  des  Bildes,  wie  sie  von  Mauthner 
und  Burchhardt  benutzt  ist,  gründet  sich  auf  folgende  Ueberlegung.  Ist  der 
Untersucher  kurzsichtig  (etwa  M  5*0)  oder  macht  er  sich  durch  Vorlegen  eines 
Convexglases  künstlich  kurzsichtig,  so  braucht  er  bei  der  Augenspiegeluntersuchung 
im  umgekehrten  Bilde  nur  allmählich  so  weit  von  der  Oonvexlinse  abzugehen,  bis 
er  eben  noch  das  Papillenbild  deutlich  sieht,  um  zu  wissen,  dass  es  nunmehr  in 
seinem  Fernpunkt  liegt.  Wenn  er  die  Entfernung  seines  Auges  von  der  Oonvex- 
linse kennt,  so  zieht  er  hiervon  die  Entfernung  seines  eigenen  Fernpunktes  ab 
und  erhält  die  Lage  des  Papillenbildes.  Es  habe  sich  beispielsweise  ein  eunue- 
tropischer  Untersucher  durch  Vorlegen  von  convex  5*0  myopisch  gemacht  (Fern- 
punktlage =  20  cm).  Er  sehe  bei  der  Untersuchung,  während  er  sich  etwa  in 
'28  cm  Entfernung  von  der  Oonvexlinse  (10*0)  befindet,  das  Papillenbild  deutlich. 
Nun  geht  er  allmählich  immer  weiter  ab:  bis  30  cm  Entfernung  sieht  er  es  noch 
scharf:  etwas  weiter  ab  wird  es  undeutlich.  Daraus  folgt,  dass  sich  bei  30  cm 
das  Bild  gerade  in  seinem  Fernpunkt  befand.  V,on  der  Oonvexlinse  liegt  dem- 
nach das  Bild  ab  30  minus  '20  =  10  cm.  Der  Untersuchte  ist  also,  wie  oben  ausgeführt. 
emmetropisch.  Manbedient  sich  bei  dieser  Untersuchung  zum  sicheren  Halten  derCon- 
vexlinse  und  zu  den  erforderlichen  Messungen  mit  Vortheil  meines  „Eefractionsbe- 
sthmners". 


Aber  auch  dieser  Methode  haftet  derselbe  Uebelstand  an.  wie  der  Refractiöns- 
bestimmung im  aufrechten  Bilde:  der  Untersucher  muss  seine  Accommodation  ganz 
und  dauernd  erschlaffen  können,  da  er  sich  auf  seinen  Fernpunkt  einzustellen  hat.  — 

Bei  meiner  Methode  der  Refractionsbestininiung  wird  auf 
die  Kenntnis*  der  Refraction  oder  Accommodation  des  Untersuchers 
ganz  verzichtet:  derselbe  muss  eben  nur  im  umgekehrten  Bilde  ophthal- 
moskopiren  können.  Auch  der,  welcher  nicht  seine  Accommodation 
hierbei  zu  erschlaffen  vermag,  wird  sie  ohne  Fehler  ausführen.  Während 
bei  den  früheren  Methoden  die  Entfernung  des  Papillenbildes  von  der 
Linse  als  Maassstab  diente,  benutzte  ich  hierzu  das  von  einem  con- 
caven  Augenspiegel  entworfene  Flammenbild,  welches  sich  auf  der 
Netzhaut  abbildet  und  von  dort  reflectirt  vor  der  Oonvexlinse  sicht- 
bar wird. 

Wendet  man  bei  der  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde  einen 
concaven  Augenspiegel  (z.B.  denLiebreich'schen)  von  massiger  Haupt- 
brennweite (etwa  6  Zoll)  an,  so  bildet  das  von  diesem  entworfene,  uni- 
gekehrte, verkleinerte,  zwischen  Convexlinse  und  Augenspiegel  schwe- 
bende reelle  Bild  der  Lichtflamme  (B  Figur  95)  die  Beleuchtungsquelle 


204  Ophthalmoskopie. 

für  den  Augenhintergrund.  Dieses  kleine  Flammenbild  —  welches  aber 
für  den  Ophtha  Imoskopiker  unsichtbar  bleibt,  da  er  sich  nicht  in  der 
Richtung  der  (entgegengesetzt)  nach  dem  Auge  des  Beobachters  laufenden 
Strahlen  befindet  —  kann  sich  nur  dann  scharf  auf  der  Netzhaut  (Bt) 
des  Untersuchten  abbilden,  wenn  sie  in  dem  dem  Flammenbilde  con- 
jugirten  Punkte  liegt,  wenn  sie  mit  anderen  Worten  auf  das  Flamnien- 
bild  eingestellt  ist.  In  diesem  Falle  werden  auch  die  von  dem  Netz- 
hautbild B,  reflectirten  Strahlen  sich  wiederum  zu  einem  ebenso  scharfen 
Flammenbilde,  wie  es  auf  der  Netzhaut  entstanden  war,  in  B  vereinigen. 
Dieses  Bild  ist  ophthalmoskopisch  sichtbar.  —  Rückt  aber  das  vom 
Spiegel  entworfene  kleine  Flammenbild  durch  Herangehen  des  ersteren 
der  Convexlinse  näher  (nach  b)  oder  entfernt  es  sich  durch  Abgehen 
mit  dem  Spiegel  von  ihr,  so  entstehen  auf  der  Netzhaut  Zerstreuungs- 
kreise dieses  Bildes  (e.j  et).  Die  von  e(  et  ausgehenden  Strahlen  werden 
entsprechend  der  Brechung  des  Auges  reflectirt  und  geben  ein  umge- 
kehrtes Bild  in  e  e.  Dieses  ophthalmoskopisch  sichtbare  Flammenbild 
ist  entsprechend  dem  Netzhautbilde  verschwommen  und  nicht  scharf  be- 
grenzt. Es  giebt  demnach  für  jedes  untersuchte  Auge  nur  Eine 
Entfernung  zwischen  Concavspiegel  und  Convexlinse,  bei  der 
ein  absolut  scharfes  Flammenbild  auf  der  Netzhaut  entstehen 
und  als  solches  im  umgekehrten  Bilde  gesehen  werden  kann. 
Hat  man  durch  An-  und  Abgehen  mit  dem  Spiegel  diejenige  Ent- 
fernung des  Spiegels  von  der  Convexlinse  festgestellt,  in  der  man  das 
Netzhautflammenbild  am  schärfsten  sieht,  so  berechnet  sich  die  Ent- 
fernung, in  welcher  sich  das  Flammenbildchen  (B)  von  der  Convexlinse 
factisch  befindet,  leicht,  und  damit  kennt  man  nach  obiger  Darlegung" 
sofort  den  Refractionszustand  des  untersuchten  Auges.  Misst  man  die 
Entfernung  des  Augenspiegels  von  der  Convexlinse  (Figur  95  SL  =  E) 
und  zieht  hiervon  die  Brennweite  des  Spiegels  ( SB  =  F)  ab,  so  erhält 
man  diese  Entfernung  (BL  =  E  —  F). 

Sehr  angenehm  wäre  es,  wenn  man  immer  die  Hauptbrennweite  des  Concav- 
spiegels  als  gegeben  in  Rechnung  ziehen  könnte,  wenn  also  die  von  der  Beleuch- 
tungsquelle kommenden  Strahlen  parallel  gemacht  würden,  etwa  dadurch,  das» 
man  erstere  in  den  Brennpunkt  einer  Convexlinse  stellte  und  nun  die  durch  die 
Convexlinse  gehenden  Strahlen  zur  Beleuchtung  benutzte,  oder  dadurch,  dass  man, 
wie  Schweigger  versucht,  die  Beleuchtungsquelle  in  Gestalt  einer  kleinen  elek- 
trischen Flamme  mit  dem  Spiegel  so  verbindet,  dass  sie  seine  Bewegungen  immer 
mitmacht.  Doch  hat  beides  immerhin  gewisse  technische  Schwierigkeiten.  Ein- 
facher ist  es,  bei  jeder  Refractionsbestimmung  den  relativen  Brennpunkt  des 
concaven  Augenspiegels  (d.  h.  den  Brennpunkt,  welcher  der  heim  Scharfsehen  des 
Flammenbildes  auf  der  Netzhaut  vorhandenen  Entfernung  des  Spiegels  von  der 
Lichtflamme  entspricht),  dadurch  direct  zu  bestimmen,  dass  man  unter  Innehalten 
dieser  Entfernung  das  umgekehrte  Flammenbild  mittels  des  Spiegels  auf  eine 
schwarze    Flüche  möglichst  scharf  entwirft  und  die  bezügliche  Entfernung  misst. 


Ecfractionbestimmungen  mittels  des  Augenspiegels. 


205 


Um  recht  genau  die  Schärfe  des  auf  der  Netzhaut  entstehenden  Bildes  der 
Lichtquelle  beurtheilen  zu  können,  nimmt  man  an  Stelle  der  gewöhnlichen  Lampen- 
riainme  als  ophthalmoskopische  Boleuehtungsquelle  eine  durch  feine  Stäbe  ge- 
theilte,  möglichst  helle  Figur;  die  Schatten  der  Stäbchen  treten  alsdann  auf  der 
Netzhaut  besonders  ausgeprägt  und  deutlich  hervor.  Zu  diesem  Zwecke  habe  ich 
den  in  Figur  96  und  97  gezeichneten  Apparat  construirt.  Er  bestellt  aus  einer 
9  cm  langen,  platten  Stange  t  (auf  einer  Seite  nach  Zoll-,  auf  der  anderen  nach 
Bletermaass  getheilt),  die  mittels  einer  federnden  Klammer  an  dem  Cylinder  der 
brennenden  Lampe  —  Flach-  oder  Rundbrenner  —  so  befestigt  wird,  dass  die 
Flamme  in  gleicher  Höhe  mit  der  auf  der  Stange  verschiebbaren  und  eventuell 

mittels  einer  Schraube  x  fest- 
zustellenden Oonvexlinse  1 
sich  befindet.  Die  Linse  soll 
soweit  von  der  Flamme  ab- 
stehen, dass  letztere  sich  im 
Brennpunkt  befindet,  da  ich 
gewöhnlich  convex  12.0  be- 
nutze, also  V12  m-  Dicht  vor 
der  Linse  befindet  sich  ein 
quadratischer  schwarzer  Blech- 
schirm k  (Seitenlänge  11  cm), 
der  mittels   einer  kleinen  an 


dem  Gestell  der  Linse  angebrachten  Feder  getragen  wird.  In  der  Mitte  des 
Schirmes  liegen  die  Oeffnungen,  welche  von  der  Linse  beleuchtet  als 
Lichtquelle  für  den  Augenspiegel  dienen. 

Damit  eine  gleichmässige  Entfernung  der  zur  Entfernung  des  umgekehrten 
Bildes  benutzten  Convexlinse  10*0  vom  Auge  innegehalten  wird,  und  weiter  zur 
Vornahme  der  erforderlichen  Messungen  dient  das  .Instrument  Figur  98.  Die  Linse 
ruht  in  einem  Gestell  c,  welches  auf  der  12  cm  langen,  platten  Stange  a  verschiebbar 
und  durch  eine  Schraube  festzustellen  ist.  Unter  der  Stange  trägt  das  Gestell 
eine  linsenförmige  Hülse  d.  in  der  sich  .ein  60  cm  langes  Bandmaass  Tan  einer 
Seite  Zoll-,  auf  der  anderen  Centimeter-  und  Milliinetertheilung  führend)  zusam- 
mengerollt  befindet.     Die  Oeffnung.   aus   der   das  Band  kommt,  muss  möglichst 


206  Ophthalmoskopie. 

senkrecht  unter  der  Linse  liegen.  Die  kleine  Platte  b  ist  mit  Leder  überzogen 
und  wird  gegen  den  Oberkiefer  unter  das  zu  ophthalmoskopirende  Auge  gesetzt. 
Wenn  man  die  Convexlinse  10 '0  von  dieser  Platte  9-5  bis  10  cm  entfernt  an  der 
ebenfalls  mit  C'entinietereintheilung  versehenen  Stange  festschraubt,  so  wird  sie 
ziemlich  genau  10  cm  von  dem  Hauptpunkt  des  Auges  entfernt  sein;  —  übrigens 
fallen  kleine  Differenzen  hier  nicht  ins  Gewicht.  Am  vorderen  Ende  der  Stange 
befindet  sich  eine  schwarze  runde  Blechplatte  bt  von  5  mm  Durchmesser,  welche 
zur  Entwerfung  des  Gitterbildes  bei  der  Bestimmung  der  relativen  Brennweite 
des  Augenspiegels  benutzt  wird. 

Das  in  der  Hülse  d  befindliche  Bandmaass  wird  durch  eine  Feder  so  gespannt, 
dass  es  nur,  wenn  man  auf  den  Knopf  e  drückt,  sich  —  leicht  —  herausziehen 
lässt  und  bei  Nachlass  des  Zuges  sofort  wieder  zurückgleitet.  Lässt  man  mit  dem 
Druck  auf  den  Knopf  nach,  so  bleibt  der  Theil  des  Maasses,  der  herausgezogen 
war,  draussen.  Bei  dem  Apparat  ist  besonders  darauf  zu  achten,  dass  nach  Los- 
lassen des  Knopfes  nicht  noch  ein  Zurückschnappen  des  Bandes  in  das  Gehäuse 
erfolgt. 

Der  benutzte  coneave  Augenspiegel  muss  eine  gute  Schleifung  haben  und 
scharfe  Bilder  entwerfen.    Die  beste  Hauptbrennweite  ist  etwa  15  bis  17  cm. 


Bei  der  Untersuchung  wird  durch  den  an  dem  Bandmaass  befindlichen  kleinen 
Messingring,  der  so  befestigt  sein  soll,  dass  die  Spiegelfläche  über  dem  Nullpunkt 
des  Maasses  steht,  der  Augenspiegelgriff  gesteckt,  nöthigenfalls  durch  Abschrauben. 
Während  man  mit  der  linken  Hand  den  Apparat  an  dem  Blechgehäuse  hält  und 
ihn  gegen  die  Wange  des  zu  Untersuchenden  setzt,  drückt  man  mit  dem,Daumen 
auf  den  Knopf.  Hierdurch  wird  das  Bandmaass  frei  und  folgt  dem  Ab-  und 
Herangehen  des  Augenspiegels. 

Die  mit  dem  Beleuchtungsapparat  versehene  Lampe  stellt  links  neben  dem 
Kopfe  des  zu  Untersuchenden,  möglichst  nahe  an  ihm  und  so,  dass  die  Lichtöffnung 
•  les  Schirmes  in  einer  Höhe  sowohl  mit  dem  Auge  des  Patienten  als  des  Unter- 
suchers sich  befindet.  Da  eine  starke  Intensität  des  durch  die  Oeffnungen  auf  den 
Spiegel  fallenden  Lichtes  das  Verfahren  erleichtert,  so  blicke  man  nach  Ansetzung 
des  Apparates  bei  der  üblichen  Augenspiegelhaltung  erst  durch  die  Spiegelöffnung 
auf  die  leuchtenden  Quadrate  und  lenke  erforderlichen  Falls  durch  Drehung  der 
Lampe  die  Strahlen  direct  auf  den  Spiegel.  Alsdann  werfe  man  das  Licht  in  das 
zu  untersuchende  Auge,  indem  man  gleichzeitig  mit  dem  Spiegel  näher  heran 
oder  weiter  abgeht,  bis  man  die  verkleinerte  quadratische  Figur  mit  ihren  als 


Refractionsbestimmung  mittels  des  Augenspiegels.  207 

dunkle  Schatten  hervortretenden  Trennungslinien  auf  dem  Augenhintergrun.de 
scharf  und  deutlich  sieht.  Es  fällt  nicht  schwer,  den  Abstand  des  Augenspiegels 
zu  finden,  bei  welchem  diese  Schärfe  maximal  ist,  wenn  man  die  dünnsten  Schatten- 
linien in  der  Mitte  der  Figur  beachtet.  Einer  mathematisch  genauen  Ausführung 
des  Gitterwerks  in  dem  vor  der  Lampe  befindlichen  Schirm  bedarf  es  dazu  nicht, 
da  dieses  Gitterwerk  ja  nur  in  Gestalt  eines  erheblich  verkleinerten,  von  dem 
concaven  Augenspiegel  entworfenen  umgekehrten  Bildes  als  Beleuchtungsquelle 
dient.  Sollte  man  dennoch  in  einem  Falle  zweifelhaft  sein,  Avann  das  Bild  seine 
grösste  Schärfe  zeigt,  so  kann  man  sich  durch  weiteres  Abrücken  der  Lampe  von 
dem  Spiegel  helfen:  hierbei  wird  das  umgekehrte  Bild  noch  kleiner  und  damit 
das  Hervortreten  von  Fnterschieden  in  der  Schärfe  noch  deutlicher.  Besteht 
Astigmatismus,  so  ist  ein  gleich  scharfes  Hervortreten  der  ganzen  Figur  natürlich 
unmöglich,  da  bei  einer  und  derselben  Spiegelentfernung  ein  scharfes  Bild  der 
horizontalen  und  verticalen  Linien  auf  der  Netzhaut  nicht  entworfen  werden  kann. 
Auch  lasse  man  sich  nicht  etwa  irre  führen  durch  von  der  Linse  rettectirte  kleine 
quadratische  Bilder,  die  gelegentlich  hervortreten:  ihnen  fehlt  die  rothe  Färbung 
der  auf  der  Netzhaut  entworfenen  Bilder,  ebenso  sieht  man  an  ihnen  nicht  Netzhaut- 
details u.  s.  w.  Bezüglich  der  Stelle  des  Augenhintergrundes,  die  man  zur  Refractions- 
stimmung  benutzt,  empfiehlt  es  sich,  die  Lichtquadrate  dicht  neben  der  Papilla 
optica  zu  entwerfen.  Den  zu  Untersuchenden  fordert  man,  wie  bei  der  Refractions- 
bestimmung im  aufrechten  Bilde,  auf,  zur  Erschlaffung  der  Accommodation  mög- 
lichst in  die  Ferne  zu  blicken.  Man  achte  darauf,  dass  die  Lichtquadrate  wirklich 
neben  die  Papille  fallen,  weil  an  von  ihr  entfernten  Stellen  auch  die  Refraction 
des  Auges  eine  andere  wird.  Auf  der  Papille  selbst  erscheinen  die  Lichtquadrate 
wegen  der  Unebenheit  des  Gewebes  nicht  überall  scharf. 

Auch  auf  der  Macula  lutea  kann  man  die  Lichtquadrate  entwerfen,  indem  man, 
wenn  sie  scharf  hervortreten,  mit  dem  Augenspiegel  weiter  abgeht,  um  durch  das 
hiermit  verbundene  Abrücken  des  Flammenbildes  die  Accommodation  des  Unter- 
suchten zu  erschlaffen  und  eine  Einstellung  auf  seinen  Fernpunkt  zu  erzielen. 
Doch  gelingt  hierbei  eine  volle  Accommodationserschlaffung  nicht  oft;  in  einzelnen 
Fällen  allerdings.  Wenn  der  Untersuchte  auf  das  ihm  vorgehaltene  Convexglas 
blickt,  so  wird  er  natürlich  in  demselben  Moment  und  bei  derselben  Enfernung 
des  Augenspiegels  von  dem  Convexglase  die  Lichtquadrate  scharf  sehen,  wo  der 
nphthalmoskopiker  sie  scharf  sieht.  Will  man  mit  Sicherheit  die  Refraction  an 
der  Macula  latea  bestimmen,  so  muss  man  die  Accommodation  des  Untersuchten 
durch  Homatropin  lähmen.  — 

Hat  man  die  möglichste  Schärfe  des  Bildes  erreicht,  so  hebt  man  den  Daumen 
von  dem  Knopf  ab  und  liest  an  dem  Bandmaass,  indem  man  den  Apparat  von  der 
Wange  des  Fntersuckten  abhebt,  wie  gross  die  Entfernung  (E)  zwischen  Spiegel 
und  Convexlinse  war.  Hierbei  muss  man  aber  seinen  Kopf  vollkommen 
stillhalten,  da  es  noch  erübrigt,  die  bei  dieser  Kopf-  bezw.  Spiegelentfernung 
von  der  Lichtquelle  vorhandene  relative  Brennweite  des  Spiegels  (F)  zu  bestimmen*. 
Zu  diesem  Zwecke  wirft  man  nunmehr  das  kleine  Lichtquadrat  mittels  des  Spiegels 
auf  die  schwarze  Platte  b1;  indem  man  wieder,  um  das  Bandmaass  in  Bewegung 
zu  setzen,  mit  dem  Daumen  auf  den  Knopf  drückt.  Ist  das  Quadrat  hier  scharf 
abgebildet,  so  lässt  man  den  Knopf  los  und  liest  die  Entfernung  zwischen  Spiegel 


*  Es  bedarf  dieser  Bestimmung  in  jedem  einzelnen  Falle,  da  die  von  den 
Lichtquadraten  kommenden  Strahlen,  indem  an  den  Rändern  eine  Ablenkung  ein- 
tritt, nicht  parallel  sind. 


-jus  Ophthalmoskopie. 

and  Platte  ab.  E — F  giebt  die  Entfernung  des  Budes  von  der  Convexlinse  und 
damit  die  Refraction,  da  jeder  Centimeter  mehr  oder  weniger  als  20  cm  =  1-0  II 
oder  .M  ist. 

Zu  beachten  ist  bei  der  Abmessung  von  E,  dass  die  Oeffnung  der  Blechhülse, 

aus  der  das  BandmaasB  rollt,  meist  etwas  vor  der  Linse  liegt;  liest  man  demnach 
dort  die  Zahl  der  Centimeter  ab,  so  wird  man  den  kleinen  Entfernungsunterschied 
hinzurechnen  müssen*:  ebenso  falls  das  Bandmaass  beim  Loslassen  des  Knopfes 
nicht  sofort  arretirt  sein  sollte,  sondern  noch  etwas  zurückschnappt.  Auch  muss 
der  benutzte  Concavspiegel,  wie  erwähnt,  eine  exaete  Krümmung  haben,  da  er 
sonst  überhaupt  kein  scharfes  Bild  entwirft.  Ferner  ist  die  Hauptbrennweite  der 
Convexlinse  vorher  sicher  festzustellen. 

Bei  hochgradiger  Myopie  der  Untersuchten  muss  man  mit  dem  Augenspiegel 
so  dicht  an  die  Convexlinse  herangehen,  dass  die  Entfernung  von  ihr  (E)  kleiner 
wird,  als  die  Entfernung  der  später  festgestellten  relativen  Brennweite  (F).  Man 
findet  z.  B.  E  =  18  cm  und  F  =  21  cm.  E  —  F  ist  demnach  =  —  3  cm.  Das 
Bild  liegt  also  hinter  der  Convexlinse  dem  untersuchten  Auge  zu.  Die  Myopie 
des  letzteren  beträgt  13 -0  D,  da  hier  die  Differenz  der  Entfernung  des  Bildes 
von  der  Hauptbrennweite  der  Linse  (10  cm)  13  cm  beträgt. 

Meine  Methode  der  Refractionsbestimmung  ist  für  jeden,  der  im 
umgekehrten  Bilde  untersuchen  kann  und  ein  ausreichendes  Accommo- 
dationsgebiet  hat  (bei  den  Bestimmungen  hochgradigster  H  und  hoch- 
gradigster M  unter  Anwendung  eines  Concavspiegels  von  15  cm  Haupt- 
brennweite schwankt  die  Lage  der  Bilder,  auf  wrelche  aecommodirt 
werden  muss,  etwa  zwischen  18  bis  40  cm),  mit  Leichtigkeit  zu  erlernen. 
Während  in  der  Beurtheilung  der  Schärfe  des  umgekehrten  Bildes  keine 
erheblichen  Sclxwankungen  vorkommen  werden,  liegt  eine  gewisse  Fehler- 
quelle in  den  Abmessungen,  die  nicht  immer  absolut  genau  ausfallen. 
Dennoch  steht  die  Refractionsbestimmung  im  umgekehrten  Bilde  der  im 
aufrechten  Bilde  an  Genauigkeit  nicht  nach,  wie  mich  vergleichende 
Beobachtungen  gelehrt  haben.  Im  Durchschnitt  darf  man  bei  beiden 
Methoden  gelegentlich  auf  Fehler  bis  zu  1-0  rechnen.  Es  ist  damit 
nicht  gesagt,  dass  dieselben  nicht  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  geringer 
sind.  Aber  das  möchte  ich  doch  glauben,  dass  die  Behauptung,  in 
jedem  Falle  die  Refraction  ohne  einen  höheren  Fehler  als  0-5  D  oph- 
thalmoskopisch bestimmen  zu  können,  mehr  auf  einem  subjeetiven  Em- 
pfinden als  auf  gesicherten  Versuchen  beruht. 

Gegenüber  der  Refractionsbestimmung  im  aufrechten  Bilde  bietet 
die  im  umgekehrten  Bilde  folgende  Vortheile:  1)  Der  Untersucher 
bedarf  keiner  Accommodationsersehlaffung,  die  manchem  Ophtalmo- 
skopiker  ganz  unmöglich  ist.  Uebrigens  tritt  auch  bei  geübten  Unter- 
suchern,  falls  sie  längere  Zeit  hinter  einander  ophthalmoskopiren,  unbe- 


*  In  den  neuen  Refractionsbestimmern  liegt  die  Linse  unbeweglich  am  Ende 
der  Stange  über  bt  und  direct  über  der  (»effnung  der  Blechhülse.  Eine  etwa  er- 
forderliche Verlängerung  der  Stange  erfolgt  durch  Herausschrauben  der  Platte  b. 


Refractionsbestimmungen  mittels  dos  Augenspiegels.  209 

wusst  eine  Accommodationsspannung  ein,  wie  bereits  Klein  mit  Rechi 
hervorgehoben  hat.  Diese  wird  zur  Fehlerquelle.  2)  Es  ist  entschiede!] 
schwerer  im  aufrechten  Bilde  die  höchste  Schärfe  des  beobachteten 
Netzhautgefasses  bezw.  der  Pigment-Körnelung  festzustellen,  als  im  um- 
gekehrten Bilde  die  des  Gitterwerkes.  3)  Im  umgekehrten  Bilde  kann 
man  die  Refraction  des  Auges  an  der  Macula  lutea  bestimmen,  im  aut- 
rechten nicht.  4)  Im  umgekehrten  Bilde  können  die  höheren  und  höch- 
sten Grade  der  Myopie  leicht  bestimmt  werden,  was  im  aufrechten  Bilde 
schwer  oder  unmöglich  ist.  Aehnliches  gilt  für  höchstgradige  Ilyperopie. 
Ebenso  gelingt  die  Bestimmung  bei  enger  Pupille  und  die  des  Astig- 
matismus besser.  5)  Kleine  Augenzuckungen,  wie  sie  nicht  selten  bei 
den  Untersuchten  auftreten,  stören  bei  der  starken  Yergrüsserung  des 
aufrechten  Bildes.  Im  umgekehrten  Bilde  kann  man  selbst  bei  Nystag- 
mus die  Refraction  feststellen.  6)  Man  bedarf  nicht  der  starken  An- 
näherung an  den  Kopf  des  zu  Untersuchenden,  was  bisweilen,  etwa  bei 
vorhandener  Ozaena,  die  genaue  Untersuchung  im  aufrechten  Bilde  voll- 
kommen unmöglich  macht.  - — 

Hingegen  gelingt  bei  Trübungen  der  Hornhaut  oder  anderer  brechen- 
der Medien  die  Befractionsbestimmung  im  umgekehrten  Bilde  noch 
weniger  gut,  als  im  aufrechten  Bilde.  Es  erklärt  sich  dies  daraus,  dass 
die  Trübungen  bei  ersterer  doppelt  störend  auf  die  Schärfe  des  Bildes 
wirken:  einmal  weil  sie  die  Entstehung  eines  scharfen  Bildes  auf  der 
Netzhaut  hindern  und  dann  wiederum  die  vom  Netzhautflammenbild 
kommenden  Strahlen  unregelmässig  brechen.  Auch  bei  starken  Unregel- 
mässigkeiten in  der  Pigmentirung  der  Chorioidea  treten  die  Schatten 
des  Flammenbildes  nicht  immer  absolut  scharf  hervor:  der  Geübte  kann 
aber  auch  aus  der  relativen  Schärfe  die  richtige  Refraction  bestimmen.  — 

C.  Als  Keratoskopie  (besser  sind  aber  die  jetzt  üblicheren  Be- 
zeichnungen Retinoskopie,  Pupilloskopie,  Skiaskopie  oder  Schatten- 
probe i  wurde  von  Cuignet  ein  neues  einfaches  Verfahren  zur  Refrac- 
tion sbestimmung  beschrieben,  ohne  dass  es  ihm  jedoch  gelang,  die 
optischen  Gründe  flu  dasselbe  zu  entwickeln.  Dies  geschah  später 
durch  Parent. 

Man  setzt  den  zu  Untersuchenden  in  einer  Entfernung  von  1  m 
20  cm  sich  gegenüber:  neben  seinem  Kopfe  befindet  sich  die  Ophthal- 
moskopirlampe.  Mit  einem  Augenspiegel  wirft  man  Licht  in  die  Pupille: 
wenn  dieselbe  roth  leuchtet,  macht  man  kleine  Bewegungen  mit  dem 
Spiegel  um  seine  verticale  Achse  nach  rechts  und  links  hin,  als  ob 
man  nur  die  rechte  oder  linke  Hälfte  der  Pupille  beleuchten  wollte. 
Hierbei  beobachtet  man  das  Auftreten  eines  dunkleren  Schattens  (oxlc), 
der  entweder  sich  an  der  Seite  der  Pupille  zeigt,  nach  welcher  der 
Spiegel   gekehrt    wurde,    oder   an   der   entgegengesetzten  Hälfte.     Aus 

Sehmidt-Riinpler.    7.  Auflage.  14 


210 


Ophthalmoskopie. 


di'eser  Verschiedenheit  in  dein  Auftreten  dr±  Schattens  der  Pupille  kann 
man  den  Refractionszustand  des  Auges  diagnosticiren. 

Es  erklärt  sich  das  in  folgender  Weise.    Nehmen  wir  an,  dass  ein 
Concavspiegel  benutzt  wird.     Das  von  ihm  entworfene  reelle  Flam- 
menbildchen dient    zur  Beleuchtung   des   Auges.     Bei  gerader  Haltung 
des  Augenspiegels  (Figur  \)lJA)   liegt  das  Flammenbildchen  a  vor  der 
Mitte  der  Pupille  und  beleuchtet  das  Centrum  der  Netzhaut  des  emme- 
tropi sehen  Auges  (E)  durch  seinen  /erstreuungskreis  (a);  wendet  man 
den  Spiegel  nach  rechts  (B),  so  rückt  das  Flammenbild  ebenfalls  nach 
rechts  (ß):  sein  Zerstreuungsbild   entsteht  in  b    auf  der  rechten  Hälfte 
der  Netzhaut  des   beobachteten  Auges.     Ist  letzteres  ennnetropisch  (E) 
oder  kyperopiseh,  so  sieht  man  den  Augenhinter- 
grund   im    aufrechten  Bilde:    es  wird   demnach 
bei  der  Rechtswendung  des  Spiegels  nach  ß  die 
Seite    b    der    Netzhaut   leuchtend    erscheinen, 
d.  h.  diejenige,   von    der    sich    der  Spiegel    ab- 
wendet;   der  Theil   der  Pupille   dagegen,    dem 
sich  der  Spiegel  zuwendet,  wird  dunkel   oder 
beschattet.     Handelt    es    sich  hingegen    um 
ein  myopisches  Auge  (M),    dessen  Fernpunkt 
zwischen  unserem  Spiegel  und  dem  beobachteten 
Auge  liegt,  so  verhält  sich  das  Auftreten  des 
Schattens  gerade  umgekehrt.    Es  wird  näm- 
lich in  dem  Fernpunkt  des  kurzsichtigen  Auges 
von  den  zurückkommenden  Strahlen  ein  reelles 
umgekehrtes  Bild   des  Augenhintergrundes  ent- 
stehen; auf  der  Abbildung  falle  dasselbe  beispiels- 
weise mit  dem  Spiegelflammenbildchen  zusammen. 
Da    der    Ophthalmoskopiker   dieses    umgekehrte 
Bild  sieht,   so  wird  bei  der  Rechtswendung  des 
Spiegels   (B)    die  Stelle   leuchtend    erscheinen,    an   der   sich  das  umge- 
kehrte   Bild    der    beleuchteten     Netzhaut    (M)   entwirft,   d.   h.   also  /?,  die- 
jenige aber,  von    der    sich   der   Spiegel   abgewendet   hat,   beschattet. 
Da  der  Untersuchende  weder  die  Details  des  aufrechten  noch  des  um- 
gekehrten   Bildes   wahrnimmt,   so   bezieht   er   die   Beleuchtung    auf   die 
Pupille:     dieselbe    erscheint    ihm    bei     Bewegungen    des    (Joncavspiegels 
an    der  Seite,   wohin   der  Spiegel    gewendet  wird,  rothleuchteiid,  wenn    es 
-ich    um    ein    myopisches   Auge,    dunkel,    wenn    es    sieh    um    ein    emme- 
tropisches  oder  hyperopisch.es  handelt. 

Wenn  sich,  wie  angenommen,  der  Ophthalmoskopiker  1  m  20  cm 
von  dem  beobachteten  Auge  befindet,  so  wird  sieh  bei  einer  Myopie 
von  1   D.   wo   das   umgekehrte  Bild   in   einem  Meter  Entfernung  vor  dem 


Refractionsbestiimrmngen  mittels  des  Augenspiegels.  211 

beobachteten  Auge  liegt,  das  Auftreten  des  Schattens  so  verhalten,  wie 
überhaupt  bei  kurzsichtigen  Annen,  [st  hingegen  die  Myopie  geringer 
(JMC<C1*0);  so  würde  das  umgekehrte  Bild  nicht  mehr  gut  wahrgenommen 
werden  können  oder  wohl  gar  erst  lunter  dem  Kopfe  des  Ophthalmo- 
skopikers  entstehen.  Dieser  erhielte  demnach  die  Wanderung  desSchattens 
wie  bei  einem  emmetropisehen  oder  hyperopischen  Auge,  d.  h.  derselbe 
tritt  auf  der  Seite  der  Pupille  auf,  der  sich  der  Spiegel  zuwendet.  Legt 
man  jetzt  vor  das  untersuchte  Auge  convex  1-0,  so  wird  hierdurch 
eine  etwaige  Myopie  um  1-0  erhöht  werden:  der  Schatten  muss  nun- 
mehr auch  bei  schwächeren  Graden  der  Myopie  (oder  bei  Emmetropie, 
die  sich  hierdurch  in  M  1-0  verwandelt),  auf  der  Seite  erscheinen,  von 
der  sich  der  Spiegel  abwendet  oder,  anders  ausgedrückt,  der  Schatten 
wandert  im  gleichen  Sinne  über  die  Pupille,  wie  der  Spiegel  sich  bewegt. 

In  diesem,  durch  vorgehaltene  Gläser  bewirkten  Umschlagen  der 
Schattenbewegung  liegt  die  Möglichkeit,  die  Refraction  auch  dem 
Grade  nach  zu  bestimmen.  Bewegt  sich  der  Schatten  in  gleicher 
Richtung  wie  der  Concav-Spiegel,  so  besteht  M^>1;  man  legt 
jetzt  Concavgläser  in  steigender  Stärke  vor  das  Auge:  die  Dioptriezahl 
des  Concavglases,  bei  dem  die  Schattenbewegimg  eine  der  Spiegel- 
bewegung entgegengesetzte  Richtung  einschlägt  und  so  die  eingetretene 
Correction  der  Kurzsichtigkeit  anzeigt,  -\-  1  D  (da  M  <  1,  wTie  oben 
erwiesen,  keine  myopische  SchattenbewTegung  bewirkt)  giebt  den  Grad 
der  Myopie.  Bewegt  sich  der  Schatten  in  umgekehrter  Rich- 
tung wie  der  Spiegel,  so  besteht  E  oder  H  oder  M<1:  die 
Dioptriezahl  des  Convexglases,  welches  die  Schattenbewegimg  in  eine 
der  Spiegelbewegung  gleichgerichtete  umwandelt,  —  1  D  giebt  die 
Refraction. 

Auch  die  Art  der  Beleuchtung  und  Schattenbildung  kann  einen 
gewissen  Anhalt  darüber  geben,  ob  es  sich  um  schwache  oder  stärkere 
<  Trade  von  Ametropie  handelt. 

Fällt  bei  einem  myopischen  Auge  das  in  der  Luft  schwebende  um- 
gekehrte Bild  ganz  oder  annähernd  mit  dem  zur  Beleuchtung  dienenden 
Flammenbildchen  des  Concavspiegels  zusammen,  was  bei  einer  Entfer- 
nung des  Beobachters  von  1  m  20  cm  imd  einer  relativen  Spiegelbrenn- 
weite von  ca.  20  cm  nur  für  schwächere  Grade  der  M  zutrifft,  —  oder 
liegt  die  Xetzhaut,  wie  es  bei  E  und  sehwacher  H  der  Fall,  unter 
diesen  Verhältnissen  annähernd  im  conjugirten  Punkte  d<\s  Flammen- 
bildchens,  so  erscheint  die  Beleuchtung  besonders  hell,  der  Schatten 
deutlich  und  mehr  geradlinig,  seine  Excursion  bei  Bewegungen  rascher. 
Bei  mittleren  Ametropie-Graden,  wo  wegen  der  grösseren  Zerstreuungs- 
kreise des  Netzhaut-Flammenbildes  die  Intensität  des  durch  die  Pupille 
reflectirten  Lichtes  etwas  geringer  ist,  erscheinen  die  Schatten  besonders 

14* 


212  Ophthalmoskopie. 

dunkel.  Bei  sehr  hohen  Graden  ist  die  Erleuchtung  der  Pupille  un- 
gemein sehwach,  die  Schatten  verschwommen,  kaum  erkennbar,  klein, 
bogenförmig  und  sehr  langsam  wandernd.  Man  thut  gut,  hier  etwas 
näher  an  das  beobachtete  Auge  zu  gehen;  auch  sonst  ist  gelegentlich 
eine  Entfernung  von  etwa  50  cm  bequemer;  man  bekommt  aber  als- 
dann schon  bei  M  <C  2-0  die  emmetropische  bezw.  hyperopische Schatten- 
bewegung. 

Benutzt  man  an  Stelle  eines  concaven  Augenspiegels  einen  planen, 
so  entstehen  die  Schatten  bei  den  verschiedenen  Refractions-Anomalien 
gerade  an  entgegengesetzter  Stelle  wie  bei  der  Verwendung  jenes, 
da  das  als  Beleuchtungsquelle  dienende  gleichsam  hinter  dem  Plan- 
spiegel befindliche  Flammenbild  eine  der  Spiegeldrehung  entgegen- 
gesetzte Bewegung  macht:  dreht  man  den  Planspiegel  nach  der  rechten 
Seite,  so  rückt  es  nach  links  und  umgekehrt. 

Die  Skiaskopie  ist  für  objective  Refractionsbestimmungen  sehr  brauchbar;  es 
ist  alier  nicht  immer  leicht  zu  sehen,  bei  welchem  corrigirenden  Glase,  wenn  der 
Brechungs-Unterschied  der  vorgelegten  Gläser  nur  1  D  beträgt,  ein  deutliches 
Umschlagen  der  Schattenbewegungen  eintritt.  Die  höheren  Grade  der  Ametropie 
sind  weniger  genau  und  leicht  zu  diagnosticiren,  da  die  starken,  zur  Correction  er- 
forderlichen Gläser  durch  Lichtreflexe  stören  und  auch  die  Entfernung,  in  der  sie 
vor  dem  untersuchten  Auge  gehalten  werden,  in  Rechnung  zu  ziehen  ist.  Bei 
engen  Pupillen  ist  eine  genaue  Bestimmung  überhaupt  unmöglich.  Ferner  ist  da  a 
"Wechseln  und  Vorhalten  der  Brillengläser  umständlich;  diese  Unbequemlichkeit 
kann  man  dadurch  verringern,  dass  man  sich  der  oben  erwähnten  Brillenleiter 
bedient,  die  dann  der  Patient  an  seinem  Auge  vorbeiführt,  oder  eine  Scheibe  mit  ein- 
gesetzten Gläsern  vor  dem  Auge  herumdreht  (Hess).  Als  principieller  Einwurf  gegen 
das  Cuignet'sche  Verfahren  überhaupt  bleibt  immer  bestehen,  dass  man  nicht 
genau  weiss,  an  welcher  Stelle  des  Augenhintergrundes  man  eigentlich  die  Re- 
fraction  bestimmt,  da  man  diesen  in  seinen  Details  nicht  sieht  und  durch  die 
Spiegelbewegung  verschiedene  Theile  des  Augenhintergrundes  beleuchtet.  — 

Neuerdings  hat  Schweigger,  um  die  Benutzung  einer  Serie  von  Gläsern 
unnöthig  zu  machen,  ein  Verfahren  wieder  aufgenommen,  wie  ich  es  ähnlich 
schon  früher  versucht  habe  (s.  l.Aufl.  dieses  Lehrbuchs  S.  w20ij).  Durch  ein  vor 
das  untersuchte  Auge  gelegtes  Convexglas  wird  dasselbe  gleichsam  in  ein  kurz- 
sichtiges verwandelt  oder  mit  anderen  Worten  sein  Fernpunkt  herangerückt. 
Macht  man  nun  mit  dem  Augenspiegel  (am  besten  Planspiegel)  in  grösserer  Ent- 
fernung die  entsprechenden  Seitenbewegungen,  so  bekommt  man  die  Schatten- 
bilder eines  myopischen  Auges,  nähert  man  sich  allmählich  immer  mehr,  so 
werden  an  der  Stelle,  wo  man  den  scheinbaren  Fernpunkt  des  untersuchten  Auges 
erreicht,  die  Schattenbilder  undeutlich  (neutrale  Zone»,  gleich  nachher  aber  in  die 
eines  emmetropischen  Auges  (da  jetzt  kein  umgekehrtes  Bild  zwischen  Spiegel 
und  vorgehaltener  Convexlinse  entsteht)  umschlagen.  Misst  man  jetzt  die  Ent- 
fernung des  Spiegels  von  der  Linse,  etwa  mit  dem  Bandmaass.  das  ich  bei  meiner 
Refractionsbestimmmung  benutze,  so  kann  man  nach  der  Linsenformel  aus  der 
Lage  des  scheinbaren  Kernpunktes  den  wirklichen  des  untersuchten  Auges  be- 
rechnen. Da  man  aber  in  der  Regel  nur  die  neutrale  Zone,  nicht  die  Stelle  des 
wirklichen  Einschlafens  der  Schattenbilder  auf  diese  Weise  exaet  zu  bestimmen 
vermag,  so  dürfte  im  Allgemeinen  die  zuerst  angegebene  Methode  vorzuziehen  sein. 


Refractionsbestimmungen  mittels  des  Augenspiegels.  21o 

Auf  eine  andere  Art  der  Diagnose,  ob  es  sich  um  ein  hoch- 
gradig myopisches  oder  hypermetropiscb.es   Auge  handelt,  ist 

bereits  oben  hingedeutet.  Wenn  man  mit  dem  Augenspiegel  einfach 
Lieht  in  ein  derartiges  Auge  wirft,  so  sieht  man  schon  aus  einiger  Ent- 
fernung Details  des  Augenhintergrundes:  Netzhautgefässe  u.  s.  f.  Bei 
dem  myopischen  Auge  handelt  es  sich  um  das  umgekehrte,  in  der  Luft 
schwebende  und  in  seinem  Fernpunkte  entworfene  Bild;  bei  dem  hyper- 
opischen  um  das  aufrechte  Bild. 

An  folgenden  Merkmalen  unterscheidet  man  diese  Bilder :  1)  Wenn 
man  sich  allmählich  dem  Auge  nähert,  so  wird  das  umgekehrte,  vor 
dem  myopischen  Auge  in  der  Luft  schwebende  Bild  erst  verschwommen 
und  zuletzt  überhaupt  nicht  gesehen,  weil  der  Untersucher  nicht  mehr 
darauf  aecommodiren  kann  und  schliesslich  so  nahe  an  das  Auge  kommt, 
dass  er  nur  convergirende  Strahlen  erhält.  Hingegen  bleibt  das  auf- 
rechte, hinter  dem  hyperopischen  Auge  liegende  Bild  auch  bei  der 
grössten  Annäheruug  sichtbar.  2)  Geht  der  Untersucher,  während  er 
das  Bild  ansieht,  mit  seinem  Kopfe  abwechselnd  nach  rechts  und  nach 
links,  so  bemerkt  er  beim  myopischen  Auge  eine  scheinbar  entgegen- 
gesetzte Bewegung  des  Bildes,  bei  dem  hyperopischen  eine  gleichnamige, 
ein  scheinbares  Mitgehen  des  Bildes.  Es  beruht  dies  auf  derselben 
optischen  Täuschung,  der  wir  beim  Fahren  in  der  Eisenbahn  ausgesetzt 
sind:  die  näher  gelegenen  Gegenstände  scheinen  in  entgegengesetzter 
Richtung  sich  zu  bewegen,  die  entfernten  in  gleicher.  Bei  der  Augen- 
spiegeluntersuchung wird  das  ophthalmoskopische  Bild  mit  dem  Auge, 
beziehentlich  der  Pupille  verglichen.  Das  umgekehrte  Bild  liegt  vor  dem 
Auge,  also  näher  als  die  Pupille,  das  aufrechte  hinter  dem  Auge^  Da- 
nach geht  das  aufrechte  Bild  bei  unserer  Kopf  bewegung  scheinbar  mit, 
das  umgekehrte  entgegengesetzt.  3)  Der  Vergleich  der  anatomischen 
Verhältnisse,  also  z.  B.  des  Gefässverlaufes  in  der  Netzhaut  oder  der 
Lage  der  Macula  lutea  zur  Papilla  optica,  könnte  auch  zur  Unterschei- 
dung des  umgekehrten  von  dem  aufrechten  Bilde  herbeigezogen  werden. 
Er  ist  aber  in  der  Regel  unverwerthbar,  weil  das  ophthalmoskopische 
Gesichtsfeld  bei  dieser  Entfernung  zu  klein  ist,  um  grössere  Partien  zu 
übersehen. 

Die  Entfernung  des  umgekehrten  Bildes  bei  einem  hochgradig 
myopischen  Auge  und  damit  den  Fernpunkt  desselben  kann  man 
übrigens  ungefähr  feststellen,  wenn  man  sich  mit  dem  Spiegel  dem 
untersuchten  Auge  (B)  bis  zu  dem  Punkte  nähert,  an  welchem  man 
noch  eben  mit  grösster  Accommodationsanstrengung  das  Bild  sieht. 
Letzteres  liegt  dann  in  dem  P.  proximum  des  Untersuchers;  ist  die 
Entfernung  desselben  bekannt  (z.  B.  15  cm),  so  braucht  man  sie  nur 
von  der  Entfernung,  in  welcher  sich  der  Augenspiegel  vom  Auge  B  zur 


214  Ophthalmoskopie. 

Zeit  befindet  (z.  B.  2i  >  cm),  abzuziehen,  um  den  Fernpunkt  de>  Au^cs 
B  (hier  5  cm;  d.  h.  M.  20-0)  zu  erhalten. 


Bestimmung  des  Astigmatismus. 

Bei  unregelmässigem  Astigmatismus  ist  das  Netzhautbild  verschwom- 
men; bisweilen  beobachtet  man  auch  im  umgekehrten  Bilde  ein  eigen- 
thümhches  Flimmern  des  fixirten  Theils,  z.  B.  der  Papille 

Für  die  Bestimmimg  des  regelmässigen  Astigmatismus 
halten  wir  einen  Anhalt  in  der  unregelmässigen  Vergrösserung,  wie  sie 
dadurch  hervorgebracht  wird,  dass  die  optischen  Medien  in  einem  Me- 
ridian stärker  brechen  als  in  dem  andern.  Aus  der  der  runden  Papilla 
optica  wird  eine  ovale  (Knapp).  Da  es  aber  immerhin  möglich  wäre, 
dass  ausnahmsweise  die  Papille  anatomisch  oval  sei,  so  hat  Schweig- 
ger empfohlen,  ihre  Gestalt  sowohl  im  aufrechten  als  im  um- 
gekehrten Bilde  festzustellen.  Beruht  die  Gestaltveränderung  auf 
Astigmatismus,  so  wird  die  anatomische  runde  Pupille  bei  beiden  Unter- 
suchungen zwar  die  Form  eines  Ovals  annehmen,  aber  mit  verschieden 
gerichteter  Längsachse.  Ist  beispielsweise  der  senkrechte  Meridian  des 
Auges  myopisch  und  der  horizontale  emmetropisch,  so  ist  im  aufrechten 
Bilde,  wo  wir  den  Augenhintergrund  gleichsam  durch  eine  Lupe  be- 
trachten, die  Vergrösserung  am  stärksten,  wo  die  stärkste  Brechung 
erfolgt,  hier  also  im  senkrechten  Meridian.  Die  Papille  erscheint  als 
vertical  gestelltes  Oval.  Im  umgekehrten  Bilde  dagegen  ist  bei  Myopie 
die  Vergrösserung  geringer,  als  bei  Emmetropie:  die  Papille  wird  dem- 
nach  horizontal  stärker  vergrössert  erscheinen  und  ein  Quer-Oval  bilden. 

Der  Grad  des  As  lässt  sich  aber  auf  diese  Weise  nicht  bestimmen. 
Man  muss  hierzu  weitere  Untersuchungen  anstellen,  indem  man  an 
zwei  in  entgegengesetzter  Richtung  laufenden  und  den  Hauptmeridianen 
(hier  also  dem  senkrechten  und  horizontalen)  folgenden  Xetzhautge- 
fässen  die  Refraction  im  aufrechten  Bilde  bestimmt.  Da  man  derartige 
( refässe  nicht  immer  leicht  trifft,  auch  die  Richtung  der  Hauptmeri- 
diane nicht  absolut  correct  wahrnehmbar  ist,  so  bleibt  dies  Verfahren 
mangelhaft. 

Besser  eignet  sich  hierzu  die  Befractionsbestimmung  im  umge- 
kehrten Bilde  mit  dem  Concavspiegel.  "Während  bei  unregelmässigem 
As  hei  keiner  Entfernung  des  Spiegels  von  der  ( 'onvexlinse  ein  scharfes 
Bild  des  Gitterwerkes  vorhanden  ist,  findet  man  bei  regelmässigem  As, 
dass  bei  einer  gewissen  Entfernung  beispielsweise  die  horizontalen 
Schattenlinien,  bei  einer  anderen  die  verticalen  scharf  hervortreten 
Man  bestimmt  nun  die  Refraction  für  diese  beiden  Striche  und  hat  da- 
mit  die  Refraction  der  entsprechenden  Meridiane,  d.  h.  die  Refraction, 


Refractionsbestümuungen  mittels  des  Augenspiegels.  215 

welche  vorhanden  ist.  wenn  die  horizontalen  Striche  schart'  her- 
vortreten, gehört  dem  verticalen  Meridian  des  Auges  an  und  um- 
gekehrt. Wenn  man  auch  für  die  andern  Meridiane  Bestimmungen 
treffen  will,  kann  man  als  Lichtquelle  eine  Figur  mit  strahlenförmige] 
Durchbrechung  im  Schirm  benutzen.  Doch  genügt  auch  die  oben  ab- 
gebildete Figur,  da  die  Ränder  der  Dreiecke  an  den  Seiten  schräg  ver- 
laufen und  so  in  verschiedene  Meridiane  fallen. 

Bei  der  Schattenprobe  erkennt  man  den  Astigmatismus  sehr  leicht 
daran,  dass  die  Ket'raetion  und  damit  auch  die  Form  des  Schattens  eine 
verschiedene  ist,  wenn  man  den  Spiegel  in  verschiedenen  Richtungen 
von  oben  nach  unten,  von  rechts  nach  links  bewegt.  Die  Haupt- 
meridiane zeigen  sich  dadurch,  dass  die  Schattengrenze  ihnen  annähernd 
parallel  lauft. 


7.  Diagnose  von  Niveaudifferenzen  im  ophthalmo- 
skopischen Bilde  des  Augenhintergrundes. 

Da  man  in  der  Eegel  nur  mit  einem  Auge  das  ophthalmoskopische 
Bild  sehen  kann,  so  fehlt  die  exaete  körperliche  Anschauung  desselben; 
und  es  ist  schwer,  kleinere  Niveau- 
differenzen (z.  B.  ob  die  Papilla  optica 
tiefer  liegt  als  die  Netzhaut,  oder  ob  sie 
über  diese  hervorragt)  zu  erkennen. 
Wir  müssen  hier  zu  Hilfsmitteln  unsere 
Zuflucht  nehmen.  —  Bei  der  Unter- 
suchung im  umgekehrten  Bilde 
verwerthen  wir  die  parallaktische 
Verschiebung,  welche  durch  einHin- 
und     Herbewegen      der     Convexlinse  100. 

( —  in  horizontaler  und  verticaler  Rich- 
tung — )  an  den  in  verschiedenem  Niveau  liegenden  Punkten  des  oph- 
thalmoskopischen Bildes  auftritt :  die  weiter  nach  vorn  gelegenen  Partien 
(z.  B.  ein  auf  der  Netzhaut  liegendes  Gefässstückcken)  schieben  sich  hier- 
bei schleierartig  über  und  vor  die  tiefer  liegenden  Theile  (z.  B.  die  Fort- 
setzung desselben  Gefässes  auf  der  pathologisch  vertieften  Papille;. 

Es  erklärt  sich  dies  aus  nebenstehender  Zeichnung  (Figur  100). 
c  sei  der  optische  Mittelpunkt  der  zur  ophthalmoskopischen  Unter- 
suchung benutzten  Convexlinse,  a  und  b  seien  zwei  hintereinander  lie- 
gende Punkte  der  Papille.  Die  umgekehrten  Bilder  dieser  Punkte  mögen 
in  c.  mid  ß  entworfen  werden.  Die  Linie  ßa  liege  in  der  Sehlinie  des 
Beobachters.     Wird  nun  die  Linse  nach  unten  verschoben,  so  dass  der 


21C»  Ophthalmoskopie. 

optische  Mittelpunkt  nach  e  fällt,  so  rücken  die  umgekehrten  Bilder 
von  a  und  b  nach  «,  und  ^,.  Behält  der  Beobachter  unverändert  die- 
selbe Sehlinie  bei.,  so  hat  für  ihn  demnach  der  Punkt  ß  eine  grössere 
mit  der  Linsenbewegung  gleichnamige  Verschiebung  erfahren  als  der 
Punkt  <:;  der  weiter  nach  vorn  gelegene  Punkt  hat  sich  gleich- 
sam über  den  mehr  nach  hinten  gelegenen  Punkt  fortge- 
be li  oben. 

Man  thut  gut;  bei  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  das 
Convexglas  etwas  schnell  hin  und  her  zu  schieben,  indem  man  gleich- 
zeitig auf  Punkte  achtet,  die  gerade  an  der  Grenze  der  Niveaudifferenz 
liegen.  — 

Li  ähnlicher  Weise,  wenn  auch  bei  weitem  nicht  so  deutlieh,  findet 
bei  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  im  aufrechten  Bilde 
eine  Verschiebung  statt  (perspectivische  Verschiebung.  Reimar), 
wenn  der  Beobachter  sein  Auge  bewegt:,  es  erfährt  dabei  das  entferntere 
Object  eine  der  Bewegung  gleichsinnige  Verschiebung.  Dies  ist  dieselbe 
optische  Täuschung,  die  eintritt,  wenn  man  mit  einem  Auge  zwei  hinter- 
einander im  Räume  befindliche  Objecte  ansieht  und  nun  unter  Fixation 
des  vorderen  den  Kopf  seitlich  bewegt:  das  hintengelegene  geht  dann 
scheinbar  mit. 

Auch  durch  die  Refractionsbestimmung  (sei  es  im  aut- 
rechten, sei  es  im  umgekehrten  Bilde)  lassen  sich  grössere  Niveau- 
unterschiede feststellen;  von  der  ferner  gelegenen  Partie  des  Augen- 
hintergrundes werden  die  Strahlen  stärker  convergirend  aus  dem  Auge 
kommen  als  von  der  näher  gelegenen.  Bestimmt  mau  an  letzterer 
beispielsweise  Emmetropie,  so  wird  an  ersterer  Myopie  vorhanden  sein. 

Durch  diese  .Refractionsbestimmung  lässt  sich  unter  Zugrundelegung  der 
Werthe   des  schematischen  Auges  auch  die  Niveaudifferenz  direct  berechnen,  und 

f     F" 

zwar  nach  der  Formel  f"  =  f,  '-  ,,,    (Hehuholtz).    Hier  ist  i"  =  Achsenlänge  des 

Auges,  f  =  Entfernung  des  Fernpunktes  R  von  der  Cornea  (bei  Hyperopie 
natürlich  mit  Minusvorzeichen),  F'  =  15  mm,  F"  =  20  mm.  Findet  man  beispiels- 
weise an  einer  vertieften  Papilla  optica  eine  Myopie  von  10.0  (Fernpunkt  10  cm 

=  100  mm),  so  würde  die  Formel  lauten  f"  =  .,»■.  '  ir   =  23.5  mm.     Hat    die 

100 — 15 

Netzhaut  bei  emmetropischef  Refraction  ff"  —  --    "  "  •  =  20  mm),  eine  Achsen- 

1  x  —  10 

länge  =  20  mm,  so  liegt  in  obigem  Falle  die  Papilla  optica  .">..">  mm.  tiefer.  Eine 
Dioptrie  Myopie  kommt  ungefähr  0.3  mm  Achsenverlängerung  gleich. 

Sehr  dienlich  zur  Erkennung  von  Niveaudifferenzen  ist  auch  die 
Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde  mittels  des  binocularen  Augen- 
spiegels von  Giraud-Teulon  (s.  S.  184). 


Anatomie  des  Opticus.  217 

Zweites  Kapitel. 

Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

Anatomie  des  Opticus,  der  Retina  und  Tunica  uvea. 

Man  kann  im  Verlaufe  des  Sehnerven  drei  Abschnitte  unter- 
scheiden; der  erste  umt'asst  den  Ursprung  aus  dem  Gehirn  bis  zum 
Chiasma  (Tractus  n.  optici),  der  zweite  (N.  opticus)  den  Theil  vom 
Chiasma  bis  zum  Foramen  optieum,  der  dritte  den  orbitalen  Abschnitt. 

Der  Nerv  verlässt  das  Gehirn  mit  zwei  Wurzeln,  die  aus  dem 
Corp.  geniculatum  mediale  und  laterale  entspringen.  Beide  platten 
Wurzeln,  anfänglich  noch  durch  eine  schmale  Furche  getrennt,  vereinigen 
sich  alsbald  zu  einem  Strang;  dieser  schlägt  sich  um  den  Grosshirn- 
schenkel herum,  geht  unter  der  Substantia  perforata  anterior  bis  zum 
Tuber  cinereum  und  vereinigt  sich  dicht  vor  dem  Infundibulum  mit  dem 
Tractus  der  anderen  Seite  zum  Chiasma  nerv,  opticorum.  Die  Tractus 
sind  aus  zweierlei  Arten  von  Fasern  zusammgesetzt:  den  sog.  Sehnerven- 
fasern und  den  sog.  Commissurenfasern,  welche  mit  dem  Sehact  nichts 
zu  thun  haben. 

Bezüglich  der  Verbindungen  des  Sehnerven  mit  einzelnen  Theilen 
des  Centralorgans  liegen  eine  Reihe  von  Untersuchungen  vor.  Die  Seh- 
nervenfasern treten  sicher  in  Verbindung  mit  1.  dem  äusseren  Knie- 
höcker (Corp.  geniculatum  externum)  2.  vorderem  Vierhügel  (Corp. 
quadrigemnium  anterius)  3.  dem  Pulvinar  thalami  optici.  Aus  diesen 
primären  Opticusganglien  gehen  Faserzüge  zum  hinteren  Schenkel 
der  inneren  Kapsel  und  von  dort  als  Gratiolet'sche  Sehstrahlung  zur 
Rinde  des  Hinterhauptlappens.  Sie  endigen  hier  auf  der  medialen  Fläche 
des  Cuneus,  im  besonderen  in  der  Fissura  calcarina  (optisches  Rinden- 
feld,  Sehsphäre),  nachdem  die  einzelnen  Fasern  des  Tractus  schon  in 
den  primären  Gehirnganglien  sich  von  einander  getrennt  haben  und 
neue  Verbindungen  eingegangen  sind.  Da  das  auch  mit  den  von  der 
Macula  lutea  des  Auges  kommenden  Fasern  der  Fall  ist,  so  lässt  sich 
in  der  Sehsphäre  keine  umschriebene  Stelle,  in  der  sie  allein  enden 
i Macula-Insel),  nachweisen  (Bernheimer). 

In  dem  Chiasma  findet  eine  Halbkreuzung  der  Nervenfasern  in  der 
Weise  statt,  dass  die  lateralen  Bündel  des  Tractus,  auf  derselben  Seite 
bleibend,  zu  dem  gleichseitigen  X.  opticus  übergehen,  während  die  nie- 


218  Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

dialen  Bündel  sich  kreuzend  zur  medialen  Seite  des  gegenüberliegenden 
Opticus  ziehen.  Doch  darf  der  Ausdruck  Semidecussation  nur  cum 
grano  salis  genommen  werden,  indem  die  Zahl  der  sich  kreuzenden 
Nervenfasern  eine  erheblich  grössere  ist,  als  die  der  ungekreuzten.  Die 
gekreuzten  Fasern  versorgen  die  innere  Netzhauthälfte  —  von  der  Ma- 
cula an  gerechnet  — ,  die  ungekreuzten  die  äussere  (cf.  Figur  61). 

Die  Semidecussation  (J.  31  ü  1 1  e r)  hat  besonder«  durch  Biesiadecki  und 
Michel  Angriffe  erfahren.  Jedoch  ist  —  unter  Berücksichtigung  der  eingehenden 
anatomischen  und  experimentellen  Untersuchungen  Gudden's,  der  directen  Ver- 
folgung der  Nervenfasern  während  der  Entwicklung  ihrer  Markscheide  an  embry- 
onalen und  reifen  menschlichen  Chiasmen  und  Optici  (Bernheimer),  einzelner 
pathalogisch-anatomischer  Befunde,  hei  denen  die  Fortsetzung  einer  einseitigen 
Sehnervenatrophie  auf  beide  Tractus  constatirt  wurde,  ferner  eines  von  mir  be- 
schriebenen Falles,  wo  sich  nach  der  Verletzung  des  rechten  Hinterhautlappens 
eine  partielle  degenerative  Atrophie  auch  im  rechten  Opticus  nachweisen  Hess,  und 
vor  Allem  der  klinischen  Beobachtungen  —  zur  Zeit  die  Halbkreuzung  im  Chiasma, 
sei  weit  es  sich  um  das  Verhalten  beim  Menschen  handelt,  als  sichergestellt  anzu- 
nehmen. Selbst  Kölliker.  der  sie  noch  in  letzter  Zeit  bezweifelte,  hat  sich  jetzt 
soweit  bekehrt,  dass  er  zugiebt,  dass  eine  Anzahl  von  Nervenfasern  auf  der- 
selben Seite  bleibt.  Gleiches  scheint  auch  für  den  Affen  und  Hund  zu  gelten, 
wie  die  interessanten  Untersuchungen  Munk's  über  das  Sehcentrum  in  der 
Corticalsubstanz  des  Hinterhautlappens  lehren  (vgl.  S.  142).  Nicht  genügend 
gestützt  erscheint  hingegen  die  Ansicht  Charcot's.  Nach  letzterem  Autor  be- 
steht für  jedes  Auge  in  der  entgegengesetzten  Seite  des  G-rosshirns 
ein  Sehcentrum,  zu  dem  die  im  Chiasma  sich  kreuzenden  Fasern  des  betreffen- 
den Opticus  direct  hingehen,  während  die  sich  nicht  kreuzenden  Bündel  an 
irgend  einer  Stelle  der  Medianlinie  des  Gehirns,  etwa  jenseits  der  Corp.  genicul. 
noch  nachträglich  ihren  Tractus  verlassen  und  zu  jenem  Sehcentrum  hinüber- 
ziehen. — 

Wahrend  die  Tractus  noch  in  fester  Verbindung  mit  der  Hirn- 
substanz sich  befinden,  laufen  die  Optici  als  vollständig  freie  und  ab- 
gegrenzte Nerven  zum  Foramen  opticum,  mit  dessen  Periost  sie  an 
der  oberen  Wand  verwachsen  sind.  In  der  Orbita  haben  sie  eine  fast 
kreisrunde  G-estalt  und  gehen  in  S-förmiger  Krümmung  lateralwärts  zu 
dem  durchschnittlich  17 — 18-5  mm  entfernten  Bulbus,  in  den  sie  etwa 
4  mni  medianwärts  und  etwas  nach  unten  von  dem  hinteren  Ende  der 
Augenachse  eintreten.  Der  Orbitaltheil  des  Opticus  hat  bei  leichter 
Streckung  eine  Länge  von  durchschnittlich  23  bis  24-7  mm  (Weiss), 
doch  kommen  bezüglich  der  Länge  des  <  opticus  und  der  Entfernung 
zwischen  Foramen  opticum  und  Bulbus-Insertion  sowie  der  Differenz 
dieser  beiden  Maasse,  welche  das  „Ahrollungsstück"  der  Nerven  giebt, 
an  den  einzelnen  Augen  erhebliche  Verschiedenheiten  vor.  Der  Nerv 
ist  in  der  Augenhöhle  von  einer  äusseren  und  einer  inneren  Scheide 
umhüllt.  Die  letztere  ist  fest  mit  dem  Nerven  verbunden  und  sendet 
bindegewebige  Septa  in  ihn  hinein:  man  betrachtet  sie  als  Fortsetzung 


Anatomie  des  Opticus.  219 

der  Pia  des  Gehirns.  In  dein  dicht  der  Piaischeide  anliegenden  Septen 
fehlen  die  Nervenfasern:  ein  Vorkommen,  das  von  Fuchs  als  Atrophie, 
aufgefasst  wurde;  es  ist  dies  jedoch  nicht  pathologisch,  sondern  als 
normaler  Neurogliamante]  des  Opticus  anzusehen  (Greeff).  Die  äus- 
sere Sehnervenscheide  lässt  wiederum  eine  äussere,  dickere  Schicht 
(Duralseheide)  und  eine  dünnere,  zarte  Membran  (Arachnoidealscheide 
.Axel  Key  und  Retzius])  erkennen,  die  aus  feinen,  zu  einem  Netz- 
werk verflochtenen  Bindegewebsbündeln  besteht.  Feine  Bälkchen  ver- 
binden diese  Theile  der  äusseren  Scheide  miteinander:  den  schmalen, 
nur  mikroskopisch  erkennbaren  Zwischenraum  zwischen  ihnen  hat  man 
Subduralraum  genannt,  während  der  grössere  makroskopisch  sichtbare 
Kaum  zwischen  Arachnoidealscheide  und  Piaischeide  des  Sehnerven, 
der  ebenfalls  mit  querverlaufenden  Bälkchen  durchsetzt  ist,  alsSubarach- 
noidealraum  bezeichnet  wird,  lieblicher  ist  es,  da  diese  beiden  Zwischen- 
räume, die  als  Lymphräume  (Schwalbe)  aufzufassen  sind,  mit  einander 
in  Verbindung  stehen,  einfach  von  einem  subvaginalen,  besser  intra- 
vaginalen  Kaum,  der  den  Sehnerv  umgiebt,  zu  sprechen.  Beide 
Seheiden  enden  in  der  Sclera  (cf.  Fig.  103  und  105).  Vor  seinem  Ein- 
tritt in  den  Bulbus  dringen  in  den  temporalen  unteren  Quadranten  des 
Sehnerven  die  Art.  und  Vena  centralis  retinae:  erstere  bisweilen  etwas 
früher,  durchschnittlich  in  einer  Entfernung  von  10  bis  12  mm  vom 
Auge.  Bald  nach  ihrem  Eintritt  giebt  die  Arterie  nicht  selten  einen 
ziemlich  starken  Seitenast  ab,  der  vor  dem  Bulbus  endet,  während  der 
Hauptast  mit  seinen  Zweigen  in  Papille  und  Netzhaut  übergeht.  Letztere 
erhalten  der  Hauptsache  nach  von  ihm  allein  ihr  Blut;  nur  einzelne 
meist  sehr  kleine  Arterienäste  der  Papille  und  angrenzenden  Netzhaut 
( cilioretinale  Gefässe)  entstammen  aus  dem  Zinn'schen  (Haller'schen) 
Gefässring.  Letzterer  entspringt  aus  den  hinteren  Ciliargefässen  und 
liegt  in  dem  den  Opticus  umschliessenden  Scleralring.  Diese  Gefässver- 
theilung  spielt  bei  der  Embolie  der  Art.  centr.  retin.  eine  Rolle. 

Beim  Durchtritt  durch  das  Scleral-  und  Chorioidealloch  erleidet 
der  Sehnerv  eine  Einschnürung,  sein  Durchmesser  sinkt  von  circa  3  mm 
auf  1-5  mm.  Auch  verliert  er  seine  weisse  Farbe,  indem  die  Nerven- 
fasern ohne  Markscheide  weiter  gehen:  dadurch  erhält  er  ein  mehr 
graues  und  durschscheinendes  Ansehen.  Noch  in  anderer  Beziehung  ist 
diese  Stelle  von  Wichtigkeit.  Es  zieht  hier  quer  durch  den  Sehnerven  ein 
mehrschichtiges  bindegewebiges  Maschenwerk,  das,  von  der  Sclera  aus- 
gehend, ihn  durchsetzt:  die  sogenannte  Lamina  cribrosa.  Den  Theil 
des  Sehnerven,  der  zwischen  Lamina  cribrosa  und  Glaskörper  liegt,  pflegt 
man  als  Papilla  optica  zu  bezeichnen.  Doch  handelt  es  sich  nicht 
um  eine  wirkliche  Papille  oder  Hervorragung;  ein  grosser  Theil  liegt 
sogar  noch  unter  dem  Niveau  der  Netzhaut,  da  die  Nervenfasern  nicht 


220  Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

an  allen  Stellen  in  gleicher  Menge  und  Dichtigkeit  in  die  Netzhaut 
übergehen.  Gewöhnlich  zieht  die  grössere  Zahl  der  Fasern  nasalwärts, 
die  kleinere  nach  der  Gegend  der  Macula  lutea.  Dies  zeigt  sieh  oft  in 
einer  mehr  oder  weniger  ausgedehnten,  niaeularwärts  gelegenen  Vertie- 
fung, die  bei  ungewöhnlicher  Grösse  als  physiologische  Excavation  be- 
zeichnet wird.  Auch  pflegt  die  Eintrittsstelle  der  Gefässe  in  der  Mitte 
der  Papille  eine  kleinere  trichterförmige  Vertiefung  (fovea)  zu  zeigen. 
Der  Querdurchmesser  der  meist  runden  Papilla  optica  beträgt  in  der 
Regel  1-5  mm. 

Die  Lage  der  die  einzelnen  Netzhautpartien  versorgenden  Fasern 
im  Opticus  bedarf  eines  Wortes.  Vorzugsweise  ist  es  von  Interesse,  zu 
wissen,  wo  diejenigen  liegen,  welche  die  Macula  lutea  versorgen.  Patho- 
logisch-anatomische Befunde  von  Fällen,  bei  denen  es  sich  klinisch  um 
ein  centrales  Skotom  in  Folge  retrobulbärer  Neuritis  handelte,  ergaben 
in  der  Nähe  des  Foramen  opticum  eine»centrale  Atrophie  des  Opticus; 
mehr  nach  dem  Bulbus  zu  wendete  sich  die  atrophische  Partie  einen 
Keil  bildend  temporalwärts  (Samelsohn,  Bunge,  Schmidt-Rimpler, 
Uhthoff,  U.A.).  —  Abgesehen  von  diesem  Verlauf  der  macularen  Fasern 
liegen  in  der  Nähe  des  Bulbus  nach  meinen  Untersuchungen  die  unge- 
gekreuzten  Fasern,  welche  die  temporale  Netzhauthälfte  versorgen,  vor- 
zugsweise an  der  oberen  und  unteren  Peripherie,  sowohl  auf  die  tem- 
porale wie  auf  die  nasale  Seite  etwas  übergreifend,  während  die  für  die 
nasale  Netzhauthälfte  bestimmten  Nerven  das  Centrum  und  das  mittlere 
Drittel  der  nasalen  Opticus-Peripherie  einnehmen.  Hiermit  stimmen 
auch  die  Untersuchungen  Dimmer's  überein.  Im  hinteren,  dem  Formen 
opticum,  nahe  liegenden  Theil  des  Opticus  sind  die  ungekreuzten  Fasern 
temporal  liegend,  die  gekreuzten  medial.  Im  Ohiasma  bleiben  nach 
ihm  erstere  lateral,  sich  allmählich  gegen  die  dorsale  Seite  wendend, 
letztere  gehen  vorzugsweise  zum  ventro-medialen  Theil  der  gegenüber- 
liegenden Chiasmahälfte,  von  wo  aus  sie  zum  Tractus  ziehen  und  dort 
zuerst  ungemischt  am  ventralen  Rande  liegen.  —  Man  kann  im  Opticus 
dünnere  und  gröbere  Fasern  unterscheiden:  letztere  werden  als  „Pupillar- 
fasern"  (v.  Gudden)  aufgefasst,  d.  h.  als  solche,  die  den  Lichtreiz, 
welcher  den  Pupillarreflex  (cf.  S.   L34)  auslöst,  centripetal  leiten. 

Die  Retina  zeigt  im  Querdurchschnitt  nach  der  Eintheilung  von 
Max  Schnitze  von  innen  nach  aussen  folgende  Schichten  (Figur  101): 
1 )  Membrana  limitans  interna  (bezw.  M.  hyaloidea).  2)  Nervenfaserschicht. 
.'ii  ( ianglienzellenschicht  (Ganglion  n.  optici).  4)  Innere  granulirte  (reti- 
culäre)  Schicht.  5)  Innere  Körnerschicht  (Ganglion  retinae).  6)  AeusSBre 
granulirte  Schicht.  1 )  Aensscre  Körnerschicht.  8)  Membrana  limitans 
externa.  9)  Stäbchen-  und  Zapfenschicht.  10)  Pigmentepithel.  Das 
Pigmentepithel    gehört    embryologisch,    da   es  aus  dem  äusseren  Blatt 


1 


Anatomie  der  Retina, 


221 


der  secundären  Augenblase  entsteht  (das  innere  wandelt  sieh  zur 
Retina  um),  zur  Netzhaut.  Zieht  man  jedoch  die  Netzhaut  von  der 
Chorioidea  ab,  so  bleibt  das  Pigmentepithel  grösstenteils  auf  letzterer 
haften.  Den  inneren  Theil  der  Netzhaut  (Nervenfaser-  bis  zur  äusseren 
Körnerschicht)  hat  man  auch  als  (lehirnschicht,  den  äusseren  Theil 
(äussere  Körnerschicht  bis  zum  Pigmentepithel)  als  Neuroepithel-  oder 
Sehzellenschicht  bezeichnet.  —  Quer  von  aussen  nach  innen  durch  die 


Pigmentepithel. 

Stäbchen  und  Zapfenschicht. 
Membrana  limitans  externa. 

Aeussere  Körnerschicht. 

Aeussere  granulirte  Schicht. 
Innere  Körnerschicht. 


4  Innere    granulirte     (reticuläre) 

Schicht, 


Ganglienzellenschicht. 

2         Xervenfaserschicht. 
^s  1    Membrana  limitans  interna. 

Schematicher  Durchschnitt  durch  die  Netzhaut  nach  M.  Schultz  e. 

verschiedenen  Schichten  hindurchgehend,  ziehen  feine  bindegewebige 
Fasern  (Müll  er 'sehe  Stütz-  oder  Radialfasern),  die  mit  pinselförmiger 
Ausbreitung  |  a  |  an  der  Limitans  interna  enden.  In  der  Macula  lutea 
verdünnen  sich  die  Xetzhautschichten  zur  Fovea  centralis,  die  Stäbchen 
fehlen  hier  ganz  und  es  kommen  nur  verschmälerte  Zapfen  vor.  Auch 
zeigen  die  Müll  er  sehen  Stützfasern  am  gelben  Fleck  nicht  ihre  pinsel- 
förmige Ausbreitung  gegen  die  Limitans  interna  hin. 


222  •    Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

Die  Netzhaut  liegt  in  ihren  hinteren  Partien  der  Ohorioidea  nur, 
ohne  mir  ihr  ^erwachsen  zu  sein.  Erst  vorn,  wo  der  Orbicul.  ciliaris 
anfängt,  haftet  sie  ihr  mit  einer  ausgezackten  Kreislinie  beginnend 
(Ora  serrata)  fester  an.  Es  fehlt  hier  bereits  die  Nervenfaser-  und 
Ganglienzellenschicht,  während  die  Müll  er 'sehen  Stützfasern  stark 
hervortreten.  Im  höheren  Alter  bilden  sich  nicht  selten  in  der  Xähe 
der  Ora  serrata  zwischen  den  Müller'schen  Stützfasern  mit  Flüssigkeit 
gefüllte  Hohlräume  (Iwanoff).  Ebenso  erfahren  die  Glashäute  Ver- 
dickungen; in  der  Peripherie  zeigt  sieh  öfter  eine  ausgeprägte  Hyper- 
trophie der  bindegewebigen  Elemente  mit  Atrophie  der  nervösen  (Kuhnt). 
Auf  dem  Corp.  ciliare  besteht  der  Pars  ciliaris  retinae  und  aus  zwei 
Schichten:  in  der  äusseren  liegen  Pigmentzellen,  in  der  inneren  hohe 
Cylinderzellen.  Beide  Zellenreihen  verschmelzen  bei  ihrer  Fortsetzung 
auf  die  hintere  Irisfläche  zu  einer  einzigen   Pigmentlage. 

Die  äusserste  JSchicht  der  Xetzha-ut  enthält,  wie  Boll  gezeigt, 
rinen  Farbstoff  (Sehroth  oder  Sehpurpur),  der  ihrer  Hinterfläche 
ein  rothes  Aussehen  giebt,  aber  durch  Einwirkung  des  Lichts  in 
einigen  Minuten  nach  der  Herausnahme  abblasst.  Durch  entsprechende 
Belichtung  lassen  sieh  helle  Figuren  (Optogramme,  Kühne)  auf  der 
Netzhaut  —  ähnlich  wie  auf  einer  photographischen  Platte  —  hervor- 
bringen. Der  Farbstoff  sitzt  in  den  Stäbchen  und  wird  wahrscheinlich 
com  Pigmentepithel  immer  wieder  von  neuem  regenerirt.  —  Ein  weiterer 
Einfluss  des  Lichtes  auf  die  Netzhaut  wurde  beim  Frosch  beobachtet: 
die  Aussen-  und  Tnnenglieder  der  Stäbchen  verkürzen  sich  im  Licht  und 
verlängern  sieh  im  Dunkeln  (Angelucci,  Gradenigo);  dasselbe  gilt 
von  den  Innengliedern  der  Zapfen  (Engelmann).  Gleichzeitig  ändern 
die  äusseren  Kürner  der  Retina  ihre  Gestalt. 

Betreffs  des  histologischen  Baues  und  des  Zusammenhanges  der  Stäbchen 
und  Zapfenschicht  mit  den  Nervenfasern  hat  sich  Kauion  y  Ca  ja]  besondere  Ver- 
dienste erworben,  indem  er  die  Golgi'sche  Versilberungsmethode  benutzte  und  die 
Neuronlehre  (Waldeyer)  auf  die  Netzhaut  übertrug.  Die  Nervenzelle  und  ihr 
leitender  Fortsatz,  der  Achsencylinder  mit  seinen  Endbäumchen,  bildet  eine  Ein- 
heit (Neuron) ;  dieselbe  tritt  mit  einem  andern  Neuron  nur  durch  Contact  in  Ver- 
bindung. <>1)  die  anderen  kleineren  Protoplasmen  Fortsätze  der  bipolaren  Gang- 
lienzelle  (Dendriten)  auch  nervöser  Natur  sind,  ist  noch  zweifelhaft.  Nach 
den  (ajal'schen  Ergebnissen,  die  von  Greeff,  Kallins  u.  A.  nachuntersucht  sind, 
besteht  die  Netzhaut  aus  3  Neuronen,  wie  die  beistehende  Abbildung  zeigt.  Die 
Fasern  enden  in  den  primären  Opticus-Ganglien  im  Gehirn,  wo  ein  4.  Neuron 
-einen  Ursprung  nimmt,  um  die  Leitung  zum  Sehcentrum  zu  vermitteln. 

Die  Schicht  der  aniakrinen  (a,  u<;xnuj,  lang,  Ivoq  Faser)  Zellen,  Zellen  ohne 
langen  Fortsatz,  welche  den  Spongioblasten  Müllers  entsprechen,  liegen  in  der 
untersten  Lage  der  inneren  Körnerschicht.  In  ihnen  enden  die  von  Cajal  nach- 
gewiesenen centrifugalen   Nervenfasern  (Fig.   L02).  — 

Wenn  man  einen  -an/,  frischen,  etwa  eben  durch  Operation  ent- 
fernten Augapfel   äquatorial   durchschneidet   und   die  hintere  Augapfel- 


Anatomie  »1er  Retina. 


223 


hälfte   in    situ    betrachtet,    so  ist  es  anfänglich  schwer,    die  Stelle  der 
Macula  lutea  zu  sehen:  bald  aber  rindet  man  einen  dunkleren,  mehr 


I.  Pigmenschicht. 

II.  Stäbchen  und  Zapfenschicht. 

III.  Körner  der  Sehzellen. 

IV.  Aeussere  plexiforme  Schicht. 
Schicht  der  horizontalen  Zellen. 


VI.  Schicht  der  bipolaren  Zellen. 
VII.  S  chieht  der  amakrinen  Zellen. 
VIII.  Innere  plexiforme  Schicht(5  Etagen  i 

IX.  Ganglienzellenschicht. 
X.  Xervenfaserschicht. 


1.  Diffuse  aniakrine  Zellen.  6.  Jlüller'sche  Radiärfaser. 

2.  Diffuse  Ganglienzellen,  a.  Faserkorb. 

3.  Centrifugale  Xervenfaser  setzt  sich  an.  b.  Seitliche  Buchten. 

4.  Association- Amakrine.  c.  Kern 
■  >.  Xeuroo-liazellen. 

102. 

aa  des  Baues  der  menschlichen  Ketina  nach  'lein  Grolgi'sehen  Verfahren  (Green?  in  Graefe- 

Saemisch,  Handl>nck  der  gesammten  Augenheilkunde  2.  Auflage  8.  87. ) 

bräunlich-rothen  Fleck,  der  ihren  Sitz  zeigt.    Dieser  Fleck  bat  etwa  die 
— e  der  Papille,   wird   aber  (wohl  durch  den  Eintritt  einer  leichten 


224  Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

Netzhaut-Trübung)  bald  kleiner,  so  dass  er  sich  mehr  auf  den  central- 
sten  Theil  der  Macula  beschränkt.  Zieht  man  die  Retina  jetzt  von  der 
Chorioidea  ab  und  breitet  sie  auf  ein  Objectglas  aus,  so  zeigt  die 
Macula  eine  leicht  gelbliche  Färbung;  letztere  lässt  sich  nicht  immer 
absolut  scharf  abgrenzen ,  indem  sie  sich  am  Rande  allmählich  ab- 
schwächt. Meist  ist  die  gelbe  Färbung  etwas  ausgedehnter,  als  vorher 
bei  der  Betrachtung  in  situ  der  bräunliche  Fleck  erschien.  In  dem 
Centrum  des  gelben  Fleckes  der  Netzhaut  erkennt  man  einen  etwas 
dunkler  pigmentirten  Ring  oder  Halbring,  welcher  eine  kleine  hellere, 
trichterförmige  Vertiefung  (Fovea  centralis)  umgiebt.  Die  Fovea  ist 
meist  queroval  und  hat  im  Durchschnitt  einen  horizontalen  Durch- 
messer von  1,7  mm  (Dimmer).     In  ihr  sind  nur  Zapfen  vorhanden. 

Die  frische  Netzhaut  ist  vollkommen  durchsichtig.  Es  tritt  daher  auf  einer 
dunkeln  Unterlage  die  hellgellte  Eigenfarbe  der  Macula  nicht  hervor,  sondern 
giebt  dieser  Unterlage  nur  einen  etwas  dunkleren  Farbenton  und  ein  etwas 
stumpferes  Aussehen,  (ähnlich  wie  manche  Lacke  oder  etwa  eine  Gummilösung). 
So  erklärt  sich  die  dunklere  Färbung  der  Macula,  wenn  sie  auf  der  Chorioidea  in 
situ  bleibt.  Ich  konnte  übrigens  durch  Verschieben  der  Netzhaut  auf  der  Chori- 
oidea auch  den  dunkleren  Fleck  —  entsprechend  der  Verschiebung  der  Macula  — 
wandern  lassen.  Eine  stärkere  Pigmentirung  der  Chorioidea  unter  der  Macula  ist 
nicht  immer  nachweisbar,  auch  zur  Herstellung  der  dunkleren  Färbung  wie  jener 
Versuch  zeigt,  nicht  erforderlich.  Das  Aussehen  der  Macula  lutea  im  frischen 
Auge  erklärt  in  der  Hauptsache  auch  das  ophthalmoskopische  Bild  derselben,  in 
welchem  sie  ebenfalls  in  dunklerer  Nuance  als  die  angreuzende  Netzhaut  erscheint. 
Vor  meinen  diesbezüglichen  Untersuchungen  hatte  man  sich  mit  dem  Befunde  an 
Augen,  die  bereits  A'erwesungserscheinungen  zeigten,  begnügt:  hier  aber  tritt  die 
Macula  auf  der  getrübten  und  undurchsichtig  gewordenen  Netzhaut,  selbst  wenn 
letztere  der  Chorioidea  aufliegt,  in  ihrer  gelben,  citronenähnlichen  Eigenfarbe 
scharf  hervor.  Es  konnte  daher  bis  zur  Klarlegung  obiger  Thatsachen  das  oph- 
thalmoskopische Bild  nicht  richtig  gedeutet  werden. 

Die  Hauptäste  der  Netzhautgefässe  liegen  theils  auf,  theils  in  der 
Nervenfaserschicht.  Einige  Zweige  ziehen  auch  in  die  äusseren  Netz- 
hautschichten bis  zur  äusseren  granulären  Schicht.  —  Auch  in  die 
Peripherie  der  Macula  erstrecken  sich  Capillargefässe,  wie  man  an  eben 
enucleirten  Augen,  wo  noch  Blutinjection  besteht,  sehr  gut  sehen  kann. — 

Die  Tunica  uvea  (T.  vasculosa  s.  media)  setzt  sich  aus  der  Cho- 
rioidea, dem  ( 'orpus  ciliare  und  der  Iris  zusammen. 

Die  Chorioidea  ist  mit  der  Sclera  nur  hinten  am  Opticuseintritt 
und  vorn  am  Sulcus  sclerae  fester  verwachsen.  Rings  um  den  Opticus 
und  mit  ihm  ebenfalls  in  Verbindung  stehend  geht  die  Chorioidea  in 
einen  dünnen,  aus  concentrischen  Fasern  bestehenden  Ring  über,  der 
das  Forumen  optieum  chorioideae,  mehr  oder  weniger  dicht  dem  Opticus 
anliegend  umschliesst.  Zwischen  Sclera  und  Chorioidea  liegt  ein  Lymph- 
raum (Perichoroidealraum),  der  mit  der  Tenon'schen  Kapsel  und  der 


Anatomie  der  Tunica  uvea.  225 

Sehnervenscheide  in  Verbindung  steht.  Man  unterscheidet  histologisch 
in  der  Chorioidea  vier  Schichten,  von  aussen  nach  innen:  1)  Supra- 
chorioidea,  welche  braun  aussieht;  beim  Abziehen  haftet  ein  Theil  von 
ihr  der  Sclera  an  (Lamina  fusca);  sie  enthält  grössere  Gefässe,  Nerven, 
elastisches  Gewebe  und  Pigment.  2)  Das  Stroma  chorioidea  (Tunica 
vasculosa).  Hier  verlaufen  die  gröberen  Gefässe  und  vertheilen  sich. 
In  ihr  liegen  die  Ven.  vorticosae,  von  denen  meist  vier  Hauptwirbel, 
je  ein  Paar  für  die  obere  und  untere  Aderhauthälfte  gebildet  werden 
(Tuchs).  Sie  erscheinen,  wie  überhaupt  die  grossen  Chorioidealgefässe, 
ophthalmoskopisch  als  helle  rothe  Streifen,  da  sich  das  Pigment,  [in 
sternförmigen  Zellen  auftretend,  vorzugsweise  zwischen  ijhnen  in  den 
dunkler  aussehenden  Intervascularräumen  anhäuft.  In  der  äusseren 
Schicht  hegen  die  grossen,  in  der  inneren,  wenig  pigmentirten  die 
mittleren  Gefässe.  3)  Die  Choriocapillaris,  welche  von  dem  Stroma 
durch  das  Sattler' sehe  Endothelhäutchen  getrennt  ist.  Sie  enthält 
kein  Pigment,  aber  zahlreiche  Capillargefässe.  4)  Lamina  elastica 
(Glas-  oder  Basalmembran,  M.  Bruchii),  die  in  den  hinteren  Augen- 
partien glatt  und  durchsichtig  ist,  in  der  Nähe  des  Corp.  ciliare  und 
auf  ihm  mikroskopische  Vertiefungen  und  Erhabenheiten  zeigt;  im  Alter 
entwickeln  sich  drusige  Auswüchse  auf  ihr.  Das'  ihr  aufsitzende  Pig- 
mentepithel, aus  schwarzen  sechseckigen  Zellen  bestehend,  gehört,  wie 
oben  erwähnt,  genetisch  zur  Retina.  —  Kurz  vor  dem  Uebergang  der 
Chorioidea  in  das  Corp.  ciliare  verlieren  die  Schichten  der  Chorioidea 
ihre  regelmässige  Anordnung,  die  Choriocapillaris  verschwindet  ganz. 
Man  bezeichnet  diese  Stelle  als  Orbiculus  ciliaris. 

Im  Orbiculus  ciliaris  beginnen  die  Anfänge  der  Muskelschicht  des 
Corpus  ciliare  sich  zwischen  Suprachorioidea  und  Stroma  einzu- 
schieben. Nach  vorn  hin  nehmen  dieselben  an  Dicke  zu  und  bilden 
den  Hanpttheil  des  Corp.  ciliare.  Der  Ciliarmuskel  (Brücke 'scher 
Muskel,  vom  Uculoinotorius  innervirt)  stellt  sich  auf  dem  Durchschnitt 
als  spitzes  Dreieck  dar,  die  Spitze  nach  hinten  gerichtet.  Die  äussersten 
Schichten  des  Muskels,  dicht  unter  der  Sclera,  laufen  meridian,  die 
innersten  circulär.  Zwischen  diesen  beiden  finden  sich  Uebergänge,  die 
Bündel  divergiren  nach  innen  und  hinten.  Mit  der  inneren  Wand  des 
Schlemm 'sehen  Canals  ist  der  Muskel  durch  ein  bindegewebiges  Band 
i  Sehne  des  M.  ciliaris)  fest  verbunden.  Dem  Innern  des  Auges  und  der 
Linse  zugewandt  trifft  man  am  Corp.  ciliare  Hervorragungen  abwechselnd 
mit  Vertiefungen:  die  Ciliarfortsätze,  ziemlich  constant  70  an  der 
Zahl  (Merkel).  — 

Die  Iris  entsteht  aus  dem  Gewebe  der  Processus  ciliares;  sie  ist 
durch  das  maschenförmige  Lig.  pectinatum  mit  der  Cornea  verbunden. 
Letzteres  schliesst  auch  den  äussersten  Theil  des  Corp.  ciliare  von  der 

Schmidt  -ßimpler.    T.Auflage.  ■  15 


226  Aiiüenspieu-t'Hiefunde  am  gesunden  Auge. 

vorderen  Kammer  ab.  Das  eigentliche  Gewebe  der  Iris  liegt  zwischen 
zwei  Begrenziingshäuten;  nach  der  vorderen  Kammer  zu  befindet  sich 
ein  zartes  Endothelhäutchen,  nach  hinten  der  Linse  zu  eine  aus  be- 
sonderen  zelligen  Elementen  zusammengesetzte  Membran,  deren  hintere 
Fläche  eine  embryologisch  aus  zwei  Schichten  hervorgehende  Pigment- 
lage (Fortsetzung  der  Retina)  aufweist,  welche  sich  centralwärts  bis  zur 
Pupille  fortsetzt  und  hier  umbiegend  oft  als  schmaler  schwarzer  Pupillen- 
saum erscheint.  Hinter  dem  vorderen  Endothelhäutchen  Hegt  eine 
Schicht  anastomosirender  Zellen  mit  eingestreuten  lymphoiden  Zellen 
(reticulirte  Schiebt,  Michel);  dann  kommt  die  Gefässschicht.  Hinter 
den  Gefässen  sind  die  Muskelelemente  eingeschaltet:  der  ringförmig 
die  Pupille  einschliessende  Sphincter  iridis  und  der  radiär  verlaufende 
Dilatator.  Letzterer  erstreckt  sich  als  dünne  Lage  radiär  geordneter 
Faserzellen,  die  vom  Margo  ciliaris  theils  bis  zum  freien  Margo  pupil- 
laris  verlaufen  theils  vorher  mit  dem  Sphincter  iridis  in  Verbindung 
treten  (Merkel);  die  musculäre  Natur  dieser  Faserzellen  ist  neuer- 
dings wieder  von  Grunert  und  ebenso  von  Heerfordt  auf  Grund  ver- 
gleichender anatomischer  und  an  atropinisirten  Augen  ausgeführter 
Untersuchungen  bestätigt  worden.  In  Frage  gestellt  wurde  sie  früher 
besonders  von  Schwalbe  und  Eversbusch.  Der  Sphincter  wird  vom 
Oculomotorius,  der  Dilatator  von  Zweigen  des  Sympathicus  innervirt. 
Ausserdem  sind  Zweige  des  Trigeminus  hier  und  im  Uvealtractus,  aus 
den  (Jiliarnerven  stammend,  verbreitet.  Die  Pupille  liegt  nicht  ganz  in 
der  Mitte  des  Irisdiaphragmas  sondern  etwas  nasenwärts.  Im  embryo- 
nalen Leben  befindet  sich  vor  ihr  und  der  Iris  die  Pupillarmembran; 
hinter  dieser  entwickelt  sich  erst  die  L'is  in  Form  eines  Auswuchses. 
Schliesslich  wird  die  Pupillenmembran  zu  dem  vorderen  Endothelhäutchen 
(Michel),  in  der  Pupille  selbst  schwindet  sie. 

Das  Pigment  im  Irisstroma  entwickelt  sich  erst  nach  der  Geburt. 
Daher  erscheint  die  Iris  der  Neugeborenen  durch  Interferenz  (trübes 
Medium  vor  einem  dunklen  Hintergrunde)  blau;  je  nachdem  mehr  oder 
weniger  Pigment  (zum  Theil  in  runden  und  sternförmigen  Zellen)  sich 
bildet,  wird  die  Iris  dunkelbraun,  braun  oder  grau.  Auf  ihr  findet  man 
öfter  rostbraune  und  schwarze  Pigmentfleckchen;  bei  Verletzungen  hüte 
man  sich,  sie  als  eingedrungene  kleine  Fremdkörner  anzusehen.  Die 
Vorderfläche  der  Iris  zeigt  etwa  1  mm  vom  Pupillarrande  entfernt  eine 
kreisförmige  Erhebung  (kleiner  Kreis),  die  aus  einem  Kranz  vorspringen- 
der Balken  gebildet  wird;  letztere  entsenden  kleinere  Leisten,  zwischen 
denen  iinregelmässige  Löcher  und  Vertiefungen  (Krypten)  liegen,  radial- 
wärt s  .sowohl  in  die  Pupillenzone  wie  in  die  peripher  gelegene  Ciliarzone 
der  Iris,  hie  l>alken  des  kleinen  Kreises  enthalten  den  Circ.  arteriös, 
iridis  minor.     Die  Krypten  stehen  mit  spaltför m igen  Lücken,  welche  die 


Anatomie  der  Tunica  uvea.  227 

Irisgefässe  umgeben,  in  Verbindung  und  vermitteln  so  eine  Communi- 
eation  der  Lymphräume  der  Iris  und  des  Lig.  pectinatum  mit  der  vor- 
deren Kammer  (Tuchs). 

Die  Iris  trennt  die  vordere  von  der  hinteren  Augenkammer, 
bei  ihren  Bewegungen  schleift  sie  auf  einer  Flüssigkeitsschieht  auf  der 
Linsenkapsel. 

Der  Uvealtractus  erhält  in  seinen  hinteren  Partien  (Chorioidea)  sein 
arterielles  Blut  von  den  kurzen  hinteren  Ciliargefässen;  in  seinen 
vorderen  Theilen  (Corp.  ciliar,  und  Iris)  von  den  langen  hinteren 
und  den  vorderen  Ciliararterien.  In  dieser  Partie  der  Chorioidea 
finden  sich  auch  noch  eine  Anzahl  rücklaufender  Zweige,  welche 
zwischen  dem  vorderen  und  dem  hinteren  Gebiete  eine  Verbindung 
herstellen  (Leber).  Die  hinteren  Ciliararterien  stammen  aus  der  Art. 
ophthalmica  und  durchbohren  in  der  Nähe  des  Opticus  die  Sclera;  die 
vorderen  entspringen  aus  den  Arterien  der  M.  recti  und  durchbohren 
nach  Abgabe  feiner  oberflächlicher  Zweige  (zu  Sclera,  Cornealrand, 
Bindehaut)  mit  ihren  perforirenden  Aesten  die  Sclera  nicht  weit  vom 
Hornhautrande.  Sie  beide  bilden  am  vorderen  Ende  des  Musculus 
ciliaris  einen  circulären  Grefässkranz  (C.  arteriös,  iridis  major). 

Das  venöse  Blut  wird  aus  dem  Uvealtractus  der  Hauptsache  nach 
durch  die  von  Lymphscheiden  umgebenen  Ven.  vorticosae  abgeführt, 
welche  in  schrägen,  langen  Canälen  die  Sclera  hinter  dem  Aequator 
durchsetzen.  Sie  entleeren  sich  theils  direct  in  die  V.  ophthalm.,  theils 
in  die  Muskeläste.  Das  Blut  aus  dem  Corp.  ciliare  hingegen  wird  durch 
die  V.  ciliares  anticae  fortgeführt,  die  ähnlich  wie  die  Art.  ciliar, 
antic.  verlaufen,  aber  enger  sind.  Diese  Art.  und  V.  ciliar,  antic.  bilden 
auf  der  Sclera  am  Rande  der  Cornea  ein  maschiges  Gefässnetz,  das,  be- 
sonders bei  Entzündungen  stark  hervortretend,  als  ein  mehrere  Milli- 
meter breiter  Saum  die  Cornea  umfasst  (episclerales  Gefässnetz). 

Der  circuläre  im  vorderen  Ende  der  Sclera  eingelagerte,  rings  um 
den  Cornealansatz  verlaufende  Circul.  venös,  ciliaris  (Leber)  oder 
Schlemm'sche  Canal  ist  ein  Venenkranz,  der  mit  den  vorderen  Ciliar- 
venen  und  dem  episcleralen  Gefässnetze  in  Verbindung  steht  (Figur  103). 

Wird  der  Blutabfluss  durch  die  Venae  vorticosae  nach  hinten  hin 
unterdrückt,  wie  wir  es  bei  Steigerung  des  intraoeularen  Druckes  öfter 
beobachten,  so  geht  das  Blut  vorn  durch  die  vorderen  Ciliarvenen,  die 
sich  erweitern  und  starke  episcleral  verlaufende  Aeste  zeigen. 

Die  Lymphe  der  vorderen  Augenhälfte  sammelt  sich  in  der  hin- 
teren und  vorderen  Augenkammer  und  verlässt  durch  das  Maschen- 
werk  das  Ligament."  pectinatum  (Font ana 'scher  Raum)  das  Auge,  um 
sich  in  den  Schlemm'schen  Canal  zu  ergiessen  (Leber):  aber  auch  die 

15* 


228 


Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 


Iris  betheiKgt  sich  an  der  Resorption  des  Kammerwassers  (Leber,  Xuel, 
Asayama).    Klinische  Beobachtungen  und  Experimente  haben  anderer? 


Circulus  iridis  major 


C.  iridis  nii/inr 
Cornea 


Randschiingi'rmcts. 

b  dil muri  sehe  Caiml. 


Vordere  Conjiuwtiz>aUiefassc 


Retina.  { 
Clwriaidea 

ScUra 


Hintue 

Cory'tnicUniU 

aefässp 

—fördere 

Ciliar^ 

ge fasse 

Recuismrdi/ib- 


■Efiiscerale 
^gefässe- 


V.-norticosaz 


K  central,  reibt az 


tj^\V  B.lange  Cüiuiarterkii 
B.  Kurze  Ciliar arltriin 
~~Ä.  cenb'al.retüiae 

103. 


Blutgefässe  des  Auges.     Schematisch  nach  Leber.  — Aus  der  Zeichnung  ist  der  Verlauf 

der  Gefässe  erkennbar.  Die  Retina  wird  von  der  Art.  und  Yen.  centralis  retinae  versorgt.  Die 
Uvea,  von  den  hinteren  kurzen  und  hinteren  langen  und  von  den  vorderen  Ciliararterien  genährt, 
sendet  ihr  venöses  Blut  zurück  durch  die  Venae  vortieosae;  nur  vom  Ciliarmuskel  gehen  Venen 
als  vordere  Ciliarvenen,  die  auch  mit  dem  Sehlenim'schen  Kanal  auastomosirten,  aus  dem  Auge. 
l-'.s  sei  noch  bemerkt,  dass  die  vorderen  ('iliarnei'asse  sieh  bei  Entzündungen  mit  den  hinteren 
('onjunetivalgefüssen  durch  vordere  Coujunctivalgefässen  vereinen  und  zusammen  das  Kand- 
schlingennetz  um  die  Cornea  („perioorneale  Injection")  bilden. 

seits  erwiesen,  <lass  in  das  Kammerwasser  auch  vom  subconjunctionalen 
Räume  aus  Substanzen  eindringen  können.     Die  Absonderung  in  die 


Anatomie  der  Tunica  uvea.  229 

hintere  Kammer  erfolgt  von  den  ( 'iliarfortsätzen,  deren  Epithel  bei  durch 
Punktion  der  Vorderkammer  beschleunigter  Absonderung'  blasenförmige 
Veränderung  zeigt  (Greeff).  Die  Flüssigkeit  der  vorderen  Kammer 
seheint  jedoch,  wie  besonders  Experimente  mit  Fluorescein-Einspritzungen 
erweisen  (Ehrlich,  Schick  und  neuerdings  Hamburger),  unter  nor- 
malen Verhältnissen  auch  von  den  [risgefässen  abgesondert  zu  werden, 
wenngleich  nach  Punktion  der  vorderen  Kammer  die  Flüssigkeit  vor- 
zugsweise durch  die  Pupille  aus  der  hinteren  Kammer  hervorströmt. 
Als  hintere  abführende  Lymphbahnen,  die  aber  gegenüber  dem  Lymph- 
abfluss  durch  die  vordere  Augenkammer  nur  von  geringer  Bedeutung 
sind,  dienen  die  perivasculären  Lymphräume  der  Centralgefässe  des 
Sehnerven;  innerhall)  des  Glaskörpers  erfolgt  die  Lymphabfuhr  durch 
seinen  Centralcanal  bis  zum  Sehnerveneintritt  (Stilling,  Ulrich).  Von 
Lymphräumen  des  Auges  sind  noch  zu  nennen:  1)  Der  Perichorioideal 
räum  zwischen  Aderhaut  und  Sclera,  2)  der  Tenon'sche  Kaum  zwischen 
Sclera  und  Tenon 'scher  Kapsel,  3)  der  intervaginale  Raum  zwischen 
Sehnervenscheide  und  Sehnerv,  4)  der  supra vaginale  Raum,  der  die 
Sehnervenscheide  umgiebt  (Schwalbe).  Ebenso  wie  die  Absonderung 
der  Lymphe  erfolgt  auch  die  Ernährung  der  gefässlosen  Theile  des 
Auges  (Linse  und  Glaskörper)  der  Hauptsache  nach  von  der  Uvea, 
speciell  vom  Ciliarkörper.  In  die  Linse  tritt  die  Flüssigkeit  besonders 
in  der  Gegend  des  Aequators  ein  und  circulirt  in  den  vorderen  und 
hinteren  Rindenschichten,  und  zwar  scheint  eine  hinter  dem  Linsen- 
äquator mit  diesem  parallel  verlaufende  Zone  den  umfangreichsten 
Xährstrom  aufzunehmen;  ein  weniger  bedeutender  verläuft  in  einer 
gleichen  Zone  vor  dem  Linsenäquator  und  am  hinteren  Linsenpol 
(Magnus).  Selbst  die  äusseren  Schichten  der  Netzhaut  scheinen  in 
ihrer  Ernährung    von    den  Gefässen    der  Chorioidea   abhängig  zu  sein. 

Die  Nerven  entstammen  zum  Theil  als  N.  ciliares  breves  aus  dem 
Ganglion  ciliare  (Trigeminus,  Oculomotorius  und  Sympathicusäste). 
Dasselbe  wird  von  Einzelnen  als  sympathisches  Ganglion  angesehen 
(Michel,  Bach),  von  anderen  als  theils  sympathisches  theils  sensorielles 
(Bernheimer).  Die  N.  ciliaris  longi kommen  aus  dem  N.  nasociliaris  des 
X.  Ophthalmie.  Trigemini.  Sie  durchbohren  die  Sclera  in  der  Nähe 
des  Opticus  und  verlaufen  in  der  Suprachorioidea  bis  zum  Corp.  ciliare. 
Hier  bilden  sie  einen  Plexus,  aus   dem  die  Irisnerven  hervorgehen.  — 

Die  Entwicklung  des  Auges  erfolgt  so,  dass  sich  zu  beiden 
Seiten  der  Gehirnblase  zwei  Ausstülpungen,  die  primären  Augen- 
blasen bilden,  welche  durch  einen  Stiel  (Opticus)  mit  der  Gehirnblase 
in  Verbindung  .bleiben.  Umgeben  sind  diese  Blasen  rings  herum  von 
den  Zellen  des  Mesoderms,  nur  ihr  Scheitel  ist  vom  Ectoderm  über- 
zogen.    In  letzterem  entsteht  alsbald  eine  Verdickung,   die   sich  in  die 


i':;.i 


Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 


Augenblase  eindrückt:  es  ist  dies  die  spätere  Linse.  Hierdurch  wird 
die  vordere  Wand  der  Augenblase  nach  innen  eingestülpt,  sodass  sie 
jetzt  dicht  vor  die  hintere  Wand  zu  liegen  kommt:  aus  der  früher  ein- 
wandigen Kugel  ist  jetzt  ein  doppelwandiges  Segment  einer  Kugel  ge- 
worden (eine  Art  Schöpflöffel)  —  die  seeundäre  Augenblase  (Fig.  104). 
Aus  der  äusseren  Wand  derselben  wird  später  das  Pigmentepithel,  aus 
der  inneren  (früher  vorderen)  die  Netzhaut.  Bei  der  erwähnten  Ein- 
stülpung bildet  sich  in  der  unteren  Hälfte  der  Augenblase,  zum  Seh- 
nerv hinlaufend,  eine  Rinne,  die  fötale  Augen  spalte.  Dieselbe  ist 
im  Anfang  dreieckig  gestaltet,  die  Basis  gegen  den  Linsenrand,  die 
Spitze  gegen  den  Sehnerven  gekehrt,  in  den  sie  auch  rinnenartig  ein- 
schneidet; sie  geht  in  ziemlich  gerader  Richtung  von  vorn  nach  hinten. 
Durch  sie  wächst  nunmehr  vom  Mesoderm  aus  neues  Gewebe  zwischen 
Linse  und  seeundäre  Augenblase,  einzelne  Gewebe- 
zellen desselben  wären  bereits  beim  Abschnüren  der 
Linse  in  die  seeundäre  Augenblase  gedrängt  worden: 
dies  alles  gestaltet  sich  zum  Glaskörper  um.  Wenn 
nach  einiger  Zeit  der  Schluss  der  Augenspalte  durch 
Zusammenrücken  der  Blätter  der  seeundären  Augen- 
blase erfolgt,  wird  auch  das  in  der  Spalte  des  Seh- 
nerven liegende  Mesoderm-Gewebe  eingeschlossen: 
aus  ihm  entstehen  dann  die  Centralgefässe  des 
Opticus,  welche  sich  anfänglich  in  die  äussersten 
Schichten  des  Glaskörpers  fortsetzen  und  erst  später 
zu  Netzhautgefässen  umwandeln.  Ein  Zweig  der 
Centralarterie  jedoch  zieht  direct  durch  den  Glas- 
körper nach  vorn  zum  hinteren  Linsenpol  (Arteria 
hyaloidea);  er  liegt  in  dem  Canalis  Cloqueti.  Am 
hinteren  Linsenpol  bildet  er  ein  Gefässnetz,  welches 
den  hinteren  Theil  der  Linse  umspinnt  und  mit 
einem  ähnlichen,  die  vordere  Fläche  umspinnenden 
Gefässnetz  in  Verbindung  tritt,  welches  aus  dem  vorliegen  Mesoderm 
entstammt  (Tunica  vasculosa  lentis).  Diese  Gefässe  schwinden  vor  der 
Geburt,  lassen  alter  öfter  einzelne  Ueberbleibsel  als  Membrana  pupil- 
laris  zurück.  —  Aus  dem  die  Augenblase  umhüllenden  Mesoderm  ent- 
wickeln sieli  die  Chorioidea,  aus  welcher  nach  vorn  hin  die  Iris  heraus- 
wächst, und  die  Sclera.  Auch  der  vordere  Scheitel  der  Augenblase, 
der  ursprünglich  vom  Ectoderm  bedeckt  war,  wird  von  dem  sich  vor- 
schiebenden Mesoderm,  welcher  die  eingestülpte  Linse  abschneidet,  über- 
zogen: hier  entsteht  die  Cornea. 


S e c an d är e  Augen- 
blase. 

E  Ectoderm.  M  Mesoderm. 
L  Linse.  G  Glaskörper.  R 
Retina.  P  Pigmentblatt.  0 
Opticus.       SA    Seeundäre 

Augenblase. 


Papilla  optica. 


231 


1.  Papilla  optica. 

Ophthalmoskopisch  zeichnet  sich  der  Eintritt  des  Sehnerven  in  das 
Auge  (Sehnervenquerschnitt)  durch  eine  etwas  hellere  Färbung  vor  dem 
intensiveren  lioth  des  übrigen  Augenhintergundes  ans.  Man  kann  die 
Farbe  als  rosaweisslich,  in  anderen  Fällen  als  gelbröthlich  bezeichnen. 
Die  Gestalt  ist  rund,  meist  scharf  begrenzt.  Bisweilen  kommen  aller- 
dings ovalere  Formen  vor,  die  nicht  immer  durch  astigmatische  Brechung 
des  Auges  bedingt  shid. 

Die  Papille  wird  in  der  Regel  von  einer  feinen  weissen  Linie 
(Figur  105  a)  begrenzt,  die  aber  meist  nicht  die  ganze  Peripherie  ein- 
nimmt. Oft  ist  sie  nach  der 
Seite  der  Macula  hin  etwas 
breiter  und  bildet  hier  eine 
halbmondförmige  Figur.  Diese 
Grenzlinie  (sogenannter  Bin- 
degewebs- oder  Scleral- 
ring)  kommt  dadurch  zn 
Stande,  dass  die  Chorioidea 
nicht  überall  bis  zur  Papille 
herangeht,  sondern  eher  endet 
und  so  noch  zwischen  ihr  imd 
Papille  Scleralgewebe  zum 
Vorschein  kommt.  In  anderen 
Fällen  hat  die  weisse  Färbung 
darin  ihren  Grund,  dass  die 
der  Papille  anhaftende  Grenze 
der  Chorioidea  nur  die  Glas- 
membran und  bindegewebige 
Elemente  ohne  Pigment  und 
Gefässe  enthält.  Dort,  wo  die  eigentliche  Chorioidea  beginnt,  findet 
nicht  selten  eine  etwas  stärkere  Anhäufung  von  dunklerem  Pigment  statt, 
wodurch  eine  schmale,  schwarze  Linie  (b)  (Chorioidealring)  zu  Stande 
kommt,  die  sich  entweder  der  Papille  selbst  oder  dem  weissen  Binde- 
gewebsring  anlegt. 

Die  Farbe  der  Papille  ist  meist  nicht  gleichmässig.  So  pflegt  für 
gewöhnlich  die  Austrittsstelle  der  Gefässe  (f )  (Fovea  der  Papille)  eine 
mehr  weissliche  Färbimg  zu  haben,  die  sich  bisweilen  auch  noch  weiter 
hin  —  besonders  in  der  Richtung  gegen  die  Macula  —  über  die  Papille 
ausdehnt.  Diese  weissliche,  weisslichgraue  oder  graubläuliche  Färbung 
entsteht  dadurch,  dass  an  der  betreffenden  Stelle  weniger  Nervenfasern 
und  weniger  Capülargefässe  hegen;    die  Lainina   cribrosa   scheint   als- 


105 


232 


Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 


dann  hindurch.  Bisweilen  erkennt  man  als  Ausdruck  des  Maschenwerks 
derselben  und  der  durchtretenden  Nervenbündel  auf  der  weissen  Partie 
auch  eine  dunkelgraue  Punktirung.1 

Die  Art.  und  Yen.  centralis  retinae  theilen  .sich  gewöhnlich  in  der 
Papille  in  einen  nach  oben  und  einen  nach  unten  gehenden  Hauptast. 
Geschieht  die  Theilung  nicht  auf  der  Oberfläche  der  Papille,  sondern 
schon  vorher,  so  sieht  man  ophthalmoskopisch  nur  diese  Hauptäste. 
Jeder  derselben  läuft  dann  wieder,  meist  in  der  Nähe  des Papillarrandes 
jn  einen  nasal-  und  einen  temporalwärts  ziehenden  aus.  Magnus  hat, 
dieselben  als  Art.  (respective  Ven.)  nasalis  superior,  Art.  nasalis  in- 
ferior, Art.  temporalis  superior  und  Art.  temporalis  inferior  bezeichnet. 
Während   diese   Aeste    die    oberen    und    unteren  Partien  der  Netzhaut 

versorgen,  laufen  im  horizon- 
talen Meridian  nasalwärts  die 
A.  mediana  und  macularwärts 
zwei  sehr  feine  Gelasse,  die 
Art.  maculai^is  superior  und 
inferior.  Allerdings  kommen 
nicht  selten  Abweichungen  von 
diesem  typischen  Verlaufe  vor; 
doch  giebt  die"  erwähnte  Be- 
nennung meist  eine  ausreichen- 
de Grundlage  zur  Orientirung 
(Figur  106). 

Die  Gefässe  stellen  sich 
ophthalmoskopisch  als  rothe 
Stränge  dar.  Die  Arterien 
sind  dünner  als  die  Venen, 
haben  einen  mehr  gestreckten 
\  erlauf  und  eine  etwas  hellere  Farbe.  Auch  tritt  an  ihnen  ein  central 
liegender,  heller  Lichtreflex  stärker  hervor.  Die  grösseren  Gefäss- 
stänune  haben  nämlich  keine  gleichmässig  rothe  Färbung,  sondern 
zeigen  einen  hellen  Streifen  in  der  Mitte,  der  zu  beiden  Seiten  von 
einer  rothen,  dunkleren  Linie  eingefasst  ist.  Dieser  Streifen  rührt 
daher,  dass  die  von  dem  Augenspiegel  auf  die  Mitte  des  Gefässrohrs 
fallenden  Strahlen  vollkommener  reflectirt  werden,  als  von  den  seitlich 
gelegenen  Theilen.  Nach  Dimmer's  Untersuchungen  entsteht  derselbe 
.•uif  den  Venen  durch  Reflex  an  der  vorderen  Fläche  der  Blutsäule, 
während  er  an  den  Arterien  nur  Ausdruck  des  Achsenstromes  ist. 

An  den  Venen  bemerkt  man  auf  der  Papille  dicht  an  der  Stelle, 
wo  sie  sieh  in  die  Tiefe  senken,  öfter  eine  sackförmige,  dunkele  An- 
schwellung,   welche    davon    herrührt,    dass    das    (lefäss    dort    eine   Art 


106. 


Papilla  optica.  233 

Knickung  erleidet,  die  zu  einer  Blutstauung  Anlass  giebt.  Bisweilen 
sieht  man  auf  der  Papille  eine  Pulsation  der  Venen.  Sie  stellt  sich 
so  dar,  dass  kurze  Zeit  vor  dem  Radialpuls  ein  Hauptstamm  —  selten 
mehrere  Aeste  —  namentlich  dort,  wo  er  in  die  Tiefe  geht,  blasser 
wird.  in. lern  das  Blut  nach  der  Peripherie  der  Netzhaut  zurückströmt; 
nach  einiger  Zeit,  kurz  nach  dem  Radialpuls,  strömt  von  der  Peripherie 
das  Blut  wieder  zu,  die  Vene  füllt  sich  und  wird  dunkel.  Das  Phä- 
nomen ähnelt  dem  Verstössen  und  Zurückziehen  eines  dunklen  Spritzen- 
stempels in  einem  Glascylinder. 

Diese,  unter  physiologischen  Verhältnissen  auftretende  Pulsation  lässt  sich 
folgendermaassen  erklären  (Donders).  Mit  der  Herzsystole  wird  das  Blut  in 
verstärkter  Menge  in  die  Arterien  geworfen,  es  kommt  mehr  Blut  in  das  Auge 
und  die  stärker  gefüllten  Arterien  erhöhen  den  intraoeularen  Druck.  So  drückt 
eine  verstärkte  Kraft  auf  die  leichter  comprimirbaren  Netzhautvenen,  und  zwar 
namentlich  auf  den  Hauptstamm  derselben,  welcher  als  dem  Herzen  relativ  am 
nächsten  den  wenigsten  Seitendruck  hat.  Es  kommt  hinzu,  dass  auch  oft  durch 
das  Umbiegen  aus  der  verticalen  Ebene  der  Papille  in  den  nahezu  horizontal 
laufenden  Sehnerven  eine  Art  Knickung  entsteht,  welche  die  Compression  dieser 
Stelle  erleichtert.  Die  Folge  des  Abschlusses  ist  ein  Zurückstauen  des  Blutes. 
Inzwischen  ist  die  Herzsystole  vorüber,  es  fliesst  kein  neues  Blut  den  Arterien 
zu,  der  intraoeulare  Druck  sinkt;  gleichzeitig  ist  das  Blut  durch  das  Capillar- 
system  bis  zu  den  Venen  gekommen,  hat  den  Seitendruck  in  ihnen  erhöht,  dehnt 
sie  aus  und  füllt  wieder  den  comprimirten  Hauptstamm,  durch  welchen  es  das 
Auge  verlässt. —  Nach  Coccius  bewirkt  die  Steigerung  des  intraoeularen  Druckes 
zuerst  einen  vermehrten  Blutabfluss  und  darauf  wiederum  eine  Verengerung  der 
Venen,  während  Helfer  ich  die  Pulsation  von  Drucksckwankungen  im  Sinus  ca- 
vernosus (mit  der  Dilation  der  arteriellen -Hirngefässe  wird  das  Venenblut  ver- 
drängt) abhängig  sein  lässt:  doch  spricht  gegen  einen  maassgebenden  Einfluss  der 
Blutcirkulation  im  Sinus  cavernosus  die  Verbindung  der  Ven.  ophthalmica  mit  den 
Facialvenen.  Türk  hat  neuerdings  zu  erweisen  gesucht,  dass  der  physiologische 
Venenpuls  durch  Fortpflanzung  der  arteriellen  Pulswelle,  durch  die  Capillaren  in 
die  Venen  fein  progressiver  Venenpuls)  entstehe.  Es  sei  dies  ermöglicht  durch  den 
hohen  extravasculären  Druck,  dem  die  Gefässe  im  Auge  unterworfen  sind,  derselbe 
hat  eine  Verminderung  des  intravasculären  und  damit  stärkere  Pulsation  zur  Folge. 
Dass  die  Pulsation  am  papillären  Ende  der  Venen  erst  deutlich  hervortritt,  sei 
durch  die  an  der  Knickungsstelle  vorhandene  Verengerung  der  Vene  bedingt. 

Die  Pulsation  der  Arterien  kommt  nur  in  pathologischen 
Fällen  vor  (s.  Druckexcavation),  sei  es,  dass  es  sich  um  Augen-  oder 
Allgemeinerkrankungen  handelt.  Man  kann  sie  sich  künstlich  vorführen, 
wenn  man  beim  Ophthalmoskopiren  mit  dem  Finger  einen  Druck  auf 
den  Bulbus  ausübt. 

Bisweilen  beobachtet  man  eine  ungemeine  Vergrösserung  der  vorher 
beschriebenen  centralen  weissen  und  vertieften  Partie  auf  der  Papille. 
Zur  Unterscheidung  dieser  Form  der  Excavation  von  der  pathologischen 
führt  sie  den  Xamen  -Physiologische  Excavation"  (s.  die  Farben- 
druektafel ).     Am  Rande  der  Aushöhlung  machen  die  Gefässe  meist  eine 


234  Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

Knickung  und  erscheinen  auf  dem  (.«runde  nicht  mehr  ganz  so  .schart'. 
Man  unterscheidet  zwei  Formen  von  physiologischer  Excavation:  eine, 
welche  gerade  im  Centrum  liegt,  und  eine,  welche  sich  mehr  dem  Rande 
nähert  und  sieh  meist  halbmondförmig  nach  der  Seite  der  Macula  hin 
erstreckt,  ohne  dass  sie  aber  die  Grenze  der  Papille  zu  erreichen  pflegt. 
Die  erste  Form  stellt  eine  ungewöhnliche  Vergrösserung  der  centralen 
Fovea  dar  (cf.  Fig.  100).  Die  letztere  erklärt  sich  so,  dass  die  Zahl 
der  Nervenfasern,  welche  direetzur  Macula  gehen,  geringer  ist  als  die  der 
nach  anderen  Richtungen  hin  laufenden.  Die  Anschauung  Schün's, 
dass  diese  physiologische  Excavation  erst  Folge  starker  Accommoda- 
tionsanstrengungen  sei  und  zur  glaueomatösen  überführen  könne,  ist  durch 
ophthalmoskopische  und  anatomische  Untersuchungen  (Merkel  und 
Orr,  v.  Hippel  jun.)  widerlegt,  die  ihr  Vorkommen  auch  bei  Neuge- 
borenen erwiesen. 

Merkwürdiger  Weise  ist  die  Aufmerksamkeit  der  Ophthalmoskopiker 
eher  auf  die  pathologischen  als  auf  diese  physiologischen  Excavationen 
gelenkt  worden.  Zuerst  spricht  von  ihnen  Förster  (1857);  die  ersten 
anatomischen  Untersuchungen  gab  H.  Müller  (1858).  —  Klein  stellte 
Untersuchungen  über  die  Häufigkeit  der  physiologischen  Excavationen 
an  und  fand  sie  verschieden  zahlreich  vertreten  bei  den  einzelnen  Re- 
fractioiiszuständen:  bei  Emmetropen  und  Myopen  in  75  Procent,  bei 
rebersichtigen  in  21  Procent. 

Bei  älteren  Individuen  erscheint  die  Papille  blasser,  weniger  glän- 
zend, was  theils  von  der  Trübimg  der  Medien,  theils  von  örtlichen, 
meist  atrophischen  Veränderungen  in  dem  Nervengewebe  herrührt.  Der 
Unterschied  ist  sehr  auffallend  im  Gegensatz  zu  den  Papillen  junger 
Leute,  deren  Aiissehen  Albrecht  v.  Graefe  als  ein  „virginales"  zu 
bezeichnen  pflegte. 

Abnorme  Befunde  an  der  Papille. 

Es  kommt  vor,  dass  die  Papille  nicht  scharf  abgegrenzt  ist  und 
ganz  allmählich  und  verschwommen  in  die  Umgebung  übergeht.  Bis- 
weilen ist  sie  alsdann  fast  nur  durch  den  Eintritt  der  Gefässe  erkenn- 
bar; eine  irgend  erhebliche  Herabsetzung  der  Sehschärfe  braucht  nicht 
mit  dieser  angeborenen  Gestaltsanomalie  verknüpft  zu  sein.  In  anderen 
Fällen  ist  die  Papille  erheblich  kleiner  als  gewöhnlich,  selbst  bis  zur 
Hälfte  der  normalen,  nicht  rund,  mehr  oval,  oder  mit  hervorspringenden 
Kcken.  Die  Farbe  kann  gelegentlich  mattgrauweiss,  andererseits  wieder 
mehr  bräunlichroth  und  selbst  dunkler  als  der  übrige  Augenhintergrund 
sein.  Doch  sind  letztere  Formen  bei  normalem  Sehen  selten.  Bisweilen 
heobachtet  man  sogar  ein  Hervorragen  der  Papille  bei  normalen  Augen, 


Papilla,  optica.  235 

die  man  als  Pseudgpapillitis  beschrieben  hat;  ebenso  abnorme  Röthung 
und  Yersehwommensein  der  Grenzen  (Pseudoneuritis).  In  der  Rege] 
sind  diese  abnormen  Befunde  doppelseitig,  jedoch  habe  ich  auch  das 
Bild  einer  Hervorragung  der  Papilla,  das  ganz  der  Stanungspapilla  (Papil- 
litis")  glich,  einseitig  gesehen.  Bisweilen  kann  erst  längere  Beobachtung 
entscheiden,  ob  es  sieh  um  pathologische  Zustände  handelt. 

Auf  der  Papille  selbst  zeigen  sich  in  einzelnen  Fällen  schwarze 
Pigmentflecke,  auch  graue,  glänzende  auf  Drusenbildung  zu  beziehende 
Hervorragungen.  Ferner  kommen  eigenthümliche,  theils  sectorenförmig, 
theils  unregelmässig  gestaltete  weisse  Figuren  auf  ihr  vor.  Die  Gefässe 
pflegen  an  diesen  Stellen  unterbrochen  oder  undeutlich  zu  sein.  Es 
handelt  sich  dem  Aussehen  nach  um  markhaltige  Nervenfasern; 
ähnliche  Figuren  in  der  Netzhaut  werden  durch  letztere  bedingt  werden; 
auch  habe  ich  Fälle  beobachtet,  in  welchen  sowohl  auf  der  Papille  als 
auch  in  der  angrenzenden  Netzhaut  diese  weissen  Figuren  vorhanden 
waren.  Neuerdings  hat  Manz  auch  durch  anatomische  Untersuchung 
meine  früheren  Annahmen  bestätigen  können.  —  Oefter  sieht  man,  dass 
einzelne  Gefässe  nicht  in  die  Papille  selbst  gehen,  sondern  dicht  neben 
der  Grenzlinie,  noch  im  Gebiete  der  Netzhaut  verschwinden.  Möglicher- 
weise stammen  auch  diese  Gefässe  von  den  Centralgefässen  des  Seh- 
nerven ab,  aber  in  der  Weise,  dass  letztere  sie  bereits  tief  unterhalb 
der  Papillenoberfläche  abgeben;  oder  es  handelt  sich  um  kleinere 
perforirende  Aestchen,  die  von  dem  die  Papille  umgebenden  Zinn'- 
schen  Gefässkranz  entspringen  (Cilioretinale  Gefässe  [Schleich]). 
Ganz  vereinzelt  ist  die  Beobachtung  Axenfeld's,  der  zwei  retinale 
Hauptvenen  peripherwärts  verlaufen  und  in  die  Chorioidea  sich  ein- 
senken sah.  Seltener  ist  die  Gefässanordnung  in  der  Art  verkehrt, 
dass  alle  Gefässe  aus  der  Mitte  der  Papille  unter  spitzem  Winkel  zur 
nasalen  Netzhauthälfte  gehen:  erst  dort  erfolgt  die  Unibiegung  der  für 
die  temporale  Seite  bestimmten  (Szili).  Auch  .kleine,  präpapilläre  in 
den  Glaskörper  reichende  Gefässschlingen  kommen  angeboren  vor 
(Czermak)  oder  entwickeln  sich  intra  vitam  (Hirschberg).  Ich  be- 
obachtete einen  von  der  Papillen- Arterie  ausgehenden  Strang,  der  sich 
in  den  Glaskörper  erstreckte  und  aus  zwei  um  einander  gedrehten 
Arterien  bestand:  mit  dem  Einströmen  des  arteriellen  Blutes  richtete 
er  sich  auf.  Bisweilen  handelt  es  sich  um  Reste  der  embryonalen  Arteria 
hyaloidea. 

Als  Coloboma  vaginae  n.  optici  hat  man  eine  ebenfalls  ange- 
borene Abnormität  beschrieben,  bei  der  sich  an  die  stark  vergrößerte 
und  excavirte  Papille  eine  weissliche,  colobomartige  Partie  (siehe  Colo- 
boma chorioideae)  anschliesst. 


236  Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 


2.  Retina. 

<  ophthalmoskopisch  ist  von  der  Netzhaut  im  normalen  Zustande, 
wo  sie  ganz  durchsichtig  ist;  ausser  den  Gefässen,  die  sieli  nach  der 
Peripherie  hin  immer  dünner  werdend  verästeln,  nicht  viel  zu  sehen. 
Sn  deckt  wie  ein  durchsichtiges  Glas  die  Chorioidea  und  nur  dicht  in 
der  Nähe  der  Papille  erkennt  man  bisweilen  durch  starke  weissliche 
Reflexe  die  Sehnervenfaserschicht.  In  Fällen,  wo  das  Pigmentepithel 
und  die  Chbrioideapigmentirung  ausserordentlich  schwarz  ist,  wie  bei 
Negern,  erhält  man  von  der  ganzen  Netzhaut  einen  ausgeprägteren 
Kerlex.  Es  scheint  alsdann,  da  das  dunkle  Pigmentepithel  das  von 
den  Blutgefässen  der  Chorioidea  stammende  Roth,  welches  dem  Augen- 
hintergrunde  für  gewöhnlich  seinen  Hauptfarbenton  verleiht,  nicht  durch- 
scheinen lässt,  der  Augenhintergrund'  im  ophthalmoskopischen  Bilde 
dunkelgrau. 

Nach  der  Entdeckung  des  Sehpurpurs  war  man  geneigt,  diesem 
vorzugsweise  die  rothe  Färbung  des  Augenhintergrundes  im  ophthal- 
moskopischen Bilde  zuzuschreiben  (Boll).  Doch  spricht,  abgesehen  von 
der  eben  erwähnten  Färbung  des  Augenhintergrundes  bei  dunkelpigmen- 
tirten  Menschen,  vielerlei  gegen  diese  Annahme.  Vor  Allem  sei  daran 
erinnert,  dass  die  Macula  lutea  ophthalmoskopisch  trotz  ihrer  etwas 
dunkleren  Nuancirung  doch  immer  einen  entschieden  röthlichen  Farben- 
ton zeigt:  dieser  kann  aber  nicht  auf  Sehpurpur  zurückgeführt 
werden,  da  an  der  Macula  die  Stäbchen,  in  denen  er  allein  sich  be- 
findet, vollständig  fehlen.  Unter  normalen  Verhältnissen  ist  jedenfalls 
ein  erheblicherer  Einfluss  des  Sehpurpurs  auf  das  Zustandekommen 
der  rothen  Färbung  des  Augenhintergrundes  im  ophthalmoskopischen 
Bilde  nicht  erweislich.  Jedoch  beobachtete  Adler  bei  einer  ganz  frischen 
Netzhautablösung  eine,  rosa  Färbung,  die  später  schwand.  —  Bisweilen 
findet  man  den  Augenhintergrund  mit  eigentümlichen  glänzenden 
Lichtstreifen,  etwa  Eisfiguren  ähnlich,  durchsetzt,  die  oft,  aber  nicht 
immer  längs  der  Gefässe  verlaufen:  er  erhält  hierdurch  einen  moirce- 
ähnlichen  Glanz.  Man  kann  diese  ungewöhnliche  Reflexerscheinung  be- 
sonders bei  Kindern  constatiren  (vgl.  Neuroretinitis). 

Ein  sehr  interessanter  Punkt  der  Netzhaut  ist  die  Macula  lutea. 
Im  umgekehrten  Bilde  erkennt  man  sie,  etwa  1 ' /2  Papillendurch- 
tnesser  von  der  Papilla  (scheinbar)  nasalwärts  gelegen,  als  eine  braun- 
rothe  Stelle  von  matterem  Aussehen.  Dieselbe  erscheint  rundlich  oder 
<pieroval  (selten  als  ein  senkrechtes  Oval),  ihre  Grösse  ist  etwa  der 
der  Papille  gleich.  Es  fehlen  in  ihr  ophthalmoskopisch  sichtbare  Ge- 
fässe.     Meist    ist    die   Macula    von    einem    hellen    glänzenden  Lichtring 


Retina.  2c57 

Hingeben,  einem  Ring,  der  bisweilen  als  scharfe,  gleichbrcite  Liehtlinie 
auftritt,  bisweilen  aber  auch  eine  ungleiche  Breite  und  vereinzelte 
Unterbrechungen  zeigt.  In  der  Mitte  der  Macula  ist  ein  dunkler  kleiner 
Kreis  oder  Halbkreis  zu  sehen,  der  oft  einen  hellleuchtendcn  Lichtpunkt 
einsehliesst  (vgl.   Farhendruektafel). 

Aber  nicht  bei  allen  Individuen,  selbst  wenn  man  die  dunklere  Fär- 
bung der  Macula  erkennt,  sind  diese  Einzelheiten  vorhanden ;'  besonders 
die  Lichtreflexe  am  Rande  fehlen  öfter,  fast  immer,  wenn  Unregel- 
mässigkeiten im  Pigmentepithel  oder  pathologische  Veränderungen  der 
Chorioidea  vorhanden  sind. 

Im  aufrechten  Bilde  sieht  man  (natürlich  hier  temporalwärts 
von  der  Papille)  meist  nur  einen  kleinen  dunklen  Fleck,  oder  eine  Figur, 
die  etwa  den  Schenkeln  eines  spitzen  Winkels  entspricht,  mit  centralem 
Lichtpunkt.  Erstere  ist  der  optische  Ausdruck  der  wallförmigen,  dunkel 
gefärbten  Umgebung  der  Fovea  centralis.  Der  centrale  Lichtreflex 
rührt  von  der  gleichsam  als  Hohlspiegel  wirkenden  Fovea  centralis. 
Nur  unter  besonders  günstigen  Verhältnissen  erkennt  man  den  peripheren 
Lichtkranz. 

Zu  bemerken  ist  noch,  dass  derselbe  auch  im  umgekehrten  Bilde, 
wenn  durch  Atropin  die  Pupille  stark  erweitert  ist,  meist  fehlt  oder 
schwacher   wird. 

Der  oben  gegebene  anatomische  Befund  der  Macula  am  frischen 
Auge  erklärt  in  der  Hauptsache  das  ophthalmoskopische  Bild.  Weiterer 
Ausführung  bedarf  das  Auftreten  des  hellen  Lichtringes  um  die  Macula 
und  die  Gestalt  desselben.  Der  helle  Lichtring  dürfte  als  optischer 
Ausdruck  des  Gegensatzes  zwischen  dem  abgestumpften  Ton  der  Macula 
lutea,  deren  Gelb,  das  auf  der  Unterlage  der  Chorioidea  nicht  in  seiner 
Eigenfarbe  hervortritt,  mehr  Licht  verschluckt,  und  der  stärker  reflec- 
tirenden  angrenzenden  Netzhaut  zu  betrachten  sein.  Es  spricht  dafür 
auch,  dass  seine  Breite  und  Ausdehnung  durchaus  nicht  immer  eine 
gleiche  oder  gleichmässig  begrenzte  ist.  Auffallend  ist,  dass  der  Licht- 
ring im  aufrechten  Bilde  gewöhnlich  fehlt;  da  es  sich  um  einen  Licht- 
reflex handelt,  so  erscheint  es  naheliegend,  bei  der  Erklärung  hierfür 
die  Menge  des  eingeworfenen  Lichtes  in  Betracht  zu  ziehen.  Dieselbe 
ist  im  aufrechten  Bilde  — ■  selbst  bei  Anwendung  eines  Concavspiegels 
—  geringer  als  im  umgekehrten  Bilde.  Es  ist  sehr  Avohl  denkbar, 
dass  hierdurch  das  Auftreten  des  Lichtringes  weniger  deutlich  wird, 
wie  andererseits  wiederum  bei  einer  zu  starken  Beleuchtung  der  Netz- 
haut (wie  sie  bei  der  Untersuchung  eines  mydriatischen  Auges  im  um- 
gekehrten Bilde  stattfindet)  der  Gegensatz  zwischen  Macula  und  Um- 
gebung geringer  wird.  Uebrigens  lassen  auch  leichtere  pathologische 
Veränderungen  (besonders  centrale  Chorioiditen  oder  Netzhautaffectionen) 


238  Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

den  Lichtring  um  die  Macula,  sowie  auch  (he  scharfe  Abgrenzreuig  in 
Farbe  und  Stumpfheit  verschwinden. 

Die  Form  und  Grösse  der  Macula  erkennen  wir  genau  nur  durch 
den  begrenzenden  Lichtring.  Anatomisch  lässt  sich  dieselbe,  wie  oben 
erwähnt,  bisweilen  nicht  so  scharf  bestimmen.  Wenn  man  sie  als  Quer- 
oval beschrieben  hat,  so  ist  doch  zu  betonen,  dass  sehr  häufige  Aus- 
nahmen hiervon  stattfinden.  Astigmatische  Brechung  des  x4uges  oder 
auch  astigmatische,  durch  Schiefhalten  der  Convexlinse  bedingte  Ab- 
lenkung der  Strahlen  haben  sicher  oft  Einfluss  auf  die  scheinbare  Ge- 
stalt der  Macula. 

Bei  der  Untersuchung  der  Macula,  sowohl  im  umgekehrten  als 
im  aufrechten  Bilde,  thut  man  gut,  die  Papilla  optica  einzustellen  und 
dann  allmählich  durch  Seitwärtsbewegung  mit  dem  Kopfe  sich  in  die 
Sehlinie  des  Untersuchten  zu  bringen.  Wenn  man  nur  die  temporale 
Partie  der  Papilla  optica  im  umgekehrten  Bilde  (mit  -f-  13-0)  einstellt, 
so  hat  man  meist  auch  noch  einen  Theil  des  Lichtkreises  der  Macula 
im  Gesichtsfelde.  Bringt  man  sich  gleich  die  Macula  gegenüber,  indem 
man  den  Untersuchten  heisst,  direct  in  den  Spiegel  zu  blicken,  so  wird 
das  Finden  des  Bildes  durch  Verengerung  der  Pupille  und  Corneal- 
reflexe  erschwert.  Die  Lichtreflexe  kann  man  verringern,  wenn  man  die 
Convexlinse  etwas  um  ihre  horizontale  Achse  dreht:  man  bewirkt  aller- 
dings damit  künstlichen  Astigmatismus. 

Abnorme  Befunde  an  der  Netzhaut. 

Zuweilen  zeigen  die  Venen  ohne  sonstige  Erkrankungen  des  Augen- 
hintergrundes ungewöhnliche  Schlängelungen  oder  auch  in  sehr  seltenen 
Fällen  mehr  oder  weniger  zahlreiche  Varicositäten.  Die  Verengerungen 
der  Arterien  oder  das  Auftreten  eines  sie  begleitenden  weisslichen  Con- 
tours (Verdickung  der  Adventitia,  bisweilen  auch  Infiltration  von  Leuko- 
cythen)  ist  in  der  Regel  Begleit-  oder  Folgeerscheinung  anderweitiger 
krankhafter  Affectionen  des  Sehnerven  oder  der  Netzhaut.  Ganz  aus- 
nahmsweise habe  ich  auch  in  der  Nähe  der  Papille  feine  weissglänzende 
Contouren  an  den  Gefässen  bei  sonst  normalem  Befunde  beobachtet. 
Ueber  ihre  Pulsation  siehe  unter  Druck-Excavation. 

Bei  angeborener,  doppelseitiger  Erblindung  ist  mehrfach  ein  breiter 
graublauer  Hof  um  die  Macula  constatirt  worden  (Knapp,  Magnus 
und  Andere). 

Doppelt  contourirte  Nervenfasern. 

Man  findet  hier  in  dem  weissrothen  Augenhintergrunde  liebender 
Papille  kleinen-  weisse,    glänzende  Figuren,   sectorenartig  gestellt  und 


Chorioidea..  .         239 

zwar  so,  dass  die  Basis  der  Seetoren  dein  Papillenrande  aufsitzt  (vgl. 
Farbendrucktafel).  Zuweilen  ist  eine  ganze  Reihe  soleker  Seetoren  vor- 
handen. Auch  auf  der  Papille  selbst  kommen  hierbei  zuweilen  weisse 
Plaques  vor.  Seltener  sind  die  weissen  Flecke  durch  eine  Partie  roth- 
gefarbten  Augenhintergrundes  von  der  Papille  getrennt.  Nicht  immer 
ist  die  Farbe  gleichmässig  weiss;  bei  stärkerer  Vergrösserung  (auf- 
rechtes Bild)  tritt  eine  streitige  Beschaffenheit  hervor,  an  den  Rändern 
sieht  man  öfter  feine  röthliche  Linien ;  die  sich  in  das  Weiss  hinein- 
erstrecken und  dem  Ganzen  etwas  Flammenartiges  geben.  Treten 
Netzhautgefässe  an  die  Flecken  heran,  so  verschwinden  sie  zum  Theil 
in  ihnen  oder  werden  undeutlich,  tauchen  aber  am  entgegengesetzten 
Rande  wieder  auf.  Virchow,  Recklinghausen  u.  A.  wiesen  das 
gelegentliche  Vorkommen  doppelt  eontourirter  Nervenfasern  in  der 
Netzhaut  anatomisch  nach.  Ich  habe  Gelegenheit  gehabt  in  zwei  Fällen, 
Schweigger  in  einem  Falle,  durch  die  nachträgliche  Section  fest- 
zustellen, dass  der  eben  beschriebene  ophthalmoskopische  Befund  in 
der  That  auf  Einlagerung  doppelt  eontourirter  Nervenfasern  beruhe. 
In  meinen  Fällen  hatten  die  Nervenfasern,  welche  in  der  Lamina  cri- 
brosa  ihren  doppelten  Contour  verloren,  dieselbe  dicht  neben  der  Papille 
in  einer,  im  senkrechten  Querschnitt  keilförmig  gestalteten  Partie  wieder 
angenommen.  Die  Spitze  des  Keiles  war  der  Netzhaut  zugekehrt,  in- 
dem die  Schicht  hier  dünner  wurde.  Der  blinde  Fleck  zeigt  sich  bei 
Prüfungen  entsprechend  der  Stelle,  wo  die  doppelt  contourirten  Fasern 
sich  der  Papille  anschliessen,  vergrössert.  Diese  doppelte  Contourirung 
scheint  entsprechend  der  auch  sonst  erst  spät  eintretenden  Markscheiden- 
bildung an  den  Sehnervenfasern  erst  nach  der  Geburt  einzutreten 
(v.  Hippel  jun).  Sehr  interessant  ist  die  Beobachtung  des  Schwindens 
derselben  in  einem  Fall  von  Tabes  (Wagen mann). 


3.  Chorioidea. 

Die  Farbe  des  Augenhintergrundes  schwankt  bei  der  ophthalmo- 
skopischen Untersuchung  im  Ganzen  zwischen  gelblichroth  und  röthlich- 
braun.  Wenn  man  von  dem  Einfluss  der  Beleuchtungsintensität  absieht, 
die  bei  lichtschwacheni  und  lichtstarkem  Spiegel  im  aufrechten  oder 
umgekehrten  Bilde  sehr  verschieden  ausfällt,  so  ist  es  hauptsächlich 
die  grössere  oder  geringere  Pigmentirung  der  Epithelschicht,  welche 
Einfluss  auf  die  Farbe  hat.  Bei  hellpigmentirten  Individuen  kommt 
von  den  Blutgefässen  der  Chorioidea  verhältnissmässig  viel  Licht  und 
wird  in  röthlicher  Färbung  reflectirt,  bei  dunkleren  wird  das  einfallende 
Licht  von  dem  schwarzen  Pigment  zum  grossen  Theile  absorbirt.    Der 


240  Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

Anfänger  hüte  sich,  in  ersterem  Falle  etwa  eine  „Hyperämie"  zu  dia- 
gnosticiren. 

Bei  Albinos  leuchtet  sogar  die  Sclera  mit  wcisslichem  Lichte  durch, 
und  man  sieht  auf  ihr  die  Chorioidea  lgefässe  als  rothe  Stränge. 
Aber  auch  bei  normaler  Pigmentirung  erkennt  man  letztere  nicht  selten 
(vgl.  Farbendrucktafel).  Sie  unterscheiden  sich  sowohl  durch  grössere 
Breite,  als  auch  dadurch  von  den  Netzhautgefässen,  dass  sie  nicht  die 
diesen  charakteristischen  Verästelungen  zeigen.  Besonders  nach  dem 
Aequator  bulbi  zu  lässt  die  verringerte  Pigmentirung  des  Epithels  häufig 
röthliche,  breite  Chorioidealgefässstränge,  die  oft  annähernd  parallel 
verlaufen,  erkennen  und  zwischen  ihnen  eine  dunkelbraune  und  schwäi'z- 
liche  Färbung  (intervasculare  Räume),  die  von  den  pigmentirten  zwischen 
dem  Gefässe  Hegenden  Stromazellen  herrührt.  Man  darf  diese  regel- 
mässigen Figuren  (vgl.  Farbendrucktafel)  nicht  mit  pathologischen 
Pigmentalihäufungen  (Chorioiditis)  verwechseln.  Bei  gering  pigmen- 
tirten Personen  sieht  man  auch  die  Ven.  vorticosae  in  ihrem  eigen- 
thümlichen  sternförmigen  Verlaufe. 

Die  sechseckigen  Epithelzellen  geben  dem  Augenhmtergrunde  bei 
starker  Vergrösserung  ein  gekörntes  oder  chagrinirtes  Aussehen. 


Abnorme  Befunde  an  der  Chorioidea. 

Coloboni  der  Chorioidea.  Die  gewöhnliche  Form  der  „Chorio- 
idealspalte"  hat  ihren  Sitz  nach  unten  von  der  Papille;  sie  bildet 
in  dem  Roth  des  Augenhintergrundes  eine  weissliche  ausgedehnte  Fläche, 
von  bisweilen  etwas  grauer  Nuancirung  mit  einzelnen  schwarzgrauen 
Streifen  darin  (vgl.  Farbendrucktafel).  Der  Rand  dieser  nicht  selten 
excavirten  Partie  ist  öfter  von  schwarzem  Pigment  umgeben;  man  er- 
kennt auf  ihr  Gefässe,  die  unter  einander  communicirend  eigenthümlieh 
geschlängelt  verlaufen;  sie  stehen  meist  nicht  mit  den  Netzhautgefässen 
in  Verbindung.  Letztere  vermeiden  in  der  Regel  die  Gegend  des  Colo- 
boms  und  ziehen  am  Rande  desselben  hin.  Bisweilen  kami  man  bei 
hellerem  Pigmentepithel  des  Auges  die  Fortsetzung  eines  Chorioideal- 
gefässes  von  der  normal  gefärbten  Umgebung  aus  in  die  Gefässe  des 
(Joloboms  verfolgen.  Das  Coloboni  hat  häufig  eine  dreieckähnliche  Ge- 
stalt, dessen  abgestumpfte  Spitze  der  Papille,  dessen  Basis  dem  Aequator 
des  Bulbus  zugekehrt  ist.  Zuweilen  geht  es  so  weit  nach  vorn,  dass 
ii in n  ein  Aufhören  des  Coloboms  mit  dem  Augenspiegel  nicht  mehr  er- 
kennen kann.  In  anderen  Fällen  endet  es  früher,  so  dass  man  peripher 
wieder  den  rothen  Augenhintergrund  auftauchen  sieht.  Manchmal  ist  es 
auch  in  2  Theile  getrennt,  die  näher  und  entfernter  von  der  Papille 
sieh    befinden;   in  noch  anderen   Fällen  wird  die   Papille  rings  von  ihm 


Chorioidea.  241 

eingeschlossen.  Die  Papille  selbst  ist  meist  ziemlich  normal;  ausnahms- 
weise zeigt  sie  solche  Unregelmässigkeiten  in  Gestalt  und  Farbe,  dass 
sie  nur  an  dem  Eintritt  der  Gefasse  zu  erkennen  ist. 

Das  Chorioidealeolobom  ist  nicht  selten  mit  partiellem  oder  voll- 
ständigem Colobom  der  Iris  verbunden.  Selbst  am  Corpus  ciliare  und 
an  der  Linse  bemerkt  man  zuweilen  Veränderungen,  namentlich  Ein- 
kerbungen. Mikrophthalmus,  Nystagmus  eomplieiren  öfter  das  Chorio- 
idealeolobom,  das  sowohl  ein-  als  doppelseitig  vorkommt.  — 

Ausser  dem  eben  beschriebenen  Colobom,  welches  nach  unten  von 
der  Papille  seinen  Sitz  hat,  sind  auch  Fälle  mitgetheilt,  die  man  als 
Coloboma  circa  maculam  luteam  bezeichnet  hat.  Die  Veränderung 
findet  sich  hier  am  hinteren  Augenpol  und  ähnelt  in  Farbe  und  Gestalt 
den  nach  unten  gerichteten  Colobomen. 

Diagnose.  Man  könnte  ein  Colobom  auf  den  ersten  Blick  mit 
einer  Netzhautablösimg  oder  ausgedehnten  Chorioidealatrophie  ver- 
wechseln. Von  letzterer  unterscheidet  sich  dasselbe  durch  die  eigen- 
thümliche  Form  und  scharfe  Umgrenzung,  sowie  den  Gefässverlauf; 
dennoch  handelt  es  sich  bei  manchen  mitgetheilten  Fällen  von  macu- 
laren  Colobomen  wohl  nur  um  Chorioidealatrophien.  Der  Netzhaut- 
ablösung gegenüber  zeigt  sich  ein  wesentlicher  Unterschied  darin,  dass 
wir  es  bei  ihr  mit  einer  Hervorragung  zu  thun  haben,  während  das 
Colobom  entweder  im  Niveau  der  Netzhaut  sich  befindet  oder  sogar 
häutig  vertieft  ist.  Auch  das  oben  erwähnte  Verhalten  der  Netzhaut- 
gefässe  wird  die  richtige  Diagnose  sichern.  Dessen  ungeachtet  kann 
sie  gelegentlich  etwas  schwieriger  werden,  wenn  die  Patienten  an 
Nystagmus  leiden  imd  das  Hin-  und  Herzittern  der  Augen  die  Unter- 
suchung stört. 

Aetiologie.  Man  hatte  früher  das  Colobom  als  Ausdruck  eines  mangel- 
haften Verschlusses  der  fötalen  Augenspalte  aufgefasst. 

Handelte  es  sich  aber  beim  Colobom  nur  einzig  und  allein  um  ein  Aus- 
bleiben des  normalen  Verschlusses  der  Augenspalte,  so  würden  nur 
Netzhaut  und  Pigmentepithel,  welche  aus  den  beiden  Blättern  der  secundären 
Augenblase  hervorgehen,  dort  fehlen.  Chorioidea  und  Sclera  hingegen  wären,  da 
sie  von  dem  Mesoderm  gebildet  werden,  nicht  direct  dabei  betheiligt.  Alle  mikro- 
skopischen Untersuchungen  jedoch  von  Colobomen,  die  nach  Structur  und  Lage 
aus  Anomalien  des  Augenspaltenverschlusses  der  Retina  und  des  Pigmentepithels 
Haase.  Litten.  Hirschberg)  hervorgegangen  sind,  haben  ergeben,  dass  auch 
das  Chor ioidealge webe — speciell  das  Stratum  der  Choriocapiliaris  —  an  dem 
Orte  des  Coloboma  nicht  seine  normale  Entwickelung  gefunden  hat.  Selbst  die 
Sclera  zeigt  öfter  eine  Verdünnung,  bisweilen  eine  Ektasie  an  der  betreffenden 
Stelle.  Der  fehlende  Augenspaltenverschluss  hat  demnach  auch  einen  nach- 
theiligen Einfluss  auf  die  Entwickelung  ihm  örtlich  naheliegender 
Gewebe  geübt,  die  nicht  direct  aus  der  secundären  Augenblase  hervorgehen. 
Trotz  dieser  Complication  sollte  man  diese  Fälle  ihrer  Genese  nach  als  Retina  I- 
colobonie  ('nicht,  wie  üblich,  als  Chorioidealcolobomej  bezeichnen. 
Schmidt-Rimpler.    T.Auflage.  16 


242  Augenspiegelbefunde  am  gesunden  Auge. 

Wenn  man  aus  der  klinischen  Untersuchung  einen  Schluss  auf  das  Vor- 
handensein eines  wahren  Retinalcoloboms  ziehen  will,  so  muss  an  der  be- 
treffenden Stelle' ein  absoluter  Gesichtsfelddefect  nachgewiesen  sein.  Hierbei  darf 
man  sich  aber  nicht  damit  begnügen  am  Perimeter  mit  der  Kugel  einen  Defect 
gefunden  zu  haben,  sondern  muss  feststellen,  dass  überhaupt  jede  quantitative 
Lichtempfindung  —  sei  es  für  die  Lampe  oder  für  das  Augenspiegelbildchen  — 
daselbst  erloschen  ist.  Nur  in  diesem  Falle  dürfen  wir  ein  volles  Fehlen  der 
Netzhautelemente  annehmen. 

Ist  hingegen  noch  quantitative  Lichtempfindung  vorhanden,  so  liegt  darin 
der  Beweis,  dass  Netzhautelemente  an  der  Stelle  thätig  sind.  Diese  Fälle 
scheinen  nach  meinen,  auch  von  Haab  bestätigten  Beobachtungen  nicht  selten. 
Auch  einzelne  sogenannte  maculare  Colobome  gehören  hierher.  —  Der  klinische 
Nachweis  vom  Vorhandensein  funetionirender  Netzhaut  hat  in  den  mikroskopischen 
Untersuchungen  eine  ausreichende  Stütze  gefunden.  Abgesehen  von  dem  älteren 
bekannten  Falle  Arlt's  haben  Manz  (187G;  und  Haab  (1878)  bei  der  Unter- 
suchung von  Colobomen  Netzhautelemente  und  Pigmentepithelzellen  —  bei  fehlender 
oder  mangelhafter  Chorioidealentwiekelung  —  nachweisen  können. 

Für  alle  diese  Fälle  von  Colobomen,  kwo  Netzhautelemente  und  Pigmente- 
pithel vorhanden  sind,  kann  von  einem  ausgebliebenen  Verschluss  der  primären 
Augenspalte  nicht  wohl  die  Eede  sein.  Wir  haben  es  vielmehr  nur  mit  einer 
zurückgebliebenen  oder  auch  veränderten  Entwicklung  in  der  Gegend  der  Fötal- 
spalte zu  thun,  die  am  schärfsten  im  Chorioidealgewebe  hervortritt.  Die  Störung 
fällt,  wie  bereits  Haab  mit  Eecht  betont  hat,  genetisch  vorzugsweise  in  das  Ge- 
biet des  von  den  Kopf  platten  (Mesoderm)  gelieferten  Gewebes.  Es  bestehen  hier 
in  der  That  echte  Chorioidealcolobome. 

Wenn  wir  demnach  schon  berechtigt  sind,  für  eine  Keihe  von  Colobomf allen, 
die  local  und  ihrer  Lage  nach  durchaus  der  fötalen  Augenspalte  entsprechen,  das 
Offenbleiben  der  letzteren  nicht  als  directe  Veranlassung  der  Entwicklungs- 
hemmung zu  betrachten,  so  treten  noch  gewichtigere  Bedenken  bei  den  Fällen 
hinzu,  wo  die  geometrische  Lage  des  klinisch  beobachteten  Coloborns  (z.  B.  des 
macularen)  nicht  der  der  Fötalspalte,  soweit  wir  sie  durch  embryologische  Unter- 
suchungen kennen,  entspricht.  Es  ist  hieraus  zu  schliessen,  dass  die  Bildungs- 
hemmungen  in  den  hinteren  Partien  der  Augenhüllen  zwar  mit  Vorliebe  ihren 
Sitz  in  der  Gegend  der  Augenspalte  nehmen,  sich  aber  weder  auf  das  Terrain 
derselben  streng  beschränken,  noch  stets  von  ihrem  Offenbleiben  herrühren. 

Auch  ist  zu  beachten,  dass  intrauterine  Entzündungen  gelegentlich  ähnliche 
Gestaltungen  hervorrufen.  Bei  den  eigentlichen  Colobomen  finden  sich  aber  auch 
anatomisch  keine  entzündlichen  Veränderungen  (Hess;. 


Hyperämie  und  Anämie  des  Sehnerven.  24.'> 


Drittes  Kapitel. 

Erkrankungen  des  Sehnerven. 

% 

Entzündliche  Erscheinungen  am  Augapfel,  die  äusserlich  sichtbar 

wären,  fehlen  bei  den  Erkrankungen  des  Sehnerven  und  der  Netzhaut; 
meist  auch  bei  den.  weiter  unten  zu  besprechenden  der  Chorioidea. 
Hingegen  ist  das  Sehvermögen  fast  immer  in  geringerem  oder  höherem 
Grade  gestört. 

1.  Hyperämie  und  Anämie  des  Sehnerven. 

Die  hvp er ä mische  Papille  erscheint  stärker  gerottet  und  tat  etwas 
weniger  Glanz;  das  Weiss  der  centralen  Vertiefung  verschwindet;  die 
L'ontouren  treten  meist  nicht  so  scharf  wie  sonst  hervor.  Jedoch  fehlen 
intensivere  Gewebstrübungen.  Die  Diagnose  ist  nicht  immer  leicht  zu 
stellen,  da  die  Färbung  des  Sehnerven  in  weiten  Grenzen  schwankt. 
Bisweilen  wird  sie  durch  den  Vergleich  mit  dem  anderem,  gesunden 
Auge  erleichtert.  Wir  finden  Sehnervenhyperämie  in  der  Regel  con- 
seeutiv  bei  Retinitis  und  bei  Chorioiditis;  auch  bei  Iritis  ist  sie  öfter 
vorhanden.  Im  ersteren  Falle  werden  die  pathologischen  Veränderungen 
in  der  Netzhaut  ausreichend  hervortreten.  Hingegen  sind  die  chorio- 
idealen  Veränderungen  besonders  im  Beginne  der  Erkrankung  nicht 
immer  ophthalmoskopisch  zu  erkennen;  oft  entwickeln  sich  erst  nach 
einiger  Zeit  die  charakteristischen  Pigment-  und  Farbenumwandelungen. 
Leichtere  Röthungen  werden  auch  sonst  an  gereizten  Augen,  z.  B.  bei 
Aecommodationskrampf  oder  bei  nicht  corrigirter  Hyp er opie7  gelegentlich 
beobachtet.  Bei  der  von  A.  v.  Graefe  als  retrobulbäre  Neuritis 
aufgefassten  Krankheit  kann  es  ebenfalls  zeitweise  zu  einer  Hyperämie 
der  Papille  kommen,  ehe  sich,  wie  meist,  atrophische  Veränderungen 
zeigen. 

0 elter  wurde  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  die  Blutcirculation 
der  Sehnervenpapille  in  der  Weise  ein  genaues  Abbild  der  cerebralen 
gebe,  dass  bei  Hirncongestionen  stets  Hyperämien,  bei  Anämien  Ent- 
färbungen der  Papillen  beständen.  Doch  trifft  dies  nur  in  verhältniss- 
mässig  wenigen  Fällen  zu. 


Besonders  bei  Geisteskranken  wollte  man  oft  am  Opticus  entsprechende 
pathologische  Veränderungen  gesellen  haben.  Ich  selbst  habe  bei  127  Patienten 
der  Irrenabtheüung   des  Professors  Westphal  in  Berlin  nur  13  einigermaassen 

L6* 


244  Erkrankungen  des  Sehnerven. 

nicht  einmal  absolut  sichere  pathologische  Veränderungen  an  der  Papilla  optica 
gefunden.  Aehnliche  Ergebnisse  haben  andere  Ophthalmologen  (Manz,  Leber) 
gehabt.  Später  untersuchte  ich  wieder  74  Irre  der  Marburger,  unter  der  Leitung 
des  Professor  Cramer  stehenden  Anstalt;  ich  konnte  nur  sechs  hierhergehörige 
pathologische  Befunde  constatiren.  Sclerotico-Chorioiditis,  ylauconiato.se  Exca- 
vation  und  Aehnliches  sind  natürlich  nicht  mitgerechnet.  Auch  halte  ich  mich  nicht 
berechtigt,  wie  andere  Untersucher,  eine  leichte  Trübung  der  Papille  und  der 
Netzhaut,  die  sich  in  einer  Art  Verschleierung  des  Augenhintergrundes  (er  soll 
„lichtschwächer  und  matter"  sein)  zeigt,  bei  übrigens  normaler  Sehschärfe,  mit 
Sicherheit  als  pathologisch  anzusprechen.  Alter,  Pigmentirung  u.  s.  w.  bewirken 
hier  breite  physiologische  Unterschiede.  Mit  Hinzurechnung  derartiger  Fälle  ist 
allerdings  Uhthoff  (1883)  wieder  zu  einem  sehr  hohen  Procentsatz  pathologischer 
Befunde  gekommen.  —  Unter  den  Marburger  Kranken,  die  ich  untersuchte,  befanden 
sich  15  mit  progressiver  Paralyse.  Trotzdem  die  Untersuchung  im  umgekehrten 
und  aufrechten  Bilde  geschah,  war  ich  nur  in  einem  Falle  in  der  Lage  ein  Bild 
zu  sehen,  das  der  von  Klein  beschriebenen  Retinitis  paralytica  gleich  und 
nicht  in  die  physiologische  Breite  zu  fallen  schien.  Dieser  Autor  bezeichnet  mit 
obigem  Namen  einen  Augenspiegelbefund,  der  sich  zusammensetzt  aus  einer  Netz- 
hauttrübung, ähnlich,  aber  höhergradig  als  man  sie  bei  Greisen  findet,  und  einer 
eigentümlichen  Beschaffenheit  der  Retinalgef ässe,  die  sich  stellenweise,  und  zwar 
hauptsächlich  durch  Vergrösserung  der  beiden  dunklen  Contouren  bei  gleich- 
bleibendem centralem  Lichtreflex,  verbreitert  zeigen.  Klein  sah  unter  134  Geistes- 
kranken in  29  Fällen  (18  Mal  bei  progressiver  Paralyse)  dieses  Bild.  Uhthoff 
fand  ebenfalls  die  Netzhauttrübung  (bisweilen  mit  Hyperämie  der  Papille  verknüpft) 
in  36  Procent  der  Paralytiker:  die  Gefässveränderung  aber  sah  er  nicht.  —  Auch 
von  der  pathologischen  Bedeutung  der  Beobachtung  Riva's,  der  unter  117  Geistes- 
kranken bei  30  eine  mehr  oder  weniger  ausgeprägte  Entfärbung  der  C'horioi- 
dea  neben  leichter  Trübung  der  Netzhaut  beobachtete,  konnte  ich  mich  nicht 
überzeugen.  — 

Bei  acuter  Meningitis  oder  Encephalitis  findet  sich  nach  Manz 
venöse  Hyperämie  und  etwas  Trübung"  der  Papillengrenze  ziemlich  regel- 
mässig. Derselbe  Autor  hat  auch  fast  stets  einen  mehr  oder  weniger 
ausgeprägten  Hydrops  der  Sehnervenscheide  nachweisen  können.  Ich 
selbst  habe  auch  in  diesen  Fällen  oft  einen  ausgeprägteren  patho- 
logischen Habitus,  speciell  ein  Oedem  der  angrenzenden  Retina  ver- 
misst. 

Bei  constitutioneller  Syphilis  wird  häufig  eine  Hyperämie  der  Pa- 
pille —  ohne  Functionsstörungen  —  beobachtet  (Schnabel). 

Die  Anämie  der  Papille  zeigt  sich  durch  grössere  Blässe  der 
Gewebes  und  geringeren  Blutgehalt  der  Gefässe.  Bei  Embolie  oder 
Thrombose  der  Arter.  centralis  retinae,  Sehnervenblutungen  nach  hoch- 
gradigen.Blutverlusten,  bei  Chlorose,  Ohnmächten,  im  Stadium  algidum 
der  Cholera   wird    sie  beobachtet. 


Papülitis. 


245 


r&WX^'* 


2.  Papülitis,  Neuritis  optico-intraociüaris.  Stauungspapille. 

Wir  bezeichnen   hiermit   die  Erkrankung   der   eigentlichen    Papilla 
optica:  der  extraoculare  Sehnerventhei]  jenseits  der  Lamina  cribrosa  ist 
nur  secnndär  ergriffen.     In  ausgeprägter  Form  und  doppelseitig  findet 
sich  die  Atfection  besonders  häufig  bei  Hirntumoren.    Die  Papille  ragt 
stark  über  das  Niveau   der  Netzhaut  hervor,  oft  pilzkopfförmig 
und  kann  eine  Höhe  von  1  bis  2  mm  erreichen  (Figur  107);  bei  einer 
Höhe  unter  2/3  mm  sollte  man 
die  Diagnose  nicht  sicher  stel- 
len, da  auch  bei  Neuritis  optica 
oder    Neuroretinitis      ähnliche 
Schwellungen  vorkommen  kön- 
nen.    Auch  bei  nur  einseitigen 
Papillen-Sehwellungen  sei  man 
nach  dieser  Richtung  hin  vor- 
sichtig.   Die  Grenzön  sind  ver- 
wischt und  verbreitert,  da  durch 
die     geschwellte     Papille     der 
Chorioidealrand  verdeckt  wird. 
Die     Gefasse     erfahren     eine 
Knickung  oder  Biegung.    Man 
kann   bezüglich   der    sonstigen 
Beschaffenheit  der  Papille  deut- 
lich zwei  Formen  unterschei- 
den; bei  der  einen,  sehr  selte- 
nen und  für  die  Diagnose  auf 
Hirntumoren  weniger  charakte- 
ristischen Form,   die  auch  aus- 
nahmsweise als  physiologische 
Abnormität  angeboren  beobach- 
tet wird,  ist   das  Gewebe  des 
geschwellten  Sehnervenkopfes  im  Ganzen  klar  und  durchscheinend,  wie 
ödematüs  aussehend,  auch  die  Gefässe  sind  deutlich  erkennbar  und  wenig 
verändert;  nur  die  Venen  erscheinen  besonders  auf  der  Netzhaut  etwas 
dunkler,   breiter  und  oft  geschlängelt.      Die   Erkrankung  kann  längere 
Zeit  bestehen  und  selbst  in  Atrophie  übergehen,  ohne  dass  ausgeprägtere 
Gewebstrübungen  hinzutreten.    Bei  starker  Yergrüsserung  nimmt  man 
allerdings  bisweilen  an  einzelnen 'Stellen  weissliche,  trübe  Streifen  auf 
der  Papille  wahr.    Auch  bei  dieser  Form  können,  wie  bei  der  anderen, 
kleine  weisse  Plaques  auf  der  dicht  angrenzenden  Retina  hervortreten. 


107. 


246  Erkrankungen  des  Sehnerven. 

Die  zweite  und  bei  Hirntumoren  bei  weitem  häufigste  Form  der 
Stauungspapille  zeigt  viel  erheblichere  Veränderungen.  Die  Papille, 
im  Anfange  hyperämisch  und  auch  wohl  leicht  ödematös  geschwellt, 
wird  bald  trüb  und  mit  grauen  Streifen  durchsetzt,  welche  die  Gefässe 
zum  Theil  ganz  verdecken.  Meist  sind  auch  deutlich  weisse  Plaques  und 
Blutungen  auf  ihr  erkennbar.  Die  Arterien  erscheinen  eng,  sind  kaum 
noch  als  feine,  glänzende  Striche  zu  verfolgen,  sind  unterbrochen  und 
erlangen  erst  auf  der  Netzhaut  eine  grössere  Breite  wieder  Die  Yenen 
sind  dunkel  und  geschlängelt  (vgl.  Farbendrucktafel).  Wenn  man  mit 
dem  Finger  auf  den  Bulbus  drückt,  so  verlieren  die  Gefässe  ihren  cen- 
tralen Refiexstreifen,  die  Wände  fallen  zusammen  und  machen  den  Ein- 
druck bläulichrother  Striche.  Es  tritt  eine  ausgeprägte  Ischämie  ein. 
Nur  bei  geringerer  Gewebsschwellung  erfolgt  mit  der  Herzsystole  eine 
Wiederfüllung  (Arterienpuls),  v.  Graefe  hat  einige  Male  einen  spon- 
tanen Arterienpuls  beobachtet. 

In  den  meisten  Fällen,  wo  ich  die  Stauungspapille  habe  entstehen 
sehen,  war  das  erste  Zeichen  Hyperämie  der  Papille  und  ein  Ver- 
schwommensein ihrer  Grenzen,  meist  nur  nach  einer  Seite  hin  und  so 
unbedeutend,  dass  zur  Zeit  keine  sichere  Diagnose  auf  die  wirkliche 
pathologische  Bedeutung  des  Bildes  gestellt  werden  konnte.  In  seltenen 
Fällen  beobachtete  ich  auch  folgende  Entwickelung :  Zuerst  Oedem  und 
Hervorragung  der  Papille,  die  centrale  Fovea  noch  vollkommen  weiss, 
Papillengrenzen  verschwommen,  Gefässe  normal.  Einige  Tage  später 
starke  Hyperämie,  die  centrale  Fovea  geröthet,  die  Venen  verbreitert 
und  geschlängelt  und  die  Arterien  stark  gefüllt.  Nach  kürzerer  oder 
längerer  Zeit  entwickelt  sich  dann  das  ausgesprochene  Krankheitsbild. 
—  Bisweilen  wird  auch  bei  der  eigentlichen  Stauungspapille  seeundär 
die  Netzhaut  ergriffen  (Neuroretinitis).  Es  kann  zu  Apoplexien, 
selbst  zu  ausgedehnter  Bildung  weisser  Plaques  kommen,  die  vollkommen 
das  Bild  der  Retinitis  albuminurica  liefern  können. 

Die  Stauungspapille  pflegt  sieh  nach  längerer  oder  kürzerer  Zeit 
anter  grauer  Verfärbung  abzuflachen  und  in  Sehnervenatrophie  über- 
zugehen. In  einem  Falle  konnte  ich  über  5/4  Jahre  das  Vorhandensein 
der  Papillenschwellung  und  Gewebstrübung  constatiren;  nach  einem 
weiteren  Jahre  fand  ich  Atrophie.  Doch  bleiben  hier,  wie  bei  der 
Atrophie  nach  Neuroretinitis,  die  verschwommene  Grenze  der 
niattweissen  opaken  Papille,  die  Enge  der  Arterien  und  die  Schlängelung 
der  Venen  lange  bestehen  und  können  noch  nachträglich  die  Dia- 
gnose einer  vorangegangenen  Papilhtis  gegenüber  der  genuinen  Atrophie 
siehern.  Selbst  sehr  spät,  wenn  die  Papille  glänzend,  bläuüchweiss, 
scharf  abgegrenzt  geworden   und  die  Gefässe  verengt   sind,   kann    man 


Papillitis.  247 

an  einem  gelblichen,  öfter  mit  Pigment  durchsetzten  Ring,  der  sie  um- 
schliesst,  zuweilen  noch  an  einer  leichten  Erhebung  an  circumscripter 
Stelle,  die  vorangegangene  Entzündung  diagnosticiren.  Ausserordentlich 
selten  kommt  es  zu  einer  fast  vollkommenen  Restitutio  ad  integrum,  wie 
H.  Jackson,  Mauthner,  W ernicke  und  ich  Fälle  breobachtel  haben. 
Bei  syphilitischen  Gummata  als  ursächlichem  Moment  ist  diesmil  Heilung 
der  Geschwulst  am  ehesten  zu  erwarten. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  des  intraocularen  Sehner- 
venendes  lässt  in  der  Regel  eine  starke  Entwickelung  und  Neubildung  von 
feinen  ( refässen  und  Capillaren  und  eine  venöse  Stauung  erkennen.  Die 
marklosen  Nervenfasern  sind  leicht  zu  isoliren  und  häufig  aufgequollen, 
sie  zeigen  eine  Reihe  von  eiförmigen  Varicositäten,  die  zuweilen  ganz 
klein,  an  anderen  Stellen  so  gross  sind,  dass  sie  ein  ganglienähnliches 
Aussehen  gewinnen.  Oft  ist  in  diesen  eine  Art  Kern  zu  erkennen,  oder 
sie  sind  von  zahlreichen,  fettig  glänzenden,  groben  Körnern  erfüllt. 
Diese  Hypertrophie  der  Nervenfasern  giebt  Anlass  zu  dem  ophthalmo- 
skopischen Bilde  der  grauen  Strichelung  oder  einzelner  weisser  Plaques. 
Daneben  finden  sich  zahlreiche  Rundzellen  im  Gewebe  zerstreut.  Auch 
eigentümliche,  runde,  völlig  homogene  Körper,  etwas  grösser  als  Blut- 
körperchen, wurden  in  der  Nervenfaserschicht  gesehen  (Schweigger). 
Mehr  oder  weniger  grosse  Lücken,  wie  ich  sie  besonders  in  der  Nähe 
der  nach  vorn  gebogenen  und  auseinander  gedrängten,  gewucherten 
Schichten  der  Lamina  cribrosa  beobachtet  habe,  müssen  als  Ausdruck 
einer  ödematösen  Infiltration  gelten.  Bei  längerem  Bestehen  der  Ent- 
zündung tritt  eine  Hyperplasie  des  Bindegewebes  ein.  Die  Wandungen 
der  Gefässe  zeigen  öfter  Verdickung  und  Sclerose.  Auch  die  angrenzen- 
den Netzhautpartien  sind  bisweilen  verändert,  indem  die  Müller'schen 
Stützfasern  sich  nach  aussen  verlängern  und  unregelmässige  Vorsprünge 
hilden:  im  Gewebe  selbst  ist  zuweilen  ein  ödematöser  Zustand  zu  con- 
statiren.  Die  weissen  Plaques  in  der  Netzhaut  sind  zum  grössten 
Theile  auf  Einlagerungen  von  Körnchenzellen  in  die  Körnerschichten 
zurückzuführen.  Auch  die  angrenzende  oder  unterliegende  Chorioidea 
ist  bisweilen  betheiligt.  Ich  habe  Drusen  der  Glasmembran,  Verfettung 
des  Epithels,  Sclerose  der  Gefässe  der  Choriocapillaris  und  Anhäufung 
von  Fettkömchenzellen  in  dem  Stratum  gefunden.  Dieser  Nachweis 
erklärt  es,  dass  im  atrophischen  Stadium  so  häufig  Pigmentalterationen 
oder  ein  graugelblicher  Ring  oder  Halbring  neben  der  Papille  sichtbar 
werden.  —  Kommt  es  zur  Atrophie,  so  sieht  man  in  der  abgeflachten 
Papille  dichte,  bindegewebige  Faserzüge  mit  Verengerung,  beziehent- 
lich Schwund  der  Gefässe.  — 

Bei  der  Stauungspapille  findet  man  in  der  Regel  eine  stärkere 
Füllung    des    subvaginalen   Raumes    mit    Flüssigkeit,    die    in 


248  Erkrankungen  des  Sehnerven. 

der  Nähe  des  Bulbus  am  stärksten  ist;  dort  eine  sackförmige  oder  ara- 
pullenartige  Ausdehnung-  bildend.  Man  hat  diesen  Zustand  als  Hydrops 
v  a  g  i  n  a  e  n.  optici  bezeichnet.  In  ausgeprägten  Fällen  kann  man  bei  der 
Section  ohne  besondere  Vorsichtsmaassregeln  die  Flüssigkeitsansamni- 
lung  consta tiren:  sonst  empfiehlt  es  sich,  den  Sehnerven  vorher  am 
Foramen  opticum  zu  unterbinden.  Gewöhnlich  giebt  schon  eine  grosse 
Schlaffheit  und  Verschiebbarkeit  der  äusseren  Scheide  den  Beweis  für 
eine  ungewöhnliche  Ausdehnung  des  sub vaginalen  Raumes,  natürlich 
vorausgesetzt,  dass  sie  nicht  Folge  einer  atrophischen  Vohmisabnahme 
des  Sehnerven  selbst  ist. 

Der  Hydrops  ist  nicht  immer  gleich  stark  ausgeprägt;  bei  deut- 
lichen Stauungspapillen  in  Folge  von  Hirntumoren  habe  ich  ihn  nie 
vermisst.  Da  aber  diese  Verhältnisse  eine  gewisse  Breite  haben,  so 
dürfte  auch  gelegentlich  ein  Beobachter  zweifelhaft  sein,  ob  er  es  mit 
einer  pathologischen  oder  physiologischen  Erweiterung  zu  thun  habe. 
Bisweilen  wird  auch  eine  Wucherung  und  Zelleninfiltration  des  binde- 
gewebigen Maschenwerkes  in  dem  subvaginalen  Raum  (Perineuritis 
optica)  gleichzeitig  gefunden  (H.  Pagenstecher,  Michel).  Deyl  hat 
eine  Compression  der  Ven.  centralis  retinae  an  ihrer  Durchtrittsstelle 
durch  die  äussere  Opticusscheide  in  Folge  des  Hydrops  intervaginalis 
gefunden.  Der  Sehnerv  centralwärts  von  der  Lamina  cribrosa  zeigt 
im  Beginne  der  Papillitis  in  der  Regel  keine  Veränderungen;  dicht 
vor  der  Lamina  cribrosa  beobachtet  man  bisweilen  eine  Ausdehnung 
der  kleinen  Arterien.  Später  kommt  es  zu  (Jedem,  Einlagerung  von 
Rundzellen,  die  aber  nach  Fürstner  nur  gequollene  Gliazellen  sind, 
von  Körnchenzellen  und  Myelin-Tröpfchen,  nach  deren  Schwinden 
sich  unter  Zunahme  der  Bindegewebssepta  graue  Degeneration  ent- 
wickelt. Doch  pflegt  diese  Atrophie  sich  durchaus  als  eine  von  der 
Peripherie  ausgehende  zu  kennzeichnen.  In  einem  von  mir  unter- 
suchten Falle  war  die  Atrophie  und  Verdünnung  des  Sehnerven  in  der 
Nähe  des  Bulbus  sehr  ausgesprochen,  sodass  er,  9  mm  vom  Bulbus 
entfernt,  in  einer  Richtung  nur  l3/4  mm,  in  der  anderen  nicht  ganz 
.->  mm  maass;  20  mm  vom  Auge  entfernt  zeigte  hingegen  der  Nerv 
normales  Verhalten.  In  anderen  Fällen  aber  tritt  diese  Degeneration 
ganz  entfernt  von  der  Papille  im  craniellen  Theile  des  Opticus,  im 
Chiasnia  und  dem  Tractus  zuerst  und  allein  auf  (Türck,  Böttcher). 
Türck  beschuldigt  als  Ursache  dieser  an  und  in  der  Nähe  des  Chiasnia 
sich  zeigenden  Ernährungsstörungen  den  Druck  der  so  häufig  durch 
den  stark  hvdropisch  ausgedehnten  dritten  Ventrikel  auf  die  Oberfläche 
des  Chiasnia  geübt  wird. 

Das  Seh  vermögen  kann  trotz  hochgradiger  Neuritis  optico- 
intraocularis  normal  sein,  wie  eine  Reihe  von  Füllen   es  lehrt.    Ich  habe 


Papillitis.  249 

beispielsweise  bei  einer  doppelseitigen,  '/2  Jahr  bestehenden  Neuritis 
auf  einem  Auge  volle  Sehschärfe,  auf  dem  anderen  5/6  gefunden.  Die 
Grefässalteration  war  hier  nicht  erheblich,  dagegen  waren  kleine,  weiss- 
liehe  8 triebe  in  der  Papille  und  angrenzenden  Netzbaut  erkennbar. 
Diese  letzteren  sind,  wie  erwähnt,  Folge  gangliöser  Entartung  der 
Nervenfasern,  sodass  es  scheint,  dass  diese  Erkrankung  keinen  erheb- 
liehen Einfluss  auf  das  Sehvermögen  hat.  In  einem  anderen  Falle  von 
Stauungspapille,  bei*  tuberculösem  Tumor  im  rechten  Kleinhirn,  wurde 
von  mir  zwei  Tage  vor  dem  Tode  3/5  Sehschärfe  bei  freiem  Gesichts- 
felde und  gutem  Farbensinne  eonstatirt.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung ergab  eine  Stauungspapille,  die  1-5  mm  über  der  Chorioidea 
hervorragte,  mit  ausgedehnter  gangliöser  Entartung  der  Nervenfasern, 
Gefässneubildung  und  Zellenintiltration.  Bei  einem  dritten  Patienten 
fand    ich    sogar    bei   ausgeprägter   Neuritis    intraocularis    mit    starker 

Schwellung  der  Papille  und  weissen  Plaques  eine  Sehschärfe  von  -~ 

bei  freiem  Gesichtsfelde  und  erhaltenem  Farbensinne. 

Es  ist  daher  bei  allen  Patienten,  die  irgendwie  verdäch- 
tige Hirnerscheinungen  haben,  die  ophthalmoskopische 
Untersuchung,  selbst  wo  Klagen  über  das  Sehvermögen  fehlen,  drin- 
gend indicirt.  In  vielen  Fällen  wird  erst  durch  den  Augenspiegelbefund 
die  Diagnose  auf  Hirntumor  gestellt  oder  ihr  wenigstens  eine  einiger- 
maassen  sichere  Unterlage  gegeben  werden  können.  —  In  der  Kegel 
leidet  übrigens  nach  einer  gewissen  Zeit  das  Sehvermögen,  es  kommt  zu 
ausgeprägten  Amblyopien  mit  Gesicktsfelddefecten,  öfter  concentrischer 
Art.  Der  Farbensinn  ist  im  Anfange  erhalten,  verliert  sich  aber  später, 
wenn  das  atrophische  Stadium  heranrückt.  Der  Lichtsinn  bleibt  ganz 
oder  nahezu  normal,  selbst  bei  starker  Amblyopie.  Ueber  subjective 
Lichtempfindungen  hört  man  die  Patienten  äusserst  selten  klagen.  Li 
einzelnen  Fällen  kommen  anfallsweise  Herabsetzungen  des  Sehvermögens 
oder  selbst  vollkommene  Erblindungen  vor,  die  in  Stunden  oder  Tagen 
wieder  zurückgehen  können  und  auf  centrale  Ursachen,  Schwellungen 
des  Tumor  cerebri  und  dergl.  zu  schieben  sind.  H.  Jackson  hat  sie 
als  epileptische  Amaurose  bezeichnet. 

Kegel  ist  es,  dass  bei  Hirntumoren  die  Papillitis  doppelseitig 
auftritt,  wenngleich  öfter  in  kleinen  Zeitintervallen  und  mit  ungleicher 
Entwickelung.  Unter  88  Fällen  von  Hirntumoren  mit  Sectionsbefund, 
die  Annuske  und  Reich  zusammenstellten,  bestand  82mal  doppel- 
seitige Neuritis,  zweimal  nur  einseitige;  viermal  fehlte  sie.  Oppen- 
heim und  Elschnig  geben  sogar  90%  an.  Auf  der  anderen  Seite 
lehrt  die  Erfahrung,  dass  in  einer  Reihe  von  Fällen,  wo  die  doppel- 
seitige Stauungs-Papille.  die  sogar  mit  Lähmungserscheinungen  (Augen- 


250  Erkrankungen  des  Sehnerven. 

muskelparalyse,  Alexie)  verbunden  war,  sicher  auf  einen  Hirntumor 
hinzuweisen  schien,  dennoch  ein  Zurückgehen  der.  Erscheinungen  und 
dauernde  Gesundheit  Jahre  lang  beobachtet  wird.  Auch  muss  man 
sich  hüten  angeborene  Papillen-Alterationen,  die  der  Papillitis  ähneln 
I  Pseudo-Papillitis),  welche  aber  natürlich  nicht  fortschreiten  und  keine 
sonstigen  nervösen  Complicationen  haben,  als  krankhaft  zu  betrachten; 
von  Axenfeld  sind  solche  Fälle  veröffentlicht  worden. 


Erklärungen  für  das  Zustandekommen   der  Papillitis. 

Durch  die  Steigerung  des  intracraniellen  Druckes ,  "wie  er  beson- 
ders bei  Tumoren  eintritt,  wird  ein  Uebertreten  der  das  Gehirn  um- 
spielenden Lymphe  in  den  intervaginalen  Raum  der  Sehnerven  be- 
wirkt, der  in  der  Nähe  des  Bulbus  oft  ampullenartig  anschwillt. 
Hierdurch  entsteht  in  den  vorderen  Partien  des  Sehnerven  besonders  in 
der  lamina  cribrosa  ein  Oedem,  das  die  Ven.  centralis  retinae  einengt 
und  Stauungen  und  Oedem  in  der  Papilla  optica  hervorruft.  Dass 
der  Lymphe  noch  eine  besondere  entzündungserregende  Eigenschaft 
zugeschrieben  werden  müsste  (Leber),  scheint  mir  nicht  nöthig. 

Die  grosse  Häufigkeit  des  Auftretens  der  Stauungspapille  bei  Hirntumoren 
wurde  zuerst  von  A.  v.  Graefe  (1859)  betont.  Da  in  der  Eegel  keine  gröberen 
Veränderungen  am  Sehnerven  erkennbar  waren,  die  ein  directes  Fortkriechen  des 
Processes  vom  Gehirn  bis  zur  Papille  wahrscheinlich  machten,  führte  A.  v.  Graefe 
die  Papillitis  auf  die  durch  den  Tumor  bewirkte  Baumbeschränkung  im  Schädel 
und  eine  intracränielle  Druckvermehrung  zurück.  Dieselbe  sollte  eine  Compression 
der  Sinus  cavernosi  bewirken,  —  eine  Annahme,  die  früher  schon  Türck  gemacht 
hat,  um  von  ihm  gefundene  Netzhautblutungen  bei  Hirntumoren  zu  erklären. 
Hierdurch  entstände  eine  Stauung  in  der  V.  ophthalmica  und  der  V.  centralis 
retinae.  Bei  dem  letzten  Gefässe  würde  die  Hinderung  in  dem  Blutabflusse  in 
der  Gegend  der  Lamina  cribrosa  wegen  der  Unnachgiebigkeit  dieses  Maschen- 
werkes am  ehesten  zu  Stauungserscheinungen  führen.  Andererseits  wird,  wenn 
die  Stauung  liier  ein  Oedem  hervorruft,  dieses  wiederum  das  Gcfäss  zusammen- 
drücken, v.  Graefe's  Erklärung  für  das  Zustandekommen  der  Stauungspapille 
wurde  jedoch  unhaltbar,  als  Sesemann  (1869)  nachwies,  dass  eine  Behinderung 
des  Blutabflusses  im  Sinus  cavernosus  durchaus  keine  Stauungen  in  der  V.  cen- 
tralis retinae  hervorzurufen  braucht,  indem  durch  die  Verbindung  der  V.  oph- 
thalmica  superior  mit  der  Facialvene  der  Blutabfluss  in  genügendem  Maasse  statt- 
linden könne. 

I »a  inzwischen  Schwalbe  den  Zusammenhang  zwischen  dem  [ntervaginal- 
raume  <\i^  Opticus  und  dem  Subdural-,  bezw  .  Suharachnoidealrauiue  des  Gehirnes 
durch  In  jeetionsversuche  nachgewiesen  hatte,  sprach  ich  (1869)  die  Ansicht  aus, 
dass  bei  Steigerung  des  intracraniellen  Druckes  die  Cerebrospinalflüssigkeit  in 
den  Lymphraum  der  Opticusscheide  eindringe  und  dann  weiter  ein  Oedem  der 
Lamina  cribrosa  hervorriefe.  Es  war  mir  nämlich  gelungen,  beim  Kalbe  vom 
Cranium  aus  die  Lamina  cribrosa  zu  injiciren.  Dochmüssen  bei  dem  erfolgreich 
ausgeführten   [njeetionsverauche   gerade    bei   diesem  Thiere   besonders  günstige 


Papilütis.  251 

Umstände  obgewaltet  haben,  da  ich  später  beim  Menschen  durch  directe  Injection 
in  den  subvaginalen  Raum  keine  Füllung  der  Lamina  cribrosa  mehr  erzielte  und 
dieselbe  auch  von  anderen  Beobachtern  (Manz,  Schwalbe)  nicht  oder  nur  zum 
Theil  unter  besonderen  Vorsichtsmaassregeln  erreicht  wurde  (Wolfring).  Wohl 
aber  gelang  es  Wolfring  durch  directen  Einstich  unter  die  innere  Nervenscheide 
die  Lamina  cribrosa  und  weitere  längs  den  BindegewebsscheidlSn  laufende  Räume 
zu  injiciren.  Schwalbe  beobachtete  hierbei  auch  einen  Austritt  der  lnjections- 
masse  in  den  subvaginalen  Kaum  und  nimmt  danach  an,  dass  die  Lymphe  der 
Papille  und  des  Opticus  zum  Theil  durch  den  subvaginalen  Raum  nach  dem  Hirn 
hin  ihren  Abfluss  nehme.  Quincke  hat  ebenfalls  den  physiologischen  Zusammen- 
hang zwischen  den  Lymphräumen  des  Schädels  und  dem  subvaginalen  Raum  des 
Opticus  erwiesen,  indem  er  fein  vertheilten  Zinnober  in  erstere  spritzte  und  ihn 
später  im  subvaginalen  Räume  wiederfand.  Weiter  wurde  pathologisch-anatomisch 
öfter  der  Uebertritt  von  Flüssigkeit  aus  dem  Cranium  in  die  Opticusscheide  ge- 
sehen Kiter  von  mir,  Blut  von  Knapp  und  später  bei  Pachymeningitis  auch  von 
Schule.  Fürstner  u.  A.).  Dies  Alles  in  Verbindung  mit  dem  Nachweise  des 
Hydrops  vag.  n.  optici  lässt  die  Anschauung-,  dass  bei  Vermehrung  des  Druckes 
im  Schädel  Flüssigkeit  von  dort  in  den  Intervaginalraum  übertritt,  durchaus  ge- 
rechtfertigt erscheinen.  Die  Folge  hiervon  wird  eine  Lymphstauung  sein,  die  bei 
der  erwiesenen  Verbindung  der  Lymphräume  der  Lamina  cribrosa  mit  dem  inter- 
vaginalen Räume  auch  in  ersteren  zu  Stauungserscheinungen  und  Oedemen  führen 
muss.  Die  Papilla  optica  kann  nun  entweder  direct  durch  Uebergreifen  des 
Oedems  afficirt  werden  oder  in  der  Art,  dass  das  Oedem  der  Lamina  cribrosa, 
die  Gefässe  einschnürend,  zuerst  eine  venöse  Stauung,  die  seeundär  wieder  zu 
Oedem  führt,  bewirkt.  Für  beide  Vorgänge  sprechen  ophthalmoskopische  Bilder. 
Auch  die  anatomischen  Veränderungen  der  Nervenfasern  lassen  sich,  wie  Kuhnt 
hervorhebt,  durch  den  Einfluss  des  Oedems  erklären,  da  experimentelle  Versuche 
Rumpfs  zeigten,  dass  der  Achsencylinder  markhaltiger  Nervenfasern  in  Lymphe 
aufquillt  und  zerfällt:  diese  Einwirkung  der  Lymphe  muss  umsomehr  bemerkbar 
werden,  da  die  Nervenfasern  der  Papille  nicht  durch  eine  Markscheide  geschützt 
sind.  Im  Beginne,  und  in  einer  kleinen  Zahl  von  Fällen  auch  dauernd,  ist  bei 
der  Stauungspapille  in  der  That  nicht  viel  Anderes  zu  sehen.  Sehr  interessant 
sind  in  dieser  Richtung  auch  die  Befunde  von  Ho  che,  der  ähnliche  pathologische 
Veränderungen  ohne  entzündliche  Processe  an  den  Rückenmarksnerven  beobachtet 
hat.  ftie  später  hinzutretenden,  mehr  entzündlichen  Erscheinungen  lassen  sich 
von  der  Einschnürung  der  Arterien  ableiten,  da  der  Abschluss  arteriellen  Blutes 
nach  bekannten  experimentellen  Ergebnissen  zu  Entzündungen  Veranlassung  geben 
kann.  Auch  könnte  man  daran  denken,  dass  sich  durch  den  eingeleiteten  Zerfall  der 
Nervensubstanz  entzündungserregende  Toxine  bildeten  (Krückmann).  Im 
Ganzen  ist  es  aber  gerade  bei  der  Stauungspapille  auffallend,  dass  ausgeprägtere 
Entzündungssymptome  nicht  selten  vollkommen  fehlen. 

Die  hier  entwickelte  Ansicht  über  die  Entstehung  der  Stauungspapille  findet 
eine  gewichtige  Unterstützung  in  den  Untersuchungen  von  Manz  und  neuerdings 
von  Schulten  und  Merz,  die  durch  Injection  von  Wasser,  defibrinirtem  Blut  u.  s.  f. 
in  den  Schädel  lebender  Kaninchen  und  Hunde  deutliche  Hyperämien  und  Schwellung 
der  Papilla  optica  erzielten.  Ebenso  hat  Manz  in  Uebereinstimmung  mit  meinen  Be- 
funden die  Häufigkeit  des  Hydrops  vag.  n.  optici  bei  Hirnerkranknngen.  besonders 
Hirntumoren  durch  zahlreiche  Sectionen  erwiesen.  Dasselbe  bestätigt  Deyl,  der  in 
etwas  anderer  Weise,  aber  ebenfalls  unter  Annahme  einer  stärkeren  Lymphan- 
füllung  in  der  Sehnervenscheide  die  Entstehung  der  Stauungspapille  durch  eine 
Compression  der  Centralvene  in  der  äusseren  Sehnervenscheide  erklärt. 


252  Erkrankungen  des  Sehnerven. 

Die  Erfahrungen  über  den  heilsamen  Einfluss  der  Schädel-Eröffnungen*, 
selbst  wenn  die  Herausnahme  des  Tumors  nicht  gelang  (es  kam  demnach  nur  die 
intracranielle  Druckverringerung  zur  Wirkung)  dienen  weiter  zu  einer  wesent- 
lichen Stütze  dieser  sogenannten  Lymphraum-  oder  Transporttheorie.  Be- 
merkenswerth  ist  auch,  dass  bisweilen  gerade  mit  dem  Auftreten  der  Stauungs- 
papille vorher  bestandene  heftige  Kopfschmerzen  aufhören.  Dass  es  in  einzelnen 
Fällen  trotz  des  Vorhandenseins  eines  Hirntumors  nicht  zur  Stauungspapille 
kommt,  ist  bei  der  Zahl  der  Vorbedingungen  nicht  gerade  verwunderlich.  Einmal 
bedarf  es  einer  starken  intracraniellen  Drucksteigerung,  die,  wie  es  scheint,  be- 
sonders bei  Tumoren  des  Clivus  öfter  ausbleibt,  weiter  des  Uebertrittes  von 
Flüssigkeit  in  die  Sehnervenscheide  und  schliesslich  —  und  darauf  muss  mehr 
Gewicht  gelegt  werden,  als  es  gewöhnlich  geschieht  —  eines  Oedems  der  Lamina 
cribrosa,  bezw.  der  Papille.  Ehe  all  das  zu  Stande  kommt,  kann  der  Fall  letal 
abgelaufen  sein.  Ich  ophthalmoskopirte  beispielsweise  einen  Kranken,  der  an 
Sarcom  der  rechten  Hirnhemisphäre  zu  Grunde  ging,  sechs  Tage  vor  seinem  Tode 
und  fand  am  rechten  Auge  Verbreiterung  und  Schlängelung  der  Venen  mit 
Trübung  der  Papille  ohne  deutliche  Hervorragung,  das  linke  Auge  normal.  Am 
Abend  vor  dem  Tode  wurde  auch  links  Trübung  der  Papille  und  Hyperämie  con- 
statirt.  Die  Section  ergab  massigen  Hydrops  vaginae  n.  optici.  Wenn  demnach 
in  einzelnen  Fällen  ein  gewisser  Grad  von  Hydrops  vaginae  beobachtet  wird  ohne 
Stauungspapille,  so  erklärt  sich  dies  dadurch,  dass  derselbe  nicht  hinlänglich 
lange  bestanden  hat,  um  ein  derartiges  Oedem  der  Lamina  cribrosa  zu  veranlassen, 
dass  hierdurch  Störungen  im  Blutstrome  der  durchziehenden  Gefässe  entstehen 
mussten.  Bezüglich  der  paar  Fälle,  in  denen  bei  längerer  Beobachtung  die  Neu- 
ritis bei  Hirntumoren  nur  einseitig  war,  kann,  wie  ich  schon  in  meiner  ersten 
Arbeit  über  diese  Frage  hervorgehoben,  ein  Hinderniss  in  der  Gegend  des  Foramen 
opticum  die  Communication  zwischen  Hirn  und  Sehnervenscheide  abgeschnitten 
haben.  —  Dass  in  einzelnen  Fällen  wiederum  keine  Hirntumoren  oder  Cerebral- 
erkrankungen  trotz  doppelseitiger  Stauungspapille  gefunden  sind,  ist  dem  Ver- 
ständniss  ebenfalls  zugänglich,  wenn  man  sich  daran  erinnert,  dass  das  ophthal- 
moskopische Bild  der  Stauungspapille  gelegentlich,  wenn  auch  in  ausgesprochenster 
Form  sehr  selten,  bei  descendirender  Neuritis  und  Perineuritis  vorkommt.  Weiter 
könnte  ja  eine  intracranielle  Drucksteigerung  ohne  Hirntumor  vorhanden  gewesen 
sein.  —  Auch  bestehen,  wie  oben  ausgeführt,  bezüglich  der  Erklärung  des  Ent- 
stehens späterer  entzündlicher  A'orgänge  keine  Schwierigkeiten,  und  glaube  ich 
nicht,  dass  es  nöthig  ist,  seine  Zuflucht  zu  einer  besonderen  entzündungs- 
erregenden Eigenschaft  des  in  den  Zwischenscheidenraum  des  Opticus  ge- 
langenden, serösen  Exsudates  (als  eines  Productes  intracranieller  Entzündung)  zu 
nehmen  (Leber,  Deutschmann).  Wenn  dieses  Exsudat  eine  vorzugsweise  ent- 
zündungserregende Eigenschaft  besässe,  so  wäre  es  nicht  recht  einzusehen,  warum 
sich  nicht  sämmtliche  Hirnnerven,  die  doch  beständig  davon  umspült  werden,  ent- 
zündeten. Auch  die  oben  erwähnten  Beobachtungen  vonlloche  sprechen  dagegen. 
Parinaud  (in  ähnlicher  "Weise  auch  Ulrich)  hat  die  Neuritis  optica  intra- 
ocularis  als  Folge  eines  lymphatischen  Oedems  in  dem  Sinne  aufgefasst,  dass  bei 
interstitiellem  Hirnödem  eine  Fortpflanzung  durch  den  Sehnerv  bis  zur  Papille  hin 
erfolgt.  Doch  widerspricht  dies  den  anatomischen  Befunden,  die  als  Hauptsitz 
des  Leidens  die  Papille  ergeben  und  die  mehr  centralen  Theile  des  Sehnerven 
relativ  frei  erscheinen  lassen.     Das  häutige  Vorkommen  einer  hydropischen  Aus- 


Schmidt-Rimpler,  Die  Beziehungen  der  Augen-Affectionen  zuAUgemein- 
leiden.  Wien  1898. 


Papillitis.  253 

dehnung  der  Hirnventrikel  bei  Tumoren  ist  nicht  zu  bestreiten;  dieselbe  giebt 
eben  eine  weitere  Veranlassung  zur  Steigerung  des  Druckes  im  Schädel.  Dass 
im  Uebrigen  einfacher  Hydrocephalus  uieist  ungenügend  ist,  um  eine  zur  Ent- 
stehung  der  Stauungspapille  ausreichende  Drucksteigerung  zu  bewirken,  wird 
durch  das  sehr  häufige  Fehlen  der  Neuritis  intraocularis  bei  primärem  acutem 
Hydrocephalus  bewiesen.  Auch  habe  ich  andererseits  Fälle  von  Hirntumoren  uiit 
Stauungspapille  gesehen,  wo  in  den  Seitenventrikeln  bei  der  Section  nur  wenig 
Serum  gefunden  wurde.     Interstitielles  Hirnödem  fehlt  aber  recht  häufig 

Panas  L876)  unterscheidet,  um  das  Zustandekommen  oder  Fehlen  der 
Stauungspapille  bei  Hirntumoren  zu  erklären,  zwei  Arten,  in  denen  die  intra- 
cranielle  Drucksteigerung  auftreten  und  auf  den  Opticus  wirken  könne.  Wenn 
eine  Ansammlung  von  Flüssigkeit  im  Arachnoidealraume  stattfinde,  so  komme  es 
zum  Hydrops  der  Sehnervenscheide  und  zur  Stauungspapille;  werde  hingegen  ein 
Druck  direct  von  der  Geschwulst  oder  einer  zwischen  Dura  und  Knochen  ange- 
sammelten Flüssigkeit  auf  die  Sin.  cavernosi  geübt,  so  entstehe  nur  eine  Stauung 
in  den  Hetinalvenen. 

Vorkommen.  Die  doppelseitige  Stauungspapille  in  ihrer  aus- 
geprägten Forin,  d.  h.  mit  erheblicher  Hervorragung  und  ohne 
stärkere  Netzhautbetheiligung,  kommt,  wie  erwähnt,  vorzugsweise 
bei  Hirntumoren  (Neuproducten,  Cysten  u.  dgl.)  vor;  bemerkenswert!). 
ist,  dass  wir  sie  bei  Hypophysentunioren  und  Tumoren  der  sella  turcica 
öfter  vermissen,  was  mit  der  verschiedenartigen  Tiefe  der  sella  turcica 
zusammenhängen  mag.  Die  Fälle,  in  denen  die  Stauungspapille  sonst 
beobachtet  worden  ist,  sind  erheblich  seltener.  Es  wären  hier  anzu- 
führen: extreme  cerebrale  Congestion  (Jackson),  Aneurysma  an  den 
inneren  Carotiden  mit  seeundärem  Hydrops  vag.  n.  optic.  (Michel), 
Schädelmissbildungen,  besonders  Thurmschädel  (Hirschberg,  Manz), 
Meningitis  serosa  (Quincke),  basilare  Meningitis,  besonders  gummöser 
Natur — hierbei  kann  sich  eine  starke  Perineuritis  in  dem  subvaginalen 
Raum  entwickeln  (Zacher)  — ,  Pachynieningitis  haemorrhagica  und  Blu- 
tungen an  der  Schädelbasis  mit  Eindringen  von  Blut  in  die  Scheiden 
I  Fürstner),  Clehirnverletzungen  (Commotio  cerebri,  Fractura  cranii)  mit 
stärkerer  Füllung  des  subvaginalen  Raumes  (Panas).  Auch  bei  Gehirn- 
abscessen  und  Erweichungsherden  wurde  in  seltenen  Fällen  Papillitis 
beobachtet.  Ihr  Auftreten  lässt  sich  als  Folge  eines  seeundären  Oedems 
der  cerebralen  Lymphrämne  auffassen,  das  zu  einer  intracraniellen 
Raumbeschränkung  führte;  so  zeigt  sich  an  frischen  Erweichungsherden 
oft  kein  Zusammensinken  der  Gehirnpartie,  sondern  im  Gegensatz  eine 
Voluniens-Vemiehrung  (Wernicke,  Wilbrand).  Einseitig  wird  die 
Stauungspapille  bei  Orbitaltumoren  beobachtet. 

Therapie.  Die  Behandlung  ist  naturgemäss  gegen  das  ursäch- 
liche Moment  zu  richten.  Bei  heftigen  Kopfschmerzen  habe  ich  öfter 
mit  Vortheil  ein  Haarseil  im  Xacken  angewandt,  v.  AVecker  hat  in 
einigen  Fällen  zu  gleichem  Zwecke  bei  fast  erblindeten  Augen  die  Seh- 
nervenscheide eingeschnitten,  um  die  Flüssigkeit  abzulassen,  zuweilen  mit 


2ö4  Erkrankungen  <lcs  Sehnerven. 

sehr  befriedigendem  Erfolg  für  das  iUlgemembefinden,  was  Power, 
Broadbent  und  Carter  bestätigen  konnten.  Jedoch  ist  die  Aus- 
führung  dieser  Operation,  insofern  man  sich  durch  Sichtbarmachung 
des  (  opticus  vob  der  Genauigkeit  der  Punktion  überzeugen  will,  sehr 
schwierig.  Auch  subcutane  Pilocarpin-Injectionen  nützen  in  einzelnen 
Füllen,  (regen  das  Augenleiden  selbst  kann  man  bei  kräftigen  Indi- 
viduen örtliche  Blutentziehungen  versuchen.  Von  Benedikt  ist  die 
Galvanisation  des  Sympathicus  empfohlen  worden;  ieh  habe  niehts  Be- 
sonderes davon  gesehen. 

In  neuerer  Zeit  hat  man  die  Eröffnung  des  Schädels  bei  Hirntumoren 
sehr  oft  mit  eclatantem  Erfolg  auf  Rückgang  der  Stauungspapille  ge- 
macht. Aber  ohne  annähernd  sichere  locale  Diagnose  des  Hirnleidens 
oder  in  Fällen,  wo  der  Tumor  an  der  Basis  cranii  sitzt,  wird  man  sieh 
kaum  dazu  verstehen,  allein  in  dem  Interesse,  das  Opticusleiden  zu  bes- 
sern, eine  Schädeleröffnimg  zu  machen. 

3.  Neuritis  optica  descendens.    Neuroretinitis. 

Der  Process  kann  sich  auf  die  Papille  beschränken,  öfter  zeigt 
sich  auch  die  Netzhaut  stärker  afficirt.  Die  Papille  selbst  ist  hyperäntisch, 
in  ihren  Grenzen  verschwommen,  das  Gewebe  getrübt.  Da  auch  Gewebs- 
schwellung und  Oedem  öfter  vorhanden  sind,  so  kann  gelegentlich  das 
Aussehen  der  Papille  ganz  dem  der  Stauungspapille  ähneln,  doch  gilt 
—  wenigstens  für  die  überwiegende  Zahl  der  Fälle  —  als  charak- 
teristischer Unterschied,  dass  es  nicht  zu  so  hochgradiger  Schwellung 
kommt.  Die  Affection  der  Netzhaut  besteht  in  mehr  oder  weniger  verbrei- 
teter Trübung,  venöser  Hyperämie  und  Auftreten  von  Blutungen  und  weis- 
sen Plaques,  welche  letztere  sich  bisweilen  auch  in  der  Nähe  der  Macula 
lutea  als  ganz  kleine  Pünktchen,  ähnlich  wie  bei  der  Retinitis  albumi- 
nurica zeigen  können,  v.  Graefe  hat  den  Process  als  descendirende 
Neuritis  beschrieben,  da  er  vom  Hirn  aus  zum  Auge  hin  vorrückt.  Ich 
habe,  ebenso  wie  Magnus  und  Leber,  bei  Albuminurie  eine  reine 
Neuritis  mit  massiger  Schwellung  ohne  Netzhautbetheiligung  gesehen. 
Doch  dürften  hier  wohl  gelegentlich  auch  complieirende  Hirn-  oder 
(  »pticusleiden  vorliegen.  So  fand  Michel  bei  Albuminurie  Neuritis  in 
Folge  von  Blutungen  in  der  Sehnervenscheide.  Ich  selbst  hatte  eben- 
falls in  einem  weiteren  Falle  Gelegenheit,  eine  doppelseitige  Neuritis  bei 
Albuminurie  (Amyloidniere)  bei  einem  Kinde  zu  sehen,  ohne  dass  es  bis 
zum  Tode  zu  einer  Retinitis  gekommen  wäre.  Die  Section  ergab  aber 
neben  dem  Nierenleiden  eine   l'aehymeningitis  haemorrhagica. 

IVinerkenswerth  war  auch  in  diesem  Falle  ein  eigentümlicher 
Glanz  <\rr  Netzhaut,  der  in  anregelmässigen  Flecken   und  Strichen 


Neuroretinitis.  255 

besonders  längs  der  Gefässe  auftrat.  Leber  hat  diesen  Glanz,  welcher 
dem  Augengrunde  ein  moirirtes  Aussehen  verleiht,  bei  der  Hyperämie 

der  Netzhaut,  welche  die  Miliartubereulose  begleitet,  öfter  beobachtet, 
leh  habe  ihn  noch  in  anderen  pathologischen  Fällen  bei  Kindern  ge- 
sehen, so  z.  B.  bei  Atrophia  n.  optici  nach  Meningitis  und  Stauungs- 
papille. Hoch  hat  Mauthner  bereits  darauf  hingewiesen  —  und  ich 
kann  ihm  darin  nur  beistimmen  — ,  dass  selbst  vollkommen  normale 
Net/häute  kindlicher  Individuen  nicht  selten  sehr  starke  Reflexe  liefern, 
welche  durch  ihre  Intensität  und  durch  ihr  Umspringen  bei  Bewegungen 
des  Auges  wie  des  Spiegels  geradezu  blendend  wirken  können.  Meist 
sind  diese  Kinder  schlecht  ernährt  und  anämisch. 

Der  Ausgang  der  Neuritis  ist  häufig  Sehnervenatrophie;  doch  werden 
auch  Heilungen  beobachtet. 

Vorkommen.  Die  Neuritis  descendens  kann  einseitig  vorkommen. 
Wenn  sie  doppelseitig  auftritt,  so  ist  doch  der  Grad  ihrer  Entwickelung 
nicht  immer  gleich.  So  habe  ich  gesehen,  dass  ein  xAuge  ausgeprägte 
Neuritis  zeigte,  während  das  andere  nur  Schlängelung  der  Venen  und 
Arterien  aufwies;  aber  auch  hier  entwickelte  sich  später  —  ohne  dass 
eine  Neuritis  aufgetreten  wäre  —  eine  Atrophie.  Das  ist  ein  Vorgang, 
der  bei  Stauungspapille  kaum  beobachtet  wird. 

Die  Xeuritis  descendens  ist  nicht  selten  bei  Basilarprocessen  des 
Gehirns:  so  bei  kleinen  Tumoren,  welche  direct  auf  das  Chiasma  oder 
den  Sehnerv  drücken,  ferner  bei  acuter  Basilarmeningitis,  besonders 
tuberculöser  Natur.  Li  letzterem  Falle  kommt  sie  allerdings  nicht  sehr 
häufig  in  ausgeprägter  Form  vor;  meist  besteht  nur  Hyperämie  der 
Papille.  Bei  epidemischer  Cerebrospinalmeningitis  hat  Schirm  er  aus- 
nahmsweise eine  Neuroretinitis  gesehen.  —  Bisweilen  findet  man  sie 
auch  bei  anderen  chronischen  Hirnprocessen,  besonders  bei  Kindern;  sie 
endet  dann  fast  immer  mit  Atrophie.  Die  Erblindung  erfolgt  in  der 
Regel  ziemlich  schnell.  Auch  bei  Erwachsenen  kommen  ähnliche  Fälle 
vor.  Noyes  sah  doppelseitige  Neuritis  descendens  bei  acuter  Myelitis, 
ued  neuerdings  hat  Wernicke  auch  bei  den  von  ihm  beschriebenen 
tödtlichen  Erkrankungen,  welche  capillare  Apoplexien  im  „centralen 
Höhlengrau"  ohne  Zeichen  vermehrten  intracraniellen  Druckes  bei  der 
Section  zeigten,  Blutungen  im  Augenhintergrund  und  Neuritis  optica 
massigen  Grades  gefunden. 

Bei  Syphilis,  Blei-  oder  Alkokol-Litoxication,  Diabetes,  Diphtheritis, 
Lifiuenza,  Anämie,  im  Puerperium  —  ohne  Albuminurie  — ,  bei  Men- 
struationsstörungen, nach  Masern,  Scarlatina  (Tflüger),  starkem  Blut- 
verlust, bei  Sumpffieber  (Poncet)  und  Sonnenstich  (Hotz)  ist  ebenfalls 
mehr  oder  weniger  ausgeprägte  Sehnervenentzündung  beobachtet  wTorden: 
doch  dürften  hier  nicht   selten  direct  nachweisbare   intracranielle  Ver- 


256  Erkrankungen  des  Sehnerven. 

änderungen  die  nächste  Veranlassung  bieten.  Die  Erkrankung  des  Seh- 
nerven kann,  wie  es  bei  chronischer  Meningitis  erwiesen,  durch  de- 
scendirende  Perineuritis  vom  Centrum  her  fortgeleitet  werden.  In  anderen 
Fällen  dürfte  auch  der  Hydrops  vaginae  n.  optici,  den  Manz,  wie  er- 
wähnt, bei  acuter  Meningitis  regelmässig  fand,  zur  Papillenaffection 
Veranlassung  geben.  Aber  auch  ein  Fortschreiten  der  Entzündung  im 
Nerven  selbst  kommt  vor. 

Dass  die  Papille  bei  Netzhautaffectionen,  so  besonders  bei  Ret. 
albuminurica,  seeundär  ergriffen  wird,  ist  nicht  zu  ungewöhnlich. 
Auch  bei  Orbital-Phleginonen  (so  nach  Gesichts-Erysipel  oder  Knochen- 
leiden), wo  wir  als  ophthalmoskopischen  Befund  der  eingetretenen  Er- 
blindungen später  in  der  Regel  Sehnervenatrophie  finden,  ist  im  An- 
fangsstadium, durch  die  Infiltration  und  Schwellung  des  Fettzellgewebes 
bedingt,  bisweilen  Neuritis  und  Neuroretinitis  zu  constatiren. 

Das  Sehvermögen  pflegt,  wegen  der  stärkeren  Atfection  der 
Nervenfasern  und  des  oft  gleichzeitigen  Mitergriffenseins  der  Retina, 
gewöhnlich  stärker  zu  leiden  als  bei  der  einfachen  Stauungspapille;  Ein- 
engungen des  Gesichtsfeldes,  auch  für  Farben,  werden  beobachtet.  Bei 
der  doppelseitigen  Neuroretinitis'  apoplectica  eines  jungen  Mädchens 
mit  Stirnkopfschmerz  und  Schwindel  habe  ich  vollkommene  Amaurose 
gefunden.  Nach  drei  Monaten  aber  war  das  Sehvermögen  auf  einem 
Auge  bis  S  Yio?  auf  dem  anderen  bis  circa  S  V20  gestiegen.  Fünf 
Jahre  später  war  S  ^g  auf  dem  besseren  Auge;  dabei  beiderseits  Seh- 
nervenatrophie. Der  Ausgang  in  das  ophthalmoskopische  Bild  der  Seh- 
nervenatrophie bedeutet  nicht  immer  vollständige  Erblindung.  Da  trotz 
ausgeprägter  Blässe  der  Papille  nicht  alle  Nervenfasern  atrophisch  zu 
sein  brauchen,  so  kann  eine  verhältnissmässige  Sehschärfe  doch  noch 
vorhanden  sein  und  dauernd  bestehen  bleiben. 

Die  Therapie  wird,  unter  Berücksichtigung  der  ätiologischen 
Verhältnisse,  öfter  in  energischer  Weise  antiphlogistisch  durch  Blutent- 
ziehung, eventuell  auch  durch  Quecksilber-  und  Schwitzkuren  einzu- 
greifen haben. 


4.  Genuine  Entzündung  des  Sehnerven.    Neuritis  optica. 

Es  können  hier  ähnliche  Bilder  vorkommen,  wie  die  zuletzt  be- 
schriebene Neuritis  descendens  sie  zeigt.  Meist  handelt  es  sich  jedoch 
mir  um  Hyperämie  der  Papille  mit  mehr  oder  weniger  deutlicher  Ge- 
webstrübung; die  wirkliche  Erhebung  über  das  Niveau  und  Schwellung 
der  Papille,  ebenso  wie  das  Auftreten  weisser  Plaques  in  der  Netzhaut 
ist  ausserordentlich  selten.    Audi  die  Ausdehnung  der  Venen  pflegt  ge- 


Genuine  Entzündung  des  Sehnerven.  257 

ringer  zu  sein.  Als  sicheres  Zeichen  pathologischer  Vorgänge  dienen 
uns  bisweilen  kleine  Blutungen  neben  der  Papille,  wo  diese  selbst  nur 
zweifelhafte  Abweichungen  von  der  Norm  zeigt.  In  manchen  Fällen 
fehlt  sogar  jede  ophthalmoskopische  Veränderung,  nur  die  Amblyopie 
oder  plötzliche  Erblindung  in  Verbindung  mit  der  oft  erst  nach  Woehen 
sichtbar  werdenden  seeundären  Atrophie  der  Papille  lässt  eine  directe 
Affection  des  Sehnerven  in  seinem  extrabulbären  Verlauf  wahrseheinlieh 
erseheinen.  A.  v.  Graefe  hat  speeiell  dieser  letzten  Form  den  Namen 
der  retrobulbären  Neuritis  gegeben.  Abgesehen  von  dem  unmittel- 
baren Einfluss  der  Erkrankung  der  Seimervenfasern,  kann  für  eine 
plötzliche  Erblindung  auch  darin  die  Veranlassung  liegen,  dass  es  zu 
einer  Compression  der  im  Stamme  verlaufenden  Gelasse  und  einer 
Ischämie  der  Netzhaut  kommt  (v.  Grraefe). 

Vorkommen.  Die  Erkrankung  kann  in  acuter  Form  auftreten, 
indem  plötzliche  Erblindung  erfolgt,  oder  sie  kann  sich  langsam  ent- 
wickeln. Bei  der  acuten  Form  kommt  es  nicht  selten,  selbst  wenn 
Tage  lang  die  Erblindung  bestanden  hat,  wieder  zur  Heilung.  Meist 
lässt  sich  das  Vorhandensein  relativer  oder  absoluter,  mehr  oder  weniger 
ausgedehnter  centraler  Skotome  nachweisen;  dies  ist  mir  selbst  in  sonst 
vorgeschrittenen  Fällen  gelungen:  hier  schwand  central  die  peripher 
nachweisbare  quantitative  Lichtempfmdung.  Man  hat  die  Affection 
bei  schweren  fieberhaften  Krankheiten  beobachtet;  doch  dürfte  ge- 
legentlieh auch  eine  Verwechselung  mit  urämischer  Amaurose  stattge- 
funden haben.  Auch  in  Folge  von  Unterdrückung  der  Menstruation, 
bei  Lues,  Uterusleiden,  Bleiintoxication  und  nach  Erkältungen  ist  sie 
gesehen  worden.  Nettleship  beschreibt  eine  Form,  wo  die  Seh- 
schwäche ziemlich  schnell  zunimmt,  ohne  dass  gerade  plötzliche  Er- 
blindung eintritt,  und  stets  nur  ein  Auge  befallen  wird.  Die  Papille 
zeigt  nur  leicht  entzündliche  Erscheinungen  und  gewöhnlich  erfolgt 
Heilung.  Sehr  oft  bestehen  gleichseitige  Kopfschmerzen.  Er  findet  eine 
klinische  Aehnlichkeit  mit  der  rheumatischen  Facialisparalyse.  Ich  habe 
auch  eine  doppelseitige  Erblindung,  die  in  4  Wochen  wieder  heilte, 
unter  gleichen  Erscheinungen  auftreten  sehen.  —  Eine  andere  Gruppe, 
bei  der  Schmerzen  bei  Bewegungen  des  Auges  oder  spontan  im  Auge 
und  in  der  Stirn  vorhanden  sind,  hat  man  mit  einer  Periostitis  am  Fo- 
ramen opticum  (Hock)  in  Verbindung  gebracht  und  als  Ursache  Er- 
kältimg angenommen;  die  Affection  ist  meist  einseitig,  öfter  mit  abso- 
luten Skotomen  und  sonstigen  Gesichtsfelddefecten  verknüpft.  In  der  Regel 
tritt  Besserung  oder  Heilung  ein.  Bisweilen  fehlen  alle  nachweisbaren 
Ursachen;  so  beobachtete  Hirschberg  einen  Fall  von  Neuritis  bei 
einem  siebenjährigen  gesunden  Knaben,  wo  die  plötzliche  Erblindung 
nach  sieben  Tagen  allmählich  zurückging.  Sehr  bemerkenswerth  ist  die 
-    hmidt-Rimpler.    T.Auflage.  1^ 


258  Erkrankungen  des  Sehnerven. 

in  der  Regel  doppelseitige  Neuritis  optica,  die  in  gewissen  Familien  bei 
mehreren  (  Miedern  auftritt,  meist  in  den  Pubertätsjahren  oder  etwas  später. 
Auch  hier  pflegen  absolute  centrale  Skotome  von  grösserer  Ausdehnung 
zu  bestehen.  Trotz  zurückbleibender  Atrophie  der  Papille  tritt,  wie  ich 
gesehen,  bisweilen  ein  verhältnissmässig  gutes  Sehvermögen  wieder  ein. 
Die  chronische  Neuritis  zeigt  nicht  immer  deutliche  Veränderungen 
an  der  Papille.  Bisweilen  ist  letztere  massig  hyperämisch  mit  leichter 
Trübung  ihrer  Grenzen;  aber  selbst  diese  Veränderungen  können  so 
temporär  sein,  dass  sie  der  Beobachtung  entgehen  und  man  die  Affection 
einfach  als  „Amblyopie  ohne  Befund"  hinstellt.  Schweigger  hat  meh- 
rere hierhergehörige  einseitige  Amblyopien  beschrieben:  ich  habe  auch 
doppelseitige  —  bei  der  einen  kam  es  zu  vollständiger  Amaurose,  die 
aber  zurückging  —  beobachtet.  Später  tritt  in  der  Regel  eine  (meist 
partielle)  weisse  Verfärbung  der  Papille  hervor.  Das  Sehvermögen 
kann  in  sehr  verschiedener  Art  leiden.  Besonders  häufig  und  eigen- 
artig ist  die  Form,  bei  der  die  Abnahme  nur  die  Stelle  und  nächste 
Umgebung  des  centralen  Sehens  trifft ;  bisweilen  zeigt  sich  das  cen- 
trale Skotom  im  Anfang  nur  so,  dass  der  Farbensinn  daselbst  ge- 
stört ist:  grün  wird  für  grau  gehalten,  roth  erscheint  dunkler  u.  s  w.  Im 
Gegensatz  zu  den  gewöhnlichen  Intoxications-Amblyopien  (siehe  S.  153) 
wird  aber  auch  weiss  schon  frühzeitig  im  Centrum  als  weniger  hell  oder 
als  grau  angegeben.  Später  kann  auch  ein  absolutes  centrales  Skotom 
mit  vollkommenem  Verschwinden  des  Prüfungsobjects  eintreten.  Meist 
behaupten  die  Kranken  im  Dämmerlicht  besser  zu  sehen.  Der  oph- 
thalmoskopische Befund  ist  gewöhnlich  anfänglich  negativ,  später  tritt 
eine  Abblassimg  der  macularen  Seite  der  Papilla  optica  ein.  Es 
finden  sich  längs  des  Sehnervenstammes  verlaufende,  auf  entzündliche 
Vorgänge  zurückzuführende  circumscripta  Veränderungen,  die  besonders 
das  interstitielle  Bindegewebe  treffen  und  secundär  die  Nervenfasern 
.schädigen  (Neuritis  interstitialis).  Falls  das  periphere  Gesichtsfeld  frei 
bleibt  und  das  centrale  Skotom  zum  Stillstand  gekommen  ist,  kann 
die  Prognose  für  diese  Form  insofern  günstig  gestellt  werden,  als  nicht 
leicht  eine  vollkommene  Erblindung  eintritt.  Das  Leiden  ist  in  der 
Hegel  doppelseitig  und  kommt,  abgesehen  von  der  in  einzelnen  Familien 
bei  verschiedenen  Kindern  auftretenden  Form,  fast  nur  bei  Männern  vor. 
Als  besondere  Ursachen  werden  Erkältung,  Blendung  durch  grelles 
Sonnenlicht,  Syphilis  angeschuldigt.  Auch  bei  disseminirter  Cerebro- 
spinal-Sclerose  findet  sich  diese  Erkrankungsform  (Uhthoff).  In  meh- 
reren von  mir  beobachteten  Fällen,  die  ganz  typisch  verliefen,  bestand 
Diabetes:  einer  derselben,  welcher  zur  Section  kam,  zeigte  eine  Atrophie 
«ler  macularen  Fasern  des  Opticus,  welche  vom  Auge  bis  etwa  über 
den  Gefässeintritt  zu  verfolgen  war,  alter  dann  aufhörte. 


Genuine  Entzündung  des  Sehnerven.  259 

Die  Therapie  wird  auch  hier  vorzugsweise  die  ätiologischen 
Momente  zu  berücksichtigen  haben.  Von  sonstigen  Mitteln  pflegt  das 
Jodkali  mit  Vorliebe  angewandt  zu  werden,  auch  Schwitzkuren,  etwa 
mit  Pilocarpineinspritzungen,  und  Natr.  salicylieum  sind  empfohlen. 
Nach  meinen  Erfahrungen  ziehe  ich  bei  acuten  und  speciell  entzünd- 
lichen Formen  Mercurialien  (Schmierkur  oder  Sublimatinjectionen)  vor. 
Dieselben  bringen  bisweilen  sogar  noch  Nutzen,  wenn  bereits  eine  atro- 
phische Abblassung  der  Papille  vorhanden  ist.  Von  örtlichen  Mitteln 
ist  das  Ansetzen  künstlicher  Blutegel  bei  nicht  zu  schwächlichen  In- 
dividuen oft  nützlich:  doeli  controlire  man  genau  durch  häufigere  Prü- 
fungen ihren  Einfluss  auf  das  Sehvermögen.  Weiter  ist  bei  mehr  in- 
differenter Behandlung  das  Einreiben  schwacher  Quecksilbersalben  in 
Stirn  und  Schläfe  üblich.  Ist  die  Atrophie  ausgeprägt,  so  können 
Strvehnineinspritzungen  (1 — 2  Milligramm)  in  die  Schläfe  versucht 
werden,  ebenso  der  constante  Strom. 


5.  Atrophia  n.  optici. 

Die  normal  röthliche  Papilla  optica  zeigt  sich  bei  der  ophthalmo- 
skopischen Untersuchung  entfärbt,  blass,  von  weissem,  w^eissgrauem  oder 
weissbläulichem  Farbenton  (vgl.  Farbendrucktafeln).  Dabei  pflegen  die 
schon  früher  weiss  erschienenen  Stellen,  etwa  die  Fovea,  aus  der  die 
Gefässe  treten,  oder  eine  vorhandene  physiologische  Excavation,  noch 
länger  ihren  Unterschied  in  der  Farbennuance  zu  behalten.  Die  Grenzen 
sind  meist  scharf,  der  Scleralring  deutlich  hervortretend.  In  gewissen 
Fällen  verliert  die  Papille  ihren  runden  Contour  und  wird  unregelmässig 
gestaltet,  erscheint  auch  kleiner.  Die  G-efässe  sind  entweder  normal 
weit  oder  verengt,  besonders  tritt  an  den  Arterien  die  Verengung  öfter 
hervor.  Wenn  es  zum  Schwunde  der  Nervenfasern  kommt,  ohne  dass 
durch  neugebildetes  Bindegewebe  ein  Ersatz  geschaffen  wird,  so  ent- 
steht eine  muldenförmige  Vertiefung,  in  deren  Grunde  man  die  Lamina 
cribrosa  mit  ihrem  feinen  Maschenwerk  durchscheinen  sieht,  die  soge- 
nannte atrophische  Excavation. 

Die  Verfärbung  der  Papille  ist  im  Beginn  nicht  immer  leicht  zu 
diagnosticiren.  Dass  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  mit  Benutzung 
des  Tageslichtes  hier  eher  zum  Ziele  führt,  habe  ich  nicht  gesehen.  Die 
Blässe  der  Papille  dürfte  zum  Theil  auf  Obliteration  feinster  Gefässe 
beruhen.  Wenn  die  Atrophie  der  Papille  sich  als  Folge  einer  Neuritis, 
sei  sie  intraocular  oder  retrobulbär,  entwickelt  hat,  so  pflegt  die  Enge 
der  G-efässe  auffallend  zu  sein;  sie  ist  bei  den  Arterien  öfter  mit  einer 
Verdickung  ihrer  Wandungen  verknüpft,  wodurch  die  rothe  Blutsäule 

17* 


2ß()  Erkrankungen  des  Sehnerven. 

alsdann  verschmälert  erscheint.  Auch  sind,  wie  oben  erwähnt,  nach 
Papillitis  noch  eine  Zeit  lang  die  Grenzen  der  Papille  verschwommen 
und  die  Venen  zeigen  eine  grössere  Breite  und  Schlängelung;  später 
tritt  oft  ein  gelber  King  oder  Streifen  um  die  Papille  hervor,  der 
breiter  und  anders  gefärbt  ist,  als  der  normale  weisse  Scleral-  oder 
Bindegewebsring.  Ebenda  linden  sich  auch  öfter  Pigmentalterationen. 
In  diesen  Fällen  kann  übrigens,  wie  bereits  bemerkt,  das  Sehver- 
mögen trotz  ausgesprochener  Atrophie  der  Papille  noch  ein  relativ 
gutes  sein.  So  fand  ich  bei  einer  einseitigen  weissen  Atrophie  noch 
Sehschärfe  4'9,  freies  Gesichtsfeld,  aber  fast  vollkommen  aufgehobenen 
Farbensinn.  Diese  Form  ist  es  vorzugsweise,  beider  ein  Stationärbleiben 
des  Sehens  zu  erwarten  ist.  Ich  habe  Kranke  eine  Reihe  von  Jahren 
in  Beobachtung  gehabt,  deren  Sehvermögen  trotz  ausgesprochenster 
doppelseitiger  Atrophie  nach  Neuritis  sich  unverändert  erhalten  hat. 
Beachtenswerth  ist,  dass  sich  bei  der 'Prüfung  dieser  Patienten  leicht 
Ermüdung  einstellt,  so  dass  sie  im  Anfang  erheblich  besser  sehen 
als  später. 

Auch  die  partielle  Atrophie  des  Sehnerven,  wie  sie,  oft  schon  nach 
wenigen  Tagen,  in  Folge  directer  Verletzung  (z.  B.  Stich  in  die  Orbita) 
beobachtet  wird,  bleibt  gern  stationär.  So  kenne  ich  einen  Patienten, 
der  seit  über  sieben  Jahren  in  Folge  eines  Stiches,  der  durch  das  obere 
Lid  ging,  eine  Hemianopsia  superior  —  mit  horizontaler  Trennungslinie 
—  bei  S  V6  hat.  Die  Lage  der  besonders  atrophisch  erscheinenden 
Stellen  in  der  Papille  stimmt  in  derartigen  Fällen  öfter,  aber  durchaus- 
nicht  immer,  mit  der  Lage  des  Gesichtsfelddefectes  überein. 

Besonders  eigenartig  ist  die  Form  der  Atrophie  bei  Retinitis 
pigmentosa:  hier  hat  die  Farbe  der  Papille  meist  etwas  eigenthümlich 
Wachsai'tiges,  dabei  sind  die  Gefässe,  besonders  die  Arterien,  ausser- 
ordentlich eng.  Aus  dem  Aussehen  der  Papille  kann  man  bi>Av eilen 
schon  das  Vorhandensein  der  Netzhautpigmentirung  vorhersagen. 

Nach  Phthisis  des  Augapfels  in  Folge  von  Irido-Cyclitis  oder 
eitrigen,  intraocularen  Processen  pflegt  sich  auch  eine  Atrophie  des 
Sehnerven,  die  natürlich  der  ophthalmoskopischen  Untersuchung  nicht 
mehr  zugänglich  ist,  auszubilden.  Sie  kann  sich  im  Laufe  der  Jahre 
bis  zum  Chiasma  und  darüber  hinaus  erstrecken.  Der  Sehnerv  wird 
erheblich  dünner  und  erhält  ein  graues,  glänzendes  Aussehen.  Bisweilen 
linden  sich  mikroskopisch  auch  Amyloidkürperehen  in  der  atrophischen 
Nervensubstanz.  Das  interfibrilläre  Bindegewebe  ist  hypertrophirt  und 
bildet  ein  enges  Rfaschenwerk.  Die  Nervenfasern  können  derart  zer- 
fallen, dass  man  in  Querschnitten  erhärteter  Präparate  von  ihnen  nichts 
mehr  wahrnimmt  — 

Die  selbständig,  ohne  vorangegangene  deutliche  Entzündungsvoiv 


Atrophia  n.  optici. 


261 


gänge  sich  allmählich  ausbildende  Sehnervenatrophie,  die  das  umschrie- 
bene Krankheitsbild  der  progressiven  Amaurose  liefert,  tritt  meist 
als  graue  Degeneration  des  Sehnerven  (Leber)  auf. 

Sir  ergreift  den  Nerven  entweder  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  oder 
fleckweise.  Die  atrophischen  Bündel,  welche  kleiner  und  von  unregel- 
mässigem Querschnitt  sind,  zeigen  marklose,  blasse  Fasern,  die  später 
sich  zu  ziemlich  resistenten  Fibrillen  umwandeln.  Bei  der  Weigert- 
.sehen  Färbemethode  nehmen  sie  in  Folge  des  Schwundes  der  Mark- 
scheide nicht  die  dunkelblaue  Farbe  der  normalen,  markkaltigen  Nerven- 
fasern an  (Figur  109  A).  Dazwischen  linden  sich  Fettkörnchenzellen 
und  zahlreiche  glänzende 
Myelintröpfchen.  Bei  ge- 
ringerer Ausbreitung  ist 
der  Process  mikrosko- 
pisch nicht  zu  erkennen: 
bei  stärkerer  wird  der 
Sehnerv  dünner  und  er- 
hält ein  gelbliches,  durch- 
.scheinendes  Aussehen.  — 
In  der  Netzhaut  atrophirt 
allmählich  die  Nervenfa- 
ser- und  ( xanglienschicht. 
Die  Aifection  entsteht 
häufig  als  Vorläufer  von 
oder  in  Verbindung  mit 
Bückenmarks-  oder  Ge- 
hirnleiden, kann  aber 
auch  selbständig  auftre- 
ten. Sehr  interessant  ist 
eine  Beobachtung  von 
W  agenmann,     welche 

erweist,  dass  bei  Tabes  der  Opticus  auch  zuerst  peripher  erkranken 
kann:  bei  einem  Tabiker  wurde  im  Beginn  des  Leidens  das  Verschwin- 
den der  früher,  in  der  Netzhaut  vorhandenen  doppelcontourirten  Nerven- 
fasern constatirt.  Oefter  ist  Syphilis  nachweisbar.  Es  findet  sich  neben 
der  gelegentlich  erst  später  sich  herausbildenden  weissen  Verfärbung 
der  Papilla  eine  allmählich  zunehmende  Herabsetzung  der  Seh- 
schärfe mit  gleichzeitiger  Verengerung  des  Gesichtsfeldes. 
Die  bezüglichen  Defecte  des  Gesichtsfeldes  können  nach  den  verschie- 
densten Richtungen  hin  auftreten,  nicht  selten  zuerst  nach  aussen.  Zu- 
weilen ist  die  Gesichtsfeldeinschränkung  schon  sehr  hochgradig,  während 
noch   relativ  gute   centrale  Sehschärfe  besteht..     So  hatte  der  Kranke, 


Querschnitt  eines  oben  und  unten  atrophischen  Seimerven  CA,  A). 

a  =  Arteria  centralis  retinae,  v  =  Vena  centralis  retinae. 

0  obere,  U  untere,  T  temporale,  N  nasale  Seite. 


262 


Erkrankungen  des  Sehnerven. 


dem  nebenstehendes  Gesichtsfeld  (Figur  110)  angehört,  rechts  noch  fasl 
volle  Sehschärfe,  links  r,9.  Daneben  tritt  meist  schon  frühzeitig  Farben- 
blindheit auf,  und  zwar  in  der  Regel  so,  dass  die  excentrischen  Gren- 
zen, bis  zu  der  die  einzelnen  Farben  erkannt  werden,  sieh  immer  mehr 
einengen  und  dem  Fixirpunkt  nähern.  Dabei  gehen  dann  grün  und 
roth  am  ehesten  verloren.  Nur  in  seltenen  Fällen  beginnt  das  Leiden 
mit  einem  centralen  Farbenskotom.  Der  Lichtsinn  ist  bezüglich  der 
Reizschwelle  meist  normal,  bezüglich  der  Unterschiedsschwelle  meist 
verschlechtert.  Ueber  subjeetive  Licht-  und  Farbenerscheinungen  wird 
wenig  geklagt.     In  der  Regel  werden  beide  Augen  ergriffen. 

Der  frühere  oder  spätere  Ausgang  ist  fast  immer  Erblindung,  wenn- 
gleich bisweilen  ein  gewisser,  selbst  jahrelanger  Stillstand  mit  leidlichem 


tt         L 


Linkes  Auge. 


110. 


Rechtes  Auge. 


Sehvermögen  beobachtet  wurde.  Besonders  ist  die  Prognose  un- 
günstig, wenn  Rückenmarksaffectionen  (nach  Uhthoff  in  37  Procent 
der  Fälle)  mit  im  Spiele  sind.  Hier  pflegt  die  Pupille  oft  eng  zu  sein 
(Miosis  bei  sogenannter  spinaler  Amaurose).  Weiter  ist  auf  Ataxie, 
charakteristische  Schmerzen,  Lähmungen  ü.  dgl.  zu  achten.  Auch  das 
Ausbleiben  des  Reflexes  beim  Anschlagen  der  Patellarsehne,  welches 
Westphal  zuerst  als  frühzeitiges  Symptom  des  Tabes  hervorgehoben, 
kann  von  Bedeutung  für  die  Prognose  werden.  Ferner  stellt  die  pro- 
gressive Paralyse  der  Irren  (4 — 5  Procent  der  betreffenden  Fälle)  ihr 
Contingent  von   Sehnervenatrophie. 

Die  Therapie  muss  vor  Allem  schwächende  Einflüsse  vermeiden: 
Aufenthalt  in  Gebirgsgegend,'  gute  Diät  und  Anwendung  des  constanten 
Stromes    (2  Milliampere,    indem    man   zuerst    die  Kathode  auf  das  ge- 


Atrophia  n.  optici.  2('»o 

schlossene  Lid,  die  Anode  in  den  Nacken  setzt  und  nach  einigen  Minuten 
damit  wechselt)  geben  noch  den  besten  Erfolg.  Von  medicanientösen 
Mitteln  ist  weiter  Argentum  nitrieum  und  Jodkali  besonders  empfohlen 
worden:  von  Stryehnin-lnjectionen  in  die  Schläfe  (Nagel)  habe  ich  mehr 
Nutzen  bei  den  Formen  von  Atrophie  gesehen,  die  neuritischen  Ursprungs 
waren.  Handelt  es  sieh  um  Patienten,  die  an  Lues  litten,  so  wird  in  ein- 
zelnen Fällen,  wo  noch  an  ri'ickbildungsfähige  syphilitische  Producte  (etwa 
G-ummata,  die  auf  den  Sehnerv  drücken)  zu  denken  ist,  die  Schmier- 
kur in  Anwendung  kommen  können.  Doch  sei  man  mit  derselben  sehr 
vorsichtig,  besonders  wenn  neben  einer  ausgeprägteren  Sehnervenatrophie 
noch  Tabes  dorsalis,  selbst  wenn  sie  auf  Syphilis  zurückzuführen  wäre 
(Erb),  oder  sonstige  Symptome  einer  diffusen  Erkrankung  des  Central- 
nervensystems  bestehen.  Hier  beschleunigen  energische  Quecksilber- 
kuren recht  häufig  den  Verfall  des  Sehvermögens.  — ■  — 

Bei  Cerebraler  krankungen  handelt  es  sich  öfter  um  ein  direetes 
Ergriffensein  des  Nerven.  So  bei  Geschwülsten  der  Schädelbasis  oder 
seierotischen  Arterien,  die  unmittelbar  auf  den  Opticus  drücken,  bei 
Exostosen,  Gunmiata,  Hydrocephalus  internus,  chronischer  Meningitis 
und  bei  hiselförmiger  Sclerose.  Auch  die  bei  Acromegalie  öfter  be- 
obachtete Hemianopsie  ist  durch  Druck  der  hypertrophirten  Hypophysis 
auf  das  Chiasma  zu  erklären.  Ebenso  entwickelt  sich  nach  schweren 
Kopfverletzungen,  die  Erblindung  oder  Sehschwäche  hervorriefen, 
nach  einiger  Zeit  meist  ausgeprägte  Sehnervenatrophie.  Hier  dürfte 
die  von  Holder  so  häufig  constatirte  Fractur  des  Foramen  opticum 
mit  Bluterguss  in  den  subvaginalen  Kaum  des  Sehnerven  oder  direetes 
Anreissen  als  nächstliegende  Veranlassung  in  Betracht  zu  ziehen  sein 
(Berlin). 

Sind  Cerebralcongestionen  zu  vermuthen,  so  ist  ein  ableitendes  Ver- 
fahren, Blutentziehungen,  Haarseil  angezeigt.  Bisweilen  sieht  man  trotz 
ausgeprägter  Atrophie  nach  Anwendung  des  Heurteloups  noch  Hebung 
des  Sehvermögens  eintreten. 

In  manchen  Fällen  fehlt  es  vollkommen  an  einem  Hinweis  auf  eines 
der  eben  angeführten  ätiologischen  Momente;  ein  an  Excessen  oder 
geistiger  und  körperlicher  Ueberanstrengung  reiches  Leben  scheint  oft 
Anlass  zu  dem  schweren  Sehnervenleiden  zu  geben. 


6.  Excavatio  papillae  n.  optici. 

1.  Atrophische  Excavation.  In  einzelnen  Fällen  von  Seh- 
nervenatrophie  wird  der  eingetretene  Schwund  der  Nervenfasern  nicht 
durch  eine  ausgleichende  Hypertropkirung  des  Bindegewebes  gedeckt. 
und  es  kommt  in  Folge  dessen  zu  einer  muldenförmigen  Vertiefung  an 


264 


Erkrankungen  des  Sehnerven. 


111. 


der  Papille.  Diese  seichte  Vertiefung  ist  ophthalmoskopisch  dadurch 
erkennbar,  dass  die  Blutgefässe  mit  allmählicher  Biegung  den  tiefer  ge- 
legenen Partien  der  Papille  zu- 
laufen (Figur  111).  Das  ver- 
schiedene Niveau,  in  dem  sie 
auf  ihrem  papillären  Verlauf 
sich  befinden,  macht,  dass  bei 
ophthalmoskopischer  Einstel- 
lung auf  die  Netzhautgefässe 
die  in  dem  Papillencentrum  be- 
findlichen Gefässe  blasser  und 
undeutlicher  erscheinen.  Die 
Papilla  selbst  zeigt  atrophische 
Färbung. 

2.  Druck-  oder  glauko- 
matöse Excavation.  Beim 
Glaukom  tritt  durch  Steigerung 
des  intraocularen  Druckes,  der 
sich  bisweilen  pathologische 
Resistenz  Verringerungen  im  Bindegewebe  der  Papille  anschliessen,  eine 
Verdrängung  der  Lamina   cribrosa  nach  hinten  ein  und  damit 

eine  Excavirung  der  Papilla 
(Figur  112  und  Farbendruck- 
tafel). Diese  Verdrängung  der 
Lamina  cribrosa  bildet  den 
durchschlagenden  anatomischen 
Unterschied  gegenüber  der  atro- 
phischen Excavation,  bei  der 
die  Lamina  cribrosa  in  ihrer 
normalen  Lage  bleibt.  Die  Ex- 
cavation kann  verschiedene  For- 
men haben:  meist  kesseiförmig, 
zeigt  sie  bisweilen  auf  ihrem 
Grunde  noch  eine  zweite  cen- 
trale, trichterförmigeVertiefung, 
die  der  Stelle  des  Grefässkanals 
entspricht,  oder  auch  eine  mehr 
seitlich  gelegene,  welche  durch 
eine  bereits  vorhandene  physio- 
logische Excavation  bedingt  ist. 


112. 


Ausgekleidet  ist  diese  Höhlung  von  den  Nervenfasern,  die  am  Rande 
der    Netzhaut    scharf  geknickt   umbiegen,    an    den   Seitenwänden    steil 


Excavatio  papillae  n.  optici.  265 

herabgehen  und  dann  in  dünner  Schicht  den  Boden  der  Lamina  cribrosa 
bedecken.  Bei  längerem  Bestehen  tritt  eine  Atrophie  der  gezerrten  und 
eomprimirten  Fasern  ein.  Die  Blutgefässe,  welche  meist  nach  der  na- 
salen ►Seite  zusammengedrängt  sind,  biegen  ebenfalls  am  Rande  der 
Excavation  um  und  gelangen  längs  der  Seitenwand  auf  den  Boden  der 
Höhle. 

Die  Tiefe  der  letzteren  kann  bis  1-5  mm  und  mehr  betragen.  Aus- 
gefüllt ist  sie  vom  Glaskörper.  — 

Charakteristisch  für  die  Schwierigkeit  der  Niveaubestimmung  im 
ophthalmoskopischen  Bilde  ist  es,  dass  man  diese  glaukomatöse 
Excavation  anfänglieh  als  eine  „Hervorwölbimg"  besehrieb.  Erst  durch 
eine  Section  von  Heinrich  Müller  (1857)  ergab  sich  mit  Sicherheit 
die  Excavation,  nachdem  allerdings  schon  früher  durch  genaueres  Ein- 
gehen auf  das  ophthalmoskopische  Bild  Bedenken  gegen  die  Annahme 
einer  Hervorwölbung  ausgesprochen  waren  (A.  v.  Grraefe,  Ad.  Weber). 

Die  ersten  Anfänge  der  Excavation  sind  ophthalmoskopisch  nicht 
leicht  zu  diagnosticiren.  Die  Papille  erscheint  noch  normal  gefärbt, 
manchmal  selbst  etwas  mehr  geröthet.  In  seltenen  Fällen  wurden  auch 
Blutextravasate  auf  ihr  beobachtet.  Häutig  vertieft  sich  zuerst  das 
Centrum  der  Papille:  doch  ist  hier  die  Unterscheidung  von  der  oft 
normal  vorhandenen  Fovea  in  der  Mitte  des  S ebner veneintritts  schwierig 
oder  unmöglich.  Mit  Sicherheit  kann  die  beginnende  Druckexcavation 
erst  dann  diagnosticirt  werden,  wenn  ein  Gefäss  am.  Rande  der 
Papille  deutlich  eine  Knickung  macht  und  das  papilläre  Ende 
desselben  nachweisbar  tiefer  liegt  als  das  retinale.  Meist  ist  eine  der- 
artige Niveauveränderung  zuerst  an  den  Gefässen  der  temporalen  Seite 
zu  erkennen.  Da  aber  gelegentlich  auch  die  physiologische  Excavation 
dicht  am  temporalen  Papillenrande  beginnt,  so  ist  von  mehr  ent- 
scheidender Bedeutung  die  Gefäss-Knickung  an  der  nasalen  Seite. 

Bei  weiter  fortschreitendem  Process  erregt  schon  der  ungewöhnliche 
Verlauf  der  Gefässe  auf  der  Netzhaut  selbst  die  Aufmerksamkeit.  Die- 
selben erscheinen  alle  nach  der  Nasalseite  hingedrängt.  Die  Gefässe, 
die  sonst  gerade  und  gestreckt  nach  oben  und  unten  gingen,  machen 
jetzt  einen  Bogen,  dessen  Concavität  der  Macula  lutea  zugekehrt  ist. 
Die  schon  normal  sparsamen  Aeste,  welche  temporalwärts  hinziehen,  sind 
fast  ganz  geschwunden:  nur  bei  starker  Vergrösserung  und  besonderer 
Aufmerksamkeit  erkennt  man  sie  noch.  Dabei  werden  die  Arterien 
enger,  die  Venen  zuweilen  verbreitert,  geschlängelt.  Oft  aber  ist  auch 
an  ihnen  eine  Volumen  Verringerung  nachzuweisen,  besonders  in  späteren 
Stadien. 

Die  Knickung  der  Gefässe  am  Papillarrande  ist  bogen-  bezw.  winkel- 
förmig.    Bei  steiler  Excavation  scheinen  sie  am  Rande  zu  enden,   die 


266  Erkrankungen  des  Sehnerven. 

Venen  zeigen  öfter  eine  bläuschwarze  Anschwellung.  Erst  auf  dem 
Boden  der  Höhlung  siebt  man  dann  ihre  Fortsetzung,  da  sie  beim 
Herabgehen  an  einer  senkrechten  Seitenwand  nicht  zu  verfolgen  sind. 
Bei  weniger  steilen  Seitenwänden  kann  man  auch  hier  ihren  Verlauf 
erkennen;  doeli  erscheinen  sie  verschoben  und  durch  ein  schräges 
Mittelstück  verbunden.  Die  auf  der  Papille  selbst  gelegenen  Endtheile 
sind  meist  etwas  blasser,  mehr  bellroth  gefärbt;  es  ist  oft  schwer,  die 
Venen  von  den  Arterien  zu  unterscheiden.  Zuweilen  treten  hier  einige, 
sonst  nicht  siebtbare  Schlingen  feinerer  Aeste  hervor.  Die  Austritts- 
pforte der  Gefässe  erscheint  nach  der  nasalen  Seite  bin  verschoben. 

Die  Papille  selbst  wird  allmählich  blasser,  graubläulich  oder  weiss 
verfärbt.  Später  erhält  der  Sehnerv  bei  weiterer  Atrophie  ein  leicht 
punktirtes  Aussehen  von  den  zwischen  der  Lamina  durchtretenden  Nerven- 
bündeln. Er  ist  bei  ausgesprochener  Excavation  von  einem  meist  ziem- 
lich schmalen,  grauweissen  oder  gelben  King  (Halo  glaueomatosus, 
Fig.  112  ab)  umgeben,  der  seine  Entstehung  entweder  einer  einfachen 
Atrophie  der  Chorioidea  (Schweigger)  oder  einem  zwischen  der 
atrophischen  Chorioidea  und  Netzhaut  liegenden  Exsudat  verdankt  (H aab, 
Kuhnt).  Zuweilen  erkennt  man  auf  diesen  atrophischen  Partien  noch 
hier  und  da  schwarze  Pigmentflecke.  Im  Anfang  pflegt  sich  die  Chorio- 
idealatrophie  vorzugsweise  an  der  temporalen  Seite  zu  entwickeln. 

Wenn  die  eben  angegebenen  Symptome  schon  einigermaassen  charak- 
teristisch für  die  Excavation  sind,  so  ist  doch  der  directe  Nachweis  zu 
liefern,  dass  die  Papilla  optica  in  der  That  ausgehöhlt  ist  und  tiefer 
liegt  als  die  Netzhaut.  Wir  bedienen  uns  hierbei  der  oben  besprochenen 
Hilfsmittel  der  Niveaubestimmung.  — 

Bisweilen  ist  auch  Arterienpulsation  bei  der  Druckexcavation  zu 
constatiren.  Dieselbe  zeigt  sich  im  Blass-  und  Wiederrothwerden  der 
( lentralarterienstämme  auf  der  Papille,  oft  aber  nur  eines  Astes.  Selten 
überschreitet  der  Puls  die  Papillengrenze.  Sein  Zustandekommen  erklärt 
sieb  so,  dass  bei  dem  gesteigerten  intraocularen  Drucke  nur  mit  der 
Herzsystole  Blut  in  die  sonst  comprimirten  Arterien  geworfen  werden 
kann.  Der  intraoculare  Druck  wird  aber  dort  am  ehesten  das  Lumen 
verschliessen,  wo  das  Gefäss,  wie  auf  der  Papille,  schon  an  und  für  sieb 
eine  Biegung  oder  Knickung  macht,  um  in  den  nach  hinten  ziehenden 
Sehnervenstamm  einzudringen. 

Am  gesunden  Auge  wird  dieses  Pulsationsphänomen  sein-  selten  be- 
obachtet.  v.  Graefe  sah  es  zweimal  bei  Orbitaltumoren,  Wadsworth 
und  ich  während  beginnender  Ohnmacht. 

Weniger  deutlich  sind  die  Aarterienpulsationen,  die  Quincke  bei 
Aorteninsufficienz  zuerst  beschrieben  hat.  Noch  geringer  sind  die  Erschei- 
nungen bei  Morh.  Basedow  ü  i  Becker")  —  ich  habe  sie  in  der  Regel  vermisst 


Kxcavatio  papillae  n.  optici.  267 

—  und  bei  chlorotischen,  anämischen  und  neurasthenischen  Individuen 
(Raehlmann).  Hier  zeigen  die  Papillär-,  vorzugsweise  aber  die  Netz- 
hautarterien, besonders  an  ihren  Theilungsstellen,  kleine  rhythmische 
AnschweDungen  und  Schlängelungen  (Locomotionen),  bisweilen  selbst 
mit  einem  leichten  Erröthen  und  Erblassen  der  Papille  verknüpft;  dies 
ist  jedoch  meist  nur  bei  der  starken  Vergrösserung  des  aufrechten  Bildes 
erkennbar.  Auch  kann  das  Gefässpkänomen  bei  ein  und  demselben 
Individuum  zeitweise  wahrnehmbar  sein,  zeitweise  verschwinden. 

Differentielle  Diagnose  der  Excavationen.  Bei  der  phy- 
siologischen Excavation  ist  nie  die  ganze  Papille  bis  zum  Rande 
hin  ausgehöhlt.  Das  zeigt  sich  ophthalmoskopisch  schon  in  dem  Ver- 
halten der  Gefässe  (vgl.  Figur  107).  Dieselben  gehen  von  der  Netz- 
haut aus  erst  eine  Strecke  über  die  Papille  hin,  ehe  sie  in  die  Tiefe 
biegen.  Besonders  tritt  dies  an  der  nasalen  Seite  hervor,  während  nach 
der  Seite  der  Macula  lutea  hin  die  Vertiefung  sich  schon  eher  der 
Papillengrenze  zu  nähern  pflegt:  doch  bleibt  sie  immer  seicht.  Es  findet 
hier  kein  scharfes  Abbiegen  und  keine  Knickung  der  Gefässe  statt. 

Im  Gegensatz  dazu  reicht  die  ausgeprägte  Druckexcavation  bis 
zur  Netzhautgrenze.  Es  zeigt  sich  also  scharf  am  Papillarrande  die 
Gefässknickung  (vgl.  Figur  112).  Wenn  vorher  schon  eine  physio- 
logische Excavation  bestand,  so  kann  bei  Hinzutritt  der  glaukomatösen 
auf  diese  Weise  eine  doppelte  Knickung  der  Gefässe  zu  Stande  kommen: 
einmal  am  Rande  und  dann  noch  auf  der  Papille  selbst. 

Ferner  dient  auch  die  Färbung  der  Papille  zur  differentiellen 
Diagnose.  Bei  der  physiologischen  Excavation  ist  zwar  die  vertiefte 
Partie  blasser,  oft  sogar  hellweiss,  aber  die  im  Niveau  der  Netzhaut  be- 
findliche behält  ihre  röthliche,  normale  Färbung  bei.  Anders  bei  der 
Druckexcavation,  wo,  wenigstens  in  ausgesprochenen  Fällen,  die  ganze 
vertiefte  Papille  nirgends  mehr  ihre  ursprüngliche  Färbung  zeigt,  son- 
dern blass  oder  grau  aussieht. 

Zu  einer  Täuschung  flu-  den  Ungeübten  könnte  der  Umstand  viel- 
leicht noch  Anlass  geben,  dass  bei  der  Druckexcavation  der  sie  um- 
gebende schmale  grauweisse,  gelbliche,  ja  bisweilen  gelbrothe  Ring  leicht 
zur  Papille  gerechnet  wird.  Es  kann  so  die  Auffassung  entstehen,  dass 
die  Gefässe  nicht  am  Rande  der  Papille  umknicken,  sondern  erst  — 
wie  bei  der  physiologischen  Excavation  — ,  nachdem  sie  ein  Stück  auf 
ihr  verlaufen  sind.  Es  bedarf  aber  nur  des  Hinweises  hierauf  und  ge- 
schärfter Aufmerksamkeit,  um  diese  Klippe  in  der  Regel  vermeiden  zu 
können. 

Die  atrophische  Excavation  hat  eine  seichte,  muldenförmige 
Aushöhlimg,  die  oft  nur  mit  Mühe  ophthalmoskopisch  erkennbar  ist. 
Sehr  schwer  ist  es,  die  atrophische  Excavation  von  der  glaukomatösen 


Erkrankungen  des  Sehneryen. 

zu  unterscheiden,  wenn  erstere  sich  zu  einer  vorhandenen  physio- 
logischen hinzugesellt  hat.  da  alsdann  die  Gelasse  ebenfalls  am  Rande 
der  Papille  eine  Bcharfe  Knickung-  machen,  wenn  auch  nicht  immer  in 
der  ganzen  Ausdehnung  derselben.  Bisweilen  kann,  bei  einseitiger 
Schwachsichtigkeit  der  Befund  am  anderen  Auge  leiten,  da  physiologische 
Excavationen  nur  doppelseitig  vorzukommen  pflegen.  Bei  bestehen- 
bleibendem Zweifel  wäre  dann  auf  den  Hof  der  glaukomatösen  Exeavation 
zu  achten,  der  breiter  ist  und  mehr  gelblich  gefärbt  sich  zeigt  als  der 
physiologische  weisse  Scleralring  (allerdings  kann  letzterer  auch  bei  ein- 
fach atrophischen  Papillen  durch  den  Schwund  der  Sehnervenfasern  etwas 
deutlicher  hervortreten):  ferner  auf  Pulsationsphänomene,  und  eventuell 
auf  allgemeine  Krankkeitssynitome  des  Glaukoms. 

Schliesslich  ist  der  Anfänger  darauf  aufmerksam  zu  machen,  die 
glaukomatöse  Exeavation  nicht  etwa  mit  Stapkyloma  posticum  zu  ver- 
wechseln, wozu  vielleicht  gelegentlich  'das  ähnliche  Verhalten  des  all- 
gemeinen Gefässlaufes,  nämlich  die  Verschiebung  nach  der  nasalen 
Seite,  wie  sie  hier  durch  Schiefstellung  der  Papilla  optica  bedingt 
ist.  verführen  könnte.  Die  grosse,  weisse  Sichel,  ausgedehntere  Cho- 
rioidealveränderungen,  die  mangelnde  Knickung  der  Gefässe  am  Bande 
—  wenn  auch  kleinere  Biegungen  vorkommen  —  schützen  ziemlich 
leicht  davor. 


7.  Geschwülste  des  Sehnerven. 

Die  orbitale  Partie  des  Sehnerven  zeigt  öfter  Gesclrwülste,  die  theils 
primär  entstanden  sind,  theils  seeundär  vom  Bulbus  (bei  Gliom  der 
Netzhaut  und  Sarcom  der  Ohorioidea)  oder  auch  vom  Orbitalgewebe 
auf  sie  übergingen.  Selten  aber  reicht  die  nicht  vom  Auge  ausgehende 
Sehnerven-Geschwulst  soweit  nach  vorn,  dass  sie  die  Papilla  optica  er- 
greift, wie  Jacobson  in  einem  Falle  gesehen  hat.  Primär  sind  im 
<  opticus  besonders  Sarcome  mit  ihren  Mischformen  der  Fibro-,  Glio-  und 
Mvxosarcome,  seltener  Endotheliome,  Psammome,  Gliome,  Fibrome  und 
Tuberkel  beobachtet:  seeundär  meist  Sarcome.  Bisweilen  sitzt  die  Ge- 
schwulst nur  innerhalb  der  äusseren  Scheide,  und  der  Sehnerv  geht, 
ohne  von  ihr  ergriffen  zu  sein,  durch  sie  hindurch.  Einmal  fand  ich 
eine  grosse  Blutcystc,  von  der  Sehnervenscheide  ausgehend,  welche  den 
Bulbus  stark  nach  oben  gedrängt  hatte.  Das  Leiden  fällt  verhältniss- 
mässig  häufig  in  das  kindliche  Alter.  Entspringen  die  Geschwülste  vom 
Sehnerven  selbst,  so  ist  eine  frühzeitige  Erblindung  charakteristisch.  Der 
Bulbus  ist  hier  in  der  Richtung  des  Sehnerven  nach  vorn  gerückt  und 
—  im  Gegensatz  zu  den  meisten  Orbitalgeschwülsten  —  noch  leicht 
beweglich.     An  der  Papille   ist  Neuritis  mit   grösserer  oder  geringerer 


Geschwülste  des  Sehnerven.  269 

Schwellung  oder  Atrophie  nachweisbar,  [n  einigen  Fällen  ist  es  ge- 
lungen, die  Sehnervengeschwulst  mitErhaltung  des  Bulbus  zu  exstirpiren. 
Besonders  eignet  sieh  hierzu  die  von  Krönlein  angegebene  Operation 
mir  zeitweiser  Resection  der  äusseren  Orbitalwand,  wodurch  man  einen 
deutlichen  Einblick  in  die  tieferen  Partien  der  Augenhöhle  erhält. 


Viertes  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Netzhaut. 


1.  Hyperämie  und  Anämie  der  Netzhaut. 
Gefässveränderungen. 

Bei  Hyperämie  der  Xetzkaut  sieht  man  neben  stärkerer  Köthung 
der  Papilla  optica  Ausdehnung  und  Schlängelung  der  Netzhautarterien 
und  Xetzhautvenen.  Auch  ein  leichtes  Verschwommensein  der  Papillar- 
grenze  ist  öfter  vorhanden.  Da  sieh  aber  physiologisch  ein  ziemlieh 
weiter  Spielraum  bezüglich  der  Gefässentwickelung  und  Form  bei  den 
einzelnen  Individuen  findet,  so  ist  eine  gesicherte  Diagnose  nicht  über- 
all zu  stellen:  am  ehesten  noch,  wenn  die  fragliche  Hyperämie  einseitig 
auftritt,  durch  Vergleich  mit  der  andern  Seite. 

Bei  entzündlichen  AugenatFectionen  (besonders  bei  Iritis)  besteht 
die  Hyperämie  öfter  als  Complication;  ebenso  kommt  sie  bei  Refractions- 
anomalien,  die  zu  asthenopischen  Beschwerden  führen  oder  nach  starker 
Ueberanstrengung  der  Augen  vor;  weiter  bisweilen  bei  cerebralen 
Aftectionen,  bei  venösen  Stauungen,  bei  Cyanose  und  in  den  ersten 
Stadien  der  constitutionellen  S}~philis.  Auch  bei  chronischer  Anämie 
findet  sie  sich  auffallend  häufig  (Jäger),  wo  dann  auch  Pulsationen  der 
Xetzhautarterien  auftreten  (Raehlmann).  Subjective  Beschwerden  fehlen 
meist,  bisweilen  besteht  Lichtscheu  und  Mangel  an  Ausdauer  beim  Ar- 
beiten. Die  Therapie  wird  die  ursächlichen  Momente  zu  berücksichtigen 
haben.  Daneben  Augendiät,  eventuell  Blutentziehungen  undDerivantien. 

Anämie  der  Xetzhaut  (Blässe  der  Papille  und  Enge  der  Netzhaut- 
gefasse)  kommt  bisweilen  bei  anämischen  und  leukämischen  Individuen 


j>7o  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

zur  Beobachtung;  ebenso  findet  man  sie  hei  Ohnmächtigen.  Häufiger 
verknüpft  sie  sieh  mit  Processen  im  Sehnerven  (Neuritis),  welche  eine 
(Jompression  der  Blutgefässe  bewirken.  Hier  sind  die  Arterien  bisweilen 
ausserordentlich  dünn  (vgl.  „Emholie  und  Thrombose  der  Art.  centr. 
retin. "). 

Bei  Arteriosclerose  zeigen  die  Netzhautarterien  häufig  Schlänge- 
lung und  Verdünnung,  weisse  Berandung  (Periarteriitis  hei  unverändertem 
Lumen,  hei  gleichzeitiger  Endarteriitis  Verengung  desselben)  und  auch 
partielle  Verengung  einzelner  Gefässabsehnitte,  meist  ohne  Sichtbar- 
werdung  der  "Wandungen.  An  den  verdünnten  Arterien  treten  Pulsations- 
erscheinungen  in  Gestalt  von  Kaliberschwankungen  und  kleinen  Be- 
wegungen auf.  Die  Venen  sind  partiell  verengt,  daneben  auch  varieüs. 
Eine  Reihe  plötzlicher  Erblindungen  lässt  sich  auf  eine  durch  Endar- 
teriitis bedingte  Störung  der  Blutcirculation  zurückführen  (Raehlmann) 
oder  auf  vollständige  Thromhosirung. ' 

Gelbfärbung  der  Retina  und  des  Opticus  (mit  Hemeralopie  und 
Gelbsehen)  wurde  bei  Icterus  beobachtet  (Hirschberg). 

2.  Retinitis  simplex  (Retinitis  serosa). 

Zu  der  Hyperämie  der  Netzhaut  und  Papille  gesellt  sich  hier  eine 
ausgedehntere  graue  Trübung  des  Gewebes  von  mehr  oder  weniger 
Intensität.  Sie  hat  ihren  Sitz  mit  Vorliebe  in  der  Nähe  der  Papilla 
optica,  deren  Grenzen  bisweilen  so  verschwommen  sind,  dass  man  den 
Sehnerveneintritt  nur  durch  das  Zusammenströmen  der  Blutgefässe 
erkennt.  In  anderen  Fällen  liegt  nur  ein  leichter  Schleier  (Oedem) 
über  dem  rothen  Augenhintergrund  in  der  Gegend  der  Papilla  optica, 
diese  etwas  überragend.  Auch  in  der  Macula  lutea  oder  an  peripheren 
Partien  findet  sich  diese  Trübung.  Die  Gefässe  an  den  leicht  getrübten 
Partien  sind  meist  deutlich  sichtbar,  und  besonders  erseheinen  die  Venen 
als  etwas  dickere,  dunklere  Stränge  auf  dem  mehr  grauweisslichen 
( i runde.  Die  Arterien  sind  bisweilen  etwas  enger,  was  auf  (Jompression 
derselben,  besonders  im  Sehnerven,  zurückzuführen  ist.  Gelegentlich 
sind  auch  die  Blutgefässe  verdeckt  und  verschleiert.  Blutergüsse  fehlen 
in  der  Regel. 

Die  Diagnose  ist  nicht  immer  leicht  zu  stellen,  da  eine  einfache 
Verschleierung  des  Augenhintergrundes  auch  durch  Hindernisse  des 
Lichtdurchfalles  in  den  optischen  Medien  bewirkt  werden  kann.  So 
findel  sich  hei  durchsichtiger  diffuser  Glaskörper-  oder  Hornhauttrübung 
ein  ähnliches  Bild:  auch  eine  Hyperämie  der  Papille  und  Netzhaut  ist 
liier  nicht  selten.  Als  diÜ'erentiell-diagnostisches  Moment  ist  zu  be- 
achten,  dass  hei  der  Retinitis  simplex  die  Trübung  des  Gewebes  nur 


lvctinitis  simplex.  271 

mehr  oder  weniger  ausgedehnte  umschriebene  Partien  des  Augen- 
hintergrundes ergreift,  während  bei  einer  diffusen  Glaskörpertrübung 
der  ganze  Augenhintergrund  ziemlich  gleichmässig  versehleiert  er- 
scheinen wird. 

Wenn  das  (Jedem  der  Netzhaut  stark  ist.  so  lässt  sieh  nicht  immer 
die  Unterscheidung  gegenüber  einer  flachen  Netzhautablösung  machen; 
in  beiden  Fällen  ist  das  Gewebe  leicht  getrübt,  die  Gefässe  laufen  ohne 
centralen  hellen  Lichtstreifen  wie  dunkelrothe  Fäden  darüber  hin;  eine 
auffalligere  Niveaudifferenz  aber,  welche  allein  die  Ablösung  mit  Sicher- 
heit beweisen  würde,  kann  fehlen.  —  Bei  der  Retinitis  simplex  bandelt 
es  sieh  vorzugsweise  um  eine  Durchü'änkung  der  Netzhaut  mit  seröser 
Flüssigkeit,  wenngleich  ein  massiger  Austritt  von  Zellen  und  geringe 
parenchymatöse  Veränderungen,  die  sieh  besonders  später  hinzugesellen, 
nicht  ausgeschlossen  sind.  Treten  letztere  pathologische  Veränderungen 
jedoch  durch  intensivere  Trübungen,  Gewebsschwellungen,  weisse  Plaques 
u.  s.  w.  auch  ophthalmoskopisch  hervor,  so  bezeichnen  wir  die  Affection 
besser  als  Retinitis  parenchymatosa  (s.  unten). 

Die  Patienten  klagen,  dass  ein  Xebel  vor  den  Gegenständen  liege 
und  ihr  »Sehvermögen  herabgesetzt  sei.  Auch  Störungen  des  Lichtsinns 
und  im  (iesichtsfelde  kommen  vor:  doch  stehen  diese  Störungen  durch- 
aus nicht  immer  in  geradem  Verhältnisse  zu  dem  ophthalmoskopisch 
wahrnehmbaren  B ef unde. 

Die  Prognose  ist  stets  bedenklich,  indem  schwerere  Affectionen 
der  Chorioidea  oder  des  Sehnerven  daneben  bestehen  können.  Wenn 
hingegen  während  längerer  Beobachtung  sich  kein  Fortschritt  des  Leidens 
gezeigt  hat,  ist  eine  vollständige  oder  relative  Heilung  zu  erwarten. 
Auch  kommt  sehr  in  Betracht,  aus  welcher  Ursache  die  Retinitis  hervor- 
gegangen ist.  Abgesehen  von  einigen  noch  später  zu  erwähnenden 
Momenten  hat  man  Ueberanstrengung,  Blendung,  Erkältung  u.  dgl.  ange- 
schuldigt. Die  Behandlung  wird  sich  nach  der  Aetiologie  zu  richten 
haben.  Xeben  Schonung  der  Augen  gegen  Anstrengung  und  Licht,  oder 
selbst  Aufenthalt  im  Dunkeln,  sind  Heurteloup'sche  tBlutegel,  ab- 
leitendes Verfahren,  Schwitz-  oder  Mercurialkuren  nach  den  vorliegenden 
individuellen  Verhältnissen  in  Anwendung  zu  ziehen. 

Einzehie  besondere  Formen  der  Retinitis  simplex  bedürfen  noch  der 
Besprechung. 

Retinitis  syphilitica.  Die  Xetzhautaffection  an  und  für  sich 
bietet  meist  keine  derartigen  Characteristica,  dass  man  aus  ihr  allein  die 
Diagnose  auf  Syphilis  stellen  könnte.  Erst  durch  die  Verbindung  mit 
eigenartigen  Chorioideal-  und  Glaskörperaffectionen  wird  dieselbe  ge- 
sicherter. Oft  schon  sehr  frühzeitig  nach  der  Infection  zeigt  sich  eine 
gewisse  Hyperämie  der  Netzhaut  mit  leichtem  Verschwommensein  der 


272  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

Papillenränder  (Netehautreizung,  Schnabel),  die  dann  in  eine  ausge- 
prägtere Retinitis  mit  Trübung  des  Gewebes,  besonders  in  der 
Nähe  der  Papille,  übergehen  kann.  Meist  aber  tritt  die  gewöhnlich 
doppelseitige  Retinitis  erst  in  späteren  Perioden  ein,  1  bis  2  Jahre  nach 
der  Infection.  Sie  verbindet  sich  gern  mit  einer  ziemlich  durchsichtigen, 
staubförmigen,  diffusen  Glaskörpertrübung.  Letztere  erschwert  die 
Diagnose  der  Retinitis,  welche,  wie  wir  gesehen,  in  der  Pegel  nur  wenig 
deutliche  Veränderungen  ( —  hellere  Flecke  und  Apoplexien  sind 
selten  — )  zeigt.  Nur  ausnahmsweise  kommen  stärkere  Schwellungen  der 
Papille  vor.  Bisweilen  ist  die  Macula  lutea  allein  befallen  (Retinitis  cen- 
tralis, v.  Graefe);  sie  wird  von  einer  grauen  Trübung  eingenommen. 
In  den  äquatorialen  Partien  entstehen  kleine  weissliche  Flecke,  gemischt 
öfter  mit  schwärzlichen  Pigmentanhäufungen.  Klumpige,  bläuliche  Flecke 
in  der  Nähe  der  Gefässe  sprechen  für  das  Bestehen  einer  Arteriitis  syphi- 
litica (Hirschberg).  Durch  Defecte  im  Pigmentblatte  treten  die  Inter- 
vascularräume  oft  deutlich  hervor.  Eine  häufige  Complication  bilden  pei'i- 
phere  Chorioiditis  und  Iritis.  Bei  der  centralen  Retinitis  sieht  man  später 
auch  leichte  Chorioidealveränderungen  in  der  Gegend  der  Macula  lutea. 
In  seltenen  Fällen  kommt  es  zu  ausgedehnteren  seeundären  Einlage- 
rungen schwarzen  Pigmentes  in  die  Netzhaut  (Chorioretinitis).  Ge- 
legentlich habe  ich  in  Folge  von  Lues  das  vollständige  Bild  einer  Re- 
tinitis pigmentosa  mit  entsprechender  Sehnerven-  und  Gefässveränderung 
und  peripher  sitzenden,  schwarzen,  knochenkörperähnlichen  Pigment- 
flecken und  zwar  ohne  erhebliche  Chorioidealalteration  auftreten  sehen. 
Förster  und  Schweigger  beschreiben  ähnliche  Befunde. 

Die  Patienten  erleiden  in  leichteren  Fällen  nur  eine  geringe  Herab- 
setzung der  Sehschärfe  (S  V3  oder  v.2),  so  dass  sie  —  wenn  keine 
äusseren  Entzündungen  bestehen  —  bisweilen  erst  spät  den  Arzt  auf- 
suchen. In  schweren  und  complicirten  Fällen,  besonders  bei  stärkeren 
Glaskörpertrübungen,  kann  das  Sehen  bis  auf  das  Erkennen  der  Hand- 
bewegungen herabgesetzt  sein. 

Das  Gesichtsfeld  ist  öfter  unterbrochen.  So  treten  bisweilen  ring- 
förmige Defecte  (Förster)  auf,  bei  denen  das  centrale  Sehen  ver- 
hältnissmässig  erhalten  ist,  dann  eine  Zone  schlechten  Sehens  folgt, 
während  in  der  Peripherie  des  Gesichtsfeldes  wiederum  besser  gesehen 
wird.  Bei  Retinitis  centralis  finden  sich  Skotome  am  Fixationspunkt. 
(  M't  wird  über  die  Wahrnehmung  durchsichtiger,  hin  und  her  zitternder 
Flecken  und  Scheiben  geklagt.  Bisweilen  besteht Mikropsie  (v.  Graefe), 
ein  Symptom,  das  sich  auch  bei  anderen  UetinaJerkrankungeu  gelegent- 
lich findet  und  auf  dem  Ausfall  oder  Auseinanderschieben  von  empfin- 
denden Netzhautelementen  beruht.  Ebenso  wie  Kleinersehen  wird  auch 
Metamorphopsie  (Förster)  beobachtet.    Die  Gegenstände  erscheinen 


Retinitis  parenchymatosa.  273 

verzerrt,  gerade  Linien  gebogen;  die  Ursache  dieses  Symptomen  dürfte 
mit  der  der  Mikropsie  zusammenfallen.  Selbst  nach  Heilung  der  Krank- 
heit kann  die  Metamorphopsie  noch  bestehen  bleiben.  Hemeralopie  ist 
gewöhnlich  vorhanden. 

Der  Process  läuft  meist  in  6  bis  8  Wochen,  wenn  es  sich  um  leichte 
Fälle  handelt,  ab.  Eine  in  dieser  Zeit  nicht  erreichte  volle  Wieder- 
herstellung kann  noch  später  allmählich  sich  herausbilden.  Andere  Fälle 
aber  sind  sehr  hartnäckig;  auch  besteht  Neigung  zu  Recidiven.  Den- 
noch kommen  oft  schwere  Erkrankungen,  wenn  sie  frisch  sind  und 
stark  entzündliche  Erscheinungen  zeigen  (Iritis,  dicke  Grlaskörpertrü- 
bungen),  trotz  hochgradigster  Herabsetzung  des  Sehvermögens  und  trotz 
starker  Gesiehtsfelddefeete  (selbst  für  Lampenlicht)  unter  entsprechen- 
der, lange  fortgesetzter  Behandlung  schliesslich  zu  einem  durchaus  be- 
friedigenden Sehvermögen.  Ist  der  Process  abgelaufen,  sind  ausgeprägte 
Chorioidealveränderungen  mit  seeundärer  Sehnervenatrophie  vorhanden, 
so  ist  auf  eine  erhebliche  Besserung  des  bestehenden  Sehvermögens 
nicht  zu  rechnen. 

Die  Therapie  ist  eine  antisyphilitische.  Ich  habe  mit  subcutanen 
Sublimatinjectionen  (0-01  Sublimat)  gleiche  Erfolge  gehabt,  wie  mit 
Schmierkuren;  doch  ziehe  ich  letztere  —  und  zwar  in  starker  Dosis 
(4:  g  pro  die)  vor,  wenn  der  Process  mit  dicker  Glaskörpertrübung  und 
Iritis  complicirt  ist.  Jodkali-  sowie  Schwitzkuren  bieten  nicht  denselben 
Nutzen.  Hingegen  ist  zur  längeren  Fortsetzung  der  Behandlung  — 
nach  Absolvirung  der  Spritz-  oder  Schmierkur  —  Jodkali  allein  oder  in 
Verbindung  mit  Hydrarg.  bijod.  rubr.  empfehlenswerth.  Während  der 
Hauptkur  sollten  die  Kranken  immer  im  Dunkelzimmer  gehalten  werden. 
Bei  vollblütigen  Individuen  empfehlen  sich  noch  Heurteloup'sche 
Blutentziehungen. 

Commotio  retinae.  Nach  Einwirkung  stumpfer  Gewalten  sieht 
man  gelegentlich  eigenthümliche  ödematöse  Trübungen  der  Netzhaut 
auftreten  (Berlin).  An  mehr  oder  weniger  ausgedehnten  Partien  findet 
sich  an  Stelle  der  sonst  vorhandenen  rothen  Färbung  des  Augenhinter- 
grundes eine  grauweisse,  die  bisweilen  mit  zackigen  Ausläufern  in  die 
rothe  Umgebung  hineinragt.  Auf  diesem  grauweissen  Grunde  erscheinen 
die  Gelasse  etwas  dunkler,  mehr  hervortretend  und  strangähnlich  ohne 
den  centralen  Lichtreflex.  Daneben  besteht  gelegentlich  selbst  eine 
Hache  Netzhautablösung.  Wenn  die  Trübung  in  der  Nähe  des  Poles 
sitzt,  so  kann  die  Macula  lutea  eine  gelbliche,  blasse  Färbung  annehmen, 
ihren  hellen  Lichtring  verlieren  und  die  Fovea  centralis  als  dunkler 
Fleck  erscheinen.  Ich  habe,  wie  auch  Hock,  sogar  eine  blutige  Netz- 
hautablösung an  der  Macula  beobachtet;  ebenso  complicirende  Chorioi- 
dealrisse.  In  der  Regel  pflegt  in  einigen  Tagen  jede  Spur  der  Netz- 
Schmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  18 


274  Erkrankungen  der  Netzhaut.' 

hauttrübung  zu  verschwinden.  Das  Sehvermögen  ist  massig  herab- 
gesetzt ('4  l»is  ; .,  der  früheren  Sehschärfe).  In  den  darauf  unter- 
suchten Füllen  habe  ich  in  der  Regel  auch  Verringerung  des  Lieht- 

si  11  n  es  (der  Reizschwelle)  festgestellt.  Ebenso  sind  periphere  Gesiehts- 
defecte  beobachtet  (Ostwalt);  jedoch  fehlen  dieselben  auch.  Die  sub- 
jeetiven  Störungen  schwinden  meist  im  Laufe  einer  Woche.  Bisweilen 
tritt  in  Folge  von  Contusionen  des  Augapfels  ein  Accommodations- 
krampf  auf,  der  mit  traumatischer  Mydriasis  oder  Miosis  einhergehen 
kann.  —  Die  Ursache  des  Schlechtersehens  liegt  nicht,  wie  Berlin  an- 
nahm, in  einem  plötzlich,  in  Folge  kleiner  Blutungen  im  Corp.  ciliare 
entstehenden,  unregelmässigen  Linsen-Astigmatismus,  sondern  in  [der 
Affection  der  Netzhaut.  Hierfür  sprechen  die  Herabsetzung  des  Licht- 
sinnes und  die  Gesichtsfelddefecte;  vor  allem  aber  fehlte,  wie  ich  mich 
ophthalmoskopisch  überzeugt  habe,  irgend  welcher  in  Betracht  kommender 
unregelmässiger  Astigmatismus..  Nach  Berlin's  Versuchen  an  Thieren 
finden  sich  kleine  Blutungen  zwischen  Chorioidea  und  Sclera  an  den 
Stellen,  wo  das  Oedem  der  Netzhaut  sich  ausbildet.  Denig  fand 
neben  diesen  Blutungen,  die  er  als  nebensächlich  auffasst,  .Exsudationen 
zwischen  den  Stäbchen  und  Zapfen  und  ebenso  noch  Zerreissung  der 
Limitans  interna  eine  vom  Glaskörper  stammende  Flüssigkeit  in  der  Nerven- 
fäserschicht:  hierdurch  ist  die  weissliche  Trübung]  bedingt.  —  Bisweilen 
trägt  zu  weiterer  Herabsetzung  der  Sehschärfe  eine  leichte,  oft  nur  mit 
focaler  Beleuchtung  zu  sehende,  zum  Theil  aus  imregelmässigen  Figuren 
sich  zusammensetzende  Hornhauttrübung  oder  auch  die  Trübung  des 
Kammerwassers  bei.  Ruhe  des  Auges,  Atropin,  kühle  Umschläge  ge- 
nügen meist  die  spontane  Wiederherstellung  zu  unterstützen. 

Maculare  Retinitis  durch  directes  Sonnenlicht.  Zu  Zeiten, 
wo  eine  Sonnenfinsterniss  beobachtet  wurde,  stellen  sich  ziemlich  regel- 
mässig Patienten  vor,  die  durch  directes  Hineinsehen  in  die  Sonne  Seh- 
störungen davongetragen  haben.  Während  anfänglich  eine  starke  cen- 
trale Verfinsterung  des  Gesichtsfeldes  stattfand,  verringert]  sich  dieselbe 
meist  soweit,  dass  schliesslich  nur  ein  leichter  Schleier  die  Fixations- 
stelle  deckt  (centrales  Skotom).  Oft  ist  an  derselben  Stelle  ein  gewisses 
Flimmern  vorhanden:  Farben  erscheinen  an  der  Fixationsstelle  matter 
und  weniger  nuancirt;  eine  eigentliche  Farbenblindheit  ist  aber,  wenig- 
stens wenn  das  Sehen  wieder  einigermaassen  hergestellt  ist,  in  der  Regel 
nicht  nachweisbar.  Ophtha huoskopisch  kann  man  selbst  bei  genauer 
Beobachtung  nur  eine  geringe  Veränderung  in  dem  Centrum  der  Macula 
lutea  sehen,  und  zwar  fand  ich,  ebenso  wie  Ilaab  und  Deutschma  im . 
daselbst  an  Stelle  (U'^  bekannten  Bildes  der  Fovea  ein  dunkles,  etwas 
breiteres  Fleckchen,  bisweilen  ohne  Lichtring,  das  grosse  Aehnlichkeit 
mit  einem  Bluterguss  hatte,  ohne  dass  ich  es  jedoch  dafür  ansprechen 


Retinitis  parenehymatosa.  275 

möchte.  Diese  Veränderung  beruht,  auf  directer  Verbrennung  der  be- 
treffenden Netzhautschichten  durch  das  Sonnenlicht,  wie  Thierversuehe 
erwiesen  (Czerny).  Auch  die  Einwirkung  des  elektrischen  Lichtes  be- 
wirkt gleiche  Erkrankungen.  Die  Prognose  ist  von  der  Schwere  der 
Verletzung  abhängig;  aber  selbst  durchscheinende  Skotome  können 
Jahre  lang  bestehen  bleiben.  Die  Therapie  besteht  in  Abhalten  des 
Lichtes,  Blutentziehung  und  Ableitungen.  Später  kann  man  Stryehnin 
versuchen. 


3.  Retinitis  parenehymatosa. 

Neben  der  Hyperämie  und  Grewebstrübung,  welche  die  Retinitis  sim- 
plex  zeigt,  sind  bei  der  parenchymatösen  Retinitis  circumscripte  Ver- 
änderungen in  Gestalt  weisser  oder  weissgelblicher  Flecke  und  Striche 
zu  constatiren.  Daneben  sind  Blutungen  gar  nicht  selten.  Die  aus- 
gedehntere Betheiligung  des 
<  rewebes  veranlasst  ferner,  _^ 
dass  die  Gefässe  zum  Theil 
in  ihrem  Verlauf  verschwom- 
men, selbst  vollkommen  im-  113. 
terbrochen    erscheinen.     Die 

Arterien  sind  bisweilen  durch  (Jompression  enger  und  weniger  gefüllt. 
Auch  kann  durch  Hypertrophirung  der  Adventitia  eine  Verdickung  der 
Gefasswände  (Retinitis  perivasculosa)  bewirkt  werden,  wodurch  sich 
das  Aussehen  in  der  Weise  ändert,  dass  man  die  schmale  rothe  Blut- 
säule zu .  beiden  Seiten  von  weisslichen  Linien  begrenzt  sieht.  Die 
Papilla  optica  ist  in  der  Regel  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Entweder 
wird  sie  einfach  trüb  und  hyperämisch,  ihre  Abgrenzung  gegen  die 
Netzhaut  hin  verschwindet,  oder  sie  schwillt  an  und  überragt  etwas 
das   Netzhautniveau,  so  dass  eine  wirkliche  Neuroretinitis  auftritt. 

I  >ie  a  natomischen  Veränderungen  zeigen  sich  vorzugsweise  in  Wucher- 
ungen der  Müller 'sehen  Radiärfasern,  Hypertrophie  und  Sclerose  der 
Nervenfasern,  fettigen  Degenerationen,  Auftreten  entzündlicher  Ex- 
s  u  (1  a  t  e  und  Blutungen. 

Die  Müller'schen  Radiärfasern  sind  verlängert,  verdickt  und  sclerosirt. 
Hierdurch  wird  in  Verbindung  mit  Wucherungen  der  äusseren  Körnerschicht  eine 
hügelförmige  Erhebung  der  Stäbchen-  und  Zapfenschicht  an  umschriebenen  Stellen 
bewirkt;  besonders  in  der  Nähe  der  Papilla  optica  findet  dies  statt  und  veranlasst 
zum    Theil  die  Hervortreibung  der  Papillengrenze. 

Die  Nervenfaserschicht  in  der  Netzhaut  und  auch  in  der  Papilla  optica  kann 
hypertrophiren  und  zwar  zeigen  hierbei  die  marklosen  Nervenfasern  neben  einer 
mehr  gleichmässigen  Ausdehnung  bisweilen  umschriebene  kolbenförmige  An- 
schwellungen, welche  Aehnlichkeit  mit  Ganglienzellen  haben  und  anfänglich  auch 

18* 


27(5  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

als  Bclerosirte Ganglienzellen  beschrieben  wurden  (Zenker,  Virchow).  II.  Müller 

jedoch  wies  ihre  Entstehung  aus  Nervenfasern  nach  (Fig  113).  Diese  gangliösen 
Entartungen  treten  oft  herdweise  auf. 

I  »ie  fettige  Degeneration  trifft  zum  Theil  die  Müller'schen  Fasern,  zum 
Theil  die  Körnerschichten,  in  welche  sieh  Herde  von  Fettkörnchen  einlagern. 

In  dem  Netzhaut.yewebe  selbst  findet  man  nach  der  Erhärtung  des  Auges 
geronnene  glänzende  Massen,  die  zum  Theil  mit  Lymphkörperchen  durchsetzt 
sind.  Blutergüsse  sind  nicht  eben  selten.  Die  Gefässe  sind  zum  Theil  ausgedehnt, 
besonders  gilt  dies  für  die  A'enen  und  Capillaren;  auch  eine  Neubildung  von 
(Massen  tritt  ein.  Die  Wände  der  Gefässe  der  Netzhaut  und  auch  der  Chorioidea 
zeigen  öfter  eine  seierotische  Intiltration. 

Die  ophthalmoskopisch  wahrnehmbaren  weissen  Plaques  sind  ver- 
anlasst theils  durch  Herde  von  Fettkörnchen,  theils  durch  Nester  selero- 
sirter  und  hypertrophirter  Nervenfasern.  Die  strichförmigen,  weissen 
Trübungen  können  auf  einer  fettigen  Entartung  der  inneren  Enden  der 
Radiärfasern  beruhen. 

Die  subjectiven  Symptome  bestehen  in  Sehschwache.  Das  Gesichts- 
feld ist  in  der  Regel  nicht  eingeengt,  Farben-  und  Lichtsinn  nicht  ge- 
stört. Die  Kranken  klagen  öfter  noch  über  eine  Art  Nebelseben:  auch 
subjective  Lichterscheinungen  kommen  vor.  Ebenso,  aber  selten.  Mi- 
kropsie  und  Metamorphopsie. 

Der  Verlauf  ist  meist  recht  langwierig,  die  Vorhersage  bezüglich 
einer  Besserung  des  Sehvermögens  sehr  zweifelhaft  und  abhängig  von 
der  Ausdehnung  und  Aetiologie  des  Processes.  Doch  werden  Fälle  voll- 
kommener Heilung  beobachtet.  Oefters  wechselt  Besserung  mit  Ver- 
schlechterung ab.  Schliesslich  kann  sich  auch  Netzbaut-  und  Sehnerven- 
atrophie herausbilden.  Die  Form  von  Retinitis,  welche  bei  acuter 
Nephritis  auftritt  (also  etwa  nach  Scharlach),  verspricht  noch  am  ehesten 
Heilung. 

Aetiologie.  Parenchymatöse  Retinitis  ist  gelegentlich  Folge  von 
Netzhautblutungen  oder  auch  von  Chorioiditis.  Sehr  häufig  kommt  sie 
bei  Albuminurie  vor,  auch  bei  Diabetes,  Leukämie,  Anämie  wird  sie  be- 
obachtet und  bat  hier  bisweilen  eine  für  das  Grundleiden  einigermaassen 
charakteristische  Form,  deren  unten  noch  besonders  gedacht  werden  soll. 
Audi  bei  Phosphorvergiftung  sab  man  sie;  oft  bleibt  die  Ursache  un- 
bekannt. 

Die  Behandlung  wird  i'üv  Hube  der  Augen  und  Abhalten 
bellen  Lichts  zu  sorgen  haben.  Ebenso  ist  alles  zu  vermeiden,  was 
Kopf-(  iongestionen  machen  kann  (Genuss  von  Aleobolicis,  starkem 
Kaffee  oder  Thee  etc.);  öfter  sind  wanne  Fussbäder  von  Nutzen.  Im 
Beginne  des  Leidens  empfiehlt  sieb,  wenn  der  Allgemeinzustand  es  er- 
laubt, mehrwöchentlicher  Aufenthalt  in  einem  verdunkelten  Zimmer  mit 
öfterer  Anwendung  (etwa  1  bis  2  mal  wöchentlich)  des  Heurteloup'- 


Retinitis  parencliymatosa.  277 

.sehen  Blutegels.  Um  den  Erfolg  der  Blutentziehungen  festzustellen, 
prüft  man  das  Sehvermögen  zwei  Tage  später.  Hat  sich  nach  zwei- 
maliger Application  keine  Besserung-  eingestellt,  so  kann  man  auf 
weitere  Blutentziehimg  verzichten.  Auch  subeonjunctivale  Kochsalzein- 
spritzungen kann  man  versuchen.  Ferner  sind  Schwitzkuren,  Mercuria- 
lien  oder  Jodkali  bisweilen  angezeigt.  -  -  Bei  Anämischen  oder  bei 
Albuminurie  wird  man  auf  den  Aufenthalt  im  Dunkelzimmer  und  auf 
Blutentziehungen  verzichten;  hier  sind  nur  die  Medicationen  am  Platze, 
welche  gegen  das  Allgemeinleiden  Erfolg  versprechen.  Um  eine  ge- 
wisse örtliche  Ableitung  zu  erzielen,  kann  man  daneben  Arlt'sche  oder 
Jodsalbe  in  die  Stirn  einreiben  lassen  oder  auch  Jodtinctur  auf  Stirn 
und   Schläfe  pinseln. 

Retinitis  albuminurica.  Bisweilen  tritt  die  bei  Albuminurie 
vorkommende,  in  der  Regel  doppelseitige,  parenchymatöse  Retinitis  in 
einer  so  charakteristischen  Form  auf,  dass  aus  ihr  allein  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  das  Grundleiden  diagnosticirt  werden  kann.  Und  in 
der  That  kommen  die  Fälle  nicht  selten  vor,  wo  zuerst  das  Nieren- 
leiden mit  dem  Augenspiegel  erkannt  wird.| 

]\fan  findet  hier  dicht  neben  der  Papilla  optica  weisse  Figuren,  die 
bisweilen  sectorenförmig  —  ähnlich  wie  die  doppelcontourirten  Nerven- 
fasern —  in  die  Netzhaut  hineinstrahlen  (vgl.  Farbendrucktafel).  Sie 
können  zusammenfliessen  und  die  ganze  Papille  mit  einem  breiten,  weiss- 
lichen  Saume  umgeben,  der  an  der  Peripherie  kleinere,  convexe  Bogen 
macht.  Die  Gefässe  sind  zum  Theil  auf  den  Flecken  sichtbar,  zum 
Theil  verschwinden  sie  auf  ihnen  oder  werden  undeutlich.  Die  Venen 
sind  stärker  gefüllt  und  geschlängelt.  Auch  weiter  entfernt  finden  sich 
kleinere  weissliche,  meist  glänzende  Plaques  in  dem  Roth  des  Augen- 
hinterüTimdes.  Die  Papillengrenze  ist  verschwommen;  die  Papille  hy- 
perämisch.  Besonders  charakteristisch  ist  die  Gegend  der  Macula 
lutea.  Letztere  wird  nämlich  von  feinen  weissen  Pünktchen  oder 
S trieben  eingeschlossen;  das  Bild  ist  ähnlich,  als  wenn  weisse  Farbe 
mit  einem  Pinsel  auf  einem  rothen  Grunde  ausgespritzt  wäre.  Weiter 
finden  sich  an  verschiedenen  Stellen  der  Netzhaut  rundliche  oder  radäre, 
kirschrothe  und  rothbraune  Blutergüsse.  Auch  auf  der  Papille  sind 
öfter  Apoplexien.  —  In  einzelnen  Fällen  betheiligt  sich  die  Papille  sehr 
lebhaft  an  dem  Process;  man  findet  starke  Gewebstrübung,  ferner  weisse 
Plaques  und  zahlreichere  Blutergüsse  auf  ihr.  Auch  kann  die  Schwel- 
lung so  erheblich  sein,  dass  sie  pilzkopfförmig  hervorragt:  es  handelt 
sich  dann  um  eine  ausgeprägte  Neuroretinitis. 

Dass  übrigens  selbst  die  typische  Form  des  ophthalmoskopischen 
Bildes  nicht  absolut  die  Diagnose  Albuminurie  sichert,  zeigt  ein  von 
<t.  Wegner  und  mir  beschriebener  Fall,   bei   dem  dasselbe  Bild   sich 


278  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

ohne  Albuminurie  hei  einem  Tumor  eerebri  fand.  Recht  häufig  Treten 
auch  hei  Albuminurie  Retinal-Erkrankungen  auf,  die  nichts  Charakteri- 
stisches haben.  80  einzelne  Apoplexien,  oder  es  besteht  etwa  eine  Re- 
tinitis simplex  mit  sparsamen  Blutungen  oder  einzelnen  weissen  Plaques. 
Auch  beobachtete  ich  einige  Male  im  Anfang  nur  eine  ganz  geringe 
Veränderung  in  der  Gegend  der  Macula.  Letztere  war  von  einer  <  Grenz- 
zone umgeben,  die  wie  leicht  bestäubt  aussah:  von  eigentlich  weissen 
Punkten  war  noch  nichts  zu  sehen.  Erst  später  entwickelte  sich  «las 
charakteristische  Bild. 

In  sehr  seltenen  Fällen  beschränkt  sich  die  Erkrankung  bei  Albu- 
minurie auf  die  Sehnerven- Papille  (Neuritis).  Auch  Netzhautablösungen 
können  als  (Jomplication  hinzutreten.  Die  mikroskopischen  Befunde 
sind  im  Allgemeinen  bereits  geschildert;  das  eigen thümliche  Bild  der 
feinen  Striche  und  Punkte,  welche  die  Macula  umsäumen,  wird  durch 
Verfettung  der  Ausbreitungen  der  Müller'schen  Radiärfasern,  die  nach 
der  Macula  hin  convergiren,  bedingt. 

Vorkommen.  Retinitis  bei  Albuminurie  ist  nicht  selten:  Fre- 
richs  fand  sie  in  circa  13  Procent.  Meist  ist  sie  Begleiterscheinung 
der  chronischen  Nierenaffectionen  (Morb.  Brightii,  Schrumpfniere  und 
amyloide  Degeneration),  aber  auch  bei  acuter  Nephritis  nach  Scharlach 
und  bei  der  Nephritis  gravidarum  wird  sie  öfter  beobachtet.  Hier 
treten  die  Sehstörungen  gewöhnlich  bei  Erstgebärenden  und  in  der 
zweiten  Hälfte  der  Schwangerschaft  auf,  gelegentlich  gesellen  sich  auch 
Eklampsie  und  urämische  Amaurosen  hinzu.  Handelt  es  sich  nur  um 
die  Folge  der  Schwangerschaftsnieren,  so  ist  die  Prognose  quoad  vitam 
gut,  doch  erblindeten  unter  21  Fällen,  bei  denen  Retinitis  albuminurica 
während  der  Schwangerschaft  von  Sil  ex  beobachtet  wurde,  fünf.  Bei 
starken  Gefässveränderungen  und  zunehmender  Schwachsichtigkeit  kann 
die  Einleitung  der  Frühgeburt  in  Frage  kommen.  Da  Neigung  zu  Re- 
cidiven  besteht,  so  ist  eine  neue  Schwangerschaft  möglichst  zu  verhüten. 

Diabetes  und  chronische  Blei-lntoxication  können  bei  gleichzeitig 
bestehender  Albuminurie  dasselbe  ophthalmoskopische  Bild  der  Retinitis 
herbeiführen.  Auffallend  ist  die  Beobachtung  von  Blau-Gelbblindheit 
bei  der  Ret.  albuminurica,  die  König  gemacht  hat. 

Es  scheint  die  Retinitis  die  Folge  einer  chronischen  Urämie 
(v.  Graefe,  Leber)  zu  sein,  für  welche  Annahme  noch  das  häufige 
Vorhandensein  von  Kopfschmerzen  und  Uebelkeit  spricht.  Ferner  werden 
auch  wirkliche  urämische  Anfälle  mit  urämischen  Amaurosen  (s. 
S.  153)  gelegentlich  beobachtet.  Als  erste  locale  Veränderung  in  Folge 
dieser  Blutalteration  ist  nach  den  Untersuchungen  des  Herzogs  Carl 
Theodor  ein  in  allen  gefässhaltigen  Theilen  des  Auges  nachweisbarer 
arteriitischer  Process  zu  betrachten.  —  Das  Auftreten  der  Retinitis  bei 


Retinitis  parenchymatosa.  279 

chronischer  Nephritis  pflegt  von  schlechter  Vorbedeutung  zu  sein;  in 
der  Regel  sterben  die  Patienten  innerhall)  der  nächsten  zwei  Jahre. 
Die  Sehstörungen  sind  mehr  oder  weniger  hochgradig,  können  aber 
ebenso  wie  die  ophthalmoskopisch  sichtbaren  Veränderungen  wieder 
zurückgehen.     Vollständige  Amaurose  ist  sehr  selten. 

Retinitis  leucaeniica.  Bei  Leukämischen  ist,  wie  Liebreich 
zuerst  beschrieben,  die  Netzhaut  beider  Augen  bisweilen  getrübt.  Die 
helle  Beschaffenheit  des  Blutes  bewirkt  eine  blassrothe  oder  blassgelb- 
liche Färbung  des  ganzen  Augenhintergrundes;  ebenso  erscheinen  die 
Grefasse  heller,  die  Venen  sind  geschlängelt  und  von  weissen  Linien 
eingefasst.  Auch  die  Blutextravasate  haben  eine  hellere  Färbung.  Da- 
neben linden  sich  weissliche  rundliche  Plaques,  die  zum  Theil  in  den 
oben  erwähnten  fettigen  Degenerationen  und  sclerotischen  Verände- 
rungen der  Nervenfasern,  zum  Theil  in  Anhäufungen  von  Lymphkör- 
perchen  ihre  Ursache  haben.  Die  Chorioidea  zeigt  ebenfalls  Infiltration 
mit  weissen  Blutkörperchen  und  starke  Ausdehnung  der  Gefässe.  In 
anderen  Fällen  ist  jedoch  die  als  charakteristisch  bezeichnete  helle  oder 
gelbliche  Farbe  des  Augenhintergrundes  und  der  Blutgefässe  durchaus 
nicht  vorhanden,  wie  ich  öfter  gefunden,  trotzdem  Apoplexien  und  Netz- 
hauttrübung bestanden.  Die  Sehstörungen  entsprechen  dem  localen 
Sitze  des  Leidens:  wird,  wie  meist,  nur  die  Peripherie  befallen,  so  sind 
sie  gering.  Li  einem  Falle  Becker 's,  wo  die  Macula  ergriffen  war, 
trat  ein  centrales  Skotom  mit  Metamorphopsie  hervor.  — 

Mit  Betinitis  albescens  punctata  s.  striata  wird  eine  Form 
von  parenchymatöser  Netzhautaffection  bezeichnet,  in  der  eine  Menge 
kleiner  punkt-  oder  strichförmiger  weisser,  öfter  glänzender  Flecke  auf- 
treten (Mooren).  Dieselben  können  sich  auf  die  Umgegend  der  Macula 
lutea  beschränken,  auch  diese  selbst  befallen.  Oefter  wurde  ein  cen- 
trales Skotom  beobachtet.  Die  Prognose  erscheint  bezüglich  der  Besse- 
rimg des  Sehvermögens  ziemlich  günstig. 

Dass  aber  sehr  verschiedenartige  Processe  ein  ziemlich  ähnliches  ophthalmo- 
skopisches Bild  hervorrufen  können,  zeigt  sich  darin,  dass  Fuchs  unter  demselben 
Namen  eine  Afiection  beschreibt,  die  nach  ihm  der  Betin.  pigmentosa  klinisch  ver- 
wandt ist:  statt  mit  schwarzen  Flecken  ist  die  Netzhaut  mit  weissen  überstreut.  — 
Auch  die  von  Fuchs  als  Eetinitis  circinata,  von  Goldzieher  als  „Hutchinson'schi- 
Veränderung  des  Augenhintergrundes1-  beschriebene  Erkrankung  zeigt  weissliche 
Flecke  im  Fmkreise  der  Macula,  während  die  Fovea  anfänglich  frei  bleibt:  später 
sieht  man  auch  Blutungen.  Der  Process  scheint  degenerativer  Art  und  auf  Ge- 
fässalterationen  zu  beruhen. 

Aehnliche  kleine  weisse  Herde  in  der  Netzhautrnitte,  die  zu  ge- 
lappten Ringen  zusammenfliessen  können,  meist  mit  Blutpunkten,  bei 
sonstiger  Intaetheit  des  Gewebes  und  der  Papille  finden  sich  bei  Diabetes 
(Retinis    diabetica  i.      Oft    kann   besonders    die    normal    aussehende 


i>so  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

I  '.ip  illc,  wie  Eirschber/g  mit  Kocht  betont  hat,  zur  differentiellenDiagnose 
gegenüber^  der  Ret.  albuminurica  dienen,  wo  die  Papille  in  der  Regel 
mit  ergriffen  ist;  —  doch  kommen  auch  hier  seltene  Ausnahmen  vor. 
Ferner  beobachtet  man  bei  Greisen  bisweilen  eine  Entartung  der 
Netzhantmitte  (rosenfarbene  Flecke  mit  weisslichen  Stellen  darin,  in 
der  Nähe  graublaue  Flecke)  die  jedoch  nie  zur  Erblindung-  führt 
(Hirschberg). 

4.  Hämorrhagien  der  Netzhaut  (Retinitis  haemorrhagica). 

i  )ie  Blutergüsse  in  der  Netzhaut  zeigen  sich  als  kirschrothe  oder 
braunrothe  Flecke.  Ihre  Farbe  hat  immer  eine  dunklere  Nuance,  als 
sie  dem  normalen  AugenhintergTunde  zukommt.  Die  Diagnose  der  Apo- 
plexien ist  daher  leicht;  nur  an  der  Stelle  der  Macula,  die  an  und  für 
sich  dunkler  ist,  kann  das  Erkennen  bisweilen  etwas  erschwert  werden. 
Auch  die  Unterscheidung  zwischen  Blutungen  in  der  Netzhaut  und 
solchen  in  der  Chorioidea  bietet  gelegentlich  Schwierigkeiten.  Wenn 
grössere  Flecke  sich  resorbiren,  so  sieht  man  als  letzten  Rest  öfter 
noch  eine  dunkle,  der  Peripherie  entsprechende  Linie.  In  anderen 
Fällen]  entstehen  [weisse  Plaques,  welche  später  wieder  verschwinden 
können,  oder  schwärzliche  Flecke  an  der  Stelle  der  früheren  Apoplexie. 
Auch  Chorioidealveränderung'en,  kleine  weisse  Stippchen  und  schwarze 
Flecke  treten  bisweilen  nachträglich  hervor.  Die  Gestalt  der  Blutungen 
ist  verschieden:  rund,  unregelmässig,  öfter  auch  strichförmig.  Diese 
letztere  Form,  welche  durch  die  Ausstrahlungen  der  Müller'schen 
Radiärfasern  bedingt  ist,  findet  sich  bei  Chorioidealblutungen  nicht. 
Die  Anzahl  der  Apoplexien  ist  mehr  oder  weniger  gross.  Bisweilen 
tritt  nur  ein  einziger  Bluterguss  auf;  alsdann  aber,  wie  es  scheint,  mit 
Vorliebe  in  der  Gegend  der  Macula  lutea,  wo  er  sich  durch  ein  deut- 
liches centrales  Skotom  sehr  .bemerklich  macht.  Kleinere  und  peripher 
sitzende  Blutergüsse  verursachen  fast  gar  keine  Störungen;  sie  ent- 
gehen den  Patienten  meist  vollständig.  Nur  wird  öfter  über  „Flim- 
mern" geklagt.  Verhältnissmässig  häufig  finden  sich,  besonders  kleinere 
Apoplexien,  bei  Anämischen  und  Leukämischen.  Bei  der  Anämie 
gesellt  sich  zuweilen  auch  eine  Trübung  der  Papille  und  im  höchsten 
(  rrade  eine  ausgeprägte  Retinitis  mit  Netzhauttrübung  hinzu,  die  selbst 
zur  Amaurose  führen  kann. 

Die  Anämie  kann  durch  die  verschiedensten  Ursachen  bedingt  sein: 
iM'inerkenswerth  ist  die  Netzhautbetheiligung  bei  Vorhandensein  von 
Ankylostoma  duodenale  (Nieden),  bei  Bothrioeephalus  latus,  nach 
Blutungen  etc. 

Bei  der  perniciöseii  Anämie  kommen  Apoplexien,  neben  blasser 


Eämorrhagien  der  Netzhaut.  281 

und  Trüber  Papille  und  starker  Venenausdehnung,  oft  vor  (Homer, 
Bieriner,  Quincke).  Häufig,  aber  durchaus  nicht  immer,  zeigen  sie 
ein  weisses  ('entrinn,  das  aus  einer  Anhäufung  von  Lymphzellen  be- 
steht (Mauz).  tDoch  ist  andererseits  dieses  weisse  Centrum  nicht 
charakteristisch:  ich  habe  es  auch  sonst,  z.  B.  bei  linealer  Leukämie, 
gesehen. 

Litten  hat  es  z.  Th.  auch  bei  den  Apoplexien  der  Netzhaut  beob- 
achtet, die  er  bei  Septikämie  fand.  Hier  treten  die  Blutungen  in 
der  Kegel  kurz  vor  dem  Tode,  längstens  50  bis  60  Stunden  vorher  ein. 
Auch  kommen  sie  vor  in  Verbindung  mit  einer  ausgeprägten  septi- 
kämischen  Retinitis  (Roth).  Dabei  finden  sich  in  den  Netzhaut-Capillaren 
oft  Kokken-Embolien  (Axenfeld). 

Sonst  werden  Hämorrhagien  noch  beobachtet  bei  Menstruations- 
anomalien, Herzfehlern,  Nierenleiden,  Leberkrankheiten,  Congestivzu- 
ständen,  Atherom  der  Arterien  (wo  sie  öfter  Vorläufer  von  Hirnapo- 
plexien sind),  Scorbut,  Purpura  haemorrhagica,  Hautverbrennungen 
u.  s.  w.  Auch  bei  Diabetes  habe  ich  sie  gesehen.  Bisweilen  handelt  es 
sich  um  locale  Veränderungen  der  G-efässwandungen,  wie  z.  B.  bei  den 
Blutungen,  die  spontan  oder  nach  der  Iridectomie  in  glaukomatösen  Augen 
stattfinden,  oder  auch  bei  Neuritis  optica  retrobulbaris. ''  Auch  Traumen 
des  Auges  veranlassen  Blutergüsse. 

Die  Apoplexien  können  zu  vollständiger  Resorption  gelangen;  man 
beobachtet  dies  öfter  bei  den  vereinzelten,  aber  das  Sehen  sehr  stören- 
den in  der  Gegend  der  Macula.  In  anderen  Fällen  folgt  eine  Netzhaut- 
atrophie, die  partiell  oder  mehr  allgemein  ist.  In  Verbindung  hiermit 
kann  es  —  wenn  auch  selten  —  zur  Sehnervenatrophie  mit  starker  Ver- 
engerimg der  Gefässe  kommen.  Secundäres  Glaukom  ist  ebenfalls,  be- 
sonders bei  zahlreichen  Apoplexien,  zu  befürchten.  Diese  schwereren 
Zufälle  gesellen  sich  aber  meist  nur  zu  ausgedehnten  Formen  der  Reti- 
nitis haemorrhaeica. 

Die  Behandlung  wird  sich  nach  den  vorliegenden  Ursachen  zu 
richten  haben.  Neben  Ableitimg  auf  den  Darmcanal  ist  local  im  Anfang- 
Kälte  oder  Druckverband,  besonders  nach  vorangegangenen  Traumen, 
angezeigt;  später  kann  man  Jodtinctur  in  die  Augenumgebung  einpinseln 
und  zu  resorbirenden  Mitteln  übergehen.  Die  Anwendung  des  Atropins 
meide  man.  um  nicht  den  Ausbruch  eines  secundären  Glaukoms  zu  be- 
schleunigen. 

Retinitis  haemorrhagica.  Ist  die  Betheiligung  des  Netzhaut- 
gewebes stärker  hervortretend,  so  bezeichnet  man  den  Process  als  Re- 
tinitis haeniorrhagica.  Hier  besteht  neben  den  Apoplexien  eine  stark 
ausgeprägte  Trübung  des  Gewebes.  Die  Grenze  der  Papille  ist  ver- 
schwommen, bisweilen  ganz  unkenntlich:    auf  der  gerötheten   oder  ge- 


2g2  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

trübten  Papille  liegen  nicht  selten  Blutmassen.  Die  Arterien  der  Netz- 
haut sind  meist  eng,   die  Venen  dunkel,  geschlängelt.     Die  Blutungen 

sind  mehr  oder  weniger  zahlreich;  ihr  Hauptsitz  pflegt  die  Gegend  des 
hinteren  Augenpols  zu  sein.   Bisweilen  kommen  auch  weisse  Plaques  vor. 

Als  ursächliche  Momente  dienen  —  neben  den  oben  angeführten 
—  vorzugsweise  ( Jet'iisserkrankungen  und  Herzaffectionen. 

Die  auf  Venenthromboae  beruhende  Ret.  haemorrh.  entsteht  nach 
Michel  ziemlich  plötzlich,  mit  starker  Abnahme  des  Sehvermögens, 
das  sich,  wenn  auch  vorübergehend,  wieder  bessert.  Dass  übrigens 
nicht  immer  Blutungen  in  der  Netzhaut  als  Folge  der  Thrombose  der 
V.  centralis  auftreten,  beweisen  anderweitige  Mittheilungen  von  Ange- 
luc ci.  In  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  entwickelt  sich  die 
Aftection  einseitig.  Fälle  von  Venenthrombose  mit  Netzhautblutungen, 
denen  Glaukom  folgte,  sind  neuerdings  von  Weinbaum  und  Wagen- 
mann  beschrieben  und  anatomisch  untersucht  worden.  Ein  gleiches 
Bild  kann  auch  durch  Verschluss  multipler  Arterien  entstehen  (Wagen- 
mann). Auch  Gefässcompressionen  können  eine  Retin.  haemorrhagica 
hervorrufen;  so  sieht  man  sie  gelegentlich  bei  Orbitaltumoren. 

Im  Ganzen  ist  die  Prognose  bei  einer  verbreiteten  Ret.  haemorrh. 
wenig  günstig;  oft  auch  treten  neue  Nachschübe  ein.  Der  Ausgang 
kann  ebenfalls  Netzhaut-  und  Sehnervenatrophie  sein,  nicht  selten  folgt 
secundäres  Glaukom.  Bei  umschriebenen  Herden  ist  ihre  Rückbildung 
zu  erwarten. 

Die  Therapie  ist  ähnlich  wie  die  der  Netzhautapoplexien.  Man 
wird  für  ein  ruhiges  Verhalten  der  Kranken,  Augendiät,  im  Beginn 
für  Aufenthalt  in  einem  verdunkelten  Zimmer,  Enthalten  von  Spirituosen, 
geregelten  Stuhlgang,  eventuell,  wenn  der  Allgemeinzustand  es  erlaubt, 
Ableitung  auf  den  Darmeanal  sorgen.  Oertlich  Blutentziehungen.  Kin- 
reibungen  mit  der  Arlt'schen  Stirnsalbe  oder  Jodbepinselungen.  Auch 
Krgotineinspritzungen  sind^zu  versuchen.  Später  eine  die  Resorption 
befördernde  Therapie.     Atropin  ist  auch  hier  zu  vermeiden. 


5.  Pigmentdegeneration  der  Netzhaut 
(Retinitis  pigmentosa). 

Die  Pigmentdegeneration  der  Netzhaut  bietet  ein  sehr  typisches 
Bild  sowohl  dem  ophthalmoskopischen  Befunde  (Figur  114)  als  dem 
Symptomencomplexe  nach. 

Vorzugsweise  an  der  Peripherie  der  Netzhaut  finden  sich  kleine 
intensiv  schwarze  Figuren,  zum  Theil  in  der  (  lestalt  der  Knochenkörper- 
cben  mit  untereinander  coinniunicirenden  Ausläufern,  zum  Theil  als  kleine 


Pignientdegeneration  der  Netzhaut. 


283 


Striche  oder  Punkte,  Grössere  schwarze  Flecken  sind  sehr  selten.  Die 
schwarzen  Striche  liegen  oft  dicht  den  Gefässwandungen  an;  an  anderen 
Stellen  liegen  sie  ihnen  auf  und  verdecken  sie.s  Damit  ist  alsdann  ihr 
Sitz  in  der  Netzhaut  erwiesen.  Das  Be-  oder  Verdecken  von  Netzhaut- 
gefassen  ist  das  wichtigste  Merkzeichen  t'i'ir  die  Localisirung,  da  bei  der 
Dünnheit  der  Netzhaut  kaum  in  anderer  Weise  mit  Sicherheit  diagnosti- 
cirt  werden  kann,  ob  ein  Pigmentfleck  in  ihr  oder  in  der  Chorioidea 
gelegen  ist.  Bei  stärkerer  Verbreitung  des  L'rocesses  sieht  man  auch 
nach  dem  hinteren  Augenpole  hin  Pigment  auftreten;  die  nächste  Um- 
gebung von  Papilla  optica  und 
Macula  bleibt  aber  in  der  Regel 
von  Einlagerungen  frei.  Die  Pa- 
pille selbst  ist  atrophisch,  blass- 
gelblich imd  hat  ein  wachsartiges 
Aussehen;  öfter  erscheint  sie  ver- 
kleinert. Ihre  Grenzen  treten 
deutlich  hervor.  In  ihrer  ]!!\ähe 
wurden  bisweilen  leuchtende  helle 
Linien  und  Stippchen  (Drusen 
der  Glaslamelle  der  Chorioidea) 
beobachtet  (Nie den,  Ancke). 
1  >ie  Gefässe  zeigen  eine  sehr 
charakteristische  Veränderung: 
durch  A'erdickung  ihrer  Wandun- 
gen wird  ihr  Lumen  so  verengt, 

dass  sie  nur  schmale  rothe  Streifen  bilden,  die  bisweilen  kaum  in  ihre 
mehr  peripheren  Verzweigungen  zu  verfolgen  sind.  Die  Verengerung 
trifft  am  auffälligsten  die  Arterien.  Das  Stroma  der  Chorioidea  er- 
scheint dabei  meist  normal;  bisweilen  ist  wegen  leichter  Entfärbung 
des  Pigmentepithels  an  einzelnen  Partien  der  Augenhintergrnnd  heller 
rosa.  Ausgedehntere  und  hervortretendere  Alterationen  der  Chorioi- 
dea aber  (wie  weisse  Flecke,  schwarze  Pigmentanhäufungen)  kommen 
ungemein  selten  vor.  Im  Glaskörper  finden  sich  im  späteren  Verlauf 
bisweilen  Fädchen  und  Flocken:  auch  Trübungen  am  hinteren  Pol  der 
Linse,  die  selbst  zu  vollständiger  Katarakt  führen  können,  treten  als- 
dann gelegentlich  auf.  Aeusserlich  erscheint  das  Auge  normal.  Oefter 
ist  mir  eine  abnorm  hohe  Spannung  aufgefallen.  Ich  kenne  einen  zwan- 
zigjährigen Mann,  bei  dem  sich  zur  Retinitis  pigmentosa  ein  acutes 
<  rlaukom  gesellte.  Auch  von  Andern  ist  das  Aufteten  von  secundären 
Glaukomen  beobachtet  worden. 

Im   Beginn   des   Leidens   fehlt   bisweilen   noch    eine    ausgeprägte 
Pigmentirimg.     Es  kommen  sogar  Fälle  vor,  wrelche  nur  die  charakte- 


114. 


284  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

ristische  Geiassveränderung  und  Papillenatrophie  neben  den  klinischen 
Symptomen  zeigen;  man  hat  hier  von  einer  Ket.  pigmentosa  sine  pig- 
menti) gesprochen.  Bei  einem  derartigen  Patienten  konnte  ich  jedoch 
sechs  Jahre  später  (die  concentrische  Gesichtsfeldern  engung  und  Am- 
blyopie hatte  inzwischen  zugenommen)  einige  wenige  Pigmentrlecke  in 
der  Netzhaut  nachweisen. 

In  den  typischen  Fällen  sind  —  mit  verschwindenden  Ausnahmen  — 
beide  Augen  betallen.  Die  subjectiven  Symptome  bestehen  an- 
fanglich meist  in  Hemeralopie.  Die  Kranken  klagen,  dass  sie  im 
Dämmerlicht  sehr  schlecht  sehen,  ja  sich  nicht  mehr  selbst  zu  führen 
vermögen.  Es  ist  ausserordentlich  selten,  dass  diese  auf  Torpor  retinae 
beruhende  Hemeralopie  gänzlich  fehlt;  wenn  derartige  Patienten  an- 
geben, im  Dämmerlicht  besser  zu  sehen,  so  spielen  zum  Theil  Blendungs- 
erscheinungen, die  auf  Complicationen  (z.  B.  partiellen  Linsentrübungen 
[Leber])  beruhen,  dabei  eine  Bolle.  Auch  die  Prüfung  des  Lichtsinnes 
ergiebt  den  Torpor  retinae.  —  Weiter  kommt  es  zur  Gesichtsfeldbe- 
schränkung  und  zwar  meist  in  der  Form  der  concentrischen  Ge- 
sieh tsfeldeinengung,  welche  nicht  immer  dem  Sitze  der  Pigment- 
flecke entspricht.  Das  centrale  Sehen  bleibt  anfänglich  verhältniss- 
mässig  gut.  So  sind  Kranke  nicht  selten,  welche  noch  kleine  Schrift 
lesen,  eine  Sehschärfe  von  '/4  bis  V2  haben  und  dennoch  sich  nicht 
gut  allein  führen  können.  Ihr  Sehvermögen  ist  dem  eines  Gesunden 
vergleichbar,  der  bei  Schluss  des  einen  Auges  sich  vor  das  andere  eine 
Papiertüte  hält:  durch  sie  blickend  kann  er  das  gerade  vor  ihm  Be- 
findliche scharf  sehen,  das  seitlich  Gelegene  ist  ihm  aber  abgeschlossen 
und  damit  die  freie  und  schnelle  Bewegung  gehindert.  In  Ausnahme- 
fällen ist  die  Gesichtsfeldeinengung  nicht  concentrisch,  sondern  es  tritt 
ein  zonulärer  Defect  des  Gesichtsfeldes  ein  (v.  Graefe).  Allmählich 
verringert  sich  mit  zunehmender  Einengung  auch  das  centrale  Sehen 
nie  In-  und  mehr,  bis  es  schliesslich  zur  Erblindung  kommt.  Ihr 
Farbensinn  wird  erst  in  späteren  Stadien  herabgesetzt.  Einmal  habe 
ich   ausgesprochene  Blau-Gelbblindheit  beobachtet. 

hie  pathologisch-anatomischen  Untersuchungen  haben  ergeben, 
dass  die  Stäbchen-  und  Zapfenschicht  besonders  leidet  (Leiter,  Landolt).  Bis- 
weilen  geht  sie  ganz  verloren.  Alter  auch  die  inneren  Schichten  bis  zur  Ganglien- 
schicht  können  zerstört  werden.  Am  längsten  hält  sich  die  Nervenfaserschicht. 
.Mit  der  Vernichtung  der  nervösen  Elemente  geht  Hand  in  Hand  eine  starke 
Hyperplasirung  des  Bindegewebes,  speciell  der  Müll  er 'sehen  ßadiärfasern.  Hie 
Gefässe  zeigen  eine  Verdickung  ihrer  Wandungen,  welche  ein  homogenes  glänzendes 
Anseilen  bieten  i Seierose  1.  In  den  Wandungen  findet  sich  oft  Pigment.  Das 
eigentlich  Charakteristische  dieser  Att'ection.  die  Einlagerung  von  Pigment  in  die 
Netzhaut  seihst  ist  durch  Einwanderung  von  pigmentirten  Zellen  oder  auch  Ein- 
schwemmung 7011  diffusem  Pigment  veranlasst.  Dasselbe  nimmt  von  umschriebenen 


Pigmentdegeneration  der  Netzhaut.  285 

Stellen  des  Pigmentepithels  seinen  Ursprung,  wo  gleichzeitig  Verklebungen 
zwischen  ihm  und  der  Netzhaut  stattfinden.  Au  einzelnen  solchen  Stellen 
fehlt  das  Pigmentepithel  vollständig,  an  anderen  hat  es  seinen  Pigmentinhalt  ver- 
loren. Da  aber,  wie  ophthalmoskopisch  erweislich,  der  Ausfall  von  Pigmentepithel 
in  den  meisten  Fällen  nur  massig  ist,  so  niuss  ein  weiterer  Wucherungsprocess 
der  Pigmentzellen  in  der  Netzhaut  selbst  angenommen  werden.  Vielleicht  be- 
theiligen sieh  auch  noch  die  Gefässwände  an  der  Bildung  des  Pigments.  Aus- 
nahmsweise sind  entzündliche  Processein  derChorioidea  gefunden  worden  (Bürste  n- 
bindeir).  Der  Sehnerv  ist  atrophisch,  seine  Fasern  zeigen  fettige  Degeneration 
Gt-uaita);  schliesslich  kann  sich  die  Atrophie  noch  über  das  Chiasma  fortsetzen. 
Interessant  sind  für  die  Aetiologie  dieser  Krankheit  die  Befunde  Berlin's  und 
Wagenmann's.  Während  ersterer. nach  Durchschneidung  des  Sehnerven  und 
der  Ciliargefässe  hei  Thieren  eine  Pigmenteinwanderung  in  die  "Netzhaut  constatirte, 
erwies  letzterer  die  alleinige  Abhängigkeit  derselben  von  der  Durchschneidung 
der  Ciliargefässe.  Circulationsstörungen  könnten  demnach  für  die  Entstehung  der 
Ret.  pigmentosa  von  Bedeutung  sein,  zumal  sklerotische  Veränderungen  in  den 
Aderhautgefässen  neuerdings  nachgewiesen  sind. 

Vorkommen  und  Verlauf.  Die  AfFection  kommt  theils  ange- 
boren vor,  theils  wird  sie  in  früher  Jugend  —  etwa  bis  zum  10.  Lebens- 
jahre —  erworben.  Auch  bei  manchen  Fällen  angeborener  einfacher 
Amaurose  findet  sich  in  späteren  Jahren  die  Pigmentdegeneration 
i  Mooren,  Leber).  Dieselbe  macht  den  oben  beschriebenen  Ent- 
Avickelungsgang  der  subjeetiven  Störungen  durch,  meist  mit  einer  all- 
mählich zunehmenden  Verschlechterung,  sodass  im  50.  Lebensjahre  die 
Erblindung  ziemlich  vollständig  ist.  In  anderen  Fällen  hingegen  erhält 
sich  ein  gewisses  Sehvermögen  länger,  selbst  dauernd.  Ein  von  mir 
beobachteter  Patient,  der  bereits  als  6 jähriger  Knabe  hemeralopische 
Erscheinungen  bot,  hatte  im  52.  Lebensjahre  noch  S  V3  bezw.  2/9  bei 
einer  eoncentrischen  (iesichtsfeldeinengung  bis  durchschnittlich  10  Grad 
um  den  Fixirpunkt.  Zwei  Brüder,  von  denen  der  jüngere  als  Soldat 
gedient  hatte,  waren  schon  als  Kinder  hemeralopisch.  Der  eine,  37  Jahre 
alt.  hatte  S  5/8  bezw.  5/12,  der  andere,  50  Jahre  alt,  S  V7  bezw.  12/30. 
Dabei  war  das  Gesichtsfeld  bei  Tagesbeleuchtung  frei,  bei  herabgesetzter 
Beleuchtung  aber  eingeengt.  Dass  mit  Ret.  pigmentosa  behaftete  Indi- 
viduen übrigens  zum  Militärdienste  eingezogen  werden,  kommt  öfter  vor. 

(Joinplicationen  mit  Nystagmus, Katarakt,  angeborenen  Missbil düngen, 
mit  Schwerhörigkeit  sind  nicht  selten.  Auch  findet  sich  bei  Taubstummen 
öfter  Pigmentdegeneration  der  Netzhaut. 

Als  Lrsache  des  Leidens  ist  zum  Theil  Erblichkeit  anzuschuldigen, 
auch  in  dem  weiteren  Sinne,  dass  andersartige,  aber  ähnliche  Augen- 
leiden bei  den  Eltern  bestehen,  z.  B.  einseitige  Sehnervenatrophie.  Bis- 
weilen werden  mehrere  Kinder  derselben  Familie  befallen,  bisweilen 
nur  die  Knaben,  bisweilen  nur  die  Mädchen.  Liebreich  hat  auf  das 
Moment  der  Blutsverwandtschaft  der  Eltern  aufmerksam  gemacht.    Der 


2g6  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

Beweis  ist  allerdings  schwer  zu  erbringen,  da  wir  fürs  Erste  nicht  wissen, 
in  welchem  Procentsatz  der  Ehen  überhaupt  die  Eheleute  miteinander 
verwandt  sind.  Aber  auffällig  erscheint  immerhin  die  bei  Nachfrage 
häufig  hervortretende   Verwandtschaft  der  Eltern. 

Bei  Syphilis  kann  in  späteren  Stadien  der  Retinitis  ebenfalls  ein 
ophthalmoskopisches  Bild  sich  zeigen,  das  vollständig  dem  der  typi- 
schen Ret.  pigmentosa  gleicht.  Allerdings  sind  diese  Fälle  ausser- 
ordentlich selten;  meist  treten,  wenn  sich  Pigmenteinlagerung  in  der 
Netzhaut  findet,  ausgedehntere  Veränderungen  der  Chorioidea  (Ohorio- 
Retinitis)  hervor.  —  Auch  sind  einige  Fälle  einseitiger  typischer  Pigment- 
entartung beobachtet.  Ich  selbst  ihabe  einen  Kranken  gesehen,  der, 
ohne  vorhergegangene  Lues,  an  einem  Auge  vollständig  das  geschilderte 
Bild  bot.  In  diesen  letzteren  Fällen  ist  aber  der  klinische  Verlauf  ein 
abweichender,  indem  das  Leiden  ziemlich  acut  beginnt  und  auch  die 
concentrische  Gesichtsfeldeinengung  nicht  immer  in  regelmässiger  Form 
ausgeprägt  ist.     Hemeralopie  lässt  sich  jedoch  nachweisen. 

Einmal  sah  ich  ein  durchaus  typisches  Bild  der  Ret.  pigmentosa,  nur  ilass 
einige  sehr  feine  weisse  Linien  sich  in  der  Chorioidea  (Chorioidealrisse)  zeigten. 
I  >ie  Erblindung  bestand  seit  Kindheit.  Es  war  nach  den  gemachten  Mittheilungen 
wahrscheinlich,  dass  die  Ohorioidealrisse  Eolgen  einer  unglücklichen  Anlegung 
der  Kopfzange  bei  der  Geburt  waren.  Welche  Verletzungen  dabei  gelegent- 
lich zu  Stande  kommen,  zeigt  ein  Eall  Steinheim's,  bei  dem  der  Bulbus  in  Folge 
einer  Zangenanlegung  vollständig  aus  der  Augenhöhle  herausgetrieben  war:  ich 
seil  ist  sah  einmal  eine  Fractur  des  Oberkiefers  mit  seeundärem  Ectropium. 

Die  Therapie  ist  im  Ganzen  machtlos.  In  einzelnen  Fällen  hat  man 
Nutzen  vom  constanten  Strome  (Dor),  von  Blutentziehungen  (H.  Pagen- 
s t  e eher),  von  Schwitzkuren  (S chies s)  und  Stryehnininjeetionen  gesehen. 
In  letzter  Zeit  habe  ich,  von  der  Idee  ausgehend,  dass  es  sich  um  Chorioi- 
dealprocesse  mit  Hypertonie  handele,  in  geeigneten  Fällen  die  Sclero- 
tomie    gemacht   und    hiermit   bisweilen   einige  Besserung  erzielt. 


6.  Retinitis  proliferans. 

Ophthalmoskopisch  sieht  man  bei  der  Ret.  proliferans  (Manz) 
weisse,  glänzende  und  faltige  Hervorragungen  auf  der  Netzhaut,  die 
gelegentlich  zwischen  sich  den  rothen  Augenhintergrund  durchscheinen 
bissen.  Die  Blutgefässe  liegen  meist  in  der  Tiefe  der  Falten  und  ent- 
sprechen in  Verlauf  und  Kaliber  (Perivasculitis)  nicht  immer  den  nor- 
malen Netzhautgefassen.  Die  Papille  ist  öfter  nicht  zu  sehen,  da  sie 
von  den  Wucherungen  überdeckt  ist.  Von  einer  Netzhautablösung 
unterscheidet  sieh  die  AffectioD  dadurch,  dass  die  Kalten  ganz  steil 
und  scharf  gegen  den  Glaskörper,  wie  ^Gebirgskämme*  hervorspringen. 


Netzhautablösung.  287 

Auch  das  Verhalten  der  Gefasse  weicht  von  dem  bei  Netzhautablösungen 
ab;  fcheilweise  verlaufen  sie  zwar  auf  der  Oberfläche  der  Neubildung, 
zum  Theil  alter  in  dem  Gewebe  selbst.  Fast  immer  sind  Blutungen 
in  der  Netzhaut  und  im  Glaskörper  vorhanden,  es  ist  wahrscheinlich, 
dass  diese  oft  die  Ursache  der  Bindegewfebs-Hypertrophirung  bilden. 
Die  Iris  ist  bisweilen  grünlich  verfärbt.  Das  Sehvermögen  ist  herab- 
gesetzt: Gesichtsfeld  entsprechend  defect.  Die  Affection  kann  sich  zu- 
rüekbilden.  Jodkali,  Schmierkur  und  Heurteloup'sehe  Blutegel  haben 
sieh  vortheilhaft  erwiesen.  In  dem  von  Manz  anatomisch  untersuchten 
Falle,  wo  schliesslich  Phthisis  sich  ausgebildet  hatte,  entstand  eine  chro- 
nische Entzündung  der  Netzhaut  mit  von  ihrer  Innenfläche  ausgehenden 
starken  bindegewebigen  Wucherungen  mit  Kernvermehrung;  die  ner- 
vösen Elemente  waren  zerstört,  die  Netzhautgefässe  etwas  vermehrt. 
\n  anderen  Fällen  wurden  ausgedehnte  Veränderungen  der  Gefässwan- 
dungen  nachgewiesen  (Purtscher). 


7.  Netzhautablösung  (Amotio  s.  Sublatio  retinae). 

Ausgedehntere  Netzhautablösungen  sind  ophthalmoskopisch  besonders 
gut  im  aufrechten  Bilde  zu  erkennen.  Wirft  man  Licht  mit  dem  Augen- 
spiegel in  die  Pupille  und  lässt  nunmehr  Bewegungen  des  Auges  machen, 
so  sieht  man  schon  aus  einiger  Entfernung  (etwa  30  cm),  wie  die  rothe 
Farbe  der  Pupille  bei  gewissen  Augenstellungen  sich  in  Weiss  oder  Grau 
verwandelt.  Auch  erkennt  man  bei  etwas  stärkerem  Herangehen,  event. 
unter  Zuhiilfenahnie  von  Convexgläsern,  auf  der  weisslichen  Partie 
Gefasse  (vgl.  Farbendrucktafel).  Da  die  abgelöste  Netzhaut  nach  vorn 
gerückt  ist,  so  befindet  sie  sich  in  derselben  Lage  wie  bei  einem  stark 
nvpermetropischen  Auge.  Bei  genauerer  Einstellung  zeigt  sich  die  Farbe 
grösserer  Ablösungen  meist  nicht  gleichmässig  zart  grau,  sondern  ent- 
hält weissliche  Striche  und  Streifen,  welche  der  Faltenbildung  in  der 
abgelösten  Membran  entsprechen.  Auch  beobachtet  man  in  diesen  Fällen 
öfter  ein  Hin-  und  Herbewegen  der  Membran.  Mit  diesen  Details  lässt 
sich  eine  Netzhautablösung  sicher  diagnosticiren.  Die  oben  erwähnten 
Farbenunterschiede  allein,  welche  bei  den  Augenbewegungen  hervor- 
treten, können  sich  auch  bei  ausgedehnteren  Chorioidealatrophien  und 
Aehnlichem  zeigen. 

Ist  die  Ablösung  kleiner  und  gespannt,  oder  ist  das  hinter  der 
Netzhaut  hegende  Exsudat  sehr  durchsichtig,  so  treten  sowohl  Farben- 
veränderung wie  Faltenbildung  nicht  deutlich  hervor.  Hier  muss  die 
Diagnose  hauptsächlich  aus  der  Niveaudifferenz  zwischen  anliegender 
und  abgehobener  Netzhaut  gestellt  werden,  am  besten  im  umgekehrten 


288  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

Bilde  (-)-  13,0),  indem  man  gerade  den  Rand  der  Ablösung  einstellt 
und  nun  die  auftretende  parallaktische  Verschiebung  beim  Bewegen  der 

Convexlinse  beachtet.  Meist  haben  aueh  die  Gef  as.se  auf  den  abgelösten 
Partien  ein  charakteristisches  Aussehen:  sie  erseheinen  dunkler,  ohne 
Reflexstreifeii  und  strangartig;  an  einzelnen  Stellen  tauchen  sie  auf,  an 
anderen  werden  sie  undeutlich.  Man  muss  in  den  Fällen  seharfum- 
sehriebener  Ablösungen  vorzugsweise  an  darunter  sitzende  Tumoren 
oder  an  Cysticercus  denken.  Jedoch  kommen  sie  auch  vor  als  Produet 
einer  umschriebenen  Chorioiditis,  wie  ich  in  einzelnen  Fällen  —  nach 
Wiederanlegung  der  Netzhaut  —  sicher  constatiren  konnte.  — 

Die  Netzhautablösungen  rinden  sich  bei  längerem  Bestehen  vorzugs- 
weise in  der  unteren  Hälfte  des  Bulbus,  indem  selbst  die  früher  nach 
oben  gelegenen  durch  Senkung  des  Exsudates  eine  Ablösung  der  unten 
gelegenen  Netzhautpartien  zur  Folge  haben.  Bisweilen  hängt  die  abge- 
löste Netzhaut  schleierartig  über  der  Papille  und  verdeckt  sie  theilweise 
oder  ganz.  Bei  totaler  Ablösung,  die  aber  meist  wegen  anderer  secun- 
därer  Veränderungen  nicht  mehr  ophthalmoskopisch  gesehen  werden 
kann,  sitzt  die  Netzhaut  nur  noch  an  der  Papille  und  an  der  Ora  serrata. 
Sie  bildet  demnach  eine  Art  Trichter,  in  welchem  der  geschrumpfte 
Glaskörper  liegt. 

Risse  in  der  abgelösteivNetzhaut  sind  durch  die  etwas  umgeworfenen 
Ränder  und  durch  das  Durchscheinen  der  röthlichen  Chorioidea  erkennbar. 
Häufig  sind  auch  Trübungen  im  Glaskörper  vorhanden,  zum  Theil  als 
Flocken  und  in  umschriebener  Form  erkennbar,  zum  Theil  mehr  diffus, 
so  dass  ihr  Vorhandensein  vorzugsweise  durch  die  Undeutlichkeit  des 
ophthalmoskopischen  Bildes  zu  diagnosticiren  ist. 

Der  subretinale  Erguss  ist  meist  seröser  Natur  (gelegentlich  sieht 
man  Cholestearinkrystalle  darin),  sehr  selten  blutig  oder  gar  eitrig.  Der 
blutige  Erguss  kennzeichnet  sich  durch  die  dunkelrothe,  der  eitrige 
durch  die  gelbe  Farbe  der  Ablösung. 

Bei  längerem  Bestehen  ausgedehnter  Netzhautablösungen  kommt  es 
in  der  Regel  zu  secundärer  Starbildung  —  meist  als  geschrumpfte  gelb- 
lich-weisse  Katarakt  sich  darstellend  —  und  zu  chronischer  Iritis  und  Irido- 
Cyklitis  mit  grasgrüner  Verfärbung  der  Regenbogenhaut.  Dabei  wird 
der  Augapfel  weicher,  eilte  Consistenzveränderung,  die  hei  frischen 
Ablösungen   meist   fehlt. 

Bei  frischen  Netzhautablösungen  findet  man  anatomisch  besonders  Verän- 
derungen der  Stäbchenschicht.  Die  Stäbchen  zeigen  Verbiegungen,  Verlängerungen 
oder  völligen  Zerfall.  Später  werden  auch  die  inneren  Schichten  ergriffen,  die 
nervösen  demente  gehen  unter  Ilypertrophirurig  des  Bindegewebes  zu  Grunde.  Die 
Metzhaut  ist  alsdann  meist  stark  gefaltet,  mit  Höhlungen  durchsetzt.  Das  Pigment- 
epithel hleilit,  falls  keine  Chorioretinitis  vorautfegiintfcn,  auf  der  Chorioidea  haften. 
I  öfters  beobachtet  man  in  schweren  Fällen  auch  eine  A  b  I  ös«  ng  des  G  laskörpers 


Netzhautablösung-.  289 

von  der  Net/haut:  der  durch  die  Schrumpfung-  dos  (ülaskövnors  zwischen  ihm 
und  der  Netzhaut  entstandene  freie  Raum  wird  durch  ein  flüssiges  Exsudat  aus- 
gefüllt Ewanoff).  Auchkannder  Glaskörper  eine  fibrilläre  Degeneration  zeigen 
(Leber,  N  ordenson). 

Die  Sehstörungen  stellen  sich  in  der  Kegel  ziemlich  plötzlich 
ein.  Die  Kranken  geben  an,  es  hätte  sich  eine  dunkle  Wolke  vor  die 
Gegenstände  gelegt.  Bisweilen  halten  sich  einige  Tage  vorher  Pho- 
topsien (feurige  Kugeln  u.  dgl.)  gezeigt.  Entsprechend  der  Stelle  der 
Ablösung  findet  sich  eine  Herabsetzung  des  Sehens.  Oefter  treten  Ge- 
sichtsfelddefecte,  die  bei  Tageslicht  nicht  wahrnehmbar  waren,  erst  her- 
vor, wenn  man  bei  herabgesetzter  Beleuchtung  prüft.  Bei  längerem 
Bestehen  kommt  es  meist  zu  einem  ausgesprochenen  Defect  sogar  für 
quantitative  Lichtempfindung.  Das  centrale  Sehen  pflegt,  selbst  wenn, 
wie  häutig,  die  Macula  nicht  direct  in  die  abgelöste  Partie  fällt,  eben- 
falls bei  einiger  Ausdehnimg  der  Ablösung  zu  leiden.  Daneben  be- 
steht  ausgesprochener  Torpor  retinae,  indem  fast  immer  eine  starke 
Herabsetzung  des  Lichtsinns  vorhanden  ist.  Auch  Metamorphopsie  wird 
beobachtet.  Störungen  der  Farbenwahrnehmungen  sind  nicht  in  allen 
Fällen  nachweisbar:  öfter  wird  Grün  mit  Blau  verwechselt  (Dimmer). 
Gelegentlich  quälen  subjeetive  Farbenerscheinungen  und  besonders  ein 
der  Ablösungsstelle  entsprechendes  Flimmern  im  Gesichtsfeld  den 
Kranken  und  können  lange  Zeit  bestehen  bleiben. 

Der  Ausgang  einer  Netzhautablösung  in  dauernde  Heilung  ist  nicht 
häutig:  am  ehesten  ist  sie  zu  erwarten  bei  umschriebener  Ablösung  in 
Folge  exsudativer  Chorioiditis.  Sie  kommt  hier  durch  die  Besorption 
der  subretinalen  Flüssigkeit  zu  Stande;  in  anderen  Fällen  kann  auch 
Durchbruch  in  den  Glaskörper  erfolgen.  Aber  auch  durch  Senkung 
der  Flüssigkeit  können  abgehobene  Netzhautpartien  sich  wieder  anlegen 
und  von  Neuem  funetioniren.  Ausnahmsweise  wechseln  Anlegung  und 
Ablösung  wochenlang  beständig.  Kleinere  Ablösungen  bleiben  bisweilen 
viele  Jahre  stationär,  ohne  dass  eine  erhebliche  Verschlechterung  des 
Sehens  eintritt.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  aber  nimmt  das  Sehen  immer 
mehr  ab  und  es  kommt  zur  unheilbaren  Erblindung. 

Aetiologie.  Als  Ursachen  der  Netzhautablösung  sind  anzuführen: 
1 1  Verletzungen.  So  stumpfe  Gewalten,  die  den  Bulbus  treffen  (etwa 
abspringende  Selterswasser-  oder  Champagnerpfropfen,  Schlag  mit 
einem  Holz  u.  ähnliches) :  perforirende  Wunden  der  Sclera,  die  bei  starkem 
Glaskörperverlust  sofortige  Ablösung  veranlasssen  oder  sie  auch  noch 
später,  wenn  die  Netzhaut  in  die  Narbe  eingeheilt  ist,  durch  Narben- 
contraction  bewirken.  Selbst  einfache  Chorioidealrupturen  können  nach- 
träglich noch  zur  Netzhautablösimg  führen  (Saemisch,  Knapp).  Auch 
nach  Starextractionen    (besonders    bei    peripher .  Wunde   mit  und  ohne 

3chmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  19 


290  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

cystoide  Vernarbung)  sieht  man  gelegentlich  nach  längerer  Zeit  Netz- 
hautablösung folgen.  2)  Hochgradige  Myopie.  |In  der  Regel  sind 
Chorioidealveränderungen  und  Glaskörpertrübungerj  vorhanden.  Bis- 
weilen werden  beide  Augen  nacheinander  befallen.  3)  Acute  Chorioiditis 
mit  serösem  Erguss.  4)  Tumoren  sowohl  der  Netzhaut  als  der  Cho- 
rioidea  veranlassen  nicht  selten  eine  subretinale  Exsudation,  welche  die 
Netzhaut  abhebt.  Die  Diagnose  'auf  Tumor  wird  durch  stärkere  Er- 
höhung des  intraocularen  Druckes  gestützt.  5)  Retinale  Cysticerken. 
Die  runde  Form  der  Ablösung,  eine  eigentümlich  schillernde  weisse 
Färbung  an  der  Peripherie,  Bewegungen  des  Wurmes,  bisweilen  auch 
das  Durchscheinen  des  Kopfes  dienen  zur  Diagnose.  6)  Retinitis  albu- 
minurica. 7)  Entzündungen  des  orbitalen  Fettgewebes.  8)  Chronische 
Ohorioiditen,  Irido-Cykliten  und  Glaskörperleiden. 

Aber  in  einer  ganzen  Reihe  von  plötzlich  auftretenden  Netzhaut- 
ablösungen ist  keines  der  erwähnten  ätiologischen  Momente  nach- 
weisbar. Bisweilen  wird  als  nächste  Veranlassung  von  alten  Leuten 
das  Nehmen  eines  warmen  Bades  angegeben  (Becker),  öfter  auch  Er- 
kältung. — 

Die  Entstehung  der  Netzhautablösung  ist  mechanisch  nicht  in 
allen  Fällen  leicht  zu  erklären.  Wenn  Glaskörper  in  grosser  Menge 
abfliesst,  so  kann  durch  Exsudation  seitens  der  Chorioidealgefässe  oder 
auch  durch  Blutungen  die  Netzhaut  abgedrängt  werden.  Ebenso  wer- 
den dicke  bindegewebige  Stränge  im  Glaskörper,  die  sich  bisweilen  um 
Fremdkörper  oder  auch  sonst  nach  schweren  Entzündungen  (Iridocyclitis, 
Eiterungen)  bilden,  wenn  sie  mit  der  Netzhaut  in  Verbindung  stehen, 
diese  durch  Zug  von  der  Chorioidea  abheben  (H.  Müller).  Aber  in 
der  Mehrzahl  der  ophthalmoskopisch  diagnosticirten  Netzhautablösungen 
handelt  es  sich  nicht  um  solche  gröbere  Veränderungen. 

Zur  Erklärung  dieser  häufigen  Formen  stehen  sich  zwei  Theorien 
gegenüber:  die  eine  legt  das  Hauptgewicht  auf  eine  primäre  Altera- 
tion des  Glaskörpers,  die  andere  auf  eine  Trans-  oder  Exsudation 
seitens  der  Chorioidea.  Leber,  der  im  Glaskörper  feine  wellige 
Fibrillen  gefunden  hat,  die  stellenweis  zu  starken  Zügen  verbunden, 
sich  an  der  Netzhaut  ansetzten,  nimmt  an,  dass  diese  Stränge  sich  bei 
der  Glaskörperschrumpfung  contrahirten  und  dabei  einen  Riss  in  der 
Netzhaut  veranlassten.  Durch  diesen  Riss  sollte  alsdann  die  präretinale 
Flüssigkeit,  die  bei  Glaskörperalilösung  zwischen  dem  geschrumpften 
Glaskörper  in  der  Netzhaut  liegt,  sich  hinter  die  Netzhaut  ergiessen 
und  so  die  Ablösung  bewirken.  Gegen  diese  Anschauung  aber  spricht 
zuerst,  dass  in  einer  Reihe  von  Fällen  Netzhautrisse  überhaupt  fehlen, 
wie  unter  anderem  Horstmann's  Zusammenstellungen  erweisen.  Im 
üebrigeu  können  die  Risse  auch  secundär  durch  Durchbrechen  der  sub- 


Netzhautablösung\  2lJl 

retinalen  Flüssigkeit  in  den  G-laskörper  entstehen;  wie  Elschning  ge- 
zeigt, geschieht  »las  besonders  dort,  wo  die  Chorioidea  mit  der  Re- 
tina entzündlich  verwachsen  ist.  Ferner  müsste  nach  dieser  Theorie 
die  präretinale  Flüssigkeit  dieselben  Eigenschaften  haben  wie  die  sub- 
retinale:  ich  habe  aber  in  einem  Falle  nachweisen  können,  dass  scbon 
frühzeitig  im  subretinalen  Räume  Cholestearinkrystalle  waren,  während 
der  ( rlaskörper  sich  davon  vollständig  frei  zeigte.  Auch  ist  die  Senkung 
der  Flüssigkeit  bei  älteren  Netzhautablösungen  nur  durch  ihre  grössere 
specifische  Schwere  möglieh,  und  in  der  That  hat  sie,  wie  auch  ich  bei 
Ablassung  derselben  öfter  constatirte,  einen  stärkeren  Eiweissgehalt  ge- 
habt. Dazukommt,  dass  die  erwähnten  anatomischen  Befunde  im  Grlas- 
körper sich  nur  bei  älteren  Fällen  rinden.  Wir  müssen  danach  annehmen, 
dass  von  der  Chorioidea  her  der  subretinale  Erguss  stammt.  Der  trübere 
oft  gemachte  Einwand,  dass  hierbei  eine  intraoculare  Druckzunahme 
eintreten  müsse,  während  bei  Netzhaut- Ablösungen  die  Tension  herab- 
gesetzt sei,  ist  insofern  schon  nicht  stichhaltig,  als  eben  die  Tensions- 
abnahme sieh  nur  bei  älteren  Ablösungen  findet,  durchaus  nicht  bei 
frischen.  Im  Uebrigen  ist  im  Auge  ein  so  treffliches  Regulirungssystem 
für  den  Flüssigkeits-Zu-  und  Abgang,  dass  die,  durch  die  Chorioideal- 
Exsudation  bedingte  Vermehrung  des  Augeninhaltes  bald  ausgeglichen 
werden  kann.  Ebenso  "wie  aber,  trotz  des  gegenwirkenden  Glas- 
körperdruckes eine  blutige  Netzhautablösung  zu  Stande  kommen  kann, 
so  auch  eine  exsudative.  Es  ist  übrigens  sehr  wahrscheinlich,  dass  bei 
den  verschiedenen  Netzhautablösungen  sowohl  Exsudate  wie  Trans- 
sudate eine  Rolle  spielen.  Der  Unterschied  zwischen  beiden,  auf  den 
grösseren  oder  geringeren  EiwTeissgehalt  gegründet,  ist  schon  pathologisch- 
anatomisch nicht  immer  sicher  zu  machen.  Meist  dürfte  es  sich  um  eine 
Exsudation  handeln:  nach  Raehlmann  regt  das  eiweissreiche  Exsudat 
der  Chorioidea  eine  reichliche  Diffusion  vom  Glaskörper  her  an,  wo- 
durch für  die  Xetzhautablösung  Platz  gemacht  würde.  Schnabel  nimmt 
als  Ursache  der  Ablösung  eine  Secretionsneurose  an. 

Die  Behandlung  der  Netzhautablösungen,  besonders  frischer  und 
nicht  zu  ausgedehnter,  ist  nicht  so  aussichtslos,  wTie  sie  früher  oft  hin- 
gestellt wurde.  Jedenfalls  ist  ein  Versuch  dringend  angezeigt  und 
führt  bisweilen  zu  kaum  erhofften  Resultaten.  Besserung  des  Sehens 
wird  ziemlich  regelmässig  erzielt;  aber  auch  eine  temporäre,  bisweilen 
selbst  dauernde  Wiederanlegung  der  Netzhaut  kann  erreicht  werden. 
Als  einfachstes  Mittel  empfiehlt  sich  ein  Druckverband  auf  das  Auge 
(Samelsohn),  horizontale  Bettlage  und  Schwitzen  (Xatr.  salicylicum 
oder  Pilocarpin-Injectionen),  eventuell  mit  massiger  Trockendiät.  Die 
ErklärimgswTeise,  welche  Samelsohn  bezüglich  des  Nutzens  des  Druck- 
verbandes giebt,  scheint  jedoch  nicht  zutreffend.    Nach  ihm  ist  bei  einer 

19* 


292  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

plötzlichen  Herabsetzung   des   Druckes    im  Glaskörper   die  unelastisch 

gewordene  Sclera  nielit  gefolgt  und  so  die  Exsudation  zwischen 
Chorioidea  und  Retina  entstanden.  Der  Druckverband  soll  nun 
gleichsam  die  Contractionsfähigkeit  der  Sclera  unterstützen.  Es 
niiisste  demnach  eine  Spannungszunahme  die  Folge  sein.  Man  be- 
obachtet aber  gerade  im  Gegentheil,  dass  unter  dem  Druckverbande 
der  intraoeulare  Druck  auffällig  herabgeht:  die  Augen  werden  weich. 
( )efter  treten  hierbei  graue  strichförmige  Trübungen  der  ( 'ornea,  bis- 
weilen fast  wie  kleine  Falten  aussehend,  auf,  die  mit  der  verringerten 
Cornealspannung  in  Verbindung  stehen.  Injection  kleiner  pericornealer 
Gefässe  findet  sich  ziemlich  regelmässig.  Es  erscheint  demnach  annehin- 
1  »arer,  dass  der  Druckverband  eine  eingreifende  Aenderung  der  Circulations- 
ond  Absonderungsverhältnisse  veranlasst  und  hierdurch  seinen  oft  deutlich 
ersichtlichen,  bessernden  Eintluss  ausübt. 

Auch  durch  subconjunctivale  Kochsalz-Einspritzungen,  Heurte- 
loup'sche  Blutentzichungen  und  Ableitung  auf  den  Darmkanal  kann 
man  den  Heilungsvorgang  unterstützen. 

Operative  Eingriffe  werden  sich  erst  empfehlen,  wenn  obige  Be- 
handlung einige  Zeit  durchgeführt  ist  und  sich  als  nutzlos  erwiesen  hat. 
Am  meisten  Vortheil  verspricht  die  ungefährliche  Funktion  der  Sclera, 
wie  sie  besonders  von  Alfred  Graefe  empfohlen  worden.  Nachdem  man 
sich  genau  über  die  Stelle  der  Netzhautablösung  unterrichtet  hat, 
schneidet  man  die  Conjunctiva  ein  und  legt  sich  die  Sclera,  dort 
wo  die  Netzhautablösung  sitzt,  unter  entsprechender  Drehung  des  Bulbus 
bloss.  An  Stelle  eines  Graefe'schen  Starmessers  benutze  ich  jetzt 
zum  nunmehrigen  Einstich  in  die  Sclera  ein  kürzeres  schmales  Messer- 
chen, das  in  einer  Entfernung  von  3  mm  von  der  Spitze  sich  ver- 
jüngt: hierdurch  schafft  man  Baum  zum  Abfluss  des  subretinalen  Ex- 
sudates und  ist  sicher,  nicht  zu  weit  in  das  Augeninnere  zu  ^chen.  Die 
Conjunctivalwunde  wird  durch  Naht  vereinigt.  In  der  Regel  kann  man 
nach  dieser  Operation  eilte  partielle  oder  totale  Anlegung  beobachten: 
doch  hält  sie  leider  nieist  nicht  Stand.  Alsdann  empfiehlt  sich  öftere 
Wiederholung.  Tiefere  Eingriffe,  die,  wie  die  Wecker'sche  Drainage 
mit  Golddraht  einen  dauernden  Abfluss  der  Flüssigkeit,  oder  wie  das 
Schöler'sche,  auf  der  Leber'schen  Theorie  basirte  Einspritzen  von 
Jodtinctur  in  den  Glaskörper  eine  Heilung  des  letzteren  bewirken  sollten, 
sind  selbst  von  ihren  Erfindern  wegen  der  öfter  beobachteten  gefährlichen 
Folgen  verlassen  worden.  Deutschmann  hat,  ursprünglich  ebenfalls 
auf  der  Leber'schen  Theorie  stehend,  versucht,  durch  ein  tiefes  Ein- 
gehen mit  dem  Graefe'schen  schmalen  Messer  neben  der  ausgiebigen 
Entleerung  subretinaler  Flüssigkeit  auch  noch  die   supponirten   mikro- 


Einbolie  der  Art.  centralis  retinae.  293 

skopisehen  Glaskörjperstränge  zu  durchschneiden.  Wenn  dies  nicht  ge- 
nügte, hat  er  einen  Tropfen  Kaninchenglaskörperurnata  („Glaskörper- 
transplantation")  mit  physiologischer  Kochsalzlösung  in  den  Glaskörper 

gespritzt,  um  diesen  umzustimmen.  Die  Folge  war  eine  mehr  oder 
weniger  heftige  Entzündung.  Neuerdings  hat  Deutsehmann  die  er- 
wähnte Theorie  zwar  aufgegeben,  aber  das  Verfahren  mit  geringen 
Modifikationen  beibehalten.  Jedenfalls  ist  vor  einer  zu  ausgiebigen 
Bearbeitung  des  Glaskörpers  zu  warnen.  Am  wenigsten  bedenklich 
erscheint  «las  Einspritzen  der  aus  dem  aufgehängten  Glaskörper 
austropfenden  Flüssigkeit  (die  etwa  die  Zusammensetzung  des  Humor 
aqueus  hat)  zum  Zweck  des  Andrängens  der  Netzhaut  an  die  Cho- 
rioidea:  diese  Operation  kann,  wie  ieh  in  einem  Falle  sah,  ohne  be- 
sondere Reaction  verlaufen. 

Auch  Eleetrolyse  (Abadie),  Galvanoeauterisation  der  Sclera  sind 
versucht  worden.  Dor  hat  durch  sein,  viele  Monate  lang  fortgesetztes 
Verfahren  (absolut  flache  Bettlage,  36  Stunden  Druckverband,  2  Mal 
wöchentlich  Heurteloup,  wöchentliches  Cauterisiren  der  Sclera  an 
3  bis  4  Punkten  dort,  wo  die  jNetzhautablösung  sitzt,  und  wöchentlich 
eine  Einspritzimg,  subconjunetival  oder  bei  hinterem  Sitz  der  Ablösung 
innerhalb  der  Tenon'sehen  Kapsel,  von  einer  20  bis  30°/0  Kochsalz- 
lösung. J :,  Pravazspritze)  in  einem  erheblichen  Procentsatz  von  Netz- 
hautablösungen  eine  Heilung  erzielt. 

8.  Embolie  und  Thrombose  der  Art.  centralis  retinae. 
Ischaemia  retinae. 

Bei  der  embolischen  oder  thrombotischen  Verstopfung  der  Art.  cen- 
tralis retinae  erscheinen  die  Arterien  und  Venen  abnorm  eng.  Besonders  die 
Arterien  sind  kaum  als  schmale,  dünne,  blasse  und  blutleere  Fäden  erkenn- 
bar, dir  sich  bisweilen  nur  eine  Strecke  weit  in  die  Netzhaut  hinein  verfolgen 
lassen.  In  anderen  Fällen  —  es  hängt  das  von  dem  mehr  oder  weniger 
vollständigen  Verschluss  des  Lumens  ab  —  hat  man  längere  oder 
kürzere  Zeit  nach  dem  Anfall  in  den  Arterien  einen  miterbrochenen,  in 
einzelnen  kleinen  rothen  Säulchen  sich  fortbewegenden  Blutstrom  ge- 
sehen. Die  Venen  sind  meist  dicker  als  die  Arterien  und  erscheinen 
wie  dunkle  Stränge:  auch  in  ihnen  kann  der  Blutstrom  in  ähnlicher  Weise 
sich  darstellen,  wie  in  den  Arterien.  In  anderen  Fällen  von  v.  Graefe, 
und  in  einem  von  mir,  war  das  Phänomen  nur  in  den  Venen  nachweisbar. 
Im  Anfang  des  Leidens  ist  die  Unterscheidung  zwischen  Venen  und 
Arterien  nicht  immer  leicht. 

Die  Papilla  optica  ist  meist  blass.  Einige  Stunden  oder  mehrere 
Tage  nach  dem  Eintritt  der  Verstopfung  zeigt  sich  eine  leichte  graue 


294  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

Trübung  der  Netzhaut,  die  besonders  die  Umgebung  der  Papille  und 
die  Macula  lutea  trifft.  Der  centralste  Theil  der  letzteren  erscheint  als 
ein  blutrother  kleiner  Fleck,  —  es  ist  dieses  Bild  durchaus  ähnlich 
demjenigen,  das  mau  an  der  Macula  siebt,  wenn  in  einem  relativ  frischen 
Auge  die  Netzhaut  anfängt,  sich  leicht  cadaverös  zu  trüben:  es  tritt 
dann  in  Folge  des  Contrastes  die  braunrothe  Stelle  der  Macula  (Netz- 
haut und  ( 'borioidea  in  situ)  noch  schärfer  hervor.  ( )et'ter  dürfte  es 
sieb  aber  doch  um  eine  Blutung  in  der  Macula  handeln,  wenigstens 
habe  ich  einige  Male  an  der  betreffenden  Stelle  später  dunklere  Pig- 
mentirung  und  auch  weisse  Stippchen  auftreten  sehen:  ganz  ähnlich 
wie  man  sie  sonst  nach  Resorption  von  Blutergüssen  beobachtet. 

Das  Sehvermögen  schwindet  plötzlich  und  vollkommen.  Wenn  die 
Kranken  den  Eintritt  der  Erblindung  beobachtet  haben,  so  schildern 
sie  ihn  so,  dass  eine  schwarze  Wolke  sich  vor  das  Auge  gezogen  habe. 
Bisweilen  gehen  temporäre  Verdunkelungen  der  vollkommenen  Amaurose 
einige  Tage  voraus;  wahrscheinlich  ist  dies  auf  einen  zeitweise  oder 
partiell  verstopfenden  und  weiter  geschwemmten  Embolus  zu  schieben 
(Mauthner). 

In  einigen  Fällen  wird  nach  einiger  Zeit  die  Circulation  wieder 
frei,  und  es  kann  so  zu  einer  Wiederherstellung  des  Sehvermögens 
kommen.  Meist  aber  entwickelt  sich  eine  Netzhaut-  und  Seimerven- 
atrophie: auffallender  Weise  bleibt  hier  noch  oft  ein  nach  aussen  ge- 
legener Sector  der  Gesichtsfelder  frei,  in  dem  in  der  Nähe  Finger  ge- 
zählt werden  können.  In  einem  von  mir  beobachteten  Falle  trat  am 
folgenden  Tage  eine  Irido-Chorioiditis  auf,  die  ebenfalls  auf  einen  em- 
bolischen Ursprung  (Embolie  der  Ciliargefässe)  zurückführbar  erschien. 

Es  sind  zumeist  Herzkranke  mit  Klappenfehlern,  bei  denen  eine 
Embolie  der  Art,  centralis  retinae  anzunehmen  ist,  Fehlen  Gründe  für  Ein- 
scldeppung  von  Blutgerinnsel,  so  ist  eine  Thrombus-Bildung  wahrschein- 
licher. Nach  Michel's  Befunden  kann  dieselbe  in  Folge  von  Endarteritis 
auftreten,  oder  als  maranthische  (bei  Nierenschrumpfung  und  Fettherz), 
septische  oder  Druckthrombose.  Letztere  kommt  vorzugsweise  in  Betracht 
bei  retrobulbären  Neuritiden  mit  Exsudationen,  bei  retrobulbären  Blut- 
ungen (II.  Pagenstecher)  oder  nach  Blutungen  in  den  Sehnerv  (Mag- 
nus). Ich  möchte  annehmen,  dass  häufiger  Thrombosen  als  Embolien  als 
der  Arteria  centralis  vorliegen.  Besonders  dann  ist  daran  zu  denken, 
wenn  Jlerzaffectionen  fehlen  und  durch  Druck  auf  den  Bulbus  eine  noch 
weitere  Verdünnung  der  massig  engen  Arterien  nachweisbar  ist:  diesen 
nicht    vollständigen     Blutabschluss    trotz    eingetretener    Erblindung    habe 

ich  mehrmal  bei  Albuminurie  beobachtet.  Auch  durch  vasomotorische 
Einflüsse  (Epilepsia  retinae  [Jackson]),  die  gelegentlich  reflectorisch 
von    den    Geschlechtsorganen    angeregt    werden    können    (Priestley 


Einbolie  der  Art.  centralis  retinae.  295 

Smith),  z.  B.  im  Wochenbett  (Königstein),  können  ähnliche  Zustände 
hervorgerufen  werden.  Diese  Affectionen  unterscheiden  sich  jedoch 
von  der  Embolie  durch  ihr  doppelseitiges  Auftreten.  Auch  die  als 
[schaemia  retinae  von  Afred  Graefe  und  Rothmund  beschrie- 
benen Fälle  gehören  hierher.  Es  bandelt  sieh  um  doppelseitige,  über 
Nacht  oder  in  ein  paar  Tagen  auftretende  Erblindungen  resp.  hoch- 
gradige Amblyopien,  bei  denen  die  Arterien  eine  ausserordentliche  Enge 
bei  sonst  normalem  Augenhindergrunde  zeigten.  Durch  Iridectomie 
oder  Punktion  der  vorderen  Kammer  wurde  die  Heilung  in  diesen 
Fällen  angebahnt.  — 

Der  anatomische  Nachweis  eines  Embolus  wurde  zuerst  in  einem  v.  Graefe 
klinisch  beobachteten  Falle  durch  Schweigger  geführt.  Später  sind  eine  Keihe 
ähnlicher  Befunde,  neuerdings  von  Manz,  Elschnig  und  Wag&nmann,  ver- 
öffentlicht worden.  In  einem  von  mir  untersuchten  Falle  begann  die  Verstopfung 
der  Art.  centralis  retinae  bald  nach  ihrem  Eintritt  in  den  Opticus.  Ein  starker 
neben  der  Centralarterie  verlaufender  Ast,  der  sich  übrigens  anatomisch  in  der 
Regel  findet  (Schwalbe),  war  ebenfalls  verstopft.  Auch  in  einer  Netzhautarterie 
sass  ein  Embolus.  Selbst  die  Art.  ophthalm.  zeigte  an  einzelnen  Stellen  grössere 
Blutgerinnsel;  kleinere,  von  ihr  in  der  Nähe  der  Art.  centralis  retinae  abzweigende 
Aeste  waren  verstopft.  —  Es  ist  annehmbar,  dass  in  Fällen,  wo  das  ausgeprägte 
Bild  der  Emolia  art.  centr.  retinae  bestand  und  dennoch  innerhalb  des  Sehnerven 
kein  Embolus  oder  anderweitige  Erkrankungen  gefunden  wurden  (Hirschberg), 
die  verstopfende  Masse  wenigstens  in  der  Nähe  sass;  centrale  Verstopfungen  der 
Ophthalmica  bewirken  keine  Störungen  im  Auge  (Elschnig).  Fälle  von  Throm- 
ben en  sind  neuerdings  anatomisch  öfter  nachgewiesen  worden  (Haab,  Michel  u.  A.) 

Ein  doppelseitiges  Auftreten  der  Verstopfung  der  Arter.  centralis 
isr  äusserst  selten  beobachtet;  man  wird  hier  eher  an  thrombolische  als 
an  embolisehe  Processe  denken  müssen. 

Bezüglich  der  Wiederherstellung  der  Blutcirculation  in 
der  Netzhaut  nach  der  Embolie  oder  Thrombose  der  Centralarterie  ist 
auf  verschiedene  Möglichkeiten  aufmerksam  gemacht  worden.  Die 
nächstliegende  ist  die,  dass  der  Pfropf  zerfällt  oder  fortgeschwemmt 
wird.  Es  würde  alsdann  der  Bluteintritt  wieder  durch  die  Hauptarterie 
erfolgen.  Auch  lehrt  eine  durch  Sectionsbefund  gestützte  Beobachtung, 
dass  bei  einem  Embolus,  der  das  Arterienlumen  nicht  vollständig  füllt, 
zuerst  eine  hochgradige  Ischämie  (wohl  Folge  einer  durch  die  Verringer- 
ung des  Blutstroms  bedingten  zeitweiligen Arteriencontraction)  zustande 
kommen  kann,  die  nach  einiger  Zeit  wieder  verschwindet  (Schnabel). 
Bei  totalen  dauernden  Verstopfungen  wird  aber  die  Bildung  eines 
Collateral-Kreislaufs  in  Erwägung  zu  ziehen  sein.  Zur  Erklärung  des- 
selben hat  man  auf  die  Gefässe  des  Zinn'schen  Scleralkranzes,  von 
dem  in  der  That  bisweilen  kleine  Aeste  in  die  Papille  kommen,  zurück- 
gegriffen. Doch  sind  dieselben  in  der  Regel  nicht  stark  genug,  um 
einen  ausgiebigen  collateralen  Blutzufiuss  anzubahnen.    Ich  möchte  mehr 


296  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

auf  den  im  Sehnerven  parallel  dem  Hauptstamme  verlaufenden  kleineren 
Ast  der  Art.  centr.  retinae  hinweisen,  der  in  der  Norm  nur  bis  zur 
Lumina  cribrosa  geht.  Ist  dieser  nicht  verstopft  —  was  dann  der  Fall 
ist,  wenn  der  Embolus  oder  Thrombus  nahe  dem  Bulbus  sitzt  — ,  so 
wird  die  ganze  Brutmasse,  welche  in  den  Sehnerven  tritt,  hei  einer  Ver- 
stopfung des  Hauptastes  in  diesen  Nebenast  geAvorfen  werden  und  ihn 
ausdehnen;  hierdurch  sind  die  günstigsten  Verhältnisse  zur  Ausbildimg 
collateraler  Verbindungen  mit  den  papillären  Gefässen  gegeben.  — 

Auch  Embolie,  beziehentlieh  Thrombose  einzelner  Arte- 
rienäste, mit  entsprechenden  Gesichtsfelddefecten  wurden  gelegentlich 
beobachtet.  Man  findet  hier  den  betreffenden  Arterienast  verdünnt: 
die  versorgte  Xetzhautpartie  wird  milchweiss  (Saemisch),  auch  zahl- 
reiche Blutungen  (hämorrhagischer  Infarct)  können  in  ihr  auftreten. 

Die  Therapie  bezweckt,  die  Durchgängigkeit  des  Arterienrohres 
wieder  herzustellen. 

Man  hat  zu  diesem  Zweck  die  Iridectomie  oder  Paracenthese  em- 
pfohlen. Die  durch  diese  Operation  beAvirkte  Herabsetzung  des  intra- 
ocularen  Druckes  wird  einen  vermehrten  Blutzufluss  bewirken;  doch 
kann  man  sich  nur  dann  einen  Vortheil  davon  versprechen,  wenn  das 
Lumen  der  Centralarterie  partiell  frei  ist;  anderenfalls  würden  die  Aende- 
rungen  im  Augendrucke  gar  keinen  Einfluss  auf  den  Blutstrom  in  dem 
rückwärts  gelegenen  Theil  der  Sehnervenarterie  üben.  Eher  ist  Erfolg 
zu  erwarten  bei  Verstopfung  von  Theilästcn. 

Besser  erscheint  die  frühzeitige  Massage  des  Auges  (Mauthner); 
man  hat  in  der  That  danach  Wiederherstellung  der  Blutcirculation  ein- 
treten sehen.  —  Direct  kann  man  auf  den  Embolus  der  Sehnerven- 
arterie einwirken,  wenn  man  —  wie  bei  der  Xeurotomia  optico-ciliaris 
—  sich  längs  des  Bulbus  einen  Zugang  zum  Sehnerven  bahnt  und  mit 
dem  Schielhaken  leichte  Compressionen  auf  denselben  ausübt.  In  einem 
von  mir  in  dieser  Weise  behandelten  Falle  trat  nach  einigen  Tagen 
Füllung  und  Blutcirculation  in  der  Art.  centralis  wieder  ein. 

9.  Glioma  retinae. 

Ein  sehr  auffälliges  Krankheitsbild,  das  sieh  vorzugsweise  hei  Kin- 
dern findet,  das  „amaurotische  Katzenauge"  (Beer)  wird  in  der  Kegel 
durch  ein  Gliom  der  Netzhaut  bedingt.  Man  sieht  hierbei  aus  der 
Pupille  <les  Kranken  einen  gelbliehen  Reflex,  der  hinter  der  Linse 
-einen  Sitz  hat,  hervorleuchten.  Bei  der  Untersuchung  mit  focaler  Be- 
Leuchtung  findet  man  im  Glaskörper  eine  weissgelbliehe  Masse,  die  mit 
Blutgefässen  durchzogen  ist;  letztere  verästeln  sich  nicht  in  der  für  die 
Netzhautgefässe   charakteristischen    Art.     Auch   kleine    Blutungen   trifft 


Glioma  retinae.  2i>7 

man  gelegentKch.  Dabei  kann  das  äussere  Ansehen  des  erblindeten 
Auges  normal  sein.  Die  Pupille  ist  gewöhnlich  erweitert,  doch  kommen 
auch  enge  und  selbst  durch  Atropin  schwer  dilatirbare  Pupillen  vor:  die 
Iris  ist  bisweilen  verfärbt.  Das  Sehvermögen  wird  meist  sehr  früh  aufge- 
hoben; in  einzelnen  Fällen  erhält  sich  jedoch  noch  lange  guter  Lichtsinn. 

<  lefter  gesellen  sich  Erscheinungen  von  seeundärem  Glaukom  hinzu: 
Steigerung  des  intraokularen  Druckes,  starke  Füllung  der  auf  der  Sclera 
verlaufenden  Venen.  In  anderen  Fällen  führt  eine  eitrige  Chorioiditis 
zur  Phthisis  bulbi;  doch  ist  damit  nicht  eine  Heilung  des  Uebels  ver- 
bunden, da  sich  später  die  Geschwulst  wieder  von  Neuem  vergrössert 
(v.  Graefe).  Wächst  das  Gliom,  so  füllt  es  den  Bulbusraum  immer 
mehr  ans,  setzt  sich  durch  den  Sehnerven  nach  hinten  in  das  Gehirn 
fort  und  kann  auch  am  Hornhautrande  oder  durch  die  Sclera  perforiren. 
Schliesslich  werden  die  übrigen  Gebilde  der  Orbita  mit  ergriffen,  bis- 
weilen schon  vor  der  Perforation,  indem  sich  durch  Propagation  längs 
der  Gefässscheiden  episclerale  Tumoren  bilden.  Die  knöcherne  Orbital- 
wand bleibt  lange  Zeit  frei.  Die  Geschwulst  —  bisweilen  hühnerei- 
gross  —  bekommt  ein  röthliches,  fleischartiges  Aussehen  und  wächst 
ans  der  Orbita  heraus:  von  den  einzelnen  Theilen  des  Augapfels  sind 
alsdann  nur  noch  Spuren  wahrzunehmen.  Selbst  auf  Durchschnitten 
findet  man  hier  nur  durch  die  Reste  der  Sclera  die  frühere  Gestalt  des 
Bulbus  angedeutet.  Aber  selbst  bei  extraoeularer  Fungusbildung  kann 
ausnahmsweise  der  orbitale  Sehnerv  intact  bleiben  (Schönemann). 

In  einzelnen  Fällen  weicht  der  Verlauf  von  dem  oben  geschilderten 
ab.  So  kommt  es  vor,  dass  sich  frühzeitig  zu  der  Gesclrwulst  eine  Netz- 
hautablösung  hinzugesellt,  die  dann  nach  vorn  gedrängt  den  Tumor  ver- 
deckt. Hierdurch  wird  die  Diagnose  erschwert.  In  einem  derartigen 
Falle  habe  ich  schon  Perforation  der  Sclera  in  Gestalt  einer  gelblichen 
erbsengrossen  Hervorwölbung  gesehen,  ehe  die  Geschwulst  durch  den 
Glaskörper  erkennbar  war.  Wie  es  sich  nach  der  Enucleation  zeigte, 
sass  die  Hauptgeschwulstmasse  in  den  vordersten  ciliaren  Theilen  der 
Netzhaut,  in  den  hintersten  Partien  der  abgelösten  Netzhaut  fanden 
sich  kleine,  stecknadelknopfgrosse  Nester,  die  aber  nur  in  den  äusseren 
Schichten  ihren  »Sitz  hatten;  der  Sehnerv  war  frei. 

Um  ein  Gliom  von  einer  Netzhautablösung  zu  unterscheiden,  kann 
man.  abgesehen  von  den  Faltungen,  welche  letztere,  meist  zeigt,  auch 
den  Gefässverlauf  benutzen.  Bei  der  Netzhautablösung  sieht  man  die 
normale  Verästelung  der  Netzhautgefässe,  bei  Glioma  sind  es  neuge- 
bildete, unregelmässig  verlaufende,  meist  breitere  Gefässe.  Weiter  ist 
für  die  Diagnose  verwerthbar  die  Tension:  Drucksteigerung  beim  Tumor 
gegenüber  der  Druckherabsetzung  bei  älteren  Netzhautablösungen.  Doch 
kann  auch  dieses  Kriterium  versagen,  wenn  entzündliche  Erscheinungen 


298  Erkrankungen  der  Netzhaut. 

>/..  1).  Iritis)  zu  letzterer  hinzugetreten  sind,  die  ebenfalls  intraoculare 
I  >ruckernöhung  hervorrufen.  Diese  Schwierigkeiten  lassen  es  verständlich 
erscheinen,  dass  die  Seetion  mancher  wegen  Gliom  enucleirter  Augen 
andere  Affeetionen,  so  Netzhautablösungen  durch  eine  citrongelbe  Flüssig- 
keit (Greeff),  subretinalen  Cysticercus  (v.  Graefe),  Fibrom  der  Sclera 
(Saemisch),  selbst  Uvealerkrankungen  mit  Glaskörper-Infiltration  finden 
liess.  Bezüglich  letzterer  Affection  wird  auf  die  Anamnese  zu  achten 
sein:  bei  Gliom  tritt  der  gelbe  Reflex  ohne  vorhergegangene  Entzim- 
dungen  auf. 

Pathologische  Anatomie.  Die  in  Rede  stehenden  Geschwülste  hat 
Virchow  zuerst  als  Grlioma  retinae  beschrieben;  Hirschberg  betonte,  dass  die 
bösartigen  intraoeulären  Geschwülste  der  Kinder  fast  regelmässig  Gliome  wären 
und  von  der  Netzhaut  ausgingen.  Durch  seine,  v.  Graefe's  und  Knapp's  Ar- 
beiten wurde  besonders  die  klinische  Uebereinstimmung  mit  dem  „Markschwamm" 
(Fungus  haematodes  s.  medullaris)  der  alten  Autoren  festgestellt.  Es  handelt  sich 
makroskopisch  um  eine  .weiche,  markartige  Geschwulst  von  weisslicher,  bisweilen 
leicht  röthlicher  Färbe,  ähnlich  dem  Gliom  des  Gehirns.  Sie  wächst  nach  aussen 
gegen  die  Chorioidea  (Gl.  exophytum)  oder  in  den  Glaskörperraum  hinein  (Gl. 
endophytum). 

.Man  beobachtet  in  der  Geschwulst  Einlagerungen  zahlreicher  kleiner,  rund- 
licher Zellen,  die  theils  den  normalen  Zellen  der  Körnerschicht  gleichen,  theils 
leicht  granulirt  einen  grossen  Kern  mit  schmalem  Protoplasmaring  haben.  Von 
Grundstibstanz  ist  nur  eine  structurlose,  feingekörnte  Masse  zu  sehen:  bisweilen 
erkennt  man  in  ihr  ein  Netz  feiner  Fäserchen.  Der  Ausgang  der  Geschwulstbil- 
dung sind  die  Gliazellen  der  Netzhaut.  Das  zeigt  sich  besonders  bei  Färbungen 
mit  der  Osmiumbichromat-Silbermethode  von  Golgi.  Hierbei  treten  in  Masse  echte 
Gliazellen  (Spinnenzellen  mit  zahlreichen  Ausläufern)  hervor,  daneben  Ganglien- 
zellen von  verschiedener  Grösse  (Greeff,  Hertcl).  Da  die  Spinnenzellen  nur  in 
der  Nervenfaser-  und  Ganglienzellensehieht  vorkommen,  so  würde  anzunehmen 
sein,  dass  sich  hier  auch  das  Gliom  entwickelte.  Doch  sind  noch  an  anderen 
Schichten  die  ersten  Ausgänge  beobachtet  worden;  es  handelt  sich  dann  um  ver- 
sprengte Keime,  wie  Wintersteiner,  der  die  Geschwulst  als  Neuroepitheliom  be- 
zeichnet hat,  ausführt.  Bei  längerem  Bestehen  und  starker  Ausbreitung  treten 
grössere  Gruppen  von  vorzugsweise  spindelförmigen  Zellen  mit  grossem  Kern  auf 
Glio-Sarkom) ;  auch  Züge  von  Bindegewebsbündeln.  Als  Producte  regressiver 
Metamorphose  findet  man  gelbbräunliche,  breiige  Massen,  die  stark  verfettete  Zellen, 
Fettkrystalle,  Pigmentschollen  (zum  Tlieil  wohl  von  Blutungen  herrührend)  ent- 
halten, selbst  Verkalkungen.  Setzt  sich  der  Process  in  den  Sehnerven  fort,  so 
findet  sich  dort  eine  Einlagerung  gliomatöser  Zellen:  diese  sind  aber  der  Form 
nach  nicht  von  den,  in  dem  Opticus  normal  vorkommenden  zu  unterscheiden. 
Leitend  für  die  Annahme  eines  pathologischen  Vorganges  ist  in  zweifelhaften 
Fällen  die  stärkere  Zellen-Anhäufung  in  längeren  Zügen  oder  an  umschriebenen 
Stellen.    Auch  durch  die  Sehnervenscheide  kann  die  Propagation  erfolgen. 

Verlauf.  Die  Affection  entsteht  bald  nach  der  Geburt  oder  in 
den  nächst  darauffolgenden  Jahren.  Da  im  Beginn  entzündliche  Er- 
scheinungen oder  Schmerzen  fehlen,  so  werden  die  Eltern  meist  erst 
durch  den  gelben  aus  der  Pupille  kommenden  Reflex  aufmerksam.    Im 


Hyperämie  der  Chorioidea.  299 

Laute  eines  oder  einiger  Jahre  führt  die  Affection,  wenn  keine  Hilfe 
gebracht  wird,  in  der  Regel  zum  Tode,  meist  unter  Auftreten  von  Meta- 
stasen in  den  benachbarten  Lymphdrüsen;  im  Gehirn,  Leber,  Nieren, 
Knochen  u.s.  w.  Nicht  allzu  selten  werden  beide  Augen  nacheinander 
befallen.  Auch  mehrere  Kinder  derselben  Familie  (bei  voller  Gesund- 
heit der  Eltern)  erkranken  bisweilen  an  dem  Leiden.  Ich  habe  zwei  nach- 
folgende Söhne  unter  drei  Kindern  von   (iliom  befallen  sehen. 

Die  Therapie  besteht  in  der  frühzeitigen  Enukleation.  Da  trotz 
scheinbar  noch  intraocularen  Sitzes  die  ( reschwulst  doch  in  den  Sehnerv 
sieh  fortgesetzt  halten  kann,  so  ist  von  letzterem  ein  möglichst  grosser 
Theil  zu  exstirpiren.  Wird  frühzeitig  enücleirt,  so  kann,  wie  eine  Reihe 
von  Fällen  erweist,  dauernde  Heilung  erzielt  werden.  Sehr  viel  weniger 
wahrscheinlich  ist  dies,  wenn  die  Geschwulst  bereits  das  anliegende  Ge- 
webe ergriffen  hat:  hier  erfolgen  theils  locale  IJecidive,  theils  tritt  auch 
trotz  Ausbleibens  derselben,  durch  Metastase  der  Tod  ein.  Man  wird 
al>er  immerhin,  wenn  Metastasen  noch  fehlen  und  der  Gesundheitszu- 
stand des  Kindes  nicht  bereits  zu  schlecht  ist,  den  Versuch  einer  mög- 
lichst reinen  Exstirpation,  eventuell  mit  nachträglicher  Anwendung  des 
Glüheisens  oder  auch  Herausnahme  des  Periostes  machen  müssen,  da 
selbst  in  derartig  vorgeschrittenen  Fällen  einzelne  Heilungen  constatirt 
sind.  Sind  beide  Augen  befallen,  so  ist  die  Prognose  fast  absolut 
schlecht. 


Fünftes  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Chorioidea. 

1.  Hyperaemia  Chorioideae. 

Hier  gilt  noch  in  erhöhtem  Maasse  das,  was  bezüglich  der  Schwierig- 
keiten, welche  die  Diagnose  einer  Hyperaemia  retinae  bieten,  früher  ge- 
sagt worden  ist.  In  einer  Reihe  von  Fällen  sehen  wir  wegen  der  starken 
Pigmentirung  des  Epithels  überhaupt  nichts  von  den  Chorioidealgefässen, 
können  also  auch  eine  Hyperämie  derselben  nicht  diagnosticiren.    Nur 


3()0  Erkrankungen  »Irr  Chorioidea. 

bei  geringer  Piginentirung  des  Augenhmtergrundes,  wie  ßie  vorzugsweise 
bei  blonden  [ndividuen  oder  bei  Albinos  vorkommt,  erkennen  wir  die 
Chorioidealgefässe,  [mmerhin  ist  es  aber  auch  hier  schwer,  eine  ver- 
mehrte Füllung  derselben  zu  constatiren,  wenn  nicht  etwa  der  Vergleich 
mit  dem  anderen  gesunden  Auge  möglieh  ist.  Keinenfalls  aber  lasse 
man  sich  verleiten,  wie  es  von  Anfängern  manchmal  geschieht,  daraus, 
dass  bei  Pigmentmangel  der  Augenhintergrund  lebhaft  roth  erscheint 
und  die  Gefässe  deutlich  hervortreten,  eine  Hyperämie  zu  diagnostieiren. 
Eine  umschriebene  Röthung  der  Papilla  optica  —  ohne  Trübung  des 
anliegenden  ( rewebes  —  kann  für  die  Annahme  einer  Hyperämie,  die  bei 
anderweitigen  Erkrankungen  des  Uvealtractus  eine  gewisse  Wahrschein- 
lichkeit für  sich  hat,  als  unterstützendes  Moment  in's  Gesicht  fallen. 

2.  Chorioiditis  exsudativa. 

Bei  der  eigentlichen  Chorioiditis  kommt  es  zu  Exsudationen  und 
zu  Gewebsveränderungen. 

Im  Beginn  mancher  Affectionen  handelt  es  sich  nur  um  eine  Aus- 
schwitzung serösen  Exsudates  (Chorioiditis  serosa),  die  bisweilen 
keine  deutlichen  ophthalmoskopischen  Veränderungen  setzt.  Doch  sieht 
man  öfter  die  Netzhaut  leicht  ödematös  getrübt  mit  fadenartig  umge- 
wandelten, dunkleren  Gefässen,  die  ihren  centralen  Lichtreflex  mehr  oder 
weniger  verloren  haben;  besonders  an  der  Papillengrenze  tritt  eine  hier- 
durch bedingte  Verdickung  derselben  scharf  hervor.  In  der  Peripherie 
können  bereits  flache  Ablösungen  erfolgt  sein.  Ferner  beobachtet  man 
bei  umschriebenen  Processen  eine  manchmal  scharf  abgegrenzte  kleine 
Netzhaut-Ablösung.  Erst  im  weiteren  Verlauf  erkennt  man  dann  die 
Gewebs-  und  Pigment- Veränderungen  der  Chorioidea.  Die  Kranken 
klagen  über  Schlechtsehen,  Metamorphopsie,  Flimmern  vor  den  Augen 
u.  dergl. 

Ist  die  Macula  lutea  befallen,  so  erscheint  sie  im  Beginn  der  Affec- 
tion  bisweilen  wie  leicht  behaucht.  Auch  ist  beachtenswerth  das  Fehlen 
di's  Lichtringes  und  einer  schärferen  Begrenzung  und  Absetzung  gegen 
die  Umgebung,  wie  wir  sie  sonst  bei  der  Betrachtung  im  umgekehrten 
ophthalmoskopischen  Bilde  finden.  Die  Papilla  optica  ist  oft  hyper- 
ämisch.  Da  aber  diese  Erscheinungen  sich  ebenso  bei  einer  Retinitis 
centralis  finden,  so  wird  für's  Erste  die  Diagnose  in  suspenso  bleiben 
müssen.  Sehr  wahrscheinlich  wird  die  Annahme  einer  Chorioiditis  cen- 
tralis, wenn  an  anderen  Stellen  bereits  deutliche  ( 'horioidealverände- 
rungen  vorliegen.  Besonders  häutig  findet  man  bereits  kleine  Alterationen 
in  der  Peripherie  des  Augenhintergrundes,  während  die  Maculargegend 
noch  intacl  erscheint. 


Chorioiditis  exsudativa.  301 

Dass  man  auch  ohne  ophthalmoskopische  Befunde  an  der  Cho- 
rioidea  bei  Glaskörpertrübungen,  die  sich  mit  [ritis  compliciren;  eine 
Chorioiditis  zu  diagnosticiren  gewohnt  ist.  wird  später  (vergl.  Irido- 
Chorioiditis  und  Glaukom)  ausgeführt  werden. 

Die  ophthalmoskopisch  sicher  zu  diagnosticirende  Chorioiditis  (Cho- 
rioiditis plastica")  charakterisirt  sich  im  Grossen  und  Ganzen  dadurch, 
dass  das  gleichmässige Roth  des  Augenhintergrundes  durch  andersfarbige 
Flecke  unterbrochen  wird.  Es  erscheinen  weisse,  gelbliche,  rothgelbliche, 
dunkelrothe  Partien,  neben  grauen  und  schwarzen  (vgl.  Farbendruck - 
tafel).  Oft  sind  die  weissen  Flecke  von  schwarzen  Rändern  umgeben. 
Bisweilen  rinden  sich  nach  abgelaufener  Chorioiditis  feine,  weisse,  meist 
verästelte  Streifen  (Chorioiditis  striata),  die  einen  schwarzen  Saum  zeigen. 
Sie  können  auch  etwas  erhaben  sein.  Bei  den  weissen  Streifen, 
die  durch  Veränderungen  der  Retina  bedingt  wird,  pflegt  die  Rand- 
Pigmentirung  zu  fehlen.  Gelegentlich  kann  auch  eine  leichte  Hervor- 
hebung der  Netzhaut  durch  das  Chorioideal-Exsüdat  veranlasst  werden. 
Dabei  besteht  nicht  selten,  namentlich  wenn  der  Process  acut  ist,  Hyper- 
ämie der  Papille.  Die  Form  der  Flecke  wechselt  zwischen  solchen,  die 
bei  der  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde  mit  convex  13-0  kaum 
als  feine  Punkte  erkennbar  sind  und  solchen,  welche  die  Grösse  der 
Papille  weit  überragen.  Bisweilen  sind  sie  rund,  bisweilen  unregel- 
mässig gestaltet  oder  strichförmig.  Auch  die  Lage  ist  verschieden. 
Zuweilen  findet  sich  die  Erkrankung  nur  um  die  Macula  herum  (Cho- 
rioiditis centralis):  es  zeigt  sich  hier  öfter  ein  röthlicher  Fleck  von 
rundlicher  oder  unregelmässiger  Form,  auch  erhaben,  der  später  abblasst 
und  kleine  schwarze  Pigmentstriche  zu  Tage  treten  lässt.  Gelegent- 
lich ist  man  zweifelhaft,  ob  eine  maculare  Blutung  die  in  der  Umgeb- 
ong  deutlicheren  Chorioidealveränderungen  (gelbliche  und  schwärzliche 
Flecke)  complicirt.  In  anderen  Fällen  nehmen  die  Veränderungen  einen 
grossen  Theil  des  Augenhindergrundes  ein,  in  wieder  anderen  Fällen 
sind  sie  auf  den  Aequator  des  Bulbus  beschränkt  (äquatoriale 
Chorioiditis). 

Von  der  gewöhnlichen  Chorioiditis  exsudativa  hat  man  bestimmte 
Arten  ausgeschieden,  die  sich  durch  die  Eigenartigkeit  des  Auftretens 
und  der  Form  auszeichnen. 

1)  Chorioiditis  disseminata.  Hier  bilden  sich  die  Flecke  in 
besonderen  umschriebenen  Herden,  die  in  der  Regel  nicht  allzu  gross 
und  durch  normal  erscheinendes  Gewebe  von  einander  getrennt  sind. 
Es  handelt  >ich  meist  um  weissliche  und  gelbliche  Flecke,  die  zum 
Theil  einen  schwärzlichen  Rand  haben,  oder  auch  um  einfach  schwarze 
Fleck'-. 

-     Chorioiditis    areolaris    (Förster).      Das  Centrum    des   Er- 


302  Erkrankungen  der  Chorioidea. 

krankungsherdes  ist  die  Macula.     Die  jüngsten    Bildungen   erscheinen 

kohlschwarz  und  rundlich,  während  allmählich  <'ine  Entfärbung  eintritt, 
so  dass  die  älteren  Flecke  weisslich  aussehen  und  nur  noch  einen 
schwarzen  Ring  zeigen.  Aubert  hat  bei  dieser  Art  der  Chorioiditis 
im  Stroma. der  Aderhaut  rundliche  Knoten  gefunden,  welche  der  Netz- 
haut zugekehrt  sind.  Diese  zeigen  an  ihrer  Oberfläche  bisweilen  kleine 
Vertiefungen,  in  welche  die  verdünnte  und  atrophische  Netzhaut  hinein- 
gezogen ist.  Der  Knoten  besteht  aus  einem  dichten  Fasernetz  mit 
zelligen  Elementen.  In  der  Umgebung  der  Knoten  und  zum  Theil  auf 
ihnen  rindet  sich  dunkles,  in  Zellen  eingeschlossenes  Pigment. 

3)  Chorioiditis  syphilitica.  Sie  ist  dadurch  charakterisirt,  dass 
besonders  in  der  Aequatorgegend  sehr  kleine  dunkle  oder  auch  weiss- 
liche  Flecke  auftreten.  Daneben  besteht  meist  eine  feine,  staubförmige 
Trübung  des  Glaskörpers.  Die  Complication  mit  Retinitis  (siehe  S.  271) 
ist  häufig.  Aus  dem  Befunde  kleiner' äquatorialer  Flecke  allein  ist  die 
ätiologische  Diagnose  nicht  zu  stellen. 

Mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  kann  man  hereditäre  Syphilis 
diagnosticiren,  wenn  man  bei  Kindern  Chorioiditis  areolaris  oder  disse- 
minirte  rundliche  helle  Herde  mit  Pigmentumsäumung  oder  auch  schwarze 
Pigmenthaufen  und  -striche  constatirt,  zumal  wenn  dabei  Abblassung 
der  Sehnervenpapille  besteht  (Hirschberg,  Antonelli,  Silex).  Auch 
bei  Keratitis  parenehymatosa  luetica  rindet,  man  als  Complication  öfter 
eine  Chorio-Eetinitis. 

4)  Chorio-Retinitis.  Wenn  auch  bei  den  vorgenannten  Formen 
die  Mitbetheiligung  der  Netzhaut  durch  die  Herabsetzung  der  Sehschärfe, 
erwiesen  ist,  so  thut  man  gut,  den  Namen  Chorio-Retinitis  flu*  die  Er- 
krankungen festzuhalten,  bei  denen  wirklich  die  eigentliche  Netzhaut 
(und  zwar  nicht  nur  das  Pigmentepithel)  ophthalmoskopische  Verände- 
rungen zeigt.  Abgesehen  von  Trübungen,  etwaigen  Blutergüssen  oder 
seeundären  Veränderungen  (Atrophie  der  Netzhaut  mit  Dünnheit  der 
Blutgefässe  und  Atrophie  der  Papille),  sind  es  besonders  schwärzliche 
Pigmenthaufen,  die  bei  länger  bestehenden  oder  schweren  Formen  von 
Chorioiditis  in  die  Netzhaut  gelangen.  Da  ophthalmoskopisch  nicht 
direct  zu  sehen  ist,  ob  das  Pigment  in  der  Netzhaut  oder  in  der  Cho- 
rioidea liegt,  so  muss  man  sich  daranhalten,  ob  das  Pigmenl  an  irgend 
einer  Stelle  einem  Netzhautgefässe  aufsitzt  und  dasselbe  partiell  verdeckt. 
Gewöhnlich  sind  ausserdem  noch  diffuse  Veränderungen  der  Chorioidea, 
wie  Ent-  und  Verfärbung  grösserer  Partien  und  Ansammlung  kleinerer 
oiler  grösserer  Pigmentflecke,  sichtbar. 

Von  der  Retinitis  pigmentosa  unterscheidet  sich  die  Chorio-Retinitis 
ophthalmoskopisch  dadurch,  dass  bei  letzterer  eben  die  erwähnten 
Chorioidealveränderunffen   nachweisbar  sind,   während  bei  der  Retinitis 


Chorioiditis  exsudativa.  303 

pigmentosa  die  Cliprioidea  im  Ganzen  intact  erscheint.  Auch  die  eigen- 
fchümliche  Form  der  Pigmentirung  in  Gestalt  kleiner  Striche,  Punkte 
oder  Knochenkörper  ähnlicher,  verzweigter  Figuren,  weiter  die  gelblich- 
wachsartige  Atrophie  der  Papille  mit  den  engen  Grefässen  giebt  der  Ke* 
riiütis  pigmentosa  ihr  eigenartiges  Gepräge»  Ferner  die  oben  erwähnten 
klinischen  Erscheinungen.  Aber  dennoch  kommen,  wie  ebenfalls  bereits 
angeführt,  auch  vereinzelt  Fälle  von  ophthalmoskopisch  typischer  Reti- 
nitis pigmentosa  vor,  die  klinisch  eigentlich  in  das  Gebiet  der  Chorio- 
lvetiniris  gehören. 

Von  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  bei  Chorioiditis  seien 
folgende  erwähnt.  Auf  der  inneren  Oberfläche  der  Glaslamella  finden  sich  öfter 
Herde  von  farblosen  Zellen,  weiter  amorphe  Exsudatmassen,  in  welche  Kerne  ein- 
gesprengt  sind,  und  später  Wucherungen  hyalinen  Bindegewebes.  Ist  das  Epithel 
seines  Pigmentes  beraubt,  so  werden  sich  diese  Herde  als  hellere,  gelblichrothe 
Flecke  in  dem  normalen  Roth  des  Augenhintergrundes  zu  erkennen  geben.  An 
anderen  Stellen  zeigt  das  Pigmentepithel  starke  Wucherungen,  so  dass  schwarze 
Flecke  entstehen.  Die  Chorioidea  ist  mit  lymphoiden  Zellen  durchsetzt.  Die  Netz- 
haut verklebt  mit  derselben  und  ihre  äusseren  Schichten  können  zu  Grunde  gehen; 
dass  Epithel  dringt  bis  tief  in  sie  hinein.  In  anderen  Fällen  bildet  sich  ein 
Schwund  der  Chorioidea  und  narbige  Einziehung,  in  welche  das  hypertrophirte 
Bindegewebe  der  Netzhaut  hineinwächst.  Daneben  wiederum  Pigmenthypertro- 
phirungen.  Die  atrophischen  Partien  haben  ein  helleres  Aussehen,  als  die  zuerst 
angeführten :  bisweilen  sieht  man  grössere  Chorioidealgefässe  in  ihnen  verlaufen. 
Ist  der  höchste  Grad  der  Atrophie  erreicht,  so  bildet  die  Chorioidea  nur  ein  äusserst 
feines  bindegewebiges  Häutchen,  durch  welches  die  Sclera  bläulichweiss  durch- 
scheint. Aber  auch  fettige  Degeneration  kann  eintreten,  sowohl  in  dem  Pigment- 
epithel,  wie  in  den  Stromazellen  der  Chorioidea.  Die  Gelasse  zeigen  ebenfalls 
Veränderungen  ihrer  Wandungen,  öfter  Seierose. 

Bei  älteren  Personen  finden  sich  mikroskopisch  häufig  warzenartige  Hervor- 
wölbungen der  Glasmembran  der  Chorioidea  (Drusen),  welche  das  Pigment- 
epithel vor  sich  her  drängen.  Bisweilen  lösen  sie  sich  ganz  von  ihrem  Mutterboden 
und  dringen  bis  tief  in  die  Netzhaut  hinein.  Ophthalmoskopisch  sind  sie  wegen 
ihrer  Kleinheit  selten  zu  sehen:  sind  sie  sichtbar,  so  erscheint  der  betreffende 
Theil  des  Augenhintergruncles  (Peripherie  und  Umgebung  der  Papille)  mit 
kleinen  weissgelblichen  Punkten  besetzt.  Das  Fehlen  von  Sehstörungen  und 
sonstigen  Chorioidealveränderungen  sichert  die  Diagnose. 

Symptome.  Eine  der  häufigsten  und  ersten  Klagen  der  Patienten, 
die  an  Chorioiditis  leiden,  ist  die  über  Flimmern;  sie  vergleichen  es 
off  mir  der  Bewegung  erwärmter  Luft.  Die  Herabsetzung  der  Sehschärfe 
ist  nicht  immer  bedeutend;  sie  kami  sogar  ganz  fehlen,  wenn  die  Ver- 
änderungen in  der  Peripherie  sitzen.  Hier  handelt  es  sich  nur  um 
kleinere  Ausfälle  im  Gesichtsfelde,  wie  sie  durch  die  disseminirten  Herde 
bedingt  sind.  Diese  lassen  sich  meist  am  besten  eruiren,  wenn  man 
zur  Prüfung  ein  mit  kleinen  Punkten  bedecktes  Papier  nimmt  und  nun 
hei  entsprechender  Xähe  (12  bis  15  cm)  die  ausfallenden  Punkte  be- 
zeichnen lässt.    Bisweilen  treten  rmgförmige  Defecte  um  den  Fixations- 


304  Erkrankungen  der  Chorioidea. 

punkt  herum  auf.  Ist  die  Affection  central,  so  ist  die  Herabsetzung 
der  Sehschärfe1  bedeutender,  es  kommt  sogar  zu  positiven  centralen 
Skotomen.  <  Jefter  wird  über  Mikropsie,  Metamorphopsie,  selbst  über 
Doppelseben  geklagt.  Der  Farbensinn  ist  in  der  Regel  erbalten;  doch 
kommen  auch  Farltenskotome  vor  (selbst  für  blau).  Der  Lichtsinn  ist 
meist  herabgesetzt;  stets  erheblich,  wenn  es  sich  um  seröse  Netzhaut- 
durchtränkung handelt.  —  Wenn  der  Proeess  zur  Heilung  gekommen, 
so  kann  auch  das  Sehvermögen  wieder  normal  werden.  Dasselbe  steht 
dann  oft  in  einem  auffälligen  Missverhältnisse  zu  dem  mit  schwarzen 
und  entfärbten  Stellen  übersäeten  Augenhintergrunde.  Von  anderweitigen 
Veränderungen  sind  Glaskörpertrübungen  als  nicht  selten  zu  nennen. 
In  einzelnen  Fällen  kommt  es  auch  zur  Netzhautablösung  oder  Cataract- 
bildung.  Aeusserlich  erscheint  das  Auge  meist  normal;  bisweilen  nur 
ist  eine  leichte  Injection  und  Reizbarkeit  zu  constatiren.  Xoch  spiit 
kann  Iritis  hinzutreten. 

Die  Diagnose  der  Chorioiditis  ist  im  Beginn  nicht  immer  leicht 
zu  stellen,  wenn,  wie  bei  der  Chorioiditis  serosa  und  der  Chorioiditis 
circa  maculain  erwähnt,  ophthalmoskopisch  keine  deutlichen  Verände- 
rungen des  Chorioideal-Gewebes  nachweisbar  sind,  trotz  bereits  vor- 
handener Herabsetzung  der  Sehschärfe.  Findet  man  aber  Hyperämie  der 
Papilla  optica  und  wird  über  Flimmern  geklagt,  so  ist  bei  Ausschluss 
anderer,  besonders  neuritischer  Processe  eine  Chorioiditis  wahrscheinlich. 
Jedenfalls  wird  man  hier  auch  bei  erweiterter  Pupille  ophthalmoskopiren 
müssen,  um  etwaige  peripher  sitzende  Chorioidealveränderungen  oder 
auch  Glaskörpertrübungen  —  wodurch  die  Diagnose  gestützt  würde  — 
nicht  zu  übersehen.  Die  ausgeprägten  Formen  der  Chorioiditis  sind 
leicht  zu  erkennen. 

Bei  voller  partieller  Atrophie  der  Chorioidea  scheint  die  Sclera  in 
einzelnen  scharfumgrenzten  Flecken  weisslicb  durch,  und  man  sieht  deut- 
lich  die   darauf  verlaufenden,    öfter  pathologisch  veränderten  Gcfässe. 

Die  Prognose  ist  immer  bedenklich.  Kommt  der  Fall  ganz  frisch 
zur  Behandlung,  so  ist  am  ehesten  Heilung  zu  erwarten,  Avenngleich  die 
Krankheit  langwierig  ist  und  meist  viele  Monate,  selbst  über  ein  Jahr 
lang  dauert.  Bisweilen  ist  ein  Auge  fast  verloren,  ehe  der  Patient  den 
Arzt  befragt,  da  erst  das  Befallensein  des  zweiten  Auges  ihn  aufmerk- 
sam macht.  Ebenso  ist  es  nicht  selten,  dass  nur  über  Sehschwäche 
eines  Auges  geklagt  wird,  während  das  andere  trotz  guter  Sehschärfe 
ebenfalls  von  der  Krankheit    bereits  ergriffen  ist. 

S.lhst  ausgeprägte  positive  Skotome  im  centralen  Sehen  können 
zurückgehen.  Doch  bleibt  immer  eine  Neigung  zu  Rückfällen;  bisweilen 
stellen  sieh  dieselben  erst  nach  Jahren  ein.  Ebenso  schwindet  ofl  die  Heme- 
ralopie  trotz  wiedererlangten  vollen  Sehvermögens  nicht. 


Chorioiditis  exsudativa.  305 

Hat  der  Process  bereits  längere  Zeit  bestanden,  so  sind  die  Aus- 
sichten auf  Heilung  gering-,  wenngleich  eine  gewisse  Besserung  öfter 
erzielt  wird.  Ist  er  abgelaufen  —  wir  erkennen  dies  daraus,  dass  das 
Sehvermögen  längere  Zeit  stationär  geblieben  — ,  so  ist  irgend  eine  er- 
hebliche Besserung  meist  ausgeschlossen,  um  so  mehr,  wenn  etwa  Dünn- 
heit  der  Netzhautgefässe  oder  blasse  Farbe  der  Papilla  optica  eine 
Atrophie  der  nervösen  Elemente  erkennen  lässt. 

Die  Ursachen  der  Chorioiditis  bleiben  häufig  im  Dunkeln.  Abge- 
sehen von  Lues  ist  am  ersten  noch  ein  Zusammenhang  mit  hochgradiger 
Myopie  (Staphyloma  posticum)  zu  statuiren,  zu  der  sich  besonders  oft 
eine  Chorioiditis  circa  maculam  gesellt.  Sonst  findet  man  die  Aftection 
sowohl  bei  anämischen,  als  bei  zu  Congestivzuständen  geneigten  Per- 
sonen. Sie  kommt  sowohl  in  den  Entwickelungsjahren,  wie  im  höheren 
Alter  vor.     Auch  bei  Leberkranken  ist  sie  beobachtet  (Baas). 

Die  Behandlung  muss  in  acuten  Fällen,  wo  die  Sehschärfe  ge- 
litten, energisch  sein.  Am  besten  ist  hier,  wenn  die  Constitution  es 
irgend  zulässt,  längerer  Aufenthalt  in  verdunkelten  Räumen  und  Schmier- 
kur oder  subcutane  Sublimatinjection  (0-01  pro  die).  Wo  Lues  zu  Grunde 
liegt,  ist  dies  unerlässlich.  Auch  selbst  bei  Chlorotischen  wende  ich  unter 
gleichzeitigem  Gebrauch  eines  milden  Eisenwassers  (z.  B.  pyrophosphor- 
saures  Eisenwasser)  Quecksilber  ATorsichtig  an.  —  Im  Ganzen  habe  ich 
gefunden,  dass  die  ebenfalls  brauchbaren  Schwitzkuren  durch  Pilocar- 
pininjeetionen  oder  mit  Xatr.  salicylicum  (1  Gramm  morgens  mit  vielem 
wannen  Wasser  genommen)  mehr  die  Constitution  angreifen  und  eher 
schwächend  auf  das  Nervensystem  wirken,  als  die  Mercurialien.  Bei 
Vollblütigen  kann  man  Heurteloup'scheBlutegel  an  die  Schläfe  setzen, 
etwa  alle  -4  bis  6  Tage.  Local  wird  Atropin  angewandt;  subconjuneti- 
vale  Kochsalzinjectionen  bringen  auch  bisweilen  Xutzen.  Die  Kur  ist 
auf  4  bis  6  Wochen  zu  berechnen.  Ist  alsdann  noch  nicht  Heilung  er- 
folgt, so  muss  man  mit  dem  Quecksilbergehrauch  dennoch  —  etwa  in 
kleineren  Dosen  und  innerlich  —  fortfahren.  Auch  halte  man  den 
Kranken  noch  lange  Zeit  nachher  sehr  vorsichtig:  er  soll  möglichst 
Monate  lang  das  Arbeiten  mit  den  Augen  (Lesen  u.  dergl.)  aufgeben, 
sich  vor  grellem  Licht,  vor  Erhitzungen,  Kopfcongestionen  u.  s.  w. 
schützen. 

Besteht  das  Leiden  bereits  längere  Zeit  und  ist  es  zu  einem  ge- 
wissen Stillstande  gekommen,  so  werden  mildere  und  allmählich  wirkende 
Mittel  am  Platze  sein.  Neben  der  entsprechenden  Augenschonung  der 
innerliche  Gehrauch  kleiner  Dosen  von  Sublimat  oder  Jodkali:  bei 
anämischen  Individuen  Jodeisen. 

E>  ist  übrigens  oft  schwer  zu  sagen,  ob  eine  Chorioiditis  bereits 
so  weit  abgelaufen  ist,   dass   sie   den  Heilagentien  unzugänglich  bleibt. 

-     hmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  20 


306 


Erkrankungen  de*  Choriojdea. 


Kann  der  Patient  keine  genügende  Auskunft  über  das  Verhalten  seines 

Sehvermögens  in  der  letzten  Zeit  geben  und  fehlen  Keizerscheinungen 
(z.  B.  Flimmern  i,  so  wird  man  sich  vorzugsweise  nach  dem  Aussehen 
der  Papilla  optica  richten  müssen.  Ist  dieselbe  hyperämisch,  so  wird 
immerhin  Antiphlogose  zu  versuchen  sein. 

Sind  die  entzündlichen  Erscheinungen  vorüber,  so  wirken  Strychnin- 
injeetionon  bisweilen  vorteilhaft  durch  ihren  Einfluss  auf  die  geschwächte 
Erregbarkeit  der  Netzhaut. 


115. 


3.  Staphyloma   posticum,     Sclerectasia  posterior,   Conus, 
Sclerotico-Chorioiditis  posterior. 

Den  Typus  dieser  vielnamigen  Affection  bildet  eine  weisse  Sichel, 
die   sich   dicht  der  Papilla   optica,    und    zwar   meist  nach    der  Macula 
zu    gelegen,    anschliesst   (Figur   115  und  Farben- 
drucktafel).  Es  entsteht  gewissermaassen  eine  halb- 
mondförmige Verbreiterung  der  normalen  Scleral- 
oder  Bindegewebsgrenze,  so  dass  in  der  That  Fälle 
vorkommen,  bei  denen  es  zweifelhaft  ist,  ob  es  sich 
um  eine  etwas  verbreiterte  Seleralgrenze  oder  um 
eine   Affection  handelt,    die    eine    der  obigen  Be- 
zeichnungen verdient.    Ist  der  Process  vorgeschrit- 
ten,   so    kann    die   Sichel   eine   ganz  beträchtliche 
Breite  zeigen;  sie  wird  in  der  Quere  selbst  grösser 
als    der    Papillendurchmesser.      Weiter   sitzt    bis- 
weilen die  weissliche  Verfärbung  nicht  nur  einer 
Seite    der  Papille  auf,    sondern    sie    umgiebt    die 
ganze    Peripherie  der  Papille,    so    dass   man    von 
einer  eigentlichen  Sichel  nicht  mehr  sprechen  kann 
(Figur  116).     Allerdings  pflegt  die  grössere  Breite 
immer  der  Macula  zugekehrt  zu  bleiben.  Die  Farbe 
ist  theils  weiss,  theils  mehr  bläulichweiss  oder  hellrosa-,  auch  zeigen  oft 
die  einzelnen   Partien  verschiedene  Färbungen.     Eingestreute  schwarze 
Pigmentflecke  oder  sichelförmige  Pigmentlinien  sind  häufig  (Figur  U6 
und   Farbendrucktafel).     Auch   einzelne  Chorioidealgefässe  können  auf 
den   entfärbten   Stellen   sichtbar  werden.     Die  Netzhautgefässe   gehen 
unverändert  über  dieselbe  fort.    Die  Abgrenzung  der  Sichel  gegen  das 
normale  b'otli  des  Augenhintergrundes  ist  mehr  oder  weniger  scharf.    Ist  sie 
vollkommen  scharf  (öfter  findet  sieh  an  der  ( |  renze  ein  schwarzer  Pigment- 
streifen), so  spricht  dies  für  ein  gewisses  Abgeschlossensein  desProcesses 
(stationäre-  Staphylom);   linden  sieh  bereits  ausserhalb  der  Grenze 


116. 


Staphyloma  posticum.  ;;o, 

kleinere  Veränderungen  in  der  Färbung  imd  Pigmenthuing,  so  ist  ein  Fort- 
schreiten zu  befürchten.  Bisweilen  sieht  man  an  demselben  Staphylom  noch 
die  durch  zurückgebliebene  Pigmentstreifen  angedeuteten  früheren  Gren- 
zen. Die  Papilla  optica  ist  meist  ungewöhnlich rotb;  es  rührt  dies  znmTheil 
von  dem  L'ontrast  gegen  die  weissliche  rmgehimg  her,  zum  Theil  sind 
auch  wirkliche  Hyperämien  der  Papille  vorhanden.  Ferner  erscheint 
die  Papille  bei  ausgedehnten  Staphylomen  verkleinert,  besonders  in  ihrem 
queren  Durchmesser.  Es  beruht  dies  auf  der  Schiefstellung  der  Papille, 
welche  durch  die  starke  Ausdehnung  der  Sclera  in  der  Gegend  dr^ 
hinteren  Augenpols  bedingt  ist.  Bisweilen  ist  die  weissliche  Partie  nach 
hinten  ausgebogen  und  excavirt:  es  besteht  also  eine  umschriebene 
Sclerectasie.  Hierüber  geben  die  für  Niveaubestimmung  uns  zu  Gebote 
stehenden  ophthalmoskopischen  Hilfsmittel  Auskunft. 

( 'omplieationen  mit  Chorioiditis  an  entfernteren  Stellen  des  Augen- 
hintergrundes, besonders  aber  an  der  Macula,  sind  nicht  selten.  Auch 
Glaskörpertrübungen,  sowie  Netzhautablösungen  gesellen  sich  in  einzelnen 
Fällen  hinzu.  Ebenso  kann  an  der  Papille  durch  intraoeulare  Druck- 
steigerung ausnahmsweise  eine  glaukomatöse  Excavation  zu  Stande 
kommen. 

Der  Anfänger  im  Uphthalrnoskopiren  ist  öfter  geneigt,  die  weiss- 
liche  Umgebung  zur  Papille  selbst  zu  reebnen,  so  dass  ihm  in  diesen 
Fällen  die  Papille  -ungewöhnlich  gross"  erscheint.  Eine  genauere  Be- 
trachtung wird  aber  die  Abgrenzung  der  Papille,  welche  immer  einen 
etwas  rötheren  Farbenton  zeigt,  von  dem  Staphylom  erkennen  lassen. 

Die  kleinen  Coni,  wenn  sie  nicht  angeboren  sind,  entstehen  meist 
durch  Herauszerren  der  Sehnervenfasern  über  den  abgestumpften  macu- 
laren  Scleralraiid,  ein  Vorgang,  der  durch  die  Verlängerung  der  Augen- 
achse bei  fortschreitender  Myopie  veranlasst  wird;  die  grösseren  sind 
Ausdruck  einer  Dehnungsatrophie  der  Chorioidea.  Zuerst  pflegt 
das  Pigmentepithel  sich  zu  verändern,  es  nimmt  unregelmässige  Forma- 
tionen an  und  schwindet  schliesslich  bis  auf  wenige  Eeste.  Alsdann 
geht  das  Chorioidealstronia  und  die  Choriocapillaris  mehr  oder  weniger 
zu  Grunde.  Schliesslich  bleibt  nur  noch  eine  ganz  dünne  Membran,  in 
der  man  neben  Bindegewebszügen  noch  die  Glasmembran  und  vielleicht 
einzelne  Gefässe  erkennt.  Die  Netzhaut  gebt  meist  intact  über  das 
Staphvlom  fort. 

In  anderen  Fällen  handelt  es  sieb  jedoch  um  wirklich  entzündliche 
Processe,  die  mit  Apoplexien  und  Exsudationen  einhergehen.  Dieselben 
compliciren  nicht  zu  selten  die  Dehnungsatrophie. 

TJeber  die  weiteren  anatomischen  Veränderungen,  welche  sich  bei 
dem  Staphyloma  posticum  finden,  sowie  über  die  ursächlichen  Momente 
habe  ich  in  dem  Kapitel  _Myo-pie-  'S.  74;  bereits  gehandelt.   Daselbst  ist 

20* 


308  Erkrankungen  der  Chorioidea. 

auch  erwähnt,  dass  der  ('onus  wohl  meist,  aber  nicht  immer  an  myo- 
pischen Augen  beobachtet  wird. 

Es  wäre  wünschenswerth,  wenn  man  sich  über  die  Verwendung  der 
verschiedenen  Namen  für  die  einzelnen,  gut  unterscheidbaren  Processe 
einigte.  So  könnte  man  die  einfache,  kleine  weisse  Sichel,  sei  sie  an- 
geboren oiler  später  einstanden,  als  „Conus",  die  grösseren  erworbenen 
Ectasien  als  rSclerectasia  posterior"  und  die  mit  eigentlich  chorioi- 
ditischen Veränderungen  verbundenen  als  „Sclerotico-Chorioiditis 
posterior"  (v.  Graefe)  bezeichnen.  Will  man  die  umschriebene  Ectasie 
neben  der  Papille  noch  besonders  betonen,  so  würde  der  Ausdruck 
„Staphyloma  posticum"  verwendbar  bleiben. 

Die  Behandlung  dieser  Affectionen,  sowie  die  Mittel,  einem  Fort- 
schreiten derselben  vorzubeugen,  haben  bei  der  Myopie  ihre  Besprechung 
gefunden.  Ist  Chorioiditis  daneben  vorhanden,  so  ist  die  bezügliche 
Therapie  einzuschlagen. 


4.  Blutungen  in  der  Chorioidea.  Ablösung  der  Chorioidea. 

Die  Blutungen  in  der  Chorioidea  stellen  sich  als  braunrothe 
Flecke  dar.  Auf  ihre  Farbe  hat  die  Intensität  der  Pigmentirung  des 
Epithels  Einfluss.  Liegen  sie  gerade  an  Stellen,  wo  Netzhautgefässe 
verlaufen,  so  können  die  letzteren  auf  ihnen  —  zum  Unterschiede  von 
Netzhautblutungen  —  noch  sichtbar  sein.  Ferner  ist  für  gewisse  Fälle 
ausschlaggehend  die  Form  der  Blutungen:  einzelne  Striche  kommen  nur 
bei  Netzhautapoplexien  vor;  doch  zeigen  andererseits  letztere  auch 
häufig  genug  die  Form  von  Flecken.  Traumen  sind  meist  Veranlassung 
dazu;  kleinere  Blutungen  entstehen  auch  spontan  oder  bei  Chorioiditis. 
Starke  Blutergüsse  können  durch  die  Netzhaut  in  den  Glaskörper  durch- 
brechen. 

Die  Ablösungen  der  Chorioidea  von  der  Sclera  sind  ähnlich 
wie  die  der  Netzhaut  durch  ein  blasiges  Hervorragen  der  abgelösten 
Partie  in  den  Glaskörper  charakterisirt:  doch  fehlen  die  Falten  und  das 
Flottiren  des  betreffenden  Theils.  Sie  haben  in  der  Pegel  eine  mehr 
rothe  Färbung  und  wenn  das  Pigmentepithel  weniger  intensiv  gefärbt 
ist,  sieht  man  auch  die  Chorioidealgefässe  anter  der  Netzhaut.  Die 
Ablösung  ist  bedingt  durch  Blutung  oder  seröse  Flüssigkeit.  Secundär 
kann  sich  zu  Ablösungen  der  Chorioidea  noch  eine  Ablösung  der  Netz- 
haut und  Phthisis  luilbi  gesellen.  Es  sind  nur  wenige  derartige  Fälle 
ophthalmoskopisch  beobachtet  worden,  einige  Male  nach  Katarakt-Ex- 
fcractionen  (Groenouw).  Aber  nicht  alle  geschwulstähnliche,  meist  grau- 
weisse  Massen,  die  einige  Tage  nach  der  Star-Extraction  bisweilen  im 
vorderen  Augenabschnitte  bemerkbar  werden  und  dann  wieder  spurlos 


Ruptur  der  Chorioidea.  309 

verschwinden,  sind  als  ChorioideaJablösungen  zu  betrachten.  Vel- 
hagen  glaubt  in  seinem  Falle  eine  ausgedehnte  blasige  Abhebung 
des  Epithels  des  ( Jorp.  ciliare,  wie  sie  Greeff  mikroskopisch  nach 
Punctum  der  vorderen  Kammer  bei  Thieren  gesehen,  annehmen  zu 
sollen:  Haab  denkt  an  eine  Cystenbildung  in  der  Netzhantperipherie. 
Ich  halte  diese  Massen,  die  bisweilen  getrübten,  in  der  Tiefe  liegenden 
Linsenmassen  gleichen,  für  gelatinöse  Ausschwitzungen  des  Corpus 
ciliare,  ähnlich  wie  sie  bei  Iritis  in  die  vordere  Augenkammer  hinein 
erfolgen.  — 

Pathologisch-anatomisch  findet  man  in  degenerirten  Bulbi  häufiger 
Abhebung  der  Chorioidea  und  auch  des  Corp.  ciliare;  letzteres  ist  bis- 
weilen durch  Stränge,  die  zum  Glaskörper  gehen,  nach  hinten  zurück- 
gezogen. 

5.  Ruptur  der  Chorioidea. 

Die  Risse  der  Chorioidea  haben  in  Folge  des  Durchscheinens  der 
Sclera  eine  weisse  Färbung;  nur  dann,  wenn  noch  Gewebspartien  der 
Chorioidea  in  ihnen  liegen,  sind  sie  gelblich.  Frisch  sieht  man  öfter 
Blutungen  daneben;  später  bildet  sich  längs  des  Risses  meist  eine 
schwarze  Pigmentlinie.  Die  Zahl  und  Ausdehnung  der  Chorioideal- 
rupturen,  die  in  der  Regel  in  Linienform  zur  Beobachtung  kommen, 
kann  sehr  verschieden  sein.  Gewöhnlich  haben  sie  ihren  Sitz  in  der 
Nähe  des  hinteren  Pols,  in  der  Gegend  der  Macula  lutea  und  der  Papille; 
sie  zeigen  nicht  selten  eine  Krümmung,  deren  Concavität  dem  hinteren 
Bulbuspol  zugewandt  ist.  Handelt  es  sich  um  starke  und  ausgedehnte 
Zerrungen  der  Chorioidea,  bei  denen  aber  keine  grösseren  Zerreissun- 
gen  eingetreten  sind,  so  sieht  man  an  den  betreffenden  Stellen  unregel- 
mässig begrenzte  Pigmentveränderungen:  auf  grauweissem  Grunde 
schwärzlich-graue  Flecke  und  Striche.  Die  Gefässe  der  Netzhaut  gehen 
meist  über  die  verletzten  Partien  fort.  Wenn  das  Erhaltensein  der  Re- 
tina hierdurch  erwiesen  erscheint,  so  haben  doch  die  Stäbchen  und 
Zapfen  gelitten,  wie  aus  den  Störungen  des  Sehvermögens  hervorgeht. 
Ist  die  Gegend  der  Macula  lutea  getroffen,  so  entstehen  Skotome  oder 
Metamorphopsie.  Ich  habe  Kranke  beobachtet,  die  in  Folge  dessen 
binoculares  Doppeltsehen  hatten:  es  befand  sich  der  mit  dem  kranken 
Auge  gesehene  Buchstabe  über  oder  unter  dem  mit  dem  gesunden 
Auge  gesehenen.  Da  hierdurch  das  Lesen  unmöglich  werden  kann, 
muss  man  bisweilen  das  leidende  Auge  durch  ein  undurchsichtiges  Brillen- 
glas ausschliessen.  Der  Zustand  blieb  einmal  während  einer  jahrelangen 
Beobachtungszeit  stationär.  In  anderen  Fällen  tritt  Besserung  der  Seh- 
schwäche ein:  auch  habe  ich,  ebenso  wie  Hersing,  ophthalmoskopisch 


;;iu  Erkrankungen  der  Choriöidea. 

das  Verschwinden  und  Verheilen  von  Ohorioidealrissen  beobachtet.  Jn 
einem  Falle  von  Saemisch  kam  es  aber  nachträglich  noch  zu  einer 
Netahauta'blösung.  Den  Anlas*  ya\  den  Rupturen  bietet  gewöhnlich  < l i < • 
Einwirkung  stumpfer  Gewalt,  z.  B.  Schlag  oder  Stoss  mit  einem  Holz. 
Schussverletzungen  der  Orhita  n.  s.  w.  Die  meist  eigentümliche  Lage 
und  Form  der  Risse  dürfte  damit  zusammenhängen,  dass  in  der  Gegend 
des  hinteren  Poles  die  Cborioidea  durch  die  hinteren  Ciliargefässe  mit 
der  Sclera  fester  verknüpft  ist  und  deshalb  bei  einer  traumatischen 
Einknickung  des  Bulbus  dort  am  ehesten  einreisst,  wo  sie  sich  nicht 
verschieben  kann. 

Die  frühzeitige  Diagnose  des  Chorioidealrisses  wird  durch  Blut- 
ergüsse in  die  vordere  Augenkammer  oder  den  Glaskörper  öfter  ge- 
hindert. — 

Netzhaut-  und  Chorioidealstränge  können  eine  gewisse  Aehnlieh- 
keit  mit  Chorioidealrissen  zeigen;  doch 'sind  sie  durch  ihren  Sitz,  ihre 
Verästelung  und  vor  Allem  durch  anderweitige  Zeichen  stärkerer  De- 
generation zu  unterscheiden. 


6.  Tuberkulose  der  Choriöidea. 

Autenrieth  (1808)  hat  anatomisch  zuerst  Tuberkelknoten  in  der 
Choriöidea  beschrieben.  Ed.  Jäger  (1855)  hat  sie  ophthalmoskopisch 
gesehen.  Weitere  exacte  histologische  Untersuchungen  wurden  von 
Manz  (1858)  gemacht,  während  Cohnheim  (später  auch  Bock)  die 
Häufigkeit  ihres  Vorkommens  bei  der  acuten  Miliartuberkulose,  speciell 
der  Meningitis  tuberculosa  nachwies.  Das  ophthalmoskopische  Bild 
wurde  von  v.  Graefe  und  Leber  genau  beschrieben. 

In  der  Regel  sind  beide  Augen  befallen.  Die  Tuberkel  haben  vor- 
zugsweise in  der  Gegend  der  Macula  und  Papille  ihren  Sitz.  Mit  dem 
Augenspiegel  zeigen  sie  sich  hier  als  weissliche  oder  weissgelbliche; 
runde  Flecke  von  sehr  verschiedener  Grösse,  selbst  bis  zu  Papillen- 
grösse und  mehr.  —  Anatomisch  sind  die  einzelnen  Tuberkel  bisweilen 
so  klein,  dass  man  sie  mit  dem  blossen  Auge  nicht  sehen  kann,  bis- 
weilen erreichen  sie  eine  Grösse  von  2\2  mm  Durehmesser.  Sie  pro- 
miniren  anfänglich  immer  nach  der  Netzhaut  hin,  erst  im  späteren 
Stadium  nach  der  Sclera.  Ihre  Entwicklung  beginnt  in  der  Ghorio- 
capillaris.  Allmählich  tritt  eine  Entfärbung  (h^  Pigmentepithels  ein, 
und  so  entstellen  dann  die  gelhlichweissen  Flecke.  Als  differentielle 
Momente  zur  Unterscheidung  von  dissentierten  Herden  einer  einfachen 
Chorioiditis  sind  anzuführen:  1)  die  rundliche  Form  der  Tuberkel, 
2)  <la>>   ihnen   der  schwarze  Pigmentrand  meist  fehlt,  den  die  Entfär- 


Tuberkulose  der  Chorioidea.  oll 

bungen  bei  Chorioiditis  ge wohnlich  haben,  3)  die  Prominenz  des  Tuber- 
kels;. Allerdings  lässt  sich  diese  oft  nicht  nachweisen,  es  sei  denn.,  dass 
der  Tuberkel  sehr  gross  ist  oder  gerade  ein  Netzhautgefäss  darüber 
hin  geht,  dessen  parallaktische  Verschiebung  im  umgekehrten  Bilde  bei 
Bewegungen  der  Linse  man  verwerthen  könnte.  Andererseits  können 
auch  ( 'horioideal-llerde  prominiren. 

Die  ditt'erentiell-diagnostischen  Momente  sind  demnach  nicht  gerade 
sehr  sicher.  So  kann  eine  herdförmige  Einlagerung  von  Zellen  in  der 
Chorioidea.  wie  wir  sie  bei  Chorioid.  disseminata  finden,  gelegentlich 
alle  Kennzeichen  des  Tuberkels  zeigen.  Es  wird  in  einer  grossen  Zahl 
der  Fälle  eine  vorsichtige  Zurückhaltung  angezeigt  sein.  Nur  bei  hoch- 
gradig entwickelten  Knoten,  oder  wenn  man  bei  öfterer  Beobachtung 
eine  Weiterentwickelung  der  vorhandenen  und  ein  Aufschiessen  neuer 
Tuberkel  eonstatiren  kann,  ist  die  Diagnose  sicher  zu  stellen. 

Kann  in  diesen  Fällen  mit  Nutzen  die  ophthalmoskopische  Diagnose 
bezüglich  der  allgemeinen  Diagnose  „Miliar-Tuberkulose"  verwerthet 
werden,  so  möchte  ich  doch  vor  einer  Ueberschätzung  des  Ophthal- 
moskops warnen.  Es  kommt  hier  noch  die  Schwierigkeit  hinzu;  schwer- 
kranke und  oft  somnolente  Patienten  genau  und  lange  genug  zu  unter- 
suchen. Ferner  kann  der  Sitz  der  Tuberkel  so  peripher  sein,  dass  man 
sie  mit  dem  Augenspiegel  nicht  mehr  sehen  kann.  Denn  wenn  die 
Tuberkel  auch  mit  Vorliebe  die  Gegend  des  hinteren  Pols  einnehmen, 
so  habe  ich  doch  auch  öfter  Ausnahmen  davon  gesehen.  Bisweilen  be- 
steht neben  der  Tuberkulose  der  Chorioidea  eine  Neuritis  (Bouchut); 
auch  ich  habe  diese  Complication  beobachtet.  Seltener  kommen  sehr 
grosse  Tuberkelbildungen  vor,  die  durch  das  Zusammenwachsen  kleinerer 
entstehen.  Ausnahmsweise  kann  auch  in  der  Netzhaut  und  im  Sehnerv 
(Michel)  ein  Tuberkel  sich  entwickeln. 

Aber  auch  wirkliche  tuberkulöse  Entzündungen  der  Chorioidea,  bei 
der  die  Netzhaut  durch  eine  kuchenförmige  gelblichweisse,  leicht  zackige 
(Homer,  Haab)  Verdickung  der  Chorioidea  abgehoben  wird,  sind, 
meist  bei  Kindern,  beobachtet  worden.  Die  Augen  waren  dabei  stark 
entzündet:  der  Glaskörper  durchsichtig,  nur  selten  ist  der  intraoeulare 
Druck  erhöht.     Meist  wird  später  die  Sclera  perforirt. 

7.  Chorioidealgeschwülste. 

Die  überwiegende  Mehrzahl  der  Geschwülste,  welche  von  der  Cho- 
rioidea und  dem  Corp.  ciliare  ausgehen,  hat  den  Charakter  der  Sarkome. 
Nicht-pigmentirte  Sarkome  (Leukosarkome)  sind  etwas  seltner  als  mcla- 
notische  und  kommen  häufiger  bei  Kindern  vor.  Ferner  sind  Gummata; 
Lepraknoten,  Fibrome  und  Angiome  beschrieben. 


312  Erkrankungen  der  Chorioidea. 

Die  Entstehung  der  Sarkome  als  hügelartige  Hervorragungen  direct 

mit  dem  Augenspiegel  zu  verfolgen,  ist  öfter  Gelegenheit  vorhanden, 
wenngleich  sieh  meist  frühzeitig  eine  Netzhautablösung,  ausnahmsweise 
eine  Retinitis  proliferans  hinzugesellt.  Selbst  nach  entstandener  Netz- 
hautablösung  gelingt  es  gelegentlich  noch,  den  unter  ihr  liegenden  Tumor, 
wenn  er  partiell  mit  der  Retina  verwachsen  ist,  an  seiner  Farbe,  an 
einer  eigentümlichen  Gefässordnung  und  seinen  Blutungen  zu  diagnosti- 
ciren.  Man  wird  überhaupt  bei  Netzhautablösungen,  für  welche  kein 
nachweisbarer  Grund  vorliegt,  immer  die  Frage  stellen  müssen,  ob  nicht 
etwa  eine  Geschwulst  die  Ursache  sei.  Die  Steigerung  des  intraocularen 
Druckes  und  heftigere  Augenschmerzen  —  die  bei  einfacher  Netzhaut- 
ablösung (aber  auch  öfter  bei  Sarkomen)  fehlen  — ■  werden  Verdacht  auf 
Tumor  erwecken.  Man  kann  versuchen,  sich  in  zweifelhaften  Fällen 
direct  durch  einen  Scleraleinstich  in  der  Weise,  wie  er  zur  Behandlung 
der  Netzhautablösungen  ausgeführt  wird,  von  dem  Vorhandensein  oder 
Fehlen  eines  Tumors  zu  überzeugen.  Jedoch  müsste  man,  wenn  ersteres 
gesichert  ist,  sofort  enucleiren,  um  einer  Propagation  der  Geschwulst 
durch  die  Stichwunde  vorzubeugen.  Seltener  wird  die  Netzhaut  von  der 
Geschwulst  mit  ergriffen,  oder  es  setzen  sich  in  ihr  und  dem  Glas- 
körper abgeschwemmte  Geschwulsttheile,  die  dann  weiter  wuchern,  fest 
(Ewetzky). 

Bisweilen  gesellen  sich  später  glaukomatöse  Erscheinungen  zu  in- 
traocularen Geschwülsten;  in  anderen  Fällen  kann  es  zu  starken  Eite- 
rungen in  Glaskörper  und  vordere  Kammer  kommen,  die  mit  einer 
Phthisis  bulbi  endigen.  Ein  derartig  phthisisch  gewordener  Bulbus,  der 
einen  Tumor  in  sich  birgt,  pflegt  sich  von  anderen  phthisischen  Aug- 
äpfeln symptomatisch  besonders  durch  das  Auftreten  spontaner  Schmerzen 
zu  unterscheiden;  öfter  dehnen  sich  auch  die  hinteren  Scleralpartien 
aus.  Nach  der  Phthisis  kann  die  Weiterentwickelung  des  Sarkoms  eine 
Zeit  lang  ruhen. 

Die  extraoculare  Geschwulstentwickelung  findet  durch  Uebergreifen 
auf  den  Sehnerven,  durch  Perforation  der  Bulbuswände  oder  auch  durch 
Auftreten  selbständiger  orbitaler  Herde  statt.  In  einem  meiner  Fälle, 
wo  das  nicht  allzugrosse  und  ophthalmoskopisch  unsichtbare  Melano- 
sarkom  den  vorderen  Theil  des  Bulbus  einnahm,  hatte  sich  unter  der 
Conjunctiva  eine  kleine  schwarzblaue,  wie  eine  Venenectasie  aussehende 
Geschwulst  gebildet:  die  Section  ergab,  dass  die  Propagation  der  Ge- 
sehwulstelemente  durch  die  Scheide  eines  perforirenden  Gefässes  erfolgt 
war.  Beim  Sitz  der  Geschwulst  im  Corp.  ciliare  beobachtet  man  auch 
öfter  eine  leichte  Hervorwölbung  der  Iris  an  der  betreffenden  Stelle,  die 
in  schwierigen  Fällen  die  Diagnose  auf  Tumorbildung  unterstützen  kann. 

Anatomisch  bandelt  es  sich  um  massenhafte  Rund-  oder  Spindelzellen 


Chorioidealgeschwülste.  313 

meist  ohne  erhebliches  Zwischengewebe.  Die  pigmentirten  Zellen  stammen 
theils  von  vorhandenen  Pigmentzellen  ab  und  sind  dann  diffus  chocoladen- 
artig  gefärbt,  oder  sie  haben  umschriebenes  Pigment  von  mehr  röth- 
lichem  Farbenton,  oder  es  liegt  freies  Pigment  in  der  Geschwulst.  Letz- 
tere Formen  der  Pigmentaria^  sind  hämatogenen  Ursprungs  (Vossius, 
Leber).  Das  Sarkom  entwickelt  sich  ans  den  innersten  Schichten 
der  Chorioidea.  Am  hantigsten  tritt  es  nach  dem  40.  Lebensjahre  auf, 
während  es  im  Kindesalter,  wo  das  Grlioma  retinae  sich  findet,  höchst 
selten  vorkommt.  Ein  ossificirtes  cavernosus  Aderhaut-Sarkom  bei  einem 
11jährigen  Mädchen  besehrieb  Nordenson. 

BezügHch  der  Aetiologie  ist  nicht  viel  bekannt;  zuweilen  scheint 
ein  Trauma  die  Veranlassung  zu  geben.  Metastatische  Chorioideal- 
geschwülste sind  nur  wenige  beobachtet:  sie  gingen  theils  von  Naevi, 
theils  von  Carcinomen  aus,  verhältnissmässig  häufig  von  Mammacar- 
einom.  In  einem  von  mir  beobachteten  Falle  waren  beide  Augen 
und  beide  Orbitae  befallen.  Uhthoff  sah  Carcinom  beider  Seh- 
nerven. 

Die  Enucleation  des  Augapfels  hat  in  einer  Reihe  von  Fällen 
dauernde  Heilung  gebracht,  so  nach  Hirschberg  und  Freudenthal 
in  37 — 38  Procent.  Recidive  und  Metastasen  (in  Leber,  Gehirn  u.  s.  w.) 
sind  häufig,  wenn  der  Tumor  bereits  extrabulbär  ist  oder  wenn  seeun- 
däre  glaukomatöse  Erscheinungen  sich  eingestellt  haben.  Hat  sich  der 
Tumor  in  der  Orbita  verbreitet,  so  wird  mit  besonderer  Sorgfalt  die 
Exstirpation,  eventuell  mit  Herausnahme  des  Periosts  auszuführen  sein. 
Selbst  bei  der  Enucleation  von  Augen  mit  einem  Tumor,  der  scheinbar 
noch  intraocular  sitzt,  empfiehlt  sich  das  Ausschneiden  eines  möglichst 
grossen  Stückes  des  Sehnerven.  — 

!Xicht  selten  findet  man  in  phthisischen  Augäpfeln  eine  Knochen- 
bildung, welche  von  der  Innenfläche  der  Chorioidea  ausgeht.  Bis- 
weilen handelt  es  sich  nur  um  eine  dicke  Bindegewebsschicht  mit  ein- 
zelnen kleinen  Knochenplatten,  bisweilen  hat  sich  eine  vollständige 
Knochenschale  entwickelt,  welche  den  ganzen  hinteren  Theil  des  Bul- 
bus einnimmt:  an  der  Stelle  der  Papille  besteht  eine  Oeffnung.  Auch 
die  Linse  erscheint  in  diesen  Fällen  öfter  wie  in  einen  Knochen  um- 
gewandelt, während  eine  Untersuchung  meist  nur  eine  Verkalkung  er- 
giebt.  Jedoch  ist  auch  echte  Knochenbildung  in  ihr  beschrieben  worden 
(Goldzieh er,  Berger),  allerdings  wohl  veranlasst  durch  Hinein- 
dringen von  Bindegewebe  nach  Verletzungen  (O.  Becker).  Partielle 
Verknöcherungen  des  Glaskörpers  kommen  ebenfalls  vor  (Virchow, 
Poncet).  Die  abnorme  und  an  einzelnen  Stellen  besonders  hervor- 
tretende Härte  des  phthisischen  Bulbus  lässt  die  Diagnose  auf  Knochen- 
bildung meist  schon  vor  der  Enucleation  stellen.  .  In  einem  Falle  ist  bei 


314  KrkranUuii^eii  des  Glaskörpers. 

durchsichtigem  Glaskörper  und  gut  erhaltenem  Bulbus  die  Verknöeke- 
rüng  der  Chorioidea  ophthalmoskopisch  gesehen  worden  (Laqueur). 
]S'icht  selten  tritt  mit  der  Knoehcnbildung  wiederum  Schmerzhaftigkeit 
und  Reizbarkeit  des  Stumpfes  ein,  die  selbst  zu  sympathischen  Er- 
scheinungen ( —  aber  meist  nur  sympathischen  Neurosen  — )  am  anderen 
Auge  fuhren  können  und  die  Enucleation  dringend  indiciren.  — • 

Die  eitrige  Chorioiditis,  sowie  die  IrMo- Chorioiditis  werden  bei  den 
Erkrankungen  des  vorderen  Uvealtraetus  behandelt. 


Sechstes  Kapitel. 

Erkrankungen  des  Glaskörpers. 


Anatomie. 


Der  Glaskörper  füllt  den  hinteren  Theil  des  Bulbus  aus.  Die 
gelatinöse  Substanz  desselben  ist  vollkommen  durchsichtig,  enthält  weder 
Gefässe  noch  Nerven  und  scheint  auch  structurlos  zu  sein  (Merkel). 
Andere  Untersucher  nehmen  dagegen  in  ihr  ein  nbrilläres(Rctzius)  oder 
netzförmiges  (Hans  Yirchow)  Stützgewebe  an.  Stilling  unterscheidet 
einen  Kern,  der  -wie  in  einem  Näpfchen  in  der  Kinde  steckt,  und  letztere 
überragend  vorn  bis  zum  Rande  derselben  reicht.  Von  der  Sehnerven- 
papille  nach  dem  hinteren  Linsenpol  zieht  der  Canalis  hyaloideus 
(Clorpiet'scher  Canal),  in  welchem  die  fötale  Arteria  hyaloidea  verläuft, 
von  der  man  später  noch  gelegentlich  Reste  beobachtet. 

Besonders  die  peripheren  Theile  enthalten  zellige  Elemente,  theüs 
den  Wanderzellen (Leukocyten),  tlieils  Derivaten  derselben  entsprechend. 
Die  ersteren  zeigen  amöboide  Bewegungen  und  lassen  drei  Hauptformen 
unterscheiden:  a)  rundliche  Zellen;  b)  stern-  oder  spindelförmige  Zellen 
mit  einem  oder  mehreren  Kernen  und  langen  Ausläufern;  c)  Zellen, 
welche  Yaenolen  enthalten,  1 — 3  Kerne  einsehliessen  und  ebenfalls 
vaiicöse  Ausläufer  halten  (Iwanoff).  Auch  eigenthümliche  Ringe,  die 
zum  Theil  kettenförmig  an  einander  gereiht  sind,  kleine  Fäserchen  und 


Grläskörpertrübungen.  315 

Platten  (Donders)  finden  sich  im  G-laskörper.  Von  der  Netzhaut  ist 
die  Glaskörpersubstanz  durch  die  Membrana  hyaloidea  getrennt.  Die- 
selbe fällt  zusammen  mit  der  Membrana  limitans  retinae,  in  welche  die 
Müller'schen  Stützfasern  ausstrahlen;  sie  gehört  jedoch  entwieklungs- 
geschiehtlieh  zum  (ilaskörper  (Lieberkühn).  Nach  vorn  gegen  die 
hintere  Augenkammer  ist  der  Glaskörper  begrenzt  durch  die  Zonula 
Zinnii,  welche  aus  einem  complicirten  Fasersystem  besteht,  das  der 
Hauptsache  nach  von  der  Glaslamelle  des  Proc.  ciliaris  retinae  (Czer- 
maki.  vereinzelt  aus  dem  Glaskörper  (Salzmann)  entspringt  und 
sieh  in  der  Nähe  des  Linsenäquators  an  der  vorderen  und  hinteren 
Linsenkapsel  ansetzt.  Der  gesammte  Raum  zwischen  diesen  Fasern  ist 
mit  Flüssigkeit  aus  der  hinteren  Augenkammer  gefüllt;  ein  eigentlicher 
ringförmig  um  den  Linsenrand  gehender  Kanal  (Canalis  Petiti)  existirt 
demnach  nicht  (Gerlach,  Czermak). 

1.  Glaskörpertrübungen. 

Man  beginnt  die  TJntersuchung  des  Glaskörpers  ophthalmoskopisch 
am  besten  so.  dass  man  mit  dem  Augenspiegel  aus  einer  Entfernung 
von  etwa  '2b  bis  30  cm  Licht  in  die  Pupille  wirft.  Alsdann  lässt  maji 
Bewegungen  mit  dem  Auge  machen  und  erkennt  hierbei  gegebenen- 
falls Trübungen  und  Flecke  in  dem  Roth  des  Augenhintergrundes. 
Oft  muss  man  diese  Bewegungen  längere  Zeit  fortsetzen  lassen;  ehe. 
die  Trübung  durch  das  Pupillargebiet  schiesst.  Allerdings  werden  auch 
dunkle  Sehatten  auftauchen,  wenn  Trübungen  in  oder  auf  der  Horn- 
haut (beispielsweise  auch  Schleimpartikelchen),  auf  der  Linsenkapsel 
oder  in  der  Linse  vorhanden  sind.  Doch  zeigen  diese  dunklen  Schatten 
■eine,  mit  dem  von  dem  Ophthalmoskop  gelieferten  Hornhautreflex  gleich- 
artige Bewegung ,  während  die  Glaskörpertrübungen ;  da  sie  hinter 
dem  Krümmungsmittelpunkt  der  Cornea  liegen,  eine  entgegengesetzte 
Richtung  einschlagen;  sie  gehen  nach  oben;  wenn  der  Reflex  nach  unten 
geht.  Zu  weiterer  Sicherung  der  Diagnose  kann  man  die  schiefe  Be- 
leuchtung benutzen,  welche  den  Sitz  der  Trübungen  in  dem  vorderen 
Bulbusabschnitte  direct  erkennen  lässt.  —  Meist  machen  die  Trübungen 
im  Glaskörper  viel  ausgiebigere  Bewegungen,  als  das  Auge  selbst,  oder 
sie  setzen  die  Bewegung  noch  weiter  fort,  während  das  Auge  bereits 
wieder  still  steht.  Es  tritt  dies  dann  hervor,  wenn  der  Glaskörper  seine 
gelatinöse  und  cohärente  Beschaffenheit  verloren  hat  und  verflüssigt 
ist  Svnchysis).  Zu  einer  vollkommen  exacten  Durchforschung  des 
Glaskörpers  bis  in  seine  periphersten  Partien  ist  die  künstliche  Erweiter- 
ung der  Pupille  erforderlich. 

Um  die  Lage  der  Trübung  zu  bestimmen,  hat  Knapp  vorgeschlagen, 


316  Erkrankungen  des  Glaskörpers. 

im  umgekehrten  Bilde  den  Glaskörper  von  hinten  nach  vorn  zu  durch- 
suchen, indem  man  zuerst  die  Papille  bezw.  Netzhaut  einstellt  und  nun, 
mit  dem  Convexglase  immer  mehr  vom  Auge  abrückend;,  die  weiter 
vorn  gelegenen   Partien  sich  vorführt. 

l'm  ganz  feine  und  durchscheinende  Trübungen  zu  erkennen,  ist 
stärkere  Annäherung  an  das  Auge  und  die  Anwendung  eines  licht- 
schwachen Spiegels,  hinter  den  man  noch  zur  Vergrüsserung  ein  Convex- 
glas  legt,  von  Yortheil.  Auch  hat  es  sich  mir  hier  und  bei  festsitzenden 
Trübungen  öfter  bewährt,  bei  Benutzung  eines  Concavspiegels  nicht 
durch  das  Loch;  sondern  am  Spiegelrande  vorbei  zu  sehen. 

Wir  können  im  Glaskörper  circumscripte  und  diffuse  Trüb- 
ungen unterscheiden. 

Erstere  treten  in  Gestalt  von  kleinen  Flecken,  Fäden,  Strängen  oder 
Membranen  auf.  Ausnahmsweise  sieht  man  kleine  Bläschen,  die  durch 
einen  Faden  mit  der  Bulbuswand  noeb  in  Verbindung  stehen.  Es  kann 
sich  hier  um  fibrinöse  Exsudate  der  Netzhaut  oder  auch  der  Chorioidea 
—  ich  beobachtete  einmal  den  Durchbruch  durch  die  Netzhaut  — 
handeln;  sie  sind  wohl  gleicher  Art  wie  die  Bläschenbildungen,  die  man 
gelegentlich  in  der  vorderen  Kammer  beobachtet.  Die  Farbe  der  Glas- 
körpertrübung' ist  verschieden,  sie  schwankt  zwischen  grau,  grauschwärz- 
lich, dunkelbraun,  schwarz;  bei  umschriebener  Eiterung  ist  sie  gelblich. 
Bisweilen  bilden  sich  coulissenartige  Membranen  im  Glaskörper:  be- 
sonders bei  Cysticercus  (v.  Graefe).  Unter  Anwendung  starker  Con- 
vexgläser  (25-0)  gelingt  es  gelegentlich,  im  umgekehrten  Bilde  durch 
sie  hindurch  noch  den  Wurm  zu  sehen.  In  anderen  Fällen,  vorzugs- 
weise nach  vorangegangenen  eitrigen  Entzündungen,  kann  dicht  hinter 
der  Linse  eine  vascularisirte,  weissliche,  membranartige  Bildung  auftreten, 
die  Aehnlichkeit  mit  Glioma  retinae  hat.  —  Die  diffusen  Trübungen* 
sind  bisweilen  so  durchscheinend,  dass  sie  nur  wie  ein  leichter  Schleier 
oder  wie  ein  feiner  Staub  den  Anblick  der  Retina  verdecken.  Besonders 
bei  der  Retinitis  syphilitica  kommt  diese  Form  der  Glaskörpertrübungen 
vor;  an  der  betreffenden  Stelle  ('S.  271)  ist  die  differentielle  Diagnose 
gegenüber  den  Trübungen  des  Netzhautgewebes  bereits  angegeben  wor- 
den. In  anderen  Fällen  sind  die  Trübungen  so  intensiv,  dass  sie  alles 
einfallende  Licht  verschlucken  und  der  Augenhintergrund  trotz  des 
ophthalmoskopischen  Lichteinfalles  dunkel  bleibt.  Wenn  man  letzteres 
beobachtet  und  durch  schiefe  Beleuchtung  das  Vorhandensein  von  Trü- 
bungen in  <\rv  Cornea,  vorderen  Kammer  oder  Linse,  welche  ähnlichen 
Effecl  Indien  könnten,  ausschliesst,  so  ist  die  Diagnose  auf  eine  inten- 
sive diffuse  Glaskörpertrübung  gesichert.  Ist  letztere  durch  Bluterguss 
bewirkt,  so  erkennt  man  öfter  das  hinter  der  Linse  liegende  Blut  bei 
schiefer  Beleuchtung  an  seiner  rothen  Farbe.  — 


Glaskörpertrübungen.  317 

Einen  eigentümlichen  Anblick  bietet  dieSynckysis  scintillans. 
Hier  rinden  sich  zahlreiche  kleinere  Cholestearin-  und  Tyrosinkrystalle 
sowie  Phosphate  (Poncet)  im  Glaskörper,  die  bei  der  ophthalmoskopi- 
schen Untersuchung  auf  das  Prächtigste  hell  Leuchten  und  glitzern  und 
bei  Bewegungen  des  Auges  oft  wie  ein  Raketenschwäfm  vom  Grunde 
des  Annes  aufsprühen.  Es  gehört  alter  eine  gewisse  Intensität  der  Be- 
leuchtung dazu,  um  auch  die  kleineren  und  durchsichtigeren  Krvstalle 
leuchten  zu  sehen.  Besonders  günstig  ist  hier  die  Untersuchung  mit  dem 
Concavspiegel  und  eine  gewisse  Annäherung  an  das  Auge.  Man  wird 
so  Trübungen  glänzen  sehen,  die  bei  der  Untersuchung'  aus  grösserer 
Entfernung  oder  mit  einem  lichtschwachen  Spiegel  nur  als  feine  durch- 
scheinende, graue  Massen  erscheinen. 

Diese  Affection  rindet  sich  oft  in  sonst  gesunden  Augen,  besonders 
bei  alten  Leuten.  Ich  habe  bei  Individuen  ausgeprägte  Synchysis  scin- 
tillans gefunden,  die  gar  keine  Klagen  bezüglich  ihres  Sehvermögens 
hatten  und  eine  gute  Sehschärfe  besassen.  Abgesehen  von  Störungen, 
welche  nach  etwa  nothwendig  werdenden  Operationen  eintreten  können, 
scheint  der  Zustand  keine  Nachtheile  mit  sich  zu  führen.  Fehlt  die 
Linse,  so  dringen  die  Cholestearinkrystalle  gelegentlich  auch  vom  Glas- 
körper aus  in  die  vordere  Kammer. 

Aeusserlich  ist  an  den  mit  Glaskörpertrübungen  behafteten  Augen, 
falls  keine  Complicationen  bestehen  oder  umgekehrt  die  Glaskörper- 
affection  nicht  seeundär  zu  einer  Iritis  hinzugetreten  ist,  nichts  Abnormes 
zu  finden.  Nur  besteht  bei  starker  Glaskörperverflüssigung  bisweilen 
Irisschlottern. 

Subjective  Symptome.  Die  Kranken  klagen  in  der  Regel  dar- 
über, dass  sie  schwarze  oder  graue  Punkte,  Rädchen,  schlangenähnliche 
Gebilde  u.  s.w.  vor  sich  schweben  sehen,  welche  kleinere  Gegenstände 
theils  ganz  verdecken,  theils  verschleiern.  Oft  können  sie  genau  die 
Form  der  Trübungen  angeben.  Es  ist  dies  ein  Zustand,  der  gewöhnlich 
als  Myodesopsie  (Mückensehen)  bezeichnet  wird.  Allerdings  treten 
Mouches  volantes  auch  auf,  ohne  eigentliche  Glaskörpertrübungen;  es 
handelt  sich  dann  um  Schatten,  welche  von  den  normaler  Weise  im 
Corp.  vitreuni  befindlichen  Formelementen  auf  die  Netzhaut  geworfen 
werden.  Vorzugsweise  häufig  klagen  Myopen  (siehe  das  betreffende 
Kapitel)  darüber:  auch  Schwächezustände  (Chlorosa)  und  Nervosität 
befördern  das  Mückensehen,  indem  eine  Ueberempfindlichkeit  der 
Netzhaut  mit  gleichzeitiger,  überängstlicher  Aufmerksamkeit  die  Wahr- 
nehmung fördert.  Nur  wenn  objeetiv  von  dem  Untersucher  Trübungen 
wahrgenommen  werden,  spricht  man  von  „Glaskörpertrübungen". 
I  ebrigens  können  gelegentlich  auch  kleine  Schleimpartikelchen,  die  bei 
einer  Conjunctivitis  über  die  Cornea  gehen,  Mouches  volantes  verursachen. 


318  Erkrankungen  dos  Glaskörpers. 

Da  (Urse  aber  durch  Bewegungen  des  Augenlides  entfernt  werden,  so 
verschwinden  auch  damit  die  durch  sie  hervorgerufenen  Schattenfiguren. 
Die  Sehschärfe  ist  nicht  immer  herabgesetzt:  die  Abnahme 
richtet  sich  nach  der  Ausdehnung  und  Intensität  der  Affection.  Einzelne 
dicke,  umschriebene  Trübungen  verringern  das  Sehvermögen  weniger 
als  eine  dünne,  durchscheinende,  aber  diffuse  Trübung.  Bei  flottirenden 
Trübungen  wird  das  Resultat  der  Sehsehärfenbestimmung  öfter  .schwan- 
ken, je  nachdem  die  Trübung  gerade  in  der  Sehlinie  liegt  oder  nicht. 
Beschränkungen  des  Gesichtsfeldes  kommen  gewöhnlich  nicht  vor,  falls 
nicht  ( "omplicationen  mit  Netzhautleiden  vorliegen. 

Die  Ursachen  sind  häufig  schwer  festzustellen.  Besondei-s  disponirt 
sind  Myopen  mit  Staphyloma  posticum.  Bei  Chorioiditis,  Retinitis, 
Netzhautablösimg,  ferner  bei  Congestivzuständen,  Hämorrhoiden,  Grefäss- 
atherom,    nach  Ueberanstrengung    der    Augen    können    sie    auftreten. 

Nach  schwereren  Allgemeinaffectionen  (z.  B.  Typhus)  finden  wir  als 
Folge  einer  abgelaufenen  Irido-Cyklitis  ebenfalls  Glaskörpertrübungen. 
Oefter  habe  ich  sie  bei  anämischen  Mädchen  oder  jungen  Männern  in 
den  Entwicklungsjahren  ohne  sonstige  ätiologische  Momente  beobachtet. 

Weiter  sind  Syphilis  und  Verletzungen  zu  nennen.  Letztere  geben 
besonders  Anlass  zu  Blutergüssen;  jedoch  entstehen  dieselben  auch 
bisweilen,  in  grosser  Ausdehnung,  ohne  solche.  Es  leiden  auffälliger 
Weise  oft  junge  Leute  an  diesen  Glaskörper-Blutungen. 

V erlauf.  Nicht  selten  geht  bei  diffusen  Trübungen,  welche  den 
ganzen  Glaskörper  einnahmen  und  keinen  Einblick  mehr  in  den  Augen- 
hintergrund gestatteten,  die  Lichtung  so  vor  sich,  dass  sich  zuerst  dicke, 
umschriebene  Fetzen  zusammenballen,  während  gleichzeitig  die  übrige 
Masse  anfängt,  etwas  durchsichtiger  zu  werden.  Es  kann  selbst  hei 
intensiven  diffusen  Trübungen  noch  zu  einer  vollständigen  Klärung 
kommen,  vorausgesetzt,  dass  sie  nicht  Folge  von  eitrigen  Irido-Chorioi- 
diten  oder  einer  genuinen  eitrigen  Hyalitis  waren.  Auch  dicke  um- 
schriebene Trübungen  können  sieh  resorbrren;  doch  sind  manche  der- 
selben sehr  hartnäckig.  —  Recidive  sind  nicht  allzu  selten.  Es  giebt 
Fälle,  wo  in  grösseren  Zwischenräumen  immer  von  Neuem  die  Glas- 
körpertrübung eintritt.  Dasselbe  gilt  von  den  Glaskörperblutungen 
junger  Leute,  die  sich  nach  viele  Monate  langem  Bestehen  öfter  noch 
klären.  Doch  kann  auch  dauernde  Schwachsichtigkeit  folgen  unter  Mit- 
hetheiligung  der  Netzhaut,  in  der  sich  zuweilen  das  Bild  der  Retinitis 
proliferans  entwickelt;    auch  zu  Netzhautablösungen  kann   es  kommen. 

Die  Therapie  ist  im  (iauzen  die  der  Chorioiditis.  Abgesehen 
von  besonderen  constitutionellen  Verhältnissen  sind  Heurteloup'sche 
Blutentziehungen,  subeonjunetivale  Kochsalz-.! njectionen,  Quecksilber- 
oder Schwitzkuren  indicirt.     Den  naheliegenden  Versuch,  bei  diffusen, 


Hyalins  suppurativa.  319 

sonstigen  Mitteln  widerstehenden  Trübungen  des  ( i  laskörper  zu  punctiren, 
habe  ich  ein  paar  Mal  ohne  (Kai  gewünschten  Erfolg  gemacht.  Handelt 
es  sich  nur  um  ein  paar  kleine,  umschriebene  Trübungen,  so  wird  man 
Augendiät,  Arlt'sche  Stirnsalbe,  Kinträufelungen  von  1  proeentiger  Jod- 
kalilösung ( —  aber  unter  Vermeidung  der  gleichzeitigen  Anwendung 
von  Quecksilberpräparaten — ),  gelegentlich  Blutentziehungen,  Fussbäder 
und  Abführmittel  empfehlen.  Oefter  ist  auch  hier,  sowie  in  rückgängigen 
schweren  Fällen  die  Anwendung  des  constanten  Stromes  von  Nutzen 
(ein  Pol  im  Nacken,  einer  auf  dem  geschlossenen  Lide;  Sitzung  von 
drei  bis  fünf  Minuten  mit  Stromwechsel,  etwa  ein  bis  zwei  Milliampere 
stark). 


2.  Hyalitis  suppurativa. 

Die  Eiterungen  im  Glaskörper  sind  meist  Folge  von  Entzündung 
der  anliegenden  Membranen  (der  Netzhaut,  der  Chorioidea,  des  Corp. 
ciliare),  aber  sie  können  auch  vom  Glaskörper  selbst  ausgehen.  Wir 
müssen  in  demselben  Sinne  eine  primäre  Hyalitis  annehmen,  wie  wir 
eine  Keratitis  annehmen,  trotzdem  auch  bei  letzterer  die  entzündlichen 
Producte  selbst  zum  grössten  Theile  von  aussen  her  einwandern. 

31  an  hat  sich  früher  gegen  diese  Annahme  gesträubt.  Da  Experimente 
von  H.  Pagenstecher  ergeben  hatten,  dass  die  Einführung  von  Fremdkörpern 
meist  reactionslos  vertragen  wird  und  die  etwa  eintretende  Trübung  des  Glas- 
körpers nur  von  der  Einstiehwunde  her  erfolgt,  so  nahm  man  mit  ihm  an,  dass 
„bei  sogenannten  Glaskörpertrübungen  der  Reiz  niemals  primär  vom  Glaskörper 
ausgehen"  könne.  Um  diese  Ansicht  zu  widerlegen,  habe  ich  zu  Einspritzungen 
in  den  Glaskörper  ein  stark  infectiöses  Secret,  den  Thränensackeiter,  benutzt  und 
habe,  um  weiter  den  Einwand  auszuschliessen,  dass  die  Infection  von  der  Ein- 
stichwunde  erfolge,  nach  Extraction  der  Linse  von  vorn  her  durch  die  Cornea  bei 
Kaninchen  den  Eiter  mitten  in  den  Glaskörper  gespritzt.  Man  kann  hier  mit  dem 
Augenspiegel  sehr  deutlich  den  Ablauf  des  Processes  verfolgen.  Schon  nach  circa 
vier  stunden  beobachtet  man  eine  erhebliche  Yergrösserung  der  Trübung  um  das 
eingespritzte  Secret:  dieselbe  nimmt  allmählich  zu,  während  man  noch  rings  herum 
rothes  Licht  vom  Augenliintergrunde  zurückkommen  sieht.  Erst  später  tritt  Iritis, 
eitrige  Retinitis  und  verhältnissmüssig  geringere  Chorioiditis  hinzu.  Der  Glas- 
körper zeigt  sich  bei  der  Section  in  eine  molkige  Flüssigkeit  verwandelt,  in  der 
man  meist  zahlreiche  Mikrokokken  sieht.  —  In  letzter  Zeit  hat  Straub  ähnliche 
Experimente  gemacht  und  tritt  ebenfalls,  wie  schon  früher  v.  Wecker,  Schnabel, 
Schweigger.  Klein  u.  A.,  für  eine  primäre  Hyalitis  ein.  Zur  weiteren  Stütze 
liesse  sich  anführen,  dass  Deutsch  ma  im  einmal  im  Centrum  des  Glaskörpers 
eines  enucleirten  Menschenauges  eine  hyalin  glänzende  käsige  Masse  fand,  die 
tuberkulöser  Natur  war.  und,  da  sonstige  tuberkulöse  Affectionen  des  Auges 
fehlten,  als  primäre  Glaskörpertuberkulose  aufzufassen  ist.  Haensel  beobachtete 
gleichfalls  einen  abgeschlossenen  gliomatösen  Tumor  im  Glaskörper. 

Es  erscheint   demnach  ausreichend  festgestellt,    dass  vom  Glaskörper  seihst 


320  Erkrankungen  des  Glaskörpers. 

aus  eine  primäre  Entzündung  desselben  angeregt  werden  kann.  Hiermit  stimmen 
auch  die  klinischen  Erfahrungen  überein.  So  beobachtet  man  bisweilen  nach 
Starextractionen  oder  Staphylomabtragungen,  wie  die  Eiterung  von  dem  vorge- 
fallenen Glaskörper  aus  beginnt.  Ferner  treten  nicht  selten  Fälle  von  Glaskörper- 
trübungen auf,  ohne  dass  pathologische  Veränderungen  der  benachbarten  Theile 
zu  erkennen  sind. 

Eine  andere  Frage  ist  die.  ob  im  Glaskörper  seihst  die  Formelemente  der 
Entzündung  entstehen  oder  ob  sie  nur  von  aussen  her  einwandern,  wobei  jedoch 
nicht  einseitig  an  die  Gefässe  des  Uvealtractus,  sondern  auch  an  Retina  und  Papille 
(gerade  vor  dieser  sieht  man  anatomisch  öfter  circumscripte  Trübungen)  zu  denken 
ist.  Die  Zelleneinwanderung  ist  sicher  die  Regel,  aber  auch  die  Möglichkeit  einer 
Vermehrung  der  Formelemente  ans  den  im  Glaskörper  befindlichen  Zellen  und 
Zellresten  erscheint  nach  den  Untersuchungen  von  Haensel,  Hehl)  und  Brailey 
vollkommen  erwiesen. 

Eine  ausgesprochene  Glaskörpereiterung,  erkennbar  durch  die  hell- 
gelbe Färbung  hinter  der  Linse,  pflegt  fast  immer  zum  Ruin  des  Auges  zu 
führen.  Es  gesellt  sich  hinzu  oder  es  besteht  dabei  bereits  eine  Entzün- 
dung der  Chorioidea  u.  s.  w.,  öfter  kommt  es  zur  Panophthalmitis.  Der 
Bulbus  wird  perforirt,  der  Eiter  entleert  sich  und  schliesslich  entsteht 
Phthisis.  Tritt  der  Process  weniger  heftig  auf,  so  kann  der  Augapfel 
seine  Form  behalten.  Bleibt  die  Linse  durchsichtig,  so  erkennt  man  als 
Endausgang  bisweilen  eine  vascularisirte  Masse  im  Glaskörper. 

Ist  die  Eiterung  ganz  beschränkt,  wie  sie  einige  Male  beobachtet 
und  als  Glaskörperabscess  beschrieben  wurde,  so  kann  sie  ohne 
erhebliche  secundäre  Entzündungen  bestehen  bleiben. 

Die  Behandlung  ist  die  bei  intensiven  Glaskörpertrübungen  oder 
eitriger  Chorioiditis  übliche. 


3.  Fremdkörper  und  Entozoen   im  Glaskörper. 

Fremdkörper  können  bei  Perforation  der  Sclera  oder  auch  bei 
Hornhautperforationen  in  den  Glaskörper  gelangen.  Im  ersteren  Falle 
gehen  sie  meist  durch  die  Linse:  bisweilen  aber  wissen  sie  sieh  gerade 
durch  die  Zonula  einen  Eingang  zu  schaffen,  sodass  die  Linse  vollkommen 
intact  bleibt  und  selbst  von  der  Iriswunde  kaum  etwas  zu  sehen  ist. 
Es  handelt  sich  gewöhnlich  um  Eisenstückchen,  um  Glas,  Pulverkörner 
oder  Steinsplitter  bei  Explosionen,  um  Fragmente  von  Zündhütchen  u.  dgl. 
In  der  Pegel  sind  gleichzeitig  Blutungen  in  dem  Glaskörper  oder  in  der 
vorderen  Kammer  vorhanden.  Die  Fremdkörper  sind  ihrer  Farbe  nach 
nieln  immer  deutlich  ophthalmoskopisch  zu  erkennen,  sie  erscheinen 
meist  nur  als  dunkle  Punkte  oder  Flecke;  das  sicherste  Zeichen  ist  noch, 
wenn  sie  glänzen.  Besonders  schwer  ist  es,  ganz  kleine  Fremdkörper 
zu  diagnosticiren,  so  etwa  kleine  Glassplitter.    Hierzu  kommt,  dass  sich 


Fremdkörper  und  Entozoen  im  Glaskörper.  321 

bald  Glaskörpertrübungen  einzustellen  pflegen.  Auch  eine  secundäre 
Linsentrübung  kann  das  Erkennen  des  Fremdkörpers  hindern.  Gesellt 
sich  zu  einer  Verletzung,  bei  der  aber  das  Eindringen  eines  Fremd- 
körpers wegen  der  Kleinheit  der  perforirenden  Wunde  und  sonstiger 
Umstände  zu  vermuthen  war,  eine  acute  und  heftige  Entzündung,  so 
gewinnt  diese  Vermuthung  sehr  an  Wahrscheinlichkeit;  sie  wird  fast 
zur  Gewissheit,  wenn  nach  der  operativen  Herausnahme  der  trauma- 
tischen Katarakt  eitriger  Glaskörper  folgt.  In  manchen  Fällen  geht 
aber  trotz  des  Eindringens  eines  Fremdkörpers,  die  Entzündung  zu- 
rück, der  getrübte  Glaskörper  Hebtet  sieh  wieder,  und  man  kann 
nunmehr  die  Lage  des  Fremdkörpers,  der  frei  bleibt  oder  sich  ein- 
kapselt, deutlieh  erkennen.  Doch  bildet  er  eine  beständige  Quelle  der 
Gefahr  für  das  Auge:  besonders  häufig  kommt  es  zu  einer  Irido-Cy- 
klitis.  die  schliesslich  das  Sehvermögen  vernichtet.  Selbst  das  andere 
Auge  wird  durch  sympathische  Entzündungen  bedroht.  In  Einzelfällen 
können  allerdings  Fremdkörper  im  Corpus  vitreum  —  ebenso  in  der  Netz- 
haut und  Papille  — ohne  erhebliche  Störungen  dauernd  liegen  bleiben; 
man  beobachtet  dies  besonders  bei  den  kleinen  Stein-Fragmenten,  die 
bei  Dynamit-Explosionen  so  häufig  den  Bergleuten  in  das  Auge  fliegen. 
Am  ehesten  wird  dies  eintreten,  wenn  die  Fremdkörper  sehr  klein  und 
aseptisch  oder  fern  vom  Ciliarkörper  fest  eingekapselt  sind.  Doch 
scheinen  nicht  allein  bacterielle  Infectionen  Anlass  zu  Entzündungen 
zu  geben,  sondern  auch  gewisse  chemische  Reize.  So  habe  ich  trotz 
sorgfältigster  Antisepsis  nach  Einführung  von  Kupferstäbchen  in  den 
Glaskörper  von  Kaninchen,  wie  auch  ähnlich  Leber,  starke  eitrige 
Entzündungen  auftreten  sehen.  Es  erklärt  dies  vielleicht  die  besondere 
Gefahr  abgesprungener  Kupferhütchen. 

Therapie.  Flu'  gewöhnlich  wird  man  die  Extraction  versuchen 
müssen.  Doch  hat  dies  seine  Schwierigkeiten,  besonders  wenn  man  die 
Fremdkörper  nicht  sieht  und  auch  aus  der  Eintrittsstelle  ihre  Lage 
nicht  mit  Wahrscheinlichkeit  zu  bestimmen  vermag.  Denn  je  nach  der 
Kraft  des  Eindringens  kann  der  Fremdkörper  dicht  an  der  Stelle,  wo 
er  hineingedrungen  ist,  hegen  oder  an  der  entgegengesetzten  Bulbus- 
wand  oder  auch  von  dort  zurückgeprallt,  am  Boden  des  Glaskörpers. 
Schliesslich  kann  er  auch  durch  nochmalige  Perforation  der  Sclera  das 
Auge  wieder  verlassen  haben. 

Man  geht  zur  Extraction  nach  Incision  der  Conjunctiva  und,  wenn 
nöthig,  Ablösung  einer  Muskelsehne,  die  später  wieder  angenäht  wird, 
mit  einer  Scheere  bis  zu  der  Stelle  der  Sclera  vor,  wo  man  den 
Fremdkörper  vermuthet,  macht  dann  mit  einem  schmalen  Graefe 'sehen 
Starmesser  einen  meridionalen  Schnitt  und  sucht  nun  mit  Pincette  oder 
einem  stumpfen  Haken  den  Fremdkörper  zu  fassen,    ist  derselbe  gross, 

Schmidt-Riinpler.    7.  Auflage.  -1 


322  Erkrankungen  des  Glaskörpers. 

so   wird  dies   am    leichtesten  gelingen.     Bei  kleinen  Fremdkörpern  ist 

der  Versuch  ziemlich  aussichtslos,  und  man  wird  ihn  besser  unterlassen. 

Es  kommt   noch   hinzu,    dass  in  vielen  Fällen  mehrere  Splitter  in  das  Auge 

gedrungen  sind:  hat  man  alsdann  einen  extrahirt,  so  würde  man  möglicher  Weise, 

sehr  zum  Schaden  des  Kranken,  der  einer  sympathischen  Entzündung  des  anderen 
Auges  ausgesetzt  bliebe,  sich  mit  diesem  Erfolge  begnügen.  So  konnte  ich  in 
einem  Falle  bei  einem  Kranken,  dem  einige  Tage  vorher  durch  Explosion  Stücke 
eines  Reagenzglases  gegen  das  Auge  geschleudert  waren,  nicht  mit  Sicherheit  eine 
Perforation  der  Sclera  nachweisen.  Im  Glaskörper  befand  sich  eine  fadenförmige 
Trübung,  die  mit  der  Chorioidea  in  Verbindung  stand:  da  dieselbe  sich  etwas  ver- 
dichtete und  hin-  und  herschwankend  ein  etwas  dickeres  Ende  hatte,  vermuthete 
ich  dort  den  Sitz  eines  kleinen  Grlasspütters.  Es  wurde  vergeblich  durch  einen 
Scleralschnitt  die  Extraction  versucht.  Nach  der  Herausnahme  des  Auges  ergab 
sich,  dass  in  der  That  ein  etwa  1  mm  langes  Glassplitterchen  am  Ende  der  faden- 
förmigen Trübung  sass:  aber  auch  im  Ciliarkörper  steckte  ein  noch  grösseres 
Stückchen,  von  dem  nichts  zu  sehen  gewesen  war.  — 

Gelingt  die  Entfernung  des  Fremdkörpers  nicht,  so  ist  das  Sicherste, 
die  Enucleation   oder  Exenteration  des  Augapfels  zn  machen,  um  eine 


c 


117. 

sympathische  Äffection    des    anderen  Auges    zu    vermeiden  (s.  das  be- 
treffende Kapitel). 

Recht  aussichtsvoll  sind  Versuche,  Eisenstückchen  aus  dem  Glas- 
körper oder  aus  den  Bulbushiillen  zu  extrahiren,  da  man  hei  ihnen 
Magnete  anwenden  kann:  ein  Verfahren,  das  zwar  schon  früher  ge- 
übt, erst  durch  Eirschberg's  Verdienst  grössere  Verbreitung  fand. 
I  derselbe  ging  mit  einem  sondenförmig  endenden  rundlichen  Elektro- 
magnet (Fig.  117)  in  den  Bulbus  ein.  In  neuerer  Zeit  hat  Haab  seinen 
Riesenmagneten  empfohlen,  der  bei  seiner  gewaltigen  Anziehungskraft 
nur  aussen  an  das  Auge  angelegt  zu  werden  braucht.  Er  ist  allerdings 
noch  recht  theuer  (z.  Z.  700  Fr.  Elektrische  Fabrik  in  AVinterthur):  ein 
kleinerer  und  dementsprechend  auch  etwas  schwächerer,  aber  meist  aus- 
reichender „Riesenmagnet"  ist  von  Schlösser  construirt  worden  (Preis 
100  M.).  Bei  Verwendung  der  Magnete  ist  immer  zu  beachten,  dass  ihre 
Anziehungskraft  im  Verhältniss  zu  der  (i rosse  (\rs  eingedrungenen  Eisen- 
stückchens  stehl  und  ferner,  dass  sich  fest  im  Gewebe  haftende  Splitter 


Fremdkörper  und  Entozoen  im  Glaskörper.  323 

naturgemäss  schwerer  entfernen  lassen.  So  konnte  ich  beispielsweise 
ein  kleines  nadelspitzähnliches  Eisenstückchen,  dass  durch  die  Cornea 
gedrungen  war  und  in  die  vordere  Kammer  hineinspiesste,  trotz  directen 
Anlegens  des  keilförmigen  Endes  des  Riesenmagneten  auf  das  eben  noch 
auf  der  Hornhautoberfläche  sichtbare  Ende  nicht  herausziehen :  es  musste 
durch  Abkratzen   der  angrenzenden  Hornhaut  entfernt  werden. 

Wer  im  Besitze  eines  Riesenmagneten  ist,  wird  diesen  im  Allge- 
meinen häutiger  anwenden.  Besonders  liegt  eine  Indication  für  ihn 
vor,  wenn  man  den  Fremdkörper  im  hinteren  Augen-Abschnitte  nicht 
sehen  kann.  Aber  auch  wenn  man  ihn  sieht,  wird  man  versuchen,  ihn  durch 
Anlegen  der  Spitze  des  Magneten  an  der  entsprechenden  äusseren 
Bulbuswand  von  dort  durch  die  Irisperipherie  in  die  vordere  Kammer 
zu  leiten. 

Erleichtert  wird  die  Diagnose  sowohl  des  Vorhandenseins  eines  Eisenstückes 
im  Auge  wie  auch  seines  Sitzes  durch  die  Benutzung-  des  Asnius 'sehen  Sidero- 
skops.  Dasselbe  besteht  aus  einer  wagrecht  aufgehängten  Magnetnadel,  in  deren 
Mitte  ein  kleiner  nach  vorn  gerichteter  Spiegel  sich  befindet:  in  diesem  spiegelt 
sieh  eine  vor  ihm  aufgestellte  und  beleuchtete  Scala,  welche  durch  senkrechte 
Striche  getheilt  ist.  Mittelst  eines  Fernrohrs,  durch  dessen  Gesichtsfeld  ein  senk- 
rechter Faden  geht,  der  auf  einen  Strich  des  Spiegelbildes  der  Scala  eingestellt 
wird,  beobachtet  man  den  Spiegel  und  erkennt  durch  die  gleichzeitig  mit  der  Be- 
wegung des  Magneten  wechselnde  Lageveränclerung  des  Spiegels  und  der  in  ihm 
gespiegelten  Scala  die  kleinste  Reaction,  welche  das  Eisen  auf  die  Magnetnadel 
ausübt.  Da  der  Ausschlag  besonders  dort  stark  sein  wird,  wo  das  Eisen  im  Bul- 
bus sitzt,  so  kann  man  diese  Stelle  durch  Anlegen  der  verschiedenen  Theile  des 
Bull  >us  an  die.  in  einer  Glasröhre  befindliche  Magnetnadel  feststellen.  Das  Instrument 
bietet  entschiedene  diagnostische  Yortheile;  bei  sehr  kleinen  Eisenstückchen  kann 
es  aber  auch  versagen.  Hirschberg  hat  neuerdings  eine  Modification  angegeben, 
die  das  kostspielige  Fernrohr  überflüssig  macht. 

Tritt  das  Eisen,  vom  Magnete  angezogen,  hinter  die  Iris,  so  buckelt 
es  dieselbe  etwas  hervor:  auch  tritt  öfter  eine  kleine  Blutung  ein.  Man 
thut  dann  gut,  einen  peripheren  Einschnitt  am  Hornhautrande  der  betreffen- 
den Stelle  zu  machen  und  mit  einer  Pincette  die  Iris  herausziehen  und 
abzuschneiden.  Fasst  man  dabei  den  Fremdkörper  nicht,  so  legt  man  die 
Magnetspitze  an  die  Schnittwunde  an  und  zieht  ihn  auf  diese  Weise 
heraus.  Würde  man  ohne  Iris-Excision  sie  an  die  Wunde  legen,  so 
läge  die  Gefahr  vor,  dass  mit  dem  Fremdkörper  auch  die  Iris  heraus- 
gerissen würde.  Liegt  der  Fremdkörper  vollkommen  sichtbar  auf  der 
Iris,  so  kann  man  auch  mit  dem  Hirschberg'schen  Elektromagneten 
ohne  vorherige  Iris-Excision  eingehen;  jedenfalls  läuft  man  alsdann  weniger 
Gefahr,  die  Iris  mit  Gewalt  herauszureissen,  selbst  wenn  das  Eisen 
noch  etwas  in  ihr  eingebettet  wäre.  Sehr  selten  lassen  sich  die  ur- 
sprünglichen Perforationswunden  der  Hornhaut  zur  Magnet-Extraction 
benutzen.     Anders   verhält   es  sich  bei  Sclerawunden.     Hier  kann  man 

21* 


324  Erkrankungen  des  Glaskörpers. 

öfter  direct  den  grossen  Magneten  anlegen.  Gelegentlich  habe  ich  auch, 
wenn  ich  im  hinteren  Theil  des  Augeninnern  <la.s  Eisenstück  vennuthete, 
aber  nichts  Sicheres  über  seinen  Sitz  feststellen  konnte,  einen  meri- 
dionalen  Scleraschnitt  mit  gleichzeitiger  Incision  der  Chorioidea  und  Re- 
tina gemacht  und  an  diese  Oeflhung  die  Spitze  des  grossen  Magneten 
gebracht. 

Man  niög'e  übrigens  beim  Anlegen  des  grossen  Magneten  längere 
Zeit  warten,  ehe  man  von  dem  Versuche  abgeht.  Auch  der  Mangel 
an  Schmerzempfindung  spricht  nicht  gegen  das  Vorhandensein  eines 
Eisenstückes  im  Augeninnern:  Schmerz  wird  der  Patient  erst  empfinden, 
wenn  das  Eisenstück  angezogen  wird  und  seinen  Platz  verlässt. 

In  einem  Falle  hatte  ich,  da  das  Eisenstück  beim  äusseren  Anlegen  nicht  kam. 
einen  Scleralschnitt  gemacht  und  in  die  "Wunde  die  Magnet-Spitze  ohne  Erfolg-  und 
längere  Zeit  gelegt.  Da  auch  das  Sideroskop  keinen  sicheren  Ausschlag  gab,  stand 
ich  von  weiterem  Versuch  ab.  Aber  die  Art  der  Wunde  und  zunehmende  Entzündung 
veranlasste  mich,  zwei  Tage  später  noch  einmal  den  Verletzten  an  den  grossen 
Magneten  zu  bringen.  Nach  längerem  Anlegen  fühlte  er  einen  heftigen  »Schmerz, 
bald  darauf  buckelt  sich  die  Iris  an  einer  Stelle  hervor  und  es  erfolgte  ein  kleines 
Byphaema.  Nunmehr  machte  ich  an  der  Stelle  einen  peripheren  Einschnitt  und 
zog  mit  der  Iris  ein  in  dieser  sitzendes  ausserordentlich  kleines  Eisenstückchen 
hervor.    Die  Heilung  erfolgte  ohne  Katarakt  mit  V3  Sehschärfe. 

Der  Hirschberg'sche  Elektromagnet  kommt  besonders  zur  Ver- 
werthung,  wenn  man  ihn  dicht  an  den  Fremdkörper  heranbringen  kann; 
hier  ist  das  Uebergewicht  des  Riesenmagneten  nicht  so  bedeutend,  da 
es  vorzugsweise  in  seiner  grösseren  Fernwirkung  besteht.  Bei  sehr 
kleinen  und  etwa  in  den  Bulbushüllen  eingekeilten  Eisenstückchen  kann 
es  passiren,  dass  der  Riesenmagnet  versagt,  während  man  den  Hirsch- 
berg' sehen  nach  einem,  an  der  entsprechenden  Stelle  gemachten  Ein- 
schnitte einführen  und  direct  auf  das  Eisen  lenken  kann.  Auch  für 
die  Herausnahme  von  Eisenstückchen  aus  der  vorderen  Kammer  ist  der 
kleine  Hirschberg'sche  Elektromagnet  meist  vortheilhaft.  Ebenso  wird 
man  ihn  bei  grösseren  Eisensplittern,  die  tief  in  das  Augeninnere  ge- 
drungen sind,  lieber  einführen,  da  man  mit  ihm  das  anhaftende  Eisen- 
stück durch  die  Wunde  und  auf  dem  gewünschten  Wege  direct  extra- 
hiren  kann,  während  der  Riesenmagnet  auf  nicht  so  sicher  vorzu- 
schreibendem Wege  und  mit  zu  grosser  Gewalt  die  Herausbeförderung 
bewirken  könnte. 

Die  in  der  Nähe  der  Magneten  in  Verwendung  kommenden  In- 
strumente (besonders  Elevateur  und  Pincette)  sind  aus  Nicolin  zu 
machen,  das  nicht  angezogen  wird. 

Natürlich  heilen  nicht  alle  Augen,  aus  denen  mit  Glück  das  Eisen 
entfernt  ist.  ja  bei  seihst  gut  geheilten  mit  guter  Sehschärfe  Entlassenen 
kann  sieh  nachträglich  eine  Netzhautablösung  einstellen.    Je  früher  man 


Fremdkörper  und  Entozoen  im  Glaskörper.  325 

aber  operirt,  um  so  grösser  siml  die  Chancen.  Gelegentlich  hat  man 
sogar  bei  bereits  eingeleiteter  Entzündung  (Irido-Chorioiditis)  noch  Er- 
folg. Entwickelt  sieh  ungünstiger  Weise  schliesslich  nach  der  Eisen- 
extraction  eine  Irido-Cyklitis,  so  ist  der  Bulbus  zu  entfernen. 

Das  ist  aber  sicher,  dass  ein  ziemlicher  Procentsatz  von  verletzten 
Augen,  die  früher  absolut  zu  Grunde  gegangen  wären,  durch  die  An- 
wendung der  Elektromagneten  erhalten  werden.  — 

Luxirte  Linsen  können  ähnlich  wie  Fremdkörper  im  Corp.  vitreum 
liegen.  Das  Auge  bleibt  oft  lange  Zeit  entzündungsfrei,  doch  kann 
auch  lebhafte  Keaction  und  Irido-Cyklitis  eintreten.  Droht  letztere^  so 
wird  ein  Extractionsversueh  zu  machen  sein  (siehe  Linsenluxation). 

Die  Nachbehandlung  nach  dem  Eindringen  oder  nach  der  Extraction 
des  Fremdkörpers  ist  dieselbe  wie  nach  sonstigen  eingreifenden  Augen- 
operationen: also  Anlegung  eines  Schlussverbandes.  Bei  heftigen 
Schmerzen  können  abwechselnd  Eisumschläge  gemacht  werden;  ist 
dem  Auge  der  Druck  eines  Verbandes  sehr  schmerzhaft,  so  muss  darauf 
verzichtet  werden.  Auch  Blutegel  an  die  Schläfe,  Atropinisirung  und 
Mercurialisation  sind  bei  stärkerer  Entzündung  von  Nutzen. 

In  manchen  Gegenden  finden  sich  ziemlich  häufig  Cysticerken 
im  Auge. 

Es  hängt  dies  von  der  Verbreitung  der  Taenia  solium  ab,  da  die  Finne  der 
Taenia  mediocanellata  nicht  im  Menschen  gedeiht.  Die  einzelnen  Glieder  des 
Bandwurms  werden  ahgestossen  und  mit  dem  Roth  entleert.  Ausserhalb  des  Kör- 
pers auf  den  Dungstätten  (Wiesen,  Feldern)  werden  die  in  den  Fruchthältern 
der  Glieder  befindlichen  Embryonen  frei.  Durch  die  Nahrungsmittel  oder  durch 
Wasser  gelangt  der  Embryo  in  den  Magen  des  geeigneten  Wirthes  (Mensch,  Hund, 
Schwein  u.  a. ).  geht  durch  den  Magensaft  seiner  Hülle  verlustig,  bohrt  mit  seinen 
Häkchen  die  Blutgefässe  an  und  beginnt  zu  wandern.  Endlich  macht  er  sich 
sesshaft  und  kommt  nun  in  die  zweite  Phase  seiner  Entwicklung,  die  man  als 
Cysticercus  bezeichnet.  Er  verwandelt  sich  in  eine  Blase  mit  flüssigem  Inhalt: 
an  einer  Stelle  ihrer  Peripherie  befindet  sich  eine  quergestreifte  strangförmige  Fort- 
setzung Halstheil  i.  welche  mit  einer  knopfförmigen  Anschwellung  (Ropftheil),  die 
Sangnäpfe  und  Hakenkranz  zeigt,  endet.  In  dieser  Form  wird  der  Cysticercus 
häufig  eingekapselt,  so  besonders  in  der  Muskulatur  des  Schweines  (Finnen). 
Rommt  er  alsdann  mit  dem  Fleisch  in  den  Magen  und  Darm  des  Menschen,  so 
entwickelt  sich  aus  ihm  der  Bandwurm.  Dass  sich  aus  dem  Embryonen  des  Band- 
wurms in  demselben  Menschen,  der  ihn  trägt.  ( 'ysticerken  entwickeln,  ist  selten. 
Wie  erwähnt,  sind  es  die  Embryonen,  die  durch  den  Mund  aufgenommen  werden, 
welche  sich  im  Menschen  zu  Cysticerken  umwandeln.  In  das  Auge  gelangen  die- 
selben durch  die  Blutgefässe. 

Meist  sitzt  der  Cysticercus  zwischen  Chorioidea  und  Netzhaut  oder 
nach  Perforation  der  letzteren  im  Glaskörper. 

Zuerst  hat  ihn  ophthalmoskopisch  A.  v.  Graefe  (1854)  gesehen. 
In  Nord-  und  Mitteldeutschland  kommt  er  verhältnissmässig  zahl- 
reich vor:  doch  haben  sich  seit  Emfuhrunff  der  Fleischschau  auch  hier 


,')2l)  Erkrankungen  des  Glaskörpers. 

die  Fälle  vermindert.     Aus  dem  übrigen  Deutschland,  aus  Frankreich, 
England   und  Amerika  liegen  bezüglich  des  Glaskörpercysticercus    nur 

sparsame  Mittheilungen  vor. 

Im  durchsichtigen  Glaskörper  ist  der  Wurm  als  rundliche,  blau- 
grünliche Blase  mit  weissglänzender  Peripherie,  an  der  man  man  bei 
länger  turtgesetzter  Beobachtung  auch  ein  Aus-  und  Einstülpen  des 
Halses  sieht,  meist  leicht  zu  erkennen.  Nur  in  dem  Falle,  wo  er  sehr 
klein  ist  und  Bewegungen  fehlen,  hat  die  Diagnose  Schwierigkeit,  da 
möglicher  Weise  zarte  Glaskörpertrübungen  ein  blasenälmliches  Aus- 
sehen haben  können.  In  der  Regel  rindet  sich  an  irgend  einer  Stelle 
eine  Netzhautablösung.  Schwieriger  ist  die  Diagnose  bei  subretinalem 
Sitze  (s.  oben).  Nicht  selten  besteht  äusserlich  eine  geringe  pericor- 
neale  Injection  des  Bulbus.  Bei  längerem  Aufenthalt  des  Cysticercus 
pflegen  sich  dickere,  membranartige  Glaskörpertrübungen  hinzuzuge- 
sellen, die  ihn  verdecken  können;  es  stellt  sich  Iritis  und  Irido-Chorioi- 
ditis  ein  und  der  Augapfel  wird  phthisisch.  Doch  kann  auch  Form 
und  Spannung  des  Bulbus  erhalten  bleiben,  wie  ein  Fall  zeigt,  der  von 
v.  Graefe  1856  diagnosticirt,  20  Jahre  später  von  Hirschberg  unter- 
sucht wurde. 

Die  Sehstörung  ist  je  nach  dem  Sitz  verschieden;  meist  handelt  es 
sich  im  Beginn  um  Skotome.  Schliesslich  aber  geht  das  Sehen  wohl 
immer  verloren.  Die  Gefahr  einer  sympathischen  Irido-Cyklitis  scheint 
nicht  naheliegend  (v.  Graefe);  leichtere  sympathische  Reizerscheinungen 
sind  allerdings  öfter  vorhanden.  Der  Cysticercus  ist  nur  ganz  ausnahms- 
weise doppelseitig  beobachtet,  ebenso  selten  sind  zwei  Blasen  in  dem- 
selben Auge  gesehen  worden  (Becker,  A.  Graefe). 

Therapie.  Zur  Erhaltung  des  Augapfels  und  im  günstigen  Falle 
auch  des  Sehvermögens  muss  man  den  Wurm  extrahieren.  Recht  be- 
friedigend sind  die  Erfolge  bei  Anlegung  eines  mcridional  verlaufen- 
den Scleralschnittes,  wie  er  von  Arlt  bereits  geübt,  vor  Allem  aber  von 
Alfred  Graefe  gepflegt  worden  ist.  Letzterer  hat  ein  besonderes 
Localisirungsophthalmoskop  angegeben,  bei  welchem  am  Ophthalmoskop 
ein  halbkreisförmiger,  in  Winkelgrade  getheilter  und  drehbarer  Bogen 
sich  befindet.  Der  Nullgrad  entspricht  dem  Loche  des  Augenspiegels. 
Wird  das  untersuchte  Auge  so  gestellt,  dass  der  Cysticercus  sich  dem 
Beobachter  gerade  gegenüber  befindet,  so  kann  nach  dem  Grade  der 
Abweichung,  welche  die  Sehlinie  des  Auges  hierbei  macht,  die  Ent- 
fernung des  Cysticercus  von  der  Macula  leicht  berechnet  werden.  Man 
kann  aber  einfacher  Weise  auch  so  die  Lage  teststellen,  dass  man  die 
Entfernung  des  Wurmes  von  der  Papilla  optica  in  Papillendurchmesser 
i==  l,f>  mm)  ophthalmoskopisch  bestimmt. 


Persistenz  der  Arteria  hyaloidea.  Glaskörperablösung,  327 

Für  gewöhnlich  rechnet  man  die  Augenachse,  von  dem  Eornhauteentrum  zum 
hinteren  A.ugenpol  zwischen  Macula  und  Papille  liegend)  gleich  24  mm.  Danach 
wäre  der  äussere  Umfang  des  Bulbus  nach  der  Formel  2  r  n  =  7">  mm.  die  Hälfte 
=  37  mm.  (Da  aber  die  Sclera  und  Hornhaut  circa  3  mm  Dicke  haben,  ist  der 
innere  Durchmesser  =  22  mm.  also  der  innere  Fmt'ang  =  68  mm,  die  Hälfte 
=  34  mm.  i  Wenn  wir  den  halben  Hornhaut-Umfäng  mit  G  nun  rechnen,  so  würde 
demnach  der  äussere  Bulbusumfang  vom  Hornhautrande  zum  hinteren  Pol  31  mm 
betragen:  letzterer  liegt  von  der  temporalen  Seite  der  Papille  etwa  1  mm  entfernt: 
also  vom  äussern  Hornhautrande  bis  zum  temporalen  Papillenrande  beträgt  der 
Bulbusumfang  30  mm.  vom  inneren  Hornhautrande  bis  zum  nasalen  Papillenrande 
28V2  mm.  Pechnet  man  nun.  um  den  Unterschied  zwischen  innerem  und  äusserem 
Bulbusumfang  auszugleichen,  den  Papillendurchmesser  (PD)  =  1,6  mm,  so  braucht 
man  ophthalmoskopisch  nur  in  Pl>  zu  messen,  wie  weit  der  Wurm  vom  Papillenrand 
entfernt  ist  wenn  er  nicht  im  horizontalen  Meridian  sitzt,  muss  auch  die  senkrechte 
Entfernung  bestimmt  werden),  und  trägt  sich  dann  die  betreffenden  Entfernungen, 
unter  Berücksichtigung  des  angegebenen  Bulbusumfanges,  auf  der  Sclera  vom  Horn- 
hautrande nach  hinten  mittelst  eines  kleines  Messbandes  ab.  So  findet  man  die  be- 
treffende Stelle.  Dieselbe  Berechnung  gilt  auch  für  die  Feststellung  von  Fremd- 
körpern im  Augen-Innern.  die  eventuell  zu  entfernen  wären. 

Ist  der  Sitz  genau  festgestellt,  so  wird  ein  nieridionaler;  von  vorn 
nach  hinten  gehender  Schnitt,  der  Sclera,  Chorioidea  und  eventuell 
Retina  an  der  Stelle,  wo  der  Wurm  sich  befindet,  durchschneidet, 
mittelst  des  Graefe 'sehen  Messers  in  sägenden  Zügen  ausgeführt.  Oefter 
stellt  sich  die  Blase  spontan  oder  beim  Klaffenmachen  der  Wunde 
mittelst  zweier  feiner  Häkchen  ein,  sonst  wird  sie  durch  Eingehen  mit 
einer  Pincette  extrahirt.  Besonders  günstig  für  die  Extraction  ist  ein 
subretinaler  Sitz  derselben.  Befindet  sich  der  Cysticercus  im  Glaskörper, 
so  untersuche  man  noch  einmal  kurz  vor  der  Operation  seinen  Sitz, 
da  derselbe  sich  —  wie  ich  es  einmal  gesehen  —  noch  im  letzten  Mo- 
ment ändern  kann. 

Sind  bereits  ausgedehnte  seeundäre  Entzündungen  hinzugekommen 
oder  ist  der  Bulbus  phthisisch  geworden,  so  wird  nur  die  Enucleation 
übrig  bleiben.  — 

Die  Filaria  oculi  humani  ist  als  ein  fadenförmiges  Gebilde  nur 
selten  im  Glaskörper  beobachtet  worden  (Quadri),  noch  seltener 
aus  ihm  extrahirt  (Kuhnt,  SaeniisclA  Verwechselungen  mit  Glas- 
körpertrübungen sind  naheliegend. 


4.  Persistenz  der  Arteria  hyaloidea.    Glaskörperablösung. 

In  seltenen  Fällen  bleibt  die  fötale  A.  hyaloidea  dauernd  bestehen. 
Sie  zeigt  sich  als  grauer  oder  röthlicher  Strang,  der  von  der  Papilla 
optica  nach  vorn  zum  hinteren  Linsenpol  zieht.  Bisweilen  sieht  man 
auch  Reste  des  Cloqu et  sehen  Canals,  indem  ein  schlauchartiges  durch- 
sichtiges Gebilde,    das  trichterartig    einem  Theile    der  Papille  aufsitzt, 


328  Erkrankungen  des  Glaskörpers. 

von  dort  zur  Linse  fuhrt.  Jn  einem  Fall  beobachtete  ich,  dass  aus  dem 
Inneru  des  Schlauches,  in  einiger  Entfernung-  von  der  Papille  hervor- 
kommend, Gefasse  auf  der  äusseren  Wand  sichtbar  wurden,  die  zurück- 
laufend die  anliegenden  Netzhautpartien  versorgten. 

Der  Glaskörper  hebt  sich  summt  der  Membrana  hyaloidea  {\l.  Mül- 
ler) bisweilen  nach  Traumen,  welche  einen  schnell  eintretenden  und 
grossen  Glaskörperabfluss  zur  Folge  haben,  von  der  Netzhaut  ab.  Bei 
chronischen  Augenentzündungen,  Netzhautablösungen  und  speciell  beim 
Staphyloma  posticum  findet  sich  ebenfalls  in  der  hinteren  Bulbuspartie 
eine  Glaskörperabhebung:  hier  trennt  sich  der  Glaskörper  von  der  M. 
hyaloidea,  die  der  Retina  anhaften  bleibt  (Iwanoff,  Herzog  Carl 
Theodor  in  Bayern).  Auch  in  der  vorderen  Augenhälfte  ist  diese 
( rlaskörperablösung  durch  seröse  Ergüsse  in  den  Can.  Petiti  beobachtet 
worden  (IL  Pagenstecher).  Meist  handelte  es  sich  in  letzteren  Fällen 
um  glaukomatöse  Erscheinungen. 

Ophthalmoskopisch  ist  die  Glaskörperablösung  in  der  Regel  nicht 
zu  erkennen;  Galezowski  hat  die  in  der  Nähe  der  Papilla  optica 
aufgetretene  Ablösung  einige  Male  durch  einen  an  ihrer  Grenze  sich 
zeigenden  halbkreisförmigen  grauen  Saum  diagnosticirt.  Auch  Weiss 
schiebt  einen  silberglänzenden  Reflexbogenstreifen,  den  man  im  auf- 
rechten Bilde  nach  innen  von  der  Papilla  bei  Kurzsichtigen  beobachten 
kann,  wenn  man  ein  für  den  Grad  der  Myopie  des  untersuchten  Auges 
zu  schwaches  Correctionsglas  vorsetzt,  —  auf  die.  bei  Myopie  in  Folge 
der  Bulbusausdehnung  eintretende  Glaskörperabhebung  am  hinteren 
Augenpol. 


Dritter  Theil. 


Glaukom  und  Ophthalmomalacie. 

Erkrankungen  der  Linse,  der  Conjunctiva, 

der  Cornea,  der  Sclera,  der  Iris  und  des  Corpus 

ciliare.     S3rmpathische  Ophthalmie. 

Chorioiditis  suppurativa. 


Erstes  Kapitel. 

A.  Glaukom. 


1.  Krankheitsbild. 

Der  Name  Glaukom  (j/MVx6g  meergrün)  stammt  von  einem  schon 
den  Alten  auffällig  gewordenen  Symptome  der  Krankheit,  der  grünlichen 
Farbe  der  Pupille.  Den  Grundtypus  der  Affection  bildet  das  Glau- 
coma  simplex  (Donders  [1862]).  Seine  Symptome  sind:  1)  Steige- 
rung des  intraoeularen  Druckes,  die  sich  durch  vermehrte  Härte  des 
Augapfels  kimdgiebt  (Tensionszunahme,  Hypertonie);  2)  Druckexcavation 
der  Papilla  nervi  optici  und  3)  eine  meist  zur  Erblindung  führende 
Verringerung  des  Sehvermögens.  Zeigen  sich  neben  diesen  Sympto- 
men (wobei  jedoch  zu  beachten  ist,  dass  es  einer  gewissen  Zeit 
bedarf",  ehe  die  Exkavation  zu  Stande  kommt)  entzündliche  Erschei- 
nungen, so  spricht  man  von  einem  Glaucoma  inflammatorium. 
Dieses  zerfällt  wieder  nach  Verlauf  und  Auftreten  der  Entzün- 
dung in  ein  acut-,  chronisch-  und  intermittirend-entzündliches. 
Doch  sind  die  Grenzen  bisweilen  verwischt  und  ebenso  geht  eine 
Form  häufig  in  die  andere  über.  So  kann  ein  mit  Glaucoma  sim- 
plex behaftetes  Auge  von  einer  acuten,  glaukomatösen  Entzündung 
befallen  werden  oder  ein  acutes  Glaukom  in  ein  chronisch-entzündliches 
abklingen. 

Trifft  die  Affection  ein  früher  gesundes  Auge,  so  bezeichnet  man 
die  Erkrankung  als  Primärglaukom;  war  das  Auge  bereits  erkrankt 
und  durch  diese  Erkrankung  zum  Glaukom  prädisponirt,  als  Secundär- 
glaukom. 

Xicht  selten  lassen  sich  gewisse  Stadien  in  dem  Krankheits- 
verlaufe  unterscheiden:  ein  Prodromalstadium,  das  dem  ausgebildeten 
Processe  (Glaucoma  evolutum)  vorangeht  und  ein  Endstadium  (Glaucoma 
absolutum),  in  welchem  das  Sehvermögen  vollständig  zerstört  ist;  mit 
letzterem  verknüpfen  sich  öfter  degenerative  Vorgänge. 


332  Glaukom. 

Kin  Prodromalstadium  wird  nach  v.  Grraefe  in  ungefähr  drei 
Vierte]  sämmtlicher  Fälle  beobachtet,  es  fehlt  fast  immer  beim  Gl.  sim- 
plex;  dasselbe  kann  Monate  und  Jahre  lang  bestehen,  ohne  dass  es  zu 
einem  ausgesprochenen  Glaukom  kommt.  Seine  Erscheinungen  treten 
in  umschriebenen  Anfällen  auf,  meist  nach  bestimmten,  den  Patienten 
oft  bekannten  Anlässen:  so  nach  stärkeren  oder  ausgefallenen  Mahl- 
zeiten, nach  Gemüthserregungen,  nach  Kaltwerden  der  Füsse  u.  ähn- 
lichem. Die  Anfälle  dauern  kürzere  oder  längere  Zeit;  meist  schwinden 
sie  nach  eingetretenem  Schlafe.  Ebenso  ist  ihre  Intensität  verschieden. 
Wir  rechnen  zu  den  Symptomen  des  Anfalles:  1)  das  Sehen  eines 
regenbogenfarbenen  Ringes  (aussenroth)  um  Lichtflammen.  Dieser 
Hing  ist  durch  einen  grossen  dunklen  Zwischenraum  von  der  Flamme 
getrennt  und  zeigt  eine  erhebliche  Intensität  der  Farben.  Mattfarbige 
Ringe  werden  auch  bisweilen  von  Gesunden  gesehen:  so  bei  Refractions- 
Anomalien,  Hornhauttrübungen,  Conjunctival-Affection,  wenn  Schleim- 
partikel auf  der  Hornhaut  liegen  u.  s.  w.  Die  Entstehung  der  Farben- 
ringe ist  eine  durch  Trübung  der  brechenden  Medien  bewirkte  Inter- 
ferenzerscheinung; 2)  weitere  Sehstörungen,  Obscurationen.  Die 
Gegenstände  erscheinen  wie  in  Nebel  gehüllt.  Bisweilen  fallen  Theile 
des  Gesichtsfeldes  aus;  die  centrale  Sehschärfe  ist  mehr  oder  weniger 
herabgesetzt;  3)  Ciliarneuralgien.  Die  Schmerzen  strahlen  vom  Auge 
nach  Stirn,  Wange  und  Schläfe  aus;  oft  aber  fehlen  sie  gänzlich.  Die 
Neuralgie  dürfte  auf  eine  directe  mechanische  Nervenirritation  durch 
plötzliche  Steigerung  des  intraocularen  Druckes  zurückzuführen  sein.  — 
Objectiv  ist  im  Anfalle  in  der  Regel:  4)  eine  Spannungszunahme  des 
Bulbus  zu  constatiren.  Die  Prüfung  macht  man  in  der  Seite  8  be- 
schriebenen Weise  durch  Betasten.  Man  kommt  so  schneller  und  oft 
sicherer  zu  einem  Resultate  als  durch  Benutzung  der  als  Tonometer 
von  Snellen,  Monnik,  Dor,  Fick  u.  A.  beschriebenen  Instrumente, 
die,  dem  Augapfel  direct  aufgesetzt,  nach  verschiedenen  Methoden  — 
etwa  durch  das  Gewicht,  welches  erforderlich  ist,  um  eine  Grube  von 
bestimmter  Tiefe  in  die  Sclera  zu  drücken  —  die  Spannung  zahlen- 
mässig  feststellen  sollen.  Von  Bowman  ist  für  die  verschiedenen 
( rrade  der  Tension  eine  abkürzende  Bezeichnung  vorgeschlagen  worden: 
Tu  bedeutet  normale  Spannung:  Steigerungen  derselben  werden 
durch  das  Plusvorzeichen,  Abnahmen  durch  das  Minusvorzeichen  aus- 
gedrückt, die  Grade  durch  Hinzufügung  der  Zahlen  von  1  bis  3.  So 
würde  +T:i  der  höchste  Härtegrad  (^steinhart")  sein.  Ist  nur  ein  Auge 
befallen,  so  wird  eine  Vergleichung  der  Spannung  mit  der  des  gesunden 
Auges  von  Bedeutung  sein,  da  man  eine  ziemlich  grosse  physiologische 
Breite  hei  den  Augen  der  einzelnen  Individuen  rindet;  5)  Erweiterung 
und  Trägheit  der  Pupille;  doch  pflegt  dieses  Symptom  im  Prodro- 


Krankheitsbild.  333 

malstadium  nicht  besonders  hervorzutreten.  Die  Pupille  zeigt  wegen  der 
Medientrübung  und  ihrer  Erweiterung  bisweilen  die  graue  oder  grau- 
grünliche  Färbung,  von  der  die  Krankheit  ihren  Namen  hat;  am  aus- 
gesprochensten beim  entwickelten  chronisch-entzündlichen  Glaukom.  Doch 
kann  man  einen  ähnlichen  Reflex  auch  ohne  Glaukom  bei  alten  Leuten, 
bei  denen  die  Linse  stärker  reflectirt,  nach  Atropineinträufelungen  be- 
obachten: 6)  leichte  Trübung  des  Kammerwassers  und  der  Cor- 
nea. Hierauf  wird  noch  bei  der  Beschreibung  des  acuten  Glaukom- 
anfalles zurückgekommen  werden;  7)  lässt  sich  bisweilen  Hyperämie  und 
Verbreiterung  der  Netzhautvenen,  ebenso  Venenpuls  constatiren.  Doch 
kommt  letzterer  auch  physiologisch  vor.  Der  pathologische  Arterien- 
puls, von  dem  unten  die  Rede  sein  wird,  ist  im  Pro dromalanf alle  jeden- 
falls sehr  selten. 

Neben  den  eigentlichen  Anfällen  ist  bei  den  Patienten  oft  ein  durch 
Verringerung  der  Accommodationsbreite  bewirktes  Hinausschieben  des 
Nahepunktes  (frühzeitige  Presbyopie)  auffällig.  Es  dürfte  dies 
auf  die  Zunahme  des  intraocularen  Druckes,  speciell  im  Glaskörper,  zu- 
rückzuführen sein,  wodurch  der  Krümmungsvermehrung  der  Krystalllinse 
entgegengewirkt  wird.  Auch  könnte  die  an  glaukomatösen  Augen  ana- 
tomisch erwiesene  Hyperämie  des  Ciliarkörpers  hier  in  Betracht  kommen. 
Ein  Hinausrücken  des  Fernpunktes  ist  nicht  immer  damit  verknüpft, 
wenn  auch  häufig.  Bisweilen  zeigt  sich  während  des  glaukomatösen 
Processes  sogar  im  Gegentheil  eine  Vermehrung  der  Refraction7  die  in 
einem  abnormen  Vorrücken  der  Linse  ihre  Erklärung  findet.  — ■  Die 
Abnahme  der  Refraction  kann  durch  Anspannung  der  Zon.  Zinnii  und 
dadurch  veranlasstes  Flacherwerden  der  Linse  bedingt  sein.  Eine  Ab- 
flachung der  Hornhaut  ist,  wie  directe  Messungen  bei  Glaukomatösen 
ergaben,  nicht  die  Ursache  (Coccius,  Laqueur). 

Der  Uebergang  aus  dem  Prodromalstadium  in  das  des  entwickelten 
(xlaukoms  tritt  dann  ein,  wenn  auch  in  der  anfallfreien  Zeit  eine  mit 
dem  Processe  zusammenhängende  Herabsetzung  der  Sehschärfe  zu  con- 
statiren ist. 


I.  Glaucoma  simplex. 

Aeusserlieh  bietet  das  Auge  meist  ein  normales  Ansehen.  Die  vor- 
dere Kammer  ist  nur  bisweilen  abgeflacht,  die  Pupille  in  der  Regel  erst 
nach  eingetretener  Erblindung  erweitert  und  starr.  Das  Hauptsymptom 
bleibt  die  Verringerung  der  Sehschärfe  mit  einer  ophthalmoskopisch 
nachweisbaren  Aushöhlimg  der  Sehnervenpapille.  Die  Steigerung  des 
intraocularen  Druckes  ist  nicht  immer  erheblich  und  tritt  nicht  zu  allen 
Zeiten    deutlich    hervor.     Es    ist    hierbei   aber    zu    beachten,    dass    die 


334  Glaukom. 

physiologische  Breite,  in  der  die  Spannung  des  Augapfels  schwankt, 
eine  ziemlich  grosse  ist,  so  dass  bei  einem  Auge  eine  gewisse  Spannung 
bereits  als  Ausdruck  pathologischer  Steigerung  dem  früheren  normalen 
Zustande  gegenüber  gelten  muss,  die  bei  einem  anderen  Auge  durchaus 
physiologisch  ist. 

Doch  lässt  sich  fast  ausnahmslos  auch  bei  Glaucoma  simplex  bei 
längerer  Beobachtung  und  häufigeren  Untersuchungen,  wenigstens  zu 
gewissen  Zeiten,  deutlich  eine  pathologische  Steigerung  nachweisen.  Man 
ist  seit  Heinrich  Müller  (1850)  gewöhnt,  auf  diese  Druckzunahme  die 
glaukomatöse  Excavation  der  Sehnervenpapille  zurückzu- 
führen, wenngleich  für  manche  Fälle,  in  denen  die  Drucksteigerung 
eben  keine  ungewöhnliche  ist,  eine  besondere  individuelle  Nachgiebigkeit 
vorausgesetzt  werden  muss.  Dass  hier  auch  gelegentlich  pathologische  Pro- 
cesse  mitspielen,  welche  die  Resistenz  vermindern  (Schnabel),  ist  nicht 
unwahrscheinlich;  doch  bleibt  es  immerhin  auffällig,  dass  wir  bei  anderen, 
mit  intensiven  Veränderungen  in  der  Papille  verknüpften  Affectionen  (so 
bei  der  Stauungspapille,  Neuritis  descendens,  Atrophie)  diese  Excavation 
nicht  zu  Stande  kommen  sehen.  Eine  Steigerung  des  intraoeularen 
Druckes  ist  demnach  gleichzeitig  erforderlich;  durch  sie  wird  das  den 
Sehnerven  quer  durchsetzende  Maschenwerk  der  Lamina  cribrosa  als 
der  schwächste  und  dünnste  Theil  der  Sclerakapsel  nach  hinten  ge- 
drängt und  mit  ihr  die  Papilla  optica  excavirt  (vgl.  S.  264).  Im  Be- 
ginne des  glaukomatösen  Leidens  pflegt  zuerst  ihr  centralster  Theil  aus- 
gehöhlt und  dort  die  Lamina  cribrosa  zurückgedrängt  zu  werden,  was 
Brailey  anatomisch  gezeigt  hat  und  ich  auch  klinisch  einige  Male  be- 
obachten konnte.  Bald  wird  dann  weiter  der  eine  oder  andere  Rand- 
theil  zurücksinken  und  hiermit,  durch  Knickung  der  daselbst  verlaufen- 
den ( Jefässe  die  Diagnose  gesichert  sein. 

Noch  ein  anderes  mit  dem  Augenspiegel  erkennbares  Symptom 
wäre  zu  erwähnen:  das  Auftreten  eines  spontanen  Arterienpulses; 
doch  wollen  wir  gleich  hinzufügen,  dass  derselbe  bei  Glaucoma  simplex 
kaum  beobachtet  wird.  Die  oft  gemachte  Angabe,  dass  der  Arterienpuls 
durch  Fingerdruck  auf  den  glaukomatösen  Bulbus  leichter  als  bei  nor- 
malen Augen  hervorzurufen  sei,  hat  bei  den  physiologischen  Verschieden- 
heiten der  Augen  bezüglich  dieses  Phänomens  keine  erhebliche  Bedeu- 
tung. Ist  allerdings  Arterienpulsation  spontan  vorhanden,  in  der  Form 
wie  wir  sie  als  Druckpulsation  beschrieben  haben,  so  kann  meist  mit 
Sicherheit  Glaukom  diagnosticirt  werden,  da  dieselbe  unter  normalen 
Verhältnissen  fast  nie  beobachtet  wird  (vgl.  S.  266). 

Die  Abnahme  des  Sehvermögens  und  Einschränkung  des  Ge- 
sichtsfeldes pflegt  der  Ausbildung  der  Excavation  zu  entsprechen,  wenn- 
gleich   man    gelegentlich    auch  Ausnahmen   rindet.     So  habe  ich  lange 


Glaucoma  simplex.  335 

Jahre  eine  Dame  in  Beobachtung  gehabt  mit  doppelseitiger  ausgeprägter 
Druckexcavation  —  auch  von  anderen  Ophthalmologen  diagnosticirt  — 
bei  halber  Sehschärfe  und  freiem  Gesichtsfelde,  ohne  dass  eine  weitere 
Veränderung  der  Functionen  zu  constatiren  gewesen  wäre.  In  einem 
anderen  Falle,  wo  seit  10  bis  12  Jahren  glaukomatöse  Zufälle  sich 
zeigten,  war  trotz  einer  Exeavation  die  Sehschärfe  noch  fast  normal 
und  das  Gesichtsfeld  frei.  Es  erweist  dies  zugleich,  wie  lange  der 
Process,  allerdings  nur  in  seltenen  Fällen,  stationär  bleiben  kann.  Für 
gewöhnlich  kommt  es  eher  zum  Verfall  des  centralen  Sehens  und  zur 
Einengung  des  Gesichtsfeldes,  obgleich  bei  Glaucoma  simplex  der  Ver- 
lauf erheblich  langsamer  als  bei  den  entzündlichen  Formen  zu  sein 
pflegt  Es  scheint,  dass  der  Grund  der  Functionsstörungen  in  der 
Knickung  der  Nervenfasern  und  in  dem  die  Papille  treffenden  Drucke, 
der  allerdings  auf  eine  verschiedene  Resistenzfähigkeit  in  der  Nerven- 
leitung,  etwa  entsprechend  der  schnelleren  oder  langsameren  Excava- 
tionsausbildung  stossen  kann,  vorzugsweise  zu  suchen  sei.  Sehr  seltene 
Fälle  mit  intactem  Sehvermögen  und  ohne  sonstige  glaukomatöse 
Symptome  lassen  vermuthen,  dass  die  Exeavation  auch  angeboren 
vorkommt. 

Die  Gesichtsfeldbeschränknng  geht  bisweilen  der  centralen 
Schwachsichtigkeit  voran.  In  der  Regel  pflegt  bei  den  verschiedenen 
Formen  des  Glaukoms  die  Einschränkung  nach  der  Nasenseite,  nach 
oben  und  nach  unten  weiter  vorgeschritten  zu  sein  als  die  nach  aussen, 
selbst  bei  niehr  concentrischen  Einengungen  ist  meist  das  Gesichtsfeld 
nach  aussen  weiter  als  nach  innen,  ein  liegendes  Oval  bildend.  Schliess- 
lich nähert  sich  der  Defect  von  innen  her  dem  Fixirpunkt,  bis  auch 
dieser  verloren  geht.  In  sehr  seltenen  Fällen  beginnt  bei  relativ  freieren 
peripheren  Gesichtsfeldgrenzen  der  glaukomatöse  Process  mit  einem 
pericentralen  Skotom. 

Der  Farbensinn  bleibt  lange  erhalten.  Die  Grenzen  jedoch,  in 
denen  die  einzelnen  Farben  in  der  Gesichtsfeldperipherie  empfunden 
werden,  rücken  öfter  schon  frühzeitig  dem  Fixationspunkte  abnorm  nahe, 
wenngleich  das  Verhältniss  zwischen  den  einzelnen  Farben  bezüglich 
ihrer  peripheren  "Wahrnehmbarkeit  das  physiologische  bleibt.  Erst  mit 
Zunahme  der  ascendirenden  Sehnervenatrophie  schwindet  die  Farben- 
empfindung. Der  Lichtsinn  ist  ebenfalls  öfter  herabgesetzt,  sowohl  was 
die  Reizschwelle,  als  besonders  was  die  Unterschiedsschwelle  betrifft. 
Den  Endausgang  der  Erkrankung  bildet,  wenn  auch  oft  erst  nach 
vielen  Jahren  eintretend,  ohne  Eingriff  der  Therapie  fast  stets  die  voll- 
kommene Erblindimg. 

In  der  Regel  werden  die  an  Glaucoma  simplex  Erkrankten  erst 
durch  die  Beobachtung,    dass  sie  schlechter  sehen,  zum  Arzte  geführt. 


336  Glaukom. 

Oft  ist  zu  der  Zeit  schon  ein  Auge  ganz  oder  fast  ganz  verloren.  Auf- 
merksameren Patienten  pflegt  die  durch  Herausrücken  des  Nahepunktes 
bedingte  Erschwerung  des  Lesens  aufzufallen.  Bisweilen  treten  auch 
bei  Glauconia  simplex  temporäre  Verdunkelungen  auf,  „ein  leichter 
Schleier,  ein  Nebel  legt  sich  vor  die  Gegenstände",  ohne  dass  an  dem 
Auge  besondere  entzündliche  Erscheinungen  zu  bemerken  wären.  Regen- 
bogenfarbige Ringe  werden  durchaus  nicht  von  allen  Patienten  gesehen. 
Ebenso    fehlen   fast  stets  Schmerzen  in  Stirn  und  Schläfen. 

Wenn  sich  mit  dem  Glauconia  simplex  Anfälle  entzündlicher  Art 
mit  ausgeprägten  Trübungen  der  Medien  und  Gefässinjectionen  ver- 
knüpfen, so  bezeichnet  man  das  Leiden  als  Glaucoma  simplex  cum 
inflammatione  intermittente.  Glaukome,  welche  in  der  anfalls- 
freien Zeit  neben  den  sonstigen  Symptomen  des  Glaucoma  simplex 
eine  besonders  enge  vordere  Kammer  zeigen,  gehören  meist  in  diese 
Kategorie. 

II.  Glaucoma  inflarnmatorium. 

Das  Glaucoma  inflarnmatorium  acutum  zeigt  das  Bild  einer 
acuten  Augenentzündung.  Doch  ist  zu  betonen,  dass  ander  weitige  Er- 
scheinungen, wie  heftige  Kopf-  und  Gesichtsschmerzen,  oft  mit  Erbrechen 
verknüpft,  das  locale  Leiden  zuweilen  übersehen  lassen.  Die  Lider  sind 
leicht  geschwellt,  das  Auge  thränt,  die  Conjunctiva  bulbi  ist  stark  in- 
jicirt,  oft  ödematös.  Neben  der  Füllung  des  die  Cornea  ringförmig  um- 
gebenden, subconjunctivalen  Gefässnetzes  sieht  man  vom  Aequator  bulbi 
her  dicke,  dunkelblaue  Gefässe  kommen,  die,  der  Sclera  aufliegend, 
sich  mit  den  pericornealen  verbinden.  Die  Cornea  erscheint  in  Folge 
ödematöser  Durchtränkung  matt,  trüb,  oft  sind  kleinere  Epithelialver- 
luste  vorhanden ;  bisweilen  Hegen  punktförmige,  weissliche  Exsudate  an 
ihrer,  der  vorderen  Kammer  zugewandten  Fläche.  Ihre  Sensibilität, 
durch  Berühren  mit  der  Spitze  einer  Papierdüte  oder  einem  kleinen 
Haarpinsel  geprüft,  ist  meist  verringert.  Die  vordere  Kammer  ist  eng, 
indem  Regenbogenhaut  und  Linse  nach  vorn  gerückt  sind,  bisweilen  so, 
dass  sie  die  Cornea  fast  berühren.  Das  Kammerwasser  erscheint  ge- 
trübt. Für  eine  wirklich  vorhandene  Mischungsänderung  desselben  und 
Aufnahme  lymphoider  Zellen,  die  von  manchen  Autoren  bezweifelt  wird, 
sprechen  sowohl  directe  mikroskopische  Untersuchungen,  als  auch  der 
bisweilen  klinisch  zu  constatirende  Befund  der  oben  erwähnten  Ablage- 
rungen auf  der  Membrana  Descemetii.  Selbst  Blutungen  in  die  vor- 
dere Kammer  habe  ich  gesehen.  Die  Pupille  ist  in  der  Regel 
weit,  bisweilen  maximal.  Letzterer  Befund  ist  von  höchster  differential- 
diagnostischer Bedeutung,  da  bei  keiner  anderen  gleich  heftigen  Augen- 


Glaucoma  mflammatoriuru.  337 

entzündung  eine  derartige  Mydriasis  beobachtet  wird;  darauf  hin  kann 
man  fast  die  Diagnose  stellen,  wenn  man  sicher  ist,  dass  kein  Mydria- 
ticum  angewandt  ist  oder  keine  Paralyse  des  Spineter  Iridis  besteht. 
Die  Farbe  der  Pupille  ist  nicht  schwarz,  sondern  rauchgrau.  Nur  in 
seltenen  Ausnahmefällen  fehlt  die  Pupillenerweiterung-;  hintere  Syne- 
chien sind  dann  die  Veranlassung.  Wenn  man  mit  dem  Augenspiegel 
untersucht,  so  bleibt  auf  der  Höhe  des  Anfalles  die  Pupille  bisweilen 
trotz  der  Beleuchtung  grau  oder  schwärzlieh,  indem  alles  einfallende 
Licht,  von  den  getrübten  Medien  absorbirt  wird.  Zu  dieser  Lichtab- 
sorption trägt  auch  die  diffuse  Trübung  des  Glaskörpers  bei;  umschrie- 
bene Flocken  sieht  man  selten,  jedoch  habe  ich  sie  in  einzelnen  Fällen 
constatiren  können. 

Gelingt  es  noch,  Details  des  Angenhintergrund.es  zu  erkennen,  so 
erscheint  die  Papille  hyperämisch;  die  Venen  sind  stark  gefüllt  und  ge- 
schlängelt; die  Arterien  zeigen  oft  Pulsation.  Eine  Excavation  ist 
hingegen  in  einem  ersten  Glaukomanfalle  noch  nicht  vor- 
handen. Wohl  aber  findet  sie  sich,  wenn  bereits  ein  chronisches  Glau- 
kom vorher  bestanden  hatte.  Die  Spannung  des  Augapfels  ist  erhöht. 
In  der  plötzlichen  Steigerung  der  Tension,  der  periodischen  Unter- 
brechung des  arteriellen  Blutstromes  (Arterienpulsation  mit  ihrem  Ein- 
fluss  auf  die  Gefässwände)  und  der  venösen  Stauung,  die  zu  einem 
acuten  Oedem  führt,  dürfte  die  nächste  Ursache  der  geschilderten 
Symptom»'  zu  suchen  sein. 

Das  Sehvermögen  nimmt  während  des  Anfalles  in  der  Regel  er- 
bet »lieh  ab;  es  kann  bis  auf  quantitative  Liehtempfindung  erlöschen. 
Dies  ist  auf  die  Trübung  der  Medien,  die  Unterbrechung  der  Blutzu- 
fuhr für  die  Netzhaut  und  auch  auf  den  diese  direct  treffenden  Druck 
zurückzuführen. 

Meist  tritt  selbst  ohne  besondere  Therapie  eine  allmähliche  Besse- 
rung wieder  ein,  wenn  es  auch  nicht  zu  dem  früheren  Grade  des  Seh- 
vermögens kommt.  Vor  Allem  sieht  man  dies  bei  den  milderen,  subacut 
verlaufenden  Formen.  Dabei  gehen  denn  auch  —  in  Tagen  oder 
Wochen  —  die  entzündlichen  Erscheinungen  zurück,  und  das  Auge 
kann  wieder  annähernd  ein  normales  Aussehen  bieten.  Doch  ist  die 
Krankheit  damit  nicht  erloschen:  unter  neuen  Anfällen  oder  in  einer 
mehr  chronischen  Form  bildet  sich  eine  Sehnervenexcavation  aus  und 
•las  Auge  erblindet. 

Höchst  selten  sind  die  Fälle,  bei  denen  der  erste  acute  Anfall  in 
wenigen  Stunden  und  ohne  dass  später  eine  Restitution  zu  Stande  käme, 
die  Sehkraft  vollständig  vernichtet.  A.  v.  Graefe  hat  ihnen  den  Namen 
des  Glaucoma  fulminans  beigelegt.  Sie  sind  meist  bei  älteren  Per- 
sonen  beobachtet:    ich  habe    diesen  Verlauf  jedoch   einmal    bei  einem 

■-'■hmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  22 


338  Glaukom. 

24jährigen  Mädchen  gesehen.  Prodrome  hatten  gefehlt,  der  Anfall 
ging  mit  heftigsten  Kopfschmerzen  und  Erbrechen  einher.  Nach  der 
[ridectomie,  bei  der  Glaskörper  kam.  wurde  der  Bulbus  weich  und  leicht 
phthisisch. 

Im  Glaucoma  inflainniatoriuni  chronicum  entwickeln  sich 
die  Erscheinungen,  welche  wir  beim  acuten  Glaukom  kennen  gelernt 
haben,  allmählich,  ohne  dass  eine  stärkere  Entzündung  auftritt.  Die 
Conjunctiva  selbst  zeigt  wenig  Gefässe,  aber  auffällig  sind  die  unter 
ihr,  auf  den  vorderen  Scleralpartien  verlaufenden  und  verästelten,  dunkel- 
bläulichen Stränge  (vordere  Ciliarvenen);  die  an  Stelle  der  comprimirten 
Yenae  vorticosae  das  Blut  aus  dem  Augeninnern  führen.  Die  Sclera 
bekommt  ein  mehr  bleifarbenes  Aussehen,  bedingt  durch  Verödung 
kleinerer  Arterien  des  episcleralen  Gewebes;  die  Cornea  ist  weniger 
durchsichtig  als  sonst,  zeigt  oft  kleine  Epithelialverluste,  das  Kammer- 
wasser ist  bisweilen  periodisch  getrübt,  die  vordere  Kammer  eng;  die 
Pupille,  anfangs  von  mittlerer  Weite,  nimmt  später  an  Grösse  zu.  Die 
Iris  zeigt  eine  matte  Färbung  und  sich  steigernde  Gewebsatrophie. 
Der  Augenspiegel  lässt  in  der  Regel  den  Augenhintergrund  erkennen; 
bei  einigem  Bestehen  des  Leidens  findet  sich  eine  Excavatio  papillae  n. 
optic,  die  schliesslich  zur  Sehnervenatrophie  führt.  Die  Tension  ist 
gesteigert.  Dieses  Bild  kann  sich  aber  plötzlich  in  das  des  acuten 
Glaukoms  umwandeln. 

Die  Beschwerden  der  an  chronisch-entzündlichem  Glaukom  leidenden 
Patienten  sind  ähnlich  wie  bei  Glaucoma  simplex.  Doch  treten  häufiger 
leichte  Reizungen  im  Auge,  Farbensehen,  Obscurationen  und  Neuralgien 
auf.  — 

Hat  eine  oder  die  andere  dieser  Formen  zur  vollkommenen,  unheil- 
baren Erblindung  geführt,  so  haben  wir  das  Glaucoma  absolutum. 
Bisweilen  bleibt  dabei  der  äussere  Zustand  des  Auges,  meist  unter  zu- 
nehmender Trübung  der  Linse,  annähernd  der  gleiche.  In  anderen 
Fällen  aber  treten  degenerative  Processe  hinzu,  die  unter  Drucksteige- 
rungen zu  Ektasien  (Scleral-  oder  Corneal-Staphylomen),  oder  auch 
unter  Tensionsabnahme  zur  Phthisis  führen.  Dabei  können  verschieden- 
artige Entzündungen  und  Veränderungen  (Glaskörpereiterung,  Netz- 
hautablösung, Hornhautnieerationen.,  Keratitis  bullosa,  Apoplexien  in 
der  Hornhaut  n.  s.  w.)  nebenher  laufen.  Die  Kranken  leiden  auch 
midi  Erblindung  des  Auges  bisweilen  noch  an  heftigen  Neuralgien  und 
ebenso,  wenn  auch  seltener,  an  quälenden  Lichterscheinungen. 

III.  Secundärglaukom. 

Den  eben  besehriebeiien  Formen  von  primärem  Glaukom  gegenüber 
stehl  das  Secundärglaukom  (A.  v.  Graefe).     Dasselbe  gesellt  sich 


Secundärglaukom.  339 

zu  anderweitigen  Augenaffectionen  gewöhnlich  unter  dein  Bilde  des 
Glaucoma  simplex:  das  Sehvermögen  nimmt  unter  allmählichem  Auf- 
treten von  Gesichtsfelddefecten  ab,  während  die  'Pension  des  Bulbus  sich 
mehrt  und  eine  Excavation  der  Papille  zu  Stande  kommt.  Da  liänfii; 
die  primäre  Affection  Trübungen  gesetzt  hat,  welche  die  ophthalmo- 
skopische Untersuchung  hindern,  so  beruht  die  Diagnose  in  solchen 
Fällen  auf  den  Functionsstörungen  und  der  Drueksteigerung.  Gewisse 
Erkrankungen  haben  besondere  Neigung,  secundär  glaukomatöse  Pro- 
cesse  einzuleiten.  Hierher  gehören:  die  narbigen  Ektasien  der  Horn- 
haut und  die  Synechien  der  Iris,  soavoM  vordere  als  hintere.  Wenn  eine 
totale- hintere  Synechie  und  Verwachsung  der  Iris  mit  der  Linsenkapsel 
besteht,  so  tritt  fast  ausnahmslos  ein  Verlust  des  Auges  ein,  der  theils 
durch  secmuläres  Glaukom,  in  anderen  Fällen  durch  iridocyklitis  herbei- 
geführt wird.  Partielle  Synechien  sind  weniger  gefährlich.  Ferner  hat 
die  Iritis  serosa  (Uveitis),  welche  sich  auch  gern  mit  Glaskörpertrü- 
bung verbindet.  Neigung  zu  secundärer  Drueksteigerung;  selbst  acute 
Glaukomanfälle  treten  dabei  auf.  Dasselbe  gilt  von  traumatischen 
Katarakten  bei  schneller  QueUung,  von  Linsenluxationen  und  manchen  in- 
fcraocülaren Tumoren.  Nicht  selten  wurden  nachDiscissionen  des  Nachstars 
glaukomatöse  Erscheinungen  beobachtet,  die  durch  Iridectomie  geheilt 
wurden.  Nach  hämorrhagischen  Netzhautprocessen  wird  gleichfalls  öfter 
Secundärglaükom  beobachtet  (das  sogenannte  Glaucoma  haemor- 
rhagicum),  eine  Form,  die  prognostisch,  selbst  bei  entsprechender  The- 
rapie, von  sehr  schlimmer  Bedeutung  ist. 

Schon  erheblich  seltener  findet  sich  Secundärglaükom  bei  seniler 
Starentwickelung,  Selerotico-ehorioiditis  posterior,  diffuser  und  pannöser 
Keratitis,  bandförmigen  Infiltrationen  und  bei  Keratitis  vesiculosa 
(Herpes  corneae).  Bei  letzterer  Affection,  welche  insofern  eine  patho- 
gnomonische  Bedeutung  hat,  als  man  die  Bläschen  als  Ektasien  der 
Lymphgefässe  auffassen  und  sie  mit  einer  den  glaukomatösen  Process 
hervorrufenden  Lymphstauimg  in  Verbindung  bringen  kann,  wurde  das 
Hinzutreten  eines  acuten  Glaukoms  einmal  von  Saemisch  beobachtet. 
Auch  ich  hatte  Gelegenheit,  bei  einer  56jährigen  Frau,  deren  rechtes 
Auge  von  Herpes  corneae  über  ein  Jahr  lang  unter  beständigen  Reei- 
diven  befallen  worden  war,  ein  Secundärglaükom  mit  Amaurose  zu  Con- 
sta tiren,  nachdem  sie  ein  halbes  Jahr  lang  nicht  zur  Klinik  gekommen 
war.  Der  Herpes  trat  immer  wieder  von  Neuem  auf.  —  Weiter  wird 
bei  Hydrophthalinus  congenitus  in  der  Regel  eine  Excavation  der  Papille 
gefunden  und  ist  dieses  Leiden  den  glaukomatösen  Processen  zuzu- 
rechnen. Hock  sah  auch  nach  Tätowirung  von  Hornhautnarben  glau- 
komatöse Erscheinungen  auftreten.  Bisweilen  findet  man  neben  anderen 
Erkrankungen  (so  Netzhautablösungen,  Retinitis  pigmentosa,  Sehnerven- 


;;40  Glaukom. 

atrophien,  selbst  bei  Aphakie  und  Irideremie)  Glaukom;  doch  dürfte  es 
sich  hier  meist  nur  um  Complicationen  handeln. 


Differentielle  Diagnose.  Glaucoma  simplex  kann  besonders 
mit  einfacher  Amblyopie  oder  mit  Amblyopie  in  Folge  von  Sehneryen- 
atrophie  verwechselt  werden.  Die  Spannungszunahme  giebt  öfter  einen 
Anhalt;  doch  muss  man  zu  verschiedenen  Zeiten  untersuchen,  da  sie 
periodischen  Schwankungen  unterliegt,  auch  ist  sie  bisweilen  so  gering, 
dass  es  schwer  wird,  sie  als  pathologisch  zu  erkennen.  Hier  wird  dann 
der  ophthalmoskopische  Befund  derDruckexcavation  entscheiden.  Doch  ist 
die  differentielle  Diagnose  der  letzteren  gegen  die  anderen  Formen  der 
Papillen  -Excavation,  besonders  die  atrophische,  nicht  immer  leicht 
(vgl.  8.  267).  Für  Glaukom  spricht  dann  weiter  das  Erhaltensein  des 
Farbensinns,  der  bei  Sehnervenatrophie  viel  früher  leidet.  Auch  die 
Gesichtsfeldeinengung  ist  zu  beachten:  das  Auftreten  eines  vorzugs- 
weise temporalen  Defectes  ist  bei  Glaukom  sehr  selten.  Periodische 
Obscurationen  oder  gar  Farbensehen  sind  ausschlaggebend  für  die 
Glaukom-Diagnose,  aber  sie  fehlen  doch  auch  gelegentlich,  so  dass  ich 
Schweigger,  der  in  letzteren  Fällen  stets  einfache  Sehnerven- Atrophie 
diagnosticirt,  nicht  zustimmen  kann. 

Bei  Glaucoma  simplex  mit  intermittirenden  Entzündungen 
ist  die  Diagnose  ebenfalls  oft  schwierig,  wenn  man  den  Patienten  in 
der  entzündungsfreien  Zeit  untersucht  und  die  Excavation  noch  nicht 
typisch  ausgebildet  ist.  Doch  wird  die  Schilderung  der  eigenartigen 
Symptome  des  Anfalles,  sowie  das  Verhalten  der  Pupille,  der  episcle- 
ralen  Gefässe  und  der  Tension  oft  leiten.  — 

Wenn  das  Glaucoma  acutum  typisch  auftritt,  ist  es  nicht  leicht 
zu  verkennen:  die  weite  Pupille  ist  charakteristisch.  Gegen  einfache 
Iritis  serosa,  wo  die  Pupille  auch  öfter  etwas  erweitert  ist,  spricht  die 
Enge  der  vorderen  Kammer:  auch  pflegen  die  Gefässinjectionen  und 
sonstigen  entzündlichen  Erscheinungen  bei  der  Iritis  serosa  weniger 
hervorzutreten.  Bei  letzterer  finden  sich  dagegen  in  der  Regel  Beschläge 
an  der  Membrana  Descemetii:  beim  Glaukom  nur  höchst  selten.  Schwie- 
riger aber  ist  die  Diagnose,  wenn  die  Pupille  bei  acutem  Glaukom  aus- 
nahmsweise eng  ist  oder  Verwachsungen  zeigt.  Hier  kann  Verwechs- 
lung mit  einer  acuten  Irido-Chorioiditis  nahe  liegen;  doch  pflegt  bei 
acutem  Glaukom  auch  die  Hornhaut  immer  etwas  trüb  und  die  Span- 
nung stärker  vermehrt  zu  sein;  ebenso  die  vordere  Kammer  enger.  Bei 
dir  sehr  seltenen  einfachen  serösen  Chorioiditis  kann  ebenfalls  die 
vordere  Kammer    aufgehoben,    die  Pupille    erweitert    und    die    Tension 


Secundärglaukom.  ,•541 

gesteigert  sein.     Doch  fehlen   stärkere   Injektionen  des  Bulbus,   ebenso 
die  Trübungen  der  Cornea. 

Entwickelt  sich  bei  chronischem  Glaukom  grauer  Star,  so 
wird  das  ursächliche  Leiden  gelegentlich  übersehen  und  eine  uncoin- 
plicirte  Katarakt  angenommen.  Tn  der  Regel  aber  werden  die  weite 
starre  Pupille,  die  starken  vorderen  Ciliarvenen  und  die  Tensionser- 
höhuug  schon  die  Diagnose  sichern;  weiter  kommt  die  Sehprüfung  in 
Betracht,  da  bei  glaukomatöser  Katarakt  G  esichtsfelddefeete  und  stärkere 
Herabsetzung  des  centralen  Sehens  bestehen;  es  wird  hier  nicht  mehr 
der  Schein  der  kleinsten  Lampe  wie  bei  uncomplicirter  Katarakt  wahr- 
genommen. Zu  beachten  ist  noch,  dass  bisweilen  intraoculare  Tumoren 
mit  glaukomatösen  Erscheinungen  complicirt  sind. 


2.  Vorkommen  und  Aetiologie. 

An  Glaukom  leidet  in  Europa  etwa  ein  Procent  sämmtlicher,  in 
den  Augenkliniken  sich  vorstellender  Kranken;  in  Amerika  scheint  der 
l'rocentsatz  ein  geringerer  zu  sein  (H.  Derby)-  Die  Affection  trifft 
heide  Geschlechter  in  ziemlich  gleicher  Häufigkeit,  am  häufigsten  tritt 
sie  nach  dem  50.  Lebensjahre  auf.  Nur  ausnahmsweise  werden  bei 
jungen  Individuen  Primärglaukome  beobachtet.  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle  ergreift  der  glaukomatöse  Process  beide  Augen  nach  einander. 
Das  acute  Auftreten  ist  erheblich  seltener  als  das  chronische:  unter 
124  glaukomatösen  Individuen,  die  ich  zu  dem  Zwecke  zusammenstellte, 
litten  24  an  acutem  Glaukom,  100  an  chronischem,  d.  h.  chronisch- 
entzündlichem  imd  Glaucoma  simplex.  Hyperopische  Augen  werden 
besonders  häufig  befallen,  kurzsichtige  selten:  die  hier  in  der  Ektasie 
zum  Ausdruck  kommende  Nachgiebigkeit  der  Sclera  verhindert  wahr- 
scheinlich die  sonstigen  schädlichen  Folgen  drucksteigernder  Einflüsse. 
In  gewissen  Familien  zeigt  sich  eine  Vererbung  des  Leidens. 

Unter  den  ätiologischen  Momenten  spielen  Trigeminusneuralgien  eine 
Rolle.  Recht  häufig  ist  zu  constatiren,  dass  sie  der  Augenerkrankung 
schon  seit  Jahren  vorangegangen  sind.  Auch  ein  Zusammenhang  der 
Augenaffection  mit  der  Gicht,  der  Cessatio  mensium  in  den  klimak- 
terischen Jahren,  Unterdrückung  habitueller  Hämorrhoidalflüsse  oder  ge- 
wohnter Hautsecretionen,  Arterienatherom  und  Aehnlichem  ist  in  ge- 
wissen Fällen  nicht  unwahrscheinlich.  Ebenso  entsteht  nach  Schön 
öfter  Glaukom,  wem  Presbyopen  ihre  Accommodation  überanstrengen 
und  nicht  zu  den  entsprechenden  Convexbrillen  greifen.  Die  directe 
Veranlassung  des  glaukomatösen  Anfalles  bilden  nicht  selten  Ge- 
rn üthserregungen,  z.  B.  auch  beim  Kartenspiel;  Excesse,  Schlaflosigkeit, 


342  Glaukom. 

Erkältungen,  Schwächezuständej  fieberhafte  Erkrankungen  u.  s.  w..  i  car 
nicht  selten  beobachten  wir  das  Auftreten  von  glaukomatösen  Processen 
nach  Diseissionen  des  Nachstars.  Auch  Instillationen  von  Atropin,  Ho- 
matropin  halten  gelegentlieh  einen  acuten  Anfall  bei  einem  chronischen 
Gfiaukom  oder  Glaucoma  simplex  hervorgerufen;  selbst  bezüglich  derEin- 
träuf elungen vod  Duboisin  und  Cocain  (Man z,  Maier)  liegen  vereinzelte 
derartige  Beobachtungen  vor.  Es  ist  demnach  hier  Vorsieht  anzurathen. 
—  Gleicher  Weise  wurde  öfter  ein  Entzündungsanfall  auf  dem  zweiten, 
bisher  anseheinend  gesunden  oder  an  nicht-entzündlichem  ( rlaukom  er- 
krankten Auge  beobachtet,  wenn  das  andere  iridectomirt  worden  war. 
Um  dies  zu  vermeiden,  pflege  ich  in  das  nicht  operirte  Auge  zur  Zeit 
der  Operation  und  während  der  Nachbehandlung  Physostigmin  oder 
Pilocarpin  einzuträufeln. 


3.  Pathologische  Anatomie. 

Der  charakteristische  Befund  des  ausgeprägten  Glaukoms  ist  die  Aus- 
höhlung der  Papilla  optica  mit  Zurückdrängung  der  Lamina  cribrosa 
nach  hinten  (H.  Müller).  Die  anderen  Befunde  sind  nicht  in  allen 
Fällen  vorhanden,  wenngleich  einige  derselben  ihrer  Häutigkeit  wegen 
für  die  Erklärung  des  glaukomatösen  Processes  Verwerthung  finden 
müssen. 

Hierher  gehört  vor  Allem  die  Ohliteration  des  Fontana 'sehen  Raumes,  der 
zwischen  den  Maschen  des  Ligain.  pectinat.  an  der  Peripherie  der  vorderen 
Augenkanuner  liegt :  des  sogenannten  Filtrationswinkels.  Es  zeigt  sich  dabei 
in  frischen  Fällen  die  ganze  Umgebung  des  Sehlemm'schen  Kanales  zellig  in- 
ültrirt:  in  abgelaufenen  pflegt  sieh  eine  Narbencontraction  concentrisch  gegen  ihn 
hin  zu  entwickeln  und  ihn  zu  verschliessen.  Oft  ist  die  Peripherie  der  Iris  mit 
ihm  durch  Zwischensubstanz  verklebt  (Knies).  Da  an  dieser  stelle  der  Abfluss 
der  Lymphe  aus  dem  Augeninnera  (Leber)  stattfindet,  so  wird  ein  Verschluss 
desselben  Stamme  und  Drucksteigerung  hervorrufen.  I>ass  dieser  Verschluss  aber 
nicht  in  allen  Fällen  von  Glaukom  besteht  (BirnbaeKer),  im  Gegentheil  bisweilen 
sogar  bei  Tensionsabnahme   vorkommt,   haben  weitere   Untersuchungen   gelehrt. 

Nach  Ad.  Weber's  Ansicht  wird  der  Verschluss  des  Fontana'schen  Raumes 
durch  ein  venöses  Anschwellen  der  Ciliarfortsätze,  welche  den  [risrand  gegen  die 
Hornhaut  anpressen,  veranlasst.  Brailey,  dereine  sehr  grosse  Zahl  von  glaukoma- 
tösen Augen  untersuchte,  betont,  ebenso  wie  Wedl,  als  constanten  Befund  eine 
starke  Erweiterung  der  Blutgefässe  des  Augeninnern;  hauptsächlich  und  fast  aus- 
schliesslich derjenigen,  welche  die  Ciliargegend  versorgen.  Damit  ist  eine  Ver- 
dünnung der  Gefässwandungen  verknüpft.  Andererseits  wurde  in  den  verschie- 
denen Gefässgebieten  des  Auges,  auch  des  Sehnerven,  eine  Endarteriitis  (Kulmt. 
und  im  Uyeal-  und Scleraltractus  eine  Periphlebitis  chronica hyperplastica  (Birn- 
bacher-Czermak,  Vossius,  Zirm)  beobachtet. 

Fernei   ist   beachtenswert!]    die    Häufigkeit  der  Atrophie   des  Ciliarmuskels. 

besonders  bei  einiger  I  lauer  des  glaukomatösen  Processes.  auf  welche  schon  Wedl 


Theorie  über  Pathogenese  und  Wesen  des  Glaukoms.  ;-54o 

aufmerksam  gemacht  hat.  Brailey  bringt  diese  Atrophie  in  Abhängigkeit  vron 
den  Gefässalterationen;  sie  sei  nicht  seeundäre  Folge  der  Druckzunahme,  da  sie 
bei  partiellem  Auftreten  in  der  Regel  auch  der  partiellen  Gefässerweiterung  ent- 
spreche. Die  Adhärenz  der  Iris  an  die  Corneaperipherie  hält  er  für  seeundär;  ihr 
geht  meist  eine  Entzündung  der  Iris  voraus,  welche  anfänglich  mit  sehr  vielen  Zellen 
durchsetzt  sei,  schliesslich  aber  atrophire.  Der  Linsendurchmesser  ist  nach  ihm 
nicht  vergrössert,  wie  Priestley  Smith  behauptet.  -  Die  Retina  zeigt  nichts 
Besonderes,  bisweilen  Hypertrophie  der  M.üller'schen  Stützfasern.  Auch  fand 
Brailey  in  allen  seinen  Fällen,  ebenso  wie  11.  Pagenstecher,  Schnabel  u.  A. 
-  entgegen  den  Untersuchungen  von  Sattler  und  neuerdings  von  Birnbacher- 
Czermak  —  keine  entzündlichen  Veränderungen  in  der  Chorioidea;  nur  das  äqua- 
toriale Pigmentepithel  ist  öfters  unregelmässig  verfärbt.  Die  Iris  lässt  eine  aus- 
gedehnte Bindegewebs-Sclerose  mit  entsprechenden  Gefässveränderungen  erkennen 
(Ulrich).  Der  Glaskörper  zeigt  in  acuten  Fällen  äusserlich  eine  Zunahme  seiner 
Cohsistenz,  im  Innern  Verflüssigung.  Die  zelligen  Elemente  sind  vermehrt.  Auch 
Glaskörperablösungen  sind  von  verschiedenen  Autoren  beschrieben;  aber  auch 
volle  Intactheit  wurde  beobachtet  (Birnbacher).  Die  Sclerotica  bietet  nach 
Brailey  keine  besondere  Rigidität,  doch  ist  sie  oft  dick  und  fest,  bei  uncom- 
plicirtem  Glaukom  aber  kaum  in  höherem  Grade  als  bei  anderen  hyperopischen 
Augen  desselben  Lebensalters.  Hingegen  deutet  es  auf  eine  Zunahme  der  Rigi- 
dität, dass  die  inneren  Lagen  der  Scleralfaserbünde  einen  mehr  parallelen  Zug. 
als  ob  sie  näher  aufeinandergedrückt  würden,  erkennen  lassen  und  ein  erhöhtes 
Lichtbrechungsvermögen  haben:  ebenso  spricht  für  die  Abnahme  der  Elasticität 
die  erwiesene  fettige  Degeneration  (Co ccius,  Wedl,  Weichselbaum).  Directe 
Versuche  über  die  Scleralelasticität  haben  allerding  schon  bei  normalen  Augen 
so  weite  Differenzen  ergeben,  dass  aus  ihnen  nichts  Sicheres  zu  folgern  ist 
Ad.  Weben:  jedoch  ergeben  die  Versuche  von  Ichreyt,  dass  besonders  der 
hintere  Abschnitt  derSclera,  die,  wie  neuere  Untersuchungen  (Sattler)  wieder  gezeigt, 
reich  an  elastischen  Fasern  ist.  durch  seine  Elasticität  einen  Einfluss  auf  den  in- 
traocularen  Druck  ausüben  kann.  Neuerdings  ist  auch  der  Einfluss  der  Chorioi- 
dealelasticität  hervorgehoben  worden;  durch  letztere  wird,  wie  sich  bei  Fensterung 
der  Sclera  zeigt  und  worauf  die  bei  Durchschneidung  der  Augen  eintretende 
Retraction  der  Chorioidea  hinweist,  unter  normalen  Verhältnissen  der  Gläskörper- 
druck getragen  und  dadurch  eine  freiere  Blutcirculation  in  den  zwischen  ihr  und  der 
Sclera  verlaufenden  Venen  ermöglicht.  An  glaukomatösen  Augen  sei  nun  die  elastische 
Spannung  verringert,  die  Chorioidea  werde  gegen  die  Sclera  stärker  angedrückt 
und  damit  eine  Störung  der  Circulation  in  den  erwähnten  Venen  bedingt  (Straub). 
Die  Cornea  zeigt  neben  Veränderungen  des  Epithels  bei  stärkeren  Trübungen 
auch  Alterationen  des  Stromas,  wodurch  die  regelmässige  Anordnung  der  Lamellen 
gestört  wird:  in  acuten  Fällen  Oedem. 


4.  Theorie  über  Pathogenese  und  Wesen  des  Glaukoms. 

lieber  die  Pathogenese  und  das  Wesen  des  Glaukoms  haben 
die  Ansichten  sehr  geschwankt  und  sind  auch  noch  heute  bei  Weitem 
nicht  zu  einer  Uebereinstimmung  gekommen. 

Es  hat  durchaus  den  Anschein,  dass  nicht  alle  Fälle  eine  gleiche 
Entstehimg  haben  und  durch  ein  und  dieselbe  Theorie  erklärt  werden 
können. 


344  Glaukom. 

A.  v.  Grraefe  bat  als  das  eigentliche  Wesen  der  Krankheit 
die  in  trao  ciliare  Druck  zun  ahme  erkannt  (1855).  Zweifelhaft  aber 
bleiben  die  Momente,  welche  sie  veranlassen  und  fortdauernd  unter- 
halten, v.  Graefe  suchte  sie,  wenigstens  betreffs  der  entzündlichen 
( J-laukome,  in  einer  Chorioiditis  serosa.  Diese  sollte  eine  diffuse  Durcb- 
tränkung  des  Humor  aqueus  und  Corpus  vitreum  bewirken,  bei  der 
durch  die  Volumenzunahme  eine  rasche  Steigerung  des  intraocularen 
1  )ruekes  mit  Compression  der  Netzhaut  und  den  weiteren  Folgezu- 
ständen  eingeleitet  würde.  Entgegengesetzt  dieser  Anschauung,  welche  auf 
der  Annahme  einer  Hypersecretion  beruht,  lässt  sich  die  Drucksteigerung 
im  Augeninnern  auch  durch  eine  Retention,  eine  Verringerung  des 
Abflusses  erklären,  wie  dieselbe  z.  B.  betreffs  der  Lymphe  durch  einen 
Verschluss  (Knies)  im  Winkel  der  vorderen  Augenkanmier  (Fontana- 
scher  Raum,  „Filtrations-Winkel")  zu  Stande  kommen  kann.  Aber  noch 
andere  Momente  können  eine  Rolle  spielen. 

Dass  das  eigentliche  Wesen  der  Krankheit  in  der  pathologischen  Steigerung 
des  intraocularen  Druckes  beruht,  ist  fast  allgemein  angenommen.  Die  Avenigen 
Fälle,  in  denen  bei  Gläucoma  simplex  diese  Steigerung  nicht  die  physiologische 
Breite  überschreitet,  lassen  sich,  wie  schon  erwähnt,  in  der  Weise  deuten,  dass 
liier  ein,  in  dem  physiologischen  Breitegrade  der  Tension  sehr  tief  stehendes  Auge 
durch  pathologische  Steigerung  an  die  obere  Grenze  der  physiologischen  Spannung 
gerückt  wird.  Weiter  aber  lässt  sich  eine  unverkennbar  pathologische  Tension 
wenigstens  zeitweise  fast  bei  allen  diesen  Augen  nachweisen.  In  solchen  Fällen 
hingegen,  wo  nur  aus  der  Excavation  der  Papille  die  Diagnose  Gläucoma  gestellt 
wurde,  muss  auch  an  die  Möglichkeit  eines  anderweitigen  Zustandekommens  der 
Vertiefung,  etwa  durch  Sehnervenatrophie,  oder  auch,  bei  gleichbleibender  Seh- 
schärfe, an  angeborene  Anomalien  gedacht  werden.  Jedenfalls  hat  noch  Niemand 
ein  Glaukom  diagnosticirt,  wenn  die  Spannung  des  Auges  sich  unter  der  physio- 
logischen Breite  befand,  wobei  ich  natürlich  secundäre  Degenerationsproeesse  des 
(Üaucoma  absolutuni  ausnehme.  Es  liegt  demnach  keine  Nötkigung  vor,  etwa  aus 
dem  Grunde,  dass  eine  Sehnerven-Excavation  einmal  ohne  zur  Zeit  nachweisbare 
Druckerhöhung  vorkommen  kann,  die  Bedeutung  der  intraocularen  Drucksteigerung 
auf  das  Zustandekommen  derselben  herabsetzen  zu  wollen  und  ein  primäres,  auf 
Gefäss-Erkrankungen  beruhendes  glaukomatöses  Selmervenleiden  (Ed.  Jäger, 
Schnabel)  zur  Erklärung  herbeizuziehen. 

Die  pathologische  Steigerung  des  intraocularen  Druckes  kann,  rein  mechanisch 
betrachtet,  entweder  durch  abnorm  grossen  Inhalt  oder  durch  eine  dem 
Inhalt,  gegenüber  abnorm  geringe  Weite  und  Ausdehnbarkeit  der 
Augenkapsel  bedingt  sein.  Wenn  eines  dieser  Momente  nicht  durch  eine  ent- 
sprechende Anpassung  seitens  des  anderen  in  seiner  Wirkung  aufgehoben  wird. 
so  muss  die  Härte  des  Bulbus  zunehmen.  Diese  Anpassung  und  gegenseitige 
Regulirung  scheint  nun  unter  normalen  Verhältnissen  in  der  That  in  ausgiebiger 
Weise  einzutreten.  Nur  wenn  der  Grad  der  Störung  nach  einer  oder  der  anderen 
Richtung  hin  zu  hoch  geworden  ist,  um  noch  ausgeglichen  werden  zu  können,  oder 
wenn  gleichzeitig  Störungen  in  dem  zur  Regulirung  bestimmten  Apparat  vor- 
handen sind,  kommt    es  zu   pathologischer  Steigerung    des  intraocularen   Druckes 


Theorie  über  Pathogenese  und  Wesen  des  Glaukoms.  345 

und  damit  zum  Ausgangspunkt  glaukomatöser  Vorgänge.  Hieraus  dürfte  schon 
ersichtlich  sein,  dass  einseitige  Anschauungen,  welche  das  Glaukom  stets  auf  eine 
und  dieselbe  Ursache  zurückführen  wollen,  wenig  Wahrscheinlichkeit  für  sich 
haben,  um  so  weniger,  wenn  wir  die  vielgestaltete  Form  der  Erkrankung  berück- 
sichtigen. Und  doch  tauchen  immer  von  Neuem  wieder  Theorien  auf,  die  alle 
Glaukome  aus  einer  und  derselben  Störung  ableiten  wollen;  alles,  was  für  die  ver- 
theidigte  Ansicht  spricht,  wird  alsdann  in  voller  Breite  und  mit  Glanz  vorgeführt, 
das  Widersprechende  verschwiegen  oder  mit  bewundernswerthem  Aufwände  von 
Scharfsinn  umgedeutet. 

Nachfolgend  sollen  bei  Besprechung  der  in  Betracht  kommenden  mechanischen 
Momente  die  wichtigeren  Theorien,  soweit  sie  in  anatomischen,  experimentellen  und 
klinischen  Befunden  eine  Stütze  haben,  angeführt  werden. 

1  »er  abnorm  grosse  Inhalt  der  Bulbuskapsel  kann  dadurch  zu  Stande  kommen, 
dass  entweder  zu  dem  physiologischen  Inhalte  zu  viel  hinzukommt  oder  zu  wenig 
davon  fortgeht.  Es  handelt  sich  also  um  Zu-  und  Abfluss  von  Blut  und 
Lymphe,  um  Secretions-  und  Absorptions-  bezw.  Retentionsverhältnisse. 
Was  das  Blut  betrifft,  so  haben  Tensionsmessungen  des  Auges  bei  Cholerakranken 
v.  Graefe),  Anämischen  oder  der  Agonie  nahen  Individuen  (Stellwag)  ebenso- 
wenig eine  pathologische  Veränderung  des  intraocularen  Druckes  erwiesen  wie  die 
bei  Plethorikern  und  Fiebernden,  wo  der  Badialpuls  unter  stürmischer  Herzthätig- 
keit  äusserst  voll  und  kräftig  war.  Der  allgemeine  Blutdruck  scheint  demnach, 
entgegengesetzt  den  manometrischen  Messungen  an  Thieraugen  (v.  Hippel  und 
Grünhagen,  Adamück),  beim  Menschen  unter  normalen  Verhältnissen  und  bei 
normaler  Regulationsfähigkeit  des  Auges  keinen  |Einfluss  auf  den  intraocularen 
Druck  auszuüben.  —  Anders  allerdings  wird  es  sich  verhalten,  wenn  locale  Ver- 
änderungen der  Blutgefässe  im  Auge  selbst  vorhanden  sind.  Hier  erscheint 
der  Befund  Brailey's  bezüglich  einer  fast  constanten  Erweiterung  der  Arterien 
und  Verdünnung  ihrer  Gefässwandungen  besonders  im  Gebiete  des  Corp.  ciliare  von 
hoher  Bedeutung.  Diese  Alteration  kann  sowohl  rein  mechanisch  als  auch  durch  die 
vermehrte  Ausschwitzung  und  Secretion  —  und  hiermit  haben  wir  gleich  das  zweite 
Moment  activer  Inhaltszunahme  —  eine  Drucksteigerung  bewirken.  In  ähnlicher 
Weise  werden  selbst  locale  Arterien-Verengerungen  und  -Sclerosen,  wenn  sie  z.  B. 
die  Trisgefässe  befallen,  zu  einer  secundären  Blutüberfülle  des  Corpus  ciliare  führen 
[Ulrich)  und  damit  eine  Secretionssteigerung  dieses,  hauptsächlich  die  intraoculare 
Ernährung  vermittelnden  Organs  herbeiführen.  Es  kommt  noch  hinzu,  dass  durch 
die  primäre  Anschwellung  des  blutstrotzenden  Ciliarkörpers  bezw.  seiner  Fort- 
sätze, worauf  besonders  Ad.  Weber  die  Aufmerksamkeit  gelenkt  hat,  secundäre 
Störungen  eingeleitet  werden  können,  indem  die  Iris  einfach  mechanisch  nach  vorn 
gedrängt  und  damit  in  gewissen  Fällen  der  Fontana'sche  Canal,  der  Hauptab- 
zugsweg der  Lymphe,  verlegt  wird. 

Die  pathologisch-anatomisch  erwiesene  Arterienausdehnung  selbst  aber  kann 
Folge  einer  primären  Gefässerkrankung  oder  eines  vasomotorischen  Leidens  sein. 
>odass  im  letzteren  Falle  die  Affection  ursächlich  eine  neuropathische ,  in  das 
Gebiet  des  Trigeminus  oder  des  Sympathicus  fallende  wäre.  Die  directe 
Reizung  des  Trigeminus  (Wegner,  Schulten)  bewirkt  sowohl  durch  Dilatation 
der  Gefässe  als  auch  durch  Verminderung  der  Filtrationswiderstände  eine  Ver- 
mehrung der  Secretion  und  eine  Steigerung  des  intraocularen  Druckes.  Diese 
Beizung  wird  aber  um  so  eher  ihren  Einfluss  ausüben,  je  mehr  der  vom  Sympa- 
thicus beherrschte  Gefässtonus.  wie  dies  bei  alten  Leuten.  Arthritikern  u.  s.  w.  voraus- 
zusetzen ist.  gelitten  hat.    Dazu  kommen  die  klinischen  Erfahrungen,  nach  denen 


;;4<i  Glaukom. 

Trigenrwusneuralgien  eine  Hauptrolle  in  der  Aetiologie  des  Glaukoms  spielen.  Auch 
die  von  mir  gemachte  Beobachtung,  dass  bei  Reizung  der  Zahnnerven  durch  Garies 
oder  Periostitis  bei  jugendlichen  Individuen  sein-  häufig  ein  Hinausrücken  des  Nähe- 
punktes zu  constatiren  ist.  welches  wiederum  aus  einer  intraocularen  Druckzunähme 
resultirt,  spricht  für  den  Einfluss  des  Trigeminus  auf  (Ins  Zustandekommen  glau- 
komatöser Processi',  l'.ei  Secundärglaukomen  dürfte  der  ProceSS  öfter  aus  einer 
Reizung  der  intraocularen  Trigerainusäste,  z.B.  derjenigen  dw  Iris,  hervorgehen. 
Donders  war  der  erste,  der  das  Glaukom  als  Secretionsneurose  auffasste. 
Neuerdings  hat  Laqueur  wieder  diese  Theorie  zu  stützen  gesucht:  er  nimmt  an, 
dass  eine  vom  ( 'entrinn  ausgehende  Erregung  der  Secretionsnerven  eine  Hyper- 
secrfetion  aus  dem Ciliarkörper  bewirke.  —  Die  Exstirpation  des  Ganglion  supre- 
niuin  des  Halssympathicus  veranlasst.  wie  Operationen  an  Menschen  erweisen,  eine 
Herabsetzung  des  intraocularen  Druckes,  ob  Reizungen  entgegengesetzt  wirken, 
ist  nicht  festgestellt. 

Berücksichtigen  wir  andererseits  den  verhinderten  Flüssigkeitsabfluas.  so 
können  Stauungen  in  den  Venen  und  in  den  Lymphabführungswegen 
in  Betracht  kommen.  Was  den  Einfluss  der  Venenunterbindung  dicht  in  der  Nähe 
des  Bulbus  betrifft,  so  haben  die  an  Thieren  angestellten  Experimente  mit  Unter- 
bindung der  Yen.  vorticosae  eine  erhebliche  Steigerung  des  intraocularen  Druckes 
zu  Tage  treten  lassen  (A  da  m  tick,  Schulten).  Dieselbe  ging  allerdings  in  den  Ver- 
suchen Koster 's  an  Kaninchen  nach  einer  Reihe  von  Tagen  zurück;  doch  hatten  vor- 
her eine  Hache  Kammer  sowie  Hornhauttrübungen  bestanden,  selbst  eine  Verklebung 
des  Fonta  na 'sehen  Raumes  war  zu  Stande  gekommen.  Ebenso  wurde  einmal  eine 
weitere  Vertiefung  der  physiologischen  Excavation  der  Sehnervenpapille  des  Kanin- 
chens beobachtet.  Erwägen  wir  die  grossen  Schwierigkeiten,  welche  einer  Coiupen- 
sirung  der  durch  Blutstauung  in  den  Ciliarvenen  notwendigerweise  bedingten 
Inhaltszunahme  des  Auges  gelegentlich  beim  Menschen  entgegenstehen  können, 
so  dürfen  wir  diesem  Momente,  welches  unter  besonderer  Berücksichtigung 
der  seeundären  Transsu da tionen  aus  dem  vorderen  Chorioidealabschnitte 
in  den  zur  Papille  gehenden  Cloquet'schen  ('anal  und  in  den  Glaskörper 
auch  von  Jacobson  und  Jackson  betont  worden  ist,  —  seinen  Einfluss  auf 
die  Entstehung  glaukomatöser  Druckerhöhung  um  so  wenige]' absprechen,  als  auch 
die  anatomischen  Befunde  einer  Periphlebitis  hyperplastica  besonders  innerhalb 
der  Scleralcanäle  direct  darauf  hinweisen.  Ferner  miisste  die  oben  erwähnte  Ver- 
ringerung der  Chorioidealelasticität  bei  glaukomatösen  Augen  eine  Störung  im 
Blutabflusse  veranlassen.  Durch  eine  Verringerung  des  Eintrittes  von  Arterien- 
bbit  wird  kaum  ein  genügender  Ausgleich  ermöglicht  werden,  da  die  Festigkeit 
der  Arterienwandungen  die  dazu  nöthige  Compression  erschwert,  und  ebensowenig 
durch  einen  vermehrten  kvmphabtluss,  zumal  ausser  dem  rein  mechanischen  Mo- 
ment der  vermehrten  Menge  des  venösen  Blutes  auch  die  durch  Stauung  ver- 
mehrten serösen  Ausschwitzungen  aus  den  Gefässen  in  Betracht  kommen.  Es 
I, liebe  nur  die  Nachgiebigkeit  und  Elasticität  der  Sclera.  die  allerdings  in  einem 
gewissen  Grade  die1  durch  Blutstauung  bewirkte  Inhaltszunalime  unschädlich 
machen  könnte.  Wird  dieser  Grad  aber  überschritten,  oder  ist  die  Sclera  unnach- 
giebig, so  muss  eine  pathologische  Drucksteigerung  resultiren.  Zu  beachten  ist 
weiter,  dass  eine  Stauung  in  den  Venen  gleichzeitig  eine  Hinderung  des  vorderen 
Lymphabflusses  setzen  muss.  da  derselbe  an  der  Peripherie  der  vorderen  Kammer 
zum  grossem  Theile  durch  venöse  Gefässe  stattfindet.  Wir  haben  demnach  com- 
plicirend  dasselbe  Moment  Störung  des  L\  niph  a  bt'l  ussesi.  das  vielfach  eine 
zu  einseitige  und  übertriebene  Hervorhebung  erfahren  hat.  Die  Verlegung  der 
in  den  hinteren  Bulbuspartien  verlaufenden  Lymphwege,  speciell  durch  den  Seh- 


Theorie  über  Pathogenese  und  Wesen  des  Glaukoms.  347 

nerv,  scheint  nach  den  bisherigen  Experimenten  keinen  erheblichen  Einflnss  auf 
intraoeulare  Drucksteigerung  zu  haben,  zumal  selbst  aus  dein  Glaskörper  der 
Lymphabfluss  grösstenteils  durch  die  Zonula  zur  Äugenkammer  geht.  Die  Ver- 
legung des  vorderen  Lymphabflusses  durch  Obturirung  des  Schlemm'schen  Canals 
oder  Ajipressung  und  Anwachsen  der  Irisperipherife  an  den  ^Filtrationswinkel" 
ist  hingegen  oft  zu  constatiren.  Eine  hier  stattfindende  Lymphstauung  wird 
zweifellos  zu  einer  Steigerung  des  intraoeularen  Druckes  beitragen,  wenngleich 
immerhin  bei  entsprechender  Elasticität  der  Sclera  ein  Ausgleich  durch  Beschleuni- 
gung des  venösen  Blutabflusses  leichter  zu  stunde  kommen  kann  als  bei  der  vor- 
hin besprochenen  directen  venösen  Stauung.  I>ass  die  Verhinderung  des  Lymph- 
abflusses aus  der  vorderen  Kammer  keine  Vergrösserung  derselben,  wie  doch  an- 
zunehmen wäre,  bewirkt,  Hesse  sich  auf  eine  Verödung  der  Irisgefässe,  welche 
sich  nach  Schick's  und  Bamburger's  Untersuchungen  bei  der  Absonderung  des 
Humor  aqueus  vorzugsweise  betheiligen,  zurückführen;  allerdings  könnte  dann  kaum 
der  Verschluss  des  Fontana  'sehen  Raumes  als  die  allererste  Ursache  der  glaukoma- 
tösen Erkrankung  betrachtet  werden.  "Weiter  beobachtet  man  nicht  selten  gerade  bei 
Leicht  phthisischen  Augen  mit  herabgesetztem  Drucke  ein  Anlegen  der  Irisperipherie 
an  den  Filtrationswinkel  mit  Kammerverengung.  Wir  können  daher  dem  in  Rede 
-Teilenden  Momente  wohl  für  gewisse  Fälle  von  Glaukom  eine  ätiologische  Be- 
deutungzuschreiben, bei  weitem  aber  nicht  für  alle.  Die  Häufigkeit  der  erwähnten 
anatomischen  Befunde  bei  Glaukom  lässt  sich  einfach  als  Uolge  des  durch  Zunahme 
des  Druckes  im  Glaskörper  bedingten  Vorrückens  der  Iris  und  Anpressens  ihrer 
Peripherie  an  die  Cornea  auffassen. 

Das  Auftreten  acuter  glaukomatöser  Erscheinungen  nach  Anwendung  von 
Mydriaticis  liesse  sich  eher  mit  dem  Verschluss  der  Kammerbucht  in  Verbindung 
bringen,  wenn  wir  Cz er mak's  Anschauung  zu  Grunde  legen.  Nach  diesem  Autor 
verdicken  sich  bei  Mydriasis  die  peripheren  Iristheile  ( —  nicht  die  Iriswurzel  — ) 
und  bilden,  sich  rings  um  die  hintere  Hornhautfläche  legend,  einen  Abschluss  der 
vorderen  Kammer  gegen  den  Filtrationswinkel  hin.  Durch  die  hierdurch  gesetzte 
Verhinderun<;'  des  Kammerwasserabflusses  steigt  der  Druck  in  der  vorderen  und  hin- 
teren Kammer  und  verlegt  nun  auch  durch  Anpressen  der  Iriswurzel  den  Fil- 
trationswinkel. T)ie  Anwendung  der  Myotica  kann,  falls  keine  Verwachsung  be- 
reits besteht,  alsdann  die  Circulation  wieder  freilegen.  — 

Nach  Priestley  Smith's  Theorie  tritt  im  Glaskörper  die  Retention  der 
Lymphe  ein.  Die  Linse  nimmt  noch  in  späterem  Lebensalter  an  Grösse  zu:  hier- 
durch wird  der  Kaum  zwischen  Linsenwand  und  Ciliarfortsätzen  immer  mehr  ver- 
kleinert, am  meisten  n  Augen,  die  —  wie  die  glaukomatösen  nach  Priestley 
Smith  —  an  und  für  sich  klein  sind.  Durch  diese  Verengerung  aber  wird  der 
Abfluss  der  Lymphe  aus  dem  Glaskörper  in  die  hintere  und  von  dort  in  die  vordere 
Kammer  eingeschränkt,  und  der  Druck  im  Glaskörper  steigt  unter  Abnahme  des 
Kammerwassers.  Brailey-hat  aber,  wie  wir  oben  gesehen,  keine  Vergrösserung 
des  Linsendurchmessers  constatiren  können.  — 

Fs  erübrigt  noch  die  Bedeutung  der  Bujbuskapsel,  speciell  der  Sclera 
für  die  Steigerung  des  intraoeularen  Druckes  zu  betrachten.  Wird  die  Lederhaut 
resistenter,  verliert  sie  an  Ausdehnungsfähigkeit  und  Elasticität,  so  muss  rein 
mechanisch  der  intraoeulare  Druck  steigen.  Auch  wird  es  um  so  leichter  zu  einer 
dauernden  pathologischen  Drucksteigerung  kommen,  als  die  Ausgleichungen,  die 
seine  elastische  Sclera  gegenüber  temporären  Ihhaltszunahinen  leisten  kann,  jetzt 
unmöglich  geworden  sind.  Diese  Zunahme  der  Resistenz  findet  sich  im  Allgemeinen 
schon  an  den  Augen  älterer  Individuen,  wonach  sich  auch  das  häufige  Vorkommen 
des  Glaukoms  gerade  bei  diesen  erklärt.     Fs  scheint  aber  auch,  als  wenn  aussei'- 


348  Glaukom. 

«lein  bei  glaukomatösen  Augen^die  Resistenz  der  Sclera  noch  mehr  erhöht  wäre 
als  bei  anderen  gleichalterigen,  wenngleich  nicht  in  allen  Füllen.  Dieser  Be- 
theiligung  der  Lederhaut  würde  auch  das  häufigere  Befallenwerden  hyperopischer 
Augen  von  Glaukom  entsprechen,  da  diese  an  und  für  sieh  eine  verhältnissmässig 

dicke,  bei  seniler  Entartung  also  um  so  eher  abnorm  resistent  werdende  Sclera 
haben.  Als  Zeichen  der  Rigidität  habe  ich  öfter  an  glaukomatösen  Augen  con- 
statiren  können,  dass  während  schon  ein  leichter  Druck  mittels  eines  Sondenknopfes 
an  der  Cornea  eine  tiefe  Grube  erzeugte,  die  Sclera  kaum  dem  Drucke  nachgalt: 
die  Differenz  war  zu  gross,  als  dass  sie  allein  durch  das  Bestehen  einer  gewissen 
Ungleichheit  der  Tension  in  den.  doch  immer  mit  einander  in  Verbindung  blei- 
benden vorderen  und  hinteren  Bulbusriiumen  erklärt  werden  könnte.  Es  liegt 
danach  volle  Berechtigung  vor,  für  eine  Reihe  von  Glaukomfällen  grosses  Gewicht 
auf  die  Rigiditätszunahme  der  Sclera  zu  legen. 

Die  Symptome  des  acuten  Glaukoms  können  als  ein  entzündliches  Oedem  auf- 
gefasst  werden,  das  in  Folge  einer  plötzlichen 'Drucksteigerung  und  Circulations- 
störung  auftritt  (Fuchs). 


5.  Prognose  und  Therapie. 

Die  Prognose  richtet  sich  nach  dem  Einfluss  der  Therapie.  Auch 
diese  ist  nicht  immer  allmächtig'  und  von  verschiedenem  Nutzen  je  nach 
der  Form  und  der  Zeitdauer  der  Erkrankung-.  Unbehandelt  aber  führt 
das  Glaukom  —  in  kürzerer  oder  längerer  Zeit  —  fast  stets  zur  Er- 
blindung. 

Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  die  entzündlichen  Processe 
am  ehesten  heilbar  sind;  wenig  sicher  ist  der  Erfolg  bei  Glaucoma 
simplex.  Günstiger  ist  ferner  die  Aussicht,  wenn  die  Therapie  in  einem 
früheren  Stadium  des  Processes  und  bei  noch  relativ  gutem  Sehver- 
mögen, wo  die  excavirte  Papille  noch  keine  ausgesprochene  Atrophie 
zeigt,  eingreift, 

Therapie.  Vielfältige  frühere  medicamentöse  und  operative  Ver- 
suche zur  Bekämpfung  des  Leidens,  so  auch  die  von  Mackenzie  zur 
]  >ruckherab  Setzung  empfohlene  Scleralpunetion  mit  Glaskörperentleerung 
(1830)  und  die  wiederholten  Parazentesen  (Desmarres  1847)  hatten 
kein  befriedigendes  Resultat  ergeben.  Erst  A.  v.  Graefe  (1856)  ge- 
lang es,  in  der  Iridectomie,  deren  Einfluss  auf  Herabsetzung  der 
Tension  er  bereits  bei  anderen  Krankheitsprocessen  erprobt  hatte,  ein 
wirksames  Heilmittel  zu  finden.  Es  war  dies  eine  der  segensreichsten 
therapeutischen  Entdeckungen,  trotzdem  die  früher  auf  dieselbe  ge- 
setzten, allzu  grossen  Erwartungen  im  Laufe  der  Zeit  sich  etwas 
verringert  haben.  Bei  der  Ausführung  [der  Iridectomie  (vgl.  „Ope- 
rationen an  der  Irisa)  ist,  wenigstens  bei  den  chronischen  Glaukoni- 
formen,  darauf  besonders  Gewicht  zu  legen,  dass  der  Schnitt  peripher 


Prognose  und  Therapie.  ;;49 

gelegt  und  die  Iris  in  ziemlicher  Breite  exeidirt  wird.  Im  acuten  Grlau- 
koin  genügen  oft  kleinen1  und  weniger  periphere  Excisionen.  Die 
Länge  der  im  ScleraJlimbus  liegenden  äusseren  Wunde  betrage  etwa 
(> — 8  mm.  Man  hüte  sieh  übrigens,  besonders  bei  den  acuten  Glaukom- 
formon,  den  Schnitt  gar  zu  Aveit  in  die  Sclera  fallen  zu  lassen,  da  sonst 
die  Gefahr  eines  Grlaskörperaustrittes,  zu  welchem  auch  unabhängig  von 
der  Druckerhöhung  eine  vermehrte  Neigung  besteht,  öder  einer  Linsen- 
luxation  nahe  liegt.  Die  Richtung  der  künstlichen  Pupille  sei  womög- 
lich nach  oben,  da  sie  hierbei  die  beste  Deckung  durch  das  obere  Lid 
erfährt  und  die  sehr  peripher  einfallenden  und  unregelmässig  un- 
gebrochenen Lichtstrahlen  abgehalten  werden.  Auch  ist  es  rathsam, 
vor  der  Operation  eine  künstliche  Miosis  durch  Einträufeln  von  Eserin 
herzustellen.  Ebenso  träufelt  man  dasselbe  Mittel  in  das  andere  Auge, 
um  einem  acuten  Anfalle,  wie  er  gelegentlich  nach  Operationen  des 
primär  afficirten  Auges  beobachtet  worden,  vorzubeugen. 

Um  ein  starkes  Pressen  mittels  der  Lider  und  Muskeln,  das  bei 
dem  hohen  intraocularen  Druck  besonders  schädlich  wäre,  zu  ver- 
meiden, muss  man  in  gewissen  Fällen  die  Narkose  anwenden;  meist 
jedoch  kommt  man  auch  ohne  sie  aus. 

Nicht  ganz  selten  treten  nach  der  Iridectomie  bei  entzündlichem 
Glaukom  Blutungen  in  der  vorderen  Kammer  auf,  oft  bedingt  durch 
Iridodialysen:  fast  scheint  es,  als  ob  gerade  bei  Glaukom  die  Iris- 
peripherie sich  leichter  vom  Ciliarkörper  durch  den  Zug  der  Pincette 
löse.  Das  Blut  sucht  man  durch  leichtes  Klaffenmachen  der  Wunde 
möglichst  zu  entleeren,  der  Rest  wird  mehr  oder  weniger  schnell  je  nach 
Intaktheit  des  Irisgewebes  resorbirt.  Bei  acutem  Glaukom  werden  auch 
Xetzhautapoplexien  beobachtet,  die  ebenfalls  in  einigen  Wochen  ver- 
schwinden. 

In  einzelnen  Fällen  bildet  sich  nach  der  Operation  schnell  eine 
Katarakt,  die  einer  Kapselverletzung  durchaus  nicht  immer  ihren  Ur- 
sprung verdankt;  die  bei  dem  starken  intraocularen  Druck  besonders 
plötzliche  Lageveränderung  der  Linse,  längeres  Anliegen  der  Linse  an 
der  Hornhaut  bei  langsamer  Kammerwiederherstellung  könnten  direct 
oder  durch  Entstehung  mikroskopischer  Kapselrisse  die  Ursache  bilden. 
Die  Cornea-Scleralnarbe  wird  bisweilen  cystoid;  gelegentlich  auch  zeigt 
sie  eine  gewisse  Breite  und  Durchsichtigkeit,  so  dass  sie  schwärzlich 
erscheint.  Sehr  häufig  ist  es,  dass  die  Kammerfüllung  nur  langsam 
erfolgt;  es  vergehen  gelegentlich  Wochen,  ehe  eine  deutliche  vordere 
Kammer  sich  wiederherstellt.  Bleibt  sie  dauernd  aus,  so  ist  die  Pro- 
gnose —  mit  wenig  Ausnahmen  —  schlecht.  — 

Die  Heilwirkung  der  Operation  in  den  acuten  Fällen,  wenn  sie 
innerhalb  der  ersten  Tage  ausgeführt  wird,  ist  meist  eclatant  und  dauernd. 


350  Glaukom. 

Die  Entzündung  geht  zurück  und  das  Sehvermögen  hebt  sich  sein-  l>e- 
dentend,  bisweilen  fast  zum  normalen  im  Laufe  einiger  Wochen.  Bei 
den  chronisch-entzündlichen  Formen  wird  ebenfalls  häufig  «lern 
Fortscbreiten  des  Processes  Halt  geboten;  das  Sehvermögen  bleibt  aber 
länger  auf  dem  Status  quo  ante  und  erfährt  nur  sehr  langsam  eine 
allmähliche  Besserung,  die  sieb  mit  einer  siebtbaren  Verringerung  der 
vorhandenen   Excavation   verbinden  kann. 

Am  wenigsten  gut  ist  der  Erfolg  bei  dem  Glaucoma  Sim- 
plex; das  Meiste ;  was  man  erwarten  darf,  ist  Stillstand  oder  eine 
Spur  von  Besserung.  Relativ  günstig  sind  die  Fälle,  wo  die  Druck- 
Erhöhung  ausgeprägter  ist,  oder  bei  denen  sich  intermittirende  entzi'md- 
liche  Erscheinungen  gezeigt  haben.  Aber  in  einer  ziemlieben  Zahl  von 
Fällen  erfolgt  nach  der  lridectomie  eine  entschiedene  Verschlechterung, 
die  sieb  direct  dem  operativen  Eingriffe  ansebliesst  und  ihrem  ganzen 
Verlaufe  nach  mit  ihm  in  Verbindung  gebracht  werden  musg.  —  Es 
trifft  dies  nicht  nur  Augen,  bei  denen  nacb  der  Operation  die  Kammer 
lange  aufgehoben  blieb  und  leichte  Entzündungen  hinzutraten  (maligne 
Glaukome,  v.  Graefe),  sondern  auch  vollkommen  gut  gebeilte. 

Die  Prognose  wird  überall  um  so  schlechter,  je  ausgeprägter  die 
Excavation  und  Atrophie  der  Papille  und  je  enger  das  Gesichtsfeld  ist. 
In  Fällen,  bei  denen  die  Gesicbtsfeldeinengung  sich  dem  Fixationspunkte 
schon  sehr  genähert  hat,  geht  das  centrale  Sehen  nacb  der  Operation 
oft  verloren.  Da  dies  sogar  für  einen  ziemlich  hoben  Procentsatz  zu- 
trifft, so  kann  ich  nicht  umbin,  die  lridectomie  für  solclie  Fälle,  be- 
sonders wenn  es  sich  um  Glaucoma  simplex  bandelt,  als  eine  in  ihrem 
Erfolge  bedenkliebe  Operation  zu  betrachten.  Abgesehen  von  direeten 
Verschlechterungen  verringert  öfter  ein  in  Folge  der  Pupillenbildung 
auftretender  unregelmässiger  Astigmatismus  das  frühere  Sebvermögen. 

Auch  das  Glaucoma  absolut  um  erfordert  zuweilen  noch  ein 
operatives  Einschreiten,  um  heftigere  Schmerzhaftigkeit  oder  degene- 
rativen,  durch  die  Tensionssteigerung  bedingten  Processen  entgegen- 
zutreten; schlimmsten  Falles  kann  sogar  die  Enucleation  hier  nöthig 
werden. 

Die  Ansichten  über  das  gegen  den  glaukomatösen  Process  eigentlich  wirk- 
same .Moment  in  der  lridectomie  sind  getheilt.  Es  scheint,  als  wenn  auch 
hier  verschiedene  Dinge  einen  günstigen  Einfluss  übten,  von  denen  bald  das  eine, 
bald  d;is  andere, je  nach  der  Ursache  des  speciellen  Krankheitsproeesses,  besonders 
nutzbringend  hervortritt.  Rein  mechanisch  wird  durch  die  Incisionswunde,  wenn 
sie,  was  beim  Glaukom  häufig  ist.  nicht  direct  und  eng  verklebt,  sondern  durch  eine, 
mit  blossem  Auge  schon  erkennbare  Zwischensubstanz  vereinigt  wird,  eine  gewisse 
Vergrösserurig  des  (Jmfanges  der  Bulbuskapsel  und  damit  Entspannung  gesetzt 
(Stellwag).  In  der  That  kann  man  sogar  nach  der  einfachen  Anlegung  eines 
die  Conjunctiva   und  Sclera   im   Limbus  trennenden  Schnittes  bisweilen  eine  Hesse- 


Therapie.  -J51 

rung  eintreten  sehen.  Geht  die  Incision,  wie  bei  der  [ridectomie,  l»is  in  die 
vordere  Kammer,  so  tritt  noch  die  Möglichkeit  einer  Art  Filtration  des  Kam- 
mervrassers  durch  die  Narbe  hinzu:  ein  Moment,  das  besonders  v.  Wecker 
betont  hat.  Einzelne  Fälle,  bei  denen  die  Kranken  wieder  auftretende  Obscura- 
tionen  durch  Druck  auf  den  Bulbus,  wobei  sich  Flüssigkeit  ans  der  Kammer  unter 
die  Conjunctiva  schob,  schnell  beseitigen,  unterstützen  diese  Anschauung.  Wenn 
weiter,  wie  wir  gesehen,  das  Anpressen  der  Iris  an  die  Eornhautperipherie  und 
der  Verschluss  des  Schlemm'schen  Canals  auf  den  Lymphabfluss  hindernden  Ein- 
Huss  üben,  so  wird  ebenfalls  der  [ncisionsschnitt  dem  entgegenwirken  und  einen 
neuen  Abzug  eröffnen. 

Noch  mehr  wird  aber  die  grössere  Excision  der  Iris,  welche  sicherer  das  Ab- 
reissen  der  Verklebung  von  der  Hornhautperipherie  bewerkstelligt,  hiergegen  an- 
kämpfen.  Ebenso  ist  die  Iridectomie  von  hoher  Bedeutung,  wenn  etwa,  wie  bei 
manchen  Formen  von  seeundärem  Glaukom,  eine  totale  circuläre  Synechie  der  Iris 
mit  der  Linsenkapsel  eine  Unterbrechung  der  Communication  zwischen  vorderer 
und  hinterer  Kammer  veranlasst  hat.  Hier  wird  allein  durch  die  Iridectomie  eine 
W  iederherstellung  derselben  erreicht  und  so  das  ursächliche  Leiden  beseitigt. 
Gleiches  ,<rilt.  wenn  eine  Reizung  der  Lrisnerven  reflectorisch  die  Hypersecretion  und 
Hypertonie  bewirkt  hat.  -  Kxner  erklärt  im  Allgemeinen  die  Heilwirkung  der 
Iridectomie  so,  dass  der  gesammte  Gefässdruck  im  Auge  (und  damit  auch  der  ul- 
tra okulare  Druck)  durch  Herausschneiden  eines  Stückes  Iris  herabgesetzt  werde. 
Ks  wird  mit  der  exeidirten  Iris  nämlich  ein  Theil  der  kleineren  Gefässe  und  des 
sie  verbindenden  ( iapillametzes  entfernt.  Zwischen  den  zurückbleibenden  grösseren 
Arterien  und  Venen  bilden  sich,  wie  Präparate  zeigen,  directe  Anastomosen,  durch 
welche  das  Arterienblut,  ohne  ein  Capillarnetz  zu  passiren,  sofort  in  die  Venen 
gelangt.  Dadurch  wird  alsdann  ein  Sinken  des  Blutdruckes  sowohl  in  der  Iris, 
als  in  den  weiter  zurück  gelegenen  Chorioidealarterien  bedingt. 

Manche  Fälle  von  acutem  Glaukom  legen  aber  auch  die  Ansicht  nahe,  dass 
bisweilen  schon  die  ausgiebige  Entleerung  des  Kammerwassers,  wie  sie  bei  der 
Iridectomie  erfolgt,  genügt,  um  den  Process  zu  heilen.  So  sind  die  Fälle  eben 
nicht  selten,  wo  ein  acuter  Glaukomanfall  dauernd  .üeheilt  wurde,  trotzdem  bei  der 
Iridectomie.  in  Folge  unregelmässiger  Ausführung,  nur  ein  kleines  centrales  Stück- 
ehen herausgeschnitten  wurde  oder  auch  die  Incision  ganz  in  das  Corneagewebe 
fiel.  Man  muss  hier  daran  denken,  dass  nach  der  Kammerwasserentleerung  die 
durch  eine  acute  Drucksteigerun»'  momentan  gestörten  regulatorischen  Kräfte,  wie 
etwa  die  Elasticität  der  Sclera.  wieder  dauernd  zur  Geltung  kommen  konnten. 

Die  von  Stellwag  und  v.  Wecker  vertretenen  Anschauungen, 
dass  der  Scleralschnitt  das  eigentlich  wirksame  Moment  bei  der  Iridec- 
tomie sei,  fanden  durch  Quaglino  (1^71)  insofern  eine  praktische  Aus- 
nutzung, als  er  an  Stelle  der  Iridectomie  die  einfache  Sclerotomie 
gegen  Glaukom  empfahl.  Er  machte  zu  dem  Zwecke  mit  einen  breiten 
Lanzenmesse  rcirca  l1/2  bis  2  mm  von  der  Cornealinsertion  in  die  Sclera, 
wie  zu  einer  Iridectomie,  den  Einstich  und  schob  die  Lanze  bis  zu  einem 
Drittel  ihrer  Länge  in  die  vordere  Kammer.  Durch  langsames  Zurück- 
gehen wird  ein  schnelles  Ausströmen  des  Kammerwassers,  welches  die 
Iris  leicht  in  und  durch  die  Wunde  presst,  möglichst  verhindert.  Vor- 
heriges und  nachfolgendes  Einträufeln  von  Eserinlösung  wirkt  weiter 
einem  Vorfall    der  Iris    entgegen.     Da    sich    derselbe    aber    bei    dieser 


352 


( rlaukom. 


Methode  dennoch  nicht  immer  verhindern  lässt,  so  hat  Wecker  « ine 
andere  Operationsweise  empfohlen.  Hierbei  bedient  man  sich  eines 
dem  v.  Graefe 'sehen  ähnlichen,  aber  3  mm  breiten  Messers,  das  etwa 
1 2  mm  vom  durchsichtigen  Hornhautrande  entfernt,  und,  wenn  man 
nach  oben  hin  den  Schnitt  legt,  etwa  1  '/2  mm  über  dem  horizontalen 
Meridian  in  die  vordere  Kammer  gestossen  wird,  als  ob  es  sich  um  die 
Herstellung  eines  nach  oben  gerichteten  Hornhautlappens  zur  Starope- 
ration handelte.  Nach  erfolgter  Contrapunction  wird  das  Messer  den 
Selerallimbus  durchschneidend  nach  oben  geführt,  bis  etwa  zwei  Drittel 
des  ganzen  Lappenschnittes  vollendet  sind  und  nur  noch  das  obere  Drittel 
stehen  geblieben  ist  (Figur  118);  der  Schnitt  soll  etwas  tiefer  liegen 
als  die  Zeichnung  angiebt.  Alsdann  zieht  man  das  Messer  zurück. 
Durch    die    oben  ungetrennt  gebliebene  Cornealscleralverbindung  wird 

einem  Vorfall  der  Iris  in  die  Schnitt- 
wunden möglichst  vorgebeugt  und  ( _1orneal- 
Astigmatismus  eher  vermieden.  Diese 
Methode  eignet  sich  besonders  bei  ver- 
hältnissmässig  tiefer  vorderer  Kammer, 
wo  man  Raum  für  die  Messerfuhrune  hat, 

O  7 

die  Iris  beim  Zurückziehen  des  Messers 
nicht  so  leicht  vor  die  Klinge  fällt  und 
wegen  der  Menge  des  Kammerwassers 
grössere  Tendenz  zum  Hinausschieben  und  Vorfallen  der  Iris  besteht. 
Bei  engerer  Kammer  ist  der  Lanzenschnitt  vorzuziehen;  stets  ist  vor- 
her durch  Physostigmin  möglichst  Miosis  zu  bewirken. 

Die  Sclerotomie  hat  in  letzter  Zeit  von  ihrem  früheren  Ansehen 
wieder  eingebüsst.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  sie,  falls  ihr  dieselbe 
Heilkraft  innewohnte  wie  der  Iridectomie,  dieser  vorzuziehen  wäre.  Die 
künstliche  Pupille,  welche  den  stärker  gebrochenen  Randstrahlen  den 
Einfall  gestattet  und  eine  vermehrte  diffuse  Beleuchtung  der  peripheren 
Netzhautpartien  zulässt,  verursacht  hierdurch  bisweilen  eine  erheblichere 
Herabsetzung  des  Sehvermögens,  besonders  beim  Blick  ins  grelle  Licht; 
ebenso  bewirkt  sie  zweifellos  eine  Entstellung  des  Auges.  Aber  es 
scheint  doch,  als  wenn  die  Iridectomie  wegen  ihrer,  wie  oben  hervor- 
gehoben, vielseitigeren  Heilkraft  bei  den  entzündlichen  Glaukomformen 
den  Vorrang  behalten  wird.  Ich  selbst  habe  Fälle  gesehen,  wo  nach 
nutzloser  Sclerotomie  die  Iridectomie  Besserung  schaffte.  Das  kann 
auch  nach  den  oben  entwickelten  theoretischen  Anschauungen  über  die 
Entstehungsursachen  des  (llaukoms  nicht  auffallend  sein.  Immerhin 
aber  empfiehlt  sich  für  gewisse  Formen  als  erster  operativer  Eingriff 
die  Sclerotomie,  deren  Nutzen  in  einer  Reihe  von  Fällen  sicher  erwiesen 
ist.     Ich  rechne  hierher  das  absolute  Glaukom,  wo  sie  zur  Hebung 


118. 


Therapie.  353 

vorhandener  Beschwerden  als  einfachstes  Mittel  versucht  werden  sollte, 
das  Grl au c o  m a  h  a  01110  r r h a g i  e  u  m  und  das  G 1  a u c  0  m a  s  i  m  p  1  e  x ,  wenn 
keine  deutliehe  Hypertonie  vorhanden  ist;  besonders;  und  ebenso  beim 
chronisch-entzündlichen  Glaukom,  wenn  das  Gesichtsfeld  bis  in  die  Nähe 
des  Fixirpunktes  eingeengt  ist.  In  diesen  Fällen  sind  in  der  That  die 
Verschlechterungen  nach  der  Ausführung  der  Iridectomie  so  häufig,  dass 
wir  die  Sclerotomie,  von  der  directe  Nachtheile  kaum  zu  erwarten  stehen, 
entschieden  vorziehen  müssen. 

In  England  übt  man  bisweilen  noch  die  von  Hancock  empfohlene  Myoto- 
mie intraoeularis  (Dnrchschneidung  des  CiHarmuskels).  Hancock  ging  dabei 
von  der  Ansicht  aus,  dass  eine  Contractur  des  CiHarmuskels  und  dadurch  be- 
wirkte Strangulation  der  umschnürten  Blutgefässe  und  Nerven  die  Hauptursache 
des  Glaukoms  sei.  Einfach  auf  Herabsetzung  des  intraoeularen  Druckes  durch 
Glaskörperabfluss  zielt  die  Punction  der  Sclera  (Sclerotomia  posterior):  sie 
kann  l>ei  altgelaufenen  Fällen  gegen  stärkere  Drucksteigerung  und  Schmerzen  von 
Nutzen  sein:  sie  zur  Erleichterung  der  Operation  bei  sehr  enger  vorderer  Kammer 
der  Iridectomie  voranzuschicken,  halte  ich  für  zu  eingreifend.  Auch  die  Dehnung 
des  Nervus  na  so  ciliaris.  den  man  durch  Fassen  des  Nervus  infratrochlearis 
am  inneren  oberen  Augenhöhlenwinkel  anzieht,  ist  versucht  worden  (Badal, 
Aba  die).  Sie  soll  gegen  die  Ciliarneuralgien,  so  auch  bei  abgelaufenem  Glaukom, 
gelegentlich  Nutzen  bringen.  Weiter  hat  man  die  Exstirpation  des  Ganglion 
supremum  des  Sympathicus  oder  grosser  Stücke  des  Halssympathicus  neuer- 
dings versucht  (Joanescou,  Abadie,  Grunert  u.  A.),  davon  ausgehend,  dass 
dieselbe  Miosis  und  Druckherabsetzung  ( —  neben  Ptosis  — )  an  normalen  Augen 
bewirkt.  Ich  habe  mich  von  letzterer  "Wirkung  an  mehreren  Patienten,  denen  wegen 
Epilepsie  die  Operation  gemacht  wurde,  überzeugen  können;  einmal  constatirte 
ich  auch  eine  vermehrte  Hyperämie  der  Papilla  optica.  Den  Effect  auf  Pupille 
und  intraoeularen  Druck  habe  ich  hier  noch  nach  Monaten  constatirt;  einmal  war 
aber  nach  34  Jahren  die  betreffende  Pupille  weiter  geworden  als  die  der  nicht- 
operirten  Seite,  was  mit  Beobachtungen,  die  Langendorf  gelegentlich  an  Thieren 
gemacht  hat.  übereinstimmt.  In  einer  Anzahl  von  glaukomatösen  Augen  will  man 
nach  der  erwähnten  Operation  Besserung  gesehen  haben;  immerhin  dürften  nur 
ganz  verzweifelte  und  den  localen  Operationen  Widerstand  leistende  Fälle  ihr  zu 
unterwerfen  sein.  Wenn  es  sich  um  Gl.  absolutum  handelt,  sollte  man  beim  Ver- 
sagen wiederholter  Iridectomien  oder  Sclerotomien  lieber  enucleiren. 

Von  nicht  operativen  Mitteln  hat,  besonders  durch  die  Empfehlung 
Laqueur's  und  Ad.  Weber's,  die  Anwendung  des  Physostigmins 
und  Pilocarpins  bei  Glaukom  eine  berechtigte  Verbreitung  erfahren. 
Man  träufelt  eine  1 2procentige  Lösung  des  ersteren,  oder  eine  2procentige 
des  letzteren  zwei  bis  sechsmal  täglich  ein.  Dabei  sieht  man  Anfälle 
des  Prodromalstadiums,  sowie  nicht  selten  acute  Anfälle  des  Glaucoma 
evolutum  allmählich  zurückgehen  und  auch  bei  manchen  chronischen 
Formen  anfänglich  eine  gewisse  Besserung  und  Hebung  des  Sehver- 
vermügens  eintreten.  Es  dürfte  die  Hauptwirkung  der  erwähnten 
Miotica  darauf  zurückzuführen  sein,  dass  bei  der  Pupillenverengung 
der  Fontana'sche   Filtrationsraurn  wieder  frei  wird.     Nach  den  bis- 

Schmidt-Rimpler.    T.Auflage.  23 


354  Glaukom. 

herigen  Beobachtungen  sind  die  Erfolge  jedoch  —  mit  wenigen  Aus- 
nahmen — ■  keine  dauernden.  Einmal  habe  ich  die  Heilung  eines  acuten 
Glaukomanfalles  unter  Eserineinträut'elung  beobachtet,  wo  das  Auge 
Finger  nur  noch  in  zwei  Fuss  sah.  Die  Sehschärfe  kam  auf  "',,  mit 
eylindrischen  Gläsern.  Seit  einer  Reihe  von  Jahren  ist  das  Auge  ge- 
sund geblieben.  Das  andere,  zu  gleicher  Zeit  erkrankte,  wurde  durch 
Irideetomie  geheilt.  —  Glaucoma  simplex  kann  gelegentlich  unter  der 
Anwendung  dieser  Miotica  Jahre  hindurch  stationär  bleiben :  wenn  man 
die  Kranken  in  Beobachtung  behält,  so  ist  hier  jedenfalls  ein  Versuch 
mit  diesen  Mitteln,  ehe  man  zu  der  in  ihren  Erfolgen  recht  zweifel- 
haften Operation  schreitet,  dringend  anzuempfehlen.  Ebenso  sind  die 
Miotica  in  dem  Prodromal-Stadium  zur  Hebung  der  periodischen 
Obscurationen  anzuwenden.  Auch  bei  Glaucoma  haemorrhagicum 
empfiehlt  sich  ein  Versuch. 

Vorübergehend  träufelt  man  ferner'  mit  Nutzen  Eserin  ein,  um  die 
stark  entzündlichen  Erscheinungen  eines  acuten  Glaukonianfalles  so 
weit  herabzusetzen,  dass  die  enge  Kammer  wieder  tief  genug  ist,  um 
eine  exaete  Operation  zu  gestatten;  hier  muss  man  aber  beständig  das 
Verhalten  des  Sehvermögens  controliren,  um  mit  der  Operation  nicht 
zu  lange  zu  warten.  Nach  ausgeführter  Operation,  wenn  sieh  etwa  von 
Neuem  kleinere  Recidiverscheinungen,  wie  leichtere  Obscurationen  und 
Aehnliches  zeigen,  kann  man  gerade  so  wie  im  Prodromalstadium  das 
Pilocarpin  mit  Erfolg  anwenden.  Es  ist  übrigens  nicht  selten,  dass 
Pilocarpin  von  den  Kranken  besser  vertragen  wird,  als  Physostigmin, 
weil  letzteres  ihnen  Schmerzen  macht.  Auch  habe  ich  unter  seinem 
lang  fortgesetzten  Gebrauch  gelegentlich  hintere  Synechien  entstehen 
sehen.  Bisweilen  nützt  gegen  Schmerzen  die  intercurrente  Anwendung 
des  Cocain,  das  gleichfalls  den  Druck  herabsetzt. 

Sollte  trotz  gemachter  Operation  die  Krankheit  nicht  gehoben  wer- 
den, so  würde,  wenn  Eserin  oder  Pilocarpin  nicht  helfen,  die  Iridee- 
tomie oder  Sclerotomie  zu  wiederholen  sein.  v.  Graefe  empfahl  bei 
vorausgegangener  Irideetomie  die  zweite  Operation  so  anzulegen,  dass 
das  Colobom  dem  zuerst  gesetzten  gerade  gegenüber  liegt.  Wenn  man 
noch  öfter  die  Irideetomie  wiederholt,  so  gelingt  es  meist,  die  Tension 
herabzusetzen,  aber  das  Sehvermögen  ist  inzwischen  verloren  gegangen. 
Wecker  räth  das  Wiederaufschneiden  der  ursprünglichen  Operations- 
narbe  (Uletomie)  an. 

Bei  der  Behandlung  des  Glaukoms  ist  auch  die  Regulirung  der 
ganzen  Lebensweise  von  Wichtigkeit;  besonders  sind  die  wahrschein- 
lichen Entstehungsursachen  des  Leidens  zu  beachten.  So  sind  gleich- 
zeitige Neuralgien  (durch  Antipyrin,  Narcotica  u.  dergl.)  zu  be- 
kämpfen;   bei    Congestionen   nach    dem    Kopfe    ist   für   Ableitung   zu 


Ophthalmoiualacie.  355 

sorgen,  gichtische  oder  rheumatische  Dispositionen  sind  entprechend  zu 
behandeln  u.  s.  w.  Das  Chinin  in  Dosen  von  0-2  mehrere  Male  täglich, 
hat  bisweilen  gegen  glaukomatöse  Exacerbationen  eine  ausgesprochene 
Wirkung. 


B.  Ophthalmomalacie. 

Als  Ophthalmomalacie  (essentielle  Phthisis  bulbi;  v.  Graefe) 
bezeichnen  wir  eine  deutlich  constatirbare  Spannungsabnahme  und  mehr 
oder  weniger  ausgeprägte  Verkleinerung  des  Augapfels,  die  sich  unab- 
hängig von  einer  Entzündung  an  einem  ausgebildeten  Bulbus 
entwickelt. 

Man  kann  zwei  Formen  unterscheiden:  die  einfache  Ophthal- 
momalacie und  die  intermittirende.  Bei  der  letzteren  tritt  die  Er- 
weichimg in  einzelnen  Anfällen  auf;  die  Stunden  oder  Tage  lang  dauern, 
um  dami  wieder  einer  normalen  Beschaffenheit  des  Bulbus  Platz  zu 
machen;  bei  der  ersteren  besteht  der  Zustand  in  gleicher  Form  und 
unverändert  längere  Zeit  hindurch,  um  schliesslich  in  Heilung  überzu- 
gehen oder  auch  permanent  zu  bleiben.  Zuweilen  ist  stärkeres  Thränen- 
trüufeln,  eine  gewisse  Reizbarkeit  gegen  Licht,  das  Gefühl  von  Druck 
im  Auge  oder  selbst  ausgeprägte  Neuralgie  mit  der  Ophthalmomalacie 
verknüpft.  Erreicht  die  Spannungsabnahme  einen  hohen  Grad,  so  wird 
der  Bulbus  in  der  Gegend  der  geraden  Augenmuskeln  abgeplattet,  die 
Hornhaut  gerunzelt  und  dadurch  die  Sehschärfe  herabgesetzt. 

Die  Ophthalmomalacie  ist  zu  unterscheiden  sowohl  von  der  ge- 
wöhnlichen Phthisis  (Atrophia)  bulbi,  als  auch  von  den  Tensions- 
verringerungen (Hypotonien),  wie  sie  im  Verlauf  der  verschieden- 
artigsten Entzündungen  (phlvktänuläre  Keratitis,  Keratitis  diffusa,  Cty- 
klitis  u.  s.  w.)  auftreten,  als  auch  schliesslich  von  der  auf  mangelnder 
Entwickelung  beruhenden  Verkleinerung  des  Bulbus  (Microphthal- 
mus  congenitus  und  infantilis). 

Die  gewöhnliche  Phthisis  ist  der  Endausgang  verschiedener  innerer 
Augenentzündungen,  wie  Iridocykliten,  eitriger  Chorioiditen  und  eitriger 
Glaskürperinhltrationen.  Die  durch  diese  gesetzten  anatomischen  Alte- 
rationen sind  in  der  Regel  hinreichend  deutlich,  um  auch  noch  nach 
eingetretenem   Augapfelschwund    die    vorangegangenen  Entzündungen 

2o* 


356  Ophthalmomalacie. 

erkennen  zu  lassen.  Bezüglich  des  Mikrophthalmus  giebt  die  Anamnese 
Auskunft.  Auch  fehlt  hier  die  pathologische  Weichheit  des  Bulbus.  — 
Die  intermittirende  Ophthalmomalacie;  welche  nur  sehr  selten  vor- 
kommt (v.  Graefe,  Laqueur,  Strzeminski),  Avar  öfter  Folge  von 
A'erletzungen.  Sie  ist  mit  hochgradiger,  anfallsweiser  Erweichung  des 
Auges  und  gelegentlich  starker  Lichtscheu  und  Schmerzhaftigkeit  ver- 
knüpft. Die  Dauer  des  Anfalles  beträgt  mehrere  Tage.  In  einigen 
Fällen  trat  erst  nach  längerer  Zeit  Heilung  ein.  Morphiuminjectionen 
scheinen  gegen  den  Anfall  von  Nutzen  zu  sein. 

Häufiger  ist  die  einfache  Ophthalmomalacie.  Das  auffälligste 
Zeichen  ist  die  Verkleinerung  des  Augapfels.  Die  Affection  ist  meist 
einseitig,  bisweilen  mit  Ptosis  incompleta  und  Miosis  —  also  dem  von 
Homer  beschriebenen  und  auf  Lähmung  von  Sympathicusästen  zurück- 
geführten Symptomencomplex  —  verbunden.  Auch  Ernährungsstörungen 
an  der  betreuenden  Gesichtsseite  kommen  vor. 

Die  Tensionsabnahme,  meist  stark  ausgeprägt,  kann  in  einzelnen 
Fällen  weniger  hervortreten,  steigert  sich  aber  auch  hier  periodisch. 
Sonstige  pathologische  Veränderungen  am  Auge  fehlen.  Das  Sehver- 
mögen ist  normal.  Den  Kranken  ist  selbst  meist  die  Verkleinerung  des 
Augapfels  aufgefallen.  (N atmlich  sind  scheinbare  Verkleinerungen,  etwa 
durch  Herabsinken  des  oberen  Lides  bedingt,  wie  man  es,  abgesehen 
von  der  eigentlichen  Ptosis,  in  gewissem  Maasse  bei  vielen  Üonjunctival- 
und  sonstigen  Augenentzündungen  findet,  auszuschliessen;  auch  ist  darauf 
zu  achten,  dass  nicht  ein  Schwimd  des  orbitalen  Fettzellgewebes,  der 
sich  allerdings  mit  Ophthalmomalacie  verknüpfen  kann,  die  alleinige 
Ursache  der  scheinbaren  Verkleinerung  bilde.)  Bisweilen  tritt  die  Oph- 
thalmomalacie nach  schweren  Krankheiten  (Typhus)  ein. 

Ich  hatte  Gelegenheit,  in  einem  Falle  die  factische  Verkleinerung  des  Bulbus 
bei  der  Section  volumetrisch  nachweisen  zu  können:  es  bestand  gegen  den  ge- 
sunden Bulbus  eine  Differenz  von  IV2  cc.  Wasser.  Auch  das  Fettzellgewebe  war 
verringert.  Im  Gehirn  waren  die  oberen  Schichten  des  linken  Thal,  opticus  auf- 
fallend weich.  Am  Ilalssympathicus  fanden  sich  keine  wesentlichen  Abnormitäten. 
In  einem  zweiten  Falle,  wo  ich  neben  Ptosis  und  Miosis  linksseitige  Ophthal- 
momalacie beobachtet  hatte,  zeigte  die  Section  chronische  Meningitis  an  der  Con- 
vexität  des  Gehirns  neben  einem  frischen  Extravasate  im  rechten  Thal,  opticus 
und  Corp.  striatum.  Giovanni  hat  in  einem  ähnlichen  Falle  Sclerose  des  be- 
treffenden lüdssympnthicus  mit  Atrophie  der  Ganglienzellen  gefunden.  Fs  scheint, 
dass  sowohl  cerebrale  Affectionen  als  solche  des  Ilalssympathicus.  zumal  auch  die 
einzelnen  Fälle,  besonders  bezüglich  des  gleichzeitigen  Vorhandenseins  der  Miosis 
und  Ptosis.  Verschiedenheiten  zeigen,  als  ursächliche  Momente  eine  Rolle  spielen 
können.  Einmal  sali  ich  Ophthalmomalacie  des  linken  Auges  in  Verbindung  mit 
dem  Eorner'schen  Symptomencomplex  bei  einem  jungen  Mann,  wo  tiefgehende 
Balsdrüsen-Packete  auf  den  linken  Sympathicus  drückten. 


Pathologische  Anatomie  der  Linse.  357 


Zweites  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Linse. 


Anatomie  und  pathologische  Anatomie  der  Linse. 

Die  Linse  Hegt  in  der  tellerförmigen  Grube  (Fovea  patellaris)  des 
Glaskörpers  und  ist  in  der  Zonula  Zinnii  (Ligamentum  Suspensorium 
lentis),  die  sich  am  Aequator  (d.  h.  an  der  dem  Corp.  ciliare  zugewandten 
Peripherie)  der  vorderen  und  hinteren  Linsenkapsel  inserirt,  gleichsam 
aufgehängt.  Der  zwischen  den  Fasern  der  Zonula  befindliche  Raum  wird 
als  Canalis  Petitii  bezeichnet.  Die  Linse  hat  beim  Erwachsenen  einen 
meridionalen  Durchmesser  von  circa  10  mm;  und  einen  sagittalen  von 
-t  mm.  Ueber  ihre  Krümmung  und  Brechung  ist  bereits  S.  38  gehandelt. 
Die  Linsenkapsel  bildet  eine  durchsichtige,  glashelle  Membran;  die  vordere 
Hälfte  derselben  besitzt  auf  ihrer  Innenfläche  eine  Epithellage;  welche  bis 
zum  Aequator  reicht.  An  der  hinteren  Fläche  der  Kapsel  kommen  Epithel- 
zellen nach  der  Geburt  nicht  mehr  vor;  da  sie  zu  Linsenfasern  ausge- 
wachsen sind.  Man  kann  die  Kapsel  in  grösseren  Stücken  von  der 
Linse  abziehen.  Bei  Startrübungen  wird  der  Zusammenhang  zwischen 
Kapsel  und  Linsensubstanz  noch  erheblich  lockerer.  An  der  Linse 
älterer  Menschen  unterscheidet  man  eine  weiche  periphere  Schicht 
(Corticalschicht)und  einen  etwas  consistenteren Kern,  der  sich  erst  im 
späteren  Lebensalter  —  etwa  Ende  der  zwanziger  Jahre  —  entwickelt. 
Dieser  durch  eine  mit  Wasserverlust  verknüpfte  Sclerosirung  entstehende 
Nucleus  nimmt  mit  den  Jahren  an  Grösse  beständig  zu.  Die  Linsen- 
substanz besteht  histologisch  aus  glatten  Fasern,  welche  die  Form  lang- 
gestreckter sechsseitiger  Prismen  haben.  Die  Fasern,  welche  der  Rinde 
der  Linse  angehören,  zeigen  häufig  gekörnte  Kerne;  in  den  centralsten 
Theilen  der  Linse  fehlen  dieselben.  Ebenso  ist  ein  Unterschied  in  der 
Randeontour.  Letztere  ist  glatt  in  den  Corticalpartien,  zahnartig  ein- 
gekerbt in  den  centralen.  Es  ist  dies  auf  die  Altersschrumpfung  der 
Fasern  zurückzuführen  (Becker):  die  peripheren,  durch  Auswachsen 
der  Epithelzellen  und  zwar  vorzugsweise  vom  Linsenäquator  her  ge- 
bildeten Linsenfasern  sind  die  jüngeren,  die  centralen  die  älteren.    Die 


:',')S  Erkrankungen  der  Linse. 

Linsenfasern  werden  durch  eine  Kittsubstanz  zusammengehalten.  In- 
dem jede  einzelne  Faser  in  der  Richtung  der  Meridiane  von  der  Vorder- 
zur  Hinterfläche  läuft,  stossen  ihre  Enden  in  den  Linsenpolen  in  der 
Weise  zusammen,  dass  eine  Sternfigur  entsteht.  Dieselbe  hat  beim 
Neugeborenen  an  der  Vorderfläche  die  Form  eines  umgekehrten  Y  (\  ): 
auf  der  Hinterfläche  zeigt  sie  eine  ähnliche,  aber  anders  gestellte  Figur: 
der  gerade  Strich  geht  hier  nach  unten,  die  beiden  anderen  nach  oben. 
Beim  Erwachsenen  wird  die  Figur  dadurch,  dass  die  Hauptstrahlen  sieh 
theilen  und  andere  sich  ihr  anschliessen,  complicirter.  Es  kommt  hier- 
durch  zu  einer,  besonders  bei  Starbildung,  aber  auch  bisweilen  ohne 
diese,  im  höheren  Alter  hervortretenden  Theilung  m  Sectoren,  deren 
Spitze  dem  Linsenpol,  deren  Basis  dem  Linsenäquator  zugekehrt  ist. 
Auch  werden  die  Linsenfasern  später  härter  und  zeigen  eine  mehr  gelb- 
liehe Färbung.  Am  Aequator  bildet  sich  öfter  eine  aus  kurzen,  weissen 
Strichen  zusammengesetzte  Trübung,  welche  analog  der  Randtrübung 
der  Cornea,  als  Gerontoxon  lentis  bezeichnet  wird.  Der  Kern  setzt 
sich  durch  eine  grössere  Härte  und  stärkeren  gelblichen  Reflex  schärfer 
von  der  Cornea  ab.     Der  Wassergehalt  nimmt  ab. 

Die  Ernährung-  der  Linse  geschieht  besonders  durch  die  Uvea;  aber  auch 
der  (daskörper  hat  nach  klinischen  Erfahrungen  darauf  Einfluss.  Magnus,  der 
vorzugsweise  nach  den,  durch  Naphthalin-Fütterung  entstehenden  Katarakten  bei 
Thieren  die  Ernährung  der  Linse  stuclirt  hat,  fand  die  Haupternährungszone  etwas 
hinter  dem  Linsen- Aequator  in  der  Linsenperipherie,  eine  zweite  vor  dem  Aequator 
noch  innerhalb  des  Ansatzes  der  Zonulafasern.  Nach  Schlösser  strömt  die  Nähr- 
rlüssigkeit  vom  Aequator  zum  Centrum  der  hinteren  Kinde,  dann  durch  perinueleare 
Kanäle  nach  vorn  und  verlässt  die  Linse  durch  die  Kapsel  in  einer  vor  dem 
Aequator  liegenden  Zone. 

Pathologische  Anatomie.  Dem  Auftreten  des  Alter  sstares 
gebt  eine  Volumenabnahme  der  Linse  (Priestley  Smith)  voran: 
dieser  folgt  eine  Volumenzunahme,  indem  bei  reifender  Katarakt  eine 
Vermehrung  des  Wassergehaltes  eintritt.  Auch  der  Cholestearingehalt 
(Z ehender,  Jacobson)  ist  erhöht,  während  die  Eiweissstoffe  sich  ver- 
ringern (Michel).  Mikroskopisch  lässt  sich  stets  eine  von  den  intra- 
eapsulären  Zellen  ausgehende  Neubildung  von  Zellen  nachweisen,  die 
als  Wucherung  des  Kapselepithels,  eventuell  mit  Ausgang  in  Kapsel- 
star, ferner  in  der  Gestalt  bläschenartiger  Zellen  und  als  epithelartiger 
Ueberzug  an  der  Innenfläche  der  hinteren  Kapsel  zu  Tage  ti'itt 
(Becker).  Mit  diesen  progressiven  oder,  wenn  man  will,  entzündlichen 
Vorgängen,  verbinden  sieb  regressive.  Die  Linsenfasern  atrophiren 
und  verringern  ihr  Volumen.  Es  bilden  sich  Lücken,  in  denen  abnorme 
.Mengen  von  Flüssigkeiten  sich  ansammeln.  Dieselben  können  durch- 
scheinende kugelförmige  Gerinnungen  (sogenannte  Morgagni'sche 
Kugeln)   oder  auch  algenförmig  getheilte,   durchscheinende,  faserartige 


Pathologische  Anatomie  der  Linse.  359 

Formationen  bilden.  Die  eigentlichen  Linsenfasern  zeigen  punktförmige 
moleculare  Trübung,  Tröpfchen,  Querstreifen,  Aufquellung,  schliesslich 
tritt  molecularer  Zerfall  ein  mit  Fett,  Cholestearinkrystallen  und  Kalk- 
kömern. 

Beim  S c lach tstar  finden  sich  in  der  getrübten  Zone  grössere  und 
kleinere  mit  Detritus  und  Myelintropfen  gefüllte  Vacuolen,  die  auch  im 
Kern  nicht  ganz  fehlen. 

Die  Kapselkatarakte  entstehen  nach  zwei  Typen.  Es  bilden 
sieh  streifenartige  oder  drusenförmige  Verdickungen  auf  der  Innenseite 
der  Linsenkapsel,  die  theils  hell  und  durchsichtig  wie  die  Kapsel  selbst, 
theils  mehr  gelblich  aussehen  und  mit  helleren  und  dunkleren  Flecken 
und  Zellen  versehen  sind  (FI.  Müller).  Diese  Drusen  gehen  aus  den 
Epithelzellen  hervor  (Becker).  Eine  andere  Form  von  Kapselkatarakt 
entsteht  durch  Auswachsen  des  protoplasmatischen  Zellenleibes  der 
Epithelien;  es  bilden  sich  dabei  spitze  Fortsätze,  welche  sich  in  die 
Kapsel  hineinschieben.  Daneben  finden  sich  Kerne  und  runde  Epithel- 
zellen.  Auch  findet  man  dicht  der  Kapsel  anliegend  öfters  eine  durch- 
scheinende helle  Schicht,  die  durch  Kapselspaltung  (Becker)  entstanden 
ist  Die  ganze  Masse  der  Kapselkatarakt  kann  durch  Bildung  neuer 
Schichten  von  Zwischensubstanz  das  Aussehen  des  Bindegewebes  an- 
nehmen (Manfredi).  Nach  innen  zu  wird  die  Kapselkatarakt  in  ihrer 
ganzen  Ausdehnung  oder  nur  an  ihren  Rändern  von  emporgehobenen 
normalen  Epithelzellen  bekleidet. 

Xach  Beck  er 's  Ansicht  gehen  auch  die  durch  entzündliche  Pro- 
eesse  im  Auge  (Hornhauteiterungen,  eitrige  Pupillarauflagerungen)  ent- 
standenen Kapselkatarakte  aus  einer  Proliferation  des  Kapselepithels 
hervor.  Ein  directes  Eindringen  von  Eiterkörperchen  in  die  Linse  kann 
durch  Usur  der  Kapsel  bei  entzündlichen  Processen  stattfinden;  selbst 
rothe  Blutkörperchen  sind  in  dem  fettig  metamorphosirten  Detritus  einer 
congenitalenKatarakt  gefunden  worden  (B  o  c  k).  Ebenso  wurden  Knochen- 
bildungen beobachtet,  aber  nie  bei  intacter  Kapsel  (Becker). 

Bei  traumatischen  Staren  in  Folge  eines  Einrisses  in  der  vor- 
deren Kapsel  finden  sich  anfänglich  in  den  Linsenfaser  enden  der  ganzen 
Vorderfläche  Vacuolen;  weiter  bildet  sich  in  der  hinteren  Corticalis  und 
in  einer  perinuclearen  Zone  ein  mit  kleinkörniger  Masse  gefülltes 
Lückensystem.  Xoeh  später  quellen  die  Linsenfasern  auf,  und  es  ent- 
leeren sich  Myelinkugeln  unter  die  Kapsel  und  in  die  vordere  Kammer. 
Alier  alle  diese  Veränderungen  sind  noch  reparabel,  und  es  kann  wieder 
Klärung  eintreten  (Schlösser,  Schmidt-Rimpler). 

Die  senile  Startrübung  beginnt  meist  in  den,  vor  imd  hinter  dem 
Linsenäquator  concentrisch  verlaufenden  Zonen  (Schön,  Magnus), 
welche,    wie    oben    erwähnt,    dem    stärksten   Nährstrom    entsprechen; 


360  Erkrankungen  der  Linse. 

seltener  vom  Kernäquator  aus.  Sie  tritt  in  der  Form  von  mit  Flüssig- 
keit gefüllten  Spalträumen  auf;  welche  Tropfen-,  Birnen-  und  Spindel- 
gestalt zeigen. 

1.  Cataracta. 
I.  Allgemeine  Diagnose.    Reife. 

Die  als  grauer  Star  (Katarakt)  bezeichnete  pathologische  Ver- 
änderung der  Linse  ist  charakterisirt  durch  das  Auftreten  von  trüben 
Massen  an  Stelle  der  sonst  durchsichtigen  Substanz.  Schon  bei  Tages- 
licht nimmt  man  gröbere  Veränderungen  wahr,  wemTsie  in  den  vorderen 
Linsenpartien  ihren  Sitz  haben;  das  Pupillargebiet  erscheint  nicht  schwarz, 
sondern  ganz  oder  stellenweise  getrübt,  grau  oder  weiss.  Doch  bedarf 
es  stets  der  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  und  mit  schiefer  Be- 
leuchtung, um  sich  vor  Täuschung  zu  schützen.  Für  gröbere  Trübungen 
genügt  einfach  das  Hineinwerfen  des  Lichtes  mit  dem  Augenspiegel. 
Bleibt  die  ganze  Pupille  undurchsichtig,  so  wird  alles  Licht  von  der 
Linse  reflectirt  oder  absorbirt;  sieht  man  grauschwärzliche  Flecke, 
Kugeln,  Striche  in  dem  Pupillenroth,  so  sind  nur  einzelne  Partien  un- 
durchgängig.  Um  sehr  kleine  und  durchscheinende  Linsentrübungen  und 
Tropfenbildungen  zu  erkennen,  geht  man  mit  einem  Augenspiegel, 
hinter  den  eine  starke  Convexlinse  (Magnus'  Lupenspiegel)  gelegt  ist, 
dicht  an  das  Auge  heran:  es  ist  etwas  schwierig  hierbei  die  richtige 
Entfernung  und  beste  Beleuchtung  zu  gewinnen.  Gelingt  dies  aber 
—  am  leichtesten  bei  mydriatischer  Pupille  — ,  so  bekommt  man  einen 
vollen  und  oft  überraschenden  Ueberblick  über  alle  vorhandenen  Trü- 
bungen. Die  schiefe  Beleuchtung,  eventuell  unter  Benutzimg  der 
Westien-Zehender'schen  oder  Czapki-Schanz'schen  binoeularen 
Lupe,  lässt  in  ähnlicher  Weise  die  gröberen  Details  erkennen,  gestattet 
aber  nur  eine  kleinere,  nämlich  die  gerade  schief  beleuchtete  Stelle 
mit  einem  Blick  zu  übersehen.  Im  Uebrigen  wird  man  immer  auch 
die  schiefe  Beleuchtung  heranziehen,  wenn  man  sich  über  die  Lage 
und  Art  der  Trübungen,  welche  beim  Einwerfen  des  Lichtes  mit  dem 
Augenspiegel  Schatten  im  Pupillarroth  veranlassen,  sicher  unterrichten 
will,  da  mit  ihr  Hornhautrlecke,  Kapselauflagerungen  und  die  ver- 
schiedenen Färbungen  der  Linsentrübungen  am  besten  erkannt  werden. 
Allein  jedoch  gestattet  die  schiefe  Beleuchtung  nicht  immer  mit  Sicher- 
heit die  Diagnose  einer  pathologischen  Linsentrübung,  da  bei  ihrer 
Anwendung,  ebenso  wie  auch  bei  Tagesbeleuchtung,  besonders 
bei  alten  Leuten,  der  Kern  oder  auch  einzelne  Sectoren  der  Linse, 
selbst  das  ganze  Linsensystem  öfter  in  einer  Weise  reflectiren,  die  voll- 
kommen pathologisch   erscheint,    während   man   mit   dem  Augenspiegel 


Katarakt.  3(51 

ganz  unverschleiert  die  Details  des  Augeimintergrundes  erkennen  kann. 
Aber  mir  die  Trübungen,  welche  dem  durchfallenden,  mit  dem  Augen- 
spiegel hineingeworfenen  Licht  ein  Hinderniss  bereiten,  also  den  Reflex 
des  Augenhintergrundes  in  irgend  welcher  Weise  aufheben  oder  be- 
einträchtigen,  können  als  pathologisch  betrachtet  werden. 

Zeigen  sieh  bei  der  schiefen  Beleuchtung  die  vorderen  brechenden 
Medien  einschliesslich  der  Linse  klar,  so  rühren  die  etwa  vorher  ophthal- 
moskopisch gesehenen  Schatten  oder  dunkleren  Flecke  auf  dem  rothen 
Augenhintergrund  von  umschriebenen  Glaskörpertrübungen  her.  Auch 
abnorme  Pigmentanhäufungen  in  der  Chorioidea  können  gelegentlich  als 
dunklere  Punkte  im  Pupillenroth  erscheinen;  die  detaillirte  Untersuchung 
des  Augenhintergrundes  wird  über  ihren  Ursprung  Auskunft  geben. 

Will  man  zu  einer  durchaus  exacten  Diagnose  betreffs  der  Linsen- 
trübungen kommen,  so  rnuss  man  stets  die  Pupille  durch  ein  Mydriaticum 
i  etwa  Euphthalmin  i  erweitern,  um  die  peripheren  Partien  frei  zu  legen. 

Die  Trübung  ist  umschrieben  oder  total.  Es  kann  der  Kern 
der  Linse  allein  getrübt  sein  (Kernstar),  während  die  Corticalis  noch 
frei  und  durchsichtig  ist.  In  anderen  Fällen  ist  letztere  getrübt  (C  o  r  t  i  - 
calstar)  imd  ersterer  frei.  An  der  Lage  der  Trübung  lässt  sich  dies 
leicht  erkennen,  da  eine  in  der  Mitte  der  Linse  gelegene,  in  der  Regel 
etwas  gelbliche  oder  leichtbräunliche  Trübung,  ohne  dass  sectorenförmige 
Abtheilungen  darin  hervortreten,  den  Kernstar  kennzeichnet.  Der 
Cortiealstar  nimmt  die  peripheren  Partien  ein,  zeigt  meist  eine  mehr 
grauweisse  Färbung  und  sectoren-  oder  strichförmige,  bisweilen  auch 
pimkt-  und  fleckförmige  Trübungen.  Sind  beide  Theile  der  Linse  be- 
fallen, wie  in  der  Regel  im  höheren  Lebensalter,  so  wird  die  Kern- 
trül  rang  durch  die  vorliegenden  Corticalmassen  oft  verdeckt  und  ist  nur 
durch  die  im  Centrum  sitzende,  etwas  gesättigtere  gelbliche  Färbung 
(besonders  bei  erweiterter  Pupille  und  auffallendem  Tageslicht  wahr- 
nehmbar) zu  diagnosticiren.  In  seltenen  Fällen  ist  selbst  bei  älteren 
Individuen  der  Kern  ganz  milchweiss,  von  ähnlichein  Aussehen  wie  die 
Trübungsstreifen  der  Corticalis. 

Vor  dem  30.  Lebensjahre  finden  sich  in  der  Regel  keine  harten 
Kerne  im  Star,  nach  dem  45.  Lebensjahre  enthält  der  Star  fast  immer 
einen  Kern.  In  diesem  höheren  Lebensalter  haben  die  Kataraktkerne 
einen  Durchmesser  bis  zu  8  mm  und  eine  Dicke  von  circa  3  mm.  Der 
ganze  in  der  Kapsel  extrahirte  Star  hat  durchschnittlich  einen  Durch- 
messer von  9  mm  und  eine  Dicke  von  4  mm.  Sein  Gewicht  ist  geringer 
als  das  normaler  Linsen,  0-13 — 0-19  Gramm  (Nagel). 

Aligesehen  von  gewissen  stationär  bleibenden  Formen  mit  partieller 
Trübung,  pflegt  meist  eine  allmähliche  Ausbreitung  der  Trübung  einzu- 
treten.     Man   nennt   dies    das   Reifen    des    Stares.      Wie   lange    es 


362 


Erkrankungen  der  Linse. 


dauert,  bis  ein  Star  vollkommen  reif  oder,  was  in  der  Meinung  des 
Patienten  gleichbedeutend  ist,  operationsfahig  wird,  ist  nicht  mit  Sicher- 
heit zu  bestimmen.  Am  ehesten  ist  auf  schnellere  Zunahme  der  Trübung 
zu  rechnen,  wenn  breite  opaleseirende  Seetoren  in  der  Corticalis  vor- 
handen sind.  Auch  bei  jugendlichen  Individuen  oder  bei  Allgemeinleiden 
i  I  Habetes,  Schwächezuständen)  kommt  es  früher  zu  einer  vollkommenen 
Trübung.  Es  giebt  aber,  wie  weiter  unten  zu  ersehen,  gewisse  Starformen, 
die,  trotzdem  noch  sehr  viele  durchsichtige  Theile  vorhanden  sind,  demi- 
noch  sich  leicht  aus  der  Kapsel  entleeren  lassen  und  so  im  Sinne  der 
Operationsfähigkeit  als  reif  betrachtet  werden  können. 

Im  ersten  Stadium  der  sich  entwickelnden  Starbildung  (Cat.  inci- 
piens)  bemerkt  man  nur  einzelne  Trübungen  in  der  sonst  durchsichtigen 
Linse,  die  Kammer  hat  ihre  normale  Tiefe.    Dann  aber  nimmt  die  Linse 

an  Volumen  zu  (Cat.  in  turne  scens  s.  im- 
niatura),  sie  wird  in  grösserer  Ausdehnung 
trübe,  meist  zeigt  sie  breite,  weissliche, 
opaleseirende  Sectoren.  Die  der  Kapsel  zu- 
nächst liegenden  Partien  bleiben  anfänglieh 
noch  durchsichtig. 

Als  werthvolles  Zeichen  hierfür  dient 
der  Schlagschatten  der  Iris.  Befindet  sich 
seitlich  in  L  (Figur  119)  eine  Lichtquelle, 
so  werden  von  dieser  aus  die  Strahlen  La 
und  Lc  in  die  Pupille  fallen.  Das  Auge 
U9.  des    Beobachters    B    wird    alsdann    hinter  e 

einen    schwarzen    Schatten    sehen,    den    die 


Iris    auf    die    Linsentrübung    d   wirft, 


Ist    hingegen  letztere   so  weit 


nach  vorn  vorgeschritten,  dass  sie  die  Kapsel  und  Iris  erreicht,  so 
fällt  der  schwarze  Zwischenraum  fort:  die  Iris  liegt  dicht  und  un- 
getrennt auf  der  grauen  Linsentrübung.  Es  ist  hierdurch  die  Starreife 
festgestellt.  Man  hüte  sich  übrigens,  den  nicht  selten  zu  beobachtenden 
feinen,  schwarzen  Saum  am  Pupillenrande  der  Iris,  der  durch  das  Her- 
vortreten des  hinteren  Pigmentblattes  bedingt  ist,  für  den  Schlagschatten 
anzusehen.  Auch  ist  weiter  zu  beachten,  dass  in  einzelnen  Fällen,  wo 
bei  ganz  schiefem  Hineinsehen  deutlich  zu  constatiren  ist,  dass  die 
Trübung  dicht  unter  der  Kapsel  liegt,  dennoch  ein  Schlagschatten  be- 
steht.  Hier  hat  nämlich  die  Linsensubstanz  (besonders  der  stark  ver- 
grösserte  Kern)  eine  mehr  bernsteinartige  Durchsichtigkeit  statt  der 
gewöhnlichen  grauweisslichen  Färbung  angenommen,  und  lässt  deshalb 
das  Licht  tiefer  einfallen.  In  diesen  Füllen  pflegt  auch  noch  ein  ge- 
wisser  röthlicher  Reflex  hei  der  ophthalmoskopisches  Untersuchung  vom 
Augenhintergrunde  her  zu  kommen. 


Katarakt.  363 

Durch  die  Dickenzunahme  der  Linse  wird  die  Iris  nach  vorn  ge- 
drängt und  die  vordere   K;unmer  eng. 

AU  reif  (Cat.  matura)  bezeichnet  man  den  Star  dann,  wenn  das 
ganze  Linsensystem,  also  der  ganze  Inhalt  der  Linsenkapsel  eine  patho- 
logische Veränderung,  die  sich  durch  den  Verlust  der  normalen  Durch- 
sichtigkeit kennzeichnet,  eingegangen  ist.  Die  Kammer  hat  jetzt  wieder 
ihre  normale  Tiefe,  der  Schlagschatten  fehlt.  —  In  der  Regel  hat  diese 
totale,  bis  zur  Kapsel  sich  erstreckende  Trübung  zur  Folge,  dass  nach 
einem  Einreissen  der  Linsenkapsel,  wie  es  bei  der  Starextraction  aus- 
geführt wird,  die  getrübte  Linse  sich  wie  eine  reife  Frucht  aus  der 
Schale  entleert,  ohne  dass  Reste  an  der  Kapsel  haften  bleiben,  die  sich 
noch  nachträglich  trüben  oder  autquellen.  Doch  kommen  Ausnahmen 
vor:  ist  beispielsweise  die  Corticalis  breiig-weich,  so  pflegen  trotz  voll- 
ständiger Trübung  dennoch  Reste  haften  zu  bleiben.  Andererseits  ent- 
leeren sich  leicht  und  vollständig  auch  unreife  Stare:  so  Linsen  mit 
dunkelgelbem  Kern  und  durchsichtiger,  mit  schmalen  Streifen  durchsetz- 
ter Corticalis;  ferner  solche,  welche  zwischen  massenhaften,  strich-  und 
punktförmigen  Trübungen  noch  kleinste  durchsichtige  Lins  entheil  chen 
zeigen  (Alfr.  Grraefe),  und  gewisse  Corticalstare  mit  hinterer,  schalen- 
förmiger Trübimg,  die  in  den  vorderen  Partien  Verhältnis smässig  unge- 
trübt sind.  Ueberhaupt  gelingt  die  Entleerung  der  Stare,  selbst  wenn 
sie  noch  durchsichtige  Partien  enthalten,  bei  Individuen  über  60  Jahre 
meist  ausreichend.  Auch  Katarakte  jugendlicher  Individuen  mit  milchig- 
weissem  Kern  imd  opalescirenden  Corticalspeichen,  zwischen  denen  noch 
durchsichtige  Massen  Hegen,  pflegen  leicht  aus  der  Kapsel  herauszugehen. 

Xach  der  Reifimg  des  Stares  tritt  ein  regressiver  Process  ein;  die 
während  der  Reifimg  sich  blähende  und  vergrössernde  Linse  verkleinert 
sich  wieder  und  schrumpft.  Der  Star  ist  überreif  (Cataracta  hyper- 
matura). 

Hier  kann  von  Xeuem  der  Schlagschatten  auftreten,  wenn  bei 
der  Schrumpfung  das  getrübte  Linsensystem  etwas  von  der  Iris  ab- 
rückt imd  so  ein  Zwischenraum  entsteht.  Es  sind  dann  noch  weitere 
Momente  heranzuziehen,  um  den  unreifen  von  dem  überreifen  Star  zu 
unterscheiden.  So  die  grössere  Tiefe  der  vorderen  Kammer  und  das 
Aussehen  der  Katarakt  selbst.  Oefters  zeigt  sich  auch  Irisschlottern 
(Iridodonesis),  da  die  Regenbogenhaut  ihre  Unterlage  verloren  hat. 
Ferner  pflegt  das  Aussehen  einer  überreifen  Katarakt  ziemlich  charak- 
teristisch zu  sein.  Es  finden  sich  in  der  Corticalis  unregelmässige,  in- 
tensiv weissliche  Striche  und  Punkte,  während  die  regelmässigen,  mehr 
grauen  und  opalescirenden  Sectoren  abnehmen  oder  ganz  schwinden. 
In  anderen  Fällen  ist  beim  überreifen  Star  eine  totale  Verflüssigung 
der   Corticalis   eingetreten,   so   dass   eine  weissliche,  milchige  Trübung 


364  Erkrankungen  der  Linse. 

ohne  oder  doch  mit  nur  wenigen  punkt-  oder  strichförmigen  Form- 
elementen sich  zeigt.  Auch  pflegen  Kapseltrübungen  eher  den  überreifen 
Star  zu  befallen. 

Die  Kapsel stare  charakterisiren  sich  durch  eine  meist  intensiv 
Aveisse  Färbung  und  flächenartige  Ausdehnung;  am  besten  kann  man 
sie  ihrem  Aussehen  nach  'mit  einem  Stückchen  weisses  Papier  ver- 
gleichen, das  bald  mehr,  bald  weniger  gross,  öfter  mit  unregelmässig 
gezackten  Rändern,  im  Pupillengebiet  liegt. 

II.  Partielle,  nicht  fortschreitende  Linsentrübungen. 

Umschriebene  Trübungen,  bei  sonst  vollständig  freier  und  durch- 
sichtiger Linsensubstanz  sind  nicht  so  gar  selten.  Wenn  man  sie  bei 
jugendlichen  Individuen  trifft  —  bisweilen  als  kleine  Punkte  und  Striche 
(Cat.  punctata  und  striata)  — ,  so  kann  man  sie  in  der  Regel  als 
angeboren  betrachten,  und  es  liegt  kein  Grund  vor,  eine  weitere  Trü- 
bung der  übrigen  Linsensubstanz  zu  befürchten,  da  sie  meist  zeitlebens 
unverändert  bestehen  bleiben.  Es  trifft  das  vor  Allem  dann  zu,  wenn 
sie  sehr  intensiv  und  scharf  abgegrenzt  sind.  Ist  die  Färbung  mehr 
grau  oder  opalescirend,  auch  die  Zwischensubstanz  nicht  vollkommen 
klar,  so  liegt  eher  Verdacht  auf  weiterschreitenden  Star  vor;  man  wird 
dann  längerer  Beobachtungszeit  bedürfen,  um  zur  Klarheit  zu  kommen. 
Aber  selbst  bei  älteren  Individuen  können  einzelne  weisse  Striche  und 
Sectoren  Jahre  lang  bestehen,  ohne  dass  eine  weitere  Trübung  eintritt. 
Bei  Personen  in  sehr  hohem  Lebensalter  —  über  75  und  80  Jahr  - 
linden  sich  partielle  Trübungen  in  der  Linsenperipherie  sogar  recht 
häufig.  Die  Zahl,  in  der  diese  partiellen  Linsentrübungen  auftreten, 
ist  eine  sehr  verschiedene:  von  einem  kleinen  weisslichen  Sector,  Strich 
oder  Punkt,  bis  zu  zahlreichen,  die  Linse  durchsetzenden. 

Besonders  hervorzuheben  sind:  1)  der  stationäre  Kernstar,  der 
als  eine  weissliche,  kugelige  Trübung  bei  jugendlichen  Individuen  zu- 
weilen vorkommt.  2)  Der  vordere,  centrale  Kapsellinsenstar. 
Hier  besteht  dem  vorderen  Pole  der  Linse  entsprechend  eine  rund- 
liche, meist  stecknadelkopfgrosse,  weisse  Trübung,  die  sich  noch  etwas 
in  die  Linsensubstanz  erstreckt.  Bisweilen  ragt  auch  die  trübe  Masse, 
welche  aber  immer  von  der  Linsenkapsel  überzogen  wird,  in  die  vordere 
Kammer  hinein  und  bildet  so  eine  kleine  Pyramide  (Cat.  pyramidalis). 
Diese  Starform  entsteht  öfters  nach  einer  Blennorrhoe  bei  Neugeborenen 
und  ihr  Sitz  mitten  in  der  Pupille  spricht  dafür,  dass  sie  durch  directe 
Scliiidlichkciten,  welche  diese  Stelle  der  Linse  trafen,  bedingt  wurde. 
So  liegt  beispielsweise,  wenn  in  Folge  der  Perforation  eines  Hornhaut- 
geschwiüs  die  vordere  Kammer  längere  Zeit  fistelt,  gerade  der  Linsen- 


Partielle,  nicht  fortschreitende  Linsentrübungen.  365 

pol  der  Hornhaut  an,  selbst  noch  zu  einer  Zeit,  wo  man  bereits  in  der 
Kammerperipherie   durch  Ansammlung  des  Kammerwassers   einen  ge- 
wissen Zwischenraum    zwischen  Hornhaut    und  Iris  wahrnehmen  kann. 
Wenn  ausserdem  eitriges  Secret  sich  in  der  Kammer  befindet,  so  wird 
bei  der  Enge  der  Pupille,  wie  sie  selbst  nach  Atropinisirung  bei  Neu- 
geborenen   oft   besteht,    gerade    und   allein    der   centralste   Linsentheil 
davon  bedeckt  werden.     Es   erklärt   sich   so   das  Zustandekommen   des 
centralen  Kapsellinsenstars,    selbst   wenn   das    Hornhautgeschwür   sich 
nicht  direct  dem  Linsenpole  gegenüber  befand.    Dass  dieser  Star  sich 
auch  ohne  Hornhautperforation  nach  Blennorrhoen  entwickeln  könne,  wie 
Einige   meinen,    scheint   nur   dann  annehmbar,  wenn    eitrige  Pupillar- 
exsudate  längere  Zeit  vorhanden  waren.    3)  Die  hintere  Polarkata- 
rakt.    Hier   findet    sich  eine   weissliche    oder   weisslichgelbe   Trübung 
mit  nach  vorn  gerichteter  Concavität  am  hinteren  Linsenpol.    Da  nicht 
selten  Glaskörperairectionen   bei    dieser  Kataraktbildung   bestehen,    so 
ist  auch  ein  weiteres  Fortschreiten  der  Trübung  relativ  häufig.    4)  Der 
Spindelstar  (Cat.  fusiformis);  es  durchsetzt  eine  spindel- 
förmige Trübung   die  ganze  Linse  quer  vom  vorderen  zum 
hinteren    Pol    ziehend.      5)   Der    Schichtstar    (Cataracta 
zonularis  s.  perinuclearis).      Den  freien  Kern  der  Linse 
schalenförmig     umgebend     findet    sich     eine    grauweissliche 
Schicht  getrübter,    centraler   Corticalsubstanz,    die  wiederum 
von  der  Kapsel  durch  eine  durchsichtige,  periphere  Linsenlage 
getrennt   ist    (Figur  120).      Der   Rand   der  Trübung  ist  von         120. 
vorn  gesehen  kreisförmig;  zuweilen  liegen  ihm  kleine  Zacken 
auf,  welche  in  die  durchsichtige,  periphere  Linsensubstanz  hineinragen. 
In  seltenen  Fällen  umkränzt  auch,  durch  eine  schmale  Linie  durchsich- 
tiger Substanz  getrennt,    eine  zweite  oder  dritte  grauweisse  kreislinien- 
fömiige  Trübung  die  centrale. 

In  der  Trübimg  lassen  sich  in  der  Regel  ziemlich  breite  zum  Theil 
opalescirende  Sectoren  wahrnehmen.  Das  Centrum  ist  etwas  durch- 
scheinender als  die  Peripherie,  wo  bei  dem  dichten  Aufeinanderliegen 
der  getrübten  Schichten  eine  stärkere  Lichtabsorption  stattfindet.  Keinen- 
falls  zeigt  sich  wie  bei  Kerntrübungen  eine  stärkere  Litensität  oder  dunklere 
Färbung  der  centralen  Starpartie.  Hierdurch  kann  man  den  Schicht- 
star leicht  vom  Kernstar  unterscheiden.  Die  Grösse  und  Durchsichtig- 
keit des  Schichtstars  ist  sehr  verschieden  und  damit  natürlich  auch  der 
Grad  der  Sehstörung.  Zuweilen  ist  die  Trübimg  nur  3  bis  4  mm  im 
Durchmesser  gross,  bisweilen  erstreckt  sie  sich  bis  nahe  an  den  Aequator 
der  Linse.  Je  breiter  das  peripher  durchsichtige  Gebiet,  um  so  besser 
das  Sehvermögen.  L^m  die  Grösse  desselben  vollkommen  zu  übersehen, 
bedarf   es    der  künstliehen  Mydriasis.    Bei  kleinen  Schichtstaren  kann 


36(3  Erkrankungen  der  Linse. 

es  geschehen,  dass  die  Patienten  ein  vollkommen  genügendes  Sehver- 
mögen haben  und  keine  Veranlassung  linden,  zum  Arzt  zu  gehen.  Ver- 
engert sieh  aber  im  höheren  Lebensalter  die  Pupille,  so  wird  die  durch- 
sichtige, periphere  Linsenpartie  immer  mehr  von  der  Iris  bedeckt  und 
die  hierdurch  bedingte  Verschlechterung  des  Sehens  lässt  die  Kranken 
alsdann  Hülfe  suchen.  Wenn  der  Arzt  hier  nicht  die  Pupille  ordentlich 
erweitert  und  das  ganze  Linsensystem  genau  untersucht,  kann  er  leicht 
fälschlich  zu  der  Diagnose  eines  Kernstares  gelangen,  da  die  Entwick- 
lung dieses  ja  dem  höheren  Lebensalter  entsprechen  würde. 

Der  Schichtstar  kommt  angeboren  vor  oder  entwickelt  sich,  wie 
wohl  meistens,  in  den  ersten  Lebensjahren.  Besonders  häufig  wird  er  bei 
Kindern  beobachtet,  die  an  Zahnkrämpfen  gelitten  haben,  so  dass  eine 
durch  die  Trigeminusreizung  bedingte  reflectorische  Ernährungsstörung 
der  Linse  als  Ursache  anzunehmen  ist.  Da  das  Wachsen  der  Linsen- 
fasern von  dem  Aecmator  her  erfolgt,  so  würde  sich  bei  einer  tempo- 
rären Ernährungsstörung  um  die  vorhandene,  durchsichtige  Linsensub- 
stanz eine  periphere  Schicht  getrübter  Masse  legen.  Hört  die  Ernährungs- 
störung auf,  und  wird  wieder  normale  Linsensubstanz  gebildet,  so  ent- 
steht um  die  trübe  Masse  eine  durchsichtige.  So  erklärt  sich  die 
eigenthümliche  Schichtform.  Dass  der  Schichtstar  besonders  häufig, 
gleichzeitig  mit  Anomalie  der  Zähne  (Homer),  bei  Rhachitis  vorkommt,. 
ist  nicht  erwiesen;  aber  auch  in  diesen  Fällen  scheinen  Krämpfe 
(Tetanie)  die  directe  Veranlassung  zu  geben  (Peters). 

Die  Kapselstare  pflegen,  wenn  sie  sich  primär  entwickeln,  meist 
stationär  zu  sein.  So  etwa  als  Folge  kleiner  Verletzungen,  oder  wenn 
bei  Iritis  oder  Hornhautulcerationen  eitrige  Massen  der  Linse  längere 
Zeit  aufliegen  oder  wenn  Verklebungen  mit  der  Iris  oder  Cornea  vor- 
handen sind.  Auch  die  sich  anschliessenden  Trübungen  der  nächstan- 
grenzenden Corticalpartien  haben  meist  einen  stationären  Charakter.  — 

Die  Sehstörungen,  welche  die  partiellen  Starformen  hervor- 
rufen, sind  vorzugsweise  von  ihrer  Durchsichtigkeit,  ihrer  Ausdehnung 
und  ihrem  Sitze  abhängig.  Je  mehr  peripher  sie  sind,  um  so  weniger 
werden  sie  einen  nachtheiligen  Einfluss  üben.  Aber  selbst  bei  cen- 
tralerem   Sitz  kann  ein  vollkommen  genügendes  Sehvermögen  bestellen. 

Therapie.  Viele  der  liicrhergehörigen  Formen  bedürfen  keiner 
besonderen  Behandlung.  Sollten  zerstreut  sitzende  Trübungen  ganz 
ungewöhnlich  zahlreich  und  störend  sein,  so  kann  man  überlegen,  ob 
man  nicht  durch  die  Entfernung  *\v^  Linsensystems  ein  brauchbares 
Seilen  schaffen  könne. 

Bei  jugendlichen  Individuen  wird  man  zunächst  künstlich  die  Re- 
sorption einzuleiten  suchen,  indem  man  durch  einen  operativen  Kapsel- 
riss  (Discissio)  dem  Kammerwasser  Zutritt  schafft.     Ks  tritt  dann  all- 


Partielle,  nicht  fortschreitende  Linsentrübungen.  o(>7 

mählich  eine  Quelhmg  und  Trübung  auch  der  bis  dahin  ungetrübten 
Massen  ein;  welche  so  vorbereitet  von  dem  zutretenden  Kammerwasser 
resorbirt  werden.  Man  geht  mit  einer  Discissionsnadel  (Figur  121), 
etwa  2  mm  vom  durchsichtigen  Rande  einstechend,  durch  die  Cornea  in 
die  vordere  Kammer  und  macht  bei  atropinisirter  Pupille  einen  Kreuz- 
schnitt in  die  Linsenkapsel.  Andere  bevorzugen  den  Einstich  im  Scleral- 
limbus.  Gewöhnlich  erfordert  die  Resorption  der  Linse  bei  nicht  über- 
stürztem Verlaut"  6 — 8  Wochen.  Bei  den  Linsen  älterer  Individuen 
(etwa  über  das  20.  Lebensjahr  hinaus)  ist  die  Resorption  noch  lang- 
samer und  wegen  der  stärkeren  Entwickelung  des  Kernes  unvollstän- 
diger; auch  ist  die  Gefahr  einer  durch  die  quellende  und  reizende 
Linsensubstanz  hervorgerufenen  secundären  Iritis  grösser.  Man  wird 
daher  hier,  nachdem  man  eine  vollständige  Trübung  der  Linse  eben- 
falls durch  Discission  erreicht  hat,  möglichst  bald  die  Heraus- 
nahme der  Starmassen  folgen  lassen.  Dies  Verfahren  ist 
auch  bei  jugendlichen  Individuen  angezeigt,  weim  man  Zeit 
ersparen  will  oder  wenn  die  Quellung  zu  heftig  wird  und 
erheblichere  Entzündungserscheinungen  erregen  sollte.  Man 
macht  am  besten  mit  einer  breiten  Lanze  einen  Linear- 
schnitt in  den  Hornhautrand.  Eine  gleichzeitige  Iridectomie 
ist  meist  mmöthig.  Um  das  Herausfüessen  der  gequollenen 
breiigen  Massen  zu  befördern,  drückt  man  das  Lanzenmesser 
nach  hinten  gegen  die  Iris  und  macht  so  die  Wunde  klaffend. 
Vorzugsweise  häufig  erfordert  der  Schichtstar  einen 
operativen  Eingriff,  wenn  durch  den  Sitz  desselben  im  Cen-         121. 

trum    der    Pupille    die    Sehschärfe    besonders    herabgesetzt     Discissious- 

•  •  •  •        t     •      nadel  (st°i)" 

wird.      Hier  wird  man    oft  in  oben  erwähnter  Weise    disci-        needie). 

diren   müssen.      Gelegentlich   kann    sich   auch    die   Extrac- 

tion   (s.  unten)    empfehlen,    da    sie   Zeit    erspart;    jedoch   wende   man 

sie    nur   bei    älteren  und  ruhigen  Kindern  an,   da  sonst  leicht  Compli- 

cationen  (Glaskörperverlust,    unvollständige   Entleerung   etc.)    eintreten 

können.     Wenn  die  Trübung  nicht  zu  gross  ist,  kann  man  auch  durch 

eine  Iridectomie,  welche  eine  freie  periphere  Linsenpartie  (wie  z.  B.  in 

Figur  120)  blosslegt,    genügende   Sehschärfe  schaffen.     Man  hat  dann 

immer  gegenüber  der  Vernichtung  des  Linsensysteins  den  Vortheil,  dass 

das  Accommodationsvermögen  den  Kranken  erhalten  bleibt  und  diese 

nicht  auf  den  Gebrauch  von  Starbrillen  angewiesen  sind,  durchweiche  die 

verloren   gegangene  Brechung    der  Krystalllinse    ersetzt   werden  muss. 

Wieviel    ihnen   eine  zweckentsprechende    Iridectomie    an  Sehvermögen 

schafft,    kann   man   ungefähr  wenigstens  vorher  feststellen,  indem  man 

mit  Homatropin   die  Pupille    stark   dilatirt   und    durch    einen  breiteren 

stenopäischen  Schlitz  alsdann  sehen  lässt.    Bei  der  Iridectomie  wird  ein 


368  Erkrankungen  der  Linse. 

möglichst  schmales  Stück  von  Regenbogenhaut  excidirt  und  der  peri- 
pherste  Theil  derselben  stehen  gelassen.  Es  nähert  sich  dann  die  Oeft- 
nung  einem  Schlitze,  bei  dem  diejenigen  Lichtstrahlen,  welche  durch 
die  äusserste  Linsenpartie  gehen  würden,  durch  den  stehengebliebenen 
Irisrand  noch  abgehalten  werden;  hierdurch  wird  die  Schärfe  des  Netz- 
hautbildes vergrössert.  Aber  nicht  immer  wird  eine  bemerkenswerthe 
Erhöhung  der  Sehschärfe  erreicht;  der  Vortheil  besteht  besonders  darin, 
dass  ein  besseres  Sehen  bei  directem  Lichteinfalle,  wo  früher  durch 
die  Pupillencontraction  die  durchscheinenden  Randpartien  gedeckt 
wurden,  stattfindet.  An  Stelle  der  Iridectomie  kann  man  auch  die 
Iridotomie  machen.  Hier  liegt  jedoch  die  Gefahr  vor,  dass  man  die  Linsen- 
kapsel mit  der  einen,  hinter  die  Iris  geführten  Scheerenbranche  verletzt. 
Um  dies  zu  vermeiden,  hat  Seh  öl  er  empfohlen,  den  Einschnitt  in  die 
Iris  zu  machen,  nachdem  man  sie  nach  aussen  vor  die  Corneawunde 
gezogen  hat  (praecorneale  Iridotomie),  und  sie  dann  wieder  in  das 
Auge  zu  reponiren.  Aber  auch  die  Iridectomie  gestattet  bei  entsprechen- 
der Ausführung,  genügend  kleine  Pupillen  zu  machen. 

III.  Totale  Linsentrübungen. 

Vorzugsweise  ist  es  das  höhere  Lebensalter,  in  dem  sich  ein  totaler 
Star   (Alters star,    Cat.  senilis)    entwickelt.      Vor  dem  40.  Jahre  ist 

derselbe  —  ohne  besondere  ätiologische  Mo- 
mente —  verhältnissmässig  selten;  doch 
kommt  totale  Katarakt  selbst  angeboren  vor. 
Die  Consistenz  der  Corticalis  ist 
verschieden.  Man  kann  unterscheiden:  eine 
breiige  (etwa  dem  Buchbinderkleister  ent- 
sprechend), eine  harte  (dem  Wachs  sich 
nähernd)  und  eine  flüssige  Beschaffenheit. 
Bei  der  Herausnahme  der  Katarakt  streift  sich  die  breiige  Corticalis 
leicht  vom  Kerne  ab,  während  die  härtere  ihm  fester  anhaftet  und  enger 
mit  ihm  verbunden  ist.  Aus  dem  Aussehen  des  Stares  lässt  sich  meist 
schon  vor  der  Extraction  die  Diagnose  bezüglich  der  Consistenz  stellen. 
Bei  breiiger  Corticalis  zeigen  sich  breite  perlmutterartige  und  opalesci- 
rende  Speichen,  welche  ihre  breite  Basis  der  Linsenperipherie  zugekehrt 
haben  (Fig.  122);  und  ähnliche  Platten  in  der  Linse  bei  harter  Corticalis 
treten  schmälere,  mehr  weisse  Speichen  und  Striche  auf.  Ist  der  Star 
überreif,  so  ist  die  Corticalis  durch  Wasserabgabe  geschrumpft,  zusammen- 
gebacken, hart  und  bröcklig  geworden.  Man  sieht  dann,  wie  oben  er- 
wähnt, in  einer  mehr  gleiehmässig  grauen  Masse  intensiv  weisse  Striche, 
Punkte  i nid  Flecke.     Die  flüssige  Corticalis,  die  man  auch  in  überreifen 


Totale  Linsentrübungen.  369 

Staren  antrifft,  ist  Product  einer  weiteren  regressiven  Metamorphose 
und  durch  ein  Aussehen  gekennzeichnet,  welches  am  besten  mit  dem 
der  Milch  verglichen  wird.  Im  Uebrigen  kommen  Mischzustände  vor; 
besonders  findet  man  öfter  verflüssigte  Massen  in  sonst  zusammenge- 
backenen, regressiven  Staren. 

Die  Gesammtt'arbe  des  Stares  ist  meist  eine  graue;  wobei  der  etwa 
vorhandene  Kern  durch  eine  etwas  gelbliche  oder  bräunliche  Nuance, 
die   übrigens  bei  Tageslicht  besser  als  bei  künstlicher  Beleuchtung  zu 
erkennen  ist,  nach  Lage    und  Grösse  hervortritt.      Der  Unterschied  in 
der  Farbe  des  Kerns  und  der  Corticalis  ist  oft  so  gering,  dass  er  über- 
sehen werden  kann.      Und   doch   ist  eine  richtige  Diagnose  der  Kern- 
grösse  und  Corticalconsistenz  wegen  der  vorzunehmenden  Operationsart 
von  grosser  Bedeutung.     In  seltenen  Fällen  nimmt  das  ganze  Linsen- 
system bei  der  Kataraktbildung  eine  mehr  bräunliche  Färbung  und  bern- 
steinartige   Beschaffenheit  an,    so  dass   die  Pupille  bei  Tageslicht  und 
oberflächlicher  Betrachtung  fast  schwarz  erscheint  (Cataracta  nigra). 
Es  handelt    sich  hier   um  eine   totale   Sclerose,    die  noch   ein  gewisses 
Sehen     dauernd    gestattet;     es    fehlt    das    Quellungsstadium,     jedoch 
sind  die  Stare  ungewöhnlich  gross.     Ist  bei  einem  Altersstar   die  Cor- 
ticalis ganz  verflüssigt,  so  kann  der  dunklere  Kern  darin  Ortsverände- 
rungen eingehen.      Lässt  man   beispielsweise  die  Kranken  Rückenlage 
einnehmen,  so  wird  der    dunkle  Kern  zurücksinken   und   das  Pupillar- 
gebiet  erscheint   milchweiss;    wird  alsdann    der   Kopf  unter    Schütteln 
einige  Zeit   vornübergebeugt,    so  rückt  der  Kern   gegen   den  vorderen 
Linsenpol,    und  man   kann  ihn   nunmehr   in   der  milchigen  Umgebung 
wahrnehmen.      Diese     Starform    hat    den    Namen    Cataracta   Mor- 
gagniana   erhalten,    indem  man  eine  Analogie  mit  dem  post  mortem 
innerhalb    der    Linsenkapsel    auftretenden    Liquor    Morgagni    machte. 
Bildet   sich   bei  jugendlichen  Individuen  eine  totale  Verflüssigung  der 
Linsenmasse  —  also    ohne  dass    ein  Kern  zurückbleibt  — ,    so  spricht 
man   von   Cat.  lactea  oder,   falls   die  Kapsel  sehr  fest  ist,  von  Cat. 
cystica;  letztere  Stare  kann  man  bisweilen  wie  eine  Cyste  mit  ihrem 
Inhalte  aus  dem  Auge  extrahiren.  ■ — 

Während  sich  diese  Formen  in  der  Regel  als  spätere  Folgen  der 
regressiven  Metamorphose  einer  sonst  in  gewohnter  Weise  mit  allmäh- 
licher Trübimg  und  Quellung  des  Linsensystems  einhergehenden  Katarakt- 
bildung zeigen,  giebt  es  eine  Reihe  anderer  eigenartiger  Starformen,  die 
nach  inneren  Entzündungen  des  Auges  (Cataracta  complicata)  auf- 
treten. Gewöhnlich  handelt  es  sich  hier  um  lang  bestandene  Litis, 
Cykhtis,  Lido-Chorioiditis,  Hyalitis  oder  Netzhautablösung.  Sie  sind 
hiernach  auch  von  einer  viel  übleren  prognostischen  Bedeutung.  Ihr 
Aussehen  unterscheidet  sie  in  der  Regel  von  den  vorher  geschilderten 

Schmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  24 


370  Erkrankungen  der  Linse. 

Staren,  indem  sie  äusserst  selten  in  ihrer  Entwicklung  die  Speichen- 
bildung der  Corticalis  und  die  scharfe  Abgrenzung  des  Kernes  erkennen 
lassen.  Sie  pflegen  eine  mehr  gleichmässige,  intensiv  weisse,  papier- 
artige Beschaffenheit  zu  haben  und  als  eine  flache,  zusammengedrückte, 
oft  kalkartige  Punkte  oder  Cholestearinkry stalle  enthaltende  Masse  in 
dem  in  Folge  hinterer  Irissynechien  oft  verengten  Pupillargebiet  zu 
liegen;  die  Kapsel  ist  verdickt,  getrübt.  Man  hat  diese  Formen,  welche 
auch  angeboren  vorkommen,  als  Cat.calcarea,  Cat.  aridosiliquata 
(trockenhülsige  Stare),  oder  bei  Irisverwachsung  auch  als  Cat.  accreta 
bezeichnet.  In  anderen  Fällen  —  und  es  trifft  dies  besonders  bei 
Affectionen  der  tieferen  Augengebilde,  des  Glaskörpers  und  der  Netz- 
haut zu  —  ist  die  Pupille  von  gewöhnlicher  Weite,  die  darin  liegende 
Katarakt  aber  zeigt  eine  eigenthümlich  gelbliche  Färbung,  ebenfalls  ohne 
die  charakteristischen  Speichenformen.  Bei  einiger  Uebung  sind  die 
Unterschiede  der  Formation  in  all  diesen  Fällen  so  auffallend,  dass 
man  nicht  leicht  derartige  secundäre  Katarakte  mit  uncomplicirten  Staren 
verwechseln  wird. 

Ein  ähnliches  Aussehen,  wie  die  zuerst  beschriebene  Form  der  com- 
plicirten  Katarakte,  zeigt  in  seinem  Endstadium  der  traumatische 
Star.  Wenn  durch  Eröffnung  der  Linsenkapsel  das  Kammerwässer 
Zutritt  zur  Linsensubstanz  gewonnen  hat,  so  tritt  eine  Quellung  und 
Trübung  der  nächstliegenden  Corticalmassen  ein.  Bei  kleinen  Kapsel- 
wunden kann  nach  Schluss  derselben  wieder  eine  mehr  oder  weniger 
ausgedehnte  Lichtung  der  getrübten  Linsensubstanz  zu  Stande  kommen. 
Ist  die  Wunde  grösser,  so  dringen  aus  ihr  graue  Flocken  in  die  vordere 
Kammer,  wo  sie  allmählich  aufgesogen  werden.  Unter  Umständen 
wird  nach  und  nach  das  ganze  Linsensystem  getrübt  und  schliesslich 
resorbirt.  Es  bleiben  aber  in  der  Regel  an  der  Kapsel  noch  trübe, 
härtere  Massen  zurück,  die  dann  mit  der  Kapsel  zusammen  eine  ziem- 
lich feste  und  dicke  grau-weissliche  Membran  im  Pupillargebiet  (Nach- 
star, Catar.  secundaria)  bilden.  Die  Anamnese  oder  auch  Hornhaut- 
narben werden  hier  auf  die  richtige  Diagnose  führen.  — 

Sehstörungen. 

Die  Sehstörung,  welche  der  Star  bewirkt,  entspricht  den  von 
ihm  gesetzten  optischen  Hindernissen;  sie  wird  also  verschieden  sein 
nach  der  Ausdehnung  und  Art  der  Trübung.  Einen  gewissen  Anhalt 
wird  hierbei  die  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  geben;  je  mehr 
<hr  I  >phthalmoskopiker  vom  Augenhintern'runde  erkennt  oder  je  mehr 
rothes  Licht  von  letzterem  noch  reflectirt  wird,  um  so  besser  muss  auch 
das   SeheD   des   Patienten   sein. 

Zur    Diagnose   etwa    vorhandener   (Jomplieationen,    die   auf 


Totale  Linsentrübungen.  371 

das  Sehvermögen  Einfluss  haben,  muss  eine  genaue  Prüfung  der  quali- 
tativen, bezw.  quantitativen  Lielitempfindung  angestellt  werden.  Selbst 
bei  einem  vollständig  getrübten  Linsensystem,  bei  dem  kein  rotlies  Lieht 
mehr  vom  Augenhintergrunde  bei  der  ophthalmoskopischen  Unter- 
suchung zurückkommt,  muss  der  Kranke  mindestens  noch  „kleinste 
Lampe"  i  vgl.  Amblyopie  und  Amaurose)  auf  etwa  !/3  m  erkennen  können. 
Sieht  der  Kranke  erst  die  Lampe,  wenn  sie  höher  geschraubt  ringsherum 
mit  hellgelber  Flamme  brennt  —  also  sogenannte  kleine  Lampe  — , 
so  ist  eine  Complieation  (etwa  mit  Netzhautaffectionen,  Sehnervenleiden 
oder  Glaukom)  zu  vermuthen.  Wie  man  sich  selbst  leicht  überzeugen 
kann,  empfindet  ein  normales  Auge  das  Hell  und  Dunkel  der  kleinen 
Lampe  noch  bei  geschlossenen  Lidern.  Eine  Complieation  des  grauen 
Stares  ist  weiter  anzunehmen,  wenn  das  Gesichtsfeld  nicht  frei  ist.  Man 
muss  zur  Prüfung  desselben  die  Lampe  etwas  höher  schrauben  und  hält 
sie  dann  nach  den  verschiedenen  Richtungen  hin,  indem  man  das  Licht 
der  Lampe  bald  mit  der  Hand  verdeckt  und  bald  wieder  frei  lässt. 
Es  muss  die  Richtung  (rechts,  links,  oben  oder  unten)  exaet  angegeben 
werden,  wenn  wir  gewiss  sein  sollen,  dass  schwerere  Complicationen 
fehlen.  Nur  eine  Ausnahme  ist  zuweilen  zu  constatiren.  Wenn  näm- 
lich lange  Zeit  ein  einseitiger  Star  bestanden  hat,  kann  nach  der  na- 
salen Seite  hin,  die  ja  in  das  Gesichtsfeld  des  sehenden  Auges  fällt,  die 
Projection  verloren  gehen  oder  unsicher  werden,  ohne  dass  eine  schwerere 
Complieation  besteht. 

Die  Erfüllung  der  eben  besprochenen  Erfordernisse  schliesst  jedoch 
das  Bestehen  leichterer  Comphcationen,  beispielsweise  von  Glaskörper- 
trübungen, Chorioiditis  centralis,  einer  Amblyopie  aus  Nichtgebrauch  bei 
schielenden  Augen  nicht  aus.  Ja  bei  jugendlichen  Individuen  mit  an- 
geborenen oder  frühzeitig  entstandenen  Katarakten  kann  sogar  trotz 
exaeter  Lichtempfindimg  hochgradige  Amblyopie  vorhanden  sein:  selbst 
eine  glückliche  Operation  vermag  in  diesen  Fällen  das  Sehvermögen 
nur  wenig  zu  heben. 

Die  meisten  Kataraktösen  sind  übrigens  trotz  vollkommener  Star- 
reife noch  im  Stande,  in  nächster  Nähe  Finger  zu  zählen  oder 
wenigstens  Zahl  oder  Bewegung  der  Hände  zu  erkennen.  — 

Abgesehen  von  dieser  subjeetiven  Prüfung  wird  uns  das  Aussehen 
der  Katarakte  und  der  Augen  selbst  weiter  über  etwaige  Comphcationen 
belehren,  ebenso  auch  die  mehr  oder  minder  exaete  Reaction  der 
Pupillen  auf  Lichteinfall.  Sehr  verdächtig  ist  immer  eine  weite  und 
starre  Pupille:  hier  ist  neben  Amaurose  auch  besonders  auf  Glaukom 
als  Comphcation  zu  achten.  — 

Gewöhnlich  kommen  aufmerksame  Patienten  mit  Star  schon  früh- 
zeitig zum  Arzt,  da  die  Trübungen  sich  am  häufigsten  auf  beiden  Augen 

24* 


g  j  2  Erkrankungen  der  Linse. 

zugleich  einstellen  und  so  das  Sehvermögen  herabsetzen.  Die  Fälle;  in 
denen  ein  Auge  vollkommen' reifen  Star  hat,  während  das  andere  ganz 
frei  ist;  sind  seltener:  hier  werden  die  Kranken  ihr  Leiden  leichter 
übersehen.  —  Auch  eine  gewisse  Myodesopsie  rindet  sich  bei  Star- 
kranken, indem  sie  dunkle  Flecke,  Striche  u.  s.  w.  wahrnehmen,  welche 
den  Schatten  der  objeetiv  sichtbaren  Linsentrübungen  entsprechen;  ebenso 
kann  Polyopie  auftreten.  Bisweilen  wird  über  eine  Aenderung  in  der 
Farbenwahrnehmung  geklagt,  die  durch  die  gelbliche  oder  bräunliche 
Trübung  des  Kernes  bedingt  ist.  —  Je  centraler  die  Trübung  liegt,  um 
so  schlechter  ist  das  Sehen,  besonders  bei  enger  Pupille.  Diese  Kranken 
geben  dann  an,  dass  sie  bei  trübem  Wetter  und  im  Schatten,  wo  die 
Pupille  sich  natürlich  erweitert  und  so  das  Licht  durch  die  durch- 
sichtigen Randpartien  eindringt,  besser  sehen.  Sie  tragen  daher  auch 
gern  einen  Augenschirm  oder  eine  blaue  Brille  und  gehen,  um  das  Auge 
zu  beschatten,  mit  vornübergebeugtem  Kopf.  In  anderen  Fällen,  wo 
die  Trübungen  besonders  in  der  Corticalis  sitzen,  können  durch  Ver- 
engung der  Pupille  die  etwa  entstehenden  Zerstreuungskreise  ausge- 
schlossen werden.  Hier  wird  gerade  umgekehrt  im  hellen  Lichte  ein 
besseres  Sehen  vorhanden  sein. 

Aetiologie. 
1)  Acute  und  chronische  Augenaffectionen.  In  Folge  von  Iritis, 
Irido-Chorioiditis  und  Lido-Üyklitis  sind,  wie  wir  gesehen,  eigentümlich 
gestaltete  Kataraktformen  nicht  selten.  Bei  Glaskörperleiden,  wie  sie 
bei  Sclerotico-Chorioiditis  posterior  öfter  vorhanden  sind,  kommt  es  auch 
zu  Katarakten,  die,  am  hinteren  Pole  beginnend,  zu  einem  regel- 
mässigen Totalstar  führen  können.  Bei  lange  bestehender  ausgedehnter 
Netzhautablösung,  die  allerdings  meist  mit  Glaskörpei'leiden  complieirt 
ist,  ist  es  fast  Regel,  dass  sich  noch  schliesslich  Katarakt  hinzugesellt. 
Ebenso  complieirt  sich  Glaukom  nicht  selten  mit  Katarakt,  sowohl  in 
einem  Stadium,  wo  noch  ein  relatives  Sehvermögen  vorhanden  ist,  als 
auch  später,  wenn  der  glaukomatöse  Process  bereits  zur  Amaurose  ge- 
führt hat.  —  Heftige  eitrige  Entzündungen  (eitrige  Chorioiditis,  Panoph- 
thalmitis)  haben  fast  immer  eine  Trübung  und  Zerstörung  des  Linsen- 
systems  zur  Folge,  so  dass  schliesslich  nur  noch  eine  graue,  schmale 
Platte  übrig  bleibt.  Auffallend  ist  auch,  dass  nach  Hypopyon-Keratitis, 
besonders  wenn  die  quere  Durchschneidung  des  Geschwürs  gemacht  ist, 
sich  gar  nicht  selten  partielle  und  später  auch  totale  Katarakt  entwickelt. 
Aber  auch  ohne  die  quere  Durchschneidung  sieht  man  die  Kapsellinsen- 
trübungen entstehen.  Die  Hauptursache  derselben  scheint  mir  in  dein 
langen  Aufliegen  von  Ilypopyen  auf  der  Kapsel  und  die  Berührung 
«lieser  mit  dem  Hornhautulcus  bei  Kammerabfluss  zu  liegen,  wodurch 


Totale  Linsentrübungen.  373 

Ernährungsstörungen  gesetzt  werden.    Daneben  können  auch  sehr  zarte, 
traumatisch  entstandene  Kapselrisse  eine  Rolle  spielen  (Deutschmann). 

2)  Das  Lebensalter.  Die  Totalkatarakt  kommt  vorzugsweise  häufig 
nach  dem  50.  Lebensjahre  vor;  selbst  über  siebzigjährige  Kranke,  bei 
denen  sieh  noch  Katarakt  entwickelt,  sind  nicht  selten.  Es  ist  eine 
Alterskrankheit;  öfter  kann  man  beobachten,  dass  sie  eintritt,  wenn  die 
schon  rückgängige  Körperkraft  durch  anderweitige  Krankheiten  oder 
geistige  Depression,  Kummer  u.  s.  w.  noch  mehr  geschwächt  worden 
ist.  Aber  auch  jüngere  Individuen,  selbst  noch  in  den  dreissiger  Jahren, 
werden  bisweilen  von  Katarakt  befallen,  die  den  Typus  der  Altersstare 
zeigt,  wenngleich  sie  sich  meist  schneller  entwickelt,  ohne  dass  be- 
sondere  ätiologische  Momente  vorhanden  sind. 

3)  Diabetes  mellitus.  Wenn  man  den  Urin  der  Starkranken  unter- 
sucht, so  rindet  man  nicht  selten  Zuckergehalt;  es  werden  so  Diabetiker 
entdeckt,  bei  denen  sonstige  ausgesprochene  Symptome  der  Zuckerruhr 
fehlen.  Besonders  verdächtig  sind  Starkranke  im  jugendlichen  Alter. 
Die  anatomische  Untersuchung  dieser  Stare  hat  ein  eigenthümliches  Ver- 
halten der  in  den  Linsenfasern  gelegenen  Kerne  gegen  Farbstoff  ( —  so 
reagiren  sie  fast  gar  nicht  gegen  Alauncarmin  und  Hämatoxylin  — ) 
gezeigt  (Becker):  ebenso  auffallend  war  eine  starke  ödematöse  Auf- 
quellung des  Pigmentbelages  der  hinteren  Irisfläche.  Weiter  ist  Zucker 
sowohl  in  der  kataraktösen  Linse  als  auch  in  den  Augenflüssigkeiten 
gefunden;  erst  neuerdings  habe  ich  denselben  in  reicher  Menge  im 
Glaskörper  constatiren  können.  Dass  die  Kataraktentstehung  auf  eine 
grössere  Concentration  der  die  Linse  umgebenden  Flüssigkeiten  und 
eine  hierdurch,  bewirkte  Wasserentziehung  aus  der  Linsensubstanz  zu- 
rückzuführen sei,  ist  für  die  Mehrzahl  der  Fälle  unwahrscheinlich,  wenn- 
gleich nach  Kunde 's  Untersuchungen,  die  vonHeubel  bestätigt  werden, 
auch  subcutane  Kochsalzeinspritzungen  bei  Fröschen  Linsentrübungen 
verursachen.  Eher  ist  an  eine,  durch  Hyperämie  des  Ciliarkörpers  be- 
dingte Ernährungsstörung  zu  denken. 

In  einzelnen  Fällen  von  Katarakt  besteht  auch  Albuminurie,  doch 
ist  nach  statistischen  Zusammenstellungen  Becker 's  eine  ätiologische 
Verbindung  beider  nicht  wahrscheinlich. 

4)  Ergotismus.  Bei  einigen  Epidemien  von  Kriebelkrankheit  wurde 
das  Auftreten  von  Katarakt  beobachtet  (J.  Meier).  In  einer  von  mir 
in  Hessen  beobachteten  habe  ich  einen  einzigen  Fall  von  Katarakt- 
bildung bei  einer  verhältnissmässig  jungen  Frau,  die  übrigens  auch 
starke  Krampfanfälle  gehabt  hatte,  constatiren  können.  Auch  fehlen 
sonstige  bestätigende  Angaben  betreffs  des  Einflusses  des  Ergotismus. 

5)  Bei  gewissen  Haut  äff ectionen  sah  v.  Rothmund  complicirende 
Katarakte. 


374  Erkrankungen  der  Linse. 

6)  Krämpfe,  epileptischer  und  hysterischer  Form,  bestehen  in  auf- 
fallender Häufigkeit  bei  Kataraktösen  im  jugendlichen  oder  mittleren 
Lebensalter.  Nicht  selten  ist  anfänglich  nur  der  Kern  befallen,  während 
die  Peripherie  lange  ungetrübt  bleibt;  aber  es  kommen  auch  »Stare  vor, 
wo  die  Corticalis  zuerst  erkrankt.  Wie  oben  erwähnt,  gehen  Krämpfe 
auch  häufig  dem  Schichtstar  voraus. 

7)  Atherom  der  Carotis  (Michel).  Jedoch  dürfte  nach  den  Unter- 
suchungen Anderer  (Becker),  denen  ich  mich  anschliessen  kann,  dieses 
Moment  keine  hervorragende  ätiologische  Bedeutung  haben. 

8 1  Heredität.  Beispielsweise  kenne  ich  eine  Familie,  in  der  die 
Mutter  und  drei  Söhne  in  höherem  Lebensalter  kataraktös  wurden;  in 
einer  anderen  Hess  sich  die  Kataraktentwickelung  durch  mehrere  Gene- 
rationen verfolgen. 

9)  Traumen.  Es  handelt  sich  entweder  um  seeundäre  Ernährungs- 
störungen durch  Lockerung  der  Zonula'  u.  s  w.  oder  um  directe  Ver- 
letzungen, indem  die  Kapsel  reisst  oder  Verschiebungen  der  Linsen- 
fasern, ähnlich  wie  bei  der  künstlichen  Reifung  durch  Massage,  ein- 
treten. Letztere,  durch  Contusion  bewirkt,  können  oberflächliche  graue, 
schnell  vorübergehende  Trübungen  (Magnus)  zur  Folge  haben;  in 
anderen  Fällen  zeigen  sich  eigenthümliche  sternförmige  Figuren  in  der 
Corticalis,  die  sich  ebenfalls  wieder  aufhellen  können.  —  Li  gewissem 
Sinne  ist  hierher  auch  das  Auftreten  von  Katarakten  nach  Blitzschlag 
zu  rechnen;  gewöhnlich  ist  damit  Mydriasis,  Accommodationslähmung 
und  Neuritis  optica  mit  nachfolgender  Atrophie  verknüpft.  Nach  Ex- 
perimenten von  C.  Hess  dürften  die  Linsentrübungen  meist  Folge  der 
Ertödtung  einer  grösseren  oder  kleineren  Gruppe  von  Kapselepithelien 
und  der  dadurch  bedingten  Veränderung  der  Ernährungs Verhältnisse 
der  vorderen  Linsenfasern  sein.  — 

Ferner  hat  man  bei  jugendlichen  Glasarbeitern  auffallend  häufig 
Katarakte  gefunden,  die  Meyhöfer  mit  der  stark  vermehrten  Wasser- 
abgabe in  Zusammenhang  bringt,  welche  diese  Arbeiter  durch  die  be- 
trächtliche Transpiration  erleiden;  möglicherweise  handelt  es  sich  aber 
um  den  directen  Einfluss  des  Feuers,  da  meist  das  diesem  zugewandte 
Auge  zuerst  kataraktös  wird.  —  Bei  Kaninchen  gelingt  es  durch  Fütte- 
rung mit  Naphthalin  eine  Starbildung  (neben  Synchysis  und  weissen 
Plaques  in  der  Netzhaut)  künstlich  zu  erzeugen  (Bouchard). 

Therapie. 


Bei  sehr  geringen  Trübungen  der  Linse  wird  der  Arzt  zu  erwägen 

halien,    oh    er    dem   Patienten    gleich    die   Diagnose  „grauer  Star"  mit- 
theilen soll.     Einmal  können  einzelne  Speichen  lange  und  selbst  dauernd 


Totale  Linsentrübungen.  375 

stationär  bleiben,  besonders  wenn  sie  ganz  scharf  umgrenzt  in  durch- 
sichtiger Substanz  sieh  befinden,  andererseits  sieht  man  dieselben  in  den 
höchsten  Lebensaltern  sehr  häufig,  ohne  dass  die  Patienten  eine  erheb- 
liche Zunahme  oder  ja  ein  Reifwerden  des  Stares  erleben.  AVozu  also 
ihnen  den  Blick  in  die  Zukunft  mit  dem  Schreckensgespenst  „Grauer 
Star"  verdüstern?  Es  wird  schlimmsten  Falls  —  um  sich  selbst  gegen 
rücksichtslosere  Diagnosenstellung  anderer  Aerzte  zu  schützen  —  ge- 
nügen, wenn  man  den  Kranken  mittheilt;  dass  sie  kleine  Trübungen 
in  der  Linse  hätten,  ohne  eben  den  Ausdruck  grauer  Star  zu  ge- 
brauchen.    Auch  kann  man  der  Umgebung  Mittheilung  machen. 

Bei  unreifen  Staren  wird  man  vor  Allem  suchen,  durch  optische 
Mittel  das  Sehvermögen  möglichst  zu  heben,  so  etwa  durch  Correction 
vorhandener  Refraetionsanomalien  mittels  passender  Brillen.  Sehr  oft 
nämlich  stellt  sich  eine  Brechungszunahme  während  der  Kataraktbil- 
dung ein,  Emmetropen  werden  meist  kurzsichtig.  Für  die  Nähe  wird 
eine  Besserung  der  Sehkraft  nöthigenfalls  mit  starken  Convexgläsern 
oder  Lupen  zu  erstreben  sein.  Ist  bei  weiter  vorgeschrittener  Trübung 
vorzugsweise  der  Kern  befallen,  die  Corticalis  aber  noch  frei,  so  kann 
durch  künstliche  Pupillenerweiterung,  sei  es  mittels  eines  Mydriaticums 
oder  einer  Iridectomie,  das  Sehen  gehoben  werden.  Auch  dunklere 
Gläser  nützen  hier,  indem  sich  unter  ihnen  die  Pupille  erweitert.  Ferner 
wird  man  die  Allgemeinconstitution  des  Patienten  berücksichtigen,  um 
ihn  in  einen  möglichst  guten  Gesundheitszustand  zu  versetzen,  der  für 
den  Ausfall  der  späteren  Operation  von  Bedeutung  ist.  Personen,  die 
übermässig  stark  oder  zu  Congestionen  geneigt  sind,  werden  entziehend, 
andere  roborirend  zu  behandeln  sein.  Gegen  sonstige  Allgemeinleiden, 
die  mit  der  Kataraktbildung  in  directerer  Beziehung  stehen,  wie  etwa 
Diabetes,  ist  einzuschreiten.  Ferner  werden  örtliche  Affectionen  zu 
heben  sein,  so  Katarrhe  der  Conjunctiva  u.  s.  w.  Besonders  beachte 
man  alte  Thränensackleiden,  da  deren  Secret  leicht  später  die  Ope- 
rationswunde inficirt  und  so  zu  Vereiterungen  führen  kann. 

Ob  die  fortgesetzte  Einträufelung  einer  Jodkalilösung  (0-1  auf 
In. ii  eine  Verlangsamimg  im  Fortschreiten  des  Stares  bewirkt,  lässt 
sich  schwer  feststellen:  ich  glaube  jedoch  (in  Uebereinstimmung  mit 
Arlt  und  Pagenstecher,  welche  Jodkalisalbe  in  die  Umgebung 
des  Auges  einreiben  lassen),  gelegentlich  diese  Wirkung  beobachtet  zu 
haben.  Jedenfalls  ist  das  Mittel  schadlos  (ich  lasse  4  Wochen  ein- 
träufeln imd  dann  14  Tage  aussetzen,  um  Conjunctivalreizungen  zu  ver- 
meiden) und  dient  dem  Patienten  oft  zur  Beruhigung. 

Bei  sehr  langsam  fortschreitenden  Staren,  die  aber  erhebliche  Seh- 
störungen setzen,  kommt  man  gelegentlich  in  die  Lage,  die  Reifung 
befördern   zu  müssen,    um    eher    operiren   zu  können.     Oft  nimmt  die 


37G  Erkrankungen  der  Linse. 

Trübung  schon  nach  der  Ausführung  einer  Iridectomie  schneller  zu. 
Förster  empfiehlt,  um  eine  Art  Zertrümmerung  der  Linsenmassen  her- 
beizuführen, mit  der  Iridectomie  nach  Abfluss  des  Kammerwassers  noch 
die  Tritur  (Massage)  der  Linse  zu  verbinden,  indem  man  mit  einem 
Schielhaken  auf  der  Cornea  reibt.  Wie  Thierexperimente  gezeigt 
haben,  wird  hierbei  die  Trübung  eingeleitet  durch  Degenerationsvorgänge 
im  Kapselepithel  und  Lückenbildung  zwischen  den  verschobenen  Linsen- 
fasern (0.  Schirmer).  Es  genügt,  statt  der  Iridectomie  einfach  die 
Paracentese  der  Kammer  der  Tritur  vorauszuschicken.  Das  Verfahren, 
welches  aber  gelegentlich  auch  zu  iritischen  Reizungen  Anlass  geben 
kann,  ist  oft  nützlich.  Jedoch  bedarf  man  bei  Individuen  über  60  Jahre 
der  künstlichen  Reifung  nicht,  da  sich  bei  ihnen  auch  die  nicht  ganz  ge- 
trübten Linsen  gut  entleeren;  man  kann  daher  hier  schon  operiren,  wenn 
die  Sehschärfe  in  irgend  erheblicherer  Weise  durch  die  Starbildung  herab- 
gesetzt ist. 

Eine  definitive  Heilung  und  Wiederklärung  eines  ausgesprochenen 
Stares  (traumatisch  entstandene,  umschriebene  Linsentrübungen  sieht 
man  nach  Wiederverschluss  der  Kapsel  bisweilen  verschwinden)  steht 
in  der  Regel  nicht  zu  erwarten.  Nur  in  wenigen  Fällen  hat  man  eine 
vollkommene  Resorption  uncomplicirter  überreifer  Stare  unter  Ent- 
stehung von  Cholestearinkrystallen  innerhalb  der  unverletzten  Kapsel 
beobachtet;  es  scheint  immer  erst  eine  Verflüssigung  vorangegangen  zu 
sein  (Brettauer,  Mitvalsky,  v.  Hippel  jun.  u.  Andere).  Ich  selbst 
habe  mehrere  solcher  Fälle  gesehen. 

Beim  Star  nützt  nur  die  Operation.  Dieselbe  giebt  eine  relativ 
sehr  günstige  Prognose.  Man  kann  etwa  85 — 90  Procent  „gute"  Er- 
folge rechnen,  d.  h.  die  Patienten  kommen  mindestens  zum  Lesen  mitt- 
lerer Schrift,  7 — 12  Procent  „halbe"  Erfolge,  wo  Finger  noch  in  grösserer 
Entfernung  gezählt  werden,  und  3  Procent  Verluste.  Suppuration  des 
Auges  habe  ich  in  den  letzten  zehn  Jahren  nur  in  sehr  wenigen  Fällen  nach 
der  Extraction  eintreten  sehen:  ausgenommen  einen  Fall,  wo  eine 
stark  absondernde  Conjunctivitis  bestand,  handelte  es  sich  stets  um 
Fälle,  bei  denen  ein  chronisches  Thränensackleiden  bestand,  aber  über- 
sehen worden  war.  In  den  Fällen,  wo  es  erkannt  und  behandelt  war, 
ist  nie  Infection  erfolgt.  —  Ist  nur  ein  Auge  starkrank,  das  andere 
aber  gesund,  so  wird  die  Operation  in  der  Regel  nicht  besonders  an- 
zurathen  sein.  Der  Nutzen,  dass  das  Gesichtsfeld  sich  nach  der  Seite 
des  operirten  Auges  hin  vergrössert,  erscheint  gegen  die  möglichen 
Nachtheile  nicht  gross  genug,  zumal  ein  vollkommener  binocularer  Seh- 
act  bei  der  Ungleichheit  der  Refraction  doch  fast  nie  hergestellt  wird. 
Bisweilen  —  wenn  auch  bei  weitem  nicht  immer  —  stört  sogar  das 
operirte  Auge  das  gesunde  beim  Sehen.    Auch  könnten  nach  der  Ope- 


Staropevationen.  377 

ration  Entzündungen  entstehen  (Iridocyklitis),  welche  das  gesunde  Auge 
auf  sympathischem  "Wege  schädigten.  Es  wird  demnach  nur  dem  aus- 
drücklichen Verlangen  der  Kranken  nach  Ausführung  der  Operation 
Folge  zu  geben  sein.  Anders  verhält  es  sich,  wenn  das  zweite  Auge 
schlecht  sieht  und  vielleicht  ebenfalls  beginnende  Katarakt  zeigt;  hier 
wird  man  ohne  Anstand  extrahiren. 

Hatten  beide  Augen  reife  Katarakte,  so  kann  man,  besonders  bei 
günstigem  Operationsverlauf  am  ersten  Auge,  beide  Augen  in  einer 
Sitzung  operiren.  Vorsichtiger  ist  es  aber,  die  Heilung  des  ersten  Auges 
abzuwarten  und  etwa  nach  sechs  oder  acht  Tagen  die  zweite  Operation 
nachzuschicken.  Es  können  unvorhergesehene  Ereignisse  eintreten,  z.  B. 
Delirien  der  Kranken,  welche  die  Heilung  ernstlich  in  Frage  stellen 
und  bei  gleichzeitiger  Operation  beide  Augen  schädigen  würden. 
Auch  lässt  sich  bei  üblem  Heilungsverlauf  auf  einem  Auge  vielleicht 
bei  der  zweiten  Operation  die  eine  öder  andere  Schädlichkeit  ver- 
meiden. 


Staroperationen. 

Lappen-  und  Graefe'sche  periphere  Linearextraction.  — 
Die  radicalste  Operation  des  Stares  besteht  in  seiner  Entfernung  (Ex- 
tr  actio).  Jacob  Da  viel  (1748)  in  Marseille  war  der  Erste,  welcher 
die  Herausnahme  der  Katarakt  durch  einen  grossen,  in  der  durch- 
sichtigen Hornhautperipherie  liegenden  Schnitt  methodisch  übte.  Er 
trennte  mehr  als  die  Hälfte  der  Hornhaut,  eröffnete  so  die  vordere 
Kammer  und  Hess  die  Linse  aus  ihrer  angeritzten  Kapsel  heraus. 

Zwei  Hauptmethoden  der  Extraction  kommen  je  nach  der  Form 
des  Schnittes,  der  zur  Herauslassung  der  Linse  naturgemäss  in  der 
Hornhaut  oder  im  Hornhautlimbus  liegen  muss,  in  Betracht:  die  Lappen- 
extraction  und  die  Linearextraction.  Letztere  erstrebt  einen 
Schnitt,  der  möglichst  einer  geraden  Linie  gleichkommt.  Es  ist  das 
nur  zu  erreichen,  wenn  dieser  Schnitt  in  einen  „grössten  Kreis"  der 
Kugelob  erflii  che  des  Auges  fällt,  weil  die  kürzeste,  also  am  meisten  der 
geraden  Linie  sich  nähernde  Verbindung  zweier  Punkte  auf  einer  Kugel- 
oberfläche immer  in  einen  grössten  Kreis  derselben  fällt.  Der  grösste 
Kreis,  der  durch  zwei  Punkte  einer  Kugeloberfläche  geht,  befindet 
sich  in  einer  Ebene,  welche  durch  diese  Punkte  und  den  Mittelpunkt 
der  Kugel  gelegt  ist.  Wenn  beispielsweise  (Figur  123)  a  der  Punkt  ist, 
an  welchem  das  Messer  eingestossen  wird,  und  b  der  Ausstichspunkt, 
so  würde  die  zwischen  a  und  b  liegende  punktirte  Linie  (a  c  b)  etwa 
in  einen  grössten  Kreis  fallen,  denn  eine  durch  a  und  b  und  den 
Mittelpunkt   der   Hornhautkrümmung    gelegte  Ebene  würde  die  Ober- 


378  Erkrankungen  der  Linse. 

fläche  in  diesem  Kreisthei]  schneiden.  Ein  Linearschnitt  zwischen 
a  und  b  wird  demnach  in  dieser  Richtung  verlaufen.  Würde  man  aber 
andererseits,  nachdem  das  Messer  bei  b  wieder  ausgestossen  ist,  parallel 
der  Iris  am  Cornealränd  den  Schnitt  fuhren,  wie  es  durch  die  ausge- 
zogene Linie  a  d  b  angedeutet  ist,  so  erhalten  wir  einen  Lappen- 
schnitt: acbd  ist  der  gebildete  Lappen.  Als  „Höhe  des  Lappens" 
bezeichnet  man  die  Grösse  des  Lothes  de,  welches  von  dem  höchsten 
Punkt  d  des  Lappenschnittes  auf  den  linearen  Schnitt  gefallt  wird.  Je 
mehr  der  Lappenschnitt  von  dem  letzteren  abweicht,  um  so  grösser  ist 
die  Lappenhöhe:  so  spricht  man  von  einer  Lappenhöhe  von  1,  2  und 
mehr  Millimetern. 

Jeder  Schnitt  nmss  so  gross  sein,  das  die  kataraktöse  Linse,  welche  in  ihrem 
horizontalen  Durchschnitt  eine  Ellipse  bildet,  bequem  heraus  kann.  Beim  Lappen- 
schnitt erfolgt  der  Austritt  so,  dass 
der  Lappen  der  Hornhaut  von  der 
Sclera  abgebogen  wird.  Die  Länge 
des  Schnittes  wird  hier  also  an- 
nähernd den  Durchmesser  der  Kata- 
rakt von  rechts  nach  links .  bei- 
ni%&;..  spielsweise  8  bis  9  mm  haben  müs- 

_-^  sen,  während  die  Lappenhöhe  min- 

destens    gleich    dem    Durchmesser 
der  Katarakt  von  hinten  nach  vorn, 
z.  B.  3  bis  4  mm,  sein  muss.    Wenn 
man    den  horizontalen   Querdurch- 
messer     der    durchsichtigen    Horn- 
haut, —  ohne  den  Selerallimbus,  der 
sich  zu  jeder  Seite  etwa  0*5  mm  herüberschiebt —  mit  11  mm  annimmt,  so  würde  ein  die 
Hälfte  der  Hornhautperipherie  einnehmender  Lappenschnitt  (Lappenhöhe  über  5  mm) 
sogar  das  Maass  der  grössten  Katarakt  überschreiten.    Allerdings  ist  zu  beachten. 
du ss  die  Ausdehnung  der  Wunde  in  der  Membrana  Descemetii  (innere  Hornhaut- 
wunde)  etwas   kleiner   ausfällt   als  die  in  der  äusseren  Hornhautschicht  i  äussere 
Hornhautwunde).    Soll  die  Katarakt  aber  durch  einen  Linearschnitt  treten,  so  muss 
letzterer  zum  Klaffen  gebracht  werden.    Es  wird  dies  dadurch  erreicht,  dass  die 
beiden  Endpunkte  etwas  näher  gegen  einander  rücken  und  so  eine  ellipsoidc  Oeff- 
nung  entsteht.    I  >ie  Schnittlänge  muss  demnach  grösser  sein  als  der  Linsendurch- 
messer,  bei  9  mm  Durchmesser  etwa  gleich  10  mm.   Ein  Linearschnitt  von  solcher 
Länge    lässt    sich  nur  ausführen,    wenn    man    ihn    quer  durch  die  Hornhaut  legt. 
Will  man   den   Schnitt,  wie   es   gewöhnlich  geschieht,  zum  grösseren    Theil   in 
den     Ilornhautrand    legen,    so   wird  man    von   einer  absoluten  Lmearität  absehen 
müssen;  die  meisten  der  sogenannten  Linearschnitte  sind  daher  eigentlich  keine 
Linearschnitte,  sondern  Lappenschnitte,  allerdings  von  nur  geringer  Lappenhöhe. 
Als  besonderer  Vorzug   der  Linearschnitte  ist  zu  betrachten,   dass  ihre  Neigung 
zum  Klaffen  eine  geringere  ist  als  bei  Lappenschnitten:  ein  starker  intraoeularer 
Druck   kann  bei  letzteren  eher  ein  Abheben  des   Lappens  veranlassen. 

M.iii   legt   den  Schnitt  bei  der  Lappen-  und  peripheren  Linear-Ex- 
traction  in  die  obere  oder  untere  Hälfte  der  Cornea  (bezw.  des  Scleral- 


Ausführung  der  Extraction.  379 

limbus).  Die  beste  Deckung  durch  das  Lid  erfährt  er,  wenn  er  oben 
liegt;  dies  ist  besonders  von  Nutzen,  wenn  eine  künstliche  Pupille  zum 
Theil  verdeckt  werden  soll.  Allerdings  ist  die  Ausführung  etwas 
schwieriger,  weil  die  Augen  bei  der  Operation  meist  Tendenz  haben; 
nach  oben  zu  fliehen.  Bei  der  Lage  des  Schnittes  nach  unten  ist  es 
öfter  unbequem,  dass  bei  alten  Leuten  unter  dem  Verbände  ein 
spastisches  Entropium  eintritt,  so  dass  die  Lidkante  sich  gegen  die 
Wunde  legt. 

1  >ie  Grösse  des  Schnittes  wird  sich  nach  der  Grösse  und  Consistenz 
der  Katarakt  zu  richten  haben.  So  wird  eine  weiche  Corticalis,  die 
sich  beim  Durchtritt  verschiebt  und  der  Wunde  entsprechend  umformt, 
eine  kleinere  Oeffnung  erfordern  als  eine  harte.  Ebenso  ist  die  Grösse 
des  Kerns  von  Bedeutung. 


Ausführung  der  Extraction. 

Wir  unterscheiden  als  Operationsacte  1)  die  Schnittbildung,  2)  die 
Kapseleinreissung  (Cystitomie),  3)  die  Linsenentbindung.     Zwischen  den 
ersten   und  zweiten  Act    schiebt   sich 
die  Iridectomie  ein,  wenn  dieselbe  an- 
gezeigt   erscheint.      Sie   wird    immer 
nöthig  sein,  wenn  der  Schnitt  so  peri-  12. 

pher,  d.  h.  so  nahe  dem  Scleralrande  Beer'sches  stlrmesser. 

fällt,   dass   die    L'is     durch     das     ab- 

rliessende  Kammerwasser  hinausgedrückt  wird  und  prolabirt.  Ferner 
erleichtert  sie  den  Linsenaustritt  und  die  vollständige  Entleerung  der 
Corticalis:  auch  wird  durch  sie  der  Gefahr  einer  durch  Quellung  resti- 
render  Massen  veranlassten  Litis  vorgebeugt  und  ein  Einheilen  der  Lis 
in  die  Wunde  eher  vermieden.  Als  Nachtheile  sind  die  Verunstaltung 
der  Pupille,  der  Einfall  peripherer  Lichtstrahlen,  der  aber  bei  kleinen 
Pupillen  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  keine  Verringerung  der  Seh- 
schärfe gegenüber  den  mit  runder  Pupille  Operirten  bewirkt,  und  ge- 
legentlich Blendungserscheinungen  zu  betrachten. 

a)  Den  Lappenschnitt  führt  man  meist  mit  einem  dreieckig  ge- 
stalteten Messer  (etwa  dem  Beer' sehen  Starmesser,  Figur  124)  aus. 
Nachdem  die  Lider  durch  einen  Sperrelevateur  oder  mittels  der  Finger 
vom  Bulbus  abgezogen,  wird  dieser  vom  Operateur  mit  der  Fixations- 
pincette  gefasst.  Nach  der  alten  Methode  soll  der  Schnitt  etwa  Y2  mm 
central  vom  Sclerallimbus  ganz  in  die  durchsichtige  Hornhaut  fallen. 
Man  wird  ungefähr  in  dem  horizontalen  Meridian  der  Cornea  einstechen 
(Punctionsstelle  Figur  125  a)  und  quer  durch  die  vordere  Kammer  an 


380  Erkrankungen  der  Linse. 

der  anderen  Seite  (Contrapunctionb)  ausstechen.  Indem  man  das  Messer 
alsdann  weiter  schiebt,  durchschneidet  es  in  Folge  seiner  keilförmigen 
Gestalt  die  ganze  Hornhaut.  Je  nachdem  man  die  Schneide  noch  oben 
oder  nach  unten  gewandt,  erhält  man  einen  oberen  oder  einen  unteren 
Lappen. 

1863  schlug  Jacobson  vor,  den  Schnitt  nicht  in  die  durchsichtige 
Hornhaut,  sondern  in  den  Sclerallimbus  (Figur  126)  zu  legen.  Da 
man  hierbei  auf  jeder  Seite  etwa  '/2  mm  an  Länge  des  Schnittes  ge- 
winnt, so  kann  man  etwas  entfernter  (2  mm  höher  oder  tiefer)  vom 
horizontalen  Hornhautdurchmesser  Ein-  und  Ausstich  machen.  Die  ge- 
ringere Höhe  des  Hornhautlappens  und  dadurch  verminderte  Neigung- 
zum  Klaffen,  weiter  auch  die  günstigeren  Heilungsbedingungen  für  die 
im  Sclerallimbus  liegenden  Wunden  schafften  diesem  Verfahren  grosse 


125.  126. 

Estraction  mit  Corneallappen.  Lappenextraction  im  Sclerallimbus  nach  Jacobson. 

Verbreitung.     Allerdings  fordert    die   stark  periphere   Schnittlage   eine 
Excision  der  Iris.  — 

In  den  letzten  Jahren  ist  der  Hornhautlappenschnitt  ohne  Iridee- 
tomie  wieder  sehr  in  Aufnahme  gekommen.  Aber  abweichend  von  der 
älteren  Methode  legt  man  den  Schnitt  jetzt. meist  gerade  in  den  Rand 
der  durchsichtigen  Hornhaut  und  trennt  mit  ihm  etwa  2/5  der  Peripherie ; 
man  kann  sich  hier  mit  Vortheil  des  Graefc' sehen  Messers  (s.  Fig.  127) 
bedienen.  Die  Anwendung  von  Eserin  unterstützt  das  Zurückhalten 
der  Iris  in  ihrer  normalen  Lage.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  derartig 
operirte  und  mit  runder  Pupille  gutgeheilte  Augen  kosmetisch  und  op- 
tisch einen  Vorzug  vor  den  iridectomirten  haben.  Der  Nachtheil  des 
Verfahrens  liegt  jedoch  darin,  dass  einmal  die  Entleerung  abgestreifter 
Corticalismassen  schwieriger  ist,  vor  Allem  aber,  dass  die  Iris,  selbst 
wenn  sie  nach  der  ( »peration  ganz  normal  liegt,  noch  oft  in  der  Heilungs- 
periode vorfällt.  Die  nachherige  Abtragung  des  Prolapses  ist  aber  nicht 
immer  gefahrlos.  Besonders  ist  ein  Prolaps  bei  stärkerem  intraoeularem 
Drucke  und  bei  hustenden  und  unruhigen  Patienten  zu  befürchten;  oft 
ist   alier    gar    keine    bestimmte  Veranlassung   festzustellen.     Man  wird 


Ausführung  der  Extraction.  381 

demnach  die  Indic&tion  für  den  Hornhautlappensehnitt  ohne  Iriclectomie 
zu  individualisiren  Laben.  Besonders  geeignet  ist  er  bei  härteren  Kata- 
rakten, bei  denen  sich  die  Corticalis  nicht  leicht  abstreift,  und  bei  ruhigen 
Patienten.  Ein  besonderes  Zurückziehen  der  durch  die  Katarakt  vor- 
gestülpten Iris  mittels  Haken  zu  besserer  Entbindung  halte  ich  nicht  für 
nöthig.  Wenn  die  Pupille  nach  der  Extraction  nicht  ganz  rund  wird 
und  die  Iris  sich  theihveise  der  Wunde  nähert,  so  mache  man  noch 
nachträglich    die  Iridectomie. 

b)  Die  Anwendung  des  Linearschnittes  auch  auf  Extraction 
von  Altersstaren  wurde  hauptsächlich  durch  A.  v.  Graefe  (periphere 
Lincarextraction  18G5) vertreten.  Graefe  bediente  sich  dazu  eines 
strohhalmartigen  Messers  (Figur  127).  Die  Punction  geschah  (bei  der 
Ausführung  des  Schnittes  nach  oben)  1-0  mm  vom  Hornhautrande  ent- 
fernt im  Selerallimbus  an  einem  Punkte  (a  Figur  128),  der  sich  circa 
1*5  mm  unter  der  Tangente  befand,  die  man  sich  an  dem  höchsten 
Punkt   der  Hornhaut  gelegt  dachte.     Der  Einstich  wurde  mit  gerader 


127.  128. 

v.  Graefe's  Linearmesser.  Periphere  Linearextraction 

nach  v.  Graefe. 

Pachtung  der  Spitze  zur  Pupillenmitte  gemacht  und  dann  erst  durch 
Senken  des  Griffes  nach  der  Contrapunctionsstelle  (b)  weiter  geschoben. 
Die  Vollendung  des  Schnittes  erfolgt  durch  Vor-  und  Eückwärtsschieben 
des  Messers,  indem  die  Schneide  von  ihrer  bisher  nach  oben  gerichteten 
Lage  etwas  nach  vorn  gedreht  wird,  so  dass  der  höchste  Punkt  des 
Schnittes  (c),  in  der  Tendenz  der  Linearität,  noch  etwas  in  die  durch- 
sichtige Hornhaut  fällt.  Das  Zielen  nach  der  Pupillenmitte  beim  Ein- 
stich hat  die  Folge,  dass  die  innere  Hornhautwunde  ebenso  gross  wird 
als  die  äussere. 

Allmählich  hat  man  sich  —  und  v.  Graefe  selbst  —  von  der 
strengen  Linearität  etwas  entfernt,  da  der  Schnitt  für  eine  ausreichend 
grosse  Wunde  zu  sehr  dem  Corp.  ciliare  genähert  werden  musste.  Hier- 
durch entstand  leicht  Glaskörpervorfall:  auch  ist  grössere  Gefahr  einer 
.-ecundären  Cyklitis  vorhanden.  —  Die  meisten  Operateure  sind  jetzt 
unter  Beibehaltung  des  schmalen  Messers  und  der  Einführung  desselben 
mit  der  Bichtung  nach  der  Pupillenmitte  hin  zu  einem  flachen  Lappen- 
schnitt übergegangen.    Man  legt  Punctions-  und  Contrapunctionsstelle 


:;s2 


Krkrankuniieii  der  Linse. 


circa  V2  mm  vom  durchsichtigen  Hornhautrande  entfernt  in  den  Scleral- 

limbus  und  durchschneidet  unter  geringer  Drehung  der  Messerschneide 

nach  vorn    die   Cornea  so;    dass  der    Scheitel    des  Lappens 


gerade  die 


durchsichtige 


Hornhautürenze    trifft.      Einstich 


und  Ausstich  liegen,  je  nach  der  Grösse  des  Stares,  2  bis 
3  mm  über  (bezw.  unter)  dem  horizontalen  Durchmesser  der 
Cornea. 

Bei  der  peripheren  Lage  des  Schnittes  fällt  hier  sowohl 
wie  auch  bei  dem  Lappenschnitt  im  Hornhautlimbus  (Jacob- 
son) die  Iris  leicht  in  die  Wunde.  Bei  beiden  Methoden 
muss  demnach  iriclectomirt  (zweiter  Act  der  Operation) 
werden.  Nachdem  man  die  geschlossene  Fixationspincette 
dem  Assistenten  übergeben,  fasst  man  mit  der  Irispincette 
die  Iris  und  schneidet  sie  mit  der  Scheere  ab.  Doch  empfiehlt 
es  sich  nicht,  ein  zu  grosses  Stück  zu  excidiren.  Immer 
sehe  man  darauf,  dass  keine  Iris  in  der  Wunde  liegen  bleibt 
und  dass  die  Ecken  des  pupillaren  Randes  des  Sphincters  sich 
wieder  aus  der  Wunde  herausziehen.  Nöthigenfalls  ist  vor- 
sichtiges Eingehen  mit  einem  kleinen  Spatel  oder  Einträufeln 
von  Eserin  angezeigt,  um  cystoide  Vernarbungen  zu  ver- 
hüten. 

Den  dritten  Act  der  Extraction  bildet  die  Cystitomie, 
die  Eröffnung  der  Linsenkapsel.  Man  bedient  sich  hierzu 
des  flietenförmigen  Cystitoms  (Figur  129a)  von  Graefe's 
(oder  des  mit  zwei  Häkchen  versehenen  Cystitoms  von  Ad. 
Weber)  und  macht  in  die  Kapsel  einen  möglichst  ausgiebigen 
Querschnitt.  Die  Schnitte  in  der  Kapsel  können  auch  so  ge- 
führt werden,  dass  in  der  Mitte  ein  viereckiges  Stückchen 
durch  sie  umschrieben  wird,  welches  mit  der  Linse  das 
Auge  verlässt.  Um  ein  Hineinfallen  und  Einheilen  der 
Kapsel  in  die  Wunde  zu  verhüten  und  andererseits  nach 
dem  Heraustreten  der  Linse  den  Wiederverschluss  des 
Kapselsackes,  der  dann  das  schädliche  und  reizende  Auf- 
quellen der  restirenden  Corticalmassen  hindert,  zu  erleichtern, 
wird  von  Knapp  systematisch  nur  ein,  der  Cornealschnitt- 
wunde  parallel  verlaufender  peripherer  Einschnitt  in  den 
Kapselsack  gemacht;  in  der  Regel  tritt  aber  bei  diesem 
Verfahren  Nachstar  auf,  der  später  diseidirt  werden  muss. 
Es  empfiehlt  sich  jedoeli  diese  Art  des  Kapselschnittes 
immer  beim  Morgagni'schen  Star,  um  dm  in  der  Flüssigkeit  schwim- 
menden   Kern    sehneil    und    sicher    herauszubekommen.      Um    grossen' 


129. 

v.    (iraefe's 
Cysl  it'iin  mit, 

Scli m  idt- 

l.'ini|il    i 
Linsenlöffel. 


Ausführung  der  Extraction. 


383 


Kapselstücke  herauszureisson,  kann  man  sich  mit  Vortheil  der  Kapsel- 
pincetten  bedienen. 

Im  vierten  Act  erfolgt  die  Entbindung  der  Linse,  indem  man  mit 
einem  Löffel  (Figur  129  b),  der  an  dem  Cystitomgriff  angebracht  ist, 
auf  die  Cornea  und  zwar  in  der  Gegend  des  der  Schnittwunde  gegen- 
überliegenden Linsenrandes  drückt.  Hierdurch  wird  der  der  Wunde 
nächstliegende  Rand  nach  vorn  gestellt  und  tritt  in  diese  ein.  Durch 
weiteres  Streichen  nach  der  Wunde  zu  wird  die  ganze  Linse  herausge- 
schoben. An  Stelle  des  v.  G-raefe'schen  Kautschuklöffels  (Figur  130) 
verwende  ich  den  in  Figur  129  abgebildeten  Metalllöffel,  der  zugleich 
geeignet  ist,  wenn  es  noththut,  in  das  Auge  einzugehen,  um  die  Linse 
direct  zu  fassen  und  zu  extrahiren. 

Sind    keine    Oortiealmassen   zurückgeblieben,    so    ist 
die  Operation    hiermit  vollendet;    andernfalls    sucht   man 
dieselben  durch  Druck  mit  dem  Löffel    oder   auch,  nach 
Herausnahme      der     Lidelevateure, 
mittels  Drückens  und  Schiebens  mit 
dem  entsprechenden  Lide,  während 


130. 


131. 

Weber' s  Drahtsclilinge. 


132. 

Scheere  von 
Wecker. 


das  andere  Lid  durch  Druck  auf  den  scleralen  Wundrand  die  Wunde  etwas 
klaffend  macht,  zu  entfernen.  Eine  sorgfältige  Entleerung  der  zurück- 
gebliebenen Massen  ist  von  grosser  Wichtigkeit  für  den  Heilungsver- 
lauf: besonders  aber  achte  man  darauf,  dass  nicht  grössere  Eeste  in 
oder  dicht  an  der  Wimde  liegen  bleiben.  Neuerdings  hat  man  auch 
Ausspülungen  der  vorderen  Kammer  mit  lauer,  lproc.  Borsäurelösung 
oder  sterilisirter,  physiologischer  Kochsalzlösung  zu  diesem  Zwecke 
vorgenommen:  das  Verfahren  ist  meist  unnöthig,  bisweilen  gefährlich. 

Von  ungünstigen  Ereignissen  bei  der  Operation  sei  zuerst  der  G-las- 
kürpervorfall  hervorgehoben,  wenn  er  dem  Linsenaustritt  vorangeht.  Hier  muss 
sofort,  gleichgültig,  ob  cystitomirt  ist  oder  nicht,  mit  dem  Linsenlöffel  (oder  etwa 


384  Erkrankungen  der  Linse. 

der  Drahtschlinge  (Figur  131)  eingegangen  werden  und  die  Linse,  indem  man 
hinter  sie  geht  und  sie  gegen  die  Cornea  drückt,  durch  die  Wunde  herausgezogen 
werden.  Der  Anfänger  hat  besonders  darauf  zu  achten,  dass  er  gleich  nach  dem 
Eingehen  durch  die  Corneawunde  mit  dem  Löffel,  dessen  Stiel  entsprechend  ge- 
bogen ist,  ausreichend  tief  in  den  Glaskörper  dringt,  um  hinter  die  Linse  zu  ge- 
langen und  nicht  etwa,  gegen  den  Hand  derselben  stossend,  diese  erst  recht  ver- 
senkt. Sollte  unglücklicher  Weise  die  Linse  ganz  im  Glaskörper  verschwinden  und 
der  starke  Glaskörperverrast  ein  weiteres  Suchen  verbieten,  so  schliesst  man  das 
Auge  mit  einem  Verbände  und  wartet  die  Wiederansammlung  von  Flüssigkeit  im 
Auge  einige  Zeit  ab.  Alsdann  legt  man  den  Patienten  auf  das  Gesicht.  Hierbei 
senkt  sich  die  Linse  wieder  nach  vorn  gegen  die  Cornea,  und  es  kann  jetzt  noch 
gelingen,  sie  mit  dem  Löffel  herauszubefördern.  An  Stelle  desselben  kann  man 
sich  kleiner  Haken  bedienen;  doch  erscheint  mir  dies  weniger  vortheilhaft,  weil 
sie  nicht  so  sicher  fassen  und  sich  die  Corticalis  leichter  abstreift.  Letzteres  ist 
auch  ein  Nachtheil  der  Drahtschlinge  gegenüber  meinem  Löffel.  —  Der  Glaskörper- 
vorfall, ehe  die  Linse  sich  einstellt,  kann  nur  durch  Zerreissen  der  Zonula  Zinnii 
erfolgen.  Da  diese  bei  überreifem  Star  oder  bei  nachweisbarem  Irisschlottern 
in  der  Kegel  sehr  dünn  ist,  muss  man  besonders  hier  auf  dies  Ereigniss  vorbereitet 
sein;  ebenso  natürlich  bei  Linsenluxation,  die  übrigens  während  der  Operation 
selbst  durch  ein  zu  starkes  Drücken  und  Zerren  mit  dem  Cystitom  gelegentlich 
veranlasst  wird.  Auch  kann  der  Druck  mit  dem  Löffel  auf  die  Cornea,  falls  die 
Linse  bei  zu  enger  Wunde  sich  zwar  einstellt,  aber  nicht  durchzuschlüpfen  ver- 
mag, zur  Folge  haben,  dass  hinter  der  Linse  Glaskörper  in  die  Wunde  tritt.  Glas- 
körper-Austritt nach  Extraction  der  Linse  ist  weniger  bedenklich,  da  ein  nicht  zu 
grosser  Glaskörperverlust  im  Ganzen  ungefährlich  ist;  immerhin  wird  die  Prognose, 
wie  auch  eine  ausgedehnte,  auf  der  Arlt 'sehen  Klinik  gemachte  Statistik  ergiebt 
etwas  weniger  günstig,  wenn  man  mit  Instrumenten  in  den  Glaskörper  eingegangen 
ist.  —  Ist  die  Wunde  zu  klein  gerathen,  so  vergrössert  man  sie  am  besten  mit 
der  AVecker'schen  Scheere  (Figur  132);  auch  stumpfe  Messer  (couteaux  mousses) 
wurden  zu  dem  Zweck  benutzt.  — 

Mooren  gab  1862  als  eine  besondere  Methode  an,  die  Iridectomie  sechs  bis 
acht  Wochen  der  Lappen-Extraction  voranzuschicken.  Abgesehen  von  der  Un- 
bequemlichkeit, in  zwei  verschiedenen  Zeiten  die  Patienten  einer  Operation  unter- 
ziehen zu  müssen,  hat  das  Verfahren  in  der  That  den  Vortheil,  dass  Irisprolaps 
und  cystoide  Vernarbung  gänzlich  verhütet  und  die  eigentliche  Extraction  er- 
leichtert werden.  Will  man  daher  besonders  vorsichtig  vorgehen,  so  ist  die  Methode 
zu  empfehlen. 

Der  Schnitt  kann  bei  den  Extractionen  nach  oben  oder  nach  unten 
gelegt  werden;  ersteres  ist  im  Ganzen  vorzuziehen.  Das  nach  oben 
gerichtete  Coloborn  wird  etwras  besser  vom  oberen  Lide  bedeckt.  Auch 
tritt  unter  dem  Druckverbande  bei  älteren  Leuten  leicht  ein  Entropium  des 
unteren  Lides  ein,  das  sich  gegen  die  etwa  nach  unten  angelegte  Wunde 
anstemmt.  Einen  direct  nachtheiligen  Einfluss  auf  die  Wundheihmg  habe 
ich  jedoch  hiervon  kaum  je  gesehen,  zumal  sich  das  Entropium  in  der 
Kegel  erst  einstellt,  wenn  die  prima  intentio  erfolgt  ist.  Wohl  aber  ist 
die  Schnittführung  nach  unten  leichter,  da  der  obere  Orbitalrand  be- 
sonders bei  tief  liegenden  Augen  hinderlich  sein  kann,  auch  die  meisten 
Patienten  die  Neigung  haben,  mit  den  Augen  nach  oben  zu  fliehen. 


Ausführung  der  Extraction. 


385 


Andere  Methoden  der  Extraction  des  Stares.  Reclination.  — 
Ad.  Weher  macht  den  Schnitt  mit  einer  Hohllanze  (Figur  133).  Diebreite 
Fläche  derselben  ist  in  horizontaler  Richtung  concav  geschliffen.  Eine  grössere 
Serie  solcher  Lanzen  von  verschiedener  Breite,  entsprechend  den  verschiedenen 
Grössen  der  Stare  berechnet,  muss  zur  Verfügung  stehen.  Nachdem  man  mit  der 
Weber'schen  Fixirpincette  (Figur  134)  in  der  Nähe  des  Cornealrandes  die  Con- 
junctiva  gefasst  und  das  Auge  nach  unten  gezogen  hat. 
sticht  man  mit  der  Lanze  an  dem  obersten  Punkt  des  senk- 
rechten Hornhautmeridians  ein.  Die  Lanze  wird  parallel  der 
Iris,  mit  ihrer  Spitze  nach  dem  tiefsten  Punkt  der  Hornhaut 
zielend,  durch  die  vordere  Kammer  geführt.  Der  Schnitt  der 
holdgeschliffenen  Lanze  ist  annähernd  linear  (mit  einer  ge- 
ringen Lappenhöhe)  und  hat  wenig  Neigung  zum  Klaffen. 
Es  ist  aber  unbequem,  gleichsam  für  jede  Stargrösse  ein 
besonderes  und  schwer  zu  schärfendes  Messer  bereit  halten 
zu  müssen.  —  Jäger  hat  zum  Schnitt  ein  hohlgeschliffenes 
Beer'sches  Starmesser  angegeben.  — 

Liebreich  führte,  um  die  Iridectomie  zu  vermeiden, 
einen  annähernd  linearen  Schnitt  so  aus,  dass  er  mit  dem 
Graefe' sehen  Messer  dicht  unter  dem  horizontalen  Meridian 
der  Cornea  Ein-  und  Ausstich  (Figur  135  a  und  b)  machte 
und  die  durchsichtige  Cornea  so  durchschnitt,  dass  etwa  der 
stehenbleibende  untere  Theil  ein  Drittel  ihrer  Höhe  betrug. 
Da  aber  die  Iris  sich  der  Wunde  anlegt,  entstehen  oft  vor- 

133  1  ji 

dere  Svnechien.  —  L ehr un  benutzte  einen  ähnlichen  Schnitt  „  , ,    "  „.  .    . " 

Hohllanze        Fixirpin- 
nach  oben.  —  nach  eettenach 

Die  idealste  Art  der  Kataraktextraction  ist  die  Ent-     Weber.         Weber. 
fernung  der   Linse  mit  der  Kapsel.     Hierdurch  werden 

die  Reizungen,  welche  von  zurückbleibenden  Corticalmassen  herrühren,  und 
die  Wucherungen  des  Kapselepithels  ausgeschlossen.  AI.  Pagenstecher  hat 
dies  Verfahren  besonders  geübt  und  methodisch  ausgebildet.  Nachdem  die 
vordere  Kammer  durch  den  Schnitt  eröffnet,  ging  er  mit  einem  eigens  con- 
struirten  Löffel  hinter  die  Linse  in  die  tellerförmige  Grube,  während  gleich- 
zeitig der  Assistent  mit  dem  Kautschucklöffel  auf  die  Cornea  —  wie  bei  der 
Graefe'schen  Operation  —  gegen  den  entgegengesetzten  Linsenrand  drückte. 
In  der  That  gelingt  es  so  häutig,  die  Linse  in  der  Kapsel  zu  extrahiren  und  ein 
vollkommen  freies  Pupillargebiet  herzustellen.  Aber  recht  oft 
tritt  auch  Glaskörperverlust  ein,  ein  Ereigniss,  das  für  die  Heilung 
doch  nicht  absolut  gleichgültig  ist;  auch  das  Eingehen  mit  dem 
Löffel  übt  nach  Arlt's  Erfahrungen  auf  den  Gesammtprocentsatz 
der  Heilungen  einen  ungünstigen  Einfluss  aus.  Ebenso  sind  Glas- 
körpertrübungen nicht  selten.  Am  ehesten  indicirt  ist  das  Ver- 
fahren bei  überreifen  Staren,  bei  Irisschlottern  und  bei  Staren 
in  hochgradig  myopischen  Augen,  also  überall,  wo  eine  grössere 
Dünnheit  der  Zonula  Zinnii  zu  vermuthen  ist.  — 

Die  erwähnten  ITethoden  finden  ihre  Anwendung  besonders  beim 
Altersstar,  der  wegen  seiner  Grösse  einer  ausgiebigen  Wunde  bedarf. 
Die  schon  bei  den  partiellen  Staren  besprochene  Discission  hat  hier 
wegen  der  Härte  des  Kernes,  der  sich  nicht  resorbirt,  keine  Indication. 
Wohl  aber  kann  man  bei  jugendlichen  Individuen,  etwa  unter 
Sehmidt-Rimpler.    T.Auflage.  '25 


135. 

Extraction  nach 
Liebreich. 


386 


Erkrankungen  der  Linse. 


Die  ursprünliche  modificiite  Liuearextraction 
v.  Graefe's. 


20  bis  25  Jahren;   auch  einen  Totälstar,   der  in  diesem  Lebensalter 

in  der  Regel  keinen  harten  Kern  hat,  durch  Discisskra  zur  Resorption 
bringen;  —  mit  Ausnahme  einzelner  Fälle  eines  grau  oder  weiss  aus- 
sehenden angeborenen  Stares,  die  wegen  der  Härte  des  Kernes  der 
Discission  widerstehen  (AI fr.  Graefe).  Sollte  nach  der  Discission 
eine  iritische  Heizung  oder  Druckerhöhung  im  Innern  des  Auges  auf- 
treten, so  ist  die  Linsenmasse  durch  einen  kleinen  linearen  Hornhaut- 
schnitt, mit  der  Irislanze  oder  dem  Graefe 'sehen  Messer  gemacht,  bei 

ihrer  breiigen  Beschaffenheit 
leicht  zu  entleeren.   Immer- 
hin ist  die  Resorption  aber 
ein  sich  über  Monate   hin- 
ziehender Process.  Während 
der  ganzen  Zeit  muss  durch 
Atropinisirung    die  Pupille 
möglichst  maximal  weit  ge- 
halten   werden,    um    einer 
Iritis    vorzubeugen.      Auch 
kann  man,  als  bestes  Mittel 
zur  Verhütung  derselben,  eine  Iridectoinie  der  Discission  voranschicken, 
wenn  bei  der  versuchsweisen  Atropinisirung  sich  die  Pupille  nicht  gut 
erweitert. 

.  v.  Graefe  hatte,  ehe  er  seine  periphere  Liuearextraction 
einführte,  zur  Extraction  der  weichen  Stare  jugend- 
licher Individuen  bereits  den  linearen  Hornhautschnitt 
mit  Hülfe  eines  breiten  Lanzenmessers  (Figur  136  a),  und 
zwar  nach  der  temporalen  Seite  hin,  vielfältig  ausgeübt, 
dem  er  ebenfalls  vor  der  Kapselöffnung  eine  Iridectomie 
folgen  Hess  (sogenannte  m  o  d  i  f i  c  i  r  t  e  L  i  n  e  a r  e  x  t r  a  c  t  i  o  n). 
Da  die  Wunde  zu  klein  ist,  um  den  Star  in  seiner  Totali- 
tät durchzulassen,  entleert  man  die  Massen,  indem  man 
durch  Druck  mit  einem  Da  viel' sehen  Löffel  (Figur  137) 
gegen  den  Scleralrand  der  Wunde  ein  Klaffen  derselben 
zu  Stande  bringt;  nötigenfalls  kann  man  auch  mit  dem 
Löffel  eingehen  und  die  Linsenmasse  direct  herausfördern. 
In  der  Regel  kommt  man  auch  ohne  Iridectomie  aus  (ein- 
facher Linearschnitt).  Das  Verfahren  ist  besonders  zu 
empfehlen  bei  der  Extraction  angeborener  Stare  im  Kindes- 
alter; hier  bekommt  man  durch  Schnitte  mit  dem  schmalen  Messer,  welche 
grössere  Neigung  zum  Klaffen  haben,  oft  Glaskörpervorfall.  Ebenso 
findel   es   neuerdings  viel  Verwendung  bei  der  Operation  hochgradiger 


Alb] 


137. 

Daviel- 
seher  Löffel. 


Ausführung  der  Extraction.  387 

Myopie,  wo  mit  demselben  die  nach  der  Discission  gequollenen  Linsen- 
massen  herausgelassen  werden.  Da  meist  derjenige  Meridian  der  Cornea, 
der  senkrecht  auf  der  Lanzenschnittfläche  steht,  sich  später  etwas  ab- 
tlacht, so  kann  man  bestehenden  Astigmatismus  durch  eine  dement- 
sprechend gewählte  Schnittrichtung  zu  corrigiren  versuchen. 

I  >ie  Verfahren  von  Waldau,  Critchett  und  Anderen,  durch  einen  ähn- 
lichen Schnitt  auch  Altersstare  mittels  eingeführten  Löffels  oder  Hakens  zu  extra  - 
liiren.  sind  verlassen  worden. 

Bei  den  weichen  Katarakten  hat  man  auch  die  Suctionsmethode  angewandt, 
indem  man  mittels  einer  eingeführten  Canüle  die  Starmasse  mit  dem  Munde 
i  Laugier)  oder  mit  einer  Spritze  (Coppez)  aussaugt.  Ebenso  einfach  gelingt 
die  Entfernung  durch  Linearschnitt. 

Bei  zusammengeschrumpften  Staren  (z.  B.  Cataracta  aridosiliquata 
mit  enger  Pupille  und  hinteren  Synechien),  wie  sie  in  Folge  chronischer 
Iritiden  oder  nach  Cyklitis  auftreten,  bietet,  wegen  der  schwartigen  Ver- 
wachsung mit  der  Hinterfläche  der  Iris,  die  Extraction  oft  Schwierig- 
keiten. Hier  thut  man  gut,  mit  dem  Beer 'sehen  oder  schmalen  Star- 
messer, sobald  man  in  der  vorderen  Kammer  ist,  sofort  auch  die  Iris 
zu  durchstossen,  hinter  ihr  fortzugehen  und  auf  der  entgegengesetzten 
Seite  zu  contrapunetiren  (Wenzel' sehe  Operation);  doch  darf  der 
Schnitt  wegen  zu  befürchtenden  Glaskörperverlustes  nicht  zu  peripher 
fallen.  Das  abgeschnittene  Irisstück  wird  mit  der  Pincette  entfernt. 
Bisweilen  gelingt  es,  auf  diese  Weise  noch  ein  genügendes  Resultat 
zu  erhalten.  Critchett  hat  hingegen  besonders  bei  den  complicirten 
Katarakten,  wie  sie  sich  bei  sympathischer  Iridocyklitis  entwickeln,  em- 
pfohlen, nicht  zu  extrahiren,  sondern  mit  der  Discissionsnadel  allmählich 
ein  centrales  Loch  in  den  Star  zu  bohren:  ein  Verfahren,  das  jedenfalls 
weniger  unmittelbare  Gefahr  bietet.  Geschrumpfte  Stare  finden  sich 
auch  öfter  angeboren  in  Folge  von  intrauterinen  Vorgängen.  Bei  diesen 
Formen,  wie  überhaupt  bei  den  angeborenen  Staren,  versuche  man  immer 
erst  die  Discission  und  wiederhole  sie  eventuell.  Bei  der  Extraction 
entstehen  leicht  Zerrungen  des  Corp.  ciliare,  und  die  Augen  gehen  an 
I .'yklitis  zu  Grunde:  dazu  kommt  die  Unruhe  der  Kinder,  die  zu  Glas- 
körperverlust und  sonstigen  Complicationen  Anlass  giebt.  Bei  Kindern 
unter  2  Jahren  sollte  als  Staroperation  die  Discission  stets  die  Regel 
bilden:  gelegentlich  nach  vorausgeschickter  Iridectomie. 

Auch  die  Reste  der  traumatischen  Stare  sind  für  die  Discission 
geeignet.  Ist  die  Verletzung  der  Linse  eben  erst  erfolgt,  so  sucht  man 
durch  starke  Atropinisirung  vor  Allem  einer  Iritis  vorzubeugen.  Der 
Kranke  wird  ins  Bett  gelegt  und  antiphlogistisch  bezw.  ableitend  be- 
handelt. Wenn  bei  starker  Quellung  der  Linsenmasse  die  Iris  gereizt 
wird  und  Erscheinungen  von  Druckzunahme  sich  zeigen,    so  sind  die 

25* 


388 


Erkrankungen  der  Lin.se. 


Massen  durch  einen  Linearschnitt  mit  der  Lanze  zu  entleeren:  einer 
Iridectomie  bedarf  es  in  der  Regel  nicht.  In  einzelnen  Fällen  jedoch 
kommt  es  bei  der  Entwickelung  der  traumatischen  Katarakte  trotz  aller 
Bemühungen  zu  chronischen  Iritiden  mit  gleichzeitiger  Betheiligung  des 
Corpus  ciliare.  — 

Vor  Daviel,  der  zuerst  durch  den  guten  Erfolg,  den  er  mit  der  Extraction 

einer  in  die  vordere  Kammer  gefallenen  Linse  erzielt  hatte,  auf  die  Oultivirung 
des  Lappenschnittes  bei  allen  Altersstaren  gekommen 
war,  übte  man  die  Versenkung  des  Stares  in  den  Glas- 
körper: eine  Methode,  die  in  vereinzelten  Fällen  auch  jetzt 
noch  hier  und  da  geübt  wird. 

Man  geht  mit  einer  Starnadel  durch  die  Sclera  (Sclera- 
tonyxis),  etwa  3  bis  4  mm  vom  temporalen  Hornhautrande 
und  etwas  unterhalb  des  horizontalen  Meridians,  in  den 
Glaskörper,  schiebt  dann  die  Nadel  hinter  die  Iris  —  eine 
Fläche  nach  vorn,  die 'andere  nach  hinten  —  bis  zur  Pupillen- 
mitte und  bringt  nun  durch  Druck  mit  der  Nadel  die  Linse 
aus  dem  Pupillargebiet  nach  unten-aussen  in  den  Glaskörper. 
Begnügt  man  sich  damit,  die  Linse  einfach  nach  unten  zu 
luxiren,  so  spricht  man  von  Depression,  wird  sie  hin- 
gegen, was  leichter,  gleichzeitig  um  ihre  horizontale  Achse 
nach  hinten  und  unten-aussen  gedreht,  von  Keclination 
(Figur  138). 


138. 


Reclination  (schema- 
tisch,  von  oben  in  den 
halbirten  Augapfel  ge- 
sehen). 


Vor-  und  Nachbehandlung. 

Vor  jeder  Star-Operation  sind  etwaige  mit  Absonderung  verknüpfte 
Affectionen  der  Conjunctivae  vor  Allem  aber  die  des  Thränensackes  zu 
beseitigen.  Die  durch  das  infectiöse  Secret  aller  Thränensackleiden 
bedingten  Gefahren  haben  einzelne  Operateure  veranlasst,  vor  jeder 
Star-Operation  antiseptische  Durchspülungen  der  Thränenwege  (Haab) 
vorzunehmen  oder  auch  die  Thränenpunkte  durch  Cauterisation  etc. 
undurchgängig  zu  machen.  Es  ist  übrigens  oft  schwer,  die  Dakryocysto- 
Blennorrhoe  zu  constatiren,  da  sich  beim  Druck  auf  den  Thränensack 
nicht  immer  das  Secret  durch  den  Thränensack  entleert;  selbst  öftere 
derartige  Versuche  können  negativ  ausfallen.  Am  ehesten  kommt  man 
zu  einem  Resultat,  wenn  man  dem  Patienten  die  Nacht  über  einen 
Druckverband  anlegt  und  nun  am  Morgen  nachsieht,  ob  Secret  vor- 
handen ist.  Dieses  Verfahren  sollte  vor  jeder  Star-Extraction  geübt 
werden.  Besteht  ein  Thränensackleiden,  so  muss  die  infectiöse  Ab- 
sonderung vor  der  Operation  gehoben  werden;  es  gelingt  dies  durch 
Sondiren  und  Einspritzungen  in  nicht  allzulanger  Zeit.  Durch 
Kinimpfung  des  Secrets  in  die  Hornhaut  des  Kaninchens  kann  man 
sich  eventuell   von   der  vorhandenen  oder  fehlenden  lnfectionsfähigkeit 


Nachbehandlung.  389 

überzeugen.  Die  Incision  des  Thränensackes  zum  Abfliessen  des  Secrets 
nach  aussen  oder  die  Verödung  der  Thränenröhrchen  halte  .ich  nicbt  für 
nöthig.  Kurz  vor  der  Operation  mache  man  jedoch  keine  reizenden  Ein- 
spritzungen, da  dieselben  momentan  die  Secretion  steigern.  Auch  achte 
man  auf  den  Thriinensack  des  zweiten,  nicht  zu  operirenden  Auges: 
auch  von  diesem  aus  kann  Infection  erfolgen.  Besteht  keine  Gefahr  vom 
Thrünensaek  aus,  so  ist  bei  sonstiger  aseptischer  oder  antiseptischer 
exacter  Methode  jetzt  kaum  noch  eine  Suppuration  nach  Star-Extraction 
zu  befürchten. 

In  den  letzten  Jahren  hat  man  sowohl  nach  Star-Operationen  wie 
nach  anderen  Augenoperationen  die  früher  üblichen  festen  Druckver- 
1  lande  v.  Grraefe's  modificirt  oder  verlassen.  Einmal  glaubte  man, 
keinen  so  grossen  Werth  auf  völlige  Ruhestellung  der  Augen  legen  zu 
müssen  und  andererseits  versprach  man  sich  gerade  durch  die  Lid- 
bewegimg den  Thränenabfluss  zu  beschleunigen  und  hiermit  eine  Art 
antiseptische  Wirkung  auf  die  im  Conjunctivalsack  befindlichen  Bacterien 
zu  üben:  letztere  Anschauung  beruht  besonders  auf  den  experimentellen 
Untersuchungen  von  Bach,  der  der  Thränenflüssigkeit  einen  derartigen 
Einrluss  zuschreibt.  Doch  kann  ich  diesem  Moment  keine  besondere 
Bedeutung  beilegen,  da  die  Erfahrung  lehrt,  dass  auch  unter  dem 
Druckverbande  fast  nie  eine  Suppuration  eintritt,  wenn  nicht  ein 
Thränensackleiden  besteht.  Dass  die  Infection  durch  das  letztere  aber 
auch  bei  offenen  Augen  nicht  verhindert  werden  kann,  zeigen  uns  die 
zahlreichen  Ulcera  serpentia,  die  nach  leichten  Hornhautwunden  durch 
Infection  seitens  des  Thränensackeiters  entstehen.  Für  viele  Fälle  ist  aber 
in  der  That  eine  so  lang  dauernde  Ruhestellung  der  Augen,  wie  man  sie 
früher  übte,  nicht  nöthig:  die  hier  frühzeitig  erfolgende  Wiederher- 
stellung der  vorderen  Kammer  giebt  uns  den  Beweis,  dass  die  angelegte 
Wunde  verklebt  ist.  Bis  zu  dieser  Verklebung  wird  jedoch  eine  möglichste 
Ruhestellung  des  Auges,  wie  es  auch  sonst  bei  Operationswunden  in  der 
Chirurgie  üblich,  zu  erstreben  sein.  Es  kommt  noch  hinzu,  dass  die 
Wunde,  selbst  wenn  sie  verklebt  ist,  durch  einen  Stoss  gegen  das  Auge, 
wie  er  besonders  in  der  Nacht  unwillkürlich  eintreten  kann,  wieder  auf- 
platzen kann.  Ich  habe  dies  noch  gelegentlich  nach  5  bis  6  Tagen  ein- 
treten sehen!  Dies  ist  für  mich  Grund  genug,  auf  eine  offene  Wund- 
behandlung ohne  jeden  Verband,  wie  sie  zuerst  Hjort  empfohlen,  von 
vornherein  zu  verzichten. 

Die  jetzt  üblich  gewordenen  Drahtgitter,  welche  theils  mit  einem 
darunter  befindlichen  Watteverbande  zum  Augenverschluss,  theils  ohne 
diesen  nur  als  Schutz  angewandt  werden,  sind  für  den  Operirten  meist  an- 
genehmer als  die  älteren  mit  Binden  angelegten  Druckverbände.  Man  kann 
dazu  die  verschiedenen  eiförmig  gestalteten  Gitter  (Fuchs,  Czermak, 


;;« Kl  Erkrankungen  der  Linse. 

Schwarz)  oder  Metallschalen  (Herrnheiser)  benutzen.  Um  das 
Auge  geschlossen  und  richtig  zu  halten,  lege  ich  zuerst  in  Chlor- 
wasser getauehte  Mullläppchen  auf  die  Lider  und  fülle  darüber 
die  Augenhöhle  bis  zum  Gitter  bin  mit  Watte  aus;  aueb  das  nicht- 
operirte  Auge  verklebe  ieh;  um  zu  verhindern,  dass  das  andere 
Auge  Mitbewegungen  macbe.  Am  näebsten  Tage  siebt  man  vor- 
sichtig nach,  ob  die  Wunde  geschlossen  ist,  und  kann  nun  bei  ruhigen 
Patienten  die  Augen  unter  dem  durch  einen  dunklen  Ueberzug  ver- 
deckten Gitter  lassen,  ohne  dass  Mull  und  Watte  erneuert  werden.  Bei 
unruhigen  Patienten,  bei  Hypertonie,  bei  Glaskörpervorfall  oder  sonstigen 
Complieationen  halte  ich  aber  einen  länger  fortgesetzten  Druckver- 
band für  sicherer.  An  Stelle  des  früheren  Verbandes  mit  Gazebinden 
wende  ich  öfters  ein  ähnlichwirkendes  feines  Drahtgitteroval  (glatt,  nicht  ei- 
förmig gewölbt)  an,  das  gerade  wie  eine  Binde  den  auf  das  Auge  gelegten 
Mull-Watte-Verband  andrückt:  es  ist  bfnocular  und  wird  mit  Bändern,  die 
um  den  Kopf  gehen,  befestigt.  Dauert  die  Wiederherstellung  der  vorderen 
Kammer  eine  längere  Zeit,  so  muss  man  auch  den  festen  Verband  länger 
iegen  lassen.  Bis  zum  6. — 7.  Tage  lege  man  den  Schutzverband  an, 
^ann  ersetze  man  ihn,  wenn  alles  gut  gegangen  ist,  bei  Tage  durch  eine 
Klappe,  aber  Nachts  halte  man  das  Auge  noch  etwas  länger  unter  Schutz, 
um  unwillkürliche  Verletzungen  desselben  zu  vermeiden.  Da  es  sich  um 
die  ganze  Zukunft  des  Operirten  handelt,  sei  man  lieber  etwas  zu  vorsichtig. 
Nach  der  Operation  wird  der  Patient  ins  Bett  gebracht;  das  Zimmer  massig 
verdunkelt.  Gewöhnlich  folgen  der  Operation  keine  oder  nur  unbedeutende 
Schmerzen  (Brennen),  die  gegen  Abend  schwinden.  Falls  kein  Schlaf 
eintritt,  gebe  man  für  die  Nacht  ein  Opiumpulver  oder  Chloralhydrat. 
Oefters  sind  die  Schmerzen  nur  durch  angesammelte  Thränen  oder  durch 
zu  festes  Anliegen  oder  Verschieben  des  Verbandes  veranlasst.  Störungen 
im  Heilungsverlauf  zeigen  sich  vor  Allem  durch  Eiter  auf  dem  Ver- 
bandmull, der  sonst  vollkommen  trocken  erscheint.  Wenn  bis  zum 
Ende  des  vierten  Tages  Alles  gut  gegangen,  ist  die  Heilung  der  Wunde 
durchschnittlich  als  gesichert  zu  betrachten.  Vom  2.  oder  o.  Tage  an 
träufele  man  ein-  bis  zweimal  täglich  reichlich  Atropin  ein,  um  hinteren 
Synechien  vorzubeugen,  wie  sie  bei  enger  Pupille  leicht  entstehen. 
Sollte  ein  Irisprolaps  bestehen,  so  wird  Eserin  angewandt.  In  den 
ersten  Tagen  gebe  man  nur  dünne  Diät,  um  das  Kauen  zu  vermeiden; 
auch  ist  das  Eintreten  des  Stuhlgangs  möglichst  hintanzuhalten,  weil 
das  dabei  erfolgende  Pressen  schädlich  sein  kann.  Ist  bis  zum  fünften 
Tage  kein  Stuhlgang  erfolgt,  so  muss  man  ihn  künstlich  anregen. 
Durchschnittlich  halte  man  die  Operirten  .->  bis  6  Tage  im  Bette;  nach 
Ablauf  «1er  ersten  beiden  Tage  können  sie  sich  darin  aufsetzen.  Handelt 
es    sich    um    sehr    alte    und  schwache   Personen,   so  wird  man  sie  eher 


Nachbehandlung".  391 

aus  »lein  Bette  lassen  und  roborirend  behandeln.  Nach  10 — 14  Tagen 
können  die  Operirten  bei  gutem  Verlauf  und  gutem  Wetter  meist  in's 
Freie  gehen. 

Störungen  der  Wundheilung.  Die  grösste  Gefahr  nach  der 
( Operation  ist  die  Hornhaut-  und  Glaskörpervereiterung.  Sie  pflegt  sich 
in  ihren  Anfängen  gewöhnlich  nach  36  bis  48  Stunden,  ausnahmsweise 
später  zu  zeigen.  Die  Kranken  klagen  meist  über  Schmerzen  in  Auge  und 
Stirn;  wenn  man  alsdann  den  Verband  abnimmt,  so  ist  das  dem  Auge 
aufliegende  Läppehen  mit  reichlicherem,  eiterähnlichem  Secret  bedeckt. 
Es  ist  dies  das  wichtigste  Anzeichen  der  drohenden  Eiterung;  —  natür- 
lich vorausgesetzt,  dass  keine  Oonjunctivalprocesse  früher  vorhanden 
waren,  welche  die  vermehrte  Absonderung  erklären.  Beim  Oeffnen  des 
Auges  rindet  man  meist  Hyperämie  der  Conj.  bulbi  und  massiges  Oedem. 
1  >ie  Hornhaut  sieht  gewöhnlich  noch  klar  aus,  auch  an  den  Wundrän- 
dern ist  nichts  Abnormes  zu  finden.  Im  Verlauf  der  nächsten  24  Stun- 
den aber  wird  der  Wundrand  gelblich  infiltrirt,  dicker  und  steht  von 
dem  Sclerallappen  ab.  Die  Iris  verfärbt  sich  etwas,  in  der  vorderen 
Kammer  liegt  Eiter.  In  anderen,  seltenen  Fällen,  besonders  nach  Glas- 
körperverlust bei  der  Operation,  kann  die  Hornhaut  noch  vollkommen 
durchsichtig  sein,  während  der  Glaskörper  schon  gelblich  infiltrirt  ist. 
(ieht  der  Process  weiter,  so  kommt  es  zur  Panophthalmitis  oder  wenig- 
stens eitrigen  Chorioiditis.  Es  gelingt  verhältnissmässig  selten,  früh- 
zeitig beginnende  Suppurationen  zu  beschränken,  und  wenn  es  gelingt, 
entstehen  meist  erhebliche  hintere  Synechien  der  bis  und  Nachstar.  Man 
kann  versuchen,  durch  Cauterisation  der  infiltrirten  Wundränder  mit  dem 
Galvanocauter  dem  Fortschreiten  entgegenzuwirken.  Bei  Ausbreitung 
des  Eiters  in  die  vordere  Kammer  ist  innere  Cauterisation  (Eversbusch) 
oder  Einführen  von  Jodoformstäbchen  (Ha ab)  empfohlen  worden.  Auch 
die  Wiedereröffnung  der  Wunde  ist  bisweilen  von  Nutzen,  ebenso  eine 
subconjimctivale  Sublimat-Injection  (1  Tropfen  einer  Lösung  von  1:1000, 
täglich  einmal)  (Darier)  oder  eben  solche  Kochsalz-Injection.  Weiter 
macht  man  im  Beginn  kalte,  später  laue  Umschläge  mit  Sublimatlösung 
und  träufelt  Aqu.  chlorat.  ein.  Zum  Glück  sind  diese  deletären  Vor- 
gänge bei  der  jetzt  üblichen  grösseren  Reinlichkeit  und  Antisepsis  sehr 
selten  geworden.  Jedoch  scheinen  mir  einzelne  Fälle  besonders  von  später 
auftretenden  Eiterungen,  denen  allgemeine  Krankheitserscheinungen 
vorangingen,  auch  für  die  Möglichkeit  einer  von  innen  ausgehenden  In- 
fection  zu  sprechen.  Aeusserliche  Tnfection  kann  noch  nachträglich  durch 
das  Verhalten  des  Patienten,  Abreissen  des  Verbandes  u.  a.,  stattfinden; 
besonders  ist  dies  möglich,  wenn  die  Operirten  in  Delirien  verfallen. 
Diese  von  Sichel  zuerst  beschriebenen  Delirien  nach  Staropera- 
tionen  sind  nicht  Wunddelirien,    sondern  einfach  Folge   der  Einwir- 


392  Erkrankungen  der  Linse. 

kung  des  Lichtabschlusses  auf  Individuell,  die  körperlich  oder  geistig 
geschwächt  sind;  ich  halte  sie  auch  sonst  bei  Augenkranken  beobachtet, 
die  in  DunkelzimmerB  gehalten  wurden.  Vom  Delirium  tremens  unter- 
scheiden sie  sich  durch  den  Mangel  des  Tremor  und  Alkoholismus,  sowie 
auch  durch  den  andersartigen  Inhalt  der  Ilallucinationen.  Sie  gehen 
in  der  Regel  in  1 — 2  Tagen  vorüber,  wenn  man  durch  Oefihen  der 
Augen  den  Patienten  wieder  Lichteindrücke  schafft. 

Bedenklich  für  die  Zukunft  des  Auges  ist  es,  wenn  Iris  in  grösserer 
Ausdehnung  sich  zwischen  die  Schnittwunde  legt  und  ihre  unmittelbare 
Verklebung  verhindert.  Es  bildet  sich  dann  entweder  ein  wirklicher 
frisprolaps  oder  eine  blasenartige,  von  Conjunctiva  überzogene  durch- 
sichtige Hervorwölbung,  die  meist  in  den  Wundecken  sitzt  und  mit  der 
Kammer  communicirt  (cystoide  Vernarbung).  Wenn  auch  eine 
grössere  Reihe  derartiger  Augen  dauernd  erhalten  bleibt,  so  ist  doch 
die  Gefahr  naheliegend,  dass  von  dort  aus  noch  später  eine  eitrige 
Iritis  sich  entwickelt,  die  in  wenigen  Tagen  durch  Ausdehnung  auf 
die  Chorioidea  das  Auge  zerstören  kann.  Meist  tritt  die  Infection 
dieser  Vorfälle  von  aussen  ein,  wie  die  bacteriellen  Befunde  Wagen- 
mann's  ergeben  haben;  in  einzelnen  Fällen  handelt  es  sich  aber 
auch  um  endogene  Infection.  Man  trägt  möglichst  frühzeitig  die 
Irisvorfälle  ab;  bei  grösseren  cystoiden  Vernarbungen  kann  man 
auch  den  Galvanocauter  anwenden.  Bestehen  dieselben  schon 
längere  Zeit,  ohne  das  Auge  geschädigt  zu  haben,  so  wird  man 
meist  auf  die  Operation  verzichten,  da  diese  dem  Auge  Gefahr  bringen 
könnte. 

Auch  Regenbogenhautcntzündimgen  können  auftreten;  meist  han- 
delt es  sich  um  leichtere,  die  zu  vereinzelten  Synechien  Anlass  geben. 
Die  eitrigen  Formen  jedoch  führen  öfters  zum  Ruin  des  Auges.  Das- 
selbe bewirken  schleichende  Irido-Cykliten,  die  bisweilen  selbst  sym- 
pathische AfFection  des  anderen  gesunden  Auges  veranlassen.  Schmerzen, 
pericornealc  Injection,  Pupillenveränderung  machen  darauf  aufmerksam. 
In  der  Regel  sind  es  StaiTeste,  welche  die  Entzündung  veranlassen. 
Bemerkenswerth  ist,  dass  in  seltenen  Fällen  bei  den  Iritiden  nach  der 
Starextraction  graue  consistentere  Massen  im  Glaskörper  in  der  Nähe 
des  Ciliarkörpers  auftreten,  die  meist  in  einigen  Tagen  sich  wieder 
resorbiren  (Velhagen).  Ich  halte  sie  \'i\v  gelatinöse  Exsudationen,  ähn- 
lich  wie  wir  sie  in  der  vorderen  Kammer  gelegentlich  sehen  (cf.  S.  309). 
Die  Behandlung  dieser  Entzündungen  besteht  in  starkem  Atropinisiren; 
bei  grosser  Heftigkeit  des  Processes  ist  als  energischstes  Mittel  die 
Mercurialisation  zu  empfehlen.  Nicht  allzu  selten  erfolgen  kleine  Blu- 
tungen in  die  vordere  Kammer,  so  nach  heftigeren  Augenbewegungen, 
Husten,    Pressen   beim   Stuhlgang  U.   S.  w.;    sie  werden  meist  bald  resor- 


Nachstar.  393 

birt.  Oefters  verzögert  sich  die  Wiederherstellung  der  vorderen  Kammer, 
bisweilen  können  Wochen  darüber  vergehen. 

Recht  häufig  (besonders  bei  der  gleichzeitigen  Benutzung  des  Cocains 
und  Sublimates)  sieht  man  in  derlleilungsperiode  von  der  Schnittwunde  aus 
kleine,  durchscheinende  graue  Streif en  imllornhautgewcbe  auftreten  und 
centripetal  verlauten  (Streifen-Keratitis).  [Dieselben  schwinden  meist 
in  einiger  Zeit;  nur  in  seltenen  Fällen,  besonders  bei  sehr  ausgiebiger 
Anwendung  der  Sublimatlösung,  bleibt  eine  intensive  Trübung  zurück, 
die  das  Sehvermögen  stark  beeinträchtigen  kann.  Seitdem  ich  zur 
Desinfection  die  Aqua  chlori  anwende,  habe  ich  dauernde  Trübungen 
der  Cornea  auch  bei  Coeaingebrauch  nicht  mehr  beobachtet.  Da  bei 
stärkerer  Anwendung  des  letzteren  aber  das  Epithel  der  Cornea  sich 
trübt,  benutze  man  lieber  Holocain,  wenn  man  nicht  in  dem  Einzelfalle 
besondei  en  Werth  auf  die  druckherabsetzende  Wirkung  des  Cocain  legt. 

Nach  Discissionen  bedarf  es  einer  weniger  strengen  Behandlung. 
Doch  ist  für  eine  ausgiebige  Mydriasis  durch  Atropin  zu  sorgen;  bei 
Drucksteigerung  in  Verbindung  mit  Cocain. 


IV.  Nachstar  (Cataracta  secundaria). 

Auch  nach  erfolgreichen  und  im  Heilverlauf  nicht  besonders  ge- 
störten Staroperationen  findet  sich  öfters  Nachstar.  Da  die  Kapsel  bei 
den  meisten  Operationsmethoden  zurückgelassen  wird  und  ihr  in  der 
Kegel  etwas  Corticalmasse  anhaften  bleibt,  so  sieht  man  fast  stets  an 
enizelnen  Stellen  des  Pupillargebietes  bei  schiefer  Beleuchtung  durch- 
scheinende Verdickungen  und  Trübungen  derselben.  Man  pflegt  von 
Nachstar  aber  erst  zu  sprechen,  wenn  es  zu  etwas  dichteren,  das  Sehen 
genirenden  Membranen,  von  denen  die  binoculare  Lupe  und  der 
-Lupen-Augenspiegel"  uns  sehr  instruetive  Bilder  liefert,  kommt.  Er 
kann  sich  auch  noch  später,  selbst  Jahre  nach  der  Operation,  durch 
Wucherung  des  Kapselepithels  entwickeln.  Ist  er  dünn,  so  geht  man 
mit  einer  Discissionsnadel  (Stopneedle)  durch  die  Cornea-Peripherie 
und  dann  in  den  Xachstar,  in  welchem  man  durch  Querschnitte  eine 
möglichst  centrale  und  ausgiebige  Oeffnung  macht,  sich  die  durch- 
sichtigste Partie  aussuchend,  wo  eben  die  Membran  am  dünnsten 
ist.  Meist  gelingt  die  Operation,  besonders  wenn  man  nach  dem  Ein- 
stich die  feine  Membran  auf  die  Schneide  der  Xadel  nimmt  und  nun 
ausgiebige  Bewegungen  in  der  vorderen  Kammer  damit  macht  oder  auch 
die  Schneide  hin  imd  her  schiebt.  Unter  Benutzung  der  schiefen  Be 
leuchtung  mittelst  einer  elektrischen  Lampe  lassen  sich  die  Verhältnisse 
sehr  gut  übersehen.  Nur  wenn  die  Membran  sehr  hart  und  fest  ist,  hat  man 
nicht  gleich  einen  ausreichenden  Erfolg,  man  muss  dann  wiederholte  Dis- 


;>,i4  Erkrankungen  der  Linse. 

cissionen  ausführen.  Auch  kann  man  nach  Bowman  so  verfahren,  class 
man  mit  zwei  Discissionsnadeln  durch  entgegengesetzt  liegende  Hornhaut- 
stellen nasal-  und  temporalwärts  eingeht,  die  Spitzen  an  derselben  Stelle  in 
den  Nachstar  stösst  und  nun  eine  Oeffnung  durch  Auseinanderschneidei) 
nach  entgegengesetzten  Richtungen  zu  machen  sucht.  In  einzelnen  Fällen 
genügt  auch  diese  Methode  nicht,  man  wird  dann  mit  der  Wecker  - 
sehen  Scheere,  nachdem  man  einen  Lanzenschnitt  angelegt  hat,  den 
Nachstar  durchschneiden:  als  regelmässige  Nachstaroperation  halte 
ich  das  Verfahren  für  zu  eingreifend  und  ziehe  die  Nadeloperation 
vor.  Ebenso  halte  ich  es  nicht  für  nöthig  als  Regel,  bei  allen  Katarakt- 
<  >perirten  nach  4 — 6  AVochen  die  Nachstar-Durchschneidung  auszu- 
führen, wie  es  einzelne  Operateure  thun;  wenn  man  auch  meist  ein 
besseres  Sehvermögen  erhält,  so  liegt  doch  immerhin  eine  gewisse  Ge- 
fahr darin  (Auftreten  eines  glaukomatösen  Anfalles,  wie  er  öfter  danach 
beobachtet),  die  bei  einem  wieder  sehkräftigen  Auge  um  so  höher  an- 
zuschlagen ist.  Bei  S  V3 — '/2  wird  man  besser  thun,  nur  auf  Wunsch 
des  Patienten  zu  operiren.  Uebrigens  können  sich  die  Nachstare  oft 
noch  nach  Monaten  lichten,  wie  man  andererseits  auch  gelegentlich  später 
eine  vermehrte  Trübung  eintreten  sieht.  Die  Extraction  des  Nachstares 
ebenso  wie  die  empfohlene  Reclination  ist  wegen  der  dabei  stattfinden- 
den Zerrung  des  Ciliarkörpers  gefährlich.  Man  kann  letztere  indessen 
vermeiden,  wenn  man  in  mehreren  Sitzungen  den  Nachstar  mit  der  Dis- 
cissionsnadel  peripher  umschneidet  und  so  von  seinen  Verbindungen  mit 
dem  Corp.  ciliare  trennt,  ehe  man  die  Extraction  vornimmt. 

Ist  die  Pupille  durch  Irisgewebe,  das  bisweilen  ganz  nach  der  Horn- 
hautwunde gezerrt  wird,  verlegt,  so  muss  nachträglich  iridectomirt  oder 
iridotomirt  werden ;  letztere  Operation  ist  weniger  eingreifend  und  giebt, 
da  sie  auch  etwaige  hinter  der  Iris  befindliche  Schwarten  durchschneidet, 
bisweilen  sehr  gute  Resultate.  Ueber  die  Brillen  der  Staroperirten 
siehe  unten. 

2.  Aphakie. 

Als  Aphakie  (a  privativum,  cpaxog  Linse)  bezeichnet  man  das  Fehlen 
der  Krystalllinse.  Jeder  Starextrahirte  ist  demnach  aphakisch.  Gewöhn- 
lich erkennt  man  das  Fehlen  der  Linse  durch  grössere  Tiefe  der  vor- 
deren Kammer  und  eine  ungewöhnliche  Schwärze  der  Pupille;  es  fehlt 
der  bei  alten  Leuten  besonders  bemerkliche  Linseiireflex.  Auch  Iris- 
schlottern  ist  öfter  vorhanden.  Weiter  kann  der  Purkinje-Sanson- 
sche  Versuch  benutzt  werden:  bei  Aphakie  fehlen  die  kleinen  Linsen- 
reflexbilder.  Da  aber  auch  die  Glaskörperoberflächc  reflectirt  und  die 
Linsenreflexe  sehr  genaue  Beobachtung  erfordern,  ist  für  die  Praxis 
dieses  letztere,  sonst  entscheidende  Symptom  von  geringer  Bedeutung. 


Aphakie.  395 

Eine  bessere  Auskunft  wird  in  der  Regel  die  Untersuchung  mit  schiefer 
Beleuchtung  bei  erweiterter  Pupille  geben,  da  man  alsdann  meist 
irgendwo  Spuren  der  zurückgebliebenen  und  getrübten  Kapsel  sieht. 
Die  Refraction  der  aphakischen  Augen  ist  gewöhnlich  hochgradig  liyper- 
metropiseh.  Früher  emmetropische  Augen  bekommen  etwa  H  10-0. 
Ferner  fehlt  das  Accommodationsvermögen. 

Behandlung.  Um  Aphakischen  und Staroperirten  ein  entsprechen- 
des Selten  zu  schaffen,  müssen  wir  ihnen  Convexgläser  („Starbrillen") 
geben;  und  zwar  pflegt  man  eine  Fernbrille  und  eine  Nahebrille,  letztere 
für  das  Lesen  und  Arbeiten  in  der  Nähe,  zu  verschreiben.  Da  die  Seh- 
schärfe der  Operirten  nur  selten  =  1  wird  und,  abgesehen  von  jugend- 
lichen Individuen,  meist  nur  34  bis  '  ;  beträgt,  so  muss  man  ihnen  durch 
die  Brille  die  Entfernung,  in  der  sie  lesen  und  kleine  Gegenstände  er- 
kennen sollen,  oft  stärker  heranrücken.  Wenn  für  die  Ferne  convex 
lii.d  gegeben  wird,  giebt  man  für  die  Nähe  etwa  16-0  bis  20-0.  Mit 
convex  20-0  könnte  der  Operirte  in  10  cm  lesen.  Convex  10-0  für  die 
Ferne  im'd  convex  20-0  für  die  Nähe  würden,  streng  genommen,  den 
Aphakischen  nur  die  Möglichkeit  schaffen,  die  Strahlen,  welche  von  unend- 
lich, und  die,  welche  aus  der  Entfernung  von  10  cm  kommen,  auf  ihrer  Netz- 
haut zu  vereinigen:  alles  Andere  sehen  sie  in  mehr  oder  weniger  grossen 
Zerstreuungskreisen.  Sie  gewöhnen  sich  aber  bald  daran,  hiermit  aus- 
zukommen, zumal  sie  sich  durch  weiteres  Abrücken  ihrer  Fernbrillen 
vom  Auge  auch  flu"  nähere  Punkte  einstellen  können  und  auf  diese  Art 
mit  demselben  Glase  in  verschiedenen  Entfernungen  sehen.  Es  kommt 
hinzu,  dass  überhaupt  im  höheren  Alter  —  und  die  meisten  Aphakischen 
sind  an  seniler  Katarakt  Operirte  —  an  und  für  sich  die  Accommo- 
dation  eine  sehr  geringe  ist,  und  so  kein  erheblicher  Unterschied  gegen 
früher  vorhanden  ist.  Manche  hochgradig  Kurzsichtige  gebrauchen  nach 
der  Operation  für  die  Ferne  keine  oder  nur  eine  sehr  schwache  Convex- 
brille.  —  Bei  einer  grossen  Schaar  der  Operirten  genügen  zu  einer  voll- 
kommenen Correction  aber  die  sphärisch  geschliffenen  Gläser  nicht,  da 
sich  in  Folge  der  Operation  häufig  Astigmatismus  entwickelt,  ein  Astig- 
matismus, der  übrigens  noch  längere  Zeit  (3  bis  4  Monate)  gewissen 
Schwankungen  unterliegt  (Laqueur).  Gewöhnlich  ist  die  stärkere 
Krümmung,  im  Gegensatz  zu  dem  gewöhnlichen  Vorkommen,  im  hori- 
zontalen Durchmesser  (perverser  Astigmatismus),  da  durch  den  nach 
oben  oder  unten  gelegten  Schnitt  meist  eine  Abflachung  der  Cornea  im 
senkrechten  Meridian  eintritt.  Man  wird  hier  Combinationen  mit  cylin- 
drischen  Gläsern  wählen  müssen.  —  Bei  Aphakie  nach  Staroperationen 
darf  man  nicht  zu  bald  den  vollen  Gebrauch  der  Brillen  gestatten;  es 
ist  gut,  wenn  man  etwa  6  bis  8  Wochen  verstreichen  und  mit  dem 
Tragen  der  Fernbrillen  besännen  lässt. 


396  Erkrankungen  der  Linse. 

Einzelne  Staroperirte  klagen  über  plötzlich  auftretende  und  nach 
einiger  Zeit  wieder  vorübergehende  Anfälle  von  Rothsehen  (Eryfliropsie). 
Es  beruht  dies  nieist  auf  einer  Ermüdung  der  Netzhaut  gegen  die  stärker 
brechbaren  Lichtstrahlen  (Purtschler;  Hirschler);  jedoch  können 
auch  vom  Auge  unabhängige  cerebrale  Reizungen  die  Erscheinung  her- 
vorrufen. In  einem  von  mir  beobachteten  Fall  beschränkte  sich  das 
Rothsehen    schliesslich    auf  einen  peripheren  Theil  des  Gesichtsfeldes. 

3.  Lageanomalien.  Formanomalie. 

Wenn  von  Geburt  an  die  Linse  sich  nicht  in  ihrer  normalen  Lage 
befindet,  sondern  etwa  im  Glaskörper  oder  an  einer  entfernteren  Stelle 
der  Augenhäute  befestigt  ist,  so  nennt  man  den  Zustand  Ectopia 
lentis;  in  der  Regel  finden  sich  alsdann  auch  andere  Entwickelungs- 
fehler  des  Auges,  besonders  Mikrophthalmus. 

Hat  hingegen  die  Linse  ihre  normale  Lage  ursprünglich  innegehabt 
und  erst  später  verlassen,  so  pflegt  man  dies  als  Luxatio  oder  Sub- 
luxatio   lentis  zu  bezeichnen. 

In  ersterem  Falle  liegt  nach  Trennung  der  Zonula  die  Linse  nicht 
mehr  in  der  tellerförmigen  Grube,  sondern  ist  in  die  hintere  oder  vor- 
dere Augenkammer  gerückt,  in  den  Glaskörper  gesunken  oder  selbst 
durch  einen  Seleralriss  nach  aussen  unter  die  Conjimctiva  gelangt. 
Meist  sind  es  Contusionen  des  .Bulbus,  die  diese  Lageveränderungen  her- 
vorbringen; bisweilen  aber  entstehen  bei  Glaskörperverflüssigung  Luxa- 
tionen auch  spontan.  Oft  bilden  sich  Luxationen  auch  so,  dass  eine 
Subluxation  der  Linse,  meist  doppelseitig  und  mit  Ektopie  der  Pupille, 
angeboren  besteht,  aber  im  Laufe  der  Jahre  die  Linse  immer  tiefer 
in  den  Glaskörper  sinkt.  Es  giebt  Familien,  bei  denen  in  mehreren 
Generationen  dieses  Verhalten  zu  constatiren  ist.  In  einem  Falle  doppel- 
seitiger Subluxation,  den  ich  gesehen,  zeigte  eine  Linse  auch  an  ihrem 
unteren  Rande  zwei  rundliche  Einkerbungen  (Linsencolobom).  —  Die. 
Linsen,  welche  in  ihrer  Kapsel  die  Locomotion  durchmachen,  können 
lange  Zeit,  vor  Allem,  wenn  sie  in  der  hinteren  Kammer  und  somit  zum 
Theil  in  der  tellerförmigen  Grübe  bleiben,  ihre  Durchsichtigkeit  behalten. 
<  j-elangeE  sie  in  den  Glaskörper,  in  die  vordere  Kammer  oder  unter  die 
Conjunctiva,  so  trüben  sie  sich  meist  allmählich  und  gehen  einen 
Schrumpfungsprocess  ein,  so  dass  sie  intensiv  weissliche,  zusammen- 
gebackene Katarakten  bilden.  Die  Luxation  der  Linse  kann  monocu- 
la  ns  Doppelsehen  bewirken,  wenn  der  Linsenrand  durch  das  Pupillen- 
gebiet geht:  ein  Theil  der  einfallenden  Strahlen  wird  alsdann  durch  die 
Linse  gebrochen  und  abgelenkt,  der  andere  geht  durch  das  freie  Pupillar- 
gebiet     Beim   Hineinwerfen   des  Lichtes   mit  dem  Augenspiegel  stellt 


Lageanomalien  397 

sieb  der  Rand  der  durchsichtigen  Linse  als  dunkler,  aber  meist  nicht  absolut 
kreisrunder  Bogen  in  dem  reflectirten  Roth  des  Augenhintergrundes  dar: 
bei  auffallendem  Licht  ist,  selbst  bei  Linsen,  tue  in  die  vordere  Kammer 
gefallen  sind,  der  Rand  nicht  immer  leicht  zu  erkennen:  er  hat  eine  zartrosa 
Färbung.  —  Ist  die  Linse  in  den  Glaskörper  luxirt,  so  bestehen  die  Er- 
scheinungen der  Aphakie.  Meist  wird  es  auch  gelingen,  ophthalmoskopisch 
die  Lage  des  Krvstalls  zu  finden.  Oefter  wandern  auch  luxirte  Linsen 
durch  die  Pupille  aus  dem  Glaskörper  in  die  vordere  Kammer  und  umge- 
kehrt. Durch  Kopfbewegungen  können  die  Patienten  selbst  willkürlich 
diese  Lageveränderung  hervorrufen.  —  Die  durch  eine,  in  der  Nähe  des 
Oorneallimbus  und  ihm  parallel  laufende  Scleralruptur  (am  häufigsten 
nach  Verletzungen  des  Auges  durch  stumpfe  Gewalt,  besonders  Kuhhorn- 
Stoss  i  unter  die  Conjimctiva  luxirte  Linse  ist  ebenfalls  meist  leicht  zu 
diagnosticiren,  da  die  unter  der  Conjimctiva  befindliche  Geschwulst  die 
Linsenform  zeigt:  Anamnese  und  die  vorhandene  Aphakie  geben  den 
Aussehlag.  — 

Falls  die  durchsichtige  Linse  in  der  hinteren  Kammer  sich  befindet 
und  einen  Theil  des  Pupillargebietes  deckt,  kann,  je  nach  der  Lage, 
durch  Miotiea  bisweilen  die  Doppelbrechung  der  in  die  Pupille  fallenden 
Strahlen  ausgeschlossen  werden.  Ist  die  Linse  kataraktös  geworden, 
so  wird  man  sie,  sei  es  hier  oder  anderswo  im  Bulbus,  zu  extrahiren 
suchen,  sobald  sie  erhebliche  Störungen  im  Sehen  oder  Reizzustände 
veranlasst.  Doch  pflegt  die  Extraction,  da  meist  gleich  nach  dem  Horn- 
hautschnitt  der  Glaskörper,  welcher  mit  der  vorderen  Kammer  frei 
eommunicirt,  hervorstürzt,  gewisse  Schwierigkeiten  zu  bieten.  Der  aus- 
strömende  Glaskörper  kann  die  Linse  ganz  von  der  Wunde  abdrängen 
und.  wenn  sie  durch  die  Pupille  in  den  Glaskörper  zurücksinken  sollte, 
sogar  vollkommen  dem  Anblick  entziehen.  Es  ist  daher  bei  einer  voll- 
ständig beweglichen  Linse  angezeigt,  sie  vor  der  Hornbautincision  zu 
fixiren.  Zu  dem  Zweck  sucht  man  sie  zuerst,  falls  sie  im  Glaskörper  sitzt, 
bei  starker  künstlicher  Mydriasis  durch  entsprechende  Kopflage  in  die  vor- 
dere Kammer  zu  bringen  und  dann  durch  Anwendung  von  Mioticis  am 
Zurückschlüpfen  zu  hindern,  was  aber  nicht  immer  gelingt.  Auch  kann 
man  die  Linse,  falls  sie  nicht  verkalkt  ist,  vorher  mit  einer  Starnadel 
anspiessen  und  nun  durch  den  Hornhautschnitt  mit  dem  Löffel  oder 
einem  Haken  extrahiren. 

Einfacher  ist  die  Herausnahme  einer  subconjunetival  sitzenden  Linse. 
Bisweilen  jedoch  liegt  die  Linse  noch  zum  Theil  in  der  Scleralwunde  und 
es  können  alsdann,  wemi  eine  längere  Zeit  seit  dem  Trauma  vergangen 
ist,  bereits  Verwachsungen  mit  Sclera  und  Corp.  ciliare  eingetreten 
sein.  Besteht  in  einem  solchen  Falle  keine  besondere  Indication  zur 
Operation,  so  wird  man  die  luxirte  Linse  lieber  an  ihrem  Sitz  lassen. 


398  Erkrankungen  der  Linse. 

Ich  habe  derartige  luxirte  Linsen  gesehen,  die  seit  vielen  .Jahren  unter 
der  Conjunctiva  sassen.  Die  Augen  waren  entzündungsfrei  und  hatten 
zum  Theil  gute  Sehschärfe.  —  Es  sei  hier  noch  erwähnt,  dass  bei 
Hornhautstaphylomen,  mit  denen  die  Iris  verwachsen  ist,  häufig 
gleichzeitig  die  Linse  luxirt  ist  und  sich  in  die  Hornhautvortreibung 
hineingelegt  hat.  Sie  hält  sich  in  dieser  Lage  bisweilen  lange  durchsichtig, 
wie  man  wahrnehmen  kann,  wenn  man  sie  bei  der  Staphylomoperation 
herauslässt. 

Die  Subluxationen,  bei  denen  die  Linse  nur  eine  geringe  Ver- 
schiebung erfährt,  congenital  oder  nach  Traumen,  sind  nicht  immer  leicht 
zu  diagnosticiren.  Als  besonders  verdächtiges  Moment  muss  es  gelten, 
wenn  neben  stärkerem  Irisschlottern  die  vordere  Kammer  an  verschie- 
denen  Stellen  eine  ungleiche  Tiefe  zeigt.  Meist  ist  die  Pupille  erweitert. 
Bisweilen  gelingt  es,  eventuell  unter  Zuhülfenahme  von  Mydriaticis, 
den  dem  Pupillencentrum  näher  gerückten  Linsenrand  ophthalmoskopisch 
wahrzunehmen;  in  einzelnen  Fällen  beobachtet  man,  von  ihm  nach  den 
Ciliarfirsten  hingehend,  die  in  Folge  der  Zerrung  veränderte,  leicht  radiär 
gestreifte  Zonula.  Die  subluxirte  Linse  kann  Jahre  lang  durchsichtig 
bleiben.  Einen  ungewöhnlichen  Fall,  der  auch  in  diese  Kategorie  ge- 
zählt werden  muss,  beobachtete  ich  bei  einem  Manne,  der  auf  einem 
Auge  eine  subluxirte  kataraktüse  Linse  hatte.  Auf  dem  andern  war 
die  Linse  ebenfalls  kataraktös,  aber  etwas  geschrumpft  und  abgeplattet: 
sie  war  fast  in  ihrer  ganzen  Peripherie  von  der  Zonula  gelöst,  nur  an 
der  temporalen  Seite  noch  angeheftet,  so  dass  sie  bei  Augenbewegungen 
klappenartig  bald  ganz  in  den  Glaskörper  zurückschlug,  bald  wieder  die 
Pupille  vollständig  verdeckte.  Durch  entsprechende  Augenbewegung 
konnte  sich  der  Kranke  ein  temporäres  Sehen  verschaffen.  — 

Als  Formanomalie  ist  —  abgesehen  von  den  Linsenveränderungen 
bei  Schrumpfungen  etc.  —  besonders  das  Oolobom  der  Linse  und  der 
Lenticonus  posterior  bemerkenswerth.  Ersteres  besteht  in  einer  Ein- 
kerbung des  Randes  und  kommt  häufig  gleichzeitig  mit  dem  Chorioideal- 
und  rris-Colobom  vor.  Bei  Lenticonus  posterior  (F.  Meyer)  zeigt  die 
hintere  Linsenfläche  im  ( 'entrinn  eine  conische  Hervorbuckelung;  man  er- 
kennt den  Zustand  ophthalmoskopisch  dadurch,  dass  im  Centrum  der 
rothen  Pupille  eine  rothe  Scheibe  sich  befindet,  die  von  einem  schwarzen 
King  umgeben  ist.  Bisweilen  besteht  gleichzeitig  eine  Cataracta  polaris 
posterior,  seltener  anterior  (Pergens.)  Eine  Verlagerung  des  Kernes 
nach  hinten  während  des  Entwicklungsstadiums  scheint  die  Ursache 
(Hess). 


Anatomie.  399 


Drittes  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Conjunctiva. 


Anatomie. 


Die  Bindehaut  des  Auges,  eine  dünne,  ziemlich  durchsichtige  Mem- 
bran, beginnt  an  den  freien  Lidrändern,  kleidet  die  dem  Augapfel  zu- 
gewandte Fläche  der  Lider  aus  und  geht  dann  auf  diese  selbst  über. 
Man  unterscheidet  an  ihr  drei  Partien: 

1)  Conjunctiva  palpebralis  s.  tarsalis.  Sie  erscheint  auf 
ihrer  Unterlage  von  weisslichem  bis  blassrothem  Aussehen,  je  nach  ihrer 
Blutfülle.  Zuweilen  sieht  man  einzelne  grössere  Gefässäste  deutlich 
hervortreten,  ohne  dass  man  deshalb  eine  krankhafte  Hyperämie  anzu- 
nehmen hat.  Gegen  die  Lidränder  hin  scheinen,  besonders  bei  älteren 
Individuen,  die  fast  parallel  den  Wimperwurzeln  im  Lidknorpel  (Tarsus) 
eingebetteten  Meibom 'sehen  Talgdrüschen  gelblichroth  durch;  in  ihrer 
Xähe  linden  sich  auch  grössere  tubulo-acinöse  Schleimdrüschen  (Wolf- 
ring). Die  Conjunctiva  palpebralis  hängt  ziemlich  fest  mit  dem  hinteren 
Theil  der  Tarsi  zusammen.  Ihr  Stroma  besteht  aus  adenoidem  Binde- 
gewebe :  doch  tritt  die  eigenthümliche  netzförmige  Anordnung  hier  und 
in  der  Uebergangsfalte  erst  nach  der  Geburt  im  ersten  Lebensjahre  ein, 
indem  sich  das  Gewebe  zwischen  das  fibrilläre  Bindegewebe  der  inneren 
Knorpeloberfläche  und  das  Epithel  einschiebt;  letzteres  zeigt  in  seinen 
oberen  Lagen  Platten-,  in  den  tiefsten  Cylinderzellen.  Mit  dem  Auf- 
treten des  adenoiden  Gewebes  entwickeln  sich  in  der  Conjunctivalober- 
fläche  umschriebene  Hervorragungen  (sogenannte  Papillen),  kleine  Leisten 
und  Falten  (Stieda's  Rinnensystem).  Sind  die  Papillen  leicht  ge- 
schwellt, so  treten  sie  als  kleine  Hervorragungen,  etwa  wie  eine  ab- 
gestumpfte Stecknadelspitze  aussehend,  hervor  und  geben  der  Schleim- 
haut Aehnlichkeit  mit  geschorenem  Sainmt;  man  findet  dies  besonders 
in  den  äusseren  Lidwinkeln.  Zwischen  ihnen  senkt  sich  das  Epithel 
in  die  Tiefe:  so  kann  unter  gewissen  Verhältnissen  das  Aussehen 
tubulöser  Drüsen  entstehen;  wirkliche  Drüsen  sind  von  Henle  be- 
schrieben worden.  Ausserdem  sind  in  diesem  Theil  der  Bindehaut 
—  ebenfalls  dicht  unter  der  Oberfläche  —  rundliche  Anhäufungen  von 


40U  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

Leukocyten,    sogen.    Lymphfollikel  ähnlich    «Ich    Peyer'schen 

Plaques  --  eingelagert.  Mikroskopisch  stellen  sich  dieselben  als  voll- 
ständig abgegrenzte,  runde  oder  längliche  Knötchen  dar,  in  deren 
Höhlungen  sieh  feine  Capillarnetze  ausbreiten;  sie  sind  erfüllt  mit  rund- 
lichen, blassen,  kernhaltigen  Zellen,  eine  Umhüllungsmembran  ist  nicht 
nachweisbar.  »Sowohl  anatomische  Untersuchungen  .(Baumgarten, 
Stöhr)  als  die  klinischen  Beobachtungen  sprechen  dafür,  dass  sie  in  ge- 
wisser Zahl  und  Grösse  als  physiologisch  zu  betrachten  sind,  trotzdem 
manche  Untersucher  sie  stets  als  pathologische  und  dem  Trachom  zu- 
gehörige Gebilde  auffassen. 

2)  Uebergangstheil  oderUebergangsfalte  (Fornix):  die  Partie, 
an  der  sich  die  Conjunctiva  von  den  Lidern  auf  den  Bulbus  überschlägt. 
Ihre  Structur  ist  der  des  Palpebraltheils  verwandt,  nur  dass  das  Binde- 
gewebe grobmaschiger  ist  (daher  grössere  ^Neigung  zu  Schwellungen 
und  Ergüssen).  Auch  die  Papillen  verlieren  ihre  umschriebene  Gestalt 
und  vereinen  sich  zu  faltenartigen  Erhabenheiten.  Weiter  findet  sich 
hier  eine  Anzahl  tubulo-acinöser  Schleimdrüschen,  deren  Mehrzahl  (ge- 
wöhnlich 12  bis  18)  ihren  Sitz  in  der  äusseren  Hälfte  der  oberen  Ueber- 
gangsfalte  hat;  einzelne  zerstreute  rinden  sich  in  dem  übrigen  Theil  der 
oberen  und  in  der  unteren  Uebergangsfalte  (Krause).  — Am  inneren 
Augenwinkel  bildet  die  Conjunctiva  vor  ihrem  Uebergang  auf  den  Bulbus 
eine  Duplicatur,  in  der  bisweilen  ein  Knorpel  sich  befindet:  die  Plica 
semilunaris.  Ihren  dem  inneren  Augenwinkel  zugewandten  hervor- 
ragenden Theil,  welcher  circa  ein  Dutzend  Talgdrüsen,  umgeben  von 
vielen  Fettzellen,  enthält,  nennt  man  Thränenkarunkel  (Caruncula 
lacrymalis).     Sie  ist  mit  einigen  sehr  zarten  Härchen  besetzt. 

3)  Conjunctiva  bulbi  s.  sclerae.  Sie  überzieht  die  vordere 
Hälfte  des  Augapfels,  liegt  im  Anfang  ziemlich  locker  der  Tenon'schen 
Kapsel,  die  als  fibröse  Haut  die  Sclera  von  dem  umgebenden  Fettgewebe 
trennt,  auf,  verbindet  sich  aber  näher  der  Hornhaut  immer  enger  mit 
der  Sclera  selbst,  nachdem  die  Tenon'sche  Kapsel  sich  im  subcon- 
junctivalen  Gewebe  verloren  hat.  Die  äusserste  Peripherie  der  Horn- 
haut überzieht  sie  noch  mit  einem  schmalen  ringförmigen  Wall  (Lim- 
bus  conjunctivae),  der  sich,  oben  und  unten  etwas  weiter  als  an 
den  Seiten,  noch  über  den  äusseren  Hornhautrand  fortschiebt.  Der 
Conjunctivaliiberzug  der  Cornea  besteht  in  einer  Fortsetzung  des 
Pflasterepithels  mit  darunter  befindlicher  structurloser  Membran.  Die 
( 'on junctiva  bulbi,  ohne  Drüsen  und  Papillen,  zeigt  wenige  dünne 
conjunctivale  Gefässe,  die  von  der  Peripherie  des  Bulbus  nach  der 
( lornea  zu  verlaufen. 

Die  Arterien  und  Venen  der  Conjunctiva  tarsajis  und  desUeber- 
gangstheiles  communiciren  mit  den  Gelassen  der  Lider. 


Il\  peraemia  conjunctivae. 


401 


Auf  der  Sclera  unterscheidet  man  eine  oberflächliche  conjunctivale 
Gefässschicht  und  eine  darunter  liegende  subconjunctivale  oder  episclerale. 
Die  erstere  (Figur  139)  bestellt  aus  den  hinteren,  verästelten  Bindehautge- 
f  äs sen  aus  den  Axt.  palpebral.  entspringend)  und  den  vorderen  geradgestreckten, 
in  der  Norm  sehr  wenig  hervortretenden  BindehatTtgefäss-ea-,  die  aus  dem  epi- 
scleralen  Gefässnetze  dicht  an  der  Cornea  hervorgehen  und  nach  rückwärts  ziehend 
mit  den  hinteren  Bindehautgefässen  communiciren.  —  Von  besonderer  Bedeutung 
ist  das  episclerale  Gefässnetz  (Figur  140)  und  zwar  vorzugsweise  der  Theil, 
welcher  dicht  um  tue  Hornhaut  herumliegt.  Dieses  Gefässsystem  entstammt  aus 
den  vorderen  Ciliargefässen.  (cf.  Fig.)  Die  oft  geschlängelten  Arterien  bilden 
um  die  Hornhautperipherie  ein  Randschlingennetz  aus  kleinen,  durch  Bogen  mit 
einander  verbundenen  Aestchen.  Die  Venen,  welche  das  Blut  von  hier,  sowie  aus 
den  Ciliarmuskel-  und  den  Bindehautgefässen  fortführen,  bilden  ebenfalls  ein  dichtes 


139. 

C  ■"» ii j  unetiv alge fasse. 
Vordere    und    hintere    Ge- 
fässe). 


140. 

Episclerale  Gefässe.  Ciliar-Venen 

nnd  -Arterien,   die  Venen  stark 

injicirt  (von  Wo  er  den). 


Maschenwerk.  Bei  schwereren  Augenentzündungen  injicirt  sich  dasselbe  lebhaft 
und  lässt  einen,  mehrere  Millimeter  breiten  rothen  Saum  um  die  Cornea  hervor- 
treten (pericorneale  Injection). 

Lymphgefässe  finden  sich  in  grosser  Anzahl  in  der  Conjunctiva, 
und  zwar  in  der  Xähe  der  Cornea  in  Kranzforni  (Teichmann).  Die 
Nerven  sind  Zweige  des  N.  trigeminus. 

Der  flüssige  Tu  halt  des  Conjunctivalsackes  entstammt  aus  den 
Thränendriisen,  deren  6  bis  12  feine  Ausführungsgänge  die  Conjunctiva 
oberhalb  des  äusseren  Augenwinkels  durchbohren,  aus  den  zusammen- 
gesetzten acinösen  Schleimdrüschen  mid  den  Blutgefässen.  Es  finden 
sich  im  Conjunctivalsecret  neben  der  Flüssigkeit  abgestossene  Epithelial- 
zellen,  Detritus,  Fett;  ebenso  sind  darin  häufig  verschieden  geartete, 
nicht  pathogener  Bacterien  nachzuweisen  (E.  Fick). 


1.  Hyperaemia  conjunctivae. 

Die  Bindehaut  der  Augenlider  zeigt  eine  abnorme  Injection.     Die 
vermehrten  Verästelungen  der  Gefässe  treten  zum  Theil  scharf  hervor, 


zum  Theil  verschwimmen  sie  zu  einer  gleichmässigen  Rüthe. 

~    nmidt-Riinpler.    7.  Auflage.  26 


Dadurch 


402  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

verliert  die  Conjunctiva  ihr  gleichmässiges  Aussehen.  Die  in  der  Nähe 
des  Lidrandes  verlaufenden  Meibom' sehen  Drüsen  werden  hier  und 
da  verdeckt.  Die  Papillen  schwellen  bisweilen  zu  kleinen,  rothon  Er- 
habenheiten in  der  Stärke  von  Stecknadelspitzen  an;  besonders  in  den 
äusseren  Augenwinkeln.  Die  Uebergangsfalte  ist  von  dickeren  Ge- 
fässstämmen  durchzogen.  Eine  Injection  der  Scleralbindehaut  ist  bei 
primärer  Hyperämie  selten.  Eine  Füllung  des  pericornealen  Gefäss- 
netzes  kommt  weder  bei  der  Hyperämie  noch  bei  der  einfachen  Con- 
junctivitis vor. 

Bei  der  primären  Hyperämie  ist  zwar  eine  vermehrte  Thränen- 
absonderung,  aber  keine  Schleimsecretion  vorhanden (C  ata  rrhus  siecus). 
Die  subjeetiven  Symptome  (Schwere  der  Lider;  Brennen;  das  Gefühl, 
als  ob  ein  fremder  Körper  im  Auge  wäre;  Augenschmerzen;  Lichtscheu) 
sind  oft  äusserst  belästigend  und  nehmen  besonders  des  Abends  und  bei 
jeder  Anstrengung  des  Auges  zu.  Sie" können  so  stark  sein,  dass  das 
Lesen  und  Schreiben  fast  unmöglich  wird  und  alle  Erscheinungen  der 
Asthenopie  zu  Tage  treten.  Die  Hyperämie  stellt  sich  meist  ziemlich 
acut  ein  und  schwindet  häufig  ohne  jede  ärztliche  Behandlung.  In 
seltenen  Fällen  dagegen  ist  sie  hartnäckig,  selbst  gegen  Medicationen, 
und  geht  dann  leicht  in  einen  chronischen  Zustand  oder  in  Conjunctival- 
katarrh  über. 

Diagnose.  Man  hüte  sich,  nicht  jede  etwas  stärker  scheinende 
Gefässbildung  auf  der  Conjunctiva  palpebralis  für  Hyperämie  gelten 
zu  lassen.  Vielfältige  Untersuchung  gesunder  Schleimhäute  belehrt 
uns  über  die  physiologische  Breite  der  Gefässentwicklung.  Vom  Katarrh 
und  der  Blennorrhoe  unterscheidet  sich  die  reine  Hyperämie  schon 
durch  den  Mangel  der  Absonderung  und  die  geringe  Schwellung  der 
Schleimhaut. 

Aetiologie.  Abgesehen  von  constitutionellen  Verhältnissen  und 
allgemeinen  Schädlichkeiten  (Erkältung  u.  s.  av.)  führen  zur  Conjunctival- 
Tlyperämie  besonders  locale  Irritationen:  so  fremde  Körper,  die  in  das 
Auge  gekommen  sind;  schiefstehende  oder  umgebogene  Augenwimpern; 
Kalkinfarcte  der  Meibom 'sehen  Drüsen,  besonders  bei  älteren  Per- 
sonen; Abstehen  oder  Verschluss  der  Thränenpunkte,  wodurch  ein  längerer 
irritirender  Aufenthalt  etwaigen  Secrets  im  Conjunctivalsack  bewirkt 
wird;  Absonderungen,  die  von  Thränensackleiden  herrühren  und  durch 
die  Thränenwege  in  das  Auge  gelangen;  Tabakrauch;  Chausseestaub; 
schlechte  Luft  u.  s.  w.  Aber  auch  Ueberanstrengungen  der  Augen, 
nicht  oder  falsch  corrigirtc  Refractionsanomalien,  Trigeminus-Neuralgien 
bieten  öfter  die  Veranlassung.  Entzündungen  oder  Hyperämien 
anderer  Augenhäute  können  die  Hyperaemia  conjunctivae  seeundär  her- 
vorrufen. 


Uyperaemia  conjunctivae.  403 

Therapie.  Wenn  die  veranlassenden  Ursachen  noch  fortbestehen, 
so  wird  ihre  Hebung-  den  Beginn  (und  häufig  auch  den  Schluss)  der 
Behandlung  bilden.  Vor  Allem  sind  etwaige  in  das  Auge  gelangte 
fremde  Körper  (Staub,  kleine  Insecten  u.  s.  f.)  zu  entfernen.  Es  müssen 
zu  dem  Zweck  die  Uebergangsfalten  besonders  genau  untersucht  wer- 
den. Schiefstehende  Augenwimpern  sind  auszuziehen,  umgebogene  mit 
einem  Mvrthenblatt  gerade  zu  richten.  —  Bei  Kalkinfarcten  der  Mei- 
bom sehen  Drüsen  mache  man  mit  einer  Paracenthesennadel  einen 
kleinen  Einschnitt  und  entferne  dann  mit  dem  daran  befindlichen  Stilet 
den  harten  Inhalt.  —  Steht  der  untere  Thränenpunkt  ab  und  ist,  an- 
statt in  den  Thränensee  zu  tauchen,  nach  aussen  gewendet  (es  tritt 
dies  besonders  hervor,  wenn  man  den  Patienten  stark  nach  oben  blicken 
lässt),  so  muss  das  im  unteren  Lide  verlaufende  Thränenröhrchen  auf- 
geschnitten werden;  ein  ähnliches  Verfahren  beobachte  man  beim  Ver- 
schluss des  Thränenpunktes  (vgl.  Erkrankungen  der  Lider).  Bestehen 
Thränensackleiden,  so  sind  diese  zu  behandeln.  Refractionsanomalien 
muss  man  corrigiren.  Gegen  Trigeminus-Neuralgien,  bei 
denen  sich  öfter  Verdickungen  am  Frontalis,  Supratrochlearis 
oder  Nasociliaris  finden,  hat  sich  die  Massage  wirksam  er- 
wiesen. —  Fehlen  derartige  Ursachen,  so  empfehle  man  dem 
Patienten  besonders  Schonung  der  Augen  und  Vermeidung 
von  schlechter  Luft  und  Tabaksrauch.  Ebenso  ist  spätes 
Aufbleiben  schädlich.  Ein  ruhiger  Schlaf  (früh  zu  Bett  und 
früh  auf)  ist  bei  Augenkranken  von  der  allergrössten  Wich- 
tigkeit. 0 ertlich  lasse  man  Umschläge  von  kaltem  Wasser 
Bleiwasser  (10  Tropfen  Acet.  plumbi  auf  V3  Liter  Wasser)  oder 
Borsäurelösung  machen.  Die  Kranken  selbst  benutzen  oft 
Waschungen  mit  Rommershausen'schem  Augenwasser,  das 
aus  Fencheltinctur  und  Fenchelwasser  besteht.  Besonders 
bei  heftigen  Schmerzempfindungen  und  sonstigen  nervösen  Erschei- 
nungen ist  die  Augendusche  von  grossem  Vortheil,  welche  auf  das 
geschlossene  Auge  einige  Male  täglich,  aber  nur  1  bis  5  Minuten  lang, 
angewandt  wird  (Figur  141).  Man  beginnt  mit  Wasser,  dem  man 
etwas  Eau  de  Cologne  zusetzen  kann,  von  einer  Temperatur  von 
circa  20  Grad  Celsius  und  geht  dann  allmählich  bis  etwa  12  Grad 
herab.  —  An  Stelle  der  Umschläge  mit  reinem  Wasser  lässt  man 
bei  weniger  acut  verlaufenden  Hyperämien  die  Augen  zweimal  täg- 
lich mit  einer  schwachen  Zinklösung  (Rp.  Zinci  sulfurici  0-6,  Tinct. 
Opii  1-0,  Acpiae  destillatae  150,  Aquae  foeniculi  50-0)  waschen  oder 
befeuchten.  In  hartnäckigeren  Fällen  muss  man  Einträufelungen 
in  den  Conjunctivalsack  mit  adstringirenden  Lösungen,  etwa  ein- 
halbprocentiger     Lösung     von    Zincum     sulfuric.    oder    Tannin,     ein- 

26* 


404  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

mal  täglich;  am  besten  gegen  Abend,  machen.  Selbst  directes  Touchiren 
mit  der  1 1/2procentigen  Lösung  von  PI.  acetic.  perf.  neutralis.  oder  Arg. 
nitricum  ist  bisweilen  nöthig.  Treten  die  nervösen  Beschwerden  und 
Schmerzen  stark  liervor;  so  kann  man  eine  2-  bis  4procentige  Cocain- 
lösung  anwenden.  A.  v.  Grraefe  träufelte  hier  auch  die  Tinct.  Opii  aa 
mit  Aqua  destillata  in  den  Conjunctivalsack  ein.  Der  Schmerz  gleich 
nach  der  Einträufelung  ist  sehr  heftig,  verliert  sich  aber  etwa  innerhalb 
einer  Viertelstunde.  Man  thut  gut;  nach  den  Einträufelungen  kalte 
Umschläge  machen  zu  lassen. 


2.  Conjunctivitis  simplex  (s.  catarrhalis). 

Der  ( 'onjimctivalkatarrh  zeigt  ähnliche  Symptome  wie  die  Hyper- 
aemia  conjunctivae;  nur  dass  bei  ihm  die  Schwellung  der  Bindehaut 
bedeutender  ist  und  ein  neuer  Factor;  die  Schleimabsonderung  hinzu- 
tritt. —  Die  Conjunctiva  palpebralis  hat  eine  röthliche  Färbung;  die  je 
nach  der  Intensität  der  Erkrankung  von  helleren  bis  zu  dunkleren 
Nüancirungen  übergeht.  Die  Uebergangsfalten  werden  auch  bei  leich- 
teren Formen  mit  ergriffen  und  stechen  durch  eine  blassere  Röthe,  über 
der  sich  aber  eine  starke  Entwickelung  grösserer  Gefässe  zeigt,  von  der 
mehr  gleichmässigen,  gesättigten  Färbung  der  Tarsalbindehaut  ab.  Die 
halbmondförmige  Falte  und  Carunkel  tritt  wegen  ihres  starken  Gefäss- 
reichthums  häufig  in  einem  sehr  intensiven  Roth  hervor.  Ist  diese  Partie 
allein  betroffen;  so  hat  man  die  Affection  auch  als  Ophthalmia  angularis 
bezeichnet.  Die  Scleralbindehaut  zeigt  nur  bei  sehr  acuten  Entzün- 
dungen Injection.  Es  können  sich  dann  in  ihr;  wie  auch  in  dem  übrigen 
Conjunctivalgebiete;  kleinere  Blutergüsse  finden.  Die  Schwellung 
des  Gewebes  behält  meist  einen  massigen  Grad,  und  ausgedehntere  Er- 
güsse in  die  Conjunctiva  bulbi,  welche  ein  Oedem  derselben  (Chemosis) 
verursachen,  sind  beim  einfachen  Katarrh  selten.  Bei  blonden  Indivi- 
duen mit  sehr  zarter  Haut  zeigt  sich  gelegentlich  auch  ein  leichtes 
Oedem  der  Lider. 

Die  Absonderung  ist  verschieden  nach  der  Höhe  und  der  Dauer 
der  Krankheit.  Im  Anfang  tritt  vermehrtes  Timmen  auf.  Doch  deutet 
bald  eine  gewisse  Klebrigkeit  und  etwas  veränderte  Färbung  die  Ver- 
mischung mit  Exsudat  an.  Die  Steigerung  der  Secretion  bekundet  sich 
.uieli  durch  Absetzung  kleiner  gelblicher  Borken  an  den  Lidrändern, 
vorzüglich  in  den  Augenwinkeln.  Es  sind  alsdann  die  Augen  am  Morgen 
verklebt,  und  Patient  kann  sie  nur  mit  Mühe  öffnen.  — Später  zeigen 
sieh  in  der  secernirten  Flüssigkeit  selbst  kleine  lichtgraue  oder  gelbliche 
Flöekehen  und  Fädchen,  die  besonders  in  der  unteren  Uebergangs  falte 


Conjunctivitis  simplex.  405 

ihren  Sitz  haben.  Auffallend  ist  bei  einzelnen  Individuen  der  weisse 
Schaum,  der  sich  in  den  Winkeln  absetzt.  Man  findet  in  ihm  meist 
-dir  zahlreiche,  schlanke  Bacillen.  —  Bei  reichlicher  Absonderung  und 
langem  Bestehen  dos  Katarrhs  beobachtet  man  auch  Excoriationen  der 
Lidhaut,  besonders  am  äusseren  Winkel  und  Entzündungen  der  Lid- 
ränder  (Blepharitis  marginalis). 

Die  subjectiven  Symptome  sind  dieselben  wie  bei  der  Hyperaemia 
conjunctivae;  besonders  Schwere  der  Lider,  Jucken,  das  Gefühl,  als  ob 
ein  fremder  Körper  im  Auge  wäre.  Letztere  Empfindung  rührt  wahr- 
scheinlich von  dem  Reiben  der  gefüllten  Gefässschlingen  in  den  Papillen 
auf  die  an  Nerven  reiche  Conjunctiva  bulbi  her.  Dies  Gefühl  ist  häufig 
so  täuschend,  dass  der  Patient  beständig  bei  der  Behauptung  verbleibt, 
er  müsse  etwas  im  Auge  haben.  Dazu  gesellt  sich  meist  massige  Licht- 
scheu, geringe  Ausdauer  bei  der  Arbeit,  Gesichtsstörungen.  Letztere 
bestehen  in  zeitweiligem  Trübsehen  und  in  kleinen  Farbenkreisen,  die 
sich  z.  B.  um  Kerzenflammen  legen.  Es  rührt  das  von  dünnen  Flöck- 
chen  und  Epithelzellen  her,  die  sich  über  die  Hornhaut  schieben.  Die 
Erscheinungen  schwinden,  wenn  die  Hornhaut  durch  öfteren  Lidschlag 
gereinigt  wird.  Aber  es  kann  auch  eine  factische  Abnahme  der  Seh- 
schärfe  in  Folge  eines  einfachen  Conjunctivalkatarrhs  auftreten,  wenn 
die  Kranken  früher  HornhaütafFectionen  gehabt  und  Trübungen  zurück- 
behalten haben;  dieselben  nehmen  durch  die  Entzündung  temporär  eine 
grössere  Intensität  an.  — 

Der  reine  Katarrh  schwindet  bei  passender  Haltung  meist  in  8  bis 
14  Tagen.  In  seltenen  Fällen,  wenn  die  m'sächlichen  Momente  fort- 
wirken oder  bei  alten  Leuten,  geht  er  in  die  chronische  Form  über. 
Es  verringern  sich  dann  die  subjectiven  Beschwerden,  dagegen  zeigt  sich 
objeetiv  in  der  Bindehaut  eine  immer  grössere  Erschlaffung;  dieselbe 
nimmt  besonders  an  dem  Tarsal-  und  Uebergangstheil  des  unteren 
Lides  eine  eigenthümliche  leicht  bläuliche  Färbung  an,  und  schliesslich 
kann  man  sogar  einzelne,  kleine  sehnenartige  Striche  finden,  die  in 
Folge  von  Epithelialverlust  und  partieller  Schrumpfung  des  Conjunc- 
tivalgewebes  entstehen.  Am  häufigsten  treten  diese  Veränderungen, 
die  wir  sonst  nur  bei  Trachom  sehen,  ein,  wenn  sich  die  chronische 
<  "onjuncrivitis  mit  einer  chronischen  Blepharitis  verknüpft  hat.  Hier 
kehrt  sich  auch  öfters  das  untere  Lid  nach  aussen  (Ectropium),  in- 
dem sich  mit  der  Erschlaffung  der  Conjunctiva  auch  die  des  Ring- 
muskels ( M.  orbicularis)  und  der  Haut  verbindet.  —  Cornealerkrankungen 
in  Folge  eines  reinen  Conjunctivalkatarrhs  sind  selten  und  unbe- 
deutend. 

Diagnose.  Der  Conjunctivalkatarrh  unterscheidet  sich  von  der 
Blennorrhoea  conjunctivae  dadurch,   dass  bei  letzterer  die  Schleimhaut 


406  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

eine  viel  bedeutendere  Schwellung  und  reichliche  Faltenentwicklung  zeigt. 

Weiter  tritt  die  acute  Blennorrhoe  erheblich  viel  heftiger  auf:  starkes 
(  >edem  der  Lider  und  der  Conj.  bulbi;  stärkere  Secretion  von  katarrha- 
lischem oder  eiterähnliehem  Exsudat,  pericorneale  Injeetion,  nicht  selten 
schnell  eintretende,  schwere  üornealaffectionen.  Bei  der  chronischen 
Blennorrhoe  sind  die  Erscheinungen  zwar  weniger  ausgeprägt,  doch 
dient  die  Schwellung  und  Wucherung  des  Papillarkörpers  und  die  grosse 
Neigung  zu  Hornhautaöectionen  zur  Unterscheidung  vom  Katarrh.  Be- 
züglich der  Unterschiede  von  dem  sogenannten  Schwellungskatarrh  siehe 
den  betreffenden  Abschnitt. 

Aetiologie.  Die  Schädlichkeiten,  welche  zur  Hyperaemia  con- 
junctivae führen,  können  auch  einen  Katarrh  hervorrufen.  Von  anderen 
Momenten  sind  noch  anzuführen:  katarrhalische  oder  sonstige  Erkran- 
kungen der  Nasenschleimhaut  oder  der  Bronchien;  Erkrankungen  der 
Gesichtshaut;  Ekzema,  Impetigo  u.  s.w.;  Gesichtsrose;  Masern;  Schar- 
lach; Influenza;  Typhus.  — 

Bacterien  verschiedener  Art  sind  bei  acuten  und  vorzugsweise  bei  epidemisch 
auftretenden  Conjunctiviten  gefunden  worden.  So  bei  einer  theils  chronisch, 
theils  acut  auftretenden  Form,  die  besonders  durch  Hautekzem  im  Lidwinkel  öfters 
einen  eigenartigen  Charakter  zeigt,  ein  Diplo-Bacillus  (Morax,  Axenfeldj.  Doch 
kann  das  Krankheitsbild  wechseln:  ich  fand  den  Diplo-Bacillus  beispielsweise  in 
einer  Familie  beim  Vater,  der  Mutter  und  dem  Kinde,  die  kurz  hinter  einander  an 
acuter  Conjunctivitis,  aber  mit  durchaus  ungleichem  Charakter  (nur  beim  Kinde 
starke  Schwellung  und  Absonderung)  erkrankt  Avaren.  Oefters  sieht  man  die 
Fraenkel-Weickselbaum1 sehen  Pneumokokken  im  Secret;  auch  Staphylococcus. 
Streptococcus  und  Bacterium  coli  kommen  darin  vor.  In  grösseren  Fpidemien 
hat  gelegentlich  ein  sehr  kleiner  Bacillus,  der  von  Koch  und  Weeks  beschrieben 
wurde,  constatirt  werden  können;  so  in  einer  Hamburger  Epidemie  vermischt  mit 
einem  Diplococcüs  (Willbrand-Sänger-Stählin). 

In  einzelnen  Fällen  haben  Impfungen  mit  der  Cultur  die  Pathogenität  dieser 
Bacterien  erwiesen  (Gelpke),  in  anderen  waren  sie  erfolglos  (Axenfeld).  Jeden- 
falls sind  wir  noch  nicht  in  der  Lage,  die  verschiedenen  klinischen  Bilder  der  Oon- 
junctivalerkrankungen  durch  das  Auftreten  verschiedenartiger  Bacterien  zu  er- 
klären. Wir  finden  oft  gleiche  Krankheitsbilder  trotz  des  Vorhandenseins  ungleicher 
Bacterien.  Dies  gilt  auch  bezüglich  der  unten  zu  besprechenden  Blennorrhoe  und 
Diphtherie  der  Conjunctiva. 

Therapie.  Zuerst  suche  man  durch  Umkehren  der  Lider  zu 
constatiren,  ob  etwa  ein  fremder  Körper  die  Ursache  des  Katarrhs  ist. 
Entropien  oder  Ektropien  sind  eventuell  zu  operiren  (vgl.  Lidkrankheiten). 
—  Hängt  der  Augenkatarrh  mit  acuten  Nasen-  oder  Bronchialkatarrhen 
zusammen,  so  rege  man  die  Diaphorese  an;  bei  chronischen  Nasen- 
affectionen  unterziehe  man  diese  einer  localen  Behandlung.  — Im  acuten 
»Stadium  der  Conjunctivitis  empfiehlt  sich  Aufenthalt  in  einem  leicht 
verdunkelten  Zimmer  und  Enthaltung  von  jeder  Arbeit.  Kühle  Wasser- 
iimschläge    mit  Bleiwasser-   oder  Borsäurelösimg  (2%),   viermal  täglich 


Conjunctivitis  phlyctaenulosa.  407 

V4  bis  ,/2  Stunde  lang,  werden  meist  gut  vertragen  und  befördern  die 
Heilung.  Abends  bestreicht  man  die  Lidränder  mit  Fett,  um  eine  Ver- 
klebung zu  vermeiden.  Unter  dieser  Behandlung  lässt  man  die  hef- 
tigsten Entzündungserscheinungen  erst  vorübergehen. 

Ist  die  Secretion  reichlicher  und  die  Schleimhaut  sueculenter  ge- 
worden, so  nimmt  man  etwas  kältere  Umschläge.  Noch  energischer  auf  die 
erschlaffte  und  hyperämisehe  Schleimhaut  wirken  die  Augentropfwässer 
l  Oollyrien).  So  in  '/o-  bis  1  procentigen Lösungen  Zincum  sulfuricum  (fast 
speeifisch  bei  derDiplo-Bacillen-Conjunctivitis)  und  Tannin,  oder  '/sprocen- 
tig  Arg.  nitrieum.  Bei  ganz  chronischen  Katarrhen  touchirt  man  direct 
die  Schleimhaut.  Mit  steigend  adstringirender  Wirkung  würden  hier  zu 
nennen  sein :  Tannin,  Plumb.  acet.  perfecte  neutralis.  (1 1j2  bis  2  Procent), 
der  Alaun stift  und  1  '/2  procentige  Lösung  von  Arg.  nitrieum.  Auch  die 
organischen  Höllen steinverbin düngen  werden  empfohlen:  so  vorzugs- 
weise das  Protargal,  welches  lOprocentig  etwa  der  2procentigen  Lapis- 
lösung entspricht,  —  einen  besonders  hervorstechenden  Nutzen  gegenüber 
dem  Arg.  nitrieum  habe  ich  aber  nicht  gesehen.  Nach  jedem  Touchiren, 
das  einmal  täglich  erfolgt,  lässt  man  ]l4  bis  1/2  Stunde  lang  kalte  Um- 
schläge machen.  In  diesen  chronischen  Fällen  kann  man  auch  die 
Augendusche  mit  Vortheil  anwenden.  —  Manche  Augen  vertragen  die 
Augenwässer  schlecht:  man  bedient  sich  dann  genannter  Mittel  in  Salben- 
form, besonders  gern  der  Bleisalbe  (Plumb.  acet.  perf.  neutral.  0-2,  ung. 
paraffm.  8-0).  Gegen  die  nicht  selten  noch  einige  Zeit  nach  dem  Ka- 
tarrh zurückbleibende  Trockenheit  der  Augen,  besonders  beim  Erwachen, 
empfehlen  sich  Cocain-Einträufelung  abends  und  das  Einfetten  der  Lid- 
ränder. 


3.  Conjunctivitis  phlyctaenulosa  seu  eczematosa. 
(Conj.   scrophulosa;    Conj.  exanthematica;     Herpes    con- 
junctivae.) 

Bei  der  sogenannten  phlyktänulären  Conjunctivitis  finden  sich  kleine 
Infiltrate  theils  auf  der  Conj.  sclerae  theils  dicht  am  Hornhautrande, 
welche  an  der  Spitze  eines  Gefässbündels  sitzen,  das  von  der  Peripherie 
herkommend  sich  allmählich  verschmälert. 

Die  Infiltrationen  bilden  mehr  oder  weniger  ausgeprägte  Knötchen 
von  graulich-weisser  Farbe,  nur  selten  machen  sie  den  Eindruck  von 
Bläschen;  sie  entstehen  durch  massenhafte  Anhäufung  von  Kundzellen, 
in  denen  zahlreiche  Blutgefässe  verlaufen.  Bisweilen  aber  fehlt  eine  deut- 
liche PhlyktänenentAvickelung;  doch  lässt  die  eigenthümliche,  keilförmig 


tos  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

zugespitzte  Gefässinjection  den  Krankheitstypus  erkennen.  Sitzen 
die  Phlyktänen  in  der  Nähe  der  Cornea,  so  tritt  gleichzeitig  an  der 
Stelle  eine  subeonjuuctivale  Injeetion  hinzu.  Die  übrige  Schleimhaut 
kann  l>ci  diesem  Process  ganz  unbetheiligt  erscheinen,  und  nur  bei  zahl- 
reicherer Phlyktänenbildung  und  längerem  Bestände  der  Krankheit  be- 
obachtet man  eine  gleichzeitige  Entzündung  der  Conjunctiva  palpebralis 
und  der  Uebergangsfalte.  —  Man  kann  drei  Formen  der  Conjunctivitis 
phlyctaenulosa  unterscheiden,  die  auch  für  die  Therapie  von  Bedeutung 
sind:  1)  einfache  Phlyktänen.  Sie  treten  stets  einzeln  oder  in  nur  ge- 
ringerer Anzahl  auf.  ihr  Sitz  ist  gewöhnlich  die  Scleralbindehaut  oder 
der  äusserste  Cornealrand.  Die  zuführenden  Gelasse  bilden  einen 
Büschel.  In  kurzer  Zeit,  8  bis  14  Tagen,  werden  die  Phlyktänen  ent- 
weder ohne  weitere  Umwandlung  resorbirt  oder  es  entstehen  an  ihrer 
Spitze  kleine  Geschwüre,  durch  Verlust  der  Epithelialdecke,  die  indessen 
grosse  Tendenz  zur  Heilung  haben.  2)  Disseminirte,  randständige 
Phlyktänen.  Sie  erscheinen  in  grosser  Menge  als  kleine,  kaum  steck- 
nadelkopfgrosse  Erhebungen  am  Rande  der  Cornea  und  sitzen  häufig 
ihrer  ganzen  Circumferenz  auf,  so  dass  der  Limbus  conjunctivae  wie 
mit  feinem  Sande  bedeckt  erscheint.  Dabei  besteht  eine  ziemlich  starke 
conjunctivale  und  subeonjuuctivale  Gefässinjection.  Nach  einigen  Tagen 
verwandeln  sie  sich  meist  in  kleine,  seichte  Geschwürchen.  3)  Breite 
Phlyktänen.  Es  sind  dies  circa  l4/2  bis  2  mm  grosse,  erhabene  Knöt- 
chen, die  ebenfalls  meist  am  Cornealrande  oder  wenigstens  in  seiner 
Nähe  sitzen.  Ihre  Zahl  ist  eine  verschiedene,  aber  nie  so  gross,  wie 
die  der  disseminirten  Phlyktänen.  Oefters  verbindet  sich  mit  ihnen  eine 
leichte  Scleritis,  die  sich  durch  eine  violett-bläuliche  Verfärbung  kund- 
giebt.  Bisweilen  zerfallen  die  Infiltrate  in  tiefe  Geschwüre  mit  zer- 
rissenen, unregelmässigen  Rändern  und  gelblichem  Grunde.  Diese  Form 
ist  die  langwierigste  und  besteht  oft  4  bis  6  Wochen.  —  Die  Phlyk- 
tänen der  Conjunctiva,  besonders  die  randständigen,  sind  häufig  mir 
Hornhautaffectionen  verknüpft,  so  mit  kleinen  Infiltrationen  und  flachen, 
seltener  tiefgehenden  Geschwüren.  Auch  entspringt  öfters  die  büschel- 
förmige Keratitis  aus  einer  Phlyktäne. 

Bei  längerem  Bestehen  der  phlyktänulären  Erkrankungen  kann  es 
zu  einer  diffusen,  oberflächlichen  Trübung  der  ganzen  Hornhaut  mit 
Gefässneubildung  (Pannus  phlyctaenulosus)  kommen. 

Die  Secretionsanomalie  besteht  bei  der  reinen  Conj.  phlyctaenulosa 
nur  in  einer  vermehrten  Absonderung  der  Thränenflüssigkeit.  jedoch 
verknüpft  sich  oft  eine  Conjunctivitis  palpebralis  mit  ihr.  Meist  ist  eine 
sehr  bedeutende  Photophobie  vorhanden,  die  besonders  bei  Kindern 
zu  Blepharospasmus  ausartet.  Manche  Kinder  liegen  den  ganzen  Tag 
über  mit  dem  Gesichte  und   geschlossenen   Augen   auf  dem  Arm  oder 


Conjunctivitis  phlyctaenulosa.  409 

ihrem  Kopfkissen.  Heftige  Schmerzen  bestehen  nur  vor  Beginn  der 
Eruption;  Druck  und  Brennen  in  den  Augen  ist  häutig"  vorhanden. 

Der  Verlauf  ist  bei  entsprechender  Behandlung  in  der  Begel 
günstig.  Hinzugetretene  Hornkautprocesse,  ebenso  wie  eine  secundäre 
katarrhalische  Schwellung  der  Conjunctiva  verzögern  die  Heilung. 
Ausserdem  sind  Recidive  sehr  häufig. 

Aetiologü'.  Die  Phlyctaenulosa  ist  vorzugsweise  eine  Krankheit 
des  Kindesalters.  Das  Hauptcontingent  stellen  die  scrophulösen  Kinder: 
hier  rinden  sich  meist  noch  anderweitige  Symptome  der  Dyskrasie  (Ek- 
zeme, geschwollene  Drüsen  etc.).  Auch  in  Folge  von  Masern,  Scharlach 
und  Pocken  treten  Phlyktänen  auf.  -  -  Seltener  findet  sich  die  Krank- 
heit bei  Erwachsenen;  hier  bisweilen  in  der  Form,  dass  nur  die 
charakteristische  Gefässinjection  vorhanden  ist.  Eine  specifische  bac- 
terielle  Infection  ist  bisher  nicht  erwiesen. 

Therapie.  Bei  Kindern  ist  die  starke  Lichtscheu  oft  ein  Hinder- 
niss  sowohl  der  Behandlung  wie  der  Heilung.  Ein  gutes  Mittel  dagegen 
ist  das  Eintauchen  des  ganzen  Kopfes  in  einen  Eimer  kalten  Wassers 
iJüngken.  v.  Graefe).  Hat  sich  das  Kind  von  seiner  Erstickungs- 
angst erholt,  so  wird  es  das  Auge  ohne  Weiteres  öffnen.  Sollte  ein 
einmaliges  Untertauchen  nicht  genügen,  so  muss  es  wiederholt  werden. 
Milder  und  oft  wirksam  ist  das  Einträufeln  von  Cocain.  Jedenfalls  ist 
das  Zuhalten  und  Zukneifen  der  Augen  möglichst  durch  Zusprechen  und 
durch  Aufenthalt  in  einem  massig  verdunkelten  Zimmer  zu  verhindern. 
Den  grössten  Einfluss  auf  die  Hebung  der  Lichtscheu  aber  übt  un- 
zweifelhaft die  entsprechende  Behandlung  des  localen  Processen;  in 
dieser  Hinsicht  empfiehlt  sich  Folgendes.  Gegen  einfache  Phlyktänen 
und  gegen  die  einfache  pklyktänuläre  Gefässinjection:  tägliches  Ein- 
streuen von  feinem  Calomelpulver  in  kleiner  Dosis.  Es  ist  dabei  darauf 
zu  achten,  dass  keine  grössere  Klümpchen  im  Conjunctivalsack  verbleiben. 
Ebenso  ist  der  gleichzeitige  innerliche  Gebrauch  von  Jod  wegen  der 
Bildung  ätzenden  Jodquecksilbers  zu  vermeiden.  —  Gegen  disseminirte, 
randständige  und  breite  Phlyktänen  gewährt  Calomel  nicht  so  grossen 
Xutzen.  Hier  ist  die  gelbe  Präcipitatsalbe,  welche  hanfkorngross  in  das 
Auge  gebracht,  darin  verrieben  und  nach  einigen  Minuten  entfernt  wird, 
von  specifischer  Wirkung.  Selbst  bei  starker  Eöthung  und  Entzündung 
des  Auges  wirkt  sie  oft  überraschend;  jedoch  möge  man  in  diesen  Fällen 
erst  einen  vorsichtigen  Versuch  machen.  Tritt  hier  keine  Besserung 
nach  einmaliger  Application  ein,  so  verfahre  man  nur  antiphlogistisch, 
indem  man  3  bis  4  mal  täglich  %  Stunde  lang  kalte  Bleiwasser-  oder 
Borsäureumschläge  machen  lässt  und  Atropin  3  bis  4  mal  einträufelt. 
Das  Atropin  ist  auch  sonst  von  Xutzen;  wenn  sich  die  Pupille,  welche 
meist  bei  heftigeren  phlyktänulären   Processen   stark  verengt  ist,   erst 


410  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

ausgiebig  erweitert,  pflegt  auch  die  Lichtscheu  zu  schwinden;  mit  dem 
<  )effnen  der  Augen  alter  ist  bei  Kindern  der  Anfang  zur  Heilung 
gemacht. 

Bei  ulcerirten  breiten  Phlyktänen  ist  das  Betupfen  mit  einer  2  bis 
öprocentigen  Höllensteinlösung  vortheilhaft. 

Besteht  eine  Entzündung  oder  Schwellung  der  Conjunctiva  palpe- 
bralis,  so  werden  neben  dieser  Therapie  kalte  Umschläge  und  gelegent- 
lich auch  directes  Touchiren  mit  Blei-,  Tannin-,  selbst  Höllensteinlösung 
am  Platze  sein.  Besonders  bei  Schwellungskatarrhen  der  Uebergangs- 
falten,  welche  langbestehende  phlyktänuläre  Processe  oft  begleiten, 
kommt  man  ohne  dies  nicht  zum  Ziel.  Man  touchirt  an  einem  Tage 
die  Schleimhaut,  am  anderen  wendet  man  gelbe  Salbe  an.  —  Selbst 
wenn  oberflächliche  Hornhautinfiltrate  neben  den  Phlyktänen  bestehen, 
kann  man  die  Anwendung  der  gelben  Präcipitatsalbe  versuchen.  Gegen 
Pannus  phlyet.  ist  dieselbe  von  grosser  Wirkung. 

Von  ableitenden  Mitteln  auf  die  Haut  habe  ich  keinen  Nutzen  ge- 
sehen; ich  möchte  im  Gregentheil  davon  abrathen.  Man  muss  die  Ge- 
sammteonstitution  beachten  und  das  Nöthige  verordnen.  So  bei  scro- 
phulösen  Kindern  Mutterlaugenbäder,  Leberthran,  Jodeisen,  Stomachica 
u.  s.  w.  Bisweilen  leisten  hier  bei  starker  und  sonst  schwer  weichender 
Augenentzündung  die  bekannten  Plu  mm  er  sehen  Pulver  (Calomel  und 
Stib.  sulphur.  aurant.  aa)  gute  Dienste.  Lidekzeme  sind  mit  Hebra'scher, 
Theer-  oder  Borsalbe  zu  bedecken  und  womöglich  durch  einen  Verband 
gegen  das  Berühren  und  Kratzen  seitens  der  Kinder  zu  schützen. 
Nöthigenfalls  kann  man  auch,  wie  nach  Operationen,  den  Kindern  grosse 
Pappcylinder  über  beide  Arme  ziehen,  die  durch  ein  um  den  Hals 
gehendes  Band  festgehalten  werden,  und  die  Krümmung  im  Ellbogen- 
gelenk  und  damit  das  Hinaufführen  der  Hände  zum  Gesicht  verhüten. 

Von  grösster  Wichtigkeit  aber  ist  es,  die  Behandlung  nicht  zu  früh 
auszusetzen;  sonst  treten  ziemlich  sicher  Becidive  ein.  Man  muss  nach 
Heilung  der  phlyktänulären  Conjunctivitis  noch  AYoehen  lang  Tag  um 
Tag  Calomel  einpudern. 


Frühjahrs-  und  Sommerkatarrh  (Phlyetaena  pallida). 
Der  Frühjahrskatarrh  (Saemisch)  hat  eine  gewisse  Aehnlich- 
keit  mit  der  sandkornförmigen  phlyktänulären  Conjunctivitis.  Auch  hier 
ist  es  der  Linibus  conjunctivae,  Avelcher  vorzugsweise  befallen  wird.  Er 
ist  von  rundlichen,  meist  stecknadelkopfgrossen,  wulstigen  Prominenzen 
von  fester  Consistenz  und  grauweisslicher  Farbe  bedeckt,  die  dicht 
aneinanderliegen  und  so  eine  mehr  gleichmässige  Verdickung  des  Horn- 
limbus   hervorrufen.     Die   Afl'ection  befällt  nur  selten   die  ganze  Peri- 


Anatomie  der  Blennorrhoe  und  des  Trachoms.  411 

pherie  der  Hornhaut.  Daneben  besteht  massige  pericorneale  und  episcle- 
rale  Injection.  Die  Conj.  palpebralis  zeigt  am  oberen  Lide  meist  pflaster- 
förmige  Papillarwucherungen,  öfters  auch  eine  eigentümliche,  weissliche 
Trübung,  als  wenn  sie  mit  Milch  begossen  wäre.  Es  tritt  diese  Trü- 
bung besonders  hervor,  wenn  man  das  Lid  ektropionirt  hat:  ist  die 
milchige  Schleimhaut  einige  Zeit  der  Luft  ausgesetzt,  so  röthet  sie  sich 
wieder.  Die  Secretion  ist  massig.  Die  subjectiven  Beschwerden  sind 
ausser  der  fast  eonstanten  Lichtscheu  gering. 

Charakteristisch  für  die  Affection,  die  übrigens  nur  in  bestimmten 
Gegenden  vorkommt,  ist  es,  dass  sie  im  Frühjahr  und  Sommer  auftritt, 
im  "Winter  aber  wieder  schwindet.  Dabei  hat  sie  grosse  Neigung  all- 
jährlich zu  reeidiviren.  Die  Cornea  leidet  meist  nicht  dabei;  in  der 
Regel  erfolgt  vollständige  Heilung.  Aber  ich  habe  doch  Kranke  ge- 
sellen, wo  sich  in  Folge  des  Frühlingskatarrhs  dichte  weissliche  Horn- 
hauttrübungen bildeten,  die  in  einem  Falle  doppelseitig  das  Sehvermögen 
auf  Fimrerzählen  herabsetzten;  ich  habe  den  Kranken  mehrere  Jahre 
beobachtet,  ohne  dass  eine  wesentliche  Besserung  eintrat.  Nur  Indivi- 
duen im  kindlichen  und  jugendlichen  Alter,  und  fast  nur  männlichen 
(Geschlechts,  werden  befallen;  meist  erkranken  beide  Augen.  Die 
Therapie  ist  eine  abwartende,  jede  Beizung  zu  vermeiden.  Irgend 
welche  deutliche  Heilwirkung  habe  ich  von  keinem  Mittel  (gelbe  oder 
weisse  Präcipitatsalbe,  Cocamsalbe,  Borsäurelösung  oder  der  ver- 
dünnten Essigsäure  [1  Tropfen  auf  10 — 20  gr  Wasser],  die  van  Mil- 
lingen  empfahl)  gesehen;  bisweilen  mindern  sie  die  subjectiven  Be- 
sehwerden. Bei  verstärkter  Secretion  wende  man  die  mildesten  Ad- 
stringentien  an;  gegen  die  Lichtscheu  eine  blaue  Schutzbrille. 


4.  Blennorrhoe.  —  Schwellungskatarrh. 
Trachom  (Granulationen.)  —  Conj.  folliculosa. 

Pathologische  Anatomie  und  allgemeine  Diagnose. 

Die  Blennorrhoe,  der  Schwellungskatarrh,  die  Granulationen 
i  Trachom)  und  die  Conj.  folliculosa  zeigen  zum  Theil  ähnliche  anato- 
mische Veränderungen,  sind  jedoch  klinisch  streng  von  einander  zu 
sondern.  In  der  Mehrzahl  der  Krankheitsfälle  gelingt  dies  zweifellos 
und  sicher,  jedoch  kommen  Uebergänge  vor  —  so  besonders  zwischen 
chronischer  Blennorrhoe  und  Schwellungskatarrk  einerseits  und  zwischen 
Granulationen  und  Follikelkatarrh  andererseits  — ,  bei  denen  selbst  der 
Geübte  schwankend  sein  kann  und  erst  den  weiteren  Verlauf  der  Affec- 
tion  abwarten  muss. 


412 


Erkrankungen  der  Conjunctivae 


A.  Die  Blennorrhoe  zeigt  anatomisch  vorzugsweise  eine  llvper- 
trophie  der  Papillen  der  Conjunctiya,  bezw.  der  in  ihr  vor- 
kommenden Leisten.  Besonders  der  Uebergangstheil  der  Conjunctiva 
ist  stark  geröthet,  gewulstet  und  oft  zu  mehreren,  parallel  gestellten 
Falten  hypertrophirt.  Die  Papillen  treten  theils  als  kleinere,  theils  als 
grössere  Hervorragungen  (bisweilen  bis  zu  hahnenkaniniähnlichen 
Wucherungen  sich  steigernd)  über  das  Niveau  heraus  und  verleihen 
ihm  ein  unebenes  Aussehen.  Bisweilen  backen  die  dicht  an  einander 
liegenden  Papillen  zu  pflasterförmigen,  kleineren  Abschnitten  zusammen. 
Das  Epithel  ist  gewuchert  und  liegt  in  mehrfachen  Schichten  über- 
einander. Unter  der  Epitheldecke  findet  sich  eine  tiefgehende  Infiltrations- 
zone^von  lymphoiden  Zellen,  die  aber  in  diffuser  Ausbreitung  (nicht 


142. 

Blennorrhoe  (halbschematiscli).   Hypertrophirnng  der  Papillen  und  Falten  mit  Zellen-  und  Kern- 
emlagernngen.    Hypertrophirtrag  des  Epithels.    Starke  Vascnlarisation. 

in  knötchenförmigen  Anhäufungen)  auftreten.  Die  Schleimhaut  ist  stark 
hyperämisch.  —  Im  rückgängigen  Stadium  kommt  es  in  der  Regel  zu 
gar  keiner  oder  wenigstens  nur  zu  sparsamer  Bindegewebsentwiekelung. 
Entsteht,  eine  Narbe,  so  pflegt  sie  eine  flächenartige  Ausdehnung  zu 
zeigen. 

B.  Bei  dem  Trachom  (Granulationen)  finden  sich  eigenartige  Neu- 
bildungen: Trachomfollikel  oder  Trachomkörner.  Es  sind  dies 
runde  oder  ovale  Körner,  welche  im  adenoiden  Gewebe  der  Conjunc- 
tiva sitzen  und  makroskopisch  bläulichgrau,  gelblichgrau  oder  gelblich 
durchschimmern.  31  it  Wundgranulationen  haben  sie  gar  keine  Aehnlich- 
keit.  Sie  bestehen  aus  einer  Anhäufung  von  lymphoiden  Zellen,  die  so 
geordnel  sind,  dass  die  in  der  Mitte  gelegenen  grösser,  die  peripheren 
kleiner  sind.  Letztere  bilden  demnach  eine  Art  Grenzschicht  gegen  das 
umliegende  Gewebe  (Jacobson  jun.).  Im  Inneren  fand  Leber  eigen- 
thi'nuliche  Zellen,  die  ausser  dem  Kern  einen  grösseren,  sehwerfärbbaren, 
an  den  Rand  gedrängten,  kernähnlichen  Körper  haben  (Körperchen- 
zellen).     Bei  jüngeren   Trachomfollikeln   fehlt  eine   eigentliche  Grenz- 


Anatomie  der  Blennorrhoe  und  des  Trachoms.  413 

membran;  bei  älteren  kann  sieh  eine  faserige  Bindegewebshülle  bilden 
(Mandelstamm).  Zwischen  den  Zellen  des  Follikels  finden  sich  feine 
Fäserchen  und  Blutgefässe.  Letztere  sieht  man  bei  frischer  Unter- 
suchung noch  injicirt. 

Der  Inhalt  der  Körner  kann  erweichen,  indem  sich  eine  breiige 
Masse  bildet,  oder  auch  induriren,  indem  verdickte  Bindegewebsfasern 
von  der  I  Iiille  her  die  Granulationshöhle  durchsetzen.  Auch  sclerosirende 
Blutgefässe  scheinen  bei  dieser  bindegewebigen  Umformung  (Sattler) 
eine  Bolle  zu  spielen.  Die  Tendenz  zur  Narbenbildung  ist  eine  sehr 
ausgesprochene.  —  In  dem  Bindegewebe  zwischen  den  einzelnen  Trachom- 
follikeln  finden  sich  ebenfalls  Lymphzellen,  die  zum  Theil  diffus  oder 
nesterartiff  sitzen:  bisweilen  wird  durch  die  diffuse  Infiltration  die  Ab- 


IIIIä 


143. 

Trachom,     a  =  Traehonifollikel;   drei   derselben  liegen  nebeneinander,      b  =  schlauchförmige 
Epitheleinsenkung.    Zellige  Infiltration  der  Papillen  und  zahlreiche  Gefässdurchschnitte. 

grenzung  und  Unterscheidung  einzelner  Traehomfollikel  erschwert.  Da- 
neben ist  eine  reichliche  Entwickelung  von  Blut-  und  Lymphgefässen 
vorhanden.  Eine  Wucherung  der  Papillen  kann  ganz  fehlen;  doch  tritt 
sie  meist  später  in  niehr  oder  weniger  ausgeprägter  Form,  öfters  nur  an 
bestimmten  Partien  der  Lidschleimhaut,  hinzu.  Das  Epithel  verliert 
allmählich  den  cylinderförmigen  Charakter  und  wird  mehr  abgeplattet; 
häufig  rindet  man  in  ihnen  —  wie  auch  sonst  bei  Conjunctiviten  —  zahl- 
reiche Becherzellen,  später  kommt  es  zu  Abstossungen  mit  Geschwürs - 
bildungen,  die  zu  ausgedehnten  narbigen  Umwandlungen  an  der  Ober- 
fläche Anlass  geben  (Baehlmann).  Schlauchförmige  Epitheleins  en- 
kungen  (Berlin-Iwanoff's  Trachomdrüsen)  finden  sich  sehr  zahlreich; 
sie  sind  aber  nicht  als  specifische  Entzündungsproducte  des  Trachoms, 
sondern  nur  als  Vergrösserungen  der  normal  vorkommenden  Einbuch- 
tungen, wenn  auch  mit  Hinzukommen  der  durch  die  Hypertrophirung 
der  Falten  neugebildeten  Spalträume,  zu  betrachten.  Wenn  die  Aus- 
gänge dieser  Einsenkungen  verwachsen,  so  können  cystenähnliche  Bil- 
dungen entstehen.  Auch  bei  der  Conjunctivitis  follicularis  und  der 
Blennorrhoe  kommen  öfters  derartige  Schläuche  vor. 


414  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

Nach  diesen  Befunden  wird  der  Blennorrhoe  (und  im  geringeren 
Grade  dem  sogenannten  Schwellungskatarrh)  die  Hypertrophirung  des 
Papillarkürpers  mit  diffuser  Zelleninfiltration,  dem  Trachom  das  Auf- 
treten der  Traehonifollikel  den  charakteristischen  Stempel  aufdrücken. 

Aber  es  kommen  Mischformen  zwischen  Blennorrhoe  und  Trachom 
vor.  Wird  die  Blennorrhoe  chronisch,  so  sieht  man  nicht  selten  hier  und  da, 
besonders  in  den  Lidwinkeln,  vereinzelte  Follikel  auftreten,  doch  so 
wenig  zahlreich,  dass  sie  das  klinische  Bild  nicht  eben  verwischen. 

Anders  beim  Trachom.  Gesellt  sich  später  eine  Wucherung  des 
Papillarkürpers  hinzu,  so  bilden  sich  besonders  im  Uebergangstheil  starke 
Schwellungen  und  grössere  Falten  der  Schleimhaut;  die  röthlich  gefärbten 
Papillen  mit  ihren  warzenförmigen  Hervorragungen  können  dabei  die 
Traehonifollikel  ganz  verdecken;  in  der  Regel  sieht  man  aber  doch  noch 
an  dem  Hervortreten  umschriebener,  rundlich  gestalteter  Figuren  und 
dem  Durchscheinen  eines  gelblichen  Farbentons  das  ursächliche  Leiden. 
Dieser  Zustand  ist  auch  als  Trachoma  mixtum  beschrieben  worden; 
passender  ist  es,  von  „Trachom  (Granulationen)  mit  seeundärer 
Blennorrhoe"  zu  sprechen.  Ist  die  Papillarwucherung  nur  gering, 
so  findet  man  die  Follikel  als  graue  oder  graugelbliche  Körner,  „frosch- 
laichartig0 in  Reihen  geordnet  in  der  Conjunctiva. 

Haben  sich  bereits  Narben  gebildet,  so  treten  in  der  meist  unge- 
wöhnlich glänzenden  Schleimhaut  weissliche  Striche  hervor,  am  Tarsal- 
theil des  oberen  Lides  oft  auch  strahlige,  von  einem  fleckförmigen  Cen- 
trum ausgehende  Figuren.  Am  unteren  Lide  zeigt  die  Schleimhaut  eine 
eigentümliche,  hellbläuliche,  diffuse  Färbung  statt  des  normalen  Weiss 
mit  den  scharf  sich  abgrenzenden  Gefässreiserchen.  Neben  diesen 
Narben  können  noch  vereinzelte  Follikel  bestehen  oder  auch  nur  noch 
Papillarwucherungen.  Da  aber  eine  Blennorrhoe  nicht  derartige  strahlige 
Narbenbildungen  macht,  so  wird  man  selbst  hier  die  Diagnose  „Narben- 
trachom"  stellen.  Diese  Fälle  sind  es  besonders,  in  denen  man  bis- 
weilen in  der  Uebergangsfalte  eine  langhingestreckte  graugelbliche, 
ziemlich  gleichmässig,  d.  h.  nicht  mehr  deutlich  kornförmig  abgegrenzte 
Einlagerung  (sulziges  Trachom  [Stellwag])  sieht, 

C.  Conj.  folliculosa.  Einfache  Follikel.  In  einem  gewissen 
Stadium  der  Erkrankung  lässt  sich  mikroskopisch  zwischen  den  Lymph- 
zellen -  Knötchen  (Follikeln)  der  Conj.  folliculosa  und  denen  des 
Trachoms  kein  Unterschied  finden.  Eher  lassen  sich  noch  Verschieden- 
lieiten  in  dem  umgebenden  Conjunctivalgewebe  nachweisen.  So  pfle- 
gen die  einfachen  Follikel,  falls  keine  ausgeprägte  Entzündung  sie 
complicirt,  was  öfters  der  Fall  ist,  auch  auf  mikroskopischen  Schnitten 
als  kleine  Kugelsegmente  mehr  hervorzuragen,  während  die  Traehoni- 
follikel weniger  die  Oberfläche  über  sich  heben,  da  auch  das  zwischen 


Anatomie  der  Blennorrhoe  und  des  Trachoms.  415 

ihnen  liegende  Gewebe  durch  sehr  zahlreiche  Einlagerung'  lymphoider 
Zellen  geschwellt  ist.  Ferner  sind  die  Lymph-  und  Blutgefässe  zwischen 
und  um  Trachomfollikel  meist  zahlreicher  als  bei  einlacher  Conj.  follicu- 
losa.  Vor  Allem  ist  der  weitere  Verlauf  des  Processes  ganz  verschieden. 
Bei  Trachom  kommt  es  stets  zu  Bindegewebs-Neubildungen  und  mehr 
oder  weniger  ausgedehnter  Narbenentwickelung,  oft  zu  käsigem  Zerfall 
und  zu  seeundärer,  hochgradiger  Papillenwucherung:  Vorgänge,  die  als 
Folgezustände  der  Conj.  folliculosa  nie  beobachtet  werden.  In  einer 
Reihe  leichterer  Fälle  dürfte  es  sich  bei  letzteren  wohl  einzig  und  allein 
nur  um  »Schwellung  und  stärkeres  Hervortreten  bereits  physiologisch 
vorhandener  Follikel  handeln. 

Uebi'igens  sind  von  diesen  Lymphknötchen  andere  kleinere,  bläschen- 
artige Hervorragungen  der  Conjunctivae  welche  durchsichtiger  sind 
und  eine  zarte  Oberfläche  haben,  zu  trennen.  Es  sind  dies  durch 
Lvmphausschwitzungen  bedingte  Erhebungen  des  Epithels  oder  auch 
der  Basalmembran;  sie  entleeren  beim  Anstechen  eine  meist  klare 
Flüssigkeit. 

Die  eigentlichen  Follikel  finden  sich  entweder  in  einer  vollkommen 
normalen  oder  in  einer  entzündeten  hyperäniischen,  aber  nicht  stärker  ge- 
schwellten oder  infiltrirten  und  gewucherten  Conjunctiva.  Ich  habe  nie 
eine  ausgesprochene  Conj.  folliculosa  in  Trachom  übergehen  oder  zu 
Xarbenbildung  führen  sehen,  trotzdem  ich  manche  Fälle  von  Conj.  folli- 
culosa viele  Jahre  lang  verfolgt  habe;  neuerdings  ist  dieselbe  Erfahrung 
wieder  von  May  weg  bei  seinen  langjährigen  Schuluntersuchungen  be- 
stätigt worden.  Die  Trennung  beider  Affectionen  ist  unzweifelhaft  von 
höchster  praktischer  Bedeutung,  und  es  ist  ein  besonderes  Verdienst  von 
Th.  Saemisch,  dass  er  im  Anschluss  an  A.  v.  Graefe  die  klinisch 
differentiellen  Momente  dieser  Affection  gegenüber  dem  Trachom 
scharf  betont  hat.  Vielleicht  etwas  zu  scharf;  es  darf  nämlich  nicht 
verschwiegen  werden,  dass  Fälle  vorkommen,  bei  denen  anfänglich  die 
Diagnose  zweifelhaft  sein  kann.  Dieselben  gehören  fast  alle  in  die 
Unterabtheilung  der  Conj.  folliculosa,  bei  der  das  Auftreten  der  Follikel 
mit  entzündlicher  Conjunctivitis  einhergeht.  Unter  ganz  demselben  Bilde 
habe  ich  öfters  acutes  Trachom  an  dem  zweiten  Auge  des  Kranken 
unter  meiner  Beobachtung  auftreten  sehen,  dessen  erstes  Auge  bereits 
an  ausgesprochenem  Trachom  litt.  Bald  aber  Hess  hier  die  Massen- 
haftigkeit  und  Grösse  der  Follikelentwickelung,  sowie  die  starke  Mit- 
betheiligung  des  Bindehautgewebes  keinen  Zweifel  übrig.  Aehnlich 
kann  es  gelegentlich  mit  dem  „  Schwellungskatarrh  a  gehen,  der  sich  nach 
einigen  Tagen  als  „acutes  Trachom"  entpuppt.  Derartige  Krankheits- 
bilder, welche  eine  gewisse  Unsicherheit  der  Diagnose  im  Beginn  des 
Leidens  veranlassen,  können  aber  — ■  zumal  sie  nur  selten  vorkommen 


410  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

—  keinen    Grund    abgeben,    diese   in   Prognose   und  Verlauf   so   ver- 
schiedenartigen Krankheiten  zusammenzuwerfen. 

Der  von  Sattler  und  Michel  gefundene  Diplococcus,  der  als  Ursache  der 
Trachominfection  hingestellt,  bei  der  Impfung  auf  menschliche  Conjunctiva  Folli- 
kel! tildungen  hervorrief,  kann  nicht  als  Beweis  für  die  Gleichartigkeit  beider  Affee- 
tionen  dienen,  zumal,  wie  meine  Nachuntersuchungen  zeigten,  die  von  Michel  ge- 
nauer beschriebene  Pilzform  bei  einer  Anzahl  von  Trachomkranken  fehlte.  Weiter 
haben  nur  drei  Impfungen  mit  Reincultureh  (und  zwar  nach  so  zahlreichen  Ab- 
impfungen,  dass  eine  Uebertragung  des  ursprünglichen  Traehomsecrets  ausge- 
schlossen war)  in  menschliche  Conjunctiva  ein  durchaus  negatives  Resultat  ge- 
geben. Anderen  ist  es  ebenso  gegangen.  Nach  diesen  Ergebnissen  kann  man  in 
dem  Michel 'sehen  Diplococcus  nipht  die  Ursache  des  Trachoms  sehen.  Auch  die 
später  von  verschiedenen  Untersuchern  beschriebenen  Bacterien  haben  sich  nicht 
als  speeifisch  erwiesen:  dasselbe  scheint  von  dem  neuerdings  von  L.  Müller 
(Wien)  gefundenen  Bacillus  zu  gelten. 

Dass  in  ein  paar  Fällen  tuberculöse  oder  syphilitische  Producte  oder  in  die 
Schleimhaut  gerathene  Pflanzenhaare,  wie  letzteres  aus  meiner  Klinik  von  Markus 
beschrieben  worden,  zu  trachomähnlicher  Körnerbildung  Anlass  gaben,  begründet 
selbstverständlich  nicht  die  Berechtigung,  verschiedene  ätiologische  Momente  für 
diese  wohl  eharakterisirte  Krankheit  anzunehmen. 


1.  Conjunctivitis  blennorrhoica. 

Das  anatomische  Substrat  der  Blennorrhoe  bilden  vorzugsweise,  wie 
oben  erwähnt,  die  Schleimhautfalten  und  Papillen.  Doch  tritt  nicht 
gleich  im  Beginn  einer  acuten  Blennorrhoe  durch  deren  Hypertrophirung 
eine  Unebenheit  in  der  Schleimhaut  hervor.  Erst  nach  einiger  Zeit  zeigt 
sich  die  Uebergangsfalte  durch  Neubildung  von  parallel  verlaufenden 
Falten  vergrössert;  die  Masse  des  Conjunctivalgewebes  nimmt  zu.  Auf 
diesen  gerötheten  Falten  oder  am  Tarsaltheil  auch  auf  der  glatt  an- 
liegenden Schleimhaut  können,  dicht  aneinandergedrängt,  kleine  um- 
schriebene Erhabenheiten,  durch  Furchen  voneinandergetrennt,  später 
sichtbar  werden.  Je  länger  der  Process  besteht,  um  so  rauher  und  ge- 
wulsteter  wird  meist  die  Scheimhaut.  Kommt  die  Affection  zur  Heilung, 
so  verlieren  sich  die  Wulstungen  und  Falten.  Letztere  verschwinden 
zum  Theil  durch  Verkleben.  Im  entwickelten  Stadium  der  Krankheit 
findet  man  oft  mehrere  Reihen  parallel  laufender  Falten  im  Uebergangs- 
theil;  etwas  später  zeigt  sich  die  Zahl  dieser  Falten  verringert,  die 
einzelnen  sind  breiter  geworden,  zieht  man  aber  beim  Ektropioniren 
den  Lidrand  stärker  ab,  so  gelingt  es  hier  und  da,  eine  dieser  breiteren 
Falten  in  zwei  schmälere  wieder  auseinanderzureissen.  Bei  mehr  chro- 
nischem Verlauf  blassen  die  Papillen  allmählich  ab,  werden  durch  den 
gegenseitigen  Druck  glatter  und  verschwinden  schliesslich.  Einzelne 
dieser  Papillenconvolute  können  andererseits  mehr  im  Wachsthum  fort- 


Conjunctivitis  blennorrhoica.  417 

schreiten  und  endlich  halmenkanmi-und  warzenförmige  Vorspränge  bilden; 
doch  ist  dies  bei  der  primären  Blennorrhoe  ausserordentlich  selten,  häufiger 
hingegen  bei  der  secundären  Blennorrhoe,  die  sich  zum  Trachom  gesellt 
(Trachoma  papilläre  [Stellwag]).  Aber  auch  ohne  vorangegangenes 
Trachom  und  ohne  entzündliche  Blennorrhoe  habe  ich  ausnahmsweise 
diese  hahnenkammähnlichen  Schleimhautwucherungen  massenhaft  am 
oberen  Lide  auftreten  sehen. 

Acute  Blennorrhoe.  Das  erste  und  auffallendste  Zeichen  ist  die 
starke  Schwellung  der  Lidhaut.  Das  ödematöse  und  geröthete  obere 
Lid  hängt  über  das  Auge  herab;  letzteres  kann  nur  mit  Mühe  geöffnet 
werden.  Die  Conjunctiva  palpebralis  und  die  Uebergangsfalte  sind  stark 
injicirt  und  geschwellt.  Die  Conj.  bulbi  wird  gleichfalls  hyperämisch. 
Im  Anfange  erkennt  man  deutlich  auch  die  Injection  der  subconjuncti- 
valen  Gefässe  um  die  Cornea:  doch  wird  dieselbe  bei  Steigerung  der 
Entzündung  bald  durch  seröse  oder  gelatinöse  Verdickung  des  Gewebes 
verdeckt.  Die  Chemosis  bildet  dann  einen  ringförmigen  Wall  um  die 
Hornhaut,  der  öfters  die  Peripherie  derselben  überragt. 

Das  Secret  ändert  in  den  einzelnen  Stadien  der  Entzündung  seine 
Beschaffenheit.  Im  Anfang  schwimmt  das  Auge  in  Thränen,  die  aber 
ähnlich  wie  beim  Katarrh  schäumend  sind.  Doch  bald  nimmt  die  Ab- 
sonderung eine  mehr  trübe  und  molkige  Form  an.  Sie  tritt  in  solcher 
Stärke  auf,  wie  es  beim  Katarrh  nie  vorkommt.  Nach  zwei-  bis  drei- 
tägigem Bestehen  der  Krankheit  werden  reichlichere  Mengen  von  Schleim 
imd  Eiterzellen  abgesondert,  welche  das  Secret  dickflüssiger  machen. 
Beim  Oeffnen  des  Auges  bedarf  es  jetzt  schon  einer  sorgfältigen  Reinigung 
zur  deutlichen  Erkennung  der  Theile,  da  das  Secret  Conjunctiva  und 
Bulbus  überfluthet  und  ihnen  anhaftet.  Noch  später,  allmählich  oder 
auch  ohne  L'ebergang,  verwandelt  sich  diese  Form  des  Secrets  in  eine 
mehr  gelbliche,  selbst  eiterähnliche  Flüssigkeit  (Pyorrhoe). 

Die  örtliche  Temperatur  ist  bei  der  ausgesprochenen  Blennorrhoe 
stets  erhöht:  allgemeines  Fieber  ist  nur  selten  —  bei  den  stärksten 
Entzündungsformen  und  sehr  erregbaren  Individuen  —  vorhanden.  — 
Die  subjectiven  Beschwerden  sind  anfänglich  die  des  Katarrhs:  Brennen, 
das  Gefühl  eines  fremden  Körpers  im  Auge  u.  s.  w.  In  der  Regel 
stellen  sich  jedoch  bald  heftige  Schmerzen  in  Auge  und  Stirn  ein,  die  sich 
verringern,  wenn  der  Ausfluss  reichlicher  wird. 

Die  acute  Blennorrhoe  gehört  zu  den  schwersten  Augenkrankheiten. 
In  besonders  günstigen  Fällen  kann  sie  in  drei  bis  vier  Wochen  in  Hei- 
lung übergehen.  Es  schwindet  dann  zuerst,  etwa  nach  acht  bis  zehn 
Tagen,  das  Oedem  der  Lider;  allmählich  verliert  sich  auch  die  Schwel- 
lung und  Injection  der  Bindehaut  und  die  Secretion  lässt  nach.  Doch 
ist  ein  derartiger  schneller  Verlauf  verhältnissmässig  selten,  zumal  es  sehr 
Schmidt-Rimpler.    7,  Auflage.  27 


418  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

häufig  zu  Complicationen  kommt,  die  eine  lange  Heilungszeit  erfordern. 
Ebenso  kann  sich  aus  der  acuten  Blennorrhoe  die  chronische  entwickeln : 
doch  geschieht  dies  nur  ausnahmsweise. 

Eine  chronische  Blennorrhoe  gesellt  sich  bisweilen  zu 
chronischen  Conjunctivae  oder  Lidentzündungen;  besonders  oft  zu 
Trachom.  Die  entzündlichen  Erscheinungen  sind  bei  weitem  nicht  so 
heftig  wie  bei  der  acuten  Blennorrhoe.  Es  besteht  kein  Oedem  der 
Lider;  die  Conjunctiva  bulbi  ist  meist  ohne  stärkere  Injeetion.  Dagegen 
sind  Palpebralbindehaut  und  Uebergangsfalte  geröthet  und  gewulstet; 
die  hypertrophirten  Papillen  treten  meist  stärker  als  in  der  acuten  Form 
hervor,  die  Krause 'sehen  Drüsen  sind  entzündlich  infiltrirt  und  stark 
vergrössert  (Wolfring).  Bisweilen  werden  auch  einzelne  grössere  Fol- 
likel sichtbar.  Die  Secretion  ist  massenhafter  als  beim  gewöhn- 
lichen Katarrh  und  hat  eine  mehr  gelbliche  Färbung  und  bisweilen 
eiterähnliche  Beschaffenheit.  Die  chronische  Blennorrhoe  hat,  ebenso 
wie  die  acute,  grosse  Neigung,  Cornealaffectionen  einzuleiten,  wenn  auch 
nicht  in  so  schwerer  Form. 

Complicationen.  Die  Cornealaffectionen  sind  es  vorzugsweise, 
welche  bei  der  Conjunctivitis  blennorrhoica  dem  Auge  so  grosse  Gefahr 
bringen.  ■ —  In  der  acuten  Blennorrhoe  tritt  stets  eine  Ernährungs- 
störung der  Cornea  ein,  die  sich  anfänglich  durch  eine  leichte,  durch- 
scheinende, diffuse,  grauliche  Trübung  der  ganzen  Membran  zu  erkennen 
giebt.  So  lange  es  nur  bei  dieser  verbleibt,  ist  der  Zustand  nicht  be- 
denklich: mit  dem  Rückgang  des  blennorrhoischen  Processes  ver- 
schwindet auch  die  Trübung.  Schlimmer  ist  es,  wenn  sich  eine  mehr 
oder  weniger  ausgedehnte  graue  Infiltration  in  der  Cornea  bildet.  Es 
löst  sich  dann  meist  nach  einigen  Stunden  oder  Tagen  die  oberfläch- 
liche Hornhautschicht  ab,  und  es  entsteht  ein  Hornhautgeschwür;  je 
mehr  sich  dasselbe  ausbreitet,  je  tiefer  es  in  die  Substanz  eindringt, 
um  so  grösser  die  Gefahr.  Hat  das  Geschwür  dagegen  Tendenz  zur 
Heilung,  so  bildet  sich  in  seiner  Umgebung  ein  leicht  grauer  Hof  und 
es  kommen  vom  Hornhautrande  Gefässe  zu  ihm;  ein  gelbeitriger,  käsiger 
Hof  hingegen  spricht  für  weiteren  Zerfall. 

Die  llornhautaffection  kann  noch  in  einer  anderen  und  besonders 
gefährlichen  Form  auftreten.  Es  entsteht  gleich  eine  ausgedehnte  grau- 
liche Trübung  des  Gewebes,  die  mit  intensiveren  Strichen  und  Punkten 
durchsetzt  ist  und  oft  ihre  durchsichtige  Umgebung  überragt;  dann  stösst 
sich  meist  die  befallende  Partie  ab  und  verwandelt  sich  in  ein  durchsichtiges 
Geschwür.  Die  Durchsichtigkeit  des  Geschwürs  kann  trotz  grosser  Aus- 
dehnung  desselben  ziemlich  erhalten  bleiben.  Da  der  Kranke  dem- 
entsprechend sieht,  so  wird  die  Gefahr,  in  der  das  Auge  schwebt,  bis- 
weilen garnicht  bemerkt.    Es  kommt  hinzu,  dass  der  dünne  Geschwürs- 


Conjunctivitis  blennorrnoica.  419 

grund  durch  den  Kammerwasserdruek  etwas  nach  vorn  gedrängt  wird 
HD  d  so  fast  in  gleichem  Niveau  mit  dem  normalen  Hornhautrande  liegt. 
(  >ft  ist  hier  erst  unter  Anwendung  der  schiefen  Beleuchtung  die  genaue 
Diagnose  zu  stellen;  doch  wird  der  erfahrene  Arzt  schon  durch  eine 
ungewöhnliche  Durchsichtigkeit  der  Hornhaut  und  davon  abhängige  un- 
gewöhnliche Schwärze  der  Pupille  aufmerksam.  Hier  droht  immer 
baldige  und  ausgedehnte  Perforation.  Bei  der  acuten  Blennorrhoe  der 
Erwachsenen  sind  solche  Formen  nicht  selten,  noch  häufiger  bei  der 
1  Hphtheritis.  — 

Tritt  ein  Durchbruch  der  Cornea  ein;  so  entleert  sich  die  vordere 
Augenkammer;  und  die  Regenbogenhaut  oder  die  Linse  legt  sich  in  den 
Gesehwürsgrund.  Die  Iris  kann  bei  kleineren  Perforationsöffnungen  nach 
neuer  Ansammlung  von  Flüssigkeit  in  der  Augenkammer,  und  weim  das 
Geschwür  sich  abschliesst,  wieder  in  ihre  normale  Lage  zurückgehen. 
Dies  geschieht  jedoch  nur  selten,  meist  bleibt  der  vorgefallene  Theil  in 
der  Hornhautöffnung  liegen  und  wird  vom  Rande  her  übernarbt.  Bleibt 
die  Narbe  im  Niveau  der  Hornhaut,  so  entsteht  ein  Leucoma  adhaerens, 
wölbt  sie  sich  hervor,  ein  Staphyloma  corneae,  In  einigen  Fällen  setzt 
sich  der  Entzündungsprocess  auf  die  Iris  und  Chorioidea  fort.  Selbst 
zu  einer  Panophthalmitis  kommt  es  bisweilen,  die  dann  zur  Zerstörung 
und  Schrumpfung  des  Augapfels  führt.  Hat  sich  die  Linse  an  den  Ge- 
schwürsgrund  gelegt,  so  entsteht  in  der  Kapsel  meist  eine  partielle 
Trübung,  die  sich  aber  auch  in  die  Linsensubstanz  fortsetzen  kann. 
Wenn  der  Hornhautdurchbruch  plötzlich  und  in  grösserer  Ausdehnung 
eintritt,  und  die  Augenhäute  unter  einem  starken  Druck  von  innen 
her  stehen,  kann  sogar  eine  Zerreissung  der  Zonula  Zinnii  mit  seeun- 
därem  Linsen-  und  Glaskörperaustritt  aus  der  Hornhautwunde  die 
Folge  sein. 

Die  chronische  Blennorrhoe,  obwohl  auch  sie  ausnahmsweise  ähn- 
liche Hornhautaffectionen  hervorruft,  veranlasst  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle,  wo  sie  die  Cornea  in  Mitleidenschaft  zieht,  nur 
kleine  Infiltrationen  und  Ulcerationen,  oder  auch  Pannus. 

Diagnose.  Eine  sehr  acut  auftretende  Blennorrhoe  mit  ihrer 
starken  Schwellung  der  Lidhaut,  Hypersecretion  u.  s.  w.  wird  nicht 
leicht  zu  Verwechslungen  Anlass  geben.  Doch  kommen  subacute  Formen 
vor,  die  wohl  als  Lebergangsformen  zum  Schwellungskatarrh  aufgefasst 
werden  können:  hier  bleibt  es  dem  Belieben  des  Einzelnen  überlassen, 
sie  dieser  oder  jener  Krankheitsgruppe  einzureihen.  —  Von  dem  acuten 
Trachom  (Granulationen)  unterscheidet  sich  die  Blennorrhoe  dadurch, 
dass  selbst  im  Anfangsstadium  der  ersteren,  wo  die  Trachom-Follikel  noch 
nicht  so  deutlich  zu  Tage  Hegen,  die  entzündlichen  Symptome  viel 
weniger  heftig   sind  und   die  Secretion  keine   so  stürmische  ist.     Nach 

27* 


4^0  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

zwei  bis  drei  Tagen  zeigt  sieh  die  Körnerbildung,  wodurch  die  Dia- 
gnose gesichert  ist.  Bei  längerem  Bestehen  der  Granulationen  gesellt 
sich  nicht  selten  eine  chronische  Blennorrhoe  hinzu. 

Die  differentielle  Diagnose  zwischen  Blennorrhoe  und  Diphtheritis 
siehe  bei  letzterer. 

Ich  will  noch  anführen,  dass  auch  bei  einem  acuten  Chalazion  bis- 
weilen im  Beginn  eine  bedeutende  ödematöse  Schwellung  der  Lidhaut, 
seröser  Erguss  in  die  Conjunctiva  bulbi  und  starke  Schleimabsonderung 
vorkommt,  so  dass  dieses  Bild  (geschwelltes  Lid,  das  Auge  kaum  zu 
öffnen  u.  s.  w.)  eine  Blennorrhoe  vortäuschen  könnte.  Die  Diagnose 
wird  noch  erschwert,  da  die  Lidinfiltration,  besonders  wenn  das  Hagel- 
korn im  oberen  Lidwinkel  sitzt,  ein  Ektropioniren  und  Besichtigen  der 
Sehleimhaut    erschwert.     Aber    beim   Chalazion   findet    sich    stets    eine 

umschriebene  harte  und  infiltrirte 
a  c  Stelle'    in    der    Nähe     des    Lidrandes. 

.loV!."     >J§       Uebrigens    würde    der   weitere    Verlauf 
M,':j0"  bald  Aufklärung  geben.  — 

;!  -     ...  Ebenso  hüte  man  sich  vor  Verwech- 

selungen mit  Erysipel    der  Lider  oder 
144.  etwa  mit  eitriger  Chorioiditis  (Panoph- 

Gouokokken  a  freiliegend   bin  einem      thalmitis).    Bei  letzterer  sind  die  Lider 

Eiterkorperchen,  c  in  einer  Epithelzelle.  ' 

ebenfalls  geröthet  und  geschwellt.  Die 
Absonderung  ist  schleimig-eitrig  und  vermehrt.  Die  starke  Röthung, 
Spannimgszunahme  und  das  Hervortreten  des  Augapfels  selbst,  sowie 
die  sonst  erkennbaren  Symptome  der  Chorioiditis  lassen  in  Verbindung 
mit  der  Anamnese  sofort  das  Richtige  erkennen. 

Aetiologie.  Die  gewöhnliche  Entstehungsursache  der  schweren 
acuten  Blennorrhoe  ist  in  einer  directen  Uebertragung  infectiöser  Stoffe 
in  das  Auge  zu  suchen. 

Meist  findet  man  in  dem  Secret  der  acuten  Blennorrhoe  Neisser'- 
sche  Gonokokken,  jedoch  können  die  vorhandenen  semm eiförmigen  Diplo- 
kokken als  solche  nur  diagnosticirt  werden,  wenn  sie  zu  Haufen  vereint 
in  den  Eiterzellen  selbst,  den  Kernen  aufsitzend,  liegen  (vgl.  Figur  144), 
und  sich  nach  Gram' scher  Tinetion  entfärben,  da  auch  andere  ähnlich 
gestaltete  Arten  von  Diplokokken  gelegentlich  vorkommen.  Bei  Er- 
wachsenen ist  als  Ursache  einer  acuten  Blennorrhoe  wohl  stets  die 
Gonokokken-lnfection  (Blennorrhoea  gonorrhoica)  anzusehen,  sei 
sie  Folge  der  Uebertragung  des  Secrets  eines  Harnröhren-Trippers  oder 
einer  gonorrhoischen  Augenblennorrhoe.  Bei  Kindern,  deren  Schleimhaut 
sneruleiiter  ist  und  leichter  in  den  blennorrhoischen  Zustand  übergeht, 
kann  auch  ohne  Gonokokken  eine  Blennorrhoe  entstehen.  So  durch 
[nfection  mit  einer  auf  andern  Ursachen  beruhenden  Vaginalleukorrhoe. 


Conjunctivitis  blennorrhoica.  421 

Letztere  kommt  spcciell  auch  bei  Kindern  vor;  die  nicht  tripper-inticirt 
sind,  wie  E.  Friinkel  erwies,  der  bei  dieser  Colpitis  einen,  demNeisser'- 
sclien  Diplococcus  sehr  ähnlichen,  aber  doch  von  ihm  verschiedenen 
Coccus  gefunden.  Derselbe,  Micrococcus  subflavus,  ist  auch  im  Lochial- 
fluss  constatirt  worden  (Bumm)  (siehe  Blennorrhoa  neonatorum). 

Nach  klinischen  Erfahrungen  scheint  es  nicht  ausgeschlossen,  dass  das  Secret 
der  Conjunct.  diphtheritica  gelegentlich  auch  eine  einfache  Blennorrhoe  hervor- 
rufen kann,  ebenso  wi,e  das  blennorrhoische  oder  gonorrhoische  Secret  eine  Diph- 
theritis  conjunctivae.  Es  erklärt  sich  dies  daraus,  dass  nach  unserer  Kenntniss 
gleichartige  Bacterien  dennoch  verschiedenartige  klinische  Krankheitsbilder  er- 
zeugen können.  — 

Chronische  Blennorrhoen  und  die  subacuten  Formen  mit  starken  Schleimhaut- 
wucherungen  und  eitriger  Secretion,  wie  man  sie  öfters  bei  scrophulösen  Kindern 
rindet,  können  sich  auch  ohne  nachweisbare  besondere  Infection  auf  der  Basis 
längerbestehender  anderer  Conjunctivalleiden  entwickeln.  In  diesen  Fällen  habe 
ich  nie  Gonokokken,  wohl  aber  oft  zahlreiche  Gruppen  ausserhalb  der  Zellen 
liegender  dickerer  Bacillen  neben  grossen  Kokken  gesehen. 

Therapie.  Man  suche  vor  Allem  einer  möglichen  Ansteckung 
vorzubeugen.  Tripp erkranke  und  Leukorrhoische  mache  man  auf  die 
Gefahr  aufmerksam,  der  sie  sich  bei  Uebertragung  des  Secrets  auf  das 
Auge  aussetzen.  Auf  Waschzeug,  Handtücher  ist  nach  der  Bichtung 
hin  besonders  zu  achten.  Ich  habe  Fälle  gesehen,  wo  bei  Tripper- 
kranken, vermuthlich  durch  ihr  Pince-nez,  das  herabhängend  mit  dem 
Harnröhrensecret  in  Berührung  kam,  eine  Uebertragung  stattfand. 
Ebenso  wende  man  bei  der  Behandlung  der  Blennorrhoe  die  grösste  Vor- 
sicht an,  um  nicht  Gesunde  oder  an  anderen  Augenkrankheiten  Leidende 
anzustecken.  Man  sollte  den  mit  acuter  Blennorrhoe  Behafteten,  selbst 
im  Hospital,  in  ein  besonderes  Zimmer  bringen.  Vermuthet  man,  dass  bei 
einem  Individuuni  Infection  erfolgt  ist,  so  kann  man  durch  Einträufelung 
imd  Auswaschung  mit  Aqu.  chlorata  oder  Höllensteinlösung  das  Gift  zu 
zerstören  suchen.  Ist  nur  ein  Auge  ergriffen,  so  muss  man  das  andere  gegen 
Infection  schützen.  Man  kann  hierzu  ein  stark  coneaves  Uhrglas  benutzen, 
das  an  seinen  Rändern  mit  breiten  Heftpflasterstreifen  beklebt  und  be- 
festigt wird.  So  kann  der  Patient  sein  Auge  gebrauchen  und  der  Arzt 
gleichzeitig  den  Zustand  desselben  dauernd  beobachten.  Oder  man  legt 
ein  Borlintläppchen  auf  das  Auge,  darüber  Salicylwatte.  Der  Verband 
wird  mit  einem  grossen  Stück  gelben  Heftpiasters  bedeckt  und  festge- 
klebt. Man  muss  ihn  alle  24  Stunden  erneuern,  um  sich  von  dem  Zu- 
stande des  verdeckten  Auges  zu  überzeugen.  Zuweilen  stellt  sich  unter 
dem  Verbände  eine  Hyperämie  oder  ein  leichter  Katarrh  der  Conjunc- 
tiva  ein:  diese  geben  noch  keine  Contraindication  gegen  den  Schutz- 
verband. Xur  bei  wirklich  beginnender  Blennorrhoe  ist  derselbe  fort- 
zulassen. Bei  acuter  Blennorrhoe  ist  der  Patient  im  Bett  zu  halten. 
Vor  Allem  bedarf  es  häufiger  Reinigung  des  Auges  und  Entfernung  des 


422  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

zwischen  den  Lidern  gesammelten  Secrets.  Man  bedient  sich  dazu  in 
Sublimatlösung  getauchter  Mullläppchen  oder  Watte.  Indem  man  nach 
Auseinanderziehen  der  Lider  die  feuchten  Lappen  über  dem  Auge  in 
einiger  Höhe  ausdrückt;,  werden  durch  das  überströmende  Wasser  die 
consistenteren  Partikelchen  fortgeschwemmt.  Oder  man  giesst  mittels 
einer  Undine  die  Lösung  in  das  Auge;  bei  tieferen  Hornhautaffectionen 
aber  vermeide  man  es,  den  Strahl  auf  diese  zu  richten.  Bei  bösartigen 
Formen  muss  die  Reinigung  alle  halbe  Stunden  vorgenommen  werden, 
selbst  während  der  Nacht.  —  Als  bestes  Mittel  gegen  die  Blennorrhoe 
der  Erwachsenen  haben  sich  mir  die  Kalt' sehen  L'rigationen,  mit  einer 
lauwarmen  Lösung  von  Kali  hypermanganicum  (1:10000)  bewährt.  Mit 
Hiüfe  eines  Irrigators  wird  drei-  bis  viermal  am  Tage  1j2 — 1  Liter  dieser 
Flüssigkeit  durch  das  Auge  gespült.  Diese  Irrigationen  werden  bis  zur 
Heilung  fortgesetzt.  Daneben  sind  eiskalte  Umschläge  von  Borsäure- 
oder Sublimatlösung  zu  verordnen.  Man  halte  streng  darauf,  dass,  wenn 
die  Umschläge  gemacht  werden,  sie  wirklich  kalt  sind.  Nach  etwa  zwei 
Stunden  fortgesetzter  Umschläge  kann  man  ]l2  bis  1  Stunde  Pause  ein- 
treten lassen.  Die  Lider  trockne  man  zuweilen  mit  weicher  Leinwand  ab ; 
um  ein  durch  die  Feuchtigkeit  leicht  entstehendes  Ekzem  zu  verhindern, 
bestreiche  man  die  Haut  mit  etwas  Oleum  anrygdalarimi  dulcium.  Lässt 
die  Entzündung  nach  einigen  Tagen  nach  und  nimmt  die  Schwellung  ab, 
so  kann  man  grössere  Ruhepausen  in  den  Umschlägen  gestatten,  z.  B.  eine 
Stunde  Umschlag  und  eine  Stunde  Unterbrechung.  Noch  später  bedarf 
es  der  Umschläge  nur  2bis4mal  täglich  J/2  bis  eine  Stunde;  sie  sind  aber 
immer  sofort  nach  der  Anwendung  der  Topica  zu  machen.  Ist  die 
Spannung  der  Augenlider  sehr  gross  und  liegen  sie  dem  Bulbus  straff 
auf,  so  kann  man  durch  Erweiterung  der  äusseren  Lidcommissur 
(A.  v.  Graefe)  den  Druck,  welchen  Bindehaut  und  Augapfel  durch  die 
Lidhaut  und  den  Ringmuskel  (M.  orbicularis)  erleiden,  bedeutend  mil- 
dern und  zugleich  eine  ergiebige  Blutung  erzielen.  Der  Schnitt  wird 
horizontal  in  den  äusseren  Lidwinkel  gemacht  und  ungefähr  (3  mm  lang 
nach  aussen  durch  Haut,  Muskel  und  Fascie  geführt.  Es  wird  hierdurch 
ein  kleines  arterielles  Gefäss  getroffen,  das  besonders  bei  Kindern  eine 
ziemlich  starke  Blutung  giebt.  Auch  erreicht  man  durch  Drücken  der 
Lider  zwischen  den  Fingern  oder  Streichen  (wenn  man  es  so  nennen 
will,  durch  Massage)  oft  eine  auffällige  Abnahme  des  Oedems  und  der 
Lidschwellung,  so  dass  Patienten,  die  vorher  das  Auge  spontan  nicht 
öffnen  konnten,  es  gleich  nachher  thun.  Dies  bringt  grossen  Nutzen, 
da  eine  schnellere  Blutcirculation  eintritt  und  die  venöse  Stauung  ge- 
hoben wird.  Gegen  die  meist  vorhandene  Hyperämie  der  Regenbogen- 
haut wird  2  bis  3mal  täglich  Atropin  eingeträufelt. 

Unter  den    sonstigen   örtlichen  Mitteln  spielt  bei   der  Blennorrhoe 


( lonjunctivitis  blennorrhoica. 


423 


der  Höllenstein  eine  Hauptrolle.  Aber  es  ist  mit  ihm  in  der  Weise 
viel  gesündigt  worden,  dass  man  einmal  zu  früh  und  dann  zu  intensiv 
ätzte,  was  in  der  That  starke  Zunahme  der  Entzündung  und  selbst 
Diphtheritis  zur  Folge  haben  kann.  Man  muss  erst  abwarten,  bis 
die  Lider  ihre  brettharte  Spannung  verlieren,  die  Schleimhaut  aus- 
geprägte  Papillenwueherung    zeigt   und   weich   wird,    sowie  reichliche 


und    mehr   schleimig-eitrige   Secretion    eingetreten  ist. 


Dies  geschieht 


bei  schwerer,  acuter  Blennorrhoe  etwa  nach  3  bis  4  Tagen.  Früheres 
Touehiren,  wie  es  zum  Zweck  des  „Coupirens"  geübt  wurde,  ist 
schädlich.      Ich    halte    es   sogar   flu'   besser,    in    der 


gekennzeichneten 


Periode  an   Stelle  der  Höllensteinlösung  zuerst  einen  oder  zwei  Tage 

mit  1 '  2  procentiger  Lösung  von  Plumb.  acet.  zu  touehiren, 

um  zu  sehen,  wie  der  Eingriff  vertragen  wird;   eventuell 

kann  man  mit  diesem  milderen  Adstringens  morgens  und 

abends    touehiren.      I^immt   aber   die   Absonderung    und 

Schwellung  der  Schleimhaut  mehr  zu,   so  ist  die  2procen- 

tige  Höllensteinlösung  am  Platze.     Auch  kann  besonders 

von  solchen,  welche  in  der  Höllenstein- Anwendung  nicht 

genügend  geübt  sind,  das  mildere  Protargol  (in  5 — lOproc. 

Lösimg)  benutzt  werden.    Genügt  nach  einiger  Zeit  auch 

diese  nicht  mehr,  indem  beständig  eitrige  Flüssigkeit  secer- 

nirt  wird  und  die  Schleimhaut  stark  wuchert,  so  bestreicht 

man  sie  leicht  mit  einem  Stift  von  Arg.  nitric.  c.  Kai.  nitric. 

(Lapi  mitigatus),  natürlich  mit  nachfolgender  Neutralisation 

vgl.  S.    16).     Es  ist  von  grosser  Wichtigkeit,  die  Ueber- 

gangsfalte  mit   dem  Mittel  zu  treffen;    man  muss   daher 

sehr   exaet    ektropioniren    und    sich    eventuell    das    nicht 

ektropionirte  Lid  von  einem  Assistenten  abziehen  lassen.     Die   Tarsal- 

schleimhaut  bedarf  seltener  der  Bestreichung. 

In  der  Regel  genügt  ein  einmaliges  Touehiren  am  Tage.  Besonders 
darf  man  die  Aetzung  nicht  wiederholen,  wenn  etwa  noch  ausgedehnter 
Aetzschorf  vorhanden  ist  oder  das  Epithel  sich  nach  Abstossung  des- 
selben noch  nicht  vollständig  regenerirt  hat.  Man  erkennt  dies  an  einem 
weniger  glatten  Aussehen  und  leichtem  Bluten  der  betreffenden  Con- 
junctivalpartie.  Diese  Stelle  ist  jedenfalls  nicht  von  Neuem  zu  ätzen. 
Bei  starker  Hyperämie  und  Schwellung  kann  man  nach  dem  Aetzen 
auch  noch  durch  oberflächliche  kleine  Einschnitte  mit  dem  Scarificateur 
(Figur  145)  eine  nützliche  Entspannung  und  Blutung  herbeiführen. 
Selbst  bei  schon  eingetretenen  Hornhautaffectionen  muss  mit  der  Cau- 
terisation  zur  Beschränkung  des  blennorrhoischen  Processes  fortgefahren 
werden,  nur  neutralisire  man  dabei  um  so  aufmerksamer.    Die  Conjunc- 


145. 

Scarificatenr 

von 
Desmarres. 


424  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

tiva  bulbi  ist  für  gewöhnlich  nicht  zu  cauterisiren.  Tritt  eine  erbebliche 
ödematöse Infiltration  (Chemosis)  hervor,  so  macht  man  kleine  Jncisionen 
radial  gegen  die  Hornhaut  mit  der  Seheere  und  lässt  so  die  Flüssig- 
keit aus. 

Einträufelungen  von  Augenwässern  in  stärkerer  Dose  (z.  B.  Höllen- 
steinlösungen, Protargol)  halte  ich  nicht  für  so  günstig.  Sie  sind  zwar 
für  den  Arzt  bequemer,  doch  ätzt  man  auf  solche  Weise  auch  die  Cornea 
und  kann  selbst  durch  eine  Zerstörung  des  Epithels  den  Anstoss  zu 
tieferen  Cornealaffectionen  geben.  Schwächere  Augenwässer  oder  anti- 
septische Lösungen  (Sublimat  u.  dgl.)  wirken  aber  nicht  entsprechend. 
Nur  bei  den  gelinder  verlaufenden  Blennorrhoen  und  im  rückgängigen 
Stadium  kommen  neben  den  kalten  Umschlägen  zur  Geltung  die  Tropf- 
wässer von  Argent.  nitricum,  Zinc.  sulphuric,  Tannin  u.  s.  f.  Bei  stärkerer 
Wucherung  und  Absonderung  muss  aber  auch  hier  die  kranke  Schleim- 
haut direct  touchirt  werden.  Treten  Hornhautaffectionen  ein,  so  sind 
dieselben  entsprechend  zu  behandeln  (vgl.  Krankheiten  der  Cornea). 
Droht  ein  Hornhautgeschwür  mit  Durchbruch,  so  kommt  man  letzterem 
durch  eine  frühzeitig  gemachte  Paracentese  zuvor.  Auch  giebt  bei  aus- 
gedehnten Geschwüren  die  Entfaltung  der  Iris  durch  Eserin  oft  eine 
wünschenswerthe  Scheide-  und  Schutzwand  gegen  das  Vordringen  von 
Linse  und  Glaskörper.  Stemmt  sich  die  luxirte  Linse  in  die  Geschwürs- 
öffnung, so  lässt  man  sie  nach  Durchreissung  der  Linsenkapsel  aus- 
treten, um  sonst  leicht  entstehenden  inneren  Entzündungen  des  Auges 
vorzubeugen.  Bildet  sich  während  der  Behandlung  der  acuten  Blennor- 
rhoe ein  Ectropium  des  Lides,  so  muss  man  es  dauernd  zu  reponiren 
suchen.  Am  besten  gelingt  dies,  indem  man  nach  der  Reposition  einen 
Druckverband  anlegt  und  ihn  12  bis  24  Stunden  liegen  lässt.  Die  Re- 
position ist  für  die  ganze  Behandlung  von  grosser  Bedeutung,  da  z.  B. 
kalte  Umschläge  nicht  gut  von  der  ektropionirten  blossliegenden  Schleim- 
haut vertragen  werden.  — 

Die  chronische  Blennorrhoe  behandelt  man  gleichfalls  bei  stär- 
kerer Schleimhautwucherung  und  Absonderung  am  besten  durch  tägliches 
Touchiren  der  Bindehaut  mit  Höllenstein-,  Blei-  oder  Tanninlösung, 
je  nach  der  Schwere  des  Falles,  und  durch  kalte  Umschläge.  Auch  der 
Alaun-  oder  Kupferstift  (oder  auch  ein  Stift  von  Cuprargol)  —  letzterer 
vorzugsweise  bei  fleischigen  Papillarwueherungcn  ohne  erhebliche  Secre- 
tion  —  empfiehlt  sich  hier  oft.  Wird  Höllenstein  zu  lange  Zeit  ange- 
wandt, so  kann  sich  durch  Aufnahme  des  Silbers  in  das  Gewebe  eine  grau- 
schwärzliche Färbung,  Argyrose  der  Conjunctiva,  bilden.  DiePigmen- 
tirung  trifft  besonders  das  elastische  Gewebe  der  Conjunctiva  (Hoppe). 
Man  wechselt  auch  aus  diesem  Grunde  gern;  überhaupt  gewöhnt  sich 
die    Schleimhaut  nach   einiger  Zeit  an  die   topischen   Mittel,   und   man 


Ophthalmia  gonorrhoica.  325 

erzielt  alsdann  durch  andere  bessere  Fortschritte.  Von  grossem  Nutzen 
sind  auch  bei  der  chronischen  Blennorrhoe  die  adstringirenden  Augen- 
wässer und  Salben,  zumal  sie  den  Vortheil  haben,  dass  der  Patient 
sie  zu  Hause  ohne  Beihülfe  des  Arztes  anwenden  kann.  Zu  ersteren 
wird  das  Argent.  nitric.  lMumb.  aeetic,  Zinc.  sulphuricum  u.  s.  w. 
verwandt,  zu  den  Salben  besonders  Cupr.  sulphur.  und  Plumb.  acet. 
(etwa  2%).  Doch  nur  wo  Hornhautuleerationen  fehlen,  bediene  man 
sich  des  Bleis,  da  andernfalls  Niederschläge  in  das  Geschwür  erfolgen 
kennten.  —  Recht  empfehlenswerth  ist  auch  hier,  besonders  wenn  gleich- 
zeitig Pannus  besteht,  die  modificirte  Guthrie'sche  Salbe  (Argent. 
nitric.  fus.  0--4-,  Acet.  plumb.  gtt.  IV,  Ung.  Paraffini  8-0.  Täglich  ein 
Hanfkorn  gross  ins  Auge  zu  streichen). 

Ophthalmia  gonorrhoica.  Mit  diesem  X amen  wird  die  acute  Conj.  blen- 
norrhoica  bezeichnet,  welche  in  Folge  einer  Uebertragung  von  Trippersecret  auf 
die  Conjunctiva  auftritt.  Derartige  directe  Uebertragung  ist  bei  Weitem  die 
häutigste  Ursache  der  Ophthalmia  gonorrhoica.  RicordundRoosbroekkaben  aber 
auch  eine  consensuelle  Blennorrhoe  bei  Tripperkranken  beschrieben,  die  stets  sehr 
milde  verläuft  und  sich  meist  mit  Gelenkaffectionen  verbindet;  so  ist  in  dem  von 
Roosbroek  beobachteten  Falle  bei  demselben  Individuum  in  sechs  Jahren  örual 
eine  Blennorrhoe  beider  Augen  mit  gleichzeitigem  Tripper  und  Gelenkaffectionen 
aufgetreten.  Auch  ich  habe  mehrmals  doppelseitige  Conjunctivitis,  unter  dem  Bilde 
einer  sehr  leichten  Blennorrhoe  oder  eines  Schwellungskatarrhs  verlaufend,  gleich- 
zeitig mit  Tripper-Rheumatismus  beobachtet:  einer  der  betreffenden  Patienten 
wurde  einige  Zeit  später  von  einer  leichten  Iritis  befallen.  Haltenhoff  hat 
neuerdings  eine  Anzahl  solcher  Fälle  zusammengestellt.  —  Die  durch  directe  An- 
steckung hervorgerufene  Ophthalmia  gonorrhoica  geberdet  sich  in  der  Regel  als 
äusserst  acute  Blennorrhoe;  nicht  selten  erscheint  sie  sogar  als  Diphtheritis  mit 
grosser  Neigung  zu  Hornhautaffectionen.  Im  Conjunctivalsecret,  selbst  in  der 
ulcerirten  Hornhaut  und  im  Irisgewebe  (D  in  kl  er)  werden  Gonokokken  gefunden. 
Ausnahmsweise  beobachtete  ich  bei  einem  Erwachsenen  trotz  Gonokokken  im 
Secret  eine  in  einigen  Tagen  heilende  einfache  Conjunctivitis.  —  Auch  eine  Iritis 
kommt,  wie  erwähnt,  in  Folge  von  Gonorrhoe,  besonders  in  Fällen,  wo  Tripper- 
Rheumatismus  vorhanden  ist.  gelegentlich  vor. 

Ophthalmia  neonatorum. 

Unter  diesem  Namen  sind  verschiedene  Bindekautaffectionen  der 
Neugeborenen  zusammengeworfen  worden:  Hyperaemia  conjunctivae, 
Conjunctivitis  catarrhalis,  Blennorrhoea  conjunctivae,  Keratitis  xerotica 
und  die  hier  ausserordentlich  seltene  Diphtheritis.  Die  Häufigkeit  dieser 
Krankheiten  bei  Neugeborenen  —  (leichte  Absonderung  der  Conjunc- 
tiva mit  Schwellung  des  unteren  Lides  kommt  in  den  ersten  Lebens- 
tagen ungemein  oft  vor)  —  erklärt  sich  zum  Theil  durch  ungewohnten 
Lichtreiz,  Temperaturwechsel,  unreinliche  Behandlung  u.  s.  w. 

Die  eigentlichen  Blennorrhoen  sind  wohl  meist  auf  Uebertragung 
ansteckenden  Secrets  zurückzuführen,  nicht  immer  ist  aber  Trippergift, 


420  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

was  sie  verschuldet  Ich  habe  den  Gonococcus  in  einer  Reihe  von 
Fällen  —  selbst  bei  der  Mutter  —  nicht  gefunden.  Neuerdings  hat 
Groenouw  unter  40  Fällen  ihn  14mal  vermisst:  ausser  Gonokokken 
fanden  sich  oft  Staphylokokken,  bisweilen  Pneumokokken,  Bacterium 
coli  etc.  Axenfeld  constatirte  einmal  bei  einer  schweren  Blennorrhoe  eines 
Neugeborenen  mit  ausgedehnten  Pseudomembranen  virulente  Diphtherie- 
bacillen.  Das  öftere  Fehlen  der  Gonokokken  wurde  in  letzter  Zeit  auch 
von  v.  Ammon;  Bach;  Cramer  und  Anderen  bestätigt.  Es  ist  zweifel- 
los, dass  auch  durch  nicht-gonorrhoisches  Secret  der  einfachen  Leu- 
korrhoe oder  des  Wochenflusses  —  ähnlich  wie  nach  Bockhart> 
Untersuchungen  durch  nicht-gonorrhoisches  Scheidensecret  eine  Ure- 
thritis —  ebenfalls  eine  Blennorrhoea  neonatorum  veranlasst  werden 
kann,  zumal  bei  Neugeborenen  eine  besondere  Neigung  der  Conjunc- 
tiva und  Lidhaut  zu  Hyperämien  und  Schwellungszuständen  vorhanden 
ist,  die  auf  histologischen  Eigenheiten  beruht.  Nach  Ablauf  der  acuten 
Blennorrhoe  schwillt  die  Schleimhaut  allmählich  ab:  eine  chronische 
Blennorrhoe  mit  Auftreten  einer  länger  währenden  Papillarhypertrophi- 
rung  (chronische  Blennorrhoe)  wird  bei  Neugeborenen  nicht  beobachtet. 
Die  Prophylaxe  ist  von  besonderer  Wichtigkeit.  Neben  dem  Aus- 
spülen der  Scheide  leukorrhoischer  Frauen  mit  antiseptischen  Lösungen 
vor  und  während  der  Geburt  (Haussmann),  empfiehlt  sich  sofortiges, 
sorgfältiges  Abwaschen  der  Lider  der  Neugeborenen  gleich  nach  der 
Geburt,  womöglich  noch  vor  dem  Wickeln.  Crede  hatte  zuerst  in 
seiner  Gebäranstalt  die  Prophylaxe  in  der  Weise  auf  sämmtliche  Neu- 
geborene ausgedehnt,  dass  er  noch  ausser  E einigen  der  Lider  einen 
Tropfen  2procentiger  Höllensteinlösung  in  den  Conjunetivalsack  zur 
directen  Desinfection  einträufeln  Hess.  Allerdings  folgt  bisweilen  eine 
gewisse  Reizung  der  Instillation;  ja  es  sind  sogar  einzelne  Fälle  be- 
kannt geworden,  wo  schwere  Hornhautaffectionen  danach  eintraten.  Ich 
kann  daher  nicht  empfehlen,  dass  den  Hebammen  vorgeschrieben  wird, 
allen  Neugeborenen  die  Crede 'sehen  Einträufelungen  zu  machen.  Auch 
könnten  etwa  trotz  der  Einträufelungen  entstehende  Blennorrhoen  (wie 
ich  solche  beobachtet)  einfach  auf  den  Reiz  der  Höllensteinlösung  ge- 
schoben und  dem  Arzt  nicht  zugeführt  werden;  letzteres  geschieht  leider 
auf  Anlass  der  Hebammen  auch  ohne  dies  schon  oft  genug !  Wohl  aber  sollte 
die  Instillation  von  ihnen  ausgeführt  werden  überall  dort,  wo  die  Mutter 
an  verdächtiger  oder  reichlicher  Leukorrhoe  leidet  oder  die  vorher  ge- 
borenen Kinder  an  Blennorrhoe  erkrankt  waren.  Anders  ist  es  in  Gebär- 
aiistalten,  in  denen  die  früher  so  überaus  häufigen  Ophthalmien  nach 
Entführung  des  Crede 'sehen  Verfahrens  oder  ähnlicher  Maassnahmen 
bisweilen  auch  auf  blosse  Reinigung  der  Augen  nach  der  Geburt)  fast 
ganz  verschwunden  sind.     Als  weniger  reizend  und  mindestens   ebenso 


Ophthalmia  neonatorum.  427 

desinficirend,  möchte  ich  die  Anwendung  der  Aqua  chlorata  vorschlagen. 
Auch  später  muss  beim  Waschen  und  Baden  der  Neugeborenen  grösste 
Reinlichkeit  in  Schwämmen  und  Wasser  beobachtet  werden. 

Die  Ophthalmia  neonatorum  tritt  gewöhnlich  am  3. — 8.  Tage  nach 
der  Geburt  auf.  Doch  sind  auch  einzelne  Fälle  beobachtet,  wo  die 
Blennorrhoe  intrauterin  entstanden  war. 

Handelt  es  sich  um  eine  durch  Trippergift  entstandene  Blennor- 
rhoe, so  ist  die  Affection  meist  —  aber  durchaus  nicht  immer  —  eine 
schwere,  doch  entschieden  weniger  bedenklich  als  die  gleiche  Krank- 
heit bei  Erwachsenen.  In  einem  von  mir  beobachteten  Falle  hatte 
das  neugeborene,  von  der  gonorrhoischen  Mutter  inficirte  Kind  eine 
massige,  ohne  Hornhautbetheiligung  und  ohne  ärztliche  Behandlung 
geheilte  Blennorrhoe  durchgemacht;  die  zwölfjährige  Schwester,  welche 
das  Kind  pflegte,  steckte  sich  an  und  bekam  eine  sehr  schwere, 
zu  Cornea-Perforation  führende  Blennorrhoe:  sowohl  bei  ihr  als  bei  dem 
Neugeborenen  wurden  zahlreiche  Gonokokken  im  Conjunctivalsecret  ge- 
funden. Andererseits  kommen  auch  ohne  Gonokokken-Befund  schwerere 
Blennorrhoen  gelegentlich  zur  Beobachtung. 

Die  Behandlung  richtet  sich  natürlich  nach  dem  Grade  der 
Erkrankung.  Bei  einfachen  Hyperämien  und  Katarrhen  wird  man  mit 
häutiger  Reinigung,  kalten  Umschlägen  und  adstringirenden  Augenwässern 
auskommen.  Die  Blennorrhoe  ist  wie  S.  423  angegeben  zu  behandeln; 
auch  hier  touchire  man  anfänglieh  mit  milderen  Adstringentien.  (Blei- 
lösimg) und  gehe  erst,  wenn  die  Eiterung  stärker  und  die  Schleim- 
haut weicher  geworden  ist,  zur  2procentigen  Höllensteinlösung  oder 
bei  übermässig  starker  imd  langbestehender  Schleimhautwucherung 
zum  mitigirten  Stifte  über.  Die  kalten  Umschläge  (bei  stärkerer  Lid- 
schwellung mit  Eis  gekühlt)  von  2procentiger  Borsäurelösung,  lasse  man 
1 .,  Stunde  lang  mit  folgender  1 — 2 stündiger  Pause  machen;  zum  Schutze 
der  empfindlichen  Haut  der  Neugeborenen  kann  man  die  Lider  mit  Süss- 
mandelöl  bestreichen.  Scarificationen  und  Liderweiterungen  vermeide 
man  wegen  des  Blutverlustes.  Besonders  ist  auch  für  gute  Pflege  und 
Ernährung  der  Kinder  zu  sorgen.  Dass  bei  letzterer  einfach  durch 
Reinigung  der  Augen  und  Vermeidung  jeder  Hornhautverletzung  Fälle 
zur  Heilung  kommen,  lässt  sich  vielfach  beobachten  (Lamhofer). 
Meist  sind  beide  Augen  bereits  erkrankt,  wenn  das  Kind  zur  Behandlung 
kommt.  Ist  nur  eins  erkrankt,  so  kann  man  öfters  das  zweite  durch  tägliches 
Einträirfelnvon  2procentiger  Höllensteinlösung  von  derlnfection  freihalten; 
ein  Sehutzverband  lässt  sich  bei  Neugeborenen  schlecht  machen.  In 
der  Regel  heilt  bei  entsprechender  und  frühzeitiger  Behandlung  der 
Process,  ohne  dass  die  Hornhaut  verloren  geht.  Es  können  umschriebene 
Perforationen  eintreten,  aber  ausgedehntere  Leukome  und  Staphylome, 


428  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

die  einen  so  grossen  Procentsatz  von  Erblindungen  gerade  nach  der 
Ophthalmia  neonatorum  liefern,  sind  fast  immer  Folge  zu  später  oder 
nicht  correcter  Behandlung.  Die  bei  Erwachsenen  empfohlenen  Kalt- 
scheu  Irrigationen  halte  ich  für  zu  umständlich. 

Man  muss  von  der  Blennorrhoea  neonatorum  die  Keratomalacie 
der  kachektischen  Neugeborenen  trennen.  Bei  letzterer  erweicht  und 
exfoliirt  die  Hornhaut  und  ist  rettungslos  verloren;  da  aber  die  Injection 
der  trocken  aussehenden  Conjunctiva  ganz  gering  [ist,  ebenso  die 
Secretion  fehlt,  so  ist  die  Unterscheidung  leicht.  Meist  gehen  diese 
Kinder  bald  zu  Grunde.  —  Der  Arzt  wird  gut  thun,  bei  der  Behand- 
lung der  blennorrhoischen  Kinder  eine  Schutzbrille  aufzusetzen,  da  beim 
gewaltsamen  Auseinanderziehen  der  Lider  oft  das  Secret  fontaineartig 
hervorspritzt. 

Conjunctivitis  membranacea  s.  crouposa. 

Bei  gewissen  Blennorrhoen,  besonders  jüngerer  Kinder,  bedeckt  sich 
die  Conj.  palpebralis  mit  einer  croupösen  Membran,  die  sich  grössten- 
theils  von  der  unterliegenden  Schleimhaut  leicht  abziehen  lässt.  Von 
der  eigentlichen  Diphtheritis  conjunctivae  unterscheidet  sich  die  Affection 
meist  durch  die  grössere  Dünnheit  der  Häute  und  dadurch,  dass  letz- 
tere sich  eben  abziehen  lassen,  was  bei  der  Diphtheritis  wenigstens  in 
dieser  Ausdehnung  nicht  der  Fall  ist,  da  die  Einlagerung  in  das  Schleim- 
hautgewebe selbst  stattfindet.  Dennoch  sind  auch  bei  ihr  die  Löff ler'- 
schen  Diphtheriebacillen  gefunden  worden  (Uhthoff-Fränkel).  Ich 
habe  sie  ebenfalls  in  einzelnen  Fällen  constatirt,  in  anderen  fehlten  sie; 
einmal  waren  Staphylokokken  in  voller  Reincultur  vorhanden:  auch 
Streptokokken  kommen  vor. 

Die  Membranbildung  tritt  öfters  bei  scrophulösen  Kindern  auf:  sie 
kann  sich  zu  dem  seeundären  Schwellungskatarrh  einer  Ophthalmia 
phlyctaenulosa  oder  zu  Lidausschlägen  gesellen.  Die  Prognose  ist  im 
Ganzen  günstig,  indem  die  Cornea  verhältnissmässig  selten  ergriffen 
wird.  Die  Behandlung  besteht  in  einem  Abziehen  der  Membranen, 
die  sich  bisweilen  sogar  über  die  Conj.  sclerae  fortsetzen,  und  Tou- 
chiren  der  blossgelegten  Schleimhaut  mit  Adstringentien  (Tannin,  Blei 
oder  Arg.  nitric).  Daneben  kalte  Umschläge  mit  schwachen  Borsäure- 
lösungen. 

II.  Sehwellungskatarrh  (epidemischer  Katarrh). 

Der  Sehwellungskatarrh  tritt  in  der  Form  des  acuten  Conjunetival- 
katarrhs  auf,  unterscheidet  sich  aber  von  diesem  dadurch,  dass  er  eine 
erheblichere   Schwellung,   Infiltration   und  Hyperämie   der  Uebergangs- 


Ophthalmia  exanthematosa.  429 

falte  zeigt.  Auch  ist  die  Absonderung  eines  schleimig-eitrigen  Secrets 
reichlicher.  Der  SchweUungskatarrh  bildet  gewissermaassen  ein  Zwischen- 
glied zwischen  der  Conj.  simples  und  der  Blennorrhoe.  Die  Affection 
zeigt  sich  primär  bisweilen  in  kleineren  Epidemien,  so  in  Schulen;  ihr 
Secret  ist  ansteckend.  Da  bei  jugendlichen  Individuen  öfters  Follikel- 
bildung  hinzutritt,  so  werden  irrthümlicher  Weise  diese  Schulepidemien 
hier  und  da  als  traehomatöse  (ägyptische  Augenkrankheit)  bezeichnet. 
Secundär  gesellt  sich  der  SchweUungskatarrh  besonders  gern  zu  scro- 
phulösen  Augenleiden,  z.  B.  Phlyktänen  oder  eitrigen  Hornhautinfil- 
trationen, so  dass  ihn  Klein  auch  als  „Blennorrhoea  scrophulosa"  be- 
schrieben hat.  Der  Verlauf  ist  der  des  acuten  Katarrhs,  doch  meist 
viel  langwieriger.  Die  Therapie  nmss  beim  primären  SchweUungskatarrh 
anfangs  ableitend  imd  antiphlogistisch  sein.  Abführmittel,  kalte  Um- 
schläge mit  Wasser  oder  schwacher  Borsäurelösung  mehrmals  täglich 
1 2  bis  1  Stunde  lang.  Aqua  chlori  kann  schon  früh  mit  Vortheil  ein- 
geträufelt werden;  nicht  selten  leistet  auch  die  Einpinselung  von  Tannin- 
lösung vorzügliche  Dienste.  Sind  die  heftigsten  Zufälle  geschwunden, 
so  wird  der  Schwellungskatarrh  wie  die  Conj.  catarrhalis  adstringirend 
behandelt,  am  besten  durch  directes  Touchiren  der  Uebergangs- 
falten.  Dieses  ist  auch  bei  secundär  auftretendem  Schwellungskatarrh 
angezeigt. 


Ophthalmia  exanthematosa. 

Masern,  Scharlach,  Gesichtsrose  und  Blattern  sind  in  ihrer  Aus- 
bruchs- und  Blütheperiode  meist  mit  Affectionen  der  Conjunctiva  ver- 
knüpft, die  sich  als  reine  Hyperämie  oder  Katarrh  darstellen.  Nur  in 
seltenen  Fällen,  wenn  die  Exantheme  gerade  auf  den  Lidern  ihren  Sitz 
haben,  steigert  sich  die  Entzündung  zu  Schwellungskatarrhen.  Beson- 
ders bei  scrophulöser  Anlage  findet  dies  häufiger  statt,  gleichzeitig  mit  cir- 
cimiscripter  Hornhautinfiltration.  Charakteristisch  selbst  bei  den  leich- 
testen Formen  ist  eine  bedeutende  Lichtscheu.  - —  Treten  hingegen  der- 
artige Augenentzündungen  im  Desquamationsstadium  ein,  so  sind  sie 
erheblich  gefährlicher  und  geben  zu  ausgeprägten  Schwellungskatarrhen, 
selbst  zu  leichten  Blennorrhoen  und  Cornealaffectionen  Veranlassung. 
So  finden  sich  besonders  bei  der  Variola  blatterpustelähnliche  Eiterab- 
seesse und  -Infiltrationen  in  der  Hornhaut,  die  nicht  selten  zur  Perfo- 
ration fahren.  Aber  selbst  nach  Masern  und  Scharlach  kann  man  im 
Nachstadium  schwere  eitrige  Hornhautprocesse  gleichzeitig  mit  Conjunc- 
tivalaffectionen  auftreten  sehen.  Auch  stammt  nicht  selten  von  der  Zeit 
der  Ausschlagskrankheiten  her  eine  Neigung  zu  reeidivirenden  Augen- 
affectionen  beispielsweise  zur  Conj.  phlyctaenulosa. 


430  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

Bei  den  einfachen  Hyperämien  und  Katarrhen  genügt  es  meist, 
wenn  man  durch  massiges  Verdunkeln  des  Zimmers  das  Auge  gegen 
besonders  grelles  Licht  schützt.  Es  ist  aber  nützlich;,  so  viel  Licht  zu 
lassen,  dass  die  Kinder  durch  Beschäftigen  mit  grösserem  Spielzeug 
zum  Oeflhen  der  Augen  veranlasst  werden.  Die  Augen  sind  öfters  mit 
lauem  Wasser  zu  waschen.  Nur  bei  stärkerer  Conjunctivitis  und  Ab- 
sonderung wende  man  2  bis  3 mal  täglich  kühle  Wasserumschläge  an- 
wobei man  die  empfindliche  Haut  durch  auf  die  Lider  aufgelegte,  mit 
Süssmandelöl  angefeuchtete  Leinwandläppchen  schützt.  Im  Uebrigen 
werden  Adstringentien  je  nach  Form  und  Schwere  der  Krankheit  in  An- 
wendung zu  ziehen  sein. 


III.  Trachoma.     Conjunctivitis  granulosa. 

Das  Trachom  kann  mit  starker  "Entzündung  der  Conjunctiva 
(acutes  Trachom;  acute  Granulationen)  oder  in  mehr  chronischer  Form 
ohne  besondere  entzündliche  Erscheinungen  auftreten.  Nicht  selten  ist 
es;  dass  zum  chronischen  Trachom  sich  von  Zeit  zu  Zeit  eine  acute 
Conjunctivalentzündung,  selbst  Phlyktänenbildung  gesellt. 

1)  Acutes  Trachom.  Die  Körnerbildung  tritt  hier  unter  dem 
Bilde  eines  intensiven  Bindehautkatarrhs  auf.  Die  Conjunctiva  ist  stark 
geröthet,  ihre  Schwellung  anfangs  aber  nur  massig.  Dazu  gesellt  sich 
eine  vermehrte  Thränenabsonderung,  welcher  nur  sparsam  und  selten 
ein  Schleimflöckchen  beigemischt  ist. 

In  der  Regel  besteht  —  zum  Unterschiede  gegen  den  einfachen 
Katarrh  —  pericorneale  Injection.  Diese  kann  jedoch  bald  schwinden 
und  ist  nie  so  ausgedehnt  und  gesättigt,  wie  bei  Erkrankungen  der 
Cornea,  Iris  u.  s.  w.  Die  Trachomfollikel  selbst  haben  ihren  Sitz  an- 
fänglich auf  der  Lidbindehaut,  besonders  in  der  Nähe  der  Uebergangs- 
falte  und  des  äusseren  Augenwinkels.  Sie  erscheinen  als  Stecknadel- 
kopf- bis  hirsekorngrosse,  weissliehgelbe,  etwas  durchscheinende  Her- 
vorragungen. Vorzugsweise  auf  der  gerötheten  Tarsalschleimhaut  des 
oberen  Lides  kommen  daneben  noch  kleine,  stecknadelkopfgrosse,  in- 
tensiv graue  oder  gelblich  gefärbte  Flecke  vor,  die  im  Niveau  liegen 
oder  es  nur  wenig  überragen  (crude  Granulationen).  Nach  einigen 
Tagen  vergrössern  sich  die  Körner  und  werden  undurchsichtiger.  Auch 
die  Uebergangsfalterj  sind  jetzt  stärker  befallen.  Bald  gesellt  sich  auch 
eine  massige  Schwellung  der  Conjunetivalfalten  und  Papillen  hinzu. 

Nach  8  bis  10  Tagen  sind  durch  die  Röthung  und  Schwellung  der 
Schleimhaut  und  der  Papillen  die  Granulationen  meist  dem  Anblick 
einigermaassen  entzogen,  indem  ihre  gelblich-weisse  Farbe  und  ihre  halb- 
kugel- oder  eiförmige  Gestalt  nicht  mehr  so  deutlich  hindurchscheinen. 


Trachoma.  431 

Es  kann  jetzt  die  Affection  ähnliche  Erscbeinnngen  bieten,  wie  die  der 
secundären  Blennorrhoe.  Doch  lässt  die  rundliche  Form  der  Erhaben- 
heiten immer  nocb  das  ursprüngliche  Leiden  erkennen,  zumal  sieb  auch. 
hier  und  da  immer  nocb  durchscheinende  Trachomfollikel  rinden.  Die 
subjeetiven  Beschwerden  sind  die  eines  acuten  Katarrhs. 

So  kann  der  Zustand  AVocben  lang  besteben,  bis  endlicb  die  Schleim- 
haut nach  Resorption  der  Körner  zur  Norm  zurückkehrt.  In  anderen 
Fällen  wird  die  Schleimhaut-  und  Papillenschwellung  chronisch  oder 
sie  schwindet  und  lässt  nunmehr  die  Trachomfollikel  als  gröbere,  sago- 
ähnliche Körner  zurück. 

Die  Hornhaut  wird  bei  den  acuten  Affectionen  nur  wenig  gefährdet; 
kleine  randständige  Geschwüre  oder  Abscesse,  in  seltenen  Fällen  eine 
mit  Gefässen  durchzogene  Trübung  (Pannus)  können  seeundär  auf- 
treten. 

2)  Chronisches  Trachom.  Die  chronischen  Granulationen  bleiben 
entweder  nach  Ablauf  eines  acuten  Granulationsprocesses  zurück  oder 
sie  zeigen  sich  gleich  von  Anfang  an  ohne  besonders  ausgeprägte  ent- 
zündliche Erscheinungen  als  etwa  hirsekorngrosse,  graugelbliche,  wenig 
durchscheinende,  mehr  oder  weniger  hervorragende  Körnchen  in  der 
Conjunctiva.  Ihr  Hauptsitz  ist  das  in  derUebergangsfalte  oder  ihrer  Nähe 
gelegene  Gebiet  der  Conj.  palpebralis;  besonders  gern  nehmen  sie  die 
Gegend  des  äusseren  Augenwinkels  ein,  doch  sind  sie  im  ganzen  Con- 
junctivalsack  verbreitet.  Stets  wird  auch  das  obere  Lid  befallen.  Selbst 
auf  der  Conjunctiva  bulbi  können  echte  Trachomfollikel  auftreten. 

Die  diagnostischen  Unterschiede  zwischen  dem  Trachom  und  der 
Conj.  folliculosa  sollen  bei  der  Besprechung  der  letzteren  Affection  an- 
gegeben werden. 

Die  chronischen  Granulationen  können  ohne  erhebliche  Röthung  der 
Schleimhaut  vorkommen  oder  mit  ausgesprochener  Hyperämie;  aber  auch 
in  ersterem  Falle  sieht  man  Gewebsveränderungen  in  Infiltration  oder 
Narbenbildung  bestehend.  Meist  ist  die  Gefässinjection  vermehrt,  die 
Schleimhaut  zeigt  mehr  oder  weniger  ausgeprägte  Papillenschwellung. 
Es  können  die  Papillen  nur  so  gering  hervortreten,  dass  sie  der  Schleim- 
haut das  Aussehen  geschorenen  Sammts  geben,  indem  sie  etwa  steck- 
nadelspitzgross  sind,  oder  sie  wuchern  stärker,  selbst  zu  kleinen  Wärz- 
chen sich  erhebend.  Man  muss  nicht  selten  genau  zusehen,  um  bei  den 
stark  ins  Auge  springenden,  pallisadenartigen,  röthlichen  Hypertrophien 
der  Papillen  die  kleinen  gelblichen  Granulationskörner  nicht  zu  über- 
sehen. Stellwag  beschreibt  diese  Form  als  „gemischtes  Trachom", 
während  er  die  reine  Granulations- (Trachom-)  Bildung  als  „reines, 
körniges  Trachom"  abhandelt.  Sein  sogenanntes  „rein  papilläres  Tra- 
chom" wird  besser  als  chronische  Blennorrhoe  aufgefasst,  da  eben  die 


\l\-j  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

Papillen  das  Substrat  des  Krankheitsprocesses  bilden ;  aber  auch  sie  ist 
oft  Folge  von  Trachom. 

In  späteren  Stadien,  meist  wenn  schon  Narbenbildung  eingetreten 
ist.  kommt  auch  ein  mehr  diffuses  Zusammenschmelzen  der  Granulationen 
vor:  die  Schleimhaut,  besonders  am  orbitalen  Rande  der  Tarsalbinde- 
haut,  ist  alsdann  mit  einer  grauen,  undurchsichtigen,  nicht  mehr  in  ein- 
zelne Körner  zerlegbaren  Masse  infiltrirt  (sulziges  Trachom). 

Auch  die  Conjunctiva  bulbi  injicirt  sich  gelegentlich.  Eine  gewisse 
Neigung  zu  Congestivzuständen  fehlt  überhaupt  selten:  sie  tritt  bei  jedem 
kleinen  Reize,  beim  Erwachen  aus  dem  Schlafe,  selbst  bei  Gemüths- 
affecten  hervor.  Dennoch  kommen  häufig  Fälle  vor,  wo  schon  lange 
chronische  Granulationen  bestehen,  ohne  dass  die  Patienten  es  wissen,  da 
sie  auf  die  geringen  subjeetiven  und  äusserlich  wenig  sichtbaren  objeetiven 
Symptome  kein  Gewicht  gelegt  haben.  Das  Secret  bei  den  chronischen 
Granulationen  ist  äusserst  verschieden.  •  Bei  einfachen  und  wenig  zahl- 
reichen Einlagerungen  kann  eine  Absonderung  fast  ganz  fehlen,  oder  es 
zeigt  sich  nur  ein  vermehrter  Thränenfluss,  meist  untermischt  mit  kleinen 
Flocken  trüben  Schleimes.  Je  mehr  jedoch  die  Papillen  sich  seeundär 
an  dem  Process  betheiligen,  um  so  reichlicher  und  eiterähnlicher  wird 
die  Secretion.  In  der  Regel  werden  beide  Augen  befallen;  doch  habe 
ich  Fälle  gesehen,  bei  denen  trotz  jahrelangen  Bestehens  der  Er- 
krankung ein  Auge  frei  geblieben  war. 

Die  subjeetiven  Beschwerden  sind,  wie  erwähnt,  oft  unbedeutend. 
Wegen  der  vermehrten  Reizbarkeit  der  Augen  können  die  Patienten 
den  Aufenthalt  im  Tabaksrauch,  starken  Wind,  Staub  u.  s.  w.  nicht  gut 
vertragen.  Bei  grellem  Licht,  besonders  künstlicher  Beleuchtung  ver- 
liert das  Auge  seine  Ausdauer. 

Verlauf.  Die  chronischen  Granulationen  bestehen  Monate  und 
Jahre  lang.  Meist  bildet  sich  dabei  eine  leichte  Ptosis  heraus.  Die  ver- 
mehrte Schwere  des  Lides,  Narben  Verbindungen  zwischen  Lid-  undBulbus- 
Schleimhaut,  schliesslich  auch  die  Gewohnheit  bei  langdauernden  Augen- 
entzündungen durch  Zukneifen  dem  Lichtreiz  zu  entgehen,  spielt  hier- 
bei eine  Rolle.  Die  spontane  Heilung  des  Trachoms  ist  selten.  Bei 
ausdauernder  und  zweckentsprechender  Behandlung  kann  aber  ein  voll- 
ständiges Schwinden  derselben  erreicht  werden,  so  dass  nach  Jahren 
kaum  eine  Spur  der  früheren  Krankheit  zu  erkennen  ist.  Nur  bleibt 
meist  eine  eigentümliche,  diffuse,  etwas  bläulich  weisse  Färbung 
der  sonst  intact  aussehenden  Schleimhaut,  vorzugsweise  am  unteren 
Lide,  übrig,  welche  den  Geübten  auf  die  Diagnose  des  früheren  Lei- 
dens führt. 

In  vernachlässigten  Fällen  kommt  es  zu  ausgedehnten  Bindehaut- 
schrumpfungen.     Die  Narben  liegen  als  sehnige,  milchfarbene  Streifen 


Trachom.  433 

oder  Flecke  in  der  Con  j.  palpebralis,  besonders  in  der  des  oberen  Lides. 
Ebenso  wird  auch  der  Uebergangsthei]  von  senkrecht  verlaufenden 
NarbenfaltcheD  durchzogen;  öfters  liegen  zwischen  den  Narben  noch  ver- 
einzelte Granulationen  oder  Papillarwueherungen  (Narbentrachom). 
Ist  die  Schrumpfung  sehr  ausgedehnt,  so  kann  die  ganze  Uebergangsfalte 
verloren  gehen,  indem  die  Conjunctiva  palpebralis  direct  in  die  Conj.  bulbi 
übersetzt  (Symblepharon  posterius).  Ein  noch  höherer  Grad  des  Leidens 
zieht  auch  die  Scleralbindehaut  mit  in  den  Process  und  bringt  sie  zum 
Schwunde.  Die  Bindehaut  des  Lidrandes  erscheint  dann  mit  dem  Corneal- 
rande  verbunden  (Symblepharon  anterius).  Die  Lider  können  nicht 
mehr  geschlossen  werden,  es  entsteht  Lagophthalmus.  Durch  derartige 
Veränderungen  der  Schleimhaut  wird  natürlich  auch  die  Befeuchtung 
des  Auges  gemindert:  es  kommt  zu  einer  Austrocknung  der  Theile.  Das 
Epithel  wird,  wo  es  noch  vorhanden,  nicht  mehr  von  der  unzureichenden 
Flüssigkeit  abgelöst  und  fortgeschwemmt  und  erscheint  rauh  und  trocken 
(Xerophthalmus).  —  Ebenso  führen  die  Narben  und  Schrumpfprocesse 
in  der  Conjunctiva  zu  Veränderungen  in  der  Stellung  der  Augen- 
wimpern (Trichiasis  und  Distichiasis).  Nicht  selten  entsteht  Entropium, 
besonders  des  oberen  Lides.  Das  schon  äusserlich  sichtbare  mulden- 
artige Aussehen  des  Lides  deutet  auf  Schrumpfung  der  Schleimhaut  und 
Verkrümmung  des  Knorpels.  Auch  Verengerung  der  Lidspalte  (Blepharo- 
phimosis)  ist  häufig.  Im  Gegensatz  zum  Entropium  kann,  bei  einer 
gleichzeitigen  Mitbetheiligung  des  Lidknorpels  am  Entzündungsprocess 
durch  Erweichung  und  Formveränderung  und  durch  Hypertrophirung 
der  Schleimhaut,  wenn  auch  seltener,  das  Lid  nach  auswärts  gewendet 
werden.  Es  ist  hiermit,  besonders  beim  unteren  Lide,  zugleich  ein 
Abstehen  des  Thränenpunktes  gesetzt.  In  Folge  dessen  können  die 
Thronen  nicht  in  normaler  Weise  in  die  Nase  geleitet  werden  und  laufen 
über  die  Wangen  (Epiphora). 

Die  Cornea  wird  in  verschiedener  Art  befallen:  durch  kleine  Epi- 
thelialverluste,  Geschwüre,  Infiltrate;  vor  Allem  aber  durch  Pannus. 
Der  Pannus,  meist  in  der  oberen  Hälfte  der  Cornea  sitzend,  entsteht 
primär  entweder  in  Gestalt  kleiner  umschriebener  Hornhautinfiltrate 
oder  als  eine  den  ganzen  oberen  Hornhautsaum  einnehmende,  graue 
Infiltration,  in  die  sich  die  Randgefässschlingen  erstrecken,  secundär 
durch  mechanisches  Reiben  der  Lidgranulationen  und  der  schief  stehenden 
Wimpern,  wodurch  kleine  Substanzverluste  und  Infiltrate  veranlasst 
werden.  Er  ist  bei  einiger  Intensität  nur  langsam  rückgängig  zu 
machen;  selbst  wenn  dies  geglückt,  bleibt  Neigung  zu  Recidiven.  Doch 
kann  man  mit  Ausdauer  oft  überraschende  Erfolge  für  das  Sehvermögen 
erzielen.  Nur  die  sehr  tief  liegenden  intensiven  Trübungen  sind  einer 
genügenden  Klärung  unzugängig.    Ebenso  störend  für  das  Sehen  wirkt 

8    Iimidt-Rimpler.    T.Auflage.  28 


434  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

die  öfters  vorhandene  unregelmässige  Krümmung  (Kerektasie  u.  s.  w.) 
der  Cornea. 

Aetiologie.  Das  Trachom  (Körnerkrankheit  entsteht  durch  directe) 
Uebertragung  von  infectiösern  Secret  einer  trachomatösen  Erkrankung. 

Je  mehr    durch   Zusammenwohnen   vieler   Menschen  (so    in   Kasernen, 
Waisenhäusern,  Pfleganstalten  u.  s.  w.);  durch  Unreinlichkeit  (Benutzung 
desselben  Waschzeuges,  der  Handtücher)   oder  gegenseitige  Berührung 
(z.  B.  beim  Zusammenschlafen,  wie  es  noch  in  manchen  Gegenden  Sitte 
ist;  in  hessischen  Dörfern  schläft  oft  die  ganze  Familie  in  einem  ein- 
zigen Bett)  die  Uebertragung  begünstigt  wird,  um  so  häufiger  tritt  die 
Krankheit  auf.     Es  kann  so  zu  grösseren  Epi-  oder  Endemien  kommen. 
Am  stärksten  verbreitet  ist  die  Krankheit  in  Aegypten  („ägyptische  Augen- 
entzündung")   und   Arabien,    in  Europa   besonders    im   Osten.    In  den 
Provinzen  Ost-  und  Westpreussen  hat  die  Krankheit  eine  solche  Aus- 
breitung gefunden,  dass  in  den  letzten  Jahren  von  Seiten  des  Staats 
in  energischer  Weise   eingeschritten  werden  musste   (cf.  die  Veröffent- 
lichungen  von    Greeff,    Hirschberg,    Hoppe,    Kirchner,    Kuhnt). 
Ebenso  findet  sie  sich  auch  häufig  in  Ungarn,  Holland,  Belgien,  Hessen. 
Gebirgsländer  wie  die  Schweiz  sind  fast  ganz  frei;  es  erscheint  mir  aber 
fraglich,  ob  gerade  die  Höhenlage,  wie  Chibret  will,  hierbei  eine  aus- 
schlaggebende Rolle  spielt:  Zusammenstellungen  aus  der  Provinz  Hessen 
haben  mir  gezeigt,  dass  dort  wenigstens  der  Höhenlage  der  Ortschaften 
keine  besondere  Bedeutung  zuzuschreiben  ist.     In  den  bessern  Ständen 
kommt  das  Leiden  sehr  selten  vor,  —  weil  eben  die  Gefahr  einer  In- 
fection  ferner  liegt.     Auch  bei  Kindern  in  den   ersten  beiden  Lebens- 
jahren ist  Trachom  selten.     Ob   auch  ohne   directe  Uebertragung   die 
granuläre   Ophthalmie    entstehen    kann,    ist  zweifelhaft,    doch    scheinen 
mir  einzelne  Fälle,   bei  denen   eine   solche  vollkommen  ausgeschlossen 
war,  sowie  andere,  bei  denen  man  nach  längerem  Bestehen  chronischer 
Conjunctivalprocesse   gelegentlich   eine  Granulationsentwickelung  beob- 
achtete, dafür  zu  sprechen. 

Die  Prognose  ist  um  so  günstiger,  je  früher  eine  correcte  Be- 
handlung eingeleitet  wird.  Ist  der  Process  noch  nicht  zu  weit  vor- 
geschritten, fehlen  also  noch  ausgeprägte  narbige  Veränderungen  oder 
tiefere  Hornhautaffectionen,  so  kann  durch  die  Therapie,  welche  aber 
lange  und  sorgfältig,  oft  durch  Jahre  fortzusetzen  ist,  Heilung  erzielt 
werden.  Nicht  allzu  selten  setzt  aber  auch  der  allgemeine  Körperzustand 
derselben  Hindernisse;  besonders  schwere  und  hartnäckige  Erkrankungen 
findet  man  bei  Scrophulösen. 

Therapie.  Im  Beginne  der  acuten  Granulationen  mache 
man  kalte  Umschlüge  mit  schwacher  Blei-  oder  Borsäurelösung.  Gegen 
stärken'    Lidschwelhmg   ist   das   Bestreichen   der   äusseren  Lidhaut  mit 


Trachom. 


435 


Bleiessig  oder  Höllensteinlösung  mit  Vortheil  anzuwenden.  Dabei  em- 
pfehle man  dem  Kranken  absolute  Schonung  des  Auges  und  Schutz 
gegen  helles  Licht.  Sobald  die  Papillarwucherung  zunimmt,  bildet 
man  durch  Einträufelung  von  Aq.  chlorata  den  Uebergang  zu  stärkeren 
Adstringentien.  Es  bedarf  hierbei  einer  gewissen  Umsicht,  da  man 
einen  bestimmten  Entzündungs-  und  Schwellungsgrad  der  Conjunctiva 
bestehen  lassen  muss,  um  die  Granulationen  zur  Kesorption  zu  bringen 
und  ihr  Chronischwerden  zu  vermeiden.  Es  würden  sich  demnach,  wie 
der  Reizungszustand  es  erfordert,  Inclicationen  finden  für  den  Gebrauch 
der  schwachen  Adstringentien  (Tannin,  Alaun,  Zinc.  sul- 
fur.,  Plumb.  aeetic.)    bis   zur  Höllensteinlösung.    Letztere  ^ 

ist  jedoch  nur  bei  ausgesprochener  secundärer  Blennor- 
rhoe anzuwenden.  Auch  eine  lprocentige  Creolinlösung 
kann  gelegentlich  von  Nutzen  sein. 

Die  Coriiealaffectionen  und  Iris-Hyperämien  sind  mit 
Atropin  zu  behandeln;  in  hartnäckigeren  Fällen  ist  nach 
den  später  bei  den  Hornhautkrankheiten  zu  gebenden 
Regeln  vorzugehen. 

Ist  das  Trachom  in  das  chronische  Stadium  ge- 
kommen, oder  handelt  es  sich  überhaupt  um  ein  solches, 
das  ohne  entzündliches  Stadium  entstanden  ist,  so  wird 
man  die  Trachomkörner  mechanisch  zu  entfernen  suchen. 
Als  bestes  und  bequemstes  Mittel  erscheint  mir  das 
unter  localer  Anästhesirung  (Cocain,  Holocain)  vorzu- 
nehmende Ausquetschen  derselben.  Man  bedient  sich 
hierzu  der  Knapp 'sehen  Rollpincette,  welche  die  tracho- 
matöse  Conjunctivalfalte  zwischen  sich  fasst.  Sie  be- 
steht aus  zwei  kleinen  horizontalen,  gerieften,  gegen  ein- 
ander reibenden  und  sich  drehenden  Cylindern  an  Pincetten-Branchen  (a). 
Um  auch  eine  Branche  auf  die  Lidhaut  setzen  zu  können,  habe  ich  einen 
Arm  der  Pincette  in  eine  glatte  Platte  auslaufen  lassen,  so  dass  nur  auf  die 
Conjunctiva  die  Rolle  wirkt.  Kuhnt  bedient  sich  an  Stelle  der  Roll- 
pincette eines  pincettenähnlichen  Instrumentes  (Expressor),  das  in  zwei 
durchlöcherten  Platten  ausläuft.  Bei  der  Rollpincette  darf  man  die 
zwischen  den  Rollen  gefasste  Schleimhaut  nicht  zu  sehr  anziehen,  um 
sie  nicht  einzureissen.  Man  quetscht  nicht  nur  die  Trachomfollikel  mit 
ihr  aus,  sondern  wirkt  auch  auf  die  zwischen  ihnen  liegenden  Lymph- 
zellen-Einlagerungen  zerstörend;  wie  mir  mikroskopische  Präparate 
zeigten,  werden  dieselben  in  ihrer  Gestalt  verändert  und  in  das  an- 
hegende Bindegewebe  eingepresst.  Die  Operation  ist  nicht  übermässig 
schmerzhaft  und  kann  nöthigenfalls  in  verschiedenen  Sitzungen  vorge- 
nommen und  wiederholt  werden.     Nach  dem  Ausquetschen  spült  man 

28* 


146. 

Knapp 's  Roll- 
pincette. 


436  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

die  Schleimhaut  mit  Sublimatlösung  (1:5000)  ab  und  lässt  kalte  Um- 
schläge machen. 

Die  Zerstörung"  der  Trachomkörner  ist  auch  in  anderer  Weise  ver- 
sucht worden.  So  durch  Cauterisiren  mit  dem  Galvanocauter  (Korn), 
durch  Anstechen  und  Auskratzen  mit  einem  scharfen  Löffel  (Sattler) 
und  durch  die  Excision  der  befallenen  Schleimhautpartien.  Während 
man  früher  nur  einzelne  Granulationen  ausschnitt  (Pilz),  hat  man 
neuerdings  die  ganze  Uebergangsfalte  (Galezowski)  oder  wenigstens 
grosse  Stücke  der  mit  Granulationen  durchsetzten  Schleimhaut  und  des 
darunter  liegenden  erkrankten  Tarsus  (vom  oberen  Lide  bis  zu  einer 
Länge  von  1  '/2  cm  uncl  Breite  von  1  cm)  in  einer  Sitzung  excidirt 
(Heisrath  aus  Jacobson 's  Klinik).  Wenn  die  Wunde  nicht  zu  gross 
ist,  bedarf  es  keiner  Naht.  Sonst  lege  man  die  Nähte  nur  an  den 
Enden  der  Wunde  an  und  lasse  die  Mitte  frei,  um  nicht  die  Hornhaut 
zu  reizen;  nach  der  Operation  werden  beide  Augen  durch  einen  Druck- 
verband geschlossen  und  mehrere  Tage  unter  demselben  gehalten.  Die 
Excision  ist  öfters  von  Nutzen,  doch  hüte  man  sich,  zu  grosse  Partien  der 
Schleimhaut  zu  entfernen. 

Ausser  diesen  operativen  Mitteln  erfordert  die  Schleimhaut  noch 
eine  weitere  medicamentöse  Behandlung.  Meist  wird  es  sich  um  ad- 
stringirende  Mittel  handeln  (Zinc.  sulfuricum,  Tannin).  Ist  die  Papillar- 
wucherung  und  die  Absonderung  stärker,  so  sind  energischere  Mittel 
anzuwenden:  directes  Touchiren  der  ektropionirten  Lidschleimhaut 
mit  2procentiger  Lösung  von  Plumb.  acetic.  mit  folgendem  Wasser- 
nachspülen oder  mit  lprocentiger  Höllensteinlösung  mit  nachfolgender 
Neutralisation;  auch  das  Bestreichen  mit  stärkerer  Sublimatlösung  (1:500) 
oder  dem  glatten  Alaunstift  bringt  Nutzen. 

Der  Blaustift  (Cuprum  sulfuricum)  ist  nur  indicirt  als  Heilmittel 
bei  starken,  trockenen  Papillarwucherungen  ohne  erhebliche  Secretion 
und  ferner  bei  den  Trachomformen,  wo  die  Körner  in  einer  ziemlich 
blassen  Schleimhaut  eingelagert  sind:  auf  letztere  wirkt  er  reizend  und 
hyperämisirend,  damit  die  Trachomkörner  leichter  resorbirt  werden; 
man  wende  ihn  daher  hier  nur  von  Zeit  zu  Zeit  an.  Ich  finde  im  All- 
gemeinen, dass  der  Blaustift  viel  zu  häufig  benutzt  wird;  bei  falscher 
Indication  entstehen  leicht  übermässige  Reizungen  und  Narben.  Die 
Lösungen  oder  Salben  von  Cupr.  sulfuricum,  die  adstringirend  wirken, 
lassen  sich  durch  weniger  schmerzerregende  Mittel  ersetzen.  An  Stelle 
des  Kupferstiftes  kann  man  übrigens  für  die  gleichen  Indicationen  auch 
den  milderen  Cuprargolstift  benutzen.  Finden  sich  Narben  zwischen 
den  Papillarhypertrophirungen,  so  sind  natürlich  nur  die  der  letzteren 
mit  dem  Topicum  zu  bestreichen.  Uebrigens  thut  man  gut,  von  Zeit  zu 
Zeit  mit  den  Mitteln  zu  wechseln. 


Trachom.  437 

Als  specifisches  Mittel  ist  auch  das  starke  Abreiben  der  granulösen 
Schleimhaut  mit  einer  Sublimat-Lösung  (1:2000)  empfohlen  worden 
(Keining,  v.  Hippel).  Ich  habe  den  Eindruck,  dass  das  Verfahren 
nur  durch  den  mechanischen  Reiz  beziehentlich  das  Zerquetschen  der 
Körner  wirkt,  da  man  ohne  sehr  kräftiges  Abreiben  --es  bildet  sich 
danach  ein  weisslieher  Belag  auf  der  Schleimhaut  —  keine,  andere 
Topica  übertreffende  Wirkung  erzielt. 

Die  Complication  der  Granulationen  mit  Pannus  erfordert  kein  Ab- 
weichen von  der  sonstigen  Behandlungsweise-,  mit  dem  Schwinden  der 
Granulationen  geht  auch  er  meist  zurück.  Andernfalls  wird  er  noch 
besonders  in  Angriff  zu  nehmen  sein  (vgl.  Keratitis  pannosa). 

Vorzugsweise  durch  Weck  er 's  Empfehlung- ist  ein  in  Brasilien  bereits  lange 
übliches  Yolksmittel  gegen  die  Granulationen,  Jequirity,  hier  und  da  in  Aufnahme 
gekommen.  Man  benutzt  eine  2  bis  Sprocentige  Maceration  der  enthülsten  und 
gepulverten  Körner  von  Abrus  precatorius,  die  man  sich  am  besten  selbst  durch 
dreistündiges  Ausziehen  mit  kaltem  Wasser  frisch  bereitet.  Bepinselt  man  aus- 
fiel dg  und  mehrmals  innerhalb  einer  Viertelstunde  mit  einer  solchen  Lösung  die 
ektropionirte  granulirte  Schleimhaut,  so  beginnt  meist  nach  einigen  Stunden  eine 
charakteristische  Conjunctivalentzündung.  Die  Lidhaut  schwillt  an  und  wird  prall, 
geröthet  und  enorm  hart,  die  Conjunctiva  zeigt  schon  am  nächsten  Tage  einen 
croupösen  Belag,  wässeriges  molkiges  Secret  fliesst  reichlich  aus  dem  Auge.  Hef- 
tigere Schmerzen  und  Schlaflosigkeit  treten  bei  stärkeren  Entzündungen  auf.  Die 
Heizperiode  mit  Neubildung  croupösen  Belags  und  unter  Absonderung  einer 
schleimig-eitrigen  Secretion  dauert  mehrere  Tage;  dann  tritt  allmählicher  Rück- 
gang ein.  Oft  schwillt  die  Lid-  und  Wangenhaut  an;  selbst  Gangrän  derselben 
ist  beobachtet  worden  (Vossius).  Aber  nicht  immer  genügt  eine  einmalige  Be- 
pinselung.  —  man  muss  sie  alsdann  am  nächsten  Tage  wiederholen  oder  auch 
zehn  Minuten  lang  Umschläge  mit  der  Lösung  machen  lassen.  Manche  Augen 
zeigen  überhaupt  wenig  Neigung  zu  heftigerer  Reaction;  besonders  bei  Narben- 
trachom fehlen  öfters  die  acuten  Erscheinungen. 

Die  Ursache  der  Wirkung  des  Jequirity-Infuses  wurde  anfänglich  von  S  attler 
in  den  zahlreichen  Bacillen  gesucht,  welche  man  nach  einigem  Stehen  in  ihm 
ündet.  Doch  haben  die  Versuche  von  v.  Hippel,  der  trotz  allen  Fehlens  der 
Spaltpilze  an  carbolisirten  Lösungen;  dieselbe  Ophthalmie  hervorrief,  und  weitere 
Untersuchungen  fNeisser,  Salomonson)  die  Unhaltbarkeit  dieser  Anschauung 
erwiesen.  Das  Secret  selbst  ist  nicht  ansteckend,  demnach  auch  keine  Ueber- 
tragung  auf  das  andere  Auge  zu  befürchten.  Da  bisweilen  die  Hornhaut  ange- 
griffen wüd,  so  unterlägst  man  bei  intacter  Hornhaut  am  besten  die  Einimpfung 
der  Jequirity-Ophthalinie,  zumal  ihre  gute  Wirkung  vorzugsweise  bei  Pannus  her- 
vortritt. Bei  seeundärer  Papillarwuclierung  und  Blennorrhoeschwellung  ist  die  Ein- 
impfung überhaupt  contraindicirt.  In  der  Regel  zeigt  sich  der  Erfolg  aber  erst  nach 
wiederholten  Anwendungen,  so  dass  es  mir  fraglich  geblieben  ist,  ob  nicht  die  sonst 
üblichen  Behandlungsmethoden  Gleiches  in  derselben  Zeit  geleistet  haben  würden. 

Jedenfalls  ist  die  Jequirity-Ophthalmie  der  zur  Heilung  des  Pannus  empfohle- 
nen Einimpfung  von  Trippersecret  vorzuziehen.  Der  Eintluss  auf  Rückbildung 
der  Granulationen  selbst  ist  gering. 

Trichiasis;  Blepharophimosis,  Ectropium  oder  Entropium  bedingen 
meist  operative  Eingriffe. 


438  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 


Ophthalmia  militaris  (Aegyptica)- 

Es  sind  unter  diesem  Namen  verschiedenartige,  epidemisch  unter  dem  Militär 
auftretende  Augenkrankheiten  zusammengefasst  worden.  Die  erste  derartige  Epi- 
demie wurde  l>ei  der  französischen  Armee  in  Aegypten  (1788)  von  Larrey  ge- 
nauer beschrieben.  Später  wütheten  Epidemien  in  der  französischen  Armee  in 
Italien  und  in  den  englischen  Heeren,  1813  in  der  preussischen  Armee,  noch  in 
neuerer  Zeit  in  der  belgischen.  Dieselben  wurden  in  ihrer  Verbreitung  begünstigt 
durch  Strapazen,  enges  Zusammensein,  mangelnde  Bekleidung  u.  s.  w.  So  wurden 
Officiere,  Aerzte  und  Chargirte  viel  seltener  befallen.  Die  sogenannte  Ophthalmia 
militaris  umfasst  einfache  Katarrhe,  epidemische  Katarrhe,  Trachom,  Blennor- 
rhoen,  vielleicht  auch  Diphtheritis :  es  spricht  hierfür  die  Angabe  Jüngken's,  dass 
nicht  selten  Augen  in  24  Stunden  verloren  gegangen  sind.  Jetzt  bezeichnet  man 
als  „ägyptische  Augenkrankheit"  gewöhnlich  das  Trachom. 


IV.  Affectio  folliculosa  conjunctivae.     Conjunctivitis  folliculosa. 

Die  einfachen  Follikel  zeigen  sich  als  weissliche,  blassrothe  oder  Mass- 
gebliche, halbkugelige  oder  ovale;  meist  durchscheinende  oder  bläschen- 
förmige Körnchen,  die  das  Niveau  der  Conjunctiva  überragen;  sie 
sitzen  häufig  in  den  äusseren  Augenwinkeln  und  sind  in  der  Regel  nur 
sparsam  vorhanden;  sind  sie  zahlreicher,  so  zeigen  sie  eine  perlschnur- 
artige Anordnung.  Das  obere  Lid  ist  in  der  Regel  normal.  Man  be- 
zeichnet diese  Affection  am  besten  als  Affectio  folliculosa  conjunctivae 
oder  einfach  als  Follikelbilclung.  Gesellt  sich  hierzu  eine  mehr  oder 
weniger  stark  ausgeprägte  Conjunctivitis,  so  passt  der  Name  Conjunc- 
tivae folliculosa.  Besonders  häufig  sieht  man  sie  —  ohne  erhebliche 
Conjunctivitis  —  bei  Schulkindern  oder  bei  anämischen  Individuen. 

Die  einfachen  Follikel  sind  oft  recht  hartnäckig,  doch  bergen  sie 
keine  Gefahr  für  das  Auge  und  sind  nicht  wie  die  Trachomfollikel  von 
Narben  gefolgt.  Tritt  die  Follikelbildung  acut  mit  einer  Conjunctivitis 
auf,  so  erfolgt  auch  meist  schnellere  Heilung. 

Es  wird  jetzt  fast  von  allen  Ophthalmologen  die  Conj.  folliculosa 
(Bläschenkatarrh)  vom  Trachom  (Körnerkrankheit)  unterschieden.  Nur 
noch  Wenige  stehen  auf  dem  unitarischen  Standpunkt  und  betrachten 
beide  Affectionen  als  eine  einzige  Krankheit,  aber  auch  diese  trennen 
dieselbe  klinisch  in  eine  leichtere  (Conj.  folliculosa)  und  in  eine  schwerere 
Form  (Trachom). 

Die  Aetiologie  ist  in  manchen  Fällen  durch  Aufenthalt  in  engen, 
schlecht  ventilirten  Räumen  gegeben;  in  anderen  scheint  die  Constitu- 
tion, besonders  Anämie  und  Scrophulosc,  und  ebenso  Ueberanstrengung 
der  Augen  von  Einfluss.  Auch  nach  länger  fortgesetzten  Atropinein- 
träufelungen  treten  zahlreiche  Follikel  bei  einzelnen  Individuen  auf; 
ebenso  habe  ich  sie  nach  Eserininstillationen  gesehen. 


Conjunctivitis  folliculosa.  439 

Folgende  Momente,  welche  zur  differentiellen  Diagnose 
gegenüber  dem  Trachom  dienen,  sind  besonders  zu  beachten.  Die 
einfachen  Follikel  treten  nicht  so  zahlreich  wie  die  Trachomfollikel  auf; 
sie  reichen  fast  nie  bis  zum  vorderen  Theile  der  Tarsalschleimhaut. 
Am  oberen  Lide  fehlen  sie  in  der  Regel  ganz;  jedoch  sieht  man  ge- 
legentlich ein  paar  kleine  Follikel  am  orbitalen  Rande  der  Tarsal- 
schleimhaut oder  in  dem  äusseren  Winkel.  Das  Vorhandensein  ein- 
zelner Follikel  am  oberen  Lide  spricht  also  nicht  absolut  gegen  die 
1  Diagnose  Conj.  folliculosa.  Eher  kann  man  ihr  Fehlen  als  gegen  das 
Vorhandensein  von  Trachom  argumentirend  ansehen. 

Die  einfachen  Follikel  zeigen  ein  mehr  durchscheinendes  bläschen- 
artiges Aussehen  und  haben  etwa  die  Grösse  eines  Stecknadelkopfes, 
sind  scharf  abgegrenzt  und  ragen  —  im  Verhältniss  zu  ihrer  Grösse  — 
stärker  hervor  als  die  Trachomkörner,  welche  durchschnittlich  undurch- 
sichtiger und  mehr  gelblich,  auch  gewöhnlich  im  Horizontaldurch- 
messer grösser  sind  und  stets  auch  das  obere  Lid  befallen.  Immer 
fehlt  bei  der  Conj.  folliculosa  ein  stärkeres  Ergriffensein 
des  conjunctivalen  Bindegewebes.  Die  Conjunctiva  behält  selbst 
bei  lange  bestehender  Follikeleinlagerung  ihr  durchsichtiges,  glattes 
Aussehen,  während  bei  Granulationen  bald  Trübung7  Verdickung, 
gleichmässig  rothe  Injection,  Unebenheiten  und  grössere  Hervor- 
ragmigen  auftreten;  selbst  bei  torpiden  Granulationen  ohne  stärkere 
Gefassentwicklung  nimmt  die  Schleimhaut  ein  eigenthümlich  trübes, 
bisweilen  wachsähnliches  Aussehen  an.  Sobald  Narbenbildung  sicht- 
bar, kann  überhaupt  nicht  mehr  an  eine  Conj.  folliculosa  gedacht 
werden  (fortgesetztes  Touchiren  mit  dem  Kupferstift  kann  allerdings 
auch  bei  einfacher  Conj.  folliculosa  in  der  Schleimhaut  eine  leichte 
narbige  Verfärbung   herbeiftihren).  — 

In  der  AEehrzahl  der  Fälle  ist  mit  Sicherheit  die  Diagnose  zwischen 
Conj.  folliculosa  und  Granulationen  zu  stellen*.  Trotzdem  wird  dieselbe 
noch  oft  verfehlt:  manche  sogenannte  Trachomepidemie  in  einem 
Truppentheil  oder  einer  Schule  verschwand  einfach  dadurch,    dass  ein 


*  Leider  stehen  die  im  Jahre  1897  für  das  deutsche  Heer  erlassenen  „Direc- 
tiven  zur  Untersuchung  und  Beurtheilung  augenkranker  Militärpersonen"  noch 
auf  dem  unitarischen  Standpunkt.  Doch  unterscheiden  sie  eine  schwere  und 
eine  leichtere  Form  der  Trachomerkrankung;  unter  letzterer  sind  diejenigen 
-granulösen  'folliculäre)  Bindehautkatarrhe  (Augen-Gr.  I)  zu  verstehen,  bei  welchen 
vorwiegend  oder  ausschliesslich  die  untere  Uebergangsfalte  und  die  Bindehaut 
des  unteren  Lides  Neubildung  auf  gesunder  oder  höchstens  massig  gerötheter, 
aufgelockerter  und  absondernder  Bindehaut  zeigt,  während  das  obere  Lid  gesunde 
oder  nur  leicht  katarrhalische  Bindehaut  aufweist".  Becruten,  die  diese  Form 
haben,  können  eingestellt  werden. 


440  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

anderer  Arzt  sie  als  Conj.  folliculosa  erkannte.  Bei  einer  epidemischen, 
schnell  sich  ausbreitenden  acuten  Conjunctival-Erkrankung  in  den 
Schulen  handelt  es  sich  nie  um  Trachom;  natürlich  werden  sich  aber  in 
Orten,  wo  Trachom  endemisch  ist,  unter  den  erkrankten  Schillern 
auch  Trachomatöse  linden.  —  Leider  werden  noch  allzu  oft  Eltern,  deren 
Kinder  ein  paar  Follikel  in  der  Schleimhaut  des  unteren  Lides  haben, 
onnöthigerweise  mit  dem  Schreckbilde  der  granulären  Ophthalmie  ge- 
ängstigt. 

Nur  in  Einzelfällen  ist  die  Diagnose  nicht  sofort  mit  Sicherheit  zu 
stellen.  So  kann  acutes  Trachom  ganz  im  Anfang  —  ehe  die  Schleim- 
hautwucherung  hinzutritt  —  einer  Follikelhildung  mit  acuter  Conjunc- 
tivitis ähnlich  sehen,  und  andererseits  kann  bei  sehr  zahlreicher  Fol- 
likelentwickelung  mit  ungewöhnlicher  Conjimetivalhyperäniie  und  Schwel- 
lung eine  sichere  Trennung  von  chronischen  Granulationen  schwer 
fallen.  Doch  unterscheidet  auch  hier  die  längere  Beobachtung:  bei  der 
Conj.  folliculosa  kommt  es  nicht  zu  so  starken  Papillarwucherungen, 
auch  treten,  wie  erwähnt,  keine  Narbenbildungen  ein,  ebenso  entwickelt 
sich  kein  Pannus. 

Die  Therapie  hat  eine  vorhandene  Conjunctivitis  durch  kühle  Um- 
schläge und  Adstringentien  zu  bekämpfen;  besonders  ist  hier  Natr. 
biboracic.  (4proc.)  und  der  Alaunstift  empfehlenswerth.  Fehlt  jede 
Hyperämie  der  Schleimhaut,  so  kann  man  durch  gelegentliches  Be- 
tupfen mit  Cupr.  sulphuric.  —  etwa  alle  Wochen  einmal  —  oder  Ein- 
träufeln von  Kupferglycerin  die  Conjunctiva  zeitweise  hyperämisiren 
und  so  die  Resorption  der  Follikel  befördern.  Sehr  zweckmässig  zur 
Abkürzung  des  Processes  ist  auch  hier  die  Anwendung  der  Roll-Pin- 
cette.  Weiter  wird  man  für  eine  gesunde  Lebensweise  bezüglich  Luft 
und  Nahrung  zu  sorgen  haben.  Uebrigens  schwinden  die  Follikel, 
welche  man  bei  Kindern  findet,  häufig  mit  zunehmendem  Lebensalter 
von  selbst. 


5.  Conjunctivitis  diphtheritica. 

Die  Diphtheritis  der  Conjunctiva  charakterisirt  sich  durch  Einlage- 
rung von  fibrinösem  Exsudat  in  das  Gewebe.  Im  allerersten  Beginn 
der  Affection  bietet  die  Conjunctiva  nur  die  Zeichen  des  Katarrhs;  sie 
ist  geröthet,  Thrünen  und  Secretion  sind  vermehrt.  Doch  deutet  eine 
gewisse  Steifheit  der  Lider  beim  Befühlen  und  Ektropioniren,  die  sich 
bald  zu  einer  fast  brettartigen  Festigkeit  steigert,  auf  fibrinöse  Einlage- 
rungen hin,  selbst  ehe  sie  für  das  Auge  sichtbar,  werden.  In  kurzer 
Zeit,  meist  12  bis  24  Stunden,  gesellt  sich  Oedem  der  äusseren  Lidhaut, 


Conjunctivitis  cüphtheritica.  441 

damit  verbundenes  Herabhängen  des  prallen,  glänzenden  oberen  Lides 
und  Chemosis  hinzu.  Jetzt  zeigen  sieh  auch  auf  der  Palpebralbindehaut 
die  eingelagerten  fibrinösen  Massen  als  weisslich-graue  Flecke,  in  denen 
die  normale  Gefässbildung  vollständig  fehlt.  Zwischen  diesen  Plaques  ist 
die  Sehleimhaut  massig  geröthet  und  es  lassen  sich  stärkere  Gefässe 
in  ihr  unterscheiden,  die  plötzlich  am  Rande  der  Einlagerungen  ab- 
schneiden. —  Nicht  selten  sind  bei  ausgedehnter  Diphtheritis  die  Lid- 
ränder und  die  äussere  Lidhaut  ergriffen.  Aber  oft  sitzen  auch  ab- 
ziehbare Faserstotfmembranen  (eroupöse)  der  Conjunctiva  auf;  dar- 
unter findet  sieh  dann  das  diphtheritisch  durchsetzte  Conjunctivalgewebe. 
Aehnliche  Pseudomembranen  können  auch,  wie  erwähnt,  bei  der  Blennor- 
rhoea  membranacea  vorkommen,  doch  ist  hier  das  darunter  liegende  Con- 
junctivalgewebe nicht  von  faserstoffhaltigen  Exsudaten  durchsetzt;  auch 
fehlt  die  Steifheit  und  Härte  der  Lider.  Allerdings  ist  zu  beachten,  dass  in 
manchen  Epidemien  von  Diphtheritis  die  Lider  verhältnissmässig  weich  und 
leicht  ektropionirbar  bleiben.  Mikroskopisch  zeigen  die  Membranen  eine 
amorphe,  mehr  oder  weniger  körnige,  fibrinöse  Masse,  an  deren  Ober- 
fläche und  Rändern  Eiterzellen  haften.  Die  Secretion  bei  der  Conj. 
diphtheritica  besteht  in  einer  dünnen,  schmutzig  gefärbten  Flüssigkeit, 
in  der  wenige  gelbliche  Flocken  schwimmen.  In  dem  Secret  finden 
sich  in  der  Regel  Diphtherie-Bacillen.  Aber  ich  habe  auch  ausnahms- 
weise Fälle  von  ausgeprägter  klinischer  Conjunctival-Diphtherie  gesehen, 
in  denen  bei  Culturanlegung  nur  Staphylokokken  oder  auch  nur  Strepto- 
kokken vorhanden  waren:  Befunde,  die  von  bacteriologischer  Seite  be- 
stätigt wurden.  —  Meist  besteht  bei  dieser  Affection  bedeutende  Schmerz- 
haftigkeit,  die  sich  beim  Berühren  der  Lider  zu  einer  oft  unerträg- 
liehen  Höhe  steigert,  sodass  man  selbst  in  einzelnen  Fällen  genöthigt 
sein  kann,  um  die  Lider  zu  ektropioniren,  zum  Chloroformiren  der 
Patienten  seine  Zuflucht  zu  nehmen.  Daneben  ist  oft  Fieber  vorhanden; 
besonders    bei  Kindern   habe   ich  sehr  hohe  Temperaturen  beobachtet. 

Verlauf.  Am  6.  bis  12.  Tage,  zuweilen  noch  früher,  geht  die 
Diphtheritis  bei  günstigem  Verlauf  in  Blennorrhoe  über.  Die  brettharten 
Lider  werden  weicher  und  elastischer.  Die  Einlagerungen  schwinden 
allmählich,  indem  sie  zum  Theil  abgestossen,  zum  Theil  resorbirt  wer- 
den: das  Conjunctivalgewebe  wird  blut-  und  saftreicher. 

Die  vermehrte  Papillarwucherung  zeigt  sich  in  Form  von  kleinen 
ruthlichen  Erhabenheiten.  Auch  das  Secret  nimmt  einen  schleimig- 
eitrigen, blennorrhoischen  Charakter  an.  Der  Verlauf  wird  jetzt  ähnlich 
dem  der  Blennorrhoe,  doch  lässt  die  bald  eintretende  Schrumpfung  und  die 
Ausbildung  ausgedehnteren  Xarbengewebes  Rückschlüsse  auf  die  voraus- 
gegangenen tieferen  Einlagerungen  machen.  —  Besonders  deletär  für  das 
Auge    sind    bei    der   Diphtheritis    die   Hornhautaffectionen.     Die- 


442  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

selben  treten  in  verschiedenen  Formen  auf;  zuweilen  mit  einer  solchen 
Schnelligkeit^  dass  in  24  Stunden  eine  normale  Hornhaut  in  einen  gelb- 
lichen Brei  verwandelt  wird;  der  dann  berstet  und  den  Augeninhalt 
theilweise  herauslässt.  Schliesslich  findet  man  als  Rest  der  Cornea  eine 
kleine,  gelbliche  Scheibe  bei  gleichzeitiger  Atrophie  des  Auges.  In  den 
weniger  heftigen  AfFectionen  bildet  sich  erst  eine  leicht  grauliche  Trü- 
bung der  ganzen  Hornhaut,  die  dann  an  einer  Stelle  ein  mit  schmutzigem, 
gelbgrauem  Detritus  bedecktes  Geschwür  erkennen  lässt,  das  mit  grosser 
Schnelligkeit  in  die  Tiefe  greift  und  in  die  vordere  Kammer  durchbricht. 
Doch  verschliessen  sich  diese  Perforationsöffnungen  gerade  bei  der 
Diphtheritis  sehr  rasch,  indem  sich  eine  weissliche,  cohärente  diphthe- 
ritische  Masse  kappenförmig  auf  sie  legt.  Eine  dritte  Form  des  secun- 
dären  Hornhautleidens  bilden  die  bei  der  Blennorrhoe  beschriebenen 
Abstossungen  des  Epithels  und  der  einzelnen  Corneallamellen,  bei  denen 
die  Durchsichtigkeit  noch  lange  erhalten  bleibt.  Nach  Perforation  der 
Cornea  können  die  bei  der  Blennorrhoe  geschilderten  Folgezustände 
(Irisvorfall,  Linsenverlust  u.  s.  w.)  eintreten. 

Die  Prognose  ist  stets  sehr  bedenklich;  sie  ist  um  so  günstiger, 
je  später,  also  je  näher  dem  blennorrhoischen  Stadium,  die  Hornhaut- 
affection  eintritt.  Die  allerschlechteste  Aussicht  ist  in  dieser  Beziehung 
vorhanden,  wenn  der  diphtherische  Belag  confluirend  die  ganze  Schleim- 
haut einnimmt;  hier  geht  die  Cornea  meist  sehr  früh  verloren,  und  es 
wird  kaum  gelingen,  ein  sehfähiges  Auge  zu  erhalten.  Weniger  schlecht 
ist  die  Prognose  bei  umschriebenen  und  partiellen  Einlagerungen.  Doch 
kann  selbst  die  leichteste  Diphtheritisform  zum  Ruin  des  Auges  führen. 

Differentielle  Diagnose.  Wir  beschränken  uns  hier  darauf, 
die  Unterschiede  zwischen  Blennorrhoe  und  Diphtheritis  aufzuzählen, 
da  die  übrigen  Conjunctivalerkrankungen,  abgesehen  von  der  bereits 
erwähnten  Conj.  membranacea,  kaum  mit  der  Diphtheritis  verwechselt 
werden  können.  l)Die  echte  Diphtheritis  ist  ein  Allgemeinleiden.  Gelegent- 
lich folgt  bei  Kindern  Rachen-  und  Larynxdiphtherie,  selten  gehen  sie 
voran.  2)  Viel  stärkere  Wärmeentwicklung  im  diphtherischen  Auge. 
3)  Li  der  Regel  grosse  Steifheit  des  Lides,  das  sich  brettartig  anfühlt 
und  schwer  zu  ektropioniren  ist,  selbst  bei  längerem  Bestehen  der 
Diphtheritis;  bei  der  Blennorrhoe  verliert  sich  die  anfängliche  Steifheit 
viel  früher.  4)  Die  diphtheritis  che  Schleimhaut  zeigt  glatte,  gelbliche, 
gefässlose  Plaques  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  eingelagert. 
Dieselben  lassen  sich  nicht  entfernen.  Daneben  röthliche,  mit  kleinen 
Apoplexien  durchsetzte  Conjunctivalpartien.  Bei  der  Blennorrhoe  gleich- 
mässige  Röthung  und  starke,  saftige  Schwellung  der  Schleimhaut,  später 
Faltenbildung  mit  Papillarwucherung.  5)  Bei  der  Diphtheritis  ist  das 
Gewebe   mit   fibrinösem  Exsudate  (wie  Einschnitte  zeigen)   bis   in  die 


Conjunctivitis  diphtheritica.  443 

Tiefe  hinein  durchtränkt;  während  bei  der  Blennorrhoe  die  Schleimhaut 
nur  durch  flüssiges  und  zelliges  Exsudat  unter  dem  Epithel  geschwellt 
ist.  Findet  sich  hier  eine  membranöse  Auflagerung,  die  besonders  bei 
Knidorn  vorkommt,  so  lässt  sie  sich  grösstenteils  abziehen  oder  ab- 
wischen.  6)  Bei  der  Diphtheritis  ist  durch  die  Einlagerung  die  Blut- 
circulation  gehemmt,  die  Schleimhaut  wenig  blutreich;  bei  der  Blennor- 
rhoe ist  der  Blutlauf  relativ  frei,  die  Schleimhaut  mit  stark  gefüllten; 
zahlreichen  Blutgefässen  überall  durchsetzt.  7)  Bei  der  Diphtheritis 
sehr  lebhaftes  und  dauerndes  Schmerzgefühl,  besonders  beim  Berühren 
der  Lider:  massigeres,   oft  früh  verschwindendes  bei  der  Blennorrhoe. 

Wie  schon  erwähnt,  geht  die  Diphtheritis  später  in  ein  blennor- 
rhoisehes  Stadium  über,  wo  dann  natürlich  die  Symptome  beider  Affec- 
tionen  zusammenfallen. 

Aetiologie.  Man  findet  das  klinische  Bild  der  Diphtherie  der 
Conjunctiva  auch  in  Fällen,  wo  eine  Einwirkung  des  speeifischen  diph- 
theritischen  Contagiums  nicht  vorhanden  ist  (Pseudo-Diphtherie) :  so 
kann  eine  Blennorrhoe  durch  übermässige  Höllenstein- Anwendung  den 
Charakter  der  Diphtherie  annehmen:  bei  scrophulösen  Kindern  setzen 
oft  schmutzig  belegte  Ulcerationen  der  Lidränder  auf  die  Conjunctiva 
über  und  bilden  daselbst  diphtherische  Infiltrationen.  Wie  oben  er- 
wähnt, sind  in  einzelnen  Fällen  nur  Staphylokokken  oder  Streptokokken 
gefunden  worden.  Die  eigentliche  Diphtheritis  der  Conjunctiva  tritt 
nur  selten  auf.  Am  gefährdetsteii  ist  das  zweite  bis  vierte  Lebensjahr. 
Schon  vorhandene  Augenentzündungen  und  frische  traumatische  Ein- 
griffe prädisponiren  bei  entstehender  diphtheritischer  Epidemie  vorzugs- 
weise zu  dieser  Affection.  Durch  directe  Uebertragung  kann  das  diph- 
therische Contagium  ebenfalls  fortgepflanzt  werden,  aber  auch  aus 
blennorrhoischer,  gonorrhoischer  oder  leukorrhoischer  Infection  sieht 
man  gelegentlich  das  klinische  Bild  einer  Diphtheritis  des  Auges  sich 
entwickeln.  — 

Therapie.  Ist  nur  ein  Auge  von  der  Diphtheritis  ergriffen,  so 
suche  man  das  andere  durch  einen  Schutzverband  zu  sichern.  Es 
wird  dies  im  Allgemeinen  weniger  leicht  gelingen  als  bei  der  Blen- 
norrhoe: doch  mache  man  den  Versuch.  Auf  das  Auge  selbst  werden 
Eisumschläge  gelegt,  im  Beginn  häufiger,  später  mit  grösseren  Unter- 
brechungen. Manche  Ophthalmologen  empfehlen  auch  warme  Um- 
schläge. Dabei  ist  für  häufige  Beinigung  des  Auges  mit  einer  des- 
inficirenden  Flüssigkeit  (z.  B.  Sublimatlösung  1:5000)  zu  sorgen.  Ein- 
mal hatte  ich  einen  sehr  günstigen  Erfolg  von  den  bei  der  Blennorrhoe 
beschriebenen  Kalt' sehen  Irrigationen  mit  Lösung  von  Kali  hyperman- 
ganicum:  es  war  ein  Fall,  wo  nur  Streptokokken  sich  fanden.  In  an- 
deren Fällen  schien  mir  die  Lijection  von  Behring' schem  Heilserum 


444  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

besonderen  Nutzen  gebracht  zu  haben,  da  ausser  Reinigung  und  kalten 
l  Anschlägen  nichts  angewandt  wurde  und  doch  der  Verlauf  sehr  günstig 
war.  Früher  habe  ich  von  Scariricationen  der  Conjunctiva  (Jacobson), 
aber  zwischen  den  infiltrirten  Partien  in  das  rothe,  blutreiche  Gewebe 
gemacht,  auch  öfters  Nutzen  gesehen.  Ebenso  schien  mir  die  von  Wolf- 
ring  gerühmte  Behandlung  von  Vortheil.  Man  reibt  dabei  mit  dem 
Finger,  täglich  1  bis  2  Mal,  direct  und  energisch  in  die  infiltrirten 
Partien  der  ektropionirten  Schleimhaut  gelbe  Präcipitatsalbe  (0-3  auf 
10-0  Vaseline)  ein.  Weiter  sind  Bepinselungen  mit  Kalkwasser,  starker 
Sublimatlösung,  Citronensaft  empfohlen  worden. 

O ertliche  Blutentziehungen  in  der  Schläfe  sind  nur  bei  grosser 
Sehmerzhaftigkeit  und  bei  kräftigen  Individuen  zu  machen.  Das  Aetzen 
der  Schleimhaut  [mit  Arg.  nitricum  ist  auf  der  Höhe  der  Diphtheritis 
durchaus  verwerflich. 

Nur  im  ausgesprochenen  blennorrhoischen  Stadium  ist  in  der,  bei 
der  Therapie  der  Blennorrhoe  ausführlich  geschilderten  Weise  zu  tou- 
chiren  und  zwar  anfänglich  noch  sehr  vorsichtig,  etwa  mit  einer  Blei- 
lösung  beginnend. 

Ferner  hat  man  die  acute  Mercurialisation  angewandt,  da  sie  einen 
Einfluss  auf  die  Ueberführung  der  Diphtheritis  in  Blennorrhoe  zu  haben 
scheint  (v.  Graefe).  Doch  wird  man  auf  die  eingreifende  Wirkung  des 
Quecksilbers  wohl  besser  verzichten,  wenngleich  die  Augendiphtheritis 
in  der  Regel  nicht  eine  derartige  schwere  constitutionelle  Erkrankung 
darstellt,  dass  ein  letaler  Ausgang  zu  befürchten  wäre.  Nur  in  seltenen 
Fällen  und  bei  sehr  schwächlichen  Kindern  habe  ich  denselben  beob- 
achtet. Frühzeitig  ist  Atropin  einzuträufeln,  um  Hyperämien  der  Iris 
entgegenzutreten.  Bei  tiefen,  umschriebenen  Hornhautgeschwüren  macht 
man  die  Paracentese  im  Geschwürsgrunde  und  sucht  einen  dauernden 
Abfluss  des  Kammerwassers  und  damit  Herabsetzung  des  intraoeularen 
Druckes  dadurch  zu  erhalten,  dass  man  die  stets  sich  neubildenden 
und  die  Oeffnung  verschliessenden  diphtheritischen  Klappen  beständig 
entfernt. 


6.  Pterygium,  Flügelfell. 

Das  Pterygium  wird  gebildet  durch  eine  sich  von  der  Peripherie 
des  Bulbus  nach  dem  Hornhautrande  hin  und  später  über  ihn  fort- 
erstreckende  dreieckige,  hypertrophische  Conjimctivalfalte,  welche  eine 
gewisse  Aehnlichkeit  mit  dem  Flügel  einer  Fliege  hat.  Man  unterscheidet 
an  ihm  1)  den  breiteren  Rumpf,  welcher  sich  peripher  in  die  Conjunc- 
tiva verliert;  2)  den  Hals,  der  über  dem  Hornhautrande  liegt  und  vor- 
zugsweise    als   Falte   hervortritt;    man   kann    ihn   hin-   und  herschieben, 


Pterygium.  445 

ot'r  auch  mit  der  Sonde  2  bis  3  mm  unter  seine  umgestülpten  Ränder 
gehen;  3)  den  Kopf,  der  gewöhnlich  als  weisser,  gewulsteter  oder  auch 
sehnenartiger,  stumpf  abgerundeter  Fleck  dem  Cornealgewebe  aufsitzt; 
meist  noch  vorn  von  einem  kleineren  Hof  umgeben.  Die  Farbe  des 
Fliigelfelles  ist  verschieden  je  nach  der  stattgefundenen  Gewebs-  und 
Gefässhypertrophie;  sie  kann  von  AVeiss  bis  zu  gleichmässigem  Roth 
übergehen.  In  letzterem  Falle  bezeichnet  man  es  als  Pterygium  crassum 
s.  carnosum.  —  Das  Pterygium  sitzt  in  der  Lidspaltenzone,  am  häufigsten 
an  der  inneren  Seite  des  Bulbus,  seltener  an  der  äusseren.  Zuweilen 
treten  an  demselben  Auge  zwei  Pterygien  auf;  auch  beide  Augen  werden 
öfters  befallen. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigt  grösstentheils  die  Bestand- 
teile der  Conjunctiva :  Bindegewebe  mit  eingestreuten,  elastischen  Fasern 
von  oft  zahlreichen  meridional  verlaufenden  Blutgefässen  durchsetzt. 
Bisweilen  entstehen  darin  kleine  Cysten.  Die  Oberfläche  wird  von 
Epithel  bedeckt:  die  Bowman' sehe  Membran  unter  ihm  geht  grössten- 
theils zu  Grunde. 

Die  echten  Pterygien  gehen  aus  der  Pinguecula  hervor.  Der  hier 
bestehende  Degenerationsprocess  schiebt  sich  auf  die  Hornhaut  fort, 
wobei  die  Bindehaut  als  Falte  nachgezogen  wird  (Fuchs).  Während 
im  Beginne  das  Pterygium  progressiv  ist,  kann  später  ein  vollkommener 
Stillstand  eintreten:  alsdann  pflegt  der  vordere  Randsaum  dick  und 
narbenähnlich  auszusehen.  Zu  trennen  hiervon  sind  die  Pseudo-Ptery- 
gien.  So  geben  kleine  randständige  Hornhaut-Ulcerationen  öfters  die 
Veranlassung  zu  ähnlichen  Faltenbildungen,  indem  sie  bei  ihrer  Ver- 
narb ung  die  anliegende  Conjunctiva  heranziehen  (Arlt).  Ferner  kann 
während  einer  Blennorrhoe,  wo  sich  die  Conjunctiva  als  ödematöser 
Wall  um  die  Cornea  erhebt,  ein  Theil  dieser  Chemosis  mit  einem  Horn- 
hautulcus  verwachsen.  Es  findet  sich  dann  häufig,  wenn  das  Ulcus  von 
der  Peripherie  etwas  entfernt  sitzt,  ein  röhrenartiger  Gang  unter  dem 
Halse  des  Pterygiums. 

Je  näher  der  Kopftheil  des  Pterygiums  dem  Hornhautcentrum  rückt, 
um  so  niehr  tritt  natürlich  der  schädliche  Einfluss  dieses  undurchsich- 
tigen Gewebes  auf  die  Sehkraft  hervor.  Ganz  am  Rande  auslaufende 
Pterygien  schaden  dem  Sehvermögen  nicht  viel;  nur  aus  kosmetischen 
Gründen  wird  öfters  ihre  Entfernung  gewünscht. 

Vorzugsweise  häufig  werden  echte  Flügelfelle  bei  gewissen  Hand- 
werkern beobachtet,  die  bei  ihrer  Beschäftigung  sich  kleineren  Ver- 
letzungen der  Augen  durch  Einfallen  von  Staub  u.  dgi.  aussetzen  müssen: 
so  bei  Cigarrenarbeitern,  Maurern,  Steinmetzen  u.  s.  w.  Da  ihre  Ent- 
stehung durch  eine  grössere  Schlaffheit  der  Conjunctiva  begünstigt  wird, 


44G  Erkrankungen  der  Conjunctiva, 

so  leiden  vor  Allem  ältere  Individuen  daran.  In  südlicheren  Klhnaten 
kommen  sie  am  häufigsten  vor.  — 

Therapie.  Bei  Entzündung-  und  Injection  der  Pterygien  touehirt 
man  sie  mit  adstringirenden  Lösungen  und  lässt  kühle  Umschläge  machen. 
Ist  das  Pterygium  progressiv  und  bedroht  die  Sehkraft,  oder  wird  sonst 
die  Entfernung  gewünscht,  so  lässt  sich  die  Operation  in  verschiedener 
Weise  ausführen. 

Man  trennt  die  auf  der  Cornea  sitzende  Spitze  mit  einer  gebogenen 
Lanze  oder  einem  bajonettähnlichen  schmalen  Messer  sorgfältig  ab  und 
präparirt  dann  noch  den  Hals  auf  3  bis  4  mm  von  dem  Cornealrande 
nach  der  Peripherie  zu  von  der  Sclera  ab.  Die  beiden  so  entstandenen 
divergirenden  Wundränder  werden  durch  zwei  nach  der  Peripherie  des 
Bulbus  gerichtete  convergirende  Schnitte  wieder  vereinigt  und  das  da- 
zwischen liegende  Flügelfell  entfernt  (siehe  Figur  147).  Der  rhomboid- 
ähnliche  Defect  wird  gedeckt,  indem  man  die  Wundränder  der  Conjunc- 
tiva zusammennäht.   Es  entsteht  so  eine  lineare  Narbe,  in  der  a  mit  b  durch 

Naht  vereinigt  wurden.     Um  bei  breite- 
,=£=J^  ren  Pteiygien  den  Defect  nicht  zu  gross 

zu  machen  —  es  kann  sonst  durch  Con- 
traction  der  zur  Bedeckung  herange- 
zogenen Conjunctiva  nach  einiger  Zeit 
eine  Beweglichkeitsbeschränkung,  selbst 
^^^  vollkommene    Seitwärtsstellung   des  Bul- 

1";1  bus  zu  Stande  kommen  — ,  legt  man  die 

147.  .  o 

nach  der  Basis   convergirenden  Schnitte 

in  das  Pterygiumgewebe  selbst,  sodass  man  einen  peripheren  Theil  des- 
selben stehen  lässt.  Besser  ist  es  in  diesen  Fällen,  wenn  man  das 
Pterygium  bis  zur  Basis  löst,  ohne  letztere  jedoch  zu  durchschneiden: 
alsdann  wird  etwa  4  mm  vom  Hornhautrande  entfernt  eine  Incision, 
parallel  demselben,  6  bis  8  mm  lang  vom  unteren  Wundrande  aus 
in  die  Conjunctiva  gemacht.  In  den  Winkel,  der  durch  das  Auseinander- 
treten der  Ränder  dieser  neuen  Incision  entsteht,  wird  das  abgetrennte 
Pterygium  eingenäht  und  der  ursprüngliche  Sitz  desselben  durch  herbei- 
gezogene Conjunctiva  gedeckt  (Dosmarres). 

Knapp  macht  auch  nach  oben  hin  eine  ähnliche  Incision  durch 
die  Conjunctiva.  Das  Pterygium  wird  alsdann  durch  einen  Schnitt 
seiner  Länge  nach  getheilt  und  die  obere  Hälfte  in  die  obere  Conjune- 
tivalw  iindc,  die  untere  in  die  untere  eingenäht.  Die  horizontale  Conjune- 
tivalwunde,  welche  dem  ursprünglichen  Sitze  des  Pterygiums  entspricht, 
wird  zusammengenäht. 


Xerosis  conjunctivae.  447 


7.  Xerosis  conjunctivae. 

Man  kann  eine  parenchymatöse  Xerosis  (§rjQog}  trocken)  der 
Conjunctiva  und  eine  epitheliale  unterscheiden:  erstere  ist  in  der 
Regel  Folge  localer,  letztere  allgemeiner  Erkrankung  (Colin). 

Die  parenchymatöse  Xerosis  führt  zu  einer  mehr  oder  weniger  aus- 
gedehnten Yertroeknung  der  Conjunctiva  und  Cornea  in  Folge  des 
Mangels  der  normalen  Befeuchtung.  Sie  ist  bedingt  durch  eine  narbige 
Umwandlung  des  Conjunctivalgewebes  an  einzelnen  Stellen  oder  in  seiner 
Totalität.  Das  Epithel  wird  derb;  nähert  sich  überhaupt  in  seinem 
Aussehen  und  Verhalten  mein-  den  Epidermiszellen.  Die  vollständige 
Atrophie  und  narbige  Schrumpfung  der  Bindehaut,  des  Unterbindehaut- 
gewebes, Tarsus  und  der  secretorischen  Organe  führt  zu  dem  Zustande, 
den  man  als  Xerophthalmus  squamosus  oder  totalis  bezeichnet  hat.  Hier 
ist  die  Uebergangs-  und  halbmondförmige  Falte  meist  vollständig  ver- 
sehwunden, das  die  Bindehaut  vertretende  narbige  Gewebe  setzt  vom 
Tarsus  gleich  direct  auf  die  Sclera  über,  da  zugleich  die  Ausführungs- 
gänge der  Thränendrüse  verwachsen  sind,  so  ist  hiermit  die  Befeuchtung 
imd  Abspülimg  des  Auges  vollständig  aufgehoben.  Man  findet  dasselbe 
bedeckt  mit  kleinen  Schüppchen,  die  aus  vertrockneten,  den  Epidermis- 
platten  ähnlichen  Epithelien,  Fett,  Schleim  u.  s.  w.  zusammengesetzt 
sind,  und  ihm  ein  bestäubtes  Ansehen  geben.  Die  Cornea  ist  pannös 
getrübt  oder  mit  einem  undurchsichtigen,  sehnenartigen  Epithel  über- 
setzt, das  mehr  oder  weniger  das  Hindurchscheinen  der  tieferen  Augen- 
gebilde hindert.  Die  Sensibilität  ist  herabgesetzt,  die  Beweglichkeit  der 
Lider  durch  den  Schwund  des  Conjunctivalsackes  vermindert,  oft  ein 
Schliessen  des  Auges  unmöglich.  Als  subjeetive  Symptome  treten  hervor: 
eine  entsprechend  den  Cornealtrübungen  verminderte  Sehkraft  und 
das  Gefühl  bedeutender  Trockenheit  im  Auge.  —  Der  parenchyma- 
töse Xerophthalmus  bildet  den  Ausgang  langwährender  Bindehautent- 
zündungen, wie  sie  durch  Trachom,  Conj.  blennorrhoica,  Conj.  diph- 
theritica,  En-  und  Ectropium  u.  s.  w.  gesetzt  sind.  Chemische  An- 
ätzungen oder  Verbrennungen  führen  ihn  seltener  herbei.  Er  kann  in 
jedem  Alter  vorkommen  und  ist  unheilbar.  In  seiner  Verhütung  durch 
entsprechende  Behandlung  der  ursächlichen  Krankheiten  besteht  die 
ärztliche  Aufgabe.  Symptomatisch  suche  man  das  Leiden  zu  erleichtern 
durch  Befeuchtung  des  Auges  mit  Milch,  Glycerin,  Mandelöl  oder 
dünnen  Lösungen  von  Kochsalz.  Ferner  ist  eine  Schutzbrille,  um 
Staub  und  "Wind  abzuhalten,  zu  tragen.  Auch  die  Transplantation  von 
Kaninchenschleimhaut  ist  versucht  worden,  jedoch  ohne  besonderen  Erfolg. 


44s  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

Die  epitheliale  Form  ist  hingegen  transitorisch,  sie  zeigt  sich 
öfters 'in  Epidemien  und  ist  meist  mit  Hemeralopie  (Bitot),  zuweilen 
seihst  mit  concentrischer  Gesichtsfeldeinengung  (AI fr.  Graefe,  Kusch- 
hey t)  verknüpft.  Ich  habe  einen  Fall  mit  Hemeralopie  beobachtet,  wo 
sie  reeidivirend  auftrat.  Bisweilen  folgt  ihr  eine  Keratitis  xerotica 
(siehe  ] lornhauterkrankungen). 

Die  Schleimhaut  des  Augapfels  erscheint  in  der  Ausdehnung 
der  Lidspalte  trocken,  glanzlos,  hier  und  da  mit  kleinen  Flecken  und 
Schuppen  bedeckt,  als  wenn  weisser  Schaum  aufgetrocknet  wäre:  es 
scheint  die  Färbung  von  dem  Eindringen  von  Luft  zwischen  die  fettig 
degenerirten  Epithelien  herzurühren  (Braunschweig).  Nur  selten  greift 
diese  Veränderung  auf  die  Hornhaut  über  (vgl.  Xerosis  corneae).  Dabei 
ist  die  Conj.  bulbi  gelockert  und  legt  sich  bei  Augenbewegungen  in 
Falten.  Auch  gesellt  sich  öfters  stärkere  Secretion  hinzu.  Complicationen 
mit  katarrhalischen  Zuständen  sind  nicht  selten.  Die  Körperhaut  hat 
bisweilen  eine  schmutzige  Farbe,  ist  grau,  trocken  und  zeigt  kleienartige 
Ab  s  chuppungen. 

Die  Heilung  erfolgt  meist  spontan.  Sind  constitutionelle  Ab- 
normitäten (Anämie,  Scorbut  u.  s.  w.)  vorhanden,  so  werden  diese  zu 
behandeln  sein.  Bei  der  Complication  mit  Hemeralopie  wird  Leber- 
thran  und  das  Essen  von  Lebern  gerühmt.  Oertlich  ist  die  Anwen- 
dung warmer  Umschläge  von  Salicyllösungen  empfehlenswerth. 

In  einer  von  Kuschbert  beobachteten  Epidemie  fand  Neisser  stets  in  dem 
abgestreiften  Conjunctivalbelag  sogen.  Xerose-Bacillen,  die  den  Diphtherie-Baeillen 
gleichen.  Doch  meint  Schleich,  dass  diese  sogen.  Xerose-Bacillen  (Luftstäbchen 
M  i  cli  eT  s)  keine  pathologische  Bedeutung  haben,  da  sie  in  dem  schaumigen  Secret 
verschiedener  anderer  Conjunctivalerkrankungen  vorkommen.  Neuerdings  sind 
sie  den  ungiftigen  Diphtherie-Baeillen  (Pseudo-Diphtherie-Bacillen.  Hoff  mann, 
Löffler)  von  Schanz  gleich  gesetzt  worden,  während  Axenfeld  glaubt,  sie 
davon  trennen  zu  müssen. 


8.  Symblepharon. 

Die  Schleimhaut  der  Lider  kann  entweder  an  einzelnen  Stellen  des  Tar- 
saltheils durch  Adhäsionen  mit  der  Schleimhaut  des  Bulbus  verwachsen 
(Symblepharon  anterius),  oder  auch  in  ihrer  Totalität,  indem  eine  Ver- 
kürzung oder  Zerstörung  der  Uebergangsfalte  eintritt  (Symblepharon 
posterius).  In  ersterem  Falle  sieht  man  aus  Bindegewebssträngen  und 
Blutgefässen  bestehende  Falten  oder  vollständige  Brücken,  unter  die  man 
mit  einer  Sonde  gehen  kann,  von  dem  Lide  aus  sich  nach  dem  Bulbus  hin 
erstrecken.  Haften  derartige  Adhäsionen  der  Cornea  an,  so  sind  damit 
mehr  oder  weniger    erhebliche  Sehstörungen    gegeben,   jedenfalls  wird 


Symblepharon.  44(J 

das  Auge  in  seiner  freien  Beweglichkeit  gehindert,    so  dass  selbst  ein 
auffälligeres  Schielen  eintreten  kann. 

Als  Ursachen  des  Symblepharon  sind  anzuführen:  langwierige 
Bindehautentzündungen  (Blennorrhoe,  Trachom);  Verbrennungen,  be- 
sonders durch  chemische  Agentien,  und  sonstige  Traumen  miuSub- 
stanzenverlust. 

Ebenso  kann  in  Folge  von  Pemphigus  der  Gonjunctiva,  welcher 
weniger  unter  der  Form  von  Bläschen  als  von  umschriebenen  grau- 
gelblichen Belägen  auftritt,  eine  Schrumpfung  des  Bindehautsackes  und 
xero tische  Trübung  der  Cornea  zu  Stande  kommen;  aber  auch  ohne  dass 
hier  oder  anderweitig  Pemphigus  nachweisbar  war,  wurde  die  gleiche 
Schrumpfung  („essentielle  Schrumpfung  der  Bindehaut"  [Alfr. 
Graefe])  beobachtet.  Jedoch  ist  es  nicht  immer  leicht,  das  Bestehen 
von  Schleimhaut-Pemphigus  auszuschliessen,  da  die  grauen  Beläge  nur 
zeitweise  sichtbar  sind  und  bald  verschwinden.  Die  Prognose  ist  sehr 
schlecht. 

Therapie.  Man  suche  bei  drohenden  partiellen  Verwachsungen 
nach  Trauma  ein  Symblepharon  dadurch  zu  verhindern,  dass  man, 
wenn  es  angeht,  den  Defect  auf  der  Conj.  sclerae  durch  Verschiebung 
und  Zusammennähen  der  unterminirten  angrenzenden  Conjunctiva  deckt. 
Auch  die  Transplantation  von  Schleimhaut  (s.  unten)  kann  gleich  an- 
fänglich versucht  werden.  Sonst  lässt  man  den  Bulbus  viel  bewegen, 
stülpt  das  Lid  nach  aussen  um  und  hält  es  nöthigenfalls  durch  einen 
Verband  bis  zur  Heilung  der  Wunde  in  dieser  Stellung.  Doch  ist  bei 
tief  in  die  Uebergangsfalte  gehenden  Verbrennungen  u.  s.  w.  kaum  ein 
befriedigender  Erfolg  zu  erwarten.  —  Bei  vorhandenem  Symblepharon 
geben  die  brückenartigen  Adhäsionen  die  meiste  Aussicht  auf  Heilung; 
aber  auch  hier  sei  man  in  der  Prognose  nicht  zu  sicher.  Faltenförmige 
Symblephara  sind  in  brückenförmige  zu  verwandeln,  indem  man  mit 
einer  krummen  Nadel  einen  massig  dicken  Bleidraht  quer  durch  die 
tiefste  ,  Stelle  der  Verwachsung  zieht  und  die  Enden  dann  aus  dem 
Bindehautsack  herauszieht  und  auf  der  Lidhaut  befestigt.  Man  lässt 
den  Draht  so  lange  liegen,  bis  sich  ein  überhäuteter  Canal  unter  dem 
Symblepharon  gebildet  hat. 

Zur  Operation  empfiehlt  sich  das  Verfahren  von  Arlt.  Eine  ein- 
gefädelte Nadel  wird  quer  durch  den  Theil  des  Symblepharon  gestochen 
und  durchgezogen,  der  dem  Bulbus  aufsitzt;  dann  wird  das  Symble- 
pharon unter  dem  Faden  durch  vorsichtige  Schnitte  vollständig  vom 
Bulbus  abgetrennt,  so  dass  es  einen  dem  Lide  aufsitzenden  Lappen 
bildet,  durch  dessen  freies  Ende  der  Faden  quer  verläuft.  Nun  wird 
auch  das  andere  Ende  des  Fadens  in  eine  Nadel  gefädelt,  der  Symble- 
pharonlappen  nach  innen  umgeschlagen,  so  dass  seine  frühere  äussere 

Schmidt-Rimpler.    T.Auflage.  29 


450  Erkrankungen  der  Gonjunctiva. 

Seite  der  Bulbuswunde  gegenüber  liegt,  und  in  dieser  Lage  befestigt, 
indem  man  beide  Nadeln  nach  aussen  durch  das  Lid  führt  und  auf  der 
äusseren  Lidliaut  die  Fadenenden  verknüpft.  DerDefect  in  der  Conjunct. 
bulbi  wird  durch  Zusammennähen  der  Wundränder  gedeckt.  Nach  voll- 
ständiger Verkeilung  wird  das  »Symblepharon  auch  von  der  Conjunctiva 
palpebr.  entfernt.  Bei  hinterem  »Symblepharon  und  ausgedehnter  Schleim- 
hautschrumpfung kann  man  die  Transplantation  von  »Schleimhaut 
Wolfe)  versuchen,  welche  den  Lippen,  der  Vagina,  der  menschlichen 
Conjunctiva  oder  auch  der  des  Kaninchens  entnommen  wird.  Der 
Effect  ist  anfänglich  befriedigend,  doch  tritt  nach  längerer  Zeit  meist 
eine  »Schrumpfung  des  Lappens  ein.  —  Mehr  empfiehlt  sich  die  directe 
Transplantation  eines  Hautlappens  mit  »Stiel  aus  der  Wange  her,  was 
durch  eine  knopfartige  Oeffnung  des  Lides  geschehen  kann.  Auch  dicht 
neben  dem  äusseren  Lidwinkel  kann  man  einen  senkrechten  Schnitt  legen, 
der  bis  zum  Conjunctivalsack  eindringt  und  durch  diese  Oeffnung  hindurch 
von  der  »Schläfenhaut  her  einen  Lappen  transplantiren.  Bei  ausgedehn- 
teren Verwachsungen  von  Bulbus  und  Lidern  müssen  meist  mehrfache 
Operationen  ausgeführt  werden:  wobei  man  dann  auch  neben  den  eben 
erwähnten  Methoden  durch  Einheilung  von  Thiersch 'sehen  Lappen 
eine  weitere  Vergrösserung  des  Conjunctivalsackes  erstreben  kann. 

9.  Apoplexia  subconjunctivalis  (Hyposphagma).  — 
Chemosis.  —  Lymphangiektasien. 

Blutaustritt  in  das  subconjunctivale  Gewebe  erfolgt  durch  Trauma, 
Compression  des  Unterleibes,  bei  Kopfcongestion,  Epilepsie,  »Stickhusten- 
anfällen, bei  Arterienatherom,  Diabetes  u.  s.  w\  Bei  orbitalen  Fracturen 
kann  sich  die  Blutung  im  Fettzellgewebe  bis  unter  die  Conjunctiva  er- 
strecken. Die  Ausdehnung  ist  eine  sehr  verschiedene,  von  Stecknadel- 
kopf grosse  bis  zur  vollständigen  Anfüllung  der  ganzen  Conj.  sclerae. 
selbst  der  Uebergangsfalte.  Der  Erguss  wird  allmählich  resorbirt  unter 
entsprecl Lenden  Farbenveränderungen. 

Die  Chemosis  der  Conjunctiva  tritt  als  seröse  Infiltration  des 
Gewebes  mit  bisweilen  starker,  waUförmiger  Erhebung  um  die  Cornea 
bei  vielen  schweren  Augenaffectionen  ein.  Abgesehen  von  Conjunctival- 
erkrankungen  findet  sie  sich  besonders  bei  eitriger  Chorioiditis.  Ge- 
ie^entlieli  kann  man  sie  selbst  ohne  Katarrh  oder  sonstige  Entzündung 
bei  älteren  Individuen  sehen;  in  einem  Fall,  den  ich  beobachtete,  traten 
einige  Jahre  später  auf  Arterienatherom  zurückzuführende  Netzhaut- 
hämorrhagien  ein.  Audi  seeundär  habe  ich  sie  bei  einer  Zalm-Periostitis 
gesehen,  ist  die  Chemosis  sehr  prall,  so  macht  man  mit  der  Scheere 
kleine   Einschnitte  zur  Entleerung  der  Flüssigkeit. 


Syphilis,  Lupus,  Tuberculose,  Amyloid.  451 

Nicht  gerade  allzuselten  findet  man  auf  der  Conjunctiva  etwa 
stecknadelkopfgrosse  Bläschen,  die,  aneinandergereiht,  perlensclmur- 
ähnliche  Figuren  bilden.  Bisweilen  treten  sie  mit  halbseitigem  Kopf- 
schmerz und  Lidschwellung  auf.  Dabei  kann  jede  ausgeprägtere  Blut- 
gefässinjeetion  fehlen.    Es  handelt  sich  hier  um  Lymphangiektasien. 


10.  Syphilis.         Lupus.  —  Tuberculose.  —  Amyloid. 

Sy p hilitis c  h  e  A t't'e  c tio n e n  der  Conjunctiva  können  in  Folge 
directer  Infection  entstehen.  Meist  ist  es  alsdann  die  Randpartie  des 
Lides,  an  der  ein  speckig  aussehendes  Geschwür  sitzt.  Ein  ähnliches 
Aussehen  können  übrigens  die  gelegentlich  durch  Unvorsichtigkeit  hier 
entstehenden  und  geplatzten  Vaccinepusteln  bieten.  Aber  auch  indem 
eigentlichen  ( 'onjunctivalsack  und  auf  der  Plica  semilunaris  sind  Indura- 
tionen mit  folgender  Ulceration  beobachtet  worden.  So  bei  einem  Arzte, 
dem  syphilitisches  Secret  ins  Auge  geflogen  war.  Als  Folge  constitu- 
tioneller  Lues  findet  man  Condylome,  Hautgummata,  die  auf  die  Con- 
junctiva übergreifen,  trachomähnliche  Knötchenbildungen  in  der  Lid- 
schleimhaut (Goldzieher,  Sattler)  und  gummöse  Geschwülste  von 
livider  Farbe  auf  der  Scleralconjunctiva.  Die  Diagnose  liegt  in  dem 
Nachweis  constitutioneller  Syphilis;  bei  primärer  Conjunctivalaffection 
ist  sie  oft  schwierig.  Ich  erinnere  mich  eines  etwa  15jährigen  Mädchens 
mit  verdächtigem  Ulcus  am  Lidrande,  bei  der  die  Untersuchung  keine 
Spur  von  Syphilis  und  volle  Virginität  ergab.  Später  trat  Roseola  auf; 
die  Infection  war  durch  einen  Kuss  geschehen.  —  Die  Therapie  ist  die 
der  Syphilis. 

Die  lupöse  Erkrankung  greift  vom  Lidrande  auf  die  Con- 
junctiva über  oder  tritt  selbständig  in  ihr  auf.  Beim  Ektropioniren  des 
verdickten  Lides  sieht  man  die  Schleimhaut  in  mehr  oder  weniger 
grosser  Ausdehnung  mit  massenhaften,  hahnenkammähnlichen  und 
rothen  Papillenwucherungen  bedeckt,  daneben  und  dazwischen  speckige 
U/lcerationen  und  Infiltrationen;  letztere  können  spontan  mit  narbiger 
Schrumpfung  heilen.  Bisweilen  findet  man  auch  grössere  in  das  sub- 
conjunctivale  Gewebe  hineinsetzende  Knoten.  Der  Process  hat  Aehn- 
lichkeit  mit  sehr  vernachlässigtem  Trachoma  mixtum;  als  unterschei- 
dendes Moment  kann  man  anführen,  dass  der  Lupus  in  der  Regel  nur 
ein  Auge  ergreift,  und  ferner  das  nicht  seltene  Uebergreifen  auf  den 
intermarginalen  Theil  des  Lides,  die  oberflächlichen  speckigen  Infiltrationen 
und  gelegentlich  die  subconjunctivale  Knotenbildung.  Die  Behandlung 
besteht  im  Entfernen  oder  Auskratzen  der  einzelnen  Knoten  mit  dem 
scharfen  Löffel,    Anwendung   des  Galvanocauters    oder  Touchiren   mit 

29* 


452  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

Höllenstein.  Auch  Injectionen  mit  Koch' sehe m  Tuberculin  können  hier 
wie  bei  der  Tuberculose  der  Conjunctiva,  die  ein  ähnliches  Bild 
zeigt,  versucht  werden.  Nur  ausnahmsweise  beobachtet  man  bei  letz- 
terer eine  eigentliche  Eruption  graulich-durchscheinender  Tuberkel- 
knötchen.  Zur  differentiellen  Diagnose  dürfte  das  Fehlen  von  Haut- 
lupus dienen;  weiter  pflegt  die  Conjunctival-Tubereulose  nicht  den  Lid- 
rand zu  überschreiten  und  nicht  spontan  zu  vernarben  (Walb;  Ha  ab). 
Sie  kommt  auch  bei  scheinbar  nicht  tuberculösen  Individuen  vor,  wie 
mehrere  Beobachtungen  erweisen.  Der  Bulbus  kann  noch  nachträglich 
von  der  Conjunctiva  und  Cornea  aus   ergriffen  werden. 

Die  Amyloiddegeneration  tritt  anfänglich  im  subconjunctivalen 
Gewebe  und  meist  in  der  Uebergangsfalte  auf.  Die  Oberfläche  der 
Neubildung  ist  glatt,  nur  bisweilen  mit  sagokornähnlichen  Höckern  be- 
setzt; ihr  Aussehen  ist  glasig,  hellgelblich  bis  röthlich  oder  rothbraun; 
die  Consistenz  bei  den  wenig  vascularisirten  Geschwülsten  derb,  elastisch 
oder  brüchig,  bei  den  anderen  weich.  In  einer  sehr  grossen  Zahl  der 
Fälle  besteht  gleichzeitig  Trachom.  Beim  Fortschreiten  der  Affection 
können  auch  die  Conj.  sclerae  und  die  Carunkel  befallen  werden.  Eine 
hyaline  Degeneration  des  Gewebes  geht  der  Amyloiddegeneration  öfters 
voran  (Raehlmann).  Später  können  Verkalkungen  und  Verknöcherungen 
hinzukommen  (Kubli).  Die  Therapie  besteht  in  totaler  oder  wieder- 
holter partieller  Exstirpation. 


11.  Verletzungen  der   Conjunctiva. 

Fremdkörper,  die  in  den  Conjunctivalsack  gelangen,  werden  meist 
durch  die  Lidbewegung  und  Thränen  in  den  inneren  Lidwinkel  ge- 
schwemmt, von  wo  sie  leicht  ausgewischt  werden  können.  Bisweilen  aber 
bleiben  kleine  Partikel  (Staub-,  Rauchkörnchen  u.  dgl.);  besonders  an 
dem  Tarsalthal  des  oberen  Lides,  haften;  kleine  Grannen  oder  etwas 
grössere  Körper  sitzen  oft  in  der  oberen  Uebergangsfalte  fest  und 
machen  Entzündung  und  Schmerz.  Liegen  sie  dort  lange  Zeit,  so  erfolgt 
eine  seeundäre  Papillarhypertrophirung,  welche  sie  einbettet.  So  halte 
ich  einmal  ein  Krebsauge  gefunden,  das  ursprünglich  zur  Entfernung 
eines  kleinen  Fremdkörpers  unter  das  obere  Lid  geschoben  wurde,  und 
dort,  ganz  in  Vergessenheit  gerathen,  über  ein  Jahr  gesessen  hatte. 
Nach  der  Ektropionirung  des  Lides  gelingt  meist  die  Entfernung  leicht; 
bisweilen  muss  man  die  Uebergangsfalte  des  oberen  Lides,  wenn  man 
sie  nicht  ohne  weiteres  zu  Gesicht  bekommt,  mit  einer  Pincetto  hervor- 
ziehen oder  mittels  eines  Daviel'schen  Löffels  die  verdächtige  Partie 
durchsuchen.  Uebrigens  ist  zu  beachten,  das  öfters  Patienten  behaupten, 


Verletzungen  der  Conjunctiva.  45o 

etwas  im  Auge  zu  haben,  ohne  dass  ein  Fremdkörper  vorbanden  ist; 
ein  Katarrh  kann  die  gleiche  Empfindung  veranlassen. 

Nach  Eindringen  von  Raupenhaaren  in  das  Auge  sind  in  einzelnen 
Füllen  acute  ( 'onjunetiviten  und  Iritiden,  zum  Tkeil  mit  Knötchen- 
bildungen  beobachtet  worden  (Pagenstecher,  Wagenmann  u.  A.). 
Neuerdings  babe  ich  in  meiner  Klinik  einen  Fall  gesehen,  wo  sich 
trachomfollikelähnliche  Knötchen  in  der  Conjunctiva  zeigten,  die  um 
eingedrungene  Pflanzenhaare  (wahrscheinlich  von  Hagebutten)  sich  ge- 
bildet hatten.     Der  Fall  ist  von  Markus  genauer  beschrieben  worden. 

Bedenklicher  sind  Verätzungen  und  Verbrennungen,  welche 
die  Conjunctiva  durch  Säuren,  Kalk  oder  glühende  Massen  (etwa  Eisen) 
erleidet.  Hier  wird  oft  das  Gewebe  in  seiner  ganzen  Dicke  zerstört, 
und  es  tritt  die  porcellanfarbene  Sclera  zu  Tage.  Sind  die  Ver- 
brennungen nicht  zu  ausgedehnt,  so  erfolgt  unter  starker  Injection  und 
Abstossung  die  Heilung.  Gefährlich  sind  immer  diejenigen  Zerstörungen, 
bei  denen  gleichzeitig  die  Conj.  sclera  und  die  ihr  gegenüberliegende 
Conj.  palpebral.  getroffen  ist,  weil  sehr  leicht  ein  Zusammenwachsen 
des  Lides  und  Bulbus  erfolgt.  Je  ausgedehnter  der  Substanzverlust  ist, 
um  so  ernster  die  Prognose.  Ich  habe  bei  einem  Manne,  dem  flüssiges, 
glühendes  Eisen  in  beide  Augen  gespritzt  war,  so  dass  später  die  ge- 
härtete Masse  einen  Abdruck  der  Vorderfläche  des  Bulbus  bildete,  ein 
totales  Verwachsen  mit  Zusammenwachsen  der  Lidränder  eintreten 
sehen.  Für  das  Sehvermögen  deletär  werden  die  Hornhaut -Verbrenn- 
ungen. —  Man  wird  bei  frischen  Verbrennungen  die  etwa  noch  vor- 
handene Materia  peccans  unschädlich  zu  machen  suchen:  bei  Säuren 
mit  schwachen  Lösungen  von  Narr,  carbon.,  bei  Alkalien  am  einfachsten 
mit  Oel.  Bei  festen  oder  festgewordenen  Substanzen  ist  eine  genaue 
Durchsuchung  des  ganzen  Conjunctivalsackes  zur  Entfernung  derselben 
nöthig.  Kleinere  Stückchen,  die  tief  in  das  Gewebe  gedrungen  und 
unschädlich  sind,  wie  etwa  Pulverkörner  oder  kleine  Steinpartikel  (nicht 
selten  zu  beobachten  in  Folge  der  Explosion  von  Dynamitpatronen), 
kann  man  auch  sitzen  lassen.  Die  weitere  Behandlung  besteht  in 
kalten  Umschlägen  und  Antiphlogose.  Gegen  das  Entstehen  eines 
Symblepharon  sucht  man  mit  den  oben  empfohlenen  Hülfsmitteln  an- 
zukämpfen. 

Besonders  häufig  sind  die  Kalk- Verätzungen,  bei  denen  für  gewöhnlich' 
(z.  B.  beim  Kalkmörtel.  Kalkmilch;  nur  die  chemische  Wirkung,  nicht  die  Tempe- 
ratur-Erhöhung schädigend  wirkt.  Beim  Hineinkommen  von  Kalkhydrat  während 
des  Löschens  (Uebergiessen  des  Aetzkalkes,  Co,  mit  Wasser  j  spielt  allerdings  die 
Temperatur  eine  Eolle.  die  an  der  Oberfläche,  wo  das  Wasser  verdampft,  100  °  C. 
beträgt,  aber  in  der  Tiefe  und  dann,  wenn  sich  eine  Decke  über  dem  flüssigen 
Kalkhydrat  gebildet  hat.  sehr  viel  höhere  Hitzegrade  erreichen  kann.  —  Vor  Allem 
kommt  es  darauf  an.  dass  der  Kalk  schnell  aus  dem  Auge  entfernt  wird :  es  empfiehlt 


454  Erkrankungen  der  Conjunctiva. 

sieh  dazu  das  directe  Abwischen  von  der  Cornea  und  ektropionirten  Lidschleimhaut 
mit  in  Oel  getauchter  (schlimmstenfalls  trockener)  Watte  oder  Leinwand.  Bisweilen 
bedarf  es  der  Anwenduni;- von  Instrumenten  (Da viel' scher  Löffel,  Pincette).  Dann 
Durchspülung  des  Auges  mit  Oel  i Trovcnzeröl,  Siissmandelül)  mittelst  einer  Spritze. 
A  ndrea  e  hat  neuerdings  die  sofortige  Wasser-Durchspülung  der  Augen  mittels  [rri- 
gators  empfohlen.  Es  ist  zutreffend,  dass  bei  reichlichen  Wassermengen  wedereine 
Ausbreitung  der  Aetzung  durch  die  verdünnten  Massen  noch  eine  Temperatursteige- 
rung, die  beim  Löschen  überhaupt  erst  nach  circa  10  Minuten  eintritt,  zu  befürchten 
ist.  Aber  sitzenbleibende  Kalkpartikel  —  und  diese  sind  besonders  in  der  öfteren 
Uebergangsfalte  zu  erwarten  —  werden  hierbei  aufgeweicht  und  können  so  in 
Folge  allmählicher,  durch  die  Thränen  bedingten  weiteren  Verflüssigung  die  Aetzung 
über  bisher  verschonte  Partien  ausbreiten.  Einfaches  Auswaschen  der  Augen  mit 
Wasser  wird  diese  Gefahr  besonders  leicht  herbeiführen.  Ich  halte  daher  die  Anwen- 
dung des  Oels,  dass  die  Kalkpartikel  einhüllt  und  ihre  Aetzkraft  verringert,  für  besser. 

Schnittwunden  der  Conjunctiva  heilen  leicht  spontan,  grössere  kann 
man  zusammennähen. 


12.  Geschwülste   der   Conjunctiva. 

Pinguecula.  Sehr  häufig  findet  sich  besonders  bei  älteren  Leuten 
in  der  Nähe  des  äusseren  oder  inneren  Cornealrandes  auf  der  Conjunc- 
tiva eine  kleine  gelbliche  Hervorragung  von  etwa  Hirsekorngrösse.  Die- 
selbe besteht  trotz  ihrer  Bezeichnung  als  Pinguecula  nicht  aus  Fett, 
sondern  aus  einer  Verdickung  der  Bindehaut  mit  Einlagerung  zahlreicher 
Concremente  einer  gelblichen  hyalinen  Substanz  (Fuchs).  Wenn  grosse 
Conjunctivalgefässe  zu  ihr  verlaufen,  könnte  man  an  Conj.  phlyctaenu- 
losa denken,  doch  spricht  die  Farbe  und  glatte  Oberfläche  der  Pingue- 
cula gegen  diese  Annahme.  Die  Geschwulst  ist  durchaus  unschädlich: 
kaum  wird  man  in  die  Lage  kommen,  sie  aus  kosmetischen  Gründen 
entfernen  zu  sollen. 

Lipome  sitzen  besonders  zwischen  dem  R.  superior  und  extermis 
(v.  Graefe);  sie  bilden  weiche,  gelbliche  Massen  mit  unregelmässiger 
Oberfläche.  Sie  sind  stets  angeboren,  können  aber  später  wachsen. 
Wenn  sie  Störungen   machen,  müssen  sie  exstirpirt  werden. 

Dermoide  finden  sich  angeboren  am  Iiornhautrande  und  greifen 
oft  auf  die  Hornhaut  über,  in  deren  Gewebe  sie  sich  hinein  erstrecken. 
Polypen  der  Conjunctiva  entstehen  verhältnissmässig  am  häufigsten  in 
der  Uebergangsfalte;  es  sind  glatte,  gestielte,  von  Bindehaut  überzogene 
Geschwülste,  die  gelegentlich  exuleeriren.  Die  Papillome  haben  eine 
mehr  gelappte,  blumenkohlartige  Oberfläche.  Bisweilen  sitzen  sie  in 
grosser  Menge,  dicht  nebeneinander,  der  Tarsalbindehaut  des  oberen 
Lides  auf.  Auch  bei  chronischer  Blennorrhoe  entwickeln  sie  sich.  Auf 
der  PI.  semilunaris  und  Carunkel  werden  sowohl  Papillome  als  Polypen 


Geschwülste  der  Conjunctiva.  455 

beobachtet.  Beide  Formen  von  Wucherungen  können  Anlass  zu  sich 
wiederholenden  Conjunctivalblutungen  geben.  Bei  der  Exstirpation 
derselben  tritt  eine  etwas  stärkere  Blutung  auf,  die  jedoch  durch  Be- 
tupfen mit  Höllenstein  und  Druckverband  leicht  steht.  Einmal  habe 
ich  jedoch  trotz  aller  Bemühungen  ein  3/4  Jahre  altes  Kind  an  recidi- 
virenden  Blutungen  aus  einer  wunden  Stelle  der  Tarsalconjunctiva, 
die  bereits  von  einem  Arzte  vorher  geätzt  war  (wahrscheinlich  handelte 
es  sich  auch  um  eine  polypöse  Wucherung),  schliesslich  zu  Grunde 
geben  sehen. 

Die  Cysten  der  Conjunctiva  zeigen  sich  als  kugel- oder  eiförmige, 
fast  durchsichtige  Hervorragungen  meist  in  der  Conjunctiva  bulbi.  Aucb 
auf  dem  Kopfe  eines  Pterygiums  sah  ich  eine  wenig  erhabene,  aber 
5  bez.  2  mm  in  der  Länge  und  Breite  messende  Cyste,  ebenso  in  der 
inneren  Uebergangsfalte  eine  bohnengrosse.  Sie  sind,  abgesehen  von 
den  Blasen  in  Pterygien,  angeboren  oder  Folge  von  Trauma  (Zander 
und  Geissler,  Uhthoff).  Eine  partielle  Entfernung  der  Cysten- 
wand  (eventuell  mit  nachfolgender  Injection  von  Lapislösung)  genügt 
meist  zur  Heilung. 

Aehnliches  Aussehen  bieten  die  subconjunctivalen  Cysticerken; 
doch  ist  die  Blase  der  letzteren  trüber,  weniger  durchsichtig,  zuweilen 
ist  noch  ein  umschriebener  weisser  Fleck  (Halstheil  des  Cysticercus)  in 
ihr  erkennbar.  Der  Cysticercus  bewirkt  in  der  Begel  einen  gewissen 
Reizzustand  in  der  darüber  liegenden  Conjunctiva  (A.  v.  Graefe). 

Sarkome  der  Conjunctiva  treten  als  kleine,  anfangs  Stecknadelkopf- 
grosse  Geschwülste  vorzugsweise  häufig  am  Corneallimbus  oder  dicht 
neben  demselben  auf.  Sie  sind  weisslich-grau  oder  braunschwarz.  Die 
hellen  Sarkome  sind,  wie  es  scheint,  weniger  gefährlich;  die  Exstirpation 
kann  dauernde  Heilung  bringen.  Einmal  beobachtete  ich,  dass  nach  Exstir- 
pation eines  hirsekorngrossen,  weissen  Sarkoms  nach  Jahren  ein  kleines 
Melanosarkom  in  einiger  Entfernung  von  dem  ursprünglichen  Sitze  ent- 
stand. Die  Melanosarkome  haben,  sobald  sie  in  das  Stadium  der  Ver- 
größerung und  Wucherung  getreten  sind,  wobei  sie  den  Cornealrand 
pilzkopfförmig  überdecken,  grössere  Neigung  zu  Rückfällen.  Sie  können 
alsdann  ausgedehnte,  lappige  und  leicht  blutende  Geschwülste  bilden. 
Auffallend  ist,  dass  man  gleichzeitig  mit  ausgeprägten  Melanosarkomen 
gelegentlich  kleine  braune  Fleckchen  in  der  Conj.  bulbi  und  palpebralis 
(auch  in  der  Lidhaut )  beobachten  kann,  die  mikroskopisch  Einlagerungen 
von  Pigmentzellen  in  normalem  Bindegewebe  zeigen,  ohne  erhebliche 
Zellenwucherung.  Selbst  nach  Entfernung  der  Geschwulst  gehen  die 
Patienten  öfters  durch  Metastasen  (Gehirn,  Leber,  Haut  u.  s.  w.)  zu 
Grunde.  Um  die  Geschwulst  total  zu  entfernen,  muss  man  sich  öfter 
zur  Exstirpation  des  noch  sehkräftigen  Auges  entschliessen.  — 


456  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

Auch  nicht  hervorragende  schwarzbraune  Flecke  (Melanome) 
kommen  in  der  Conjunctiva  vor,  zuweilen  in  Folge  von  Verletzungen; 
so  beobachtete  man  sie  nicht  selten  nach  den  Blutergüssen,  die  bei  den 
jetzt  häutig  angewandten  subconjunctivalen  Injectionen  entstehen.  Die- 
selben bleiben  in  der  Regel  dauernd  ohne  Veränderung  bestehen;  äusserst 
selten  entwickeln  sich  auf  ihnen  Geschwülste.  —  Weiter  wären  noch 
Lepraknoten,  Angiome,  Epitheliome  und  Carcinome  zu  er- 
wähnen. Auch  sah  ich  in  einem  Falle  multiple  umschriebene,  erbsen- 
bis  bohnengrosse  Geschwülste  unter  der  Conj.  tarsalis  und  in  der  Ueber- 
gangsfalte  auftreten,  die  nach  der  Exsth-pation  an  anderen  Stellen 
reeidivirten  und  anfänglich  fibromatöse  Structur  zeigten,  später  aber  als 
Lymphombildungen  sich  erwiesen  (Axenfeld).  Von  Leber  sind 
neben  Retinitis  haemorrhagica  derartige  Wucherungen  in  Lid  und  Orbita 
in  einem  Falle  von  Leukämie  beobachtet  worden. 

Auch  hei  dunkelpigmentirten  Xaevi  der  Lidhaut  und  Lidränder  findet  man  oft 
gleichzeitig-  schwärzlich-braune  Flecke  in  der  Conjunctiva.  Oefters  habe  ich  ganz 
schwarze  Xaevi  auf  der  Plica  semilunaris  und  Carunkel  gesehen.  Die  ersterejwar  ein- 
mal vollständig  in  einen  weichen,  langgestreckten,  wurstartigen  Naevus  umgewandelt. 
Ebenso  fand  ich  einmal  die  ganze  Carunkel  in  eine  erbsengrosse  Geschwulst  um- 
gewandelt, die  von  Kindheit  bestanden,  aber  etwas  gewachsen  sein  sollte.  Die 
Geschwulst  hatte  eine  fibromatöse  Structur,  lag  unter  der  Conjunctiva  in  einer 
Kapsel,  welche  sich  lappenartig  nach  hinten  in  das  Orbitalgewebe  erstreckte. 


Viertes  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Hornhaut. 


Anatomie. 


Die  Hornhaut  ist  in  ihrer  Krümmung  als  Abschnitt  eines  Rotations- 
ellipsoids aufzufassen,  das  durch  Drehung  einer  Ellipse  um  ihre  Längs- 
.irlise  entsteht.  Von  der  vorderen  Kammer  aus  gesehen,  zeigt  sie  ana- 
tomisch eine  vollkommen  kreisförmige  Peripherie,  während  sie  von  vorn 
eher  einer  horizontal  gestellten  Ellipse  ähnelt,  deren  transversaler  Durch- 


Anatomie  der  Hornhaut.  457 

messer  ca.  11-0  mm,  deren  verticaler  ca.  10-5  mm  beträgt,  indem  die 
Sclera  sieh  vorn  über  die  durch  sichtige  Hornhautperipherie  etwas,  und 
/war  oben  und  unten  mehr,  hinüberschiebt.  Diese  Stelle  bildet  den 
Limbus  corneae  oder  sclerae,  der  im  horizontalen  Durchmesser  auf  jeder 
Seite  etwa  0-5  mm  breit  ist.  Das  Waehsthum  der  Hornhaut  ist  etwa 
im  6.  Lebensjahre  abgeschlossen;  jenseits  der  ersten  Lebenshälfte  wird 
sie  sogar  öfters  kleiner  (Priestley  Smith).  Man  unterscheidet  an  der 
Hornhaut  von  vorn  nach  hinten  im  Querschnitt  fünf  Schichten:  1)  Das 
Cornealepithel,  ein  mehrschichtiges  Plattenepithel,  2)  die  Bowman'sche 
(Reichert'sche)  oder  vordere  Basalmembran.  Sie  bildet  eine  dünne 
Schicht  stark  lichtbrechenden,  homogenen  Gewebes.  3)  Die  Haupt- 
gewebsmasse,  Substantia  propria.  Dieselbe  besteht  aus  einer  ziemlich 
dichten  Masse,  die  sich  aus  Bündeln  von  Fibrillen,  welche  wiederum 
zu  übereinander  geschichteten  Lamellen  vereinigt  sind,  und  einer  zwischen 
den  Fibrillen  liegenden  Kittsubstanz  susammensetzt.  In  der  interhbrillären 
Kittmasse  findet  sich  ein  Lückensystem,  welches  knochenkörperähnliche 
Figuration  zeigt:  die  vonRecklinghausen'schen  Saftcanäle.  In  diesen 
Hohlräumen  und  dem  in  ihnen  befindlichen  Gewebssaft  finden  sich  die 
fixen  Hornhautzellen,  welche  aus  einem  Protoplasma  und  Kern  bestehen 
und  die  Hohlräume  nicht  vollständig  ausfüllen.  Weiter  kommen  Wander- 
zellen darin  vor.  an  Form  den  weissen  Blutkörperchen  entsprechend. 
4)  Die  hintere  Begrenzung  bildet  die  elastische  Membrana  Desce- 
metii.  Sie  ist  glashell,  sehr  widerstandsfähig  und  findet  sich  oft  noch 
in  eingerolltem  Zustande  bei  starken  Hornhautzerstörungen  erhalten. 
Bei  älteren  Personen  zeigt  sie  kugelige  Auswüchse.  5)  Ihr  sitzt  nach 
der  vorderen  Kammer  zu  ein  Lager  platter  Endothelzellen  auf. —  Die 
Nerven  treten  am  Hornhautrande  theils  von  der  Sclera,  theils  von  der 
L'onjunctiva  her  in  die  Substantia  propria  und  verästeln  sich  als  feinste 
Aehsenfibrillen.  Hierbei  bilden  sie  oft  Netze,  die  auch  unter  und  zwischen 
dem  Epithel  sich  finden.  Dass  die  Nervenfäden  mit  frei  flottirenden 
Enden  über  das  Niveau  des  vorderen  Epithels  hinausragten,  oder  mit 
regulären  Endknöpfen  (Cohnheim)  versehen  seien,  hat  Waldeyer  nie 
beobachtet.  —  Gefässe  sind  unter  normalen  Verhältnissen  in  der  eigent- 
lichen Cornea  nicht  vorhanden.  Nur  an  ihrer  Grenze  findet  sich  unter 
dem  Epithel  ein  aus  den  Art.  ciliares  anteriores  stammendes  episklerales 
Pumdschlingennetz.     Leber   die   pericorneale   Injection   siehe  Seite  401. 


1.  Keratitis. 

Die   Keratitis  kommt  in   sehr  verschiedenartigen  Formen  vor,  die 
nicht   alle   scharf  begrenzte  Krankheitsbilder  zeigen.     Der  Hauptsache 


458  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

nach  können  wir  die  pathologischen  Veränderungen  unterscheiden  nach 
folgenden  Typen : 

I.  Umschriebene  nicht-eitrige  Hornhautinfiltrate.  Es  sind  acut 
auftretende,  weissliche  oder  grau-gelbliche  Flecke,  die  einzeln  oder 
multipel  vorkommen,  peripher  und  central.  Hie  können  bei  oberfläch- 
lichem Sitze  exulceriren,  heilen  jedoch,  ohne  intensivere  Trübungen 
zurückzulassen. 

II.    Bläschenbildungen. 

III.  Eitrige  Hornhauterkrankungen,  umschrieben  oder  diffus  auf- 
tretend. Hier  ist  eine  ausgesprochene  gelbe  Eiterfärbung  in  den  ge- 
trübten Flecken  und  Partien  vorhanden.  Die  Erkrankung  geht  tief  in 
das  Hornhautgewebe,  zerstört  es  und  lässt  meist  dickere  Trübungen 
zurück.  Wenn  sich  die  Oberfläche  abstösst,  so  giebt  es  tiefgreifende 
Geschwüre.  Sehr  häufig  kommt  es  zur  Perforation,  so  dass  Kammer- 
wasser abfliesst.  Eiteransammlung  im  Humor  aqueus  (Hypopyon)  ist 
nicht  selten;  ebenso  treten  Complicationen  mit  Litis  häufiger  auf. 

IV.  Diffuse  Hornhautinfiltrationen.  Sie  können  oberflächlich  sitzen 
oder  sich  durch  die  ganze  Dicke  der  Cornea  erstrecken. 

V.  Geschwüre.  Kleine  oberflächliche  Geschwüre  ohne  ausge- 
prägtere Infiltration  oder  tiefgehende,  mit  meist  getrübtem  Grunde 
oder  Eande. 

( >bige  Erkrankungen  lassen,  falls  sich  das  afficirte  Gewebe  nicht 
vollkommen  wieder  aufhellt,  „Hornhautflecke"  oder  „Hornhauttrübungen'' 
zurück.  Diese  können  so  durchsichtig  sein,  dass  es  einer  sehr  geschickten 
Anwendung  der  schiefen  Beleuchtung  bedarf,  um  sie  wahrzunehmen, 
oder  sie  treten  als  graulich-durchscheinende  Partien  oder  als  intensiv 
weisse  Narben  auf.  Nach  schweren  Erkrankungen  kommt  es  auch  zu 
Krümmungsveränderungen,  so  zu  starken  Hervorraguiigen(Staphylomen ) 
oder  selbst  schlimmsten  Falles  zum  Schwunde  der  Cornea  (Phthisis 
corneae),  von  der  dann  nur  noch  ein  kleines  Plättchen  übrig  bleibt. 

I.  Umschriebene  nicht- eitrige  Hornhautinfiltrate. 
Kinfachcs  Hornhautinfiltrat. 

Die  Trübungen  sind  graulich  oder  grauweiss,  meist  etwa  stecknadel- 
kopfgross oder  noch  kleiner.  Das  Centrum  zeigt  eine  mehr  gesättigte 
Färbung  und  oft  eine  kleine  Hervorwölbung.  Diese  Veränderungen  be- 
ruhen auf  einer  vermehrten  und  umschriebenen  Zellenanhäufung  unter- 
halt» Ar^   Kpithels  im   Mornhautparenchym. 

Häufig  treten  bei  Kindern  und  jugendlichen  Individuen  die  Trü- 
bungen multipel  auf  und  zeigen  stärkere  Blähung,  so  dass  sie  stecknadel- 
spitzartig  hervorragen.    .Man  pflegt  alsdann  die  Atfection  - —  entsprechend 


Keratitis.  40«) 

dem  ähnlichen  Proeess  der  ( 'onjunetiva,  mit  dem  sie  übrigens  meist 
combinirt  ist —  als  Keratitis  eezematosa  s.  phlyctaenulosa  (scro- 
phnlosa  s.  lymphatica)  zu  bezeichnen.  Stellwag  nennt  diese  Form 
Herpes  corneae,  doch  ist  es  üblicher,  letzteren  Namen  für  die  später 
zu  beschreibende  ausgeprägte   Bläschenbildung  zu  bewahren. 

Neben  der  ITornhautaffection  besteht  meist  pericorneale  Injection, 
nur  bei  einzelnen  Infiltraten  und  in  selteneren  Fällen  kann  sie  fehlen. 
Dabei  ist  Thränenträufeln  und  häutig  sehr  ausgeprägte  Lichtscheu  vor- 
handen, die  bei  Kindern  zu  Blepharospasmus  Veranlassung  geben  kann. 
Es  hängt  dies  wahrscheinlich  mit  einer  Reizung  der  Cornealnerven  zu- 
sammen, längs  derenjVerlauf,  besonders  unter  dem  Epithel,  sich  Zellen- 
anhäufungen finden  (Iwanoff).  Heftige  Schmerzen  sind  nicht  häufig. 
Wenn  die  oberflächlichen  Schichten  sich  abstossen  (exuleerirtes  Horn- 
hautinfiltrat),  giebt  es  kleine  Geschwüre,  die  aber  keine  besondere 
Tendenz  zur  Weiterverbreitung  haben.  Die  Heilung  erfolgt  meist,  in- 
dem zu  den  Infiltraten  neugebildete  Gefässe  verlaufen,  die  öfters  aus 
einem  die  Hornhautränder  übersetzenden  rothen  Gefässnetz  hervorgehen. 
Dabei  lassen  die  Reizerscheinungen  nach.  Das  Infiltrat  selbst  verliert 
seine  intensive  Färbung  und  scharfe  Abgrenzung  gegen  die  durchsichtige 
T  mgebung  und  wird  mehr  graulich.  Schliesslich  heilt  es,  ohne  dauernde 
Spuren  zurückzulassen.  Während  bei  Erwachsenen  mehr  vereinzelt 
stehende,  umschriebene  Hornhautinfiltrate  vorkommen,  treten  sie  bei 
Kindern  häufig  multipel  auf,  sind  hartnäckiger  und  haben  mehr*  Neigung 
zu  Rückfällen.  Hier  geschieht  es  denn  auch  bei  längerem  Bestände, 
dass  eine  oberflächliche  lichtgraue  Trübung  der  Hornhaut  (Pannus 
phlyetaenulosus )  in  grösserer  Ausdehnung,  in  der  verästelte,  vom  Rande 
herkommende,  oberflächliche  Gefässe  verlaufen,  zu  Stande  kommt.  Aber 
selbst  in  diesen  Fällen  kann  noch  vollständige  Klärung  eintreten.  Als 
Complication  gesellt  sich  zu  der  oberflächlichen  Hornhautinfiltration 
gern  eine  stärkere  Conjunctivitis,  besonders  mit  Schwellung  der  Ueber- 
gangsfalte. 

Differentielle  Diagnose.  Das  oberflächliche  Hornhautinfiltrat 
unterscheidet  sich  a)  von  einer  alten  Hornhauttrübung  1)  durch  die  peri- 
corneale Injection  und  den  Reizzustand,  2)  durch  die  Farbe.  Es  ist 
mehr  graulich-gelb  und  sitzt  fast  wie  ein  Fremdkörper  in  dem  Hornhaut- 
gewebe, wogegen  der  Hornhautfleck  meist  mehr  diffus  in  die  Umgebung 
übergeht  oder,  wenn  er  scharf  umschrieben  ist,  eine  mehr  weissliche 
Farbe  zeigt:  b)  von  dem  eitrigen  Hornhautinfiltrate  vor  Allem  durch  die 
Farbe;  das  Eiterinfiltrat  ist  ausgeprägt  gelb.  Weiter  ist  das  einfache 
Infiltrat  durchschnittlich  kleiner  und  hat  weniger   destruetive  Tendenz. 

Für  die  multiplen  Infiltrate  der  Kinder  ist  häufig  Scrophulose  als 
ursächliches  Moment  zu  betrachten;  doch  kommen  sie  auch  gelegentlich 


4(;o  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

bei  sonst  gesunden  Kindern  vor.     Die  mein-  einzeln  auftretenden  Infil- 
trate der  Erwachsenen  sind  bisweilen  auf  Verletzungen  zurückzuführen, 

oft  fehlt   jeder  ätiologische  Anhalt. 

1  >ie  Therapie  muss  verschieden  sein,  je  nachdem  es  sieh  um 
phlyktänuläre  Keratitis  oder  um  vereinzelte  Infiltrate  handelt.  Bei  der 
Keratitis  phlyctaenulosa  ist  neben  dem  Atropin,  das  dauernde  Mydriasis 
unterhalten  soll,  meist  der  Gebrauch  der  gelben  Präcipitatsalbe  von 
überraschender  Wirkung;  dieselbe  wird  hanfkorngross  eingestrichen,  bei 
geschlossenen  Lidern  verrieben  und  nach  etwa  5  Minuten  wieder  aus- 
gewaschen. Selbst  bei  stärkerem  Reizzustande  und  ausgeprägter  peri- 
cornealer  Injection  ist  sie  zu  versuchen.  In  der  Regel  wird  sie  sehr  gut 
vertragen.  Sollte  sich  hingegen  die  Injection  vermehren  oder  gewinnen 
etwa  die  Infiltrate  ein  gelbliches,  eitriges  Ansehen,  so  muss  zur  Zeit 
von  ihrer  Anwendung  abgesehen  werden.  Man  möge  dann  erst  den 
Reizzustand  bekämpfen,  wozu  laue  Kamillenthee-oder  Borsäureumschläge, 
3mal  täglich  74  Stunde,  dienen.  Ist  jedoch  eine  ausgeprägtere  Conjunc- 
tivitis vorhanden,  so  sind  kühle  Wasserumschläge  zu  machen;  bei  Schwel- 
lung der  Uebergangsfalte  ist  dieselbe  mit  einer  Lösung  von  Plumb.  acet. 
perf.  neutralis.  oder  Tannin  direct  zu  touchiren;  bei  sehr  starker  Schwel- 
lung und  eitriger  Conjunctivalabsonderung  selbst  mit  1  procentiger  Höllen- 
steinlösung, —  immer  mit  sofortigem  Neutralisiren  oder  Ausspülen  (vgl. 
S.  16).  Um  die  Lichtscheu  und  den  Blepharospasmus  zu  heben,  nützt 
öfters  die  Einträufelung  von  Cocain,  sonst  kommt  das  bei  Besprechung 
der  Conjunctiv.  eczematosa  Hervorgehobene  in  Betracht. 

Sollte  die  Haut  der  Lider  oder  Wange  Ekzeme  zeigen,  so  werden 
die  etwa  nöthigen  kalten  Umschläge  nicht  gut  vertragen;  man  suche 
dann  erst  das  Ekzem  durch  Bestreichen  mit  Theervaselinsalbe,  Höllen- 
steinlösung oder  Einwicklungen  mit  Hebra'scher  Salbe  zu  heilen,  oder 
mache,  wenn  man  die  Anwendung  der  Kälte  für  durchaus  nöthig  hält, 
dieselbe  so,  dass  man  auf  die  Lidhaut  erst  ein  Oelläppchen  legt  und 
darauf  die  kalten  Compressen.  Bei  vorhandener  Scrophulose  wird  die- 
selbe durch  entsprechende  innere  Medication  und  Bäder  zu  bekämpfen 
sein.  Nur  bei  constitutioneller  Besserang  ist  mit  einiger  Sicherheit  auf 
das  Ausbleiben  der  lästigen  Recidive  zu  rechnen.  Als  örtliches  Mittel, 
um  letztere  hintenan  zu  halten,  empfiehlt  es  sich,  nach  Schwinden  der 
Infiltrate  und  Hebung  der  Entzündung  noch  Wochen  bis  Monate  lang 
gelbe  Salbe  oder  Calomel  von  Zeit  zu  Zeit  anzuwenden. 

Die  umschriebenen  Infiltrate  der  Erwachsenen  vertragen  in  der 
Regel  nicht  die  gelbe  Präcipitatsalbe.  Hier  ist  vorzugsweise  Atropin 
und,  falls  die  Conjunetiva  nicht  erkrankt  ist,  die  Anwendung  lauer  Um- 
schläge zu  empfehlen.  Später  kann  mit  Nutzen  Calomel  angewandt 
werden;    vor  Allem  aber  sehe  man  streng  darauf,   dass  nicht  vor  voll- 


Keratitis  subepithelialis  centralis.  461 

ständiger  Heilung  durch  Wiederbeginn  der  Arbeit  oder  in  anderer  Weise 
neue  Schädlichkeiten  einwirken.  Die  Affection  zieht  sich  mit  immer 
wieder  auftretenden  Verschlechterungen  oft  deswegen  sehr  in  die  Länge, 

weil  sie  nie  ganz  geheilt  war, 

Keratitis  subepithelialis  centralis  (Adler).  K.  punctata  super- 
ficialis (Fuchs).     Keratitis  maculosa  (v.  Reuss). 

Unter  obigen  Namen  ist  eine  in  den  letzten  Jahren  in  Wien  besonders  häufig 
beobachtete  Hornhautaffection  beschrieben  worden,  bei  der  nach  einem  vorange- 
gangenen Schwellungskatarrh  und  Ciliarinjection  in  den  oberflächlichen  Schichten 
zahlreiche  punktförmige  Infiltrate,  meist  im  Gebiete  der  Pupille  sitzend,  entstehen. 
Die  zwischenliegenden  Hornhautschichten  und  das  Epithel  bleiben  gewöhnlich  un- 
getrübt. Die  kleinen  Infiltrate  fliessen  später  zu  Fleckchen  zusammen,  dann  lichtet 
sich  die  Hornhaut  wieder:  jedoch  vergehen  darüber  Monate.  Iritis  fehlt.  Fuchs 
nimmt  eine  katarrhalische  Affection  als  Ursache  an,  da  er  das  Leiden  häufig  mit 
Schnupfen  und  Husten  beginnen  sah.  Doch  fehlen  auch  häufig  Allgemeinerkran- 
kungen    Adler).     Therapie:  Atropin  und  kühle  Umschläge. 

Keratitis  punctata. 

Die  Keratitis  punctata  zeigt  punktförmige,  weisse  Infiltrationen  in  den  hin- 
tersten Schichten  der  Cornea.  Man  hat  den  Namen  mit  Unrecht  auch  für  die 
eigentliche  Descemetitis  angewandt,  bei  welcher  ähnlich  aussehende  Pünktchen 
der  Hinterfläche  der  Hornhaut  aufliegen.  Bei  der  Keratitis  punctata  hingegen 
sitzt  die  Infiltration  im  Hornhautgewebe  selbst.  Es  geht  letzterer  in  der  Regel 
eine  Descemetitis.  die  von  einer  Iritis  herrührt,  vorauf;  von  dieser  aus  kommt  es 
dann  zu  den  punktförmigen,  weissen  Infiltraten  in  der  Hornhaut.  Sie  bleiben 
noch  bestehen,  wenn  die  Exsudate  auf  der  M.  Descemetii  bereits  verschwunden 
sind,  pflegen  allmählich  aber  auch  resorbirt  zu  werden. 

Büschelförmige   Keratitis  (K.  fasciculosa). 

Vom  Hornhautrande  her,  bei  gleichzeitig  bestehender  Conj.  eeze- 
matosa  häufig  von  einem  randständig  sitzenden  Lifiltrat  entspringend, 
erstreckt  sich  ein  etwa  2  mm  breites  Bündel  parallel  verlaufender  Ge- 
lasse gegen  das  Hornhautcentrum  zu,  welches  vor  sich  ein  Infiltrat  in 
halbmondförmiger  Gestalt  schiebt.  Bisweilen  theilt  es  sich  auch  in  zwei 
Büschel  mit  je  einer  Infiltration.  Die  Gefässe  selbst  liegen  auf  einer 
infiltrirten  Unterlage  und  bilden  gleichsam  ein  rothes  Band  (scrophulöses 
Gefässband).  Das  Infiltrat  an  der  Spitze  hat  eine  graue  Färbung  und 
ist  gelegentlich  leicht  exuleerirt.  Zuweilen  kommen  mehrere  solcher 
Gelassbänder  von  verschiedenen  Seiten.  Daneben  besteht  pericorneale 
Injection,  Thränen,  Lichtscheu.  Beginnt  die  Heilung,  so  werden  die 
Gefässe  blasser  und  verschwinden,  doch  zeigt  noch  längere  Zeit  ein 
leicht  graulicher  Streifen  in  der  Cornea   ihren  früheren  Sitz.     Das  In- 


li'cj  Erkrankungen  der  Bornhaut. 

tiltrat  lässt  eine  weisse,  oft  halbmondförmige  Trübung'  zurück,  die  natür- 
lich l»ei  centralem  Sitz  das  Sehen  schädigt. 

Es  handelt  sieh  meist  um  scrophulöse  Kinder,  die  in  der  Regel  auch 
an  phlyktänulärer  Conjunctivitis  und  Keratitis  gelitten  haben. 

Die  Therapie  ist  darauf  zu  richten,  das  Vorschieben  des  Infiltrats 
nach  dem  ('entrinn  zu  verhüten.  Oft  genügt  das  Einstreichen  von 
gelber  Präcipitatsalbe,  wie  bei  der  phlyktänulären  Keratitis.  In  anderen 
Fällen  muss  man  die  Gefässe  über  dem  Sclerallimbus  mit  einem  Messer- 
chen, einer  Scheere  oder  dem  Galvanocauter  ausgiebig  durchschneiden 
und  nüthigenfalls  diese  kleine  Operation  ein  paar  Mal  wiederholen. 
Auch  das  Betupfen  des  Infiltrats  mit  dem  Höllensteinstift  ist  bisweilen 
empfehlenswerth.  Im  Uebrigen  wird  die  Behandlung  nach  denselben 
Principien  zu  leiten  sein,  wie  die  der  Kerat.  eczematosa,  besonders  ist 
zur  Vermeidung  von  Recidiven  die  Anwendung  von  gelber  Salbe  oder 
Calomel  noch  länger  fortzusetzen. 


II.  Bläschenbildung  auf  der  Hornhaut. 
Herpes  corneae  (Keratitis  vesiculosa). 

Es  zeigen  sich  auf  der  Hornhautoberfläehe  kleinere  Bläschen,  theils 
rund,  theils  birn-  oder  strichfürmig,  die  mit  hellem,  klarem  Serum  ge- 
füllt sind.  Mikroskopisch  finden  sich  in  dem  Inhalt  grosse,  stark  glän- 
zende und  durchsichtige,  kugelige,  ei-  und  spindelförmige  Gerinnungs- 
figuren und  nur  ausserordentlich  spärliche  Zellen  und  Kerne.  Die  Epithel- 
iale bildet  den  Ueberzug.  Die  Grösse  des  einzelnen  Bläschens  kann 
die  eines  kleinen  Stecknadelkopfes,  zuweilen  die  eines  Hirsekorns  er- 
reichen, meist  stehen  sie  gruppenweise  zusammen.  Ihre  Zahl  ist  ver- 
schieden; in  einem  Falle  zählte  ich  15  Bläschen,  bisweilen  sieht  man 
nur  eins  oder  zwei.  Dem  Auftreten  derselben  geht  in  der  Regel  eme 
mehr  oder  weniger  grosse  Unbequemlichkeit  im  Auge  voraus,  die  sieh 
in  Brennen,  Stechen,  selbst  in  intensiverer  Schmerzhaftigkeit  äussert. 
Bisweilen  alter,  auch  entstehen  sie  dem  Kranken  unbemerkt.  Nach 
einigen  Stunden  oder  am  nächsten  Tage  sind  sie  geplatzt,  und  man 
sieht  dann  nur  noch  den  Epitheldefect,  öfters  mit  anhaftendem  Epithel- 
häutchen.  In  einzelnen  Fällen  hingen  sogar  lange  weissliche  Fädehen  herab 
(Fädchen-Keratitis.  Leber,  Uhthoff).  Dieselben  entstehen  aus 
dem  losgelösten  Epithel,  das  sich  durch  die  Lidbewegung  fadenförmig 
zusammenrollt;  dazu  kommen  noch  Schleimpartikel  der  Conjunctiva 
( (  '.  Hess).  Die  Iris  ist  meist  normal,  seltener  verfärbt  und  schlecht 
auf  Atroph:  reagirend.  Die  Tension  ist  etwa  in  75  Procent  der  Fälle 
verringert. 


Bläschenbildung  auf  der  Hornhaut.  463 

Man  kann  drei  Formen  von  Herpes  corneae  unterscheiden:  1)  den 
inflammatorischen  oder  febrilen,  von  Homer  zuerst  als  „ka- 
tarrhalischer" beschrieben.  Hier  ist  die  Hornhaut  meist  vollkommen 
intact  vor  der  Bläscheneruption,  die  sich  unter  stärkerer  pericornealer 
Gefässinjection  und  mit  Schmerzen  einstellt.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle 
besteht  eine  Entzündung  des  Respirationstractus  (Pneumonie,  katarrha- 
lischer Husten,  Schnupfen  u.  s.  w.)  oder  anderer  Schleimhäute;  mau 
rindet  alsdann  oft  gleichzeitig  einen  Herpes  labialis  oder  nasalis.  Jedoch 
sind  nicht  immer  derartige  Allgemeinerkrankungen  vorhanden.  Recidive 
sind  selten.  Die  Regeneration  des  Epithels  geht  in  der  Kegel  nur 
langsam  vor  sich,  indem  die  Hornhaut  sich  gleichzeitig  etwas  trübt. 
Es  kann  selbst  zu  einer  eitrigen  Hornhautinfiltration  und  Hypopyon 
kommen. 

2)  Herpes  neuralgicus.  Meist  ist  die  Cornea  schon  in  einem 
gewissen  Reizzustand,  sei  es,  dass  Pannus,  Phlyktänen,  Ulcera  u.  s.  w. 
bestehen,  sei  es,  dass  Verletzungen  oder  Operationen  (z.  B.  beobachtet 
man  die  Bläschenbildung  gelegentlich  nach  Kataraktoperationen)  statt- 
gefunden haben;  doch  kann  die  Affection  auch  eine  sonst  gesunde  Horn- 
haut befallen. 

Oefters  bestehen  Trigeminusneuralgien.  Ihren  eigenthümlichen  Cha- 
rakter zeigt  diese  Form  besonders  durch  den  Mangel  erheblicherer 
Entzündungserscheinungen  und  die  schnelle  Heilung  der  einzelnen  Erup- 
tionen, aber  grosse  Neigung  zu  typischen  Recidiven,  die  bisweilen  mit 
intermittirenden  Neuralgien  in  Trigeruinus ästen  zusammenfallen.  Treten 
die  Recidive  sehr  zahlreich  auf,  so  bleiben  leicht  Trübungen  der  Horn- 
haut zurück. 

3)  Herpes  zoster  der  Lid-  und  Stirnhaut  kann  ebenfalls  mit 
Bläschenbildungen  auf  der  Cornea  einhergehen;  letztere  haben  in  ihrem 
Verlaufe  den  Charakter  des  inflammatorischen  Herpes.  Aber  nicht  alle 
Hornhautaffectionen,  die  den  Zoster  begleiten,  treten  als  Bläschen- 
eruption auf,  und  so  darf  der  sogenannte  Zoster  ophthalmicus  nicht 
ohne  Weiteres  dem  Herpes  corneae  gleichgesetzt  werden. 

Nicht  nur  bei  dem  y.o.x  ls()'/Jlv  a^s  neuralgisch  bezeichneten  Herpes 
corneae  ist  die  Ursache  in  einer  Affection  der  Nerven  zu  suchen,  son- 
dern auch  bei  den  anderen  Formen.  Hierfür  spricht  das  oft  gleich- 
zeitige Bestehen  von  Herpes  labialis,  sowie  das  häufige  Zusammenfallen 
mit  Zoster. 

Diagnostisch  ist  der  Herpes  von  der  Keratitis  phlyctaenulosa  zu 
trennen,  bei  welcher  letzteren  auch  bisweilen  kleine  bläschenähnliche 
Hervorragungen,  aber  mit  trübem  Inhalt  auftreten. 

Die  Therapie  kann  bezüglich  der  Bläschenbildung  bei  Herpes 
neurakneus  passiv  bleiben;  wenn  Beschwerden  vorhanden  sind,  träufle 


4(j4  Krkninkun^'cn  der  Hornhaut. 

man  Cocain  ein  und  bringe  durch  Anstechen  oder  Einpudern  von  grobem 
Oalonielpulver  die  Bläschen  zum  Platzen.  Bedenklicher  ist  aber  die 
Sache,  -wenn  sich  fortgesetzt  Recidive  einstellen.  Bisweilen  nützt  auch 
hier  Calomeleinpudern,  sonst  sind  eonstanter  Strom,  Druckverband, 
Abschneiden  der  betreffenden  Hornhautpartien  (Hasner)  oder  Cauteri- 
siren  neben  den  üblichen  Nervenmitteln  zu  versuchen;  in  seltenen  Fällen 
bleibt  alles  erfolglos. 

Den  inflammatorischen  Herpes  behandelt  man  mit  Atropin  und 
feuchtwarmem  Druckverband;  bei  heftigeren  Schmerzen  mit  Cocain  und 
Narcoticis. 

Keratitis  bullosa. 

Auf  Hornhäuten  mit  parenchymatösen  Trübungen,  so  nach  Ver- 
brennungen, ferner  an  degenerirten  Augäpfeln  —  z.  B.  bei  abgelaufenem 
Glaukom  oder  nach  chronischer  lrid'ochorioiditis  —  entstehen  in  ein- 
zelnen Fällen  grosse,  schwappende  Blasen  mit  einem  leicht  trüben,  selbst 
blutigen  Inhalt.  Entzündliche  Erscheinungen  und  Schmerzen  sind  öfters 
vorhanden,  können  aber  auch  ganz  fehlen.  Die  Blasen  platzen  nach 
einigen  Tagen,  oder  bleiben  auch  längere  Zeit  bestehen.  Nach  dem 
Platzen  tritt  meist  Heilung  ein. 

Das  abgehobene  Hornhautblatt  zeigte  neben  Epithel  und  Bowman- 
scher  Membran  in  einem  von  v.  Graefe  untersuchten  Falle  auch  Horn- 
hautgewebe, in  anderen  Fällen  nur  Epithel  (Schweigger,  Saemisch). 
Etwa  vorhandene  Schmerzhaftigkeit  sucht  man  durch  Abtragen  der 
vorderen  Wand  zu  heben;  Recidive  müssen,  falls  sie  Beschwerden  ver- 
anlassen, vorzugsweise  durch  Behandlung  der  ursprünglichen  Augen- 
aflfection  (z.  B.  des  etwa  bestehenden  glaukomatösen  Processes)  bekämpft 
werden. 

III.  Eitrige  Hornhauterkrankungen. 
Umschriebenes  eitriges  Hornhautinfiltrat. 
Es  1  lüdet  sich  in  der  Hornhaut  eine  mehr  oder  weniger  grosse 
gelbe,  durch  massenhafte  Zellenanhäufung  bedingte  eitrige  Infiltration, 
während  gleichzeitig  pericorneale  Injeetion  auftritt.  Die  Infiltration 
pflegt  in  die  Tiefe  des  Gewebes  einzudringen;  die  oberflächlichen 
Schichten  stossen  sich  ab.  Oft  kommt  es  zur  Hornhautperforation,  mit 
welcher  dann  plötzlich  eine  erhebliche  Besserung  und  die  ausgesprochene 
Tendenz  zur  Heilung  eintritt,  Schon  vor  der  Perforation  pflegen  Ge- 
fässe  vom  Hornhautrand  her,  und  zwar  meist  neben  oberflächlichen 
solche,  die  in  tieferen  Lagen  der  Cornea  sich  befinden,  zum  Infiltrat  zu 
verlaufen.  Die  Infiltrate  treten  einzeln  oder  multipel  auf.  Letzteres 
findel  sich  besonders  häufig  bei  Kindern  nach  Exanthemen,    so  in  der 


Eitrige  Eornhauterkrankungen.  405 

Reconvalescenz  nach  Masern,  Scharlach,  indem  dicht  am  Hornhautrande 
dickgelbe,  etwas  geblähte  und  pustulös  aussehende  Infiltrationen  mit 
starker  Tendenz  zur  Perforation  entstehen.  Alte  Hornhaut-Flecke  und 
-Narben  gerathen  auch  häufig  in  eitrigen  Zerfall.  Hyperämie  der  Regen- 
bogenhaut ist  oft  nachweisbar,  eine  Iritis  selten.  Ebenso  fehlen  meist 
Hypopyen  und  wenn  sie  vorhanden,  sind  sie  in  der  Regel  nur  klein. 
Ueber  starke  Lichtscheu,  Thränen  und  Schmerzen,  die  sich  in  Stirn 
und  Schläfe  fortsetzen,  wird  nicht  selten  geklagt. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  in  einer  gewissen  constitutionellen 
Schwäche  die  Neigung  zum  eitrigen  Zerfall  zu  suchen.  So  nach  er- 
schöpfenden Krankheiten,  nach  zu  lange  fortgesetztem  Nähren  der 
Frauen.  Aber  auch  örtliche  Ursachen  sprechen  mit,  beispielsweise 
finden  sich  bei  Granulationen  öfters  eitrige  Infiltrationen. 

1  >ie  Prognose  ist  immerhin  vorsichtig  zu  stellen,  da  es  häufig  zu 
Perforationen  mit  Irisvorfällen  kommt.  Da  aber  die  Tendenz,  sich  in 
die  Fläche  auszubreiten,  dieser  Form  fehlt,  so  pflegt  nicht  der  Verlust 
des  Auges  herbeigeführt  zu  werden. 

I  >ie  Therapie  muss  sich  hauptsächlich  danach  richten,  ob  Con- 
junctivitis besteht  oder  nicht.  Ist  dieselbe  und  stärkere  Absonderung 
vorhanden,  so  wird  directes  Touchiren  der  ektropionirten  Lider  mit 
Tannin-  oder  Bleilösimgen  besonders  angezeigt  sein.  Feuchte  Wärme, 
welche  bei  reinen  eitrigen  Hornhautprocessen  sehr  nützlich  ist,  ist  in 
derartigen  Fällen  zu  vermeiden,  ja  nötigenfalls  durch  kühle  Umschläge 
—  etwa  drei  Mal  täglich  '/4  Stunde  —  zu  ersetzen.  Die  Hyperämie  der 
Regenbogenhaut  erfordert  Atropin.  Ist  die  Perforation  des  Geschwürs 
nahe,  so  sucht  man  ein  Hineinfallen  des  Sphincter  iridis  in  die  Wunde  zu 
verhüten.  Entsprechend  der  Lage  des  Geschwürs,  also  z.  B.  bei  peripherer, 
wird  gelegentlich  auch  Eserin  oder  Pilocarpin  einzuträufeln  sein,  um  die 
Pupille  zur  Contraction  zu  bringen.  Bei  gleichzeitiger  Litis  sei  man 
aber  mit  den  Mioticis  vorsichtig,  da  sie  leicht  die  Entzündung  steigern. 
Bei  sehr  heftigem  Schmerz,  vorzugsweise  wenn  die  Ciliargegend  auf 
Druck  stark  empfindlich  ist,  setzt  man  drei  bis  fünf  Blutegel  in  die 
Schläfengegend  und  giebt,  neben  Anwendung  der  Arlt 'sehen  Stirn- 
salbe. Xarcotica. 

Ist  keine  Conjunctivitis  vorhanden,  so  sind  neben  Einträufelungen 
von  Aqua  chlori  am  empfehlenswerthesten  die  lauen  antiseptischen  Dauer- 
verbände.  Sollten  dieselben  Schmerzen  hervorrufen,  so  wende  man  laue 
Umschläge  mit  Kamillenthee,  Borsäure-  oder  Sublimatlösung  mehrere 
Male  täglich  r2  Stunde  lang  an.  Man  muss  aber  hier  auch  die 
Empfindungen  des  Patienten  etwas  berücksichtigen;  es  giebt  Individuen, 
welche  selbst  laue  Umschläge  wegen  Vermehrung  der  Schmerzen  nicht 
vertragen.  —  Ist  die  Perforation  sehr  nahe,  buchten  sich  etwa  schon 

Selunidt-Rimpler.    /.Auflage.  30 


466 


Erkrankungen  der  Hornhaut. 


die  untersten  Schichten  des  Geschwürs  hervor,  so  macht  man  die 
Paracentese  im  Geschwürsgrund.  Man  bedient  sich  hierzu  der 
Desniarres'schen  Paracentesen-  oder  Punctionsnadel  (Fig.  148).  Nach 
Abfluss  des  Kammerwassers  verengt  sich  die  Pupille;  die  Refraction 
wird  erhöht.  Will  man  die  Wunde  längere  Zeit  offen 
halten ;  so  kann  man  die  eingetretene  A'erklebung  mit 
dem  an  der  anderen  Seite  der  Nadel  befindlichen  Spatel 
trennen.  Bezüglich  der  Allgemeinbehandlung  sind  meist 
Roborantia  angezeigt. 

Hypopyonkeratitis. 

Dieser  von  Roser  eingeführte  Namen  bezeichnet 
eitrige  Processe  in  der  Hornhaut ,  die  —  im  Gegensatz 
zum  umschriebenen  Eiterinfiltrat  —  die  Tendenz  haben, 
sich  nicht  nur  in  die  Tiefe,  sondern  auch  in  die  Fläche 
auszubreiten  und  sich  mit  grösseren  Hypopyen  zu  ver- 
binden. Die  Hornhautaffection  tritt  unter  verschiedenen 
Formen  auf  und  hat  danach  auch  verschiedene  Namen 
erhalten:  so  Hornhautabscess  (Arlt,  Weber),  torpi- 
des eitriges  Hornhautinfiltrat  (v.  Graefe),  Ulcus 
serpens  (Saemisch).  Die  zerstörende  Tendenz,  die 
Complication  mit  Hypopyen,  wie  auch  Aerlauf  und  Aus- 
gang gestatten  aber  die  Einreihung  dieser  Formen  in  eine 
Krankheitskategorie- 

Am  häufigsten  beobachtet  man  die  Form  des  Ulcus 
serpens.  Hier  besteht  meist  in  den  mittleren  Partien 
der  Cornea  ein  rundlicher  oder  ovaler,  anfänglich  sehr 
oberflächlicher  Substanzverlust,  an  dessen  Stelle  die  Cor- 
nea leicht  grau  und  durchscheinend  ist.  An  einem  kleineren 
oder  grösseren  Theile  des  Randes  —  selten  das  Geschwür 
ganz  umgebend  —  findet  sich  eine  dicke,  käsige,  grau- 
weisse,  ziemlich  schmale  und  bogenförmige  Infiltration, 
bisweilen  daneben  punktförmige  Herde.  Da  besonders  die 
Infiltration  des  Randes  ins  Auge  fällt  und  die  Gesehwiirs- 
tiäche  fast  im  Niveau  der  übrigen  Hornhaut  zu  liegen 
scheint,  zeigt  die  Affection  ein  von  sonstigen  Gesclrvvüren  abweichendes 
Aussehen:  es  fehlt  die  eigentlich  grubenförmige  Vertiefung.  — 

Aehnlich,  wie  oben  beschrieben,  schildert  Arlt  das  zweite  Stadium 
des  von  ihm  als  Abscess  bezeichneten  Processes,  nach  Resorption  oder 
Perforation  des  Eiters.  Der  ursprüngliche  Abscess  bildet  eine  abge- 
sackte gelbeitrige  Infiltration  unter  Schmelzung  der  tieferen  Hornhaut- 


Paracentesen- 

nadel  von 
Desmarres. 


Hypopyonkeratitis.  467 

lamellen:   Jas  Epithel    und    die    obersten  Schichten   bleiben    anfänglich 
erhalten.     Diese  Affection  ist  sehr  selten. 

Bei  dem  torpiden  Eiterinfiltrat  sind  in  grosser  Ausdehnung 
die  oberen  Schichten  eitrig  infiltrirt.  Später  kommt  es  meist  zu  Ulce- 
rationen,  ohne  dass  jedoch  das  typische  Bild  des  Ulcus  serpens  auftritt, 
indem  der  Grund  gelblich-eitrig  infiltrirt  bleibt.  Gemeinsam  mit  dem 
Ulcus  serpens  ist  ihm  die  Tendenz  zur  Ausbreitung  und  Hypopyon- 
bildung. 

Bisweilen  können  diese  Formen  allerdings  als  verschiedene  Stadien 
desselben  Processes    vorkommen:    doch  ist    dies  durchaus  nicht  nöthig. 

Wenn  z.  B.  das  Epithel  durch  ein  Trauma  abgerissen  ist  und  eine 
Infection  der  Wunde  stattfindet,  so  entsteht  sofort  ein  Ulcus  serpens, 
nicht  etwa  erst  ein  Abscess. 

Von  den  Rändern  des  Geschwürs  oder  Eiterinfiltrats  aus  sieht  man 
bei  schiefer  Beleuchtung  weisslieh-graue,  nach  der  Hornhautperipherie 
hin  verlaufende  feine  Striche  —  Zelleninfiltrationen  entsprechend  — , 
die  tief  in  das  Parenchym  hineingehen  und  öfters  mit  einander  in  Ver- 
bindung treten.  Schon  frühzeitig  finden  sich  Veränderungen  des  Kammer- 
wassers, indem  es  sich  leicht  trübt,  und  bald  entstehen  theils  graue, 
rein  fibrinöse,  theils  gelbe,  meist  nur  mit/ wenigen  Eiterzellen  durchsetzte 
Massen  am  Boden  der  Kammer.  Sehr  häufig  lassen  sich  Verbindungs- 
stränge von  der  Hornhautinnltration  zum  tieferliegenden  Hypopyon  ver- 
folgen. Da  erstere  sich  nach  der  Function  der  vorderen  Kammer  eben- 
falls entleeren,  so  ist  die  Lage  derselben  auf  der  hinteren  Hornhaut- 
flache  —  nicht  etwa  zwischen  den  Hornhautlamellen  —  erwiesen.  Es 
handelt  sich  hier  um  ein  Hindurchkriechen  der  Eiterzellen  in  die  vor- 
dere Kammer  an  der  Stelle  des  Infectionsherdes  und  eine  Senkung 
derselben  auf  der  Membr.  Descemetii  (Homer).  Umgekehrt  kann  auch, 
nach  den  Untersuchungen  von  Fuchs  und  Elschnig,  von  den  Gefässen 
an  der  Hornhautperipherie  von  der  Kammerbucht  aus  eine  Eiterwanderung 
von  der  Membrana  Descemetii  hinauf  zur  hinteren  Wand  des  Ulcus  er- 
folgen und  von  dort  aus  durch  die  Membrana  Descemetii  in  die  Horn- 
hautlamellen dringen.  Ueberhaupt  sind  bei  manchen  tiefen  Hornhautaffec- 
tionen  die  Veränderungen  des  Endothels  der  M.  Descemetii  von  Bedeutung, 
indem  hierdurch  dem  Kammerwasser  leichterer  Zugang  zum  Hornhaut- 
gewebe gewährt  wird;  durch  Fluorescin-Einträufelungen  kann  man  direct 
die  Störungen  des  Endothel-Bezuges  constatiren  (v.  Hippel  jun.). 
Uebrigens  besteht  das  Hypopyon  in  seiner  Hauptmasse  aus  Fibrin.  In 
sehr  seltenen  Fällen  findet  eine  Senkung  des  Eiters  zwischen  den  Horn- 
hautlamellen selbst  statt:  der  so  an  der  unteren  Hornhautperipherie  zu 
Stande  gekommene,  kleine,  gelbliche  Halbmond  führt  den  Namen  Onyx 
oder  Unguis:  in  der  Regel  handelt  es   sich  jedoch   um    ein  wirkliches, 

30* 


(r,s  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

in  der  vorderen  Kaiinner  befindliches  Hypopyon.  Die  Iris  ist  an  dem 
Zustandekommen  des  Eiters  meist  wenig  betheiligt,  hingegen  gehen 
die  fibrinösen  Absonderungen  von  ihr  aus.  Hyperämien  derselben 
fehlen  selten,  auch  kommt  es  oft  zu  adhäsiver  Iritis;  selbst  Iridocyklitis 
kann  eintreten. 

Die  Kranken  verhalten  sich  bisweilen  auffallend  indolent,  indem 
die  Röthung  des  Auges;  das  Thränen  und  Schlechtersehen  sie  wenig 
genirt.  In  anderen  Fällen  bestehen  heftige  Ciliarneurosen,  die  Tag 
und  Nacht  die  Ruhe  rauben.  —  Das  Ulcus  serpens  pflegt  sich  sehr 
schnell  peripher  auszubreiten;  in  acht  Tagen  hat  es  bisweilen  den 
grössten  Theil  der  Hornhaut  zerstört.  Daneben  geht  es  auch  in  die 
Tiefe;  doch  ist  ein  stärkerer  Substanzverlust  selten  sichtbar,  indem  die 
Vertiefung  dadurch  wieder  ausgeglichen  wird,  dass  die  übrigbleibende 
dünne  Schicht  Hornhaut  dem  intrao ciliaren  Drucke  nachgiebt  und  nach 
vorn  getrieben  wird.  Auch  die  torpiden  Eiterinfiltrate  dehnen  sich  oft 
mit  erheblicher  Schnelligkeit  aus  und  richten  grosse  Partien  der  Horn- 
haut zu  Grunde.  Bei  den  eigentlichen  Abscessen  ist  diese  Tendenz 
weniger  ausgeprägt.  Ist  es  zur  Perforation  der  Hornhaut  gekommen, 
so  pflegt  sich  der  Process  meist  günstiger  zu  gestalten,  indem  sich  in 
der  Hornhaut  Gelasse  entwickeln  und  den  Substanzverlust  zur  Heilung 
bringen,  allerdings  mit  weisser  Narbe.  Häufig  ist  die  Iris  mit  ihr 
verwachsen.  Ebenso  bilden  sich  bisweilen  umschriebene  Kapsellinsen- 
stare,  die  sich  selbst  zu  totaler  Linsentrübung  erweitern  können.  Ist 
der  Substanzverlust  sehr  ausgedehnt  gewesen,  so  entsteht  ein  Staphy- 
lom  oder  auch  Phthisis  corneae.  In  seltenen  Fällen  treten  innere 
heftigere  Entzündungen  auf,  die  zur  Chorioiditis  suppurativa  und  Pan- 
ophthalmitis  führen. 

Aetiologie.  Die  Hypopyonkeratits  ist  am  häufigsten  durch 
septische  Infection  veranlasst,  und  zwar  in  einer  grossen  Zahl  der  Fälle 
durch  Secret  alter  Thränensackblennorrhoen.  Auf  letztere  ist  bei  jeder 
1  iypopyonkeratitis  zu  fahnden.  Ich  habe  Thränensackleiden  in  ca.  54 
Procent  der  Erkrankungen  beobachtet.  Bisweilen  besteht  das  Thränen- 
-.■u-kleiden  nicht  auf  der  Seite  des  erkrankten,  sondern  auf  der  des 
anderen  Auges;  auch  muss  man  öfters  daraufhin  untersuchen,  da  bei 
der  ersten  Untersuchung  zufällig  kein  ausdrückbares  Secret  im  Thränen- 
sack  vorhanden  sein  kann. 

Impfungen  des  Thränensaeksecrets  auf  Kaninchenhornhäute,  die  ich  ange- 
stellt, haben  die  infectiüse  Wirkung  desselben  erwiesen.  In  dem  Secret  vieler 
Thränensackblennorrhoen  (nicht  alle  haben  sich  nach  meinen  Impfversuchen  an 
Kaninchenhornhäuten  in  gleichem  Maasse  infectiüs  gezeigt)  finden  sich  verschieden- 
artige Mikrokokken  und  Stäbchen.  Unter  ihnen  auch  der  Fränkel-Weichsel- 
baum'sche  I'neumococcus.  Da  letzterer  ebenfalls  indem  Gewebsdetritus,  weichet 
dem  l'lc.  serpens  entnommen  wird,  wieühthoff  und  Axenfeld nachgewiesen  ur 


Hypopyonkeratits.  4.(39 

ich  bestätigen  kann,  fast  regelmässig  vorkommt  und  seine  Impfung  auf  Kanincken- 
hornhaut  eitrige  Infiltration  hervorruft,  so  liegt  eine  grosse  Wahrscheinlichkeit 
vor.  dass  eine  von  ihm  ausgehende  [nfection  bei  der  Entstehung  des  Ulc.  serpens 
eine  Rolle  spielt.  Doch  soll  die  Möglichkeit  einer  anderen  Art  der  Entstehung, 
besonders  von  Bßschinfectionen,  nicht,  ausgeschlossen  sein,  zumal  auch  bei  anderen 
Hornhaut/processen,  so  bei  der  Keratomalacie,  Pneumokokken  gefunden  sind 
(v.  Hippel,  Dötsch),  weil  ferner  dieselben  bei  ( 'onjunctival-Affectionen  überhaupt 
nicht  selten  sind,  und  schliesslich  auch  die  Impfung  auf  Kaninchenhornhaut  kein 
specitisches  Ulc.  serpens  hervorgerufen  hat. 

Leber  hat  die  Entwicklung  der  Eiterungsprocesse  in  der  Hornhaut  besonders 
eingehend  studirt.  Es  sind  nach  ihm  die  Stoffwechselproducte  der  Bacterien, 
welche,  in  starker  Concentration  die  Zellen  tödtend,  in  schwächerer  reizend,  die 
eigenartige  Form  der  eitrigen  Hornhautentzündung  bedingen.  Während  sie  an 
der  Stelle  ihrer  Einimpfung  einen  nekrotischen  Herd  verursachen ,  wirken  sie  auf 
Leukocyten  in  den  Gefässen  des  Hornhautrandes  reizend  (chemotactisch)  und  ver- 
anlassen das  Auskriechen  derselben.  Die  weissen  Blutkörperchen  wandern  nun- 
mehr zur  Impfstelle,  an  deren  Grenze  sie  gelähmt  werden  und  absterben.  Hier- 
durch entsteht  der  Infiltrationsring. 

Dass  selbst  Schimmelpilz  eine  Hypopyonkeratitis  bewirken  kann,  lehren 
Fälle  von  Leber  und  Anderen,  wo  Aspergillus  glaucus  sich  im  Hornhautgewebe 
fand  |  Keratomykosis  aspergillina) ;  aber  es  sind  auch  leichtere  Affectionen  nach 
dem  Eindringen  dieser  Pilze  beobachtet  (Uhthoff). 

Den  directen  Anlass  zur  Infection  geben  meist  Verletzungen  der 
Cornea  durch  Zweige,  Getreidehalme  u.  s.  w.;  bei  Landleuten  ist  in  der 
Erntezeit  (Keratite   des  moissonneurs)    die  Affection  besonders  häufig. 

Aber  auch  ohne  Verletzung  und  nachweisbare  Infection  kommen 
Hypopyonkeratiten  vor.  So  in  der  Gestalt  des  torpiden  Hornhautinfiltrats 
bei  schwächlichen  oder  scrophulösen  Kindern  und  nach  Exanthemen, 
oder  bei  älteren  herabgekommenen  Individuen. 

Besonders  nach  Pocken  treten  ähnliche  schwere  eitrige  Infiltrationen 
der  Hornhaut  auf.  Es  handelt  sich  hier  nur  selten  um  Efflorescenzen,  die 
der  Pockeneruption  auf  der  Haut  analog  wären  und  gleichzeitig  mit  ihr 
auftreten,  sondern  in  der  Regel  um  später  entstehende  Hornhautprocesse, 
wie  sie  auch  sonst  bei  herabgekommenen  Individuen  sich  nach  Typhus, 
Puerperalfieber,  Diabetes  u.  s.  w.  zeigen.  Zur  Zeit  der  Hauteruptionen 
selbst  habe  ich  bei  Pockenkranken  öfters  Conj.  phlyctaenulosa  gesehen. 

Die  Prognose  ist  um  so  schlechter,  je  länger  eine  entsprechende 
Therapie  ausbleibt;  bei  umschränkter  Erkrankung  ist  Heilung  wahr- 
scheinlich. Ebenso  wenn  bei  Ulcus  serpens  frühzeitig  spontane  Perforation 
eintritt.  Günstig  verlaufen  öfters  bei  frühzeitiger  Behandlung  auch  die 
diffusen  torpiden  Eiterinfiltrationen  der  Kinder,  die  sich  auffallend  voll- 
ständig resorbiren  können. 

Therapie.  Im  Beginn  des  Ulcus  serpens  und  bei  nicht  zu 
grosser  Ausbreitung  desselben  genügt  die  einfach  meclicamentöse  Be- 
handlung mit  feucht-warmen,  antiseptischen  Verbänden  neben  Atropini- 
sirung  des  Auges  und  täglich  zweimaligem  Einpudern  von  Jodoform- 


470  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

pulver.  Letzteres  Mittel  übertrifft  hier  oft  die  sonst  sehr  brauchbare 
offieinelle  Aqua  chlori.  Diese  oder  eine  lprocentige  Creolinlösung  kann 
man  1  bis  2 mal  täglich  reichlich  einträufeln,  wenn  Jodoform  nicht  ver- 
tragen wird  oder  unwirksam  ist,  Avas  gelegentlich  vorkommt.  Das  Xero- 
form, welches  ebenfalls  empfohlen  ist  und  ähnlich  wie  Jodoform  wirkt, 
bildet  leicht  im  Auge  eine  cementartige  Masse,  die,  wie  ich  beobachtet, 
sogar  bei  Substanzverlusten  zum  Theil  einheilen  und  Trübungen  veran- 
lassen kann.  Auch  das  directe  Bepinseln  des  Geschwürs  mit  Aqua  chlori, 
Creolin  oder  mit  Sublimatlösung  (1 :  1000)  ist  entsprechenden  Falls  zu 
versuchen.  Von  der  gleichfalls  empfohlenen  subconjunctivalen  Koch- 
salzlösung habe  ich  nicht  viel  gesehen.  An  Stelle  der  dauernd  ge- 
tragenen feucht-warmen  antiseptischen  Verbände,  die  eventuell  auch 
durch  Umhüllung  eines  Augen-Thermophor  (gefüllt  mit  Krystallen  von 
unterschwef  licht-  oder  essigsaurem  Natron)  mit  feuchtem  Mull  hergestellt 
werden  können,  sind,  falls  der  Druck  des  Verbandes  schmerzhaft  wird, 
feucht-warme  Compressen  mit  2-  bis  oprocentiger  Borsäurelösung  oder 
Sublimatlösung  mehrmals  am  Tage  eine  halbe  Stunde  lang,  anzuwenden. 

Bei  dieser  Therapie  heilen  eine  Reihe  von  leichteren  Processen; 
bisweilen  tritt  auch  eine  spontane  Perforation  des  Geschwürs  ein,  ohne 
allzu  grossen  Substanzverlust.  Droht  dieselbe,  so  wird  man  bei  peri- 
pherem Sitze  des  Geschwürs  das  Atropin  mit  Pilocarpin  oder  Eserin 
vertauschen,  um  den  Sphincterrand  möglichst  fern  der  Durchbruchstelle 
zu  bringen.  Manchmal  scheinen  Miotica  die  Heilung  zu  unterstützen,  in 
anderen  Fällen  aber  verschlechtern  sie  den  Process;  besonders  dann, 
wenn  stärkere  Iritis  besteht. 

Daneben  ist  ein  etwa  vorhandenes  Thränensackleiden  zu  behandeln, 
indem  man  durch  Sondiren  dem  Secret  möglichst  Abzug  in  die  Nase 
verschafft  und  es  desinficirt.  Auch  hier  wirkt  Jodoform  vortrefflich; 
schon  das  einfache  Einpudern  in  den  Conjunctivalsack  hebt  bisweilen 
die  Secretion  auf.  Sonst  kann  man  auch  durch  die  erweiterten  Thränen- 
canälchen  mittels  einer  Spritze  Jodoformsalbe  oder  Jodoformöl  in  den 
Thränensack  einführen.  Auch  Ausspritzungen  mit  Aqua  chlori  oder 
Zinc.  sulfuric. -Lösungen  sind  zu  empfehlen. 

Bei  heftigen  Schmerzen  und  wenn  der  Augapfel  auf  Druck  empfind- 
lich ist,  erscheint  bei  nicht  zu  herabgekommenen  Individuen  das  Ansetzen 
von  Blutegeln  angezeigt,  daneben  Narcotica.  Bei  torpiden  Individuen 
sind  Wein  und  Roborantia  zu  geben. 

Selbst  bei  etwas  grösseren  Geschwüren  und  stärkerem  Hypopyon 
kann  man  wohl  ein  bis  zwei  Tage  das  erwähnte  friedliche  Verfahren 
versuchen,  doch  wird  es  hier  oft  in  Stich  lassen,  und  man  muss  —  neben 
den  feucht-warmen  Umschlägen  und  Jodoform  —  zu  operativen  Ein- 
griffen   schreiten,    besonders    dann,    wenn    der    dünne  Geschwürsgruud 


Hypopyonkeratitis.  471 

durch  den  Kammerwasserdruck  schon  hervorgebuchtet  ist.  Um  dem 
Fortschreiten  des  Geschwürs  entgegenzutreten,  ist  es  das  Beste,  mit 
dem  ( ialvanocauter  die  Geschwürsränder  zubrennen;  bisweilen  ist  das 
Verfahren  zu  wiederholen,  wenn  sich  eine  neue  fortschreitende  Kand- 
luriltration  zeigt.  Zur  Entleerung  des  Kamnierwassers  und  Hypopyons 
kann  man  bei  sehr  dünnem  Geschwürsgrunde  gleich  mit  dem  Galvano- 
cauter  an  einer  Stelle  durchbrennen.  Sonst  empfiehlt  sich  mehr  am 
unteren  Hornhautrande,  nicht  zu  peripher,  mit  einer  Lanze  eine  nicht 
zu  kleine  Punctum  zu  machen.  Hierbei  entleert  sich  das  Hypopyon 
meist  leicht  und  bleibt  nicht,  wie  es  bei  Perforationen  in  der  Nähe  des 
Hornhautcentrums  öfters  geschieht,  auf  der  Linsenkapsel  liegen  und 
veranlasst  hierdurch  das  Entstehen  von  Kapselstaren.  Ueberhaupt  ist 
die  volle  Entleerung  des  Hypopyons  nicht  immer  erreichbar,  da  es 
meist  aus  einem  grösseren,  fest  zusammenhängenden  Fibringerinnsel  mit 
wenigen  Eiterkörperchen  besteht,  das  man  in  continuo  mit  der  Pincette 
herausziehen  kann.  Aber  es  macht  auch  nicht  zu  viel  aus,  wenn  etwas 
davon  noch  in  der  vorderen  Kammer  bleibt,  da  durch  das  neu- 
gebildete Kammerwasser  eine  bessere  Lösung  und  Resorption  desselben 
eingeleitet  wird.  Die  Punctionswunde  muss  übrigens,  wenn  sie  sich 
schliesst,  längere  Zeit  durch  wiederholtes  Lüften  mit  dem  Spatel  oder 
bei  der  queren  Durchschneidimg  (s.  unten)  mit  dem  Knopfe  des  Weber- 
sehen Thränenröhrchen-Messers  offen  gehalten  werden,  so  dass  täglich 
wenigstens  eine  einmalige  Entleerimg  des  Kammerwassers  erfolgt.  Erst 
wenn  deutliche  Heilungstendenz  vorhanden  ist  und  keine  neuen  Hypopyen 
auftreten,  kann  man  die  Wunde  verheilen  lassen. 

Vor  der  Einführung  der  Cauterisation'  mit  Ferrum  canclens,  Gal- 
vanocauter  (Gayet,  Sattler)  oder  dem  von  Eversbusch  modificirten 
Thermocauter  wurde  besonders  die  von  Saemisch  angegebene  quere 
Durchschneidung  des  ganzen  Geschwürs  geübt.  Es  war  das  ein 
erheblicher  Fortschritt  in  der  Behandlung  dieses  bösartigen  Processes. 
Zur  Entleerung  von  Hypopyen  ist  neben  der  Cauterisation  auch  jetzt 
noch  dies  Verfahren  empf ehlenswerth ;  in  einer  Anzahl  von  Fällen  ge- 
nügt es  allein  schon  zur  Heilung. 

Man  geht  hierbei  mit  einem  schmalen  Graefe' sehen  Messer 
an  einem  Rande  des  Geschwürs  noch  im  gesunden  Gewebe  in  die 
vordere  Kammer,  führt  dann  das  Messer,  mit  der  Schneide  nach 
vom,  in  der  vorderen  Kammer  hinter  dem  Geschwür  entlang  zum  ent- 
gegengesetzten Rande,  sticht  dort  aus  und  durchschneidet  nach  vorn 
ziehend  quer  den  ganzen  Geschwürsgrund.  Das  Kammerwasser  fliesst 
jetzt  ab  und  der  Eiter  entleert  sich,  wenn  auch  nicht  immer  vollständig. 
Auch  hier  muss  man  durch  vorsichtiges  Eingehen  mit  einer  Irispincette 
noch  oft  das  Gerinnsel  herausziehen.     Die  heftigen  Schmerzen,  die  der 


472  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

Kammerentleerung  folgen,  hören  unter  einem  feucht-warmen  Verbände 
bald  auf. 

Bei  länger  bestehenden  und  grösseren  Ulcera  mit  Hypopyon  ent- 
wickeln sieh  in  einer  Reihe  von  Fällen  Kapsellinsentrübungen,  die  um- 
schriebener bleiben  können,  bisweilen  aber  auch  zu  vollständiger  kam rak- 
töser  Trübung  führen.  Sie  sind  wohl  vorzugsweise  Folg«'  des 
längeren  Anliegens  der  Linse  an  die  geschwürige  Cornea  und  der  Ein- 
wirkung des  auf  der  Kapsel  haftenden  Eiters.  Möglich  ist,  dass 
auch  bei  der  mit  der  Kammeröffnung  eintretenden  Linsenverlagerung 
kleinere  Kapselrisse  zu  Stande  kommen;  aber  auch  ohne  diese  sieht 
man  öfters  umschriebene  Linsentrübungen  nach  Ulcus  serpens  ent- 
stehen. — 

Man  thut  bei  grösseren  Substanzverlusten  gut,  in  der  Heilungs- 
periode und  noch  lange  nachher  dauernd  einen  Druckverband  tragen 
und  Pilocarpin,  das  durch  die  Irisentfaitung  dem  Vorrücken  der  Linse 
entgegenwirkt,  einträufeln  zu  lassen.  Keinenfalls  darf  der  Kranke  zu  früh 
seine  Arbeiten  aufnehmen;  man  sieht  sonst  leicht  den  mit  glatter  Cor- 
neanarbe  Entlassenen  mit  grossem   Staphylom  sich  wieder  vorstellen. 

Die  Abscesse  und  eitrigen  Hornhautinfiltrate  erfordern  im 
Ganzen  dieselbe  medicamentöse  Behandlung,  nur  ist  die  Wirkimg  des 
Jodoforms  hier  nicht  so  erprobt.  Man  wird  besser  Aqua  chlori,  Creolin- 
lösung  oder  1  bis  2procentige  Lösungen  von  Chin.  muriaticum  mehr- 
mals täglich  einträufeln.  Besteht  ein  wirklicher  Abscess,  so  kann  man 
ihn  mit  einer  breiten  Paracentesennadel  anstechen,  doch  gelingt  eine 
eigentliche  Entleerung  meist  nicht,  da  die  Eiterzellen  in  den  Hornhaut- 
lamellen haften.  Eine  quere  Durchschneidung  der  infiltrirten  Hornhaut 
erscheinen  hier,  sowie  bei  dem  diffusen  Eiterinfiltrat  nicht  indicirt,  wohl 
aber  ist  öfters  die  Anwendung  des  Galvanocauters  angezeigt.  Grössere 
Hypopyen,  wenn  sie  etwa  mehr  als  ein  Drittel  der  vorderen  Kammer 
einnehmen,  entleert  man  mit  einer  breiten  Punctionsnadel,  die  man  in 
der  Nähe  der  unteren  Hornhautperipherie  einsticht.  Nöthigenfalls  er- 
öffnet man  in  den  nächsten  Tagen  die  Wunde  wieder  von  Neuem. 

Keratomalacie. 
In  sehr  seltenen  Fällen  bildet  sich  im  Centrum  oder  in  der  Peri- 
pherie (Ptingabsccss)  der  Cornea  eine  Eiterinfiltration,  die  in  wenigen 
Tagen  sich  über  die  ganze  Hornhaut  erstreckt  und  diese  in  einen  ne- 
krotischen Brei  umwandelt,  der  sich  zum  Theil  abstösst  und  zu  aus- 
gedehnten Perforationen  führt  oder  auch  eine  Art  Vertrocknung  ein- 
geht, als  deren  Endresultat  dann  ein  Schwund  der  Hornhaut  eintritt, 
so  dass  dieselbe  schliesslich  nur  eine  kleine,  flache,  weissliche,  vielleicht 
noch    an    einer  Stelle    durchseheinende   Platte    am    vorderen  Pole    des 


Keratitis  xerotica.  473 

Auges  bildet.  Nach  intieirten  Kataraktextractionen,  bei  acuten  Conjunc- 
TivalblemioiTlioen  und  Diphtheritis  conjunctivae,  sowie  auch  ohne  andere 
örtliche  Affection  bei  geschwächten,  elenden  Individuen,  nach  schweren 
Allgemeinkrankheiten,  wohl  auch  als  Folge  septischer  Infection  (Manz), 
wird  die  Keratoraalaeie  (ftaZaxog,  weich)  gelegentlich  beobachtet.  Ich 
habe  eine  junge,  sehr  anämische  Frau  gesehen,  die  am  dritten  Tage 
nach  einer  normalen  Entbindung  an  einer  doppelseitigen  eitrigen  Ilorn- 
haurintiltration  erkrankte.  In  drei  weiteren  Tagen  waren  beide  Horn- 
häute total  vereitert. 

Feucht-warme  Umschläge  neben  Roborantien  können  angewandt 
werden,  ohne  dass  man  sich  jedoch  bei  entwickelter  Keratomalacie  be- 
züglich der  Erhaltung  der  Hornhaut  etwas  versprechen  darf. 

Keratitis  xerotica. 

Bei  kachektischen  Individuen  beobachtet  man  eine  eigenthümliche 
Hornhautverschwärung,  der  in  der  Regel  eine  Xerosis  der  Conjunctiva 
und  oft,  wie  Mittheilungen  Gouvea's  ergeben,  auch  Hemeralopie  voran- 
geht. Die  Conjunctiva  ist  trocken,  mit  feinem  Schaum  und  Schüppchen 
bedeckt,  die  unter  dem  Mikroskop  Pflasterepithelzellen  und  Fett  zeigen, 
ihrer  Hauptmasse  nach  aber  aus  Bacillen  bestehen  (vgl.  Xerosis  con- 
junctivae). 

Bei  Bewegungen  des  Bulbus  heben  sich  auf  der  zwischen  den 
Lidern  freiliegenden  Schleimhaut  kleine  senkrechte  Falten.  Die  Sensi- 
bilität der  Cornea  ist  vermindert.  Es  treten  einzelne  vordere  Conjunc- 
tivalvenen  und  Episcleralgefässe  scharf  hervor,  ohne  dass  jedoch  eine 
ausgeprägtere  pericorneale  Injection  vorhanden  wäre.  Das  Auge  ist 
lichtscheu  und  thränt. 

Ein  kleiner  meist  central  gelegener  Bezirk  der  Cornea  wird  trocken, 
matt,  grau,  später  gelblich  getrübt.  Das  Epithel  stösst  sich  in  grosser 
Ausdehnung  ab.  Dann  bildet  sich  eine  fortschreitende  Eiterinfiltration 
mit  ulceröser  Schmelzung,  die  in  kurzer  Zeit  die  Cornea  gänzlich  oder 
bis  auf  einen  schmalen  Rand  zerstören  kann.  In  anderen  Fällen  geht 
der  Process  langsamer  voran  und  hält  sich  mehr  im  Bezirke  der  Lid- 
spalte. Die  Iris  pflegt  sich  beim  Fortschreiten  auch  zu  betheiligen:  nach 
Abstossung  der  Cornea  kann  sich  eine  Panophthalmitis  entwickeln. 

In  einzelnen  Fällen  von  infantiler  xerotischer  Hornhautverschwärung 
sind  im  Gewebe  imd  zum  Theil  in  den  Gefässen  massenhafte  Kokken 
gefunden  worden  (Leber  und  Wagenmann),  in  anderen  Streptokokken 
(Schanz,  Uhthoff  und  Axenfeld),  und  auch  Pneumokokken. 

v.  Uraefe  hat  diese  Affection,  die  er  besonders  bei  elenden  Kindern  im 
zweiten  bis  fünften  Lebensmonate  beobachtete,  als  „Hornhautverschwärung- 
bei  infantiler  Encephalitis-  bezeichnet. 


474  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

Es  fand  sich  nämlich  im  Gehirn  ausgedehnte  fettige  Degeneration  der  Neu- 
rogliaelemente,  ohne  dass  jedoch  klinisch  eigentliche  Hirnsymptome  bestanden. 
Nachdem  aber  durch  Jastrowitz'  Untersuchungen  die  pathognomonische  Be- 
deutung eines  reichlichen  Gehalts  an  Fettkörnchenzellen  in  den  Gehirnen  so 
jugendlicher  Individuen  zweifelhaft  geworden  ist,  kann  die  Aft'ection  nicht  wohl 
auf  ein  Gehirnleiden  zurückgeführt  werden,  zumal  sich  ganz  gleiche  Hornhaut- 
affectionen  auch  bei  älteren  Individuen  finden,  die  an  anderen  Erkrankungen 
leiden.  So  hat  (iouvea  sie  bei  kachektischen  Negern  in  Brasilien  vielfältig  be- 
obachtet; ich  sah  sie  auch  bei  einem  etwa  achtjährigen,  an  Knochenaffection  seit 
Jahren  erkrankten  Kinde.  Es  scheint,  als  wenn  der  nicht  vollkommene  Lidschluss, 
indem  in  Folge  der  allgemeinen  Schwäche  die  Lidspalte  etwas  offen  bleibt,  für 
eine  Beihe  von  Fällen  die  nächste  Veranlassung  durch  Austrocknung  der  Hornhaut- 
oberfläche giebt.    Eine  weitere  Bolle  dabei  wird  der  mykotischen  Infection  zufallen. 

Die  Prognose  ist  bei  ganz  jugendlichen  Kindern  für  die  Augen 
schlecht;  in  der  Regel  tritt  bald  der  Tod  ein.  Bei  Erwachsenen  ist  sie 
etwas  günstiger. 

Auch  bei  Lagophthalmus  und  Exophthalmus  kann  eine  partielle 
Hornhaut -Vertrocknung  auftreten:  bei  ersterem  befällt  sie  meist  die 
untere,  im  Schlaf  blossliegende  Hornhautpartie,  auf  der  sich  oft  einge- 
trocknete Secretkrusten  finden,  bei  letzterem,  da  die  Beweglichkeit  des 
Bulbus  verringert  ist,  den  unbedeckten  centralen  Theil. 

Die  Therapie  hat  für  Verschluss  der  Augen,  Anwendung  der 
feuchten  Wärme  und  Hebung  des  Allgemeinbefindens  zu  sorgen;  mit 
Berücksichtigung  des  Nachweises  von  Bacterien  würde  sich  der  feucht- 
warme antiseptische  Verband  und  Einträufeln  von  Chlorwasser  em- 
pfehlen. —  Gouvea  hat  bei  frühzeitigem  Eingreifen  sehr  gute  Erfolge 
vom  Dampfspray  von  40  Grad  C.  gesehen,  den  er  1  bis  3 mal  täglich 
15  Minuten  lang  auf  das  Auge  wirken  lässt.  Dazwischen  Druckverband. 
Er  benutzt  zum  Zerstäuben  Kamillenthee  oder  einfaches  Wasser. 

Keratitis  neuroparalytica. 
Die  Keratitisform,  welche  sich  bei  Trigeminuslähmung  bildet,  kann 
in  ihrem  Aussehen  und  Verlauf  ganz  der  xero tischen  entsprechen;  in 
anderen  Fällen  kommt  es  nur  zu  einfachen  Infiltraten  oder  Ulcerationen, 
die  der  Heilung  wieder  zugeführt  werden  können.  Da  die  Sensibilität 
der  Conjunctiva  und  Cornea  aufgehoben  ist,  haften  kleine  Fremdkörper 
länger  auf  dem  Bulbus,  ehe  sie  durch  Lidschlag  entfernt  werden.  Und 
in  der  That  wurde  von  Snellen  und  später  von  Senftleben  (neuer- 
dings von  Hanau)  die  entstehende  Keratitis  einfach  als  eine  trauma- 
tische aufgefasst,  da  man  bei  Kaninchen  nach  Trigeminusdurchschneidung 
durch  entsprechenden  Schutz  der  Augen  die  Entstehung  derselben  ver- 
hüten kann.  Jedoch  spricht  gegen  diese  Auffassung,  dass  Form  und 
Ablauf  der  Entzündung  andere  sind,  als  die,  welche  wir  sonst  nach 
Traumen  sehen;  trotz  Schutzes  des  erkrankten  Auges  pflegt  der  Hei- 


Keratitis  neuroparalytica.  475 

lungsverlauf  ein  bei  Weitem  schlechterer  zu  sein  als  bei  traumatischen 
Entzündungen  gleicher  Ausdehnung.  Zudem  haben  Versuche  von 
Meissner  und  Schiff  ergehen,  dass  ungeachtet  erhaltener  Sensibilität 
die  Entzündung  der  Hornhaut  erfolgt,  wenn  der  mediale  Theil  des 
Trigeminus  allein  durchschnitten  wird.  Bleibt  dieser  unverletzt,  so  tritt 
keine  Entzündung  auf  (Meissner,  Schüler  und  Uhthoff):  es  müssen 
demnach  hier  Nerven  verlaufen,  die  in  einer  directen  Beziehung  zur 
Ernährung  der  Cornea  stehen.  Dafür  spricht  ferner,  dass  nach  Ver- 
letzungen des  Ganglion  Gasseri  sofort  Veränderungen  im  Hornhaut- 
Epithel  beobachtet  wurden  (Gaule).  Auch  F.  Krause,  der  nach  Ex- 
stirpation  desselben  am  Menschen  keine  Entzündungen  des  Auges  be- 
obachtete, im  Gegensatz  zu  Lexer,  der  unter  9  Fällen  2  mal  Keratitis 
sah,  fand  doch  eine  Verringerung  der  Befeuchtung  und  geringere 
Widerstandsfälligkeit  gegen  entzündungserregende  Einflüsse.  Hierdurch 
ist  ein  günstiger  Boden  geschaffen  für  die  schädliche  Einwirkung  von 
Traumen  und  für  eine  durch  Verringerung  des  Lidschlages  und  der 
reflectorischen  Thränenseeretion  veranlasste  Vertrocknung,  auf  die 
v.  Graefe,  neuerdings  Feuer  und  v.  Hippel  jun.  das  Hauptgewicht 
legen,  und  endlich  vielleicht  auch  für  die  Einwanderung  von  Bacterien. 
"Wenn  man  hiergegen  anführen  wollte,  dass  nach  der  Neurotomia  optico- 
ciliaris  keine  ähnliche  Entzündung  der  Cornea  eintritt,  so  ist  zu  be- 
achten, dass,  wenngleich  die  die  Hornhaut  versorgenden  Ciliarnerven 
durchschnitten  sind,  doch  die  Sensibilität  der  Conjunctiva  erhalten  bleibt 
und  weiter  der  Lidschlag  sich  nicht  vermindert,  demnach  viel  weniger 
Veranlassung  zu  Traumen  und  keine  zur  Vertrocknung  vorhanden  ist. 
Beides  kommt  auch  in  Betracht  für  die  meist  entzündungsfrei  bleibenden 
Fälle  von  Trigeminuslähmung,  wo  bei  gleichzeitiger  Oculomotoriuspara- 
lyse  das  herabgesunkene  obere  Lid  das  Auge  schützt. 

Die  Prognose  ist  ungünstig,  da  beim  Fortbestehen  der  Trigeminus- 
lähmung ein  dauernder  Schutz  des  Auges  schwer  herzustellen  ist.  Ge- 
wöhnlich kommt  es  zu  einem  Leukom,  bisweilen  selbst  zu  totalem  Ver- 
lust der  Cornea. 

Die  Therajne  hat  vor  Allem  Befeuchtung  des  Auges  und  Abwehr 
von  Verletzungen  zu  erstreben.  Es  ist  daher  ein  dauernder  feucht- 
warmer antiseptischer  Verband  indicirt;  bei  gleichzeitiger  Conjunctivitis 
ist  diese  zu  behandeln,  und  es  wird  in  solchen  Fällen  die  feuchte  Wärme 
nicht  zu  lange  angewendet  werden  können.  Daneben  Atropin,  oder 
aus  früher  auseinandergesetzten  Gründen  beim  Fehlen  einer  Iritis  ge- 
legentlich Eserin.  Auch  Elektricität  und  Stiychnin-Injectionen  unter  die 
Schlaf enhaut  (Xieden)  kann  man  versuchen.  Ist  ein  Leukom  ent- 
standen, so  wird  bisweilen  nachträglich  durch  eine  Iridectomie,  die  in 
der  Regel  gut  heilt,  noch  Besserung  des  Sehens  geschaffen. 


476 


Erkrankungen  der  Hornhaut. 


IV.  Diffuse  Hornhautinfiltrationen. 

Pannus  (Keratitis  pannosa). 

Grössere  verästelte  Gefässstänime,  die,  ursprünglich  aus  dein  epi- 
skleralen  Randschlingennetz  entstehend,  sich  meist  bis  zu  den  hinterm 
Conjunctivalgefässen  verfolgen  lassen,  setzen  auf  die  Hornhaut  über 
und  verbreiten  sich  in  ihrer  Oberfläche.  Ihre  Lage  ist  zwischen  Epithel 
und  Bowman'scher  Membran  beziehentlich  dicht  unter  dieser.  Daneben 
zeigt  die  Hornhautoberfläche  eine  leichte  diffuse  Trübung  durch  An- 
häufung von  Zellen  unter  dem  Epithel;  ebenso  Unregelmässigkeit, 
Hypertrophie  und  kleine  Substanzverluste  des  letzteren.  Auch  die 
Bowmansche  Membran  kann  durchbrochen  werden  und  so  eine  Zellen- 
einwanderung in  das  Hornhautparenehym  stattfinden  (vergl.  Figur  14t»)- 
Der  Verbreitungsbezirk  der  Gefässe  ist  bisweilen  so  ausgedehnt,  dass 
die  ganze  Hornhaut  mit  ihnen  durchsetzt  ist;  in  anderen  Fällen  bleiben 


149. 

Pannus.    E  =  Epithel.    P  =  Pannus-Infiltration  mit  Gefässen.    B  =  Bow  man 'sehe 

Membran  hei  a  perforirt.  C  =  Cornea-Stratum. 


sie  auf  eine  Partie  beschränkt.  Häufig  ist  nur  die  obere  Hälfte  be- 
fallen. Je  nach  der  Intensität  der  Gefässentwiekelung  und  Hornhaut- 
trübung unterscheidet  man  einen  Pannus  tenuis  und  einen  Pannus 
crassus  oder  Sarcomatosis ;  hier  kann  die  Cornea  ein  fleischähnliches 
rothes  Aussehen  annehmen.  In  den  schweren  Fällen  kommt  es  später 
zu  ausgedehnten  Bindegewebsbildungen  in  den  oberflächlichen  Horn- 
hautpartien. Ist  das  Ilornhautgewebe  nur  wenig  at'ficirt  und  sind  vor- 
zugsweise die  oberflächlich  verlaufenden,  geschlängelten  und  verästelten, 
mit  den  hinteren  Conjunrtivalget'ässen  in  Verbindung  stehenden  Gefässe 
das  Pathologische,  so  ist  es  correcter,  nicht  von  Keratitis  pannosa, 
sondern  nur  von  pannöseu  Gefässen  zu  sprechen,  die  übrigens  in  sehr 


Pannus.  477 

seltenen  Fällen  auch  zu  kleinen  ( lornealapoplexien  Anlass  geben 
können.  —  Von  subjeetiven  Erscheinungen  bringt  das  acute  Auftreten 
oft  starke  Lichtscheu,  Thränen,  Schmerzen;  später  treten  die  Sek- 
störungen  mehr  in  den  Vordergrund.  Bei  sehr  dickem  Pannus  können 
die  Kranken  sieh  nicht  mehr  allein  führen,  sehen  kaum  noch  die  Zahl 
der  Hände.  Daneben  ist  oft  vermehrte  Secretion  vorhanden,  die  von 
den  complicirenden  ( Jonjunctivalaffectionen  abhängig  ist. 

Wenn  der  Pannus  sich  zurückbildet,  verschwinden  die  Gefässe  all- 
mählich und  die  ( Jornea  lichtet  sich.  Die  Trübung  kann  der  Therapie 
ganz  weichen,  besonders  bei  jugendlichen  Individuen,  oder  noch  einen 
leichten  durchsichtigen  Schleier,  oft  nur  bei  schiefer  Beleuchtung  und 
an  umschriebenen  Stellen  erkennbar,  zurücklassen.  In  anderen  Fällen, 
wenn  der  Pannus  länger  bestanden  und  wenn  sich,  wie  nicht  selten,  um- 
schriebene Hornhautinfiltrate,  selbst  eitriger  Natur,  hinzugesellt  haben, 
bleibt  eine  intensive  oberflächliche  Trübung  neben  umschriebenen  weiss- 
lichen  Narben.  Auch  veranlasst  ein  derartiges  eitriges  Infiltrat  ge- 
legentlich eine  Perforation  mit  Irisprolaps,  so  dass  eine  vordere 
Synechie  entsteht. 

Iritis  complicirt  öfters  den  Pannus;  besonders  ist  auf  Iritis  serosa 
zu  achten,  bei  der  ohne  stärkere  Miosis  die  vordere  Kammer  tiefer 
wird  und  seeundäre  Steigerung  des  intraoeularen  Druckes  auftritt.  In 
sehr  schweren  Fällen  erfolgt  eine  Art  Schrumpfung  der  Hornhaut:  sie 
wird  weisslich,  trocken  und  abgeflacht,  meist  nur  noch  mit  spärlichen 
Gelassen  durchzogen. 

Aetiologie.  1)  Trachom  bildet  die  häufigste  Ursache  des  Pannus, 
der  hierbei  lange  Zeit  auf  die  obere  Hälfte  der  Cornea  beschränkt  bleibt. 
'1  Keratitis  phlyctaenulosa  führt  bei  längerem  Bestehen  zu  Pannus,  der 
meist  die  ganze  Hornhaut  einnimmt.  3)  Chronische  Blennorrhoen,  selbst 
einfacher  Katarrh  kann  bei  alten  Leuten  gelegentlich  eine  umschriebene 
pannöse  Trübung  veranlassen.  4)  Trauma.  Sowohl  die  directe  Ver- 
letzung der  Cornea  durch  schiefstehende  Cilien  bei  Trichiasis  und 
Entropium  oder  durch  Fremdkörper,  als  auch  die  bei  Ectropium  durch 
grössere  Blosslegung  der  Cornea  bewirkte  Reizung  kann  Pannus  ver- 
ursachen. 5)  In  der  Heilungsperiode  von  Infiltraten  oder  Geschwüren 
treten  nicht  selten  pannöse  Gefässe  auf  (Pannus  regenerativus). 

Die  Prognose  richtet  sich  nach  der  Ursache.  Ist  diese  schnell  zu 
beseitigen,  so  ist  auch  baldige  Heilung  zu  erwarten.  Von  den  einzelnen 
Formen  pflegt  die  bei  Trachom  vorkommende  besonders  hartnäckig  zu 
sein,  doch  kann  man  bei  Ausdauer  oft  überraschende  Erfolge  erzielen. 
Kaum  der  Heilung  zugänglich  ist  der  Pannus  bei  totaler  narbiger  Um- 
wandlung der  Conjunctiva.  Der  phlyktänuläre  Pannus  klärt  sich  in 
der  Resre!. 


« 


478  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

Behandlung.  Der  trachomatöse  Pannus  pflegt  sich  mit  der 
Heilung  des  Schleimhautprocesses  zurückzubilden,  besonders  ist  hierauf 
zu  hoffen,  wenn  die  Schleimhaut  noch  Hyperämie  und  Körner  zeigt, 
weniger,  wenn  sich  ausgedehnte  Narben  gebildet  haben;  aber  auch  hier 
kann  die  Behandlung  der  einzelnen,  zwischen  den  Narben  befindlichen 
hyperämischen  und  geschwellten  Schleimhautpartien  oder  der  noch  vor- 
handenen Granulationen  Erfolge  erzielen.  Auf  diese  Behandlung,  die 
im  Kapitel  Trachom  besprochen  ist,  muss  das  Hauptgewicht  gelegt 
werden.  Giebt  jedoch  die  Beschaffenheit  der  Schleimhaut  keine  be- 
sonderen Indicationen  mehr,  so  ist  der  Pannus  direct  anzugreifen.  Hier 
ist  die  Guthrie 'sehe  Salbe  (Argent.  nitricum  0-4,  Acet.  plumb.  gtt.  8, 
Vaselini  8-0)  oft  von  gutem  Erfolge.  Auch  der  Zerstäubungsapparat, 
durch  den  laue,  schwach  adstringirende  Lösungen  gegen  den  offen- 
gehaltenen Bulbus  geworfen  werden,  ist  bisweilen  mit  Nutzen  ver- 
wendbar. Besondere  Aufmerksamkeit  ist  der  Vernichtung  der  zu- 
führenden Gefässe  am  Hornhautrande  zuzuwenden.  Man  kann  hier 
die  punktförmige  Cauterisation  der  einzelnen  Gefässe  mit  dem  Glüh- 
eisen anwenden,  oder  auch  sie  öfters  mit  dem  Höllensteinstift  —  unter 
nachfolgender  Neutralisation  —  touchiren.  Weniger  ausreichend  wirkt 
die  einfache  Durchschneidung  der  Gefässe.  Ist  die  Gefässentwickelung 
sehr  stark  und  verbreitet,  so  empfiehlt  es  sich,  die  Peridectomie  oder 
Syndectomie  auszuführen.  Man  schneidet  hierbei  mit  der  Scheere 
ein  2  bis  3  mm  breites  Stück  Conjunctiva,  circulär  mit  dem  Hornhaut- 
rande und  diesem  sich  anschliessend,  heraus.  Um  eine  wirkliche  Unter- 
brechung und  Zerstörung  der  Gefässe  zu  erreichen,  wird  das  darunter- 
liegende episklerale  Gewebe  stark  scarificirt.  Die  Reaction  auf  diesen 
Eingriff  führt  anfänglich  zu  einer  stärkeren  Trübung  der  Cornea,  die 
sich  nach  und  nach  wieder  zurückbildet.  1  >ie  gute  Wirkung  tritt  eist 
nach  Wochen  zu  Tage.  Sehr  vortheilhaft  ist  es  auch,  die  Gefässe  auf  der 
Hornhaut  selbst  mit  einem  Lanzenmesser  einzeln  aufzuschneiden:  man 
kann  dies  Verfahren  mit  gleichzeitiger  Durchschneidung  der  zuführenden 
Gefässe  am  Hornhautrande  verbinden. 

I  lie  Einimpfung  einer  acuten  Blennorrhoe  —  am  besten  wird  das  Secret  einer 
Ophthalmia  neonatorum  benutzt  —  wurde  bereits  von  Jäger  gegen  Pannus  em- 
pfohlen und  ist  in  neuerer  Zeit  in  Frankreich  und  England  wieder  mehr  geübt 
worden.  Natürlich  darf  man  die  Methode  nicht  anwenden,  wenn  noch  ein  Auge 
intact  ist,  da  leicht  Uebertragung  und  Zerstörung  der  durchsichtigen  Hornhaut 
eintreten  könnte.  Die  veröffentlichten  Resultate  sind  nicht  gerade  sehr  ver- 
lockend; in  den  günstigsten  Fällen  ist  nach  vielmonatlicher  Behandlung  eine 
Itesserung-  erzielt,  die,  wie  mir  scheint,  in  dieser  Zeit  auch  mit  milderen  Mitteln 
zu  erreichen  wäre.  Bei  vier-  bis  sechsmonatlicher  Klinikbehandlong  habe  ich  es 
ebenfalls  öfters  erreicht,  dass  Patienten,  die  Finger  in  ein  paar  Meter  zählten  oder 
selbst  nur  noch  Bandbewegungen  erkannten,  zu  V3  bis  '/2  Sehschärfe  kamen.  Das 
intensive  und  tiefliegende  Narbengewebe  in  der  Eornhaut  lichtet  sich  aber  weder 


Pannus.  479 

durch  eine  künstliche  Blennorrhoe  noch  durch  andere  Mittel.  Der  Inoculation 
blennorrhoischen  oder  gonorrhoischen  Secrets  ist  das  Bepinseln  mit  Jequirity- 
Maceration  (s.  S.  437)  jedenfalls  vorzuziehen,  vorausgesetzt,  dass  keine  Papillar- 
schwellung  besteht. 

Der  Pannus  nach  chronischer  Blennorrhoe  pflegt  weniger  gefährlich 
zu  sein,  da  das  Gfrundleiden  sich  meist  leichter  heben  lässt:  darauf  ist 
die  Therapie  zu  richten.  Gegen  phlvktänuläreii  Pannus  ist  bei  nicht 
zu  heftigem  Reizzustande  (anderesfalls  ist  erst  antiphlogistisch  mit  massig 
kühlen  Umsehlägen  und  Atropin  vorzugehen)  von  bester  Wirkung  die 
gelbe  Quecksilbersalbe,  die;  wie  bei  der  phlyktänulären  Keratitis,  täglich 
einmal  eingestrichen  und  verrieben  wird.  Das  Verreiben  (Massage) 
kann  man  auch  etwas  verlängern.  — 

Bei  traumatischem  Pannus  sind  die  Ursachen  zu  heben:  so  schief- 
stehende  Cilien,  die  bisweilen  wegen  ihrer  Feinheit  und  weissen  Farbe 
übersehen  werden,  mit  der  Pincette  auszuziehen  oder  durch  Lidoperation 
oder  Abtragung  zu  entfernen.  Verkalkte  Meibom 'sehe  Drüsen  sind 
zu  öffnen  und  ihres  Inhaltes  zu  entleeren.  Distichiasis,  En-  oder 
Ectropium  sind  operativ  anzugreifen.  —  Der  regenerative  Pannus  ist 
natürlich  nicht  zu  bekämpfen,  sondern  eventuell  durch  laue  Umschläge 
zu  unterstützen.  Er  schwindet  mit  der  Heilung  der  primären  Hornhaut- 
aifectionen  meist  auffallend  schnell. 

Ist  die  Hornhaut  bereits  weissnarbig  und  geschrumpft,  so  ist  eine 
Aufhellung  nicht  zu  erwarten.  In  Fällen,  wo  auch  die  Conjunctiva 
geschrumpft  ist,  sorgt  man  für  Befeuchtung  des  Auges,  indem  man 
öfters  laue  Milch  oder  eine  dünne  Lösung  von  Narr,  carbon.  oder  Chlor- 
natrium (0-3  ad  50-0)  einträufelt. 

Keratitis  parenehyniatosa   (interstitialis,   profunda,    diffusa). 

Anfänglich  bildet  sich  im  Centrum  der  Cornea  oder  auch  am  Rande 
eine  leichte,  sehr  durchscheinende  grauliche  Trübung,  die  sich  allmäh- 
lich immer  mehr  ausdehnt  und  schliesslich  die  ganze  Hornhaut  einnimmt, 
so  dass  dieselbe,  zumal  die  Oberfläche  meist  eine  zarte  Stichelung 
zeigt,  den  Anblick  von  behauchtem  Glase  bieten  kann.  In  sehr  seltenen 
Fällen  sind  punktförmige  Trübungen  von  solcher  Kleinheit  und  Durch- 
sichtigkeit vorhanden,  dass  man  sie  nur  mit  der  Lupe  entdeckt:  Reiz- 
barkeit des  Auges  mit  leichter  pericornealer  Injection,  für  die  sonst 
keine  Erklärung  vorliegt,  macht  oft  erst  auf  das  Leiden  aufmerksam. 
Bei  entwickelter  Krankheit  gelingt  es  nicht  mehr,  mit  dem  Augenspiegel 
die  Details  des  Augenhintergrundes  zu  erkennen,  während  man  die 
Iris  und  Pupille  noch  durchscheinen  sieht.  Einzelne  Partien  der  Horn- 
haut sind  etwas  intensiver  getrübt  als  andere.  Dies  tritt  besonders  im 
Stadium   der  Heilung  hervor,   wo    die   Trübungen  sich  an  bestimmten 


4si  i  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

Stellen  verdichten,  während  andere  Partien  wieder  durchsichtig  werden. 
Ein  eitriger  Zerfall  wird  nur  ganz  ausnahmsweise  beobachtet.  In  der 
Regel  klärt  sich  die  Hornhaut  ziemlich  vollständig,  wenngleich  kleine 
sehr  durchsichtige  Trübungen,  die  man  schliesslich  nur  noch  mit 
schieter  Beleuchtung  erkennt,  nicht  selten  zurückbleiben.  Oft  ist  die 
Injeetion  der  Conj.  bulbi  dabei  sehr  gering,  ja  sie  kann  ganz  fehlen. 
Bei  Reizung  des  Auges  stellt  sich  aber  auch  selbst  hier  eine  pericor- 
neale  Röthe  ein.  Eine  Gefässentwickelung  in  der  Cornea,  wenigstens 
soweit  sie  makroskopisch  erkennbar,  ist  zur  Resorption  der  Infiltrate 
nicht  erforderlich. 

In  anderen  Fällen  hingegen  zeigt  sich  gleich  beim  Beginn  oder 
später  ausgeprägte  conjunctivale  und  pericorneale  Röthe,  selbst  mit 
stärkeren  Reizerscheinungen.  Auch  in  die  tieferen  Schichten  der 
Cornea  gehen  Gefässe,  die  sich  zu  Netzen  entwickeln  können;  dieselben 
schwinden  nach  der  Heilung  nur  sehr  langsam  und  können  gelegent- 
lich (durchaus  nicht  immer)  mit  der  Lupe  noch  nach  Jahren  constatirt 
werden. 

Die  subjectiven  Störungen  sind  bisweilen,  abgesehen  von  den  Seh- 
störungen, fast  Null,  so  dass  die  Patienten  selbst  längere  Zeit  eine  ein- 
seitige ausgeprägte  diffuse  Keratitis  haben  können,  ehe  sie  durch  das 
Befallensein  des  anderen  Auges  und  die  nunmehr  hervortretende  Schwach- 
sichtigkeit zum  Arzte  geführt  werden.  Dies  kann  so  stark  sein,  dass  nur 
noch  Bewegungen  der  Hand  in  der  Nähe  erkannt  werden.  In  anderen 
Fällen  hingegen  sind  Thränen  und  Lichtscheu  und  sogar  erheblichere 
Schmerzen  vorhanden. 

Complicationen  zeigen  sich  in  der  Hornhaut,  in  der  Iris  und  Cho- 
rioidea.  So  entstehen  in  seltenen  Fällen  in  der  Hornhaut  intensive 
umschriebene  dicke  Infiltrate,  die  schliesslich  weisse  Flecke  und  hoch- 
gradigere Sehschwäche  zurücklassen.  Auch  die  Membrana  Descemetii 
hat  bisweilen  punktförmige  Beschläge,  abstammend  von  einer  beglei- 
tenden Iritis  serosa.  Die  Pupille  ist  fast  immer  eng  und  reagirt  schlecht 
auf  Atropin.  Auch  kann  es  zu  plastischer  Iritis  mit  hinteren  Synechien, 
selbst  kleinen  Hypopyen  kommen.  Gelegentlich  sieht  man  eigentüm- 
liche, stecknadelkopfgrosse,  weissliche  Exsudationen  ganz  am  Kammer- 
rande vor  dem  Ligam.  pectinatum,  die  sich  zur  Membrana  Descemetii 
herüber  fortsetzen  und  kleine  Brücken  (vordere  Synechien)  bilden,  die 
sich  nach  Heilung  der  Krankheit  noch  lange  erhalten.  Ebenso  finden 
sich  bisweilen  mehr  oder  weniger  intensive  Glaskörpertrübungen  und 
disseminirte  Chorioiditis.  Während  hier  in  der  Regel  der  intraoculare 
Druck  hoch  ist,  so  wird  doch  ausnahmsweise  auch  eine  primäre  oder 
scciindäre  Hypotonie  beobachtet.  In  zwei  höchst  merkwürdigen  Fällen, 
die    Klein    beschrieb,    kam    es    bei    total    getrübter    Cornea   sogar   zu 


Keratitis  parenchymatosa.  481 

einer  vollständigen  Phthisis  mit  Erblindung,  indem  die  vordere  Kammer 
aufgehoben  und  der  Bulbus  matsch  -wurde:  dennoch  erfolgte  später 
Restitution.  — 

Es  ist  die  Beschaffenheit  der  Iris  und  das  Sehvermögen  immer 
genau  zu  untersuchen:  letzteres  muss,  falls  man  Complicationen  aus- 
schliessen  will,  den  durch  die  Hornhauttrübung  gesetzten  optischen 
Hindernissen  entsprechen,  darf  also  beispielsweise  in  Fällen,  wo  die 
Iris  noch  gut  zu  erkennen  ist,  nicht  auf  quantitative  Lichtempfindung 
herabgesetzt  sein.  Das  Gesichtsfeld  ist  bei  uncomplicirten  Fällen 
natürlich  frei. 

Der  Verlauf  der  Krankheit  ist  ein  ausserordentlich  langwieriger; 
Monate,  selbst  Jahre  können  vergehen.  In  der  Regel  wird  ein  Auge 
nach  dem  anderen  befallen,  meist  so,  class  das  erste  noch  erkrankt  ist, 
wenn  das  zweite  anfängt,  krank  zu  werden.  Ich  habe  auch  gesehen, 
»lass  ein  Auge  über  ein  Jahr  schon  gesund  war,  als  das  zweite  erkrankte. 
In  seltenen  Fällen  bleibt  ein  Auge  dauernd  verschont.  Fast  alle  er- 
krankten Individuen  stehen  im  Alter  von  (3  bis  20  Jahren.  Auch  Recidive 
werden  beobachtet. 

Pathologisch-anatomisch  wurde  eine  dichte  Zellen-Infiltration  be- 
sonders der  hintersten  Hornhautschichten  gefunden;  auch  im  Ligam. 
pectinatum  und  in  der  Iris  sind  zahlreiche,  zum  Theil  zu  kleinen  Knöt- 
chen verdichtete  Zellen  angehäuft.  Daneben  neugebildete  Gelasse;  auf 
dem  Endothel  der  Membr.  Descemetii  an  umschriebenen  Stellen  Auf- 
lagerungen von  Rundzellen. 

Die  Aetiologie  der  Affection  scheint  in  einer  constitutionellen 
Anomalie  gesucht  werden  zu  müssen.  Dafür  spricht  die  Doppelseitigkeit 
des  Auftretens  und  das  Aussehen  der  Patienten.  Meist  sind  es  bleiche, 
anämische  Individuen,  oft  besteht  oder  bestand  Scropkulose.  Auch 
Tuberculose  ist  in  Erwägung  zu  ziehen.  Menstruationsanomalien  sind 
oft  vorhanden.  Selten  handelt  es  sich  um  vollkommen  gesunde  blühende 
Personen. 

Hutchinson  hat  als  Ursache  der  Kerat.  diffusa  hereditäre 
Lues  hingestellt.  Wichtig  für  die  Diagnose  der  letzteren  ist  ihm  be- 
sonders das  Aussehen  der  oberen  bleibenden  Schneidezähne,  die  an 
ihrer  Schneide  anfänglich  kleine  conische  Spitzen  zeigen,  welche  sich 
allmählich  abnutzen,  so  dass  schliesslich  die  Schneidefläche  einen  con- 
caven  Bogen  mit  seitwärts  hervorragenden  Spitzen  zeigt.  Diese  Zahn- 
form ist  übrigens  von  der  bei  Rhachitis  und  sonst  vorkommenden  zu 
unterscheiden,  wo  auf  der  Schneidefläche  kleine  Zacken,  in  der  Schmelz- 
fläche querlaufende  Furchen  vorhanden  sind.  Daneben  gelten  ihm  als 
Symptome  der  hereditären  Lues  eine  eigenthümliche  Bildung  des  Ge- 
sichtes  und  Schädels  (Oberkiefer  und  Nasenrücken    auffallend   flach); 

Schmidt-Rimpler.     7.  Auflage.  31 


482  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

ferner  Narben  an  den  Mundwinkeln,  in  der  Mund-  und  Nasenhöhle  als 
Folge  von  Ulcerationen,  Halslymphdrüsen,  Auftreibungen  der  Tibia 
und  Schwerhörigkeit.  Wenngleich  in  der  überwiegenden  Zahl  der  Fälle 
in  der  That  hereditäre  Lues  nachweisbar  ist,  so  fehlt  sie  doch  sicher 
in  anderen.  Man  wird  diese  letzteren  Fälle  natürlich  am  seltensten 
in  unseren  Metropolen  sehen,  wo  die  Syphilis  eine  so  ausgedehnte  Ver- 
breitung gefunden  hat.  Im  Uebrigen  können  auch  die  angegebenen 
Merkmale  durchaus  nicht  ohne  Weiteres  als  beweiskräftig  für  hereditäre 
Lues  gelten. 

Die  Prognose  ist  im  Ganzen  günstig,  da  die  meisten  Fälle  heilen 
und  ein  gutes  Sehvermögen  wieder  erlangen.  Getrübt  wird  sie  durch 
etwaige  Complicationen.  Jedoch  pflegen  selbst  nach  schweren  Com- 
plicationen  oft  im  Laufe  der  Jahre  demioch  Heilungen  zu  Stande  zu 
kommen. 

Die  örtliche  Behandlung  übt  -in  der  Regel  keinen  sehr  erheb- 
lichen Einfluss  auf  den  Ablauf  des  Processes.  Sie  wird  vorzugsweise 
darauf  gerichtet  sein,  Complicationen  abzuhalten  und  die  vorhandenen 
zu  bekämpfen.  Man  thut  gut,  dem  Patienten  gleich  mitzutheilen,  dass 
die  Krankheit  Monate  lang  dauern  wird,  dass,  falls  erst  ein  Auge  er- 
krankt ist,  auch  das  zweite  wahrscheinlich  erkranken  werde,  dass  aber 
andererseits  auch  Heilung  und  Wiedererlangung  eines  guten  Sehver- 
mögens zu  erwarten  stehen.  Vor  Allem  ist  die  Constitution  zu  berück- 
sichtigen. Bei  schlechtem  Appetit  und  Anämie  würde  zuerst  die 
Nahrungszufuhr  durch  entsprechende,  die  Verdauung  fördernde  Mittel 
zu  heben  sein;  später  ist  Eisen  am  Platze.  Bei  scrophulöser  Anlage 
letzteres  als  Jodeisen.  Auch  der  lange  fortgesetzte  Gebrauch  von 
Leberthran  empfiehlt  sich.  Ist  Lues  vorhanden,  so  muss  Quecksilber 
oder  Jodkali  benutzt  werden.  Bei  Kindern  wende  ich  meist  die  Schmier- 
cur  an  (Ug.  einer  1,0 — 2,0)  bei  älteren  Individuen  subcutane  Sublimat- 
Injectionen.  Gegen  die  Reizbarkeit  der  Iris  ist  Atropin  oder  Scopol- 
amin  einzuträufeln.  Zur  Beschleunigung  des  Krankheitsverlaufs  hat 
man  warme  Umschläge  empfohlen,  ohne  dass  davon  jedoch  viel  Nutzen 
zu  sehen  ist.  Besonders  bei  complicirender  Iritis  ist  ein  Versuch  mit 
subconjunctivalen  Kochsalz-Injectionen  (eine  halbe  Spritze  voll  täglich 
oder  Tag  um  Tag)  zu  empfehlen.  Hier,  sowie  bei  Chorioiditis  ist  die 
Mercurialisation,  wenn  der  Körperzustand  es  einigermaassen  erlaubt, 
vorzugsweise  angezeigt.  Ist  starke  Descemetitis  vorhanden,  so  kann 
man  bei  normalem  oder  erhöhtem  intraocularen  Druck  wiederholt  Punc- 
tionen  machen;  bisweilen  ist  hier  die  Iridectomie  indicirt.  In  einzelnen 
Fällen,  wo  jede  Injcction  fehlt,  scheint  das  Bestreichen  der  Uebergangs- 
falte  des  unteren  Lides  mit  mitigirtem  Lapis,  alle  2  bis  4  Tage  wieder- 
holt, die  Klärung  zu  beschleunigen.     Beginnt  dieselbe,  so  kann  man  in 


Sclerosirendes  Bornhautinfiltrat.  483 

vorsichtiger  Weise  und  die  Irritation  beachtend,  auch  Calomel  oder 
gelbe  Präcipitatsalbe  und  Massage  versuchen.  Ist  der  Reizzustand  der 
Augen  nicht  erheblich,  so  lasse  man  die  Kranken  mit  einer  Schutzbrille 
an  die  Luft  gehen.  Bei  starker  Gefässinjecti<$a,  die  lange  unverändert 
bleibt,  hat  man  mit  Erfolg  die  Peritomie  angewandt. 

Sclerosirendes  1 1  ornhautint'iltrat. 
An  einer  Stelle,  die  der  Hornhaut  benachbart  ist,  rindet  sich  zuerst 
eine  seleri tische  oder  episkleritische  Infiltration.  Von  dieser  aus  gehen 
Gefasse  zur  Hornhaut;  am  Rande  derselben  bildet  sich  alsdann  eine 
grauweissliche  tieckentormige  Verfärbung,  die  sich  nicht  scharf  von  der 
Umgebung  abgrenzt  und  allmählich  mehr  nach  dem  Centrum  der  Cornea 
zuschiebt,  wo  sich  umschriebene,  fast  wie  Leukome  aussehende  weisse 
Infiltrate  bilden  können.  Oefters  kommen  von  mehreren  Seiten  solche 
Schübe,  bisweilen  ist  die  ganze  Peripherie  grau  getrübt.  Anatomisch 
hat  E.  Berlin  m  einem  Falle  eine  Einwanderung  adenoiden  Gewebes 
mit  einkernigen  Rundzellen  und  massenhafter  Bildung  hyaliner  Substanz 
gefunden.  Meist  klären  sich  die  Trübungen  wieder,  aber  nur  sehr 
langsam  im  Verlaufe  von  Monaten.  Auch  centrale,  graue,  mit  intensiv 
weissen,  kalkartigen  Stellen  durchsetzte  Infiltrate,  Iritis,  Descenietitis 
und  Glaskörpertrübungen  compliciren  verhältnissmässig  häufig  diese 
Atfection.  Im  Uebrigen  entspricht  der  Verlauf  sehr  dem  der  Kerat.  paren- 
ehymatosa  diffusa,  nur  dass  die  Trübungen  nicht  so  diffus  sind  und 
schliesslich  am  Rande  der  Cornea  bläulich-weisse  Verfärbungen,  ähn- 
lich dem  Seleragewebe,  zurückbleiben:  die  Sclera  greift  scheinbar  in 
das  Gebiet  der  Corneaperipherie  hinein.  Auf  der  Lederhaut  selbst 
bilden  sich  an  der  Stelle  der  früheren  Scleritis  dunklere  violette  Flecke. 
Wie  bei  der  einfachen  diffusen  Keratitis  werden  meist  beide  Augen 
hinter  einander  befallen.  Die  Therapie  hat  sich  besonders  gegen  die 
scleritischen  Processe  und  gegen  etwaige  Complicationen  zu  wenden. 
Für  die  Hornhaut  selbst  genügt  in  der  Regel  neben  Atropinisirung  ein 
abwartendes  Verfahren.  In  widerspenstigen  Fällen,  bei  ausgebreiteten 
Trübungen  mit  starker  Sehschärfenabnahme,  empfiehlt  sich  die  Peri- 
dectomie,  von  der  ich  vortreffliche  Wirkungen  gesehen  habe.  Auch 
werden  etwaige  Säfteanomalien  zu  heben  sein;  so  hat  man  bei  Gicht 
von  Lithium  salicylic.  Nutzen  gesehen  (Dufour).  Ferner  sind  Pilocarpin - 
Einspritzungen  gelegentlich  von  Vortheil  gewesen. 

V.  Hornhautgesehwüre. 

Die  Geschwüre   der  Hornhaut   entstehen  von   der  Oberfläche   her, 
indem  das  Epithel  verloren  geht  und  die  Zerstörung  in  die  Tiefe  fort 
schreitet,  oder  von  innen  her,  indem  zuerst  eine  Infiltration  sich  bildet, 

31* 


484  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

die  dann  exnlccrirt.  Im  Ganzen  pflegt  bei  letzterer  Entstehungsweise 
der  Grund  der  Geschwüre  trüber  und  undurchsichtiger  zu  sein  als  bei 
ersterer.  Sie  compliciren  sich  bisweilen  mit  Hypopyon  und  Iritis.  Kommt 
es  bei  nicht  zu  tief  gehenden  Geschwüren  zur  Heilung,  so  stellt  sich, 
nachdem  sich  der  trübe  Grund  gereinigt  hat7  zuerst  das  Epithel  wieder 
her  und  dann  erst  allmählich  das  verloren  gegangene  Hornhautgewebe, 
so  dass  noch  längere  Zeit  Vertiefungen  mit  glänzender  Oberfläche  nach- 
weisbar sind  (Reparationsgeschwüre).  Um  zu  erkennen,  ob  das 
Epithel  noch  fehlt,  hat  Straub  das  Betupfen  mit  einer  Fluoreseein- 
lüsung  (nach  Thomalla  am  besten  2proc.  Lösung  von  Grübler' s 
Fluorescein  in  3-5proc.  Natr.  carbonic.-Lösung)  empfohlen:  der  Defect 
färbt  sich  dann  intensiv  grün;  nach  einer  Stunde  ist  die  Färbung  wieder 
verschwunden.  —  Bei  grösserem  Substanzverlust  ist  das  neugebildete 
Gewebe  nicht  durchsichtig,  sondern  bildet  eine  mehr  oder  weniger  trübe 
Narbe,  die  entweder  im  Niveau  der  übrigen  Hornhaut  liegt  oder  her- 
vortritt (ektatische  Hornhautnarbe,  bei  grösserer  Ausdehnung 
Staphyloma  corneae),  oder  auch  sich  abflachend  zu  einer  Ver- 
kleinerung der  Cornealfläche  führen  kann,  die  bei  stärkster  Entwicklung 
als  Phthisis  corneae  bezeichnet  wird. 

Der  Beginn  der  Heilungsperiode  der  meisten  tieferen  Geschwüre 
kennzeichnet  sich  dadurch,  dass  Gefässe  in  der  Cornea  entstehen,  die 
vom  Limbus  her  zu  dem  Geschwüre  laufen,  dessen  Grund  gleichzeitig 
seine  schmutzige  oder  intensiv  gelbliche  Färbung  verliert. 

Gehen  die  Geschwüre  immer  mehr  in  die  Tiefe  und  zerstören  sie 
die  Hornhaut  bis  auf  ihre  hintersten  Schichten,  so  widerstehen  letztere, 
sobald  der  Substanzverlust  auch  in  der  Fläche  eine  gewisse  Ausdehnung 
erreicht  hat,  nicht  mehr  dem  Drucke  des  Kammerwassers  und  werden 
etwas  nach  vorn  gebuchtet  (Hernia  corneae  oder  Keratocele);  es 
bildet  sich  eine  Art  durchsichtigen  Bläschens.  Wird  nun  die  Niveau- 
differenz mit  der  gesunden  Hornhaut  ausgeglichen,  so  kann  beim  ober- 
flächlichen Anblick  der  Zustand  übersehen  werden.  Bei  manchen  Ge- 
schwüren, die  bei  acuter  Blennorrhoe  oder  Diphtheritis  auftreten,  ist 
dies  besonders  häufig.    Die  focale  Beleuchtung  wird  hier  Auskunft  geben. 

Kommt  es  zur  Perforation,  so  fliesst  das  Kammerwasser  ab,  und 
Iris  und  Linse  legen  sich  der  Hornhaut  an  unter  gleichzeitiger  Ver- 
engerung der  Pupille.  Die  Abnahme  des  Augeninhalts  bedingt  eine 
starke  Herabsetzung  des  intraoeularen  Druckes.  Meist  tritt  im  Moment 
plötzlichen  Kammerwasserabflusses  eine  sehr  heftige,  aber  bald  vorüber- 
gehende Ciliarneuralgie  auf.  Ist  die  Oeffnung  sehr  klein,  so  fliesst  der 
Humor  aqueus  nur  langsam  ab;  es  kann  auch  zum  Verschluss  kommen, 
ehe  er  ganz  ausgelaufen  ist  Steigt  der  intraoeulare  Druck,  so  entleert 
sidi  von  Neuem  die  Flüssigkeit;  gelegentlich  sickert  sie  Tage  lang  be- 


Hornhautgeschwttre.  485 

ständig-  ab,  ohne  dass  die  vordere  Kammer  sieh  herstellt  (Fistula 
corneae).  Je  kleiner  die  Durchbruchstelle  ist,  um  so  geringer  die 
Gefahr  für  das  Auge.  Bei  sehr  ausgedehnten  PerforationsöfFnungeii 
können  sich  Linse  und  Glaskörpertheile  entleeren,  selbst  stärkere  in.tr a- 
oculare  Blutungen  eintreten.  Gewöhnlich  bildet  sich,  falls  eine  grössere 
Uornhautötlnung  der  Iris  gegenüber  liegt,  ein  Vorfall  derselben  (Iris- 
prolaps),  der  selbst,  wenn  ei"  sich  zurückbildet,  doch  eine  Anheftung 
der  Iris  an  die  Cornea  (vordere  Synechie)  zurücklässt.  Bei  kleinerer 
Perforation  legt  sich  die  Iris  nur  an;  aber  auch  hierdurch  kann  eine 
bleibende  vordere  Synechie  zu  Stande  kommen.  Diese  ist  am 
ehesten  zu  befürchten,  wenn  der  Pupillarrand  in  die  Cornealöffnung 
fällt;  liegt  die  Iris  mit  ihrer  Fläche  an,  so  wird  sie  durch  das  Wieder- 
ansammeln  des  Humor  aqueus  leichter  von  der  Wunde  abgedrängt. 
Der  Irisprolaps  zeigt  sich  im  Beginn  als  ein  schwarzer  Fleck  oder  als 
schwarze  Hervorragung;  später  nimmt  er  eine  mehr  schiefergraue  Fär- 
bung an.  Sammelt  sich  das  Kamnierwasser  dahinter  an,  so  bildet  er 
eine  gespannte  Blase.  Bei  einigem  Bestehen  pflegt  eine  Wucherung 
der  vorgefallenen  Iris  einzutreten,  bei  der  sich  ein  bräunlich-rothes 
Granulationsgewebe  bildet.  Kleinere  Irisprolapse  werden  in  der  Hei- 
lungsperiode durch  die  weissliche  Narbenbildung,  die  vom  Rande  des 
Hornhautgeschwüres  beginnt,  wieder  zurückgepresst,  so  dass  schliesslich 
ein  weisser  Fleck,  an  den  die  Iris  geheftet  ist  (Leucoma  adhaerens), 
übrig  bleibt.  In  anderen  Fällen  behält  aber  die  Partie,  vorzugsweise 
in  ihrem  centralen  Theile,  auch  nach  der  Heilung  ihre  schwärzliche 
Färbung.  — 

Ist  der  Vorfall  sehr  gross,  so  giebt  es  in  der  Regel  ein  Staphylom; 
aber  man  kann  bisweilen  Vorfälle  von  3  bis  4  mm  im  Durchmesser 
vollkommen  zurückgehen  und  im  Niveau  verheilen  sehen. 

Alle  vorderen  Synechien  schliessen  für  die  Zukunft  eine  gewisse 
Gefahr  in  sich,  indem  es  zu  frischen  Erweichungen  oder  auch  ohne 
diese  zu  Drucksteigerungen  mit  Secundärglaukom  kommen  kann.  Selbst 
deletäre  Entzündungen,  wie  schleichende  oder  acute  eitrige  Irido-Cyklitis, 
können  noch  nach  Jahren  von  ihnen  ihren  Ursprung  nehmen,  besonders 
wenn  umschriebene  Iris-Staphyloine,  die  ihre  dunkle  Färbung  und  Dünn- 
heit behalten  haben,  in  der  Nähe  der  Hornhautperipherie  zurückgeblieben 
sind.  Dieselben  scheinen  einer  bacteriellen  Infection  besonders  zugäng- 
lich zu  sein  (Wagenmann). 

Nach  der  Perforation  der  Geschwüre  oder  auch  noch  während  ihres 
Fortschreitens  setzt  sich  bei  den  schwereren  Formen  und  in  selteneren 
Fällen  die  Entzündung  auch  auf  Chorioidea  und  Glaskörper  fort,  so  dass 
das  Auge  vereitern  kann. 

Aetiologie.     1)  Aeussere  Verletzungen,  die  zu  einem  Verlust  der 


486  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

Epithelschicht  führen,  heilen  für  gewöhnlich  leicht.  Nur  bei  Infection 
der  Wunde,  etwa  durch  das  Secret  einer  Thra'nensackblennorrhoe, 
kommt  es  zu  schweren  Erkrankungen,  wie  sie  z.  B.  das  Ulcus  serpens 
(vgl.  Hypopyon-Keratitis)  darbietet.  2)  Conjunctivalaffectionen.  Bei 
phlyktänulärer  Conjunctivitis  finden  sich  öfters  randständige  kleinere 
Geschwüre,  ferner  bei  Conjunctivitis  alter  Leute,  bei  chronischen  Con- 
junctivitiden,  bei  Trachom;  besonders  tiefe  Ulcerationen  treten  bei 
Blennorrhoe  und  Diphtheritis  auf.  3)  Lidaffectionen.  Trichiasis,  En- 
imd  Ectropium.  4)  Voraufgegangene  Hornhautinfiltrate  oder  Abscesse. 
5)  Allgemeine  constitutionelle  Erkrankungen,  besonders  Scrophulose. 

Die  Prognose  richtet  sich  nach  der  Tiefe  und  Ausdehnung  des 
Geschwürs.  Ist  Perforation  eingetreten,  so  pflegt  die  an  der  betreffenden 
Stelle  entstehende  Narbe  nicht  zu  verschwinden.  Hingegen  lichten  sich 
bei  mehr  oberflächlichem  Substanzverlust  die  zuerst  weisslichen  Narben 
im  Laufe  der  Jahre  immer  mehr-,  die  im  Kindesalter  entstandenen 
können  später  fast  ganz  durchsichtig  werden.  Einzelne,  unten  noch  zu 
erwähnende  Geschwürsformen  zeigen  erfahrungsgemäss  einen  ganz 
typischen  Verlauf.  — 

Bezüglich  der  Therapie  ist  als  Hauptgesetz  festzuhalten,  dass 
ein  anregendes,  die  Blutgefässentwicklung  in  der  Cornea  beförderndes 
Verfahren  angezeigt  ist.  Nur  in  den  Fällen,  wo  die  Geschwürsbildung 
in  directer  Abhängigkeit  von  Conjunctivalerkrankungen  (wie  z.  B.  bei 
Blennorrhoe)  steht,  sind  diese  vor  Allem  zu  bekämpfen  und  hier  ist 
die  Anwendung  der  Kälte  indicirt.  Sonst  ist  im  Gegentheil  feuchte 
AVärme,  sei  es  durch  Umschläge  mit  Kamillenthee,  antiseptischen  Lö- 
sungen oder  auch  in  Gestalt  des  antiseptischen  feuchtwarmen  Verbandes, 
in  Anwendung  zu  ziehen.  Allerdings  ist  immer  zu  beachten,  dass 
durch  die  feuchte  Wärme  keine  erheblichere  Conjunctivitis  hervor- 
gerufen werde.  Nöthigenfalls  hält  man  letztere  durch  directes  Be- 
pinseln der  Conjunctiva  palpebralis  mit  Tanninlösungen  im  Zaum.  Auch 
muss  man  bei  den  Umschlägen  sich  hüten,  dass  nicht  Niederschläge  in 
das  Geschwür  kommen,  so  etwa  ausgeschiedene  Salicylsäure;  ebenso 
sind  Bleilösungen  als  Umschläge  aus  diesem  Grunde  zu  meiden.  Ein- 
pudern von  Jodoform  oder  die  Anwendung  von  Aqua  chlor,  können 
gelegentlich  Besserung  bringen.  —  Um  das  Auge  durch  Aufhebung 
der  Accommodation  in  Ruhe  zu  setzen  und  gleichzeitig  eine  Hyperämie 
der  Iris  zu  hindern,  wird  mehrere  Mal  täglich  Atropin  eingeträufelt. 
Bei  heftigeren  Schmerzen  sind  Blutegel  öfters  von  Nutzen.  Ebenso 
empfiehlt  sich  zur  Ableitung  die  Arlt'sche  Stirnsalbe.  Aehnlich  wirken 
Einpinselungen  von  Jodtinctur  auf  die  Stirn-  und  Schläfenhaut  oder 
auch  bei  stärkerer  Schwellung  der  Lidhaut  das  Bestreichen  derselben 
mit  Bleiessig  oder  ein  quer  herüber  geführter  Strich  mit  dem  feuchten 


1  lovnhautg-eschwüre.  487 

Lapisstift  unter  nachfolgender  Neutralisation.  Bei  sehr  tiefgehenden 
und  sonstiger  Behandlung  widerstehenden  Geschwüren  hat  man  auch 
durch  Bedecken  mit  einem  abgelösten  oder  gestielten  Conjunctival- 
lappen  günstigere  Heilungsbedingungen  zu  setzen  gesucht  (Schöler, 
Kuhnt). 

Die  erwähnten  Mittel  finden  vorzugsweise  ihre  Verwendung,  so- 
lange der  Geschwürsgrund  oder  Rand  grau-gelblich  und  käsig  infiltrirt 
ist  und  ein  reparativer  Gefässpannus  sich  noch  nicht  entwickelt  hat. 
Ist  letzteres  der  Fall  und  fängt  die  Oberfläche  des  Geschwürs  nach 
Reinigung  desselben  an  zu  spiegeln,  so  kann  unter  einfachen  Atropin- 
einträufelungen  und  Augenklappe  ein  mehr  abwartendes  Verfahren 
eingeschlagen  werden.  Direct  reizende  Einträufelungen  wie  mit  ver- 
dünnter Tinct.  Opii  (1 : 5),  oder  Einpudern  von  Calomel7  Einstreichen 
gelber  Präcipitatsalbe  haben  allenfalls  bei  ganz  reizlosen  und  im  Re- 
parationsstadium stationär  bleibenden  Geschwüren  Nutzen;  in  der  Regel 
sind  sie  zu  unterlassen.  Ist  hingegen  das  Geschwür  geheilt,  so  ist, 
wenn  phlyktänuläre  Processe  mit  im  Spiele  waren,  zur  Vermeidung 
von  Recidiven  noch  längere  Zeit  Calomel  einzustreuen. 

Neben  dieser  örtlichen  Therapie  muss  bei  vorliegender  Indication 
eine  allgemeine  nebenher  laufen.  So  hat  besonders  die  Bekämpfung 
der  etwa  vorhandenen  Scrophulose  mit  Leberthran,  Jodeisen,  Bädern 
in  Kreuznacher  Mutterlauge  u.  s.  w.  grosse  Bedeutung.  Etwaig  i  Haut- 
ausschläge sind  möglichst  zur  Heilung  zu  bringen,  besonders  falls  sie 
ihren  Sitz  an  den  Lidern  haben.  Einmal  vertragen  sie  meist  die  zur 
Behandlung  des  Hornhaut-Ulcus  erforderliche  feuchte  Wärme  schlecht, 
andererseits  können  sie  durch  Uebergreifen  auf  den  Lidrand  zu  crou- 
pösen  Belägen  hier  und  an  der  Conj.  tarsalis  Anlass  geben.  Will  man 
beim  Bestehen  der  Lidausschläge  Umschläge  machen,  so  muss  man  die 
Haut  durch  ein  Oelläppchen  schützen.  —  Schwächlichen  und  schlecht 
genährten  Individuen  giebt  man  neben  roborirender  Nahrung  Chinin 
und  Wein,  anämisches  Eisen.  — 

Nähert  sich  ein  Geschwür  der  Perforation,  so  ist  zu  überlegen,  ob 
dieselbe  künstlich  zu  bewirken  oder  der  Natur  zu  überlassen  sei.  Bei 
kleinen  und  trichterförmig  in  die  Tiefe  gehenden  Geschwüren  kann 
letzteres  geschehen.  Haben  aber  die  Geschwüre  eine  breitere  Fläche 
mit  mehr  gleichmässiger  Verdünnung,  so  ist  die  Punction  vorzuziehen, 
weil  hierdurch  nur  eine  umschriebene  Oeffnung  gemacht  wird,  während 
bei  späterer  spontaner  Perforation  ein  erheblich  weiteres  Einreissen 
des  Geschwürsgrundes  erfolgt;  bei  Keratocele  sollte  immer  punctirt 
werden.  Es  kommt  noch  hinzu,  dass  die  frühzeitige  Punction  in  der  Regel 
auch  den  Heilungsprocess  anregt,  indem  nach  der  Kammerentleerung 
der  Druck  gegen  die  verdünnte  Hornhaut  verringert  wird.    Die  Punc- 


4&s  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

tion  wird  im  Geschwürsgrunde  gemacht,  nicht  in  der  gesunden  Hörn* 
haut,  indem  leicht  bei  letzterem  Vorgehen  <ler  auf  die  Cornea  mit  dem 
.Messer  geübte  Druck  gleichzeitig  den  dünnen  Geschwürsgrund  zum 
Platzen  bringt,  andererseits  auch  allein  durch  die  Function  im  Geschwüre 
Aussicht  auf  ein  nicht  so  schnelles  Wiederverschliessen  der  Wunde 
und  längeres  Fisteln  gegeben  wird.  Zeigt  sich  nach  Wiederherstellung 
der  vorderen  Kammer  in  den  nächsten  Tagen  der  Geschwürsgrund 
btervorgebuchtet,  so  muss  man  mit  dem  Spatel  von  Neuem  die  frühere 
Wunde  öffnen. 

Ist  Hypopyon  vorhanden,  so  wird  es  bei  der  Function  entleert; 
bei  sehr  faserstoffreicher  Beschaffenheit  desselben,  welche  ein  Hinaus- 
schlüpfen hindert,  kann  man  den  in  der  Wunde  liegenden  Theil  mit 
einer  Irispincette  fassen  und  so  das  Gerinnsel  herausziehen.  Im  Uebri- 
gen  braucht  man  sich  nicht  darauf  zu  versetzen,  allen  Eiter  zu  ent- 
leeren. Die  Resorption  geringer  Massen  erfolgt  von  selbst.  Das  Hy- 
popyon an  sich  bietet  nur,  wenn  es  etwa  mehr  als  ein  Drittel  der 
vorderen  Kammer  einnimmt  und  stationär  bleibt,  eine  Indication  zur 
Parazentese.  — 

Droht  eine  Perforation  oder  will  man  sie  künstlich  herbeiführen, 
so  muss  man  suchen,  den  Pupillarrand  aus  dem  Bereiche  der  Oeffnung 
zu  bringen.  Je  nach  der  peripheren  oder  centralen  Lage  des  Geschwürs 
träufelt  man  Eserin  (bezw.  Pilocarpin)  oder  Atropin  (bezw.  Scopolamin) 
vorher  ein,  indem  man  gleichzeitig  in  Rechnung  zieht,  dass  nach  der 
Kammerentleerung  an  und  für  sich  eine  Verengerung  der  Pupille  ein- 
zutreten pflegt. 

Gleich  nach  der  Function  legt  man  zur  Bekämpfung  des  momentan 
entstehenden  heftigen  Schmerzes  einen  Druckverband  an  oder  lässt 
kurze  Zeit  kalte  Umschläge  machen.  Hat  sich  ein  Irisvorfall  gebildet, 
so  ist  nur  bei  starken  Schmerzen  und  bläschenförmigem  Vortreiben 
eine  Function  desselben  nüthig.  In  der  Regel  zieht  sich  der  Vorfall 
bei  der  Narbenbildung  wieder  in  das  Niveau  zurück.  Bei  längerem 
Bestehen  kann  man  gelegentlich  die  Vernarbung  durch  leichtes  Be- 
tupfen mit  dem  Höllensteinstift  befördern.  Hierdurch,  durch  Eserin 
beziehentlich  Atropin  und  Tragen  eines  Druckverbandes  wird  man  das 
Abschneiden  des  Vorfalls,  das  gelegentlich  zu  gefährlichen  Entzündungen 
Anlass  gehen  kann,  in  der  Regel  vermeiden.  Es  bedarf  aber  der  Ge- 
duld und  langer  fortgesetzter  Schonimg.  Nur  ausnahmsweise  und  bei 
grösseren  Vorfällen,  wenn  sie  trotz  längerer  Behandlung  nicht  zurück- 
gehen,  halte  ich  das  Alttragen  für  angezeigt-,  man  bildet  hierbei  mit 
einem  Graefe 'sehen  Starmesser  einen  unteren  Lappen,  fasst  diesen 
nun  mit  dev  l'incette  und  durchschneidet  mit  der  Scheere  die  obere 
Peripherie  des  Vorfalls.     So   wird   die  Zerrung  vermieden,   welche  ein 


Resorptionageschwüre  und  Reparationsgeschwüre.  489 

einfacher  Scheerenschlag  verursachen  würde.  Gewöhnlich  sieht  man 
einige  Tage  nach  dem  Abtragen  wieder  eine  Zunahme  des  Prolapses 
eintreten,  die  sich  aber  später  zurückbildet.  Das  von  Gama  Pinto 
vorgeschlagene  Verfahren,  nach  Abtragen  des  Vorfalls  ein  Bindehaut- 
läppchen auf  den  1  )efect  zu  drücken  und  anheilen  zu  lassen,  kann 
grössere  bläschenförmige  Flecke  zur  Folge  haben.  Sollte  später  durch 
die  vonlere  Synechie  Drucksteigerung  entstehen,  so  iridectomirt  man 
neben  ihr;  auch  kann  man  versuchen,  unter  Anwendung  des  schmalen 
Messers  oder  einer  Wecker  'sehen  Scheere  die  Iris  von  der  Cornea  zu 
trennen  (Schul eck). 

Die  Kranken  bleiben  mit  einer  Klappe  oder  einem  Verbände  vor 
dem  Auge  im  massig  verdunkelten  Zimmer;  bei  schwereren  Formen  ist  es 
oft  günstig,  sie  einige  Tage  im  Bett  zu  halten.  Ausgehen  ins  Freie 
ist  nur  bei  langwierigen  und  wenig  entzündlichen  Processen  zu  ge- 
statten. — 

Unter  den  sehr  verschiedenartig  gestalteten  und  verlaufenden  Horn- 
hautgeschwüren seien  einige  charakteristische  Formen  hervorgehoben. 
Die  wichtigste,  das  Ulcus  serpens,  ist  in  dem  Kapitel  Hypopyon-Keratitis 
bereits  besprochen. 

Resorptionsgeschwüre  und  Reparationsgeschwüre. 

Es  sind  dies  kleine,  etwa  stecknadelkopfgrosse  Geschwüre,  die  einen 
sehr  durchsichtigen  Grund  und  in  der  Umgebung  keine  erheblichere 
Infiltration  zeigen.  Die  pericorneale  Injection  ist  fast  gleich  Null,  ebenso 
sind  die  subjeetiven  Beschwerden  sehr  gering.  Auch  verheilende 
Hornhautgeschwüre  haben  bisweilen,  wenn  ihr  Grund  gereinigt  und  das 
Epithel  wieder  hergestellt  ist,  dieses  spiegelnde  facettenähnliche  Aus- 
sehen (Reparationsgeschwür).  In  anderen  Fällen  aber  tritt  dieselbe 
Greschwürsform  primär  und  progressiv  auf;  in  selteneren  Ausnahmen 
gehen  sie  selbst  kraterfürmig  in  die  Tiefe  und  perforiren.  Da  sie,  wie 
erwähnt,  meist  Avenig  Beschwerden  machen,  kommt  es  vor,  class  der 
Patient  erst  von  seinem  Augenleiden  belästigt  wird,  wenn  plötzlich  das 
Kammerwasser  ausfüesst. 

Der  Verlauf  ist  in  der  Regel  recht  langwierig;  auch  die  Reparations- 
u'eschwüre  bleiben  lange  Zeit  stationär.  Neben  Schutz  des  Auges  und 
Atropmisiren  empfehlen  sich  lauwarme  Umschläge,  ebenso  kann  man 
in  ganz  reizlosen  Fällen  versuchen,  durch  Einträufeln  verdünnter 
< Jpiumtinctur  (1 : 5)  oder  schlimmsten  Falls  durch  leichtes  Betupfen 
mit  dem  Höllensteinstift  oder  dem  Galvanocauter  den  Verlauf  zu  be- 
schleunigen. 


490  Erkrankungen  der  Hornhaut. 


Ulcus  rodens. 

Ein  halbmondförmiges  Geschwür  beginnt  an  der  Peripherie  der 
( Jornea  und  schreitet  centripetal  über  die  ganze  Hornhautfläche  hin, 
indem  das  dem  centralen  Geschwürsrande  nächstliegende  Gewebe  be- 
sonders inficirt  ist7  öfters  auch  einzelne  graue  Infiltrationspunkte  zeigt. 
Letztere  fliessen  dann  zu  einer  Begrenzungslinie  zusammen,  welche 
später  zerfällt  und  einen  unterminirten  Rand  hat  (Mooren,  Saemisch). 
Sehr  frühzeitig  ziehen  vom  Hornhautrande  her  zu  dem  Geschwüre 
parallel  laufende  Gefässe.  Oft  geht  der  Process  schubweise  vor  und 
wandert  allmählich  über  die  ganze  Hornhaut,  eine  weisse  Narbe  zurück- 
lassend. Gelegentlich  sind  aber  noch  Klärungen  derselben  beobachtet 
worden,  die  einiges  Sehen  gestatteten.  Perforation  und  Hypopyon  sind 
selten.     Bisweilen  besteht  starke  Schmerzhaftigkeit. 

Ein  von  mir  mikroskopisch  untersuchtes  Auge  zeigte  am  centralen 
Geschwürsrande  eine  ausgedehntere  Epithelabhebung,  unter  der  das 
Gewebe  besonders  infiltrirt  war,  während  an  der  peripheren  Begrenzung 
unter  starker  Gefässentwickelung  eine  bindegewebige  Vernarbung  be- 
reits eingeleitet  war.  Unter  dem  abgelösten  Epithel  fanden  sich 
Jlikrokokken ;  jedoch  kann  in  ihnen  nicht  der  Grund  des  Leidens  liegen, 
da  sich  in  der  Cultur  Staphylococcus  pyogenes  entwickelte,  der  bei 
Impfung  in  die  Kaninchenhornhaut  nur  ein  Infiltrat,  kein  Ulc  rodens 
hervorbrachte  und  auch  sonst  bei  Affectionen  der  Conjunctiva  und 
Cornea  oft  vorkommt. 

Die  Therapie  pflegt  meist  machtlos  zu  sein,  doch  sind  einige 
Fälle  zur  Heilung  gekommen.  Am  meisten  empfiehlt  sich  die  Anwendung 
des  Galvanocauters;  daneben  laue  Umschläge  und  Atropin.  Bei  un- 
aufhörlichem Fortschreiten  kann  man  einen  Versuch  mit  Transplantation 
von  Conjunctiva  machen.  Einmal  sah  ich  nach  etwa  einem  Jahre  ein 
Recidiv  auftreten,  das  ebenfalls  heilte. 


Ringförmige  Hornhautgeschwüre. 

Am  Hornhautrande  bildet  sich  ein  meist  langgestrecktes,  schmales  und  wenig 
infiltrirtes  Geschwür,  welches  an  der  Peripherie  weiter  schreitet  und  so  schliesslich 
die  ganze  Hornhaut  ringförmig  umgeben  kann.  Die  centralen  Partien  bleiben 
dabei  ziemlich  durchscheinend,  auch  zeigt  das  Geschwür  selbst  keine  erheblichere 
Trübung.  Die  Injection  der  Conjunctiva  bulbi  ist  in  der  Kegel  sehr  beträchtlich. 
Hei  der  Tendenz  zur  Ausbreitang  des  Geschwürs  ist  die  Prognose  dubiös.  Neben 
antiseptischen  lauen  Verbänden,  Bepinselungen  mit  Aqua  chlorata  haben  mir  früh- 
zeitige und  wiederholte  Paracentesen  am  meisten  geleistet. 


Keratitis  dendritica.  491 

Keratitis  dendritica  (Furchen-Keratitis). 

Von  einem  seichten  Hornhautgeschwür  gehen  strichfömige,  sich  später  wieder 
verästelnde  Fortsätze  ars.  die  unter  Abstossung  der  Oberfläche  zu  schmalen,  aber 
tiefen  Kinnen  mit  grauen  Rändern  werden.  Dabei  besteht  oft  Lichtscheu  und 
starker  Thränenfluss.  Der  Process  dauert  unter  bestandiger  Neubilduni;-  solcher 
Sprossen  mehrere  Wochen  und  Iässt  eine  Zeit  lang-  charakteristische  Trübungen 
zurück  lEmmert,  Hansen  Grut).  Im  Beginn  scheint  das  Abspritzen  der  Herde 
mit  Sublimatlösung  und  die  Anwendung  des  Eserin  von  Nutzen. 

Chronische  periphere  Furchen-Keratitis. 

Gelegentlich  beobachtet  man  eine  andere  Form  von  rinnenförmigen  Ge- 
schwüren besonders  am  oberen  Hornhautrande,  die  ich  als  chronische  peri- 
phere Furchen-Keratitis  bezeichnen  möchte.  Ein  grösserer  oder  kleinerer 
Theil  der  Hornhautperipherie  ist  etwa  in  1  mm  Breite  leicht  grau  getrübt  (ähnlich 
etwa  wie  beim  Gerontoxon) ;  die  Trübung  ist  centralwärts  begrenzt  durch  eine  tief- 
gehende durchsichtige  Furche.  Sparsame  Gefässe  gehen  in  die  Randtrübung  und 
hier  und  da  auch  durch  das  furchenförmige  Geschwür;  Reizerscheinungen  und 
Schmerzen  fehlen  in  der  Regel,  doch  kommen  auch  Fälle  mit  periodisch  auftreten- 
den Entzündungen  vor.  Ein  centripetales  Fortschreiten  wie  bei  Ulc.  rodens  wird 
nicht  beobachtet.  Der  Zustand  kann  in  dieser  Form  Jahre  lang  unverändert 
bleiben.  Ich  habe  an  einem  solchen  Auge  mit  Erfolg  die  Kataraktextraction  ge- 
macht: ein  Jahr  später  bestand  noch  die  Furche  und  Randtrübung. 

G-itterförniige  Keratitis. 

Ohne  erhebliche  Entzündungserscheinungen  entwickelt  sich  eine  ziemlich 
gleichmässige  Trübung  der  oberen  Hornhautschichten,  welche  sich  unter  der  Lupe 
als  aus  einzelnen  Linien  zusammengesetztes  Gitterwerk  zerlegen  lässt.  Die 
Randzone  bleibt  frei.  Das  Sehvermögen  wird  meist  schwer  geschädigt  (Haab). 
Nach  D immer  sind  die  Linien  wahrscheinlich  Folge  von  Faltungen  und  Runze- 
lungen der  Bowman' sehen  Membran  mit  anschliessenden  Trübungen. 


2.  Hornhauttrübungen. 

Die  meisten  Hornhauttrübungen  oder  Hornbautflecke  sind  Folgen 
einer  vorangegangenen  Entzündung,  indem  die  Restitution  eines  voll- 
kommen durchsichtigen  Gewebes  ausgeblieben  ist.  Auch  bei  manchen 
angeborenen  Hornhauttrübungen,  die  sich  später  meist  auffallend  lichten, 
kann  man  an  ähnliche  Vorgänge  denken.  Ferner  fuhren  Verbrennungen, 
Anätzen  mit  Kalk  (hier  unter  Bildung  eines  Kalk-Albuminats)  u.  s.  w. 
bisweilen  direct  eine  Zerstörung  des  Hornhautgewebes  herbei.  An  Stelle 
des  durchsichtigen  Hornhautgewebes  ist  ein  narbiges  Bindegewebe  ge- 
treten. Dasselbe,  aus  den  fixen  Hornhautzellen  der  Nachbarschaft  her- 
vorgegangen, zeigt  eine  unregelmässige  Faserung,  in  welcher  sich  keine 
sternförmigen  Hornhautkörper  eben  finden.     Die  Bowman'sche  Mein- 


492  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

bran  fehlt,  das  Epithel  hat  nicht  die  normale  Anordnung  und  regel- 
mässige Dicke.  Gelbe  Flecke  in  alten  Hornhauttrübungen  sind  durch 
anivloide  oder  colloide  Kugeln  und  Schollen  bedingt  (Saemiseh, 
Beselin,  Vossius).  In  weisslichen,  wie  Bleiniederschläge  aussehenden 
kleinen  Flecken,  sind  fettig  degenerirte  Zellen  beobachtet  worden 
(Kamocki). 

Die  Trübung*  zeigt  sich  als  intensiv  weisser  Fleck  (Leucoma) 
oder  mehr  durchscheinend,  leicht  grau  (Macula)  oder  ganz  durchsichtig 
(Nubecula).  Bisweilen  gehen  noch  Gelasse  zu  ihr  hin  (vasculari- 
sirter  Hornhautfleck);  letztere  Trübung  kann  jedoch  nicht  als  voll- 
kommen abgeschlossen  betrachtet  werden. 

Die  Krümmung  der  mit  Trübungen  behafteten  Hornhäute  ist  in 
der  Regel  mehr  oder  weniger  unregelmässig;  man  sieht  dies  deutlich 
mit  dem  Keratoskop.  Der  unregelmässige  Astigmatismus  bewirkt  in 
Verbindung  mit  dem  Lichtabschluss  mnd  vor  Allem  der  diffusen  Licht- 
zerstreuung, welche  der  Fleck  macht,  die  Seh  Störungen.  Dieselben 
treten  am  meisten  hervor,  wenn  die  Trübung  vor  der  Pupille  sitzt.  Ist 
die  ganze  Pupille  durch  ein  grosses  centrales  Leukoni  gedeckt,  so  ist 
die  Sehschärfe  ähnlich  herabgesetzt,  wie  die  eines  Starkranken. 

Kleinere  Flecke  im  Pupillargebiet  werden  für  das  Sehen  weniger 
Bedeutung  haben,  und  zwar  sind  hier  die  intensiv  weissen  Flecke  weniger 
störend  als  ebenso  grosse  graulich  durchscheinende,  da  die  ersteren 
wohl  mehr  Licht  abhalten,  aber  die  Entwertung  eines  scharfen  Bildes 
auf  der  Netzhaut  kaum  hindern,  während  die  letzteren  durch  ihre  licht- 
zerstreuende Wirkung  das  Netzhautbild  verschwommen  machen.  Oft 
sind  die  mit  Hornhautflecken  behafteten  Augen  myopisch.  Die  Patienten 
geben  dann  nicht  selten  an,  dass  ihre  Augen  erst  nach  der  Hornhaut- 
erkrankung kurzsichtig  geworden  seien. 

Donders  hebt  zwar  hervor,  dass  Patienten  mit  Hornhautflecken 
öfters  nur  scheinbar  kurzsichtig  seien,  indem  sie  eine  Zunahme  ihrer 
Sehschärfe  unter  Concavgläsern  nur  in  der  Weise  erlangen,  dass  durch 
die  Aeeommodation,  mit  der  sie  die  Gläser  neutralisiren,  ihre  Pupille 
sich  verenge  und  somit  ein  Theil  der  durch  die  Hornhauttrübung  un- 
regelmässig  gebrochenen  Strahlen  ausgeschlossen  werde.  Die  über- 
wiegende Zahl  der  in  Betracht  kommenden  Personen  ist  aber  reell 
kurzsichtig,  und  es  giebt  uns  die  Thatsaehe,  dass  die  Betreffenden 
wegen  ihrer  Sehschärfenverringerung  bei  der  Arbeit  in  der  Nähe  die 
Gegenstände  stärker  an  das  Auge  herannehmen  müssen,  genügende 
Erklärung  für  das  Zustandekommen  dieser  Refractionsanomalie.  - 

*  Deutsche  Heerordnung.  2.  Geringe  körperliche  Fehler.  Anlage  li:  seitliche 
Hornhautflecke,  wenn  sie  das  Sehvermögen  nicht  beeinträchtigen.  —  Vgl.  S.  69. 


Bornhauttrübungen.  493 

Auch  kann  bisweilen  mono  ciliares  Doppel  t  sehen  durch  Trü- 
bungen der  Hornhaut  veranlasst  sein. 

Weiter  bleibt  oft  eine  Neigung  zu  neuen  Erweichungen  der  Trü- 
bungen und  zu  Ulcerationen.  Aus  der  Anamnese  und  dem  Vorhanden- 
sein einzelner  unveränderter  Reste  der  alten  Trübung  kann  man  meist 
die  Diagnose  stellen,  dass  es  sich  um  einen  „frisch  erweichten  Horn- 
haut Heck"  und  nicht  um  ein  neu  gebildetes  Infiltrat  oder  Ulcus 
handelt.  Die  alten  Flecke  haben  den  Infiltraten  gegenüber  in  der  Regel 
eine  schärfere  Abgrenzung  und  eine  mehr  glatte  Oberfläche.  Auch 
fehlt  ihnen  der  gelbliche  Ton,  den  die  Infiltrate  häufig  zeigen.  Ferner 
wird  die  lnjeetions-  und  Reizlosigkeit  des  Auges  in  Betracht  kommen. 

Im  Uebrigen  ist  die  Diagnose  der  Trübungen  bei  intensiven  Ver- 
änderungen der  Durchsichtigkeit  leicht  und  vom  blossen  Auge  aus  zu 
stellen,  bei  sehr  geringen  aber  oft  recht  schwierig.  Hier  bedarf  es  einer 
geschickten  Benutzung  der  focalen  Beleuchtung,  bei  der  man  den  Licht- 
focus  bald  auf,  bald  neben,  bald  hinter  die  verdächtige  Stelle  fallen 
lässt,  und  selbst  der  Lupenvergrösserung,  um  zu  einem  bestimmten 
Urtheil  zu  kommen,  das  positiv  wird,  wenn  in  einer  grösseren  ver- 
dächtigen Stelle  mit  Sicherheit  eine,  wenn  auch  kleine,  umschriebene 
Partie  als  getrübt  erkennbar  ist.  Einen  ganz  leichten  grauen  Reflex 
zeigen  auch  die  normalen  Hornhautpartien  bei  schiefer  Beleuchtung. 
Weiter  kann  man  das  durchfallende  Licht  des  Augenspiegels  —  im 
aufrechten  Bilde  —  benutzen.  Bei  intensiven  Trübungen  findet  sich 
ein  mehr  oder  weniger  dunkler,  grauer  Fleck  auf  dem  Roth  des  leuch- 
tenden Augenhintergrundes.  Für  sehr  durchscheinende  Trübungen  ist 
die  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  —  man  hat  besonders  den 
Planspiegel  empfohlen  —  weniger  zuverlässig,  als  die  geschickt  an- 
gewandte focale  Beleuchtung.  Sind  die  Trübungen  in  grösserer  Aus- 
dehnung vorhanden,  so  tritt  bei  der  Augenspiegeluntersuchung  im  um- 
gekehrten Bilde  ein  eigenthiünliches  Verziehen  und  Flimmern  der  Pa- 
pilla optica  ein,  wenn  man  das  Convexglas  etwas  seitlich  bewegt,  als 
Ausdruck  des  unregelmässigen  Astigmatismus.  Die  Diagnose  gerade 
der  geringen  und  durchsichtigen  Hornhauttrübungen  hat  grosse  Be- 
deutung: manche  scheinbare  Amblyopie  lässt  sich  auf  Hornhauttrübungen 
zurückführen.  Besonders  in  militärärztlichen  Verhältnissen  oder  bei 
Patienten,  bei  denen  ein  zu  entschädigender  Unfall  in  Frage  kommt, 
wo  man  bei  einer  Amblyopie  ohne  objeetiven  Befund  leicht  geneigt  ist, 
an  Simulation  zu  denken,  —  ist  der  sichere  Ausschluss  derartiger  op- 
tischer Hindernisse  von  Wichtigkeit. 

Die  medicamentöse  Therapie  gegen  abgelaufeneHornhautproces.se 
hat  meist  wenig  Einfluss.  Im  Laufe  der  Jahre  verringern  sich  die 
Trübungen  spontan:    besonders  ist  dies  zu  erwarten,  wenn  Individuen 


4(J4  Erkrankungen  der  Bornhaut. 

im  jugendlichen  Lebensalter  davon  befallen  sind.  War  jedoch  eine 
Perforation  der  Hornhaut  vorangegangen  und  hat  sich  an  der  Stelle 
eine  durchgehende  weisse  Narbe  gebildet,  so  bleibt  in  der  Regel  ein 
Fleck.  Man  hüte  sich,  wenn  man  sich  zur  Klärung  reizender  Mittel 
bedienen  will,  vor  zu  früher  Anwendung  derselben.  Viel  wichtiger  ist 
es,  die  Affection  durch  Schonung  der  Augen  und  längeren  Gebrauch 
von  Atropin  möglichst  zur  vollkommenen  Heilung  zu  bringen.  Alsdann 
wird  das  nächstliegende  sein,  neue  Entzündungen  zu  vermeiden;  es 
werden  besonders  etwa  bestehende  Conjunctivalerkrankungen  oder  die 
Neigung  zu  Phlyktänenbildimg  oder  auch  chronische  Thränensackent- 
zündungen  Angriffspunkte  bieten.  Erst  später  kommt  die  etwaige  Be- 
handlung der  Flecke  in  Betracht.  Hier  hat  man  Einträufeln  von  Oel, 
verdünnter  Tinct.  Opii,  das  Zerstäuben  warmer  Wasserdämpfe,  Ein- 
pudern von  Calomel,  gelbe  Präcipitatsalbe,  subconjunctivale  Injection 
von  Kochsalzlösung  (Rothmund),  Jodkalilösung  oder -salbe  (1-0  Jodkali, 
0-5  Natr.  bicarb.  ad  Adip.  suill.  15-0),  Massage,  die  Anwendung  des  con- 
stanten  Stromes  und  Elektrolyse  (Adler)  empfohlen.  Letztere  wird  bei 
leichteren  Trübungen  —  nicht  eigentlichen  Leukomen  —  so  angewandt, 
dass  man  den  knopfförmigen  Zinkpol  einer  Batterie  von  etwa  vier 
Elementen  direct  auf  die  trübe  Stelle  setzt,  während  der  Kupferpol 
dicht  daneben  steht  und  nun  10  bis  20  Secunden  darauf  hin-  und  her- 
reibt; nach  einigen  Wochen  wird  nöthigenfalls  die  Anwendung  wieder- 
holt. Ich  habe  öfters  Besserung  der  Sehschärfe  danach  beobachtet.  Auch 
das  Dionin,  das,  stecknadelkopfgross  in  den  Bindehautsack  gebracht, 
ein  mit  Schmerzhaftigkeit  verknüpftes  Oedem  der  Conjunctiva  hervor- 
ruft, hat  mir  bei  Anwendung  in  grösseren  Zwischenräumen  in  letzter 
Zeit  gelegentlich  Nutzen  gebracht.  —  Bei  all  den  erwähnten  Mitteln  ist 
darauf  zu  achten,  dass  nicht  etwa  durch  zu  starke  Reizung  eine  frische 
Erweichung  und  Eiterinfiltration  des  Fleckes  eintrete. 

Handelt  es  sich  um  Fremdkörper  in  den  Flecken,  etwa  Bleiein- 
lagerungen oder  Kalkincrustationen,  so  suche  man  sie  mit  der  Star- 
nadel  zu  entfernen. 

Falls  die  Pupille  so  von  einem  Hornhautfleck  gedeckt  ist,  dass 
bei  gewöhnlicher  Weite  kein  Licht  mehr  in  sie  fällt,  kann  man  durch 
eine  Iridectomie  den  Lichtstrahlen  seitlichen  Zugang  schaffen.  Diese 
optischen  Pupillen  legt  man  besonders  gern  nach  innen  an,  weil 
hier  die  äussersten  Randstrahlen  durch  die  Nase  abgehalten  werden; 
(Jolobome  nach  oben  oder  unten  würden  leicht  durch  die  Lider  zu  sehr 
gedeckt.  Auch  macht  man  die  Pupillen  schmal  und  nicht  zu  weit  nach 
der  Peripherie  hingehend,  in  einzelnen  Fällen  ist  —  falls  die  Linse 
fehlt  —  die  Iridotomie  wegen  Enge  und  geringer  Periphericität  der 
entstehenden  Oeffnung  vorzuziehen.     Wird  die  Pupille  nicht  ganz  vom 


Hornhauttrübungen.  405 

H ornhautfleck  gedeckt,  so  dass  noch  daneben  Licht  einfallen  kann,  so 
ist   zu  erwägen,    ob    eine  mehr   peripher   gelegene  Oeffnmig,    wie  die 

lridectomie  sie  bewirkt,  wirklich  eine  Besserung  des  Sehvermögens 
schaffen  wird;  zuweilen  tritt  danach  sogar  eine  Verschlechterung  ein, 
weil  zuviel  unregelmässig  gebrochenes  Licht  Zutritt  erhält.  Man  kann 
ein  ungefähres  Urtheil  über  den  Effect  gewinnen,  wenn  man  die  Pupille 
durch  Atropin  erweitert;  hebt  sich  hierbei  das  Sehvermögen,  so  wird 
auch  eine  geschickt  angelegte  künstliche  Pupille  Gleiches  erreichen. 
Im  Uebrigen  ist  zu  beachten,  dass  selbst  für  optisch  günstige  Fälle  in 
der  ersten  Zeit  nach  der  Operation  bisweilen  dadurch  eine  Verschlech- 
terung des  Sehens  eintritt,  dass  die  über  der  künstlichen  Pupille  ge- 
legene Hornhaut  sich  etwas  trübt.  Meist  sind  es  alte,  sehr  durchsichtige 
Trübungen,  die  nunmehr  deutlicher  hervortreten.  Doch  pflegt  nach 
einiger  Zeit  Klärung  zu  erfolgen.  Ist  die  Pupille  mit  einer  nicht  in- 
tensiv weissen,  sondern  durchscheinenden,  aber  das  Licht  sehr  unregel- 
mässig zerstreuenden  Trübung  bedeckt,  so  ist  in  einzelnen  Fällen  in 
der  Weise  Besserung  zu  schaffen,  dass  man  ein  künstliches  Colobom 
seitlich  anlegt  und  die  Trübung  durch  Täto wirung  mit  schwarzer  chine- 
sischer Tusche  (s.  unten)  undurchsichtig  macht.  Bisweilen  lässt  sich 
das  Sehen  durch  eine  stenopäische  Brille  erheblich  heben.  Doch  wird 
dies  nur  einen  beschränkten  Nutzen  bringen,  da  sich  das  Gesichtsfeld 
hierbei  stark  einengt. 

Wenn  nur  ein  kleiner  Randsaum  der  Hornhaut  noch  durchsichtig 
ist,  so  kann  ebenfalls  das  Herausschneiden  eines  Stückchens  Iris,  was 
aber  wegen  der  meist  complicirenden  schwartigen  Verwachsungen  und 
Atrophie  des  Gewebes  schlecht  gelingt,  versucht  werden. 

Es  sind  dies  in  der  Regel  traurige  Fälle,  bei  denen  es  trotz  Er- 
haltenbleibens der  Netzhautfunction  unmöglich  ist,  dem  Lichte  Zutritt 
zu  schaffen.  Man  hat  daher  bis  in  die  neueste  Zeit  wieder  Versuche 
gemacht,  an  Stelle  des  undurchsichtigen  Narbengewebes  im 
Hornhautcentrum  ein  durchsichtiges  Medium  zu  setzen.  So  be- 
mühte man  sich,  nachdem  man  ein  centrales  Stück  der  getrübten  Horn- 
haut herausgeschnitten  oder  heraustrepanirt  hatte,  ein  ähnlich  wie 
Hemdenknöpfe  (mit  Zwischenglied  und  vorderer  und  hinterer  Platte) 
gestaltetes  Glas  (Nussbaum)  oder  neuerdings  durchsichtiges  Celluloid 
(Dimmer)  oder  Bergkrystall  (Salz er)  einzusetzen,  oder  man  versuchte 
auch  nach  Himly's,  Wolfe 's  und  Po  wer 's  Angaben  Stücke  einer 
frisch  herausgenommenen  Kaninchen-  oder  Menschenhornhaut  ( —  von 
exstirpirten  Bulbi  — )  in  den  Defect  einheilen  zu  lassen.  Bis  jetzt  ist 
aber  hiermit  kaum  irgendwo  ein  dauernder  Erfolg  erzielt  worden,  indem 
die  Gläser  herausfielen  und  die  transplantirten  Hornhäute,  soweit  sie 
überhaupt    einheilten,    sich    wieder    trübten.      Hingegen    ist    es    nach 


496  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

v.  Hippel'«  Vorgang  in  einigen  Fällen  gelungen,  eine  runde  Seheibe 
Kaninchenhornhaut  in  die  Trepanöflnung  einer  leukomatösen  Hornhaut, 
bei  Avelcher  man  die  innersten  Schichten  stehen  lässt,  einzuheilen  und 
durchsichtig-  zu  erhalten.  Die  Methode  kann  natürlich  nur  Vortheil 
bringen,  wenn  eben  diese  innersten  Hornhautschichten,  was  sehr  selten 
zutrifft,  ungetrübt  sind.  —  Neuerdings  hat  Strawbridge  nach Tenotomie 
des  Internus  mit  dem  Trepan  eine  runde  Oeffnung  durch  die  Sclera 
bis  zum  Glaskörper  an  der  Ansatzstelle  der  Sehne  angelegt  und  sie  mit 
Conjunetiva  überdeckt. 

Bisweilen  können  Gründe  der  Kosmetik  zu  Operationen  veranlassen 
in  Füllen,  wo  für  das  Sehvermögen  nichts  mehr  zu  erreichen  ist.  Man 
kann  die  störenden  weissen  Flecke  durch  Tätowiren  mit  schwarzer 
chinesischer  Tusche  (Wecker)  unsichtbar  machen.  Letztere  soll  vorher 
durch  Einwirken  von  trockner  Wärme  (60°,  eine  halbe  Stunde  lang 
[v.  Sicherer])  sterilisirt  werden.  Eine  Starnadel,  oder  ein  Bündel  von 
etwa  vier  gewöhnlichen  Nadeln,  in  ein  Heft  gefasst,  wird  zu  der  kleinen 
Operation  benutzt.  Nachdem  die  Lider  mit  einem  Sperrelevateur  aus- 
einander gehalten  sind,  bestreicht  man  den  Fleck  mit  der  nicht  zu 
dünnen  chinesischen  Tusche  und  stösst  nun  in  das  Leukom  mehrere 
Male  massig  tief  und  in  leicht  schräger  Richtung  hinein.  Die  chine- 
sische Tusche  dringt  theils  hierbei  schon  in  die  kleinen  Oeffnungen, 
theils  reibt  man  sie  mit  einem  Spatel  oder  der  Fingerspitze  weiter 
ein;  sie  bleibt  darin  haften,  wenn  man  den  Patienten  noch  etwa 
il2  Stunde  lang  mit  offenen  Lidern,  damit  die  Tusche  nicht  abgewischt 
wird,  liegen  lässt.  Um  die  Reaction  des  Auges  zu  prüfen,  muss  man 
bei  der  ersten  Sitzung  nur  wenige  Einstiche  machen;  dies  ist  besonders 
nöthig  bei  Verwachsungen  der  Iris  mit  der  Narbe.  Eine  Fixation  des 
Bulbus  an  der  Conjunetiva  mit  Hakenpincetten  vermeide  man,  damit 
nicht  etwa  dahin  sich  Tusche  verirre  und  einen  Fleck  mache.  Durch 
eine  Reihe  von  Sitzungen,  die  man  alle  paar  Tage  wiederholt,  kann  man 
eine   ziemlich    gleichmässige   und  Jahre   dauernde   Färbung  herstellen. 

Dies  Verfahren  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  der  Anlegung  einer 
kosmetischen  künstlichen  Pupille,  die  durch  ihre  Schwärze  dem  Auge 
ebenfalls  mehr  Feuer  giebt  und  so  den  Eindruck  des  weissen  Fleckes 
abschwächt,  vorzuziehen.  —  Will  man  eine  der  Iris  ähnliche  Färbung 
eines  Leukoms  bewirken,  so  kann  man  als  blau  Berlinerblau,  als  gelb 
geschlemmten  Ockei*,  als  roth  Carmin,  als  weiss  geschlemmte  kohlen- 
saure Kreide  verwenden  (Vacher). 


Band f ö r m ige  H ornhautt r ü b u n g e n . 

inlichen   Hornhauttrübungen    schliesst  si< 

genuines  Leiden,  die  bandförmige  Keratitis  an.     Hier  rindet  sich  eine 


Den  gewöhnlichen   Hornhauttrübungen    schliesst  sich  als  ein  mehr 


Gerontoxon.    Blutungen  in  der  Hornhaut.  497 

undurchsichtige,  weissliche,  bandförmige  Trübung,  welche  die  Cornea- 
mitte  quer  durchsetzt  und  gewöhnlich  in  ihrer  Entwicklung  von  der 
Schläfen- und  Nasenseite,  öfters  den  äussersten  Rand  freilassend,  ausgeht. 
Entzündliche  Erscheinungen,  die  mit  dem  Horuhautleiden  in  Verbindung- 
stehen, fehlen  ganz.  In  der  Regel  sind  es  Augen,  die  bereits  lange  er- 
krankt waren,  besonders  an  Iridozyklitis  gelitten  hatten.  Aber  gelegent- 
lieh werden  auch,  vorzugsweise  bei  älteren  Personen,  gesunde  Augen 
befallen  und  erst  später  treten  anderweitige  Veränderungen  hinzu.  Hier 
entspricht  die  Verschlechterung  des  Sehens  dem  gesetzten  optischen 
Binderniss.  Die  Iridectomie  kann  von  guter  Wirkung  sein  (v.  Graofe). 
Ein  Abkratzen  der  trüben  Schicht  hat  in  der  Regel  keinen  Nutzen, 
trotzdem  es  sich  zum  Theil  um  Ablagerung  von  Kalksalzen  handelt. 


Gerontoxon. 

Das  Gerontoxon  (Arcus  senilis)  zeigt  sich  als  eine  weissliche,  etwa 
1  bis  1  "2  mm  breite  Trübung  mit  glatter  Oberfläche,  welche  ihren  Sitz 
im  Cornealrande  hat,  aber  meist  noch  durch  eine  schmale  Linie  durch- 
sichtiger Hornhautsubstanz  von  der  Sclera  geschieden  ist.  Es 
erscheint  im  Beginn  am  häufigsten  als  Halbmond  am  oberen  und 
unteren  Rande;  später  wird  auch  der  nasale  und  temporale  Rand  be- 
fallen. Sehstörungen  werden  hierdurch  nicht  verursacht.  Gewöhnlich 
tritt  erst  im  höheren  Alter  diese  Trübung  auf.  Es  handelt  sich  um 
eine  Ablagerung  colloider  Substanz  in  den  oberflächlichsten  Hornhaut- 
schichten  (Fuchs). 


Blutungen  in  der  Hornhaut.     Durchblutung  der  Hornhaut. 

In  einzelnen  Fällen  findet  man  kleine  umschriebene  Blutungen  im 
Hornhautgewebe  von  röthlicher  Farbe;  es  handelt  sich  hier  um  kleine 
Extravasate.  Die  eigentliche  Durchblutung  der  Hornhaut  (Hirsch- 
berg) zeigf  sich  in  der  Regel  als  eine  grünlich  -  graue,  scheiben- 
förmige Verfärbung  der  Hornhaut,  die  so  gross  ist,  dass  nur  noch  eine 
periphere  Zone  annähernd  normal  erscheint.  Es  wird  hierdurch  der 
Eindruck  geschaffen,  als  ob  die  Linse  in  die  vordere  Kammer  luxirt 
sei  oder  sich  ein  linsen-ähnliches  gelatinöses  Exsudat  in  ihr  befinde. 
Immer  ist  dieser  Zustand  mit  einem  Bluterguss  verknüpft,  der  die 
vordere  Kammer  anfüllt.  Jedoch  trägt  derselbe  nur  wenig  zu  dem 
frappanten  Aussehen  der  Cornea  bei;  nach  einer  Punction  der  vorderen 
Kammer,  wobei  ich  auch  das  gebildete  Fibringerinnsel  entleerte,  nahm 
die  Corneafärbung  doch  keine  wesentliche  Veränderung  an.  Mikroskopisch 

Sehmidt-Rimpler.     7.  Auflage.  32 


498  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

fand  .sich  in  der  grünlich-grauen  Hornhaut  eine  hyaline  Degeneration 
der  Hornhautfibrillen  (Vossius).  Es  handelt  sich  immer  um  die  Folge 
schwerer  Verletzungen  (Contusionen,  auch  nach  Kuhhorn-Stoss)  des 
Auges-,  in  einigen  Tagen  kann  sich  die  Trübung  der  Hornhaut  ent- 
wickeln und  nach  längerer  Zeit  wieder  schwinden. 


3.  Krümmungs Veränderungen. 

I.  Narbenstaphylome. 

Bei  Narbenbildungen  der  Cornea,  die  nach  ausgedehnterem  Sub- 
stanzverlust und  Perforation  entstanden  sind,  kommt  es  häufig  zu  Her- 
vortreibungen.  Man  bezeichnet  den  Zustand  als  Staphylom  (oracpv/Lt], 
die  Traube) :  letzteres  ist  total,  wenn  die  ganze  Hornhaut  sich  hervor- 
wölbt. Gewöhnlich  ist  die  Farbe  des  Narbengewebes  intensiv  Aveiss: 
nur  selten  bleibt  bei  partiellen  Staphylomen  eine  dunklere  Färbung 
von  der  in  den  Substanzverlust  der  Cornea  hineingefallenen  Iris 
dauernd  bestehen.  Die  Form  der  Hervorwölbung  ist  verschieden,  bis- 
weilen ziemlich  gleichmässig  und  mehr  kugelförmig,  bisweilen  stark 
conisch  und  rüsselförmig:  sie  kann  so  hochgradig  sein,  dass  die  Lider 
darüber  nicht  zum  Schluss  kommen.  Es  zeigt  alsdann  die  Oberfläche 
Unregelmässigkeiten  und  Vertrocknungen.  Die  Iris  bildet  —  abge- 
sehen von  seltenen  Fällen  eines  partiellen  Staphyloms,  wo  nur  Horn- 
hautgewebe hervorgetrieben  ist  —  die  Grundlage  der  Narbe  an  der 
Perforationsstelle.  In  dem  derberen  Gewebe  derselben  finden  sich 
öfters  Blutgefässe  und  Pigmentreste,  die  Epithellage  ist  unregelmässig. 
Die  Bowm  an 'sehe  und  Descemet 'sehe  Membran  ist  nur  an  den 
Stellen  nachweisbar,  wo  noch  einigermaassen  intactes  Hornhautgewebe 
vorhanden  ist.  Bei  totalen  Staphylomen  liegt  die  verdünnte  Iris  auch 
an  den  nickt  perforirten  Stellen  der  Hornhaut  meist  ganz  oder  fast 
ganz  an.  Corpus  ciliare,  Netzhaut  und  Chorioidea  werden  atrophisch, 
der  Glaskörper  verflüssigt  sich;  die  Papilla  optica  wird  excavirt.  Die 
Linse  ist  in  manchen  Fällen  bereits  bis  auf  geringe,  trübe  und  hülsen- 
förmige  Reste  evaeuirt,  in  anderen  ist  sie  luxirt  und  liegt  in  dem  Sta- 
phylom; selten  bleibt  sie  bei  länger  bestehenden  Processen  vollkommen 
intact.  Selbst  scheinbar  durchsichtige  Linsen  zeigen  mikroskopisrhe 
Veränderungen.  An  einer  derartigen  Linse,  die  aus  einer  nach  Per- 
foration der  Cornea  und  Irisprolaps  entstandenen,  staphylomatösen  und 
noch  nicht  übernarbten  Hervorwölbung  bei  einem  Kinde  entleert  wurde, 
fand  ich  bei  der  sofort  vorgenommenen  Untersuchung  dicht  auf  der 
Linscnkapsel  liegende  Kerne  und  Detritus,  in  dem  sich  verästelte  feine 
Capillargefässe  vcrtheilten.     In  der  Linse  selbst  zeigte  sich  in  Fasern, 


lvrüiiimungsveränderunyiMi.  499 

die  der  Kapsel  nahe  sassen,  eine  feine  Körnung  und  Anhäufung  zahl- 
reicher und  verschieden  grosser  Kerne:  an  anderen  Stellen  hatten  die 
Fasern  ihre  normale  Beschaffenheit.  Doch  bemerkte  man  auch  hier 
einzelne  parallel  laufende  Linien,  die  gleichsam  aus  kleinsten  unregel- 
mässigen  Tröpfchen  sieh  zusammensetzten:  Formen,  die  Becker  wohl 
mit  Recht  als  Fettkügelchen  aufgefasst  hat. 

Die  Entstehung  der  staphylomatösen  Ilervortreibung  erklärt  sich 
dadurch,  dass  die  an  der  Perforationsstelle  entstandene  Narbe  und 
häutig  auch  das  durch  Ulceration  verdünnte  Hornhautgewebe  dem  in- 
traocularen  Drucke  nicht  mehr  Widerstand  leisten  konnten. 

Ausgedehntere  Staphylome  führen,  wie  erwähnt,  in  der  Regel  zu 
seeundären  Veränderungen  in  dem  hinteren  Bulbus  ab  schnitt,  indem  es 
zu  Steigerungen  des  intraoeularen  Druckes  und  Glaukom  kommt.  Aeusser- 
lich  zeigt  sich  dieser  Folgezustand  durch  ein  Verstreichen  der  seichten 
Rinne  zwischen  Cornea  und  Sclera  oder  Auftreten  einer  bläulichen  Her- 
vorragung im  Scleralgebiet.  Aber  auch  partielle  Staphylome  veranlassen 
oft  Secundärglaukom. 

Die  Sehstörungen  entsprechen  den  optischen  Hindernissen;  man 
findet  demnach  bei  partiellen  Staphylomen,  welche  nicht  central- sitzen, 
bisweilen  ein  ganz  befriedigendes  Sehen.  Steht  das  Sehvermögen  nicht 
mehr  im  Verhältniss  zur  Trübung  — ■  und  selbst  bei  totalem  Staphylom 
sollte  ungefähr  das  Sehen  Kataraktöser  vorhanden  sein  — ,  so  sind 
Complicationen  anzunehmen.  Meist  wird  eine  Tensionsvermehrung  auf 
Secundärglaukom  hinweisen. 

Die  Therapie  muss  durch  entsprechende  Behandlung  der  ursäch- 
lichen Affectionen,  speciell  der  Irisvorfälle,  die  Entstehung  der  Staphy- 
lome zu  vermeiden  suchen.  Bildet  sich  eine  partielle  Hervortreibung, 
so  kann  man  durch  eine  frühzeitig  gemachte  Iridectomie  oft  ein  Zurück- 
gehen derselben  bewirken.  Ueberkaupt  wird  diese  Operation  meist 
angezeigt  sein,  um  den  hier  häufigen  Secundärglaukomen  vorzubeugen. 
Sonst  kann  man  auch  durch  einen  Schnitt  mit  dem  schmalen  Messer, 
der  die  zur  Cornealnarbe  gezerrte  Iris  von  ihrem  Ciliarzusatz  trennt, 
eine  Besserung  anstreben  (Ab a die).  Bei  Staphylomen,  in  denen  die 
luxirte  Linse  hegt,  erreicht  man  besonders  im  Anfang  noch  einen  guten 
Effect  durch  einen  einfachen  Querschnitt,  der  die  Linse  herauslässt.  Ist 
das  Staphylom  abgeschlossen  und  ausgedehnter,  so  kann  man  es,  wenn 
es  den  Kranken  stört  oder  Sitz  von  Reizzuständen  ist,  abtragen.  Doch 
werden  beim  Totalstaphylom  an  Stelle  der  Abtragung  noch  die  Exen- 
teration  oder  Enucleation  des  Bulbus  in  Frage  kommen.  Beide  haben 
eine  kürzere  Heilungsdauer  und  sind  bei  starker  intraoeularer  Druck- 
steigerung wegen  der  Gefahr  von  Blutungen  der.  Abtragung  vorzuziehen. 

32* 


500 


Erkrankungen  der  Hornhaut. 


Sir  gehen  allerdings  für  ein  später  zu  tragendes  künstliches  Auge  einen 
weniger  guten  Stumpf. 

Von  den  verschiedenen  Staphylomoperationen  ist  die  einfachste 
die  alte  Beer'sche  Abtragung  (Fig.  150).  Man  geht  hier  quer  mit 
dem  Beer'schen  Starmesser,  wie  bei  dem  Lappenschnitt  zur  Starex- 
traction,  durch  das  Staphylom,  bildet  einen  unteren  Lappen,  fasst  diesen 
mit  der  Pincette  und  trennt  die  obere  Peripherie  mit  der  Scheere.    In 

der  Regel  entleert  sich  hier- 
nach Glaskörper,  so  dass  man 
die  Operation  etwas  schnell 
ausführen  und  das  Auge 
mittels  Druckverbandes  sofort 
schliessen  muss.  Bei  sehr 
hochgespanntem  Bulbus  kann 
es  auch  zu  Blutungen  aus 
dem  Augeninnern  kommer:. 
Aehnlich  ist  die  Staphylom- 
IgQ  Operation  von  Wecker,    nur 

löst  dieser  vor  der  Abtragung 
die  Conjunctiva  rings  um  die  Cornea  in  grosser  Ausdehnung  von  der 
Sclera  ab  und  führt  durch  ihre  Cornealperipherie  einen  Seidenfaden  mit 
aus-  und  eingehenden  Stichen  rings  herum,  ähnlich  wie  das  Band  durch- 
gezogen ist,  welches  die  Oeffnung  eines  Tabaksbeutels  schliesst.  Nach 
der  Abtragung  des  Staphyloms  wird  die  entstandene  Bulbusöffnung* 
dann  durch  Zusammenziehen  des  Conjunctivalfadens,  wobei  die  Con- 
junctiva vor  die  Oeffnung  rückt,  geschlossen. 


II.  Nichtnarbige  Kerektasien. 

Dieselben  haben  eine  Kugelform  oder  sind  mehr  conisch. 

Am  häufigsten,  meist  angeboren  und  in  dem  ersten  Lebensjahre 
sich  weiter  entwickelnd,  findet  man  die  kugelförmige  Ausdehnung  einer 
durchsichtigen  oder  leicht  getrübten  Cornea  (C.  globosa)  beim  Hydro - 
phthalmus  oder  Buphophthalmus  (siehe:  Angeborene  Missbildungen). 
Auch  nach  Pannus  kommen  kleinere  Hervorwölbungen  zu  Stande.  Das 
Sehvermögen  wird  durch  abnorme  Brechung  und  unregelmässigen 
Astigmatismus  gestört.  Bei  den  pannösen  Hervorwölbungen  kann  eine 
Iridectomie  wegen  ihres  Einflusses  auf  die  Iritis  und  den  intraocularen 
Druck  von  Nutzen  sein. 

Die  conische  Form  kommt  typisch  als  Keratoconus  (Staphy- 
lo ma  pellucidum)  vor.  Hierbei  nimmt,  gewöhnlich  um  das  zwan- 
zigste Lebensjahr  herum  beginnend  und  sehr  allmählich  fortschreitend, 


Nichtnarbige  Kerektasien.  501 

die  durchsichtige  Hornhaut  eine  zuckerhutähnliche  Form  an,  deren 
Spitze  bisweilen  leicht  getrübt  ist.  Die  Patienten  kommen  nur,  da  keine 
entzündlichen  Erscheinungen  vorliegen,  wegen  der  eintretenden  Seh- 
schwache zum  Arzt.  Oefters  bestellt  Polyopie,  meist  Kurzsichtigkeit. 
In  der  Regel  sind  beide  Augen  befallen.  Der  Process  kann  spontan 
stationär  werden. 

Die  Diagnose  ist  im  Beginn  nicht  immer  leicht.  Durch  die  Un- 
regelmässigkeit der  Reflexbilder  der  Cornea  (z.  B.  mit  dem  Keratoskop 
beobachtet)  wird  die  Gestaltveränderung  erwiesen,  da  im  Centrum  wegen 
der  stärkeren  Krümmung  die  Grösse  der  Bilder  geringer  ist,  als  an 
der  Peripherie.  Beim  Fortschreiten  des  Processes  kann  man  durch 
Profilansicht  die  abnorme  Gestalt  direct  constatiren.  Die  ophthalmo- 
skopische Untersuchung  lässt  den  unregelmässigen  Astigmatismus  eben- 
falls zu  Tage  treten;  bei  einfacher  Durchleuchtung  tritt  öfters  in  dem 
Roth  der  Pupille  ein  dunkler  Kreis  auf.  Es  scheint  sich  um  ein 
genuines  Leiden  der  Hornhaut  zu  handeln;  die  Abnahme  der  Hornhaut- 
dicke konnte  anatomisch  constatirt  werden. 

Die  Therapie  muss  möglichste  Correction  durch  Gläser  (sphä- 
rische und  cylindrische)  suchen;  in  neuerer  Zeit  sind  hyperbolische 
Gläser  (Raehlmann  hat  die  Fabrik  in  Rathenow  zur  Herstellung  ver- 
schiedener Formen  veranlasst)  geschliffen  worden,  mit  denen  sich  er- 
hebliche Besserung  in  einer  Reihe  von  Fällen  erzielen  lässt.  Fick  em- 
pfiehlt Contact-Gläser:  Glashornhäute,  die  mit  einer  Flüssigkeitsschicht 
der  schlechtbrechenden  Hornhaut  aufliegen.  Roborirende  Behandlung 
und  Enthaltsamkeit  von  jeder  Augenarbeit  in  Verbindung  mit  Ein- 
träufelung  eines  Mioticunis  wurde  von  Arlt  in  einzelnen  Fällen  mit 
Erfolg  geübt.  Rampoldi  rühmt  im  Gegentheil  lange  fortgesetztes 
Atropinisiren.  Weiter  sind  eine  Reihe  operativer  Eingriffe  zur  Heilung 
versucht  worden.  Ursprünglich  wurden  Iridectomien,  aber  ohne  Nutzen 
angewandt.  Alsdann  bemühte  sich  v.  Graefe  durch  einen  auf  der 
Spitze  des  Conus  angeregten  Xarbenprocess  eine  Abflachung  zu  er- 
zielen: hierdurch  werden  in  der  That  Besserungen  erreicht.  Man  trägt 
ein  kleines  Stück  oberflächlichen  Hornhautgewebes  von  dem  Centrum 
des  Conus  ab  und  sucht  durch  Touchiren  mit  Höllenstein  ein  Gesclrwür 
zu  Stande  zu  bringen,  das  bis  zur  Perforation,  die  später  mit  der  Paracen- 
tesennadel  künstlich  gemacht  wird,  in  die  Tiefe  dringt.  Ich  ziehe  es  vor, 
central  mit  dem  Galvanocauter  einen  kleinen  Substanzverlust  zu  setzen 
imd  nach  Entstehung  eines  Geschwürs  zu  perforiren.  Die  sich  danach  bil- 
dende kleine  Xarbe  bewirkt  eine  genügende  Abflachung.  Würde  das 
Leukoni  zu  gross,  so  wäre  eventuell  eine  Iridectomie  nachzuschicken. 
Letzteres  ist  immer  der  Fall  bei  dem  Bowman' sehen  Verfahren,  wo 
direct  mittels  eines  kleinen  Trepans  ein  centrales  Hornhautstück  heraus- 


502  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

geschnitten  wird.  Doch  ist  dieses  Verfahren  nicht  gefahrlos,  indem 
meist  ausgedehntere  Verwachsungen  der  Iris  mit  einer  centralen  Narbe 
danach  entstehen.  — 

III.  Abflachung  der  Cornea. 

Die  Abflachung  der  Cornea  tritt  nach  manchen  ausgedehnten  Sub- 
stanzverlusten ein,  indem  die  Narbe  sich  zusammenzieht,  flach  wird 
und  den  etwa  restirenden  durchsichtigen  Tkeil  ebenfalls  durch  Dehnung 
abflacht  (Applanatio  corneae).  Auch  spielt  die  verminderte  Absonderung 
des  Kamnierwassers  hierbei  gleichfalls  eine  Rolle. 

Nach  Panophthalmitis  oder  zerstörenden  Keratiten  findet  sich  an 
Stelle  der  Hornhaut  fast  nur  Narbengewebe  (Phthisis  corneae);  bis- 
weilen bleibt  ihr  nur  ein  kaum  hanfkorngrosses  Stückchen  zurück,  das 
im  vorderen  Pole  des  mehr  oder  weniger  geschrumpften  Bulbus  sitzt. 

4.  Verletzungen  der  Cornea. 

Am  häufigsten  sind  es  kleine  Fremdkörper,  wie  Sandtheilchen, 
Pauchpartikelchen  (z.  B.  bei  Eisenbahnfahrten),  Steinsplitter,  Eisen- 
stückchen, meist  beim  Schlagen  erhitzt  und  glühend  geworden,  welche 
oberflächliche  Substanzverluste  herbeiführend  in  das  Hornhautgewebe 
eindringen.  Es  bedarf  hier  oft  einer  sehr  genauen  Untersuchung,  zu- 
weilen unter  Anwendung  der  focalen  Beleuchtung,  um  die  punktförmigen 
Partikel  zu  erkennen.  Immerhin  wird  man,  abgesehen  von  der  Anamnese, 
bei  der  das  plötzliche  Auftreten  einer  Schmerzempfindimg  und  starken 
Thränens  meist  auf  den  Moment  der  Verletzung  hinweist,  Verdacht 
schöpfen,  wenn  ohne  sonstige  entzündliche  Veränderungen  an  einem 
Auge  sich  eine  zarte  rosige  pericorneale  Injection  findet.  Diese  ist  in 
ihrer  Zartheit  beinahe  charakteristisch  für  Fremdkörper  auf  der  Cornea. 

Die  Behandlung  ist  auf  Entfernung  des  Fremdkörpers  gerichtet, 
indem  man  nach  vorheriger  Cocainisirung  denselben  mit  einer  Starnadel 
oder  einem  kleinen  Hohlmeisel  heraushebt.  Bei  Eisensplitterchen  be- 
darf es  einer  Art  von  Radiren,  bei  welchem  Vorgehen  sich  ein  Eisen- 
plättchen  nach  dem  andern  ablöst.  Man  hüte  sich,  zu  ausgiebige  Epithel- 
abstreifungen  zu  machen,  setze  vielmehr  die  Nadel  möglichst  an  der 
Stelle  des  Fremdkörpers  auf.  Eine  Fixation  des  Bulbus  mittels  Pincette 
ist  meist  unnöthig;  man  hält  mit  der  linken  Hand  die  Lider  auseinander 
und  giebt  dabei  durch  einen  gewissen  Druck  dem  Auge  eine  festere 
Stellung.  Es  lohnt  sich  nicht  immer,  sich  darauf  zu  versetzen,  auch 
das  kleinste  Restpartikelcherj  —  bisweilen  handelt  es  sich  schliesslich 
inir  um  eine  Färbung,  die  das  Gewebe  selbst  angenommen  hat-  ab- 
zuschaben.    Wenn   die    Entfernung   grosse  Schwierigkeiten    hat,   kann 


Verletzungen  der  Cornea.  503 

man  auch  einige  Tage  -warten,  bis  die  beginnende  Eiterung  den  Fremd- 
körper gelockert  hat.  Es  bleibt  alsdann  aber  eine  etwas  grössere  Narbe. 
Die  Anwendung  Jos  gewöhnlichen  Magneten  hat  bei  Eisensplittern  in 
der  Hornhaut  keine  besondere  Bedeutung:  sitzen  sie  so  lose,  dass  sie 
ihm  folgen,  so  sind  sie  auch  mit  der  Starnadel  leicht  abzustreifen.  Sehr 
starke  Magneten  können  bei  grösseren  Partikeln  von  Nutzen  sein.  Be- 
malet sieh  das  Auge  in  einem  gewissen  Reizzustande,  so  träufelt  man 
nach  der  Entfernung  des  Fremdkörpers  Atropin  ein  und  lässt  kühle 
Umschläge  machen.  Nicht  selten  heilen  kleine  Fremdkörper  (Pulver- 
kürner.  Steinstückchen  z.  B.  nach  Dynamitexplosionen)  ohne  be- 
sonderen Sehaden  dauernd  ein. 

In  einem  Falle  jedoch  bedarf  es  seihst  bei  kleinen  Fremdkörpern 
einer  gewissen  Vorsicht:  wenn  sie  nämlich  sehr  tief  in  die  Cornea  ge- 
drungen sind  oder  gar  schon  in  die  vordere  Kammer  hineinragen.  Ein 
Hinein stossen  derselben  in  die  vordere  Kammer  ist  sehr  übel,  da  es 
dann  meist  in  den  Kammerwinkel  versinken  und  sich  dem  Anblick  ent- 
ziehen, so  dass  es  selbst  nach  Durchschneidung  der  Hornhaut  mit 
einem  Lanzenmesser  nicht  immer  gelingt,  den  Fremdkörper  zu  fassen. 
In  solchem  Falle  würde  man,  falls  die  Stelle  des  Sitzes  mit  Wahr- 
scheinlichkeit bekannt  wäre,  gleichzeitig  das  betreffende  Stück  Iris  ex- 
eidiren.  Um  den  in  die  Cornea  gedrungenen  Fremdkörper  überhaupt 
vor  dem  Hineinfallen  in  die  vordere  Kammer  zu  bewahren,  führt  man 
hier  vor  allen  Extractionsversuchen  ein  schmales  Lanzenmesser  in  die 
vordere  Kammer  und  drückt  mit  dessen  Fläche  von  hinten  her  den 
Fremdkörper  gegen  das  Hornhautgewebe. 

Grössere  Wunden  der  Hornhaut  werden  häufig  mit  Scheeren, 
Messern,  zersprungenem  Glase  (auch  durch  zerschlagene  Brillengläser) 
gemacht:  aber  auch  stumpfspitze  Gegenstände  führen  Hornhautrisse 
herbei.  Zuweilen  sind  dieselben  so  gross,  dass  Linse  und  Glaskörper 
sich  sofort  entleeren.  In  einem  Falle  habe  ich  auch  Netzhautstücke 
in  einem,  von  einem  Kuhhorn  gemachten  Hornhautrisse  liegen  sehen. 
Hier  ist  die  baldige  Enucleation  des  Bulbus  angezeigt.  Bei  kleineren 
Wunden  und  geringen  Augenverletzungen,  bei  denen  die  Hornhaut- 
wunde  meist  glatt  heilt,  wird  man  das  Auge  zu  erhalten  suchen.  Immer 
bedenklich  sind  die  Wunden,  welche  über  den  Rand  der  Cornea  tief 
in  den  Sclerallimbus  hineinlaufen,  weil  hier  die  Gefahr  einer  Cyklitis 
und  damit  die  einer  sympathischen  Affection  des  anderen  Auges  ge- 
geben ist.  Auch  spielt  die  septische  oder  aseptische  Beschaffenheit 
des  verletzenden  Gegenstandes  eine  bedeutende  Rolle.  Man  wird  nach 
Reinigung  der  Wunde  mit  Aqu.  chlori  oder  Sublimatlösung  —  ist  Iris 
hineingefallen,  so  thut  man  gut,  falls  es  unmöglich  ist,  sie  durch  Mio- 
tica   oder  Mvdriatica   sofort  zurückzuführen,    da,s  Stück  abzuschneiden 


504  Erkrankungen  der  Hornhaut. 

—  und  nach  eventueller  Atropinisirung  des  Auges  einen  Druckverband, 
wie  nach  Starextra ctionen,  anlegen.  Auch  ist  das  Einpudern  von  Jodo- 
form von  Nutzen.  Nur  bei  heftigeren  Schmerzen  sind  abwechselnd 
Eisumschläge  zu  machen.  Bei  grösseren  Hornhautwunden  kann  man 
eine  Deckung  mit  Conjunctiva  versuchen,  weniger  empfiehlt  sich  das 
directe  Vernähen    durch    Einlegen  von  Fäden  in  die  Hornhaut  selbst. 

Tritt  später  etwa  durch  Verletzung  der  Linsenkapsel  Quellung 
der  Linsensubstanz  und  Iritis  ein,  so  bedarf  es  strenger  Antiphlogose 
mit  energischer  Atropinisirung.  Hier  ist  bei  intraocularer  Druckzu- 
nahme die  Anlegung  einer  breiten  Iridectomie  mit  gleichzeitigem 
Herauslassen  der  gequollenen  Linsenmassen  angezeigt. 

Nicht  selten  erhebt  sich  die  Frage,  ob  ein  Fremdkörper  durch  die 
Cornea  in  das  Augeninnere  gedrungen  ist?  Vor  Allem  wird  man  die 
Art,  wie  die  Verletzung  geschehen,  den  Gegenstand,  mit  dem  sie  aus- 
geführt ist,  genau  feststellen  müssen. v  Kleine  perforirende  Hornhaut- 
wunden sprechen,  falls  eben  nicht  die  Verletzung  mit  einem  grossen 
Gegenstande  sicher  festgestellt  ist,  immer  dafür,  dass  das  verletzende 
Stückchen  durch  die  Cornea  in  das  Augeninnere  gelangt  ist.  Diese 
Vermuthung  wird  weiter  gestützt,  wenn  Trübungen  in  der  Linse  oder 
im  Glaskörper  nachweisbar  sind.  Der  Mangel  an  sichtbaren  Ver- 
letzungen der  Linse  ist  kein  Gegengrund,  da  der  Fremdkörper  durch 
die  Zonula  Zinnii  in  den  Glaskörper  gedrungen  sein  kann.  Für  Eisen- 
verletzungen haben  wir  in  der  Benutzung  der  Magnetnadel  ein  gutes 
diagnostisches  Mittel  (siehe  Fremdkörper  im  Glaskörper). 

Ausgedehntere  Verletzungen  der  Hornhaut  entstehen  auch  durch 
Verbrennen  und  Anätzen.  Kalk,  Chemikalien,  explodirendes  Pulver, 
Steinstückchen  bei  Dynamitsprengungen  oder  glühendes  Eisen,  die  in 
das  Auge  spritzen,  bewirken  oft  Verlust  des  Sehvermögens.  Man  hüte 
sich  bei  Verbrennungen  oder  Verätzungen  mit  Chemikalien  auf  eine 
scheinbare  Durchsichtigkeit  und  Klarheit  der  Hornhaut  hin,  wie  sie 
sich  gleich  nach  der  Verletzung  bisweilen  noch  findet,  eine  zu  günstige 
Prognose  zu  stellen.  Häufig  tritt  erst  nach  einigen  Tagen  die  Trübung 
ein.  Hier  muss  immer  die  focale  Beleuchtung  (eventuell  auch  die  oben 
angegebene  Fluoresce'in-Reaction)  mit  herangezogen  werden,  um  die 
etwaige  Zerstörung  der  Hornhautschichten  übersehen  zu  können. 

Die  Behandlung  besteht  in  Entfernung  der  eingedrungenen  Massen: 
im  Uebrigen  gilt  das  bei  den  Conjunctivalverletzungen  Gesagte.  Zur 
Bekämpfung  der  ersten  Entzündung  empfehlen  sich  kalte  Umschläge; 
später  kommen  die  sonst  bei  Hornhautaffectionen  üblichen  therapeuti- 
schen Kegeln  zur  Geltung. 

Die  Durchblutung  der  Cornea  in  Folge  von  Verletzungen  ist  oben 
besprochen. 


Geschwülste  der  Cornea.  5Q5 


5.  Geschwülste  der  Cornea. 

Eine  primäre  Geschwulstbildung  in  der  Cornea  ist  ausserordentlich 
selten.  Meist  wird  ihr  Gewebe  durch  Tumoren,  die  sich  im  Innern 
des  Auges  entwickelt  haben  und  nun  durchwachsen  (wie  Sarkome  und 
Gliome  oder  Iristuberkel),  oder  durch  solche,  welche  auf  dem  Corneal- 
limbus  in  dem  Conjunctivalüberzuge  entstanden  sind,  erst  seeundär  er- 
griffen. Besondere  Bedeutung  haben  die  am  Corneallimbus  sitzenden 
Geschwülste,  die  allmählich  sich  vergrössernd  bis  in  das  Pupillargebiet 
vorrücken  und  so  das  Sehen  stören  können.  In  der  Regel  pflegt  die 
Hornhaut  nur  in  ihren  oberflächlichen  Schichten  ergriffen  zu  werden. 
Am  häufigsten  handelt  es  sich  um  Sarkome  und  zwar  Melanosarkome, 
seltener  um  Careinonie. 

Die  Prognose  ist  für  diese  Geschwülste  mit  Vorsicht  zu  stellen, 
da  Recidive,  selbst  Metastasen  zu  befürchten  sind.  Es  wird  immerhin 
eine  frühzeitige  Exstirpation  angezeigt  sein;  gewöhnlich  kann  man  die 
Geschwulst  von  den  oberflächlichsten  Hornhautschichten  abschaben. 
Sollte  besonders  im  Scleralgebiete  ein  tieferes  Eindringen  schon  statt- 
gefunden haben,  so  bleibt  nur  die  Enucleatio  bulbi  übrig. 

Ausser  den  Sarkomen  kommen  Epitheliome  und  Melanocancroide, 
ferner  Lepraknoten  von  gelblicher  Färbung,  äusserst  selten  Fibrome 
^Bognian),  vor  (vergl.  Geschwülste  der  Conjunctiva).  Die  Lepraknoten 
charakterisiren  |sich  als  Leukosarkome,  es  finden  sich  in  ihnen  massen- 
hafte Leprabacillen,  sie  können  auftreten,  ehe  die  Haut  befallen  ist 
(Meyer  und  Berg  er).  Sehr  selten  sind  syphilitische  Papeln  (Pepp- 
niüllejr,  Wolff).  Angeboren  finden  sich  graue  oder  gelblich  aus- 
sehende Dermoide,  die  als  kleine  Erhebungen  meist  auf  den  Grenz- 
partien der  Cornea  und  Sclera  aufsitzen. 


506  Erkrankungen  der  Sclera. 


Fünftes  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Sclera. 


Anatomie. 

Die  Sclera  bildet  die  äussere  elastische  Kapsel  des  Bulbus.  Nasal 
von  ihrem  hinteren  Pole  tritt  der  Sehnerv  ein,  dessen  bindegewebige 
Scheiden  in  sie  ausstrahlen.  Von!  geht  sie  in  die  Hornhaut  über; 
zuerst  nehmen  ihre  innersten  Lagen  das  durchsichtige  Gefüge  der 
letzteren  an,  während  die  äusseren  noch  eine  kurze  Strecke  ihre  Un- 
durchsiehtigkeit  behalten  (Scleral-  oder  Corneallimbus).  Kurz  vor  dem 
Uebergang  rindet  sich  in  der  Sclera  ein  venöser  Plexus,  welcher  ihre 
ganze  Peripherie  kreisförmig  umzieht  (Sinus  venosus  [Leber]  oder 
Canalis  Schlemmii).  Die  Sclera  ist  in  ihren  hinteren  Partien  am 
dicksten,  wird  nach  vorn  hin  dünner  und  ist  besonders  an  den  Stellen, 
die  unter  den  Sehnenansätzen  der  Muskeln  liegen,  am  dünnsten.  Die 
Sehneninsertionen  verstärken  sie  dann  wieder  etwas.  Sie  wird  von 
Nerven  und  Gelassen,  die  in  das  Innere  des  Auges  gehen,  durchbohrt. 
Sic  selbst  hat  wenig  Gefässe.  Am  hinteren  Pole  senken  sich  die  hin- 
teren Ciliargefässe  und  -nerven,  kurz  vor  dem  Limbus  die  vorderen 
( 'iliargefässe  und  -nerven,  welche  die  Iris  versorgen,  in  sie  ein  und  bilden 
thrilweise  in  ihr  längere  Canäle.  Das  Scleralgewebe  besteht  aus  gröberen 
Bindegewebsbündeln,  die  zum  Theil  von  vorn  nach  hinten,  zum  Theil 
um  den  Hornhautrand  cireulär  verlaufen;  sie  sind  vielfältig  mit  elas- 
tischen Fasern  untermischt  (Sattler).  Die  innersten  Schichten  ent- 
halten Pigmentzellen.  Im  Alter  (vgl.  auch  Glaukom)  finden  sich  öfters 
Verkalkungen  in  der  Sclera:  ebenso  in  den  verdickten  Lederhäuten 
der  phthisischen  Augäpfel,  wo  auch  Verknöcherungen  vorkommen. 


1.  Episkleritis  und  Skleritis. 

Bei  den  Entzündungen  der  Sclera  kann  man  eine  oberflächliche 
Form,  wo  besonders  episklerales  Gewebe  betheiligt  ist,  als  Epi- 
skleritis und  eine  die  tieferen  Schichten  treffende,  als  Skleritis  unter- 
scheiden;  jedoch  kommen   Uebergänge  zwischen  beiden  vor.     Bei  der 


i 


Episkleritis  und  Skleritis.  507 

Episkleritis  zeigt  sich  im  Beginn  der  Affection  in  einiger  Entfernung 
von  der  Cornea  in  der  Sclera  ein  meist  kleiner,  blau-röthlicher  Flock 
von  unregelmässigei  Form,  der  durch  stärkt'  Füllung  des  episkleralen 
Venennetzes  bedingt  ist:  über  ihn  ziehen  mehr  hellrothe  Conjunctival- 
gefasse.  Es  folgt  dann  eine  Infiltration  des  darüberliegenden  Gewebes, 
oft  mit  buckeiförmiger  Erhebung.  Diese  Buckel  pflogen  ein  bis  zwei 
.Monate  lang  zn  bestehen,  um  dann  wieder  meist  mit  Zurücklassung 
kleiner  schiefergrauer  Flecke  zu  schwinden.  Bisweilen  umziehen  sie 
nach  und  nach  einen  grösseren  Theil  der  Hornhautperipherie.  Stärkere 
Conjunctival-Injection  pflegt  nicht  zu  bestehen,  oft  verläuft  überhaupt 
der  Process  ohne  besondere  Beschwerden,  seltener  unter  starken 
Schmerzen,  In  zwei  Fällen,  wo  die  Buckel  auffallende  Aehnlich- 
keit  mir  Tuberkelknötchen  hatten,  haben  wir  sie  excidirt  und  untersucht; 
es  fanden  sieh  jedoch  nur  Anhäufungen  von  Bundzellen  ohne  Tuber- 
kelbacillen:  auch  Impfungen  in  die  vordere  Augenkammer  des  Kanin- 
chens blieben  erfolglos. 

Diese  umschriebenen  Hervorragungen  können  auch  eine  gewisse 
Aehnlichkeit  mit  den  breiten  Phlyktänen  der  Conjunctiva  zeigen.  Doch 
ist  bei  letzteren  das  Infiltrat  in  der  Oberfläche  der  Conjunctiva  gelegen, 
während  man  bei  der  Skleritis  die  wenig  betheiligte  Bindehaut  über 
der  Erhebung  einigermaassen  verschieben  kann:  auch  fehlt  meist  die 
charakteristische,  von  derUebergangsfalte  herkommende  büschelförmige 
Injection  der  verlängerten  hinteren  ( .'onjunctivalgefas.se.  Ferner  pflegt 
gerade  diejenige  Form  der  breiten  Phlyktänen,  welche  zu  Verwechs- 
lungen Anlass  geben  könnte,  dicht  am  Sclerallimbus  zu  liegen,  während 
bei  der  Episkleritis  der  Haupterkrankungsort  in  einer  gewissen  Ent- 
fernung von  letzterem  sitzt. 

Die  eigentliche  Skleritis  kennzeichnet  sich  durch  das  Auftreten 
mehr  oder  weniger  grosser  bläulich-violetter  Flecke:  die  nicht  befallene 
Partie  des  Bulbus  bleibt  oft  ganz  blass  und  injectionslos.  Die  subjec- 
riven  Svmptome  sind  meist  sehr  gering.  Nur  selten  besteht  heftigeres 
Thränen,  Lichtscheu  oder  erheblichere  Schmerzhaftigkeit.  Während 
in  einer  Zahl  von  Fällen  der  Process  auf  die  Sclera  beschränkt  ist, 
wird  er  in  anderen  Fällen  von  Chorioidea-,  Iris-,  Glaskörper-  und  Horn- 
hautarfectionen  begleitet.  Die  Hornhaut  zeigt  vom  Rande  ausgehende, 
in  den  tieferen  Schichten  gelegene,  grauliche  Infiltrationen,  die  fleck- 
weise entstehen.  Ausgeprägtere  Eiterfärbung  oder  Neigung  zu  Ex- 
ulcerationen  fehlt  ihnen.  Nach  erfolgter  Heilung  verschwinden  sie  fast 
spurlos,  nur  dicht  am  Bande  bleiben  öfters  graue  Trübungen,  die  wie 
eine  Fortsetzung  der  Sclera  auf  die  Cornea  (sclerosirende  Trübungen) 
aussehen.  Meist  ist  gleichzeitig  mit  dem  Hornhautleid. en  eine  Iritis 
vorhanden,    gewöhnlich   in   der  Form  der  serösen.      Auch   Glaskörper- 


f>  is  Erkrankungen  der  Sclera. 

trübungen  sind  in  diesen  Fällen  nicht  selten.  Schliesslich  kann  es  zu 
Ektasien  der  Sclera  kommen. 

Das  Leiden,  ob  complicirt  oder  uncomplieirt,  ist  sehr  langwierig; 
viele  Monate,  selbst  1  bis  2  Jahre  lang,  kann  die  Affection  währen. 
Auch  treten  gelegentlich  an  anderen  Stellen  der  Sclera  neue  Nach- 
schübe ein.  Anfänglich  erkrankt  in  der  Regel  nur  ein  Auge,  oft  folgt 
das  andere  nach. 

Die  Prognose  bezüglich  der  Episkleritis  ist  im  Ganzen  günstig; 
die  Affection  ist  zwar  hartnäckig  und  zu  Recidiven  neigend;  schädigt 
aber  selten  das  Sehvermögen.  Letzteres  ist  in  Folge  der  angegebenen 
Complicationen  bei  der  eigentlichen  Skleritis  häufiger  der  Fall.  Doch 
kann  auch  diese  günstig  verlaufen,  so  dass  nur  die  zurückbleibenden 
violetten  Verfärbungen,  welche  durch  das  Durchscheinen  der  Chorioidea 
durch  die  atrophische  Sclera  bedingt  sind,  von  der  überstandenen  Krank- 
heit zeugen. 

Vorzugsweise  werden  Erwachsene  befallen,  häufiger  Frauen  als 
Männer.  Im  Beginn  der  zwanziger  Jahre  und  dann  wieder  im  späteren 
Lebensalter  ist  die  Erkrankung  verhältnissmässig  am  häufigsten.  Man 
findet  bisweilen  rheumatische  Ursachen,  Gicht,  Syphilis,  Scrophulose, 
Abdominal-Plethora,  Anämie,  Menstruationsanomalien.  —  Skleritis  in 
der  Gegend  des  hinteren  Augenpoles  (mit  Chorioiditis  verknüpft)  hat 
Jacobson  ophthalmoskopisch  gelegentlich  bei  Kindern  nach  Masern 
und  Variola  beobachtet. 

Die  locale  Behandlung  kann  eine  mehr  abwartende  sein.  Jeden- 
falls sind  reizende  Mittel  (gelbe  Quecksilbersalbe  u.  s.  w.)  im  Beginn 
zu  vermeiden.  Atropinisirung  des  Auges,  Anwendung  der  Stirnsalbe 
genügen  oft;  bei  heftigeren  Schmerzen  kann  man  Blutegel  und  Opiate 
anwenden.  Auch  lauwarme  Kamillentheeumschläge  mehrere  Male  des 
Tages  Vo  Stunde  lang,  oder  Anwendung  des  feucht-warmen  Druck- 
vorbandes sind  hier  bisweilen  angezeigt.  Bei  stärkerer  Gewebsinfil- 
tration sind  Scarificationen  und  Massage  mit  Cocainsalbe  von  Nutzen. 
Auch  subconjunctivale  Kochsalz-  oder  Sublimat-Injectionen  sind  em- 
pfohlen worden.  Treten  Complicationen  mit  Iritis  ein,  so  ist  stärkere 
Atropinisirung  erforderlich.  Ist  die  Iritis  sehr  heftig  und  sind  gleich- 
zeitig Chorioiditis  oder  Glaskörpertrübungen  vorhanden,  so  wende 
man  allgemeine  Mercurialisation  (etwa  durch  subcutane  Sublimat-Injec- 
tionen, 0-01  pro  die)  an.  Selbst  von  anämisch  aussehenden  Individuen 
werden  sie  neben  sonstigem  roborirendem  Verfahren  gut  vertragen. 
Bei  diesen,  oft  sichtbarlieh  mit  constitutionellen  Diathesen  zusam- 
menhängenden Leiden  ist  in  der  Regel  auch  eine  weitere  innerliche 
Behandlung  von  Nöthen.  So  ist  der  Gebrauch  von  Jod,  Jodeisen, 
Eisen  oft  indicirt.       Pagenstecher  hat  besonders  nach   sehr  grossen 


Ektasien  und  Staphylome  der  Sclera.  50i) 

Dosen  (5  bis  25  gT  pro  die)  von  Jodkali  und  Jodnatrium  eclatante 
Besserungen  gesehen.  Die  Lösung-  (20  gr  ad  200  gr  Wasser)  wird  ess- 
löffelweise  in  Milch  nach  dem  Essen  genommen;  die  Cur  ist  wochenlang 
fortzusetzen.  Bei  gichtischer  Diathese  wird  das  Xatr.  und  Lithium  sali- 
eyücum  sowie  Colchicin  gerühmt.  Sind  keine  speciellen  Indicationen 
vorhanden,  so  ist  der  längere  Gebrauch  von  Leberthran  empfehlens- 
werth. 


2,  Ektasien  und  Staphylome  der  Sclera. 

Eine  allgemeine  Ausdehnung  der  Sclera  rindet  sich  bei  angeborenem 
Buphthalmus;  es  ist  hier  meist  auch  eine  Verdünnung  derselben  ein- 
getreten. Bei  Cornealstaphvlomen  sieht  man  bisweilen  den  vorderen 
Abschnitt  der  Sclera  gleichmässig  ausgedehnt,  besonders  charakteristisch 
ist  hier  das  Verstreichen  der  Rinne  zwischen  Cornea  und  Sclera. 

Partielle  Hervortreibungen  kommen  vor  in  der  Nähe  des  Cornea- 
randeSj  im  conjunctivalen  Theil  und  dicht  neben  dem  Sehnerven.  Letztere, 
zuerst  von  Scarpa  als  Staphylonia  posticum  beschrieben  und  später 
von  Arlt  als  Begleitsymptoni  der  Myopie  erfasst,  wurden  bei  den  Re- 
fractionsanomalien  besprochen  (S.  73).  Die  an  dem  vorderen  Abschnitt 
befindlichen  Staphylome  der  Sclera  haben  eine  bläulich-schwärzliche 
Farbe  und  entstehen  durch  Hervorbuchtung  der  verdünnten  Sclera  und 
der  mit  ihr  verwachsenen  Uvea.  Bisweilen  sitzen  sie  dicht  am  Horn- 
hautrande  zwischen  Iris  und  Corp.  ciliare  (Staph.  intercalare)  und 
umgeben  in  seltenen  Fällen  als  gewulsteter  Ring  die  ganze  Cornea. 
Die  mehr  äquatorial  gelegenen  Buckel  können  mit  Chorioidealsarkomen, 
welche  die  Sclera  hervordrängen,  oder  Gumniata  verwechselt  werden. 
Doch  sind  bei  focaler  Beleuchtung  die  eigentlichen  Staphylome  meist 
durchscheinend  und  Licht  durchlassend,  was  bei  Geschwülsten  nicht 
der  Fall  ist.  Ebenso  zeigen  letztere  beim  Daraufdrücken  einen  grössseren 
Willerstand:  ein  Symptom,  dass  auch  sonst  für  Tumoren  diagnostisch 
verwendbar  ist.  —  Auch  bei  eitrigen  Glaskörperentzündungen  beobachtet 
man  gelegentlich  umschriebene  Scleralbuckel,  trotzdem  es  nicht  immer 
zur  Eiterperforation  daselbst  kommt.  Das  Sehvermögen  ist  in  der 
Regel  bei  den  umschriebenen  Staphylomen  fast  ganz  aufgehoben,  da 
anderweitige  Augenaffectionen,  besonders  glaukomatöse  Processe  da- 
neben bestehen.  Irgend  welche  operative  Eingriffe,  abgesehen  vielleicht 
von  der  Sclerotomie  zur  Herabsetzung  der  Tension,  sind  zu  vermeiden: 
aus  kosmetischem  Grunde  kann  die  Enucleatio  oder  Exenteratio  bulbi 
angezeigt  sein.  — 


510  Erkrankungen  der  Sclera. 


3.  Verletzungen  der  Sclera. 

Die  mit  mehr  oder  weniger  .scharfen  und  spitzen  Instrumenten  der 
Sclera  beigebrachten  Wunden  sind  meist  mit  gleichzeitiger  Verletzung 
des  üvealtractus  und  der  Netzhaut  verknüpft.  Glaskörperausfluss, 
Linsenverlust,  Hineinfallen  der  Chorioidea  und  des  ( !orp.  ciliare  sind 
bei  grösseren  perforirenden  Traumen  die  Regel,  ebenso  Blutungen  in 
vordere  Kammer  und  Glaskörper.  Selbst  wenn  kleinere  Wunden  an- 
fänglich wenig  gefährlich  erscheinen,  so  kann  doch  nachträglich  durch 
Einheilen  der  Netzhaut  eine  Ablösung  derselben  erfolgen.  Dieses  Ein- 
heilen der  Netzhaut  geschieht,  wie  Schöler's  Experimente  gezeigt 
hal)en;  vorzugsweise  durch  eine  bindegewebige  Verbindung  zwischen 
der  sich  in  die  Scleralwunde  legenden  Conjunctiva  und  der  Netzhaut. 
Besonders  gefährlich  sind  die  Verletzungen,  welche  die  Gegend  des 
Corp.  ciliare  treffen,  indem  die  eingeleitete  Cyklitis  oft  sympathische 
Affection  des  anderen  Auges  zur  Folge  hat. 

Rupturen  der  Sclera  werden  meist  durch  stumpfe  Gewalt  bewirkt. 
Wenn  beispielsweise  der  untere  vordere  Theil  der  Sclera  von  einem 
stumpfen  Körper  heftig  getroffen  wird,  so  kommt  eine  Compression  des 
Bulbus  in  der  Richtung  von  unten-vorn  durch  den  Mittelpunkt  nach 
oben-hinten  zu  Stande.  Der  Inhalt  des  Augapfels  weicht  aus  und 
spannt  die  Bulbuswände  in  dem  auf  dieser  Stossachse  senkrecht  stehen- 
den Aequator  am  meisten.  Falls  dieselben  nicht  gestützt  werden,  etwa 
durch  das  Orbitalfett  oder  die  Muskeln,  können  sie  platzen  (Arlt):  so 
finden  wir  denn  in  der  That  die  meisten  Scleralrisse,  mehrere  Millimeter 
vom  Corneallimbus  entfernt,  äquatorial  verlaufen.  Häufig  ist  die  ( 1on- 
junetiva  dabei  unzerrissen.  Es  bleibt  alsdann  der  ausgetretene  Glas- 
körper oder  die  ausgetretene  Linse  unter  der  Conjunctiva. 

Die  anzuwendende  Therapie  bei  Scleralwunden  wird  sich  nach 
der  Grösse,  Art  und  Lage  der  Wunde  richten.  Ist  die  Wunde  sehr 
gross,  ist  viel  Glaskörper  ausgeflossen,  liegt  Chorioidea  in  der  Wunde 
und  ist  vor  Allem  das  Corp.  ciliare  getroffen,  so  ist  sofortige  Enuclea- 
tion  oder  Exenteration  das  beste  Mittel.  In  solchen  Fällen  würden 
langwierige  Entzündungen  unausbleiblich  sein,  irgend  ein  in  Betracht 
kommendes  Sehvermögen  ist  nicht  zu  erwarten  und  die  Gefahr  einer 
sympathischen  Affection  drohend.  Bei  nicht  zu  grossen  Wunden  ist 
die  Heilung  zu  versuchen;  wenn  möglich  wird  man  hier  die  Scleral- 
oder  mindestens  die  Conjunctivalwunde  nach  entsprechender  Desinfection 
durch  Nähte  schliessen.  Sodann  pudert  man  etwas  Jodoform  ein  und 
legt  einen  antiseptischen  Druckverband  an.  Bei  sehr  heftigen  Schmerzei 
wendet  man  Narc.otica  oder  auch  intermittirend  mit  dem  Druckverband 


Geschwüre  und  Geschwülste  der  Sclera.  511 

Eisumschläge  an.  Die  weitere  Behandlung  würde  dieselbe  wie  nach 
Starextractionen  sein.  Sollten  innere  eitrige  Entzündungen  sich  ein- 
stellen; so  kann  man  Blutentziehungen  und  zeitweilig  kalte  Umschläge 
oder  auch  subconjunctivale  Sublimat-  oder  Kochsalz-Iujectionen  ver- 
suchen; bei  ausgesprochener  eitriger  Chorioiditis  und  Panophthalmitis 
pflegen  Kataplasmen.  die  aber  sein-  klein  und  leicht  sein  müssen,  oder 
beständige  laue  Umschläge  schmerzmildernd  zu  wirken. 

Durch  Verbrennungen  und  Aetzungen  werden  bisweilen  mit  der 
( 'onjunctiva  auch  die  oberflächlichen  Schichten  der  Sclera  zerstört,  so 
dass  die  Uvea  alsdann  bläulich-grau  durchschimmert.  —  Recht  häutig 
kommen  kleine  eingesprengte  Stein-  und  Pulverkörner  in  der  Sclera 
nach  Explosionen  von  Pulver-  oder  Dynamit-Patronen  zur  Beobachtung. 
Meist  dringen  die  kleinen  Partikelchen  noch  in  den  Glaskörper,  die 
Iris  und  die  Linse  ein  und  bewirken  schwere  Entzündungen.  Auf  ein 
Herausholen  aus  dem  Augeninnern  ist  hier  in  der  Regel  zu  verzichten; 
oberflächlich  in  der  Sclera  sitzende  Körner  kann  man  entfernen.  Ebenso 
dringen  Eisenstückchen  gelegentlich  durch  die  Sclera  in  das  Augeninnere 
(cf.  Fremdkörper  in  Glaskörper). 


4.  Geschwüre  und  Geschwülste  der  Sclera. 

In  sehr  seltenen  Fällen  sind  in  der  Sclera  perforirende  Geschwüre 
beobachtet  worden.  —  Ebenso  sind  primäre  Geschwülste  der  Sclera  — 
abgesehen  von  den  oben  besprochenen  am  Sclerallimbus  —  ausser- 
ordentlich selten;  tuberculose,  syphilitische,  lepröse  Granulationsge- 
schwülste ebenso  wie  Sarkome  und  Fibrome  (Saemisch)  wurden  be- 
schrieben. Die  Gliome  der  Xetzhaut  ebenso  wie  die  Sarkome  der  (Jho- 
rioidea  finden  in  der  Sclera  einen  starken  Widerstand  und  ergreifen  sie 
erst  sehr  spät  und  partiell  an.  Bisweilen  entwickeln  sich  durch  Wande- 
rung von  Gesehwulsteleinenten  längs  der  Gefässscheiden  oder  Lymph- 
wege episklerale  Geschwülste,  ohne  dass  die  Sclera  selbst  ausgiebiger 
in  die  Geschwulst  einbezogen  ist.  —  Angeboren  finden  sich  dunkelviolette 
oder  schwärzKch-bräunliche  Flecke  (Melanosis  sclerae),  bisweilen  mit 
ähnlichen  Pigmentirungen  an  anderen  Körperstellen. 


512  Erkrankungen  der  Iris. 


Sechstes  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Iris. 


Die  Anatomie    der  Iris   findet   sich  bei  der  Anatomie  des  Uveal- 
tractus  S.  225. 


1.  Hyperaemia  iridis. 

Bei  sehr  vielen  acuten  Erkrankungen  des  Auges  lässt  sich  secun- 
där  auch  eine  Hyperämie  der  Iris  constatiren.  So  besonders  bei  acuten 
Granulationen,  bei  Blennorrhoe,  bei  Keratitis,  bei  Skleritis,  bei  Chorioi- 
ditis und  Cyklitis.  Aber  auch  nach  äusseren  Verletzungen,  die  andere 
Theile  des  Bulbus  betreffen,  sieht  man  sie  auftreten.  Die  Hyperämie 
charakterisirt  sich  durch  eine  Farbenveränderung,  die  durch  Zumischung 
von  Rothgelb  entsteht.  Eine  blaue  Iris  wird  grünlich,  eine  graue  mehr 
schmutzig-grün,  eine  braune  und  schwärzliche  rothbraun.  Bisweilen 
kann  man  übrigens  ähnliche  Farben- Veränderungen  an  hellen  Regen- 
bogenhäuten auch  bei  momentan  vermehrtem  Blutzufluss  beobachten, 
z.  B.  während  der  Ausführung  der  Schieloperation.  Auch  bei  Resorp- 
tion subconjunctivaler  Blutergüsse  habe  ich  eine  Verfärbung  der  Iris 
gesehen  und  zwar  öfters  local  entsprechend  dem  Sitz  des  Hyposphagma ; 
es  ist  hieraus  ein  Ueberwandern  des  Blutfarbstoffes  abzunehmen.  —  Zur 
Hyperämie  gesellt  sich  eine  Verlangsamung  in  der  Contraction  (Träg- 
heit) der  Pupille  auf  Lichteinfall  und  Neigung  zur  Miosis.  Zuweilen 
besteht  ein  leichter  pericornealer  Gefässring.  Tritt  letztere  Injection 
aber  stärker  hervor,  vei'liert  das  Irisgewebe  seinen  Glanz,  so  haben  wir 
es  mit  wirklichen  Entzündungen  zu  thun. 

Der  Verlauf  ist  verschieden,  je  nach  der  Grundursache  der  Affe ction. 
Zuweilen  geht  die  Hyperämie  schnell  wieder  zurück,  zuweilen  entwickelt 
sich  eine  Iritis. 

Die  Behandlung  ist  darauf  gerichtet,  letztere  durch  Bekämpfung 
des  Grundleidens  zu  vermeiden.  Vor  Allem  empfiehlt  sich  hier  das- 
Atropin. 


Iritis.  513 


2.  Iritis. 
I.  Symptomatologie. 

Verfärbung-  und  Verlust  des  Glanzes  bei  Trägheit  der  Pupillen- 
bewegung sind  die  charakteristischen  Symptome  der  Regenbogenhaut- 
entzündung.  Oft  gesellen  sich  Enge  der  Pupille  und  Verwachsungen 
der  Iris  mit  der  Linsenkapsel  (hintere  Synechien)  hinzu.  Um  letztere, 
welche  eine  unregelmässige  Gestalt  der  Pupille  veran- 
lassen, zu  eonstatiren,  bedarf  es  bisweilen  der  Einträufelungen  von 
Atropin.  In  chronisch  verlaufenden  Fällen  kann  die  pericorneale  In- 
jection  fehlen:  dies  ist  zu  beachten,  da  sonst  die  Affection  leicht  zum 
Schaden  der  Kranken  übersehen  wird. 

A.   Objective  Symptome. 

1)  Hyperämie  der  Conjunctiva  und  des  subconjunctivalen 
Gewebes.  Bei  sehr  starker  acuter  Iritis  legt  sich  ein  etwa  1 1/2  bis 
2  mm  breiter  violettrother  Ring  um  die  Cornea,  an  dem  man  kaum 
noch  die  einzelnen  Gefässstämmchen  unterscheiden  kann.  Auch  die 
hinteren  Conjunctivalgefässe  sind  bisweilen  injicirt  und  stehen  mit  den 
vorderen  pericornealen  in  Verbindung.  Besonders  in  der  allerersten  Zeit 
der  Entzündung  findet  sich  eine  massige  seröse  Durchtränkung  des 
subconjunctivalen  Gewebes,  selbst  ein  leichter  chemotischer  Ring  um 
die  Cornea. 

2)  Verfärbung  der  Iris.  Die  verschiedenen  Farbennüancen 
sind  schon  bei  der  Hyperaemia  iridis  besprochen.  Gelegentlich  ist  die 
Verfärbung  nur  partiell.  Bei  sehr  chronischen,  lange  bestehenden  Iriten 
oder  Hyperämien  (wie  wir  sie  z.  B.  bei  der  Irido-Cyklitis,  Netzhaut- 
ablösung u.  s.  w.  finden)  kann  die  Iris  eine  papageigrüne  Farbe  an- 
nehmen. 

3)  Verlust  des  Glanzes.  Eine  normale  Iris  zeigt  eine  leicht 
glänzende  Oberfläche,  bei  der  Entzündung  wird  dieselbe  matt  und 
stumpf. 

4)  Auflockerung  oder  Atrophie  des  Gewebes.  Einzelne 
Partien  erscheinen  geschwollen,  oft  haben  dieselben  einen  besonders 
hervorstechenden  gelben  Farbenton,  von  eitriger  Infiltration  herrührend. 
Es  kommen  auch  gelegentlich  kleine  Knoten  von  etwa  Stecknadelkopf- 
es Hirsekorngrösse  vor,  theils  von  intensiv  gelblicher  Färbung  (Eiter- 
anhäufungen), theils  mehr  röthlich  (so  bei  Condylomen  und  Gummata) 
oder  mehr  weisslich  (bei  Tuberkeln  und  Lymphomen).  Bei  einer  gleich- 
massigen  Infiltration  verliert  sich  die  Färbung  und  feine  Zeichnung 
der  Iris. 

Sehmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  33 


514  Erkrankungen  der  Iris. 

In  Folge  lange  bestehender  Entzündung  tritt  nach  Rückgang  der 
Infiltration  eine  Atrophie  der  Iris  ein,  sie  erscheint  dünner  und  ohne 
ihre  normale  Zeichnung  meist  schiefergrau.  Ein  oder  das  andere  dicke, 
rothe  Gefäss  ist  in  ihr  zu  erkennen. 

5)  Verengerung  der  Pupille.  Die  Miosis  ist  hauptsächlich 
durch  die  stärkere  Blutfülle  und  damit  verbundene  Volumenzunahme 
des  Gewebes  zu  erklären.  So  sehen  wir  auch  nach  Punctionen  der 
vorderen  Hornhaut  mit  Kammerwasserabfluss  Verengerung  der  Pupille 
erfolgen,  indem  zugleich  eine  acute  Hyperämie  eintritt.  Dass  übrigens 
durch  Reizung  der  Trigeminusfasern  gleichzeitig  reflectorisch  eine  Con- 
traction  des  Sphincter  iridis  ausgelöst  wird,  dürfte  nicht  auszuschliessen 
sein.  Es  verbindet  sich  mit  der  Pupillenenge  eine  geringere  Reactions- 
fähigkeit  auf  Licht  und  Mydriatica. 

6)  Hintere  Synechien  und  Pupillarmembran.  Die  Verkle- 
bungen zwischen  der  Iris  und  Linsenkapsel  sitzen  in  der  Regel  nur 
an  umschriebenen  Stellen  des  Pupillarrandes.  Man  erkennt  sie  an  Un- 
regelmässigkeiten und  eckigen  Verziehungen  der  Pupille.  Ist  die  Pupille 
eng,  so  sind  diese  Abweichungen  von  der  runden  Form  schwer  zu 
sehen.  Durch  Beschatten  des  Auges  erweitert  man  die  Pupille  alsdann 
und  beobachtet  ihre  Gestalt.  Wenn  dies  nicht  genügt,  so  wendet  man 
Mydriatica,  besonders  Atropin  an.  Indem  die  Iris  sich  jetzt  auf  ein 
geringes  Volumen,  nach  ihrem  Ciliaransatz  zu,  contrahirt,  treten  die 
Stellen,  wo  der  Pupillarrand  mit  der  Linsenkapsel  verklebt  ist,  meist 
als  zungenförmige,  schwarze  oder  rostbraune  Fortsätze  hervor.  Häufig 
ist  es  nur  das  hinterste  Pigmentblatt,  welches,  in  dieser  Form  haften 
bleibend,  der  Contraction  des  Irisgewebes  nicht  folgt.  In  den  Fällen, 
wo  schliesslich  doch  eine  vollständige  Lösung  der  Iris  eintritt,  bleiben 
dunkle  radiäre  Sectoren  oder  auch  Punkte  und  Linien  auf  der  Linsen- 
kapsel zurück.  So  sieht  man  bisweilen  einen  kleinen  schwarzen  oder 
braunen  Kreis  auf  der  Linse,  welcher  der  Stelle  entspricht,  wo  früher 
der  Rand  der  verengten  Pupille  gesessen  hat.  Im  Laufe  der  Zeit  ver- 
lieren diese  Pigmentreste  ihre  intensivere  Färbung.  Wenn  der  Pupillar- 
rand in  seiner  ganzen  Ausdehnung  angeheftet  ist,  besteht  eine  totale 
hintere  Synechie.  Bisweilen  ist  hierbei  die  ganze  hintere  Irisfläche 
mit  der  Linse  verklebt,  in  anderen  Fällen  aber  nur  die  Pupillarperi- 
pherie.  Es  treten  alsdann  durch  Ansammlungen  von  Flüssigkeit  in 
der  hinteren  Augenkammer  buckeiförmige  Hcrvortreibungen  der  Iris 
auf,  die,  wenn  sie  bedeutend  sind,  die  Irisfläche  der  Cornea  nahe 
bringen,  während  der  Pupillarrand  und  die  Pupille  kraterförmig  tief 
liegen  (Figur  151). 

Die  Pupille  selbst  kann  mit  Exsudaten  bedeckt  werden,  indem  die 
neugebildete  Schicht,    welche  Pigmentblatt    mit  Linsenkapsel    verklebt, 


Symptomatologie  der  Iritis.  515 

in  das  Pupillargebiet  hineinreicht,  oder  indem  sich  direct  Exsudate 
aus  der  vorderen  Kammer  absetzen.  Weisslieh-gTaue  häutige  Auflage- 
rungen der  Pupille  werden  als  Pupillarmembranen  bezeichnet.  Auch 
kann  es  zu  einem  vollkommenen  Verschluss  der  Pupille,  Pupillen- 
sperre (Occlusio  pupillae),  durch  ein  undurchsichtiges  Häutchen 
kommen. 

7)  Die  Trübungen  des  Humor  aqueus  sind  von  sehr  ver- 
schiedener Intensität7  je  nach  der  grösseren  oder  geringeren  Zahl 
suspendirter  Zellenelemente  in  der  Kammerflüssigkeit.  Oft  scheidet 
sieh  eine  Masse,  von  Fibrin  und  Eiterzellen  gebildet,  als  gelbes  Hypo- 
pyon  ab.  Das  Hypopyon  folgt  hierbei  dem  Gesetz  der  Schwere  und 
setzt  sieh  am  tiefsten  Theile  der  vorderen  Kammer  ab:  es  hat  eine 
halbmondförmige  Gestalt,  indem  die  Convexität  der  unteren  Kammer- 
bueht  entspricht.  Sehr  kleine  Hypopya  sind  schwer  zu  erkennen,  da 
sie  noch  von  dem  Sclerallimbus  verdeckt  werden.  Doch  sieht  man  meist 
deutlich,  dass  an  der  untersten  Stelle  der  Cornea  die  Peripherie  der 
durchsichtigen  Hornhautgrenze  nicht  mehr  kreisrund  ist,  sondern  eine 
kleine  gelbliehe  Linie  bildet.  Oft  gelingt  die  Wahr- 
nehmung derartiger  sehr  kleiner  Hypopya  nur  bei 
Lupenuntersuchung  mit  Anwendung  schiefer  Be- 
leuchtung.   Ein  sehr  gutes  Hülfsmittel  besteht  darin, 

.        .  .  1«1« 

dass  man  durch   in    die  Höheschieben    des  unteren 

Augenlides  eine  Schicht  Thränenflüssigkeit  über  den  unteren  Horn- 
hautrand bringt.  Diese  wirkt  dann  als  Convexlinse  und  zugleich  pris- 
matisch. —  Liegen  die  Kranken  auf  der  Seite,  so  rücken  die  Hypopya 
nach  der  entsprechenden  tiefstliegenden  Seite  der  Kammer.  Sie  füllen 
bisweilen  J:,  der  vorderen  Kammer  aus;  doch  finden  sich  die  grossen 
Hypopya  häufiger  bei  secundären  Entzündungen  der  Iris,  bei  Horn- 
liauraffectionen  (Ulcus  serpens)  oder  eitriger  Chorioiditis.  Ohne  aus- 
gesprochene Iritis  kommen  Hypopya,  abgesehen  von  Hornhaut- 
processen,  auch  bei  Cyklitis  vor:  bei  letzterer  AfFection  aber  nur  in 
sehr  geringer  Masse  und  meist  ephemer  auftretend  und  verschwindend. 
Reine  Blutergüsse  in  die  vordere  Kammer  (Hyphaema)  erfolgen 
fast  nur  bei  Traumen  der  Iris.  Doch  habe  ich  sie  auch  nach  Stick- 
hustenanfällen gesehen.  Kleine  Blutstreifen  zeigen  sich  zuweilen  in 
den  Eiterergüssen.  Eine  eigenthümliche  Erscheinung  findet  sich  ge- 
legentlich in  der  Gestalt  sogenannter  linsenförmiger  oder  gela- 
tinöser Exsudationen.  Sie  haben  eine  meist  runde  und  linsenähn- 
liche Form:  die  Farbe  ist  grau.  Der  erste  Fall,  den  ich  beschrieben, 
hatte  täuschende  Aehnlichkeit  mit  einer  in  die  vordere  Kammer  luxirten, 
getrübten  Linse.  Die  Resorption  des  Exsudats,  dass  sich  aus  einer 
ursprünglich  ungeformten  Trübung  linsenähnlich  gestaltet  hat,  geschieht 


516  Erkrankungen  der  Iris. 

meist  in  einigen  Tagen,  indem  vom  Rande  her,  oft  unter  Zackenbildung, 
die  Verkleinerung  eintritt.  Diese  gelatinösen  Exsudationen  können  bei 
den  verschiedensten  Formen  von  Iritis  (syphilitische,  traumatische  [z.  B. 
auch  nach  Kataraktoperationen]  u.  s.  w.)  beobachtet  werden. 

Auch  Bläschen,  die  sich  später  verkleinern  und  zu  Exsudathäutchen 
zusammenschmelzen,  kommen  vor. 

8)  Präcipitate  an  der  hinteren  Hornhautwand.  Man  sieht 
kleine,  stecknadelspitz-  bis  stecknadelkopfgrosse,  grauweisse,  zuweilen 
auch  leicht  bräunliche  Präcipitate  der  Membrana  Descemetii  aufsitzen: 
bei  einer  grösseren  Menge  derselben  spricht  man  von  Descemetitis 
oder  Hydromeningitis.  Diese  Präcipitate  bestehen  meist  aus  Fibrin 
und  Rundzellen,  die  zum  Theil  Pigmentkörper  enthalten.  Die  Con- 
traction  des  Fibrins  giebt  ihnen  wahrscheinlich  die  runde  Form.  Unter 
ihnen  geht  bisweilen  das  Endothel  der  M.  Descemetii  zu  Grunde, 
während  am  Rande  Regenerationsvorgänge  desselben  stattfinden.  In 
einzelnen  Fällen  erstrecken  sich  von  diesen  Pünktchen  aus  nach  vorn 
in  die  Hornhaut  hinein  Infiltrationen,  die  ebenfalls  in  Punktform  auf- 
treten.    Es  entsteht  so   eine  seeundäre  tiefliegende  Keratitis  punctata. 

Wenn  sich  in  der  Peripherie  der  Hornhaut  dickere  graue  Auf- 
lagerungen an  der  Membrana  Descemetii  finden,  so  können  sie  mit  dem 
anliegenden  ciliaren  Rande  der  Iris  in  Verbindung  kommen  und  kleine 
knopfförmige  Synechien  bewirken. 

9)  Auch  die  Hornhaut  zeigt  bisweilen  eine  leicht  diffuse  oder 
strichförmige  Trübung,  die  besonders  bei  schiefer  Beleuchtung 
hervortritt. 

B.    Subjective  Symptome. 

Schmerzen  sind  bei  den  acuten  Formen  vorhanden  und  dann 
oft  ungemein  heftig.  Sie  haben  ihren  Sitz  im  Bulbus  (Ciliarschmerz), 
strahlen  aber  von  dort  in  die  Stirn-  und  Schläfengegend  aus,  so  dass 
eine  förmliche  Hemikranie  auftreten  kann;  bisweilen  ist  eine  Stelle  auf 
der  Mitte  des  behaarten  Kopftheiles  alleiniger  Sitz  des  Schmerzes,  es 
dürfte  sich  um  die  Endausläufer  des  N.  frontalis  (supraorbitalis)  handeln. 
Gegen  Abend  oder  des  Nachts  pflegen  sie  zu  exaeerbiren.  Gemeinhin 
ist  dann  auch  der  Augapfel  auf  Druck  in  der  Ciliargegend  stark  em- 
pfindlich, ohne  dass  jedoch  hieraus  allein  die  Diagnose  auf  Cyklitis  ge- 
stellt werden  dürfte.  Die  Lichtscheu  ist  vorzugsweise  im  Beginn  der 
Krankheit  und  bei  sehr  acutem  Auftreten  belästigend. 

Die  Seh  Störungen  sind  bedingt  durch  die  optischen  Hindernisse: 
Kammerwassertrübung,  Hornhauttrübung  oder  Pupillarmembranen.  Aber 


Verlauf  und  Ausgänge  der  Iritis.  517 

auch  eine  gewisse  Hyperämie  der  Papilla  optica  und  Netzhaut,  die  man 
öfters  bei  Iritis  findet,  dürfte  mit  in  Rechnung  zu  ziehen  sein.  Aller- 
dings sind  im  Grossen  und  Ganzen  die  Sehstörungen  annähernd  ent- 
sprechend den  optischen  Störungen:  ein  Patient,  der  keine  Pupillar- 
membran und  nur  massige  Trübung  des  Kamnierwassers  hat,  liest  mit 
convex  6-0  immer  noch  kleine  Schriftproben;  ebenso  ist  sein  Gesichts- 
feld frei.  Herabsetzung  der  Sehschärfe  oder  Einschränkung  des  Ge- 
sichtsfeldes deuten  auf  Complicationen,  meist  mit  Cyklitis,  Glaskörper- 
trübungen, Retinitis,  Sehnervenexcavation  u.  s.  w.  —  Bei  starker  Ent- 
zündung darf  man  weder  die  Sehprüfung  noch  die  Augenspiegelunter- 
suchung  zu  eingehend  und  langdauernd  machen.  Bezüglich  ersterer 
genügt  meist  das  Lesenlassen  in  der  Nähe  mit  einem  Convexglas  (letz- 
teres wird  zum  Ausgleichen  etwaiger  Refractionsanomalien  benutzt). 

Allgemeinerscheinungen,  wie  Fieber,  Uebelkeit  und  Erbrechen,  sind 
im  Ganzen  selten. 


II.  Verlauf  und  Ausgänge. 

Man  unterscheidet  acute  und  chronische  Formen  der  Iritis.  Die 
ersteren  treten  unter  erheblichen  Schmerzen,  Lichtscheu,  Thränen- 
träufeln  auf,  zeigen  meist  starke  pericorneale  Injection,  selbst  leichte 
Chemosis  der  Conjunctiva.  Später  bilden  sich  Exsudationen  in  der 
vorderen  Kammer,  Hypopyen  oder  hintere  Synechien.  Sie  verlaufen 
in  etwa  vier  bis  sechs  Wochen.  Die  chronischen  Formen  dauern  viel 
länger  und  werden  leicht  wegen  ihrer  wenig  alarmirenden  Symptome 
übersehen.  Die  entzündlichen  Erscheinungen  sind  gering,  oft  fehlen 
sie  ganz,  so  die  Schmerzen  und  die  ausgeprägtere  pericorneale  Injec- 
tion. Allerdings  sieht  man  bei  genauerer  Beobachtung,  dass  bei  einem 
das  Auge  treffenden  Reiz  eine  abnorme  pericorneale  Röthe,  auch  Thränen 
sich  zeigen.  Doch  kommt  es  oft  zu  einer  circulären  Synechie  und  er- 
heblichen Herabsetzung  des  Sehvermögens,  ohne  dass  die  Patienten  die 
Empfindung  eines  schweren  Augenleidens  haben. 

Die  Iritis  kann  vollständig  heilen.  Das  Gewebe  wird  wieder  nor- 
mal und  die  entzündlichen  Producte  verschwinden.  Oder  auch  die 
Entzündung  hört  auf,  aber  es  sind  hintere  Synechien  (partielle  oder 
totale)  oder  Pupillarmembranen  zurückgeblieben.  Partielle  hintere  Syn- 
echien lösen  sich  bisweilen  noch  nachträglich  unter  lange  fortgesetzter 
AtropiDisirung.  Man  hat  ihnen  einen  besonderen  Einfluss  auf  die  Her- 
beiführung von  Recidiven,  zu  denen  die  Iritis  überhaupt  neigt,  zuge- 
schrieben. Und  in  der  That  zeigen  Augen  mit  hinteren  Synechien, 
wie  auch  eine  Zusammenstellung  von  Horstmann  lehrt,  etwas  häufiger 
Rückfälle  von  Iritis.     Die  Ursache  mag  wohl  in  den  Zerrungen  liegen, 


518  Erkrankungen  der  Iris. 

denen  die  Regenbogenhaut  bei  den  Bewegungen  der  Pupille  an  der 
Stelle  der  Verwachsungen  ausgesetzt  ist.  Andererseits  ist  aber  die 
Gefahr  der  partiellen  Synechien  vielfältig  überschätzt  worden:  trotz 
ihres  Vorhandenseins  bleiben  Rückfälle  oft  dauernd  aus. 

Entschieden  gefährlich  aber  für  das  Auge  sind  die  totalen  hinteren 
Synechien,  die  zu  einem  Pupillenabschluss  führen  (Seclusio  pupillae). 
Hier  kommt  es,  falls  die  Iris  nicht  mit  ihrer  ganzen  hinteren  Fläche 
mit  der  Linsenkapsel  verklebt  ist,  wie  bereits  oben  erwähnt,  zu  mehr 
oder  weniger  starken  Hervorbuckelungen  durch  Anhäufung  von  Flüssig- 
keit in  der  hinteren  Kammer.  Dazu  gesellt  sich  in  der  Regel  Secun- 
därglaukom  mit  Drucksteigerung  und  Sehnervenexcavation.  In  anderen 
Fällen  und  besonders  dort,  wo  eine  ausgedehnte  Flächenverklebung 
stattfindet,  treten  öfters  secundär  cyklitische  Erscheinungen,  besonders 
durch  Glaskörpertrübungen  erkennbar,  auf.  Hier  wird  der  Bulbus 
meist  weich  und  die  Linse  kataraktös;  jedoch  bleiben  in  einer  Reihe 
von  Fällen  diese  schweren  Folgen  aus. 

Pupillarmembranen,  die  zurückbleiben,  haben  eine  sehr  verschiedene 
Dicke;  sie  sind  bald  weisslich  und  papierähnlich,  bald  so  dünn  und 
durchsichtig,  dass  sie  nur  mit  schiefer  Beleuchtung  erkannt  werden 
können.  Hinter  ihnen  trübt  sich  zuweilen  die  Linse,  und  es  kommt  zu 
umschriebenen  Kapsel-  bezw.  Kapsellinsenstaren,  Formen,  die  als  Cata- 
racta accreta,  spuria  oder  lymphatica  bezeichnet  werden.  Ausgedehntere 
Kataraktbildung  tritt  meist  nur  bei  Complicationen  der  Iritis  mit  Cyklitis 
oder  Chorioiditis  auf. 

Mikroskopisch  finden  sich  bei  Iritis  zahlreiche  Rundzellen  und 
Kerne  im  Gewebe,  zum  Theil  zu  Knötchen  verdichtet,  daneben  kleine 
Blutungen.  Die  Gefässe  sind  stark  gefüllt;  bei  der  syphilitischen  Iritis 
besteht  Endarteriitis  und  Perivasculitis.  Das  vordere  Endothel  der 
Iris  ist  zerstört  oder  gewuchert.  Später  kann  bindegewebige  De- 
generation eintreten  mit  Schwund  der  Pigmentzellen.  Aus  Fibrin  und 
Rundzellen,  denen  Pigmentkörnchen  beigemischt  sind,  bestehende  Ex- 
sudate werden  auf  die  Oberfläche  und  in  die  vordere  und  hintere 
Kammer  abgesetzt;  sie  können  sich  auch  zu  grauweisslichen  Häutchen 
organisiren.  Verwachsungen  der  Iris  mit  diesen  oder  einfache  Ver- 
klebungen der  Pigmentschicht  mit  der  Linsenkapsel  führen  zu  hinteren 
Synechien. 

Complicationen.  In  einzelnen  Fällen  gesellt  sich  eine  aus- 
geprägtere AfYection  der  Cornea  zur  Iritis  und  zwar  dann  meist  durch 
Vermittelung  der  Membr.  Desccmetii.  Von  grösserer  Bedeutung  aber 
sind  die  secundärcn  Erkrankungen  der  hinteren  Partien  des  Uveal- 
tractus.  Vor  Allem  zeigen  auftretende  Glaskörpertrübungen  ein  Fort- 
schreiten des  Processes  auf  das  Corpus  ciliare  und  die  Chorioidea  an. 


Verlauf  und  Ausgänge  der  Iritis.  519 

Ist  eine  ophthalmoskopische  Untersuchung  nielit  möglich,  so  wird 
durch  eine  unverhältnissmässige  Herabsetzung"  der  Sehschärfe  und  et- 
waige Gesichtsfelddefecte  Verdacht  erregt  werden. 

Auch  dauernde  Schnierzhaftigkeit  des  Corp.  ciliare  auf  Druck 
rindet  sich  hei  secundärer  Cyklitis.  Man  kann  die  bezügliche  Prüfung 
mit  dem  Finger  oder  mit  dem  Sondenknopf  vornehmen.  Es  ist  auf- 
fallend, dass  überwiegend  häufig  Stellen  der  oberen  Hälfte  des  Bulbus 
empfindlich  sind,  selten  solche  in  der  unteren  Hälfte.  Aber  wie  schon 
erwähnt,  finden  sieh  auch  bei  einfacher  Iritis  öfters  derartige  Points 
douloureux,  die  später  wieder  verschwinden.  Für  eine  acute  Affection 
des  Corp.  ciliare  spricht  nur  die  dauernde  Schnierzhaftigkeit,  besonders 
wenn  eine  intensive  episklerale  Röthe  oder  (Jedem  den  Stellen  der 
schmerzhaften  Punkte  entspricht.  Bei  chronisch  gewordener  Irido- 
cyklitis können  übrigens  auch  die  Schmerzen  —  sowohl  spontan  als 
auf  Druck  —  fehlen. 

Von  hoher  Bedeutung  ist  weiter  die  Spannung  des  Bulbus.  Da 
die  Ernährung  des  Glaskörpers  durch  Erkrankung  des  Uvealtractus 
verändert  wird,  sieht  man  auch  abnorme  Tensionsverhältnisse  auftreten. 
Während  bei  einfacher  Iritis  der  Bulbus  normale  oder  sogar  etwas 
erhöhte  Spannung  zeigt,  pflegt  bei  Cyklitis  die  Tension  nach  einem 
kurzen,  aber  nicht  constanten  Stadium  der  Zunahme  bald  herunter- 
zugehen. 

Bei  chronischer  Iridocyklitis  wird  der  Bulbus  ganz  weich.  Gleich- 
zeitig bilden  sich  dann  die  Veränderungen  heraus,  die  wir  bei  der  sym- 
pathischen Iridocyklitis  kennen  lernen  werden.  — 

Bei  secundärer  Irido Chorioiditis,  speciell  der  serösen  Form,  ist  meist 
eine  länger  dauernde  Spannungsvermehrung  vorhanden,  es  kann  selbst 
eine  so  hohe  Drucksteigerung  auftreten,  dass  wir  vollständig  das  Bild 
des  Glaukoms  mit  Sehnervenexcavation  finden.  Uebrigens  sind  bei 
der  serösen  Iridochorioiditis  anfänglich,  aber  durchaus  nicht  immer,  Ver- 
änderungen der  Chorioidea  ophthalmoskopisch  nachweisbar.  Auch  dürfte 
stets  das  Corp.  ciliare  in  gewissem  Grade  mitbetheiligt  sein,  da  ein 
Ueberspringen  desselben,  indem  die  Iritis  direct  auf  die  Chorioidea 
überginge,  unannehmbar  erscheint.  Es  wird  deshalb  auch  von  manchen 
Autoren  zwischen  den  hier  in  Rede  stehenden  Erkrankungen  keine 
strenge  Grenze  gezogen,  wenngleich  meist  die  AfFectionen,  welche  bei 
längerem  Bestehen  Tensionszunahme  zeigen,  als  Iridochorioiditis, 
die  mit  Tensionsabnahme  als  Iridocyklitis  bezeichnet  werden.  — 

Es  lassen  sich  nach  ihrem  Auftreten  und  Verlauf  verschiedene 
Formen  der  Iritis  unterscheiden.  Doch  kommen  öfters  Ueber- 
ffäng-e  vor. 


520  Erkrankungen  der  Iris. 


Iritis   siniplex   seu  plastica. 

Hier  besteht  besonders  die  Tendenz  zu  Verwachsungen  des  Ge 
webes  mit  der  Linsenkapsel.  Tiefere  Veränderungen  in  der  Regen- 
bogenhaut selbst  sind  gemeinhin  nicht  vorhanden;  so  fehlen  eitrige 
Infiltrationen,  Hypopya  —  wenigstens  in  grösserer  Ausdehnung  —  und 
intensive  Kammerwassertrübungen.  Doch  ist  die  Iris  verfärbt,  matt, 
oft  leicht  geschwellt,  die  Pupille  träge.  Pericorneale  Röthe  ist  in  den 
acuten  Fällen  vorhanden;  in  den  chronischen  fehlt  sie  oft  vollständig. 
Fast  alle  chronischen  Formen,  sobald  sie  ohne  vorangegangenes  acutes 
Stadium  sich  entwickeln,  haben  den  Charakter  der  plastischen  Iritis 
und  führen  oft  unbeachtet  zu  den  ausgedehntesten  Synechien.  Später 
atrophirt  dann  das  Gewebe,  verliert  seine  Struct;ur,  seine  Farbe  und 
seinen  Glanz. 

Iritis  serosa  (Uveitis). 

Bei  der  serösen  Iritis  tritt  eine  seröse  Hypersecretion  in  den 
Vordergrund,  die  zu  einer  Vermehrung  des  Kammerwassers  führt. 
Die  vordere  Kammer  wird  tiefer,  das  Kammerwasser  ist  massig  trüb. 
Auf  der  Hinterfläche  der  Cornea  finden  sich  punktförmige  Niederschläge 
(Descemetitis).  Diese  sind  nicht  immer  leicht  zu  sehen,  bisweilen  be- 
darf es  dazu  der  Lupenvergrösserung. ;  Auch  ist  es  oft  nützlich,  mit 
dem  Augenspiegel  bei  einfallendem  Lichte  und  unter  Zuhülfenahme 
einer  starken  Convexlinse  hinter  dem  Spiegel  zu  untersuchen;  ähn- 
lichen Vortheil  bietet  es,  wenn  man  im  umgekehrten  Bilde  untersuchend 
die  hintere  Hornhautfläche  in  den  Brennpunkt  des  Convexglases  bringt. 
In  Folge  der  Beschläge  kann  es  bei  längerem  Bestehen  der  Krankheit 
und  häufigeren  Recidivirungen  zu  ausgeprägten  Hornhauttrübungen 
kommen.  Das  Irisgewebe  ist  relativ  wenig  ergriffen,  allerdings  ver- 
färbt und  stumpf,  aber  kaum  geschwollen.  Am  Ciliarrande  treten  bis- 
weilen durch  Vermittlung  kleiner,  grauer,  knötchenförmiger  Exsudationen 
Verklebungen  mit  der  Hornhautperipherie  ein.  Die  Pupille  kann  im 
Anfang  noch  verhältnissmässig  weit  sein,  später  folgen  Verengerung 
und  Verwachsungen.'1  Wegen  des  Mangels  stärkerer  iritischer  Er- 
scheinungen und  der  häufigen  Mitbetheiligung  der  übrigen  Uvea,  die 
auch  durch  den  anatomischen  Befund  reichlicher  Zelleneinlagerung  er- 
wiesen ist  (Knies),  wird  diese  Affection  von  Einzelnen  als  Uveitis  be- 
zeichnet. Auch  Glaskörpertrübungen  sind  nicht  selten.  Die  Spannung 
dv*  Bulbus  kann  sich  erhöhen,  selbst  eine  Druckexcavation  der  Seh- 
nerven ist  zu  befürchten.  Die  Affection  wird  beim  Fehlen  stärkerer 
Injection    am    Bulbus    gar   nicht  selten    übersehen,    und   erst   die   Seh- 


Iritis  suppurativa,  syphilitica.  521 

störungeil,  welche  in  Folge  der  Beschläge  auf  den  M.  Descemetii  ziem- 
lich hochgradig  sein  können,  machen  auf  sie  aufmerksam.  Der  Verlauf 
ist  ungemein  langwierig,  erstreckt  sich  über  viele  Monate  und  neigt 
sehr  zu  Rückfällen.  Selbst  nach  Jahren  kann  man  oft  noch  Reste  der 
Beschläge  sehen.  Secundär  entwickelt  sie  sich  gelegentlich  bei  pannöser 
und  parenchymatöser  Keratitis,  wenn  auch  nicht  in  aller  Reinheit. 

Iritis  suppurativa. 

Man  rindet  eine  deutliche  Schwellung  und  Verdickung  der  Regen- 
bogenhaut mit  erheblicher  Verfärbung,  die  durch  Eiterbildung  in  dem 
Gewebe  selbst  bedingt  ist.  An  einzelnen  Stellen  können  kleine  Knöt- 
chen von  leicht  gelblichem  Ton  entstehen,  die  das  umliegende  eben- 
falls intensiv  alterirte  Gewebe  in  etwas  überragen.  Meist  haben  diese 
dickeren  Knötchen  ihren  Sitz  an  der  Pupillargrenze  und  gern  bilden 
sich  von  ihnen  aus  hintere  Synechien.  Zur  Hypopyonbildung  besteht 
eine  ausserordentlich  grosse  Neigung,  und  es  ist  dies  die  Form,  bei 
welcher  der  Eitererguss  seine  grösste  Ausdehnung  erreicht.  Zuweilen 
setzt  sich  der  Process  auf  die  Chorioidea  fort  und  kann  auch  hier  zu 
eitrigen  Processen  (Chorioiditis  suppurativa)  führen,  die  dann  eine  ver- 
mehrte Schwellung  des  subconjunctivalen  Gewebes  und  —  in  ausge- 
prägter Form  —  auch  Protrusion  des  Bulbus  veranlassen.  Im  Ganzen 
ist  diese  Form  sehr  selten;  Traumen,  locale  Infectionen  (bei  Irisprolaps, 
ülc.  serpens)  oder  kachektische  Zustände  nach  schweren  Erkrankungen 
liegen  meist  zu  Grunde.  Secundär  tritt  sie  auch  nach  eitriger  Chorioi- 
ditis auf.  Sie  ist  erheblich  gefährlicher  als  die  einfache  Regenbogen- 
hautentzündung. Meist  verfällt  auch  das  Gewebe  nach  abgelaufenem 
Process  in  einen  Zustand  massiger  Atrophie. 

Iritis  syphilitica. 
Bei  Syphilis  kann  die  Regenbogenhautentzündung  in  verschiedener 
Form  auftreten.  Die  hier  speciell  als  condylomatös  (gummös)  be- 
zeichnete ist  eine  plastische  Iritis  mit  Bildung  umschriebener  Steck- 
nadelkopf- bis  hirsekorngrosser  (papulöser)  Hervorragungen.  Letztere 
unterscheiden  sich  von  den  umschriebenen  Knötchen,  wie  sie  bei  eitriger 
Iritis  öfters  vorkommen,  besonders  dadurch,  dass  sie  auf  einem  relativ 
wenig  infiltrirten  und  veränderten  Gewebe  knopfförmig  emporwachsen. 
Dabei  besteht  sehr  selten  eine  Hypopyonbildung.  Die  Farbe  ist  meist 
röthlich,  rothbräunlich.  Ihre  mikroskopische  Untersuchung  hat  eine 
ähnliche  Zusammensetzung  ergeben,  wie  die  der  Gummata  und  Condy- 
lome an  anderen  Körpertheilen.  Eine  Unterscheidung  beider  lässt  sich 
in  der  Iris  weder  mikroskopisch  (Widder)  noch  klinisch  machen,  wenn 
man    nicht    das   Stadium  der  Syphilis   in  Betracht  zieht.    "So  habe  ich 


522  Erkrankungen  der  Iris. 

auch  Knoten  im  Ciliartheil  bezw.  im  Corp.  ciliare,  die  meist  als  Gummata 
aufgefasst  werden,  ohne  käsigen  Zerfall  zurückgehen  sehen.  Auf  der  Iris 
entsteht  hierbei  ein  weissgraues,  der  Linsenkapsel  adhärirendes  Narben- 
gewebe. —  Die  Knötchen  haben  ihren  Sitz  meist  am  Pupillarrande, 
können  aber  auch  zuweilen  die  Peripherie  einnehmen.  Auch  im  Corp. 
ciliare  und  in  der  Chorioidea  kommen  sie  vor  und  wachsen  bisweilen 
hinter  der  Corneascleralgrenze  nach  aussen.  Die  Sclera  buchtet  sich 
dann  an  einer  umschriebenen  Stelle  hervor  und  zeigt  daselbst  eine 
leicht  graublaue  Färbung.  In  einigen  Fällen  habe  ich  auch  hierbei 
Heilung  eintreten  sehen. 

Die  Behauptung  einiger  Autoren,  dass  diese  condylomatüse  Iritis 
nicht  pathognomonisch  für  Lues  sei,  lässt  sich  nur  so  verstehen,  dass  in 
gewissen  Fällen  condvlomaähnliche  Knoten  vorkommen,  die  syphilitische 
Producte  vortäuschen  Von  47  an  syphilitischer  Iritis  leidenden  Augen, 
die  ich  zusammengestellt,  zeigten  7  knotenförmige  Wucherungen.  Die 
knötchenförmige  sowohl,  als  die  einfache  syphilitische  Iritis  tritt  in  der 
Regel  zur  Zeit  der  seeundären  Periode  (Ricord)  auf,  meist  im  Verein  mit 
Haut-  oder  Schleimhautaffectionen.  Ich  ziehe  daher,  und  nachdem  auch 
durch  die  mikroskopischen  Untersuchungen  die  früher  angenommene 
gummöse  Structur  sich  als  nicht  charakteristisch  erwiesen  hat,  für  erstere 
den  Namen  condylomatöse  Iritis  vor;  die  Bezeichnung  gummöse  kann 
man  sich  aufsparen  für  Fälle,  wo  —  es  ist  dies  aber  eine  grosse  Aus- 
nahme  —   die  Knötchen  in  tertiären  Stadien  der  Syphilis    auftreten. 

Die  nichtknötchenförmige  Form  der  syphilitischen  Iritis  hat 
klinisch  nichts  Charakteristisches;  jedoch  fand  Fuchs  mikroskopisch  in 
einem  Falle,  wo  während  der  Krankheit  condylomatöse  Hervorragungen 
fehlten,  eine  Reihe  abgegrenzter  kleiner  Knoten,  die  peripher  aus 
kleinsten  Zellen,  central  aus  Riesenzellen  bestanden.  Alle  syphilitischen 
Entzündungen  der  Iris  zeichnen  sich  durch  grosse  Plasticität  aus. 
Hypopya  sind  hingegen  ausserordentlich  selten;  unter  47  Fällen  habe 
ich  sie  nur  zweimal  gesehen.  Die  Schmerzen  sind  oft  sehr  heftig,  be- 
sonders Nachts,  und  erstrecken  sich  über  den  ganzen  Kopf;  doch  rühren 
sie  nicht  immer  von  der  AugenafFection  her,  sondern  hängen  auch  mit 
sonstigen  syphilitischen  Affeetionen  zusammen. 

Complicationen  mit  Retinitis  sind  öfters  vorhanden,  allerdings  nicht 
immer  mit  ausgeprägteren  Formen  derselben.  Hyperämie  der  Papille 
und  Netzhaut  (Netzhautreizung,  Schnabel)  sind  in  frühen  Stadien 
der  Lues,  ohne  dass  andere  Augenaffectionen  daneben  bestehen,  häufig. 
Descemetitis,  umschriebene,  graugclbe,  tiefliegende  Hornhautinfiltrate 
kommen  ebenfalls  zur  Beobachtung,  häufiger  noch  Glaskörpertrübungen 
und  Chorio-Retinitis.  Meist  wird  anfänglich  nur  ein  Auge  ergriffen.  — 
Der  Verlauf  dieser  Affection    ist   im  Ganzen    nicht  ungünstig;   jedoch 


A.etiologie  der  Iritis.  523 

sind  gummöse  beziehentlich  condylomatöse  Knoten  des  Corp.  ciliare, 
welche  die  Sclera  hervortreiben,  sehr  bedenklich,  da  es  bei  ihnen  leicht 
zur  Phthisis  bnlbi  kommt.  Immer  besteht  grosse  Neigung  zu  Recidiven. 
Falls  der  Sehnerv  und  die  Netzhaut  betheiligt  sind,  kann  das  Sehver- 
mögen stark  herabgesetzt  werden.  Hingegen  habe  ich  hochgradige 
Schwachsichtigkeiten,  die  vorzugsweise  durch  complicirende  dicke  Glas- 
körpertrübungen bedingt  waren,  sieh  auffallend  bessern  sehen.  Im 
Grossen  und  Ganzen  haben  Untersuchungen,  die  ich  darauf  hin  richtete, 
ergeben,  dass  circa  50  Procent  der  Patienten  nach  überstandener  Iritis 
syphilitica  weniger  als  halbe  Sehschärfe  besitzen. 

III.  Aetiologie. 

Die  Iritis  kommt  als  primäres  Leiden  am  seltensten  im  kindlichen 
Lebensalter  vor  (zuweilen  bei  congenitaler  Lues),  am  häufigsten  im  mitt- 
leren. Sie  kann  auf  einem  Auge  allein  oder  auf  beiden  zugleich  oder 
kurz  nacheinander  sich  zeigen.  Manche  Autoren  meinen,  das  linke 
Auge  sei  häufiger  als  das  rechte  afficirt  (Arlt,  Amnion),  ferner  dass 
Männer  häufiger  befallen  würden,  als  Frauen. 

Als  Ursache  sind  zu  nennen: 

1)  Directe  Verletzungen:  Wunden,  Stiche  oder  Contusionen.  Auch 
in  Folge  von  Operationen  tritt  Iritis  auf,  so  nach  Kataraktextractionen 
und  nach  Discissionen.  Ebenso  können  in  die  vordere  Kammer  ge- 
drungene Fremdkörper  (Cilien,  Steinfragmente,  Raupenhaare  u.  dergl.) 
sie  veranlassen.  2)  Nach  anderen  Augenkrankheiten  durch  Fortsetzung 
des  Processes;  besonders  bei  Blennorrhoen,  Diphtheritis,  wo  die  Cornea 
gemeinhin  vorher  afficirt  wird;  oft  bei  Keratiten  und  hier  vielleicht  am 
häufigsten  bei  der  Hypopyonkeratitis.  Auch  von  der  Chorioidea  aus 
kann  sich  der  Process  nach  vorn  hin  —  wenn  auch  selten  —  auf  die 
Iris  erstrecken.  3)  Einwirkung  von  Erkältung.  Oft  sind  gleichzeitig 
rheumatische  Schmerzen  an  anderen  Körpertheilen  vorhanden.  Dass 
speciell  gern  die  seröse  Iritis  aus  rheumatischer  Ursache  hervorgeht, 
wie  einige  wollen,  scheint  nicht  unbegründet.  4)  Scrophulose;  auch 
hier  sind  häufig  gleichzeitig  Cornealaffectionen  vorhanden.  5)  Syphilis. 
6)  Tuberculose.  7)  Diabetes.  8)  Gicht  (Galezowski,  Hutchinson). 
9)  Tripper;  doch  kommt  die  Iritis  hier  nur  selten  vor,  gewöhnlich  nur 
dann,  wenn  gleichzeitig  Tripperrheumatismus  besteht  oder  vorangegangen 
ist.  10)  Gewisse  kachektische  Zustände  in  Folge  mangelhafter  Ernährung 
oder  nach  schweren  Allgemeinleiden  (Typhus,  Variola,  Febr.  recurrens, 
Tuberculose,  Nephritis,  bei  Anämie  u.  s.  w.).  Nach  Influenza  habe  ich 
besonders  oft  Iritis  serosa  auftreten  sehen.  11)  Krankheiten  der  Circu- 
lationsorgane.  12)  Auch  als  sympathische  AfFection  wird  die  Iritis  nicht 
selten  beobachtet. 


524  Erkrankungen  der  Iris. 


IV.  Therapie. 

Als  hauptsächliche  locale  Mittel,  die  wir  bei  Iritis  anwenden,  sind 
die  Mydriatica  (Atropin,  Scopolamin  etc.)  anzuführen.  Man  sucht  durch 
häutiges  Einträufeln  eine  möglichst  maximale  Erweiterung  der  Pupille  zu 
erreichen.  Doch  ist  dies  nicht  immer  möglich.  Selbst  in  den  schwersten 
Fällen  lassen  wir  daher  nicht  öfters  als  3  bis  4 mal  am  Tage  eine  ein- 
procentige  Atropin-Lösung  instilliren,  aber  in  der  Weise,  dass  jedes 
Mal  dreimal  hintereinander  in  Zwischenräumen  von  fünf  Minuten  die 
Einträufelung  stattfindet.  Bisweilen  wirkt  das  Einlegen  von  Atropin- 
Gelatine-Plättchen  noch  kräftiger.  Ist  der  Process  weniger  acut  oder 
die  Pupille  weit,  so  beschränken  wir  die  Häufigkeit  der  Anwendung. 
Es  ist  unrichtig,  etwa  so  häufig  einträufeln  zu  wollen,  bis  die  Synechien 
sich  lösen,  da  eben  manche  Synechien  überhaupt  nicht  mehr  zu  lösen 
sind.  Wird  das  Atropin  nicht  vertragen,  so  sind  andere  Mydriatica 
anzuwenden. 

Sind  heftige  Schmerzen  vorhanden,  ist  besonders  die  Ciliargegend 
auf  Druck  empfindlich,  so  lässt  man  2  bis  4  Blutegel  an  die  Schläfe 
setzen.  Sehr  häufig  erfolgt  schnelles  Nachlassen  der  Schmerzen;  man 
findet  nicht  selten,  dass  nunmehr  auch  bessere  Atropinwirkung  zu  con- 
statiren  ist.  Coeam-Einträufelungen,  abwechselnd  mit  Atropin,  ver- 
stärken bisweilen  die  Wirkung  des  letzteren  und  lindern  die  Schmerzen. 
Auch  laue  Kamillentheeumschläge,  mehrere  Male  eine  halbe  Stunde 
lang  gemacht,  oder  das  Auflegen  von  Thermophoren  sind  vortheilhaft; 
in  einzelnen  Fällen  aber  steigern  sie  die  Beschwerden.  Man  lässt  sie 
alsdann  fort,  ebenso  wenn  eine  zu  starke  Injection  oder  Chemosis 
ihnen  folgt.  In  einer  Beihe  von  Fällen  erwiesen  sich  mir  subconjtinctivale 
Kochsalzinjectionen  von  Nutzen.  - —  Als  ableitendes  und  antiphlogistisches 
Mittel  ist  das  Einreiben  der  Arlt' sehen  Stirnsalbe  in  die  Stirngegend 
beliebt;  auch  Bepinselungen  mit  Jodtinctur  auf  Stirn  und  Schläfe 
empfehlen  sich.    Für  Nachtruhe  sorgt  man  nöthigenfalls  durch  Narcotica. 

Besonders  streng  antiphlogistisch  muss  das  Verfahren  sein,  wenn 
sich  (Jyklitis  oder  Chorioiditis  hinzugesellt.  Hier  ist  oft  eine  schnelle 
Mercurialisation  angezeigt.  Was  das  Allgemeinverhalten  betrifft,  so  ist 
bei  allen  acuteren  Fällen  der  Patient  im  verdunkelten  Zimmer  und 
selbst  im  Bett  zu  halten.  Dabei  leichte,  entziehende  Diät  und  Regelung 
des  Stuhlganges. 

Für  die  einzelnen  Formen  und  ätiologischen  Momente  treten  noch 

besondere    therapeutische    Indicationen   hinzu.      So  empfehlen    sich  bei 

Iritis   aus   rheumatischen    Ursachen   Schwitzkuren  mit  Natr.  sali- 

cylicum  (1  bis  2  g  in    '/8  Liter  warmen  Wasser).     Auch  Pilocarpinen^ 

.spritzungen   können,   besonders  wenn    Complicationen   mit  Glaskörper 


Therapie  der  Iritis.  525 

trübungen  vorhanden  sind,  zu  gleichem  Zwecke  gemacht  werden.  Jedoch 
collabiren  schwächliche  Patienten  bei  Anwendimg-  dieses  Mittels  leicht; 
selbst  acute  Delirien  mit  llallucinationen  habe  ich  bei  der  Cur  auf- 
treten sehen. 

Beider  eitrigen  Iritis  ist  öfters  eine  energische  Schmier  cur  in- 
dicirt,  um  einen  Uebergang  auf  den  hinteren  Uvealtractus  zu  vermeiden, 
oder  auch  dann,  wenn  derselbe  schon  eingetreten  ist. 

Die  Entleerung  des  Hypopyon  mittels  der  Paracentese  richtet  sich 
nach  der  Grösse  des  Eiterergusses  und  der  Beschaffenheit  des  Kammer- 
wassers. Ist  das  Hypopyon  so  gross,  dass  es  fast  die  Hälfte  der  Kam- 
mer füllt,  so  ist.  kaum  eine  Resorption  zu  erwarten;  doch  thut  man 
2,'ut,  die  Höhe  der  Entzündung  erst  vorübergehen  zu  lassen,  da  sonst 
wieder  eine  Neubildung  des  Hypopyon  erfolgt. 

Bei  der  Iritis  serosa  wirken  wiederholte  Paracentesen  oft  günstig 
zum  Theil  dadurch,  dass  das  abfliessende  Kammerwasser  die  Beschläge 
der  M.  Descemetii  mit  abspült.  Um  einer  Tensionssteigerung  vorzu- 
beugen giebt  man  Cocain  neben  Atropin.  Nimmt  diese  Tension  dennoch 
zu  und  dabei  die  Sehschärfe  ab,  so  sind  ebenfalls  wiederholte  Para- 
centesen zu  machen.  Die  Iridectomie  führe  man  nur  im  Nothfall  aus, 
da  sie  das  Sehvermögen  öfters  dauernd  verschlechtert.  Selbst  in  den 
Fällen,  wo  ausgedehnte  hintere  Synechien  bestehen,  vermeide  ich  sie 
meist;  jedenfalls  wird  man  sie  bei  Erkrankung  beider  Augen  vorläufig 
nur  an  einem  Auge  ausführen.  Ich  habe  öfters  beobachtet,  dass  das 
operirte  Auge  schliesslich  das  schlechter  sehende  war  und  gerade  so 
wie  das  nicht-operirte  von  Recidiven  befallen  wurde.  Unter  Berück- 
sichtigung des  Allgemeinbefindens  können  Schwitzcuren  oder  subcutane 
Subhmat-Injectionen  öfters  nützlich  werden. 

Bei  der  condylomatösen  Iritis  sowie  bei  allen  aus  Lues  her- 
vorgegangenen muss  eine  antisyphilitische  Behandlung  eintreten.  Man 
reibt  Ung.  cinereum  (3  bis  4  g)  ein  oder  macht  Sublimateinspritzungen. 
Innerliehe  Medication  ist  bei  acuten  Fällen  weniger  angezeigt;  hingegen 
kann  bei  chi'onischem  Verlauf  Sublimat  oder  Jodquecksilber  mit  Vor- 
theil  gegeben  werden. 

Die  Condylome  der  Iris  sind  besonders  rebellisch;  in  sehr  bös- 
artigen Fällen  habe  ich  von  häufig  wiederholten  Paracentesen  noch  Er- 
folg gesehen.  — 

Ist  die  Litis  geheilt,  so  wird  man  gut  thun,  noch  mehrere  Wochen 
lang  Atropin  einträufeln  und  das  Auge  schonen  zu  lassen,  um  Rückfälle 
zu  vermeiden.  Daneben  ist  auch  eine  fortgesetzte  Behandlung  etwaiger 
Constitutionsanomalien,  die  für  die  Iritis  ätiologische  Bedeutung  hatten, 
am  Platze.  Vereinzelte  Synechien  erfordern  meist  kein  besonderes 
Einschreiten.     Zum  Theil  lösen   sie  sich  unter    der  fortgesetzten  Atro- 


526  Erkrankungen  der  Iris. 

pinisirung.  Ist  jede  entzündliche  Reizung  verschwunden,  so  kann  man 
noeh  abwechselnde  Einträufelung  von  Atropin  und  Eserin  dagegen  ver- 
suchen.  Treten  öfters  Reeidive  auf,  so  dass  eine  directe  Schädlichkeit 
in  dem  Fortbestehen  der  Synechie  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  zu 
suchen  ist;  so  ist  ihre  Lösung  (Corelyse)  oder  die  Iridectomie  empfohlen 
worden.  Im  Allgemeinen  habe  ich  aber  von  diesen  Operationen  keinen 
besonderen  Nutzen  auf  Ausbleiben  der  Reeidive  gesehen  und  vermeide 
sie  möglichst,  wenn  keine  totale  Synechie  vorliegt. 

Nach  Passavant  verfährt  man  bei  der  Corelyse  so,  dass  nach  Eröffnung  der 
vorderen  Kammer  durch  einen  peripheren  Lanzen-Hornhautschnitt  die  Iris  mit 
einer  nichtgezahnten  Irispincette  an  der  Stelle  der  Synechie  gefasst  und  von  der 
Linse  abgezogen  wird.  Ich  habe  das  Verfahren  öfters  geübt,  doch  sind  Wieder- 
verklebungen  nicht  selten  und  wird  es  nur  bei  sehr  umschriebenen  Synechien  zu 
empfehlen  sein.  Nach  Streatfield  und  Weber  löst  man  mit  einem  stumpfen 
Haken,  der  zwischen  Linse  und  Hinterfläche  der  Iris  geführt  wird,  die  Verwach- 
sungen-, man  muss  sich  aber  vor  einer  Verletzung  der  Linsenkapsel  hüten.  Durch- 
schnittlich wird  man  besser  thun,  in  den  zur  Operation  nöthigenden  Fällen  die 
Iridectomie  auszuführen,  und  sie,  um  optisch  möglichst  wenig  zu  schaden,  nach 
oben  oder  unten  zu  legen.  Dennoch  ist  meist  eine  gewisse  Verschlechterung  des 
Sehvermögens  danach  zu  constatiren,  indem  einerseits  durch  die  künstliche  Ver- 
grösserung  der  Pupille  Blendungserscheinungen  veranlasst  Averden  und  anderer- 
seits auch  astigmatische  Störungen  in  Folge  einer  Krümmungsveränderung  der 
Hornhaut  hervortreten  können.  Man  vermeidet  bei  der  Operation  gern  die  Stelle, 
wo  die  Synechie  sitzt,  da  bei  starker  Verwachsung  die  Linsenkapsel  bei  dem  er- 
forderlichen Anziehen  der  Iris  verletzt  werden  kann  oder  in  anderen  Fällen  das 
Pigmentblatt  haften  bleibt.  Der  Zweck  einer  freieren  Pupillenbewegung  wird 
durch  jedes  künstliche  Colobom  erreicht,  gleichgültig,  wo  es  sitzt. 

Bei  totaler  hinterer  Synechie  muss  iridectomirt  werden,  wenn  die 
Iris  hervorgewölbt  und  der  Druck  gesteigert  ist.  Nur  auf  diese  Weise 
kann  das  Auge  erhalten  werden.  Besteht  hingegen  eine  Verklebung 
der  ganzen  hinteren  Irisfläclie  mit  gleichzeitiger  Iridoeyklitis,  so  verzichte 
man  lieber  auf  die  Iridectomie;  ich  habe  selbst  bei  vorhandener  Hypertonie 
eine  Verschlechterung  unter  gleichzeitigem  Eintritt  von  Hypotonie  be- 
obachtet. Besteht  letztere,  so  ist  schon  an  und  für  sich  die  Iridectomie 
contraindicirt.  Im  Uebrigen  erreicht  man  es  in  diesen  Fällen  auch 
meist  nicht,  die  Iris  in  ihrer  ganzen  Dicke  zu  excidfren,  indem  das 
Pigmentblatt  auf  der  Linsenkapsel  haften  bleibt-  Anders  verhält  es 
sich  in  den  Fällen,  wo  ausserdem  Katarakt  besteht:  hier  extraliirt 
man  letztere  mit  gleichzeitiger  Iris-Excision  nach  der  Wenzel'schen 
Methode  (vgl.  S.  387). 


Motilitätsstörung  der  Iris.  527 


3.  Motilitätsstörung  der  Iris. 

Mydriasis.  Die  Pupillenerweiterung  kann  eine  spastische  (Reizung 
des  Sympathicus  mit  Contraction  des  Diktator  iridis)  oder  eine  para- 
lytische (Lähmung  des  Oculomotoriusastes  für  den  Sphincter  iridis) 
sein.  Nicht  immer  lässt  sich  zwischen  beiden  eine  sichere  Unterscheidung 
treffen.  Die  Mydriatica  (A tropin  etc.)  wirken  durch  Lähmung  des 
Sphincter  und  Reizung  des  Diktators:  die  Grösse  der  Pupille  über- 
trifft demnach  erheblich  diejenige,  welche  auf  einer  einfachen  Lähmung 
beruht.  Letztere  sehen  wir  vorzugsweise  bei  Erkrankungen  des  Cen- 
tralnervensystems,  die  den  Oculomotorius  mit  in  ihren  Bereich  ziehen: 
hier  ist  auch  gleichzeitig  oft  der  Accommodationsmuskel  gelähmt  (Oph- 
thalmoplegia  interna).  Besonders  basale  Geschwülste,  Gummata  kommen 
in  Betracht.  Ausserdem  tritt  bei  Syphilis  noch  im  späteren  Lebens- 
alter nicht  allzu  selten  eine  einseitige  Lähmungs-Mydriasis  auf  ohne 
sonstige  Lähmungserscheinungen,  die  in  der  Regel  zeitlebens  besteht. 
Auch  nach  Diphtherie  finden  wir,  wenn  auch  erheblich  weniger  oft  als 
eine  Accommodationslähmung,  die  Pupillenlähmung.  Ebenso  nach  Fleisch- 
oder Fisch-Vergiftungen.  Zweifelhaft  ist,  ob  die  einseitige  Mydriasis  bei 
Tabes  und  progressiver  Paralyse  der  Irren  eine  Folge  von  Sphinkter- 
Lähmung  ist:  Arndt  führt  sie  auf  Sympathieusreizung  zurück. 

Galvanisationen  und  Reizungen  des  Halssympathicus  bewirken,  wie 
Eulenburg 's  und  meine  Versuche  sowie  operative  Eingriffe  gezeigt 
haben,  Pupillenerweiterungen  und  so  findet  man  letztere  auch  öfters  bei 
der  Form  der  Migräne,  die  auf  SympathicusAifection  zurückgeführt 
wird.  Einseitige  periodische  Mydriasis,  bald  kommend,  bald  schwin- 
dend, beobachten  wir  bisweilen  bei  Leuten,  die  später  an  einer  Geistes- 
krankheit oder  an  Tabes  erkranken. 

Es  wird  auch  angegeben,  dass  nach  peripherer  Reizung  (so  durch 
Würmer  im  Darm  [Quaglino],  Uterinleiden  [Mannhardt])reflectorisch 
Mydriasis  auftreten  kann. 

Eine  traumatische  Mydriasis  entsteht  oft  nach  Contusionen  des 
Bulbus.  Die  Pupille  ist  hierbei  unregelnrässig  erweitert,  indem  ein 
Theil  der  Iris  bei  dem  Trauma  besonders  gezerrt  wurde.  Man  kann 
sich  dies  so  erklären,  dass  der  Fremdkörper  an  der  Stelle,  wo  er  die 
Sclera  traf,  diese  einbuchtete  und  den  Ciliartheil  der  Iris  somit  nach 
hinten  zog.  Die  Contraction  der  Iris,  wie  sie  bei  dem  Antreffen  in 
Folge  Trigeminusreizung  reflectorisch  erfolgte,  bildete  das  Gegengewicht 
zu  dieser  Einbuchtung:  in  Folge  dessen  wurden  die  betreffenden  Iris- 
theile  gezerrt  und  litten  in  ihrer  Function;  bei  noch  heftigerer  Zerrung 
kommt  es  zu  einer  Abreissimg  der  Iris  vom  Ciliarkörper  (L'idodialyse). 
Dass  es  sich  bei  der  traumatischen  Mydriasis  neben  der  Erschütterung 


'rjs  Erkrankungen  der  Iris. 

der  Oculomotoriusfasern  noch  um  locale  Veränderungen  des  Gewebes 
handelt,  zeigt  sich  daran,  dass  die  betreffende  Stelle  weder  auf  Atropin 
noch  Eserin  entsprechend  reagirt,  während  die  übrigen  Theile  der 
Pupille  sich  erweitern  und  verengern.  Spuren  dieser  Mydriasis  bleiben 
oft  noch  sehr  lange  Zeit  zurück.  —  Erblindete  Augen  haben  meist 
weite  Pupillen,  die  auf  Licht  nicht  reagiren.  Uebrigens  ist  das  Vor- 
handensein einer  etwas  grösseren  Pupille  an  einem  Auge  nicht  eben 
allzu  selten  und  öfters  auf  Anisometropie  —  (bei  myopischen  Augen  ist 
die  Pupille  häufig  weiter  als  bei  emmetropischen  oder  hypermetropischen) 
—  oder  auch  auf  Schwachsichtigkeit  des  betreffenden  Auges  zurück- 
zuführen; zuweilen  ist  die  Ungleichheit  auch  angeboren. 

Die  Beschwerden  sind  gewöhnlich  unbedeutend.  Die  Therapie 
ist  gegen  das  Grundleiden  zu  richten.  O ertlich  kann  Eserin  versucht 
werden. 

Miosis  (fisicootq,  Verengerung),  Pupillenverengerung.  Im  Alter 
verengen  sich  die  Pupillen  oft  auffallend.  Die  Miosis  kann  als  spas- 
tische bedingt  sein  durch  Contractionen  des  Sphincter  iridis  oder  als 
paralytische  durch  Lähmung  der  Dilatatorfasern.  Erstere  kommt  bei 
Anwendung  von  Mioticis  und  einzelnen  Allgemeinvergiftungen  (Opium, 
Nicotin,  Alkohol)  vor,  ebenso  bei  manchen  hysterischen  Anfällen;  letztere 
besonders  bei  Rückenmarksleiden.  Auch  die  Miosis  in  dem  Horner- 
schen  Symptomen-Complex  (Ptosis  und  Miosis;  cf.  Ophthalmomalacie) 
ist  paralytischer  Natur. 

Bei  Tabes  reagirt  häufig  die  miotische  Pupille  nicht  mehr  auf 
Licht,  wohl  aber  auf  Accommodations-  und  Convergenz-Impulse:  reflec- 
torische  Pupillenstarre  (Argyll  Robertson).  Dieses  Fehlen  der 
Pupillenreaction  auf  Licht  bei  Erhaltenbleiben  accommodativer  Ver- 
engung findet  sich  auch  häufig  bei  der  progressiven  Paralyse  der  Irren, 
bisweilen  bei  Syphilis,  im  Typhus  u.  s.  f.;  die  Pupille  ist  dabei  nicht 
immer  verengt.  — 

Da  bei  einseitiger  Lähmungs-Mydriasis  wegen  des  stärkeren  Licht- 
einfalles die  andere  Pupille  oft  verengt  ist,  so  kann  es  gelegentlich, 
z.  B.  bei  Fällen  von  progressiver  Paralyse,  fürs  Erste  zweifelhaft  sein,  ob 
die  Pupillcncontraction  (spastische  Miosis)  oder  die  Pupillenerweiterung 
(Lähmung)  das  Pathologische  ist.  Hier  wird  man  zur  Entscheidung 
die  Reaction  jeder  einzelnen  Pupille  auf  Licht  heranziehen;  nöthigen- 
falls  auch  die  Reaction  auf  Atropin  und  Eserin  prüfen. 

Macht  man  nach  dem  Tode  eine  Paracentese  der  vorderen  Kammer, 
so  tritt  ebenfalls  Pupillenverengerung  ein.  Ferner  sei  erwähnt,  dass 
l»al<l  nach  dein  Tode  eine  Pupillenerweiterung  sich  zeigt,  der  in  den 
nächsten  Tagen  eine  an  beiden  Augen  oft  ungleiche  Verengerung 
folgt.  -  -  Die  Messung  der  Pupillenweite   geschieht  am  besten  durch 


Verletzungen  der  Iris.  529 

Vergleich  mit  einem  vorgehaltenen  Glaslineal,  auf  dem  entsprechende 
Kreise  von  verschiedenem  Durchmesser  nebeneinander  eingekratzt  sind. 

Hippus  ist  ein  sehr  selten  beobachteter  klonischer  Krampf  der 
Iris,  der  Pupillenerweiterung  mit  Pupillenverengerung  wechseln  lässt. 
Alier  auch  ohne  Lupe  kann  man  öfters  deutliche  und  schnell  wechselnde 
Veränderungen  der  Pupillengrösse  bei  ganz  gesunden  Menschen  be- 
obachten;, so  dass  es  schwierig  ist,  hiervon  einen  pathologischen  Hippus 
zu  unterscheiden,  der  als  klonische  Krampfform  besonders  häufig  im 
Anfangsstadium  der  Meningitis  acuta,  bei  progressiver  Paralyse,  bei 
Epilepsie,  bei  multipler  Sclerose,  bei  Neurasthenischen  und  Hysterie 
vorkommen  soll  (Dänisch,  Michel).  Mit  der  Lupe  kann  man  an  jedem 
Auge  beständig  kleine  Pupillen-Oscillationen  beobachten,  die  von  Puls 
und  Respiration  unabhängig  sind  (Laqueur)  und  wohl  als  Reflexe  auf 
leichtere  sensilbe  Eeize  auftreten. 

Als  Iridodonesis  (doi'so/u,  schwanken)  (Iris  tremulans)  bezeich- 
net man  ein  bei  Bewegungen  des  Auges  auftretendes  Zittern  und  wellen- 
förmiges Hin-  und  Pierschwanken  (Schlottern)  des  Irisdiaphragmas. 
Bisweilen  ist  nur  an  einer  umschriebenen  Partie  die  Bewegung  deut- 
lich. Das  Iriszittern  tritt  ein,  wenn  die  Hinterfläche  der  Iris  ihre  feste 
Stütze  verloren  hat  oder  die  Zonula  Zinnii  abnorm  erschlafft  ist.  So 
bei  Linsenluxationen,  Aphakie  und  Glaskörperverflüssigung.  Ein  leichtes 
Schlottern,  vorzugsweise  in  der  Ciliarhälfte  der  Iris,  beobachtet  man 
öfters  bei  sonst  normalen  Augen,  besonders  bei  Myopen. 


4.  Verletzungen  der  Iris. 

Einfache  Schnittwunden  werden,  wie  jede  Lidectomie  zeigt,  sehr 
gut  von  der  Iris  vertragen.  In  der  Regel  aber  setzen  Verletzungen, 
mit  einem  Messer,  einer  Scheerenspitze  u.  s.  w.  ausgeführt,  gleichzeitig 
auch  Linsenwunden,  die  dann  zu  Trübungen  und  entzündlichen  Rei- 
zungen führen  Während  in  uncomplicirten  Fällen  nur  ein  antisep- 
tischer Druckverband  erforderlich  ist,  wird  hier  auch  starke  Atropini- 
sirung  nothig.  Sind  die  Wunden  der  Hornhaut  oder  des  Sclerallimbus 
umfänglich,  so  fällt  die  Lis  in  grösserer  Ausdehnung  hinein.  Derartige 
Traumen  haben  wegen  der  Gefahr  seeundärer  Cyklitis  und  selbst  sym- 
pathischer Affection  des  anderen  Auges  immer  eine  dubiöse  Prognose. 
Besonders  gilt  dies  für  die  peripheren  Wunden  des  Sclerallimbus  — 
hier  entwickelt  sich  bei  grosser  Ausdehnung  meist  eine  Cyklitis  — , 
weniger  für  die  in  die  Cornea  fallenden.  Kommt  man  zu  einer  ganz 
frischen  Verletzung,  so  kann  man  nach  sorgfältiger  Desinfection  die 
vorliegende  L'is  mit  der  Scheere  abschneiden  und  durch  Atropin  oder 
Pilocarpin,  je  nach  der  Lage  der  Wunde,  die  Iris  in  ihre  normale  Stellung 

Sehmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  34 


;).",()  Erkrankungen  der  Iris. 

zurückzubringen  suchen.  Danach  Anwendung  des  Druckverbandes, 
bezw.  kurze  Zeit  kalte  Umschläge  gegen  die  Schmerzen  und  die  Blutung. 
ist  aber  die  Wunde  schon  einigermaassen  verklebt,  so  vermeide  man 
operative  Eingriffe.  Der  Irisprolaps  in  der  Hornhaut  vernarbt  als- 
dann unter  Druckverband;  Atropin  oder  Pilocarpin  und  Bettruhe  in  der 
Regel  ganz  glatt  und  es  bleibt  eine  einfache  vordere  Synechie.  Dieses 
abwartende  Verfahren  ziehe  ich  hier  —  auch  Rothmund  hat  sich  da- 
hin ausgesprochen  —  dem  operativen  (Abtragen  des  Irisvorfalles  und 
Anlegen  einer  Iridectomie  dicht  neben  dem  Prolaps)  entschieden  vor. 
Es  ist  aber  unter  allen  Umständen  viele  Wochen  lang  das  Auge  unter 
strenger  Aufsicht  zu  behalten.  Sind  alle  Reizerscheinungen  seit  Monaten 
verschwunden,  so  kann  man  die  etwa  optisch  nöthige  Iridectomie 
machen.  Tritt  eine  Druckerhöhung  ein,  wie  bisweilen  bei  vorderen 
Synechien,  und  damit  Gefahr  eines  Secundärglaukoms,  so  ist  ebenfalls 
die  Iridectomie  am  Platze. 

Bei  grossen  peripheren  Wunden,  meist  mit  partieller  Linsenluxation, 
Blutungen  in  die  vordere  Kammer  und  Glaskörper,  wird  die  Iris  öfters 
von  ihrem  Ciliaransatze  abgerissen.  Auch  stülpt  sie  sich  bisweilen 
partiell  um,  so  dass  eine  Art  Colobom  entsteht,  oder  sie  weicht  sogar 
ganz  nach  hinten  und  entschwindet  so  dem  Anblick.  In  der  Mehrzahl 
dieser  schweren,  gewöhnlich  mit  dem  Verlust  des  Sehvermögens  ver- 
bundenen Fälle  ist  die  Exenteration  oder  die  Herausnahme  des  Aug- 
apfels das  Sicherste,  da  immer  eine  sympathische  Affection  des  anderen 
Auges  droht.  Will  man  noch  einige  Tage  warten,  so  ist  ebenfalls  ein 
antiseptischer  Druckverband  anzulegen;  nur  wemi  derselbe  wegen 
Schmerzen  nicht  vertragen  wird,  lässt  man  statt  seiner  kalte  Umschläge 
machen,  setzt  Blutegel  und  schafft  mit  Narcoticis  Ruhe. 

Kleinere  Fremdkörper  (z.  B.  Eisensplitter)  können  in  die  vordere 
Kammer  dringen,  in  der  Iris  sitzen  bleiben,  oder  sie  durchschlagen. 
Bisweilen  zerren  sie  die  Iris  mit  sich  und  reissen  sie  vom  Corpus 
ciliare  ab.  Kleine  Löcher,  die  im  Gewebe  hierbei  entstehen,  kann 
man  bisweilen  nur  daran  erkennen,  dass  beim  Ophthalmoskopien  an  der 
betreffenden  Stelle  rothes  Licht  vom  Augenhintergrunde  reflectirt  wird. 

Contusionen,  die  den  Bulbus  treffen,  führen  oft  zu  mehr  oder 
weniger  ausgedehnter  Trennung  der  Iris  von  ihrem  Ciliaransatze 
(Iridodialysis).  Blutungen  in  der  vorderen  Kammer  sind  meist  Folge 
derartiger  Abreissungen,  die  oft  schwer  zu  sehen  sind.  Bei  grösserer 
Ausdehnung  derselben  erkennt  man  sie  durch  den  schwarzen  Spalt, 
der  sich  an  der  Irisperipherie  zeigt  und  gleichsam  eine  zweite  Pupille 
bildet.  Kleinere  Abreissungen  können  übrigens  wieder  verheilen;  ihre 
Entstehung  ist  oben  bei  der  „traumatischen  Mydriasis",  welche  eben- 
falls in  Folge  von  Contusionen  zu  Stande  kommt,  erklärt  worden. 


Pseudoplasmen  und  Fremdkörper  in  der  Iris.  531 

In  sehr  seltenen  Fällen  werden  auch  Einrisse  des  Pnpillarrand.es 
oder  selbst  Zerreissungen  in  der  Continuität  der  Iris  nach  Contusionen 
beobachtet,  ebenso  Umstülpungen  nach  hinten. 

Gleich  nach  der  Verletzung  -wird  man  durch  Kälte  weiterer  Blutung- 
vorzubeugen suchen,  später  Druckverband.  Hält  das  Hyphäma  sich 
sehr  lange,  so  kann  man  die  Paracentese  machen  und  das  Blut  durch 
den  Cornealeinstich  entleeren.  Doch  recidiviren  nicht  selten  die  Blut- 
ergüsse. 


5.  Pseudoplasmen  und  Fremdkörper  in  der  Iris  und 
vorderen  Kammer. 

Ausser  den  Condylomen  entwickeln  sich  im  Irisgewebe  Sarkome, 
als  gelbliche  oder  bräunliche  Geschwülste  mit  Neigung  zu  secundären 
Drucksteigerungen  (Fuchs)  und  Tuberkel;  sehr  selten  Teleangiektasien, 
Granulationsgeschwülste,  Myome,  Carcinome  und  Lepraknoten. 

Wenn  man  experimentell  tuberculöse  Massen  in  die  vordere 
Kammer  von  Kaninchen  bringt,  so  entstehen  nach  Resorption  derselben 
nach  zwei  oder  mehreren  Wochen  kleine  graue  Knötchen  (Cohnheim), 
die  sich  histologisch  und  bacteriell  als  Tuberkel  erweisen.  Auch  beim 
Mensehen  kommen  Tuberkel  der  Iris  vor,  meist  mit  gleichzeitiger  oder 
folgender  Tuberculöse,  ausnahmsweise  aber  auch  ohne  nachweisbare 
Allgemeinerkrankung.  Sie  treten  als  kleine  disseminirte  graue  oder 
graugelbliche  Knötchen  auf  oder  als  solitäre  (conglobirte)  Geschwulst- 
niasse,  die  dann  grosse  Aehnlichkeit  mit  einem  nicht -pigmentirten 
Sarkom  hat,  jedoch  unterscheidet  man  in  ihnen  meist  noch  Tuberkel- 
knütchen.  Ferner  wird  als  diagnostisches  Moment  noch  das  Alter  zu 
verwerthen  sein,  da  Iristuberkel  fast  nur  bei  jugendlichen  Individuen 
vorkommen.  Meist  sind  die  Tuberkel  grauweiss,  die  Sarkome  gefäss- 
reicher:  auch  die  Condylome  der  Iris  haben  eine  mehr  röthlich-gelbe 
Färbung  und  sitzen  vorzugsweise  an  der  pupillaren  oder  ciliaren  Peri- 
pherie der  Iris.  —  In  der  Regel  vergrössern  sich  die  Tuberkel  all- 
mählich und  fallen  die  ganze  vordere  Kammer  aus.  Jedoch  können 
sich  die  kleineren  disseminirten  Tuberkel  auch  zurückbilden,  ein  Vor- 
gang,  den  Leber  auf  abgeschwächte  Tuberculöse  zurückführt.  Die 
solitären  Tuberkel  durchbrechen  die  Hornhaut  nahe  an  ihrem  Rande 
und  zerfallen  dann,  so  dass  schliesslich  das  Auge  atrophisch  wird. 

•  In  den  Tuberkeln  der  menschlichen  Iris  gelingt  der  Nachweis  der 
Tuberkelbacillen  sehr  schwer;  zur  Sicherung  der  Diagnose  benutzt  man 
dann  das  Thier-Experiment,  in  den  Iris-Tuberkeln  des  Kaninchens 
finden  sie  sich  leicht.     Kleine  Tuberkel  können   mit    einer  Iridectomie 

34* 


532  Erkrankungen  clor  Iris. 

entfernt  werden;  bei  grossen  Geschwülsten  ist  die  Enucleatio  bulbi 
angezeigt. 

Kleine  weisse  Knötchen,  ähnlich  den  disseminirten  Tuberkeln  sind 
auch  nach  Eindringen  von  Raupenhaaren  in  der  Iris  beobachtet  worden, 
nachdem  vorher  heftige  Entzündungserscheinungen  aufgetreten  waren, 
(H.  Pagenstecher);  ferner  kommen  sie  bei  Leukämie  vor  (Lym- 
phome). 

Die  Cysten  der  Iris  entstehen  meist  nach  Verletzungen  des  Auges, 
bei  denen  kleine  Epithelstücke  oder  Cilien  in  die  vordere  Kammer  ge- 
schleudert wurden.  Man  hat  ihr  Zustandekommen  auf  Wucherung  der 
hineingedrungenen  Zellen  zurückgeführt  (Rothmund);  vor  allen  bilden 
sie  sich  nach  Ho  seh 's  experimentellen  Versuchen,  wenn  mit  den  kleinen 
Hautstückchen  Drüsen  mittransplantirt  werden.  Um  Cilien  können  sich 
auch  festere,  atheromähnliche  Geschwülste  entwickeln  (Schweigger). 
Bei  anderen  mehr  peripher  gelegenen  Cysten  lässt  sich  ihre  Entstehung 
durch  eine  Ablösung  des  Lig.  pectinatum  und  der  sich  anschliessenden 
Theile  der  M.  Descemetii  sowie  der  vorderen  Iris  schichten,  in  welchen 
Hohlraum  dann  Flüssigkeit  secernirt  wird,  ausreichend  erklären  (Evers- 
busch,  Guaita).  Doch  kommen  auch  Fälle  vor,  wo  die  Iris  in  die 
Hornhaut  einheilt  und  dann  allmählich  durch  Flüssigkeitsansammlung 
eine  Ausdehnung  und  Atrophirung  der  Irisfalte  und  Umbildung  in  eine 
Cyste  erfolgt,  wie  es  Wecker  und  auch  ich  gesehen  haben.  Einmal 
konnte  ich  (—  später  auch  Schröter)  verfolgen,  wie  eine  durchsichtige 
Cyste  ohne  vorangegangenes  Trauma  und  ohne  vordere  Synechie 
mitten  im  Irisgewebe  sich  ausbildete;  dieselbe  wurde  in  meinem  Fall  über 
erbsengross  und  dann  mittels  Lanzenschnittes  und  Fassens  mit  der  L-is- 
pincette  entfernt.  Die  Entstehung  ist  so  zu  denken,  dass  sich  eine  der 
normal  vorhandenen  Iris-Krypten  vollkommen  abgeschlossen  und  später 
durch  Flüssigkeitsansammlung  cystenartig  vergrössert  hat.  —  Auch  be- 
wegliche braune,  aus  einem  Theil  des  Pigmentblattes  entstandene  Cysten 
kommen  vor  (Fuchs). 

Cysticerken  der  vorderen  Kammer  sind  ebenfalls  beobachtet. 
Wenn  das  Kammerwasser  klar  ist  und  die  Blase  frei  liegt,  kann  man 
Kopf  und  Hals  an  ihnen  unterscheiden.  Bisweilen  aber  liegt  der  Wurm 
in  Eiter  eingehüllt.  So  sah  ich  in  einem  Auge,  das  wegen  diffuser  Glas- 
körpertrllbung  mit  Iritis  behandelt  wurde,  eines  Tages  an  der  Pupillar- 
grenze  einen  etwa  hirsekorngrossen  Pfropf  von  dickmembranöser  Be- 
schaffenheit und  gelblicher  Färbung.  Dieser  Pfropf  senkte  sich  an  den 
Boden  der  vorderen  Kammer  und  umhüllte  sich  mit  Eiter.  Nach  der 
Herausnahme  desselben  zeigte  das  Mikroskop  an  ihm  den  Hakenkranz 
des  Cysticercus. 

Ein  frühzeitiges  Entfernen  all  dieser  Neubildungen,  besonders  der 


angeborene  Anomalien.  533 

Sarkome,  durch  einen  Hornhautschnitt  ist  angezeigt.  Dasselbe  gilt  von 
eingedrungenen  Fremdkörpern.  Bei  kleineren  Fremdkörpern,  welche 
sich  in  die  Kammerbucht  gebettet  haben,  ist  die  Entfernung  oft  sehr 
schwierig.  Man  bedient  sich  hier  mit  Vovtheil  zur  Extraction  eines 
kleinen  gerieften  Hohlhakens  (Knapp),  eventuell  excidirt  man  die  ver- 
dächtige Irispartie.  Bei  Eisenfragmenten  wendet  man  den  Elektro- 
magneten an  (s.  S.  322).  Uebrigens  können  Fremdkörper  auch  ein- 
heilen und  es  sind  Fälle  bekannt,  in  denen  sie  mehrere  Jahrzehnte 
reizlos  in  der  Regenbogenhaut  sassen  (Schenkl,  Berger,  Birn- 
b  ach  er). 

6.  Angeborene  Anomalien. 

Die  Farbe  der  Iris  ist  bei  Albinos  blassroth.  --  Bisweilen  zeigt 
bei  demselben  Individuum  ein  Auge  eine  andere  Irisfärbung  als  das 
zweite  Auge  (Heterophthalmus).  —  Kleine  schwarze,  rothbraune  und 
gelbe  Flecke  kommen  im  Irisgewebe  öfters  eingestreut  vor  und  dürfen 
nicht  mit  Fremdkörpern  verwechselt  werden,  wie  es  möglicher  Weise  nach 
Verletzungen  des  Auges  geschehen  könnte. 

Mit  Aniridie  oder  Irideremie  bezeichnet  man  das  Fehlen  der 
Iris.  Diese  Anomalie  findet  sich  gelegentlich  zusammen  mit  Mikroph- 
thalmus, selbst  mit  Druckexcavation  (Klein).  Auch  artificiell  kann  die 
ganze  Iris  herausgerissen  werden. 

Das  angeborene  Colobom  der  Iris  ist  in  der  Regel  nach  unten 
gerichtet  und  zeigt  sich  als  eine  annähernd  dreieckige  Spalte  in  der  Iris. 
Dieselbe  kann  bis  zum  Ciliarrande  reichen  oder  eher  enden.  Bisweilen 
beobachtet  man  an  Stelle  eines  wirklichen  Defectes  eine  dünne,  pig- 
mentirte  Membran,  die  dem  hinteren  Pigmentblatte  der  Iris  entspricht. 
Mit  dem  Iriscolobom  ist  nicht  selten  ein  Chorioidealcolobom  verknüpft; 
ebenso  findet  sich  an  der  betreffenden  Stelle  auch  öfters  eine  Ein- 
kerbung der  Linsenperipherie. 

Liegt  die  Pupille  nicht  wie  gewöhnlich  in  der  Mitte,  sondern  stärker 
nach  einer  Seite  gerückt,  so  besteht  Korektopie.  Auch  kommen  Fälle 
vor,  wo  die  Pupille  nach  oben  gerückt  ist;  das  einseitige  Auftreten  dieser 
Anomalien  ist  nicht  häufig.  Auch  hier  zeigt  die  Linse  bisweilen  Ein- 
kerbungen; meist  sitzen  dieselben  an  der  unteren  Peripherie,  doch  habe 
ich  sie  auch  an  der  oberen  Linsenperipherie  gesehen.  Ausser  den  reinen 
Fällen  von  Korektopie  kommen  solche  mit  anderen  Hemmungsbildungen 
(Mikrophthalmus,  Linsenluxationen,  Resten  von  Pupillarmembranen)  oder 
mit  Resten  intrauteriner  Entzündungen  zur  Beobachtung.  —  Sind  meh- 
rere Pupillen  vorhanden  (Polykorie),  so  haben  dieselben  meist  eine  un- 
regelmässige Gestalt.  — 


534 


Erkrankungen  der  Iris. 


Bleibt  die  fötale  Pupillarmembran  bestehen,  so  kann  ein  voll- 
ständiger Verschluss  der  Pupille  stattfinden.  Die  Membran  ist  grau- 
weiss,  bisweilen  pigmentirt.  In  der  Regel  finden  sich  aber  nur  Reste 
der  Pupillarmembran  erhalten:  es  liegt  in  der  Mitte  meist,  eine  un- 
regelmässig  gestaltete  weissliche  Membran,  von  der  aus  kleine  Fa'd- 
chen  zur  Vorderfläche  der  Iris  gehen.  Dies  dient  zur  Unterscheidung 
von  Membranen  entzündlichen  Ursprungs,  bei  denen  die  Verbindungen 
zur  Hinterfläche  der  Iris  ziehen.  Nicht  selten  sind  nur  die  Fädchen 
übrig  geblieben  oder  sogar  nur  ein  mit  der  Lupe  erkennbares 
Pünktchen,  welches,  wie  ein  am  anderen  Auge  bestehender  grösserer 
Rest  gelegentlich  zeigt,  als  Ueberbleibsel  der  Pupillarmembran  auf- 
zufassen ist. 


7.  Operationen  an  der  Iris. 

1)  Iridectomie.    Das  Herausschneiden  eines  Stückes  der  Regen- 
bogenhaut wurde   in  ähnlicher  Form,    wie   es   jetzt  geübt   wird,    zuerst 

von  Beer  (1789)  ausgeführt.  —  Nachdem 
durch  Einlegen  eines  Elevateurs  die  Lider 
festgestellt  sind,  wird  mit  einer  Fixirpincette 
der  Bulbus  gefasst. 

An  Instrumenten  braucht  man  weiter 
1)  ein    gerades     oder    gebogenes    Lanzen- 
messer   (Figur   152),     eventuell     auch    das 
Grraefe'sche    Linearmesser,    2)    eine   Iris- 
pincette  nach  Fischer  (Figur  153  gebogen) 
oder  nach  Liebreich-Mathieu  (Figur  15-1), 
3)  eine    kleine,    auf  der    Fläche    gebogene 
oder  auch  knieförmige  Irisscheere,  oder  die 
Scheere  von  W e  ck e r  (Figur  132).    Letztere 
hat  entweder  stumpfe  oder  spitze  Branchen 
1.  Act  der  Operation.     Je  nachdem 
man    die    Iris    in    ihrer    ganzen    Ausdeh- 
nung bis    zum    Ciliaransatz   hin    (periphere    Iridectomie)    oder  weniger 
weit  ausschneiden  will,    geht  man  mit    dem  Lanzenmesser   im   Scleral- 
limbus    oder    etwas    davon    entfernt    in    den    durchsichtigen   Hornhaut- 
rand ein.    Man  richtet  in  letzterem  Falle  die  Spitze  beim  Einstich  ziem- 
lich   senkrecht  auf   die  Bulbusmitte,    um  keinen  zu  langen  Wundcanal 
in  der  Hornhaut  zu  haben  (vergl.  Figur  155),   der  das   spätere  Fassen 
der  Iris    erschwert    oder    selbst    unmöglich  macht.     Geht    man    in    den 
S clerallimbus  ein,  so  schiebt   man  das  Messer   mehr   horizontal    in    der 


153. 


1Ö4. 


Operationen  an  der  lri*.  535 

Ebene  der  Iris  und  vor  derselben  gegen  das  Centruin  der  Pupille. 
Dieselbe  l\ichtung  wird  auch  sofort  eingeschlagen,  wenn  die  Cornea 
bei  steilerem  Aufsetzen  des  Messers  durchstochen  ist.  Ist  das  Messer 
genügend  weit  in  die  vordere  Kammer  —  entsprechend  der  beabsich- 
tigten Schnittgrösse  —  vorgeschoben,  so  zieht  man  es  langsam  zurück, 
indem  man  den  Griff  etwas  senkt  und  so  die  Spitze  immer  mehr  von 
der  Linse  und  Iris  entfernt  und  der  Cornea  nähert,  um  Kapselver- 
letzungen zu  vermeiden.  Nötigenfalls  kann  man  beim  Herausziehen 
des  Messers  noch  etwas  die  ITornhautschnittwunde  erweitern.  Am 
leichtesten  operirt  es  sich  mit  der  geraden  Lanze,  doch  ist  die  ge- 
bogene wegen  Kaummangels  immer  erforderlich,  wenn  man  den  Schnitt 
nach  oben,  innen  oder  unten  anlegt.  An  Stelle  der  Lanze  benutzt  man 
auch  zum  Hornhautschnitt,  für  nach  oben  oder  unten  zu  legende  Pu- 
pillen, das  schmale  Graefe 'sehe  Messer;  die  Schnittführung  ist  analog 
der  bei  Starextractionen.  Besonders  wenn  man  sehr  breite  und  peri- 
phere Iridectomien  machen  will,  ist  dasselbe  vortheilhaft.  Zeigt  sich 
nach  Herausnahme  der  Lanze  oder  des  Messers  die  Wunde  als  zu 
klein  ausgefallen,  so  erweitert  man  sie  mit  der  Weck  er 'sehen 
Scheere. 

Der  zweite  Act  der  Operation  besteht  im  Fassen  und  Heraus- 
ziehen der  Iris.  Man  geht  hier  mit  geschlossener  Irispincette  in  die 
vordere  Kammer,  öifnet  kurz  vor  dem  Pupillarrande  der  Iris  die  Branchen, 
fasst  die  Iris  und  -zieht  sie  heraus. 

Wenn  der  innere  Theil  der  Cornealwunde  (Figur  155,  a  äussere, 
b  innere  Wunde)  zu  central  fällt,  so  gelingt  das  Fassen  und  Heraus- 
ziehen der  Iris  nicht.  Man  muss  dann  die  Wunde  heilen  lassen  und 
später  von  Xeuem  operiren.  Liegt  die  Wunde  sehr  peripher,  so  wird 
durch  das  abfliessende  Kammerwasser  die  Iris  gleich  nach  dem  Schnitte 
nach  aussen  gedrängt.  Man  kann  sie  alsdann,  ohne  Eingehen  in  die 
Wunde,  aussen  mit  der  Pincette  fassen.  Um  auch  den  Sphinkterrand 
ausserhalb  der  Wunde  zu  haben,  muss  die  Iris  ziemlich  stark  an-,  be- 
ziehungsweise heraus  und  etwas  in  die  Höhe  gezogen  werden,  wobei 
zu  vermeiden  ist,  dass  nicht  in  Folge  des  Zuges  eine  Dialyse  am 
Ciliarrande  der  benachbarten  Irispartie  eintritt.  In  England  benutzt 
man  an  Stelle  der  Irispincette  vielfältig  den  Tyrrel' sehen  stumpfen 
Haken. 

Ist  die  Iris  genügend  herausgezogen,  so  schneidet  (dritter  Act) 
der  Assistent  dieselbe  mit  der  Scheere  ab,  wobei  die  Flächen  der 
Branchen,  besonders  der  der  Cornea  zugewandten,  stark  dem  Bulbus 
aufgedrückt  werden  müssen,  wenn  man  alles  Vorliegende  abtrennen 
will.  Die  Scheerenbranchen  müssen  parallel  der  Schnittwunde  liegen. 
An    Stelle    des   Schnittes  mit  einem  Scheerenschlage  ist  es  bei  ausge- 


536 


Krkrankungen  der  Iris. 


de  Unteren  Iris-Excisionen,  die  aber  höchstens  bei  chronischem  Glaukom 
nöthig  sind,  besser  in  mehreren  Schnitten  zu  schneiden.  Will,  was 
meist  vorzuziehen,  der  Operateur  selbst  den  Schnitt  ausführen,  so  über- 
sieht er  vor  Einführung  der  Irispineette  die  Fixirpincette  dem  Assis- 
tenten, nimmt  mit  der  linken  Hand  die  Irispineette,  fasst  so  die  Iris 
und  schneidet  sie  mit  der  in  die  rechte  Hand  genommenen  Scheere  ab. 
Wurde  der  Pupillarrand  nicht  mit  abgeschnitten,  so  zeigt  sich, 
wenn  die  Iris  wieder  in  die  vordere  Kammer  zurückgegangen  ist,  eine 

Doppelpupille.  Es  entsteht  übrigens  ge- 
wöhnlich hierdurch  keine  Diplopie,  die  man 
in  den  Fällen,  wo  das  Auge  auf  den  ein- 
gestellten Gegenstand  nicht  aecommodirt, 
vermuthen  sollte  (vgl.  S.  44  Figur  32). 
Wie  Schul  eck  ausgeführt,  fällt  bei  der 
geringen  Entfernung,  welche  zwischen  den 
beiden  distineten  Netzhautbildern  besteht, 
in  der  Eegel  so  viel  diffuses  Licht  auf  den 
Zwischenraum,  dass  keine  Doppelbilder  wahrgenommen  werden.  Man 
kann  jedoch  versuchen,  durch  vorsichtiges  Eingehen  mit  der  Irispineette 
und  Fassen  einer,  dem  künstlichen  Colobom  angrenzenden  Irispartie, 
noch  einmal  den  Sphinkterrand  herauszuziehen  und  dann  exaet  zu 
excidiren.  — 

Fehlt  die  Linse  und  ist  die  Iris  mit  der  restirenden  Kapsel  eng 
verklebt,  so  gelingt  es  bisweilen,  mit  einem  gebogenen  scharfen  L*is- 
häkchen  (Figur  156)  besser  die  Iris  herauszuziehen  als  mit  der 
Pincette. 


155. 


156. 


157. 


158. 


Das  künstliche  Colobom  hat,  wenn  es  bis  zur  Ciliarperipherie  geht, 
die  Gestalt  eines  Schlüsselloches  (Figur  157),  sonst  eine  mehr  ovale 
Form  (Figur  158).  Immer  ist  darauf  zu  sehen,  dass  die  Sphinkterecken 
nicht  in  die  Hornhautwunde  (Figur  157  an)  einheilen  oder  zu  ihr  hin 
abnorm  verzogen  werden.  Durch  Eingehen  mit  einem  Spatel,  wie  er 
mV.1i  an  der  Paracentesennadel  findet  (Figur  148),  gelingt  es,  sie  aus 
der  Wunde  heraus   in   die  vordere  Kammer  zu  stossen;   auch  bewirkt 


Operationen  an  der  Iris.  537 

öfters  die  auf  Eserineinträufelungen  oder  starken  Lichteinfall  eintretende 
Miosis  dasselbe.  —  Ist  Blut  in  die  vordere  Kammer  geflossen,  so  kann 
man  es,  nachdem  vorerst  durch  kalte  Umschläge  die  Blutquelle  ver- 
stopft worden,  durch  Lüften  der  Cornealwunde  mit  dem  Spatel  ent- 
leeren. Uebrigens  werden  selbst  ausgedehntere  Hyphämata  resorbirt, 
wenn  das  Irisgewebe  annähernd  normal  ist.  Bei  atrophischer  Iris 
hingegen  bilden  sich  oach  Blutergüssen  leicht  weissliche  Exsudatmem- 
brauen:  in  diesen  letzteren  Fällen  lege  man  besonderes  Gewicht  auf 
Entfernung  des  Blutes. 

Bei  totalen  hinteren  Synechien,  chronischen  Iriteii  bleibt  bisweilen 
das  Pigmentblatt  auf  der  Linse  haften  und  nur  die  vorderen  Iris- 
schichten werden  herausgerissen.  Man  sieht  dann  erst  bei  schräger 
Beleuchtung,  dass  die  scheinbar  schwarze  künstliche  Pupille  undurch- 
sichtig ist. 

Die  Stelle,  an  welcher  das  Colobom  anzulegen  ist,  wird  oft  durch 
die  Indicationen  bestimmt,  welche  uns  zur  Operation  veranlassen.  Hat 
man  die  Wahl,  so  wird  man,  falls  man  nicht  den  Lichtstrahlen  einen 
neuen  Zugang  schaffen  will,  das  Colobom  am  besten  nach  oben  legen, 
weil  hier  das  obere  Lid  es  deckt  und  so  das  Eindringen  unregelmässig 
gebrochener  Bandstrahlen  hindert;  nicht  ganz  so  vortheilhaft  ist  die 
Lage  nach  unten:  die  Iridectomie  lässt  sich  jedoch  in  dieser  Richtung 
bequemer  ausführen,  da  die  Kranken  bei  der  Operation  in  der  Regel 
mit  dem  Auge  nach  oben  fliehen.  Will  man  hingegen  den  Licht- 
strahlen Zugang  schaffen  (sogenannte  optische  Pupille),  so  legt  man 
die  Pupille  am  besten  nach  innen  an,  weil  hier  der  Nasenrücken  die 
peripheren  Strahlen  abhält-,  auch  schneidet  man  womöglich  nur  ein 
kleines  und  nicht  bis  zur  Peripherie  gehendes  Irisstückchen  aus. 

Die  Nachbehandlung  besteht  in  Schluss verband  während  2  bis 
6  Tagen.  Die  ersten  Tage  hält  man  am  besten  den  Patienten  im  Bett. 
Nach  Wiederherstellung  der  vorderen  Kammer  —  also  meist  am  2.  Tage 
—  kann  man  bei  etwaiger  Hyperämie  und  Litis  Atropin  einträufeln; 
gleich  nach  der  Operation  vermeidet  man  es  —  ausser  etwa  bei  hinteren 
Synechien  — ,  um  kein  Hineinfallen  von  Irisgewebe  in  die  Wunde  zu 
veranlassen.  Bei  Glaukom  wird  später  Eserin  angewandt.  Die  nächst- 
folgende Zeit  muss  der  Patient  noch  im  Zimmer  bleiben,  eine  Klappe 
tragen  und  die  Augen  schonen.  Vor  8  bis  10  Tagen  sollte  er  nicht 
ins  Freie  gehen.  In  der  Regel  heilt  die  Wunde  ganz  glatt.  Doch  sind 
immerhin  einige  wenige  Fälle  bekannt,  wo  eine  Wundvereiterung  ein- 
trat. Ist  die  Kapsel  etwa  verletzt  worden,  so  stellt  sich  Linsentrübung 
ein,  die  aber  umschrieben  bleiben  kann.  Bei  stärkerer  Quellung  muss 
man  wie  bei  traumatischem  Stare  verfahren.  Doch  bilden  sich  auch 
gelegentlich  —  so  besonders  bei  entzündlichen  Glaukomen  — ohne  directe 


538  Erkrankungen  der  Iris. 

Kapselverletzung  totale  Linsentrübungen  in  kurzer  Zeit  nach  der  Iri- 
dectomie  heraus. 

Die  Iridectomie  wird  gemacht  1)  um  Entzündungen  zu  bekämpfen 
oder  ihnen  vorzubeugen,  so  bei  Irido-(Jhorioiditis;  chronischer  Iritis, 
hinteren  Synechien,  Kataraktextractionen  u.  s.  w.}  2)  zur  Herabsetzung 
des  intraocularen  Druckes,  so  bei  Glaukom  und  Vorgängen,  die  zu 
Secundar-Glaukom  neigen,  3)  aus  optischen  Zwecken,  so  bei  Hornhaut- 
flecken, Pupillarverschluss,  Schichtstar  und  manchen  Formen  des  Kei'n- 
stares  u.  s.  w.,  4)  zur  Entfernung  von  Geschwülsten  oder  Fremdkörpern, 
5)  aus  kosmetischen  Gründen,  um  einem  mit  centralem  Leukom  be- 
hafteten Auge  mehr  Feuer  und  Leben  zu  geben. 

2)  Iridotomie.  Mit  Iridotomie  wird  das  Einschneiden  der  Iris 
bezeichnet.  Bereits  Cheselden  (1828)  hatte  mittels  einer  Starnadel 
die  Iris  eingeschnitten  und  so  eine  Oeffnung  für  die  Lichtstrahlen  her- 
gestellt, wenn  es  nach  der  Stardepi*ession  zu  einem  Pupillarverschluss 
gekommen  war.  Später  ist  die  Operation  besonders  von  v.  Graefe 
und  Wecker  wieder  in  die  Praxis  eingeführt  worden.  Man  verfährt 
nach  Wecker  so,  dass  man  einen  Hornhautschnitt  mit  einem  kleinen 
Lanzenmesser  macht,  die  Weck  er 'sehe  Scheere  einführt,  deren  eine 
stumpfe  Branche  durch  die  Pupillaröffnung  hinter,  die  andere  vor  die 
Iris  bringt  und  dann  durch  Scheerenschluss  das  Gewebe  durchschneidet. 
Falls  keine  offene  Pupille  vorhanden  ist,  durch  welche  die  eine  Scheeren- 
branche  zu  führen  wäre,  macht  man  entweder  mit  der  Spitze  des  Lanzen- 
messers die  entsprechende  Oeffnung  oder  benutzt  eine  Wecker'sche 
Scheere,  deren  eine  Branche  zugespitzt  ist.  Ist  die  Iris,  wie  es  am 
vorteilhaftesten,  in  der  Richtung  quer  durch  den  Sphinkter  (also  von 
der  natürlichen  Pupille  zum  Ciliaransatz  hin)  durchschnitten,  so  klafft 
durch  Contraction  der  Sphinkterenmusculatur  die  Wunde  und  bildet  ein 
kleines  Dreieck,  dessen  Spitze  dem  Ciliarrande  der  Iris  zugewendet  ist. 
Weniger  vorteilhaft  erscheint  die  einfache  Durchstechung  der  Iris  mit 
einem  schmalen  Graefe 'sehen  Messer. 

Die  Iridotomie  hat  gegenüber  der  Iridectomie  den  Vortheil,  dass 
sie  nur  eine  kleine,  schmale  —  also  optisch  besonders  günstige  —  Pu- 
pille macht,  dass  sie  noch  weniger  eingreifend  ist  und  auch  Schwarten, 
die  hinter  der  Iris  sitzen,  durchschneidet.  Sie  empfiehlt  sich  daher  be- 
sonders, wenn  nach  Kataraktextractionen  durch  Iritis  ein  Pupillarab-j 
schluss  erfolgt  ist,  ebenso  bei  manchen  ausgedehnten  centralen,  adhärenten 
Leukomen,  wo  die  Linse  bei  der  vorangegangenen  Entzündung  verlorei 
gegangen  ist  und  die  Iris  Nachstarreste  hinter  sich  hat.  Weniger  an] 
gezeigt  ist  sie,  wenn  die  Linse  erhalten  ist.  Hier  droht  die  Gefahr 
einer  Kapselverletzung;  daher  wird  man  die  Iridotomie  bei  Schichtstar 
besser  durch   eine   schmale    Iridectomie   ersetzen. 


Cyklitis.  539 


Siebentes  Kapitel. 

Erkrankungen  des  Corp.  ciliare. 

Sympathische  Affectionen.    Eitrige 

Chorioiditis. 

1.  Cyklitis. 

Die  Erkrankung  des  Corp.  ciliare  ist  als  Primärleiden  sehr  selten. 
Auch  beschränkt  sich  die  Atfeetion  meist  nur  kurze  Zeit  auf  den  Ciliar- 
körper,  bald  complicirt  sie  sich  mit  anderen  Krankheiten  des  Uveal- 
fcractus,  speciell  der  Iris.  Es  gesellt  sich  Hyperämie  oder  auch  aus- 
gesprochene Iritis  hinzu.  Man  wird  eine  Cyklitis  als  primäres  Leiden 
diagnosticiren,  wenn  Trübungen  im  vorderen  Theil  des  Glaskörpers 
neben  pericornealer  Injection  und  Schmerzhaftigkeit  des  Corp.  ciliare 
vorhanden  sind  ohne  nachweisbare  Iritis.  Auch  das  Auftreten  von 
Hypopyon  (ausnahmsweise  findet  sich  Eiter  hinter  der  Iris  und  drängt 
sie  nach  vorn)  oder  Beschlägen  an  der  Membrana  Descemetii  ohne  Iritis 
oder  Keratitis  spricht  für  Cyklitis.  Bei  chronischer  Cyklitis  wird  das 
Auge  weich.  Ist  die  Iris  secundär  afficirt,  so  bleiben  doch  meist  die 
Erscheinungen  der  Cyklitis  die  hervortretendsten.  Wir  finden  derartige 
Iridocykliten  (auch  als  Iridochorioiditen  bezeichnet,  wenn  die  Schmerz- 
haftigkeit des  Corpus  ciliare  fehlt)  bei  Allgemeinerkrankungen,  theils 
während  des  Bestehens  derselben,  theils  als  ]N  achkrankheit,  so  bei  Febr. 
recurrens,  bei  Typhus,  Meningitis  cerebrospinalis,  Variola,  Rheumatismus, 
Tuberculose  u.  s.  f. 

Die  Prognose  ist  im  Ganzen  bedenklieh,  jedoch  sieht  man  bisweilen 
nach  Hebung  der  Entzündung  auch  sehr  intensive  Glaskörpertrübungen 
zurückgehen  und  ein  gutes  Sehvermögen  wiederkehren.  So  beobachtete 
ich  bei  einem  Kinde,  das  im  Typhus  eine  Iridocyklitis  durchmachte, 
eine  totale  Glaskörpertrübung,  die  in  etwa  3/4  Jahren  zur  Aufklärung 
kam:  nur  an  dem  unteren  Rande  der  Linse  blieb  eine  gelbliche  Trübung, 
entsprechend  der  Stelle  des  Corp.  ciliare,  von  der  wahrscheinlicher 
Weise  die  Exsudarion  in  den  Glaskörper  ausgegangen  war.  — 


540  Erkrankungen  des  Corp.  ciliare. 

Massige  Atropinisirung  des  Auges  —  sehr  intensives  und  zu  lange 
fortgesetztes  Atropinisiren  scheint  bei  Cyklitis  nachtheilig  zu  wirken  — , 
warme  Umschläge  neben  örtlicher  und  allgemeiner  Antiphlogose,  wie 
wir  sie  bei  den  schweren  Formen  der  Iritis  anwenden,  sind,  falls  der 
Allgemeinzustand  es  erlaubt,  angezeigt. 


2.  Sympathische  Augenleiden. 

Bereits  Mackenzie  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  nicht 
selten  bei  Leuten,  die  ein  Auge  durch  eine  Verletzung  verloren  haben, 
bald  darauf  das  zweite  sympathisch  erkrankt  und  erblindet,  dass  diese 
Erkrankung  aber  ausbleibt,  wemi  man  frühzeitig  das  verletzte  Auge 
herausnimmt.  In  der  Regel  handelt  es  sich  um  schwere  perforirende 
Verletzungen,  besonders  solche,  bei  denen  ein  Fremdkörper  in  das 
Augeninnere  gelangt  (z.  B.  Steinfragmente,  Kupferzündhütchen  oder 
-patronen,  Eisensplitter,  Glas)  und  dort  verweilt.  Vorzugsweise  bedenk- 
lich sind  die  Traumen,  welche  das  Corpus  ciliare  oder  seine  Nachbar- 
schaft treffen.  Auch  nach  Operationen  (Starextraction,  Iridodesis),  welche 
eine  Cyklitis  zur  Folge  hatten,  wurden  sympathische  Affectionen  beobach- 
tet. Aber  selbst  nicht-traumatische  Cyklitis  kann  eine  derartige  traurige 
Folge  haben.  So  ist  in  gewissem  Sinne  jeder  phthisische  Augapfel  ge- 
fahrdrohend, wenn  Cyklitis  in  ihm  noch  besteht  oder  auch  von  Neuem 
angefacht  wird;  gelegentlich  hat  auch  das  Tragen  künstlicher  Augen 
eine  neue  Cyklitis  veranlasst  und  somit  den  Ausgangspunkt  einer  sym- 
pathischen Affection  gebildet.  Am  wenigsten  gross  ist  die  Gefahr  — 
wenngleich  nicht  vollkommen  ausgeschlossen  —  bei  den  phthisischen 
Augen,  die  in  Folge  einer  Panophthalmitis  zu  Grunde  gegangen  sind. 
Es  scheint,  dass  ohne  Cyklitis  eine  eigentliche  sympathische  Ent- 
zündung nicht  eingeleitet  werden  kann  (Schirmer).  Allerdings  sind 
auch  ohne  Traumen  bei  Linsenluxationen  und  Chorioideal-Tumoren 
sympathische  Entzündungen  beobachtet  worden,  doch  könnte  hier  eben- 
falls als  Zwischenglied  eine  Cyklitis  vorgelegen  haben.  A'on  der  sym- 
pathischen Entzündung  pflegt  man  die  sympathische  Reizung  oder  sym- 
pathische Neurose  zu  unterscheiden.  Zu  ihr  rechnet  man  leichte  Injec- 
tion  des  anderen  Auges,  Lichtscheu,  Thränen,  Accommodationsschwäche, 
Unfähigkeit  zu  arbeiten;  von  directen  Sehstörungen  (Amblyopie, 
Einengungen  des  Gesichtsfeldes),  die  von  einzelnen  Autoren  als 
sympathische  Neurosen  beschrieben  sind,  habe  ich  nie  etwas  gesehen. 
Ich  halte  es  für  wahrscheinlich,  dass  dieselben  in  das  Gebiet  der 
hysterischen  Sehstörungen  fallen.  Reizzustände  am  zweiten  Auge 
müssen    uns    immer    vorsichtig    machen    und    auf   den  Ausbruch    einer 


S\  mpathische  Augenleiden.  541 

sympathischen  Ophthalmie  vorbereiten.  Letztere  kann  allerdings  auch 
gelegentlich  ohne  derartige  äussere  Anzeichen  sich  entwickeln. 

Als  sympathische  Entzündungen  (Ophthalmia  migratoria, 
Deatschmann  )  treten  uns  vor  Allem  die  Affeetionen  entgegen,  welche 
einige  Zeit  nach  einer  Verletzung  und  ihr  folgender  Cyklitis  das 
andere,  bislang  gesunde  Auge  —  und  zwar  in  den  gewöhnlichen 
charakteristischen  Formen  ergreifen.  Meist  verstreichen  vier  bis  acht 
Wochen,  bis  das  zweite  Auge  erkrankt;  aber  auch  bereits  nach  neun 
Tagen  hat  man  eine  sympathische  Erkrankung  beobachtet.  Es  sei  aber 
bemerkt,  dass  ganz  dieselben  Krankheitsbilder  auch  ohne  die  erwähnte 
Aetiologie  zur  Beobachtung  kommen.  In  Ausnahmefallen  erkrankte 
sogar  noch  nach  15  bis  20  Jahren,  besonders  wenn  Fremdkörper  in  dem 
Auge  zurückgeblieben  waren,  das  bis  dahin  gesunde  Auge.  Es  geben 
dann  meist  Ortsveränderungen  des  Corpus  alienum  Anlass  zu  frischen 
Reizungen.  Hingegen  ist  es  bei  nicht-traumatischen  Cykliten,  denen 
später  eine  Affection  des  anderen  Auges  folgt,  oft  schwer  festzustellen, 
dass  wirklich  eine  sympathische  Erkrankung  und  nicht  vielleicht  eine 
von  der  Ersterkrankung  ganz  unabhängige  Affection  des  zweiten  Auges 
vorliegt.  Falls  die  Herausnahme  des  erstaffieirten  Auges  das  Leiden  des 
zweiten  Auges  sofort  höbe,  wäre  der  Zusammenhang  wohl  erwiesen. 
Doch  spricht  andererseits  das  Ausbleiben  eines  Erfolges  nicht  dagegen, 
da  wir  wissen,  dass  auch  unzweifelhaft  sympathische  Affectionen,  wenn 
sie  einmal  einen  gewissen  Grad  erreicht  haben,  sich  durch  Enucleation 
des  ersterkrankten  Auges  durchaus  nicht  immer  heilen  lassen.  Man  wird 
bei  der  Beurtheilung  dieser  Frage  besonderes  Gewicht  auf  die  Form  der 
secundären  Erkrankung  legen  müssen.  Entspricht  dieselbe  den  am  häu- 
tigsten vorkommenden  sympathischen  xAffectionen  (der  Uveitis  und  der 
Irido  cyklitis ),  so  wächst  die  Wahrscheinlichkeit  eines  Zusammenhangs. 

Die  sympathische  Iridocyklitis  entwickelt  sich  in  der  Regel 
schleichend  und  chronisch,  so  dass  der  Beginn  selbst  unter  sorgfältiger 
Ueberwachung  übersehen  werden  kann.  Die  häufig  aufgestellte  Be- 
hauptung, dass  ein  Hinausrücken  des  Nahepunktes  als  erste 
Erscheinung  auftrete  und  den  entzündlichen  Processen  voranginge,  trifft 
nach  meinen  Beobachtungen  durchaus  nicht  immer  zu.  Auch  eine 
intensivere  pericorneale  Röthe  kann  fehlen-,  meist  allerdings  sieht  man 
die  Conjunctivalgefässe  hier  und  da  etwas  mehr  gefüllt.  Da  aber  dies 
auch  ohne  sympathische  Affection  bei  längerem  Zimmeraufenthalt  und 
Kranksein  des  anderen  Auges  vorkommt,  so  ist  eine  geringe  Injection 
nicht  beweisend:  sie  sollte  aber  immer  vorsichtig  machen  und  Anlass 
geben  zur  Atropinisirung  und  genauen  Untersuchung  des  zweiten  Auges. 
Trotzdem  die  Pupille  nämlich  gut  reagirte  und  nicht  verengt  war,  auch 
die  Iris  normal    erschien,    können    sich   jetzt    nach    der  Atropinisirung 


542  Erkrankungen  des  Corp.  ciliare. 

schon  kleinere  hintere  Synechien  zeigen.  Mir  ist  in  Fällen,  bei  denen 
unter  meinen  Augen  die  sympathische  Affection  entstand,  sogar  bis- 
weilen zu  dieser  Zeit  eine  ungewöhnlich  lebhafte  Reaction  der  Pupille 
auf  Licht  und  Schatten  aufgefallen. 

Die  leichtere  Form  der  sympathischen  Entzündung  ist  die  Iritis  serosa 
(Uveitis)  mit  Beschlägen  auf  der  Membrana  Descemetii  und  Glaskörper- 
trübungen, ohne  zu  schnelle  Ausbildung  hinterer  Synechien.  Hier  ist  die 
Prognose  verhältnissmässig  günstig  und  es  kann  zur  Heilung  kommen. 
Die  schwerere  ist  die  Iridocyklitis,  bei  der  ausgedehntere  Verklebungen  der 
Iris  mit  der  Linsenkapsel  entstehen;  die  Iris  verfärbt  sich,  die  Pupille  wird 
eng.  Jetzt  ist  auch  pericorneale  Injection  vorhanden;  es  treten  Schmerzen 
auf,  wenn  man  bestimmte  Theile  des  Corp.  ciliare  betastet.  Bisweilen 
sieht  man  periphere  Chorioidealveränderungen.  Bald  bildet  sich  eine 
Pupillarmembran,  der  Glaskörper  wird  diffus  getrübt.  Im  weiteren 
Verlauf  wird  die  vordere  Kammer  eng;  in  der  Peripherie  ist  die  Iris 
durch  Schwarten,  die  sich  zwischen  ihr  und  dem  Corp.  ciliare  bilden, 
nach  hinten  gegen  den  Ciliarkörper  gezogen.  Die  Cornea  ist  leicht  ge- 
trübt. Der  Bulbus  wird  weich.  Alle  diese  Veränderungen  können  sich 
ohne  erhebliche  Schmerzen  oder  stärkere  Entzündungserscheinungen  ab- 
spielen, so  dass  manche  Patienten  —  besonders  bei  Kindern  beobachtet 
man  dies  —  erst  in  Folge  der  nachweisbaren  Sehschwäche  zum  Arzt 
geführt  werden.  Seltener  ist  das  Auftreten  der  Entzündung  in  sehr 
acuter  Form  mit  heftigen  Schmerzen,  starker  Lichtscheu  und  Injection. 
Allmählich  wird  auch  die  Linse  trüb  und  kataraktös,  indem  sie  gleich- 
zeitig schrumpft  und  sich  abplattet,  Der  Process  kann  so  viele  Monate 
lang  fortbestehen,  bis  sich  in  dem  stark  erweichten  und  verkleinerten 
Bulbus  schliesslich  Netzhautablösung  und  damit  unheilbare  Erblindung- 
herausgestellt  hat.  In  anderen  selteneren  Fällen  hört  endlich  die  Ent- 
zündung auf;  der  Bulbus  erholt  sich  wieder  und  gewinnt  eine  bessere 
Spannung.  Bei  beiden  Erkrankungen  kann  man  gelegentlich  eine 
Hyperämie  der  Papilla  optica  beobachten;  ebenso  kann  später  eine  Trü- 
bung ihres  Gewebes  eintreten.  Aber  ähnliche  Vorgänge  sehen  wir  auch 
sonst  bei  diesen  schweren  Uveal-Erkrankungen.  ■ —  Auch  eine  einfache 
Papillo-Rctinitis  sympathica  ist  beschrieben  worden.  Die  als  sympathisch 
bezeichneten  Glaukome  sind  in  ihrer  Aetiologie  nicht  sicher,  wenn 
man  von  ;den  glaukomatösen  Processen  absieht,  die  sich  gelegentlich 
auf  der  Basis  der  sympathischen  Uveal-Erkrankung  entwickeln. 

Therapie.  Bei  der  Iritis  serosa  sympathica  ist  am  ehesten  eine 
Heilung  zu  erwarten,  falls  nicht,  wie  es  bisweilen  geschieht,  eine 
iridoeyklitis  nachträglich  hinzutritt.  Hingegen  führt  die  Iridocyklitis 
sympathica  fast  stets  zum  Ruin  des  Auges,  nur  in  den  ersten  Stadien 
der  Erkrankung,  wo  es  noch  nicht  zu  festen  und  ausgedehnten  hinteren 


Sympathische  Augenleiden. 

Synechien  gekommen  ist,  auch  die  Consistenz  des  Bulbus  nicht  zu  sehr 
gelitten  hat,  ist  bisweilen  eine  volle  Wiederherstellung  und  Heilung  zu 
erreichen.  Bei  ausgebrochener  sympathischer  Ophthalmie  soll  die  Be- 
handlung mit  der  Enuclcation  des  primär  erkrankten  Auges,  falls  das- 
selbe bereits  erblindet  ist.  beginnen.  Schwieriger  wird  die  Frage,  wenn 
dasselbe  noch  Sehvermögen  besitzt.  Hier  würde  der  Grad  dieses  Seh- 
vermögens und  die  etwaige  Aussieht  auf  Erhaltung  oder  Hebung  des- 
selben in  Betracht  kommen.  Ist  das  Erhalten  eines  einigermaassen 
ausreichenden  Sehvermögens  zu  erwarten,  so  darf  das  Auge  nicht 
enucleirt  werden,  da  die  Enucleation  die  bereits  ausgesprochene  Ent- 
zündung des  sympathisch  erkrankten  Auges  durchaus  nicht  immer  heilt. 
Meist  allerdings  sieht  man  nach  der  Enucleation  in  diesem  ersten  Sta- 
dium sofort  eine  gewisse  Besserung  eintreten.  Doch  ist  letztere  nicht 
selten  trügerisch,  der  Process  exaeerbirt  nach  einigen  Tagen  wieder 
und  führt  schliesslich  doch  zu  einem  deletären  Ende.  Es  ist  verständ- 
lich, dass  ein  einmal  erkranktes  Organ  zu  Grunde  gehen  kann,  selbst 
wenn  wir  die  ursprüngliche  Ursache  des  Leidens  entfernen;  aber  anderer- 
seits wird  die  Entfernimg  immerhin  insoweit  einen  günstigen  Einfluss 
auf  die  Heilungsbedingungen  äussern,  als  das  Auge  vor  neuen  Schädi- 
gungen gesichert  bleibt.  [Ab a die  hat  an  Stelle  der  Enucleation  einen 
Tropfen  Sublimatlösung  (1  :  1000)  in  den  Glaskörper  des  primär  ver- 
letzten Auges  injicirt  und  die  Narbe  eventuell  mit  dem  Galvanocauter 
ausgebrannt.     Er  berichtet  über  einige  bemerkenswerthe  Erfolge.] 

Neben  der  Enucleation  sind  in  diesem  Stadium  der  sympathischen 
Affection  eine  energische  Schmiercur  oder  subcutane  Sublimatinjection  am 
Platze;  örtlich  Atropin,  nötigenfalls  Blutegel.  Auch  subconjunctivale 
Injectionen  mit  Kochsalz  oder  Sublimat  können  versucht  werden.  Dabei 
absolutes  Abhalten  des  Lichtes.  Vor  operativen  Eingriffen  (L'idectomie) 
hüte  man  sich:  in  der  Regel  verschlimmern  sie  die  Krankheit,  auch 
selbst  dann,  wenn  Hypertonie  besteht.  Man  sucht  letztere  besser  durch 
Cocain  oder  selbst  Pilocarpm-Emträufelungen  zu  bekämpfen.  Be- 
steht der  Process  bereits  längere  Zeit  und  ist  es  zu  ausgedehnten  hin- 
teren Synechien,  Abflachung  der  vorderen  Kammer,  diffuser  Glaskörper- 
trübung und  Weichheit  des  Bulbus  (Hypotonie)  bei  fast  aufgehobenem 
Sehvermögen  gekommen,  so  ist  Atropin  überflüssig,  öfters  sogar  schäd- 
lich und  selbst  die  Schmiercur  nutzlos.  Man  beobachtet  dann  ein  ab- 
wartendes Verhalten,  indem  man  die  Allgemeinconstitution  möglichst 
zu  heben  sucht;  vor  Allem  vermeide  man  auch  jetzt  einen  frühzeitigen 
operativen  Eingriff.  Bisweilen  muss  man  viele  Monate  bis  Jahre  ver- 
streichen lassen,  ehe  man  eine  Operation  mit  Aussicht  auf  Erfolg  ver- 
suchen darf.  In  der  Zeit  geht  allerdings  durch  Netzhautablösung  das 
Sehvermögen  häufig  unrettbar  verloren,  ohne  dass  wir  es  hindern  können. 


:")44  Erkrankungen  des  Corp.  ciliare. 

Hat  schliesslich  jede  entzündliche  Erscheinung-  aufgehört  und  ist 
noch  ein  einigermaassen  genügender  Lichtschein  vorhanden  (man  scheue 
selbst  umschriebene  Gesichtsfelddet'ecte  nicht),  so  kann  man  die  Linsen- 
extraction  mit  gleichzeitiger  Iridectomie  nach  der  oben  beschriebenen 
Wenzel 'sehen  Methode  ausführen,  —  ein  Verfahren,  das  für  diese 
Fälle  v.  Graefe  empfohlen  hat.  Uebrigens  zeigt  sich  nicht  immer  die 
Linse  hierbei  getrübt,  bisweilen  handelt  es  sich  nur  um  Kapselstar. 
Man  darf  den  Schnitt  nicht  zu  peripher  führen,  um  nicht  zu  viel  von 
dem  verflüssigten  Glaskörper  zu  verlieren.  Oefters  verlegt  sich  die  ge- 
machte Pupillenöffnung  wieder  und  man  muss  von  Neuem  iridectomiren 
oder  auch  iridotomiren.  Doch  gelingt  es  schliesslich  in  einzelnen  Fällen, 
ein  massiges  Sehen  zu  schaffen.  —  Critchett  hat  empfohlen,  nur  die 
Linse  zu  diseidiren  und  zwar,  da  dieselbe  meist  mit  einer  dicken  Pupillar- 
membran bedeckt,  auch  häufig  getrübt  und  membranartig  geschrumpft 
ist,  sich  mittels  zweier  Discissionshadeln  (Bowman'sche  Operation) 
allmählich  in  verschiedenen  Sitzungen  ein  centrales  Loch  zu  bohren.  In 
einigen  Fällen  hatte  er  einen  befriedigenden  Erfolg.  Im  Ganzen  ist 
aber  die  Prognose  für  die  vorgeschrittenen  Formen  der  sympathischen 
Iridocyklitis  eine  schlechte.  — 

Bezüglich  der  Art,  in  welcher  die  Uebertragung  der  Entzün- 
dung von  einem  Auge  auf  das  andere  stattfindet,  gehen  die  Ansichten 
auseinander.  Es  stehen  sich  hier  die  Ciliarnerven-Theorie  (reflec- 
torische  Uebertragung  der  Reizung  auf  das  andere  Auge  durch  die 
Ciliarnerven)  und  die  Migrationstheorie  (Bacterienwanderung  durch 
den  Opticus  oder  dessen  Scheide  zum  anderen  Auge)  einander  gegenüber. 
Meiner  Meinung  nach  hat  die  erstere  mit  der  von  mir  gegebenen  Mo- 
dification,  dass  durch  die  reflectorische  Reizung  der  Nerven  nur  die 
Disposition  gegeben  wird,  auf  der  die  im  Körper  vorhandenen  entzün- 
dungserregenden Momente  leichter  ihren  schädlichen  Einfluss  üben 
können,  die  grössere  Berechtigung.  Bezüglich  der  sympathischen  Reiz- 
zustände wird  allgemein  der  reflectorische  Einfluss  der  afficirten  Ciliar- 
nerven anerkannt. 

Die  reflectorische  Einwirkung-  der  Ciliarnerven  auf  die  Gefässe,  die  Ernährung 

und  Secretionsvorgänge  des  andern  Auges  erscheint  durch  die  experimentellen 
Versuche  an  Thieren  erwiesen.  Jesner  und  Bach  haben  gefunden,  dass  hei 
Reizung  des  einen  Auges  eines  Kaninchens  der  Fibringehalt  im  Kammerwasser 
des  anderen  Auges  zunimmt,  während  Moll  bei  intravenöser  Einspritzung  von 
Bac.  pyoeyaneus  constatirte,  dass  nicht  nur  in  dem  gereizten  Auge,  sondern  auch 
in  dem  anderen  Anne  eine  Ausscheidung  der  Bacillen  stattfindet.  Allerdings  hat 
Wessely  die  Ergebnisse  von  Jesner  und  Bacli  nicht  bestätigen  können,  jedoch 
fand  er  bei  Fluoreseein-Injectionen  in  einem  Drittel  seiner  Versuche  bei  Reizung 
des  einen  Auges  auch  eine  Vermehrung  der  Fluoreseein-Ausscheidungen  im  anderen 
Auge:  man  kann  bei  diesen  Ergebnissen  auch  daran  denken,  ob  nicht  indivi 
duelle  Verschiedenheiten  eine  Rolle  spielen,  —  eine  Anschauung,  die,  wenn  mal 


Sympathische  Augenleiden.  545 

das  Auftreten  der  sympathischen  Ophthalmie  beim  Menschen  betrachtet,  auch  für 
diesen  eine  gev  isse  Berechtigung  haben  könnten.  Die  Affection  der  Ciliarnerven 
ist  in  verschiedenen  Füllen  anatomisch  erwiesen.  So  habe  ich,  und  später  Gold- 
zieher,  Zelleninfiltrationen  zwischen  den  Fibrillen  gesehen.  Uhthoff  hat  eine 
spindelförmige  Anschwellung  der  Nervenfaser  beschrieben,  Ayres  ebenfalls  Ge- 
staltsveränderungen und  Vermehrung  der  interfibrillären  Kerne. — Auch  die  meist 
bestehende  Schmerzhaftigkeit  der  Ciliargegend  auf  Druck,  welche  allerdings 
zur  Zeit,  wo  wir  die  sympathische  Entzündung  zur  Beobachtung  bekommen,  auf- 
gehört haben  kann,  spricht  für  ihr  Ergriffensein.  Weiter  entstehen  gerade  am 
häutigsten  sympathische  Affectionen,  wenn  bei  Verletzungen  des  Corp. ciliare  durch 
Fremdkörper  eine  dauernde  Reizung  auf  die  Ciliarnerven  geübt  wird.  Aber  zur 
Entstehung  einerwirklichen  Entzündung  bedarf  es  noch  der  entzündungserregenden 
Momente:  vor  Allem  kommen  hier  Bacterien  und  Toxine  in  Betracht.  Wir  nehmen 
demnach  an.  dass  die  Disposition  zur  Erkrankung  durch  die  reflectorische 
Nervenreizung  gegeben  ist,  die  eigentliche  Entzündung  aber  erst  ausbricht,  wenn 
die  erwähnten  Schädlichkeiten  auf  den  so  disponirten  Boden  einwirken.  Bei  dieser 
Auffassung  tindet  die  ungemein  grosse  Verschiedenheit  des  Zeitintervalls  zwischen 
der  primären  Verletzung  und  der  sympathischen  Erkrankung  eine  befriedigende 
Deutung.  Dass  für  gewöhnlich  letztere  nicht  vor  Ablauf  zweier  Wochen  eintritt, 
lässt  sich  so  erklären,  dass  eben  dievom  sympathisirenden  Auge  ausgehende  Beizung 
eine  gewisse  Zeit  lang  bestehen  muss.  um  eine  ausreichende  Disposition  für  die 
Wirkung  der  vorhandenen  Entzündungserreger  zu  geben.  Auch  finden  wir  in  ihr 
eine  Erklärung,  dass  so  häufig  dieselbe  Art  der  Verletzung  bei  dem  einen  Indi- 
viduum eine  sympathische  Ophthalmie  herbeiführt,  während  sie  bei  dem  anderen 
ausbleibt.  Dass  im  (ranzen  die  sympathischen  Ophthalmien  nach  Einführung  der, 
antiseptischen  Behandlungsweise  seltener  geworden  sind,  spricht  nicht  für  einen 
bacteriellen  Ursprung  derselben,  sondern  lässt  sich  ebensogut  in  der  Weise  denken 
dass  die  Heilung  hierbei  schneller  erfolgt  und  weniger  lange  die  (sensiblen,  vaso- 
motorischen und  trophischenj  Ciliarnerven  einer  Irritation  unterworfen  sind. 

Nach  der  Migrationstheorie  erfolgt  eine  directe  Ueberleitung  der  Ent- 
zündung von  einem  Auge  zum  andern  durch  den  Sehnerven  beziehentlich 
durch  die  Sehnervenscheide  und  zwar  durch  Bacterien  (Leber,  Deutsch- 
niann  .  Es  ist  nicht  abzulehnen,  dass  die  Möglichkeit  vorliegt,  dass  auf  diese 
Weise  durch  Bacterien  oder  Toxine  eine  directe  Uebertragung  stattfinden  könnte, 
alier  die  Versuche  Deut  seh  mann 's,  wonach  bei  Kaninchen  in  ein  Auge  gespritzte 
Staphylokokken-Cultur  bis  zum  anderen  Auge  wandern  sollte,  sind  nicht  bestätigt 
worden.  Ich  selbst  habe  durch  directe  Einimpfung  eines  Stückes  Iris,  Corpus 
cüiare  und  Opticus  von  Augen,  die  eine  sympathische  Ophthalmie  hervorgerufen 
hatten,  in  den  Glaskörper  von  Kaninchen  ebenfalls  keine  sympathische  Affection 
erzielt.  Sollte  die  sympathische  Ophthalmie  in  der  von  Deutschmann  be- 
schriebenen Weise  übertragen  werden,  so  muss  sie  zuerst  als  Neuro-Betinitis  auf- 
treten. Aber  für  den  Typus  der  sympathischen  Affection,  für  die  Iridocyklitis 
bleibt  uns  das  Experiment  die  Erklärung  schuldig,  ebenso  für  die  allgemein  an- 
erkannte besondere  Gefährlichkeit  der  Verletzungen  des  Corp.  ciliare.  Dass  der 
Iridocyklitis  aber  nicht  immer  eine  ausgeprägte  Sehnervenaffection  vorausgeht 
( —  auf  eine  sogenannte  Hyperämie  ist  nicht  viel  Gewicht  zu  legen,  da  sie  sich, 
abgesehen  von  der  Unsicherheit  ihrer  Diagnose,  auch  sonst  bei  schweren  Er- 
krankungen des  anderen  Auges  gelegentlich  findet  — ),  habe  ich  bei  Fällen  sym- 
pathischer Ophthalmie,  deren  Entstehung  ich  verfolgen  konnte,  sicher  constatirt. 
Neuerdings  hat  sogar  Grunert  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  eines  sym- 

Schmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  35 


r>4li  Erkrankungen  des  Corp.  ciliare. 

pathisch   erkrankten  Auges  constatirt,  dass  die  entzündlichen  Veränderungen  im 
Opticus  von  der  Pupille  an  eerebralwärts  immer  mehr  abnehmen. 

Noch  weniger  wahrscheinlich  erscheint  die  Uebertragung  durch  den  Sehnerven, 
wenn  man  bedenkt,  dass  gerade  in  den  Fällen  deutlichster  und  acutester  infec- 
tiöser   Entzündung,   wie  wir  sie  bei  manchen  Formen   der   eitrigen  Chorioiditis 
haben,  die  sympathische  Erkrankung  ausbleibt,  trotzdem  man  anatomisch  ausge- 
prägte   Opticusaffectionen  in   dem   primär  erkrankten  Auge  findet.     Ja  die  Er- 
fahrung hat  ergeben,  dass  nach  eitriger  Chorioiditis  oder  Panophthalmitis  zurück- 
bleibende phthisische  Stümpfe,  im  Gegensatz  zu  den  in  anderer  Form  phthisisch 
gewordenen  Augen,  am  wenigsten  Neigung  haben,  später  eine  sympathische  Affec- 
tion  zu  veranlassen;  wie  ich  meine,  wohl  in  Folge  der  eingetretenen  Destruction 
der  Ciliarnerven.    Auch  der  Einwand  trifft  nicht  zu,  dass  bei  schleichender  Irido- 
cyklitis   gerade   die  wiederholte   und  fortgesetzte  Uebertragung  der  infectiösen 
Masse   die  Entzündung   hervorrufe.     Die  eitrigen  Chorioiditen  pflegen  sich  eben- 
falls 6  bis  8  Wochen  lang  im  Eiterstadium   zu  befinden;   selbst  wenn  nur  eine 
wiederholte  und  dauernde  Uebertragung  die  sympathische  Affection  bewirken  sollte, 
so  würde  diese  Zeit  sicher  ausreichen,  da  wir  bekanntlich  sympathische  Ophthal- 
mien oft  in  einer  viel  kürzeren  Zeitspanne,  entstehen  sehen.    Diese  Ueberlegung 
spricht  auch  dagegen,  dass  durch  überwandernde  Toxine  von  Staphylococcus  pyo- 
genes,  wie  Selenkowsky  aus  seinen  Thierversuchen  neuerdings  schliesst,  die 
sympathische    Ophthalmie   veranlasst   würde.     Den   weiteren   Erklärungsversuch, 
dass  bei  Panophthalmitis  durch  die  massenhafte  Eiterbildung  die  Entzündungs- 
erreger beseitigt  und  zerstört  würden,   kann   ich   ebenfalls   nicht  für   zutreffend 
erachten,   da   einmal  im  Beginn   der  Erkrankung   die  Eiterung  eben  noch  nicht 
massenhaft   ist  und  weiter    in   panophthalmitischen  Augen   noch  nach   Wochen 
lebensfähige  Mikrokokken  gefunden  werden.    Ich   habe   in  einem  Falle,  wo  die 
Panophthalmitis  bereits  vier  Wochen  bestand,   aus  dem  Eiter   des  Augeninnern 
Staphylococcus  pyogenes  aureus  gezüchtet  und  mit  der  Keincultur  bei  Kaninchen 
durch    Hornhautimpfung    eitrige    Keratitis    und    Iritis    erzielt.      Aehnliches    hat 
Schirmer   constatirt.     Dass  in  einer  Reihe  von  Augen,  welche  Anlass  zu  sym- 
pathischen Affectionen   gaben,    auch  Staphylococcus  pyogenes  nachgewiesen  ist, 
Avill   nicht  viel  sagen,   da  dieser  Pilz  auch  bei  Entzündungen,  die  keine  sympa- 
thischen Affectionen  hervorrufen,  vorkommt;  bedeutungsvoller  ist,   dass  in  einer 
grossen  Anzahl  von  enucleirten  sympathisirenden  Augen  überhaupt  bei  sorgfäl- 
tigster bacteriologischer Untersuchung  keine  Bacterien  gefunden  sind(Hirschberg, 
Kuhnt,  Greeff,  Bach,Schmidt-Rimpler  lind  Andere).    Selbst  Deutschmann 
suchte   in   einem  Falle   vergeblich  nach  ihnen,   fand   sie  aber  im  Tenon'schen 
Räume.    Wenn  man  diesen  Befund  für  genügend  erachten  wollte,  so  müssten  so- 
gar orbitale  Processe   eine  migratorische  Ophthalmie  hervorrufen  können!    Das 
erscheint  jedenfalls  sicher,  dass  es  sich  bei  Erregung  sympathischer  Ophthalmien 
nicht   um   eine   der  uns  bisher  bekannten  und  auf  unseren  üblichen  Nährboden 
wachsenden  Bacterie   handeln  kann.   —   Gegen   die  Allgemeingültigkeit   der  er- 
wähnten Hypothese  spricht  aber  besonders  nachstehender  Fall.     Wegen  zu  be- 
fürchtender  sympathischer  Ophthalmie  führte  ich  an  dem  linken  an  Iridocyklitis 
in  Folge  einer  perforirenden  Wunde  erkrankten  Auge  die  Neurectomia  optico- 
ciliaris  aus.     1  i/2  Jahre  später  erkrankte  das  rechte  Auge  an  einer  sympathischen 
Iridocyklitis,  die  nach  Enucleation  des  linken  Bulbus  heilte.    Bei  der  Untersuchung 
desselben  waren  keinerlei  Mikrokokken  nachweisbar,  ebensowenig  fanden  sie  sich 
in   dem  resecirten,    1 V2   cm  langen  Sehnervenstück.     Hingegen  waren  im  ( 'orp. 
ciliare,  sowie  in  der  Cornea,  einzelne  wohlerhaltene  Nerven  vorhanden,  während 
dieselben  in  den   hinteren  Partien  des  Bulbus,  specicll  an  den  Eintrittsstellen  in 


Sympathische  Augenleiden.  547 

der  Nahe  des  Opticus  atrophirt  waren.  Es  ist  hier  also  sicher  eine  Uebertragung 
durch  Mikroorganismen  ausgeschlossen,  hingegen  durch  das  Erhaltensein  von 
Ciliarnerven,  die,  wie  es  zuweilen  vorkommt,  weiter  vorn  in  den  Bulbus  getreten 
sind,  der  Gedanke  an  reiiectorische  Erregung  nahegelegt.  Der  experimentelle 
Versuch  Deuts chmann's.  bei  dem  derselbe  nach  Eesection  eines  Stückes  Opti- 
cus beim  Kaninchen  die  Neubildung  eines  directen  bindegewebigen  Verbindungs- 
stranges zwischen  dem  centralen  Opticusende  und  dem  Bulbus  gesehen  hat,  durch 
den  ein  Fortkriechen  der  Bacterien  erfolgen  könnte,  scheint  mir  gegen  den  obigen 
Fall  nichts  zu  beweisen,  da  hier  eben  die  Bacterien  im  Sehnervenstumpf  fehlten. 
Im  Uebrigen  gelang  es  bei  Nachuntersuchungen,  die  Velhagen  auf  meine  Ver- 
anlassung anstellte,  nicht,  einen  derartigen  Verbindungsstrang  nachzuweisen.  Zu 
denselben  negativen  Ergebnissen  gelangten  Bach  und  Zimmermann.  Auch 
konnte  die  Verbreitung  von  Farbstoffen,  die  in  die  Schädelhöhle  eingespritzt 
wurden,  von  dem  centralen  Opticusende  in  den  Stumpf  am  Bulbus  nicht  verfolgt 
werden.  Es  trat  gewöhnlich  keine,  ausnahmsweise  eine  diffuse  Färbung  des  orbi- 
talen Gewebes  ein.  Dass  nach  ausgiebiger  Eesection  des  einen  Opticus  sich  eine 
auch  nur  annähernd  gleiehwerthige  Verbindung  zwischen  beiden  Augäpfeln  wieder 
herstelle,  halte  ich  danach  für  vollkommen  ausgeschlossen. 

Die  Prophylaxe  der  sympathischen  Affection  ist  von  höchster 
Bedeutung,  bietet  aber  oft  Anlass  zu  den  schwersten  und  verantwort- 
lichsten Ueberlegungen  — :  sie  besteht  in  der  möglichst  frühzeitigen 
Enukleation  (bezw.  Exenteration  oder  Neurectomia  optico-ciliaris)  des 
gefahrbringenden  Augapfels.  Allerdings  habe  ich  mit  Anderen  sogar 
trotz  und  nach  der  Herausnahme  noch  sympathische  Ophthalmien  ent- 
stehen sehen  —  in  einem  von  Nettleship  mitgetheilten  Falle  selbst 
25  Tage  danach  — ,  doch  sind  diese  Fälle  ausserordentlich  selten;  sie 
lassen  sich  so  deuten,  dass  der  zweite  Bulbus  bereits  soweit  durch  die 
vorangegangene  reflectorische  Einwirkung  alterirt  worden  war,  dass  er 
fin  eine  ihn  selbst  nachträglich  treffende  Schädlichkeit  noch  einen 
günstigen  Boden  abgab.  Bei  den  nach  der  Neurectomia  optico-ciliaris 
entstandenen  sympathischen  Ophthalmien  kann  in  das  Erhaltenbleiben 
von  vorderen  Ciliarnerven,  wie  ich  gesehen,  oder  in  das  Wiederhinein- 
wachsen durchschnittener  in  den  Bulbus  (Axenfeld)  eine  Erklärung 
gesucht  werden.  Ebenso  dürften  bei  den  gleichen  Erkrankungen  nach 
Exenterationen,  von  denen  ich  zwei  beobachtet,  die  zurückgebliebenen 
Nerven  anzuschuldigen  sein. 

Ist  das  verletzte  Auge  erblindet  und  in  seiner  Form  entstellt,  so 
wird  die  Herausnahme  kaum  Bedenken  machen,  doch  entschliessen  sich 
manche  Patienten  auch  dann  noch  schwer. 

Unter  allen  Umständen  aber  muss  man  einen  phthisischen  Aug- 
apfel oder  ein  erblindetes  Auge  entfernen  oder  durch  andere  Opera- 
tionen unschädlich  machen,  wenn  ein  Fremdkörper  sich  darin  befindet. 
Dasselbe  gilt,  wenn  ein  phthisischer  oder  ein  schwer  verletzter  Augapfel 
mit  geringem  Sehvermögen  auf  Druck  länger  anhaltende,  cyklitische 
Schmerzhaftigkeit  zeigt.    Der  cyklitische  Schmerz,  bei  dem  die  Kranke]) 


54S  Erkrankungen  des  Corp.  ciliare. 

beim  Betasten  des  Corp.  ciliare  lebhaft  zurückzucken,  ist  ein  Zeichen 
drohender  Gefahr.  Bisweilen  kann  er  sich  zwar  wieder  verlieren,  ohne 
dass  eine  sympathische  Affection  eintritt;  auch  kommen  andererseits 
ausnahmsweise  Fälle  vor,  wo,  ohne  dass  derartige  cyklitische  Schmerzen 
vorhanden  sind,  dennoch  eine  sympathische  Affection  ausbricht.  Aber 
es  ist  hier  immerhin  möglich,  dass  dieselben  zur  Zeit  der  Untersuchung 
geschwunden  sind  oder  die  Untersuchung  (Betasten  des  ganzen  Corp. 
ciliare  mit  einem  Sondenknopf)  nicht  exact  durchgeführt  wurde. 

Augäpfel,  die  sehr  ausgedehnte  Verletzungen  mit  Glaskörper-  und 
Linsenaustritt,  Netzhautablösungen  u.  s.  w.  erlitten  haben,  wird  man  am 
besten  sofort  nach  dem  Unfall  herausnehmen. 

Schwieriger  ist  die  Frage  dann,  wenn  bei  geringeren  Verletzungen 
noch  ein  einigermaassen  genügendes  Sehvermögen  zu  erwarten  ist.  Hier 
wird  vor  Allem  die  Entfernung  etwa  eingedrungener  Fremdkörper  zu 
versuchen  sein.  Bei  Eisensplittern  im  Augeninnern  leistet  der  Elektro- 
magnet öfters  treffliche  Dienste;  sonst  müssen  Pincetten  und  krumme 
stumpfe  Häkchen  in  Anwendung  kommen.  Wird  der  Fremdkörper  ent- 
fernt, so  kann  man  unter  beständiger,  sorgsamster  Beobachtung  des 
Kranken  —  besonders  muss  derselbe  lange  im  dunklen  Zimmer  ge- 
halten werden  —  die  Weiterentwicklung  des  Heihmgsprocesses  ab- 
warten. Gelingt  die  Entfernung  nicht,  so  ist  die  Enucleation  immer 
das  Sicherste.  Aber  auch  ohne  dass  Fremdkörper  im  Augapfel  ver- 
weilen, sehen  wir  gelegentlich  sympathische  Affectionen  auch  nach 
kleineren  Verletzungen  ausbrechen.  Besonders  gefährlich  sind,  wie  er- 
wähnt, diejenigen,  welche  in  die  Gegend  des  Corp.  ciliare  fallen.  Treten 
überhaupt  bei  verletzten  Augen  cyklitische  Schmerzen,  die  anderer 
Therapie  (Blutegel,  Quecksilber)  nicht  schnell  weichen,  auf,  wird  der 
Bulbus  weich,  so  ist  immer  die  Enucleation  (Exenteratio  bezw.  Neu- 
rectomia  optico-ciliaris)  anzurathen,  selbst  wenn  noch  einiges  Sehver- 
mögen vorhanden  ist. 


Enucleatio.     Exenteratio  bulbi.     Neureetomia  optieo-ciliaris. 

Die  Enucleation  ist  seit  Bonnet  an  Stelle  der  früher  üblichen 
Exstirpation  getreten.  Während  bei  letzterer  der  Augapfel  mit  den 
anhaftenden  Theilen,  Muskelstümpfen  u.  s.  w.  mittels  eines  Messers  aus 
der  Orbita  herausgeschnitten  wird,  löst  man  bei  der  Enucleation  sorg- 
fältig die  Sehnen  von  der  Sclera  und  schält  den  Bulbus  aus  der  Tenon- 
schen  Kapsel.  Man  beginnt  die  Operation,  indem  man  vor  dem  R.  ex- 
ternus  oder  intei-nus  eine  Conjunctivalfalte  dicht  neben  dem  Corneal- 
rnnde  aufhebt  und  mit  der  ffeboß'cnen  Scheere  einschneidet.     Alsdann 


Enucleatio.    Exenteratio  bullü.    Neurectomia  optioao-ciliaris.  549 

löst  mau  nach  dem  Aequator  bin  die  Conjunctiva  in  grösserer  Aus- 
dehnung vom  Bulbus  ab.  Darauf  wird  die  Sehne  des  Muskels  auf  den 
Schielhaken  genommen  und  von  der  Sclera  abgetrennt.  Indem  man  als- 
dann nach  oben  oder  unten  mit  dem  Schielhaken  geht,  spannt  man  die 
Conjunctiva  und  schneidet  mit  der  Scheere  in  Fortsetzung  des  ersten 
Conjimctivalschnittes  dieselbe  wieder  concentrisch  zur  Hornhaut  ein; 
darauf  fasst  und  trennt  man  die  entsprechende  Sehne.  In  derselben 
Weise  löst  man  sämmtliche  Recti  nacheinander  ab;  die  Conjunctival- 
wunde  ist  kreisförmig  und  parallel  der  Hornhautperipherie.  Bei  einiger 
Uebimg  kann  man  auch  ohne  Anwendung  der  Schielhaken  mit  einer 
geraden  Scheere,  nach  Circumcision  der  Conjunctiva  um  die  Cornea 
herum,  die  Sehnen  direct  vom  Bulbus  trennen.  Man  hüte  sich  sehr, 
Conjunctiva  unnöthiger  Weise  herauszuschneiden,  da  hierdurch  der 
Raum  für  das  Einsetzen  eines  künstlichen  Auges  verkleinert,  ja  bis- 
weilen das  Einsetzen  ganz  unmöglich  gemacht  wird.  Um  den  Bulbus 
aus  der  Orbita  zu  luxiren  und  den  Sehnerven  anzuspannen,  nimmt 
man  am  besten  den  Bulbus  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger  der 
linken  Hand,  zieht  ihn  kräftig  hervor  und  geht  an  der  äusseren  oder 
inneren  Seite  mit  einer  etwas  grösseren,  halbgekrümmten  Scheere  ein, 
schiebt  sie  längs  der  Sclera  nach  hinten  und  durchschneidet  den  Seh- 
nerven. Um  ein  Einschneiden  in  die  Sclera  zu  vermeiden,  hat  Welz 
einen  ganz  praktischen  Enucleationslöffel  angegeben,  der  hinter  den 
Bulbus  geschoben  wird  und  in  einer  Rinne  den  Opticus  aufnimmt. 
Will  man  ein  grösseres  Stück  Sehnerv  am  Auge  lassen,  so  muss  man 
entsprechend  tief  mit  der  Scheere  in  die  Orbita  dringen.  Nachträglich 
den  Opticus  in  dem  Fettgewebe  zu  finden  und  herauszuziehen,  ist  oft 
schwer.  Die  stärkere  Blutung  zeigt  uns,  dass  der  Sehnerv  durchtrennt 
ist.  Den  stark  hervorgezogenen  Bulbus  hat  man  noch  von  den  Obliquus- 
S ebnen  zu  lösen. 

Operirt  man  ohne  Chloroform,  so  kann  man  constatiren,  dass  bei 
der  schnellen  Sehnervendurchschneidung,  entgegen  früheren  Angaben, 
keine  Lichterscheinungen  wahrgenommen  werden;  wohl  aber  reagirt 
nach  der  Heilung  der  in  der  Orbita  lagernde  Sehnervenstumpf  in  vielen 
Fällen  mit  Photopsien,  wenn  man  ihn  kräftig  stösst,  zerrt  oder  elek- 
trisch reizt. 

Die  Blutung  steht  meist  sehr  schnell.  Nachdem  man  mit  Aqu. 
chlori  oder  Subliinatlösung  die  Orbita  ausgespült  hat,  legt  man  auf  die 
geschlossenen  Lider  einen  festen  antiseptischen  Druckverband  an.  Ein 
Zimähen  der  Conjunctivalwunde  oder  ein  Ausfüllen  der  Orbita  mit 
einem  von  Sublimatmull  oder  Borlint  umhüllten  Wattetampon  ist  in  der 
Regel  bei  der  Enucleation  nicht  nöthig,  eher  bei  der  Exstirpation.  In 
vier  bis  fünf  Tagen  ist  die  Heilung  vollendet.     Die  Operation  ist  fast 


550  Erkrankungen  des  Corp.  ciliare. 

vollkommen  ungefährlich,  nur  vereinzelte  Fälle  —  zumeist  wenn  im 
Stadium  beginnender  oder  ausgesprochener  Panophthalmitis  enucleirt 
wurde  —  sind  bekannt  geworden,  bei  denen  ein  letaler  Ausgang  (durch 
Meningitis  u.  s.  w.)  erfolgt  ist. 

Um  diese  Gefahr  zu  vermeiden  und  weiter  einen  besseren  Stumpf 
zu  erhalten,  empfiehlt  Alfr.  Graefe  die  Exenteratio  bulbi.  Man 
geht  im  Sclerallimbus  mit  einem  schmalen  Graefe'schen  Messer  ein 
und  macht,  hinter  der  Iris  bleibend,  einen  Lappenschnitt  nach  oben, 
fasst  dann  diesen  Lappen  und  trennt  in  gleicherweise  die  untere  Horn- 
hauthälfte hinter  der  Iris.  Durch  Einführen  eines  flachen,  münzen- 
förmigen, scharfgeränderten  Löffels  (Bunge 's  Exenterationslöffel) 
zwischen  Uvea  und  Sclera  entleert  man  den  ganzen  Augeninhalt;  die 
vordere  Scleralwunde  wird  nach  Ausspülung  der  Höhle  mit  Aqu.  chlori 
in  horizontaler  Richtung  durch  3 — 4  ^ähte  geschlossen.  Die  Nähte  fassen 
Sclera  und  Conjunctiva;  nöthigenfalls  bedeckt  man  die  etwa  partiell 
freiliegende  Scleralwunde  noch  durch  Uebernähen  mit  Conjunctiva.  Die 
der  Operation  folgende  Reaction  ist  in  der  Regel  unbedeutend,  bei 
stärkerer  Conjunctivalchemose  macht  man  Eisumschläge;  jedoch  dauert 
die  Heilung  etwas  länger  als  nach  der  Enucleatio.  Der  anfänglich  ge- 
füllte Scleralsack  schrumpft  meist  im  Laufe  der  Jahre,  wenngleich  eine 
Gewebsneubildung  aus  dem  Exsudat  erfolgen  kann  (Bunge).  Die  Exen- 
teration  ist  an  Stelle  der  Enucleation  oft  mit  Nutzen  auszuführen;  be- 
sonders angezeigt  ist  sie  bei  beginnenden  oder  schon  ausgeprägten 
eitrigen  Entzündungen.  Um  die  Verkleinerung  des  Stumpfes  zu  ver- 
meiden, hat  man  mit  meist  nur  vorübergehendem  Erfolg  eine  Glaskugel 
oder  vergoldete  Silberhohlkugel  (Mules,  Kuhnt)  in  die  Scleralkapsel 
eingeheilt;  auch  wurde  zwei  Mal  nach  einigen  Wochen  eine  sympathische 
Ophthalmie  beobachtet  (Cross).  — 

An  Stelle  der  Entfernung  des  Auges  bat  man  versucht,  nur  die  Bahnen,  auf 
welchen  die  Uebertragung  der  sympathischen  Ophthalmie  auf  das  andere  Auge 
erfolgt,  ungangbar  zu  machen,  indem  man  die  Ciliarnerven  und  den  Opticus  durch- 
schnitt. Schon  A.  v.  (iraefe  hatte  vorgeschlagen,  die  Ciliarnerven,  welche  der 
Stelle  der  cyklitischen  Schmerzhaftigkeit  entsprechen,  mit  der  Scheere  zu  trennen. 
Methodisch  ist  dieser  Gedanke  erst  durch  Schüler  verfolgt  worden,  der  bei  der 
Neurotomia  optico-ciliaris  den  Sehnerven  und  die  um  ihn  liegenden  hinteren  Ciliar- 
nerven durchschnitt.  Etwas  früher  waren  von  Boucheron  an  Thieren  ähnliche 
Versuche  angestellt  worden.    Besser  ist  es,  ein  Stück  des  Sehnerven  zu  reseciren. 

Das  Verfahren  der  Neurectomia  optico-ciliaris  ist  in  folgender  Weise 
auszuführen.  Man  ineidirt  die  Conjunctiva  dicht  über  dem  Sehnenansatz  des  Beet. 
internus,  circa  G  mm  von  dem  Ilornhautrande  entfernt,  und  erweitert  den  Schnitt 
parallel  der  Corneaperipherie  ausgiebig  nach  oben  und  unten.  Alsdann  nimmt 
man.  wie  bei  der  Schieloperation,  die  Muskelsehne  auf  dem  Schielhaken  und  legt 
durch  ihren  peripheren  Tlieil  einen  Faden,  womit  man  den  Muskel  nach  der  darauf 
folgenden  Trennung   der  Sehne   festhält   und   nasenwärts   vom   Bulbus   abzieht. 


Enucleatio.    Exenteratio  bulbi.    Neurectomia  optico-ciliaris.  551 

Letzterer  wird  nunmehr  stark  temporalwärts  gerollt.  Mit  einer  etwas  grösseren 
Seheere  geht  man  längs  der  Sclera  in  die  Tiefe  bis  jenseits  des  Sehnervenein- 
tritts und  durchschneidet  den  Sehnerven  in  der  Weise,  dass  ein  Theil  desselben 
noch  am  Bulbus  bleibt.  Alsdann  Bucht  man,  indem  man  den  Bulbus  mittels' eines 
scharfen  Doppelhakens,  welcher  in  die  blossgelegte  Sclera  eingesetzt  wird,  mög- 
lichst stark  nach  aussen  zieht  und  dabei  die  äussere  Hälfte  desselben  gleichzeitig 
mit  einer  Pincette  nach  hinten  drückt,  den  hinteren  Pol  des  Bulbus  durch  die 
über  dem  R.  internus  gelegene  Conjunctivalwunde  hervor  zu  ziehen  und  sich  zu 
Gesicht  zu  bringen. 

Man  dreht  den  Bulbus  also  eigentlich  um.  Liegt  der  Sehnerveneintritt  vor, 
so  resecirt  man  das  an  dem  Bulbus  haften  gebliebene  Stück  des  Opticus  und 
säubert  den  angrenzenden  Theil  der  Sclera  in  der  Ausdehnung  von  etwa  einem 
Oentimeter  durch  Seheerensehnitte,  welche  die  Beste  der  Ciliarnerven  treffen- 
Darauf  wird  der  Bulbus  wieder  reponirt  und  der  R.  internus  an  seinen  Sehnen- 
stumpf angenäht :  auch  die  Conjunctivalwunde  vereinigt  man  durch  Naht.  Um  zu 
verhüten,  dass  die  in  der  Nähe  der  Ansätze  der  M.  recti  in  die  Sclera  sich  einsenkenden 
Nervenäste  später  in  das  Corp.  ciliare  hineinwachsen  und  so  vielleicht  neue 
reflectorische  Reizungen  bewirken,  kann  man  noch  vor  Lösung  des  Rect.  internus 
an  den  betreffenden  Stellen  die  Conjunctiva  ineidiren  und  das  episklerale  Gewebe 
scarifierren.    Während  der  Heilungsperiode  wird  ein  Druckverband  angelegt. 

Durch  starke  Blutungen  ist  zuweilen  ein  Heraustreiben  des  Bulbus  aus  der 
Orbita  bewirkt  worden.  Doch  lässt  sich  dies  ziemlich  sicher  vermeiden,  wenn  man 
nach  Durchschneidung  des  Opticus  nicht  sofort  den  Bulbus  umkehrt,  sondern  erst 
das  Auge  schliesst  und  durch  festen  Druck  mit  in  kalte  Sublimatlösung  oder  Aqu. 
chlori  getauchter  Watte  die  retrobulbäre  Blutung  stillt.  Das  Herumdrehen  des 
Bulbus  ist  bei  phthisischen  Augen  leicht,  schwerer  bei  Augen  von  normaler  Grösse 
oder  bei  Stapbylomen.  Hier  muss  einmal  die  Conjunctivalöffnung  verhältniss- 
mässig  gross  sein  und  dann  mit  grösserer  Kraft  der  Bulbus  herumgedreht  werden. 
Um  letzteres  zu  erleichtern,  kann  man  die  M.  obliqui  ablösen  (Schweigger). 
Beim  Eingehen  von  der  Aussenseite,  nach  Ablösung  des  R.  extern.,  ist  die  Drehung' 
des  Bulbus  und  die  Opticusresection  schwieriger.  Man  hat  allerdings  den  Vortheil, 
dass.  im  Falle  die  Wiederanheilung  der  gelösten  Sehne  nicht  gut  gelingt,  der  ent- 
stehende Strabismus  (nach  innen)  weniger  stört,  als  das  divergirende  Schielen 
nach  nicht  gelungener  Anheilung  der  Internussehne. 

Ohne  die  durch  Umdrehung  ermöglichte  Inspection  des  Seimerveneintrittes  ist 
das  Verfahren  unsicher,  ebenso  ohne  Resection  des  Sehnerven  und  entsprechende 
ausgiebige  Lageveränderungen  des  Bulbus,  zumal  anatomische  Untersuchungen  von 
Krause  gezeigt  haben,  dass  von  den  centralen  Enden  der  durchschnittenen 
Ciliarnerven  neue  Aeste  später  wieder  in  den  Bulbus  hineinwachsen  können.  Dies 
muss  ebenso  wie  eine  directe  Wiedervereinigung  der  Stümpfe  vermieden  werden. 
Als  Zeichen  der  Durchschneidung  der  Ciliarnerven  dient  uns  die  eintretende  Ge- 
fühllosigkeit der  Cornea.  Die  Conjunctiva,  welche  nicht  von  Ciliarnerven  versorgt 
wird,  behält  ihre  Empfindung;  aber  auch  auf  dem  eigentlichen  Hornhautgebiet 
kann  dieselbe  partiell  bestehen  bleiben  oder  wieder  eintreten,  wenn,  wie  nicht 
selten  bei  phthisischen  oder  entzündeten  Augen,  Conjunctivalgefässe  mit  ihren 
Nerven  auf  die  Cornea  übergehen.  Nach  längerer  Zeit  stellt  sich  durch  Hinein- 
wachsen der  Conjunctivalnerven  in  der  Regel  die  Sensibilität  wieder  her. 

•Die  Neurectomia  optico-ciliaris  bietet  nicht  dieselbe  prophylaktische  Sicher- 
heit wie  die  Enucleation.  Selbst  wenn  durch  die  Resection  eine  Wiederver- 
wachsung der  Nerven  vermieden  wird,  so  ist  es  möglich,  dass  bei,  von  der  Norm 
abweichendem  A'erlauf  der  Ciliarnerven  einzelne  Aeste.  die   —   wde  es  constatirt 


552  Erkrankungen  des  Corp.  ciliare. 

ist  —  vielleicht  weiter  vorn  sich  in  die  Sclera  senken,  undurchschnitten  bleiben: 
ebenso  kann  eine  Neubildung  derselben  wie  in  dem  oben  mitgeth eilten  Fall  er- 
folgen oder  auch  ein  Wiederhineinwachsen.  So  treten  auch  bisweilen  nachträglich 
wieder  neue  cyklitische  Schmerzen  ein,  die  eine  nachträgliche  Entfernung  des 
Bulbus  indiciren.  In  einem  derartigen  Falle  hat  Asenfeld  Neurome  an  den 
durchschnittenen  Nerven  gefunden.  Auch  zeigt  die  oben  mitgetheilte  Beobachtung, 
dass  selbst  nach  der  Neurectomie  noch  eine  sympathische  Affection  sich  aus- 
bilden kann. 

Andererseits  ist  es  jedoch  von  Vortheil,  ein  gut  aussehendes,  wenn  auch 
blindes  Auge  dem  Patienten  zu  erhalten.  Man  wird  an  Stelle  der  Enucleation  die 
Xeurectomia  optico-ciliaris  ausführen  dürfen,  wenn  es  sich  um  Augen  handelt. 
die  erfahrungsgemäss  nicht  besonders  gefahrdrohend  sind,  aber  doch  gelegentlich 
zu  sympathischen  Leiden  führen  können:  so  bei  manchen  Verletzungen  ohne  Zu- 
rückbleiben eines  Fremdkörpers.  Phthisische  und  schlecht  aussehende  Augen  enu- 
cleirt  oder  exenterirt  man  lieber,  da  ein  künstliches  Auge  alsdann  getragen  werden 
kann,  das  erheblich  besser  aussieht.  Bei  Kindern  ist  es  allerdings  bisweilen 
wünschenswerth,  den  Bulbus  zu  erhalten,  weil  ohne  ihn  die  betreffende  Orbita  zu- 
sammensinkt und  die  Gesichtshälfte  in  ihrer  Entwicklung  leidet.  Auch  in  den 
Fällen,  bei  welchen  die  Patienten  sich  absolut  der  Enucleation  widersetzen,  wird 
man  dieses,  in  der  Resel  reinigende  Auskunftsmittel  ergreifen. 


Einsetzen  eines  künstliehen  Auges.     Prothesis  ocularis. 

Nach  der  Exenteration  oder  Enucleation  des  Augapfels  oder  bei 
Phthisis  bulbi  sucht  man  durch  Einlegen  eines  künstlichen  Auges  (in 
Gestalt  einer  dem  erhaltenen  Auge  entsprechend  bemalten,  emaillirten 
Porzellanschale ,  Fig.  159),  den  Verlust  kosmetisch  auszugleichen. 
Neuerdings  hat  Snellen  eine  etwas  andere  Form  des  künstlichen  Auges 
eonstruirt:  an  Stelle  der  einfachen  hohlen  Schale  ist  noch  eine  zweite, 
etwas  flachere  hinten  angefügt,  die  sich  dem  Bul- 
busstumpf  besser  anlegt;  diese  Modification  macht 
natürlich  das  künstliche  Auge  etwas  schwerer.  —  Das 
künstliche  Auge  bietet  auch  den  Vortheil,  dass  die 
j^g  Lider  besser  beweglich  werden;    gewöhnlich  hängt 

ohne  dasselbe  das  obere  Lid  leicht  herab,  da  dem 
Levator  palpebralis  superior  die  ausreichende  Unterlage  fehlt,  auf  der 
er  das  Lid  nach  hinten  zieht  und  so  hebt:  auch  besteht  öfters  Entro- 
pium. Ebenso  wird  bei  Kindern  der  Verkleinerung  der  Orbitalhöhle 
in  etwas  vorgebeugt.  Kann  man  ihnen  noch  keine  Stücke  von  Porzellan 
anvertrauen,  so  benutzt  man  mit  Vortheil  Schalen  von  Celluloid  oder 
von  in  warmem  Wasser  biegsamen  Vulcanit. 

Man  darf  das  künstliche  Auge  erst  einsetzen,  wenn  die  Conjunctiva 
und  der  Stumpf  reizlos  sind;  nie,  wenn  ein  etwa  vorhandenes  phthisi- 
sches  Auge  auf  Druck  noch  empfindlich  ist.  Nach  der  Enucleation,  bei 
der  die  Sehnen  der  Muskeln  an  den  Narbenstumpf  anwachsen,  macht 


Einsetzen  eines  künstlichen  Auges.  553 

das  eingesetzte  künstliche  Auge  ganz  ausreichende  Bewegungen,  noch 
bessere  nach  der  Exenteration  oder  wenn  der  Bulbus,  selbst  in  ver- 
kleinertem Zustande,  erhalten  geblieben  ist.  Es  ist  alsdann  nicht  immer 
leicht,  das  künstliche  Auge  als  ein  solches  zu  erkennen.  Allerdings 
wird  es  bei  excessiven  Blickrichtungen  immer  etwas  zurückbleiben: 
auch  haften  gelegentlich  kleine  Schleimfäserchen  auf  der  Cornea,  die 
bei  einem  sehenden  Auge,  da  sie  stören,  durch  Lidschlag  sofort  ent- 
fernt werden. 

Bisweilen  hat  die  Einsetzung  eines  künstlichen  Auges  Schwierig- 
keiten, wenn  nach  Exstirpationen,  schlecht  ausgeführten  Enucleationen, 
Verletzungen  oder  malignen  Conjunctivalaffectionen  der  Bindehautsack 
sehr  geschrumpft  ist.  Man  verwendet  dann  entweder  besonders  ge- 
arbeitete Porzellanaugen  oder  schneidet  die  Celluloidschalen  entsprechend 
zu;  durch  Implantation  von  Kaninchenschleimhaut  oder  sonstige  Ope- 
rationen (siehe  Symblepharon)  das  Terrain  entsprechend  zu  vergrössern, 
ist  schwierig  und  gelingt  nicht  immer. 

Das  Einlegen  des  künstlichen  Auges  geschieht  so,  dass  man  zuerst 
das  obere  Lid  etwas  abzieht  und  darunter  die  Schale  schiebt,  alsdann 
durch  Abziehen  des  unteren  Lides  auch  den  unteren  Rand  in  die  Orbi- 
talhöhle gleiten  lässt.  Es  darf  keine  Schmerzen  verursachen,  vor  Allem 
also  nicht  zu  gross  sein.  Zum  Herausnehmen  wird  eine  etwas  um- 
gebogene Haarnadel  nach  dem  Abziehen  des  unteren  Lides  unter  den 
unteren  Band  des  künstlichen  Auges  geschoben.  Während  der  Nacht 
ist  das  Auge  immer  aus  der  Augenhöhle  zu  entfernen  und  nach 
Reinigung  mit  destilhrtem  Wasser  in  Watte  aufzubewahren.  Leichtere 
Reizungen  der  Conjunctiva  kann  man  mit  häufigeren  Einträufelungen 
von    physiologischer  Kochsalzlösung   bisweilen   vortheilhaft  bekämpfen. 

Zur  Ersetzung  eines  künstlichen  Auges  hat  Chibret  versucht,  gleich  nach 
der  Enucleation  das  Auge  eines  Kaninchens  in  die  Augenhöhle  durch  Annähen 
der  Muskeln  und  der  Conjunctiva  einzuheilen.  Es  trat  jedoch  bei  seinem  und 
Anderer  Versuche  bald  Vereiterung  ein,  welche  zur  Herausnahme  des  implantirten 
Bulbus  zwang.  Xur  von  Bradfort  ist  ein  Fall  bekannt,  wo  das  Kaninchenauge, 
dessen  Sehnerv  mit  dem  Nerven  des  enucleirten  Auges  vernäht  worden  war,  ein- 
heilte und  noch  nach  12  Wochen  eine  normale  Beschaffenheit  zeigte. 


3.  Chorioiditis  suppurativa.    Panophthalmitis. 

Die  Affectionen  der  Chorioidea  treten  entweder  ohne  erhebliche  Ex- 
sudation und  Eiterbildung  auf  und  zeigen  dann  sich  vorzugsweise  bei  der 
Augenspiegeluntersuchung  durch  Gewebsveränderungen  (Formen,  die  als 
Chorioiditis  disseminata,  Chorio-Retinitis  u.  s.  w.  bereits  ihre  Beschreibung 


554  Erkrankungen  der  Chorioidea. 

gefunden  haben),  oder  sie  veranlassen  mehr  oder  weniger  ausgedehnte 
Exsudationen,  die  unter  stark  entzündlichen  Erscheinungen  auf  Netzhaut 
und  Glaskörper  übersetzen.  Der  Process  ergreift  alsdann  meist  auch 
die  Regenbogenhaut,  wenn  er  nicht,  wie  häufig,  von  einer  Entzündung 
dieser  Partie  der  Uvea  ausgegangen  ist.  Als  Irido-Chorioiditis  wird, 
wie  oben  erwähnt,  letztere  AfFection  bezeichnet,  sobald  die  Exsudation 
in  den  Glaskörper  nicht  besonders  massenhaft  und  nicht  direct  eitriger 
Natur  ist.  Besteht  gleichzeitig  eine  Steigerung  des  intraocularen  Druckes 
und  seröse  Durchtränkung  der  Netzhaut,  öfters  mit  flachen  Abhebungen 
derselben,  so  spricht  man  von  einer  Chorioiditis  serosa:  diese  Affection 
ist  in  voller  Reinheit  ausserordentlich  selten. 

Handelt  es  sich  dagegen  um  stark  eitrige  und  massenhafte  Exsu- 
dationen, so  bezeichnet  man  den  Process  als  Chorioiditis  suppura- 
tiva. Hier  sind  immer  sehr  hervortretende  äussere  Entzündungs- 
erscheinungen vorhanden:  starke  pericorneale  und  conjunctivale 
Injection,  Oedem  der  Conjunctiva  bulbi  und  Schwellung  der  Lid- 
haut. Daneben  Absonderung  eines  schleimig-eitrigen  Conjunctival- 
secrets.  Der  Bulbus  ist  hart.  Der  Glaskörper  ist  vollkommen  un- 
durchsichtig; die  Iris  hyperämisch  verfärbt,  Pupille  eng,  Kammerwasser 
trüb,  oft  frühzeitig  Hypopyon  in  der  vorderen  Kammer,  die  Cornea 
leicht  diffus  getrübt.  Das  Sehvermögen  ist  fast  ganz  aufgehoben. 
Dabei  bestehen  heftige  Schmerzen  im  Auge  und  in  der  Stirn  und  öfters 
Fieber. 

Steigert  sich  die  Entzündung  noch  mehr,  sind  auch  Orbitalgewebe, 
Cornea  und  Sclera  betheiligt,  so  haben  wir  das  Bild  der  Panophthal- 
mitis.  Hier  ist  der  hochrothe,  mit  ödematöser  Schleimhaut  bedeckte 
Bulbus  oft  so  stark  hervorgetrieben,  dass  man  an  eine  retrobulbäre 
Geschwulst  denken  könnte.  Die  Lider  sind  geröthet,  ödematös  und 
können  kaum  geöffnet  werden.  Nach  einigem  Bestehen  der  Entzün- 
dung entleert  sich  der  Eiter  aus  dem  Augeninnern  entweder  durch 
eine  bereits  vorhandene  Oeffnung  (etwa  durch  ein  Hornhaut-Ulcus 
oder,  wenn  die  PanOphthalmitis  nach  Operationen  entstanden  ist,  durch 
die  Operationswunde),  oder  es  bildet  sich  in  der  Sclera  eine  Per- 
forationsstelle. 

Bei  der  anatomischen  Untersuchung  von  Augen  mit  suppurativer 
Chorioiditis  findet  man  grosse  Massen  von  Eiterkörperchen  im  Stratum  und  der 
(Japillarschicht,  die  eine  erhebliche  Verdickung  bewirken  und  das  Pigmentcpithel 
oft  weit  fort  gegen  den  Glaskörper  drängen.  Zwischen  den  unregelmässig  ge- 
formten Pigmentzellen  des  Epithels,  soweit  es  als  Schicht  erhalten  ist,  sind  eben- 
falls ein  und  mehrkernige,  auch  granulirte  Zellen  eingestreut.  Die  Suprachorioi- 
dea  pflegt  weniger  afficirt  zu  sein.  Die  Iris  ist  öfters  durch  hinterliegendes  Ex- 
sudat  stark   nach  vorn  geschoben.     Netzhaut  und  Papilla  optica  zeigen  eitrige 


Chorioiditis  suppurativa.  555 

Infiltrationen,  erstere  auch  hämorrhagische  Infarcte.  Der  Glaskörper  ist  bisweilen 
in  eine  einzige  Eitermasse  verwandelt.  An  freien  Stellen  derselben  findet  man 
graue  hyaline  Massen,  Fäserehen  und  Fett.  Die  Sclera  ist  in  der  Umgebung  der 
Perforationsstelle  meist  verdickt. 

Die  Eiterung  dauert  lauge  Zeit  fort  und  erst  in  6  bis  8  Wochen 
schwinden  die  entzündlichen  Erscheinungen.  Der  Augapfel  ist  nach 
und  nach  erheblich  kleiner  geworden;  die  Cornea  pflegt  stark  an  ihrem 
Unifange  einzubüssen,  wird  abgeflacht,  die  vordere  Kammer  ist  aufge- 
hoben;  auch  von  der  Iris  sind  nur  noch  Reste  zu  sehen;  die  Pupille  ist 
geschlossen.  Die  Spannung  des  Stumpfes  ist  herabgesetzt:  es  ist  eine 
Phthisis  (Atrophia)  bulbi  entstanden.  Der  Sehnerv  wird  atrophisch-,  die 
Atrophie  sehreitet  allmählich  rückwärts  bis  zum  Chiasma  und  bisweilen 
darüber  hinaus  in  beide  Tractus. 

Nicht  immer  steigert  sich  die  Chorioiditis  suppurativa  zur  Panoph- 
thalmitis.  Es  kann,  trotzdem  eine  Perforation  der  Sclera  eingetreten 
ist,  zu  einer  Eitereinkapselung  und  einem  Rückgange  des  Processes 
kommen,  so  dass  der  Bulbus  in  seiner  Form  erhalten  bleibt.  In  weniger 
intensiven  Processen  stellt  sich  sogar  ein  gewisses  Sehvermögen,  wenn 
auch  selten,  wieder  her.  Häufig  wird  die  eitrige  Chorioiditis  durch 
Verletzungen  angeregt. 

Während,  wie  Leber's  Versuche  zeigen,  aseptische  Körper 
vom  Auge  in  der  Regel  ohne  lebhaftere  Reaction  vertragen 
werden,  tritt  auf  inficirende  Eingriffe  und  auch  auf  manche 
chemische  Einwirkungen  (beispielsweise  durch  Kupfer  und  Quecksilber; 
weiter  wären  hierher  noch  die  Stoffwechselproducte  der  Bacterien  zu 
rechnen)  lebhafteste  eitrige  Reaction  hervor.  Aber  auch  secundär 
werden  durch  Hornhaut-  und  Regenbogenhautentzündungen  eitrige 
Chorioiditen  angeregt.  Besonders  gefährlich  sind  periphere  Irisvor- 
fälle und  cystoide  Vernarbungen.  —  Bisweilen  entstehen  ohne  jeden 
sichtbaren  Anlass  zur  Panophthalmitis  führende  eitrige  Chorioiditen  in 
scheinbar  entzündungsfreien  Augen:  es  handelt  sich  alsdann  meist 
um  solche,  die  früher  schwere  Erkrankungen  (Netzhautablösung,  Irido- 
Chorioiditis  u.  s.  w.)  oder  Operationen  (z.  B.  Starextraction)  überstanden 
haben.  Auch  in  entzündungsfreien,  staphylomatösen  Augen  habe  ich 
den  Ausbruch  einer  Panophthalmitis  unter  Fiebererscheinungen  ohne  nach- 
weisbare Ursachen  beobachtet;  es  ist  hier  an  endogene  Infection  zu  denken. 

Zu  den  eitrigen  Chorioiditen,  welche  nicht  gerade  häufig  in  Pan- 
ophthalmitis übergehen,  gehört  die  metastatische  Irido-Chorioiditis 
oder  metastatische  Ophthalmie  (Axenfeld).  Sie  findet  sich  be- 
sonders bei  länger  dauernder  Pyämie,  wie  sie  beim  Puerperalfieber 
und  nach  inficirenden  Verletzungen  oder  chirurgischen  Operationen 
vorkommt.    Es  handelt  sich  meist  um  eitrige  Thrombophlebitis,  von  der 


556  Erkrankungen  der  Cborioidea. 

aus  das  inficirte  Material  verschleppt  wird.  Die  inneren  Allgemein- 
krankheiten, bei  denen  metastatische  Ophthalmien  vorkommen,  gehören 
oft  der  kryptogenetischen  Septikämie  (Leube)  an,  bei  denen  sich  keine 
primären  Affectionen  finden,  welche  den  Mikroben  als  Eintrittsstelle 
dienen:  es  sind  hier  Fälle  einzureihen,  die  unter  dem  Bilde  des  acuten 
Gelenkrheumatismus,  Typhus,  der  Meningitis,  Miliartuberculose  oder  un- 
bestimmter Fiebererscheinungen  verlaufen.  Li  anderen  zahlreichen  Fällen 
entsteht  die  Augen-Affection  bei  Infectionskrankheiten:  acuten  Exan- 
themen, Diphtherie,  Erysipel,  Typhus,  Pneumonie,  Cerebrospinalmeningitis, 
Febris  recurrens,  Pocken,  Parotitis  epidemica.  Bisweilen  erscheint  sie 
als  einzig  nachweisbare  Metastase.  Ueberaus  häufig  findet  sich  gleich- 
zeitig Endocarditis  ulcerosa. 

Als  Ursache  der  metastatischen  Ophthalmie  sind  septische  Embolien, 
besonders  in  den  Capillaren  der  Retina  (Axenfeld)  anzusehen,  erst 
später  pflegt  die  Chorioidea  afficirt  zu  werden.  Störungen  in  der  Blut- 
circulation  scheinen  die  Ansiedlung  der  Bacterien  zu  unterstützen  und 
so  können  auch  maranthische  Thrombosen  den  Ausgangspunkt  des  Leidens 
bilden.  Man  hat  Streptokokken,  seltener  Staphyloccus  pyogenes  aureus 
und  Pneumococcus  gefunden. 

Die  metastatische  Ophthalmie  tritt  in  etwa  ein  Drittel  der  Fälle 
doppelseitig  auf.  Sie  bietet  meist  eine  schlechte  Prognose  auch  für 
das  Leben;  häufiger  sind  Heilungen  bei  einseitiger  Augenerkrankung. 
Jedoch  sind  bei  Puerperalfieber  einzelne  Fälle  von  selbst  doppelseitigen 
metastatischen  Ophthalmien  ohne  letalen  Ausgang  beobachtet  worden 
(Hirschberg  U.A.).  Iridochorioiditen  bei  Pneumonien  und  Meningitis 
haben  keine  prognostische  Bedeutung. 

Für  das  Auge  selbst  ist  die  Prognose  bei  ausgeprägter  Panoph- 
thalmitis  immer  schlecht;  massige  eitrige  Chorioiditen  können  wenig- 
stens mit  Erhaltung  der  normalen  Form  des  Augapfels  enden.  Dass 
ein  geringes  Sehvermögen  sich  wiederherstellt,  kommt,  wie  erwähnt, 
nur  selten  vor.  — 

Die  Behandlung  des  erkrankten  Auges  wird  im  Beginn  ent- 
zündungswidrig sein  müssen:  Blutegel  an  die  Schläfe,  Atropin,  Stirn- 
salbe, Ableitung  auf  den  Darmcanal.  Auch  Eisumschläge  können 
versucht  werden;  ebenso  subconjunctivale  Sublimat-  oder  Kochsalz- 
Injectionen.  Bei  inficirten  Wunden  ist  die  Anwendung  des  Galvano- 
cauters  und  der  Aqu.  chlori  empfehlenswerth ;  auch  das  Einführen 
von  Jodoform  kann  versucht  werden  (Ha ab).  Gegen  die  Schmerzen 
sind  Narcotica  zu  reichen.  Ist  es  zu  einer  ausgesprochenen  Panoph- 
thalmitis  gekommen,  so  dienen  zur  Beschleunigung  des  Ablaufes 
lauwarme  Kataplasmen;  dieselben  müssen  aber  sehr  klein  sein,  um 
keinen  Druck    auf  das  hervorgetriebene,    schmerzhafte  Auge    zu   üben. 


Chorioiditis  suppurativa.  557 

Sollten  sie,  wie  es  nicht  selten  der  Fall.,  die  Schmerzen  steigern,  so 
muss  man  davon  absehen.  Das  Einstechen  in  den  Bulbus,  um  die 
Eiterentleerung  zu  beschleunigen,  ist  nicht  zu  empfehlen.  Einmal  kommt 
es  dabei  leicht  zu  stärkeren  Blutungen,  und  weiter  ist  der  Effect  nicht 
erheblich,  da  der  Eiter  in  der  Begel  nicht  so  dünnflüssig  ist,  um 
gleich  in  grösserer  Menge  herauszukommen.  Noch  weniger  anzurathen 
ist  die  Enucleation  des  Bulbus,  da  dieselbe,  in  diesem  Entzündungs- 
stadium ausgeübt,  durchaus  nicht  ungefährlich  ist  und  öfters  zu  tödt- 
liehem  Ausgange  geführt  hat.  Eher  kann  man  die  Exenteratio  vor- 
nehmen. 


Vierter  Theil. 


Erkrankungen  der  Augenmuskeln,  der  Orbita, 
der  Augenlider  und  der  Thränenorgane. 


Erstes  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 


Anatomie. 

Das  Auge  wird  durch  sechs  Muskeln  bewegt:  Rectus  superior,  Rect. 
inferior,  R.  externus  (s.  abducens  s.  lateralis),  R.  internus  (s.  medialis), 
Obliquus  superior  und  Öbliquus  inferior  (Figur  160).    Die  Recti  nehmen 
ihren  Ursprung  an  der  Periorbita  in  der  Nähe  desForamen  opticum  und  um- 
schliessen  hier  eng  den  Sehnerven  und  den  Nervus  oculomotorius,  alsdann 
gehen  sie  auseinander,  laufen  anfangs  dicht  an  den  entsprechenden  Orbital- 
wänden und  wenden  sich  darauf,  durch  das  Fettzellgewebe  der  Augenhöhle 
streichend,  dem  Bulbus  zu,  in  dieser 
Weise  eineArtTrichterbildend.Um     TrocMea 
zu  ihr  ein  Anlief tungspunkt  an  den 
vorngelegenen  Theil    der  Sclera 
zu  kommen,  durchbohren  sie  die 
Tenon'sche     Kapsel.      Letztere 
stellt  eine  aus  lockerem  Bindege- 
webe    bestehende     Schicht     dar, 
welche    als    Grenzmembran    des 
Fintzellgewebes    aufzufassen    ist. 
Sie  schliesst  dasselbe  gegen  den 
Bulbus  hin  ab  und  verbindet  sich 
vorn  mit  der   Conjunctiva.     Die 
Fascien    der    geraden    Augenmuskeln    senden     in    die     T  e  n  o  n  '  sehe 
Kapsel  Ausläufer;    mittels    einzelner    durch    das  'Fettgewebe    hindurch- 
streichender Bindegewebszüge    stehen  sie  aber  auch   mit    der  Orbital- 
wand in  Zusammenhang  und  bilden  so  Hemmungsvovrichtungen  gegen 
eine  übertriebene  Wirkung  der  Muskeln  (Merkel).     Die  Sehnen  setzen 
sich,    nachdem   sie    durch   die   Tenon'sche  Kapsel    hindurchgegangen, 
meist  in  bogenförmigen  Anheftungslinien  vorn  an  die  Sclera.    Sie  stehen 

Schmidt-Rimpler.     7.  Auflage.  36 


Drehpunkt 


OWicra.inf. 


160. 

Rechtes  Auge. 


562  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

ausserdem  noch  an  ihrer  dem  Bulbus  zugekehrten  Fläche,  ebenso  wie 
an  ihren  Seitenrändern  durch  mehr  oder  weniger  starke  Bindegewebs- 
bündel  mit  dieser  Membran  in  Verbindung:  ein  Verhalten,  welches  bei 
der  Schieloperation  in  Betracht  kommt  indem  zur  Erreichung  stärkerer 
Rücklagerung  des  Muskels  nicht  nur  der  Sehnenansatz,  sondern  auch 
die  sonstigen  Verbindungen  getrennt  werden  müssen.  Die  Entfernung 
des  Sehnenansatzes  vom  Hornhautrande  zeigt  bei  den  einzelnen  Augen 
erheblichere  Abweichungen:  eine  von  Merkel  ausgeführte  Reihe  von 
Messungen  ergab  im  Durchschnitt  für  die  Sehne  des  R.  internus  eine 
Entfernung  von  6-5  nim,  für  die  des  R.  externus  von  (3-8  mm,  flu  den 
R.  superior  von  8-0  mm,  für  den  R.  inferior  von  7-2  mm.  Am  stärksten 
ist  die  Musculatur  des  R.  internus  entwickelt,  am  schwächsten  die  des 
R.  superior.  —  Der  Ursprung  des  Obl.  superior  befindet  sich  etwas 
nach  vorn  von  dem  des  R.  internus,  dicht  unter  dem  des  Levator 
palpebr.  superioris.  An  der  oberen  Wand  der  Augenhöhle  entlang 
ziehend,  geht  seine  Sehne  über  die  Trochlea  am  inneren  Theile  des 
oberen  Orbitalrandes,  schlägt  sich  dann  in  einem  Winkel  von  circa 
58  Grad  wieder  nach  hinten  zurück  und  setzt  sich,  unter  dem  Rectus 
superior  durchtretend,  an  der  hinteren  Hemisphäre  des  Bulbus  und  zwar 
am  oberen  und  äusseren  Quadranten  desselben  an.  Der  Obli- 
quus  inferior  entspringt  im  Gegensatz  zu  obigen  Muskeln  vorn  in  der 
Xähe  des  unteren  Orbitalrandes  an  der  medialen  Augenwand,  geht, 
zwischen  Bulbus  und  R.  inferior  sowie  später  zwischen  Bulbus  und 
R.  externus  gelegen,  an  die  hintere  Hemisphäre  des  Auges  und  setzt 
sich  gegenüber  der  Sehne  des  Obliquus  superior  daselbst  an. 

Der  Rectus  superior,  inferior,  internus  und  der  Obliquus  inferior 
werden  vom  Oculomotorius  innervirt,  der  R.  externus  vom  Abducens, 
der  Obliquus  superior  vom  X.  trochlearis. 

Die  Ursprungsstelle  des  Oculomotorius  im  Gehirn  liegt  zum  Theil 
am  Boden  des  dritten  Ventrikels,  zum  Theil  unter  dem  Aquaeductus  Sylvii. 
Seine  Wurzelfasern  ziehen  durch  die  Haube  des  Hinischenkels  und  treten 
zwischen  dieser  und  dem  Hirnschenkelfuss  an  die  Oberfläche  der  Gehirn- 
basis. Vorher  findet  eine  partielle  Kreuzung  derselben  statt.  An  der 
Gehirnbasis  verläuft  der  Oculomotorius  zuerst  nach  vorn  und  aussen. 
lagert  sich  dann  in  die  oberere  äussere  Wand  des  Sinus  cavernosus  ein  und 
tritt  schliesslich,  in  zwei  Aeste  getheilt,  durch  dieFissura  orbitalis  superior 
mit  den  anderen  Nerven  in  die  Orbita.  Der  Trochleariskern  liegt 
weiter  nach  hinten,  unterhalb  der  grauen  Masse,  welche  den  Aquaeductus 
Sylvii  umgiebt:  seine  Fasern  kreuzen  sich  mit  denen  der  anderen  Seite 
vollständig.  Schliesslich  am  Boden  des  vorderen  Theiles  des  4.  Ven- 
trikels —  vom  Trochleariskern  noch  durch  die  zwischenliegenden  Tri- 
geniinuskorne  getrennt,  aber  andererseits  durch  die  „hinteren  horizontalen 


Anatomie  der  Augenmuskeln. 


563 


Fasern*  (Flechsig)  verbunden  ■ — liegt  der  Kern  des  Abducens,  dessen 
Fasern,  auf  derselben  Seite  bleibend,  durch  die  Brücke  zur  Oberfläche 
ziehen.  In  seinem  weiteren  Verlauf  durchbohrt  er  die  hintere  Wand 
des  Sinus  cavernosus  und  liegt  an  der  äusseren  Seite  der  Carotis  interna. 

Man  unterscheidet  am  Oculomotorius-Ursprung  eine  Reihe  von  Kernen; 
über  deren  Bedeutung  und  Lage  gehen  aber  die  Meinungen  auseinander.  Während 
Bernheim  er  das  nachstehend  gezeichnete  Schema  der  Lage  der  Kerne  und  ihrer 
Bedeutung  für  die  einzelnen  Augenmuskeln  giebt,  wird  von  Bach  eine  wirkliche  ana- 
tomische Gliederung  des  Oculomotoriusursprungs  überhaupt  geleugnet. — Am  meisten 
vorn  liegen  nach  Bernhei- 
mer  die  Mediankerne  für 
Sphincter  iridis  (entsprechend 
den  kleinzelligen  Medianker- 
nen von  Edinger-West- 
phal). 

Für  die  Convergenz- 
1  >  e\v  e  g  u  n  g  a  ccommodative 
Bewegung)  muss  an  ein  be- 
sonderes Convergenz-Cen- 
trum  gedacht  werden:  das 
selbe  würde  bei  einer  doppel- 
seitigen Innervation  des  Rec- 
tus  internus  (cf.  Schema  von 
Bemheimer)  in  den  betref- 
fenden Kernen  zu  suchen  sein. 
Um  die  Ausführung  der 
Bewegungen  nach  rechts  und 
nach  links  auf  Grund  eines 
Xervenimpulses  zu  erklären, 
muss  eine  Verbindung  des 
Abducenskernes  eines  Auges 
mit  den  Oculomotoriuskernen 
Reetus  internus)  des  anderen 
Auges  angenommen  werden 
cf.  das  Schema  von  Bern- 
heimer).  Diese  assoeiir- 
ten  Bewegungen  (auch 
co  njugirte  Bewegungen  ge- 
nannt; nach  rechts  und  links, 

nach  oben  und  unten  scheinen  unter  normalen  Verhältnissen  von  der  Sehsphäre 
Munk  und  Schäfer;  ausgelöst  zu  werden.  Von  letzterer  gehen  theils  Fasern 
zu  den  subcorticalen  Bewegungscentren,  welche  die  unwillkürliche  Bewegung  der 
Augen  erregen,  bei  denen  die  Blickrichtung  auf  vorher  undeutlich  Gesehenes 
gewendet  wird,  theils  gehen  Associationsfasern  zu  den  motorischen  Rindenfeldern, 
welche  der  willkürlichen  Bewegung  vorstehen.  Diese  Rindenfelder  liegen  für  das 
Auge  nach  Ferrier  im  Gyrus  angularis,  nach  Hitzig  in  der  vorderen  Central- 
Avindung,  nach  Wer  nicke  im  unteren  Scheitelläppchen.  Als  weitere  Centren  für 
die  conjugirten  Bewegungen  werden  die  Yierhügel  genannt  (Adamück).  Auch 
das  Kleinhirn  soll  einen  Einfluss  auf  die  Augenstellung  haben;  experimentelle 
Reizungen  brachten  Nystagmus  hervor  'Rüssel). 

36* 


161. 

Schematisehe  Flächenprojection  der  Zellgruppen  in  den 
Seitenhauptkernen  und  den  Nebenkernen.  Nach  Bemheimer. 
Die  dicken  Striche  zeigen  die  Fasern,  welche  gekreuzt  ver- 
laufen, die  dünnen  die  ungekreuzten,  die  unterbrochenen 
(beim  R.  internus  und  Obliquus  inferior),  diejenigen,  die  bei 
verschieden  verlaufenden  Fasern  diekleinere  Anzahl  bedeuten. 


564  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

Für  den  Levator  palpeprae  superioris  wird  ein  motorisches  Centrum  am  oberen 
Ende  der  vorderen  Centralwindung  der  entgegengesetzten  Hirnhemisphäre  an- 
genommen (Hitzig). 

Der  Facialiskern  liegt  am  Boden  des  4.  Ventrikels  noch  weiter  nach  hinten. 
Nach  Mendel's  Annahme  ist  der  Kern  des  Augenfacialis  (M.  orbicularis  pal- 
pebrarum und  M.  frontalis  innervirend)  von  denen  der  übrigen  Facialisäste  getrennt: 
er  verlegt  ihn  in  den  hinteren  Theil  des  Oculomotoriuskernes.  Klinisch  wird  diese 
Annahme  dadurch  gestützt,  dass  bei  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle,  wo 
centrale  Facialislähmungen  vorhanden  sind,  gerade  obige  Aeste  freibleiben,  während 
sie  bei  peripheren  Lähmungen  mit  getroffen  sind. 


A.  Allgemeiner  Theil. 

Physiologische  Wirkung  der  Augenmuskeln.    Schielen. 

Wirkung    der  Augenmuskeln.     Durch    die   Muskeln  wird    der 
Bulbus  wie  in  einem  Kugelgelenk  liegend  nach   allen  Richtungen   hin 
bewegt.    Der  Drehpunkt,  um  den  diese  Bewegungen  ausgeführt  werden, 
entspricht   nicht   ganz    dem  Mittelpunkt    des   Augapfels,  'sondern   liegt 
über  1  mm  hinter  ihm,  durchschnittlich  13-5  mm  hinter  dem  Hornhaut- 
scheitel   (D  o  n  d  e  r  s ,  V  o  1  k  m  a  n  n).     Er   hat    eine    andere   Lage    im 
emmetropischen,    myopischen  und   hyperopischen  Auge.     Auch  übt  die 
durch  Verschiedenheit  in  der  Länge  der  Augenachse  bedingte  Refrac- 
tionsametropie  einen  Einfluss  auf  die  Excursionsweite  der  Beweglichkeit 
aus;    die    der    eiförmigen  kurzsichtigen  Augen  pflegt  geringer  zu  sein. 
Der   am  Perimeter    gemessene  Winkel    zwischen    äusserster  Wendung 
des  Auges  temporalwärts  und  medialwärts  (Blickfeld)  schwankt  etwa 
zwischen  85  Grad   und  110  Grad,    dabei    übertrifft    die  Innenwendung- 
die  Aussenwendung  um  einige  Grade;   bei  Myopen  ist  dies  öfters  um- 
gekehrt.    Meist  kann  das  Auge  so  weit  nach   aussen  gerichtet  werden, 
dass  der  äusserste  Punkt  des  Hornhautrandes  den  äusseren  Lidwinkel 
fast  oder  ganz  erreicht,    während|bei^stärkster  Innenwendung  eine  auf 
dem    unteren  Thränenpunkt    errichtete   Senkrechte    fast   die  Mitte    der 
Pupille  schneidet.   Das  Maximum  dieser  Excursion  kommt  nur  zu  Stande 
bei  gleichzeitiger  Bewegung  beider  Augen  nach   rechts    und  links  (bei 
.i'ssociirten  Bewegungen),  nicht  wemi  man  etwa  die  Innenwendung 
durch  binoculare  Fixation  eines  stark  genäherten  Gegenstandes  (aecom- 
modative  Bewegung)  erzielen  will. 

Die  Wirkung  des  einzelnen  Muskels  ergiebt  sich  aus  der  Lage 
seines  Ursprunges,  seines  Ansatzes  [am  Auge  undE[dcs  Drehpunktes. 
Denkt  man  sich  durch  diese  drei  Punkte  eine  Ebene  gelegt,  so  ent- 
spricht dieselbe  der  Ebene  des  Muskelzuges,  und  ein  auf  dieser  Ebene 
im  Drehpunkt  errichtetes  Loth  ist  die  Drehungsachse,   um  welche    die 


Physiologische  Wirkung  der  Augenmuskeln. 


51)5 


Bewegung  des  Au^es  erfolgt.  Ihre  Lage  bleibt  im  Ganzen  ziemlich 
unverändert,  welche  Richtung  auch  die  Blicklinie  (Verbindung-  des  Dreh- 
punktes mit  dem  fixirten  Object)  haben  mag. 


Von   den  sechs  Augenmuskeln  haben 


je   fcwei  dieselbe  Drehungs- 


achse, um  welche  sie  das  Auge  im  antagonistischen  Sinne  bewegen. 
Die  Drehungsachse  des  R.  internus  und  externus  liegt  in  der  sagittalen 
(verticalen)  durch  den  Drehpunkt  des  Auges  gehenden  Ebene  und  zwar 
senkrecht  von  oben  nach  unten.  Die  des  R  superior  und  inferior  liegt 
in  der  horizontalen  durch  den  Drehpunkt  gehenden  Ebene,  aber  nicht 
gerade  von  aussen  nach  innen,  sondern  so7  dass  das  innere  Ende  der 
Drehungsachse  etwas  nach  vorn,  dasr äussere  etwas  nach  hinten  gerich- 
tet ist  (Figur  162  RR);  der  Winkel  zwischen  ihr  und  dem  genau  trans- 
versalen Durchmesser  beträgt  ungefähr 
23  Grad  (v.  G-raefe).  Die  Drehungsachse 
der  Obliqui  liegt  ebenfalls  annähernd  in 
der  horizontalen  Durchschnittsebene  des 
Auges,  sie  hat  aber  eine  Richtung  von  vorn- 
aussen  nach  hinten-innen  (Figur  162  00) 
und  zwar  weicht  ihr  vorderer  Endpunkt 
circa  37  Grad  von  der  gerade  von  vorn 
nach  hinten  gehenden  optischen  Achse  ab 
(Volk  mann). 

Aus  der  Lage  der  Drehungsachsen 
lässt  sich  mit  Leichtigkeit  die  von  den 
einzelnen  Muskelpaaren  ausgeübte  Bewe- 
gung des  Augapfels  ersehen.  Es  ist  dabei 
zu  beachten,  dass  ausser  den  Veränderungen 
in  der  Richtung  der  Blicklinie  (Verbindung 
des  fixirten  Objectes  mit  dem  Drehpunkt)  auch  noch  eigentliche  Rota- 
tionen des  Bulbus  selbst  (Raddrehungen)  eintreten  können. 

Zur  Bestimmung  der  letzteren  benutzt  man  vorzugsweise  das  Ver- 
halten des  verticalen  Meridians  (V.  M.),  d.  h.  des  Meridians,  in  welchem 
eine  durch  den  vorderen  und  hinteren  Augenpol  senkrecht  gelegte 
Ebene  die  Bulbusoberfläche  schneiden  würde.  Wenn  bei  den  Rad- 
drehungen die  obere  Hälfte  des  V.  M.  (nach  dieser  wird  immer  be- 
stimmt) sich  nach  der  rechten  Seite  des  Untersuchten  dreht,  so  spricht 
man  von  positiver  Raddrehung  und  umgekehrt  bei  Linkswendung  von 
negativer,  oder  mit  anderen  Worten,  wenn  das  Irisrad  nach  rechts 
läuft,  wird  die  Bewegung  positiv,  wenn  es  nach  links  läuft,  negativ 
genannt. 

Man    geht 
Ruhestellung 


162. 

Linkes  Auge. 
HV  Blieklinie.    A  aussen.  J  innen. 
00  Drehungsachse  des  Obliquus  su- 
perior und  inferior.    ER  Drehungs- 
achse des  Eectus  superior  u.  inferior. 


bei   der  Wirkung    der  Muskeln   von   der 
oder  Normalstellung  der  Augen  aus 


sogenannten 


einer  Stellung, 


566  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

bei  welcher  der  Blick  beider  Augen  in  horizontaler  Richtung  mit  parallelen 
Augenachsen  in  die  Ferne  gerichtet  ist. 

Wirkung  des  ersten  Muskelpaares.  Der  R.  internus  zieht 
das  Auge  gerade  nach  innen,  der  R.  externus  gerade  nach  aussen. 

Zweites  Muskelpaar.  R.  superior  zieht  das  Auge  nach  oben; 
da  aber  seine  Achse  nicht  vollkommen  horizontal,  sondern  etwas  von 
vorn-innen  nach  hinten-aussen  verläuft,  auch  gleichzeitig  etwas  nach 
innen.  Dabei  wird  V.  M.  mit  seinem  oberen  Ende  nach  innen  gedreht. 
-  R.  inferior  zieht  das  Auge  nach  unten  und  etwas  nach  innen;  der 
obere  Theil  des  V.  M.  wird  nach  aussen  gedreht. 

Drittes  Muskelpaar.  Obliquus  superior,  der  sich  an  der  hinter 
dem  Drehpunkt  gelegenen  oberen  Augenhälfte  ansetzt,  zieht  diese 
nach  oben-innen;  es  geht  demnach  der  vordere  Augenabschnitt  bezw. 
die  Hornhaut  nach  unten  und  etwas  nach  aussen.  Der  V.  M.  wird  mit 
seinem  oberen  Theil  nach  innen  gedroht.  —  Obliquus  inferior  zieht  die 
obere  hinter  dem  Drehpunkt  gelegene  Augenhälfte  nach  unten-innen, 
die  Cornea  oder  das  Auge  geht  demnach  nach  oben  und  etwas  nach 
aussen.  Der  V.  M.  wird  mit  seinem  oberen  Theil  nach  aussen  ge- 
dreht. — 

Aus  dieser  Wirkungsweise  der  Muskeln  folgt,  dass  bei  den  Augen- 
bewegungen nach  oben  und  unten  die  in  Betracht  kommenden  Muskeln 
gleichzeitig  Raddrehungen  machen,  die  einander  entgegen  wirken.  Bei 
einer  ganz  bestimmten  Ausgangsstellung  der  Augen  lässt  sich  die  Be- 
wegung gerade  nach  oben  oder  nach  unten  ausführen,  ohne  dass  eine 
Drehung  des  verticalen  Meridians  erfolgt,  weil  die  Wirkungen  des  R. 
superior  und  Obliquus  inferior  bezw.  des  R.  inferior  und  Obliquus 
superior  auf  die  Raddrehung  sich  gegenseitig  aufheben.  Diese  Stellung, 
welche  individuell  verschieden  ist  und  von  der  die  oben  angegebene 
Normal-  oder  Ruhestellung  meist  dadurch  abweicht,  dass  die  Augen  nicht 
ganz  horizontal,  sondern  ein  wenig  gesenkt  in  die  Ferne  gerichtet  sind, 
bezeichnet  man  als  Primärstellung,  die  aus  ihr  hervorgehenden  als 
Secundärstellungen.  Bei  allen  anderen  Blickrichtungen  erfolgen 
Raddrehungen.  Aber  mit  jeder  gegebenen  Blickrichtung  ist  ein  be- 
stimmter Grad  der  Raddrehung  vei'knüpft;  so  beim  Blick  des  Auges 
nach  oben-aussen  und  unten-innen  eine  Drehung  temporalwärts,  hingegen 
beim  Blick  nach  oben-innen  und  unten-aussen  medialwärts  (Donders- 
sches  Gesetz).  Man  kann  sich  die  Art  der  Raddrehung  leicht  merken, 
indem  sie  immer  der  Wirkung  des  Muskels  entspricht,  welcher  seiner 
Zugkraft  nach  vorzugsweise  die  Blickrichtung  bestimmen  müsste.  Also 
beispielsweise  beim  Blick  nach  oben-innen  tritt  eine  mediale  Neigung 
des  V.  M.  hervor,  wie  sie  vom  R.  superior,  der  das  Auge  nach  oben- 
innen  zieht,  geübt  wird.     In  Wirklichkeit  aber  kommt  die  intermediäre 


Physiologische  Wirkung-  der  Augenmuskeln.  567 

Stellung  liier  in  anderer  Weise  zu  Stande.  Es  verbinden  sich  nämlich 
die  beiden  Heber  (R.  superior  und  Obliquus  inferior)  mit  dem  Innen- 
wender (R.  internus)  zu  gemeinsamer  Wirkung.  Dass  bei  dieser  G-e- 
sammtwirkung  gerade  der  R.  superior  gegenüber  dem  Obliquus  inferior 
die  Raddrehung  beeinflusst,  ist  Folge  der  durch  die  Wirkung  des  R.  in- 
ternus bedingten  Innenwendung  des  Auges  (Adductionsstellung). 
Wir  haben  gesehen,  dass  die  Drehungsachse  des  R.  superior  und  inferior 
nicht  gerade  transversal  durch  das  Auge  läuft,  sondern  mit  ihrem 
inneren  Ende  etwas  nach  vorn,  mit  ihrem  äusseren  Ende  etwas  nach 
hinten  abweicht.  Da  nun  ferner  die  Lage  der  Drehungsachsen  im 
Räume  trotz  verschiedener  Blickrichtung  (oder  mit  anderen  Worten  bei 
jeder  Stellung  des  Auges)  immer  dieselbe  bleibt,  so  kann,  falls  wir  uns 
das  Auge  sehr  stark  nach  innen  gerichtet  denken,  etwa  so  stark,  dass 
die  Blicklinie  mit  der  Drehungsachse  des  R.  superior  zusammenfiele, 
dieser  Muskel  bei  seiner  Contraction  das  Auge  nur  radförmig  um  die 
Blieklinie  drehen.  Die  Hauptwirkung  des  R.  superior  auf  die  Rad- 
drehung tritt  demnach  ein  bei  einer  Stellung  des  Auges,  bei  der  die 
Blicklinie  sich  dem  Verlauf  seiner  Drehungsachse  nähert,  d.  h.  in  der 
Adduction. 

Hingegen  wird  die  stärkste  Wirkung  des  R.  superior  auf  die  He- 
bung des  Auges  vorhanden  sein,  wenn  die  Blicklinie  senkrecht  auf 
seiner  Drehungsachse  steht,  d.  h.  wenn  die  Blicklinie  stark  nach  aussen 
gerichtet  ist  (Abductionsstellung).  Dieser  Einfluss  der  Blickrich- 
tung auf  die  Wirkung  der  Muskeln  ist  von  hervorragender  Bedeutung 
besonders  bei  Lähmungen.  So  würde  bei  einer  Lähmung  des  R.  superior 
des  linken  Auges,  wenn  der  Blick  stark  nach  innen  gewendet  ist,  eine 
versuchte  Hebung  zwar  erfolgen,  da  in  dieser  Stellung  der  Obliquus  in- 
ferior fast  allein  die  Hebung  besorgt,  aber  mit  unregelmässiger  Rad- 
drehung ( temporalwärts)  verknüpft  sein.  Ist  hingegen  der  Blick  stark 
abducirt,  so  würde  die  Hebung  des  Auges  ausbleiben.  —  Natürlich 
gelten  diese  Betrachtungen  in  gleicher  Weise  für  den  Einfluss  der  Blick- 
stellung auf  die  Wirkung  der  Obliqui;  letztere  heben  oder  senken  das 
Auge  vorzugsweise  bei  Adduction,  rotiren  es  bei  der  Abduction. 

Projection.  Beim  directen  Sehen  wird  die  Macula  lutea  auf  den 
Gegenstand  eingestellt.  Die  Verbindung  des  Objectes  mit  seinem  Netz- 
hautbilde  bezeichnet  man  als  Richtungslinie  (Projections-  oder  Visirlinie). 

Die  Richtungslinien  c  c,,  b  bl  und  a  a:  kreuzen  sich  im  Kreuzungs- 
punkt k  (Figur  163),  der  für  nicht  zu  peripher  gelegene  Punkte  seiner  Lage 
nach  mit  dem  Knotenpunkt  des  Auges  zusammenfällt.  Die  Richtungslinie 
c  c1;  welche  die  Macula  mit  dem  direct  angesehenen  Punkt  c  verbindet, 
fällt  mit  der  Gesichts-  oder  Sehlinie  zusammen  und  geht  durch  den 
Drehpunkt.     Für   die  Richtungslinien  des    indirecten  Sehens  trifft  letz- 


568 


Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 


teres  aber  nicht  zu.  Die  Richtung-  und  Lage  eines  Objectes  im  Räume 
rinden  wir,  wenn  wir  das  Netzhautbild  desselben  mit  dem  Kreuzungs- 
punkt  der  Richtungsstrahlen  verbinden  und  diese  Linie  nach  aussen 
verlängern, 

Ueber  den  Ort  des  Kreuzungspunktes  der  Richtungsstrahlen  bei 
den  verschiedenen  Augenstellungen  und  Blickrichtungen  sind  wir  durch 
den  Nervenimpuls,  den  wir  auf  die  Augenmuskeln  wenden,  genügend 
unterrichtet,  und  so  können  wir  das  central  Gesehene  im  Räume  wenig- 
stens seiner  Richtimg-  nach,  wenn  wir  die  Entfernung  nicht  berücksich- 
tigen, entsprechend  localisiren.  Die  den  peripheren  Netzhautbildern  zu- 
gehörigen Objecte  werden  im  Verhältniss  zu  ihrer  Excentricität  neben 
und  um  das  central  Gesehene  gruppirt:  ein  Vorgang,  der,  psychischer 
Natur,    nur  seine  Anregung   von    der   peripheren  Reizung    erhält.     Im 

Grossen  und  Ganzen  steht  die  Pro- 
jektion der  peripheren  Netzhaut- 
bilder im  Veihältniss  zu  der  ana- 
tomischen Entfernung  des  Netz- 
hautbildes von  der  Macula:  das 
nach  oben  gelegene  Netzhautbild 
wird  nach  unten,  das  nach  rechts 
gelegene  nach  links  projicirt. 
163-  Das    binoculare    Sehen   giebt 

uns,  vorzugsweise  durch  das  Maass 
des  Impulses  zur  Convergenz  der  Augenachsen,  die  factische  Lage  des 
central  fixirten  Objectes,  während  das  monoculare  mehr  auf  die  Rich- 
tung leitet.  Das  Object  liegt  unserer  Anschauung  nach  dort,  wo  die 
Sehlinien  beider  Augen  sich  in  der  Aussenwelt  schneiden. 

Es  wird  demnach  mit  beiden  Augen  einfach  gesehen,  wenn  beide 
Netzhautbilder  auf  denselben  Ort  im  Räume  projicirt  werden.  Es  be- 
ruht dies  auf  einer  unter  Zuhülfenahme  der  anderen  Sinne,  besonders 
des  Tastgefühls,  ursprünglich  gewonnenen  Erfahrung,  die  jetzt  aber  in 
der  Regel  und  Norm  auf  Grund  der  Erfahrung  früherer  Geschlechter 
uns  angeboren  ist.  Im  Grossen  und  Ganzen  —  doch  nicht  ausnahmslos, 
was  besonders  unter  pathologischen  Verhältnissen  hervortritt  — -  sind 
die  Netzhautbilder  beider  Augen,  welche  auf  ein  und  dasselbe  Object 
im  Räume  bezogen  werden,  auch  anatomisch  identisch. 

Legt  man  die  hinteren  Abschnitte  beider  Augen  so  ineinander, 
dass  Macula  auf  Macula  liegt,  so  hat  man  in  den  sich  deckenden  Netz- 
hautpunkten die  anatomisch -identischen.  Letztere  sollen  nach  der  so- 
genannten Identitätslehre  stets  mit  den  phvsiologisch  -  identischen 
correspondiren :  dies  trifft,  wie  oben  bemerkt,  allerdings  meist,  aber 
nicht  immer  zu.     Es  ist  bezüglich  der  Localisation    der  Netzhautbilder 


Physiologische  Wirkung  der  Augenmuskeln.  569 

identisch  die  temporale  Hälfte  des  rechten  Auges  mit  der  nasalen  des 
linken  u.  s.  w.  In  Figur  164  werden  demnach  neben  Punkt  c  auch 
noch  Punkt  a  und  Punkt  b  einfach  gesehen,  weil  sie  ihre  Netzhaut- 
bilder auf  die  identischen  Punkte  ax  und  b,   entwerfen. 

Fallen    die   Netzhautbilder    eines    Gegenstandes    nicht   auf  solche 
correspondirende  Punkte,  so  erscheinen  dieselben  doppelt  (Diplopie).  - 

Bei  normaler  Stellung  beider  Augen  schneiden  sich,  wie  wir  ge- 
sehen, die  Sehlinien  in  dem  fixirten  Objecte.  Wir  behalten  diese  Ein- 
stellung beider  Augen  auf  das  fixirte  Object  in  der  Eegel  auch  bei, 
wenn  ein  Auge  nicht  sieht:  so  z.  B.  wenn  wir  es  mit  der  Hand  be- 
decken. Einmal  wirkt  hier  die  Accommodation,  dann  aber  auch  das  „Con- 
vergenzgefühl"  (Alfr.  Graefe)  oder  der  „Nahezwang"  (Hans  en).  Aber 
leichte  Abweichungen  von  der  Richtungslinie  kommen  dabei  doch  häufig 
vor:  eine  ganz  correcte  Einstellung  beider  Augen 
für  die  Dauer  wird  im  Grossen  und  Ganzen  nur 
durch  den  binocularen  Sehact  gesichert,  der  even- 
tuell  auch  kleine  Schwächen  in  der  Muskelwirkung 
durch  entsprechende  stärkere  Innervation  aus- 
gleicht. Blindgewordene  Augen  pflegen  meist 
nach  einiger  Zeit  abzuweichen:  bei  jugendlichen 
Individuen  nach  innen,  bei  älteren  nach  aussen. 

Weicht  ein  Auge  von  der  richtigen  Stellung 
ab,  so  bezeichnen  wir  dies  als  Schielen.  Wir 
constatiren  die  sichtbare  Abweichung  eines 
Auges  (manifestes  Schielen)  in  der  Weise,  dass 
wir  in  einiger   Entfernung    einen    zu    fixirenden  1"^- 

Gegenstand  vorhalten.     Alsdann  bedecken  wir  das 

eingestellte  Auge  mit  der  Hand  und  beobachten,  ob  das  frei  bleibende 
seine  Stellung  etwa  verändert,  um  sich  einzurichten.  Darauf  kann  man, 
nachdem  beide  Augen  wieder  freigegeben  und  zur  Fixation  veranlasst 
sind,  der  Sicherheit  wegen  dasselbe  Verfahren  auch  mit  dem  anderen  Auge 
vornehmen.  Bei  nicht  correcter  Einstellung  wird  die  zur  Fixation  erfor- 
derliche Stellungsveränderung  (abgesehen  von  etwaigen  einseitigen  Er- 
blindungen oder  den  Fällen,  wo  nicht  mehr  die  Macula  lutea,  sondern  eine 
excentrischeNetzhautpartie  zum  Sehen  benutzt  wird)  deutlich  hervortreten. 
Man  darf  aber  den  Versuch  nicht  so  anstellen,  dass  man  fixiren  lässt, 
während  das  eine  Auge  verdeckt  ist,  und  nun  dieses  freilassend,  das 
andere  sofort  verdeckt.  Hier  wird  öfters  das  früher  verdeckte  Auge 
eine  Einstellungsbewegung  (dynamisches  oder  latentes  Schielen)  machen, 
trotzdem  bei  vorhergegangener  binocularer  Fixation  eine  durchaus 
correcte  Stellung  bestand,    da  im  Interesse    des    binocularen   Sehactes 


570 


Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 


die    kleine   Kraftverschiedenheit    der   Muskeln    durch    einen    erhöhten 
Nervenimpuls  auf  den  schwächeren  Muskel  ausgeglichen  war. 

Nach  den  Hauptrichtungen,  die  das  abgewichene  Auge  einschlägt, 
unterscheidet  man:  1)  Strabismus  eonvergens  s.  internus.  Hier 
schneidet  die  Sehlinie  des  nach  innen  abgelenkten  Auges  die  des  einge- 
richteten vor  dem  fixirten  Gegenstande.  Das  Bild  desselben  fällt  dem- 
nach auf  die  nasale  Netzhauthälfte  dieses  Auges.  Dementsprechend 
wird  es  auf  einen  scheinbar  temporalwärts  befindlichen  Gegenstand  be- 
zogen. Das  Bild  des  linken  Auges  steht  links,  das  Bild  des  rechten 
Auges  steht  rechts.  Derartige  Doppelbilder  nennt  man  gleichnamige 
oder  gleichseitige. 

Es  sei  beispielsweise  das  linke  Auge  nach  innen  gewendet  (Figur  165), 
während  das  rechte  den  Punkt  c  fixirt.  Die  Doppelbilder  würden  als- 
dann nach  der,  bezüglich  pathologischer  Verhält- 
nisse besonders  von  Alfr.  Graefe  und  Nagel 
vertretenen  Projectionslehre  in  folgender  Art 
zu  Stande  kommen. 

Das  Bild  des  Punktes  c,  welches  im  rechten 
Auge  die  Macula  lutea  (m)  trifft,  fällt  im  linken 
Auge  auf  die  innere  Netzhauthälfte  (ct )  und  wird 
dementsprechend  nach  aussen  (links)  auf  einen 
Punkt  c2  projicirt.  Auf  Grund  früherer  Erfah- 
rungen nämlich  weiss  der  Patient,  dass  der  gleich- 
massig  beide  Augen  treffende  Nervenimpuls,  der 
zur  Einrichtung  auf  Punkt  c  erforderlich  ist,  den 
165.  Knotenpunkt  der  Richtungslinien  nach  k  verlegt. 

Die  Lage  von  k  ist  aber  erfahrungsgemäss  für 
beide  Augen  eine  in  der  Weise  übereinstimmende,  dass  die  Verbindungs- 
linie zwischen  Macula  lutea  und  Object  in  jedem  Auge  durch  k  geht. 
Es  wird  demnach  in  beiden  Augen  k  symmetrisch  liegen.  Bei  einer  ab- 
normen Convergenz  des  linken  Auges  (L)  rückt  der  Kreuzungspunkt 
aber  nach  kr  Da  nun  der  Patient  nach  der  ihm  vorschwebenden 
Lage  (k),  nicht  nach  der  reellen  Lage  (kt),  des  Kreuzungspunktes  der 
Richtungsstrahlen  das  Netzhautbild  (ct)  projicirt,  so  wird  er  das  Bild  ^ 
des  linken  Auges  als  einem  Object  entsprechend  auffassen,  das  in  der 
Verlängerung  der  Richtungslinie  c,  k  in  c2  liegt.  —  Bei  der  falschen 
Projection  beim  Lähmungsschielen  wird  weiter  hierauf  eingegangen 
werden. 

2)  Strabismus  divergens  oder  externus.  Die  Sehlinie  des  ab- 
gelenkten Auges  würde  die  Verlängerung  der  Verbindungslinie  zwischen 
Hxirendem  Auge  und  fixirtem  Gegenstand  erst  hinter  letzterem  schneiden; 
das  Auge  ist   nach   aussen  gewendet.     Die  Lichtstrahlen,   welche,   von 


Physiologische  Wirkung  der  Augenmuskeln.  571 

dem  fixirten  Gegenstände  ausgehend,  das  eingestellte  Auge  in  der  Macula 
treffen,  fallen  auf  die  temporale  Seite  des  nach  aussenabgelenkten  Auges. 
Die  Projection  des  Gegenstandes  erfolgt  demnach  von  diesem  Auge 
nasalwärts.  Es  entstehen  ungleichnamige  oder  gekreuzte  Doppel- 
bilder: das  Bild  des  linken  Auges  liegt  rechts. 

3)  Strabismus  deorsum  vergens,  wo  das  abgelenkte  Auge  ab- 
wärts gewendet  ist;  sein  Doppelbild  demnach  über  dem  des  fixirenden 
Auges  steht.  4)  Strab.  sursum  vergens,  wo  das  abgelenkte  Auge 
nach  oben  gewendet  ist,  sein  Doppelbild  also  unter  dem  des  fixirenden 
Auges  steht. 

Künstlich  kann  man  mit  Hülfe  von  Prismen  Schielen 
hervorrufen  und  zwar  vorzugsweise  convergirendes  und  divergirendes. 
Wenn  man  beispielsweise  ein  Prisma  mit  der  Basis  nach  aussen  vor  das 
linke  Auge  legt,  so  werden  die  von  dem  fixirten  Punkte  kommenden 
Strahlen  nach  der  Basis  des  Prismas  hin  abgelenkt,  fallen  also  bei  nor- 
maler Einstellung  des  Auges  nicht  mehr  auf  die  Macula,  sondern  auf 
die  temporale  Hälfte  der  Netzhaut  (vgl.  Figur  18)  und  werden  medial- 
wärts  projicirt:  es  entstehen  ungleichnamige  Doppelbilder.  Ist  aber  die 
Entfernung  dieser  Doppelbilder  voneinander  nicht  zu  gross,  d.  h.  mit 
anderen  Worten,  ist  die  ablenkende  Kraft  des  Prismas  nicht  zu  stark, 
so  bewirkt  der  psychische  Widerwille  gegen  Doppelbilder  ein  entsprechen- 
des Schielen  des  linken  Auges,  wodurch  das  Netzhautbild  wieder  auf 
die  Macula  lutea  gebracht  wird.  Es  wird  das  Auge  zum  Ausgleich 
unter  dem  Prisma  nach  innen  schielen. 

Man  bezeichnet  hiernach  die  Prismen,  welche  mit  der  Basis  nach 
aussen  vorgelegt  werden,  auch  als  Adductionsprismen,  —  sie  ad- 
duciren  das  Auge;  die  Prismen,  welche  mit  der  Basis  nach  innen  vor- 
gelegt ein  Auswärtsschielen  bewirken,  als  Abductionsprismen. 
Die  psychische  Anregung,  welche  im  Interesse  des  Einfachsehens  dieses 
Schielen  veranlasst,  hat  man  Fusionstendenz  genannt.  Die  Stärke 
der  Prismen,  welche  von  den  einzelnen  Individuen  durch  Schielen  über- 
wunden werden  können  (Fusionsbreite),  ist  verschieden.  Sie  hängt 
nicht  nur  von  der  Muskelkraft  der  beanspruchten  Recti,  sondern  auch 
von  dem  psychischen  Widerwillen  gegen  Doppelbilder  ab.  Das  über- 
wundene Prisma  kann  demnach  nicht  ohne  Weiteres  als  ein  Maass  für 
die  Stärke  des  beanspruchten  Muskels  gelten.  Durchschnittlich  wurden 
in  einer  Versuchsreihe  (Becker)  beim  Blick  in  die  Ferne  von  Emme- 
tropen  mit  musculärem  Gleichgewicht  durch  Einwärtsschielen  Prismen 
von  13-2  °,  durch  Auswärtsschielen  von  6-2  °  überwunden.  — 

Von  Xagel  ist  die  durch  vorgelegte  Prismen  bewirkte  Ablenkung  in  Meter- 
winkel berechnet  und  eine  Formel  für  die  gesammte  Fusionsbreite  fConvergenz- 
breite  i  ähnlich  der  Accommodationsbreite  angegeben  worden.     Unter  Meterwinkel 


572  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

)n\\  versteht  Nagel  den  Winkel,  um  welchen  jedes  Auge  sich  beim  binoeularen 
Sehen  ;uis  der  Buhestellung  nach  innen  drehen  muss,  um  ein  1  m  entferntes  in 
der  Medianlinie  liegendes  Öbject  zu  fixiren.  Beim  Blick  auf  i/2  m  Entfernung  be- 
stellt demnach  eine  Convergenz  von  2  mir,  beim  Blick  auf  5  m  Entfernung  eine 
solche  von  '  5  mw.  Wenn  man  die  Nummer  eines  vor  ein  Auge  gehaltenen  und 
im  Interesse  des  Kinfachsehens  überwundenen  Prismas  mit  7  dividirt,  so  erhält 
man  annähernd  die  Ablenkung  in  Meterwinkel,  welche  jedes  Auge  macht:    z.  B. 

14 
Prisma  11°  erfordert  von  jedem  Auge  eine  Drehung  von  -=-  =  2  mw.  Die  Fusions- 
oder Convergenzbreite  (amplitudo  =  a  nach  Landolt)  ist  gleich  der  Differenz 
zwischen  dein  Maximum  und  Minimum  der  Convergenz  (a  =  p  [normaler  Weise 
ungefähr  10  mw]  —  r  [normaler  Weise  =  —  V2  bis  1  mw,  d.  h.  Divergenz  für 
die  Ferne]).  Die  Bestimmung  des  Convergenznahepunktes  c  geschieht,  indem  man 
ein  ( >b  je  et  in  der  Medianlinie  so  lange  nähert,  als  es  noch  einfach  gesehen  wird 
und  dann  die  Entfernung  von  der  Basallinie  der  Augen  misst  (z.  B.  V10  m5  dem- 
nach p  =  10  mw).  Den  Convergenzfernpunkt  giebt  das  Prisma,  welches  beim 
Blick   in  die  Ferne  noch  durch  Divergenz  überwunden  werden  kann   (z.  B.  7°, 

Basis  nach  innen  =   _  =  1  mw;  der  Divergenz  wegen  mit  negativem  Vorzeichen  1. 

Ein  Meterwinkel  beträgt,  wenn  die  Verbindungslinie  der  Drehpunkte  beider  Augen 
64  mm  lang  ist,  durchschnittlich  1IJ50'.  — 

Auf-  und  Abwärtsschielen  im  Interesse  der  Fusion  von  Doppel- 
bildern ist  nur  in  geringem  Grade  möglich;  etwa  entsprechend  einem 
Prisma  von  1°  bis  2  °,  ein  Moment,  das  bei  der  Hebung  des  Doppelt- 
sehens bei  den  verschiedenen  Schielformen  von  Bedeutung  ist.  Es  be- 
stehen jedoch  nicht  nur  individuelle  Verschiedenheiten  sehr  hohen 
Grades;  sondern  es  kommt  auch  in  Betracht,  vor  welches  der  beiden 
Augen  das  Prisma  gelegt  wird.  Da  nur  dieses  in  Schielstellung  rückt, 
so  wird  bei  Verschiedenheit  in  der  Kraft  der  M.  recti  an  den  einzelnen 
Augen  auch  eventuell  ein  verschieden  starkes  Prisma  überwunden  werden 
können,  je  nachdem  dasselbe  vor  das  eine  oder  andere  Auge  gehalten 
wird.  Werden  die  Versuche  mit  sehr  starken  Prismen  längere  Zeit 
fortgesetzt,  so  tritt  Ermüdung  ein  und  die  früher  überwundenen  Prismen 
können  nicht  mehr  durch  Schielen  corrigirt  werden.  Der  Act  der  Ver- 
schmelzung der  Doppelbilder  geht  so  von  Statten,  dass  die  entfernt 
stehenden  Bilder  sich  zuerst  langsam  nähern,  dann  aber  schnell  und 
plötzlich  sich  vereinen.  Nach  Versuchen,  die  ich  angestellt,  dauert  die 
Verschmelzung  der  Doppelbilder  bei  Anwendung  der  stärksten,  von  dem 
betreffenden  Individuum  noch  zu  überwindenden  Adductions-  oder  Ab- 
duetionsprismen  durchschnittlich  2%  Secunde:  doch  bestehen  auch  hier 
grosse  individuelle  Verschiedenheiten. 

Die  Ablenkung  eines  Auges  erfolgt  —  wenn  wir  von  mechanischen 
Verschiebungen  (Luscitas)  durch  Tumoren,  Empyem  der  Stirn-  oder 
( »birkieferhöhle,  Blutergüsse  u.  s.  w.  absehen  —  entweder  dadurch, 
dass    ein    Muskel    gelähmt   wird    (Lähmungsschielen,    Strabismus 


1 


Lähmung  der  Augenmuskeln.  573 

paralyticus)  oder  im  Gegensatz  hierzu  dadurch,  dass  ein  Muskel  — 
sei  es  durch  stärkeren  Nervenimpuls,  vermehrte  Spannung,  durch  über- 
wiegende Kraft  oder  durch  seinen  günstiger  gelegenen  Ansatzpunkt  an 
der  Sclera  —  den  Augapfel  in  seine  Zugrichtung  hinüberzieht.  Man 
bezeichnet  letztere  Form  als  eigentliches,  typisches,  musculäres  oder 
concomitirendes  Schielen.  Beide  erwähnte  Formen  sind  in  ihrem 
Wesen  und  ihrer  Behandlung  so  verschieden,  dass  sie  streng  von- 
einander"" getrennt  werden  müssen. 


B.    Specieller  Theil. 
1.  Lähmung  der  Augenmuskeln. 

I.  Allgemeine  Diagnose. 

Wir  haben  es  mit  Paralysen  und  mit  Paresen*  zu  thun;  danach 
werden  die  einzelnen  diagnostischen  Momente  mehr  oder  weniger  deut- 
lich hervortreten. 

1)  Beschränkung  in  der  Beweglichkeit  nach  der  Zug- 
richtimg des  gelähmten  Muskels  hin.  Bei  Paralysen  tritt  der  Bewegungs- 
defect  sehr  deutlich  hervor,  bei  Paresen  ist  er  bisweilen  kaum  bemerk- 
lich oder  wenigstens  nicht  mit  Sicherheit  nachweisbar.  Letzteres  gilt 
noch  mehr  für  Blickrichtungen,  bei  deren  Zustandekommen  mehrere 
Muskeln  thätig  sind,  so  beim  Blick  nach  oben  und  nach  unten.  Hier 
sind  bei  associirten  Bewegungen  der  Augen  eher  die  abnormen  Rad- 
drehungen des  erkrankten  auffällig,  indem  bei  gleichem  Nervenimpuls 
für  beide  Augen  der  erkrankte  Muskel  in  seiner  Leistung  zurückbleibt. 
Man  erkennt  die  Raddrehungen  besonders,  wenn  man  horizontal  oder 
vertical  verlaufende  Blutgefässe  der  Conjunctiva  bei  den  betreffenden 
Blickrichtungen  ins  Auge  fasst;  sie  zeigen  uns  dann  objectiv  die  Ver- 
schiebung des  horizontalen  und  verticalen  Augenmeridians. 

Die  Prüfimg  der  Beweglichkeit  erfolgt  so,  dass  man  den  etwa 
1 2  Meter  vor  dem  zu  untersuchenden  Auge  gehaltenen  Finger  zuerst 
bei  Schluss  des  anderen  Auges,  aber  darauf  auch  unter  dessen  Mitbe- 
theiligung  so  weit  nach  rechts  und  links,  nach  oben  und  unten  und  in 
intermediären  Richtungen  herüberführt,  als  das  Auge  ihm  folgen  kann. 
Es  ist  hierbei  darauf  zu  achten,  dass  der  Patient  auch  mit  Aufmerk- 
samkeit  den  Finger    ansieht   und   ihn   verfolgt.     Xöthigenfalls   werden 


*  Nach  der  Deutschen  Heeresordnung  machen  zeitig  untauglich  (§  8  Anlage  3) 
Augenmuskellähmungen. 


574  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

entsprechende  kleine  Hülfsmittel,  wie  Knallen  mit  den  Fingern,  Vor- 
halten einer  Uhr  statt  des  Fingers  u.  s.  w.  anzuwenden  sein.  Ist  das  bezüg- 
liche Auge  sehschwach,  so  sind  durch  das  andere  Auge  die  associirten 
Bewegungen  einzuleiten.  Immer  wird  ein  Vergleich  mit  der  Excursions- 
fähigkeit  des  gesunden  Auges  nöthig  sein,  da  die  individuellen  Grenzen 
sehr  verschieden  sind.  Besonders  die  Bewegungen  der  Augen  nach 
oben  sind  bei  verschiedenen  Individuen  --  zum  Theil  aus  Mangel  an 
Uebung  —  sehr  wenig  ausgiebig.  Auch  die  Bewegung  nach  aussen 
sehen  wir  oft  unter  dem  normalen  Maasse;  bei  manchen  Personen  mit 
ganz  gesunden  Beet,  externi  bleibt  der  äussere  Hornhautrand  bei  grösster 
Seitwärtsstellung  selbst  2  bis  2rl2  mm  von  der  äusseren  Lidcommissur 
entfernt.  Verdächtig  auf  pathologische  Ursachen  ist  es,  wenn  die 
äusserste  Blickstellung  nur  stoss-  oder  ruckweise  erreicht  werden  kann, 
jedoch  keinenfalls  entscheidend. 

Selbst  wenn  deutlich  ein  pathologischer  Beweglichkeitsdefect  nach 
einer  Seite  vorhanden  ist,  so  kann  daraus  noch  nicht  sofort  eine  Läh- 
mung des  betreffenden  Muskels  diagnosticirt  werden.  Auch  beim  con- 
comitirenden  Schielen  sind  derartige  Defecte  vorhanden.  Hier  wird 
jedoch  der  Defect  der  Bewegung  nach  einer  Seite  ausgeglichen  durch 
ein  Plus  von  Bewegung  nach  der  entgegengesetzten.  Beim  Lähmungs- 
schielen  hingegen  tritt  ein  factischer  Ausfall  von  Bewegung  ein. 

2)  Schielstellung  der  Augen.  Dieselbe  dürfte,  wenn  sie  ein- 
fach Folge  einer  ausbleibenden  Muskelwirkung  wäre,  eigentlich  nur  ein- 
treten, wenn  die  Blickrichtung  beider  Augen  nach  der  Seite  gewendet 
ist,  wohin  der  gelähmte  Muskel  das  Auge  zu  richten  hat.  Dies  trifft 
in  der  That  bei  ganz  frischen  Lähmungen  meist  zu.  Da  aber  der 
Antagonist  des  gelähmten  Muskels  sein  Gegengewicht  verloren  hat,  zieht 
er  später  in  der  Regel  das  Auge  etwas  zu  sich  hinüber,  und  so  finden 
wir  bei  der  Paralyse  eines  Augenmuskels  in  einem  grossen  Gebiete  des 
gemeinsamen  Blickfeldes  die  Schielstellung.  Ja  es  kann  selbst  überall 
Schielstellung  eintreten,  wenn  der  Antagonist  in  einen  abnormen  Con- 
tractionszustand  geräth,  wenn  sich  also  zum  Lähmungsschielen  ein  eigent- 
liches concomitirendes  Schielen  hinzugesellt. 

Wenn  auch  im  Grossen  und  Ganzen  anzunehmen  ist,  dass  die 
Lähmung  einen  Muskel  des  abgewichenen  Auges  betroffen  haben 
wird,  so  kommen  doch  Ausnahmen  dann  vor,  wenn  das  gesunde  Auge 
sehschwach  ist.  Hier  wird  das  gelähmte  Auge  zur  Fixation  benutzt 
und  das  gesunde  schielt. 

Die  Messung  der  Schielstellung  kann  objeetiv  durch  Messung 
der  Augenablenkung  geschehen  oder  subjeetiv  durch  Messung  der  Ent- 
fernung zwischen  den  auftretenden  Doppelbildern;  bei  letzteren  spielen 
allerdings  noch  mancherlei  Momente  mit,  die  später  besprochen  werden. 


Lähumng;  der  Augenmuskeln. 


575 


Sehr  einfach  ist  die  Messung  der  Sehielstellung  nach  linearem  Maass. 
Bei  Fixation  eines  Gegenstandes,  der  in  bestimmter  Entfernung  in  der 
Mittellinie  vor  die  Augen  gehalten  wird,  misst  man*an  jedem  Auge  die 
Entfernung  in  Millimetern  zwischen  dem  Punkte  des  unteren  Lidrandes, 
der  von  dem  mitten  durch  die  Hornhaut  gehenden  verticalen  Meridian 
des  Auges  getroffen  wird,  und  dem  Thränenpunkte  des- 
selben Lides.  Die  Differenz,  welche  zwischen  beiden 
Augen  bezüglich  dieser  Entfernungen  besteht,  giebt  das 
lineare  Maass  des  Schielens  (beispielsweise  Strabismus 
convergens  von  4  mm  u.  s.  w.).  Man  bedient  sich  hier- 
bei mit  Vorliebe  eines  kleinen  Instrumentes  von  Lau- 
renee  (Strabometer),  das  eine  Maasstheilung  hat  und 
an  «las  untere  Lid  gelegt  wird  (Figur  166).  Man  kann 
die  Messung  auch  so  machen,  dass  man,  wenn  z.  W.  das 
rechte  Auge  fixirt,  den  Strabometer  an  dasselbe  legt 
und  sich  die  Stelle  merkt,  wo  der  senkrechte  Meridian 
der  Cornea  die  Maasstheilung  trifft,  alsdann  das  linke 
Auge  fixiren  lässt  und  die  hierbei  erfolgende  Ablenkung 
des  rechten  Auges  am  Strabometer  feststellt.  Jedoch  ist 
diese  Methode  nicht  immer  zu  benutzen,  weil  beim  concomitirenden 
Schielen  wegen  Sehschwäche  häufig  nur  ein  Auge  den  Gegenstand  ge- 
nau fixiren  kann. 


166. 


Hirsehberg  lässt  nach  einem  30  cm  vom  Patienten  entfernten,  in  der  Median- 
ebene vorgehaltenen  Licht  blicken  und  betrachtet  die  von  den  Hornhäuten  ent- 
worfenen Eefiexbilder.  Bei  genauer  Einstellung  stehen  sie  beiderseits  in  der 
Mitte  der  Pupille;  schielt  ein  Auge,  so  rückt  das  betreffende  Cornealbild  nach 
der  Peripherie  zu :  fällt  es  gerade  auf  den  Hornhautrand,  so  ist  es  um  den  halben 
Hornhautdurchmesser  (circa  6  min)  von  dem  Pupillencentrum  entfernt;  es  besteht 
demnach  ein  Strabismus  von  6  mm.  Auch  nach  Winkelgraden  kann  man  das 
Schielen  bestimmen,  d.  h.  man  giebt  den  Winkel  an,  den  die  Blickrichtung  des 
schielenden  Auges  mit  derjenigen  Blickrichtung,  die  bei  richtiger  Einstellung  vor- 
handen sein  würde,  am  Drehpunkte  des  Auges  bildet.  Der  betreffende  Winkel- 
grad lässt  sich  am  Perimeterbogen  ablesen,  wenn  man  den  Drehpunkt  des  schie- 
lenden Auges  in  den  Mittelpunkt  des  Perimeterkreises  bringt  und  von  dem  anderen 
Auge  bei  gerader  Kopfhaltung  die  auf  dem  0- Punkt  des  Bogens  stehende  Marke 
fixiren  lässt.  Man  braucht  alsdann  nur  durch  Visiren  von  dem  Perimeterbogen 
aus  festzustellen,  auf  welchen  Grad  desselben  das  schielende  Auge  gerichtet  ist. 
45'   Schielwinkel  entsprechen  etwa  ß  mm  linearer  Ablenkung. 


a)  Der  Grad  des  Schielens  nimmt  zu,  wenn  der  fixirte  Gegen- 
stand in  die  Richtung  der  Zugwirkung  des  gelähmten  Muskels  gebracht 
wird,  verkleinert  sich  bei  entgegengesetzter  Richtung.  Bei  den  Muskeln, 
deren  Wirkung  nicht  nur  in  einer  Ablenkung  der  Blicklinie,  sondern 
auch  in  einer  Raddrehung  besteht    (wie  R.  superior    und   inferior    und 


,">it;  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

vor  Allem  die  Übliqui),  wird  das  Schielen,  d.  h.  die  Ablenkung  der  Bliek- 
linic,  besonders  bei  derjenigen  intermediären  Augenstellung  hervortreten, 
bei  welcher  die  Wirkung  auf  Höhenablenkung  dem  gelähmten  Muskel 
zufallt,  z.  B.  bei  Lähmung  des  Obliquus  superior  wird  das  Auge  beim 
Blick  nach  unten  vorzugsweise  dann  zurückbleiben,  wenn  es  vorher 
nasalwärts  gerichtet  wurde. 

b)  Der  primäre  Schielwinkel  ist  nicht  gleich  dem  secun- 
dären.  Wenn  man  einen  Gegenstand,  der  etwa  in  der  Mittellinie  sich 
befindet,  mit  beiden  Augen  fixirt,  so  wird,  falls  das  gesunde  Auge  fixirt, 
das  gelähmte  um  ein  lineares  Maass  abweichen;  beispielsweise  bei  Läh- 
mung des  R.  externus  des  linken  Auges  wird  ein  Strabismus  convergens 
desselben  eintreten.  Wir  wollen  diese  Ablenkung  als  primären  Schiel- 
winkel (etwa  gleich  a)  bezeichnen.  Veranlasst  man  nun  das  erkrankte 
linke  Auge  zur  Einstellung  auf  denselben  Gegenstand,  indem  man  das 
rechte  Auge  zeitweise  verdeckt,  so  wird  die  jetzt  associirt  eintretende 
convergirende  Schielstellung  des  rechten  Auges  (secundärer  Schielwinkel) 
grösser  (a  +  x)  werden,  als  früher  die  Ablenkung  des  linken  Auges  war. 
Es  bedarf  nämlich,  um  den  paretischen  R.  externus  des  linken  Auges  zu 
der  für  die  Fixation  des  Gegenstandes  erforderlichen  Contraction  zu 
bringen,  eines  sehr  hohen  Nervenimpulses ;  dieser  trifft  in  gleicher  Stärke 
den  associirten  R.  internus  des  gesunden  Auges  und  bewirkt  nunmehr 
eine  hochgradige  Contraction  desselben  und  damit  stärkere  Ablenkung 
dieses  Auges. 

3)  Doppelbilder.  Die  meist  plötzlich  und  in  einem  Lebensalter, 
in  welchem  der  binoculare  Sehact  bereits  ausgebildet  ist,  auftretenden 
AugenmuskeUähmiingen  bewirken,  dass  die  bei  der  Schielstellung  auf 
nicht-identische  Netzhautpunkte  fallenden  Bilder  des  fixirten  Objectes 
zu  Doppeltsehen  Veranlassung  geben.  Ist  die  Abweichung  des  schielen- 
den Auges  sehr  gering,  so  wird  an  Stelle  eines  wirklichen  Doppeltsehens 
nur  ein  Verschwommensein  der  Gegenstände  wahrgenommen.  Die 
Klage  über  derartige  Sehstürungen  bildet  beim  Lähmungsschielen,  im 
Gegensatz  zum  concomitirenden  Schielen,  fast  die  Regel.  Allerdings 
kommen  beim  concomitirenden  Schielen  auch  gelegentlich  spontaji  auf- 
tretende Doppelbilder  vor,  besonders  bei  Erwachsenen. 

Gewöhnlich  ist  das  Bild  des  abgelenkten  Auges,  da  es  auf  eine 
periphere  Netzhautstelle  fällt,  matter  und  weniger  scharf  als  das  dos 
eingestellten  Auges ;  es  wird  gelegentlich  auch  als  „Seheiiibild1-  im 
Gegensatz  zu  dem  vom  fixirenden  Auge  gelieferten  „wahren"  Bilde  be- 
zeichnet. 

Um  sich  aber  genau  darüber  zu  unterrichten,  welchem  Auge  das 
eine  oder  andere  Doppelbild  angehört  —  oder  auch  um  etwa  unter- 
drückte Doppelbilder  wieder  hervorzurufen  — ,  hält  man  vor  ein  Auge 


Lähmung  der  Augenmuskeln.  577 

ein  rotkes  Glas  und  lässt  nach  einem  Kerzenlicht  blicken.  Man  wird 
bei  verschiedener  Sehschärfe  beider  Augen  oder  auch  bei  dauernder 
Ablenkung  des  einen  Auges  gut  thun,  vor  das  besser  sehende  oder  das 
dauernd  eingerichtete  Auge  das  Glas  zu  halten,  weil  die  Gläser  Licht 
absorbiren  und  auf  diese  Weise  eine  schon  herabgesetzte  Sehschärfe 
noch  mehr  gemindert  würde.  Werden  nicht  sofort  die  entsprechenden 
Doppelbilder  angegeben,  so  lässt  man  durch  Verdecken  des  eingestellten 
Auges  zuerst  die  Aufmerksamkeit  auf  das  Bild  des  abgelenkten  oder 
schwachsichtigen  Auges  concentriren  und  zieht  dann  schnell  mit  der 
Frage,  ob  nicht  nunmehr  ein  zweites  Bild  hinzutrete,  von  dem  bisher 
verdeckten  Auge  die  Hand  fort.  Doch  finden  diese  Hülfsmittel  vor- 
zugsweise beim  concomitirenden  Schielen,  wenn  spontan  keine  Doppel- 
bilder wahrgenommen  werden,  ihre  Stelle.  Versagen  auch  sie,  so  er- 
hält man  hier  noch  zuweilen  Angaben  über  Doppelbilder,  wenn  man 
durch  Prismen  mit  der  Basis  nach  oben  oder  nach  unten  vor  ein  Auge 
gehalten,  künstlich  Doppelbilder  schafft,  welche  Höhendifferenzen  haben. 

Bei  der  Prismenanwendung  ist  immer  zu  beachten,  dass  die  ab- 
lenkende Kraft  derselben  eine  verschieden  starke  ist,  je  nach  der  Rich- 
tung, in  der  man  durch  dieselben  nach  einem  Gegenstand  blickt:  ob 
wir  ihn  also  mit  gerader,  gehobener  oder  gesenkter  Blickrichtung  an- 
sehen. —  Besonders  bei  Lähmungsschielen,  wo  man  die  Prismen  auch 
zur  Differenzirung  des,  je  dem  einen  oder  anderen  Auge  gehörigen 
Doppelbildes  benutzen  könnte,  sind  sie  nicht  zu  empfehlen,  da  die  be- 
wirkte Höhenablenkung  nicht  selten  die  schon  schwierigen  Verhältnisse 
der  Lage  der  Doppelbilder  weiter  complicirt. 

Die  Entfernung  der  Doppelbilder  steht  in  der  Regel  in  einem  ent- 
sprechenden Verhältnisse  zur  Ablenkung  des  gelähmten  Auges.  Man 
pflegt  sie  für  eine  bestimmte  Entfernung  und  Blickstellung  in  Meter- 
maass  zu  bestimmen.  Auch  nach  Winkelgraden  lässt  sie  sich  niitVor- 
theil  angeben,  indem  der  Patient  sich  so  setzt,  dass  die  Mitte  seiner 
Basallinie  den  Mittelpunkt  einer  Perimeterhalbkugel  einnimmt.  Wird 
nun  eine  weisse  Kugel  oder  ein  Licht  in  der  Mitte  des  Perimeterbogens 
Coder  auch  seiflich,  um  die  Doppelbilder  bei  seitlichen  Blickrichtungen 
zu  bestimmen)  gehalten  und  vom  Kranken  fixirt,  so  kann  dieser  die 
Lage  des  gesehenen  Doppelbildes  am  Perimeter  und  somit  denWinkel- 
grad  der  Abweichung  desselben  bezeichnen.  Für  grössere  Entfernungen 
wird  eine  entsprechende  Projection  der  Winkelgrade  auf  eine  ebene 
Wandfläche  (Landolt,  Hirschberg)  erforderlich. 

Da  beim  Lähmungsschielen  die  Ablenkung  des  einen  Auges  zunimmt, 
sobald  der  fixirte  Gegenstand  in  eine  Richtung  gebracht  wird,  die  der 
Zugrichtung  des  gelähmten  Muskels  entspricht,  so  weichen  alsdann  auch 
die  Doppelbilder  auseinander,  bei  der  Blickwendung  in  entgegengesetzter 

Schmidt-Rimpler.     7.  Auflage.  37 


578  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

Richtung  nähern  sie  sich  immer  mehr.  Im  Gegensatz  hierzu  bleiben 
beim  conconiitirenden  Schielen  die  Doppelbilder  bei  den  verschiedenen 
Blickrichtungen  in  stets  gleicher  Entfernung  voneinander.  — 

Das  Auftreten  und  die  Distanz  der  Doppelbilder  ist  beim  Lähmungs- 
schielen  gewöhnlich  verschieden,  je  nachdem  man  die  Untersuchung  mit 
einer  Blickrichtung,  in  der  noch  Einfachsehen  besteht,  beginnt,  oder  von 
entgegengesetzter  Richtung  ausgeht.  Im  ersten  Falle  werden  die  Doppel- 
bilder wegen  der  Fusionstendenz  erst  später  auftreten.  Auch  werden 
seitliche  Doppelbilder,  die  auf  einer  Lähmung  des  R.  internus  oder  ex- 
ternus  beruhen,  eine  etwas  andere  Distanz  haben,  wenn  man  sie  bei 
gehobener  oder  gesenkter  Blickrichtung  bestimmt,  da  physiologisch  bei 
Senkung  der  Blicklinie  die  R.  interni  ein  gewisses  Uebergewicht  haben, 
bei  Hebung  die  R.  externi. 

4)  Falsche  Projection  der  Gegenstände  seitens  des  ge- 
lähmten Auges.  Es  wurde  schon  oben  erwähnt,  dass  die  Projection 
des  Netzhautbildes  in  die  Aussenwelt,  seine  Localisation  in  derselben, 
nicht  allein  von  der  örtlichen  Lage  des  Netzhautbildes  abhängt,  sondern 
dass  hier  Erfahrungen,  die  sich  an  Augenbewegungen  u.  s.  w.  knüpfen, 
mitsprechen.  Dies  zeigt  sich  sehr  deutlich  bei  plötzlichen  Muskel- 
lähmungen durch  folgenden  Versuch.  Ist  beispielsweise  der  R.  externus 
des  linken  Auges  gelähmt,  so  lässt  man  einen  etwas  nach  links  befind- 
lichen Gegenstand  von  diesem  Auge,  bei  Schluss  des  anderen,  fixiren 
und  heisst  den  Kranken,  mit  seinem  Zeigefinger  schnell  auf  den  Gegen- 
stand stossen.  Während  unter  normalen  Verhältnissen  mit  Leichtig- 
keit der  Gegenstand  getroffen  wird,  so  stösst  jetzt  der  Kranke  mit 
seinem  Finger  links  an  dem  Gegenstande  vorbei.  Es  erklärt  sich  dies 
so.  Die  Richtung  der  Projection  des  Objectes  wird  durch  die  Lage  des 
Netzhautbildes  und  die  des  Kreuzungspunktes  der  Richtungslinien  be- 
stimmt; über  letzteren  aber  giebt  uns  der  auf  die  Contraction  des  Ex- 
ternus gerichtete  Nervenimpuls  Auskunft.  Wird  das  erkrankte  linke 
Auge  auf  das  Object  mittels  des  paretischen  Externus  eingestellt,  so 
bedarf  es  eines  erheblich  höheren  Nervenimpulses  als  früher.  Dieser 
täuscht  den  Kranken  auch  über  die  Lage  des  Kreuzungspunktes;  der- 
selbe dünkt  ihm  erheblich  mehr  nach  links  hinüber  gerückt,  Dement-1 
sprechend  verlegt  er  die  Projectionslinie  ebenfalls  mehr  nach  links. 

Auch  der  Gesunde  verfällt  dieser  Täuschung,  wenn  er  vor  ein  Auge  — 
bei  Schluss  des  andern  —  ein  stark  brechendes  Prisma  (beispielsweise  von  -M" 
T.asis  nach  innen i  gelegt  hat.  und  jetzt  mit  einem  Finger  schnell  auf  den  fixirten 
Gegenstand  stnsst.  Er  wird  immer  nach  aussen  vorbeifahren,  da  er  hei  der  Ein- 
stellung der  Sehlinie  (d.  h.  der  Macula  lutea)  auf  das  Ohject  jetzt  (las  Auge  un- 
gewohnt stark  nach  aussen  wenden  muss,  indem  sonst  das  Prisma  die  Strahlen 
auf  die  innere  Netzhauthälfte  wirft.    Der  Finger  muss  übrigens  rasch  vorgestossen 


Speeielle  Diagnose  der  Lähmungen.  579 

werden,  weil  er  andernfalls  auf  seinem  Wege  von  Punkt  zu  Punkt  eontrolirt  wird 
und  so  bisweilen  richtig  das  Object  trifft.  Bei  öfterer  Wiederholung  des  Ver- 
suches kann  allmählich  eine  Correction  dieser  falschen  Vorstellung  eintreten. 

5)  Schwindelerscheinungen.  Dieselben  beruhen  zum  Theil 
auf  der  erwähnten  falschen  Protection,  zum  Theil  auf  den  störenden 
Doppelbildern. 

6)  Bei  einzelnen  Patienten  zeigt  sich  bei  längerem  Vorhandensein  der 
Lähmung  eine  eigenthümliche  Kopfhaltung,  welche  in  einer 
Drehung  des  Kopfes  besteht,  die  dem  Kranken  ermöglicht,  das  gerade 
vor  ihm  Befindliche  einfach  zu  sehen.  Diese  Kopfdrehung  wird  demnach 
erfolgen  um  eine  Achse,  welche  senkrecht  steht  zur  Zugwirkung  des 
gelähmten  Muskels  und  zwar  mit  einer  Gesichtswendung,  die  dem  ge- 
lähmten Muskel  zugerichtet  ist.  Bei  den  Hebern  und  Senkern  des  Auges 
kann  in  Folge  dessen  gelegentlich  auch  eine  Neigung  des  Kopfes  nach 
der  Schulter  zu  Stande  kommen.  — 

Die  Augenmuskellähmungen  kommen  isolirt  oder  combinirt  vor;  in 
letzterem  Falle  sind  mehrere  theils.  von  demselben  Nerven  (Oculomo- 
torius),  theils  von  verschiedenen  Nerven  versorgte  Muskeln  zu  gleicher 
Zeit  befallen.  Nach  Alfr.  Graefe's  Zusammenstellung,  die  mit  ander- 
weitigen Beobachtungen  übereinstimmt,  wird  isolirt  der  Rectus  externus 
(Abducens)  am  häutigsten  gelähmt-,  in  zweiter  Linie  steht  der  Obliquus 
superior  ( Trochlearis). 

Speeielle  Diagnose. 

Wir  supponiren  bei  den  Erklärungen  und  Angaben  der  Raddrehungen, 
dass  das  linke  Auge  befallen  sei.  Zur  Fixation  benutzen  wir  einen 
vertical  gehaltenen  Gegenstand,  z.  B.  eine  Kerze.  In  den  beigefügten 
Abbildungen    der  Doppelbilder  ist    das  Scheinbild  schattirt  gezeichnet. 

Paralyse  oder  Parese  des  R.  externus  sinister. 
Linksseitige  1)    Beweglichkeitsdefect    beim    Blick    nach   Rechtsseitige 

Lähmung.        ,.    ,  Lahmung. 

links. 


L     b 


L 


2)  Strabismus    convergens    in     der    linken 
Hälfte  des  Blickfeldes,  zunehmend  bei  stark  nach 

166.       links  gerichtetem  Blick.  167. 

3)  Gleichnamige,    nebeneinander     stehende 
Doppelbilder,    die    beim  Blick   nach   links    weiter  auseinander   gehen, 
beim    Blick    nach    rechts  mehr    aneinander    rücken,    beziehentlich   ver- 
schwinden. 

Bisweilen  werden  auch  kleine  Höhendifferenzen  angegeben,  die  von 

37* 


580  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

dem  dynamischen  Uebergewicht  eines  nach  oben  oder  nach  unten 
ziehenden  Muskels  abhängen;  bei  Aufhebung  des  gemeinschaftlichen 
Sehens  kann  letzteres  zur  Geltung  kommen.  Wenn  die  Höhenunter- 
schiede bei  Hebung  und  Senkung  des  fixirten  Objectes  nicht  zu-  oder 
abnehmen,  so  ist  die  Annahme  einer  Lähmung  des  betreffenden  Hebers 
oder  Senkers  ausgeschlossen. 

Parese  und  Paralyse  des  R.  internus  sinister. 

r    L  1)    Beweglichkeitsdefect    beim    Blick    nach       R    L 

j        rechts. 

U     i  2)  Strabismus  divergens  in  der  rechten  Hälfte       " 

irk  ■  •  169 

ioö.        c|eg  Blickfeldes,  zunehmend  bei  nach  rechts   ge- 
richtetem Blick. 

3)  Gekreuzte,  nebeneinanderstehende  Doppelbilder,  die  beim  Blick 
nach  rechts  weiter  auseinander,  beim  Blick  nach  links  mehr  aneinander 
rücken,  beziehentlich  verschwinden.  Auch  hier  sind  zuweilen  kleine 
Höhendifferenzen  vorhanden. 

Parese- und  Paralyse  des  Obliquus  superior  sinister. 

1)  Der  Beweglichkeitsdefect  des  gelähmten  linken  Auges  tritt  am 
meisten  hervor  beim  Blick  nach  unten  in  der  Adductionsstellung  (also 
Blick  nach  innen-unten),  indem  dasselbe  hier  etwas  nach  oben  und  innen 
im  Vergleich  zum  anderen  Auge  steht.  Es  kommt  nach  den  früher  ge- 
machten Ausführungen  unter  normalen  Verhältnissen  in  der  Adductions- 
stellung vorzugsweise  die  Zugkraft  des  Obliquus  superior  nach  aussen- 
unten  zur  Geltung,  die  jetzt  ausfällt.  Beim  Blick  nach  unten  hingegen 
in  der  Abductionsstellung  (d.  h.  also  beim  Blick  nach  unten-aussen)  tritt 
eine  abnorme  Raddrehung  des  Auges  hervor,  indem  jetzt  der  in  antago- 
nistischem Sinne  wirkende  R.  inferior  das  Uebergewicht  bekommt  und 
das  obere  Ende  des  verticalen  Meridians  (V.  M.)  —  d.  h.  des  Meridians, 
dessen  Ebene  senkrecht  durch  die  Mitte  der  Pupille  geht  —  nach  links 
(negativ)  dreht.  (Bei  Lähmung  des  rechten  Auges  würde  die  Raddrehung 
positiv  ausfallen.) 

2)  Ein    leichter    Strabismus    convergens     et     v 
sursum  vergens  in  der  unteren  Hälfte  des  Blick-      I     R 
feldes.  U    % 

3)  Beim  Blick  nach  unten  treten  gleichnamige  * 
170                                                                                                                 171. 

I  )o|>pclbilder  auf,  das  Bild  des  linken  Auges  steht 

etwas  tiefer  und  ist  in  der  Weise  schief  gestellt,  dass  es  sich  mit  seinem 
oberen  Ende  dem  des  rechten  zuneigt.     In  der  Adductionsstellung  nimmt 


Specielle  Diagnose  der  Lähmungen. 


581 


Linkes  Auge 
Normale  Stellung 


die  Höhendifferenz  zu,  in  der  Abductionsstellung  die  Schiefheit.  Der 
Kranke  sieht  die  Doppelbilder,  wie  sie  in  Figur  170  gezeichnet  sind. 
Der  Höhenunterschied  der  Bilder  erklärt  sich  dadurch,  dass  das  ge- 
lähmte Auge  nach  oben  zurückbleibt.  Der  fixirte  Gegenstand  wirft 
demnach  sein  Bild  nicht  auf  die  Macula  lutea;  sondern  auf  einen  Punkt 
der  oberen  Netzhauthälfte,  Die  Projection  der  scheinbaren  Lage  des 
Gegenstandes  erfolgt  demnach  umgekehrt  nach  unten  hin. 

Die  Schiefheit  des  Bildes  erklärt  sich  aus  der  negativen  Raddrehung. 
Wenn  von  einem  senkrechten  Gegenstand  bei  normaler  Stellung  des 
Auges  das  umgekehrte  Bild  (Figur  172  b  c  a)  sich  auf  der  Netzhaut  des 
linken  Auges  in  dem  gerade  durch  die  Macula  lutea  gehenden  verticalen 
Meridian  befindet,  so  wird  bei  einer  negativen 
Rollung  dieser  verticale  Meridian  jetzt  schräg 
zu  stehen  kommen  und  zwar  mit  seinem  oberen 
Theil  temporalwärts  (Figur  172  der  untere  Kreis). 
Es  fällt  nunmehr  der  obere  Theil  des  Bildes 
(b  c)  in  den  oberen-inneren  Quadranten  (1)  der 
Netzhaut,  diese  Hälfte  des  verticalen  Gegen- 
standes wird  also  nach  unten-aussen  projicirt; 
der  untere  Theil  des  Bildes  (ca)  fällt  in  den 
unteren-äusseren  Quadranten  (3),  und  es  wird 
diese  Hälfte  des  Gegenstandes  demnach  nach 
oben-innen  projicirt.  Es  erscheint  der  Gegen- 
stand dem  kranken  Auge  von  oben-innen  nach 
unten-aussen  zulaufen  oder  mit  anderen  Worten, 
er  erscheint  schräg,  wie  in  Figur  160  die  linke 
schraffirte  Kerze  und  ist  mit  seinem  oberen 
Ende  nasalwärts  gerichtet.  Es  ist  bei  diesen 
Zeichnungen  zu  erwägen,  dass  Figur  172  so  dar- 
gestellt ist,  wie  ein  Beobachter,  der  vor  dem  erkrankten  Auge  steht,  das 
Netzhautbild  sehen  würde.  Figur  170  giebt  uns  die  Doppelbilder,  wie 
sie  dem  Patienten  erscheinen.  —  Einzelnen  Kranken  kommt  es  so 
vor,  als  ob  das  Bild  des  gesunden  Auges  schräg  stehe.  Es  wird  von 
ihnen  demnach  das  Bild  des  linken  Auges  als  gerade,  hingegen  das  des 
rechten  Auges  als  schräg  stehend  und  zwar  mit  dem  oberen  Ende 
nasalwärts  gerichtet,  angegeben.  Sehr  häufig  wird  das  tieferstehende 
Bild  des  kranken  Auges  als  näher  liegend  bezeichnet  (v.  Graefe)- 
Dieselbe  Erscheinung  tritt  auch  bei  anderen  Lähmungen  auf,  wenn  ein 
Bild  tiefer  steht.  Auch  dem  normal  Sehenden  erscheint  von  überein- 
anderstehenden  Doppelbildern  eines  fernstehenden  Objectes  (künstlich 
durch  Vorlegen  eines  Prismas  erzeugt)  das  tieferstehende  deutlich  näher 
und  kleiner:  je  geringer  die  Differenz  in  der  Höhe  ist,  um  so  geringer 


Lähmung  des  Obliq.  sup. 

172. 


582  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

erscheint  auch  die  Differenz  in  der  Entfernung.  Es  entspricht  dies 
unseren  sonstigen  Erfahrungen.  Für  gewöhnlich  nämlich  entwerfen  die 
mit  gesenktem  Blick  betrachteten  Gegenstände,  welche  näher  als  das 
tixirte  Object  liegen,  ihr  Bild  auf  der  oberen  Netzhauthälfte  (Förster). 
So  z.  B.  beim  Schreiben  der  untere  uns  näher  liegende  Rand  des 
Papiers.  Aber  auch  bei  anderen  Blickrichtungen  trifft  dies  öfters  zu,  so 
beim  Blick  in  die  Ferne,  wo  die  niedrigen  Gegenstände,  über  die  wir 
dabei  fortblicken,  ebenfalls  sich  auf  der  oberen  Netzhauthälfte  abbilden. 
Aus  dieser  Erfahrung  entwickelt  sich  unter  den  uns  unbekannten  und 
neuen  Verhältnissen  einer  bezüglichen  Lähmung  oder  beim  Vorhalten 
eines  Prismas,  wie  oben  angegeben,  die  Täuschung,  dass  das  tiefere  Bild 
das  nähere  sei. 

Ausnahmsweise  können  bei  Trochlearislähmung  auch  ungleichnamige 
Doppelbilder  auftreten,  wenn  nämKch  die  Rect.  interni  stark  insufticient 
sind  und  die  früher  im  Interesse  des  Einfachsehens  unterdrückte  In- 
sufficienz  nunmehr  manifest  wird.  Derartige  Muskel-Insufficienzen,  die 
schon  bei  der  Lähmung  der  Rect.  externi  und  interni  Erwähnung  ge- 
funden, compliciren  nicht  selten  die  Symptome  der  Lähmungen  und 
erschweren  ihre  Deutung. 

Parese  und  Paralyse  des  Rectus  inferior  sinister. 

1)  Der  Beweglichkeitsdefect  tritt  am  meisten  hervor  beim  Blick  nach 
unten  in  der  Abductionsstellung  des  gelähmten  Auges  (der  Blick  nach 
unten-aussen  gerichtet),  indem  dasselbe  etwas    nach  aussen   rückt   und 

nach  oben  zurückbleibt.      Wie    bei    der  Betrach- 

Ötung  der  Wirkung  der  einzelnen  Muskelgruppen  ^ 

hervorgehoben,    beeinflussen   die  Recti  inferiores         ^    J 
|       und  superiores  in  der  Abductionsstellung  Vorzugs-       M 
j^o         weise  die  Höhenbewegungen  des    Auges.      Beim        174. 
Blick     nach     unten    in    der    Adductionsstellung 
hingegen    ti'itt    mehr    die    abnorme  Raddrehung    hervor,    da   durch   die 
Lähmung    dem  Obliqu.    superior    sein    Antagonist    genommen    ist   und 
jener  nunmehr  das  obere  Ende  des  V.  M.  nasalwärts  wendet. 

2)  Ein  leichter  Strabismus  divergens  et  sursums  vergens  in  der 
unteren  Hälfte  des  Gesichtsfeldes. 

3)  Beim  Blick  nach  unten  treten  ungleichnamige  Doppelbilder  auf, 
das  Bild  des  linken  Auges  steht  etwas  tiefer  und  ist  in  der  Weise  schief 
gestellt,  dass  es  sich  mit  seinem  oberen  Ende  dem  des  gesunden  zuneigt. 
In  der  Ahductionsstellung  nimmt  die  Höhendifferenz  zu,  in  der  Ad- 
ductionsstellung die  Schiefheit.  Der  Kranke  sieht  die  Doppelbilder, 
wie  sie  in  Figur  173  gezeichnet  sind.  (Bei  rechtsseitiger  Lähmung  wie 
Figur   174). 


Specielle  Diagnose  der  Lähmungen.  583 

Die  Schiefheit  erklärt  sich  aus  der  positiven  Raclclrehuiig.  Das 
Netzhautbild  des  verticalen  Gegenstandes  fällt  jetzt  mit  seinem  oberen 
Theil  auf  den  äusseren-oberen  Quadranten;  der  untere  Tbeil  des  Gegen- 
standes, von  dem  das  Bild  herrührt,  wird  demnach  nach  unten-innen 
projicirt.  Hingegen  fällt  der  untere  Theil  des  Netzhautbildes  in  den 
inneren-unteren  Quadranten;  entgegengesetzt  projicirt  erscheint  der 
obere  Theil  des  Gegenstandes  nach  oben-aussen  gerichtet. 

Da  die  Bilder  gekreuzt  stehen,  so  wird  das  Bild  des  linken  Auges 
(L)  sich  mit  seinem  oberen  Ende  dem  des  rechten  zuwenden. 

Das  Bild  des  gelähmten  Auges  steht  näher. 

Parese  und  Paralyse  des  Obliquus  inferior  sinister. 

1)  Der  Beweglichkeitsdefect  tritt  am  meisten  hervor  beim  Blick  nach 
oben  in  der  Adductionsstellung  des  gelähmten  Auges,   indem   dasselbe 
etwas  nach  innen  geht  und  nach  unten  zurückbleibt.    Beim  Blick  nach 
.  oben   in   der  Abductionsstellung   tritt   besonders 

R      die  abnorme  Raddrehung  hervor:  der  V.  M.  wird      l      * 
nasalwärts  gedreht.  5 


2)    Ein   leichter   Strabismus    convergens     et 
deorsum  vergens  in  der  oberen  Hälfte  des  Blick- 
feldes. 

3)  Beim  Blick  nach  oben  treten  gleichnamige  Doppelbilder  auf,  das 
Bild  des  gelähmten  Auges  steht  etwas  höher  und  ist  in  der  Weise  schief 
gestellt,  dass  es  sich  mit  seinem  oberen  Ende  von  dem  des  gesunden 
abwendet.  In  der  Adductionsstellung  nimmt  die  Höhendifferenz  zu,  in 
der  Abductionsstellimo-  die  Schiefheit. 


Parese  und  Paralyse  des  Rectus  superior  sinister. 

1)  Der  Beweglichkeitsdefect  tritt  am  meisten  hervor  beim  Blick 
nach  oben  in  der  Abductionsstellung  des  gelähmten  Auges,  indem  das- 
selbe etwas  nach  aussen  rückt  und  nach  unten  zurückbleibt.  Beim  Blick 
r  nach  oben  in  der  Adductionsstellung  tritt  beson- 
ders abnorme  Raddrehung  hervor:  der  V.  M.  wird 


temporalwärts  gewendet.  \    l 

2)    Ein     leichter    Strabismus    divergens    et 
11 7.        deorsum  vergens  in  der  oberen  Hälfte  des  Blick-        -^~^ 

feldes. 
3)  Beim  Blick  nach  oben  treten  gekreuzte  Doppelbilder  auf,  das  Bild 
-  gelähmten  Auges  steht  etwas  höher  imd  ist  mit  seinem  oberen  Ende 
von  dem  Bilde  des  gesunden  Auges  abgekehrt. 


584  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 


Lähmung-  des  Oculomotorius. 

Da  der  Lev.  palpebr.  superioris,  Sphincter  iridis,  Tensor  cliorioideae 
und  sämmtliche  äusseren  Augenmuskeln  mit  Ausnahme  des  R.  externus 
und  Obliquus  superior  bei  totaler  Oculomotoriuslähmung-  ausser  Func- 
tion sind,  steht  das  Auge  in  leichter  Abductionsstellung;  öfters  ist  es 
etwas  nach  vorn  gerückt  (Exophthalmus  paralyticus).  Die  Pupille  ist  er- 
weitert, die  Accommodation  aufgehoben  und  das  obere  Lid  hängt  herab. 
Eine  Bewegung  des  Bulbus  ist  nur  nach  aussen  möglich;  nach  unten 
kommt  dieselbe  nicht  zu  Stande,  da  der  Obliquus  superior  bei  der 
vorhandenen  Abductionsstellung  des  Auges  vorzugsweise  auf  die  Rad- 
drehung  wirkt.  — 

Eigenartig  ist  das  Bild  der  sogenannten  „recidi  vir  enden  Ocu- 
lomotoriuslähmungen",  das  von  den  bei  gewissen  Allgemeinerkrank- 
ungen, wie  Lues  und  Tabes,  ebenfalls  gelegentlich  in  Rückfällen  sich 
zeigenden  Lähmungen  zu  trennen  ist.  Es  handelt  sich  bei  den  recidi- 
virenden  Oculomotoriuslähmungen  um  das  Befallensein  des  Oculomo- 
torius einer  Seite,  in  allen  oder  einzelnen  Aesten,  dessen  Lähmung  nach 
ihrem  verhältnissmässig  schnellen  Rückgange  in  grösseren  oder  kleineren 
Zeiträumen  sich  immer  wieder  von  Neuem  einstellt.  Auch  in  der 
Zwischenzeit  bleiben  meist  leichtere  Lähmungsspuren  zurück.  In  fast 
allen  Fällen  gehen  Schmerzen  in  der  betreffenden  Kopfseite  dem  An- 
fall voraus,  sehr  oft  unter  migräneartigen  Symptomen  (Migraine  ophthal- 
mopk'gique,  Charcot).  In  seltenen  Fällen  werden  später  andere  Nerven 
(Abducens,  Trigeminus)  ebenfalls  einbezogen.  Bei  einer  Section  von 
Kar  plus   fand  sich  ein  Neurofibrom  des  Oculomotorius. 


Multiple  Lähmungen. 

Erschwert  wird  die  Diagnose,  inwieweit  der  einzelne  Muskel  be- 
theiligt ist,  in  den  Fällen,  wo  multiple  Lähmungen  an  demselben  Auge 
theils  in  der  Gestalt  der  Paralysen,  theils  der  Paresen  auftreten.  Auch 
bei  beide  Augen  treffenden  Lähmungen  erwachsen  oft  Schwierigkeiten. 
So  können  in  Fällen,  wo  beide  R.  externi  gleichmässig  gelähmt  sind, 
gleichnamige  Doppclbilder  auftreten,  die  im  Blickfelde  ähnlich  wie  bei 
concomitirendem  Schielen  ihre  gleiche  Entfernung  beibehalten;  lateral- 
wärts  werden  sie  aber  beiderseits  stärker  auseinander  weichen.  Ferner 
hat  man  Personen  beobachtet,  bei  denen  sich  eine  symmetrische,  schliess- 
lich vollständige  Lähmung  der  Muskeln  beider  Augen  entwickelte,  ohne 
dass  ein  eigentliches  Schielen  entstand  (v.  G-raefe).  Die  Diagnose  mul- 
tipler Lähmungen  beruht  vorzugsweise  auf  Feststellung  der  Beweglich- 


Specielle  Diagnose  der  Lähmungen.  585 

keitsdefecte,  da  die  Zerlegung  der  auftretenden  Doppelbilder  meist  zu 
complieirt  ist.  —  Sind  eine  Reihe  von  Muskelnerven  eines  Auges  oder 
einzelne  an  beiden  Augen  gelähmt,  aber  unter  Erhaltung  der  Accommo- 
dation  und  Pupillencontraction,  so  spricht  man  von  Ophthalmoplegia 
exterior  (Hutchinson,  Mautkner),  sind  hingegen  die  den  Ciliar- 
muskel  und  die  Iris  versorgenden  Fasern  des  Oculomotorius  allein  afti- 
cirt,  von  Ophthalmoplegia  interior. 

C  o  n  j  u  gir t  e  A  b  1  e  n  k  u  n  g.     C  o  n  v  e  r  g  e  n  z  1  ä  h  m  u  n  g. 

Die  pathologischen  conjugirten  Ablenkungen  rinden  meist  nach  den 
Seiten  hin  statt,  seltener  nach  oben  oder  unten.  Es  handelt  sich  in 
der  Regel  um  Contracturen  der  associirten  Muskeln,  welche  von  Reizungen 
deroben  erwähnten  cerebralen  Centren  ausgehen.  Prevo  st  glaubte,  ausden 
conjugirten  Ablenkungen  der  Augen  bestimmte  Schlüsse  auf  die  Lage 
des  Krankheitsherdes  ziehen  zu  können.  Bei  den  gewöhnlichen  apoplek- 
tischen  Hemiplegien  sind  die  Augen,  wie  auch  der  Kopf  oft  nach  der 
nichtgelähmten  Seite,  also  nach  der  Stelle  der  Hirnläsion  gewendet. 
Richten  sich  hingegen  die  Augen  nach  der  gelähmten  Seite,  so  soll  die 
Störimg  ihren  Sitz  im  Mittelhirn,  vom  Tuber  cinereum  bis  zur  Medulla 
oblongata,  GrosshmischenkelundBilickenschenkel  eingeschlossen,  haben. 
Jedoch  kommt  diesen  Sätzen  keine  allgemeine  Gültigkeit  zu  (B  ernhar  dt). 
Neben  den  Apoplexien  veranlassen  auch  Encephalitis,  eitrige  Meningitis 
der  Convexität,  progressive  Paralyse  und  Hirntumoren  diese  Deviation. 

Die  Convergenzlähmung  zeigt  sich  darin,  dass  bei  Annäherung 
eines  Objectes  in  der  Mittellinie  die  Augen  nicht  darauf  convergiren 
können,  sondern  starr  stehen  bleiben;  hingegen  ist  die  Function  der 
R.  interni  normal,  wenn  die  Augen  nach  rechts  oder  links  gerichtet 
werden.  Entsprechend  der  mangelnden  Bewegung  treten  gekreuzte 
Doppelbilder  auf.  Es  wird  übrigens  öfters  von  Convergenzlähmung  ge- 
sprochen, wo  nur  eine  Insufficienz  der  R.  interni  vorliegt:  bei  letzterer 
pflegt  zwar  in  der  Regel  ein  Auge,  den  sich  nähernden  Gegenstand 
fixirend,  zu  convergiren,  während  das  andere  nach  aussen  abweicht, 
aber  ausnahmsweise  divergiren  auch  schon  frühzeitig  beide  Augen. 
Auch  hier  hat  die  associirte  Seitenbewegung  keine  Störung  erlitten. 
Der  diagnostische  Unterschied  ist  darin  zu  suchen,  dass  bei  wirklicher 
Convergenzlähmung  die  Convergenztendenz  schon  in  grosser  Entfernung 
vom  Auge  ausbleibt:  auch  nimmt  hier  nicht,  wie  bei  der  Insufficienz 
der  R.  interni,  die  Kraft  der  Externi  zu.  Als  Ursache  der  eigentlichen 
Convergenzlähmung  nimmt  man  eine  Störung  in  den  supponirten  ner- 
vösen Centren  flu'  die  Convergenzinnervation  an:  die  Affection  findet 
sich  bisweilen  bei  sonst   gesunden  Individuen,  die  allerdings  häufig  an 


586  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

S  cli  windeige  fühlen  leiden.  -  -  Entgegengesetzt  der  Convergenzlälimnng 
kann  gelegentlich  die  aecommodative  Convergenzbcwegung  fortbestehen, 
während  die  assoeiirte  Nasalbewegung  bei  Seitwärtsführung  des  Objectes 
vollständig  ausbleibt  (Hunnius,  Moebius). 

III.  Verlauf  und  Ausgang. 

Die  Lähmungen  können  sich  zurückbilden  oder  stationär  werden 
In  letzterem  Falle  kommt  es  bisweilen  zu  einer  vollständigen  Contraction 
des  antagonistischen  Muskels,  der  das  Auge  zu  sich  herüberzieht  und 
fast  unbeweglich  fixirt  (paralytische  Contractur).  Bleibt  nach  Rückgang 
der  Lähmung  noch  eine  vermehrte  Spannung  des  Antagonisten,  so 
haben  wir  das  Bild  des  concomitirenden  Schielens,  oder  auch  des 
latenten,  wenn  die  Spannung  des  Antagonisten  so  gering  ist,  dass  eine 
im  Interesse  des  Einfachsehens  stattfindende  vermehrte  Innervation  des 
früher  gelähmten  Muskels  eine  exaete  Stellung  beim  binocularen  Sehen 
erzielt. 

Man  darf  am  ehesten  den  Rückgang  einer  Lähmung  erwarten,  wenn 
sie  auf  periphere  Ursachen,  die  der  Behandlung  zugänglich  sind,  so 
etwa  rheumatische,  zurückzuführen  ist;  aber  auch  hier  dauert  die  Hei- 
lung Monate  lang.  Vorzugsweise  häufig  ist  in  dieser  Weise  der  Abducens 
befallen.  Treten  die  Lähmungen  an  beiden  Augen  auf  und  in  der  <  re- 
stalt von  Paresen,  so  ist  die  Vermuthung  eines  centralen  Leidens  nahe- 
liegend und  damit  die  Prognose  bedenklich. 

IV.  Aetiologie. 

Die  Augennerven  können  ausserhalb  des  Gehirns  in  ihrem  orbitalen 
und  cerebralbasalen  Verlauf  erkranken.  Im  Gehirn  selbst  zwischen 
Austritt  aus  dem  Gehirn  und  den  Nervenkernen  (fasciculäre 
Lähmungen,  Dufour)  und  in  den  Kernen  (Nuclearlähmung).  Hier- 
zu kommen  noch  die  eigentlichen  cerebralen  Lähmungen. 

Liegt  die  Ursache  in  der  Orbita,  so  handelt  es  sich  meist  um 
Folgen  von  Traumen,  um  Knochenaffection  oder  Tumoren.  Gewöhnlich 
leitet  Exophthalmus,  subconjunctivaler  Blutcrguss,  Schmerzhaftigkeit, 
oder  das  Fühlen  einer  Geschwulst  beim  Eingehen  mit  dem  Finger,  auf 
die  Diagnose.  Oeftcrs  sind  mehrere  Nerven  getroffen  und  selten  ist  die 
Lähmung  vollständig.  Eine  vollständige  Lähmung  des  Nerven  spricht 
mehr  für  einen  Proccss  an  der  Basis  cranii;  hier  werden  oft  mehrere 
Nerven  einer  Seite  nacheinander  befallen,  mit  Einschluss  des  Opticus. 
Doch  kommen  auch  Ausnahmen  vor:  selbst  im  basalen  Verlauf  des 
<  leulomotoriusstammes  können  bei  Läsionen  gerade  die  Aeste  verschont 


Verlauf,  Ausgang.    Aetiologie.  587 

bleiben,  welche  Aecommodation  und  Pupille  versorgen.  Ebenso  können 
mehrere  Augennerven  und  der  ( )ptieus  ohne  basale  Erkrankung  gleich- 
zeitig befallen  sein;  wenn  Allgemeinerkrankungen  des  centralen  Nerven- 
systems Avie  Tabes,  multiple  Sclerose,  allgemeine  Paralyse  etc.  vorliegen. 
Bei  den  Nuclearlähmungen  handelt  es  sich  oft  um  Ophthalmoplegia 
interior  oder  exterior.  Auch  beobachtet  man  nicht  selten  ein  Fort- 
sehreiten der  Lähmung  auf  andere  Augennerven.  Der  Krankheitspro- 
eess  besteht  meist  in  einer  progressiven  Poliencephalitis,  die  bei 
chronischem  Verlaufe  allmählich  eine  vollständige  Augenmuskellähmung 
herbeiführen  kann.  Die  Affeetion  bietet  so  eine  gewisse  Analogie  zu 
der  Bulbärparalyse,  wo  auch  eine  Reihe  functionell  verknüpfter  Nerven- 
kerne (N.  hypoglossus,  glossopharyngeus,  einzelne  Facialisäste  etc.)  nach 
und  nach  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden.  Die  acute  Poliencepha- 
litis  kann  schnell  zum  Tode  führen. 

Im  Allgemeinen  sprechen  für  eine  cerebrale  Lähmung:  a)  conjugirte  Ab- 
lenkungen, seien  sie  Folge  eines  Krampfes  oder  einer  Lähmung  assoeiirt  wir- 
kender Muskeln:  b)  Lähmung  gleichartiger  oder  in  gleicher  Richtung  wirkender 
Muskeln  an  beiden  Augen:  jedoch  kommen  auch  doppelseitige  symmetrische  Läh- 
mungen vor.  die  basaler  Natur  sind;  c)  nacheinander  auftretende  Lähmungen 
einzelner  Muskeln,  die  der  Lage  der  einzelnen  Nervenkerne  entsprechen.  Auch 
die  Flüchtigkeit  der  Lähmungen,  sowie  ihre  Unvollständigkeit  sprechen  mehr  für 
cerebralen  Sitz.  Dazu  kommen  dann  sonstige  Symptome  der  Hirnerkrankung. 
So  wurden  Lähmungen  der  für  die  äusseren  Augenmuskeln  bestimmten  Oculomo- 
toriusäste  mit  contralateraler  Hemiplegie  verknüpft,  bei  AfTectionen  des  Hirnschenkels 
gefunden:  besteht  eine  Abducenslähmung  unter  gleichen  Umständen,  so  ist  an 
Ponserkrankungen  zu  denken:  hier  sind  meist  auch  noch  Trigeminus  und  Facialis 
betheiligt.  Nach  Haemorrhagien  oder  Erweichungen  in  der  Gegend  der  Corpora 
quadrigemina  können  gekreuzte  Hemiplegie  neben  Oculomotoriuslähmungen  sich 
zeigen:  diese  treffen  hier  auch  meist  die  Pupillenäste  des  Nerven.  Ptosis  allein 
wurde  öfters  bei  corticalen  Erkrankungen  gesehen,  ebenso  die  Lähmung  des 
Augenfacialis.  Letzterer  bleibt  meist  verschont  bei  der  Bulbärparalyse  und 
bei  Hemiplegien  nach  Apoplexia  sanguinea. 

Von  mechanischen  Ursachen,  die  auf  die  Nerven  wirken,  sind  Ge- 
schwülste, Basisfracturen  (besonders  oft  wird  der  Abducens  durch 
Brüche  des  Felsenbeines  oder  Blutungen  an  dieser  Stelle  getroffen 
[Panas]),  Exostosen,  Periostitis,  Aneurysmen  (so  Riss  der  Carotis  im 
Sin.  cavernosus,  vergl.  pulsirender  Exophthalmus),  gummöse  Menin- 
gitis und  sonstige  Exsudate  besonders  zu  nennen.  Hirntumoren, 
Blutungen,  Encephalitis,  disseminirende  Hirnsclerose,  Atrophie  der 
Ganglienzellen,  graue  Degeneration  der  Hinterstränge  des  Rückenmarks 
führen  zu  centralen  Augenmuskel-Lähmungen,  deren  Diagnose  in  der 
Regel  durch  sonstige  pathologische  Erscheinungen  gesichert  ist.  Aber  es 
scheint,  dass  auch  vorübergehende  Hyperämien  und  Anämien  zu  Paresen 
führen  können,  die  alsdann,  meist  nicht  alle  Fasern  des  Nerven  treffend. 


588  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

wieder  schwinden,  um  gelegentlich  an  anderen  Stellen  wieder  aufzu- 
tauchen. Derartige  leichtere  Lähmungen  bilden  bisweilen  Vorläufer 
.schwerer  Hirn-  oder  Rückenmarkserkrankungen.  Doch  treten  auch  völlige 
Heilungen  ein;  besonders  bei  jüngeren  Individuen  habe  ich  Paresen, 
selbst  doppelseitige,  bei  denen  eine  centrale  Ursache  (Nuclear-Affeetionen) 
angenommen  werden  musste,  wieder  zurückgehen  sehen,  ohne  dass  bei 
einer  Jahre  langen  Beobachtung  andere  cerebrale  Symptome  sich  zeigten. 
In  anderen  Fällen  sind  mit  Sicherheit  Erkältungen  nachweisbar:  so 
sieht  Jemand  schweisstriefend  aus  dem  Wagenzuge  eines  Eisenbahn- 
zuges, wird  von  dem  scharfen  Zugwinde  getroffen  und  bekommt  darauf 
eine  Lähmung  des  Abducens.  Oefters  begleiten  gleichseitige  Kopf- 
schmerzen die  rheumatischen  Lähmungen.  Bei  vielen  Kranken  ist 
Syphilis  die  Ursache.  In  selteneren  Fällen  tritt  nach  Diphtheritis  (eine 
fast  vollständige  Ophthalmoplegie  beiderseits  wurde  von  Mendel  mit- 
getheilt),  Diabetes,  Influenza  oder  nach 'Blutvergiftung  eine  Augenmuskel- 
lähmung auf;  ebenso  kommen  hysterische  und  angeborene  Lähmungen 
zur  Beobachtung.  — 

Eine  directe  Schwächung  der  Augenmuskeln  sehen  wir  bei  Orbi- 
talphlegmonen, bei  Geschwülsten,  nach  Traumen  und  bei  Trichinosis 
entstehen. 


V.  Therapie. 

Die  Behandlung  wird  sich,  soweit  es  angeht,  gegen  die  ursäch- 
lichen Momente  zu  richten  haben.  Bei  rheumatischen  Lähmungen  ist 
im  Beginn  ein  diaphoretisches  Verfahren,  Schwitzcuren,  Pilocarpin- 
einspi'itzungen,  Salicylsäure  u.  s.  w.  angezeigt,  später  wird  Jodkali  ge- 
geben. Auch  örtliche  Blutentziehungen,  ableitende  Hautreize  (Jod- 
tineturbepinselungen,  Veratrinsalbe  auf  Schläfe  und  Stirn)  sind  am 
Platze.  Bei  Syphilis  ist  unter  gewissen  Verhältnissen  eine  Schmier- 
oder Spritzcur  mit  Sublimat  indicirt.  Doch  hüte  man  sich  damit  vor- 
zugehen, wenn  etwa  schon  atrophische  Sehnervenaffectionen  das  Leiden 
eompliciren.  Hier  ist  Jodkali  zu  geben,  ein  Mittel,  das  in  steigender 
Dosis  und  in  Verbindung  mit  Galvanisation  des  Sympathicus  auch 
bei  Nuclear-Lälimungen  empfohlen  wird.  Später  kann  man  die  Elek- 
tricität  local  anwenden,  indem  man  von  einem  nicht  zu  starken  in- 
ducirten  Strome  beide  Pole  auf  die  geschlossenen  Lider  in  die  Gegend 
des  gelähmten  Muskels,  oder  auch  die  Kathode  dieses  oder  des  con- 
stanten  Stromes  (etwa  1  bis  2  Milliamperes),  direct  über  dem  Muskel 
.iiif  die  cocainisirte  Conjunctiva  setzt.  Michel  hat  empfohlen,  in  der 
Weise  den  geliilimten  .Muskel  orthopädisch  zu  behandeln,  dass  man  die 
Conjunctiva  über  dem  Antagonisten  mit  einer  Pincette  fasst,  das  Auge 


Therapie.  589 

nach  der  betreffenden  Seite  herüberzieht  und  diese  Bewegungen  syste- 
matisch wiederholt.  Auch  Stryehnininjeetionen  in  die  Schläfe  sind  zu 
versuchen. 

Um  die  Beschwerden  der  Kranken,  welche  durch  das  Auftreten 
der  Doppelbilder  bedingt  sind,  zu  heben,  lasse  man  sie  eine  Brille 
tragen,  bei  der  das  Glas  vor  dem  kranken  Auge  mit  Pflaster  verklebt 
oder  sonst  undurchsichtig  gemacht  ist.  Auch  undurchsichtige  Monocles 
sind  für  Liebhaber  geeignet.  Wollte  man  das  gesunde  Auge  verdunkeln, 
so  würde  die  falsche  Protection,  wie  wir  oben  gesehen,  dem  Kranken 
Schwindelgefühl  und  Unbehagen  verursachen.  In  besonders  unange- 
nehmer Lage  sind  Patienten  mit  Ungleichheit  der  Sehkraft  beider 
Augen,  wenn  das  sehkräftigere  und  für  gewöhnlich  benutzte  Auge  von 
der  Lähmung  befallen  ist. 

Ferner  könnte  man  daran  denken,  durch  Prismen  die  Doppel- 
bilder zur  Verschmelzung  zu  bringen.  Dieselben  müssten  so  vorgelegt 
werden,  dass  die  Lage  der  Prismabasis  der  Zugwirkung  des  gelähmten 
Muskels  entspricht.  Besteht  beispielsweise  Lähmung  des  linken  Ab- 
ducens,  so  werden  die  entstehenden  gleichnamigen  Doppelbilder  ver- 
einigt durch  ein  Prisma  mit  der  Basis  temporalwärts  vor  das  linke 
Auge  gelegt;  dasselbe  lässt  das  linke  Doppelbild  nasalwärts  herüber- 
rücken. 

[Zur  leichteren  und  schnelleren  Orientirung  über  die  Wirkung  der 
Prismen  kann  man  sich  merken,  dass  das  entsprechende  Doppelbild 
sich  immer  auf  der  Seite  befindet,  nach  welcher  die  brechende  Kante 
gerichtet  ist.] 

Bestehen  Höhenunterschiede  neben  seitlichem  Abstand  der  Doppel- 
bilder, so  niuss  durch  ein  weiteres  Prisma,  Basis  nach  oben  oder 
unten,  der  Höhenunterschied  ausgeglichen  werden.  Man  erreicht  dies 
bisweilen  auch  durch  schräge  Haltung  eines  und  desselben  Prismas. 
Wenn  ein  Prisma  von  einem  bestimmten  Winkelgrade  gefunden  ist, 
das  die  Doppelbilder  zum  Verschmelzen  bringt,  so  könnte  es  in  ein 
Brillengestell  gesetzt  und  getragen  werden.  Falls  das  Prisma  aber 
stärker  als  etwa  5  Grad  ist,  wird  es  zu  schwer  und  giebt  unangenehme 
Farbenränder.  In  der  Regel  vertheilt  man  die  Wirkung  auf  beide 
Augen,  indem  man  vor  jedes  ein  Prisma  von  der  halben  »Stärke  setzt. 
Also  wenn  Prisma  10  Grad,  Basis  nach  aussen,  vor  das  linke  Auge 
gehalten  die  Doppelbilder  vereinigt,  legt  man  vor  beide  Augen  ein 
Prisma  von  5  Grad,  Basis  nach  aussen.  Es  wird  hierdurch  das  Bild 
des  linken  und  des  rechten  Auges  nasalwärts  verschoben. 

Abgesehen  davon,  dass  oft  erst  sehr  starke  und  deshalb  praktisch 
nicht  mehr  verwendbare  Prismen  die  Vereinigung  der  Doppelbilder  er- 
zielen,  so  spricht  gegen  ihre  Anwendung  auch  noch,   dass  sie  nur  für 


590  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

eine  ganz  bestimmte  Blickrichtung  genügen,  während  gerade  beim 
Lähmungsschielen  die  Ablenkung  des  Auges  je  nach  der  Blickrichtung 
erheblich  wechselt. 

Meist  wird  man  daher  von  ihrer  Benutzung  zu  diesem  Zwecke 
absehen  müssen.  Hingegen  werden  sie  zu  orthopädischen  Uebungen  bis- 
weilen verwendet.  Man  rückt  nämlich  durch  Prismen  die  Doppelbilder 
so  dicht  aneinander  (ohne  sie  jedoch  mechanisch  zur  vollen  Deckung 
zn  bringen),  dass  das  Interesse  des  Einfachsehens  angeregt  wird:  eine 
stärkere  Innervation  des  paretischen  Muskels  soll  alsdann  die  Ver- 
schmelzung bewirken.  Bequemer  ist  das  Verfahren,  dass  man  einen 
Gegenstand  (z.  B.  den  eigenen  Finger)  aus  dem  Gebiete  des  Einfachsehens 
vor  den  Augen  in  das  Gebiet  des  Doppelsehens  hinüberführen  lässt  mit 
dem  Auftrage,  möglichst  lange  das  Einfachsehen  festzuhalten.  Doch 
ist  bei  beiden  Versuchen  darauf  zu  achten,  dass  man  nicht  durch  Ueber- 
anstrengung,  wie  leicht  möglich,  die'  paretischen  Muskeln  übermüdet 
und  damit  schwächt.  Es  dürfen  derartige  Versuche  höchstens  einige 
Male  hintereinander  angestellt  werden.  Benutzt  man  zur  Uebung  Pris- 
men, so  geht  man  allmählich  zu  schwächeren  über,  um  eine  immer 
stärkere  Contraction  des  paretischen  Muskels  anzuregen. 

Operative  Eingriffe,  von  denen  die  Tenotomie  des  Antagonisten  am 
kranken  Auge  (äquilibrirende)  oder  des  assoeiirten  Muskels  am  gesunden 
Auge  (compensatorische  Operationen)  oder  endlich  die  Vorlagerung  des 
geschwächten  Muskels  in  Frage  kommen  kann,  werden  meist  nur  in  den 
Fällen  gemacht,  wo  nach  abgelaufener  Lähmung  sich  eine  seeundäre 
Spannungszunahme  des  Antagonisten  gebildet  hat  oder  die  Lähmung 
stationär  geworden  ist:  eine  zu  frühzeitige  Ausführung  derselben  würde 
bei  etwaigem  Rückgang  der  Lähmung  Schielen  nach  entgegengesetzter 
Richtung  zur  Folge  haben.  Alfred  Graefe  empfiehlt  für  das  Con- 
vergentschielen  nach  Abducensparalyse  die  Tenotomie  des  assoeiirten 
Rectus  internus  des  gesunden  Auges  oder  bei  höheren  Schielgraden  die 
Combination  derselben  mit  einer  Rücklagerung  des  Internus  am  kranken 
Auge.  Ist  der  Abductionsdefect  neben  entwickelter  Secundärconvergenz 
ein  sehr  bedeutender,  so  ist  sogar  die  Vorlagerung  des  gelähmten  Ab- 
ducens  unter  Entfernung  eines  Endstückes  seiner  Sehne  damit  zu  ver- 
binden. Aehnliches  winde  von  Lähmungen  des  Rectus  internus  gelten. 
Bei  Lähmung  des  Obliquus  superior  tenotomirt  man  den  Rectus  inferior 
des  gesunden  Auges,  der  als  dem  Obl.  superior  assoeiirt  zu  betrachten 
ist;  bei  Lähmung  des  Obliqu.  inferior  den  R.  superior  der  anderen 
Seite.  Bei  Schwächezuständen  des  R.  superior  und  R.  inferior  bleibt 
um'  die  Vorlagerung  dieser  Muskeln  übrig. 


Strabismus  concomitans.  591 


2.  Strabismus  concomitans  (musculäres  Schielen). 

Die  (im  Gegensatz  zum  paralytischen  Schielen  auftretenden)  Ab- 
lenkungen eines  Auges  von  dem  fixixten  Object,  welche  in  Folge  von 
grösserer  Zugkraft  eines  Muskels  oder  Spannimgsvermehrung  oder  auch 
abnormer  Schwäche  des  Antagonisten  zu  Stande  kommen,  führen  die  Be- 
zeichnung concomitirendes  Schielen  deshalb,  weil  das  abgelenkte  Auge 
das  tixirende  bei  den  verschiedenen  Blickrichtungen  begleitet*). 


I.  Allgemeine  Diagnose. 

Als  unterscheidende  Momente  gegenüber  dem  paralytischen  Schielen 
kommen  folgende  in  Betracht: 

1)  Beim  concomitirenden  Schielen  ist  kein  eigentlicher  Beweg- 
lichkeit sdefe et  vorhanden.  Zwar  ist  häufig  bei  der  Einzelprüfung 
des  abgelenkten  Auges  die  Beweglichkeit  in  der  dem  ablenkenden  Muskel 
entgegengesetzten  Richtung  etwas  verringert.  Die  Gesammtausdehnung 
des  Blickfeldes  ist  aber  normal,  indem  eine  gewisse  Verschiebung  des 
Gebietes  zu  Gunsten  des  stärker  contrahirten  Muskels  besteht.  In  der 
Regel  lässt  sich  Aehnliches,  wenn  auch  nicht  in  dem  Maasse,  bezüglich 
des  Blickfeldes  des  nicht  schielenden  Auges  constatiren;  auch  hier  pflegt 
der  gleichnamige  Muskel  (etwa  bei  Strab.  convergens  der  Rect.  internus) 
stärkeren  Einfluss  auf  den  Bewegungsbogen  des  Auges  zu  üben. 

2)  Schielstellung,  a)  Der  Schielgrad  bleibt  gleich  gross  durch 
das  ganze  Blickfeld.  Führt  man  z.  B.  bei  Strab.  convergens  eine  Licht- 
flamme in  horizontaler  Ebene  von  rechts  nach  links,  so  ist  der  Grad 
der  Ablenkimg  überall  ein  gleicher.  Damit  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dass  bei  der  Einstellung  auf  verschiedene  Entfernungen  der  Grad  des 
Schielens  wechselt;  ja  selbst  bei  der  Einstellung  auf  dieselbe  Entfernung 
und  dasselbe  Object  kann  das  schielende  Auge  gelegentlich  stärker  oder 
weniger  stark  abgelenkt  sein.  Besonders  häufig  ist  dies  beim  Strab. 
convergens  der  Hyperopen  der  Fall,  wo  die  grössere  oder  geringere  Ac- 
commodationsspannung  und  das  grössere  oder  geringere  Interesse,  scharfe 
Xetzhautbilder  zu  gewinnen,  ihren  Einfluss  auf  die  Contraction  der  M. 
recti  intemi  in  grösserem  oder  geringerem  Grade,  wie  später  noch  ge- 
nauer darzulegen  ist,  ausüben,    b)  Der  Primär schielwinkel  ist  gleich  dem 


*  Deutsche  Heeresordnung.  Bedingt  tauglich  (§  7,  Anlage  2;  Landsturm 
1.  Aufgebots,  nur  ausnahmsweise  Ersatzreserve; :  h)  Schielen,  wenn  beim  Gerade- 
aussehen des  einen  Auges  das  andere  mit  dem  Hornhautrande  den  inneren  oder 
äusseren  Lidwinkel  berührt.  —  (§  7.  Anlage  1:  Ersatzreserve;  jedoch  ist  die  Aus- 
heb ung  zum  activen  Dienst  keineswegs  ausgeschlossen; :  f)  Schielen  geringeren  Grades. 


592  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

Secundärwinkel.  Da  es  sich  um  eine  bei  allen  Blickrichtungen  gleich- 
bleibende Kraftzunahme  des  ablenkenden  Muskels,  nicht  um  eine  Läh- 
mung des  Antagonisten  handelt,  so  wird,  falls  das  abgelenkte  Auge  ein- 
gerichtet wird,  der  erforderliche  Nervenimpuls  in  gleicher  Weise  und 
mit  demselben  Effect  auf  den  assoeiirten  Muskel  des  anderen  Auges 
wirken.  Besteht  beispielsweise  am  linken  Auge  bei  Strabism.  convergens 
eine  Ablenkung  von  4  mm,  so  wird  zur  Einstellung  dieses  Auges  auf 
den  fixirten  Gegenstand,  was  man  durch  vorübergehendes  Verdecken 
des  rechten  Auges  bewirken  kann,  der  R.  externus  des  linken  Auges 
einen  entsprechenden  Nervenimpuls  erhalten,  der  in  gleicher  Weise  auf 
den  assoeiirten  R.  internus  des  rechten  Auges  wirkend,  das  rechte  Auge 
um  4  mm  nach  innen  ablenkt.  Uebrigens  kommen  gelegentlich  kleine 
Differenzen  vor,  besonders  bei  Verschiedenheit  der  Refraction  beider 
Augen.  Sie  stehen  dann  in  Verbindung  mit  dem  grösseren  oder  ge- 
ringeren Accommodationsimpuls,  den  das  eine  oder  andere  Auge  fordert. 
Dieser  Accommodationsimpuls  aber  beeinflusst  in  gewissem  Grade  auch 
die  Convergenz Stellung.  Auch  ist  weiter  zu  erwägen,  dass  bisweilen 
bei  dem  dauernd  abgelenkten  Auge  nicht  die  Macula  zum  Fixiren  be- 
nutzt wird,  sondern  eine  excentrisch  davon  liegende  Netzhautstelle. 
Dies  hat  natürlich  auch  Einfluss  auf  das  Maass  der  seeundären  Schiel- 
ablenkung. 

3)  Da  der  Schielwinkel  gleich  bleibt,  behalten  auch  die  Doppel- 
bilder, wenn  sie  vorhanden  sind,  eine  gleiche  Entfernung  durch  das 
ganze  Blickfeld.  Doch  werden  spontan  nur  selten  Doppelbilder  an- 
gegeben. Es  beruht  dies  darauf,  dass  in  der  Regel  schon  in  früher 
Jugend  das  concomitirende  Schielen  sich  entwickelt,  wo  die  mangelhafte 
Beobachtungsgabe  das  Auftreten  der  Doppelbilder  meist  nicht  zum 
Ausdruck  kommen  lässt.  Dass  sie  aber  anfänglich  vorhanden  sind,  da- 
für spricht  —  neben  den  Angaben  intelligenter  Kinder  —  der  Umstand, 
dass  Erwachsene,  die  von  concomitirendem  Schielen  befallen  werden, 
ganz  regelmässig  über  Doppelbilder  klagen.  Auch  kommt  hinzu,  dass 
in  der  Jugend  die  Doppelbilder  eher  wieder  verschwinden  werden,  da 
der  binoculare  Sehact  sich  noch  nicht  so  zwingend  und  unabänderlich 
festgesetzt  hat.  Dieses  Verschwinden  der  Doppelbilder  geht  in  der 
Regel  so  vor  sich,  dass  das  Bild  des  abgelenkten  Auges  verschwindet, 
indem  sich  die  Aufmerksamkeit  ganz  auf  das  Bild  des  eingestellten 
Auges  concentrirt.  Der  Ausdruck,  dass  das  Bild  des  anderen  Auges 
^unterdrückt^  wird,  ist  nicht  voll  bezeichend:  die  Unterdrückung  als 
solche  ist  keine  active  Thätigkeit,  sondern  ist  nur  die  Folge  der  ver- 
mehrten und  angestrengten  Aufmerksamkeit  auf  das  von  dem  fixirenden 
Auge  Gesehene. 


Strabismus  conoomitans,  allgemeine  Diagnose.  593 

Dass  auch  bei  normalem  Sehen  das  völlige  Abstrahiren  von  dein,  dem  einen 
Auge  gebotenen  Sehobjecte  möglich  ist.  beobachtet  man  trotz  Offenhaltens  beider 
Augen  beim  Mikroskopiren  und  Ophthalmoskopiren  genügend  oft.  Ebenso,  wenn 
man  etwa  eine  Schrift  liest,  während  man  durch  ein  Blatt  Papier,  in  der  Mittel- 
linie des  Gesichtes  gehalten,  das  dem  rechten  Auge"  Gebotene  von  dem,  was  das 
linke  Auge  sieht,  scheidet.  Je  nach  der  Seite,  auf  welche  die  Aufmerksamkeit 
sieh  richtet,  wird  mit  dem  rechten  oder  dem  linken  Auge  gelesen.  Wenn  nun  in 
der  Jugend  das  eintretende  Schielen  zu  einer  absichtlichen  Unterdrückung  des 
störenden  Doppelbüdes,  das  im  Uebrigen  im  schielenden  Auge  wegen  seiner  ex- 
centrischen  Laue  schwächer  ist,  führt,  wenn  absichtlich  ein  monoculares  Sehen 
geübt  wird,  so  ist  es  verständlich,  dass  bei  der  weiteren  körperlichen  und  geisti- 
gen Entwicklung  die  Fähigkeit,  die  Netzhautbilder  beider  Augen  zu  gleicher  Zeit 
im  Geiste  zu  verarbeiten  und  zum  Bewusstsein  zu  bringen,  abnimmt:  es  entwickelt 
sich  eine  psychische  Abnormität.  Die  äussere  sichtbare  Scheidewand,  durch  welche 
wir  experimentell  das  Gesichtsfeld  beider  Augen  der  Normalsehenden  trennen 
können,  findet  bei  vielen  Schielenden  ihre  Analogie  in  einer  geistigen  Scheidung 
beider  Gesichtsfelder.  "Wendet  sich  die  Aufmerksamkeit  dem  einen  Auge  allein 
zu.  so  kommt  das  Gesichtsfeld  des  anderen,  soweit  es  stören  könnte,  unter  ge- 
wöhnlichen Verhältnissen  nicht  mehr  zum  Bewusstsein.  Dessenungeachtet  aber 
können  grössere  Gegenstände,  welche  sich  auf  der  Seite  des  ausgeschlossenen 
Auges  rinden,  bei  darauf  gelenkter  Aufmerksamkeit  von  Schielenden  wahrgenommen 
werden.  So  hat  Schweigger  gezeigt,  dass  von  dem  schielenden  Auge  das  Bild 
einer  durch  Beflex  hineingeworfenen  Lichtflamine  in  der  Begel  empfunden  wird, 
selbst  wenn  dieses  Bild  auf  eine  Stelle  der  Netzhaut  fällt,  welche  dem  Theil  des 
Gesichtsfeldes  entspricht,  der  von  dem  fixirenden  Auge  beherrscht  wird. 

Aehnlich  spricht  für  eine  Mitbetheiligung  des  schielenden  Auges,  im  Falle 
dass  sein  Sehen  nicht  stört,  Folgendes: 

Führt  man  bei  Fixation  eines  Gegenstandes  in  der  Mittellinie  eine  Kerze 
durch  den  horizontalen  Meridian,  während  der  Schielende  ein  rothes  Glas  vor 
dem  schielenden  Auge  hält,  so  bekommt  an  der  Stelle,  welche  ihr  Bild  auf  die 
Macula  lutea  des  abgelenkten  Auges  wirft,  in  der  Begel  das  Licht  eine  röthliche 
Färbung  als  Beweis,  dass  die  Macula  dieses  Auges  doch  stärker  empfindet  als  die 
entsprechende  periphere  Netzhautparthie  des  eingestellten  Auges.  Auch  pflegt 
das  schielende  Auge  stark  seitlich  gelegene  Gegenstände,  die  ausserhalb  des  Ge- 
sichtsfeldes des  fixirenden  Auges  liegen,  wahrzunehmen. 

Legen  wir  Patienten  mit  concomitirendern.  Schielen  ein  rothes  Glas 
vor  die  Augen,  das  die  Bilder  differenzirt,  so  kommen  sie  oft  dahin, 
dieselben  als  Doppelbilder  wahrzunehmen.  Man  hält  am  besten  das 
Glas  vor  das  fixirende  Auge. 

Bei  vielen  inuss  man  diesen  Versuch  öfters  wiederholen,  indem  man  durch  Vor- 
halten der  Hand  vor  ein  Auge  bald  das  schielende,  bald  das  gewöhnlich  einge- 
richtete sich  einstellen  lässt  und  die  Kranken  direct  darauf  hinweist,  dass  im 
Moment  des  Freilassens  des  früher  verdeckten  Auges  Doppelbilder  sich  zeigen 
würden.  Es  macht  hier  recht  lebhaft  den  Eindruck,  dass  es  einer  ganz  besonderen 
Anstrengung  und  ungewohnten  Aufmerksamkeit  auf  die  Bilder  des  schielenden 
Auges  bedarf,  um  die  subjeetive  Wahrnehmung  der  Doppelbilder  hervorzurufen. 

Der  grosse  Unterschied  in  der  Häufigkeit  der  Diplopie  bei  para- 
lytischem und  concomitirendem  Schielen  ist  vorzüglich  dadurch  bedingt, 

Schmidt   Rimpler.    7.  Aufl.  38 


594  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

dass  von  Augenmuskellähmungen  in  der  Hegel  Erwachsene  befallen 
werden.  Ihnen  wird  es  natürlich  viel  schwerer,  oder  es  ist  ihnen  auch 
für  immer  unmöglich,  die  Doppelbilder  zu  unterdrücken,  da  bei  ihnen 
bereits  der  psychische  Verschmelzungsact  beider  Gesichtsfelder  als  ein 
anwillkürlicher  und  mit  elementarer  Gewalt  einhergehender  sich  aus- 
gebildet hat.  Und  doch  wird  dies  nicht  selten  nach  einiger  Zeit  er- 
reicht; besonders  leicht  gelingt  es,  wenn  das  abgelenkte  Auge  schwach- 
sichtig. So  hören  wir  bei  Aphakie  eines  Auges,  z.  B.  nach  trauma- 
tischem Katarakt,  anfänglich  öfters  die  Klage,  dass  das  Sehen  des  ge- 
sunden Auges  durch  die  verschwommenen  Bilder  des  anderen  gestört 
wird;  wenn  alsdann  das  aphakische  nach  aussen  abgewichen  ist,  wie 
es  in  einer  Reihe  von  Fällen  eintritt,  schwinden  auch  hier  allmählich 
die  Doppelbilder.  Andererseits  klagen  auch  Erwachsene,  bei  denen 
concomitirendes  Schielen  sich  entwickelt,  oft  dauernd  über  Doppel- 
bilder. 

Zeigen  sich  bei  kleinen  Kindern,  wie  es  auch  gelegentlich  vorkommt,  Augen- 
muskellähmungen, so  fehlen  entweder  die  Klagen  über  Doppelbilder  oder,  wenn 
sie  vorhanden,  so  schwinden  sie  bald.  Lehrreich  ist  folgendes  Beispiel:  Ein 
älterer  Patient,  der  an  einer  in  frühester  Jugend  entstandenen  Parese  des  R. 
superior  litt,  hatte  beiderseits  volle  Sehschärfe  und  konnte  die  Augen  nach  Willkür 
abwechselnd  zum  Sehen  benutzen.  Diplopie  sowie  binoculares  Sehen  jedoch 
fehlten.    Die  Projection  erfolgte  richtig. 

Der  Verlust  der  gleichzeitigen  Verwerthung  binocularer  Eindrücke 
kann  sich  auf  bestimmte  Regionen  beschränken.  Besonders  häufig  wird 
diejenige  Netzhautpartie  des  schielenden  Auges  ausgeschlossen,  welche 
in  der  Richtungslinie  des  von  dem  anderen  Auge  fixirten  Objectes  liegt. 
Diese  Partie  würde  ja  das  am  meisten  störende  Doppelbild,  nämlich  das 
des  fixirten  Objectes  geben,  wenn  nicht  von  der  Verwerthung  ihrer 
Netzhautbilder  abstrahirt  Avürde.  Man  bezeichnet  dies  als  regionäre 
Exclusion  (Graefe).  Während  man  in  solchen  Fällen  weder  spontan 
noch  mit  vorgehaltenem  buntem  Glase  Doppelbilder  bekommt,  entstehen 
dieselben  und  werden  oft  der  Schielstellung  entsprechend  projicirt,  wenn 
man  durch  vorgehaltene  Prismen  die  von  der  fixirten  Lichtflamme  aus- 
gehenden Strahlen  auf  andere  periphere  Netzhautpartien  lenkt. 

Nicht  immer  ist  eine  Uebereinstimmung  der  einzelnen  Doppelbilder- 
distanz  mit  der  linearen  Ablenkung  des  einen  Auges  zu  finden.  Es 
kommen  sogar  Fälle  von  Strabismus  convergens  vor,  wo  anfänglich  nach 
einer  Schieloperation,  die  nur  eine  Verringerung  der  Convergenz  erzielte, 
gekreuzte  Doppelbilder  angegeben  werden,  während  nach  der  Identitäts- 
lehre doch  gleichnamige  vorhanden  sein  müssten.  Man  hat  hier  von 
einer  Netzhaut-Incongruenz  gesprochen.  Wahrscheinlicher  ist  die 
Auffassung,  zumal  diese  gekreuzten  Doppclbilder  in  der  Regel  bald 
wieder  schwinden,    dass  sich  für  jedes  Auge  eine  der  früheren  Schiel- 


Strabismus  concomitans,  allgemeine  Diagnose.  595 

stelluiii;-  entsprechende  besondere  Protection  ausgebildet  hatte,  die  ein 
binoculares  Sehen  ohne  Doppelbilder  ermöglichte.  In  dem  angenomme- 
nen Falle  von  Strabismus  convergens  würden  demnach  die  Macula  lutea 
des  fixirenden  Auges  and  die  ihr  bei  dieser  Schielstell ung  anatomisch 
correspondirende  Stelle  der  inneren  Netzhauthälfte  des  abgelenkten 
Auges  ihre  Netzhautbilder  auf  einen  und  denselben  Punkt  im  Raum 
beziehen.  Wird  diese  Correspondenz  durch  eine  Schieloperation  gestört, 
so  treten  eben  Doppelbilder  auf,  die  aber  unter  den  neuen  Erfahrungen 
bald  wieder  schwinden,  um  so  leichter,  da  zweifellos  die  anatomisch 
identischen  Stellen  beider  Netzhäute  eine  angeborene  Beanlagung  für 
gleichartige  Projection  und  Einfachsehen  haben.  Auch  die  seltenen 
Fälle  von  Strabismus  divergens,  bei  denen  gleichnamige  Doppelbilder  an- 
gegelten werden,  lassen  sich  in  ähnlicher  Weise  durch  falsche  Projection 
erklären.  Ich  beobachtete  eine  Patientin  mit  Strabism.  divergens  alter- 
nans,  bei  der  für  gewöhnlich  das  fixirende  Auge  nicht  die  Macula,  son- 
dern eine  nach  aussen  gelegene  excentrische  Stelle  auf  das  Object  ein- 
richtete. In  dieser  Schielstellung  bestanden  keine  Doppelbilder.  Be- 
nutzte die  Kranke  hingegen,  was  sie  willkürlich  konnte,  die  Macula  zur 
Fixation,  so  traten  trotz  restirenden  Strab.  divergens  gleichnamige 
Doppelbilder  auf,  die  ihre  Erklärung  in  der  jetzt  eingetretenen  und  zum 
Bewusstsein  gekommenen  Verrückung  des  Kreuzungspunktes  der  Rich- 
tungsstrahlen  nach  innen  finden. 

Wir  können  demnach  zusammenfassend  bei  den  concomitirend  Schie- 
lenden bezüglich  des  Ausbleibens  oder  Auftretens  der  Doppelbilder 
Folgendes  constatiren:  In  der  Regel  besteht  ein  mehr  oder  weniger 
hochgradiger  Defect  in  der  psychischen  Verwerthung  der  Netzhaut- 
eindrüeke  des  schielenden  Auges  zum  binocularen  Sehen.  Derselbe  kann 
sich  auf  bestimmte  Regionen  der  Netzhaut  oder  auf  die  ganze  Netzhaut 
beziehen.  Die  Projection  ist  entsprechend  der  anatomischen  Identität 
oder  sie  weicht  mehr  oder  weniger  von  ihr  ab.  In  Ausnahmefällen  ist 
das  Vermögen  einer  binocularen  Verwerthung  beider  Netzhautbilder 
vorhanden. 

4>  Schwachsichtigkeit  eines  Auges.  Sehr  häufig  ist  beim 
eoneomitirenden  Schielen  ein  Auge  schwachsichtig;  volle  Sehschärfe 
beider  Augen  findet  sich  bei  Schielenden  verhältnissmässig  selten.  Auch 
Refractionsdifferenzen  f  Anisometropie)  sind  oft  nachweisbar.  Oefters  er- 
klärt sich  die  Sehschwäche,  wenigstens  zumTheil,  durch  vorangegangene 
Krankheiten,  welche  Hornhauttrübungen  und  Aehnliches  zurückgelassen 
haben.  In  anderen  Fällen  fehlt  jedes  palpable  Moment,  wir  haben  dann 
eine  Amblyopie  ohne  pathologischen  Befund.  Das  Gesichtsfeld  ist  in  der 
Regel  von  normaler  Weite,  gelegentlich  sind  Verengungen  desselben  zu 
constatiren.    Auch  Herabsetzungen  des  Lichtsinns  habe  ich  hier  und  da 

38  * 


596  Erkrankungeil  der  Augenmuskeln. 

gefunden.  Bei  Aufnahme  des  binocularen  Gesichtsfeldes  pflegt  an  der 
Stelle,  aufweiche  die  Sehlinie  des  abgelenkten  Auges  direct  gerichtet  ist, 
die  Sehempfindung  durch  dieses  vermittelt  zu  werden.  In  anderen  Fällen 
ist  aber  beim  convergenten  Schielen  das  centrale  Sehen  so  gering,  dass 
das  abgelenkte  Auge  — ■  bei  Verschluss  des  anderen  —  nicht  mit  der 
Macula  lutea,  sondern  mit  einem  excentrisch  nach  innen  von  ihr  ge- 
legenen Theil  das  Object  fixirt.  Da  die  Mitbenutzung  des  convergent 
abgelenkten  Auges  sich  vorzugsweise  auf  den  Theil  seines  temporalen 
Gesichtsfeldes,  welcher  von  dem  normal  eingestellten  Auge  nicht  ge- 
sehen werden  kann,  beschränken  wird,  so  bleibt  die  innere  Netzhaut- 
hälfte besonders  in  Uebung. 

Man  hat  diese  vorzugsweise  bei  monolateralem  Schielen  vorkommende 
Schwachsichtigkeit  als  Amblyopie  aus  Nichtgebrauch  aufgefasst. 
Ihre  Entstehung  kann  sich  in  der  Weise  erklären,  dass  der  absichtliche 
Ausschluss  des  betreffenden  Auges  bei  der  psychischen  Verarbeitung 
der  Netzhauteindrücke  zu  einer  aus  Nichtübung  entstandenen  Minder- 
werthigkeit  der  betreffenden  Hirntheile  führt;  es  muss  (dabei  voraus- 
gesetzt werden,  was  hier  zutrifft,  dass  in  der  Jugend  dieser  Aus- 
schluss beim  Beginnen  des  Schielens  erfolgt,  also  zu  einer  Zeit,  wo 
das  Hirn  noch  in  voller  Entwicklung  ist.  —  Gegen  die  Anschauung, 
dass  diese  Schwachsichtigkeiten  immer  unabhängig  vom  Schielen  seien 
und  stets  als  congenitale  Amblyopien  aufgefasst  werden  müssten, 
sprechen  verschiedene  Gründe. 

So  die  ungemeine  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  bei  monocularem  Strabismus 
und  vor  Allem,  dass  Amblyopien,  bei  denen  —  ohne  pathologischen  Befund  — 
die  grössere  Sehschärfe  sich  wie  in  den  erwähnten  Fällen  an  einer  excentrischen 
Netzhaut  findet,  ohne  gleichzeitiges  Schielen  sonst  nicht  zur  Beobachtung  kommen. 
Weiter  sind  Fälle  verfolgt  worden,  wo  ein  in  der  Jugend  sehkräftiges  schielendes 
Auge  später  amblyopisch  wurde.  Ich  operirte  einen  siebenjährigen  Knaben  wegen 
höhergradigen  Strab.  convergens  oculi  dextri,  der  zur  Zeit  der  Operation  am 
rechten  Auge  noch  volle  Sehschärfe  bei  H  y4n,  aber  ohne  binocularen  Sehact  be- 
sass.  Es  blieb  ein  Strab.  convergens  von  circa  1  i/2  mm  bestehen.  Zehn  Jahre 
später  zählte  Patient  nur  Finger  in  4  m  und  fixirte  mit  einer  Stelle  der  inneren 
Netzhauthälfte:  eine  Augenerkrankung  war  inzwischen  nicht  eingetreten.  Roosa 
berichtet  über  einen  Fall,  wo  in  4  Jahren  die  vorher  volle  Sehschärfe  des  schie- 
lenden Auges  auf  2/5  gesunken  war  und  Schnabel  führt  als  für  unsere  Auffassung 
sprechend  an,  dass  nach  seiner  ausgedehnten  statistischen  Zusammenstellung 
(527  Personen  mit  Strabis.  convergens),  der  Zunahme  des  Alters  entsprechend  die 
Zahl  derjenigen,  welche  auf  dem  schielenden  Auge  schlechter  sehen,  erheblich  zurück- 
geht. --  Fs  ist  durch  die  zur  Erklärung  der  Unterdrückung  von  Doppelbildern 
gemachte  Annahme  einer  centralen  Minderwerthigkeit  in  der  Perception  der  Netz- 
liautbilder  weiter  auch  verständlich,  dass  später  durch  einseitige  Uebung  des  Auges 
die  verloren  gegangene  Sehschärfe  in  der  Regel  nur  in  massigem  Grade  gehoben 
werden  kann.  Wohl  aber  sieht  man  nicht  selten  durch  derartige  Uebungen  und 
besonders  durch  Oeradestellung  des  Auges  nach  der  Operation  eine  erhebliche 


Strabismus  concomitans,  specielle  Diagnose  und  Aetiologie.  597 

Verbesserung  des  Sehvermögens  bezüglich  .seiner  G-ebrauchsfähigkeit  zu  Stande 
kommen. 

In  einer  grösseren  Reibe  von  Fällen  ist  allerdings  ans  gewissen 
Anzeichen  (z.  B.  Ast  irregularis)  eine  angeborene  Schwachsichtigkeit 
des  schielenden  Auges  anzunehmen;  dieselbe  begünstigt  die  Ablenkung. 


II.  Speeielle  Diagnose  und  Aetiologie. 

Das  concornitirende  Schielen  tritt  entweder  so  auf;  dass  ein  und 
dasselbe  Auge  beständig  in  der  Schielstellung  sich  befindet,  während 
das  andere  beständig  zur  Fixation  benutzt  wird  (monoculares  Schie- 
lend, oder  in  der  Art;  dass  beide  Augen  abwechselnd  zur  Fixation  ver- 
wendet werden  (Strab.  alternans).  In  letzterem  Falle  gestaltet  sich 
der  Vorgang,  wenn  man  ein  Object  in  horizontaler  Ebene  von  rechts, 
nach  links  vor  dem  Kranken  vorbeiführt,  in  der  Regel  annähernd  so, 
dass  auf  der  rechten  Seite  des  Blickfeldes  das  rechte  Auge,  auf  der 
linken  das  linke  zur  Fixation  verwendet  wird. 

Ferner  können  wir  entweder  ein  beständiges  Abweichen  eines  Auges 
bei  Schielenden  constatiren  oder  ein  periodisch  auftretendes  (Strab. 
periodicus).  Diese  letztere  Form  ist  besonders  bei  Strabismus  con- 
vergens  zur  Zeit,  wo  dieses  Schielen  sich  ausbildet,  meist  im  vierten  bis 
sechsten  Lebensjahre,  sehr  häufig;  das  Schielen  tritt  dann  ein,  wenn 
das  Kind  „einen  deutlichen  Seheindruck  erzielen  will"  (Böhm),  mit 
anderen  Worten,  wenn  es  accommodirt.  Die  Augen  sind  für  gewöhnlich 
normal  eingestellt:  hält  man  dem  Kinde  aber  einen  kleineren  Gegen- 
stand, etwa  die  Zeiger  einer  Uhr,  nahe  vor  die  Augen,  so  tritt  die 
convergirende  Abweichung  hervor  und  bisweilen  in  einem  erschreckend 
hohen  Grade.  Es  kann  sich  dieser  Zustand  des  periodischen  Schielens 
beständig  erhalten  oder  spontan  schwinden:  in  den  meisten  Fällen 
kommt  es  zu  constantem  Schielen.  — 

Xach  den  oben  erwähnten  Verschiedenheiten  diagnosticiren  wir  bei- 
spielsweise einen  Strabismus  convergens  alternans  oder  Strab.  conv. 
monocularis  (oc.  dextri  oder  sinistri),  oder  einen  Strab.  conv.  periodicus 
alternans  oder  Strab.  conv.  periodicus  oc.  dextri  u.  s.  w. 


Strabismus  convergens  concomitans. 

Der  Strabismus  convergens  ist  nicht  selten  mit  einer  leichten 
Höhenablenkung  des  schielenden  Auges  verknüpft.  Letztere  ist  ent- 
weder ein  ungewöhnlicher,  vielleicht  durch  besondere  Ansatz-  oder 
Innervationsverhältnisse  bedingter  Effect  der  Contraction  des  R.  internus, 


598  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

oder  es  handelt  sieh  um  eine  .selbständige  Mitbetheiligung  der  Auf- 
und  Abwärtswender.  In  ersterem,  bei  weitem  häutigeren  Falle  geht 
immer  das  nach  innen  abgelenkte  Auge,  gleichgültig,  ob  man  mit  dem 
rechten  oder  linken  tixiren  lässt;  nach  oben;  diese  Ablenkung  schwindet 
fast  regelmässig  nach  der  Tenotomic  des  R.  internus.  Im  anderen  Falle 
gestaltet  sich  die  Sache  folgendermaassen:  Bei  der  Fixationsstellung 
des  rechten  Auges  steht  beispielsweise  das  linke  nach  innen  und  etwas 
nach  oben  gerichtet.  Lässt  man  nun  das  linke  Auge  den  betreffenden 
Gegenstand  tixiren,  so  macht  das  rechte  Auge  eine  assoeiirte  Bewegung 
nach  innen  und  nach  unten.  Meist  wird  auch  hier,  wenn  nach  der  gegen 
den  Strab.  convergens  gerichteten  Operation  ein  binocularer  Sehact  er- 
reicht wird,  der  Höhenunterschied  im  Interesse  des  letzteren  durch 
entsprechende  Innervation  ausgeglichen;  nur  selten  bedarf  es  noch 
eines  operativen  Vorgehens  gegen  den  Rect.  superior. 

Die  überwiegende  Zahl  derer,  welche  an  Strabismus  convergens 
leiden,  sind  Hyperopen.  Eine  Zusammenstellung  von  154  Fällen  aus 
meiner  Klinik  ergab  in  75°/0  das  Bestehen  von  ein-  oder  doppelseitiger 
Hyperopie.  Der  Einfluss,  welchen  diese  Refractionsanomalie  auf  das 
Zustandekommen  des  Strabism.  eonverg.  übt,  wurde  vorzugsweise  von 
Donders  klar  gelegt.  Der  Hyperop  bedarf  zum  Sehen  in  der  Xähe 
einer  grösseren  Accommodationsanstrengung  als  der  Emmetrop.  Bei 
der  gewöhnlichen,  auf  den  fixirten  Gegenstand  gerichteten  binocularen 
Convergenz  ist  ihm  die  erforderliche  Accommodationsspannung  un- 
möglich. Da  aber  mit  zunehmender  Convergenz,  d.  h.  mit  erhöhter 
Contraction  der  M.  recti  interni  gleichzeitig  eine  Vermehrung  der  Ac- 
commodationsspannung eintritt,  so  sucht  der  Hyperop  sich  dieselbe  in 
der  Weise  zu  ermöglichen,  dass  er  ein  Auge  in  der  für  den  fixirten 
Gegenstand  erforderlichen  Convergenzstellung  lässt,  den  R.  internus 
des  anderen  Auges  aber  stärker  contrahirt  und  somit  mit  diesem  Auge 
nach  innen  schielt.  Da  die  Gesammtspannung  beider  R.  interni  bei 
der  Accommodationsspannung  jedes  einzelnen  Auges  in  Rechnung 
kommt,  so  erhält  hierdurch  auch  das  eingestellte  Auge  eine  höhere 
Accommodation.  Der  Patient  kann  nunmehr  aecommodiren,  giebt  aber 
den  binocularen  Sehact  auf.  Das  typische  periodische  Schielen  tritt 
daher  immer  dann  auf,  wenn  ein  in  der  Nähe  befindlicher  Gegenstand 
scharf  gesehen  werden  soll,  oft  steigert  sich  der  Grad  der  Einwärts- 
stellung  ruckweise  mit  der  zunehmenden  Tendenz  zu  einer  genauen 
Accommodation  auf  das  Objcct.  Am  häutigsten  kommt  es  bei  Hype- 
ropen niedrigeren  und  mittleren  Grades  vor:  ihnen  schafft  die  vermehrte 
Spannung  des  R.  internus  noch  die  Möglichkeit  ausreichender  Accom- 
modation. Hei  hochgradigen  I  lypermetropen  reicht  diese  Convergenz- 
erhbhunff  aber  nicht  aus:    hier  ist  das   Schielen    auch   selten.     Anderer- 


Strabismus  convergens  concomitans.  599 

seits  sieht  man  es  gelegentlich  auftreten,  wenn  Hyperopen  nach,  schweren 
Krankheiten  allgemeine  Muskelsehwäehe  zurückbehalten  haben:  zur  Zeit 
der  Gesundheit  waren  sie  im  Stande1;,  mittels  ihres  kräftigen  Accommo- 
dationsmuskels  ohne  Zuhülfenahme  übermässiger  Convergenz  genügend 
zu  aecommodiren;  jetzt  müssen  sie  zu  letzterer  ihre  Zuflucht  nehmen. 
Nach  Wiedergewinnung  der  früheren  Muskelkraft  sehwindet  dann  auch 
das  Schielen. 

Am  ehesten  werden  diejenigen  Hyperopen  zum  Schielen  kommen, 
bei  denen  der  binoculare  Sehact  schon  durch  Ungleichheit  beider 
Augen  in  Frage  gestellt  ist  Dies  trifft  zu,  wenn  ein  Auge  sehschwach  ist 
oder  geworden  ist,  (wie  beispielsweise  durch  Hornhautflecke  nach  Keratitis, 
wie  sie  nach  Ausschlagkrankheiten  vorkommen),  wenn  erhebliche  Re- 
fraetionsditferenzen  oder  wenn  unregelmässiger  Astigmatismus  die  bino- 
culare Verschmelzung  der  Netzhautbilder  erschweren.  Auch  zeigt  sich 
die  Wichtigkeit  der  geringeren  oder  grösseren  Festigkeit  des  bin- 
o cularen  Sehactes  als  Erleichterungs-  oder  Erschwerungsgrund  für  die 
Kmstehung  des  Strabismus  conv.  hyperopicus  darin,  dass  derselbe  sich 
in  frühester  Kindheit  in  der  Regel  entwickelt,  während  ein  Entstehen 
bei  Erwachsenen  mit  sicher  ausgebildetem  binocularem  Sehen  kaum 
je  beobachtet  wird. 

Es  wird  ferner  das  bei  den  verschiedenen  Refractionen  ungleiche 
Verhalten  des  Winkels  y  (vergl.  S.  72)  in  Betracht  zu  ziehen  sein. 
Beim  Hyperopen  ist  dieser  Winkel  am  grössten;  es  steht  also  die 
Pupillenmitte  oder  das  Hornhautcentrum  am  meisten  nach  aussen  von 
der  Blicklinie.  Bei  Einstellung  beider  Augen  auf  einen  Gegenstand  in 
bestimmter  Entfernung  werden  danach  beim  Hypermetropen  die  Augen 
bezw.  die  Hornhautcentra  etwas  weiter  nach  aussen  gedreht  werden 
müssen  als  beim  Emrnetropen  oder  dem  Myopen;  hierzu  ist  eine  grössere 
Contraction  der  R.  externi  erforderlich,  welche  bei  zu  starken  An- 
forderungen nicht  mehr  geleistet  werden  kann  und  so  eine  Insuffizienz 
den  tnterni  gegenüber  hervortreten  lässt. 

Durch  die  häufige  periodische  Inanspruchnahme  der  Contraction 
des  R.  internus  kann  sich  nach  und  nach  eine  dauernde  elastische 
Spannungs Vermehrung  des  Muskels  und  damit  ein  constantes  Schielen 
entwickeln. 

Wenn  es  trotz  des  Vorhandenseins  der  oben  entwickelten  ätio- 
logischen Momente  in  einer  Reihe  von  Fällen  nicht  zum  Convergent- 
schielen  kommt,  so  können  individuelle  Hinderungsgründe,  z.  B.  starker 
Widerwille  gegen  Doppelbilder,  Schwäche  der  R.  interni  (Ulrich)  oder 
auch  Modificationen  der  normaler  Weise  zwischen  Convergenz  und 
Accommodationsspannung  bestehenden  Beziehungen  (Graefe)  vorliegen, 
welche  uns  hierfür  eine  Erklärung  geben. 


600  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

Andererseits    wird  Strabismus    convergens  auch  beobachtet,  ohne 

dass  wir  hyperopisehe  Refraetion  oder  Aceommodationssehwäche  linden. 
Hier   handelt    es    sich    um    ein   bereits   bestehendes  elastisches   Ueber- 
gewicht    oder    eine    ungewöhnlich    grosse   Kraft    der   M.    recti   interni, 
musculäre  Anomalien;  welche  Schweigger  mit  besonderem  Nachdruck 
auch  für  das  hyperopisehe  Convergentschielen  in  den  Vordergrund  stellt. 
Schon  in  der  Norm  überwiegt  der  Krafteffeet  der  Interni  den  der 
Externi;  sie  drehen  das  Auge  im  Blickfeld  nach  innen  circa  45  Grad, 
während   die  R.  externi   es   nach  aussen   nur  circa  40  Grad    bewegen. 
Doch   bestehen  hier  zahlreiche  Abweichungen,    besonders  von  der  Re- 
fraction und  dem  Alter  abhängig.    Es  lässt  sich  nun  nachweisen,  dass 
bei  einer  Reihe  von  Oonvergentsehielenden  ein  selbst  über  dieses  normale 
Maass   hinausgehendes    Plus   von   Bew^egungskraft    den   R.   interni   zu- 
kommt.   Nach  Sehne  11er 's  Untersuchungen  würde  es  sich  nicht  mehr 
um  reines  Accommodationsschielen  handeln,  wenn  die  Blickfeldgrenzen 
nach  innen  um  mehr  als  11  bis  14  Grad    die  nach  aussen  überragten. 
Diese  Fälle  ganz  eigentlich  musculären  Schielens  liefern  ihr  Contingent 
besonders  zu  der  Kategorie  der  constant  Schielenden,  unter  denen  wir 
auch   eine   grössere    Reihe   von   Emmetropen,    selbst   Myopen    finden. 
Allerdings  wird  durch   den  Umstand   allein,    dass  zur  Zeit  der  Unter- 
suchung Emmetropie    oder  geringe  Myopie  besteht ,   noch  nicht  ausge- 
schlossen, dass  es  sich  ursprünglich  doch  um  aecommodatives  Schielen 
gehandelt    habe.      In    zahlreichen    Fällen    geht    die    früher   bestandene 
Hypermetropie    mit   zunehmendem  Alter   in  Emmetropie    oder  Myopie 
über;    der   in  Folge    des  Accommodations- Impulses   ursprünglich   ent- 
standene  Strabismus    convergens    bleibt    aber   bestehen,    weil    sich   in- 
zwischen eine  dauernde  Spannungszunahme  der  Interni  entwickelt  hat. — 
Bisweilen  beobachtet  man  auch  bei  einseitigen  Augenentzündungen 
mit  stärkerer  Lichtscheu   oder  unter  Schluss verband,    wenn    das  Auge 
geöffnet  und  untersucht  Avird,  eine  früher  nicht  vorhandene  eonvergirende 
Ablenkung,  besonders  bei  Kindern;  aber  auch  bei  Erwachsenen  kommt 
dies   gelegentlich  vor.     Nach  Hebung   der  Krankheit  verschwindet  das 
Schielen,  das  in  einzelnen  Fällen  als  Folge  eines  refieetorisehen  Reizes 
und  somit  als  krampfartige  Contraction  des  R.  internus,  in  anderen  als 
Ausdruck  eines   musculären,    unter   gewöhnlichen  Verhältnissen   durch 
den  binocularen  Sehact  beherrschten  Uebergewichts  dieses  Muskels  auf- 
zufassen ist. 

Sehr  eigenthümlich  ist  das  convergente  Schielen,  das  sich  bei 
Myopen  mittleren  Grades  in  dem  zweiten  Jahrzehnt  ihres  Lebens  oder 
noch  später  entwickelt  Da  bei  ihnen  der  binoculare  Sehact  schon  voll 
ausgebildel  ist,  klagen  sie  viel  über  Doppelbilder.  Meist  tritt  das 
Schielen   zuerst  periodisch   auf,   dabei  wird  längere  Zeit  hindurch  für  die 


Strabismus  divergens.  (i()l 

Nähe  noch  eorrect  eingestellt,  während  für  die  Ferne  bereits  Convergenz 
besteht.     Später  kann  für  die  Nähe  selbst  Divergenz  vorhanden  sein. 

In  manchen  Familien  ist  das  Schielen  erblich;  in  der  Regel  be- 
steht in  diesen  Fällen  liv|>eropisehe  Refraction. 

Der  Strabismus  convergens  (weniger  der  Strabismus  divergens)  ist 
häutig  von  einer  schiefen  Kopfhaltimg  begleitet:  die  dem  schielenden 
Auge  angehörige  Gesichtshälfte  wird  meist  nach  vorn  gedreht.  Es  ge- 
schieht dies  im  Interesse  des  fixirenden  Auges,  das  jetzt  beim  Gerade- 
aussehen die  seinem  musculären Gleichgewicht  entsprechende  Adductions- 
stellung  einnehmen  kann  (Hock). 


Strabismus  divergens. 

Die  dauernde  Naehaussenwendung  eines  Auges  pflegt  sich  später 
zu  entwickeln  als  das  Einwärtsschielen.  Während  letzteres  vorzugsweise 
Hvperopen  befällt,  finden  sich  unter  den  nach  auswärts  Schielenden 
überwiegend  Myopen.  Mancherlei  Gründe  - —  abgesehen  von  bereits 
bestehenden  Kraftanomalien  der  Muskeln  —  erklären  uns  diese  Neigung 
zur  Divergenz.  Selbst  bei  normaler  Augenstellung  ist,  sowohl  was 
die  Grenzen  des  Blickfeldes  als  die  Ueberwindung  von  Prismen  be- 
trifft, bei  Myopen  kein  derartiges  Ueberwiegen  der  Interni  über  die 
Externi  zu  eonstatiren,  wie  bei  Hypermetropen  und  Emmetropen.  Die 
Verlängerung  des  Auges,  die  eiförmige  Gestalt  desselben  bei  höher- 
gradiger  Myopie  bewirkt  ein  Nachvornrücken  der  Ansatzstellen  der 
Recti:  hierbei  wird  aber  besonders  stark  der  Rect.  externus  gedehnt 
werden,  da  er  von  seinem  medialen  Ursprung  am  Foram.  opticum  sich 
nach  aussen  und  vorn  um  den  Bulbus  herumschlägt,  während  der 
Internus  in  mehr  gerader,  nach  vorn  gehender  Richtung  zu  seinem  An- 
satzpunkt gelangt.  Die  erhöhte  Dehnung  des  R.  externus  hat  die  Folge, 
dass  jeder  ihn  treffende  Innervationsimpuls  einen  stärkeren  Contractions- 
effeet  hervorrufen  und  somit  das  Auge  ausgiebiger  temporalwärts  be- 
wegen wird.  Weiter  kommt  hinzu,  dass  der  Winkel  7  kleiner  ist  als  bei 
Emmetropen  und  Hvperopen.  Eine  bestimmte  Convergenzstellung  er- 
fordert für  den  Myopen  eine  stärkere  Einwärtsrichtung  der  Hornhaut- 
mitte, also  eine  stärkere  Anspannung  der  R.  interni  als  beim  Emme- 
tropen. Daraus  folgt,  dass  bei  dem  gleichzeitigen  Hinderniss,  welches 
die  vermehrte  Spannung  des  Externus  bietet,  dieser  leichter  das  Ueber- 
gewicht  erhält  und  das  Auge  nach  aussen  zieht.  Auch  ist  zu  erwägen, 
dass  bei  dem  innigen  Zusammenhang  zwischen  Accommodation  und 
Convergenz  die  geringere  Accommodationsspannung,  deren  die  Myopen 
bedürfen,  auch  die  Convergenztendenz  verringert.  Wenn  wir,  ohne  zu 
accommodiren,  vor  uns  hinstarren,  kommen  die  Augen  leicht  in  Diver- 


602  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

genzstellung,  wie  die  auftretenden  gekreuzten  Doppelbilder  erweisen. 
Dieses  Uebergewicht  der  Externi  beim  „gedankenlosen"  Blick,  bei  dem 
Mangel  der  strengeren  Fixation  und  Aceommodation  erklärt  es,  dass 
Strabismus  divergens  sich  so  häutig  bei  Personen  entwickelt,  bei  denen 
ein  Auge  erblindet  ist.  Selten  nur  beobachten  wir,  dass  das  Auge 
nach  innen  abweicht:  hier  handelt  es  sich  meist  um  Erblindungen 
in  den  ersten  Lebensjahren,  wo  noch  hyperopisehe  Refraction  die 
Regel  ist. 

III.  Verlauf. 

Es  ist  zu  betonen,  dass  eine  Reihe  von  Convergentschielenden  in 
späteren  Jahren  spontan  aufhört  zu  schielen.  Da  dies  fast  ausnahms- 
los nur  bei  dem  mit  Hyperopie  verknüpften  Strabismus  eintritt,  so 
unterstützt  es  die  Ansieht,  dass  es  sich  hier  nicht  immer  um  unab- 
änderliche, gleichsam  organische  Aenderungen  der  Muskelkraft  handelt. 
Besonders  oft  verschwindet  der  periodische  Strabismus  convergens.  Die 
Zahl  derer,  welche  angeben,  in  ihrer  Jugend  geschielt  zu  haben,  ist 
gar  nicht  gering.  Es  ist  interessant  zu  beobachten,  dass  gelegentlieh 
einer  von  diesen,  wxenn  er  in  die  Zeit  der  Presbyopie  kommt  und  nicht 
die  entsprechende  Convexbrille  benutzt,  wiederum  hei  starker  Aceommo- 
dationstendenz  auf  die  Künste  seiner  Jugend  verfällt  und  ein  Auge 
abnorm  stark  nach  innen  rollt,  jetzt  aber  meist  ohne  den  gewünschten 
Effeet. 

Beim  Zustandekommen  der  spontanen  Heilung  spielen  verschiedene 
Momente  mit.  Vor  Allem  ist,  wie  bereits  A.  v.  Gracfe  ausgeführt  hat, 
eine  Umwandlung  der  hypermetropischen  Refraction  in  Emmetropie  oder 
Myopie  gar  nicht  so  selten;  es  fällt  damit  der  eigentliche  Zweck 
des  Schielens,  die  Accommodationserleichterung  fort,  und  es  wird,  be- 
sonders wenn  im  jüngeren  Alter  die  Umwandlung  stattfindet,  beim  Fehlen 
secundärer  Muskelanomalien  eine  Geradstellung  der  Augen  erfolgen. 
Aber  auch  trotz  erhaltener  Hyperopie  schwindet  bisweilen  das  Schielen. 
Hier  kann  einmal  die  Abnahme  der  Aeeommodationsbreite  bei  zuneh- 
mendem Alter  eine  Rolle  spielen,  da  trotz  Convergenz  doch  keine  ge- 
nügende Aceommodation  mehr  erzielt  würde,  andererseits  nimmt  auch 
die  Neigung,  die  Gegenstände  mögliehst  nahe  an  die  Augen  zu  bringen, 
wie  sie  sieb  bei  jungen  Kindern  zeigt,  mit  den  Jahren  allmählich  ab. 
Für  eine  grössere  Entfernung  aber  reicht  die  Areommodationskraft 
ohne  abnorme  Convergenzanspannung  aus.  Auch  spielt  der  Wille 
zur  binoeularen  Fixation  eine  erhebliehe,  bisher  nicht  genügend 
betonte  Rolle,  wenn  es  sich  darum  handelt.  Schielstellungen  zu  ver- 
meiden: so  worden  manche  erwachsene  Schielende  einfach  aus  kosme- 


Therapie  des  concomitirenden  Schielens.  (303 

tischen  Gründen  veranlasst,  die  Augen  richtig  einzustellen.  Hierdurch 
löst  sich  allmählich  das  Band,  welches  sich  zwischen  Aeeommodations- 
tendenz  und  abnormer  Convergenz  gebildet  hat.  Auch  mögen  Verän- 
derungen im  Sehnenansatz  der  Muskeln,  wie  sie  mit  der  Vergrößerung 

der  Orbita  in  den  Jahren  des  Wachsens  verknüpft  sind  (Weiss),  weiter 
in  Betracht  kommen. 


IV.  Therapie. 

Die  Behandlung  des  Strabismus  convergens  muss  in  den  Fällen, 
wo  sich  eine  Abhängigkeit  von  Hyperopie  zeigt,  zuerst  danach  streben, 
auf  friedlichem  Wege  eine  normale  Einstellung  der  Augen  zu  erzielen. 
Die  meiste  Aussicht  hierzu  ist  vorhanden,  wenn  grössere  Anomalien  in 
der  Muskelkraft,  worüber  besonders  die  Blickfeldmessung  Auskunft  giebt, 
fehlen,  wenn  das  Sehvermögen  beider  Augen  ein  annähernd  gleiches 
ist  und  ein  gewisses,  normales,  binoculares  Sehen  (durch  Hervorbringung 
von  Doppelbildern  erweisbar)  noch  besteht.  Vor  Allem  muss  man  hier 
eine  übermässige  Accommodation  durch  Tragen  von  entsprechenden 
Gonvexgläsern  unnöthig  machen.  Für  die  Nähe  sind  jedenfalls  diejenigen 
Convexgläser  zu  tragen,  welche  die  volle,  oft  latente  Hypermetropie 
ausgleichen.  Für  die  Ferne  lasse  man  Gläser  entsprechend  der  mani- 
festen Hyperopie  verwenden.  Ausserdem  ist  auf  eine  Stärkung  des 
binocularen  Sehactes  hinzuarbeiten.  Falls  das  Auge  erheblich  seh- 
schwacher sein  sollte  und  vor  Allem,  wenn  es  seine  Gebrauchsfähigkeit 
eingebüsst  hat,  sind  Separatübungen  anzustellen.  Man  lässt  zu  dem 
Zweck  täglich  einige  Male  etwa  V4  bis  ]/2  Stunde  lang  unter  Verdeckung 
des  besseren  Auges  mit  einer  Klappe  das  sehschwache  Auge  grössere 
Schrift  lesen,  entsprechend  seiner  Sehkraft  und  nötigenfalls  mit  Zu- 
hülfenahme  von  Convex-  oder  cylindrischen  Gläsern.  In  einiger  Zeit 
lässt  sich  hierdurch  oft  eine  erheblich  gesteigerte  Ausdauer  und  Ver- 
wendbarkeit des  Auges  erreichen.  Alsdann  sucht  man  durch  stereo- 
skopische Uebungen,  auf  die  du  Bois-Reymond  als  Heilpotenz  für 
Schielende  zuerst  aufmerksam  gemacht  hat,  binoculares  Sehen  zu 
schaffen  und  die   Gradstellung  zu  befördern. 

Man  benutzt  am  besten  das  sogenannte  amerikanische  .Stereoskop.  Xach 
Javal's  Vorgang  kann  man  sich  hierbei  farbiger  Oblaten  bedienen,  die,  ent- 
sprechend der  Schielstellung,  auf  der  Seite  des  convergent  schielenden  Auges  etwas 
näher  an  der  trennenden  Mittellinie  des  Vorlegeblattes  aufgeklebt  werden.  Ich 
benutze  als  Vorlegeblatt  eine  starke  Pappe,  welche  horizontale  Rinnen  enthält, 
in  denen  sich  je  zwei  übereinanderstehende  kleine  farbige  Scheiben  mit  einem 
Drahtstäbchen  verschieben  und  so  sehr  bequem  mehr  oder  weniger  der  Mittellinie 
annähern  lassen:  auf  beiden  Hälften  liegt  in  der  Mitte  eine  rothe  Scheibe,  darüber 
auf   der   ünken  Hälfte    eine  blaue,    auf  der  rechten  Hälfte  darunter  eine  grüne 


iii)4  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

Scheibe.  Wird  nun  beispielsweise  bei  Strabismus  convergens  des  linken  Auges 
auf  der  linken  Hälfte  des  Yorlegeblattes  die  rothe  Scheibe  so  der  senkrechten 
Trennungslinie  genähert,  dass  ihre  Lage  der  Macula  des  linken  Auges  entspricht, 
während  die  rothe  Scheibe  der  rechten  Hälfte  —  entsprechend  der  Macula  des 
rechten  Auges  —  etwas  entfernter  von  der  senkrechten  Trennungsfläche  steht,  so 
uiuss  der  Schielende,  wenn  binoculares  Einfachsehen  vorhanden  ist,  beide  rothe 
Scheiben  zu  einer  verschmelzen  und  darüber  eine  blaue  und  darunter  eine  grüne 
Scheibe  sehen.  Das  einmal  erregte  binoculare  Einfachsehen  kann  alsdann  dazu  be- 
nutzt werden,  indem  man  die  linken  farbigen  Seheiben  allmählich  so  weit  abzieht,  dass 
sie  in  gleicher  Entfernung  von  der  Mittellinie  des  Vorlegeblattes  stehen,  dass  eine 
correcte  Augenstellung  erzielt  wird.  Doch  haben  diese  Uebungen  meist  nur  Er- 
folg nach  Ausführung  der  Schieloperation,  um  das  hierdurch  annähernd  erreichte 
musculäre  Gleichgewicht  im  Interesse  des  Einfachsehens  zu  einem  vollen  zu 
machen.  Wohl  aber  kann  man,  besonders  wenn  man  die  Oblaten  der  Schielseite 
hin  und  her  bewegt,  in  Fällen,  wo  die  Gesichtswahrnehmungen  des  schielenden 
Auges  ganz  unterdrückt  waren,  meist  wenigstens  eine  Wahrnehmung  der  Seh- 
eindrücke (ein  binoculares  Doppeltsehen)  erzielen.  —  Auch  anderweitige  stereo- 
skopische Uebungen  haben  meist  erst  nach  der  Operation  den  Effect,  binoculares 
Einfachsehen  zu  schaffen. 

Leider  sind  stereoskopische  Uebungen  beim  Beginn  des  Schielens 
gewöhnlich  nicht  ausführbar,  da  es  sich  in  der  Regel  um  kleine,  nicht 
genügend  verständige  Kinder  handelt.  Dasselbe  gilt  bezüglich  des 
Tragens  von  Convexbrillen,  die  in  diesem  Lebensalter  leicht  zerschlagen 
werden  und  so  den  Augen  selbst  Gefahr  bringen  können.  Man  ward 
sich  daher  hier  mit  den  Separatübungen  des  schlechter  sehenden  Auges 
begnügen  müssen,  und,  wenn  es  geht,  zu  vermeiden  suchen,  dass  ein 
monolaterales  Schielen  sich  entwickelt.  Aber  auch  durch  Aufmerksam- 
machen  und  Ermahnen  sind  die  Kinder  vom  Schielen  abzuhalten  und 
so  ihr  „Wille  zur  binocularen  Fixation"  zu  stärken.  Von  der  An- 
wendung medicamentöser  Mittel,  wTelche  die  Accommodation  beein- 
flussen, ist  nicht  viel  zu  erwarten.  Man  hat  Atropinlösungen  empfohlen, 
um  die  Accommodation  ganz  zu  lähmen  und  damit  die  Schielstellung 
als  nutzlos  zu  hintertreiben,  oder  auch  im  Gegensatz  dazu  Eserinein- 
träufelungen,  um  durch  den  auftretenden  Accommodationskrampf  die 
optische  Naheeinstellung  ohne  übermässige  Convergenz  zu  ermöglichen : 
einen  dauernden  Heileffect  habe  ich  von  beiden  Mitteln  nicht  gesehen. 

Schieloperation  (Strabotomie).  Wir  bekämpfen  das  Schielen  durch 
die  Tenotomie  (Rücklagerung)  des  zu  stark  wirkenden  Muskels  oder 
durch  die  Vorlagerung  des  Antagonisten. 

Stromeyer  (1838),  der  die  Tenotomie  an  anderen  Muskeln  so  emsig  geübt 
hat  sie  auch  gegen  das  Schielen  empfohlen.  Am  Lebenden  haben  Dieffenbach 
(1839)  and  Jules  Guerin  (1839)  sie  zuerst  ausgeführt.  Hoch  waren  im  Beginn 
die  Resultate,  da  zum  Theil  der  Muskel  durchschnitten  wurde,  sehr  wenig  er- 
freulich: gleich  nach  der  Operation  erhielt  man  allerdings  eine  gute  Augenstellung. 
aber  nach  einiger  Zeit  zog  der  Antagonist  das  Auge  nach  der  anderen  Seite. 
Ich  habe  selbst  noch  einen  \<>n  Dieffenbach  operirten  .Mann  gesehen,  der  früher 


Schieloperation.  ö05 

nach  innen  geschielt  hatte  und  jetzt  mit  beiden  Augen  nach  aussen  schielte: 
d.  h.  die  beiden  durchschnittenen  li.  interni  waren  fast  vollkommen  unthätig.  — 
Allmählich  kam  man  dazu,  einfach  die  Sehne  von  derSclerazu  lösen,  wie  Böhm 
L845  es  eingehend  beschrieben  hat:  das  Verdienst  Albr.  v.  G-raefe's  war  es, 
durch  genaue  Feststellung  des  Endeffectes  und  der  Indicationen  die  Operation 
auf  die  Höhe  gebracht  zu  haben,  auf  der  sie  jetzt  steht. 

Bei  der  Rücklagerung  wird  die  Sehne  des  abnorm  stark  wirken- 
den Muskels  an  ihrer  Anheftungsstelle  von  der  Sclera  getrennt.  Der 
Antagonist  kann  nunmehr  den  Bulbus  zu  sich  hinüberziehen.  Diese 
Lageveränderung  in  Verbindung  mit  der  eigenen  Contraction  des  teno- 
tomirten  Muskels  bewirkt,  dass  die  Sehne  einige  Millimeter  hinter  dem 
früheren  Ansatzpunkte  anheilt.  Durch  dieses  Abrücken  vom  vorderen 
Augenpol  wird  der  Einfluss  des  Muskels  auf  die  Drehung  des  Auges 
dauernd  verringert.  Es  kommt  noch  hinzu,  dass  die  Länge  der  An- 
heftungslinie  der  Sehne  an  der  Sclera  in  der  Regel  bei  der  Anheilung 
eine  kleinere  wird. 

Da  die  Sehne,  wie  wir  gesehen,  bei  ihrem  Durchtritt  durch  die 
Tenon'sche  Kapsel  seitliche  Einscheidungen  abgiebt  und  auch  sonst 
an  ihrer  der  Sclera  zugewandten  Seite  mehrfache  Anheftungsfäden  hat, 
so  wird  nach  einfacher  Abtrennung  ihrer  bogenförmigen  Ansatzlinie  der 
Einfluss  des  Muskels  auf  die  Augendrehung  —  selbst  ehe  es  zur  Wieder- 
anheilung  gekommen  —  doch  noch  nicht  gänzlich  aufgehoben.  Je  mehr 
man  jedoch  die  Tenon'sche  Kapsel  seitlich  einschneidet  und  je  voll- 
ständiger die  sonstigen  Verbindungen  gelöst  werden,  um  so  weiter 
rückwärts  wird  die  neue  Anheftung  der  Sehne  erfolgen  oder  mit  anderen 
Worten,  um  so  grösser  ist  der  Effect  der  Schieloperation. 

Dieselbe  wird  beim  R.  externus  oder  internus  so  ausgeführt,  dass 
man  eine  horizontal  verlaufende  Conjunctivalfalte  in  der  Nähe  des 
Sehnenansatzes  emporhebt,  indem  man  eine  Pincette,  die  eine  Branche 
oben,  die  andere  unten,  etwa  4  oder  5  mm  beim  Internus,  6  mm  beim 
Externus  vom  Hornhautrande  entfernt,  aufsetzt.  Mit  einer  leicht  ge- 
bogenen, aber  zur  Vermeidung  von  Einstichen  in  den  Bulbus  beiderseits 
stumpf  endenden  Scheere  wird  nunmehr  die  Conjunctivalfalte  senkrecht 
in  einer  Ausdehnung  von  5  bis  6  mm  eingeschnitten,  dann  geht  man  mit 
der  Scheere  unter  die  Conjunctiva  ein  und  schiebt  sie,  sich  auf  dem  Bul- 
bus haltend  und  mit  kleinen  Schnitten  schneidend,  in  schräger  Richtung 
(nach  oben-innen  oder  unten-innen  beim  R.  internus,  oder  nach  oben- 
aussen  oder  unten-aussen  beim  R.  externus)  ziemlich  weit  nach  hinten 
in  die  Tiefe.  Man  legt  sich  hiermit  den  Zugang  zu  dem  oberen  oder 
unteren  Rande  des  Sehnenansatzes  frei.  Welchen  von  beiden  man 
übrigens  wählt,  hängt  von  der  Bequemlichkeit  der  Schnittführung  ab : 
sitzt  man  vor  dem  liegenden  Patienten,  so  geht  man  bequemer  zu  dem 
oberen  Rande,   sitzt  man  hinter   seinem  Kopfe,   zu  dem  unteren.     Als- 


601  i 


Erkrankungen  der  Auerenmuskeln. 


dann  wird  ein  Schielhaken  (Figur  17(J)  in  die  freigelegte  Bahn  so  vor- 
geschoben, dass  der  Kopf  desselben  dem  Sehnenrand  abgewandt  ist. 
Befindet  man  sich  mit  dem  Schielhaken  ein  Stück  hinter  dem  Sehnen- 
ansatz,  so  führt  man  ihn  unter  die  Sehne,  indem  man  ihn  mit  dem 
Knopf  auf  der  Sclera  zu  ihr  hindreht.  Nunmehr  den  Schielhaken  in 
die  linke  Hand  nehmend,  präsentirt  man  sich  den  Sehnenansatz  und 
durchschneidet  ihn  dicht  unter  dem  Haken.  Häufig  wird  darin  gefehlt, 
dass  man  sowohl  mit  der  Scheere  als  mit  dem  Haken  nicht  genügend 
in  die  Tiefe  geht:  es  befindet  sich  dann  nur  etwas  Bindegewebe  und 
nicht  die  straffe  und  deutlich  erkennbare  Sehne  auf  dem  Haken.  Nach 
der  Trennung  geht  man  mit  einem  zweiten  kleineren  Haken  noch 
einmal  nach  oben  und  unten,  um  etwa  stehengebliebene  Verbindungen 
hervorzuziehen  und  zu  durchschneiden.  Man  hüte  sich,  zu  sehr  in  das 
Orbital-Fettzellgewrebe  mit  dem  Haken  zu  kommen,  da 
<sss^  alsdann,  besonders  bei  Kindern,  leicht  etwas  vorfällt.  Mit 

der  Dosirung  der  ausserordentlich  selten  erforderlichen 
Strabotomie  des  R.  superior  oder  inferior  muss  man  be- 
sonders vorsichtig  sein.  Hier  genügt  gewöhnlich  eine 
partielle  Trennung  der  Sehne,  die  hingegen  für  die  Seit- 
wärtswender fast  ohne  jeden  Effect  bleiben  würde.  Gleich 
nach  der  Operation  wird  constatirt,  ob  ein  entsprechender 
Verlust  an  Beweglichkeit  nach  der  operirten  Seite  hin  nach- 
weisbar ist.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  kann  man  sicher 
sein,  dass  noch  directe  Verbindungen  der  Sehne  mit  der 
Sclera  bestehen  und  muss  demnach  noch  einmal  mit  dem 
Schielhaken  danach  suchen. 

Der  Effect  einer  in  dieser  Weise  vorsichtig  ausgeführten 
Operation  ohne  stärkere  Einschnitte  in  die  Seitenverbin- 
dungen  corrigirt  im  Durchschnitt  bei  Strab.   convergens 
2  bis  3  mm  Schielablenkung;  bei  Strab.  divergens  weniger. 
Dies  ist  natürlich  nur  eine  sehr  bedingte  Angabe,  da  der 
Grad  der  Correction  von  sehr  vielen  Nebenumständen  (wie   Kraft  des 
Antagonisten,  Refraetion  des  Auges  u.  s.  w.),  von  denen  zum  Theil  noch 
später  die  Rede  sein  soll,  abhängig  ist. 

Um  aber  ein  annäherndes  Urtheil  über  den  Erfolg  der  Operation 
zu  haben,  nehme  man  nach  derselben  eine  Prüfung  vor;  doch  wrarte 
man  etwas,  besonders  bei  Kindern,  bis  die  Operirten  wieder  sich  er- 
holt haben  und  willenskräftig  geworden  sind.  Man  lässt  den  Patienten 
mit  etwas  gesenkter  Visirebcne  ein  Licht  in  einer  Entfernung  von  circa 


179. 

Schielhaken. 


3  bis  4  m  fixiren,  das  in  der  Richtung  der  Mittellinie  des  Kopfes  sich 
befindet  und  beachte  die  Augenstcllung.  Bei  Strab.  convergens  ist  ein 
restirendes  Einwärtsschielen  von  1  bis  2  mm   erwünscht.     Alsdann   ist 


Schieloperation.  (>07 

hier  noch  zu  prüfen,  ob  keine  Insufticienz  des  zurückgelagerten  Mus- 
kels eingetreten  ist.  Der  Patient  muss  ein  ihm  in  der  Mittellinie  ge- 
nähertes Object  (z.B.  die  Fingerspitze)  noch  bis  zu  einer  Annäherung 
von  etwa  12  cm  dauernd  fixiren  können;  weicht  das  Auge  früher  nach 
aussen,  so  ist  ein  späteres  Uebersehlagen  in  Divergenz  zu  befürchten 
und  der  Operationseffeet  sofort  zu  beschränken.  Zu  dem  Zwecke  näht 
man  die  periphere  Schnittfläche  der  Conjunctiva,  die  bei  obiger  Ope- 
rationsweise noch  zum  Theil  mit  der  Sehne  und  dem  Muskel  in  Ver- 
bindung bleibt,  an  die  corneale  an.  Diese  Conjunctivalnaht  zieht  mit 
der  central  gerückten  Conjunctiva  auch  die  Sehne  wieder  näher  an  die 
Cornea  heran.  Die  Naht  lässt  man  vier  Tage  liegen,  bis  die  definitive 
Anheilung  der  Sehne  erfolgt  ist.  Will  man  hingegen  den  Effect  ver- 
grössern,  so  macht  man  grössere  seitliche  Einschnitte  in  die  Tenon'sche 
Kapsel,  oder  auch  man  legt  eine  Naht  unter  die  Conjunctiva  der  ent- 
gegengesetzten Augenhälfte  in  grösserer  oder  geringerer  Länge,  welche 
geknüpft  die  Conjunctiva  zusammenschnürt  und  so  das  Auge  nach  der 
betreffenden  Seite  wendet. 

I  >ie  einfache  Strabotomie  hat  eine  Eeihe  von  Modificationen  in  der  Ausführung 
erfahren.  So  machten  Bowman  und  Critchett  die  Operation  gleichsam  subcutan, 
indem  sie  den  Conjunctivalschnitt  nicht  senkrecht,  sondern  horizontal  längs  des 
unteren  Sehnenrandes  anlegen,  dann  die  Scheere  einführen  (eine  Branche  vor, 
eine  hinter  die  Sehne)  und  den  Ansatz  durchschneiden.  Sie  vermeiden  damit 
gleichzeitig  ein  Zurücksinken  der  peripheren  Conjunctivalpartie.  Letzteres  ist 
kosmetisch  besonders  störend  bei  der  Internusoperation,  weil  mit  der  Conjunctiva 
auch  die  Carunkel  etwas  zurücksinkt.  Um  dasselbe  wie  bei  der  englischen  Methode 
zu  erzielen,  und  dennoch  einen  ausgiebigen  Zugang  zum  Operationsterrain  zu 
haben,  empfiehlt  es  sich  nach  Liebreich,  die  Conjunctiva  bis  zur  Carunkel  hin 
vollständig  von  ihrer  Unterlage  zu  lösen  und  dann  nach  erfolgter  Tenotomie  die 
Conjunctivalwunde  zu  vernähen.  Es  tritt  hierbei  keine  Verkleinerung  des  Opera- 
tionseffectes  ein,  da  die  Conjunctiva  eben  nicht  mehr  mit  der  gelösten  Sehne  in 
Verbindung  steht.  Nach  Arlt  macht  man  den  Conjunctivaleinschnitt  dicht  vor 
dem  Sehnenansatz,  lüftet  dann  die  Conjunctiva  und  fasst  die  Sehne  mit  einer 
Pincette.  — 

Bei  höheren  Graden  der  Schielablenkung  (etwa  über  3  mm  bei  Strab. 
convergens  und  über  2  mm  bei  Strab.  divergens)  wird  die  einmalige 
Schieloperation  meist  nicht  genügen.  Man  kann  alsdann  die  Operation 
auf  beide  Augen  symmetrisch  vertheilen,  beispielsweise  bei  Strab.  con- 
vergens beide  E.  interni  tenotomiren;  hierdurch  erfolgt  beiderseits  eine 
entsprechende  Auswärtsstellung.  Diese  Methode  hat  den  grossen  Vor- 
theil,  dass  man  nicht,  wie  bei  einer  ausgiebigen  einseitigen  Operation, 
eine  derartig  starke  Schwächung  des  operirten  Muskels  bewirkt,  dass 
ein  absoluter  Beweglichkeitsdefect  des  Auges  die  Folge  ist.  Anderer- 
seits ist  zu  erwägen,  dass  bei  sehr  hohen  Graden  selbst  eine  dreimalige 
Tenotomie  (zweimal  an  demselben  AugeJ  nöthig  werden  kann.    Weiter 


608  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

können  sich  gegen  dies  Verfahren  Bedenken  erheben,  wenn  das  stark 
schielende  Auge  sehr  sehschwach  ist.  Hier  könnte  ein  Unglückstall, 
der  bei  der  Operation  das  sehende  Auge  schädigte,  zur  vollen  Er- 
hlindung  führen. 

Man  verlagert  deshalb  in  solchen  Fällen,  um  eine  stärkere  Wirkung 
zu  erzielen,  nach  der  Strabotomie  des  contrahirten  Muskels  den  Antago- 
nisten weiter  nach  vorn.  Die  hierzu  erforderliche  Vorlagerung  (Guerin, 
Grit  che  tt)  wird  in  folgender  Weise  ausgeführt.  Man  incidirt  die 
Conjunctiva  über  dem  schwachen  Muskel  (bei  Strabismus  divergens 
also,  nach  der  Strabotomie  des  Externus,  über  dem  Internus),  als  wenn 
man  die  Tenotomie  ausführen  wollte,  nimmt  nach  ausgiebiger  Lockerung 
der  Conjunctiva  von  dem  unterliegenden  Gewebe  die  Sehne  auf  den 
Schielhaken  und  legt  nun  Fäden  durch  den  Muskel  in  der  Nähe  seines 
Uebergangs  in  das  Sehnengewebe.  Man  kann  hier  zwei,  mit  je  zwei 
krummen  Nadeln  versehene  Fäden  benutzen.  Der  eine  Faden  dient 
zur  Sicherung  der  oberen  Partie  des  Muskels,  der  andere  zu  der  der 
unteren;  ersterer  wird  demnach  in  der  Nähe  des  oberen,  letzterer  in 
der  Nähe  des  unteren  Muskelrandes  von  hinten  her  durchgeführt.  Als- 
dann wird  die  Sehne  von  der  Sclera  gelöst,  wobei  man  darauf  achten 
muss,  die  Fäden  nicht  zu  durchschneiden.  An  diesen  zieht  man  nun- 
mehr den  Muskel  mit  seiner  Sehne  nach  vorn  und  näht  ihn  an,  indem 
man  die  zweite  krumme  Nadel  jedes  Fadens  wiederum  von  hinten  her 
durch  die  gegenüberliegende  (d.  h.  der  Cornea  anhaftende)  Conjunctiva 
sticht  und  dann,  nach  Entfernung  auch  dieser  Nadel,  die  Enden  jedes 
einzelnen  Fadens  verknüpft.  Je  näher  an  der  Cornea  man  die  Con- 
junctiva —  eventuell  auch  in  schräger  Richtung  nach  oben,  bezw. 
nach  unten  dem  verticalen  Meridian  des  Auges  zu  —  durchsticht,  um 
so  weiter  wird  die  Sehne  vorgezogen  werden.  Man  achte  darauf,  dass 
der  Muskel  gerade  nach  vorn,  nicht  etwa  nach  oben  oder  unten,  ver- 
lagert wird.  Die  Conjunctivalwun.de  wird  über  der  Sehne  ebenfalls 
vernäht.  Wenn  es  sich  um  secundäres  Divergenzschielen  nach  einer 
Strabotomie  des  Internus  mit  Zurücksinken  der  Carunkel  behandelt, 
bewirkt  man  ein  Wiederhervorziehen  der  letzteren  noch  besser  so, 
dass  man,  nachdem  die  Conjunctiva  von  dem  unterliegenden  Ge- 
webe bis  zur  Carunkel  hin  gelöst  ist,  von  dem  peripheren  Wund- 
rande ein  mehrere  Millimeter  breites,  halbmondförmiges  Stückchen 
Conjunctiva  abschneidet  und  nun  erst  die  Conjunctivalwunde  durch 
Nähte  vereinigt. 

Ein  Vornähen  des  geschwächten  Muskels  ohne  vorangegangene 
Lösung  der  Sehne  des  Antagonisten  hat  nur  geringen  Effect.  Wohl 
aber  habe  ich  einen,  die  einfache  Schieloperation  übertreffenden  Effect 
erzielt,  indem  ich  nach  Tenotomie  des  Antagonisten  den  geschwächten 


Schieloperation.  (JQ9 

Muskel  in  der  oben  angegebenen  Weise  vornähte,  ohne  jedoch  seine 
Sehne  von  ihrem  Ansatz  gelöst  zu  haben.  Wecker  hat  in  ähnlicher 
Weise  die  Tenon'sche  Kapsel  vorgenäht,  indem  er  oberhalb  und  unter- 
halb der  Sehne  sie  incidirte  und  hier  die  Nadeln  einführte. 

Die  Fäden  entfernt  man  nach  drei  bis  vier  Tagen  oder  lässt  sie 
auch  durchreissen  bezw.  einheilen. 

Während  die  Yornähung  bei  Divergentschielen,  wo  ein  excessiver 
( >perationseffeet  sieh  im  Laufe  der  Zeit  zu  verringern  pflegt,  häufiger 
indicirt  ist,  sollte  man  beim  Convergentschielen,  bei  welchem  ziemlich 
regelmässig,  oft  noch  nach  Jahren,  eine  Steigerung  der  Operations- 
wirkimg zu  Stande  kommt,  doch  recht  vorsichtig  sein,  da  durch  das 
1  lei  überziehen  des  Bulbus  nach  der  Seite  des  vorgenähten  Muskels 
der  tenotomirte  leicht  zu  weit  hinten  anheilt.  Muss  man  hier  vor- 
nähen, so  ist  es  besser,  die  Tenotomie  und  Vornähung  in  zwei 
Tempi  zu  machen:  d.  h.  letztere  erst  nach  sechs  bis  acht  Tagen 
auszuführen,  wenn  die  Sehne  des  tenotomirten  [Muskels  bereits  an- 
geheilt ist. 

Landolt  empfiehlt  als  Regel  die  A^ornähung  des  Antagonisten 
und  des  gleichnamigen  Muskels  des  anderen  Auges  ohne  Tenotomie 
des  contrahirten  Muskels.  Ich  kann  nur  betonen,  dass  mir  die  oben 
entwickelten  Indicationen  bei  den  von  mir  gemachten  Operationen  im 
Allgemeinen  recht  gute  Resultate  gegeben  haben. 

Die  Nachbehandlung  besteht  im  Anlegen  eines  Schlussverbandes 
mit  gleichzeitiger  Verklebung  des  anderen  Auges. 

In  den  ersten  drei  bis  vier  Tagen  lässt  man  den  Operirten  im 
Zimmer  bleiben.  Wenn  auch  im  Grossen  und  Ganzen  sowohl  die 
Vornähung  als  besonders  die  einfache  Strabotomie  als  durchaus  un- 
gefährliche Operationen  zu  betrachten  sind,  so  werden  doch  Fälle 
mitgetheilt,  in  denen  durch  Vereiterungen  im  Orbitalfettgewebe,  durch 
Scleralaffection  und  eitrige  Chorioiditis  die  Augen  zu  Grunde  ge- 
gangen sind.  Vor  Allem  dürften  hier  wohl  directe  Wundinfectionen  in 
Frage  kommen,  gelegentlich  aber  auch  Schädlichkeiten  in  der  Heilungs- 
periode. 

Schon  aus  diesem  Grunde  empfiehlt  sich  die  gleichzeitige  Ope- 
ration beider  Augen,  wenn  ein  höherer  Schielgrad  eine  doppelseitige 
Tenotomie  indiciren  sollte,  nicht.  Aber  auch  die  Rücksicht  auf  die 
Augenstellung  lässt  es  vorsichtiger  erscheinen,  erst  den  Effect  der 
einen  Operation  in  seiner  Weitergestaltung  abzuwarten.  Wir  be- 
obachten nämlich  noch  lange  dauernde  Nachwirkungen,  welche  bei 
Strab.  convergens  in  der  Regel  den  Effect  vermehren,  bei  Strab.  di- 
vergens  ihn  vermindern. 

Die  unmittelbar  nach   der   Operation  bestehende  Ablenkung  wird 

Schmidt-Rimpler.     T.Auflage.  39 


610  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

mit  der  Wiecleranheilung  der  Sehne  an  die  Sclera,  vom  dritten  Tage 
an,  etwas  vermindert,  indem  der  Muskel  jetzt  wieder  einen  festen  An- 
satzpunkt für  seine  Wirkung  erlangt  hat.  Aber  in  einer  dritten  Periode, 
die  etwa  nach  sechs  bis  acht  Wochen  beginnt,  vergrössert  sich  in  der 
Kegel  dureh  Erschlaffung  der  Anheftungsstelle  bei  Strab.  convergens 
der  Operationseffect  von  Neuem. 

Für  den  Enderfolg  ist  maassgebend,  ob  ein  binocularer  Sehact, 
wenn  auch  nur  in  massigem  Grade,  besteht  oder  nicht.  Ist  derselbe 
aufgehoben,  so  ist  die  Tendenz  zur  Divergenz  eine  erheblich  stärkere. 
Ja  selbst  ein  ziemlicher  Grad  von  Strab.  convergens,  den  man  nach 
der  Operation  noch  bestehen  lässt,  kann  allmählich  in  Strab.  diver- 
gens  übergehen.  Weniger  häufig,  auch  in  Fällen,  wo  der  binoculare 
Sehact  fehlt,  wird  dies  eintreten,  wenn  Hyperopie  des  sehenden  Auges 
vorhanden  ist,  da  die  Accommodationsanstrengung  die  Convergenz 
unterstützt.  Doch  ist  selbst  hier  zu  beachten,  dass  sich  bei  jugend- 
lichen Individuen  die  Hyperopie  mit  der  Zeit  in  Myopie  umgestaltet 
und  damit  die  Accommodationstendenz,  welche  dem  U  eberschlagen  in 
Divergenz  entgegensteht,  verloren  geht.  Die  Fälle,  wo  nach  Jahren 
—  selbst  bei  früherem  binocularen  Sehact  —  Divergenz  eintritt,  wenn- 
gleich in  der  latenten  Form,  sind  recht  häufig,  trotzdem  sie  von  den 
besten  Operateuren  operirt  sind.  Es  spielen  hier  zu  viele  Momente 
mit,  als  dass  man  mit  absoluter  Sicherheit  den  Endeffect  bestimmen  könnte. 
Bei  jugendlichen  Individuen  muss  man  auf  jeden  Fall  noch  einen  Strab. 
convergens  von  1  bis  2  mm,  wenigstens  bei  Ausschluss  eines  Auges 
unter  der  deckenden  Hand,  nach  der  Operation  stehen  lassen.  Sollte 
selbst,  wie  es  ausnahmsweise  geschieht,  besonders  wenn  von  Hyperopen 
nicht  die  corrigirenden  Brillen  getragen  werden,  die  Convergenz  im 
Laufe  der  Zeit  sich  mehren,  so  ist  damit  weniger  verloren,  da  sich 
die  Operation  alsdann  wiederholen  lässt.  —  Bei  Strab.  divergens  hin- 
gegen geht  selbst  eine,  gleich  nach  der  Operation  vorhandene  Ueber- 
correction  meist  zurück. 

Falsche  Dosirungen  des  Effectes,  die  in  der,  der  Operation  nächst- 
folgenden Zeit  hervortreten,  kann  man  in  etwas  ausgleichen,  indem 
man  Schielbrillen  tragen  lässt.  Wird  die  eine  Hälfte  des  Brillen- 
glases verklebt,  die  andere,  welche  sich  dem  Antagonisten  des  operirten 
Muskels  gegenüber  befindet,  offen  gelassen,  so  muss  das  Auge  sich 
beim  Sehen  dahin  wenden.  Es  wird  hierdurch  der  noch  nicht  feste 
Ansatz  des  tenotomirten  Muskels  gelockert  und  der  Effect  der  Ope- 
ration gesteigert.  Eine  Verringerung  des  Effectes  ist  mittels  der  um- 
gekehrt angelegten  Schielbrille  kaum  zu  erhoffen.  Zwingt  man  nämlich 
das  Auge,  nach  der  Seite  des  tenotomirten  Muskels  zu  blicken,  so  wird 
die  <  'ontraction   desselben  zerrend    auf  den   noch  nicht  festen  Sehnen- 


[nsufficienz  der  M.  recti  interni.  (>H 

ansatz   wirken  und  so  der  durch  Dehnung  des  Antagonisten  erstrebte 
Effect  nicht  erreicht  werden. 

Handelt  es  sich  um  hyperopischen  Strab,  convergens,  so  kann 
man,  wenn  der  Sehnenansatz  nach  einiger  Zeit  genügend  gesichert 
ist,  durch  Arbeiten  in  der  Nähe  ohne  Brille  dem  Muskel  eine  höhere 
aecommodative  Spannung  geben.  Andererseits  wird  man  bei  zu  ge- 
ringem Effect  oder  bei  guter  Stellung  die  corrigirende  Convexbrille 
für  die  Xahearbeit,  eventuell  selbst  für  die  Fernarbeit  tragen  lassen. 
Auch  kann  eine  vollkommene  Accommodationslähmung  durch  Atropin 
die  Convergcnztendcnz  zeitweise  verringern. 

Ist  ein  binoculares  Sehen  vorhanden  —  und  es  tritt  öfters  selbst 
in  den  Fällen  zu  Tage,  wo  vor  der  Operation  absolut  keine  Doppel- 
bilder erzielt  werden  konnten  — ,  so  sind  methodisch  stereoskopische 
Uebungen  zu  machen;  um  eine  correcte  Stellung  zu  erzielen  und  dauernd 
zu  erhalten.  Man  beginnt  mit  meiner  oben  beschriebenen  Vorlage  mit 
farbigen  Scheiben,  geht  dann  über  zu  Bildervorlagen,  wie  sie  beispiels- 
weise von  Burchardt,  Kroll-Perlia  und  Dahlfeld  herausgegeben 
sind  ( vergi.  S.  158)  und  endet  mit  den  das  körperliche  Sehen  anregenden 
gewöhnlichen  stereoskopischen  beziehentlich  geometrisch-stereosko- 
pischen Bildern.  Sehr  selten  werden  die  geometrischen  Figuren  von 
Schieloperirten  sofort  körperlich  gesehen,  jedoch  gelingt  es  nach  einiger 
Uebung  doch  in  einer  Reihe  von  Fällen.  Noch  schwieriger  ist  das 
Bestehen  des  Hering'schen  Fallversuches:  aber  auch  dies  wird  von 
Einigen  erreicht.  —  Immer  ist  der  „Wille  zur  binocularen  Fixation" 
dauernd  anzuregen. 

Der  Enderfolg  der  Schieloperationen  wird  je  nach  der  bestehenden 
Sehschärfe  der  Augen  und  der  erreichten  Normalisirung  der  Stellung 
verschieden  ausfallen.  In  einer  beträchtlichen  Zahl  der  operirten  Fälle 
—  so  bei  hochgradiger  Schwachsichtigkeit  eines  Auges  —  ist  der  factische 
Effect  nur  ein  kosmetischer.  In  anderen  wird  eine  Steigerung  der  Ge- 
brauchs- und  Sehfähigkeit  des  früher  abgelenkten  Auges  und  ein  mehr 
oder  weniger  vollkommener  binocularer  Sehact  erzielt.  Da  aber  hierzu 
Xachübungen  erforderlich  sind,  so  thut  man  gut,  die  Kinder  erst  eine 
gewisse  geistige  Reife  erreichen  zu  lassen  und  nicht  vor  Ablauf  des 
5.  oder  6.  Lebensjahres  zu  operiren,  wenn  es  sich  nicht  etwa  um  ganz 
hochgradige  Schielformen  handelt,  bei  denen  man  sich  vorläufig  mit 
einer  annähernden  Richtigstellung  begnügen  kann. 

3.  Insuffizienz  der  M.  recti  interni.     Asthenopie. 

Bei  nicht  wenigen  Menschen  geht  die  sonst  vorhandene  genaue 
Augeneinstellung   beim  Blick    auf   einen   nahen  Gegenstand   verloren, 

39* 


612  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

sobald  man  ein  Auge  mit  der  Hand  verdeckt:  ausgeschlossen  vom 
binocularen  Sehact  weicht  dasselbe,  und  zwar  meist  nach  aussen  ab. 
Diese  Stellung  entspricht  seiner  musculären  Ruhelage.  Die  genaue  Ein- 
stellung beider  Augen  auf  ein  nahes  Object  findet,  abgesehen  von  dem 
Einflüsse  des  binocularen  Sehens  und  dem  Widerwillen  gegen  Doppel- 
bilder (Fusionstendenz),  eine  weitere  Stütze  in  der  zum  ISSahesehen  er- 
forderlichen Accommodationsspannung,  die,  wie  wir  wissen,  stets  mit 
Anspannung  des  R.  internus  verknüpft  ist,  und  im  Convergenzgefühle. 
Da  Kurzsichtige  weniger  Accommodation  bedürfen  als  Emmetropen  und 
Hypermetropen,  so  erklärt  sich,  dass  vorzugsweise  bei  ihnen  eine  stärkere 
Verminderung  des  Convergenzvermögens  hervortritt.  Es  gesellen  sich 
bei  höheren  Graden  der  Kurzsichtigkeit  hierzu  noch  die  Momente,  die 
wir  oben  als  den  manifesten  Strab.  divergens  begünstigend  kennen 
gelernt  haben.  Aber  auch  bei  Emmetropen  und  Hyperopen  können 
wir  diese  Insuffizienz  (dynamische  Divergenz,  latenter  Strab. 
divergens)  beobachten,  wenngleich  sie  weniger  häufig  belästigt,  da 
beim  Lesen  und  Schreiben  keine  so  starke  Annäherung  der  Objecte 
erforderlich  ist. 

Die  Beschwerden  sind  die  der  Asthenopie:  der  Mangel  an  Aus- 
dauer beim  Arbeiten  in  der  Nähe.  Wenn  die  Patienten  beispielsweise 
lesen,  so  werden  nach  einiger  Zeit  die  Buchstaben  undeutlich,  selbst 
doppelt  gesehen.  Dazu  gesellt  sich  Druck  in  und  über  den  Augen: 
auch  Kopfschmerzen  und  Uebelkeit  kann  die  Folge  sein.  Es  beruht 
dies  Alles  auf  der  unzulänglichen  und  bald  ermüdenden  Thätigkeit  der 
R.  interni.  Im  Beginn  des  Lesens  werden  noch  beide  Augen  genau 
eingestellt;  nach  einiger  Zeit  erschlafft  die  Kraft  der  R,  interni:  die 
Augen  kommen  in  Divergenzstellung.  Damit  treten  gekreuzte  Doppel- 
bilder auf,  die  dem  Kranken  meist  nicht  voll  zum  Bewusstsein  kommen, 
sondern  nur  die  Erscheinung  eines  „Flininierns"  oder  „Verschwommen- 
seins" machen.  Sucht  er  nun  durch  neuen  Convergenzimpuls  wieder 
richtig  einzustellen,  so  wird  die  Schrift  wieder  deutlicher.  Dass  sich 
wiederholende  An-  und  Abspannen  des  Muskels,  die  Doppelbilder  und 
die  vermehrte  Innervation  zu  ihrer  momentanen  Ueberwindung  geben 
dann  Anlass  zu  den  complicirenden  nervösen  Erscheinungen. 

Insuffizienz  der  R.  externi  kann  ebenfalls  Asthenopie  veranlassen 
(Noyes). 

Diese  Form  der  Asthenopie  wird  vorzugsweise  als  mus ciliare 
bezeichnet,  im  Gegensatz  zu  der  oben  geschilderten  aecommodativen, 
retinalen  und  nervösen.  Jedoch  beruht  das  Hervortreten  d  er  Beschwerden, 
wenn  auch  die  Muskelschwäche  die  directe  Ursache  bildet,  häufig  auf 
hiniTvationsstörungen  aus  centralen  Ursachen  (neuralgische  Insuffizienz) 
oder  liegt  in  allgemeinen  Schwächezuständen,  die  eine  entsprechende 


Insufficienz  der  M.  recti  interni.    Diagnose.  (IIB 

stärkere  Innervation  des  schwachen  Muskels  verhindern.  Dafür  spricht 
das  zeitweilige  Auftreten  der  Asthenopie  und  ihr  Verschwinden,  ohne 
dass  eine  directe  Stärkung  des  Muskels  eingetreten  wäre. 

Nicht  selten  werden  hohe  Grade  von  Insuffieienz  überwunden,  bei 
denen  jegliche  asthenopische  Beschwerden  fehlen.  Für  die  stärkere  Inner- 
vation des  insufficienten  Muskels  können  von  Bedeutung  sein  die  Stärke 
des  Fusionsvermögens  für  Doppelbilder  und  andere  Momente  (Accom- 
modation;  Xahebewusstsein  [Hansen  Grut]  oder  Convergenzgefühl 
[A.  Graefe];  Wille  zur  binocularen  Fixation) ;  selbst  bei  insufficienter 
Muskelkraft  kann  so  eine  dauernd  correcte  Einstellung  bewirkt  werden. 
Auch  sei  hervorgehoben,  dass  die  mechanische  Hebung  oder  Aus- 
gleichung der  Muskel-lnsufficienz  durchaus  nicht  immer  die  betreffenden 
Beschwerden  verschwinden  lässt.  Es  besteht  hier  oft  eine  Complication 
mit  sonstiger  Nervosität. 

Diagnose.  Die  Schwierigkeit  der  Diagnose  liegt  darin,  dass  zeit- 
weise durch  einen  erhöhten  Nervenimpuls  die  Muskeln  ihre  volle  Kraft 
zeigen  können.  So  kann  das  P.  proximum  der  Convergenz  bei  An- 
näherung eines  zu  fixirenden  Objectes  vollkommen  normal  sein,  ebenso 
die  Breite  des  durch  Prismen  (Basis  nach  aussen  vor  ein  Auge  gelegt) 
zu  bestimmenden  Adductionsvermögens.  Sollten  hier  erheblichere  Ab- 
normitäten hervortreten,  so  würde  die  Diagnose  sich  daraus  ergeben; 
doch  wird  bei  den  auch  physiologisch  nicht  geringen  Schwankungen 
durch  diese  Bestimmungen  in  der  Regel  keine  ausreichende  Sicherheit 
gewonnen. 

Albrecht  von  Graefe  hat  deshalb  einen  anderen  Versuch 
(Gleichgewichts versuch)  angegeben,  indem  er  dem  Patienten 
durch  Vorhalten  eines  Prismas  mit  der  Basis  nach  unten  oder  oben  vor 
ein  Auge  künstlich  übereinanderstehende  Doppelbilder  schafft.  Jetzt 
kann  das  Interesse  des  Einfachsehens,  welches  ihn  für  gewöhnlich  ver- 
anlasst, die  R.  interni  abnorm  zu  innerviren  und  die  Augen  richtig  zu 
stellen,  nicht  mehr  in  Frage  kommen;  die  Augen  werden  sich  so  stellen, 
wie  sie  nach  ihrem  musculären  Gleichgewicht  stehen  sollten.  Die  Prüfung 
wird  für  eine  Entfernung  gemacht,  die  der  individuellen  Leseweite,  welche 
nach  dem  Grade  der  Myopie  und  der  etwaigen  Correction  durch  Concav- 
gläser  verschieden  ist,  entspricht.  Als  Object  wird  ein  schwarzer  Punkt 
(Tintenfleck)  auf  weissem  Papier  benutzt.  Dies  ist  besser  als  eine  senk- 
rechte Linie  mit  einem  darauf  befindlichen  Punkte,  weil  bisweilen  schon 
durch  die  Linie,  welche  in  eine  einzige  verschmolzen  werden  kann,  die 
Fusionstendenz  angeregt  wird. 

Hält  man  beispielsweise  vor  das  linke  Auge  ein  Prisma  von  18  <  Jrad 
Basis  nach  unten,  und  blickt  auf  den  schwarzen  Punkt  des  in  25  cm 
Entfernung  vorgelegten  Papiers,    so    wird    der,    welcher    eine    normale 


IJ14  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

Augenstellung  hat,  jetzt  zwei  Punkte  sehen,  die  gerade  übereinander 
.stehen:  der  höhere  gehört  dem  linken  Auge  an.  Tritt  aber  eine  Diver- 
genz  der  Augen  ein,  so  rückt  das  höhere  Bild  des  linken  Auges  nach 
rechts  herüber.  Dieses  Auftreten  von  gekreuzten  Doppelbildern  erweist 
die  Insuffizienz  der  M.  recti  interna.  Den  Grad  der  Insufficienz  können 
wir  durch  dasjenige  Prisma  ausdrücken,  welches  mit  der  Basis  nach  innen 
vor  das  andere  Auge  gelegt,  die  Doppelbilder  wieder  gerade  über- 
einander bringt.  In  der  Regel  sind  beide  R.  interni  insufficient;  sollte 
der  eine  es  im  höheren  Grade  sein,  so  lässt  sich  dies  meist  erkennen. 
Bei  Bestimmung  des  P.  prox.  der  Convergenz  durch  Annäherung  eines 
<  )bjectes  in  der  Mittellinie  wird  nämlich  das  betreffende  Auge  mit 
ziemlicher  Regelmässigkeit  zuerst  abweichen;  jedoch  können  hier  auch 
1  >ifferenzen  in  der  Refraction  und  Sehschärfe  eine  beeinflussende 
Rolle  spielen. 

Besser  noch  ist  es  für  die  Xähe  (etwa  30  cm)  das  Adductionsvermögen  zu  be- 
stimmen, indem  man  zuerst  das  stärkste  Prisma  feststellt,  welches  beim  Vorlegen 
vor  das  linke  Auge  (Basis  nach  aussen)  im  Interesse  des  Einfachsehens  des 
fixirten  Ob jeetes  überwunden  werden  kann;  alsdann  —  aber  nach  längerer  Kuhe- 
pause  —  macht  man  dieselbe  Bestimmung,  indem  man  das  Prisma  vor  das  rechte 
Auge  legt.  Zeigen  sich  hier  Differenzen  in  der  Stärke  der  Prismen,  so  hat  das 
Auge,  welches  nur  das  schwächere  Prisma  durch  Schielen  überwindet,  auch  den 
schwächeren  R.  internus.  — 

Der  Gleichgewichtsversuch  ist  zur  Diagnose  der  Insufficienz  nicht 
in  allen  Fällen  ausreichend,  da  er  durch  Accommodationsänderungen, 
durch  den  AVillen  zur  genauen  binocularen  Fixation  und  selbst  durch 
eintretende  Fusionstendenz  bisweilen  schwankende  Resultate  giebt:  öfters 
gehen  dem  Kranken  die  Punkte  hin  und  her,  stehen  nicht  fest  u.  s.  w. 

Alfred  Graefe  bestimmt  den  Grad  der  Insufficienz  daher  etwas 
anders.  Er  legt  vor  ein  Auge  ein  Prisma  mit  der  Basis  nach  innen, 
lässt  einen  Punkt  in  der  entsprechenden  Entfernung  fixiren,  bedeckt 
alternirend  die  Augen  und  sieht  nun,  ob  nach  dem  Wiederfreilassen 
das  betreffende  Auge  eine  Einstellungsbewegung  macht.  Rückt  es  nasal- 
wärts,  so  ist  seine  Ruhestellung  eine  mehr  divergente,  das  Prisma  wäre 
also  zu  schwach,  und  umgekehrt.  Das  Prisma,  unter  dem  die  Augen, 
bedeckt  und  wieder  frei  gelassen,  still  stehen  bleiben,  entspracht  der 
Ruhestellung. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Insufficienz,  dass  der  Grad  derselben  fin- 
den Blick  auf  nähere  oder  fernere  Gegenstände  ein  verschiedener  ist, 
\uv  weitere  Entfernungen  geringer.  Es  ist  daher  nicht  selten,  dass  der 
Gleichgewichtsversuch,  beim  Blick  auf  ein  in  4  oder  5  m  befindliches 
Licht  angestellt,  vollständig  normale  Stellung,  ja  selbst  einen  latenten 
Strabismus   eonvergens   ergiebt. 


Insufficienz  der  M.  recti  interni.  Therapie.  (315 

Therapie.  Die  Behandlung  kann  eine  friedliche  oder  operative 
sein.  Bei  geringerem  Grade  ist  die  erstere  immer  vorzuziehen  und 
selbst  bei  höheren  Graden  wird  man  öfters  durch  theilweise  Correction 
die  Beschwerden  heben.  Man  kann  versuchen,  durch  sehr  vorsichtig 
angestellte  stereoskopische  Hebungen,  wie  wir  sie  oben  zur  Behandlung 
des  Strab.  convergens  empfohlen  haben,  eine  Stärkung  der  R.  interni  zu 
erzielen:  doch  muss  man  eine  genaue  Controle  führen,  da  eine  Ueber- 
anstrengung  derselben,  wie  sie  hierbei  leicht  vorkommt,  gerade  im 
Gregentheil  eine  Verringerung  ihrer  Kraft  zur  Folge  haben  könnte. 
Mehr  verspricht  der  constante  Strom,  Aufgeben  jeder  Nahebeschäftigung 
während  4 — 6  Wochen,  allgemeine  Kräftigung.  Symptomatischen  Nutzen 
bringen  Prismen,  deren  Gebrauch  für  eine  Insufficienz  bis  zu  sechs 
oder  acht  Grad  immer  angezeigt  ist.  Hat  man  in  der  Leseweite  des 
Patienten  (beispielsweise  30  cm)  eine  Insufficienz  von  sechs  Grad  ge- 
funden, so  verordnet  man  ihm  zur  Arbeit  eine  Brille,  die  beiderseits 
Prismen  von  drei  Grad  hat.  Prismen  über  fünf  Grad  sind  wegen  ihrer 
Schwere  und  Farbenzerstreuung  nicht  gut  verwendbar.  Bei  den  höher- 
gradigen  Insufficienzen  wird  man  sich  demnach,  wenn  man  nicht 
operiren  will,  mit  partieller  Correction  oder  einer  Combination  mit 
sphärischen  Gläsern  helfen.  Durch  letztere  legt  man  die  Leseweite 
etwas  hinaus  und  wird  dann  in  der  Regel  für  die  grössere  Entfernung 
auch  eine  geringere  Insufficienz  constatiren.  Hätte  ein  Myop  6-0,  wenn 
er  in  seinem  Fernpunkt  (16.6  cm)  die  Schrift  liest,  ohne  Correction 
eine  Insufficienz  von  10  Grad,  so  könnte  man  durch  ein  Concavglas  3-0 
den  Fernpunkt  auf  33-3  cm  hinrausrücken.  Liest  er  nunmehr  in  22  cm, 
so  ergiebt  die  Messung  in  der  Regel  eine  geringere  Insufficienz  (bei- 
spielsweise sechs  Grad).  Es  hat  hier  nicht  nur  die  Entfernung  einen 
Einrluss  auf  Verringerung  der  Insufficienz  geübt,  sondern  auch  die  unter 
der  Brille  erfolgende  stärkere  Accommodationsspannung.  Die  Brille 
würde  dann  so  verschrieben  werden:  Brille,  beiderseits:  — -3-0,  Prisma 
3  Grad,  Basis  nach  innen.  Bisweilen  genügt  schon  einfach  das  Tragen 
sphärischer  Gläser,  um  durch  Hinausrücken  der  Leseweite  die  In- 
sufficienz zum  Verschwinden  zu  bringen  oder  auf  ein  minimales  Maass 
zurückzuführen.  In  letzterem  Falle  kann  man  auch  die  prismatische 
Wirkung,  welche  stärkere  Concavgläser  ausüben,  sobald  man  durch 
ihre  Randpartien  sieht,  benutzen.  Man  lässt  das  Brillengestell  so  ein- 
richten, dass  der  Kranke  beiderseits  durch  die  innere  Hälfte  des  Concav- 
glases  sehen  muss. 

Die  operative  Behandlung  der  Insufficienz  der  R.  interni  besteht 
in  der  Tenotomie  des  R.  externus:  wenn  sich  der  R.  externus  eines 
Auges  stärker  als  der  des  anderen  erweist,  so  wird  am  ersteren  Auge 
operirt. 


(516  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

Wie  wir  gesehen,  ist  die  Insufficienz  für  verschiedene  Entfernungen  ver- 
schieden. Hauptsächlich  kommt  die  Leseweite  und  die  grössere  Sehweite  in 
4  bis  5  m  in  Betracht.  Nehmen  wir  an,  in  ersterer  Entfernung  hestehe  eine  In- 
sufficienz von  16  Grad:  in  letzterer  gar  keine  Insufticienz.  Würden  wir  jetzt  durch 
eine  Tenotomie  des  E.  externus,  die  gleich  IG  Grad  Prismawirkung  wäre,  für  die 
Leseweite  Gleichgewichtsstellung  erreichen,  so  entstünde  für  die  Entfernung  ein 
Strabismus  convergens  von  IG  Grad;  Patient  würde  für  die  Ferne  gleichnamige 
Doppelbilder  erhalten.  Allerdings  könnte  er  bei  gutem  Fusionsvermögen  die- 
selben vielleicht  zusammenbringen  und  so  den  entstehenden  Strabismus  conver- 
gens latent  machen.  Ob  er  dazu  im  Stande  ist,  müssen  wir  vor  der  Operation 
in  der  Weise  zu  erfahren  suchen,  dass  wir  ihm  durch  Prismenvorlegung,  Basis 
nach  innen,  für  die  Ferne  gleichnamige  Doppelbilder  schaffen  und  sehen,  ob  er 
sie  dauernd  durch  dynamische  Divergenz  vereinen  kann.  Ist  beispielsweise  unser 
Patient  im  Stande,  wenn  er  auf  ein  5  m  entfernt  stehendes  Licht  blickt,  während  ihm 
vor  ein  Auge  ein  Prisma  von  16  Grad  mit  der  Basis  nach  innen  gelegt  wird,  die 
entstehenden  Doppelbilder  zu  verschmelzen,  so  wird  er  es  voraussichtlich  auch 
nach  der  Tenotomie  können:  wir  können  also  eine  Operation  =  16  Grad  ausführen. 
Ueberwindet  er  hingegen  nur  Prisma  von  10  Grad,  so  wird  die  Tenotomie  nur 
daraufhin  zu  dosiren  sein;  es  bliebe  dann  für  die  Nähe  noch  eine  Insufficienz  von 
6  Grad,  welche  durch  Prismen  eventuell  corrigirt  werden  könnte.  Bei  erheblich 
höheren  Differenzen  ist  die  Operation  überhaupt  nicht  mit  Nutzen  auszuführen. 
Um  gleich  nach  der  Tenotomie  des  Externus  —  die,  vorsichtig  ausgeführt,  v.  Graefe 
für  diese  Fälle  durchschnittlich  in  ihrem  definitiven  Erfolg  gleich  der  Ablenkung 
eines  Prismas  von  IG  Grad  setzt  —  die  definitive  Stellung  ungefähr  absehätzen  zu 
können,  ist  ein  Licht  in  mindestens  3  m  Entfernung,  welches  etwa  15  Grad  nach 
der  Seite  des  nicht  operirten  Auges  hin  gehalten  wird,  bei  etwas  gesenkter  Ebene 
zu  fixiren.  In  dieser  sogenannten  Electionsstellung  soll  Gleichgewicht  oder 
höchstens  eine  Convergenz  von  Prisma  3  Grad  bestehen;  Abweichungen  nach  einer 
oder  der  anderen  Richtung  sind  zu  corrigiren.  Alfred  Graefe,  der  genaue 
Nachuntersuchungen  angestellt  hat,  betont,  dass  durchaus  nicht  immer  die  Elec- 
tionsstellung der  definitiven  Wirkung  entspreche.  Er  legt  mehr  Gewicht  auf  die 
nach  der  Tenotomie  des  Externus  auftretende  Abductionsbeschränkung,  die  nie 
über  5  mm  steigen  darf,  und  weiter  auf  die  Lage  des  Indifferenzpunktes  (d.  h.  des- 
jenigen Punktes,  auf  welchen  unter  der  deckenden  Hand  binoculare  Einstellung 
erfolgt),  der  in  der  Pegel  nicht  näher  als  30  cm  liegen  soll.  Tritt  auch  bei  noch 
grösserer  Annäherung  keine  Divergenz  ein,  so  ist  eine  den  Effect  verringernde 
Sutur  einzulegen,  um  spätere  Convergenz  zu  vermeiden.  Wenn  man  nach  diesen 
Kegeln  die  Operation  dosirt,  so  hat  in  den  ersten  Tagen  das  Auftreten  gleich- 
namiger Doppelbilder,  welche  das  Vorhandensein  einer  Convergenzstellung  be- 
Meisen, in  der  Kegel  nicht  viel  zu  bedeuten,  da  sie  mit  der  zunehmenden  Wirkung 
des  Kxternus  wieder  zu  verschwinden  pflegen. 

Im  Grossen  und  Ganzen  wird  man  gut  thirn,  die  Operation  auf  die 
Fälle  zu  beschränken,  bei  denen  auch  für  die  Ferne  eine  Insufficienz 
der  [nterni  nachweisbar  ist.  Der  definitive  Erfolg  der  Operation  tritt 
in  der  Rege]  nach  sechs  bis  acht  Wochen  hervor. 


Augenniuskelkräinpfe.  017 


4.  Augenmuskelkrämpfe.     Nystagmus. 

l>ic  Augenmuskelkrämpfe  sind  meist  tonischer  Natur.  So  beob- 
achtet man  starre,  assoeiirte  Blickrichtungen  bei  verschiedenen  Hirn- 
undMeningealaffectionen;  ebensobei  epileptischen  und  anderenKrämpfen. 

Bei  einer  Hysterischen  stellte  sich,  wie  ich  gesehen,  zeitweise  eine 
krampfhafte  Convergenz  der  Sehachsen,  die  gegen  den  Nasenrücken 
hin  gerichtet  waren,  ein  und  bewirkte  das  Auftreten  von  Doppelbildern 
und  Schwindelerscheinungen.  Auch  dauernden  Strabismus  convergens 
als  Ausdruck  eines  Krampfes  des  R.  medialis  habe  ich  bei  Hysterischen 
gesehen.  In  dasselbe  Gebiet  gehört  das  Convergentschielen,  welches 
wir  gelegentlich  bei  entzündlichen  Augenkrankheiten  in  dem  Moment 
eintreten  sehen,  wo  wir  die  Augen  öffnen  und  untersuchen. 

Bekannt  ist  die  Deviation  conjuguee,  die  Pre"vost  beschrieben 
hat.  Hier  besteht  eine  starke  Seitwärtsstellung  der  Augen,  welche  bei 
Grosshirnverletzung  der  betreffenden  Seite  zugekehrt  —  die  Kranken 
sehen  den  Krankheitsherd  an  — ,  bei  Erkrankungen  im  Pons,  Pedunculus 
cerebelli  und  Cerebellum  nach  der  entgegengesetzten  Seite  gerichtet  ist. 
Doch  sind  neben  bestätigenden  Erfahrungen  auch  entgegengesetzte 
(Bernhardt)  veröffentlicht  worden.  Nach  den  oben  erwähnten  Unter- 
suchungen würden  Reizungen  der  Rinde,  speciell  des  Hinterhautlappens 
ebenfalls  assoeiirte  Abweichung  der  Augen  nach  der  entgegengesetzten 
Seite  bewirken. 

Als  Nystagmus*)  (vvöt<x^co}  ich  nicke),  Augenzittern,  bezeichnen 
wir  eigentümliche,  hin  und  her  zitternde  Bewegungen,  die  fast  stets 
beide  Augen  treffen  und  assoeiirt  verlaufen.  Wenn  die  Bewegungen 
wie  meist  von  rechts  nach  links,  oder  von -oben  nach  unten  gerichtet 
sind  —  eine  diagonale  Richtung  ist  selten  — ,  so  nennt  man  den 
Nystagmus  o  sei  IIa  torisch:  drehen  sich  die  Augen  um  die  Blicklinie 
in  Radbewegungen,  rotatorisch.  Bisweilen  werden  auch  gleichzeitig 
schwankende  Kopfbewegungen  gemacht. 

Der  Nystagmus  findet  sich  in  der  Regel  bei  Individuen,  die  von 
Kindheit  an  sehschwach  sind;  gewöhnlich  ist  der  Grad  der  Sehschwäche 
bei  beiden  Augen  verschieden. 

Aber  auch  bei  Individuen  mit  voller  Sehschärfe  wird  bisweilen  ein 
von  Kindheit  an  bestehendes  Augenzittern  beobachtet.  Eine  Störung 
in  der  Localisation  der  gesehenen  Gegenstände  ist  trotz  der  beständigen 
Bewegungen  bei  diesen  Formen  nicht  vorhanden.     Nicht  selten  besteht 


*    Deutsche  Heerordnung'.  §9  Abs.  2.   Landsturm  1.  Aufgebots:  Anlage  4.9a. 
Augenzittern  'Nystagmus).  —  Vergl.  S.  69. 


(513  Erkrankungen  der  Augenmuskeln. 

neben  dem  Nystagmus  noch  Strabismus  convergens.  Häutig  findet  sich 
eine  bestimmte  Blickstellung,  bei  der  eine  annähernde  Ruhe  der  Augen 
eintritt  (Böhm),  während  bei  anderen  Blickrichtungen  ein  sehr  vermehrtes 
Zucken  sich  einstellt.  Auch  Gemüthserregungen  häufen  die  Zuckungen. 
Im  Alter  verringern  sie  sich  bisweilen.  Vorübergehende  Zuckungen  be- 
obachtet man  gelegentlich  an  disponirten  Augen  während  entzündlicher 
Augenaffectionen,  wenn  sie  plötzlich  dem  Licht  ausgesetzt  werden,  nach 
Trigeminusreizungen  (Raehlmann)  u.  s.  f. 

Die  Ursachen  des  Nystagmus  sind  vorzugsweise  in  Innervationsano- 
malien  zu  suchen. 

Für  die  meisten  Fälle  erscheint  die  Wilbr and' sehe  Erklärung  mit  einer 
gewissen  Modification  zutreffend.  Dieselbe  geht  von  der  Anschauung  aus.  dass 
die  Centren  im  Mittel-  und  Kleinhirn,  welche  auf  Reflexe  hin  die  Augenbewegungen 
beeinflussen,  hier  überwiegend  zur  Geltung  kommen  gegenüber  den  Seh-  und 
willkürlich  wirkenden  Bewegungscentren  des  Grosshirns.  "Werden  letztere  in  den 
Hintergrund  gedrängt,  etwa  durch  primäre  oder  auch  reflectorische  Reize,  die  von 
den  Hautnerven,  den  sensiblen  Fasern  des  Trigeminus  und  den  halbcirkelförmigen 
Canälen  des  Ohres  den  Klein- und  Mittelhirncentren  zugehen,  so  entstehen  nystag- 
mische Bewegungen.  Dass  überwiegende  Beize  der  reflectorischen  Centren  Augen- 
zuckungen hervorbringen  können,  dafür  sprechen  physiologische  und  pathologische 
Befunde.  Um  aber  den  typischen  Nystagmus  zu  Stande  zu  bringen,  bedarf  es 
ausserdem  noch  der  Sehintentionen.  Denn  abgesehen  davon,  dass  eigentlicher 
Nystagmus  bei  denen,  die  im  späteren  Alter  erblindet .  sind,  fast  stets  fehlt,  so 
finden  wir  ihn  auch  meist  nicht  bei  Individuen,  die  .in  früher  Jugend  vollständig 
erblindet  sind.  Dieselben  zeigen  zwar  häufig  unwillkürliche  assoeiirte  Augen- 
bewegungen, die  bald  nach  rechts,  bald  nach  links  oder  unten  gerichtet  sind;  aber 
das  eigentliche  nystagmische  Zucken,  wo  bei  den  excessivsten  Bewegungen  ein 
Spiel  von  Nachlassen  und  Wiederanspannen  eintritt,  fehlt  ihnen.  Meiner  Meinung 
nach  ist  bei  diesem  nystagmischen  Zucken  gerade  dem  Mitwirken  des  Sehactes 
eine  hervorragende  Rolle  zuzuschreiben.  Durch  ihn  werden  die  unwillkürlichen 
Bewegungen,  welche  durch  das  Ueberwiegen  der  reflectorischen  Centren  bedingt 
sind,  im  Interesse  des  Sehens  durch  willkürliche  Fixationsbestrebungen  unter- 
brochen. Dies  giebt  zu  einem  zwischen  beiden  Einflüssen  ausbrechenden  Kampf 
Anlass. 

Unwillkürliche  nystagmusähnliche  Augenzuckungen  entwickeln  sich 
gelegentlich  bei  Centralleiden:  so  besonders  bei  disseminirter  Sclerose 
(Chareot,  Uli th off),  bei  Pachvmeiiingitis  (Fürstner),  »Sinusthrom- 
bose (Nothnagel),  hereditärer  Ataxie  (Friedreich),  Cerebrospinal- 
Meningitis  (Leyden)  und  Hirntumoren.  Hier  werden  die  Kranken 
auch    durch  die  Scheinbewegungen  der  angesehenen   ( >bjecte  belästigt. 

Eigenartig  ist  der  Nystagmus,  der  bei  Bergleuten  der  Kohlen- 
wi srke  zur  Beobachtung  kommt  (P.  Schröter).  Während  bei  hellem 
Licht  die  Augen  ihre  normale  Stellung  innehaben,  befällt  sie  im  Dämmer- 
licht Nystagmus.  Die  Bewegungen  treten  am  stärksten  beim  Blick 
nach  aufwärts  hervor,    beruhigen    sieh    bei  gesenkter  Yisirlinie.     Dabei 


Augenmuskelkrämpfe.  ß!9 

entstehen  durch  die  Seheinbewegungen,  welche  die  Gegenstände  an- 
nehmen, erhebliche  Sehstörungen.  Oft  ist  Hemeralopie  damit  verknüpft. 
Die  Ursache  der  Erkrankung  liegt  in  einer  durch  Ueberanstrengung 
entstandenen  Parese  des  Muskeltonus  der  Heber  des  Auges  (Nieden), 
die  durch  die  gebückte  Körperhaltung  und  die  gewöhnlich  nach  oben  ge- 
richtete Augenstellung,  welche  die  Leute  bei  der  Arbeit  anwenden 
müssen,  veranlasst  ist;  hierzu  kommt  die  beständige  Anstrengung,  im 
Dunkeln  zu  erkennen. 

Die  Behandlung  des  Nystagmus  der  Schwachsichtigen  ist  im 
Ganzen  aussichtslos.  Besteht  gleichzeitig  Strabismus  eonvergens,  so 
kann  man  durch  Operation  desselben  meist  auch  eine  gewisse  Ver- 
ringerung der  nystagmischen  Zuckungen  erzielen.  Blaue  Brillen  sind 
öfters  den  Kranken  angenehm. 

Die  Bergleute,  welche  von  Nystagmus  befallen  werden,  müssen  ihre 
Beschäftigung  aufgeben.  Neben  roborirendem  Verfahren  sind  Strychnin- 
injectionen  und  der  constante  Strom  mit  Nutzen  angewandt  worden. 
Gehen  die  Patienten  nach  erlangter  Heilung  wieder  in  die  Bergwerke, 
so  treten  in  der  Regel  Recidive  auf. 


Zweites  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Orbita. 


Anatomie. 


Die  Orbita  entspricht  ihrer  Form  nach  einer  abgestumpften  vier- 
seitigen Pyramide,  deren  basale  Oeffnung  der  Gesichtsfläche  zugekehrt 
ist.  Sie  hat  von  letzterer  bis  zum  Canalis  opticus  gemessen  eine  Tiefe 
von  durchschnittlich  40  mm  beim  Weibe,  43  mm  beim  Manne  (Merkel). 
Die  Achsen  beider  Augenhöhlen  convergiren  in  der  Weise  nach  hinten, 
dass  sie  sich  bis  zur  Sella  turcica  verlängert,  unter  einem  spitzen 
Winkel  schneiden  würden.  Dieser  Winkel  ist  bei  den  einzelnen  Indi- 
viduen verschieden  gross.    Die  obere  Wand  (das  Dach)  der  Orbita  wird 


620  Erkrankungen  der  Orbita. 

von  der  Pars  orbitalis  des  Stirnbeines,  die  vorn  in  den  Margo  supra- 
orbitalis  endet,  weiter  hinten  vom  kleinen  Flügel  des  Keilbeins  gebildet; 
die  untere  Wand  vom  Planum  orbitale  des  Oberkiefers  und  Proc.  maxil- 
laris  des  Jochbeines  (Margo  infraorbitalis),  —  nach  hinten  vom  Processus 
orbitalis  des  Gaumenbeines;  die  innere  dünnste  Wand  von  der  Lam. 
papyracea  des  Siebbeines,  vom  Thränenbein  und  ganz  vorn  vom  Proc. 
frontalis  des  Oberkieferbeines  (letzterer  bildet  mit  dem  Proc.  nasalis  des 
Stirnbeines  den  inneren  Augenhöhlenrand),  nach  hinten  vom  vorderen 
Theil  der  Seitenfläche  des  Keilbeinkörpers;  die  äussere  Wand  hinten 
von  dem  grossen  Keilbeinflügel  und  vorn  von  dem  Jochbein  (Margo 
temporalis).  Durch  das  an  der  Spitze  des  Pyramidenraumes  befindliche 
Foramen  opticum  treten  der  N.  opticus,  unter-  und  lateralwärts  von 
ihm  die  Art.  ophthalmica  ein.  Weiter  nach  aussen  liegt  die  Fissura 
orbital,  super.,  welche  dem  N.  oculomotorius,  trochlearis,  abducens, 
R.  ophthalm.  n.  trigemini  sowie  der  Ven.  ophthalmica  superior  und 
inferior  Durchtritt  gewährt,  und  dieser  gegenüber  nach  unten  mit 
lateraler  Richtung  die  Fiss.  orbitalis  inferior,  welche  theilweise  von 
Fasermassen  ausgefüllt  für  den  Subcutaneus  malae  und  Infraorbitalis 
nebst  den  Vasa  infraorbitalia  und  einem  Ast  der  Ven.  ophthalmica 
facialis  bestimmt  ist.  Sie  verbindet  die  Orbita  mit  der  Fossa  pterygo- 
palatina  und  der  unteren  Schläfengrube,  was  für  die  Fortsetzung  von 
Geschwülsten  von  Bedeutung  ist. 

Die  vordere  Grenze  der  Augenhöhle  bildet  der  starke  Orbitalrand. 
Um  die  von  ihm  eingeschlossene  Orbitalöffnung  in  ihrer  Grösse  zu  be- 
stimmen, pflegt  man  den  Höhendurchmesser  und  den  Breitendurchmesser 
festzustellen  und  daraus  den  Orbital-Index  (Höhendurchmesser  x  100, 
dividirt  durch  den  Breitendurchmesser)  zu  berechnen.  Besonders  in  den 
letzten  Jahren  sind  zahlreiche  derartige  Messungen  ausgeführt  worden, 
um  etwaige  Beziehungen  der  Augenhöhlen-Oeffnung  zu  der  Entstehung 
des  myopischen  Augenbaues  klarzulegen  (vergl.  S.  77). 

Am  oberen  Rande  der  Orbita,  etwa  dem  Ende  des  inneren  Drittels 
entsprechend,  findet  sich  die  Incisura  supraorbitalis,  durch  welche  der 
gleichnamige  Nerv  und  die  Arterie  zur  Stirn  ziehen.  Häutig  liegt 
etwas  medianwärts  davon  für  den  frontalen  Nerv  und  die  Arter. 
und  Ven.  frontalis  noch  eine  besondere  Incisur  (Incisura  frontalis).  Etwa 
4  mm  unter  dem  unteren  Orbitalrande  verlassen  Nervus  und  Arteria 
infraorbitalis  auf  der  Wange  durch  das  Foramen  infraorbitale  den 
Canalis  infraorbitalis,  durch  welchen  sie  am  Boden  der  Augenhöhle  ge- 
zogen sind. 

Die  Arteria  ophthalmica,  welche  aus  der  Carotis  interna  stammt, 
giebt  zuerst  einen  Ast  ab,  aus  dem  die  Arter.  centralis  retinae  und  die 
medialen  I  üliararterien  entspringen,  weiterhin  die  lateralen  (  üliararterien, 


Anatomie.  (;2 1 

die  Arteria  lacrymalis  und  die  Art.  supraorbitalis.  Ueber  den  Sehnerv 
zur  medialen  Seite  fortgehend,  heisst  der  Hauptstamm  Arteria  naso- 
frontalis  und  endet  in  die  Arteria  frontalis  und  A.  ethmoidalis  anterior. 
Das  venöse  Blut  wird  durch  die  Von.  ophthalmica  supcrior  und  in- 
ferior —  letztere  ergiesst  sieh  meist  noch  innerhalb  der  Augenhöhle  in 
die  erstere  ■ —  in  den  Sinus  cavernosus  der  Schädelhöhle  entleert. 
Aber  es  bestehen  ausgedehnte  Communicationen  mit  den  Venen  der 
Schläfengegend  und  der  Kopfhaut,  so  dass  bei  Stauungen  in  dem 
Sin.  cavernosus  ein  Abftuss  des  Blutes  dorthin  um  so  eher  möglich  ist, 
da  den  Orbitalvenen  die  Klappen  fehlen.  An  der  äusseren  Seite  des 
I  opticus  liegt  das  Ganglion  ciliare,  welches  eine  lange  Wurzel  vom 
X.  nasociliaris  des  Trigeminus  und  eine  kurze  vom  N.  oculomotorius, 
ausserdem  sympathische  Pasern  aus  dem  Plexus  caroticus  erhält. 
Aus  ihm  entspringen  die  kurzen  Ciliarnerven,  welche  am  hinteren 
Pole  in  den  Bulbus  dringen;  die  langen  Ciliarnerven  kommen  vom  N. 
nasociliaris. 

Abgesehen  von  dem  Bulbus  und  den  zu  ihm  gehörigen  Muskeln, 
Grefassen  u.  s.  w.  enthält  die  Orbita  reichliches  Fettgewebe.  Dasselbe 
zerfällt  in  zwei  abgetrennte  Partien,  von  denen  die  eine  innerhalb  des 
Muskeltrichters,  die  andere  ausserhalb  desselben  liegt.  Die  Grenzmem- 
bran des  Fettzellgewebes  gegen  den  Bulbus  und  die  Conjunctiva  hin 
bildet  die  Tenon'sche  Kapsel.  Die  sich  gegenüberliegenden  Flächen 
der  letzteren  und  des  Bulbus  sind  mit  einem  Endothel  überzogen; 
zwischen  ihnen  liegt  ein  Lymphraum,  welcher  nach  hinten  in  den  über 
der  äusseren  Sehnervenscheide  liegenden  supravaginalen  Raum  über- 
geht (Schwalbe).  Die  Tenon'sche  Kapsel  wird  von  den  Sehnen 
der  Augenmuskeln  durchbrochen;  an  diesen  Stellen  schlägt  sie  sich  auf 
die  Muskel  über  und  tritt  mit  deren  Fasern  in  Verbindung. 

Das  Periost  der  Orbita  (Periorbita)  setzt  sich  am  Orbitalrande  in 
eine  Fascie  fort,  welche  an  den  Tarsus  der  beiden  Lider  und  an  dem 
Ligamentum  canthi  internum  und  externum  endet  (Fascia  tarso-orbi- 
talis).  Hierdurch  wird  der  Orbital -Inhalt  nach  vorn  vollständig  ab- 
geschlossen; eine  Verletzung  der  Fascie  bei  Lidoperationen  lässt 
das  Fettzellgewebe  der  Augenhöhle  oft  in  unangenehmer  Weise  her- 
vorquellen. 

Von  Bedeutung  für  die  Erkrankungen  des  Orbita  sind  auch  die 
ihr  anliegenden  Höhlen:  Highmorshöhle,  Stirnhöhle,  Xasenhöhle, 
Keilbeinhöhle  und  Siebbeinzellen. 


\\2'J  Erkrankungen  der  Orbita. 

1.  Knochenerkrankungen. 

In  der  Regel  treten  die  Erkrankungen  der  knöchernen  Orbital- 
wände unter  dem  Bilde  der  Periostitis  auf;  welcher  später  Caries  und 
Nekrose  folgen;  seltener  sind  letztere  Affectionen  primär.  Besonders 
häutig  wird  der  Randtheil  der  Orbita  betroffen.  Unter  dumpfer  Schrnerz- 
empfmdung  schwillt  das  betreffende  Augenlid  an  und  röthet  sich. 
Es  kommt  zu  einer  umschriebenen  Geschwulst,  die  anfangs  sehr  hart, 
sich  später  meist  erweicht;  nach  erfolgtem  Durchbruch  entleert  sich 
Eiter.  Die  Sonde  stösst  auf  rauhen  Knochen.  Gewöhnlich  folgt  dann 
Verwachsung  der  Haut  mit  dem  Knochen,  Narbenschrunipfung  und 
bei  entsprechendem  Sitz  des  Leidens  Ectropium.  In  einzelnen 
Fällen  erfolgt  auch  Resorption  und  Zertheilung  ohne  Eiterung.  Be- 
ginnt die  Knochenaffection  in  der  Tiefe  der  Orbita;  so  bestehen  meist 
heftigere  Entzündungserscheinungen :  der  Augapfel  tritt  hervor,  die  (Jon- 
junctiva  bulbi  wird  chemotisch;  oft  entsteht  durch  die  Verschiebung 
des  Auges  Doppeltsehen.  Es  lässt  dies  auf  ein  Ueb ergreifen  der  Ent- 
zündung auf  das  benachbarte  orbitale  Fettzellgewebe  schliessen. 

Als  besonders  charakteristisch  für  die  Periostitis  gilt  die  Schmerz- 
haftigkeit  der  entsprechenden  Orbitalwand  bei  Druck  mit  dem  Finger. 
Um  den  Sitz  der  Affection  zu  finden,  muss  man  die  Orbita  betasten 
und  oft  tief  mit  dem  Zeigefinger  eingehen.  Ferner  pflegt  die  Haut 
und  das  subcutane  Bindegewebe  selbst  bei  tiefsitzender  Periostitis 
weniger  intensiv  betheiligt  zu  sein,  als  bei  einer  primären  Entzündung 
des  Fettzellgewebes  der  Orbita.  Gesellt  sich  zu  tiefsitzenden  Peri- 
ostiten  secundär  eine  Entzündung  des  Fettzellgewebes,  so  ist  dieselbe 
gewöhnlich  local  begrenzt,  fühlt  sich  als  festere  umschriebene  Masse 
an  und  drängt  den  Bulbus  zur  Seite,  so  dass  seine  Beweglichkeit  nach 
der  entsprechenden  Richtung  hin  beschränkt  wird.  Dennoch  lässt  sich 
zwischen  primärer  Fettzellgewebsentzündung  und  Periostitis  nicht  immer 
mit  Sicherheit  die  Diagnose  stellen.  Heftige  Schmerzen,  oft  in  der 
Nacht  exacerbirend,  begleiten  nicht  selten  das  Leiden.  — 

Die  Knochenaffectionen  der  Orbita,  besonders  des  Randes  derselben, 
kommen  vorzugsweise  im  jugendlichen  Lebensalter  zur  Beobachtung. 
Ich  habe  bei  einem  dreivierteljährigen  Säugling  eine  ohne  Ursache  ent- 
standene acute  Ostitis  des  rechten  Oberkiefers  mit  Lidödem  und  Ex- 
ophthalmus beobachtet,  die  innerhalb  8  Tagen  zu  ausgedehntem  Eiter- 
durchbruch  in  die  Alveolen  und  in  die  Nase  führte.  Meist  liegt 
scrophulöse  und  tuberculöse  Diathese  zu  Grunde,  öfters  geben  auch 
Traumen  den  unmittelbaren  Anlass.  Im  späteren  Lebensalter  spielt 
Syphilis  eine  bedeutende  Rolle. 

Die  Prognose  ist,  falls  nur  die  Randpartie  ergriffen,  eine  verhält- 


Entzündung  des  Fettzellgewebes.  623 

nissmässig  gute.  Hat  jedoch  die  Periostitis  oder  Caries  in  der  Tiefe 
der  Orbita  ihren  Sitz,  so  wird  sie  bedenklieh,  da  durch  die  Fortsetzung 
der  Erkrankung  auf  das  Fettzellgewrebe  oder  auf  die  Venen,  wobei 
eine  Thrombosirung  derselben  zu  Stande  kommt,  deletäre  Augenent- 
zündungen,  Sehnervenatrophie,  selbst  ein  Uebergreifen  auf  das  Ge- 
hirn oder  Prämie  veranlasst  werden  kann.  Plötzlich  auftretendes  hohes 
Fieber,  starker  Exophthalmus,  Benommenheit  pflegen  diesen  Ausgang 
einzuleiten.  Besonders  gefährlich  sind  die  am  Orbitaldache  in  der  Tiefe 
sitzenden  Processe.  Es  kann  Durchbruch  in  die  Stirnhöhlen  und  von 
diesen  aus,  oder  auch  direct,  in  das  Gehirn  erfolgen. 

Die  Behandlung  wird  die  Constitution  berücksichtigen  müssen. 
Besonders  gilt  dies  von  Scrophulose  und  Syphilis.  Bei  letzterer  sind 
grosse  Dosen  von  Jodkali  oft  von  Nutzen.  Local  kann  man  im  Beginn 
durch  Blutentziehungen,  Einreibungen  mit  Mercurialsalbe  in  die  Um- 
gebung  oder  Bepinselung  mit  Jodtinctur  die  Entzündung  zu  bekämpfen 
suchen.  Kalte  Umschläge  werden  selten  Verwendung  finden.  Ist  die 
Arreetion  weiter  vorgeschritten,  so  dass  eine  Eiterung  zu  erwarten  steht, 
so  sind  warme  antiseptische  Umschläge  angezeigt.  Durch  Einschnitte 
mit  nachfolgender  Drainage  suche  man  frühzeitig  dem  Eiter  Abfluss 
zu  schaffen.  Es  ist  dies  besonders  bei  tief  sitzenden  Affectionen  von 
Nöthen.  Man  geht  hier  an  der  Seite,  wo  das  Leiden  vermuthet  wird, 
mir  einem  schmalen  Scalpell  durch  die  Conjunctiva  oder  Lidhaut  längs 
der  Orbitalwand  möglichst  in  die  Tiefe;  —  die  Orbita  misst  in  sagit- 
taler  Eichtung  bei  Erwachsenen,  wie  oben  angeführt,  circa  40 — 43  cm. 
Natürlich  hüte  man  sich,  den  Bulbus  oder  die  Knochenwand  zu  per- 
foriren.  Selbst  wemi  sich-  wenig  oder  kein  Eiter  entleert,  pflegt  diese 
Incision  durch  die  folgende  Blutung  und  Entspannung  Vortheil  zu 
bringen,  auch  ist  dem  sich  bildenden  Eiter  ein  Weg  gebahnt,  den  man 
durch  Einlegen  von  Jodoform-Gase  offen  halten  kann.  Besteht  eine 
Eiterung,  so  sucht  man  durch  Drainröhren  Abfluss  zu  schaffen.  Ein- 
spritzungen sind  zu  vermeiden,  da  sie  den  Orbitalinhalt  und  die  Spann- 
ung vermehren;  hingegen  ist  die  Einführung  von  Tampons  mit  Jodo- 
form oder  Jodoformsalbe  von  Nutzen.  Nekrotische  Knochenstücke  ex- 
tra hire  man. 

2.  Entzündung  des  Fettzellgewebes.    Venenthrombose. 

Bei  der  Entzündung  des  Fettzellgewebes  der  Orbita  (Orbital-Phleg- 
mone,  Cellulitis  orbitalis)  besteht  eine  Protrusion  des  Augapfels,  meist 
gerade  nach  vorn:  Röthung  und  Chemose  der  Conjunctiva;  Röthung 
und  Schwellung  der  Lidhaut,  besonders  das  obere  Lid  hängt  in  den 
schweren  Fällen  unbeweglich   herab;    dabei    ist    der  Bulbus    in    seiner 


i;24  Erkrankungen  d?r  Orbita. 

Motilität  beschränkt,  öfters  sind  Doppelbilder  vorhanden.  Auch  Stö- 
rungen des  Sehvermögens  treten  auf:  ebenso  Schmerzen  in  der  Tiefe 
der  Augenhöhle  und  Stirngegend;  Fiebererscheinungen  und  Dyspepsie. 
Der  Augapfel  erseheint  bei  der  Betastung  härter,  ebenso  die  Um- 
gebung  desselben.  Bildet  sieh  Eiterung,  so  tritt  an  einer  umschrie- 
benen Stelle  der  Conjunetiva  oder  Lidhaut  eine  Geschwulst  auf,  die 
später  fluctuirt.  Mit  der  Eiterentleerung  verringern  sich  sämmtliche 
Erscheinungen. 

Nicht  selten  setzt  die  Affection  auf  das  Auge  über;  es  kommt  zu 
eitriger  Chorioiditis,  die  zur  Phthisis  führt,  oder  auch  die  mangelhafte 
Lidbedeckung  bewirkt  Hornhautverschwärung.  Ebenfalls  nicht  selten 
sind  Erblindungen  durch  Erkrankungen  des  Sehnerven  (Neuritis,  Throm- 
bose der  V.  centralis  retinae  [Lebe r,  Vo s sius];  gelegentlich  auch  nur  eine 
einfache  Venensehlängelung,  nach  der  schliesslich  doch  noch  Atrophie 
eintritt).  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  plötzlich  entstehenden 
Erblindungen  vorzugsweise  auf  die  Gefäss-Compression  zu  schieben  sind. 
Auch  Netzhautblutungen  und  -ablösungen  sind  beobachtet. 

Bisweilen  werden  die  Orbitalvenen  thrombosirt  und  geben  zu  Py- 
ämie  Anlass.  Die  Thrombose  dringt  öfters  bis  in  den  Sin.  cavernosus 
und  kann  selbst  durch  die  Sin.  intercavernosi  auf  den  Sin.  cavernosus 
der  anderen  Seite  übergreifen  und  so  doppelseitigen  Exophthalmus 
hervorrufen;  ausnahmsweise,  wie  ich  in  einem  Fall  gesehen,  bleibt  sie 
auf  die  Orbitalvenen  beschränkt.  Handelt  es  sich,  wie  meist,  um  eine 
septische  Venenthrombose,  so  beobachtet  man  auch  in  der  Umgebung 
des  Auges,  besonders  an  den  Lidern  Abscedirungen,  bisweilen  so 
kleine,  dass  sie  als  Eiterpunkte  erscheinen.  In  den  Muskeln  der  Orbita 
und  in  den  Gefiisswänden  habe  ich  ebenfalls  Abscesse,  zum  Theil  mit 
Kokken  durchsetzt,  gefunden.  Das  Fettzellgewebe  ist  serös  oder  eitrig 
infiltrirt. 

In  diesen  schweren  Fällen  gehen  die  Kranken  meist  an  eitriger 
Meningitis,  Hirnabscessen  oder  Pyämie  zu  Grunde. 

Die  primäre  Hirnsinusthrombose  kann  ähnliche  Erscheinungen,  wie  wir 
sie  bei  der  Orbitalphlegmone  haben,  hervorrufen:  so  einseitigen  Exophthalmus, 
Hyperämie  und  Oedem  der  Bindehaut,  des  Orbitalfettzellgewebes  und  des  Augen- 
lides. Sie  führt  aber  nicht  zu  Eiterungen;  jedoch  kann  sie  sich  mit 
eitriger  Chorioiditis  compliciren.  Als  besonders  charakteristisch  wird  das  gleich-" 
zeitige  Bestehen  eines  Oedems  in  der  Gegend  des  Processus  mastoideus  angegeben, 
ebenfalls  durch  Stauung  von  in  den  sin.  cavernosus  sich  ergiessenden  Venen 
bedingt. 

Die  Orbitalphlegmone  entstellt  abgesehen  von  directen  infectiösen 
Verletzungen  <>dvr  <  Operationen  -  am  häufigsten  durch  ein  Ueber- 
greifen  der  Entzündung  von  nahe  gelegenen  Krankheitsherden  (Gesichts- 
erysipel,   Periostitis  und  Caries  der  Orbita,  eitrigen  Thränensackleiden, 


Exophthalmus.    .Morbus  Basedowii.    Enophthalmus.  (325 

Affectionen  der  angrenzenden  Knochenhöhlen,  Wurzelerkrankungen  der 
Oberkieferzähne  u.  s.  w.).  Ich  habe  in  Folge  einer  umschriebenen 
syphilitischen  Caries  eines  Nasenbeines  erst  einseitige,  dann  doppel- 
seitige Phlegmone  der  Orbita  mit  Vcnenthvombosirung  und  letalem  Aus- 
gange auftreten  sehen. 

In  anderen  Fällen  handelt  es  sich  um  metastatische  Vorgänge:  so 
bei  Carbunkel-,  Milzbrand-  oder  Rotzinfectionen,  Pyämie,  gelegentlich 
selbst  bei  Gesichtsfurunkel.  Auch  nach  schweren  Typhen,  Pneumonien 
epidemischer  Pneumokokken-Meningitis  und  Scharlach  werden  Orbital- 
phlegmonen beobachtet.  — Uebrigens  ist  eine  gewisse  Entzündung  des  orbi- 
talen Fettzellgewebes  und  besonders  der  Tenon'schen  Kapsel  bei  jeder 
Panophthalmitis,  bisweilen  auch  bei  Chorioiditis  suppurativa  vorhanden. 

Die  Therapie  wird  sich  nach  den  Ursachen  richten.  Bei  genuiner 
Fettzellgewebsentzündung  kann  man  im  Anfang,  wie  oben  bei  der 
Periostitis  orbitae  erwähnt,  antiphlogistische  Behandlung  anwenden, 
später  sind  lauwarme  antiseptische  Umschläge  und  vor  Allem  früh- 
zeitige Entleerung  des  Eiters  angezeigt. 

Bei  der  Phlegmone  des  orbitalen  Fettzellgewebes  pflegt  die  Tenon'sche 
Kapsel  durch  Verdickung  und  Infiltration  mit  betheiligt  zu  sein.  Sie  scheint  sich 
auch,  ohne  dass  das  Fettzellgewebe  in  Mitleidenschaft  gezogen  wird,  isolirt  ent- 
zünden zu  können:  einzelne  klinische  Beobachtungen  und  ein  anatomischer  Be- 
fund von  Kuhnt  können  so  gedeutet  werden.  Man  hat  die  bezügliche  Affection 
als  Tenonitis  bezeichnet.  Ihre  Symptome  bestehen  in  gehinderter  Beweglichkeit 
des  Bulbus  mit  leichter  Hervortreibung  und  Chemose  der  Conjunctiva  und  Böthung 
und  starker  Schwellung  der  Lidhaut:  also  in  Erscheinungen,  die  auch  bei  der 
<  »rbitalphlegmone  vorhanden  sind ,  nur  weniger  heftig  und  ausgeprägt.  Als 
differenzielles  Moment  kann  man  noch  anführen,'  dass  bei  der  Tenonitis  die  Be- 
schränkung der  Beweglichkeit  stärker  hervortritt,  bei  der  Orbitalphlegmone  hin- 
gegen die  Protrusio.  Die  Affection  ist  bei  acutem  Schnupfen,  bei  Influenza 
Fuchs),  bei  rheumatischen  Gelenkentzündungen  (Panas)  meist  doppelseitig  be- 
obachtet worden.  Der  Verlauf  dieser  Fälle  ist  gewöhnlich  ein  günstiger.  Die 
Therapie  besteht  in  Schwitzcuren  mit  Natr.  salicylicum  und  Auflegen  von  Thermo- 
phoren. Nur  in  traumatischen  Fällen  (z.  B.  nach  Schieloperationen)  empfehlen 
sich  Eisumschläo-e. 


3.  Exophthalmus.     Morbus  Basedowii.    Enophthalmus. 

Abgesehen  von  den  eben  behandelten  Affectionen  finden  wir  den 
Bulbus  nach  vorn  gedrängt  (Exophthalmus),  wenn  der  Inhalt  der 
I  »rbita  durch  vermehrte  Füllung  (Hypertrophie  des  Fettzellgewebes, 
stärkere  Blutfülle  und  Oedem  [so  bei  Hirnsinus-Thrombose]7  Blutungen, 
Emphysem,  Cysten,  Tumoren)  zunimmt,  oder  wenn  durch  Knochen- 
verdickungen (Exostosen,  allgemeiner  Verdickung  der  Knochen:  Leon- 
tiasis    ossea)   oder    durch  Ausdehnung    der    anliegenden  Höhlen  (Antr. 

Sehmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  40 


Ö26  Erkrankungen  der  Orbita. 

Highmori,    Stirnhöhlen,    Nasenraum    u.    s.    w.)    der    Orbitalraum    be- 
schränkt wird. 

Uni  das  Hervorstehen  des  Augapfels  dem  Grade  nach  zu  messen,  sind  eine 
Reihe  von  Exophthalmometern  angegeben  worden  (H.  Colin,  Emmert, 
Zeliender,  Snellen  u.  A.).  Sie  gehen  der  Hauptsache  nach  davon  aus,  dass 
auf  den  äusseren  Orbitalrand  (bezw.  Stirnrand)  horizontal  ein  mit  Maasstheilung 
versehenes  Lineal  gesetzt  wird,  an  welchem  man  durch  Visiren  auf  den  Hornhaut- 
scheitel  die  Entfernung  dieses  vom  Orbitalrande  bestimmt.  Wenn  man  durch  Ver- 
schieben eines  horizontalen  Stäbchens  auf  dem  Lineal  gegen  die  Cornea  hin  den 
Abstand  messen  will,  so  sieht  man  oft  ein  deutliches  Zurückziehen  des  Bulbus  vor 
der  drohenden  Berührung.  Die  Schwankungen  in  der  Entfernung  zwischen  Horn- 
hautscheitel und  Orbitalwand  sind  bei  den  einzelnen  Individuen  ziemlich  gross. 
In  pathologischen  Fällen  ist  die  Vergleichung  beider  Augen  des  Kranken  von  be- 
sonderer "Wichtigkeit;  doch  kommen  auch  angeborene  Verschiedenheiten  beider 
Gesichtsseiten  vor.  — 

Blutungen  in  der  Orbita  treten,  abgesehen  von  directen  Ver- 
letzungen, gelegentlich  in  Stickhustenanfällen,  bei  Scorbut  und  Hae- 
niophilie  auf.  Je  nach  ihrer  Ausdehnung  können  sie  die  Stellung  des 
Bulbus  beeinflussen  und  auch  durch  Compression  des  Opticus  und 
der  Augennerven  functionelle  Störungen  hervorrufen.  Neuerdings  sind 
nach  Rurnpf-Compressionen  neben  Hautextravasaten  auch  Stauungs- 
blutungen in  der  Orbita  mit  Exophthalmus,  Pupillenerweiterung  und 
Sehschwäche,  bisweilen  selbst  mit  Netzhautblutungen  beschrieben  worden 
(H.  Braun).  —  In  der  Regel  erfolgt  unter  Eisanwendung  oder  Druck- 
verband baldige  Resorption  der  Blutungen ;  in  einzelnen  Fällen  geben 
sie  zur  Bildung  von  Blutcysten  Anlass  (Mitvalsky),  die  bei  einiger 
Grösse  alle  Erscheinungen  einer  Orbitalgeschwulst  machen  können.  In 
einem  von  mir  operirten  Falle  sass  die  Blutcyste  längs  der  unteren 
Wand  des  Auges,  sich  von  der  Sclera  noch  etwas  über  den  Opticus 
erstreckend,  und  hatte  das  Auge  stark  nach  oben  verschoben. 

Emphysem  der  Orbita  mit  Exophthalmus  kommt  gelegentlich 
nach  einer  Verletzung  des  Thränensackes  und  Thränenbeines  oder  des 
Siebbeins  durch  die  abnorme  Communication  zwischen  Nase  und  Or- 
bita beim  Niesen  und  Schneuzen  zu  Stande;  es  verschwindet  bald  wieder, 
aber  durch  ähnliche  Veranlassungen  kann  es  sich  in  den  nächsten 
Tagen  wieder  von  Neuem  bilden.  Mit  der  Heilung,  die  in  der  Regel 
spontan  erfolgt,  ist  dem  Lufteintritt  in  die  Orbita  der  Weg  verlegt. 

Von  grosser  Bedeutung  sind  die  Erkrankungen  der  Neben- 
höhlen der  Orbita.  Es  kommt  zuweilen  zu  einer  oft  erheblichen 
Ausdehnung  derselben,  indem  sich  Eiter  (Empyem),  schleimige  oder 
seröse  Flüssigkeit  (Hydrops)  darin  sammelt.  Die  der  Augenhöhle  an- 
liegende Wand  wird  alsdann  in  dieselbe  liineingedriiekt  und  bewirkt 
mehr     oder     weniger     beträchtliche     Störungen:      so     Beweglichkeits- 


Exophthalmus.     Morbus  Basedowii.  627 

beschränkungen,  Protrusion,  bei  Perforation  selbst  eine  Entzündung  des 
orbitalen  Fettzellgewebes.  Von  Sehstörungen  sind  —  abgesehen  von 
Fällen  directer.  Optieusbetkeiligung  —  besonders  asthenopische  Be- 
schwerden beobachtet;  auch  concentrische  G-esichtsfeldeinengungen  sind 
beschrieben  (Ziem,  Kuhnt).  Am  häufigsten  sind  die  Affectionen  der 
Stirnhöhle  (Sinusitis  frontalis),  die  vorzugsweise  Kuhnt  neuerdings 
studirt  hat.  Meist  weisen  zuerst  Stirnschmerzen,  die  ganz  den  Charakter 
der  Neuralgia  supraorbitalis  haben  können  und  Empfindlichkeit  des 
Orbitaida  dies  auf  Druck  daraufhin.  Hat  sich  die  Höhle  partiell  stärker 
ausgedehnt,  so  entwickelt  sich  in  der  Regel  eine  Geschwulst  über  dem 
innern  Augenwinkel  am  Orbitaldach;  ist  der  Knochen  daselbst  dünner 
geworden,  so  fühlt  man  Fluctuation;  schliesslich  erfolgt  Durchbruch 
meist  nach  aussen  hin  durch  die  Haut  des  oberen  Lides.  Ueber- 
haupt  wird  man  gut  thun,  falls  man  eine  Fistel  dort  findet,  die  nach 
dem  Orbitaldach  führt,  vor  Allem  an  ein  Stirnhöhlen-Empyem  zu 
denken  und  zu  versuchen,  mit  der  Sonde  in  den  Sinus  zu  kommen. 
Bisweilen  kann  die  Stirnhöhle  sich  aber  ziemlich  gleichmässig  aus- 
dehnen und  auf  den  Orbital-Inhalt  so  drücken,  dass  ein  starker 
Exophthalmus  mit  Ablenkung  des  Auges  nach  unten  zu  Stande  kommt; 
dies  tritt  besonders  bei  schleimigem  Inhalt  auf.  Die  kleineren  Ge- 
schwülste bewirken  bisweilen  durch  Mitbetheiligung  der  Trochlea  Läh- 
mungserscheinungen des  Oblicpius  superior.  —  Ist  die  Highmorshöhle 
ausgedehnt,  so  wird  der  Bulbus  nach  oben  verschoben.  Die  Ausdehnung 
der  Siebbeinzellen  veranlasst  eine  Geschwulst  an  der  inneren  Augen- 
wand, die  wegen  der  Dünnheit  der  Lamina  papyracea  leicht  eindrück- 
bar erscheint.  Erweiterungen  der  Keilbeinhöhle  sind  nur  bei  gleich- 
zeitiger Betheiligung  der  Siebbeinzellen  zu  diagnosticiren;  sie  können 
im  Canal.  opticus  einen  directen  Druck  auf  den  Sehnerv  ausüben. 

DieDiagnose  der  erwähntenEnipyeme  ist  wenigstens  imBeginn  nicht 
immer  leicht.  Vor  Allem  wird  eine  rhinoskopische  Untersuchung  über 
etwaige  Secret-Entleerungen  derselben  nach  der  Nase  hin  Auskunft 
geben  müssen.  Für  die  Füllung  der  Stirnhöhlen  und  der  Highmors- 
höhle  kann  man  bisweilen  mit  Nutzen  die  Durchleuchtung  anwenden, 
indem  man  eine  kleine  Glühlampe  unter  den  oberen  Rand  der  Orbita 
beziehentlich  im  Mund  am  hinteren  Gaumen  im  Dunkelzimmer  anlegt. 
Streicht  man  die  Haut,  so  leuchtet  das  Licht  roth  durch,  wenn  die 
Höhlen  von  Secret  frei  sind;  ein  Vergleich  zwischen  beiden  Gesichts- 
hälften lässt  den  Unterschied  hervortreten.  Jedoch  ist  das  Phänomen 
nicht  sicher,  da  z.  B.  die  verschiedene  Dicke  der  Knochenwand  dabei 
einen  irreleitenden  Einfluss  üben  kann. 

Die  Therapie  ist  auf  Heilung  der  Höhlen- Affectionen  zu  richten. 
Bei    der  Stirnhöhle    kann    man    oberhalb    der  Augenbrauen    eine    aus- 

40* 


(j28  Erkrankungen  der  Orbita. 

-cdeliiite  Oeffnung  durch  Fortnahme  der  ganzen  vorderen  Knoehen- 
wand  mit  Erhaltung  des  Periostes  sich  schaffen  (Kuhnt),  den  Inhalt 
entleeren  und  die  entartete  Schleimhaut  herau  skr  atzen.  Zu  gleichem 
Zweck  ist  das  Einleiten  heissen  Dampfes  durch  eine  kleine  Knochen- 
öffhung  zu  empfehlen  (Golovine).  Ich  habe  aber  auch  gelegentlich 
durch  eine-  ebensolche  kleine  Oeffnung  unter  Anwendung  einer  elek- 
trischen Lampe ,  die  ihr  Licht  in  die  Sinus-Ausläufer  sendete,  die 
Schleimhaut  in  ausreichender  Weise  mit  dem  scharfen  Löffel  auskratzen 
können.  Von  der  etwa  bestehenden  Fistel  aus  durch  längere  Drainage 
dies  Empyem  zu  heilen,  ist  nur  wenig  Aussicht.  Auch  die  Highmors  - 
höhle  bedarf  der  Eröffnung,  um  mittelst  Durchspülungen  eine  Heilung 
herbeizuführen.    — 

Eine  eigenthümliche  Form  der  Protrusion  des  Bulbus  bildet  der 
pulsirende  Exophthalmus.  Er  ist  die  Folge  von  entweder  spon- 
tan entstandenen  (Aneurysma  verum)  oder  traumatischen  Aneurysmen. 
Am  häufigsten  handelt  es  sich  um  eine  Ruptur  der  Carotis  interna  im 
Sin.  cavernosus,  die  besonders  bei  Basalfracturen  zu  Stande  kommt.  Das 
Hauptsymptom  besteht  in  einer  Pulsation  des  hervortretenden  Augapfels. 
Dieselbe  ist  leicht  erkennbar,  wenn  man  die  Hand  auf  den  Bulbus  legt 
und  ihn  etwas  zurückdrückt.  Auscultatorisch  hört  man  nur  selten  ein  Blase- 
geräusch. Oft  bilden  sich  später  kleine  pulsirende  Geschwülste  (durch 
Hineinströmen  von  arteriellem  Blut  in  die  Venen)  neben  dem  Bulbus, 
so  besonders  im  inneren-oberen  Winkel  der  Orbita.  Auch  die  Stirn- 
venen pulsiren  öfters.  Comprimirt  man  die  gleichseitige  Carotis  com- 
munis, so  hört  die  Pulsation  auf.  Der  Augapfel  leidet  entsprechend 
der  Hervordrängung.  Bisweilen  erkrankt  auch  der  Sehnerv,  häufig  sind 
complicirende  Lähmungen  im  Gebiete  der  Augen-  Und  Gesichtsnerven. 
Besonders  störend  ist  für  die  Patienten  ein  beständiges  Klopfen  und 
Brausen  im  Kopfe;  auch  heftige  Schmerzen  sind  nicht  selten.  Meist 
treten  die  Haupterscheinungen  (auch  in  den  nicht-traumatischen  Fällen) 
unter  einem  heftigen  Schmerz  plötzlich  auf;  doch  nehmen  sie  in  nächster 
Zeit  gewöhnlich  noch  zu. 

Im  weiteren  Verlauf  kommen  gelegentlich  Blutungen  aus  der  Con- 
junctiva  vor,  die  selbst  letal  werden  können;  auch  erfolgt  bisweilen  nach 
einiger  Zeit  plötzlicher  Tod.  Doch  werden  auch  spontane  Rückbildungen 
beobachtet.  In  einem  von  mir  verfolgten  Falle  war  nach  circa  vier 
Jahren  die  Pulsation  und  der  Exophthalmus  verschwunden,  aber  das 
Sehvermögen  durch  einen  die  obere  Gesichtsfeldhälfte  treffenden  Ge- 
Bichtsfelddefect  geschwächt.  Bei  der  Behandlung  kommt  vorzugsweise 
die  länger  fortzusetzende  Instrumental-  oder  Digitalcompression  der 
( larot  communis  und  die  Unterbindung  derselben  in  Betracht.  Letztere, 
wegen    pulsirenden    Exophthalmus    ausgeführt,    hatte   bei    61   Kranken 


Exophthalmus.    Morbus  Basedowii.    Enophthalmus.  629 

36  Mal  Erfolg,  8  Mal  erfolgte  der  Tod  (Sattler).  Neuerdings  bat 
Siegrist  zwei  Fälle  von  Erblindung  des  betreffenden  Auges  durch 
Embolie  der  Art.  centralis  retinae  nacb  Carotisunterbindung  mitgetheilt. 
Ich  sah  einmal  nach  derselben  den  pulsirenden  Exophthalmus  sich  in 
einen  pulsirenden  Enophthalmus  umbilden.  Da  auch  ohne  die  Operation, 
wie  erwähnt,  Heilung  vorkommt,  so  wird  man  den  operativen  Eingriff 
so  lange  aufschieben,  bis  wirklich  gefahrdrohende  Zufälle  auftreten. 
Jedenfalls  aber  ist  die  Instrumental-  oder  Digitalcompression  zuvor  zu 
versuchen. 

Periodischer  Exophthalmus  wurde  in  einzelnen  Fällen  als  Folge  varicöser 
Venen-Erweiterung  beobachtet  (Magnus,  Vossius  u.  A.).  Hier  tritt  beim  Jucken. 
Heben  schwerer  Gegenstände  der  Augapfel  hervor;  im  Beginn  des  Leidens  ist 
er  für  gewöhnlich  in  normaler  Lage,  später  bleibt  er  auch  dauernd  ein  wenig 
prominent.  In  einem  von  mir  beobachteten  Falle  trat  ganz  plötzlich  ein  starker 
Exophthalmus  ohne  besonderen  Grund  auf,  der  erst  nach  mehreren  Tagen  zurück- 
ging; dies  wiederholte  sich  nach  mehreren  Jahren  noch  einmal;  alsdann  ent- 
wickelte sich  der  oben  geschilderte  periodische  Exophthalmus. 

Bei  Morbus  Basedowii  sind  beide  Augen  her  vorgedrängt;  nur 
ausnahmsweise  beschränkt  sich  die  Prominenz  auf  ein  Auge.  Schon  ehe 
dieses  Hervortreten  einen  deutlich  pathologischen  Charakter  zeigt,  fällt 
es  auf,  dass  beim  Senken  des  Blickes  das  obere  Lid  in  auffälliger  Weise 
zurückbleibt  (v.  Graefe's  Symptom).  Auch  klafft  die  Lidspalte  unge- 
wöhnlich weit  und  der  Lidschlag  erfolgt  seltener  (St  eil  wag).  Diese  Sym- 
ptome sind  von  besonderer  diagnostischer  Bedeutung,  wenn  es  sich  um 
höhergradige  Kurzsichtige  handelt,  deren  Augen  an  und  für  sich  häufiger 
stärker  hervorragen.  Später  kann  die  Prominenz  des  Augapfels,  welche 
anatomisch  durch  Erweiterung  der  Blutgefässe,  seröse  Infiltration  und 
Hypertrophie  des  Fettzellgewebes  verursacht  ist,  so  stark  werden,  dass 
die  mangelnde  Lidbedeckung  zu  Hornhautverschwärungen  Anlass  giebt. 
An  den  Xetzhautarterien  sieht  man  zuweilen  ganz  schwache,  spontane 
Arterienpulsation  (vergl.  S.  266);  in  ausgeprägter  Weise  habe  ich  sie 
nie  constatiren  können.  Zum  weiteren  Erscheinungscomplex  des  Mor- 
bus Basedowii  gehören  Herzpalpitationen  und  Struma.  Die  Augen- 
Symptome  erklären  sich  durch  eine  Sympathicus-jSTeurose :  der  Exoph- 
thalmus, welcher  nach  dem  Tode  schwindet,  durch  Erweiterung  der 
Orbital- Arterien  und  das  Graefe'sche  Symptom  durch  einen  Reizzu- 
stand in  dem  Müller' sehen  Muskel,  der  mit  zur  Hebung  des  oberen 
Lides  dient.  Ob  diese  Sympathicus-jSTeurose  primär  ist  oder  ob  eine 
durch  die  Schilddrüsen-Erkrankung  veranlasste  Toxinbildung  (Moebius) 
oder  eine  Affection  der  Medulla  oblongata  (Bulbärtheorie,  Geigel)  oder 
schliesslich  eine  functionelle  Störung  des  ganzen  Nervensystems  vor- 
liegt, darüber  weichen  die  Meinungen  auseinander;  es  ist  wahrscheinlich, 


ijoO  Erkrankungen  der  Orbita. 

dass  die  Einzelfälle  verschiedene  ätiologische  Momente  haben.  Was 
die  locale  Therapie  betrifft,  so  ist  bei  starkem  Exophthalmus  öfters  ein 
Druckverband  während  der  Xacht  angezeigt,  um  den  Lidschluss  zu 
sichern.  Auch  kann  zur  Verkleinerung  der  Lidspalte  die  Tarsoraphie 
nöthig  werden.  Letztere  ist  auch  so  ausgeführt  worden,  dass  nur  der 
mittlere  Theil  der  Lidränder  nach  Wundmachung  vernäht  wurde. 
Gegen  die  Trockenheit  des  Auges,  etwaige  Conjunctiviten  und  Kera- 
titen  sind  die  entsprechenden  Mittel  anzuwenden.  Die  Allgemeinbe- 
handlung muss  roborirend  sein;  Aufenthalt  in  guter  Luft,  Ivaltwasser- 
curen,  Eisen,  Chinin  haben  meist  sichtlichen  Erfolg;  ebenso  scheint  das 
Galvanisiren  des  Halssympathicus  von  Nutzen  zu  sein.  Bei  Frauen, 
die  vorzugsweise  von  Morb.  Basedowii  befallen  werden,  beobachtet 
man  unter  dieser  Behandlung  oft  ein  Zurückgehen  aller  belästigenden 
Erscheinungen;  bei  Männern  hingegen  ist  die  Prognose  übler,  hier  tritt 
häufiger  durch  secundäre  Herzfehler,  durch  allgemeine  Erschöpfung  oder 
Hydrops  letaler  Ausgang  ein.  Die  Behandlung  mit  Thyreoidin-Tabletten 
scheint  ohne  Nutzen  zu  sein;  die  partielle  Exstirpation  der  Schilddrüse 
(Rehn)  dürfte  nur  in  ganz  verzweifelten  Fällen  in  Anwendung  zu 
ziehen  sein.  — 

Ein  abnormes  Zurücksinken  des  Augapfels  (Enophthalmus)  tritt 
bei  starkem  Schwund  des  Fettzellgewebes  ein:  bei  asiatischer  Cholera 
bisweilen  innerhalb  weniger  Stunden  durch  denWasserverlust(v.  Graef  e). 
Ebenso  beobachtet  man  das  Zurücksinken  bei  neurotischen  Gesichts- 
atrophien und  bei  Ophthalmomalacie.  Auch  nach  Traumen  sieht  man 
bisweilen  Enophthalmus;  er  ist  bedingt  durch  eine  narbige  Schrumpfung' 
des  Fettzellgewebes  oder  durch  Lageveränderung  in  Folge  von  Knochen- 
fractur.  Das  Auge  ähnelt  dann,  wenn  es  seine  natürliche  Lage  behalten 
hat,  sehr  einem  künstlichen.  Ich  habe  einen  derartigen  Fall  gesehen, 
der  durch  Eindringen  einer  Revolverkugel  von  der  Schläfe  her  bedingt 
war.  In  einem  zweiten  Falle  war  der  Bulbus  zurückgesunken  und  nach 
unten  dislocirt  in  Folge  schwerer  cariöser  Processe,  die  neben  den 
<  Mbitalwandungen  noch  die  Nasenknochen  betroffen  hatten.  Auch 
pulsirender  Exophthalmus  kann  in  Enophthalmus  später  übergehen. 


4.  Die  Tumoren  der  Orbita. 

Die  Neubildungen  in  der  Augenhöhle  entstehen  entweder  primär  in 
den  dieselbe  ausfüllenden  Geweben,  oder  sie  sind  von  dem  Bulbus  oder 
den  Nachbartheilen  her  fortgeleitet,  oder  schliesslich  metastatischen  Ur- 
sprunges; letzteres  ist  sehr  selten,  vorzugsweise  spielen  Mainnia-Carei- 
nome  hier  eine  Rolle.  Ich  habe  nach  Exstirpation  eines  solchen  die 
Knochenränder  beider  Orbitae  carcinomatös  werden  sehen. 


Die  Tumoren  der  Orbita.  631 

In  der  Regel  bewirken  die  Tumoren  einen  mehr  oder  weniger 
hohen  Grad  von  Exophthalmus  und  Beweglieldceitsbeschränkung  des 
Auges.  Sitaen  sie  in  dem  Muskeltrichter,  so  pflegt  ein  Vorwärtsdrängen 
des  Bulbus  in  der  sagittalen  Richtung  stattzufinden ;  befinden  sie  sich 
ausserhalb  desselben,  so  erfolgt  die  Verschiebung  entsprechend  ihrer 
mechanischen  Druckwirkung.  Der  Augapfel  kann  durch  die  erfolgende 
Protrusion  oder  durch  Entzündungen  und  directes  Uebergreifen  der 
(  reschwulst  leiden.  Die  Papilla  optica  zeigt  öfters  Neuritis  oder  Atrophie ; 
auch  Netsshautblutungen  und  -ablösungen  kommen  vor.  In  der  Regel 
ist  nur  eine  Orbita  ergriffen;  Fälle;  in  denen,  ohne  dass  ein  directes 
Herüberwachsen  der  Geschwulstmasse  stattfindet,  beide  Orbitae  befallen 
wurden,  sind  ausserordentlich  selten.  Bei  einem  Manne  im  mittleren 
Lebensalter  habe  ich  das  Auftreten  umschriebener  Sarkomknoten  inner- 
halb einiger  Monate  in  beiden  Augenhöhlen  beobachtet;  der  Tod  er- 
folgte   durch  Metastasen. 

Die  gutartigen  Geschwülste  pflegen  langsamer  zu  wachsen,  die 
malignen  schneller,  unter  Schmerzen  und  mit  starken  Beweglichkeits- 
störungen, da  sie  die  Muskeln  angreifen. 

Es  seien  von  primären  Geschwülsten  der  Orbita  besonders  die  Cysten 
(Atherome  oder  Dermoidcysten  —  dieselben,  öfters  angeboren  und  zur 
Pubertätszeit  wachsend,  sitzen  besonders  in  den  oberen  Augenwinkeln  dicht 
unter  der  Lidhaut,  —  Blutcysten,  Schleimcysten,  Echinokokken,  Cysticer- 
ken  i.  die  Angiome  (einfache,  lipomatöse  [vanDuyse],  cavernöse),  Neuro- 
fibrome (Billroth,  Marchand),  Lymphome,  die  meist  an  beiden  Augen 
vorkommen  imd  unter  der  Conjunctiva  liegen  (vorzugsweise  bei  Leuk- 
ämie), Carcinome  und  die  verschiedenen  Sarkomformen  genannt.  Unter 
letzteren  sind  die  sehr  zu  Recidiven  neigenden  Cylindrome  (Billroth, 
Sattler)  bemerkenswerth,  deren  kolbige  hyaline  Bildungen  aus  der  Ge- 
fässadventitia  hervorgehen.  Von  den  Wänden  der  Orbita  entwickeln 
sich  häufig  Osteome;  hier  geben  Traumen  gelegentlich  die  Veranlassung. 

Der  Sitz  der  Geschwulst  ward  sich,  wenn  er  nicht  direct  erkenn- 
bar ist,  durch  Eingehen  mit  dem  Finger,  nöthigenfalls  in  der  Narkose, 
feststellen  lassen.  Die  Art  des  Tumors  ist  schwierig  zu  bestimmen; 
bei  cavemösen  Geschwülsten  wird  ein  An-  und  Abschwellen  beobachtet, 
durch  Compression  kann  man  sie  verkleinern.  Mit  Dermoidcysten 
könnten  die  sehr  selten  vorkommenden  angeborenen  Hirnbrüche  ver- 
wechselt werden,  die  ebenfalls  oben -in  neu  liegen,  indem  sie  die  Naht 
zwischen  Siebbein  und  Stirnbein  durchbrechen.  Sie  sind  aber  nicht  verschieb- 
lich, dagegen  durch  Druck  zu  verkleinern  und  zeigen  die  Hirnpulsationen  ; 
auch  fühlt  man  bisweilen  die  Knochenöffnung.  Probepunctionen  oder 
Harpuniren  können  öfters  zur  Diagnosenstellung  bei  den  Orbitaltumoren 
erforderlich  werden. 


632  Erkrankungen  der  Orbita. 

Die  Therapie  wird  in  der  Kegel  in  der  Exstirpation  der  Geschwulst, 
wenn  möglich  mit  Erhaltung  des  Bulbus,  bestehen.  Dermoidcysten  und 
andere  Cysten  werden  in  gewöhnlicher  Weise  mit  ihrem  Sack  exstirpirt; 
bedenklicher  sind  die  sehr  seltenen  cavernösen  Geschwülste,  bei  denen 
übrigens  auch  Spontanheilungen  beobachtet  wurden.  Sitzen  sie  in  einer 
Kapsel,  so  gelingt  ebenfalls  die  Exstirpation;  sonst  kann  man  Elektrolyse 
versuchen. 

Für  tiefer  liegende  Geschwülste  ist  zur  Exstirpation  die  von  Krönlein  an- 
gegebene osteoplastische  liesection  sehr  vorteilhaft,  bei  der  es  gelingt,  ent- 
sprechenden Falles  den  Bulbus  zu  erhalten.  Xach  Ausführung  eines  Hautschnittes, 
der  etwa  dort  beginnt,  wo  man  über  dem  oberen  Augenhöhlenrande  die  Linea 
semicircularis  durchfühlt  und  dann  längs  des  äusseren  Orbitalrandes  bis  zum  Joch- 
bogen verläuft,  wird  nach  der  Periost-Ablösung  ein  keilförmiges  Stück  der  äusseren 
Orbitalwand  durchmeisselt:  die  Spitze  des  Keiles  liegt  in  der  Fissura  orbitalis  in- 
ferior, die  Basis  bildet  der  äussere  Orbitalrand  in  der  Ausdehnung  der  Hautwunde. 
Wenn  man  diesen  Hautknochenlappen  nach  aussen  umschlägt,  liegt  die  Orbita  in 
grosser  Ausdehnung  frei. 

Ist  die  ganze  Orbita  mit  Geschwulstmasse  erfüllt,  so  wird  man  die 
Exenteration  machen.  Durch  Erweiterung  der  Lidspalte  im  äusseren 
Augenwinkel  gelingt  es  meist,  die  Lider  mit  Elevateuren  ausreichend 
auseinander  zu  ziehen;  dann  löst  man  das  Periost  und  entfernt  mit  ihm 
den  Gesammtinhalt  der  Orbita.  Sehr  vorsichtig  wegen  der  lebensge- 
fährlichen Blutungen  muss  man  mit  den,  mehr  in  das  eigentlich  chirur- 
gische Gebiet  fallenden  gefässreichen  Fibromen  sein,  die  von  der  Basis 
des  Gehirns  oder  der  Fissura  pterygopalatina  ausgehend  in  den  Rachen, 
die  Schläfengrube  und  durch  die  Fissura  infraorbitalis  in  die  Augen- 
höhle wachsen.  Die  Füllung  der  Schläfengrube  und  das  Hervordrängen 
des  Oberkiefers  mit  der  entsprechenden  Wangenseite  leitet  auf  die 
Diagnose  dieser  nur  bei  Knaben  und  jungen  Männern  vorkommenden 
Erkrankung.  — 


5.  Verletzungen  der  Orbita. 

Bei  den  Verletzungen  der  Orbita  handelt  es  sich  häufig  umKnochen- 
brüche.  So  ist  bei  Fractur  der  Basis  cranii  oft  das  Dach  der  Orbita 
getroffen;  besonders  wichtig  sind  die  Risse,  welche  in  das  Can.  opticus 
gehen,  da  hierbei  Verletzungen  des  Sehnerven  mit  folgender  Amblyopie 
oder  Amaurose  zu  Stande  kommen  (Berlin).  Auch  können  dislocirte 
Knochenstücke  Muskclzerreissungen  veranlassen.  Blutungen  in  das  ( >r- 
bitalfettzellgewebe  dringen  bisweilen  bis  unter  die  Conjunetiva  vor  und 
stören  durch  Comprcssion  die  Functionen  der  Muskeln  und  des  Sehnerven; 
d;i.-  Sehvermögen  kann  hier  sogar  bis  auf  Lichtempfindung  herabgehen,  mit 
Resorption  des  Blutes  tritt  die  Wiederherstellung  ein.    Weiter  sind  directe 


Angeborene  Missbildungen  des  Au^-es.  633 

Verletzungendes  Orbitalrandes  und  seiner  Wandungen  durch  Kugeln  (so 
bei  Selbstmordversuchen),  Stiche  oder  Eindringen  von  Fremdkörpern 
nicht  selten.  Bisweilen  folgen  ihnen  erheblichere  Entzündungen  des 
Fettzellgewebes;  einfache  Wunden  pflegen  aber  in  der  Regel  ohne  Ent- 
zündung zu  heilen:  doch  können  sie  durch  Verletzungen  des  Bulbus 
oder  Opticus  das  Sehvermögen  gefährden.  Ich  habe  auch  mehrere  Male 
stationäre  I  resichtsfelddefecte  durch  Opticusverletzungen  eintreten  sehen. 
Durch  Abreissen  eines  Augenmuskels  oder  durch  Verletzung  desselben 
bei  Knochenfracturen  mit  Dislocation  kann  sehr  belästigende  Diplopie 
veranlasst  werden.  -  -  Ist  der  Fremdkörper  noch  in  der  Orbita,  so  wird 
man  ihn  zu  entfernen  suchen.  Doch  ist  dies  nicht  immer  leicht,  oft 
werden  langwierige  Eiterungen  durch  abgebrochene  Holzstückchen, 
Rohr  u.  s.  w.  unterhalten. 

Die  Contusionen,  welche  die  Orbita  und  ihren  Inhalt  treffen, 
schädigen  auch  oft  den  Augapfel  (siehe  das  Schlusskapitel  „Allge- 
meine Verletzung  des  Augapfels"). 

Auch  Luxationen  des  Augapfels  werden  beobachtet;  so  besteht 
in  manchen  Gegenden  die  Unsitte,  bei  Raufereien  durch  Eindrängen 
des  Daumens  in  die  Orbita  den  Augapfel  des  Gegners  aus  der  Augen- 
höhle hervorzudrücken.  Sind  keine  erheblichen  Verletzungen  des  Opticus 
oder  Bulbus  dabei  eingetreten,  so  kann  das  Sehvermögen  erhalten 
bleiben  (Rothmund).  Weiter  wird  bisweilen  bei  Zangenentbindungen 
durch  die  Compression  des  Löffels  ein  Herausdrücken  des  Augapfels 
zu  Stande  gebracht.  Man  muss  den  Augapfel  nach  Auseinanderziehen 
der  Lider  in  die  Orbita  zurück  zu  bringen  suchen,  ihn  dann  mit  den 
Lidern  bedecken  und  einen  Druckverband  anlegen.  Irrsinnige  reissen 
sich  gelegentlich  mit  den  Fingern  das  Auge  heraus  (Axenfeld). 


6.  Angeborene  Missbildungen  des  Auges. 

In  einer  Reihe  von  Fällen  ist  ein  angeborener  Mangel  des  Aug- 
apfels constatirt  worden  (An Ophthal mus),  meist  doppelseitig.  In  der 
Orbitahöhle,  welche  von  der  Conjunctiva  ausgekleidet  ist,  fehlt  alsdann 
entweder  jede  Spur  eines  Bulbus  oder  man  findet  ein  kleines  Knötchen 
oder  eine  Cyste.  Auch  habe  ich  einen  Fall  beobachtet,  wo  auf  der  einen 
Seite  in  der  Tiefe  ein  kleiner  weisser  Fleck,  der  beim  Betasten  etwa 
Erbsengrüsse  hatte,  zu  sehen  war,  während  in  der  Tiefe  der  anderen 
Orbita  ein  gleichsam  phthisischer  Bulbus  lag,  an  dem  man  noch  Reste 
der  Hornhaut  (6  mm  im  Durchmesser)  mit  durchscheinender  Iris  er- 
kennen konnte.  Dabei  bestand  eine  Verkleinerung  des  Conjunctivalsackes 
und  Verlust  der  oberen  Uebergangsfalte.     Es  handelte  sich  hier  um  den 


(534  Erkrankungen  der  Orbita. 

Ausgang  einer  intrauterinen  Entzündung.  Mit  dem  Fehlen  des  Aug- 
apfels verbinden  sich  öfters  anderweitige  Entwieklungsstürungen:  so 
Schmalheit  des  gleichseitigen  Gesichtsskelettes,  Verschluss  des  äusseren 
Gehörganges  u.  s.  w.  —  Bei  Cyklopie  findet  sich  nur  ein  Auge  an  der 
Stelle  sitzend,  wo  im  normalen  Gesicht  die  Nasenwurzel  liegt.  —  Ist  das 
Auge  in  seinen  Dimensionen  zurückgeblieben,  so  haben  wir  einen  Mikr- 
o  p  h  thalmus.  Diese  Verkleinerung  betrifft  meist  beide  Augen,  besonders 
häutig  sind  die  vorderen  Partien  (Cornea)  kleiner.  Die  Sehschärfe  ist 
verringert,  oft  besteht  Nystagmus.  Auch  sonstige  Anomalien  sind 
nicht  selten:  Strabismus,  Ptosis,  Katarakt,  Linsenluxation,  Colobom 
der  Iris  und  Chorioidea. 

Die  Vergrösserung  des  Auges  wird  als  Megalophthalmus  oder 
Hydrophthalmus  congenitus  bezeichnet.  Dieselbe  entwickelt  sich 
meist  in  den  ersten  Lebensjahren  noch  weiter;  neben  abnormer  Ausdehnung 
der  vorderen  Kammer  ist  oft  auch  eine  diffuse  Hornhauttrübung  vorhanden. 
Diese  giebt  ein  sicheres  differenzielles  Moment  gegenüber  einer  wenn 
auch  ungewöhnlichen,  doch  noch  physiologischen  Grösse  des  Auges,  an 
die  man,  wenn  es  sich  um  ganz  jugendliche  Individuen  handelt,  denken 
kann.  In  der  Regel  führt  der  Process  allmählich  fortschreitend  zu 
einer  glaukomatösen  Sehnerven-Excavation  und  Erblindung,  jedoch  pflegt 
letzterer  Ausgang  erst  nach  Jahren  einzutreten.  In  anderen  Fällen  kann 
der  Process  stationär  bleiben.  Der  angeborene  Hydrophthalmus  kommt 
ein-  oder,  wie  gewöhnlicher,  doppelseitig  vor.  Gegen  das  Fortschreiten 
kann  man  die  Sclerotomie  versuchen;  gefährlicher  als  diese  ist  die 
Iridectomie,  da  hierbei  leicht  Linsenluxation  und  Glaskörperabfluss  ein- 
tritt. Jedenfalls  darf  die  Operation  nur  in  tiefer  Narkose  gemacht  werden, 
um  jedes  Pressen  zu  vermeiden.  Handelt  es  sich  um  doppelseitigen  Hy- 
drophthalmus, so  empfiehlt  es  sich,  wenigstens  ein  Auge  zu  operiren  und 
den  Erfolg  abzuwarten.  Sonst  ist  Eserin  oder  Pilocarpin  einzuträufeln. 
Im  Allgemeinen  ist  die  Prognose  unsrünstm-. 


Anatomie.  635 


Drittes  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Augenlider. 


Anatomie. 

Oberes  und  unteres  Augenlid  (palpebra  superior  und  inferior) 
stossen  im  äusseren  und  inneren  Augenwinkel  (Cantkus)  zusammen. 
Ihre  winklige  Vereinigungsstelle  bezeichnet  man  auch  als  Commissur. 
Der  innere  Augenwinkel  ist  weniger  spitz:  zwischen  ihm  und  der  Plica 
semilunaris  rindet  sich  der  Thränensee.  Die  Ränder  der  Augenlider 
haben  in  dem  grössten  Theil  ihres  Verlaufes  eine  Breite  von  etwa 
2  bis  3  mm;  ihre  innere  Kante  ist  gegen  die  Conjunctivae  die  äussere 
gegen  die  Lidhaut  gewendet:  den  zwischen  den  Kanten  liegenden  Theil 
bezeichnet  man  als  Intermarginaltheil.  Gegen  die  Augenwinkel  hin 
werden  die  Lidränder  schmäler  und  abgerundet.  Etwa  5  mm  vom 
inneren  Augenwinkel  entfernt  findet  sich  im  Beginn  dieser  Ver- 
schmälerimg,  sowohl  am  oberen  als  unteren  Lide  eine  kleine  Hervor- 
ragung (Papilla  lacrimalis)  mit  einer  centralen  Oeffnung,  demThränen- 
punkt.  Von  diesem  aus  verlaufen  dicht  unterhalb  der  Lidrandober- 
fläche die  Thränenröhrchen  in  den  Thränensack,  der  im  inneren 
Winkel  der  Orbita  liegt.  Die  äussere  Kante  des  Lidrandes  ist  von 
den  "Wimpern  (Cilien)  durchbohrt,  die  eine  vom  Bulbus  abgewandte 
Richtung  haben.  Ihre  Wurzeln  gehen  circa  2  mm  in  die  Tiefe  und 
liegen  der  äusseren  Fläche  des  Tarsus  auf.  In  die  Haarbälge  münden 
Talgdrüsen  (Z eis s' sehe  Drüsen).  Weiter  finden  sich  zwischen  den 
Cilien  modificirte  Schweissdrüsen  (Mo  11' sehe  Drüsen). 

Das  Lid  selbst  setzt  sich  im  Querschnitt  zusammen  aus:  Haut, 
Muskellage  und  Tarsus;  die  dem  Auge  zugekehrte  Seite  des  Tarsus 
ist  von  der  Conjunctiva  bedeckt.  Unter  der  leicht  verschiebbaren  und 
lockeren  Lidhaut  sitzt  ein  circulär  die  Lidöffnung  umkreisender  und 
noch  peripher  über  den  knöchernen  Orbitalrand  hinausgreifender 
grosser,  willkürlicher  Muskel  (M.  orbicularis).  Er  zerfällt  in  drei 
Abtheilungen,  M.  palpebralis  (superior  und  inferior),  M.  orbitalis  und 
M.  malaris    (Henle).     Die  M.  palpebrales   haben   zwei   Ansatzpunkte: 


636  Erkrankungen  der  Augenlider. 

am  inneren  Augenwinkel  das  Lig.  palpebrale  internuni,  am  äusseren 
das  externum.  Das  Lig.  palpebral.  intern,  entspringt  am  Proc.  fron- 
talis des  Oberkiefers,  gebt  über  das  obere  Ende  des  Tbränensackes 
und  dann  längs  seiner  binteren  Wand  an  die  Crista  lacrym.  posterior 
des  Tbränenbeins.  Von  dem  binteren  Schenkel  des  Ligam.  internum 
entspringen  Muskelfasern  (Homer 'scber  Muskel),  die,  sieb  nacb  vorn 
um  die  Tbränenröbrcben  legend  und  diebt  an  der  Lidkante  verlaufend, 
den  innersten  Kreis  der  M.  palpebrales  bilden.  Dem  M.  orbitalis  ge- 
boren die  äussersten  an  den  Knocbenrändern  der  Orbita  verlaufenden 
Muskelzüge  an;  am  oberen  Lide  steben  sie  mit  dem  M.  frontalis  in 
Verbindung.  Von  dem  medialen  und  lateralen  Ende  des  Orbital- 
muskels des  unteren  Lides  aus  geben  als  M.  malaris  zwei  conver- 
girende  Scbenkel  nacb  unten,  die  in  der  Haut  der  Wange  und  des 
Mundwinkels  enden. 

Der  M.  orbicularis,  vom  N.  facialis  versorgt,  dient  zum  Scbliessen 
der  Lider. 

Unter  ibm,  dureb  Bindegewebe  getrennt,  liegt  eine  feste,  aus  ver- 
filztem  Bindegewebe  bestebende  Bandscbeibe  (Tarsus),  deren  einer 
Rand  am  Lidrande  endet;  der  andere  freie  Rand  stebt  mit  der  Fascia 
orbitalis  in  Verbindung.  Der  Tarsus  des  oberen  Lides  ist  dicker  als 
der  des  unteren;  sein  Querschnitt  beträgt  etwa  1  x/2  mm.  Mit  der  Con- 
junetiva  ist  die  betreffende  Fläcbe  sebr  eng  verknüpft,  so  dass  eine 
Trennung  niebt  sieber  gelingt. 

In  dem  Tarsus  eingebettet  und  nacb  der  Conjunctiva  bin  bellgelb- 
licb  durebsebeinend  liegen  die  Tarsal-  oder  Meibom' seben  Drüsen. 
Dieselben  besteben  aus  langen  Scbläucben,  denen  kleine  Acini  aufsitzen. 
Ihr  feinkörniges,  fettiges  Secret  (Sebum  palpebrale)  entleert  sich  am 
Lidrande. 

Die  Hebung  des  oberen  Lides  wird  durch  den  vom  Oculomotorius 
innervirten  Levator  palpobrae  superioris  besorgt.  Derselbe  entspringt 
in  der  Nähe  des  Foramen  opticum  und  inserirt  sich  am  oberen  Rande 
des  Tarsus.  Auf  der  Unterlage  des  Augapfels  zieht  er  den  Tarsus 
nach  hinten  und  bringt  so  eine  Hebung  des  Lides  hervor.  Er  wird 
hierbei  etwas  unterstützt  durch  den  Müller' sehen  Muskel,  der  aus 
glatten  Fasern  besteht  und  vom  Sympatbieus  innervirt  ist.  Dieser. 
auch  M.  tarsalis  (superior  und  inferior)  genannt,  liegt  auf  der  Conjunc- 
tivalseite  des  betreffenden  Lides  dicht  unter  der  Schleimhaut,  ist  nur 
sehr  kurz  (am  oberen  Lide  etwa  10  mm,  Merkel)  und  inserirt  sich 
ebenfalls  am  freien  Rande  des  Tarsus.  Seinen  Anfang  nimmt  er  am 
oberen  Lide  zwischen  den  Muskelfasern  des  Lev.  palpebr.  superioris. 
Wenn  die  Lider  geöffnet  sind,  wird  in  der  Lidspalte  der  vordere  Tbeil 
des  Bulbus  sichtbar.    Je  breiter  die  Lidspalte  ist,  um  so  grösser  ist  die 


Blepharitis  marginalis.  ()37 

freiliegende  Partie  des  Augapfels;  das  Auge  seihst  erseheint  demnach 
grösser.  Manche  Individuen  können  besonders  das  obere  Lid  unge- 
wöhnlich hoch  heben.  —  Beim  Lidschlag  erfolgt  zuerst  eine  Verengung 
des  äusseren  Endes  der  Lidspalte  und  somit  ein  Fortschieben  der  im 
( Jon junctivalsack  befindlichen  Flüssigkeit  nasenwärts  zu  den  Thränen- 
punkteii  hin.  Mit  dem  einfachen  Sehluss  .der  Lider,  wie  er  im  Schlaf 
eintritt;  und  ebenso  beim  Zukneifen,  wobei  gleichzeitig  die  anliegende 
Haut  gegen  das  Auge  gezogen  wird,  pflegt  der  Augapfel  nach  oben 
zu  gehen  und  eine  Pupillenverengerung  einzutreten. 

Die  Arterien  der  Lider  stammen  meist  von  der  Arter.  naso-fron- 
talis  der  Ophthalmica:  die  Art.  palpebr.  mediales  super,  et  infer.  ziehen 
als  Endäste  lateralwärts,  doch  sind  auch  Communicationen  mit  den 
Aesten  der  Maxillaris  externa,  besonders  mit  der  Art.  angularis  vor- 
handen. Das  Blut  der  medialen  Seite  der  Lider  wird  durch  die  Vena 
angularis  in  die  Ven.  facialis  anterior,  an  der  lateralen  Seite  durch  die 
Facial-  und  Temporalvene  abgeführt.  Die  sensiblen  Nervenäste  der 
Lider  kommen  vom  N.  trigeminus. 


1.  Erkrankungen  des  Lidrandes. 

I.  Blepharitis  marginalis. 

Der  Lidrand  ist  nicht  selten  Sitz  von  Hyperämien  oder  Ent- 
zündungen, ohne  dass  dabei  eine  ausgedehntere  Betheiligung  der  be- 
nachbarten Partien  der  Lidhaut  stattzufinden  braucht. 

Hyperaemia  marginalis.  In  einer  Reihe  von  Fällen  handelt 
es  sich  um  eine  einfache  Röthung,  die  besonders  nach  Einwirkung 
äusserer  Reize,  beim  Gehen  in  scharfer  Luft,  in  der  Kälte  oder  auch 
in  Folge  innerer  Erregung  und  bei  Anstrengung  der  Augen  eintritt. 
Ueber  die  ^.rothen  Lidränder"  klagen  besonders  Individuen  mit  zarter 
Haut,  so  vor  Allem  blondhaarige.  Es  können  dabei  intensivere  Pro- 
cesse,  wie  etwa  vermehrte  Absonderung  der  Talgdrüsen,  Schüppchen- 
bildungen  ganz  fehlen.  Als  örtliches  Mittel  empfiehlt  sich  die  Augen- 
dusche, täglich  1  bis  2mal  angewendet,  und  das  Bepinseln  mit  einer 
Tannin  -  Borsäurelösung  (2°/0  aa)  oder  lprocentigen  Höllensteinlösung 
Tag  um  Tag.  Auch  kühle  Bleiwasserumschläge  können  in  Betracht 
kommen,  doch  werden  sie  nicht  immer  vertragen.  Die  sonst  üblichen 
Salben  (mit  gelbem  oder  weissem  Präcipitat,  Zinc.  oxyd.  u.  s.  w.) 
pflegen  weniger  wirksam  zu  sein.  Ferner  wird  hier  wie  bei  den 
Lidranderkrankungen  überhaupt  darauf  zu  achten  sein,  ob  nicht  Re- 
fractionsanomahen  oder  Conjuncriviten  die  Hyperämie  unterhalten;  ent- 
sprechenden Falls  ist  dagegen  einzuschreiten.    Daneben  ist  der  Aufent- 


(338  Erkrankungen  der  Augenlider. 

halt  in  schlechter  oder  zu  kalter  Luft;  in  Tabaksdamfrf,  zu  spätes 
Aufbleiben,  langes  Lesen  bei  Lampenlicht  und  Aehnliches  zu  vermeiden. 
Ferner  ist  die  Allgemeinconstitution  zu  beachten,  etwa  vorhandene  Scro- 
phulose  oder  Chlorose  zu  behandeln. 

Seborrhoea  marginalis  (Blepharadenitis,  Blepharitis 
squamosa).  Es  besteht  eine  Hypersecretion  der  Talgdrüsen.  Das 
Sebum  erstarrt  zu  kleinen  gelblich-weissen  Schüppchen,  die  auf  dem 
Lidrande  und  zwischen  den  Cilien  sitzen.  Entfernt  man  sie  mit  einem 
beulten  Läppchen,  so  ist  die  darunter  befindliche  Haut  meist  leicht  ge- 
röthet.  Die  Patienten  haben  das  Gefühl  von  Brennen,  Jucken  und 
Drücken  in  den  Lidern;  bisweilen  aber  werden  sie  auch  gar  nicht  be- 
lästigt. Später  leiden  auch  die  Cilien,  sie  verlieren  ihren  Glanz,  ihre 
Biegung  und  können  selbst  ausfallen.  Die  Behandlung  besteht  neben 
Berücksichtigung  des  oben  Gesagten  in  Umschlägen  von  Lösungen  von 
Liquor  plumbi  subacetici  (Bleiessig)  in  Wasser  oder  kaltem 
Kamillenthee,  etwa  zweimal  täglich  10  Minuten  lang,  und 
Anwendung  einer  auf  die  Lidränder  zu  streichenden 
Salbe.  Doch  sind  vorher  die  Schüppchen  durch  Ein- 
weichung mit  Ol.  amygdal.  dulcium  oder  warmem  Wasser 
zu  entfernen.  Hierauf  ist  besonders  zu  achten,  da  sonst 
die  Behandlung  nichts  nützt.  Häufig  wendet  man  als  Lid- 
salbe an:  Hydrarg.  oxydat.  flav.  0-1,  Vaselini  5-0.  Die- 
selbe wird  etwa  linsengross  mit  dem  Finger  auf  den  Lid- 
180.  rand  verrieben,   der  dann    mit  einem  Leinwandläppchen 

Cüienpincette;  sanft  abgetupft  wird,  damit  nichts  in  den  Conjunctivalsack 
komme.  Man  kann  die  Salbe  Abends  einreiben  und  Morgens 
entfernen,  wird  aber  die  Salbe  nicht  genügend  wieder  abgewischt,  so  kommt 
sie  leicht  ins  Auge  und  die  Patienten  klagen  über  Brennen  undRöthung: 
hier  ist  dann  die  Einreibung  am  Morgen  angezeigter,  wo  keinenfalls  die 
Salbe  länger  im  Auge  bleibt.  Ausser  dem  gelben  Quecksilber  benutzt 
man  auch  Hydrarg.  praec.  alb.,  Zinc.  oxydat.,  Plumb.  acet.  (1 — 2  Pro- 
cent) in  Salben,  gelegentlich  auch  mehrere  dieser  Mittel  miteinander 
verbunden.  Ferner  sind  mit  den  Fingern  oder  einer  Cüienpincette 
(Figur  180)  die  losen  Wimpern,  welche  reizen  und  leicht  in  das  Auge 
fallen,  zu  entfernen;  hiergegen  sträuben  sich  oft  die  Kranken,  weil  sie 
mit  Unrecht  einen  dauernden  Verlust  derselben  befürchten.  Derselbe 
tritt  nur  ein,  wenn  durch  die  lange  bestehenden  Affectionen  ein  Ueber- 
greifen  auf  die  Haarwurzeln  stattfindet. 

Blepharitis  ciliaris.  Der  Lidrand  ist  Sitz  eines  Ekzems.  Er 
ist  geschwollen,  geröthet,  nässend  und  mit  dicken  gelblichen  Krusten 
besetzt,  besonders  um  die  Cilien  herum  finden  sich  Excoriationen.  Ent- 
stellen tiefere  Ulcerationen  (Blephar.  ciliar,  ulcerosa),  wie  bei  dem 


Blepharitis  marginalis. 


639 


Eczema  pustulosum  oder  syeomatosuni,  so  ist  die  einzelne  Cilie  von 
einem  kraterförmigen  Geschwüre  umgeben.  Löst  man  die  Krusten,  so 
findet  sieh  darunter  eine  oxeoriirte,  leicht  blutende  Fläche —  im  Gegen- 
satz zur  einfachen  Seborrhoe»  palpebralis.  Auch  die  Lidhaut  ist  häufig 
betheiligt;  besonders  bei  scrophulösen  Kindern  findet  man  hier  ausge- 
dehntere Ekzeme.  Kommt  es  zur  Heilung,  so  schwinden  die  Geschwüre 
zuerst,  es  bleibt  aber  noch  längere  Zeit  die  Krustenbildung.  Die  Cilien 
fallen  bei  dieser  Form  zahlreich  aus;  sie  werden  kürzer,  starrer  und 
trockner.  Die  Haarwurzel  ist  stark  aufgequollen,  bei  acuten  Processen 
mit  Eiterzellen  durchsetzt.  Später  ist  die  Marksubstanz  bis  zur  Haar- 
zwiebel hin  pigmentirt  (Sehiess-Gemuseus).  Es  sei  erwähnt,  dass 
von  Stieda  gelegentlich  in  den  Haarbälgen  Acarus  oder  Dermodexfolli- 
culorum  gesehen  wurde;  neuerdings  hat  Rä  hl  mann  diesen  Befund 
als  einen  sehr  häufigen  nachgewiesen  und  die  Anwendung 
einer  Salbe  von  2  Theilen  Perubalsam  auf  6  Theile  Fett 
dagegen  empfohlen. 

Wird  die  Affection  vernachlässigt,  so  verliert  schliess- 
lich die  Lidkante  ihre  viereckige  Gestalt,  wird  schmäler, 
nach  der  Conjunctiva  und  Haut  hin  abgestumpft,  roth, 
verdickt.  Die  Cilien  fehlen,  andere  sind  noch  als  kleine 
weissliche  Borsten,  oft  in  schiefer  Stellung  (Trichiasis) 
vorhanden.  Die  Conjunctivalschleimhaut  hypertrophirt, 
die  äussere  Lidhaut  schrumpft  und  es  kommt  zu  einem 
Ectropium. 

Oft  complicirt  sich  die  Blepharitis  ciliaris  mit  Con- 
junctivitis. Lange  bestehende  Blephariten  sind  immer  mit 
Erkrankungen  der  Conjunctiva  verknüpft  (Blepharo- 
Conjunctivitis),  die  zu  Narbenbildungen  in  der  Schleim- 
haut führen  und  gelegentlich  auch  Entropium  veranlassen. 

Die  Therapie  ist  eine  ähnliche  wie  die  der  Seborrhoea  marginalis. 
Laue  Blei-Kamillentheeumschläge  oder  solche  von  2proc.  Borsäurelösung 
sind  von  Xutzen :  nur  wenn  ein  Ekzem  der  Lidhaut  besteht,  werden  sie 
nicht  immer  vertragen.  Man  behandelt  dann  das  Ekzem  durch  Be- 
pinseln mit  Theersalbe  (Ol.  cadini  1,  Vaseline  2),  mit  der  Hebra 'sehen 
Salbe  (Ung.  diaehylon)  oder  mit  Höllensteinlösung.  Die  Lidränder 
werden  sorgfältig  von  den  anhaftenden  und  vorher  erweichten  Borken 
o-ereink-t  und  mit  einer  der  oben  erwähnten  Lidsalben  bestrichen.  Bei 
ausgeprägten  Ulcerationen  ist  das  T.ouchiren  derselben  mit  2proc.  Höllen- 
steinlösung  oder  dem  Lapisstift  vortheilhafter.  Auch  das  Bepinseln  mit 
Sublimatlösungen  (1 :  1000)  ist  empfohlen  worden.  Die  locker  sitzenden 
Wimpern  werden  entfernt.  Beginnt  die  Heilung,  so  sind  die  Lidsalben 
inehr  am  Platz.     Eine  gleichzeitig  bestehende  Conjunctivitis  muss   ent- 


181. 

W  eb  er 's 
Thränen- 
röhrchen- 
messer. 


640  Erkrankungen  der  Augenlider. 

sprechend  behandelt  werden.  Ist,  wie  nicht  selten,  der  Thränenpunkt 
des  unteren  Lides  nach  aussen  gewendet  und  taucht  nicht  in  den  Thränen- 
see,  so  schlitzt  man  mit  dem  Weber 'sehen  Messer  (Figur  181)  das  ganze 
Thränenröhrchen  und  hält  durch  etwaiges  neues  Aufreissen  diese  Rinne, 
deren  mediales  Ende  sich  in  dem  Thränensee  befindet,  offen.  Nicht 
selten  bestehen  constitutionelle  Anomalien,  besonders  bei  Kindern  Sero- 
phulose;  dieselben  bedürfen  einer  entsprechenden  Berücksichtigung. 
Selbst  wenn  Heilung  erfolgt  ist,  lasse  man  noch  Monate  lang  die  Salbe 
des  Abends  auf  die  Lidränder  streichen,  da  grosse  Neigung  zu  Rück- 
fällen besteht. 

Ist  bereits  die  Lidkante  abgestumpft  und  verdickt,  sind  die  Cilien 
zu  Grunde  gegangen  (Madarosis*),  so  ist  von  einer  Wiederherstellung 
natürlich  nicht  mehr  die  Rede.  Die  etwa  vorhandene  Röthung  und  Ver- 
dickung bekämpft  man  mit  Höllensteinbepinselungen;  auch  bei  bereits 
eingetretenem  Ectropium  empfiehlt  sich  diese  Behandlungsweise.  Gegen 
letzteres  ist  unter  Umständen  operativ  —  allerdings  nicht  immer  mit 
Aussicht  auf  vollbefriedigenden  Erfolg  —  vorzugehen. 

Sudamina  (Miliaria)  in  Gestalt  von  wasserhellen  Bläschen  finden 
sich  öfters  am  Lidrande.  BiswTeilen  veranlassen  sie  ein  juckendes  Ge- 
fühl.    Man  kann  sie  durch  i^nstechen  entleeren. 

Weiter  kommen  kleine  Wärzchen,  die  sich  leicht  abschneiden 
lassen,  ebendort  vor.  Seltener  werden  Condylome  und  syphilitische 
Ulcerationen  am  Lidrande  beobachtet.  Eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit 
letzteren  zeigen  wegen  ihres  weisslichen  Belages  die  durch  Unvorsichtig- 
keit gelegentlich  auf  die  Pfleger  der  Kinder  überimpften  Vaccine- 
pusteln  nach  ihrem  Platzen:  nur  einmal  habe  ich  gesehen,  dass  das 
geimpfte  Kind  selbst  am  Lidrande  eine  Pustel  bekam.  Die  Aifection 
heilt  in  der  Regel  gut  und  ohne  Affection  der  Cornea. 


II.  Hordeolum. 

Entsprechend  dem  Sitze  einer  Talgdrüse  oder  eines  Haarbalges 
tritt  an  der  äusseren  Kante  des  Lidrandes  eine  umschriebene  Infiltration 
auf,  die  zu  einer  knotenförmigen  Verdickung  fuhrt.  In  der  Mitte  der- 
selben zeigt  sich  früher  oder  später  ein  gelber  Eiterpunkt.  Man  kann 
eine  mit  ausgeprägteren  Entzündungserscheinungen  verknüpfte  Form, 
etwa  dem  Furunkel  der  Haut  entsprechend  (Michel),  und  eine  der 
Akne  ähnliche  mildere  unterscheiden. 

Bei  ersterer  ist  stärkere  Hyperämie  und  ödematöse  Durchtränkung 
<\rv    umgebenden  Lidhaut   vorhanden:    sogar  das    ganze  Lid  kann  an- 


uaih'.v.  ausgehen. 


Distichiasis  und  Trichiasis.  641 

schwellen.  Die  Gonjunctiva  wird  injieirt  und  chemotisch.  Bisweilen 
gesellt  sieb  noch  eine  eitrige  Infiltration  einer  benachbarten  Meibom- 
schen  Drüse  hinzu.  Dabei  bestehen  erheblichere  Schmerzen.  Doch 
lässt  die  umschriebene  Infiltration,  welche  sich  durch  ihre  Härte  und 
Sehmerzhaftigkeit  zu  erkennen  giebt,  schon  früh  die  Affection  von 
anderen  schweren  Augenleiden  trennen.  Am  zweiten  oder  am  dritten 
Tage  kommt  es  zur  Eiterung. 

Bei  der  milden  Form  bildet  sich  ein  kleines,  etwa  hirsekorn-  bis 
erbsengrosses  Knötchen  mit  gelblichem  Eitercentrum. 

Zuweilen  geben  mechanische  Irritationen  Veranlassung  zur  Bildung 
von  Hordeola;  oft  linden  sie  sich  bei  sonstiger  Blepharitis.  Manche 
Individuen  sind  besonders  von  häufig  recidivirenden  Gerstenkörnern 
geplagt,  meist  aber  auch  nur  in  gewissen  Lebensperioden:  so  z.  B. 
junge  Mädchen  in  den  Entwicklungsjahren. 

Die  Behandlung  besteht  anfänglich  in  lauen  Bleiwasserumschlägen; 
bat  sich  Eiter  gebildet,  so  wird  er  durch  einen  Einstich  entleert.  Doch 
kann  man  die  Entleerung  auch  der  Natur  überlassen;  es  scheint  sogar, 
als  wenn  hierbei  die  restirende  Infiltration  kürzere  Zeit  bestände  und 
weniger  intensiv  wäre. 

Gegen  Kecidive  ist  die  Anwendung  der  Augendusche  und  das  Be- 
pinseln mit  Höllensteinlösimg  anzurathen.  Auch  die  sogenannte  Lotio 
Kummerfeld  (Camphor.  0,1.  Lact,  sulfur.  1-0.  Aqu.  calcar.  Aqu.  rosar. 
aa  10-0.  Gummi  arab.  0-2),  umgeschüttelt  des  Abends  mit  einem  Pinsel 
auf  die  Lidränder  getragen,  die  Schwefelquecksilbersalbe  (Hydrarg.  sul- 
furat.  rubr.  0,05,  Flor,  sulfuric.  0,15,  Vaselin  und  Lanolin  aa  2,5)  und 
die  rothe  Präcipitatsalbe  werden  empfohlen.  Etwaige  Refractions-  oder 
Accommodations-Anomalien  sind  zu  behandeln. 

III.  Distichiasis  und  Trichiasis. 

Treten  die  Cilien  in  doppelter  Reihe  auf  dem  Lidrande  auf,  so  be- 
zeichnet man  den  Zustand  als  Distichiasis  (d'/q  doppelt,  ox'r/oc,  Reihe),  sind 
sie  gegen  das  Auge  schief  gewachsen  als  Trichiasis  (#o/s  Haar).  Letztere 
ist  meist  Folge  von  Blepharitis  oder  Trachom.  Es  entwickeln  sich  hier 
neue  Reihen  von  Cilien  auf  der  intermarginalen  Kantenfläche  des 
Augenlides;  dieselben  erscheinen  an  ihren  Spitzen  wie  abgebrochen,  die 
Haarzwiebel  ist  unregelmässig  aufgetrieben,  atrophisch,  häufig  stark 
pigmentirt.  Die  Farbe  der  Härchen  ist  oft  verändert,  bisweilen  sind 
sie  ganz  weisslich  oder  grau,  beim  Fassen  mit  einer  Pincette  brechen 
sie  leicht  ab.  [Partielle  Entfärbungen  der  sonst  normalen  Cilien  finden 
sich  auch  in  Folge  nervöser  Störungen.  Ich  kenne  einen  Herrn,  bei 
dem  etwa  ein  Drittel  der  Brauen,  der  Cilien  und  des  Schnurrbartes  der 
linken  Gesichtshälfte  nach  Typhus  eine  weisse  Farbe  angenommen  hat.] 

Schmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  41 


(j42  Erkrankungen  der  Augenlider. 

Belästigend  wird  der  Zustand,  der  häutig  mit  Entropium  verbunden 
ist,  durch  das  Reiben  der  Wimpern  gegen  den  Bulbus;  Conjunctivitis 
und  vor  Allem  Ilornhautaffectionen  (Pannus,  Ulcerationen  u.  s.  w.)  werden 
hierdurch  verursacht.  Es  ist  daher  immer  grosse  Aufmerksamkeit  auf 
die  Stellung  der  Cilien  zu  wenden.  Man  lässt  bei  der  Untersuchung 
das  Lid  in  seiner  normalen  Stellung:  die  falsch  stehenden  Wimpern 
werden  durch  das  Eintauchen  in  Thränenflüssigkeit  und  auf  dem  dunklen 
Hintergründe  der  Iris,  wenn  sie  auf  der  Cornea  streifen,  am  leichtesten 
erkannt. 

Die  Behandlung  besteht  in  ihrer  Entfernung,  sei  es  temporär  oder 
dauernd.  Die  Cilien  werden  mit  der  Cilienpincette  ausgezogen  (Epi- 
lation). Sind  kleinere,  leicht  abbrechende  Cilien  mit  der  Pincette  gar 
nicht  zu  fassen,  so  muss  man  sie  mit  der  Scheere  abschneiden  oder 
durch  Einreiben  mit  einer  Lösung  von  Schwefelcalcium  zerstören,  doch 
ist  hier  Conjunctiva  und  Bulbus  durch  Einlegen  einer  Jäger 'sehen 
Hornplatte  (Fig.  182a)  zu  schützen.  Da  die  Wimpern  wieder  wachsen, 
ist  die  Entfernung  in  einiger  Zeit  zu  wiederholen:  die  Patienten  können 
dies  oft  allein  machen. 

Um  dauernde  Heilung  zu  erzielen,  sind  eine  Reihe  von  Opera- 
tionsmethoden, die  zum  Theil  mit  denen  des  Entropiums  zusammen- 
fallen, in  Gebrauch. 

Die  Zerstörung  der  einzelnen  Cilien  durch  Elektrolyse  - —  Ein- 
führung des  negativen,  nähivulelförmigen  Poles  in  die  Haarwurzel, 
positiver  Pol  mit  Schwammelektrode  auf  die  Stirn  oder  Wange  —  ist 
zweckentsprechend,  aber  schmerzhaft.  Man  bedarf  nur  eines  verhält- 
nissmässig  schwachen  constanten  Stromes;  es  entsteht  ein  feiner  Schaum 
aus  der  Wurzel  des  Härchens. 

Handelt  es  sich  um  einzelne  nebeneinander  befindliche  schief- 
stehende Wimpern,  so  kann  man  sie  mit  einem  feinen,  messerähnlichen 
( ialvanocauter  ausbrennen.  Man  legt  zu  dem  Zwecke  unter  das  Lid 
—  wie  bei  allen  Lidoperationen  —  die  Hornplatte  oder  den  Blepha- 
rostaten  (Fig.  184),  zieht  den  Lidrand  etwas  ab  und  theilt  die  Lidkante 
wie  bei  der  Fla  r  er 'sehen  Operation  (s.  unten)  in  zwei  Theile;  hierbei 
treten  die  Wurzeln  der  Haare  als  schwarze  Striche  und  Punkte  hervor. 

Ist  die  ganze  Lidkante  mit  schiefstehenden  Härchen  besetzt,  so 
wird  man  sich  fragen,  ob  diesselbe  erhalten  werden  sollen  oder  ob 
sie  so  verkrüppelt  sind,  dass  ihre  Entfernung  besser  erscheint.  In 
letzterem  Falle  kann  man  nach  Flarer  den  ganzen  Lidrand  ab- 
schneiden. Es  bildet  sich  nach  der  Heilung  eine  durchaus  glatte  Lid- 
kante.  Diese  Operation,  welche  übrigens  vor  der  Cauterisation  nichts 
voraus  hat,  wird  folgemlcniiaassen  ausgeführt.  Man  wendet  (z.  B.  am 
oberen  Lide)  mit  zwei  Fingern    der   linken  Hand    d'w  Lidkante   etwas 


I 


Distichiasia  und  Trichiasis. 


643 


zu  tätowiren. 


nach  aussen  und  oben,  sticht  mit  einem  spitzen  Scalpell  oder  gebogenem 
Lanzenmesser  dicht  neben  dem  äusseren  Lidwinkel  ein  und  führt 
längs  der  ganzen  Lidkante  nach  innen  bis  in  die  Nähe  des  Thränen- 
punktes  einen  etwa  2  mm  tiefen,  d.  h.  nach  oben  eindringenden 
Schnitt,  welcher  die  Lidkante  in  zwei  Platten  spaltet,  von  denen  die 
der  Conjunetiva  zugewandte  den  Knorpel,  die  der  Haut  zugewandte 
die  Cilien  enthält  (Fig  182).  Durch  einen  zweiten  Schnitt,  der  durch 
die  äussere  Haut  etwa  2  mm  von  der  Lidkante  entfernt  und  ihr 
parallel  geführt  wird,  trennt  man  alsdann  die  Lidrandportion  mit  den 
Cilien  ab.  Kuhnt  empfiehlt,  auf  den  Defect  Lippenschleimhaut  zu 
transplantiren  und  den  Uebergang  zwischen  ihr  und  der  Haut 
schwarz  —  zur  Nachahmung  der  Wimpern 
Zur  Erhaltung  der  Wimpern  ist  die 
Verl  a  g  e  r  u  n  g  des  sie  tragenden  Lidrandes 
in  verschiedener  Weise  versucht  worden. 

Eines  der  ältesten  Verfahren  ist  das  von 
Jaesche-Arlt'sche.  Man  spaltet  wie  bei 
der  Fl  ar  er 'sehen  Operation  die  Lidkante 
in  zwei  Platten;  alsdann  legt  man  (beispiels- 
weise am  oberen  Lide)  etwa  3  bis  4  mm 
oberhalb  der  Lidkante  und  ihr  parallel 
laufend  durch  die  Lidhaut  einen  Schnitt, 
der  zu  beiden  Seiten  die  Cilien  tragende 
Partie  etwas  überragt,  und  4  bis  6  mm 
darüber  einen  zweiten  halbmondförmigen, 
dessen  Enden  sich  mit  denen  des  ersten 
verbinden.  Die  so  umschriebene  halbmond- 
förmige Hautfalte  wird  excidirt.  Durch  Vernähung 
wobei  man  die  durch  den  unteren  Wundrand  geführte  Nadel  in  der 
Xähe  der  Lidkante  aussticht,  wird  die  äussere,  Cilien  tragende  Platte 
der  Lidkante  (welche  von  ihrer  Unterlage  nicht  vollständig  getrennt, 
sondern  nur  mobil  gemacht  ist)  nach  oben  gerückt  und  somit  eine  Ent- 
fernung und  Abhebung  derselben  vom  Bulbus  erzielt. 

Dies  Verfahren  ist  bei  einfacher  Trichiasis  meist  ausreichend;* ist 
daneben  aber  ein  Entropium  mit  Verkrümmung  des  Tarsus  vorhanden, 
so  genügt  es  in  der  Regel  nicht.  Es  sind  alsdann  die  entsprechenden 
Entropiumoperationen  (s.  unten)  angezeigt. 

Dem  Ja esche-Arlt' sehen  Verfahren  ziehe  ich,  wenn  es  sich  um 
eine  nicht  die  ganze  Lidkante  einnehmende  Trichiasis  handelt,  das  von 
v.  Grraefe  empfohlene  vor.  Hier  wird,  wie  oben,  an  der  entsprechenden 
Stelle  die  Lidkante  tief  gespalten.  Alsdann  werden  durch  die  Lidhaut 
zwei  etwa  1  cm  lange,  senkrechte  Schnitte  geführt,  welche  die  Enden 

41* 


Ränder, 


i;i4  Erkrankungen  der  Augenlider. 

der  gespaltenen  Lidkantenpartie  treffen.  Löst  man  nun  die  Cilien 
tragende  Platte  der  Lidkante  und  die  von  den  senkrecht  geführten 
Schnitten  begrenzte  Haut  von  ihrer  Unterlage,  so  kann  man  (beispiels- 
weise am  oberen  Lide)  ein  Hinaufrücken  dieser  Platte  dadurch  er- 
zielen ;  dass  man  die  Plaut  nach  oben  verschiebt  und  in  dieser  Lage 
durch  Nähte  befestigt. 

Ganz  vortrefflich,  auch  bei  Entropium,  ist  die  Verbindung  des  Inter- 
marginalschnittes  mit  dem  Hotz 'sehen  Verfahren.  —  Bei  letzterem 
führt  man  den  Hautschnitt  längs  des  oberen  Randes  des  Tarsus,  excidirt 
ein  Bündel  Orbicularisfasern  und  näht  nun  die  Wunde  so,  dass  der 
untere  Hautrand  mit  dem  oberen  Tarsalrand  in  Verbindung  gebracht 
wird.  Zu  dem  Zweck  werden  die  Fäden  durch  obere  Hautwunde,  Tarsal- 
rand und  untere  Hautwunde  geführt  und  dann  geknüpft.  Durch  die  Be- 
festigung an  dem  Tarsus-Rande  wird,  der  nach  oben  gerückten  Cilien- 
partie  ein  festerer  Halt  gegeben  als  bei  der  Jaesche-Arlt'schen  Me- 
thode. Hotz  selbst  macht  keinen  Intermarginalschnitt.  —  Aehnlich  wie 
.er  verfährt  H.  Pagenstecher.  Nach  Ausführung  eines  Hautschnittes 
in  der  Gegend  des  oberen  Tarsalrandes  wird  der  Orbicularis  nach  oben 
und  unten  hin  vom  Tarsus  gelöst  und  der  zum  Orbitalrande  hinziehende 
nächstliegende  Theil  der  Fascia  tarsoorbitalis  ebenfalls- freigelegt.  Eine 
gekrümmte  Nadel  wird  alsdann  1  mm  über  dem  Ciliarrande  durch  Haut 
und  Muskel  gestochen,  auf  der  Tarsaloberfläche  nach  oben  geführt, 
dann  durch  eine  circa  3  mm  der  Fascie  und  der  darunter  liegenden 
Levatorsehne  umfassende  Falte  gestossen  und  schliesslich  durch  die 
darüber  liegende  Hautmuskelschicht  geführt.  Durch  die  Verknüpfung 
des  Fadens  wird  die  Levatorsehne  verkürzt  und  nach  vorn  verlagert 
und  so  das  Lid  gehoben  und  vom  Bulbus  abgezogen.  Es  sind  drei 
solcher  Nähte  anzulegen. 

Noch  in  anderer  Weise  ist  die  Verschiebung  der  schiefstehenden 
( 'ilien  versucht  worden,  indem  man  nach  Ausführung  des  Intermarginal- 
schnittes,  etwa  3  mm  vom  Lidrande  entfernt,  einen  diesem  parallel 
laufenden  Schnitt  durch  die  Haut  legte.  Oberhalb  dieses  Schnittes 
(oberes  Lid),  etwa  2  bis  3  mm  entfernt,  wird  ein  zweiter,  ihm  parallel 
laufender  Schnitt  in  gleicher  Weise  geführt,  der  nasal-  und  temporal- 
wärts  ihn  etwas  überragt.  Der  so  entstandene  bandförmige  Hautlappen 
wird  von  seiner  Unterlage  gelöst,  abgeschnitten  und  unter  die  Cilien 
tragende  Brücke  in  den  intei'marginalen  Raum  gezogen  und  dort  mit 
Nähten  befestigt;  letzteres^geschieht  darauf  auch  mit  dem  nach  oben 
gerückten,  die  Cilien  tragenden  Lappen  (Watson,  Gayet  u.  A.).  Ich 
halte  es  für  vorteilhafter,  um  ein  Absterben  zu  vermeiden,  den  band- 
förmigen Hautlappen  nicht  abzuschneiden,  sondern  über  die  nach  oben 
gezogene  Cilien  tragende  Brücke  in  den  Intermarginalraum  zu  schieben 


1 


Ankyloblepharon.    Hlepharophimosis.  (345 

und  dort  nötigenfalls  mit  *  einer  durch  den  Tarsus  gelegten  Naht, 
welche  ihn  sehlingenartig  umfasst;  festzuhalten.  Hiermit  habe  ich  sehr 
gute  Resultate  erzielt;  die  Stellen,  an  denen  innen  und  aussen  die  Haut- 
brücke über  dem  nach  oben  gerückten  Cilienboden  liegt,  verdünnt  sich 
sehr  bald.  Jacobson  benutzt  zur  Transplantation  in  den  Intermarginal- 
schnitt  einen  von  der  äusseren  Ecke  des  Lides  nach  oben  in  die  Schläfen- 
haut  oder  nach  unten  in  die  Wangenhaut  geschnittenen  schmalen  ge- 
stielten Hautlappen;  Vossius  nimmt  diesen  Lappen  aus  der  Lidhaut 
selbst.  Da  die  fernen  Härchen  der  transplantirten  Haut  aber  lästig 
werden  könnten,  so  emptieh.lt  sich  mehr  die  Einheilung  eines  abgelösten 
Stückchens  der  Lippenschleimhaut  in  den  breit  blossgelegten  Inter- 
marginalschnitt  (Benson,  van  Millingen).  Um  den  aus  der  Unterlippe 
genommenen  Schleimhautlappen  (die  entstandene  Wunde  in  der  Lippe 
ist  zu  vernähen)  besser  festzuhalten,  kann  man  an  beiden  Enden  des 
Intermarginalschnittes  durch  die  Haut  des  oberen  Lides  zwei  kleine 
senkrechte  Schnitte  führen  und  hier  hinein  die  Enden  des  Schleimhaut- 
lappens  eindrücken.  Es  ist  diese  Methode  der  Transplantation  die 
cmpfehlenswertheste. 

Zur  Anästhesirung  kann  bei  allen  Lidoperationen  die  Besprühung 
mit  Aefhylchlorid  angewandt  werden.  Subcutane  Injectionen  nach 
Schleich  verändern  durch  ödematöse  Schwellungen  das  Operations- 
terrain. 

II.  Ankyloblepharon.     Blepharophimosis. 

Die  Verwachsung  beider  Lidränder  miteinander  (Ankyloble- 
pharon)*) ist  partiell  oder  total.  Sie  kommt  angeboren  oder  in  Folge 
von  Verletzungen  (besonders  Verbrennungen)  oder  schweren  Liderkran- 
kungen  (Diphtheritis,  Lupus  u.  dgl.)  vor.  Partielle  Verwachsungen,  die 
nicht  mit  Symblepharon  verknüpft  sind,  lassen  sich  meist  leicht  durch 
einen  Scheerenschnitt  heilen.  Nöthigenfalls  ist  eine  Umsäumung  mit 
Conjunctiva  von  Xutzen. 

Bei  der  Blepharophimosis  ist  die  Lidspalte  an  ihrem  äusseren 
Winkel  verkürzt.  Es  kommt  dies  angeboren  vor  oder  es  entwickelt 
sich  die  Lidspaltenverengerung  nach  chronischen  Lid-  und  Conjunctival- 
erkrankungen  (Trachom).  Nach  Fuchs  entsteht  sie  durch  quere  Schrum- 
pfung der  Lidhaut,  wobei  eine  senkrechte  Hautfalte  von  der  Schläfe 
her  über  den  äusseren  Lidwinkel  gezogen  wird.  Die  Erweiterung  der 
Lidspalte  fOanthoplastik)  wird  so  ausgeführt,  dass  man  den  äusseren 
Lidwinkel   mit    einer   geraden    Scheere,    deren    eine    stumpfe    Branche 


'■■■  dyxv'/.rj.  Steifheit  der  Glieder. 


646  Erkrankungen  der  Augenlider. 

zwischen  Lidcomniissur  und  Bulbus  eingeführt  wird,  während  die  andere 
Branche  auf  der  Haut  liegt,  in  entsprechender  Ausdehnung  (etwa  4 
bis"  8Ämm)  horizontal  durchschneidet  und  die  entstandene  Hautwunde 
mit  der  durchschnittenen  und  gelösten  Conjunctiva  mittels  Naht  umsäumt. 

2.  Erkrankungen  der  Lidhaut  und  des  Tarsus. 

Die  Lidhaut  zeigt  dieselben  Erkrankungen  wie  die  übrigen  Haut- 
decken. 

Besonders  häufig  sind  Ekzeme,  welche  bei  scrophulösen  Kindern 
die  eigentlichen  Augenaifectionen  compliciren.  Bedenklich  ist  die  ulce- 
röse  Blepharitis,  welche  sich  aus  einem  pustulösen  Ekzem  entwickelt. 
Die  Ulcera  haben  bisweilen  diphtherischen  Belag  und  können,  wenn 
sie  in  der  Nähe  des  Lidrandes  sitzen,  Anlass  zu  diphtheritischen  In- 
filtrationen der  Conjunctiva  geben.  Die  Behandlung  geschieht  vorteil- 
haft mit  Ung.  diachylon  Hebrae,  das  auf  Leinwand  gestrichen,  und, 
wenn  es  der  Zustand  des  Auges  erlaubt,  mit  einer  Binde  befestigt  wird. 
In  ähnlicher  Weise  wirken  lprocentige  Salben  von  Zinc.  oxydat.  oder 
Hydrarg.  praecipat.  alb.  oder  auch  Theersalben  (1  :  4).  Bei  diphtheri- 
tisch  belegten  Geschwüren  wende  ich  Höllensteinlösungen  an. 

Mit  dem  Lid-Erysipel  verknüpfen  sich  öfters  Entzündungen  des 
Orbitalfettzellgewebes,  die  theils  direct  auf  den  Opticus  übergreifen  und 
eine  Neuritis  bezw.  Atrophie  veranlassen,  theils  das  Auge  indirect  schä- 
digen, indem  sie  durch  Compression  der  Gefässe  eine  Thrombose  der 
Retinalvenen  und  Unterbrechung  der  arteriellen  Zufuhr  (mit  Apoplexien 
der  Netzhaut  [Knapp])  herbeiführen. 

Phlegmone  der  Haut  kommt  gelegentlich  nach  Infection  durch 
thierische  Gifte  (Milzbrand),  nach  Insectenstichen  u.  s.  w.  vor;  es  bilden 
sich  meist  unter  Fieber  eine  oder  mehrere  eitrige  Pusteln,  das  Lid 
schwillt  stark  an  und  röthet  sich.  Auch  habe  ich  diese  Entzündung  bei 
alten  Leuten  in  Folge  von  Druckverband  mit  feuchten  Sublimatcom- 
pressen  auftreten  sehen.  Ferner  geben  Traumen  gelegentlieh  Veran- 
lassung. In  leichteren  Fällen  erfolgt  unter  lauen  Borwasserumschlägen 
die  Abschwcllung,  in  anderen  kommt  es  zu  tiefen  Eiterungen  mit  Haut- 
gangrän, Schwellung  der  Halslymphdrüsen  und  Abscedirungen  in  der 
Halsgegend,  selbst  zum  Exitus  letalis.  Einfache  Furunkelbildungen  sind 
selten;  häufiger  beobachtet  man  bei  Kindern  Abscesse  in  der  Lidhaut. 

Der  Herpes  Zoster  im  Gebiete  der  in  der  Nähe  des  Auges  ver- 
laufenderj  Tri^vminus-Aeste  wird  als  Herpes  Zoster  ophthalmicus 
(Hutchinson)  bezeichnet.  Dem  Ausbruch  der  Blasen  gehen  heftige 
neuralgische  Schmerzen  voran.  Die  Blasen  stehen  gruppenweise  auf 
gerötheter  Haut,  indem  sie  den  Ausbreitungen  der  Nerven-Aeste  folgen 


Erkrankungen  der  Lidhaut  und  des  Tarsus.  647 

mul  .scharf  in  der  Mittellinie  des  Gesiebtes  abschneiden.  Der  anfänglich 
wasserhelle  Inhalt  trübt  sieh  bald,  es  bilden  sieb  Krusten  und  später 
Geschwüre,  die  dauernde  Narben  zurücklassen.  Der  Process  spielt  sieb 
in  circa  3  Woeben  ab.  Oft  betheiligt  sieb  die  Cornea,  indem  theils 
wasserhelle  Herpesbläschen  auftreten,  tbeils  Infiltrate.  Die  Behandlung 
ist  eine  symptomatische,  die  Haut  wird  mit  Oelläppcben  oder  Streu- 
pulver bedeckt.  — 

Bei  der  Chromhidrose  entstehen  dunkelbläuliche  Flecke  an  den 
Lidern;  entfernt  man  die  farbige  Substanz,  so  erscheint  sie  nach  einiger 
Zeit  wieder.  Besonders  bei  jungen  Mädchen  wurde  diese  AfFection,  die 
allerdings  in  einer  Reihe  von  Fällen  als  Product  künstlicher  Färbung 
sieh  herausstellte,  beobachtet. 

üedem  der  Lidhaut  tritt  äusserst  selten  primär,  meist  in  Ver- 
bindung mit  anderen  Augen-  und  Lid-Afiectionen  auf:  so  bei  Blen- 
norrhoe oder  Diphtheritis  conjunctivae,  Panopbthalmitis,  Orbitalphleg- 
mone, Periostitis  orbitae,  Periostitis  der  Oberkiefer-Zähne,  Thrombose 
des  Sinus  cavernosus,  Hordeolum,  Cbalazion,  Dakryoadenitis,  Dakryo- 
eystitis,  Furunkel,  Milzbrandpustel,  Lidabscess.  Auch  nach  Ein- 
spritzungen in  den  Thränensack,  falls  etwas  Flüssigkeit  in  das  sub- 
mueöse  Gewebe  geräth,  beobachtet  man  es.  Ebenso  kommt  Oedem  bei 
Influenza  und  Trichinose  vor.  Das  Oeffnen  der  Lider  nötigenfalls 
unter  Zuhülfenahme  eines  Desmarres 'sehen  Elevateurs  klärt  darüber 
auf,  ob  der  Bulbus  oder  die  Conjunctiva  betbeiligt  ist.  leichtentzünd- 
liche Lidödeme  siebt  man,  besonders  oft  Morgens  nach  dem  Schlaf, 
bei  Anämischen,  bei  Nieren-  oder  Herzkranken.  —  Hämorrhagien 
finden  sich  besonders  nach  Traumen.  Wenn  der  Bluterguss  in  Folge  von 
Fracturen  der  knöchernen  Schädelbasis  erfolgt,  so  pflegt  er  sich  zuerst  an 
der  Conjunctiva  bulbi  und  dann  erst  unter  der  Lidhaut  zu  zeigen.  Auch 
nach  Stickhustenanfällen  habe  ich  Blutergüsse  unter  der  Haut  gesehen. 

Lidemphysem  entsteht  bisweilen  nach  Brüchen  der  knöchernen 
Nasenwand  oder  des  Sinus  frontalis,  wobei  Luft  von  der  Nase  her  in 
das  orbitale  oder  subcutane  Zellgewebe  gelangt.  Die  Heilung  erfolgt  in 
der  Regel  schnell.  — 

Der  Tarsus  ist  häufig  der  Sitz  chronischer  Entzündungen,  die  sich 
zum  Conjunctivaltrachoni  hinzugesellen.  Es  tritt  hier  besonders  Ver- 
dickung und  Verkrümmung  des  Tarsus  ein.  Auch  Amyloiddegeneration 
wird  beobachtet. 

Die  syphilitische  Tarsitis  befällt  meist  beide  Lider  gleichzeitig 
und  geht  unter  Schwellung  des  Lides,  die  auf  die  Verdickung  des 
knorpelharten  Tarsus  zurückzuführen  ist,  einher.  Die  Lidbaut  ist  venös 
injicirt,  die  Conjunctiva  meist  hypertropbirt.  Der  Verlauf  ist  sehr  lang- 
sam, doch  kann  vollkommene  Heilung  eintreten; 


('48  Erkrankungen  der  Augenlider. 


I.  Chalazion. 

Beim  acuten  Chalazion  zeigt  sich  die  Lidhaut  in  der  Nähe  des 
Lidrandes  gerüthet  und  geschwellt.  Man  fühlt  daselbst  eine  umschriebene 
Härte  etwa  von  Erbsengrösse.  Bei  sehr  starker  Entzündung  ist  das  Lid 
in  seiner  ganzen  Ausdehnung  afficirt;  es  wird  dann  schwerer  beweglieh, 
ödematös  und  kann,  wenn  es  sich  um  das  obere  Lid  handelt,  herab- 
hängend das  Auge  decken.  Die  Conj.  bulbi  ist  öfters  chemotisch.  Kehrt 
man  das  Lid  um,  was  aber  besonders  dann7  wenn  das  Hagelkorn  in 
den  Lidwinkeln  sitzt,  nicht  immer  in  ausgiebiger  Weise  möglich  ist,  so 
sieht  man  eine  umschriebene,  kleine,  meist  gelbliche  Hervorragung  der 
Tarsalschleimhaut,  entsprechend  dem  Sitze  der  Meiboin- 
schen  Drüsen.  Incidirt  man  dieselbe,  so  entleert  sich 
eitrige  Flüssigkeit. 

Die  differentielle  Diagnose  sehr  acuter  Chalazien 
gegenüber  dem  Anfangsstadium  der  acuten  Blennorrhoe 
ist  bereits  bei  letzterer  besprochen  worden. 

Das  chronische  Chalazion  ist  eine  linsen-  bis 
über  erbsengrösse  Geschwulst,  die,  unter  der  intacten  Haut 
sitzend,  mit  dem  Tarsus  verschieblich  ist.  Entzündet  sich 
die  Geschwulst,  so  wird  die  Haut  darüber  ebenfalls  etwas 
geröthet.  Beim  Ektropioniren  des  Lides  sieht  man  an  der 
entsprechenden  Stelle  eine  Hervorragung,  bei  deren  Ein- 
schnitt sich  eine  gelatinöse,  bisweilen  auch  eingedickte 
käsige  Masse  entleert.  Nach  dem  Einstich  oder  der 
spontanen  Perforation  können  in  seltenen  Fällen  rothe 
Wundgranulationen  aus  der  Oeffnung  hervorwachsen. 
Häufig  entsteht  das  chronische  Chalazion,  nachdem  ein 
acutes  vorangegangen  war;  bisweilen  entwickelt  es  sich 
jg;3  auch  ohne  acutes  Stadium.    Ausnahmsweise  sitzen  an  dem- 

Schmidt-       selben  Lide  mehrere  derartige  Geschwülste. 
LöffeF-Messer.8  Den   Ausgangspunkt    des  Chalazion    bildet    eine    Er- 

nährungsstörung in  einer  Meibom' sehen  Drüse  mit  Secre- 
tionsretention  und  Entzündung  des  umliegenden  Binde-  und  Tarsusge- 
webes.  Angrenzendes  Bindegewebe,  Muskelfasern  und  verdünnter 
Tarsus  stellen  eine  Art  Kapsel  dar  (de  Vincentiis,  Fuchs). 

Die  Behandlung  besteht  beim  acuten  Chalazion  ganz  im  Anfang 
und  bei  starker  Entzündung  in  kalten,  später  in  lauen  Umschlägen  von 
Borsäurelösung  oder  Bleiwasser.  Zeigt  sich  beim  Ektropioniren  an  der 
Tarsalflache  die  beschriebene  Hervorragung,  so  wird  in  dieselbe  mit 
dem   Messer    (den  Rücken    desselben    gegen    den  Bulbus  gekehrt)    ein 


Geschwülste.  1)49 

Einstich  gemacht  und  der  Inhalt  entleert.  Auch  beim  chronischen 
( lhalazion  ist  die  Entleerung  durch  Einstich  von  der  Conjunctiva  aus 
in  der  Regel  indicirt;  um  den  oft  zähen  und  breiigen  Inhalt  herauszu- 
pressen, übt  man  mit  dem  Scalp  eilstiel  einen  stärkeren  Druck  auf  die 
Lidhaut  aus.  Auch  durch  Eingehen  mit  einem  kleinen  Löffel  kann 
ausgiebige  Entleerung  erreicht  werden.  Ich  habe  mir  zu  dem  Zweck 
ein  kleines  Messerchen,  ähnlich  einem  zugespitzten  und  zugeschärften 
Da  viel' sehen  Löffel  anfertigen  lassen,  mit  dem  man  den  genannten 
Indieationen  nachkommen  kann  (Figur  183).  Gleich  nach  der  Ent- 
leerung tritt  eine  seröse  oder  blutige  Ansammlung  in  der  Chalazion- 
kapsel  ein,  welche  in  den  nächsten  Tagen  ein  Wiederanschwellen  der 
<  reschwulst  veranlasst;  allmählich  aber  erfolgt  eine  zunehmende  Ver- 
kleinerung, nur  die  Kapsel  bleibt,  noch  lange  fühlbar.  Will  man  letztere 
entfernen  oder  handelt  es  sich  um  sehr  grosse,  dicht  unter  der  Haut 
liegende  Chalazien,  so  exstirpirt  man  sie  durch  einen  horizontalen 
Hautschnitt.  Zertheilende  Einreibungen  (Jodsalbe  u.  s.  w.)  sind  ohne 
vorherige  Eröffnung  in  der  Regel  nutzlos. 

Einfache  Infarcte  der  Meibom 'sehen  Drüsen,  die  bisweilen  verkalken, 
zeigen  sich  als  gelbliche  Punkte  oder  Striche  auf  der  inneren  Lidfläche.  Sie 
kommen  besonders  bei  älteren  Personen  vor.  Ihr  Inhalt  kann  durch  Einschnitt 
entleert  werden,  da  bisweilen  Reizungen  von  ihnen  ausgehen.  Aehnliche  gelbe 
Pünktchen  sieht  man  zuweilen  in  der  Uebergangsfalte ;  nach  Euchs  handelt  es 
sich  um  Concremente  in  neugebildeten  schlauchförmigen  Drüsen. 

II.  Geschwülste. 

Das  Milium  findet  sich  als  etwa  stecknadelkopfgrosses,  weisses 
Korn  nicht  selten  in  der  Lidhaut.  Der  talgartige  Inhalt  wird  nach 
einem  kleinen  Einstich  entleert. 

Xanthelome  treten  in  der  Regel  in  der  Form  von  unregelmässig 
begrenzten,  etwas  prominenten  Flecken,  die  eine  gelbliche  bis  bräunliche 
Färbung  haben,  in  der  Lidhaut  auf.  Es  handelt  sieh  um  Bindegewebs- 
hyperplasie  und  Fettdegeneration  (Waldeyer,  Manz).  Ist  die  Ge- 
schwulst klein,  so  kann  sie  leicht  excidirt  werden,  ohne  die  Entstehung 
von  Ectropium  zu  veranlassen. 

Ferner  kommen  nicht  selten  Naevi  und  Teleangiektasien  an- 
geboren vor.  Mit  den  schwarzbraunen  Naevi  an  den  Lidrändern  sind 
nicht  selten  bräunliche  Flecke  in  der  Conjunctiva  verknüpft.  Wenn 
sie  nicht  zu  gross  sind,  entfernt  man  sie  durch  Exstirpation;  doch  achte 
man  darauf,  dass  kein  Ectropium  entsteht.  Bei  Teleangiektasien  wendet 
man  mit  Yortkeil  den  Galvanocauter  an;  für  grössere  ist  die  subcutane 
Einführung  oder  die  Elektrolyse  zu  empfehlen.  Die  eigentlichen  caver- 
nösen  Geschwülste  entstehen  meist  erst  nach  der  Geburt  im  jugend- 
lichen Lebensalter. 


f;50  Erkrankungen  der  Augenlider. 

Sonst  verdienen  noch  Warzen,  Hauthörner,  Mollusken  (M.  simplex; 
bis  erbsengrosse,  öfters  gestielte,  gelblich  gefärbte  Ausdehnung  der 
Talgdrüsen;  M.  contagiosum  eine  rundliche  Geschwulst  mit  abge- 
platteter Oberfläche  und  centraler  Vertiefung,  aus  der  sich  bei  Druck 
eine  talgartige  Mas.se  entleert:  diese  Geschwülste  kommen  auch  am  Lid- 
rande vor),  ferner  Atheromcysten  (vorzugsweise  im  äusseren  Winkel  unter 
dem  oberen  Lide  sitzend),  Lepraknoten,  Lipome,  Fibrome,  Angiome, 
Sarkome  und  Epitheliome  der  Lider  besonderer  Erwähnung.  Letztere 
treten  besonders  gern  an  einem  Winkel,  gewöhnlich  dem  inneren,  des 
unteren  Lidrandes  und  zwar  in  Geschwürsform  mit  infiltrirten  Rändern 
(Ulc.  rodens)  auf.  Der  Verlauf  ist  ein  sehr  langsamer,  wobei  öfters  eine 
partielle  Vernarbung  beobachtet  wird.  Bei  längerem  Bestehen  geht 
die  Infiltration  auch  auf  den  Bulbus  und  das  Orbitalgewebe  über.  Eine 
frühzeitige  und  reine  Exstirpation  kann  dauernde  Heilung  erzielen. 

3.  Stellungsanomalien. 

I.  Entropium. 

Beim  Entropium  ist  die  Lidkante  nach  innen  gekehrt,  etwa  vor- 
handene Wimpern  berühren  den  Bulbus.  Diese  Stellungsveränderung 
ist  entweder  Folge  einer  krampfhaften  Contraction  der  dem  Lidrande 
nächstgelegenen  Fasern  des  M.  orbicularis  (Entropium  spasticum)  oder 
Folge  von  Narbenschrumpfung  der  Conjunctiva  und  muldenförmiger 
Einwärtskehrung  des  Tarsus. 

Die  erstere  Form  findet  man  fast  nur  am  unteren  Lide,  besonders 
häufig  bei  älteren  Individuen  (Entrop.  senile),  wo  ihr  Auftreten  durch 
Erschlaffung  der  Haut  unterstützt  wird.  Auch  längere  Anwendung  des 
Druckverbandes  ruft  sie  hervor,  ebenso  sieht  man  sie  zuweilen  bei  acuten 
Augenentzündungen.  Zieht  man  mit  dem  Finger  das  Lid  ab,  so  nimmt 
die  Lidkante  momentan  ihre  normale  Stellung  wieder  an. 

Die  Behandlung  kann  sich  in  Fällen,  wo  das  Entropium  durch 
den  Druckverband  oder  eine  Entzündung  veranlasst  ist,  darauf  be- 
schränken, durch  einen  von  oben  nach  unten  verlaufenden  Streifen  eng- 
lischen Heftpflasters,  der  unter  dem  Lidrande  beginnt  und  diesen  nach 
.Hissen  ziehend  auf  der  Wange  endet,  das  Lid  richtig  zu  stellen:  um 
dem  Pflasterstreifen  grössere  Befestigung  zu  geben,  wird  er  mit  Collo- 
dium  bepinselt.  Energischer  ist  die  Wirkung,  wenn  man  von  der  unteren 
Lidhaut  eine  horizontal  verlaufende  Falte  hoch  hebt,  diese  mit  einer 
eingefädelten  Nadel  von  oben  nach  unten  —  etwa  in  1-5  cm  Aus- 
dehnung —  durchsticht  und  den  Faden  über  der  Falte  zusann  neu  knüpft 
und  abschneidet. 

Auch  beim  Entropium  senile  ist  diese  Fadenoperation  anwendbar,  aber 


Entropium. 


651 


in  der  Weise  moditieirt,  dass  man  den  Faden  so  lange  liegen  lässt,  bis 
die  Wunde  eitert.  Um  ein  Einselmeiden  desselben  zu  vermeiden,  knüpft 
man  ihn  auf  einer  Heftpflasterrolle  oder  auf  einer  Perle,  durch  welche 
das  eine  Fadenende  gezogen  wird.  Meist  legt  man  hier  zwei  solcher 
senkrecht  verlaufender  Fäden  in  einigem  Abstände  voneinander  durch 
die  Hautfalte  (Gaillard'sehe  Ligaturen).  Auch  durch  horizontale,  ovale 
Hautausschnitte  oder  bei  Blepharophimose  durch  die  Canthoplastik  kann 
man  Heilung  erstreben,  v.  Graefe  legte  bei  Entropium  des  unteren 
Lides,  etwa  3  mm  vom  Lidrande  entfernt,  einen  diesem  parallelen  Haut- 
schnitt, der  aber  von  den  Lidcommissuren  beiderseits  etwa  4  mm  ent- 
fernt bleibt.  Der  mittlere  Theil  dieses  Schnittes  bildet  die  Basis  eines 
nach  unten  gerichteten,  zu  exstirpirenden  Hautdreieckes,  dessen  Seiten 
nach  Lockerimg  der  anliegenden  Haut  zu  einer  senkrecht  verlaufenden 
Wundlinie  zusammengenäht  werden.  Einfacher  und  sehr  empfehlens- 
werth  beim  Entropium  spasticum  ist  die  schräge  Blepharo- 
tomie  (Stell wag).  Man  macht  hier  dicht  neben  dem 
äusseren  Lidwinkel  einen  kleinen,  durch  die  Lidkante 
(schräg  nach  dem  Ohrzipfel  hin  gerichtet)  gehenden 
Scheerenschnitt,  welcher  die  Randfasern  des  Orbicularis 
trennt.  Die  Heilung  erfolgt  in  der  Regel  glatt,  und  man 
sieht  nachher  kaum  eine  kleine  Einkerbung;  doch  ist 
der  Erfolg  nicht  immer  dauernd. 

Die  von  Schneller  angegebene  Methode  der  Un- 
terheilung eines  Hautstückes,  welches  als  Keil  wirkend 
den  orbitalen  Theil  des  unteren  Lides  einwärts  drückt 
und  so  den  Lidrand  vom  Bulbus  abwendet,  habe  ich  mit 
einer  Modification  auch  öfters  mit  Nutzen  angewandt.  Ich 
führe  den  ersten  unteren,  fast  horizontalen  Hautschnitt  in 
der  Höhe  des  orbitalen  Knochenrandes,  3 — 4  mm  darüber 
den  zweiten  etwas  convex  nach  oben  gerichtet,  so  dass 
er  mit  dem  ersten  an  den  Enden  zusammenstösst. 

Nun  lockert  man  nach  oben  und  unten  die  Haut  mit  dem  darüber- 
liegenden  Orbicularis  und  vernäht  dann  die  Wunde  über  dem  stehen- 
gebliebenen, an  der  Oberfläche  leicht  abgekratzten  Hautstück. 

Handelt  es  sich  um  Entropium  in  Folge  von  Tarsusverkrümmung, 
so  muss  eine  gleichzeitige  Stellungsverbesserung  des  Tarsus  operativ 
erstrebt  werden.  Um  Blutungen  zu  vermeiden,  bedient  man  sich  hier 
>tatt  der  einfachen  Hornplatte  meist  des  Blepharostaten  (Snellen, 
Knapp),  bei  dem  eine  Art  Klammer  die  Lidhaut  gegen  die  zwischen 
Conjunctiva  und  Bulbus  Kegende  Hornplatte    drückt  (Figur  184). 

Berlin  hat  ein  einfaches  und  brauchbares  Verfahren  angegeben. 
Man  fuhrt  durch  das  obere  Lid,  etwa  3  bis  5  mm  oberhalb  der  Wimpern, 


184. 


jj52  Erkrankungen  der  Augenlider. 

einen  dem  Lidrande  parallelen  Schnitt,  der  Haut,  Muskel,  Tarsus  und 
Conjunetiva  durchschneidet.  Durch  Zurückschieben  der  oberen  Haut- 
wunde legt  man  den  Tarsus  bloss  und  schneidet  aus  ihm  und  der 
Conjunetiva  ein  horizontales,  etwa  2  mm  hohes  Band  längs  der  ganzen 
Wunde  heraus.  Alsdann  vereinigt  man  die  Hautwunde  durch  Nähte. 
Jacobson  durchschneidet  ebenfalls  Haut,  Muskel,  Tarsus  und  Conjune- 
tiva, ohne  jedoch  vom  Knorpel  etwas  zu  entfernen,  und  näht  dann  nach 
Excision  einer  halbmondförmigen  Hautfalte  mit  tiefgehenden,  durch  den 
Intermarginalrand  geführten  Nähten  die  Wunde  zusammen. 

Snellen's  Verfahren  ist  etwas  complicirtcr.  Nach  Anlegung  eines 
3  mm  vom  Lidrande  entfernten  und  ihm  parallelen  Hautschnittes  wird 
die  darunter  liegende  Orbicularismusculatur  in  circa  2  mm  Höhe  excidirt, 
dann  durch  Zurückschieben  der  Tarsus  ganz  frei  gelegt.  Aus  letzterem 
sehneidet  man  ein  keilförmiges  Stück  (Basis  nach  aussen,  Kante  der 
Conjunetiva  zu)  längs  der  ganzen  Hautwunde  heraus.  Darauf  wird 
durch  den  oberen  Theil  des  Tarsus  ein  Faden  gelegt,  der  mit  zwei 
Nadeln  versehen  ist.  Die  Schlinge  kommt  in  den  Tarsus,  während  die 
Enden  des  Fadens  durch  die  an  die  Cilien  grenzende  Hautpartie  gehen 
und  dort  über  einer  Perle  verknüpft  werden.  Es  sind  2  bis  3  solcher 
Nähte  anzulegen.  Die  Methode  von  Streatfield  ist  ähnlich.  —  Auch 
lineare  Cauterisationen  mit  dem  Thermocauter  etwa  4  mm  vom  Lidrande 
entfernt  durch  Haut  und  Muskel  bis  in  den  Knorpel  dringend,  sind  sehr 
empfehlenswerth.  Weiter  können  in  einer  Reihe  von  Fällen  die  gegen 
Trichiasis  angegebenen  Operationen,  besonders  die  Hauttransplantation 
in  den  getrennten  Lidrand,  von  Nutzen  sein;  Rückfälle  kommen  aber 
gelegentlich  bei  allen  Methoden  vor. 

II.  Ectropium. 
Beim  Ectropium*)  ist  das  Lid  nach  aussen  gekehrt,  die  Conjunetiva 
liegt  zu  Tage,  theils  in  der  ganzen  Länge  des  Lidrandes,  theils  nur  an 
einer  umschriebenen  Partie.  Hierdurch  wird  neben  der  unangenehmen 
Entstellung  ein  dauernder  Reizzustand  des  Auges  unterhalten,  zumal 
auch  die  Thränen  nicht  mehr  durch  den  Thränenpunkt,  der  absteht, 
in  den  Thränensack  geleitet  werden.  Am  häufigsten  ist  das  untere  Lid 
befallen.  Wenn  das  Ectropium  durch  acute  Hypertrophirung  der  Con- 
junetiva (Ectropium  sareomatosum),  so  z.  B.  bei  Blennorrhoen,  zu  Stande 
kommt,  pflegt  es  mit  der  Abschwellung  der  Schleimhaut  zurückzugehen- 


'■■  Deutsche  Heerordnung.  $  !».  Abs.  2.  Landsturm  bez.  dauernd  untauglich. 
Anlage  4  7  a.  Umkehrung  eines  oder  beider  Augenlider  nach  innen  oder  aussen, 
narbige  Entartung  der  Augenlidbindehaut,  Mangel  der  Wimperhaare  und  Einwärts- 
kehrung  derselben,  ausgedehntere  Verwachsung  der  Lidbindehaut  mit  der  des  Aug- 
apfels oder  der  Hornhaut.  —  Vgl.  S.  69. 


Ectropium. 


653 


Durch  Searitieationen  und  Anlegung  eines  Druckverbandes  nach  Repo- 
sition des  Lides  wird  die  Heilung  beschleunigt. 

Eingreifendere  Heilverfahren  bedürfen  in  der  Regel  die  Ektropien, 
welche  nach  chronischer  Blepharitis  marginans,  Trachom  (Ectropium 
spasticum),  nach  Verletzungen  mit  folgender  Hautnarbe,  Caries,  bei 
Fistelöffnungen  in  Folge  von  Empvein  des  Sinus  frontalis,  Lupus,  nach 
einer  in  Folge  von  Ekzem  auftretenden  Lidhautverkürzung  (Narben- 
Ectropium)  oder  auch  bei  Schwäche  der  ciliaren  Theile  des  Orbicularis 
auftreten  (Ectropium  paralyticum).  Letztere  beiden  Momente  ver- 
ursachen besonders  bei  älteren  Individuen  öfters  ein  Ectropium  (Ectro- 
pium senile). 

Leichtere  Fälle  können  ebenfalls  durch  einen  längere  Zeit  hindurch 
angelegten  Druckverband  zurückgebracht  werden.  Taucht  der  untere 
Thränenpunkt  nicht  in  den  Thränensee,  so  ist  das  Thränenröhrchen 
aufzuschlitzen.  Bei  Narbenektropien,  wo,  wie  z.  B.  nach  Caries,  die 
Haut  mit  dem  Knochen  durch  Bindegewebsstränge  verbunden  ist,  hat 
Dieffenbach  die  Hautnarbe  in  Form  eines  gleichschenkligen  Drei- 
ecks, dessen  Basis  dem  Lidrande  parallel  läuft,  excidirt  und  dann 
nach  Unterminirung  der  angrenzen- 
den Haut  die  äussere  und  innere 
Seite  des  Dreiecks  durch  Naht  ver- 
einigt (Figur  185). 

Nach  Wharton  Jones  um- 
schneidet man  die  Narbe  durch  zwei 
Schnitte,  welche  vom  inneren  und 
äusseren  Lidwinkel  beginnend  nach 


unten  convergiren,  so  dass  die  um- 
schnittene,  aber  nicht  excidirte  Haut 


185. 


Figur  185  die  schraffirte  Partie 
Haut   von   ihrer   Unterlage    ab, 


durch  zwei   ähnliche  Schnitte  wie  in 

begrenzt   ist.     Alsdann   löst   man   die 

schiebt   sie  in  die  Höhe,   reponirt  das  Ectropium    und  näht  den  unter 

der  Hautspitze   entstandenen  Defect   zu   einer   senkrecht  verlaufenden 

Wunde  zusammen.    Schliesslich  werden  auch  die  Seiten  des  beweglich 

gemachten  Lappens  mit  der  angrenzenden  Haut  vereinigt. 

Bei  grösseren  Substanzverlusten  sind  plastische  Operationen  aus 
der  angrenzenden  Stirn-,  Schläfen-  oder  Wangenhaut  angezeigt,  oder 
auch  die  Transplantation  abgelöster  Hautlappen  (Reverdin)  oder 
kleiner,  dünner  Epidermisstückchen  (Thiersch,  Eversbusch),  die 
dachziegelförmig  übereinander  geschichtet  den  Defect  decken.  Ueber 
letztere  wird  Guttaperchapapier  und  ein  feuchter  Sublimatverband  gelegt. 

Die  Form  des  Ectropiums  des  unteren  Lides,  welche  als  Folge 
von   Blepharitis  auftritt,    ist  z.  Th.  auch  durch  Hautverkürzungen  und 


054  Krkrankungen  der  Augenlider. 

Schrumpfungen  bedingt,  die  sich  auf  die  beständige  Befeuchtung  der 
Lidhaut  durch  überfliessendes  Seeret  zurückführen  lassen.  Hier  vist 
eine  dauernde  Bcfettung  mit  Oleum  amygd.  dulcium  oder  Vaselin 
angezeigt,  sowie  Bekämpfung  von  etwa  bestehenden  Ekzemen.  Als 
einfachste  operative  Methode  empfiehlt  sich  die  von  Snellen  ange- 
gebene Fadenoperation.  Man  führt  durch  die  beiden  Enden  eines 
Fadens  je  eine  Nadel;  die  Mitte  des  Fadens  kommt  in  einer  Aus- 
dehnung von  etwa  5  mm  horizontal  auf  die  ektropionirte  Schleimhaut 
zu  liegen,  während  jede  der  Nadeln  hinten  durch  die  Conjunctiva  ge- 
geführt und  dann  unter  die  Haut  bis  in  die  Nähe  des  Orbitalrandes  fort- 
gestochen wird;  hier  sticht  man  sie  aus.  Die  beiden  Fadenenden  werden 
auf  einer  durchbohrten  Perle  auf  der  Haut  zusammengeknotet;  durch  den 
hierbei  vermittels  der  Fadenmitte  auf  die  Conjunctiva  geübten  Druck  wird 
das  Ectropium  reponirt.  Solcher  Fäden  werden  in  einiger  Entfernung" 
zwei  bis  drei  angelegt.  Man  lasse  sie  so  lange  liegen,  bis  ausgeprägte 
Eiterung  eingetreten  ist,  vermeide  aber  ein  Durchschneiden  der  Haut. 
In  Folge  der  Eiterung  bilden  sich  Bindegewebsstränge,  welche  eine 
dauernde  Richtigstellung  bewirken  können.  Jedoch  reicht  dies  Ver- 
fahren nur  für  leichte  Fälle  aus. 

In  etwas  anderer  Weise  wendet  Fukala  die  Nähte  an.  Er  macht 
10  mm  unter  dem  unteren  Lidrande  einen  horizontalen  Schnitt,  der 
Haut  und  Muskelschicht  trennt  und  löst  beide  bis  zur  Lidkante  hin  vom 
Knorpel.  Dann  wird  eine  Nadel  4  mm  unter  dem  Lidrande  durch 
Haut  und  Muskelschicht  gestochen,  auf  dem  Knorpel  zum  Lidrande 
geführt  und  hier  durch  den  Knorpel  zur  Conjunctiva  durchgestochen. 
In  einem  wagerechten  Abstände  von  3  mm  erfolgt  dann  die  Zurück- 
leitung der  Nadel  in  gleicher  Weise  zur  Haut,  wo  die  Knotung  der 
beiden  Faden-Enden  erfolgt.  Nach  Anlegung  zweier  weiterer  Nähte 
wird  die  Hautwunde  geschlossen. 

Adams  schnitt  aus  der  ganzen  Dicke  des  ektropionirten  unteren 
Lides  ein  keilförmiges  Stück  aus,  dessen  Basis  in  der  Lidkante  liegt 
und  in  seiner  Grösse  der  durch  das  Ectropium  veranlassten  Lidver- 
längerung entspricht.  Die  entstandene  Wunde  wird  durch  tiefgreifende 
Nähte  geschlossen.  Da  bei  nicht  gut  erfolgender  Heilung  ein  Lid- 
colobom  entstehen  kann,  excidirt  Kuhnt  den  Keil  nur  aus  der  Binde- 
haut und  dem  Knorpel  (sehr  empfehlenswerth!),  während  v.  Ammon 
den  bezüglichen  Keil  am  äusseren  Lidwinkel  in  der  Verlängerung  der 
Lidspalte  ausschneidet. 

In  anderen  Fällen  ist  die  Tarsoraphie  von  Nutzen.  Durch 
dieselbe  wird  die  Lidspalte  verkleinert,  indem  man  neben  der  tem- 
poralen Commissur  die  Ränder,  sowohl  am  oberen  als  am  unteren  Lide, 
in  einer  Ausdehnung  von  etwa  4  mm  abträgt  und  durch  Nähte  vereinigt. 


Blepharospasmus.  ^55 

Besser  ist  es,  ein  kleines  dreieckiges  Hautstück  abc;  dessen  eine 
Seite  ab  die  Verlängerung  der  Lidspalte  von  dem  äusseren  LidAvinkel 
nach,  aussen-oben  hin  ist  und  dessen  Spitze  c  sich  nach  unten  richtet 
aus  der  Schläfenhaut  zu  exstirpiren  und  nun  nach  Abtragung  des  tem- 
poralen Endes  des  Lidrandes  am  unteren  ektropionirten  Lide  und  nach 
Unterminirung  der  anliegenden  Haut  den  wund  gemachten  Lidrand- 
theil  so  nach  oben-aussen  zu  verschieben,  dass  das  früher  dem  Lid- 
winkel entsprechende  Ende  a  nach  b  zu  liegen  kommt  und  dort  durch 
Naht  befestigt  wird  (v.  Graefe). 

Bei  grossen  Ektropien  des  unteren  Lides,  bei  welchen  viel  überschüssige 
Conjunctiva  nach  aussen  liegt,  verfahrt  man  am  besten  so,  dass  man  die  nach 
aussen  gekehrte  Schleimhaut  durch  zwei  parallel  laufende  Schnitte  mit  dem 
Messer  abschneidet,  dann  am  äusseren  und  inneren  Lidwinkel  zwei  senkrechte 
Schnitte  nach  unten  durch  das  Lid,  etwa  1 1/2  cm  lang-,  durch  Haut  und  Muskel  führt 
und  diesen  Hautmuskellappen  vom  Tarsus  löst.  Der  Lappen  wird  nun  durch  eine 
laterale  Tarsoraphie,  eventuell  mit  Ausschneiden  eines  kleinen  temporalen  Haut- 
dreieeks.  wie  oben  beschrieben,  in  die  Höhe  gezogen  und  durch  entsprechend 
geführte  Xähte  (tiefer  im  Lappen,  höher  im  lateralen  Wundrande  liegend)  die  Ver- 
einigung der  beiden  senkrechten  Längsschnittwunden  bewirkt.  Der  horizontale 
Wundrand  der  Conjunctiva  wird  durch  Fadenschlingen,  welche  etwas  unterhalb 
des  durch  obiges  Verfahren  in  die  Höhe  gezogenen  Lidrandes  mit  ihren  Enden 
auf  die  äussere  Haut  geführt  und  dort  über  einer  Perle  geknüpft  sind,  mit  der 
Innenfläche  des  Hautmuskellappens  vernäht.  Bei  weniger  starkem  Ectropium  kann 
man  die  senkrechten  Längsschnitte  fortlassen  und  nur  durch  submusculäre  Lösung 
des  Hautmuskellappens  mit  Tarsoraphie  ein  Höherrücken  des  unteren  Lides  er- 
zielen. Dieses  Verfahren  nützt  noch  in  manchen  Fällen,  in  denen  man  sonst  nicht 
zum  Ziele  kommt. 

III.  Blepharospasmus. 

Krampfhafte  Contractionen  des  Orbicularis  bewirken  den  Verschluss 
des  Auges;  bisweilen  ist  der  Krampf  so  heftig  und  andauernd,  dass 
längere  Zeit  hindurch  trotz  Aufbietens  aller  Willenskraft  das  Oeffnen 
unmöglich  ist.  Sind  die  Krämpfe  klonisch,  so  erscheinen  sie  unter  der 
Form  des  Blinzeln  (Xictitatio),  das  sich  besonders  bei  Kindern,  welche 
an  Conjunctivitis  leiden  oder  gelitten  haben,  findet. 

Am  häutigsten  sieht  man  Blepharospasmus  symptomatisch  bei  ent- 
zündlichen Augenaffectionen,  so  vorzugsweise  bei  scrophulösen  Kindern 
mit  phlyktänulärer  Ophthalmie  und  Photophobie.  Nur  in  seltenen  Fällen 
bleibt  er  nach  Heilung  des  Augenleidens  noch  bestehen.  Als  sym- 
pathische Xeurose  bei  Iridocyklitis  hat  ihnDonders  beschrieben;  aus- 
nahmsweise wurde  auch  nach  einem  Stoss  gegen  das  Auge  ein  Fall 
von  dauerndem  Blepharospasmus  beobachtet  (Schenkl). 

Die  Behandlung  richtet  sich  in  erster  Linie  gegen  das  Augenleiden 
(siehe  das  Kapitel  Conjunctivitis  phlyctaenulosa).  Häufig  werden  anti- 
scrophulöse  Medicamente  am  Platze  sein.  — 


(,;"><;  Erkrankungen  der  Augenlider. 

Auch  ohne  Augenaffection  kommt  Blepharospasmus  vor.  Vorzugs- 
weise werden  nervöse  oder  hysterische  Individuen  befallen;  besonders  bei 
ii Heren  Individuen  ist  er  nicht  selten.  Oft  breiten  sich  die  Muskel- 
zuckungen über  die  gleichseitige  Wange  und  Mundgegend  aus.  Bis- 
weilen sind  es  sensible  Zahn-  und  Gesichtsnerven,  von  denen  aus  der 
Krampf  reflectorisch  hervorgerufen  wird.  Ein  Druck  auf  den  betreffenden 
Nerven  (N.  supraorbitalis,  infraorbitalis;  temporalis;  alveolaris  u.  s.  w.) 
unterbricht  alsdann  den  Krampf  sofort.  Man  kann  durch  wiederholte 
Injectionen  von  Morphium  oder  besser  Eucain  in  die  Druckstelle  und 
Anwendung  des  constanten  Stromes  hier  öfters  Heilung  erzielen. 
Schlimmsten  Falles  wird  man  die  subcutane  Durchschneidung  des  be- 
treffenden Nerven  machen  (A.  v.  Graefe).  Doch  hat  auch  diese  nicht 
immer  einen  dauernden  Erfolg;  nach  einiger  Zeit  kann  der  Krampf 
von  Neuem  auftreten,  indem  sich  wieder  neue  Druckpunkte  (oft  müssen 
mehrere  zu  gleicher  Zeit  comprimirt  werden)  zeigen,  die  ihn  heben. 
Einer  Hysterischen,  die  schliesslich  nach  Jahren  auch  epileptiforme 
Krämpfe  bekam,  wurden  auf  diese  Weise  in  der  Graefe' sehen  Klinik 
ungefähr  sämmtliche  sensible  Gesichtsnerven  nach  und  nach  durch- 
schnitten. 

In  Fällen,  wo  Druckpunkte  fehlen,  werden  die  Mittel,  welche  gegen 
Hysterie  oder  Nervosität  im  Allgemeinen  ankämpfen,  angezeigt 
sein;  örtlich  ist  Elektricität  anzuwenden:  doch  sind  bei  älteren  Per- 
sonen diese  Mittel  meist  ohne  dauernden  Erfolg.  In  leichteren  Fällen, 
vorzugsweise  wenn  Lichtscheu  den  Krampf  hervorruft,  kann  man  das 
zeitweise  Einlegen  eines  Sperrelevateurs,  kalte  Augenduschen  oder 
Eintauchen  des  Gesichts  in  kaltes  Wasser  mit  Aussicht  auf  Erfolg  ver- 
suchen. — 

Ueber  unangenehme  Bewegungen,  besonders  im  unteren  Lide,  die 
auf  klonischen  Contractionen  einzelner  Fasern  des  Orbicularis  beruhen, 
wird  nicht  selten  von  sonst  gesunden  Individuen  Klage  geführt.  Zu 
gewissen  Zeiten  tritt  dieselbe  so  häufig  auf,  dass  man  fast  an  ein  epi- 
demisches Vorkommen  der  Affection  denken  könnte.  Nach  einigem 
Bestände  verlieren  sich  diese  Zuckungen  in  der  Regel  von  selbst. 

IV.  Ptosis.     Lagophthalmus. 

Das  Herabhängen  des  oberen  Lides  (Ptosis)*  kann  einfach  mecha- 
nisch zu  Stande  kommen.  So  als  Folge  einer  vermehrten  Schwere 
desselben  (bei  Blennorrhoen  der  Conjunctiva,  Trachom  u.  s.  w.),  oder 
auch,  weil  die  genügende  Unterlage,  auf  der  die  Hebemuskeln  das  Lid 


*  Ttlnzeiv,  fallen. 


Ptosis.    Lagophthalmus.  (357 

In  die  Orbita  zurückziehen,  fehlt  (so  bei  phthisischem  Bulbus  oder  nach 
Enucleation  desselben).  Der  Orad  dieser  Ptosis  ist  sehr  verschieden; 
ein  geringes  Herabhängen  des  Lides  findet  sich  bei  sehr  vielen  Augen- 
affectionen.  Die  Kranken  pflegen  gern  von  einem  Kleinerwerden  des 
Auges  zu  sprechen. 

Eine  besondere  Art  von  Ptosis  entsteht  öfters  im  Alter,  indem  die 
horizontale  Lidfalte  des  oberen  Lides  sich,  da  ihre  frühere  straffe  Ver- 
bindung mit  dem  Tarsus  gelöst  ist,  über  die  Lidkante  herablegt.  Eben- 
falls zum  Herabhängen  der  Haut  des  oberen  Lides  giebt  der  Zustand 
Anlass,  den  Fuchs  als  Blepharochalasis  (#a2ao7c,  Erschlaffung)  be- 
schrieben hat:  hier  ist  meist  in  Folge  von  recidivirenden  Oedemen  die 
Haut  schlaff  geworden  und  zeigt  eine  Menge  kleiner  Fältchen,  die  wie 
zerknittertes  Oigarrettenpapier  aussehen.  In  einem  Falle,  wo  bei  einem 
jungen  Mädchen  beide  oberen  Lider  ein  ähnliches  Aussehen  boten, 
konnte  ich  bei  der  Operation  feststellen,  dass  der  M.  orbicularis  ein 
Loch  hatte,  durch  das  sich  mit  der  Fascie  bedecktes  Orbitalfett  hervor- 
gedrängt hatte  (Fetthenne).  — 

Zu  trennen  von  diesen  Formen  ist  die  Ptosis  in  Folge  von  Lähmung 
der  betreffenden  Musculatur:  also  des  Levator  palpebrae  superioris 
oder  des  Müll  er' sehen  Muskels.  Die  Ptosis  ist  ausgeprägter,  wenn 
der  Levator  gelähmt  ist;  bei  vollständiger  Paralyse  desselben  fällt  das 
Lid  bis  über  die  Pupille,  so  dass  die  Patienten  es,  um  sehen  zu  können, 
mit  dem  Finger  in  die  Höhe  heben  müssen.  Meist  sind  noch  andere 
Aeste  des  Oculomotorius  in  Folge  centraler  Erkrankungen  befallen, 
jedoch  kommt  auch  isolirte  Ptosis  bei  Tabes  und  progressiver  Paralyse 
vor.  In  selteneren  Fällen  hat  man  allmählich  sich  entwickelnde  und 
fortschreitende  doppelseitige  Ptosis  —  beim  Fehlen  aller  sonstigen 
Lähmungen  —  beobachtet,  die  Folge  einer  primären  Atrophie  des 
Levators  war  (Goldzieher,  Fuchs). 

Das  geringere  Herabsinken  des  Lides,  welches  wir  bei  Lähmung 
des  Müll  er 'sehen  Muskels  finden,  ist  oft  mit  Miosis  combinirt;  dieser 
sogenannte  Horner'sche  Symtomencomplex  tritt  in  der  Kegel  ein- 
seitig auf  und  ist  auf  eine  Affection  der  Sympathicusfasern  zurück- 
zuführen. Dass  öfters  auch  Tensionsabnahme  und  reelle  Verkleinerung 
des  Bulbus  hierbei  besteht,  wurde  in  dem  Kapitel  Ophthalmomalacie 
erwähnt. 

Schliesslich  kommt"  Ptosis,  einseitig  und  doppelseitig,  auch  ange- 
boren vor.  Häufig  ist  hiermit  eine  Schwäche  des  Rectus  superior  und 
Obliquus  inferior  verknüpft,  wie  man  aus  dem  Zurückbleiben  des  Auges 
beim  Blick  nach  oben  ersehen  kann.  In  einzelnen  Fällen  wurde  eine 
Mifbewegung  des  hängenden  Lides  bei  dem  Oeffnen  und  seitlichen 
Verschieben  des  Unterkiefers  beobachtet,  indem  dasselbe  ruckweise  in 

Schmidt-Rimpler.    7.  Anflage.  42 


658  Erkrankungen  der  Augenlider. 

die  Höhe  ging.  Man  kann  zur  Erklärung  an  eine  abnorme  Verbindung 
des  Kernes  des  Oculomotorius  mit  denen  des  Trigeminus  (M.  masseter) 
und  Facialis  denken  (Gunn,  Hei  frei  eh). 

Die  Behandlung  der  symptomatischen  Form  der  Ptosis  wird  gegen 
das  ursächliche  Lid-  oder  Augenleiden  zu  richten  sein.  Bei  phthisischen 
oder  fehlenden  Bulbi  bewirkt  Einlegung  eines  künstlichen  Auges  Besse- 
rung der  Beweglichkeit. 

Gegen  Lähmungsptosis  sind  die  entsprechenden  Heilmittel  anzu- 
wenden. Besonders  spielt  hier  die  elektische  Behandlung  eine  Rolle. 
Dieselbe  wird  bei  dem  Symptomencoinplex  Ptosis  und  Miosis  in  der 
Form  angewandt,  dass  man  den  gleichseitigen  Halssyrnpathicus  gal- 
vanisirtj  bemerkenswerthe  Erfolge  habe  ich  allerdings  nicht  hiervon 
gesehen. 

Für  ausgeprägtere  Ptosisfälle,  seien  sie  unheilbare  Reste  von  Läh- 
mungen oder  angeboren,  ist  ein  symptomatisches  oder  operatives  Ver- 
fahren angezeigt.     So    kann  man  durch  eine  Serre  fine    oder    ähnlich 
construirte  Ptosispincette  eine  Hautfalte    in  die  Höhe    heben;    gleiches 
kann  auch  durch  den  verbreiterten  oberen  Rand   des  Brillenglases  er- 
zielt werden.     Operativ  hat  man  die  Excision    einer   querovalen  Falte 
von  Haut  und  Muskel   in  Anwendung  gebracht.     Doch   ist  der  Erfolg 
meist  unzureichend,    da  die  Haut   sich  wieder  herabzieht,    bei  zu  aus- 
giebiger Excision  aber  der  Schluss  des  Auges  in  Gefahr  kommt.   Besser 
sind  die  Methoden,  welche  die  Herstellung  eines  Narbenstranges  zwischen 
Lid  und  M.  frontalis  bezwecken  (Dransart,  H.  Pagenstecher);    sie 
gründen    sich    auf   die  Beobachtung,    dass    die  Ptosiskranken    das  Lid 
heben,  indem  sie  die  Stirn  runzeln.    Es  werden  zu  diesem  Zweck  zwei 
bis  drei  subcutane  Fadenschlingen  im  Lide  angelegt,  deren  Enden  nahe 
am  Lidrande  und  deren  Schlingen  —  etwa  2  mm  lang  —  oberhalb  der 
Augenbrauen  auf  der  Stirnhaut  sich  befinden;  die  Enden  werden  über 
einem  Pflastercylinder  oder  einer  Perle  zusammengeknüpft.  —  C.  Hess 
hat  durch  gleichzeitige  Lockerung  der  Lidhaut  das  Verfahren  vorteil- 
haft modificirt.     Er  macht  einen  Horizontalschnitt  durch  die  vorher   ab- 
rasirten  Augenbrauen  und  trennt  von  dort  aus    bis  zum  Lidrande  hin 
die  Lidhaut  vom  Orbicularis.     Alsdann  legt  er  ungefähr   in    der  Mitte 
des  Lides  drei  Fadenschlingen,  deren  Fäden  unter  der  Haut  nach  oben 
über  den  horizontalen  Augenbrauenschnitt  hinaus  und  subcutan  bis  circa 
2  cm    oberhalb    der  Augenbrauen   geführt   werden.      Dort   erfolgt   der 
Ausstich    der   beiden  Nadeln    und   die  Knüpfung,    welche    das  Herauf- 
ziehen   der  Lidhaut    bewirkt.     Die  Wunde    in    den  Augenbrauen    wird 
vernäht 

Sehr   gute  Resultate   giebt   das  Verfahren   von  Panas.     Derselbe 
stellt  die  Verbindung  des  Lides  mit  dem  M.  frontalis  in  folgender  Weise 


Ptosis.    Lagophthalmus.  (359 

her.  Er  macht  etwa  in  der  Mitte  des  Lides  einen  rechteckigen  Haut- 
schnitt, der  in  seinem  äusseren  und  inneren  Theil  (je  8  mm  lang)  pa- 
rallel dem  oberen  Rande  des  Tarsus  verläuft,  in  der  Mitte  aber,  sich 
beiderseits  nach  oben  wendend,  einen  nach  oben  gerichteten  Lappen 
bildet,  dessen  obere  Seite  parallel  den  Augenbrauen  und  dicht  unter 
ihnen  liegt  (_  ™"D-  Alsdann  wird  oberhalb  der  Augenbrauen  ein, 
ihrem  Rande  folgender  und  dem  oberen  Lidlappenschnitt  paralleler 
Schnitt  in  einer  Ausdehnung  von  3  cm  bis  auf  die  Knochenhaut,  diese 
schonend,  geführt,  die  so  entstandene  Augenbrauenbrücke  mit  einem 
unter  sie  geführten  Scalpell  gelöst  und  der  ebenfalls  bis  tief  zum 
Ciliarrande  hin  zwischen  Muskel  und  Tarsus  verschiebbar  gemachte 
Lidhautlappen  mit  einer  stumpfen  Pincette  unter  die  Augenbrauen  nach 
oben  gezogen  und  dort  mit  dem  M.  frontalis  und  der  Stirnhaut  vernäht. 
Falls  das  Lid  Neigung  zeigt,  sich  zu  ektropioniren,  so  legt  man  zwei 
seitliche  Ligaturen  an,  welche,  die  Conjunctiva  und  das  Tarsalligament 
fassend,  diese  ebenfalls  mit  der  oberhalb  der  Augenbrauen  liegenden 
Hautwunde  verbinden. 

Auch  die  Verlegung  des  Levator  palpebrae  superioris  an  eine  tiefere 
Stelle  des  Tarsus  ist  mit  Erfolg  gemacht  worden  (Eversbusch).  Ein 
horizontaler  Schnitt  wird  etwa  in  der  Mitte  des  Lides  bis  auf  den 
Tarsus  geführt.  Dann  trennt  man  von  diesem  den  Orbicularis  nach 
unten  und  bis  zum  oberen  Tarsusrande.  Durch  die  sich  an  letzteren 
ansetzende  Sehne  des  Levators  legt  man  eine  Fadenschlinge,  deren 
beide  Enden  mit  Nadeln  armirt  sind,  und  geht  dann  mit  diesen  Nadeln 
zwischen  Orbicularis  und  Tarsus,  die  voneinander  gelöst  sind,  nach 
unten,  sticht  im  Ciliarrande  die  Nadeln  in  3  mm  Entfernung  vonein- 
ander aus  und  knüpft  auf  einer  Glasperle  die  beiden  Fadenenden  zu- 
sammen.    Solcher  Nähte  werden  drei  angelegt.  — 

Die  Lidspalte  kann  durch  Lähmung  des  M.  orbicularis,  durch  Ver- 
kürzung der  Lider,  meist  in  Folge  von  Hautzerstörung  entstanden,  durch 
Ectropium  und  durch  Protrusion  des  Augapfels,  so  etwa  bei  orbitalen 
Tumoren  oder  bei  Morbus  Basedowii,  erweitert  sein.  Der  ausbleibende 
oder  ungenügende  Schluss  der  Lider  (Lagophthalmus,  Hasenauge), 
den  man  gelegentlich  auch  bei  Schwerkranken  beobachtet,  führt  zur 
Austrocknung  (Xerosis)  der  Conjunctiva  und  Cornea  und  kann  Anlass 
zu  schwereren  Hornhautulcerationen  geben. 

Die  Behandlung  muss  sich  nach  der  Ursache  richten.  Symptoma- 
tisch ist  eine  öftere  Befeuchtung  des  Auges  (etwa  mit  Milch  oder  phy- 
siologischer Kochsalzlösung)  angezeigt;  für  die  Nacht  ein  Verschluss 
durch  Heftpflaster  oder  durch  Verband.  Bisweilen  wird  auch  die 
Tarsoraphie,  welche  eine  Verkleinerung  der  Liuspalte  herbeiführt,  von 
Nutzen  sein. 

42  * 


660  Erkrankungen  der  Thrähenorgane. 


4.  Angeborene  Anomalien. 

In  seltenen  Fällen  hat  man  eine  mangelhafte  Entwicklung  oder  ein 
vollständiges  Fehlen  der  Lider  (Ablepharia  totalis)  beobachtet.  Ebenso 
kommt  das  angeborene  Coloboin,  bei  dem  das  Lid  eine  keilförmige 
Spalte  zeigt,  nur  ausnahmsweise  vor;  bisweilen  liegt  mitten  in  der  Spalte 
ein  zungenförmiges  und  häutiges  Zwischenstück  (Ö.  Becker,  Manz). 
Es  dürfte  sich  meist  um  Entwickelungshemmungen  handeln,  die  durch 
eine  Anpressung  des  Amnium  an  die  Augen  bedingt  sind  (van  Duyse. 
Hoppe). 

Als  Epikanthus  wurde  von  Ammon  zuerst  eine  eigenthümliche 
Missbildung  beschrieben,  die  darin  besteht,  dass  im  inneren  Augenwinkel 
vom  oberen  zum  unteren  Lide  eine  halbmondförmige  Hautfalte  herab- 
zieht; ihr  concaver  Abschnitt  verdeckt  die  Carunkel  und  die  anliegenden 
Theile  des  Bulbus,  der  bisweilen  abnorm  klein  ist.  Mit  zunehmenden 
Jahren  pflegen  die  Hautfalten  sich  zu  verkleinern,  indem  der  wachsende 
Nasenrücken  dieselben  mehr  nach  der  Mitte  hinzieht.  Will  man  schliess- 
lich operiren,  so  schneidet  man  aus  dem  zwischen  den  Augen  liegenden 
Theil  des  Nasenrückens  ein  senkrechtes  Hautoval  heraus.  Durch  das 
Zusammennähen  der  Wundränder  wird  die  Hautfalte  von  den  Augen- 
winkeln abgezogen.  Bei  stärkerem  Epikanthus  ziehe  ich  es  vor,  auf 
beiden  Seiten  des  Nasenrückens  ein  Hautoval  zu  excidiren.  —  Auch 
Symblepharon  und  Ankyloblepharon  kommen  angeboren  vor. 


Viertes  Kapitel. 

Erkrankungen  der  Thränenorgane, 


Anatomie. 

Die  Thränendrüse  (Glandula  lacrymalis)  liegt  am  temporalen 
Ende  des  oberen  Orbitalrandes  in  der  Fossa  glandulae  lacrymalis  und 
besteht  aus  einem  oberen  (orbitalen)  und  unteren  (palpebralen)  Theil. 
Beide  sind  durch  einen  Fascienzipfel  getrennt,  der  aus  den  Blättern  des 


Anatomie  der  Thränenorgane.  Ijlil 

Levator  palpebr.  superioris  und  Rect.  superior  stammt  und  sich  an  den 
Seitenrand  der  Orbita  ansetzt.  Die  untere,  kleinere  Tkränendrüse  liegt 
dem  temporalen  Theil  des  Fornix  der  Conjunctiva  auf.  Das  Secret  der 
acinösen  Drüse  wird  durch  eine  Anzahl  von  Ausführungsgängen  in  den 
Conjunctivalsack  entleert. 

1  He  Abführung  der  Thränen  aus  letzterem  erfolgt  durch  die 
Thränenröhrchen  (Canaliculi  lacrymales)  des  oberen  und  unteren 
Lides.  Diese  beginnen  auf  der  Lidkante  in  der  Nähe  des  inneren 
Augenwinkels  mit  dem  Thränenpunkt,  der  auf  einer  kleinen  Erhöhung 
(Papilla)  sitzt  und  in  den  Thränensee  taucht.  Der  Thränensack,  in 
den  sie  gegeneinander  convergirend  enden ;  liegt  im  inneren  Winkel 
der  Orbita  in  der  Fossa  lacrynialis,  welche  nach  hinten  vom  Thränen- 
bein;  nach  vorn  von  dem  Oberkieferfortsatz  gebildet  wird.  Nach  der 
Gesichtsfläche  zu  Hegt  der  circa  12  mm  lange  Thränensack  dicht  unter 
der  Haut;  das  Ligam.  palpebr.  internum  geht  quer  über  ihn  weg,  doch 
überragt  er  es  noch  nach  oben  und  nach  unten.  Nach  unten  setzt  er 
sich  in  den  Ductus  lacrymalis  fort,  welcher  in  seiner  grössten  Aus- 
dehnung in  einem  engen  knöchernen  Canal,  der  von  dem  Oberkiefer- 
bein und  dem  Nasenmuschelbein  gebildet  wird,  verläuft  und  die  Thränen 
in  den  unteren  Nasengang  abführt.  Der  Thränennasencanal  erreicht 
nicht  zusammen  mit  seiner  knöchernen  Röhre  sein  Ende;  sondern  durch- 
zieht noch  eine  Strecke  weiter  die  Schleimhaut  des  unteren  Nasenganges, 
ehe  er  in  eine  ovale  Spalte  ausläuft.  Seine  Gesammtrichtung  geht  nicht 
senkrecht  nach  unten,  sondern  etwas  nach  hinten.  Die  innere  Wand  des 
Thränensackes  und  Thränennasenganges  wird  von  einer  Schleimhaut 
mit  Cylinderepithel  gebildet;  ein  fibröses  Gewebe  umgiebt  dieselben 
aussen  und  verbindet  sie  mit  dem  Periost. 

Die  Thränen,  eine  an  Kochsalz  besonders  reiche  Flüssigkeit,  werden 
unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  nur  sehr  sparsam  abgesondert;  sie 
verbinden  sich  mit  den  Secretionen  der  Conjunctiva  und  ihrer  Schleim- 
drüsen zur  Befeuchtung  des  Augapfels.  Eine  Vermehrung  der  Ab- 
sonderung tritt  auf  psychische  und  reflectorische  Reize  ein;  die  letzteren 
gehen  besonders  von  Trigeminusästen  aus.  So  bewirkt  beispielsweise 
das  Ausziehen  von  Haaren  aus  der  Nasenschleimhaut  Thränen  des 
gleichseitigen  Auges;  Migräneanfälle  sind  häufig  mit  Thränen  ver- 
knüpft. Dass  vor  Allem  Entzündungen  des  Auges  reichlicheres  Thränen 
veranlassen,  ist  bereits  angeführt. 

Die  Fortleitung  der  Thränen  aus  dem  Thränensee  in  den  Thränen- 
sack erfolgt  vorzugsweise  durch  die  Erweiterung  des  letzteren  beim 
Lidschluss,  da  Fasern  des  Orbicularis  vom  inneren  Lidbande  ent- 
springen (Homer' scher  Muskel).  Bei  ihrer  Contra ction  ziehen  sie 
dieses   und    die    damit  verbundene  vordere  Wand  des  Thränensackes 


(3(32  Erkrankungen  der  Thränenorgane. 

vom  Thränenbein  ab;  durch  die  dann  wieder  folgende  Zusammen- 
ziehung des  ausgedehnten  elastischen  Sackes  erfolgt  die  Weiterbe- 
förderung der  Thränen  in  den  Thränennasencanal.  Einen  gewissen 
Einfluss  kann  hierbei  unter  normalen  Verhältnissen  auch  der  beim  Ein- 
und  Ausathmen  durch  die  Nase  gehende  Luftstrom  haben,  wenn  er 
ähnlich  wie  bei  dem  Refraichisseur  und  ähnlichen  Instrumenten  eine 
Luftverdünnimg  in  dem  Ductus  lacrimalis  bewirkt. 


Erkrankungen  der  Thränendrüse. 

Die  acute  Entzündung  der  Thränendrüse  (Dakryoadenitis)  ist 
sehr  selten.  Unter  heftigen  Schmerzen  schwillt  die  äussere  Hälfte  des 
oberen  Lides  an,  die  Conjunctiva  wird  chemotisch  und  schleimig-eitrige 
Absonderung  erfolgt.  Selbst  leichter  Exophthalmus,  sowie  Fieber  kann 
auftreten.  Mit  dem  Finger  in  den  Conjunctivalsack  eingehend,  erkennt 
man  die  geschwollene  Drüse  an  ihrer  in  einzelne  Lappen  zerfallenden 
Form.  Es  wird  hierdurch  die  diiferentielle  Diagnose  gegen  eine, 
etwa  an  der  äussern  Orbitalwand  sitzende  acute  Periostitis  gegeben, 
da  deren  Exsudat  eine  glatte  Oberfläche  hat.  Bisweilen  wurde  die 
Dakryoadenitis  gleichzeitig  mit  einer  Entzündung  der  Parotis  (Mumps 
der  Thränendrüse)  beobachtet.  Die  Entzündung  kann  in  Eiterung 
übergehen  oder,  wie  meist,  sich  zertheilen.  Lauwarme  Umschläge  oder 
auch  Narcotica  sind  angezeigt;  besteht  Fluktuation  oder  wird  Eiter  ver- 
muthet,  so  ineidire  man  frühzeitig. 

Häufiger  sieht  man  eine  einfache  Hypertrophirung  derselben,  be- 
sonders bei  Kindern.  Beim  Ektropioniren  des  oberen  Lides  sieht  man 
alsdann  die  vergrösserte  Drüse  mit  ihrer  kleingelappten  Oberfläche  im 
Conjunctiva lfo rnix  hervortreten.  Bei  der  chronischen  Entzündung  fühlt 
man  als  differentielles  Moment  umschriebene  Härten.  Subjective  Be- 
schwerden fehlen  meist.  Das  Bepinseln  der  äusseren  Lidhaut  mit  Jod- 
tinetur  ist  von  Nutzen:  ebenso  kann  Jodsalbe  oder  auch  Ung.  cinereum 
versucht  werden.     Innerlich  Jodkali. 

Als  Dakryops  hat  man  eine  cystenartige  Erweiterung  eines 
Thränendrüsen-Ausführungsganges  beschrieben;  die  Geschwulst  sitzt  in 
der  oberen  Uebergangsfalte  der  Conjunctiva.  Zur  Heilung  zieht  man 
einen  Faden  epaer  'durch,  knotet  ihn  und  lässt  ihn  bis  zum  Durch- 
schneiden der  Wand  liegen  (v.  Graefe). 

Thränendrüsenfisteln,  die  in  der  Regel  Folge  von  Verletzungen 
sind,  kann  man  in  folgender  Weise  operiren.  Die  beiden  Enden  eines 
Seidenfadens  werden  mit  einer  Nadel  armirt.  Jede  dieser  Nadeln  wird 
in  die  äussere  Fistelöffnung  geführt,  dann  die  eine  etwas  höher,  die 
andere    etwas    tiefer    durch  die  Conjunctiva   ausgestochen.     Nach  Ent- 


Erkrankungen  der  Thränenabführungswege.  ()(>;> 

fernung  der  Nadeln  werden  hier  die  Fadenenden  geknotet  und  bis  zum 
Durchseimeiden  liegen  gelassen  (Hulke). 

Von  Geschwülsten  der  Thränendrüsen  sind  Cysten,  Sarkome 
und  Carcinome  besonders  zu  nennen.  Bei  der  nothwendig  werdenden 
Exstirpation  kann  man  entweder  nach  Spaltung  der  äusseren  Lid- 
eommissur  von  der  Uebergangsfalte  den  Tumor  fassen,  oder  man  trennt, 
am  sich  einen  Zugang  zu  schaffen,  das  Lid  vom  oberen  Orbitalrande. 
Auch  bei  unheilbarer  Epiphora  ist  die  Exstirpation  der  gesunden  Drüse 
ausgeführt  worden  (Laurence);  neuerdings  wurde  diese  wenigstens 
bezüglich  eines  Theiles  der  Drüse  wieder  empfohlen:  Eversbusch 
entfernt  nur  den  orbitalen  Theil,  von  aussen  durch  die  Haut  eingehend, 
v.  W  ecker  nur  den  palpebralen,  indem  er  durch  starkes  Abwärts- 
wenden des  Auges  sieh  die  unter  der  Conjunctiva  vorspringende  Drüse 
zu  Gesicht,  führt  und  durch  eine  etwa  12  bis  15  mm  grosse  Bindehaut- 
wunde herausschält.  Durch  letztere  Operation  habe  ich  einmal  eine 
bereits  Jahre  lang  reeidivirende  Keratitis  und  Conjunctivitis  mit  stärkeren 
Thränen,  bei  vollkommener  Durchgängigkeit  des  Thränennasencanals, 
bei  einem  Kinde  zu  dauernder  Heilune;  gebracht. 


2.  Erkrankungen  der  Thränenabführungswege. 

I.  Anomalien  der  Thränenpunkte  und  Thränenröhrchen. 

Das  Abstehen  des  unteren  Thränenpunktes  bei  Ectropium  ist  bereits 
erwähnt;  ebenso  die  dabei  erforderliche  Spaltung  des  Thränenröhrchens. 
—  Bei  Verengerung  der  Thränenröhrchen,  die  auch  angeboren  vorkommt, 
kann  man  durch  Einführung  conischer  Sonden  allmähliche  Erweiterung 
anstreben.  Ist  das  Thränenpünktchen  ganz  verschlossen,  aber  noch  sicht- 
bar, so  geht  man  mit  einer  Stecknadel  an  der  betreffenden  Stelle  ein, 
erweitert  sie  und  spaltet  schliesslich  mit  dem  Weber 'sehen  Messer  das 
Thränenröhrchen.  Sieht  man  den  Thränenpunkt  nicht  mehr,  so  wird 
man  durch  eine  Incision  das  Thränenröhrchen  oder  die  dem  Auge  zu- 
gekehrte Wand  des  Thränensackes  eröffnen  müssen.  Bisweilen  findet 
man  auch  doppelte  Thränenpunkte. 

Selten  beobachtet  man  eine  Verstopfung  der  Thränenröhrchen  mit 
Pilzmassen  (Streptothrix  Foersteri  [F.  Cohn],  nach  Andern  richtiger 
Actinomyces,  und  Mikrokokken) ;  meist  sitzen  dieselben  im  unteren 
Thränenröhrchen,  doch  kommen  sie  auch  im  oberen  vor  (Schirmer). 
Andere  Fremdkörper  dringen  ebenfalls  gelegentlich  in  die  Ductus. 


gg4  Erkrankungen  der  Thränenorgane. 


II.  Erkrankungen  des  Thränenschlauches. 
Dakryocystitis.     iPlilcgmonc   des  Thränensackes.) 

Wenn  sich  derThränensack  mit  seiner  fibrösen  Umhüllung  entzündet., 
so  gerathen  die  umliegenden  Weichtheile  in  Mitleidenschaft.  Die  Haut 
zwischen  innerem  Lidwinkel  und  Nase  röthet  sich  und  wird  ödematös; 
meist  zeigt  sich  auch  eine,  der  Lage  des  Thränensackes  entsprechende 
Hervortreibung.  Das  Auge  thränt  stark;  Lider  und  Conjunctiva 
können  injicirt  und  chemotisch  werden.  Dabei  sind  heftigere  Schmerzen 
vorhanden,  selbst  Fieber.  Nach  einigen  Tagen  pflegt  die  diffusere 
Röthung  und  Schwellung  zurückzugehen;  schliesslich  bricht  meist  der 
Eiter  an  einer  Stelle  der  den  Thränensack  überziehenden  Haut  hervor. 
Seltener  tritt  eine  grössere  Senkung  desselben  ein,  so  dass  man  weiter 
unten  eine  geröthete  oder  bläuliche  Hervorwölbung  sieht,  welche  den 
Eiter  enthält.  Da  inzwischen  die  Hautentzündung  über  dem  Thränen- 
sack selbst  zurückgegangen  sein  kann,  so  sind  Verwechselungen  mit 
einfachen  Abscessen  möglich.  Doch  ist  es  jedenfalls  das  Häufigere, 
dass  die  in  dieser  Gegend  sitzenden  Eitersäcke  mit  dem  Thränensack 
in  Verbindung  stehen.  —  Eine  Entleerung  des  Secrets  durch  die  un- 
gespaltenen Thränenröhrchen  tritt  bei  Druck  auf  die  Thränensack- 
gegend  im  acuten  Stadium  in  der  Regel  nicht  ein.  Ausnahmsweise  kann 
sich  seeundär  eine  Orbital-Phlegmone  hinzugesellen. 

Wenn  der  Eiter  spontan  perforirt,  so  entsteht  meist  eine  Thränen- 
sackfistel*,  durch  die  dann  nach  Heilung  der  Entzündung  Secret  der 
Thränensackschleimhaut  heraussickert.  Allmählich  schliesst  sich  die 
Fistel.     Seltener  bleibt  dauernd  eine  feine  Oeffnung  (Haarfistel). 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  tritt  eine  acute  Thränensackentzündung 
nur  auf,  wenn  bereits  eine  Erkrankung  der  Thränensackschleimhaut 
bestanden  hat  oder  Stricturen  im  Thränennasencanal  den  Abfluss  der 
Thränen  hinderten.  Auch  nach  forcirtem  Sondiren  kommt  sie  vor. 
Nicht  allzu  selten  ist  sie  Folge  einer  Caries  der  angrenzenden  Knochen. 

Die  Behandlung  kann  ganz  im  Anfange  der  Entzündung  ein 
Coupiren  des  Processes  anstreben,  indem  man  Eisumschläge  anwendet 
und  zur  Entleerung  des  Secrets  die  Thränenröhrchen  und  den  zwischen 
ihrem  Ende  liegenden  Theil  der  dem  Auge  zugekehrten  Wand  des 
Thränensackes  spaltet.  Wenn  bereits  stärkere  Eiterbildung  vorhanden 
ist,  so  macht  man  warme  Umschläge  und  spaltet  durch  eine  etwa  1  cm 
grosse   [ncision  die  vordere   Wand  des  Thränensackes;    nach  gestillter 


*  Deutsche  Beerordnung.  Landsturm  bezw.  dauernde  Untauglichkeit.  >?  i>. 
Alis.  2.  Anlage  1.  8a.  Thränenfieteln,  anheilbarer  Verschluss  oder  Verengerung 
der  Thränenwege.    Vgl.  S.  69. 


Stricturen  dos  Thränennasencanals.  l5(}5 

Blutung  führt  man  Jodoformgaze  ein  und  sucht  die  Wunde  längere 
Zeit  offen  zu  halten,  um  die  Schleimhaut  dos  Thränensackes  dircct  be- 
handeln zu  können.  Ist  die  Entzündung  im  Rückgange,  so  kann  man 
von  der  Hantwunde  aus  eine  Bowman'sehe  Sonde  (siehe  unten)  in 
den  Thränennasencanal  fuhren,  um  etwaige  Stricturen  desselben  zu 
bekämpfen.  Gelingt  die  Freimachung  des  Ganges,  so  sucht  man  den 
Thränensack  zu  erhalten  und  durch  Einpudern  von  Jodoform,  directes 
Touchiren  mit  lOprocentiger  Lapislösung,  nöthigenfalls  selbst  mit  dem 
Höllensteinstift  die  Schleimhaut  zur  Norm  zu  bringen  beziehentlich 
Knochenafleetion  zu  heilen.  Ist  dies  gelungen,  so  lässt  man  die  äussere 
I  lautwunde  sieh  schliessen.  Ist  eine  Communication  des  Thränensackes 
mit  der  Nase  nicht  zu  erreichen,  so  ist  die  Verödung  des  ersteren  oder 
seine  Exstirpation  angezeigt. 

Zur  Heilung  von  Thränensackfisteln  ist  ebenfalls  zuerst  für  die 
Freilegung  der  normalen  Abflusswege  zu  sorgen.  Die  Fistel  selbst 
sehneide  man  auf  und  suche  sie  durch  Cauterisation  (mit  Lapis  oder 
Galvanocauter)  zum  Verschluss  zu  bringen.  Bei  verhärteten  Wandungen 
exeidirt  man  den  Fistelgang  und  näht  die  angrenzenden  Hautränder 
zusammen. 

Dakryo  cysto  -Blennorrhoe. 
Stricturen   des  Thränennasencanals. 

Wenn  die  Schleimhaut  des  Thränensackes  erkrankt,  so  kommt  es- 
zu  einer  vermehrten  Absonderung  und  Stauung  von  Secret  im  Thränen- 
sack. Das  Secret  ist  bisweilen  glasig,  bisweilen  leicht  trüb,  mit  kleinen 
weisslichen  Flocken  vermischt,  dann  wieder  ausgeprägt  katarrhalisch 
oder  blennorrhoisch,  zuweilen  selbst  eitrig.  Demgemäss  spricht  man 
auch  von  _ alten  Thränensackleiden",  von  Katarrh  des  Thränensacks, 
Dakryocysto-BlennorrhoeundDakiTOcysto-Pyorrhoe.Nicht  selten  kommen 
seeundäre  Veränderungen  vor:  so  bildet  sich  eine  Erweiterung  (Ektasie) 
des  Thränensackes,  wobei  die  vordere  Wand  deutlich  hervortritt:  in 
anderen  Fällen  entstehen  Schleimhautfalten,  welche  kleinere  Kammern 
und  Absackungen  in  dem  Thränensack  zu  Stande  bringen,  ferner  poly- 
pöse Wucherungen  und  käsige  Secreteindickungen. 

Sehr  häufig  ist  der  Thränennasencanal  verengt.  Die  Verengerung 
wird  veranlasst  entweder  durch  eine  gleichmässige  oder  umschriebene 
Schwellung  der  Schleimhaut  oder  durch  Falten-  und  Klappenbildungen, 
oder  durch  fibröse  Stricturen.  die  bisweilen  den  ganzen  Canal  durch- 
setzen, oder  schliesslich  durch  Knochenauftreibungen,  die  einen  unheil- 
baren Verschluss  bewirken  können.  Umschriebene  Verengerungen  finden 
sich  besonders  häufig  am  Anfang  und  Ende  des  Canal s. 


<i66 


Erkrankungen  der  Thränenorgane. 


Zur  Diagnose  der  chronischen  Thränensackblennorrhoe  kommt 
man  in  der  Weise,  dass  man  auf  den  Thränensack  (also  auf  den  inneren 
Lidwinkel  i  mit  dem  Zeigefinger  drückt  und  nun  beachtet,  ob  Seeret  aus 
einem  der  Thranenpunkte  austritt.  Entleert  sich  kein  Seeret,  so  ist  da- 
mit das  Bestehen  der  Affection  noch  nicht  ausgeschlossen,  da  vielleicht 
momentan  kein  ausdrückbares  Seeret  im  Sacke  war  oder  auch  das- 
selbe in  seiner  ganzen  Menge  in  die  Nase  entwich.  Man  wird  jeden- 
falls hier  öfters  die  Untersuchung  machen  müssen.  Aeusserlich  ragt 
die  Gegend,  wo  der  Thränensack  liegt,  bei  stärkeren  Ansammlungen 
etwas  hervor.  Dieser  Umstand  spricht  selbst  in  Fällen,  wo  sich  kein 
I)  Secret  durch  die  Thranenpunkte  bei  Druck 
entleert,  für  das  Bestehen  eines  Thränen- 
s  ackleidens. 

Die  Diagnose  der  Strictur  des  Thränen- 
nasencanals  kann  nur  durch  Einspritzungen 
in      den    Thränensack     oder     durch     Ein- 
I        ührung  von  Sonden  gestellt  werden. 

Wenn  die  Canüle  einer  An el' sehen 
Spritze  sehr  fein  ist,  so  dringt  sie  durch 
den  oberen  Thränenpunkt  in  das  Thränen- 
röhrchen  und  kann  bis  zum  Thränensack 
vorgeschoben  werden  (Figur  186).  Man 
giebt  ihr  zu  dem  Zweck  erst  eine  von  unten 
nach  oben  gehende  Richtung,  welche  den 
Eingang  in  den  Thränenpunkt  erleichtert; 
aber  eine  horizontale  zum  Durch- 
passiren des  Thränenröhrchens.  Ist  man 
im  Thränensack,  so  stellt  man  die  Canüle  senkrecht  von  oben  nach 
unten.  Hat  man  laues  Wasser  in  der  Spritze,  so  wird  jetzt  bei  sanftem 
Druck  des  Stempels  ein  Durchmessen  desselben  bis  in  die  Nase  er- 
folgen, falls  der  Thränennasenschlauch  vollkommen  durchgängig  ist 
In  directer  Weise  überzeugt  man  sich  hiervon  durch  Einführen  der 
Bowman' sehen  Sonden  (Figur  187),  welche  nach  ihren  verschiedenen 
Dicken  von  1  bis  8  numerirt  sind.  Man  beginnt  mit  einer  der  dünnsten 
(etwa  1  oder  2).  Um  sie  leicht  in  den  Thränensack  zu  führen,  spaltet 
man  zuvor  mit  dem  Weber'schen  Messer  (Figur  181)  das  Thränen- 
röhrchen  bis  zum  Thränensack.  Die  Sonde  wird  nun  durch  letzteres  in 
horizontaler  Richtung  soweit  geführt,  bis  man  auf  die  innere,  knöcherne 
Wand  des  Thränensaekes  stösst.  Während  man  das  Sondenende  fest 
gegen  dieses  drückt,  macht  man  eine  viertelkreisfürmige  Bewegung  nach 
oben,  so  dass  die  Sonde  aus  der  horizontalen  Lage  in  eine  verticale 
kommt  und  schiebt   nun    dieselbe    langsam    und    vorsichtig    durch    den 


186. 

Au  el'  sehe  Spritze. 


187. 
B  o  w  in  a ii  - 
scheSonde.  alsdann 


Stricturen  des  Thränennasencanals.  (5(j7 

Thränennaseneanal  bis  auf  den  Nasenboden.  Wenn  man,  wie  erwähnt, 
das  Sondenende  fest  gegen  die  Knoehemwancl  gedrückt  hält,  so  befindet 
man  sich  über  dem  Anfang  des  Thränennasencanals  und  kommt  leicht 
in  denselben.  Zeigen  sieh  Schwierigkeiten  beim  Weiterführen,  so  ziehe 
man  die  Sonde  etwas  zurück  und  schiebe  sie  dann  wieder  vor;  auch 
werden  durch  leicht  drehende  Bewegungen  manche  Widerstände  über- 
wunden. Bei  diesem  Vordringen  fühlt  man  deutlich  etwaige  Hindernisse 
und  Stricturen.  Bisweilen  muss  man  ziemliche  Gewalt  anwenden,  um 
letztere  zu  durchstossen.  Allerdings  darf  man  dies  nur,  wenn  man 
sicher  ist,  sich  in  dem  Nasencanal  zu  befinden,  da  man  andernfalls 
nach  Durchbohrung  des  sehr  dünnen  Thränenbeines  einen  falschen  Weg, 


>  ■■ 

188. 

so  z.  B.  in  die  Highmors-Höhle,  bahnen  könnte;  —  ein  Verfahren, 
das  bei  absolutem  Verschluss  des  Thränennasencanals  ausnahmsweise 
auch  mit  Absicht  zur  Ableitung  derThränen  eingeschlagen  werden  kann. 
Wenn  man  den  Boden  der  Nase  erreicht  hat,  liegt  das  kleine  Plättchen, 
welches  sich  in  der  Mitte  der  Bowman'schen  Doppelsonden  befindet, 
bei  normaler  Gesichtshöhe  und  bei  Erwachsenen  meist  vor  dem  oberen 
Orbitalrande  (Figur  188).  Uebrigens  kann  man  die  Entfernung  von 
diesem  bis  zum  Nasenboden  vorher  am  Gesicht  des  Patienten  abmessen. 
Da  der  Canal  etwas  nach  hinten  (und  meist  auch  etwas  nach  aussen) 
gerichtet  ist  und  ebenso  der  obere  Orbitalrand  vorsteht,  giebt  man  der 
Sonde  vor  der  Benutzung  eine  leichte,  bogenförmige  Krümmung,  deren 
Concavität  bei  der  Einführung  nach  vorn  gerichtet  bleibt. 

Auch    ohne  Spalten    des  Thränenröhrchens    lassen    sich    nach  Er- 


i,i  ;s  Erkrankungen  der  Thränenorgane. 

Weiterung  mittels  eoniseh  zugespitzter  Sonden  die  dünneren  Bowin an- 
sehen einfuhren;  jedoch  wird  bei  der  senkrechten,  zur  Einführung  in 
den  Thränennasencanal  erforderlichen  Stellung  der  Sonde  das  Thränen- 
canälchen  verschoben  und  kann  die  dadurch  bedingte  Zerrung  ein 
feineres  Sondiren  erschweren. 

Man  fchut  aber  gut;  ehe  man  bei  bestehender  Epiphora  zu  den 
eben  geschilderten  Mitteln  der  Diagnosenstellung  schreitet,  erst  genau 
andere  Ursachen  auszuschliessen  (so  etwa  Conjunctivitis  u.  s.  w.)  und 
zu  bekämpfen,  da  das  Manöver  für  die  Kranken  immerhin  unange- 
nehm ist.  Bei  engen  Canälen  verursacht  die  Sondeneinführung  heftige 
Schmerzen,  die  bis  in  die  Zähne  des  Oberkiefers  hin  ausstrahlen.  Durch 
vorheriges  Einspritzen  von  ein  paar  Tropfen  Eucainlösung  kann  man 
dieselben  verringern.  — 

Die  subjectiven  Symptome  sind  oft  unbedeutend;  hauptsächlich 
wird  über  Thränenfliessen  geklagt.  Aber  auch  Conjunctiviten  conipli- 
ciren  das  Leiden,  besonders  wenn  das  Thränensacksecret  in  den  Binde- 
hautsack gelangt.  Da  dasselbe  stark  infectiöser  Natur  ist,  so  können 
etwa  vorhandene  Hornhautwunden  oder  Ulcerationen,  wenn  sie  mit  ihm 
in  Berührung  kommen,  leicht  einen  gefährlichen  Charakter  annehmen 
(vergl.  Hypopyon-Keratitis). 

Die  chronischen  Erkrankungen  des  Thränenschlauches  gehen  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  von  Affectionen  der  Nasenschleimhaut  aus ;  so 
findet  man  sie  häufig  bei  chronischem  Nasenkatarrh  und  bei  Ozaena. 
Verhältnissmässig  selten  ist  es,  dass  chronische  Conjunctiviten  und 
Trachom  sie  veranlassen:  jedoch  sind  auch  Trachomkörner  (Kuhnt)  in 
der  Schleimhaut  gefunden  worden,  allerdings  darf  man  die  häufigeren 
Follikelbildungen,  die  man  in  ihr  antrifft,  nicht  mit  echtem  Trachom 
identificiren  (Hertel);  noch  seltener  sind  Tuberkelknoten.  Bisweilen 
handelt  es  sich  um  Knochenleiden,  welche  die  Gewebe  des  Thränen- 
schlauches in  Mitleidenschaft  ziehen.  So  bei  Scrophulösen,  Tubercu- 
losen und  Syphilitischen.  Auch  der  Bau  des  knöchernen  Canals  scheint 
von  Einfluss  zu  sein,  da  bei  plattgedrückten  Nasen  die  Affection  eben- 
falls relativ  häufig  vorkommt.  Im  kindlichen  Alter  sieht  man  Thränensack- 
blennorrhoe  selten:  doch  kommt  sie  selbst  bei  Neugeborenen  vor,  wo  die 
Zurückhaltung  des  Secrets  öfters  auf  einer  Atresie  der  Nasenmündung 
des  Thränennasencanals  beruht  (Peters)  und  nachSondirung  schnell  heilt; 
aber  ich  habe  hier  auch  langwierige  cariöse  Processe  beobachtet. 

Die  Behandlung  geht  darauf  hinaus,  den  durch  Stricturen  uc- 
1  änderten  Abfluss  der  Thränen  wiederherzustellen  und  eine  etwa  vor- 
handene Schleimhautaffection  (auch  in  der  Nase)  zu  bekämpfen. 

Zu  ersterem  Zwecke  empfiehlt  sich  vor  Allem  die  fortgesetzte  Son- 
dirung,   wie    sie    oben    beschrieben   ist.     Anstatt   der  Bowman'schen 


Stricturen  des  Thränennaseiicanals.  669 

JSondeii  werden  auch  die,  weniger  zu  empfehlenden,  von  Weber,  welehe 
dicker  sind  und  mehr  konisch  verlaufen,  benutzt.  Ihre  Einführung  ge- 
schieht am  besten  durch  das  obere  Thränenröhrchen.     Bei  den  Bow- 

man  sehen  Sonden  ist  es  gleichgültig.,  ob  man  dieses  oder  das  untere 
benutzt;  bisweilen  gelingt  die  Durchführung  der  Sonde  durch  das  eine 
Thränenröhrchen  nicht,  Avohl  aber  durch  das  andere.  Leicht  tritt  bei 
länger  fortgesetztem  Sondiren  eine  Verengerung  der  Oeffnung  der 
Thränenröhrchen  in  den  Thränensack  ein;  dieselbe  ist  dann  von  Neuem 
mit  dem  Web  er 'sehen  Messer  zu  erweitern.  Die  Thränenröhrchen  selbst 
haben,  wenn  sie  einige  Zeit  offen  gehalten  wurden,  geringe  Tendenz 
wieder  zusammenzuwachsen.  Im  Uebrigen  bringt  die  Spaltung  keiner- 
lei Nachtheile  für  die  Thränenabfuhrung. 

Im  Anfang  muss  man  die  Sonden  täglich  einführen.  Nach  jeder 
Einführung  lässt  man  sie  einige  Zeit  (etwa  5  bis  15  Minuten  im  Canal 
liegen.  Bei  den  fibrösen  Stricturen  ist  vor  4  bis  8  Wochen  selten 
ein  Erfolg  zu  erreichen.  Und  selbst  dann  wird  von  Zeit  zu  Zeit  von 
Neuem  sondirt  werden  müssen.  Man  steigt  allmählich  mit  der  Dicke 
der  Sonden,  ohne  aber  allzu  dicke  zunehmen:  Nr.  6  der  Bowman- 
schen  braucht  kaum  überschritten  zu  werden.  Wie  auch  Arlt  betont, 
genügt  ein  verhältnissmässig  enger  Canal  zum  Abfluss  der  Thränen; 
zu  dicke  Sonden  machen  Schleimhautrisse  und  schieben  gelegentlich 
die  Schleimhaut  vom  Knochen  ab  —  ein  Unfall,  der  auch  sonst  beim 
Sondiren  eintreten  kann.  Man  muss  in  solchen  Fällen  das  Sondiren 
einige  Tage  aussetzen;  ebenso  soll  man  es  nicht  mit  Gewalt  versuchen, 
wenn  einmal  die  Sondeneinführung  nicht  gelingt.  Können  die  Kranken 
nicht  zum  Arzt  kommen,  so  lässt  es  sich,  wenn  der  Canal  genügend 
durchgängig  geworden,  meist  erreichen,  dass  dieselben  sich  selbst  zu  son- 
diren  lernen.  Hier  bringen  auch  kleine  Sonden  von  Silberdraht  mit 
einem  horizontalen,  auf  dem  Lidrande  ruhenden  Schenkel,  die  man 
sich  selbst  anfertigt,  oft  Nutzen,  da  sie  Wochen  lang  im  Canal  reizlos 
liegen. 

Bei  engen  Stricturen  kann  man  mittels  eines  kleinen  Messerchens 
eine  Durchschneidung  derselben  machen  und  dann  durch  Sondiren 
die  Stelle  offen  halten  (Ja es  che).  Das  Verfahren  von  Stilling,  der  ein 
keilförmiges  Messerchen  angegeben  hat,  besteht  darin,  einfach  ausgiebig 
die  Stricturen  zu  ineidiren,  danach  aber  nicht  zu  sondiren;  dasselbe 
hat  in  der  Regel  den  Erfolg,  dass  die  Strictur  nach  einiger  Zeit  noch 
enger  ist,  als  vorher.  Hingegen  ist  die  durch  die  Incision  erfolgende 
Blutung  oft  heilsam  für  gleichzeitig  bestehende  Schleimhautschwellungen. 

Wenn  der  Durchgang  sehr  eng  ist  und  trotz  längeren  Sondirens 
immer  von  Neuem  Neigung  hat,  sich  zu  schliessen,  ferner  wenn  Caries 
vorhanden   ist,    so   thut   man   besser,  ganz    von    der  Sondeneinführung 


070 


Erkrankungen  der  Tliränenornane. 


abzustehen,  da  sie  stets  neue  Irritationen  setzt.  Hier  begnüge  man  sich 
mit  der  Behandlung  der  Schlcimhautblennorrhoe  durch  Einspritzungen 
von  antiseptischen  (etwa  Aqua  chlori  oder  4procentige  Borsäurelösung) 
oder  adstringirenden  Mitteln.  Von  letzteren  benutze  ich  eine  lprocentige 
Lösung  von  Zinc.  sulfuricum  besonders  gern ;  auch  Einspritzen  von  Höllen- 
steinlösung, Jodoformsalbe  oder  Jodoformöl  ist  oft  vortheilhaft.  Eine 
schnelle  Besserung  erreicht  man  nicht  selten  durch  das  Einspritzen  einiger 
Tropfen  einer  lprocent.  Lösung  von  Hydrarg.  oxyeyanatum  (Schlösser), 
so  dass  ich  bei  stärkerer  Absonderung  mit  dieser  meist  beginne.  Da 
sie  ätzend  wirkt,  muss  man  achten,  dass  nichts  in  den  Conjunctivalsack 
kommt,  und  darf  erst  nach  einiger  Zeit  die  Injection 
\  wiederholen.     Von    den    anderen    genannten   Flüssig- 

\  keiten  kann  man  täglich  injiciren.    Doch  hüte  man  sich 

;\  vor  einem    zu  starken  Druck    mit  dem   Stempel,    da 

NA  sonst  leicht  durch  Schleimhautwunden  oder  Abhebungen 

^  die  Flüssigkeit  in  das  umliegende  Gewebe  kommen 
und  ein  erhebliches  entzündliches  Lidödem,  das  jedoch 
in  einigen  Tagen  zurückgeht,  hervorrufen  kann.  Des- 
halb soll  man  auch  die  Einspritzung  vermeiden,  wenn 
man  eben  sondirt  hat. 

In  entsprechenden  Fällen  werden  die  Sondirungen 
mit  den  Injectionen  abwechselnd  zu  combiniren  sein*, 
doch  kommen  auch  Blennorrhoen  ohne  Stricturen  vor. 
Sehr  vortheilhaft  ist  bei  stärkerer  Absonderung 
und  Schleimhautschwellung  ein  ausgiebiges  Scari- 
ficiren  des  ganzen  Thränenschlauches.  Mankannhier- 
zu  kleine  Messerchen,  wie  ich  sie  angegeben  (Figur  189 
und  190),  benutzen  und  damit  Einschnitte  in  Thränensack  und  Thränen- 
nasencanal  machen.  Oft  durchschneidet  man  hierbei  im  Thränensack 
vollständige   Membranen 

Secretmassen  abgekapselt  und  zurückgehalten  wurden 
nügt  eine  einmalige  Scarification  —  in  den  nächsten  Tagen  nach  der- 
selben wird  weder  sondirt  noch  injicirt  —  zur  Heilung  des  Schleimhaut- 
leidens. Auch  bei  Ektasien  des  Thränensackes  sind  tiefgehende,  öfters 
wiederholte  Scarificationen  von  Nutzen;  nöthigenfalls  schneidet  man  von 
aussen  her  ein  Oval  aus  der  Vorderwand  heraus.  In  besonders  hart- 
näckigen Fällen  legt  man  durch  einen  senkrechten  Schnitt  den  Thränen- 
sack offen  und  cauterisirt  mit  Höllenstein  die  Schleimhaut  direct,  ohne  sie 
zu  zerstören;  später  lässt  man  die  Wunde  zuheilen.  Guaita  empfiehlt 
Auskratzen  des  Thränensackes  und  darauf  folgendes  Einlegen  einer 
Canüle  von  decalcinirtem  Knochen  in  den,  wenn  erforderlich,  durch 
Jncision  erweiterten  Thränennasencanal. 


189. 


190. 


Scarificationsmesser 
für  den 
Thränenschlauch . 


durch   welche    Flüssigkeit    oder    eingedickte 

Bisweilen  ge- 


Stricturen  dos  Thränennasencanals.  (571 

Als  letztes  Mittel  bleibt  die  Verödung  oder  Exstirpation  des 
Thränensackes.  Der  Thränenabfluss  in  die  Nase  ist  damit  natürlich 
dauernd  aufgehoben;  doch  werden  die  Beschwerden  der  Patienten  trotz- 
dem geringer,  da  die  Reizungen  der  Üonjunetira  durch  das  Thränen- 
sacksecret  aufhören.  Auch  ist  die  stets  drohende  Inf ectionsge fahr  bei 
einer  etwa  eintretenden  Hornhautverletzung  alsdann  gehoben. 

Man  kann  den  Thränensack  so  zerstören,  dass  man  nach  Schlitzung 
des  oberen  und  unteren  Thränenpunktes  auch  die  zwischen  ihnen 
liegende  Partie  der  inneren  Thränensackwand  spaltet  und  nun  ein 
Stückchen  ( 'hlorzinkpaste  (1:3),  in  Watte  gewickelt,  tief  in  den 
unteren  Theil  des  Thränensackes  hineinstösst  und  darauf  andere 
Watte  packt  (Pagenstecher).  Durch  allmähliches  Durchsickern  des 
gelösten  Aetzmittels  wird  die  Schleimhaut  vernichtet;  man  entfernt 
die  Paste  nach  einigen  Stunden.  Am  sichersten  ist  jedoch  die  Er- 
öffnung des  ganzen  Thränensackes  von  der  Haut  aus  durch  einen 
langen  verticalen  Schnitt.  Nachdem  man  durch  Einlegen  von  Press- 
schwamm  oder  Laminaria  den  Sack  alsdann  noch  weiter  ausgedehnt 
und  blossgelegt  hat,  cauterisirt  man  die  gesammte  Schleimhautfläche 
mit  dem  Galvanocauter.  Man  achte  besonders  darauf,  dass  die  Ein- 
mündung der  Thränenröhrchen  zuerst  getroffen  und  obturirt  wird. 
Weniger  sicher  ist  die  Benutzung  von  Aetzpasten  oder  das  Touchiren 
mit  Höllensteinstift,  das  öfters  wiederholt  werden  muss. 

Die  schon  früher  geübte  Exstirpation  des  ganzen  Thränensackes 
(Platner,  Berlin)  ist  in  neuerer  Zeit  besonders  von  Alfr.  Graefe, 
empfohlen  worden.  Nach  Anlegung  eines  Hautschnittes  wird  der 
Thränensack  möglichst  geschlossen  und  in  seiner  Totalität  exstirpirt, 
etwaige  Reste  werden  mit  dem  scharfen  Löffel  vom  Knochen  ent- 
fernt. Unter  strenger  Antisepsis  erfolgt  die  Vereinigung  der  genähten 
Hautwundränder  per  primam.  Bleibt  eine  stärker  belästigende  Epiphora 
zurück,  so  kann,  wie  oben  erwähnt,  die  partielle  Entfernung  der  Thränen- 
drüse  vorgenommen  werden. 


Anhang. 

Verletzungen  des  Augapfels. 
Verringerung  der  Erwerbsfähigkeit. 


Die  die  einzelnen  Theile  des  Auges  durch  Verletzungen  treffenden 
Schädigungen  sind  bereits  in  den  vorhergehenden  Kapiteln  angeführt 
worden.  Es  seien  hier  noch  einige  Traumen  zusammenfassend  erwähnt, 
die  auf  den  ganzen  Bulbus  oder  auf  mehrere  Theile  desselben  gleich- 
zeitig einwirken. 

Stumpfe  Gewalten  können  Contusionen  des  Auges  veranlassen 
oder  zu  Perforationen  der  äusseren  Hüllen  führen.  Es  handelt  sich 
meist  um  Gegenfliegen  mehr  oder  weniger  grosser  Gegenstände  (Bälle, 
Pfropfen)  oder  um  direct  gegen  das  Auge  geführte  Schläge  (mit  der  Faust, 
Stöcken  u.  s.  f.)  oder  um  Stösse  (besonders  bei  Landleuten  durch  die  Hörner 
von  Kühen).  Man  findet  alsdann  Blutungen  in  der  Lidhaut,  in  der  Con- 
junctiva,  in  der  vorderen  Augenkammer,  im  Glaskörper  und  in  der  Netz- 
haut. Auch  in  die  Hornhaut  hinein  kann  Blut  diffundiren.  so  hat  Czer- 
mak  Blutstreifen  in  den  tieferen  Schichten,  vom  Limbus  kommend, 
beobachtet;  häufiger  ist  eine  mehr  diffuse  Durchblutung  von  der  vorderen 
Kammer  her  (s.  Cornea),  die  ihr  eine  grünlich-graue  Färbung  giebt. 
Rupturen  treten  in  der  Sclera  dicht  hinter  dem  Hornhautrande  (seltener 
mit  gleichzeitigem  Conjunctivalriss),  besonders  an  seiner  oberen  Hälfte,  ein; 
in  sie  hinein  kann  dann  auch  die  Linse  luxiren.  Ausserordentlich  selten 
ist  es,  dass  die  Cornea  selbst  halbmondförmig  nahe  am  Rande  einreisst. 
Ebenso  selten  sind  Risse  in  der  Iris,  häufiger  hingegen  Dialysen  der- 
selben vom  Corp.  ciliare  und  traumatische  Mydriasis.  Die  Chorioidea  be- 
kommt besonders  am  hinteren  Augenpole  oft  Rupturen,  die,  wenn 
auch  weniger  häufig,  gleichzeitig  die  Netzhaut  treffen.  Luxationen 
and  Subluxationen  der  Linse  mit  Irisschlottern  sind  öfters  Folge 
stumpfer  Gewalten;  ebenso  die  Connnotio  retinae,  seltener  die  Netz- 
hautablösung.      Die    Regenbogenhaut    kann    ganz    nach    hinten   um- 


Perforirende  Verletzungen.  673 

klappen  oder  abreissen  oder  auch   bei  gleichzeitiger  Wunde  der   Bul- 
bnswand  mit  der  Linse  nach  aussen  geschleudert  werden. 

lieber  die  Behandlung  der  einzelnen  Affeetionen  ist  schon  oben 
gesprochen  worden.  Nur  sei  noch  hervorgehoben,  dass  man  bei  frischen 
Sclerarupturen,  in  denen  die  luxirte  Linse  liegt,  und  zwar,  wie  fast 
immer  unter  der  erhaltenen  Oonjunctiva,  durch  eine  Incision  der 
letzteren  den  Krystallkörper  entfernen  soll.  Bekommt  man  den  Fall 
erst  später  und  geheilt  in  Behandlung,  so  kann  man  die  Linse  ruhig 
sitzen  lassen,  zumal  ihre  Entfernung  wegen  entstandener  Verwachsungen 
nicht  immer  ohne  stärkere  Eingriffe  gelingt.  Es  ist  dies  ein  Vor- 
kommniss,  wie  man  es  nach  Kuhhornstössen  öfters  sieht.  Im  Uebrigen 
kann  sich  trotz  anfänglich  starker  Blutungen  im  Augen-Innern  und 
trotz  der  Scleralruptur  in  derartigen  Fällen  ein  recht  gutes  Sehver- 
mögen wieder  herstellen.  Die  Behandlung  im  Beginn  besteht  in  Aus- 
waschen mit  Chlorwasser  oder  Sublimatlösung,  Einpudern  von  Jodo- 
form und  Druckverband.  Bei  grösserer  Schmerzhaftigkeit  kann  man 
eine  Eisblase  auflegen. 

Bei  perforirenden  Verletzungen  mit  scharfen  Instrumenten 
oder  sonstigen  Gegenständen  (Glas,  Eisenstücken,  platzenden 
Patronen,  kleinen  Körnern  bei  Pulver-,  Dynamit-Explosionen  etc.) 
ist  die  Hauptfrage,  ob  der  Fremdkörper  im  Auge  ist  oder  nicht. 
Oft  giebt  die  Anamnese  Auskunft:  wenn  mit  einem  Messer  gestochen 
ist.  oder  mit  dem  Auge  in  einen  spitzen,  festen  Gegenstand  gerannt 
wurde,  so  ist  natürlich  bei  entsprechender  Grösse  und  Ausdehnung 
der  Wunde  ein  Gorp.  alienum  im  Auge  nicht  zu  erwarten.  Anders 
hingegen  bei  Hineinspringen  von  Eisen-,  Glas-,  Kupferstücken  u.  s.  f. 
Wenn  die  perforirende  Wunde  in  der  Hornhaut  oder  Sclera  klein  ist, 
so  ist  im  Allgemeinen  die  Wahrscheinlichkeit  vorhanden,  dass  der  Fremd- 
körper sich  noch  im  Auge  befindet,  selbst  wenn  der  Verletzte  das  Gegentheil 
behauptet,  oft  auf  den  Grund  hin,  „dass  er  keine  Schmerzen  im  Auge 
fühlt".  Es  ist  nicht  verständlich,  wie  ein  kleiner  Körper  wieder  abspringen 
sollte,  nachdem  er  einmal  ins  Auge  gedrungen  war.  Allerdings  ist  nicht 
selten  der  Nachweis  des  Fremdkörpers  sehr  schwierig,  selbst  wenn  nicht 
Linsentrübung  oder  Blut  in  der  vorderen  Kammer  oder  im  Glaskörper 
die  Untersuchung  erschweren.  Man  sei  hier  besonders  vorsichtig,  dass 
man  nicht  etwa  kleine  schwarze  Pigmentflecke  der  Iris  oder  ähnliche 
dunkle  Stellen  in  der  partiell  getrübten  Linse  fälschlich  für  den  Fremd- 
körper hält:  der  in  der  Iris  sitzende  Fremdkörper  würde  im  Gegen- 
satz zu  den  Pigmentflecken,  die  man  übrigens  wohl  auch  an  anderen 
Punkten  der  Regenbogenhaut  finden  wird,  scharf  abgegrenzt  sein  und 
hervorragen.  Die  dunklen  Partien  in  der  Linse  können  dadurch  zu 
Stande    kommen,    dass    durchsichtige  Linsensubstanz   in  graugetrübter 

.Schmidt-Kim pler.    7.  Auflage.  43 


674  Verletzungen  des  Augapfels. 

liegend  dunkel  aussieht:  hier  wird  besonders  die  schiefe  Beleuchtung 
und  genauere  Untersuchung  Auskunft  geben.  Im  Glaskörper  können 
Blutmassen  den  Fremdkörper  vortäuschen.  Auch  die  Benutzung  der 
Röntgenstrahlen  kann  gelegentlich  bei  grossen  Fremdkörpern  von  Vortheil 
sein:  zur  Orientirung heftet  man  auf  Stirn,  Schläfe,  Wange  und  Nase  Blei- 
stückehen, die  sich  dann  als  dunkle  Punkte  in  dem  Bilde  zeigen.  Am  günstig- 
sten ist  es,  wenn  es  sich  um  eingedrungenes  Eisen  handelt.  Hier  haben 
wir  so  wohl  diagnostisch  (Sideroskop)  wie  therapeutisch  (Magnet)  die 
besten  Chancen  (cf.  Kapitel  Glaskörper-Veidetzung).  Bei  langem  Ver- 
weilen von  Eisen  im  Augen-Innern  kann  eine  bräunliche  Verfärbung 
der  Iris,  der  Linse,  der  M.  Descemetii  und  der  Cornea  eintreten 
(Siderosis  bulbi.  Bunge).  Auch  die  Netzhaut  kann  Einlagerungen  von 
Eisenoxyd  zeigen  (v.  Hippel  jun.).  Andere  Fremdkörper  können,  wenn 
man  sie  sieht,  mechanisch  mit  Pincette,  Löffel  oder  stumpfem  Haken 
nach  eventueller  Ausführung  eines  entsprechend  grossen  Schnittes  ent- 
fernt werden;  zum  Fassen  von  Glasstücken,  die  den  Metallbranchen 
der  Pincette  leicht  entweichen,  kann  man  Pincetten  benutzen,  deren 
Endstücke  mit  Hörn  oder  Kautschuk  überzogen  sind.  Sehr  unsicher  ist 
die  Entfernung  von  Fremdkörpern  aus  dem  Glaskörper;  hier  wird  man 
gut  thun,  von  dem  Verletzten  die  Erlaubniss  zu  verlangen,  den  Bulbus 
gleich  enucleiren  oder  exenteriren  zu  dürfen,  falls  der  Fremdkörper  nicht 
gefunden  wird.  Nur  bei  kleinen  Fremdkörpern,  die  fest  in  den  Bulbus- 
Häuten  sitzen,  kann  man  bei  sonstiger  Reizlosigkeit  auf  operative 
Eingriffe  verzichten.  Uebrigens  muss  man  auch  mit  der  Möglichkeit 
rechnen,  dass  ein  Fremdkörper  durch  eine  zweite  Perforationswunde 
das  Auge  wieder  verlassen  hat,  wie  einige  Fälle  lehren  (Wagen- 
mann). — 

Liegt  die  Iris  in  der  Hornhautwunde  vor,  so  wird  man  sie  sofort 
abschneiden.  Kommt  man  aber  erst  später  hinzu  und  besteht  bereits 
ein  Vorfall  mit  Verwachsung,  so  ziehe  ich  es  vor,  ihn  fürs  erste  in  Ruhe 
zu  lassen:  nicht  selten  hat  man  gerade  bald  nach  dem  Abtragen  des- 
selben —  wohl  mit  durch  die  Zerrung  bedingt  —  eine  sympathische 
Ophthalmie  ausbrechen  sehen.  Kleinere  Vorfalle  bilden  sich  auch  von 
selbst  zurück. 

Bei  Verletzungen  der  Linse  entsteht  sehr  schnell  traumatische 
Katarakt,  die  aber  umschrieben  bleiben  und  selbst  später  sich  etwas 
lichten  kann.  Bei  stärkerer  Quellung  und  bei  Reizerscheinungen  ist  sie 
zu  entfernen;  doch  pflegt  dies  meist  erst  später  nöthig  zu  Averden.  Hat 
sich  nach  Verletzung  ein  Nachstar  gebildet,  der  das  Sehen  stört,  so  mache 
lti.in  die  nöthige  Operation  nicht  zu  früh,  sondern  warte  lieber  mehrere 
.Monate,  bis  das   Auge  längere  Zeit,  entzündungsfrei  geblieben  ist. 

Bei  sehr  grossen  Wunden,  welche  die  Hornhaut  und  Sclera  spalten  - 


Verbrennungen.  i;7f, 

besonders  wenn  die  Gegend  des  Corp.  ciliare  getroffen  ist  — ,  und  bei 
gleichzeitigem  Felden  entsprechenden  Lichtscheines  (also  beim  Nicht- 
erkennen  kleiner  Lampe  oder  bei  Gesichtsfelddefecten),  was  auf  ein  Er- 
griffensein der  Net/haut  schliessen  lässt,  ist  die  sofortige  Enueleation 
anzurathen.  Hier  pflegt  in  der  Regel  schliesslich  doch  nur  ein  blinder 
und  phthisischer  Bulbus  zurückzubleiben,  der  für  das  unverletzte  andere 
Auge  eine  dauernde  Gefahr  in  sich  birgt.  Allerdings  kann  es  selbst 
bei  ungenügender  quantitativer  Lichtempfindung  gleich  nach  der  Ver- 
letzung gelegentlich  zu  einer  gewissen  Wiederherstellung  des  Sehver- 
mögens kommen;  —  man  ist  überhaupt  bisweilen  überrascht  über  die 
gute  Heilung  selbst  ausgedehnter  Wunden.     Aber  in  der  Mehrzahl  der 

o  o  o 

Fälle  muss  man  doch  noch  schliesslich  enucleiren,  weil  die  sich  ent- 
wickelnde Cyklitis  eine  sympathische  Ophthalmie  befürchten  lässt.  Die 
frühzeitige  Enueleation  bei  schweren  Unfällen  erspart  dem  Verletzten 
viel  Zeit,  macht  ihn  schnell  wieder  arbeitsfähig  und  sichert  ihn  gegen 
sympathische  Ophthalmien. 

In  der  Regel  wird  die  sonstige  Behandlung  starke  Atropinisirung 
und  bei  dröhnender  Infection  Mercurialisation  erfordern.  Sind  die 
Scleralwunden  nicht  allzu  gross,  so  kann  man  sie  durch  Nähte,  die  die 
Sclera  oberflächlich  mitfassen,  schliessen;  auch  das  Herübernähen 
der  benachbarten  Conjunctiva  ist  oft  ausreichend.  Cornealwunden 
pflegen  auch  ohne  Naht  zu  verkleben.  Die  Operationen  müssen  natürlich 
mit  allen  Cautelen  der  Antisepsis  geschehen;  alsdann  Einpudern  von 
Jodoform  und  Verband. 

Sind  beide  Augen  zu  gleicher  Zeit  schwer  verletzt,  was  besonders 
bei  Pulver-  und  Dynamit-Explosionen  (v.  Hippel)  häufig  der  Fall 
ist,  so  wird  man  weniger  schnell  die  Enueleation  anrathen,  sondern  die 
weitere  Entwickelung  abwarten.  Man  sucht  nach  Explosionen  aus  der 
Cornea  und  Conjunctiva  die  kleinen  Körnchen  zu  entfernen,  während 
man  sie  in  der  Linse  und  im  Glaskörper  natürlich  sitzen  lassen  muss. 
Später  ist  dann  die  etwa  entstandene  traumatische  Katarakt  zu  operiren 
Nicht  allzu  selten  entsteht  und  bleibt,  trotzdem  sich  im  Glaskörper 
kleine  Fremdkörper  befinden,  auch  wohl  partielle  Netzhautablösungen 
vorliegen,  noch  ein  einigermaassen  brauchbares  Sehvermögen. 

Die  Verbrennungen  und  Anätzungen  des  Auges  treffen  vor- 
zugsweise die  Cornea  und  die  Conjunctiva.  Besonders  häufig  sind 
Kalk  Verätzungen  (cf.  Verletzungen  der  Cornea  und  Conjunctiva). 


In  Folge    der   deutschen  Gesetzgebung  über  Invaliden-  und 
Unfall-Versicherung  ist  der  Arzt  häufig  in  der  Lage,  Gutachten  über 

43* 


(S76  Verringerung  der  Enverbsfähigkeit. 

die  Kranken  mit  Bezug  auf  ihre  eventuell  verringerte  Erwerbsfähigkeit 
abzugeben.  In  dem  Ergänzungsgesetz  vom  30.  Juni  1900  ist  sogar  an- 
geordnet, dass  zu  den  Verhandlungen  vor  dem  Schiedsgerichte  sach- 
verständige Aerzte  zuzuziehen  sind;  ebenso  ist  bestimmt,  dass,  falls  die 
Bewilligung  einer  Entschädigung  abgelehnt  oder  nur  eine  Theilrente 
festgestellt  werden  soll,  vorher  der  behandelnde  Arzt  gehört  sein  muss. 
Die  Fürsorge  der  Unfall- Versicherung  tritt  mit  Beginn  der  14.  Woche 
nach  der  Verletzung  ein;  bis  dahin  haben  die  Krankenkassen  nach  den 
bezüglichen  Reichsgesetzen  für  die  Krankenpflege  zu  sorgen.  Nicht 
alle  Personen,  die  zum  Eintritt  in  Krankenkassen  verpflichtet  sind, 
gehören  Betrieben  an,  die  unfallsversicherungspflichtig  sind;  jedoch  ist 
die  Zahl  der  letzteren  allmählich  immer  weiter  ausgedehnt  worden.  Er- 
wähnt sei,  dass  auch  die  land-  und  forstwirtschaftlichen  Betriebe  dahin 
gehören.  —  Auch  die  Invaliden-Versicherung  (Reichsgesetz  vom  13.  Juli 
1899)  giebt  ihren  Versicherten  eine  Invalidenrente  —  ohne  Rücksicht 
auf  das  Lebensalter,  wenn  sie  nicht  mehr  im  Stande  sind,  %  des  orts- 
üblichen Tagelohnes  zu  verdienen;  Altersrente  tritt  erst  vom  70.  Lebens- 
jahre ein. 

Bei  den  augenärztlichen  Untersuchungen  auf  Verringerung  der 
Erwerbsfähigkeit  ist  in  erster  Linie  darauf  zu  achten,  ob  auch  die 
Angaben  der  Kranken  mit  dem  objectiven  Befunde  inUeber- 
einstimmung  stehen,  da  Uebertreibungen  ausserordentlich  häufig 
.vorkommen.  Es  ist  ebenso  falsch,  allzu  leichtgläubig  allen  Aussagen 
zu  trauen,  wie  es  verwerflich  sein  würde,  ohne  genügende  Beweise 
die  Klagen  als  unrichtig  hinzustellen.  Zum  Glück  haben  wir  gerade 
in  der  Ophthalmologie  eine  Menge  von  Hülfsmitteln,  die  uns  wenigstens 
gestatten,  festzustellen,  ob.  der  Untersuchte  absichtlich  die  Unwahrheit 
sagt,  wenngleich  es  nicht  selten  schwer  ist,  den  Grad  der  Ueber- 
treibung  (Aggravation)  mit  Genauigkeit  zu  erforschen  (cf.  das  Ka- 
pitel: Simulation  von  Amblyopie  und  Amaurose).  Bisweilen  sind  übrigens 
die  Verletzten  bei  ihren  Angaben  auch  im  guten  Glauben,  dass  ein 
Unfall  ihr  Sehvermögen  geschädigt  habe:  so  z.  B.  nicht  selten,  wenn 
nach  irgend  einer  kleinen  Verletzung  sich  eine  Sehschwäche  des  be- 
treffenden Auges  herausstellt,  die  allerdings  schon  früher  bestanden 
hatte,  aber  unbemerkt  geblieben  war,  weil  das  Auge  nie  allein  ge- 
prüft wurde. 

Sind  vom  Arzte  wirkliche  Augen- Affectionen  oder  Störungen 
des  Sehvermögens  constatirt  worden,  so  handelt  es  sich  bei  den  An- 
sprüchen auf  Unfall-Entschädigungen  zweitens  darum,  ob  ein  „Be- 
triebs-Unfall" die  Ursache  gegeben  hat.  Das  Gesetz  spricht  nur 
von  den  „bei  dem  Betriebe  sich  ereignenden  Unfällen",  giebt  aber 
keine   Definition   des   Wortes  Unfall.    Der  Jurist  v.  Wo edtke  schreibt: 


Invaliden-  und  Unfall-Versicherung.  (577 

„Ein  Unfall  bei  dem  Betriebe  setzt  einen  ursächlichen  (unmittelbaren 
oder  mittelbaren)  Zusammenhang  zwischen  dem  Unfall  und  dem  Be- 
triebe, sowie  ein  dem  Betriebe  fremdes  abnormes  Ereigniss  voraus, 
dessen  Folgen  für  das  Leben  oder  die  Gesundheit  schädlich  sind. 
Nachtheile  für  die  Gesundheit,  welche  lediglich  die  Folge  davon  sind, 
dass  ein  Betrieb  auch  unter  normalen  Verhältnissen  an  sich  ungesund 
istj  sind  keine  Betriebsunfälle."  In  der  Regel  werden  sich  die  durch 
einen  Unfall  bewirkten  Körperverletzungen  als  gewaltsam  und  plötz- 
lich darstellen,  jedoch  ist  eine  allmählich  eintretende  körperschädigende 
Wirkung  nicht  ausgeschlossen.  Besonders  häufig  kommt  letzteres  in 
der  Ophthalmologie  in  Betracht,  wenn  etwa  aus  einer  unbedeutenden 
Hornhautverletzung  (z.  B.  in  der  Ernte  durch  Gegenstoss  einer 
Granne  etc.)  sich  ein  deletäres  Ulcus  serpens  entwickelt  hat  oder  etwa 
nach  der  Verletzung  eines  Auges  eine  sympathische  Ophthalmie  ent- 
steht: hier  handelt  es  sich  immer  um  die  Folgen  des  Unfalles. 

In  der  Regel  wird  drittens  auch  an  den  Arzt  die  Frage  ge- 
richtet, um  wieviel  Procent  die  Erwerbsfähigkeit  sich  ver- 
ringert habe,  da  hiernach  die  zu  gewährende  Rente  berechnet  wird, 
—  wobei  allerdings  nur  2/:!  des  wirklichen  Arbeits-Verdienstes  gleich 
der  vollen  Erwerbsfähigkeit  gesetzt  wird,  so  dass  also  bei  vollem  Ver- 
lust derselben  der  Versicherte  nur  2/3  seines  bisherigen  Lohnes  erhält. 
Diese  Frage  ist  schwer  zu  beantworten,  da  der  Arzt  die  Anforderung 
an  das  Sehvermögen  in  den  einzelnen  Betrieben  nicht  genau  kennen 
kann .  individuelle  Verschiedenheiten  vorkommen  etc.  Es  gehen  daher 
selbst  bei  dem  einfachsten  Vorkommniss,  dass  z.  B.  ein  Auge  erblindet, 
während  das  andere  Auge  volle  Sehschärfe  hat,  die  Ansichten  der 
Aerzte  über  die  erfolgte  Schädigung  noch  auseinander.  Auch  die  wirk- 
lich nachgewiesene  Arbeitsfähigkeit  kann  nicht  maassgebend  sein, 
wenn  wir  erwägen,  dass  fast  in  allen  Berufsklassen  Einäugige  mit 
voller  Erwerbsfähigkeit  thätig  sind.  So  hat  eine  Zusammenstellung 
von  Magnus  ergeben,  dass  über  3/4  der  ausserhalb  des  Berufes  ein- 
äugig gewordenen  Arbeiter  denselben  Jahresverdienst  haben  wie  der 
zweiäugige  Arbeiter;  am  geringsten  ist  überhaupt  der  Unterschied  in 
der  Erwerbsfähigkeit  zwischen  beiden,  wenn  die  Erblindung  vor  dem 
15.  Lebensjahre  eintrat.  Erfolgt  nach  dem  35.  Lebensjahr  der  Ver- 
lust eines  Auges,  so  leidet  die  Arbeitsfähigkeit  in  grösserem  Umfange. 
Weitere  Nachforschungen  und  Berechnungen  von  Magnus  haben 
gezeigt,  dass  die  durch  Betriebsunfall  einäugig  Gewordenen  im  Durch- 
schnitt einen  um  14°/0  geringeren  Jahresverdienst  haben  als  die  Zwei- 
äugigen; hierzu  kommt  noch  die  geringere  Concurrenzfähigkeit.  da 
manche  Betriebe  Einäugige  principiell  ausschliessen.  Daraufhin  nimmt 
Magnus   bei    Betrieben,    die   höhere    optisch  -  erwerbliche  Ansprüche 


t;7,s  Verringerung  der  Erwerbsfähigkeit. 

machen,  im  ersten  Jahre  einen  Erwerbsverringerung  von  30,9  °/0  an,  im 
zweiten  von  21,1  °/0  ,  bei  solchen  mit  geringeren  optischen  Ansprüchen 
27,3  °/0  bez.  18,3%.  Früher  wurde  der  zur  Entschädigung  kommende 
Verlust    an    Erwerbsfähigkeit   bei  Einäugigen    gewöhnlich    auf  33  '/3  % 

angenommen.    Es  beruht  dies  auf  einer  Formel  von  Zehen  der   I — ~ — 

wo  a  die  Sehschärfe  des  erhaltenen  Auges  bezeichnet),  welche  die  be- 
stehende Erwerbsfähigkeit  ausdrücken  soll:  jedoch  kommt  man  mit 
mathematischen  Formeln  hier  nicht  weit!  Jetzt  ist  auch  vom  Reichs- 
versicherungsamte  ein  geringerer  Procentsatz  festgesetzt  worden:  bei  ge- 
wöhnlichen Arbeitern  etwa  25  °/0.  Nach  individuellen  Verhältnissen 
(wobei  auch  besonders  das  Lebensalter  in  Betracht  zu  ziehen  ist). 
kann  man  die  Verringerung  etwa  zwischen  20  °/0  bis  30  °/0  schwanken 
lassen.  Dabei  ist  nicht  nöthig,  dass  das  erhaltene  Auge  S==l  hat; 
für  gewöhnliche  Tagelöhner  kann  die  Arbeit  schon  mit  S1/2  ge- 
leistet werden;  für  Berufe  mit  höheren  Sehansprüchen  hält  Magnus 
S3/4,  Groenouw  S2/3  erforderlich.  Es  würde  demnach  bei  Verletzungen, 
die  eine  Herabsetzung  der  Sehschärfe  bedingen,  welche  diese  Grenzen 
nicht  überschreitet,  auch  keine  Verringerung  der  Erwerbsfähigkeit  an- 
zunehmen sein.  Volle  Erwerbsunfähigkeit  bei  gewöhnlichen  Arbeitern, 
soweit  dabei  der  Verlust  des  Sehvermögens  eine  Rolle  spielt,  würde 
ich  erst  dann  annehmen,  wenn  die  Sehschärfe  etwa  unter  ]/20  bis  V30 
sänke,  da  ich  nicht  selten  Individuen  gefunden  habe,  die  noch  viele 
Dienstleistungen  der  Tagelöhner  und  Knechte  mit  dieser  Sehschärfe 
ausführten. 

Die  durch  Verlust  eines  Auges  bewirkte  Sehstörung  wird  sich  im 
Anfange  bemerklicher  machen  als  später,  wenn  eine  gewisse  Ge- 
wöhnung und  Einübung  eingetreten  ist. 

Der  Hauptschaden  des  einäugigen  Sehens  beruht  nämlich  in  dem 
Verluste  des  Körperlichsehens;  später  bildet  sich  wieder  ein  gewisses 
Körperlichsehen  heraus,  wie  man  dies,  abgesehen  von  den  Beobachtungen 
der  Arbeiter,  selbst  auch  direct  constatiren  kaim,  wenn  man  Distancc- 
Sehätzungen  vornehmen  lässt,  indem  man  auf  einem  Lineal  zwei  Stäb- 
chen (dicke  Nadeln  mit  Knöpfen)  in  verschiedener  Entfernung  aufstellt 
und  nun  sagen  lässt,  welches  Stäbchen  näher  oder  ferner  steht  (P  f a  1  z 
hat  hierzu  ein  kleines  Instrument  angegeben).  Durch  leichte  Kopf- 
bewegungen, Convergenz-  oder  Aecommodations-Aenderungen  kann  auch 
der  Einäugige  allmählich  ein  für  die  Arbeiten  in  der  Regel  ausreichen- 
des Körperlichsehen  erlangen,  wenn  es  auch  nie  die  Vollkommenheit 
des  binocularen  Sehens  erreicht.  Ausserdem  ist  die  Verkleinerung 
des  Gesichtsfeldes  bei  manchen  Arbeiten,  besonders  bei  gefährlichen 
Betrieben    (bei  Maschinen),    als    störend   in  Betracht   zu   ziehen:    auch 


Aphakie.    Gesichtsfelddefecte.  (379 

hier  kann  eine  allmählich  erlernte  Kopfdrehung  aushelfen.  Dessen- 
ungeachtet halte  ich  es  jedoch  nicht  für  praktisch,  im  ersten  Jahre  eine 
höhere  Rente  zu  geben    und    diese    dann  vom    zweiten  Jahre    ab,    wie 

Magnus  vorschlägt,  herabzusetzen.  Einmal  pflegt  es  gar  nicht  ein 
Jahr  zu  dauern,  bis  diese  Gewöhnung  eingetreten  ist,  und  dann  wird 
sich  bei  einer  erneuten  Untersuchung  kaum  eine  Besserung  direct  con- 
statiren  lassen,  da  wir  hierbei  auf  die  subjeetiven  Angaben  der  Ver- 
letzten angewiesen  sind  und  letztere  natürlich  mit  einer  Herabsetzung 
der  Rente  nicht  einverstanden  sein  werden.  Zu  einer  Herabsetzung 
der  Keine  ist  aber  erforderlich  der  directe  Nachweis  einer  wesentlichen 
Veränderung  in  den  Verhältnissen,  welche  für  die  Feststellung  der 
Entschädigung  maassgebend  gewesen  sind.  Es  erregt  ein  solches  Vor- 
gehen mehr  Unzufriedenheit,  als  wenn  wirklich  der  Procentsatz  für  die 
ersten  Monate  nach  der  Verletzung  etwas  geringer  angenommen  ist. 
Ausserdem  bleibt  doch  immer  zu  bedenken,  dass  diese  Schätzungen 
nie  den  reellen  Verhältnissen  entsprechen  können  und  in  der  Regel  diesen 
gegenüber  zu  hoch  sind.  - — 

Sehr  häufig  wird  inFolge  von  Verletzungen  die  Linse  getrübt  und  später 
das  Auge  aphakisch.  Trotzdem  mit  entsprechenden  Stargläsern  eine 
gute  Sehschärfe  erreicht  wird,  pflegt  hier  fast  stets  das  Körperlichsehen 
zu  leiden:  meist  sogar  geht  das  Auge  bald  etwas  in  Schielstellung. 
Nur  wenige  Individuen,  und  zwar  nur,  wenn  sie  in  jugendlichem 
Alter  stehen  und  die  erforderliche  Starbrille  tragen,  kommen  zu  einem 
einigermaassen  befriedigenden  Körperlichsehen.  Dieser  Verlust  ist  bei 
Sehätzung  der  Erwerbsfähigkeit  in  Rechnung  zu  ziehen.  Gegenüber  dem 
Einäugigen  wird  jedoch  die  Erwerbsfähigkeit  eine  höhere  bleiben,  da 
das  Gesichtsfeld  nicht  verkleinert  ist  und  auch  die  Concurrenzfähigkeit 
im  Erwerbe  nicht  in  so  hohem  Maasse  verringert  ist:  ich  pflege  den  Ver- 
lust auf  circa  15  °  (l  zu  schätzen.  Ebenso  ist  bei  den  durch  Verletzungen 
eintretenden  einfachen  Herabsetzungen  des  Sehvermögens  ein  beson- 
deres Gewicht  auf  das  Körperlichsehen  zu  legen  und  stets  eine  Prüfung 
desselben  vorzunehmen:  im  Allgemeinen  findet  sich,  dass  das  Körper- 
lichsehen —  ausser  bei  stärkeren  Sehschwächen  —  hier  (im  Gegensatz 
zu   den   aphakisch  gewordenen  Verletzten)  wenig   leidet. 

Ferner  würden  auch  etwaige  Gesichtsfelddefecte  zu  berücksich- 
tigen sein:  so  nehmen  beispielsweise  bei  concentrischer  Verengerung 
beider  Gesichtsfelder  bis  zum  30°  und  sonstiger  guter  Sehschärfe  Mag- 
nus 45°|0.  Groenouw  50°/0  Erwerbsverringerung  an.  Ist  das  Gesichts- 
feld noch  weiter  emgeschränkt,  so  schätzt  bei  einem  Gesichtsfeld  von 
nur  10°  Schröter  die  Verringerung  der  Erwerbsfähigkeit  auf  min- 
destens 75%.  — 

Ist  bei  Lähmungen  Doppeltsehen  in  allen  Richtungen  vorhanden. 


682 


Alphabetisches  Register. 


Augenbewegung  564,  Innervationscen- 
trum  der  562. 

Augenblase  229. 

Augendrainage  292. 

Augenhintergrund  2.">2. 

Augenmuskel-Erkrankungen  561,  Ana- 
tomic  561.  Krampf  617,  Lähmungen 
573. 

Augenoperationen  20. 

Augensalben  17. 

Augenschmerz  bei  nervöser  Asthenopie 
149,  bei  musculärer  612. 

Augenspalte,  fötale  229. 

Augenspiegel  10.  180,  binocularer  184. 
Theorie  171,  Untersuchung  mit  dem 
189,  verschiedene  Formen  180. 

Augenspiegelbild,  umgekehrtes  176,  auf- 
rechtes 174.  Vergrösserung  des  178. 

Augentrepan  495.  496. 

Auirenwasser  16. 

Autophthalmoskopie  187. 

Bacterien  406.  416.  420.  428. 

Basallinie  82. 

Basedow'scke  Krankheit  629. 

Behandlung  der  Augenleiden  11. 

Beleuchtung  79,  seitliche  197. 

Bild,  reelles  28.  virtuelles  29,  Grösse  der 

Bilder  30. 
Bläschenbildung  auf  der  Cornea  462,  auf 

dem  intermarginalen  Lidrande  640. 
Blaublindheit.  127. 

Bläschen-Katarrh  s.  Conj.  folliculosa. 
Bleivergiftung.  Accommodationslähmung 

Lei  112,   Amaurose   bei  154,    centrale 

Skotome  bei  138,  Neuritis  bei  255.  Neu- 

roretinitis  bei  255,  Retinitis  278. 
Blennorrhoea    conjunctivae    416,     sacci 

lacrymalis  665. 
Blepharitis  637.  638. 
Blepharophimosis  645. 
Blepharoplastik  653. 
Blepharospasmus  408.  459.  655. 
Blicklinie  72. 
Blinder  Fleck  122. 
Blindheit  165. 
Blitzschlag  374. 
Blutentziehung  14,  mit  dem  Heurteloup- 

schen  Blutegel  14. 
Bowman'sche  Sonde  WW. 
Brechkraft  27.  32. 
Brechungsametropie    41,    Exponent  26. 

39. 
Brennpunkt   26.  38,    conjugirte    Punkte 

28. 
Brennstrecke  97. 
Brennweite  26.    Bestimmung   derselben 

30. 
Brillengläser    25,    Bezeichnung   27.    33, 

sphärische  33,  prismatische  33,  cylin- 

drische  99.  Franklin'sche  108,  perisko- 

pisclic  32. 
Buphophthalmus  •"><»).  634. 
Büschelförmige  Keratitis  461. 


Calabar  19.  114. 

Canalis  Cloqueti  230.  327.  346. 

Canthoplastik  645. 

Capillarpuls  an  der  Papilla  optica  266. 

Carbunkel  625. 

Cardinalpunkte  38. 

Caries  der  Orbita  622.  624. 

Cataracta  360,  aecreta  370,  aridosiliquata 
s.  membranacea  370,  calcarea  370,  cap- 
sularis  364.  366,  capsulo-lenticularis 
364,  complicata  369,  congenita  364.  cor- 
ticalis  361,  cystica  369,  diabetica  37;:. 
lactea  369,  matura  363,  Morgagniana 
369,  nigra  369,  nuclearis  361.  3(34,  ossea 
359,  polaris  365,  pyramidalis  364,  se- 
cundaria 370.  393,  senilis  368,  striata 
364,  traumatica  370,  zonularis  365. 

Cataract-Operation  377,  Depression  388. 
Discission  366.  385.  393,  Extraction 
377,  Reclination  388. 

Caustica,  Anwendung  bei  Conjunctivitis 
423. 

Cavernöse  Geschwülste   der  Orbita  631. 

Centrirung  der  Brillengläser  31. 

Chalazion  648. 

Chemosis  404.  450. 

Chiasma  217. 

Chininvergiftung,  centrale  Skotome  139. 
Amaurose  bei  154. 

Chlorose,  Accommodationsschwäche  bei 
109,  Anaemia  papillae  244.  Arterien- 
pulsation  266,  Blepharitis  637. 

Cholera  244.  630.    ' 

Cholestearin  im  Glaskörper  317. 

Chorea.  147. 

Chorio-Retinitis  272.  302. 

Chorioidea,  Ablösung  308.  Anatomie  221. 
Blutungen  308,  Colobom  240,  Ge- 
schwülste 311,  hyaline  Drusen  221. 
303,  Hyperämie  der  299,  Knochenbil- 
dung 313,  Myopie  307.  ophthalmosko- 
pisches Bild  der  239,  Riss  309,  Tuber- 
culose  310. 

Chorioidealring  231. 

Chorioiditis  areolaris  301,  disseminata 
301,  exsudativa  300.  metastatica  .rif>.">. 
suppurativa  553,  serosa  300.  344.  .">.">  I . 
syphilitica  302. 

Chorioiditis  c.  maculam  luteam  (Centralis 
301. 

( Ihromhidrosis  647. 

Chromopsie  bei  Phosphenen  L34,  bei 
Glaukom  332. 

CiüaTkörper,  Anatomie  225,  Entzündung 
539,  Gummata  522. 

Ciliarmuskel  7.;.  225,  Krampf  113.  Liili- 
mung  109. 

Ciliarnerven  229,   Durchschneiduiii;-  550. 

Ciliarneuralgie  332.  516. 

Ciliarstaphylom  509. 

Cocain   19.  645. 

Colobom  der  Chorioidea  210.  Iris  533. 
Retina  242.  der  Sehnervenscheide  235, 
des  Lides  660. 


Alphabetisches  Register. 


683 


( loncavlinsen  29. 

Congestion  nach  dem  Kopf  L36.  253.281. 
305.  318. 

Conjunctiva,  Amyloid  451,  Anatomie  399, 
Apoplexie  150,  Erkrankungen  101, 
Follikel  414,  Fremdkörper  452,  Ge- 
schwülste 454,  Lupus  451,  Touchirung 
16.  403.  Tuberculose  451. 

Conjunctivitis  Aegyptiaca  438,  blennor- 
rhoica  411.  416,  catarrhalis  404.  crou- 
posa  s.  Conj.  membranacea  428.  diph- 
theritica  440.  eczematosa  -107.  exan- 
thematosa  429,  fofficulosa  414.  438, 
granulosa  4.iO.  411.  gonorrhoica  425. 
438,  neonatonmi  42.").  phlyctaenulosa 
4u7.  simple\404.  trachomatosa  430.  411. 
traumatica  452. 

Oonsistenz  der  Katarakt  367.  368. 

Contusio  l>ulbi  112.  147.  273.  289.  315. 
632.  072. 

Conus  73.  306. 

Convergenz  der  Lichtstrahlen  25.  der 
Blieklinien  50.  72.  564,  -breite  572. 

Convexlinsen  25. 

Convexspiegel  35. 

Corelysis  526 

Cornea.  Anatomie  450.  conica  500,  Fistel 
485.  (^schwülste  505.  (beschwüre  483, 
globosa  500.  Infiltrate  458.  Krankheiten 
457,  Staphyloin  408.  Trübungen  491. 
Verletzungen  ">n2. 

Corpus  vitreum  s.  Glaskörper. 

(  yklirij  539. 

Cylindergläser  99. 

Cysten  der  Conjunctiva  454,  der  Iris  532. 

Cysticercus  des  Ciaskörpers  325,  in  der 
Bindehaut  455.  in  der  vorderen  Kam- 
mer 532.  subretinaler  290. 

Cystoide  Vernarbung  351.  392.  556. 

Dakryoadenitis  (302. 

Dakryozystitis  664. 

Dakryix-'ysto-Blennorrhoe  ^i~K 

Dakryops  662. 

Daltönismus  127. 

Delirien  nach  .Staroperationen  391. 

Dermoid  454.  631. 

Descemetitis  461.  483.  516.  520. 

Deutliche  Sehweite  178. 

Diabetes.  Accommodationslähmung  112, 
Aji^enmuskellährnungen  588.  Katarakt 
373~  centrale  Skotome  138.  Iritis  523. 
Keratitis  469.  Neuritis  255.  258,  Reti- 
nitis 276.  278.  279. 

Dietyitis  s.  Retinitis. 

Dioptrie  33. 

Diphtherie,  metastatische  Ophthalmie  556. 

Diphtheritis  conjunctivae  440. 

Diphtheritis  faucium.  Accommodations- 
lähmung 111.  Amblyopie  111.  Augen- 
muskellähmungen 588,  Neuritis  255 

Diplopie  569.  570.  590.  monoculare  493. 
mit  Prismen  34.  574.  594.  613. 


Disrission    der  Katarakt  366,  des   Nach- 

stars  394. 
Distichiasis  641. 

Divergenz  der  Lichtstrahlen  25. 
Doppelbilder  s.  Diplopie. 
Drehpunkt  56  1. 
Druck  und  Satz  84. 
Druckpunkte  656. 
Druckverband  12. 
Duboisin  19.  342. 
Dunkelzimmer  11. 
Dynamisches  Schielen  569.  612. 
Dysrhromatopsie  127. 
Dyslexie  146. 

Ecchymosen  unter  der  Conjunctiva  450. 

Echinokokken  der  Orbita  631. 

Eclampsia  374. 

Ectopie  der  Linse  396,  der  Pupille  533. 

Ectropium  652. 

Einfachsehen  568. 

Einträufelung  in  das  Auge  16. 

Eisenbahnbeamte,  Vorschriften  für  53. 

Ektropioniren  der  Lider  7. 

Elektrisches  Licht  145. 

Elektrolyse  494.  642. 

Elevateür  5.  23. 

Embolie  der  Art.  central,  retin.  293. 

Emmetropie  40. 

Emphysem  der  Orbita  626,  der  Lider  647. 

Enophthalmus  8.  630. 

Entoptische  Erscheinungen  s.  Myiodesop- 

sie.  71. 
Entropium  650. 
Enucleatio  bulbi  548. 
Epicanthus  660. 
Epilepsia  retinae  294. 
Epilepsie.    Accommodationskrampf    bei 

115.  Katarakt  bei  373. 
Epiphora  (Ueberfliessen  der  Thränen)402. 

662.  657.  652. 
Episkleritis  506. 
Ergotismus  374. 

Erkältungen  136.257.  341. 461. 403. 523. 5ns. 
Erysipel  256.  406.  429.  556.  625.  646. 
Erwerb sfähigkeit  672.  676. 
Erythropsie  bei  Staroperirten  300. 
E  serin  19,  bei  Glaukom  353. 
Exantheme  s.  die  einzelnen  Formen  429. 
Excavation  der  Papille  263.  atrophische 

259.  263.    glaukomatöse   (Druck-)  264. 

334.  physiologische  233. 
Exenteratio  bulbi  550.  orbitae  632. 
Exophthalmometer  626. 
Exophthalmus    8.  023.    bei   Morb.  Ba>e- 

dowii  025.  paralytischer  584.  pulsiren- 

der  628. 
Exstirpatio  bulbi  548,  der  Thränendrüse 

663.  671.  des  Thränensaekes  671. 

Fädchen-Keratitis  459. 
Farbenblindheit  127.  bei  Sehner ven- Atro- 
phie 262. 
Farbenempfindung  127. 


884 


Alphabetisches  Register. 


Febris  recurrens  523.  539.  556. 

Fernpunkt  41,  relativer  51. 

Fernsichtigkeit  s.  Presbyopie. 

Fettzellgewebe,  Entzündung  623. 

Filaria  oculi  humani  327. 

Fixation,  excentrische  596. 

Flhmnerskotom  151. 

Flügelfell  444. 

Focale  Beleuchtung  197. 

Focus  s.  Brennpunkt. 

Fontana'scher  Baum  347. 

Fovea  centralis  224,  ophthalmoskopisches 

Bild  237. 
Fraeturen  der  Orbita  632. 
Fremdkörper    in   der   Conjunctiva   452, 

Cornea  502,  Glaskörper  320,  Iris  531. 

Linse  374,  Orbita  632,  Thränenwegen 

663,  vorderen  Kammer  532. 
KrühjahrskataiTh  410. 
Fusionsbreite  571,  Tendenz  612. 

Grefässneubildung  in  Glaskörpermembra- 
nen  320. 

Gehirn-  und  Rückenmarkserkrankungen 
111.  136.  137.  140.  141.  142.  143.  243. 
244.  250.  253.  255.  257.  258.  263.  269. 
281.  474.  528.  539.  556.  586.  587.  612. 
617.  624. 

Oeisteskrankheiten.ophthalmoskopischer 
Befund  bei  243.  Pupillen-Reaction  528. 
Delirien  nach  Staroperationen  391. 

Gerontoxon  corneae  497. 

Gerstenkorn  s.  Hordeolum. 

Gesichtsfeld,  Defeet  9.  123.  (574,  bei  My- 
opie 70,  Prüfung  9.  119,  ringförmige 
272.  304,  Unterbrechung  123.  Erwerbs- 
fähigkeit 678. 

Gesichtslinie  39. 

Gesichtsschwindel  571). 

Gesichtswinkel  50:  66. 

Gicht  341.  508.  523. 

Glaskörper,  Ablösung  290.  327,  Anatomie 
314.  Blutung  318,'Entozoen  320,  Ent- 
zündung 319.  Erkrankungen  315, 
Fremdkörper  im  320,  Trübung  315, 
Tuberculose  319,  Verflüssigung  315. 

Glaucoma  331,  absolutum  338,  acutum 
.".:;ii,  Aetiologie  341.  chron.  inflammat. 

338,  fulminans   337.    haemorrhagicum 

339,  malignum  350,  Pathol.  Anatomie 
342,  Prodromalstadium  332,  Secundär- 
338,  simples  333,  Theorie  über  die 
Pathogenese  343,  Therapie  348. 

Glaukomatöse  Degeneration  338. 
Gleichgewichtsversuch  613. 
Glioma  retinae  296. 
Gonorrhoe  120.  125.  523. 
Granulationen  der  Conjunctiva   130. 
(irauer  Star  s.  Cataract. 
Criinblindheit  127. 
Grüner  Star  s.  Glaucoma. 

Hagelkorn  648. 


Hämatemesis  154. 

Hämoptoe  154. 

Hämorrhoiden  136.  318.  341. 

Hauptachse  26. 

Hauptbrennweite  26. 

Hauptmeridiane  101. 

Hauptpunkt  38. 

Hautausschläge  15.  281.  374.  409.  14.;. 
44s.  450.  469.  508.  625.  638.  646. 

Hebetudo  visus  93. 

Heerordnung  *.  Militärdienst. 

Helminthiasis  152.  325. 

Hemeralopie  147.  283.  619. 

Hemiopie  =  Hemianopsie  139. 

Hering's  Fallversuch  163.  611.  Farben- 
theorie 127. 

Hernia  corneae  484. 

Hernia  sacci  lacrymalis  (Ectasie)  t>7<>. 

Herpes  corneae  402. 

Herpes  zoster  463.  646. 

Herzaffectionen  281.  294.  526.  615. 

Hippus  529. 

Hirnsinusthrombose  (524.  625. 

Holmgren'sche  Farbenprüfung  129. 

Hordeolum  640. 

Hornhaut  s.  auch  Cornea.  Absces*  466. 
Achse  72.  Fleck  491.  Geschwüre  483^ 
Infiltrat  458,  sclerosirendes  Infiltrat 
483,  torpides  Infiltrat  46ti.  Krümmung 35, 
Krümmungsanomalien  498.  Tätowirung 
496,  Trübung  491. 

Hyalitis  319. 

Hydromeningitis  516. 

Hydrophthalmus  500.  634. 

Hydrops  vaginae  n.  opt.  247.  200. 

Hyoscyamin  19. 

Hyperämie  der  Conjunctiva  404,  Chorioi- 
dea  299.  Iris  512.  Papilla  optica  243, 
Retina  269. 

Hyperaesthesia  retinae  150. 

Hypermetropie  41.  90.  absolute  91,  Be- 
stimmung 42.  60,  ophthalmoskopische 
Bestimmung  198,  200.  210.  213,  facul- 
tative  91.  latente  91.  manifeste.  91 .  re- 
lative 92,  totale  91. 

Hypertonie  8.  332. 

Hyphaema  6.  515. 

llvpnotisinus  115.  128. 

llypopvon  6.  466.  515. 

Hypopyon-Keratitis  166. 

Hyposphagma  450. 

Eypotonie  8.  35."». 

Hysterie  136.  146.  L50.  374.  538. 

Icterus  12S.   147.  270. 
IdentitätslcliTc  ."»es. 
Impfung  der  Blennorrhoe   137. 
[ncongruenz  der  Netzhaut  594. 
Influenza  253.  406.  .".23.  (117. 
Innervation  der  Augenmuskeln  562. 
Insuffizienz   der  R.  interni  611,   der   li. 

extern i  612. 
Intercalarstaphylotn  509. 


Alphabetisches  Register. 


685 


Intermittens  L35.  144.  482.  556. 

Intervalle  focal  üT. 

Intraocularer  Drucks.  Messung* desselben 

8.  332. 
Invalidenversicherung'  (174. 
Iridectoiuie  534,  bei  Glaukom  348. 
[rideremie  =  Aniridie  533. 
Irido-Chorioiditis   519.   539,    metastatica 

Iridozyklitis  519.  539,   sympathica  541. 

Iridodialysis  530. 

Iridodonesis  529,  bei  Myopie  71,  bei  Ka- 
tarakt 363. 

Iridotomie  538. 

Iris.  Anatomie  22").  Kolobom  533,  Krank- 
heiten 512,  Neubildungen  531,  Prolaps 
485.  488.  530,  Schlottern  529,  Ver- 
letzung 529. 

Iritis  513,  acuta  517.  chronica  517,  con- 
dylomatosa  s.  gummosa  521,  recidivi- 
rende  517,  serosa  520,  simplex  520, 
suppurativa  521,  syphilitica  521. 

Ischaemia  retinae  295. 

Isometrope  Linsen  26. 

Jequirity  437. 

Kapselstar  364.  366. 

Katarakt  s.  Cataracta. 

Katzenauge,  amaurotisches  296. 

Keratitis  457.  bullosa  464,  büschelförmige 
461,  dendritiea  491.  diffusa  (interstitia- 
lis,  profunda,  parenchymatosa)  479, 
gitterförmige  491.  neuroparalytica  474, 
pannosa  476.  punctata  461,  scrophulo- 
sas.  K.plüyctaenulosas.eczematosa459, 
subepithelialis  centralis  461,  suppu- 
rativa 464.  vesiculosa  462,  xerotica  473. 

Keratocele  484.  -conus  500,  -malacie  472, 
-plastik  495,  -tomie  (Querdurchschnei- 
dung  nach  Saemisch)  471. 

Keratoskop  6. 

Keratoskopie  6.  209. 

Kerektasie  500. 

Kernstar  361. 

Knochenneubildung  313.  359. 

Knotenpunkt  29.  38. 

Kopfhalter  82. 

Kopiopie  's.  Asthenopie;  93,  hysterische 
150. 

Korektopie  533. 

Körnerkrankheit  s.  Trachom. 

Künstliches  Auge  552. 

Kurzsichtigkeit  s.  Myopie. 

I.agophthalmus  656. 

Lähmung   der   Augenmuskeln   573.    des 

Abducens     579.     Oculomotorius    584, 

Troehlearis  580. 
Lamina  cribrosa  219. 
Langbau  des  Auges  68. 
Lappenschnitt  377. 
Leberleiden  270.  281. 294. 


Leontiasis  ossea  625. 

Lepra  456.  505.  649. 

Leptothrix  b.  Streptothrix  663. 

Leucoma  492,  adhaerens  485. 

Leucorrhoea  vaginalis  420.  426. 

Leukämie.  Retinitis  bei  276.  279,  Blu- 
tungen 280. 

Lichtempfindung,  qualitative  119,  quan- 
titative 119. 

Lichtscheu  409. 

Lichtsinn  124. 

Lichtstrahlen  24. 

Lider,  Anatomie  635,  Erkrankungen  636, 
Ekzem  646,  Erysipel  646,  Krampf  655, 
Neubildung  649*  Seborrhoe  636,  Syphi- 
lis 640.  647. 

Lidspaltenerweiterung  645. 

Linibus    sclerae  506,    conjunctivae   400. 

Linearextraction  377,  periphere  (sclerale) 
v.  Graefe's  381,  moditicirte  386. 

Linse,  Anatomie  und  pathologische  Ana- 
tomie 357,  Erkrankungen  358,  Luxation 
325.  396,  senile  Veränderungen  358. 

Linsenkapsel  357,  Verletzung  359.  369. 
374. 

Lipom  454. 

Lupus  der  Conjunctiva  451. 

Luscitas  572. 

Luxatio  lentis  325.  396,  bulbi  633. 

Lymphabfluss  aus  der  vorderen  Kammer 
346. 

Lymphangiektasien  450. 
Lymphfollikel  der  Conjunctiva  399. 

Macula  corneae  492. 

Macula  lutea,  Anatomie  223,  Erkrankung 
270.  274. 278,  ophthalmoskopisches  Bild 
236. 

Macularcolobom  241. 

Madarosis  640. 

Magenkatarrh,  Accommodationslähmung 
nach  112. 

Magnet,  Anwendung  322. 

Makropsie  114. 

Markhaltige  Nervenfasern  der  Retina  236, 
Papilla  235. 

Markschwamm  der  Netzhaut  296. 

Masern  78.  135.  Neuritis  nach  255,  Con- 
junctivitis nach  406.  429,  Phlyktänen 
nach  409,  Keratitis  469,   Skleritis  508. 

Meibom'sche  Drüsen  399.  636. 

Membrana  pupillaris  perseverans230.534. 

Meningitis  136.  255.  257.  306.  356.  556. 
617. 

Meniscus  31. 

.Menstruationsanomalien  136.  154.  257. 
263.  280.  341.  4SI.  509. 

Meridian-Asymmetrie  96. 

Messinstrumente  35. 

Metamorphopsie  71.   272.  289.  304.  309. 

Metastatische  Ophthalmie  555. 

Meterwinkel  571. 

Migräne  150. 


686 


Alphabetisches  Register. 


Mikrophthalmus  355.  396.  634. 

Mikropsie  110.  272.  304. 

Militärdienst.  Vorschriften  zur  Aushebung- 

69.  155.  492.  573.  591.  617.  652.  664. 

Milium  649. 

.Milzbrand  625.  647. 

Miosis  6.  2(12.  356.  528. 

Miotica  19. 

Mouches  volantes  s.  Myiodesopsie. 

Muscarin  19. 

Mydriasis  6.  109.  332.  527.  672. 

Mydriatica  18. 

Myiodesopsie  (Myodesopsie)  70.  317.  372. 

Myopie  41.  68,  Aushebung-  zum  Militär- 
dienst bei  69,  Bestimmung  41.  61, 
ophthalmoskopische  Bestimmung  198. 
200.  210. 213,  Prophylaxe  79,  scheinbare 
113.  116,  Therapie  85,  Operation  86. 

Myotomia  intraocularis  353. 

Nachstar  370.  393. 

Nachtblindheit  s.  Hemeralopie. 

Nahepunkt  47,  binocularer49,  relativer 51. 

Narkose  bei  Augenoperationen  22. 

Nephritis  (Vgl.  "Albuminurie)  153.  277. 
281.  523. 

Nervenfasern,  doppelt  contourirte  235.236. 

Nervus  nasociliaris,  Dehnung  353. 

Nervus  opticus  s.  Opticus. 

Netzhaut  s.  Betina. 

Netzhautbild,  Grösse  des  56.  66. 

Neuralgien  10.  93.  94.  112.  115.  117.  341. 
402.  463.  612. 

Neurasthenie  136.  146.  150. 

Neurectomia  optico-ciliaris  550. 

Neuritis  256,  axialis  257,  descendens  254, 
nach  Blutverlust  154,  optica 256,  optico- 
intraocularis  245,  retrobulbaris  139, 
243.  257. 

Neuro-Ketinitis  246.  254. 

Neurosis  sympathica  540,  traumatica  146. 

Niveaudifferenzen  161,  ophthalmosko- 
pische Diagnose  215,  Berechnung  216. 

Nubecula  492. 

Nuclearlä  1  tmung  585. 

Nyctalopie  149. 

Nystagmus  617. 

Obliteration  des  Thränenkanals  665.  der 

Thränenpunkte  671. 
Occlusio  pupillae  515.  534. 
Oculomotoriuslähmung  584. 
Oedem  der  Lider  417.  440.  553.  647. 

Netzhaut  270.    subcon junctivales    IM». 
Onyx  s.  Unguis  467. 
Ophthalmia  eczematosa  407,  exanthema- 

fcica  429,  gonorrhoica  425,  migratoria 

541,    mihtaris    138,    neonatorum     125, 

sympathica  541. 
<  Iphthalmomalacie  355. 
Ophthalmometer  35. 
Ophthalmoplegie  585. 
Ophthalmoskop  s.  Augenspiegel. 


Ophthalmoskopie  171. 

I  >pticus,  Anämie  243.  Anatomie  217,  Atro- 
phie 259.  Entzündungen  256,  Erkran- 
kungen 24.-;,  Geschwülste  268,  Hyper- 
ämie 243,  ophthalmoskopisches  Bild 
231,  Verletzungen  152.  260.  263. 

Optische  Achse  26,  Einleitung  24. 

Optisches  Centrum  26.  38. 

Optometer  63. 

( )rbicularislähmung  659. 

( »rbita,  Anatomie  619,  Erkrankungen  622, 
Neubildungen  633,   Verletzungen  632. 

Pagenstecher'sche  Salbe  17. 

Pannus  476,  phlyctaenulosus  408.  476, 
trachomatosus  470,  traumaticus  477. 

Panophthalmitis  553. 

Papilla  optica,  Anatomie  219,  atrophische 
Excavation  263,  Erkrankungen  243, 
glaukomatöse  Excavation  264,  ophthal- 
moskopisches Bild  231.  physiologische 
Excavation  233. 

Papillitis  245. 

Paracentese    der   Cornea   466.  4*  <.  525. 

Parallaktische  Verschiebung  215. 

Paralyse,  progressive  263.  528. 

Parotitis  556. 

Pemphigus  448. 

Peridectomie  (Peritomie  der  Cornea)  478. 

Perimeter  120. 

Perineuritis  248.  253.  255. 

Periostitis  der  Orbita  622. 

Perivasculitis  retinae  269.  275. 

Petit'scher  Kanal  314. 

Phakomalacie  =  weicher  Totalstar  361. 

Phakometer  30. 

Phlegmone  der  Orbita  623.  der  Lidhaut  646. 

Phlyktänen  407. 

Phosphene  134. 

Photophobie  409.  429.  459. 

Photopsie  134.  289. 

Phthisis  bulbi  260.  355.  552.  553,  corneae 
(anterior)  484,  essentielle  355. 

Physostigmin  19. 

Pigmentirung  der  Betina  282. 

Pilocarpin  19.  353. 

Pinguecula  454. 

Pneumonie  556. 

Polyopia  monocularis  96. 

Polypen  der  Conjunctiva  454. 

Presbyopie  54.  L06,  frühzeitige  bei  Glau- 
kom 333. 

Prismen  33,  Ueberwindung  571,  thera- 
peut.  615. 

Probebuchstaben  58.  118. 

Progressive  Amaurose  261. 

Protection  570.  576. 

Prothesis  ocuh'  552. 

Pterygium    III. 

Ptosis  356.  656. 

Puerperium  256.  469.   473.  556. 

Pulsirender  Exophthalmus  628. 

Pulverisateur   178.   191. 


Alphabetisches  Register. 


687 


Function   der   ScleiS    bei    Netzhautab- 

Lösung  292. 
Pupillarmembran  "»15. 
Pupillar-Reaction  110. 135.  14a.  527.  528. 

-w  eite  528. 
Pupilloskopie  s.  Retinoskopie. 
Purpura  281. 

Pyämie  280.  556.  623.  624.  625. 
Pyramidenstar  364. 

Baddrehungen  565. 

Reclinatio  cataractae  385. 

Reflexamaurose  152. 

Reflexion,  totale  40. 

Refraction  8.  40.  Augenspiegel  183,  Diffe- 
renz s.  Anisometropie,  Bestimmung  55, 
ophthalmoskopische  Bestimmung  198. 
Schema  43. 

Regenbogenhaut  s.  Iris. 

Reparations-Pannus  470. 

Resorptionsgeschwüre  489. 

Retina,  Ablösung  287,  Anämie  und  Hy- 
perämie 269,  Anästhesie  und  Hyperäs- 
thesie 14»;.  Anatomie  220.  Blutungen 
280,  Oommotio  273.  032,  Embolie 
293,  Epilepsie  294,  Erkrankungen  269, 
Gliom  296,  Ischämie  293.  ophthalmo- 
skopisches Bild  230.  Torpor  148.  284. 
289,  Verletzungen  289. 

Retinitis  albescens  279,  albuminurica  277, 
centralis  (Macula  lutea)  270.  272,  cir- 
cumpapillaris  270.  haemorrhagica  280, 
leukaemica  279,  paralytica  244,  paren- 
chymatosa  (exsudativa)  275,  pigmen- 
tosa 260.282,  proliferans  280,  sünplex 
270.  syphilitica  271. 

Retinoskopie  209. 

Retrobulbäre  Neuritis  243.  257. 

Rheumatische  Affectionen  112.  255.  509. 
523.  53$.  556.  588. 

Richtungsstrahl  29. 

Rothblindheit  127. 

Roth-Grünl  »lindheit  127. 

Rotz  025. 

Rücklagerung   von  Augenmuskeln  005. 

Scaritieationen  423.  070. 

Scharlach  255.  258.  406.  409.  429.  409.  625. 

Sekeiner'scher  Versuch  44. 

Schichtstar  365. 

Schiefe  Beleuchtung  197. 

Schielen  569,  alternirendes  597,  concomi- 
tirendes  591,  convergirendes  570,  diver- 
girendes  570,  Operation  004,  paraly- 
tisches 572,  periodisches  597.  schein- 
bares 71.  92. 

Schielwinkel  570. 

Schieloperation.  Enderfolg  611. 

Sehlemm'scher  Canal  227. 

Schneeblindheit  148. 

Schreibmaterial  und  Schrift  83. 

Schriftproben  (s.  Sehproben)  8. 

Schule  75.  79. 


Schutzbrillen  11. 
Schutzverband  12. 
Schwachsichtigkeit  s.  Amblyopie, 

Schwangerschaft  144.  1-18. 

Schwarze«  Star  s.  Amaurose. 

Schweüungskatarrh"  128. 

Schwindel  bei  Lähmungen  579. 

Sclera,  Anatomie  506,  Erkrankungen  506, 
Geschwülste  511,  Staphylome  509,  Ver- 
letzungen 510. 

Scleralring  231. 

Scleratonyxis  385. 

Sclerectasia  posterior  73.  306. 

Scleritis  506. 

Sclerosirendes  Hornhautinfiltrat  483. 

Sclerotico-chorioiditis  posterior  73.  306. 

Sclerotomie  351. 

Scopolamtn  19. 

Scorbut  281   508. 

Scotome  123.  138.  258. 

Scrophulose  Conjunctivitis  bei  409.  421. 
428.  438.  443,  Keratitis  458.  460.  462. 
469.  481.  486,  Scleritis  509,  Iritis  523, 
Lidentzündung  637.  638,  Periostitis 
623.  637.  638.  608. 

Seborrhoea  marginalis  638. 

Seelenblindheit  145. 

Sehcentrum  145.  146. 

Sehen,  binoculares  161,  körperliches  101. 
677. 

Sehlinie  39. 

Sehnerv  s.  Opticus. 

Sehroth  222.  236. 

Sehschärfe,  centrale  8,  Bestimmung  der- 
selben 55,  66.  118,  excentrische  123, 
periphere  8. 119,  cpialitative  119,  quan- 
titative 119. 

Sehweite,  deutliche  178. 

Semidecussation  139.  217. 

Senile  Katarakt  368. 

Septikämie  (vgl.  Pyämie)  280.  473. 

Siderosis  bulbi  322. 

Simulation  155. 

Simultancontrast  132. 

Skiaskopie  209. 

Snellen'sche  Tafeln  58. 

Sondiren  des   Thränennasencanals   060. 

Sonnenlicht,  Retinitis  durch  directes  272, 
Neuritis  durch  203. 

Sonnenstich  256. 

Spectralfarben  34.  132. 

Sphärische  Gläser  25. 

Staphvloma  corneae  484.  498,  intercalare 
509,  pellucidum  500,  posticum  Scarpae 
73.  306,  sclerae  509. 

Star,  grauer  s.  Cataracta,  grüner  s.  Glau- 
coma,  -Brillen  395,  Reife  362.  375, 
schwarzer  s.  Amaurose. 

Stauungspapille  245. 

Stenopäische  Brillen  34. 

Stereoskop  162,  bei  Simulationen  156, 
bei  Strabismus  603.  611.  615. 

Stickhusten.  Blutungen  bei  450.515.  647. 


688 


Alphabetisches  Register. 


Stokes'sche  Linse  102. 
Strabismus  s.  Schielen. 
Strabometer  575. 
Stricturen  der  Thränenwege  «>or>. 

Subsellien  80. 

Siu-tion  des  Stares  387. 

Sudainina  640. 

Symblepharon  448. 

Sympathische  Augenleiden  540. 

Synclivsis  315,  acintillans  317. 

Syndesmitis  s.  Conjunctivitis. 

Synechie,  hintere  514.  517,  vordere  485. 

Syphilitische  Affectionen  der  Conjunctiva 
454,  des  Lidrandes  640,  Chorioiditis  302, 
des  Glaskörpers  318,  Iritis  521.  523, 
Keratitis  481,  Neuritis  244.  247.  255. 
257.  263,  der  Retina  269.  271.  286, 
Accommodationslähmung  bei  112,  Pu- 
pillenstarre  527,  Amblyopie  bei  136. 
141,  Sehnerven-Atrophie  262,  Scleritis 
509,  der  Augenmuskeln  588,  der  Orbita 
623,  des  Lides  640.  646,  des  Thränen- 
sackes  668. 

Tabes  263.  528.  587. 

Tarsoraphie  629. 

Tarsus  635,  Erkrankungen  646. 

Tätowirung  496. 

Teichoskopie  151. 

Teleangiektasie  der  Lider  649. 

Tenon'sche  Kapsel  561.  609.  621,  Ent- 
zündung 625 

Tenotomie  604 

Tension  7.  332. 

Thränencarunkel  399,  454. 

Thränendrüse,  Anatomie  660,  Erkrankung 
662,  Exstirpation  6(53. 

Thränennasencanal,  Anatomie  660,  Er- 
krankungen 663. 

Thränenorgane  660. 

Thränenröiirchen  661.  663. 

Thränensack,  Anatomie  661,  Blennorrhoe 
168.  665,  Entzündung  664,  Eistel  664, 
Obliteration  671. 

Thrombose  der  Vren.  centr.  retinae  282, 
der  Orbitalvenen  623. 

Tonometer  8.  332. 

Topica,  medicamentöse  16. 

Torpor  retinae  148.  2<s4.  289. 

Toucliiren  der  Conjunctiva  16.  404.  423. 

Trachom  430.  411,  Follikel  412. 

Transplantation  der  Cornea  496. 

Trepanatio  corneae  496.  501. 

Trichiasis  611. 

Trichinose  588.  647. 

Trübungen  des  Glaskörpers  315,  der 
Hornhaut  491. 

Tuberkeln  der  Chorioidea  310,  der  Con- 
junctiva  l.".l.  Glaskörper 319,  Iris  531. 


Tuberculose  310.  319.  451.  523.  531.  539. 

556.  668. 
Tunica  uvea,  Anatomie  der  224. 
Typhus  136.  318.  356.  406.  469.  523.  528. 

539.  556.  624.  641. 

TJebersichtigkeit  =  Hyperopie. 

Ulcus  rodens  corneae  490,  serpens  cor- 
neae 466. 

Uletomie  354. 

Umschläge,  kalte  15.  laue  15. 

Unfall  165,  -Versicherung  674. 

Unguis  467. 

Unterdrückung  von  Netzhautbildern  502. 

Untersuchung-  des  Auges  3. 

Urämische  Amaurose  153.  278. 

Uterinleiden  146.  150.  154.  257.  295.  527. 
(vgl.  auch  Syphilis.) 

Vaccine  450. 

Variola  409.  429.  469.  509.  523.  539.  556. 

Vaseline  17. 

Venenpuls  233. 

Verband,  antiseptischer  12,  feuchter  anti- 
septischer 15.  23. 

Verbrennung  der  Conjunctiva  453,  Cor- 
nea 504. 

Verdunkelung  der  Zimmer  11.  429. 

Verflüssigung  des  Glaskörpers  315. 

Verkalkung  der  Linse  359. 

Verknöcherung  der  Chorioidea  313. 

Verletzung  des-  Augapfels  672.  Ciliar- 
körper  509.  539,  Conjunctiva  453,  Cor- 
nea 502,  Glaskörper  320.  Iris  529, 
Linse  370.  374,  Orbita  602,'Sclera  509, 
durch  Anlegung  der  Geburtszange  286. 

Vornähung  der  Augenmuskeln  608. 


Winkel  a  73. 
Winkel  y  72. 
Wurstvergiftung 

mung  bei  112. 


Accommodationsläli- 


Xanthelom  der  Lider  649. 

Xerophthalmus  447. 

Xerosis  conjunctivae  447.  659. 

Young-Helmholtz'sche  Farbentheorie  126. 

Zahnleiden,  Hinausrücken  des  Nahe- 
punktes bei  1 12. 

Zerreissung  der  Chorioidea  309,  der  Sclera 
510. 

Zerstörung  des  Thränensackes  671. 

Zerstreuungskreise  41. 

Zonula  Zinna  357. 

Zoster  ophthalmicus   112.  403.  646. 


Farbendrucktafeln. 


Figur    1.  Normaler  Augenhintergrund  mit  Macula  lutea.     Die  Papilla 

optica   ist  von  einem  Scleral-  und  Chorioidealring  umgeben. 

Umgekehrtes  Bild. 
Figur    2.  Normaler  Augenhintergrund   von    einem  etwas   dunkler  pig- 

mentirten  Individuum.    Physiologische  Excavation  der  Papille. 

Im  unteren  Theil  der  Abbildung  treten  die  Intervascularräume 

stärker  hervor. 

Figur  3.  Doppelcontourirte  Nervenfasern  neben  der  Papille. 

Figur  4.  Colobom  der  Chorioidea, 

Figur  5.  Atrophia  n.  optici. 

Figur  6.  Netzhautablösung  mit  Faltenbildung. 

Figur  7.  Glaukomatöse  Excavation  der  Papille. 

Figur  8.  Retinitis  albuminurica  mit  den  charakteristischen  Stippchen  in 
der  Gegend  der  Macula  lutea. 

Figur  9.  Staphyloma  posticum.  Die  Farbendifferenz  zwischen  dem  Theil 
der  Sichel,  welcher  der  Papille  näher  sitzt,  und  dem  femer 
gelegenen  deutet  an,  class  der  Process  absatzweise  fortge- 
schritten ist. 

Figur  10.  Chorioiditis.  Der  nach  oben  und  links  laufende  Venenast 
wird  zum  Theil  durch  in  die  Netzhaut  geschwemmtes  Pigment 
gedeckt  (Chorio-Retinitis). 

Figur  11.  Retinitis  apoplectica. 

Figur  12.  Papillitis  bei  Hirntumor. 


Schmidt-Rimpler.    7.  Auflage.  44 


Medicinischer  Verlag 

von 

S.  HIRZEL  in  LEIPZIG 

Die  hier  angezeigten  Bücher  sind   durch  jede  Buchhandlung   oder  auch  direkt 
vom  Verleger,  S.  Hirzel  in  Leipzig,  Königsstrasse  2,  zu  beziehen. 


Handatlas 

der 

Anatomie  des  Menschen 

in  750  theils  farbigen  Abbildungen  mit  Text. 

Mit  Unterstützung 
von  Wilhelm  His,  Professor  der  Anatomie  an  der  Universität  Leipzig 

bearbeitet  von 

Werner  Spalteholz 

a.  o.  Professor  an  der  Universität  Leipzig  nnd  Custos  der  anatomischen  Sammlungen. 

Drei  Bände. 

Dritte  Anflage  (7—10.  Tausend). 

I.  Knochen,  Gelenke,  Bänder.    Preis  geheftet  13  Mark,  gebunden  14  Mark. 
II.  Regionen,  Muskeln,  Fascien,  Herz,  Blutgefässe.  Preis  geh.  13  Mark,  geb.  14  Mark. 
III.    I.  Eingeweide.    Preis  geheftet  8  Mark. 
III.  2.  Gehirn,  Nerven,  Sinnesorgane  (befindet  sich  im  Druck). 

Die  Abbildungen  sind  in  ein-  und  mehrfarbiger  Autotypie  hergestellt,  weil 
dieses  mechanische  Verfahren  die  Originale  in  weit  grösserer  Naturtreue  wieder- 
giebt,  als  es  der  Holzschnitt  vermag. 

Für  die  Namen  im  Text  und  an  den  Abbildungen  ist  durchweg  die  neue  ana- 
tomische Nomenclatur  zu  Grunde  gelegt  worden. 

Als  Ergänzung  des  Handatlas  der  Anatomie  von  W.  Spalteholz  ist  erschienen: 

Handbuch  der  Anatomie  des  Menschen 

mit  einem  Synonymenregister  auf  Grundlage  der  neuen  Baseler 
anatomischen  Nomenclatur. 

Unter  Mitwirkung  von  W.  His  und  W.  Waldeyer 

bearbeitet  von 

W.  Krause 

in  Berlin. 

I.  Abtheilung:  Osteologie,  Syndesmologie,  Myologie. 
=^=    Preis  4  Mark.     == 

Das  Handbuch  enthält  keine  Abbildungen,  sondern  ist  als  Text  zu  dem  Atlas 
gedacht,  auf  dessen  Figuren  es  am  Rande  der  Druckseiten  verweist. 

Beide  Werke  vereinigen  sich  somit  zu  einem  ausführlichen  Handbuch  der 
Anatomie  mit  mustergiltigen  farbigen  Abbildungen. 


Lehrbuch 

der 

Physiologie  des  Menschen 

von 

Dr.  Robert  Tigerstedt 

Professor  der  Physiologie  an  der  Universität  Helsingfors. 

Zwei  Bände. 

Mit  328  teilweise  farbigen  Abbildungen  im  Text. 

Preis  geheftet  24  Mark,  gebunden  28  Mark. 

Die  Abgrenzung  des  physiologischen  Lehrstoffes  ist  eine  schwierige.  Im  vor- 
liegenden Falle  kann  nicht  bloss  diese  Aufgabe  als  gelungen  angesehen  werden, 
sondern  die  Auswahl  der  medicinisch  und  biologisch  wichtigsten  Capitel  ist  ausser- 
dem so  sorgfältig  geschehen,  dass  sie  fast  allgemeines  Interesse  beanspruchen  können: 
ein  Umstand,  der  für  das  Lehrbuch  um  so  höher  in  Anschlag  kommt,  da  der  junge 
Mediciner  gar  oft  den  Lehrstoff  der  Physiologie  als  lästigen  Prüfungsballast  be- 
trachtet, uneingedenk  der  grossen  Wichtigkeit  desselben  für  das  praktische  Können. 
Dazu  kommt  noch  die  leichtfassliche  Dai'stellung  selbst  schwieriger  Capitel  (Ohr, 
Raumvorstellung,  Zelle) ,  die  fliessende  Diction  und  die  lobenswerte  Uebersichtlich- 
keit,  da  die  wichtigsten  physiologischen  Lehrsätze  in  gesperrtem  Drucke  gegeben 
sind.  —  Das  Lehrbuch  zerfällt  in  zwei  Teile.  Im  ersten  Band  kommen,  nach  kurzer 
Besprechung  der  gebräuchlichsten  physiologischen  Methoden,  der  Eigenschaften, 
Lebensbedingungen  und  Lebenserscheinungen  der  Organismen  und  der  Einwirkungen 
der  äusseren  Einflüsse  auf  dieselben,  die  grossen  Capitel  Ernährung,  Verdauung, 
Blut  und  Athmung  zur  Sprache.  Mit  den  drüsigen  Organen,  Abbau  des  Körpers, 
Ausscheidungen,  Körpertemperatur  schliesst  der  erste  Band.  Der  zweite  Band  ent- 
hält die  Physiologie  der  Muskeln,  der  Sinne,  des  Nervensystems,  der  Zeugung  und 
Entwicklung.     Die  zahlreichen  Illustrationen  unterstützen  das  leichte  Verständnis. 


Angeio  Mosso 

o.  Professor  der  Physiologie  an  der  Universität  Turin. 


Die  Furcht. 

Aus    dem    Italienischen    übersetzt 
von  W.  Finger. 

Deutsche  Originalausgabe.     Mit  7  Holz- 
schnitten u.  2  Tafeln.  Preis  geheftet  5  Mk. 


Die  Ermüdung. 

Aus    dem    Italienischen    übersetzt 
von  J.  Glinzer. 

Deutsche  Originalausgabe.    Mit  30  Holz- 
schnitten.    Preis  geheftet  6  Mark. 


J.    Gad    und    J.    F.    HeVITianS,    Kurzes  Lehrbuch  der  Physiologie 
£ 1     des   Menschen.     Mit  62  Abbildungen  in 

Holzschnitt  und   einer  lithograph.   Tafel.     1S92.     Geheftet  10  Mark,  gebunden 

11  Mk.  40  Pf. 

Carl    Llldwid      ^*e   Physiologischen   Leistungen   des   Blutdrucks. 

**_'     Mk.  — .50.   —   Die  wissenschaftliche   Thätigkeit  in 

den  physiologischen  Instituten.    Mk.  —.50. 

Carl  Ludwig  und  F.  Schweigger-Seidel,  ?ie  i^mphgeßsse 

r 2E :    der     Fascien     und 

Sehnen.     Mit  3  Tafeln.     Folio.    Mk.  8.—. 


Die  Krankheiten  der  Frauen 

für  Aerzte  und  Studierende 

dargestellt  von 

Dr.  med.  Heinrich  Fritsch 

Professor  der  Gynäkologie  und  Geburtshülfe,   Geh.  Medicinalrath  und  Director 
der  Königlichen  Frauenklinik  an  der  Universität  zu  Bonn. 

Neunte,  völlig  umgearbeitete  Auflage. 

Mit  271  Abbildungen  in  Holzschnitt. 
Preis  geheftet  13  Mark  60  Pf.,  gebunden  15  Mark. 

Heinrich     FritSCh       Tabulae   gynaecologicae.     Gynäkologische  Wand- 
'      tafeln  zum    Unterricht.     20  Tafeln  von  90:110  cm,  mit 
Text  in  deutscher,  französischer  und  englischer  Sprache.    1885.    Preis  CO  Mark. 
(Probetafel  gratis  und  franco.) 

Aus  der  Breslauer  Frauenklinik.    Bericht  über  die  gynäkologischen 
Operationen  des  Jahrgangs  1891/92.    Mit  13  Abbildgn.  in  Holzschn.  6  Mk. 

Lehrbuch  der  Gynäkologischen  Diagnostik 

von 

Dr.  Georg  Winter 

o.  ö.  Professor  der  Gynäkologie,  Medicinalrath  und  Director  der  Kgl.  Universitäts-Frauenkliuik 

zu  Königsberg. 

Unter  Mitarbeit  von 

Prof.  Dr.  Carl  Rüge  in  Berlin. 

Mit  20  Tafeln  und  140  Textabbildungen. 

Zweite  Auflage. 

Preis  geheftet  14  Mark,  gebunden  16  Mark. 

Aus  dem  Vorwort:  Ich  fühle  mich  zu  der  Bearbeitung  der  gynäkologischen  Diagnostik  dadurch 
veranlasst,  dass  ich  seit  acht  Jahren  dieses  Gebiet  lehre ;  dabei  habe  ich  mich  eingehend  mit  der 
Verfeinerung  derselben  beschäftigt  und  meine  Ansichten  in  eine  Form  gebracht,  deren  didaktische 
Brauchbarkeit  ich  vielfach  erprobt  habe.  Den  Wünschen  des  praktischen  Arztes  bin  ich  dadurch 
entgegengekommen,  dass  ich  allen  diagnostischen  Punkten,  welche  ich  in  dem  langjährigen  engen 
Verkehr  mit  meinen  ärztlichen  Zuhörern  als  wichtig  erkannt  habe,  eine  besondere  Berücksichtigung 
schenkte.  Auf  diese  Weise  habe  ich  mein  Lehrbuch  im  unmittelbaren  Anschluss  an  den  Unter- 
richt geschrieben  und  hoffe,  mit  demselben  dem  Lernenden  und  dem  praktisch  thätigen  Arzte  zu- 
gleich nützen  zu  können. 

Pathologische  Anatomie 

der 

weiblichen   Sexualorgane 

von 

Dr.  C.  Gebhard 

a.  o.  Professor  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie  an  der  Universität  zu  Berlin. 

Mit  200  zum  Teil  farbigen  Abbildungen. 

Preis  geheftet  18  Mark,  gebunden  20  Mark. 


Uterus  und  Kind 

von  der  ersten  Woche  der  Schwangerschaft  bis  zum  Beginn 
der  Geburt  und  der  Aufbau  der  Placenta. 


Geburtshülflich  -  anatomischer  Atlas 

30  Tafeln  enthaltend, 
mit  erläuterndem  Text  und  5  Texttafeln. 

Herausgegeben 

von 

Professor  Dr.  G.  Leopold 

Geheimen  Medicinalrath,  Director  der  kgl.  Frauenklinik  und  ordentlichem  Mitgled 
des  kgl.  Landes -Medicinal-Collegium  in  Dresden. 


Preis  für  Atlas  mit  Text  120  Mark. 


OPERATIONES  TOKOLOGICAE 

TABULAE  XXX 

IN  USUM 

STUDIOSORUM   MEDICINAE 

QUI  IN  OPERATIONIBUS  PERPETRANDIS  PHANTOMATE 
ADHIBITO  EXERCENTUB 

EDITAE 

A 

PAULO  ZWEIFEL 

AliTIS  OUSTETRICIAE  ET  GYNAKKOUXlIAK  l'KOFKKKORE  PUBLICO  OKDINARIO  LIPSIENSI. 


Preis  36  Mark. 

4 


Die 

Pathologie  der  weiblichen  Sexualorpie 

in  Lichtdruck  -  Abbildungen 

nach  der  Natur  in  Originalgrösse  durch  anatomische  und  klinische  Erfahrungen 

erläutert  von 

F.  von  Winckel 

K.  ß.  Geheimem  Eatb,  Professor  der  Gynäkologie,  Director  der  Kgl.  Universitäts-Frauenklinik, 
Mitglied  des  Medicinal-Oomites  der  Universität  und  des  K.  Obermedicinalausschusses  in  München. 


Mit  49  Tafeln  und  5  Holzschnitten. 
Preis  gebunden  70  Mark. 


Lehrbuch 


der 


Frauenkrankheiten 


von 


Dr.  F.  von  Winckel. 

Mit  206  Holzschnitten.      Zweite  umgearbeitete  Auflage. 


Preis  geheftet  16  Mark,  gebunden  18  Mark  50  Pf. 


WinrllPl      F     V       Berichte  und  Studien  ans  dem  königl.  sächsischen  Ent- 
"'    bindungs-Institute  in  Dresden.  3  Bände.   34  Mark  40  Pf. 

1.  Band:    Mit    11    Holzschnitten    und    4    lithographirten    Tafeln.     1874. 

10  Mark  40  Pf. 

2.  Band:    über  die  Jahre  1874  und  1875.     1876.  10  Mark. 

3.  Band:    über  die  Jahre  1876,  1877  und  1878.    Mit  10  lithographirten 

Tafeln.     1879.  14  Mark. 

Arbeiten  aus  der  königl.  Frauenklinik  in  Dresden,     gr.  8. 

I.  Band:  1.  Die  königliche  Frauenklinik  in  Dresden  1884—1891,  nament- 
lich als  Unterrichtsanstalt  für  Aerzte.  2.  Die  geburtshilflichen 
Operationen  bei  engem  Becken:  Künstliche  Frühgehurt,  Wendung  und 
Extraction,  Perforation,  Sectio  caesarea  und  Symphyseotomie.  Von 
G.  Leopold.    Mit  10  Abbildungen  und  1  Curventafel.  1893.    15  Mark. 

II.  Band:  Geburtshülfe  und  Gynäkologie  von  G.  Leopold.  Mit  2  litho- 
graphischen   Tafeln,    12    Curventafeln    und    37    Abbildungen.     1895. 

24  Mark. 

Universitäts- Frauenklinik,  "''f'*'  "T-lT  tfÄ 

7  1884  — 1890.       Berichte     und    Studien. 
Herausgegeben  von  F.  v.  Winckel.     1892.  16  Mark. 


Lehrbuch 

der 

Kinderkrankheiten 

für  Aerzte  und  Studirende 

von 

Dr.  Adolf  Baginsky 

a.  0.  Professor  der  Kinderheilkunde  an  der  Universität  Berlin,  Director  des  Kaiser-  und 
Kaiserin  Friedrich-Kinderkrankenhauses. 

Sechste  vielfach  vermehrte  und  verbesserte  Auflage. 

=  Preis  geheftet  20  Mark,  gebunden  21  Mark  80  Pf.  = 


Diese  ti.  Auflage  des  Lehrbuches  der  Kinderkrankheiten  erscheint  nach  einer  erneuten, 
eingehenden  und  sorgsamen  Durcharbeitung  des  ganzen  Werkes.  Ist  auch  an  der  erprobten, 
und  durch  die  bisherige  günstige  Aufnahme,  von  der  medicinischen  Welt  gebilligten  Anlage  und 
Anordnung,  eine  wesentliche  Aenderung  nicht  getroffen  worden ,  so  ist  doch  kaum  ein  einziger 
Abschnitt  vorhanden,  welchem  nicht  bis  zu  einem  gewissen  Grade  Verbesserung  und  Bereicherung 
zu  Theil  geworden  ist. 

Aetiologie,  Prophylaxis  und  Therapie 

der 

Rhachitis 

von 

Dr.  Paul  Zweifel 

K.  S.  Geh.  Medicinalrath,  ord.  Professor  der  Geburtshülfe  und  Gynäkologie  an  der  Universität 

in  Leipzig. 

Preis  geheftet  6  Mark. 

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©etjetinet  !Hatb,  ^rofcfjov  bcr  ©intiitotogic,  ©ircctor  bcr  SUnigtidjen  ttni»eifitfit§=3ftnuenttfnil, 
SJlitglicb  be§  3Jcebtcinat=Eomite3  bcr  Umbcrfttät  unb  be»  ffi.  DbermebicinalauSföuffeS  in  3ttündjcu. 

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SHuö  beut  si?üVtuovt  Des  frernuöflcbcrö:  3^cr  Sliifforbcnuig  be8  SBerlegerS,  „"Sic  erfien  SWuttetbftidjten" 
bor  einer  neuen  Stuflage  511  reinbtreu,  ift  ber  Herausgeber  gern  nacfjgcfommcn;  öon  Wmmoit'S  SBcrf  cnt= 
bau  eine  f^üllc  wichtiger  (5rfafjrung5iäi.\c  unb  trefflitfjcr  SRatrjfdjtfigc,  bic  fcU»f*  &*r  ^*?t  oft  cvft  am 
iUnnuenlu-tt  ber  eigenen  ffiinbcr  fcuitcu  unb  fdjaöen  lernt. 

2)a8  ®ud)  wirb  mand)cr  jungen  Mutter  Söcrinjiguitg  unb  $alt  gcwärjvcn ,  uidjt  weit  fic  in  bcmfctucii 
Vlntafe  finbct,  ftdj  mit  ärjtltdjcn  fingen  ju  befcfjäftigcn ,  bereit  Seetüre  ÜJt  bcit  ©tauben  beibringen  tonnte, 
al<>  nerftetje  jic  mandjcS  Don  bcr  orjtltdjen  fiuntr,  foiiberu  weit  Don  9immon'§  2Bcrt  immer  jut  eigenen  unb 
jur  Söeobadjtung  2lnberer  brängt  unb  bic  ©renjen  be§  eigenen  SBiffenB  für  fief)  unb  Slnbcrc  [0  fdjöti  barftettt, 
baß  ber  CrntfctjtuB,  ftd)  an  bcS  ÜtttteS  Cülfc  ju  wenben,  ntdjt  metjr  nl§  uttaugenefime  Scotljwcnbigfeit,  foubetn 
nt§  ein  fcttiftl'erftänblidjer,  natürlidjcr  SDJnnfdj  crfdjcint. 


Bottini    H.    ^'e  Chirurgie  des  Halses.     Eine  klinische  Studio.     Deutsche  Ueber- 
"'  setzung  von  S,  Arkel.     Mit  52  Abbildungen,    gr. 


Fkrhpr    H     specielle  Chirurgie  für  Aerzte  und  Studirende.    Mit  J!)0  Abbildungen 
■ouiici,  ii..  jn  Hokschnitt-  gr   g.    iö92.     Preis  geheftet  M.  20.— ,  g 

LellllltlUn-NitSChe    R.     Beträge  zur  historischen  Chirurgie   nach  Funden  aus 
'    deutscher  Vorzeit.    Mit  einer  Tafel,    gr.  8. 


ungen.    gr.  8.     1898.    M.  8.— 

Abbildungen 
eb.  M.  21.S0. 

Fanden  aus 
L898.  M.  1.— 


Handbuch  der  Ohrenheilkunde 

Für  Aerzte  und  Studirende 

von 

Dr.  Wilhelm  Kirchner 

Professor  der  Ohrenheilkunde  und  Vorstand  der  otiatrischen  Universitäts-Poliklinik  in  Würzburg. 

Sechste  Auflage.     Mit  44  Abbildungen  in  Holzschnitt. 

Preis  geheftet  M.  4.80,  gebunden  M.  0.— . 

Das  vorliegende  Handbuch,  welches  eine  kurze  Zusammenfassung  der  Erkrankungen  des 
Gehororganes  bieten  soll,  wurde  in  der  Absicht  und  mit  dem  Wunsche  bearbeitet,  den  Studirenden 
und  praktischen  Aerzten  eine  Anleitung  zu  geben,  in  vorkommenden  Fällen  diese  Leiden  richtig 
zu  erkennen  und,  soweit  dies  möglich,  auch  mit  Erfolg  zu  behandeln.  Es  ist  daher  in  der  Aus- 
wahl und  Anordnung  des  Stoffes  hauptsächlich  auf  die  Bedürfnisse  des  praktischen 
Arztes  Rücksicht,  genommen,  weshalb  manche  Kapitel,  die  in  anderen  Lehrbüchern  der  Ohren- 
heilkunde eingehender  beschrieben  sind,  namentlich  anatomische  und  physiologische  Schilderungen, 
hier  nur  auf  das  Notwendigste  beschränkt  sind. 

Schemata  zum  Einzeichnen  ophthalmologischer  Krankheitsbefunde 

von 

Dr.  med.  Otto  Lange. 

Preis  M.  1.80  (oder  in  vier  einzelnen  Couverts  ä  M.  —  50). 
Von  demselben  Verfasser  erschien  früher: 

Topographische  Anatomie  des  menschlichen  Orbitalinhalts  in  Tafeln. 

Preis  M.  10.—. 

Augenheilkunde  und  Ophthalmoskopie 

Für   Aerzte    und    Studirende 

bearbeitet  von 

Dr.  H.  Schmidt-Rimpler 

ord.  Prof.  der  Augenheilkunde,  Geh.  Medicinalrath  u.  Director  der  ophtalmiatrischen  Klinik  zu  Halle. 

7.  verbesserte  Auflage  (1901). 

Mit  190  Abbildungen  im  Text  und  2  Farbentafeln. 
Preis  geheftet  M.  12. — ,  gebunden  M.  14. — . 

Das  Buch  verfolgt  in  erster  Linie  didaktische  Zwecke;  es  bietet  die  moderne  Augen- 
heilkunde in  einer  Form,  welche  die  Aneignung  ihres  stofflichen  Inhalts  erleichtert.  Dies  wird 
ermöglicht  durch  die  scharfe,  auch  äusserlich  hervortretende  Trennung  der  einzelnen  Abtheilungen 
und  Cnterabtheilungen,  sowie  durch  die  allmählich  fortschreitende  möglichst  wenig  voraussetzende 
Darstellung.  Ebenso  hat  der  Verfasser  die  Aufnahme  der  zur  Erkennung  der  itefractions-  und 
Accommodations-Anomalien  erforderlichen  mathematischen  Vorkenntnisse  durch  Einschränkung 
auf  ein  möglichst  geringes  Maass  und  durch  fassliche  Vorführung  besonders  erleichtert.  Speciell 
ist  bei  diesem  Abschnitt  noch  auf  die  Bedürfnisse  der  Militärärzte  nnd  Hygieniker  Rück- 
sicht genommen.  —  Der  Ophthalmoskopie  ist  eine  eingehendere  Schilderung  gewidmet  und 
das  Dahingehörige  auch  local  zusammengestellt,  um  den  Studirenden  einen  einigermaassen  ab- 
geschlossenen Leitfaden  zur  Benutzung  bei  ophthalmoskopischen  Kursen  innerhalb  des  Rahmens 
der  Gesammt-Augenheilkunde  zu  bieten.  —  Die  Allgemeinleiden,  soweit  sie  in  Beziehung  zu 
Augenaffectionen  stehen,  sind  in  dem  alphabetischen  Sachregister  aufgeführt,  und  damit  ist  ein 
besonderes  Kapitel  über  diese  Beziehungen,  das  viele  Wiederholungen  würde  enthalten  müssen, 
entbehrlich  geworden.  —  Die  zwölf  am  Schlüsse  des  Buches  auf  zwei  Tafeln  zusammengestellten 
ophthalmoskopischen  Bilder  können  wohl  den  bestgelungenen  farbigen  Darstellungen  dieser  Art 
zugerechnet  werden. 

Schliesslich  bedarf  es  kaum  besonderer  Erwähnung,  .dass  der  Verfasser  dem  Fortgänge 
seiner  Wissenschaft  sorgfältigst  auf  Schritt  und  Tritt  gefolgt  ist  und  demnach  in  dieser  siebenten 
Auflage  seines  Lehrbuches  ein  Werk  bietet,  das  ganz  und  gar  auf  der  Höhe  der  Zeit  steht. 


SCHMIDTS  JAHRBÜCHER 

DER 

IN-  USD  AUSLÄNDISCHEN 

GESAMMTEN  MEDICIN. 

Herausgegeben  von 

P  J.  Möbius  und  H.  Dippe 

in  Leipzig. 

68.  Jahrgang. 

gr.  Quart.    12  Hefte  ca.  180  Druckbogen.     Preis  36  Mark. 
Inhalt  der  einzelnen  Hefte: 


A.  Originalabhandlungen  und  Übersichten. 

B.  Auszüge. 

Medicinische  Physik,  Chemie  und  Botanik. 

Anatomie  und  Physiologie. 

Allgemeine  Pathologie  und  pathologische 

Anatomie. 
Pharmakologie  und  Toxikologie. 
Neuropathologie  und  Psychiatrie. 

C.  Bücheranzeigen. 

D.  Medicinisehe  Bibliographie  des   In-    und   Auslandes.      Sach-    und 

Namensregister. 


Innere  Medicin. 

Gehurtshülfe ,    Frauen-    und    Kinderheil- 
kunde. 
Chirurgie,  Augen-  und  Ohrenheilkunde. 
Hygiene  und  Staatsarzneikunde. 
Medicin  im  Allgemeinen. 


Nie  war  es  schwieriger  für  den  Arzt,  der  Ent Wickelung  seiner  Wissen- 
schaft zu  folgen,  als  jetzt.  Unübersehbar  gross  ist  die  Literatur  und,  was 
Goethe  voraussah,  haben  wir  thatsächlich  für  die  Medicin:  eine  Weltliteratur, 
denn  in  allen  gebildeten  Völkern  wird  auf  gleicher  Grundlage  gearbeitet  und 
keine  Sprachgrenzen  trennen  die  Arbeiter.  Der  Einzelne  steht  dieser  Fülle 
hülflos  gegenüber  und  ist  in  Gefahr,  entweder  dem  wissenschaftlichen  Leben 
und  Wachsen  ganz  fremd  zu  werden,  oder  doch  sich  in  einem  engen  Kreise, 
irgend  einem  Sonderfache  eingeschlossen  zu  sehen.  Dieser  Gefahr  beugen 
unsere  Jahrbücher  vor,  denn  „Schmidfs  Jahrbücher  der  in-  und  ausländischen 


gesammten  Medicin"  enthalten  ein  so  vollständiges  Bild  der  medicinischen 
Literatur,  wie  es  nirgends  sonst  zu  finden  ist.  Sie  bringen  so  rasch  und  so 
ausführlich  wie  möglich  Nachricht  von  allen  wichtigen  Fortschritten  und 
suchen  in  erster  Linie  den  Bedürfnissen  des  Arztes  zu  entsprechen,  indem  sie  das 
praktisch  Wichtige  voranstellen.  Besonders  geschätzt  sind  seit  lange  die 
regelmässig  wiederkehrenden  Uebersichten  über  hervorragend  wichtige  und 
..actuelle"  Themata.  Die  Bibliographie  der  Jahrbücher,  welche  von  keiner 
anderen  an  Vollständigkeit  und  Uebersichtlichkeit  erreicht  wird,  ist  auch  durch 
ihre  „Verweise"  ausserordentlich  praktisch,  so  dass  der  wissenschaftliche 
Arbeiter  rasch  die  gesuchten  Nachweise  finden  kann. 

Die  Jahrbücher  werden  in  Zukunft  bestrebt  sein,  ihre  alten  Vorzüge  zu 
bewahren  und  neue  zu  gewinnen.  Insbesondere  ist  beabsichtigt,  durch  kurze, 
regelmässig  wiederkehrende  Aufsätze  aus  der  Feder  hervorragender  Gelehrter 
die  Uebersicht  über  alle  praktischen  Fächer  zu  erleichtern.  So  soll  über  jedes 
Hauptgebiet  der  Medicin  auf  die  einzelnen  Hefte  vertheilt  jährlich  je  ein  Be- 
richt erscheinen,  der  einen  Ueberblick  über  die  Fortschritte,  die  neuen  Er- 
gebnisse und  die  wichtigsten  Erscheinungen  des  vergangenen  Jahres  bietet. 
Die  Bearbeitung  derartiger  Uebersichten  zu  übernehmen  haben  sich  zu- 
nächst bereit  erklärt  die  Herren: 

Geh.  Med.-Rath  Prof.  Dr.  H.  Fritsch  (Bonn):   Gynäkologie  u.  Geburtshülfe, 
Geh.  Med.-Eath  Prof.  Dr.  H.  Helferich  (Kiel):  Chirurgie, 
Geh.-Rath  Prof.  Dr.  0.  Heubner  (Berlin):  Kinderkrankheiten, 
Prof.  Dr.  G.  Riehl  (Leipzig):  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten, 
Geh.  Med.-Rath  Prof.  Dr.  H.  Schmidt- Rimpler  (Halle):  Augenheilkunde. 
Geh.  Med.-Rath  Prof.  Dr.  H.  Senator  (Berlin):  Innere  Krankheiten, 
Prof.  Dr.  W.  Spalteholz  (Leipzig):  Anatomie, 
Prof.  Dr.  R.  Tigerstedt  (Helsingfors):  Physiologie. 

Auch  sollen  noch  mehr  als  bisher  eigentliche  Originalarbeiten,  soweit 
diese  auf  allgemeine  ärztliche  Theilnahme  rechnen  können,  gebracht  werden. 
Auf  diese  Weise  hoffen  wir,  zu  den  alten  Freunden  neue  hinzu  erwerben  zu 
können  und  den  seit  beinahe  siebzig  Jahren  bewährten  Ruf  der  Jahrbücher 
im  In-  und  Auslande  zu  bewahren. 

Die  Herausgeber  Der  Verleger 

P.  J.  Möbius.    H.  Dippe.  S.  Hirzel. 


KueSSner,   B.,  und   R.   Pott,    Die  acuten  «nfectionskrankheiten.    gr.  S^  1882. 

Wpcpiipi*    F      Lehrbuch   der  chemischen  Untersuchungsmethoden  zur  Diagnostik 
«Ubeiiei,   r.,    innerer  Krankheiten.    Mit  28  Abbildungen  in  Holzschnitt,    gr.  8. 
1890.  geb.  Mk.  6.—,  gbdn.  Mk.  7.20. 

Qipnlp    P      Die  Behandlung  der  Hals-  und  Lungenieiden  mit  Inhalationen.   3.,  stark 
Oieyie.    c,    vemehl.te  Auflage,     gr.  8.     1809.  Mk.  4.— 


Lehrbuch 


der 


Klinischen  Untersuchungsmethoden 

innerer  Krankheiten 

von 

Dr.  Hermann  Eichhorst 

o.  ö.  Professor  der  spec.  Pathologie  u.  Therapie  u.  Director  der  medicinischen  Universitätsklinik 

in  Zürich. 

Vierte  umgearbeitete  Auflage. 

rz=    Mit  281  Abbildungen  in  Holzschnitt.    =n 
Preis  geheftet  20  Mark,  gebunden  21  Mark  80  Pf. 


Inhalt:  Constitution  des  Kranken.  Lage  des  Kranken.  Gesichtsausdruck  des 
Kranken.  Bewusstsein  des  Kranken.  Untersuchung  der  Körpertemperatur.  Unter- 
suchung des  Pulses.  Untersuchung  der  Haut.  Untersuchung  der  Respirationsorgane. 
Untersuchung  des  Circulationsapparates.  Untersuchung  des  Verdauungsapparates.  Unter- 
suchung des  Harn-  und  Geschlechtsapparates.   Untersuchung  der  Nerven  und  Muskeln. 

Der  Inhalt  der  vorliegenden  vierten  Auflage  ist  im  Vergleiche  zu  ihren  Vorgänge- 
rinnen ein  umfangreicherer  geworden,  denn  während  früher  nur  die  physikalischen 
Untersuchungsmethoden  besprochen  wurden,  sind  diesmal  alle  solche  klinischen 
Untersuchungsmethoden  dargestellt,  welche  für  die  Erkennung  von  inneren  Krank- 
heiten von  Wichtigkeit  sind. 

Gedanken  und  Gespräche 

aus 

Schweninger's  Aerzteschule. 

Erstes  Heft:  Magen  und  Magengymnastik. 

Preis  geheftet  I  Mark  50  Pf. 

FÜrbriliper    P.     Die  'nneren  Krankheiten  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane,  für 

2 1 L'    Aerzte  und  Studirende.     2.  umgearbeitete  und  vermehrte  Auf- 
lage.    Mit  18  Abbildungen  in  Holzschnitt,     gr.  8.     1890. 

geh.  Mk.  12.—,  gebdn.  Mk.  13.60. 

Hebra.     H     V      Dil'  krankhaftei1  Veränderungen  der  Haut  und  ihrer  Anhangsgebilde, 

1 '. — 12   mit  ihren  Beziehungen  zu  den  Krankheiten  des  Gesamtorganismus 

dargestellt.     Mit  35  Abbildungen  in  Holzschnitt,     gr.  8.     1884. 

geh.  Mk.  12.—,  gebdn.  Mk.  13.00. 

Knnn    C      Lehrbuch  der  venerischen  Erkrankungen,  für  Aerzte  und  Studirende. 
HH'        '    Mit  25  Abbildungen  in  Holzschnitt,     gr.  8.     1889. 

geh.  Mk.  12.—,  gebdn.  Mk.  13.00. 

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