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Full text of "Chirurgische Operationslehre"

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FROM       7»       V» 
PAUL  B.   HOEBER 

Medical  Books 
230  E.  50th  St.,  N.  Y. 


Boston 

Medical  Library 

8  The  Fenway 


CHIRURGISCHE 

OPERATIONSLEHRE 


VON 


DR.  TH.  KOCHER 

PROFESSOR  AN  DER  UNIVERSITÄT  UND  DIRECTOR  DER  CHIRURGISCHEN 
KLINIK  DER   UNIVERSITÄT  BERN 


MIT  1  TAFEL  UND  255  ABBILDUNGEN  IM  TEXTE 


VIERTE   VIELFACH   UMGEARBEITETE   AUFLAGE 


JENA 

VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER 
1902. 


Ueberset  zu  ngsrecht   vorbehalten. 


£3.<k*.rd> 


Vorrede  zur  zweiten  Auflage. 


Indem  wir  für  die  zahlreichen  sehr  wohlwollenden,  aber  ebenso 
für  die  kritischer  gehaltenen  Besprechungen  der  ersten  Auflage  unseren 
Dank  aussprechen,  glauben  wir  namentlich  noch  einmal  hervorheben 
zu  sollen,  dass  wir  mit  vollem  Bewusstsein  unsere  Operationslehre  so 
geschrieben  haben,  dass  sie  nicht  nur  für  den  Unterricht  passt,  sondern 
auch  dem  praktischen  Arzte  und  Chirurgen  auf  Grund  vielfältiger  Er- 
fahrung eine  sichere  Handhabe  für  Operationen  am  Lebenden  bietet. 
Es  mag  sein,  dass  das  Buch  dadurch  eine  gewisse  Einbusse  für  die 
didaktische  Uebersichtlichkeit  erleidet.  Aber  wir  sind  der  Meinung,  dass 
der  Student  Alles  so  lernen  soll,  wie  er  es  später  in  der  Praxis  braucht. 

Wir  schildern  deshalb  die  Methode  der  Freilegung  zum  Theil 
wenig  wichtiger  Nerven  und  unbedeutender  Arterien,  weil  dieselben 
in  Schnittrichtungen  hineinfallen,  welche  wegen  häufiger  Erkrankungen 
besonders  oft  benutzt  werden  müssen.  Diese  Schnittrichtungen  sind 
es  vorzüglich,  welche  wir  in  dem  Uebersichtsbild  der  Normalschnitte 
mit  eigenen  Namen  aufgeführt  haben.  Wenn  man  sieht,  wie  schwere 
Folgen  für  die  Function  häufig  von  unkundiger  und  ungeübter  Hand 
ausgeführte  Incisionen  haben,  so  scheint  es  nicht  überflüssig,  für  jede 
Stelle  am  Körper  bestimmte  Regeln  aufzustellen.  Denn  dass  die 
Chirurgie  viel  mehr  als  früher,  nämlich  seit  die  Antisepsis  einen  guten 
Theil  technischer  Fehler  zudeckt,  Gemeingut  der  Aerzte  geworden 
ist,  ist  bekannt.  Es  kann  aber  auch  eine  Zeit  kommen,  wo  über 
technische  Fehler  schärfer  geurtheilt  wird  als  jetzt.  Wir  haben  des- 
halb für  die  wichtigsten  Operationen  bloss  diejenige  Technik  erwähnt, 
über  welche  wir  selber  zuverlässige  eigene  Erfahrungen  besitzen, 
und  ein  Theil  der  Beschreibungen  ist  während  der  Ausführung  der 
Operation  am  Lebenden  einem  stenographirenden  Assistenten  dictirt 
worden. 


IV  Vorrede  zur  zweiten  Auflage. 

Deshalb  ist  das  praktisch  Unbrauchbare  nirgends  erwähnt,  weil 
die  Operationslehre  eine  Vorbereitung  auf  dasjenige  Examen  sein 
soll,  welches  der  Arzt  tagtäglich  in  seinem  Beruf  zu  bestehen  hat. 
Nochmals  müssen  wir  uns  bei  unseren  Specialcollegen  entschuldigen, 
dass  wir  nicht  dazu  gekommen  sind,  durch  eingehendes  Literatur- 
studium den  Arbeiten  anderer  Autoren  gerecht  zu  werden,  weil  die 
vollkommene  Umarbeitung  namentlich  der  Zeichnungen,  welche 
sämmtlich  nach  Operationen  am  Cadaver,  zum  Theil  an  Lebenden, 
neu  entworfen  worden  sind,  die  Zeit  völlig  in  Anspruch  nahm.  Wenn 
eine  neue  Auflage  nöthig  sein  sollte,  so  soll  diese  Lücke  ausgefüllt 
werden.  Vorläufig  verweisen  wir  auf  die  neuesten  der  vielen  vor- 
züglichen Compendien  von  v.  Heineke,  v.  Bergmann,  Rotter, 
F.  Treves,  Faraboeuf,  und  speciell  das  trefflich  illustrirte  Werk 
von  Esmarch  und  Kowalzig,  wo  ausführliche  vergleichende  Be- 
schreibungen der  Operationstypen  gegeben  sind. 

Die  Zeichnungen  sind  zum  Theil  von  dem  früheren  Zeichner, 
Herrn  Kiener,  Zeichnungslehrer  in  St.  Imier,  zum  Theil  von  Herrn 
Wesser  in  Jena  mit  grossem  Geschick  entworfen  und  von  dem 
tüchtigen  Holzschneider  des  Herrn  G.  Fischer  in  Holz  ausgeführt 
worden.  Unser  früherer  i.  Assistenzarzt  Dr.  Lardy,  jetzt  Chefchirurg 
des  französischen  Spitals  in  Constantinopel,  hat  die  Tafel  der  Normal- 
schnitte anzulegen  die  Güte  gehabt,  die  seither  einige  Ergänzungen 
erfahren  hat.  Bei  den  Versuchen  über  Hirnschädel-Topographie  ist 
mir  hauptsächlich  Dr.  Lanz,  bei  der  Ausführung  der  Operationen 
für  die  Zeichnungen  ausser  ihm  die  Herren  Dr.  Dumont,  Flach, 
de  Quervain,  Mosimann,  Arnd  u.  A.  behülflich  gewesen. 

Zu  Datik  verpflichtet  bin  ich  dem  Herrn  Verleger,  dass  er  keine 
Opfer  gescheut  hat,  um  die  Ausstattung  der  2.  Auflage  zu  vervoll- 
kommnen. 


Vorrede  zur  dritten  Auflage. 


Wie  schon  in  der  Vorrede  für  die  2.  Auflage  hervorgehoben, 
ist  diese  Operationslehre  weniger  dazu  bestimmt,  ein  vollständiges 
Bild  aller  Operationsmethoden  zu  geben,  als  bestimmte  Operations- 
typen dem  ausübenden  Chirurgen  in  möglichster  Anlehnung  an  die 
am  Lebenden  anzutreffenden  Verhältnisse  darzulegen,  und  zwar  solche, 
deren  Vorzüge  sich  dem  Verfasser  in  der  Erfahrung  bewährt  haben. 
Da  die  Erfahrung  eines  Einzelnen,  auch  ob  sie  sich  über  ein  Viertel- 
jahrhundert angestrengter  Thätigkeit  erstreckt,  beschränkt  ist,  so  muss 
der  erwähnte  Plan  nothwendig  zu  gewissen  Einseitigkeiten  führen. 
Dass  trotzdem  dem  kleinen  Werk  so  viel  Anerkennung  zu  Theil  wurde, 
dass  in  Kürze  eine  3.  Auflage  nöthig  wird,  ist  uns  ein  erfreulicher 
Beweis  dafür,  dass  die  rasch  vorwärtsstrebende  Chirurgie  der  Neuzeit 
jeden  Beitrag  zu  schätzen  weiss,  welchem  gewissenhaftes  Streben  zu 
Grunde  liegt. 

Wir  sind  den  kritischen  Besprechungen  durch  viele  hervorragende 
Collegen  zu  grossem  Danke  verpflichtet  und  haben  uns  bestrebt, 
ihren  Ausstellungen  Rechnung  zu  tragen.  Ganz  besonders  werden 
wir  auch  in  Zukunft  unseren  Kritikern  dankbar  sein,  wenn  sie  uns 
auf  wesentliche  Auslassungen  und  auf  die  Aussprüche  aufmerksam 
machen  Seitens  anderer  Chirurgen,  denen  wir  nicht  gerecht  geworden 
sind.  Dagegen  müssen  wir  nochmals  hervorheben,  dass  die  Absicht 
unseres  kleinen  Handbuches  nicht  die  ist,  über  alle  Operations- 
methoden, welche  Empfehlung  verdienen,  Auskunft  zu  geben,  sondern 
bloss  diejenigen  zu  schildern,  welche  wir  durch  eigene  Erfahrung 
als  völlig  bewährt  und  empfehlenswerth  erfunden  haben.  Wir  müssen 
deshalb  nochmals  auf  die  grösser  angelegten,  ausgezeichneten  Hand- 
bücher von  Esmarch  und  Kowalzig,  welches  für  das  deutsche 
Publicum  in  Bezug  auf  Allseitigkeit  Alles  bietet,  was  man  wünschen 


"VI  Vorrede  zur  dritten  Auflage. 

kann,  ebenso  wie  dasjenige  von  Winiwarter,  ferner  von  Fara- 
boeuf,  Treves  und  Jacobson  verweisen  behufs  Uebersicht  über 
die  verschiedenen  Operationsverfahren,  welche  vorgeschlagen  worden 
sind.  Auch  Zusammenstellungen,  wie  diejenige  von  M.  Schede  über 
Amputationen  bieten  eine  reiche  Fundgrube  historischer  Studien  über 
die  verschiedenen  Verfahren. 

Seit  der  Chirurg  durch  die  antiseptische  Wundbehandlung  und 
zumal  durch  den  Fortschritt  von  dieser  zur  aseptischen  in  den  Stand 
gesetzt  ist,  die  meisten  Operationen  ohne  Gefahr  fürs  Leben  durch- 
zuführen, ist  demselben  die  andere  Aufgabe  wieder  näher  gelegt, 
viel  mehr  als  früher  der  Indication  ein  Genüge  zu  leisten,  eine 
rasche  Ausheilung  und  ein  functionell  vollkommeneres 
Resultat  zu  erzielen.  Die  Technik  der  Operationen  hat  in  dieser 
Richtung  eine  erhöhte  Bedeutung  bekommen.  Gerade  weil  zur  Stunde 
Operationen  selbst  bei  falscher  Beurtheilung  eines  Falles  ungestraft 
ausgeführt  werden  können,  so  weit  es  sich  um  das  Leben  des  Kranken 
handelt,  wird  man  einen  strengeren  Maassstab  anlegen  müssen  in 
Beurtheilung  der  Indicationen  für  bestimmte  Operationsmethoden  und 
des  function eilen  Erfolges  derselben.  Wenn  die  Aerzte  nicht  daran 
festhalten,  so  läuft  die  Chirurgie  Gefahr,  wieder  auf  den  Standpunkt 
des  Handwerks  zur  Zeit  der  Bruchschneider  und  Staarstecher  herab- 
zusinken, wofür  in  einzelnen  Ländern  schon  recht  bedenkliche  An- 
zeichen vorhanden  sind. 


Vorrede  zur  vierten  Auflage. 


Die  günstige  Aufnahme  der  3.  Auflage  dieser  Operationslehre  und 
ihre  Uebersetzung  ins  Englische,  Französische,  Russische,  Spanische 
und  Italienische  ist  uns  ein  erfreulicher  Beweis  gewesen,  dass  das 
Buch  den  Bedürfnissen  vieler  Collegen  entgegen  gekommen  ist.  Ich 
hoffe,  die  neue  Auflage  bringt  einige  wesentliche  Verbesserungen, 
da  ich  an  Hand  erneuter  Erfahrungen  stets  wieder  die  Correctheit 
meiner  Indicationen  und  Beschreibungen  geprüft  habe. 

Ich  möchte  mir  gestatten,  hauptsächlich  auf  die  Verbesserung 
der  Angaben  und  Zeichnungen,  die  Abdominalchirurgie  betreffend, 
aufmerksam  zu  machen.  Unsere  Methode  der  Magenresection  beispiels- 
weise hat  sich  jetzt  so  weit  vervollkommnet,  dass  ein  hoher  Grad  von 
Sicherheit  bezüglich  des  Resultates  erreicht  ist,  und  ich  habe  deshalb 
die  Methode  neu  illustriren  lassen.  Mit  unserem  Verfahren  zur  Radical- 
operation  der  Brüche  haben  wir  ebenfalls  so  günstige  Dauerresultate 
erzielt,  dass  wir  trotz  Bassini  dasselbe  wegen  seiner  grossen  Einfach- 
heit neuerdings  warm  empfehlen  dürfen. 

Einen  wichtigen  Fortschritt  glauben  wir  durch  Modifikationen 
in  der  Exstirpation  der  Zunge  und  in  der  Excision  des  Larynx  erzielt 
zu  haben,  auf  welche  wir  speciell  aufmerksam  machen,  da  durch 
dieselben  die  Nachbehandlung  viel  einfacher  und  das  Ergebniss  viel 
sicherer  geworden  ist.  Die  Capitel  über  Narkose,  Wundbehandlung, 
Trepanation  und  zahlreiche  andere,  die  Einleitungen  zu  den  Ampu- 
tationen, zum  Theil  der  Resectionen  sind  völlig  neu  bearbeitet. 

Ich  bin  dabei  geblieben,  in  der  Hauptsache  bloss  dasjenige  zu 
beschreiben  und  zu  empfehlen,  was  ich  durch  eigene  Prüfung  als 
empfehlenswerth  kennen  gelernt  habe.  Ich  bin  mir  bewusst,  dass  das 
Buch  dadurch  eine  gewisse  Einseitigkeit  beibehält,  aber  ich  bin  auch 
sicher,    dass   ich   den    operirenden  Aerzten   zuverlässige  Wegleitung 


VIII  Vorrede  zur  vierten  Auflage. 

geben  kann.  Die  operative  Chirurgie,  früher  in  den  Händen  einzelner 
Bevorzugter,  wird  mehr  und  mehr  zum  Gemeingut  der  Aerzte,  aber 
um  so  mehr  thut  es  noth,  dass  bestimmte  Normen  aufgestellt  werden 
für  die  Ausführung  der  Operationen,  damit  nicht  ungestraft  unter  dem 
Schutze  der  selbst  grobe  Fehler  deckenden  Asepsis  den  Patienten  von 
unerfahrenen  Händen  grosser  Schaden  zugefügt  werde.  Je  seltener 
ein  Arzt  operirt,  desto  mehr  bedarf  er  jedesmal  vor  einer  Operation 
einer  klaren  kurzen  Orientirung  über  die  Art  des  Vorgehens.  Diese 
zu  geben,  war  mein  Bestreben. 

Die  Technik  hat  wieder  eine  viel  grössere  Bedeutung  erlangt 
als  früher  und  muss  noch  eine  viel  feinere  Ausbildung  erlangen. 
Nur  wer  die  Technik  beherrscht,  kann  aus  der  Asepsis  den  vollen 
Nutzen  ziehen.  Nur  mit  guten  anatomischen  Kenntnissen  kann  man 
sich  den  segensreichen  Fortschritt  der  Localanästhesie  ganz  zu  Nutze 
machen.  Nur  vollendete  Technik  lässt  auch  die  letzte  nach  Ueber- 
windung  der  Gefahren  seitens  der  Narkose  und  der  Infection  noch 
bestehenden  Bedenken  operativer  Eingriffe  überwinden.  Möge  das 
Buch  der  Gewissenhaftigkeit  in  Ausübung  von  Operationen  Vorschub 
leisten ! 


Iiüialtsverzeichniss. 


Seite 

Vorrede  zur  zweiten  Auflage V — VI 

Vorrede  zur  dritten  Auflage VII— VIII 

Vorrede  zur  vierten  Auflage IX — X 

Allgemeines. 

A.  Einleitung i_3 

B.  Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen 4—40 

1.  Localanästhesie 4 — 11 

2.  Allgemeinanästhesie 11 — 38 

3.  Zur  Lagerungsfrage 38 — 40 

C.  Wundbehandlung 40—69 

a)  Zusammenfassung  der  Indicationen  für  die  Be- 
handlung aseptisch  gehaltener,  bloss  infec- 
tionsver dächtiger  Wunden 69 

b)  Zusammenfassung  der  Indicationen  für  die 
Behandlung  inficirter  Wunden       70 

D.  Die  Wahl  der  Sehnittrichtung       70—84 

Specielle  Operationslehre. 

E.  Sehädeltheil  des  Kopfes 85—127 

a)Weichtheile 85 — 91 

Seite  Seite 

1)  Arteria  und  Vena  temporalis  —  4)  Nervus  ethmoidalis     ....      88 
Nervus  auriculo-temporalis     .       85        5)  Arteria  occipitalis.  —  Nervus 

2)  Arteria  supraorbitalis.  —  Ner-  occipitalis  major  und  minor  . 

vus    supraorbitalis,     frontalis  6)  Nervus  occipitalis  major    .     .      90 

und  ethmoidalis 87        7)  Nervus  occipitalis  minor    .     .       90 

3)  Nervus  frontalis 88 

b)  Die  Eröffnung  des  Schädels 91 — 127 

8)  Craniectomia  partialis  circum-               11)  Die   ausgedehnten  Schädelre- 
scripta 92  sectionen 100 

9)  Cranio-cerebrale  Topographie      94       12)  Die  osteoplastische  Schädelre- 

10)  Topographie    des    Kleinhirns  section 101 

und  der  venösen  Sinus  und  Tre-  13)  Circuläre  Craniotomie    .     .     .     103 

panation  über  diesen  Theilen      99      14)  Explorative   Trepanation    .     .     104 


X 


Inhaltsverzeichniss. 


15)  Punction   der  Seitenventrikel 

16)  Operationen   am  Gehirn    .    . 

17)  Deckung  knöcherner  Schädel- 
defecte 

18)  Trepanation  des  Sinus  longitu- 
dinalis 

19)  Trepanation   über  dem  Sinus 
transversus     

F.  Gesichtstheil    des    Kopfes 
Rachen 


24)  Ligatur    der    Art.    maxillaris 
externa 

25)  Operationen  an  der  Nase  und 
den  Nasenhöhlen 

26)  Freilegung    der   Schädelbasis 
und  des  Nasendaches     .    .     . 

Operationen  an  den 

31)  Nervus  facialis 

Nervus  trigeminus 

32)  Ramus  II  Trigemini  .... 

33)  Resection  des  Nervus  orbitalis 

34)  N.supramaxillaris  am  Foramen 
rotundum 

35)  Ramus  III  nervi  trigemini 

36)  N.  mentalis 

37)  Nervus  alveolaris  inferior  .     . 

38)  Nervus  lingualis      ...... 

39)  Nervus  auriculo-temporalis 

40)  Nervus  buccinatorius      .     .     . 

41)  Nervus  inframaxillaris    .     .     . 

42)  Exstirpation      des     Ganglion 
Gasseri 

43)  Resection  des  Oberkiefers 

44)  Osteoplastische  Resection  des 
Oberkiefers 

45)  Resection  des  Unterkiefers     . 


Seite  Seite 

104      20)  Trepanation  bei  intracraniell er 

106  Blutung 113 

21)  Trepanation    zur    Freilegung 

108  der  Arteria  meningea  media 

und  ihrer  Hämatome      .     .     .     116 

110      22)  Trepanation    des  Sinus    fron- 
talis      118 

1 10      23)  Die  Freilegung  der  Mittelohr- 
räume      121 

,    inclusive    Nase,    Mund    und 

127—176 

27)  Eröffnung  der  Keilbeinhöhlen     133 

130  28)  Eröffnung  der  Siebbeinhöhlen     133 

29)  Eröffnung   des  Antrum  High- 

131  mori 135 

30)  Operationen  im   Bereich    der 

132  Orbita 136 

Gesichtsnerven 138 — 151 

138 

I39-I5I 

139      46)  Osteoplastische  Resection  des 

142  Unterkiefers 162 

47)  Resection  dss  Kiefergelenks  .     163 
142      48)  Breite   Eröffnung   der   Mund- 

145  höhle 164 

145      49)  Incisionen  in  die  Zunge   und 

145  am  Mundboden 167 

J47      5°)  Excision  der  Zunge    ....     167 
148      51)  Excision  der  Zunge  bei  gleich- 
148              zeitiger  Erkrankung  des  Kie- 
148  fers 172 

52)  Excision   der  Carcinome   des 
151  Zungengrundes  ......     174 

J55      53)  Tonsillotomie 175 

.  54)  Excision    von     Tumoren    der 

159  Tonsille 175 

161 


G.  Das  obere  seitliche  Halsdreieck  .    . 

Der  Normalschnitt  für   das    o 

55)  Carotis   externa  (und  interna)  178      61) 

56)  Arteria     thyreoidea     superior  181       62) 

57)  Arteria  lingualis 181 

58)  Ligatur  der  Carotis  interna    .  183      63) 

59)  Die    Freilegung    des    Nervus  64) 
hypoglossus 183 

60)  Freilegung    des    Nervus    lin- 
gualis vom  Hals  aus       .    .    .  184 

Die  Eröffnung  des  Pharynx  . 

65)  Eröffnung  des  Acutus  laryngis,  66) 

Pharyngotomia  subhyoidea     .     186      67) 


176-193 

bere  Halsd  reieck    .     176  —  186 
Der  Nervus  laryngeus  superior     184 
Ligatur     der    Vena    jugularis 
interna  und  communis    .     .     .     184 
Nervus  accessorius     ....     184 
Nervus  occipitalis  minor,  Auri- 
cularis  magnus  und  Subcuta- 
nea colli 186 


Pharyngotomia  mediana 
Pharyngotomia  lateralis 


193 
189 
191 


Inhaltsverzeichniss.  XI 

Seite  Seite 

H.  Das  vordere  Halsdreieck 193—231 

68)  Arteria  carotis  communis      .  193        71)  Arteria  vertebralis     ....     196 

69)  Resection   des  Nervus  vagus  194        72)  Oesophagotomie   und   Oeso- 

70)  Ligatur     der    Arteria     thy-  phagektomie 197 

reoidea  inferior   und  Arteria  73)  Eröffnung   des  Retropharyn- 

vertebralis 194  gealraumes 198 

Laryngo-  und  Tracheotomie       199 — 203 

74)  Tracheotomiasuperior(Crico-  76)  Laryngotomia     mediana     et 
Tracheotomie) 199  Laryngectomia  partialis    .     .     201 

75)  Tracheotomia  inferior  .    .     .     201         77)  Laryngectomia  totalis  .     .     .     203 

78)  Die  Excision  der  Schilddrüse 205 

79)  Normalverfahren      der      Ex-  84)  Operation  der  Struma  intra- 
cision 209               thoracica 224 

80)  Enucleation  des  Kropfes  .     .  218  85)  Operation  der  Struma  recidiva  226 

81)  Resection  des  Kropfes.     .     .  219  86)  Die  Ligatur  der  Schilddrüsen- 

82)  Enucleationsresection        und  arterien 228 

-excision  des  Kropfes  .     .     .  220  87)  Excision  entzündeter  und  ma- 

83)  Ausräumung     (Exenteration)  ligner  Kropfgeschwülste  .     .  228 
des  Kropfes 222        88)  Arteria  anonyma 229 

I.  Das  untere  seitliche  Halsdreieck      231 — 236 

89)  Arteria  subclavia 231        91)  N.  subcutaneus  colli     .     .     .     234 

90)  Nervus  accessorius  ....     234        92)  N.  auricularis  magnus  .     .     .     234 

K.  Naekengegend 236 

L.  Thorax       236—262 

93)  Arteria  mammaria  interna     .     237        96)  Amputation    der   Brustdrüse    239 

94)  Arteria  intercostalis  ....    238        97)  Radicaloperation  des  Brust- 

95)  Nervus  intercostalis ....     238  krebses 239 

Chirurgie  der  Thoraxwand,  Pleura  und  Lunge     .    245—256 

98)  Thoracocentesis 245  der  Thoraxwand.      Thoraco- 

99)  Rippenresection  und  Pleuro-  tomie     und     Thoracoplastik     249 
tomie 246       101)  Laparotomia    transthoracica    252 

100)  Resection   grösserer   Stücke  102)  Lungenchirurgie 255 

Chirurgie  des  Herzens  und  Herzbeutels      ....     256—262 
103)  Punction  des  Herzbeutels      .     257       104)  Pericardiotomie.     Herznaht  .    258 

M.  Kücken 262-269 

105)  Ligatur   der  Arteria  dorsalis                108)  Chirurgie    des    Mediastinum 
scapulae 262  posticum 264 

106)  Nervus  suprascapularis     .     .     264       109)  Eröffnung   des    Mediastinum 

107)  Arteria  circumfiexa  scapulae  anticum 267 

von  hinten 264       110)  Eröffnung     der     Rückgrats- 
höhle —  Laminektomie    .     .     268 

N.  Lendengegend 269-277 

in)  Nephrotomie 269       114)  Excision    der    Nebenniere     .     275 

112)  Nephrorhaphie  und   Nephro-                115)  Ureterotomie   und  Ureterek- 
pexie 273  tomie 276 

113)  Nephrektomie 273       116)  Splenektomie 277 


XII 


Inhaltsverzeichniss. 


Seite 


O.  Abdomen 


Cöliotomie  (Laparotomie) 


117)  Indicationen     und     Beding- 
ungen ihres  Erfolges    .     .     .     277 

118)  Schnittanlage      und      Naht- 
methode bei  Laparotomie     .     280 

119)  Laparotomie    bei   Peritonitis    283 

120)  Laparotomie   bei   Bauchfell- 
tuberculose 285 

121)  Laparotomie  zur  Omento- und 
Splenopexie  bei  Ascites   .    .    285 

122)  Laparotomie  bei  Peritoneal- 
adhäsionen 286 

Gastrectomie 

128)  Indication  und  Methode 

129)  Gastrectomia    partialis 

130)  Gastrektomie  mit  Gastroduo- 
denostomose 320 

131)  Gastrektomie  mit    Gastroje- 
junostomose 331 


123) 
124) 

125) 
126) 

127) 


Seite 
■ •      •     277—316 

377 

Die  Operationen  am  Magen- 

darmcanal     . 286 

Gastrotomie      und     Gastro- 
stomie       289 

Gastroenteroanastomosis  .    .    299 
Gastrojejunostomia     anteco- 

lica  inferior       308 

Gastroenterostomosis    retro- 
colica   Y-formis   nach  Roux    312 


316 
321 


Hyp ochon dr  i  u  m      .  .     . 

136)  Die  Chirurgie  der  Gallen- 
wege       338 

137)  Cholecystotomie 339 

138)  Cholecystektomie      ....  342 

139)  Cholecystostomie      ....  342 

140)  Choledocholithothripsie    .     .  343 

141)  Choledocholithotomie  .     .     .  344 

Mesogastrium 

146)  Radicaloperation  der  Nabelhernie 

Hypogastrium 

147)  Punction  des  Abdomen    .     .     351 

148)  Incisionen  im  Bereich  des 
Hypogastrium 352 

149)  Ausräumung  der  Lymph- 
drüsen in  der  Leiste  und 
längs  der  Vasa  iliaca  und 
obturatoria 353 

150)  Freilegung  des  Samenstran- 
ges.    Castration 354 

151)  Operation  der  Varicocele     .    356 

152)  Operation  der  Hydrocele      .     357 

Enterostomie  und  Colos 

158)  Anlegung  einer  Kothfistel     .     383 

159)  Anlegung  eines  Anus  praeter- 


316-338 

132)  Gastrektomie  nach  Rydygier- 
Billroth  und  nach  Henle-Mi- 
kulicz 331 

133)  Gastrectomia  totalis      .     .     .  332 

134)  Gastrectomia  partialis  car- 
diaca 336 

135)  Gastroplastik 337 

338—345 

142)  Cholecystenterostomie       .    .  344 

143)  Lithotomia  transduodenalis  .  345 

144)  Choledochotomia  transduo- 
denalis        346 

145)  Hepatotomie  und  Resectio 
hepatis 347 


351- 

153)  Herniotomie  und  Radical- 
operation von  Leisten-  und 
Schenkelhernien 

154)  Radicaloperation  der  Schen- 
kelhernie 

155)  Verkürzung  der  Ligamenta 
rotunda.  Alexander's  Opera- 
tion   

156)  Operationen  bei  Appendix- 
Erkrankungen       

157)  Resectio  ileo-coecalis   .    .    . 

tomie 382- 

naturalis    am    Colon    (Colo- 

proktie) 

160)  Jejunostomie 


349-351 
•    •    350 

382 


Darmresection     . 

161)  Resection  des  Dünndarms 

162)  Resection  am  Dickdarm  . 


389 
394 


163)  Enteroanastomosis 


357 
366 


37i 

384 


384 
388 

-397 
396 


Inhaltsverzeichniss.  XIII 

Seite  Seite 

Blasenoperationen 397—401 

164)  Cystotomia  alta  suprapubica    397      166)  Blasen eröffnung     mit    Sym- 

165)  Cystostomia  alta 399  physenresection 400 

167)  Punction  der  Blase  ....    401 

Zur  Ureteren- Chirurgie 401—405 

168)  Uretero-Cysto-Neostomie      .    401       169)  Uretero-Trigono-Sigmoideo- 

stomie 403 

P.  Perinaeum ; 406—416 

170)  Cystotomia  perinealis  .     .     .  406      174)  Vasektomie 413 

171)  Urethrotomia  externa  .     .     .  407      175)  Prostatotomie    und    Prostat- 

172)  Freilegung    der   Pars    mem-  ektomie 414 

branacea  und  prostatica  ure-  176)  Arteria  pudenda  interna  und 

thrae 408  Nervus     pudendus    internus 

173)  Excision  der  Hoden  mitsammt  am  Damm 415 

Vasdeferens  und  Samenblase.  177)  Amputatio  penis 415 

Spermatocystektomie    .     .     .  409 

Q.  Sacralgegend 416—430 

Die  Chirurgie  des  Rectum 416—430 

178)  Excision  von  Hämorrhoidal-  180)  Excisio    recti    carcinomatosi    419 
knoten 416       181)  Sigmoideo-Rectostomie  nach 

179)  Operation  des  Prolapsus  ani  Bacon  und  Rotter  ....    430 
et  recti 418 

Chirurgie  der  Extremitäten. 

Freilegung  der  Gefässe  und  Nerven, 
R.  Obere  Extremität 432 — 462 

a)  Schultergegend 432—535 

182)  Arteria  subclavia 432       184)  Arteria  thoracico-acromialis  .     435 

183)  Arteria  thoracica  suprema    .    435      185)  Arteria  thoracica  longa     .     .    435 

b)  Axilla 435—440 

186)  Arteria  axillaris 435       189)  Arteria  subscapularis  undN. 

187)  Arteria     circumflexa    humeri  subscapulares 438 

anterior 438       190)  Arteria  thoracico-dorsalis      .    440 

188)  Arteria     circumflexa    humeri  191)  Arteria  circumflexa  scapulae    440 
posterior  und  Nervus  axillaris  438 

c)  Oberarm 44° — 444 

192)  Arteria  brachialis  in  der  Mitte  441       196)  Nervus  medianus 442 

193)  Arteria  profunda  brachii  .     .  441  197)  Nervus  ulnaris  in  der  unteren 

194)  Arteria  collateralis  ulnaris  su-  Hälfte  des  Oberarmes       .     .  443 
perior 442       198)  Nervus  radialis 443 

195)  Arteria  collateralis  ulnaris  in-  199)  Nervus  musculo-cutaneus      .  444 
ferior 442 

d)  Ellenbogengegend 444 — 44° 

200)  Operationen    in    der    Ellen-                201)  Arteria  brachialis  in  der  Ellen- 
bogengegend     444  beuge 445 


XIV  Inhaltsverzeichniss. 

Seite  Seite 

202)  Nervus  medianus      ....     445      204)  Nervus  radialis 446 

203)  Nervus  ulnaris 445 

e)  Vorderarm.  —  Volarfläche 446—453 

205)  Operationen   am   Vorderarm  446      209)  Nervus  medianus 451 

206)  Arteria  radialis 448  210)  Nervus  cutaneus  palmaris     .  451 

207)  Arteria  ulnaris       448  211)  Nervus  interosseus  des  Medi- 

208)  Arteria  interossea      ....  450               anus 451 

f)  Vorderarm  —  Dorsalfläche 453 

212)  Ramus  profundus  nervi  radialis 453 

g)  Handgelenk- Volarseite 453—455 

213)  Arteria   ulnaris    am  Os   pisi-  214)  Nervus  medianus       ....     455 
forme •     •     453 

h)  Operationen  an  der  Hand 455 

215)  Arteria  radialis  auf  dem  Dor-  219)  Arcus  volaris  sublimis  .     .     .  458 
sum  manus 456  220)  Arcus  volaris  profundus  .     .  460 

216)  Arteria  radialis  auf  dem  Os  221)  Radialer  Ast  des  Nervus  medi- 
multangulum  majus       .     .     .  458               anus 460 

217)  Ramus  dorsalis  n.  ulnaris      .  458  222)  Arteriae  digitales  communes  460 

218)  Ramus  dorsalis  n.  radialis     .  458  223)  Operationen  an  den  Fingern  461 

S.  Untere  Extremität 462—494 

Gesässgegend 462 — 464 

224)  Arteria  glutaea  superior  .     .     462       226)  N.  cutaneus  femoris  posticus     464 

225)  Arteria  glutaea  inferior  (ischi-  227)  N.  ischiadicus 464 

adica) 464      228)  Arteria  pudenda  interna    .     .     464 

Leistengegend 464 — 471 

229)  Arteria  iliaca  communis  (und  235)  Arteria  iliaca  externa    .     .     .  469 
Aorta  abdominalis)    ....  464  236)  Arteria  epigastrica  inferior  an 

230)  Vasa   spermatica  interna  .     .  467  der   vorderen  Bauchwand     .  469 

231)  Ureter 467  237)  Arteria  circumflexa  ilii     .     .  470 

232)  A.  mesenterica.  inferior     .     .  467  238)  Arteria  obturatoria  und  Ner- 

233)  Arteria  hypogastria  ....  468  vus  obturatorius 470 

234)  Arteria  uterina 468  239)  Nervus  obturatorius  .     .     ...  470 

Oberschenkel  —  Vorderfläche 472 — 478 

240)  Arteria  femoralis 472      242)  Arteria  circumflexa  interna  .     475 

241)  a.  Arteria  profunda   am   Ur-  243)  Arteria   articularis   genu  su- 

sprung  und  Arteria  circum-  prema 477 

flexa  femoris  externa    .     .    474      244)  Nervus  cruralis 477 

b.  Der  Endast  der  A.  circum-  245)  Nervus  saphenus  internus      .  477 
flexa  externa 475      246)  Vena  saphena  major      .     .     .  477 

c.  Arteria   profunda  am  Ad-  247)  Nervus  cutaneus  femoris  la- 
ductor  longus 475               teralis 477 

Oberschenkel  —  Rückfläche 478—480 

248)  Nervus  ischiadicus 478. 

Kniekehle 480—481 

249)  Arteria  poplitea 480      251)  N.   suralis    lateralis    und   N. 

250)  Nervus  peroneus 480  communicans  peroneus     .     .     481 


Inhaltsverzeichniss.  XV 

Seite  Seite 

Unterschenkel.    —     Vorder  fläche    und    Aussen- 

fläche 481 — 485 

252)  Arteria  tibiae  antica     .     .    .    481      254)  N.  peroneus  superficialis  .     .    485 

253)  Nervus    peroneus  profundus 

in  der  Nähe  seines  Ursprungs    483 

Unterschenkel.  —  Rückfläche  und  Innenfläche     .     485 — 490 

255)  Truncus  tibio-peronealis    .     .     485      259)  N.  suralis  externus    ....     489 

256)  Arteria  tibialis  postica      .     .     487      260)  Nervus  suralis  medius      .     .    490 

257)  N.  saphenus  internus    .     .     .    489       261)  Nervus  tibialis  posticus    .     .     490 

258)  Arteria  peronea 489 

Fuss 490—494 

262)  Arteriae     plantares    am    Ur-  265)  Arteria  plantaris  externa  .     .     491 
sprung       . 490      266)  Nervus  plantaris  externus      .     491 

263)  Arteria  plantaris  interna  und  267)  Arcus    plantaris     am    Inter- 
Nervus plantaris  internus      .     490  stitium  intermetatarseum  .     .     491 

264)  Nervus  plantaris  internus      .     491       268)  Arteria  dorsalis  pedis   .     .     .     494 

Excisionen  und  Resectionen. 
T.  Allgemeines 495—500 

U.  Untere  Extremität 501—532 

269)  Excision  der  Zehenphalangen  279)  Resectio  fibulae 513 

und  Metatarsalknochen     .     .  500  280)  Arthrotomia  et  Resectio  genu    513 

270)  Resectio  metatarso-tarsea  u.  281)  Resectio  patellae 522 

Tarsectomia  anterior    .     .     .  500  282)  Osteotomia  und  Resectio  cu- 

271)  Resectio  medio-tarsea   .     .     .  502  neiformis  tibiae 522 

272)  Excisio  tali 505  283)  Osteotomia     femoris    supra- 

273)  Excisio  calcanei 506  condylica 523 

274)  Resectio    talo-calcanea    und  284)  Osteotomia  und  Resectio  cu- 
Resectio  tarsea  posterior      .  507  neiformis    femoris  subtroch- 

275)  Resectio  pedis 507  anterica 524 

276)  Resectio  tarsea  totalis  ...  511  285)  Resectio  diaphyseos  femoris     525 

277)  Resectio  des  unteren  Unter-  286)  Resectio  coxae 525 

Schenkel  dritteis 513  287)  Resection  einer  Beckenhälfte    530 

278)  Resectio  tibiae 513 

V.  Obere  Extremität 532—556 

288)  Excision  der  Phalangen,  Me-  289)  Resectio  manus 533 

tacarpalknochen,    der    Inter-  290)  Resectio  ulnae 539 

phalangeal-   und  Metacarpo-  291)  Resectio  radii 539 

phalangealgelenke    ....  532 

Methode     der     breiten    Eröffnung    des    Ellenbogen- 
gelenkes        540—556 

292)  Resectio  cubiti 540  tionis    sterno-clavicularis    et 

293)  Resectio  diaphyseos  humeri      545  acromio-clavicularis       ...    553 

294)  Resectio     articulationis     hu-                296)  Resection  und  Totalexcision 
meri 545  der  Scapula       554 

295)  Resectio  claviculae,  articula- 


XVI 


Inhaltsverzeichniss. 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


W.  Einleitung 


Seite 

556 


Entwicklung    der    Amputationsmethoden.    Ihrelndi- 

cationen 557 — 561 

Ausführung  der  verschiedenen  Methoden  .     .     .     .     561 — 566 
Normalverfahren  für  Amputationen 566—572 

X.  Untere  Extremität 572—604 

I.  Die  Amputationen  am  Fusse 572 — 590 


Seite 

297)  Abtragung    der    Zehen    mit 
und  ohne  Metatarsalknochen    573 

298)  Exarticulation      sämmtlicher 
Zehen 573 

299)  Amputatio  metatarsea  .     .     .    574 

300)  Exarticulatio     metatarso-tar- 

sea 575 

301)  Exarticulatio    intertarsea  an- 
terior      576 

302)  Exarticulatio  intertarsea  po- 
sterior     577 

303)  Amputatio  intertarsea  .     .     .     579 

304)  Exarticulatio  sub  talo  .     .     .     579 

305)  Amputatio    subtalica    osteo- 
plastica 580 


306)  Exarticulatio  pedis    ....  580 

307)  Amputatio  pedis  osteoplastica  583 

308)  Amputatio  cruris       ....  584 

309)  Exarticulatio  genu    ....  590 

310)  Amputatio  femoris    ....  592 

311)  Amputatio    femoris    diacon- 
dylica 592 

312)  Amputatio  supracondylica    .  595 
313")  Amputation   durch  die  Mitte  596 

314)  Amputatio  alta 597 

315)  Exarticulatio  coxae  ....  597 

316)  Exarticulatio  interilio  -  abdo- 
minalis       603 


Obere  Extremität 605—618 


317)  Amputation     und    Exarticu- 
lation an  den  Fingern      .     .  605 

318)  Exarticulatio  manus      .     .     .  606 

319)  Amputatio  antibrachii      .     .  607 

320)  Exarticulatio  cubiti       .     •     .  607 

321)  Amputatio  brachii     ....  610 


322)  Exarticulatio  humeri      .     .     .     611 

323)  Exarticulation  des  Armes 
sammt  Schultergürtel,  Am- 
putatio interscapulo  -  thora- 
cica        614 


Erster  Abschnitt. 

Allgemeines. 


A.  Einleitung. 

Seit  wir  dank  der  aseptischen  Wundbehandlung  jede  noch  so 
grosse  Wunde,  die  wir  als  Chirurgen  machen,  in  kürzester  Zeit  durch 
Verklebung  zur  Heilung  zu  bringen  vermögen,  hat  die  Operations- 
technik einen  ausserordentlichen  Aufschwung  genommen.  Wir  dürfen, 
sobald  wir  unserer  Antisepsis  sicher  sind,  überall  am  Körper  ein- 
schneiden, nicht  nur  in  therapeutischer,  sondern  auch  in  diagnostischer 
Absicht.  Aber  allerdings  ist  es  um  so  mehr  Pflicht,  bei  der  ausser- 
ordentlichen Erweiterung  der  Indicationen  zu  operativer  Behandlung 
der  Krankheiten  die  Technik  aufs  höchste  zu  vervollkommnen,  um 
dem  ersten  Grundsatze  der  Therapie  „nil  nocere"  treu  zu 
bleiben.  Eine  vollständige  Beherrschung  der  Technik,  die  zum  Haupt- 
theil  auf  genauester  Kenntniss  der  Anatomie  beruht,  ist  demgemäss 
nach  der  Sicherheit  aseptischer  Wundbehandlung  eine  unerlässliche 
Bedingung  zur  Ausübung  operativer  Therapie.  Es  ist  in  praxi  nicht 
möglich,  vor  jeder  Operation  anatomische  Handbücher  und  Atlanten 
durchzustudiren,  um  so  weniger,  da  diese  Lehrmittel  meist  von  rein 
anatomischen  Gesichtspunkten  aus  abgefasst  sind  und  sich  um  Einzel- 
heiten nicht  in  dem  Maasse  kümmern,  wie  der  Chirurg  es  wünschen 
rnuss.  Aus  diesem  Grunde  ist  es  auch  nicht  unsere  Absicht,  die 
vielen  trefflichen  Lehrbücher  der  Operationslehre  um  ein  noch  aus- 
führlicheres zu  vermehren,  sondern  wir  beabsichtigen  in  der  Art  von 
Roser's  hochgeschätztem  Vademecum  eine  möglichst  kurzgefasste 
Anleitung  zu  geben  für  rasche  Orientirung  über  eine  auszuführende 
Operation. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  j 


2  Allgemeines. 

Diese  Anleitung  soll  als  Leitfaden  dienen  können  zu  Uebungen 
am  Cadaver,  aber  vor  allem  ist  die  Ausführung  von  Ope- 
rationen am  lebenden  Menschen  ins  Auge  gefasst,  und 
es  sind  daher  nur  diejenigen  Methoden  empfohlen,  welche  Verfasser 
auf  Grund  jahrelanger  Erfahrungen  am  Krankenbett  als  zuverlässig 
und  empfehlenswerth  erprobt  hat.  Nicht  als  ob  wir  unsere  Methoden 
als  besser  hinstellen  möchten,  als  die  oft  abweichenden  anderer  Chi- 
rurgen; wir  hoffen  im  Gegentheil  später  die  hier  noch  vorhandenen 
Lücken  auszufüllen,  den  Erfindern  hier  beschriebener,  sowohl  als 
abweichender  Operationsmethoden  gerecht  zu  werden,  und  bitten  um 
Entschuldigung,  dass  wir  der  geschichtlichen  Entwickelung  und  Be- 
deutung der  verschiedenen  Operationsmethoden  bei  dieser  ersten 
Publication  zu  wenig  Rechnung  tragen. 

Die  allerwichtigste  Aufgabe  für  eine  am  Lebenden  verwerthbare 
Operationslehre  scheint  uns  die  zu  sein,  den  Leser  in  den  Stand  zu 
setzen,  sich  für  jede  Region  des  Körpers  und  bis  in  jede 
beliebige  Tiefe  hinein  rasch  und  sicher  über  den  Weg  zu 
orientiren,  welchen  das  Messer  bei  Incisionen  zu  verfolgen  hat, 
um  jede  unnütze  Neben  Verletzung  zu  vermeiden. 

Die  correcte  Richtung  des  Hautschnittes  behufs  freien  Zugangs 
einerseits  und  die  sichere  Vermeidung  jeder  unnöthigen  Neben- 
verletzung beim  Eindringen  in  die  Tiefe  andererseits  sind  die  wichtig- 
sten Rücksichten  bei  chirurgischen  Eingriffen.  Ganz  besonders  muss 
man  lernen ,  ausser  den  Gef ässen ,  deren  Verletzung  sich  durch 
Blutungen  zu  erkennen  giebt,  die  grossen  und  kleinen  Nervenzweige 
zu  schonen,  d.  h.  die  Grenzgebiete  der  Nervenausbreitungen  für  seinen 
Schnitt  zu  wählen. 

In  diesem  Sinne  halten  wir  für  bestimmte  Körperregionen  ge- 
wisse Incisionen  für  typisch,  d.  h.  bei  freier  Wahl  der  Methode  für 
einzig  zulässig,  und  in  der  Aufstellung  einfacher  Normen  für 
Ausführung  sicherer  und  schonender  chirurgischer  Eingriffe  an 
jeder  Stelle  des  Körpers  suchen  wir  selber  das  Werthvolle  unserer 
Beiträge. 

Eine  zweite  Gruppe  von  Operationen  bilden  die  Excisionen 
oder  Resectionen.  Hier  handelt  es  sich  nicht,  wie  bei  den  In- 
cisionen, bloss  darum,  auf  kürzestem  Wege  ein  Gebilde  in  der  Tiefe 
zu  erreichen,  sondern  hier  soll  ein  Stück  oder  ein  ganzes  Organ  aus 
dem  Körper  entfernt  werden;  daher  muss  die  Tiefe  so  freigelegt 
werden,  dass  der  zu  beseitigende  Körpertheil  bequem  sieht-  und 
fühlbar  wird,  damit  alles  Krankhafte  sich  sicher  und  leicht  ent- 
fernen lasse. 

Den  Typus  der  Excisionen  bilden  die  Resectionen  der  Gelenke 
und  Knochen;  allerdings  kann  man  ihnen  auch  die  Exstirpationen 
von  inneren  Organen  und  von  Geschwülsten  anreihen. 


Einleitung.  3 

In  einer  dritten  Gruppe  endlich  handelt  es  sich  um  Entfernung 
eines  Endstückes  eines  Körpertheils  in  toto,  sei  es  in  beschränkter 
oder  grosser  Ausdehnung.  Diese  Operationen  werden  als  Am- 
putationen bezeichnet.  Hier  kommt  als  neue  Indication  für  die 
Technik  hinzu,  dem  Körperabschnitt,  an  welchem  ein  Theil  entfernt 
wurde,  eine  bestimmte  Form  und  Hautbedeckung  zu  geben;  denn 
durch  den  vollständigen  Wegfall  der  Theile  auf  der  einen  Seite  der 
Wunde  werden  die  Maassnahmen  zur  Erzielung  einer  raschen  Ver- 
klebung der  verletzten  Gewebe  complicirter. 

Bei  Incisionen,  so  tief  sie  sein  mögen,  genügt  es,  nach  der  Ope- 
ration —  antiseptische  Behandlung  vorausgesetzt  —  die  Gewebe, 
welche  getrennt  waren,  wieder  so  in  gegenseitigen  Contact  zu 
bringen,  wie  sie  vorher  aneinander  gelagert  waren. 

Bei  Excisionen  und  noch  vielmehr  bei  den  Amputationen  kommen 
dagegen  Gewebe  in  Berührung,  welche  vorher  nicht  aneinander  lagen. 

Bei  Incisionen  genügt  die  Anlegung  einfacher  Nähte  in  ganzer 
Tiefe  und  Breite  der  Wundflächen,  so  dass  diese  sich,  wie  vor  der 
Operation,  aufs  genaueste  berühren.  Dies  wird  am  besten  erreicht 
durch  eine  fortlaufende  Naht,  mit  abwechselnd  tieferem  und  ober- 
flächlichem Durchstechen  der  Nadel. 

Bei  Excisionen  und  Amputationen  ist  es  nicht  möglich,  mittelst 
Anlegung  von  Faden  die  wunden  Flächen  so  aneinander  zu  bringen 
dass  zusammengehörige  Gewebe  mit  einander  in  Berührung  gebracht 
werden. 

Alle  Vorschriften  über  Wahl  und  Form  der  Instrumente,  Messer- 
haltung und  Führung  von  Pincette,  Scheere,  Säge,  über  die  ver- 
schiedenen Nahtmethoden  haben  wir  weggelassen.  Es  ist  unsere 
Ueberzeugung,  dass  keine  noch  so  genau  geschriebene  Anleitung 
genügt,  um  sich  zu  einem  Chirurgen  auszubilden,  dass  man  diese  zahl- 
reichen Einzelheiten  vielmehr  bloss  durch  Anschauung  und  Uebung 
unter  kundiger  Leitung  in  Klinik  und  Spitälern  erlernen  kann. 
Auch  die  Angaben,  wann  und  warum  man  Gefässe  zu  unterbinden, 
Nerven  zu  dehnen,  Gelenkkapseln  freizulegen,  Gelenke  zu  reseciren 
und  Glieder  zu  amputiren  hat,  -mit  einem  Worte,  die  Erörterung 
der  Indicationen  zu  den  Operationen  müssen  in  der  Klinik  gelernt 
werden. 

Weil  wir  unsere  Operationslehre  in  erster  Linie  zur  Benutzung 
am  Lebenden  schreiben,  so  können  wir  auch  nicht  umhin,  einleitend 
ein  Wort  zu  sagen  über  die  zwei  Hauptbedingungen  jedes  operativen 
Eingriffes,  nämlich  die  Anästhesirung  und  die  Asepsis.  Es  ist  eben- 
sowenig erlaubt,  einem  Menschen  durch  eine  Operation  Schmerzen 
zu  bereiten,  als  sein  Leben  durch  Einimpfen  von  Infectionsstoffen  in 
die  Wunde  in  Gefahr  zu  bringen. 


a  Allgemeines. 

B.  Die  Verhütung  des  Schmerzes 
bei  Operationen. 

i.    Localanästhesie. 

Der  grösste  Fortschritt  in  der  Narkosefrage  seit  der  letzten  Auf- 
lage dieses  Werkes  ist  die  erhebliche  Verbesserung  und  Ausdehnung 
der  Localanästhesie.  Wir  verdanken  es  den  consequenten  Be- 
mühungen von  Schleich,  dass  in  so  ausgiebigem  Maasse  von  dem 
Hauptmittel  zur  Erzielung  localer  Anästhesie,  dem  von  Koller  in 
die  Augenheilkunde  eingeführten  Cocain,  Gebrauch  gemacht  wird. 
Schleich  hat  bewiesen,  dass  es  zur  Herstellung  von  Unempfindlich- 
keit  in  verhältnissmässig  grosser  Ausdehnung  keineswegs  Dosen  dieses 
Mittels  bedarf,  welche  eine  Gefahr  bringen.  Als  Maximaldosis  einer 
in  einer  Sitzung  anzuwendenden  Dosis,  wenn  man  gar  keine  Gefahr 
laufen  will,  wird  man  i  dg  ansehen  müssen.  Da  man  mit  Lösungen 
von  V2  %o  schon  einen  schmerzlindernden  Effect  erzielen  kann,  so 
hat  man  bei  Anwendung  von  i  °/00  Lösung  schon  ein  solches  Quantum 
Flüssigkeit  zu  seiner  Verfügung,  dass  man  selbst  für  eine  Amputation 
ausreicht,  wenn  eine  solche  mit  Localanästhesirung  ausgeführt  werden 
muss. 

Einen  sehr  wichtigen  Beitrag  zu  der  Anwendungsweise  des  Cocains, 
sowie  des  von  Braun  bevorzugten  Eucain  B.  hat  H.  Braun  in  Leipzig 
und  sein  Mitarbeiter  Heinze  geliefert  durch  den  Nachweis,  dass  es 
noth wendig  ist,  sich  isosmo tischer  Lösungen  zu  bedienen,  wenn 
man  ohne  Schädigung  der  Gewebe  durch  Quellung  und  Wasser- 
entziehung einen  reinen  an ästhesir enden  Erfolg  herbeiführen  will. 
Ein  Maass  für  diese  isosmotische  Spannung  ist  in  der  Gefrierpunkt- 
bestimmung gegeben.  Die  Körperflüssigkeiten  haben  einen  Gefrier- 
punkt von  0,55  °,  und  einen  gleichen  Gefrierpunkt  hat  eine  0,9-proc. 
Kochsalzlösung.  Reine  Cocainwirkung  erhält  man  deshalb  bloss  bei 
Einspritzung  des  Mittels  in  0,8-proc.  Kochsalzlösung  bei  Körper- 
temperatur. 

Eucain  B.  hat  den  Vorzug  der  Haltbarkeit  und  Sterilisirbarkeit, 
da  Cocain  bloss  ein  einziges  Mal  rasch  aufgekocht  werden  darf,  um 
nicht  seine  anästhesirehden  Eigenschaften  zu  verlieren. 

Die  gewöhnlichste  Anwendungsweise  der  auf  Körpertemperatur 
erwärmten  und  sterilisirten  Cocainum  muriaticum  -  Kochsalzlösung  ist 
die  in  Form  der  Infiltrationsanästhesie  nach  Schleich  oder 
der  regionären  Anästhesie  nach  Corning  und  Oberst  l).    Die  erstere 


1)  Krogius  scheint  dasselbe  Verfahren  schon  vor  Pernice's  Publikation 
unabhängig  von  diesen  Autoren  benutzt  zu  haben. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  c 

Methode  ist  die  Anästhesirung  der  peripheren  Nervenendigungen,  die 
letztere  die  der  Nervenstämme  eines  Gliedabschnittes.  Für  erstere 
Methode  benutzt  man  schwache  Lösungen  von  i  —  2  °/oo  und  infiltrirt 
mit  der  Spritze  die  zu  durchschneidenden  Gewebe  nach  Maassgabe  des 
Vordringens  der  Operation.  Bei  der  regionären  Anästhesirung  be- 
nutzt man  stärkere,  1  -  proc.  Lösungen. 

Die  Infiltrationsanästhesie  ist  viel  leichter  in  ihrer  Ausführung, 
da  sie  sich  von  anatomischen  Kenntnissen  unabhängig  macht  und  aus 
diesem  Grunde  sehr  beliebt.  Sie  ist  aber  mühsam  und  umständlich 
und  verlängert  die  Operation  sehr.  Darin  ist  ein  entschiedener  Uebel- 
stand  derselben  zu  erblicken,  da  man  stets  wieder  zu  infiltriren  hat, 
wenn  man  tiefere  Gewebe  durchschneidet  und  der  Patient  Schmerzen 
angiebt.  Rasche  Vollendung  einer  Operation  hat  aber  so  grosse  Vor- 
theile,  wie  unten  zu  zeigen  ist,  dass  man  nicht  gern  darauf  verzichten 
wird. 

Die  regionäre  Anästhesirung  setzt  eine  genaue  Kenntniss  der 
einen  Körpertheil  versorgenden  Nerven  bezüglich  ihrer  topographischen 
Anordnung  voraus.  Sie  leistet  vorzügliche  Dienste  an  Hand  und  Fuss, 
zumal  Finger  und  Zehen.  Es  gilt,  durch  genaues  Studium  des  Nerven- 
verlaufes sie  auch  für  andere  Gegenden  des  Körpers  dienstbar  zu 
machen.  Für  Bruchoperationen  hat  Dr.  Cushing  schon  in  diesem 
Sinne  gearbeitet  und  genauen  Nachweis  geleistet,  wo  man  die  Nerven 
der  betreffenden  Region  am  sichersten  mit  einer  Injection  treffen 
kann. 

Ein  Mittelding  zwischen  beiden  Methoden  ist  das,  was  Braun 
indirecte  periphere  Anästhesirung  nennt,  wie  sie  zumal  Reclus  aus- 
gedehnt und  früh  in  Anwendung  gebracht  hat.  Hier  werden  stärkere 
i-proc.  Lösungen  injicirt,  um  nicht  nur  auf  die  direct  betroffenen 
Nerven,  sondern  auch  auf  die  Nachbarschaft  auf  eine  gewisse  Distanz 
zu  wirken.  Eine  solche  Distanzwirkung  tritt  nach  Braun  erst  bei 
i-proc.  Lösungen  auf.  Sie  hat  den  grossen  Vortheil,  dass  sie  länger 
anhält  als  die  Infiltrationsanästhesie  mit  schwächeren  Lösungen. 

Kummer,  Hölscher,  Berendt  und  Braun  haben  auf  den 
Nutzen  der  gleichzeitigen  Abschnürung  der  Blutzufuhr  zur  Erzielung 
voller  regionärer  Anästhesie  nach  Oberst  speciell  aufmerksam  ge- 
macht. Schleich  glaubt  in  der  regionären  Anästhesie  bloss  eine 
Varietät  der  Infiltrationsanästhesie  zu  erblicken  und  räth,  die  Stelle,  wo 
das  Gummiband  anzulegen  ist  zur  Verhütung  des  Druckschmerzes 
ringsherum  zu  infiltriren  und  mittelst  des  Schlauches  die  infiltrirte 
Flüssigkeit  bis  an  den  Krankheitsherd  resp.  die  Operationsstelle 
heranzuschieben.  So  können  auch  Amputationen  schmerzlos  ge- 
gestaltet werden. 

Wir  haben  uns  wesentlich  an  die  Methode  von  Reclus  gehalten 
und  für  die  Fälle,   wo  für  uns  eine  Contraindication   besteht   für   die 


5  Allgemeines. 

Ausführung  einer  allgemeinen  Narkose,  den  ausgedehntesten  Ge- 
brauch davon  gemacht.  Eine  solche  Contraindication  besteht  z.  B. 
für  uns  bei  Strumaoperationen,  welche  durch  starke  Dyspnoe  indicirt 
sind.  Nachdem  wir  gesehen  haben,  wie  gut  die  Operation  in  solchen 
Fällen  bei  localer  Anästhesirung  vertragen  wird,  haben  wir  wie 
ROUX  und  JuiLLARD  in  vielen  Hunderten  von  Kropf  Operationen 
niemals  mehr  Chloroform  oder  Aether  in  Anwendung  gezogen.  Sehr 
oft  waren  wir  im  Falle,  ängstliche  Gemüther  mit  der  Versicherung 
zu  trösten,  dass  wir  auf  Verlangen  sofort  allgemeine  Narkose  einleiten 
werden,  wenn  der  Patient  die  Schmerzen  unerträglich  finde.  Wir 
waren  nur  ganz  ausnahmsweise  bei  völlig  unzurechnungsfähigen 
Patienten  im  Falle,  unserem  Versprechen  oft  zum  Schaden  der  Be- 
treffenden Folge  geben  zu  müssen. 

Wir  bezeichnen  die  zu  narkotisirende  Stelle  stets  mit  einem  feinen 
Kratzstrich  mittelst  des  Messers,  um  nachher  genau  da  zu  schneiden, 
wo  die  Injection  gemacht  ist  und  injiciren  in  der  Länge  des  Haut- 
schnittes dicht  an  die  Cutis  heran  i — 6  Spritzen  einer  erwärmten  und 
sterilisirten  i  -  proc.  Cocain  -  Kochsalzlösung.  Der  Erfolg  tritt  in 
weniger  als  einer  Minute  ein.  Wenn  die  Kropfoperation  nicht  eine 
sehr  schwierige  und  daher  länger  dauernde  ist,  so  dauert  die 
Anästhesie  so  lange,  dass  auch  für  die  Hautnaht  die  Empfindlich- 
keit noch  eine  sehr  geringe  ist. 

Ich  betrachte  es  als  einen  grossen  Fortschritt,  Dank  der  Local- 
anästhesie  in  genannter  Form  zu  der  Einsicht  gekommen  zu  sein, 
dass  die  Mehrzahl  der  tiefer  gelegenen  Gewebe  gar 
keinen  hohen  Grad  von  Empfindlichkeit  besitzt,  so  dass 
deren  Läsion  mehr  ein  unangenehmes  Gefühl  als  wirklichen  Schmerz 
erregt.  Nur  Reissen,  Zerren  und  Quetschen  erregt  Schmerz,  aber 
sorgfältige  Ausführung  ist  oft  so  völlig  schmerzlos,  dass  selbst  ver- 
ständige Kinder  die  Angabe  machen,  keinen  Schmerz  gefühlt  zu 
haben.  Nerven  und  einzelne  Gewebe,  wie  die  serösen  Häute,  gewisse 
Fascien,  machen  hiervon  eine  Ausnahme,  da  Zerrung  seröser  Häute 
zumal  unerträgliche  Schmerzen  veranlassen  kann,  wie  sie  uns  bei 
Erkrankung  innerer  Organe  und  Schwellung  derselben  oft  genug 
entgegentreten. 

Wir  verdanken  Lennander  in  dieser  Richtung  überraschende 
Aufschlüsse  z.  B.  über  die  Sensibilität  des  Peritoneum.  Er  konnte 
für  dieses  bei  genauer  Beobachtung  während  der  Operation  mit  Cocain- 
anästhesie  den  Nachweis  leisten,  dass  die  Hauptempfindlichkeit  dem 
Parietalperitoneum  zukommt  resp.  den  in  der  Subserosa  verlaufenden 
Fasern  der  Nervi  intercostales,  lumbales  und  sacrales.  Dagegen  stellte 
er  fest,  dass  Magen,  Darmkanal  und  ihr  Serosaüberzug  und  Mesenterium, 
sowie  die  Gallenblase  weder  Nerven  für  Schmerz-,  noch  Berührungs-, 
Kälte-  oder  Wärmeempfindung  besitzen. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  y 

Wir  haben  besonders  ausgedehnte  Erfahrungen  über  die  Empfind- 
lichkeit im  Bereich  der  Halsorgane.  Es  giebt  nicht  wenige  Patienten, 
denen  man  vor  der  Kropf  Operation  ausdrücklich  sagt,  sofort  zu  künden, 
wenn  sie  einen  Schmerz  empfinden,  welche  aber  bis  zuletzt  völlig 
stille  bleiben.  Doch  sind,  wie  wir  anderswo  zeigen  werden,  bestimmte 
Theile  mit  einer  exquisiten  Empfindlichkeit  begabt,  die  auch  in  Form 
sehr  charakteristischer  ausstrahlender  Schmerzen  angegeben  wird. 
Für  diese  kann  man  sich  einer  wiederholten  Cocaininfiltration  nach 
Schleich  bedienen,  wo  Zeit  dazu  ist.  Alle  Gewebe  ohne  Unterschied 
zu  infiltriren,  ist  eine  zeitraubende  und  die  genaue  anatomische  Beur- 
theilung  erschwerende  Methode  und  ist  für  viele  Operationen  zum 
Mindesten  unnütz. 

Unter  der  Voraussetzung,  dass  man  richtig  temperirte,  sterilisirte 
und  isosmotische  Lösungen  von  Cocain  anwendet,  kann  von  einem 
Nachtheil  der  Localanästhesie  nicht  gesprochen  werden.  Das 
Mittel  hat  in  dieser  Form  keine  Rückwirkungen  auf  den  übrigen 
Körper,  da  die  oben  empfohlenen  Dosen  keine  Giftwirkung  entfalten 
und  wegen  der  rasch  auf  die  Injection  folgenden  Operation  überhaupt 
bloss  zu  einem  kleinen  Theile  resorbirt  werden.  Er  hat  deshalb 
auch  die  Cocainanästhesie  alle  anderen  Localanästhesieen  verdrängt. 
Als  Einleitung  zu  derselben,  wenn  man  selbst  den  Schmerz  des  Ein- 
stichs zu  ersparen  wünscht,  oder  wenn  keine  starke  Cocainlösung 
zur  Verfügung  steht,  kann  man  ein  durch  Abkühlung  wirkendes 
Anästheticum  anwenden.  An  Stelle  der  früher  gebräuchlichen  Aether- 
bestäubungen  ist  gegenwärtig  der  bequemen  Handhabung  wegen  die 
Bestäubung  mit  Aethylchlorid  (Kelen)  getreten,  welches  in  eigenen 
Fläschchen  mit  leichtem  Verschluss  und  feiner  Oeffnung  im  Handel 
sich  befindet.  Braatz  hat  einen  eigenen  Apparat  zur  Abkühlung 
der  Stichstelle  angegeben.  Für  Betäubungsnarkose  in  Fällen,  wo 
man  mit  Glühhitze  zu  operiren  hat,  empfiehlt  Kümmel  sehr  die 
flüssige   Kohlensäure. 

Gegen  Schmerznachwirkung  hilft  das  Cocain  nicht.  Seine 
Wirkung  geht  je  nach  Stärke  der  Concentration  in  weniger  als  einer 
halben  Stunde  vorüber.  Der  Zusatz  von  Morphium,  wie  ihn  Schleich 
benutzt,  hat  nach  Braun  keine  Berechtigung.  Das  Morphium  wirkt 
bloss  durch  Resorption,  nicht  local,  schadet  aber  durch  seine  sehr 
differente  osmotische  Spannung.  Man  wird  also  wie  früher  gegen 
postoperative  Schmerzen  lieber  Morphium  nachträglich  verabfolgen 
resp.  beliebig  irgendwo  subcutan  einverleiben.  Die  Hauptsache  zur 
Verhütung  postoperativer  Schmerzen  ist  die  Anwendung  reiner 
Asepsis  bei  der  Operation  unter  Verhütung  jeder  mechanischen, 
thermischen  und  chemischen  Schädlichkeit  für  die  Gewebe  (durch 
Benutzung  isosmotischer  körperwarmer  Spüllösungen)  und  die  Ver- 
einigung  der  Wunde  unter  Meidung  abnormen  Druckes  und   Zuges 


8  Allgemeines. 

bei  der  Naht  und  Lagerung  und  unter  Verhütung  von  Blut-  und 
Sekretansammlung. 

Die  Infiltration  und  regionäre  Anästhesirung  hat  ihre  Grenzen. 
Es  giebt  eine  grosse  Anzahl  von  Operationen,  bei  denen  von  einer  Er- 
zeugung von  wirklicher  Analgesie  im  ganzen  Umfang  des  Operations- 
gebietes keine  Rede  ist.  Für  eine  Anzahl  dieser  Fälle  lässt  sich 
noch  Rath  schaffen  durch  directe  Cocainisirung  der  grösseren 
Nervenstämme.  Dr.  Cushing  hat  Amputationen  am  Unterschenkel 
ausgeführt  durch  Freilegung  des  N.  ischiadicus  mittelst  eines  kleinen 
Schnittes  und  Cocaininjection  in  den  Nervenstamm ;  gleichzeitig  wurde 
der  N.  saphenus  regionär  anästhesirt. 

Gewiss  ist  dieses  Verfahren  aller  Beachtung  werth,  da  es  frei 
ist  von  wesentlichen  Nachtheilen.  Aber  seine  Anwendung  ist  be- 
schränkt auf  die  Extremitäten,  wo  die  grossen  Nervenstämme  an 
der  Wurzel  der  Glieder  freigelegt  werden  können.  Für  Operationen 
an  der  Ansatzstelle  der  Extremitäten  und  am  Rumpf  findet  es 
nur  ausnahmsweise  Anwendung,  obschon  anzunehmen  ist,  dass  man 
auch  hier  das  Gebiet  durch  genaues  Studium  des  Nervenverlaufes 
noch  erweitern  wird,  da  ja  auch  kleine  Nervenstämme  nahe  ihrem 
Austritt  eine  genau  charakterisirbare  Lage  haben.  Es  ist  z.  B.  gar 
nicht  einzusehen,  warum  man  nicht  auf  Grund  von  Lennander's 
Nachweisen  in  grösserem  Maassstabe  durch  Cocainisirung  der  Stämme 
von  Intercostal-,  Lumbal-  und  Sacralnerven  das  einzig  empfindliche 
Parietalperitoneum  genügend  anästhetisch  machen  sollte,  um  ab- 
dominale Operationen  völlig  schmerzlos  ausführen  zu  können. 

Lösung  aller  Schwierigkeiten  versprach  mit  einem  Schlage  eine 
vierte  Form  der  Localanästhesirung ,  welche  man  als  medulläre 
Anästhesie  bezeichnet  hat.  Bier  hatte  den  ingeniösen  Gedanken, 
durch  Injection  in  den  lumbalen  Arachnoidealraum  eine  grössere 
Anzahl  von  Nervenstämmen  mit  einem  Schlag,  resp.  das  Rückenmark 
selber  unempfindlich  zu  machen.  Leider  musste  Bier  nach  Kurzem 
selber  einen  Warnungsruf  gegen  die  Anwendung  seines  von  vielen 
Seiten  mit  Enthusiasmus  aufgenommenen  Verfahrens  erlassen. 

Die  Ausführung  ist  eine  relativ  leichte.  In  sitzender  Stellung  *) 
oder  in  Seitenlage,  wo  erstere  nicht  möglich  ist,  wird  über  der  Ver- 
bindungslinie des  obersten  Punktes  der  Cristae  ilii,  welche  nach 
Tuffier  dem  5.  Lumbalwirbeldorn  entspricht,  5 — 6 — 7  cm  tief,  stark 
1  cm  von  der  Mittellinie  entfernt,  direct  nach  vorn  zwischen 
4.,  5.  Lumbalwirbeldorn  eine  feine  lange  Nadel  eingestochen  durch 
die  die  Rückenwirbelsäule  bedeckenden  Weichtheile  und  derben  Lig. 


1)  Wir  geben  in  nachstehender  Figur  1  eine  Abbildung  nach  Tuffier 
wieder,  welche  sehr  plastisch  die  Stelle  des  Eindringens  der  Nadel  zwischen 
den  Bogen  des  4.  und  5.  Lendenwirbels  bezeichnet. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  n 

flava  zwischen  den  Wirbelbogen  bis  zur  Dura  und  Arachnoidea.  Der 
Austritt  einiger  Tropfen  wasserklarer  Cerebrospinalflüssigkeit  zeigt 
an,  dass  die  Nadelspitze  am  rechten  Orte  ist.  Ist  dieses  der  Fall,  so 
wird  eine  Spritze  (i  g)  einer  1/2 — 2-proc.  Cocainlösung  eingespritzt. 
Fliesst  kein  Liquor  aus,  so  hat  es  keinen  Sinn  einzuspritzen,  weil 
man  dann  keine  Sicherheit  hat,  in  den  Arachnoidealraum  eingedrungen 


Fig.  i. 


zu  sein.  Fliesst  Blut,  so  gilt  das  Gleiche;  man  hat  die  supraduralen 
Plexus  spinales  verletzt  und  die  Injection  muss  aufgegeben  werden. 
Wo  injicirt  werden  könnte,  tritt  in  10 — 15  Minuten  eine  voll- 
ständige Anästhesie  der  unterhalb  der  Injektionsstelle  gelegenen 
Körperabschnitte  ein,  welche  sich  auf  die  sämmtlichen  von  Lumbal- 
mark  und  Sacralmark  versorgten  Körpertheile  erstrecken  kann,  ja 
in  einzelnen  Fällen  auf  das  Nervengebiet  des  Dorsal-  und  unteren 
Halsmarkes    weitergeht.     Die    erreichte    Anästhesie    dauert    1 — 2 — 3 


IO  Allgemeines. 

Stunden  an,  so  dass  selbst  grosse  Operationen  ohne  Empfindung  für 
den  Patienten  ausgeführt  werden  können. 

Es  ist  keine  Frage,  dass  die  Operation  etwas  Bestechendes  hat. 
Im  ersten  Falle,  wo  ich  dieselbe  in  Anwendung  zog,  hatte  ich  meinen 
Studenten  nichts  gesagt  von  der  Injektion  und  vollführte  eine  Resectio 
pedis  bei  sehr  starker  entzündlicher  Schwellung  bei  einem  zu  Schreien 
in  hohem  Maasse  aufgelegten  Jungen,  während  derselbe  eine  Portion 
Chocolade  verzehrte  und  sich  hinter  einem  kleinen  Vorhang,  welcher 
ihm  seinen  kranken  Fuss  verdeckte,  mit  einem  Assistenten  über  seine 
Familienverhältnisse  unterhielt. 

Leider  ist  nicht  bloss  die  Anästhesirung  nicht  in  allen  Fällen 
eine  so  vollständige,  sondern  es  treten  in  wenigen  Stunden  Störungen 
ein,  welche  die  Folgen  der  allgemeinen  Narkose  an  Unannehmlich- 
keit bei  Weitem  übertreffen.  Die  Hauptstörung  ist  ein  intensives 
und  oft  Tage  lang  anhaltendes  Kopfweh,  öfter  mit  Erbrechen  ver- 
bunden. Dazu  kommt  fast  regelmässig  Temperatursteigerung,  welche 
das  Urtheil  über  den  Wundverlauf  wesentlich  zu  trüben  geeignet  ist,  bis 
400,  allerdings  gewöhnlich  bis  zum  nächsten  Tage  schon  zurückgehend. 

In  einzelnen  Fällen  haben  wir  noch  heftigere  Nachwirkungen 
beobachtet  in  Form  von  Benommenheit  des  Sensorium  mit  heftiger 
Aufregung,  Aengstigung  und  Athemnoth  (42  Resp.),  sehr  frequ entern 
Puls,  weiten  Pupillen,  Krämpfen  und  gesteigerter  Empfindlichkeit  in 
den  unteren  Extremitäten.  Fieber,  beschleunigte  Athmung  und  Puls 
hielten  sich  in  einem  Falle  bis  zum  3.  Tage.  In  einzelnen  Fällen 
wurden  vorübergehend  motorische  Lähmungen   beobachtet. 

Aber  noch  zwei  schwerwiegende  Folgen  der  medullären  Local- 
anästhesie  sind  zu  verzeichnen.  Die  erste  mag  Vielen  fraglich 
erscheinen,  aber  wir  haben  bei  besonders  guter  Wirkung  der 
Anästhesirung  auffällig  ungünstigen  Wundverlauf  beobachtet  und  diese 
Beobachtung  wurde  uns  von  einem  Chirurgen  (Dr.  Cushing)  be- 
stätigt, dem  wir  davon  Mittheilung  gemacht  haben.  Viel  wichtiger 
aber  ist  ein  unglücklicher  Ausgang  nach  der  Injection.  Wir  haben 
einen  solchen  in  der  Form  beobachtet,  dass  das  Fieber  und  die 
Kopfschmerzen  nicht  nachliessen  und  sich  eine  tuberculöse  Menin- 
gitis anschloss.  Dr.  Dumont  hat  ebenfalls  über  einen  Todesfall 
berichtet.  Es  kann  wohl  sicherlich  nicht  ausgeschlossen  werden, 
dass  die  schädliche  Wirkung,  welche  Cocain  regelmässig  auf  das 
Centralnervensystem  resp.  seine  Häute  ausübt  und  die  sich  in  Kopf- 
weh und  anderen  Reizerscheinungen  kund  thut,  bei  disponirten 
Individuen  auch  den  Anstoss  geben  kann  zu  eigentlichen  Ent- 
zündungen. Es  kann  nach  dem  Gesagten  von  einer  allgemeinen 
Anwendung  der  medullären  Localanästhesie  an  Stelle  der  viel  un- 
gefährlicheren und  angenehmeren  allgemeinen  Narkose  bis  auf 
Weiteres  keine  Rede  mehr  sein. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  1 1 

Allerdings  ist  gar  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  medulläre 
Anästhesie  ihres  grossen  Nachtheiles  entkleidet  werden  kann  bei 
Wahl  geeigneterer  Mittel.  Bier  selber  stellt  in  dieser  Beziehung 
Verbesserungen  in  Aussicht,  und  K.  Schwarz  sah  bei  Verwendung 
von  Tropacocain  selbst  bis  zu  0,05  statt  des  Cocains  gar  nichts 
von  nachtheiligen  Wirkungen.  Es  sind  nicht  alle  Leute  so  glücklich, 
gleich  bei  ihren  ersten  Versuchen  mit  einem  neuen  Verfahren  auf 
die  Nachtheile  desselben  aufmerksam  zu  werden. 


2.    Allgemeinanästhesie. 

Die  allgemeine  Narkose  behält  für  viele  Patienten  den  grossen 
Vorzug  voraus  vor  blosser  Localanästhesie,  dass  dieselben  von  den  Zu- 
rüstungen  und  Maassnahmen  während  der  Operation  nichts  zu  sehen 
und  hören  brauchen.  Und  glücklicherweise  hat  fortschreitende  Er- 
fahrung uns  jetzt  Mittel  an  die  Hand  gegeben,  welche  in  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Fälle  die  allgemeine  Narkose  ebenso 
ungefährlich  erscheinen  lassen,  alsdie  locale  Narkose, 
jedenfalls  unschädlicher  als  die  medulläre  Anästhesirung.  Man  ist 
allmählich  mit  ganz  bestimmten  Contraindicationen  für  dieses  und 
jenes  Narcoticum  vertraut  geworden,  deren  Berücksichtigung  vor 
der  Unruhe  bewahrt,  welche  sonst  selbst  erfahrene  Chirurgen  so  oft 
vor  Narkosen  empfunden  haben. 

Schleich  hat  allerdings  Recht,  wenn  er  hervorhebt,  dass  die 
Möglichkeit,  eine  locale  Anästhesie  zu  bewirken,  es  uns  zur  Gewissens- 
sache macht,  in  jedem  Falle  festzustellen,  ob  die  zur  Narkose  ge- 
wählte Methode  vor  Lebensgefahr  sichert.  Aber  wenn  er  sich  auf  die 
von  ihm  gewonnene  Erkenntniss  beruft,  dass  man  bei  Cocain  niemals 
toxische  Dosen  zu  verabfolgen  brauche,  so  darf  ich  auf  Grund  eigener 
Erfahrungen  behaupten,  dass  dies  genau  ebenso  für  die  Allgemein- 
anästhetica  gilt,  für  Chorof orm  wie  für  Aether.  Es  giebt  sehr  erfahrene 
Chirurgen  (z.  B.  Kümmel),  welche  auch  mit  Cocain  unangenehme 
Erlebnisse  gehabt  haben.  Man  muss  für  alle  Sorten  Anästhetica 
unter  der  im  individuellen  Falle  gefährlichen  Dosis  bleiben, 
wenn  man  solches  vermeiden  will. 

Grosse  unbefangene  Statistiken,  wie  die  aus  der  Sammelforschung 
der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie  hervorgegangene  Gurlt- 
sche  Statistik,  haben  bewiesen,  dass  der  Aether  bei  Berück- 
sichtigung ganz  bestimmter  Contraindicationen,  welche 
sich  genau  präcisiren  lassen,  bei  jeder  Anwendungsweise  ein  ver- 
hältnissmässig  ungefährliches  Anästheticum  ist.  Einzelne  Aerzte- 
körper,  wie  diejenigen  in  Lyon  und  namentlich  Boston,  sind  dem 


12 


Allgemeines. 


von  Jackson  und  Morton  daselbst  1846  eingeführten  Mittel1)  trotz 
aller  Vorzüge  des  durch  Simpson  1847  zuerst  benutzten  Chloroforms 
treu  geblieben,  und  eine  Anzahl  von  Chirurgen,  vor  Allem  Juillard 
(Comte)  haben  sich  früh  (seit  1776)  den  Lobeserhebungen  dieses  Mittels 
auf  Grund  langer  Erfahrungen  angeschlossen 2).  Erst  in  neuester  Zeit 
hat  sich  eine  grössere  Anzahl  deutscher  Chirurgen,  Dumont,  Roux, 
Steltzner,  Bruns,  Garre,  Trendelenburg  u.  A.  dem  Aether 
mit  Eifer  zugewendet  und  sich  um  die  vorzugsweise  Anwendung 
dieses  Narkoticums  bemüht,  und  zur  Stunde  ist  die  relative  Gefahr- 
losigkeit des  Aethers  schon  so  bekannt,  dass  es  nicht  selten  vor- 
kommt, dass  Patienten,  welche  sich  zu  einer  Operation  entschliessen 
müssen,  einem  die  Frage  vorlegen,  mit  welchem  Narkoticum  man 
anästhesire  und  sich  nun  bei  Zusage,  dass  dies  der  Aether  sei,  be- 
ruhigen. Eine  ganze  Anzahl  competenter  Chirurgen  hat  sich  in  den 
letzten  Jahren  dahin  ausgesprochen,  dass  sie  erst  von  dem  Augenblick 
an  haben  einsehen  lernen,  was  eine  mit  Gemüthsruhe  einhergehende 
Narkose  sei,  als  sie  dem  Chloroform  den  Abschied  gegeben  und  an 
dessen  Stelle  den  Gebrauch  des  Aethers  eingeführt  haben.  Auch 
Narkoseleiter,  welche  wie  Freeman  in  Bristol  general  Hosp.  mit 
beiden  Narkotica  reiche  Erfahrungen  sammelten,  sprechen  sich  in 
diesem  Sinne  aus. 

Wo  man  Narkose  oft  unter  den  allerun günstigsten  Verhältnissen 
einzuleiten  hat,  wo  von  einem  Augenblick  zum  andern  eine  Narkose 
nöthig  wird,  wo  man  verpflichtet  ist,  auf  einer  Klinik  angehenden 
Aerzten  Gelegenheit  zu  geben,  die  Methode  der  Narkose  einzuüben, 
da  wird  man  mit  Chloroform  gelegentlich  üble  Zufälle  nicht  ver- 
meiden können.  Beweis  sind  die  vielen  Chloroformtodesfälle  in  ein- 
zelnen Ländern,  wo  man  sehr  conservativ  an  der  ausschliesslichen 
Anwendung  dieses  Mittels  festhält.  Beweis  ist  der  Umstand,  dass 
in  Spitälern  Chloroformtodesfälle  der  grossen  Mehrzahl  nach  bei 
kleinen  Operationen  vorkommen,  deshalb,  weil  diese  zum  guten 
Theil  von  wenig  erfahrenen  jungen  Aerzten  vorgenommen  werden. 
Meine  Erfahrungen  sind  nach  dieser  Richtung  ganz  schlagend. 

Das  Chloroform  ist  ein  viel  intensiveres  Gift  und  bei  jedem 
Gift  giebt  es  auserlesene  Individuen,  welche  ein  Idiosynkrasie  gegen 
dasselbe  haben.  Alle  Experimente,  welche  zu  belegen  versuchen 
(Hyderabadkommission),  dass  Chloroform  stets  zuerst  Athemstillstand 


1)  Collins  Warren  giebt  interessante  Aufschlüsse  zur  Geschichte  der 
Aetheranästhesirung.  Schon  1805  liess  C.  Warren  zur  Erleichterung  bei 
Phthise  Aether  einathmen  und  von  1842  weg  machte  Dr.  Long  die  ersten  Aether- 
narkosen  bei  kleinen  Operationen,  aber  erst  1846  machte  J.  C.  Warren  auf 
Martons    Betrieb  eine  grössere  Operation  unter  Aether. 

2)  Schiff  giebt  an,  in  Genf  zuerst  „die  wirkliche  vollständige  Anästhesie 
durch  Aether"  vorgezeigt  zu  haben. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  13 

und  durch  diesen  Herzstillstand  bewirken,  vermögen  die  Erfahrung 
der  Chirurgen  nicht  umzustossen,  dass  selbst  bei  Individuen,  bei 
welchen  die  Untersuchung  ein  Leiden  des  Herzens  oder  der 
Athmungsorgane  nicht  nachzuweisen  vermochte,  es  geschehen  kann, 
dass  plötzlich  in  der  Chloroformnarkose  das  Gesicht  blass  wird,  die 
Pupillen  weit  und  starr,  der  Puls  verschwindet  und  das  Herz  stille 
steht,  während  die  Athmung  regelmässig  oder  unregelmässig  noch 
einige  Zeit  fortgeht.  Einzelne  Beobachter  wollen  sowohl  die  Früh- 
ais Spätsynkope  auf  Trigeminusreflex  zurückgeführt  wissen  mit  Er- 
regung des  Herzhemmungscentrums  in  der  Medulla,  da  oft  wenige 
Tropfen,  auch  nachträglich  gereicht,  Exitus  bedingen  (Zoege-Man- 
teuffel),  aber  die  Experimente  von  Gaskell  und  Shore  mit 
Kreuzkreislauf  bei  Hunden  beweisen  mit  Sicherheit,  dass  zunehmende 
Blutdruckerniedrigung  und  daherige  Collapsgefahr  auch  unter  Aus- 
schluss des  Gehirns  durch  Wirkung  auf  das  Herz  selber  zu  Stande 
kommen  kann,  und  WiNOGRADOFF  und  Schmidt  haben  die  Er- 
krankung der  Herzganglien  nachgewiesen,  Uebrigens  haben  auch 
zahlreiche  andere  Experimente  (englisches  Chloroformcomite,  WOOD 
und  Hare,  Schmey,  Kronecker  u.  A.)  den  Beweis  erbracht,  dass 
Chloroform  als  Herzgift  den  tödtlichen  Ausgang  bewirken  kann. 
Kronecker  hat  mit  seinen  Mitarbeitern  gezeigt,  dass  das  Coor- 
dinationscentrum  des  Herzens  selber  beim  Thiere  gelähmt  wird,  flim- 
mert und  sich  bei  Hunden  nicht  mehr  erholt. 

Allerdings  schliessen  alle  diese  Experimente,  welche  eine  Herz- 
lähmung von  der  Medulla  aus  nicht  annehmbar  erscheinen  lassen, 
einen  secundären  Herzstillstand  durch  Lähmung  des  Vasomotoren- 
centrums im  Gehirn  nicht  aus,  obschon  Gaskell  und  Shore  bloss 
Erregung  desselben  wahrnahmen. 

Es  giebt  glücklicherweise  Mittel,  diese  gefährlichen  Zufälle 
seitens  des  Herzens  zu  vermeiden,  darin  bestehend,  dass  man  dem 
Patienten  die  Dosis  anpasst,  die  er  verträgt.  Die  bedenkliche  Wir- 
kung tritt  nur  ein  bei  Einwirkung  des  Chloroforms  in  zu  concen- 
trirter  Form,  und  zwar  sowohl  diejenige,  welche  auf  die  primären 
reflectorischen  Einflüsse  von  Trigeminus-  und  Vagusästen  in  Nase 
und  Larynx  und  Lungen,  auf  Herz-  und  Athmungscentrum  bezogen 
werden,  als  die  secundäre  vom  Blut  direct  auf  das  Herz.  Holmgren 
hat  gezeigt,  dass  reflectorischer  Athmungs-  und  Herzstillstand  von 
selbst  zurücktreten  mit  Verschwinden  der  Sensibilität  durch  fort- 
gesetzte Chlor oformirung ,  wenn  sie  durch  Gebrauch  von  nicht 
concentrirtem  Chloroform  zu  Stande  kommen,  sobald  man  frische 
Luft  zutreten  lässt.  Auch  nach  Cushny  ist  Tod  durch  Herzstillstand 
ausgeschlossen,  sobald  man  bloss  richtig  verdünntes  Chloroform  ein- 
athmen  lässt.  Dieses  wird  stets  bloss  durch  Lähmung  des  Athmungs- 
centrum und  der  Medulla  lebensgefährlich,   wenn  die  Narkose  lange 


14 


Allgemeines. 


dauert.  Man  hat  das  Chloroformluftgemenge  genau  bestimmt,  in 
welchem  Thiere  die  längste  Zeit  ohne  Schaden  leben  können  (5  ccm  auf 
100  Liter  Luft  nach  Kronecker).  Fängt  man  die  Narkose  mit 
minimalen  Dosen  an  und  steigert  dieselben  nicht  über  einen  gewissen 
Grad  und  eine  gewisse  Dauer  hinaus,  so  werden  die  Gefahren  be- 
seitigt. Das  Dictum  von  SEDILLOT:  „Le  Chloroform  pur  et  bien 
employe  ne  tue  jamais"  hat  deshalb  seine  Berechtigung  und  die  Ver- 
wunderung einiger  Autoren  über  unsere  frühere  Methode,  erst  Chloro- 
form, dann  Aether  zu  verabfolgen,  hat  für  die,  welche  mit  Chloroform 
umzugehen  wissen,  keine  Berechtigung.  Ohne  diejenigen  Apparate  und 
Vorsichtsmaassregeln,  welche  Sicherheit  geben  gegen  Ueberschreitung 
eines  genau  bestimmten  Concentrationsgrades  sollte  man  deshalb  un- 
erfahrenen Leuten  niemals  gestatten,  eine  Chloroformnarkose  zu  leiten. 

Die    Junker- 
schen    und    zumal 
KAPPELER'schen 
Apparate ,      auf 
Grund  von  Snow's 
Versuchen     con- 
struirt,     geben     in 
dieser  Hinsicht  die 
meiste  Gewähr,  da 
sie  auf  ein  gewisses 
Procent     Chloro- 
formbeimischung zu  Luft  eingestellt  werden  können.    Dumont  rühmt 
auch  den  Apparat  von  Krohne  und  Seseman1). 

Wir  ziehen  es  vor,  unsere  hier  abgebildete  Maske  zu  ge- 
brauchen, welche  unter  Beibehaltung  der  Form  der  EsMARCH'schen 
Maske  und  des  GlRARD'schen  Klappdeckels  einen  circulären  ge- 
nügenden Spalt  frei  lässt  zur  Sicherung  gegen  Einathmung  zu  con- 
centrirten  Chloroforms.  Die  Maske  hat  den  Vorzug,  dass  man  mit 
kleinsten  Dosen  die  Narkose  in  jedem  Falle  beginnen  kann,  wenn 
man  sich  der  Tropfmethode  bedient.  Diese  von  uns  schon  ein 
Jahr  vor  der  bekannten  ZuCKERKANDL'schen  Publication  im  Corre- 
spondenzblatt  für  Schweizerärzte  ohne  Kenntniss  der  Leon  Labbe- 
schen  Publication  empfohlene  Methode  ist  jetzt  die  neben  Kappeler's 


Fig.  2. 


1)  Ratimoff  unter  K,ronecker  fand  bei  20  ccm  Chloroform  auf  100  Liter 
Luft  schon  Lähmung  des  Athmungscentrums  und  Abtödtung  des  Herzens  nach 
1  Stunde.  Bei  5  ccm  bestand  Stunden  lang  gute  Narkose,  welche  bei  längerer 
Dauer  auf  7  ccm  erhöht  werden  musste,  wenn  man  Abkühlung  des  Thieres 
verhinderte.  Kappeler  fand  für  gute  Narkose  eine  Anfangsdosis  von  gl/2  g 
Chloroform  auf  100  Liter  Luft  in  seinem  Apparat  nothwendig,  bei  Männern 
dagegen  50  ccm.  Nach  P.  Bert  sind  die  zwei  Grenzpunkte  für  die  rasche  An- 
ästhesie bei  10  g  Chloroform  auf  100  Liter,  für  sofortigen  Tod  bei  20  g. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  !  c 

Apparat  allgemein  übliche.  Sie  erlaubt,  jedem  Patienten  diejenige 
Dose  zuzuführen,  die  ihm  für  eine  Narkose  ohne  Gefahr  von 
Nöthen  ist. 

Aber  auch  in  dieser  sicheren  Anwendungsweise,  welche  gegen 
unmittelbare  Lebensgefahr  schützt,  schliesst  das  Chloroform  als 
starkes  Gift  für  die  Organe  noch  secundäre  Gefahren  ein.  Freilich 
ist  das  Schlimmste  an  der  Chloroformnarkose  der  plötzliche  Eintritt 
des  Todes  im  Anfang  der  Narkose  und  bei  relativ  gesunden 
Individuen.  Diese  Todesfälle  sind  zu  vermeiden,  wie  jeder  Chirurg 
bestätigen  wird,  welche  Tausende  und  aber  Tausende  von  Chloroform- 
narkosen durchgeführt  hat,  ohne  einen  solchen  Todesfall  zu  erleben. 
Bardeleben  hat  nach  30000  Narkosen  seinen  ersten  Todesfall  er- 
lebt. Aber  es  muss  immerhin  auch  hier  zugegeben  werden,  dass 
die  Gefahr  schwieriger  zu  vermeiden  ist  als  bei  Aether,  weil  Chloro- 
form in  viel  kleineren  Dosen  giftig  wirkt,  daher  Bert's  „zone 
maniable"    eine  ungleich  beschränktere  ist. 

Vollends  bleibt  auch  für  vorsichtige  Chirurgen  die  grössere 
Schwierigkeit  der  richtigen  Chloroformdarreichung  bestehen  bei 
längerer  Anwendung  desselben,  weil  dasselbe  in  viel  höherem 
Maasse  den  Blutdruck  herabsetzt,  und  dieser  Uebelstand  sich  mit 
anderen  Schädlichkeiten,  wie  ganz  besonders  Blutverlust,  combinirt. 
Auch  gar  nicht  zu  vermeiden  ist  die  intensivere  Giftwirkung,  welche 
in  der  Nachwirkung  des  Giftes  auf  gewisse  Organe  nach  Auf- 
hebung der  Narkose  ihren  Ausdruck  findet,  indem  sich  bei  langer 
Dauer  der  Narkose  Degenerationsvorgänge  in  lebenswichtigen 
Organen  einstellen. 

Es  treten  bei  gewissen  Individuen  mit  chronischen  Constitutions- 
resp.  Ernährungsstörungen  auch  nach  Aufhebung  der  Narkose  Er- 
scheinungen auf,  die  freilich  meistens  ohne  bleibende  Nachtheile  binnen 
Stunden  oder  wenigen  Tagen  zurückgehen,  aber  ausnahmsweise  noch 
nachträglich  tödtlichen  Ausgang  herbeiführen  können.  Die  letzteren 
Fälle  haben  aufmerksam  gemacht,  dass  gewisse  Folgezustände,  welche 
man  als  mehr  weniger  nothwendige  Beigabe  der  schlafmachenden 
Wirkung  der  Anästhetica  mit  in  den  Kauf  nahm,  wie  Erbrechen  etc., 
einen  sehr  palpablen  Hintergrund  in  gewissen  Organeerkrankungen 
haben  können. 

Diesen  Nachwirkungen  speciell  der  Chloroformnarkose  hat 
man  noch  nicht  sehr  lange  die  verdiente  Beachtung  geschenkt.  Seit 
Fischer  und  Thiem  auf  diesebe  bei  einem  unglücklichen  Falle  die 
Aufmerksamkeit  gelenkt  haben,  hat  eine  Reihe  von  Forschern  ihre 
Genese  experimentell  geprüft. 

Nothnagel  hat  zuerst  dem  Symptomenbild  durch  experimentelle 
Untersuchungen  eine  anatomische  Grundlage  gegeben.  Unger, 
Strassmann,  Casper,  Fränkel,    Schellmann  und   Ostertag, 


1 6  Allgemeines. 

Bandler,  Bastianelli  haben  dazu  beigetragen,  diese  Veränderungen 
genauer  bekannt  zu  machen.  Es  handelt  sich  um  fettige  Degene- 
rationen der  Muskeln,  speciell  des  Herzmuskels  (nicht  immer),  der 
Nieren,  des  Magens  und  der  Schleimhäute  überhaupt,  sowie  um 
gleichzeitige  Fettinfiltration  der  Leber  durch  abgelagertes  Fett. 
Ostertag  schliesst  auf  Zerstörung  rother  Blutkörperchen  aus  Galle- 
farbstoff im  Urin;  Ajello  fand  hyaline  Degeneration  der  Gefässe, 
Ablagerung  der  Zerfallsproducte  in  der  Milz.  Mit  der  Verfettung 
geht  Nekrose  der  Nierenepithelien  (Fränkel)  und  Nekrose  im  Innern 
der  Leberacini  (Marthen)  Hand  in  Hand.  Marthen  fand  nament- 
lich die  Veränderungen  in  den  Nieren  stets  hochgradig.  Pohl 
zeigte,  dass  in  Organen,  welche  am  meisten  in  Chloroform  lösliche 
Bestandtheile  enthalten,  das  meiste  Chloroform  gebunden  wird,  so 
im  Gehirn,  in  rothen  Blutkörperchen.  Auch  Overton  fand,  dass 
die  indifferenten  Narkotica  durch  Uebergang  in  die  lecithin-  und 
cholesterinhaltigen  Bestandtheile  der  Zellen  wirken,  wodurch  sie  den 
physikalischen  Zustand  dieser  „Gehirnlipoide"  bis  zur  Functionsstörung 
verändern. 

Von  Kast  und  Mester  ist  der  Nachweis  von  Eiweisszerfall 
geliefert  worden  durch  Nachweis  vermehrter  N-Ausscheidung  und 
vermehrten  Gehalts  an  neutralem  Schwefel  im  Harn.  Nach  Battier 
und  Soulier  vermindert  das  Chloroform  den  Glykogengehalt  der 
Leber,  und  da  diese  der  Giftvernichtung  dient,  so  steigt  der  Giftgehalt 
des  Urins  und  Erbrechen  ist  ein  Symptom  hierfür.  Durch  Naphthol, 
Magenspülung  und  Glykogenverabfolgung  kann  entgegen  gewirkt 
werden.  Nach  Thiem  und  Fischer  kann  man  an  der  Isonitril- 
reaction  auf  Chloroform  im  Harn  entscheiden,  ob  wiederholte  Chloro- 
formverabfolgung  zulässig  ist.  Der  Harn  darf  FEHLiNG'sche  Lösung 
nicht  mehr  reduziren.  Das  ist  wichtig,  weil,  wie  SCHENK  gezeigt 
hat,  die  mehrfach  in  kurzen  Zwischenräumen  wiederholte  Chloro- 
formirung  ganz  besonders  starke  Degenerationen  zur  Folge  hat. 

Um  die  Organdegenerationen  dem  Chloroform  zuzuschreiben, 
muss  man  andere  toxische  und  namentlich  septische  Einflüsse  aus- 
schliessen.  Dies  ist  nicht  immer  scharf  genug  durchgeführt  worden. 
Denn  Infectionen  resp.  schwere  Folgen  derselben  machen  sich  nach 
Allgemeinnarkose  besonders  geltend.  Das  ist  auch  eine  Art  un- 
günstiger Nachwirkung  der  Allgemeinnarkose,  die  grössere  Ge- 
fahr der  Intoxication  durch  andere  toxische  Substanzen,  seien 
es  Antiseptica,  seien  es  bakterielle  Toxinie.  Galeazzi  und  Grillo 
fanden,  dass  Kaninchen  nach  Chloroformnarkose  an  einer  für  nicht 
narkotisirte  Thiere  nicht  tödtlichen  Dosis  Diphtherietoxin  zu  Grunde 
gingen,  weil  die  Ausscheidung  (wie  bei  Methylenblau)  durch  die  er- 
krankten Nieren  Noth  leidet,  wie  nach  obiger  Angabe  von  Battier 
auch  die  Entgiftung  in  der  Leber  beschränkt  wird. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  iy 

Es  ist  deshalb  leicht  begreiflich,  dass  ganz  besonders  Individuen 
mit  Fettleber,  Nierenleiden,  solche  mit  Verdauungsstörungen,  chro- 
nischen Vergiftungen,  wie  Basedow  u.  s.  w.  den  gefährlichen  nach- 
träglichen Folgen  der  Allgemeinnarkose  ausgesetzt  sind. 

Wie  Bandler  und  Leppmann  an  Thieren  gezeigt  haben,  sind 
hei  Aethernarkose  die  Veränderungen  der  Organe  viel  seltener  und 
geringgradiger. 

Die  Symptome  bei  tödtlicher  Choroformnachwirkung  sind  haupt- 
sächlich diejenigen  gestörter  Nieren-  und  Leberthätigkeit:  Erbrechen, 
Ikterus,  Abnahme  des  Urinquantums,  Eiweiss  und  Cylinder  im 
Urin.  Heintz  constatirte  starke  Pulsbeschleunigung  und  Collaps. 
In  dem  Falle  von  Bandler  aus  der  WöLFLER'schen  Klinik,  welcher 
unter  dem  Bilde  einer  acuten  gelben  Leberatrophie  verlief,  bestanden 
ausser  obigen  Symptomen  noch  Schmerzen  in  der  Leber,  Kopf- 
schmerz, Delirium,  blutiger  Stuhl,  Bewusstlosigkeit,  Petechien,  zuletzt 
Leucin  und  Tyrosin  im  Urin.  Bandler  nimmt  an,  dass  Fettleber 
•das  Chloroform  besonders  gut  binde  und  so  die  völlige  Degeneration 
in  Form  der  acuten  gelben  Leberatrophie  herbeiführe. 

Auch  diese  Wirkung  ist  schliesslich  die  Folge  zu  hoher  Chloro- 
formdosen insofern,  als  es  sich  um  lange  dauernde  Operationen 
handelt,  und  wenn  man  auf  Grund  der  üblen  Erfahrungen  bezüglich 
unerwartet  eintretenden  Synkope  grosse  Vorsicht  üben  muss,  um 
nicht  das  Leben  eines  Patienten  aufs  Spiel  zu  setzen,  so  muss  für 
bestimmte  Patienten  auf  Grund  der  besprochenen  Nachwirkungen 
das  Chloroform  für  lange  dauernde  Operationen  auch  bei  correcter 
Anwendungsweise  als  ungeeignet  erklärt  werden.  Alle  Nachtheile 
der  Allgemeinnarkose  treten  in  verstärktem  Maasse  zu  Tage,  wenn 
es  sich  um  blutarme,  kachektische  Individuen  handelt,  oder  wenn 
Operationen  ausgeführt  werden,  die  nothwendig  grössere  Blutverluste 
nach  sich  ziehen. 

Die  Con traindicationen  gegen  den  Gebrauch  des 
Chloroforms  sind  demgemäss  zahlreich.  Bei  Herzkranken,  sehr 
anämischen,  durch  Krankheiten  herunter  gekommenen  Leuten  mit 
schwacher  Herzaction  darf  dasselbe  nicht  zur  Anwendung  kommen. 
Bei  länger  dauernden  Operationen,  wenn  dieselben  mit  stärkerem  Blut- 
verluste verbunden  sind,  und  wenn  sie  bei  Individuen  mit  chronischen 
Ernährungsstörungen,  Intoxicationen  und  Constitutionskrankheiten 
ausgeführt  werden  müssen,  ist  es  gefährlich.  Zulässig  ist  es  bei 
kräftigen  Individuen  und  Kindern  jugendlichen  und  mittleren  Alters. 
Hagenbach  (vergl.  Wieland),  ein  so  sorgfältiger  Beobachter,  hat 
fast  ausschliesslich  Chloroform  innerhalb  25  Jahren  im  Baseler  Kinder- 
spital benutzt,  und  bei  Benutzung  eines  eigenen  Apparates  zur  Her- 
stellung  des  Chloroformluftgemisches  niemals  üble   Zufälle   erlebt. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  2 


!  3  Allgemeines. 

Wir  haben  in  unserer  Privatklinik,  wo  wir  während  20  Jahren 
fast  ausschliesslich  Chloroform  benutzten,  nur  einen  einzigen  Todes- 
fall erlebt,  und  das  war  gerade  ein  Fall,  welcher  bei  länger  dauernder 
Operation,  da  durch  Aether,  mit  welchem  die  Operation  begonnen 
war,  keine  genügende  Narkose  sich  erzielen  Hess,  nachträglich 
Chloroform  gereicht  wurde,  eine  Methode,  die  wir  für  verwerflich 
halten  und  gleichsam  nothgedrungen  einmal  in  Anwendung  brachten, 
weil  das  Geschrei  und  die  Unruhe  der  Patientin  die  Vollendung  der 
Operation  verunmöglichte.  Wir  haben  in  der  Privatklinik  stets  den- 
selben sehr  vorsichtigen  und  gewissenhaften  Chloroformisator  gehabt. 

Man  kann  also  die  Gefahren  des  Chloroforms  vermeiden,  aber 
sicher  ist  es,  dass  dazu  Erfahrung  und  gewissenhafte  Prüfung  jedes 
einzelnen  Krankheitsfalles  vor  der  Narkose  gehört.  Es  ist  deshalb 
ungleich  bequemer,  ein  Anästheticum  zur  Verfügung  zu  haben,, 
dessen  „zone  maniable"  sich  in  viel  weiteren  Grenzen  bewegt  und 
wo  Mangel  an  Vorsicht  nicht  gleich  mit  dem  Tode  des  Patienten 
bestraft  wird.     Dieses  Mittel  ist  der  Aether. 

Dass  man  auch  an  Aethernarkose  sterben  kann,  beweist  die 
Statistik.  Aber  der  Aether  hat  den  Vortheil,  dass  die  Wirkung  auf 
das  Herz  gegenüber  der  controlirbaren  Wirkung  auf  die  Athmung 
völlig  in  den  Hintergrund  tritt,  und  dass  auch  die  giftigen  Nach- 
wirkungen auf  die  übrigen  Körperorgane  in  ungleich  geringerem 
Grade  sich  geltend  machen.  Die  Contraindicationen  für  Anwendung 
des  Aethers  lassen  sich  auch  noch  bestimmter  formuliren  und  in  praxi 
feststellen,  als  für  das  Chloroform.  Es  sind  in  erster  Linie  die 
Störungen  der  Athmung  und  pathologische  Veränderungen 
der  Athmungsorgane ,  welche  hier  die  Contraindication  bilden. 
Denn  der  Aether  hat  local  stärker  und  nachhaltiger  schädigende 
Wirkung  auf  die  Athmungsorgane  als  das  Chloroform x). 

Man  hat  dem  Aether  ausserdem  noch  schädigende  Wirkung  auf 
die  Nieren  zugeschrieben.  Allein  experimentelle  Untersuchungen 
und  klinische  Beobachtungen  von  Roux,  von  Wunderlich,  sowie 
Fueter  und  Lerber  unter  Dumont's  Leitung  zeigen,  dass  in 
dieser  Hinsicht  Aether  nicht  bedenklicher  ist  als  Chloroform.  Immer- 
hin haben  Thomson,  Coleman,  Kemp  starke  Abnahme  des  Blut- 
gehalts und  der  Secretion  der  Niere  durch  directe  Messungen  bei 
Aether  festgestellt,  bei  Chloroform  fehlte  diese.  Bei  90  Todes- 
fällen im  Roosevelt  Hospital  kamen  5  auf  Nierenaffection  nach 
Aethernarkose.  Brown  constatirte  auch  eine  erhebliche  Hemmung 
in  der  Ausscheidung  der  Harnfixa  bei  Aether. 

1)  Bruns  hat  aufmerksam  gemacht,  dass  die  Nachtheile  des  Aethers  von 
Unreinheit  desselben  herrühren.  Prof.  Drechsel  sagte  mir,  dass  auch  im 
reinsten  Aether  sich  Vinylalkohol  und  Ozon  bilden,  wenn  er  bei  Luft  und 
Licht  aufbewahrt  wird. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  jn 

Allerdings  findet  man  nach  Chloroform  ebenso  oft  (Niebergall) 
im  Urin  Cylinder  und  Ei  weiss,  ja  Chloroform  wirkt  nach  Eisen- 
draht, Zachrisson  (Lennander),  Lerber,  Barbacci  und  Bebi, 
Luther  und  Rindskopf  noch  schlechter;  nach  Stockvis  und 
Doyer  dagegen  ist  nach  Aether  Nierenaffection  entschieden  häufiger. 

Um  so  sicherer  ist  die  eigentliche  Wirkung  des  Aethers  auf 
bestehende  Stauungs-,  Hyperämie-  und  Entzündungszustände  des 
Larynx,  der  Bronchien  und  Lungen.  Die  ausnahmsweisen  Aether- 
todesfälle,  die  ich  gesehen  habe,  bezogen  sich  auf  Operationen  bei 
hochgradigen  Tracheostenosen,  Erkrankung  der  Lungen,  Empyem. 
Und  es  war  auffällig,  wie  hochgradige  Hyperämie  der  Tracheal-  und 
Bronchialschleimhaut  bis  in  die  feinen  Bronchien  bestand  bei  den 
kurze  Zeit  nach  der  Operation  unter  stetig  zunehmender  Dyspnoe 
gestorbenen  Fällen. 

Es  lohnt  sich,  zu  untersuchen,  durch  was  die  Schädigungen  der 
Athmungsorgane,  welche  in  Lungenödem,  hochgradige  Bronchitis, 
Hepatisation  und  Pneumonie  ausgehen  können,  veranlasst  werden. 
Zur  Aufklärung  verdient  zunächst  eine  interessante  Arbeit  Gott- 
STElN's  Erwähnung. 

Wenn  dem  Aether  der  Vorwurf  gemacht  wird,  dass  er,  wie  auch 
das  Chloroform,  aber  viel  öfter  Veranlassung  gebe  zu  Pneumonien, 
so  sollte  man,  wie  Gottstein  hervorhebt,  glauben,  dass  nach  Local- 
anästhesie  diese  Pneumonien  ganz  aufhören  würden.  Nun  hat  G. 
gefunden,  dass  unter  234  Operationen  bei  212  Patienten  der  Mikulicz- 
schen  Klinik  unter  Cocainanästhesie  bei  74  Fällen,  wo  nicht  am 
Abdomen  operirt  wurde,  bloss  imal,  bei  114  Abdominalfällen  2jmal 
(=  24  Proc.)  Lungenerkrankungen  auftraten.  Nach  Abzug  der 
lymphatischen  Pneumonien  nach  Peritonitis  und  derjenigen  nach  Er- 
brechen findet  er  14,8  Proc.  gegenüber  bloss  5,8  Proc.  bei  Chloro- 
formnarkose. 

Er  erklärt  diese  Thatsache  daraus,  dass  es  meist  sehr  schwere 
Operationen  am  Abdomen  gewesen  seien  bei  alten  Leuten,  welche 
unter  Cocain  ausgeführt  wurden;  Mikulicz  halte  keine  Abdominal- 
operation für  ungefährlich  wegen  der  Pneumonie,  wolle  deshalb 
z.  B.,  solange  keine  Incarcerationserscheinungen  vorliegen,  auch  keine 
Radicaloperation  von  Hernien  machen. 

Er  acceptirt  die  Gussenbauer-Pietrozo WSKl'sche  Theorie,  dass 
es  sich  dabei  um  Embolie  handle,  die  durch  die  Leber  oder  durch 
directe  Verbindungen  zwischen  Pfortader  und  Vena  cava-Aesten  in 
die  Lunge  gelangen.  Auch  ohne  primäre  Infection  können  die  so 
entstandenen  Infarcte  in  den  Lungen  von  oben  herab  nachträglich 
inficirt  werden. 

Diese  Nachweise  Gottstein's  zeigen  zunächst,  dass  man  durch- 
aus   nicht  jede   Pneumonie   nach   Aethernarkose   ohne   Weiteres    als 


20  Allgemeines. 

Aetherpneumonie  auffassen  darf.  Zunächst  sind  nach  einzelnen 
Statistiken,  so  der  von  Schultze,  nach  Chloroform  Pneumonien  noch 
häufiger,  was  mit  vielen  klinischen  Beobachtungen  nicht  überein- 
stimmt. Aber  was  noch  wichtiger  ist,  ist  der  Nachweis,  dass  sich 
die  üble  Wirkung  des  Aethers  auf  die  Lungenschleimhaut  zum  guten 
Theil  verhüten  lässt,  da  sie  auf  unrichtiger  Methodik  der  Anästhe- 
sirung  beruht. 

HöLSCHER1)  (Kieler  Klinik  von  Esmarch)  betont,  dass  die 
meisten  Autoren  die  Bronchiten  und  Pneumonien  nach  Aether- 
narkose  auf  den  directen  Reiz  des  Aethers  oder  auch  unreinen  (Bruns) 
Aethers  auf  die  Schleimhäute  zurückführen.  Nauwerck  hat  das 
Verdienst,  auf  eine  wichtige  neue  Quelle  derselben  aufmerksam 
gemacht  zu  haben,  nämlich  auf  die  Autoinfection  von  der  Mund- 
höhle aus  durch  Aspiration,  begünstigt  durch  Lähmung  von  Gaumen- 
segel, Zungengrund,  Epiglottis  und  durch  die  vermehrte  Salivation 
und  Schleimabsonderung. 

GROSSMANN  hält  das  Rasseln  infolge  Herunterfliessens  von 
Schleim  und  Speichel  bloss  für  eine  Folge  falscher  Technik  und  die 
Lungenaffection  daher  auch  bloss  für  eine  Folge  letzterer2). 

H.  färbte  vor  der  Narkose  die  Mundflüssigkeiten  mit  wässeriger 
Gentianaviolettlösung  nach  Lehrwald's  Vorgang  und  constatirte, 
dass  bei  horizontaler  Lagerung  in  Narkose  die  Inspiration  genügt, 
bei  reichlicher  Flüssigkeitsansammlung  im  Rachen  diese  bis  in  die 
feinsten  Bronchien,  sogar  bis  unter  die  Pleura  mitzureissen.  Wo 
Athmungshindernisse  vorhanden  sind,  ist  dieses  Hineinreissen  um  so 
energischer,  je  nach  der  Lage  in  die  eine  oder  andere  Lunge.  Bei 
Hochlagerung  des  Kopfes  ist  die  Ueberschwemmung  der  Lungen 
noch  viel  bedeutender. 

Bei  tiefliegendem  oder  hängendem  Kopf  kam  es  zu  gar  keiner 
Aspiration,  nur  bei  Tracheostenose  zum  Eindringen  bis  in  die 
Trachea. 

Sobald  man  den  horizontal  gelagerten  Kopf  nun  seitlich  lagert 
und  die  Ansammlung  des  in  Aethernarkose  meist  reichlichen  Schleims 
und  Speichels  vor  dem  Kehlkopfeingang  verhindert,  denselben  viel- 
mehr zum  Mundwinkel  herausfliessen  lässt,  so  lässt  sich  die  Aspiration 
ebenfalls  verhindern.  In  der  Kieler  chirurgishen  Klinik  stellt  man 
die  Kopf  platte  des  Operationstisches  tief  bis  zu  hängendem  Kopf. 

H.  glaubt  nicht,  dass  eine  Hypersecretion  von  Schleim  bewiesen 
sei.     Er  findet  bei  frischer  Autopsie  keine  Schleimansammlung  und 


i)  Hölscher,   Experiment.  Untersuchungen  etc.,  Langenb.  Arch.,  Bd.  57, 

s.  175. 

2)  Beiläufig  verwirft  aus  diesem  Grunde  Grossmann  die  JuiLLARD'sche 
Maske  völlig  und  empfiehlt  eine  eigene  Modification  der  WANSCHER'schen 
Maske. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  2 1 

auch  keine  Hyperämie,   wie  er  sagt,  was  aber  nach  seinen  Sections- 
protokollen  nicht  ganz  zutreffend  ist. 

Er  findet  auch  unter  Berücksichtigung  der  kräftig  agirenden 
Flimmerbewegung  (welche  entgegen  Cl.  Bernard  und  Engelmann's 
Angaben  durch  Aether  und  Chloroform  nicht  sistirt  werde),  dass 
kein  Schleim  producirt  werde,  so  stark  auch  die  Salivation  sei. 

Bei  Katzen  aber,  die  wie  die  Menschen  einen  grösseren  Reich- 
thum  an  Schleimdrüsen  in  der  Trachea  besitzen  im  Gegensatz  zu 
Hunden,  fand  er  deutliche  Secretvermehrung.  Mikroskopisch 
fand  er  sie  in  den  Becherzellen  und  auch  auf  der  Oberfläche  der 
Schleimhaut  stets,  aber  er  meint,  sie  sei  so  gering,  dass  die  Flimmer- 
bewegung zur  Fortschaffung  des  Schleims  genüge. 

Hyperämie  und  Entzündung  in  Trachea  und  Bronchien  konnte 
H.  nie  wahrnehmen.  Er  hält  deshalb  Tracheal-  und  Bronchialschleim- 
haut für  ungleich  weniger  empfindlich  als  Mund-,  Nasen-  und  Rachen- 
schleimhaut und  glaubt,  dass  dies  auch  teleologisch  erklärbar  sei, 
da  die  Trachea  und  Bronchien  diese  Fähigkeit  gar  nicht  ausüben 
können,  da  sie  durch  die  ersten  Wege  geschützt  seien. 

Salivation  findet  er  auch  bei  reinem  Aether  und  auch  wenn 
durch  die  Trachea  narkotisirt  wird,  doch  giebt  er  zu,  dass  ein  Theil 
der  Wirkung  des  Aethers  dabei  local  nach  Cl.  Bernard  auf  die 
Endigung  des  N.  lingualis  wirken  möge. 

Bronchiten  und  Pneumonien  will  H.  zum  Theil  auf  die  Abkühlung 
durch  Aether  und  Chloroform  (dieselbe  sei  bei  Cocain  Ausnahme  [?]) 
zurückführen,  zum  grössten  Theil  aber  aus  Aspiration  von  infectiösem 
Material  erklären,  wofür  er  Belege  bringt.  Henle  hat  am  Chirurgen- 
congress  in  Berlin  1901  sehr  interessante  Belege  beigebracht  für  die 
Bedeutung  der  Abkühlung  als  Ursache  von  Pneumonien,  und  es 
ist  ihm  völlig  beizustimmen,  dass  der  Wärmetisch,  den  wir  schon 
seit  25  Jahren  benutzen,  bei  länger  dauernden  Operationen  eine 
regelmässige  Anwendung  finde. 

Wir  schliessen  aus  Hölscher's  Versuchen,  dass  bei  gesunden 
Athemorganen  sich  der  üble  Einfluss  des  Aethers  verhüten  lässt, 
aber  damit  ist  der  Beweis  noch  nicht  erbracht,  dass  dies  auch  für 
kranke  Organe  gilt.  Vielmehr  halten  wir  für  ebenso  sicher,  dass 
wie  für  Chloroform:  Herzerkrankung  und  Herzschwäche 
Contraindication  bildet,  so  für  Aether:  Erkrankung 
der  Athemorgane  und  Athembe  engung. 

Bei  Anwendung  des  Aethers,  dessen  Hauptnachtheil  Schädigung 
der  Athmungsorgane  ist,  ist  nach  Obigem  in  erster  Linie  darauf  zu 
sehen,  dass  man  dessen  Schaden  auf  ein  Minimum  reducire,  gemäss 
den  von  Nauwerck,  Grossmann,  Hölscher  gegebenen  Vor- 
schriften durch  geeignete  Lagerung  mit  abhängigem  Kopf,  Ab- 
leitung des  Speichels.     Schmidt  (Kronecker)  betont,   wie   gut  die 


22  Allgemeines. 

Thiere,  die  sonst  bei  Aethernarkose  schwer  leiden  unter  katarrhalischen 
Absonderungen  der  Luftwege,  die  Aethernarkose  mittelst  Kro- 
necker's  Athemapparat  ertragen,  wo  Aether  mit  feuchter  Luft  in 
die  Nase  geblasen  wird.  Allein  es  ist  noch  ein  anderer  Factor, 
welcher  wesentlich  zu  berücksichtigen  ist.  Sobald  man  den  Aether, 
weil  er  viel  weniger  kräftig  wirkt  als  Chloroform  und  grössere 
Dosen  verlangt,  in  Form  der  Asphyxirungsmethode  verabfolgt  mittelst 
Aufgiessen  grösserer  Quanten  Aether  in  eine  Maske  unter  Luft- 
abschluss,  ruft  man  stets  Hyperämie  der  Lungen  und  starke  Speichel- 
secretion  hervor.  Diesem  Uebelstand  kann  man  begegnen  durch 
Verdünnung  des  Aethers. 

Dreser  hat  für  Aether  (wie  für  Chloroform)  die  Vorschrift  ge- 
geben, nur  ganz  bestimmt  dosirte  Luftgemische  anzuwenden;  er  be- 
ginnt mit  2  ccm  Aether  auf  10  Liter  Luft  und  steigt  auf  4  ccm. 
So  verhütet  er  das  Erstickungsgefühl  und  die  Reizung  der  Bronchien. 
CüSHNY  (Kronecker)  hat  Versuche  mit  genau  dosirten  Chloroform- 
und  Aethergemischen,  welche  durch  Schläuche  in  die  Nase  mittelst 
Wassergebläse  eingeführt  werden,  gemacht  und  festgestellt,  dass 
durch  15 — 20-proc.  Chloroform  dampf  Narkose  erzielt  und  durch 
5 — y1/2-pToc.  unterhalten  werden  konnte.  20 — 30-proc.  Aether- 
mischungen  ergaben  nicht  immer  Anästhesie  und  zur  Unterhaltung 
brauchte  er  höhere  Procente  als  bei  Chloroform  (20 — 25  Proc).  Wie 
unten  hervorgehoben  wird,  ist  auch  Braun  in  Leipzig  zu  der  Ueber- 
zeugung  gelangt,  dass  in  richtiger  Verdünnung  der  Aether  (zu  6 — 7 
Volumenprocent)  die  gefürchteten  üblen  Wirkungen  auf  die  Athem- 
organe  nicht  hat,  dass  es  aber  in  dieser  Form  nicht  immer  genügt, 
eine  volle  Narkose  herbeizuführen. 

Wir  suchen  die  schädliche  Wirkung  zu  concentrirten  Aether- 
dämpfen  bei  Fällen,  so  genügend  verdünnte  Mischungen  nicht  genügen, 
zu  vermeiden  dadurch,  dass  wir  die  Narkose  mit  einem  in  kleinen 
Dosen  rasch  wirkenden  Anästheticum  einleiten,  und  zwar  jetzt  aus- 
schliesslich mit  dem  in  kleinen  Dosen  ungefährlichen  Bromäthyl, 
an  Stelle  des  früher  zur  Einleitung  gebrauchten  Chloroforms,  mit 
welch  letzterer  Methode  übrigens  auch  Lennander  nach  Zachrisson 
sehr  gute  Resultate  gehabt  hat. 

Von  Nunneley  1849  empfohlen,  hat  dieses  Mittel  in  Haffter 
in  Frauenfeld  einen  zuverlässigen  Verfechter  gefunden,  und  wir 
haben  es  auf  Haffter  hin  und  nach  seinen  Vorschriften  eingeführt 
und  konnten  Haffter's  Erfahrungen  vollauf  bestätigen. 

Wenn  man  bei  Kindern  mit  io( — 15)  g,  bei  Erwachsenen  mit 
2o( — 30)  g  Bromäthyl  die  Narkose  einleitet  (die  ganze  Dosis  wird 
auf  einer  kleine  mit  Impermeabel  bedeckte  Maske  gegossen  und 
20 — 30  Secunden  eingeathmet),  so  bedarf  man  nachher  der  grossen 
Aetherdosen  und  des  Luftabschlusses  nicht,    sondern  kann  ohne  jeg- 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  23 

liehe  Cyanose  durch  Behinderung  der  Athmung  und  ohne  Röcheln 
durch  den  herunterfliessenden  Speichel  eine  gute  Narkose  lange 
Zeit  aufrecht  erhalten.  Wir  benutzen  eine  impermeable  mittelgrosse 
Maske  hierzu. 

Es  ist  mir  wohl  bekannt,  dass  auch  ausnahmsweise  Todesfälle 
bei  Bromäthylgebrauch  verzeichnet  sind,  z.  B.  von  Köhler,  Bill- 
roth  u.  A.  Wir  haben  bei  den  HAFFTER'schen  Dosen  niemals  auch 
nur  etwas  Beängstigendes  gesehen,  verabfolgen  aber  stets  bloss  eine 
einzige  kleine  Dosis  und  gi essen  nie  weiteres  Bromäthyl  auf,  denn 
nur  in  längerer  Fortsetzung  der  Bromäthylnarkose  können  wir  eine 
Gefahr  erblicken. 

Regli  hat  bei  alleinigem  Gebrauch  von  Bromäthyl  Nachtheile 
für  Nieren  und  Lungen  constatirt  und  konnte  bei  Potatoren,  wo 
Muskelerschlaffung  nöthig  war,  überhaupt  mit  diesem  Mittel  allein 
nicht  zum  Ziele  kommen.  Abonig  stellt  ähnliche  Contraindikationen 
auf,  Baracz  ebenfalls.  Dieser  Autor  hebt  mit  vollem  Recht  hervor, 
dass  Einleitung  der  Chloroformnarkose  mit  Bromäthyl  bedenklich 
sei,  obschon  seit  Ebermann  diese  nach  Poitou-Düplessy  benannte 
Methode  sich  in  Frankreich  grosser  Beliebtheit  erfreut  (Dumont) 
und  obschon  nach  Dastre  sich  die  toxischen  Eigenschaften  beider 
Mittel  bekämpfen.  Beide  Mittel  wirken  doch  nachtheilig  auf  Herz 
(vergl.  LöHRS)  und  Blutdruck,  und  während  der  Aether  die  geringe 
Einwirkung  des  Bromäthyl  sofort  wieder  gut  macht,  verstärkt  Chloro- 
form dieselbe. 

Die  Erfahrungen,  welche  Rein  aus  Diakonow's  Klinik  über 
Bromäthylchloroformnarkose  berichtet,  sprechen  auch  nicht  gerade 
zu  Gunsten  dieses  Verfahrens,  da  bei  167  Fällen  12  mal  Asphyxie 
und  8  mal  Pulsabfall  beobachtet  wurde  und  nicht  weniger  als  7  Todes- 
fälle auf  2260  Narkosen. 

Die  Tropf  methode  für  Verabfolgung  von  Bromäthyl  als  Ein- 
leitung für  Aether  dürfte  vielleicht  das  letzte  Bedenken  gegen  dieselbe 
beseitigen,  wenn  man  die  Maximaldose  einhält.  Wir  möchten  sie 
nicht  für  alle  Fälle  ausreichend  halten.  Partsch's  (Larisch)  Er- 
fahrungen sprechen  zwar  sehr  zu  Gunsten  der  Tropfmethode,  und 
sie  dürfte  sich,  um  ganz  sicher  zu  gehen,  für  alle  Fälle  von  Herz- 
erkrankung und  Herzschwäche  empfehlen,  wenn  man  da  nicht  die 
Allgemeinnarkose  ganz  vermeiden  kann.  Sonst  aber  ist  die  geschil- 
derte Anwendungsweise  des  Bromäthyl  zur  Einleitung  der  Aether- 
narkose  eine  so  ausserordentliche  Erleichterung  der  Narkose  für 
Arzt  und  Patienten  wegen  der  Raschheit  und  Leichtigkeit  des  Ein- 
trittes von  Schlaf,  dass  wir  dieses  vorzügliche  Verfahren  nicht  mehr 
entbehren  möchten  und  es  der  Medullaranästhesie  weit  vorziehen, 
für  alle  Fälle,  wo  nicht  eine  formelle  Contraindication  für  jede  Form 
allgemeiner  Anästhesirung  gegeben  ist. 


2a  Allgemeines. 

Während  bei  Aether  ein  sehr  starkes  Aufregungsstadium  mit 
Schreien,  heftigem  Umsichschlagen,  klonischen  bis  tonischen  Muskel- 
contractionen  mit  Athemhemmung  und  Cyanose  nichts  weniger  als 
selten  ist,  gelingt  es  bei  einiger  Uebung  des  Narkotisators  leicht, 
jede  Aengstigung  bei  Bromäthyl  zu  vermeiden;  das  Aufregungs- 
stadium und  die  Reflexwirkungen  auf  Herz  und  Athmung  mit 
Athmungskrämpfen,  Herz-  und  Athmungsstillstand  bleiben  ebenfalls 
aus;   ich  habe  sie  nie  gesehen. 

Riedel  erzielt  eine  rasche  und  ruhige  Aethernarkose  mit  relativ 
kleinen  Dosen  dadurch,  dass  er  1/2  Stunde  vorher  0,005 — °>01  Mor- 
phium, bei  Potatoren  bis  0,03  injicirt.  Das  ist  JuiLLARD's  Ver- 
fahren. 

Comte  und  Dumont  finden  die  reine  Aethernarkose  bei  Ein- 
haltung der  JuiLLARD  -  DuMONT'schen  Vorschriften  und  Benutzung 
der  Juillard  -  Dumont'  sehen  Maske  tadellos.  Kümmel  zieht 
Czerny's  Maske  allen  anderen  vor. 

Bei  Operationen  im  Mund  und  Rachen  oder  im  Gesicht  sind 
Apparate  wie  diejenigen  von  Arnd  und  SOUCHON  empfehlens- 
werth,  Fig.  3  illustrirt  den  Apparat  von  Arnd  auch  ohne  weitere 
Erklärung. 

Formelle  Contraindicationen  für  Anwendung  jeder 
Form  allgemeiner  Narkose  giebt  es  insofern,  als  bei  einer 
Anzahl  von  Krankheitsformen  nur  mit  einer  gewissen  Unsicherheit 
und  Gefahr  für  das  Leben  ein  Anästheticum  gereicht  werden  kann. 
Zu  diesen  Krankheitsformen  sind  alle  diejenigen  Zustände  zu  rechnen, 
welche  mit  hochgradigen  Degenerationen  des  Herzmuskels,  der  Leber, 
Nieren  und  des  lymphatischen  Apparates  vergesellschaftet  sind,  also 
eine  Anzahl  von  allgemeinen  Ernährungsstörungen,  wie  ADDisON'sche 
und  BASEDOW'sche  Krankheit,  Cachexia  thyreopriva,  schwere  Anämie- 
formen, hoher  Grad  von  Fettsucht  und  Alkoholismus,  Inanitionszustände, 
auch  Sepsis  und  schwere  Intoxicationen,  Diabetes  (Baxer  hat  1 2  Fälle 
gesammelt  von  Exitus  durch  Coma  diabeticum  nach  allgemeiner 
Narkose),  und  in  specie  noch  der  Status  thymicus. 

Die  Zahl  der  Todesfälle  in  Narkose  mit  Aether  sowohl  als  Chloro- 
form bei  Individuen  mit  grosser  Thymus  und  Schwellung  des  lym- 
phatischen Apparates  ist  eine  verhältnissmässig  hohe  und  um  so 
auffälliger,  als  die  Opfer  gewöhnlich  dem  jugendlichen  Alter  an- 
gehören, wo  sonst  die  allgemeine  Narkose  am  wenigsten  Gefahren 
bietet.  Friedjung  in  seinem  Sammelreferat  über  den  Status  lym- 
phaticus  findet  gegenüber  den  zahlreichen  Todesfällen  bei  Chloroform 
bloss  einen  bei  Aether.  Ein  Todesfall  durch  Aether,  den  ich  1896 
bei  einem  16jährigen  Jungen  erlebte,  allerdings  bei  einem  alten 
fistulösen  Empyem,  beruhte  auf  Status  lymphaticus.  Der  Tod  tritt 
während   der  Narkose   durch   Herzstillstand,   aber   auch   nicht  selten 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen. 


25 


nach  der  Narkose  ein;  bei  Struma  und  speciell  BASEDOW-Kranken  *) 
hat  man  Exitus  lethalis  besonders  oft  eintreten  sehen. 

Friedjung  hält  die  Todesursache  z.  Th.  für  mechanisch  bedingt, 
indem  Thymus  und  Arteria  anonyma  die  Trachea  zwischen  sich  fassen. 


Paltauf  und  Kundrat  sehen  mit  Recht  den  Beweis  bloss  mecha- 
nischer Wirkung  für  noch   nicht  sicher  erbracht   an.     SCHLÖMIHCER 


1)  Hier  ist  nach  Möbius,  Spencer  u.  A.  (nach  Schnitzler)  Combination 
mit  Status  lymphaticus  öfter  gefunden  worden. 


2  6  Allgemeines. 

macht  aufmerksam,  dass  der  Exitus  beim  Status  lymphaticus  nicht 
von  der  Wahl  des  Anästheticum  abhänge,  bei  Aether  ebenso  gut 
als  bei  Chloroform  erfolge.  Es  lohnt  sich  daher,  durch  Percussion 
des  Sternum,  Palpation  im  Jugulum,  Untersuchung  des  Rachens  auf 
Mandelhypertrophie,  sowie  der  Milz  nachzuforschen,  ob  Verdacht 
auf  diesen  für  Narkose  so  fatalen  Zustand  vorliegt.  Allenfalls  kann 
man  dann  den  Versuch  machen,  nach  Escherich's  Vorschlag  eine 
Vorbehandlung  mit  Thymuspräparaten  eintreten  zu  lassen. 

Unser  Standpunkt  und  unser  Verfahren  in  der  Narkosenfrage 
ist  nach  obigen  Auseinandersetzungen  zu  gegenwärtiger  Stunde 
folgendes  x) : 

i)  Jeder  Patient,  welcher  einer  allgemeinen  Nar- 
kose unterworfen  werden  soll,  muss  aufs  genaueste 
auf  das  Vorhandensein  von  Organ  erkrankungen  unter- 
sucht werden.  Bei  allen  denjenigen  Zuständen,  welche  oben  als 
formelle  Contraindicationen  für  allgemeine  Narkose  auf- 
gestellt sind,  muss  man  den  Weg  suchen,  um  die  Operation  mittelst 
Localanästhesie  auszuführen  und  muss  in  complicirten  Fällen  die 
verschiedenen  Formen  der  Localanästhesie,  von  der  In- 
filtrationsanästhesie Schleich's  bis  zur  Anästhesirung  der  grossen 
Nervenstämme  oder  der  Nervenwurzeln  mittelst  der  medullären 
Methode,  wenn  diese  sich  nicht  vermeiden  lässt,  zu  combiniren 
suchen. 

Wo  dies  nicht  genügend  sich  erweist  oder  nicht  durchführbar 
und  eine  Allgemeinnarkose  Platz  finden  muss,  ist  dieselbe  zeitlich 
und  intensiv  möglichst  zu  beschränken  und  nur  geübten  Händen  an- 
zuvertrauen. Hier  kann  es  angezeigt  sein,  behufs  Beschränkung  der 
anzuwendenden  Giftdosis  eine  vor  gängige  Morphiuminjection 
zu  machen,  aber  diese  muss  stets  eine  halbe  Stunde  vorher  gemacht 
werden,  damit  die  Wirkung,  eventuell  nachtheilige  Wirkung,  ein- 
getreten sei,  bevor  sich  die  Wirkung  des  zweiten  Narkoticums  hinzu- 
gesellt. Wir  haben  an  anderer  Stelle  erklärt,  dass  wir  Morphium 
wegen  seiner  oft  nachträglich  ungünstigen  Wirkung  auf  die  Athmung 
(Herabsetzung  des  Athmungsbedürfnisses)  zu  vermeiden  suchen  resp. 
von  demselben  nur  einen  beschränkten  Gebrauch  machen. 

Bis  zu  einem  gewissen  Grade  wird  sich  auch  eine  Local- 
anästhesirung  stets  mit  der  Allgemeinnarkose  combiniren  lassen. 
Von  Verabfolgung  von  Chloroform  darf  in  diesen  Fällen  keine  Rede 
sein,  da  zumal  bei  länger  dauernden  Operationen  ein  zeitweiliges 
Aussetzen  der  Narkose  (wie  Lennander  verschlägt)  am  Platze  sein 


i)  Wir  brauchen  kaum  hervorzuheben,  dass  wir  für  jedes  Anästheticum 
Garantie  für  absolute  Reinheit  des  Präparates  (richtige  Aufbewahrungsweise 
etc.)  voraussetzen. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  27 

kann  und  die  Experimente  lehren,  dass  bei  wiederholter  Verabfolgung 
von  Chloroform  in  kurzen  Pausen  das  Herz  ausserordentlich  empfind- 
lich wird  gegen  das  Gift.  Man  wird  sich  mit  Aether  begnügen 
müssen  und  auch  diesen  in  bestimmtem  Luftgemisch  verdünnt  und 
in  kleinen  Dosen  zuführen. 

In  diesen  Fällen  dürften  die  von  Poncet  (Longe)  neuerdings 
empfohlenen  subcutanen  Cognacinjectionen  (1/3  zu  2/3  Wasser)  oder 
besser  unser  längst  gebrauchtes  Verfahren  der  Verabfolgung  von 
Stimulantien,  sei  es  Thee,  sei  es  Alkohol,  besonders  am  Platze 
sein;  Poncet  macht  auch  während  der  Operation  bis  zu  10  ja 
ioo  Injectionen.  Auch  KüMMELL  rühmt  die  Combination  der  Chloro- 
formnarkose mit  grossen  Quantitäten  Cognac.  Man  wird  in  solchen 
Fällen  auch  nicht  zu  lange  fasten  lassen  vor  der  Operation  und  lieber 
vorher  noch  den  Magen  direct  entleeren,  wenn  er  nicht  leer  ist. 

2)  Die  Frage,  welche  Art  der  Anästhesirung  angezeigt  sei, 
hängt  —  sobald  einmal  diejenige  der  formellen  Contraindicationen 
gegen  Allgemeinnarkose  überhaupt  erledigt  ist  —  davon  ab,  ob  Er- 
krankung der  Athmungsorgane  vorliegt. 

In  allen  Fällen,  wo  nicht  eine  Behinderung  der 
Athmung  oder  eine  Affection  der  Athmungsorgane 
vorliegt,  hat  als  Normalmethode  die  Aetherisirung  zu 
gelten  1).  Das  beste  Verfahren  ist  die  Einleitung  der  Aethernarkose 
mit  einer  einmaligen  Dosis  Bromäthyl  und  Aufgiessen  des  Aethers 
in  fractionirten  Dosen.  Man  kann  hier  mit  tropfenweisem  Aufgiessen 
meistens  nicht  auskommen,  aber  doch  nach  Maassgabe  der  Verträg- 
lichkeit des  Patienten  mit  kleinen  Quantitäten. 

Mit  diesem  Verfahren  kommt  man  in  der  Regel  binnen  5  Minuten, 
spätestens  binnen  10  Minuten  zu  einer  ruhigen  Narkose,  bei  welcher 
es  genügt,  an  der  Conjunctiva  die  Sensibilität  und  daneben  die 
Athmung  zu  controliren.  Auch  das  Verhalten  der  Pupille  ist 
ein  köstliches  Zeichen  zur  Beurtheilung  des  Eintrittes  der  Insensibilität, 
weil  nach  Kappeler  mit  Wegfall  der  gewohnten  sensiblen  Reize 
die  Pupille  eng  und  starr  wird,  während  sie  im  Aufregungsstadium 
weiter  sein  kann.  Freilich  ist  bei  Aether  dieses  Verhalten  der  Pupille 
weniger  constant  als  bei  Chloroform.  Nur  bei  länger  dauernden 
Aethernarkosen   muss    auch    der    Puls    controlirt    werden,    was   stets 


1)  Nur  noch  auf  diejenige  Contraindication  für  Aether  ist  speciell  auf- 
merksam zu  machen,  welche  mit  der  Aufregung  und  der  Erhöhung  des 
Blutdruckes  zusammenhängt.  Horsley  vermeidet  den  Aether  bei  Hirn- 
operationen wegen  der  stärkeren  Blutung,  und  auf  die  Gefahr  event. 
Apoplexie  hat  de  Quervain  hingewiesen.  Wir  bemerken  ausdrücklich,  dass 
wir  es  wohl  begreifen,  dass  Chirurgen,  denen  zuverlässige  Chloroformisatoren 
zur  Verfügung  stehen,  dem  Chloroform  als  dem  zur  Erzielung  einer  ruhigen 
Narkose  sichereren  Narkoticum  treu  geblieben  sind. 


28  Allgemeines. 

absolut  nöthig  ist,  wenn  eine  Narkose  mit  Chloroform  zumal  bei  be- 
stehenden Contraindicationen  vorgenommen  wird.  Sobald  bei  Chloro- 
form Verlangsamung  des  Pulses  eintritt,  so  ist  die  Wirkung  genügend 
und  ein  Mehr  bedingt  Gefahr,  wie  auch  langsame  Athmung  ein  Zeichen 
ist,  mit  weiteren  Gaben  vorsichtig  zu  sein 1).  Vollends  bei  schnarchender 
Athmung,  allgemeiner  völliger  Muskelerschlaffung  und  unregel- 
mässigem Puls  ist  man  an  der  Grenze  der  zulässigen  Dosis  an- 
gelangt. 

Nur  bei  Potatoren  hat  die  Erzielung  voller  und  ruhiger  Narkose 
öfter  Schwierigkeit,  welche  am  besten  durch  eine  vorgängige  Mor- 
phiuminjection  von  0,0 1 — 0,02  überwunden  und  verhütet  wird.  Wir 
machen  freilich  selbst  hier  von  Morphium  nur  sehr  beschränkten 
Gebrauch,  da  wir  mit  Kümmel  die  Förderung  respiratorischer 
Störungen  fürchten  und  in  kräftigen  Alkoholdosen  ein  viel  besseres 
Mittel  zur  Erleichterung  der  Narkose  besitzen.  Franck  protestirt 
ebenfalls  wegen  der  Athmungaufhebung  gegen  Morphium.  Den 
DASTRE'schen  Zusatz  von  0,001  Atropin  haben  wir  nicht  benutzt, 
obschon  dieses  Mittel  geeignet  scheint,  die  auf  dem  Wege  des  Vagus 
zu  Stande  kommenden  Reflexhemmungen  (Herzstillstand)  zu  ver- 
hüten ;  es  wirkt  sicher  günstig  zur  Vermeidung  der  Speichelsecretion. 
Franck  macht  dagegen  geltend,  dass  man  das  Atropin  nicht  in 
genügend  grossen  Dosen  anwenden  könne. 

Chloroformnarkose  soll  den  Aether  in  allen  Fällen  ersetzen,  wo 
bei  Fehlen  formeller  Contraindication  eine  Schädigung  der  Athmungs- 
organe  gefürchtet  wird.  Sie  ist  stets  mit  der  Tropfmethode  unter 
Einschleichen  mit  minimalen  Dosen  und  stetem  ge- 
nügenden Luftzutritt  (resp.  bei  ungeübten  Chloroformisatoren 
mittelst  Kappler's  Apparat)  unter  Controle  des  Pulses  und  der 
Pupille  durchzuführen  2).  Lange  dauernde  Chloroformnarkose  ist  unter 
allen  Umständen  zu  vermeiden  (bei  mehr  als  1 -stündigen  Operationen). 

3)  Die  Bedingungen  gefahrloser  Allgemeinnarkose 
sind  ausser  stricter  Befolgung  der  Contraindicationen 
Verhütung  von  Erstickung  und  von  Ohnmacht.  Jene  be- 
ruht auf  Verschluss  der  Glottis  durch  sog.  Verschlucken  der  Zunge 
(in  Wirklichkeit  Herabklappen  der  Epiglottis)  oder  durch  Krampf 
oder  durch  Hineingelangen  von  Blut,  Schleim  und  Speiseresten  aus 
dem  Magen;  die  Ohnmacht  ist  veranlasst  durch  Hirnanämie. 

Um  Erstickung  zu  verhüten,  ist  zu  intensive  Erregung  der 
Trigeminusfasern,  Larynxnerven  und  Vagusendigungen  in  den  oberen 


1)  Koblank  hat  auf  die  athetotischen  Fingerbewegungen  als  ein  Zeichen 
zur  Vorsicht  aufmerksam  gemacht. 

2)  Mikulicz  hat  völlig  Recht,  aufmerksam  zu  machen,  dass  sehr  oft 
viel  zu  tief  chloroformirt  wird,  weit  über  das  einzig  erwünschte  Stadium  der 
Analgesie  hinaus. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  29 

Luftwegen  durch  plötzliche  Einwirkungconcentrirter  Dämpfe 
zu  vermeiden,  weil  diese  den  Krampf  der  Glottis  und  der 
Athmungsmuskeln  reflectorisch  herbeiführt,  ebenso  wie  den  Herz- 
stillstand. Rosenberg  findet  in  10-proc.  Cocainbestäubung  der 
Nasenschleimhaut  das  Mittel,  die  Reflexwirkungen  zu  verhüten. 
Auch  FRANCOIS  Franck  empfiehlt  dieses  Mittel. 

Das  Verschlucken  der  Zunge  ist  eine  Folge  der  Lähmung  der 
Muskeln  von  Zunge  und  Rachen,  welche  bewirkt,  dass  die  schlaff 
gewordene  Epiglottis  bei  der  Inspiration  auf  den  Aditus  laryngis 
heruntergeklappt  wird.  Von  diesem  Mechanismus  konnten  wir  uns 
sehr  schön  überzeugen  bei  einem  Menschen,  dem  wir  in  Narkose  die 
Unterlippe  mit  dem  ganzen  Kinn  und  Mittelstück  der  Kiefers 
reseciren  mussten. 

Das  Mittel  zur  Verhütung  ist  der  Heiberg  -  EsMARCH'sche 
Handgriff  mit  Einsetzen  der  4  Finger  hinter  den  Kieferwinkel 
und  Emporschieben  des  Kiefers.  Die  Wirkung,  wie  wir  uns  bei 
obigem  Falle  überzeugen  konnten,  besteht  nicht  etwa  in  dem  blossen 
Verschieben  der  Zunge  ■ —  sieht  man  ja  doch  oft,  dass  das  Vorziehen 
der  Zunge  mit  einer  Zange  keine  Wirkung  ergiebt  —  sondern  darin, 
dass  dieselbe  nach  oben  gehoben  wird  und  dadurch  die  Lig.  glosso- 
epiglottica  sich  spannen  und  auch  den  Kehldeckel  passiv  anspannen. 
Unsere  Maske  ist  mit  zwei  Ringen  (s.  Fig.  1)  so  construirt,  dass 
man  die  Daumen  in  die  Ringe  stecken  kann  und  die  übrigen  Finger 
stets  an  richtiger  Stelle  für  diesen  Handgriff  in  Bereitschaft  hat. 
Das  Hineingelangen  von  Blut,  Speichel  und  Schleim  wird  durch 
Schräglagerung  des  Körpers  kopfabwärts  verhütet,  welche  zugleich 
der  Hauptindication  der  Verhütung  der  Hirnanämie  genügt. 

Das  Hineingelangen  von  Speiseresten  in  den  Larynx  wird  durch 
Leerhalten  des  Magens  verhütet.  Diese  erzielt  man  durch 
Fasten  während  3 — 5  Stunden  vor  der  Operation,  oder  wo  wegen 
Schwächezuständen  oder  wegen  Dringlichkeit  einer  Operation  dies 
nicht  durchführbar  ist,  durch  directe  Leerung  des  Magens  mit  der 
Sonde.  Es  ist  ein  Fehler,  diese  Indication  zu  vernachlässigen.  Das 
Erbrechen  an  und  für  sich  schadet  nichts,  sondern  bloss  das  Hinauf- 
befördern von  Speiseresten.  Und  schon  das  Erbrechen  bleibt .  bei 
leerem  Magen  recht  oft  aus.  Eine  besondere  Vorsicht  ist  jungen 
Narkotisatoren  ans  Herz  zu  legen,  bei  Eintritt  von  Erbrechen  den 
Kiefer  nicht  vorgeschoben  zu  erhalten.  Hiergegen  wird  sehr  häufig 
gesündigt  und  durch  diese  Abhebung  des  Kehldeckels  dem  Ein- 
dringen von  Mageninhalt  das  Thor  geöffnet. 

Die  Ohnmachtszufälle  sind  viel  bedenklicher  als  die  Gefahr 
der  Erstickung,  und  hier  muss  unbedingt  prophylaktisch  gesorgt  werden. 
Die  Hirnanämie,  welche  dem  plötzlichen  Eintritt  einer  Ohnmacht  zu 
Grunde  liegt,  muss  in  allererster  Linie  durch  geeigneteLagerung 


3o  Allgemeines. 

verhütet  werden.  Der  Körper  ist  schräg  zu  lagern  mit  dem 
Köpf  tiefer  als  Rumpf  und  Beine.  Wir  haben  seit  längster 
Zeit  einen  Operationstisch  in  Gebrauch,  der  nach  diesem  Princip 
construirt  ist.  Seit  Einführung  der  TRENDELENBURG'schen  Hoch- 
lagerung ist  es  besonders  leicht  geworden,  dieser  Indication  gerecht 
zu  werden,  und  es  ist  eine  allgemeine  Erfahrung,  dass  man  in 
TRENDELENBURG'scher  Lage  von  Ohnmachtszufällen  nichts  zu  fürchten 
hat.  Dieselbe  hat  vor  dem  RoSE'schen  Operiren  bei  hängendem 
Kopf  den  Vortheil,  dass  der  Kopf  in  bequemer  Lage  bleibt. 

Im  Ferneren  ist  Hirnanämie  besonders  zu  gewärtigen  bei  plötz- 
lichen starken  Blutverlusten,  und  es  muss  in  solchem  Falle  schon 
von  vornherein  die  Narkose  nicht  zu  tief  gemacht  und  sofort  unter- 
brochen werden,  wenn  man  sie  nicht  von  vornherein  durch  Local- 
anästhesie  ersetzen  kann.  Das  beste  Mittel  zur  Verhütung  der 
Gefahr,  wo  Blutverlust  zu  Grunde  liegt,  ist  die  sofortige  intravenöse 
Transfusion  von  7  °/oo  Kochsalzlösung  zu  38 — 41  °.  Auch  bei  künst- 
licher Herbeiführung  von  Hirnanämie  durch  Carotisligatur  thut  man 
gut,  vorher  die  Narkose  auszusetzen. 

Ein  weiteres  Hirnanämie  beförderndes  Moment  ist  starke  Ab- 
kühlung, um  so  mehr,  als  bei  jeder  längeren  Narkose,  durch 
Chloroform  sowohl  als  durch  Aether,  die  Temperatur  des  Körpers 
sinkt  und  bei  Chloroform  dazu  noch  der  Blutdruck  erheblich  herab- 
geht. Man  soll  deshalb  in  angenehm  erwärmtem  Räume  operiren 
unter  Vermeidung  der  lange  Zeit  beliebten  tropischen  Hitze1),  und 
was  noch  viel  wichtiger  ist,  man  soll  den  Körper  des  Patienten 
warm  halten.  Wir  benutzen  dazu  einen  eigentlichen  Wärme  tisch, 
der  mit  warmem  Wasser  gefüllt  ist. 

Endlich  wird  durch  Schrecken  und  Angst  die  Neigung  zur 
Ohnmacht  erheblich  erhöht.  Man  giebt  in  solchen  Fällen  gern  eine 
Dosis  Morphium  vor  der  Operation.  Eine  gehörige  Gabe  Alkohol, 
Thee  mit  etwas  Cognac  thut  bessere  Dienste,  und  nach  den  An- 
gaben von  Feilchenfeld  genügen  5 — 6  Tropfen  Strophantus- 
tinctur,  um  eine  völlige  Beruhigung  herbeizuführen  (am  Morgen 
der  Operation  und  zwei  Abende  vorher). 

Ein  Bedenken  hinsichtlich  Eintrittes  von  Ohnmacht  ist  die  In- 
jection  von  Morphium  unmittelbar  vor  Beginn  der  Operation. 
Morphium  bewirkt  bei  einzelnen  Individuen  sehr  rasch  eintretende 
Uebelkeit  mit  begleitender  Ohnmachtsanwandlung.  In  einem  unserer 
letzten  Fälle  von  Chloroformtod,  wo  sonst  alle  Cautelen  beobachtet 
wurden,  sind  wir  geneigt,  den  Exitus  ganz  zu  Beginn  der  Operation 


1)  Nach  Allen  ist  höhere  Temperatur  sogar  gefährlich,  weil  bei  Thieren 
die  Temperatur  steigt,  während  der  Blutdruck  erheblich  sinkt  bei  Narkose  in 
erhitzten  Räumen. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  31 

obigem  Umstand  zuzuschreiben,  dass  unmittelbar  vorher,  statt  wie 
verordnet  xj2  Stunde  zuvor,  eine  Morphiuminjection  von  o,oi  gemacht 
worden  war.  Die  80-jährige  Frau  mit  Trigeminusneuralgie  collabirte 
bei  der  ersten  Incision  unter  Verschwinden  des  Pulses,  Sistiren  der 
Respiration,  Bläulichwerden  des   Gesichtes. 

Endlich  ist  die  Hirnanämie  durch  Shockwirkung  bei  zu  frühem 
Beginn  der  Operation  zu  verhüten.  Wenn  die  Sensibilität  nicht 
aufgehoben  ist,  so  kann  ein  plötzlicher  intensiver  Schmerz  eine 
schwere  Shockwirkung  zur  Folge  haben,  zumal  von  gewissen  be- 
sonders empfindlichen  Nervengebieten  aus,  wie  Cirle  in  neuester 
Zeit  nachgewiesen  hat.  Cushing  hat  auch  in  Narkose  bei  Durch- 
schneidung   grosser  Nervenstämme   solche   Shockwirkung   constatirt. 

4)  Bei  Eintritt  übler  Zufälle  in  der  Narkose,  in  specie 
Herzstillstand  und  Athemstillstand,  meist  mit  Veränderung 
der  Gesichtsfarbe  (die  blass  oder  bläulich  wird)  und  Weitwerden  der 
Pupille  einhergehend,  bleiben  unter  der  Voraussetzung,  dass  man  der 
im  Vorigen  betonten  Indication  schon  gerecht  geworden  ist,  nur 
noch  zwei  verlässliche  Mittel  übrig:  die  künstliche  Respiration  und 
die  Transfusion. 

Die  künstliche  Respiration  ist  dasjenige  Mittel,  zu  dem 
man  in  jedem  Falle  unwillkürlich  greift.  Solange  noch  Athmung 
besteht,  besteht  Hoffnung  auf  Wiederbelebung  der  Herz-  und  Ge- 
hirnthätigkeit.  Man  kann  z.  B.,  was  mehrere  Experimentatoren  in 
hohem  Maasse  verwundert  hat,  durch  Hirndruck  noch  so  hohen  Grades 
ein  Thier  nicht  tödten,  wenn  man  künstliche  Respiration  eingeleitet 
hat.  Schade,  dass  man  für  den  Menschen  nicht  so  leicht  eine  wirk- 
same, künstliche  Respiration  einleiten  und  unterhalten  kann.  Mit 
dem  KRONECKER'schen  Apparat  kann  man  Stunden  lang  eine  tiefe 
regelmässige  Respiration  unterhalten  durch  festes  Einbinden  einer 
Canüle  in  die  Trachea  und  periodisches  Lufteinblasen.  Es  scheint 
mir  keine  Frage,  dass  die  Wirkungslosigkeit  der  künstlichen  Respi- 
ration bei  Menschen,  wie  wir  sie  allerdings  in  der  Minderzahl  con- 
statiren  müssen,  auf  den  unvollkommenen  Methoden  ihrer  Durch- 
führung beruht. 

Von  der  Anregung  der  activen  Respirationsmusculatur  durch 
reflectorische  Reizung  der  nasolaryngealen  Nerven  macht  Laborde 
mit  seinen  rhythmischen  Zungentractionen  Gebrauch.  Knapp  u.  A. 
rühmen  die  guten  Erfolge  dieser  Methode,  welche  durch  Er- 
regung des  Athemcentrums  von  Reizung  des  Glossopharyngeus 
und  Laryngeus  superior  aus  wirken  soll.  Sehr  wirksam  ist  unter 
Umständen  die  starke  faradische  Reizung  der  N.  phrenici, 
wie  wir  sie  oben  geschildert  haben ,  und  wir  können  die  Ein- 
wände dagegen  von  Braatz  in  ihrer  allgemeinen  Fassung  nicht 
anerkennen. 


•2  2  Allgemeines. 

Von  den  Methoden  zur  Herstellung  passiver  Athembewegungen 
(wir  folgen  der  Eintheilung  von  Djelitzin)  ist  nach  genanntem 
Autor  die  SCHÜLLER'schen  Methode  (welche  von  Roux  in  unserer 
Klinik  seiner  Zeit  unabhängig  eingeführt  wurde)  die  wirksamste.  Sie 
besteht  im  Emporziehen  und  kräftigen  Niederdruck  der  von  oben  mit 
4  Fingern  umfassten  unteren  Rippenbogen  von  vornher  (nahe  am 
Sternum  nach  Djelitzin).  Man  kann  sich  leicht  überzeugen,  welche 
tiefe  In-  und  entsprechende  Exspiration  man  mit  diesem  Verfahren 
erzielen  kann.  Djelitzin  will  dabei  den  Brustkorb  hochlegen,  das 
Abdomen  durch  Beinbeugung  erschlaffen. 

Sehr  wirksam  ist  die  SYLVESTER'sche  Methode  mit  Hebung  der 
Arme  zur  Spannung  der  Thoraxmuskeln  bis  zur  Berührung  der  Ell- 
bogen am  Hinterhaupt  und  Herunterpressen  derselben  gegen  den 
Rippenbogen  nach  dem  Sternum.  Dabei  muss  die  Zunge  vorgezogen 
oder  Tracheotomie  gemacht  sein.  Brosch  stimmt  laut  der  von  ihm 
angegebenen  Methode  mit  den  Anschauungen  von  Djelitzin  und 
den  Vorschriften  dieses  Autors  bezüglich  Ausführung  der  Schüller- 
schen  Methode  überein.  Er  hat  festgestellt,  dass  die  grösste  Er- 
weiterung und  Verengerung  des  Thorax  durch  Verlängerung  und 
Verkürzung  der  sagittalen  Durchmesser  des  ganzen  Thorax  er- 
zielt werden.  Er  lehnt  deshalb  den  Rücken  auf  einen  hohen  Schemel 
und  bewegt  die  Oberarme  zur  Inspiration  am  Kopf  vorbei  aufwärts, 
dann  drückt  er  sie  rückwärts  (erdwärts);  zur  Exspiration  drückt  er 
die  sich  berührenden  Ellbogen  mit  steigender  Kraft  gegen  den 
Brustkorb. 

Von  der  Lufteinblasungsmethode  scheint  uns  diejenige  mit  Wasser- 
gebläse und  Unterbrechung  durch  den  Wasserstrahl  selber  von  Kro- 
necker  mit  Einsatz  zweier  Glaskanülen  in  die  Nasenlöcher  die 
wirksamste  zu  sein.  Der  Mund  bleibt  nach  Kronecker  zur  Aus- 
athmung  offen. 

Die  Transfusion  kann  zunächst  eine  Autotransfusion 
sein  in  Form  einer  Hängelagerung  des  Körpers. 

Wie  überaus  wichtig  die  Lage  des  Körpers  bei  der  Nar- 
kose ist,  haben  in  neuester  Zeit  namentlich  die  schönen  Versuche 
von  Leonard  Hill  über  den  Einfluss  der  Schwere  auf  die  Blut- 
circulation  dargethan.  Bei  Hunden  sinkt  bei  rascher  Narkose  mit 
•Chloroform  oder  Aetherchloroform  der  Druck  in  der  Carotis  bald 
auf  Null,  hebt  sich  aber  sofort  bei  Erhebung  des  Körpers 
in  Hängelage,  ebenso  hebt  er  sich,  wenn  das  Abdomen 
comprimirt  wird.  Künstliche  Athmung  ändert  daran  nichts. 
Bei  Aether  geht  der  Fall  des  Blutdrucks  viel  langsamer  vor  sich. 
Die  Wirkung  beider  Anästhetica  hält  noch  eine  Zeit  lang  nach  deren 
Aussetzen  an.  Derselbe  gute  Effect  auf  den  Blutdruck  wie  bei  Druck 
auf  das  Abdomen  kann  durch  festes  Umschnüren  des  Abdomens  er- 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  33 

zielt  werden,  während  Eröffnung  des  Abdomens  in  Fussabwärtslage 
beim  Hirn  ein  erhebliches  Sinken  des  Blutdrucks  bewirkt. 

Ganz  besonders  gefährdet  bei  Narkose  sind  durch  Nichtbeachtung 
des  Einflusses  der  Schwere  auf  die  Circulation  alle  Individuen,  deren 
Blutdruck  a  priori  schwach  ist,  deren  Herzthätigkeit  herabgesetzt  ist 
(Veränderungen  des  Herzmuskels,  Erschöpfung  durch  Tachycardie). 
Ferner  ist  die  normale  Compensation  des  Einflusses  der  Schwere 
durch  die  Vasoconstriction  im  Splanchnicusgebiet  gestört  bei  allen 
Individuen,  die  lange  horizontal  gelegen  haben,  was  für  eine  ganze 
Anzahl  unserer  zu  Operirenden  zutrifft.  Obschon  Respirationsstill- 
stand vorher  auch  vorkommt,  so  ist  es  nach  Hill  stets  die  Vaso- 
motorenlähmung, welche  die  dringlichste  Gefahr  darstellt,  und  der 
letzte  und  gefährlichste  Respirationsstillstand  (mit  mangelndem 
CHEYNE-STOKES'schen  Athmen)  ist  eine  Folge  der  fehlenden  Blut- 
versorgung des  Respirationscentrums  wie  des  übrigen  Gehirns  wegen 
jener  Lähmung  und  wird  bloss  durch  rasche  Hebung  des  Blutdrucks 
wieder  gehoben. 

Dass  das  Herz  dabei  noch  schlagen  kann,  kommt  daher,  dass 
Circulation  in  den  Coronararterien  bei  tieferer  Lage  des  Herzens  noch 
bestehen  kann,  wenn  das  Gehirn  schon  gelähmt  ist. 

Man  könnte  als  Ersatz  der  Compensation  durch  die  Vasomotoren 
an  die  von  Leonard  Hill  an  Thieren  erprobte  feste  Umschnürung 
des  Abdomens  vor  der  Operation  denken,  allein  dies  ist  nur  zulässig, 
wo  sie  die  Athmung  nicht  wesentlich  stört,  d.  h.  bei  fast  ausschliess- 
licher Toraxathmung  besonders  bei  Frauen.  Daher  ist  das  Chloroform 
so  gefahrlos  bei  gebärenden  Frauen  (L.  Hill).  Viel  besser  ist  es 
in  jedem  Falle,  wo  Gefahr  von  Vasomotorenlähmung  in  Aussicht  ge- 
nommen werden  muss,  also  nach  Hill  kurzweg  bei  jeder  Nar- 
kose, besonders  Chloroformnarkose,  den  Patienten  abhängig 
zu  lagern.  Wir  verweisen  auf  die  Schilderung  des  von  uns  zu 
diesem  Behufe  benutzten  Operationstisches. 

Es  ist  nach  L.  H.  viel  wichtiger,  dass  das  Becken  er- 
hoben werde  als  die  Beine;  indes  darf  dies  nicht  bis  zu  einem 
Grade  geschehen,  dass  das  Herz  passiv  zu  stark  angefüllt  ist,  weil  das 
Chloroform  in  letzter  Linie  auch  direct  den  Herzmuskel  lähmen 
kann,  wie  Gaskell  und  Shore  durch  ihre  Experimente  mit  ge- 
kreuzter Circulation  unter  Ausschluss  des  Gehirns  und  daherigem 
Weitergehen  der  Respiration  bewiesen  haben.  Leonard  Hill  em- 
pfiehlt deswegen  bloss  einen  unterbrochenen  Druck  aufs  Abdomen 
anzuwenden  zur  Füllung  des  Herzens,  abwechselnd  mit  Druck  auf 
den  Thorax  zum  Austreiben  des  Blutes  aus  dem  Herzen,  also  die- 
selben Maassnahmen,  welche  man  im  Interesse  der  künstlichen  Respi- 
ration am  gewöhnlichsten   einleitet. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  3 


■ia  Allgemeines. 

Die  richtige  Lagerung  ist  also  zunächst  das  wichtigste  Mittel 
der  Transfusion,  aber  mehr  im  prophylaktischen  Sinne  als  Lagerung 
zu  Beginn  der  Operation:  Jede  Operation  mit  allgemeiner 
Narkose  und  ausnahmslos  jede  mit  Chloroformnarkose  und  bei 
Individuen  mit  niedrigem  Blutdruck  soll  in  leicht  abhängiger 
Körperlage  mit  erhöhtem  Becken  und  Beinen  aus- 
geführt werden. 

Alle  Wiederbelebungsversuche  bei  gesunkenem  Blutdruck  sollen 
in  Hängelage  massigen  Grades  unternommen  werden  und  zunächst 
durch  methodisches  Auspressen  des  Abdomens  und  mechanische  Ent- 
leerung des  Herzens  geleistet  werden.  König  empfiehlt  rasch  sich 
folgende  Stösse  gegen  die  Herzgegend.  Hill  Compression  des  Thorax 
abwechselnd  mit  derjenigen  des  Abdomens.  Noch  wirksamer  er- 
scheint zur  Erfüllung  der  Indication  die  directe  Herzmassage  nach 
Freilegung  des  Herzens,  wie  sie  von  Prus  besonders  empfohlen  und 
von  Tuffier  u.  A.  am  Lebenden  ausgeführt  worden  ist. 

Prus  konnte  16  von  21  durch  Chloroform  getödteten  Thieren 
(und  31  von  44  künstlich  erstickten  Thieren)  durch  dieses  heroische 
Mittel  wieder  beleben  bis  zu  1  Stunde  nach  Aufhören  der  Athmung. 
Aber  auch  Prus  hat  zur  Wiederbelebung  in  seinen  Fällen  zum 
Theil  noch  ein  anderes  Mittel  benutzt,  welches  in  anderer  Weise 
der  von  Hill  aufgestellten  Forderung,  dem  Herzen  und  Gehirn 
Blut  zuzuführen,  genügt,  nämlich  die  Transfusion.  Wir  wissen, 
welche  ausgezeichneten  Wirkungen  diese  ergiebt  bei  Blutverlusten, 
wenn  der  Blutdruck  auf  ein  Minimum  gesunken  ist.  Hier  genügt  die 
Autotransfusion  nicht  mehr,  und  da  wir  es  gerade  bei  Operationen 
so  häufig  mit  einer  toxischen  Blutdruckerniedrigung  neben  stärkerem 
Blutverlust  zu  thun  haben,  so  hat  die  Transfusion  auch  als  Mittel 
der  Wiederbelebung  bei  sinkendem  Blutdruck  eine  sehr  gute  Indi- 
cation. 

Bobrow  hat  schon  von  relativ  kleinen  subcutanen  Infusionen 
von  Kochsalzlösung  Erfolge  gesehen,  welche  ihn  für  dieses  Mittel 
begeistert  haben.  Wir  haben  schon  lange  vor  den  Mittheilungen 
Bobrow's  die  intravenöse  Transfusion  als  ein  kostbares  Mittel  gegen 
Chloroformcollaps  in  unseren  Vorlesungen  empfohlen  und  haben  eine 
unserer  Zuhörerinnen,  Frl.  Gomberg,  veranlasst  unter  Kronecker's 
Leitung  die  Wirkung  der  Transfusion  experimentell  zu  studiren. 

Einige  unserer  klinischen  Erfahrungen  sind  überzeugend.  Ein 
11 -jähriger  Junge,  bei  welchem  ein  Retromaxillartumor  operirt  worden 
war,  wird  plötzlich  zu  Ende  der  Operation  pulslos,  die  Athmung 
sistirt,  die  Pupillen  reagiren  nicht  mehr.  Stimulirende  Injectionen 
und  subcutane  Infusionen  sind  erfolglos,  ebenso  Hängelage  des 
Körpers.  Als  sich  ca.  20  Minuten  nach  ausgeführter  Tracheotomie  und 
künstlicher  Athmung  gar  keine  Reaction  zeigte,    ausser  hier  und  da 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  k 

eine  krampfhafte  Verzerrung  des  Gesichtes,  wird  die  Vena  mediana 
eröffnet  (es  entleerte  sich  kein  Blut)  und  langsam  i  Liter  Salzwasser- 
lösung von  41  °  C.  injicirt.  Nun  trat  wieder  spontane  Respiration 
dann  fühlbarer  Herzschlag  und  zuletzt  Puls  ein. 

Ein  Knabe  bekam  nach  Entfernung  eines  Fibrosarkoms  der 
Schädelbasis  einen  Herzstillstand,  welcher  bei  stets  fühlbarem,  sehr 
frequentem  Pulse  (150)  1  Stunde  lang  andauerte  (es  war  durch  eine 
Tracheotomiecanüle  chloroformirt  worden)  bei  völlig  aufgehobenem 
Bewusstsein.  Herzmassage  und  künstliche  Athmung  ergab  keinen 
Erfolg,  obschon  die  Phrenicusfaradisation  mit  starkem  Strom  (die 
Platte  aufs  Abdomen,  die  kuglige  kleine  Elektrode  am  Vorderrand 
des  Scalenus  anticus)  schöne  Athemzüge  bewirkte.  Sobald  man  die 
Faradisation  sistirte,  wurde  sofort  auch  der  Puls  schlecht.  Nach 
1  Stunde  wurde  die  Transfusion  von  2  Liter  Kochsalzlösung  in  die 
Vena  mediana  vorgenommen  (1  Liter  subcutan  hatte  nichts  genutzt). 
Jetzt  trat  wieder  spontane  Athmung  ein,  Pat.  begann  wieder  auf 
Anschreien  zu  reagiren.  In  Fällen  von  Aethertod,  wie  derjenige 
von  Kaarsberg,  wo  ebenfalls  bei  Athemstillstand  der  Puls  hoch 
weiter  bestand,  hätte  eine  Transfusion  vielleicht  ebenfalls  Erfolg 
gehabt. 

Es  ist  also  zweifellos  die  Füllung  des  Herzens  mit  Flüssigkeit 
ein  Mittel,  Herz-  und  Athmungsthätigkeit  selbst  nach  längerem  Still- 
stand wieder  anzuregen.  Nach  Gottlieb's  Versuchen  dürfte  es  auch 
angezeigt  sein,  mit  10-proc.  Nebennierenextract,  wiederholt  einige 
Zehntel  Kubikcentimeter  eingespritzt,  eine  dauernde  Blutdruck- 
steigerung anzuregen ,  da  nach  seiner  Auffassung  das  Mittel  die 
Herzganglien  direct  beeinflusst.  Noch  nach  5  Minuten  langem  völligen 
Herzstillstand  erzielte  G.  Wirkung,  zumal  bei  gleichzeitiger  Herz- 
massage durch  Thoraxcompression. 

Auch  Manko WSKY  findet  bei  Chloroformscheintod  die  Injection 
von  einigen  Kubikcentimeter n  i-proc.  Nebennierenextract  wirksamer 
als  alle  anderen  Wiederbelebungsmittel. 

Wie  weit  auf  Grund  von  neueren  Versuchen  kräftige  elektrische 
Schläge  berufen  sind,  den  Herzstillstand  zu  heben,  müssen  weitere 
Beobachtungen  lehren. 

Unsere  Erfahrung  weist  uns  also  in  dergleichen  Fällen  sehr  be- 
stimmt auf  die  intravenöse  Transfusion  hin.  Wo  der  Blutdruck 
auf  ein  Minimum  gesunken  ist,  richtet  man  mit  der  subcutanen  In- 
fusion nichts  mehr  aus.  Diese  hat  ihren  Sinn  bei  Athemstillstand  bei 
noch  relativ  gutem  Puls.  Aber  wo  Synkope  eingetreten  ist  und  die 
subcutanen  Infusionen  versagen,  da  kann  noch  die  intravenöse  In- 
fusion Hülfe  bringen.  Und  zwar  muss  dieselbe  in  der  Form  ge- 
macht werden,  welche  der  Indikation  genügt,  nämlich  das  Gefäss- 
system   in   dem   Grade   füllen,    dass   ein   genügendes   Quantum   Blut 

3* 


•2  5  Allgemeines. 

zum  Herzen  zurückgeht  und  von  diesem  dem  Gehirn  zugeführt 
werden  kann ;   wir  haben  dazu  bis  2  Liter  verwendet. 

Dass  man  dabei  die  künstliche  Respiration,  sobald  diese  stille 
steht  und  die  abwechselnde  Bauch-  und  Herzmassage  auch  nicht  ver- 
nachlässigen darf,  ist  selbstverständlich.  So  weit  das  Sinken  des 
Blutdrucks  und  der  daherige  Collaps  auf  Vasomotorenlähmung  (nach 
Hill)  beruht,  hat  die  Transfusion  eine  ebenso  gute  und  bessere  In- 
dication  als  die  übrigen  Maassnahmen.  Beruht  sie  auf  Ertödtung  der 
Herzganglien  nach  Winogradoff  und  Schmdt  -  Kronecker,  so 
wird  sie  wie  andere  Maassnahmen  gegen  flimmernde  Herzen  im 
Stiche  lassen.  ' 

Ob  dann  noch  die  directe  Beeinflussung  des  Herzmuskels  nach 
der  KÖNIG  -  MAAS'schen  Methode  in  Form  rhythmischer  Herz- 
compression durch  häufige  (120)  kräftige  Stösse  in  der  Herzgegend 
etwas  leistet,  bleibt  die  Frage.  Körte  hat  nach  40  Minuten  dauerndem 
Herzstillstand  durch  KöNlG's  stossweise  Herzmassage,  combinirt 
mit  intravenöser  Kochsalztransfusion  einen  Patienten  durchgebracht. 
Kraske  hat  zuerst  gezeigt,  dass  ein  Theil  dessen,  was  die  Thorax- 
erweiterung und  Compression  bei  der  künstlichen  Athmung  leistet, 
in  Wirklichkeit  auf  eine  künstliche  Circulationsherstellung  zurück- 
zuführen ist. 

Die  verbesserte  Methode  für  Verabfolgung  des  Aethers  haben 
den  Gebrauch  des  Chlormethyls  überflüssig  gemacht,  obschon 
dieses  Mittel  von  keinem  Geringerem  als  Spencer  Wells  als  Haupt- 
mittel bei  Narkosen  benutzt  wurde. 

Auch  das  Aethylchlorid  (Kelen)  zur  allgemeinen  Narkose 
zu  ausgedehnter  An wendungs weise  zu  empfehlen,  liegt  kein  Grund 
vor,  da  dasselbe  nicht  ungefährlich  ist  und  keinen  wesentlichen  Vor- 
zug vor  Äther  oder  Bromäthyl  bietet. 

Das  Aethylchlorid  als  Mittel  zur  Allgemeinnarkose  ist  von 
Billeter  und  Carlson  eingeführt  worden,  und  wird  von  Lotheissen 
nach  Erfahrungen  in  v.  Hacker's  Klinik  in  Innsbruck  für  kurze 
Operationen  sehr  gelobt,  zu  5  g  aus  feinen  Tuben  auf  Mull  gespritzt, 
so  dass  es  darauf  gefriert  und  mit  BREUER'scher  Maske  zur  Inhalation 
gebracht.  Rascher  Schlaf,  rasches  Aufwachen,  meist  ohne  Erbrechen 
wird  ihm  nachgerühmt.  Auch  Dumont  rühmt  dasselbe.  Er  giesst 
in  die  Juillard - DuMONT'sche  grosse  Aethermaske  5—10  ccm  und 
giesst  dann  Aether  nach,  wenn  der  Patient  schläft.  Er  empfiehlt  es 
namentlich  zur  Einleitung  der  Aethernarkose,  da  die  Narkose  eine 
sehr  kurz  dauernde  ist.  Wie  oben  bereits  hervorgehoben,  sprechen 
die  KöNlG'schen  Versuche  nach  Kronecker's  Urtheil  trotz  der 
Empfehlung  des  Autors  nicht  sehr  für  das  Mittel.  Ein  Todesfall  ist 
im  Correspondenzbl.  für  Schweiz.  Aerzte  von  Seitz  vor  Kurzem  ver- 
öffentlicht worden. 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  -ij 

Soulier  hat  1896  darüber  referirt  und  es  empfohlen.  Wir  haben 
vor  Jahren  einmal  das  Mittel  benutzt  zur  Allgemeinnarkose  und  sehr 
schlechte  Erfahrungen  damit  gemacht.  Leider  können  wir  dieselben 
nicht  verwerthen.  Die  betreffenden  Krankengeschichten  sind  spurlos 
verschwunden,  und  wir  sind  deshalb  nicht  in  der  Lage,  über  das  be- 
nutzte Präparat  bestimmten  Aufschluss  zu  geben. 

Von  Mischungen  der  verschiedenen  Anästhetica  ist  nicht  viel 
zu  halten.  Wie  Kemp  hervorhebt,  bleibt  angesichts  der  verschiedenen 
Siedepunkte  in  der  Mischung  Aether-Aether  und  Chloroform-Chloro- 
form, und  bei  offener  Inhalation  hat  man  reine  Chloroformwirkung. 
Wenn  deshalb  Harley's  A.-C.-E.-Mischung  von  Alkohol,  Chloroform 
und  Aether  und  Billroth's  Chloroformäthermischung  in  bestimmter 
Anwendungsform  sich  grosser  Beliebtheit  erfreuen,  so  beruht  das 
darauf,  dass  man  ungefährliche  Anästhetica  zur  Wirkung  bekam, 
die  man  besser  rein  zur  Anwendung  bringt  eines  nach  dem  anderen, 
So  erhält  man  ein  klares  Urtheil. 

Braun  hat  in  neuester  Zeit  einen  Apparat  zur  Anwendung 
von  Aether  -  Chloroformmischnarkosen  angegeben,  welcher  vor 
anderen  den  Vorzug  voraus  hat,  dass  man  nach  Bedürfniss  die  Dosis 
reinen  Chloroforms  und  reinen  Aethers  und  eine  Mischung  beider 
variiren  kann.  Wenn  ein  Patient  durch  die  Mischung  nicht  ge- 
nügend in  Schlaf  zu  bringen  ist,  so  wird  der  Chloroformhahn  mehr 
geöffnet  und  der  Hauptsache  nach  mit  Chloroform  narkotisirt  nach 
Junker's  Methode.  Ist  dagegen  das  Toleranzstadium  erreicht,  so 
kann  man  den  Chloroformhahn  zudrehen  und  mit  reinem  Aether  in 
bestimmter  Luftverdünnung  weiter  narkotisiren. 

Es  wird  eine  Doppelflasche  benutzt  mit  150  ccm  Aether  und 
40  ccm  Chloroform  und  ein  Gebläse,  das  bei  Druck  (bei  jeder  In- 
spiration) 90  ccm  Luft  eindringen  lässt.  So  erhält  die  Luft  anfäng- 
lich 6  Vol.-Proc.  Aether  und  1,7  Chloroform  dampf  beigemischt,  später 
in  Folge  von  Abkühlung  die  Hälfte. 

Braun  hält  Aether  nur  für  zulässig,  wenn  er  verdünnt  einge- 
athmet  wird.  Bei  6 — 7  Vol.-Proc.  mache  er  eine  ideale  Narkose  ohne 
Cyanose,  ohne  Vermehrung  der  Speichelsecretion.  Wo  er  so  nicht 
genüge,  sei  er  überhaupt  contraindicirt  und  Chloroform  an  seine 
Stelle  zu  setzen.     Dies  die  Begründung  des  Apparates. 

Wie  ersichtlich,  hat  Braun  die  früher  von  uns  geübte  Methode 
wieder  aufgenommen  in  verbesserter  Form,  zuerst  Chloroform  und 
dann  Aether  in  geeigneten  Fällen  zu  verabfolgen,  und  es  freut  mich, 
gegenüber  dem  abschätzigen  Urtheil  von  anderer  Seite  dieses  Vor- 
gehen durch  einen  so  gewiegten  Kenner  und  Experimentator  in  der 
Narkosefrage  gebilligt  zu  sehen. 

Matthaei  empfiehlt  in  neuester  Zeit  die  Alkoholnarkose, 
und    zwar    durch    Zufuhr    auf    50  ■ —  60  °    erhitzten    Alkohols    mittelst 


3  8  Allgemeines. 

Kappeler's  Apparat  nach  vorheriger  Verabfolgung  eines  Klystiers 
mit  1/3  Alkohol  auf  Wasser.  Ein  Säufer  müsste  eine  Flasche  schweren 
Wein  als  Einleitung  bekommen.  Die  Methode  dürfte  für  Fälle,  wo 
formelle  Contraindication  für  Anwendung  von  Chloroform  und  Aether 
bestehen,  einer  Prüfung  werth  sein.  Ich  habe  bei  einem  Cretin  mit 
hochgradiger  Tracheostenose,  dem  die  Kropfexcision  ohne  Narkose 
gemacht  werden  sollte,  einen  Exitus  in  Folge  nachträglicher  Verab- 
folgung des  Anästheticums  erlebt,  weil  er  sich  so  unbändig  benahm, 
dass  die  Operation  sonst  unausführbar  war.  In  derartigen  Fällen 
mit  doppelter  Contraindication  könnte  vielleicht  die  Alkoholnarkose 
gute  Dienste  leisten,  ebenso  bei  Säufern  mit  Fettherz  unter  ähnlichen 
Zwan  gsverhältnissen. 

3.  Zur  Lagerungsfrage. 

Es  lohnt  sich,  im  Anhang  zur  Narkose,  obschon  bei  Besprechung 
derselben  schon  verschiedentlich  aufmerksam  gemacht  ist  auf  die 
Bedeutung  einer  richtigen  Lagerung  des  Patienten,  noch  unter  eigenem 
Titel  zu  dieser  wichtigen  Frage  einige  Bemerkungen  hinzuzufügen. 
Die  Lagerung  hat  nicht  nur  grosse  Bedeutung  für  die  Narkose  im 
Allgemeinen  zur  Verhütung  der  Aspiration  von  Speichel  und  Mund- 
flüssigkeiten bei  unempfindlich  gewordenem  Kehlkopf  und  zur  Ver- 
meidung von  Hirnanämie  bei  sinkendem  Blutdruck,  sondern  sie  be- 
kommt eine  doppelte  Bedeutung  sowohl  während  als  nach  der  Operation, 
sobald  zu  den  Mundflüssigkeiten  noch  Blut  und  Wundsekret  hinzu- 
kommt,  welches   durch  Aspiration    in    die  Lungen  gelangen  könnte. 

Bei  Besprechung  der  Oberkieferresection  hat  Prof.  Krönlein 
am  Chirurgencongress  in  Berlin  1901  mit  Recht  hervorgehoben,  wie 
unvergleichlich  bessere  Resultate  bezüglich  des  unmittelbaren  Er- 
folges diese  Operation  zur  Stunde  in  den  Händen  der  verschiedensten 
Chirurgen  giebt  im  Vergleich  zu  früher  —  weil  man  die  Aspirations- 
pneumonien  verhüte. 

Man  kann  sich  ja  freilich  diesen  Schwierigkeiten  dadurch  kurzer 
Hand  entziehen,  dass  man  die  allgemeine  Narkose  ganz  oder  für 
den  zweiten  Theil  der  Operation  weglässt.  Allein  ich  habe  jedesmal 
ein  schlechtes  Gewissen  gehabt,  wenn  ich  aus  Furcht  vor  Compli- 
cationen  einem  Patienten  die  argen  Schmerzen ,  welche  Kiefer- 
operationen mit  sich  bringen ,  zugemuthet  hatte.  Im  Gebiet  der 
Trigeminusverzweigungen  bedarf  man  schon  einer  ganz  gehörigen 
Anästhesirung  und  nicht  einer  halben. 

Den  Patienten  bei  derartigen  Eingriffen  in  sitzender  Stellung  zu 
operiren,  wie  Gussenbauer  es  thut,  hat  seine  Bedenken  wegen  der 
Hirnanämie. 

Es  bleibt  also  bloss  die  Schräglagerung  des  Körpers 
übrig,  in    welcher   man    volle   Narkose   ohne  Gefahr  von  Aspiration 


Die  Verhütung  des  Schmerzes  bei  Operationen.  ig 

und  .Hirnanämie  gewähren  kann.  Allein  gerade  hier  ist  speciell 
aufmerksam  zu  machen,  dass  diese  Schräglagerung  nicht  mit  dem 
Operiren    am    hängenden  Kopf   von  Rose  verwechselt  werden  darf. 

Rose  hat  aus  seinem  ursprünglich  guten  Gedanken  nicht  den 
vollen  Nutzen  gezogen,  denn  nicht  dass  der  Kopf  herabhängt,  ist  die 
Hauptsache,  sondern  dass  die  Trachea  eine  schiefe  Lage  mit  dem 
oberen  Ende  tiefer  erhalte ;  dann  fliesst  ausser  bei  sehr  starker  Athem- 
beengung  (nach  HöLSCHER's  Nachweisen)  nicht  mehr  viel  in  die 
Bronchien  herein.  Der  Kopf  selber  wird  dabei  im  Gegentheil  höher 
gelagert  als  der  Hals,  weil  man  auf  diese  Weise  die  grossen  Nach- 
theile des  Operirens  am  hängenden  Kopf  vermeiden  kann.  Jeder 
Chirurg  hat  seine  Erfahrungen  gemacht,  wie  stark  in  letzterer 
Stellung  oft  die  venösen  Blutungen  werden,  so  dass  man  mitten  in 
der  Operation  raschestens  die  Stellung  ändern  muss. 

Diese  Vortheile  der  abhängigen  R  u  m  p  f  lagerung  sollte  man 
sich  bei  allen  Operationen  im  Bereich  des  Kopfes  zu  Nutze  machen. 
Wie  Riedel  hervorgehoben  hat,  sind  sie  bei  Hasenschartenoperationen 
sehr  hoch  anzuschlagen,  aber  auch  bei  Operationen  an  der  Zunge  ist 
es  das  Richtige,  sich  von  der  Sorge  um  das  Einfliessen  von  Blut  u.  s.  w. 
in  dieser  einfachen  Weise  von  vornherein  frei  zu  machen.  Dasselbe 
ist  der  Fall  bei  Operationen  am  Pharynx,  im  Larynx  u.  s.  w.  Wir 
werden  unten  bei  Besprechung  dieser  Operationen  hervorheben,  dass 
Dank  dieser  Lagerung  man  sehr  oft  auf  die  TRENDELENBURG'sche 
präliminare  Tracheotomie  verzichten  kann,  wie  von  vielen 
Chirurgen  bestätigt  ist,  soweit  dieselbe  bloss  der  Möglichkeit  un- 
gestörter Narkotisirung  dient  oder  Aspiration  verhüten  soll.  Die 
Tracheotomie  disponirt  ganz  entschieden  zu  Pneumonien  und  muss 
als  eine  unangenehme  Complication  soviel  wie  möglich  vermieden 
werden. 

Die  Schieflagerung  des  Körpers,  wie  sie  Trendelenburg  ein- 
geführt hat,  ist  ja  nicht  hauptsächlich  mit  Rücksicht  auf  die  Narkose 
und  zur  Verhütung  der  Aspirationspneumonien  empfohlen  worden. 
Sie  leistet  auch  in  anderer  Hinsicht  zur  Erleichterung  und  Sicherung 
der  Operation  Ausserordentliches.  Durch  einfache  Schräglagerung 
kann  man  sich  nach  Belieben  die  Eingeweide  des  Abdomen  vom 
Operationsgebiet  entfernt  halten  oder  annähern  lassen,  was  beides 
unter  Umständen  erwünscht  ist,  wenn  auch  das  erstere  ungleich 
häufiger  der  Fall  ist.  Nicht  umsonst  haben  die  Gynäkologen  einen 
so  ausgiebigen  Gebrauch  von  diesen  Maassnahmen  gemacht.  Sie 
sind  nicht  minder  nützlich  bei  Operationen  am  Darm,  zumal  am 
Mastdarm,  an  der  Blase. 

Aber  wie  wir  schon  aufmerksam  gemacht  haben,  dass  man 
über  die  Schräglagerung  des  ganzen  Körpers  hinausgehen  muss, 
wenn   man   sich   die    Vortheile   ganz    zu  Gute   kommen   lassen   will, 


aq  Allgemeines, 

indem  man  z.  B.  den  Kopf  hoch  und  den  Hals  tief  lagert,  so  ist  es 
auch  für  viele  andere  Operationen  wünschenswerth,  dass  man  nur 
ganz  umschriebene  Theile  des  Körpers  hochlagere,  andere  dagegen 
in  abschüssiger  Lage  erhalte. 

Es  giebt  kaum  eine  Klinik  oder  einen  Operationsraum  mehr» 
in  welchem  sich  nicht  Tische  befinden,  welche  nach  Belieben  in 
Kopf-  oder  Fussabwärtslage  gebracht  werden  können,  allein  wenn 
ein  solcher  Tisch  völlig  brauchbar  sein  soll,  so  müssen  auch  einzelne 
Theile  der  Tischplatte  an  beschränkter  Stelle  hochgelagert  werden 
können  und  zwar  speciell  ausser  dem  Kopftheil,  wo  die  Einrichtung 
auch  bei  den  älteren  Tischen  stets  bestanden  hat,  auch  der  Halstheil 
und  obere  Thoraxabschnitt  für  sich,  die  Oberbauchgegend  und  die 
Gegend  der  „Taille",  und  endlich  das  Becken.  Man  braucht  nur  an 
die  Kropfoperätion,  die  Cholecystotomie,  die  Nephrotomien,  die  tiefen 
Beckentumoren  zu  denken. 

Ein  guter  Operationstisch  muss  also  so  construirt  sein,  dass  er 
heizbar  ist,  als  Normallage  eine  leicht  abhängige  Körperlage  zulässt, 
aber  umgekehrt  wie  an  den  alten  Operationstischen,  nämlich  mit  Höher- 
lagerung der  unteren  Körperhälfte ;  aus  dieser  Lage  muss  er  rasch 
und  leicht  in  noch  viel  abhängigere  Lage  gebracht,  aber  auch  auf- 
gerichtet werden  können.  Ausserdem  muss  mit  einem  leichten  Hebe- 
mechanismus jeder  Körperabschnitt  isolirt  sofort  emporzuheben  sein. 

Auch  von  der  Lagerung  der  Kranken  nach  der  Operation 
wird  nicht  überall  derjenige  Nutzen  gezogen,  den  man  damit  ver- 
wirklichen kann.  Wir  haben  Aspirationspneumonien  auch  bei  den 
schwersten  Operationen  im  Bereich  der  Rachen gebilde ,  wo  der 
Schluckmechanismus  momentan  völlig  gestört  war,  dadurch  verhüten 
gelernt,  dass  wir  bis  zur  Wiederherstellung  des  letzteren  die  Hals- 
thorax-Abwärtshaltung einnehmen  Hessen.  Man  vergleiche  die  Be- 
merkungen in  den  betreffenden  Capiteln. 

Fenger  Just  und  Alfred  Madsen  in  Kopenhagen  haben  es 
versucht,  einen  heizbaren  Operationstisch  herzustellen,  welcher  zum 
Theil  nach  Art  des  DoYEN'schen  die  Tischplatte  in  einer  Quer-  und 
Längsaxe  zu  bewegen  gestattet,  den  Kopf  und  das  Becken  isolirt  zu 
heben  erlaubt. 


C.  Wundbehandlung. 

Die  Grundlagen  der  Wundbehandlung,  welche  wir  in  der  dritten 
Auflage  unserer  Operationslehre  erörtert  haben,  sind  selbstverständlich 
die  gleichen  geblieben.  Wir  können  nur  wiederholen,  dass  alle  Kunst 
im  Operiren  umsonst  ist,  wenn  nicht  der  eigentlichen  Lebensfrage 
bei  der  Behandlung  der  Operationswunden  Genüge  geleistet  wird, 
nämlich  der  Abhaltung  der  Infection. 


Wundbehandlung.  41 

Nachdem  Fr.  Schultze,  Schwann  und  Helmholtz,  Schröder 
und  Dusch  den  Grund  gelegt  hatten  für  den  Nachweis,  dass  Luft 
nach  Glühen,  Behandlung  mit  Schwefelsäure,  Filtriren  durch  Baum- 
wolle keine  Fäulniss  macht,  sobald  organische  Stoffe  ferngehalten 
werden,  hat  Pasteur  den  breiten  Boden  geschaffen  für  die  An- 
schauung, dass  keine  Zersetzung  organischen  Materials  eintritt  ohne 
Zutritt  lebender  Keime.  Zahlreiche  Forscher,  wie  Tyndall  für  die 
Luft  und  Rindfleisch  für  das  Wasser  haben  gezeigt,  woher  diese 
lebenden  Keime  stammen.  Lister  hat  seit  1867  auf  dem  Pasteur- 
schen  Grund  den  Bau  der  jetzigen  Wundbehandlungsmethode  auf- 
gebaut, indem  er  bewies,  dass  auch  die  Zersetzungen  auf  Wunden 
nur  unter  Zutritt  von  organischen  Partikeln  von  aussen  her  Platz 
greifen,  nachdem  schon  vor  ihm  Jules  Lemaire  den  Satz  aufgestellt 
hatte:  „Pas  de  suppuration,  si  l'on  tue  les  germes".  Auch  Lister 
nahm  bei  aller  Vorsicht  in  der  Deutung  an,  dass  diese  organischen 
Partikel  durch  entwicklungsfähige  Keime  dargestellt  werden. 

Koch  hat  durch  seine  Methode  es  ermöglicht,  die  den  Wund- 
krankheiten zu  Grunde  liegenden  Keime  im  einzelnen  Falle  aufzu- 
finden und  ihre  Wirkung  genauer  zu  studiren,  nachdem  Billroth 
mit  ungenügenden  Hülfsmitteln  in  demselben  Sinne  vorgearbeitet 
hatte.  Während  noch  BlLLROTH  und  Thiersch  das  Vorhandensein 
der  Keime  innerhalb  der  Körpergewebe  annahmen,  ist  es  durch  die 
vervollkommneten  Methoden  gelungen  zu  beweisen,  dass  sie  bei  ge- 
sunden Menschen  bloss  an  der  Oberfläche  (Haut  und  Schleimhäuten) 
sich  vorfinden  und  stets  von  aussen  in  die  tieferen  Gewebe  hinein- 
getragen werden. 

Auf  diesen  Grundlagen  ruht  unsere  Kenntniss  von  Wundinfection 
und  auf  sie  beziehen  sich  unsere  Bestrebungen  zur  Verhütung  der- 
selben. Schultze,  Lesser  und  Schede  haben  die  LiSTER'schen 
Principien  auf  deutschen  Boden  verpflanzt,  wo  sie  sofort  die  kräftigsten 
Früchte  trugen  dank  der  begeisterten  Initiative  Volkmann's.  Aber 
trotz  der  gewaltigen  Arbeit  zur  Förderung  der  Wundbehandlung  in 
den  letzten  Jahrzehnten  ist  eine  völlige  Abklärung  der  besten  Mittel 
und  Methoden  nur  nach  einzelnen  Richtungen  hin  erfolgt.  In  anderen 
Richtungen  sind  die  Anschauungen  verschieden  und  schwankend.  So 
viel  ist  erobert  worden,  dass  wir  Infectionen  von  unseren  Operations- 
wunden mit  voller  Sicherheit  abhalten  können  durch  Antiseptik 
resp.  Desinfection  sämmtlicher  für  die  Wundbehandlung  nothwendigen 
Materialien,  speciell  alles  dessen,  was  man  als  Verbandmaterial 
bezeichnet,  sowie  der  Instrumente  und  der  mit  der  Wündoberfläche 
in  Berührung  kommenden  Flüssigkeiten.  Hierbei  ist  es  als  der 
grösste  Fortschritt  zu  betrachten,  dass  wir  von  den  ausserordentlich 
complicirten  Maassnahmen  der  Zubereitung  der  genannten  Materialien 
zu   höchst   einfachen   Verfahren    gelangt   sind,    welche   es   nicht   nur 


42 


Allgemeines. 


in  glänzend  eingerichteten  Kliniken  und  Operationsräumen,  sondern 
auch  in  den  einfachsten  und  bescheidensten  Verhältnissen  der  Praxis 
ermöglichen,  obiger  Indication  völlig  Genüge  zu  leisten1).  Dadurch, 
dass  wir  die  Instrumente  und  Verbandmaterialien  sowie  die  Flüssig- 
keiten genügend  lange  kochen  oder  statt  dessen  strömendem  und 
gespanntem  Dampf  aussetzen,  erzielen  wir  völlig  genügende  Sterilität 
derselben.     Damit   ist   eine   der  Hauptformen  der  Infection  beseitigt, 


Fig.  4. 

welche  in  der  Zeit  vor  der  Antisepsis  und  speciell  vor  Lister  das 
Leben  des  einer  Operation  unterworfenen  Kranken  bedroht  hat, 
nämlich  die  Infection  durch  directe  Berührung,  die  man  als  Contact- 


1)  Wir  sind  nicht  sehr  eingenommen  dafür,  das  „aseptische  Feld"  bei 
Operationen  mit  Wal  eher  möglichst  einzuschränken.  Man  muss  ungleich 
ängstlicher  aufpassen,  sich  das  Raubgesindel  vom  Leibe  zu  halten,  wenn  es 
rings  in  grösserer  Nähe  lauert,  als  wenn  man  es  über  die  Grenzen  hinaus  ver- 
wiesen hat.  Freilich  ist  es  richtig,  dass  der  maassgebende  Punkt  der  ist,  dass 
nichts  Infectiöses  auf  die  Wunde  selber  kommt,  und  man  hat  sich  nicht  um- 
sonst darüber  lustig  gemacht,  dass  menstruirende  Wärterinnen  von  der  Operation 
ausgeschlossen  werden  sollen.  Wie  wir  die  Abgrenzung  eines  aseptischen 
Feldes  verstehen,  das  illustrirt  am  besten  beiliegende  Figur,  welche  zeigt,  wie 
bei  einer  Kropfoperation  die  Operationsstelle  gegenüber  dem  übrigen  Körper 
des  Patienten  durch  sterile  Tücher  abgeschlossen  wird. 


Wundbehandlung.  43 

infection  zu  bezeichnen  gewohnt  ist.  Es  sei  denn,  dass  die 
Bakteriotherapie  auch  für  die  Wundbehandlung  jetzt  noch  nicht 
vorauszusehende  Fortschritte  macht,  wird  diese  Errungenschaft  voraus- 
sichtlich niemals  mehr  aufgegeben  werden. 

Es  lässt  sich  deshalb  als  erste  Indication  für  die  Wund- 
behandlung aufstellen :  Sämmtliches  mit  der  Wundoberfläche  in 
irgend  einer  Weise,  direct  oder  indirect  in  Berührung  kommen- 
des festes  Material  und  ebenso  jegliche  Flüssigkeit  muss  sterilisirt 
werden.  Hierzu  genügt  das  Kochen  während  20  Minuten  in  ge- 
wöhnlichem Wasser  oder  in  Lösungen,  welche  das  Material  weniger 
schädigen,  wie  die  i-proc.  Sodalösung  für  die  Instrumente.  Wesent- 
lich abgekürzt  wird  die  Sterilisirung  von  Verbandstoffen  und  In- 
strumenten durch  die  Anwendung  strömenden  und  gespannten 
Dampfes,  welcher  bei  einer  Einwirkung  von  15  Minuten  bei 
120 — 1250  C  nach  Tavel's  und  seiner  Schüler  Nachweisen  völlige 
Sterilisirung  erzielt 1). 

Was  man  bei  Erfüllung  dieser  Indication  lange  Zeit  übersehen 
und  vernachlässigt  hat,  ist  die  Sicherung  gegen  Verunreinigung  der 
Verbandstoffe  nach  ihrer  Sterilisirung,  und  vor  ihrer  Anwendung. 
Nur  diejenigen  Stoffe  können  als  vollständig  sicher  sterilisirt  an- 
gesehen werden,  welche  unmittelbar  aus  dem  Kochapparat  oder  aus 
dem  Dampfapparat  entnommen  und  auf  die  Wunde  gebracht  werden. 
Jedes  längere  Aufbewahren  der  Verbandstoffe  ist  vom  Uebel.  Das- 
selbe gilt  von  den  Instrumenten  und  Spülfiüssigkeiten,  welch'  letztere 
dem  Kochapparat  unmittelbar  entnommen  werden  müssen,  um  auf 
die  Wunde  gebracht  zu  werden,  ohne  dass  sie  vorher  von  einem 
Gefäss  ins  andere  behufs  Aufbewahrung  übergegossen  werden.  Wo 
eine  Sterilisirung  der  Wundmaterialien  in  diesem  Sinne  unmittelbar 
vor  der  auszuführenden  Operation  ausgeschlossen  ist  —  was  aber 
selten  ist  —  da  sind  nur  diejenigen  Aufbewahrungsmethoden  brauch- 
bar, bei  denen  unter  sicherem  Staubabschluss  das  Material  in  den 
Gefässen  aufbewahrt  wird,  in  welchen  es  desinficirt  wurde.  Dies 
leisten  gewisse  Apparate,  welche  am  Schlüsse  der  Desinfections- 
procedur  ohne  Berührung  des  Inhaltes  sofort  völlig  abgeschlossen 
werden  können  und  zugleich  leicht  transportabel  sind.  Die  Schimmel- 
BUSCH'schen  Apparate  haben  ihrer  Einfachheit  wegen  mit  vollem 
Recht  grosse  Verbreitung  gefunden 2).  Aber  das  allerleichteste  bleibt 
immer  die  sterile  Herstellung  sämmtlicher  Materialien 
unmittelbar  vor  der  Operation. 


1)  Braatz  hat  als  wichtigen  Factor  bei  der  Dampfsterilisirung  erkannt, 
dass  der  Verbandstoff  nicht  wie  üblich  vorgewärmt  werden  sollte,  da  sonst 
der  Dampf  sich  an  demselben  erhitzt,  seine  Sättigung  einbüsst  und  unwirksam 
wird.    Dieses  gilt  zunächst  für  nicht  gespannten  Dampf. 

2)  Sie  sind  von  Braatz  noch  verbessert  worden. 


aa  Allgemeines. 

Leider  sind  wir  nicht  im  Stande,  die  Sterilisirung  auf  sämmt- 
liche,  mit  der  Wunde  in  Berührung  kommenden  Gegenstände  aus- 
zudehnen, weil  der  menschliche  Körper  selber  weder  das  kochende 
Wasser  noch  den  Dampf  verträgt.  Es  bleibt  also  sowohl  die  Haut 
des  Patienten  als  die  Hände  des  Chirurgen,  welche  in  so 
innige  Berührung  mit  der  Wundoberfläche  bei  Operationen  kommen, 
durch  die  oben  genannten  Einwirkungen  unsterilisirbar,  und  es  fragt 
sich,  wie  weit  hier  die  Wirkung  des  kochenden  Wassers  oder  des 
strömenden  Dampfes  durch  andere  Mittel  ersetzt  werden  kann.  Man 
hat  diese  Frage  gewöhnlich  unter  dem  Titel  der  Händedesin- 
fection  zusammengefasst  und  die  Frage  der  Möglichkeit  einer 
Händedesinfection  hat  in  den  letzten  Jahren  im  Schoosse  gelehrter 
Gesellschaften  die  lebhaftesten  Discussionen  hervorgerufen.  Die  Zu- 
sammenfassung unter  diesem  Titel  erscheint  nicht  ganz  glücklich, 
weil  es  sich  nicht  nur  um  Desinfection  der  Hände  des  Chirurgen 
und  seiner  Gehülfen  handelt,  sondern  weil  die  Haut  des  Patienten 
mit  einbezogen  werden  muss.  Lange  genug  freilich  hat  man  Letztere 
über  Gebühr  vernachlässigt,  und  noch  jetzt  ist  es  nicht  eine  Selten- 
heit, dass  man  es  mit  ansehen  muss,  dass  ein  Chirurg  und  sein 
Assistent  mit  dem  Scheuern  und  Putzen  ihrer  Hände  gar  nicht  fertig 
werden  können,  während  die  Haut  des  Patienten  nur  unmittelbar 
vor  der  Operation  mit  etwas  Seifenwasser  abgewaschen  und  ab- 
gespült wird  und  wenn  es  hoch  kommt,  mit  einem  Lappen  Sublimat 
ein  Paar  Mal  über  dieselbe  herüber  gefahren  wird.  In  solchem  Ge- 
bahren  liegt  ein  arger  Widerspruch.  Derselbe  hat  nur  darin  eine 
gewisse  Entschuldigung,  dass  die  Art  der  Infection,  welche  von  den 
Händen  eines  Chirurgen  übertragen  werden  kann,  in  der  septischen 
Aera  eine  viel  bedenklichere  zu  sein  pflegte,  als  die  von  der  Haut 
des  Patienten  aus  vermittelte.  Hierauf  werden  wir  unten  zurück- 
kommen; indes  muss  schon  hier  hervorgehoben  werden,  dass  in 
nicht  seltenen  Fällen  auch  von  der  Haut  des  Patienten  schwere 
Infection  übertragen  wird,  wenn  dieselbe  Sitz  noch  so  kleiner,  nur 
bei  genauerem  Zusehen  erkennbarer  Infectionen  ist. 

Der  jetzige  Standpunkt  in  der  Frage  der  Hautdesinfection 
ist  für  die  Mehrzahl  der  Chirurgen  der,  dass  laut  Nachweis  der 
competentesten  Untersucher  eine  Sterili  sation  ■  durch  kein 
zur  Stunde  zur  Verfügung  stehendes  Mittel  erreichbar 
ist.  Dieses  Ergebniss  der  besten  Untersuchungen  hat  dazu  geführt, 
eine  directe  Berührung  der  Hände  mit  einer  Wundoberfläche  über- 
haupt zu  vermeiden  zu  suchen,  indem  man  Handschuhe  einführte. 

Die  Frage  der  Operationshandschuhe  hat  ebensoviele 
Anhänger  als  Gegner  gefunden  und  sowohl  die  Begeisterung  als 
die  Opposition  erklären  sich  daraus,  dass  man  in  der  Methode  der 
Prüfung  in  verschiedener  Weise  vorgegangen  ist.    Es  besteht  kaum 


Wundbehandlung.  st- 

eine Abweichung  der  Anschauungen  darüber,  dass  man  beim 
Tragen  eines  sterilisirten  Kautschukhandschuhes  die  von  den 
Händen  zu  fürchtende  Contactinfection  mit  Sicherheit  verhüten  kann. 
Halsted  in  Baltimore  ist  wohl  einer  der  ersten  gewesen,  welcher 
methodisch  mit  dem  Tragen  der  Kautschukhandschuhe  vorgegangen 
ist.  Aber  dass  diese  Handschuhe  (selbst  in  der  verbesserten  Form 
nach  Friedrich)  ihre  Nachtheile  haben,  kann  Niemand  in  Abrede 
stellen,  einmal  wegen  der  hohen  Kosten,  da  sie  sich  sehr  leicht  ab- 
nutzen und  defect  werden,  dann  wegen  einer  gewissen  Behinderung 
für  das  feine  Gefühl  und  Bewegung  von  Hand  und  Fingern.  Immer- 
hin hat  das  Tragen  von  Kautschukhandschuhen  seiner  Sicherheit 
gemäss  eine  bleibende  Bedeutung  bekommen,  die  aber  auf  anderem 
Gebiete  zu  suchen  ist  als  auf  dem  der  Verhütung  einer  Berührung 
der  Hand  mit  der  Oberfläche  einer  frischen  Wunde. 

Der  Hauptkampf  gegen  die  Handschuhe  bewegt  sich  auf  dem 
Gebiete  permeabler  Handschuhe,  wie  sie  von  Mikulicz  vor- 
geschlagen worden  sind.  Dass  derartige  Handschuhe  aus  Baum- 
wolle oder  Leinenstoff  Keime  nicht  von  der  Wunde  abzuhalten  ver- 
mögen, wird  Niemand  bestreiten,  welcher  zahlreiche  Untersuchungen 
über  den  Keimgehalt  von  Handschuhen  während  und  nach  einer 
Operation  gemacht  hat.  Wir  können  bestätigen,  dass  es  Regel  ist, 
dass  nach  vollkommen  correctem  Vorgehen  regelmässig  die  mit 
Flüssigkeit  und  Blut  imbibirten  Handschuhe  voll  von  Keimen  sind 
und  zwar  weitaus  am  häufigsten  von  Staphylococcus  albus,  also  dem 
gewöhnlichsten  Bewohner  der  menschlichen  Haut.  Damit  ist  freilich 
noch  nicht  gesagt,  dass  nicht  gerade  durch  seine  Imbibitionsfähigkeit 
ein  permeabler  Handschuh  bei  einer  Operation  nützlich  sei.  Denn 
wenn  die  Keime  da  sind  und  im  Handschuh  stecken  bleiben,  so 
kommen  unbedingt  um  so  viel  weniger  auf  die  Wundoberfläche. 
Da  nach  bestimmten  Nachweisen  eine  Vermehrung  der  Keime  inner- 
halb des  Handschuhes  in  der  kurzen  Zeit  gewöhnlicher  Operationen 
ausgeschlossen  ist,  so  möchten  wir  in  der  Imbibitionsfähigkeit  dieser 
Handschuhe  eher  einen  Vortheil  erblicken,  so  wenig  man  diesem 
Umstand  eine  Beachtung  zu  schenken  geneigt  gewesen  ist.  Es  ist 
aber  zu  beachten,  dass  die  Keime  im  Handschuh  dann  und  erst  dann 
nachgewiesen  werden,  wenn  derselbe  mit  Flüssigkeit  und  Blut  im- 
bibirt  ist.  Wechselt  man  also  die  Handschuhe  während  der  Operation 
häufig,  so  beseitigt  man  ein  entsprechendes  Quantum  von  Infections- 
stoffen  von  seiner  Hand  und  von  der  Wundoberfläche.  Es  kann 
nach  vorliegenden  Untersuchungen  als  sicher  betrachtet  werden, 
dass  die  Mehrzahl  der  vorgefundenen  Keime  nicht  aus  der  Luft 
herabgefallen  sind,  sondern  von  der  Hautoberfläche  stammen;  dafür 
spricht  ausser  den  HAEGLER'schen  Versuchen  sehr  bestimmt,  dass 
der  Staphylococcus  albus  der  weitaus  vorwiegende  Mikroorganismus 


4Ö  Allgemeines. 

ist,  der  vorgefunden  wird.  Ferner  zeigen  die  Untersuchungen  von 
Mohaupt,  dass  selbst  nach  gründlicher  Reinigung  der  Haut  in  den 
Schweissdrüsen  Keime  zurückblieben,  welche  durch  den  Secretions- 
strom  an  die  Oberfläche  gelangen  und  zwar  beim  Schwitzen  schon 
in  weniger  als  1/2  Stunde,  sonst  binnen  24  Stunden.  Es  ist  also  die 
eine  Bedingung,  eines  wirklichen  Nutzens  der  Handschuhe,  dass  die- 
selben jeweilen  gewechselt  werden,  wenn  sie  mit  blutiger  Flüssig- 
keit durchtränkt  sind. 

An  der  Oberfläche  eines  frisch  aus  dem  Sterilisationsapparat 
entnommenen  Handschuhes  haften  keine  Mikroorganismen.  Deshalb 
haben  sie  eine  sehr  grosse  Bedeutung  und  meiner  Ansicht  nach  die 
Hauptbedeutung  darin,  dass  sie  die  Berührung  der  Haut- 
oberfläche mit  den  Ligaturfäden  und  auch  mit  den  Tupfern 
verhüten  und  damit  die  zur  Zeit  wichtigste  aller  Infectionen,  die 
von  mir  als  Implantationsinfection  bezeichnete  Form  ausmerzen. 

Tupfer  kann  man  ja  sehr  zweckmässig  bloss  mit  sicher  steri- 
lisirten  Schwammhaltern  anfassen  und  so  jede  Berührung  mit  den 
Fingern  vermeiden.  Faden  dagegen  müssen  wir  mit  den  Fingern 
anfassen. 

Haegler  *)  hat  den  stricten  Nachweis  geleistet,  dass  man  selbst 
mit  möglichst  gut  gereinigten  und  möglichst  keimfrei  gemachten 
Händen  keinen  Faden  energisch  durch  die  Finger  ziehen  kann,  ohne 
dass  man  demselben  Keime  von  der  Hautoberfläche  mittheilt.  Wir 
glauben  also,  dass  es  einen  grossen  Werth  hat,  wenn  unmittelbar 
vor  Anlegung  der  Ligaturen  sowohl  die  das  Ligaturenmaterial  be- 
sorgende Wärterin,  als  Assistenten  und  Chirurg  frische,  wenn  auch 
permeable  Handschuhe  anziehen.  Das  ist  für  uns  auch  der  Grund, 
unsere  sämmtlichen  Ligaturen,  so  weit  es  irgendwie  geht, 
bis  ans  Ende  der  Operation  auf  einen  Act  zu  versparen 
und  bis  zu  dem  Augenblick  die  Gefässe  mit  Arterienklemmen  ver- 
schlossen zu  halten,  wenn  auch  gelegentlich  bei  einer  Kropfoperation 
bis  50  und  100  derartiger  Instrumente  in  der  Wunde  hängen. 

Neben  diesem  einen  Nutzen  der  Handschuhe  bei  Anlegung  der 
Ligaturen  und  Suturen  ist  weitaus  die  grösste  Bedeutung  der  Hand- 
schuhe darin  zu  suchen,  dass  man  sie  nicht  in  dem  engen  Rahmen 
von  Operationshandschuhen  benutzt,  sondern  sie  als  prophylaktisches 
Mittel  in  Anwendung  zieht.  Damit  kommen  wir  auf  die  Frage  der 
Hautdesinfection  auch  ohne  Handschuhe  zurück2). 


1)  Wir  machen  auf  das  ausgezeichnete  Buch  Haegler's  über  Hände- 
reinigung etc.  speciell  aufmerksam. 

2)  Wir  legen  auf  wiederholtes  gründliches  Waschen  der  Hände  bei  Ope- 
rationen, zumal  bei  zufälligen  Verunreinigungen  während  derselben  so  grossen 
Werth,  dass  wir  uns  zu  Versuchen  mit  Firnissüberzügen  der  Hände  nach  Menge 
(Paraffin),  Kossmann  (Chirol)  und  Levai  nicht  haben  entschliessen  können. 


Wundbehandlung.  47 

So  entschieden  man  zugeben  muss,  dass  eine  Keimfreiheit  unserer 
Hände  durch  eine  gegenwärtig  übliche  Präparation  nicht  zu  erzielen 
ist,  so  sehr  ist  doch  Jedermann  damit  einverstanden,  dass  Haut  und 
Hände  bei  jeder  Operation  und  bei  jeder  Wundbehandlung  einer 
Reinigung  in  besonderem  Sinne  bedürftig  sind.  Wenn  man  den 
Unterschied  festhält  zwischen  Sterilisation  als  Keimfreiheit  und  Des- 
inf ection  als  Freiheit  von  pathogenen  und  entwicklungsfähigen 
Keimen,  was  praktisch  entschieden  vortheilhaft  erscheint,  so  bleibt 
es  immerhin  noch  möglich,  dass  wir  eine  Hautdesinfection  erreichen, 
auch  wenn  wir  auf  die  Sterilisation  verzichten  müssen.  Das  ist  auch 
in  Wirklichkeit  der  Fall,  sobald  wir  den  Erfolg  einer  Desinfection 
an  den  Resultaten  unserer  Operationen  messen. 

Wir  haben  im  Jahre  1899  in  einem  Vortrage  zu  Händen  der 
American  surgical  Association  bei  Gelegenheit  der  Besprechung  der 
Handschuhfrage  die  Resultate  in  Form  einer  unsere  sämmtlichen 
Operationsfälle  chronologisch  umfassenden  Tabelle  veröffentlicht, 
welche  wir  während  des  ganzen  Wintersemesters  1898/99  bei  sämmt- 
lichen 325  aseptisch  ausführbaren  Operationen  gehabt  haben.  Aus 
denselben  geht  hervor,  dass  wir  bei  unserer  rein  aseptischen  Wund- 
behandlung typischer  Form  keinen  einzigen  Fall  gehabt  haben  von 
Eiterung  oder  Ascedirung  einer  Wunde,  geschweige  denn  eine  weiter 
gehende  gefährliche  Infection. 

In  ähnlicher  Weise  waren  wir  in  der  Lage,  für  eine  Operation, 
bei  welcher  sich  Infectionen  in  schwerer  Weise  zu  rächen  pflegen, 
nämlich  für  die  Strumektomie,  zu  beweisen,  dass  sich  Serien  von 
Hunderten  derartiger  Operationen  ausführen  lassen,  mit  ununter- 
brochener und  tadelloser  Primaheilung  der  Wunde,  d.  h.  einer  wirk- 
lichen Verklebung  und  völliger  Vernarbung  in  8  Tagen.  Praktisch 
lässt  sich  also  eine  genügende  Desinfection  von  Haut  und  Händen 
herstellen,  so  dass  man  ohne  Sorge  und  Gefahr  die  schwersten 
Operationen  unternehmen  darf  mit  der  Aussicht  auf  ungestörten 
Wundverlauf. 

In  der  Hinsicht  stimmen  wir  Ahlfeld  vollständig  bei,  so  wenig 
wir  uns  mit  ihm  im  Uebrigen  einverstanden  erklären  können,  dass 
diese  Resultate  irgend  eine  Keimfreiheit  der  Hände  beweisen  sollten. 
Ja  wir  möchten  nicht  einmal  mit  Sicherheit  sagen,  dass  die  Des- 
infection der  Hände  oder  der  Haut  in  jedem  Falle,  wo  eine  Prima- 
heilung eintrat,  eine  vollkommene  war.  Lanz  und  Flach  haben 
freilich  auf  unserer  Klinik  gefunden,  dass  bei  den  per  primam 
heilenden  Wunden  keine  intensiv  pathogen  wirkenden  Keime  nach- 
weislich waren  wie  Staphylococcus  aureus,  sondern  nur  albus  und 
andere,  und  den  Letzteren  können  wir  nach  unseren  Erfahrungen 
nicht  als  einen  pathogen  sehr  wirksamen  Mikroorganismus  für  den 
menschlichen    Körper    ansehen.     Die   Thatsache    des    regelmässigen 


^8  Allgemeines. 

Vorkommens  desselben  in  Handschuhen  bei  tadelloser  Wundheilung 
spricht  laut  genug  für  diese  Auffassung. 

Bruner  hat  allerdings  in  per  primam  heilenden  Wunden,  wie 
BüDlNGER  auch,  den  Staphylococcus  aureus  gefunden,  an  dessen 
intensiv  pyogenen  Eigenschaften  Niemand  zweifelt.  Doch  scheint 
das  ein  seltener  Fall  zu  sein  auch  nach  seinen  Untersuchungen. 

Auf  welches  Verfahren  sind  nun  die  tadellosen  Resultate  zurück- 
zuführen, welche  man,  wie  sich  beweisen  lässt,  in  ununterbrochenen 
Serien  schwerer  Operationen  erreichen  kann?  Wir  stellen  in  den 
Vordergrund  dasjenige  Verhalten,  welches  von  den  Gynäkologen 
als  Abstinenz  bezeichnet  worden  ist.  Aber  wir  fassen  dieses 
Wort  in  viel  weiterem  Sinne  auf,  d.  h.  nicht  in  dem  Sinne  einer 
Enthaltung  von  Operationen  überhaupt,  sondern  einer  Enthaltung 
von  Infection  mit  pathogenen  und  virulenten  Keimen.  Ein  Chirurg, 
welcher  aseptische  Operationen  auszuführen  hat,  soll  sich  unbedingt 
seine  Hände  vor  jeder  Berührung  mit  pathogenen  virulenten  Keimen 
schützen.  Dieser  Indication  soll  man  ein  Genüge  leisten,  so  oft  man 
eine  inficirte  Wunde  berührt  oder  Untersuchungen  ausführen  muss, 
bei  denen  die  Hautoberfläche  mit  Infectionsstoffen  in  reichliche  und 
innige  Berührung  kommt,  wie  bei  Mund-,  Rachen-  Vaginal-  und 
Rectaluntersuchungen.  Ausnahmslos  soll  hier  die  Hand  geschützt 
werden  durch  Anziehen  und  Tragen  von  Kautschukhand- 
schuhen. Da  liegt  der  früher  bereits  angedeutete  wesentlichste 
Nutzen  der  Handschuhe  —  nicht  in  dem  Tragen  während  der 
Operation,  sondern  in  der  Zwischenzeit  der  Operationen, 
und  soviel  Heiterkeit  es  erregt  hat,  als  ich  in  einer  ärztlichen  Ver- 
sammlung bei  einer  Discussion  über  Operationshandschuhe  das  Para- 
doxon aufstellte :  Man  solle  die  Handschuhe  zwischen  den  Operationen 
tragen  und  sie  bei  Beginn  der  Operation  ausziehen,  so  liegt  doch  in 
dieser  Verwendung  von  Handschuhen  bei  jedem  Act,  wo  eine  grössere 
Anzahl  von  Keimen  in  die  Hautoberfläche  eingedrückt  oder  einge- 
rieben werden  könnte,  das  eigentliche  Geheimniss  der  Keimfreiheit 
der  Hände !  Wie  Zweifel  es  betont  auf  Grund  der  Untersuchungen 
von  Krönig  und  Reinike,  werden  die  Hände  spontan  keimfrei  nach 
einiger  Zeit,  wenn  man  sie  nicht  immer  von  Neuem  inficirt.  Und 
Haegler  hat  gezeigt,  dass  die  Furcht,  dass  die  Haut  in  der  Tiefe 
stets  von  Keimen  vollstecke,  übertrieben  ist :  Er  findet  in  den  Schweiss- 
drüsen  meist  gar  keine,  in  den  Haarbälgen  nur  oberflächlich  Bakterien. 
Sie  gerathen  bloss  durch  Einreiben  in  diese  Drüsen  und  werden 
durch  den  Secretionsstrom  bald  wieder  aus  derselben  ausgeschieden. 
In  jede  noch  so  kleine  Haut-Verletzung  dagegen  wachsen  Keime 
sofort  hinein  und  vermehren  sich  auch  in  derselben. 

Hautpflege  ist  also  unerlässlich.  Ich  kann  es  in  keiner  Weise 
als   Entschuldigung    ansehen,    wenn    man   hervorhebt,    es   sei  einem 


Wundbehandlung.  4g 

praktischen  Arzte  nicht  wie  einem  Kliniker  möglich,  jede  Berührung 
von  Infectionsstoffen  bei  Behandlung  von  Kranken  zu  vermeiden. 
Wenn  ein  Arzt  das  wirklich  nicht  kann  und  seine  Hände  beladen 
muss  mit  pathogenen  Keimen,  so  muss  er  die  operative  Thätig- 
keit  Anderen  überlassen.  Aber  ich  sehe  gar  nicht  ein,  warum  ein 
Arzt,  der  operiren  will,  nicht  jedes  Mal  Kautschukhandschuhe  an- 
ziehen soll,  wenn  er  eine  Untersuchung  in  Mund,  Rachen,  Vagina, 
Rectum  etc.  mit  den  Fingern  vorzunehmen  hat  oder  wenn  er  mit 
unreiner  Haut  mit  einem  Ekzem,  Furunkel  oder  einer  fistulösen 
Wunde  in  Berührung  kommen  muss.  Allerdings  bleibt  noch  die 
Verunreinigung  der  Hände  mit  denjenigen  Keimen  übrig,  welche  von 
unserem  eigenen  Körper  oder  zufällig  an  unsere  Hände  gelangen, 
ohne  dass  wir  es  verhüten  können.  Aber  auch  dagegen  haben  wir 
in  der  sofortigen  gründlichen  Reinigung,  bevor  eine  Ein- 
trocknung stattfinden  konnte,  ein  sehr  sicheres  Mittel.  Hier  ist  auch 
der  einzige  Fall,  wo  es  angezeigt  sein  kann,  die  Haut  momentan 
mit  einem  Antisepticum  zu  behandeln,  speciell  mit  starker  (1  %0) 
Sublimatlösung,  eine  Maassnahme,  welche  doppelte  Bedeutung  erhält, 
wenn  die  Möglichkeit  einer  mechanischen  Säuberung  durch  Mangel 
an  Wasser  und  den  nöthigen  Beigaben  ausgeschlossen  ist. 

Unsere  Angaben  über  genügend  sichere  Händedesinfection 
beziehen  sich  also  auf  solche  Hände,  welche  nicht  durch  virulente 
Keime  schwer  inficirt  sind.  Wir  halfen  zwar  dafür,  dass  auch  da 
noch  eine  genügende  Desinfection  möglich  ist,  wenn  man  ausser 
der  mechanischen  Reinigung  die  Haut  mit  antiseptischen  Stoffen 
eigentlich  imbibirt,  also  in  1  °/00  oder  lieber  2  %o  Sublimatlösung 
während  etwa  10  Minuten  die  Hände  badet  und  reibt.  Der  Beweis, 
dass  hierdurch  auch  virulente  Keime  genügend  unschädlich  gemacht 
werden  können,  lässt  sich  leisten.  Allein  auf  solche  Experimente 
dürfen  wir  es  in  praxi  nicht  ankommen  lassen.  Sicher  bleibt,  dass 
Derjenige,  welcher  sich  die  oben  besprochene  Form  der  Abstinenz 
nicht  völlig  aneignen  kann,  niemals  die  ideale  Bedeutung  rein 
aseptischer  Wundbehandlung  kennen  lernen  kann.  Er  bleibt  zur 
Anwendung  der  Antiseptica  verurtheilt. 

Unsere  Desinfectionsmethode  lehnt  sich  an  das  FüRBRiNGER'sche 
Verfahren  an,  das  durch  Reinecke  aus  Zweifel's  Klinik  eine  so 
grosse  Förderung  erfahren  und  in  Ahlfeld  einen  so  begeisterten 
Vertreter  gefunden  hat. 

Wir  reinigen  unsere  Hände  mit  Seife,  der  vielangefochtenen 
Bürste,  und  recht  warmem  laufenden  Wasser,  so  dass  jeder  kleinste 
Abschnitt  bearbeitet  wird,  ohne  auf  die  Uhr  zu  sehen,  wann  wir 
fertig  werden  sollen.  Die  Hand  wird  nicht  abgetrocknet,  sondern 
unter  dem  Warmwasserstrahl  gründlich  von  der  Seife  befreit.  Es 
folgt  die  gleiche  Behandlung  mittelst  der  Bürste  in  Alkohol  und  zwar 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  a 


5o 


Allgemeines. 


in  85-proc.  Alkohol.  Auch  hier  wird  jeder  unbedeckt  bleibende  Theil 
der  Haut  von  Stelle  zu  Stelle  mit  Alkohol  gründlich  abgerieben, 
vor  allem  Nägel  und  Nagelfalz,  ohne  jede  Rücksicht  auf  die  Zeit, 
einfach  bis  die  Reinigung  von  einem  Ende  bis  zum  anderen  besorgt 
ist.  Zuletzt  wird  kurz  unter  einem  Strahl  sterilen  warmen  Wassers 
der  Alkohol  weggespült.  Erst  jetzt  dürfte  ein  Abreiben  mit  einer 
sterilisirten  Compresse  noch  nützlich  sein,  da  nach  Haegler  dadurch 
eine  Menge  von  Keimen  sammt  den  gelockerten  oberflächlichen 
Epidermisschichten,  in  welchen  sie  sich  hauptsächlich  finden,  noch 
entfernt  werden. 

Zwei  Momente  sind  bei  dieser  Reinigungsmethode  von  Wichtig- 
keit, einmal,  dass  die  benutzten  Bürsten,  nachdem  sie  einmal  durch 
Kochen  sterilisirt  sind,  niemals  anderswo  liegen  und  liegen  bleiben 
als  in  einer  stark  desinficirenden  Flüssigkeit  (1  °/00  Sublimat  oder 
5-proc.  Carbol),  und  zwar  muss  die  Letztere  nach  dem  Einlegen 
der  nach  Gebrauch  gründlich  gereinigten  Bürsten  vollkommen  klar 
bleiben.  Unter  diesen  Umständen  haben  wir  von  der  von  Schleich 
beanstandeten  Bürste  niemals  auch  nur  den  geringsten  Nachtheil 
constatiren  können.  Wer  sie  fürchtet,  mag  sich  an  ihrer  Stelle  der 
SÄNGER'schen  Sandseife  bedienen.  Haegler  fand  die  Bürste  wirk- 
samer als  Schleich's  Marmorseife. 

Das  Zweite,  was  eine  Bedingung  eines  genügenden  Erfolges  dar- 
stellt, ist  die  vollständige  Entfernung  des  vorstehenden 
Theiles  der  Nägel.  Wer  die  Nägel  lang  trägt,  hat  keine  Aussicht, 
auf  rein  mechanischem  Wege  eine  vollkommene  Säuberung  zu  er- 
zielen. Wenn  man  aber  die  Nägel  so  kurz  wie  irgend  möglich 
abschneidet,  so  bedarf  es  durchaus  keines  der  fatalen  Nagelreinigungs- 
instrumente, sondern  die  Bürste  mit  Seife,  warmem  Wasser  und 
Alkohol  genügt,  um  auch  den  gefürchteten  Unternagelraum  völlig 
rein  zu  machen. 

Wir  legen  bei  genanntem  Verfahren  durchaus  nicht  den  Haupt- 
werth  auf  irgend  eine  desinficirende  Eigenschaft  des  Alkohols, 
obschon  solche  einem  mit  Wasser  verdünnten  Alkohol  laut  Nach- 
weisen verschiedener  Autoren  unbedingt  zugeschrieben  werden 
muss1).  Vielmehr  wünschen  wir  mit  unserer  Alkoholbehandlung 
nach  Benutzung  der  Seife  eine  noch  gründlichere  Säuberung  der 
Hautoberfläche  von  jedem  fettigen  Bestandtheil  und  in  diesen 
steckenden    Keimen    der    Oberfläche    zu    erzielen.     Wir   bezweifeln 


1)  Braatz  hat  neuerdings  einen  Hauptwerth  der  Alkoholbehandlung  darin 
gefunden,  dass  der  Alkohol  die  in  den  Poren  der  Haut  enthaltene  Luft  zehnmal 
leichter  absorbirt  und  so  die  Haut  der  Einwirkung  der  Desinficientia  zugänglicher 
macht.  Wir  bemerken,  dass  wir  nach  dem  Alkohol  gar  kein  Desinficiens  benützen. 
Schiller  hat  gezeigt,  dass  alkoholische  Farblösung  ungleich  schneller  von  Faden 
aufgesogen  wird,  als  wässrige. 


Wundbehandlung.  c  j 

deshalb  auch  nicht,  dass  sich  durch  Seifenspiritus  nach  Mikulicz1) 
und  eine  stark  alkalische  Marmorstaubseife  nach  Schleich  auch  ohne 
Alkohol  dasselbe  Resultat  erzielen  lässt.  Aber  unsere  Hände  leiden 
viel  mehr  vom  häufigen  Waschen  mit  stark  alkalischen  Seifen  als  von 
der  genannten  Behandlungsmethode 2). 

Nach  dem  bereits  oben  Gesagten  brauchen  wir  kaum  hervor- 
zuheben, dass  in  völlig  gleicher  Weise  die  Haut  des 
Patienten  in  weiter  Umgebung  des  Operationsfeldes  gereinigt 
wird,  soweit  nicht  Tücher  zur  Bedeckung  in  Anwendung  kommen. 
Wie  ersichtlich,  haben  wir  auf  den  Gebrauch  irgend  eines  stärkeren 
Desinficiens  zur  Haut-  und  Händereinigung  vollkommen  verzichtet. 
Dies  geschah  erst  nur  aus  dem  Grunde,  weil  wir  das  Sublimat  nicht 
vertragen  konnten,  für  uns  selber.  Aber  sobald  ich  mich  überzeugte, 
dass  es  ohne  den  geringsten  Schaden  wegbleiben  kann,  wurde  es 
auch  für  Assistenten,  Wärter  und  Patienten  angeordnet,  ohne  dass 
wir  es  im  geringsten  zu  bereuen  gehabt  hätten.  Wahrheitsgemäss 
muss  allerdings  hinzugefügt  werden,  dass  ich  die  Erfahrung  gemacht 
habe,  dass  es  Leute  giebt,  welche  sich  weder  auf  die  Höhe  einer 
richtigen  Abstinenz  noch  einer  gründlichen  mechanischen  Säuberung 
erheben  können.  Und  für  unsaubere  Leute  bleibt  die  Notwendigkeit 
der  Anwendung  starker  Antiseptica  für  die  Hände  zu  Recht  be- 
stehen. Aehnliches  gilt  unter  gewissen  Umständen  für  die  Haut  des 
Patienten.  Haegler  fand ,  dass  vorgängige  Behandlung  mit 
60 — 70-proc.  Alkohol  durch  Entfettung  dem  Sublimat  eine  tiefere 
Imprägnation  der  Haut  anbahnt.  Wo  man  Hautschnitte  anzulegen 
hat  in  der  Nähe  einer  Infectionsquelle  mit  virulenten  Keimen  oder 
wo  man  eine  „unmögliche"  Haut  bei  einem  Patienten  vor  sich  hat 
mit  Rissen,  Schrunden,  Schuppen  (wir  haben  letzthin  bei  Ichthyosis 
eine  Arthrotomie  des  Ellbogengelenkes  machen  müssen),  da  kann  man 
allerdings  der  a  n  t  i  septischen  Vorbereitungen  nicht  entrathen,  so 
wenig  wie  für  den  Fall,  dass  eine  zufällige  Verunreinigung  während 
der  Operation  stattgefunden  hat.  Wenn'  sich  beispielsweise,  wie  dies 
so  oft  der  Fall  ist,  im  Operationsgebiet  Aknepusteln  oder  kleine  Fu- 
runkel mit  Staphylokokken  vorfinden,  so  muss  mit  dem  Thermo- 
cauter   aufs   sorgfältigste   jeder   solcher    Herd  zerstört  werden.     Wo 

1)  Vergl.  hierüber  die  Empfehlungen  Gottstein's.  Nach  Haegler  leistet 
Seifenspiritus  nicht  mehr  als  Alkohol. 

2)  Paul  und  Sarwey  verwerfen  die  Schmierseife  ebenfalls  wegen  der 
Schädigung  der  Haut.  Sie  erklären  mit  Recht  den  Wachsgehalt  der  Schleich- 
schen  Marmorseife  für  unpassend.  Dr.  Saltikoff  hat  auf  unsere  Veranlassung 
an  Faden  geprüft,  wie  weit  das  früher  so  allgemein  übliche  „Wachsen"  der 
Seidenfaden  das  Eindringen  von  Keimen  hindert.  Das  Resultat  war,  dass  die 
Keime  durch  eine  Wachsschicht  fröhlich  durchdringen,  dass  letztere  aber  die 
Wirksamkeit  der  chemischen  Desinficientien  wesentlich  beeinträchtigt  —  ganz 
wie  Paul  und  Sarwey  dieses  behaupten. 

4* 


r  2  Allgemeines. 

Fisteln  oder  Granulationsflächen  in  der  Nähe  sind,  oder  nekrotische 
Gewebe,  muss  eine  mechanische  Entfernung  durch  Herausschneiden, 
Abkratzen  mit  Zerstörung  der  oberflächlichen  Gewebe  durch  den 
Thermocauter  stattfinden,  wenn  man  die  Patienten  nicht  schweren 
Infectionen  preisgeben  will.  Wenn  grobe,  rissige,  schuppige  Haut 
vorliegt1),  so  muss  eine  gründliche  Imbibition  der  Haut  mit  anti- 
septischen Flüssigkeiten  stattfinden,  da  eine  Entfernung  der  Keime 
auf  mechanische  Weise  nicht  zu  erzielen  ist.  Man  badet  die  Haut 
mit  Sublimatlösung  oder  macht  auch  antiseptische  Umschläge  für 
i — 2  Tage  vorher  mit  Carbol-  oder  Formolglycerin  und  betrachtet 
auch  dann  noch  die  Operationswunde  als  in  höherem  Grade  infections- 
verdächtig. 

Freilich  scheint  es  uns,  wie  früher  schon  erwähnt,  noch  nicht 
sicher  bewiesen  selbst  durch  die  schönen  Untersuchungen  von  Paul 
und  Sarwey,  dass  mit  dieser  chemischen  Desinfection  die  absolute 
Zahl  der  Keime  vermindert  wird,  sondern  wir  möchten  im  Sinne 
Haegler's  der  auf  die  Imbibition  folgenden  Virulenzherabsetzung  eine 
grössere  Wichtigkeit  zumessen.  Eine  Zerstörung  aller  Keime  wird 
ja,  wie  jene  Autoren  anerkennen,  auch  mit  guten  Antiseptica 2)  nicht 
erreicht ;  die  wenigen  übrig  gebliebenen  würden  aber  sicher  für  die 
Infektion  der  Wunde  genügen,  wenn  nicht  ihre  Virulenz  erheblich 
herabgesetzt  wäre. 

Ein  letztes,  bezüglich  Contactwirkung  zu  berücksichtigendes 
Moment  ist  die  Verhütung  einer  Uebertragung  von  Infectionsstoffen 
von  dem  Operationsfeld  entfernter  gelegenen  Haut-  und  Schleim- 
hautstellen. Was  die  Haut  anlangt,  so  ist  es  jetzt  allgemein  Uebung, 
dass  man  seinen  Körper  mit  Ausnahme  des  Gesichts  und  der  Hände 
soweit  mit  sterilisirten  Stoffen  vollkommen  einhüllt,  als  irgend  eine 
Gefahr  directer  oder  indirecter  Berührung  mit  der  Wunde  oder  Ver- 
bandmaterialien besteht.  Ebenso  nothwendig  wie  diese  Einhüllung 
durch  Mäntel  und  Schürzen  und  Operationsmützen  ist  vollkommene 
Bedeckung  des  Patienten  und  des  Operationstisches  mit  sterilem 
Material.  Dabei  verdient  eine  ganz  besondere  Beachtung  die  Ueber- 
tragung von  Keimen  aus  Mund-  und  Nasenhöhle,  nicht  nur 
des  Operateurs  und  seiner  Gehülfen,  sondern  auch  des  Patienten 
selber.  Wir  verdanken  Flügge  den  Nachweis,  wie  weit  reichend 
die   Uebertragung   von   Keimen   aus   Mund-   und  Nasenhöhle    beim 


i)  Paul  und  Sarwey  haben  durch  ihre  Versuche  auf  die  grossen  Unter- 
schiede im  Keimgehalt  je  nach  der  Qualität  der  Haut  hingewiesen  und  Blum- 
berg  hat  gezeigt,  dass  selbst  in  oberflächlichen  Kratzwunden  sehr  zahlreiche 
Kolonien  pathogener  Bakterien  nachzuweisen  sind. 

2)  Krönig  und  Blumberg  empfehlen  als  dem  Sublimat  vorzuziehen  das 
Quecksilberäthylendiamin,  weil  es  die  Haut  nicht  reizt  und  Eiweiss  und  Blut 
nicht  fällt. 


Wundbehandlung.  c^ 

Sprechen,  Husten  oder  gar  Niessen  sich  gestaltet,  indem  auf  Nähr- 
böden weit  in  den  Mund  genommene  Keime  beim  Sprechen  mehrere 
Meter  abgelagert  wurden.  Um  diese  Infectionsart  zu  verhüten, 
soll  deshalb  jeder  bei  einer  Operation  betheiligte  Mensch  Mund 
und  Nase  gründlich  reinigen  und  sich  bei  Schnupfen  und 
Angina  fern  halten.  Aber  ebenso  nothwendig  ist  es,  dass  dies  für 
den  Patienten  geschehe.  Welche  Haufen  infectiösen  Materials  sich 
gerade  im  Bereich  cariöser  Zähne  ansammeln,  braucht  man  nicht 
hervorzuheben.  Diesem  Umstände  ist  stets  die  grösste  Beachtung 
zu  schenken.  Bei  Operationen  am  Halse  bewährt  sich  die  Zuver- 
lässigkeit einer  Methode  am  besten;  wir  haben  oben  in  Fig.  4  den 
Modus  illustrirt,  wie  wir  bei  unseren  häufigen  Strumektomien  vorzu- 
gehen pflegen :  Es  wird,  wie  ersichtlich,  um  den  Hals  ein  Schutz- 
tuch vorgebunden,  welches  mittelst  eines  Bogens  über  Mund,  Nase  und 
Gesicht  hinübergespannt  wird,  so  dass  es  die  Athmung  des  Patienten 
nicht  beeinträchtigt,  aber  alle  Verunreinigung  vollkommen  vom 
Operationsfelde  ausschliesst.  Zu  dem  Maulkorbsystem  von  Mikulicz 
für  uns  und  unsere  Assistenten  haben  wir  uns  nicht  verstehen 
können,  obschon  wir  der  Schutzbinde  für  Mund,  Nase  und  Bart  die- 
selbe Bedeutung  zuschreiben  möchten,  wie  den  permeablen  Hand- 
schuhen: sie  wirken  als  Filter  resp.  Bakterienfänger  und  halten  aus- 
geworfene und  abgeschüttelte  Bakterien  eine  Zeit  lang  zurück,  müssen 
deshalb  wie  die  Handschuhe  öfter  gewechselt  werden.  Gründliche, 
eventuell  wiederholte  Mund-  und  Nasenspülung  und  feuchte  Ab- 
reibungen von  Bart  und  Haaren  haben  uns  bei  sorgfältigem  Ver- 
halten völlig  genügt.  Wir  heben  hervor,  dass  gründliche  mechanische 
Zahnreinigung  und  antiseptische  Mundspülungen  bei  den  Patienten 
die  Gefahr  der  Aspirationspneumonien  in  der  Narkose  erheblich  ver- 
mindern. 

Ausser  der  Contactinfection  giebt  es  noch  zwei  Arten  von  Infection, 
welche  bei  der  Wundbehandlung  eine  Rolle  spielen,  deren  eine,  die 
Luftinfection  nach  alter  Bezeichnung,  ursprünglich  als  sehr  wichtig 
gehalten,  sich  weniger  bedeutend  erwiesen  hat  als  die  besprochene  Con- 
tactinfection, deren  andere  dagegen,  die  von  mir  so  genannte  Implan- 
tationsinfection  als  die  zur  gegenwärtigen  Stunde  noch  ebenso 
wichtige  und  fast  am  meisten  zu  fürchtende  angesehen  werden  muss. 

Tavel  hat  noch  eine  vierte  Form  der  Infection  unterschieden, 
die  er  als  Läsionsinfection  bezeichnet.  Wir  kommen  unten  auf  die- 
selbe zu  sprechen. 

Dass  die  Luftinfection  an  Bedeutung  weit  zurücksteht  hinter 
der  Contactinfection  ist  sicher,  indes  hat  man  namentlich  auf  Grund 
von  Experimenten  derselben  von  einzelnen  Seiten  gar  zu  geringe 
Bedeutung  zugemessen.  Wir  sind  mit  Rydygier  einverstanden,  dass 
die  Luftinfection    nicht   gering    anzuschlagen   ist,   da   wir   gerade   in 


24  Allgemeines. 

unserer  Klinik  die  Beobachtung  früher  mehrfach  haben  machen 
können,  dass  Operationen,  welche  wir  im  Auditorium  machen,  um 
sämmtlichen  Studenten  Gelegenheit  zu  geben,  sie  zu  sehen,  viel 
öfter  leichte  Wundstörungen  darbieten  als  diejenigen  im  aseptischen 
Operationssaal.  Wir  können  der  Luftinfection  nicht  vollkommen 
entgehen,  aber  wir  können  dieselbe  auf  ein  solches  Minimum  herab- 
setzen, dass  sie  keine  nennenswerthe  Bedeutung  hat,  und  zwar  ge- 
schieht dies  durch  Operiren  in  staubfreier  Luft.  Der  Raum,  in 
welchem  die  Operation  gemacht  wird,  und  alles,  was  in  denselben 
hereinkommt,  muss  von  Staub  völlig  befreit  sein.  Flügge  hat  nach- 
gewiesen, wie  schwer  es  ist,  von  feuchten  Oberflächen  Keime  los- 
zureissen  durch  Luftströmungen,  wie  leicht  dagegen  eingetrocknete 
Keime  durch  bewegte  Luft  weithin  mitgerissen  werden  und  wie 
lange  sich  dieselben  schwebend  in  der  Luft  erhalten.  Man  muss 
also  in  einem  Operationssaal  Boden,  Wände  und  namentlich  die 
Diele1)  mit  warmem  Wasser  oder  mit  dem  Dampfstrahl  gründlich 
staubfrei  machen  können,  und  vor  Allem  vermeiden,  dass  nicht 
während  der  Operation  in  irgend  einer  Form  Staub  aufgewirbelt 
werden  kann;  denn  gerade  die  Unruhe  eines  klinischen  Auditoriums 
ist  der  Grund  der  Differenz  im  Wundverlauf,  den  wir  oben  erwähnt 
haben.  Ueber  diese  Thatsache  sind  wir  durch  das  Aufstellen  von 
Nährbodenplatten  durch  Haegler  vor,  während  und  nach  einer 
klinischen  Stunde  genügend  unterrichtet. 

Der  Grund,  warum  die  Luftinfection  eine  geringere  Bedeutung 
hat  als  die  Contactinfection,  ist  den  von  Friedrich  angestellten 
Versuchen  zu  entnehmen,  wonach  Keime,  welche  ohne  jeglichen 
Druck  auf  Wunden  gebracht  werden,  ungleich  weniger  von  dieser 
Wunde  resorbirt  werden,  als  wenn  man  dieselben  in  irgend  einer 
Weise  in  die  Gewebe  hereindrückt,  sei  es  mit  den  Fingern,  In- 
strumenten oder  durch  Deckung  mit  Haut,  welche  nach  der  Tiefe 
zu  eine  vermehrte  Spannung  hervorruft.  Die  Contactinfection  steht 
viel  näher  derjenigen  Form,  welche  wir  als  Impfinfection  zu  unter- 
scheiden vorgeschlagen  haben,  bei  welcher  die  Keime  in  die  Tiefe 
der  Gewebe  gebracht  oder  eingerieben  werden.  Wenn  solche 
mechanische  Mitwirkung  ausgeschlossen  ist,  so  kann  der  Luftinfection 
relativ  leicht  dadurch  begegnet  werden,  dass  man  die  Wunde  während 
der  Operation  öfters  abspült  und  zwar  mit  warmer  physiologischer 
Kochsalzlösung,  welche  die  Wunde  ebensogut  von  Keimen  reinigt, 
wie  irgend  eine  antiseptische  Flüssigkeit,  ohne  —  wie  letztere  — 
den  Widerstand  der  Gewebselemente  gegen  Infection  herabzusetzen. 


i)  Dieser  Indication  kann  in  den  viel  zu  hohen  eleganten  Operationssälen 
der  neuesten  Zeit  oft  kein  Genüge  geleistet  werden.  Hängeleuchter  sind  aus 
demselben  Grunde  verwerflich. 


Wundbehandlung.  e  c 

Ganz  anders  bedeutungsvoll  istdielmplantationsinfection. 
Sie  besteht  darin,  dass  man  in  Fremdkörpern,  welche  man  in  der 
Wunde  lassen  muss,  Mikroorganismen  mit  einschliesst,  und  weitaus 
der  wichtigste  derartige  Fremdkörper  sind  die  Ligatur-  und  Sutur- 
fäden.  Diese  Faden  frage  ist  noch  keineswegs  als  abgeschlossen 
zu  betrachten,  wie  die  ungemein  zahlreichen  Discussionen  beweisen, 
welche  namentlich  die  gynäkologischen  Tagesblätter  in  der  letzten 
Zeit  erfüllt  haben.  Stets  wird  neues  Material  zusammengetragen, 
um  für  und  wider  den  Vortheil  der  Seide  oder  des  Catgut  oder 
neuerer  Unterbindungsmaterialien  Beweise  zu  erbringen,  und  es 
dürfte  noch  geraume  Zeit  dauern,  bis  hier  eine  Einigung  erzielt  ist; 
denn  bei  der  grossen  Anzahl  gleichzeitig  mitwirkender  Factoren  ist 
es  schwer,  völlige  Klarheit  zu  bekommen,  was  von  eventuellen  Nach- 
theilen den  Faden  zugeschrieben  werden  soll  oder  nicht.  Wir  haben 
seit  längster  Zeit  in  dieser  Frage  einen  sehr  entschiedenen  Stand- 
punkt eingenommen,  und  unsere  Erfahrungen  haben  uns  mehr  und 
mehr  auf  demselben  beharren  lassen. 

Dass  das  namentlich  schon  von  Lister  so  warm  empfohlene 
Catgut  durch  seine  Resorbirbarkeit  im  menschlichen  Körper  Vor- 
theile  vor  anderem  Ligaturenmaterial  hat,  ist  keine  Frage.  Allein 
diese  Resorbirbarkeit  wird  durch  eine  Anzahl  neuerer,  als  besonders 
zuverlässig  angepriesener  Herstellungsmethoden  in  hohem  Maasse 
beeinträchtigt,  wie  MlNERVlNi  in  einer  ausführlichen  Experimental- 
arbeit  bewiesen  hat.  Dadurch  wird  dem  Catgut  sein  Hauptvortheil 
benommen.  Ausserdem  kommt  dem  Catgut,  selbst  in  sterilem  Zu- 
stande, wie  Poppert  gezeigt  hat,  eine  unangenehme  chemotaktische 
Wirkung  zu,  durch  Einschluss  chemischer  Stoffe,  welche  auch  nach 
der  Sterilisation  wirkam  bleiben.  Es  entstehen  dann  Abscesse  mit 
sterilem  Eiter1),  welche  die  Wundheilung  in  die  Länge  ziehen  und 
secundär  gefährden,  obschon  diese  Form  der  Wirkung  nicht  zu 
progressiven  Entzündungen  oder  Eiterungen  Anlass  giebt  Indess 
haben  Lauenstein  und  Braun  gezeigt,  dass  in  recht  vielen  Fällen 
die  vermeintlich  rein  chemische  Wirkung  sich  doch  schliesslich  als 
eine  eigentliche  Infection  mit  allen  ihren  Folgen  entpuppt. 

i)  Krönig,  der  verdiente  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Antisepsis,  meint, 
dass  er  in  der  Lage  sei,  meiner  Forderung  zu  genügen  durch  Beibringung  einer 
ununterbrochenen  Serie  von  Primaheilungen  bei  Catgut.  Allein  er  nimmt  den 
20.  Tag  zur  Feststellung  der  Prima,  was  viel  zu  spät  ist,  und  Zweifel  selber 
sagt,  dass  oft  am  7.  Tage  die  Stichkanäle  noch  etwas  Eiter  zeigen.  Und 
Krönig  selber  giebt  ja  auf  Grund  von  Abel's  Zusammenstellungen  an,  dass 
bei  56  Bauchnähten  mit  Cumol-Catgut  10  Proc.  geeitert  haben,  7  Proc.  ohne 
anderen  Grund.  Es  ist  dies  nicht  verwunderlich,  wenn  man  bedenkt,  dass  nach 
Winter  das  Catgut  stets  einen  todten  organischen  Nährboden  bildet.  Bakterien- 
freies, bloss  seröses  Secret  beweist  keineswegs,  wie  Haegler  und  Gottstein 
gezeigt  haben,  dass  die  Faden,  welche  es  veranlassen,  nicht  inficirt  seien. 


0  Allgemeines. 

Nach  Minervini  und  nach  Jacobs  gehört  zu  den  sichersten 
Zubereitungsmitteln  des  Catgut  die  Behandlung  mit  Oleum  Juniperi, 
wie  sie  von  uns  empfohlen  ist.  Bloss  muss  die  Einwirkung  eine 
sehr  langdauernde  sein.  Wir  haben  dieser  Indication  schon  lange 
ein  Genüge  geleistet  dadurch,  dass  wir  unser  sämmtliches  Catgut  in 
Ol.  Juniperi  monatelang  aufbewahrten.  Jacobs  imbibirt  nach  der 
Juniperussterilisation  das  Catgut  noch  nach  Körte's  Vorgang  mit 
Jodoform  nnd  ist  mit  dieser  Zubereitungsweise  sehr  zufrieden.  Jeden- 
falls ist  es  nothwendig,  vor  dem  Gebrauche  durch  Einlegen  in  Aether 
und  Alkohol  das  Juniperusöl  wieder  gründlich  auszuwaschen,  damit 
es  nicht  eine  chemisch  schädliche  Wirkung  auf  die  Umgebung 
ausübe.  Zur  unmittelbaren  Verwerthung  legt  man  das  Catgut 
am  besten  in  i  °/o0  Sublimatalkohol.  Wir  benützen  Catgut  in  den- 
jenigen Fällen,  wo  in  einer  Wunde  schon  Infection  vorhanden  ist 
und  dieselbe  bei  der  Operation  nicht  beseitigt  werden  kann,  also 
speciell  zu  Ligaturen  in  eiternden  Wunden.  Sonst  aber  sind  wir 
unserer  Forderung:  Fort  mit  dem  Catgut!  treu  geblieben  und  haben 
ausschliesslich  Seide  für  alle  aseptischen  Operationen  benutzt.  Da 
wir  damit  so  völlig  befriedigt  sind,  so  haben  wir  die  zahlreichen 
anderen  Catgutzubereitungen,  unter  denen  wir  dem  BERGMANN'schen 
Sublimatcatgut,  speciell  in  der  von  Schäffer  empfohlenen  Form 
(Kochen  in  Alkoholsublimat),  sowie  dem  KRÖNlG'schen  Cumolcatgut 
die  besten  Ergebnisse  zuschreiben,  ferner  die  Metallfaden,  wie  das 
SociN'sche  Bronce- Aluminium,  die  Snegiroff  und  MAREY'schen 
Sehnenfaden  nicht  zu  prüfen  Veranlassung  gehabt.  Hofmeister's 
zuverlässiges  gekochtes  Formalincatgut  hat  seine  Resorbirbarkeit 
eingebüsst,  Braun's  ebenfalls  sehr  beachte nswerther  Collodiumzwirn 
ist  weniger  einfach  in  der  Zubereitung  als  Sublimatseide.  Dasselbe 
gilt  von  Schäffer's  Guttaperchafaden  und  von  dem  auch  von  Keen 
sehr  gelobten  PAGENSTECHER'schen  Celluloidfaden.  Welche  Erfolge 
sich  mit  Seide  erzielen  lassen,  können  wir  durch  nichts  besser  be- 
legen, als  dadurch,  dass  wir  auf  die  Resultate  unserer  Kropf- 
operationen hinweisen.  Bei  dieser  Operation  werden  in  der  Regel 
zahlreiche  Ligaturen  angelegt  und  trotzdem  ist  in  Serien  von 
Hunderten  nicht  ein  einziges  Mal  eine  Infection  eingetreten.  (Vergl. 
die  bestimmte  Angabe  im  Capitel  über  Kropf  Operation !) 

Wir  können  es  in  keiner  Weise  gelten  lassen,  dass  eine  wirklich 
richtig  zubereitete  Seidenligatur  oder  Sutur  Entzündung  errege,  sei 
es  früher  oder  später,  nur  müssen  wir  immer  und  immer  wieder 
darauf  aufmerksam  machen,  dass  nur  antiseptisch  zubereitete 
Seide  vollständige  Gewähr  bietet  gegen  jede  primäre  oder  secundäre 
Infection. 

Haegler  hat  den  Nachweis  geleistet,  dass  in  allen  Fällen  von 
bloss    aseptisch   zubereiteten   Ligaturen,    auch   wo   der  Wundverlauf 


Wundbehandlung.  c~j 

ein  günstiger  ist  oder  sich  nur  etwas  seröse  Flüssigkeit  ansammelt, 
die  steril  sein  kann,  doch  die  Schnittfläche,  welche  man  durch  den 
Faden  selber  macht,  ausnahmslos  zahlreiche  Keime  in  demselben  ein- 
gebettet aufdeckt.  Jedes  imbibitionsfähige  Material  nimmt  mit  be- 
sonderer Vorliebe  abgelagerte  Keime  auf  und  hält  dieselben  fest, 
gerade  wie  auch  die  Handschuhe  dieselben  für  eine  Zeitlang  fest- 
halten. Es  muss  also  dafür  gesorgt  werden,  dass  in  der  Wunde  so 
lange  eine  Entwicklung  dieser  eingedrungenen  Keime  innerhalb 
des  Fadens  nicht  stattfinden  kann,  bis  durch  völlige  Verklebung 
die  normale  Circulation  hergestellt  ist  und  damit  die  Bakterien  aus 
der  Nachbarschaft  verschwunden  sind  und  im  Faden  unschädlich 
gemacht  werden.  Diese  Imprägnation  mit  antiseptischen  Mitteln  ist 
bei  Seidenfaden  leicht  zu  bewerkstelligen  und  nach  Haegler's  Ver- 
suchen hält  ein  Faden  lange  Zeit  die  antiseptischen  Stoffe,  speciell 
Quecksilbersalze  fest,  erst  in  den  Körperflüssigkeiten  wird  er  all- 
mählich ausgelaugt1).  Darum  legen  wir  einen  grossen  Werth 
darauf,  dass  ausschliesslich  die  feinen  Fadennummern  Ver- 
wendung finden,  da  diese  sich  leichter  imprägniren  lassen,  und  enger 
von  gesundem  Gewebe  umschlossen  werden. 

Die  Noth wendigkeit  einer  antiseptischen  Herstellung  von 
Ligaturenfaden  ergiebt  sich  noch  von  einem  anderen  Gesichts- 
punkte aus.  Jeder  Faden,  welcher  mit  einer  gewissen  Kraft  um  ein 
blutendes  Gefäss  oder  um  andere  Gewebe  geschnürt  wird,  veranlasst 
einen  gewissen  Grad  von  Gewebsnekrose.  Wie  zu  zeigen  ist,  spielt 
nekrotisches  Gewebe  ebenfalls  die  Rolle  eines  Fremdkörpers,  und 
zwar  eines  imbibitionsfähigen,  und  der  Fadenknoten  ist  berufen,  auch 
die  in  das  nekrotische  Gewebe  eingedrungenen  Keime  des  Stumpfes 
in  ihrer  Entwicklung  hintan  zu  halten.  Es  kann  von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  sogar  erwünscht  sein,  dass  der  Faden  nicht  gar  zu  rasch 
resorbirt  werde  —  was  bei  Catgut  neben  dem  viel  wichtigeren  Grunde 
ein  Nachtheil  ist,  dass  die  dem  Faden  überbundene  mechanische 
Leistung  zu  früh  verloren  geht.  Sind  einmal  die  Fäden  gehörig 
antiseptisch  wirksam  gemacht,  dann  kommt  es  nach  Haegler  nicht 
einmal  so  sehr  darauf  an,  ob  man  dieselben  mit  gereinigten  oder 
ungereinigten  Händen  einlegt.  Immerhin  wird  man  auch  hier  keine 
Maassregel  versäumen  und,  wie  wir  oben  sagten,  lieber  durch  Be- 
nutzung von  frischen  Handschuhen  eine  Berührung  der  Faden  mit 
der  Haut  verhindern  oder  durch  kleine  Glasbehälter,  die  man  in  der 
Hand  behalten  kann,  wie  sie  von  Halsted  und  Lanz  angegeben  sind, 
wenigstens   das  Wandern   der  Fäden  von  einer  Hand  in  die  andere 


i)  Das  ist  ja  auch  der  Grund,  warum  von  den  besten  Beobachtern  (vergl. 
die  exacten  Versuche  von  Krönig  und  Bltjmberg)  stets  noch  die  chemische 
Desinfection  überschätzt  wird,  weil  die  Antiseptica  aus  Faden  nicht  genügend 
ausgewaschen  werden  können. 


cg  Allgemeines. 

zu  verhüten  suchen.  Unsere  Methode  der  Fadenbereitung,  für  deren 
vollständige  Zuverlässigkeit  wir  einstehen  können,  ist  folgende x) : 

Die  aus  der  Fabrik  bezogenen  Stränge  von  feiner  Seide  No.  i 
und  2  werden: 

i)  in  Aether  eingelegt  für  12  Stunden; 

2)  in  Alkohol  1 2  Stunden ; 

3)  10  Minuten  gekocht  in  1  %0-igem  ungefärbtem,  säurelosem 
Sublimat ; 

4)  aufgespult  mit  gereinigten  Händen; 

5)  die  Spulen  10  Minuten  lang  vor  der  Operation  in  demselben 
Sublimat  nochmals  gekocht; 

6)  die  Faden  aus  dem  Sublimat,  in  dem  sie  zuletzt  gekocht  sind, 
zugereicht. 

Wenn  wir  nach  den  angegebenen  Regeln  eine  von  uns  frisch 
angelegte  Wunde  behandelt  haben,  so  dürfen  wir  uns  trotzdem  nicht 
einbilden,  dass  wir  nun  einen  Zustand  völliger  Sterilität  damit  erreicht 
hätten.  Es  ist  durch  zahlreiche  Untersuchungen  bis  in  die  neueste 
Zeit  bestimmt  nachgewiesen,  dass  auch  unter  den  weitest  zugespitzten 
Vorsichtsmaassregeln  bei  Operationen  fast  ausnahmslos  Keime  auf 
und  in  die  Gewebe  eingelagert  nachgewiesen  werden  können,  sowohl 
während  als  nach  der  Operation  und  dass  auch  während  des  Wund- 
verlaufes, wenn  man  nach  1 — 2  Tagen  zur  Ableitung  von  Blut  und 
seröser  Flüssigkeit  eingelegte  Drainröhren  entfernt,  in  der  Drainröhre 
in  grosser  Zahl  Mikroorganismen  vorgefunden  werden.  Auf  unserer 
Klinik  haben  Flach  und  Lanz  während  eines  Jahres  einschlägige 
Untersuchungen  gemacht,  ebeno  Tavel  und  in  letzter  Zeit  be- 
sonders Brunner  (s.  sein  Werk  über  Wundinfectionskrankheiten). 
Diese  unbestreitbare  Thatsache,  dass  wir  es  noch  nicht  so  weit  gebracht 
haben,  völlige  Sterilität  einer  von  uns  unter  den  günstigsten  Ver- 
hältnissen angelegten  Wunde  mit  irgend  einer  Sicherheit  zu  erzielen, 
macht  es  uns  zur  Pflicht,  ausser  der  Erfüllung  der  Indication  zur 
Sterilisirung  und  Desinfection  sämmtlicher  Verbandmaterialien  sowie 
der  Haut  und  Hände  gewissen  technischen  Factoren  eine  grössere 
Aufmerksamkeit  zu  schenken,  und  hier  kommen  wir  auf  diejenige 
Form  der  Inf ection  zu  sprechen ,  welche  Tavel  als  Läsions- 
infection  bezeichnet  hat.  Es  ist  bemerkenswerth,  dass  wir  bei  der 
massenhaften  Bedeckung  unserer  Haut  und  Schleimhäute  mit  Mikro- 
organismen durch  deren  Anwesenheit  nicht  den  geringsten  Nachtheil 

1)  Wir  haben  die  von  Haegler,  Merlin,  Stinson  benutzten  starken  anti- 
septischen Imprägnationen  der  Faden  (Merlin  nimmt  z.  B.  i-proc.  ätherische 
Sublimatlösung  für  Seide  und  Catgut,  Haegler  kocht  1  —2  Minuten  in  5-proc. 
Subhmatlösung)  nicht  benutzt,  weil  unnöthig  und  weil  bei  so  starkem  Sublimat- 
gehalt zu  energische,  chemische,  locale  Wirkung  und  bei  Benutzung  sehr  vieler 
Ligaturen  sogar  Intoxicationserscheinungen  zu  fürchten  sind. 


Wundbehandlung.  cg 

erfahren.  Es  muss  eine  Schädigung  unserer  Gewebe  dazu  kommen, 
wenn  die  Bakterien  eine  Macht  über  die  Zellen  gewinnen  und  eine 
Störung  der  normalen  Thätigkeit  der  Gewebe  hervorrufen  sollen. 
Namentlich  durch  Tavel  und  seine  Schüler  sind  eine  grosse  Zahl 
von  Belegen  beigebracht  worden  für  die  grosse  Bedeutung  dieses 
erwähnten  Factors. 

Jede  Läsion  des  Haut  oder  Schleimhaut  bedeckenden  Epithels,  sei 
es  rein  mechanisch  durch  Zusammenhangstrennung,  sei  es  chemisch, 
sei  es  durch  Austrocknen  oder  durch  Circulationsstörung,  wie  sie 
namentlich  Katarrhe  begleiten,  kann  Anlass  geben  zu  Eindringen 
und  Entwickelung  von  Mikroorganismen,  welche  sich  in  der  Nähe 
vorgefunden  haben.  Walthard  hat  das  in  schöner  Weise  für  das 
Peritoneum  nachgewiesen  und  Haegler  hat  gezeigt,  dass  selbst  an 
der  äusseren  Haut  immer,  wenn  auch  noch  so  kleine  Verletzungen, 
den  Weg  vorzeichnen,  auf  dem  ein  Eindringen  von  Keimen  ermög- 
licht wird.  Nun  ist  selbstverständlich  bei  unseren  Operationen  eine 
Läsion  von  vornherein  gegeben  und  deshalb  scheint  uns  der  Name 
der  Läsionsinfection  etwas  zu  allgemein  und  nicht  bezeichnend  genug 
für  das,  was  Tavel  im  Auge  hat.  Das  Wesentliche  nämlich,  was 
als  weitere  Disposition  zu  der  Läsion  hinzukommt,  ist  das  Absterben 
von  Gewebstheilen  in  grösserem  oder  geringerem  Grade.  Auf  das 
Mehr  oder  Weniger  einer  Schädigung  der  Vitalität  der  Gewebe 
können  wir  durch  unser  Verhalten  bei  der  Ausführung  der  Opera- 
tionen ganz  wesentlich  einwirken,  und  es  ist  deshalb  mit  vollem 
Recht  unter  Anderen  von  Bumm  in  neuerer  Zeit  aufmerksam  gemacht 
worden,  dass  die  Technik  der  Operation  eine  viel  grössere  Bedeutung 
für  den  Wund  verlauf  hat,  als  man  in  der  ersten  Begeisterung  nach 
Einführung  der  antiseptischen  Wundbehandlung  derselben  beizumessen 
geneigt  war. 

Die  Technik  ist  es,  welche  darüber  entscheidet,  ob  die  auf  jede 
Wunde  sich  auflagernden  Keime  eine  schädliche  Entwicklung 
erfahren  oder  nicht;  denn  letzteres  ist  maassgebend  für  die  Infection 
der  Wunde.  Wie  oben  gesagt,  betrachten  wir  eine  Wunde  erst  dann 
als  inficirt,  wenn  in  derselben  pathogene  Keime  sich  entwickelt 
haben.  Bevor  eine  solche  Entwicklung  stattfindet,  ist,  wie  Friedrich 
mit  vollem  Recht  unterschieden  wissen  will,  eine  Wunde  bloss 
infectionsverdächtig.  Es  ist  sehr  wünschenswerth,  dass  der- 
artige Unterschiede  festgehalten  werden. 

Durch  exacte  Untersuchungen,  von  denen  in  neuester  Zeit  die 
von  Schimmelbusch  angestellten,  von  Ricker  und  Noetzel  be- 
stätigten das  meiste  Aufsehen  erregt  haben,  ist  gezeigt  worden,  dass 
(wenn  man  z.  B.  eine  Wunde  am  Schwanz  einer  Maus  mit  Milzbrand 
inficirt)  in  ausserordentlich  kurzer  Zeit  von  wenigen  Minuten  schon 
eine  Resorption   und  Aufnahme  von  Mikroorganismen  von  Wunden 


5q  Allgemeines. 

aus  in  entfernte  Organe  stattfindet.  Würde  man  derartige  Versuche 
einfach  übertragen  auf  die  Wundbehandlung,  so  hätten  wir  in  jedem 
Falle,  da  die  Wunden  nicht  keimfrei  zu  behalten  sind,  nach  einer 
Operation  nicht  nur  Wundinfection  durch  Eindringen  von  Mikro- 
organismen, sondern  allgemeine  Infection  von  vornherein  gegeben. 
Eine  solche  Annahme  hat  aber  keine  Berechtigung;  denn  wenn  eine 
Wunde  ohne  Entzündung  binnen  wenigen  Tagen  vollständig  verklebt 
bei  vollkommenem  Wohlbefinden  des  Patienten,  so  ist  es  unmöglich, 
klinisch  von  einer  Infection  zu  sprechen.  Wir  müssen  es  deshalb 
mit  Friedrich  als  unzulässig  erklären,  Experimente  dieser  Art  ohne 
Weiteres  in  Parallele  zu  setzen  mit  den  Vorgängen  bei  der  Heilung 
unserer  Operationswunden. 

Wir  halten  es  im  Gegentheil  für  eine  ganz  capitale  Unterscheidung, 
dass  man  bei  Verunreinigung  einer  Wunde  nicht  nur  zwischen  den 
für  den  Menschen  pathogenen  und  nicht  pathogenen  Mikro- 
organismen unterscheide,  sondern  auch  die  angepassten  und  nicht  an- 
gepassten  oder,  wenn  man  will,  virulenten  von  den  momentan 
nicht  virulenten  Keimen  wohl  unterscheide.  Nicht  etwa,  weil  wir 
glaubten,  dass  nicht  auch  die  nicht  pathogenen  Mikroorganismen  und 
die  nicht  virulenten  in  die  Circulation  gelangen  durch  rein  physi- 
kalische Vorgänge  der  Resorption.  Aber  diese  Resorption,  weit 
entfernt  einen  schädlichen  Factor  darzustellen,  ist  im  Gegentheil  für 
die  Wundheilung  von  durchaus  günstigem  Einfluss.  Mikroorganismen, 
welche  dem  betreffenden  Körper  nicht  angepasst  sind,  gehen  im 
Blut  und  gesunden  Geweben  viel  leichter  zu  Grunde  als  in  den 
Wunden.  Dies  gilt  übrigens  auch  für  die  pathogenen  und  virulenten 
Keime,  solange  sie  nur  vereinzelt  oder  in  geringer  Zahl  in  lebendes 
Blut  oder  gesundes  Gewebe  gelangen.  Aber  allerdings  ändert  sich 
die  Sache,  wenn  virulente  Keime  erst  in  der  Wunde  zu  üppiger 
Entwicklung  gelangt  sind. 

Friedrich  hat  durch  eine  Reihe  von  sehr  schönen  Versuchen  ge- 
zeigt, dass  wenn  man  beliebige,  für  das  betreffende  Thier  pathogene 
Mikroorganismen  von  aussen  her  in  ähnlicher  Weise  in  eine  Wunde 
hereinbringt,  wie  sie  durch  eine  zufällige  Verunreinigung  dahin  gelangen 
können,  es  einer  Zeit  von  6 — 8  Stunden  bedarf  (beispielsweise  für  das 
maligne  Oedem  beim  Meerschweinchen),  bis  die  Infectionsstoffe  aus- 
keimen, reichlich  in  die  Gewebe  hineindringen  und  hier  und  nach  Re- 
sorption weiterhin  im  Körper  durch  ihre  Toxine  schädlich  und  gefährlich 
werden.  Das  ist  ein  für  die  Wundbehandlung  überaus  wichtiger  Nach- 
weis, der  dadurch  ergänzt  wird,  dass  derselbe  Autor  gezeigt  hat,  dass 
wenn  man  bereits  durch  den  betreffenden  Thierkörper  hindurch  ge- 
gangene Mikroorganismen  demselben  einverleibt,  die  Zeit  der  Weiter- 
entwicklung sehr  viel  kürzer  ist  und  daher  die  Infection  ungleich  rascher 
eintritt.  Die  Keime  sind  eben  durch  die  Anpassung  an  den  gleichen  Nähr- 


Wundbehandlung.  6 1 

boden  viel  entwicklungsfähiger,  d.  h.  virulenter  geworden.  Friedrich 
zeigt  auch,  dass  überhaupt  Mikroorganismen  für  ihre  Theilung,  wie 
schon  Koch  dargethan  hat,  einer  gewissen  Zeit  bedürfen,  dass  in 
Folge  dessen  eine  Massenentwicklung  erst  nach  dieser  Zeit  erfolgen 
kann.  Damit  haben  wir  die  wichtigsten  Anhaltspunkte  gewonnen  für 
unser  Verhalten  gegenüber  Wunden,  welche  zwar  möglichst  keimfrei, 
aber  immerhin  infectionsverdächtig  sind. 

Wir  müssen  dafür  sorgen,  dass  die  Mikroorganismen 
auf  der  Wunde  keine  Entwicklung  eingehen  können, 
bis  durch  Herstellung  der  normalen  Circulation  die 
Schutzapparate  des  normalen  Körpers  wieder  in  Thätig- 
keit  getreten  sind.  Um  die  Entwicklung  zu  verhindern,  müssen 
wir  nicht  bloss  —  wie  oben  auseinander  gesetzt  —  vor  Allem  an- 
gepasste  Keime  fernhalten,  sondern  den  nicht  angepassten  Keimen 
den  Nährboden  möglichst  entziehen;  was  das  heissen  will,  ist  durch 
einschlägige  Versuche  ebenfalls  genügend  klargelegt  worden.  Als 
Nährböden  dienen  ausser  imbibitionsfähigen  Fremdkörpern,  speciell 
Faden,  vor  Allem  nekrotische  Gewebe,  seien  es  grössere  oder  kleinere 
Stücke  der  Wundoberfläche  selber  (beispielsweise  Ligaturstümpfe),  seien 
es  flüssige  Ergüsse  in  die  Wunden,  namentlich  Blutergüsse.  DORST 
hat  unter  Tavel's  Leitung  gezeigt,  wie  ungleich  leichter  man  eine 
Infection  erzielen  kann,  wenn  man  Mikroorganismen  statt  in  gesundes 
Gewebe  in  ein  künstlich  erzeugtes  Hämatom  einbringt,  und  Linser 
hat  ebenfalls  unter  Tavel  den  Unterschied  experimentell  illustrirt 
zwischen  der  Gefahrlosigkeit  einer  Injection  selbst  pathogener  Keime 
in  gesunde  Gewebe  gegenüber  solchen,  bei  welchen  künstliche 
Schädigungen  und  Circulationsstörungen  herbeigeführt  worden  sind; 
wo  selbst  i  ccm  Cultur  von  Staphylococcus  aureus  noch  ohne  Anstand 
resorbirt  wird,  tritt  ein  Abscess  ein  mit  seinen  Folgen,  wenn  durch 
Massenligatur  die  Circulation  beeinträchtigt  wird.  Man  hat  freilich 
den  retinirten  Wundsecreten  baktericide  Eigenschaften  zugemessen 
(Anschütz),  aber  Brunner  hat  schon  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  bei  Anerkennung  dieser  Eigenschaft  doch  die  nährenden  Eigen- 
schaften der  Secrete  für  Bakterien  überwiegen.  Die  praktische  Er- 
fahrung entscheidet  in  entschiedenem  Sinne  gegen  den  Nutzen  der 
retinirten  Wundsecrete  bei  Zustandekommen  der  Infection. 

Zur  Verhütung  der  Läsionsinfection  von  Tavel  oder,  wie  wir 
zu  sagen  vorziehen,  der  Nekroseninfection,  hat  man  bei  einer 
Operation  alles  zu  verhüten ,  was  eine  schwerere  Schädigung  der 
Gewebe  durch  Zerrung,  Quetschung,  Zerreissung  veranlasst.  Am 
unschuldigsten  sind,  wie  längst  bekannt  und  unter  Tavel  bewiesen, 
in  dieser  Hinsicht  die  geschnittenen  Wunden,  während  jede  Quetschung 
kleine  oder  grössere  Nekrosen  auf  einer  Wundoberfläche  zur  Folge 
hat.     Es  wird   aus  diesem  Grunde  ein  geübter  Operateur  stets  mehr 


6  2  Allgemeines. 

Aussicht  haben,  bei  genau  demselben  Sterilisations-  und  Desinfections- 
verfahren  eine  Wunde  ungestört  heilen  zu  sehen,   als  ein  Anfänger. 

Der  zweite  Punkt  bei  der  Technik  ausser  der  Verhütung  von 
unnützen  Zerrungen,  Quetschungen  und  Zerreissungen  ist  die  Ver- 
meidung chemischer  und  thermischer  Schädigungen. 
Nach  Walthard's  Experimenten  ist  für  gewisse  Gewebe  schlimmer 
als  alles  Andere  die  Austrocknung.  Diese  kann  man  durch 
wiederholte  Irrigation  der  Wunde  mit  warmer  physiologischer  Koch- 
salzlösung verhüten;  das  früher  vielfach  geübte  trockene  Operiren 
verstösst  gegen  diese  wichtige  Indication.  Allerdings  kann  man  auch 
bei  letzterem  durch  Bedeckung  der  Gewebe  und  daheriges  Verhüten 
der  Abkühlung  und  Verdunstung  die  ungünstige  Wirkung  des  Ein- 
griffes verringern.  Für  gewisse  Operationen,  wie  die  Operationen  am 
Abdomen,  ist  die  Bedeckung  der  Eingeweide  durch  warme  Com- 
pressen  oder  die  häufige  Irrigation  mit  Salzwasser  von  richtiger 
Temperatur,  wie  sie  in  der  Berner  Klinik  vielleicht  am  allerfrühesten 
in  Gebrauch  gezogen  worden  ist,  von  durchschlagender  Bedeutung 
nicht  nur  der  Infectionsgefahr  wegen,  sondern  der  Shokwirkung, 
welche  jeden  schweren  Eingriff  begleitet  und  im  Splanchnicusgebiet 
die  schlimmsten  Circulationsstörungen  im  Gefolge  hat. 

Nicht  minder  wichtig  wie  die  Verhütung  thermischer  Schädlich- 
keiten ist  die  Vermeidung  chemischer  Schädigung  der  Gewebe. 
Gegen  diese  Indication  wird  am  allermeisten  gesündigt.  Es  giebt 
noch  eine  Anzahl  von  Chirurgen,  welche  es  sich  nicht  nehmen  lassen 
wollen,  Wunden  mit  antiseptischen  Lösungen  abzuspülen  und  aus- 
zuwaschen, so  bestimmt  doch  der  Nachweis  geleistet  worden  ist, 
dass  eine  Abtödtung  von  Mikroorganismen  auf  einer  Wundfläche 
durch  kein  Antisepticum  ohne  eine  hochgradige  Schädigung  der 
Gewebe  selber  erzielt  werden  kann.  Solche  bestimmte  Nachweise 
verdanken  wir  Kontschewsky,  welcher  Verzögerung  der  Karyo- 
kinese  und  Gewebsneubildung  nachwies,  ebenso  Goldberg  u.  A. 
Antiseptische  Waschungen  und  Spülungen  haben  nur  dann  eine 
gewisse  Berechtigung,  wenn  eine  chemische  Schädigung  der  Gewebe 
gegenüber  der  Indication  einer  Zerstörung  von  Infectionsstoffen 
gleichgültig  erscheint,  d.  h.  bei  Wunden,  welche  bereits  schwer  in- 
ficirt  sind.  Bei  frischen  Wunden  dagegen  sollte  man  endlich  mit 
antiseptischen  Spülungen  definitiv  brechen  und  an  deren  Stelle  in- 
differente, resp.  isotonische  Flüssigkeiten  setzen,  wie  die  physiologische 
Kochsalzlösung  von  7  °/00  in  richtiger  Körpertemperatur  sie  darstellt. 
Wir  verwenden  durchaus  nichts  Anderes  mehr  als  diese  letztere 
Irrigation  und  zwar  reichlich  und  haben  erst  mit  vollem  Verzicht 
auf  die  antiseptischen  Spülungen  die  beste  Form  der  Wundheilung 
kennen  gelernt.  Koller  hat  unter  Tavel's  Leitung  den  Beweis 
gebracht,    dass   durch    inficirte   Kugeln   herbeigeführte  Wunden   bei 


Wundbehandlung.  5  -i 

Kaninchen  das  beste  Heilresultat  geben,  wenn  sie  nur  mit  solchen 
indifferenten  Lösungen  gereinigt  werden,  während  die  Anwendung 
starker  antiseptischer  Mittel  bester  Sorte  die  Thiere  nicht  vor  weiter- 
gehender Infection  und  tödtlichem  Ausgang  bewahrt. 

Ein  dritter  Factor,  die  Technik  so  zu  gestalten,  dass  der  Ent- 
wicklung von  eingedrungenen  Keimen  kein  Vorschub  geleistet  wird, 
bezieht  sich  auf  die  Verhütung  einer  Ansammlung  von  Flüssigkeiten 
und  vor  allem  Blut  in  der  Wunde.  Dieser  Indication  wird  genügt 
erstens  durch  die  genaueste  Blutstillung  durch  Anhängen 
von  Arterienklemmen  an  jedes  blutende  Gefäss  und  Verschluss  der 
Gefässe  zu  Ende  der  Operation,  womöglich  unter  Vermeidung  des 
Einlegens  von  Ligaturen,  durch  Torsion  der  Gefässe,  welche  für 
kleinere  Arterien  vollständig  genügt  und  die  ausgedehnteste  An- 
wendung verdient.  Neben  der  Torsion  ist  die  Zusammenpressung 
mittelst  kleiner  Angiothriptoren  (verstärkten  Arterienklammern)  in 
neuester  Zeit  ein  sehr  werthvolles  Mittel  zum  Gefässverschluss  ohne 
Ligaturen  geworden.  Aber  noch  werthvoller  sind  die  Angiothriptoren 
dadurch,  dass  sie  uns  erlauben,  grössere  Gewebsstümpfe  so  durch- 
zuquetschen  und  zusammenzupressen ,  dass  bei  Anlegung  einer 
Ligatur  der  nekrotisirende  vorragende  Stumpf  auf  ein  Minimum 
reducirt  wird.  In  diesem  Sinne  haben  wir  von  der  Pressung  der 
Gewebe  bei  Trennung  des  Isthmus  der  Schilddrüse  schon  lange 
bevor  Doyen  seine  bekannte  Quetschzange  einführte,  Gebrauch  ge- 
macht. Nur  bei  grossen  Arterien  und  bei  Venen,  zumal  der  unter 
dem  unmittelbaren  Einfluss  der  Respiration  stehenden  Venen  des 
Halses  darf  auf  die  Ligatur  der  Gefässe  mittelst  Seide  nicht  ver- 
zichtet werden. 

Das  zweite  Mittel  zur  Verhütung  einer  Ansammlung  von 
Bakteriennährflüssigkeit  in  der  Wunde  ist  die  vollkommen 
exacte  Vereinigung  der  Wundränder  unter  Vermeidung 
jeder  Höhlenbildung.  Freilich  ist  ein  vollkommener  Schluss  grosser 
und  unregelmässiger  Wunden,  zumal  da,  wo  durch  eine  tiefe  Sutur 
schwerere  Nebenverletzungen  herbeigeführt  werden  können,  nicht 
immer  durchführbar.  Dann  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  die  An- 
sammlung von  Flüssigkeit  in  Höhlen  dadurch  zu  verhüten,  dass 
man  jene  nach  aussen  ableitet.  Hierzu  dient  die  Einlage  von  Drain- 
r öhren  an  denjenigen  Stellen,  wo  der  sicherste  und  vollkommenste 
Abfluss  von  Blut  und  Serum  gewährleistet  ist.  Diese  Drainage 
trägt  auch  der  von  Friedrich  aufgestellten  Indication  Rechnung, 
mit  Keimen  beladene  Flüssigkeiten  in  der  Wunde  nicht  unter 
schädlichen  Druck  kommen  zu  lassen.  Die  Drainröhre  schafft  im 
Gegentheil  einen  von  der  Wunde  nach  aussen  gehenden  Flüssigkeits- 
strom, welcher  die  Mikroorganismen  mitreisst.  Starcke  hat  das 
Verdienst,    auf   die   Wichtigkeit    der   Saftströmung   gegen   das   Ein- 


54  Allgemeines. 

dringen  von  Keimen  schon  vor  Friedrich  die  Aufmerksamkeit 
gelenkt  zu  haben.  Zur  Drainage  rathen  wir,  die  von  uns  seit  langer 
Zeit  benutzten  Glasdrains  mit  grossen  Seitenöffnungen  ausschliess- 
lich zu  benutzen.  Dieselben  sind  vollkommen  steril  aufzubewahren 
und  halten  die  Wunde  am  besten  offen.  Bei  grossen  Wunden,  die 
man  ganz  schliessen  will,  ist  es  zweckmässig,  einen  Gazebausch  ein- 
gelegt zu  halten  während  der  Naht  und  diesen  unter  Compression  erst 
zu  entfernen,  wenn  man  am  Ende  des  Nahtschlusses  angelangt  ist. 
Endlich  darf  nicht  vergessen  werden,  dass  man  die  Circulation 
in  den  Wundrändern  möglichst  günstig  gestalten  muss  durch  Ver- 
meidung schädlicher  Spannung  und  schädlichen  Druckes  und  Sorge 
für  guten  Abfluss  des  venösen  Blutes  durch  geeignete  Lagerung. 
Gar  nicht  gleichgültig  scheint  auch  wegen  seiner  Bedeutung  für  die 
Circulation  das  Erhaltenbleiben  des  Nerveneinflusses  zu  sein,  da  bei 
der  von  Bier  empfohlenen  Cocainisirung  des  Rückenmarkes  von 
einzelnen  Seiten  grössere  Neigung  zu  schlechtem  Wundverlauf  be- 
obachtet worden  ist. 

Vollständig  zu  trennen  von  der  Wundbehandlung  primär  ge- 
setzter Operationswunden  ist  die  Behandlung  solcher  Wunden,  welche 
von  pathogenen  und  virulenten  Infectionsstoffen  bereits  in  Beschlag 
genommen  worden  sind.  In  dieses  Capitel  gehören  alle  diejenigen 
zufällig  zu  Stande  gekommenen  Wunden,  welche  entweder  direct  mit 
virulenten  Keimen  verunreinigt  worden  sind  oder  welche  nicht  frisch 
dem  Arzte  zukommen  und  nicht  durch  spontane  Verklebung  einen 
Abschluss  gegen  weiteres  Eindringen  von  äusseren  Schädlichkeiten 
gefunden  haben.  Man  pflegt  diese  Kategorie  von  Wunden  im  Gegen- 
satz zu  den  bloss  infectionsverdächtigen  Wunden  Operationswunden 
schlechtweg  als  inficirte  Wunden  zu  bezeichnen. 

Wenn  wir  sagen:  Die  Behandlung  ist  vollkommen  von  den 
aseptischen  Wunden  zu  trennen,  so  möchten  wir  einem  Grundirrthum 
gleich  von  vornherein  begegnen,  nämlich  der  Meinung,  dass  es 
einerlei  sei,  ob  man  inficirte  Wunden  mit  sterilisirtem  Verbandmaterial, 
Flüssigkeiten  und  völlig  gereinigten  Händen  behandle  oder  nicht. 
Durch  Nachlässigkeit  in  dieser  Hinsicht  wird  oft  aus  einer  leichten 
Monoinfection  eine  schwere  Polyinfection,  und  es  darf  durchaus  nicht 
gegen  die  absolute  Regel  gesündigt  werden,  auch  bei  inficirten  Wunden 
strengste  Asepsis  bezüglich  Haut-  und  Händereinigung,  Sterilisirung 
von  Instrumenten  und  Verbandmaterial  walten  zu  lassen. 

Ueber  die  Behandlung  inficirter  Wunden  sind  die  An- 
sichten zur  Stunde  noch  getheilt,  namentlich  bezüglich  der  Frage, 
ob  hier  wenigstens  a  n  t  i  septische  Behandlung  Platz  zu  greifen  hat 
oder  ob  sie  selbst  hier  besser  wegbleibt.  Wenn  man  sich  die 
ScHiMMELBUSCH'schen  Experimente  ins  Gedächtniss  zurückruft,   wo- 


Wundbehandlung.  6  e 

nach  auf  Wunden  gelangte  Keime  in  Zeit  von  Minuten  bereits  in 
die  anstossenden  Gewebe  und  in  die  Circulation  hineingelangt  sind, 
so  würde  man  der  antiseptischen  Behandlung  keinen  grossen  Werth 
beimessen  können ;  und  da  nach  den  übereinstimmenden  Beobachtungen 
der  Kliniker  rasches  Wachsthum  von  Keimen  mit  entsprechendem 
Eindringen  in  gesunde  Gewebe  hauptsächlich  bei  angepassten,  d.  h. 
virulenten  Mikroorganismen  vorkommt,  so  scheint  gerade  für  die 
schlimmsten  Fälle  die  antiseptische  Behandlung  die  allergeringste 
Aussicht  zu  bieten,  da  sie  in  der  Regel  zu  spät  kommt. 

Die  Methode,  zufällig  verunreinigte  Wunden  in  der  Art,  wie 
seiner  Zeit  Volkmann  complicirte  Fracturen  zu  behandeln  empfohlen 
hatte,  mit  starken  antiseptischen  Lösungen  auszuwaschen  und  aus- 
zuwischen, ist  noch  jetzt  eine  gäng  und  gäbe.  Die  Mehrzahl  der 
Aerzte  hält  sich  verpflichtet,  zufällige  Wunden  mit  Sublimatlösung 
{i  °/oo)  als  dem  raschest  wirksamen  Antisepticum  auszuwaschen,  und 
Versuche  von  Henle  scheinen  auch  zu  Gunsten  solcher  antiseptischer 
Maassnahmen  vom  Standpunkt  praktischer  Erfahrung  aus  zu  sprechen. 
Ganz  anders  lauten  aber  die  Ergebnisse  genauer  Studien  von  Fried- 
rich und  namentlich  von  Tavel  und  seinen  Schülern. 

Unter  letzteren  hat  der  leider  zu  früh  verstorbene  Dr.  Koller 
durch  vergleichende  Behandlung  mit  bestimmten  Organismen  ver- 
unreinigter Schusswunden  bei  Kaninchen  den  Beweis  erbracht,  dass 
antiseptische  Behandlung  nicht  nur  keinen  Nutzen,  sondern  directen 
Schaden  bringt,  mag  man  die  Wundhöhlen  mit  Sublimat-  oder  Carbol- 
lösungen,  mit  Jodtinctur  oder  mit  dem  Thermocauter  behandeln.  Die 
Mehrzahl  der  so  behandelten  Thiere  ging  zu  Grunde,  während  eine 
grössere  Anzahl  in  gleicher  Weise  verletzter  Thiere  durchkam  bei 
bloss  aseptischer  Behandlung.  Zu  ähnlichen  Resultaten  kam  Fried- 
rich bei  Benutzung  ganz  bestimmter  Infectionsstoffe  zur  Wund- 
infection.  Die  Infection  einer  Wunde  wird  durch  alle  diejenigen 
Maassnahmen  erheblich  begünstigt,  welche  die  Vitalität  der  Gewebe 
herabsetzen,  also  durch  alle  unnützen  mechanischen,  chemischen  und 
thermischen  Schädigungen.  Wie  ungemein  verschieden  sich  ge- 
quetschte gegenüber  geschnittenen  Wunden  gegen  Infection  ver- 
halten, ist  eine  allgemein  bekannte  Thatsache. 

Unter  Tavel's  Controle  hat  Linser  bewiesen,  in  welchem  Grade 
dieser  Unterschied  sich  für  bestimmte  Infectionsstoffe  nachweisen 
lässt,  indem  Schnittwunden  noch  heilen,  wenn  man  sie  mit  einem 
grösseren  Quantum  virulenter  Mikroorganismen  verunreinigt,  wo  ge- 
quetschte und  gezerrte  Wunden  sicher  die  Folgen  der  Infection  auf- 
weisen. Ganz  ähnlich  lässt  sich  der  Unterschied  zeigen  zwischen 
Wunden,  deren  Oberfläche  durch  chemische  Stoffe  cauterisirt  wird 
gegenüber  den  gleichen  Wunden,  wenn  man  sie  intact  lässt.  Welche 
Bedeutung  blosse  Austrocknung  der  Wunde  für  die  Gefahr  des  Ein- 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  c 


56  Allgemeines. 

dringens  von  Infectionskeimen  hat,  hat  Walthard  für  das  Peritoneum 
dargethan.  Das  Uebereinstimmende  bei  allen  diesen  Schädigungen 
der  Wundoberfläche  besteht  darin,  dass  die  oberflächlichen  Gewebs- 
elemente  ihre  Lebensfähigkeit  einbüssen,  nekrotisch  werden,  oft  in 
nur  mikroskopischer,  oft  aber  makroskopischer  Ausdehnung.  Alle 
kräftig  antiseptisch  wirkenden  Maassnahmen  verstärken  die  Ne- 
krosirung  der  Gewebe  und  fördern  in  dieser  Richtung  die  Nekrosen- 
infection. 

Es  muss  demgemäss  im  Allgemeinen  bei  inficirten  so  gut  wie 
bei  bloss  infectionsverdächtigen  Wunden  der  Grundsatz  festgehalten 
werden,  bei  der  Behandlung  Beschädigungen  auf  der  Wundoberfläche 
durch  chemische  Einwirkungen  nicht  herbeizuführen,  sondern,  wenn 
eine  Reinigung  der  Wunde  nöthig  ist  von  aufgefallenen  Fremdkörpern 
und  Keimen,  diese  durch  indifferente  Spülungen  zu  besorgen,  wie  wir 
sie  in  der  physiologisehen  Kochsalzlösung  in  einer  geeigneten  Form 
besitzen.  So  weit  eine  Wunde  solchen  Spülungen  zugänglich  ist,  ist 
diese  Maassnahme  die  geeignetste. 

Allein  das  Verhalten  der  Stichwunden  belehrt  uns,  dass  noch 
ein  anderes  Moment  für  die  Behandlung  inficirter  Wunden  in  Frage 
kommt,  dessen  Bedeutung  wir  oben  nach  Friedrich  betont  haben, 
nämlich  die  Verhütung  jeglicher  Spannung  und  jeglichen  Druckes 
in  der  Richtung  nach  den  Geweben  hin.  Es  muss  also  zu  den 
chemisch  und  thermisch  indifferenten  Spülungen  mit  7  °/00  Kochsalz- 
lösung von  Körpertemperatur  noch  die  Freilegung  der  Gewebe  behufs 
Entspannung  hinzu  kommen,  weil  die  der  Infection  folgende  Ent- 
zündung die  Spannung  noch  viel  erheblicher  vermehrt  als  Blutergüsse 
und  Transsudate. 

Der  Indication  der  Entspannung  entspricht  kein  Mittel  auch 
nur  im  Entferntesten  so  vollständig,  wie  die  offene  Wund- 
behandlung, welche  Methode  vor  der  antiseptischen  Zeit  seit 
ihrer  Einführung  durch  Kern  und  zumal  seit  Burow  die  besten 
Resultate  ergeben  hat. 

Friedrich  kommt  bei  seinen  Untersuchungen  zu  dem  Resultate, 
dass  es  nur  ein  Mittel  giebt,  weitergehender  Wundinfection  zu  be- 
gegnen, und  dieses  sieht  er  in  der  offenen  Wundbehandlung  und 
hebt  mit  Recht  hervor,  dass  die  Differenzen  in  der  Beurtheilung 
der  günstigen  Wirkung  der  Antiseptica  hauptsächlich  darauf  zurück- 
zuführen seien,  dass  dieselben  bald  mit,  bald  ohne  gleichzeitige  offene 
Wundbehandlung  zur  Verwendung  gekommen  sind.  Die  offene 
Wundbehandlung  hat  neben  dem  Nachlass  der  Spannung  von  der 
Wundoberfläche  nach  den  Geweben  zu  den  Vortheil,  in  Folge  der 
Entspannung  einen  Flüssigkeitsstrom  in  Form  der  Wundsecrete 
herbeizuführen  von  der  Tiefe  nach  der  Oberfläche.  Derselbe  hat 
mechanisch    eine   Herausbeförderung    von   Keimen    aus   der  Wunde 


Wundbehandlung.  57 

zur  Folge  und  übt,  da  dem  austretenden  Serum  antibakterielle  Eigen- 
schaften innewohnen,  eine  entwicklungshemmende  Wirkung  aus. 
Inficirte  Wunden  müssen  demgemäss  durch  gehörige  Incisionen 
unter  Vermeidung  jeder  unnützen  Zerrung  und  Quetschung  ausgiebig 
freigelegt  werden  behufs  Entspannung  und  behufs  Ermöglichung 
aseptischer  Spülungen. 

Wenn  wir  guten  Grund  haben,  auch  bei  inficirten  Wunden  Alles 
zu  verhüten,  was  die  Läsion  der  Gewebe  verstärken  muss  und  damit 
die  Nekroseninfection  zu  beschränken,  so  dürfen  wir  aber  nicht  über- 
sehen, dass  wir  eine  gewisse  Anzahl  von  Wunden  noch  zur  gegen- 
wärtigen Zeit  erst  in  Behandlung  bekommen,  wenn  bereits  ein  Theil 
der  Wundoberfläche  von  Infectionsstoffen  in  Beschlag  genommen 
ist  und  letztere  durch  ihre  toxischen  Wirkungen  zu  ausgiebiger 
Nekrose  der  Gewebe  und  deren  Folgen  geführt  haben.  Hier  bleibt 
bloss  noch  Eines  übrig,  nämlich  diese  septischen  Nekrosen  so  rasch 
wie  möglich  zu  beseitigen.  Dieser  Indication  ist  für  die  nekrotischen 
Auflagerungen  auf  der  Wunde,  welche  bloss  locker  haften,  leicht  zu 
genügen.  Nekrotisches  Blut,  nekrotische  Leukocvten,  Fibrin  kann 
durch  Abspülen  oder  Abwischen  leicht  entfernt  werden.  Festhaftende 
Nekrosen  und  inficirte  Gewebe  bedürfen  anderer  Behandlung. 

Friedrich  hat  bei  seinen  Versuchen  über  Wundinfection  mit 
malignem  Oedem  zeigen  können,  dass  man  in  sicherer  Weise  Infection 
und  Exitus  verhüten  kann,  wenn  man  innerhalb  der  ersten  Stunde, 
vor  der  Auskeimung  die  ganze  Wundoberfläche  mit  der  nöthigen 
Sorgfalt  in  einiger  Entfernung  excidirt.  In  ähnlicher  Weise  kann 
es  indicirt  sein,  die  Excision  einer  Wunde  vorzunehmen,  wenn 
man  sicher  ist,  dass  die  Veränderungen  sich  auf  die  oberflächliche 
Schicht  derselben  beschränken.  Dass  dies  der  Fall  ist,  kann  man 
an  den  Veränderungen  von  Farbe  und  Consistenz  öfter  erkennen. 
Deutlich  nekrotische  Gewebe  werden  abgetragen  mit  Messer  und 
Scheere;  wo  die  Gewebsveränderung  zur  Erweichung  geführt  hat, 
kommt  man  gelegentlich  aus  mit  dem  scharfen  Löffel,  die  nekrotischen 
Granulationsgewebe  zu  entfernen. 

Aber  häufig  genug  sind  in  praxi  die  Erscheinungen  tiefer  und 
weitergehender  Infection  schon  so  weit  gediehen ,  dass  an  eine 
Excision  der  nekrotischen  oder  gar  aller  inficirten  Gewebstheile  nicht 
mehr  zu  denken  ist.  In  den  Fällen,  wo  nicht  auch  dann  noch  durch 
eine  Amputation  kurz  und  klar  obiger  Indication  ein  Genüge  ge- 
schehen kann,  muss  man  sich  damit  begnügen,  die  in  den  nekrotischen 
Parthien  vor  sich  gehenden  Zersetzungen  durch  entwicklungs- 
hemmende Mittel  zu  beschränken,  welche  die  unterliegenden  Ge- 
webe nicht  in  der  Weise  schädigen,  dass  die  Nekrose  nach  der  Tiefe 
fortschreitet.  Hierzu  sind  die  austrocknenden  Mittel  jeder 
Art  am  geeignetsten,  wo  nicht  die  Wundverhältnisse  so  liegen,  dass 

5* 


58  Allgemeines. 

man  durch  fortwährende  Spülungen  und  Umschläge  denselben  Effect 
erzielen  kann.  Sind  Spülungen  und  Umschläge  anwendbar,  so  benutzt 
man  hierzu  antiseptische  Lösungen,  bloss  stark  genug,  um  ent- 
wicklungshemmend zu  wirken  (Salicyl-Borlösungen,  Chlorzink,  Lysol 
0,2  Proc.  etc.).  Auch  Starcke  spricht  sich  für  diese  schwachen 
Lösungen  aus.  Die  geeignetsten  Mittel,  um  eine  Eintrocknung  der 
nekrotischen  Gewebe  zu  erzielen,  sind  einerseits  die  Betupfungen 
mit  Alkohol ,  welche  zu  einer  Schrumpfung  der  Gewebe  führen, 
andererseits  die  Pulververbände,  unter  denen  Jodoform  und  Bismutum 
subnitricum  am  wichtigsten  sind,  weil  sie  keine  schädliche  Tiefen- 
wirkung ausüben  1).  A.  Fraenkel  hat  in  beachtenswerther  Weise  in 
neuester  Zeit  zu  zeigen  versucht,  dass  es  nicht  so  sehr  auf  die 
Qualität  des  Pulvers  ankommt,  sondern  dass  man  z.  B.  in  vielen 
Fällen  Jodoform  einfach  durch  Holzkohle  ersetzen  kann. 

Nicht  bei  allen  inficirten  Wunden  mit  Nekrosirung  der  Gewebe 
vermögen  wir  der  Indication  nachzukommen,  die  kranken  Gewebe 
völlig  freizulegen,  um  die  Zersetzung  innerhalb  nekrotischer  Theile 
zu  beschränken.  Wunden  mit  grosser  Tiefenausdehnung  lassen  ein 
eigentliches  Offenlegen,  wie  die  offene  Wundbehandlung  es  versteht, 
nicht  zu.  In  solchen  Fällen  können  wir  oft  nicht  weiter  gehen, 
als  die  Wunde  wenigstens  soweit  frei  zu  legen,  dass  entwicklungs- 
hemmende Mittel  in  die  Tiefe  bis  zur  Berührung  mit  den  entferntesten 
Wundwinkeln  eingebracht  werden  können.  Die  hier  wirksamsten 
Maassnahmen  können  unter  den  Titel  der  antiseptischen  Tam- 
pon a  d  e  zusammengefasst  werden.  Sie  ist  dazu  bestimmt,  nachhaltig 
direct  auf  die  Wundflächen  der  Tiefe  im  Sinne  der  Entwicklungs- 
hemmung zu  wirken  und  dient  theilweise  gleichzeitig  zur  Ableitung 
der  Wundsecrete  als  Drainage.  Man  stopft  nach  genügender  Spaltung 
der  Haut  und  Fascien  etc.  und  Reinigung  mit  indifferenten  Spülungen 
die  ganze  Wundhöhle  aus  mit  Jodoformtampons  (oder  einem  geeigneten 
Ersatzmittel),  welche  zu  erneuern  sind,  sobald  die  Secrete  sie  von  der 
Wundoberfläche  abheben.  Dieser  antiseptischen  Tamponade  bedient 
man  sich  auch  für  frische  Wunden,  wenn  dieselben  in  etwas  höherem 
Maasse  infectionsverdächtig  sind,  als  gewöhnlich,  d.  h.  jedesmal,  wo 
ohne  jede  Vorbereitung   eine   Operation   ausgeführt   werden   musste, 


1)  Sehr  zu  beachten  sind  auch  Aufschläge  mit  verdünntem  Alkohol,  welchen 
Salzwedel  in  neuester  Zeit  wieder  zu  Ehren  gebracht  hat  gegen  Infectionen. 
Nach  Epstein  ist  50-proc.  Alkohol  am  wirksamsten  und  erhöht  auch  die  Wirk- 
samkeit beigefügter  Antiseptica,  z.  B.  des  Sublimats.  Salzwedel,  Elsner, 
sowie  Minervini  und  Tschirikow  bestätigen  die  Wirksamkeit  55-proc.  Alkohols 
und  zeigen,  dass  z.  B.  schon  7-proc.  Alkohol  Staphylokokkenentwicklung  zu 
hemmen  vermag.  Dass  auch  bei  bereits  bestehenden  Nekrosen  die  Betupfung 
mit  reiner  Carbolsäure  nach  BrüNS  und  Honsell  unter  Umständen  nützlich 
sein  kann,  ist  nicht  zu  bezweifeln. 


Wundbehandlung.  5n 

oder  wo  im  Bereich  alter  Entzündungsherde  oder  in  der  Nähe  von 
Körperhöhlen  operirt  wird,  welche  verletzt  werden  könnten  (wie  in 
der  Nähe  des  Rachens,  des  Darms).  In  viel  vollkommener  Weise 
wird  die  Indication  in  den  besprochenen  Fällen  erfüllt  durch  die 
Secundärnaht,  welche  wir  für  zweifelhafte  Fälle  zu  ergiebiger 
Anwendung  empfohlen  haben  und  deren  Einführung  Starcke  seiner 
Zeit  einen  epochemachenden  Fortschritt  nennen  konnte :  Die  Wunde 
bleibt  offen  unter  dem  Schutze  aseptischen  Verbandes  oder  anti- 
septischer Tamponade  mit  schwachen  entwicklunghemmenden  Anti- 
septica  und  nach  einigen  Tagen  erst  wird  die  Naht  angelegt  unter 
Einlegen  eines  Drainrohres  bis  zur  Versiegung  jeder  Wundsecretion. 

a)  Resume  der  Indicationen  für  die  Behandlung  aseptisch 
gehaltener,  bloss  infectionsverdächtiger  Wunden. 

i)  Verhütung  der  Luftinfection  durch  Operiren  in  staubfreier 
Umgebung,  durch  Abhaltung  von  verstäubten  Flüssigkeitstheilchen 
aus  Mund  und  Nase  aller  bei  der  Operation  Betheiligten,  speciell  des 
Patienten  selber,  endlich  durch  rasche  Ausführung  der  Operation. 

2)  Verhütung  der  Berührungsinfection  durch  Sterilisation 
sämmtli eher  Verbandmaterialien  und  Instrumente  mittelst  x/2 -stündigen 
Kochens  oder  mittelst  Durchströmung"  gespannten  und  gesättigten 
Dampfes  ä  1250  x/4  Stunde  lang;  ferner  durch  Bedeckung  aller  mit 
denselben  in  Berührung  kommender  Körpertheile,  Kleider,  Operations- 
und Verbandtische  mit  sterilisirten  Tüchern. 

3)  Verhütung  der  Impfinfection  durch  Abstinenz  oder  so- 
fortige Zerstörung  jedes  an  Haut  oder  Hand  gelangten  virulenten 
Materials  und  peinliche  mechanische  Säuberung  von  Haut  und  Händen 
durch  Kurzschneiden  oder  Bedeckung  von  Nägeln  und  Haaren  und 
langes  Abbürsten  erst  mit  Seife,  dann  mit  laufendem  recht  warmem 
Wasser  und  endlich  verdünntem  Alkohol  —  für  sämmtliches  an  der 
Operation  betheiligtes  Personal,  incl.  Patienten. 

4)  Verhütung  der  Implantationsinf  ection  durch  Benutzung 
antiseptisch  wirksamer  sterilisirter  Faden  (in  i°/00  Sublimatlösurig  ge- 
kochter Seide)  und  event.  Tampons. 

5)  Verhütung  der  Nekrosirungsinfection  durch  correcte 
Technik  mit  Vermeidung  von  Quetschung,  Abkühlung,  Austrocknung 
und  durch  rein  aseptische  Wundbehandlung  unter  Gebrauch  von 
warmer  physiologischer  Kochsalzlösung  zur  Abspülung  von  Blut, 
Staub  etc. 

6)  Verhütung  der  Brütungsinfection  durch  völliges  An- 
einanderlegen  der  Wundränder  oder,  wo  dieses  unmöglich,  durch 
Ableitung  von  Blut  und  Wundsecreten  mittelst  Glasdrainage  oder 
durch  Anwendung  der  Secundärnaht. 


yo  Allgemeines. 

b)  Resume  für  die  Behandlung  inficirter  Wunden. 

i)  Benutzung  aller  sub  a)  genannten  aseptischen  Maassnahmen 
behufs  Verhütung  von  Zutritt  neuer  Infectionsstoffe. 

2)  Offene  Wundbehandlung  durch  Offenlassen  event.  völlige 
Freilegung  der  Wunde  mitteist  glatter  Schnitte  behufs  Entspannung 
und  Herstellung  eines  ableitenden  Flüssigkeitsstromes. 

3)  Häufige  Umschläge  bei  offenen  oder  Spülungen  bei 
tiefen  Wunden  mit  entwicklungshemmenden  leichten  Antiseptica  zur 
Beseitigung  jeder  sich  ansammelnden  Flüssigkeit. 

4)  Beschränkung  der  Zersetzung  in  nekrotischen  Geweben  der 
Wundoberfläche  durch  Betupfen  mit  Alkohol  oder  anderen  schrumpfen- 
den Mitteln,  durch  Aufstreuen  trockener  Pulver  (wie  Jodoform,  Xero- 
form, Wismuth  etc.)  oder  durch  antiseptische  Tamponade  bei  tiefen 
Wunden  mittelst  steriler  Gaze,  in  welche  jene  Pulver  eingerieben  sind. 


D.  Die  Wahl  der  Sehnittriehtung. 

Zur  Zeit,  als  man  die  Patienten  nicht  narkotisiren  und  die  Wunde 
nicht  vor  Infection  bewahren  konnte,  hatte  es  einen  guten  Sinn,  die 
Incisionen  so  anzulegen,  dass  sie  sich  möglichst  rasch  ausführen 
Hessen,  in  ihrer  Ausdehnung  möglichst  beschränkt  wurden  und  guten 
Abfluss  der  Wundsecrete  der  Schwere  nach  sicherten. 

Letzterer  Indication  kann  man  gegenwärtig  durch  eigene,  ganz 
kleine  Incisionen  zur  Einführung  der  Drainröhren  völlig  gerecht  werden. 
Dagegen  sieht  man  noch  jetzt  in  gewissen  Operationscursen  den 
Studenten  bei  Arterienunterbindung  Anleitung  geben,  von  mög- 
lichst kurzen  Hautschnitten  aus  eine  Arterie  zu  finden.  Solches  Vor- 
gehen hat  keine  Berechtigung  mehr.  Den  wahren  Chirurgen  erkennt 
man  daran,  dass  er  die  Haut  in  ergiebiger  Ausdehnung 
spaltet,  aber  in  der  Tiefe  der  Wunde  möglichst  sorgfältig  und 
schonend  vorgeht.  Ein  grosser  Hautschnitt  ist  keine  nennenswerthe 
Mehrverletzung  gegenüber  einem  kleinen,  denn  eine  exacte  Naht 
bringt  ihn  ebenso  rasch  und  ebenso  sicher  und  schön  zur  Verheilung, 
wie  letzteren.  Aber  auch  die  Ausdehnung  der  zurückbleibenden 
Narbe  ist  bedeutungslos,  vorausgesetzt,  dass  dieselbe  in  die  zweck- 
mässige Richtung  fällt!  Damit  kommen  wir  auf  denjenigen  Punkt, 
den  wir  seit  Jahren  als  den  entscheidenden  festhalten  bei  der  An- 
lage der  Schnitte. 

Nach  den  Untersuchungen  von  Langer  über  die  Spaltrichtungen 
der  Haut  ist  die  Spannung  der  Haut  nach  verschiedenen  Richtungen 
eine  sehr  verschiedene,  und  zwei  auf  einander  senkrechte  Incisionen 
zeigen    eine    sehr   verschieden    starke   Retraction    der  Wundränder: 


Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.     IV.  Auflage. 


Zu  Seite  ■ju  und  7 1 


Fig.  1. 


Fig.  2. 


Fig.  3. 


Fig.  4. 


V 


Fig.  I.    Coriumfaserung,  dargestellt  durch  den  Verlauf  der  Stich- 
spalten, an   der  Hinterfläche   des  Rumpfes.    Verkleinerte  Copie 
nach  Langer. 


Fig.  2.  Coriumfaserung.  dargestellt  durch  den  Verlauf 
der  Stichspalten,  von  der  Vorderfläche.  Links  sind  die 
Verhältnisse  gezeichnet,  wie  sie  bei  einem  Erwachsenen, 
rechts  so  wie  sie  bei  einem  Neugeborenen  gefunden 
wurden.     Verkleinerte  Copie  nach  Langer. 


Fig.  3-  Cutisfaserung, 
dargestellt  durch  die  Me- 
thode der  Stichspalten, 
an  der  Vorderfläche  des 
Armes.  Verkleinerte 
Copie  nach  Langer. 


Fig.  4.  Cutisfaserung. 
dargestellt  durch  die  Me- 
thode der  Stichspalten, 
von     der     Hinterfläche. 

Verkleinerte  Copie   nach 

Langer 


Aus    „Handbuch   der   Anatomie   des   Mensrhon",    herausgegeben    von    Professor    Karl    VON    BARDELEBEN. 
Bd.  V,  Abth.  1:  VON  Brunn,  Haut  (Integumentum  commune).    Verlag  von  Gustav  Fischer  in  Jena. 


Die  Wahl  der  Schnittrichtung. 


7i 


cccOO  (c/££ü 


Fig.  5 
dient  wie  die  Fig.  6,  7, 
8,  9  zur  Illustration  des 
Verhaltens  guter  Schnitte 
behufs  Einlegung  von 
Drainröhren  (mit  von 
selbst  sich  linear  an  ein- 
ander legenden  Wund- 
rändern) im  Gegensatz 
zu  schlechten  (in  Form 
von  ovalen  klaffenden 
Oeffnungen). 


72 


Allgemeines. 


Die  Wahl  der  Schnittrichtung. 


73 


während  die  eine  stark  klafft,  beiben  bei  der  anderen  die  Ränder, 
selbst  ohne  künstliche  Heftmittel,  in  Berührung.  An  diese  Thatsache 
hat  man  sich  bei  der  Wahl  der  Schnittrichtung  zu  halten,  es  sei  denn, 
dass  im  individuellen  Falle  andere  Gründe  bestimmend  wirken.  Denn 
noch  viel  bedeutungsvoller  für  die  Schnittrichtung  ist  der  Verlauf  der 
Gefässe  und  ganz  besonders  der  gröberen  und  feineren  Nervenäste. 
So  wird  man  bei  Incisionen  im  Gesicht  vor  Allem  nach  der  Richtung 
der  Facialisäste  sich  orientiren.  Glücklicher  Weise  fällt  nun  vielfach 
die  Verlaufsrichtung  der  Nerven  und  Gefässe  mit  der  Richtung  zu- 
sammen, in  welcher  die  Haut  stärkere  Spannung  zeigt,  so  dass  der 
der  Spaltrichtung-  angepasste  Hautschnitt  auch  dem  Verlauf  der  wich- 
tigen Nerven  und  Gefässe  entspricht. 


Fig.  7. 


Wir  haben  seit  Jahren  unsere  nicht  durch  Naht  vereinigten 
Schnitte  in  ein  Schema  aufgezeichnet 1),  je  nachdem  sich  dieselben 
beim  Verbandwechsel  als  klaffend  oder  geschlossen  darstellten,  und 
zwar  haben  wir  hierzu  die  neben  den  genähten  Hautwunden  an- 
gelegten Drainöffnungen  benutzt.  Wenn  nach  24  Stunden  die  Drain- 
röhre und  nach  2  X  24  Stunden  die  Nähte  der  Haupt  wunde  entfernt 
werden,  so  hat  man  Gelegenheit,  nach  jeder  Operation  über  das  Ver- 
halten kleiner,  nicht  durch  Naht  vereinigter  Hautwunden  sich  Klarheit 
zu  verschaffen.  Wir  geben  in  Folgendem  das  Resultat  dieser  Auf- 
zeichnungen wieder,  indem  wir  die  LANGER'schen  Linien  über  die 
Spaltrichtungen  der  menschlichen  Haut  gleichzeitig  angeben  (nach 
Heitzmann). 

In  den  Fig.  5,  6,  7,  8  und  9  sind  diejenigen  Drainöffnungen, 
welche  sich  nach  Entfernung  der  Drainröhre  spontan  zusammen- 
legten, durch  einen  einfachen  Strich,  diejenigen  dagegen,  bei  welchen 


1)  Die  betreffenden  Figuren  und  die  grosse  Mehrzahl  der  Einzeichnungen 
sind  von  Dr.  E.  Lardy,  gew.  Chefchirurg  am  französischen  Spital  in  Con- 
stantinopel,  jetzt  in  Genf,  gemacht. 


74 


Allgemeines. 


die  Oeffnungen  klaffend  blieben,  durch  eine  spindelförmige  Figur 
als  klaffend  angegeben.  Es  ist  aus  Fig.  5  ersichtlich,  welche  grosse 
Uebereinstimmung  herrscht  zwischen  den  guten  Schnittrichtungen  und 
den  LANGER'schen  Spaltlinien,  wie  ja  auch  a  priori  zu  erwarten  stand. 
Nachdem  dieses  einmal  festgestellt  war,  haben  wir  auch  für  die 
langen  Schnitte  mehr  und  mehr  die  Richtung  der  Spaltlinien  der 
Haut  bevorzugt  und  haben  uns  überzeugt,  dass  der  Unterschied  in 
der  Narbenbildung  bei  Schnitten  in  oder  entgegen  der  Spaltrichtung 
ein  so  bedeutender  ist,  dass  es  angezeigt  erscheint,   für  jede  Körper- 


A.  u.  N.  supraorbitalis 


N.  infraorbitalis 


Paramediane  Nasenspaltung  r- 


N.  mentalis 


Sinus  frontalis 

Resectio  maxillae  sup. 
Querer  Wangenschnitt 

Resectio  mandibulae 

Pharyngotomia.  subhyoidea 
Carotis  communis 
Excisio  strumae 
A.  subclavia 


Fiff.    IO. 


region  Normals chnitte  anzugeben.  Dieselben  zeigen  für  die  be- 
treffende Körperstelle  die  Spaltrichtung  der  Haut  an  und  sind  zugleich 
so  angelegt,  dass  dem  Verlaufe  wichtiger,  oberflächlicher  Nerven 
und  Gefässe  Rechnung  getragen  ist.  Wir  haben  uns  bei  den  hier 
so  häufigen  Kropfoperationen  überzeugt,  dass  die  Narben  im  Verlauf 
der  Zeit  nach  solchen  Normalschnitten  so  fein  werden,  dass  man 
geradezu  Mühe  hat,  sie  zu  erkennen,  während  Narben  in  Folge  anders 
gerichteter  Schnitte  gerade  am  Halse  durch  Verkürzung  und  Falten- 
erhebung oft  nachträglich  recht  entstellend  werden  können. 

Wir  haben  deshalb  Schemata  mit  Einzeichnung  unserer  Normal- 
schnitte beigefügt  (vergl.  Fig.  10,  11,  12,  13,  14.  15,  16,  17,  18).  Aller- 
dings   beziehen    sich  dieselben  wesentlich  auf  die  grossen  Incisionen, 


Die  Wahl  der  Schnittrichtung:. 


75 


wie  sie  |an  Kopf,  Hals,  Rumpf  und  den  Gelenkgegenden  gemacht 
werden  Für  die  übrigen,  speciell  die  interarticulären  Abschnitte  der 
Extremitäten  haben  wir  der  Einfachheit  halber  wo  es  sich  um  kürzere 
Schnitte  handelt  (bei  Ligaturen  und  Nervenfreilegung),  die  geraden 
Incisionen  m  Längsrichtung  beibehalten.  Ein  Blick  auf  die  Figuren 
lehrt  übrigens,  dass  ein  Theil  dieser  Längsincisionen  mit  den  Spaltungs- 
linien der  Haut  ebenfalls  zusammenfällt. 


Trigeminus  III) 
A.  meningea  media/ 

Resectio  maxillae) 
sup.  / 


Excisio  linguae 

N.  mentalis 
A.  maxillaris  ext. 

A.  thyreoidea  sup. 

A.  carotis  communis 

A.  vertebralis        1 
A.  thyreoidea  inf.J 


fAntrum  mastoideum 
\  Sinus  transversus 
lAbscessus  cerebri 


(A.  occipitalis 
\Cerebellum 
fPharyngotomia    late- 
■I  ralis    und    Abscessus 
<■       praevertebralis 

A.  carotis  ext.  und 
Aeste 

Excisio  linguae 


N.  accessorius 

N.  cutaneus  colli 

N.  auricularis  magnus 


Fig.  II  »). 


Es  braucht  kaum  erwähnt  zu  werden,  dass  wir  zu  den  Normal- 
schnitten alle  in  die  Medianlinie  des  Körpers  gelegten  Längsschnitte 
rechnen,  also  alle  die  Schnitte,  welche  der  senkrechten  Linie  vom 
Scheitel  zur  Symplryse,  über  den  Damm  nach  dem  Anus  und  hinten 
bis  zum  Scheitel  herauf  entsprechen. 


i)  Für  die  Freilegung  des  Cerebellum  ist  der  Schnitt  höher  anzulegen 
und  zwar  in  der  Höhe  der  Linea  semicircularis  superior  unter  Zufügung  eines 
medianen  Schnittes  im  Nacken  abwärts,  event.  des  unteren  Theiles  des  Ohr- 
muschelschnittes. 


76 


Allgemeines. 


Bei  den  Amputationen  kommt  eine  Wiedervereinigung  natürlich 
zusammengehöriger  Hauttheile  nicht  in  Betracht.     Doch  erscheint  es 


Laryngectomia 
Carotis  communis 

Tracheotomia  inferior 


A.  subclavia 

{Resectio  humeri 
anterior 
mammaria 
interna 


—     Resectio  costae 


A.  circumfiexa  ilii\ 

Abscessus  iliacus  / 


A.  iliaca  externa 


JA.  epigastrica  inferior 
\Colostomia  (S  romani) 


Herniotomia  inguinalis 
Cystotomia  suprapubica 


Fig.    I21). 


i)  Die  Schnitte  zur  Cholecystotomie  und  Gastrostomie  entsprechen  seg- 
mentären  Schnitten  nicht.  Wir  machen  die  Gastrostomie  jetzt  stets  mit  senk- 
rechtem Schnitt  auf  dem  linken  Rectus  abdominis,  wie  Mayo  ROBSON  auch  den 
senkrechten  Schnitt  am  rechten  Rectusrand  für  die  Cholecystotomie  benutzt. 


Die  Wahl  der  Schnittrichtune:. 


77 


auch  hier  von  Vortheil,  sich  einigermaassen  an  die  Spaltrichtung  der 
Haut  zu  halten  im  Interesse  geringerer  Retraction  der  Lappen. 


A.  occipitalis 


A.  circumflexa  \ 
posterior]]    f 


N.  radialis  1 

A.  profunda  brachii/ 


Resectio  cubiti 

N.  ulnaris 

l       N.  radialis 
(Ramus  profundus) 


Resectio  manus 


Resectio  humeri  posterior 
A.  circumflexa  humeri  post. 
und  N.  circumflexus 

N.  radialis  u.  A. 
profunda  brachii 


A.  glutaea  superior 
f        Resectio  recti 
\  (Sectio  parasacralis) 

A.  glutaea  inferior  und 
N.  ischiadicus 


Fig.  13- 

Wie  gut  sich  die  speciell  von  uns  empfohlenen  Schrägschnitte 
für  :die  Amputationen  den  Spaltungsrichtungen  der  Haut  anpassen, 
ist  aus  den  Figuren  ohne  Weiteres  ersichtlich. 


Allgemeines. 


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Die  Wahl  der  Schnittrichtung. 


79 


N.  cutaneus  femoris  ext 


A.  femoralis  communis 
A.  circumflexa  fe- 
moris ext.  et  pro- 
funda femoris 

N.  cruralis 


A.  profunda  femoris 


A.  poplitea 

A.  articularis  genu 

suprema  und 
N.  saphenus 


A.  iliaca  externa 
N.  cruralis 


A.  circumflexa 
femoris  int.i 
N.  und  A.  obtu- 
iratoria 


A.  femoralis 


f        A.  femoralis 
(.(Adductorenschlitz) 


Resectio  genu 


A.  tibialis  antica 


i)  Für  die  Resectio  genu  benutzen  wir  jetzt  ausschliesslich  den  lateralen 
Bogenschnitt  (vergl.  das  betr.  Capitel). 


8o 


Allgemeines. 


N.  ischiadicus 


-N.  ischiadicus 


N.  peroneus  u.  N.  suralis  lat. 


N.  peroneus 


N.  popliteus 


A.  poplitea 


Truncus  tibio-peroneus 


{Vena  saphena  minor  und 
N.  suralis  medius 


.::,siOki, 


Fig.  16. 


Die  Wahl  der  Schnittrichtung:. 


f  A.  tibialis 
i  postica  und 
l N.  saphenus 


A.  tibialis  postica 


A.  plantaris  int. 
und  ext. 


Fig.  17. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl. 


Allgemeines. 


N.  peroneus  super- 
ficialis 


A.  peronea 


N.  saphenus  externus 
Resectio  pedis 


^»ijff,^ 


Fig.  18. 


Die  Wahl  der  Schnittrichtung.  83 

Obigen  Bemerkungen  in  der  3.  Auflage  dieses  Buches  haben  wir 
folgendes  hinzuzufügen : 

Es  scheint  uns  Aussicht  zu  haben,  dass  man  für  die  Anlage 
richtiger  Schnitte  ein  Gesetz  wird  formuliren  können,  dahin  gehend, 
dass  neben  den  leicht  verständlichen  medianen  Schnitten,  welche 
man  als  symmetrische  bezeichnen  könnte,  weil  sie  den  Körper  in 
symmetrische  Abschnitte  zerlegen,  oder  als  Hälfteschnitte,  da  sie 
stets  eine  Halbirung  bewerkstelligen,  segmentäre  Schnitt- 
führung denjenigen  Spaltrichtungen  entspricht,  in  welchen  die  ge- 
ringste Verletzung  bewirkt  wird  bei  Eindringen  des  Messers  in  die 
Tiefe  des  menschlichen  Körpers. 

An  Thorax  und  Abdomen  ist  dies  ohne  Weiteres  ersichtlich,  da 
ja  hier  Nerven  und  Gefässe  quer  mit  immer  schrägen  abwärts  ge- 
richtetem Verlauf  angeordnet  sind.  Und  es  ist  hier  sicher,  dass  die 
grössten  Schnitte,  welche  man  hier  in  der  gegebenen  Richtung  an- 
legt, viel  leichter  und  mit  weniger  Functionsstörung  heilen,  als  alle 
anderen  seitlich  von  der  Medianlinie  des  Körpers  angelegten 
Trennungen.  Dass  man  dabei  Muskelfasern  und  Venen,  die  in 
schräg  aufwärts  gehenden  und  senkrechten  Richtungen  verlaufen, 
trennen  muss,  ist,  selbstverständlich.  Riedel  hat  dies  meiner  queren 
Schnittführung  am  Halse  zum  Vorwurf  gemacht,  völlig  mit  Unrecht. 
Diese  Trennung  von  kleineren  subcutanen  Nerven  hat  gar  keine  Be- 
deutung, so  wenig  wie  die  Trennung  von  Zweigen  einzelner  Hautnerven 
oder  von  Muskelfasern   irgend   einen  nennenswerthen  Nachtheil  hat. 

Es  kommt  im  Gegentheil  Alles  darauf  an,  die  Nervenstämme 
und  ihre  Zweige  zu  den  Muskeln  zu  schonen ;  sobald  dies  geschieht, 
contrahiren  sich  auch  gespaltene  Muskeln  und  solche  mit  künstlichen 
Narben-Inscriptionen  ganz  gut.  Was  nützt  es  aber,  wenn  ich  eine 
Muskeldurchschneidung  vermeide  und  lädire  den  zugehörigen  moto- 
rischen Ast?  Wenn  man  Muskeln  trennt,  so  muss  man  sie  nur  so 
trennen,  dass  keiner  der  beiden  getrennten  Theile  seiner  Nerven  be- 
raubt wird,  nur  dadurch  könnte  Schaden  entstehen.  Quervain  (und 
KüTTNER)  haben  für  den  Hals  die  Normalschnitte  in  sehr  glück- 
licher Weise  am  Halse  weiter  ausgebaut,  insofern  als  sie  ganz  ähn- 
lich, wie  ich  dies  für  die  Resectionen  der  Gelenke  beschrieben  habe, 
die  Schnitte  nicht  bloss  durch  die  Haut  dringen,  sondern  auch  die 
Muskeln  gelöst  werden  unter  Bildung  grosser  Hautmuskellappen, 
deren  Nerven  erhalten  sind.  Uebrigens  hat  man  sich  ja  am  Abdomen 
nach  Vorgang  von  Mc  PROVARY  u.  A.  überzeugt,  dass  man  durch 
stumpfes  Eingehen  zwischen  den  Muskelfasern  und  kräftiges  Aus- 
einanderziehen die  Muskelschnitte  vermeiden  kann. 

Für  die  grösseren  arteriellen  Gefässe  gilt  dasselbe.  Sie  zeigen 
ähnliche  segmentäre  Anordnung  und  werden  durch  die  medianen  und 
segmentären  Schnitte  am  besten  geschont. 


8a  Allgemeines. 

Wer  sich  die  Mühe  nehmen  will,  auf  den  von  mir  zur  segmen- 
tären  Anordnung  der  Rückenmarksnerven  entworfenen  Tafeln  nach- 
zusehen, wie  leicht  sich  der  Grundsatz  segmentärer  Schnitte  auch 
für  die  Extremitäten  ausführen  lässt,  sobald  man  sich  diese  in  die 
abducirte  und  supinirte  Stellung  gebracht  denkt,  welche  sie  in  den 
Anfangsstadien  der  Entwicklung  einnehmen,  der  wird  sich  überzeugen, 
dass  wir  auch  unserem  operativen  Vorgehen  entwicklungsgeschichtliche 
Basis  geben  können. 

Wir  machen  anticipando  darauf  aufmerksam,  wie  tadellos  schöne 
und  functionell  störungslose  Narben  der  quere  Bogenschnitt  am 
Halse  bei  Kropfoperationen  im  Gegensatz  zu  den  beliebten  Schräg- 
schnitten, die  Schrägschnitte  am  Abdomen  im  Gegensatz  zu  grossen 
Längsincisionen  am  Rectusrand,  die  queren  Axillarsehnitte  im  Gegen- 
satz zu  der  Längsincision  am  Pectoralisrande  aufzuweisen  haben. 

Wer  sich  an  die  Regel  hält,  die  Schnitte  soweit  möglich  median, 
sonst  aber  in  segmentärer  Richtung  anzulegen,  der  kann  unbedenk- 
lich seine  Incisionen  sehr  ergiebig  machen,  um  in  der  Tiefe  um 
so  sauberer  und  genauer  arbeiten  zu  können,  statt  von  zu  kleinen 
Schnitten  aus  stumpf,  wie  es  empfohlen  ist,  Drüsen  herauszuklaubern, 
und  mit  den  Fingern  hereinzuwühlen,  zumal  die  provisorische 
aseptische  Schutztamponade,  welche  Mikulicz  für  das  Abdomen 
zu  einer  besonderen  Methode  erhoben  hat  und  welche  die  tieferen 
Gewebe  trotz  Spaltung  der  Bedeckungen  vor  jeder  Schädigung  mit 
einfachsten  Mitteln  zu  bewahren  vermag,  hat  selbst  für  grosse  Körper- 
höhlen das  letzte  Hinderniss  weggeräumt,  welches  der  Benutzung 
grosser  Hautschnitte  im  Wege  stand.  Dass  man  sich  mit 
diesen  in  der  septischen  Aera  grosse  Beschränkung  auferlegen  musste, 
ist  verständlich  genug. 


Zweiter  Abschnitt. 

Speeielle  Operationslehre. 


E.  Schädeltheil  des  Kopfes. 

a)  Weichtheile. 

Die  Weichtheilbedeckung  am  Schädel  ist  ausgezeichnet  durch 
einen  sehr  grossen  Gefässreichthum,  aber  die  Gefässe  sind  sehr  leicht 
zugänglich  für  die  Unterbindung,  da  sie  in  der  Kopfschwarte,  der 
mit  der  Galea  fest  verbundenen  Haut  und  Unterhaut  verlaufen. 
Die  Arterien  liegen  locker  in  der  Kopfschwarte,  die  Venen  nicht  in 
dem  Maasse,  ziehen  sich  daher  nicht  zurück,  wie  die  Arterien.  Bei 
arteriellen  Blutungen  drückt  man  neben  dem  Wundrand  auf  die 
Haut  und  fast  mit  der  Arterienzange  das  Gefäss;  sollte  dies  selbst 
mit  unserer  Arterienhakenzange  nicht  gelingen,  so  umsticht  man 
dasselbe  neben  der  Wunde  mit  der  Nadel.  Zur  propl^laktischen 
Blutstillung,  wie  sie  z.  B.  von  Doyen  zu  ausgedehnten  Crani- 
ektomien  geübt  wird,  kann  man  die  grösste  Conferenz  des  Kopfes 
mit  einem  elastischen  Schlauch  umschnüren,  der  über  das  Occiput 
oberhalb  der  Ohren  und  Augenbrauen  verläuft. 

Die  Gefässe,  welche  das  Blut  zur  Kopfwölbung  führen,  kommen 
von  der  Stirn,  von  der  Schläfe  und  vom  Hinterhaupt.  Will  man  also 
bei  starken  Blutungen  eine  centrale  Blutstillung  machen,  so  wendet 
man  sich  an  diese  drei  Stellen. 

i)  Arteria  und  Vena  temporalis.  —  Nervus  auriculo- 
temporalis  (tri gemini  III).     (Fig.  19.) 

Der  Finger  fühlt  l/2  cm  vor  dem  Ohr  am  oberen  Rand  des 
Jochbogens  die  Pulsation  der  Arteria  temporalis;  mit  einem  Finger- 
druck   kann   man  sie  hier  bei  Blutung  ihrer  Aeste  comprimiren  und 


Specielle  Operationslehre. 


an  derselben  Stelle  unterbinden.  Man  schneidet  in  senkrechter 
Richtung  i  cm  vor  dem  vorderen  Ende  der  Helix  ein.  Nach 
Spaltung  der  Haut  erscheint  die  Fascie,  und  zwar  das  oberflächliche 
Blatt  der  Galea  aponeurotica.  Hier  geht  die  Arterie  über  den  Joch- 
bogen herüber  und  erscheint  subfascial  an  dessen  oberem  Rande. 


M.   orbicularis\ 

oris  | 

A.  maxillaris) 

externa       ] 


N.alveolaris  inferior 

f  Abgetrennter 
M.  masseter 


Aussenfläche  des  Kiefers 
Angilus  inandibulae 
A.  maxillaris  externa 


Fig.  19.     1.   Ligatur  der  A.  maxillaris   externa.    2.   Ligatur  der  A.  temporalis. 
3.  Trepanation   des  aufsteigenden  Kieferastes  zur  Freilegung  des  N.  alveolaris 

inferior. 


Die  Lage  der  Vena  temporalis  ist  keine  constante,  gewöhn- 
lich parallel  hinter  der  Arterie. 

Wichtiger  ist  der  Nerv,  der  hier  liegt  und  der  die  sensible  Ver- 
sorgung des  Ohres  und  der  Schläfengegend  leistet,  der  Nervus 
auriculo-temporalis  (vergl.  Fig.  ig)  aus  dem  III.  Ast  des  Trige- 


Schädeltheil  des  Kopfes. 


87 


minus.  Er  umschlingt  die  Arterie  von  unten  vorn  nach  hinten  oben 
und  geht  an  ihrer  hinteren  Seite  ihr  parallel  aufwärts.  Will  man  bei 
Neuralgien  den  Nerven  dehnen  oder  freilegen,  so  orientirt  man  sich 
an  'der   Arterie  und   findet   den  Nerven    näher    gegen   das  Ohr  [hin. 


N.  frontalis 


A.  u.  N.  supra- 
orbitalis 


Bf.  orbicularis 


M.  orbicularis\ 

oculi  ) 

Abgetrennterl 

M.  quadratus; 

labii  sup.     J 

N.    infraorbitalis 


Sinus   fron- 
talis 


Fig.  20.     1.   Ligatur   der  A.   supraorbitalis.     Freilegung   des  N.   supraorbitalis. 
2.  N.  infraorbitalis.     3.  Eröffnung  des  Sinus  frontalis. 

Nach  oben  treten  die  Aeste  des  Nerven  und  der  Arterie  in  die  Kopf- 
schwarte selber  ein. 

a)  Arteria  supraorbitalis.  —  Nervus  supraorbitalis,  fron- 
talis und  ethmoidalis  (Fig.  20). 

Die  Hauptarterie   der   Stirne   ist  die  Arteria  supraorbitalis.     Sie 
ist   kleiner    als   die  Arteria   temporalis.     Als  Anhaltspunkt   zu   ihrer 


88  Specielle  Operationslehre. 

Unterbindung  dient  die  fühlbare  Incisura  supraorbitalis ;  hier  tritt  die 
Arterie  in  sagittaler  Richtung  aus  der  Orbita  heraus;  sie  geht  durch 
die  Fasern  des  Orbicularis  vertical  aufwärts  unter  die  Galea.  Man 
macht  den  Schnitt  quer  am  Supraorbitalrand  nach  Abrasiren  der 
Augenbraue  und  schneidet  in  dieser  ein. 

An  derselben  Stelle  befindet  sich  der  Nervus  supraorbitalis. 
Bei  Supraorbitalneuralgie  ist  für  die  Incision  wieder  die  Incisura  supra- 
orbitalis der  beste  Anhaltspunkt,  weil  ganz  bestimmt  präcisirbar  durch 
die  Haut  hindurch.  Der  Nerv  liegt  tiefer,  als  die  Arterie,  unmittelbar 
auf  dem  Periost;  es  ist  nicht  leicht,  den  Nerven  zu  durchtrennen, 
ohne  zugleich  die  Arterie  zu  verletzen.  Der  Schnitt  in  der  Augen- 
braue hat  den  Vortheil,  die  Aeste  des  Facialis  zu  schonen.  Der 
Musculus  orbicularis,  wie  der  Muse,  frontalis  werden  vom  Facialis 
versorgt,  und  zwar  treten  die  betreffenden  Nervenäste  von  der  late- 
ralen Seite  her  in  diese  Muskeln  ein  und  werden  deshalb  bei  dem 
empfohlenen  Querschnitte  nicht  verletzt. 

3)  Der  Nervus  frontalis  liegt  i1/2 — 2  cm  medianwärts  in  der 
Senkrechten  über  dem  inneren  Augenwinkel,  ist  viel  dünner  und 
liegt  oberflächlicher  in  den  Orbicularisfasern,  ziemlich  senkrecht  auf- 
steigend. Zu  seiner  Freilegung  wird  die  innere  Hälfte  des  Augen- 
brauenschnittes benutzt. 

4)  Der  Nervus  ethmoidalis  geht  am  inneren  oberen  Umfang 
der  Augenhöhle  in  die  Schädelhöhle,  welche  er  durch  das  Siebbein 
wieder  verlässt,  um  sich  auf  der  Nasenscheidewand  auszubreiten  und 
mit  seinem  Endast  die  Nasenspitze  zu  versorgen.  Er  ist  ganz  schön 
zu  sehen  und  mit  der  Aneurysmennadel  zu  umgehen,  etwa  2  cm 
hinter  dem  medialen  Ende  des  Supraorbitalrandes.  Man  verlängert 
den  Augenbrauenschnitt  etwas  über  die  Nasenwurzel  abwärts  (unter 
Unterbindung  von  Aesten  der  Arteria  und  Vena  angularis),  spaltet 
das  Periost  und  hebt  dasselbe  (die  Periorbita)  am  inneren  oberen 
Umfang  der  Orbitalhöhle  langsam  rückwärts  ab,  bis  man  den  nach 
dem  Foramen  ethmoidale  anterius  quer  gespannten  Strang  sich  vom 
Orbitaldach  abheben  sieht.  Die  Arteria  ethmoidalis  (aus  der  A.  naso- 
frontalis)  wird  dabei  zerrissen,  die  Blutung  durch  Tamponade  gestillt. 

5)  Arteria  occipitalis.  —  Nervus  occipitalis  major  und 
minor  (Fig.  21). 

Die  Arteria  occipitalis  ist  die  stärkste  der  Kopfarterien.  In  der 
Mitte  zwischen  Spina  occipitalis  und  dem  höchsten  Punkt  des  Pro- 
cessus mastoideus  kommt  die  Arterie  unter  dem  medialen  Rande 
des  Musculus  splenius  hervor  und  wendet  sich  unter  Durchbohrung 
der  Fascie   nach   dem  Hinterhaupte   empor,    wo   sie  unter  der  Galea 


Schädeltheil  des  Kopfes. 


89 


liegt.  An  dem  Punkte,  wo  sie  die  starke  Fascie  durchbohrt,  wird 
das  Gefäss  unterbunden.  Der  Unterbindungsschnitt  verläuft  quer  in 
der  Verbindungslinie  der  oben  erwähnten  Punkte  entlang  der  Linea 
semicircularis  vom  hinteren  unteren  Umfang  des  Processus  mastoideus 
bis  zur  Höhe  des  Cucullariswulstes.  Die  Haut  ist  hier  sehr  dick. 
Man  legt  durch  Spaltung  der  Fascie  den  Hinterrand  des  Muse,  sterno- 
cleidomastoideus  frei,   wobei   man   den    entlang   diesem  Rande  nach 


N.  occipitalis  min. 

M.  sternocleido 

A.  occipitalis 

M.  semispin.  capit 

M.  splenius 
X.    occipitalis  major 

M.  trapezius 


M.  cucullaris 

/M.  splenius 
l       capitis 

{M.  semispina- 
lis   capitis 

l     M.  obliquus 
\capitis   inferior 

|N.  occipitalis 

l        minor 

M.  sternocleido 

M.  longissimus 
capitis 


<=Ä 


Fig.  21.    1.  Lig.  art.  occipitalis.    Freilegung  des  N.  occipitalis  minor.    2.  Nervus 

occipitalis  major. 


dem  Hinterhaupt  emporsteigenden  Nervus  occipitalis  minor 
(aus  dem  3.  Halsnerven)  (Fig.  21)  schont.  Unter  dem  M.  sterno- 
cleidomastoideus  erscheint  der  M.  splenius  capitis  mit  schräg  nach 
vorne  aufsteigenden  Muskelfasern,  an  seinem  Vorderrand  der 
M.  longissimus  capitis.  Der  M.  splenius  wird  in  der  Richtung  des 
Hautschnittes  getrennt,  und  unter  seinem  Ansatz  zeigt  sich  die 
Arterie,  erst  auf  dem  Kopfansatz  des  M.  obliquus  capitis  superior, 
dann  auf  dem  des  M.  semispinalis  capitis  aufruhend. 


Q0  Specielle  Operationslehre. 

Am  medialen  Rand  des  M.  splenius  kann  die  Arterie 
ligirt  werden,  wo  sie  subfascial  in  dem  Winkel  zwischen  hinterem 
Rande  des  M.  sternocleidomastoideus  und  vorderem  Rande  des 
M.  cucullaris  zur  Haut  des  Hinterhauptes  emporsteigt.  Hier  trifft 
mit  ihr,  von  der  medialen  Seite  herkommend,  der  Nervus  occi- 
pitalis  major  zusammen. 

An  ihrem  Ursprung  kann  die  Arteria  occipitalis  mit  dem- 
selben Schnitt,  wie  die  Arteria  carotis  externa,  unterbunden  werden 
(s.  diese).  Sie  tritt  daselbst  unter  die  M.  digastricus  und  stylohyoideus. 
Die  Vena  occipitalis  findet  sich  neben  der  Arterie,  nicht  in  con- 
stanter  Lage. 

6)  Der  Nervus  occipitalis  major  (hinterer  Ast  des  Cervi- 
calis  II)  tritt,  nachdem  er  den  M.  semispinalis  capitis  durchbohrt  hat, 
am  lateralen  Rande  des  M.  cucullaris  an  die  Oberfläche.  Man  findet 
bei  der  Unterbindung  der  Arterie  den  Nerven  meistens  daneben 
medianwärts,  beide  Gebilde  einander  entgegenstrebend. 

Will  man  den  Nerven  weiter  centralwärts  aufsuchen  und 
dehnen  bei  Neuralgien,  so  muss  der  Schnitt  tiefer  gemacht  werden 
(Fig.  20) :  Schnitt  quer  in  der  Höhe  des  stark  vorragenden  gespaltenen 
Dorns  des  Epistropheus  von  der  Medianlinie  lateralwärts.  Im  lateralen 
Winkel  des  Schnittes  erscheint  der  hintere  Rand  des  M.  sternocleido 
und  demselben  entlang  der  N.  occipitalis  minor.  Der  verhältniss- 
mässig  dünne  Cucullaris  wird  durchschnitten,  unter  und  nach  aussen 
von  ihm  wird  der  starke  Splenius  capitis  mit  schräg  aus-  und  auf- 
wärtssteigenden Fasern,  zuletzt  der  gerade  aufsteigende  kräftige 
M.  semispinalis,  getrennt,  bis  der  tiefgelegene  nach  aussen  und  etwas 
aufwärts  aufsteigende  M.  obliquus  capitis  superior  und  inferior  zu 
Tage  tritt.  Auf  letzterem  erscheint  der  starke  Nerv,  welcher  über 
den  lateralen  unteren  Rand  des  Muskels  heraufkommt,  median-  und 
aufwärts  zieht.  An  dieser  Stelle  giebt  der  wesentlich  sensible  Nerv 
noch  motorische  Aeste  zu  den  Nackenmuskeln  ab.  Der  an  dem 
lateralen  Rande  des  M.  semispinalis  schräg  abwärts  ziehende  M.  longus 
capitis  kann  geschont  werden. 

7)  Der  Nervus  occipitalis  minor  aus  dem  III.  Cervicalnerven 
geht,  an  den  Hinterrand  des  M.  sternocleido  herangetreten,  diesem 
Rande  parallel  subfascial  aufwärts  zum  Hinterhaupt,  lateralwärts  vom 
Gebiet  des  Nervus  occipitalis  major  sich  verzweigend.  (Siehe  seine 
Freilegung  bei  Arteria  occipitalis.) 

Der  Schnitt  von  Krause  zur  Trennung  der  Occipitalnerven  bei 
Occipitalneuralgien  ist  folgender:  Er  geht  unter  der  Spina  occipitalis 
nach  aussen  bis  zum  Hinterrand  des  Sternocleido  und  dann  bis  zum 
Niveau  des  Zungenbeins  diesem  entlang  abwärts.  Im  peripheren  Schnitt 


Schädeltheil  des  Kopfes.  qj 

wird  auf  die  Nerven  eingegangen,  einer  nach  dem  anderen  freigelegt 
und  verfolgt  bis  zu  den  tiefen  kleinen  Halsmuskeln.  Er  findet  den 
Occipitalis  I  resp.  Suboccipitalis  mit  seinem  hinteren  Ganglion  lateral- 
wärts  resp.  ausserhalb  des  Wirbelkanals  liegend,  ebenso  auch  das 
Ganglion  des  2.,  des  Occipitalis  major.  Dann  findet  er  ausser  dem  Occ. 
major,  diesem  parallel  (in  seiner  Zeichnung  aber  mehr  medianwärts) 
schräg  über  den  M.  obl.  cap.  major  median  aufwärts  gehend  noch 
einen  Occipitalis  tertius,  der  zum  3.  For.  intervertebrale  geht. 
Die  Hauptsumme  der  Aeste  des  3.  Halsnerven  sucht  er  am 
hinteren  Rande  des  Sternocleido  auf,  hinter  dem  grossen  Gefäss- 
bündel,  das  sammt  Sympathicus  nach  vorn  gezogen  wird,  und  kann 
so  Occipitalis  minor  und  Auricularis  magnus  (vom  Subcutaneus  colli 
spricht  er  nicht)  durchschneiden  oder  dehnen. 

b)  Die  Eröffnung  des  Schädels. 

(Craniotomie,  Craniektomie,  Trepanation.) 

Die  Eröffnung  des  Schädels  ist  eine  der  ältesten  Operationen  und 
neben  phantastischen  Ideen  hat  man  schon  frühzeitig  ganz  gute 
Vorstellungen  über  die  Indicationen  derselben  gehabt.  In  der 
historischen  Zeit  sind  diese  Indicationen  bald  ausserordentlich  weit, 
bald  sehr  enge  gefasst  worden.  Die  Erklärung  dafür,  warum  man 
zu  gewissen  Zeiten  nicht  genug  trepaniren  zu  können  glaubte,  zu 
anderer  Zeit  behaupten  konnte,  man  müsse  selbst  auf  den  Kopf  ge- 
fallen sein,  um  eine  Kopfverletzung  zu  trepaniren,  liegt  ganz  einfach 
in  den  Schwankungen  der  Wundbehandlungsmethoden  überhaupt. 
In  Zeiten,  wo  man  Infectionen,  gleichsam  unbewusst  durch  allerlei 
antiseptische  Balsamica  und  Alkoholica  zu  verhüten  wusste,  war  man 
ebenso  begeistert  von  den  Erfolgen  der  Trepanation,  wie  in  anderen 
Zeiten,  wo  Infection  der  Wunden  an  der  Tagesordnung  war,  ver- 
zweifelt über  den  unglücklichen  Ausgang  jeder  Verletzung  des  Ge- 
hirns und  seiner  Häute. 

Seit  Einführung  der  bewussten  antibakteriellen  Wundbehandlung 
und  zumal  seit  ihrer  vervollkommneten  Ausbildung  in  Form  der  Asepsis 
ist  die  Trepanation,  was  die  Gefahr  der  Infection  anbelangt,  zu  einem 
ebenso  sicheren  Eingriffe  geworden,  wie  jede  andere  operative  Ver- 
letzung. In  Form  der  Trepanation  in  ihrer  altbewährten  Bedeutung 
und  Ausführungsart  ist  dieselbe  eine  ungefährliche  Operation. 

Allein  sobald  man  den  Begriff  der  Trepanation  zu  derjenigen 
der  Cranio-  und  Craniektomie  erweitert,  so  ist  es  nicht  mehr 
gestattet,  sich  so  zuversichtlich  auszusprechen.  Die  Diploe  der  Schädel- 
knochen zeichnet  sich  vor  anderem  Knochenmark  durch  ihren  grossen 
Reichthum  an  Blutgefässen  aus.  Eine  reichliche  Zufuhr  durch  massen- 
hafte kleinste  Arterienästchen    von  aussen  und  innen  und  eine  noch 


02  Specielle  Operationslehre. 

viel  reichere  Verbindung  mit  den  Venen  nach  aussen  und  innen 
(von  den  .Sinus  durae  matris  aus  lässt  sich  die  Diploe  mit  Leichtigkeit  in- 
jiciren  und  ganz  anfüllen  [Cushing])  verbindet  sich  mit  weiten,  zum 
Theil  sinusähnlichen  Venenräumen  im  Knochen  selber,  denen  wie 
bei  anderen  Knochen  nur  noch  in  höherem  Maasse  die  Contractions- 
fähigkeit  abgeht.  Die  Venae  diploicae  können  in  Folge  dessen  zu 
sehr  starken  Blutverlusten  Anlass  geben,  um  so  mehr,  wenn  ein 
erhöhter  Druck  innerhalb  des  Schädels  besteht,  welcher  zu  vermehrter 
Blutfüllung  ausserhalb  führt. 

Die  Blutung  aus  diesen  Venen  lässt  sich  bloss  durch  Compression 
stillen  und  man  verwendet  hierzu  am  besten  sterilisirtes  oder  anti- 
septisches Wachs.  Wo  grössere  Venae  diploicae  durch  das  Operations- 
gebiet laufen,  kann  es  nöthig  sein,  ausserhalb  der  letzteren,  zumal 
ober-  und  unterhalb  mit  einer  Fräse  in  die  Vene  einzubohren,  um 
deren  Lumen  mit  einem  Wachspfropf  tamponiren  zu  können.  In 
Fällen,  wo  stärkere  Blutungen  zu  erwarten  sind,  ist  auch  die  prä- 
liminare Ligatur  der  Carotis  externa  in  Betracht  zu  ziehen.  Die 
Gefahr  stärkeren  Blutverlustes  ist  nur  mit  ausgedehnten  Craniektomien 
verbunden.  Es  ist  deshalb  angezeigt,  als  Normalverfahren  die 
umschriebene  partielle  Craniektomie  auszuführen. 

8)  Craniektomia  partialis  circumscripta. 

Was  zunächst  die  Narkose  anlangt,  so  ist  bei  eingenommenen 
Sensorium  stets,  bei  Störungen  der  Herzthätigkeit  und  Respiration  in 
Folge  Hirnläsion  als  Regel  eine  Allgemein narkose  zu  vermeiden.  Man 
kommt  mit  Cocaininjection  in  die  Haut,  in  das  Periost  und  nach  Ent- 
fernung der  Knochen  mit  Cocainbetupfung  der  Dura  ganz  gut  aus. 
Muss  narkotisirt  werden ,  so  ist  nach  HORSLEY  eine  vorgängige 
Morphiumgabe  und  danach  Chloroform  in  kleinen  Dosen  vorzuziehen, 
weil  es  weniger  erregend  auf  das  Gehirn  wirkt  und  die  Blutung  geringer 
ist.  Der  Schnitt  durch  die  Haut  bis  auf  den  Knochen  unter  Spaltung 
des  Periostes  wird  in  senkrechter  Richtung  und  ergiebig  gemacht,  um 
eine  grössere  Fläche  des  Schädels  übersehen  zu  können,  besonders 
um  nach  den  Trepanationsstellen  hinziehende  Venen  zu  sehen. 

Die  Blutung  aus  den  äusseren  Weichtheilen  und  die  Knochen- 
blutung, soweit  der  Knochen  von  den  äusseren  Gefässen  gespeist 
wird,  kann  sehr  gut  prophylaktisch  gestillt  werden  durch  Anlegung 
eines  elastischen  Bandes  um  den  grössten  Horizontaldurchmesser  des 
Schädels  (Fig.  22).  Bluten  in  den  Wundrändern  dann  noch  einige 
Venen,  so  legt  man  eine  KoCHER'sche  Arterienklemme  an,  die  mit 
ihren  Zähnen  selbst  in  der  derben  Schädelhaut  sehr  festliegt. 

Bevor  man  den  Trepan  aufsetzt,  wird  dicht  neben  der  zu  er- 
öffnenden Stelle  mittelst  eines  Perforators,  am  besten  mittelst  der 
KüMMELL-SuDECK'schen  Fräse   ein  Probeloch  gebohrt,  um  sich  ein 


Schädeltheil  des  Kopfes.  q? 

Urtheil  zu  verschaffen  über  Härte,  Dicke  und  Blutreichthum  des 
Knochens.  Das  Loch  hat  den  grossen  Vortheil,  dass  man  von  hier 
aus  mittelst  einer  schneidenden  Zange  den  bis  auf  die  Vitrea  ge- 
drungenen Sägeschnitt  vervollständigen  und  ein  Elevatorium  einsetzen 
kann  unter  die  Knochenscheibe,  um  sie  herauszuhebein. 

Nunmehr  wird  der  Bogentrepan  aufgesetzt  und  eine  Rinne  bis  zur 
Vitrea  durchgesägt.  Die  Vitrea  kann  zum  Theil  mit  der  schneidenden 
Zange  getrennt,  zum  Theil  durch  die  eben  erwähnte  Hebelbewegung 
mit  einem  kräftigen  Elevatorium  gesprengt  werden.  Die  Ränder 
werden  mit  der  Kneifzange  geglättet.  Stärkere  Knochenblutung 
wird  durch  Aufdrücken  carbolisirten  sterilisirten  Wachses  ofestillt. 


äf 


Fig.  22.    Die  Figur  zeigt   die  Umlegung   des   elastischen  Schlauches  um   den 
Schädel,  der  gleichzeitig  ein  sterilisirtes  Kopftuch  zur  Bedeckung  befestigt. 

Wird  die  Blutung  bei  Versuch  der  Trepanation  sofort  sehr  be- 
trächtlich, so  ist  es  besser  nach  Aufdrücken  von  Wachs  im  ganzen 
Umkreis  des  zu  entfernenden  Knochenstücks  mit  der  rapide  arbeiten- 
den ;C3dindrischen  Fräse  eine  grosse  Anzahl  perforirender  Löcher  zu 
bohren,  die  sich  mit  Wachs  leicht  zustopfen  lassen  und  dann  mit  einem 
Meissel  rasch  die  Verbindungen  der  Löcher  durchzuschlagen.  Unter 
Umständen  dürfte  es  gerathen  sein,  die  Carotis  externa  zu  unterbinden. 

Die  Dura  wird,  wenn  nöthig,  eröffnet,  indem  man  sie  mit  einem 
feinen  Häkchen  emporhebt,  sehr  sorgfältig  ohne  Läsion  der  weichen 
Häute  einschneidet  und  dann  mit  dem  Messer  bis  nahe  an  den 
Knochenrand  kreuzweise  spaltet  unter  Fassen  der  blutenden  Gefässe. 
Zu  bleibender  Entlastung  wird  sie  abgetragen  oder  über  die  Knochen- 


qa  Specielle  Operationslehre. 

ränder  zurückgeschlagen  und  angenäht  (nach  Beresowsky),  anderen- 
falls werden  die  4  Zipfel  wieder  ohne  Naht  zusammengelegt.  Zur 
Drainage,  wo  Blut  oder  Liquor  cerebrospinalis  abzuleiten  ist,  wird 
ein  feines  gebogenes  Silb erröhr chen  eingelegt  und  so  an  die  Haut 
befestigt,  dass  das  Gehirn  nicht  berührt  wird. 

Die  weiche  Hirnhaut  soll  sorgfältig  geschont  werden,  wenn  nicht 
die  Hirnsubstanz  blossgelegt  werden  muss,  weil  nach  Beresowsky 
dieselbe  gegen  adhäsive  Entzündung  der  Hirnrinde  den  Hauptschutz 
bildet. 

Die  Haut  wird  mit  fortlaufender  und  ziemlich  stramm  gezogener 
Seidennaht  geschlossen,  welche  auch  die  Galea  mitfassen  muss,  um 
nachträgliche  Blutungen  aus  den  Wundrändern  zu  verhüten. 

In  der  geschilderten  Form  ist  die  aseptische  Tre- 
panation eine  ungefährliche  Operation  und  man  sollte 
glauben,  dass  die  Ausbildung  der  Hirnlocalisation  dazu  beigetragen 
hätte,  diese  umschriebene  Schädeleröffhung  noch  mehr  zum  Normal- 
verfahren zu  machen.  Dies  ist  nun  gar  nicht  der  Fall,  obschon  wir 
jetzt  in  der  Lage  sind,  eine  Anzahl  genau  umschriebener  Herd- 
erkrankungen des  Gehirns  sehr  frühzeitig  zu  erkennen  und  mit  einer 
beschränkten  Trepanation  den  kranken  Herd  freizulegen. 

9)  Cranio-cerebrale  Topographie. 

Um  auf  eine  bestimmte  Stelle  der  Hirnoberfläche  mittelst 
Trepanation  eingehen  zu  können,  muss  man  dieselbe  mit  einem  ge- 
wissen Grade  von  Genauigkeit  auf  die  Schädeloberfläche  projiciren 
können.  Wir  können  noch  nicht  für  alle  Rindenfelder  die  bestimmte 
Function  angeben.  Deshalb  ist  es  zunächst  am  werth vollsten,  die- 
jenigen Stellen  genauer  projiciren  zu  können,  in  deren  nächster  Um- 
gebung sich  die  Hauptfoci  bekannter  Function  gruppiren. 

Man  nimmt  bis  jetzt  fast  ausnahmslos  an,  dass  es  die  RoLANDO'sche 
und  Sylvische  Furche  sei,  deren  Kenntniss  uns  für  die  Topographie 
der  Hirnoberfläche  den  meisten  Nutzen  biete.  Wir  halten  dies  für 
zum  Theil  unrichtig.  Um  das  darzuthun,  geben  wir  in  folgender 
Figur  in  eine  linke  Hemisphäre  eingezeichnet  diejenigen  Foci  wieder, 
über  deren  Localisation  wir  am  genauesten  orientirt  sind.  Und  zwar 
ist  die  Einschreibung  so  gestaltet,  dass  diejenigen  Punkte,  welche 
auch  für  den  Menschen  von  Horsley  völlig  gesichert  betrachtet 
werden,  mit  schwarzer  Tinte  eingetragen  sind,  die  übrigen  Centren 
dagegen,  welche  zum  Theil  nicht  über  jeden  Zweifel  erhaben,  zum 
Theil  nicht  genau  begrenzt  sind,  mit  rother  Tinte  bezeichnet  sind. 

Es  geht  aus  dieser  Figur,  deren  Hirnoberfläche  nach  der  Natur 
von  unserem  Zeichner  aufgenommen  ist,  mit  aller  Klarheit  hervor, 
dass  sich  die  grosse  Mehrzahl  bekannter  Centren  um  die  Präcentral- 
furche    gruppiren ,    d.  h.    im    Gyrus   centralis    anterior   in    seiner 


Schädeltheil  des  Kopfes. 


95 


ganzen  Länge  und  im  Fuss  der  3  Stirn  Windungen  liegen.  Die  Prä- 
centralfurche  ist  demgemäss  unbedingt  besser  geeignet  zu  genauer 
Localisation  der  motorischen  Rindenfelder  als  die  RoLANDO'sche 
Furche,  und  dieses  um  so  mehr,  als  in  dieselbe  die  obere  und  mittlere 
Stirnfurche   von    vorneher  einmünden  und  2  sehr  genaue  Punkte  er- 


Coniralaterale 
HopFdnehung^  £f 


Hand 

Finger: 
ZeigFingefi 


Contrglat 

Kop£-  u 

Auqendrehung, 

r       f      Daueren:  Daumen.^ 
Contra'\cfi/uss  CMtim 
lat.        Jrtgrera/erUdfy!  j*S 

/lugendrehuncf.  Hebung  d.  Ik 

i  Mundwinkels J  '  I 

^^. ,      iMundwinjiBl- 
l  rück 


pttüfte. 

Schulten 


Fig.  23.    Die  Figur  zeigt  die  auch  für  den  Menschen  (nach  Horsley)  gesicherten 

Rindenfelder  schwarz  eingezeichnet,    die  weniger  sicheren  resp.  weniger  sicher 

begrenzbaren  roth  eingezeichnet.     Man  ersieht  aus  derselben  die  maassgebende 

Bedeutung  der  Präcentralfurche. 


geben,  um  die  Höhe  der  verschiedenen  Centren  zu  präcisiren.  Es  liegt 
also  im  Interesse  der  cranio-centralen  Topographie,  in  erster  Linie 
die  Präcentralfurche  genau  bestimmen  zu  können. 

Die   Sylvische   Furche  hat  insofern  eine  grosse  Bedeutung 
als   sie   nach   vornhin   den  Fuss   der  vorderen  Centralwindung   nach 


96 


Specielle  Operationslehre. 


unten  abgrenzt,  in  welchem  eine  Anzahl  Centren  liegen ;  ferner,  däss 
sie  rückwärts  die  obere  Grenze  bildet  für  die  erste  Schläfenwindung, 
welche  der  Hauptsitz  ist  des  sensorischen  Sprachgebietes. 

Weniger  Werth  ist  vorläufig  darauf  zu  legen,  dass  die  nach  oben 
verlängerte  Präcentralfurche  auf  der  medialen  Fläche  des  Gehirns  auch 
noch  die  ungefähre  Lage  der  Rindenfelder  für  die  Rumpfmusculatur 
bezeichnet,  und  dass  es  Interesse  hat,  den  Schläfenlappen  zumal  an 
seiner  Spitze  topographisch  bestimmt  zu  sehen  durch  die  Sylvische 
Furche,  weil  auf  der  medialen  Fläche  Geruch  und  Geschmackcentren 
ihre  Localisations  haben  und  zum  Theil  auch  die  Tastempfindung. 
Fig.  24  giebt  über  diese  Verhältnisse  genügenden  Aufschluss. 


Fig.  24.    Die  Centren  auf  der  medialen  Fläche  des  Gehirns  nach  HORSLEY. 


Es  bleibt  noch  die  Bestimmung  der  Sehregion  übrig,  weil  Seh- 
störungen öfter  sehr  gute  Anhaltspunkte  bilden,  zumal  in  der  Form 
der  Hemianopsie,  um  die  Stelle  einer  Hirnläsion  zu  bezeichnen.  Die 
Sehfunction  hat  in  der  Hirnrinde  des  Occipitallappens  eine  sehr  aus- 
gedehnte Repräsentation  sowohl  auf  dessen  lateraler  als  medialer 
Fläche,  und  es  genügt,  die  Grenzen  des  Occipitallappens  mit  einer 
gewissen  Sicherheit  bestimmen  zu  können,  nämlich  nach  oben  den 
Sulcus  parieto-occipitalis,  welcher  1  cm  über  der  Spitze  der  Lambda- 
naht  liegt,  den  hinteren  Pol  über  der  Protuberantia  occipitalis  externa 
und  die  Grenze  gegen  den  Temporallappen. 

Allen  diesen  Indicationen  glauben  wir  durch  Vervollkommnung 
unseres  Craniometers  genügen  zu  können.  Fig.  25  giebt  das  In- 
strument   wieder,    wie    wir    es  jetzt  benutzen.     Es  besteht  aus   ver- 


Schädeltheil  des  Kopfes. 


97 


nickelten  biegsamen  Stahlspangen  mit  Millimetereintheilung,  deren  eine 
quer  über  dem  Ansatz  der  Ohrmuscheln  um  den  Aequator  des  Kopfes 
herumgelegt  wird  von  der  Glabella  bis  zur  Protuberantia  occipitalis 
externa  und  durch  Schrauben  fest  am  Kopfe  fixirt  werden  kann.  Eine 
zweite  Spange  senkrecht  und  im  rechten  Winkel  fest  mit  ersterer  ver- 
bunden geht  sagittal  über  die  Mittellinie  des  Schädels  von  der  Protub. 
occip.  ext.  zur  Glabella.  Auf  dieser  Spange  läuft  eine  verschiebliche 
3.  Spange,  welche  drehbar  ist  und  in  beliebigen  Winkel  gestellt 
werden    kann   zur  sagittalen  Spange.     Endlich   geht   eine   4.   an  der 


Fig.  25.    Unser   Craniometer   zur  Bestimmung   der  wichtigsten  „Centren"   der 
Hirnoberfläche,  aus  biegsamen,  in  Centimeter  eingetheilten  dünnen  Metallstäben, 

mit  Schrauben  fixirbar. 


Glabella  aufwärts  drehbare  Spange  von  letzterer  schräg  aufwärts 
zur  Spitze  der  Lambdanaht.  Dies  ist  die  von  Poirier  nicht  ganz 
zutreffend  als  Linea  Sylvica  bezeichnete  Linie.  Ich  bezeichne  sie 
hier  als  Linea  temporalis  I,  weil  sie  vorn  den  oberen  Rand  des 
ersten  Temporallappens,  hinten  den  unteren  Rand  desselben  anzeigt, 
also  bloss  vorn  mit  der  Sylvischen  Furche  zusammenfällt. 

In  Fig.  26  sind  die  Linien  gezeichnet,  welche  unser  Apparat 
auf  jeden  Kopf  rasch  und  leicht  aufzeichnen  lässt.  Ist  die  beweg- 
liche Meridianspange  in  der  Mitte  zwischen  Glabella  und  Protuberantia 
occipitalis  eingestellt  und  in  einen  Winkel  von  60  °  nach  vornhin  ge- 

K  och  er,  Chirurgische  Operationslehre.     IV.  Aufl.  >j 


98 


Specielle  Operationslehre. 


dreht,  so  bezeichnet  sie  die  Präcentralf urche  und  ich  nenne  deshalb 
diese  Linie  die  Linea  praecentralis.  Wenn  man  sie  von  oben 
her  bis  zur  Aequatorlinie  in  3  Theile  theilt,  so  erhält  man  sehr  genau 
die  zwei  Einmündungssteilen  der  Sulci  frontales. 


Kreuzung  des  Sulcus  front,  sup. 
mit  Sulcus  praecentr. 


(Scheitelpunkt) 


Kreuzung  des  Sulcus  front,  inf. 
mit  Sulcus  praecentr. 


praecen 
tralis     / 


Linea  naso-occipitali 

verticalis 

(Sagittalmeridian) 


Linea  limitans 


NL  =  Linea 
naso-lambdoidea 


NO  =  Linea  naso- 

occipitalis  horizontalis 

(Aequatorlinie) 


Fig.  26  zeigt  die  durch  unseren  Apparat  auf  den  Schädel  aufgezeichneten 
Linien  und  giebt  die  denselben  entsprechenden  Rindenfelder  an.  NO  durch 
Nasion  und  Spina  occipitalis  giebt  die  horizontale  Aequatoriallinie  und  die 
sagittale  Meridianlinie.  Pr  Präcentrallinie.  Li  Linea  limitans  zwischen  Lobus 
angularis  und  supramarginalis  oben  und  Lobus  temporalis  und  occipitalis  unten. 
NL  Linie  zwischen  Nasion  und  Lambda  giebt  die  Linea  temporalis  I  zwischen 
Pr  und  Li  an.  Die  motorische  Rindenregion  ist  gekreuzt,  die  Sprachregion 
einfach  gestrichelt  schraffirt,  die  Sehregion  punktirt. 


Auf  diese  Weise  sind,  wie  durch  Vergleich  von  Fig.  26  mit 
Fig.  23  ersichtlich,  durch  die  Linea  praecentralis  und  ihre  Drittelpunkte 
die  in  der  vorderen  Centralwindung  und  in  der  Basis  der  3  Stirn- 
windungen gelegenen  Centren  mit  genügender  Genauigkeit  localisirt. 


Schädeltheil  des  Kopfes.  qg 

Dreht  man  die  Spange  3  rückwärts,  so  dass  sie  nach  hinten 
einen  Winkel  von  60  °  mit  der  Sagittalspange  bildet,  so  erhält  man 
eine  Linie,  welche  ich  als  Linea  limitans  bezeichne,  weil  sie 
unterhalb  des  Kreuzungspunktes  mit  der  Linea  temporalis  I  die 
Grenze  zwischen  Temporal-  und  Occipitallappen  ziemlich  genau  an- 
giebt,  oberhalb  des  Kreuzungspunktes  die  Grenze  des  Gyrus  supra- 
marginalis  (vorn)  und  des  Gyrus  angularis  (hinten),  endlich  weiter 
oben  die  Grenze  von  Central-  und  Scheitellappen. 

Die  Linea  temporalis  I  endlich  giebt  zwischen  Präcentrallinie 
und  Linea  limitans  die  Länge  der  I.  Temporalwindung  an,  an  der 
Kreuzungsstelle  mit  der  Präcentrallinie  zugleich  das  vordere  Ende 
der  SYLVl'schen  Furche.  Das  hintere  Ende  der  Linie  entspricht 
der  Fissura  parieto-occipitalis,  also  der  Grenze  von  Occipital-  und 
Parietallappen.  Ein  Blick  auf  die  Figur  giebt  übrigens  rascheren  Auf- 
schluss  als  eine  Beschreibung  es  vermag.  Wir  ersichtlich,  haben  wir 
uns  bei  unseren  Bestimmungen  an  die  Methode  der  procentischen 
M  a  a  s  s  e  gehalten,  die  Hare  inaugurirt  und  Müller  am  consequen- 
testen  ausgebildet  hat.  Sie  hat  gegenüber  den  absoluten  Distanz- 
angaben den  Vortheil,  jeder  Schädelform  angepasst  werden  zu  können. 

10)  Topographie  des  Kleinhirns  und  der  venösen  Sinus 
und  Trepanation  über  diesen  Theilen. 

Das  Kleinhirn  berührt  die  Schädelinnenfläche  bloss  mit  seinem 
unteren  hinteren  Theil,  während  der  obere  hintere  an  das  Tentorium 
stösst.  Das  Schädelstück,  unter  welchem  jener  Abschnitt  des  Klein- 
hirns liegt,  ist  von  den  Ansätzen  der  Nackenmuskeln  gedeckt  und 
liegt  unter  der  Linea  semicircularis  superior. 

Die  obere  Grenzlinie  für  das  Aufsetzen  einer  Trepankrone  ist 
gegeben  durch  die  Linea  sinus  transversa  Dieser  Hauptsinus 
des  Schädels  verläuft  in  seinem  horizontalen  Abschnitt  in  einer  Linie 
von  der  Spina  occipitalis  zur  Basis  des  Processus  mastoideus  (Poirier), 
da,  wo  dieser  hinten  durch  eine  Einsenkung  markirt  ist.  Der  verticale 
Schenkel  der  Sinus  entspricht  dem  mittleren  Abschnitt  der  Aussen- 
fiäche  des  Processus  mastoideus,  wenn  dieser  in  3  gleiche  senkrechte 
Theile  getheilt  wird. 

Zur  Trepanation  d  es  Kleinhirns  einseitig  geht  der  Schnitt 
von  der  Basis  des  Warzenfortsatzes  entlang  der  Linea  semicircularis 
superior  unter  Ligatur  der  Arteria  und  Vena  occipitalis  bis  zur  Mittel- 
linie und  von  da  abwärts  zwischen  den  Nackenmuskeln.  Die  Ansätze 
letzterer  werden  vom  Knochen  bis  gegen  das  Foramen  magnum  los- 
gelöst. Ist  man  von  vornherein  sicher,  dass  beiderseitige  Freilegung 
des  Kleinhirns  nöthig  ist,  so  spart  man  sich  den  medianen  Schnitt 
und  macht  den  Schnitt  von  der  Basis  des  einen  Processus  mastoideus 
über  die  Spina  occipitalis  bis  zur  anderen  Processus  mastoideus-Basis. 


ioo  Specielle  Operationslehre. 

Hat  man  nach  der  Duraspaltung  zu  wenig  Raum,  so  hebt  man 
mit  grosser  Sorgfalt  zuerst  mit  dem  Elevatorium  die  Dura  und  mit 
ihr  den  Sinus  transversus  nach  oben  und  Sinus  occipitalis  nach  unten 
vom  Knochen  ab,  erweitert  die  Knochenlücke  mit  der  schneidenden 
Zange  und  darf  behufs  weiterer  Spaltung  der  Dura  die  genannten 
Sinus  unterbinden.  Nach  HORSLEY's  Erfahrung  ist  die  Ligatur  des 
einen  Sinus  transversus  ohne  Bedenken  zulässig;  dann  kann  das 
Tentorium  zur  Freilegung  der  oberen  hinteren  Fläche  des  Kleinhirns 
seitlich  gespalten  werden,  der  mediane  Sinus  tentorii  muss  geschont 
werden,  da  er  das  Blut  aus  der  Vena  cerebri  int.  communis  aufnimmt. 

Der  Wegfall  der  Hinterhauptschuppe  beiderseits  in  geschilderter 
Ausdehnung  hat  nach  Cotterill  keinen  Schaden  für  das  Gehirn. 
Ueber  die  Freilegung  und  Ligatur  des  senkrechten  Theils  des  Sinus 
transversus,  sowie  des  Sinus  longitudinalis  vergl.  weiter  unten. 

n)  Die  ausgedehnten  Schädelresectionen. 

Die  Entfernung  von  grossen  Schädelstücken  ist,  wenn  auch 
nicht  immer,  doch  unter  Umständen  eine  sehr  blutige  Operation. 
Um  zu  bestimmen,  ob  man  sich  auf  starke  Blutung  gefasst  zu  machen 
hat,  dient  die  Anlegung  eines  Probebohrloches  mit  der  KüMMEL- 
SuDECK'schen  Fräse,  wie  schon  oben  hervorgehoben.  Allein  die 
Hauptsache  ist,  dass  man  die  ausgedehnten  Schädelresectionen  viel 
mehr  einschränke,  als  der  heutigen  Mode  entspricht.  Sie  sollen  nicht 
—  wie  viel  zu  oft  geschehen  ist  —  als  Explorativoperationen  bei 
mangelnder  Diagnose  ausgeführt  werden,  sondern  zur  Erfüllung  ganz 
bestimmter  Indicationen. 

Man  hat  sich  zu  den  ausgedehnten  blutigen  Resectionen  verleiten 
lassen  durch  die  Einführung  der  osteoplastischen  Methoden 
von  Wagner  und  Wolf.  Wir  haben  schon  oben  hervorgehoben, 
dass  die  osteoplastischen  Methoden  aus  bestimmten  Gründen  im 
Allgemeinen  blutiger  sind.  Ausserdem  ist  ihre  Hauptindication.  die 
Furcht  vor  bleibenden  grösseren  Schädeldef ecten ,  unbeg'ründet. 
Man  hat  aus  vereinzelten  Beobachtungen  den  Schluss  gezogen,  dass 
grössere  Knochendefecte  am  Schädel  schon  Störungen  der  Hirn- 
function  nach  sich  ziehen.  Wir  haben  ausführlich  an  anderem  Orte x) 
auseinandergesetzt,  dass  diese  Fälle  andere  Erklärung  zulassen,  dass 
sehr  grosse  Schädeldefecte  auch  nach  HORSLEY's  Beobachtungen 
ohne  den  geringsten  Nachtheil  bestehen  können,  wie  experimentelle 
und  klinische  Untersuchungen  von  BERESOWSKY  und  FEDOROFF 
lehren.  Endlich  haben  wir  an  demselben  Orte  gezeigt,  dass  die 
Neigung  zur  Heilung  von  Schädeldefecten  eine  viel  grössere  ist,   als 


i)  Nothnagel's     spec.    Pathologie     und    Therapie,     Capitel    über    Hirn- 
chirurgische Operationen,  1901. 


Schädeltheil  des  Kopfes.  10i 

man  allgemein  anzunehmen  geneigt  ist  —  sobald  man  (BERESOWSKY) 
das  innere  Periost  resp.  die  äussere  Schicht  der  Dura  sorgfältig 
schont. 

Das  Bedürfniss  nach  osteoplastischer  Deckung  darf  deshalb 
ebensowenig  abhalten  von  der  bleibenden  Entfernung  grosser 
Knochenstücke,  als  es  verleiten  darf,  unnütz  grosse  Fenster  in  der 
Schädelkapsel  anzulegen.  Die  ausgedehnten  Craniotomien  bis  zu 
ihrer  äusserten  Grenze,  der  Hemicraniotomie  sollen  nur  bei  bestimmten 
Indicationen  ausgeführt  werden.  Solche  bestehen  bei  der  Noth- 
wendigkeit,  Flüssigkeitsansammlungen  zu  entleeren,  Verletzungs- 
herde zu  beseitigen,  oberflächliche  Fremdkörper  zu  extrahiren  (Splitter), 
sowie  in  der  Regel  bei  Beseitigung  erhöhten  Druckes  im  Schädel 
nicht.  Vielmehr  hat  man  ausgedehnte  Eröffnung  des  Schädels 
nur  nöthig,  wenn  grosse  Tumoren  zu  entfernen  sind  oder  eine  Hirn- 
operation in  die  Tiefe  des  Gehirns  zu  dringen  hat,  und  es  fragt  sich, 
welches  in  diesem  Falle  die  beste  Methode  sei. 

Im  Allgemeinen  giebt  man  zur  Stunde  der  osteoplastischen 
Methode  für  ausgedehnte  Schädelresectionen  den  Vorzug.  Aber 
dieser  Vorzug  scheint  nur  darin  seine  Erklärung  zu  finden,  dass 
man  viel  zu  oft  ausgedehnte  Resectionen  gemacht  hat,  wo  man  mit 
einer  kleinen  ausgekommen  wäre.  Aber  selbst  da,  wo  man  wegen 
Tumoren  beispielsweise  operirt,  darf  man  fragen,  ob  die  osteoplastische 
Operation  besser  oder  auch  nur  so  gut  sei,  wie  die  von  Horsley 
regelmässig  benutzte  definitive  Entfernung  des  Knochens.  Sobald 
im  Gehirn  grössere  Substanzverluste  gesetzt  werden,  müssen  die- 
selben durch  irgend  etwas  ersetzt  werden:  Entweder  man  sorgt 
dafür,  dass  die  Weichtheile  einsinken  können  und  sich  dem  Defect 
anpassen,  oder  es  sammelt  sich  zuerst  Blut,  später  Liquor  an  Stelle 
des  Def ectes  an  und  diese  Cysten  sind  eine  Hauptursache  späterer 
übler  Zufälle. 

Das  einfachste  Verfahren  ausgedehnter  Schädelresectionen 
ist  demgemäss  das  von  HORSLEY  angewendete.  Man  bohrt  den 
Schädel  an  beschränkter  Stelle  mit  dem  Trepan  an  und  entfernt  mit 
der  schneidenden  Zange  (HORSLEY  benutzt  gewaltig  grosse  spitze 
schneidende  Zangen  hierzu)  so  viel  Knochen,  als  sich  bei  Freilegung 
einer  erst  nur  beschränkten  Stelle  der  Hirnoberfläche  nöthig  zeigt. 
Damit  verzichtet  man  selbstverständlich  auf  osteoplastische  Deckung, 
was  bei  richtiger  Indication,  wie  oben  hervorgehoben,  nicht  als 
Schaden  betrachtet  werden  kann. 

ia)  Die  osteoplastische  Schädelresection. 

Die  WAGNER'sche  ursprüngliche  Methode  besteht  darin,  dass 
man  mittelst  eines  hufeisenförmigen  oder  £2  (Omega)-Schnittes  einen 
grösseren  Lappen,   in  der  Regel  mit  abwärts  liegender  Basis  anlegt, 


102 


Specielle  Operationslehre. 


und  mit  Meissel  und  Hammer  den  entsprechenden  Knochenlappen 
bildet,  welcher  an  der  Basis  durchgeschlagen  und  am  Periost-Haut- 
stiel  abwärts  geklappt  wird. 

Wagner  (Wiemann)  wählte  Lappen,  die  im  Durchschnitt  bis 
8  cm  hoch,  7  cm  breit  und  an  der  Basis  bis  5  cm  breit  waren. 
Wiemann  hat  winklig  zweischneidige  Meissel  zu  diesem  Behufe  vor- 
geschlagen, in  Bajonnetform  gebogen. 

Doyen  hat  das  Instrumentarium  zu  osteoplastischer  Resection 
sehr  vervollkommnet  und  namentlich  die  Hemicraniotomie  gepflegt 
und  ausgebildet.  Er  bildet  sehr  grosse  Lappen  mit  Basis  über  dem 
Ohr,  bohrt  an  einer  Reihe  von  Stellen  mit  geeigneter  Fräse  rasch 
den  Knochen  an  und  fährt  dann  mit  einer  gegen  die  Dura  durch 
einen  stumpfen  Fortsatz  gedeckten,  elektrisch  betriebenen  Kreissäge 
dem  Schnitte  nach,  so  dass  er  in  wenigen  Minuten  den 
Lappen  herabklappen  kann.  Die  Dura  wird  in  gleicher 
Weise  in  Lappenform  gespalten  und  abwärts  geklappt. 
Die  beiden  Verfahren  sind  neuerdings  von  der 
Sudeck 'sehen  Methode  überholt.  Sie  besteht  darin, 
dass  mit  einer  von  KÜMMEL  zweck- 
mässig modificirten  Fräse  (Fig.  27)  ein 
Loch  gebohrt  wird  bis  zur  Dura.  Durch 
dieses  Loch  wird  dann  ein  Stahlstift, 
mit  einer  schneidenden  Schrauben- 
windung und  mit  einem  platten  Köpf- 
chen versehen,  wie  Fig.  28  dies 
zeigt,  in  die  Oeffhung  eingesetzt 
unter  Andrücken  an  die  zu  durch- 
trennende Knochenstelle  in  beliebiger 
Form  und  Richtung  ein  Lappen  ge- 
bildet oder  auch  ein  Knochenstück 
ganz  herausgesägt.  Auf  2  Punkte  ist 
die  Aufmerksamkeit  zu  lenken  bei 
osteoplastischer  Resection :  Einmal  ist 
es  zweckmässig,  die  Schädelknochen  in  der  Weise  schräg  zu  durch- 
sägen, dass  der  Lappen  auf  der  Aussenfläche  grösser  sei,  als  auf  der 
Vitreanache,  damit  er  später  nicht  zu  tief  gegen  das  Gehirn  zu  ein- 
sinke. Zweitens  ist  es  gut,  den  Schnitt  in  der  Dura  nicht  mit  dem 
äusseren  Schnitt  zusammenfallen  zu  lassen,  damit  die  Narben  nicht 
mit  einander  verwachsen,  sondern  den  Duralappen  z.  B.  mit  Basis  nach 
oben  anzulegen,  wenn  er  kleiner  ist,  während  der  Knochenlappen  die 
Basis  unten  hat. 

Die  Blutung  soll  bei  Sudeck's  Methode  gering  sein.  Die 
Schraubenfräse  muss  mit  einer  zahnärztlichen  kräftigen  Tretmaschine 
betrieben   werden   oder,    was   viel   besser  ist,    mit  einem  elektrischen 


Fig.  27. 


Fig.  28. 


Schädeltheil  des  Kopfes.  103 

Motor  von  ziemlicher  Kraft.  Das  ist  ein  Nachtheil  des  Verfahrens, 
im  Uebrigen  aber  bedeutet  die  SuDECK'sche  Fräse  einen  grossen 
Fortschritt.  Zeigt  sich  auch  bei  diesem  Verfahren,  dass  die  Blutung 
bedenklich  wird,  so  kann  man  durch  häufiges  Eintauchen  des  In- 
strumentes in  heisses  Wachs  dieselbe  beschränken  (Cushing). 

13)  Die  circuläre  Craniotomie. 

Lannelongue  hat  die  Theorie  aufgestellt,  dass  ein  Theil  der 
Fälle  von  Mikrocephalie  und  Idiotie  darauf  beruhe,  dass  die  Nähte 
zu  frühzeitig  verknöchern  und  durch  die  starr  gewordene  Schädel- 
kapsel die  Entwicklung  des  Gehirns  gehemmt  werde.  Er  hat  des- 
halb Streifen  von  Knochensubstanz  herausgeschnitten  in  grosser 
Länge  um  gleichsam  künstliche  Nahtverbindungen  herzustellen.  Die 
Indication  ist  mit  Recht  in  hohem  Maasse  angefochten  worden. 

Die  beste  Methode  der  Ausführung  ist  die  circuläre  Craniotomie, 
wie  sie  von  Dr.  Dumont  nach  Besprechung  mit  mir  bei  Idiotie  und 
Mikrocephalie  zuerst  ausgeführt  und  beschrieben  worden  ist;  sie  ist 
eine  relativ  wenig  verletzende  Operationsmethode  und  namentlich 
weniger  blutig  als  die  Hemicraniektomie.  Ich  führe  dieselbe  in 
folgender  Weise  aus: 

Sagittaler  Schnitt  über  die  Mitte  des  Schädels  von  der  Stirne 
bis  oberhalb  der  Spina  anterior  superior  durch  Haut  und  Galea, 
welche  genau  wie  bei  Sectionen  nach  beiden  Seiten  mit  den  Händen 
kräftig  abwärts  gezogen  wird.  Das  Periost  bleibt  auf  dem  Knochen 
intact  und  wird  am  Rande  der  beiderseits  gleichmässig  herunterge- 
klappten Lappen  in  horizontaler  Richtung  durchschnitten  und  nun 
der  Schädel  ganz  analog  wie  bei  Sectionen  von  Leichen  mit  der 
Säge  circulär  eingesägt,  nur  nicht  so  tief  unten  wie  bei  letzteren. 

An  einer  Stelle  wird  mit  Sudeck-Kümmel's  Kugelfräse  durch- 
gebohrt und  so  ein  ca.  2/3  cm  grosses  Loch  gebohrt  bis  auf  die  Dura 
und  nun  unter  sorgfältiger  Loslösung  der  Dura,  die  an  Nähten  und  zum 
Theil  Stellen  von  Gefässen  stärker  adhärent  ist,  mit  einer  Kneifzange 
ein  1/.2  cm  breiter  Knochenstreifen  herausgekneift,  was  verhältniss- 
mässig  rasch  geht.  An  Stelle  des  Sinus  longitudinalis  vorne  und 
hinten  muss  man  mit  der  Ablösung  von  Knochen  besonders  sorg- 
fältig sein;  sie  lässt  sich  aber  auch  hier  leicht  bewerkstelligen. 

So  wird  das  Schädeldach  völlig  beweglich  und  es  bleibt  noch 
die  Spaltung  der  Dura  übrig,  um  die  Verknöcherung  von  der  Dura 
aus,  deren  Bedeutung  in  letzter  Zeit  von  Beresowsky  für  die  Art 
der  Heilung  von  Trepanationslücken  betont  worden  ist,  zu  verhüten. 
Man  schneidet  dabei  die  Meningealgefässe  nicht  ein,  sondern  lässt 
dieselben  nach  Beresowsky's  Rath  als  Brücken  bestehen. 

Die  Blutung  ist  bei  dieser  Operation  bei  Kindern  sehr  gering. 
Sollte    sie    stärker    sein,    so    empfiehlt    es    sich    eventuell,    die   Dura- 


IOa  Specielle  Operationslehre. 

Spaltung  erst  nach  ein  paar  Tagen  zu  machen.  Die  Hautlappen  werden 
einfach  wieder  emporgeklappt  und  durch  eine  fortlaufende  Hautnaht 
vereinigt.  Wir  haben  die  Operation  ohne  jegliche  Shok Wirkung  in 
einem  Act  durchgeführt  und  nur  mit  Collodialstreifen  verbunden. 
Bei  irgend  erheblicher  Blutung  ist  es  besser,  einen  leichten  Com- 
pressionsverband  anzulegen. 

14)  Die  explorative  Trepanation. 

Es  ist  schon  lange  Uebung,  nach  Freilegung  des  Gehirns,  wenn 
man  auf  der  Oberfläche  desselben  keine  Veränderung  findet,  aber 
solche  in  der  Tiefe  vermuthet  in  Form  von  Abscessen  und  Flüssig- 
keitsansammlungen anderer  Art,  mit  Nadeln  und  Spritz enansätzen 
nach  verschiedenen  Richtungen  zu  punctiren.  Souchon  und  Payr 
haben  in  Anlehnung  an  einzelne  Physiologen  kleine  Incisionen  in 
die  Weichtheile  gemacht  und  mit  dem  Drillbohrer  den  Schädel 
angebohrt,  um  Explorativpunctionen  vorzunehmen  oder  auch  um  Ge- 
schwulststücke oder  Hirnpartikel  herauszuholen. 

Die  einfachste  Methode  ist  die  von  Albert  Kocher  be- 
schriebene, bei  welcher  ein  Drillbohrer  ohne  den  geringsten  äusseren 
Schnitt  nach  Cocainisirung  von  Haut  und  Periost  durch  die  Schädel- 
weichtheilbedeckung  einfach  durchgedrückt  wird  bis  auf  den  Knochen, 
um  diesen  anzubohren.  Es  lässt  sich  dies  mit  grosser  Leichtigkeit 
bewerkstelligen  und  die  Operation  ist  schmerzlos,  da  die  sehr  um- 
schriebene Duraverletzung  kaum  merklich  wird. 

Wo  man  Verdacht  auf  Ansammlung  von  Flüssigkeiten  hat, 
Cysten,  Hämatomen,  Abscessen,  da  ist  dieses  Verfahren  empfehlens- 
werth.  Wenn  man  das  Instrument,  nachdem  die  Vitrea  durchbohrt  ist, 
was  sich  bei  vorsichtigem  Vorgehen  stets  leicht  bestimmen  Hess,  in 
gerader  Richtung  zurückzieht,  um  die  Weichtheile  nicht  zu  verschieben, 
so  kann  man  den  Ansatz  einer  PRAVAz'schen  Spritze  durch  die  Dura 
ins  Gehirn  hineinstechen ,  aspiriren  und  auch  eine  Injection  vor- 
nehmen. 

Die  Injection  von  Tetanusserum  nach  diesem  Verfahren  hat  sich 
uns  für  die  Roux-BoRRELL'sche  Tetanusbehandlung  stets  vorzüglich 
bewährt.  Wir  haben  die  Explorativtrepanation  mit  dem  Drillbohrer, 
wenn  nicht  durch  Ansammlung  abnormer  Flüssigkeit  die  Stelle  be- 
zeichnet war,  stets  da  vorgenommen,  wo  man  am  leichtesten  in  den 
Seitenventrikel  hineingelangen  kann.  Wir  werden  auf  die  Ventrikel- 
punctionen  sofort  zu  sprechen  kommen. 

15)  Die  Punction  der  Seitenventrikel. 

Dass  man  bei  Flüssigkeitsansammlung  unter  vermehrter  Spannung 
in  den  Ventrikeln  dieselbe  zu  entleeren  hat,  ist  eine  feststehende 
Indication    und    es    sind    einige    schlagende    Resultate    verzeichnet, 


Schädeltheil  des  Kopfes.  105 

welche  durch  blosse  Punction  der  Ventrikel  erzielt  wurden.  Die 
Methode  des  Eindringens  in  die  Ventrikel  wird  sehr  verschieden 
geschildert. 

Dies  mag  daher  rühren,  dass  die  Punction  eines  gesunden  Ven- 
trikels mit  minimalem  Inhalt  sehr  schwierig  ist,  weil  die  Nadel  leicht 
die  Wand  verletzt,  daher  kann  man  bei  normalen  Verhältnissen  die 
beste  Methode  schwer  experimentell  feststellen.  Um  so  leichter  ist 
es,  bei  Flüssigkeitsansammlung  einen  Ventrikel  derselben  zu  treffen 
von  den  verschiedensten  Stellen  aus. 

Uebereinstimmend  sind  die  Angaben  über  die  Punction  von  der 
Seite,  indem  man  hinter  und  über  dem  Ohr,  dem  hinteren  Ende 
der  Linea  temporalis  entsprechend  eindringt.  Man  gelangt  hier  sehr 
gut  .über  den  Boden  des  Ventrikels  in  denselben.  Man  darf  nicht 
bis  zur  Basis  des  Processus  mastoideus  heruntergehen,  weil  man  sonst 
den  Sinus  transversus  verletzen  könnte. 

Keen  konnte  hier  (ca.  3  cm  hinter  dem  äusseren  Gehörgang 
und  3  cm  oberhalb)  5  cm  tief  den  Ventrikel  nicht  bloss  punctiren, 
sondern,  bei  Eröffnung  beiderseitig,  sogar  durchspülen.  Er  stach 
direct  in  der  Richtung  gegen  die  Spitze  der  gegenseitigen  Ohrmuschel 
ein.  Mayo  Robson  sticht  nach  Fräser  in  den  hinteren  Theil  der 
1.  Schläfen windung  ein. 

In  einem  Falle,  welchen  wir  Juni  1891  durch  einen  direct  median- 
wärts  gerichteten  Stich  vor  dem  hintersten  Ende  der  Crista  tempo- 
ralis operirten,  konnten  wir  4  g  blutig-seröse  Flüssigkeit  entleeren, 
aber  es  gelang  uns  nachher  nicht,  ein  Drainrohr  einzuführen,  obschon 
die  Nadel  sehr  exact  hinter  dem  hintersten  Ausläufer  des  Corpus 
striatum  über  den  Boden  des  Seitenventrikels  eingedrungen  war. 
Die  Entleerung  war  zu  vollständig,  die  Wände  waren  zusammen- 
geklappt. Es  erschienen  uns  deshalb  die  mit  der  Richtung  der 
sagittalen  Ausdehnung  des  Ventrikels  zusammenfallenden  Punctions- 
richtungen  am  geeignetsten,  weil  man  nicht  wie  bei  der  quer  ein- 
tretenden Punction  bei  sehr  wenig  gefülltem  Ventrikel  Gefahr  läuft, 
sofort  die  gegenüberliegende  Wand  anzustechen,  da  der  Ventrikel 
in  sagittaler  Ebene  doch  eine  gewisse  Ausdehnung  hat. 

Man  kann  in  der  Sagittalebene,  welche  mit  der  Richtung  des 
Haupttheiles  des  Ventrikels  zusammenfällt,  von  vorn,  oben  und  hinten 
einstechen,  allein,  um  die  Centren  von  bekannter  Function  zu  ver- 
meiden, ist  es  am  besten,  schräg  von  vorn  oben  oder  von  hinten 
oben  einzustechen. 

Wir  haben  in  der  Regel  den  Einstich  etwas  vor  dem  Bregma 
gemacht,  2  cm  von  der  Mittellinie  entfernt,  nach  abwärts  und  rück- 
wärts. Die  Nadel  muss  5 — 6  cm  tief  eindringen,  um  den  Ventrikel 
zu  treffen,  trifft  diesen  aber  auch  sicher,  wenn  er  durch  Flüssigkeit 
ausgedehnt  ist.     Auch  die  Drainage  von  oben  hat  uns  in  der  Regel 


io6  Specielle  Operationslehre. 

gut  entsprochen,  da  der  Drain  in  dieser  Richtung  am  wenigsten 
riskirt,  die  gegenüberliegende  Wand  zu  verletzen,  sobald  man  ihn 
bloss  in  den  oberen  Theil  des  Ventrikels  eindringen  lässt  und  sein 
weiteres  Vordringen  durch  einen  auf  der  Schädeloberfläche  fixirten 
Ring  oder  Schild  hindert. 

16)  Die  Operationen  am  Gehirn. 

Die  Entleerung  von  Flüssigkeiten,  Excision  von  Narben  und 
Neubildungen  aus  der  Hirnsubstanz  hat  stets  zur  Voraussetzung  die 
Trepanation,  wenn  es  sich  nicht  um  vorgängige  Verletzungen 
handelt.  Wenn  bloss  angesammelte  Flüssigkeiten,  Blut,  Liquor  oder 
Eiter  zu  entleeren  sind,  so  kann  dieses  in  unmittelbarem  Anschluss 
an  die  Trepanation  geschehen.  Wo  aber  eine  eingreifende  Operation, 
wie  für  gewisse  gefässreiche  Tumoren  am  Gehirn  vorzunehmen 
ist,  da  kann  nicht  genug  auf  die  durch  die  Erfahrung  bewährte 
Praxis  von  Horsley  aufmerksam  gemacht  werden,  zweizeitig  zu 
operiren. 

Die  Operation  unter  2,  je  unter  Umständen  auch 
3  Malen  hat  den  Vortheil,  dass  die  doppelte  Shok Wirkung  ver- 
mieden wird,  welche  auf  starken  Blutverlust  und  auf  längere  Narkose 
erfolgen  kann.  Es  ist  dies  um  so  mehr  zu  berücksichtigen,  als  man 
bei  Hirnoperationen  dem  Chloroform  im  Allgemeinen  den  Vorzug 
geben  muss,  da  Aufregung  und  Blutung  dabei  geringer  sind.  Chloro- 
form schliesst  aber  die  Gefahr  stärkerer  Blutdruckerniedrigung  ein, 
und  wenn  diese  sich  mit  Blutverlust  combinirt,  so  kann  sie  leicht 
zu  fatalem  Ausgang  führen.  Bei  Tumoren  sind  oft  die  Gefässe  er- 
weitert, und  zumal  durch  lange  antisyphilitische  Kuren  unnütz  herunter- 
gebrachte Kranke  sind  zu  starken  Blutverlusten  geneigt.  Dazu  kommt, 
dass  in  Folge  gesteigerten  intracraniellen  Druckes  starke  venöse 
Stauung  nach  aussen  hin  bestehen  kann. 

Es  ist  bei  zweizeitigen  Operationen  wünschenswerth,  dass  ein 
gehöriger  Zeitraum  zwischen  erster  und  zweiter  Operation  liege, 
damit  der  Patient  sich  völlig  erholt  habe;  selbst  ein  osteoplastisch 
gebildeter  Lappen  lässt  sich  nach  14  Tagen  noch  mit  Leichtigkeit 
aufklappen.  Wenn  man  schon  bei  der  ersten  Operation  allfällige 
Ligatur  grösserer  Meningealgefässe ,  namentlich  der  Durasinus 
durchführen  konnte,  so  wird  die  zweite  Operation  um  so  weniger  be- 
denklich. 

Bezüglich  der  Methode  der  Ausführung  ist  zu  bedenken, 
dass  die  zu  gefährlichen  Blutungen  Anlass  gebenden  Gefässe  alle 
in  den  Hirnhäuten  liegen.  Zunächst  hat  man  mit  den  Arterien 
und  Venen  der  Dura  zu  thun.  Die  Arterien  machen  keine  Schwierig- 
keiten, die  Venen  dagegen  machen  da,  wo  sie  sich  zu  breiten  Sinus 
erweitern  (Sinus  parieto-sphenoidalis  BRECHET)  und  zu  den   Lacunae 


Schädeltheil  des  Kopfes.  IQ7 

laterales  vor  dem  Eintritt  in  die  Sinus,  unter  Umständen  grosse 
Schwierigkeit,  wenn  man  in  der  unmittelbaren  Nähe  der  Sinus  die 
Dura  trennen  muss,  was,  wenn  thunlich,  stets  zu  vermeiden  ist. 

Zur  Trennung  dieser  grossen  Venenräume,  sowie  der  Sinus 
selber  muss  als  Regel  gelten,  die  Gefässe  zuerst  sorgfältig  soweit 
zu  isoliren  oder  wenigstens  zugänglich  zu  machen,  dass  man  die- 
selben verlässlich  unterbinden  kann.  Eine  aseptische  Ligatur 
eines  Sinus  hat  keine  Bedenken.  Nicht  bloss  der  Sinus  longi- 
tudinalis,  sondern  auch  der  Sinus  transversus  der  einen  Seite 
darf  unterbunden  werden  —  vorausgesetzt,  dass  die  andere  Seite 
frei  istfl). 

Auf  Tampon  ade  darf  man  sich  zu  dauernder  Blutstillung  nicht 
verlassen,  obschon  sie  das  beste  Mittel  ist  zu  momentaner  Verhütung 
grösseren  Blutverlustes  (zunächst  mit  dem  Finger,  dann  event.  mit 
aseptischer  Gaze  ausgeführt),  wenn  man  zufällig  einen  grösseren  venösen 
Raum  eröffnet  hat.  Geeignet  sind  breite  Klammern,  welche  die 
Dura  in  grösserer  Breite  zusammendrücken  event.  mit  der  Ein- 
richtung, dass  bei  noch  liegender  Zange  zwischen  den  mit  Schlitz 
versehenen  Hälften  eine  Nadel  zu  fortlaufender  Naht  durchgeführt 
werden  kann.  In  diesem  Falle  ist  auch  eine  fortlaufende  seitliche 
Naht  gestattet,  wie  wir  sie  für  die  grössten  Venen  gegenwärtig  be- 
nutzen bei  partiellen  Continuitätstrennungen. 

Ist  man  mit  der  Dura  im  Reinen  und  hat  man  bei  deren  Lösung 
die  in  die  Diploö  tretenden  und  die  von  der  Gehirnoberfläche  zur 
Dura  sich  erhebenden  grossen  Venen  isolirt  und  unterbunden  (et- 
waige Ligaturen  werden  besonders  in  der  Nähe  des  Sinus  longitudinalis 
nöthig),  so  handelt  es  sich  wesentlich  noch  um  Isolirung  und 
Ligatur  der  in  der  weichen  Hirnhaut  verlaufenden  Gefässe. 
Dieselben  sind  am  besten  zugänglich  zu  machen  dadurch,  wie 
Horsley  angiebt,  dass  man  die  Pia  im  Umkreis  der  zu  exci- 
direnden  Partie  ab-  und  aus  den  Sulci  heraushebt 
mit  Pincette  oder  Häkchen. 

Ist  das  Gehirn  endlich  völlig  freigelegt,  so  kann  dasselbe  ohne 
starke  Blutung  incidirt  werden,  was  nach  HORSLEY  in  genau 
senkrechter  Richtung  im  Verlauf  der  Faserung  der  Corona  radiata  zu 
geschehen  hat.  Auch  die  bei  Herausheben  eines  Hirntumors  ent- 
stehende Blutung  lässt  sich  durch  Tamponade  stillen.  Es  ist  aber 
wünschenswerth,  dass  man  die  Tamponade  nicht  belasse,  sondern, 
falls  die  Blutung  steht  und  man  aseptisch  operiren  konnte  (also  nicht 
bei  Abscessen),  die  Wunde  völlig  verschliesse.  Besonders  Horsley 
macht  gegenüber  der  noch  so  allgemein  üblichen  Tamponade  (mit 
Jodoformgaze)  auf  die  Vortheile  primärer  Naht  aufmerksam. 


io8  Specielle  Operationslehre. 

17)  Die  Deckung  knöcherner  Schädeldefecte. 

Die  Frage,  wie  Schädeldefecte  am  besten  zu  decken  seien,  hat 
in  den  letzten  Jahren  die  Chirurgen  über  Gebühr  beschäftigt  und 
ihre  Findigkeit  herausgefordert.  Zweifellos  ist  die  Hirncirculation 
in  ihrer  Eigenartigkeit  auf  das  Vorhandensein  einer  wesentlich 
starren  Kapsel  angewiesen.  Allein  kleinere  Defecte  werden  eines- 
theils  Dank  den  osteoplastischen  Eigenschaften  des  äusseren  Dura- 
blattes  mit  der  Zeit  zum  guten  Theil  verschlossen,  andererseits  füllt 
sich  der  Ausfall  mit  so  strammer  Narbe,  dass  der  Circulation  im 
Schädel  kein  Schaden  erwächst.  Es  bedarf  dazu  schon  sehr  grosser 
Defecte.  Der  Verschluss  solcher  aber  hat  bei  pathologischem  Inhalt 
wieder  seine  entschiedenen  Nachtheile. 

In  dieser  Hinsicht  ist  mir  der  von  Depage  beschriebene  Fall 
sehr  interessant,  wo  wegen  Läsion  des  Sinus  lateralis  nach  Splitter- 
fractur  eine  ausgiebige  Trepanation  gemacht  wurde  mit  folgender 
Hernia  cerebralis.  Die  leichten  intellectuellen  Störungen,  hauptsäch- 
lich Sprache  und  Gedächtniss  betreffend,  wurden  sehr  entschieden 
gebessert,  sobald  man  eine  feste  Platte  einbrachte,  aber  wieder- 
holt führte  auch  der  damit  verbundene  Druck  epileptische  Anfälle 
herbei. 

Es  ist  also,  wenn  ein  grosser  Schädeldefect  mit  intellectuellen 
Störungen  verbunden  ist,  zu  prüfen,  ob  ein  starrer  Verschluss  mit 
Druck  wirklich  Besserung  ergiebt  und  ob  diese  ohne  Schaden,  be- 
sonders hinsichtlich  posttraumatischer  Epilepsie  sich  erhält.  Wenn  ja, 
so  ist  die  Deckung  anzustreben. 

Die  natürlichste  und  im  Enderfolg  sicherste  Deckung  mit  gutem 
Verschluss  durch  Knochen  erhält  man  mit  der  MüLLER-KöNlG'schen 
autoplastischen  Methode.  Es  wird,  wie  bei  anderen  Lappen- 
plastiken, ein  gestielter  Lappen  nebenan  umschnitten  mit  Basis  ab- 
wärts gegen  die  zuführenden  Gefässe  der  Kopfschwarte  zu  und  statt 
bloss  das  Periost  vom  Knochen  sammt  Haut  loszulösen,  nimmt  man 
die  äussere  Corticalis  des  Knochens  mittelst  Meissel  oder  feiner  Säge 
(Nicoladoni)  mit.  Die  Hauptsache  ist  dabei  nicht  sowohl,  dass  man 
eine  schöne  Knochenplatte  erhalte,  sondern  wie  später  bei  Besprechung 
der  Resectionen  und  Amputationen  im  Allgemeinen  hervorgehoben 
werden  soll,  dass  man  die  osteoplastische  Schicht  der  Knochenober- 
fläche resp.  der  tiefsten  Periostlage  völlig  intact  erhalte.  Dass  dabei 
der  Knochen  bricht  und  splittert,  hat  gar  keinen  weiteren  Nachtheil. 
Die  blossgelegten  Knochenschichten  neben  dem  Lappen  deckt  man 
durch  Hauttransplantation. 

Will  man  einen  wirklich  festen  Verschluss  erhalten,  so  ist  es 
wünschenswerth,  dass  man  die  Knocheneinlage  an  den  gesunden 
Knochen  fest  anschliesse.  Dies  gilt  ganz  besonders  für  alle  Deckungs- 
methoden durch  Einlage  von  Knochen  von  anderen  Körperstellen  oder 


Schädeltheil  des  Kopfes.  ioq 

heterogenem  Material.  Hertens  hat  in  neuester  Zeit  auf  ElSELSBERG's 
Veranlassung  das  Verhalten  transplantirten  Knochens  bei  Schädel- 
defecten  studirt  und  kommt  zu  folgenden  Schlüssen:  Entkalkter 
Knochen,  wie  er  von  Neuber,  Senn  und  Kümmell  empfohlen  ist, 
verzögert  die  Heilung,  weil  er  erst  resorbirt  werden  muss.  Geglühter 
Knochen,  von  Landerer  und  Barth  empfohlen  und  von  letzterem 
durch  zahlreiche  Versuche  als  dadurch  empfehlenswerth  erwiesen,  dass 
es  zur  Heilung  von  Knochendefecten  lediglich  auf  Zufuhr  von  Kalk- 
salzen ankomme,  bedingt  noch  eine  recht  langsame  Heilung,  weil  er 
den  eindringenden  Granulationen  wenig"  Widerstand  entgegensetzt. 
Am  besten  eignet  sich  eine  fest  eingesetzte  gekochte  Knochen- 
scheibe nach  Westermann  und  David's  Vorschlägen.  Nach 
Barth  geht  das  Implantatum  selber  zu  Grunde,  aber  in  diese  feste 
gekochte  Knochenscheibe  wächst  von  der  Diploö,  von  der  Dura  und 
dem  Periost  osteogenes  Granulationsgewebe  auf  wohlangewiesenen 
Wegen  hinein  und  nimmt  rasch  die  Form  des  resorbirten  Im- 
plantatums  an.  Spongiosa  wird  leichter  durchwachsen  als  dichte 
Corticalis.  Statt  mit  Czerny  deshalb  von  der  Innenfläche  der  Tibia 
den  Ersatz  zu  nehmen,  wird  man  besser  thun,  von  der  Metaphyse 
der  Tibia  mittelst  einer  feinen  Doppelsäge  (nach  Art  der  für  Eröff- 
nung des  Wirbelkanals  bei  Sectionen  gebräuchlichen)  eine  etwas  ge- 
bogene Knochenscheibe  geeigneter  Form  auszusägen  und  fest  ein- 
zusetzen —  nachdem  sie  gekocht  ist,  sobald  sie  einem  todten  Knochen 
entnommen  werden  muss. 

Zur  Heteroplastik  im  engeren  Sinne  verdient  die  Cellu- 
loidplatte  von  A.  Fränkel  den  Vorzug  vor  den  anderen,  weil 
sie  leicht  zu  desinficiren  und  leicht  erhältlich.  FräNKEL  geht  von 
dem  sehr  richtigen  Gedanken  aus,  dass  es  nicht  wünschenswerth 
sei,  dass  zwischen  einem  implantirten  Stück  und  den  Hirnhäuten 
Verwachsung  eintrete,  was  bei  der  durch  eingelegte  Knochen  ver- 
anlassten Granulationsbildung  unvermeidlich  sei.  Allein  wir  möchten 
betonen,  dass  diese  Verwachsungen  zwischen  Dura  und  Schädel 
keine  wesentlichen  Nachtheile  bringen  und  dass  nach  BERESOWSKY's 
Nachweisen  bloss  bei  Duradef ecten  die  Verwachsung  mit  der  weichen 
Hirnhaut  zu  fürchten  ist,  da  nur  eine  intacte  Pia  Schutz  gegen  Ver- 
narbungsvorgänge  bis  in  die  Hirnrinde  gewährt. 

Bei  blossliegender  Pia-Arachnoidea  wird  man  also  gut  thun, 
nach  Fränkel's  Rath  eine  Einlage  zu  benutzen,  welche  nicht  zu 
Verklebung  mit  der  Unterlage  führt,  entweder  seine  Celluloidplatte, 
fest  und  ohne  Drainage  eingefügt  mit  Hautnaht  auch  ohne  Drainage 
(Eiselsberg)  als  bleibende  heterogene  Einlage.  Oder  man  wird, 
wie  wir  anderswo  auf  Grund  von  Beresowsky's  Versuchen  be- 
sprochen haben,  zwar  Knochen  in  Form  von  Auto-  oder  Hetero- 
plastik  benutzen,   aber   denselben    durch  Auflage    einer  Serosa  (z.  B. 


IIO  Specielle  Operationslehre. 

eines    Stückes    der   Tunica    vaginalis)    eine    glatte   Unterlage    geben 
zum  Schutz  der  Pia  gegen  vorwachsende  Granulationen. 

18)  Trepanation  des  Sinus  longitudinalis. 

Ueber  den  Sinus  durae  matris  trepanirt  man  nur,  wenn  man 
hierzu  durch  die  Lage  einer  Verletzung,  eines  Hirntumors  etc.  ge- 
nöthigt  ist  oder  wenn  man  die  Sinus  selber  freilegen  oder  eröffnen 
will.  Man  braucht  sich  nicht  zu  sehr  zu  fürchten,  den  Knochen 
unmittelbar  über  den  Sinus  zu  entfernen,  da  sich  letztere  stumpf 
ohne  Blutung  vom  Knochen  in  grosser  Ausdehnung  abheben  lassen. 
Nur  bedarf  es  besonderer  Sorgfalt,  die  Wand  der  Sinus  und  der 
grossen  einmündenden  Venen  nicht  zu  verletzen. 

Der  Sinus  longitudinalis  superior  liegt  nach  Horsley  völlig 
rechts  von  der  Medianlinie,  was  Dana  bestreitet.  Er  ist  sehr  breit 
(i  cm  nach  Poirier)  und  mit  den  einmündenden  Lacunen  bis  auf 
3  cm,  so  dass  man  noch  i1/2  cm  von  der  Mittellinie  entfernt  bei 
Trennung  des  Knochens  langsam  und  vorsichtig  die  Dura  abheben 
muss.  Denn  die  dünnwandigen  Lacunae  zerreissen  leichter  als  der 
Sinus. 

Wenn  man  die  Dura  in  der  Nähe  des  Sinus  longitudinalis  ver- 
letzen muss,  so  ist  es  gut,  gehörig  Raum  zu  schaffen,  um  allen 
Eventualitäten  gewachsen  zu  sein.  Denn  es  bestehen  hier  Com- 
municationen  mit  den  Venae  diploicae  und  es  münden  in  die  Sinus 
und  die  Lacunen  die  grossen  Duralvenen  (Sinus  parietosphenoidalis) 
und  die  sich  von  der  Hirnoberfläche  erhebenden  grossen  Hirnvenen 
ein ,  deren  Blutung  bloss  durch  exacte  Unterbindung  richtig  zu 
beherrschen  ist. 

Aseptische  Ligatur  im  Bereich  des  Sinus  longitudinalis  hat 
wenigstens  in  seinen  peripheren,  am  Scheitel  gelegenen  Abschnitten 
schon  deshalb  keine  Gefahr,  weil  die  grossen  Venen  der  Hirnober- 
fläche in  mehreren  Zügen  getrennt  sich  in  denselben  einsenken  und 
unter  sich  genügende  Communicationen  darbieten. 

19)  Trepanation  über  dem  Sinus  transversus  (vergl. 
Fig.  29  und  30). 

Diese  Operation  ist  eine  relativ  häufige,  weil  im  Sinus  trans- 
versus durch  Ueber  greifen  von  Entzündungen  im  Mittelohr  Throm- 
bose und  Eiterung  am  häufigsten  vorkommt,  und  zwar  ist  es  haupt- 
sächlich der  absteigende  Schenkel  des  Sinus ,  welcher  für 
diese  Operation  in  Frage  kommt.  Man  construirt  sich  die  Stelle 
der  Trepanation,  indem  man  den  vorragendsten  Punkt  der  Basis 
des  Processus  mastoideus  aufsucht,  welcher  nach  hinten  von 
dem   Rande    der   Ohrmuschel    sich    erhebt.     Fingerbreit    höher  liegt 


Schädeltheil  des  Kopfes. 


II  i 


das  kammartig  schräg  nach  hinten  emporsteigende  Ende  der  Linea 
temporalis.  Zwischen  dieser  Kante  und  jener  Vorragung  liegt  auf 
der  Innenseite   der  Sinus   transversus,   welcher  entlang  dem  hinteren 


M.  temporalis  — u^-t— — 

Hinteres  Endei  JSlillw 
der  Crista  '  V~fe 
temporalis    J 

Spina  supral 
meatum    / 

Fascie 


Ansatz  des  M. 
sternocleido 


I 


li 


Fig.  29.      Ohrmuschelschnitt1).     I.   zur  Trepanation    des   Antrum,    2.  des  Sinus 
transversus,  3.  zur  Eröffnung  des  Unterhorns  des  Seitenventrikels,  der  Schläfen- 
abscesse  und  Kleinhirnabscesse. 


Theil  des  mittleren  Drittels  des  Processus  mastoideus  noch  eine 
Strecke  weit  abwärts  verfolgt  werden  kann.  Man  macht  eine  In- 
cision    entlang    dem   hinteren   Rande   der   Ohrmuschel   (Ohrmuschel- 


1)  Der  Schnitt  ist  oben  zu  gerade  gerathen,   er  sollte  etwas  bogenförmig 
nach  vorn  ziehen. 


112 


Specielle  Operationslehre. 


schnitt  Fig.  29);  dieselbe  trennt  oben  noch  ein  Stück  des  M.  tem- 
poralis.  Das  Periost  wird  mitgespalten,  nach  vorn  geschoben,  unten 
wird   der  Ansatz   des  M.   sternocleido   mit   dem  Messer  gelöst.     Der 


Lobus  tem- 
poralis, I  cm 
tiefer  hinein 
Hinterhorn 
des  Seiten 
Ventrikels 

Sinus   trans 
versus 


Antium    \ 
mastoideum/ 


Innenfläche  des  Periosts 


Fig.  30.  Trepanation  des  Antrum  mastoideum,  des  Sinus  transversus,  des 
Lobus  temporalis  und  Hinterhornes  des  Seitenventrikels.  Der  Schnitt  ist  ent- 
lang dem  hinteren  Rande  der  Ohrmuschel  bis  durch  das  Periost  geführt.  Man 
sieht  zwischen  der  oberen  und  den  zwei  unteren  Trepanationsöffnungen  den 
hinteren  Ursprung  der  kammartigen  Linea  temporalis.  Unten  erscheint  an  der 
Spitze  des  Warzen fortsatzes  der  Ansatz  des  Muse,  sternocleido. 


hintere  Wundrand  wird  etwas  rückwärts  gezogen.  Ist  der  Schädel 
durchgemeisselt,  so  liegt  die  Wand  des  Sinus  frei.  Das  Emissarium 
mastoideum   geht   dem   mittleren  Drittel  des  Processus  entsprechend 


Schädeltheil  des  Kopfes.  1 1  ^ 

durch  den  Knochen.  Bei  8  Verletzungen  des  Sinus  lateralis,  welche 
Gangolphe  und  PiCRY  zusammengestellt  haben,  ist  jedesmal  der 
Tod  erfolgt.  Depage  hat  (Februar  1900)  einen  Fall  durch  Tampo- 
nade durchgebracht,  bei  welchem  ein  Splitter  bei  nicht  complicirter 
Fractur  den  Sinus  verletzt  hatte.  Viel  häufiger  kommt  man  in  den 
Fall,  den  Sinus  bei  Operationen  an  dieser  Stelle  vermeiden  zu  wollen, 
speciell  bei  Eröffnung  der  Cellulae  mastoideae  (s.  diese). 

Der  horizontale  Theil  des  Sinus  trans versus  ist  durch  die 
Linea  glabello-occipitalis  bezeichnet,  soweit  diese  der  Linea  semi- 
circularis  occipitalis  superior  folgt  (Poirier).  Die  Zusammenfluss- 
stelle mit  dem  Sinus  longitudinalis  liegt  unterhalb  der  Spina  occi- 
pitalis (Confluens  sinuum).  Der  horizontale  Theil  muss  gelegentlich 
bei  Hirntumoren  freigelegt  und  kann  ohne  Schaden  einseitig  unter- 
bunden werden  (Horsley).  Vergl.  das  Nähere  bei  der  Trepanation 
des  Kleinhirns. 

20)  Trepanation  bei  intracranieller  Blutung. 

Nicht  nur  bei  Blutungen  in  die  Hirnhäute,  speciell  aus  der  Art. 
menigea  media,  besteht  die  Indication  zur  Trepanation,  sondern  man 
ist  mit  Recht  in  neuester  Zeit  einen  guten  Schritt  weiter  gegangen 
und  hat  auch  bei  tiefer  gelegenen  Blutungen  versucht,  den  Hirndruck 
im  Allgemeinen  und  die  localen  Schädigungen  durch  den  Druck  des 
ergossenen  Blutes  zu  beseitigen. 

Freilich  ist  hier  die  Indication  schwerer  zu  stellen,  als  bei  dem 
extraduralen  Hämatom  durch  Zerreissung  der  Art.  menigea  media. 
Schulz  beschreibt  *)  eine  Trepanation  bei  einem  subduralen  Hämatom 
von  200  g  Blut  unter  dem  Stirnbein  (operirt  von  Henle  in  der 
Breslauer  Klinik),  bei  welchem  die  Indication  hergenommen  wurde 
aus  peripher  bedingter  Schädigung  des  rechten  Opticus  mit  Amblyopie, 
des  rechten  Oculomotorius  mit  Ptosis  und  theilweiser  Störung  der 
Bulbusbewegung,  Anosmie  und  speciell  aus  Parese  des  gegenüber- 
liegenden (linken)  Beins  mit  gesteigerten  Reflexen  und  Parese  des 
linken  unteren  Facialastes. 

Diese  getrennten  Herderscheinungen,  sowie  die  vorwiegende 
Betheiligung  des  Beins  ohne  den  Arm  scheinen  Schulz  besonders 
verwerthbar  für  die  Diagnose  eines  intra-  gegenüber  dem  extra- 
duralen Hämatom,  da  sich  ersteres  weiter  und  ungleichmässiger  ver- 
theilen  kann.  Multiple  Nervenläsionen  an  der  Schädelbasis,  soweit 
sie  sich  nicht  durch  Fissuren  erklären,  dürften  wegen  der  schwereren 
Ablösbarkeit  der  Dura  daselbst  für  intradurale  Blutung  unter  Um- 
ständen ins  Gewicht  fallen. 


1)  Inaug.-Diss.  Breslau  1897. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl. 


ha  Specielle  Operationslehre. 

Gleichseitige  Opticus-  oder  Oculomotoriuslähmung  allein  ist  ebenso 
wie  gleichseitige  Stauungspapille  auch  bei  extraduralem  Hämatom 
keineswegs  selten. 

Auf  eine  weitere  Eigenthümlichkeit  möchten  wir  hier  besonders 
aufmerksam  machen,  dass  bei  subduralen  Hämatomen  gelegentlich 
nicht  gekreuzte  Lähmungen  vorkommen,  welche  an  supradurale  oder 
centrale  Läsion  der  anderen  Seite  denken  lassen  könnten.  Stabel 
beschreibt  einen  von  Hahn  operirten  Fall,  wo  die  Kopf-  und  Augen- 
rechtsdreher, der  rechte  untere  Facialast,  die  rechtseitigen  Extremi- 
täten völlig  gelähmt  waren,  links  dagegen  bloss  Spasmus  mit  ge- 
steigerten Reflexen  in  Bein  und  Arm  bestand  bei  einem  rechtseitigen 
subduralen  Hämatom  von  90  ccm  Vol. 

Ich  möchte  hier  nicht  mit  Stabel  eine  Anomalie  der  Innervation 
annehmen,  sondern,  wie  bei  Besprechung  localen  Hirndruckes  aus- 
einander gesetzt,  die  rechtseitige  Lähmung  bloss  beziehen  auf  die 
Verschiebung  der  Falx.  Ich  habe  daselbst  eine  eigene  Beobachtung 
mitgetheilt,  welche  beweist,  dass  bei  intraduralem  Extravasat  der  locale 
Druck  viel  geringer  ist,  weil  sich  das  Blut  mehr  vertheilt,  als  der 
allgemeine  resp.  fortgeleitete.  Es  kann  demgemäss  die  starke  Ver- 
schiebung der  Falx  wohl  zu  einer  Läsion  der  gegenüberliegenden 
Rindencentren  (in  Hahn's  Fall  bestand  eine  starke  Duraspannung  auf 
der  entgegengesetzten  Seite)  oder  zu  einer  Leitungsunterbrechung  in 
den  Stabkranzfasern  Anlass  geben. 

Nicht  nur  das  subdural  ergossene  Blut  hat  man  durch  Trepanation 
mit  Erfolg  entleert,  sondern  sogar  die  Quelle  der  Blutung  gefunden 
und  die  betreffende  Arterie  an  der  Hirnoberfläche  unterbunden.  So 
hat  Schneider  (Königsberg)  *)  bei  einer  Stichverletzung  in  die  linke 
Schläfengegend  wegen  Aphasie  und  zunehmender  Hemiparese  rechts 
trepanirt,  die  Dura  gespalten,  das  ergossene  Blut  ausgeräumt  und 
einen  spritzenden  Ast  der  Art.  cerebri  media  unterbunden,  die  Dura 
mit  Catgut  vernäht  mit  Besserung  der  Hemiplegie  vom  2.  Tage,  der 
Aphasie  vom  3.  Tage  ab. 

Aufmerksam  zu  machen  ist  auf  die  event.  Unterstützung  der 
Diagnose  auf  subduralem  Bluterguss  durch  die  QuiNCKE'sche  Lumbal- 
punction,  welche  Blutbeimischung  zum  Liquor  ergeben  kann.  Aber 
auch  intracerebrale  Blutungen,  welche  zu  hemiplegischen  Erschei- 
nungen geführt  hatten,  hat  man  bereits  durch  Trepanation,  Eröffnung 
des  Herdes  und  Entleerung  des  Blutes  mit  glücklichem  Erfolge 
operativ  behandelt. 

Kein  Autor  insistirt  mit  grösserer  Energie  auf  die  Notwendig- 
keit, auch  bei  Hirncontusionen  und  Bluterguss  innerhalb  der  Hirn- 
substanz chirurgisch  einzugreifen,  als  Horsley.     In  seinem  Vortrag 


I)  Arch.  f.  klin.  Chir.  1886,  Bd.  34. 


Schädeltheil  des  Kopfes.  : :  c 

am  internationalen  Congress  in  Berlin  1890  erklärt  er,  dass  er  sich 
keinen  Fall  denken  könne,  wo  man  nicht  bei  complicirten  Fällen  von 
Hirnzerreissung  einzugreifen  hätte,  seien  sie  frisch  oder  alt; 
Aber  er  will  auch  in  allen  einfachen  Fällen  von  Hirnzerreissung  activ 
vorgehen,  um  den  früheren  oder  späteren  Eintritt  von  Epilepsie  zu 
verhüten.  Er  theilt  bei  dieser  Gelegenheit  einen  Fall  mit,  der  im 
Gegensatz  zu  einem  analogen,  binnen  8  Tagen  bei  zuwartender  Be- 
handlung in  Coma  und  Convulsionen  zu  Grunde  gegangen,  durch  die 
Operation  gerettet  wurde.  Er  betrifft  einen  Arzt  mit  ausgedehnter 
Zerreissung  des  Frontal-,  Parietal-  und  Temporallappens,  bei  dem 
Hemiplegie  und  Bewusstlosigkeit  10  Tage  lang  bestanden,  dann  Coma, 
CHEYNE-STOKES'sches  Athmen  eintrat.  Durch  ausgiebige  Trepanation 
und  Auswaschen  der  Blutgerinnsel  aus  dem  ganzen  linken  Duralsack 
(wohl  Arachnoidealraum)  trat  völlige  Heilung  ein,  so  dass  der  Be- 
troffene wieder  seinen  ärztlichen  Beruf  ausüben  konnte. 

Auch  für  nicht  traumatische  Blutungen  kann  mit  Erfolg 
trepanirt  werden,  so  für  die  Pachymeningitis  haemorrhagica, 
wie  ein  schöner  Heilungsfall  aus  neuester  Zeit  von  Kohl  in  Chur 
beweist.  In  Fällen,  wie  die  von  A.  Fränkel  beschriebenen  und 
richtig  diagnosticirten  von  Pachymeningitis  haemorrhagica  interna, 
wo  sich  auf  einer  Seite  200  und  auf  der  anderen  140  ccm  flüssiges 
Blut  auf  dem  Gehirn  vorfand,  ist  klar,  dass  der  Tod  durch  Hirn- 
druck wenigstens  unmittelbar  zu  vermeiden  war  durch  Hebung  des 
Hirndrucks.  Schubweise  Entwicklung  der  Symptome,  Doppelseitig- 
keit der  Symptome,  Vorwiegen  von  Spasmen  bis  zu  tetaniformen 
Zuständen,  einseitiger  Nystagmus  lassen  neben  anderen  Symptomen 
von  Hirndruck  (Stauungspapille)  die  Diagnose  genügend  sicher  stellen. 

Abernethy  macht  auf  die  Blutleere  der  Knochen  über  grösseren 
subduralen  Blutergüssen  aufmerksam,  was  ich  December  1897  bei 
einem  älterem  Manne  bestätigen  konnte. 

Wir  verweisen  für  weitere  Belege  auf  unsere  Arbeit  über  Hirn- 
druck und  Hirnerschütterung  in  Nothnagels  Pathologie. 

Wir  stimmen  Krönlein  völlig  bei,  dass  in  erster  Linie  die  Ab- 
sicht der  Trepanation  sein  muss,  das  Hämatom  zu  treffen  oder, 
besser  gesagt,  die  Hämatome.  Denn  man  darf  sich  bei  Zeichen  von 
manifestem  Hirndruck  mit  der  Entleerung  von  50  g  nicht  begnügen. 
Man  hat  nach  Wiesmann  selbst  bei  75  g,  ganz  in  Uebereinstimmung 
mit  Experimenten,  noch  alle  Drucksymptome  fehlen  sehen  und  vor 
dem  Exitus  andererseits  Blutungen  bis  zu  250  g  anwachsen  sehen, 
also  über  1/6  des  normalen  Hirngewichtes  bei  Männern  (1430)  und  des 
normalen  Volumens  des  Schädels  (1500).  Es  bleibt  also  bei  zu  geringem 
Bluterguss  indicirt,  an  einer  zweiten  Stelle  zu  suchen. 

Erst  nachdem  das  Blut  entleert  ist,  kommt  die  Ligatur  einer 
event.  blutenden  Arterie  in  Frag-e,   und   da   ist  es  allerdings  weitaus 


n6 


Specielle  Operationslehre. 


am  häufigsten  die  Arteria  meningea  media,  mit  welcher  man  sich  zu 
beschäftigen  hat.  Die  Blutungen  aus  diesem  Gefäss  führen  nach 
Wiesmann  in  90  Proc.  der  Fälle  zum  Tode,  wenn  nicht  operirt  wird, 
während  durch  Operation  67  Proc.  geheilt  werden. 


Oberer 

Rand  des 
)jochbogens 


Fig.  31.    Ligatur  der  A.  meningea  media. 


ai)  Trepanation  zur  Freilegung  der  Arteria  meningea 
media  und  ihrer  Hämatome  (vergl.  Fig.  31). 

Die  Arteria  meningea  media  versorgt  die  Hirnhäute  mit  Blut.  Als 
Unterbindungsstelle  derselben  giebt  Jacobson  eine  Stelle  von  5  cm 
hinter  und  1,2  cm  über  dem  Proc.  zygomaticus  des  Stirnbeins  an. 
In  der  Regel  wird  nach  Vogt  eine  Stelle  gewählt,  welche  zwei 
Finger  breit  über  dem  Jochbogen  liegt  und  daumenbreit  hinter  dem 


Schädeltheil  des  Kopfes.  117 

Processus  zygomaticus  des  Stirnbeins.  Aber  dieser  Punkt  trifft1) 
nur  einen  Theil  der  Arterie,  nämlich  nur  den  vorderen  Ast  der- 
selben. Wenn  man  den  hinteren  Ast  gleichzeitig  treffen  will,  so 
muss  man  die  Trepanation  unmittelbar  über  der  Mitte  des 
Jochbogens  machen.  Hier  ist  aber  nicht  nur  die  Kopfschwarte 
und  das  Periost  zu  durchschneiden,  sondern  hier  kommt  noch  in 
Betracht  der  M.  temporalis,  dessen  Fasern  senkrecht  verlaufen.  Da 
aber  ein  Schnitt  hier  der  Zweige  des  N.  facialis  wegen  nicht  unter 
den  Jochbogen  heruntergehen  darf,  so  ist  eine  Längsspaltung  un- 
zulässig, man  benutzt  unseren  Schläfenschnitt  (vergl.  Fig.  31) 
schräg  von  der  Stirn-Jochbeinverbindung2)  bis  zum  hintersten  Ende 
des  Jochbogens  und  von  da  rück-aufwärts,  trennt  Haut  und  die 
stramme  Temporalf ascie  und  geht  nach  Ligatur  der  Arteria  tempo- 
ralis superficialis  am  hinteren  Rande  des  M.  temporalis  auf  den 
Knochen  ein,  von  welchem  man  den  Muskel  sammt  dem  Periost 
nach  vorne  abhebelt.  So  vermeidet  man  die  Blutungen  aus  den 
tieferen  Temporalgefässen  und  trifft  am  sichersten  die  Stelle  der 
Schläfenschuppe,  unter  welcher  die  gesuchte  Arterie  liegt.  Der 
Knochen  ist  hier  sehr  dünn.  PoiRlER  empfiehlt  wie  wir  die  Mitte 
zwischen  Hörgang  und  Processus  frontalis  des  Jochbeins  zu  nehmen, 
aber  5  cm  oberhalb  zu  trepanieren. 

Krönlein,  welcher  grosse  Erfahrung  über  Blutungen  aus  der 
Arteria  meningea  besitzt,  giebt  Angabe  über  zwei  Punkte,  an  denen 
man  am  sichersten  die  Extravasate  aus  dem  vorderen  und  hinteren 
Hauptast  der  Arteria  zu  treffen  Aussicht  hat.  Diese  zwei  Krönlein- 
schen  Punkte  liegen  in  einer  Horizontalen  von  Supraorbitalrand  rück- 
wärts gezogen,  der  vordere  3 — 4  cm  hinter  dem  Processus  zygo- 
maticus ossis  frontis,  der  hintere  an  der  Kreuzungsstelle  mit  einer 
Verticalen  durch  den  Hinterrand  des  Processus  mastoideus.  Bei 
Extravasaten,  wie  er  eines  beobachtete,  welche  bis  nahe  ans 
Foramen  magnum  heranreichen,  schlägt  Krönlein  noch  einen 
dritten  Punkt  zur  Trepanation  vor,  unter  der  Mitte  der  Linea  semi- 
circularis  superior  rechts  oder  links. 

Steiner  hat  nach  Untersuchung  von  100  Schädeln  den  vor- 
deren Ast  jedesmal  gefunden  am  Kreuzungspunkt  einer  Senk- 
rechten auf  die  Mitte  der  Verbindung  von  Glabellamitte  zur  Spitze 
des  Warzenfortsatzes  mit  einer  Horizontalen  von  der  Glabellamitte 
um  den  Schädel;  den  hinteren  Ast  in  90  Proc.  der  Fälle  an  der 
Kreuzung  der  letztgenannten  Horizontalen  mit  einer  Senkrechten 
vor  dem  Processus  mastoideus  aufwärts. 


1)  Vergl.  in  Merkel's  Anatomie  S.  65. 

2)  In  Fig.  31   ist  der   vordere  Schnitt  etwas  zu  tief  gezeichnet  in  seiner 
vorderen  Hälfte. 


u8 


Specielle  Operationslehre. 


Noch  zwei  Stellen  am  Schädel  giebt  es,  die  wir  bei  Trepanation 
vermeiden  oder  noch  häufiger  wissentlich  freizulegen  in  der  Lage 
sind:  dies  sind  die  Stellen  des  Sinus  frontalis  und  des  Antrum 
sammt  Cellulae  mastoideae.  Eiteransammlungen  in  diesen  Höhlen 
sind  die  wichtigste  Indication  zu  ihrer  Eröffnung. 


N.  frontalis 


A.  u.  N.  supra- 
orbitalis 


M.  orbicularis 


M.  orbicularis) 
oculi  / 

Abgetrennterf        t':..f'iE 
M.  quadratus>~" 
labii  sup.     J 
N.  infraorbitalis 


Sinus    fron- 
talis 


Fig.  32.     I.   Ligatur   der  A.   supraorbitalis.     Freilegung   des   N.    supraorbitalis. 
2.  N.  infraorbitalis.     3.  Eröffnung  des  Sinus  frontalis. 

aa)  Trepanation  des  Sinus  frontalis  (Fig.  32). 

a)  Eröffnung  des  Sinus. 

Schnitt  nach  Abrasiren  der  Haare  durch  die  Augenbraue  bogen- 
förmig bis  zur  Mittellinie  auf  den  Knochen.  Der  obere  Wundrand  wird 
sammt   dem  abgehebelten  Periost   nach  oben  gezogen.     Der  Schnitt 


Schädeltheil  des  Kopfes.  !  x  n 

durchtrennt  die  N.  frontalis  und  supraorbitalis  und  die  gleichnamige 
Arterie,  er  schont  aber,  was  viel  wichtiger  ist,  die  Facialisäste  zu  dem 
M.  frontalis  sammt  corrugator  und  zum  M.  orbicularis.  Selten  ist  es 
nöthig,  noch  einen  senkrechten  Schnitt  hinzuzufügen,  welcher  neben 
der  Medianlinie  schräg  aufwärts  geführt  wird.  GOLOVINE  hat  in  neuester 
Zeit  diesen  Hautschnitt  zu  dem  semigen  gemacht.  Am  inneren  Ende 
des  knöchernen  Arcus  superciliaris  wird,  nach  Abheben  des  Haut- 
periostlappens mit  dem  Elevatorium,  der  Sinus  zunächst  mit  einem 
kleinen  Hohlmeisel  oder  rotirender  Fräse  (s.  Trepanation)  geöffnet.  Die 
vordere  Wand  enthält  Diploe :  man  muss  sich  wegen  ihres  Gefässreich- 
thums  gefasst  machen  auf  Blutung.  Die  hintere  Wand  wird  bloss  durch 
Vitrea  gebildet.  Unter  der  vorderen  Knochenwand  erscheint  in  Form 
einer  bläulichen  Blase  die  dünne  glatte  Schleimhaut,  welche  bei  Eiterung 
stark  verdickt  bläulich-roth  und  gelockert  ist.  Nach  deren  Trennung 
kann  man  mit  einer  Sonde  rück-  und  abwärts  aus  dem  Sinus  in  die 
Nasenhöhle  unter  dem  vorderen  Ende  der  mittleren  Muschel  ge- 
langen und  dahin  nach  stumpfer  g-ewaltsamer  Erweiterung  einen 
bleibenden  Abflussweg  (Drainröhre)  anlegen.  Es  ist  gut,  sich  zu 
diesem  Behuf  ein  sehr  leichtes,  aber  festes  silbernes  Drainrohr  con- 
struiren  zu  lassen,  welches  nach  dem  Sinus  zu  zwei  oder  drei  flügei- 
förmige Auskrempungen  besitzt,  welche  es  hier  festhalten,  aber 
nachgiebig  genug  sind,  um  bei  kräftigem  Zug  von  unten  zusammen- 
zuklappen und  das  Herausziehen  der  Röhre  nach  der  Nase  nicht  zu 
hindern.  Die  Röhre  muss  liegen  bleiben,  bis  die  Eiterung  versiegt. 
In  der  Regel  thut  man  besser,  ohne  weiteres  Abheben  des  Periosts, 
von  der  kleinen  Meisselöffnung  aus  erst  lateralwärts,  danach  aufwärts 
mit  dem  geraden  Meissel  den  Knochen  noch  zu  trennen,  nachdem  man 
sich  über  die  Ausdehnung  des  Sinus  nach  diesen  beiden  Richtungen 
mit  der  Sonde  orientirt  hat.  Mit  dem  Elevatorium  kann  das  so  gebildete 
Knochendreieck  nach  oben-aussen  sammt  Periost  gebrochen  und  zurück- 
geklappt werden.  Nun  wird  mit  scharfem  schmalen  Löffel  die  ganze 
Schleimhautauskleidung  entfernt;  so  kann  man  bei  freiem  Abfluss 
nach  der  Nase  Radicalheilung  erzielen.  Jofoformgaze-Tamponade  mit 
theilweiser  Naht  darüber  und  definitive  Secundärnaht  nach  2  Tagen. 
Die  geschilderte  Methode  genügt,  wie  die  Eröffnung  des  Antrum 
und  der  Cellulae  mastoideae,  für  die  acuten  und  frischen  Fälle  bloss 
katarrhalischer  Eiterung  in  der  Stirnhöhle,  wie  sie  als  Complication 
acuter  Rhinitis  oder  auch  bei  Infectionskrankheiten  ohne  deutlich 
ersichtliche  Fortpflanzung  von  unten  (z.  B.  bei  Influenza)  auftreten. 
Bei  länger  dauernden  Fällen  dagegen  heilt  die  Schleimhaut  nicht 
aus,  der  Knochen  erkrankt  oberflächlich,  und  die  Siebbeinzellen  werden 
durch  den  abfliessenden  Eiter  in  Mitleidenschaft  gezogen  und  ver- 
hindern die  definitive  Ausheilung.  Hier  muss  durch  die  Radical- 
operation  geholfen  werden. 


i2o  Specielle  Operationslehre. 

b)  Die  Radicaloperation  der  Sinuitis  frontalis. 

Als  Radicalverfahren  können  drei  Methoden  angesprochen 
werden:  Die  eine  von  mir  viel  früher  schon  ausgeführte,  gewöhnlich 
als  KuHNT'sche  Methode  bezeichnete,  welche  in  Entfernung  der 
ganzen  vorderen  Wand  der  Sinus  mit  Obliteration  desselben  besteht 
und  sichere  Heilung  in  relativ  kurzer  Zeit  in  Aussicht  stellt.  Zu 
derselben  muss  der  oben  geschilderte  Winkelschnitt  benutzt  werden, 
der  Sinus,  wie  geschildert,  eröffnet  und  nach  Abhebung  der  Weich- 
theile  mit  Periost  die  vordere  Wand  des  Sinus  mit  schneidender 
Knochenzange  entfernt  werden,  die  kranke  Schleimhaut  wird  aus- 
geräumt, nicht  drainirt,  und  die  Weichtheile  auf  die  hintere  Sinus- 
wand angelegt. 

Der  Nachtheil  der  Operation  ist  eine  recht  beträchtliche  Ent- 
stellung, wenn  auch  die  Narben  sehr  schön  geworden  sind.  Die 
Stirne  erscheint  unregelmässig  eingesunken.  Die  Methode  ist  dem- 
gemäss  zu  beschränken  auf  ganz  hartnäckige  Fälle  und  solche,  wo 
die  Gefahr  einer  intracraniellen  Complication  sich  ankündigt.  Die 
Entstellung  wäre  zu  vermeiden,  wenn  man  die  vordere  Wand  osteo- 
plastisch aufklappte  und  die  hintere  Wand  entfernte,  aber  die  Gefahr 
einer  intracraniellen  Eiterverhaltung  verbietet  das;  es  wäre  hieran 
bloss  zu  denken,  wo  schon  subdurale  Eiterung  besteht.  Die  Jansen- 
sche  Methode  der  Entfernung  bloss  der  orbitalen  Wand  des  Sinus 
mit  Tamponade  ist  der  völligen  Entfernung  der  Wand  in  ihren 
Resultaten  nicht  gleichwerthig. 

Zur  Vermeidung  der  Entstellung  hat  man  die  osteoplastische 
Methode  eingeführt.  Ich  habe  schon  in  früheren  Auflagen  dieser 
Operationslehre  angegeben,  dass  es  in  der  Regel  besser  sei,  statt 
von  einer  kleinen  Oeffnung  aus  in  den  Sinus  vorzugehen,  die  vordere 
Wand  nach  zwei  Seiten  mit  schneidender  Zange  zu  trennen  ohne 
Ablösung  des  Periosts  und  den  so  gebildeten  Knochenlappen  an 
der  Basis  einzubrechen.  Auf  diese  Weise  erhält  man  freien  Einblick 
in  die  ganze  Höhle  und  kann  alles  Kranke  entfernen.  KÜSTER, 
Gussenbauer  und  Czerny  haben  die  osteoplastische  Trepanation 
methodisch  ausgeführt.  Der  Schnitt  von  Czerny  ist  viel  entstellen- 
der als  der  von  uns  gewählte  und  von  GOLOVINE  acceptirte.  G. 
bildet  mit  einem  abweichenden  Schnitte  einen  Lappen  des  Knochens, 
dessen  Basis  am  Supraorbitalrand  liegt. 

Die  Osteoplastik  erlaubt  gegenüber  kleiner  Trepanationsöffnung 
nicht  bloss  gründliche  Entfernung  kranker  Schleimhaut  und  Knochen, 
sondern  lässt  auch  die  von  Küster  mit  Recht  für  starrwandige 
Höhlen  geforderte  Anlage  der  Drainageöffnung  am  tiefsten  Theile 
der  Höhle  sehr  exact  zur  Ausführung  bringen.  Sie  lässt  sich  auch 
zweckmässig  in  der  Weise  durchführen,  dass  man  durch  die  erst  an- 
gelegte   kleine  Oeffnung   (s.  Fig.  32)   eine  Drainröhre   aus   der  Nase 


Schädeltheil  des  Kopfes.  121 

bis  durch  die  äussere  Haut  herausleitet  und  so  gründliche  Spülung  er- 
möglicht. 

Der  letzten  für  Radicalheilung  wichtigen  Indication  entspricht 
ein  drittes  Verfahren,  welches  in  verschiedener  Ausdehnung  zunächst 
auf  die  Ausmündungsstelle  des  Ductus  nasof rontalis 
und  auf  die  Siebbeinzellen  losgeht,  um  hier  jede  Eiterstockung 
und  jedes  Hinderniss  für  völlig  freien  Abfluss  in  die  Nasenhöhle 
bleibend  zu  beseitigen.  Winkler  macht  die  mediane  Nasenspaltung, 
Killian  die  temporäre  Resection  der  Nasenbeine  und  des  Ober- 
kieferstirnfortsatzes, Barth  eine  noch  beschränktere  Aufklappung 
bloss  des  Nasenbeins  und  Processus  nasalis  des  Stirnbeins  von  einem 
Längsschnitt  aus. 

Bei  der  Operation  des  letzteren  wölbt  sich  an  der  betreffenden 
Stelle  die  Schleimhaut  der  Stirnhöhle  nach  Zurückklappen  der  Knochen 
in  die  Wunde  von  oben  vor,  kann  breit  eröffnet,  die  Stirnhöhle  tam- 
ponirt  werden  und  nunmehr  wird  der  obere  Theil  der  Nasenhöhle 
mittelst  Löffel,  Meissel  und  Scheere  völlig  freigemacht,  so  dass  eine 
bleibende  freie  Communication  der  Stirnhöhle  mit  der  Nasenhöhle 
gesichert  ist.  Diese  Methoden  der  Offenlegung  des  Sinus  nach  der 
Nase  zu  sind  speciell  indicirt  in  allen  Fällen,  wo  Erkrankung  der  Nase, 
speciell  der  Siebbeinzellen  sich  mit  der  Sinuitis  combinirt,  sei  es 
primär  oder  secundär. 

Die  Nachbehandlung  kann  hier  in  blosser  fleissiger  Spülung  der 
Nase  bestehen,  wenn  nicht  eine  intensive  Erkrankung  des  Sinus 
eine  mehrtägige  Nachwirkung  auf  dessen  Innenwand  durch  Jodoform 
oder  Xeroformtamponade  wünschenswerth  erscheinen  lässt. 

23)  Die  Freilegung  der  Mittelohrräume  (vergl.  Fig.  30). 
Die  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  durch  die  Tuba  Eustachii 
aus  dem  Nasenrachenraum  fortgeleiteten  Entzündungen  des  Mittel- 
ohres können  bei  Uebergang  in  Eiterung  in  Kürze  zur  Heilung 
kommen,  wenn  sie  rasch  durch  das  Trommelfell  perforiren  oder  durch 
einen  Schnitt  in  diese  Membran  an  deren  unteren  Umfang  gehörig 
entleert  werden. 

Versiegt  aber  der  Eiterausfluss  aus  dem  Ohr  nicht  in  einer  Kürze, 
so  kann  man  annehmen,  dass  die  Eiterung  sich  nicht  auf  die  Pauken- 
höhle beschränkt.  Die  untere  Wand  letzterer  ist  flach  und  der  Ab- 
fluss aus  derselben  daher  nicht  ungünstig.  Ganz  anders  gestalten 
sich  die  Verhältnisse,  wenn  sich  die  Eiterung  aus  dem  Atticus  auf 
das  Antrum  mastoideum  und  die  Cellulae  mastoideae  fortgepflanzt 
hat.  Für  diese  besteht  ein  günstiger  Eiterabfluss  bloss  bei  Eröffnung 
des  Processus  mastoideus,  da  der  Weg  der  Schwere  nach  rück-  und 
abwärts  geht.  Die  beliebten  Ausspülungen  helfen  in  diesen  Fällen 
nichts.   Soll  die  Eiterung  aufhören,  so  muss  man  den  Warzenfortsatz 


122  Specielle  Operationslehre. 

trepaniren  und  zwar  bevor  die  schlimmeren  Folgezustände  der  fort- 
geleiteten Eiterung  eingetreten  sind. 

Die  in  den  Warzen fortsatz  eingedrungenen  Infectionsstoffe  (am 
häufigsten  Diplo-  und  Streptokokken,  auch  Staphylokokken)  finden 
hier  in  Folge  Stagnation  eine  geeignete  Entwicklungsstätte,  greifen 
auf  die  dünnen  Knochen  wände  über  und  gelangen  auf  das  äussere 
und  innere  Periost.  Vom  äusseren  Periost  aus  bildet  sich  eine  Phleg- 
mone hinter  der  Ohrmuschel.  Das  innere  Periost  ist  die  Dura  mater 
und  eine  Periostitis  hier  identisch  mit  Pachymeningitis.  Von  dieser 
aus  kommt  es  zur  Bildung  von  Hirnabscessen  im  Schläfenlappen  oder 
Kleinhirn,  zu  Basilarmeningitis  oder  zu  Phlebitis  des  Sinus  transversus, 
je  nach  der  Stelle,  wo  der  Uebergang  der  Otitis  zur  Ostitis  mastoidea 
stattgefunden  hat. 

Aber  auch  von  der  Paukenhöhle  aus,  falls  dieselbe  mit  stag- 
nirendem  Eiter  gefüllt  bleibt  in  Folge  Erkrankung  der  Nebenhöhlen, 
kann  eine  Fortleitung  nach  dem  Schädelinnern  stattfinden,  und  es 
ist  namentlich  das  dünne  Tegmen  tympani,  durch  welches  ein  Durch- 
dringen von  Infectionsstoffen  am  häufigsten  stattfindet. 

Ist  deshalb  eine  infectiöse  Entzündung  einmal  in  das  Mittelohr 
gelangt  und  geht  dieselbe  nicht  in  kürzester  Zeit  nach  Entleerung 
des  Exsudates  zurück,  so  muss  nach  chirurgischen  Grundsätzen  eine 
gründliche  Freilegung  des  Mittelohres  bis  in  alle  Nischen  und  Neben- 
räume hinein  stattfinden.  Es  ist  sehr  interessant,  zu  verfolgen,  wie 
sich  die  Erfüllung  dieser  hier  ganz  besonders  dringlichen  Indication 
in  den  letzten  30  Jahren  allmählich  herausgebildet  und  vervollkommnet 
hat  bis  zu  der  Form,  welche  man  jetzt  als  Radicaloperation  zu  be- 
zeichnen pflegt. 

Es  ist  freilich  ein  grosser  Unterschied,  ob  man  für  frische 
und  acute  Fälle  einzugreifen  hat,  wo  die  Veränderungen  noch  ober- 
flächlich sind,  wesentlich  catarrhalischer  Natur,  oder  ob  die  Eiterung 
in  die  Tiefe  der  Gewebe  vorgedrungen  ist.  Zweifellos  wird  die 
Radicaloperation,  welche  die  Hörfähigkeit  zu  einem  guten  Theil 
opfert,  noch  in  vielen  Fällen  vermieden  bleiben,  wenn  früh  genug 
bei  acuter  Entzündung  völlige  Entfernung  des  Exsudates  bewirkt 
wird.  Zu  dieser  dient  die  Operation,  um  deren  Einführung  und  genaue 
Ausbildung  sich  Schwartze  die  grössten  Verdienste  erworben  hat, 
die  Eröffnung  des  Antrum  und  der  Cellulae  mastoideae. 

a)  Die  Trepanation  des  Processus  mastoideus. 

Die  Eröffnung  und  völlige  Freilegung  der  Cellulae  mastoideae  und 
des  Antrum  ist  in  jedem  Falle  angezeigt,  wo  eine  acute  Entzündung 
des  Mittelohres  nicht  bei  Beseitigung  der  Ursache  oder  nach  Ent- 
leerung des  Eiters  durch  Paracentese  des  Trommelfells  sofort  zurück- 
geht. Man  kann  dann  fast  immer  sicher  sein,  das  Exsudat  aus  der 
Paukenhöhle  weiter  fortgeschritten  zu  finden  und  zwar  zunächst  nach 


Schädeltheil  des  Kopfes.  123 

dem  Antrum  durch  den  offenen  Aditus  zu  demselben  aus  dem  Kuppel- 
raum, und  nach  den  Cellulae  mastoideae,  welche  ihrerseits  in  offener 
Communication  mit  dem  Antrum  stehen.  Eine  ohne  die  anderen  dieser 
Höhlen  zu  eröffnen  hat  keinen  Sinn.  Wir  sprechen  daher  auch  nicht 
einfach  wie  in  specialistischen  Lehrbüchern  von  einer  Eröffnung  des 
Antrum,  sondern  von  der  Trepanation  des  Processus  mastoideus,  resp. 
der  in  demselben  befindlichen  Knochennebenhöhlen. 

Der  Schnitt,  welchen  wir  empfehlen,  ist  unser  sogen.  Ohr- 
muschelschnitt, welcher  allen  Fällen  entspricht,  auch  wo  man 
sich  nachträglich  zur  Radicaloperation  entschliessen  muss.  Er  ist 
leicht  und  raschestens  zu  kennzeichnen,  indem  man  die  Ohrmuschel 
an  den  Schädel  anlegt  und  entlang  deren  hinterem  Rande  von  der 
Spitze  des  Processus  mastoideus  bis  ans  obere  Ende  einen  kräftigen 
Schnitt  mit  dem  Periostmesser  bis  auf  den  Knochen  führt.  Zeigt 
sich  später  eine  Vergrösserung  des  Schnittes  nothwendig,  so  braucht 
man  ihn  bloss  auch  am  oberen  Rande  der  angelegten  Ohrmuschel 
weiterzuführen,  um  auch  von  oben  vollen  Zugang  zu  schaffen. 

Einige  spritzende  Gefässe  werden  gefasst  und  mit  scharfem 
Raspatorium  das  Periost  abgeschoben  nach  vorn  bis  zum  Hörgang. 
Da  wo  obere  und  hintere  Wand  des  knöchernen  Gehörganges  zu- 
sammenstossen,  findet  man  mehr  oder  weniger  deutlich  ausgeprägt 
einen  Knochenvorsprung',  die  Spina  supra  meatum  nach  Bezold. 
Wenn  man  hier  den  Meissel  (am  besten  einen  kleinen  Hohlmeissel) 
aufsetzt  und  direct  medianwärts  parallel  dem  knöchernen  Gehörgang 
eindringt,  so  kommt  man  in  der  Tiefe  von  i1/2  cm  mit  Sicherheit 
auf  die  Höhle  des  Antrum.  Bevor  man  aber  mit  dieser  Meisselung 
in  die  Tiefe  zu  weit  vordringt,  ist  es  zweckmässig,  rückwärts  von 
erwähnter  Stelle  die  oberflächlichen  Corticalislagen  abzumeisseln,  um 
die  Cellulae  mastoideae  zu  eröffnen. 

Ist  man  in  die  Cellulae  eingedrungen,  welche  meist  ganz  ober- 
flächlich liegen,  so  überzeugt  man  sich  zunächst,  ob  die  Eiterung 
wirklich  bis  hierher  vorgedrungen  ist  und  hat  dann  Sicherheit,  weiter 
nicht  mehr  auf  Abwege  zu  gelangen.  Es  kann  nämlich  der  Sinus 
transversus  sehr  weit  nach  vorn  gelagert  sein  mit  seinem  senkrechten 
Schenkel,  und  obschon  man  zur  Beurtheilung  dieser  Verlagerung  in 
der  schrägen  statt  geraden  Lage  des  Planum  mastoideum  (an  der 
Basis  des  Warzenfortsatzes)  Anhaltspunkte  hat,  so  ist  es  doch  besser, 
sich  durch  directe  Freilegung  von  dieser  unangenehmen  Complication 
zu  überzeugen. 

Hat  man  die  eitererfüllten  Cellulae  eröffnet,  so  ist  es  leicht,  mit 
einer  LüER'schen  schmalen  Löffelzange  die  corticale  Bedeckung 
sämmtlicher  Höhlen  zu  entfernen,  die  Zwischenwände  mit  dem 
scharfen  Löffel  auszuräumen  und  unter  Verfolgung  der  tieferen  und 
oberen  Zellen   nach    dem  Antrum   vorzudringen,   bis   dasselbe   völlig 


12 4  Specielle  Operationslehre. 

flach  gelegt  ist,  wie  die  übrige  Höhle  ohne  vorragende  Ränder. 
Wenn  man  diese  Operation  nur  vornimmt  bei  acuten  Fällen,  so  ist 
von  einer  Naht  besser  nicht  die  Rede,  ebensowenig  von  einer  Plastik. 
Man  tamponirt  die  Höhle  mit  Xeroformgaze  nach  gründlicher  Aus- 
spülung mit  steriler  Kochsalzlösung,  nähert  provisorisch  die  Haut- 
ränder zur  Anlegung  einer  Secundärnaht  nach  6 — 8  Tagen,  unter  Ein- 
schiebung  von  Drainröhren  für  einige  Tage. 

Ganz  anders  gestaltet  sich  die  Operation,  wenn  die  gute 
Zeit  verpasst  und  eine  Aussicht  auf  rasche  Ausheilung  nicht  mehr 
vorhanden  ist.  Für  die  chronischen  Fälle  von  Mittelohreiterungen 
ist  die  Radicaloperation  auszuführen. 

b)  Die  Radicaloperation. 

Als  Radicaloperation,  deren  Ausbildung  in  jetzt  be- 
liebtester Form  Stacke  zu  danken  ist,  bezeichnet,  man  die  Frei- 
legung nicht  bloss  der  Cellulae  und  Antrum  mastoideum,  sondern 
der  ganzen  Paukenhöhle  incl.  Recessus  epitympanicus,  dem  sogen. 
Atticus  oder  Kuppelraum.  Es  ist  interessant,  an  der  Hand  der  ein- 
gehenden Darstellung  von  E.  Reinhardt  zu  verfolgen,  wie  sich 
diese  Operation  von  Stufe  zu  Stufe  bis  zur  Höhe  eines  chirurgisch 
correcten  Eingriffes  für  Retention  infectiösen  Exsudates  und  nekro- 
tischen Materials  entwickelt  hat.  Denn  was  mit  der  Radicaloperation 
geschieht,  ist  nichts  anderes,  als  was  der  Chirurg  für  jede  eitrige 
Knochenaffection  chronischen  Verlaufes  seit  langem  thut. 

Nachdem  man  sich  überzeugt  hatte,  dass  die  für  acute  Eiterung 
so  verlässliche  ScHWARTZE'sche  Operation  in  chronischen  Fällen  oft 
nicht  zum  Ziele  führt,  hat  man  den  Weg  gesucht,  das  Antrum  er- 
giebiger freizulegen  und  mit  ihm  die  Paukenhöhle.  Wolf  hat  den 
Weg  betreten,  die  hintere  knöcherne  Gehörgangswand  abzutragen. 
Hartmann  und  KÜSTER  vervollständigten  diese  Entfernung  der 
ganzen  hinteren  Wand,  Bergmann  fügte  die  Wegnahme  der  oberen 
Wand  hinzu,  um  gründlich  die  Paukenhöhle  incl.  Hörknöchelchen 
ausräumen  zu  können.  Zaufal  fügte  als  weitere  Beigabe  die  Re- 
section  der  Pars  epitympanica  hinzu  zwischen  Antrum  und  Gehör- 
gang. Endlich  hat  Stacke  direct  unter  Ablösung  der  häutigen 
Hörgangswand  nach  vorn  und  Lappenbildung  aus  derselben  die 
Paukenhöhle  eröffnet,  die  gebildete  Knochenhöhle  mit  Epidermis 
ausgekleidet,  um  einen  erweiterten  statt  zu  engen  Gehörgang  zu 
schaffen. 

Die  STACKE'sche  Operation,  nach  Schwartze  und  KÖRNER 
verbessert,  ist  folgende:  Ohrmuschelschnitt  und  Ablösung  des  retro- 
auriculären  Lappens  subperiostal  bis  zum  knöchernen  Gehörgang  wie 
oben.  Mit  einem  zwischen  knöchernen  und  häutigen  Hörgang  ein- 
geschobenen Raspatorium  wird  ersterer  abgehoben,  am  Trommelfell 
hinten    und    oben   durchschnitten,    mit   stumpfem    Haken    nach   vorn 


Schädeltheil  des  Kopfes.  125 

gedrückt.  Breite  Eröffnung  des  Antrum  wie  oben  beschrieben, 
dann  mit  Meissel  das  untere  Blatt  der  hinteren  knöchernen  Gehör- 
wand entfernt  und  die  äussere  Wand  des  Aditus  und  Kuppelraumes 
so  weit  abgetragen,  bis  kein  Knochenvorsprung  mehr  zu  fühlen  ist 
bis  zum  Tegmen  tympani  und  bis  nach  hinten  das  Antrum  völlig 
eröffnet  ist.  Dann  wird  die  Paukenhöhle  ausgeräumt,  d.  h.  Hammer 
und  Amboss  mit  Zange  entfernt,  die  hintere  Hörgangswand  ab- 
getragen unter  Schonung  des  Canalis  facialis  und  horizontalen  Bogen- 
ganges. 

Bei  richtig  angelegter  Wunde  muss  sich  dieselbe  ohne  über- 
hängende Knochenleisten  nach  aussen  trichterförmig  erweitern  und 
man  muss  bis  in  die  Paukenhöhle  frei  hereinsehen  können.  Rein- 
hardt empfiehlt  wegen  der  hier  befindlichen  Knochenzellen  stets 
auch  die  obere  Wand  des  Hörganges  abzumeisseln.  Der  häutige 
Hörgang  wird  nun  auf  eingeschobener  Rinnsonde  bis  zur  Ohr- 
muschel möglichst  hoch  in  seiner  Längsrichtung  gespalten  und  vorn  am 
Muschelrand  senkrecht,  so  dass  ein  grosser  unterer  Lappen  entsteht, 
welcher  herabgeklappt,  durch  eine  Naht  befestigt  und  auf  die  Knochen- 
meisselfläche  rückwärts  angepresst  wird  durch  Jodoform-  oder  Xero- 
formtampons, von  der  Ohröffnung  aus  eingeführt.  Die  Schnittwunde 
wird  mit  ein  paar  Nähten  fixirt  und  nach  einigen  Tagen  bei  richtigem 
Verlauf  durch  Secundärnaht  definitiv  verschlossen. 

c)  Die  Operation  bei  otitischen  Hirncomplicationen. 

Es  ist  das  Verdienst  Körner's  und  Macewen's,  den  Weg 
gewiesen  zu  haben,  auf  welchem  am  sichersten  nach  den  Schädel- 
innern  fortgeleitete  Eiterungen  erreicht  werden.  Schon  die  Radical- 
operation  und  die  Eröffnung  der  Cellulae  oder  des  Antrum  bei 
acuten  Fällen  führt  nicht  selten  an  die  Dura  und  an  die  Sinus- 
wand heran.  Heimann  hat  vorgeschlagen,  principiell  bei  eitrigen 
Otitiden,  welche  schwere  allgemeine  Erkrankung  oder  irgend  welche 
Hirnsymptome  zeigen,  bei  der  Operation  zur  Freilegung  der  Mittel- 
ohrräume zugleich  die  hintere  event.  mittlere  Schädelgrube  zu  er- 
öffnen. Nicht  mit  Unrecht.  Man  bereut  es  nie,  zu  gründlich  gewesen 
zu  sein.  Wo  Zeichen  einer  intracraniellen  Erkrankung  bestehen 
oder  einer  Sinusthrombose,  da  muss  man  regelrecht  zur  Eröffnung 
des  Schädels  und  des  Sinus  sigmoideus  an  Stelle  des  erkrankten 
Knochens  schreiten.  Es  bleibt  stets  der  beste  Weg,  die  Operation 
mit  gründlicher  Freilegung  aller  im  Mittelohr  und  seinen  Neben- 
räumen gelegenen  Höhlungen  zu  beginnen  in  der  unter  a  und  b 
geschilderten  Weise.  Man  muss  auf  diese  Weise  den  Weg  ver- 
folgen ,  welchen  die  Eiterung  genommen  hat ,  nämlich  nach  der 
mittleren  Schädelgrube  durch  das  Tegmen  tympani,  nach  der 
hinteren  Schädelgrube  durch  die  knöcherne  Wand  des  Sinus  trans- 
versus. 


126  Specielle  Operationslehre. 

Auf  diese  Weise  sind  subdurale  Abscesse  und  die  Throm- 
bose des  Sinus  am  besten  und  schonendsten  freizulegen.  Dem  Ab- 
scess  ist  in  ganzer  Breite  sicherer  Abfluss  zu  verschaffen.  Bei 
Thrombose  des  Sinus  muss  dessen  senkrechtes  Stück  durch 
Aufmeisselung  des  mittleren  Drittels  des  Processus  mastoideus  in 
ganzer  Länge  bis  zur  Spitze  freigelegt  werden,  wobei  eine  event. 
Blutung  aus  dem  Emissarium  mastoideum  durch  einen  Wachspfropf 
zu  stillen  ist.  Ist  die  Rinne  des  Sinus  eröffnet,  so  schiebt  man  nach 
den  Vorschlägen  von  E.  Meyer  und  Withling  (Trautmann) 
einen  Xeroformgazetampon  zwischen  Sinuswand  und  Knochen  bis 
zum  Bulbus  jugularis  ebenso  nach  oben  zum  Knie  des  Sinus,  um 
das  Gefäss  zu  tamponiren.  Danach  kann  der  Sinus  von  infectiösen 
Thromben  ausgeräumt  und  durch  Druck  von  aussen  oder  bei  breiter 
Eröffnung  durch  Anfüllung  mit  Xeroformgaze  tamponirt  werden. 

Geht  die  Thrombose  bis  über  das  Knie  empor,  so  kann  der 
Sinus  petrosus  sup.  bluten  und  muss  tamponirt  werden.  Geht  der 
Thrombus  über  den  Bulbus  abwärts,  so  muss  am  Halse  dessen 
untere  Grenze  event.  durch  Palpation  bestimmt,  die  Vena  jugularis 
interna,  wenn  nöthig  die  communis  gehörig  freigelegt  und 
unter  dem  Thrombus  ligirt  werden  mit  folgender  Spaltung  und 
Ausräumung  des  Thrombus  —  behufs  Verhütung  oder  Heilung  der 
dadurch  bedingten  Bakteriämie. 

Die  Eröffnung  von  Schlaf enlappenabscessen  undKlein- 
hirnabscessen,  welche  man  nicht  einfach  direct  durch  Ver- 
folgung des  Weges  öffnen  kann,  weil  die  Eiterung  discontinuirlich 
(für  makroskopisches  Urtheil)  sich  ausbreitete,  oder  welche  sich  in 
die  Ohrräume  hinein  nicht  genügend  freilegen  lassen  wegen  zu 
grosser  Tiefe,  muss  die  Trepanation  gemacht  werden. 

d)  Die  Trepanation  für  Hirnabscesse. 

Die  Trepanation  für  Schlaf  enlappenabs  cesse  wird 
nach  Fig.  30  in  der  Weise  vorgenommen,  dass  man  den  Ohrmuschel- 
schnitt entlang  dem  oberen  Rande  der  angelegten  Ohrmuschel  bis 
zu  deren  vorderem  Ansatz  verlängert.  So  erhält  man  durch  Zurück- 
schieben des  Periosts  bis  an  den  knöchernen  Hörgang  heran  die  Stelle 
der  Schläfenschuppe  über  und  hinter  dem  Ohre  frei,  welche  am 
sichersten  in  die  mittlere  Schädelgrube  führt  und  zwar  an  deren  untere 
Fläche.  Es  ist  dies  behufs  Orientirung  über  das  Vorhandensein  eines 
Abscesses  zwischen  Dura  und  Knochen  durch  Abhebung  ersterer  sehr 
wünschenswerth.  Die  Trepanationsöffnung  liegt  über  dem  hinteren 
Ende  der  Linea  temporalis,  welche  kammartig  von  hinten  in  horizontaler 
Richtung  nach  vorn  umbiegt,  um  der  Wurzel  des  Jochbogens  entgegen- 
zustreben. Nach  Spaltung  der  Dura  kann  man  sich  durch  Palpation 
oder  Punction  über  die  Stelle  eines  Abscesses  vergewissern,  wenn 
nicht  die  Veränderung  der  Hirnhäute  dieselbe  genügend  bezeichnet. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  ^7 

Die  Eröffnung  geschieht  nach  Abziehen  der  Piagefässe  mit  dem 
Messer,  die  Erweiterung  der  Oeffnung  stumpf.  Sie  muss  zu  vor- 
sichtiger und  gründlicher  Ausspülung  gross  genug  sein  und  durch 
Bepuderung  mit  Borsäure -Jodoformpulver  oder  durch  Xeroform- 
tampon offen  erhalten  werden  für  einige  Tage.  Die  Trepanations- 
öffnung wird  mit  Xeroformtampon  versorgt  als  Dauerverband. 

Die  Trepanation  für  den  Kleinhir nabscess  geschieht 
unter  vorgängiger  Eröffnung  der  Knochenrinne  des  Sinus  trans- 
versa, da  häufig  die  Erkrankung  dieser  und  des  Sinus  das  Zwischen- 
glied für  die  Fortleitung  der  Eiterung  bildet.  Das  Periost  des  hinteren 
Wundrandes  muss  rück-  und  abwärts  unter  event.  Zufügung  eines 
horizontalen  Schnittes  entlang  der  Linea  semicircularis  superior  weg- 
geschoben und  die  hintere  Schädelgrube  unterhalb  des  Sinus  trans- 
versus  eröffnet  werden. 


F.  Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase, 
Mund  und  Rachen. 

Das  Verhalten  der  Haut  im  Gesicht  weicht  von  der  Haut  am 
Schädel  insofern  ab,  als  sie  lockerer  ist;  aber  sie  ist  auch  hier 
ausserordentlich  gefässreich.  Wir  müssen  also  beim  Hautschnitt  schon 
auf  spritzende  Arterien  gefasst  sein.  Die  meisten  Gefässe  liegen 
unter  der  Cutis. 

Bezüglich  der  Schnittrichtung  gelten  diejenigen  Regeln, 
welche  für  die  Anlage  der  Normalschnitte  überhaupt  maassgebend  sind. 
Vor  allem  anderen  hat  man  bei  Operationen  im  Gesicht  darauf  zu 
sehen,  dass  man  nicht  in  Collision  kommt  mit  dem  Nervus  facialis; 
man  muss  Schnitte  wählen,  welche  den  Aesten  dieses  Nerven  parallel 
gehen,    denn  jede  Verletzung  derselben   hat  Entstellung  zur  Folge. 

Es  ist  viel  gleichgültiger,  einen  Ast  einer  Arterie  zu  durch- 
schneiden, als  einen  noch  so  kleinen  Nerven  zu  verletzen.  Demgemäss 
wird  man  die  Schnitte  so  anlegen,  dass  sie  von  der  Eintrittsstelle 
des  N.  facialis  in  die  Carotis  wie  von  einem  Mittelpunkt  aus  radiär 
gehen.  Auf  diese  Weise  schützt  man  sich  gegen  Störungen  der 
Mimik.  Dagegen  stimmen  die  Normalschnitte  mit  der  Richtung 
des  Ductus  Stenonianus  überein ;  sie  laufen  diesem  Gange  parallel. 
Die  Musculatur  muss  zum  Theil  getrennt  werden.  Muskelschnitte 
werden  zwar  im  Allgemeinen  vermieden,  und  man  hält  sich  an  die 
Interstitien  zwischen  den  Muskeln,  weil  Muskelwunden  bei  Infection 
schlechter  heilen.  Letzteres  Moment  kommt  angesichts  der  Asepsis 
nicht  mehr  in  Frage ;  man  kann  mit  derselben  eine  rasche  Vernarbung 
des  Muskels  mit  völliger  Wiederherstellung  seiner  Function  erzielen, 
wenn  nur  die  zuführenden  Nervenäste  nicht  verletzt  worden  sind. 


128  Specielle  Operationslehre. 

Wir  kommen  auf  diesen  Punkt  in  unserer  Operationslehre  immer 
wieder  zurück:  lieber  einen  selbst  starken  Muskel  (wie  etwa  den 
Rectus  abdominis)  quer  durchschneiden  und  so  eine  künstliche  In- 
scriptio  tendinea  schaffen,  als  die  zuführenden  Nerven  verletzen  und 
damit  eine  Lähmung  und  Atrophie  des  Muskels  veranlassen. 

Für  alle  Operationen,  welche  im  Bereich  der  Nase, 
des  Mundes  und  Rachens,  also  speciell  auch  an  den 
Kiefern  vorgenommen  werden,  müssen  zwei  Indicationen,  welche 
den  Erfolg  vor  allen  anderen  beeinflussen,  Berücksichtigung  finden, 
nämlich  die  Verhütung  zu  starker  Blutung  und  die  Vermeidung  der 
Aspiration  von  Blut  und  Secret  in  die  Bronchien  und  Lungen. 

Bei  Entfernung  von  Geschwülsten  in  der  Nase,  an  der  Schädel- 
basis, bei  Resection  des  Oberkiefers  ist  die  Gefahr  zu  erheblichen 
Blutverlustes  eine  grosse.  Es  muss  daher  Vorsorge  getroffen 
werden  gegen  Verblutungsgefahr.  Zahlreich  ist  die  Zahl  der 
Autoren,  welche  sich  mit  den  Mitteln  zu  prophylaktischer  Blutstillung 
für  genannte  Operationen  befasst  hat.  Wir  verweisen  auf  die  Zu- 
sammenstellung der  Anschauungen  in  der  Arbeit  Schlatter's  über  die 
Carotisunterbindung  als  Voroperation  von  Oberkieferresectionen.  Wir 
haben  uns  schon  in  den  früheren  Auflagen  diesen  Werkes  sehr  ent- 
schieden für  präliminare  Blutstillung  durch  Carotisunterbindung  aus- 
gesprochen ,  stehen  also  ganz  in  Uebereinstimmung  mit  einzelnen 
der  Schlussfolgerungen ,  welche  Schlatter  aus  Literatur  und 
eigenen  Beobachtungen  zieht.  Nur  möchten  wir  sie  noch  ent- 
schiedener präcisiren. 

Man  mag  sagen,  was  man  will,  so  ist  die  Unterbindung  einer 
Carotis  communis  bei  einem  alten  Menschen  mit  Arteriosklerose 
einem  Todesurtheil  gleich  zu  achten.  Man  kann  nicht  bestimmt  genug 
jugendliches  Alter  mit  gesunden  Gefässen  und  die  senilen  Ver- 
änderungen letzterer  auseinanderhalten.  Man  wird  also  unter  keinen 
Umständen,  wenn  es  sich  vermeiden  lässt,  bei  einem  alten  Menschen 
bloss  behufs  prophylaktischer  Blutstillung  die  Carotis  communis  unter- 
binden. Es  bleibt  bloss  die  Wahl  zwischen  Ligatur  der  Carotis  externa 
und  temporärer  Compression  der  Carotis  communis,  wie  namentlich 
Schönborn  sie  gepflegt  hat. 

Die  Ligatur  der  Carotis  externa  ist,  wie  LiPPS  gezeigt 
hat,  eine  ungefährliche  Operation,  und  meine  eigenen  Erfahrungen, 
wie  die  Anderer  (Friedrich  hat  dies  noch  neuestens  bestätigt) 
zeigen,  dass  sie  den  Blutverlust  zumal  bei  den  gefährlichen  Ober- 
kieferresectionen ganz  wesentlich  beschränkt. 

Wie  weit  eine  temporäre  Compression  der  Carotis  communis  auch 
bei  arteriosklerotischen  Gefässen  zulässig  ist,  bleibt  dahin  gestellt. 
In  einem  Falle,  bei  welchem  ich  Ende  1898  bei  einer  Pharyngo- 
glossotomie  zur  Ligatur  der  Carotis  communis  bei  einem  alten  Manne 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  I2g 

genöthigt  war,  befand  sich  der  Mann  gleich  nach  der  Operation 
noch  völlig  wohl  und  erst  allmählich  stellte  sich  Hemiplegie,  Be- 
wusstlosigkeit  und  Fieber  ein  bis  zum  Exitus.  Erst  die  nachträg- 
liche Erweichung  hatte  also  die  Störungen  bedingt.  Ob  diese  durch 
Freigabe  der  Circulation  vermieden  geblieben  wären? 

Bei  jungen  Individuen  mit  gesunden  Arterien  kann  man  ruhig 
die  Carotis  communis  provisorisch '  comprimiren  oder  die  Ligatur 
anlegen ;  diese  hat  für  das  Gehirn  nur  ganz  vorübergehende  Folgen 
in  Form  einseitig  verminderten  Blutgehaltes.  Die  Ligatur  ist  einfacher 
und  sicherer. 

Die  zweite  Indication  bei  allen  Operationen  in  den  oberen  Ver- 
dauungs-  und  Luftwegen,  die  Aspiration  zu  verhüten,  kann 
viel  einfacher  und  sicherer  geleistet  werden,  als  durch  die  prophylak- 
tische Tracheotomie  und  Tamponade  oder  durch  Ausführung  der 
Operation  in  Halbnarkose.  Es  ist  gut,  das  nochmals  zu  wiederholen, 
obschon  es  schon  bei  Besprechung  der  Lagerungsfrage  gesagt  ist.  Das 
richtige  Mittel  ist  die  Schräglagerung  des  Körpers,  nicht  etwa 
der  hängende  Kopf,  sondern  die  abhängige  Lagerung  des  Thorax 
und  Halses  und  zwar  nicht  bloss  bei  der  Operation,  sondern  auch  nach 
derselben.  So  wird  in  leichtester  Weise  die  Aspiration  von  Blut  und 
später  von  Wundsecret  vermieden. 

Seit  wir  dieses  Verfahren  principiell  für  alle  Operationen  in 
Mund ,  Nase ,  Rachen ,  Larynx  und  Trachea  eingeführt  haben, 
haben  wir  alle  anderen  Maassnahmen  entbehren  können  und  sind 
so  gut  dabei  gefahren,  dass  wir  diese  einfache  Maassnahme  nicht 
genug  zur  allgemeinsten  Benutzung  empfehlen  können.  Der  Kopf 
kann  dabei  in  völlig  angenehmer  Lage  auf  ein  Kissen  gebettet 
werden. 

Dazu  ist  bezüglich  Nachbehandlung  Folgendes  zu  bemerken :  Man 
hat  sehr  wohl  zu  unterscheiden  die  Fälle,  wo  der  Schluckmecha- 
nismus gestört  und  die  Reflexerregbarkeit  des  Larynx  geschädigt 
ist  von  den  anderen  Fällen,  wo  diese  Functionen  keinen  Eintrag  er- 
litten haben.  Kann  ein  Patient  schlucken,  wenn  auch  mühsam,  und 
wird  er  reflectorisch  zum  Husten  angeregt,  sobald  Secret  in  den 
Larynx  gelangt,  so  lässt  man  die  Patienten  am  allerbesten  schon 
am  Tage  nach  der  Operation  aufstehen.  Man  muss  es  ge- 
sehen haben,  wie  wohl  sich  die  Patienten  befinden,  wenn  sie  sitzen 
und  gehen  können,  um  zu  glauben,  wie  vortheilhaft  diese  Anord- 
nung ist.  Sie  werfen  viel  besser  aus  und  die  Aspirationspneumonien 
bleiben  weg. 

Nachts  dagegen  müssen  viele  dieser  Patienten  in  Schrägstellung, 
mit  dem  Halse  am  tiefsten  gelagert  werden,  so  wie  diejenigen 
eine    solche  Stellung   8  oder  14  Tage   oder   noch  länger   einnehmen 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  O 


i^o  Specielle  Operationslehre. 

müssen,  bei  welchen  das  Schlucken  nicht  möglich  oder  z.  B.  der 
eine  Laryngeus  superior  gelähmt  und  damit  die  Reflexerregbarkeit 
des  Larynx  aufgehoben  ist. 

24)  Ligatur  der  Art.  maxillaris  externa  (Fig.  33). 
Die   Unterbindungsstelle   dieser  Arterie   lässt   sich    ganz    genau 
bestimmen :  sie  geht  über  den  Kieferrand  herauf,  genau  am  vorderen 


,v 


Tuberculum  verte-1 
brale  vert.   VI      f 

N.  descendensl 
hypoglossi    / 

V.  jugularis  communis 
Carotis  communis 
M.  longus  colli 


Fascia  parotideo  masseterica 
M.  masseter 
A.  maxillaris 

Platysma 


A.  vertebralis 
N.  recurrens 

A.  thyreoidea  inferior 
A.  vertebralis 

Glandula  thyreoidea 

JM.  sterno- 

| ■:;    ,       _..--'    \  hyoideus 


JS 


Fig-  33-     !•  Ligatur  der  A.  maxillaris  externa.    2.  Ligatur  der  A.  thyreoidea 
inferior  und  A.  vertebralis. 


Rande  des  Muse,  masseter,  begleitet  von  der  V.  facialis  anterior, 
welche  in  ihrem  Verlauf  nicht  ganz  constant  ist.  Am  vorderen 
Masseterrande  macht  man  einen  dem  Kieferrande  parallelen  Schnitt 
durch  Haut,  Platysma  und  Fascie  und  präparirt  die  Arterie  heraus 
unter  sorgfältiger  Vermeidung  des  Ramus  marginalis  des  N.  facialis, 
welcher  dem  Kieferrand  entlang  verläuft. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  j^i 

25)  Operationen  an  der  Nase  und  den  Nasenhöhlen. 

Das  Eingehen  in  die  Nasenhöhlen  durch  die  Nasenlöcher  hindurch 
findet  keine  Anwendung  auf  Nasenaffectionen  bedenklicher  Natur, 
wie  die  tiefergreifenden  Entzündungen  oder  Neubildungen  maligner 
Art.  Wir  müssen  bei  solchen  Leiden  das  Innere  der  Nase  der  Pal- 
pation und  Inspection  direct  zugänglich  machen. 

Eine  einfache  Methode  hierzu  ist  die  von  uns  empfohlene  Spal- 
tung des  Septum  narium.  Man  geht  mit  den  Branchen  einer 
starken  Scheere  in  beide  Nasenlöcher  ein,  so  weit  als  möglich,  und 
spaltet  das  knorpelige  Septum;  dabei  spritzen  die  kleinen  Arteriae 
septi  narium.  Nun  kann  man  den  Finger  leicht  in  die  Nase  ein- 
führen und  die  Wände  abtasten.  Bei  Ozaena  genügt  dieser  Eingriff, 
um  das  weitere  Vorgehen  abzuklären,  zumal  um  umschriebene  Er- 
krankungen der '  Knochen  aufzufinden  und  kranke  Knochenstücke 
zu  entfernen.  Zwei  Nähte  genügen,  um  eine  so  exacte  Ver- 
einigung zu  erzielen,  dass  man  nachher  von  dem  Eingriff .  nichts 
mehr  sieht. 

Will  man  aber  in  die  Nase  hineinsehen,  so  muss  man  weiteren 
Zugang  schaffen.  Dieser  wird  erzielt  durch  eine  Spaltung  der 
Nase  mittelst  paramedianen  Schnittes,  wie  dieselbe  auch 
von  Dieffenbach  und  KÖNIG  empfohlen  ist  (vergl.  Nasenschnitt, 
Fig.  10).  Man  darf  nicht  genau  in  der  Mitte  spalten,  weil  der  Nasen- 
knorpel an  seinem  hervorragenden  Theile  eine  Einbuchtung  darbietet, 
und  die  Narbenretraction  bei  genauer  medianer  Spaltung  die  erwähnte 
Furche  auch  äusserlich  markirt,  was  keine  unbedeutende  Entstellung 
bedingt.  Man  spaltet  vielmehr  etwas  seitlich  von  der  Mittellinie  die 
Nasenknorpel  und  die  Nasenbeine  und  erlangt  so  eine  später  kaum 
sichtbare  Narbe.  Wenn  man  nach  der  Spaltung  vorne  am  Thränen- 
sack  vorbei  von  der  Apertura  p3^riformis  aufwärts  den  Processus 
frontalis  des  Oberkiefers  und  oben  die  Basis  des  Nasenbeins  durch- 
meisselt,  nach  Vorgang  von  Langenbeck  und  Linhart,  so  kann 
man  die  eine  Nasenhälfte  aufklappen  und  erhält  in  ganzer  Höhe 
der  betreffenden  Nasenhöhle  guten  Einblick.  Macht  man  die  quere 
Trennung  des  Nasenbeins  inclusive  der  Spina  nasalis  des  Stirnbeins 
nach"  Barth,  so  erhält  man  auch  zu  den  oberen  Siebbeinzellen 
guten  Zugang  und  kann  von  unten  dem  Sinus  frontalis  beikommen, 
Ollier  hat  die  Nase  abwärts  geklappt. 

Ein  anderes  Verfahren  ist  die  seitliche  Spaltung  der 
Nase  (vergl.  Fig.  11).  Wenn  die  Erkrankung  ihren  Sitz  auf  der 
lateralen  Seite  hat  und  sich  auf  den  Oberkiefer  ausdehnt,  so  schneidet 
man  um  den  Nasenflügel  herum  in  dessen  Rinne  aufwärts  entweder 
bloss  längs  der  knöchernen  Apertura  pyriformis  und  klappt  die  los- 
geschnittene Nasenhälfte  von  der  Mitte  auf ;  oder  man  geht  mit  dem 
Schnitt   weiter   aufwärts   und  trennt  mit  dem  Meissel  den  Processus 


1-7  2  Specielle  Operationslehre. 

frontalis  maxillae  sup.  aufwärts,  soweit  er  die  seitliche  Nasenwand 
bildet,  danach  oben  die  Verbindung  desselben  mit  dem  Stirnbein 
und  die  Basis  des  Nasenbeins  quer  durch.  Dieses  Verfahren  giebt 
für  den  vorderen  Theil  der  Nase  sehr  guten  Zugang.  So  können 
tuberculöse  Ulcerationen  einer  sehr  exacten  Localbehandlung  zu- 
gänglich gemacht  werden.  Die  Methode  hat  freilich  den  Nachtheil, 
dass  sie  einige  Muskelfasern  ausser  Function  setzt,  nämlich  des 
Musculus  nasalis,  der  am  Alveolarrand  des  Oberkiefers  entspringt 
und  zum  Nasenflügel  und  Nasenrücken  zieht,  sowie  des  Levator  alae 
nasi.  Allein  da  die  Muskelschnitte  per  primam  wieder  verheilen 
können  und  die  zuführenden  Nervenzweige  zum  Theil  intact  bleiben, 
so  resultirt  keine  nennenswerthe  Störung  des  Mienenspiels.  Die 
Narbe  wird  bei  richtiger  Naht  in  kurzer  Zeit  unsichtbar.  An  Ge- 
fässen  werden  die  Rami  alares  der  Arteria  angularis  durchschnitten ; 
letztere  Arterie  ist  im  oberen  Theil  des  Schnittes  zu  schonen.  Die 
von  Chassaignac  und  Bruns  bereits  geübte  seitliche  Aufklappung 
der  Nase  ist  für  die  Nasenrachenfibrome,  welche  im  vorderen  Theil 
sitzen,  nach  Czerny's  Erfahrungen  (Naab)  ein  gutes  Verfahren, 
welches  zu  radicaler  Heilung  führen  kann.  Es  wird  dabei  die  ganze 
Nase  nach  einer  Seite  geklappt,  indem  man  auch  das  Septum  mit 
zwei  stumpfwinklig  sich  treffenden  Schnitten  von  oben  und  unten 
spaltet  und  die  Verbindung  des  Nasenbeins  mit  dem  Stirnfortsatz 
des  Oberkiefers  der  anderen  Seite  durchbricht.  Will  man  noch 
weiter  in  die  Nasengänge  nach  hinten  sehen,  als  dies  mit  der  an- 
gegebenen Methode  möglich  ist,  so  muss  man  eine  partielle 
osteoplastische  Resection  des  Oberkiefers  machen 
und  die  innere,  vordere  und  einen  Theil  der  oberen  Wand  des 
Sinus  maxillaris  nach  aussen  klappen,  dann  sieht  man  bis  in  die 
Choanen  hinein.  Vergleiche  hierüber  die  Methoden  der  Oberkiefer- 
resection. 

26)  Freilegung  der  Schädelbasis  oder  des  Nasendaches. 

Ein  anderer  Weg,  auf  welchem  man  breiten  Zugang  zum 
hinteren  Theil  der  Nasenhöhle  gewinnen  kann,  besteht  in  Spaltung 
des  harten  und  weichen  Gaumens  mittelst  medianen 
Schnittes.  Man  löst  die  mucös-periostale  Weichtheilbedeckung 
nach  beiden  Seiten  ab  und  meisselt"  die  horizontale  Gaumenplatte 
heraus  nebst  einem  Theil  des  Vomer  (Nelaton  und  GussenbAuer). 
So  legt  man  den  hintersten  Theil  der  Nasenhöhle  bis  in  den  oberen 
Nasenrachenraum  frei  und  kann  unter  genauer  Controle  Geschwülste 
der  Schädelbasis  abtragen  (Fibrome,  Fibrosarkome).  In  einem  letzt- 
hin operirten  Falle  von  recidivem  Sarkom  der  Schädelbasis  und  des 
hinteren  Nasendaches    haben   wir   bei  minimaler  nachträglicher  Ent- 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  i?? 

Stellung1)  radicale  Heilung  erzielt  durch  folgende  osteoplastische 
Resection  beider  Oberkiefer: 

Spaltung  der  Oberlippe  bis  ans  Nasensloch,  Trennung  der  Schleim- 
haut nach  beiden  Seiten  an  der  Umschlagstelle  und  Durchmeisselung 
beider  Oberkiefer  oberhalb  des  Alveolarrandes  quer  nach  aussen, 
Tamponade,  Durchschlagen  der  horizontalen  Gaumenplatte  in  der 
Mittellinie  und  mediane  Spaltung  des  weichen  Gaumens. 

Mit  scharfem  Haken  werden  nun  beide  Oberkiefer  (ohne  den 
Flügelfortsatz)  kräftig  nach  beiden  Seiten  auseinandergezogen,  die 
Schleimhaut  der  Nase  gespalten,  Vomer  nach  der  Seite  ge- 
drängt, die  hinderlichen  Muscheln  excidirt.  So  lag  der  Tumor 
völlig  frei.  Depage  hat  durch  diese  Methode  einen  glatten  Heil- 
erfolg erzielt. 

Wir  rathen  aber,  bei  solch'  eingreifender  Operation  zunächst  die 
prophylaktische  Blutstillung  durch  Ligatur  beider  Arteriae  carotides 
externae,  ferner  keine  Narkose  bei  hängendem  Kopf  zu  machen,  da 
darnach  die  venöse  Blutung  zu  stark  ist,  sondern  1/2  Stunde  vor 
der  Operation  eine  Morphiuminjection  (nicht  über  0,0 1)  zu  machen 
dann  den  Körper  so  zu  lagern,  dass  die  Trachea  eine  nach  dem 
Kopf  zu  abhängige  Lage  bekommt  (vergl.  Lagerung  bei  Narkose) 
den  Kopf  selber  aber  wieder  erhöht  zu  legen  und  die  Narkose  zu 
unterhalten  mittelst  des  ARND'schen  Apparates  (vergl.  Narkose)  und 
genau  dosirtem  verdünnten  Aethergemisch  mit  Braun's  Apparat. 

Partsch  hat  unser  Verfahren  in  der  Weise  modificirt,  dass  er 
ebenfalls  den  Alveolaransatz  vom  Oberkieferkörper  beiderseits  trennt, 
aber  keine  mediane  Spaltung  macht,  sondern  den  ganzen  Alveolar- 
theil  mit  Gaumenplatte  abwärts  klappt  mit  Charnier  an  den  Weich- 
theilen  im  Bereich  des  Hamulus  pterygoideus. 

27)  Zur  Eröffnung  der  Keilbeinhöhlen  erscheint  das  oben 
erwähnte  Verfahren  Gussenbauer's  als  das  zweckmässigste.  Die 
Keilbeinhöhlen  öffnen  sich  in  die  Nasenhöhlen  am  hinteren  Rande 
der  obersten  Muschel.  Sie  können  am  oberen  Umfang  der  Choane 
zwischen  hinterem  Rande  der  mittleren  Muschel  und  dem  Ansatz 
des  Vomer  (Alae  vomeris)  durch  Perforation  des  Nasendaches  mit 
einem  schmalen,  scharfen  Löffel  eröffnet  werden. 

28)  Die  Eröffnung  der  Siebbeinhöhlen  in  Fällen  maligner 
Erkrankung  kommt  in  Frage  bei  krebsigen  (event.  sarkomatösen 
Polypen,  welche  von  der  Nase  durch  das  Siebbein,  unter  Umständen 
gleichzeitig  in  die  Orbita  hineingewachsen  sind.   Dieselbe  Operations- 


1)  Dr.    Lanz  hat    diese    Operationsmethode    genauer   beschrieben   in    der 
deutschen  Zeitschr.  für  Chir.,  Bd.  XXXV,  S.  423. 


1-iA  Specielle  Operationslehre. 

methode  ist  übrigens  beim  Ausgang  vom  Siebbein  anwendbar.  Der- 
artige Fälle  werden  recht  oft  zuerst  von  den  Specialisten  längere 
Zeit  als  Nasenpolypen  behandelt,  bis  häufige,  stärkere  Blutungen 
Recidive,  zutretende  Amaurose  und  Exophthalmus  auf  Sitz  und 
Natur  des  Leidens  mit  Bestimmtheit  hinweisen. 

Wir  haben  (26.  April  1898)  in  einem  Falle,  wo  der  Bulbus  wegen 
Exophthalmus  und  völliger  Blindheit  im  Interesse  sicherer  Heilung 
mitexcidirt  werden  konnte,  grosse  Befriedigung  von  folgendem  Vor- 
gehen gehabt: 

Zuerst  in  gewohnter  Weise  mittelst  BELLOCQ'scher  Röhre  Tam- 
ponade der  Choane,  um  während  der  Narkose  Herabfliessen  des 
Blutes  bis  zum  letzten  Act  zu  vermeiden  (event.  bloss  Schräglage 
des  Körpers).  Danach  Spaltung  der  Nase  neben  der  Mittellinie  von 
dem  betr.  Nasenloch  aus  zwischen  den  Nasenbeinen  bis  zur  Glabella. 
Festes  Aufdrücken  von  Gazebäuschchen  behufs  Blutstillung.  Schnitt 
am  lateralen  Augenwinkel.  Am  Processus  orbitalis  des  Jochbeins 
wird  bis  auf  den  Knochen  geschnitten,  derselbe  subperiostal  frei- 
gelegt mit  Elevatorium,  dann  mit  dem  Meissel  durchschlagen,  was 
wenig  Blutung  macht.  Ebendasselbe  geschieht  am  vorderen  Ende 
des  Jochbogens.  Vom  Boden  der  Nasenhöhle  aus  wird  mit  dem 
Meissel  der  Oberkiefer  oberhalb  des  Alveolarfortsatzes,  also  in  der 
Ebene  des  unteren  Nasenganges,  durch  die  Basis  des  Antrum 
Highmori  horizontal  durchschlag-en  (ohne  die  Mundschleimhaut  irgend- 
wie zu  verletzen !).  Jetzt  wird  nach  Spaltung  der  Weichtheile  die 
Basis  des  Nasenbeins  mit  schneidender  Zange  quer  durchkneift  und 
ebenso  lateralwärts  Thränen-  und  Siebbein  und  Boden  der  Orbita. 
So  lässt  sich  ohne  erhebliche  Blutung  ein  Wangennasenlappen  sammt 
Knochen  (Vorderwand  des  Antrum,  Stirnfortsatz  des  Oberkiefers, 
Nasenbein,  Jochbein)  nach  aussen  unten  klappen  und  die  Geschwulst 
freilegen,  welche  die  Nasenhöhle  (event.  auch  das  Antrum)  erfüllt 
und  durch  das  Siebbein  zerstörend  in  die  Orbita  gedrungen  ist. 

Die  geschilderte  Methode  nähert  sich  dem  von  Jordan  modi- 
ficirten  Verfahren  der  LANGENBECK'schen  osteoplastischen  Ober- 
kieferresection  mit  temporärer  Nasenresection.  Czerny  (Naab)  hat 
Nasenrachenfibrome  damit  erfolgreich  beseitigt.  Jordan  hat  in  ver- 
schiedener Weise  operirt.  Sein  Verfahren,  Oberkiefer  und  Nase  nach 
der  entgegengesetzten  Seite  herüberzuschlagen,  hat  mit  dem  LANGEN- 
BECK'schen den  Nachtheil  eines  auch  Facialisäste  mit  verletzenden 
entstellenden  Schnittes.  Sein  erstes  Verfahren,  das  sich  mehr  dem 
von  O.  Weber  und  mir  geübten  anschliesst,  vermindert  diesen 
Nachtheil. 

Man  kann  Polypen  gut  herausheben  bis  zur  Schädelbasis  und 
kann   zumal,    wenn   der  Bulbus   oculi  mitentfernt  werden  kann,   sehr 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  j-zc 

gut  vom  hintersten  medialen  Theil  der  Orbita  aus  in  die  Keil- 
beinhöhle gelangen,  die  sich  mit  dem  Finger  austasten,  event. 
ausräumen  lässt.  Die  Theile  sind  bis  in  die  Keilbeinhöhlen  herein 
so  gut  zugänglich,  dass  auch  eine  vorsichtige  Cauterisation  bis  zur 
Schädelbasis  stattfinden  kann,  welche  von  der  Lamina  perforata  des 
Nasendaches  weg    bis    zur   Türkensattelgrube  freigelegt  ist. 

Muss  man  zu  den  beiderseitigen  Keilbeinhöhlen  Zugang  haben, 
so  ist  das  Septum  narium  in  seinem  hinteren  oberen  Theil  zu  entfernen, 
falls  es  nicht  schon  zerstört  ist. 

Bei  Trepanation  der  Decke  der  Keilbeinhöhle  nach  hinten  oben 
erscheint  es  kein  Ding  der  Unmöglichkeit,  einen  Hypophysen- 
tumor zu  entfernen  (bei  Akromegalie),  nachdem  die  geschilderte 
Voroperation  gemacht  ist. 

Von  der  eröffneten  Nasenhöhle  aus  gelangt  man  unter  dem 
vorderen  Ende  der  unteren  Muschel  i1/2  cm  hinter  dem  Rande 
der  Apertura  pyriformis  in  den  Thränennasengang;  unter  der 
mittleren  Muschel  21/2  cm  hinter  dem  erwähnten  Rande  lateral- 
wärts  in  das  An tr um  Highmori;  oberhalb  dieser  Oeffnung  unter 
derselben  Muschel  gelangt  eine  Sonde  in  den  Ausführungsgang  des 
Sinus  frontalis.  Die  Richtung  dieses  letzteren  Kanales  wie  des 
Thränennasen ganges  ist  dem  Seitenrande  der  Apertura  pyriformis 
ungefähr  parallel. 

Ein  letzter  Eingriff  zur  Freilegung  der  Nasenhöhlen  ohne  Schädi- 
gung des  Nervus  facialis  ist  ein  Schnitt  von  der  sublabialen 
Schleimhautseite  her.  Ohne  Verletzung  des  Gesichts  löst  man 
die  Schleimhaut  an  der  Umschlagsstelle  vom  Zahnfleisch  zur  Ober- 
lippe, trennt  die  Anheftung  der  knorpeligen  Nase  an  der  Apertura 
pyriformis  und  klappt  die  ganze  Weichtheilbedeckung  (Nase  mit 
Wangen)  nach  oben  bis  zu  den  Augen .  (Rouge)  ;  trennt  man  noch 
das  Septum,  so  ist  die  ganze  Nasenhöhle  von  vorne  zugänglich. 
Diese  Operation  hat  den  Vortheil,  gar  keine  Entstellung  zur  Folge 
zu  haben,  aber  den  Nachtheil,  dass  sie  sehr  blutig  ist.  Bei  allen  ein- 
greifenden Nasenoperationen  ist  an  die  Wünschbarkeit  einer  pro- 
phylaktischen Ligatur  der  Carotis  externa  zu  denken. 

29)  Breite  Eröffnung  des  Antrum  Highmori  (Sinus 
m  axillaris). 

Ein  Verfahren,  in  das  Antrum  hinein  zu  gelangen,  haben  wir  bei 
der  Freilegung  der  Nasenhöhle  kennen  gelernt.  Meist  wird  selbst 
für  breitere  Eröffnung  zur  Vermeidung  eines  äusseren  Schnittes  von 
der  Schleimhautseite,  sei  es  vom  Munde,  sei  es  von  der  Nase,  vor- 
gegangen. Das  Antrum  ist  häufig  Sitz  von  Eiterherden  nach  länger 
andauernden  Entzündungen,  und  es  ergiebt  sich  daher  oft  die  Indi- 
cation   zur  bleibenden   Eröffnung   des   Sinus   maxillaris.     Die   Stelle, 


136  Specielle  Operationslehre. 

wo  man  am  leichtesten  zukommt,  behufs  breiter  Eröffnung  und 
genauer  Untersuchung,  ist  die  Fossa  canina.  Man  hebt  die  Ober- 
lippe empor,  spaltet  Schleimhaut  und  Periost  an  der  Umschlagsstelle 
oberhalb  der  Wurzel  der  3  ersten  Backenzähne,  hebt  das  Periost 
mit  dem  Elevatorium  nach  oben  aussen  bis  unterhalb  des  Foramen 
infraorbitale  und  meisselt  die  dünne  Knochenwand  mit  dem  Hohl- 
meissel  durch.  Die  zwei  starken  Knochenstreben  neben  der  Fossa 
canina,  nämlich  den  Processus  frontalis  und  die  Kante  zum  Os 
zygomaticum  lässt  man  unberührt.  Die  Operation  kann  bei  Cocain- 
injection  schmerzlos  durchgeführt  werden.  Die  Oeffnung  wird  behufs 
Spülung  Monate  hindurch  offen  gehalten,  wenn  die  Ursache  der 
Eiterung  nicht  entfernt  werden  konnte. 

Ein  zweiter  Weg  ist  der,  dass  man  durch  die  Alveole  eines 
fehlenden  oder  ausgezogenen  Zahnes,  mit  Vorliebe  des  3.  oder 
4.  Backenzahnes,  mit  einem  Perforatorium  aufwärts  durchstösst.  Man 
kann  hier  auch  am  besten  ein  permanentes  silbernes  Röhrchen  ein- 
legen. 

Eine  dritte  Methode,  um  ohne  Hautschnitt  das  Antrum  zu  öffnen, 
ist  der  Weg  von  der  Nase  aus,  und  zwar  indem  man  vom  unteren 
Nasengang  aus  mit  krummen,  spitzen  Instrumenten  die  dünne  mediale 
Wand  des  Sinus  maxillaris  gerade  unter  der  Mitte  der  unteren 
Muschel  durchbricht  (Mikulicz).  Diese  Methode  hat  den  Vortheil, 
dass  der  Eiter  nicht  in  den  Mund,  sondern  in  die  Nase  abfliesst. 
Den  Nachtheil  hat  sie  aber,  dass  sie  nicht  wie  die  Operationen  vom 
Munde  aus  den  untersten  Theil  des  Antrum  eröffnet.  Die  beiden 
letzterwähnten  Methoden  erlauben  keinen  directen  Einblick  und  keine 
Austastung  des  Antrum  mit  dem  eingeführten  Finger.  Dieses  ist 
der  Fall  bei  Eröffnung  von  der  Fossa  canina. 

30)  Operationen  im  Bereich  der  Orbita. 

Wir  haben  oben  ein  Verfahren  angegeben,  um  Tumoren  zu  ent- 
fernen, welche  von  den  Siebbeinhöhlen  in  die  Orbita  hineingewuchert 
sind.  Gussenbauer  hat  für  die  gleichzeitige  Freilegung  der  beiden 
medialen  Seiten  der  Orbitae  sammt  Siebbein-,  Stirnbein-  und 
event.  Keilbeinhöhlen  ein  Verfahren  angegeben,  welches  im  Bogen- 
schnitt  von  der  Augenbraue  neben  dem  inneren  Augenwinkel  vorbei 
bis  auf  den  Stirnfortsatz  des  Oberkiefers  und  einem  queren  Schnitt 
über  dem  Nasenrücken  besteht  und  sehr  gut  Zugang  bei  relativ  ge- 
ringer Entstellung  giebt. 

Für  Tumoren,  Abscesse  und  Fremdkörper  dagegen,  welche 
hinter  dem  Bulbus  liegen,  verdanken  wir  KröNLEIN  ein  Verfahren, 
welches  den  besten  Zugang  giebt.  Krönlein  resecirt  osteoplastisch 
den  lateralen  Rand  der  Orbita  und  zwar  trägt  er  einerseits  den 
Processus   zygomaticus   ossis   frontis   an    seiner   Basis   ab   bis  in   die 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen. 


137 


Fissura  orbitalis  inferior,  wie  Domela  angiebt,  bis  1  cm  hinter  die 
Fissura  zygomatico  sphenoidalis,  andererseits  trägt  er  auch  den  Pro- 
cessus frontalis  des  Jochbeins  an  seiner  Basis  ab,  dann  wird  dieses 
Knochenstück  nach  hinten  gelegt. 

Das  Periost  (Periorbita)  wird  stumpf  abgehoben  und  nach  Um- 
legung des  Knochenstückes  in  Längsrichtung  gespalten.  Czermak 
hat  die  Resection  ausgedehnter  gestaltet  und  zwar  das  Jochbein  an 
seiner  Basis,  resp.  Verbindung  mit  dem  Oberkiefer  durchtrennt,  ganz 
so  wie  wir  es  für  die  Freilegung  des  N.  supr  am  axillaris  am  Foramen 


Fig.  34.    Die  Figur  giebt  nach  Domela  (Krönlein)  die  CzERMAK'schen  Schnitte 
und  rechts  (bei  a)  die  KRÖNLEiN'schen  Schnitte  durch  den  Knochen. 


rotundum  angegeben  und  in  Fig.  34  abgebildet  haben.  Die  Aus- 
dehnung der  Affection  wird  entscheiden  müssen,  ob  man  bei  Krön- 
lein's  ursprünglichem  Verfahren  bleiben  will  oder  Czermak's  Modi- 
fication  einführen. 

Krönlein  macht  einen  Weichtheilschnitt  mit  vorderer  Convexität 
am  lateralen  Rande  der  Orbita  bis  zur  Mitte  des  Jochbogens  herunter 
(Domela).  Wir  halten  diesen  Schnitt  für  nicht  gut,  wie  wir  alle 
von  oben  nach  unten  im  Facialisgebiet  verlaufenden  Schnitte  ver- 
warfen, sondern  möchten  in  gleicher  Weise  einen  einfachen  Schräg- 
schnitt empfehlen,  wie  bei  der  Jochbeinresection,  bloss  etwas  höher 
(vergl.  Fig.  11)  mit  Spaltung  bis  in  den  lateralen  Augenwinkel. 


138 


Specielle  Operationslehre. 


Operationen  an  den  Gesichtsnerven. 

31)  Nervus  facialis  (vergl.  Fig.  35). 

Man  kommt  in  die  Lage,  den  Nervus  facialis  freizulegen  behufs 
Schonung  desselben  bei  Operationen  in  der  Fossa  retromaxillaris,  so 
bei  Excision  von  geschwollenen  Lymphdrüsen  und  von  Parotistumoren. 

M.  orbicularis  oculi     Fascia  superficialis 


|_  Fascia  temporalis 

M.  temporalis 

{N.  auriculo 
temporalis 
A.  temporalis 


N.  facialis 
M.  digastricus 

—  Processus  mastoideus 

-  Parotis 
A.  carotis  externa 

M.  sternocleido 


Fig.  35-     a)  Schnitt  zur  Resection  des   III.  Trigeminusastes  am  Foramen  ovale, 
b)  Freilegung  des  N.  facialis. 

Ausserdem  legt  man  gelegentlich  den  Facialis  frei  in  der  Absicht, 
denselben  zu  dehnen  behufs  Beseitigung  von  Krämpfen  in  den  Ge- 
sichtsmuskeln. Ich  habe  die  Dehnung  des  Nerven  wegen  Krämpfen 
im  Facialisgebiet  (Tic  convulsif)  mehrfach  mit  recht  gutem  Erfolg 
ausgeführt.  Die  Dehnung  muss  sorgfältig  dosirt  und  zunächst  so 
weit  getrieben  werden,  dass  eine  deutliche  Parese  der  Krampf- 
muskeln entsteht. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  i^q 

Operation:  In  theilweiser  Uebereinstimmung  mit  Hueter, 
Löbker  und  Kaufmann  schneiden  wir  hinter  dem  Kieferwinkel 
entlang  dem  Vorderrand  des  Sternocleido  bis  zum  Ansatz  am  Warzen- 
fortsatz und  unter  Trennung  des  Ansatzes  des  Ohrläppchens  (statt 
wie  wir  früher  angaben  am  Hinterrand)  bis  vor  den  Tragus  herauf. 
Die  Gewebe,  die  zu  trennen  sind,  sind  ziemlich  stramm  als  Aus- 
läufer der  Fascia  parotideo-masseterica  zum  Ohrknorpel. 

Man  schneidet  sorgfältig,  bis  die  Drüsenläppchen  der  Parotis 
zum  Vorschein  kommen  und  sucht  diese  mit  der  Kropf sonde  nach 
vorne  zu  schieben  unter  Einsetzung  eines  stumpfen  Hakens.  Kleine 
blutende  Gefässe  werden  mit  Arterienklemmen  gefasst,  da  sie  die 
Einsicht  stören.  Man  erkennt  in  der  Tiefe  den  sehnigen  Vorder- 
rand des  Sternocleido,  fühlt  den  vorderen  Umfang  des  Warzenfort- 
satzes und  geht  unter  Controle  jedes  vorwärts  strebenden  Stranges 
(ob  dessen  mechanische  Reizung  Contraction  im  Gesicht  auslöst)  in 
die  Tiefe. 

Der  Nerv  geht  von  hinten  nach  vorn  und  etwas  schräg  [abwärts 
als  ein  2  mm  dicker  Strang  unter  die  Parotis.  Er  ist  von  der  Haut- 
oberfläche 21/2  cm  entfernt,  reichlich  1  cm  tiefer  als  der  Vorder- 
rand des  Sternocleido  und  Warzenfortsatzes,  etwa  in  der  Mitte 
zwischen  Kieferwinkel  und  Jochbogen  (in  der  Figur  aber  etwas  zu 
hoch  gezeichnet).  Die  Art.  auricularis  posterior  ist  hinten  geblieben, 
die  Carotis  externa  liegt  tiefer  unter  dem  Muse,  digastricus. 

Wenn  man  wegen  Facialiskrampfes  den  Nerven  freilegt,  um  ihn 
zu  dehnen,  so  darf  man  nicht  narkotisiren,  denn  die  Dehnung  muss 
so  bemessen  werden,  dass  durch  dieselbe  gerade  eine  fdeutliche,  aber 
nicht  totale  Parese  eintritt,  was  schon  durch  leichtes  Anziehen  mit 
der  Aneurysmanadel  bewirkt  wird.  Selbst  wenn  danach  anfänglich 
noch  einige  Zuckungen  fortbestehen,  so  verschwinden  sie  bald  völlig. 
So  heilte  eine  von  uns  operirte  ältere  Frau  binnen  14  Tagen  voll- 
kommen, nachdem  sie  6  Jahre  lang  von  dem  Krämpfe  gequält 
worden  war.     Die  Parese  ging  langsamer  zurück. 

Nervus  trigeminus. 

Die  Hauptindicationen  zur  Freilegung  des  5.  Gehirnnerven  bilden 
die  Trigeminus-Neuralgien.  Für  die  Aufsuchung  des  ersten  Astes 
siehe  Ligatur  der  Arteria  supraorbitalis  und  frontalis  S.  118    Fig.  32. 

3a)  Ramus  II  Trigemini  (vergl.  Fig.  36  u.  37). 

Der  Hauptast  des  Trigeminus  II,  welcher  am  häufigsten  Sitz 
von  Neuralgien  wird,  ist  der  Infraorbitalis.  Zur  Dehnung  dieses 
Nerven  kann  man  vom  Munde  aus  die  Schleimhaut  an  der  Um- 
schlagsstelle   der   Oberlippe    zur   Fossa    canina    spalten    bis    auf    das 


140 


Specielle  Operationslehre. 


Periost  und  dieses  nach  oben  hebeln  bis  zum  Foramen  infraorbitale, 
1/,  cm  unterhalb  der  Mitte  des  Infraorbitalrandes  den  Nerven  frei- 
machen und  mit  der  Aneurysmanadel  dehnen,  oder  auch  ohne  diese 
mit  dem  Finger  kräftig  nach  vorne  ziehen.  Endlich  kann  er  von 
hier  mit  einer  Arterienklemme,  wie  wir  sie  benutzen,  gefasst  und 
nach  Thiersch  aufgewickelt  und  ausgerissen  werden. 


Trennungslinie  des-» 
Proc.  frontalis 
ossis  zygomatici        J 

Orbitalfett  — 

Trennungslinie  der  | 

Jochbein-Oberkiefer-  >  - 

Verbindung  i 

Trennungslinie  aml 
Jochbogen  f 


M.  zygomaticus  (abgelöst) 


Vorderer  Rand  desl 
Masseter-Ansatzes  f 


N.  infra- 
orbitalis 


Fig.  36.     Resection  des  II.  Trigeminusastes  (N.  supramaxillaris). 


Eine  sehr  gute,  aber  einen  äusseren  Schnitt  bedingende  Methode 
ist  folgende :  Schnitt  im  Verlaufe  unseres  Normal-Oberkieferschnittes 
1/2  cm  unterhalb  des  medialen  Endes  des  Infraorbitalrandes  be- 
ginnend, etwas  schräg  abwärts  nach  aussen  bis  zum  hinteren  unteren 
Rand  des  Jochbeins.  Dieser  Schnitt  ist  dem  WAGNER'schen  Bogen- 
schnitt  der  Facialisäste  wegen  vorzuziehen.  Der  M.  zygomaticus, 
an   seinem  Ursprung   getroffen ,   wird   abgelöst.     Die  Facialisäste   zu 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen. 


141 


den  Muskeln  unterhalb  sowohl  als  zum  Orbicularis  oculi  werden  ge- 
schont. Der  Schnitt  geht  bis  auf  den  Knochen  und  trennt  den  An- 
satz des  M.  quadratus  labii  superioris.  Das  Periost  wird  abwärts  ab- 
gehebelt bis  zum  Austritt  des  Nerven  aus  dem  Canalis  infraorbitalis, 
woselbst  er  von  der  Arteria  infraorbitalis  isolirt  und  mit  Aneurysma- 


N.  supra- 

maxillaris 

N.  spheno-\ 

palatinus  / 

N.  infraorbitalis 

Nach     aussen 

geklapptes 
Jochbein     mit 

dem  oberen 
äusseren  Theil 

des  Antrum 


Vorderer  Rand\ 
des  Masseter  / 


A.r  infraorbitalis 
3  Trennungslinie 

der  oberen 
Wand  des  Cana- 
lis infraorbitalis 


.„  |  Mediale  Wand 
\    des  Antrum 
l      Hiehmori 


'  -3'», 


*-y 


Fig.  37.    Freilegung  des  N.  supramaxillaris  (II.  Trigemini)  am  Foramen  rotundum. 


nadel  umgangen  wird.  Nach  oben  das  Periost  über  den  Infraorbital- 
rand  herüber  und  rückwärts  vom  Boden  der  Orbita  zurückgehebelt, 
wie  Wagner  dies  empfohlen  hat,  bis  man  den  Canalis  infraorbitalis 
fühlt  oder  sieht  (Wagner);  dann  wird  die  starke  obere  Wand  des 
Canales  mit  zwei  Meisselschlägen  herausgemeisselt.  So  kann  man 
den  Nerven  auf  eine  ziemliche  Strecke  weit  freilegen,  dehnen,  reseciren 
oder   ausreissen.     Wenn   man   das   Antrum  Highmori   nicht   eröffnet 


1^2  Specielle  Operationslehre. 

hat,  so  heilt  die  Wunde  sicher  per  primam,  ohne  eine  Entstellung  zu 
hinterlassen;  dies  ist  selbst  bei  Eröffnung  des  Antrum  die  Regel. 

Zur  Erzielung  eines  bleibenden  Erfolges  bei  Operationen  für 
Neuralgie  ist  es  aber  nöthig,  den  Nervus  trigeminus  II  am 
Foramen  rotundum  zu  reseciren.  Denn  der  Nervus  infraorbitalis 
giebt  den  Nervus  orbitalis  und  den  Nervus  alveolaris  superior  posterior 
ab  vor  Eintritt  in  die  Augenhöhle,  und  vom  Hauptstamm  des  Tri- 
geminus II,  dem  Nervus  supramaxillaris,  geht  in  der  Fossa  spheno- 
palatina  ausser  dem  N.  infraorbitalis  noch  der  Nervus  spheno-palatinus 
abwärts  zum  Ganglion  nasale  ab.  Letzteren  Ast  kann  man  nicht 
isolirt  treffen,  während  dies  noch  für  einzelne  Zweige  des  Infraorbitalis 
der  Fall  ist. 

Allerdings  giebt  es  ein  von  Thiersch  empfohlenes  und  in 
neuester  Zeit  von  Angerer  und  Helfrich  mit  besonderem 
Erfolg  geübtes  Verfahren,  den  Enderfolg  zu  sichern,  nämlich  durch 
Neurexeresis.  Wenn  man  den  möglichst  central  gefassten  Nerven 
in  toto  sammt  seinen  Aesten  herauszieht  und  nach  Angerer  sogar 
prophylaktisch  die  noch  gesunden  Trigeminusäste  in  ähnlicher  Weise 
entfernt,  so  ist  sicher  mehr  Aussicht  auf  radicale  Heilung  'als  bei 
blosser  Durchschneidung. 

33)  Resection  des  Nervus  orbitalis  (zygomaticus),  i  cm 
langer  Schnitt  am  Aussenrand  der  Orbita  schräg  aus-  und  etwas 
abwärts,  nahe  am  Augenwinkel  beginnend,  bis  auf  den  Knochen. 
Abhebung  des  Periosts  von  der  lateralen  Wand  der  Orbita.  Dabei 
wird  der  Nerv  an  der  Eintrittsstelle  in  die  orbitale  Jochbeinfläche 
abgerissen. 

Die  Nervi  alveolares  superiores  isolirt  zu  treffen,  ist  in 
der  Weise  erreicht  worden  (v.  Langenbeck),  dass  man  die  Lippen 
emporhebt,  einen  grossen  Schnitt  macht  über  den  Zähnen  bis  auf 
den  Knochen  und  nun  mit  einer  Säge  oder  Meissel  die  laterale 
Wand  des  Antrum  sammt  Schleimhaut  von  der  Nasenhöhle  bis  zum 
Flügelfortsatz  durchtrennt. 

34)  Je  mehr  man  sich  bei  Operationen  für  Neuralgien  auf 
Trennung  peripherer  Zweige  beschränkt,  um  so  weniger  ist  Aussicht 
vorhanden  für  eine  radicale  Heilung.  Wenn  man  dagegen  den 
N.  supramaxillaris  am  Foramen  rotundum  (Fig.  36  u.  37) 
freilegt,  so  ist  der  einzige  Ast,  den  man  selbst  dabei  nicht  trifft,  der 
Nervus  recurrens  supramaxillaris  für  die  Dura  mater.  Auf  der  anderen 
Seite  ergiebt  diese  centrale  Operation  den  Nachtheil,  dass  die  durch 
den  N.  vidianus  ins  Ganglion  nasale  und  zu  den  N.  palatini  zutretenden 
motorischen  Aeste  des  Facialis  für  die  Gaumenmuskeln  gelähmt 
werden. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  143 

Der  Weg  zum  Foramen  rotundum  ist  schwierig,  v.  Langenbeck 
geht  mit  einem  Tenotom  am  äusseren  Orbitalrand  unter  dem  Liga- 
mentum palpebrae  externum  hinein.  Diese  Stichmethode  ist  gegen- 
wärtig verlassen,  weil  man  bei  ihr  nie  sicher  ist,  Nebenverletzungen 
zu  vermeiden;  auch  wird  dabei  die  Arteria  infraorbitalis  verletzt. 
Poirier  will  ohne  Knochenresection  von  einem  senkrechten  Schnitt 
hinter  dem  Proc.  frontalis  des  Jochbeins  bis  auf  den  Jochbogen  in 
die  Fissura  pterygo-m axillaris  vordringen;  der  Raum  ist  dabei  sehr 
beschränkt.  Deshalb  macht  man  jetzt  allgemein  die  temporäre  Re- 
section  des  Jochbeins  nach  Bruns'  Vorschlag  und  nach LüCKE's 
Vorgang  in  der  Modification  LOSSEN- Braun  (mit  Schonung  des 
Masseteransatzes)  oder  in  derjenigen  von  Krönlein.  Diesen  Me- 
thoden haftet  in  Folge  der  Schnittführung  ohne  Ausnahme  der 
Nachtheil  an,  Facialisäste  nicht  sicher  zu  schonen.  Dasselbe  ist  der 
Fall  bei  der  sehr  guten  Zugang  gewährenden  Methode  Gussen- 
bauer's.  Friedländer  hat  den  einen  Theil  meines  für  den 
3.  Trigeminusast  benutzten  Schnittes  (von  der  Augenbraue  entlang 
dem  hinteren  Rande  des  Jochbeins  und  dem  oberen  Rande  des 
Jochbogens)  (siehe  Fig.  34)  in  Combination  mit  der  von  mir 
angebenen  Resectionsmethode  des  Jochbeins  (er  macht  bloss  die 
Trennung  des  Jochbogens  weiter  hinten)  benutzt  sowohl  für  den 
2.  als  3.  Trigeminusast. 

Auf  Grund  unseres  Princips,  alle  Schnitte  für  unrichtig  zu 
halten,  welche  quer  zu  den  Facialästen  verlaufen,  gehen  wir  in 
folgender  Weise  vor:  Schnitt  wie  zur  Freilegung  des  Nervus  infra- 
orbitalis (vergl.  Fig.  10  u.  36),  aber  länger,  d.  h.  1  cm  median- 
wärts  von  dem  fühlbaren  Foramen  infraorbitale  und  1/2  cm  unter 
dem  inneren  Ende  des  Infraorbitalrandes  beginnend,  etwas  schräg 
abwärts,  wesentlich  horizontal  nach  aussen  über  den  unteren  Theil 
des  Jochbeinkörpers  bis  zum  Jochbogen.  Am  inneren  Ende  des 
Schnittes  wird  die  Arteria  angularis  abgezogen  oder  unterbunden, 
der  Ductus  Stenonianus  bleibt  nach  unten.  Am  medialen  Ende 
geht  der  Schnitt  zwischen  den  untersten  Fasern  des  Musculus 
orbicularis  oculi  und  über  dem  Ursprung  des  Quadratus  labii 
superioris  auf  den  Knochen ;  ersterer  Muskel  wird  mit  dem  Periost 
bis  in  die  Orbita  abgehoben,  letzterer  subperiostal  soweit  gelöst,  bis 
der  N.  infraorbitalis  an  seiner  Austrittstelle  aus  dem  gleichnamigen 
Kanal   freiliegt   und   auf   einen  Arterienhaken   gefasst  werden  kann. 

Der  laterale  Theil  des  Schnittes  geht  oberhalb  des  Ansatzes  der 
M.  zygomatici,  welche  abwärts  gelöst  werden.  Der  vorderste  Theil 
des  Masseteransatzes  wird  an  der  Unter-  und  Innenfläche  des  Joch- 
beins abgelöst. 

Der  Jochbogen  wird  vorne  mittelst  eines  Elevatoriums  in  schräger 
Linie   innen   und  aussen    freigemacht  (Fig.  36)   und   durchgemeisselt. 


IAA  Specielle  Operationslehre. 

Der  Jochbeinfortsatz  des  Oberkiefers  wird  auf  der  Vorderfläche  bis 
zum  Foramen  infraorbitale,  auf  der  oberen  Fläche  bis  zur  Fissura 
orbitalis  inferior  freigemacht  und  so  abgemeisselt,  dass  die  obere 
Wand  des  Canalis  infraorbitalis  mit  abgehoben  wird,  während  der 
Meisselschnitt  rückwärts  seinem  lateralen  Rande  entlang  geht.  An 
der  Vorderfläche  geht  der  Meisselschnitt  schräg  vom  N.  infraorbitalis 
bis  unter  den  vorderen  Ansatz  des  Masseter  und  durch  die  laterale 
Wand  des  Antrum  aufwärts,  bis  er  den  Meisselschnitt  in  der  Orbital- 
platte hinten  trifft.  So  bleibt  der  laterale  Theil  der  Orbitalplatte 
und  die  lateral-obere  Wand  des  Antrum  mitsammt  dem  hinteren 
Winkel  desselben  in  Zusammenhang  mit  dem  Jochbein  und  wird 
mit  demselben  herausgehoben. 

Um  letzteres  auszuführen,  wird  unter  Aufwärtsziehen  des  oberen 
Wundrandes  (siehe  Fig.  36)  die  Stirnbein -Jochbein  Verbindung  frei- 
gelegt und  so  gegen  den  hinteren  Theil  der  Fissura  orbitalis  inferior 
durchgemeisselt,  dass  auch  deren  oberer  Rand,  nämlich  die  Crista, 
zygomatica  und  orbitalis  des  Keilbeins  mitentfernt  wird.  Das  Joch- 
bein wird  mit  einem  kräftigen,  scharfen  Haken  aus  der  grossen 
Wunde  nach  oben  aussen  luxirt,  das  Orbitalfett  durch  einen  stumpfen 
Haken  sorgfältig  in  die  Höhe  gehoben,  und  nun  kann  man  ohne 
Schwierigkeit  den  angezogenen  N.  infraorbitalis  über  der  klaffenden 
Highmorshöhle  bis  zum  Foramen  rotundum  verfolgen  und  hinter 
dem  senkrecht  abwärts  ziehenden  N.  sphenopalatinus  einen  kleinen 
Haken  um  den  Hauptstamm  führen  und  diesen  so  oder  anders  durch- 
trennen resp.  nach  THIERSCH  ausreissen.  Die  Arteria  infraorbitalis 
ist  neben  dem  M.  infraorbitalis  sichtbar  und  kaum  geschont  oder 
ligirt  werden.  Das  Jochbein  wird  nach  vollendeter  Operation  wieder 
an  seine  Stelle  zurückgeklappt,  ohne  dass  zu  seiner  Fixation  Knochen- 
nähte nöthig  werden,  und  die  Hautwunde  vereinigt.  Die  Narbe  ist 
in  keiner  Weise  entstellend.  Ich  habe  von  der  Eröffnung  der  Kiefer- 
höhle keinen  Nachtheil  gesehen.  Es  ist  aus  der  Schilderung  er- 
sichtlich, dass  sich  mein  Verfahren  nicht  bloss  durch  den  (für 
Erhaltung  der  Facialisäste)  vortheilhafteren  Hautschnitt  von  der 
Lossen  -  BRAUN'schen  Methode  unterscheidet,  sondern  auch  darin 
dass  das  Jochbein  sammt  Weichtheilen  nach  oben-aussen  luxirt  wird 
und  zwar  das  ganze  Jochbein,  so  dass  ein  viel  grösserer  und  be- 
quemerer Zugang  geschaffen  wird. 

Alex.  Fränkel  vermeidet  auch  zur  Resection  des  Quintus  II 
jeden  äusseren  Schnitt,  klappt  vielmehr  vom  Munde  aus  osteoplastisch 
die  vordere  Wand  der  Kieferhöhle  nach  oben-aussen  und  legt  den 
Nerven  von  unten  unter  künstlicher  Beleuchtung  frei,  indem  er 
die  obere  und  hintere  Wand  des  Antrum  öffnet  in  Anlehnung 
an  das  LANGENBECK'sche  Verfahren  für  Trennung  der  oberen 
Alveolaräste. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  iac 

35)  Ramus  III  nervi  trigemini. 

Der  III.  Ast  des  Trigeminus  enthält  am  Foramen  ovale  die 
beiden  Portionen,  nämlich  die  motorische  (nach  hinten  aussen)  und 
die  sensible  so  eng  verflochten,  dass  sie  nicht  getrennt  werden  können. 
Daher  hat  die  centrale  Durchtrennung  des  Nerven  den  Uebelstand 
einer  schweren  Nebenverletzung,  die  man  nicht  beabsichtigt,  nämlich 
einseitige  Lähmung  und  Atrophie  der  Kaumuskeln.  Glücklicher 
Weise  lehrt  die  Erfahrung  (auch  bei  unseren  Patienten),  dass  diese 
einseitige  Lähmung  der  Kaumuskeln  an  und  für  sich  die  Function 
des  Kiefers  nicht  erheblich  beeinträchtigt;  sie  vermindert  bloss  die 
Kraft  des  Kieferschlusses  und  die  Ergiebigkeit  der  Seitenbewegungen. 
Immerhin  lässt  der  erwähnte  Uebelstand  der  Trennung  des  Stammes 
am  Foramen  ovale  den  Versuch  gerechtfertigt  erscheinen,  bei  Neur- 
algie bloss  einzelner  A  e  s  t  e  trotz  der  Unsicherheit  des  Erfolges 
zunächst  diese  zu  dehnen  oder  zu  durchschneiden. 

Besonders  der  N.  lingualis  und  N.  alveolaris  inferior  sind  häufig 
Sitz  von  Neuralgien,  namentlich  der  letztere  in  seinem  Verlauf  durch 
den  Canalis  inframaxillaris,  aus  welchem  er  als  N.  mentalis  wieder 
austritt.  Ausserdem  kommen  gelegentlich  Neuralgien  vor  im  Nervus 
auriculotemporalis  und  im  N.  buccinatorius,  welcher  die  Gegend  des 
Mundwinkels  versorgt. 

Der  Nervus  alveolaris  inferior  kann  an  verschiedenen 
Stellen  zugänglich  gemacht  werden. 

36)  Wenn  man  seinen  Endast  allein,  den  N.  mentalis,  treffen 
will,  so  zieht  man  die  Unterlippe  kräftig  vom  Kiefer  ab,  schneidet 
die  Schleimhaut  an  der  Umschlagsstelle  senkrecht  unter  dem  Inter- 
stitium  des  I.  und  II.  Prämolarzahnes  des  Unterkiefers  durch,  spaltet 
das  Periost  und  sieht  den  Nerven  aus  dem  Foramen  mentale  aus- 
treten. Gewöhnlich  aber  ist  der  Sitz  der  Neuralgien  weiter  oben,  im 
Bereich  der  Zähne.  Man  muss  daher  den  Nerven  freilegen,  bevor  er 
in  den  Canalis  inframaxillaris  eintritt.  Um  ihn  hier  zugänglich  zu 
machen,  sind  hauptsächlich  zwei  Methoden  angewendet  worden. 

37)  Nervus  alveolaris  inferior  (Fig.  38). 

a)  Trepanation  des  aufsteigenden  Kieferastes  durch 
einen  Schnitt  am  Rande  des  Kieferwinkels.  Velpeau  und  Linhardt 
haben  die  Trepanation  vorgeschlagen,  welche  der  Abmeisselung  des 
Kieferwinkels  durch  Kühn  und  Bruns  vorzuziehen  ist.  Der  Schnitt 
„in  der  Mittellinie  des  aufsteigenden  Kieferastes"  ist  aber  weniger 
gut,  als  der  von  mir  beschriebene.  Gerade  an  dieser  Stelle  verlaufen 
die  Facialisäste,  welche  die  Musculatur  des  Kinns  und  die  Unter- 
lippe  versorgen.     Man  darf  deshalb  nur  sorgfältig  präparirend  unter 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  IO 


146 


Specielle  Operationslehre. 


Abziehen  des  Ramus  marginalis  des  Facialis  mit  bogenförmigem 
Schnitt  auf  den  Kieferwinkel  [eingehen  durchlHaut  und  Fascie  (vergl. 
den  hinteren  Theil  unseres  Normalschnittes  [für  das  obere  Hals- 
dreieck).   Dann  löst  man  die  sehnigen  Fasern  des  Masseter  mit  dem 


M.   orbicularisl 

oris  ) 

A.  maxillarisl 

externa       j  jg| 


Aussenfläche  des  Kiefers 
Angilus  lnandibulae 
A.  maxillaris  externa 


Fig.  38.  I.  Ligatur  der  A.  maxillaris  externa.  2.  Ligatur  der  A.  temporalis. 
3.  Trepanation   des  aufsteigenden  Kieferastes  zur  Freilegung  des  N.  alveolaris 

inferior. 

Elevatorium  und  Messer  vom  Kiefer  aufwärts  los,  lässt  den  Muskel 
sammt  dem  oberen  Wundrande  mit  stumpfem  Haken  emporhalten 
und  meisselt  genau  in  der  Mitte  des  aufsteigenden  Kieferastes  ein 
Stück  Knochen  heraus  (Velpeau,  Linhardt).  So  kommt  man  auf 
der  Innenfläche  des  Kiefers  auf  die  Eintrittsstelle  des  Nerven.  Diese 
Methode  ist   eine   sehr   exacte,   und   man  ist  sicher,   den  Nerven  zu 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  i*n 

treffen.  Sie  ist  weniger  verletzend  als  das  Herausmeisseln  eines 
Stückes  Kiefer  aus  der  hinteren  Kante  nach  Bruns  und  sie  ist 
leichter  als  die  SONNENBURG-LüCKE'sche  Operation,  welche  auf  der 
Innenseite  Periost  mit  M.  pterygoideus  internus  bis  zur  Lingula 
abhebt  (vergl.  Esmarch).  Bei  Primaheilung  bleibt  keine  Störung 
in  der  Function  des  Kiefers  zurück. 

b)  Methode  nach  Paravicini.  Bei  weit  geöffnetem  Munde 
(WfflTE'sches  Speculum)  palpirt  man  am  Vorderrande  des  aufsteigen- 
den Kieferastes  dessen  scharfe,  innere  Kante  und  durchtrennt  auf 
dieser  Schleimhaut  und  Periost  vollkommen  bis  auf  den  Knochen. 
Der  innere  Wundrand  wird  nun  subperiostal  mit  einem  stumpfen 
Instrumente  von  der  Innenfläche  des  aufsteigenden  Kieferastes  ge- 
hörig abgehoben,  bis  man  die  Lingula  als  einen  spitzen  Vorsprung 
am  inneren  Umfang  des  Canalis  inframaxillaris  fühlt.  Hinter  diesem 
findet  man  den  Nerven  sicher.  Die  Operation  ist  ungemein  einfach 
und  viel  weniger  verletzend  als  diejenige  von  aussen,  hat  aber  den 
Nachtheil,  dass  sie  eine  Wunde  im  Munde  bedingt,  welche  möglicher 
Weise  inficirt  wird,  während  bei  Schnitten  von  aussen  mit  aller 
Sicherheit  eine  Infection  zu  vermeiden  ist.  Die  langsamere  Heilung 
einer  inficirten  Wunde  und  der  Umstand,  dass  sich  das  Ligamentum 
internum  an  der  Lingula  ansetzt,  bringen  es  mit  sich,  dass  das  Oeffnen 
des  Mundes  längere  Zeit  behindert  sein  kann. 

38)  Der  Nervus  lingualis  kann  nach  Paravicini's  intra- 
buccaler  Methode  freigelegt  werden.  Einfacher  ist  folgende  Methode : 
Da,  wo  der  Nerv  zwischen  vorderem  Gaumenbogen  und 
Zungengrund  nach  vorne  zieht,  ist  er  sehr  oberflächlich  unter  der 
Schleimhaut  gelegen.  Man  braucht  deshalb  nur  einen  kleinen  Längs- 
schnitt zu  machen,  um  ihn  sicher  freizulegen.  Man  schneidet  der 
Zunge  nicht  zu  nahe  ein.  Die  quere  Wangenspaltung  nach  ROSER 
ist  dabei  keine  nothwendige  Vorbedingung.  Die  Operation  hat  den 
Nachtheil,   dass  man   eine  Wunde  innerhalb  der  Mundhöhle  schafft. 

Diesen  Uebelstand  zu  vermeiden,  hat  man  versucht,  den  Nerven 
von  aussen  und  unten  her  frei  zu  legen,  da,  wo  er  oberhalb  der 
Glandula  submaxillaris  durchgeht:  Der  Schnitt  (Theil  unseres  Nor- 
malschnittes für  das  obere  Halsdreieck)  legt  am  Halse  einfach  die 
Glandula  submaxillaris  an  ihrem  unteren  Rande  frei.  Die  Drüse 
wird  nach  oben  geschlagen  und  der  Nerv  da  gefasst,  wo  er  durch 
das  Ganglion  linguale  mit  der  Glandula  submaxillaris  in  Ver- 
bindung steht.  Die  Operation  ist  'erheblich  schwieriger,  als  die 
erstgenannte,  aber  sie  hat  den  Vortheil,  dass  man  sicher  eine  Prima- 
heilung erzielt.  In  dritter  Linie  kann  man  den  Nerven  finden,  wie 
den  Nervus  alveolaris  inferior  durch  Trepanation  des  aufsteigenden 
Kieferastes  oder  von  unten  nach  SONNENBURG-LüCKE. 

10* 


Izi3  Specielle  Operationslehre. 

39)  Der  Nervus  auriculo-temporalis  (vergl.  Fig.  19)  wird 
freigelegt  an  der  Rückseite  der  Temporalgefässe,  unter  welchen  er 
sich  nach  oben  heraufschlägt.  Eine  Längsincision  von  der  Wurzel 
des  Jochbogens  aufwärts  durch  Haut  und  Fascie  legt  den  dünnen 
Nervenstamm  frei. 

40)  Der  Nervus  buccinatorius  ist  der  sensible  Nerv  für  die 
Gegend  des  Mundwinkels.  Er  liegt  an  der  Innenseite  des  Processus 
coronoideus  des  Unterkiefers,  resp.  auf  dem  sehnigen  Ansatz  des 
M.  temporalis  an  dessen  Spitze.  Am  vorderen  Rande  des  Processus 
ist  der  Nerv  zu  fassen,  sowohl  wenn  man  von  aussen,  als  wenn  man 
von  innen  operirt.  Einfacher  ist  die  Operation  von  innen  her  (nach 
Holl).  Nach  kräftigem  Oeffnen  des  Mundes  fühlt  man  ohne 
Schwierigkeit  die  Kante  am  vorderen  Rande  des  genannten  Fort- 
satzes; auf  diese  schneidet  man  ein  unter  Spaltung  der  Schleimhaut 
und  der  Fasern  des  M.  buccinatorius.  Der  Nerv  zieht  quer  auf  dem 
Fortsatz  nach  vorne.     PANAS  hat  zuerst  von  innen  operirt. 

Die  Operation  von  aussen  (Zuckerkandl)  geschieht  durch 
Schnitt  unter  dem  Jochbogen  und  Jochbein  von  dem  Vorderrand  des 
Masseter  vorwärts  in  horizontaler  Richtung  oberhalb  des  Ductus 
Stenonianus,  unter  Schonung  der  Arteria  transversa  faciei.  Am 
vorderen  Rande  des  Masseter  trifft  man  den  Fettklumpen  der 
Wange;  nach  dessen  Beiseiteschieben  oder  Entfernung  kommt  man 
auf  den  vorderen  Rand  des  Processus  coronoidus,  auf  dessen  Innen- 
seite der  Nerv  auf  den  Muskelfasern  des  Muse,  buccinatorius  ver- 
wärts  zieht.  Die  Operation  von  aussen  hat  den  Nachtheil,  dass  die 
Aeste  des  N.  facialis  verletzt  werden  können. 

41)  Nervus  inframaxillaris. 

Alle  Operationen  an  den  Aesten  des  3.  Trigeminusstammes  haben 
so  oft  Recidive  zur  Folge,  dass  nichts  anderes  übrig  bleibt,  als 
den  Trigeminus  III  am  Foramen  ovale  aufzusuchen  (Fig.  39). 
Diese  Operation  wird  am  sichersten  in  ihrer  Ausführung,  wenn  man 
den  Jochbogen  resecirt  (Bruns,  Lücke,  Braun,  Lossen,  Krönlein). 

Wir  halten  daran  fest,  dass  auch  hier  nur  diejenigen  Schnitte 
gemacht  werden  dürfen,  welche  keine  Facialisäste  verletzen. 

Der  Schnitt  (Fig.  39)  beginnt  hinter  dem  Processus  frontalis  des 
Jochbeins  und  wird  nach  vorne  convex  bogenförmig  bis  unter  den 
Jochbogen  diesem  entlang,  schräg  abwärts  geführt.  Vom  hinteren 
Ende  dieses  Schnittes  wird  im  rechten  Winkel  ein  zweiter  vor  dem 
Ohr  schräg  rückwärts  aufsteigender  Schnitt  bis  auf  den  Knochen 
hinzugefügt  (Ligatur  der  A.  und  V.  temporalis).  Man  schneidet  durch 
Haut,  einige  Orbicularisf asern,  und  trennt  die  stramme  Temporalfascie 
am    oberen    Rande    des   Jochbogens.     Dann    legt    man    unmittelbar 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen. 


149 


hinter  dem  aufsteigenden  Stirnfortsatz  des  Jochbeins  letzteres  in 
senkrechter  Linie  innen  und  aussen  frei  und  meisselt  dasselbe  durch, 
also  noch  hinter  dem  eigentlichen  Jochbeinkörper.  Am  hintersten 
Ende    des  Jochbogens    wird    die   Wurzel   desselben    dicht   an   ihrem 


(Schnittfläche 
>  des  M.  tem- 
l      poralis 


Ä  '% 


M.  temporalis 


{Crista  infra- 
temporalis 

J    Sägefläche 
\  der  Basis  des 
[  Jochbogens 

{Capitulum 
mandibulae 

|     Masseter- 
I  fasern  auf  der 
|  Innenfläche] 
Id.  Jochbogens 
(Oberer  Rand 
)      des  Joch- 
i    bogens  ab-' 
\  wärts  gewälzt 


Sägefläche  zwischen  Jochbein- 
körper und  Jochbogen 

N.  infratnaxillaris 


Fig.  39.    Freilegung  des  III.  Trigeminusastes  (N.  inframaxillaris)  am  Foramen  ovale. 

Ursprung  ebenfalls  durchtrennt,  nun  der  Jochbogen  sammt  Masseter- 
ansatz  mit  einem  kräftigen  Haken  abwärts  gezogen. 

Jetzt  liegt,  von  Fett  bedeckt,  die  Aussenfläche  des  M.  tempo- 
ralis-frei.  Dieser  Muskel  wird  von  seinem  hinteren  Rande  her  vom 
Schädel  subperiostal  abgeschoben,  nach  vorne  unten  und  kräftig  nach 
vorne    gezogen    mit    stumpfem    Haken.     Dieses    Vorgehen    hat    den 


i^o  Specielle  Operations-lehre. 

grossen  Vortheil,  dass  man  mit  einem  Schlag  die  sämmtlichen  Ge- 
bilde der  Fossa  retromaxillaris  wegschiebt,  was  bei  Ablösung  des 
Muskels  von  unten  nicht  der  Fall  ist.  Bei  ungenügendem  Zugang 
kann  immerhin  noch  der  Ansatz  des  Muskels  am  Processus  coro- 
noides  durchschnitten  oder  dieser  Fortsatz  nach  gehöriger  Isolirung 
an  seiner  Basis  nach  Pancoast's  und  Krönlein's  Vorgang  mit 
scharfer  Zange  durchgekniffen  werden.  Es  kat  keine  Wichtigkeit, 
den  Muskel  zu  schonen;  aber  die  von  uns  geübte  Ablösung  von 
oben  und  hinten  ist  weniger  verletzend  für  Gefässe  und  Weichtheile 
und  giebt  ein  klareres  Operationsfeld. 

Sind  auf  diese  Weise  sämmtliche  Weichtheile  im  Zusammenhang 
subperiostal  von  der  unteren  Fläche  des  Schädels  medianwärts  ab- 
gehoben, so  kommt  man  ohne  weitere  Verletzung  an  die  Aussen- 
fläche  der  Basis  des  Processus  pterygoideus,  und  hinter  der  scharfen, 
hinteren  Kante  desselben  liegt  das  Foramen  ovale  deutlich  fühlbar, 
etwa  3  cm  tiefer  als  der  Schläfenursprung  des  Jochbogens.  Gelegent- 
lich finden  sich  zwei  Oeffnungen,  aus  denen  der  Nerv  austritt.  Die 
ziemlich  starke  venöse  Blutung  kann  durch  Tamponade  leicht  ge- 
stillt werden.  Die  grossen  Arterien,  Aeste  der  Maxillaris  interna 
bleiben  in  den  nach  abwärts  gezogenen  Weichtheilen  mit  Ausnahme 
der  Meningea  media,  welche  nach  hinten  liegt.  Jetzt  kann  man  den 
Nervenstamm  mit  einem  geeigneten  kräftigen,  aber  kleinen  stumpfen 
Haken  fassen  und  sichtbar  machen;  am  besten  wird  er  mit  einer 
schmalen  kräftigen  Zange  in  toto  gefasst  und  ausgedreht.  Steht  die 
Blutung,  so  kann  die  Wunde  sofort  vereinigt  werden.  Ist  dies  nicht 
der  Fall  oder  ist  man  nicht  völlig  sicher  (weil  in  Narkose  nicht  ge- 
prüft werden  kann)  den  ganzen  Inframaxillaris  getrennt  zu  haben, 
so  tamponirt  man  mit  Jodoformgaze  und  macht  nach  i — 2  Tagen 
Secundärnaht.  Der  Jochbogen  wird  reponirt  und  mittelst  je  einer 
Knochennaht  vorne  und  hinten  befestigt,  und  es  resultirt  eine  fast 
unsichtbare  Narbe. 

Das  Jochbein  auch  in  seiner  Orbitalplatte  oder  bis  zu  seiner 
Oberkieferverbindung  zu  reseciren,  ist  unnütz,  da  man  nicht  mehr 
Raum  erhält  zur  Isolirung  des  Nerven.  Krönlein  hat  in  neuester 
Zeit  (Bd.  XLIII  Arch.  f.  kl.  Chir.)  eine  retrobuccale  Methode 
mit  querer  Wangenspaltung  incl.  Masseter  (2/3)  und  tiefer  Abtragung 
des  Processus  coronoideus  mandibulae  behufs  Verfolgung  der  ein- 
zelnen Aeste  bis  zur  Schädelbasis  angegeben.  Wenn  man  einen 
queren  Wangenschnitt  „bis  1  cm  vor  dem  Ohrläppchen"  fortsetzt 
und  die  vorderen  zwei  Dritttheile  der  Masseter  durchschneidet,  so 
ist  man  nicht  sicher,  keine  Facialisäste  zu  verletzen.  Dieselbe  ist 
von  Mikulicz  in  anderer  Form  als  extrabuccale  Methode  schon 
benutzt  worden  mit  Durchsägung  des  Unterkiefers.  Die  Mikulicz- 
sche   Methode   giebt   Dank   dem   Aufwärtsklappen   des    ganzen   auf- 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  kj 

steigenden  Kieferastes  viel  Raum,  ist  aber  verletzend.  Bruns  und 
Sonnenburg  gehen  noch  tiefer,  vom  Kieferwinkel  her,  auf  den 
Nerven  los. 

42)  Die  Exstirpation  des  Ganglion  Gasseri. 

Durch  die  erfolgreichen  Operationen  einer  grösseren  Anzahl 
von  Chirurgen,  Krause  und  Keen  voran,  ist  erwiesen,  dass  sich 
auch  die  hartnäckigsten  Trigeminusneuralgien  durch  Ausrottung  des 
Ganglion  Gasseri  dauernd  heilen  lassen.  Ferner  ist  der  Beweis  ge- 
leistet, dass  die  Folgen  dieses  Eingriffes  nicht  der  Art  sind,  dass, 
der  Patient  dauernde  Schädigung  erführe.  Die  Keratitis  neuro- 
paralytica  mit  Verlust  des  Auges  bleibt  in  der  Regel  bei  voll- 
ständiger Entfernung  des  Ganglion  aus,  resp.  kann  vermieden 
werden  durch  Schutz  des  Auges.  Die  Lähmung  der  Kaumuskeln 
der  einen  Seite  hindert  den  Kauact  nicht  in  störender  Weise,  die 
Anästhesie  des  Gesichts  nimmt  mit  der  Zeit  an  Umfang-  ab  und 
führt  keine  weiteren  Folgen  herbei.  Die  Nebenverletzungen  der 
Operation,  soweit  sie  in  Schädigung  des  Gehirns  und  der  Augen- 
muskelnerven (in  erster  Linie  des  Abducens,  der  Pupillarfasern  des 
Sympathicus  und  des  Oculomotorius)  bestehen,  verschwinden  mit 
der  Zeit. 

Eines  bleibt  bestehen,  die  Gefahr  der  Blutung,  und  diese  ist 
es,  welche  die  dringende  Mahnung  auch  der  erfahrenen  Operateure 
rechtfertigt,  bloss  in  Fällen  zu  operiren,  wo  sich  die  internen  Mittel, 
die  Neuro-  und  Neurektomie  und  Neurexairesis  einzelner  Trigeminus- 
äste  als  unzureichend  erwiesen  hat.  Die  Blutung  hat  2  Quellen, 
einmal  die  Art.  meningea  media  und  kleinen  Arterienzweigchen  zum 
Ganglion,  danach  die  von  der  Dura  zum  Schädel  tretenden  Venen- 
verbindungen in  Form  von  Emissarien  oder  Aesten  zur  Diploe,  zum 
Plexus  pterygoideus  u.  s.  w.  Je  sicherer  eine  Operationsmethode 
Einblick  auf  den  Verlauf  der  Arteria  meningea  media  an  der  Dura- 
oberfläche  bis  zum  Foramen  spinosum  gestattet,  und  je  geringer  die 
Ablösung  der  Dura,  um  so  besser  ist  sie  für  Verhütung  beider  Arten 
von  Blutung,  danach  um  so  sicherer  im  Erfolg.  Nach  TlFFANY  be- 
trägt die  Mortalität  von   108  Fällen  noch  22  Proc. 

Zwei  Wege  sind  es,  welche  zur  Freilegung  des  Ganglion  ein- 
geschlagen worden  sind,  der  sphenoidale  und  der  temporale.  Der 
sphenoidale  Weg,  von  W.  ROSE  zuerst  betreten,  hat  den  Vor- 
theil  directen  Zugang  zu  geben,  aber  der  Zugang  ist  beschränkt. 
Er  ist  demgemäss  auch  vielfach  modificirt  worden  und  zwar  in  Form 
des  temporosphenoidalen  Verfahrens  von  Poirier  und  Doyen,  der 
provisorischen  Resection  des  Arcus  zygomaticus  von  Jacob  und 
Quenu  und  Sebileau.  TiCHONOWlTSCH  giebt  dem  Verfahren  der 
letzteren  Autoren  den  Vorzug. 


ic 2  Specielle  Operationslehre. 

Der  temporale  Weg,  von  Hartley  und  Krause  vor- 
geschlagen und  ausgebildet,  giebt  viel  grösseren,  aber  weniger 
directen  Zugang.  Seine  bisherigen  Resultate  sind  nach  KRAUSE 
erheblich  besser,  als  diejenigen  des  sphenoidalen  Verfahrens.  Indes 
ergeben  sich  die  damit  verbundenen  Schwierigkeiten  doch  daraus, 
dass  Krause  die  Ligatur  der  Arteria  meningea  für  nöthig  hält  und 
Friedrich  empfiehlt,  die  vorgängige  Ligatur  der  Arteria  carotis 
externa  zu  machen,  resp.  diese  frei-  und  einen  Faden  umzulegen 
zu  event.  sofortiger  Ligatur,  wenn  starke  Blutung  eintreten  sollte. 
Die  Bedenken  einer  ziemlich  ausgedehnten  Abhebung  der  Dura 
von  Seiten-  und  Grundfläche  des  Schädels  und  der  damit  zusammen- 
hängenden venösen  Blutungen  werden  damit  nicht  beseitigt. 

Wir  halten  deshalb  die  von  dem  Autor  als  directe  infra- 
arterielle Methode  bezeichnete,  den  temporalen  Methoden  zu- 
zurechnende Verfahren  von  Harvey  Cushing  für  einen  Fortschritt, 
um  so  mehr  als  der  Autor  dasselbe  an  30  Leichen  in  allen  Einzel- 
heiten sorgfältig  studirt  und  4  Mal  am  Lebenden  glücklich  durch- 
geführt hat.  Wir  haben  Gelegenheit  gehabt,  die  Genauigkeit  und 
Geschicklichkeit  des  Autors  persönlich  kennen  zu  lernen  bei  Experi- 
menten und  können  es  uns  deshalb  nicht  versagen,  seine  klaren 
Zeichnungen  aus  der  Abhandlung x)  zu  reproduciren.  Das  Verfahren 
nähert  sich  demjenigen  von  Coelho,  v/elcher  auch  schon  bei  der 
HARTLEY-KRAUSE'schen  Methode  den  Jochbogen  zu  reseciren  vor- 
schlug und  in  dieser  Hinsicht  auch  denjenigen  von  Quenu  und 
Sebileau,  und  von  Jacob.  Auch  Lexer  hat  diese  grosse  Er- 
leichterung sich  zu  Nutze  gemacht. 

Der  Glaube,  soviel  wie  möglich  am  Schädel  osteoplastisch  operiren 
zu  sollen,  gegen  welchen  wir  schon  bei  der  Trepanation  Stellung 
genommen  haben,  hat  die  Chirurgen  auch  bei  Ausführung  der 
Ganglionoperation  verfolgt.  Und  doch  macht  gerade  diese  Osteo- 
plastik es  unmöglich,  die  Knochenöffnung  so  anzulegen,  wie  sie  den 
besten  Zugang  giebt,  nämlich  bis  zur  Crista  infratemporalis  und  unter 
dieselbe.  Cushing  hat  diesen  Fehler  vermieden.  Er  macht  ähnlich  wie 
Hartley-Krause  einen  Temporallappen  aus  den  Weichtheilen  mit 
unterer  Basis  in  ganzer  Breite  des  Arcus  zygomaticus,  oben  bis  etwas 
über  Ohrmuschelhöhe  (also  weniger  hoch  als  bei  Krause),  und  kneift 
von  oben  sowohl  vorne  als  hinten  den  Jochbogen  durch  (ohne  Läsion 
des  Masseteransatzes).  Nachdem  im  Schnitt  die  Gefässe  ligirt  oder 
gefasst  sind,  kann  man  nun  alle  weiteren  Läsionen  in  der  Tiefe,  wie 
sie  der  sphenoidalen  Methode  anhaften,  dadurch  umgehen,  dass  man 
subperiostal  den  Muse,  temporalis  nach  abwärts  schiebt,  bis  die  Crista 


1)  A  method  of  total  exstirpation  of  the  Gasserian  ganglion  etc.   Presented 
at  a  meeting  of  the  College  of  physicians,  Philadelphia  April  1900. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen. 


153 


infratemporalis  völlig  frei  ist.    Dann  zieht1)  man  den  Lappen  sammt 
gelockertem  Jochbogen  abwärts  (vergl.  Fig.  40). 

Jetzt  wird  ohne  Osteoplastik  das  Os  temporale  trepanirt,  indem 
von  oben  mit  einer  Fräse  ein  Loch  gebohrt  und  mit  der  Kneifzange 
eine  3  cm  breite  Oeffnung  bis  und  mit  der  Crista  infratemporalis 
angelegt  wird.  Die  folgende  Abbildung  zeigt,  dass  —  wie  in  unserer 
Abbildung    für   Ligatur    der  Art.   meningea   media   Fig.    31    —   die 


Fig.  40.  CüSHiNG's  Lappenschnitt  zur  Freilegung  des  Ganglion  Gasseri  mit  pro- 
visorischer Resection  des  Jochbogens  (reproducirt  aus  CüSHiNG's  Abhandlung). 

Stelle  freigelegt  ist,  wo  die  Art.  meningea  media  sicher  auf  ider 
Dura  zu  sehen  ist  und  zwar  unterhalb  des  Angulus  sphenoidalis 
des  Parietale,  wo  dieselbe  öfter  in  einen  knöchernen  Kanal  einge- 
schlossen ist.  Man  kann  auf  diese  Weise  bei  Abhebung  der  Dura 
die  Arterie  vom  ersten  Augenblick  weg  genau  controliren  bis  an 
ihre  Eintrittsstelle  (For.  spinosum),  was  ein  grosser  Vortheil  ist. 

1)  Da  der  vordere  Theil  des  Schnittes  die  obersten  Facialisäste  lädirt,  so 
frage  ich  mich,  ob  nicht  der  von  mir  vorgeschlagene  Hautschnitt  für  den  Nervus 
inframaxillaris  (vergl.  Fig.  39)  sich  auch  hier  passend  verwerthen  Hesse  mit 
Abschieben  des  Muse,  temporalis  nach  vorn. 


154 


Specielle  Operationslehre. 


Ist  man  mit  der  Abhebung  der  Dura  bis  ans  Foramen  ovale  ge- 
langt, so  findet  man  hier  eine  festere  Anhaftung,  ebenso  am  Foramen 


A.  meningea  media 


Dural  arch. 


N.  ophthalmicus ,' 

N.  abducens 

N.  maxillaris 


Foramen  spinosum 
Ganglion  semilunare 


Underlying  sheath  of  dural  envelope    N.  mandibularis 


Fig.  41.    Reproducirt  aus  Cushing,  um  das  Verhalten  der  Art.  meningea  media 

zu  der  Trepanationsöffnung,  nach  Abhebung  der  Dura,  zu  zeigen.   Die  Oeffnung 

sollte  nach  unten  die  Crista  infratemporalis  mit  einbeziehen. 


Operative  foramen 


N.  abducens 


'J 


Site  of  operative  —fi 
foramen  'Mi 


A.  meningea 
media 


TOT — A*  meningea 
i\fi  media 


—Ganglion  semi- 
I        lunare 


Dura  mater 
(reflected) 

Dura  propria  of 
ganglion 


Fig.  42.    Reproduction  der  CüSHiNG'schen  Abbildung  zur  Demonstration,   dass 

ausser  der  in  der  Figur  zurückgeschlagenen  Dura  der  Basis  das  Ganglion  seine 

eigene  fibröse  Umhüllung  hat,  welche  es  unten  und  oben  (die  obere  Bedeckung 

ist  in  der  Abbildung  ebenfalls  zurückgeschlagen)  umgiebt. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  jec 

rotundum.  Zwischen  beiden  wird  ein  stumpfes  Instrument  (eine 
Kropfsonde  z.  B.)  eingeführt  und  die  Dura  über  den  3  Aesten,  dem 
Ganglion  Gasseri  und  der  Wurzel  desselben  abgehoben,  aber  zunächst 
nur  von  der  oberen  Fläche,  weil  von  unten  die  stärkere  Blutung 
erfolgt.  Dann  wird  stumpf  entlang  den  2  Hauptästen  von  vornher 
auch  die  untere  Fläche  gelöst,  bis  das  Ganglion  abgehoben  ist.  Zu- 
letzt kommt  die  Lösung  am  medialen  Rande,  wo  der  N.  abducens 
und  Sinus  cavernosus  anliegen  und  zwar  hier  von  hinten  her  gegen 
den  1.  Ast  zu.  Dann  wird  auf  stumpfen  Häkchen  der  2.  und  3.  Ast 
durchschnitten  und  mit  einer  Zange  die  Wurzel  des  Ganglion  gefasst 
und  dieses  sammt  den  2  Aststümpfen  und  dem  ersten  Ast  ausgerissen. 

Die  Blutung  aus  den  kleinen  Arterien  und  den  Venenzweigen 
(zum  Plexus  pterygoideus  nach  Lexer)  von  unten  her  und  selbst  eine 
event.  Blutung  aus  dem  Sinus  cavernosus  ist  durch  Tamponade  leicht 
zu  stillen.  Cushing  verzichtet  mit  Recht  auf  jede  Drainage  und  jegliche 
Tamponade,  sondern  hat  stets  völlige  Primavereinigung  durch  Naht 
der  Hautmuskellappen  erzielt.  Den  Jochbogen  zu  fixiren  ist  unnütz, 
weil  es  besser  ist,  er  sinke  etwas  ein,  da  die  Kaumuskeln  atrophiren. 

Die  Resection  des  Jochbogens,  das  Vermeiden  der  unnützen  und 
störenden  Osteoplastik  und  die  bewusste  Verfolgung  der  Arteria 
meningea  in  ganzer  Länge  halten  wir  für  die  werthvollen  Eigen- 
thümlichkeiten  der  CüSHlNG'schen  Methode.  Wir  zweifeln  nicht,  dass 
man  trotzdem  das  eine  oder  andere  Mal  in  die  Lage  kommen  kann, 
nach  Krause  die  Arteria  meningea  zu  unterbinden  oder  nach  Fried- 
rich die  Carotis  externa. 

43)  Resection  des  Oberkiefers  (vergl.  Fig.  10  und  n). 

Um  den  Muth  zu  haben,  ganz  im  Beginn  maligner  Neu- 
bildungen die  partielle  oder  totale  Resection  des  Oberkiefers  mit  der 
nöthigen  Gründlichkeit  auszuführen,  d.  h.  die  erkrankte  Partie  so 
vollkommen  frei  zu  legen,  dass  mit  Sicherheit  alle  verdächtigen  Ge- 
webe entfernt  werden  können,  ist  es  nothwendig,  Methoden  der 
Operation  zu  kennen,  welche  keine  zu  bedenklichen  Entstellungen 
im  Gefolge  haben.  Namentlich  darf  das  Mienenspiel  nicht  in  unnützer 
Weise  geschädigt  werden.  Nicht  darauf  allein  kommt  es  an,  feine 
Narben  zu  erzielen,  sondern  die  Gesichtsmuskeln  und  ganz  besonders 
deren  motorische  Nerven  müssen  intact  erhalten  werden.  Um  dieses 
zu  erreichen,  ist  folgendes  Verfahren  zu  empfehlen.  Zunächst  ist  es 
fast  stets  wünschenswerth,  wegen  Drüsen  am  Kieferwinkel  und  am 
vorderen  Rande  des  Sternocleido  mittelst  des  „Normalschnittes  für 
das  obere  Halsdreieck"  (S.  75)  die  Drüsen  zu  entfernen.  Dabei 
soll  man  die  Gelegenheit  wahrnehmen,  die  Carotis  externa  zu 
unterbinden.  Diese  Voroperation  gestaltet  den  Hauptact  zu  einem 
viel  exacteren,  weil  die  Blutung  unvergleichlich  geringer  ist. 


156 


Specielle  Operationslehre. 


Man  legt  (vergl.  Fig.  10)  einen  paramedianen  Schnitt  an,  welcher 
neben  dem  Filtrum  von  der  kleinen  Einbuchtung  der  Oberlippe  ins 
Nasenloch  aufwärts  geht,  von  dem  Nasenloch,  jdicht  um  den  Nasen- 
flügel-herum,  entlang  der  Apertura  pyriformis  schräg  auf-  und  median- 
wärts  zur  Vereinigungsstelle  von  Processus  frontalis  des  Oberkiefers 
mit  dem  Stirnbein.  So  wird  bloss  der  Muse,  levator  alae  nasi  durch- 
schnitten,   was   für   das  Mienenspiel  keine  Bedeutung  hat.     Wie  ge- 


Fig.  43.     Geheilte  Totalresection  des  rechten  Oberkiefers  mit  Winkelschnitt 
wegen  maligner  Neubildung. 


ring  die  Entstellung  ist,  indem  sie  sich  ohne  Prothese  auf  ein  leichtes 
Zurückrücken  der  Wange  und  Herabsinken  des  unteren  Lides  be- 
schränkt, zeigt  Fig.  43. 

Erzeigt  sich  der  angegebene  Schnitt,  welchen  Esmarch  als  den 
NELATON'schen  bezeichnet,  als  ungenügend  zur  Erzielung  freier  Ein- 
sicht, so  kann  man  auf  zwei  Weisen  mehr  Zugang  schaffen:  Bei 
weit  rückwärts  gehenden  Tumoren  durch  Zufügung  eines  unab- 
hängigen queren  Wangenschnittes  vom  Mundwinkel  lateralwärts, 
wie  wir  ihn  unten  genauer  schildern  für  breite  Eröffnung  der  Mund- 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  jcj 

höhle.  Dadurch  wird  die  Operation  der  von  FERGUSSON  (nach 
Esmarch)  geübten  ähnlich.  Dieser  Schnitt  passt,  wenn  die  Neu- 
bildung am  Alveolarfortsatz  und  an  der  Gaumenplatte  sehr  weit 
rückwärts  sich  ausgedehnt  hat. 

In  der  Regel  bedarf  man  eines  oberen  Schnittes,  um  im 
Bereich  der  Orbita  und  des  Jochbeins  genügenden  Zugang  zu 
bekommen.  Man  vervollständigt  ihn  in  der  Weise,  dass  man 
zwischen  dem  oberen  und  unteren  Facialisgebiet  durchgehend,  am 
unteren  Rande  des  M.  orbicularis  oculi  und  über  den  Ansätzen 
der  M.  quadratus  labii  sup.  und  der  Zygomatici  einen  lateralwärts 
leicht  absteigenden  Querschnitt  hinzufügt  (unseren  Normal- 
Oberkieferschnitt  unterhalb  des  Infra Orbitalrandes ,  Fig.  10).  Der 
Schnitt  stimmt  mit  dem  von  O.  Weber  angegebenen  überein  mit 
dem  Unterschied,  dass  er  lateral  abwärts  verläuft  der  Facialäste 
wegen.  Noch  besseren  Zugang  ergiebt  der  Schnitt,  welcher  in  den 
inneren  Augenwinkel  einmündet  und  vom  äusseren  Augenwinkel 
lateral-  und  etwas  abwärts  fortgesetzt  wird.  In  der  Lidspalte  wird 
die  Schleimhaut  längs  des  unteren  Lides  durchschnitten.  Es  ist 
dies  der  DiEFFENBACH'sche  Schnitt  mit  der  Abweichung,  dass 
Dieffenbach  die  Nase  in  der  Mittellinie  spaltet. 

Der  Lappen  wird  in  toto  mit  sämmtlichen  gesunden  Weich- 
theilen  und  Nervenästen  nach  aussen  geschlagen  und  der  Knochen, 
resp.  die  Geschwulst  freigelegt.  Durch  Umfassen  der  Basis  des  um- 
geklappten Lappens  lässt  sich  eine  genügende  Compression  aus- 
üben und  die  Unterbindung  der  Gefässe  leicht  und  sicher  bewerk- 
stelligen (A.  angularis,  labialis,  infraorbitalis,  event.  transversa  faciei). 
Sofortige  exacte  Blutstillung  ist  ein  für  richtiges  Operiren  eminent 
wichtiger  Factor.  Aus  diesem  Grunde  neben  demjenigen  des  Blut- 
verlustes ist  die  vorherige  Ligatur  der  A.  carotis  externa  für 
die  Oberkieferresection  sehr  empfehlenswerth  und  macht  die  Operation 
viel  sauberer  und  leichter. 

Es  folgt  die  Lösung  des  Oberkiefers  aus  seinen  Verbindungen: 
Man  trennt  mit  Meissel  und  schneidender  Zange  den  Processus 
frontalis  des  Oberkiefers  sammt  Nasenbein  vom  obersten  Theil  der 
Apertura  pyriformis  rückwärts  und  geht  durch  das  Thränen-  und 
Siebbein  bis  zum  hintersten  Ende  der  Fissura  orbitalis  inferior,  wo- 
bei keine  Verletzungen  von  Bedeutung  gemacht  werden.  Für  die 
Verbindung  von  Oberkiefer  und  Jochbein  verlegt  man,  je  nach  der 
Indication,  die  Trennungsstelle  an  die  Oberkiefer-Jochbeingrenze 
oder  man  nimmt  das  Jochbein  durch  Trennung  des  Jochbogens  und 
des  Processus  frontalis  ossis  zygomatici  von  eigenem  kleinen  Schnitt 
aus  mit  je  einem  kräftigen  Meisselschlag  ganz  weg.  Die  Wund- 
ränder müssen  dabei  mit  scharfen  Haken  kräftig  auf  die  Seite  ge- 
zogen werden.   Es  bleibt  noch  die  dritte  Verbindung  des  Oberkiefers 


jeß  Specielle  Operationslehre. 

mit  demjenigen  der  anderen  Seite:  der  Meissel  wird  zwischen  den 
Schneidezähnen  resp.  i  cm  entfernt  von  der  Grenze  der  Neubildung 
median  aufgesetzt  und  die  Gaumenplatte  in  ganzer  Länge  durch- 
schlagen, nachdem  Schleimhaut  und  Periost  des  Gaumens  an  der 
Grenze  der  Erkrankung  bis  auf  den  Knochen  durchschnitten  und 
auch  der  weiche  Gaumen  mit  dem  Thermocauter  vorher  an  seinem 
Ansatz  quer  getrennt  worden  ist. 

Jetzt  bleibt  noch  der  Zusammenhang  mit  dem  Processus  ptery- 
goideus.  Wenn  man  den  Hautlappen  kräftig  zurückzieht,  kann  man  bis 
an  diesen  Fortsatz  heran  die  Weichtheile  unter  gehöriger  Blutstillung 
von  aussen  trennen :  Schleimhaut,  M.  buccinator  und  M.  pterygoideus 
externus  und  internus,  dann  wird  der  Knochenfortsatz  von  aussen 
her  bei  stark  zurückgezogenen  Weichtheillappen  mit  dem  Meissel 
durchschlagen.  Wo  dieser  Knochentheil  nicht  mitentfernt  werden 
soll,  wird  seine  Verbindung  mit  dem  Oberkiefer  durch  kräftiges 
Abwärtsziehen  des  letzteren  gelöst,  und  zwar  rasch,  damit-  man  zur 
Blutstillung  schreiten  kann.  Bei  dem  letzten  Act  reissen  nämlich 
die  starken  Endäste  der  A.  maxillaris  interna  (Art.  spheno-palatina, 
pterygo-palatina  und  infraorbitalis)  durch. 

Zur  Nachbehandlung  giebt  es  zwei  Mittel :  Entweder  wenn  die 
Blutstillung  völlig  sicher  ist,  halbstündliche  Irrigation  mit  sehr  warmer 
Kochsalzlösung.  Oder  wo  diese  nicht  durchführbar  oder  noch 
Blutung  zu  stillen :  Tamponade  mit  Xeroformgaze  der  ganzen  Wund- 
höhle, mit  Wechsel,  erst  wenn  sie  sich  lockert. 

Für  ganz  beschränkte  Tumoren,  sowie  für  Entfernung  nekro- 
tischer Knochen  genügt  ein  Schnitt  durch  die  Oberlippe  bis  ins 
Nasenloch.  Wir  haben  vor  Kurzem  eine  doppelseitige  totale  Ober- 
kieferresection  wegen  Phosphornekrose  ganz  ohne  äusseren  Haut- 
schnitt ausgeführt.  In  derartigen  Fällen  ist  die  Entstellung  Dank 
dem  Erhaltenbleiben  des  Periostes  so  minim,  dass  man  es  kaum 
glauben  würde,  dass  eine  so  eingreifende  Operation  ausgeführt  ist. 
Wir  geben  eine  Abbildung  obigen  Falles  nach  Photogramm  circa 
2  Monate  nach  der  subperiostalen  Totalentfernung  beider  Ober- 
kiefer, welche  nebenan  mitphotographirt  sind. 

Ganz  anders  stellt  sich  freilich  das  Endresultat  bei  malignen 
Tumoren,  welche  schon  den  ganzen  Oberkiefer  einnehmen,  zumal 
bei  den  vom  Antrum  Highmori  aus  entwickelten.  Hier  sind  noch 
zur  Stunde,  wo  wir  doch  an  anderen  Stellen  auch  bei  malignen 
Geschwülsten  schöne  Resultate  bezüglich  Dauerheilung  erzielen, 
Recidive  die  Regel  —  selbstverständlich  deshalb,  weil  unsere 
Methoden  nicht  ausreichen,  alles  erkrankte  Gewebe  sicher  zu  ent- 
fernen. Ein  Theil  der  Schuld  liegt  an  der  Missachtung  der  prophy- 
laktischen Blutstillung  und  an  unrichtiger  Lagerung.  Wir  verweisen 
auf  das  S.  38  ff.  speciell  zu  Händen  der  Oberkieferresection  Gesagte. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  15g 

Wir  müssen  uns  deshalb  für  alle  diejenigen  Fälle,  wo  wir  nicht 
mit  voller  Sicherheit  die  Grenze  der  Neubildung  bestimmen  können, 
von  vorneherein  entschliessen,  erheblich  über  das  Gebiet  des  Ober- 
kiefers mit  unseren  Schnitten  hinauszugehen  einerseits  und  anderer- 
seits vor  der  Wegnahme  der  bedeckenden  Haut,  soweit  diese  ver- 
wachsen ist,  nicht  zurückschrecken.  Die  Excision  eines  grösseren 
Stückes  der  Wangen-  und  Lidhaut  ist  natürlich  für  die  Schnittrichtung 
bestimmend. 

Wo  Mitentfernung  von  Haut  nicht  nöthig  ist,  rathen  wir  bei 
ausgedehnter  Erkrankung  den  modificirten  DiEFFENBACH'schen 
Schnitt  zu  benutzen,  d.  h.  senkrecht  durch  die  Oberlippe  neben  dem 
Filtrum  und  am  besten  gleich  auch  senkrecht  durch  die  Nase 
neben  der  Mittellinie  emporzuschneiden,  von  der  Nasenwurzel 
lateralwärts  in  die  Lidspalte  und  vom  äusseren  Augenwinkel  lateral- 
abwärts  bis  auf  den  hinteren  Theil  des  Jochbogens.  Dieser  grosse 
Lappen  wird  bis  auf  den  Masseter  gehörig  zurückgeklappt  und  die 
Blutung  gestillt.  Jetzt  sollte  unter  allen  Umständen  der 
Augapfel  entfernt  werden,  um  völlig  freie  Hand  zu  haben 
für  Entfernung  des  kranken  Gewebes  im  Bereich  des  Siebbeins  und 
der  Fissura  orbitalis  inferior.  An  diesen  Stellen  tritt  Recidiv  be- 
sonders gerne  ein.  Die  Operation  gestaltet  sich  dann  so,  dass  die 
Basis  des  Proc.  zygomaticus  des  Stirnbeins,  dann  der  Jochbogen  weit 
hinten  getrennt  wird  (beides  ist  wenig  blutig),  darnach  bestimmt 
wird,  wie  weit  der  Tumor  im  Bereich  des  Siebbeins,  Nasenbeins 
und  der  Orbita  vorgedrungen  ist,  um  hier  jenseits  der  Grenzen  zu 
bleiben :  Trennung  von  Nasenbein  nebst  Oberkiefer-Stirnfortsatz  und 
der  lateralen  Siebbeinplatte  vom  Stirnbein.  Dann  muss  hinter  der 
unteren  Orbitalplatte  die  Basis  des  Proc.  pterygoideus  von  aussen 
durchschlagen  und  sammt  Muse,  pterygoideus  internus  und  externus 
entfernt  werden. 

Eine  Hauptentstellung  nach  Oberkieferresection  ist  die  Dislo- 
cation  des  Bulbus  abwärts  mit  Heruntersinken  des  unteren  Lids, 
wenn  dessen  langdauerndes  Oedem  verschwunden  ist.  Fr.  KÖNIG 
hat  zur  Verhütung  dieses  Uebelstandes  eine  sehr  hübsche  Muskel- 
plastik angegeben:  Er  nimmt  von  dem  Ansatz  des  Muse,  tem- 
poralis  einen  2  Finger  breiten  Muskelstreifen  im  Zusammenhang 
mit'  einem  Stück  des  vorderen  Randes  des  Proc.  coronoideus  mandi- 
bulae,  den  er  bis  zum  horizontalen  Ast  abmeisselt,  und  heftet  dieses 
Stück  quer  unter  den  Bulbus  herüber  an  den  Rest  des  Proc.  fron- 
talis des  Oberkiefers.     So  wTird  der  Bulbus  gestützt. 

44)  Weniger  eingreifend  ist  die  osteoplastische  Total- 
resection  des  Oberkiefers,  wobei  man  den  Kiefer  herausklappt 
und   ihn   wieder   in   seine   frühere   Lage   zurückbringt.     Dieselbe   ist 


i6o  Specielle  Operationslehre. 

angezeigt  bei  Tumoren  an  der  Schädelbasis  (Os  basilare  und  Nachbar- 
schaft, wenn  man  mit  der  GüSSENBAUER'schen  Methode  der  Spaltung 
des  weichen  Gaumens  und  Ausmeisselung  des  harten  Gaumens  nicht 
Raum  genug  erhält,  besonders  bei  Retromaxillartumoren. 

Der  Unterschied  dieser  von  der  vorigen  Operation  besteht 
darin,  dass  man  nach  dem  Hautschnitt  die  Weichtheile  nicht  vom 
Knochen  loslöst,  sondern  nach  Trennung  der  knöchernen  Verbin- 
dungen den  Oberkiefer  mitsammt  den  Weichtheilen  lateralwärts 
umklappt.  Die  Trennung  des  Processus  frontalis  des  Jochbeins 
muss  dabei  von  einem  eigenen  kleinen  Schrägschnitte  aus  besorgt 
werden  in  ganz  analoger  Weise,  wie  bei  der  oben  beschriebenen 
Methode  der  Resection  des  Nervus  supramaxillaris  am  Foramen 
rotundum. 

Als  Methode  zur  Freilegung  der  Fossa  retromaxillaris 
ist  die  bei  der  Durchschneidung  des  IL  Trigeminusastes  geschilderte 
Methode  der  Resection  des  Jochbeins  zu  benutzen. 

Willman  bloss  die  Nasenhö  hie  oder  letztere  sammt 
Antrum  Highmori  zug-änglich  machen,  so  genügt  es,  die 
partielle  osteoplastische  Oberkief erresection  in  folgen- 
der Weise  auszuführen:  Hautschnitt  wie  zur  Oberkief  erresection, 
nur  wird  der  quere  Schnitt  wenig'er  weit  lateralwärts  geführt  und 
die  Spaltung  der  Oberlippe  vermieden  (Fig.  10),  also  vom  Nasenloch 
um  die  Nasenflügel  bis  neben  den  inneren  Augenwinkel  und  unter 
dem  Infraorbitalrand  quer  bis  zum  Jochbein  geschnitten,  dazu  aber 
vom  Nasenflügel  weg  in  der  Wangen-  und  Oberlippenfalte  aus-  und 
abwärts. 

Von  der  Apertura  pyriformis  aus  wird  die  Trennung  in  folgender 
Form  und  Reihenfolge  vorgenommen:  Zuerst  durchtrennt  man  mit 
der  Knochenzange  oder  dem  Meissel  die  Verbindung  der  Nasen- 
beine, lateralwärts  die  Verbindung  des  letzteren,  des  Stirnfortsatzes 
des  Oberkiefers  und  des  Thränenbeins  mit  dem  Stirnbein,  dann 
schräg  rück-  und  abwärts  die  Orbitalplatte  bis  zur  Fissura  orbitalis 
inferior.  Vom  untersten  Theil  der  Apertura  pyriformis  trennt  man 
mit  dem  Meissel  die  mediale  und  vordere  Wand  des  Antrums 
bis  zum  Canalis  inf raorbitalis ;  endlich  letzterem  entlang  rückwärts 
die  Orbitalplatte  des  Oberkiefers  (bis  zur  Fissura  orbitalis  inferior). 
Nunmehr  kann  man  die  Knochen  sammt  Weichtheilen  nach  aussen 
klappen  und  hat  die  zu  einem  Hohlraum  verschmolzene  Nasen- 
höhle und  Highmorshöhle  vor  sich. 

Wie  man  mit  blossem  Schnitt  durch  Oberlippe  und  Median- 
schnitt durch  harten  und  weichen  Gaumen  die  beiden  Oberkiefer- 
hälften auseinanderklappen  und  die  Schädelbasis  osteoplastisch  zu- 
gänglich machen  kann,  haben  wir  bei  den  Nasenoperationen  erwähnt. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  j6i 

Wir  verweisen  bezüglich  dieses  Capitels  auf  das  bei  der  Eröffnung 
der  Nasenhöhle  und  Freilegung  der  Schädelbasis  Gesagte.  Wir 
haben  dort  schon  des  schönen  Falles  von  Depage  gedacht,  bei 
welchem  durch  letztgenannte  Operation  ein  Patient  mit  Sarkom  der 
Schädelbasis  bis  zu  den  obersten  Wirbeln  zur  Heilung  gebracht  wurde. 
Er   machte   die  provisorische  Ligatur  beider  Art.  carotides  internae. 

45)  Resection  des  Unterkiefers. 

Die  Unterkieferresection  ist  einfach  auszuführen,  allein  man  darf 
auch  hier  nicht  unnütze  Entstellungen  herbeiführen  durch  Läsion 
des  Mundfacialis,  zumal  dessen  Ramus  marginalis. 

Wegen  Einfachheit  und  geringgradigster  Verletzung  ist  in  erster 
Linie  zu  empfehlen  der  Medianschnitt  (Fig.  10),  welcher  die 
Unterlippe  spaltet  und  eventuell  bis  zur  Mitte  des  Zungenbeins 
heruntergeht.  Dieser  Schnitt  giebt  schon  recht  ausgiebigen  Raum 
bei  Erkrankung  des  Mittelstückes  und  eines  grossen  Theiles  der 
horizontalen  Aeste  des  Unterkiefers  und  man  soll  sich  nicht  un- 
nützerweise verleiten  lassen,  einen  seitlichen  Schnitt  hinzuzufügen, 
weil  derselbe  durch  Verletzung  von  Muskeln  und  Nerven  sofort 
eine  verstärkte  Behinderung  des  Schluckmechanismus  zur  Folge  hat 
und  daher  vermehrte  Gefahr  von  Schluckpneumonie.  Wyeth  hat 
sogar  bei  Excision  einer  Unterkieferhälfte  wegen  Sarkom  jeglichen 
äusseren  Schnitt  vermieden ;  indes  bringt  die  mediane  Lippen- 
spaltung keine  nennenswerthe  Entstellung  mit  sich. 

Bei  Erkrankung  im  Bereich  des  Kieferwinkels  und  des  auf- 
steigenden Astes  zumal  wenn  die  Weichtheile  mitergriffen  sind  und 
bei  Notwendigkeit  der  Klarlegung  und  Ausräumung  der  Fossa 
submandibularis  wegen  maligner  Neubildungen  fügt  man  einen  seit- 
lichen Schnitt  hinzu.  Derselbe  darf  nicht  (wie  oft  geschieht)  auf  den 
Rand  des  Kiefers  gelegt  werden,  wegen  der  hier  verlaufenden 
Facialisäste,  sondern  ist  unterhalb  desselben  und  zwar  vom  Zungen- 
bein nach  hinten  oben  in  der  Mundboden  -  Halsfalte  ansteigend 
daumenbreit  hinter  und  unter  dem  Kieferwinkel,  eventuell  bis  zur 
Spitze  des  Processus  mastoideus  emporzuführen  (vergl.  unseren  Nor- 
malschnitt für  das  obere  Halsdreieck).  Der  durch  die  erwähnten 
Schnitte  eingefasste  Lappen  wird  heraufgeklappt  und  mit  Nähten  an 
der  Gesichtshaut  befestigt.  Dabei  hält  man  sich  möglichst  nahe  an 
den  Knochen  und  löst  die  Musculatur  mit  dem  Lappen  los  (vorne 
M.  mentalis,  Triangularis  und  Quadrangularis  menti,  hinten  Bucci- 
natorius  und  Masseter).  Auf  der  Innenfläche  des  Kiefers  wird  vorn 
der  M.  digastricus,  genio-,  mylohyoideus  und  genioglossus,  hinten 
der  M.  pterygoideus  internus  gelöst.  Bei  Erkrankung  von  Drüsen 
unter  dem  horizontalen  Kieferast  wird  erst  der  vordere  und  hintere 
Bauch   des  M.  digastricus   freigelegt  und  von  unten  her  die  sämmt- 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.     IV.  Aufl.  II 


IÖ2  Specielle  Operationslehre. 

liehen  Lymphdrüsen  sammt  Speicheldrüsen  emporgehoben  bis  zum 
Kieferrand. 

Es  ist  wichtig-,  sofort  nach  dem  Schnitt  durch  die  Tippe  und 
schon  vor  der  Ablösung  der  Muskeln  den  Kiefer  vorne  zu  durch- 
sägen, um  ihn  kräftig  vorzuziehen  und  die  Weichtheile  spannen  zu 
können.  Sind  die  Muskeln  und  die  Schleimhaut  getrennt,  so  zieht 
man  den  Kiefer  abwärts,  so  dass  man  den  Processus  coronoideus 
sehen  und  fühlen  kann.  Dessen  Spitze  wird  mit  scharfer  Zange 
abgekniffen  und  damit  der  Ansatz  des  M.  temporalis  getrennt.  Die 
Auslösung  des  Kieferköpfchens  und  -halses  wird  nicht  mit  scharfen 
Instrumenten  gemacht,  um  nicht  die  Arteria  maxillaris  interna  zu 
verletzen;  sondern  nach  Trennung  aller  übrigen  Verbindungen  wird 
das  Köpfchen  einfach  herausgedreht  und  durch  Torsion  Gelenk- 
kapsel und  M.  pterygoideus  externus  zerrissen.  Die  Arteria  maxillaris 
externa  ist  schon  beim  Heraufschlagen  des  Weichtheillappens  durch- 
schnitten und  unterbunden  worden.  Die  Arteria  alveolaris  inferior 
wird,  wenn  man  den  Kiefer  im  horizontalen  Seitentheil  durchsägt, 
im  Canalis  in fram axillaris  verletzt  und  mit  einem  Wachspfropf  tam- 
ponirt;  bei  völliger  Entfernung  der  Kieferhälfte  wird  sie  vor  oder 
nach  dem  Abdrehen  des  Kiefers  oder  beim  Abpräpariren  des  Ptery- 
goideus internus  im  hinteren  oberen  Winkel  der  Wunde  unterbunden. 

Der  Nervus  alveolaris  inferior  wird  zerrissen  oder  bei  Ablösung 
des  M.  pterygoideus  internus  durchschnitten. 

Wie  für  die  Oberkieferresection  erscheint  es  auch  hier  für  Ver- 
meidung von  Blutverlust  gut,  gleich  nach  dem  Hautschnitt  die 
A.  carotis  externa  oberhalb  der  A.  thyreoidea  superior  zu  unterbinden, 
eventuell  oberhalb  des  Abgangs  der  A.  lingualis. 

Wo  man  die  Hälfte  oder  gar  den  ganzen  Unterkiefer  entfernt 
hat,  ganz  besonders  wenn  dieses  subperiostal  mit  Erhaltung  des 
Periosts  ausführbar  war,  ist  sofort  eine  kanalförmige  Prothese  (nach 
Dr.  Claude-Martin  in  Lyon)  einzulegen  zur  Erzielung  einer  guten 
Form  des  neu  sich  bildenden  Kiefers.  Der  Periost  wird  darüber 
zusammengenäht.  Sehr  einfach  ist  die  sub periostal e  Resection 
des  Unterkiefers,  wie  sie  z.  B.  bei  Phosphornekrose  zu  machen 
ist.  Man  trennt  nach  Extraction  der  meist  lockeren  Zähne  auf  dem 
Alveolarrand  Zahnfleisch  und  Periost  und  schiebt  letzteres  bis  an 
die  Grenze  des  kranken  Knochens  stumpf  zurück  und  hebt  den 
Knochen  nach  der  Durchtrennung  heraus. 

46)  Die  osteoplastische  Resection  des  Unterkiefers  ist 

eine  wichtige  Voroperation  zur  Freilegung  des  Mundbodens,  des 
Zungengrundes,  Isthmus  faucium  und  der  tiefen  Rachen gebilde.  Für 
die  vor  dem  Isthmus  faucium  gelegenen  Gebilde  giebt  die  mediane 
Spaltung    der   Lippe    und    des   Unterkiefers   sehr   schönen 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  ^3 

Zugang.  Sie  hat  den  grossen  Vortheil,  dass  nach  Anlegung  einer 
exacten  Naht  (Eisendraht)  die  Bewegungen  des  Unterkiefers  nicht 
einmal  vorübergehend  eine  nennenswerthe  Beeinträchtigung  erleiden 
und  eine  Heilung  bei  guter  Stellung  der  Fragmente  leicht  zu  er- 
zielen ist. 

Für  die  Fälle,  in  denen  Erkrankungen  im  Bereich  des  Isthmus 
faucium  und  der  dahinter  gelegenen  Rachengebilde  eine  Trennung 
des  Kiefers  nöthig  machen  (so  für  Zungenbasiscarcinome,  welche  auf 
den  Gaumen  übergegangen  sind) ,  muss  als  Normalverfahren  die 
Trennung  des  Kiefers  vor  dem  aufsteigenden  Kiefer- 
aste nach  Langenbeck  gelten,  wie  sie  neuerdings  (siehe  oben)  zur 
Neurektomie  des  Trigeminus  von  Mikulcz  benutzt  wird :  Wir  ziehen 
aber  entgegen  Langenbeck's  senkrechter  Incision  vom  Mundwinkel 
abwärts  (Esmarch)  denselben  Schnitt  vor,  wie  für  die  Resection  des 
Unterkiefers  in  einer  Linie  vom  Proc.  mastoideus  gegen  das  Zungen- 
bein, je  nach  Bedürfniss  in  grösserer  oder  gering-erer  Ausdehnung. 
Der  untere  Rand  des  Kiefers  wird  nach  Ligatur  der  A.  maxillaris 
externa  am  vorderen  Masseterumfang  freigelegt,  nach  vorne  und 
hinten  das  Periost  gelöst,  mit  dem  Elevatorium  die  Schleimhaut 
durchstossen  und  der  Unterkiefer  mit  der  Stichsäge  hinter  den 
Backenzähnen  durchsägt. 

Es  ist  zweckmässig,  vorher  i  oder  2  Drillbohrlöcher  anzulegen 
behufs  nachträglicher  genauer  Naht  mit  Eisendraht.  Die  Durchsägung 
hat  schräg  zu  geschehen  in  der  Weise,  dass  man  auf  der  Aussen- 
seite  und  unteren  Seite  weiter  vorne  bleibt,  als  innen  und  oben,  weil 
das  hintere  Kieferende  Neigung  hat,  sich  median-  und  aufwärts  zu 
verschieben.  Nun  wird  mit  scharfem  Haken  der  aufsteigende  Kiefer- 
ast nach  oben  geklappt  und  der  vordere  Theil  des  Kiefers  nach 
vorne  gezogen. 

47)  Resection  des  Kiefergelenks. 

Wegen  eitriger  (öfter  metastatischer)  Entzündung,  fungöser  und 
proliferir ender  Erkrankung,  sowie  wegen  habitueller  und  veralteter 
Luxation,  endlich  wegen  Ankylose  kann  man  zur  Resection  des 
Kiefergelenks  genöthigt  sein.  Die  Hauptgefahr  bei  dieser  Operation 
ist  die  Verletzung  des  N.  facialis,  speciell  seiner  Augenäste.  Man 
macht  einen  Schrägschnitt  vor  dem  Tragus,  vor  dem  unteren  Ende 
desselben  beginnend,  schräg  auf-  und  vorwärts,  bloss  durch  die  Haut. 
Dann  spaltet  man  die  Fascie  unter  Schonung  und  exacter  Prä- 
paration von  Art.  und  Vena  temporalis,  welche  nach  hinten 
bleiben  oder,  wenn  sie  (namentlich  die  Vene)  im  Wege  sind,  ligirt 
werden. 

Nun  schneidet  man  auf  den  Jochbogen  und  löst  von  diesem  die 
Fascie  superiostal  ab,  sich  dicht  an  den  Knochen  haltend,  mit  kleinen 

11* 


jß4  Specielle  Operationslehre. 

Schnitten.  Bei  dieser  Ablösung  trennt  man  nach  unten  die 
Kapsel  von  der  Pfanne  ab  und  eröffnet  das  Gelenk,  während  man 
nach  oben  die  Fascie  des  M.  temporalis  spaltet.  Jetzt  hebt  man 
das  Kieferköpfchen  mit  dem  Elevatorium  heraus.  Man  sieht  den 
Meniscus,  welcher  event.  zu  excidiren  ist  und  kann  mit  der  scharfen 
Zange  den  Kopf  abtragen  und  mit  scharfem  Löffel  die  Pfanne  aus- 
räumen. 

Die  Beweglichkeit  tritt  in  kürzester  Zeit  bei  einseitiger  Resection 
wieder  ein  wird  aber  auch  bei  doppelseitiger  Resection  eine  be- 
friedigende —  vorausgesetzt,  dass  man  so  früh  wie  möglich  a  c  t  i  v  e 
Bewegung  ausführen  lässt.  Zur  sicheren  Erzielung  von  Beweglich- 
keit hat  Helferich  einen  Theil  des  Muse,  temporalis,  KüSNAGOW 
einen  Theil  des  abgespaltenen  Masseter  interponirt  Letzteres  dürfte 
bei  Annäherung  an  den  Pte^goideus  ext.  leichter  sein. 

Hinter  dem  Köpfchen  geht  der  N.  auriculo  -  temporalis,  unter 
demselben  die  Arteria  maxillaris  interna  über.  Wir  haben  vor 
Kurzem  nach  obiger  Methode  eine  4  Monate  alte  doppelseitige 
Kieferluxation  operativ  reponirt  mit  vollständigem  Erfolg. 

Bei  Kieferklemme,  welche  nicht  in  Steifigkeit  des  Gelenkes 
ihren  Grund  hat,  sondern  in  Verkürzung  und  Verwachsung  der 
Weichtheile,  kann  man  nach  zwei  Principien  verfahren :  Entweder  man 
löst  die  Weichtheile  vom  Unterkiefer  ab,  mit  oder  ohne  den  Knochen- 
theil,  an  welchem  sie  haften  oder  man  legt  vor  der  Verwachsungs- 
stelle nach  Esmarch's  Vorgang  durch  Resection  eines  gehörigen 
Knochenstückes  ein  falsches  Gelenk  an.  Die  Operation  muss  also 
von  Fall  zu  Fall  eine  andere  sein. 

Bei  einem  Patienten,  bei  welchem  ein  Kaumuskelkrampf  durch 
keine  Mittel  dauernd  zu  heben  war,  habe  ich  durch  ausgiebige  sub- 
periostale Lösung  der  Muskeln  vom  Kiefer  ein  sehr  gutes  Resultat 
erzielt.    Eine  ähnliche  Operation  ist  von  Le  Dentu  ausgeführt  worden. 

48)  Breite  Eröffnung  der  Mundhöhle. 

Man  kann  auch  ohne  osteoplastische  Unterkieferresection  sich 
die  Mund-  und  Rachenorgane  zugänglich  machen.  Eine 
vorzügliche  Methode  ist  der  quere  Wangenschnitt,  wie  er  von 
Roser  für  Freilegung  des  N.  lingualis  empfohlen  (siehe  Fig.  45),  vom 
Mundwinkel  durch  die  Wange  quer  nach  hinten  parallel  den  Facialis- 
ästen  bis  auf  den  Masseterwulst  unter  Spaltung  sämmtlicher  Weich- 
theile (Haut,  M.  orbicularis  oris,  buccinator  und  Schleimhaut).  Dieser 
Schnitt  ist  allerdings  mit  Narbenbildung  verbunden  und  von  Ein- 
ziehung und  einer  gewissen  Entstellung  gefolgt.  Immerhin  ist 
das  Mienenspiel,  Dank  der  Erhaltung  aller  Facialisäste ,  in  keiner 
Weise  beeinträchtigt  (vergl.  Fig.  44).  Der  Ductus  Stenonianus  und 
die  Arteria  transversa  faciei  bleiben  oberhalb  des  Schnittes,  dagegen 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen. 


165 


wird  die  Arteria  maxillaris  externa  und  die  eine  A.  labialis  getrennt 
und  muss  doppelt  unterbunden  werden.  Krönlein  hat  diesen  Schnitt 
benutzt  zu  seiner  retrobuccalen  Methode  der  Trigeminusresection, 
nur  lässt  er  den  Mundwinkel  ungespalten. 

Als  einen  für  die  Mehrzahl  der  Fälle,  in  denen  ein  guter  Zugang 
zu    Mund-   und   oberen   Rachen gebilden    bis   und  mit   dem   Isthmus 


Fig.  44.    Das  Mienenspiel  nach  Heilung  eines  ausgedehnten  queren  rechtseitigen 
Wangenschnittes.    (Narbe  in  der  Figur  nur  schwach  sichtbar.) 


faucium  nothwendige  Bedingung  genauer  Operation  ist,  noch  weit 
vorzüglicheren  Weg  hat  sich  uns  in  letzter  Zeit  die  für  die  Zungen- 
excision  in  beschränktem  Maasse  schon  von  Sedillot  geübte 
mediane  Spaltung  von  Lippe,  Unterkiefer  und  Mund- 
boden bewährt.  Wir  haben  von  derselben  einen  ausgiebigen  Ge- 
brauch gemacht.  Sie  giebt  bei  richtiger  Ausführung  vorzüglichen 
Zugang,  ist  ganz  unblutig,  hinterlässt  nicht  die  geringste  Entstellung, 
keine  Functionsstörung,  nicht  einmal  vorübergehend.    Bedingung  ihrer 


i66 


Specielle  Operationslehre. 


guten  Ausnutzung  ist  gehörige  mediane  Trennung  zwischen  den  vom 
Kiefer  zur  Zunge  aufsteigenden  Muskeln  (Genioglossi  und  geniohyoidei) 
bis  an  das  Zungenbein,  Trennung  der  Mundbodenschleimhaut  auf  der 
Seite  der  Erkrankung  rückwärts,  um  die  Kieferhälften  gehörig  aus- 
einander ziehen   zu   können;  wir   benutzen    dazu   eine   eigene  Sperr  - 


Fig.  45.     Wangenschnitt  zur  Excision  eines  Carcinoma  linguae. 


zange.  Ferner  müssen  Idie  Kieferhälften  mit  Drahtnähten  fest  ver- 
einigt werden,  damit  die  Bewegung  sofort  aufgenommen  werden 
kann;  Periostnaht  ist  durchaus  ungenügend. 

Wenn  auch  ab  und  zu  durch  kleine  Nekrosen  die  Heilung  ver- 
zögert wird,  so  ist  die  Function  doch  auch  während  dieser  Zeit 
ungestört. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  167 

49)  Incisionen  in  die  Zunge  und  am  Mundboden. 

Dieselben  sollen  bloss  gemacht  werden  bei  vorheriger  gehöriger 
Eröffnung  der  Mundhöhle,  durch  Einlegung  passender  Specula  (White- 
sches  Speculum  und  unter  Vorziehen  der  Zunge  mittelst  einer  tief 
durch  die  sagittale  Mittellinie  derselben  eingeführten  Fadenschlinge. 
Die  gehörige  Eröffnung  des  Mundes  setzt  eine  gute  Narkose  voraus 
zumal  bei  Kiefersperre  in  Folge  Entzündung  oder  anderweitiger 
schmerzhafter  Infiltration  der  Weichtheile  zwischen  Ober-  und  Unter- 
kiefer oder  im  Bereich  des  letzteren.  Am  Rücken  der  Zunge  können 
Incisionen  gemacht  werden,  ohne  Furcht  vor  Verletzung  der  grösseren 
Gefässe  und  Nebenstämme.  Wo  thunlich,  ist  in  der  Mittellinie  ein- 
zugehen, da  hier  die  Verletzung  am  geringsten  ist. 

Seitlich  und  am  Mundbogen  liegen  die  grösseren  Gefässe :  A.  und 
V.  lingualis  und  subungualis,  die  grossen  Nervenstämme  (Hyoglossus, 
Lingualis  und  hinten  Glossopharyngeus)  und  die  Ausführungsgänge 
der  Speicheldrüsen  (Ductus  Whartonianus  und  Ductus  Rivini.  Je 
näher  man  sich  an  den  Kiefer  halten  kann  mit  der  Incision,  um  so 
sicherer  werden  alle  diese  Gebilde  vermieden.  Dicht  am  Seitenrande 
der  Zunge,  unter  dem  Wulst  des  Musculus  lingualis  und  an  der 
Aussenseite  des  musc.  genioglossus,  kann  man  die  Gefässe  (Arteria 
lingualis)  und  den  Nervus  lingualis  frei  gelegen.  Hinten  ist  die  Arterie 
von  den  Fasern  des  Musc.  hyoglossus  bedeckt.  Nach  der  Spitze  zu 
wenden  sich  die  Gefässe  an  die  Unterfläche  der  Zunge.  Wo  Gefahr 
von  stärkeren  Blutungen  bei  Incisionen  im  Bereich  der  Zunge  besteht, 
ist  die  prophylaktische  Unterbindung  der  A.  lingualis   zu  empfehlen. 

50)  Die  Excision  der  Zunge. 

Seit  der  3.  Auflage  dieser  Operationslehre  haben  wir  diese 
Operation  erheblich  modificirt  und  ein  Normalverfahren  benutzt, 
welches  uns  eine  sehr  wesentliche  Vereinfachung  und  Erleichterung 
der  Operation  gebracht  hat,  und  die  Heilung  erheblich  sicherer  und 
rascher  zu  Wege  gebracht  hat.  Natürlich  bleibt  immer  noch  zu 
Recht  bestehen,  was  wir  bezüglich  Vorbereitung  zu  antiseptischem 
Vorgehen  gesagt  haben. 

Will  man  die  Wunde  vor  zu  schwerer  Infection  schützen  und 
die  Gefahr  der  Schluckpneumonie  beschwören,  so  bedarf  es  gründ- 
lichster Reinigung  der  Zähne  und  des  Mundes  und  Rachens  unter 
Anwendung  der  Instrumente  zur  Beseitigung  des  Zahnsteins,  unter 
Extraction  aller  schadhaften  Zähne  (da  darf  nicht  geschont  werden), 
unter  Cauterisation  aller  Ulcerationsstellen.  Wo  sich  der  Mund  nicht 
gehörig  öffnen  lässt,  bedarf  es  oft  der  Narkose.  Kleine  Abscesse 
und  Zersetzungsherde  in  den  Mandeln  sind  nach  Aufschlitzung  der 
Recessus  mit  Sorgfalt  zu  desinficiren. 


j58  Specielle  Operationslehre. 

Dagegen  möchten  wir  energischer  als  in  der  3.  Auflage  die  Indi- 
cation  betonen,  den  Schluckmechanismus  nicht  mehr  zu  schädigen, 
als  absolut  nöthig  ist,  d.  h.  die  Muskeln  des  Mundbodens,  der  Zunge 
und  des  Rachens  soviel  thunlich  zu  erhalten  sammt  den  zuführenden 
Nerven.  Der  Abfluss  des  Wundsecrets  muss  ferner  möglichst  ge- 
sichert werden.  Nur  durch  Berücksichtigung  dieser  zwei  Factoren 
bleibt  der  Schaden  der  stets  bis  zu  einen  gewissen  Grade  eintretenden 
Zersetzung  der  Wundsecrete  auf  ein  Minimum  beschränkt.  Dazu 
kommt  die  Berücksichtigung  der  früher  ausführlich  besprochenen 
Schräglagerung  des  Patienten  während  und  —  soweit  er  das  Bett 
hütet  —  nach  der  Operation. 

Wir  benutzen  auch  jetzt  noch  gerne  zur  Trennung  von  Muskeln, 
aber  dieser  allein,  den  Therm ocauter,  um  primäre  Infection  frischer 
Wunden  zu  beschränken.  Dagegen  bedürfen  wir  bei  unserem 
jetzigen  Vorgehen  der  prophylaktischen  Tracheotomie  und  der 
Trachealtamponade  durchaus  nicht  mehr,  ebensowenig  prophylaktischer 
Blutstillung,  und  darin  liegt  ein  bedeutender  Fortschritt.  Ferner 
machen  wir  keinen  so  erheblichen  Unterschied  mehr  wie  früher  in 
der  Art  des  Vorgehens  je  nach  Sitz  der  Neubildung.  Bloss  bei 
kleinen  Neubildungen  vorne  oder  am  Rande  der  Zunge  bedarf  man 
keiner  Voroperation. 

Das  Einzige,  was  bei  unserer  neuen  Operationsmethode  nicht 
Berücksichtigung  findet,  ist  die  Drüsenerkrankung.  Dieselbe 
muss  man  auf  eine  zweite  Operation  aufsparen  oder  sie  vorausschicken. 
Wir  haben  aber  die  Ueberzeugung  gewonnen,  dass  dies  zweckmässiger 
ist.  Bei  gleichzeitiger  Ausräumung  der  Fossae  submandibulares 
nicht  nur,  sondern  auch  der  Drüsen  unter  dem  Sternocleido  und  entlang 
den  grossen  Gefässen  wird  die  Wunde  zu  gross  und  zu  buchtig  und  bei 
aller  Sorgfalt  gelingt  es  dann  nicht,  schwerere  Infectionen  zu  ver- 
meiden. 

Als  Normalverfahren  für  alle  ausgedehnten,  bis  zum  Isthmus 
faucium  reichenden  Formen  des  Zungenkrebses,  selbst  wenn  sie  auf  die 
Gaumenbogen,  die  Uebergangsfalte  zum  Oberkiefer,  die  Pharynxwand 
und  den  weichen  Gaumen  übergegriffen  haben,  gilt  mir  zur  Stunde  die 
mediane  Kieferspaltung,  in  vervollkommneter  Ausbildung  des  von 
SEDILLOT  empfohlenen  Verfahrens.  Dieselbe  lässt  sich  fast  ohne  Blutung 
ausführen  und  giebt  vollkommen  genügenden  Raum  bei  richtigem 
Vorgehen,  um  auch  Pharynxkrebse  im  Bereich  des  Isthmus  faucium 
genau  umschreiben  und  beseitigen  zu  können.  Wesentliche  Nach- 
theile irgend  einer  Art  hat  die  Methode  nicht,  da  der  Kiefer  genäht 
wird  und  die  Bewegungen  desselben  sofort  wieder  ausgeführt  werden 
können  ohne  irgend  einen  Schmerz.  Auch  die  Lippenspaltung  lässt 
bei  guter  Naht  eine  kaum  sichtbare  Narbe  zurück.  Grosse  Vor- 
theile   hat  aber  das  Verfahren  in  folgender  Beziehung:    Die  Blutung 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  16g 

ist  minimal,  weil  sicher  zu  beherrschen ;  der  Abfluss  des  Secrets  nach 
der  Operation  geht  bei  richtiger  Drainage  in  sehr  sicherer  Weise 
vor  sich;  endlich  was  ich  am  höchsten  anschlage,  lässt  sich  die 
Schonung  der  dem  Schluckmechanismus  dienenden  Muskeln  sammt 
zugehörigen  Nerven  besser  durchführen  als  bei  irgend  einem  anderen 
Vorgehen.  Dies  ist  aber  das  ausschlaggebende  Moment  bei  Verhütung 
der  grössten  Gefahr,  welche  dem  Patienten  droht,  nämlich  der  secun- 
dären  Schluckpneumonien.  Es  ist  erstaunlich,  zu  sehen,  wie  bei  diesem 
Verfahren  die  Patienten  schon  am  gleichen,  nächsten  oder  3.  Tage 
wieder  schlucken,  und  so  das  herabfliessende  Secret  vom  Eintritt  in 
den  Larynx  abhalten  können. 

Einer  der  gewöhnlichen  Fälle  von  Zungenkrebs  am  hinteren 
Rande  der  Zunge  als  Tj^pus  angenommen,  welcher  auf  den  Zungengrund 
und  gleichzeitig  auf  vorderen  Gaumenbogen,  weichen  Gaumen  und  seit- 
liche Pharynxwand  übergegriffen  hat,  wird  die  Operation  in  folgender 
Weise  ausgeführt: 

Mediane  Spaltung  der  Unterlippe  auf  den  Knochen  bis  zum  Zungen- 
bein, Verschluss  der  blutenden  Gefässe  in  den  Lippen  durch  Arterien- 
zangen. Durchsägung  des  Kiefers  in  der  Mittellinie 1).  Einsetzen 
scharfer  Haken  auf  die  Sägefläche,  mediane  Trennung  der  Musculi 
geniohyoidei  und  Genioglossi,  wenn  dieselben  einseitig  erkrankt  sind, 
Eingehen  an  der  lateralen  Fläche  des  Genioglossus.  Einlegung  eines 
Ecarteurs  zwischen  die  kräftig  auseinandergezogenen  Kieferhälften 
nach  Fig.  46.  Die  Zunge  wird  mittelst  Fadenschlinge  heraus-  und 
nach  der  gesunden  Seite  gezogen.  Am  Rande  der  Zunge  wird  die 
Mundbodenschleimhaut  rückwärts  getrennt,  denn  sonst  reisst  sie  bei 
zu  starkem  Zug  am  Kiefer  ab.  Dabei  erscheint  die  Vena  lingualis 
rück-auswärtsgehend  über  die  laterale  Fläche  des  Muse,  hyoglossus 
und  der  Nervus  lingualis  neben  dem  Zungenrand  dicht  unter  der 
Schleimhaut  vorwärts  ziehend.  Der  Nervus  hypoglossus  wird  am 
vorderen  Rande  des  Muse,  hyoglossus  sichtbar,  über  dessen  Aussen- 
fläche  er  vor-  und  medianwärts  zieht,  um  sich  in  die  Fasern  des 
Genioglossus  einzusenken.  Unter  ihm  kommt  zwischen  Muse,  hyo- 
glossus und  genioglossus  die  Arteria  lingualis  von  unten  herauf,  die 
hier  sehr  genau  sichtbar  ist  und  später  leicht  ligirt  werden  kann. 

Der  Muse,  hyoglossus  wird  getrennt  und  zwar  wie  für  alle 
Muskelschnitte,  welche  die  Neubildung  begrenzen,  mit  dem  Therm o- 
cauter,  was  die  Aussicht  auf  radicale  Beseitigung  des  Leidens  erhöht. 


1)  Eventuell  ist  es  angezeigt,  schräg  nach  der  kranken  Seite  rückwärts 
zu  sägen,  um  die  beiderseitigen  Ansätze  des  Genioglossus  und  Geniohyoides 
am  gesunden  Kieferstück  zu  schonen  und  die  Naht  zu  erleichtern.  Es  ist  ganz 
passend,  jederseits  2  symmetrische  Bohrlöcher  mit  dem  Drillbohrer  vor  der 
Durchsägung  zu  bohren,  wobei  die  Bohrer  durch  das  Periost  hindurch  auf- 
gesetzt, letzteres  nicht  etwa  zurückgeschoben  wird. 


170 


Specielle  Operationslehre. 


Trennungslinie  1 
der   Schleimhaut  1 


N.  lingualis 
V.  lingualis 


'A.  lingualis 

M.  hyoglossus 
N.  hypoglossus 


—  Fechter 
J  M.  genioglossus 

_  Linker    J 

—  M.  geniohyoidens 


Fig.  46.  Normal  verfahren  zur  Excisio  linguae.  Lippe  und  Unterkiefer  in  der 
Mittellinie  bis  zum  Zungenbein  gespalten  und  kräftig  auseinandergezogen.  In 
der  Figur  ist  der  rechte  Genioglossus  (die  Erkrankung  ist  rechts  supponirt)  am 
Kieferansatz  abgelöst  und  nach  links  geschlagen,  um  die  tiefen  Gebilde  besser 
zu  zeigen,  bei  der  Operation  bleibt  er  mit  der  rechten  Kieferhälfte  in  Zusammen- 
hang. Die  Schleimhaut  ist  unter  und  längs  dem  Zungenrande  bis  zum  vorderen 
Gaumenbogen  gespalten  und  die  Zunge  nach  links  kräftig  herausgezogen.  Es 
treten  zu  oberst  der  N.  lingualis,  dann  die  Vena  lingualis  und  tiefer  der  N.  hypo- 
glossus auf  der  Aussenseite  des  M.  hyoglossus  zu  Tage  und  unter  letzterem 
Muskel  die  Arteria  lingualis. 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  171 

Unter  starkem  Anziehen  der  Zunge  trennt  man,  ebenfalls  mit  Thermo- 
cauter,  hinten  die  Schleimhaut  entfernt  vom  Rande  der  Neubildung, 
wenn  diese  anf  den  Gaumen  und  Pharynx  übergegangen  ist,  durch- 
schneidet den  gut  sichtbaren  Muse,  styloglossus  und  den  ihm  an- 
liegenden Nervus  glossopharyngeus. 

Man  kann  nach  Spaltung  der  Schleimhaut  vor  der  Mandel 
diese  stumpf  an  ihrer  Aussenfläche  lösen  und  abheben,  auch  wenn 
sie  von  der  Neubildung  ergriffen  ist,  wobei  die  Fläche  des  Muse, 
pterygoideus  internus  zu  Tage  tritt.  Der  weiche  Gaumen,  soweit 
erkrankt,  wird  mit  Thermocauter  getrennt  unter  Durchschneidung 
des  Muse,  tensor  und  levator  palati,  danach  an  der  hinteren  Rachen- 
wand die  Schleimhaut  getrennt  bis  auf  den  M.  longus  colli  und  vor- 
wärts bis  zum  Zungengrund,  was  man  unter  genauer  Controle  der 
Augen  thut.  Endlich  trennt  der  Thermocauter  im  Gesunden  die 
Zunge  selber  durch  und  jetzt  durchschneidet  man  die  Nerven,  Muskeln 
und  die  Gefässe  (nach  Ligatur),  am  unteren  Umfang,  soweit  dieselben 
in  den  Bereich  der  Neubildung  eingehen;  man  schont  also  von  den 
Nerven  und  Muskeln  soviel  irgend  möglich,  um  den  Schluckact  so 
wenig  wie  möglich  zu  beeinträchtigen. 

In  die  wunden  Flächen  wird  Xeroform  eingerieben,  aber  nur  in 
dünnster  Schicht,  damit  nicht  durch  Schlucken  Vergiftungser- 
scheinungen eintreten.  Die  Kieferhälften  werden  genähert,  mit  Drill- 
bohrer einige  Millimeter  vom  Sägerand  durchgebohrt  (wenn  es  nicht 
vor  der  Durchsägung  geschehen  ist)  indem  man  den  Bohrer  einfach 
durch  die  tiefen  Weichtheile  drückt,  wie  Albert  Kocher  es  für 
die  Explorativpunction  des  Gehirns  beschrieben  hat,  ohne  das  Periost 
loszulösen,  ein  starker  Silberfaden  ohne  Nadel  durchgeführt  und  die 
Sägeflächen  verlässlich  auf  einander  befestigt.  Nahe  der  Unterlippe 
wird  eine  Oeffnung  vor  dem  Zungenbein  am  hintersten  Ende  des 
Schnittes  gelassen,  wo  eine  Xeroformgaze  locker  eingelegt  wird. 
Aufpinseln  von  Wismuthbrei  auf  die  Naht.  Der  Patient  soll  schon  am 
nächsten  Tage  aufstehen  und  Thee  oder  Wein  mit  Wasser  zu  schlucken 
versuchen.     Im  Uebrigen  Ernährung  mit  Schlundsonde. 

Diese  Methode  der  Zungenexcision  hat,  wie  erwähnt,  den  Vor- 
theil,  sich  jeder  Stelle  und  Ausdehnung  der  Erkrankung  mit  Aus- 
nahme gleichzeitiger  Kiefererkrankung  anzupassen  und  bei  Tren- 
DELENBURG'scher  Schräglage  ohne  jede  vorgängige  Tracheotomie  in 
guter  Narkose  ausgeführt  werden  zu  können.  Sie  giebt  den  besten 
Zugang,  macht  das  Minimum  von  Verletzungen. 

Die  Fig.  46  illustrirt  den  Fall,  wie  bei  einseitiger  und  ausgedehnter 
Erkrankung  der  Zunge  eine  sehr  weite  Entfernung  der  Kiefer  noth- 
wendig  ist.  Sie  enthält  insofern  einen  Fehler,  als  wir  entweder  ganz 
median  zwischen  den  Genioglossi  eingehen  oder  falls  dies  nicht  die 
nöthige  Weite  giebt,  den  Kiefer  von  der  Mittellinie  vorne  so  schräg 


ij2  Specielle  Operationslehre. 

rückwärts  durchsägen,  dass  die  Muse,  genioglossi  und  geniohyoidei 
beiderseits  noch  an  dem  Mittelstück  sitzen  bleiben,  welches  nach 
der  gesunden  Seite  gezogen  wird.  Abgelöst  wird  der  Ansatz  des 
Genioglossus  vom  Kiefer  bloss  —  wie  die  Figur  es  darstellt,  wenn 
er  auf  der  kranken  Seite  sitzen  blieb  und  die  genügende  Entfernung 
der  Kiefer  von  einander  hindert.  Da  wird  auch  der  Muse,  mylo- 
glossus  überdehnt.  Die  Figur  zeigt  im  Uebrigen  in  genügender  Weise, 
wie  grossen  Raum  und  guten  Einblick  bis  an  den  Isthmus  faucium 
man  mit  gründlicher  Ausnutzung  des  Medianschnittes  gewinnen 
kann. 

51)  Excision  der  Zunge  bei  gleichzeitiger  Erkrankung 
des  Kiefers. 

Sind  krebsige  Wucherungen  schon  hinausgegangen 
über  die  Grenzen  der  Zunge,  auf  Mundboden  und 
Kiefer,  so  wird  die  Art  des  Vorgehens  so  sehr  von  der  Stelle  der 
Kieferverwachsung  beeinflusst,  dass  man  von  obigem  Normalverfahren 
absehen  muss.  Man  wird  stets  das  verwachsene  Stück  Kiefer  mit 
zu  entfernen  haben,  und  zwar  in  ergiebiger  Weise,  wenn  man  Reci- 
diven  vorbeugen  will.  Die  Kieferresection  ist  ohnehin  von  vielen 
Chirurgen  als  Einleitung  benutzt  worden  zur  Entfernung  ausgedehnter 
Zungenkrebse,  und  man  fängt  deshalb  mit  dieser  an,  wo  die  Indi- 
cation  zur  Resection  in  klarer  Weise  vorliegt.  Für  diese  Fälle  halten 
wir  noch  jetzt  daran  fest,  dass  für  weitgediehenen  Zungenkrebs  die 
von  uns  vorgeschlagene  Methode  der  Zungenexstirpation  von 
der  Zungenbasis  aus  die  empfehlenswertheste  ist,  weil  sie  1.  sehr 
guten  Zugang  giebt,  2.  die  Drüsen  gleichzeitig  zu  entfernen  ge- 
stattet, sowie  sämmtliche  zwischen  dem  primären  Sitz  des  Leidens 
und  der  Drüsen  gelegenen  Gewebe,  3.  weil  sie  die  präventive  Unter- 
bindung der  Arteria  lingualis  oder  der  Carotis  externa  ermöglicht, 
4.  weil  wenigstens  die  vorderen  Ansätze  der  Muskeln  des  Mund- 
bodens (Stylomuskeln,  Digastricus,  Mylohyoideus)  geschont  werden 
können.  V.  Givel  hat  durch  Vergleichungen  die  Vorzüge  dieser 
Art  des  Vorgehens  festgestellt. 

Wir  haben  nach  dieser  Methode  ohne  Kieferresection  laut  den  sehr 
genauen  Zusammenstellungen  unseres  früheren  Assistenten  Dr.  Sachs 
von  12  Fällen  bloss  einen  einzigen  verloren,  und  von  5  über  7  Jahre 
nach  der  Operation  noch  reeidivfreien  Operirten  waren  3  nach  dieser 
Methode  operirt. 

Der  Schnitt  beginnt  unterhalb  des  Processus  mastoideus  und 
geht  längs  des  Voderrandes  des  Sternocleido  und  der  Halsmund- 
bodenfalte vorwärts  bis  zur  Medianlinie  und  zum  Unterrand  des 
Kiefers.  In  Fällen  beschränkter  Ausdehnung  des  Carcinoms  kann 
der   Schnitt    nur    entsprechend    den    mittleren    2/3    der  Länge,    vom 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  173 

Sternocleido  bis  zum  Zungenbeinkörper  gemacht  werden.  Der  so 
gebildete  Hautlappen  wird  nach  Ligatur  der  subcutanen  Venen, 
speciell  V.  jugularis  externa  nach  aufwärts  geschlagen  und  mit  Naht 
an  der  Wange  angeheftet.  Zunächst  handelt  es  sich  darum,  sämmt- 
liche  sichtbar  vergrösserten  Drüsen  unter  dem  oberen  Ende  des 
Sternocleido,  unter  dem  Kieferwinkel  und  horizontalen  Unterkiefer- 
ast zu  entfernen.  Der  vordere  Sternocleidorand  wird  sauber  frei- 
gelegt bis  auf  die  Scheide  der  grossen  Halsgefässe  und  auf  das 
grosse  Zungenbeinhorn.  Sämmtliche  Drüsen  auf  der  grossen  Gefäss- 
scheide  (sie  reichen  oft  weit  abwärts)  werden  unter  Ligatur  der  ein- 
tretenden Gefässe  entfernt.  Auch  wo  man  nichts  anderes  thun  will, 
als  secundär  erkrankte  Drüsen  nach  Zungenexcision  entfernen,  ist 
dieses  die  beste  Methode. 

Hat  das  Carcinom  auf  Mundboden,  Rachen  oder  Kiefer  über- 
gegriffen, so  wird  jetzt  am  besten  sofort  nach  Ligatur  der  Vena 
facialis  anterior  am  vorderen  Rande  des  Sternocleido  die  Arteria 
carotis  externa  unterbunden;  dann  wird  der  vordere  Muskelbauch 
des  Digastricus  bis  zum  Zungenbein  klargelegt  unter  Ligatur  der 
unter  ihm  hervortretenden  Venen,  und  nun  wird  das  Drüsenpaket 
von  unten  frei  gemacht  und  emporgehoben,  bis  im  hinteren  und 
unteren  Theil  der  Wunde  in  ganzer  Länge  der  hintere  Bauch  des 
Digastricus  mit  dem  M.  stylobyoideus  freiliegt.  Die  Vena  facialis 
anterior  und  die  Arteria  maxillaris  externa  spannen  sich  im  Moment 
des  Emporhebens  der  Glandula  submaxillaris  hinter  und  unter  der- 
selben an  und  werden  ligirt,  dann  Speicheldrüse  und  Lymphdrüsen 
über  dem  Kieferrand  emporgeschlagen  und  an  der  Aussenf  lache  des 
Kiefers  von  den  Verbindungen  aufwärts  getrennt,  wobei  nochmals 
die  Art.   und  Vena   maxillaris    externa   unterbunden  werden  müssen. 

Die  Arteria  lingualis  wird  über  dem  hintersten  Ende  des  grossen 
Zungenbeinhorns  sicher  gefunden  nach  Durchschneidung  des  Ansatzes 
des  M.  hyoglossus  und  wird  unterbunden.  Ueber  ihr  liegt  der  Nervus 
hypoglossus,  der  zu  schonen  ist,  auf  der  Aussenfläche  des  Muskels 
die  Vena  lingualis. 

Nun  liegt  die  Unterfläche  des  M.  mylohyoides  frei,  auf  ihr  der 
N.  mylohyoideus.  Hinter  dem  M.  mylohyoideus  kommt  der  Finger 
bis  zur  Mundschleimhaut.  Unter  Controle  des  Fingers  vom  Munde 
her  wird  diese  hier  perforirt,  nachdem  man  sich  über  die  Grenze  der 
Neubildung  orientirt  hat.  Von  dieser  Oeffnung  aus  wird  die  Schleim- 
haut, entfernt  von  der  Grenze  der  Neubildung  weiter  g'espalten  unter 
Anlegung  von  Arterienzangen  an  stärker  blutende  Schleimhautgefässe. 
Dabei  drängt  der  durch  die  Wunde  oder  in  den  Mund  eingeschobene 
Finger  die  Weichtheile  vor,  wodurch  die  Blutstillung  leicht  wird. 

Am  Zungenbein  löst  man  die  Muskelsubstanz  der  Zunge  unter 
ebenso   leichter   und   exacter  Blutstillung   und  Entfernung  alles  infil- 


ija  Specielle  Operationslehre. 

trirten  Gewebes.  Die  Zunge  lässt  sich  leicht  abwärts  herausziehen, 
sobald  man  die  Schleimhaut  gehörig  gespalten  hat. 

Hat  man  die  präliminare  Tracheotomie  gemacht  zur  Erleichte- 
rung der  Narkose,  so  tamponirt  man  sofort  nach  Eröffnung  des 
Rachens  den  Aditus  laryngis  mit  sterilen  Gazetupfern.  Behufs  guter 
Wirkung  des  Chloroforms  in  kleinen  Dosen  ist  es  hier  sehr  an- 
gezeigt, der  Narkose  1/i — ■1/2  Stunde  vorher  eine  Morphiumin- 
jection  voraufzuschicken,  0,015  bei  kräftigen,  0,01  bei  schwächeren 
Individuen. 

Zur  Nachbehandlung  bleibt  die  Wunde  im  unteren  Theil  offen, 
damit  der  Aditus  laryngis  mit  steriler  Gaze  tamponirt  werden  kann 
unter  häufigem  Wechsel.  Als  Deckverband  wird  Carbol-  oder  Sub- 
limatkrüll  benutzt,  reichliche  und  kräftige  Ernährung  mit  der  Schlund- 
sonde beim  Verbandwechsel. 

Solange  der  Schluckmechanismus  wesentlich  gestört  ist,  bleibt 
der  Patient  von  der  Narkose  weg  in  der  Schräglage  mit  tieferem 
Hals  und  Kopf,  welche  er  nur  verlässt,  wenn  er  aufsteht. 

52)  Excision  der  Carcinome  des  Zungengrundes. 

Für  diejenigen  Zungenkrebse,  welche  von  vorne  nicht  mehr 
zugänglich  sind,  nämlich  diejenigen  des  Zungengrundes  zwischen 
Isthmus  faucium  und  Zungenbein,  ist  die  Pteryngotomie  sub- 
hyoidea  das  geeignete  und  schonendste  Verfahren.  Nach  Tracheo- 
tomia  inferior  wird  narkotisirt  und  durch  den  unten  geschilderten 
Schnitt  entlang  dem  unteren  Rande  des  Zungenbeins  durch  Haut 
und  Muskeln  die  Epiglottis  freigelegt.  Ist  diese  erkrankt,  so  trennt 
man  die  Schleimhaut  entlang  dem  oberen  Rande  des  Schildknorpels 
und  hebt  mit  scharfen  Haken  die  Epiglottis  empor  und  trennt  die 
Schleimhaut  nach  den  Seiten  hin. 

Jetzt  gelangt  der  Finger  auf  den  Zungengrund  und  kann  am 
Rande  des  Kranken  die  Schleimhaut  des  Pharynx  emporheben, 
entgegen  drängen,  so  dass  sie  durchschnitten  werden  kann.  Geht 
die  Erkrankung  höher  hinauf  an  der  Lunge  und  ist  namentlich  das 
Zungenbein  verwachsen,  so  muss  es,  wie  Sallas  (nach  Esmarch) 
that,  gespalten  werden ;  dann  wird  die  gesunde  Musculatur  entlang 
seinem  oberen  Rande  getrennt  unter  Fassen  der  Gefässe  (speciell 
Venen),  bis  man  auf  der  krebsigen  tiefen  Infiltration  der  Zunge 
angelangt  ist  und  dieselbe  von  vorne  und  hinten  angreifen  kann. 
Seitlich  tritt  nun  noch  der  N.  lingualis  zu  Tage,  welcher  zu  durch- 
schneiden ist,  falls  er  in  die  Neubildung  hineingeht,  sonst  abgehoben 
wird,  ebenso  die  Gefässe.  Sobald  seitlich  unter  Fassen  mit  kräftigen 
Arterienklemmzangen  die  Muskeln  und  andere  Verbindungen  ge- 
trennt sind,  so  kann  man  den  Zungenrücken  soweit  herauswälzen, 
dass    man   mit   dem    Thermocauter   quer    von   der   Zungenoberfläche 


Gesichtstheil  des  Kopfes,  inclusive  Nase,  Mund  und  Rachen.  jne 

her  das  Gesunde  vom  Kranken  trennen  kann.  Auf  diese  Weise 
haben  wir  noch  dieser  Tage  ein  weitgediehenes  Carcinom,  des 
ganzen  Zungengrundes,  welches  auf  die  rechte  Pharynxwand  und  die 
Epiglottis  übergegangen  war,  ohne  wesentliche  Blutung  unter  ge- 
nauer Trennung  im  Gesunden  exstirpirt. 

Die  während  der  Operation  eingehaltene  Schräglage  des  Rumpfes 
mit  tiefgelegtem  Halstheil  wird  auch  nach  der  Operation  beibehalten, 
die  bisher  ganz  offengelassene  mit  Xeroform-  und  steriler  Gaze  aus- 
tamponirt.  Der  betreffende  Patient  ist  schon  am  Tage  nach  der 
Operation  herumgegangen  und  hat  einen  ganz  glücklichen  und  wenig 
bedenklichen  Heilungsverlauf  durchgemacht.  Abends  wurde  er  schräg 
gelagert. 

53)  Bei  der  Tonsillotomie  erscheint  nach  Zuckerkandl  eine 
Verletzung  der  Carotis  interna  nicht  leicht  zu  bewerkstelligen,  da 
diese  Arterie  durch  die  M.  styloglossus  und  stylopharyngeus  von 
der  Pharynxwand  getrennt  ist.  Die  Arteria  tonsillaris  dagegen 
(meist  aus  der  A.  palatina  ascendens  stammend)  kann  stark  bluten, 
weil  sie  mit  der  unteren  Kapselwand  der  Mandel  verwachsen  ist 
und  sich  nicht  zurückziehen  kann  (event.  Ligatur  der  Carotis 
externa). 

54)  Kxcison  von  Tumoren  der  Tonsille. 

Ich  bin  vor  Kurzem  wieder  in  der  Lage  gewesen,  2  Fälle  von 
Sarkom  der  Tonsille  zu  operiren,  welche  beide  in  sehr  einfacher  Weise 
glücklich  geheilt  worden  sind  und  schreibe  dem  Operationsverfahren 
ein  wesentliches  Verdienst  dabei  zu. 

Zunächst  scheint  es  mir  ganz  wesentlich,  dass  allfällige  Lymph- 
drüsenmetastasen nicht  zu  gleicher  Zeit  operirt  werden.  Der  eine 
der  Pat.  hatte  einen  2  faustgrossen  derben  höckrigen  und  kaum  noch 
beweglichen  Tumor  der  linken  Halsseite,  welcher  mittelst  Winkel- 
schnittes unter  Excision  des  Sternocleido,  der  Vena  jug.  communis 
und  sämmtlicher  Nerven  mit  Ausnahme  des  Vagus  (auch  die  Carotis 
konnte  geschont  werden),  des  Phrenicus  und  des  Plexus  brachialis 
bis  auf  die  Wirbelsäule  genügend  sauber  excidirt  werden  konnte. 

Die  Wunde  heilte  per  primam  und  erst  14  Tage  nach  dieser 
Operation  wurde  das  primäre  Sarkom  der  Mandel  excidirt  und  zwar 
von  innen  her  mit  querer  Wangen  Spaltung.  Wenn  man 
die  Zunge  stark  vorzieht  an  einer  Fadenschlinge,  so  kann  man  mit 
dem  Thermocauter  nach  Cocaininjection  an  der  Grenze  der  Neu- 
bildung sauber  abtragen  ohne  wesentliche  Blutung. 

Der  Zugang  durch  Wangenspaltung  erschien  aber  in  den  anderen 
der  beiden  Fälle  wegen  der  Ausdehnung  der  Neubildung  von  vorn- 
herein   ungenügend    und    daher    machte    ich    (Dezember    1899)    die 


1^6  Specielle  Operationslehre. 

mediane  Kieferspaltung  und  Spaltung  der  Musculatur 
zwischen  dem  Hyo-  und  Genioglossus  in  der  Mitte  und  der  Mund- 
bodenschleimhaut neben  der  Zunge,  um  die  Kieferhälften  kräftig 
auseinanderziehen  zu  können.  Dann  wurde  die  Zunge  zwischen 
letzteren  hervor  und  abwärts  gezogen. 

Auf  diese  Weise  erhält  man  einen  vorzüglichen  Zugang  zum 
Rachen,  und  ich  möchte  diese  Methode  präliminarer  Operation  zur 
Freilegung  der  Rachengebilde  noch  im  Bereiche  des  Isthmus  wärmstens 
empfehlen. 

Wenn  man  nachträglich  die  exacte  Naht  der  Unterkieferhälfte 
ausführt,  so  kann  der  Patient  sofort  den  Kiefer  wieder  öffnen  und 
schliessen  und  ist  demgemäss  von  dieser  Seite  in  dem  so  überaus 
wichtigen  Schluckact  (zur  Verhütung  der  „Schluckpneumonie")  in 
keiner  Weise  beeinträchtigt. 

Zur  Excision  der  Mandel  ist  wesentlich,  an  der  Grenze  der  Neu- 
bildung vor  Allem  die  Schleimhaut  zu  trennen  und  zwar  am  Gaumen- 
segel, am  vorderen  Gaumenbogen  und  gegen  die  Zunge.  Dies  ge- 
schieht mit  dem  Thermocauter  ohne  wesentliche  Blutung.  Nun  wird 
man  sehen,  dass  man  nach  Lösung  der  Schleimhaut  relativ  leicht 
stumpf  mit  dem  Finger  unter  den  Tumor  geräth,  welcher  sich  glatt 
von  der  Musculatur  abheben  lässt.  Selbst  bei  einem  kleinapfelgrossen 
Sarkom,  bei  welchem  von  anderer  Seite  ein  äusserer  Schnitt  empfohlen 
war,  habe  ich  mit  Erfolg  ohne  zu  grosse  Schwierigkeit  vom  Munde 
aus  den  Tumor  entfernen  können. 

Hat  man  auf  diese  Weise  den  Tumor  von  der  Unterlage  bis 
zum  Uebergang  in  die  Schleimhaut,  der  hinteren  Rachenwand  ab- 
gehoben, so  gelingt  es  in  der  Regel,  diese  dünne  Schleimhaut  mit 
dem  Finger  an  der  richtigen  Stelle  entzwei  zu  reissen  und  so  den 
Tumor  genügend  herauszuheben,  um  einige  starke  Gefässverbindungen 
vor  ihrer  Durchschneidung  stielen  und  fassen  zu  können. 


G.  Das  obere  seitliehe  Halsdreieek x). 

Der  Normalschnitt  für  das  obere  Halsdreieck. 

Unserem  Principe  gemäss,  die  Hautschnitte  in  die  natürliche 
Spaltungsrichtung  der  Haut  zu  verlegen,  finden  wir  für  die  Frei- 
legung der  Organe  in  der  Fossa  infra-  und  retromandibularis  einen 
Schnitt  (Fig.  n)  angezeigt,  den  wir  schon  bei  der  Resection  des 
Kiefers  angegeben  haben,   von   dem   vorderen  Ende   der  Spitze  des 


i)  Aus  praktischen  Gründen  begrenzen  wir  dasselbe  durch  den  Unterkiefer- 
rand oben,  die  Medianlinie  bis  zum  oberen  Schildknorpelrand  innen  und  den 
Vorderrand  des  M.  sternocleido  hinten. 


Das  obere  seitliche  Halsdreieck. 


177 


Processus  mastoideus  zur  Mitte  des  Zungenbeines  verlaufend,  finger- 
breit unter  und  hinter  dem  Kieferwinkel  vorbei  und  an  dieser  Stelle 
den  Vorderrand  des  M.  sternocleidomastoideus  schneidend.  Dieser 
Schnitt  hat  den  grossen  Vortheil,  dass  er  auf  die  Grenzlinie  fällt,  in 
welcher  die  von  oben  herab-  und  von  unten  herauflaufenden  Muskeln 
sich  treffen,  resp.  endigen,  soweit  dieselben  mit  den  Halseingeweiden 
in  Beziehung  stehen:  oben  der  Digastricus  und  Stylohyoideus,  der 
Genio-  und  Mylohyoideus  und  Hyoglossus,  unten  der  Stemo-,  Thyreo- 
und  Omohyoideus.  Die  diese  Grenzlinie  durchschneidenden  Muskeln 
sind  entweder  unbedeutend,  wie  das  Platysma,  oder  bleiben  auf  der 
Seite,  resp.  nach  hinten  liegen,  wie  der  Sternocleidomastoideus  und 
die  Muskeln  der  Wirbelsäule. 

Es  ist  von  diesem  Schnitte  aus  ferner  möglich,  die  wichtigen 
Nerven  zu  schonen  insofern,  als  die  Hauptäste  entweder  nach  oben 
oder  nach  hinten  liegen  bleiben  und  abgezogen  werden  können, 
während  ihre  Zweige  nach  oben  und  nach  unten  von  der  Schnitt- 
richtung ausstrahlen:  so  bleiben  der  Vagus  und  Sympathicus  mit 
dem  Sternocleidomuskel  nach  hinten  nebst  Accessorius  und  Ramus 
descendens  hypoglossi.  Der  unterste  Facialisast,  der  Hypoglossus, 
sowie  Lingualis  und  Glossopharyngeus  bleiben  nach  oben ;  der  Ramus 
laryngeus  superior  vagi  wird  nach  abwärts  gezogen. 

In  dritter  Linie  trifft  der  Schnitt  auf  die  Stellen,  wo  die  Ver- 
zweigung der  grossen  Halsgefässe  beginnt  und  der  Hauptsache  nach 
sich  auch  vollendet.  Im  Niveau  des  oberen  Schildknorpelrandes  theilt 
sich  die  Carotis  communis,  und  unmittelbar  oberhalb  folgt  dicht  über- 
einander die  Abgabe  der  Aeste  der  Carotis  externa.  Die  Venae  faciales 
anterior  und  posterior  treten  im  selben  Niveau  zur  Vena  facialis  com- 
munis und  diese  mit  der  Vena  jugularis  communis  zusammen.  Man 
kann  also  von  dem  Normalsehnitt  aus  sowohl  die  grosse  Zahl  der 
Zweige  als  den  Stamm  der  grösseren  Halsgefässe  selber  der  Unter- 
bindung zugänglich  machen. 

Deshalb  bezeichnen  wir  diesen  Schnitt  als  Normalschnitt  für 
das  obere  Halsdreieck  und  verlegen  alle  hier  nöthigen  längeren  oder 
kürzeren  Schnitte  in  dessen  Verlauf. 

Quervain  hat  in  neuester  Zeit  die  von  mir  vorgeschlagenen  Nor- 
malschnitte für  den  Hals  einer  Besprechung  unterzogen  und  gezeigt, 
dass  man  in  deren  Verwerthung  noch  einen  weiteren  Fortschritt 
verwirklichen  kann,  wenn  man  die  Schnitte  behufs  sehr  ausgedehnter 
Freilegung  der  tiefen  Gewebe  (z.  B.  für  Excision  grosser  oder  multipler 
Geschwülste)  in  Lappenform  durch  die  Muskeln  führt.  Wir  geben 
zu  sofortiger  Orientirung  des  damit  erzielten  Gewinnes  eine  Ab- 
bildung wieder  aus  Quervain's  Abhandlung.  Dieselbe  stellt  einen 
von  Küttner  empfohlenen  sehr  passenden  Schnitt  dar  zur  Frei- 
legung  nicht  bloss   des   oberen  Halsdreiecks,   sondern   auch  sämmt- 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  12 


i78 


Specielle  Operationslehre. 


licher  unter  dem  Sternocleido  gelegenen  Gewebe.  Letzterer  Muskel 
wird  oben  (oberhalb  der  Eintrittsstelle  des  Accessoriusastes)  im  Haut- 
schnitt  durchtrennt  und  mit  dem  Hautlappen  zurückgeschlagen.  Es 
leuchtet  ein,  dass  durch  derartige  Muskel plastik  eine  viel  bessere 
Einsicht  in  die  Tiefe  gewonnen  wird. 


r 


*\ 


Fig.  47.    Küttner's  musculoplastischer  Lappen  zur  Operation  in  der  Tiefe  der 

oberen  Halsgewebe. 

Der  Muskel  wird  nachträglich  wieder  zusammengenäht ;  seine  Con- 
tractionsfähigkeit  bleibt  erhalten,  da  die  Nervenversorgung  intact  ist. 

Einen  ähnlichen  Schnitt  von  Quervain  für  das  untere  Hals- 
dreieck werden  wir  daselbst  reproduciren. 

55)  Carotis  externa  (und  interna)  (Fig.  48). 

Wenn  man  zur  Blutstillung  mit  der  Ligatur  der  Carotis  externa 
auskommt,  so  darf  niemals  an  Stelle  derselben  die  Ligatur  der  Carotis 
communis  gemacht  werden,  da  letztere  gefährlich  ist  (nach  PlLZ  und 
Friedländer  in  19 — 32%  Gehirnstörungen,   in  13 — 18%  tödtlicher 


Das  obere  seitliche  Halsdreieck. 


179 


Ausgang],  wie  Wyeth  in  -einer  Zusammenstellung  svon  789  Fällen 
gezeigt,  während  die  Ligatur  der  Carotis  externa  in  69  Fällen  von' 
Wyeth  bloss  4,3%  f  ergiebt,  Lipps  bei  130  Fällen  bloss  2  üble 
Ausgänge  zu  verzeichnen  hatte.  Nicht  bloss  bei  Blutungen  und  bei 
Verwachsung  mit  bösartigen  Geschwülsten  in  loco  ist  die  Ligatur 
der    Carotis    externa    empfehlenswerth,    sondern    als   prophylaktische 


N.  hypoglossus 

Cornu  majus  hyoidei 

N.  laryngeus  superior 

1.  A.  carotis  externa 

A.  thyreoidea  superior 


V.  jugularis  externa  % 

N.  phrenicus  — 

M.  scalenus  anticus  - 

M.  sternocleido  _ 

2.  A    subclavia  — 

Plexus  brachialis  — 


N.  accessorius 
N.  auricularis  magnus 
~~  V.  jugularis  externa 
Ramus  descendens  hypoglossi 
V.  jugularis  communis 
M.  sternocleido 


N.  supraclavicularis 
A.  transversa  colli 
M.  scalenus  medius; 

Costa  I 

M.  cucullaris 

___^_— -M.  omohyoideus 

„     ^_—  Platysma 


■^--^ä-— <äS"- -^' 


Fig.  48.     I.  Ligatur  der  Carotis  externa   mit   den  Ursprüngen   der  A.  lingualis, 
A.  maxillaris  externa  (vorne)  und  A.  occipitalis  (hinten).  2.  Ligatur  der  A.  subclavia. 


Maassregel  bei  schweren  Operationen  an  Kiefer,  Nase,  Gesicht.  Mit 
Ausnahme  der  intracraniellen  und  intraorbitären  Blutungen  können 
alle  Blutungen  im  Bereich  des  Kopfes  durch  Ligatur  der  Art.  carotis 
externa  gestillt  werden,  von  den  ersterwähnten  auch  noch  die 
Blutungen  aus  den  Gefässen  der  Dura  mater. 

Der  Punkt  unseres  Normalschnittes,  wo  wir  die  Arterie  pulsiren 
fühlen  und  ligiren,  liegt  am  vorderen  Rande  des  Muse,  sternocleido- 


j8o  Specielle  Operationslehre. 

mastoideus.  Der  Rand  dieses  Muskels  läuft  viel  gerader  herauf,  als 
man  gewöhnlich  darstellt;  die  Fascie  zieht  ihn  nach  vorn  gegen  den 
Kieferwinkel  heran.  Es  liegt  also  der  Punkt  unserer  Unterbindung 
senkrecht  fingerbreit  unter  dem  Kieferwinkel.  Hier  kommt  die 
Arterie  senkrecht  von  unten  herauf.  Zur  Freilegung  wird  ein  ent- 
sprechender Theil  unseres  Normalschnittes  vor-  und  rückwärts  von 
dem  erwähnten  Punkte  benutzt. 

Nach  der  Haut  wird  das  Platysma  gespalten,  gelegentlich  als 
eine  sehr  ausgebildete  Muskelschicht  sich  darstellend.  Seine  Fasern 
gehen  auf-  und  vorwärts  über  den  Kieferrand  herüber.  Im  hinteren 
Theil  des  Schnittes  wird  die  Vena  jugularis  externa,  welche  gerade 
über  den  M.  sternocleido  heraufläuft,  nicht  durchschnitten,  sondern 
nach  hinten  gezogen  nebst  dem  hinter  ihr  laufenden  Nervus  auricularis 
magnus.  Durch  Trennung  der  Fascie  wird  der  vordere  Rand  des 
Muse,  sternocleidomastoideus  klargelegt,  und  es  erscheint  die  Vena 
facialis  communis  bis  zur  Einmündungsstelle  in  die  Vena  jugularis  com- 
munis. Jene  kommt  über  den  Muse,  digastricus  herunter.  Diese  Venen 
hat  man  nach  vorn  und  unten  oder  abwärts  zu  ziehen,  kleinere  Aeste 
derselben  zu  unterbinden.  Jetzt  erscheinen  die  Arteriae  carotides 
externa  und  interna,  und  zwar  liegt  die  letztere  nach  hinten.  Die 
Carotis  interna  giebt  keine  Aeste  ab,  während  die  C.  externa  sich 
durch  den  Abgang  der  Arteria  thyreoidea  superior  unmittelbar  über 
ihrem  Ursprung  charakterisirt.  Man  kann  die  Gefässe  also  nicht 
verwechseln.  Ausserdem  wird  die  Carotis  externa  an  der  Abgangs- 
stelle der  Arteria  maxillaris  externa  umfasst  von  dem  Nervus 
hypoglossus,  und  zwar  umschlingt  sie  derselbe  von  hinten  und 
aussen  her.  Die  kleine  Arteria  cleidomastoidea  biegt  über  den  Nerven 
rückwärts.  Die  Ligatur  der  Carotis  externa  ist  nicht  leicht,  weil  als 
Auffindungspunkte  bloss  Weichtheile  dienen  (Vorderrand  des  Sterno- 
cleido), die  bei  jedem  Schnitte  sich  verschieben  können.  Zu  schonen 
bei  der  Freilegung  der  Arterie  ist  der  Ramus  descendens  hypoglossi, 
welcher  die  Brustbein-Kehlkopfmuskeln  versorgt.  Noch  wichtiger  ist 
die  Schonung  des  N.  laryngeus  superior,  welcher  unter  der  Arterie 
quer  nach  vorn  unter  die  Kehlkopfzungenbeinmuskeln  zieht. 

Von  demselben  Schnitte  aus  kann  man  eine  grosse  Zahl  der 
Aeste  der  Carotis  externa  an  ihrem  Ursprung  unterbinden,  so  die 
Arteria  thyreoidea  superior,  die  Arteria  lingualis,  die 
Arteria  maxillaris  externa,  die  Arteria  occipitalis.  Der 
Verlauf  dieser  4  Hauptzweige  ist  durch  die  Richtung  nach  unten, 
vorn,  oben,  hinten  genügend  charakterisirt.  Sie  gehen  ungefähr  an 
der  Umschlingungsstelle  des  N.  hypoglossus  um  die  Arterie  ab.  Für 
periphere  Unterbindung  der  erwähnten  Gefässe  giebt  es  leichter  zu- 
gängliche und  sichere  Stellen. 


Das  obere  seitliche  Halsdreieck. 


ibl 


56)  Arteria  thyreoidea  superior  (Fig.  48). 

Die  Ligatur  der  Arteria  thyreoidea  superior  wird  an  der  Spitze 
des  oberen  Horns  der  Schilddrüse  gemacht.  Als  Incisionsstelle  wird 
der  Theil  unseres  Normalschnittes  benutzt,  welcher  vom  vorderen 
Rande  des  Musculus  sternocleido  bis  zum  Zungenbeinkörper  verläuft. 
Der  untere  Hautrand  wird  kräftig  nach  abwärts  gezogen.  Bei  wenig 
hoch  reichendem  Oberhorn  der  Schilddrüse  ist  es  besser,  den  Quer- 
schnitt 3  cm  tiefer,  entsprechend  dem  oberen  Rande  des  Schild- 
knorpels zu  machen.  Der  vordere  Ast  der  Art.  thyreoidea  superior 
ist  bei  Vergrösserung  der  Schilddrüse,  bei  welcher  ja  einzig  die  in 
Rede  stehende  Ligatur  in  Frage  kommt,  stets  zu  fühlen  auf  der 
medialen  vorderen  Seite  des  Oberhorns  neben  dem  Larynx  nach 
abwärts  ziehend.  Indem  man  denselben  über  die  Spitze  des  Ober- 
horns verfolgt,  findet  man  sicher  den  Stamm  der  Arterie. 

57)  Arteria  lingualis  (Fig.  49). 

Die  Ligatur  der  Arteria  lingualis  hat  Wichtigkeit,  weil  sie  ein 
tiefer  gelegenes  Organ  versorgt,  bei  welchem  die  directe  Blutstillung 
nicht  immer  leicht  ist.  Deshalb  ist  es  oft  wünschenswerth,  dass  man 
die  prophylaktische  Unterbindung  ausführt.  Die  Art.  lingualis  hat 
einen  wohlcharakterisirten  Verlauf,  insofern  als  sie  sich  gegen  das 
Zungenbein  wendet  und  sich  ganz  nahe  an  das  hinterste  Ende  des 
grossen  Zungenbeinhorns  anlegt. 

Diese  Stelle  dient  am  besten  zur  Unterbindung,  weil  man  bei 
den  meisten  Menschen  das  Ende  des  grossen  Zungenbeinhorns  durch 
die  Haut  hindurch  fühlen  kann  und  deshalb  für  Incision  einen  ganz 
bestimmten  Anhaltspunkt  hat.  Man  schneidet  in  der  Richtung  unseres 
Normalschnittes  vom  Rand  des  Muse,  sternocleido  entlang  dem  grossen 
Zungenbeinhorne  bis  zum  Körper  dieses  Knochens  ein.  Der  Schnitt 
geht  durch  Haut,  Platysma  und  Fascie,  gerade  als  ob  man  einzig 
das  grosse  Zungenbeinhorn  freilegen  wollte.  Die  Vena  facialis  anterior 
geht  öfter  über  das  Operationsfeld  senkrecht  oder  rückwärts  herab. 
Unter  dem  oberen  Wundrand  erscheint  der  untere  Umfang  der 
Glandula  submaxillaris,  unter  welchem  der  vereinigte  hintere  Bauch 
(resp.  die  Sehne)  des  Digastricus  und  des  'M.  stylohyoideus  gegen  den 
Zungenbeinkörper  herabläuft. 

Man  thut  gut,  von  der  anderen  Seite  das  Zungenbein  vor- 
zudrängen. Ist  dasselbe  freigelegt,  so  fasst  man  das  grosse  Hörn 
mit  einem  Haken  und  zieht  den  Knochen  empor;  das  hat  den  grossen 
Vortheil,  dass  man  das  ganze  Operationsfeld  oberflächlicher  macht. 
Am  verdickten  hinteren  Ende  des  Zungenbeinhorns  steigen  die  Fasern 
des  Muse,  hyoglossus  in  charakteristischer  Weise  senkrecht  empor. 
An  der  Aussenfiäche  dieses  Muskels  verläuft  von  hinten  nach  vorn 
der  N.   hypoglossus.     Derselbe  umfasst   die   hinter   dem  Zungenbein- 


Cornu  majus 
("Vena  jugularis  externa 

M.  sternocleido 
|        M.  sternocleido  mastoideus 

Glandula  thyreoidea 
I N.  vagus  mit  Recurrens 
V.  jugul.  communis 


Glandula  submaxillaris 
M.  stylo-hyoideus  u.  digastricus 

Ramus  descendens  hypoglossi 
M.  omohyoideus 


MtntermstaHs  intehi]         \  Band  des  Sternuni 
tteufa       Mpeeümtlismq/dr 
A.  mammamtvnleima, 


T% 


Fig.  49.  1.  Ligatur  der  Arteria  lingualis  über  dem  Zungenbein.  2.  Ligatur  der 
Carotis  communis  in  der  Höhe  des  Ringknorpels.  3.  Ligatur  der  Arteria  anonyma. 
4.  Ligatur  der  A.  subclavia  unter  dem  Schlüsselbein.    5.  Ligatur  der  A.  mammaria 

interna. 


Das  obere  seitliche  Halsdreieck.  183 

ende  aufsteigende  Carotis  externa.  Nun  muss  man  sehr  aufpassen, 
dass  man  dicht  über  dem  kolbigen  Ende  des  Zungenbeinhorns  nichts 
mehr  und  nichts  weniger  durchschneidet,  als  gerade  die  Muskelfasern 
des  N.  hyoglossus.  Dann  erscheint  die  Arterie  unmittelbar  über 
jenem  Ende.     Wir  halten  diese  Ligaturmethode  für  die  sicherste. 

Als  eine  zweite  Methode  für  die  Ligatur  ist  empfohlen  diejenige 
über  dem  Musculus  digastricus  (WlNlWARTER  bezeichnet 
diese  Methode  als  die  PlROGOFF-HuETER'sche,  während  Roser,  Mal- 
GAIGNE  und  BECLARD  unterhalb  des  Digastricus  vorgingen).  Man 
schneidet  parallel  dem  grossen  Zungenbeinhorne  durch  Haut,  Platysma, 
Fascie  und  zieht  den  unteren  Rand  der  Submaxillarspeicheldrüse  mit 
der  Vena  facialis  anterior  nach  oben.  Im  Winkel,  welchen  der  obere 
Rand  des  Muse,  digastricus  sammt  Muse,  stylohyoideus  mit  dem 
hinteren  Rande  des  Muse,  mylohyoideus  bildet,  liegt  die  Arterie 
unter  den  aufsteigenden  Fasern  des  Muse,  hyoglossus.  Auf  der 
Aussenfläche  dieses  letzteren  Muskels  liegt  der  Nervus  hypoglossus 
und  oft  eine  Vena  lingualis. 

58)  Ligatur  der  Carotis  interna. 

Bei  intracraniellen  Blutungen  (mit  Ausnahme  derjenigen  aus  den 
Arteriae  meningeae)  ist  die  Ligatur  der  Carotis  interna  (Fig.  48) 
derjenigen  der  Carotis  communis  vorzuziehen,  da  die  Collateralzufuhr 
aus  der  Arteria  angularis  in  die  Aeste  der  Arteria  ophthalmica  er- 
halten bleibt.  Die  Ligatur  ist  derjenigen  der  Carotis  externa  gleich, 
nur  schiebt  sich  aufwärts  zwischen  beide  Gefässe  der  Muse,  stylo- 
glossus  und  pharyngeus  und  die  tiefe  Fascie  mit  dem  Ligamentum 
stylomaxillare. 

Es  ist  bei  Rachenoperationen,  bei  denen  plötzlich  starke  Blutungen 
auftreten  können,  gelegentlich  sogar  bei  Tonsillotomien  wichtig,  darüber 
klar  zu  sein,  ob  eine  Blutung  aus  der  Carotis  interna  oder  aus  Aesten 
der  Carotis  externa  (Arter.  pharyngea,  tonsillaris)  stammt.  Für  die 
Tonsillotomie  ist  die  Verletzung  der  Carotis  interna  nicht  am  meisten 
zu  fürchten,  obschon  man  die  Arterie  hinter  der  Mandel  pulsiren 
fühlt ;  denn  an  der  Stelle  der  Tonsille  ist  letztere  getrennt  von  der 
Rachen  wand  durch  die  Muse,  styloglossus  und  stylopharyngeus. 
Dagegen  ist  eine  Verletzung  möglich  der  A.  pharyngea  und  palatina 
ascendenz  und  ihres  Tonsillarastes  (Zuckerkandl). 

59)  Die  Freilegung  des  Nervus  hypoglossus  (Fig.  49) 
fällt  mit  derjenigen  der  Arteria  carotis  externa,  welche  er  von  aussen 
umfasst,  und  im  vorderen  Abschnitt  mit  derjenigen  der  Arteria  lingualis 
zusammen.  Der  Nerv  liegt  aber  auf  der  Aussenfläche  des  Muse,  hyo- 
glossus, wie  die  Arterie  auf  seiner  Innenfläche. 


184  Specielle  Operationslehre. 

60)  Freilegung  des  Nervus  lingualis   vom  Halse  aus. 

Wenn  man  die  Submaxillar  -  Speicheldrüse  herauswältzt  und 
unter  Einkerbung  der  hinteren  Fasern  des  Muse,  mylohyoideus  an 
der  Aussenfläche  des  Muse,  hyoglossus  gegen  die  Mundbodenschleim- 
haut in  die  Höhe  geht,  so  kann  man  von  unserem  Normalschnitt  aus 
auch  den  Nervus  lingualis  vom  Halse  aus  freilegen  (Fig.  49), 
doch  liegt  er  sehr  tief. 

61)  Der  Nervus  laryngeus  superior  (Fig.  48). 

Dieser  Zweig  des  Vagus,  welcher  wesentlich  der  sensiblen  Ver- 
sorgung des  Larynx  vorsteht,  wird  bei  Abwärtsziehen  der  Portio 
hyoidea  unseres  Normalschnittes  am  unteren  Hautrand  sichtbar  ge- 
macht. Er  zieht  in  der  Tiefe  hinter  der  Carotis  externa  (Ursprungs- 
stelle der  Arteria  maxillaris  externa)  parallel  dem  grossen  Zungen- 
beinhorne  über  dem  Muse,  pharyngolaryngeus  und  weiter  auf  der 
Aussenfläche  der  Membrana  hyothyreoidea  vorwärts  und  verschwindet 
unter  dem  hinteren  Rande  des  Muse,  thyreohyoideus.  Es  ist  von 
ganz  hervorragender  Wichtigkeit,  den  Verlauf  dieses  Nerven  zu  be- 
achten, da  dessen  Verletzung  Insensibilität  des  Larynx  bedingt,  und 
da  in  Folge  dieses  bei  Rachen-  und  Mund  Operationen  die  Patienten 
besonders  leicht  an  sog.  Schluckpneumonie  zu  Grunde  g'ehen. 

6a)  Die  I/igatur  der  Vena  jugularis  interna  und  com- 
munis (Fig.  48  u.  49). 

Die  Ausführung  dieser  Operation  fällt  mit  der  Methode  der 
Ligatur  von  Carotis  interna  communis  zusammen.  Die  Vena  jug.  int. 
liegt  an  der  Aussenseite  der  Carotis  interna.  Die  Unterbindung  hat, 
abgesehen  von  Blutungen,  besondere  Bedeutung  bei  infectiöser  Throm- 
bose im  Zuleitungsgebiet  der  Vene.  Wenn  z.  B.  eine  Otitis  media  und 
mastoidea  auf  den  Knochen  übergreift,  so  kann  im  Sinus  transversus 
Thrombosenbildung  zu  Stande  kommen.  Bei  Zerfall  dieser  Thrombose 
tritt  embolische  Pyohämie  ein.  Die  Ligatur  der  Vena  jugularis  interna 
oder  communis  hat  dieselbe  zu  verhüten.  Am  häufigsten  kommt  man 
in  die  Lage,  die  Vena  jugularis  communis  zu  unterbinden  und  zu 
excidiren  bei  verwachsenen  Neubildungen,  speciell  Lymphdrüsen. 

63)  Der  Nervus  accessorius  (Fig.  48)  geht  oben  am  Halse 
unter  dem  oberen  Drittel  des  Stern ocleidomuskels  rückwärts  vor  der 
Vena  jugularis  interna  herunter,  um  Aeste  abzugeben  zum  Muse, 
sternocleido  und  zum  Muse,  cucullaris.  Bei  Krampfzuständen,  welche 
auf  diese  beiden  Muskeln  beschränkt  sind,  giebt  die  Dehnung  oder 
Ausreissung  des  Nerven  schöne  Erfolge.  Noch  wichtiger  ist  es,  ihn 
bei  Operationen  im  Bereich  des  oberen  Endes  des  Sternocleido  zu 
schonen,  zumal  bei  den  so  häufigen  Drüsenexcisionen  an  dieser 
Stelle.     Als   Schnitt   zur   Freilegung    des   Nerven    oberhalb    des  Ab- 


Das  obere  seitliche  Halsdreieck. 


185 


ganges  des  Sternocleidoastes  benutzt  man  die  Portio  mastoidea  unseres 
Normalschnittes  von  der  Spitze  des  Warzenfortsatzes  bis  unter  den 
Kieferwinkel  und  zieht  nach  Abhebung  der  Vena  jugularis  externa 
und  des  Nervus  auricularis  magnus  den  Muse,  sternocleido  kräftig 
rückwärts.  Der  Nerv  geht  in  wohlcharakterisirtem  Verlauf  vom 
deutlich  fühlbaren  vorderen  Umfang  des  Querfortsatzes  des  Atlas 
schräg  rück-  und  abwärts  unter  dem  Muse,  sternocleido,  dessen  Unter- 


1 


M.  cucullaris 
N.  accessorius 


N.  subeutaneus  colli 
V.  jugularis  externa 
M.  sternocleido 


Fig.  50.     Freilegung  des  N.  accessorius  in  der  Mitte  des  Halses. 


fläche  er  enge  anliegt,  abwärts.  Die  Arteria  occipitalis  geht  über  den 
Nerven  herüber  nach  rückwärts;  der  unterste  Facialast  zu  den  Kinn- 
muskeln kann  unter  dem  oberen  Wundrand  zum  Vorschein  kommen 
und  ist  zu  schonen.  Nach  oben  hin  ist  der  Nerv  vom  hinteren  Bauch 
des  Muse,  digastricus  gedeckt.  Vorn  läuft  dem  Nerven  parallel  die 
Art.  cleidomastoidea  (aus  der  Carotis  externa). 

Leichter    ist    die    Freilegung    des    Nerven    unterhalb,    resp.    am 
hinteren    Rande    des   Muse,   sternocleido.     Querschnitt   nach  Fig.  50 


j36  Specielle  Operationslehre. 

durch  Haut  und  Plat}^sma  unter  der  Mitte  des  letztgenannten  Muskels. 
Die  über  denselben  herabgehende  Vena  jug.  externa  wird  nach  vorn 
gezogen,  der  über  den  Hinterrand  des  Muskels  nach  vorn  sich  herum- 
schlagende N.  subcutaneus  colli  unberührt  gelassen.  Nach  Spaltung 
der  Fascie  erscheint  der  schräg  rückwärts  vom  Hinterrand  des  Sterno- 
cleido  zum  Vorderrand  des  Cucullaris  und  zwar  an  der  tiefen  Fläche 
dieser  Muskeln  verlaufende  Nerv. 

64)  Nervus  occipitalis  minor,  Auricularis  magnus  und 
Subcutaneus  colli.  Diese  3  Hauptzweige  des  3.  Cervicalnerven 
können  durch  einen  ähnlichen  Schrägschnitt  wie  der  vorige,  über 
der  Mitte  des  Sternocleido  bei  gehörig'em  Auseinanderziehen  der 
Wundränder  am  Hinterrand  des  Muse,  sternocleido  getroffen  und  gegen 
den   Stamm  zu  verfolgt  werden,  wenn  sie  Sitz  von  Neuralgien  sind. 

Krause  hat  für  Occipitalneuralgien  einen  Schnitt  an- 
gegeben, welcher  im  Nacken  median  3  cm  unter  der  Spina  occipi- 
talis externa  beginnt,  2  cm  von  der  Spitze  des  Proc.  mastoideus 
abwärts  läuft  und  7  cm  abwärts  geht  entlang  dem  hinteren  Rande 
des  Muse,  sternocleido.  Von  diesem  Schnitt  aus  sucht  er  nach 
Trennung  des  Muse,  splenius  und  semispinalis  auf  der  hinteren 
Fläche  des  Rectus  capitis  post.  major  und  Obliquus  cap.  inferior 
den  N.  occipitalis  major  (Cervicalis  II),  den  Occipitalis  tertius  (Cervi- 
calis  III)  auf  und  excidirt  unter  dem  lateralen  Theil  des  Atlasbogens 
das  2.  Intervertebralganglion.  Den  3.  Cervicalnerven  sucht  er,  wie 
wir  oben  beschrieben,  von  seinen  Aesten  am  Hinterrand  des  Sterno- 
cleido. zwischen  diesem  und  dem  Splenius  in  die  Tiefe  gehend  auf  dem 
Scalenus  medius  auf. 

Die  Eröffnung  des  Pharynx. 

Die  Resultate  der  Eröffnung  des  Pharynx  zur  Entfernung  von 
Geschwülsten  (speciell  Carcinom)  würden  viel  besser  sein,  wenn  nicht 
die  grosse  Zahl  der  Patienten  erst  in  recht  vorgeschrittenem  Stadium 
zur  Operation  käme. 

65)  Eröffnung  des  Aditus  laryngis,  Pharyngotomia 
subhyoidea  (Fig.  51). 

Die  von  MALGAIGNE  und  LANGENBECK  inaugurirte  Pharyngo- 
tomia subhyoidea  verdient  doppelt  unterstrichen  zu  werden.  Man 
kann  durch  Ausnutzung  aller  ihrer  Vortheile  ihr  ein  viel  grösseres 
Gebiet  einräumen,  als  frühere  Autoren  dies  gethan.  Sie  hat  den 
Vorzug,  vorzüglichen  Zugang  bei  sehr  geringer  Neben  Verletzung  zu 
gewähren.  Nicht  nur  für  alle  im  Gebiet  des  Aditus  laryngis 
sitzenden  Geschwülste,  also  diejenigen  im  Bereich  der  Epi- 
glottis,    der   Lig.    ary-epiglottica,    der    Aryknorpel,    des   Schleimhaut- 


Das  obere  seitliche  Halsdreieck. 


187 


Überzuges  in  der  Höhe  des  Zungenbeines  und  Sinus  pyriformis  ist 
sie  geeignet,  sondern  ebensosehr  für  Geschwülste  des  Zungengrundes 
und  der  seitlichen  und  hinteren  Pharynxwand  bis  zum  Oesophagus. 
Da    ist    sie   die   Operation   der  Wahl,    welche   eine   exacte  und 


r^. 


Fig.   51.     Pharyngotomia   subhyoidea.    Das   Platysma,   sowie    die   Fascie   und 

die  Musculi   sternohyoidei   und  thyreohyoidei  unterhalb  des  Zungenbeins ,    die 

Membrana  hyothyreoidea  und  die  Schleimhaut  sind  gespalten,  so  dass  man  die 

Rückfläche  der  Epiglottis  frei  sieht. 

saubere  Ausführung   erlaubt   und   uns  sehr  schöne  Radicalheilungen 
ergeben  hat  bei  thunlichst  geringer  Functionsstörung. 

Die  vorgängige  Tracheotomie  und  Tamponade  haben  wir 
als  unnöth ig.  erkannt;  man  kann  das  Einfliessen  von  Blut  in  den 
Larynx    durch   eine   richtige  Schräglage   verhüten.     Auch  Honsell 


j88  Specielle  Operationslehre. 

(Bruns)  sucht  neuerdings  die  präliminare  Tracheotomie  zu  vermeiden. 
Allgemeine  Narkose  ist  entbehrlich  und  durch  i-proc.  Cocain- 
injection  für  den  Hautschnitt  und  wiederholte  5 — 10-proc.  Cocain- 
bepinselung  für  die  Schleimhaut  zu  ersetzen. 

Schnitt  von  10  cm  Länge  auf  den  Zungenbeinkörper  und  die 
grossen  Zungenbeinhörner  von  einer  Seite  zur  anderen  durch  Haut 
und  die  Muskelfasern  des  Platysma,  Freilegung  des  Zungenbeins. 
Senkrecht  verlaufende  Verbindungen  der  subcutanen  Venen  werden 
unterbunden.  Auf  dem  Zungenbein  laufen  die  Arteria  hvoidea  und 
die  Vena  hyoidea,  welche  nach  oben  bleiben.  Der  Schnitt  trennt 
die  Muskelansätze  am  unteren  Rand  des  Zungenbeins,  zunächst  die 
Musculi  sternohyoidei  und  omohyoidei  und  unter  diesen  lateralwärts 
die  thyreohyoidei.  Es  ist  wünschenswerth,  aber  bei  nicht  ganz  um- 
schriebenen Erkrankungen  unthunlich,  von  diesen  Muskeln  einige 
Fasern  zu  erhalten. 

Jetzt  liegt  die  Membrana  hyo-thyreoidea  frei.  Die  mittlere  Partie 
dieser  Membran  springt  als  strammes  breites  Ligament  vor,  die  seit- 
lichen Theile  sind  dünner.  Die  stramme  Membran,  welche  Fett,  oft 
einen  Schleimbeutel  unter  dem  Zungenbeinkörper  einschliesst,  wird 
entlang  dem  Zungenbein  quer  gespalten  und  in  derselben  Richtung 
die  Schleimhaut  getrennt,  wobei  einige  kleine  Gefässe  spritzen. 
Entfernt  vom  Zungenbein  zu  spalten,  halten  wir  nicht  für  zulässig 
wegen  des  Nervus  laryngeus  superior,  welcher,  die  Membrana  thyreo- 
hyoidea  seitlich  durchbohrend,  in  den  Larynx  eintritt.  Durchschneidet 
man  die  Zweige  dieses  Nerven,  so  macht  man  damit  den  Kehlkopf 
insensibel,  und  dies  giebt  Anlass  zum  Eindringen  von  Speisen,  Schleim, 
und  Wundsecret  in  den  Larynx,  ohne  dass  diese  Fremdkörper  durch 
den  Hustenreflex  herausbefördert  werden;  so  entstehen  die  gefähr- 
lichen Schluckpneumonien. 

Nunmehr  kann  man  die  Epiglottis  am  oberen  Rande  mit 
scharfen  Häkchen  fassen  und  vorziehen  und  hat  einen  sehr  guten 
Einblick  auf  den  Larynxeingang,  speciell  auf  die,  so  vielen  Er- 
krankungen (Tuberculose ,  Krebs)  ausgesetzte  Gegend  der  Ary- 
knorpel,  aber  auch  auf  den  untersten  Theil  des  Pharynx  und  den 
Zungengrund.  Muss  man  wegen  Erkrankung  die  Epiglottis  weg- 
nehmen, so  fasst  man  ihre  untere  Spitze,  welche  über  der  Incisur 
des  Schildknorpels  gut  fühlbar  ist,  mit  einem  Häkchen  und  hebt  sie 
heraus,  spaltet  die  Schleimhaut  und  kann  nun  die  Epiglottis  leicht 
völlig  herauswälzen  und  umschneiden.  Wie  bei  Laryngotomien 
muss  man  des  öfteren  durch  5  °/0  Cocainbepinselungen  die  Reflexerreg- 
barkeit der  Schleimhaut  herabsetzen,  um  ungestört  operiren  zu  können. 

Die  Neubildung  wird  unter  beständiger  Controle  der  Augen  mit 
dem  Thermocauter  umschnitten.  So  verhütet  map  die  kleinen 
Blutungen  und  erhält  grössere  Sicherheit  der  Radicalheilung. 


Das  obere  seitliche  Halsdreieck.  i8g 

Zur  Nachbehandlung  ist  unter  Umständen  zu  tracheotomiren,  um 
sich  nicht  der  Gefahr  eines  Glottisödems  auszusetzen,  das  sich  oft  in 
perfid  unmerklicher  Weise  bis  zur  Erstickungsgefahr  entwickelt. 
Auf  die  Haupt  wunde  kommt  eine  Jodoform  gaze  mit  Collodium  be- 
festigt. Wir  haben  früher  die  Wunde  tamponirt,  machen  dies  aber 
nicht  mehr.  Da  wir  Neubildungen  stets  mit  einem  feinen  Therm  o- 
cautermesser  umschneiden  und  jede  Blutung  sorgfältig  stillen,  so  hat 
sich  als  genügend  herausgestellt,  die  Patienten,  so  lange  und  so  oft 
sie  liegen,  eine  abhängig'e  Lage  einnehmen  zu  lassen,  sie  aber  recht 
frühe  aufstehen  zu  lassen,  um  durch  Husten  um  so  leichter  das  ein- 
fliessende  Secret  zu  entfernen. 

Wo  möglich,  vermeiden  wir  jetzt  auch  die  secundäre  Tracheo- 
tomie.  Nur  wo  die  Sensibilität  des  Lar)mx  durch  die  Operation 
(Läsion  des  Laryngeus  superior)  aufgehoben  ist,  kann  man  sich  auf  die 
Reflexe  zur  Verhütung  des  Herunterfliessens  von  Secret  nicht  verlassen. 

In  welcher  Weise  vorzugehen  ist,  wenn  man  mittelst  der  Pharyngo- 
tomia  subhyoidea  die  Zungenbasis  entfernen  will,  haben  wir  bei  der 
Excision  der  Zunge  eingehend  geschildert.  WTie  sich  die  Operation 
gestaltet,  wenn  Neubildungen  vom  Acutus  tiefer  in  das  Larynxinnere 
eindringen,  werden  wir  bei  der  Larynxoperation  zu  zeigen  haben. 
Hier  soll  nur  aufmerksam  gemacht  werden,  in  welcher  Weise  man 
eigentliche  Pharynxerkrankungen  (speciell  Krebse)  mittelst  der  in 
Rede  stehenden  Operation  beseitigen  kann. 

66)  Pharyngotomia  mediana. 

Bei  dem  sehr  häufigen  Vorkommen  von  Tumoren,  speciell  des 
Carcinoms  im  Bereich  des  Aditus  laryngis,  d.  h.  im  Bereich  des 
einen  Aryknorpels  und  der  aryepiglottischen  Falte  mit  ausgedehntem 
Uebergreifen  auf  die  seitliche  Pharynxwand  und  den  Sinus  pyri- 
formis  ist  es  wünschenswerth,  genaue  Vorschriften  zu  g-eben  für  die 
schonendste  Freilegung  des  untersten  Theiles  des  Pharynx. 

Wie  wir  für  die  Zunge  und  die  oberen  Rachengebilde  principiell 
die  medianen  Schnitte  in  der  letzten  Zeit  festgehalten  haben,  so 
haben  wir  auch  für  oben  genannten  Carcinome,  welche  wir  recht  oft 
zu  operiren  in  die  Lage  gekommen  sind,  zum  Theil  die  laterale 
Pharyngotomie  möglichst  eingeschränkt  zu  Gunsten  der  Median- 
schnitte und  sind  von  folgendem  Vorgehen  am  meisten  befriedigt  in 
Bezug  auf  exacte  und  wenigst  verletzende  Ausführung  der  Operation : 

Schnitt  wie  für  die  Pharyngotomia  subhyoidea  geschildert  ent- 
lang dem  unteren  Rande  des  Zungenbeins,  aber  bloss  weiter  nach 
der  kranken  Seite  und  bloss  3 — 4  cm  über  die  Mittellinie  nach  der  ge- 
sunden Seite  hinüber.  Von  diesem  Schnitte  abwärts  wird  ein  Längs- 
schnitt in  der  Medianlinie  bis  zum  Isthmus  der  Schilddrüse  auf  Schild- 
und  Ringknorpel  geführt  mit  vorsichtiger  Vermeidung  der  senkrecht 


igo  Specielle  Operationslehre. 

laufenden  und  mit  Ligatur  von  Quervenen,  wie  bei  der  Laryngotomia 
mediana *). 

Auf  der  kranken  Seite  entlang  dem  Zungenbein  wird  die 
Musculatur  (Sterno-  und  Thyreo-  und  Omohyoidei)  ergiebig  getrennt 
und  darunter  die  Membrana  hyothyreoidea  quer  gespalten,  wie  bei 
der  Phar}mgotomia  subhyoidea  beschrieben;  mit  scharfen  Häkchen 
wird  die  Spitze  der  Epiglottis  gefasst  und  vorgezogen  nach  der  ge- 
sunden Seite  zu. 

Jetzt  erkennt  man  die  vordere  Grenze  der  Neubildung  und 
trennt  l/2  cm  entfernt  von  der  Grenze  derselben  die  Epiglottis  seit- 
lich an  ihrer  Basis  ab,  wodurch  der  Einblick  ein  freierer  wird  und 
es  möglich  wird,  zu  beurtheilen,  wie  weit  die  Schildknorpelplatte  mit- 
entfernt werden  muss.  Nunmehr  wird  der  Schildknorpel  in  der 
Mittellinie  gespalten,  auch  von  der  kranken  Seite  die  Musculatur  der 
Schildknorpelplatte  mit  Perichondrium  abgehoben. 

Durch  Einsetzen  scharfer  Haken  kann  so  die  Schildknorpelplatte 
der  kranken  Seite  genügend  nach  aussen  und  unten  gezogen  werden, 
um  die  Neubildung  zunächst  von  unten  her  genau  zu  umschneiden 
und  demnach  auch  am  hinteren  Umfang  und  nach  den  Aryknorpeln 
zu  (oft  ist  die  Trennung  in  der  Mitte  zwischen  beiden  nothwendig) 
die  Schleimhaut  exact  im  Gesunden  trennen  zu  können.  Nun  kann 
man  die  Neubildung  mit  den  Fingern  umgreifen  und  die  Grenzen 
der  Härte  genau  genug  controliren,  um  zu  bestimmen,  wo  von  aussen 
her  die  Weichtheile  (Muskelansätze  vom  Pharynx  her)  zu  durch- 
schneiden sind.  Auch  gegen  den  Pharynx  zu  sind  die  Schleimhaut- 
grenzen klar  sichtbar  und  die  Auslösung  einer  Larynxhälfte  oder 
eines  Theiles  derselben  mit  einem  entsprechenden  Stück  Pharynx  in 
der  Weise  durchführbar,  dass  man  die  Blutung  leicht  beherrscht  und 
das  Kranke  sicher  entfernen  kann. 

Wie  wir  dies  bei  den  Larynxoperationen  und  der  einfachen 
Pharyngotomia  subhyoidea  thun,  benutzen  wir  auch  hier  die  Hängelage 
ohne  vorgängige  Tracheotomie,  wenn  nicht  hochgradige  Athemnoth 
dazu   nöthigt,   und   führen   die  Operation  unter  Cocainanästhesie  aus. 

Wie  aus  der  Schilderung  zu  entnehmen,  machen  wir  uns  die 
tiefere  seitliche  und  hintere  Pharynxwand  zugänglich  bei  medianem 
Schnitt  ausser  durch  den  Querschnitt  am  Zungenbein  durch  die 
Längsspaltung  des  Schildknorpels,  welche  die  eine  Hälfte  des  Larynx 
erheblich  nach  vorn  herunterzuziehen  gestattet.  Wie  wir  mit  rein 
medianer  Pharyngotomie  zur  Excision  des  Zungengrundes 
vorgehen,  ist  bei  Excisio  linguae  beschrieben.  Wir  machen  da  den 
Längsschnitt  vom  Kinn  bis  zum  Schildknorpel,  trennen  das  Zungen- 

i)  Iversen  hat  schon  gelegentlich  seitlichen  oder  medianen  Längsschnitt 
hinzugefügt,  aber  ohne  principiell  dem  letzteren  den  Vorzug  zu  geben  oder  ihn 
methodisch  zu  gestalten. 


Das  obere  seitliche  Halsdreieck. 


191 


bein  und  die  Kiefer-Zungenbeinmuskeln  in  der  Mitte  und  können  so 
direct  in  den  Zungengrund  hineinsehen. 

Nach  dem  Gesagten  behalten  wir  der  seitlichen  Pharyngotomie 
wie  dem  Eingehen  auf  die  Zunge  von  der  Seite  her,  nur  noch  die- 
jenigen Fälle  vor,  bei  welchen  Verwachsungen  nach  aussen  bereits 
eingetreten  sind,  falls  man  da  überhaupt  noch  operiren  will.  Diese 
Verwachsungen  kommen  nicht  selten  in  der  Weise  zu  Stande,  dass 
Drüsen  anschwellen ,  auch  gelegentlich  erweichen  und  sich  ent- 
zünden und  mit  Pharynxwand  und  bedeckenden  Weichtheilen  ver- 
schmelzen. 

67)  Pharyngotomia  lateralis. 

Der  Normalschnitt  für  das  obere  Halsdreieck  wird  allen  den- 
jenigen Operationen  zu  Grunde  gelegt,  mittelst  deren  wir  von  aussen 
her  die  seitliche  Pharynxgegend  mit  Tonsille  und  Zungengrund  nicht 
bloss  freilegen,  sondern  sammt  bedeckenden  Weichtheilen,  event. 
Knochen  entfernen  müssen. 

Die  Incision  zur  seitlichen  Eröffnung  des  Pharynx,  welche  den 
Seitenrand  der  Zunge  bis  zur  Epiglottis  herunter  und  die  seitliche 
Pharynxwand  sammt  Retropharyngealraum  in  ganzer  Ausdehnung 
von  aussen  und  innen  zu  übersehen  gestattet,  entspricht  dem  Normal- 
schnitt  in  ganzer  Ausdehnung.  Der  N.  auricularis  magnus  und 
die  Vena  jugularis  externa  müssen  für  den  Fall,  dass  der  hintere  Theil 
des  Schnittes  ergiebig  ausgenutzt  werden  muss,  durchschnitten  werden. 

Ist  nach  Spaltung  der  Haut  mit  Platysma  und  Fascie  die  Regio 
inframandibularis  frei  gelegt,  so  sind  einem  Weiterdringen  gegen 
Mundboden  und  Schlundwand  die  von  unten  gegen  die  Aussenfläche 
des  Kiefers  emporstrebenden  Gefässe  im  Wege,  zumal  die  Vena 
facialis  anterior  auf  der  Aussenfläche  des  hinteren  Bauches  des  Diga- 
stricus  und  die  Arteria  maxillaris  externa  unter  der  Glandula  sub- 
maxillaris,  endlich  letztere  Drüse  selbst.  Die  genannten  Gefässe 
müssen  durchschnitten  werden  nach  doppelter  Unterbindung,  die 
Glandula  submaxillaris  wird  herausgehoben  und  nach  oben  geschlagen 
oder  exstirpirt.  Es  kann  nützlich  sein,  auch  die  A.  lingualis,  phar}mgea 
und  palatina  sofort  nahe  ihrem  Ursprung  zu  unterbinden.  Dadurch 
wird  es  möglich,  die  grossen  Halsgefässe  sammt  Vagus  und  Accessorius 
nach  hinten,  den  Bogen  des  N.  hypoglossus  nach  oben  zu  ziehen. 
Es  ist  einfacher,  die  Carotis  externa  zu  unterbinden,  aber  im  Bereich 
einer  sich  nothwendig  inficirenden  Wunde  ist  die  Ligatur  eines 
grossen  Gefässes  starker  Nachblutungen  wegen  immerhin  nicht  un- 
gefährlich. Der  N.  laryngeus  superior  und  die  A.  thyreoidea  superior 
bleiben  unter  dem  unteren  Wundrand.  Was  sich  von  den  vorliegen- 
den Muskeln  schonen  lässt,  muss  im  Interesse  des  Schluckmechanismus 
erhalten    werden,    indem   man   entlang   der  Innenfläche   des   Kiefers 


102  Specielle  Operationslehre. 

und  des  M.  pterygoideus  internus  gegen  die  Schleimhaut  emporgeht 
Müssen  wegen  Verwachsung  oder  ungenügenden  Zuganges  die 
Muskeln  getrennt  werden,  so  hat  dieses  so  zu  geschehen,  dass  die 
Innervation  der  geschonten  Muskelpartien  nicht  Schaden  erleidet, 
nämlich:  der  hintere  Bauch  des  Digastricus  und  Stylohyoideus 
werden,  weil  von  hinten  her  versorgt  (vom  Nervus  facialis),  möglichst 
nahe  am  Zungenbein  durchschnitten,  ebenso  der  Styloglossus  aus 
gleichem  Grunde  nahe  der  Zunge  unter  Schonung  des  Nervus 
lingualis  und  Glossopharyngeus,  welche  ihm  anliegen.  Der  Stylo- 
pharyngeus  wird  in  der  Nähe  des  Pharynxansatzes,  der  Hyoglossus 
und  Mylohyoideus  (von  oben  her  vom  Nervus  hypoglossus  versorgt) 
werden  vom  Zungenbeinansatz,  so  weit  nöthig,  getrennt.  Jetzt  liegt 
die  Pharynxwand  frei,  d.  h.  oben  der  Musculus  cephalo-pharyngeus, 
unten  der  Laryngopharyngeus.  Bei  Verwachsungen  müssen  natür- 
lich auch  der  N.  lingualis  und  glossopharyngeus  durchschnitten  werden. 

Der  obere  Theil  des  Pharynx  ist  aber  nur  dadurch  von 
aussen  völlig  dem  Auge  zugänglich  zu  machen,  dass  man  die  früher 
erwähnte  osteoplastische  Resection  des  Unterkiefers 
zutreffender  ausgedrückt,  die  schräge  Durchschneidung  des 
Kiefers  von  hinten  innen  und  oben  nach  vorn  aussen  und  unten 
am  vorderen  Rande  des  M.  masseter  hinzufügt  und  den  aufsteigen- 
den Kieferast  kräftig  nach  oben,  den  horizontalen  Ast  nach  vorne  zieht. 

Wir  warnen  ausdrücklich  davor,  bei  den  häufigen  Carcinomen 
am  und  hinter  dem  Isthmus  faucium,  welche  bis  gegen  die  Epiglottis 
heranreichen,  wenn  sie  nicht  bloss  auf  weichen  Gaumen  und  seit- 
liche Pharynxwand  übergegriffen  haben,  die  Operation  vom  Munde 
aus  machen  zu  wollen.  Wenn  man  entfernt  vom  kranken  Gewebe 
im  Gesunden  schneiden  will,  so  muss  man  in  solchen  Fällen  schwere 
Nebenverletzungen  nothwendig  machen  und  grössere  Arterien  an- 
schneiden. Wenn  man  die  Carotis  in  einer  solchen  derben  Ver- 
wachsungsstelle verletzt,  so  läuft  man  grosse  Gefahr,  die  Blutstillung 
nicht  rasch  genug  besorgen  zu  können.  Von  aussen  dagegen  hat 
man  sichere  Controle  über  die  Gefässstämme. 

Hat  die  Neubildung  der  Zunge  und  des  Pharynx  auf  die  Ueber- 
gangsfalte  zwischen  Ober-  und  Unterkiefer  und  die  darunter 
liegenden  Knochen  übergegriffen,  so  ist  es  am  besten,  nach  Durch- 
sägung des  Kiefers  an  oben  genannter  Stelle  durch  Abdrehen  der 
Gelenkkapsel  und  des  M.  pterygoideus  externus  den  aufsteigen- 
den Kieferast  zu  exarticuliren  und  zu  entfernen,  nachdem 
man  die  gesunden  Muskeln  (zumal  Masseter  aussen)  abgehoben  hat. 
So  wird  später  Kieferklemme  am  sichersten  verhütet.  Dabei  wird 
wie  bei  der  früher  beschriebenen  Resectio  mandibulae  der  N.  alveo- 
laris  inferior  und  die  Arterie  gleichen  Namens  durchschnitten  und 
letztere  unterbunden. 


Das  vordere  Halsdreieck. 


193 


Soll  der  untere  Theil  des  Pharynx  sammt  bedeckenden 
Weichtheilen  exstirpirt  werden,  hinter  dem  Kehlkopf,  so  bleiben  die 
Muskeln  der  Zunge  und  des  Pharynx  mit  ihren  Nerven  unberührt, 
ebenso  die  Aeste  der  Carotis  externa.  Die  Eröffnung  des  Pharynx 
wird  vielmehr  unterhalb  des  N.  laryngeus  superior  gemacht,  zwischen 
diesem  und  der  Arteria  thyreoidea  superior  (die  eventuell  durch- 
schnitten wird),  und  zwar  reicht  der  Schnitt  vom  Larynx  aufwärts 
bis  an  die  Stelle  des  Abgangs  des  Ramus  descendens  Nervi  hypo- 
glossi  am  Vorderrand  der  Carotis.  Es  ist  nöthig,  behufs  Freilegung 
des  untersten  Theiles  des  Pharynx,  zu  dem  Normalschnitt  (welcher 
hinten  entsprechend  zu  verkürzen  ist)  einen  Längsschnitt  entlang 
dem  Vorderrande  des  M.  sternocleido  abwärts  hinzuzufügen.  Wo 
seitliche  Lymphdrüsen  nur  mit  den  äusseren  Weichtheilen  ver- 
wachsen sind  oder  sich  überhaupt  ohne  Berührung  des  Pharynx 
gründlich  und  sauber  entfernen  lassen,  ist  es  angezeigt,  die  Operation 
zweizeitig  zu  machen ,  d.  h.  nach  Excision  der  Drüsen  bis  zum 
Pharynx,  resp.  Oesophagus,  die  Eröffnung  letzterer  Höhlen  einige 
Tage  hinauszuschieben,  um  nicht  eine  frische  Wunde  mit  Pharynx- 
secret  zu  inficiren. 


H.  Das  vordere  Halsdreieek  *). 

Will  man  zwischen  den  Halseingeweiden  und  dem  Muse,  sterno- 
cleido in  die  Tiefe  gehen,  so  kommt  man  mit  den  der  Spaltrichtung 
der  Haut  entsprechenden  queren  Schnitten  nicht  immer  aus,  sondern 
man  ist  oft  gezwungen,  Längsschnitte  zu  machen,  und  zwar  mediane 
oder  seitliche  Schnitte  längs  des  M.  sternocleido. 

68)  Arteria  carotis  communis  (Fig.  52). 

Die  Arteria  carotis  communis  verläuft  in  der  kürzesten  Richtung 
von  der  Brust  senkrecht  herauf  zum  Kopfe.  Der  Schnitt  zu  ihrer 
Freilegung  liegt  in  der  Spaltrichtung  der  Haut  quer  in  der  Höhe 
des  Ringknorpels;  seine  Mitte  kreuzt  den  vorderen  Rand  des  M. 
sternocleido,  resp.  die  demselben  entsprechende  Linie  vom  Kiefer- 
winkel zur  Articulatio  sternoclavicularis.  Die  Arterie  ist  neben  Trachea 
und  Oesophagus  in  der  ganzen  Ausdehnung  des  Halses  zu  fühlen 
und  mit  Sicherheit  gegen  die  Wirbelsäule  zu  comprimiren,  am  besten 
in  der  Höhe  der  Cartilago  erieoidea.  Neben  dieser  fühlt  man  den 
stark  vorragenden  Querfortsatz  des  6.  Halswirbels,  das  sogen.  Tuber- 
culum   caroticum.     Auch   für  die  Unterbindung   am    Orte   der  Wahl 


1)  Als  Grenzen  dieses  Dreiecks  nehmen  wir  den  oberen  Schildknorpelrand 
und  die  vorderen  Ränder  der  M.  sternocleido  bis  zum  Jugulum. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.     IV.  Aufl.  j? 


ioa  Specielle  Operationslehre. 

ziehen  wir  die  Höhe  der  Cartilago  cricoidea  vor.  Diesen  Knorpel 
kann  man  fast  immer  deutlich  fühlen. 

Nach  Durchschneidung  von  Haut  und  Platysma  erscheint  der 
quer  verlaufende  Nervus  subcutaneus  colli  vom  Hinter- 
rande des  Muse,  sternocleido  über  denselben  vorwärts  ziehend.  Er 
wird  geschont  und  die  Fascie  gespalten,  so  dass  das  Muskelfleisch 
des  Muse,  sternocleido  sauber  frei  liegt.  Sein  vorderer  Rand  wird 
mit  stumpfem  Haken  nach  aussen  gezogen.  Unter  diesem  Rande, 
nach  oben  und  etwas  medianwärts  ziehend ,  erblickt  man  den  M. 
omohyoideus.  In  dem  nach  oben  offenen  Winkel  zwischen  den  beiden 
genannten  Muskeln  geht  man  auf  die  Arterie  ein.  Sie  ist  noch  be- 
deckt von  der  zweiten  Fascie,  welche  gleichzeitig  Gefässscheide  ist. 
Hat  man  letztere  gespalten,  so  liegt  die  Arterie  frei  zu  Tage.  Auf 
der  Gefässscheide  läuft  der  Ramus  descendens  hypoglossi  herab,  der 
motorische  Aeste  nach  vorne  abgiebt  für  die  zum  Larynx  auf- 
steigenden Muskeln.  Er  wird  sorgfältig  auf  die  mediale  Seite 
gezogen.  Aufs  genaueste  hat  man  sich  vor  der  Gefahr  zu  schützen, 
den  Nervus  vagus,  welcher  der  Rückfläche  der  Arterie  dicht  anliegt, 
mit  in  die  Ligatur  zu  nehmen.  Dieses  dichte  Anliegen  bedingt  — 
beiläufig  bemerkt  —  bei  Compression  der  Carotis  Druckerscheinungen 
seitens  des  Vagus :  Verlangsamung  des  Pulses,  Athemnoth,  Ohnmacht. 
Die  Vena  jugularis  communis  liegt  nach  aussen,  der  Sympathicus 
nach  hinten  von  der  Arterie. 

Verlängert  man  den  Querschnitt  etwas  rückwärts  und  legt  den 
hinteren  Rand  des  Sternocleido  frei,  so  sieht  man  unter  demselben 
und  unter  der  Vena  jug.  externa  den  Nervus  accessorius  her- 
vorkommen, um  ab-  und  etwas  rückwärts  zum  M.  cucullaris  zu 
ziehen. 

69)  An  derselben  Stelle  und  aus  den  letzterwähnten  Gründen 
kann  auch  die  Resection  des  Nervus  vagus  (Fig.  52)  nothwendig 
werden.  Die  einseitige  Durchschneidung  dieses  Nerven  kann  ohne 
Lebensgefahr,  ja  ohne  jegliche  Störung  des  Befindens  ausgeführt 
werden.  Am  häufigsten  machen  mit  der  Gefässscheide  verwachsene 
bösartige  Geschwülste  dessen  Resection  nöthig. 

70)  Ligatur  der  Arteria  thyreoidea  inferior  und  Arteria 
vertebralis  (vergl.  Fig.  52). 

Die  Ligatur  dieser  beiden  grossen  Aeste  der  Arteria  subclavia 
wird  von  einem  schräg-queren  Schnitte  aus  vorgenommen,  welcher, 
über  dem  Jugulum  beginnend,  im  Bogen  über  den  Sternocleido  nach 
aussen  schräg  emporsteigt. 

Wir  haben  die  Ligatur  der  Arteria  thyreoidea,  von  WÖLFLER 
für  Struma  überhaupt  empfohlen,  in  neuerer  Zeit  bei  Struma  vasculosa 


Das  vordere  Halsdreieck. 


195 


oft  ausgeführt  und  machen  sie  in  der  Regel  als  ersten  Act  der 
Excision  des  Kropfes,  wobei  derselbe  luxirt  und  nach  der  anderen 
Seite  herübergeschlagen  werden  muss.  Eine  wohlcharakterisirte 
Stelle  für  ihre  Freilegung  ist  diejenige,  wo  sie  aus  ihrer  aufstrebenden 
Richtung  hinter  der  Carotis  communis  sich  über  den  Oesophagus 
medianwärts   gegen   die  Hinterfläche    der  Schilddrüse  wendet.     Hier 


Tuberculum  verte-\ 


brale  vert.   VI 


N.  descendens"! 
hypoglossi    / 

V.  jugularis  communis 

Carotis  communis 

M.  longus  colli 


~~  •  Fascia  parotideo  masseterica 
M.  masseter 
A.  maxillaris, 

Platysma 


A.  vertebralis 
N.  recurrens 

A.  thyreoidea  inferior 
A.  vertebralis 

Glandula  thyreoidea 


JM.  sterno- 
\  hyoideus 


Fig.  52.     I.   Ligatur   der   A.   maxillaris    externa.     2.   Ligatur   der  A.   thyreoidea 
inferior  und  A.  vertebralis. 


auf  der  Wirbelsäule  resp.  auf  dem  M.  longus  colli  liegt  die  horizontal 
verlaufende  Arterie  auf  der  medialen  Seite  der  Carotis  communis. 
Man  geht  auf  die  Arteria  carotis  communis  ein,  wie  wenn  man  diese 
unten  am  Halse  freilegen  wollte.  Haut  und  Platysma  werden  ge- 
spalten, der  vordere  Rand  des  Muse,  sternocleido  freigelegt  und  kräftig 
nach  aussen  gezogen.  Der  darunter  zu  Tage  tretende  M.  omohyoideus 
wird  ab-  und  einwärts  gezogen ,  ebenso  der  neben  ihm  nach  der 
Mittellinie  zu  liegende  Sternohyoideus.    Vena  jugaüaris  communis  und 

13* 


ig6  Specielle  Operationslehre. 

Carotis  mit  Vagus  werden  am  innereren  Rande  des  grossen  Gefäss- 
bündels  freigemacht  und  nach  aussen  gezognen.  Auf  der  Innenseite 
des  Gefässbündels  geht  man  zwischen  diesem  und  dem  Rande  der 
Schilddrüse,  resp.  dem  sie  bedeckenden  M.  sterno-thyreoideus  auf  die 
Wirbelsäule  ein.  Man  fühlt  die  Arterie  hier  pulsiren.  Die  Schild- 
drüse muss  nach  Spaltung  ihrer  äusseren  Kapsel  medianwärts  ge- 
zogen und  emporgehoben  werden.  Die  Arterie  ist  durch  den  nach 
oben  convexen  Bogen  charakterisirt,  indem  die  aufsteigende  Arterie 
sich  medianwärts  zur  Anheftungsstelle  der  Schilddrüse  an  der  Trachea 
wendet.  Hier  an  der  Rückfläche  der  Drüse  und  neben  der  Trachea 
geht  der  Nervus  recurrens  über  die  Arterie  senkrecht  empor. 

Aus  der  Arteria  thyreo  -  cervicalis  entspringen  ausser  der  A. 
thyreoidea  inferior  noch  die  Arteria  cervicalis  ascendens  und  super- 
ficialis. Man  muss  die  Operation  unter  genauer  Controle  bei  guter 
Blutstillung  ausführen,  um  einerseits  den  Nervus  laryngeus  inferior 
schonen  zu  können  da,  wo  derselbe  sich  mit  der  Arterie  kreuzt ;  denn 
der  N.  laryngeus  inferior  ist  der  motorische  Hauptnerv  des 
Larynx.  Die  Kreuzung  findet  in  der  Regel  so  statt,  dass  der  Nerv 
unter  der  genannten  Umbiegungsstelle  der  A.  thyr.  inf.  heraufzieht 
auf  der  Wirbelsäule  (M.  longus  colli),  um  in  der  Furche  zwischen 
Trachea  und  Oesophagus  bis  zum  unteren  Rande  des  Ringknorpels 
zu  verlaufen.  Andererseits  sollen  die  Rami  cardiaci  des  Nervus 
sympathicus  nicht  geschädigt  oder  gar  der  Stamm  des  Sympathicus, 
welcher  öfter  die  Arterie  mit  einem  vorderen  und  hinteren  Zweig 
umfasst,  durchschnitten  werden.  Wenn  die  Schilddrüse  vergrössert 
ist,  so  muss  man,  immer  nach  gehöriger  Spaltung  der  Fascie,  die 
Glandula,  thyreoidea  mit  grossem,  stumpfem  Haken  emporheben  und 
auf  die  mediale  Seite  ziehen.  Dabei  ist  die  Vena  thyreoidea  accessoria 
inferior  doppelt  zu  unterbinden  und  zu  trennen. 

71)  Arteria  vertebralis  (Fig.  52). 

Die  Ligatur  ist  in  analoger  Weise  zu  machen  wie  für  die  Thyreoidea 
inferior;  sie  ist  schwieriger,  insofern  als  die  Arterie  noch  tiefer  liegt. 
Sie  verläuft  nicht  nur  auf  den  tiefen  Halsmuskeln,  sondern,  von  den 
lateralsten  Fasern  des  M.  longus  colli  bedeckt,  unter  der  präverte- 
bralen Fascie.  Als  vorzügliches  Erkennungszeichen  für  die  Arterie 
benutzt  man  das  sog.  Tuberculum  caroticum  am  Querfortsatze  des 
6.  Halswirbels,  den  am  stärksten  vorragenden  Theil  der  seitlichen 
Vorderfläche  der  Halswirbelsäule  in  der  Höhe  des  Ringknorpels. 
Dieses  Tuberculum  benutzt  man  auch  zur  Unterbindung  der  Carotis, 
daher  sein  gewöhnlicher  Name.  Für  die  Carotisligatur  hat  es  keine 
grosse  Wichtigkeit,  wohl  aber  für  die  Ligatur  der  Arteria  vertebralis, 
weil  diese  unterhalb  desselben  ins  Foramen  transversarium  eintritt. 
Es  wäre  deshalb  zweckmässiger,    den  Vorsprung  als  Tuberculum 


Das  vordere  Halsdreieck. 


197 


v  e  r  t  e  b  r  a  1  e  zu  bezeichnen.  Die  Arterie  geht  gegen  die  Unter- 
fläche dieses  Tuberculum  empor.  Hat  man  den  M.  sternocleido  mit 
den  grossen  Halsgefässen  nach  aussen  gezogen  und  die  M.  sterno- 
hyoideus  und  sternotbyreoideus  nach  innen,  so  spaltet  man  oberhalb 
des  Bogens  der  Arteria  thyreoidea  inferior  die  Prävertebralfascie  und 
fühlt  auf  und  zum  Theil  innerhalb  der  Fasern  des  M.  longus  colli 
die  senkrecht  emporsteigende  Arterie,  welche  an  der  Unterfläche  des 
6.  Querfortsatzes  verschwindet.  Lateralwärts  liegt  der  M.  scalenus 
anticus  und  darauf  der  Nervus  phrenicus.  Letzterer  zieht  vom 
Aussenrand  des  Muskels  über  seine  Vorderfläche,  um  in  die  obere 
Thoraxapertur  einzutreten.  Unterhalb  des  Bogens  der  A.  thyr. 
inferior  zieht  die  A.  vertebralis  mit  dem  N.  recurrens  ziemlich  senk- 
recht empor. 

72)  Oesophagotomie  und  Oesophagektomie  (Czerny's 
Operation). 

Die  Eröffnung  des  Oesophagus  wird  im  vorderen  Halsdreieck 
unterhalb  des  Ringknorpels  von  der  linken  Seite  her  gemacht,  weil 
er  hier  die  Trachea  überragt.  Will  man  ihn  freilegen  wegen  einer 
Neubildung  oder  wegen  eines  Fremdkörpers,  so  wird  der  Schnitt 
gerade  so  gemacht  wie  zur  Unterbindung  der  Arteria  carotis  com- 
munis und  Arteria  thyreoidea  inferior,  nur  noch  länger.  Langen- 
beck,  nach  welchem  Goursand  1738  die  Operation  zuerst  eingeführt 
hat,  empfiehlt  den  Schnitt  am  Rande  des  Sternocleido  nach  GUATTANL 

Wir  rathen  einen  bogenförmigen  Schnitt  an  in  der  Spaltrichtung. 
Vielfach  wird  auch  senkrecht  eingeschnitten  am  Innenrand  der  Mitte 
des  linken  M.  sternocleido  bis  zur  Clavicula  durch  Haut  und  Platysma, 
die  oberflächliche  Halsfascie  gespalten,  der  M.  sternocleido  nach 
aussen,  die  Brustbeinkehlkopfmuskeln  nach  innen  auseinandergezogen, 
der  M.  omohyoideus  wird  getrennt.  Die  Schilddrüsenfascie  (äussere 
Kropfkapsel)  wird  gespalten,  die  Drüse  medianwärts  gezogen,  resp. 
bei  Kropf  luxirt  und  emporgehalten,  und  die  an  ihrem  Aussenrand 
(bei  Vergrösserung  der  Drüse  unter  ihr)  liegenden  grossen  Hals- 
gefässe  (mit  der  Ansa  Irypoglossi  darauf)  lateralwärts  gezogen.  Die 
Kropfkapsel  ist  ein  Theil  der  tiefen  Fascie,  welche  seitlich  an  der 
Scheide  der  grossen  Halsgefässe  festgewachsen  ist.  Der  Zugang 
zum  Oesophagus  wird  erst  nach  Spaltung  der  tieferen  Fascie  frei. 
Auf  der  Vorderfläche  der  Wirbelsäule  erscheint  der  M.  longus  colli, 
und  quer  über  den  Muskel  zieht,  unter  der  Carotis  communis  nach 
innen  tretend,  die  starke  Arteria  thyreoidea  inferior.  Sie  wird  doppelt 
unterbunden  und  durchschnitten.  Unter  ihr  liegt  der  rothe  Oesophagus- 
schlauch.  Grosse  Sorgfalt  ist  auf  Schonung  des  N.  laryngeus  recurrens 
zu  verwenden.  Er  wird  nach  unten  und  medianwärts  gezogen  mit 
feinen  Häkchen,  wo  nöthig.    Der  Nerv  läuft  in  der  Rinne  zwischen 


jq3  Specielle  Operationslehre. 

Trachea  und  Oesophagus  nach  oben;  daher  muss  der  Oesophagus 
ganz  an  der  lateralen  oder  lateralen  hinteren  Seite  eröffnet  werden. 
Seine  Eröffnung  ist  schwierig,  wenn  man  ihn  als  zusammengefalteten 
Schlauch  eröffnen  will,  weil  die  Wand  dick  ist,  die  Schleimhaut  ver- 
schieblich. Man  dilatirt  den  Oesophagus  deshalb  zuvor,  indem  man  eine 
Sonde  oder  dicke  Elfenbeinolive  einführt  und  auf  diese  einschneidet. 

Zur  Nachbehandlung  wird  eine  weiche  Oesophagussonde  durch 
die  Wunde  eingeführt  und  fixirt  behufs  Ernährung,  und  die  Wunde 
mit  Jodoformgaze  austamponirt  und  mit  2-stündlich  zu  wechselndem 
Carbolkrüll  ausgefüllt,  weil  oft  starke  Zersetzung  vorhanden  ist.  In 
einzelnen  Fällen  ist  es  gut,  die  Ränder  des  Oesophagus  provisorisch 
an  die  Haut  zu  heften.  Bei  einfachen  Incisionen  kann  die  Naht  des 
Oesophagus  versucht  werden,  die  Wunde  der  bedeckenden  Weich- 
theile  bleibt  aber  vollkommen  offen  zur  Sicherheit.  GUSSENBAUER 
hat  die  Oesophagotomiewunde  am  Halse  benutzt,  um  von  hier  aus 
tief  gelegene  Narbenstricturen  zu  indiciren. 

Bei  Carcinom  hat  Czerny  1873  zum  ersten  Mal  eine  Oesophag- 
ektomie  mit  Erfolg  ausgeführt.  Seither  sind  eine  grössere  Anzahl 
von  Excisionen,  meist  complicirt  mit  Excision  des  Larynx,  der  Schild- 
drüse, Lymphdrüsen,  Vena  jugularis  ausgeführt  worden.  MIKULICZ 
hat  1886  schon  10  Fälle  zusammengestellt,  ROSE  1887  einen  glück- 
lichen Fall  publicirt.  Wir  haben  diese  Operation  mehrfach  ausgeführt. 
Wo  der  Oesophagus  sehr  tief  getrennt  worden  ist,  muss  er  ge- 
legentlich mittelst  Arterienpincetten  während  einiger  Tage  in  die 
Höhe  gehalten  und  fixirt  werden.  Nähte  schneiden  am  Oesophagus 
ein.  Es  würde  sich  daher  fragen,  ob  ein  geeignetes  weites  katheter- 
ähnliches Rohr,  wie  sie  zur  Dauerbehandlung  der  Oesophagusstenosen 
benutzt  werden,  nicht  am  besten  entsprechen  würde.  Es  könnte 
nach  Vernarbung  nach  oben  herausgezogen  werden.  Die  äussere 
Wunde  bleibt  stets  sicherer  offen. 

73)  Eröffnung  des  Retropharyngealraumes. 

Retropharyngealabscesse ,  welche  deutliche  Vorwölbung  im 
Rachen  bilden,  dagegen  von  aussen  nicht  fühlbar  sind  resp.  schwer 
zugänglich  erscheinen,  können  durch  einen  Schnitt  möglichst  median 
in  die  hintere  Rachenwand  eröffnet  werden,  vorausgesetzt,  dass  man 
durch  Einführen  eines  kleinen  Bausches  das  Hinunterfliessen  des 
Eiters  in  den  Larynx  verhütet;  letzteres  könnte  Erstickung  oder 
Aspirationspneumonie  zur  Folge  haben. 

In  allen  Fällen  dagegen,  wo  Eiteransammlungen  im  Retro- 
pharyngeal-  und  Retroösophagealraum  nach  der  Seite  hin  sich  aus- 
gebreitet haben  und  fühlbar  geworden  sind  neben  den  Halseinge- 
weiden, ist  die  Eröffnung  von  aussen  weit  vorzuziehen,  weil  diese 
nicht   bloss  die  unmittelbare  Gefahr,   sondern  auch  Secundärinfection 


Das  vordere  Halsdreieck. 


199 


durch  die  Incisionswunde,  welche  vom  Rachen  aus  nicht  sicher  zu 
verhüten  ist,  ausschliesst  bei  regelrechter  Wundbehandlung. 

Bei  Schwellung  und  Fluctuation  im  oberen  Halsdreieck  wird 
nach  BüRKHARDT  der  Schnitt  am  Vorderrand  des  M.  sternocleido 
gemacht  mit  Eingehen  neben  dem  Kehlkopf.  Besser  ist  es,  wie  auch 
BRUNS  durch  HAAS  bestätigt  hat,  am  Hinterrande  des  Muskels  nach 
dem  Vorgange  Chiene's  einzugehen.  Man  schneidet  dessen  hinterem 
Rande  parallel.  Nach  Spaltung  der  Fascie  und  Freilegung  des 
Muskelrandes  werden  die  hier  austretenden  N.  subcutaneus  colli  und 
unten  die  N.  supraclaviculares  geschont,  der  Muskel  mit  stumpfem 
Haken  nach  vorne  gezogen,  ebenso  die  Vena  jugularis  externa.  Jetzt 
erscheint  die  breite  Vena  jugularis  communis,  welche  unter  Durch- 
schneidung des  M.  omohyoideus  am  hinteren  Rande  freigemacht  und 
ebenfalls  nach  vorne  gezogen  wird.  Nun  erscheint  auf  der  Wirbel- 
säule der  Abscess  unter  der  tiefen  Fascie,  und  unten  am  Halse  schräg 
über  denselben  medianwärts  ziehend  die  Arteria  thyreoidea  inferior, 
welche  doppelt  unterbunden  und  durchschnitten  wird.  Mittelst  der- 
selben Operation  kann  man  den  retroösophagealen  Abscessen 
beikommen. 

Diese  hauptsächlich  von  tuberculösen  Erkrankungen  der  Wirbel- 
säule und  der  Drüsen  ausgehenden  Abscesse  werden  nicht  nur  ge- 
fährlich dadurch,  dass  sie  den  Aditus  laryngis  verlegen,  sondern  auch 
durch  Berstung,  wodurch  plötzliche  Erstickung  eintreten  kann.  Die 
Eröffnung  von  aussen  her,  statt  von  innen  hat  den  Vortheil,  eine 
Primaheilung  zu  ermöglichen. 

Laryngo-  und  Tracheotomie. 

Die  medianen  Spaltungen  im  vorderen  Halsdreieck  gehören 
zu  den  häufigsten  Operationen,  die  man  zu  machen  in  die  Lage  kommt 
behufs  Eröffnung  des  Larynx  und  der  Trachea. 

74)  Tracheotomia  superior  (Crico-Tracheotomie)  (Fig.  53). 

Für  die  überwiegende  Mehrzahl  von  Fällen,  wo  wir  gezwungen 
sind,  die  Operation  sehr  rasch  auszuführen,  ist  die  Crico-Tracheo- 
tomie die  sicherste  und  wenigst  blutige  Methode. 

Die  oberen  Tracheairinge  sind  durch  den  oft  stark  entwickelten 
Isthmus  glandulae  thyreoideae  bedeckt.  An  dessen  oberem  und 
unterem  Rande  verlaufen  die  Venae  communicantes  als  sehr  starke 
Queräste  zwischen  den  Schilddrüsenvenen.  Von  ihnen  sowohl  wie 
vom  Ramus  anterior  der  Arteria  thyreoidea  superior  gehen  Aeste  an 
den  Processus  pyramidalis,  wTenn  dieser  vorhanden  ist,  so  dass  auch 
arterielle  Gefässe  die  Mittellinie  am  oberen  Rande  des  Isthmus  über- 
schreiten können.    An  der  Rückfläche  des  Isthmus  zieht  ein  Ramus 


200 


Specielle  Operationslehre. 


laryngeus  inferior  von  der  Arteria  thyreoidea  inferior  herauf,  und  unter- 
halb des  Isthmus  finden  sich  constant  die  starken  Venae  tlxyreoideae 
imae  zu  beiden  Seiten  der  Medianlinie,  senkrecht  aufsteigend,  ge- 
legentlich auch  in  derselben  Richtung  eine  Arteria  thyreoidea  ima. 
Diese  sämmtlichen  Gefässe  können  geschont  werden,  wenn  man  die 
Crico-Tracheotomie  macht.    Bei  der  Incision  ist  es  zweckmässig,  wenn 


Fascia  superficialis 
Art.  cricoidea 
Fascia  profunda 


M.  sterno-thyreoideus 

—    Cartilago  cricoidea 

M.  thyreo- 

cricoideus 
I  Abhebungsstelle 
l^t-  i  der  tiefen  Fascie 
[von  der  Trachea 


Fig-  53-     Tracheotomia  superior. 


es  sich  um  Kinder  handelt,  zumal  wo  (bei  Croup  z.  B.)  hochgradige 
Dyspnoe  besteht,  direct  auf  dem  Schildknorpel  die  Incision  zu  be- 
ginnen. Man  trennt  die  Haut  und  die  oberflächliche  Fascie  und  zieht 
den  dadurch  freigewordenen  Rand  der  Musculi  sternohyoidei  mit 
stumpfem  Haken  auseinander.  Blutende  Venen  werden  mit  Arterien- 
zangen gefasst.  Nun  fühlt  man  nach  dem  fast  stets  ganz  deutlich 
unterscheidbaren  unteren  Rand  des  Ringknorpels,  fasst  nach  Bose's 
Vorschlag  mit  der  Pincette  die  auf  demselben  befindliche  Fascie  und 
macht   einen  ganz  kleinen  Schnitt  in  dieselbe.     Bei  kleinen  Kindern 


Das  vordere  Halsdreieck.  201 

und  starkem  dyspnoischen  Auf-  und  Absteigen  des  Larynx  setzt 
man  zweckmässig  einen  kleinen  scharfen  Haken  in  den  freigelegten 
Unterrand  des  Ringknorpels  behufs  Fixation  und  löst  mit  stumpfer 
Sonde  (KoCHER'sche  Kropfsonde)  den  Isthmus  thyreoideus  sammt 
Fascie  und  Venen  von  der  Vorderfläche  der  Trachea  kräftig  los, 
hebelt  denselben  abwärts  und  lässt  ihn  sofort  mit  einem  stumpfen 
schmalen  Haken  abwärts  festhalten.  Nun  wird  mit  einem  feinen 
Messer,  rasch  einstechend,  von  unten  nach  oben  über  jenem  stumpfen 
Haken  die  Trachea  und  dann  der  Ringknorpel  aufgeschlitzt  und  die 
Wundränder  der  Trachea  mit  feinen  Häkchen  gefasst  und  auseinander 
gezogen. 

75)  Tracheotomia  inferior. 

Hat  man  bei  der  Crico-Tracheotomie  nicht  Raum  genug,  oder 
wünscht  man  die  Tracheal wunde  weiter  entfernt  vom  Larynx  an- 
zulegen, so  muss  Haut  und  Fascie  zwischen  .den  Brustbeinmuskeln 
unterhalb  des  Isthmus  genau  in  der  Mittellinie  gespalten 
werden.  Die  Venae  thyreoideae  imae  bleiben  nach  rechts  und  links 
liegen,  da  sie  senkrecht  herunterziehen.  Nach  Trennung  der  tiefen 
Fascie  geht  man  in  der  Weise  auf  die  Trachea  ein,  dass  man  die 
dem  Isthmus  glandulae  thyreoideae  anliegenden  kleinen  Venen  mit 
stumpfem  Haken  kräftig  aufwärts  zieht,  die  in  und  über  der 
Incisura  sterni  liegenden  Quervenen  abwärts ;  so  kommt  man  —  bei 
Erwachsenen  oft  in  einer  Tiefe  von  6  und  mehr  Centimeter  —  ganz 
stumpf  und  ohne  Gefässverletzung  auf  die  Trachea:  eventuell  wird 
zwischen  Trachea  und  dem  stumpf  von  oben  sowohl  als  unten  ab- 
gehebelten Isthmus  eine  Aneurysmanadel  eingeführt,  um  den  Isth- 
mus neben  der  Mittellinie  doppelt  mit  kräftigem  Fäden  energisch 
zu  unterbinden  und  zu  durchschneiden.  Für  völlige  Freilegung  der 
Trachea  ist  dies  vorzuziehen. 

Bei  Tracheotomien,  welche  einer  Pharyngotomie,  Laryngo-  und 
Laryngektomie  voraufgeschickt  werden,  ist  die  Tracheotomia  inferior 
vorzuziehen,  da  sie  für  die  zweite  Operation  das  Feld  frei  lässt,  und 
zwar  sind  womöglich  diese  einleitenden  Tracheotomien  eine  Reihe 
von  Tagen  der  Hauptoperation  vorauszuschicken.  Bei  Kropf  und 
dickem  Isthmus  thyreoideae  aber  ist  die  Tracheotomia  inferior  eine 
schwierige  Operation,  weil  die  Trachea  über  dem  Jugulum  erheblich 
tiefer  liegt  und  man  zu  ihrem  Auffinden  nicht  einen  dem  Ring- 
knorpel analogen  fühlbaren  Auffindungspunkt  hat. 

76)  Laryngotomia  mediana  et  Laryngectomia  partialis. 

Die  Eröffnung  des  Larynx  hat  eine  absolute  Indication  bei  intra- 
laryngealen  malignen  Geschwülsten;  sie  kann  nöthig  werden  bei 
relativ  gutartigen  Tumoren,  wie  Papilloma  laryngis,  bei  Geschwüren 


202  Specielle  Operationslehre. 

und  infectiösen  Erkrankungen,  wie  Larynxtuberculose.  Die  Frei- 
legung des  Larynxinneren  durch  medianen  Schnitt  ist  eine  verhält- 
nissmässig  einfache  Operation.  Bei  schräg  abhängiger  Lagerung 
von  Rumpf  und  Hals  spaltet  man  vom  Zungenbein  abwärts  bis 
zum  oberen  Theil  der  Trachea  in  der  Mittellinie  Haut  und  Fascie. 
Dabei  werden  einige  Gefässe  verletzt:  die  Arteria  hyoidea  (Ast  der 
Lingualis)  auf  dem  Zungenbein;  die  Arteria  crico-thyreoidea  (Ast 
der  Thyreoidea  superior)  auf  der  Membrana  crico-thyreoidea;  ein 
quer  verlaufender  Ast  der  Thyreoidea  superior  zum  Processus  pyra- 
midalis der  Schilddrüse;  daneben  noch  zahlreiche  Venen  und  quere 
Verbindungen  der  Venae  medianae  colli  und  tieferen  Venen.  Alle 
diese  Gefässe  sind  leicht  zu  unterbinden ;  namentlich  müssen  zur 
Verhütung  von  Nachblutungen  die  Venen  exact  ligirt  werden.  Nach 
Trennung  von  Haut  und  Fascie  werden  die  Muskeln,  welche  vom 
Sternum  zum  Larynx  und  Zungenbein  heraufsteigen,  auf  die  Seite 
gezogen  und  zunächst,  die  obersten  Tracheairinge  freigemacht.  Der 
Isthmus  glandulae  thyreoideae  muss  mit  einer  Kropfsonde  stumpf 
frei  gemacht,  von  der  Trachea  abgelöst  und  nach  beiden  Seiten  solide 
unterbunden  werden.  Die  Vena  communicans  superior  und  inferior 
an  seinem  oberen  und  unteren  Rande  quer  verlaufend  muss  isolirt 
unterbunden  werden. 

Nunmehr  wird  bei  starker  Dyspnoe,  behufs  Sicherung  der 
Athmung  zuerst  die  Tracheotomie  gemacht,  die  Ränder  auseinander 
gehalten  und  mit  der  Scheere  genau  in  der  Mittellinie  aufwärts  ge- 
spalten. Bevor  man  den  Schildknorpel  spaltet,  führt  man  eine  Kropf- 
sonde ein,  um  genau  in  der  Mittellinie  zwischen  den  vorderen  Enden 
der  Stimmbänder  die  Trennung  machen  zu  können.  Wenn  man 
langsam  weiter  schneidet  und  mit  Häkchen  gehörig  auseinander- 
zieht, so  sieht  man  genügend,  um  nicht  in  eine  etwaige  Neubildung 
hin  einzuschneiden.  Aufwärts  schneidet  man,  wo  nöthig,  bis  in  oder 
durch  die  Epiglottis  hindurch  in  der  Mittellinie  oder  falls  eine  maligne 
Neubildung  über  dieselbe  hinübergreift,  an  deren  Grenzen  vorbei. 
Die  Spaltung  muss  jedenfalls  soweit  reichen,  bis  man  die  Grenzen 
der  Neubildung  klar  übersieht. 

Sobald  man  die  Trachea  gespalten  hat,  bepinselt  man  die  Schleim- 
haut mit  einer  Cocainlösung  und  wiederholt  diese  Procedur,  so  oft 
nöthig.  Wir  haben  früher  eine  io-proc.  Cocainlösung  hierzu  benutzt, 
brauchen  aber  jetzt  auf  die  Empfehlung  von  Professor  Stein  in 
Moskau  hin  eine  Lösung  von  ää  5  Proc.  Cocain  und  Antipyrin  mit 
1   Proc.  Carbol,  welche  sehr  gut  entspricht. 

Ist  der  Tumor  vollkommen  klar  gelegt,  so  beginnt  dessen  Um- 
schneidung und  Abtragung,  und  zwar  am  besten  mit  dem  galvano- 
caustischen  oder  einem  feinen  thermocaustischen  Messer.  Sitzt  der 
Tumor  schon   auf   der  Unterlage   fest,   so   wird   in   seinem  Umkreis 


Das  vordere  Halsdreieck.  20 s 

auch  die  Larynxwand  weggenommen,  indem  man  entsprechend  den 
Grenzen  des  Tumors  auf  der  Aussenfläche  die  Muskeln  stumpf  ab- 
hebt (vorausgesetzt,  dass  sie  gesund  und  nicht  verwachsen  sind)  und 
mit  kräftiger  Scheere  den  Knorpel  durchtrennt.  Einige  spritzende 
Arterien  können  ohne  Schwierigkeit  gefasst  werden. 

In  letzter  Zeit  haben  wir  als  Regel  die  Laryngotomie  ohne 
allgemeine  Narkose  bloss  mit  Cocainanästhesie  (i-proc.  Lösung 
für  den  Hautschnitt)  ausgeführt  und  halten  dies  auch  für  viel 
besser.  Wenn  man  bei  Hochlagerung  der  unteren  Körperhälfte 
operirt,  so  kann  man  die  früher  auch  von  uns  empfohlene,  modi- 
ficirte  TRENDELENBURG'sche  Tamponade  während  der  Operation 
ganz  entbehren  und  ist  dann  viel  freier  im  Einblick,  da  die  Canüle 
doch  stets  im  Wege  ist;  oder  man  legt  bloss  einen  längeren  dicken 
Kautschukschlauch  ein,  um  durch  das  Aushusten  nicht  belästigt  zu 
werden. 

Die  Nachbehandlung  der  Laryngotomie  mit  oder  ohne  partielle 
Laryngektomie  ist  bei  uns  eine  sehr  einfache  geworden:  Früher 
führten  wir  in  die  eröffnete  Trachea  eine  Canüle  ein,  rieben  in  die 
Wundflächen  Jodoformpulver  und  tamponirten  den  Larynx  mit 
Jodoformgaze,  mit  welcher  man  auch  die  Canüle  umgab.  Sobald 
die  Wundränder  granulirten,  wurde  die  Gaze  entfernt.  Naht  wurde 
gar  keine  angelegt.  Die  Wunde  schloss  sich  binnen  3  bis  4  Wochen. 
Jetzt  führen  wir  öfter  gar  keine  Canüle  ein,  tamponiren  den  Larynx 
nicht,  fixiren  die  Schildknorpelhälften  durch  Catgutnähte,  lassen  den 
Patienten  schon  am  2.  Tage  aufstehen  und  lagern  ihn  Nachts  in 
kopfabhängiger  Lage.  Natürlich  wird  er  genau  überwacht,  um  bei 
Eintritt  von  Glottisödem  sofort  eine  Canüle  einschieben  zu  können. 
Wir  verweisen  auf  die  Beschreibung  der  Pharyngotomia  subhyoidea 
für  alle  Fälle  von  Larynxerkrankung,  wo  bloss  der  oberste  Theil 
des  Organs,  der  noch  dem  Aditus  zugehört,  erkrankt  ist  (Epiglottis, 
Aryknorpel,  Lig.  aryepiglottica). 

77)  Laryngectomie  totalis  (Watson  und  Czerny's  Ope- 
ration). 

Ist  der  ganze  Larynx  krank  und  von  vornherein  sicher,  dass 
man  ihn  total  excidiren  muss,  was  meist  schwer  zu  beurtheilen 
ist,  so  fügt  man  zu  dem  Längsschnitt  durch  die  Haut  noch  einen 
Querschnitt  am  unteren  Rande  des  Zungenbeins  hinzu,  d.  h.  man 
combinirt  die  mediane  Laryngotomie  mit  einer  modificirten  Laryngo- 
tomia  subhyoidea.  Diese  Laryngotomia  subhyoidea-mediana  machen 
wir  in  folgender  Weise :  Man  spaltet  vom  Zungenbein  in  der  Median- 
linie abwärts  die  Haut  und  die  Fascie  bis  auf  den  Schild-  und  Ring- 
knorpel und  von  diesem  abwärts  bis  zum  Isthmus  der  Schilddrüse. 
Am    unteren    Rande    des    Ringknorpels    löst   man    die    Fascie    (das 


20A  Specielle  Operationslehre. 

Ligamentum  Suspensorium  des  Isthmus)  ab,  hebt  mit  der  Kropfsonde 
die  tiefe  Fascie  sammt  Isthmus  und  der  an  seinem  oberen  Rande 
querlaufenden  Vena  communicans  superior  abwärts  von  der  Trachea 
ab.  Falls  der  Isthmus  hoch  reicht,  so  wird  er  in  der  Mittellinie  am 
oberen  und  unteren  Rande  frei  gemacht,  die  Kropfsonde  unter- 
geschoben und  doppelt  ligirt  mit  starkem  doppelten  Seidenfaden  und 
dazwischen  durchgeschnitten.  Die  Trachea  wird  eröffnet  und  nun- 
mehr der  Patient  in  die  TRENDELENBURG-RoSE'sche  Hängelage 
gebracht,  um  das  Herunterfliessen  von  Blut  in  die  Trachea  zu  ver- 
hüten. Vor  der  Eröffnung  der  Luftwege  ist  bei  der  oft  hochgradigen 
Athemnoth  des  Patienten  die  Hängelage  zu  widerrathen,  weil  sie 
durch  venöse  Hyperämie  zur  Erstickung  führen  kann. 

Nach  Eröffnung  der  Trachea  führt  man,  wenn  nöthig,  eine 
Trachealcanüle  ein,  lang  genug,  um  sie  nach  der  einen  Seite  wenden 
zu  können,  damit  sie  für  weiteres  Vorgehen  nicht  hinderlich  ist.  In 
der  Regel  lassen  wir  die  Canüle  weg.  Von  der  eröffneten  Trachea 
aus  wird  nach  oben  der  Larynx  genau  in  der  Mittellinie  ge- 
spalten, um  sich  über  die  Ausdehnung  des  Leidens  auf  der  Schleim- 
hautseite genau  Rechenschaft  geben  zu  können  und  hier  zuerst 
mit  dem  Thermocauter  die  Neubildung  zu  umgrenzen.  Alle  Stellen, 
wo  die  Neubildung  angeschnitten  wurde,  müssen  mit  dem  Thermo- 
cauter gebrannt  werden. 

Nun  folgt  entlang  dem  Zungenbein  ein  querer  Schnitt  (wenn 
nöthig)  durch  Haut  und  Fascie  unter  Ligatur  der  obersten  Enden 
der  Venae  medianae  colli  dicht  am  Zungenbein,  soweit  nothwendig 
seitlich  verlängert  durch  die  Fasern  der  M.  sterno-hyoidei  und  omo- 
hyoidei  und  darunter  der  thyreo-hyoidei.  Das  Zangenbein  wird 
mit  einem  starken  scharfen  Haken  emporgehoben.  Die  an  die 
Hinterfläche  des  Zungenbeins  sich  ansetzende  Membrana  hyo- 
thyreoidea,  zuerst  ihre  mediane  Partie,  das  starke  Ligamentum 
medium,  wird  gespalten,  ebenfalls  quer  darunter  die  Schleimhaut,  so 
dass  man  mit  einem  scharfen  Häkchen  die  Spitze  der  Epiglottis 
fassen  und  herausziehen  kann.  Man  muss  sich  dabei  hüten,  nicht 
zu  hoch  hinauf  unter  das  Zungenbein  zu  geben,  sonst  trennt  man 
die  Schleimhaut  zu  hoch  oben  und  kann  die  blutenden  Gefässe 
schwieriger  fassen. 

Findet  sich  die  Epiglottis  gesund,  so  wird  sie  median  gespalten, 
ist  sie  krank,  so  trennt  man  sie  entlang  der  Grenze  des  kranken 
Gewebes.  Nun  kann  man  durch  Einsetzen  scharfer  Doppelhäkchen 
in  die  Schnittränder  des  Schildknorpels  die  kranke  Partie  nach 
aussen  wälzen,  und  so  übersieht  man  die  Grenze  der  Neubildung 
und  umschneidet  dieselbe,  indem  man  am  besten  mit  dem  Thermo- 
cauter zuerst  die  Schleimhaut  trennt. 


Das  vordere  Halsdreieck. 


7-05 


Geht  die  Neubildung,  wie  so  oft,  auf  den  Pharynx  über,  so  geht 
man  auch  mit  dem  Thermocautermesser  entlang  dem  Aryknorpel  und 
der  Rückfläche  des  Ringknorpels  mit  dem  Schnitt  auf  die  Pharynx- 
wand  über.  Nun  erst  wird  die  Aussenfläche  des  Larynx  frei  ge- 
macht. Soweit  sicher  gesund,  werden  die  Muskeln  geschont,  welche 
die  Seiten-  und  Vorderfläche  des  Larynx  bedecken  (die  M.  sterno-  und 
hyo-thyreoidei  und  M.  crico-thyreoidei).  Sind  die  Muskel  krank,  so 
werden  sie  mitentfernt.  Die  Knorpel  werden  in  der  durch  den 
Thermocauter  gebildeten  Furche  mit  starker  Scheere  durchschnitten 
und,  soweit  dieselben  direct  an  die  Neubildung  anstossen,  d.  h.  bei 
Total erkrankung  an  der  ganzen  Circumferenz,  abgetragen.  Auf  der 
Rückfläche  der  Ringknorpelplatte  wird  die  Oesophagusschleimhaut 
erhalten,  wenn  sie  gesund  und  beweglich  ist.  Von  den  von  Rutsch  x) 
zusammengestellten  12  Operationen  ist  einer  in  Folge  der  Operation 
gestorben,  also  in  toto  2  von  unseren  24  Operirten  macht  8,3  Proc, 
5  Patienten  sind  recidivfrei,  einer  seit  2x/2,  einer  seit  41/2  Jahren. 

Die  vordere  Pharynx-  oder  Oesophaguswand  wird,  so  weit  als 
möglich,  zusammen-  und  heraufgenäht,  um  die  Scheidewand  zwischen 
Luft-  und  Speisewegen  wieder  herzustellen,  denn  Anfangs  ist  die 
Herstellung  des  normalen  Schluckactes  die  Hauptsache.  Zur  Nach- 
behandlung wird  die  Trachea  in  den  unteren  Wundwinkel  eingenäht 
und  eine  Trachealcanüle  eingelegt.     Ernährung  mit  Schlundsonde. 

Der  Patient  steht  am  nächsten  Tag  auf,  wird  beim  Liegen  stets 
mit  kopfwärts  abhängiger  Trachea  gelagert. 

Dr.  Lanz  hat  unsere  Fälle  von  Laryngektomie  bis  1890  zusammen- 
gestellt, wobei  auf  12  Fälle  bloss  ein  Todesfall  kam.  Dr.  Rutsch 
hat  weitere  1 5  Fälle  veröffentlicht  aus  unserer  Klinik  mit  1 2  Radical- 
operationen.  Es  geht  daraus  hervor,  dass  wir  auf  den  oberen  Quer- 
schnitt in  den  letzteren  Fällen  in  der  Regel  verzichten  konnten, 
(wie  nach  Meinhard  Schmidt  auch  Pieniazek  gethan)  und  wir 
möchten  aufmerksam  machen,  dass  durch  mediane  Spaltung 
des  Zungenbeins,  wie  wir  sie  auch  für  Excision  des  Zungen- 
grundes durch  Pharyngotomia  subhyoidea  empfohlen  haben,  wesent- 
lich mehr  Raum  ohne  Seitenschnitt  zu  gewinnen  ist,  nachdem  man 
die  Epiglottis  median  gespalten  hat.  Keen  operirt  gegenwärtig  in 
ähnlicher  Weise  wie  wir,  aber  unser  Vorgehen  ist  noch  wesentlich 
einfacher  und  kategorischer. 

78)  Die  Kxcision  der  Schilddrüse. 

Wir  können  zur  Stunde  auf  die  Zahl  von  2 1 60  Kropfexstirpationen 
zurückschauen,  um  über  die  beste  Art  und  Weise,  wie  dieselbe  vor- 


I)  Es  ist  mir  unerklärlich,  wie  Keen  aus  Rutsch's  Arbeit  herauslesen  kann, 
dass  wir  die  Heilung  bei  Larynx  excision  für  sehr  zweifelhaft  halten.  Unsere 
Statistik  zeigt,  dass  übler  Ausgang  bei  uns  eine  grosse  Ausnahme  geworden  ist. 


2o6  Specielle  Operationslehre. 

genommen  wird,  Auskunft  zu  geben.  Wir  haben  nur  dabei  eine 
sehr  bestimmte  Methode  immer  klarer  und  einfacher  ausgebildet, 
welche  zwar  selbstverständlich  von  Fall  zu  Fall  kleine  Modificationen 
erleiden  muss,  aber  im  Grossen  und  Ganzen  völlige  Garantie  für  den 
Erfolg  giebt.  Stellt  sich  doch  die  Prognose  der  Kropfexcision  bei 
gewöhnlichen  Kröpfen  gegenwärtig  so,  dass  wir  bei  über  noo  Fällen 
der  letzten  Serie  nicht  mehr  als  3  Todesfälle  zu  verzeichnen  haben, 
also  nicht  einer  in  350  Fällen.  Da  dieselben  auf  vermeidbare  Zu- 
fälligkeiten zurückzuführen  sind,  so  kann  man  wohl  sagen,  dass  eine 
Lebensgefahr  bei  Kropf excisionen  nicht  mehr  in  Frage  kommt. 

Es  ist  demgemäss  nicht  gerechtfertigt,  wenn  noch  so  vielfach  von 
Aerzten  auch  in  Fällen  eine  medicamentöse  Kropftherapie  eingeleitet 
und  zum  Schaden  des  Patienten  consequent  festgehalten  wird,  wo 
sie  von  vornherein  keinen  Nutzen  haben  kann.  Sobald  ein  Kropf 
gefährlich  wird,  d.  h.  sobald  er  ausgesprochene  Athembeschwerden 
namentlich  in  Form  von  Erstickungsanfällen  macht,  sobald  er  ent- 
zündliche Veränderungen  zeigt,  sobald  der  geringste  Verdacht  auf 
maligne  Entartung  besteht1),  soll  er  operativ  beseitigt  werden. 

Leider  kommt  noch  die  Mehrzahl  maligner  Strumen,  welche  selbst 
im  jugendlichen  Alter  keineswegs  so  grosse  Seltenheiten  sind,  an  welche 
man  aber  bei  wachsenden  Kröpfen  älterer  Leute  in  erster  Linie  zu 
denken  hat,  stets  noch  zu  spät  zum  Chirurgen,  um  radicalen  Erfolg  zu 
erzielen. 

Aber  nur  nicht  das :  Alle  Kröpfe,  welche  dem  Gebiet  der  Struma 
profunda  angehören,  d.  h.  gegen  die  Thoraxapertur  abwärts  wachsen, 
mögen  sie  noch  so  beweglich  sein,  sind  als  gefährlich  anzusprechen 
und  sollen  der  Operation  verfallen. 

Alle  Strumen,  welche  in  Form  einzelner  grosser  Kolloidknoten 
eine  erhebliche  Entwicklung  erlangen,  können  bloss  durch  Operation 
wirklich  beseitigt  werden;  medicamentöse  Therapie  wirkt  wesentlich 
bloss  auf  die  begleitenden  hyperplastischen  Antheile.  Wenn  sich 
auch  nur  in  geringem  Grade,  wie  es  viel  häufiger  der  Fall  ist,  als 
man  dies  allgemein  annimmt,  BASEDOW  ähnliche  Symptome  an  die 
Entwicklung  einer  Struma  anschliessen,  ist  die  Operation  das  beste 
Vorbeugemittel  gegen  die  Entwicklung  dieser  bedenklichen  Krankheit. 

Grenzen  der  Kr opf exstirpation. 

Trotz  aller  Asepsis  und  trotz  allen  Fortschritten  der  Technik 
setzt  man  sich  bei  Kropfoperation  der  Gefahr  aus,  seine  Patienten 
zu  verlieren  in  folgenden  Fällen: 

1)  Bei  Strumen  mit  hochgradiger  und  langdauernder  Stenose 
der  Trachea,  wenn  die  Lüftung  des  Blutes    in  den  Lungen  eine  un- 

1)  Dieser  Verdacht  ist  stets  vorhanden,  wenn  bei  einem  älteren  Individuum, 
ja  schon  vom  30.  Jahre  hinweg,  ohne  ersichtlichen  äusseren  Grund  die  Schild- 
drüse sich  zu  vergrössern  beginnt. 


Das  vordere  Halsdreieck.  207 

genügende    geworden     ist    und    in    Folge    dessen     neben     anderen 
Functionen  auch  die  Herzthätigkeit  erheblich  gelitten  hat. 

2)  Bei  Störungen  der  Herzthätigkeit  aus  anderen  Gründen,  d.  h. 
bei  allgemeiner  Verfettung  mit  Fettherz,  bei  Atherom  speciell  der 
Coronararterien  mit  consecutiver  Myocarditis,  bei  allen  Stauungen, 
welche  zu  bedeutender  Dilatation  des  rechten  Herzens  geführt  haben 
mit  Oppression,  bei  unregelmässigem,  oft  kleinem  und  frequentem  Puls. 

3)  Bei  hochgradigen  Störungen  des  venösen  Kreislaufes,  z.  B. 
durch  Druck  einer  Struma  auf  die  grossen  Gefässe  im  Bereich  der 
Brustapertur,  zumal  mit  Bildung  von  Thromben. 

Alle  diese  Fälle  charakterisiren  sich  dadurch,  dass  hochgradige 
Dyspnoe  vorhanden  ist,  nicht  selten  hochgradiger  und  unmotivirter 
auftretend,  als  der  vorhandenen  Struma  entspricht;  ferner  durch 
stärkere  Cyanose  des  Gesichts,  gelegentlich  der  Hände  und  endlich 
durch  Oedeme  des  Gesichtes,  der  Hände  und  Füsse ;  namentlich 
auffällig  ist  oft  das  gedunsene  Gesicht. 

4)  Bei  ganz  diffus-folliculären  Kolloidkröpfen,  bei  welchen  das 
gesunde  Drüsengewebe  auf  ein  Minimum  reducirt  ist.  Bei  diesen  oft 
grossen,  als  zusammenhängende  Masse  die  Trachea  umgebenden 
Kröpfen  mit  geringer  Beweglichkeit,  fester  kleinknolliger  Consistenz,  ist 
die  Excision  schwierig,  blutig  und  setzt  acuter  Tetanie  aus,  welche 
sich  nicht  stets  durch  Thryradenpräparate  beseitigen  lässt.  Es  ist 
angezeigt,  in  diesen  Fällen  sich  mit  Ligatur  der  Schilddrüsenarterien 
zunächst  zu  begnügen  und  später  bei  Reduction  der  Geschwulst  die 
einseitige  Excision  zu  machen. 

5)  Bei  hochgradig  herunter  gekommenen  BASEDO W-Kranken  mit 
starker  Abmagerung  und  höheren  Graden  von  Tachycardie.  Auch 
bei  Vermeidung  der  Narkose  und  jeglichen  Antisepticum  sterben  bei 
tadellosem  Wundverlauf  diese  Patienten  gelegentlich  in  wenigen  Tagen. 
Die  präliminare  Arterienligatur  ist  auch  hier  der  Weg,  um  eine 
spätere  Excision  möglich  zu  machen,  falls  eine  solche  durch  Stenose- 
erscheinungen indicirt  ist. 

6)  Maligne  Strumen  mit  starken  Verwachsungen,  Drüsenschwel- 
lungen, Symptomen  von  Thrombose,  zumal  bei  schlechtem  Allgemein- 
zustand.    Hier  haben    wir   mit  Arsenikbehandlung  viel  mehr  erzielt. 

7)  Entzündete  Strumen,  wenn  die  Entzündung  auf  die  Kapsel 
und  auf  die  weitere  Umgebung  übergegriffen  hat.  Bei  acuten  Ent- 
zündungen setzt  man  sich  der  Gefahr  weitergehender  Infection  aus, 
bei  chronischer  Entzündung  ist  wegen  Verwachsung  oft  die  Auslösung 
sehr  blutig,  verletzend  und  schwierig. 

In  den  zahlreichen  Fällen,  wo  die  geschilderten  Gefahren,  welche 
der  Hauptsache  nach  durch  zu  langes  Zaudern  verschuldet  sind,  nicht 
bestehen,  sind  die  Mittel,  rasche  und  sichere  und  schöne  Heilung 
(cito,  tuto  et  jucunde)  zu  erzielen,  folgende: 


208 


Specielle  Operationslehre. 


i)  Vermeidung  jeden  Antiseptikums  bei  Vorbereitung  und  Ope- 
ration, aber  strengste  Asepsis1). 

2)  Vermeidung  der  Allgemeinnarkose,  welche  durch  Cocain- 
anästhesie  zu  ersetzen  ist.  Empfindsame  Individuen  mit  gesunden 
Lungen  und  Herz  können  mit  Aetherluftgemischen  (nach  Braun's 
Methode)  ohne  Bedenken  narkotisirt  werden.- 


*&, 


5^* 


SS**^:. 


Fig.  54.     Symmetrischer  querer  Bogenschnitt  (Kragenschnitt)  zur  Excision];  der 
Schilddrüse  in  der  Spaltungsrichtung  der  Haut  behufs  Erzielung  feiner  Narben. 


3)  Grosse  Hautschnitte,  aber  in  richtiger  Richtung.  Als  solche 
betrachte  ich  meinen  symmetrischen  Kragenschnitt,  wie  ihn  Fig.  54 
illustrirt.    'Er   giebt  selbst  bei   grosser   Ausdehnung  kaum  sichtbare 

1)  Was  wir  dazu  benutzen,  ist  bei  Besprechung  der  Wundbehandlung 
hervorgehoben,  namentlich  gezeigt  worden,  wie  man  durch  eine  zwischen 
Hals  und  Kopf  mittelst  Bügels  quer  gespanntes  Tuch  jede  Contactinfection  von 
Mund  und  Nase  abhält.  BüNGENER  hat  dieses  Verfahren  zu  vereinfachen  ge- 
sucht durch  einen  kleinen  über  die  Ohren  angehängten  und  am  Kinn  auf- 
gesetzten Bügel. 


Das  vordere  Halsdreieck.  20g 

Narben,  weil  in  der  Spaltrichtung  gelegen,  giebt  sehr  guten  Raum 
und  hat  den  grossen  Vortheil,  sich  bei  Zweifel,  welche  Seite  die 
hauptsächlich  drückende  ist,  während  der  Operation  entscheiden 
zu  können.  Wir  möchten  Ungeübte  speciell  vor  zu  kleinen  Haut- 
schnitten warnen,  welche  die  Blutstillung  hindern  und  tiefer  reichende 
Knoten  schwierig  heraus  befördern  lassen. 

4)  Sorgfältige  rechtzeitige  Ligatur  der  arteriellen  und  venösen 
Hauptgefässe  (Art.  und  Venae  thyr.  sup.,  inf.  und  imae  und  Venae 
accessoriae).  Nur  wer  so  vorgeht,  sichert  sich  gegen  die  Nachtheile 
starker  Blutverluste  bei  der  Operation,  gegen  Verletzung  des  Nervus 
recurrens  und  gegen  Nachblutung. 

5)  Schonung  der  Kehlkopf-Brust beinmusk ein  und  ihrer  Nerven- 
zufuhr. Wenn  man  die  Muskeln  und  ihre  Nervenäste  nicht  schont, 
so  sinkt  der  Hals  in  entstellender  Weise  ein.  Wir  gehen  median 
zwischen  den  Muskeln  ein  und  lösen  dieselben  wo  nöthig  an  ihrer 
oberen  Insertion.  Wir  wenden  also  hier  wieder  das  Princip  der 
Desinsertion  der  Muskeln  an,  von  welchem  schon  bei  der 
Kiefersperre  die  Rede  war  und  von  welchem  Küttner  und  Quer- 
vain bei  Lappenbildung  seitlich  am  Halse  Gebrauch  gemacht  haben_ 

Nach  diesen  Regeln  gestaltet  sich  unsere  Kropfexcisionsmethode 
zu  folgendem 

79)  Normalverfahren  der  Excision. 

Querer  symmetrischer  Bogenschnitt  von  der  Aussenfläche  des 
einen  Sternocleidomuskels  zur  anderen,  je  nach  Höhe  des  Kropfes 
höher  oder  tiefer  (bei  ganz  am  Halse  gelegenen  und  eher  hochreichenden 
mit  Mitte  unter  der  Ringknorpelhöhe  durch,  bei  Struma  intrathoracica 
unmittelbar  über  der  Incisura  sterni).  Haut  und  Platysma  werden 
gespalten.  Es  erscheinen  auf  der  Fascie  neben  der  Mittellinie,  bei 
Kröpfen  oft  seitlich  verschoben  (vergl.  Fig.  55),  die  zwei  Venae 
medianae,  oft  doppelt;  ferner  sehr  constant  am  Vorderrand  des 
Sternocleido  je  eine  Vena  jugularis  obliqua,  wie  wir  sie  getauft 
haben.  Diese  Venen  werden  doppelt  gefasst  und  durchschnitten, 
während  die  über  den  Sternocleido  herablaufenden  Venae  jug.  ex- 
ternae  geschont  werden  können. 

Jetzt  liegen  die  von  dieser  oberflächlichen  Fascie  bedeckten  Muse, 
sterno-hyoidei  und  -thyreoidei  und  event.  omohyoidei,  nebst  den 
medialen  Rändern  der  Stern ocleidomuskeln  vor  (Fig.  55),  und  es  ist 
wichtig,  die  Haut  aufwärts  und  abwärts  mitsammt  der  Fascie 
von  diesen  Muskeln  abzulösen,  weil  man  dann  die  Venen  mit  ablöst 
und  keine  weiteren  zu  durchschneiden  braucht. 

Nun  geht  man  median  zwischen  den  Muskeln  ein  und 
spaltet  die  verbindende  Fascie  auf  untergeschobenem  Finger  gehörig  ab- 
wärts und  aufwärts,  hebt  oben  am  Larynx  mit  dem  Finger  die  Muskeln 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  \a 


2IO 


Specielle  Operationslebre. 


empor  und  schneidet  sie  soweit  als  nöthig  ein  unter  Ligatur  kleiner 
von  oben  kommender  Muskelgefässe.  Sehr  genau  ist  zuzusehen,  ob 
damit  die  eigentliche  fibröse  äussere  Kropfkapsel  gespalten  ist  oder 
nicht.  Diese  muss  gespalten  werden,  da  in  der  Regel  bloss  die  sub- 
capsuläre  Trennung  leicht  stumpf  zu  bewerkstelligen  ist. 

Es  folgt  die  wichtige  Luxation  des  Kropfes.  Der  Finger 
wird  unter  Abhebung  von  Muskeln  und  Kapsel  um  die  Geschwulst 
herumgeführt  und  ladet  bei  dieser  Gelegenheit  die  Stränge  auf,    die 


^ 


*ns*.. 


Fig-  55-  Links  in  der  Figur  die  Venae  medianae  colli,  ganz  auf  die  rechte 
Seite  des  Halses  verschoben.  Die  Muse,  sterno-thyreoidei  und  sterno-hyoidei 
darüber  sind  über  den  Kropf  ausgebreitet.  Nach  rechts  in  der  Figur  sind  der 
M.  Sternocleido  und  darunter  medianwärts  schräg  emporsteigend  der  omo- 
hyoideus   sichtbar.    Alle  Muskeln  werden  nach   der  linken  Halsseite  über  den 

Kropf  zurückgezogen. 


sich  von  der  Umgebung  gegen  den  Kropf  spannen  und  die  von  mir 
sogenannten  Venae  accessoriae  enthalten,  wie  Fig.  56  dies  dar- 
stellt. Diese  Venen  sind  bei  grossen  Kröpfen  sehr  stark  entwickelt. 
Die  Muskeln  werden  dabei  mit  breiten  stumpfen  Haken  auf  die 
Seite  gezogen. 

Sind  die  Venae  accessoriae  gefasst  und  durchschnitten,  so  er- 
folgt die  Luxation  des  Kropfes,  der  mit  den  Fingern  über  die  Wund- 
ebene emporgehoben  wird.  War  vorher  die  Dyspnoe  sehr  stark,  so 
hört  sie  jetzt  mit  einem  Schlage  auf. 


Das  vordere  Halsdreieck. 


211 


Fig.  56  a,  b.      Die   die  Venae  accessoriae   enthaltenden    seitlichen    und   unteren 
Bindegewebsverbindungen   der  Kapsel  werden    behufs  Ligatur  mit  dem  Finger 


umgangen. 


14* 


212 


Specielle  Operationslehre. 


Fig.  56  c.  Der  Kropf  ist  luxirt  und  nach  der  rechten  Halsseite  herübergewälzt, 
der  linke  Sternocleido  abgezogen  (was  in  Wirklichkeit  noch  viel  energischer 
geschehen  muss).  Es  erscheint  in  der  Tiefe  die  Carotis  comm.  (sie  ist  hier 
zu  oberflächlich  und  zu  nahe  der  Trachea  gezeichnet).  Darüber  gehen  Venae 
accessoriae  auf  die  Rück-  und  Seitenfläche  des  Kropfes,  darunter  kommt  die 
Art.   thyr.   inf.    hervor;  unter  ihr  der  N.  recurrens,   durch  Zug   an   dem  Kropf 

heraufgezogen. 


Man   schreitet   zur  Ligatur  der  Hauptgefässe,    welche  sich  nach 
Bequemlichkeit  in   verschiedener  Reihenfolge   ausführen   lässt.     Mit 

Kropfsonde  wird   die 
/^^w^s  Kapsel  am  Oberhorn 

Jr  V  :0    ••  Ol\  innen  und  aussen  zu- 

rückgeschoben ,  bis 
man  die  stielartig  von 
oben  und  etwas  aussen 
herantretenden  Art 
und  Vena  thyr.  sup. 
mit  Finger  oder  Sonde 
umgehen  kann.  Diese 
Hauptgefässe  werden 
gleicht  doppelt  ligirt, 
"  und  zwar  sehr  verläss- 

^      5 z-     "r"  lieh  (vergl.  Fig.  57). 

Die  Arteria  thy- 

Fig.  57.   Isolirung  der  Art.  und  Vena  thyreoidea  reoidea    inferior    liegt 

superior.  auf  den   tiefen  Hals- 


Das  vordere  Halsdreieck. 


213 


muskeln.    Der  Kropf  muss  kräftig  auf  die  andere  Seite  gezogen,  die 
gleichseitigen  Muskeln  abgezogen  werden.    Dann  fühlt  man  sie  als 


-A.  carotis 


M.  sternocleido 


recurrens 


{Vena  thyreo- 
idea  inferior 


Fig.  58.     Ligatur  der  Arteria  thyreoidea  inferior. 

schrägen  oder  queren  pulsirenden  Strang  von  aussen  unter  der  Carotis 
hervorkommend  an  die  Ansatzstelle  der  Schilddrüse  an  die  Trachea 

herantretend.  Sie  ist  wegen  des 
Recurrens,  welcher  sie  kreuzt,  sorg- 
fältig zu  isoliren  und  zu  ligiren, 
und  zwar  bloss  einfach  (vergl. 
Fig.  58)  ^ 

An  den  unteren  Pol  der  Ge- 
schwulst tritt  und  zwar  meist  an 
die  mediale  Fläche  nur  ausnahms- 
weise bloss  eine  Arteria  thyr.  ima 
heran,  meist  sind  es  2  oder  3  grosse 
Venae  thyr.  imae ,  welche  haupt- 
sächlich an  Innen-  und  Vorderfläche 
des  Unterhorns  treten.  Sie  werden 
unter  Zurückschieben  der  Kropf- 
kapsel isolirt  mit  Finger  oder  Kropf- 
sonde und  doppelt  ligirt  und  durch- 
schnitten (vergl.  Fig.  59). 
Es  bleibt  noch  die  Isolirung  und  Trennung  des  Isthmus  und  unter 
Umständen   eines  Processus   pjrramidalis.     Letzterer   ist  meist  leicht 

1)  Was  für  das  Verfahren  spricht,  stets  so  rasch  wie  möglich  auf  die 
Ligatur  der  arteriellen  Gefässe  einzugehen  bei  der  Strumectomie,  ist  die  von 
Doyen-  betonte  und  von  Gubaroff  ausgedehnt  bestätigte  Thatsache,  dass  die 
venöse  Blutung  auf  das  geringste  Maass  beschränkt  wird  nicht,  wenn  man  alle 
Venen  ligirt,  weil  dadurch  in  anderen  Venen  Stauung  herbeigeführt  wird,  sondern 
wenn  man  sie  durchschneidet  und  die  arterielle  Zufuhr  durch  Verschluss  der 
Arterien  beschränkt  oder  aufhebt. 


Fig. 


59.     Isolirung  der  Venae 
thyreoideae  imae. 


214 


Specielle  Operationslehre. 


zu  isoliren,  ist  aber  von  einem  Ast  der  Art.  und  Vena  thyr.  superior 
versorgt.  Bei  Isolirung  des  Isthmus  ist  es  in  der  Regel  gut,  die  Ver- 
bindungsäste   der    beiderseitigen    Venen    am    oberen    und    unteren 


Fig.  60 a,  b.     a)  Kropfquetschzange,     b)  Anlegung   der  Kropfquetschzange  vor 

der  Ligatur  des  Isthmus. 

Rande  (welche  wir  wegen  ihrer  Constanz  und  Stärke  als  Vena 
communicans  superior  und  inferior  bezeichnet  haben)  und  gelegent- 
lich   auch    auf    der    Vorderfläche    isolirt    zu    fassen    und    zu    durch- 


Das  vordere  Halsdreieck. 


2I5 


schneiden.     Dann   kann   man    ohne   nennenswerthe  Blutung  mit  der 
Kropfsonde  zwischen  Trachea  und  Isthmus  durchgehen. 

Nun  wird  die  Kropfquetschzange  angelegt  nach  Fig.  60  b  und 
der  oft  gewaltig  dicke  Isthmus  so  •zusammengepresst ,  dass  nach 
Abnahme    der  Zange   bloss    noch    die  Gefässe   und  bindegewebigen 


V.  mediana 

M.  sterno-hyoideus 

V.  jugularis  \ 
obliqua       J 


Venae 
thyreoideae  > 
imae       J 


Fig.  61.    Excisio  strumae  mit  Winkelschnitt  bei  schwierigen  Fällen  linksseitigen 

Kropfes. 

Antheile    in    Verbindung   bleiben    und    mit   einer    kräftigen    Ligatur 
umschnürt  werden  können. 

Die  kranke  Schilddrüsenhälfte  hängt  nur  noch  mit  dem  medialen 
Rande  an  der  Trachea  und  dem  Ringknorpel.  Es  ist  wünschens- 
werth,  dass  man  diesen  Theil,  wenn  er  gesund  ist,  erhalte,  indem 
man    eine  dünne  Schicht  Drüsengewebe  zum  Schutze  des  Recurrens 


2l6 


Specielle  Operationslehre. 


zurücklässt  ibeim  Abschneiden.  Man  kann  dabei  nicht  zu  sorgfältig 
sein,  um  nicht,  im  letzten  Moment  noch  den  Recurrens  zu  schädigen 
und  thut  gut,  auch  kleine  blutende  Gefässe  gleich  zu  fassen. 

Die  Wunde  wird  gründlich  mit  warmer  steriler  Kochsalzlösung 
ausgespült,  die  Umgebung  sowie  die  Hände  gereinigt  und  angesichts 
der   oft   sehr   zahlreich   anzulegenden   Suturen    saubere   Handschuhe 


*&*" 


Fig.  62.  Der  Winkelschnitt  bei  sehr  hoch-  und  zugleich  tiefreichendem  links- 
seitigem Kropf.  Larynx  stark  verschoben,  dabei  die  medialen  Ränder  der  M. 
sterno-hyoidei  schräg.  Dazwischen  Kropfgewebe  mit  Venae  thyreoideae  imae 
von  unten.  Eine  Vena  mediana  colli  geht  senkrecht  über  die  Muskeln,  die 
Vena  obliqua  längs  dem  Vorderrand  des  Sternocleido  ist  nicht  sichtbar.  Unter 
dem  letzteren  Muskel  der  Omohyoideus  heraufkommend. 

angezogen.  Mussten  die  Muskeln  oben  ganz  gelöst  werden,  so  werden 
sie  an  richtiger  Stelle  wieder  angeheftet.  Fortlaufende  Naht  mit  Ein- 
schiebung  einer  dünnen  kurzen  Glasdrainröhre,  die  nach  24  Stunden, 
wenn  kein  flüssiges  Blut  mehr  in  derselben  sich  vorfindet,  entfernt  wird. 
Der  früher  von  uns  empfohlene  Winkelschnitt,  den  wir 
durch  die  beistehenden  2  Figuren  61  und  62  illustriren,  hat  noch 
jetzt  seine  Berechtigung  für  diejenigen  Kröpfe,  welche  sehr  hoch  bis 


Das  vordere  Halsdreieck. 


217 


zum  Kiefermuskel  hinaufreichen  und  sehr  fest  sitzen,  wie  manche 
diffusolloide  Strumen  erheblicher  Grösse,  entzündete  und  maligne 
Strumen. 

Der  Winkelschnitt  beginnt  in  der  Höhe  des  Schildknorpels  auf 
dem  Wulste  des  Sternocleido-Muskels  und  geht  quer  in  der  Richtung 
der  Hautfalte  bis  zur  Medianlinie,  um  in  dieser  bis  zum  Jugulum 
abwärts  zu  verlaufen.  Bei  tief  gelegenen  Strumen  wird  er  bis  aufs 
Manubrium   sterni   verlängert.     Im    queren  Theil  wird  Haut  und  das 


j^^ Vena  thyreoidea  suprema 

Vasa  thyreoidea  superiora 

—  M.  sternocleido 

—  M.  sterno-hyoldeus 
A.  thyreoidea  inferior 

Venae  thyreoideae  imae 


Struma  luxirt  und 

über   die  Trachea 

herübergewälzt. 

Fig.  63.  Excisio  strumae  mit  Winkelschnitt  bei  linksseitigem  Kropf.  Luxation 
des  Kropfes  nach  der  gesunden  Seite  herüber  |und  Ligatur  der  Hauptgefässe 
(Venae  thyreoideae  imae,   Art.  thyr.  inferior,  IVena  thyr.   suprema   und  A.  und 

V.  thyr.  superior). 

deutliche  Platysma  getrennt  (Fig.  63)  [und  bei  Spaltung  der  Fascie 
nach  der  Medianlinie  zu  die  starke  Vena  mediana  colli  doppelt  unter- 
bunden, ebenso  am  Vorderrande  des  Sternocleido  die  Vena  obliqua. 
Die  über  die  Aussenfläche  des  M.  sternocleido  herabgehende  V.  jugu- 
laris  externa  wird  geschont. 

Nach  gehöriger  Spaltung  der  oberflächlichen  Fascie  liegt  im 
lateralen  Theile  des  Horizontalschnittes  das  Muskelfleisch  des  Sterno- 
cleido frei.  Sein  Vorderrand  wird  gehörig  frei  gemacht,  damit  der 
Muskel  lateralwärts  mit  stumpfem  Haken  abgezogen  werden  kann. 
Im  medialen  Theile  des  Horizontalschnittes  wird  ebenso  das  Muskel- 


218  Specielle  Operationslehre. 

fleisch   der  M.  sterno-hyoidei  und  -thyreoidei  klargelegt  und  die  die- 
selbe bedeckende  oberflächliche  Fascie  aufwärts  gezogen. 

Im  Uebrigen  bleibt  sich  die  Operation  gleich,  wie  wir  sie  für 
den  Kragenschnitt  geschildert  haben. 

80)  Die  Enucleation  des  Kropfes. 

Die  von  PORTA  empfohlene  und  von  Professor  SOCIN  zu  all- 
gemeiner Geltung  gebrachte  Enucleation  hat  ihre  specielle  In- 
dication  in  denjenigen  Fällen,  wo  zahlreiche  grössere  und  kleinere 
gut  isolirte  Kolloidknoten  gleichmässig  in  beiden  Schilddrüsen- 
hälften vertheilt  sitzen.  Die  einseitige  Excision  ist  in  diesem  Falle 
ungenügend,  falls  kein  vorwiegender  Druck  von  einer  Seite  auf  die 
Trachea  stattfindet.  Da  ist  die  Enucleation  angezeigt,  obschon  man 
durch  dieselbe  niemals  alle  Knoten  entfernen  kann,  sondern  sich  an 
solche  von  einer  grösseren  Entwicklung  halten  muss.  Sie  ist  also 
keine  Radicaloperation,  hat  aber  gegenüber  dieser  einige  Nachtheile 
nicht.  Sie  schont  die  gesunden  Drüsentheile,  setzt  keiner  Verletzung 
des  N.  recurrens  aus,  ist  in  der  Technik  einfach. 

Gerade  diese  Einfachheit  der  Technik  verleitet  Ungeübte  viel- 
fach, die  Enucleation  vorzuziehen.  Sie  bringt  aber  viel  bedeutendere 
Blutungen,  als  die  Excision,  da  die  Blutung  aus  der  zurück- 
bleibenden Drüsenkapsel  aus  massenhaften  kleinen  Gefässen  in  der 
Art  der  parenchymatösen  Blutung  erfolgt.  In  dieser  Beziehung  so- 
wohl als  hinsichtlich  der  radicalen  Heilung  ist  es  also  eine  schlechte 
Methode.  Wir  haben  mit  Bruner  nur  bei  Enucleation  eine  erheb- 
lichere Anzahl  von  Recidiven  gesehen. 

Man  hat  sich  nun  geholfen  in  der  Weise,  dass  man  zur  Ver- 
meidung der  Blutung  erst  wie  bei  Excision  die  Hauptgefässe  unter- 
band. Das  ist  nun  ganz  unverständlich,  was  man  dann  mit  der 
Enucleation  will,  denn  dann  geht  der  zurückgebliebene  Drüsenrest 
doch  zu  Grunde.  Ferner  hat  man  die  Blutung  zu  beschränken  ge- 
sucht durch  provisorische  Abklemmung  der  grösseren  zuführenden 
Gefässe,  indem  man  sich  oben  und  unten  einen  „Stiel"  bildet  und 
eine  Arterienzange  anlegt.  Allein  diese  Stielung  ist  ein  relativ 
rohes  Verfahren,  wie  die  Enucleation  überhaupt.  Sie  ist  noch  relativ 
leicht  am  oberen  Pol.  Will  man  aber  auch  im  Bereich  der  Art. 
thyr.  inferior  „stielen",  dann  hat  man  absolut  keine  Sicherheit,  nicht 
den  Recurrens  zu  quetschen  und  zu  lähmen.  Ausserdem  bleibt  auch 
hier  der  Vorwurf  der  Recidivgefahr  bestehen. 

Man  soll  deshalb  die  Enucleation  durchaus  auf  ganz  bestimmte 
Indicationen  beschränken.  Sie  ist  auszuführen  1)  wenn  die  andere 
Schilddrüsenhälfte  atrophirt  oder  schon  durch  eine  frühere  Operation 
entfernt  ist;  2)  wenn  es  sich  um  einen  oder  2  kleine  vereinzelte 
Knoten  handelt  in  sonst  normalem  Schilddrüsengewebe;  3)  wenn  ein 


Das  vordere  Halsdreieck. 


219 


einziger  grosser  Knoten  vorhanden  ist,  welcher  das  umgebende  Ge- 
webe in  grosser  Ausdehnung  zu  Druckatrophie  gebracht  hat,  so  dass 
nur  an  beschränkter  Stelle  noch  gefässreiches  Drüsenge  webe  anliegt, 
zumal  hinten.  In  der  Weise  findet  man  grosse  Cysten  und  ältere 
Kolloidknoten  eingebettet.  Die  Enucleation  drängt  sich  hier  fast  von 
selbst  auf,  wenn  man  das  dünne  Drüsengewebe  (Drüsenkapsel)  für 
die  adventitielle  Kapsel  hält  und  spaltet  und  sich  dann  überzeugt, 
dass  der  Knoten  sich  leicht  lösen  lässt.  Nach  weniger  atrophischen 
Drüsentheilen  zu  bedarf  es  immerhin  oft  noch  guter  Ligatur.  4)  End- 
lich, wenn  der  Kropf  mit  der  äusseren  Kropfkapsel  in  Folge  acuter 
oder  chronischer  (z.  B.  nach  wiederholten  Blutungen)  Entzündungen 
stark  verwachsen  ist. 

Die  Methode  reiner  Enucleation  ist  in  diesen  Fällen 
folgende : 

Man  legt  die  Oberfläche  des  Kropfes  in  der  oben  geschilderten 
Weise  gehörig  und  ausgiebig  frei  und  zieht  die  Muskeln  auf  die 
Seite.  Auf  der  Höhe  der  Geschwulst,  wo  die  (innere)  Drüsenkapsel 
am  dünnsten  ist,  spaltet  man  das  Drüsengewebe,  bis  man  auf  den 
Knoten  kommt,  indem  man  die  Ränder  und  jedes  blutende  Gefäss 
mit  verlässlicher  Arterienzange  fasst.  Nun  geht  man  stumpf  zwischen 
normalen  Gewebe  (Drüsenkapsel)  und  Knoten  vor  und  hebt  den  Knoten 
heraus.  Es  ist  oft  zweckmässig,  derselben  durch  Exenteration  zu  ver- 
kleinern, resp.  eine  Cyste  zu  entleeren. 

Je  weiter  man  mit  stumpfer  Lösung  nach  hinten  kommt,  desto 
stärker  werden  gewöhnlich  die  Blutungen  und  es  müssen  meist  zahl- 
reiche Arterienzangen  angelegt  werden.  Sobald  man  sich  bei  Be- 
ginn stumpfer  Lösung  überzeugt,  dass  sich  der  Knoten  schwer  aus- 
lösen lässt,  ist  es  viel  besser,  von  dem  Verfahren  abzustehen  und 
zur  reinen  Excision  oder  der  gleich  zu  schildernden  Enucleations- 
Resection  überzugehen.  Einzelne  Cysten  und  Knoten,  z.  B.  solche 
mit  frischen  entzündlichen  Veränderungen  lösen  sich  sehr  leicht 
heraus,  so  dass  eine  Operation  sich  rasch  vollenden  lässt. 

Zur  definitiven  Blutstillung  ist  es  oft  möglich,  die  grosse  Anzahl 
Gefässklammern  mit  ein  paar  Massenligaturen  zusammenzufassen 
oder  auch  in  toto  zu  unterbinden,  aber  nicht  immer.  In  einzelnen 
Fällen  kann  man  durch  eine  feste  Naht  die  Blutung  stillen.  Doch 
sind  es  die  Enucleationsfälle,  welche  uns  unvergleichlich  mehr  Nach- 
blutungen und  daher  mehr  Störungen  des  Wundverlaufes  durch 
Hämatombildung  gegeben  haben,  als  die  Excision. 

81)  Die  Resection  des  Kropfes. 

Mikulicz  hat  vorgeschlagen,  die  Resection  der  kranken  Schild- 
drüsentheile  zu  machen.  Wir  können  auch  dieser  Operation  bloss 
ausnahmsweise    Indication    zuerkennen.      Auch    hier    ist    die    Blut- 


220  Specielle  Operationslehre. 

Stillung  im  allgemeinen  schwieriger  als  bei  der  Excision  und  der 
Wundverlauf  nicht  so  günstig ,  weil  dickere  Resectionsstümpf e 
zurückbleiben,  welche  Gewebsnekrosen  veranlassen.  Dadurch  tritt 
leicht  eine  Verzögerung  der  Wundheilung  ein  und  stossen  sich  ge- 
legentlich Ligaturfaden  ab. 

Freilich  ist  jetzt  die  Resection  durch  die  Benutzung  der  sogen. 
Angiotriptoren,  die  wir  besser  als  Gewebsquetschzangen  (Histo- 
triptoren)  bezeichnen,  (vergl.  Fig.  60 a)  wesentlich  erleichtert.  Man 
kann  durch  die  von  uns  angegebene  Zange  sehr  dicke  Drüsenmassen 
so  zusammenpressen  und  verkleinern,  dass  man  mit  einer  einfachen 
oder  mehrfachen  Ligatur  der  gepressten  Gewebe  auskommt.  Man 
legt  die  Zange  mit  aller  Kraft  an,  nimmt  sie  aber  zuerst  wieder  ab 
und  legt  erst  dann,  aber  sofort  den  Faden  um. 

Dies  geht  nicht  in  allen  Fällen  gut;  das  Kropf gewebe  ist  öfter 
brüchig,  die  Zange  schneidet  ein  und  es  treten  lebhafte  und  schwer 
zu  stillende  Blutungen  ein.  Es  soll  deshalb  die  Resection  durchaus 
beschränkt  werden  und  zwar  auf  folgende  Fälle:  1)  Auf  stark  vor- 
ragende kleinere  Knoten,  welche  man  von  der  übrigen  Substanz 
leicht  einigermaassen  abheben  und  isoliren  kann.  Diese  können 
nach  Emporheben  gespalten,  hinter  denselben  die  Presszange  an- 
gelegt und  dann  die  Ligatur  (oder  auch  eine  Sutur)  und  die  Ab- 
tragung gemacht  werden.  2)  Auf  Fälle  ganz  diffuser  kolloider 
Entartung,  wo  keine  grösseren  Knoten  vorhanden  sind,  wo  die  derben 
Massen  von  beiden  Seiten  stark  auf  die  Trachea  drücken  und  schwer 
herauszuheben  sind.  Man  wird  freilich  auch  bei  diesen  Strumen  mit 
einer  einseitigen  sauberen  Excision  besser  fahren,  aber  es  kommt  vor, 
dass  auf  der  entgegengesetzten  Seite  die  derbe  Kolloidmasse  noch 
so  breit  und  fest  der  Trachea  anliegt,  dass  sie  die  Athmung  be- 
hindert. Dies  kommt  auch  vor,  wo  früher  eine  einseitige  Excision 
gemacht  ist  und  die  andere  Seite  ausnahmsweise  so  stark  weiter- 
wächst, dass  sie  trotz  einseitiger  völliger  Entlastung  Stenose  bewirkt. 

In  diesen  Fällen  darf  unter  Umständen  auf  einer  Seite  eine 
präliminare  Gefässligatur  gemacht  werden.  Wir  haben  eine  solche 
auch  als  Einleitung  der  späteren  Excision  bei  diffusen  Kolloid- 
entartungen allein  gemacht  (vergl.  unten). 

82)  Die  Enucleationsresection  und  -excision  des 
Kropfes. 

Diese  von  uns  eingeführte  Combination  der  oben  genannten 
Verfahren  hat  den  Zweck,  die  Gefahren  der  Enucleation  herab- 
zusetzen und  deren  Vortheile  sich  zu  Nutze  zu  machen.  Das  Wesen 
derselben  besteht  darin,  dass  man  die  Excision  auf  den  vorderen 
leicht  zugänglichen  Theil  des  Kropfknotens  beschränkt,  den  hinteren 


Das  vordere  Halsdreieck. 


221 


dagegen  enucleirt,  indem  man  die  gewöhnlich  dickste  hintere  Partie 
der  inneren  Kropf  kapsei  resecirt  und  zurücklässt. 

Ueber  die  Ausführung  dieser  Methode  giebt  Fig.  64  einiger- 
maassen  Aufschluss. 

Nachdem  in  stets  gleichbleibender  Weise  die  Oberfläche  der 
Geschwulst  subcapsulär  völlig  freigelegt  ist,  wird  von  Anfang  an 
der  Isthmus  dicht  am  Knoten  freigemacht,  gepresst,  ligirt  und  durch- 
schnitten. 


Vordere  Schild 
knorpel  kante 


Ringknorpel 

Stück  hintererl 
Kropfkapsel     J 

Ligatur  desl 
Isthmus    f 

Gesunde  Schild-! 
drüsenhälfte    f 


{Oberhorn  mit  Vasa 
thyreo!  dea  superiora 


(Schnittfläche  des 
\       Isthmus 

{Oberfläche  des  eigent- 
lichen Kropfknotens 
'Trennungslinie  der 
\  Kropfkapsel  an  der 
l  Rückfläche 

Unterhorn 


Trachea 


Vena  thyreoidea  ima 

Fig.  64.  Enucleations-Resection  eines  Knotens  der  linken  Schilddrüsenhälfte. 
Der  Kropf  ist  bereits  aus  dem  Hautschnitt  herausluxirt,  der  Isthmus  unterbunden 
und  durchschnitten,  die  Schnittfläche  des  letzteren  auseinandergezogen,  so  dass 
man  die  Oberfläche  des  Kolloidknotens  sieht.  Zwei  Aneurysmanadeln  zeigen 
die  Richtung  der  Trennung  der  Kropfkapsel  auf  der  Vorderfläche,  eine  punktirte 
Linie  auf  der  Rückfläche.    Letztere  sollte  viel  näher  der  Trachea  gezeichnet  sein. 


Auf  diese  Weise  erhält  man  nach  der  Seite  des  Knotens  zu 
eine  Oeffnung  in  die  (innere)  Drüsenkapsel,  wie  Fig.  64  zeigt.  Von 
hier  aus  wird  nun  bloss  in  einer  Linie  auf-  und  abwärts,  möglichst 
dem  medialen  Theil  des  grössten  Frontalumfanges  entsprechend  mit 
Finger  oder  Kropfsonde  eingegangen  (wir  geben  beiläufig  von 
dieser  vielgenannten  Kropfsonde  in  Fig.  65  eine  Abbildung)  und 
die  Drüsenkapsel  soweit  abgehoben,  dass  eine  Presszange  eingeführt 
werden  kann  und  das  gepresste  Gewebe  mittelst  einer  Aneurysma- 
nadel  umgangen  (s.  Fig.)  und  umschnürt  werden  kann. 


222 


Specielle  Operationslehre. 


Diese  lineare  Lösung  muss  unter  Umständen  auf-  und  ab-  und 
etwas  rückwärts  weiter  gegen  den  unteren  und  oberen  Pol  zu  wieder- 
holt werden.  Dann  kann  man  unter  Umfassen  der  Kropfmasse  und 
Umwälzung  nach  aussen  hin  die  Ablösung  des  Knotens  von  der 
hinteren  Drüsenkapsel  rasch  mit  kräftigem  Zuge  soweit  führen, 
dass  die  Geschwulst  an  letzterer  wie  an  einem  Thür- 
flügel  hängt,  welcher  den  von  der  Trachea  erheblich 
abgezogenen  Knoten  allein  noch  mit  derselben  breit 
verbindet. 

Jetzt  kann  ohne  Gefahr  für  den  Recurrens,  weil 
entfernt  von  der  Trachea  in  senkrechter  Richtung  die 
hintere  Kapsel  getrennt  werden  unter  sicherer  An- 
legung der  Arterienzange,  gelegentlich  einfach  unter 
einmaliger  Anlegung  der  Presszange  mit  nachträglicher 
Ligaturanlage.  Die  punktirte  Längslinie  in  der  Figur  64 
giebt  einen  Begriff  von  diesem  hinteren  Längsschnitt 
durch  die  abgehobene  und  zurückgelassene  Drüsen- 
kapsel, bloss  sollte  derselbe  viel  näher  der  Trachea 
und  wesentlich  senkrecht  gezeichnet  sein. 

Die  Methode  hat  den  Vortheil,  die  sonst  so  un- 
angenehmen Blutungen  bei  Enucleation  und  Resection 
in  hohem  Maasse  zu  beschränken  und  an  Stelle  völliger 
Excision  in  Fällen  von  Unsicherheit  über  die  Function 
der  Schilddrüse  der  anderen  Seite  ein  gut  genährtes 
Stück  Drüse  am  hinteren  Umfang  zurückzulassen  und 
die  Gefahr  der  Läsion  des  Recurrens  zu  beseitigen. 
Die  Hauptgefässe  dürfen  natürlich  central  nicht  unter- 
bunden werden. 

Aber  auch  diese  recht  empfehlenswerthe  Methode 
hat  eine  beschränktere  Anwendung  als  die  Excision. 
Sie  ist  bei  diffuser  Kolloidentartung  in  Form  kleinster 
folliculärer  Kolloidbildung  nicht  brauchbar,  vielmehr 
wesentlich  bloss  bei  grossen  kolloiden  oder  cystösen 
Fjg  ßc  Knoten    in   Form    einer    in    relativ    gesunder   Drüsen- 

Kropfsonde.      Substanz  eingebetteten  Kugel. 


83)  Die  Ausräumung  (Exenteration)  des  Kropfes. 

Diese  Operation,  meist  als  Evidement  bezeichnet,  besteht  in 
der  Spaltung  der  Kropfkapsel  und  Ausräumung  resp.  Ausdrücken 
des  kolloiden  Inhalts  aus  der  Hülle  des  Knotens  selber  unter 
Belassung  der  letzteren.  Es  ist  dies  die  einfachste  Methode  von 
allen. 

Sie  drängt  sich  in  den  Fällen  fast  von  selbst  auf,  wo  ein 
Kropfknoten     in     Folge     entzündlicher    Vorgänge     durch    Peri- 


Das  vordere  Halsdreieck. 


223 


strumitis  adhaesiva  mit  Kapsel  und  Umgebung  ver- 
wachsen, daher  nur  unter  starker  Verletzung  zu  excidiren  und 
wo  der  Inhalt  weich  ist. 

In  besonders  exquisiter  Weise  habe  ich  bei  durch  Blutung  zer- 
fallenen Kropfknoten  dieses  Verhältniss  gesehen.  Ein  Knoten  kann 
durch  Bluterguss  unter  Erscheinungen  leichter  Entzündung  rasch 
sich  vergrössern  und  die  Entfernung  desselben  indicirt  sein.  Die 
Excision  ist  aber  ungünstig  wegen  der  entzündlichen  Verwachsung 
mit  der  Nachbarschaft,  die  gar  leicht  stärkere  Blutung  und  Ver- 
letzung des  Recurrens  bedingen. 

Da  schneidet  man  unter  doppeltem  Fassen  der  in  der  Schnitt- 
linie laufenden  Gefässe  den  Knoten  mit  einem  Messerschnitt  einfach 
auf  und  durch,  fasst  mit  Arterienklammer  die  blutenden  Ränder 
verlässlich  wie  bei  Enucleation  und  schält  mit  grosser  Leichtigkeit 
mit  dem  Finger  von  der  Innenfläche  des  Balges  die  weichen  Kolloid- 
massen los,  nachdem  man  die  zerfallenen  Kolloidschollen  und  Coagula, 
welche  den  Hauptinhalt  bilden,  rasch  ausgeräumt  hatte. 

Blutende  Gefässe  werden  mit  krummen  Nadeln  umstochen  und 
unter  Faltung  des  Balges  ligirt.  Die  Blutung  ist  ganz  bedeutend 
geringer  als  bei  der  Enucleation  und  die  Operation  sehr  rasch  aus- 
führbar, fast  schmerzlos  (eine  meiner  Patientinnen  mit  grosser  rasch 
wachsender  Struma  colloides  haemorrhagica  war  ganz  erstaunt,  dass 
die  Operation  fertig  sei,  da  sie  —  bei  Cocainisirung  der  Haut  — 
absolut  nichts  von  Schmerz  gespürt  habe),  weil  die  Drüsenkapsel 
nicht  geschädigt  wird.  Noch  viel  leichter  ist  die  Operation,  wenn 
man  an  die  Basis  des  Knotens  (wenn  auch  erst  unmittelbar  nach  der 
Spaltung)  eine  Presszange  anlegen  und  eine  Massen -Ligatur  oder 
eine  Sutur  zur  Blutstillung  machen  kann. 

Die  Exenteration  ist  unter  Umständen  bei  weichen  malignen 
Geschwulstknoten ,  wenn  eine  saubere  Excision  wegen  starker 
Verwachsungen  nicht  mehr  möglich  ist,  sehr  werthvoll  behufs 
momentaner  Erleichterung.  Sie  hat  mir  in  einem  vor  Jahren  ver- 
öffentlichten Fall  sogar  eine  radicale  Heilung  ergeben  unter  An- 
wendung nachträglicher  Chlorzinktamponade.  Sie  kann  in  diesen 
Fällen  oft  sehr  vorth eilhaft  die  Tracheotomie  ersetzen,  welche  bei 
malignen  Strumen  ein  sehr  lästiger  Nothbehelf  ist. 

Aber  am  brauchbarsten  erweist  sie  sich  1)  wie  oben  gesagt,  bei 
grossen  Knoten  mit  stark  zerfallenem  und  erweichtem  Inhalt  und 
Verwachsung  der  Umgebung,  2)  bei  kleinen  multiplen  Knoten,  welche 
man  genügend  emporheben  kann,  um  sie  zu  spalten,  den  Inhalt  aus- 
zudrücken und  durch  Ligatur  oder  Naht  sofort  die  relativ  geringe 
Blutung  zu  stillen,  3)  ganz  vorzüglich  aber  wegen  der  Raschheit 
ihrer  Ausführung  bei  Erstickungsgefahr,  wo  während  der  Operation 
die  Trachea  raschestens   entlastet  werden   muss.     Dies   ist   nirgends 


2  24  Specielle  Operationslehre. 

in  so  dringlicher  Weise  der  Fall,  als  bei  Entwicklung  tief  gelegener 
Kropfknoten,  bei  Struma  intrathoracica.  Da  ist  die  Exenteration 
oft  die  conditio  sine  qua  non,  um  eine  Operation  vom  Halse  aus  zu 
Ende  führen  zu  können. 

Man  hat  mit  Unrecht  von  Seite  eines  italienischen  Autors  diese 
Operation  Porta  zugeschrieben.  Die  von  PORTA  angegebene 
Operationsmethode  fällt  mit  der  Enucleation  zusammen. 

84)  Operation  der  Struma  intrathoracica. 

Leider  wird  die  Diagnose  der  Struma  intrathoracica  noch  oft 
viel  zu  spät  oder  gar  nicht  gemacht  und  gehen  damit  behaftete 
Kranke  unter  dem  bekannten  überaus  traurigen  Bilde  der  Mediastinal- 
tumoren  zu  Grunde.  Eine  zu  weit  hinausgeschobene  Operation  einer 
tief  liegenden  Struma  kann  aber  dadurch  verhängnissvoll  werden, 
dass  plötzlich  Erstickung  eintritt,  dass  es  zu  Lungen-  und  Herz- 
erkrankung kommt,  dass  sich  unter  dem  Drucke  der  Geschwulst  die 
Vena  anonyma  und  ihre  Zuflüsse  (Vena  subclavia  und  jugularis 
communis)  stark  verengt  auf  mehr  als  die  Hälfte  des  Durchmessers 
und  dass  sich  oberhalb  Thromben  in  den  dilatirten  zuführenden  Venen 
bilden.  In  einem  meiner  Fälle  löste  sich  nach  bereits  vollkommener 
Primaheilung  der  Wunde,  als  der  Patient  grössere  Freiheit  der  Be- 
wegung erhielt,  der  Thrombus  in  der  V.  jug.  comm.  und  bedingte 
plötzlichen  Exitus  durch  doppelseitige  Embolie  der  Lungenarterie. 

Es  handelt  sich  also  darum ,  rechtzeitig  einzugreifen.  Dann 
zeigen  sich  selbst  Fälle  operabel,  welche  fast  unzugänglich  er- 
scheinen. So  habe  ich  vor  Kurzem  bei  hochgradigen  Stenose- 
erscheinungen, aber  sonst  noch  gutem  Allgemeinbefinden  einen 
Herrn  operirt,  welcher  laut  RöNTGEN-Bild  einen  gewaltigen,  jedem 
operativen  Versuche  scheinbar  unzugänglichen  Tumor  aufwies.  Nach- 
dem ich  mich  im  RöNTGEN-Bilde  von  der  Beweglichkeit  des  Tumors 
beim  Husten  überzeugt  hatte ,  wagte  ich  die  Operation  und  nach 
10  Tagen  war  der  Patient  geheilt  und  seine  Athemnoth  völlig  los 
geworden. 

Die  Operation  ist  schwierig  und  verlangt  Uebung  und  Er- 
fahrung. Der  Schnitt  muss  tief  angelegt  werden,  je  nach  Fall  Winkel- 
schnitt oder  Kragenschnitt  (ersterer  ist  als  Regel  zu  empfehlen). 
Vor  Allem  ist  der  obere  Umfang  der  Geschwulst  vollkommen  frei 
zu  machen,  die  oberen  Schilddrüsengefässe,  die  accessorischen  Venen 
und  die  Vena  communicans  superior  sorgfältig  zu  ligiren  und  wo 
angängig,  der  Isthmus  zu  trennen. 

So  tief  abwärts  als  sich  die  Sache  thun  lässt,  müssen  die  an  die 
Oberfläche  der  Geschwulst  herantretenden  Gefässe  (speciell  Venen) 
doppelt   unterbunden   und  durchschnitten  werden.     Wo  nöthig,    wird 


Das  vordere  Halsdreieck. 


2^5 


die  Stern alportion  des  Sternocleido  getrennt  und  die  vom  Sternum 
zum  Larynx  aufsteigenden  Muskeln  der  kranken  Seite  ebenfalls. 
Nun  kommt  der  kritische  Moment,  wo  man  mit  der  von  uns  con- 
struirten  Kropffasszange  (Fig.  66)  den  Tumor  anpacken  muss  und 
mit  Kraft  nach  oben  ziehen.  Auch  jetzt  ist  es  sehr  empfehlens- 
werth,  alle  auf  die  Kropfoberfläche  herantretenden  Gefässe,  sowie 
sie  sichtbar  werden,  zu  unterbinden  und  zu  durchschneiden,  bevor 
sie  zerreissen. 


Fig.  66.  Kropffasszange.  Dieselbe  hat  den 
Vortheil,  Dank  der  ringförmigen  Gestalt 
keine  Blutungen  zu  veranlassen  und  Dank 
den  Widerhaken  sehr  verlässlich  zu  fassen. 


Fig.    67.      Kropflöffel    zur   Ent- 
bindung  intrathoracischer 
Kröpfe. 


Nicht  immer  gelingt  es,  mit  einer  Zange  den  Kropf  aus  der 
Tiefe  herauszuziehen.  Gelegentlich  bedarf  man  eines  langen  stumpfen 
und  breiten  Elevatoriums  oder  eines  löffelartigen  Instrumentes,  welches 
unter  die  Geschwulst  geführt  wird,  um  den  Tumor  heraufzubringen 
(vergl.  Fig.  67  unseren  Kropf löf fei). 

In  den  schwierigsten  Fällen  endlich,  wie  in  den  oben  angeführten, 
ist  der  Tumor  absolut  zu  gross,  um  durch  die  Thoraxapertur  nach 
oben   befördert   zu   werden.     Bei   Cysten   ist   das  Vorgehen   einfach: 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  je 


22t  Specielle  Operationslehre. 

Man  eröffnet  dieselbe  und  zieht  den  Balg  kräftig  aufwärts.  Bei 
kolloiden  Strumen  dagegen  muss  man  sich  zu  der  Exenteration  ent- 
schliessen,  um  den  Tumor  zu  verkleinern.  Man  geht  tapfer  mit  dem 
Finger  in  die  Geschwulst  ein,  zerreisst  das  Kolloidgewebe  und  holt 
es  stückweise  aus  seiner  Hülle  heraus,  macht  also  eine  Art  Morcellement 
wie  bei  grossen  Uterusfibromen. 

Der  Unterschied  ist  freilich  der,  dass  beim  Kropf  erhebliche 
Blutung  eintritt  und  man  daher  so  rasch  wie  möglich  den  ver- 
kleinerten Tumor  an  die  Oberfläche  heraufziehen  muss,  um  die 
restirenden  Gefässe  zu  unterbinden.  Wenn  es  nicht  gelungen  ist, 
die  Art.  thyreoidea  inf.  vorher  zu  unterbinden,  so  muss  dies  jetzt  ge- 
schehen und  man  darf  deshalb  auch  nicht  den  Tumor  gar  zu  plötzlich 
entwickeln.  Reisst  dabei  die  Arterie  trotz  aller  Sorgfalt,  so  stillt 
ein  kräftiger  Fingerdruck  nach  aussen  und  unten  die  Blutung,  bis 
man  das  Gefäss  fassen  kann,  was  absolut  geschehen  sollte.  Die 
Tamponade  ist  vom  Uebel. 

Die  Nachbehandlung  kann  bei  richtiger  Asepsis  geleitet  werden, 
wie  beim  gewöhnlichen  Kropf  und  der  Patient  kann  in  8  Tagen 
ebensogut  völlig  geheilt  das  Bett  verlassen. 

85)  Operation  der  Struma  recidiva. 

Eine  besondere  Aufgabe  stellt  die  Operation  der  Struma 
recidiva.  Wenn  man  einseitig  nach  unserem  Normalverfahren 
excidirt,  so  ist  es  eine  Seltenheit,  dass  eine  so  starke  Entwicklung 
der  anderen  Kropfhälfte  stattfindet,  dass  dieselbe  Beschwerden  macht. 
Am  häufigsten  kommt  es  bei  diffus-folliculären  Kolloidstrumen  vor. 
Bei  Enucleation  ist  aus  leicht  ersichtlichen  Gründen  Recidiv  viel 
häufiger x).  Wenn  aber  einmal  eine  zu  Dyspnoe  führende  Erkrankung 
der  zurückgebliebenen  Schilddrüsenhälfte  auftritt,  so  kann  man  darauf 
gefasst  sein,  erheblicheren  Schwierigkeiten  bei  der  Operation  einer 
solchen  Struma  zu  begegnen.  Es  sind  einerseits  Strumen  von 
sehr  erheblicher  Grösse  und  andererseits  solche,  welche  tief  hinab- 
reichen, zumal  wenn  sie  der  Trachea  sehr  enge  anliegen,  welche 
trotz  der  freien  Entwicklungsmöglichkeit  der  Halseingeweide  nach 
der  früher  operirten  Seite  Beschwerden  hervorrufen.  Da  man  nun 
nicht  wieder  eine  einfache  Excision  machen  darf,  so  ist  es  bei 
diffus  kolloid  entarteten  Kröpfen  schwierig,  die  geeignete  Methode 
zu  finden. 

Wir  empfehlen  folgendes  Vorgehen :  Man  legt  die  Struma  soweit 
frei,  bis  man  sie  in  gewohnter  Weise  luxiren  kann.     Findet  sich  ein 


1)  Brunner  constatirt,   dass  von   18  Proc.  Recidiven  in   operirten  Schild- 
drüsenlappen die  Mehrzahl  auf  Enucleationen  kommen. 


Das  vordere  Halsdreieck.  227 

relativ  gesundes  Oberhorn,  so  werden  hier  die  Arterien  und  Venen 
nicht  unterbunden,  sondern  ein  Stück  Schilddrüse  im  Zusammenhang 
mit  diesen  Gefässen  erhalten  und  nach  Durchquetschung  mit  unserer 
Quetschzange  für  Kropf j  (s.  Fig.  60  a)  ligirt  und  danach  die  übrige 
Struma  in  üblicher  Weise  excidirt. 

Ist  das  Oberhorn  völlig  erkrankt  und  die  Luxation  des 
Kropfes  nicht  zu  machen  ohne  Ligatur  von  Art.  jund  Venae  thyr. 
sup.,  so  führt  man  letztere  aus,  ligirt  am  unteren  Pol  nach  Luxation 
des  Kropfes  die  grossen  Venae  thyr.  imae,  löst  soweit  ohne  Blutung 
ausführbar,  den  Kropf  von  der  Trachea  los  und  ('macht  diejenige 
Form  der  Resection,  welche  wir  früher  für  gewöhnliche  Kröpfe 
empfohlen  haben,  wenn  dieselben  sehr  fest  der  Trachea  anliegen, 
d.  h.  man  fasst,  ohne  die  Art.  thyr.  inf.  zu  ligiren,  die  sichtbaren 
aus  der  Tiefe  neben  der  Trachea  auf  die  Geschwulstoberfläche 
emporsteigenden  Gefässe  mit  Arterienzangen  und  schneidet  in 
senkrechter  Richtung  neben  dem  Isthmus  in  das  Kropfgewebe. 
So  gelingt  es,  eine  hintere  Kapsel  zu  schaffen;  von  dieser  hebt 
man  stumpf  unter  jeweiliger  Gefässligatur  das  Kolloidgewebe  so 
sauber  als  es  geht  ab,  indem  man  unter  demselben  lateralwärts 
durchgeht,  bis  man  eine  Platte  von  Kropfgewebe  aus  dem  hinteren 
Umfang  des  Kropfes  gebildet  hat,  die  genügend  erscheint  für 
die  Function ,  dann  wird  diese  durchgeschnitten  und  die  Gefässe 
gefasst. 

Die  Kropfexcision  für  Recidive  ist  auch  erschwert  in  Fällen, 
wo  früher  schon  operirt  worden  ist  wegen  der  bestehenden  Narben^ 
Diese  Narben,  welche  auf  der  Oberfläche  des  Kropfes  sitzen,  löthen 
Weichtheile  incl.  Muskeln  mit  der  Kapsel  fest  und  man  kommt 
nur  zur  Beweglichmachung  des  Kropfes,  wenn  man  sucht,  von 
der  lateralen  Seite  her  unter  die  Muskeln  zu  kommen  und 
diese  sammt  Weichtheilen  quer  zu  durchschneiden  und  die  ganze 
Narbenmasse  auf  dem  Kropf  sitzen  zu  lassen.  Dann  sucht  man 
■mit  dem  Finger  unter  die  von  oben  aussen  an  den  Kropf  heran- 
tretenden Gefässe  zu  kommen,  um  sie  zu  umgehen  und  die  acces- 
sorischen  Venen,  sowie  die  Vasa  thyr.  sup.  zu  durchschneiden.  Dann 
kann  man  den  oberen  Pol  herabschlagen  und  so  an  die  Rückfläche 
gelangen,  die  relativ  leicht  zu  lösen  ist.  Durch  Herausziehen  des 
Oberhorns  kann  man  sich  die  Thyr.  inf.  zugänglich  jmachen  -und 
namentlich  bei  allen  nach  unten  durch  Verwachsung  oder  Tiefer- 
treten schwierigen  Strumen  die  Lösung  durch  Heraufziehen  des 
Kropfes  und  Spannung  der  Verbindungen  erleichtern,  indem  man 
von  aussen  an  dieselben  herantritt.  Man  muss  also,  kurz  gesagt,  mit 
Versuchen  der  Lösung  von  Narbenverwachsungen  auf  der  Vorder- 
fläche keine  Zeit  verlieren. 

15* 


228  Specille  Operationsmethode. 

86)  Die  Ligatur  der  Schilddrüsenarterien. 

Ueber  die  Art  der  Ausführung  dieser  Operation  haben  wir  uns 
bereits  geäussert.  Will  man  mehrere  der  Arterien  gleichzeitig-  ligiren 
und  ist  man  nicht  sicher  welche,  oder  kann  man  erst  während  der 
Operation  entscheiden,  ob  man  ligiren  oder  excidiren  wird,  so  macht 
man  Schnitt  und  Freilegung  der  Schilddrüse  ganz  wie  bei  der  Kropf- 
excision.  Die  Ligatur  der  oberen  Schilddrüsenarterien  ist  in  der 
Reg'el  leicht,  die  der  unteren  schwierig.  Es  giebt  Fälle,  wo  es  sich 
bei  der  Operation  herausstellt,  dass  es  leichter  ist,  die  Excision  der 
einen  Schilddrüsenhälfte  auszuführen,  als  die  beiden  Arterien  central 
zu  unterbinden. 

Den  Hauptwerth  hat  diese  ursprünglich  von  WÖLFLER  bei  ge- 
wöhnlichem Kropf  vorgeschlagene  Operation  bei  folgenden  Schild- 
drüsenerkrankungen: i)  Bei  BASEDOW'scher  Erkrankung.  Bei  dieser 
ist  freilich  die  Combination  Excision  mit  Ligatur  von  noch  sicherer 
zur  Erzielung  einer  Heilung  (vergl.  ALBERT  Kocher's  Beiträge  zur 
Kenntniss  der  BASEDOW'schen  Krankheit),  aber  die  Excision  ist  oft 
zu  eingreifend  und  man  ist  sehr  froh,  es  bei  der  Ligatur  der  3  haupt- 
sächlich dilatirten  Schilddrüsenarterien  bewenden  zu  lassen.  2)  Bei 
gewaltigen  und  gefässreichen  Kolloidstrumen,  namentlich  solchen 
diffuser  Art,  wo  die  Excision  einen  zu  gewaltigen  Eingriff  darstellt, 
einestheils  wegen  der  Blutung,  andererseits  wegen  des  plötzlichen 
Ausfalles  einer  wenn  auch  erkrankten,  doch  noch  die  ungenügende 
Function  unterstützenden  Schilddrüsenmasse. 

Diese  Bedeutung  der  Arterienligatur  als  Präliminar- Operation 
für  spätere  Excision  schlage  ich  am  höchsten  an.  Sie  bewirkt  eine 
Abschwellung,  Rückbildung  der  Gefässe,  Besserung  der  Beschwerden 
und  damit  oft  des  Allgemeinzustandes,  welcher  später  eine  Operation 
mit  Sicherheit  auszuführen  erlaubt,  welche  anfänglich  den  grössten 
Gefahren  ausgesetzt  hätte. 

87)  Excision  entzündeter  und  maligner  Kropfge- 
schwülste. 

Bei  Entzündungen  und  malignen  Geschwülsten  müssen, 
wie  bei  den  unter  No.  79  erwähnten  Narbenverwachsungen  auch  die 
bedeckenden  Muskeln  an  der  Vorderfläche  und  die  äussere  Kropf- 
kapsel mitentfernt  werden.  Dadurch  wird  die  Operation  schwieriger 
und  gefährlicher,  weil  man  vor  der  Luxation  in  diesen  Fällen  den 
Kropf  rings  umschneiden  muss  und  weil  öfter  grosse  Venen,  wie  die 
V.  jugularis  communis  mit  der  Kapsel  verlöthet  sind  und  durch- 
trennt werden  müssen.  Auch  die  Arterien  liegen  der  infiltrirten 
Oberfläche  sehr  enge  an  und  sind  schwer  zu  fassen.  Deshalb  muss 
man  öfters  bei  Entzündung  auf  die  Excision  verzichten,  welche  sonst 
die  rascheste  Heilung  ergiebt. 


Das  vordere  Halsdreieck. 


229 


Bei  malignen  Tumoren  müssen  Stücke  von  Trachea  und  Larynx 
mitentfernt  werden;  ist  auch  der  Oesophagus  verwachsen,  so  muss 
man  vorerst  die  äussere  Muscularis  desselben  trennen;  denn  man 
überzeugt  sich  öfter,  dass  wenigstens  die  Mucosa  als  zusammen- 
hängender Schlauch  erhalten  werden  kann,  was  ein  bedeutender 
Vortheil  für  den  Wundverlauf  ist.  Die  Erfolge  bei  Exstirpation 
maligner  Tumoren  werden  erst  erfreulicher  werden,  wenn  Früh- 
operation möglich  wird,  d.  h.  wenn  man  jeden  Kropf,  der  ein 
rascheres  Wachsthum  zeigt,  sofort  der  Operation  zuweist,  statt  mit 
medicamentöser  Behandlung  die  Bildung  von  Verwachsungen  und 
malignen  Thrombosen  zu  befördern. 

Bei  allen  Kropfexcisionen  wegen  hochgradiger  Athemnoth  sollte 
unbedingt  die  Narkose  vermieden  werden  wegen  Erstickungsgefahr 
und  nachträglichen  Aspirationspneumonien.  Wegen  der  letzteren, 
welche  auf  der  Aspiration  des  oft  reichlichen  Tracheal-  und  Bronchial- 
secrets  beruhen,  ist  zumal  Aether  als  Narcoticum  contraindicirt  für 
alle  diejenigen,  welche  sich  der  Masken  ohne  Lufterneuerung  be- 
dienen. Erlaubt  sind  bloss  ganz  bestimmt  dosirte  Aetherluftgemische, 
z.  B.  mit  Braun's  Apparat. 

Wir  haben  in  den  letzten  Jahren  die  Kropf  Operationen  mit 
wenigen  Ausnahmen  wie  Roux  bloss  mit  Cocainanästhesie  (i-proc. 
einmal  eingespritzt)  ausgeführt  und  können  constatiren,  dass  nicht 
bloss  die  unmittelbaren  Gefahren  der  Erstickung  damit  vermieden 
werden,  sondern  auch  die  spätere  Pneumonie,  Bronchitiden,  venösen 
Nachblutungen  und  Störungen  des  Wundverlaufes  durch  das  Er- 
brechen. 

88)  Arteria  anonyma  (Fig.  68). 

Diese  Arterie  ist  die  dem  Herzen  nächstgelegene,  deren  Unter- 
bindung zulässig  ist;  immerhin  ist  dieselbe  wegen  Nachblutungen 
bedenklich.  Als  Regel  ist  daher  die  gleichzeitige  Ligatur  der  haupt- 
sächlichen Aeste  vorzunehmen,  welche  das  Blut  rückwärts  führen. 
Dies  sind  die  A.  carotis  communis  und  die  Arteria  vertebralis.  Die 
Pulsation  der  Arterie  ist  im  Jugulum  fühlbar. 

Zur  Ligatur  derselben  macht  man  einen  Schrägschnitt  nach  Gräfe 
(WlNIWARTER)  am  vorderen  Rande  des  rechtsseitigen  M.  sterno- 
cleido  von  dessen  mittlerem  Drittel  bis  auf  die  Vorderfläche  des  Manu- 
brium  sterni.  Man  spaltet  Haut  und  Fascie  und  trennt  den  Ansatz 
der  Sternalportion  des  M.  sternocleido  vom  Sternum  ab.  Zu  schonen 
sind  zwei  Venen:  die  quere  Verbindungsvene  der  beiden  Venae 
medianae  colli  auf  der  Incisura  sterni  und  eine  quere  Vene  hinter 
dem  Muskelansatz.  Der  laterale  Rand  des  an  der  Rückfläche  des 
Manubrium  sterni   sich   ansetzenden  M.  sterno-hyoideus  und  -thyreo- 


N.  hypoglossus 
A.  (maxillaris   externa 
Carotis  externa 


Cornu  majus 
(Vena  jugularis  externa 
II.  sternocleido 
■  M.  sternocleido  mastoideus 

Glandula  thyreoidea 
\  N.  vägus  mit  Recurrens 
V.  jugul.  communis 


f.stertw  thyreoiäeus 
-M.  sterno  kyvCdeiis 
—V.  transversa,  jug , 


j    V.  ajäHo3*is 
!    N.ihoracicLazii. 
;l   A..  suhetaz/ia. 
■■Jxt.pechffVLlzs  minor 

ddtoideus 


M.intercostalis 


Swid  de&  .Sfernum 
vectoTxüi«  Tmyor 


JS 


Fig.  68.  I.  Ligatur  der  Arteria  lingualis  über  dem  Zungenbein.  2.  Ligatur  der 
Carotis  communis  in  der  Höhe  des  Ringknorpels.  3.  Ligatur  der  Arteria  anonyma. 
4.  Ligatur  der  A.  subclavia  unter  dem  Schlüsselbein.    5.  Ligatur  der  A.  mammaria 

interna. 


Das  untere  seitliche  Halsdreieck. 


231 


ideus  wird  medianwärts  gezogen  sammt  Aesten  des  Nervus  de- 
scendens  hypoglossi,  endlich  wird  die  tiefe  Fascie  durchtrennt.  So 
kommt  man  hinter  der  Articulatio  sterno-clavicularis  zur  Arteria 
carotis  communis.  Die  rechtsseitige  Vena  thyreoidea  ima  ist  zu  ligiren 
und  zu  durchschneiden.  Zwischen  dem  Muse,  sternocleido  und  den 
letztgenannten  Muskeln  geht  man  der  Carotis  entlang  abwärts  bis 
zur  Vereinigungsstelle  mit  der  tiefer  gelegenen  Subclavia,  unter 
welcher  der  Stamm  der  Anonyma  ligirt  wird  unter  Schonung  der 
Pleura  nach  hinten  aussen.  Die  Vena  anonyma  sinistra  liegt,  von 
links  kommend,  vor  der  Arterie.  Der  vor  der  A.  subclavia  herab- 
steigende Nervus  vagus  und  die  Schlinge  des  Laryngeus  recurrens 
um  die  Subclavia  herum  bleiben  lateralerseits  liegen,  ebenso  der 
N.  phrenicus. 


J.  Das  untere  seitliehe  Halsdreieek. 

Das  Trigonum  supraclaviculare  wird  durch  das  Schlüsselbein,  den 
M.  sternocleido  und  den  M.  cucullaris  begrenzt.  Die  Chirurgie  dieses 
Bezirks  ist  eine  .  einfachere  als  diejenige  des  oberen  seitlichen 
Halsdreiecks.  Hier  verlaufen  die  grossen  Gefässe  und  Nerven  zum 
Arme,  und  hier  liegt  das  Verästelungsgebiet  der  Arteria  und  Vena 
subclavia.  Den  Hintergrund  des  Trigonums  bilden  die  I.  Rippe  und 
der  I.  Intercostalraum  sammt  den  seitlichen  Halsmuskeln,  vorzüglich 
die  Scaleni. 

Der  Normalschnitt  für  diese  Region,  welcher  der  Hautspalt- 
barkeit  entspricht,  liegt  nahezu  quer,  immerhin  vom  Ansatz  der 
M.  sternocleido  an  der  Clavicula  zum  Cucullarisrand  schräg  an- 
steigend. Derselbe  wird  für  die  Ligatur  der  Arteria  subclavia  be- 
nutzt und  ist  deshalb  bei  dieser  beschrieben. 

Quervain  hat,  wie  oben  bereits  erwähnt,  für  die  gründ- 
liche Freilegung  der  Tiefengebilde  im  Trigonum  colli  inferius  und 
zugleich  der  Theile  unter  dem  Muse,  sternocleido  einen  musculo- 
plastischen  Winkel-Lappenschnitt  angegeben,  welcher  durch  die  bei- 
läufig seiner  Abhandlung  entnommenen  Fig.  69  genügend  charak- 
terisirt  wird. 

89)  Arteria  subclavia  (Fig.  70). 

Hinter  dem  Manubrium  sterni  ihren  Ursprung  nehmend,  ver- 
läuft die  Arteria  subclavia  über  die  Pleura  der  Lungenspitze  und 
über  die  I.  Rippe  zwischen  dem  M.  scalenus  anticus  und  medius; 
dann  tritt  sie  unter  der  Mitte  der  Clavicula  zwischen  M.  subclavius 
und   M.   serratus   anticus   major    auf   die   Aussenf  lache    des   Thorax. 


232 


Specielle  Operationslehre. 


Sie  lässt  sich   am  Aussenrande  des  M.  scalenus  anticus  sicher  com- 
primiren. 

Zur  Unterbindung  macht  man  einen  Querschnitt  fingerbreit  über 
der  Clavicula  auf  der  Cleidalportion  des  M.  sternocleido  beginnend, 
bis  auf  den  vorderen  Rand  des  M.  cucullaris,  etwas  lateralwärts  an- 


4 


Fig.  69.    Musculoplastischer  Winkelschnitt  für  das  untere  Halsdreieck 

von  Quervain. 


steigend.  Hat  man  die  Haut  gespalten,  so  trifft  man  auf  das  Platysma. 
Nach  Spaltung  der  Fascie  sieht  man  die  sensiblen  Nervi  supraclavi- 
culares  aus  dem  oberen  Halsplexus,  welche  den  oberen  Theil  der 
Brust  bis  zur  2.  Rippe  und  die  Schulter  versorgen.  Dieselben  werden 
quer  durchschnitten.  Am  lateralen  Rande  des  M.  sternocleidomastoideus 
ist  die  Vena  jugularis  externa  zu  schonen,  welche  über  den  hinteren 
Rand   des  Muskels   nach  der  Vena  jugularis   communis  hinabbiegt. 


Das  untere  seitliche  Halsdreieck. 


233 


Die  Verletzung  dieser  Vene  ist  gefährlich,  weil  sie  da.  wo  sie  durch 
die  Fascie  durchtritt,  von  derselben  gespannt  erhalten  wird;  deshalb 
kann  Aspiration  von  Luft  eintreten.  Sie  ist  vor  der  Durchtrennung 
doppelt  zu  unterbinden,  falls  man  sie  nicht  nach  innen  ziehen  kann. 
Nach  Durchtrennung  der  Fascie  erscheint  im  inneren  Wundwinkel 
der  M.  omohyoideus  schräg   nach  innen  aufsteigend  im  Fettgewebe 


;N.  hypoglossus 

Cornu  majus  hyoidei 

N.  laryngeus  superior 

1.  A.  carotis  externa 
A.  thyreoidea  superior 


V.  jugularis  externa  ~ — — 

;N.  phrenicus __ 

M.  scalenus  anticus    

M.  sternocleido 

2    A.  subclavia  - 
Plexus  brachiaüs . 


N.  accessorius 
—   N.  auricularis  magnus 
~   V.  jugularis  externa 
Ramus  descendens  hypoglossi 
V.  jugularis  communis 
M.  sternocleido 


N.  supraclavicularis 
A.  transversa  colli 
M.  scalenus  medius:r 

Costa  I 

M.  cucullaris 

M.  omohyoideus 
Platysma 


Fig.  70.     1.  Ligatur  der  Carotis  externa   mit  den  Ursprüngen   der  A.  lingualis, 
A.  maxillaris  externa  (.vorne)  und  A.  occipitalis  (hinten).  2.  Ligatur  der  A.  subclavia. 


des  Trigonum  mit  eingebetteten  Drüsen.  Der  Muskel  wird  lateral- 
wärts  heraufgezogen  oder  medianwärts  herab.  In  dem  Fettgewebe 
liegen  die  Arteria  transversa  scapulae  hinter  der  Clavicula  nach  aussen 
laufend  und  die  Arteria  cervicalis  superficialis  nach  hinten  und  auf- 
wärts ansteigend;  oberhalb  letzterer,  aber  unter  der  tiefen  Fascie  die 
stärkere  Arteria  transversa  colli  auf  oder  durch  den  Nervenplexus 
rückwärts  tretend. 


234  Specielle  Operationslehre. 

Nach  Entfernung  des  Fettgewebes  deckt  die  dünne,  tiefe  Fascie 
den  jetzt  zu  Tage  tretenden  Plexus  brachialis,  der  mit  seinen  starken 
Nervenstämmen,  zwischen  den  M.  scaleni  heraustretend,  steil  abwärts 
unter  die  Clavicula  zieht.  Das  Verhältniss  der  Arterie  zum  Nerven- 
plexus ist  sehr  charakteristisch.  Wenn  man  an  der  Vorderfläche  des 
Nervenplexus  abwärts  gegen  die  I.  Rippe  geht,  so  findet  man  die 
Ansatzstelle  des  Muse,  scalenus  anticus  an  derselben  durch  einen 
Vorsprung  gekennzeichnet:  das  Tuberculum  Lisfranci;  hinter 
diesem  Tuberculum  läuft,  bedeckt  von  den  Nerven,  die  Arterie.  Median- 
wärts  vom  Muse,  scalenus  anticus  liegt  der  Bulbus  der  Vena  jugularis 
communis,  vor  dem  Muskel  und  auf  der  I.  Rippe  die  Vena  subclavia, 
also  getrennt  von  der  Arterie.  Auf  der  Vorderfläche  des  M.  scalenus 
anticus  läuft  der  Nervus  phrenicus  in  die  Brusthöhle.  Neben  dem 
M.  scalenus  tritt  links  der  Ductus  thoracicus  aus  dem  Thorax  an  den 
Hals,  um  in  den  Winkel  zwischen  Vena  subclavia  und  Vena  jugu- 
laris communis  sich  zu  ergiessen. 

Die  Aeste  der  Arteria  subclavia,  von  denen  wir  schon  3  erwähnt 
haben,  gehen  mit  Ausnahme  der  Arteria  transversa  colli  centralwärts 
von  den  M.  saleni  aus  der  Hauptarterie  hervor.  Wie  die  Art.  verte- 
bralis  und  die  A.  thyreoidea  inferior  zu  finden  sind,  ist  bereits  ge- 
schildert worden. 

Für  die  Ligatur  der  Arteria  mammaria  interna  siehe  No.  93. 

Für  den  Plexus  brachialis  ist  zu  erwähnen  (behufs  allfälliger 
Dehnung),  dass  von  den  3  Wurzeln  die  oberste  (aus  dem  5.  und  6. 
Cervicalnerven  zusammengesetzt)  hauptsächlich  den  Musculocutaneus 
und  Medianus  bildet,  die  2.  etwas  tiefer  nach  hinten  gelegene  (aus 
dem  7.  Cervicalnerven)  den  N.  radialis  und  Axillaris,  die  3.,  auf  der 
Arterie  tiefst  gelegene  (aus  dem  8.  Cervical-  und  1.  Dorsalnerven) 
den  N.  ulnaris  mit  den  Radialis-  und  Medianuszweigen  für  die 
Vorderarm-  und  Handmuskeln  abgiebt. 

90)  Der  Raums  externus  des  Nervus  accessorius  (Fig.  71) 
tritt  im  Trigonum  cervicale  inferius  unter  der  Mitte  des  Muse,  sterno- 
cleido  unmittelbar  unter  der  ersten  Fascie,  also  ganz  oberflächlich, 
schräg  rückwärts  verlaufend  zu  Tage,  um  zum  M.  cucullaris  zu  treten. 
Er  wird  behufs  Dehnung  oder  Durchschneidung-  bei  Krampfzuständen 
freigelegt  durch  einen  Schrägschnitt,  welcher  den  Hinterrand  des 
Muse,  sternocleido  etwas  über  seiner  Mitte  schneidet.  An  derselben 
Stelle  umgreift  der 

91)  N.  subeutaneus  colli  (Fig.  71)  und 

9a)  N.  auricularis  magnus  den  Hinterrand  des  Muskels. 
Von    dem    Normalschnitt    für    das    Trigonum    cervicale    inferius 
können  ausser  den  grossen  Nervenstämmen  des  Plex'us  axillaris  auch 


Das  untere  seitliche  Halsdreieck. 


235 


die  kurzen  Aeste  desselben  sämmtlich  freigelegt  werden.  Sie  breiten 
sich  nach  hinten,  aussen  und  vorne  kegelmantelförmig  über  den  Thorax 
aus.  Nach  hinten  der  Nervus  dorsalis  scapulae  zum  Muse, 
levator  scapulae  und  zu  den  Muse,  rhomboidei,  durch  den  Scalenus 
medius  tretend ;  der  Nervussuprascapularis  nach  aussen  ziehend 
zur  Incisura  scapulae  für  die  M.  supra-  und  infraspinatus ;  der  Nervus 


rilÄÄÄ 


M.  cucullaris 
N.  accessorius 


-^f — N.  subeutaneus  colli 

^ V.  jugularis  externa 

SF Jd.  sternocleido 


Fig.  71.     Freilegung  des  N.  accessorius  in  der  Mitte  des  Halses. 


axillaris,  welcher  an  der  lateralen  Wand  der  Axilla  zwischen  Teres 
major  und  minor  einerseits,  Anconaeus  longus  und  Humerus  anderer- 
seits zur  Unterfläche  des  M.  deltoideus  zieht,  diesen,  den  Teres  minor 
und  mit  einem  sensiblen  Aste  die  Rückseite  des  Oberarmes  ver- 
sorgend; die  Nervi  subscapulares,  welche  an  der  hinteren  Wand 
der  Axilla ^zum  Teres  major,  Subscapularis  und  Latissimus  dorsi  laufen; 
der  Nervus  thoracicus  postijcus  (longus),  welcher  entlang  der 
medialen   Wand   der  Axilla   zum  Serratus  anticus  major  Igeht;   end- 


2 3  6  Specielle  Operationslehre. 

lieh  nach  vorne  die  Nervi  thoracici  anteriores,  welche  die 
Arteria  subclavia  umgreifen  und  zwischen  Pectoralis  major  und  minor 
zu  diesen  zwei  Muskeln  treten. 

K.  Nackengegend. 

Die  Chirurgie  der  oberen  Nackengegend  ist  schon  beim  Hinter- 
haupt abgehandelt  worden  (vergl.  daselbst  die  Art.  occipitalis  und 
N.  occipitalis  major  und  minor). 

In  der  unteren  Nackengegend  liegen  keine  grösseren  Ge- 
fässe  und  Nervenstämme.  Incisionen  am  Nacken  werden  sehr  häufig 
gemacht  bei  Entzündungen,  namentlich  bei  Furunkeln  und  Carbunkeln. 
Man  darf  tief  einschneiden,  ohne  die  Verletzung  wichtiger  Gebilde  be- 
fürchten zu  müssen. 

Ueber  die  Eröffnung  des  Wirbelcanals  vergleiche  Brustwirbel- 
säule. 

Wir  haben  bei  Drehkrampf  des  Kopfes,  der  ein  so  ausser- 
ordentlich peinliches  Leiden  darstellt,  mit  vorzüglichem  Erfolg  sämmt- 
liche  Drehmuskeln  des  Nackens  inclusive  der  kleinen  tiefen  Muskeln 
zwischen  den  2  obersten  Wirbeln  und  dem  Hinterhaupt  unter  Schonung 
der  Nerven  durchschnitten.  Die  Bewegungsfähigkeit  des  Kopfes  wird 
nur  wenig  dadurch  beeinträchtigt.  Die  Durchschneidung  geschieht 
von  einem  Querschnitt  aus  (vergl.  die  Schilderung  unseres  Verfahrens 
durch  DE  Quervain;  Semaine  medicale  14.  Oct  1896).  Daselbst 
ist  auch  die  theoretische  Begründung  der  von  uns  principiell  ge- 
übten Myotomie  als  Normalverfahren  an  Stelle  der  Neurotomie  bei 
Krampf  zuständen  gegeben. 

L.  Thorax. 

Die  Indicationen  zu  chirurgischen  Eingriffen  am  Thorax  haben 
sich  in  den  letzten  Jahren  erweitert.  Nicht  bloss  die  Erkrankung  der 
äusseren  Weichtheile,  voran  der  Mamma,  und  der  Thoraxwand  mit 
Rippen  spielen  eine  sehr  grosse  Rolle,  sondern  für  die  Erkrankungen 
der  Pleura  haben  sich  auch  die  Internen  chirurgischer  Behandlung 
zugewandt,  und  die  Chirurgie  der  Lungen  und  zumal  des  Herzens 
und  Herzbeutels  hat  schöne  Fortschritte  zu  verzeichnen.  Auch  die 
Krankheiten  des  Mediastinum  hat  man  operativen  Eingriffen  zu- 
gänglich gemacht. 

Das  Eigenthümliche  der  Operationen  am  Thorax  ist  die  unter- 
brochene Knocheneinhüllung.  Es  zeigt  sich,  dass  ein  Zugang  zur 
Tiefe  in  der  Regel  am  schonendsten  zu  erreichen  ist  durch  Ent- 
fernung von  Knochen  und  nicht  durch  die  zwischenliegenden  Weich- 
theile hindurch. 


Thorax. 


237 


93)  Arteria  mammaria  interna  (Fig.  68). 
Diese   versorgt   die  Innenfläche   der   vorderen  Thoraxwand   und 
schickt   Aeste    durch   die   Brustwand   hindurch   zur  Haut.     Sie  liegt 


M.  cucullaris 

/  M.  rhomboideus 

/         A.  dorsalis  scapulae 
Scapularrand 
Tiefe  Fascie 


M.  latissimus  dorsi 
M.  intercostalis  ext. 

M.    iliocostalis 

h  Costa  X  \ 

(Angulus  posterior)/ 

A.  intercostalis  X 

N.  intercostalis  X 


lil ! 


-^Vt-"*-""*^ 

Fig.  72.     1.  Freilegung  der  X.  Rippe,   der  Arteria  und  Nervus  intercostalis  X. 
2.  Ligatur  der  Arteria  dorsalis  scapulae  (Endastes  der  Transversa  colli). 


238  Specielle  Operationslehre. 

mit  der  sie  begleitenden  Vene  der  Pleura  auf,  nur  durch  ein  sehr 
dünnes  Fascienblatt  und  unten  den  Musculus  thoracicus  anterior  von 
derselben  getrennt.  Nach  vorne  liegt  die  Arterie  den  Rippenknorpeln 
und  den  Intercostalmuskeln  an. 

Sie  wird  unterbunden  mittelst  eines  Querschnittes  in  denjenigen 
Intercostalräumen,  wo  das  Sternum  am  schmälsten  ist,  also  mit  Vor- 
liebe im  zweiten.  Der  Schnitt  wird  von  der  Mitte  des  Sternum  quer 
zwischen  den  Rippenknorpeln  nach  aussen  geführt.  Spaltung  von 
Haut,  Fascie  und  M.  pectoralis  major.  Es  erscheinen  die  schräg  ein- 
wärts absteigenden  Fasern  der  Fascie  des  M.  intercostalis  externus 
(Ligamentum  coruscans) ;  unter  dieser  oft  durchbrochenen,  sehr  dünnen 
Fascie  treten  die  schräg  auswärts  absteigenden  Muskelfasern  des 
M.  intercostalis  internus  zu  Tage  mit  ausgeprägter  Fascie  an  ihrer 
Unterfläche.  Sobald  diese  gespalten  sind,  sieht  man  die  Arterie  etwa 
x/2 — 1  cm  vom  Sternalrand  herabziehend  auf  der  Pleura.  Median- 
wärts  die  Vene.  In  den  unteren  Intercostalräumen  ist  die  Arterie 
etwas  weiter  vom  Sternalrand  entfernt,  bis  i1/2 — 2  cm  und  ist  von 
der  Pleura  noch  durch  den  Muse,  triangularis  sterni  geschieden,  auf 
welchem  sie  liegt.  Sie  kommt  in  diesen  Intercostalräumen  haupt- 
sächlich bei  der  Pericardotomie  in  Betracht. 

94)  Arteria  intercostalis  (Fig.  72). 

Der  Hauptast  dieser  Arterie  verläuft  zwischen  den  beiden  Inter- 
costalmuskeln am  unteren  Rande  der  Rippe,  während  ein  kleinerer 
Ast  am  oberen  Rande  verläuft.  Ihre  Unterbindung  ist  nicht  leicht, 
und  zwar  weil  die  Arterie  versteckt  unter  dem  überhängenden 
vorderen  unteren  Rippenrand  verläuft. 

Man  spaltet  den  schräg  medianwärts  herablaufenden  M.  inter- 
costalis externus  dicht  am  Knochenansatz  und  zieht  ihn  abwärts;  so 
wird  der  Nerv  und  mit  ihm  die  Arterie  aus  der  Rinne  unten  an 
der  Rippe  herabgezogen  und  können  dieselben  (mit  grosser  Sorg- 
falt) mit  dem  stumpfen  Arterienhaken  umgangen  werden.  Man  kann 
auch  zu  grösserer  Sicherheit  die  Resection  eines  Stückes  der  über- 
liegenden Rippe  subperiostal  ausführen. 

95)  Der  Nervus  intercostalis  verläuft  unterhalb  der  Arterie 
zwische*n  M.  intercostalis  internus  und  externus  am  Unterrand  der 
Rippe.  Derselbe  kann  in  gleicher  Weise  wie  die  Arterie  behufs 
Dehnung  bei  Neuralgien  freigelegt  werden  (Fig.  72).  Hat  man  es  bloss 
mit  einem  bestimmten  Nerven  zu  thun ,  so  macht  man  lateral 
vom  Wulst  der  langen  Rückenmuskeln  einen  Schnitt  im  Verlauf 
dieser  Rippe  direct  auf  dieselbe  und  löst  an  ihrem  unteren  Rande 
den  musculösen  Muse,  intercostalis  ext.  ab  und  zieht  den  Nerven  mit 
einem   stumpfen  Häkchen    unter    dem    überhängenden  Knochenrand 


Thorax.  230 

hervor.      Bei    Erkrankung    mehrerer    Nerven    wird    ein    senkrechter 
Schnitt  über  mehrere  Rippen  herüber  gemacht. 

96)  Die  Amputation  der  Brustdrüse. 

Die  Entfernung  der  Brustdrüse  allein  ist  eine  sehr 
einfache  Operation,  und  es  gelingt  mittelst  eines  nach  aufwärts  con- 
caven  Schnittes,  welcher  dem  unteren  Rande  folgt,  die  Drüse  sub- 
cutan auszuschälen,  indem  man  sie  von  oder  mit  der  Fascie  des 
M.  pectoralis  major  emporhebt  bis  zum  oberen  Rande  und  dann 
von  der  Haut  abschält,  was  sich  grösstentheils  stumpf  besorgen  lässt, 
selbst  im  Bereich  des  Warzenhofs.  Bei  diffusem  Adenom,  multi- 
loculärem  Adenokystoma  mammae  (Maladie  kystique)  haben  wir  die 
Operation  öfter  in  dieser  Weise  ausgeführt.  Auch  bei  Lipom  und 
umschriebenem  Adenom  und  Fibrom  kann  man  in  dieser  Weise  die 
Geschwulst  von  der  Unterfläche  her  unter  Aufwärtsklappen  der 
Mamma  loslösen,  falls  der  gutartige  Tumor  in  den  tiefen  Schichten 
der  Mamma  sitzt,  ohne  dabei  gesunde  Drüsentheile  mit  zu  entfernen. 
Nur  bei  oberflächlichem  Sitz  ist  der  meist  empfohlene,  im  Radius 
laufende  einfache  Schnitt  vorzuziehen.  Man  spaltet  Haut,  Panniculus 
und  die  dünne  gesunde  Drüsenschicht  und  löst  den  Geschwulstknoten 
stumpf  aus. 

97)  Radikaloperation   des  Brustkrebses   (Fig.  73   u.   74). 
Ganz    anders   gestalten   sich   die  Verhältnisse  der  Operation  bei 

Carcinom  der  Brustdrüse.  Hier  handelt  es  sich  nicht  nur  um 
Entfernung  der  Drüse  als  solcher,  sondern  aller  derjenigen  Theile 
gleichzeitig,  in  welche  man  schon  so  oft  zur  Zeit  der  Operation 
Krebszellen  secundär  eingewandert  findet.  Es  sind  4  neuere  Arbeiten, 
welche  in  exacter  Weise  den  Nachweis  geleistet  haben,  nach  welcher 
Richtung  der  Brustkrebs  sich  ganz  besonders  verbreitet  und  worauf 
die  früher  so  ausserordentlich  häufigen  localen  Recidive  zurück- 
zuführen sind.  Die  1.  ist  die  von  L.  HEIDENHAIN  x),  die  2.  die  von 
Harold  J.  Stiles  2),  die  3.  von  Grossmann  3),  die  4.  von  Rotter. 
Auf  Grund  einer  sehr  grossen  Anzahl  anatomischer  Untersuchungen 
zeigen  diese  Autoren  wie  früher  schon  Gussenbauer,  Waldeyer 
und  Langhans,  dass  innerhalb  einer  an  Krebs  erkrankten  Brust- 
drüse sowohl  in  der  Nähe  als  weit  entfernt  von  dem  primären  Herde 
häufig  krebserfüllte  Lymphgefässe  in  der  Drüsensubstanz  nachge- 
wiesen werden  können.  Aber  ganz  besonders  stimmen  die  Autoren 
darin  überein,  dass  der  Hauptweg  der  Fortleitung  der  krebsigen 
Infiltration  die  retromammären  Lymphgefässe  sind.    Allerdings  finden 


1)  Langenbeck's  Archiv,  Bd.  39. 

2)  Edinburgh  Journal,  1892. 

3)  Gekrönte  Preisschrift,  Berlin  Ü 


240 


Specielle  Operationslehre. 


sich  auch  in  den  bindegewebigen  Fortsätzen  (CoOPER'sche  Liga- 
mente) in  das  Corium  hinein  und  in  denjenigen  in  das  perimammäre 
Fettgewebe,  sowie  in  den  Bindegewebssepten  zwischen  den  Läppchen 
krebsige  Emboli.  Aber  schliesslich  kommen  alle  abführenden  L)^mph- 
gefässe  in  denjenigen  der. Fascia  pectoralis  auf  den  Pectoralmuskeln 
zusammen  und  begleiten  die  Vasa  thoracica  bis  zu  den  axillaren 
Lymphdrüsen.    Nur  die  Lymphgefässe  vom  inneren  Theil  der  Mamma 


Biceps 

Caput  internumi 


trici- 
pitis 


(, 


Caput  longum 
Coraco  brachialis 

Teres  major 

Latissimus  dorsi 
Pectoralis  major 

Serratus  anticus  major 

(Obliquus   abdominis 
\  externus/ 


Fig.  73.    Hautschnitt  zur  radicalen  Operation  bei  Brustkrebs. 


gehen  mit  den  Aesten  der  Mammaria  interna  in  derselben  anliegende 
Sternaldrüsen. 

In  sehr  überzeugender  Weise  haben  namentlich  Halsted  durch 
seine  vorzüglichen  Erfolge,  sowie  Rotter1)  und  Joerss2)  unter 
Benutzung  der  neuesten  Statistiken  dargethan,  wie  ausserordentlich 
viel  besser  sich  die  neueren  Resultate  der  Brustamputation  beim 
Krebs  gestalten  lassen,  wenn  man  den  erwähnten  Nachweisen  über 
die  Verbreitung  der  Krebszellen  Rechnung  trägt.     Wir  haben  nach 


1)  Berliner  klinische  Wochenschrift,  1896. 

2)  Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  XLIV. 


Thorax. 


241 


Fig.  74.  Amputatio  mammae  carcinomatosae.  Die  Brust  ist  sammt  bedeckender 
Haut  und  mit  dem  Musculus  pectoralis  major  und  minor  entfernt.  Man  sieht 
oben  die  Clavicula,  links  den  Stumpf  des  durchschnittenen  Pectoralis  major, 
rechts  dessen  nach  oben  geschlagene  Clavicularportion  und  entlang  der  eben- 
falls nach  oben  und  medianwärts  geschlagenen  Haut  die  Ansätze  des  Pectoralis 
major  auf  dem  Thorax.  Vom  Pectoralis  minor  sieht  man  oben  den  aufwärts 
geschlagenen  Ansatz  am  Processus  coracoideus,  unten  die  Rippenansätze  an  der 
3.-5.  Rippe.  Zwischen  den  Rippen  die  Intercostalmuskeln,  lateral  von  diesen  die 
Zacken  des  M.  serratus  ant.  major.  Lateral  von  diesem  die  glatte  Vorderfiäche 
des  M.  subscapularis,  auf  welchem  von  den  grossen  Gefässen  und  Nerven- 
stämmen die  Ärteria  thoracico-dorsalis  mit  dem  N.  subscapularis  herabläuft, 
während  auf  den  Serratus-Zacken  die  Art.  und  der  Nervus  thoracicus  longus 
herabgeht.  Am  hinteren  Wundrand  der  M.  latissimus  dorsi.  —  Die  Zeichnung  ist 
nach  einer  Operation  am  Lebenden  ausgeführt,  während  die  zahlreichen  Arterien 
unterbunden  wurden,  die  mit  Arterienzangen  gefasst  waren.  Nur  die  Ansätze  des 
M.  pectoralis  major  sind  vom  Zeichner  nach  Henle  zu  sehr  retouchirt  worden. 


Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl. 


16 


242  Specielle  Operationslehre. 

einer  Zusammenstellung  von  Dr.  Meyer,  welche  212  von  mir 
operirte  Fälle  von  Carcinoma  mammae  aus  einem  Zeitraum  von 
20  Jahren  umfasst,  verhältnissmässig  schöne  Resultate  erzielt,  insofern 
als  nach  mindestens  3-jähriger  Beobachtung  der  Patienten  in  31  Proc. 
der  Fälle  Recidivfreiheit  nachgewiesen  wurde.  Aber  die  neueste 
Zeit  giebt  noch  bessere  Resultate  sowohl  in  Bezug  auf  locale 
Recidive,  als  im  Zusammenhang  damit  bezüglich  dauernder  Heilung. 

JOERSS  berechnet  nach  einer  Zusammenstellung  der  Resultate 
von  Halsted,  Rotter,  Cheyne  und  Helferich  eine  nach.  3  Jahren 
constatirte  Recidivfreiheit  in  42  Proc.  der  Fälle.  Lennader  hat 
durch  DAHLGREN  eine  Statistik  von  74  Fällen,  in  10  Jahren  (bis 
1897)  operirt,  veröffentlichen  lassen,  wo  er  eine  Freiheit  von  äusseren 
Recidiven  über  mehr  als  3  Jahre  bei  53  Proc.  der  Fälle  constatiren 
konnte.  Allerdings  ist  von  Mc  WILLIAMS  bestritten  worden,  dass 
die  Resultate  der  neueren  „heroischen"  Operationen  besser  seien,  als 
die  früheren.  Er  könnte  bei  100  Fällen  bloss  17  Ueberlebende  von 
66  wieder  Aufzufindenden  erhalten  =  25  Proc. 

Um  gute  Resultate  zu  erzielen,  muss  man  principiell  in  jedem 
sicheren  Falle  von  Carcinoma  mammae  ausser  der  Excision  der  Brust- 
drüse mit  ihren  sämmtlichen  Ausläufern  nebst  der  bedeckenden 
Haut  und  dem  subcutanen  Fett  der  Umgebung  eine  Entfernung  der 
darunterliegenden  Pectoralfascie  vornehmen.  Letzteres  lässt  sich 
aber  nicht  sauber  durchführen,  ohne  dass  man  die  Pectoralmuskeln 
mitentfernt.  Ausserdem  muss  eine  Ausräumung  der  Achselhöhle  mit 
der  die  Muskeln,  namentlich  auf  der  Thoraxseite,  bedeckenden  Fascie 
vorgenommen  werden.  Zu  diesem  Behufe  muss  die  bisherige  Ope- 
rationsmethode der  Amputation  der  Mamma  in  folgender  Weise 
modificirt  werden: 

Die  Operation  beginnt  mit  dem  obersten  Theil  des  in  Fig".  73 
angegebenen  Schnittes,  und  zwar  macht  man  zunächst  bloss  von  der 
Clavicula  abwärts  bis  zur  vorderen  Axillarfalte  den  Schnitt  nahe 
dem  Armansatz  des  Pectoralis  major.  Wie  ersichtlich,  weicht  der 
Schnitt  von  Halsted's  Schnitt  ab,  aber  der  Schnitt  zu  der  Achsel- 
falte, wie  wir  ihn  auch  für  Drüsenexcisionen  in  der  Axilla  allein 
machen,  giebt  sehr  gute  Narben.  (Den  Hauptschnitt  zeichnet  man 
bloss  mit  einigen  kleinen  oberflächlichen  Messerstrichen  um  die  zu 
excidirende  Stelle  herum  an,  um  später  recht  exact  zu  schneiden.) 
Nach  Spaltung  von  Haut,  Unterhaut  und  Fascie  hat  man  auf  die 
Vena  cephalica  in  der  Furche  zwischen  oberem  Pectoralisrand  und 
Deldoideus  zu  achten ,  welche  den  richtigen  Zwischenraum  kenn- 
zeichnet. Dann  wird  der  Pectoralis  1  — 2  Finger  breit  vom  Arm 
stumpf  umgangen  und  auf  den  untergeführten  Finger  durchschnitten 
unter  Anlegung  von  2 — 3  Arterienklemmen  an  Muskelgefässe. 

Darunter  wird  sofort  der  Pectoralis  minor  frei  gemacht  und 
nahe   am  Processus  coracoideus  durchschnitten.     Nun  liegen  Nerven 


Thorax. 


243 


und  grosse  Gefässe  der  Axilla  im  Fettgewebe  zu  Tage,  und  es  ist 
leicht  von  Clavicula  und  Processus  coracoideus  abwärs  Fettgewebe 
und  Drüsen  von  den  Gefässen  sauber  abzuheben,  bis  man  die  Vena 
axillaris  ganz  frei  vor  sich  sieht.  Abwärts  und  gegen  den  Thorax 
zu  spannen  sich  bei  weiterem  Loslösen  die  von  Art.  und  Vena 
axillaris  nach  der  Axilla  abgehenden  Gefässe  nebst  Nerven,  und 
es  ist  leicht,  erstere  vor  der  Trennung  central  mit  Arterien- 
zangen zu  fassen,  während  die  linke  Hand  das  Fettdrüsengewebe 
weiter  abwärts  loslöst  von  der  Vorderfläche  des  Muse,  subscapularis 
und  latissimus,  bis  man  an  die  Thoraxwand  resp.  zuerst  an  die 
Aussenfläche  des  Muse,  serratus  ant.  major  kommt.  Der  Nervus 
thoracicus  longus  (sammt  Arterie)  auf  der  lateralen  Thoraxwand- 
fläche, sowie  die  Nervi  subscapulares  können  nicht  immer  geschont 
werden,  weil  die  Gefässe  wegen  der  sie  begleitenden  Lymphstränge, 
die  nach  Heidenhain  oft  krebsig  sind,  excidirt  werden  müssen. 
So  ist  ein  reines  Muskel-Gefäss-Nervenpräparat  der  Axilla  hergestellt 
durch  Entfernung  sämmtlichen  Fettdrüsengewebes  sammt  Fascien. 
Jetzt  muss  der  Schnitt  abwärts  resp.  unter  der  Mamma  durch  bis 
zum  Sternum  verlängert  werden.  Auf  der  Aussenfläche  des  Latissimus 
und  seinem  unteren  Rande  entlang  wird  Fascie  sammt  Fettgewebe 
abgehoben  und  nach  vorne  über  dem  Serratus  gelöst,  bis  man  auf 
die  Rippen ansätze  des  Muse.  pect,  minor  stösst,  diese  werden  am 
Thorax  getrennt  und  die  perforirenden  Aeste  der  Intercostalgefässe 
mit  Arterienzangen  gefasst. 

Weiter  über  die  Rippen  medianwärts  kommt  man  unter  dem 
abgehobenen  Pectoralis  major  an  seine  dicken  Muskelansätze  am 
Sternum  und  auf  den  Ursprung  des  Rectus  abdominis  und  hebt 
nach  deren  Trennung  die  Mamma  sammt  Muskeln  von  den  Rippen 
und  Intercostalmuskeln   ab. 

Jetzt  wird  der  angezeichnete  Schnitt  oberhalb  der  Brustdrüse 
durch  die  Haut  gemacht,  letztere  vom  Panniculus  nach  oben 
bis  zur  Clavicula  abgelöst,  der  Cleidalansatz  des  Pectoralis  major 
nahe  der  Clavicula  getrennt  und  die  Pectoralansätze  oben  innen  am 
Thorax  durchschnitten. 

Die  meisten  Arterienzangen  können  durch  Torsion  entfernt 
werden.  Feine  Ligaturen  werden  bloss  an  die  nahe  den  Haupt- 
gefässen  gefassten  Arterien  und  Venen  und  an  die  nahe  der  Thorax- 
wand gefassten  Rami  perforantes  der  Intercostalgefässe  angelegt.  Wo 
man  Presszangen  anwendet,  kann  man  auch  die  Ligaturen  ganz 
entbehren. 

Man  hat  durch  diese  Operation  das  Drüsengewebe  der  Axilla, 
die  die  Brustmusculatur  bedeckenden  Fascien,  die  beiden  Pectoral- 
muskeln  sammt  Mamma  und  bedeckender  Haut  in  einer  zusammen- 
hängenden Masse  herausgehoben. 

16* 


2±a  Specielle  Operationslehre. 

Der  letzte  Act  ist,  die  grossen  Gefässe  unter  der  Clavicula  auf- 
wärts an  ihrer  Vorder-  und  Rückfläche  zu  verfolgen;  schon  unter 
der  Haut  liegen  gelegentlich  an  der  Clavicula  Lymphdrüsen.  Finden 
sich  noch  höher  hinauf  krebsige  Lymphdrüsen,  so  ist  es  am  besten, 
den  Schnitt  über  die  Clavicula  bis  in  die  Fossa  supraclavicularis  zu 
verlängern  und  die  Fossa  supraclavicularis  auszuräumen  entlang  den 
Subclaviculargefässen  bis  in  den  Winkel  zwischen  Vena  subclavia 
und  Vena  jug.  communis,  wo  so  oft  noch  eine  kranke  Lymphdrüse 
gefunden  wird.  Im  Nothfalle  ist  das  Schlüsselbein  zu  isoliren,  zu 
durchsägen  und  mittelst  dieser  temporären  Resection  nach  Madelung 
die  Fossa  supraclavicularis  gründlich  auszuräumen. 

Von  einer  Anzahl  Chirurgen  (Halsted,  Cushing)  wird  principiell 
in  jedem  Falle  von  Brustkrebs  die  Fossa  supraclavicularis  aus- 
geräumt. Zweimal  verletzte  Cushing  dabei  den  Ductus  thoracicus 
und  konnte  in  einem  Falle  durch  Naht  des  Ganges  eine  tadellose 
Primaheilung  erzielen.  Wir  haben  die  Verletzung  des  Ductus 
thoracicus  auch  bei  anderen  Operationen  mehrfach  erlebt.  In  einem 
Falle  wurde  mir  von  dem  Assistenten,  welcher  die  Verbände  besorgte, 
mitgetheilt,  es  müsse  der  Oesophagus  verletzt  sein,  denn  die  Milch, 
welche  der  Patient  schlucke,  fliesse  zur  Wunde  heraus.  Die  Fälle 
heilen  auch  ohne  Naht  in  der  Regel  anstandslos. 

Die  geschilderte  Methode  kann  mit  sehr  geringem  Blutverlust, 
daher  trotz  des  grossen  Eingriffes  ohne  Shok  durchgeführt  werden. 
Man  ligirt  ja  die  Art.  und  Venae  thoracicae  (suprema,  acromialis, 
axillaris,  longa,  thoracico-dorsalis)  central  und  benutzt  bloss  physio- 
logische Kochsalzlösung  zur  Irrigation.  Die  ausgiebige  Freilegung 
der  Gefässe  erlaubt  auch  bei  Verwachsung  einer  Drüse  mit  der  Venen- 
wand die  Vena  axillaris  zu  reseciren,  was  in  diesem  Falle  ohne 
Weiteres  geschehen  soll. 

Die  Vereinigung  wird  durch  Hautverschiebung  in  der  Weise 
besorgt,  dass  wenigstens  die  Achselhöhle  vollständige  Deckung  er- 
hält. Ein  einziges  Drainrohr  wird  in  der  hinteren  Axillarlinie  durch 
eine  eigene  Oeffhung  zwischen  Scapula  und  Thorax  bis  zur  Clavicula 
emporgeschoben.  Der  nicht  durch  Hautverschiebung  zu  deckende 
Theil  der  Wunde  kann  sofort  nach  THIERSCH  durch  Transplantation 
zur  Heilung  gebracht  werden. 

Was  die  functionellen  Störungen  in  Folge  einer  so  ausgedehnten 
Resection  betrifft,  so  fällt  die  Behinderung  der  Armbewegungen 
durch  die  Wegnahme  der  Muskeln  nicht  wesentlich  in  Betracht,  weil 
die  vorderen  Fasern  des  M.  deltoideus  immerhin  noch  eine  genügende 
Hebung  nach  vorne  und  der  Latissimus  dorsi  eine  genügende  Ad- 
duction  des  Armes  ausführen.  Bedenklicher  ist  die  Totalausräumung 
der  Drüsen  und  die  Behinderung  des  Lymphabflusses,  ganz  besonders, 
wenn  man  gleichzeitig  die  Hauptvene  unterbinden  muss.    In  diesem 


Thorax. 


245 


Falle  entwickelt  sich  ein  für  Monate  und  Jahre  dauerndes  derbes 
Oedem  mit  elephantiastischer  Anschwellung  des  Armes,  welche  die 
Function  desselben  wesentlich  mehr  behindert  als  die  gründliche  Be- 
seitigung der  Thoraxmuskeln. 

Es  ist  als  ein  grosser  Fortschritt  zu  betrachten,  dass  man  durch 
genaue  Untersuchung  einsehen  gelernt  hat,  wie  übrigens  auch  für 
den  Krebs  an  anderen  Körperstellen,  dass  es  wirklich  gelingt,  für 
Radicalheilung  operativ  viel  mehr  zu  leisten,  als  man  früher  annahm, 
und  dass  für  den  Chirurgen  die  Verhütung  localer  Recidive  und  der 
Recidive  in  den  nächstliegenden  Drüsen  die  Hauptaufgabe  ist. 

Die  geschilderte  Operation  ist  eine  eingreifende,  aber  gewiss 
diejenige,  welche  die  besten  Aussichten  bietet.  Sie  sollte  deshalb 
auch  in  den  Anfangsstadien  des  Leidens  die  Regel  bilden.  Indess 
ist  in  Fällen,  wo  bestimmte  Gründe  vorliegen,  sie  nicht  auszuführen, 
allerdings  auch  eine  blosse  Excision  der  Geschwulst  nicht  aussichtslos. 
Nach  der  Zusammenstellung  unserer  Fälle  durch  Dr.  Meier  waren 
von  8  bloss  partiellen  Excisionen  der  Mamma  wegen  Carcinom  nach 
3  Jahren  noch  6  recidivfrei  =  75  Proc,  also  ein  wesentlich  besseres 
Resultat  als  bei  den  Totalexcisionen,  deshalb  natürlich,  weil  die 
Krankheit  noch  in  den  Anfangsstadien  war.  Es  zeigen  diese  Fälle 
aber  trotz  Heidenhain's  Nachweisen  früher  Epithelveränderungen 
in  der  Nachbarschaft,  dass  die  Verschleppung  der  Krebspartikel  in 
der  Drüse  selber  weniger  zu  fürchten  ist,  als  diejenige  in  die  ab- 
führenden I^ymphgefässe  nach  der  Axilla  zu. 

Chirurgie  der  Thoraxwand  und  Pleura. 

98)  Thoracocentesis. 

Da  die  Pleura  der  Innenfläche  der  Thoraxwand  innig  anliegt, 
so  ist  ihre  chirurgische  Behandlung  am  besten  mit  derjenigen  der 
Thoraxwand  selber  abzuhandeln. 

In  neuester  Zeit  wird  von  den  Internen  ein  sehr  ausgiebiger 
Gebrauch  von  der  Punction  der  Pleura  in  diagnostischem  sowohl 
als  therapeutischem  Interesse  gemacht.  Benutzt  man  zur  Punction 
bloss  die  Canülen  kleiner  Spritzen  oder  des  PoTAiN'schen  Aspirators, 
so  kann  man  in  der  Mitte  jedes  beliebigen  Intercostalraumes  ein- 
stechen, stets  unter  Benutzung  der  Vorsicht,  dass  man  mit  den  Fingern 
der  anderen  Hand  die  Haut  und  Weichtheile  fest  in  den  Intercostal- 
raum  hineinpresst,  um  der  Stelle  der  Punction  sicher  zu  sein. 

Dies  ist  um  so  mehr  nöthig,  wenn  man  zur  Herstellung  einer 
Punctionsdrainage  nach  Bülau  sehr  grosse  Trocars  benutzt.  Mit 
diesen  sticht  man  am  oberen  Rande  der  unteren  Rippe  ein,  da  man 
nicht   riskirt,   die  kleine  hier  liegende  Arterie  mit  einem   dicken  In- 


246 


Specielle  Operationslehre. 


strument  zu  verletzen,  aber  allen  Grund  hat,  die  am  unteren  Rande 
der  Rippen  verlaufenden  starken  Intercostalgefässe  und  die  be- 
gleitenden starken  Nerven  zu  schonen,  sintemal  der  Raum  oft  ziemlich 
enge  ist.  Man  darf  niemals  unterlassen,  an  Stelle  der  Punction  eine 
i-proc.  wohlsterilisirte  Cocainlösung  zu  injiciren.  Bei  grossem  Trocar 
ist  es  sehr  zweckmässig,  eine  kleine  Hautincision  zu  machen,  um  das 
Eindringen  des  groben  Instruments  zu  erleichtern.  In  diagnostischem 
Interesse  kann  man  die  Punction  der  Pleura  als  berechtigt  anerkennen, 
sonst  aber  sind  die  Punctionen  jeder  Art  nur  halbe  Maassregeln,  und 


X. 


Fig.  75.  Einfache  Rippenresection.  Das  vordere  Periost  ist  gespalten  und 
zurückgeschoben  sammt  Intercostalmuskeln,  das  hintere  Periost  und  die  Pleura 
parietalis  darunter  sind  mit  kleinem  Schnitt  eröffnet.  In  Wirklichkeit  wird  man 
nicht  zwei  solche  vom  Periost  entblösste  Rippenstümpfe  stehen  lassen,  sondern 
dieselben  abtragen  mit  der  LüER'scher  Kneifzange. 

wo  wirklich  die  Indication  einer  Eröffnung  der  Pleurahöhle  vorliegt, 
ist  es  viel  sicherer  und  einfacher,  eine  breite  Eröffnung  vorzunehmen 
und  die  Grundlage  jeder  Art  breiter  Eröffnung  ist  die  Rippen- 
resection. 


99)  Rippenresection  und  Pleurotomie  (Fig.  75  u.  76). 

Die  Rippenresection  wird  auch  vielfach  ausgeführt  ohne 
die  Absicht  der  Pleuraeröffnung,  so  bei  Erkrankung  der  Rippe,  vorab 
Tuberculose  derselben,  danach  Staphylontykose  und  anderen  Osteo- 
myelitiden,  ferner  bei  Geschwülsten,  wie  Chondromen  und  Sarkomen. 


Thorax. 


247 


Sie   ist  eine  sehr  einfache  Operation,   welche  sehr  wohl  unter  Local- 
anästhesie  mittelst  Cocaininjection  ausgeführt  werden  kann. 

Schnitt  auf  der  grössten  Wölbung  der  Rippe,  den  beiden  Rändern 
parallel.  Bei  directem  Schnitt  auf  den  Knochen  wird  ausser  der  be- 
deckenden Haut  und  Musculatur  kein  grösseres  Gefäss  oder  Nerv 
verletzt.  Nach  Spaltung  des  Periosts  löst  man  dasselbe  mit  grosser 
Sorgfalt  mittelst  eines  kleinen  scharfen  Raspatoriums  nach  oben, 
unten  und  hinter  der  Rippe  los  und  schneidet  mit  einer  guten 
Knochenzange  ein  Stück  der  blossgelegten  Rippe  heraus.  Man 
muss  sich  ganz  besonders  in  Acht  nehmen,  sich  bei  Lösung  'der 
Ansätze  der  Intercostalmuskeln  am  oberen  und  unteren  Rande  dicht 
an  den  Knochen  zu  halten  und 
die  Muse,  intercostales  in  der 
Richtung  ihrer  Fasern  abzuheben. 
Die  Rippenenden  müssen  abge- 
rundet werden  der  Gefässe  und 
Nerven  wegen. 

Hinter  der  Rippe  liegt  ausser 
dem  Periost  von  einer  ganz  dünnen 
Fascie  (Fascia  endothoracica)  be- 
kleidet die  Pleura,  und  darf  man 
daselbst  ohne  Weiteres  in  der 
Richtung  der  excidirten  Rippe 
einschneiden,  nachdem  man  in 
zweifelhaften  Fällen  sich  durch 
Punction  von  dem  Vorhandensein 
des  Exsudates  überzeugt  hat. 

Sehr  oft  genügt  die  Resection 
einer  Rippe  nicht.  In  diesem 
Falle  schneidet  man  in  gleicher  Weise  (Fig.  76)  von  demselben  Haut- 
schnitt aus  noch  auf  die  obere  Rippe  ein,  indem  man  die  Haut  kräftig 
nach  oben  zieht;  man  resecirt  ein  Stück  auch  dieser  Rippe  und  er- 
öffnet die  Pleura  darunter  in  gleicher  Weise  längs,  wie  bei  der  erst- 
resecirten  Rippe.  Nun  geht  man  am  lateralen  und  medialen  Ende 
beider  Pleuraschnitte  mit  der  Aneurysmanadel  unter  dem  dazwischen 
liegenden  Gewebe  des  Intercostalraumes  durch,  unterbindet  mit  Pleura 
und  Muskel  die  Gefässe  und  verbindet  erst  dann  die  beiden  Pleura- 
schnitte in  ihrer  Mitte  durch  einen  senkrechten  Schnitt;  so  bekommt 
man  eine  klaffende  Oeffnung  in  Form  eines  liegenden  H  (ffi).  Die 
Faden  müssen  sehr  kräftig  angezogen  werden,  um  die  Blutung  aus 
der  Intercostalarterie  sicher  zu  stillen. 

Will  man  dauernd  für  Abfluss  sorgen,  so  hat  man  die  Eröffnung 
im  untersten  Theile  der  Höhle  zu  machen.  In  der  Papillarlinie  gelangt 
man  durch  Wegnahme  des  Knorpels  der  6.  Rippe  noch  in  die  Pleura- 


Fig.  76.     Breite  Eröffnung  des  Thorax, 
mit  doppelter  Rippenresection. 


2,i8  Speciclle  Operationslehre. 

höhle.  In  der  Seitengegend  trifft  man  rechts  bei  Entfernung  der 
9.  Rippe,  links  sogar  der  10.  Rippe  noch  die  Pleura;  hinten  in  der 
Scapularlinie  beiderseits  bei  Entfernung  der  12.  Rippe.  Eine  Er- 
öffnung an  diesen  untersten  Grenzen  von  vorneherein,  namentlich 
mit  stechenden  Instrumenten,  ist  aber  contraindicirt,  weil  das  Zwerch- 
fell der  vorderen  Brustwand  daselbst  unmittelbar  anliegen  kann ;  man 
thut  deshalb  gut,  zuerst  an  derjenigen  Stelle  die  Pleurahöhle  zu  er- 
öffnen, wo  man  g'anz  sicher  ist,  auf  Flüssigkeit  zu  kommen,  d.  h.  da, 
wo  man  durch  Punction  und  Aspiration  mit  der  PRAVAZ'schen  Spritze 
deren  Vorhandensein  nachgewiesen  hat.  Erst  wenn  hier  breiter  Zu- 
gang geschaffen  ist,  wird  eine  Sonde  eingeführt  bis  zur  tiefsten  Stelle 
der  Höhle,  resp.  diese  mit  dem  Finger  von  innen  bestimmt.  Daselbst 
wird  in  ganz  gleicher  Weise  unter  Rippenresection  eine  zweite 
Oeffnung  angelegt  und  auf  diese  Weise  für  die  Möglichkeit  einer 
eventuellen  Durchspülung  gesorgt. 

Schede  hebt  mit  Recht  hervor,  dass  für  eine  nachträgliche  Aus- 
dehnung der  Lunge  am  besten  gesorgt  wird,  wenn  man  den  Thorax 
an  der  tiefsten  und  am  weitesten  nach  hinten  gelegenen  Stelle 
eröffnet.  Er  räth  dabei  im  Gegensatz  zu  König,  der  die  6.  Rippe 
in  der  Axillarlinie  resecirt  und  viel  langsamere  Heilung  erzielt,  ein 
6  cm  langes  Stück  der  9.  und  10.  Rippe  in  der  Scapularlinie  zu 
reseciren.  Dann  kann  man  es  bei  erstmaliger  gründlicher  Spülung 
bewenden  lassen,  wenn  man  für  gehörigen  Abfluss  durch  dicke  kurze 
Drainröhren  sorgt,  welche  Schede  in  T-Form  benutzt. 

Im  Allgemeinen  sind  wiederholte  Spülungen  zu  vermeiden,  weil 
sie  nach  Schede  die  Verwachsung  der  Pleurablätter  stören.  Bei 
jauchigen  Empyemen  muss  gründlich  gespült  werden,  aber  dann  jede 
weitere  Secretstauung  durch  Sicherung  völlig  freien  Abflusses  ver- 
hütet werden. 

Broca  eifert  mit  Recht  dafür,  dass  die  Zeit  vorbei  sei,  wo  man 
ein  Empyema  necessitatis  zu  Stande  kommen  lassen  dürfe.  Man  kann 
nicht  frühe  genug  jedes  eitrige  Pleuraexsudat  gründlich  eröffnen, 
nur  dann  hat  man  Aussicht,  dass  sich  die  Lunge  gehörig  wieder 
ausdehnt.  In  dieser  Beziehung  wird  von  Internen  noch  viel  ge- 
sündigt. Wenn  in  Folge  Verletzung  die  schlimmsten  Formen  septischer 
Pleuritis  (welche  im  Kriege  ja  keineswegs  selten  geworden  sind) 
eintreten,  so  sieht  man,  wie  glücklich  es  ist,  dass  derartige  Fälle  in 
active  chirurgische  Behandlung  kommen.  Völlige  Beweglichkeit  und 
Ausdehnung  der  Lunge  lohnt  den  frühzeitigen  Eingriff  mit  breiter 
Eröffnung.  C.  Beck  in  New  York  hat  mit  überzeugender  Statistik 
den  Nutzen  der  radicalen  Frühoperation  mit  Rippenresection 
belegt.  Von  1 10  Fällen  seiner  Beobachtung  (nicht  complicirten), 
wo  die  Frühdiagnose  gemacht  werden  konnte,  genasen  alle.  Auch 
Schede  hat  den  Beweis  geleistet,  dass  die  Resection  der  Aspirations- 


Thorax. 


249 


drainage  weit  überlegen  ist  bezüglich  Mortalität  sowohl  als  definitiver 
Heilung. 

100)  Resection  grösserer  Stücke  der  Thoraxwand, 
Thoracotomie  und  Thoracoplastik. 

Ausgedehnte  Excisionen  der  Brustwand  kommt  man  in  die  Lage 
zu  machen  bei  Pleuraerkrankungen  mit  Schrumpfung  der  Lunge,  wo 
eine  Schliessung  der  Eiterhöhle  wegen  Starrheit  der  Wandung  me- 
chanisch unmöglich  ist;  bei  Neubildungen,  speciell  Chondromen  und 
Sarkomen  der  Rippen,  welche  auf  die  Pleura  übergegriffen  haben. 
Die  Operation  führt  den  Namen  der  ESTLANDER'schen,  obschon  vor 
ihm  einzelne  ausgiebige  Resectionen  ausgeführt  und  mitgetheilt  sind 
Cerenville).  Estlander  hat  wie  früher  Simon  in  kleinem 
Maassstabe  von  einem  senkrechten  Schnitte  aus  die  Weichtheile 
zurückpräparirt,  eine  Anzahl  von  Rippen  subperiostal  resecirt,  so  dass 
ein  ovales  Stück  der  Thoraxwand  nach  Wiederauflegen  der  Haut 
nachgiebig  geworden  war  und  einsinken  konnte.  SCHEDE  ist  in 
viel  gründlicherer  und  energischerer  Weise  vorgegangen :  er  macht 
einen  gewaltigen  Bogenschnitt  hinten  zwischen  Wirbelsäule  und 
Scapula,  abwärts  bis  zum  unteren  Rande  der  Pleura  und  am  vorderen 
Umfang  der  Achselhöhle  aufwärts  bis  unter  den  Pectoralis  major,  prä- 
parirt  die  Weichtheile  von  der  Thoraxwand  nach  oben  zurück,  resecirt 
alle  Rippen  von  der  zweiten  abwärts  subperiostal  von  der  Knorpel- 
verbindung weg  bis  hinten  und  exstirpirt  die  zurückgebliebenen  Inter- 
costalmuskeln  sammt  schwartiger  Pleura  nach  breiter  Eröffnung  letzterer 
mit  der  Scheere.  Die  Lungenpleura  wird  mit  scharfem  Löffel  gereinigt 
und  die  äusseren  Weichtheile  auf  dieselbe  angelegt. 

Depage  hat  die  SCHEDE'sche  Methode,  welche  die  Operation 
für  veraltete  Empyeme  mit  Lungenschrumpfung  auf  den  richtigen 
Boden  gestellt  hat,  insofern  vervollkommnet,  als  er  die  äusseren  Weich- 
theile nicht  ablöst,  dadurch  eine  erhebliche  Blutung  vermeidet, 
sondern  bloss  die  Rippen  im  Verlauf  der  grossen  Lappen  wunde 
durchschneidet  und  darnach  die  ganze  Thoraxwand  aufklappt, 
um  nunmehr  die  subperiostale  Resection  der  Rippen  von 
innenher  zu  machen.  Es  ist  keine  Frage,  dass  diese  Methode  sehr 
viel  weniger  verletzend  ist,  als  diejenige  von  Schede.  Sie  setzt 
allerdings  voraus,  dass  die  Pleura  nicht  durch  Schwarten  so  starr 
geworden  ist,  dass  sie  sich  nach  Entfernung  der  Rippen  nicht  auf  die 
eingesunkene  Lunge  anlegen  lässt. 

Delorme  hat  endlich  noch  einen  Weg  kennen  gelehrt,  wie  man 
die  Ausfüllung  alter  Empyemhöhlen  zu  Stande  bringen  kann,  welche 
die  anderen  Methoden,  soweit  sie  anwendbar  ist,  übertrifft  und  welche 
man  als  Pneumoplastik  bezeichnen  könnte.  Er  schneidet  nach 
Eröffnung  der  Pleurahöhle  die  Schwarten  auf  der  Lunge  in  grösserer 


2  cq  Specielle  Operationslehre. 

Ausdehnung  ein  und  macht,  soweit  nöthig,  die  Decortication 
dieser  Schwarten  von  der  Lungenoberfläche.  Dadurch  wird,  wie 
Lardy  und  zahlreiche  Chirurgen  bestätigt  haben,  die  Lunge  wieder 
in  schönster  Weise  aufblähbar  und  legt  sich  der  Innenwand  des 
Thorax  an. 

Mit  diesen  Hülfsmitteln  gestalten  sich  unsere  Eingriffe  bei  alten, 
grossen  Empyemhöhlen,  welche  wegen  Starre  der  Wand  nicht  zur 
Heilung  zu  bringen  sind,  folgendermaassen : 

Wo  eine  Pleurafistel  besteht,  macht  man  an  der  Stelle  derselben 
eine  Resection  einer  oder  zweier  Rippen,  gross  genug,  um  sich  über 
die  Grenzen  der  Höhle  allseitig  genaue  Rechenschaft  geben  zu  können. 
Besteht  eine  Fistel  nicht  oder  an  einer  Stelle,  von  welcher  aus  eine 
solche  Orientirung  nicht  möglich  ist,  so  sucht  man  durch  Punction 
in  der  Axillarlinie  die  tiefste  Stelle  der  Höhle  zu  bestimmen  und 
resecirt  hier  eine  oder  2  Rippen. 

Von  dieser  Stelle  aus  verlängert  man  den  angelegten  Quer- 
schnitt durch  die  Weichtheile  rück-  und  zwischen  Scapula  und  Wirbel- 
säule bis  über  die  2.  Rippe  aufwärts,  gerade  so  weit  als  die  Controle 
von  innen  die  Ausdehnung  der  Höhle  in  ihrer  äussersten  Grenze 
angiebt.  Man  durchschneidet  Rippe  um  Rippe  und  Intercostalraum 
um  Intercostalraum  in  der  Linie  des  Hautschnittes  Schritt  für  Schritt. 
Wenn  die  Höhle  bis  zur  1.  Rippe  reicht,  so  muss  auch  diese 
resecirt  werden. 

Nun  geht  man  von  dem  Anfangsschnitte  nach  vorwärts,  in- 
dem man  dem  mit  dem  Finger  controlirten  unteren  und  vorderen 
Umfang  der  Höhle  folgend  die  Haut  und  Weichtheile,  die  Inter- 
costalräume  und  Rippen  resp.  Rippenknorpel  durchschneidet,  bis 
man  allmählich  den  so  gebildeten,  aus  der  ganzen  Dicke  der  Thorax- 
wand bestehenden  Lappen  genügend  emporklappen  kann,  um  sich 
über  Lage  der  Lunge  und  Verhalten  der  Lungenpleura  zu  ver- 
gewissern. 

Ergiebt  ein  Schnitt  durch  die  Pleuraschwarten  auf  der  Lunge, 
dass  die  Lunge  sich  noch  blähen  kann  und  dass  die  Schwarten  sich 
abschälen  lassen,  so  kann  man  bei  dieser  DELORME'schen  Operation 
stehen  bleiben,  soweit  als  die  Blähung  der  Lunge  die  vorhandene 
Höhle  ausfüllt.  Ist  dies  nicht  der  Fall  oder  zu  unvollständig,  dann 
geht  man  zu  Depage's  Operation  über  und  resecirt  aus  dem  auf- 
gehobenen Lappen  in  ganzer  Länge  von  unten  anfangend  Rippe 
um  Rippe  subpleuro-periostal  von  innenher.  Um  volle  Beweglichkeit 
der  Lappen  zu  erzielen,  kann  es  nöthig  werden,  auch  die  1.  Rippe 
zu  reseciren. 

Letzteres  ist  keine  leichte  Aufgabe.  Bei  den  schwartigen  Ver- 
wachsungen kann  es  trotz  aller  Sorgfalt  geschehen,  dass  man  die  Vena 
subclavia  anreisst,  wie   es  uns  bei   einer  Operation   vor  Kurzem  ge- 


Thorax. 


251 


schehen   ist.     Durch   Tamponade    und   nachherige  Venennaht  wurde 
ein  Schaden  verhütet. 

Sollte  sich  nach  Depage's  Operation  die  Unmöglichkeit  der  An- 
legung   der  Thoraxwand  auf  die  geschrumpfte  Lunge  zeigen  wegen 


Fig.  77.     Metapneumonisches   Empyem    mit   Fistelbildung.     Thoracotomie    mit 
Lappenbildung  durch  Trennung  von  9  Rippen  (3. — 11.). 


Starre  der  Pleura  costalis,  so  wird  zu  entscheiden  sein,  wie  weit  nach 

Schede  letztere  zu  exstirpiren  ist  von  der  Innenfläche  des  Lappens. 

Bei  beschränkten  Höhlen   wird   man   von  Lappenschnitten  nach 

Schede,   Keen   und  Depage  absehen   und  sich   mit   den   einfachen 


2?2  Specielle  Operationslehre. 

Linien  ESTLANDER'scher  Operation  begnügen,  von  einem  einfachen 
Längsschnitt  nur  soviel  Rippen  subperiostal  zu  reseciren  als  zur 
Deckung  der  Höhle  Beitrag  liefern.  Man  darf  aber  nicht  vergessen, 
dass  mehr  als  einmal  schwartenartige  Septa  eine  grössere  Höhle  in 
zwei  völlig  getrennte  Abschnitte  theilen,  so  dass  die  plastische  Aus- 
füllung der  einen  Höhle  eine  Heilung  nicht  erzielt. 

Fig.  77  illustrirt  die  Ausdehnung  des  Schnittes  und  das  Vor- 
gehen bei  beschränkter  Empyemhöhle. 

Will  man  bloss  osteoplastisch  operiren  nach  DELORME,  d.  h.  den 
gebildeten  Lappen  zurückklappen,  so  resecirt  man  am  hinteren  Rande 
der  Eiterhöhle  von  kleinen  isolirten  Schnitten  aus  ein  Stückchen 
Rippe,  d.  h.  man  trennt  die  vorne  durchschnittenen  Rippen  auch 
hinten  durch  und  klappt  den  Thoraxwandlappen  empor.  Auf  der 
comprimirten  Lunge  wird  die  derbe ,  schwartig  verdickte  Pleura 
visceralis  gespalten  und  vor-  und  rückwärts  von  der  Lunge  abgelöst, 
bis  letztere  sich  bläht. 

101)  Laparotomia  transthoracica. 

Die  Eröffnung  des  Abdomen  durch  die  Pleura  und  das  Diaphragma 
hindurch  wird  vorzüglich  gemacht  zur  Freilegung  der  convexen 

Leberfläche  behufs  Eröffnung  von  Leberabscessen,  Echinokokken 
etc.  im  convexen  Leberabschnitt  (Fig.  78,  79):  Hepatotomia 
transthoracica,  oder  auch  zur  Eröffnung  subphreni scher  Ab- 
scesse. 

Schnitt  von  10  cm  Länge  je  nach  Punctionsergebniss  von  der 
vorderen  Axillarlinie  schräg  vorwärts  zwischen  der  7.  und  8.  Rippe 
oder  zwischen  8.  und  9.  Rippe  in  der  hinteren  Axillarlinie.  Die 
Fascie  und  Muskelfasern  des  Latissimus  dorsi  und  Obliquus  abdo- 
minis  externus  werden  gespalten,  das  Periost  auf  der  einen,  dann 
auf  der  anderen  Rippe  mit  scharfem  Raspatorium  ringsherum  unter 
sorgfältiger  Schonung  der  Pleura  abgehoben  und  die  Abtragung  von 
mindestens  7  cm  von  beiden  Rippen  mit  schneidender  Zange.  Jetzt 
muss  die  Pleura  vor  ihrer  Eröffnung  mit  einer  Steppnaht  allseitig 
an  Stelle,  wo  tiefer  indicirt  werden  soll,  verschlossen  werden.  Man 
umsticht  nach  Stiles  tiefgreifend  erst  die  Weichtheile  des  Inter- 
costalraumes  und  sticht  nun  am  oberen  Rande  des  oberen  und  am 
unteren  Rande  des  unteren  Rippenperiosts  rings  eine  krumme  Nadel 
durch  die  beiden  Pleurablätter  (das  parietale  und  diaphragmatische) 
hindurch  und  schliesst  mit  fortlaufender  Umstechungsnaht  das 
Operationsgebiet  verlässlich  gegen  die  übrige  Pleurahöhle  ab.  Nun 
kann  man  innerhalb  dieses  mindestens  4  cm  im  Durchmesser  zu 
bemessenden  Abschlussgebietes  die  Pleura  costalis  excidiren  und  es 
erscheint  die  glänzende  bläuliche  Oberfläche  des  Zwerchfelles,  welche 


Thorax. 


253 


incidirt   wird ;    die  Muskelplatte  zwischen  Pleura  und  Peritoneum  ist 
ziemlich  dünn. 


1$ 


Fig.  78.     Freilegung  der  convexen  Leberoberfläche  im  8.  Intercostalraum  trans- 
pleural.    8.    und  9.    Rippe    sind    resecirt    von    einem  Schnitt  im   Verlauf  des 
8.  Intercostalraumes  (subperiostal). 


Findet   sich   das  Peritoneum  mit  der  Leberoberfläche  nicht  ver- 
wachsen, so  muss  auch  hier  eine  Steppnaht  zwischen  parietalem  und 


254 


Specielle  Operationslehre. 


Costa  VII  \j| 
M.  intercostalis  externus-^.. 
Yasa  und  N.  intercostalis — - 
Hepar  — 
Peritoneum  — 
Costa  VIII  — 
Diaphragma 
Pleura  costalis 
M.  obliquus  abdom.  externus 


r^; 


Fig.  79.    Freilegung  der  Leberconvexität  durch  die  Pleura  hindurch  im  7.  Inter- 

costalraum. 


Thorax. 


255 


visceralem  Blatt  des  Peritoneum  rings  fortlaufend  angelegt  werden 
und  dann  wird  der  Leberabscess  (resp.  Echinococcus)  eröffnet,  bei 
tiefer  Lage  mit  dem  Thermocauter  Jodoformgazetamponade. 

loa)  Lungenchirurgie. 

Die  Lungenchirurgie  beschränkt  sich  zur  Stunde  der  Haupt- 
sache nach  noch  auf  Entleerung  von  Abscessen.  Bei  tuber- 
culösen  Cavernen  ist  der  Nutzen  wegen  fast  stets  vorhandener 
Tuberculose  der  Umgebung,  bei  Bronchiektasie  wegen  Multiplicität 
der  Höhlen  sehr  fraglich.  Tumoren,  Echinokokken  sind  ausnahms- 
weise   Objecte    chirurgischen    Eingreifens.      Wenn    durch    die   physi- 


Fig.  80.  Transpleurale  Freilegung  der  convexen  Leberoberfläche,  II.  Die  inter- 
costalen  Weichtheile  sind  in  der  Ebene  der  Resectionsflächen  der  Rippen  unter- 
bunden und  der  zwischenliegende  Theil  abgetragen.  Pleura  parietalis  costalis 
mit  Pleura  parietalis  diaphragmatica  durch  eine  Steppnaht  vereinigt  und  so  die 
Pleurahöhle  abgeschlossen,  die  Pleurablätter,  das  Diaphragma  und  das  Peri- 
toneum gespalten;  man  sieht  die  Leberoberfläche  freigelegt. 


kaiische  Untersuchung  ein  umschriebener  Eiterherd,  durch  die  bakterio- 
skopische  und  histologische  Feststellung  die  Heilbarkeit  dieses  Herdes 
nachgewiesen  ist  (elastische  Fasern  fehlen  bei  Bronchiektasie,  Tuberkel- 
bacillen  sind  bei  Cavernen  vorhanden),  so  wird  von  Körte  (vergl. 
Borchert,  Langenbeck's  Arch.,  Bd.  63)  in  folgender  Weise  vor- 
gegangen: Es  wird  chloroformirt.  Freilich  zeigen  2  Fälle  von 
„Atheminsufficienz",  dass  man  besser  thut,  die  Operation  ganz  oder 
jedenfalls  im  2.  Act  bloss  mit  Cocain  zu  machen. 

Thorakotomie  mit  Bildung  eines  abwärts  convexen  Weichtheil- 
lappens  und  ausgiebiger  Rippenresection  über  dem  Lungenherd. 
Pleurotomie  unter  völliger  Sicherung  gegen  Eindringen  der  Luft  in 


2< 6  Specielle  Operationslehre. 

die  freie  Brusthöhle  mittelst  einer  Steppnaht  (nach  Roux  mit  Hinter- 
stichen). Die  Faden  sollen  nicht  zu  tief  in  die  Lunge  greifen  und 
nicht  zu  fest  gezogen  werden;  natürlich  wird  man  bei  Eiterung 
resorbirbare  Faden  wählen.  Die  Punction  stellt  nunmehr  die  Stelle 
und  Tiefe  des  Abscesses  fest,  falls  die  Palpation  dazu  nicht  genügt; 
danach  wird  am  besten  mit  dem  Thermocauter  eröffnet. 

Die  Gefahr  der  Eröffnung  sind  Blutungen,  da  zumal  durch  die 
Höhle  hindurch  grosse  macerirte  Gefässe  verlaufen  können.  Wenn 
die  Gefässe  nicht  ligirt  oder  umstochen  werden  können,  hilft  bloss 
Tamponade  mit  Jodo-  oder  Xeroform,  welche  ohnehin  die  beste 
Nachbehandlung  ist. 

Für  die  Eröffnung  der  Cavernen  an  ihrem  häufigsten  Sitz,  näm- 
lich an  der  Lungenspitze,  macht  man  die  Eröffnung  in  folgender 
Weise : 

Entlang  dem  ersten  Intercostalraum,  parallel  der  Clavicula,  von 
dessen  Sternalende  lateralwärts  Schnitt  durch  Haut,  Fascie  und 
M.  pectoralis  major.  Trennung  der  beiden  Intercostalmuskeln, 
medialwärts  bloss  des  M.  intercostalis  internus.  Hier  darf  man  die 
Arteria  mammaria  interna,  und  am  lateralen  Ende  des  Schnittes  die 
Vena  subclavia  nicht  verletzen. 

Am  unteren  Rande  der  i.  Rippe  wird  auf  deren  Vorderfläche 
das  Periost  gespalten  und  vorne  und  hinten  sorgfältig  zurück- 
geschoben, dann  die  unteren  2/3  der  Rippe  unter  Belassung  einer 
oberen  Spange  resecirt,  um  ja  nicht  die  auf  der  Rippe  liegenden 
grossen  Gefässe  zu  verletzen.  Nunmehr  überzeugt  man  sich  durch 
Punction  mit  der  PRAVAz'schen  Spritze  von  der  Lage  der  Caverne, 
macht  einen  kleinen  Schnitt  durch  die  Pleura  und  erweitert  den- 
selben mit  einer  Arterienzange. 

So  wenig  im  Ganzen  auch  mit  chirurgischen  Eingriffen  an  der 
Lunge  erreicht  ist,  so  ergiebt  doch  die  Casuistik,  dass  man  unter 
Voraussetzung  der  Verhütung  einer  Pneumothorax  mit  Freilegung 
der  Lunge  bei  Verletzungen,  Eindringen  von  Fremdkörpern,  Ent- 
zündungen und  Tumoren  in  Zukunft  weniger  zurückhaltend  sein 
dürfte. 

Nach  den  Studien  von  Tuffier,  Hallion,  Quenu  und  LONGET 
kann  ausser  durch  die  zuverlässige  Vernähung  der  Visceral-  und 
Parietalpleura  plötzlicher  Pneumothorax  bei  Freilegung  der  Lunge 
auch  durch  künstliche  Blähung  derselben  durch  Ein-  und  Ausathmen 
in  comprimirte  Luft  verhütet  werden. 

Chirurgie  des  Herzens  und  Herzbeutels. 

Das  Herz,  dieses  unruhige  und  trotzige  Ding,  hat  den  Fort- 
schritten  der  Chirurgie   nicht  zu  trotzen  vermocht  und  damit  ist  das 


Thorax. 


257 


letzte  Organ  des  menschlichen  Körpers  dem  Bereich  regelrechter  chi- 
rurgischer Therapie  erobert  worden.  Mehrere  wichtige  Arbeiten  zur 
Chirurgie  des  Herzens  sind  erschienen,  wie  diejenigen  von  BRENTANO, 
Terrier  und  Reymond  (übersetzt  und  ergänzt  von  Lardy  und 
Beck),  Ludwig  Braun,  welche  die  geschichtliche  Entwicklung  aus- 
führlich berücksichtigen  und  die  neuere  Casuistik  gesammelt  haben. 
Nachdem  A.  Pare  erkannt  hatte,  dass  nicht  jede  Herzwunde  un- 
mittelbar tödtlich  sei  und  MORGAGNI  einen  Hauptgrund  tödtlichen 
Ausganges  in  der  Compression  des  Herzens  durch  die  Blutansammlung 
im  Herzbeutel  gefunden,  haben  Georg  Fischer's  gründliche  Nach- 
forschungen 1868  ein  Material  von  452  Herz-  und  Herzbeutel- 
verletzungen zur  Grundlage  des  Nachweises  gemacht,  dass  eine 
Heilung  in  einer  gewissen  Anzahl  von  Fällen  erfolgt,  und  Rose  hat 
die  Verhütung  der  Herztamponade  durch  den  Bluterguss  zu  einer 
Bedingung  therapeutischer  Lebensrettung  gemacht. 

Die  Mehrzahl  der  Verletzten  auch  mit  perforirenden  Herzwunden 
stirbt  nicht  an  der  Verletzung  direct  (wie  etwa  bei  Kronecker's 
Herzstich),  sondern  an  den  Folgen  der  Blutung  nachträglich 
und  zwar  einerseits  des  Blutverlustes,  andererseits  des  Leerwerdens 
des  Herzens  durch  Druck  des  ergossenen  Blutes  auf  die  Hohlvenen 
(Cohnheim).  Diese  Thatsache  ist  die  Grundlage  unserer  Heilbestre- 
bungen. Dass  bei  Verhütung  der  Verblutungsfolgen  selbst  eine  mehrfach 
perforirende  Wunde  solide  vernarben  kann,  lehrt  die  Casuistik  und 
experimentelle  Untersuchungen  (Del  Vecchio,  Bode,  Elsberg, 
Salomoni,  Bloch,  Filipoff)  und  zwar  bildet  sich  eine  Binde- 
gewebsnarbe,  die  allerdings  gelegentlich  später  zu  Aneurysma  und 
Ruptur  Anlass  bieten  kann. 

Wenn  ein  Mensch  mit  Verletzung  in  der  Herzgegend  im  Zu- 
stande hoher  Athemnoth  mit  Cyanose  oder  in  Collaps  mit  Anämie 
und  entsprechenden  Veränderungen  des  Pulses  zur  Behandlung 
kommt  und  die  Untersuchung  eine  Blutung,  Bluterguss  in  das  Pericard 
mit  oder  ohne  gleichzeitigen  Hämothorax  ergiebt,  so  besteht  die 
Indication  zur  sofortigen  Freilegung  des  Herzens  1)  um 
das  Pericard  zu  eröffnen  und  einen  comprimirenden  Bluterguss  zu 
entleeren,  2)  um  die  Herz  wunde  zu  vernähen. 

103)     Die     Punction     des     Herzbeutels     (Pericardio- 

centesis). 

Die  Punction  des  Herzbeutels  hat  bloss  noch  eine  diagnostische 
Bedeutung;  zur  Entleerung  von  Flüssigkeit  soll  an  ihre  Stelle  die 
Pericardotomie  treten.  Nach  Ferrand's  und  VoiNlTSCH-SlANO- 
jentzky's  Untersuchungen  sammelt  sich  Flüssigkeit  im  Herzbeutel 
zwischen  Herz  und  Zwerchfell,  vorzüglich  aber  im  vorderen  Blind- 
sack   und    gegen    die    Herzspitze    zu    (zumal   in    sitzender   Stellung); 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.     IV.  Aufl.  jy 


258  Specielle  Operationslehre. 

ausserdem  oben  zwischen  Brustwand  und  vorderer  Herzfläche  an  der 
Herzbasis  und  um  die  grossen  Gefässe  (im  Liegen). 

Die  Punction  hat  die  1 — 2  cm  vom  Sternalrand  liegenden  Vasa 
mammaria  interna  zu  vermeiden.  Macht  man  nach  Dieulafoy  die 
Punction  lateral  von  denselben  (6  cm  vom  Sternalrand)  im  4. — 5.  Inter- 
costalraum,  so  trifft  man  fast  sicher  die  Pleura  und  gelegentlich  den 
Lungenrand.  Macht  man  sie  im  5.  Intercostalraum  (Baizeau)  und 
aufwärts,  so  kann  das  Herz  verletzt  werden  (West  sah  danach 
Exitus).  Die  beste  Punctionsstelle  ist  deshalb  dicht  am 
Sternalrand  im  6.  Intercostalraume  nach  DELORME  und 
MlGNON  und  VOINITSCH. 

104)  Die  Pericardiotomie. 

Ollier  hat  den  Weg  gewiesen  zur  richtigen  Eröffnung-  des 
Pericards,  indem  er  die  Rippenresection  einführte,  welche  wir 
schon  für  die  Pleuraeröffnung  als  die  beste  Methode  erklärt  haben. 
LARREY  ist  am  Rippenrand  unter  der  7.  Rippe  zwischen  Thorax- 
wand und  Zwerchfell  eingegangen.  Wir  können  es  durchaus  nicht 
für  practisch  halten,  mit  VOLNTTSCH,  welchem  wir  sonst  so  werthvolle 
Beiträge  verdanken,  je  nach  Grösse  des  Ergusses  die  Operations- 
methode zu  ändern.  Es  kommt  vielmehr  vor  Allem  darauf  an,  bei 
einer  Operation,  welche  sehr  selten  in  Frage  kommt,  aber  sich  plötz- 
lich mit  dringlicher  Indication  dem  Chirurgen  aufdrängen  kann,  ein 
ganz  bestimmtes  Verfahren  zu  pflegen,  welches  für  alle  Fälle  ge- 
nügt. Es  kommt  darauf  an,  so  rasch  wie  möglich  mit  dem  Minimum 
von  Nebenverletzungen  auf  das  Pericard  zu  gelangen  und  dasselbe 
eröffnen  zu  können.  Damit  ist  der  dringlichsten  Indication  ein  Ge- 
nüge geleistet  und  der  Weg  zu  weiterer  Eröffnung  findet  sich  danach 
relativ  leicht.  Diese  Gesichtspunkte  bestimmen  uns  bei  der  Wahl 
der  Methode. 

Der  interpleurale  Raum,  durch  welchen  man  das  Peri- 
cardium  ohne  Behelligung  der  Pleura  freilegen  kann,  ist  nach  den 
eingehenden  Nachweisen  von  Terrier  und  Reymond  in  Grösse 
und  Lage  sehr  schwankend  und  daher  für  allgemein  gültige  Regel 
sehr  beschränkt.  Indes  besteht  darüber  Einigkeit,  dass  die  Ansatz- 
stelle des  6.  Rippenknorpels  am  Sternum  diejenige  Stelle  ist,  wo  in 
der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  weder  grössere  Gefässe  noch  Pleura 
noch  Lunge  sich  zwischen  Thoraxwand  und  Herzbeutel  schiebt. 
Hier  soll  deshalb  auch  die  Eröffnung  als  Regel  zuerst  vorgenommen 
werden.  Dies  geschieht  durch  Resection  des  6.  linken  Rippen- 
knorpels, auf  welche  man  demgemäss  als  ersten  Act  einer  correcten 
Pericardotomie  losgeht.  DELORME  und  MlGNON  haben  (allerdings 
mit   dem   5.)  den  Vorschlag  gemacht,    den  6.  Rippenknorpel  zu  ent- 


Thorax.  2^q 

fernen,  VoiNiTSCH  entfernt  noch  ein  Stück  des  7.  Knorpels  und  ein 
Stück  Sternum. 

Es  ist  nach  den  Statistiken  zweifellos,  dass  bei  Herzverletzungen 
meist  die  Pleura  mitverletzt  und  Sitz  von  Bluterguss  ist  und  dass 
man  deshalb  nicht  ängstlich  zu  sein  braucht  mit  ihrer  Schonung. 
Ebenso  richtig  ist  es,  dass  man  sich  nach  dem  Sitz  der  Verletzung 
hat  und  bei  Läsion  eines  Vorhofs  nicht  gleich  verfahren  kann,  wie 
zu  richten  bei  Verletzung  des  Ventrikels  gegen  die  Herzspitze  zu. 
Wenn  aber  ein  Verfahren  gestattet,  den  Herzbeutel  zu  eröffnen, 
ohne  die  Pleura  zu  betheiligen  und  danach  je  nach  Art  und  Ort  der 
Verletzung  das  Zugangsgebiet  zu  erweitern,  so  verdient  dieses  den 
Vorzug. 

Wir  haben  an  der  Leiche  folgende  Methode  Obigem  entsprechend 
gefunden:  Winkelschnitt  auf  dem  Sternum  median  und  über  dem 
linken  6.  Rippenknorpel  lateralwärts.  Wo  voraussichtlich  breite  Er- 
öffnung nöthig,  wird  der  senkrechte  Antheil  des  Schnittes  bis  zur 
Höhe  des  2.  Intercostalraumes  median  heraufgeführt  und  an  dem 
oberen  Rande  der  6.  Rippe  bis  zur  senkrechten  Mammillarlinie  lateral 
weiter  gezogen. 

Ablösung  des  Periosts  vom  Sternum  und  des  Perichondrium 
vom  6.  Rippenknorpel  sammt  linksseitigem  Pectoralis  major  stumpf, 
bis  das  Elevatorium  unter  den  Knorpel  geschoben  und  dieses  mit 
einer  Kneifzange  bis  dicht  am  Sternum  entfernt  werden  kann.  Muss 
breite  Freilegung  stattfinden,  so  löst  man  Sternalperiost  sammt 
Pectoralis  major -Ansatz  auch  nach  oben  los  und  legt  unter  Ab- 
hebung des  Perichondrium  dicht  am  Sternum  die  Ansätze  auch 
des  5.,  4.,  3.  Rippenknorpels  frei  und  kneift  sie  durch.  Im  lateralen 
Schnittantheil  trennt  man  Ansätze  des  Pectoralis  major  und  Rectus 
abdominis  entlang  dem  oberen  Rande  der  6.  Rippe.  Die  Fascie  des 
Intercostalis  externus  und  Muskelfasern  des  internus  werden  sammt 
Perichondrium  mit  Raspatorium  vom  Knorpel  abgehoben.  Es  er- 
scheint der  Muse,  triangularis  sterni  und  auf  diesem  die  Vasa 
mammaria  interna.  Die  sehnigen  Ansätze  des  Muskels  am  Sternum 
und  6.  Knorpel  werden  sorgfältig  getrennt  und  event.  die  Art. 
mammaria  interna  sammt  Vene  ligirt,  wenn  medialwärts  ziehende 
Aeste  stark  ausgebildet  sind.  Jetzt  ist  man  so  weit,  an  Stelle  des 
entfernten  6.  Rippenknorpelansatzes  den  Finger  auf 
den  derben,  glänzenden  Herzbeutel  legen  zu  können. 
Wenn  nöthig,  kann  er  hier  punetirt  oder  eröffnet  werden.  Sonst 
schiebt  man  den  durch  einen  Fettwulst  bezeichneten  Rand  der 
Pleura  mit  dem  Finger  stumpf  lateral  aufwärts  vom  Herzbeutel  los. 
Der  Muse,  intercostalis  internus  wird  mit  der  Pleura  lateral  ab- 
geschoben (da  er  nach  Delorme  -  MiGNON  letzterer  fest  anhaftet), 
ebenso  die  Mammargefässe. 

17* 


2ÖO 


Specielle  Operationslehre. 


Nun  werden  der  5.,  danach  event.  4.  und  3.  Rippenknorpel 
allmählich  emporgehoben  (da  ihre  Ansätze  vom  Sternum  getrennt 
sind)  und  während  dieses  Emporhebens  wird  sachte  die  Pleura  von 
ihrer  Innenfläche  so  weit  zurückgeschoben,  dass  sie  nicht  gespannt 
und  zerrissen  wird,  was  leicht  geht.  Auf  diese  Weise  gelingt  es,  die 
Knorpel  sammt  der  normal  anliegenden  Haut  und  Musculatur  aufzu- 
klappen und  unter  Einbrechen  der  Verbindung  mit  den  Rippen- 
knochen  ganz   zurückzulegen.    Jetzt  kann   man  ohne  Bedenken  den 


Ansatz  des"\ 
ö.  Rippen- )•- 
knorpels  ) 


A.  rnam-  \ 
maria  int.  j 


M.  inter- 
costalis 


I 


K^ 


«« 


_._.; ;_ 


f  M.  pecto- 
Iralis   majo 

Herzbeutel 

|       Hin- 
)    schlag-- 
|  stelle  der 
I     Pleura 
f)I.  trian- 
\    gularis 
«-     sterni 

f  Vorderes 
Ende 
<     der  6. 

knöcher- 
Inen    Rippe 


Fig.  81.  Eröffnung  des  Herzbeutels.  Die  6.  knorpelige  Rippe  ist  in  toto  resecirt, 
die  Pleura  lateralwärts  geschoben  nach  Spaltung  des  M.  triangularis  sterni,  die 
Art.   mammaria   int.   unterbunden   und   durchschnitten,   der  Herzbeutel  eröffnet. 


Herzbeutel  entlang  dem  Sternalrand  und  im  5.  Intercostalraum  lateral- 
wärts spalten  und  das  Herz  von  den  Vorhöfen  bis  zur  Spitze  der 
Inspection  und  Palpation  zugänglich  machen. 

Fig.  81  illustrirt  unvollkommen  die  Art  unseres  Vorgehens:  Es 
sollte  der  6.  Rippenknorpel  dicht  am  Sternum  entfernt  sein,  die 
Muskeln  an  ihren  Ansätzen  gelöst  und  nicht  durchschnitten  gezeichnet 
sein,  der  Triangularis  nicht  abgelöst  von  der  Pleura. 

Sollte  die  Aufklappung  der  Rippenknorpel  noch  nicht  genug 
Raum  geben,  so  ist  es  sehr  leicht,  entweder  Stücke  des  Sternum 
zu   entfernen   (mit  Durand)    oder   von  der  Rückfläche  des  Sternum 


Thorax.  26 1 

die  Pleura  zurückzuschieben,  event.  auch  subperiostal  das  Sternum 
oben  und  unten  quer  zu  durchkneifen  und  unter  Luxation  der 
r  e  c  h  t  seitigen  Knorpelansätze  nach  rechts  aufzuklappen. 

Von  vorneherein  die  Freilegung  des  Herzens  unter  Umständen, 
wo  oft  Eile  von  nöthen  ist,  mittelst  Sternumresection  auszuführen, 
halten  wir  für  zu  eingreifend,  obschon  die  Methode  von  PODREZ, 
welcher  das  Sternum  median  trennt  und  sammt  linksseitigen  Rippen- 
knorpeln nach  links  herüber  aufklappt,  sowie  die  Verfahren  von 
Wehr,  Rydygier,  Pagenstecher  sehr  guten  Zugang  geben. 

Rotter  hat  nach  Ninni  eine  Methode  angegeben,  welche 
principiell  auf  Schonung  der  Pleura  verzichtet,  weil  dieselbe  fast 
immer  mitverletzt  ist  und  weil  die  Entleerung  des  Blutes  aus  der- 
selben bloss  nützlich  sein  kann.  Die  Schnittführung  besteht  ähnlich 
wie  diejenige  von  Wehr  aus  einem  Lappen  mit  rechtseitiger  Basis, 
aber  während  Wehr  das  Sternum  oben  und  unten  trennt,  lässt 
Rotter  dasselbe  intact.  Er  macht  am  unteren  Rande  der  3.  und 
5.  Rippe,  i1/2  cm  vom  Sternalrand  beginnend,  einem  8 — 10  cm  langen 
Schnitt  lateralwärts,  dann  neben  der  Mamilla  einen  deren  Endpunkte 
verbindenden  senkrechten  Schnitt  durch  die  ganze  Dicke  der  Brust- 
wand, eröffnet  also  die  Pleura  und  klappt  unter  Luxation  der  Rippen- 
knorpel am  Sternalrand  den  Lappen  medianwärts,  nachdem  er  4.  und 
5.  Rippe  in  senkrechtem  Schnitt  durchgekneift  und  die  betreffenden 
Intercostalarterien  ligirt  hat.  Die  Art.  mammaria  interna  wird  geschont. 

Thatsächlich  haben  auch  bis  jetzt  die  Chirurgen,  welche  Gelegen- 
heit hatten,  chirurgische  Eingriffe  am  Herzen  zu  machen,  die  Pleura 
nicht  geschont.  Wo  die  Pleuraverletzung  (durch  Nachweis  von  Hämo- 
thorax)  sicher  ist,  kann  man  daran  denken  nach  Rotter  vorzugehen, 
da  Rotter's  Verfahren  sehr  einfach  ist.  Ob  aber  die  breite  Er- 
öffnung einer  Pleurahöhle  gemäss  Erfahrung  in  anderen  Fällen  nicht 
bestehenden  Collaps  bedenklich  verstärkt,  bleibt  noch  zu  beweisen. 
Ausserdem  hat  der  senkrechte  Schnittantheil  beim  weiblichen  Ge- 
schlecht eine  unangenehme  Complication  in  dem  Vorhandensein  der 
Mamma. 

Es  ist  zweifellos,  dass  man  mit  verschiedenen  Methoden  zum 
Ziele  kommen  kann  und  dass  die  Lage  der  äusseren  Wunde  Be- 
rücksichtigung verdient  bei  der  Wahl  des  Vorgehens.  Die  bis- 
herigen glücklichen  Fälle  von  Herznaht  von  Rehn,  welcher  der  Erste 
war,  den  Beweis  zu  leisten,  dass  auf  diese  Weise  ein  Mensch  dem 
sicheren  Tode  zu  entreissen  ist,  von  Parozzani  und  Pagenstecher, 
welch  letzterer  Autor  schon  10  Fälle  von  Naht  von  Herzwunden 
mit  6  Heilungen  (alles  Ventrikelwunden)  zusammenstellen  konnte, 
sowie  die  unglücklichen  von  Farina  (der  zuerst  den  Versuch  der 
Herznaht  am  lebenden  Menschen  machte),  Cappelen,  GiORDANO, 
endlich    die    vielfachen    Freilegungen    des    Herzens    von   Stelzner, 


2  62  Specielle  Operationslehre. 

Podrez  u.  A.  sind  nach  den  verschiedensten  Methoden  ausgeführt 
worden. 

•  Wo  man  nicht  wegen  Verwundung  des  Herzens  oder  der 
Coronararterien  (welche  ligirt  werden  können)  die  Operation  ausführt, 
sondern  sich  sicher  mit  blosser  Eröffnung  des  Pericards  begnügen 
wird,  wie  bei  eitriger  Pericarditis,  da  wird  man  von  zu  com- 
plicirten  und  eingreifenden  Verfahren  von  vorneherein  abstrahiren 
müssen  und  sich  mit  der  Resection  des  6.,  event.  des  5.  Rippen- 
knorpels begnügen. 

Die  Indication  zur  Operation  ist  bei  infectiös  exsudativer  Peri- 
carditis ebensogut  eine  absolute,  wie  bei  anderen  Eiterungen;  blosse 
Punction  oder  zuwartende  Behandlung  sind  zu  verwerfen. 

Die  Behandlung  des  freigelegten  H e r z e n s  bedarf  noch 
zweier  Worte.  Heitler  (nach  L.  Braun)  hat  zur  Verhütung  von 
reflectorischer  Arythmie  bei  Anlegung  von  Nähten  Bepinselung 
mit  Cocainlösung  empfohlen.  Longo  schlägt  eine  gezähnte  Pincette 
zum  Fassen  und  Zusammenhalten  der  Wunde  vor  und  Rehn  will  die 
ersten  Faden  lang  lassen,  um  die  Anlage  der  weiteren  zu  erleichtern. 

Die  Herzchirurgie  hat,  ausser  für  Entzündungen,  Verletzungen 
und  Fremdkörper,  noch  in  3  weiteren  Formen  sich  einzuführen  ver- 
sucht, nämlich  als  Herzmassage,  Cardiocentesis  und  Cardiolysis. 

Tuffier  hat  bei  Narkoselähmung  beim  Thiere  das  Herz  frei- 
gelegt und  massirt,  ebenso  bei  einer  embolischen  Synkope  in  Folge 
Embolie. 

WATSON,  Senn,  Begouin,  Brühl  u.  A.  haben  bei  Lufteintritt 
in  die  Venen  in  das  rechte  Herz,  sowie  bei  Blutüberfüllung  des 
rechten  Herzens  die  Cardiocentese  beim  Thier  geprüft  und  beim 
Menschen  ausgeführt. 

DELORME  will  bei  „Symphyse  cardio -pericardique"  die  Ver- 
wachsungen zwischen  Herz  und  Herzbeutel  nach  Freilegung  mit  der 
Hand  lösen.  Wir  haben  vor  Kurzem  bei  einem  derartigen  Falle  am 
Cadaver  die  Lösung  versucht,  aber  trotz  Sorgfalt  das  Herz  ein- 
gerissen. 

M.  Rücken. 

105)    Ligatur    der   Arteria   dorsalis   scapulae   (Fig.    82). 

Schnitt  am  oberen  Scapulawinkel  schräg  abwärts  in  der  Richtung 
von  der  Vertebra  prominens  gegen  die  Schulterhöhe  über  die  Stelle, 
wo  man  den  Angulus  superior  scapulae  fühlt.  Trennung  von  Haut 
und  Fascie  und  der  Fasern  des  Cucullaris  parallel  der  Richtung  dieses 
Muskels.  Es  erscheint  unter  diesen  der  obere  Rand  des  Rhomboideus 
superior  schräg  von  oben  auswärts  laufend.  Lateral  kommt  vom 
Hals  herunter  der  dicke  Wulst  des  Levator  anguli  scapulae,  um  sich 


Rücken. 


263 


an  den  Scapulawinkel  anzusetzen.    Indem  man  diesen  Muskel  lateral- 

wärts  herumwälzt,  findet  man  an  seiner  Unterfläche  die  Arterie,  von 

vorne    aus    der   A.   transversa   colli   her-      •;■ 

kommend.     Auf    dem   Thorax    liegt   der 

M.  iliocostalis  medialwärts,  der  Ansatz  des 

Scalenus  posticus  oben,  Rippen  und  Inter- 

costalmuskeln  lateralwärts. 

In  der  Höhe  der  Mitte  der  Fossa 
infraspinata  findet  man  die  Arterie  durch 
Schnitt    entlang   dem 

M.  rhomboideus  superior 
M.  intercostalis  externus 
A.  transversa  colli 
A.  dorsalis  scapulae 
M.  cucullaris 
M.  levator  scapulae 
Angulus  sup.'  scapulae 


medialen  Scapular- 
rand  (Fig.  105).  Im 
oberen     Winkel     des 


11 


II 


Fig.  82.    Ligatura  arteriae  dorsalis  scapulae. 


Schnittes  erscheint  der  schräge  laterale  Rand  des  M.  cucullaris.  An 
der  Scapula  wird  der  schräg  von  der  Wirbelsäule  herabkommende 
Rhomboideus  superior  gelöst,  an  seiner  Unterfläche  längs  des  Scapular- 
randes  läuft  die  Arterie. 


264  Specielle  Operationslehre. 

106)  Nervus  suprascapularis. 

Schnitt  in  der  Richtung  einer  Linie  von  der  hinteren  Acromial- 
ecke  gegen  die  Vertebra  prominens,  und  zwar  am  oberen  Rand  der 
Cristä  beginnend,  aufwärts  durch  Haut  und  Fascie.  Trennung  der 
Cucullarisfasern  in  der  Richtung  derselben.  An  der  Crista  scapulae 
wird  der  M.  supraspinatus  losgelöst,  aufwärts  bis  zur  Incisura  scapulae, 
wo  der  Nerv  auf  dem  Knochen  liegt. 

107)  Arteria  circumflexa  scapulae  von  hinten. 

Schnitt  an  der  Rückfläche  der  Schulter  oberhalb  der  hinteren 
Axillarfalte  entlang  dem  oberen  Rande  des  M.  latissimus  dorsi, 
den  man  durch  Umgreifen  von  unten  leicht  bestimmen  kann.  Nach 
Spaltung  der  Haut  und  Fascie  tritt  der  obere  Rand  des  M.  latissimus 
dorsi  und  des  Teres  major  zu  Tage  und  am  Rande  der  Scapula  der 
untere  Rand  des  Teres  minor.  Indem  man  diesen  2  Finger  breit 
vom  Oberarmknochen  entfernt  freilegt,  findet  man  die  Arterie  am 
medialen  Rande  des  langen  Kopfes  des  Triceps. 

108)  Chirurgie  des  Mediastinum  posticum. 

Es  ist  hauptsächlich  das  Mediastinum  posticum  und  die  darin 
enthaltenen  Organe,  in  erster  Linie  der  Oesophagus,  welcher  zu 
chirurgischen  Eingriffen  Indication  geboten  haben. 

Stoganov  hat  (März  1899)  15  Fälle  von  Mediastinotomia  postica 
zusammengestellt:  12  Mal  wurde  wegen  Abscess  oder  Wirbelleiden 
operirt,  2  Mal  zur  Spaltung  einer  Strictur  des  Oesophagus  und  Ent- 
fernung eines  Carcinoma  oesophagi,  1  Mal  wegen  Tuberculose ;  dazu 
kommt  noch  1  Fall  von  Forgue  zur  Extraction  eines  Fremdkörpers 
und  1  Fall  von  Leobet  zur  Spaltung  von  Stricturen. 

Stoganov  giebt  die  geschichtliche  Entwicklung  und  bezeichnet 
die  Operation  als  die  NASSlLOW'sche.  Nassilow  hat  1880  nach 
Studien  am  Cadaver  die  Technik  der  Operation,  den  Oesophagus 
bei  Fremdkörpern  und  Tumoren  zugänglich  zu  machen,  festgestellt. 
Quenu  und  Hartmann  haben  1891  seine  Methoden  adoptirt. 
Obalinski  eröffnete  1891  einen  tuberculösen  Abscess  im  Mediastinum, 
nachdem  schon  BöCKEL  früher  dazu  gerathen  und  Vincent,  Auffret 
und  Schöffer  bei  Wirbeltüberculose  die  Operation  durchgeführt 
hatten.  Ziembicki  befürwortete  die  Operation  1895.  Ich  habe  am 
Cadaver  1897  ein  Carcinoma  oesophagi  excidirt  und  Rehn  hat  die 
Operation  am  Lebenden  gemacht. 

Potarca  hat  1898  eingehende  Studien  über  die  Technik  an- 
gestellt. Während  Nassilow  im  oberen  Theil  von  links,  im  unteren 
von  rechts  einzugehen  empfahl,  hat  Potarca  ganz  entschieden  den 
Einschnitt  rechts  befürwortet,  obschon  sich  rechts  die  Pleura  etwas 
tiefer  unter  den  Oesophagus  schiebt,  weil  links  die  Aorta  zu  hinder- 
lich ist. 


Rücken. 


265 


Rehn  ist  Potarca's  Empfehlung  gefolgt,  von  der  rechten 
Seite  her  einzugehen,  weil  links  die  Aorta  thoracica  grosse  Schwierig- 
keiten bietet.  Längsschnitt  in  der  Mitte  zwischen  den  Spinae  der 
Wirbel  und  dem  Innenrand  des  Schulterblattes  bis  auf  die  Rippen, 
subperiostale  Resection  der  Anfangsstücke  von  3  Rippen  (2 — 4  nach 
Potarca)  in  der  Länge  einiger  Centimeter.  Trennung  der  Inter- 
costalmuskeln  und  Isolirung  und  Durchschneidung  der  Intercostal- 
gefässe  und  -nerven  nach  Ligatur  ersterer. 

Mit  grosser  Sorgfalt  muss  in  die  Tiefe  von  der  Seitenfläche  der 
Wirbelkörper  eingegangen  werden  unter  Schonung  des  Stranges 
des  Sympathicus,  unter  Abdrängung  oder  Ligatur  der  Vena  azygos, 
welche  wie  der  N.  vagus  der  rechten  Seitenfläche  des  Oesophagus 
anliegt.  Letzterer  lässt  sich  nunmehr  anziehen,  bei  Fremdkörpern 
und  Stricturen  incidiren,  und  bei  Divertikeln  bei  Neubildung  reseciren. 
Die  beiden  Enden  werden  drainirt,  das  untere  behufs  Ernährung. 

Heidenhain  (Langenbeck's  Arch.,  Bd.  59)  will  im  Gegensatz 
zu  Quenu,  Hartmann,  Rehn  in  das  hintere  Mediastinum  ein- 
dringen mit  einem  Schnitt  dicht  neben  der  Mittellinie  (event. 
unter  Zufügung  eines  Querschnittes  durch  die  Muskeln)  und  sofort 
einen  oder  mehrerer  Querfortsätze  sammt  Anfangsstück  der 
Rippen  reseciren.  Schon  die  Wegnahme  eines  einzigen  Querfort- 
satzes genüge  beim  Erwachenen,  um  einen  freien  Zugang  zum 
Mediastinum  zu  erhalten  durch  Ablösung  der  Weichtheile  entlang 
Seiten-  und  Vorderfläche  des  Wirbelkörpers.  Pleuraverletzung  sei 
nicht  zu  fürchten. 

Wenn  die  periösophageale  Phlegmone  im  oberen  Theile  des 
Mediastinum  sitzt,  so  kann  man  vom  Halse  aus  leicht  bis  zum 
3.  Brustwirbel  eindringen  durch  Schnitt  über  der  Clavicula  und  Ein- 
gehen zwischen  den  beiden  Köpfen  des  Sternocleido,  besser  mit 
querer  Abtrennung  des  Muskels  von  der  Clavicula.  Man  dringt 
über  dem  Sterno-Claviculargelenk  links,  lateral  von  Carotis  und  Vena 
jugularis  communis  in  die  Tiefe,  rechts  geht  man  zwischen  diesen 
beiden  Gefässen  hinein.  Durch  Operiren  von  oben  und  hinten  gelang 
es  Heidenhain,  den  Oesophagus  bis  zur  Mitte  von  der  Wirbelsäule 
loszulösen  und  ihn  beweglich  zu  machen.  Er  hat  wie  CAVAZZANI 
eine  periösophageale  Phlegmone  auf  diese  Weise  geheilt.  Auch 
Rasumowsky  hat  durch  dieses  Verfahren  eine  Mediastinitis  acuta 
postica  zur  Heilung  gebracht. 

Wir  haben  an  der  Leiche  ein  Carcinoma  oesophagi  unmittelbar 
unter  der  Theilungsstelle  der  Trachea  sitzend  freigelegt.  Wir  halten 
es  für  nöthig,  in  der  Regel  mehr  als  4  Rippen  zu  reseciren,  und 
zwar  nach  Höhe  des  Leidens  die  2. — 7.  oder  die  4. — 9.  etc.  Man 
schneidet  auf  dem  Angulus  posterior  costarum  in  senkrechter  Richtung 
ein,    eine  Handbreit   von   der  Medianlinie  durch  Haut,   M.  cucullaris, 


2 66  Specielle  Operationslehre. 

rhomboidei,  latissimus  und  serratus  posticus,  löst  medianwärts  die 
sehnigen  Ansätze  des  Iliocostalis  und  Longissimus  von  den  Rippen 
los  und  resecirt  unter  sorgfältiger  subperiöstaler  Isolirung  der  einzelnen 
Rippen  aus  sechs  derselben  ein  gut  10  cm  langes  Stück.  Die  Arteriae 
und  Nervi  intercostales  werden  gut  sichtbar  und  sind  leicht  zu  unter- 
binden und  zu  durchschneiden. 

Die  so  blossgelegte  Pleura  wird  stumpf  ohne  Schwierigkeit  bis 
zur  Vorderfläche  der  Wirbelsäule  losgelöst.  Jetzt  fühlt  man  rechts 
von  der  Aorta  den  Tumor  der  Speiseröhre,  resp.  diese  selber,  und 
kann  sie  heranziehen ,  soweit  nicht  Verwachsungen  mit  den  an- 
stossenden  Organen  bestehen.  Verwachsene  Neubildungen  von  der 
Aorta  und  übrigen  Umgebung  in  der  Tiefe  lösen  zu  wollen,  erscheint 
als  ein  zu  gewagtes  Unterfangen,  obschon  Faraboeuf  die  Aorten- 
wand für  sehr  widerstandsfähig"  erklärt. 

Bryant1)  will  wie  Nassilo w  bloss  oberhalb  des  Aortenbogens 
von  links  her  auf  die  Speiseröhre  eingehen,  unterhalb  dagegen  rechts ; 
unterhalb  des  9.  Dorsalwirbels  werde  es  überhaupt  zu  schwierig.  Bei 
Fremdkörpern  in  dem  einen  oder  anderen  Bronchus,  oder  in  der 
Speiseröhre  bildet  er  einen  viereckigen  Lappen  mit  Basis  über  den 
Dornen,  schlägt  ihn  auf  die  andere  Seite,  resecirt  bloss  eine  Rippe, 
indem  er  ober-  und  unterhalb  je  eine  nächstliegende  bloss,  trennt  und 
umschlägt.  Er  bestimmte  bei  2  Erwachsenen  die  Entfernung  der 
Rückenwirbeldornen  von  den  oberen  Schneidezähnen  für  den  1.  auf 
203  mm,  für  den  2.  auf  21g,  3.  238,  4.  257,  5.  279,   10.  381  mm. 

Aus  der  Uebersicht  über  die  bisherigen  Vorschläge  und 
Operationen  bei  Erkrankungen  im  Mediastinum  posticum  ist  zu  er- 
klären, dass  man  unterscheiden  muss  zwischen  der  collaren  und 
dorsalen  Mediastinotomie.  Hacker  hat  diese  Unterscheidung 
bestimmt  präcisirt  und  ZlEMBlCKl  hat  gezeigt,  dass  es  unter  Um- 
ständen von  Vortheil  sein  dürfte,  beide  Methoden  zu  combiniren,  wie 
es  seither  geschehen  ist  in  einigen  Fällen. 

1)  Die  collare  Mediastinotomie  ist  von  Ziembicki,  Obalinski, 
Heidenhain  ,  Rasumowsky  ,  Lürmann  und  v.  Hacker  aus- 
geführt worden.  Wie  Heidenhain  vorzugehen  räth,  ist  oben  ge- 
sagt worden.  Hacker  hat  einige  interessante  Einzelheiten  seines 
Falles  mitgetheilt.  Einmal  konnte  er  durch  ein  RöNTGEN-Bild  nach 
Einführung  eines  Kautschukrohres  und  von  Jodoformglycerin  gut  die 
untere  Grenze  des  Abscesses  am  5.  Wirbelkörper  bestimmen.  Ferner 
zeigte  sich  Röthung  und  Gasentwicklung  über  der  einen  Clavicula 
bei  abhängiger  Lage.  HEIDENHAIN  fand  dieses  Zeichen  ebenfalls. 
Hacker  hat  die  sehr  empfehlenswerthe  Schräglage  des  Körpers  für 


I)  Transactions  of  the  American  surgical  association,  it 


Rücken. 


167 


die  Nachbehandlung  benutzt,  zugleich  hat  er  behufs  Ernährung  des 
Patienten   (wegen  Oesophagusperforation)    die  Gastrostomie    gemacht. 

Hacker  ist  im  Gegensatz  zu  Heidenhain  auf  der  medialen 
Seite  der  grossen  Gefässe  vorgedrungen.  Die  Localisation  der  Phleg- 
mone am  Halse  dürfte  den  zu  betretenden  Weg  vorschreiben. 

Wesentlich  ist ,  dass  wir  für  die  Freileg ung  des  Me- 
diastinum posticum  in  seinem  oberen  Theil  in  dem 
collaren  Weg  den  leichteren  und  ungefährlicheren  Zu- 
gang kennen  gelernt  haben,  wo  es  sich  um  Entzündungen  handelt. 
Und  dies  ist  praktisch  zunächst  das  Wichtigste.  Die  Phlegmonen, 
welche  sich  hier  entwickeln,  schliessen  sich  mit  Vorliebe  den  Oeso- 
phagusperforationen  (Fremdkörper)  an,  wo  der  Arzt  oft  nicht  rasch 
genug  sich  zu  einem  Eingriff  entschliessen  kann,  wenn  er  das  Leben 
seines  Patienten  retten  will. 

2)  Für  die  dorsale  Mediastinotomie  verdanken  wir 
Heidenhain  den  richtigen  Wegweiser,  um  die  Hauptgefahr,  näm- 
lich die  Verletzung  der  Pleura,  zu  vermeiden.  Diese  hat  oft  statt- 
gefunden und  hat  durch  Infection  der  Pleura  den  Tod  veranlasst. 
Heidenhain  verlegt  den  Schnitt  neben  die  Mittellinie  des  Rückens, 
schiebt  die  Weichtheile  von  dem  Wirbelbogen  ab,  bis  die  Quer- 
fortsätze erscheinen.  Dann  werden  diese  zuerst  resecirt  und  von  da 
der  Anfangstheil  der  Rippe.  So  kann  man  dicht  an  der  Seitenfläche 
der  Wirbelkörper  in  die  nöthige  Tiefe  (10  cm  etwa)  eindringen,  und 
mit  der  geringsten  Gefahr  der  Verletzung  die  Pleura  mit  der  dünnen 
Fascie  drüber  auf  die  Seite  schieben.  Schon  die  Entfernung  eines 
Querfortsatzes  genügt  nach  Heidenhain,  um  ins  Mediastinum  ein- 
zudringen, was  bei  Abscessen  von  besonderem  Werth  ist. 

109)  Die  Eröffnung  des  Mediastinum  anticum. 

Je  nach  Ausdehnung  der  Erkrankung  wird  das  Sternum  in 
verschiedener  Ausdehnung  resecirt.  Ich  habe  mehrere  Resectionen 
des  Sternum  ausgeführt,  allerdings  wegen  Neubildungen  im  Sternum, 
d.  h.  Metastasen  als  Folge  von  Struma  maligna;  dieselben  betrafen 
stets  das  Manubrium  sterni;  nur  einmal  wurde  wegen  Tuberculose, 
einmal  wegen  Blutung  aus  der  Arteria  anonyma  resecirt. 

Ich  bin  in  ähnlicher  Weise  vorgegangen  wie  BARDENHEUER, 
bloss  begnügte  ich  mich  mit  Exarticulation  der  Sterno-Clavicular- 
gelenke.  Bardenheuer  macht  einen  Querschnitt  am  oberen  Rande 
des  Manubrium  und  einen  Längsschnitt  darauf,  schneidet  die  Clavicula 
und  die  beiden  ersten  Rippen  subperiostal  auf  beiden  Seiten  3—4  cm 
entfernt  vom  Rande  des  Sternum  durch,  löst  das  Periost  von  der 
Rückseite  los  und  spaltet  dieses  in  senkrechter  Richtung-. 

GiORDANO  hat  eine  Osteoplastik  in  der  Weise  vorgenommen, 
dass  er  rechts  vom  Sternum  einen  Längsschnitt  macht  und  die  Rippen- 


2 68  Specielle  Operationslehre. 

knorpel  nach  vorsichtiger  Abdrängung  der  Pleura  trennt.  Oben  und 
unten  wird  ein  Querschnitt  gemacht,  die  Pleura  zurückgeschoben 
und  das  Brustbein  quer  an  beiden  Stellen  durchschnitten.  Dieser 
Knochenlappen  wird  unter  Luxation  der  Sternocostalgelenke  der 
linken  Seite  aufgeklappt. 

Am  radicalsten  ist  H.  Milton  vorgegangen,  welcher  in  ganzer 
Länge  des  Sternum  einen  Längsschnitt  durch  dessen  Mitte  macht 
unter  Abtrennung  des  Processus  xiphoideus  und  Trennung  der 
strammen  Bindegewebsverstärkungen  im  Bereich  der  Incisura  sterni. 
Die  beiden  Hälften  werden  einfach  durch  kräftige  Haken  auseinander- 
gezogen. Sein  Patient  wurde  geheilt  (Tuberculose  wesentlich  des 
Sternum  selber). 

110)  Eröffnung  der  Rückgratshöhle  —  Laminektomie. 

DiePunction  des  Lumbaisackes  der  Rückgratshöhle, 
deren  Einführung  QuiNCKE's  Verdienst  ist,  hat  eine  stets  zunehmende 
Bedeutung  gewonnen,  obschon  die  neueste  Indication  zu  deren  Be- 
nutzung, nämlich  behufs  medullärer  Anästhesirung,  sich  in  bisheriger 
Form  als  unzulässig  erwiesen  hat. 

Wie  die  Punction  ausgeführt  wird,  haben  wir  im  Capitel  der 
Anästhesie  auseinandergesetzt  und  können  auf  Schilderung  und  Ab- 
bildung daselbst  verweisen.  Die  Hauptindication  zur  Ausführung 
der  Lumbalpunction,  wie  man  sie  schlechtweg  bezeichnet,  ist 
eine  diagnostische.  Man  kann  nicht  bloss  über  Bluterguss  und  Ent- 
zündung im  Arachnoidealraum  sich  Gewissheit  verschaffen,  sondern 
auch  die  Natur  einer  Entzündung  durch  bakteriologische  Untersuchung 
feststellen.  Das  kann  einen  sehr  bedeutenden  Werth  haben  und  sollte 
im  Zweifelfalle  niemals  unterbleiben. 

Eine  weitere  Indication  ist  die  Feststellung  "des  im  Arachnoideal- 
raum des  Rückenmarks  und  Gehirns  herrschenden  Druckes  und  der 
Natur  eines  Ergusses  in  denselben.  Allein  hier  muss  man  sich  ganz 
besonders  dann  in  Acht  nehmen,  wenn  man  in  therapeutischer  Absicht 
die  Cerebrospinalflüssigkeit  durch  Lumbalpunction  entleert.  Zunächst 
giebt  die  Punction  kein  sicheres  Maass  für  den  Druck  in  der  Schädel- 
kapsel, indem  der  Druck  sehr  rasch  sinken,  im  Schädel  weiterbestehen 
kann ;  ferner  kann  die  Lumbaiflüssigkeit  (Volke)  eiweissreicher  sein, 
als  der  Ventrikelinhalt  (Transsudate  bei  Tumor  sind  z.  B.  eiweiss- 
reicher als  bei  Hydrocephalus).  Endlich  hat  man  plötzliche  Todes- 
fälle beobachtet,  weil  der  hohe  intracranielle  Druck  das  Kleinhirn  in 
den  Rückgratscanal  verschiebt  bei  plötzlichem  Drucknachlass  weiter 
unten  und  der  Druck  auf  die  Oblongata  Respirationslähmung  be- 
wirkt. GUMPRECHT  hat  nicht  weniger  als  17  derartige  Fälle  in  der 
Literatur  gefunden. 


Lendengegend.  269 

HORSLEY  hat  durch  seine  brillanten  Operationen  gezeigt,  was 
für  schöne  Erfolge  man  durch  Aufhebung  eines  durch  Tumoren  be- 
dingten Druckes  auf  das  Rückenmark,  selbst  in  sehr  weit  gediehenen 
Fällen,  erzielen  kann,  und  andere  Chirurgen  haben  nicht  minder  er- 
freuliche Wirkungen  in  Folge  Aufhebung  eines  durch  Fracturen  und 
Luxationen  bedingten  Druckes  der  Wirbel  oder  durch  Eröffnung  von 
Abscessen  erreicht. 

Die  Operation  wird  in  folgender  Weise  ausgeführt: 

Langer  Medianschnitt  bis  auf  die  Wirbeldornen,  Loslösung  der 
beiderseitigen  Muskeln  dicht  am  Knochen  mit  dem  Messer  (nament- 
lich des  Muse,  transverso-spinalis) ,  wo  nöthig  unter  queren  Ein- 
kerbungen der  starken  bedeckenden  Fascie.  Die  freigelegten  Dornen 
werden  mit  der  Knochenzange  an  der  Basis  abgetragen  und  sammt 
den  Ligamenta  interspinalia  entfernt.  Die  Abtragung  der  hinteren 
Wirbelbogen  wird  in  der  Weise  gemacht,  dass  man  die  starken  Liga- 
menta intercruralia  (flava)  längs  dem  oberen  und  unteren  Rande  der 
Bogen  dicht  am  Knochen  quer  durchschneidet.  Mit  der  Zange  werden 
die  Bogen  an  beiden  Seiten  durchkneift  und  herausgehoben,  und  zwar 
einer  nach  dem  anderen,  bis  das  Rückenmark  genügend  freigelegt  ist. 

Fettgewebe  und  starke  Gefässe  (Circuli  venosi)  werden  unter 
eventuellen  Unterbindungen  mit  dem  Messer  median  getrennt,  dann 
die  Dura  in  der  Mittellinie  gespalten.  Natürlich  wird  die  Dura  nicht 
eröffnet,  wenn  es  sich  nur  um  Druck  handelt  durch  einen  verschobenen 
oder  gebrochenen  Wirbel  oder  einen,  extraduralen  Tumor  oder  Abscess. 

Auch  bei  Eröffnung  der  Dura  ist  nach  Drainage  die  vollständige 
Naht  zu  machen,  und  lässt  sich  damit  binnen  2  X  24  Stunden  voll- 
kommene Primaheilung  erzielen. 


N.  Lendengegend. 

111)  Nephrotomie  (Fig.  83). 

Die  Nephrotomie  wird  gemacht  wegen  Wanderniere,  um  die- 
selbe an  Haut  und  Fascie  anzuheften,  zur  Eröffnung  des  Nieren- 
beckens und  der  Kelche  bei  Hydro-  und  Pyonephrose,  bei  Nephro- 
lithiasis,  bei  Neubildungen.  Eine  sehr  wichtige  Indication  zur  Ne- 
phrotomie hat  die  Neuzeit  gebracht  in  Form  des  einfachen  Ent- 
spannungsschnittes, nachdem  Reginald  Harrison  erst  1878, 
dann  1896  Dank  falscher  Diagnose  festgestellt  hatte,  dass  bei  acuter 
Nephritis  mit  vermehrter  Spannung  und  Härte  der  Niere  nicht  bloss 
in  Folge  einer  Incision  Schmerzen,  Blutharnen  und  Albuminurie  ver- 
schwanden, sondern  auch  der  Zustand  der  anderen  Niere  durch  Herab- 
setzung der  functionellen  Ansprüche  gebessert  wurde.  KORTEWEG 
hat  in  neuester  Zeit  hervorgehoben,  dass  jede  Anschoppung  der  Niere, 


270 


Specielle  Operationslehre. 


wie   sie  z.  B.  bei  steigendem  Druck  im  Ureter  und  Nierenbecken  zu 
Stande   kommt,    durch   Venenstauung    zu    einer    Art    Einklemmung 


^f^j^"»>wj»  .'J-  .^  . 


Fig.  83.     1.  und  2.    Nephrotomie.    3.  Ligatura  arteriae  ischiadicae,  A.  pudendae 

internae,  Freilegung  des  N.  ischiadicus,  des  N.  pudendus  internus.    4.  Ligatura 

arteriae  glutaeae  superioris  (N.  glutaeus  superior). 


Lendengegend.  27 1 

führen  kann,  welche  Anurie  im  Gefolge  haben  kann  und  den  sym- 
pathischen Beziehungen  beider  Nieren  wegen  auch  die  andere  Niere 
mit  Anschoppung  bedroht.  Lendenschmerzen,  hohes  remittirendes 
Fieber,  Abnahme  des  Harnquantums,  leichte  anämische  Erscheinungen 
sind  ihm  daher  sichere  Indication  zum  Entspannungsschnitt  —  bei 
chronischen  Nephritisf allen  Schmerzen  und  Blutungen.  ISRAEL, 
GuYON,  ALBARRAN,  TER  BRAAK  haben  zu  diesem  wichtigen 
Gegenstand  weitere  Beiträge  geliefert. 

Man  kann  die  Nephrotomie  von  hinten  oder  von  vorn  machen. 
Der  vordere  Schnitt,  von  BERGMANN  angegeben,  wird  meist  als 
Lateralschnitt  bezeichnet,  obschon  sein  Haupttheil  auf  der  Vorderfläche 
des  Abomen  liegt1). 

Für  die  Mehrzahl  der  Fälle  von  blosser  Nephrotomie  genügt  der 
hintere  schräge  Querschnitt,  wie  auch  Czerny,  Küster  und  Braun 
ihn  empfehlen.  Derselbe  muss  als  Normalschnitt  für  die  Lenden- 
gegend bezeichnet  werden,  weil  er  dem  Laufe  der  Nerven  und  Gefässe 
entspricht  und  den  meisten  Raum  für  das  Eindringen  in  die  Tiefe 
gewährt.     Der  SiMON'sche  Längsschnitt  giebt  zu  wenig  Raum. 

Der  Schnitt  beginnt  auf  der  Wölbung  des  M.  sacro-lumbalis  im 
Winkel  zwischen  diesem  Muskel  und  der  12.  Rippe  und  verläuft  bis 
zur  Axillarlinie.  Er  trennt  die  Haut,  Unterhaut,  die  starke  Fascia 
lumbodorsalis  und  die  von  ihr  entspringenden  Muskeln,  M.  latissimus 
dorsi  und  darunter  den  dünnen  Serratus  posticus  inferior.  Die  lateralste 
Zacke  des  ersteren  Muskels  erscheint  als  ein  platter,  dicker  Muskelwulst. 
Der  Serratus  posticus  inferior  bildet  auf  dem  Sacrolumbalwulst  und 
lateral  von  demselben  eine  dünnere  Muskelplatte  mit  schräg  nach  oben 
aussen  aufstrebenden  Fasern,  die  man  nicht  immer  deutlich  als  eigene 
Schicht  erkennt.  Der  Sacrolumbalis  wird  kräftig  medianwärts  gezogen 
mit  stumpfem  Haken.  Der  M.  obliquus  abdominis  externus,  welcher 
im  vorderen  Winkel  von  der  letzten  Rippe  abgeht  mit  abwärts 
gehenden  Fasern,  wird  eine  kurze  Strecke  an  seinem  hinteren  Rande 
quer  getrennt  und  unter  und  hinter  ihm  in  gleicher  Weise  die  schräg 
aufwärts  steigenden  Fasern  des  M.  obliquus  internus.  Unter  dem  Sarco- 
lumbalis  und  zwischen  den  Schnitträndern  der  erwähnten  Muskeln 
erscheint  die  stramme,  glänzende,  quer  gestreifte  Fascia  lumbo- 
costalis,  an  welcher  die  Fasern  des  M.  abdominis  transversus  ent- 
springen. Zur  Nephrorhaphie  kommt  man  mit  blosser  Spaltung  des 
Latissimus  dorsi  und  der  Fascia  lumbo-dorsalis  zwischen  lateralem 
Rande  des  M.  sacrolumbalis  (und  darunter  des  Quadratus)  und  dem 
Hinterrande  der  beiden  schiefen  Bauchmuskeln  aus,  ohne  die  Muskeln 
selbst  zu  verletzen. 


1)  Die  Winkel-   und   Lappenschnitte   von  König  uud  Bardenheuer  sind 
zu  verletzend. 


272  Specielle  Operationslehre. 

Nach  Spaltung  dieser  Fascie  tritt  der  Rand  des  M.  quadratus 
lumborum  zu  Tage,  fast  senkrecht  verlaufend  und  parallel  dem  Rande 
des  Sacrolumbalis,  denselben  etwas  überragend.  Am  unteren  Rande 
der  12.  Rippe  tritt  der  N.  intercostalis  XII  mit  begleitenden  Gefässen 
hervor  und  geht  im  lateralen  Theil  des  Schnittes  zum  Theil  unter, 
zum  Theil  über  dem  Obliquus  internus-Rand  schräg  vor-  und  abwärts. 
Der  N.  lumbalis  I  (ilio-hypogastricus)  tritt  dicht  am  Rande  des  M.  qua- 
dratus  lumborum   im   medialen  Theil   des  Schnittes   schräg   abwärts. 

Am  lateralen  Rande  des  M.  quadratus,  den  man  nach  Bedürfniss 
einkerben  oder  abziehen  kann,  liegt  unter  der  dünnen  Fascia  trans- 
versa das  reichliche  retrorenale  lockere  Fettgewebe  mit  Gefässen. 
Der  stumpf  eingehende  Finger  trennt  diese  Gewebe  (Capsula  adiposa) 
vorsichtig,  zieht  das  oft  reichliche  Fett  mit  Haken  zurück  und  kommt 
ohne  Widerstand  auf  die  Niere.  Nur  bei  Wanderniere  muss  dieselbe 
oft  durch  Druck  auf  die  Bauchdecken  von  vorne  her  entgegengebracht 
werden.  Nun  wird  die  dünne  fibröse,  die  Niere  stramm  überziehende 
Capsula  propria  eingekerbt  und  stumpf  von  der  Niere  gelöst;  bei 
Nephrorhaphie  wird  sie  breit  in  der  Naht  gefasst  und  mit  der  Fascia 
lumbo  -  dorsalis  durch  4 — 6  Nähte  fest  vereinigt.  Die  blossgelegte 
Nierensubstanz  bleibt  in  der  offen  zu  lassenden  Wunde  frei,  damit 
die  derbe  Narbe  von  der  Haut  bis  in  die  Nieren  Substanz  hereinreiche. 
Die  oben  erwähnten  Nerven  dürfen  nicht  in  die  Naht  gefasst  werden. 

Zur  Eröffnung  des  Nierenbeckens  wird  direct  von  hinten  ein- 
eingegangen bei  Dilatation  desselben ;  dies  geschieht  vorzüglich  in 
Fällen,  wo  man  Fremdkörper  (Steine)  aus  dem  Nierenbecken  entfernen 
will,  oder  wo  man  nach  Eröffnung  des  Beckens  eine  Ureteroplastik 
beabsichtigt,  wie  bei  vielen  Fällen  von  Hydronephrose  mit  unrichtiger 
Implantation  des  Ureter.  Wenn  man  nicht  nachher  durch  Naht  das 
Nierenbecken  verschliessen  kann,  so  bildet  sich  gern  eine  Fistel  aus. 

Wo  Gefahr  einer  Nierenbeckenfistel  besteht,  oder  wo  die  breite 
Eröffnung  des  Beckens  nicht  nöthig  ist,  macht  man  die  Eröffnung 
besser  von  der  Nierenconvexität  her  in  Form  eines  kurzen  Längs- 
schnittes, durch  welchen  der  Finger  in  der  Richtung  des  Hilus  bis 
ins  Nierenbecken  eingeführt  wird.  Es  ist  sehr  wünschenswerth,  dass 
man  den  „TuFFiER'schen  Sectionsschnitt"  der  Niere  vom  convexen 
Rande  her  nicht  zu  lang  mache. 

Zondeck  hat  durch  seine  schönen  Injectionspräparate  gezeigt, 
dass  man  etwas  dorsalwärts  von  dem  convexen  Rande  einschneiden 
muss,  um  das  vordere  und  hintere  Gefässgebiet  möglichst  zu  schonen. 
Thut  man  das  nicht,  so  kommen  gefährliche  Blutungen  und  Nach- 
blutungen. An  einer  solchen  sah  ich  in  der  Praxis  eines  Collegen 
nach  einem  Explorativschnitt  in  eine  gesunde  Niere  den  Patienten  zu 
Grunde  gehen.  Es  ist  gut,  grössere  Gefässe  im  Schnitt  durch  die 
Nierensubstanz  zu  unterbinden. 


Lendengegend.  273 

Sobald  die  Nierensubstanz  verletzt  werden  musste,  ist  es  zweck- 
mässig, die  äussere  Wunde  offen  zu  behandeln  oder  secundär  zu 
nähen,  nicht  bloss  wegen  des  Urinabflusses,  sondern  weil  nach  unseren 
Erfahrungen,  die  ich  gemeinsam  mit  Dr.  Tavel  machte,  Nieren- 
verletzungen leicht  die  Umgebung  inficiren.  Die  Niere  beherbergt 
gewöhnlich  (durch  Ausscheidung)  Mikroorganismen,  welche  zu  Ent- 
zündung Anlass  geben.  Es  ist  deshalb  auch  zweckmässig,  derartige 
Patienten  mit  Salol,  3,0  pro  die,  auf  die  Operation  vorzubereiten. 
Die  Nierenwunde  dagegen  sollte  sehr  genau  vernäht  werden,  wenn 
nicht  infectiöser  Inhalt  des  Nierenbeckens  oder  Nierenparenchyms 
dies  verbietet.  Eine  gute  Naht  ist  das  beste  Blutstillungsmittel. 
Besteht  Infection,  so  wird  eine  bis  zum  Nierenbecken  reichende 
Tamponade  gemacht,  oder  besser  nach  reichlicher  Spülung  mit 
steriler  Kochsalzlösung  ein  Drain  eingeführt,  mit  Xeroformgaze  um- 
geben und  mit  einem  Collodialstreifen  fixirt.  Der  äussere  Verband 
ist  häufig  zu  wechseln. 

112)  Die  Nephrorhaphie   oder  Nephropexie. 

Der  Schnitt  entspricht  vollständig  dem  unter  No.  1 1 1  beschriebenen 
und  in  Fig.  83  abgebildeten.  Nach  Spaltung  der  tiefen  Fascia  lumbo- 
costalis  erscheint  die  oft  sehr  fettreiche  äussere  Nierenkapsel  (Fett- 
kapsel). Es  ist  am  besten,  mit  Arterienzangen  das  Fett  in  grosse 
Portionen  zu  fassen  und  kräftig  herauszuziehen,  bis  die  Niere  folgt. 
Dann  drückt  der  Assistent  von  der  Vorderfläche  des  Abdomen  her 
die  in  Seitenlage  oft  stark  verschobene  Niere  an  die  Wunde  heran ;  der 
Chirurg  fasst  die  Nierenkapsel  (Fascia  propria)  mit  einer  Arterienzange 
und  zieht  die  Niere  nach  oben,  fasst  mit  einer  zweiten  Zange  weiter 
unten    und   so  weiter,   bis  er  die  Niere  möglichst  emporgehoben  hat. 

Mittelst  krummer  Nadel  wird  durch  die  Fascia  lumbo  -  dorsalis 
und  lumbo-costalis,  sowie  durch  die  Nierenkapsel  an  der  Stelle,  wo 
die  unterste  Arterienzange  liegt,  durchgestochen  und  so  die  Propria 
sammt  Fettkapsel  fixirt  und  mit  ihr  die  Niere.  Erst  jetzt  wird  auf- 
wärts die  Nierenkapsel  gespalten  und  nach  beiden  Seiten  hin  Arterien- 
zangen angelegt  und  jene  mit  weiteren  5 — 7  Nähten  an  die  oben 
erwähnten  Fascien  angeheftet.  Hat  man  anfänglich  die  Fettkapsel 
angezogen  und  die  Propria  gehörig  gespalten,  so  tritt  jetzt  ein  Stück 
Nierensubstanz  von  etwa  4 — 6  qcm  frei  in  der  Wundtiefe  zu  Tage  und 
man  kann  sich  überzeugen,  dass  nach  Anlegung  der  Naht  in  obiger 
Weise  die  Niere  bei  der  Inspiration  sich  nicht  mehr  abwärts  verschiebt. 
Man  löst  nach  allen  Seiten  die  Kapsel  noch  etwas  weiter  los  und 
schiebt  eine  Xeroformgaze  ein,  mit  welcher  man  die  Wunde  auffüllt. 
Darüber  kann  die  Wunde  provisorisch  geschlossen  und  mit  Xeroform- 
gaze und  einem  Kollodialstreifen  gedeckt  werden ;  darauf  kommt  ein 
antiseptischer  Verband,  welcher  nach  8  Tagen  gewechselt  wird. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  jg 


274  Specielle  Operationslehre. 

Es  ist  wesentlich,  dass  die  sich  bildende  Narbe  in  grösserer  Breite 
bis  an  die  nackte  Nierensubstanz  heranreiche,  denn  nur  dadurch  wird 
eine  sichere  und  bleibende  Fixation  erzielt.  Das  erreicht  man  mit  dem 
geschilderten  Verfahren.  Der  Versuch  einer  Heilung  per  primam  hat 
uns  viel  unbefriedigenderen  Erfolg  gegeben,  als  die  offene  Wund- 
behandlung. Die  Heilung  erfolgt  in  6  Wochen.  Die  Nähte  durch 
die  Nierensubstanz  durchzuführen,  hat  keinen  Sinn,  da  sie  in  dieser 
stets  durchschneiden. 

113)  Nephrektomie  (Simon's  Operation). 

Die  eine  Niere  wird  entfernt,  wenn  sie  Sitz  einer  malignen  Neu- 
bildung oder  einer  anderen  Erkrankung  ist,  welche  dem  übrigen 
Körper  Schaden  und  Gefahren  bringt.  Letzteres  ist  bei  infectiösen 
Processen  der  Fall,  allen  voran  bei  Tuberculose  und  Nieren  ei  terung. 
Die  totale  Entfernung  einer  Niere  darf  aber  nur  gemacht  werden, 
nachdem  festgestellt  ist,  dass  die  andere  Niere  die  Function  in  ge- 
nügender Weise  zu  übernehmen  vermag. 

Wir  haben  für  die  Nephrektomie  bis  in  die  letzte  Zeit  die 
Praxis  festgehalten,  den  Querschnitt  unter  Spaltung  des  M.  trans- 
versus  so  weit  nach  vorne  zu  verlängern,  dass  wir  die  in  den 
Bereich  der  hinteren  Axillarlinie  fallende  Uebergangsfalte  des  Peri- 
toneum neben  dem  Colon  treffen  und  hier  zuerst  das  Peritoneum 
eröffnen  konnten.  Damit  haben  wir  uns  der  BERGMANN'schen 
Schnittführung  genähert,  die  von  der  12.  Rippe  hinten  bis  zum 
mittleren  Drittel  des  Lig.  Pouparti  herabläuft,  aber  bloss  bei  grossen 
Tumoren  nöthig  ist.  Es  gelang  uns  stets,  die  Hand  von  hier  in  die 
Bauchhöhle  so  weit  vorzuschieben,  dass  wir  die  andere  Niere  abtasten, 
über  deren  Grösse  und  Consistenz  ein  Urtheil  bekommen  und  die 
Arteria  renalis  fühlen  konnten.  Auch  die  untere  Fläche  der  Leber 
und  Gegend  der  Gallenblase  lässt  sich  bei  dieser  Gelegenheit  abtasten, 
was  oft  wünschenswerth  ist  zur  Sicherung  der  Diagnose.  Nach  Fest- 
stellung des  Vorhandenseins  einer  gut  entwickelten  Niere  der  anderen 
Seite  wird  das  Peritoneum  mit  feiner  Seide  fortlaufend  vernäht.  Zweifel- 
los kann  man  durch  das  Verfahren  directer  Palpation  mit  ziemlich 
grosser  Sicherheit  Aufschluss  bekommen  über  den  Zustand  der  anderen 
Niere,  wenn  man  auf  Form,  Consistenz  und  Verhalten  der  Nieren- 
arterie genau  achtet.  Aber  bei  fettreichen  Individuen  kann  das  Ein- 
führen der  Hand  etwas  verletzend  sein. 

Die  neueste  Zeit  hat  uns  nun  in  der  Kryoskopie  Mittel  an 
die  Hand  gegeben,  um  über  den  Zustand  der  anderen  Niere  in  viel 
bequemerer  Weise  zu  urtheilen.  Es  ist  das  Verdienst  von  Koranyi, 
gezeigt  zu  haben,  dass  die  Bestimmung  der  moleculären  Concentration, 
d.  h.  die  derselben  entsprechenden  Gefrierpunkte,  für  Blut  und  Urin 
sicheren   Aufschluss   giebt   über   die   Functionstüchtigkeit  der  Niere. 


Lendengegend.  275 

Wenn  der  Gefrierpunkt  des  Blutes  (normal  — 0,56)  nicht  unter  — 0,58 
herabsinkt,  so  ist  die  moleculäre  Concentration  des  Blutes  nicht  abnorm, 
die  Producte  der  Eiweissumsetzung  werden  in  genügender  Weise  daraus 
ausgeschieden,  wie  die  Untersuchungen  von  Casper,  Kümmel  u.  A. 
gezeigt  haben.  Steht  der  Gefrierpunkt  des  Urins  nicht  höher  als  — 0,9 
(normal  — 1,0  bis  — 2,0),  so  enthält  er  genügend  organische  mole- 
culäre Bestandtheile,  um  die  Ausscheidung  aus  der  Niere  als  genügend 
anzusehen.  Eine  gesunde  Niere  functionirt  sofort  ebenso  gut,  wie 
beide.  Um  über  die  Nieren  einzeln  Aufschluss  zu  erhalten,  kann 
man  den  Ureterenkatheterismus  mit  zu  Hülfe  nehmen,  welchen  man 
möglichst  auf  die  kranke  Seite  beschränkt. 

Die  Entfernung  der  Niere  wird  je  nach  Erkrankung  so  ausgeführt, 
dass  nach  sorgfältiger  Ligatur  aller  an  die  Kapsel  herantretenden 
grösseren  Gefässe,  wenn  möglich,  die  Niere  in  toto  luxirt  und  mit 
der  Kropfsonde  die  Gebilde  des  Hilus  sorgfältig  isolirt  werden.  Man 
kann  selbst  faustgrosse  Tumoren  nach  hinten  luxiren.  Der  Ureter, 
der  nach  unten  liegt,  wird  zuletzt  ligirt,  und  zuerst  Arteria  und  Vena 
renalis  mit  der  Aneurysmanadel  umgangen  und  mit  mehrfachen  Seiden- 
fäden kräftig  umschnürt. 

Wo  Eiterung  besteht  oder  Infectionsprocesse  vorhanden  sind  (wie 
Tuberculose),  ist  es  besser,  Catgut  zu  benutzen.  Hängt  die  Niere 
bloss  noch  am  Ureter,  so  wird  dieser  doppelt  unterbunden  und  mit 
dem  Thermocauter  getrennt,  sobald  er  infectiöse  Stoffe  enthalten 
könnte.  In  letzterem  Falle  wird  er  in  die  Wunde  eingenäht,  wenn  er 
nicht  in  toto  exstirpirt  werden  kann.  Man  kann  zumal  bei  Tuber- 
culose mit  grossem  Nutzen  Jodoformöl  durch  den  eingenähten  Ureter 
in  die  Blase  spritzen  und  so  auf  die  so  oft  schon  vorhandene  secundäre 
C3^stitis  günstig  einwirken.  Besser  ist  die  Excision  des  Ureter.  Wir 
haben  sehr  schöne  Heilungen  auf  diese  Weise  erzielt.  Die  Wunde 
wird  geschlossen  und  für  24  Stunden  zwei  kurze  Glasdrains  eingelegt. 

Bei  sehr  grossen  Nierentumoren  kommt  man  mit  dem 
Lumbaischnitt  nicht  zu  Rande.  Da  muss  man  sich  des  sehr  empfehlens- 
werthen  BERGMANN'schen  vorderen  Schrägschnittes  bedienen.  Der- 
selbe geht  von  der  Spitze  der  12.  (man  muss  ihn  oft  an  der 
Spitze  der  1 1 .  oder  noch  weiter  vorne  am  Rippenrand  beginnen) 
bis  zum  mittleren  Drittel  des  Lig.  Pouparti.  Dieser  Schnitt  ist 
auch  der  richtige,  wenn  die  Niere  nach  unten  dislocirt  ist,  oder  wenn 
man  die  Excision  des  Ureter  gleichzeitig  in  Aussicht  nehmen  muss. 

Man  trennt  in  der  Richtung  der  Fasern  des  Muse,  obliquus 
externus  diesen  Muskel,  geht  aber  nicht  mit  demselben  Schnitt  durch 
die  zweite  Schichte,  den  Muse,  obliquus  internus  durch,  sondern 
trennt  dessen  Fasern  stumpf  mittelst  Kropfsonde  und  zieht  sie  dann 
sammt  versorgenden  Nerven  mit  breiten  stumpfen  Haken  kräftig  aus- 
einander.   Dasselbe  geschieht  mit  den  Muskelfasern  des  Transversus. 

18* 


276  Specielle  Operationslehre. 

Nach  Spaltung  der  Fascia  transversa  wird  das  Peritoneum  lateral 
vom  Colon  freigelegt  und  mit  den  Fingern  bis  gegen  die  Wirbel- 
säule von  der  hinteren  Bauchwand  abgehoben. 

Bei  dessen  Abhebung  wird  mit  dem  Colon  auch  der  Ureter 
emporgehoben ,  kann  aber  gut  erkannt  und  aufwärts  bis  zum 
Nierenbecken,  abwärts  bis  in  die  Fossa  iliaca  interna  verfolgt 
werden.  Aufwärts  kann  man  die  Niere  aus  der  Fett-  und  fibrösen 
Kapsel  auslösen.  Es  ist  auch  bei  Tumoren  wichtig,  die  Kapsel  exact 
abzuheben,  da  jene  sonst  gar  nicht  herauszuheben  sind.  Bei  starkem 
Fettreichthum  der  Nierenkapsel  ist  die  Lösung  oft  ziemlich  blutig, 
auch  nach  Ablösung  der  fibrösen  Propria  muss  man  der  Blutung 
wegen  oft  momentan  tamponiren  und  einige  Augenblicke  warten. 
Oft  ist  man  froh,  nach  Luxation  des  Tumors  an  den  Stiel  eine 
Gesammtligatur  anlegen  zu  können,  da  der  Raum  zu  beschränkt  ist, 
um  die  einzelnen  Gebilde  zu  isoliren. 

114)  Excision  der  Nebenniere. 

Man  hat  in  neuester  Zeit  sogar  die  Excision  der  Neben- 
niere ausgeführt  behufs  Heilung  des  Morbus  Addisonii.  Hadra 
und  OESTREICH  haben  wegen  vermeintlicher  bösartiger  retroperi- 
tonealer  Geschwulst  die  Laparotomie  gemacht  zwischen  Nabel-  und 
Schwertfortsatz,  zwischen  Leber  und  Magen  das  Omentum  minus 
gespalten  und  die  hühn  er  ei  grosse ,  pulsirende  Geschwulst  von  der 
Aorta  abgelöst.  Sie  erwies  sich  als  tuberculöse  Nebenniere.  Heilung 
unter  Tamponade.  Die  Addison-Beschwerden  (hochgradige  Schwäche, 
Abmagerung  und  heftige  Magenschmerzen)  verschwanden,  vollständige 
Broncefärbung  hatte  gefehlt. 

115)  Ureterotomie  und  Ureterektomie. 

a)  Ureterotomia  anterior. 

Man  benutzt  den  BERGMANN'schen  Lateralschnitt,  d.  h.  einen 
Schnitt  wie  zur  Ligatur  der  A.  iliaca  communis.  Wir  haben  von 
hier  aus  bei  Tuberculöse  des  Ureter,  welche  durch  Vaginalpalpation 
diagnosticirt  worden  war,  die  Excision  gemacht.  Bogenschnitt  drei 
Finger  breit  über  den  zwei  lateralen  Dritteln  des  Lig.  Pouparti  und 
am  lateralen  Ende  senkrecht  aufwärts  bis  zum  Rippenrand,  ganz  wie 
zur  Freilegung  der  Arteria  iliaca  communis.  Haut,  Fascia  super- 
ficialis, Fascia  obliqui  externi  werden  durchschnitten.  Soweit  im 
senkrechten  Theil  des  Schnittes  der  M.  obliquus  externus  noch  muscu- 
lös  ist,  wird  derselbe  sowie  die  beiden  inneren  Muskeln,  zumal  der 
starke  M.  obliquus  internus  mit  Sonde  stumpf  getrennt  und  die  Muskel- 
fasern mit  stumpfen  Haken  kräftig  auseinander  gezogen. 

Die  Fascia  transversa  wird  getrennt  und  ohne  Durchschneidung 
des    Peritoneums    dieses    von    der    Fossa    iliaca    interna     bis    zum 


Abdomen.  277 

Psoas  abgehoben.  Das  ist  leicht,  wenn  keine  abnormen  Ver- 
wachsungen bestehen.  Nervus  cutaneus  femoris  ext.  bleibt  auf  dem 
Muse,  iliacus  und  die  Vasa  iliaca  auf  dem  Psoas  liegen.  Der  Ureter, 
welcher  sich  mit  dem  Bauchfell  abhebt,  ist  gut  kenntlich  da,  wo  er 
über  die  Vorderfläche  der  Arteria  iliaca  in  charakteristischem  Verlauf 
ins  kleine  Becken  gegen  den  Seitenrand  des  Blasengrundes  herunter- 
geht. Aufwärts  ist  er  noch  leichter  zu  verfolgen,  lateral  von  der 
Wirbelsäule.  Da  man  den  Ureter  durch  diese  Methode  von  der 
Niere  bis  zur  Blase  zugänglich  machen  kann  und,  wie  wir  in  dem 
oben  erwähnten  Falle  gethan  haben,  zugleich  die  Niere,  wenn  nöthig, 
mitexcidiren  kann,  so  ist  für  diffuse  Erkrankungen  dieses  Vorgehen 
nach  Bergmann  das  beste;  es  erlaubt  eine  wirkliche  Excision  des 
Ureter  in  ganzer  Länge.  Aber  auch  für  die  blosse  Incision,  z.  B.  behufs 
Entfernung  eines  eingekeilten  Steines,  dessen  Stelle  sich  nicht  sicher 
bestimmen  lässt,  giebt  die  Ureterotomia  anterior  den  besten  Zugang. 

b)  Ureterotomia  posterior. 

Der  oberste  Theil  des  Ureter  kann  auch  zugänglich  gemacht 
werden  durch  den  für  Nephrotomie  angegebenen  Lumbaischnitt 
(s.  Fig.  83),  bloss  erscheint  es  zweckmässig,  denselben  von  vorne- 
herein etwas  steiler  anzulegen. 

c)  Ureterotomia  inferior. 

Der  unterste  Theil  des  Ureter  in  der  Nähe  seiner  Blasen- 
einmündung kann  durch  den  parasacralen  Schnitt,  wie  für  die  Excisio 
recti  zu  schildern  ist,  freigelegt  werden.  Er  kann  aber  auch  vom 
Damm  aus  nach  dem  später  zu  beschreibenden  prärectalen  Bogen- 
schnitt  zur  Ereilegung  von  Prostata  und  Blasengrund  oder  mittelst 
PvOUX's   paramedianen  Sagittalschnittes  zugänglich  gemacht  werden. 

116)  Splenektomie. 

In  ganz  analoger  Weise  wie'  die  Niere  kann  mit  Verlängerung 
des  Schnittes  nach  vorne  auf  der  linken  Seite  die  Milz  freigelegt 
werden,  Wir  geben  keine  ausführliche  Beschreibung,  da  die  Ope- 
rationsmethode zu  sehr  von  den  individuellen  Verhältnissen  des  Krank- 
heitsfalles, speciell  von  Grösse  und  Art  der  Tumoren  beeinflusst  wird. 

0.  Abdomen. 

Cöliotomie  (Laparotomie). 

117)  Indicationen  und  Bedingungen  ihres  Erfolges. 

Die  Operationen  am  Abdomen  sind  das  eigentliche  Glanzgebiet 
der  operativen  Chirurgie  geworden.  Es  ist  kein  Organ  im  Unter- 
leibe mehr,  welches  nicht  chirurgischer  Therapie  zugänglich  wäre. 
Wo     zuwartende    Behandlung   bei    acuten   Affectionen    (Ileus,    Ent- 


2jS  Specielle  Operationslehre. 

Zündungen  etc.)  Gefahr  bringt  oder  chronische  Leiden  heraufbeschwört, 
vermag  ein  frühzeitiger  chirurgischer  Eingriff  das  Leben  zu  retten 
und  rasche  Heilung  zu  bewirken.  Wo  bei  chronischen  Leiden  Mo- 
nate verfiiessen,  bis  medicamentöse  Behandlung  zu  einem  Erfolg  führt, 
werden  durch  eine  Operation  die  Beschwerden  mit  einem  Schlag 
beseitigt  (Adhäsionen,  Magendilatation,  Cholelithiasis). 

Es  wäre  gut,  wenn  bald  der  Zeitpunkt  käme,  wo  jeder  prak- 
tische Arzt  von  der  fast  absoluten  Gefahrlosigkeit 
einer  operativen  Eröffnung  der  Bauchhöhle  durch  einen 
geübten  Chirurgen  bei  einem  sonst  gesunden  Individuum  durchdrungen 
wäre.  Dann  würde  einmal  der  Jammer  aufhören,  dass  die  Ileusfälle  erst 
operirt  werden  können,  wenn  Darmulcerationen  eingetreten  sind,  und 
dass  die  Magen-  und  Darmkrebse  erst  chirurgischer  Behandlung  zu- 
kommen, wenn  zahlreiche  Drüsen  eine  Radicaloperation  unmöglich 
machen.  Wir  wünschen  keineswegs,  dass  die  Praxis  der  dia- 
gnostischen Explorativ-Laparotomie  noch  erweitert  würde.  Es  giebt 
schon  zur  Stunde  zumal  in  der  jungen  Generation  genug  Aerzte, 
die  sich  die  Qual  einer  genauen  Diagnosestellung  schenken,  um  sich 
durch  Aufschneiden  des  Leibes  Aufschluss  über  Indication  oder 
Contraindication  einer  Operation   zu  verschaffen. 

Aber  wo  es  sich  darum  handelt,  eine  sichere  Gefahr  für  das 
Leben  abzuwenden,  auch  wo  noch  keine  ins  einzelne  gehende 
Diagnose  gemacht  ist,  wie  in  allen  Fällen  von  Ileus;  wo  Ver- 
dacht auf  maligne  Neubildung  des  Magens  oder  Darmes  besteht  mit 
sicherer  Aussicht,  die  radicale  Heilung  durch  Zuwarten  zu  ver- 
unmöglichen ,  da  sollte  beim  gegenwärtigen  Stande  der  Bauch- 
chirurgie einmal  der  strafbare  Schlendrian  aufhören,  Kranke  monate- 
lang hinzuschleppen  mit  medicamentöser  Behandlung,  ohne  dass  man 
irgend  eine  wesentliche  Besserung  zu  verzeichnen  oder  die  ge- 
ringste Sicherheit  hat,  dem  Patienten  einen  glücklichen  Ausgang  auf 
nichtoperativem  Wege  verbürgen  zu  können.  Es  ist  nicht  nöthig, 
dass  alle  Praktiker  chirurgisch  handeln,  aber  durchaus  erforderlich, 
dass  sie  chirurgisch  denken  lernen.  Richtiges  chirurgisches  Denken 
führt  zu  klaren  Indurationen  und  energischen  Entschlüssen. 

So  sehr  man  früher  die  Eröffnung  der  Peritonealhöhle  ge- 
fürchtet hat  wegen  Eintrittes  von  Entzündung,  so  klar  ist  es  durch 
die  Erfahrungen  der  neuesten  Zeit  geworden,  dass  das  Peritoneum 
eine  viel  grössere  Toleranz  für  Infection  besitzt,  als  die  Mehrzahl 
anderer  Gewebe,  solange  es  gesund  ist.  Wenn  der  Chirurg  sieht, 
dass  bei  Verletzungen  und  Prolops  von  Darmconvoluten  diese  stunden- 
lang zum  Leib  heraushängen  können,  und  doch  eine  ganz  glatte 
Heilung  erzielt  wird,  so  verliert  man  den  Schrecken  vor  Eröffnung 
der  Bauchhöhle  bei  sonst  gesundem  Körper,  selbst  wenn  der  Ein- 
griff eine  Evisceration   der  Därme   mit   sich  führt.     Bei   Contu- 


Abdomen. 


279 


sionen  des  Abdomen  und  perforirenden  Bauchverletzungen,  bei  Ileus 
ist  die  frühe  Laparotomie  und  Evisceration  oft  die  beste  und  rascheste 
Methode  zur  Heilung-,  solange  sie  noch  bei  der  Hauptausdehnung 
gesundem  Peritoneum  gemacht  werden  kann. 

Entschiedene  Gefahr  zur  Eröffnung  der  Bauchhöhle  tritt  erst 
von  dem  Augenblick  an  ein,  wo  diffuse,  infectiöse  Erkrankung  des 
Peritoneum  Platz  gegriffen  hat  oder  die  übrigen  Organe  des  Körpers 
in  Mitleidenschaft  gezog-en  sind  durch  toxische  Einflüsse.  Viel 
zu  häufig  noch  sieht  sich  der  Chirurg  zur  Stunde  in  die  Noth- 
wendigkeit  versetzt,  bei  bestehender  diffuser  Peritonitis  zu  operiren 
in  Fällen,  wo  dieselbe  durch  frühzeitigen  Eingriff  hätte  vermieden 
werden  können.  Dass  man  freilich  auch  dann  noch  operiren  muss, 
ist  zweifellos,  aber  die  mangelhaften  Erfolge  derartiger  Eingriffe 
dürfen  im  Geringsten  nicht  einen  Maassstab  für  die  sonstigen  Erfolge 
und  Indicationen  der  Laparotomie  abgeben,  sondern  müssen  ganz 
für  sich  betrachtet  werden.  Wie  man  hier  am  besten  vorgeht,  um 
ein  verlorenes  Leben  zu  retten,  ist  unten  kurz  angedeutet. 

Hier  sollen  einige  Geheimnisse  glücklichen  Erfolges 
bei  Laparotomie  besprochen  werden. 

1)  Richtige  Lagerung  des  Patienten.  Dieselbe  ist  für 
Operationen  im  Bereich  des  Hypogastrium  und  Beckens  mittelst 
Lrendelenburg's  Schräglagerung  leicht  zu  beschaffen.  Im  Bereich 
des  Epigastrium  und  Mesogastrium  dagegen  hilft  dieselbe  nichts,  und 
die  umgekehrte  Lage  ist  der  Narkose  wegen  nicht  zulässig.  Da  ist  die 
locale  Hochlagerung  durch  Hochhebung  des  Rückens  an  be- 
schränkter Stelle  ein  grosses  Erleichterungsmittel  (bei  Magen-,  Gallen- 
blasen-, Nierenoperationen).  Ferner  ist  die  Lagerung  auf  einen  Wärme- 
tisch zur  Warmhaltung  des  Körpers  x)  wesentlich. 

2)  In  allen  Fällen,  wo  man  nicht  sicher  ist,  das  zu  operirende 
Organ  mit  Leichtigkeit  aus  der  Bauchhöhle  herausziehen  zu  können, 
wie  dies  mit  beweglichen  Appendix,  Ovarialtumoren,  beweglichen 
Darmtumoren  und  Gallenblasentumoren  etc.  der  Fall  ist,  soll  man  die 
Incision  gross  genug  anlegen. 

3)  Sobald  die  Bauchhöhle  eröffnet  ist,  soll  man  die  gesunden 
Abschnitte  des  Bauchfelles  und  die  gesunden  Organe  abschliessen 
gegen  die  erkrankten  Theile,  an  welchen  die  Operation  auszuführen 
ist.  Dies  geschieht  durch  Absperrungstamponade.  Die 
Einführung  von  sterilen  warmen,  in  8  %0  Kochsalzlösung  ausge- 
drückten weichen  Gazecompressen  durch  eine  genügend  grosse 
äussere  Wunde  sichert  durch  Isolirung  des  Operationsfeldes, 

1)  Henle  hat  durch  seine  mit  grossen  Zahlen  gestützte  Statistik  gezeigt, 
wie  häufig  nach  Laparotomie  Pneumonie  auftritt,  und  kommt  zu  dem  Schluss, 
dass  Abkühlung  bei  der  Operation  und  das  Vorhandensein  kleiner  Infections- 
herde  Hauptursachen  seien. 


280  Specielle  Operationslehre. 

namentlich  wenn  dieses  ein  septisches  ist,    gegen  jeden  Schaden  des 
Einfliessens  von  Magendarminhalt,  Galle,  Urin,  Exsudaten. 

4)  Vermeidung  jeden  Antisepticums  und  jeder  Schädi- 
gung des  Peritoneum  durch  Abkühlung  und  Austrocknung.  Es  ist 
kein  geringes  Verdienst  von  TA'VEL  und  seinen  Schülern,  im  Ein- 
zelnen die  Natur  dieser  Schädigungen  experimentell  nachgewiesen 
und  deren  Verhütung  möglich  gemacht  zu  haben.  Wir  haben  auf 
Grund  dieser  Untersuchungen  wohl  am  frühesten  principiell  bei 
Laparotomien  bloss  physiologische  körperwarme  Koch- 
salzlösung benutzt  und  alle  freigelegten  Peritonealflächen  dauernd 
feucht  und  warm  gehalten  durch  Auflegen  von  Compressen  und 
Kautschukpapier  darüber  oder  durch  Irrigation. 

5)  Vollkommene  Entfernung  j  edes  Inf  ection  sherdes1) 
oder  Drainage  desselben  mit  Absperrungstamponade  in  der  von 
Mikulicz  empfohlenen  Form  mittelst  Einführung  von  Gazestreifen, 
welche  mit  einem  Dauerantisepticum  imprägnirt  sind.  Da  Jodoform  im 
Peritoneum  zu  toxisch  wirkt,  so  ist  Xeroform  oder  ein  anderes  un- 
giftiges Dauerantisepticum  vorzuziehen. 

6)  Verhütung  jeder  Ansammlung  von  Blut  und  Wundsecret 
durch  sorgfältigste  Blutstillung,  wenn  sie  noch  so  lange 
dauert  und  durch  Bedeckung  jeder  wunden  Fläche  am 
Peritoneum  durch  Uebernaht.  Das  ist  eine  äusserst  wichtige 
Indication,  deren  principielle  Berücksichtigung  beispielsweise  erst  die 
intraperitoneale  Versorgung  eines  Uterusstumpfes  zu  einer  gefahr- 
losen gestaltet  hat. 

Tietze  hat  durch  sehr  schöne  Experimente  gezeigt,  dass  man 
namentlich  das  Netz  zu  sicherer  Deckung  von  Nekrosen  der 
Magen-  und  Darmwand  benutzen  kann,  wie  Braun  und  Bennet 
selbst  Defecte  der  Magenwand  bloss  durch  Netz  in  Folge  verläss- 
licher Verklebung  mit  der  umgebenden  Serosa  und  Epithelisirung 
der  Innenfläche  von  der  Seite  her  verschliessen  konnten. 

7)  Genauer  Schluss  jeden  Schnittes  oder  Risses  im 
Peritoneum  und  völliger  Schluss  der  Incisionswunde  in  allen  Fällen, 
wo  es  sich  nicht  um  Ableitung  infectiöser  Flüssigkeiten  handelt. 

118)  Schnittanlage  und  Nahtmethode  bei  Laparotomie. 

Als  Normalschnitte  am  Abdomen  können  bloss  die  Median- 
schnitte und  oben  die  queren,  unten  die  schräg  median  abwärtsgehenden 
Seitenschnitte  anerkannt  werden,  welche  die  Muskeln  der  Bauch- 
wand, d.  h.  ihre  Nerven  Versorgung  nicht  schädigen  nach  dem 
Princip,  welches  wir  schon  früher  für  alle  Normalschnitte  am  Körper 
aufgestellt  haben.  Man  kann  dieselben  auch  sehr  wohl  combiniren, 
indem   man  z.  B.  bei  Splenektomie  und  für  Carcinoma  am  untersten 

1)  Siehe  Anmerkung  auf  voriger  Seite. 


Abdomen.  281 

Theil  der  Flexur  zu  dem  Medianschnitt  einen  ergiebigen  Querschnitt 
hinzufügt.  Assmy  hat  auf  Czerny's  Anregung  hin  gezeigt,  dass 
bei  extramedianen  Längsschnitten,  welche  von  vielen  Chirurgen  be- 
vorzugt werden,  Atrophie  des  medialen  Theiles  des  Rectus  eintritt, 
wenn  dessen  motorische  Nerven  Versorgung  geschädigt  wird. 

Warum  sucht  man  nun  immer  und  immer  wieder  Ersatz  für 
die  Medianschnitte?  Der  Hauptgrund  ist,  dass  man  sie  als  vor- 
züglich zu  Bauchbrüchen  disponirend  ansieht,  ein  Nebengrund  sind 
kosmetische  Rücksichten.  Da  jetzt  so  überaus  häufig  (zumal  gynä- 
kologisch) laparotomirt  wird,  so  wünscht  man  auch  am  Abdomen 
die  Narben  zu  verdecken.  Pfannenstiel  hat  beide  Nachtheile  zu 
vermeiden  gesucht  für  Fälle,  wo  kein  grosser  Schnitt  nöthig  ist, 
durch  den  „suprasymphysären  Fascienquerschnitt". 

Er  schneidet  im  Bereich  der  Pubes  so,  dass  durch  die  Haare 
die  Narbe  versteckt  wird,  in  ähnlicher  Weise,  wie  es  von  den 
Chirurgen  für  den  Blasenschnitt  schon  länger  geübt  worden  ist. 
Aber  den  Hauptwerth  seines  Verfahrens  legt  er  darauf,  dass  er  nicht 
bloss  die  Haut  und  oberflächliche  Fascie  quer  durchschneidet,  sondern 
auch  die  Muskelfascien  mit  ihrer  medianen  Verfilzung  in  der  Linea 
alba.  Pfannenstiel  macht  aufmerksam,  dass  abwärts  von  der  Linea 
semicircularis  Douglasii  die  Fascien  aller  3  Bauchmuskeln  sich  vor 
dem  Rectus  vereinigen  und  hinter  demselben  bloss  die  Fascia  trans- 
versa bleibt.  Es  lässt  sich  daher  hier  diese  „Linea  alba"  der  Fascien 
lappenförmig  mit  den  seitlichen  Parthien  nach  aufwärts  los- 
präpariren.  Dann  erst  wird  zwischen  den  Recti  abdominis  und  durch 
Fascia  transversa  und  Peritoneum  median  eingegangen  und  der  Bauch 
geöffnet.  Die  abgelöste  Fascie  wird  nachträglich  wieder  über  der 
Symphyse  festgenäht,  bildet  also  Schutz  gegen  Hernien. 

Die  Frage  der  Bauchbrüche  hängt  auf  engste  mit  der  Asepsis 
und  mit  der  Fadenfrage  ins  Besondere  zusammen.  Wer  keine  ver- 
senkten Faden  benutzen  darf  ohne  die  Sorge ,  Fadeneiterungen 
zu  bekommen,  wie  JONNESCO,  der  bedarf  allerdings  besonderer 
Maassnahmen,  um  bei  Wegnahme  der  temporären  Suturen  der 
Narbenstelle  besondere  Festigkeit  zu  verleihen.  Aber  man  kann 
noch  weitergehen.  Wer  sich  nicht  auf  die  Höhe  der  Benutzung 
dauernder  Faden  erheben  kann,  sondern  bei  resorbirbarem  Catgut 
bleiben  muss  für  versenkte  Nähte,  der  kann  niemals  hoffen,  so 
soliden  Schluss  einer  Wunde  zu  erzielen,  wie  mit  einer  dauernd 
liegenbleibenden,  organisch  einheilenden,  nicht  resorbirbaren  Naht. 

Wir  benutzen  stets  die  Seidenfaden  zur  Naht,  soweit  derselben 
eine  mechanische  Aufgabe  dauernder  Art  zufällt.  Für  das  Peritoneum 
mag  das  indifferent  erscheinen,  da  ja  dasselbe  rasch  und  leicht  verklebt 
und  verwächst,  und  man  könnte  geltend  machen,  dass  bleibende  Fremd- 
körper nachweislich  eher  zu  Adhäsionsbildungen  Anlass  geben.    Man 


2Ü2 


Specielle  Operationslehre. 


mag  also  für  eine  isolierte  Naht  des  Peritoneum  Seide  oder 
Catgut  benutzen.  Unter  dem  Nabel  können  wir  es  nicht  für  zweck- 
mässig halten,  das  Peritoneum  allein  zu  nähen,  da  soll  man  stets  die 
tiefe  Fascie  (transversa)  auch  gleich  mitfassen,  weil  diese  keine  Extra- 
naht werth  ist.  Im  Bereich  des  Nabels  ist  das  Peritoneum  so  innig 
mit  der  Linea  alba  und  Umgebung  der  Nabelnarbe  zusammenhängend, 
dass  es  besser  mit  der  Fascie  der  Linea  alba  gemeinsam  in  die 
Naht  gefasst  wird. 

In  letzterem  Falle  und  stets  wenn  man  die  Fascie,  welche  die 
Hauptstütze  der  Bauchwand  gegen  Hernien  bildet,  für  sich  näht, 
muss  man  Dauerfaden  benutzen,  also  Seide  oder  Metall.  Die  Metall- 
fäden sind  den  meisten  Menschen  auf  die  Dauer  sehr  unangenehm, 
obschon  Witzel  und  nach  ihm  Goepel  sogar  Silberdrahtnetze 
versenkt  und  zur  Verstärkung  von  Nahtstellen  benutzt  haben.  Selbst 
der  vorzügliche  Broncealuminiumdraht  von  Socin  x)  verursacht  recht 
unangenehme  Fremdkörpergefühle.  Es  kommt  also  bloss  noch  die 
Seide  in  Frage. 

Ich  muss  es  entschieden  in  Abrede  stellen,  dass  selbst  voll- 
kommen sterile  Seide  keine  Garantie  gebe  gegen  nachträgliche 
Fadeneiterung.  Die  Schwierigkeit  besteht  vielmehr  darin,  sterilisirte 
Seide  auch  steril  zu  erhalten,  bis  die  Wunde  geschlossen  resp.  ge- 
heilt ist.  Sie  wird  zu  leicht  durch  Hände,  Haut  des  Kranken  und 
Wundbakterien  secundär  wieder  inficirt,  und  dann  giebt  sie  allerdings 
Nahteiterung,  sonst  aber  durchaus  nicht.  Wir  haben  bei  der  Wund- 
behandlung auseinander  gesetzt,  warum  wir  bloss  antiseptische 
Seide  benutzen.  Diese  genügt,  um  bei  guter  fortlaufender  Naht 
auch  beim  Schnitt  in  der  Linea  alba  späteres  Klaffen  und  Hernien- 
bildung  zu  verhüten.  Bei  unvollständiger  Naht,  sowie  bei  Eiterung 
kann  man  überhaupt  niemals  sicher  sein,  keinen  Bauchbruch  zu  er- 
zielen, eher  sicher  des  Gegen theils. 

Trotz  dieses  entschiedenen  Standpunktes,  welcher  die  Frage  des 
besten  Bauchschnittes  wesentlich  vereinfacht,  halten  wir  die  Be- 
strebungen für  gerechtfertigt,  der  Nahtlinie  vermehrte  Festigkeit  zu 
verleihen.  Ein  recht  gutes  Verfahren  ist  der  Schnitt  durch  die 
Scheide  des  einen  Rectus.  Nicht  die  Spaltung  des  Rectus, 
die  Howitz  vorgeschlagen  hat,  welche  den  medialen  Theil  nothwendig, 
weil  von  seinen  motorischen  Nerven  abgeschnitten,  zur  Atrophie  bringt, 
sondern  die  von  Lennander  besonders  gepflegten  und  auch  von 
Wolkowitsch  empfohlene  Methode  ist  darunter  verstanden,  die  vordere 
Rectusscheide  zu  spalten,  den  Rectus  in  toto  lateralwärts  zu  ziehen 
und  dann  durch  die  hintere  Scheide  hindurch  ins  Abdomen  einzu- 
dringen.  Diese  hintere  Scheide  ist  im  unteren  Theil  des  Abdomen  dünn 

i)  Pfannenstiel  lässt  denselben  von  den  „Franzosen"  erfunden  sein.  Socin 
hat  denselben  mit  HÄGLEE  in  die  Praxis  eingeführt. 


Abdomen.  283 

und  wenig  resistent.  Nachdem  die  Operation  beendigt  ist,  wird  die 
hintere  Scheide  für  sich  vernäht,  der  Rectus  an  seinen  Platz  gebracht, 
event.  medial  angenäht,   dann    die  vordere  Scheide  für  sich  vernäht. 

Mit  der  Verschiebung  des  Rectus  sind  wir  auf  diejenige  Methode 
gekommen,  welche  den  Kernpunkt  der  Verstärkungsfrage  bildet, 
nämlich  die  musculöse  Verstärkung  der  Nahtstelle  durch 
Muskeln,  deren  Nerven  nicht  geschädigt  sind.  Wir  haben  schon  bei 
der  Schnittführung  im  Allgemeinen  auf  diesen  Fortschritt  aufmerksam 
gemacht,  welcher  darin  besteht,  dass  man  die  Muskeln  gar  nicht  durch- 
schneidet, auch  wenn  der  Schnitt  quer  zu  ihrer  Faserung  verläuft, 
sondern  bloss  stumpf  in  der  Richtung  ihrer  Fasern  trennt  und  kräftig 
auseinander  schiebt.  Auf  diese  Weise  vermeidet  man  sicher  eine 
Verletzung  der  Nerven  und  braucht  nicht  Schnitte  zu  machen,  welche 
dem  Verlauf  gewisser  Muskeln  entgegengesetzt  sind.  Man  kann  den 
Muse,  obliquus  internus  und  transversus  bei  einem  dem  Obliquus 
externus  parallelen  Schnitt  soweit  auseinanderziehen,  dass  man  ein 
sehr  grosses  Stück  des  Peritoneum  freilegt.  So  kann  man  auch 
schräg  median  aufsteigende  und  paramediane  senkrechte  Schnitte 
anlegen.  Lennander  bevorzugt  für  leichtere  Fälle  von  Appen- 
dicitisoperation  den  senkrechten  Schnitt  durch  die  Rectusscheide  und 
zieht  die  zuleitenden  Nerven  auf  und  abwärts  und  den  lateralen 
Rectusrand  medialwärts. 

Wir  halten  den  LENNANDER'schen  Schnitt  für  besonders  ange- 
zeigt an  Stelle  des  Medianschnittes  bei  starker  Diastase  der  Recti,  wo 
man  übrigens  auch  die  Muskeln  durch  mediane  Naht  annähern  sollte. 

Carl  Beck  hat  diese  musculäre  Verstärkung  der  Bauchwand 
bei  seitlichen  Bauchbrüchen  auch  plastisch  benutzt,  indem  er  den 
Muse,  rectus  frontal  spaltet  und  die  vordere  Hälfte  als  Thürflügel 
mit  lateraler  Drehangellinie  bei  erhaltenen  Nerven  nach  der  Seite 
klappt  in  den  Defect  hinein. 

Wenn  Minxewitsch  Recht  hat,  dass  eine  Massennaht  besseren 
Verschluss  giebt,  als  eine  Schichtennaht  (vulgo  Etagennaht),  so  dürfte 
man  einer  von  Pozzi  vorgeschlagenen,  von  Depage  empfohlenen, 
übrigens  oft  benutzten  Methode  Berücksichtigung  schenken,  welche 
die  Vortheile  beider  Verfahren  verbindet  und  für  Catgutfreunde  be- 
sonders empfehlenswerth  sein  dürfte.  Man  legt  die  Peritonealnaht 
(resp.  Peritoneal- Tieffasciennaht,  s.  oben)  für  sich  an,  danach  mit  Silber 
oder  Broncealuminium  durch  die  ganze  Dicke  der  übrigen  Bauchwand 
tiefgreifende  Nähte ,  um  sie  erst  zu  knüpfen ,  nachdem  man  die 
Hauptfascie  (Linea  alba)  durch  eine  besondere  Naht  solide  ver- 
einigt hat  mit  versenkten  Faden.  Minxewitsch  spricht  im  Uebrigen 
unserer  oben  empfohlenen  Methode  das  Wort,  indem  er  den  Ver- 
schluss am  besten  findet  bei  Incision  in  der  Linea  alba  und  bei 
Naht  mit  Seide. 


284  Specielle  Operationslehre. 

119)  Laparotomie  bei  Peritonitis. 

Bei  Bildung  eines  klinisch  nachweislichen  Exsudates  im  Peri- 
toneum ist  der  einzig  sichere  Weg,  um  Weit  er  Verbreitung  des  ent- 
zündlichen Ergusses  zu  verhüten,  die  rechtzeitige  Incision 1).  Behufs 
derselben  ist  kein  Grund,  anders  als  unter  Benutzung  der  Normal- 
schnitte und  der  W.  BüRNEY'schen  stumpfen  Auseinanderdrän  gung 
der  Muskeln  in  die  Tiefe  zu  dringen.  Bei  allen  abgekapselten 
Abscessen  sowohl  mit  flüssigem  Inhalt  als  bei  freiem  entzündlichen 
Erguss  kann  auf  diese  Weise  von  einem  relativ  kleinen  Schnitt  aus 
eine  gründliche  und  mittelst  Drainage  '  dauernde  Entleerung  ge- 
schaffen werden. 

Die  Schwierigkeit  der  Behandlung  der  Peritonitis  beginnt  erst 
da,  wo  sich  zahlreiche  kleinere  oder  grössere  Abscesse  durch  fibri- 
nöse Verklebungen  an  den  verschiedensten  Stellen  des  Peritoneal- 
raumes  angesammelt  haben.  Man  hat  zweifellos  viele  Fälle  glück- 
licher Heilungen  von  angeblicher  Peritonitis  diffusa  beschrieben, 
welche  nicht  in  dem  Sinne  diffus  waren,  dass  der  ganze  Peritonealraum 
bis  ans  Zwerchfell  heran  in  Mitleidenschaft  gezogen  war,  sondern 
welche  bloss  einen  grossen  Abschnitt  einnehmende  abgekapselte  Ent- 
zündungen darstellten. 

Es  giebt  nur  einen  sicheren  Weg,  jene  diffusen  Formen  mit  zahl- 
reichen abgekapselten  Herden  zu  behandeln,  das  ist  der  prophylaktische. 
Wer  principiell  jede  beginnende  Entzündung  nach  chirurgischen  Regeln 
behandelt,  d.  h.  eröffnet  und  die  Infectionsstoffe  entfernt,  der  wird 
allein  verhüten  können,  dass  einerseits  umschriebene  Abscesse  durch 
Weiterkriechen  der  Infectionsstoffe  oder  durch  Perforation  zu  der 
diffus  multiplen  Abscedirung  führen  und  andererseits  verhindern,  dass 
eine  a  priori  diffuse  Peritonitis  mit  flüssigem  Exsudat  durch  fibrinöse 
Ausschwitzung  zu  multiplen  Eiterherden  führt.  In  der  Hinsicht  haben 
die  Anhänger  der  sofortigen  Operation  bei  frischer  Perforations- 
appendicitis  unbedingt  Recht.  Denn  wer  nicht  zu  sofortigem  Eingriff 
sich  entschliesst,  muss  bei  zuwartender  Behandlung  einen  bestimmten 
Procentsatz  seiner  Fälle  an  Peritonitis  zu  Grunde  gehen  sehen.  Wer 
mit  Bernays,  Rehn  u.  A.  sofort  incidirt  und  die  Infectionsquelle 
beseitigt,  wird  freilich  nicht  jeden  Todesfall  verhüten,  aber  es  ist 
namentlich  von  Bernays  der  Beweis  geliefert  worden,  dass  die  Re- 
sultate, alle  Fälle  eingerechnet,  besser  sind  als  bei  zuwartender 
Behandlung. 


1)  Fowler  empfiehlt  als  ein  sehr  wirksames  Mittel  zur  Verhütung  der 
Ausbreitung  einer  Peritonitis  nach  den  oberen  Abdominalpartien  die  Schräg- 
lagerung des  Körpers  mit  erhöhtem  Oberkörper.  Dass  diese  Lagerung  von 
Bedeutung  ist,  das  lehren  die  Erfahrungen  der  Gynäkologen  mit  vaginaler 
Uterusexstirpation,  wo  trotz  oft  bloss  halber  Asepsis  Dank  der  guten  Lagerungs- 
drainage  gute  Resultate  erzielt  werden. 


Abdomen. 


285 


Bei  a  priori  diffuser  Peritonitis  mit  flüssigem  Exsudat  ist  nach 
Beseitigung  der  Ursache  der  Medianschnitt  mit  gründlicher  event. 
länger  dauernder  Irrigation  der  Peritonealhöhle  mit  körperwarmer 
physiologischer  Kochsalzlösung  ein  gerechtfertigtes  Vorgehen. 

Gegen  diffuse  Peritonitis  mit  multiplen  abgekapselten  Abscessen 
nicht  nur  zwischen  den  Därmen,  sondern  auch  zwischen  Leber,  Milz 
und  Zwerchfell  ist  ebenfalls  nur  ein  sehr  langer  Laparotomieschnitt 
indicirt,  welcher  sämmtliche  Abscesse  zugänglich  macht.  Allein  die 
Gefahr  solcher  langen  Schnitte  ist  der  begleitende  Shok,  welcher 
reflectorisch  durch  Schädigung  des  tryperästhetischen  Peritoneum  das 
Vasomotorencentrum  hemmt  oder  lähmt  und  durch  directe  Einwirkung 
auf  die  Abdominalgefässe  die  venöse  Hyperämie  im  Abdomen  und 
damit  die  secundäre  Anämie  des  Gehirns  vermehrt. 

Zur  Verhütung  des  Shok  ist  die  Schräglagerung  des  Körpers  ein 
wesentlicher  Factor,  ein  zweiter  ist  die  Benutzung  genau  temperirter 
physiologischer  Kochsalzlösung  für  das  Abspülen  der  Eingeweide,  ein 
dritter  die  Benutzung  von  Narcotica 1).  Man  pflegt  bei  Shok  die 
Narkose  zu  fürchten,  weil  auch  Aether,  aber  besonders  Chloroform 
in  letzter  Linie  zur  Lähmung  des  Vasomotorencentrums  führen, 
allein  die  Belege  mehren  sich,  dass  man  gerade  Shokwirkung  durch 
Anästhesirung  am  besten  verhütet.  Dafür  sprechen  Beobachtungen 
von  Cushing  (Injection  von  Cocain  in  Nervenstämme  vor  deren 
Durchschneidung),  von  Cirle  u.  A.  Es  ist  angezeigt,  zunächst  eine 
genügende  Morphiuminjection  voranzuschicken,  da  dieses  am  wenigsten 
Wirkung  auf  die  Circulation  hat  und  eine  Narkose  mit  bestimmt 
verdünntem  Aethergemisch  (nach  Braun)  darauf  folgen  zu  lassen. 
Wie  weit  sehr  verdünnte  Cocainbespinselung  vertragen  werden  dürfte 
in  den  dünnsten  SCHLEiCH'schen  Lösungen,  bleibt  dahingestellt. 

Wichtig  erscheint,  bei  Peritonitiden  auch  die  Därme  durch  An- 
legung einer  Oeffnung  oben  und  unten  gehörig  durch  Ausspülung 
zu  entleeren,  um  intestinale  Resorption  toxischer  Stoffe  zu  beseitigen, 
und  durch  Magnesia  sulfurica  für  deren  Leerhaltung  zu  sorgen,  ferner 
nach  der  Operation  die  Hyperämie  der  Abdominalorgane  durch  ge- 
eignete Lagerung,  Eisapplication  und  Compression  des  Abdomen 
möglichst  zu  reduciren. 

Eine  Hauptsache  bei  der  Behandlung  der  Peritonitis  ist  die  Ab- 
leitung der  Entzündungsproducte  resp.  Infectionsstoffe.  In  dieser 
Hinsicht  darf  man  nicht,  wie  gewöhnlich  geschieht,  sich  mit  Einlegen 
einer  einzigen  Drainröhre  begnügen,  sondern  muss  sämmtliche  Eiter- 
höhlen eröffnen  und  drainiren.  Thut  man  dies,  so  kommt  man  auch 
bei    diffus -multiplen  Eiteransammlungen   mit  multiplen  kleineren  In- 


I)  Laut  einem  Privatbriefe  ist   es  ClRLE   gelungen,    den  Shok  in  sehr  zu- 
verlässiger Weise  zu  bekämpfen  durch  Compression. 


286  Specielle  Operationslehre. 

cisionen   ohne  Spülung  aus   und  vermeidet  so  die  Shokwirkung  viel 
leichter. 

120)  Laparotomie  bei  Bauchfelltuberculose. 

Bei  Tuberculose  des  Bauchfells  darf  man  in  der  Medianlinie 
einen  gehörigen  Schnitt  machen,  da  hier  die  Shokwirkung  entfernt 
nicht  die  Rolle  spielt,  wie  bei  acut  entzündlichen  Vorgängen.  Wenn 
die  Operation  einen  Sinn  haben  soll,  so  darf  sie  nicht  bloss  das 
flüssige  Exsudat  entleeren,  sondern  muss  Platz  genug  schaffen,  um 
käsige  Herde  auszuräumen,  und  vor  Allem  den  Ausgangspunkt  zu 
bestimmen  und  die  betreffenden  Organe  (beim  weiblichen  Geschlecht 
sehr  oft  die  Tuben)  zu  entfernen.  Unter  dieser  Bedingung  giebt  die 
operative  Behandlung  der  Tuberculose  des  Bauchfells  oft  unerwartet 
günstige  Resultate.  Dr.  Lauper  hat  die  Resultate  unserer  Opera- 
tionen mitgetheilt. 

iai)  Laparotomie  zur  Omento-  und  Splenopexie  bei 
Ascites  (DRUMMOND-MORRisON-TALMA'sche  Operation). 

Soweit  Ascites  durch  Behinderung  des  venösen  Rückflusses  des 
Blutes  durch  die  Pfortader  veranlasst  ist,  kann  derselbe  geheilt 
werden  durch  Schaffung  neuer  Seitenbahnen  für  die  zur  Vena  portae 
führenden  Venenstämme.  Tilmann  hat  der  Operation  die  experimen- 
telle Begründung  gegeben. 

Die  Operation  besteht  in  medianer  Incision,  Entleerung  des 
Ascites  und  zwar  dauernd  durch  Drainage,  bis  keine  oder  wenig 
Flüssigkeit  mehr  abfliesst,  und  Fixation  des  Netzes,  der  Milz  oder 
der  Leber  an  oder  in  der  Bauchwand.  Die  Peritonealflächen,  welche 
man  zur  Verwachsung  bringen  will,  werden  kräftig  abgerieben  oder 
abgeschabt  and  durch  Naht  der  Leberrand  und  das  Netz  oder  bloss 
letzteres  oder  die  Milz  an  die  Bauchwand  festgenäht.  Oder  die  Milz 
wird  in  eine  Tasche  zwischen  die  Schichten  der  Bauch  wand  ge- 
schoben, event.  auch  das  Netz. 

Wenn  auch  die  Resultate  der  Operation  sich  noch  auf  eine  ge- 
ringe Anzahl  von  Fällen  beschränken  und  Misserfolge  ebenfalls  ver- 
zeichnet sind,  so  ist  doch  durch  Autopsie  erwiesen,  dass  sich  in  den 
Adhäsionen  sehr  starke  Gefässe  bis  zur  Grösse  einer  Radialarterie 
entwickeln  können.  Man  vergleiche  die  Arbeit  von  Friedmann  im 
Centralblatt  für  die  Grenzgebiete. 

122)  Laparotomie  bei  Peritonealadhäsionen. 

Lauenstein  hat  mit  besonderem  Nachdruck  darauf  hingewiesen, 
welche  guten  Resultate  in  Fällen  von  heftigen  Schmerzen  und 
Schmerzanfällen  im  Bereich  des  Verdauungstractus  man  oft  erzielen 


Abdomen.  287 

kann,  wenn  man  nichts  thut,  als  von  einer  Laparotomiewunde  aus 
Adhäsionen  zu  lösen,  welche  die  Eingeweide  nach  bestimmten  Stellen 
der  Bauchwand  fixiren,  knicken  oder  zusammenschnüren.  Die  Indi- 
cation  ist  noch  nicht  in  ihrer  ganzen  Bedeutung  gewürdigt.  Die 
Resultate  der  Operation  sind  oft  schlagend  und  unmittelbar,  und 
jahrelange  Leiden  können  damit  beseitigt  werden. 

Wir  haben  vor  ganz  kurzer  Zeit  bei  einer  Patientin,  welche 
heftige  Schmerzanfälle  hatte  bis  zum  Collaps,  so  dass  man  wegen 
früherer  Ulcusanamnese  an  eine  Perforation  dachte,  durch  Lapa- 
rotomie und  Trennung  einer  starken  Verwachsung  nach  der  seit- 
lichen Bauch  wand  sämmtliche  Beschwerden  sofort  beseitigt;  die- 
selben waren  so  stark,  dass  Patientin  sich  fürchtete,  etwas  zu  sich  zu 
nehmen,  so  dass  sie  sehr  stark  herunter  gekommen  war. 

Allgemeine  Vorschriften  für  die  Operationsmethode  lassen  sich 
nicht  aufstellen :  Die  Adhäsionen  müssen  gründlich  getrennt  werden, 
um  den  Eingeweiden  völlig  freie  Bewegung  zu  sichern,  und  wenn 
thunlich,  müssen  breitere  Wundflächen  mit  normalem  Peritoneum 
überpflanzt  werden.  Wenn  es  richtig  ist,  dass  Seidenfaden  als 
bleibende  Fremdkörper  eher  zur  Adhäsionsbildung  Anlass  geben, 
so  wäre  leicht  resorbirbarem  Catgut  der  Vorzug  zu  geben. 

123)  Die  Operationen  am  Magendarmcanal. 

Sobald  man  bei  einer  Operation  den  Magendarmcanal  eröffnen 
muss,  so  hat  man  septischen  Einflüssen  das  Thor  geöffnet,  da  der 
Magendarminhalt  unter  normalen  Verhältnissen  noch  in  viel  reicherem 
Maasse  Bakterienflora  beherbergt,  als  solche  auf  der  äusseren  Haut 
vegetirt.  Es  ist  deshalb  das  Bestreben,  die  Gefahr  einer  Infection  des 
Peritonealraumes  vom  Darmlumen  zu  verhüten  oder  auf  möglichst  ge- 
ringes Maass  zu  beschränken,  eine  erste  Aufgabe.  Die  Mittel,  durch 
welche  man  sich  zu  schützen  suchte,  sind  sehr  verschiedener  Art 
und  können  auch  nicht  immer  dieselben  sein.  Wie  man  eine  weiter- 
gehende Infection  durch  Absperrungstamponade  verhütet,  haben  wir 
bei  den  allgemeinen  Bemerkungen  zur  Laparotomie  hervorgehoben. 
Wie  man  dagegen  die  nächste  Nachbarschaft  vor  Verunreinigung 
schützt,  hängt  zunächst  davon  ab,  ob  das  eröffnete  Organ,  wie  z.  B.  bei 
der  BiLLROTH'schen  zweiten  Methode  und  bei  meinem  Verfahren  der 
Pylorusresection  der  Magen  nach  Entfernung  der  Neubildung  völlig 
verschlossen  werden  kann,  oder  ob  man  die  gemachte  Oeffnung 
durch  Anastomose  mit  einem  anderen  Darmabschnitt  in  Verbindung 
setzen  muss ,  wie  bei  Gastroenterostomosis  und  den '  verschiedenen 
Enteroanastomosen. 

Wir  schildern  zunächst  die  verschiedenen  Methoden,  den  Austritt 
des  Darminhaltes  zu  verhüten.     Man  kann  zwei  Hauptverfahren  aus- 


288  Specielle  Operationslehre. 

einanderhalten :  das  erste  besteht  in  Verschluss  des  Darmes  entfernt 
von  der  Operations-  und  Trennungsstelle,  das  zweite  an  der  Trennungs- 
stelle selber.  Der  ersten  Indication  wird  man  auf  verschiedene 
Weise  gerecht :  Man  legt  ober-  und  unterhalb,  nachdem  das  zwischen- 
liegende Stück  Darm  durch  Ausstreifen  seines  Inhaltes  entledigt  ist, 
einen  circulären  Faden  an  oder  eine  Zange.  Dann  reinigt  man  den 
Darm  (resp.  Magen)  so  gut  als  möglich  aus  und  kann  die  Naht 
anlegen. 

Diese  Methode  des  entfernten  Abschlusses  des  Darmes  ist  eine 
sehr  empfehlenswerthe.  Man  kann  sie  aber  in  zwei  sehr  verschie- 
denen Abänderungen  benutzen,  speciell  wenn  man  sich  schliessender 
Zangen  bedient.  Man  kann  zugleich  die  Mesenterien  und  damit  die 
Gefässe  verschliessen  (am  Magen  diejenigen  der  kleinen  und  grossen 
Curvatur)  oder  bloss  den  Darm  verschliessen.  Es  ist  keine  Frage, 
dass  dieser  entfernte  provisorische  Darm  verschluss, 
combinirt  mit  prophylaktischer  Blutstillung,  die  Aus- 
führung der  Operation  ganz  erheblich  erleichtert.  Man  kann  dann 
bequem  zunächst  eine  fortlaufende  Schleimhautnaht,  dann  die  Naht 
der  ganzen  Wanddicke  und  endlich  eine  Serosanaht  darüber  legen 
ohne  jegliche  Behinderung.  Wie  die  Zangen  im  speciellen  Falle 
angelegt  werden,  mag  bei  den  einzelnen  Operationen  nachgesehen 
werden. 

In  allen  Fällen  ist  hier,  wie  ausnahmslos  da,  wo  die  Darmmucosa 
zu  Gesichte  gekommen  ist,  nach  der  sämmtliche  Schichten  fassenden 
Naht  und  vor  der  Serosanaht  eine  gründliche  Reinigung  der  Um- 
gebung vorzunehmen  und  event.  verunreinigte  Gazecompressen  der 
Absperrungstamponade  zu  wechseln. 

Sicherer  zu  völliger  Verhütung  jeglichen  Darminhaltaustrittes  ist 
die  zweite  Methode,  bei  welcher  man  —  wie  ich  schon  in  der  i .  Auflage 
dieses  Werkes  empfohlen  habe  —  die  Stelle  selber,  wo  Magen 
oder  Darm  verschlossen  werden  soll,  mit  kräftiger 
Zange  fasst  und  zusammenpresst  und  danach  dicht  an  der  Zange 
Darm  oder  Magen  abträgt  mit  Messer  oder  Thermocauter.  Ich  habe  zu- 
erst 1883  durch  meine  Beobachtungen  und  Resultate  den  Beweis  ge- 
leistet, dass  dieses  kräftige  Zusammenpressen  die  nachträgliche  Prima- 
heilung in  keiner  Weise  hindert  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil 
man  die  Muscularis  und  Mucosa  nicht  bis  zur  Nekrosirung  quetschen 
kann,  indem  beim  Zusammenpressen  über  einen  gewissen  Grad  hinaus 
die  gefässhaltigen  Theile  der  Mucosa  und  Muscularis  —  wie  Lanz 
neuerdings  des  Genaueren  nachgewiesen  hat  —  auseinander  weichen 
und  bloss  völlig  trockenes  elastisches  Bindegewebe  als  papierdünne 
Membran  unter  der  Zange  bleibt.  Den  Beweis,  dass  dies  so  ist,  hat 
man  in  neuester  Zeit  durch  Anwendung  einer  dritten  Methode  ge- 
leistet,   dadurch,    dass    man   sich   zum  Zusammenpressen    eigener  mit 


Abdomen. 


289 


grosser  Gewalt  wirkender  Quetschzangen  bediente.  Doyen  zuerst 
und  nach  ihm  Tuffier  haben  diese  Angiothryptoren  in  die 
Abdominalchirurgie  eingeführt.  Souligoux  hat  sie  in  origineller 
Weise  verwerthet.  Ich  habe  ausser  für  Magen  und  Darm  Gewebs- 
quetschzangen  (Histotriptoren)  schon  längere  Zeit  bei  Trennung  des 
Isthmus  für  die  Kropfexcision  benutzt. 

Der  Unterschied  dieses  Verfahrens  gegen  die  zweite  Methode  be- 
steht darin,  dass  dieselbe  zugleich  die  Blutstillung  besorgt.  Für  diese 
muss  gesorgt  werden  bei  der  zweiten  Methode  durch  Anlegung  der 
Naht,  bevor  die  Presszange  entfernt  wird,  oder  falls  dies  nicht  an- 
gängig ist,  durch  Anlegung  von  Arterienklemmen  an  blutende  Ge- 
fässe  nach  Abnahme  der  Zange.  Bei  Benutzung  der  Angiothryptoren 
nach  Doyen's  Muster  kann  man  die  Zangen  entfernen,  ohne  dass  es 
blutet.  Man  erhält  definitiven  Darmverschluss  mit  defini- 
tiver Blutstillung.  Natürlich  müssen  beide  für  die  Dauer  gesichert 
werden.  Ferner  hat  diese  Methode  den  Vorzug,  dass  sie  die  gepressten 
Gewebe  zu  so  dünner  Membran  zusammenpresst,  dass  man  sie  mit 
Leichtigkeit  in  eine  Ligatur  fassen  kann. 

Wo  dagegen,  wie  am  Magen,  ein  sehr  ausgedehnter  Gewebstheil 
in  die  Zange  gefasst  worden  ist,  da  muss  wie  bei  der  zweiten  Methode 
eine  Naht  angelegt  werden.  Wir  machen  letztere  bei  noch  liegender 
Zange  in  folgender  Weise:  Es  wird  nach  Fig.  99  zunächst  ein  Faden 
mit  gerader  Nadel  rasch  hin-  und  herübergehend  in  der  ganzen 
Länge  durchgeführt  (vergl.  die  Beschreibung  der  Magenocclusion  bei 
Resectio  pylori),  dann  nach  Wegnahme  der  Zange  eine  fortlaufende 
Naht  durch  alle  Schichten  darüber  gesetzt  (Fig.  100)  und  endlich  die 
Serosanaht  fortlaufend  darauf. 

Wir  halten  es  für  das  Richtige,  die  erste  Schluss-  und  Spannungs- 
naht hinter  der  Zange  anzulegen,  solange  diese  noch  Hegt.  Bloss 
beim  Darm  und  vollends  beim  Wurmfortsatz  kann  nach  Zusammen- 
quetschen die  Zange  entfernt,  und  wie  wir  es  für  den  Isthmus  der 
Thyreoidea  beschrieben  haben,  mit  einem  einfachen  Faden  die  ver- 
dünnte Stelle  zusammengeschnürt  werden  und  bloss  eine  Serosanaht 
übergelegt. 

Wenn  wir  nun  fragen,  welche  Methode  vorzuziehen  sei,  so 
ergiebt  sich,  dass  Methode  1  wegen  ihrer  grossen  Bequemlichkeit 
die  geeignetste  ist  für  alle  Anastomosenbildungen,  weil  die  Anlegung 
der  Vereinigungsnaht  am  wenigsten  gehindert  wird.  Sie  hat  nur 
den  Nachtheil,  dass  sie,  wenn  mit  Zangen  zu  gleichzeitiger  prophy- 
laktischer Blutstillung  gemacht,  Anlass  zu  Thrombenbildung  geben 
kann.  Man  darf  daher  die  Zange  nicht  länger  liegen  lassen,  als 
absolut  sein  muss,  d.  h.  sie  möglichst  spät  anlegen  und  sofort  ent- 
fernen, wenn  die  Naht  durch  die  ganze  Dicke  der  Wand  gemacht 
ist  vor  Anlegung  der  Serosanaht. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  ig 


2qo  Specielle  Operationslehre. 

Die  zweite  Methode  verdient,  wie  die  Erfolge  meiner  Gastroduoden- 
ostomie  nach  Magenresection  beweisen,  den  Vorzug,  wo  ein  grosses 
Hohlorgan  zu  verschliessen  ist  und  jeder  Austritt  von  Inhalt  mit 
Sicherheit  verhütet  werden  soll.     Infection  ist  da  unmöglich. 

Die  dritte  Methode  ist  die  raschest  auszuführende,  wenn  man 
kleine  Hohlorgane  zuschliessen  will,  also  für  die  Radicaloperation 
der  Appendicitis,  die  Darmausschaltung,  den  Duodenumverschluss  bei 
der  Gastrojejunostomie  nach  Resectio  pylori. 

Ein  sicherer  Verschluss  von  Darm  und  Magen  beruht 
stets  in  der  Hauptsache  auf  der  Verklebung  des  Peritoneum  der 
beiden  Darmabschnitte,  aber  es  ist  auch  der  genauen  Vereinigung 
der  Schleimhaut  und  Muscularis  mehr  Werth  beizumessen,  als  eine 
Zeit  lang  geschehen  ist.  Bei  guter  Vereinigung  auch  dieser  Schichten 
tritt  die  Function  rascher  ein  und  —  was  wichtiger  ist,  es  werden 
Nekrosen  der  Wundränder  auch  nach  dem  Darminnern  vermieden, 
welche  selten,  aber  doch  zeitweilig  zu  phlegmonöser  Infiltration 
der  Magendarmwand,  öfter  zu  Bildung  kleiner  Infectionsherde 
und  dadurch  zu  metastatischen  Entzündungen  (Pneumonien)  Anlass 
geben. 

Die  Bedingung  einer  Primaheilung  für  alle  Schichten  der  Magen- 
darmwand ist  die  genügende  Blutzufuhr,  und  ich  habe  früher  schon 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  bloss  die  directe  Controle  des  Vor- 
handenseins des  Pulses  in  den  zu  der  Darmwand  führenden  Mesen- 
terialarterien  Sicherheit  giebt,  dass  solche  vorhanden  ist.  Die  Naht- 
linie auf  der  Peritonealseite  muss  ferner  völlig  aseptisch  sein. 

Niemals  zu  versäumen  ist  eine  gründliche  Vorbereitung  auf 
die  Operationen  am  Darmcanal.  Magen  und  Darm  müssen  entleert 
werden,  jener  durch  Auspumpen  und  Leerspülen,  dieses  durch 
Laxantien.  Da  aber  die  Laxantien  den  Bakterien gehalt  des  Darms 
momentan  vermehren,  so  dürfen  sie  nicht  später  als  2  Tage  vor  der 
Operation  verabfolgt  werden.  Es  muss  demgemäss  die  Nahrung 
auf  solche  Stoffe  beschränkt  werden,  welche  nicht  Faeces  bilden 
(Bouillon  mit  Nährpulvern,  wie  Somatose  etc.)  und  auf  solche,  welche 
den  Bakteriengehalt  auf  ein  Minimum  herabsetzen,  wie  sterilisirte 
Milch.  Letztere  sollte  aber  bloss  zur  Rectalernährung  benutzt  werden. 
Für  Zufuhr  genügender  Flüssigkeit  ist  bei  karger  solider  Nahrung 
um  so  freigebiger  zu  sorgen.  Wir  geben  2  Tage  vor  der  Operation 
Bismuthpulver,  welche  die  Zersetzung  des  Inhaltes  des  Darms  be- 
schränken, event.  mit  Opium,  wo  man  strengste  Diät  durchführen 
muss. 

124)  Gastrotomie  und  Gastrostomie. 

Wo  eine  Eröffnung  des  Magens  vorgenommen  werden  muss, 
sei   es   in   Form    der   Gastrotomie   behufs   Entfernung   eines  Fremd- 


Abdomen.  20 1 

körpers,  Behandlung  einer  Oesophagnsstrictur  von  unten  her,  sei  es 
behufs  Anlegung  eines  bleibenden  Magenmundes  bei  Oesophagus- 
krebs,  bietet  es  einen  ganz  bedeutenden  Vortheil,  nach  Spaltung  der 
Bauchwand  den  Magen  vorzuziehen  und  zunächst  un- 
eröffnet  in  die  Bauchwand  durch  eine  circuläre  Naht 
—  Fixationsnaht  —  einzunähen.  Dadurch  gewinnt  man  einen 
Abschluss  gegen  die  Bauchhöhle,  bevor  Austritt  des  Mageninhaltes 
zu  fürchten  ist  und  verhütet  sicher  eine  dadurch  veranlasste  Peritonitis. 
Danach  macht  man  die  Eröffnung  in  der  der  Indication  angemessenen 
Form  an  dem  fixirten  Magentheil ;  man  kann  den  Ausfluss  des 
Mageninhalts  jetzt  sicherer  verhüten  und  ruhig  sein,  dass  nichts  in 
die  Bauchhöhle  fliesst.  Der  Schnitt  wird  am  besten  so  gemacht,  dass  er 
auf  die  Mitte  des  linken  Rectus  abdominis  in  Längsrichtung  fällt,  so 
dass  der  unverletzte  Muskel  in  ganzer  Breite  nach  Spaltung  seiner 
Fascie  lateralwärts  gezogen  werden  kann.  Unter  ihm  wird  die 
derbe  Fascia  transversa  und  das  Peritoneum  gespalten  und  in  diese 
Oeffhung  der  Magen  eingenäht  mittelst  krummer  kurzer  Nadel  und 
fortlaufender  Seidennaht,  welche  ausser  Serosa  eine  Schicht  Mus- 
cularis  fasst. 

Die  Gastrotomie  besteht  in  einfacher  Spaltung  der  fixirten 
Magenwand  parallel  den  Gefässen  und  Fassen  der  blutenden  Ränder 
mit  Arterienzangen.  Nach  Extraction  eines  Fremdkörpers  wird  der 
Magen  sofort  wieder  mit  Naht  geschlossen,  einer  fortlaufenden  feinen 
Catgutnaht  für  die  Schleimhaut,  einer  fortlaufenden  feinen  Seiden- 
naht durch  die  ganze  übrige  Dicke  (Muscularis  mit  Serosa)  und  einer 
eben  solchen  Serosanaht.  Muss  man  dagegen  z.  B.  bei  Oesophagus- 
stricturen  nach  Erweiterung  und  Durchziehen  einer  Sonde  letztere 
ein  paar  Tage  liegen  lassen,  so  macht  man  nach  ihrer  Entfernung 
eine  secundäre  Naht:  Man  schliesst  die  Wunde  mit  fortlaufender 
Naht  durch  die  ganze  Dicke  der  Wundränder  des  Magens,  löst  jetzt 
den  Magen  aus  der  Bauchwand  los  durch  Trennung  der  circulären 
Fixationsnaht  und  stülpt  zuletzt  die  tiefe  Magennaht  ein,  um  darüber 
die  Serosanaht  anzulegen. 

Die  Gastrostomie  bei  Carcinoma  oesophagi  ist  das  beste 
Hülfsmittel,  um  das  Leben  eines  Patienten  möglichst  zu  verlängern 
und  angenehm  zu  gestalten.  Seit  man  gelernt  hat,  einen  Magen- 
mund so  anzulegen,  dass  derselbe  spontan  geschlossen  bleibt,  so 
dass  nicht  wie  früher  Anätzungen  der  Haut  durch  den  sauren  Magen- 
saft stattfinden  und  dass  der  Patient  nicht  genöthigt  ist,  irgend  einen 
Verband  anzulegen,  darf  man  für  die  frühesten  Stadien  beginnender 
Oesophagusstenose  die  Operation  empfehlen.  Der  Patient  erhält  da- 
durch die  Garantie,  sich  jeder  Zeit  reichlich  nähren  zu  können  und 
daneben  nur  diejenige  locale  Behandlung  der  Stenose  und  nur  dann 
nöthig  zu  haben,  welche  ihm  nützt,  ohne  ihm  gleichzeitig  zu  schaden. 

19* 


292 


Specielle  Operationslehre. 


Denn  man  kann  ganz  gut  daneben  noch  zeitweilig  dilatiren  oder 
sogar  Dauercanülen  tragen  lassen  in  den  Fällen,  wo  dieses  ohne 
Schmerzen  und  ohne  Schaden  durchführbar  ist;  aber  man  hat 
die  Freiheit,    die  Dilatationsmethode  auch  sofort  zu  unterbrechen,  so- 


Fig.  84.    Gastrostomie  nach  Frank  (modificirt).    Der  Magen  ist  durch  die  Bauch- 
wunde  vorgezogen,   rings   am  Peritoneum  und  tiefer  Fascie  mit  Nähten  fixirt, 
die  Muskelfasern  des  Rectus  abdominis  lateralwärts  gezogen.    (In  der  Zeichnung 
sind  fälschlich  auch  auf  der  medialen  Seite  Muskelfasern  angegeben.) 

bald   man   sieht,    dass   sie    Zerfall   der  Neubildung,    Entzündung   der 
Umgebung  veranlasst  oder  Schmerzen  verursacht. 

Wir  geben  in  Fig.  84  u.  85  die  früher  von  uns  geübte  Frank- 
sche  Methode  wieder.  Wir  haben  dieselbe  eingeschränkt,  weil  in 
einzelnen  Fällen  der  stark  geschrumpfte  Magen  sich  nicht  genügend 


l 


Abdomen. 


293 


durch  die  Bauchwand  hervorziehen  Hess,  um  ihn  noch  unter  einer 
Hautbrücke  hindurch  nach  oben  ziehen  zu  können.  Auch  war  der 
Verschluss  der  Fistel  in  einzelnen  unserer  Fälle  kein  vollkommener. 
Es  erscheint  auch  viel  leichter,  von  der  P'RANK'schen  Methode  bloss 


Fig.  85.     Gastrostomie  nach  Frank  nach   der  Naht:    Unten  die  Hautnaht   der 
Hauptwunde,  oberhalb  des  Rippenbogens  die  Spitze  des  herausgezogenen  Magen- 
zipfels eingenäht  und  eröffnet. 


den  Theil  zu  behalten,  dass  man  den  vorgezogenen  Magen  mit  dem 
vorragenden  Zipfel  in  den  oberen  Theil  der  Wunde  einnäht  und  so 
nach  oben  spannt  und  knickt. 

Diejenige  Methode,  welche  uns  zur  Stunde  die  besten,  d.  h.  völlig 
zufriedenstellende  Resultate  giebt,  ist  folgende :  Schnitt  auf  der  Mitte  des 
linken  Rectus  abdominis  senkrecht  vom  Rippenrande  abwärts  durch 


2Q4 


Specielle  Operationslehre. 


Haut  und  Fascie.   Zwischen  letzterer  und  dem  Muskelfleisch  des  Rectus 
abdominis  geht  man  stumpf  medianwärts  (nur  an  der  Inscriptio  tendinea 


"^ 


Fig.  86.  Hacker- Frank -WiTZEL'sche  Methode,  combinirt  mit  Gastropexie. 
Schnitt  senkrecht  vom  Rippenrand  abwärts  über  die  Mitte  des  M.  rectus 
abdominis ;  der  Muskel  ist  in  toto  lateralwärts  gezogen,  der  Magen  circulär  mit 
Peritoneum  und  Fascie  unter  dem  Rectus  vernäht,  eine  dünne  Drainröhre  auf 
die  Magenwand  aufgenäht.     (Die  Querfaserung  der  Fascia  transversa  ist  etwas 

zu  grob  ausgefallen.) 


Abdomen. 


295 


Mf. 


muss  mit  dem  Messer  gelöst  werden)  bis  zum  medialen  Rand  des  Muskels 
und  zieht  diesen  kräftig  lateralwärts  nach  Hacker's  und  Girard's  Vor- 
gang.    Es    erscheint   die    derbe, 

tiefe  Fascie,   welche   5  cm    lang  r  ,1 

gespalten    wird,    danach   ebenso  j 

das  Peritoneum.    Mit  2  Fingern  -^ "i^Np^ 

geht    man    ein    und    zieht    den  Jp    m^f^Uft  \ 

Magen   heraus,   wobei  man  sich  sL         !T   jf  <l 

vor  Verwechslung  mit  dem  Colon  A 

transversum  zu  hüten  hat.    Auch  y "  ■        f  /  p>      ^; 

muss    man   durchaus  vermeiden,  i* 

den  Magen  zu  nahe  dem  Pylorus  '  ;- -' 

einzunähen,  weil  sonst  der  Ab- 
fluss  behindert  ist.  Der  Magen 
wird  als  Zipfel  soweit  heraus- 
gezogen, bis  die  grosse  und  kleine 
Curvatur  erscheint  und  ein  ge- 
nügendes Stück  der  Vorderwand 
gegen  erstere  zu  mittelst  fort- 
laufender Seidennaht  unter  Fassen 
von  Fascie  mit  Peritoneum  und 
am  Magen  von  Serosa  mit  Muscu- 
laris  in  die  Bauchwand  zuverlässig 
eingeheftet.  Dann  legt  man  (nach 
Witzel)  eine  sehr  dünne  Drain- 
röhre (s.  Fig.  86)  auf  die  Vorder- 
fläche des  Magens  in  verticaler 
Richtung  und  näht  den  Magen 
von  beiden  Seiten  (stets  unter 
Fassen  der  Serosa  und  einer 
Schicht  Muscularis)  über  dem 
Drain  1 — i1/»  cm  lang  fortlauf  end 
zusammen.  Am  unteren  Ende 
macht  man  eine  ganz  kleine 
Oeffnung  und  steckt  den  Drain 
8 — 10  cm  tief  in  den  Magen 
hinein  und  näht  die  Magenserosa 
darüber  zusammen,  soweit  der 
Drain  unten  noch  nicht  gedeckt 
war  (Fig.  87  a  bis  c).  Dann  näht 
man  rings  um  den  Drain  da,  wo 
er  oben  aus  seiner  Rinne  hervor- 
guckt, den  Magen  in  die  Hautwunde  zuverlässig  ein.  Zuletzt  näht 
man  .die  Wundränder  über  dem  Magenwulst  zusammen  und  schiebt 


Fig.  87a — c  illustriren  die  Art  und  Weise, 
wie  die  dünne  Drainröhre  auf  die  Magen- 
wand genäht   und    in   dieselbe  hinein- 
geschoben und  bedeckt  wird. 


2g6  Specielle  Operationslehre. 

oben  und  unten  einen  kurzen  Glasdrain  unter  die  Hautnaht.  Man 
giesst  durch  einen  Trichter  sofort  etwas  steriles  Wasser  ein,  um  zu 
sehen,  ob  der  Drain  spielt.  Jodoformgaze  und  Collodialstreifen  als 
Verband,  Fixation  des  Drain,  damit  er  nicht  herausfällt. 

Durch  diese  Combination  der  von  Hacker,  Frank  und  Witzel 
angegebenen  Methoden  erreicht  man  insofern  ein  völlig  befriedigen- 
des Resultat,  als  man  einen  langen  engen  Canal  schafft  zwischen 
Haut-  und  Magen  Öffnung,  welcher  durch  den  von  der  lateralen  Seite 
sich  spannenden  Rectus  abdominis  noch  einigermaassen  comprimirt 
wird  und  aus  dem  Magen  durchaus  nichts  ausfliessen  lässt,  so  dass 
der  Patient  sich  durch  einen  dünnen  Catheter  gut  ernähren  kann 
und  gar  keines  Verbandes  (als  etwa  eines  Cautschukpflasters)  bedarf. 
Bei  einer  vor  Kurzem  von  uns  gemachten  Autopsie  zeigte  sich  der 
Magen  an  einer  Stelle  narbig  an  die  Bauchwand  angewachsen,  die 
Oeffnung  im  Magen  hatte  sich  zurückgezogen  und  war  so  klein  und 
von  ganz  normaler  Schleimhaut  ausgekleidet,  dass  man  Mühe  hatte, 
sie  zu  finden.  Ein  4  cm  langer  Canal  führte  von  derselben  zur 
Hautöffnung,  derselbe  zeigte  keine  Schleimhautauskleidung,  war  aber 
ganz  glatt. 

Durch  die  Hinzufügung  von  Witzel's  Schrägcanalbildung  in 
der  Magenwand  erhält  man  bei  gleichzeitiger  Benutzung  des  muscu- 
lösen  Schlusses  durch  den  sich  streckenden  M.  rectus  abdominis 
nicht  nur  eine  vollständige  Schlussfähigkeit  der  Fistel,  sondern  so- 
gar gelegentlich  eine  zu  gute,  so  dass  einige  unserer  Patienten  nach 
ihrer  Entlassung  die  Röhre  zur  Ernährung  nicht  mehr  einführen 
konnten.  Wir  lassen  dieselbe  nämlich  nicht  permanent  drinnen,  aus 
dem  Grunde,  weil  man  sonst  nicht  ohne  jeglichen  Verband  auskommt. 
Man  muss  sich  desshalb  hüten,  einen  gar  zu  langen  und  engen 
Schrägcanal  anzulegen. 

Fischer  und  Marwedel  haben  den  Schrägcanal  nicht  durch 
Faltung  der  Magenwand  gebildet,  sondern  ein  Röhrchen  eingeschoben, 
zwischen  Mucosa  und  Muscularis.  Barrozzi  lobt  diese  Methode  ganz 
besonders. 

Kader  und  Fontana  haben  unter  Verzicht  auf  den  Schrägcanal 
die  Anlage  bloss  eines  Canals  angestrebt  an  Stelle  einer  lippen- 
förmigen  Fistel  und  haben  dadurch  die  Methode  der  Gastrostomie 
zu  vereinfachen  versucht.  Mikulicz  hat  die  KADER'sche  Methode 
ausgiebiger  angewandt.  Wir  haben  in  neuerer  Zeit  diese  Methoden 
vielfach  geprüft  und  halten  sie  allerdings  ihrer  Einfachheit  wegen 
und  weil  in  der  Regel  auch  hier  ein  völlig  zureichender  Schluss 
geschaffen  wird,  für  werthvoll  genug,  um  dieselben  durch  eine 
Zeichnung  neben  dem  anderen  Verfahren  zu  illustriren  (vergl.  Fig.  88 
und  89). 


Abdomen. 


297 


Aus  der  Zeichnung  ist  ersichtlich,  in  welcher  Weise  wir  die 
Sache  ausgeführt  haben1).  Der  vorgezogene  Magenzipfel  wird  an 
der  Spitze  eröffnet  mittelst  feinen  Messers,  wobei  durch  gute  Fixation 


Fig.  88.  ^  Gastrostomie  mit  Canalbildung  im  Sinne  Kader's.  Ein  Magenzipfel 
ist  in  die  tiefe  Fascie  sammt  Peritoneum  parietale  eingenäht,  der  M.  rectus 
abdominis  lateralwärts  gezogen.  Ein  Cautschukröhrchen  ist  in  die  Spitze  des 
Zipfels  eingeführt  und  festgenäht,  die  Spitze  trichterförmig  eingestülpt  und  die 
2.  Naht  gelegt,  aber  noch  nicht  zusammengeschnürt. 


dafür    zu   sorgen   ist,    dass   sich   die  Schleimhaut   nicht   zurückstülpt. 
Die  Schleimhautränder    werden  mit  feinen  Häkchen  gefasst  und  ein 


1)  Aehnlich  hat  R.  Lücke  eine  Modifikation  beschrieben. 


2g8 


Specielle  Operationslehre. 


Röhrchen  eingeschoben  und  durch  feine  Nähte  durch  die  ganze  Wand- 
dicke fixirt. 

Jetzt  wird  durch  Druck  auf  das  festsitzende  Röhrchen  die  Spitze 
des  Zipfels  eingestülpt  und  in  Entfernung  von  i  cm  eine  Tabaks- 
beutelnaht nach  Fig.  88  angelegt  und  um  das  Röhrchen  zusammen- 
gezogen. Will  man  einen  noch  längeren  Canal  haben,  so  wird  noch 
eine  zweite  Naht  unter  Einstülpung  der  vorigen,  ebenfalls  etwa  i  cm 
entfernt  angelegt  und  wiederum  um  das  Röhrchen  geschlossen. 

Auf  diese  Weise,  wie  Fig.  89  zu  zeigen  versucht,  schafft  man 
einen  1  event.  2  cm  lang"en  Canal  aus  Magen  wand  bestehend  und 
in  den  Magen  eingestülpt,  in  welchem  das  Röhrchen  senkrecht  liegt. 

Der  Unterschied  von  dem  erstgeschilderten 
Verfahren  ist  zunächst  der,  dass  von  einer 
raschen  Entfernung  der  Röhrchen  nicht  die 
Rede  ist,  da  dasselbe  eng  umschlossen  ist. 
Um  vor  operativen  Misserfolgen  bei 
der  Gastrostomie  sicher  zu  sein,  muss  man 
an  der  empfohlenen  Methode  als  wesent- 
lich folgende  Punkte  besonders  beachten: 
a)  Das  circuläre  Einnähen  des  vorgezogenen 
Magenzipfels  an  seiner  Basis  in  die  Bauch- 
wand durch  die  vollkommen  abschliessende 
Circulärnaht :  tiefe  Fixationsnaht. 
Diese  schützt  bestmöglich  gegen  Peritonitis, 
weil  sie  das  Einfliessen  von  Mageninhalt 
verhütet,  falls  etwas  zwischen  Magenwunde 
und  äusserer  Hautwunde  heraustritt,  oder 
gar  der  Magen  sich  völlig  von  der  Haut 
ablöst,  b)  Das  völlig  feste  Einnähen  des 
Drains  in  den  Magen  und  des  Magens  in 
die  Hautwunde,  damit  neben  demselben 
nichts  ausfli essen  und  die  Hauttasche  inficiren  kann:  oberfläch- 
liche Fixationsnaht.  Ein  subcutaner  Abscess  kann  sich  auf 
das  Peritoneum  fortsetzen.  c)  Die  verlässliche  Drainage  der 
Hautwunde  ober-  und  unterhalb  des  zwischen  tiefer  und  ober- 
flächlicher Fixationsnaht  liegenden  Magentheiles.  Die  Ansammlung 
von  Secret,  wenn  je  etwas  Mageninhalt  ausgeflossen  wäre,  muss 
sicher  verhütet  werden. 

Es  kommt  nicht  sowohl  darauf  an,  wie  man  durch  die  Magen- 
wand die  Incision  hindurchlegt,  um  später  gegen  Ausfliessen  des 
Mageninhaltes  sicher  zu  sein,  als  dass  man  eine  möglichst  kleine 
Oeffnung  im  Magen  anlegt.  Darauf  haben  schon  Graser  und 
GOLDlNG-BlRD  aufmerksam  gemacht  und  die  anfänglich  möglichst 
klein    angelegten  Oeffnungen   später    stumpf  zu  der  nöthigen  Weite 


Fig.  89.  Der  Magenzipfel 
ist  eröffnet  gezeichnet,  um 
die  Bildung  des  Canales  für 
das  Röhrchen  durch  die  Ein- 
stülpung zu  zeigen. 


Abdomen. 


?99 


gedehnt.  Die  genügend  kleine  Oeffnung  wird  durch  die  wulstige  und 
verschiebliche  Schleimhaut  genügend  verschlossen,  so  dass  nichts 
ausfliesst;  allerdings  ist  es  auch  von  Belang,  dass  man  die  Oeffnung 

—  und  darin  besteht  das  Verdienst  Frank's  —  so  hoch  wie  möglich 
am  Magen  anlege  und  an  der  Bauchwand  fixire,  in  geradem  Gegen- 
satz zu  der  Gastroenterostomie,  wo  die  tiefste  Stelle  für  die  Oeffnung 
im  Magen  zu  wählen  ist. 

125)  Die  Gastroenteroanastomosis. 

Als  Maisonneuve  zuerst  den  Gedanken  hatte,  eine  Entero- 
anastomose  auszuführen,  war  die  Technik  noch  nicht  weit  genug 
gediehen,  um  demselben  weitere  Folge  zu  geben.  Zur  Zeit  dagegen, 
wo  Nicoladoni  Wölfler  den  folgeschweren  Rath  gab,  eine 
Gastroenterostomose  auszuführen,  hatten  bereits  die  Erfolge  Billroth's 
mit  der  Magenresection  bewiesen,  welch  fruchtbares  Feld  sich  in  der 
Abdominalchirurgie  erschlossen  habe.  Die  gewöhnlich  als  WöLFLER- 
sche  Operation  bezeichnete  Gastroenterostomosis  hat  einen 
Aufschwung  genommen,  wie  ihn  Niemand  geahnt  hatte  und  nach 
Tausenden  zählen  die  glücklichen  Heilungen,  welche  durch  die 
Operation  bei  Kranken  erzielt  sind,  welche  auf  dem  Wege  innerer 
Therapie  ihr  Leiden  Jahre  lang  hingeschleppt  hatten. 

Zweifellos  wird  sich  das  Gebiet  der  Gastroenterostomosis  noch 
erweitern,  wenn  sich  auch  die  Internen  durch  die  Publication  der 
Ergebnisse  der  Operation  völlig  klaren  Aufschluss  über  deren 
Leistungsfähigkeit  werden  verschafft  haben.  Ich  darf  auf  2  Publi- 
cation en  aus  meiner  Klinik  verweisen,  ungefähr  100  Fälle  umfassend, 
welche  von  Herrn  Dr.  Kaiser  und  Humbert  mitgetheilt  sind, 
3/5  wegen  gutartigen,  2/5  wegen  bösartigen  Affectionen  ausgeführt 
Dabei  zeigt  sich  die  sehr  interessante  Wandlung,  dass  bei  unseren 
ersten  ca.  60  Fällen  die  Operation  bei  Magenkrebs  vorwiegt,  bei  den 
letzten  ca.  40  Fällen  diese  ganz  in  den  Hintergrund  tritt.  Das  be- 
weist, dass  wir  vielmehr,  als  dies  vielerorts  geschehen  ist,  bei  Carcinom 
die  Palliativoperationen  eingeschränkt  haben,  zu  Gunsen  der  Radical- 
operation.  Czerny  hat  durch  Steudel  über  47  Fälle  von  Gastro- 
enterostomosis berichtet,  wovon  29  bei  bösartigen,  18  bei  gutartigen 
Affectionen. 

Das  Gebiet,  auf  welchem  die  Gastroenterostomosis  ihre  Triumphe 
feiert,  ist  dasjenige  des  Ulcus  ventriculi  simplex  und  seiner  Folge- 
zustände. Zweifellos  ist  diese  Affection  —  nach  den  Folgen  zu  schliessen 

—  viel  häufiger  als  selbst  die  Internen  anzunehmen  geneigt  sind, 
und  man  wird  gut  thun,  bei  allen  hartnäckigen  schmerzhaften  Magen- 
affectionen,  die  sich  Monate  lang  hinziehen  bei  medicamentöser 
Therapie,  die  chirurgische  Ulcustherapie  in  ihre  Rechte  treten  zu 
lassen.     Die  Mehrzahl  der  Aerzte  weiss  zur  Stunde  bei  Weitem  nicht 


■2qq  Specielle  Operationslehre. 

genug  zu  würdigen,  welche  vorzüglichen  Resultate  bei  chronischen 
Magenleiden,  vulgo  Magenkatarrhen  auf  operativem  Wege  zu  er- 
zielen sind. 

Nicht  bloss  die  zahlreichen  Gefahren  ulceröser  Magen  erkrankungen 
lassen  sich  durch  die  Operation  verhüten,  wie  Blutungen,  Perforation, 
Uebergang  in  Carcinom,  sondern  die  Krankheit  und  ihre  Folgen 
sind  in  so  rascher  und  sicherer  Weise  zu  heilen,  dass  die  medica- 
mentöse  Behandlung  für  hartnäckige  Fälle  völlig  in  den  Hintergrund 
treten  muss.  Dr.  Kaiser  hat  durch  genaue  Nachprüfung  unserer 
Fälle  folgende  Nachweise  leisten  können: 

i)  Die  Magenschmerzen  verschwinden  vom  Momente  der  Operation 
ab.  Das  ist  durchaus  Regel  und  zwar  abgesehen  davon,  wie  sich 
motorische  Function  und  Chemismus  gestalten.  Der  Patient  braucht 
auf  die  Art  der  Ernährung  keine  Rücksicht  mehr  zu  nehmen. 

2)  Das  Erbrechen  verschwindet.  Wir  haben  bloss  eine  Aus- 
nahme zu  verzeichnen,  deren  Erklärung  wir  geben  werden. 

3)  Es  tritt  regelmässige  Stuhlentleerung  ein,  wenn  vorher  Ob- 
stipation bestand;  auch  die  seltenen  Durchfälle  bessern  sich. 

4)  Dauernde  Magenstörungen  sind  bloss  in  einem  Falle  geblieben 
bei  einer  G.  retrocolica  posterior. 

5)  Obschon  binnen  der  ersten  Monate  die  bestehende  Magen- 
dilatation nicht  zurückgeht,  so  lässt  sich  doch  viel  bessere  Entleer- 
barkeit  des  Magens  nachweisen  (nicht  in  abnormer  Weise,  wie  dies 
Steudel,  Carle  und  Fantino  einige  Male  gesehen  haben).  (Dass 
später  die  Dilatation  zurückgeht,  hat  Mintz  bewiesen.) 

6)  Der  Magenchemismus  bessert  sich  und  zwar  progressiv,  wenn 
wiederholt  untersucht  wird:  Zu  hoher  Säuregrad  nimmt  ab,  zu  ge- 
ringer nimmt  zu  in  Uebereinstimmung  mit  Steudel,  Carle  und 
Fantino,  Kautsch,  Hartmann  und  Sipault,  Mintz.  (An  Thieren 
hat  freilich  Rosenberg  dieselbe  Ausnutzung  der  Nahrung  gefunden.) 

7)  Es  stellt  sich  eine  Schlussfähigkeit  der  künstlichen  Oeffnung 
her,  da  sich  der  Magen  blähen  lässt.  (Auch  Mintz  hat  das  Auf- 
treten eines  functionsfähigen  neuen  Sphinkter  festgestellt.  Ebenso 
Hartmann  und  Soupault.) 

8)  Galleneinfluss  in  den  Magen  hat  auf  das  Wohlbefinden  der 
Patienten  und  die  Function  des  Magens  keinen  schädlichen  Ein- 
fluss1).  (Hartmann  und  Soupault  haben  dies  ebenfalls  constatirt.) 
Derselbe  ist  am  seltensten  bei  der  Y-Methode,  kommt  aber  auch 
da  vor. 


1)  Diese  Thatsache  ist  genauer  Untersuchung  und  Ausfragung  der  Patienten 
entnommen,  was  wir  gegenüber  Roux  bemerken,  welcher  sagt,  dass  die 
Chirurgen  beschlossen  haben,  den  Galleneinfluss  für  unschädlich  zu  erklären, 
weil  er  ihnen  selber  nicht  schade. 


Abdomen. 


301 


g)  Das  Allgemeinbefinden  der  Patienten  bessert  sich,  wie  ich 
zufüge,  bedeutend  —  wenn  kein  Carcinom  vorliegt. 

1  o)  Sehr  bemerkenswerth  ist,  dass  der  sogen.  Circulus  vitiosus 
bei  allen  Methoden,  die  wir  anwandten  eine  völlige  Ausnahme  ist, 
wenn  es  sich  um  gutartige  Magenaffectionen  handelte.  Bei  Gastro- 
enterostomosis  wegen  Magenkrebs  dagegen  kommt  es  recht  oft  (in 
i/3  unserer  Fälle)  zu  Zersetzung  des  Mageninhaltes  bis  zum  Tod  in 
Folge  von  Autointoxication.  Kaiser  schiebt  dies  auf  die  auch  bei 
Resectio  pylori  zu  beobachtende  Regurgitation  von  unten  in  Folge 
durch  die  Operation  vermehrter  Parese. 

Man  darf  aus  solchen  Ergebnissen  den  Schluss  ziehen,  dass  die 
operativ-mechanische  Behandlung  der  Ulcusfolgen  das  wahre  Heil- 
mittel für  diese  häufige  und  schlimme  Krankheit  ist.  Bei  Krebs  da- 
gegen ist  die  Erleichterung  der  Beschwerden  und  vorübergehende 
Besserung  des  Allgemeinzustandes  für  eine  Reihe  von  Monaten  das 
Einzige,  was  mit  der  Operation  erreicht  wird.  Wir  übersehen  dabei 
nicht,  dass  einzelne  Fälle  (von  Czerny  (Steudel)  u.  A.)  mitgetheilt 
sind,  wo  die  Besserung  Jahre  lang  vorhielt.  Allein  wir  können  uns 
des  Eindruckes  nicht  erwehren,  dass  diese  Fälle  der  Radicaloperation 
zugänglich  gewesen  wären  und  damit  noch  bessere  Resultate  er- 
geben hätten. 

Körte  mit  seinen  reichen  Erfahrungen  (nach  Körte's  und  Herz- 
feld's  Mittheilungen)  tritt  nicht  bloss  für  möglichst  frühzeitige  An- 
lage einer  Gastroenterostomosis  bei  narbiger  Pylorusstenose  mit 
Magenerweiterung  ein,  sondern  er  will  auch  bei  Schmerzen  und 
kleinen  häufigen  Blutungen  rechtzeitig  operiren.  Die  Heilung  des 
Ulcus  werde  dadurch,  mächtig  unterstützt. 

Die  gleichen  Ansichten  äussert  Mayo  Robson  und  Czerny; 
nach  letzterem  Autor  wird  das  frische  Magengeschwür  ausser- 
ordentlich günstig  durch  die  Operation  beeinfmsst. 

Endlich  ist  die  Disposition,  welche  das  Ulcus  bei  längerer  Dauer 
für  spätere  Krebsentwicklung  abgiebt,  nicht  hoch  genug  anzuschlagen 
und  zwar  gar  nicht  etwa  nur  oder  vorzugsweise  in  der  von  Hauser 
und  Heitler  geschilderten  Form  der  Disposition  durch  die  Drüsen- 
veränderungen bei  der  Vernarbung,  sondern  ganz  besonders  in  Form 
der  Entwicklung  auf  nicht  vernarbtem  Ulcus,  wie  wir  eine  ganze 
Anzahl  von  Fällen  gesehen  haben.  Vielleicht  gehören  die  Fälle, 
wo  Gastroenterostomose  bis  zu  *)1/2  Jahren  (Czerny)  das  Leben  bei 
Magenkrebs  verlängerte,  zu  solchen  auf  einfachem  Ulcus  entwickeltem 
Krebs. 

Man  hat  für  Narbenstenosen  und  Dilatatio  ventriculi  in  der 
Bircher ' s c h e n  Gastroplicatio,  in  der  Gastropexie  und  in 
der  Heinecke 'sehen  Pyloroplastik  Ersatzmethoden,  welchen 
aber  die  Gastroenterostomosis  nach  der  Erfahrung  der  beschäftigsten 


■202  Specielle  Operationslehre. 

Chirurgen  „bei  Weitem"  überlegen  ist  (vergl.  Vortrag  von  Roux 
am  internationalen  Congress  in  Paris  1900,  ebenso  Doyen).  Kelling 
hat  dafür  Erklärung  durch  Experimente  gebracht,  indem  er  unter 
anderem  zeigte,  dass  die  Contraction  der  Längsmuskeln  des  Pylorus 
bei  der  winkligen  Knickung  der  Gastroptose  und  der  Ueberdehnung 
bei  Dilatation  zu  sehr  geschädigt  sein  kann,  um  den  Schliessmuskel 
zu  überwinden.  Auch  zu  viel  Säure,  welche  anregend  auf  den 
Schliessmuskel  wirkt  (Serejukow)  ist  der  Entleerung  ungünstig. 

Nach  den  mitgetheilten  functionellen  Erfolgen  der  Gastroenter- 
ostomosis  bedarf  es  bloss  noch  der  Feststellung  der  Thatsache,  dass 
auch  das  unmittelbare  Heilungsresultat  gegenüber  früher  ein  unver- 
gleichlich besseres  geworden  ist.  Allerdings  muss  man,  wie  dies 
Brunner  mit  vollem  Recht  betont  hat,  durchaus  die  Operation  bei 
Magenkrebs  und  bei  gutartigen  Magenaffectionen  auseinanderhalten. 
Schon  der  oben  erwähnte  Umstand,  dass  fast  ausschliesslich  bei 
Krebs  nach  der  Operation  bedenkliche  Zersetzung  des  Mageninhaltes 
in  unseren  Fällen  eintrat,  weist  darauf  hin,  dass  die  Verhältnisse 
hier  ungleich  ungünstiger  liegen.  Ich  verweise  bezüglich  Mortalität 
auf  die  beiden  in  Kurzem  erscheinenden  Arbeiten  von  Kaiser  und 
Humbert.  Man  wird  daraus  ersehen,  dass  die  Behauptung  gerecht- 
fertigt ist,  dass  die  Gefahr  der  Gastroenterostomosis  wegen  nicht 
krebsiger  Erkrankungen  des  Magens  als  überwunden  anzusehen  ist. 
Exitus  lethalis  als  Folge  der  Operation  haben  wir  bei  unseren 
100  Fällen  nicht  erlebt,  d.  h.  die  3  Todesfälle  beziehen  sich  nicht  auf 
Complicationen  der  Operation,  sondern  auf  solche  der  Grundkrankheit. 

Die  Hauptrolle  bei  unseren  wenigen  Todesfällen  spielen  die 
Blutungen:  2  Patienten  erlagen  Blutungen  (einer  aus  einem  Magen-, 
der  andere  aus  einem  Duodenumulcus).  Die  Operation  war  also  zu 
spät  gemacht,  als  schon  das  Ulcus  so  weit  zerfallen  war,  dass  ein 
grösseres  Gefäss  arrodirt  wurde.  Ein  dritter  Patient  hatte  ebenfalls 
trotz  ausdrücklicher  Mahnung  solange  gewartet,  bis  er  eine  er- 
schöpfende Magenblutung  bekam,  welche  ihn  zur  Operation  be- 
stimmte. Er  starb  an  Bronchitis  und  Pneumonie  bei  tadellosem 
Wundverlauf,  der  auch  bei  den  erstgenannten  vorhanden  war. 
Eiselsberg  hat  auf  die  Gefahren  der  Magenblutungen  bei  Abdominal- 
operationen aufmerksam  gemacht  und  wir  haben  unsere  Ansicht  über 
dieselben  anderswo  ausgesprochen. 

Wir  glauben  uns  auf  Grund  der  Nachweise,  dass  die  Mortalität 
eine  minimale  ist  und  dass  der  Enderfolg  bei  nichtkrebsigen  Magen- 
leiden als  Regel  functionell  völlige  Heilung  darstellt,  behaupten  zu 
dürfen,   dass  die  von  uns  benutzten  Methoden  empfehlenswerth  sind. 

Es  ist  gut,  ist  die  Natur  nicht  so  ungnädig  wie  die  Herren 
Chirurgen.  Sie  lässt,  wie  Gott  seine  Sonne  über  Gute  und  Böse 
scheinen  lässt,  theoretisch  guten  und  schlechten  Methoden  Erfolg  zu 


Abdomen. 


303 


Theil  werden.  Unser  Verfahren  weicht  von  den  üblichen  in  wesent- 
lichen Punkten  ab  und  man  hat  dasselbe  gerade  um  dieser  Eigen- 
tümlichkeiten willen  aus  theoretischen  Gründen  vielfach  schlecht 
gemacht.  Wir  sind  der  queren  Eröffnung  des  Darmes,  sowie  der 
senkrechten  Anlegung  der  Darmschlinge  treu  geblieben  und  unsere 
Resultate  lassen  sich  den  allerbesten  anderer  Chirurgen  an  die  Seite 
stehen  x). 

Alle  die  vermeintlich  horizontalen  Anlagen  des  Darmes  an  den 
Magen  oder  gar  die  verticalen  Aufhängungen  sind  gerade  so  ver- 
gänglich, wie  die  Spornbildungen.  Die  Bewegungen  des  Darmes 
sorgen  dafür,  dass  die  Darmschlingen  sich  am  Magen  wieder  lösen 
und  diejenige  Stellung  annehmen,  welche  wir  ihnen  von  vornherein 
anweisen.  Es  kommt  in  erster  Linie  darauf  an,  dass  man  für  den 
Anfang  den  Abfluss  des  Mageninhaltes  in  das  abführende  Darm- 
ende sichert  und  für  die  Dauer  eine  reichliche  Entleerung  verbürgt 
durch  Anlage  einer  möglichst  grossen  Oeffnung. 

Beides  gelingt  uns  durch  die  richtige  Modification  der  ur- 
sprünglichen Wölfler  'sehen  Gastroenterostomosis 
antecolica  anterior,  und  es  lässt  sich  nicht  bezweifeln,  dass  auch 
mit  der  reinen  WöLFLER'schen  Methode  gute  Erfolge  erzielt  werden, 
da  z.  B.  Hahn  dieselbe  für  die  beste  erklärt. 

Die  G.  antecolica  anterior  nach  Wölfler  mit  oder  ohne 
Modificationen  ist  jedenfalls  weitaus  die  einfachste  Operationsmethode, 
und  es  ist  sehr  bemerkenswerth,  dass  Chirurgen,  wie  BERGMANN 
laut  Mittheilungen  am  28.  Chirurgencongress  in  Berlin  und  Mikulicz 
(nach  Kautsch)  wieder  zu  derselben  zurückgegangen  sind.  Es  ist 
eigenthümlich,  dass  man  immer  noch  von  Störungen  durch  Druck  auf 
das  Colon  transversum  spricht.  Dieselben  kommen,  wie  schon  Wölfler 
ausdrücklich  betont  hat,  bloss  vor  bei  Benutzung  einer  zu  kurzen 
Jejunumschlinge,  so  dass  eine  Umschnürung  stattfindet.  Die  Ver- 
bindung muss  40 — 50  cm  unterhalb  der  Wurzel  des  Jejunum  aus- 
geführt werden.  Geschieht  das ,  so  habe  ich  nie  die  geringste 
Störung  seitens  des  Colon  gesehen  und  kenne  auch  keinen  Nachweis 
einer  solchen. 

Allerdings  muss  die  Stehe  der  Communicationsöffnung  am  Magen 
nach   ganz  bestimmtem  Grundsatze  gewählt  werden,  und  das  veran- 

1)  Dies  gilt  hinsichtlich  der  Sterblichkeit  in  hohem  Maasse,  aber  auch  hin- 
sichtlich der  Function.  Es  ist  interessant,  zu  lesen,  wie  Brunner  sich  über 
einen  Fall,  der  von  Stierltn  operirt  wurde,  wundert,  wie  gut  der  künstliche 
Pylorus  während  eines  Jahres  funetionirte,  „obschon"  die  beiden  Jejunumschenkel 
parallel  in  scharfem  Winkel  von  der  Anastomosenstelle  herabhingen.  Autopsien 
gut  funetionirender  Fälle  würden  dies  oft  genug  ergeben.  Ich  weiss  von  keinem 
Chirurgen,  welcher  unsere  Verfahren  adoptirt  hat,  welcher  unzufrieden  damit 
gewesen  wäre,  wohl  aber  hat  z.  B.  Plettner  ausgezeichnete  Resultate  damit 
erzielt. 


304  Specielle  Operationslehre. 

lasst  uns,  um  diesen  Hauptpunkt  genügend  hervorzuheben,  unsere 
jetzige  Methode  mit  einem  neuen  Namen  zu  bezeichnen,  nämlich 
mit  demjenigen  der  Gastroent erostomosis  antecolica  in- 
ferior. Wir  legen  jetzt  die  Oeffnung  stets  am  unteren  Rande 
des  entleerten  Magens  an  und  wählen  durch  genaue  Prüfung  den 
am  weitesten  nach  unten  ragenden  resp.  am  weitesten  abwärts  zu 
ziehenden  Theil  des  Magens  zur  Eröffnung.  So  gelingt  es,  eine  von 
vornherein  völlige  Entleerung  des  Mageninhaltes  zu  bewirken  ohne 
weitere  Künstelei.  Denn  die  Entleerung  soll  doch  bei  den  Patienten, 
welche  wir  operiren,  wesentlich  in  aufrechter  Stellung  des  Körpers 
stattfinden  und  im  Pylorustheil  des  Magens. 

Man  studire  nur  die  interessanten  Untersuchungen  von  G.  Rosen- 
feld über  die  Lage  des  Magens,  um  sich  zu  überzeugen,  dass, 
wenn  der  Magen  entleert  wird,  sein  unterster  Theil  der  Pars  pylorica 
angehört,  dem  Eundus  minor,  welcher  allein  quer  vor  der  Wirbel- 
säule überzieht  und  welcher  öfter  Hauptsitz  der  Dilatation  ist. 

Heften  wir,  wie  bei  der  Hacker' sehen  Methode  der  Gastro- 
enterostomosis  retrocolica  posterior  den  Darm  in  die  Hinterwand  des 
Magens  ein,  indem  wir  das  Mesocolon  transversum  an  einer  möglichst 
gefässlosen  Stelle  perforiren,  so  ist  die  Wahl  der  Stelle  durch  das 
Verhalten  des  Mesocolon  beeinflusst  und  wir  können  nicht,  wie  von 
vorne  her,  die  Stelle  wählen,  welche  jener  Indication  entspricht. 
Deshalb  ist  wohl  im  Liegen,  aber  nicht  im  Stehen  bei  Hacker- 
scher  Methode  die  Entleerung  eine  vollständige.  Kelling  hat 
gezeigt,  dass  es  einen  grossen  Unterschied  bedingt,  ob  man  eine 
Verbindung  gegen  den  Fundus  oder  gegen  den  Pylorus  zu  anlegt. 
In  letzterem  Falle  bildet  sich  ein  musculöser  Verschluss,  wie  er  laut 
Nachweis  bei  unseren  und  anderen  gut  geheilten  Fällen  zu  Stande 
gekommen  sein  muss  und  jedenfalls  für  die  spätere  Function  von 
wesentlicher  Bedeutung  ist.  Denn  es  kommt  uns  doch  nicht  darauf 
an,  dass  alle  Speise,  welche  in  den  Magen  gelangt,  sofort  in  den 
Darm  abfliesst,  sondern  dass  sie  bei  Contraction  des  Magens  und 
Weiterbeförderung  des  Mag-eninhaltes  gegen  den  Pylorus  nach 
richtiger  Magen  Verdauung  kein  abnormes  Hinderniss  für  die  Ent- 
leerung finde.  Wir  haben  die  erheblichste  Störung  der  Magen- 
entleerung in  unseren  Fällen  gerade  bei  der  G.  retrocolica  posterior 
gesehen,  wohl  wTeil  hier  ausgedehntere  Peritonealverwachsungen  der 
Umgebung  eingetreten  waren. 

Wir  legen  deshalb  auf  die  Anlegung  des  Darmes  an  die  Hinter- 
fläche des  Magens  durch  das  Mesocolon  hindurch  keinen  Werth, 
sondern  halten  die  vordere,  resp.  untere  Anlegung  für  die  vorzu- 
ziehende in  Uebereinstimmung  mit  Socin,  Hahn,  Lücke  (Rock- 
witz) u.  A.  Für  weniger  Geübte  ist  entschieden  die  hintere  Methode 
schwieriger  und  jedes  Plus  von  Läsion  der  Peritonealf alten  durch  Naht- 


Abdomen. 


305 


anlagen  führt  auch  ein  Plus  von  Verwachsungen  herbei  und  stärkere 
Verwachsungen  sind  öfter  als  man  denkt,  Schuld  an  den  Er- 
scheinungen des  Circulus  vitiosus,  weil  sie  die  Abflusswege  verengern. 
Anders  ist  die  weitere  Frage,  ob  man  eine  seitlich  eröffnete 
Schlinge  oder  den  durchgeschnittenen  Darm  an  den  Magen  an- 
heften solle.  Da  ergiebt  sich  neuerdings  ein  principieller  Unter- 
schied. Die  Y-Methode  bildet  den  Typus  der  Methoden,  welche 
den  sogen.  Circulus  vitiosus,  das  Einfliessen  des  Mageninhaltes  in 
den  oberen  Darmabschnitt  und  des  Darminhaltes  mit  Galle  und 
Pankreassaft  wieder  in  den  Magen  zu  verhüten  bestimmt  sind. 
Wölfler  ist  der  theoretische  Urheber  dieses  Verfahrens,  in  ähn- 
licher Weise  wie  Nicoladoni  der  geistige  Urheber  der  Gastro- 
enterostomosis,  aber  praktisch  hat  Roux  das  Verfahren  zur  Aner- 
kennung und  Blüthe  gebracht  und  es  darf  deshalb  als  die  Roux  'sehe 
Methode  bezeichnet  werden. 

Dass  die  grösste  Sicherheit  der  Verhütung  eines  Circulus  vitiosus 
erzielt  wird,  wenn  man  das  Jejunum  entzwei  schneidet,  das  untere 
Ende  in  den  Magen  einsetzt,  das  obere  in  den  abführenden  Darm, 
ist  a  priori  ausser  Frage.  Freilich  ist  auch  bei  Roux's  Verfahren 
ein  Rückfluss  von  Galle  in  den  Magen  beobachtet,  wohl  aus  dem 
Grunde,  weil  wegen  der  Kürze  des  Mesenterium  das  obere  Darm- 
stück oft  nicht  sehr  entfernt  von  der  Communicationsstelle  mit  dem 
Magen  in  den  abführenden  Darm  eingeleitet  werden  kann.  Aber 
der  Ffauptvorwurf  der  Methode  ist  der,  dass  sie  eine  doppelte 
Anastomose  erfordert  und  dadurch  trotz  aller  Geschicklichkeit 
und  Uebung  die  Dauer  der  Operation  verlängert.  Bei  herunter- 
gekommenen Patienten  habe  ich  es  aus  diesem  Grunde  schon  be- 
reut, mich  zu  dem  Verfahren  entschlossen  zu  haben;  hier  ist  oft 
die  rascheste  Methode  die  allein  richtige,  da  jede  längere  Operation 
und  Narkose  genügender  Grund  werden  kann  für  Eintritt  von  Com- 
plicationen,  zumal  seitens  der  Lungen.  Wir  halten  desshalb  dafür, 
dass  die  Forderung,  nur  die  Roux'sche  Methode  für  alle  Fälle  zu 
benutzen,  zu  weitgehend  ist. 

Wir  halten  die  Roux'sche  Methode  für  sehr  werthvoll  und  für 
angezeigt  in  allen  Fällen,  wo  Gefahr  einer  Zersetzung  des  Magen- 
inhaltes besteht  oder  wo  schon  starke  Zersetzung  derselben  vor- 
handen ist.  Da  ist  es  so  wesentlich,  dass  der  Mageninhalt  rasch 
und  vollständig  abfliesse  in  den  Darm,  dass  diese  Rücksicht  auf 
Leerhaltung  des  Magens  allen  anderen  vorgeht.  Deshalb  scheint 
sie  uns  bei  Carcinomen,  wo  so  oft  Jauchung  auf  der  Geschwürfläche 
vorhanden  ist,  die  einzig  richtige  Methode,  ebenso  bei  anderen 
Ulcerationen,  wenn  starke  Zersetzung  des  Mageninhaltes  eingetreten 
ist,  zumal  bei  grosser  Schlaffheit  des  Magens.  In  diesen  Fällen  wird 
man  auch  gut  thun ,  eingedenk  der  KELLiNG'schen  Nachweise ,  die 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.     IV.  Aufl.  20 


306  Specielle  Operationslehre. 

Communication  mit  dem  Magen  näher  dem  Fundustheil  anzulegen, 
wo  Gefahr  einer  Contraction  der  Muskeln  nicht  besteht,  sondern  die 
Oeffnung  wie  ein  schlaffer  Sack  den  Inhalt  in  den  Darm  abfliessen 
lässt.  Carle  und  Fantino  sind  ganz  in  Uebereinstimmung  mit 
unseren  von  Kaiser  erhobenen  Ergebnissen  zu  dem  Schluss  ge- 
kommen, dass  bei  schlechter  Contractionsfähigkeit  und  Zersetzung 
ein  sofortiger  guter  Abfluss  des  Mageninhaltes  viel  wichtiger  ist 
als  für  gutartige  Stenosen.  Auch  bei  sehr  nervösen  Leuten,  welche 
schon  bei  geringen  Magenstörungen  melancholisch  werden,  ist  die 
Y-Methode  am  Platz,  namentlich  wo  die  objectiven  Magen  Verände- 
rungen gering  und  die  Beschwerden  sehr  gross  sind.  Endlich  halten 
wir  noch  in  dem  Falle  die  Y-Methode  für  besser,  wo  das  Omentum 
majus  sehr  fettreich  und  gross  ist  und  beim  Falten  einen  zu  dicken 
Wulst  bildet.  Man  kann  es  allerdings  in  solchen  Fällen  auch  von 
unten  in  ganzer  Länge  spalten. 

Als  Regel  giebt  aber  unsere  Methode  der  Gastroenterostomosis 
antecolica  inferior  in  keiner  Weise  weniger  gute  Resultate  als  die 
Y-Methode.  Dr.  Humbert  hat  bei  einer  neueren  Nachforschung 
über  den  Zustand  unserer  Patienten  zunächst  über  16  nach  unserer 
Methode  und  8  nach  Roux'  Methode  Operirten  Bericht  erhalten. 
Nur  ein  Patient  erbricht  Galle  nach  jedem  Essen  und  das  ist  ein 
mit  Y-Methode  Operirter;  ebenso  ist  nur  bei  einem  Patienten 
der  Appetit  mangelhaft,  und  der  ist  wieder  mit  der  Y-Methode 
operirt.  5  Patienten,  welche  mit  Y-Methode  operirt  sind,  müssen  mit 
dem  Essen  vorsichtig  sein ;  bei  den  nach  Kocher  Operirten  ist 
bei  allen  der  Appetit  gut  oder  sehr  gut,  bei  einem  einzigen 
„wechselnd".  Leichte  subjective  Beschwerden  bestehen  noch  bei 
6  Y-Fällen  und  bei  5  KoCHER'schen  Patienten. 

Wenn  aber  einmal  der  Indication  gedient  werden  muss,  um  jeden 
Preis  den  Magen  raschestens  zu  leeren  und  auf  die  Dauer  möglichst 
leer  zu  halten,  dann  ist  auch  die  Y-Methode  allen  anderen  Methoden, 
welche  demselben  Zweck  in  unvollständiger  Weise  entsprechen, 
bei  Weitem  vorzuziehen.  Es  gilt  dies  namentlich  von  der  BRAUN'schen 
Anastomosenbildung  zwischen  den  beiden  Schenkeln  der  an  den 
Magen  gehefteten  Darmschlinge.  Diese  Anastomose  verhütet,  wie  ich 
aus  Erfahrung  sagen  kann,  nicht  immer  den  Eintritt  des  Darminhaltes 
in  den  Magen,  überhaupt  den  Circulus  vitiosus,  während  bei  der 
Y-Methode  letzterer  nie  einen  irgend  bedenklichen  Grad  erreichen 
kann.  Auch  die  RüTKOWSKl-WiTZEL'sche  Sicherung  des  Abflusses 
in  den  abführenden  Darmtheil  durch  Zufügung  einer  Gastrostom osis  — 
behufs  Dehnung  des  letzteren  und  Ernährung  —  scheint  angesichts  der 
Vortheile  der  Y-Methode  nicht  zur  allgemeinen  Verwendung  bestimmt. 

Von  den  zahlreichen  sonstigen  Methoden  der  Gastroenterostomie 
scheinen  mir  nur  noch  zwei  hier  erwähn enswerth  zu  sein:  1)  Der  Vor- 


Abdomen. 


307 


schlag,  das  Duodenum  abzuschneiden,  den  Pylorusantheil  für  sich  zu 
vernähen  und  nachher  das  untere  Duodenumstück,  wie  bei  meiner 
Magenresectionsmethode,  in  die  hintere  untere  Magenwand  ein- 
zusetzen nach  Crede. 

Dieselbe  dürfte  allerdings  bei  den  häufig  starken  Verwachsungen 
im  Bereich  des  Pylorus  als  Folge  von  alten  Ulcerationen  bloss  eine 
beschränkte  Anwendung  finden,  verhütet  aber  sicher  den  Circulus 
vitiosus.  Henle  hat  zuerst  den  Gedanken  gehabt,  ohne  Entfernung 
des  Pylorus  die  von  mir  vorgeschlagene  Gastroduodenostomosis  auch 
auf  gutartige  Pylorusstenosen  anzuwenden,  und  Mikulicz  hat  zuerst 
bei  narbiger  Verengerung  eine  solche  Communication  hergestellt. 

2)  Das  zweite  Moment,  welches  uns  zur  Sicherung  gegen  letzteres 
Vorkommniss  beachtenswerth  erscheint,  ist  die  Spornbildung,  wie  ich 
sie  vorschlug,  zwischen  Magen  und  zuführendem  Darmtheil,  wie  sie 
aber  besser  am  zuführenden  Darmtheil  von  Hacker  und  Sykow 
versucht  worden  ist.  Hacker  ist  allerdings  nicht  zufrieden  damit, 
und  Sykow  sucht  den  Werth  seines  Verfahrens  hauptsächlich  in  Er- 
öffnung des  Magens  und  Darmes  erst  nach  der  Nahtanlegung.  Aber 
der  Gedanke  ist  nicht  zu  verwerfen  und  bei  richtiger  Verwirklichung 
von  gutem  Nutzen.  Wir  werden  bei  der  Operation  unserer  neuesten 
Methode  schildern,  wie  wir  ihn  zur  Ausführung  gebracht  haben. 

Alle  die  Methoden,  welche  von  Souligoux  weg  darauf  aus- 
gehen, erst  nachträgliche  Communication  an  Magen  und  Darm  durch 
Quetschung  der  Darmmagen  wand,  Aetzung  mit  Aetzkali  etc.  herzu- 
stellen, nachdem  die  Naht  schon  Verklebung  bewirkt  hat,  leiden  an  zu 
viel  Unsicherheit,  um  sie  zu  allgemeiner  Anwendung  zu  empfehlen.  Sie 
sind  auch  unnütz,  da  die  Gefahr  von  Austritt  des  Magendarminhaltes 
bei  den  jetzigen  Vorsichtsmaassregeln  keine  Bedeutung  mehr  hat. 

Wir  haben  schon  bei  den  allgemeinen  Bemerkungen  zur  Magen- 
darmchirurgie hervorgehoben,  dass  stets  nach  Eröffnung  der  Bauch- 
höhle eine  aseptische  Absperrungstampon  ade  zu  machen  ist  zur 
Isolirung  des  Operationsfeldes  geg-en  die  übrige  Peritonealhöhle. 
Wir  wollen  die  daherigen  als  kategorisch  zu  betrachtenden  Vor- 
schriften so  wenig  wiederholen,  wie  die  Mahnung,  für  die  Bauch- 
höhle stets  nur  aseptische  Tücher,  Tupfer  und  Spülflüssigkeiten  zu 
benutzen,  d.  h.  richtig  temperirte  (38  °  C.)  physiologische  Kochsalz- 
lösung. Wir  benutzen  stets  Seide  (und  lassen  höchstens  für  die 
Schleimhautnähte,  die  so  wie  so  keinen  festen  Zug  vertragen,  Catgut 
zu)  und  stets  nach  Rydygier  und  unseren  früheren  Vorschriften 
von  einem  Ende  zum  anderen  fortlaufend. 

Wo  die  Schleimhaut  für  sich  vernäht  werden  kann,  soll  es  ge- 
schehen, und  dann  sind  3  Nahtschichten  nöthig,  die  Mucosanaht,  die 
Naht  durch  die  ganze  Wanddicke,  die  Serosanaht.  In  anderen  Fällen 
kann  und  muss  man  sich  mit  den  2  letzten  Nahtlagen  begnügen. 

20* 


308  Specielle  Operationslehre. 

Alle  diese  Vorschriften  sind  ja  jetzt  schon  in  Fleisch  und  Blut 
übergegangen,  und  wir  brauchen  bloss  auf  die  früheren  Auflagen 
dieses  Werkes  zu  verweisen.  Wir  geben  deshalb  bloss  die  Schilde- 
rung der  von  uns  geübten  zwei  Methoden  wieder  unter  Hinweis 
auf  entsprechende  Zeichnungen. 

126)  Die  Gastrojejunostomia  antecolica  inferior. 

Medianschnitt  bis  zum  Nabel  oder  zu  1/3  seiner  Länge  links 
neben  demselben  vorbei  (die  Excision  der  Nabelnarbe,  weil  entstellend, 
machen  wir  nicht  mehr)  durch  Haut,  Fascie,  Peritoneum.  Sorgfältige 
Exploration  des  Magens  bezüglich  des  Grundleidens  und  allfälliger 
Complicationen  und  Bestimmung  des  tiefsten  Punktes,  welcher  in 
der  Regel  dem  unteren  Umfang  der  dilatirten  Pars  pylorica  (Fundus 
minor)  entspricht *).  An  dieser  Stelle  wird  in  der  für  die  Anastomose 
nöthigen  Länge  von  ca.  5  cm  das  Lig.  gastrocolicum  sammt  Arteria 
gastroepiploica  abgelöst  und  die  wenigen  Gefässe,  die  an  den  Magen 
herantreten,  doppelt  ligirt. 

Das  Colon  transversum  wird  nach  oben  geschlagen  und  links 
neben  der  Wirbelsäule  längs  des  Mesocolon  die  Plica  duodeno- 
jejunalis  aufgesucht,  mit  dem  Finger  von  links  her  der  Umfang  des 
Jejunum  umgangen  und  hervorgezogen.  40  cm  nach  abwärts  wird 
der  Darm  durch  Ausstreichen  entleert  und  die  gewählte  Schlinge  vom 
Assistenten  festgehalten.  Jetzt  wird  die  Absperrungstamponade  ge- 
macht, nachdem  man  das  Colon  transversum  mit  Netz  wieder  in  den 
Bauch  zurückgeschoben  und  sich  die  präparirte  Stelle  der  grossen 
Curvatur  und  die  entleerte  Darmschlinge  40  cm  unter  dem  Beginn 
des  Jejunum  zur  Anostomosirung  zurecht  gelegt  hat. 

Es  ist  am  bequemsten,  sowohl  an  den  Magen  als  an  die  ent- 
leerte Schlinge  (vergl.  Fig.  90)  eine  federnde  DOYEN'sche  Zange 
anzulegen,  um  nicht  bloss  die  Magendarmlumina  sicher  zu  ver- 
schli essen,  sondern  auch  die  Gefässe  behufs  prophylaktischer  Blut- 
stillung. Welche  Bedenken  dieses  Vorgehen  bezüglich  der  Gefahr 
von  Blutungen  und  Thrombose  hat,  haben  wir  schon  hervorgehoben. 
Wer  vorsichtiger  ist,  wird  den  Darm  ober-  und  unterhalb  mit  2  Liga- 
turen provisorisch  schliessen  ohne  Mitfassen  des  Mesenterium  und  den 


I)  Wir  haben  schon  oben  angedeutet,  dass  für  die  Fälle  von  Dilatation, 
welche  operative  Behandlung  nöthig  macht,  in  der  Regel  die  von  Rosenfeld 
als  senkrechte  Dilatation  bezeichneten  Formen  in  Frage  kommen  und  nicht  die 
horizontalen  Dilatationen.  Bei  ersteren  ist  der  Pylorustheil,  welcher  oft  eine 
nach  dem  übrigen  Magen  abgrenzbare  grosse  Tasche  bildet,  der  am  stärksten 
nach  unten  ausgedehnte  Abschnitt.  Wird  der  Magen  entleert,  wie  die  Operation 
es  beabsichtigt,  dann  nimmt  der  übrige  Magen  resp.  Fundus  major  eine  senk- 
rechte Stellung  ein  und  jede  Communicationsöffnung  an  dessen  vorderer  oder 
hinterer  Wand  befindet  sich  im  Stehen  erheblich  höher,  als  der  dilatirte 
Pylorusabschnitt. 


Abdomen. 


309 


Magen  vom  Assistenten  so  halten  lassen,  dass  er  an  der  Operationsstelle 
sicher  durch  Anlegung  der  Hinterwand  geschlossen  gehalten  wird. 
Nunmehr  legen  wir  die  Darmschlinge  in  senkrechter  Richtung 
an  den  Magen,  so  dass  das  zuführende  Ende  von  hinten  herauf- 
kommt, das  abführende  vorne  abwärts  geht,  wie  Fig.  91  dies  gut 
illustrirt.  Die  Anheftung  erfolgt  in  querer  Richtung  zum  Darm 
und  in  der  Längsrichtung  der  grossen  Curvatur.  Bevor  aber  die 
Anheftung   gemacht  wird,   bilden  wir  jetzt   eine  Darmfalte  quer   im 


Fig.  90.  Illustration  der  Art  und  Weise,  wie  die  entleerte  Jejunumschlinge  bei 
Gastroenterostomosis  mittelst  Klemmzange  abgeschlossen  werden  kann  unter 
Einschluss    der    Mesenterialgefässe.      Die    Spitze    der    Schlinge    wird    an    den 

Magen  angeheftet. 

zuführenden  Schenkel  nach  Fig.  90  a,  indem  wir  am  Scheitel  der 
Schlinge  in  querer  Richtung  dem  halben  Umfang  entsprechend  die 
convexe  Wand  einstülpen  und  durch  eine  Serosanaht,  welche  etwas 
von  der  Muscularis  mitfasst,  übernähen. .  Die  Nahtstelle  wird  mit 
2  und  3  Nähten  hinter  der  grossen  Curvatur  und  parallel  der  an- 
zulegenden Anastomose  fixirt.  Jetzt  liegen  Darm  und  Magen  an- 
einander und  am  Darm,  wie  die  schematisch  gehaltene  Fig.  90  a  zeigt, 
ist  ein  Sporn  gebildet,  welcher  den  Eintritt  des  Mageninhaltes  in  den 
oberen  Darmtheil  und  umgekehrt  verhütet.  Die  Figur  giebt  den 
Sporn  zu  kurz  an. 


3io 


Specielle  Operationslehre. 


Nun  wird  parallel  und  vor  der  Spornnaht  die  hintere  Serosa- 
ringnaht  zwischen  Magen  und  Darm  an  diesen  quer  angelegt  (in 
Fig.  91  ist  dieselbe  mit  ihren  langgelassenen  Enden  zu  sehen). 
Dann  wird  die  Incision l)  am  Magen  und  Darm  gemacht  bis  zur 
Mucosa   und   eine  hintere  Ringnaht  durch  Muscularis  sammt  Serosa 


Fig.  90a.  Gastroenterostomosis  antecolica  inferior.  An  der  Convexität  der  Schlinge 
ist  eine  quere  Falte  angelegt  und  die  Stelle  an  den  Magen  angeheftet  (die  Ver- 
hältnisse sind  durch  einen  sagittalen  Durchschnitt  klargelegt).  Die  tiefe  Naht 
der  Anastomose  durch  alle  Schichten  ist  gelegt,  die  Schleimhautnaht  begonnen. 
Man  sieht,  wie  schön  der  Mageninhalt  in  das  untere  Darmstück  (in  der  Zeichnung 

nach  links)  geleitet  wird. 


gemacht,  die  Schleimhaut  g-espalten  und  rücklaufend  mit  demselben 
Faden  nochmals  exact  vernäht  und  vorne  herum  die  vordere  Ring- 
naht durch  die  ganze  Dicke  der  Wand  (Mucosa  mitfassend)  angelegt. 
Darüber  kommt  —  nachdem  vorher  eine  gründliche  Reinigung  der 
ganzen  Nahtstelle  und  Umgebung  und  Wechsel  verunreinigter  Com- 

1)  In  der  Figur  sind  die  Schnitte   der  senkrechten  Darmanheftung,  zumal 
der  am  Darm,  zu  stark  convex  gezeichnet. 


Abdomen. 


311 


pressen  stattgefunden  hat,  die  vordere  Serosaringnaht,  welche  mit  den 
langen  Enden  der  hinteren  verknüpft  wird.  In  Fig.  90  ist  die  hintere 
sero-musculäre  Naht  gelegt  und  die  Mucosanaht  begonnen  1). 


<~*\ 


llr 


Fig.  91.  Gastroenterostomia  inferior  antecolica.  Das  Jejunum  ist  reichlich  40  cm 
unterhalb  seines  Ursprunges  als  senkrecht  stehende  Schlinge  an  die  grosse 
Curvatur  (nach  Ligatur  hindernder  Gefässe)  des  Magens  angelegt  (die  Figur 
giebt  die  Oeffnung  am  Magen  zu  hoch  über  der  grossen  Curvatur  an)  und 
durch  eine  fortlaufende  feine  Seidennaht  die  Serosa  beider  Organe  in  breiter 
Ausdehnung  vereinigt;  Magen  und  Darm  sind  eröffnet  (das  abführende  Darm- 
ende liegt  nach  vorne)  und  die  tiefe  Naht  durch  die  ganze  Dicke  der  Schnitt- 
ränder gelegt  (fortlaufend !). 


1)  Alle  theoretischen  Einwendungen  und  von  meinen  bestimmten  Vor- 
schriften wesentlich  abweichenden  Versuche  an  Thieren  haben  gegenüber  den 
an  kranken  Menschen  erzielten  vorzüglichen  Erfolgen  gar  keine  Berechtigung. 
Man  stelle  mir  mit  der  horizontalen  Anheftung  eine  ebenso  gute  Statistik 
bezüglich  Mortalität  und  functionellem  Erfolg  gegenüber. 


3 12  Specielle  Operationslehre. 

Es  ist  sehr  wesentlich,  den  Schnitt  im  Magen  so  gross  wie 
möglich  zu  machen.  Zu  diesem  Behuf  muss  man  den  Darm  in 
seiner  ganzen  convexen  Hälfte  so  anheften,  wie  Fig.  91  zeigt,  um 
den  Schnitt  dem  halben  Darmumfang  entsprechend  machen  zu 
können.  Der  Schnitt  im  Magen  ist  in  der  Figur  etwas  zu  klein  ge- 
zeichnet.    Er   muss   etwas  grösser   sein,   als  die  Oeffnung  im  Darm. 

HACKER  hat  eine  ähnliche  Faltenbildung  am  Darm  gemacht, 
ebenso  Sykow,  allein  Hacker  hat  sich  die  Sache  durch  Benutzung 
seiner  G.  retrocolica,  Sykow  durch  eine  complicirte  Vereinigungs- 
methode erschwert.  Es  ist  nützlich,  wenn  der  Patient  eine  halb- 
sitzende Stellung  nach  der  Operation  einnimmt.  Es  kommt  Alles 
darauf  an,  dass  jede  Stagnation  des  Mageninhaltes  vom  ersten 
Augenblick  an  vermieden  bleibe.  Bei  zersetztem  Mageninhalt  ist 
unter  allen  Umständen  schon  am  ersten  Tage  Magenspülung  vor- 
zunehmen. Laut  Nachweis  halten  ja  die  Darmnähte  am  ersten  Tage 
besser  als  an  den  folgenden,  so  dass  der  vorsichtigen  Magenspülung 
nichts  im  Wege  steht x). 

Zersetzter  Mageninhalt  kann  schon  Intoxicationssymtome  bis  zu 
eigentlichem  Collaps  machen  und  giebt  durch  Resorption  zu  meta- 
statischen Entzündungen,  zumal  Pneumonien,  Anlass.  So  starke 
Zersetzungen  kommen  allerdings  nur  bei  wenigen  Fällen  von  Ulcus 
simplex,  hauptsächlich   bei   jauchenden  Krebsgeschwüren,   in  Frage. 

127)  Gastroenterostomosis  retrocolica  Y-formis  nach 
Roux 2). 

Nachdem  das  Abdomen  eröffnet  ist,  wird  Magen  und  Colon 
transversum  mit  Netz  nach  oben  geschlagen,  das  Mesocolon  zwischen 
den  Gefässen  gespalten  und  die  Rückwand  des  Magens  freigelegt. 
Die  Ränder  der  Mesocolonöffnung  werden  mit  ein  paar  Nähten  an 
die  Rückfläche  des  Magens  angeheftet.  Vergl.  Fig.  92,  wo  der 
Schnitt  im  Mesocolon  gezeichnet  ist. 

Dann  wird  das  Jejunum  vorgezogen.  Hier  bedarf  es  nun  keiner 
so   grossen   Entfernung   von   dessen   Ursprung,    weil   dasselbe   nicht 


1)  Zu  dieser  Magenspülung  bemerke  ich,  dass  sie  stets  vom  Arzt  und  mit 
grosser  Sorgfalt  auszuführen  ist.  Wenn  man  mit  kaltem  statt  warmem  Wasser 
und  mit  einer  antiseptischen  Lösung  statt  mit  physiologischer  Lösung,  und 
wenn  man  eine  halbe  Stunde  statt  wenige  Minuten  spült,  und  zwar  durch  einen 
Wärter  spülen  lässt,  so  wundere  man  sich  nicht,  wenn  Collaps  eintritt. 

2)  Wir  haben  schon  hervorgehoben,  dass  auch  die  Y-Methode  alle  Vor- 
theile  gewährt,  wenn  sie  in  der  leichteren  und  sicheren  Weise  einer  G.  ante- 
colica  inferior  ausgeführt  wird,  bloss  muss  dann  zur  Anheftung  eine  Stelle 
40 — 50  cm  unter  dem  Ursprung  des  Ileum  gewählt  werden,  während  man  bei 
der  posterior  die  nächstliegende  Jejunumstelle  wählen  kann.  Die  Einheftung 
des  Darmes  in  die  hintere  Magenwand  hat  auch  hier  keine  Vorzüge  wesent- 
licher Art. 


Abdomen. 


313 


um    das  Colon   transversum   herumgeführt  zu   werden  braucht.     Mit 
2  dicht  aneinander  gelegten  Arterienklemmen  (nach  unserem  Modell) 


^ 


■ 


Fig.  92.     Gastroenterostomia  retrocolica  posterior,   Y-Methode,    1.  Act.    Magen 

herausgehoben  und  sammt  Colon  transversum  emporgeschlagen.    Umrahmt  von 

der  Colonschlinge  drängt  sich  die  hintere  Magenwand  vor,  bedeckt  vom  Meso- 

colon  transversum,  das  in  Längsrichtung  incidirt  ist. 


wird  der  Darm  gefasst  und  bis  ins  Mesenterium  zum  ersten  stärkeren 
Gefässbogen  eingeschnitten  (s.  Fig.  93).  Auch  hier  kann  man  durch 
Zangen  oben  und  unterhalb  den  Darm  sammt  Mesenteriumstück  ab- 


3H 


Specielle  Operationslehre. 


schliessen  oder  durch  eine  Ligatur  das  Darmlumen  provisorisch  ver- 
schlossen halten. 

Nun   wird   nach  Fig.  93    der  Magen  unterhalb  des  Colon  trans- 
versum  durch  die  Oeffnung  im  Mesocolon  mittelst  der  Hand  vorge- 


Fig-  93-  Y-Methode,  2.  Act.   Das  Jejunum  als  Schlinge  vorgezogen  und  zwischen 

zwei  festen  Klemmen  bis  ins  Mesenterium  hinein  gespalten;  der  Magen  mit  der 

rechten  Hand   aus   der   Oeffnung   des   Mesocolon  transversum  herausgedrängt, 

so  dass  seine  hintere  Wand  sich  vorwölbt. 


drängt  und  das  untere  Darmstück  in  denselben  senkrecht  eingesetzt 
in  analoger  Weise,  wie  dies  oben  beschrieben  ist.  Danach  wird 
der  obere  Darmtheil,  wie  Fig.  94  erläutert,  abwärts  geklappt,  soweit 


Abdomen. 


315 


das  Mesenterium  es  zulässt,  und  zwar  so,  dass  er  von  links  her  an 
den  abführenden  Darmtheil  herantritt  und  seitlich  in  diesen  ein- 
gefügt. 

Da   man    es   am  Darm   mit    einer  Endanostomose    zu  thun   hat, 
so  kann    man  auch  dieses  Ende  mit  einer  Presszange  nach  Art  der 


Fig.  94.    Y-Methode,  3.  Act.     Der  untere  Abschnitt   des   gespaltenen  Jejunum 

in  die  hintere  Magenwand  mit  Doppelnaht  eingenäht,  der  obere  Abschnitt  von 

links   her  seitlich  in  den  unteren   eingepflanzt.    An  der  unteren  Darmschlinge 

sieht  man  noch  die  provisorische  Abschlussligatur. 


Angiothryptoren  verschliessen  und  die  Naht  anlegen,  bevor  man  das 
Lumen  zum  Klaffen  bringt;  nur  ist  dann  keine  exacte  Schleimhautnaht 
möglich.  Wir  verweisen  auf  die  einleitenden  Bemerkungen  zur  Magen- 
darmchirurgie. 


2 1 6  Specielle  Operationslehre. 

Gastrektomie  (Gussenbauer-Billroth'sche  Operation). 

128)  Indication  und  Methode. 

Diese  Operation  wird  gewöhnlich  als  die  BlLLROTH'sche 
Operation  bezeichnet.  Vor  ihm  haben  1879  Pean  und  Rydygier 
die  Operation  ausgeführt.  Jedenfalls  hat  Pean  die  Bedeutung  der 
Operation  nicht  voll  gewürdigt.  Rydygier  dagegen  hat  schon  sehr 
zutreffende  Vorschriften  für  deren  Ausführung  gegeben.  Billroth 
hat  die  erste  glückliche  Resection  auf  Grund  eingehender  experi- 
menteller Arbeiten  von  Gussenbauer,  Winiwarter,  Czerny  und 
Kaiser  vorgenommen.  Zur  Zeit  sind  schon  Hunderte  glücklicher 
Operationen  ausgeführt.  Wir  verfügen  bis  zur  Stunde  über  76  eigene 
Fälle  von  Pylorektomie  (2  Total  ex  cisionen  des  Magens  nicht 
mitgerechnet)  wegen  Magenkrebs. 

Einer  unserer  Schüler,  Broquet,  hat  über  sämmtliche  von  uns 
operirte  Fälle  von  1881  bis  1898,  nämlich  52  Fälle,  referirt.  Seit 
1898  haben  wir  wieder  24  Fälle  operirt.  Es  ist  selbstverständlich, 
dass  anfänglich  bei  noch  unvollkommener  Asepsis  und  Technik  die 
Resultate  wesentlich  schlechter  waren,  als  sie  Dank  dem  Zusammen- 
wirken vieler  Chirurgen  zur  Verbesserung  der  Operationsmethoden 
zur  Stunde  sind.  Wenn  wir  alle  Fälle  zusammen  nehmen,  so  ergiebt 
sich  eine  Mortaliät  von  29,3  Proc,  d.  h.  es  sind  22  von  75  gestorben 
an  den  Folgen  der  Operation.  Wenn  wir  bloss  die  seit  Broquet's 
Publication  operirten  Fälle  zusammenstellen,  so  finden  wir  eine 
Mortalität  von  4. 

Allein  derartige  Zusammenstellungen  geben  einen  viel  zu 
schlechten  Begriff  von  der  Leistungsfähigkeit  der  Operation.  Die 
Todesfälle  der  letzten  Zeit  betreffen  fast  ausnahmslos  Patienten,  welche 
der  Operation  wegen  viel  zu  vorgerückter  Krankheit  nicht  hätten 
unterworfen  werden  sollen.  Sie  beweisen  bloss,  dass  wir  mit  der 
operativen  Behandlung  sehr  weit  gegangen  sind. 

Von  den  4  Todesfällen,  welche  unter  den  24  Operationen  der 
letzten  2  Jahre  vorgekommen  sind,  befinden  sich  2,  bei  welchen  die 
Resection  e  necessitate  vorgenommen  werden  musste.  Das  Carcinom 
zeigte  sich  beide  Male  mit  der  vorderen  Bauchwand  so  verwachsen, 
dass  es  bei  Explorativlaparotomie  und  Versuch  der  Loslösung  behufs 
Orientirung  einriss  und  dadurch  die  Nöthigung  gab,  wider  Willen  die 
Operation  auszuführen.  Derartige  Fälle  kann  man  nicht  mitzählen, 
wenn  man  einen  wirklichen  Begriff  von  der  Gefahr  der  Operation 
bekommen  will.  Es  bleiben  demgemäss  22  Fälle  mit  2  Todesfällen, 
also  eine  Mortalität  von  9,0  Proc.    Das  kommt  der  Wahrheit  viel  näher. 

Aber  auch  diese  beiden  Todesfälle  waren  sehr  weit  vorgeschrittene 
Fälle,  der  eine  in  Folge  von  Verwachsungen  sehr  schwierig,  der  andere 
bei    einem  vollkommen   herunter   gekommenen  Individuum,   welches 


Abdomen. 


317 


an  seiner  putriden  Bronchitis  und  an  Pneumonie  zu  Grunde  ging  bei 
Vorhandensein  von  brauner  Herzatrophie.  Wir  dürfen  also  wohl  be- 
haupten, dass  eine  rechtzeitige  Resectio  pylori,  wo  es  sich  noch  um 
bewegliches  Carcinom  handelt,  eine  ungefährliche  Operation 
geworden  ist.  Ja  selbst  früher  sehr  gefürchtete  Complicationen, 
wie  die  Verwachsung  des  Colon  transversum,  ändern  an  diesen  guten 
Aussichten  nichts;  4  Fälle  unter  diesen  22,  bei  welchen  gleichzeitig 
eine  Colonresection  gemacht  werden  musste,  sind  alle  geheilt. 

Es  geht  aus  dem  Umstände,  dass  wir  in  relativ  kurzer  Zeit 
so  viele  Pylorektomien  ausgeführt  haben,  während  die  Zahl  der 
Gastroenterostomosen  wegen  Krebs  ganz  bedeutend  zurückgegangen 
ist,  mit  Deutlichkeit  hervor,  dass  wir  die  Indication  zur  Resection 
sehr  weitgehend  gestellt  haben  und  nichts  weniger  als  die  günstigen 
Fälle  ausgesucht  haben.  Noch  günstiger  gestalten  sich  die  Ver- 
hältnisse, wenn  wir  die  Methode  der  Operation  in  Betracht  ziehen. 
Wir  haben  die  von  uns  bevorzugte  Resection  mit  Gastro- 
duodenostomosis  jetzt  52  mal  ausgeführt,  und  wenn  wir  selbst 
die  frühesten  Fälle  alle  hinzurechnen  (von  1888),  so  stellt  sich  die 
Mortalität  bloss  auf  15,3  Proc.  In  den  letzten  22  Fällen  beträgt  sie 
bloss  5,5  Proc,  da  einer  der  obenerwähnten  Todesfälle  nach  der 
zweiten  BiLLROTH'schen  Methode  ausgeführt  worden  ist. 

GuiNARD  hat  291  Pylorusresectionen  aus  den  Jahren  1891 — 98 
gesammelt  und  eine  Mortalität  von  35,3  Proc.  gefunden.  Unter  diesen 
befinden  sich  148  nach  Billroth  I  resp.  Rydygier  operirte  Fälle 
mit  37,8  Proc.  Todesfällen,  64  nach  Kocher  operirte  dagegen  mit 
bloss  15,64  Proc.  Daraus  ist  zu  schliessen,  dass  auch  in  den  Händen 
von  weniger  Geübten  die  Mortalität  bei  unserer  Methode  verhältniss- 
mässig  sehr  günstige  Zahlen  aufweist,  da  sie  derjenigen  fast  völlig 
gleich  ist,  welche  ich  bei  Zusammenfassung  aller  Fälle  aus  den  Ver- 
suchszeiten der  Operation  und  der  Zeit  vervollkommneter  Technik 
selber  gehabt  habe. 

Anders  gestalten  sich  die  Verhältnisse,  wenn  man  nach  den 
Endresultaten  der  Operation  fragt.  Allerdings  leben  von 
unseren  Operirten  noch  18,  vielleicht  noch  21  Fälle;  aber  wenn  man 
für  die  Annahme  einer  Radicalheilung  wie  für  die  Krebse  der  Mamma 
einen  kritischen  Termin  von  3  Jahren  verlangt,  so  kann  bei  der  Mehr- 
zahl von  den  18  noch  nicht  von  einer  solchen  gesprochen  werden.  Da- 
gegen haben  nicht  weniger  als  6  unserer  Operirten  3  Jahre  und  darüber 
gelebt  (2  Patienten  4  Jahre)  und  2  davon  sind  ohne  Recidiv  gestorben. 
Von  radicaler  Heilung  dürfen  wir  bloss  bei  2  Fällen  sprechen:  Eine 
Patientin  ist  nach  8,  eine  nach  13  Jahren  noch  im  besten  Wohlsein 1). 

1)  Wölfler  hat  1896  die  Resultate  verschiedener  Chirurgen  gesammelt 
und  Defossez  hat  auf  Hartmann's  Anregung  die  Zusammenstellung  vervoll- 
ständigt und  18  Fälle  mit  Lebensdauer  über  4  Jahre  zusammengetragen. 


318  Specielle  Operationslehre. 

Eine  Patienten  Czerny's  lebte  über  7  Jahre,  eine  Patienten  Wölfler's 
hat  51/2  Jahr  gelebt.  MAYDL  theilt  eine  83/4-jährige  Heilungsdauer 
mit,  Chaput  eine  5 -jährige  etc. 

Bei  den  Ueberl eben  den,  auch  wenn  später  Recidiv  eintritt  in 
Drüsen,  in  der  Leber,  auf  dem  Peritoneum,  hat  die  übereinstimmende 
Untersuchung  vieler  Forscher  (Kaensche  und  Rosenheim,  Mintz) 
ergeben,  dass  der  Magenchemismus  sich  nicht  bessert,  dagegen  die 
motorische  Function  des  Magens  sich  völlig  sicher  herstellt.  Die 
Patienten  verlieren  ihre  Beschwerden  völlig  und  zwar  in  nicht  wenigen 
Fällen  für  Monate  und  Jahre  hinaus,  blühen  auf  und  werden  arbeits- 
fähig, bis  Recidiv  eintritt,  welches  oft  nur  wenige  Wochen  vor  dem 
Tode  wieder  ernstliche  Beschwerden  macht. 

Die  Radicalheilung  des  Magenkrebses  ist  also  zur  Stunde  stets 
noch  eine  Ausnahme,  ganz  bedeutende  Lebensverlängerung  sahen 
wir  in  ca.  1 2  Proc.  der  Fälle,  Besserung  der  Beschwerden  für  Monate 
bis  Jahre  dagegen  kann  mit  Sicherheit  in  Aussicht  genommen  werden. 
Es  erhebt  sich  die  Frage,  ob  die  Methode  der  Operation  einen 
wesentlichen  Einfluss  auf  die  Endresultate  auszuüben  berufen  ist. 
Dass  die  unmittelbaren  Resultate  wesentlich  von  der  Methode  be- 
einflusst  werden,  zeigt  die  Statistik  von  GuiNARD.  Indes  ergiebt 
die  Prüfung  kleinerer  Statistiken,  dass  bei  der  nöthigen  Uebung 
nach  allen  Methoden  gute  Resultate  zu  erzielen  sind.  MAYDL  hat 
selbst  mit  RYDYGIER  -  BlLLROTH's  Methode  von  25  Operirten 
2 1   durchgebracht. 

Aber  noch  viel  maassgebender,  als  die  grössere  Uebung  in  der 
Technik  ist  die  Zeit  anzuschlagen ,  in  welcher  ein  Magencarcinom 
zur  Behandlung  kommt.  Die  Frühoperation  giebt  wesentlich  bessere 
Resultate  und  MAYDL  schreibt  seine  guten  Resultate  wesentlich 
dem  Umstände  zu,  dass  die  Aerzte  ihm  die  Kranken  frühzeitig  zu- 
wiesen. Das  ist  und  bleibt  das  pium  desiderium  der  Chirurgen  an 
Interne  und  praktische  Aerzte.  Nicht  als  ob  man  nicht  in  neuester 
Zeit,  wie  für  andere  Krebse  auch  Versuche  gemacht  hätte,  die 
Operationsmethode  zu  einer  radicaleren  zu  gestalten. 

Es  ist  Hartmann's  Verdienst,  durch  die  Untersuchungen  von 
CuNEO  über  die  Ausdehnung  des  Magencarcinoms  Aufschluss  ge- 
geschaffen  und  danach  die  Operationstechnik  modificirt  zu  haben. 
Auch  Carle  und  Fantino  in  ihrer  vortrefflichen  Arbeit  zeigen 
die  Ausbreitungswege  des  Krebses.  Das  Carcinoma  pylori  breitet 
sich  am  intensivsten  der  kleinen  Curvatur  entlang  aus,  und  zwar  nicht 
bloss  in  Form  von  die  Arteria  coronaria  begleitenden  Drüsen,  sondern 
auch  von  Krebsnestern  im  Bereich  der  lymphoiden  Einlagerungen 
in  der  kleinen  Curvatur.  Danach  richtet  HARTMANN  seine  Operations- 
methode.    Ob  durch  dieselbe  die  Recidive  besser  vermieden  werden, 


Abdomen.  ojq 

lässt   sich   aus  Hartmann's  Statistik    wegen    zu  kurzer  Dauer  noch 
nicht  übersehen. 

Hervorheben  möchte  ich  das  wichtige  Factum,  dass  der  Pylorus- 
krebs  nach  dem  Duodenum  zu,  wie  ich  es  stets  betont  habe,  auch 
nach  CUNEO's  Untersuchungen  scharf  abschliesst  „it  se  termine  par 
un  arret  net"  sagt  Hartmann.  Doch  will  er  stets  einen  kleinen 
Saum  Duodenum  wegnehmen,  da  hier  und  da  eine  geringe  Infil- 
tration in  den  Lymphgefässen  der  Submucosa  gefunden  wurde  auch 
nach  dem  Duodenum  zu.  Deshalb  hat  auch  HARTMANN  die  Gastroduo- 
denostomie  beibehalten  für  alle  Fälle,  wo  sich  das  Duodenum  ge- 
nügend isoliren  lässt.  Daraus  ergiebt  sich,  wie  ungerechtfertigt  es 
ist,  wenn  ein  mir  sehr  lieber  und  berühmter  Chirurg  spottet,  die 
Chirurgen,  welche  Gastroduodenostomie  machen,  kommen  ihm  vor, 
wie  die,  welche  bei  Amputatio  mammae  zuerst  die  plastischen  Lappen 
zeichnen.     Man  könnte  die  Sache  umkehren. 

Wie  Hartmann  resp.  Cuneo  zeigen,  muss  man  das  ganze 
Packet  Drüsen  entlang  den  beiden  Coronariae,  resp.  wie  sie  jetzt 
heissen  x\rteriae  gastricae  superiores  sammt  diesen  Arterien  und 
sammt  der  kleinen  Curvatur,  die  „ausserordentlich  häufig"  in  grosser 
Ausdehnung  krebsig  infiltrirt  sei,  mitnehmen  und  auch  die  Art. 
gastroduodenalis  ligiren  und  entlang  derselben  bis  weit  nach  der 
A.  gastro-epiploica  dextra  die  häufig  vorhandenen  Drüsen  entfernen. 
Man  muss  also  auch  hier  —  um  den  Vergleich  jenes  Chirurgen  fest 
zu  halten  —  nicht  bei  einem  Krebsknoten  im  oberen  äusseren  Segment 
der  Mamma  die  letzten  Verzweigungen  der  Mamma  ab-  und  median- 
wärts  ängstlich  herauspräpariren ,  statt  die  Haut  über ,  die  Muskeln 
unter  der  kranken  Stelle  und  die  Lymphwege  und  Lymphdrüsen 
nach  der  Axilla  gründlich  zu  beseitigen. 

Ich  erlaube  mir  übrigens,  diejenigen  Chirurgen,  welche  die  Vor- 
theile  der  Excisio  pylori  mit  folgender  Gastrojejunostomie  gegenüber 
dem  nach  mir  genannten  Verfahren  ausspielen,  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  dass  ich  zuerst,  im  Jahre  1887  auf  dem  Congress  der  deutschen 
Gesellschaft  für  Chirurgie  die  Forderung  aufgestellt  habe,  principiell 
stets  nach  Excision  des  Krebsigen  den  Magen  zu 
schliessen  und  eine  Gastroenterostomie  hinzuzufügen, 
während  Billroth  diese  seine  zweite  Methode  bloss  ausnahmsweise 
und  als  Verlegenheitsoperation  durchgeführt  wissen  wollte.  Ich  hatte 
auch  damals  die  Gastrojejunostomie  speciell  empfohlen  und  einige 
Male  ausgeführt,  bis  ich  sah,  dass  die  Gastroduodenostomie  noch 
bessere  functionelle  Resultate  ergiebt  und  rationeller  ist  —  selbst- 
verständlich nur,  wo  sich  dieselbe  unter  exacter  Naht  und  gründ- 
licher Excision  des  Kranken  ausführen  lässt. 

Ich  glaube,  dass  dieses  Princip  zur  Stunde  von  der  Mehrzahl 
der  Chirurgen   festgehalten   und  (Mikulicz,  Garre,  Hahn,  Roux, 


ß2o  Specielle  Operationslehre. 

Hartmann,  Souligoux)  von  einer  Anzahl  von  Chirurgen  speciell 
die  Gastroduodenostomie  bevorzugt  wird  (Wiesinger,  Alsberg, 
Krumm  ,  Zoege-Manteuffel  nach  P  ick  ,  Graser  ,  Hartmann, 
Guinard,  Carle  und  Fantino,  Hochenegg  (nach  Porges).  So  be- 
sitzen wir  denn  zur  Stunde  neben  der  ursprünglichen  Rydygier- 
Billroth ' s c h e n  Methode  der  directen  Wiedervereinigung  von 
Magen  und  Darm  (wie  sie  Krönlein,  Kappeler,  Eiselsberg, 
Madyl  festhalten),  eine  Modification  derselben  nach  Henle- 
Mikulicz,  bei  welcher  das  Duodenum  allein  verschlossen  wird,  die 
Magenwunde  dagegen  unten  offen  gelassen  und  eine  Jejunumschlinge 
in  dieselbe  eingenäht  wird.  Krönlein  und  Körte  haben  diese 
Methode  ausgeführt.  Sie  hat  die  Nachtheile  der  BlLLROTH'schen 
Methode  und  ist  dieser  vorzuziehen,  wenn  das  Duodenum  sich  zu 
sicherer  Nahtanlage  nicht  vorziehen  lässt. 

Dann  kommt  das  zweite  Billroth ' s c h e  Verfahren,  von 
mir  zur  principiellen  Anwendung  empfohlen  mit  Schluss  des 
Magens  und  Einsetzung  des  Darms  in  eine  besondere  Oeffhung  am 
hinteren  unteren  Umfang  des  Magens,  entweder  des  Jejunum  nach 
Billroth  oder  des  Duodenum  nach  meinem  Vorschlage. 
Diese  Methode  hat  den  grossen  Vortheil,  selbst  in  den  Händen 
weniger  geübter  Chirurgen  eine  viel  grössere  Sicherheit  für  Verhütung 
des  Austrittes  des  Magen-  (und  Darm-)Inhaltes  zu  gewähren  und  in 
der  Nahtanlage  viel  grössere  Leichtigkeit  zu  bieten.  Die  Excision 
mit  Gastrojejunostomie  ist  leichter  als  die  Gastroduodenostomie,  hat 
aber  alle  Nachtheile  der  Gastrojejunostomie  überhaupt  für  diejenigen, 
welche  den  Circulus  vitiosus  nicht  sicher  zu  vermeiden  wissen.  Dies 
geschieht  verlässlich  durch  die  Roux'sche  Y- Methode,  welche  aber 
die  Operation  um  eine  zweite  Anastomose  verlängert  und  complicirt 
oder  durch  das  von  mir  bei  der  Gastroenterostomose  geschilderte 
Verfahren. 

Ich  halte  dafür,  dass  die  Verfahren  des  Magenschlusses  mit  Ein- 
satz des  Darmes  in  eine  eigene  Oeffnung  vorzuziehen  sind.  Beweis 
für  die  Berechtigung  dieser  Behauptung  liegt  in  den  statistischen 
Nachweisen,  dass  die  Resultate  —  wenn  man  alle  Chirurgen  zu- 
sammennimmt   —    bedeutend    bessere    sind1).     Wir    rathen    dem- 


i)  Roux  hat  in  letzter  Zeit  durch  Dr.  Kolbe  seine  Resultate  bei  Magen- 
resectioneu  veröffentlichen  lassen.  Von  39  Fällen  sind  14  gestorben.  Dabei 
sind  16  nach  Rydygier-Billroth  operirt  mit  5  f,  10  nach  Billroth-Roux 
mit  4  f,  10  nach  Kocher  mit  4  f,  3  nach  Billroth-Hacker  mit  1  f.  Ich  habe 
dazu  zu  bemerken,  dass,  wenn  die  KocHER'sche  Methode  hier  nicht  günstiger 
erscheint,  dies  daran  liegt,  dass  I.  ein  Fall  von  Colongangrän  dabei  zählt,  was 
als  Lapsus  gelten  muss,  der  nicht  die  Methode  zur  Last  fällt,  2.  die  3  anderen 
Todesfälle  nach  Kocher  solche  sind,  welche  mit  Murphyknopf  behandelt  sind. 
Rein  nach  Kocher  mit  Naht  Operirte  gaben  also  auch  Roux  durchaus  günstige 
Resultate. 


Abdomen. 


321 


gemäss  zu  Gastroduodenostomosis,  welche  die  besten 
functionellen  Verhältnisse  schafft,  in  allen  Fällen,  wo  das  Carcinom 
am  Pylorus  sicher  begrenzt  ist x)  und  wo  das  Duodenum  genügende 
Beweglichkeit  zeigt.  Wir  rathen  zur  Gastrojejunostomosis 
nach  unserer  Methode,  wenn  das  Duodenum  nicht  vorziehbar 
ist  oder  durch  die  Operation  zu  sehr  verkürzt  werden  musste; 
wir  rathen  zu  derselben  Methode  in  der  Roux'schen  Y-Form,  wenn 
der  Patient  eine  Verlängerung  der  Operation  durch  eine  zweite 
Anastomosen  anläge  vertragen  kann.  Diese  kann  ja  freilich  in  sehr 
geübten  Händen  sehr  rasch  gemacht  werden,  aber  allgemeine  Vor- 
schriften  sind   nicht   in    erster  Linie   für  geübte  Chirurgen  bestimmt. 

129)  Gastrectomia  partialis. 

Worauf  die  Sicherung  des  Erfolges  bei  Resectio  pylori 
und  des  Magens  überhaupt  beruht,  haben  wir  bei  den  einleitenden 
Bemerkungen  zur  Magen-Darm  Chirurgie  auseinander  gesetzt  und  in 
den  früheren  Auflagen  in  alle  Einzelheiten  hinein  beschrieben.  Wir 
heben  deshalb  nur  einzelne  Hauptpunkte  mehr  heraus.  Selbst- 
verständlich ist  es,  dass  auch  hier  rein  aseptische  Behandlung 
der  Wunden  und  des  Peritoneum,  vollkommen  sicherer  Abschluss 
des  letzteren  durch  aseptische  Tamponade  stattfinde,  aber  es 
ist  besonders  wichtig,  dass  bei  den  jauchenden  Krebsgeschwüren 
überhaupt  aus  dem  Magen  nichts  ausfliesse. 

Dieser  Indication  lässt  sich  nur  durch  Anlegung  von  Klammern 
vollständig  genüg'en.  Wo  Klammern  nicht  mehr  angelegt  werden 
können,  z.  B.  wo  wirklich  einmal  das  Carcinom  auf  Duodenum  und 
Umgebung  oder  an  der  kleinen  Curvatur  bis  gegen  das  Foramen 
oesophageum,  soweit  übergegriffen  hat,  dass  eine,  besser  2  Klammern 
jenseits  des  Tumors  und  bestimmt  über  dessen  Grenze  hinaus  nicht 
mehr  verlässlich  angelegt  werden  können,  da  soll  man  von  dem 
Versuch  einer  Radicalheilung  absehen.  Ich  habe  aber  aus  der  inter- 
essanten Publication  von  Dr.  Brunner  ersehen,  dass  über  die  Art  und 
Weise,  wie  ich  die  Klammern  zu  benutzen  empfehle,  noch  Miss- 
verständnisse bestehen. 

Man  muss  bei  der  Benutzung  der  Klammern  zwei  Dinge  völlig 
auseinander  halten:  Die  Anlage  der  Klammern  am  Wundrand,  wo  die 
Trennung  am  Magen  (und  auch  am  Darm)  stattfinden  soll,  und  die 
Anlegung  der  Klammern  entfernt  von  der  Durchschneidungsstelle 
behufs  Verhütung  des  Ausflusses  von  Magen-  und  Darminhalt  aus 
den  weiter  abliegenden  Darmabschnitten,  sowie  behufs  provisorischer 
Blutstillung  gemacht. 


1)  Die  Methode  hat  die  längste  bis  jetzt  bekannte  Radicalheilung  (13  Jahre) 
ergeben. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  21 


■\22  Specielle  Operationslehre. 

Legt  man  die  Klammern  an  der  Trennungsstelle  an,  so  kann 
man  sie  nicht  energisch  genug  zusammen  pressen,  damit  man  voll- 
kommen sicher  abschliesse  und  zugleich  Blutung  verhüte.  Die  ge- 
f ässreichen  Gewebe  und  Gef ässe  werden  dabei  in  ihren  nicht  elastischen 
Antheilen  völlig  durchgequetscht,  und  bloss  die  elastischen  Theile 
(Serosa,  Gefässwände  etc.)  bleiben  wie  gepresstes  Papier  unter  der 
Zange,  halten,  wo  nöthig,  momentan  das  Magen-  und  Darmlumen 
geschlossen  und  können  durch  fortlaufende  Naht  mit  Leichtigkeit  ver- 
einigt werden.  Diese  Quetsch-  und  P r e s s z a n g e n  in  exquisitester 
Gestaltung  in  der  Art  der  DOYEN'schen  Angiothryptoren  mit  ihren 
Modificationen  finden  ihre  Anwendung  am  allerbesten  da,  wo  eine 
völlige  Occlusion  stattfinden  soll:  Am  Magen  bei  der  Resection  mit 
folgender  Gastroenterostomose. 

Indes  haben  wir  schon  seit  Jahren  im  Gegensatz  zu  der  Art 
der  Klammerbenutzung  durch  andere  Chirurgen  (GüSSENBAUER, 
Rydygier)  betont,  dass  man  diese  Pressklammern  auch  ohne  jegliches 
Bedenken  anwenden  kann,  wo  man  nachher  Nähte  anlegt  behufs 
Anastomose,  also  am  Duodenum  bei  der  Gastroduodenostomosis. 
Die  mürben  Gewebe,  nämlich  Mucosa  und  Muscularis  werden  nämlich 
durchgequetscht  und  bloss  die  elastisch-zähen  Gewebsbestandtheile 
bleiben  in  der  Presse.  Diese  sind  aber  soweit  gepresst,  dass  keine 
Gangrän  derselben  zu  fürchten  ist,  weil  sie  trocken  geworden  sind  und 
durch  langsame  Abstossung  ohne  Zersetzung  beseitigt  werden.  Zur 
Vereinigung  erhält  man  hinter  dieser  gepressten  Stelle  sehr  gute 
vascularisirte  Gewebe,  geeignet  zur  Primaheilung. 

Ganz  anders  verhält  es  sich  mit  der  Anlegung  von  Klammern 
entfernt  von  der  Nahtstelle,  welche  bloss  das  Lumen  verschliessen 
sollen  und  die  Blutzufuhr  momentan  aufheben.  Da  kann  von  einem 
Zusammenpressen  gar  keine  Rede  sein,  sondern  da  handelt  es  sich 
nach  Art  EsMARCH'scher  Blutstillung  um  elastisch  federnden  Ver- 
schluss. Dass  diese  Art  des  Abschlusses  sehr  bequem  ist,  ist  gar 
keine  Frage:  Sie  lässt  die  Nahtstelle  völlig  frei  zu  bequemer  und 
genauer  Vereinigung  der  verschiedenen  Schichten  und  sie  entbindet 
den  Chirurgen,  sich  um  Blutstillung  aus  den  Wundrändern  anders 
zu  kümmern,  als  mittelst  der  Naht  selber. 

Der  Nachtheil  der  elastisch  federnden  Klammern,  welche  wir 
als  Klemmzangen  unterscheiden  wollen,  ist  die  Schwierig-keit,  gerade 
das  richtige  Maass  zu  treffen,  um  weder  eine  zu  starke  Läsion  der 
Schleimhaut  zu  bewirken,  welche  zu  Ulceration  und  zu  Blutung  führen 
könnte,  noch  durch  zu  langen  Abschluss  der  Gefässe  zu  Thrombose, 
Nekrose  und  Entzündung  Anlass  zu  geben.  Das  ist  Sache  der  Er- 
fahrung und  gerathen  ist  es  jedenfalls,  diese  Klammern  keinen  Augen- 
blick früher  anzulegen  und  länger  liegen  zu  lassen,  als  absolut  nöthig 
ist.     Kommt  man  ohne  dieselben  aus,  so  ist  es  vorzuziehen. 


Abdomen. 


323 


Wir  haben  dieser  Frage  mehr  Worte  gewidmet,  weil  wir  diesen 
-wesentlichen  Unterschied  noch  nirgends  genügend  hervorgehoben 
finden  und  weil  wir  die  Art  des  Klamm  er  verschlusses  für  den  Erfolg 
für  einen  ganz  maassgebenden  Factor  halten.  Allerdings  muss  daneben 
auch  der  definitive  Verschluss  durch  die  Faden  ein  voll- 
kommen zuverlässiger  sein.  Zunächst  betonen  wir  vielleicht  unnützer- 
weise nochmals  die  Notwendigkeit  des  Gebrauches  feiner  Seiden- 
faden. Wie  man  noch  für  die  ganze  Naht  Catgut  benutzen  mag, 
ist  uns  unverständlich.  Die  Hauptnaht,  welche  die  Magendarmwände 
in  ihrer  ganzen  Dicke  fasst,  sollte  absolut  Seide  sein.  Will  man 
behufs  des  Verschwindens  des  Fadens  auf  der  Schleimhautseite 
Catgut  benutzen,  so  ist  dagegen  nichts  einzuwenden.  Auch  wir 
machen  das  gelegentlich. 

Will  man  behufs  Meidung  eines  bleibenden  Fremdkörpers  auf  der 
Serosa  und  der  dadurch  veranlassten  Neigung  zu  Adhäsionsbildung  die 
Serosanaht  mit  Catgut  machen,  so  wäre  das  allenfalls  auch  noch  zu 
entschuldigen,  obschon  die  feinen  Seidennähte  sich  später  so  schön  in 
die  glatte  Serosa  eingebettet  finden,  dass  sie  kaum  mehr  erkennbar  sind. 

Die  Naht  ist  stets  fortlaufend  anzulegen.  Wo  es  geht,  schützt 
eine  isolirte  Mucosanaht  sehr  gut  vor  Eindringen  von  Darminhalt 
zwischen  die  Faden.  Die  LEMBERTsche  Serosanaht  wird  kaum  ein 
Chirurg  missen  mögen,  um  nach  der  Peritonealfläche  sicheren  Ab- 
schluss  zu  schaffen;  aber  Madelung,  welcher  bloss  eine  einfache 
Nahtreihe  will,  hat  in  dem  Punkte  Recht,  dass  der  Haupttheil  der  Naht 
stets  die  alle  Wunden  durchdringende  Seidennaht  ist,  welche  ver- 
lässlich vereinigt  und  sicher  die  Blutung  aus  den  Wundrändern  stillt. 

Maassgebend  für  den  Erfolg  kann  auch  die  Vor-  und  Nach- 
behandlung der  Patienten  werden.  Hier  stehen  2  Punkte  im 
Vordergrunde :  Die  Ernährung  des  Patienten  und  die  Beseitigung 
von  Zersetzung  im  Magendarminhalt.  Die  Ernährung,  die 
so  oft  im  höchsten  Maasse  darniederliegt,  hat  zunächst  die  Berück- 
sichtigung des  letztgenannten  Momentes  zur  Voraussetzung.  Einen 
Patienten  mit  zersetztem  Mageninhalt  und  chronischer  Intoxication 
kann  man  nicht  ernähren.  Der  Magen  muss  vor,  und  wo  nöthig 
nach  der  Operation,  und  zwar  schon  am  Tage  derselben,  sobald  Zer- 
setzung in  demselben  sich  einstellt,  entleert  werden.  Wir  haben  schon 
bei  der  Gastroenterostomosis  uns  darüber  ausgesprochen,  dass  dies 
in  sehr  verkehrter  Weise  geschehen  kann,  so  dass  ein  Patient  in 
völligem  Collapszustand  in  Folge  dieser  Vorbereitung  auf  den 
Operationstisch  geliefert  wird.  Dies  geschieht,  wenn  ungeübte 
Assistenten  oder  gar  das  Wartepersonal  während  x/2 — 1  Stunde 
einen  Patienten  womöglich  mit  gewöhnlichem  Wasser  von  beliebiger 
Temperatur,  oder  was  noch  schlimmer  ist,  mit  antiseptischen  Lösungen 
„bearbeiten",  um  den  Mageninhalt  klar  ausfliessen  zu  sehen. 

21* 


324  Specielle  Operationslehre. 

Das  muss  allerdings  vermieden  werden.  Eine  kurze  Spülung 
ohne  Hochdruck  mit  völliger  Entleerung  durch  geeignete  Lagerung 
und  unter  Benutzung  körperwarmer  physiologischer  Kochsalzlösung 
hat  keine  üblen  Folgen. 

Ernährung  muss  durchaus  durchgeführt  werden  können  und 
zwar  ist  bei  derartigen  Patienten  bei  Weitem  die  Hauptsache  die 
Zufuhr  von  Flüssigkeiten  vor  und  nach  der  Operation.  Unsere 
Methode  besteht  darin,  dass  wir  mehrfach  täglich  je  i  Liter  warmer 
Kochsalzlösung  subcutan  verabfolgen  und  per  Klysma  sterilisirte 
Milch  zu  200,0  ebenfalls  wiederholt  eingiessen  lassen.  Per  os  ist 
concentrirte  Nahrung  in  Form  von  Kraftgallerte  (aus  1  kg  in  einer 
Flasche  7 — 8  Stunden  ausgekochtes  Fleisch)  mit  Somatose  oder  ähn- 
lichen Nährpräparaten  oft  das  Einzige,  was  bei  Pylorusstenose  ohne 
Schaden  vertragen  wird.  Bei  zersetztem  Mageninhalt  kann  die 
gleichzeitige  Verabfolgung  eines  leichten  Antisepticum  (Bismuth)  von 
Nutzen  sein.  In  der  Ernährung  nach  der  Operation  ist  kein  Chirurg 
kühner  vorgegangen  als  Roux,  welcher  sofort  jede  Speise  geniessen 
lässt,  welche  dem  Patienten  beliebt. 

Dass  man  heruntergekommene  Patienten  während  und  nach  der 
Operation  warm  halten  soll  (Wärmetisch)  und  die  Narkose  in  leichtester 
Form  (als  luftverdünntem  Aether  in  BRAUN'scher  Flasche)  reichen 
und  auf  die  schmerzhaften  Acte  des  Schneidens  und  der  Zerrung 
des  Peritoneum  beschränken  soll,  braucht  kaum  noch  speciell  hervor- 
gehoben zu  werden. 

130)  Gastrektomie  mit  Gastroduodenostomose. 

Medianschnitt  von  der  Spitze  des  Schwertfortsatzes  bis  zum  Nabel, 
event.  wie  Hartmann  thut,  unter  Zufügung  eines  queren  Schnittes 
bis  zum  Rande  des  Rectus  abdominis,  wenn  mehr  Platz  nöthig  ist. 
Es  erscheint  der  Tumor,  welcher  herausgehoben  wird.  Leichtere 
Adhärenzen  lassen  sich  oft  trennen,  indem  man  die  Hand  einführt. 
Lässt  sich  der  Tumor  nicht  herausheben,  so  bestehen  stärkere  Ad- 
häsionen entweder  im  Bereich  des  Pankreas,  des  Mesocolon  transversum, 
oder  mit  retroperitonealen  Drüsenpack eten  nach  der  hinteren  Bauch- 
wand zu  oder  bei  Totalerkrankung  mit  Milz  und  dem  Zwerchfell.  Es 
besteht  dann  schon  Verdacht,  dass  Radicaloperation  ausgeschlossen  ist. 

Nach  genauer  Orientirung  über  die  Grenzen  der  Geschwulst  und 
über  die  Beweglichkeit  oder  Loslösbarkeit  vorhandener  Drüsen  werden 
unter  Perforation  des  kleinen  Netzes  und  des  Lig.  gastrocolicum  so- 
fort an  der  Grenze  der  Neubildung  auf  der  Seite  gegen  den  Fundus 
des  Magens  zu  2  grosse  Presszangen  angelegt  ganz  nahe  bei  ein- 
ander und  so  fest  wie  möglich  geschlossen  und  auf  untergelegter 
Schutzcompresse  (die  aseptische  Absperrungstamponade  ist  rings 
herum  schon  vorher  gemacht)  dicht  an  der  rechtseitigen  Klammer 
zwischen  beiden  der  Magen  durchschnitten.    Nach  Hartmann's  Vor- 


Abdomen. 


325 


schrift  muss  auf  Grund  von  Cuneo's  Nachweisen  die  Klammer  an 
der  kleinen  Curvatur  so  hoch  wie  möglich  angelegt  werden,  und 
um  mit  der  letzteren  gleichzeitig  die  die  Coronargefässe  begleitenden 


Fig.  95.  Magenresection  mit  ausgedehnter  Entfernung  der  kleinen  Curvatur 
nach  Hartmann's  Modifikation  unserer  Methode.  Die  Arteria  gastrica  sin.  ist 
ligirt,  das  kleine  Netz  mit  dem  Finger  zerrissen  und  an  der  kleinen  Curvatur 
sitzen  geblieben.  Die  Magenzange  fasst  die  kleine  Curvatur  hoch  hinauf.  Man 
sieht   links    oben    den    heraufgeschlagenen    linken   Leberlappen,    darunter   den 

Pylorustheil  des  Magens. 

Drüsen  im  Zusammenhang  wegnehmen  zu  können,  erscheint  es  zweck- 
mässig, die  Art.  coron.  sin.  (Gastrica  sin.)  oberhalb  der  Stelle,  wo  man 
trennen  will,  doppelt  zu  ligiren  (vergl.  Fig.  95),  durchzuschneiden  und 
durch  unblutige  Trennung   des  kleinen  Netzes  oberhalb  der  Drüsen 


326 


Specielle  Operationslehre. 


den  getrennten  Magen  so  beweglich  zu  machen,  dass  man  ihn  nach 
rechts  herüberschlagen  kann. 


Fig.  96.  Magenresection  mit  ausgedehnter  Entfernung  der  kleinen  Curvatur 
sammt  dem  kleinen  Netz,  welches  als  bandartiger  Streifen  längs  der  kleinen 
Curvatur  erscheint.  Der  durchschnittene  Magen  ist  über  den  rechten  Wund- 
rand herübergewälzt,  so  dass  die  Rückfiäche  des  Duodenum  und  in  der  Furche 
gegen  das  Pankreas  die  Arteria  gastroduodenalis  erscheint  (über  derselben  die 
Art.  hepatica,  welche  ligirt  wird).  Das  Lig.  gastro  -  colicum  ist  in  mehreren 
Bündeln  unterbunden  und  getrennt.     In  der  Tiefe  sieht  man  das  Pankreas. 


Hartmann  legt  auf  letzteres  Manöver  deshalb  Werth,  weil 
dann  entlang  der  kleinen  Curvatur  Fettgewebe  mit  Drüsen  ver- 
folgt und  mit  entfernt  werden  können  bis  zum  Abgang  der  Art. 
coron.  dextra  (Gastrica  dextra)  und  der  Arteria  gastroduodenalis  aus 


Abdomen. 


327 


der  A.  hepatica.  Letzteres  Gefäss  wird  sorgfältig  geschont,  die 
beiden  erstgenannten  unterbunden.  Man  sieht  (vergl.  Fig.  q6)  nach 
Zurückschlagen    des  Magens   über   den   rechten  Wundrand   die  Art. 


Fig.  97.  Illustration  des  Verfahrens  der  Magenresection  mit  Benutzung  von  Klemm- 
zangen, welche  die  Operation  vereinfachen,  aber  die  Ernährung  der  Wundränder 
bei  unrichtigem  Gebrauch  gefährden  können.  Nach  Entfernung  des  Tumors  sind 
Klemmzangen  zum  momentanen  Verschluss  des  Magen-  und  Darmlumens,  sowie 
der  Gefässe  angelegt.  Die  Gefässstümpfe  an  der  Zange  links  sind  falsch  ge- 
zeichnet.    Sie  sollten  in   der  Höhe   der  Trennungsstelle  des  Duodenum  liegen. 

g'astroduodenalis  sehr  gut  in  der  Furche  zwischen  Duodenum  und 
Pankreas  abwärts  ziehen.  So  hat  man  bei  Lösung  der  dieselbe  be- 
gleitenden Drüsenkette  entlang  genannter  Furche  nicht  Blutungen  zu 
gewärtigen.    Man  kommt  aber  auch  ohne  Ligatur  dieser  Arterie  sehr 


328 


Specielle  Operationslehre. 


Fig.  99. 


Fig.  98  u.  99.  Anlage  der  Occlusionsnaht  am  Magen 
vor  Lösung  der  Presszange.  Figur  98:  Das  Carcinom 
ist  abgeschnitten  dicht  |über  der  ferneren  Zange,  und 
es  ist  dargestellt ,  wie  eine  fortlaufende  Naht  unter 
der  Zange  mit  gerader  Nadel  hin-  und  her  durchgeführt 
wird,  um  vorläufigen  sicheren  Abschluss  bei  Entfernung 
der  Zange  zu  erzielen.  —  Figur  99:  Zange  abgenommen, 
die  Fadenenden  angezogen  erhalten  (das  untere  Ende 
ist  nämlich  nicht  geknüpft).  Die  vorragende  Mucosa 
wird  mit  CooPER'scher  Scheere  abgetragen. 


Abdomen. 


329 


wohl  aus.  Das  Herüberschlagen  des  Magens  über  den  rechten  Wund- 
rand hat  den  Vortheil,  das  Duodenum  durch  Zug  von  hinten  gut  zu- 
gänglich zu  machen,  um  von  beiden  Seiten  die  Grenzen  der  Neubildung 
sicher  zu  controliren  und  sich  zu  überzeugen,  ob  das  Duodenum  lang' 
und  beweglich  genug  ist,  um  die  Gastroduodenostomie  auszuführen. 

Wenn  ja,  so  werden  jetzt 
2  kleine  Presszangen  an  das 
Duodenum  gelegt  und  zwi- 
schen beiden,  dicht  an  der 
dem  Magen  ferneren  Zange 
der  Darm  mit  dem  Messer 
getrennt,  auch  hier  mit 
Unterlage  einer  kleinen 
Schutzcompresse  und  mit 
sofortiger  gründlicher  Reini- 
gung der  wenn  auch  ganz 
verdünnten  Schnittstelle. 

Jetzt  kann  man  vor 
Schluss  des  Magens,  weil  die 
noch  liegende  Zange  einen 
sehr  guten  Halt  gewährt,  die 
Oeffnung  in  den  Magen 
machen  nach  Fig.  97,  in- 
dem man  eine  Klemmzange 
an  das  Duodenum  und  die 
begleitenden  Gefässe  legt 
und  die  Presszange  entfernt. 
Dann  kann  man  mit  den 
Fingern  des  Assistenten  den 
Magen  fassen  lassen  und  die 
vordere  Wand  desselben  an 
die  hintere  an  Stelle  der  In- 
cision  anpressen  lassen,  was 
sehr  gut  geht;  oder  man 
legt,  wie  Fig.  97  zeigt,  auch 
am  Magen  eine  Klemmzange 
an,  nachdem  man  den  Magen 
durch  Occlusionsnaht  ver- 
schlossen hat  und  bevor  man  den  Schnitt  für  den  Einsatz  des 
Duodenums  anlegt. 

Wie  wir  die  Occlusionsnaht  anlegen  unter  voller  Sicherheit 
gegen  Verunreinigung  und  für  Erreichung  eines  sicheren  Verschlusses, 
darüber  geben  die  4  Figuren  (Fig.  98  bis   101)  Aufschluss. 

Wie  ersichtlich,  wird  zuerst  eine  Matrazennaht  fortlaufend,  nach 
Art   einer  halben  GELY'schen  Naht   dicht  hinter  der  Presszang-e  hin 


Fig.  101 


Fig.  100  u.  101.  Occlusionsnaht  des  Magens. 
Figur  100 :  Der  Magen  ist  durch  eine  zweite 
fortlaufende  Kürschnernaht  über  der  ersten 
Naht  verlässlich  geschlossen.  —  Figur  101 
zeigt  die  Anlegung  der  Serosanaht  über  der 
zweiten  Naht,  welche  durch  die  ganze  Dicke 
der  Magenwand  gelegt  war. 


33o 


Specielle  Operationslehre. 


und  her  durchgeführt  (Fig.  98),  bloss  der  Anf angstheil  geknüpft,  und 
die  beiden  Enden  festgehalten,   was  verlässlichen  Schluss  giebt.     Ist 


Fig.  102.  Resectio  pylori  VI.  Das  Duodenum  ist  an  die  Hinterwand  des 
geschlossenen  Magens  angelegt  und  daselbst  durch  die  fortlaufende  hintere 
Serosanaht  fixirt,    der  Magen   mittelst   eines  dem  Duodenumlumen  conformen 

Schnittes  geöffnet. 

die  Presszange  nicht  stark  genug,  um  die  Gewebe  bis  zu  Papierdünne 
trocken  zu  pressen,  so  ist  es  zweckmässig,  event.  noch  vorragenden 
Schleimhaut-  und  Muskelsaum   mit  der  Scheere  abzutragen  (Fig.  99), 


Abdomen.  131 

was  bei  Anwendung  kräftiger  Presszangen  unnöthig  ist.  Während 
der  Faden  gespannt  gehalten  wird ,  wird  rasch  eine  fortlaufende 
Kürschnernaht  übergelegt,  welche  auch  jenen  Faden  fixirt  (Fig.  100) 
und  darüber  eine  Serosanaht  nach  Fig.   101  zum  Abschluss. 

Nun  wird  Magen  und  Duodenum  entfernt  von  der  Stelle,  wo 
sie  eröffnet  sind  oder  eröffnet  werden  sollen,  mit  Klemmzangen  ge- 
schlossen, vom  Duodenum  die  Presszange  unter  gehörigem  Schutz  durch 
Compressen  und  Austupfen  des  Inhaltes  weggenommen,  die  hintere 
Magenwand  nahe  der  grossen  Curvatur,  3  cm  von  der  Occlusionsnaht 
entfernt  und  dieser  parallel  zuerst  bloss  durch  die  Serosa  gespalten  in 
der  Breite  des  Duodenumlumens  und  die  hintere  Serosanaht  ange- 
legt (Fig.  102),  dann  erst  die  Magen  wand  ganz  durchgespalten,  eine 
die  ganze  Wanddicke  fassende  hintere  Ringnaht  durch  hinteren 
Wundrand  von  Magen  und  Duodenum  gelegt,  die  Schleimhaut  fort- 
laufend zwischen  Magen  und  Duodenum  vernäht,  die  vordere  tief- 
greifende Ringnaht  mit  der  hinteren  fortlaufend  verknüpft,  jetzt  die 
Klemmzangen,  wo  solche  benutzt  wurden,  entfernt  und  die  vordere 
Serosanaht  ebenfalls  mit  der  hinteren  beiderseits  verknüpft. 

Die  Fig.  102  zeigt  die  Art  der  Anlage  des  Duodenum  an  den  Magen 
unter  Benutzung  der  Finger  statt  der  Klemmzangen  zu  Verschluss 
von  Magen  und  Duodenum.    Die  hintere  Serosaringnaht  ist  angelegt. 

Die  Compressen  werden  entfernt,  nachdem  die  Nähte  mit  steriler 
warmer  Kochsalzlösung  nochmals  gründlich  abgetupft  sind  und  die 
Abdominalwände  durch  Schichtennaht  geschlossen,  ein  Streifchen  von 
Xeroformgaze  und  Collodiumgaze  darüber  befestigt,  kein  circulärer 
Verband.  Entfernung  der  Hautnähte  nach  8  Tagen,  Aufstreichen  von 
Bismuthbrei. 

131)  Gastrektomie  mit  Gastrojejunostomose. 

Zeigt  sich  bei  Blosslegung  des  Duodenum  dieses  zu  kurz  und 
zu  wenig  beweglich,  um  es  zur  Anastomose  zu  benutzen,  so  wird  es 
durch  Occlusionsnaht  geschlossen.  Nur  kann  man  hier  statt  der  für 
den  Magen  nothwendig  etwas  complicirten  Verschlussmethode,  nach 
Abnahme  der  Presszange  am  Duodenum  und  bevor  man  es  durch- 
schneidet, um  die  dünngepresste  Stelle  einfach  einen  Seidenfaden 
kräftig  zusammenschnüren,  darüber  abtragen  und  durch  eine  Tabaks- 
beutelnaht, wie  Fig.  88  bei  der  Gastrostomie  eine  solche  illustrirt, 
das  Duodenum  verschliessen. 

Danach  wird  die  Gastrojejunostomosis  in  der  unter  diesem  Titel 
geschilderten  Weise  ausgeführt,  nachdem  der  Magen  verschlossen  ist. 

132)  Gastrektomie  nach  Rydygier-Billroth  und  nach 
Henle-Mikulicz. 

Will  man  den  untersten  Theil  der  Magenwunde  zur  Einsetzung 
des   Duodenum   oder   des  Jejunum    benutzen,    so   besteht  der  Unter- 


■1-12  Specielle  Operationslehre. 

schied  darin,  dass  man  am  Magen  eine  grosse  Presszange  nur  bis 
zu  der  Stelle  von  obenher  anlegen  darf,  wo  man  die  Oeffnung  lassen 
will.  Es  ist  aber  besonders  wünschenswerth,  dass  man  hier  Angio- 
thryptorenzangen  benutze,  damit  die  Magenwand  ganz  dünn  gepresst 
werde  und  der  Verschluss  der  kritischen  Y-Stelle  zwischen  Occlusiv- 
und  Vereinigungsnaht  dadurch  erleichtert  werde.  An  der  zur  Ver- 
einigung bestimmten  Stelle  kann  man  ganz  wohl  eine  kleine  Press- 
zange anlegen,  wenn  man  nicht  mit  der  Durchschneidung  derselben 
warten  will,  bis  die  obere  Occlusivnaht  gelegt  ist. 

Dei  Magen  wird  nunmehr  verschlossen  bis  zu  der  beabsichtigten 
Vereinigungsstelle  und  nun  eine  Klemmzange  zum  Abschluss  des 
unteren  vorderen  Theiles  des  Magens  benutzt,  in  welchem  sich  die 
Oeffnung  befindet. 

Hier  wird  das  Duodenum  eingesetzt.  Die  Behandlung  des 
Duodenum  ist  um  nichts  leichter  und  um  nichts  schwieriger  als  bei 
einer  Gastroduodenostomose,  bloss  hat  man  bei  letzterer  eine  völlig 
conforme  Oeffnung  im  Magen  und  vermeidet  die  Schwierigkeiten 
und  Gefahren,  welche  der  Y-Naht  anhaften.  Es  findet  deshalb  das 
RYDYGlER-BlLLROTH'sche  (sogen.  Billroth  I)- Verfahren  an  dem- 
selben Punkte  seine  Grenze,  wie  die  Gastroduodenostomosis.  Wo 
das  Duodenum  nicht  lang  und  beweglich  genug  ist,  um  leicht  und 
sicher  in  den  Magen  eingesetzt  zu  werden,  wird  dasselbe  nach  obigen 
Regeln  verschlossen  und  die  Henle  -  MlKULlCZ'sche  Operation  mit 
Einfügung  einer  Dünndarmschlinge  in  den  untersten  Theil  der  Magen- 
resectionswunde  tritt  in  ihr  Recht. 

133)  Gastrectomia  totalis. 

Die  Schlatter  '  s  c  h  e  Operation  der  Totalexcision  des 
Magens  findet  eine  recht  seltene  Indication,  da  die  Fälle  selten  sind, 
wo  ein  infiltrirendes  Carcinom  den  grössten  Theil  des  Magens  in 
Beschlag  genommen  hat,  ohne  Anlass  zu  so  ausgedehnten  Ver- 
wachsungen oder  Drüsenschwellungen  zu  geben,  dass  von  einer 
Radicaloperation  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann.  Dazu  kommt,  dass 
nach  zwei  Erfahrungen,  die  wir  am  Lebenden  gemacht  haben,  eine 
weitere  Grenze  der  Operation  darin  gegeben  ist,  dass  man  noch  soviel 
Oesophagus  oder  gesundes  anstossendes  Magengewebe  zur  Ver- 
fügung haben  oder  durch  Zug  am  Oesophagus  verfügbar  machen 
muss,  dass  man  verlässlich  eine  schmale  Presszange  an  der  Cardia 
und  eine  Klemmzange  etwa  3  cm  höher  an  dem  Oesophagus  an- 
legen kann,  um  die  Trennung  des  Magens  am  oberen  Ende  vor- 
zunehmen. Kann  man  diesen  Schluss  nicht  verlässlich  machen,  so 
ist  man  allen  Gefahren  der  Verunreinigung  der  Peritonealhöhle  bei. 
der  schwer  zugänglichen  Tiefe  des  Foramen  oesophageum  aus- 
gesetzt. 


Abdomen. 


333 


Wir  haben  die  Operation  einmal  unter  diesen  Umständen  ge- 
macht, die  wir  jetzt  als  Contraindication  aufstellen,  wobei  vom 
Oesophagus  noch  ein  kleines  Stück  mitentfernt  wurde,  und  der 
Patient  ist  auch  an  der  durch  Mageninhalt  veranlassten  Peritonitis 
zu  Grunde  gegangen.  In  einem  anderen  Falle,  den  wir  veröffent- 
licht haben,  wo  die  Zange  gelegt  werden  konnte,  hat  die  Naht 
zwischen  Oesophagus  und  Duodenum  vorzüglich  gehalten,  und  nur  ein 
Accidens  (Darmnekrose  am  untersten  Ende)  hat  das  Resultat  beein- 
trächtigt. Ich  habe  übrigens  bei  einem  der  beiden  Fälle  die  gleich- 
zeitige Resection  des  Colon  transversum  ausführen  und  im  zweiten 
Falle   starke  Verwachsungen  mit  Pankreas    und  Milz  lösen  müssen. 

Es  giebt  auch  hier  schon  zwei  Methoden  der  Vereinigung.  Die 
eine  ist  die  von  Schlatter  gewählte,  welche  eine  Jejunumschlinge 
in  den  Oesophagus  eingesetzt  hat,  die  andere,  die  von  Schuchardt, 
Charles  Brooks  -  Brigham  ,  Schopf  und  von  mir  benutzte, 
bestehend  in  Vereinigung  des  Oesophagus  mit  dem  Duodenum. 
Ein  von  HARTMANN  erwähnter  glücklicher  Fall  von  RlCHARDSON 
ist  mir  nicht  zugänglich,  ebensowenig  ein  von  TRICOMI  operirter 
Fall.  Nach  den  mir  bekannten  Fällen  wäre  die  Operation  5mal 
glücklich  und  nur  in  meinen  2  Fällen  unglücklich  ausgefallen.  Ich 
bin  überzeugt,  dass  mehr  als  7  Fälle  operirt  sind,  dass  sich  aber  die 
Operateure  nicht  beeilen,  ihre  Misserfolge  mitzutheilen.  Ich  kenne 
wenigstens  2  Fälle,  deren  einer  auf  dem  Operationstisch  starb,  der 
andere  kurz  nachher,  die  nicht  publicirt  worden  sind. 

Wir  geben  nach  Schlatter  die  Schilderung  der  Operation 
in  seinem  Fall  von  Oesophagojejunostomosis  und  nach 
Brooks  und  unserer  Publication  (des  Falles,  wo  die  Vereinigung 
gut  gelungen  war)  die  Methode  der  Oesophagoduodenosto- 
mo  sis. 

Wir  reproduciren  in  einer  Anmerkung  die  Schilderung  der 
Operation  nach  unserem  ersten  Fall,  wo  die  Vereinigung  von  Oeso- 
phagus und  Duodenum  gelungen  war1). 


I)  Die  Operation  wurde  am  9.  Juni  1899  m  Gegenwart  einer  Anzahl  von 
Aerzten  und  Studenten  und  unter  Assistenz  von  Dr.  Albert  Kocher  ausgeführt. 

Nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle  trat  der  grosse  Tumor  zu  Tage,  welchen 
man  vor  der  Operation  gefühlt  hatte,  und  es  zeigte  sich  sofort,  dass  das  Colon 
transversum  im  Bereiche  der  Neubildung  fest  adhärent  war,  ebenso  das  zu- 
gehörige Mesocolon,  so  dass  dessen  Mitentfernung  in  Aussicht  zu  nehmen  war. 
Es  musste  deshalb  zuerst  eine  Orientirung  stattfinden,  ob  an  eine  Excision  über- 
haupt gedacht  werden  konnte. 

Wie  gewöhnlich  schnitt  die  Neubildung  am  Pylorus  gegen  das  Duodenum 
scharf  ab,  so  dass  hier  eine  gute  Abgrenzung  gesichert  war.  Gegen  die  Leber 
zu  bestanden  keine  Verwachsungen.  Dagegen  zeigten  sich  breite  Verwachsungen 
mit  der  Milz,  welche  beim  Anziehen  des  Magens  nach  aussen  zu  Tage  traten. 
Auf    der   Wirbelsäule   war    der   Tumor   beweglich.     Um   sicherer  urtheilen   zu 


■2-ia  Specielle  Operationslehre. 

In  einem  geeigneten  Falle  ist  die  Totalexcision  des  Magens 
keineswegs  schwieriger  als  eine  Resection.  Was  die  Sache  er- 
schwert, sind  Verwachsungen  mit  der  Nachbarschaft,  mit  Pankreas 
und  Milz,  besonders  aber  mit  dem  Zwerchfell.  Der  Punkt,  an 
welchem  sich  die  Frage  entscheidet,  ob  die  Ope- 
ration durchführbar  ist  oder  nicht,  ist  der  abdominale 
Theil    des   Oesophagus.     Da    der  letztere   aus   dem    Foramen    oeso- 


können,  wurde  der  Schnitt  gegen  den  Processus  ensiformis  zu  erheblich  ver- 
längert, und  nun  gelang  es,  sich  zu  überzeugen,  dass  man  mit  der  Hand  über 
den  Fundus  herübergreifen  und  den  Oesophagus  umfassen  konnte.  Die  harte 
Infiltration  des  Magens  reichte  bis  an  den  Oesophagus  heran  und  schnitt  hier 
fast  ebenso  scharf,  wie  am  Pylorus,  in  querer  Linie  ab.  An  der  grossen  Magen- 
curvatur  fanden  sich  grosse  zusammenhängende  Packete  derber  Drüsen,  aber 
das  Peritoneum  war  frei  von  Knötchen. 

Um  den  Magen  freier  hervorziehen  zu  können,  wurde  die  verwachsene 
Partie  des  Colon  transversum  unter  Anlegung  je  zweier  kräftiger  Darmzangen 
isolirt  und  der  Darm  mit  dem  Thermocauter  durchgeschnitten,  so  dass  ein 
ca.  12  cm  langes  Stück  des  Quercolon  am  Magen  hängen  blieb.  Am  Duodenum 
wurden  nach  sorgfältiger  Isolirung  zwei  kräftige  Darmzangen  angelegt  und  da- 
zwischen mit  dem  Messer  getrennt,  die  Schnittflächen  wie  gewöhnlich  mit  Lysol- 
lösung gereinigt.  Jetzt  konnte  der  Magen  besser  vorgezogen  werden  und  zu- 
nächst die  breiten  und  festen  Adhäsionen  mit  der  Milz  gelöst  werden,  unter 
doppelter  Ligatur  der  Gefässstränge. 

Schwierig  war  die  Lösung  des  Magens  an  der  Rückfläche,  indem  die  Platte 
des  Mesocolon  transversum  breit  auf  das  Pankreas  überging  und  hier  sehr  sorg- 
fältig abgetrennt  werden  musste,  was  unter  Ligatur  einiger  grösserer  Gefässe 
ohne  Complication  gelang.  Der  obere  Umfang  des  Fundus  ventriculi  war  frei, 
und  es  gelang  nunmehr  nach  Trennung  des  kleinen  Netzes  an  der  Curvatura 
minor  den  angezogenen  Oesophagus  soweit  zu  isoliren,  dass  neben  einander 
zwei  Zangen  angelegt  und  dazwischen  der  Oesophagus  durchschnitten  werden 
konnten. 

Mit  einiger  Mühe  konnte  die  am  Duodenum  liegende  Verschlusszange  an 
die  am  Oesophagus  liegende  herangebracht  werden,  so  dass  es  gelang,  bei 
noch  liegenden  Zangen  eine  hintere  Serosanaht  anzulegen  und  dann  bei  sehr 
sorgfältigem  Abschluss  der  Umgebung  mittelst  Gazecompressen  die  Zangen  zu 
entfernen.  Mun  wurde  eine  fortlaufende  Naht  aus  feinem  Seidenfaden  (doppelt) 
unter  Mitfassen  sämmtlicher  Wundschichten  circulär  angelegt  und  die  Lumina 
von  Oesophagus  und  Duodenum  in  Contact  gebracht,  endlich  die  vordere  Serosa- 
naht angelegt  und  mit  der  hinteren  vereinigt. 

Eine  nicht  geringe  Schwierigkeit  veranlasste  die  Ungleichheit  der  Lumina, 
insofern  als  ganz  im  Gegensatz  zu  den  Verhältnissen  der  Magenresection  das 
Duodenum  zu  weit  war  und  durch  die  Naht  verengert  werden  musste,  um 
mit  dem  Lumen  des  Oesophagus  zusammen  zustimmen  und  vereinigt  werden 
zu  können. 

Nunmehr  folgten  zuletzt  die  End-  zu  Endanastomose  zwischen  den  beiden 
durchschnittenen  Ouerdarmlumina  in  gewohnter  Weise  mit  Doppelnaht  von 
feiner  Seide. 

Die  Patientin  war  am  Ende  der  Operation,  welche  ca.  drei  Stunden  ge- 
dauert hatte,  in  keiner  Weise  collabirt.  Sie  erhielt  eine  subcutane  Infusion  von 
physiologischer  Kochsalzlösung  (i  Liter)  und  ein  Kaffeeklystir. 


Abdomen. 


335 


phageum  nicht  heruntergezogen  werden  kann,  sondern  das  Zwerch- 
fell und  die  Pleura  beim  Versuch  hierzu  mitkommen  und  in  Folge 
dessen  (wie  in  einem  mir  bekannten  sofort  tödtlichen  Falle)  eine  Er- 
öffnung der  Pleurahöhle  bei  der  Trennung  eintreten  kann,  so  darf 
bloss  operirt  werden,  wenn  ein  Stück  Oesophagus  unterhalb  des 
Zwerchfelles  oder  ein  Stück  Cardia  erhalten  werden  kann  lange 
genug,  um  dasselbe  verlässlich  mit  dem  Duodenum  zu  vernähen, 
während  der  Oesophagus  in  Entfernung  von  mindestens  2,  lieber 
3  cm  durch  die  Klemmzange  verschlossen  gehalten  ist.  Das  frei 
über  der  Zange  vorragende  Oesophagusende  muss  auch  lang  genug 
sein,  um  die  eine  Hälfte  eines  MuRPHY-Knopfes  aufzunehmen  und 
verlässlich  anbinden  zu  lassen,  wie  in  Brooks'  Fall. 

Brooks  hat  die  Einfügung  des  MuRPHY-Knopfes  sehr  bequem 
gefunden  (No.  3)  und  hat  auf  Uebernähung  desselben  verzichtet,  und 
es  dürfte  allerdings  hier  ein  Fall  sein,  wo  dieser  Knopf  unter  Um- 
ständen einer  nicht  völlig  sicheren  Naht  vorzuziehen  ist,  aus  dem 
Grunde,  weil  verlässliche  Naht  stets  eine  nicht  gespannte  Peritoneal- 
bedeckung  voraussetzt.  Hier  läuft  man  Gefahr,  dass  zwar  die  Oeso- 
phaguswand  sich  leicht  unten  halten  lässt,  das  von  den  Seiten  her- 
gezogene Peritoneum  aber  sich  zurückzieht  oder  wegen  zu  starker 
Spannung  durchschneidet.  Da  ist  der  Druck  des  Knopfes  ver- 
lässlicher. In  BROOKS'  Fall  ist  freilich  der  Knopf  sitzen  geblieben 
ohne  Schaden,  was  wohl  nicht  stets  der  Fall  sein  dürfte. 

Wesentlich  ist  jedenfalls,  dass  auch  das  Duodenum  durch  eine 
wenigstens  3  cm  freilassende  Klemmzange  herangebracht  werde,  da 
durch  diese  das  Darmende  leichter  an  den  Oesophagus,  sowohl  behufs 
Naht  als  behufs  Einlage  eines  MuRPHY-Knopfes  herangebracht 
werden  kann.  Ist  dies  nicht  möglich,  lässt  sich  das  Duodenum  nicht 
emporziehen  bis  zur  Berührung  mit  dem  Oesophagus,  so  ist,  wie  bei 
der  Magenresection  das  Duodenum  zu  verschliessen  und  die  wenn 
auch  functionell  weniger  sichere  Anlegung  einer  Jejunumschlinge 
auszuführen,  und  zwar  hier  mit  senkrechter  Stellung  beider  Schenkel, 
wie  bei  meiner  Form  der  Gastroenterostomie.  Die  Y-Form  nach 
Roux  ist  hier  kaum  in  Frage;  dagegen  dürfte  der  MuRPHY-Knopf 
die  rascheste  Anlage  gewähren. 

In  der  Nachbehandlung  ist  nichts  von  den  Vorschriften  bei  der 
Magenresection  Abweichendes,  ausser  dass  die  Ernährung  hier  zu- 
nächst unbedingt  nur  flüssig  sein  darf,  zumal  wenn  ein  Murphy- 
Knopf  eingesetzt  ist  und  dass  sie  bloss  in  kleinen  Quantitäten  be- 
stehen darf. 

Schlatter  hat  den  Beweis  geleistet,  dass  sich  ein  Patient  ohne 
Magen  nicht  bloss  völlig  genügend  nähren  kann,  sondern  auch  sowohl 
Eiweiss  als  Fett  völlig  normal  ausnützt,  ferner  dass  der  Ausfall 
der    Salzsäure    keinen    Einfluss    auf    die    Darmfäulniss    ausübt.     Der 


^5  Specielle  Operationslehre. 

SCHLATTER'sche  Patient  starb  14  Monate  nach  der  Operation  an 
Drüsenrecidiv  im  Abdomen  und  an  Lungen-Pleurametastasen,  nebst 
einem  localen  Recidiv  am  Oesophagus.  Der  Oesophagus  unterhalb 
des  Zwerchfelles  hatte  sich  auf  8  cm  verlängert  und  etwas  erweitert. 
In  Schuchardt's  Fall,  wo  noch  3  Querfinger  Cardia  erhalten  werden 
konnten,  war  nach  21/2  Jahren  ein  Blindsack  vorhanden  von  500  ccm 
Halt,  mit  Erweiterung  eines  Abschnittes  des  Duodenum. 

Die  Patientin  von  BROOKS'  lebt  noch  nach  2  Jahren  und 
8  Monaten  in  besten  Wohlbefinden,  kann  Alles  essen,  wie  ein  nor- 
maler Mensch  und  ihre  Arbeit  verrichten.  Sie  muss  häufiger  kleine 
Mahlzeiten  machen.  Gewisse  Vorsichten  in  der  Ernährung,  zumal  in 
den  ersten  Zeiten  nach  der  Operation,  dürften  schon  durch  die  Er- 
gebnisse experimenteller  Untersuchungen  geboten  sein,  wie  sie 
Kaiser  und  Gomry  angestellt  haben  und  in  neuester  Zeit  Pachon 
und  Cavallo.  Die  gastrektomirten  Hunde  konnten  im  Anfang 
selbst  Milch  bloss  unvollkommen  verdauen,  feste  Nahrung  gar  nicht. 
Der  Stuhl  wurde  diarrhoisch  und  bei  grösseren  Quantitäten  Nahrung 
trat  Erbrechen  auf.  Erst  nach  2  Monaten  wurde  Fleisch  besser 
vertragen  und  gekochtes  Fleisch  vollkommen  verdaut;  rohes  Fleisch 
dagegen  und  das  Bindegewebe  wurde  auch  jetzt  noch  schlecht  verdaut. 

134)  Gastrectomia  partialis  cardiaca. 

Die  Excision  der  kranken  Cardia,  von  Mikulicz  und 
BERNAYS  mit  unglücklichen  Ausgang  gemacht,  wird  von  H ART- 
MANN als  eine  schlechte  Operation  verworfen.  A  priori  wäre  nicht 
einzusehen,  warum  man  nicht  ebensogut  die  Cardia  allein,  wie  den 
ganzen  Magen  reseciren  soll.  Denn  wenn  man  den  Oesophagus 
mit  dem  Duodenum  oder  Jejunum  vernähen  oder  mittelst  Murphy 
vereinigen  kann,  so  muss  es  auch  möglich  sein,  denselben  in  den 
Magen  einzusetzen.  Bei  den  Schwierigkeiten  der  Naht  dürfte  es 
sich  kaum  empfehlen,  nach  Art  der  RYDYGiER-BiLLROTH'schen 
Methoden  bloss  eine  partielle  Naht  zu  machen  und  in  den  offenen 
Rest  den  Oesophagus  mit  den  Gefahren  einer  Y-Stelle  einzunähen, 
sondern  man  wird  sich  des  Analogon  der  von  mir  geübten  Methode 
bedienen,  d.  h.  den  Magen  durch  Occlusivnaht  verschliessen  und  den 
Oesophagus  in  eine  eigene  Oeffnung,  sei  es  einnähen  oder  mittelst 
MuRPHY-Knopf  einfügen. 

Was  die  Schwierigkeit  dieser  Operation  gegenüber  der  Total- 
excision  ausmacht,  das  ist  die  zu  weite  Wucherung  des  Krebses 
nach  dem  Oesophagus  hin.  Eine  Anzahl  Cardiacarcinome  bieten 
die  Symptome  einer  Oesophagusstenose  dar,  entwickeln  sich  wie 
diese  lange  Zeit  schleichend  und  symptomlos,  und  wenn  die  Diagnose 
gemacht  wird,  so  ist  die  Ausbreitung  nach  oben  schon  eine  viel 
weiter  gediehene  als  bei  diffusem  Magencarcinom,  das  doch  in  der 
Regel  von  unten  herauf  nach  der  Cardia  heraufwuchert. 


Abdomen. 


337 


Wir  stehen  also  beim  Cardiacarcinom  gewöhnlich  schon  an  der 
für  die  Totalexcision  gezogenen  Grenze,  wo  wir  nicht  mehr  ein  ge- 
nügendes Stück  Oesophagus  isoliren  können  oberhalb  des  kranken 
Gewebes,  um  dasselbe  zur  Vereinigung  zu  benutzen. 

W.  Levy  hat  die  Frage  der  Resectio  cardiae  einer  ein- 
gehenden Prüfung  unterworfen.  Er  stellt  fest,  dass  die  N.  vagi  vor 
und  hinter  der  Cardia  nach  den  Untersuchungen  von  Krehl  ohne 
Schaden  durchschnitten  werden  können.  Er  macht  wie  Hartmann 
die  Ligatur  der  Coronargefässe  vorweg  und  vereinigt  nach  Maass- 
gabe der  Durchschneidung  den  Oesophagus  direct  mit  dem  Magen. 
Dann  hat  Levy  den  Oesophagus  am  Halse  durchgeschnitten  und 
den  unteren  Theil  durch  eine  Magenfistel  herausgezogen.  Biondi 
und  Krukenberg  haben  weitere  Versuche  gemacht.  Letzterer  drang 
von  der  Abdominalhöhle  stumpf  durch  die  Zwerchfellöffhung  durch, 
löste  die  Cardia  vom  Zwerchfell  und  zog  bis  8  cm  Speiseröhre  ins 
Abdomen  herab.  Er  legte  zwischen  Oesophagus  und  Magen  die 
Naht  an,  während  Levy  einen  MuRPHY-Knopf  verwendet  hatte. 

K.  macht  einen  Schnitt  entlang  dem  Rippenbogen  weiter  nach 
links  als  rechts,  schneidet  längs  auf  die  Cardia  ein  und  geht  stumpf 
in  das  Bindegewebe  über  die  Muskelschicht  in  die  Tiefe,  wodurch 
er  Vagi,  Sympathicusäste  und  Coronargefässe  abhebt,  bis  er  die 
Cardia  umgreifen  kann.  Dann  geht  der  Finger  in  derselben  Schicht 
durch  die  Zwerchfellöffnung  des  Oesophagus  entlang  nach  oben, 
bis  dieser  herabgezogen  werden  kann.  Dann  folgt  Abtragung  und 
Naht. 

Wie  ersichtlich,  beziehen  sich  die  Versuche  Krukenberg's  mehr 
auf  Krebse  der  untersten  Oesophagustheile  als  auf  die  Cardia. 

135)  Gastroplastik. 

Albert  machte  1898  Mittheilung  über  einen  Gedanken  von 
NlCOLADONl,  einen  Ersatz  des  Magens  durch  das  Colon  transversum 
betreffend.  Das  Mittelstück  desselben  sollte,  an  seinem  Mesocolon 
hängend,  in  die  durch  circuläre  Magenresection  entstandene  Lücke 
eingesetzt  und  der  Darm  dann  wieder  vernäht  werden.  Die  Idee 
ist  nicht  ungereimt.  Das  Colon  lässt  sich  in  fast  normaler  Ver- 
bindung mit  den  ernährenden  Gefässen  in  dieser  Weise  trans- 
plan tiren,  und  es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  man  das  grosse  Netz 
durch  Zurückschlagen  und  Herüberschlagen  über  den  Magen  von 
vorne  oben  herüber  und  nach  hinten  herunter  zur  Verstärkung  und 
Sicherung  der  Naht  verwenden  würde. 

Reerink  in  seiner  experimentellen  Arbeit  über  Transplantationen 
am  Magen  weist  auf  die  Versuche  von  Senn  ,  welcher  zuerst 
methodisch  Netzstücke  zur  Nahtsicherung  empfahl,  auf  die  Fälle 
von  Braun  und  von  Bennet  mit  Verschluss  von  Magenöffnungen 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  22 


or>g  Specielle  Operationslehre. 

durch  Netzpfröpfe  und  auf  Tietze's  Versuch  mit  Netzplastik  hin, 
derer  wir  schon  einleitend  gedacht  haben,  ebenso  von  Enderlein. 
Dann  schildert  R.  die  Resultate  der  Versuche,  ein  aufgeschnittenes 
Stück  des  Colon  transversum  in  einen  Defect  des  Magens  einzuheilen, 
was  vollständig  gelang,  wenn  der  Darm  mit  dem  Mesocolon  in  un- 
gestörtem Zusammenhang  blieb.  Die  eingenähten  Darmstücke  blieben 
zunächst  erhalten  und  functionirten  weiter.  Andererseits  hat  man  auf 
der   transplantirten   Darmschleimhaut    Geschwürsbildung   beobachtet. 

Hypochondrium. 

136)  Die  Chirurgie  der  Gallen  wege. 

Die  Indicationen  zu  Operationen  an  der  Gallenblase  werden 
sehr  verschieden  gefasst.  Die  Hauptindication  bildet  die  Chole- 
lithiasis,  und  diejenigen  Chirurgen  fahren  weitaus  am  besten,  welche 
bei  jeder  Cholelithiasis  ohne  weiteres  die  Operation  für  indicirt  halten. 
So  erhält  man  schöne  Resultate  und  es  ist  zweifellos,  dass  eine  Be- 
seitigung der  Steine  in  der  Gallenblase  wie  in  anderen  Organen  nur 
auf  diese  Weise  rasch  und  sicher  zu  bewerkstelligen  ist.  Wir 
würden  aber  doch  nicht  so  weit  gehen,  zu  sagen,  die  Gallensteine 
„gehören"  dem  Chirurgen.  Sie  gehören  zunächst  dem  Patienten  und 
wenn  er  vorzieht,  sie  zu  behalten  und  Karlsbader  Wasser  dazu  zu 
trinken,  so  ist  das  sein  Recht,  das  bekanntlich  auch  von  sehr 
operationslustigen  Chirurgen  in  Anspruch  genommen  wird,  wenn 
sie  selber  Gallensteine  bekommen.  Und  wenn  ein  Patient  es  darauf 
ankommen  lassen  will,  die  Steine  per  vias  naturales  sich  unter  Qual 
und  Schmerz  durcharbeiten  zu  lassen,  so  ist  das  ebenfalls  sein 
Privatvergnügen.  Aber  dazu  hat  der  Chirurg  gegenwärtig  sicherlich 
das  Recht,  einem  Patienten  mit  Gallensteinen  zu  sagen,  dass  er  durch 
Operation  rasch  und  sicher  von  seinem  Leiden  geheilt  und  rascher 
und  sicherer  vor  späteren  Gefahren  bewahrt  werden  könne,  als  mit 
jeder  anderen  Behandlung. 

Wie  bei  den  Operationen  am  Processus  vermiformis,  so  ist  auch 
bei  der  Operation  an  der  Gallenblase  wünschenswerth,  „ä  froid"  zu 
operiren,  d.  h.  sich  nicht  im  Stadium  acuter  Einklemmung  oder  acuter 
Entzündung  zu  entschliessen,  vorausgesetzt,  dass  keine  dringende 
Indication  vorliegt.  Dieselbe  ist  nun  freilich  öfter  vorhanden  und 
in  diesem  Falle  soll  auch  ohne  Zögern  eingegriffen  werden. 

Wo  man  aber  abwarten  kann  oder  muss,  da  ist  besonders  zu 
beachten  —  und  da  ist  die  Analogie  mit  der  Perityphlitisoperation 
eine  vollkommene  —  dass  man  nicht  im  Intermediärstadium  die 
Operation  mache,  sondern  eine  Entzündung  auch  völlig  ablaufen 
lasse.  Sonst  findet  man  die  Verwachsungen  stärker  als  im  ersten 
acuten  Stadium   und    doch  die  Wand  noch  relativ  brüchig,    verdickt 


Abdomen.  otq 

und  zu  Naht-  und  Ligaturanlage  wenig  geeignet.  Also  sofort 
operiren  im  Anfangsstadium  oder  dann  nach  völliger  Rückbildung 
entzündlicher  Complicationen. 

Die  Schnittführung  zur  Freilegung  der  Gallenblase  und 
Gallenwege  muss  eine  verschiedene  sein,  je  nach  Schwierigkeit  des 
Falles  auch  grösser  oder  kleiner.  Für  die  Freilegung  der  Gallenblase 
in  den  gewöhnlichen  Fällen  will  Mayo  Robson  den  Längsschnitt 
am  Rectusrand  vorgezogen  wissen,  weil  Nerven  und  Gefässe  besser 
geschont  werden  als  bei  Schrägschnitt  unter  und  parallel  dem  Rippen- 
rand. Letzterer  Schnitt,  welchen  wir  stets  benutzt  haben,  giebt  aber 
viel  besseren  Zugang,  und  da  man  nicht  immer  voraussehen  kann, 
ob  ein  Fall  nicht  grössere  Schwierigkeiten  bieten  wird  und  da  es  oft 
wünschenswerth  ist,  genaue  Untersuchung  auch  der  Gallengänge 
machen  zu  können,  so  ziehen  wir  den  Schrägschnitt,  obschon  er 
nicht  ganz  in  die  Spaltungsrichtung  fällt,  vor.  Dabei  ist  es  in  der 
Regel  wünschenswerth,  den  Rectus  abdominis  ergiebig  einzuschneiden. 
Allein  da  man  bei  sorgfältigem  Vorgehen  die  Nerven  schonen  und 
bei  Seite  ziehen  kann,  so  schafft  man  dadurch  bloss  eine  neue 
Inscriptio  tendinea,  ohne  die  Function  des  Muskels  zu  beeinträchtigen. 

137)  Cholecystotomie  (Fig.  103). 

Die  von  Bernays  sog.  ideale  Cholecystotomie,  die 
Cholecystendysis  nach  Courvoisier,  ist  eine  höchst  einfache, 
sichere  Operation.  Da  die  interne  Medicin  die  Cholelithiasis  nicht 
zu  heilen  vermag,  weil  keine  Mittel  vorhanden  sind,  die  Steine  auf- 
zulösen, vielmehr  alle  ihre  Bestrebungen  bloss  auf  Linderung  der 
Schmerzen  ausgehen  können,  bis  sich  die  Natur  durch  Durchzwängen 
des  Steins  durch  die  engen  Gallenwege  in  den  Darm  selber  geholfen 
hat,  so  kann  man  für  die  Anfangsstadien  der  Cholelithiasis  diese 
Form  von  operativer  Behandlung  allerdings  als  ideal  bezeichnen,  da 
ohne  jeglichen  bleibenden  Schaden  oder  Nebenverletzung  der  Patient 
mit  einem  Schlage  von  seinem  Leiden  befreit  wird.  Bei  dieser 
Operation  kann  man  einen  relativ  kleinen  Bauchdeckenschnitt  be- 
nutzen. Bei  Katarrh  und  Entzündung  darf  die  einfache  Chole- 
cystotomie nicht  gemacht  werden.  Auch  muss  man  sicher  sein,  dass 
die  Gallenwege  durchgängig  sind. 

Schräger  Querschnitt  4 — 6  cm  unterhalb  des  Rippenrandes, 
10  cm  lang.  Derselbe  beginnt  auf  der  Wölbung  des  Rectus  ab- 
dominis, trennt  Haut,  Fascia  superficialis  und  die  Fascie  des  Ob- 
liquus  abdominis  externus;  diese  ist  vor  dem  Rectus  mit  derjenigen 
des  Obliquus  internus  vereinigt.  Darunter  erscheint  der  Rectus, 
dessen  Rand  durchgeschnitten  wird  unter  event.  Ligatur  der  A.  epi- 
gastrica  superior  unter  dessen  lateralem  Rande  und  verschiedener 
Muskelgefässe.     Im    seitlichen    Winkel    wird    der    M.    obliquus    ab- 

22* 


34© 


Specielle  Operationslehre. 


Fig.  103.    I.  Cholecystotomie  *).    2.  Lig.  art.  circumflexae  ilii  (N.  cutaneus  femoris 
externus).  3.  Lig.  art.  iliacae  communis  (N.  cruralis).  4.  Lig.  art.  femoralis  communis. 

1)  Der  Schnitt  für  die  Cholecystotomie  ist  für  einen  schwierigen  Fall  so 
gross  angegeben.  Für  leichte  Fälle  benutzt  man  bloss  die  halbe  Länge  des 
Schnittes,  dessen  Mitte  stets  am  besten  auf  den  Rand  des  Rectus  fällt. 


Abdomen. 


341 


dominis  externus,  darunter  und  medianwärts  der  Obliquus  internus 
eingeschnitten.  Unter  ihm  streben  die  Ausläufer  der  Intercostal- 
nerven  schräg  einwärts  gegen  den  Rectus  zu.  Dieselben  sollen 
nicht  durchschnitten  werden,  weil  sonst  beschränkte  Lähmung  des 
Rectus  eintritt,  sondern  können  —  da  sie  sehr  dehnsam  sind  —  nach 
oben  und  unten  verschoben  werden.  Schwächere  Rami  perforantes 
dieser  Nerven  liegen  schon  auf  der  ersten  Fascie.  Der  M.  transversus 
geht  mit  seinen  Fasern  bis  unter  den  Rectusrand,  und  seine  Fascie 
geht  mit  der  tiefen  des  Obliquus  int.  vereinigt  hinter  dem  Rectus 
zur  Linea  alba. 

Unter  den  Muskeln  erscheint  die  Fascia  transversa  mit  querer 
Faserung,  und  nach  ihrer  Trennung  das  Peritoneum.  Ist  letzteres 
gespalten,  so  kann  man  die  Gallenblase  sehen  und  herausheben,  wenn 
sie  verlängert  und  vergrössert  ist.  Auf  ihrer  medialen  Seite  liegt 
der  Pylorustheil  des  Magens,  auf  der  lateralen  das  Colon,  oft  liegt 
Netz  vor,  das  nach  abwärts  geschoben  werden  muss.  Sehr  häufig 
ist  das  Netz  mit  der  Gallenblase  verwachsen. 

Das  weitere  Vorgehen  ist  abhängig  von  der  Indication  und  von 
dem  Befunde  bei  der  Operation.  Findet  man  die  Gallenblasenwand 
normal  und  wünscht  man  deshalb,  bloss  den  Inhalt,  speciell  Steine 
aus  derselben  zu  entfernen,  so  zieht  man  die  Gallenblase  in  die  Wunde 
herein  und  fixirt  sie  daselbst  mittelst  Klemmpincetten  verlässlich, 
während  man  die  Umgebung  durch  sterile  Gazetupfer  vor  Ver- 
unreinigung schützt  und  jedes  Eindringen  von  Galle  ins  Peritoneum 
dadurch  unmöglich  macht.  Die  Gallenblase  wird  mit  2  unserer 
Hakenarterienklemmen  verlässlich  am  Grunde  gefasst,  weil  man  sie 
bloss  so  sicher  ohne  Einfliessen  der  Galle  in  das  Peritoneum  ent- 
leeren und  nachher  eine  sichere  Naht  anlegen  kann.  Man  spaltet 
den  Blasengrund,  entleert  den  flüssigen  Inhalt  und  räumt  die  festen 
Bestandtheile  aus  mit  Löffel  und  Zangen.  Dabei  muss  ganz  be- 
sonders darauf  gesehen  werden,  dass  nicht  Steine,  welche  im  Ductus 
cysticus  hinter  Falten  versteckt  sind,  vergessen  bleiben.  Man  muss 
gelegentlich  mit  langen  Zangen  sehr  weit  eindringen  und  holt  noch 
tiefliegende  Steine  heraus.  Man  benutzt  sehr  zweckmässig  lange 
stumpfe  oder  rechtwinklig  abgebogene  Löffel  zur  Extraction.  Wir 
haben  vor  Kurzem  bei  einem  Collegen,  dessen  Gallenblase  bloss 
daumendick  war  und  ca.  4  cm  über  die  Leber  hervorragte,  43  mittel- 
grosse, rosenkranzförmig  bis  in  das  tiefste  Ende  des  Cysticus  an 
einander  gereihte  Gallensteine  herausgeholt  aus  einer  Tiefe  von 
14  cm.  Danach  legt  man  wie  am  Darm  eine  doppelreihige  Naht  an, 
deren  tiefe  Schicht  die  ganze  Wand  fasst,  während  die  oberflächliche 
Reihe  die  Serosaflächen  an  einander  legt  und  versenkt  die  Blase. 
Die  Faden  schneiden  die  Schleimhaut  durch  und  bleiben  ohne 
Schaden  der  Serosa  liegen. 


342  Specielle  Operationslehre. 

138)  Cholecystektomie. 

Langenbuch's  Operation  soll  zur  Zeit  bloss  gemacht  werden, 
wenn  die  Blasenwand  erkrankt  und  daher  anzunehmen  ist,  dass  das 
Lumen  im  günstigsten  Falle  obliteriren  werde,  im  ungünstigen  wegen 
der  Production  von  Eiter  und  Schleim  zu  neuen  Ablagerungen  und 
bedenklichen  Entzündungen  führen  werde.  Wir  empfehlen  aber 
auch  in  diesem  Falle  die  Excision  der  Gallenblase  bloss  für  den 
Fall,  dass  der  Ductus  cysticus  gut  fühlbar  und  nicht  wesentlich  ver- 
ändert ist,  so  dass  man  hoffen  darf,  dass  eine  um  denselben  gelegte 
Ligatur  nicht  durchschneide,  sondern  sicheren  Verschluss  biete.  Die 
Operation  der  Wahl  ist  die  Cholecystektomie  bei  Neubildungen  der 
Blase. 

Zur  Excision  wird  die  Serosa  auf  der  höchsten  Wölbung  der 
Blase  gespalten  parallel  dem  Leberrande  und  zwischen  diesem  und 
der  Blase  subserös  stumpf  eingegangen,  um  letztere  von  der  Leber 
zu  lösen  bis  zum  Ductus  cysticus.  Grössere  Gefässe  werden  bei 
dieser  Ablösung  unterbunden,  hauptsächlich  muss  die  Arteria  vesicae 
felleae  bei  Isolirung  des  Ductus  an  dessen  Oberfläche  isolirt  unter- 
bunden werden.  Dann  legt  man  um  den  Ductus  eine  doppelte 
Ligatur,  falls  seine  Wand  resistenter  ist,  nach  vorheriger  Anlegung 
einer  Presszange,  schneidet  durch  und  betupft  den  Stumpf  mit  dem 
Thermocauter,  falls  eine  infectiöse  Entzündung  vorlag.  Die  nach 
Lösung  der  Blase  von  der  Leberunterfläche  kommende  Blutung  ist 
meistens  durch  Tamponade  leicht  zu  stillen.  Der  seröse  Sack,  der 
nach  Auslösung  der  Blase  übrig  bleibt,  wird  durch  eine  fortlaufende 
Naht  zusammengefaltet  und  geschlossen. 

Der  Wegfall  der  Gallenblase  hat  in  den  von  mir  operirten 
Fällen  nie  den  geringsten  Nachtheil  gezeigt.  Die  Patienten  blieben 
von  ihren  Beschwerden  befreit.  Dagegen  hat  der  Wegfall  der 
Gallenblase  den  Nachtheil,  dass  für  den  seltenen  Fall,  dass  sich  doch 
noch  Gallensteine  bilden,  welche  den  Choledochus  verlegen  oder 
wenn  letzterer  durch  Entzündung  sich  verengert,  die  Ableitung  der 
Galle  durch  eine  weitere  Operation  sehr  erschwert  ist. 

139)  Cholecystostomie. 

Lässt  sich  im  Gegensatz  zu  obiger  Annahme  der  Ductus  nicht 
sicher  fühlen  oder  erscheint  derselbe  ebenfalls  dilatirt,  verdickt  und 
erheblich  verändert,  so  wird  die  Ligatur  desselben  unsicher,  weil  sie 
durchschneiden  kann  unmittelbar  oder  zu  früh  nach  der  Operation 
und  weil  man  sie  nicht  so  tief  anlegen  kann,  dass  man  nicht  doch 
eine  Höhle  zurückzulassen  riskirt,  in  welcher  sich  wieder  Steine  bilden 
können.  Für  diesen  Fall  ist  die  Cholecystostomie  das  richtige  Ver- 
fahren. Dieselbe  ist  ferner  indicirt,  wenn  man  des  freien  Abflusses 
der  Galle  in  den  Darm  nicht  sicher  ist;  ebenso  wenn  ein  infectiöser 


Abdomen. 


343 


Inhalt  nicht  bloss  aus  Gallenblase,  sondern  auch  aus  den  Gallen  wegen 
zu  entleeren  ist.  Viele  Chirurgen  machen  den  ausgedehntesten  Ge- 
brauch von  dieser  Operation,  weil  sie  der  Drainage  der  Gallen wege  eine 
grosse  Bedeutung  beilegen. 

Die  Blase  wird  in  die  Wunde  eingenäht  mit  4  bis  6  Nähten, 
welche  die  Fascie  mit  Parietalperitoneum  einerseits  und  die  Serosa 
mit  Muscularis  der  Blase  andererseits  fassen;  die  übrige  Wunde 
wird  zugenäht  in  der  Tiefe  durch  eine  Fascien-Peritonealnaht,  im 
übrigen  ganz  oder  im  Umkreis  der  eingenähten  Blase  offen  gelassen ; 
in  die  letztere  wird  ein  Glasdrain  eingeführt  und  mit  einer  Jodoform- 
gaze umgeben.  Die  Vorschrift,  die  Wundränder  der  Gallenblase 
nicht  an  die  Haut,  sondern  bloss  an  die  Fascie  zu  nähen,  ist  be- 
sonders zu  betonen,  weil  damit  die  Fistelbildung  leichter  vermieden 
wird.    BLOCH  operirt  zweizeitig,  was  bloss  ausnahmsweise  nöthig  ist. 

Die  Cholecystostomie  ist  die  sicherste  und  einfachste  aller 
Operationen  zur  Beseitigung  der  Gallensteine.  Sie  bedingt  aber 
eine  erheblich  verlängerte  Wundheilung  (6  Wochen  gegen  8  Tage 
der  früher  geschilderten  Cholecysto-  und  Cholecystektomie),  bedingt 
wegen  der  Zerrung  der  Leber  erheblich  grössere  Beschwerden 
nach  der  Operation  und  führt  doch  gewöhnlich  zur  Obliteration 
der  Gallenblase,  wenn  dieselbe  entzündet  war.  Keineswegs  selten 
bleiben  Fisteln  dauernd  zurück  (Mayo  Robson  constatirte  dies  in 
189  seiner  Fälle  14  Mal). 

140)  Choledocholithothripsie. 

Neue  Indicationen  erwachsen  dem  Chirurgen,  sobald  Gallen- 
steine sich  im  Choledochus  eingekeilt  haben.  Hier  ist  die 
Prognose  der  Operation  ungünstiger  dadurch,  dass  man  es  mit 
icterischen  Patienten  zu  thun  hat  und  lange  bestehender  Icterus  eine 
höchst  bedenkliche  hämorrhagische  Diathese  herbeiführt.  Es  muss 
bei  allen  Fällen  von  länger  dauerndem  Icterus  ganz  besonders  be- 
tont werden,  bei  der  Incision  der  Bauchwand  die  sorgfältigste  Blut- 
stillung zu  machen,  da  tödtliche  Nachblutung  selbst  aus  kleineren 
Gefässen  erfolgen  kann.  Mayo  Robson  empfiehlt  zu  deren  Ver- 
hütung nach  Wright,  während  einiger  Tage  vor  der  Operation  den 
Gebrauch  von  Chlorcalcium  zu  2,0  alle  4  Stunden.  Sehr  verschieden- 
werthige  Methoden  der  chirurgischen  Behandlung  stehen  uns  in 
derartigen  Fällen  zu  Gebote.  Das  nächstliegende  Verfahren  ist  die 
Entfernung  der  Steine  durch  Schnitt  oder  durch  Zertrümmerung 
ohne  Eröffnung.  Die  Choledocholithothripsie  mit  den  Fingern 
oder  mit  einer  Zange  oder  Lithothriptor  ist  ein  vorzügliches  Ver- 
fahren, das  wir  mit  als  einer  der  ersten  benutzt  haben  mit  völligem 
Erfolg,  allein  es  lässt  sich  bloss  in  sicherer  Weise  durchführen,  wenn 
der  Stein  besonders  weich  und  gut  zu  fassen  ist. 


344  Specielle  Operationslehre. 

141)  Choledocholithotomie. 

Die  Choledochotomie,  1884  von  Langenbuch  empfohlen,  von 
Kümmel  zuerst  ausgeführt,  besteht  in  Spaltung-  des  Ganges  mit  dem 
Messer  und  Anlegung  einer  Naht.  Dieses  Verfahren  soll  bloss  in 
denjenigen  Fällen  Anwendung  finden,  wo  man  der  Anlage  einer 
exacten  Naht  völlig  sicher  ist,  d.  h.  wo  der  Choledochus  sich  gut 
zugänglich  machen  lässt,  so  dass  man  ihn  ober-  und  unterhalb  com- 
primiren  kann  und  eine  fortlaufende  feine  Seidennaht  so  anlegen 
kann,  dass  man  des  völligen  Verschlusses  ganz  sicher  ist.  Elliot 
legt  die  Naht  vor  Entfernung  des  Steins  an.  Im  Zweifelfalle  ist  es 
gerathen,  sich  nicht  zu  sehr  auf  die  Naht  zu  verlassen,  sondern  einen 
Xeroformtampon  bis  zur  Nahtstelle  und  daneben  einen  Drain  ein- 
zuführen (Mayo  Robson  führt  denselben  durch  eine  eigene  Oeff- 
nung  in  der  Lendengegend)  und  die  Bauchnaht  nicht  völlig-  zu 
schli  essen. 

Der  Weg  zum  Choledochus  wird  nach  Mayo  Robson's 
Rath  dadurch  wesentlich  erleichtert,  dass  man  die  obere  Lenden- 
gegend durch  ein  Kissen  hochhebt  und  so  eine  Lordose  der  Wirbel- 
säule bewirkt.  Langenbuch  will  entweder  entlang  der  Gallenblase 
den  Finger  ins  Foramen  WlNSLOWll  einführen,  das  Lig.  hepatico- 
duodenale  emporheben  und  das  Peritoneum  gehörig  spalten.  Lieber 
benutzt  er  einen  Zug  am  Pylorus,  um  die  Pars  horizontalis  duodeni 
freizumachen  und  mit  dem  untergeschobenen  Finger  die  Pars 
descendens  duodeni  sammt  Pankreas  emporzuheben  bis  vor  den 
Bauchschnitt.  So  könne  man  bis  zu  dem  in  der  Hinterwand  des 
Duodenum  gelegenen  Choledochusabschnitt  die  Steine  excidiren. 

Mayo  ROBSON  anerkennt  für  diese  Operation  die  Vorzüge  des 
von  mir  geübten  Schrägschnittes,  welchen  man  recht  lang  machen 
muss,  d.  h.  bis  zur  Mittellinie  unter  Spaltung  des  Rectus  in  ganzer 
Breite. 

142)  Cholecystenterostomie. 

In  den  zahlreichen  Fällen,  wo  die  Steine  so  liegen,  dass  man  sie 
bloss  mit  Mühe  fühlen  kann,  wo  der  Choledochus  nicht  so  stark  er- 
weitert ist,  dass  eine  gute  Naht  an  demselben  nach  Eröffnung  sich 
anbringen  Hesse,  steht  man  besser  von  der  Choledochotomie  ab  und 
leitet  die  Galle  auf  Umwegen  ab.  Dies  ist  freilich  nur  in  den  Fällen 
leicht  möglich,  wo  die  Gallenblase  noch  vorhanden  ist  und  nicht  bei 
zu  langer  Dauer  des  Verschlusses  (Courvoisier)  geschrumpft  und 
obliterirt  ist,  und  wo  auch  der  Ductus  cysticus  durchgängig  ist.  Nun 
ist  gerade  bei  Steinen  im  Choledochus  die  Gallenblase  geschrumpft, 
so  das  Mayo  Robson  mit  Courvoisier  Gelbsucht  mit  Ausdehnung 
der  Gallenblase  als  ein  Zeichen  von  Choledochusverschluss  durch 
malignen  Tumor  betrachtet. 


Abdomen. 


345 


Die  Galle  aus  dem  Ductus  hepaticus  durch  den  cysticus  und  die 
Gallenblase  wird  so  abgeleitet,  dass  man  die  Cholecystostomie 
macht  in  der  oben  geschilderten  Weise  und  eine  äussere  Gallenfistel 
anlegt,  bis  der  Stein  aus  dem  Choledochus  in  den  Darm  abgegangen 
ist,  oder  dass  man  eine  innere  Gallenfistel  anlegt  durch  die  Chole- 
cystenterostomie,  die  von  Winiw arter  erfunden  und  von  ihm  und 
Kappeler  mit  Erfolg  ausgeführt  worden  ist.  Sie  wird  am  besten  in 
der  Form  der  Cholecystoduodenostomie,  sonst  der  Cholecystojejuno- 
stomie  gemacht,  im  Nothfalle  der  Cholecystocolostomie.  Das  beste 
Verfahren  zu  ihrer  Ausführung  ist  die  Benutzung  des  Murphy- 
Knopfes  kleinen  Calibers.  Derselbe  hat  sich  hier  wegen  der 
relativen  Raschheit  und  Leichtigkeit  der  Ausführung  am  meisten 
bewährt  und  giebt  alle  gewünschte  Sicherheit  rascher  Heilung.  Die 
Wand  der  Gallenblase  ist  relativ  dünn  und  lässt  sich  durch  den 
Knopf  leicht  verlässlich  anpressen. 

Die  Cholecystenterostomie  ist  ein  ungleich  besseres  Verfahren 
als  die  Cholecystostomie,  weil  sie  einen  sofortigen  Schluss  der  äusseren 
Wunde  zulässt  und  den  Patienten  von  den  erheblichen  Unannehm- 
lichkeiten einer  äusseren  Gallenfistel  entbindet  und  ganz  besonders 
den  hochgradigen  Gallenverlust  der  letzteren  verhütet.  Sie  ist  daher 
durchaus  vorzuziehen,  wo  deren  Ausführung  möglich  erscheint.  Die 
Verbindung  mit  dem  Jejunum  ist  leichter  herzustellen  als  die  rationellere 
Verbindung  mit  den  Duodenum.  Selten  kommt  man  in  die  Lage, 
eine  Choledochenterostomie  zu  machen. 

Duodenocholedochotomie. 

Pantaloni  verdanken  wir  eine  vortreffliche  Zusammenstellung 
der  verschiedenen  Operationen,  mittelst  welcher  man  unter  Er- 
öffnung des  Duodenum  sich  den  Ductus  choledochus  zugänglich  ge- 
mach that.  Pantaloni  unterscheidet  eine  Lithectomie  choledochienne 
per  voie  duodenale  und  eine  Choledochotomie  transduodenale. 

143)  Lithotomia  transduodenalis. 

Die  erstere  Operation  ist  1891  von  MC  Burney  zuerst  ausge- 
führt, dann  von  Czerny,  Mayo  Robson  und  ist  bis  Ende  1899 
schon  20  mal  mit  2  Todesfällen  gemacht  worden.  Es  ist  jedenfalls 
wünschenswerth,  hier  sehr  guten  Zugang  zu  schaffen  und  die  von 
mir  gewählte  Form  eines  nach  links  und  unten  convexen  Schnittes 
mit  medianem  senkrechtem  Schenkel  und  unten  transversalem  Schenkel 
durch  den  rechten  Rectus  abdominis,  wie  sie  auch  Pozzi  ähnlich 
benutzte,  dürfte  empfehlenswerth  sein. 

Das  Duodenum  wird  mit  dem  untergeschobenen  Zeigefinger 
emporgehoben  und  wo  möglich  mit  ihm  das  unterste  Ende  des 
Choledochus  mit  dem  Stein,  während  Zeigefinger  und  Daumen  oben 


346  Specielle  Operationslehre. 

und  unten  den  Darm  verschliessen  und  festhalten.  Wir  eröffnen 
dasselbe  mit  Querschnitt,  weil  wir  einen  den  Darmgefässen  parallelen 
Schnitt  für  rationeller  halten 1).  Jetzt  ist  zu  entscheiden,  ob  man  von 
der  Oeffnung  des  Choledochus  den  Stein  extrahiren  kann  mit  oder 
ohne  Incision  der  VATER'schen  Ampulle. 

Nach  Colins,  welcher  im  Gegensatz  zu  Mc  Burney  die  Papille 
nicht  aufschlitzt,  sondern  bloss  erweitert,  sitzt  dieselbe  an  der  Grenze 
von  hinterer  und  medialer  Wand,  3  cm  unter  einem  Schleimhautwulst 
3  cm  unter  dem  Winkel  zwischen  Pars  horiz.  sup.  und  descendens 
duodeni.  Er  führt  eine  Sonde  und  danach  eine  gezähnte  Zange  (am 
besten  wohl  eine  unserer  Arterienklemmen)  ein  und  extrahirt  den 
Stein.  Mc  Burney  spaltet  nach  Einführung  einer  Sonde  die  Oeffnung 
1  cm  weit,  drückt  den  Stein  von  hinten  heraus  und  sondirt  den 
Canal.  da  sich  recht  oft  multiple  Steine  finden,  welche  übrigens  auch 
von  aussen  her  durch  Druck  auf  den  Gang  sich  herabschieben  lassen. 

Ausfliessende  Galle  wird  durch  eingelegte  Gazecompressen  auf- 
genommen. Das  Duodenum  wird  in  üblicher  Weise  durch  2  fort- 
laufende Seidennähte  verschlossen.  Ist  das  Peritoneum  nicht  ver- 
unreinigt worden,  so  wird  die  Bauchwunde  geschlossen ;  gelegentlich 
ist  Drain  und  event  ein  Gazestreifen  (Xeroform)  einzulegen. 

144)  Choledochotomia  transduodenalis. 

In  Fällen,  wo  sehr  grosse  Steine  im  unteren  Theile  des  Chole- 
dochus eingekeilt  sind ;  ferner  wo  sie  nicht  ganz  unten  sitzen,  aber 
ein  Zugang  von  aussen  wegen  Verwachsung  zu  schwierig  ist;  ferner 
wo  der  Stein  an  einer  solchen  Stelle  fixirt  erscheint;  endlich 
wo  die  Sondirung  der  Papille  nicht  gelingt  oder  diese  nicht  zu 
finden  ist  ohne  grossen  Aufenthalt  in  der  Operation  ist  die  von  mir 
zuerst  1894  ausgeführte  Operation  am  Platze,  welche  von  Kehr  und 
Mayo  ROBSON  mit  ebenso  glücklichem  Resultate  wiederholt  worden 
ist.  Ich  hatte  zur  Zeit  meiner  Operation  noch  keine  Kenntniss  von 
dem  Mc  BuRNEY'schen  Vorgehen. 

Sie  besteht  darin,  dass  man  sich  den  hinter  den  Duodenum 
sitzenden  Stein  gehörig  fixirt  mit  den  Fingern  und  nach  Eröffnung 
des  Duodenum  gegenüber  demselben  in  oben  geschilderter  Weise 
direct  auf  den  Stein  einschneidet.  Ob  man  den  Schnitt  transversal 
oder  longitudinal  macht,  wird  abhängen  von  der  Lage  und  Form 
des  Steines.  Man  wird  in  dessen  längerer  Axe  sicherer  sein,  in 
ganzer  Länge  des  nöthigen  Schnittes  den  erweiterten  Choledochus 
der  Wand  des  Duodenum  anliegend  zu  haben. 

Wir  rathen  auch  hier,  wie  Elliot  für  die  Choledochotomie 
überhaupt,   nach   dem  Schnitt   durch   die  Wand    des  Duodenum  und 


I)  Doch  ist  natürlich  auch  ein  Längsschnitt  zulässig. 


Abdomen. 


347 


des  Choledochus  bis  auf  den  Stein  die  Wand  dieser  beiden  Canäle  mit 
Arterienklemmen ,  event.  auch  mit  Anlage  einer  Naht  wenigstens 
in  der  Mitte  zu  fassen,  um  den  Parallelismus  festzuhalten  event.  eine 
Choledochoduodenostomia  interna  zu  machen,  wie  ich  die  Operation 
getauft  hatte.  Nach  Extraction  des  Steines  ist  der  Canal,  event.  mit 
dem  Finger  zu  sondiren,  um  weitere  Steine  nicht  zu  übersehen. 

Ob  man  nun  die  ideale  Methode  macht  mit  Verschluss  der 
Oeffnung,  wozu  eine  durch  die  Dicke  des  ganzen  Wundrandes  gehende 
Naht  zu  verwenden  ist  mit  event.  nachträglicher  Schleimhautnaht, 
muss  davon  abhängen,  ob  man  sicher  ist,  dass  die  Oeffnung  der 
Papille  nicht  verengt  ist.  Im  Allgemeinen  wird  man  Vortheile 
davon  sehen,  bei  Gefahr  neuer  Steinbildung  eine  gehörige  Oeffnung 
zu  sichern.  Wird  dieselbe  nicht  benutzt,  so  wird  sie  sich  von  selbst 
wieder  verengern.  Man  wird  also  eine  circuläre  Umsäumungsnaht 
anlegen  durch  die  ganze  Dicke  beider  Canäle.  In  Kochers  und 
Kehr's  Fall,  wo  so  verfahren  wurde,  hat  sich  kein  Nachtheil  von 
allfälligem  Rückflusse  von  Darminhalt  gezeigt. 

Nach  Mayo  ROBSON  gar  keine  Naht  anzulegen,  ist  bloss  zu- 
lässig, wenn  der  Stein  im  intraparietalen  Theil  des  Duodenum  steckt 
und  nicht  weiter  oben,  d.  h.  wenn  man  sicher  ist,  dass  nicht  etwa 
infectiöse  Galle  und  Darminhalt  sich  zwischen  Duodenum  und  Chole- 
dochus infiltrirt.  Je  höher  der  Stein,  desto  weniger  wird  dies  also 
zulässig  sein,  obschon  es  das  Einfachste  ist. 

Ist  die  hintere  und  vordere  Naht  exact  angelegt,  so  bedarf  es 
keiner  Drainage,   sonst  wohl,  und  zwar  in  oben  angegebener  Weise. 

145)  Hepatotomie  und  Resectio  hepatis. 

Incision  des  Lebergewebes  wird  am  häufigsten  gemacht  bei 
Leberabscessen.  Wie  dies  ausgeführt  wird,  wenn  in  der  Leber- 
convexität  Abscesse  sitzen,  ist  bei  Besprechung  der  transpleuralen 
Incision  geschildert  und  illustrirt  worden.  Bei  Abscessen  im  unteren 
Theil  der  Leber  oder  im  linken  Leberlappen  ist  am  Rippenrand  vorne 
oder  hinten  zu  incidiren,  wo  auch  die  parahepatischen  und  sub- 
phrenischen  Abscesse  eröffnet  werden. 

Bei  Abscessen  im  linken  Leberlappen  kann  ein  Medianschnitt 
am  Platze  sein.  Wir  haben  einen  Fall  von  Verstopfung  der  Gallen- 
wege beschrieben ,  wo  sich  im  linken  Leberlappen  ein  gewaltiger 
„Gallenabscess"  entwickelte,  welcher  reine  Galle  enthielt.  Nach  seiner 
Entleerung  bildete  sich  eine  Gallenfistel,  welche  höchst  wahrschein- 
lich nach  Abgang  eines  Steines  nach  einer  Carlsbadercur  spontan  heilte. 

Was  über  Behandlung  von  Echinococcus  der  Leber  zu  sagen  ist, 
ist  in  Handbüchern  der  speciellen  Chirurgie  nachzulesen,  da  es  hier 
zu  weit  führen  würde.  Man  hat  bei  derselben  die  Methoden  der 
Marsupialisation  und  auch  der  Excision  mit  Leberresection  angewandt. 


•248  Specielle  Operationslehre. 

Keen,  welcher  schon  dreimal  mit  glücklichem  Resultat  Leber- 
tumoren zu  excidiren  in  die  Lage  gekommen  und  sehr  zuversichtlich 
über  die  Aussichten  dieser  Operation  geworden  ist,  liefert  eine  von 
Cushing  und  Down  verfasste  Zusammenstellung  von  76  Fällen  mit. 
14  Proc.  Mortalität,  ein  sehr  günstiges  Resultat.  Dieselbe  umfasst 
20  Hydatidencysten ,  17  Carcinome,  12  Syphilome.  Keen  hat  im 
letzten  Fall  den  grösseren  Theil  des  linken  Leberlappens  entfernt. 
Meistens  kam  die  Operation  in  Frage,  wenn  sich  ausschälbare  Tumoren 
oder  diffuse  Tumoren  im  Bereich  eines  Schnürlappens  oder  gegen  den 
Rand  eines  normalen  Lappens  zu  entwickelt  hatten,  wie  bei  Carci- 
nomen  der  Gallenblase  mit  Uebergreifen  auf  das  Lebergewebe. 

Die  Todesfälle,  welche  bei  Leberresection  vorgekommen  sind, 
beziehen  sich  fast  alle  auf  Blutung  und  Shok.  Embolie  und  Sepsis 
ist  bei  Keen  bloss  dreimal  verzeichnet.  Einer  meiner  Fälle  starb  in 
Folge  von  secundärem  Darmprolaps. 

Die  Blutstillung  ist  demnach  die  Kernfrage  bei  der  Operation. 
Zu  derselben  besitzen  wir  eine  Anzahl  von  experimentellen  Studien, 
von  Kusnetzow  und  Pensky,  Auvray  und  Vorschläge  von 
Cecherelli,  Bianchi,  Segale  u.  A.  Es  ist  nicht  möglich,  all- 
gemeine Regeln  aufzustellen,  da  die  Fälle  zu  verschiedenartig  sind. 
Als  gesichert  ist  zu  betrachten  das  Resultat  der  eingehenden  Versuche 
von  Kusnetzow  und  Pensky ,  dass  man  die  grossen  Venen 
des  Lebergewebes  sehr  wohl  mittelst  Umstechung  isolirt  ligiren 
kann.  Keen  hat  bei  Abtragung  des  linken  Leberlappens  mittelst 
5  Ligaturen  die  Blutung  aus  diesen  grösseren  Gefässen  verlässlich  ge- 
stillt, indem  er  bei  Trennung  und  Eintritt  starker  Blutung  den  Finger 
auf  das  Lumen  legte,  mit  Nadel  und  Catgut  die  Stelle  umstach  und 
durch  einen  Assistenten  die  Ligatur  langsam  zuschnüren  Hess. 

Sicher  ist  auch,  dass  eine  parenchymatöse  Blutung  aus 
den  kleinen  Gefässen  sich  durch  Tamponade  in  der  Regel  dauernd 
stillen  lässt.  Allein  damit  ist  noch  nicht  ausgeschlossen,  dass  man 
nicht,  bevor  die  Tamponade  verlässlich  angebracht  werden  kann> 
einen  zu  starken  Blutverlust  während  der  Trennung  des  Leber- 
gewebes in  Kauf  nehmen  muss. 

Die  Mittel,  um  die  Trennung  so  zu  gestalten,  dass  nicht  die 
Operation  vor  ihrer  Vollendung  schon  zu  erschöpfendem  Bluterguss 
führt,  sind  der  Thermocauter  mit  der  ausdrücklichen  Mahnung-, 
denselben  sehr  langsam  wirken  zu  lassen  bei  blosser  Rothglühhitze. 
Keen  welcher  sehr  glücklich  gewesen  ist  mit  seinen  Fällen,  hat 
sich  des  Thermocauters  bedient,  wo  er  nicht  einfach  enculeiren  konnte. 

Ein  für  einzelne  Fälle  völlig  sicheres  Blutstillungsmittel,  welches 
wir  benutzt  haben,  ist  die  Anlegung  von  Presszangen.  Wir 
haben  uns  der  grossen  und  kräftigen  Presszange  bedient,  welche 
wir  für  Magenresection  benutzen.     In  einem  Fall  von  Carcinom  des 


Abdomen.  -i/lq 

rechten  Leberlappens  mit  Carcinom  der  Gallenblase  war  der  Zustand 
der  Theile  durch  eine  genauere  Untersuchung  völlig  zutreffend  vor 
der  Operation  festgestellt  worden.  Es  fand  sich  die  Gallenblase  ge- 
füllt, der  Cysticus  konnte  freigelegt,  ligirt  und  durchschnitten  werden. 
An  der  Leber  traten  sofort  die  typischen  Krebsknoten  mit  tiefen 
Dellen  zu  Tage.  Starke  Verwachsungen  an  der  Unterfläche  führten 
zur  Verletzung  der  Serosa,  welche  eine  erhebliche  venöse  Blutung 
zur  Folge  hatte,  die  aber  durch  Tamponade  gestillt  werden  konnte. 
Hinter  -den  Knoten  in  der  Leber  wurde  nun  trotz  der  erheblichen 
Dicke  des  r.  Leberlappens,  der  keineswegs  von  der  übrigen  Leber 
getrennt,  aber  doch  stark  verlängert  war,  die  grosse  und  fest  zu 
schliessende  Zange  angelegt  und  die  Leber  damit  kräftig  zusammen 
gequetscht.  Die  Zange  sass  vollständig  gut  und  bewährte  sich  aus- 
gezeichnet. Die  Leber  wurde  dicht  über  der  Zange  sammt  Gallen- 
blase einfach  mit  dem  Messer  abgeschnitten. 

Die  Zange  blieb  2mal  24  Stunden  Hegen  und  konnte  dann  ohne 
weitere  Blutung  entfernt  werden.  Wir  können  demgemäss  die  An- 
wendung derartiger  Zangen  empfehlen  und  rathen ,  dieselben  mit 
aller  Kraft  zu  schliessen,  da  zwar  das  Lebergewebe  mürbe,  aber  die 
Serosa  sehr  resistent  ist. 

Die  Zange  thut  also  vorzügliche  Dienste.  Sie  hat  aber  den  grossen 
Nachtheil,  wenn  man  sie  Hegen  lässt,  dass  es  schwierig  ist,  die  Wunde 
verlässHch  zu  schliessen,  so  dass  bei  Erbrechen  Prolaps  der  Därme 
eintritt.  Dies  geschah  in  2  unserer  Fälle,  einmal  ohne  Schaden,  einmal 
mit  unglücklichem  Ausgang.  Man  muss  also  trotz  Zange  Peritoneum 
und  Fascie  darüber  schliessen  und  die  Zange  durch  eine  kleine 
Oeffhung  zu  entfernen  suchen.  Oder  man  muss  die  Zange  ersetzen, 
genau  wie  wir  dies  für  den  Magen  thun,  durch  eine  Matratzennaht 
hinter  der  Zange  (vergl.  Fig.  98)  mit  eventuellem  Uebernähen  mittelst 
fortlaufender  Naht.  Auch  bei  Anwendung  des  Thermocauter  kann 
man  einige  Serosanähte  bei  Sorge  für  keilfömige  Anlage  der  Schnitte 
anbringen.  Zur  Nachbehandlung  muss  mit  Xeroformgaze  tamponirt 
werden,  ausnahmslos  wenn  eine  nicht  vereinigte  Wundfläche  übrig 
bleibt  für  2  mal  24  Stunden  und  drainirt  wegen  Nachsickerung  von 
Blut  und  wegen  Gallenausfluss,  aber  darüber  Peritoneum  und  Fascie 
genau  vereinigt. 

Mesogastrium. 

Vom  Schwertfortsatz  bis  zur  Symphyse  benutzt  man  zur  Er- 
öffnung des  Abdomen,  wenn  keine  besondere  Indication  gegeben 
ist,  die  Medianlinie,  weil  hier  unter  der  Haut  und  Unterhaut  die 
sämmtlichen  Fascien,  mit  Ausnahme  der  Fascia  transversa,  in  eine 
einzige  Lage,   die  Linea   alba   verfilzt   sind,   deren  gute  Vereinigung 


2  co  Specielle  Operationslehre. 

durch  eine  besondere  Naht  völligen  Schutz  gegen  Hernien  gewährt. 
Wenn  man  aber  im  Bereich  des  Mesogastrium  die  Gegend  des  Nabels 
ausser  Bereich  der  Schnittlinie  lassen  kann,  ist  dies  empfehlenswerth. 
Allerdings  hilft  man  sich  jetzt  öfter  zur  Beseitigung  der  Furchen 
und  Gruben  am  Nabel  mit  der  Omphalektomie,  aber  dieselbe  ist 
unnöthig,  wenn  man  sich  auf  Reinigung  versteht,  und  man  geht  deshalb 
lieber  am  Nabel  vorbei  (links)  mit  Längsschnitt  oder  indem  man 
z.  B.  bei  Nabelhernien  oberhalb  oder  unterhalb  des  Nabels  einen 
Querschnitt  über  die  Geschwulst  macht. 

146)  Die  Radicaloperation  der  Nabelhernie. 

Die  Radicaloperation  kleiner  Hernien  bei  jüngeren  Individuen 
ist  eine  sehr  einfache  Operation.  Bei  älteren  Individuen  dagegen, 
wo  grosse  Nabelhernien  —  zumal  bei  Frauen  —  durch  Ver- 
wachsung und  Verdickung  des  Netzes  irreponibel  geworden  sind  und 
Beschwerden  machen  oder  gar  bei  Einklemmung  grosser  Nabelbrüche, 
muss  man  sich  auf  Schwierigkeiten  gefasst  machen  und  dieselben 
durch  schonendes  Vorgehen,  aber  völlige  Klarlegung  der  Verhältnisse 
zu  überwinden  suchen. 

Die  Operation  und  demgemäss  mutatis  mutandis  auch  die 
Operation  bei  Einklemmung  wird  je  nach  Entwickelung  der  Haupt- 
schwellung ober-  oder  unterhalb  des  Nabels  mit  einem  Querschnitt 
über  letzterem  durch  Haut  und  Unterhaut  ausgeführt,  um  die  Haut- 
incision  möglichst  nahe  der  Bruchpforte  anzulegen.  Der  Schnitt 
durch  die  Haut  ist  vorsichtig  zu  führen,  da  dieselbe  dünn  ist  und 
der  Bruchsack  sehr  leicht  zu  früh  ausgeschnitten  werden  kann,  weil 
er  unmittelbar  anliegt.  Der  Bruch  ist  oft  auf  der  Höhe  mit  der 
Haut  innig  verwachsen  (speciell  im  Bereich  der  Hautnabelnarbe) ;  in 
diesem  Falle  muss  die  verwachsene  Haut  umschnitten  und  mitentfent 
werden. 

Wo  keine  Verwachsung  mit  der  Haut  besteht,  kann  der  Bruch- 
sack stumpf  ohne  Schwierigkeit,  durch  Zurückstreifen  der  bedeckenden 
Weichtheile  bis  zur  Bruchpforte  freigemacht  werden,  und  erst  wenn 
man  ihn  auf  diese  Weise  gestielt  hat  und  die  Bruchpforte  allseitig 
zugänglich  hat,  wird  der  Bruchsack  sorgfältig  eröffnet;  denn  zumal 
bei  älteren  Individuen  liegen  sehr  oft  grosse  Netzklumpen  im  Bruch 
und  sind  breite  Verwachsungen  mit  dem  Körper  sowohl  als  nament- 
lich Hals  des  Bruchsackes  eingegangen. 

Die  Loslösung  des  Netzes  ist  complicirt,  wenn  dasselbe  aufgerollt 
und  geschrumpft  ist ;  trägt  man  es  nicht  ganz  peripher  ab,  so  kommt 
man  sehr  nahe  an  das  Colon  transversum.  wo  grosse  Gefässe  zu  unter- 
binden sind.  Die  Massenligatur  dieser  kann  zu  Thrombosen  und  im 
Bereich  des  Stumpfes  zu  Nekrosen  führen,  welche  bei  der  Neigung 
alter  Leute   zur  Pneumonie   nicht  unbedenklich   sind.     Es   ist  daher 


Abdomen. 


351 


gerathen,  das  durch  Fetteinlagerung  zerreissliche  Netz  sorgfältig  in 
kleine  Portionen  zu  isoliren  und  möglichst  peripher  zu  unterbinden 
und  eventuell  lieber  ein  Stück  Bruchsack  zu  umschneiden  und  mit 
dem  Netz  zu  reponiren. 

Wenn  die  Hernie  gross  ist,  reichlich  Darm  (es  ist  öfter  das  Colon 
transversum  bei  älteren  Leuten)  vorliegt  und  fettreiche  Netzklumpen, 
so  kann  es  nöthig  sein,  die  Bruchpforte  in  der  Medianlinie  nach  oben 
zu  erweitern,  um  bei  der  Reposition  nicht  zu  stark  zu  zerren  und 
zu  quetschen,  da  nach  von  ElSELSBERG's  Erfahrungen  leicht  Darm- 
blutungen auftreten  und  nach  unseren  eigenen  Erfahrungen  Nekrose 
der  Darmschleimhaut  in  Kürze  zu  Stande  kommen  kann. 

Ist  die  Reposition  gelungen,  so  ist  bei  Netzbrüchen  längeren  Be- 
standes am  gerathensten,  keine  Ligatur  um  den  Bruchsackhals  anzulegen, 
wie  man  dies  bei  Leisten-  und  Schenkelbrüchen  zu  thun  pflegt,  sondern 
den  Bruchsack  bis  nahe  an  den  wenig  geschmeidigen,  öfter  verdickten 
Bruchsackhals  abzutragen  und  eine  durch  Fascia  (Linea  alba)  und 
Peritoneum  zugleich  tief  durchgehende  Naht  anzulegen.  Am  besten 
werden  hierzu  einige  Knopfnähte  in  Entfernung  von  höchstens  1  cm 
in  der  Weise  angelegt,  dass  der  ohnehin  in  querer  Richtung  gedehnte 
Nabelring  in  einer  Querlinie  solide  verschlossen  wird.  Damit  das  Peri- 
toneum, wenn  es  gespannt  ist,  sich  nicht  zurückziehe,  trägt  man 
dasselbe  1  —  2  cm  entfernt  ausserhalb  der  Bruchpforte  ab  und  fasst 
den  dadurch  vorragend  gemachten  Saum  mit  Klemmpincetten,  um 
eine  breite  Fläche  in  die  Naht  zu  bekommen.  Die  Ränder  des 
Nabelrings  müssen  gehörig  mitgefasst  werden,  weil  sie  allein  zu- 
verlässig resistent  sind. 


Hyp  ogastrium. 

147)  Punction  des  Abdomen. 

Bei  Flüssigkeitsansammlungen  in  der  freien  Bauchhöhle,  wo  die 
Entleerung  angezeigt  ist,  macht  man  die  Punction  im  unteren  Theil 
des  Abdomen  und  zwar  in  der  Mitte  zwischen  Nabel  und  Mitte  des 
PouPART'schen  Bandes.  Diese  Stelle  hat,  wie  dies  bei  der  etwas 
weiter  abwärts  liegenden  Incision  für  Freilegung  des  Processus  vermi- 
formis auseinandergesetzt  ist,  den  grossen  Vortheil,  dass  man  einer- 
seits lateralwärts  vom  Rectusrand  bleibt,  welchem  entlang  die  Arteria 
epigastrica  inferior  verläuft,  andererseits  die  Musculatur  der  breiten 
Bauchmuskeln  vermeidet,  indem  diese  hier  mit  ihren  Fascien  gegen 
die  Rectusscheide  zusammenlaufen.  Es  ist  zweckmässig,  bei  Be- 
nutzung grosser  Trocar  zuerst  eine  kleine  Hautincision  zu  machen 
und  Trocar  zu  benutzen,  welche  wie  für  Ovariotomie  eine  innere 
Canüle  mit  stumpfem  Rand  zum  Vorschieben  haben. 


352  Specielle  Operationslehre. 

148)  Incisionen  im  Bereich  des  Hypogastrium. 

Wir  wollen  nicht  wiederholen,  was  wir  bei  den  Bemerkungen 
zur  Laparotomie  über  die  Schnittführung  im  Allgemeinen  gesagt  haben. 
Für  die  zahllosen  gynäkologischen  Operationen ,  welche  im  Bereich 
des  Hypogastrium  gemacht  werden,  wird  der  Medianschnitt  stets 
der  einfachste  bleiben.  Wie  er  zu  modificiren  ist,  wurde  dort  hervor- 
gehoben. Für  die  seitlichen  Schnitte  ergiebt  die  Betrachtung 
der  LANGER'schen  Spaltrichtungsfiguren,  dass  Schrägschnitte  median- 
wärts  absteigend  denselben  conform  sind  und-zwar  in  der  Weise,  dass 
je  mehr  man  sich  mit  den  Schnitten  der  Medianlinie  nähert,  um  so 
mehr  sich  dieselben  der  senkrechten  Richtung  nähern  müssen , 
Beispielsweise  wenn  man  die  Appendicitis-Radicaloperation  macht 
am  Rectusrand  unter  Trennung  bloss  der  Fascien  muss  man  einen 
viel  steileren  Schnitt  machen,  als  wenn  man  weiter  lateral  permusculär 
eingeht;  im  letzten  Fall  nähert  sich  der  Schnitt  mehr  der  queren 
Richtung,  welche  je  höher  gegen  den  Rippenrand  zu  um  so  mehr 
in  die  Spaltrichtung  fällt. 

Es  ist  ersichtlich,  dass  die  Schnitte,  welche  der  Spaltrichtung 
entsprechen,  wie  von  Brunn  betont,  auch  mit  dem  Verlauf  der  ober- 
flächlichsten Muskeln  und  der  Nerven  und  Gefässe  übereinstimmen,  was 
wir  oben  als  einen  Hauptvortheil  unserer  Normalschnitte  hervor- 
gehoben haben.  Ein  zweiter  Punkt,  welcher  für  die  Schnittwahl  von 
Bedeutung  ist,  ist  die  Frage,  ob  man  per-  oder  subperitoneal  vorgehen 
will.  Die  Differenz  des  Vorgehens  geht  aus  dem  Vergleich  der 
Schnitte  hervor,  wie  sie  für  die  später  zu  beschreibende  Unter- 
bindung der  A.  iliaca  communis  und  A.  iliaca  externa 
empfohlen  werden.  Bei  ersterer  geht  man  auf  das  Peritoneum 
ein,  indem  man  2  Querfinger  breit  über  dem  PouPART'schen 
Bande  die  Bauchwand  bis  und  mit  der  Fascia  transversa  durch- 
trennt. Bei  letzterer  vermeidet  man  das  Peritoneum,  indem  man 
sich  dicht  an  das  Lig.  Pouparti  hält  und  nur  die  Fascia  trans- 
versa spaltet,  welche  sich  an  dasselbe  ansetzt,  während  das  Peri- 
toneum etwa  1/2  cm  oberhalb  auf  die  Fascia  iliaca  interna  sich 
herumschlägt   (vergleiche   über  diese  beiden  Unterbindungen  später). 

In  analoger  Weise  kann  man  Abscesse  der  Fossa  iliaca 
interna  extraperitoneal  durch  Eingehen  auf  oder  unter  die  Fascia 
iliaca  interna  eröffnen,  oder  unter  Spaltung  des  Peritoneum  vom 
gehen,  wenn  man  perityphlitische  Abscesse  eröffnen  oder  Tumoren 
des  Coecum  entfernen,  oder  links  das  S  romanum  behufs  Anlegung 
eines  künstlichen  Afters  vorziehen  oder  wegen  Neubildung  entfernen 
will.  Ein  querer  Schnitt  von  einer  Seite  zur  anderen  herüber,  vom 
rechten  vorderen  Leistenring  bis  zum  linksseitigen  kann  angezeigt 
sein,  wenn  die  Blase  eröffnet  werden  soll,  wenn  Geschwülste  der 
weiblichen  Genitalien    entfernt   werden   sollen,   oder   wenn   Tumoren 


Abdomen. 


353 


am  obersten  Theil  des  Rectum  oder  untersten  des  S  romanum  zu 
exstirpiren  sind. 

Ein  dritter  Punkt,  auf  welchen  wir  speciell  aufmerksam  machen 
möchten,  ist  die  Benutzung  hypogastrischer  Schnitte  entlang  und 
über  dem  PouPART'schen  Bande  zur  Operation  von  Erkrankungen 
innerhalb  des  Scrotum.  Wir  glauben  durch  Einführung  dieses  In- 
guinalschnittes  für  die  Mehrzahl  der  intrascrotalen  Erkrankungen 
an  Stelle  der  früheren  Incisionen  durch  das  Scrotum  einen  wesent- 
lichen Fortschritt  angebahnt  zu  haben,  da  der  Inguinalschnitt  viel 
weniger  blutig  ist,  sich  viel  leichter  durch  Naht  genau  vereinigen 
lässt,  als  ein  Schnitt  durch  die  runzelige  Scrotalhaut  und  viel  leichter 
aseptisch  zu  halten  ist.  Wir  benutzen  denselben  ausschliesslich  seit 
langen  Jahren  für  Hydro-,  Varico-,  Spermatocelen,  für  alle  Hoden- 
tumoren, Hodenentzündungen,  Tuberculose  u.  s.  w.  Eine  Grenze  ist 
demselben  nur  gesteckt  in  einer  absolut  zu  grossen  Ausdehnung  einer 
nicht  verkleinerbaren  Geschwulst  (denn  die  grössten  Hydro-  und 
Spermatocelen  sind  mittelst  Inguinalschnittes  zu  behandeln)  und  in 
Verwachsungen  mit  der  Scrotalhaut,  wie  sie  oft  bei  Entzündungen 
und  am  öftesten  bei  Tuberculose  vorkommen.  Da  muss  die  Scrotal- 
haut mitexcidirt  werden. 

In  allen  anderen  Fällen  macht  man  den  Inguinalschnitt,  luxirt 
die  intrascrotalen  Organe  nach  oben  aus  dem  Scrotum  heraus  in  die 
Wunde  und  reponirt  sie  nachher  wieder,  soweit  sie  erhalten  werden. 
Es  vereinfacht  dies  auch  die  Wundbehandlung  wesentlich. 

149)  Ausräumung  der  Lymphdrüsen  in  der  Leiste  und 
längs  der  Vasa  iliaca  und  obturatoria. 

Der  typische  Schnitt  zur  Ausräumung  der  Leiste  ist  der  schon 
von  Lauenstein  empfohlene  und  von  Lennander  weiter  aus- 
gebildete Schrägschnitt  entlang  dem  Lig.  Pouparti,  combinirt  mit 
einem  Längsschnitt  abwärts  über  die  grossen  Gefässe.  Man  darf 
eine  Ausräumung  der  Leiste  von  sämmtlichen  L)^mphdrüsen  bloss 
ausführen,  wenn  eine  lebensgefährliche  Erkrankung  derselben  vor- 
liegt, also  in  erster  Linie  bei  malignen  Neubildungen.  Dagegen  bei 
Tuberculose  und  Entzündungen  verschiedener  Art  hat  man  sich  zu 
beschränken  auf  die  Entfernung  als  krank  nachweislicher  Drüsen. 
Riedel  hat  gezeigt,  dass  die  Totalexcision  der  Leistendrüsen  zu 
bleibender  Lymphstauung  und  elephantiastischer  Erkrankung  der 
unteren  Extremität  führen  kann. 

Ist  die  Indication,  wie  bei  Krebs  und  Sarkom  und  einzelnen 
tuberculösen  Erkrankungen  klar,  dann  ist  es,  wie  LENNANDER 
hervorhebt,  wünschenswerth,  wie  in  der  Axilla  die  Drüsen  soweit  zu 
verfolgen,  dass  man  auch  die  central  gelegenen  und  verdächtigen 
Drüsen    mitexcidirt.      Solche    finden    sich    entlang    den   Vasa    iliaca 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  23 


ia  Specielle  Operationslehre. 

externa,  tiefer  den  Vasa  iliaca  bis  zur  Aorta,  ebenso  entlang  den 
Vasa  obturatoria  bis  zu  den  Vasa  hypogastrica. 

Lennander  empfiehlt,  um  auch  diese  tiefen  Drüsen  zugänglich 
zu  machen,  eine  sehr  energische  Lösung  der  Bauchwand  vom  Becken 
in  der  Form,  dass  er  das  Lig.  Pouparti  loslöst  vom  Os  pubis,  von 
der  Fascia  lata  und  die  Bauchmuskeln  bis  zur  Mitte  der  Crista  ilei 
oder  noch  weiter  zurück  vom  Becken  trennt.  So  kann  man  bis  zur 
Aorta  und  ins  Becken  hinein  sich  die  Drüsen  zugänglich  machen. 

Wir  haben  in  solchen  Fällen  uns  begnügt,  den  Schnitt  ober- 
halb des  Lig.  Pouparti  zu  machen  in  folgender  Weise:  Dicht  über 
diesem  Ligament  wird  die  Haut  und  unter  Ligatur  der  Arteria  epigastrica 
superficialis  und  einig-er  senkrechter  Venen  die  Fascia  superficialis 
gespalten,  dann  die  Aponeurose  des  Obliquus  externus  dicht  über 
dem  Ligament,  die  Muse,  obliquus  int.  und  transversus  aus  der  Rinne 
des   Ligaments   emporgehoben   und   die   Fascia  transversa  gespalten. 

Jetzt  können  die  Muskeln  sammt  Samenstrang  (Lig.  rotundum) 
ohne  Anstand  nach  oben  gezogen  werden  und  man  gelangt  sub- 
peritoneal den  Gefässen  entlang  in  die  Höhe.  Wo  der  Raum  zu 
sehr  beengt  ist,  kann  leicht  der  Schnitt  lateral  verlängert  und  die 
Muskeln  noch  von  der  Crista  ilii  abgelöst  werden,  was  freilich  den 
Eingriff  zu  einem  viel  verletzenderen  macht.  Mit  kräftigem  Beiseite- 
ziehen nicht  durchschnittener  Muskeln  erhält  man ,  sobald  einmal 
die  Fascien  getrennt  sind,  sehr  ausgiebigen  Zugang  in  die  Tiefe. 

150)  Freilegung  des  Samenstranges.     Castration. 

Querschnitt  entlang  dem  Leistencanal,  1  Finger  breit  oberhalb 
des  PouPART'schen  Bandes,  der  medialen  Hälfte  des  Ligamentes 
parallel  median  abwärts.  Der  Schnitt  entspricht  ganz  exaet  der  Spalt- 
richtung der  Haut  und  verklebt  daher  sehr  leicht.  In  der  Unterhaut 
und  Fascia  superficialis  ist  aussen  und  innen  eine  starke,  von  oben 
herabziehende  Vene  zu  unterbinden.  Die  Arteria  epigastrica  super- 
ficialis, von  der  A.  femoralis  über  die  Bauchwand  heraufsteigend,  wird 
mit  der  Vene  durchschnitten,  wenn  man  den  Schnitt  lateralwärts  ver- 
längert. Trennung  der  dünnen  Fascia  externa  Cooperi,  welche  als  Fort- 
setzung der  Fascie  des  M.  obliquus  abdominis  externus  den  Samen- 
strang einhüllt,  Spaltung  der  Muskelfasern  des  Cremaster  (vom  Obliquus 
internus),  der  derben  Fascia  infundibuliformis  (Fortsetzung  der  Fascia 
transversa).  Innerhalb  dieser  liegt  der  Samenstrang,  resp.  das  Liga- 
mentum rotundum  und  eventuelle  Ausstülpung-en  des  Peritoneum  in 
Form  von  Bruchsäcken.  Handelt  es  sich  um  Castration,  so  wird  der 
Hode  nach  oben  luxirt,  das  Vas  deferens  durchschnitten,  die  Gefässe 
(Arteria  spermatica  interna  und  deferentalis  und  der  Plexus  venosus) 
einzeln  gefasst  und  durchschnitten.  Muss  dies  wegen  Geschwulstknoten 
oder  wegen  Erkrankung  des  Vas  deferens  (Tuberculose)  weiter  oben 


Abdomen.  icc 

geschehen,  so  wird  die  vordere  Wand  des  Leistencanals,  die  Fascia 
obliqua  externa)  gespalten  ;  wo  man  noch  tiefer  subperitoneal  herauf- 
gehen will,  wird  auch  der  hintere  Theil  des  Leistencanals  gespalten 
(Lig.  ing.  externum,  welches  die  mediale  Falte  des  hinteren  Leisten- 
rings bildet,  sammt  Fascia  transversa)  und  nachher  sehr  genau  wieder 
vernäht. 

Es  ist  leicht,  falls  der  Hode  nicht  im  Scrotum  verwachsen  oder 
zu  bedeutend  vergrössert  ist,  denselben  nach  oben  zu  stülpen  und 
zu  entfernen. 

Bei  Verwachsungen  der  Haut  oder  bei  grösseren  Tumoren  des 
Hodens  wird  die  Castration  mittelst  Querschnittes  in  frontaler 
Ebene  am  unteren  Ende  des  Scrotums  gemacht :  Nach  Spaltung 
der  Haut  und  Tunica  dartos  zwischen  den  sichtbaren  grösseren  Scrotal- 
gefässen  wird  der  Hode  in  seinen  Hüllen  herausgestülpt.  Wie  der 
Schnitt  parallel  den  Scrotalgefässen  fällt  (Art.  scrotales  externae),  so 
läuft  er  auch  auf  der  Oberfläche  der  Scheidenhäute  parallel  den  nach 
dem  unteren  Pol  ziehenden  Aesten  der  Samenstranggefässe,  ist  daher 
viel  zweckmässiger  als  der  gewöhnlich  geübte,  über  die  vordere 
Scrotalfläche  herablaufende  Verticalschnitt. 

Die  Indication  zur  Castration  wegen  maligner  Neubildungen  ist 
unbestritten,  diejenige  wegen  Tu  bereu  lose  findet  viele  Gegner. 
Trotz  dieser  bedeutungsvollen  Opposition  bleibt  die  Thatsache  be- 
stehen, dass  jeder  Fall  von  klinisch  zweifelloser  Hoden-,  resp.  Neben- 
hodentuberculose  die  Gefahr  bietet,  durch  Fortleitung  auf  Vas  deferens, 
Samenblasen,  Prostata  schwere  tuberculöse  Erkrankung  herbeizuführen. 
Die  ausgezeichneten  Untersuchungen  von  Baumgarten,  deren  Mit- 
theilung vom  30.  Congress  der  deutschen  Gesellschaft  für  Chirurgie 
iqoi  mit  so  grossem  Beifall  aufgenommen  wurde,  beweisen,  dass 
bei  Thieren  nur  vom  Hoden  aufsteigende  Verbreitung  der  Tuber- 
culöse erzielt  werden  kann  und  keine  von  der  Prostata  descendirende 
und  damit  stimmen  auch  alle  pathologisch- anatomischen  Unter- 
suchungen Baumgarten's  am  Menschen  überein. 

Da  eine  Heilung  ohne  Operation  eine  Seltenheit  und  oft  genug 
unvollständig  ist,  ferner  oft  und  unter  Eintritt  langer  und  lästiger 
Eiterung  erfolgt  und  endlich  doch  die  Zeugungsfunction  des  Organs 
als  Regel  vernichtet,  so  steht  nach  unseren  Erfahrungen  der  Nutzen 
frühzeitiger  einseitiger  Hoden excision  bei  Tuberculöse  fest,  und  die 
maassgebenden  Erhebungen  von  Bruns  geben  ihr  eine  feste  Stütze. 
Man  hat  bei  den  vielen  Discussionen  über  dieses  wichtige  Capitel 
nicht  scharf  genug  zwischen  wirklicher  Castration  mit  Entfernung 
beider  Hoden  und  einseitiger  Entfernung  unterschieden.  Alle 
Nachtheile,  die  aufgeführt  werden,  gelten  bloss  für  die  doppelseitige 
die  einseitige  hat  bloss  Vortheile  und  kann  nicht  rasch  genug  aus- 
geführt werden. 

23* 


ße5  Specielle  Operationslehre. 

Der  Inguinalschnitt  bei  frühzeitiger  Excision  ist  die  ideale 
Methode,  weil  er  erlaubt,  das  Vas  deferens  hoch  oben  frei  zu  legen 
und  an  gesunder  Stelle  zu  ligiren,  Der  Hode  kann  mit  Leichtigkeit 
durch  den  Inguinalschnitt  aufwärts  luxirt  werden,  bei  bestehenden 
Scrotalfisteln  eventuell  nach  Cauterisation  dieser  Fisteln,  Excision 
der  umgebenden  Haut  und  ebenfalls  Cauterisation  ihrer  Oberfläche 
mit  dem  Thermocauter.  Die  Freilegung  des  Vas  deferens  und 
genaue  Inspection  desselben  ist  der  BüNGENER'schen  Evulsions- 
methode  vorzuziehen,  so  einfach  diese  ist,  weil  es  bei  Erkrankung 
des  Vas  deferens  nicht  bloss  darauf  ankommt,  oberhalb  der  kranken 
Stelle  die  Abtragung  zu  machen,  sondern  auch  ein  Einfliessen  von 
tuberculösem  Material  in  die  Umgebung  zu  verhüten,  wenn  ein 
krankes  Stück  zurückbleiben  sollte.  Dazu  scheint  Freilegung,  Durch- 
schneidung mit  dem  Cauterium  nach  Durchquetschung  mit  Press- 
zange zweckmässiger  als  Zerreissung,  die  doch  stets  den  Zufall  mit- 
spielen lässt.  Sehr  zweckmässig  erscheint  es,  eventuell  vorher  durch 
einen  Einstich  in  das  centrale  Ende,  das  nicht  entfernt  werden  kann, 
eine  Injection  von  Jodoform-  oder  auch  Formolglycerin  zu  machen, 
da  diese  Injection  nach  BüNGENER's  schönen  Untersuchungen  auch 
die  Samenblase  füllt.     Faden  anzulegen  ist  zu  vermeiden. 

Diese  Vorschrift  fällt  dahin  für  diejenigen  Chirurgen,  welche  bis 
zu  Ende  gehen  (mit  Roux,  König  u.  A.)  und  gleich  eine  totale 
Excision  der  Samenblase  mit  anschliessen  wollen.  Leider  ist,  wo 
solche  Gründlichkeit  von  nöthen,  auch  diese  meistens  nicht  gründlich 
genug  und  müsste  die  Operation  noch  auf  Prostata  und  Pars  prostatica 
urethrae  ausgedehnt  werden. 

151)  Operation  der  Varicocele. 

Inguinalschnitt  parallel  dem  PouPART'schen  Bande  auf  den 
vorderen  Leistenring  vordringend  durch  Haut  und  oberflächliche 
Fascie  unter  Ligatur  schräg  median  wärts  aufsteigender  Venen. 
Die  Fortsetzung  der  Fascia  obliqui  externi,  welche  als  Fascia 
Cooperi  den  Samenstrang  einhüllt,  wird  gespalten.  Es  erscheinen 
die  schlingenförmigen  Fasern  des  M.  cremaster;  dieser  und  die 
Tunica  vaginalis  communis  darunter  wird  gespalten  und  der  Samen- 
strang herausgezogen,  bis  der  Hode  nachfolgt  und  aus  der  Wunde 
luxirt  werden  kann. 

Jetzt  wird  am  vorderen  Leisten  ring  die  Vena  spermatica 
interna,  die  bis  zu  Bleistiftdicke  anschwellen  kann,  isolirt.  Dies  ge- 
lingt je  weiter  oben,  je  leichter.  Dann  wird  die  Isolirung  abwärts 
fortgesetzt,  wobei  von  Stelle  zu  Stelle  einmündende  Aeste  ligirt  und  ge- 
trennt werden  müssen.  Es  lassen  sich  leicht  10 — 25  cm  der  Vene  auf 
diese  Weise  isoliren.  Erst  gegen  den  Hoden  hin  werden  die  Aeste  ver- 
wickelter und  zahlreicher.    Dann  wird  oben  und  unten  ligirt  und  die 


Abdomen. 


357 


langgelassenen  Ligaturenden  nach  Resection  der  Vene  mit  einander 
verknüpft,  um  den  Samenstrang  zu  verkürzen,  resp.  höher  zu  hängen. 

Findet  sich  sonst  noch  am  vorderen  Leistenring  eine  stark 
dilatirte  Vene,  speciell  in  Begleitung  des  Vas  deferens,  so  muss  sie 
möglichst  hoch  oben  unterbunden  werden. 

Bei  besonders  schlaffem  Scrotum  wird  schliesslich  ein  Stück  des- 
selben behufs  Verkürzung  resecirt. 

Wunde  wird  ohne  Drain  vereinigt. 

Die  Operation  kann  sehr  wohl  mit  Cocaininjection  ausgeführt 
werden.  Narath  spaltet  den  Leistencanal,  um  noch  höher  oben  zu 
ligiren,  was  wir  für  unnöthig  halten.  Es  ist  hauptsächlich  die  Ueber- 
tragung  des  Druckes  der  Blutsäule  von  der  Cava  und  linken  Vena  renalis 
auf   die  Gefässe   im  Samenstrang,    welche   aufgehoben  werden  muss. 

152)  Operation  der  Hydrocele. 

Die  Geschwulst  des  Hodens  wird  nach  Anlage  des  oben  ge- 
schilderten Inguinalschnittes  zur  Castration  luxirt,  nach  th eil- 
weiser Entleerung  durch  Punction,  wenn  sie  sehr  gross  ist.  Die  Tunica 
vaginalis  communis  wird  sehr  sorgfältig  gespalten  und  die  gespannte 
und  durchscheinende  T.  vag.  propria  frei  gemacht  bis  an  den  Hoden 
heran  durch  Abziehen  ersterer. 

Nach  Spaltung,  Entleerung  der  Flüssigkeit  und  Orientirung  über 
den  Zustand  von  Hoden  und  Nebenhoden  wird  die  Propria  soweit 
abgetragen,  dass  man  gerade  noch  den  Rest  derselben  stramm  über 
den  Hoden  durch  fortlaufende  feine  Seidennaht  vernähen  kann.  Diese 
Methode  hat  uns  stets  radicale  Heilung  gebracht. 

153)  Herniotomie  und  Radicaloperation  von  Leisten- 
und  Schenkelhernien. 

Der  Schnitt  ist  ganz  derselbe  für  die  Herniotomia  inguinalis, 
wie  für  die  oben  geschilderte  Freilegung  des  Samenstranges,  bloss 
etwas  länger.  Die  Haut  und  Unterhaut  werden  fingerbreit  über  den 
inneren  zwei  Dritttheilen  des  Lig.  Pouparti  gespalten,  in  der  LTnter- 
haut  die  Arteria  epigastrica  unterbunden,  ebenso  weiter  nach  der 
Mittellinie  zu  eine  constante  Vene  senkrechten  Verlaufs  (Vena  pubica). 
Die  als  verdünnte  Verlängerung  der  Fascia  M.  obliqui  externi  vom 
vorderen  Leistenring  auf  den  Samenstrang  sich  fortsetzende  Fascia 
Cooperi  wird  gespalten.  Nach  weiterer  Spaltung  des  Cremaster 
und  besonders  der  Fascia  infundibuliformis  lässt  sich 
der  Bruchsackhals  meistens  leicht,  wenigstens  an  seinem  oberen 
Theil  auf  stumpfem  Wege  von  den  Gebilden  des  Samenstranges 
isoliren  und  durch  Zug  bis  zu  seinem  abgerundeten  unteren  Ende 
aus  dem  Scrotum  herausheben.  Man  sieht  die  bogenförmigen  Grenzen 
auch  eines  dünnen  Bruchsackes  durchscheinen,  wenn  man  die  Samen- 
stranggebilde dehnt  und  gegen  das  Licht  hält. 


^cg  Specielle  Operationslehre. 

a)  Alte  Methode. 

Die  Methode  ist  am  Platz  bei  verdickten  Bruchsäcken,  wie  sie 
sich  bei  alten  Brüchen,  sehr  grossen  Hernien  und  nach  Entzündungen 
finden.  Ebenso  bei  stärkeren  Verwachsungen  des  Inhalts,  speciell 
des  Netzes.  Danach  wird  behufs  Radicaloperation  der  Bruchsack 
aufwärts  genau  isolirt  und  kräftig  heruntergezogen,  bis  die  im 
hinteren  Leistenring  liegende  Partie  gefasst,  mit  Seidenfaden  durch- 
stochen und  nach  zwei  Seiten  kräftig  umschnürt  werden  kann.  Kommt 
man  nicht  hoch  genug  hinauf,  so  wird  nach  BASSlNl's  Vorgang  die 
vordere  Wand  des  Leistencanals,  d.  h.  die  Fascia  .obliqui  externi  in 
ganzer  Länge  aufgeschlitzt.  Beim  Abschneiden  unterhalb  zieht  sich 
die  umschnürte  Stelle  ganz  ins  Abdomen  zurück.  Es  folgt  eine 
Reihe  tiefgreifender  Nähte  unter  Mitfassen  der  Fascie  des  M.  obliquus 
externus  und  der  darunter  liegenden  Muskelfasern  zur  Verstärkung 
und  Verengerung  des  Leistencanals  in  ganzer  Länge  (Canalnaht). 

Diese  einfache  Methode  der  Radicaloperation,  welche  wir  Jahre 
lang  mit  sehr  gutem  Erfolge  benutzt  haben,  stimmt  im  Wesentlichen 
mit  dem  Verfahren  von  Lucas-Championniere  überein. 

b)  Laterale  Verlagerungsmethode. 

Haut  und  Unterhaut  werden  in  der  oben  angegebenen  Linie 
parallel  dem  PouPART'schen  Bande  bis  zu  dessen  äusserem  Drittel 
gespalten  und  die  Aussenfläche  der  äusseren  schrägen  Bauchfascie 
mit  ihrem  charakteristischen  Faserverlauf  freigelegt  (Fig.  104),  der 
Bruchsack,  wie  vorhin  geschildert,  vollkommen  isolirt.  Nunmehr 
kommt  der  charakteristische  und  wesentliche  Act  unserer  Methode, 
darin  bestehend,  dass  man  in  die  derbe  Partie  jener  Fascie  über 
dem  PouPART'schen  Bande  lateralwärts  von  dessen  Mitte,  also 
auch  lateralwärts  von  der  Gegend  des  hinteren  Leistenringes,  eine 
kleine  Oeffnung  macht,  eine  eigens  construirte,  gebogene  Korn- 
zange durch  die  vordere  Wand  des  Leistencanals  (Fascia  obl. 
ext.  und  Muse.  obl.  int.)  durchstösst  und  durch  den  Canal  zum 
vorderen  Leistenring  vor  dem  Samenstrang  herausführt,  die  Spitze 
des  freipräparirten  Bruchsackes  fasst  (Fig.  105)  und  den  ganzen 
Bruchsack  durch  den  Leistencanal  zurück  durch  die  kleine  Oeffnung 
lateralwärts  herauszieht. 

Der  Bruchsack  wird  kräftig  angezogen,  so  dass  er  jetzt  vom 
hinteren  Leistenring  weg,  statt  median  abwärts  neben  dem  Samen- 
strang zu  verlaufen,  lateralwärts  in  entgegengesetzter  Richtung  läuft 
und  der  Peritonealtrichter  des  Bruchsackhalses  fest  in  die  kleine 
Oeffnung  der  Bauchwand  hereingezogen  wird;  nun  wird  mittelst 
einer  Nadel  der  in  der  Bauchwand  liegende  Theil  des  Bruchsackes 
umstechen  und  mittelst  eines  Seidenfadens  kräftig  umschnürt.  Der 
Bruchsack  wird  abgeschnitten.  Besser  ist  es  noch  den  Bruchsack 
mit   einer  schmalen    Presszange   zusammenzupressen   und   dann    erst 


Abdomen. 


359 


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360  Specielle  Operationslehre. 

zu  ligiren ,  weil  man  so  einen  ganz  dünnen  Stumpf  bekommt, 
den  man  ziemlich  dicht  am  Faden  abschneiden  kann.  Der  dünne 
Stumpf  wird  durch  die  Fascie  zurückgeschoben  und  mit  der- 
selben Nadel,  welche  die  zwei  Bündel  der  Fascie  fasst,  an  dieselbe 
angeheftet  und  damit  auch  die  kleine  Oeffnung  ganz  verschlossen. 
So  ist  das  Peritoneum  in  der  Richtung  lateralwärts  gespannt  und 
der  Austritt  eines  Bruchsackes  in  der  Richtung  des  Samenstrangs 
unmöglich  gemacht.  Die  oben  geschilderten  Canalnähte  zur  Ver- 
kürzung und  Verstärkung  der  vorderen  Wand  des  Leisten canals  im 
Bereich  des  Samenstrangs  schliessen  die  Operation. 

Von  der  früher  geübten  Auflegung  des  Bruchsackes  auf  die 
vordere  Wand  des  Leistencanals  und  vollends  von  einer  gleich- 
zeitigen Torsion  haben  wir  abgesehen,  weil  die  Vitalität  des  Bruch- 
sackes dadurch  zu  sehr  beeinträchtigt  wird  und  leicht  Nekrose  des- 
selben mit  Störung  des  Wundverlaufes  eintreten  kann. 

c)  Invaginationsverlagerung. 

Seit  der  3.  Auflage  dieses  Buches  haben  wir  die  Verlagerungs- 
methode noch  einmal  vereinfacht:  Nach  Spaltung  der  Haut  und 
Fascia  superficialis  über  und  in  Richtung  des  Leistencanals,  nach 
oben  und  unten  etwas  über  dessen  Grenzen  hinaus,  nach  Ligatur 
der  Art.  epigastrica  inferior  und  Freilegung  der  Aponeurosis  obliqui 
externi  wird  unter  Spaltung  der  Fascia  Cooperi,  darunter  der  Cremaster- 
fasern und  der  Tunica  vaginalis  communis,  abwärts  vom  vorderen 
Leistenring  der  Bruchsack  stumpf  isolirt  und  so  hoch  hinauf  wie 
möglich  unter  starkem  Zug  freigemacht,  also  ganz  wie  bei  den  erstge- 
schilderten Methoden. 

Nun  wird  mit  langer  schlanker  gebogener  Zange  die  Spitze 
des  uneröffneten  Bruchsackes  gefasst  und  letzterer  in  sich  selbst  ein- 
gestülpt bis  in  die  Abdominalhöhle  hinein  durch  den  Leistencanal 
rückwärts  (nach  Fig.  106).  Die  Spitze  der  Zange  wird  dicht  am 
hinteren  Leistenring  an  einer  resistenten  Stelle  der  Bauchwand 
kräftig  angedrängt   und   diese   emporgehoben. 

Ein  Schnitt  von  1/3  cm  trennt  Fascie  und  Muskeln  bis  zum 
Parietalperitoneum,  welches  sammt  dem  umgestülpten  Bruchsack 
durch  die  Oeffnung  vorgeschoben  wird  (Fig.  107).  Das  Parietal- 
peritoneum wird  mit  der  Pincette  gefasst,  gespalten  und  2 — 3  Arterien- 
zangen an  dessen  Ränder  gelegt,  damit  es  nicht  zurückschlüpft 
(Fig.  107  a).  Der  umgestülpte  Bruchsack  wird  in  ganzer  Länge 
kräftig  herausgezogen  (unter  Zurückziehen  der  leeren  Zange  durch 
den  Leistencanal) ,  an  der  Basis  mit  einer  Presszange  gequetscht, 
daselbst  durchstochen  (Fig.  108)  und  nach  2  Seiten  sammt  Parietal- 
peritoneum mit  einem  Seidenfaden  umschnürt.  Mit  demselben  Faden 
(Fig.  109  a)    wird   nach  Abschneiden  des  Bruchsackes  dicht  über  der 


Abdomen.  361 

Ligatur  und  Zurückschieben  des  Stumpfes  unter  die  Fascie 
die  Oeffnung  in  der  Fascia  obliqui  externi  geschlossen 1).  Zuletzt 
wird,  wie  oben  angegeben,  die  Canalnaht  zur  Verstärkung  des  Wider- 
standes hinzugefügt  (Fig.   109  b). 

Diese  äusserst  einfache,  nicht  verletzende  Methode  bringt  die 
herniöse  Vorstülpung  besser  zum  völligen  Verschwinden  als  jede  andere, 
weil  das  Peritoneum  auch  aus  dem  Bereich  des  hinteren  Leisten- 
ringes herausgezogen  und  kräftig  in  entgegengesetzter  Richtung  zum 
Verlauf  des  Samenstranges,  d.  h.  nach  aussen  hin  angespannt  er- 
halten wird. 

Wir  haben  bei  späteren  Autopsien  Gelegenheit  gehabt,  nach 
kurzer  und  längerer  Zeit  das  Resultat  der  Operation  zu  controliren. 
Man  sieht  von  der  Peritonealseite  her  an  der  Stelle,  wo  der  Bruch- 
sack durchgezogen  wurde,  eine  feine  circuläre  Peritonealnarbe,  als 
Wulst  mit  2  seichten  Recessus  ober-  und  unterhalb.  Das  Parietal- 
peritoneum bildet  von  der  medialen  Seite  her  leichte  Falten,  die 
sich  2 — 3  mm  erheben.  Von  einer  Einstülpung  in  den  Leistencanal 
ist  keine  Rede  mehr. 

In  Uebereinstimmung  damit  sind  auch  die  Dauerresultate 
mit  dieser  Methode  besser  als  mit  jeder  anderen,  soweit  wir  aus  der 
Literatur  Vergleiche  ziehen  können.  Wir  haben  genaue  Nach- 
forschungen angestellt  und  sind  über  das  Resultat  um  so  mehr  er- 
freut gewesen,  als  jetzt  auch  die  von  jüngeren  Assistenten  operirten 
Fälle  durchweg  gute  Resultate  ergeben  haben.  Hirschkopf  hat 
1899  (Nov.)  236  Hernienoperationen  zusammengestellt  aus  unserer 
Klinik  und  Privatklinik  nach  verschiedenen  Methoden  operirt. 
Während  Lebensohn  bei  1 1 1  unserer  früheren  Fälle  nach  einfacher 
Verlagerung  (Methode  b)  operirt,  noch  4  Recidive  zu  verzeichnen 
hatte,  fand  Hirschkopf  unter  42  Fällen  dieser  Methode  kein  Recidiv. 
Bei  83  Fällen  mittelst  Invaginationsverlagerung  (Methode  c)  operirt, 
fand  sich  ein  Recidiv.  Er  vergleicht  die  Zahlen  mit  denjenigen  von 
Franz  und  den  günstigen  von  Rotter,  in  toto  659  Fälle  nach  Bassini 
Operirten,  welche  4,4  Proc.  Recidive  ergaben.  Unsere  Patienten  ver- 
lassen fast  ohne  Ausnahme  nach  8  Tagen  das  Bett  und  tragen  vom 
Augenblick  weg  kein  Bruchband  mehr. 

Dass  unsere  Methode  der  Radicaloperation  auch  in  den  Händen 
anderer  Chirurgen  nicht  bloss  ebenso  gute,  sondern  bessere  Resultate 
ergiebt,  als  die  meist  befolgten  von  Bassini  und  Macewen,  entnehme 
ich  der  Mittheilung  von  Grosse  (D.  Ztschr.  f.  Chir.,  Bd.  57)  über  die 
von  Prof.  Landerer  erzielten  Resultate :  Nicht  nur  trat  Eiterung  bei 
dem  KocHER'schen  Verfahren  viel  seltener  auf,  sondern  in  15  nach 
Kocher    operirten   Fällen   ergab   die  Nachforschung  kein   Recidiv, 

I)  Wir  haben  auch  öfter  den  Stumpf  ganz  einfach  versenkt  und  die  Fascie 
für  sich  verschlossen,  wie  Quervain  es  macht  nach  mündlicher  Mittheilung. 


362 


Specielle  Operationslehre. 


in  3  nach  MACEWEN  i  Recidiv,  in  8  nach  BASSINI  3  Recidive  bei 
6  Pfeilernähten  2  Recidive,  also  nach  KOCHER  100  Proc.  Dauer- 
heilungen, nach  Macewen  66  Proc,  Pfeilernaht  66  Proc,  Bassini 
37  Proc.  und  bei  einem  von  Landerer  modificirten  Kocher  80  Proc. 
Heilungen.    Carle  hat  durch  Galeazzi  über  601  Operationen  nach 


Fig.  106.  Radicaloperation  der  äusseren  Leistenhernie  mittelst  der  Invaginations- 
verlagerung.  Der  isolirte  Bruchsackj  ist  an  seiner  Spitze  mit  einer  krummen 
Zange  gefasst   und  wird  in  sich  selbst  eingestülpt  bis  in  das  hintere  Ende  des 

Leistencanals. 


Bassini   und    23g    nach  Kocher   referiren  'lassen:   Erstere  ergaben 
5,99  Proc.  Recidive,  letztere  5,02  Proc 

Auch  Madelung  hat  durch  P.  Bernhardt  seine  Resultate 
mittheilen  lassen.  Wenn  [dieselben  weniger  gut  sind  bezüglich  der 
Dauerresultate,  so  beruht  dies  darauf,  dass  MADELUNG  nicht  alle 
Brüche  der  Radicaloperation  unterwirft,  sondern  bloss  solche,  welche 
durch  Bruchbänder  sich  nicht  behandeln  lassen.  Daher  hat  er  in 
vielen  Fällen  Complicationen    zu    verzeichnen,    namentlich  sehr  müh- 


Abdomen. 


363 


same  Lösung  des  Bruchsackes,  hat  auch  in  Folge  dessen  in  etwa 
einem  Dritttheil  der  Fälle]  gestörten  Wundverlauf  und  bekanntlich 
giebt  nichts  so  sehr  Anlass  zu  Recidiven,  wie  Eiterung  der  Wunde. 


Fig.  107. 


Fig.  107a. 


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^8 


Fig.  107.  Invaginationsverlagerung.  Die  Spitze  der  Zange  drängt  die  Spitze 
des  invaginirten  Bruchsackes  unmittelbar  nach  aussen  vom^hinteren  Leistenring 
gegen  die  vordere  Bauchwand,  in  welcher  auf  die  emporgehobene  Stelle  ein 
kleiner  Schnitt  gemacht  ist  durch  Fascia  obliqua  ext.  und  die  tiefen  Bauch- 
muskeln. 
Fig.  107  a.  Das  Parietalperitoneum  ist  gespalten  gezeichnet  und  die  Ränder  ge- 
fasst,  der  invertirte  Bruchsack  vorgeschoben. 


364 


Specielle  Operationslehre. 


Bessere  Resultate  hat  wieder  Trzebicky  zu  verzeichnen  in 
53  Fällen.   Trotz   10  Eiterungen  traten  nur  ganz  wenige  Recidive  ein. 

Die  Verlagerungsmethoden  haben  den  grossen  Vortheil,  dass 
sie  nicht,  wie  die  beliebte  Methode  Bassini's,  den  Leistencanal 
spalten.     Wenn   einmal  Eiterung  eintritt  und  die  Nähte  nicht  halten, 


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Fig.  108.    Radicaloperation  der  äusseren  Leistenhernie  mittelst  der  Invaginations- 

verlagerung.     Der  invertirte  Bruchsack  (V)   ist  in  ganzer  Länge  kräftig  zu  der 

kleinen  Oeffnung  in  der  Bauchwand  herausgezogen  und  eine  Nadel  durch  seine 

Basis  gelegt,  unter  Mitfassen  des  Parietalperitoneum. 


so  hat  man  bei  Bassini's  Vorgehen  entschieden  Schaden  gestiftet, 
bei  unserer  Methode  hat  man  trotzdem  noch  Erfolg.  Bassini's 
Methode  ist  complicirter,  verletzender  und  dadurch  mehr  zu  Störungen 
des  Wundverlaufes  disponirend.  Unsere  Methode  ist  —  wie  auch 
V.  Angerer  in  München  bestätigt  —  ungleich  einfacher  und  rascher 
auszuführen  und  leistet  in  Bezug  auf  exacten  Schluss  des  hinteren 
Leistenrings  mindestens  ebensoviel  wie  Bassini's  Methode.    Während 


Abdomen. 


;65 


bei  letzterer  der  Samenstrang  verlagert  wird,  um  die  Naht  exact  legen 
zu  können,  verlagern  wir  den  Bruchsackhals  ausser  Bereich  des  Samen- 
strangs, um  eine  tiefgreifende  und  völlig  schliessende  Naht  anzulegen. 

Den    Vortheil    der    Verlagerung    des    Bruchsackes    sollten    wir 
uns   nicht   mehr  entgehen  lassen,   da  er  in  sehr  einfacher  Weise  das 
Problem   löst,   einer  Hernie  auf   dem  Wege   einer  physiologisch  ge- 
gebenen   Oeffhung    den    Austritt   zu 
versperren. 

Was  nun  die  Indicationen  und 
Contraindicationen  unseres  Verfahrens 
anbelangt,  so  bemerken  wir,  dass 
durch  die  neueste  Modification  gewisse 
Nachtheile,  welche  ihm  in  älteren 
Formen  anhaften,  demselben  völlig 
benommen  sind.  Link  ist  mit  dem 
Verfahren  unzufrieden,  weil  er  in 
1 3  Fällen  3  mal  Nekrose  des  Bruch- 
sackes und  2  mal  der  Aponeurosis 
obl.  ext.  eintreten  sah.  So  etwas  ist 
nunmehr  unmöglich,  wenn  man  den 
Bruchsack  mit  der  Presszange  be- 
handelt, wo  bloss  ein  minimaler 
Stumpf  sich  ergiebt,  diesen  reponirt 
und  den  kleinen  Schlitz  in  der  Apo- 
neurose  vernäht. 

Es  ist  aber  klar,  dass  nicht  alle 
Brüche  für  die  Invaginationsverlage- 
rung  geeignet  sind :  Brüche  mit 
stark  verdicktem,  wenig 
elastischem  Bruchsack,  solche 
mit  starker  Verwachsung 
eignen  sich  nicht.  Bei  solchen 
Brüchen  ist  es  entschieden  besser, 
nach  Bas  SIN  I  den  Leistencanal  zu 
spalten,  hoch  oben  den  Hals  des 
Bruchsackes  frei  zu  machen  und  zu 
unterbinden  und  bei  starker  Ver- 
wachsung einfach  den  Bruchsack  liegen  zu  lassen,  wie  auch  WöLFLER 
verlangt.  Das  ist  um  so  mehr  berechtigt,  als  es  sich  gerade  da  oft  um 
grosse  Brüche  alter  Leute  handelt,  welche  man  nicht  durch  grosse 
Verletzungen  mit  Blutinfiltration  (wozu  am  Samenstrang  besondere 
Neigung)    und    längere  Dauer  der  Operation  in  Gefahr  bringen  darf. 

Durch  die  Methode  der  einfachen  Ligatur  des  Bruchsack- 
halses   am    höchsten    Punkte    wird    die    Operation    der    ver- 


Fig.  109  a,  b.  Oben  (VI)  ist  der 
Bruchsack  abgeschnitten  und  man 
sieht,  wie  derselbe  Faden,  der  um 
den  Stumpf  geschnürt  ist,  zum 
Schluss  der  kleinen  Oeffhung  be- 
nutzt wird,  nach  Reposition  des 
Stumpfes.  —  Unten  (VII)  ist  die 
Verstärkungsnaht  für  die  vordere 
Wand  des  Leistencanals  angelegt 
und  zum  Theil  geschlossen. 


o£6  Specielle  Operationslehre. 

wachsenen  Brüche  ausserordentlich  vereinfacht.  Ein  anderes 
Verfahren  für  diese  schwierigen,  mit  dem  Samenstrang  verwachsenen 
Brüche  besteht  in  totaler  Abtragung  des  Bruches  sammt  Hoden  und 
Samenstrang  nach  Spaltung  des  Leisten canals,  also  in  gleichzeitiger 
Castration.  Bernhardt  in  Samaden  hat  an  Stehe  dessen  ein 
bemerkenswerthes  Verfahren  empfohlen,  nämlich  auch  eine  Ver- 
lagerung, aber  noch  einfacher  und  radicaler  als  die  meinige,  be- 
stehend in  Reposition  des  Hodens  sammt  Bruchsack  in 
die  Bauchhöhle. 

Die  Verwachsung  congenitaler  Hernien  bietet  keine  Schwierigkeit 
für  Anwendung  unserer  Methode,  weil  man  nur  bei  Brüchen,  welche 
bloss  am  peripheren  Ende  verwachsen  sind,  dieses  einfach  abschneidet 
und  durch  circuläre  Ligatur  wieder  ein  blindes  Ende  schafft,  um  die 
Invagination  machen  zu  können. 

Nur  für  die  grossen  alten  Hernien  mit  verdicktem  Bruchsack 
und  abnorm  weiten  Bruchpforten  können  die  complicirten  plastischen 
Methoden,  sei  es  in  Form  von  myoplastischen ,  sei  es  von 
periosteo-  oder  osteoplastischen  Lappen,  welche  in  die 
Bruchpforten  genäht  werden,  in  Frage  kommen.  Hier  scheinen  nach 
Brenner  (Salzer's  Methode),  Schwartz.  Bakunin  u.  A.  relativ 
gute  Resultate  für  schwierige  Fälle  sich  erzielen  zu  lassen. 

Was  endlich  noch  Berücksichtigung  verdient  bei  der  Radical- 
operation  der  Hernien,  wo  man  ein  Menschenleben  nicht  mehr  in 
Gefahr  bringen  darf,  das  sind  die  Fälle  mit  Herzfehlern,  Lungenleiden 
Nierenaffectionen,  überhaupt  bei  alten  kranken  Individuen.  Wenn  dann 
die  Indication  auf  Grund  localer  Beschwerden  und  Einklemmungs- 
gefahren  klar  ist,  so  soll  man  womöglich  die  allgemeine  Narkose 
vermeiden.  Wir  verdanken  den  eingehenden  Studien  Ctjshing's  über 
den  Verlauf  der  Nerven  Angaben  über  die  Methode,  mittelst  Local- 
anästhesie,  die  sonst  sehr  lebhaften  Schmerzen  der  Schädigung 
des  Parietalperitonum  zu  vermeiden. 

Die  Nerven,  welche  ausser  der  Haut  in  Betracht  kommen,  sind  der 
nahe  dem  unteren  Rande  auf  dem  Msc.  obl.  int.  liegende  tiefe  Ast 
des  Iliohypogastricus  und  der  im  Leistencanal  auf  der  Fascia  infundi- 
buliformis  und  dem  Cremaster  liegende  vereinigte  Stamm  des  Ilio- 
inguinalis  und  ramus  spermaticus  externus  des  Genitocruralis.  Mittelst 
Einstich  unter  die  Fascia  obl.  ext.  im  Bereich  des  oberen  Theiles 
des  Leistencanals  lässt  sich  durch  Cocainisirung  dieser  Nerven  eine 
Insensibilität  sämmtlicher  intrascrotalen  Organe  sammt  Bruchsack  er- 
zielen, während  die  Scrotalhaut  sensibel  bleibt.  Die  betreffenden  Nerven 
versorgen  den  Cremaster  und  sollen  daher  nicht  durchtrennt  werden. 

154)  Radicaloperation  der  Schenkelhernie  (Fig.  110). 
Schnitt  über   dem   inneren    Drittel   des  PouPART'schen   Bandes, 
diesem    parallel  durch  Haut,    Unterhaut   und  Fascia   cribriformis,    bis 


Abdomen. 


367 


das   die  Schenkelhernie   umgebende  Fett   freiliegt,   stumpfe  Isolirung 
des  Bruchsackes,  welcher  bis  zur  Stelle  des  Schenkelringes  vollkommen 


Lig-.  Pouparti 


Schenkelrm 


(Fascie  des  M. 
\    pectinaeus 

[Von  der  Fascie 
{bedeckte  Vena 
«.     femoralis 


O-K0 
C  ;y;;;;;: 


Fig.  110.  Verlagerungsmethode  für  die  Radicaloperation  der  Schenkelhernie. 
Der  Bruchsack  ist  auf-  und  auswärts  durch  den  lateralen  Schenkel  des  vorderen 
Leistenringes  durchgezogen.  Die  Nadel  ist  fälschlich  durch  das  Lig.  Pouparti 
durchgehend  gezeichnet.  Man  corrigire  sich  diesen  Act  unter  Benutzung  der 
Fig.  108  u.  109  a  für  Leistenhernie. 


isolirt   wird.    Jetzt  wird  die  Spitze  des  Bruchsackes  gefasst,   wie  bei 
der  Leistenhernie  beschrieben,  der  Bruchsack  in  sich  eingestülpt  und 


3 68  Specielle  Operationslehre. 

die  Zange  durch  den  Schenkelring  durch  hinter  die  Bauchwand 
geführt,  oberhalb  des  Lig.  Pouparti  an  den  straff  gefügten  lateralen 
Schenkel  des  Leistenrings  angedrückt,  eine  kleine  Oeffhung  gemacht, 
der  umgestülpte  Bruchsack  durchgestossen,  die  Spitze  des  Bruch- 
sackes gefasst  und  ganz  gleich  verfahren,  wie  bei  der  Leistenhernie 
beschrieben.  Dann  wird  die  Bruchpforte  verengt  durch  Nähte  in 
der  Weise,  dass  man  durch  das  Lig.  Pouparti  und  durch  die  Fascia 
pectinaea  sammt  dem  Lig.  Cooperi  (auf  dem  Schambein)  tief  durch- 
sticht. Durch  2 — 3  Nähte-  wird  so  das  PouPART'sche  Band  gleich- 
sam als  Stütze  und  Verlängerung  des  Lig.  Gimbernati  auf  die  Fascia 
pectinaea  festgenäht  bis  zur  Vena  femoralis,  wo  man  der  Gefahr 
von  Thrombose  wegen  nicht  einen  weitergehenden  Schluss  des 
Schenkelrings  machen  darf.  Eine  Verletzung  der  Vena  femoralis 
durch  die  Nadel  ist  sorgfältig  zu  vermeiden. 

Bei  Schenkelbrüchen  mit  breiter  Basis  sowohl,  als  bei  directen 
Leistenbrüchen,  welche  ebenfalls  eine  sehr  breite  Basis  und  keinen 
eigentlichen  (eingeschnürten)  Bruchsack  h  a  1  s  haben,  ist  es  besser,  nach 
dem  alten,  erst  geschilderten  Verfahren,  mit  hoher  Abtragung  des 
Bruchsacks,  vorzugehen.  Bei  directen  Leistenhernien  hat  man  ja 
ohnehin  keine  Schwierigkeit,  einen  exacten  Schluss  der  Bruchpforte 
durch  Nähte  zu  bewirken,  da  der  Samenstrang  hier  wenig  im  Wege  ist. 

Bei  der  Operation  des  Leistenbruches  bei  Frauen  hat  man  auf 
keinen  Samenstrang  Rücksicht  zu  nehmen,  und  ist  daher  der  Ver- 
schluss des  Leistencanals  sehr  einfach  zu  beschaffen.  Indess  liegt  das 
Lig.  rotundum  (mit  seinen  begleitenden  Gefässen)  dem  Bruchsack  enge 
an  und  kann  event.  mit  dem  Bruchsack  lateralwärts  zu  der  Oeffnung 
in  der  Fascia  obliqua  herausgezogen  und  an  dieser  durch  Naht  be- 
festigt werden,  da  seine  blosse  Durchtrennung  Anlass  zu  Lage  Ver- 
änderung der  Gebärmutter  geben  könnte. 

155)  Verkürzung  der  Ligamenta  rotunda.  Alexander's 
Operation  (Fig.  in). 

Das  Ligamentum  rotundum  beim  weiblichen  Geschlecht  wird  in 
ganz  analoger  Weise  isolirt,  wie  der  Samenstrang.  Es  ist  dies  leichter, 
weil  von  den  bedeckenden  Hüllen  der  Cremaster  wegfällt  und  eine 
ausgebildete  Fascia  infundibuliformis  nicht  vorhanden  ist,  aber 
schwieriger,  weil  das  Ligament  oft  dünn  ist.  Es  ist  von  einer  eigenen 
Arterie  begleitet.  Wie  man  den  Schnitt  anlegt,  hängt  übrigens  von 
der  Art  und  Weise  ab,  wie  man  die  Vornähung  des  Ligaments  be- 
sorgen will  bei  Retroversio,  Retroflexio  und  Prolapsus  uteri. 
Wir  haben  sehr  gute  Resultate  erzielt  mit  folgender  Modification 
der  Alex  ander  '  s  c  h  e  n  Operation. 

Schnitt  über  den  zwei  inneren  Dritteln  des  Lig.  Pouparti  durch 
Haut  und  Fascia  superficialis,  stark  x/2  cm  oberhalb  des  unteren 
Randes  dieses  Ligaments,  den  man  sehr  genau  sieht. 


Abdomen. 


369 


Ligamentum"! 
rotundum     | 
nach  oben    ' 
gezogen,  auf), 
die  Fascia    I 
obl.  ext. 
gelegt 
Heraus- 
gezogener 
Peritoneal-  | 
kegel        I 
Fascia  trans-l 
versa        f 
Fascia  der 
tiefen  Bauch- 
muskeln 
Umgeschla- 
gene Fascia 
obl.  ext.  (vor- 
dereWand  des  I 
Leistencanals) ' 
Lig.  Collesii 


fFascia'  obli- 
\  qui  externi 

(M.  obliquus 
1  internus 
(Lig.  uteri 
\rotundum 
(  Arteria 
iepigastrica. 
I     inferior! 

A.  epi- 
.  gastrica 
I  super- 
'    ficialis 


Hautvene 


Fig.  in.  Alexander's  Operation  für  Retroflexio  uteri  nach  Kocher  modificirt. 
Rechts  in  der  Figur  ist  der  Leistencanal  ganz  gespalten;  wir  spalten  ihn  jetzt 
nicht  mehr  bis  in  den  vorderen  Leistenring  hinein.  Dagegen  sieht  man  gut, 
wo  das  Ligament  am  besten  isolirt  wird.  Links  in  der  Figur  ist  das  Ligament 
abgeschnitten  gezeichnet,  während  wir  es  jetzt  weder  durchschneiden  noch 
unten  ablösen,  sondern  als  herausgezogene  Schlinge  auf  der  Aponeurose  fest- 
nähen. Der  Peritonealkegel,  welcher  lateral  von  der  Vasa  epigastrica  inf. 
emporgezogen  wird,  ist  gut  wiedergegeben. 
Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  24 


370  Speciclle  Operationslehre. 

Die  Arteria  epigastrica  superficialis  in  der  Fascia  superficialis 
nebst  Vene,  eine  am  inneren  und  eine  am  äusseren  Wundwinkel 
senkrecht  emporsteigende  Vene  werden  unterbunden.  Ueber  der 
inneren  Hälfte,  d.  h.  über  dem  Leistencanal,  wird  die  Fascie  des 
Obliquus  abdominis  externus,  d.  h.  die  vordere  Wand  des  Leisten  - 
canals  gespalten,  nicht  bis  in  den  vorderen  Leistenring  hinein. 
Jetzt  kann  man  durch  festes  Einsetzen  der  Kropfsonde  auf  die 
Rinne  des  Ligamentum  Pouparti  das  Ligamentum  rotundum  nebst 
begleitendem  dünnen  Gefässstrang  von  den  bedeckenden  Muskel 
fasern  des  Obliquus  abdominis  internus  und  Transversus  leicht 
isoliren  und  emporheben.  Nunmehr  wird  der  centrale  Theil  in  der 
Richtung  gegen  die  Spina  ant.  sup.  ilii  kräftig  auf-  und  lateral- 
wärts  gezogen.  Dadurch  wird,  wie  man  sich  am  Cadaver  leicht 
überzeugen  kann,  der  Uterus  vollständig  emporgezogen,  nach  vorne 
gebogen  und,  wenn  man  beiderseitig  operirt,  nach  beiden  Seiten  so 
gespannt,  dass  er  in  seiner  neuen  Lage  fixirt  bleibt. 

Es  wird  aber  bei  dem  kräftigen  Hervorziehen  gleichzeitig  mit 
dem  Ligament  lateralwärts  von  der  Arteria  epigastrica  inferior 
ein  bis  3  cm  langer  Kegel  des  Peritoneum  emporgehoben.  Der- 
selbe kann  durch  gute  Isolirung  des  Ligaments  mit  einem  Gaze- 
tupfer stumpf  zurückgeschoben  werden,  wobei  freilich  das  Peritoneum 
ab  und  zu  einreisst  und  mittelst  einer  Naht  geschlossen  werden  muss. 
Sobald  man  sich  überzeugt  hat,  dass  kein  Eingeweide  sich  in  diesen 
Kegel  vorgedrängt  hat  und  dass  der  Uterus  völlig  emporgezogen 
ist,  wird  die  Schlinge  des  Ligamentes  auf  der  Fascia  obliqui  externi 
oberhalb  der  lateralen  Hälfte  des  Lig.  Pouparti  durch  3  —  4  das 
Ligamentum  rotundum  nur  theilweise  mitfassende  Seidennähte  an- 
genäht. Dann  wird  durch  tiefe  Nähte  der  Leistencanal  —  nament- 
lich um  den  Peritonealkegel  herum  —  wieder  geschlossen,  indem 
man  das  Lig.  Pouparti  mit  dem  oberen  Schnittrand  der  Fascia  obliqui 
externi  sammt  dem  darunter  liegenden  M.  obliquus  internus  und 
transversus  und  hinten  die  Fascia  transversa  in  die  Naht  fasst. 

Wie  aus  der  Beschreibung  ersichtlich,  trennen  wir  nicht  wie 
früher  das  Lig.  rotundum  von  seinen  Symphysenansätzen  los,  sondern 
lassen  das  im  peripheren  Theil  des  Leistencanals  liegende  Stück 
ruhig  liegen,  indem  wir  bloss  das  in  die  Peritonealhöhle  sich  fort- 
setzende Stück  hervorziehen  und  dasselbe  auf  die  Fascia  obl.  ext. 
lateralwärts  in  Form  einer  Schlinge  ungetrennt  fixiren.  Dadurch 
wird  die  Operation  einfacher  und  nicht  weniger  wirksam. 

Die  Operation  ist  so  einfach,  dass  man  nicht  begreift,  warum 
Frauenärzte  noch  Fälle  von  uncomplicirter  Retroflexio  und  Retro- 
versio  uteri,  wenn  dieselben  Beschwerden  verursachen,  mit  Pessarien 
Monate  lang  hinschleppen  mögen. 


Abdomen.  xii 

156)  Die  Operationen  bei  Appendix-Erkrankungen. 

Die  operativen  Eingriffe  bei  Appendicitis  haben  in  den  letzten 
Jahren  so  riesige  Dimensionen  angenommen,  dass  es  schwer  ist, 
Regeln  aufzustellen  für  dieselben.  Wo  jeder  beschäftigte  Chirurg 
seine  Operationen  nach  Hunderten  zählt  und  die  Statistik  Einzelner 
in  die  Tausende  geht,  muss  man  sich  hüten,  irgend  einen  Theil  der 
Frage  für  irgend  Jemanden  erschöpfend  zu  behandeln.  Wir  be- 
schränken deshalb  hier  unsere  Angaben  auf  das  Nöthigste. 

Die  Bedeutung  der  sogen.  Appendicitisoperationen  ist  eine 
diametral  verschiedene,  je  nachdem  man  die  sogen.  Radicaloperation 
im  Ruhestadium  oder  die  Operation  im  acuten  Stadium  in  Betracht 
zieht.  Die  Radicaloperation,  wie  sie  von  der  Mehrzahl  der  Chirurgen 
geübt  wird,  ist  gar  keine  Appendicitisoperation,  sondern  in  der 
Grosszahl  der  Fälle  wird  eine  Appendix  herausgeschnitten,  welche 
absolut  nichts  mehr  von  Entzündung  darbietet,  nur  weil  sie  einmal 
Sitz  von  Entzündung  gewesen  ist,  deren  Folgen  noch  zu  erkennen 
sind.  Diese  Operation  ist  den  anderen  Fällen  an  die  Seite  zu  stellen, 
bei  welchen  die  Operation  gemacht  wird  wegen  Beschwerden  in  Form 
der  Appendicularkolik,  wo  an  der  Appendix  objectiv  nichts  Krank- 
haftes wahrzunehmen  ist,  wo  man  bloss  ausnahmsweise  noch  eine 
Ulceration,  öfter  Kothretention,  Steine,  allenfalls  noch  Knickungen 
als  Grundlage  vorfindet.  Roux  fand  in  39  Proc.  seiner  Radical- 
operationen  keine  auffällige  Veränderung,  in  61  Proc.  der  Fälle  eine 
Perforation,  Narbe  oder  Verengerung. 

Dass  eine  solche  Operation  unvergleichlich  günstiger  sich  stellen 
muss  als  die  Operation  bei  bestehender  Entzündung,  liegt  auf  der 
Hand.  Bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Abdominal  Chirurgie  ist 
eine  Operation  an  einem  so  kleinen  Organ,  wie  die  Appendix  vermi- 
formis, vollkommen  gefahrlos  und  kann  ohne  die  geringsten  Be- 
denken ausgeführt  werden.  Hier  ist  die  Mortalität  in  den  Händen 
eines  aseptisch  geschulten  Chirurgen  =  Null.  Diese  Radicaloperation 
ist  es,  welche  man  als  Kleinod  der  operativen  Chirurgie  gepriesen 
hat.  Ohne  Gefährdung  des  Patienten  schafft  sie  dem  Chirurgen  bei 
minimaler  Mühe  und  Sorge  die  Befriedigung,  einen  Patienten  für 
immer  vor  Beschwerden  nicht  nur,  sondern  vor  drohender  Lebens- 
gefahr bewahrt  zu  haben. 

Roux  kommt  zu  dem  Schluss,  dass  man  bei  jedem  Patienten 
die  Radicaloperation  machen  solle,  welcher  einmal  einen  Appendicitis- 
anfall  überstanden  hat,  im  Gegensatz  zu  anderen  Chirurgen,  welche 
einen  schweren  oder  mehrere  Anfälle  abwarten  wollten  und  auch  zu 
den  anderen  Chirurgen,  welche  prophylaktisch  den  Wurmfortsatz 
exstirpiren  wollen.  Unsere  eigenen  Erfahrungen  haben  uns  dazu 
gebracht,  wo  wir  gefragt  werden  oder  bei  Unmündigen  stets 
zur  Radicaloperation    zu   rathen,    wo   ein  sicherer  An- 

24* 


372  Specielle  Operationslehre. 

fall  von  Appendicitis  überstanden  worden  ist  oder 
wo  wiederholte,  wenn  auch  leichte  Beschwerden  mit 
Sicherheit  auf  Veränderungen  in  der  Appendix  sich 
zurückführen  lassen. 

Welcher  Arzt  hat  es  nicht  erlebt,  dass  ein  Patient  nach  i — 2-maligem 
Ueberslehen  leichter  und  unbedeutender  Anfälle  plötzlich  einen 
heftigen  weiteren  Anfall  bekommt,  der  ihn  in  wenigen  Tagen  dahin- 
rafft! Solche  überaus  traurige  Erfahrungen,  dass  selbst  die  unbe- 
deutendsten Anfälle  nicht  die  geringste  Garantie  geben,  dass  nicht 
die  allerschwersten  darauf  folgen,  drücken  dem  Chirurgen  das  Messer 
in  die  Hand. 

Wo  man  die  Wahl  hat,  wird  man  sicherlich  die  Mahnung  von 
Roux  und  anderen  besonders  erfahrenen  Appendix-Specialisten  be- 
herzigen, die  Operation  stets  im  Stadium  zu  machen,  wo  die  ent- 
zündlichen Erscheinungen  vollkommen  geschwunden  sind. 

a)  Radicaloperation  bei  nicht  entzündeter  Appendix. 

Die  Methode,  welche  hier  die  grösste  Aussicht  giebt,  ohne  üble 
Folgen  das  Abdomen  zu  eröffnen  und  den  Processus  vermiformis 
entfernen  zu  können,  ist  die  permusculäre.  Denn  wenn  man  absieht 
von  Infection,  welche  da  ausgeschlossen  sein  sollte,  so  ist  es  bloss 
die  Bildung  einer  Bauchhernie,  welche  einen  Schaden  der  Operation 
darstellen  könnte.  Geht  man  durch  die  Muskeln  hindurch  und  ver- 
meidet man  eine  Läsion  der  dieselbe  versorgenden  Nervenzweige, 
so  ist  von  Bauchhernie  nicht  die  Rede.  Und  nicht  bloss  das:  Ein 
Patient,  in  dieser  Weise  operirt,  kann  ebensogut  wie  unsere  an 
Hernien  radical  operirten  Patienten  nach  8  Tagen  das  Bett  verlassen 
und  seiner  Beschäftigung  wieder  nachgehen. 

Der  Schnitt  wird  absichtlich  im  Bereich  der  3  Bauchmuskeln 
geführt,  3  Fingerbreit  oberhalb  und  parallel  dem  PouPART'schen 
Bande,  also  mehr  horizontal  und  etwas  mehr  lateral  als  der  in  Fig.  1 1 2 
gezeichnete  Schnitt,  welcher  auf  Vermeidung  der  Muskeln  abgesehen 
ist.  Spaltung  von  Haut,  Unterhaut  mit  Fett,  Fascie  des  Obliquus 
abdominis  externus.  Zwischen  die  Fasern  des  Muskels  geht  man 
mit  stumpfen  Sonden  ein  (Kropfsonde)  und  zerrt  dieselben  ausein- 
ander, bis  man  sie  mit  stumpfen  Haken  kräftig  zur  Seite  ziehen 
kann.  Folgt  die  Spaltung  der  den  M.  obliquus  internus  bedeckenden 
Fascie,  und  die  Auseinanderziehung  seiner  Fasern  entsprechend  ihrer 
Richtung  und  Wiedereinsetzen  stumpfer  Haken,  endlich  dasselbe 
Manöver  mit  dem  M.  transversus. 

Jetzt  liegt  die  Fascia  transversa  frei  und  wird  gespalten.  Das 
Peritoneum  braucht  bloss  2  bis  3  cm  weit  eröffnet  zu  werden,  um 
den  Finger  einzuführen  und  das  Coecum  herauszuholen,  bis  die  Ein- 
trittsstelle  des  Ileum  erscheint.     Im  Winkel  zwischen  beiden,    da  wo 


Abdomen. 


373 


die  vordere  Stria  (vergl.  Fig.  113)  mündet,  findet  man  mit  Sicherheit 
die  Abgangsstelle  des  Processus,  welcher  zuerst  gesucht  wird. 
Derselben  folgend  wird  die  Appendix  freigemacht  und  vor  die  Bauch- 
wunde gebracht. 

An  der  Basis  wird  eine  kleine  Presszange  angelegt,  abgenommen 
und  die  gepresste  Stelle  mit  einem  Seidenfaden  umschnürt,  oberhalb 
durchgeschnitten.  Die  Presszange  darf  nicht  zu  schmal  sein,  damit 
ein  gutes  Stück  gepresst  werde  und  man  nicht  durch  einen  nicht 
gepressten  Theil  durchschneiden  müsse.  Die  Schnürnaht  wird  mittelst 
einer  kurzen  fortlaufenden  Serosanaht  übernäht.  Es  ist  am  besten, 
die  Serosanaht  mit  demselben  Faden  zu  machen,  welcher  die  kleine 
Arterie  des  Mesenteriolum  ligirt  hat. 

In  diesen  einfachen  Fällen,  wo  an  dem  Appendix  keine  wesent- 
lichen makroskopischen  Veränderungen  bestehen,  wird  ohne  Drainage 
Peritoneum  sammt  Fascia  transversa  geschlossen  (event.  nach  Quervain 
mit  Tabaksbeutelnaht),  dann  1  oder  2  Nähte  zur  Näherung  der  Muskel- 
ränder angelegt  —  was  meist  nicht  einmal  nöthig  ist,  die  Fascia  obl. 
ext.  fortlaufend  geschlossen  und  die  Haut  vereinigt. 

b)  Radicaloperation  bei  Entzündung. 

Das  andere  Extrem  der  Radicaloperation  gegenüber  dem  ge- 
schilderten ist  dasjenige,  wo  man  im  acuten  Entzündungsstadium, 
d.  h.  ganz  im  Beginn  eines  Anfalles  die  Entfernung  des  Proc.  vermi- 
formis vornimmt.  Hauptverfechter  dieser  Methode  sind  Rehn,  Ber- 
nays u.  A.,  früher  auch  Sonnenburg.  Derjenige  Chirurg,  welcher 
vielleicht  in  der  besten  Lage  gewesen  ist,  der  Indication  der  Radical- 
operation jeder  Appendicitis  im  Beginn  der  acuten  Erkrankung  zu 
genügen,  ist  Bernays.  Er  entfernt  die  Appendix  principiell  in  jedem 
Falle  während  des  acuten  Stadiums,  wartet  sogar  ohne  zu  operiren, 
wenn  dieses  Stadium  überstanden  ist,  ab,  bis  ein  zweiter  Anfall  sich 
einstellt.  Mitten  im  Infections-  und  Entzündungsherd  finden  hier  die 
operativen  Eingriffe  statt. 

Dass  hier  die  Schwierigkeiten  ungleich  grössere  sind,  als  bei 
der  Appendixoperation  im  Ruhestadium,  hegt  auf  der  Hand.  Es 
darf  deshalb  nicht  wundern,  wenn  diesem  Verfahren  so  viele  Chirurgen 
absolut  abhold  sind.  Die  Resultate  von  Bernays  zeigen  aber,  dass  dies 
allerdings  die  ideale  Methode  der  Behandlung  ist.  71  Fälle  hinter 
einander  von  acuten,  eitrigen  oder  gangränösen  Fällen  zum  Theil  mit 
acuter  Peritonitis  hat  Bernays  durchgebracht.  Dass  auch  ohne  einen 
solchen  Eingriff  die  Grosszahl  der  Appendicitisfälle  einen  glücklichen 
Ausgang  nehmen  und  später  gefahrlos  gemüthlich  operirt  werden 
können,  bestreitet  Niemand;  aber  nicht  weniger  sicher  ist,  dass  bei 
halb  exspectativer,  halb  operativer  Behandlung  eine  grössere  Procent- 
zahl  der  Kranken   unrettbar   dem  Tode  verfallen  ist.     Spitalberichte 


374 


Specielle  Operationslehre. 


und  Mortalitätstabellen  weisen  in  allen  Ländern  noch  eine  bedenkliche 
Mortalität  auf  an  acuten  Peritonitiden,  welche  zum  weitaus  grössten 
Theile  auf  Appendicitis  zurückzuführen  sindj1). 

Die  Operation  muss  im  acuten  Stadium  ergiebigeren  Zugang 
schaffen,  als  bei  der  Radicaloperation  im  Ruhestadium  nöthig  ist. 
Man  wählt  daher  die  Stelle,  wo  keine  oder  das  Minimum  von  Mus- 
culatur  anzutreffen  ist  und  wo  man  durch  die  dünnsten  Schichten  in 


Fascia  obl.  ext. 


Fascia  obl.  int. 
et  transversi 

Fascia  trans 

versa  mit 

Peritoneum 


Spina  a.  s.  ilii 


Fig.  112.    Resectio  processus  vermiformis  mit  Fascienschnitt  am  Rectusrand.   I. 
Schrägschnitt  in  der  Mitte  zwischen  Nabel  und  Spina  ant.  sup.^üii  bis  auf  die 

Fascia  transversa. 


directester  Linie  auf  den  Processus  stösst.  Dies  ist  der  Mc  BuRNAY'sche 
Punkt,  wo  Senn,  Barker  und  Bernays  u.  A.  einschneiden  und  wo 
wir  bei  jedem  schwierigen  Falle  die  Operation  zu  beginnen  rathen: 
Schnitt  von  8—10  cm  Länge  in  der  Mitte  zwischen  Nabel  und 
Spina  ant.  sup.  ilii  schräg  medianabwärts  am  Rande  des  Rectus, 
so  dass  letzterer  gar  nicht  und  von  den  breiten  Bauchmuskeln  bloss 
die    vordersten   Fasern    getroffen   werden    (Fig.    112).     Der   Schnitt 

1)  Ich  habe  mehr  als  einmal  von  erfahrenen  Praktikern  den  Ausspruch 
gehört,  dass  an  einer  Perityphlitis  Niemand  sterbe.  Das  ist  zuzugeben  — 
wenn  man  alle  Fälle  von  secundärer  Peritonitis  und  von  meta- 
statischen Entzündungen  ausmerzt! 


Abdomen. 


375 


Fig.  113.  Radicaloperation  bei  Appendix -Erkrankung.  Das  Coecum  ist  vor- 
gezogen sammt  unterstem  Ileumende.  Man  sieht,  wie  eine  Stria  des  Dick- 
darms direct  an  der  Wurzel  des  Processus  endigt,  dessen  Mesenteriolum  schön 

sichtbar  ist. 


■276  Specielle  Operationslehre. 

trennt  die  Haut  und  fettreiche  Fascia  superficialis,  die  Fascie  des 
M.  obliquus  externus,  danach  neben  einigen  Muskelfasern  der  tiefen 
Muskelschichten  wesentlich  bloss  die  Fascien  derselben.  Die  Fascia 
transversa  ist  sehr  deutlich  und  bedeckt  oft  die  Serosa  unmittelbar, 
kann  aber  ohne  Verletzung  letzterer  gespalten  werden.  Das  Peri- 
toneum wird  mittels  Pincette  in  eine  Falte  emporgehoben  und  bloss 
eine  kleine  Incision  gemacht,  weil  Adhäsionen  eine  Verletzung  des 
Darmes  möglich  machen,  danach  mit  der  Scheere  weiter  gespalten. 
Nun  fasst  man  das  Peritoneum  mit  Klammern,  geht  mit  dem  Finger 
ein,  holt  nach  event.  Lösung  von  Adhäsionen  das  Coecum  zur  Wunde 
heraus  und  orientirt  sich  über  die  Einmündungssteile  des  Ileum. 
Im  Winkel  zwischen  Ileum  und  Coecum  findet  sich  die  Abgangs- 
stelle des  Processus  vermiformis,  da,  wo  die  vordere  Stria  endigt 
(s.  Fig.  113).  Von  dieser  aus  verfolgt  man  den  so  verschieden  ge- 
lagerten freien  Theil  der  Appendix  und  zieht  sie  hervor.  Nicht  selten 
bekommt  man  bei  Enteroptose  des  weiblichen  Geschlechts  zuerst  das 
Colon  transversum  in  die  Finger,  erkennt  aber  dasselbe  leicht  an 
seiner  freien  Beweglichkeit  und  am  grossen  Netz,  das  ihm  anhängt. 
Es  ist  nicht  immer  leicht,  das  Coecum  und  Ileum  aus  der  Wunde 
herauszubekommen  und  namentlich  sind  oft  Adhäsionen  des  Netzes 
hinderlich,  die  man  weiter  oben  umgehen  muss,  um  das  Netz  nach 
doppelter  Unterbindung  abzutragen.  Noch  mehr  Noth  können  Ver- 
wachsungen von  Dünndarmschlingen  machen.  Es  ist  aber  durchaus 
nöthig,  diese  Verwachsungen  gründlich  zu  trennen,  so  dass  alle 
verwachsenen  Darmabschnitte  gehörig  aus  der  Bauchhöhle  heraus- 
gezogen werden  können;  nur  dann  kann  man  verdünnte  oder  per- 
forirte  Stellen  am  Darm  genau  sehen,  exact  nähen  und  so  den 
Verlauf  sichern.  Der  Processus  wird  abgetragen,  wie  oben  geschildert, 
bloss  wird  zur  Schnürnaht  und  zur  deckenden  Serosanaht  wegen 
vorhandener  Infectionsstoffe  resorbirbares  Catgut  verwendet. 

Die  Nachbehandlung,  wenn  bei  bestehender  Entzündung  operirt 
wird,  darf  niemals  einen  sofortigen  Schluss  der  Bauch  wunde  in 
toto  in  Aussicht  nehmen.  Bernays  legt  einen  5 — 6  cm  breiten  und 
15 — 20  cm  langen  Gazestreifen  um  den  Stumpf  der  Appendix  und 
auf  jedes  Darmstück,  auf  welchem  Auflagerung  von  Fibrin,  Verfärbung 
oder  Eiter  sich  zeigt.  Mittelst  dieser  Streifen  wird  eine  Drainage 
hergestellt.  Das  Wichtigste  ist,  jede  Eiteransammlung  durch  Drain- 
röhren auf  kürzestem  Wege  nach  aussen  zu  leiten.  Wir  schliessen 
in  solchen  Fällen  die  Wunde  bloss  mit  Peritonealfasciennaht  und 
zwar  mit  Knopf  nähten  und  lassen  den  Rest  der  Wunde  offen,  um 
sie  nach  ein  paar  Tagen  mittelst  Secundärnaht  zu  schliessen. 

Bei  dieser  Behandlung  unter  Zurechnung  der  Fälle,  wo  allge- 
meine Peritonitis  früh  sich  einstellte  und  wo  der  Verlauf  ein  fulmi- 
nanter war,  nimmt  Bernays  98  Proc.  Heilungen  in  Aussicht. 


Abdomen. 


377 


Die  Radicaloperation  im  Anfangsstadium  des  acuten  Anfalls  hat 
zur  Voraussetzung,  dass  man  die  Fälle  zu  einer  Zeit  zu  Gesicht  be- 
komme, wo  der  Infectionsherd  noch  auf  die  Ileocöcalgegend  be- 
schränkt ist  oder  wenigstens  eine  Peritonitis  nicht  im  Bereich  der 
ganzen  Bauchhöhle  zu  Abscessabkapselung  geführt  habe.  Aber 
leider  sind  wenige  Chirurgen  in  der  glücklichen  Lage,  einen  so 
wohl  disciplinirten  Aerzte-  und  Patientenkreis  um  sich  zu  haben. 
Es  ist  bei  uns  Regel,  dass  die  ersten  kostbaren  Stunden  und  Tage 
vorbeigehen,  wo  wirkliche  Periappendicitis  und  Perityphlitis  vorliegt 
und  die  Zeit  abgewartet  wird,  wo  man  nach  Eintritt  allgemein  peri- 
tonitischer  Symptome  eine  dringliche  Lebensgefahr  voraussieht. 

So  kommt  es,  dass  die  meisten  Chirurgen  die  Perityphlitisfälle 
in  dem  fatalen  Intermediärstadium  des  ausgebildeten  Abscesses  zu 
Gesichte  bekommen.  Roux  findet  als  weitaus  häufigste  Grundlage 
der  Appendicitis  eine  Phlegmone  dieses  Organes  und  hält  die  Unter- 
scheidung einer  katarrhalischen  und  ulcerösen  Appendicitis  praktisch 
für  werthlos.  Wir  halten  es  für  sehr  wichtig,  festzustellen,  dass  ent- 
gegen noch  so  vielfachen  Deutungen  Interner  die  acute  Appendicitis 
fast  stets  eine  exsudative  Periappendicitis  ist,  meist  Folge  einer  Perfo- 
ration und  danach  zu  behandeln.  Ihr  Ausg'ang  ist  die  Abscessbildung, 
welche  durch  Perforation  (meist  in  den  Dünndarm  aber  auch  Dickdarm 
oder  andere  Organe  oder  nach  aussen)  oder  durch  Resorption  spontan 
heilen  oder  durch  secundäre  Perforation  zu  ausgebreiteter  eitriger 
Peritonitis  und  durch  Allgemeininfection  zum  Tode  führen  kann.  Da 
letzterer  Ausgang  in  keinem  Falle  sicher  auszuschliessen  ist,  so 
müssen  wir  die  Appendicitis  auch  im  Intermediärstadium  behandeln. 

c)  Operation   der  perityphlitischen  Abscesse. 

Im  Intermediärstadium  handelt  es  sich  nicht  in  erster  Linie  um 
Radicalheilung  durch  Entfernung  der  Appendix,  sondern  um  Be- 
seitigung der  dringenden  Gefahr,  welche  ein  acuter  Abscess  in  der 
Bauchhöhle  mit  sich  bringt.  Bloss  soweit  die  Heilung  des  Abscesses 
die  Entfernung  des  Appendix  zur  Voraussetzung  hat,  kommt  letztere 
in  Betracht,  was  allerdings  nicht  selten  der  Fall  ist. 

Es  genügt,  zwei  Formen  von  Abscessbildung  zu  unterscheiden, 
welche  für  die  Prognose  ausschlaggebend  sind:  die  isolirte  und  die 
multiple.  Wo  es  sich  nur  um  eine  (oder  einmal  auch  2  oder  3) 
isolirte  Eiterherde  im  Bereich  der  Appendix  handelt,  also  um  eine 
Perityphlitis  und  Periappendicitis  purulenta,  da  ist  die  Indication  klar 
und  die  Prognose  eine  gute.  Der  Abscess  muss  eröffnet  und  gründ- 
lich entleert  werden. 

Art  und  Ort  der  Eröffnung  hängen  von  der  Stelle  ab.  Abscesse 
entwickeln  sich  nicht  nur  an  der  klassischen  Stelle  zwischen  Nabel 
und  Spina  ilii  a.  s.,    sondern   auch  im  kleinen  Becken,   in  der  linken 


378  Specielle  Operationslehre. 

Fossa  iliaca,  gegen  den  Nabel,  in  der  rechten  Lendengegend,  unter 
dem  Zwerchfell,  je  nach  Lage  der  Appendix.  Die  Incision  kann 
deshalb  durch  Spaltung  von  Rectum,  hinterer  Vaginalwand,  in  der 
Mittellinie  des  Abdomen,  über  dem  linken  Lig.  Pouparti,  in  der  rechten 
Lendengegend,  am  Nabel,  am   Rippenrand  nöthig  werden. 

Bei  „normaler"  Lage  des  Abscesses  incidirt  man  am  besten 
parallel  und  nahe  dem  Lig.  Pouparti  selbst  in  Fällen,  wo  die  Haupt- 
schwellung sich  höher  hinauf  findet  und  der  Druckschmerz  und  die 
Resistenz  weiter  oben  am  intensivsten  sind.  Man  kommt  bei  In- 
cision entfernt  vom  Lig.  Pouparti  öfters  noch  in  die  freie  Bauch- 
höhle an  Stellen,  wo  das  Exsudat  oberflächlich  erscheint.  Man  spaltet 
fingerbreit  über  dem  Ligament  Haut,  Fascia  superficialis  und  obliqui 
externi,  hebt  stumpf  die  oft  schon  speckig  infiltrirten  tiefen  Bauch- 
muskeln aus  der  Rinne  des  Lig.  Pouparti  empor  und  dringt  mit 
einer  Kropfsonde  auf-  und  rückwärts  gegen  das  Exsudat  vor,  bis 
der  Eiter  vorquillt. 

In  Fällen,  wo  die  Entzündung  schon  im  Rückgang  ist,  dringt 
man  tief  in  speckige  Schwarten  ein.  Man  muss  Sorge  tragen,  nicht 
in  den  Muse,  iliopsoas  einzubohren.  Bei  Medianschnitt  ist  dieses 
stumpfe  Vordringen  nach  Spaltung  der  Fascien  und  Linea  alba  eben- 
falls gerathen,  um  die  Blase  zu  schonen,  welche  häufig  dem  Abscess 
direct  anliegt. 

Trotz  Abscesseröffnung  tritt  oft  die  Heilung  nur  sehr  langsam 
oder  gar  nicht  ein  und  der  Kranke  kann  nachträglich  zu  Grunde 
gehen.  Es  ist  dies  der  Fall,  wenn  man  einen,  vielleicht  noch  so  grossen 
umschriebenen  Abscess  gespalten  hat,  während  andere  Abscesse  vor- 
handen sind,  welche  nicht  mit  der  Haupthöhle  communiciren. 

Um  die  Heilungsdauer  in  solchen  Fällen  abzukürzen  und  die 
Heilung'  zu  sichern,  haben  wir  für  dieses  Intermediärstadium  vorge- 
schlagen, nach  der  Abscesseröffnung  und  zwar  im  Anschluss  daran 
nach  24  Stunden  oder  einigen  Tagen  die  Radicaloperation  anzu- 
schliessen  in  der  Weise,  dass  wir  —  ganz  wie  für  die  Radicaloperation 
im  acuten  Stadium  beschrieben  —  völlig  unabhängig  von  der  In- 
cisionsstelle  der  Eiterherde  und  möglichst  entfernt  von  derselben, 
d.  h.  am  Rectusrand  ineidiren,  und  die  Radicaloperation  ausführen. 
Die  Verklebungen  werden  sorgfältig  gelöst,  die  Appendix  freige- 
macht sammt  dem  Coecum,  falls  dies  nöthig  ist,  vor  die  Wunde  ge- 
bracht und  in  beschriebener  Weise  resecirt.  Naht  mit  Catgut.  Die 
anstossenden  fibrinös  belegten  Dünndärme  müssen  wie  das  Coecum 
nachgesehen  werden  wegen  allfälligen  seeundären  Perforationen. 

Wie  im  acuten  Stadium  muss  die  Wunde  bis  zum  Stumpf  der 
Appendix  mit  einem  Xeroformgazestreifen  leicht  ausgestopft,  neben 
derselben  ein  Glasdrain  eingeführt  und  dieser  Verband  durch  einen 
sorgfältigen   Collodialdeckverband    völlig    abgeschlossen    von  der  In- 


Abdomen. 


379 


cisionswunde  des  Abscesses  gehalten  werden.  Mittelst  dieses  Ver- 
fahrens haben  wir  grosse  Abscesse  nach  Eröffnung  nach  aussen  relativ 
rasch  zur  Ausheilung  kommen  sehen  und  konnten  nach  ein  paar 
Wochen  die  Patienten  entlassen,  ohne  sie  mit  der  Aussicht  auf  eine 
nochmalige  Operation  behufs  radicaler  Heilung  beunruhigen  zu  müssen. 

d)  Behandlung  der  Peritonitis  diffusa  nach  Appen- 
dicitis. 

Es  ist  eine  Frage  der  Virulenz  der  Bakterien  einerseits,  des 
Quantums  von  Infectionsstoffen  andererseits,  welche  in  die  Peritoneal- 
höhle austreten,  ob  rasch  eine  diffuse  Peritonitis  mit  ihren  Gefahren 
zu  Stande  kommt.  Ist  die  Perforation  gross,  wie  bei  ausgedehnter 
Gangrän  des  Wurmfortsatzes,  liegt  sie  an  der  Basis,  wo  Darminhalt 
aus  dem  Coecum  zutreten  kann,  so  ist  die  Gefahr  eine  viel  grössere. 
Roux  findet  stets  seröses  oder  seropurulentes  Exsudat  in  der  freien 
Peritonealhöhle.  Aber  zweifellos  begrenzen  sich  die  Exsudate  fast  aus- 
nahmslos von  selbst.  Es  wird  deshalb  von  sehr  erfahrenen  Chirurgen  der 
Standpunkt  eingenommen,  zu  warten,  bis  sich  Abscesse  gebildet  haben, 
welche  der  Spaltung  ohne  Eröffnung  der  freien  Bauchhöhle  zu- 
gänglich sind.  Leider  giebt  es  aber  Abscesse,  welche  nicht  zugänglich 
werden  und  den  Exitus  herbeiführen ,  bevor  man  zur  Eröffnung 
derselben  kam. 

Man  findet  ja  auch  nach  Eröffnung  grosser  perityphlitischer  Ab- 
scesse bei  Autopsien  noch  multiple  Abscesse  zwischen  den  Därmen, 
zwischen  Netzverklebungen,  gegen  das  Zwerchfell  zu  über  Leber 
und  Milz.  Es  ist  gewiss,  dass  ein  Theil  dieser  Abscesse  durch 
secundäre  Perforation  primär  rein  perityphlitischer  Eiterherde  ent- 
standen und  nicht  die  directe  Folge  der  bei  Perforation  der  Appendix 
ausgetretenen  Infectionsstoffe  ist.  Es  sind  auch  diese  Abscessper- 
forationen  gefährlicher  sls  die  primäre  Abscessbildung,  weil  es  sich 
dabei  um  Infectionsstoffe  handelt,  welche  im  Körper  entwickelt, 
angepasst  und  daher  viel  virulenter  sind.  Dass  es  deshalb  eine 
Hauptaufgabe  der  Behandlung  ist,  die  primären  Eiterherde 
um  die  Appendix  so  früh  wie  möglich  zu  eröffnen,  ist  ganz 
gewiss.  Aber  trotzdem  stirbt  noch  eine  Anzahl  von  Patienten  mit 
eröffneten  Abscessen,  und  will  man  auch  in  diesen  schwersten  Fällen 
den  Tod  vermeiden,  so  muss  man  nach  Bernays',  Rehn's,  Sonnen- 
burg's  Vorgang  die  Quelle  der  Infection  in  Angriff  nehmen  den  Pro- 
cessus entfernen  und  mit  ihm  die  periappendicitischen  Inf ections- 
herde  bevor  sie  sich  zu  ausgebreiteten  Abscessen  gestaltet  haben. 

Die  directe  Behandlung  einer  wirklich  diffusen  vom  Zwerchfell 
bis  ins  Becken  sich  erstreckenden  Peritonitis  ist  in  hohem  Maasse  un- 
dankbar wegen  des  Shok,  welchen  die  Eröffnung  und  Hantirung  des 
entzündeten  Peritoneum  im  Gefolge  hat.  Wenn  man  die  Bauchhöhle 
breit  eröffnet,  sämmtliche  Eiterherde  entleert,  und  drainirt,  so  steigert 


ßgo  Specielle  Operationslehre. 

man  den  schon  vorhandenen  Collaps  in  bedenklichem  Maasse,  und 
die  Mittel,  dies  zu  verhüten,  sind  noch  nicht  gefunden.  Cirle  hat 
bei  seinen  Experimenten  über  Shok  festgestellt,  dass  Ausschaltung' 
der  arteriellen  Blutzufuhr  zu  den  Därmen  das  Hauptsymptom  des 
Shok,  den  Abfall  des  Blutdrucks  verhütet.  Ob  etwas  Aehnliches 
vorübergehend  vorzukehren  bei  Peritonitis  erlaubt  wäre,  bleibt  zu 
untersuchen.  Vielleicht  würde  die  Anlage  einer  Klemmzange  am 
Mesenterium  für  die  sehr  kurze  Zeit  einer  Eventration  und  Reinigung 
zulässig  sein.  Sehr  wichtig  gegen  den  Shok  sind  die  intravenösen 
Kochsalzinfusionen.  Nach  Cirle  muss  man  oft  sehr  grosse  Quanta 
injiciren,  bis  der  Erfolg  eintritt,  bei  Thieren  bis  zum  Doppelten  des 
Blutquantum.  Neben  den  Injectionen  ist  Strychnin  subcutan  ein 
sehr  gutes  Mittel.  Endlich  ist  die  geeignete  Hochlagerung  von  Rumpf 
und  Extremitäten  zu  benutzen.  Wie  weit  die  neuesten  Erfahrungen 
Cirle's  über  Behandlung  des  Shok  Verwendung  finden  werden  bei 
der  Operation  der  Peritonitis  wird  die  nächste  Zukunft  lehren. 

Sehr  nützlich  ist  die  Entleerung  des  Magens  und  Darms  bei 
Peritonitis  durch  Auswaschung,  event.  nach  Anlegung  einer  Koth- 
fistel.  Es  ist  bemerkenswert]!,  dass  diejenigen  Chirurgen,  welche  bei 
Peritonitis  die  besten  Resultate  gehabt  haben,  im  Gegensatz  zu  der 
Morphiumbehandlung  grossen  Werth  auf  gründliche  Entleerung  des 
Darms  durch  Anwendung  von  Abführmitteln  legen.  Bernays 
will  bei  Operation  im  acuten  Stadium  schon  nach  Ablauf  von 
12  Stunden  stündliche  Kalomel  (zu  0,006),  event.  auch  Seydlitz- 
Pulver  und  Magnesia  citrica  verabfolgen,  aber  allerdings  unter  Um- 
ständen, wo  man  von  der  Perforation  nichts  mehr  zu  fürchten  hat, 
weil  der  Processus  resecirt  ist. 

In  nuce  stellt  sich  zur  Stunde  die  Frage  der  chirurgischen  Be- 
handlung der  Appenciditis  so : 

1)  Wer  glänzende  Erfolge  erzielen  will  und  zugleich  den  grössten 
Nutzen  mit  der  geringsten  Gefahr  stiften  will,  der  mache  die  Radical- 
operation  der  Entfernung  der  Appendix  nur  im  Stadium,  wo  keine 
Periappendicitis  mehr  besteht,  bei  jedem  Patienten,  welcher  ein  einziges 
Mal  eine  Perityphlitis  überstanden  hat,  mag  der  Anfall  schwer  oder 
noch  so  leicht  gewesen  sein.  Er  wird  keine  operative  Mortalität 
haben  und  seine  Patienten  in  8  Tagen  heilen  sehen. 

2)  Wer  die  meisten  Menschenleben  retten  will,  der  mache  in 
jedem  Falle  acuter  Appendicitis  resp.  Perityphlitis  im  Anfangsstadium 
die  Radicaloperation  und  beseitige  den  Infectionsherd  unter  Verzicht 
auf  Primaheilung  und  unter  Verzicht  auf  glänzende  Statistik.  Nur 
der  Chirurg,  welcher  in  der  glücklichen  Lage  ist,  von  den  Aerzten 
zu  einer  Zeit  zu  den  Kranken  gerufen  zu  werden,  wo  zwar  ein  um- 
schriebenes Exsudat  an  der  Appendix,  aber  nichts  von  diffuser  Peri- 
tonitis besteht,  wird  diesem  idealen  Ziel  der  Behandlung  sich  nähern. 


Abdomen.  281 

3)  Wer  seine  Patienten  im  Anfall  erst  sieht,  nachdem  schon 
Abscessbildung  und  Zeichen  weitergehender  Betheiligung  des  Peri- 
toneum eingetreten  sind,  der  eröffne  Abscesse,  sobald  er  sich  über 
deren  Vorhandensein  und  Lage  gehörig  orientiren  kann,  und  entferne 
in  möglichst  raschem  Anschluss  daran  die  Quelle  weiterer  Infectionen 
durch  Resection  des  Processus. 

4)  Bei  Patienten,  bei  welchen  zur  Zeit  der  ersten  Untersuchung 
schon  Zeichen  einer  Rückbildung  der  Entzündung  und  Besserung 
eingetreten  sind,  ist  nicht  zu  operiren,  sondern  bis  zu  vollkommener 
Rückbildung  der  Entzündung  zu  warten. 

157)  Resectio  ileo-coecalis. 

Die  Resection  des  Coecum  sammt  unterstem  Ende  des  Ileum 
und  eventuell  einem  mehr  weniger  langen  Stück  des  Colon  ascendens 
haben  wir  in  mehreren  Fällen  mit  sehr  gutem  Erfolg  ausgeführt 
wegen  Tuberculose  und  Carcinom,  welche  an  der  Ileocöcal- 
klappe  nicht  selten  ihren  Sitz  haben.  Beschränkte  Resectionen  des 
Coecum  zu  machen,  kommt  man  bei  gewissen  Formen  von  Peri- 
typhlitis in  die  Lage,  bei  welchen  die  Infiltration  der  Appendix  auf 
die  Wand  des  Coecum  übergegriffen  hat.  Man  legt  in  diesem  Falle 
nach  Entleerung  des  Inhaltes  im  Colon  eine  Klemmzange  an  das 
Coecum  zum  Verschluss  und  excidirt  mit  dem  Processus  auch  das  Stück 
Coecum,  an  welches  er  sich  ansetzt,  worauf  man  die  regelrechte 
Darmnaht  ausführt. 

Bei  den  oft  sehr  grossen  Tumoren  im  Bereich  des  Coecum  und 
der  Ileocöcaklappe  und  gar  nicht  weniger  bei  grossen  tuberculösen 
Infiltraten  besteht  die  Hauptschwierigkeit  in  Verwachsungen  und  in 
der  Combination  mit  Drüsentumoren  des  Mesenterium. 

Der  Schnitt  ist  derselbe  wie  für  die  Resection  des  Processus 
vermiformis,  bloss  muss  er  auf-  und  abwärts  verlängert  werden, 
wenn  stärkere  Verwachsungen  bestehen.  Nach  Eröffnung  des  Peri- 
toneum muss  vor  allem  das  Coecum  beweglich  gemacht  werden 
durch  Trennung  des  öfter  in  dicken  Klumpen  im  Bereich  des  kranken 
Darmes  adhärenten  Netzes  einerseits  und  durch  Lösung  der  Ver- 
bindungen mit  der  Fossa  iliaca  interna  resp.  der  Fascie  der  M.  ilio- 
psoas  andererseits.  Jede  Blutung  muss  sorgfältig  gestillt,  das  Netz 
in  grösseren  Strängen  kräftig  ligirt  und  durchschnitten  werden. 

Ist  der  Darm  durch  dieses  Vorgehen  beweglich  geworden,  so 
wird  er  vorgezogen  aus  der  Wunde  und  die  Resection  nach  den  bei 
der  Darmresection  gegebenen  Regeln  ausgeführt.  Genügt  aber  die 
Trennung  des  Netzes  und  der  Adhäsionen  mit  der  Fascie  nicht,  so 
muss  das  infiltrirte  oder  durch  Drüsenschwellung  verdickte  Mesen- 
terium getrennt  werden  unter  vorgängiger  Ligatur  der  grossen 
Mesenterialgefässe,  um  den  Darm  genügend  vorziehen  zu  können. 


382  Specielle  Operationslehre. 

Hat  man  den  Tumor  sammt  zugehörigen  Drüsen  allseitig  frei- 
gemacht und  isolirt,  so  überzeugt  man  sich,  bevor  man  die  Zangen 
anlegt,  welches  die  nächsten  gesunden  Theile  des  Dick-  und  Dünn* 
darms  sind,  welche  noch  sicher  freie  arterielle  Blutzufuhr  haben. 
Man  kann  die  Arterien  sehen  und  fühlen.  An  diesen  Stellen  legt 
man  schmale  Presszangen  an,  schneidet  dicht  an  denselben  den  Darm 
durch,  entleert  ihn  durch  Ausstreifen  und  legt  weiter  hinten  eine 
Klemmzange  an ,  wenn  eine  circuläre  End Verbindung  der  Därme 
am  Dickdarm  gemacht  werden  soll.  Es  besteht  nämlich  oft  ein 
Missverhältniss  in  der  Weite  des  Dünn-  und  Dickdarmes.  Dieses 
ist  bei  Erkrankungen  zum  Theil  ausgeglichen  durch  länger  dauernde 
Stenose  und  daherige  excentrische  Hypertrophie  des  Ileum.  Wir 
haben  niemals  besondere  Schwierigkeit  gehabt,  in  solchen  Fällen 
die  einfache  circuläre  Vereinigung  des  Dünn-  und  Dickdarmes  nach 
unserer  Methode  auszuführen.  Höchstens  haben  wir  den  Dünndarm 
etwas  schräger  als  gewöhnlich  durchschnitten,  um  einen  grösseren 
Umfang  zu  erzielen,  oder  allenfalls  auf  der  contramesenterialen  Darm- 
seite einen  kleinen  Längsschnitt  hinzugefügt. 

Wo  dagegen  das  Missverhältniss  nicht  ausgeglichen  ist,  ist  es 
viel  leichter,  eine  breite  Presszange  an  den  Dickdarm  zu  legen,  nach 
deren  Wegnahme  die  Stelle  zuzuschnüren,  zu  übernähen  und  den 
Dünndarm  in  eine  besondere  seitliche  Oeffnung  des  Dickdarms  ein- 
zusetzen, welche  man  nach  Bequemlichkeit  anlegen  kann.  Unter 
Umständen  kann  es  auch  gerathen  sein,  Dünn-  wie  Dickdarm  zu- 
nächst in  oben  angegebener  Weise  zu  verschliessen  und  zwischen 
beiden  eine  laterale  Anastomose  anzulegen,  welche  (auch  mit  Murphy- 
Knopf)  in  Fällen,  wo  der  Patient  collabirt  ist,  ohne  Schaden  sich  rasch 
ausführen  lässt 

Enterostomie  und  Colostomie. 

Eine  Oeffnung  am  Darm  wird  angelegt  in  erster  Linie,  um  den 
Darminhalt  zu  entleeren,  welcher  sich  in  abnormer  Weise  angesammelt 
hat.  Zu  letzterem  geben  alle  Arten  von  Darmverschluss  Anlass  bald 
in  acuter,  bald  in  chronischer  Form.  Die  Entleerung  des  Darmes 
wirkt  in  solchen  Fällen  oft  lebensrettend.  Denn  die  Ansammlung 
des  Darminhaltes  stört  nicht  bloss  die  Athmung  durch  die  Auf- 
treibung des  Leibes,  macht  nicht  bloss  die  Ernährung  unmöglich, 
weil  nicht  genügend  neue  Nahrung  zugeführt  werden  kann,  sondern 
führt  durch  gesteigerte  bakterielle  Zersetzung  des  gestauten  Inhaltes 
und  durch  Dehnung  und  Circulationsstörung  der  Darmwand  Gefahren 
herbei,  unter  welchen  besonders  die  Dehnungsgeschwüre  Berück- 
sichtigung verdienen,  weil  sie  zu  Perforation  Anlass  geben. 

Man  soll  deshalb,  ganz  abgesehen  von  der  Ursache,  eine  starke 
Ausdehnung    der   Därme    mit   Stauung   des   Inhaltes   niemals   lange 


Abdomen. 


333 


bestehen  lassen  und  bei  acuter  Entwicklung  möglichst  rasch  Abhülfe 
schaffen.  Dies  geschieht  durch  Enterostom ie,  sei  es,  dass  man  den 
Darm  nach  aussenhin  öffnet,  sei  es,  dass  man  ihn  mit  einem  analwärts 
gelegenen  Darmstück  in  Verbindung  setzt.  Letzteres  Verfahren  soll 
für  sich  besprochen  werden  unter  dem  Titel  der  Enteroanastomose. 
Die  Eröffnung  des  Darmes  nach  aussen  ist  eine  einfache  und 
sichere  Operation,  welche  sich  unter  Cocainanästhesie  auch  bei  sehr 
abgeschwächten  Individuen  ohne  Bedenken  ausführen  lässt.  Wie  und 
wo  dieselbe  gemacht  wird,  hängt  von  der  Indication  ab  und  in  erster 
Linie  von  der  Frage,  ob  bloss  vorübergehende  oder  bleibende  Ableitung 
des  Darminhaltes  stattfinden  soll.  In  ersterem  Falle  begnügt  man  sich 
mit  einer  sehr  kleinen  Oeffnung  im  Darm,  welche  die  Gase  und  flüssigen 
Inhalt  ableitet  —  einer  Kothüstel.  In  letzterem  Falle  legt  man  eine 
grosse  Oeffnung  an,   die   man  als  Anus  praeter  naturam  bezeichnet. 

158)  Anlegung  einer  Kothfistel. 

Kothfisteln  werden  ganz  besonders  bei  acutem  und  chronischem 
Darmverschluss  angelegt ,  um  Zeit  zu  gewinnen ,  momentane  Ge- 
fahren zu  beseitigen  in  Fällen, 
wo  die  Diagnose  unsicher  oder 
eingreifendere  Operationen 
contraindicirt  sind. 

Man  incidirt  die  Bauch- 
wand, bei  Wahl  mit  Vorliebe 
3  Querfinger  über  dem  late- 
ralen Drittel  des  Ligamentum 
Pouparti,  demselben  parallel, 
in  einer  Länge  von  4 — 6  cm. 
Haut  und  Fascie  werden  mit 
dem  Messer  getrennt,  die 
Muskelfasern  stumpf  ausein- 
ander gedrängt.  Nach  Tren- 
nung der  Bauchwand  bis  auf 
das  Peritoneum  wird  letzteres 

in  geringerer  Ausdehnung,  etwa  2 — 2l/2  cm  eingeschnitten.  Nun 
legt  sich  in  der  Regel  ein  gespannter  Darm  ohne  weiteres  der 
Wunde  an  und  wird  so  eingestellt,  dass  er  in  ganzer  Breite  die 
Wunde  ausfüllt,  ohne  dass  er  irgendwie  vorgezogen  wird.  Jetzt 
wird  nach  allen  4  Richtungen  je  eine  Knopfnaht  durch  die  Darm- 
serosa und  die  Parietalserosa  sammt  Fascie  gelegt  (Fig.  114)  zur 
Fixation  des  Darmes  an  der  Bauchwand.  Es  folgt  dem  Rande  der 
Oeffnung  im  Peritoneum  entsprechend  eine  ununterbrochene  feine 
Seidennnaht,  welche  hermetisch  die  Parietalserosa  und  die  Darm- 
serosa  aneinanderpresst.     In   der  Mitte    der   so   gebildeten  Oeffnung 


Peritoneum  parietale 

Fascia  obliqui  abd.  externi 
Fascia  transversa 
Darmoberfläche 


Fig.  114.     Anlegung  einer  Kothfistel. 


•2  84  Specielle  Operationslehre. 

wird  mit  einem  feinen  Messerchen  ein  rascher  kurzer  Stich  gemacht 
und  mit  einer  Sonde  nachgesehen,  ob  man  richtig  ins  Darmlumen 
gelangt  ist.  Die  Wunde  wird  mit  Jodoform  oder  Aristolpulver  ein- 
gerieben und  warme  i  °/00  Salicylwasserumschläge  aufgelegt,  welche 
man  häufig  wechseln  lässt  Eine  solche  feine  Oeffnung  lässt  den 
Darminhalt  genügend  frei  austreten,  um  eine  richtige  flüssige  Er- 
nährung per  os  zu  ermöglichen.  Zur  Verhütung  einer  Aetzung  der 
Haut  wird  mit  warmem  Wasser  Kautschukpapier  rings  aufgeklebt 
bis  dicht  an  die  Wunde  heran. 

159)  Anlegung  eines  Anus  praeternaturalis  am  Colon 
(Coloproktie)  (Fig.  115  u.  116). 

Ein  Anus  praeternaturalis  wird  angelegt,  wo  ein  dauernder  Ab- 
fluss  des  Darminhaltes  beabsichtigt  ist,  ferner,  wo  man  den  Darm- 
inhalt abhalten  will,  in  das  untere  Darm  ende  zu  gelangen,  also  z.  B. 
bei  der  Voroperation  zur  Excision  des  Rectum.  Die  Herstellung  des 
künstlichen  Afters  ist  in  den  letzten  Jahren  zu  Gunsten  der  Entero- 
anastomosen  wesentlich  eingeschränkt  worden  für  alle  Fälle,  wo  das 
Hinderniss  höher  als  das  Rectum  sitzt.  Sie  wird  hauptsächlich  bei 
inoperablen  Mastdarmkrebsen  ausgeführt,  gelegentlich  als  Voract  zur 
Excisio  recti. 

Die  Operation  wird  deshalb  fast  nur  in  Form  der  Colostomie 
vorgenommen  und  wo  möglich  so,  dass  man  nicht  bloss  einen  künst- 
lichen Abfluss  des  Kothes  herstellt,  sondern  einen  wirklichen  After 
auch  in  dem  Sinne,  dass  die  Oeffnung  einen  Verschluss  erhält. 

Man  hat  sich  bei  Anlegung  eines  künstlichen  Afters,  welche  an 
und  für  sich  eine  sehr  einfache  Operation  darstellt,  viel  Mühe  ge- 
geben, eine  Continentia  alvi  herzustellen.  Hierzu  dienen  die  Methoden 
von  Gersuny,  Witzel,  Roux,  Hacker,  Lauenstein.  Es  erscheint 
als  das  einfachste,  einen  musculösen  Verschluss  zu  suchen,  analog 
dem  durch  den  Sphincter  ani  geleisteten.  Allein  die  Muskeln  der 
Bauchwand,  die  sich  leicht  durch  sagittale  oder  frontale  Spaltung 
zumal  mit  gleichzeitiger  Verschiebung  nach  einer  Seite  zu  einer  Art 
Sphinkter  gestalten  lassen,  sind  deshalb  einem  richtigen  Sphinkter 
nicht  gleichwerthig,  weil  ihnen  der  dem  letzteren  zukommende  Reflex- 
mechanismus abgeht,  welcher  dem  Sphinkter  einen  Tonus  gewährt, 
d.  h.  bei  sensibler  Erregung  rechtzeitig  reflectorischen  Schluss  her- 
beiführt. 

Es  wirken  dem  gemäss  die  musculösen  Verschlüsse,  auch  durch 
den  von  Witzel  und  Hacker  empfohlenen  Rectus  abdominis 
wesentlich  als  elastische  Züge  und  es  handelt  sich  in  der  Hauptsache 
darum,  eine  Oeffnung  anzulegen,  die  nicht  klafft  und  sich  möglichst 
leicht  und  sicher  durch  eine  geeignete  Palotte  verschlossen  halten  lässt. 
Man  darf  die  Anlegung  eines  Colonmundes,  wie  der  Ausdruck  Colo- 


Abdomen. 


385 


Fig.  115.    Anlegung  eines  provisorischen  künstlichen  Afters  über  dem  linken 

Lig.  Pouparti;   das  Parietalperitoneum  ist  zwischen   den  tiefen  Bauchmuskeln 

herausgezogen  und  eröffnet. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  2C 


386 


Specielle  Operationslehre. 


Fig.  116.    Anlegung  eines  provisorischen  künstlichen  Afters  in  der  linken  Leisten- 
gegend durch  die  Fascia  obl.  externa  und  zwischen  den  auseinander  gedrängten 
Muskelfasern  des  Obliquus  int.  und  des  Transversus.    Ein  Stück  Flexur  ist  mit 
dem  Parietalperitoneum  vernäht. 


Abdomen.  387 

stomie  lautet,  nicht  mit  der  Anlegung  eines  Magenmundes  ohne 
weiteres  zusammenstellen.  Am  Magen  wünscht  man  einen  wirk- 
lichen Mund,  d.  h.  eine  Oeffnung,  in  die  etwas  herein  gebracht 
werden,  aber  nichts  herauskommen  soll,  beim  Colon  aber  wünscht 
man  umgekehrt,  eine  schmerzlose  Entleerung  zu  sichern;  man  sollte 
also  besser  bloss  von  Colon  a  f  t  e  r  reden ;  ich  würde  nach  Berathung 
meines  philologischen  Collegen  PräCHTER  den  Namen  Coloproktie 
vorschlagen. 

Kann  man  auf  Entleerung  unter  Controle  rechnen ,  so  ist  es 
natürlich  wichtig ,  dass  der  Patient  zusehen  könne ,  wie  er  den 
Koth  entleert  und  und  in  bequemer  Weise  ein  Gefäss  hinhalten 
könne.  Roux  findet  die  Lösung  dieser  Aufgabe  in  der  An- 
lage eines  Symphysenafters.  Ich  habe  über  diese  Methode  keine 
Erfahrung  und  nicht  nur  ich,  sondern  auch  meine  Patienten  sind 
mit  einem  Anus  iliacus  stets  sehr  zufrieden  gewesen.  Die 
Operation  wird  bei  uns  folgendermaassen  ausgeführt:  Schnitt  2  Finger 
breit  über  dem  äusseren  Drittel  des  linken  Ligamentum  Pouparti 
durch  Haut  und  Fascie;  stumpfes  Auseinanderschieben  der  Muskel- 
fasern des  Obliquus  internus  und  Transversus,  Spaltung  der  Fascia 
transversa.  Fig.  115  zeigt,  wie  man  nach  Spaltung  der  Fascia 
transversa  und  Eröffnung  des  Parietalperitoneum  dessen  Ränder 
zwischen  den  sich  spontan  nähernden  Muskelfasern  hervorziehen 
kann.  Nach  Spaltung  der  Bauch  wand  durch  Dissociation  der 
Muskelschichten  und  Trennung  der  Fascien  und  des  Peritoneum  in 
etwas  geringerer  Ausdehnung  wird  der  Darm,  bei  impermeablen 
Mastdarmkrebsen  das  S  romanum,  so  in  die  Wunde  gezogen,  dass 
eine  vollständige  Schlinge  vorliegt.  Es  ist  durchaus  nothwendig, 
sich  genau  zu  orientiren  über  das  Verhalten  des  vorgezogenen  Darmes. 
Die  Serosa  desselben  wird  durch  eine  fortlaufende  Seidennaht  mit 
dem  Parietalperitoneum  vernäht,  so  dass  das  zuführende  Darmstück 
reichlichen  Raum  hat,  das  abführende  von  ersterem  zusammengedrückt 
wird  (vergl.  Fig.  1 1 6).  (In  der  Figur  ist  dieses  Verhältniss  nicht 
ausgedrückt.) 

Da  man  den  Anus  praeter  naturam  im  Gegensatz  zur  Kothfistel 
unter  Umständen  anlegt,  wo  es  keine  besondere  Eile  hat,  so  ist 
das  Einfachste,  statt  weitere  Fixation  vorzunehmen,  den  vorgezogenen 
und  eingenähten  Darm  einfach  in  der  Wunde  liegen  und  diese 
während  2  bis  3  mal  24  Stunden  granuliren  zu  lassen  und  erst  dann 
und  zwar  mit  dem  Thermocauter  in  Längsrichtung  so  zu  öffnen, 
dass  das  obere  Ende  seinen  Inhalt  direct  durch  die  Oeffnung  nach 
aussen  entleert. 

Einzelne  Chirurgen,  so  Hartmann,  machen  gar  keine  Naht, 
sondern  ziehen  bloss  den  Darm  heraus  und  schieben  für  8  Tage  eine 
Jodoformgaze  unter  denselben  und  um  beide  Enden  herum. 

25* 


•2  83  Specielle  Operationslehre. 

Eine  andere  Methode  ist  die,  den  Darm  entzwei  zu  schneiden,  das 
obere  Ende  einzunähen,  das  untere  zu  schliessen  und  zu  versenken. 
Wenn  es  darauf  ankommt,  jeden  Kotheintritt  in  das  untere  Ende 
zu  verhüten  und  wenn  der  Darm  abwärts  frei  ist,  so  dass  der 
Inhalt  des  unteren  Stückes  sich  entleeren  kann,  so  ist  diese  Methode 
die  sicherere.  Der  obere  Darm  wird  auch  hier  für  2 — 4  Tage  zuerst 
verschlossen  gehalten. 

Der  vorgezogene  Darm  zieht  sich  im  weiteren  Verlaufe  durch 
die  Vernarbung  der  die  Serosa  bedeckenden  Granulationen  in  die 
Ebene  der  Hautoberfläche  zurück. 

Dauert  dies  zu  lange,  so  kann  man  mit  dem  Thermocauter  1  cm 
vom  Hautrande  entfernt  den  Darm  abtragen,  so  dass  die  Ränder  in  das 
Niveau  der  Scheidewand  zwischen  oberem  und  unterem  Niveau  (des 
Sporns)  zu  liegen  kommen.   Der  Sporn  quillt  durch  Stauung  etwas  vor. 

Wie  ersichtlich,  ist  die  Anlegung  des  Anus  praeternaturalis 
nicht  bloss  hinsichtlich  der  Indication,  den  Darminhalt  vollständig 
nach  aussen  zu  leiten,  etwas  ganz  Verschiedenes  von  einer  Koth- 
fistel,  sondern  auch  hinsichtlich  des  Ausflusses:  Bei  der  Kothfistel 
wünscht  man  stetigen  Ausfluss  behufs  Verhinderung  jeder  Koth- 
stauung  (namentlich  auch  jeder  Stauung  der  Darmgase);  man  sorgt 
deshalb  gar  nicht  für  einen  Verschluss.  Beim  künstlichen  After  da- 
gegen will  man  möglichst  die  Verhältnisse  des  natürlichen  Afters 
nachahmen,  d.  h.  die  Faeces  in  der  Regel  zurückhalten  und  nur  bei 
kräftiger  Contraction  der  Därme  und  Ansammlung  eines  gewissen 
Quantums  Darminhalt  die  Entleerung  zulassen.  Dies  bewirkt  man 
in  der  Weise,  dass  man  den  Darm  mit  Absicht  durch  eine  etwas 
dickere  Stelle  der  Bauchwand,  auch  lieber  in  schräger  Richtung  als 
zu  direct  durchleitet  unter  Wahl  muskelreicher  Stellen,  damit  die 
Muskeln  bei  ihrer  Spannung  und  Contraction  in  der  Regel  den  Darm 
verschlossen  halten  und  bloss  bei  einer  gewissen  Höhe  des  Druckes 
und  der  Contraction  nachgeben.  Die  Patienten  entleeren  ihren  Darm 
1 — 2  mal  täglich  ebenso  regelmässig,  wie  gesunde  Menschen. 

160)  Jejunostomie. 

Ausnahmsweise  kann  die  Eröffnung  des  Darmes  nicht  zur  Ent- 
leerung desselben  bestimmt  sein,  sondern  zum  Zuführen  von  Nahrungs- 
mitteln. Dies!  ist  der  Fall,  wenn  man  durch  den  Magen  keine 
Nahrung  mehr  beibringen  kann.  Für  solche  Fälle  ist  die  Jejuno- 
stomie von  Maydl  empfohlen  worden. 

Darmresection. 

(Fig.   117,  118,  119.) 

Die  Darmresection  ist  zu  einem  ausserordentlich  wichtigen  und 
verhältnissmässig   häufigen    chirurgischen  Eingriff   geworden,    durch 


Abdomen. 


889 


dessen  correcte  Ausführung  der  Chirurg  manches  sonst  unrettbar 
verlorene  Leben  erhalten  kann.  Es  ist  aber  absolut  nöthig,  dass 
man  sich  ausser  an  die  selbstverständliche  Asepsis  an  ganz  bestimmte 
Regeln  der  Technik  halte. 

Beobachtet  man  diese,  so  kann  man  mit  Wegnahme  von  Darm 
sehr  weit  gehen.  Wir  haben  eine  nicht  geringe  Zahl  von  sehr  aus- 
gedehnten Darmresectionen  ausgeführt.  Die  ausgiebigsten  beziehen 
sich  auf  die  Entfernung  eines  Stückes  von  1  m  und  60  cm  und 
von  2  m  und  8  cm  Dünndarm.  Beide  Patienten  sind  ohne  Störung 
per  primam  geheilt.  Kükula  hat  aus  Maydl's  Klinik  von  2  Fällen 
von  Darmresection  über  2  m  berichtet  und  macht  auf  die  Experimente 
von  Monari  und  Trzebicky  aufmerksam,  welche  bis  7/8  des  Dünn- 
darms Thieren  ohne  Schaden  entfernen  konnten.  K.  glaubt,  dass 
man  den  Dünndarm  des  Menschen  bis  zur  Hälfte  ohne  Schaden  ent- 
fernen könne,  den  Dickdarm  in  jeder  beliebigen  Länge.  Rouy  be- 
richtet über  einen  Patienten,  der  durchkam  mit  i1/,  m  Dünndarm 
und  der  halben  Länge  des  Dickdarms. 

Zu  wissen,  dass  man  so  sehr  ausgiebig  reseciren  kann  ohne 
bleibenden  Schaden  and  mit  glatter  Heilung,  ist  von  besonderem 
Vortheil,  weil  die  erste  Regel  bei  der  Darm-  wie  bei  der  Magen- 
resection  diese  ist;  bloss  völlig  gut  ernährte  Wundränder 
durch  die  Naht  in  Berührung  zu  bringen.  Man  muss  nach 
der  Resection  sich  absolute  Sicherheit  verschaffen,  dass  von  den 
Mesenterien  her  in  die  Stelle  der  beiden  Darmenden,  welche  durch 
Naht  vereinigt  werden  sollen,  Blut  zu-  und  abfliesst,  bevor  man  die 
Naht  anlegt.  Das  beste  und  einzig  sichere  Mittel  ist  die  Controle  der 
Arterien:  Nur  soweit  bis  dicht  zum  Darm  pulsirende  Gefässe  führen, 
kann  man  bei  ungeschädigter  Darmwand  genügender  Blutzufuhr 
sicher  sein.  Allerdings  ist  bei  collabirten  Patienten  diese  Pulscontrole 
nicht  immer  leicht.  Hat  man  diese  Gewissheit  nicht,  so  soll  man 
noch  ein  Stück  Darm  weiter  auf-  oder  abwärts  reseciren,  bevor  man 
zur  Vereinigung  schreitet. 

Bei  Resectionen  des  Colon  ascendens  und  descendens,  des 
Endtheils  der  Flexur  und  Anfangstheils  des  Rectum  ist  es  oft 
schwer  zu  beurtheilen,  ob  die  Wundränder  völlig  gesicherte  Cir- 
culation  besitzen,  nnd  in  diesen  Fällen  ist  der  Umweg  der  Anlage 
erst  eines  künstlichen  Afters  und  später  secundärer  Darmnaht  allein 
im  Stande,  den  Verlauf  der  Operation  in  ganz  sichere  Bahnen 
zu  leiten. 

161)  Resection  des  Dünndarms. 

Glaubt  man  sich  sicher,  dass  man  die  Darmresection  in  der 
idealen  Weise  ausführen  kann,  dass  man  die  sofortige  Darmnaht 
darauf  folgen  lässt,  so  sind  folgende  Regeln  zu  beobachten: 


390 


Specielle  Operationslehre. 


i)  Das  zu  resecirende  Darmstück  muss  aus  der  Bauchhöhle  heraus- 
gezogen werden,  um  die  Operation  extraperitoneal  in  Müsse  durch- 
zuführen. Die  herausgezogene  Darmschlinge  wird  mittelst  aseptischer 
Tamponade  vom  Peritonealraum  abgeschlossen. 

2)  An  der  Stelle,  wo  unter  Wahrung  völlig  gut  ernährter  Darm- 
wundränder resecirt  werden  soll,  werden  je  zwei  Pressklammern  an- 
gelegt, dicht  nebeneinander  (Fig.  117). 

Trennungslinie  des  Mesenterium  entlang  dem  Darm 


Fig.  117.    Darmresection.     Erster  Act. 
Die   Darmzangen    angelegt    und   zwar 
schräg  zur  Sicherung  guter  Blutzufuhr. 
Der  Darm  zwischen  zwei  Zangen  durch- 
schnitten, zwischen  den  beiden  anderen 
die  Trennungsstelle  angegeben.    Tren- 
nungslinie des  Mesenterialansatzes  angegeben  und  die  Einzelligatur  der  Mesen- 
terialgefässe.    **  Die  punktirte   Linie  giebt  die  Richtung  an,   in   welcher  die 
Compressionszangen  angelegt  werden  sollen,   welche  in  der  Zeichnung  fälsch- 
lich quer  statt  etwas  schräg  gezeichnet  sind. 


Diese  Klammern  sind  nicht  ganz  quer  (wie  die  Fig.  1 1 7  fälschlich 
darstellt)  zur  Längsaxe  des  Darmes  zu  legen,  sondern  etwas  schräg 
{wie  die  punktirten  Linien  in  Fig.  117  andeuten),  so  dass  an  der  Con- 
vexität  mehr  Darm  entfernt  wird,  als  am  Mesenterialansatz,  damit 
um  so  sicherer  die  gegen  die  Convexität  herauflaufenden  Quergefässe 
unbeschädigt  bleiben. 

3)  Zwischen  den  Klammern  wird  der  Darm  durchschnitten  und 
die  Schnittfläche  mit  feuchten  Lysolbäuschchen  (1  Proc.)  sorgfältig 
abgetupft.  Längs  seines  Ansatzes  am  Darm  wird  das  Mesen- 
terium   (Mesocolon ,    Mesoflexur)    des   zu    entfernenden   Darms  unter 


Abdomen. 


391 


Fig.  118.  Darmresection.  Zweiter  Act.  Der  kranke  Darmtheil  entfernt,  die  Darm- 
enden  durch  die  Hände   des  Assistenten  comprimirt  und  durch  je  2  Fixations- 
nähte  zu   Concavität  und  Convexität   fixirt,   die  hintere   fortlaufende  Ringnaht 
durch  die  ganze  Wanddicke  angelegt. 


Stelle  der    ~l 
rennung  des  j 
lesenterium  J 
Erste  Fixations-  "j 
iht  (an  der  Con-| 
ivität  desDarmes,  > 
am  Ansatz  des     I 
Mesenterium)      ) 


t    Zweite  Fixationsnaht  (für  die 
■{zwei  zusammengehörigen  Stellen 
l      der  Convexität  des  Darmes) 


Fortlaufende  hintere  Ringnaht  durch 
die  ganze  Darmwanddicke 


{Fortlaufende  Serosanaht   (der  Anfangs- 
knoten geschnürt) 


fFadenende  zur  Verknüpfung  mit 
dem  Schlussfaden  der  fortlaufen- 
den Naht 


Tiefe  fortlaufende  Naht 

durch  die  ganze  Wanddicke 

(Anfangsknoten  am  Mes- 

enterialtheil) 


I": Tiefe  fortlaufende  Naht 
I  durch   die  ganze  Wand- 
1    dicke  (Anfangsknoten 
{  am  convexen  Umfang-) 


(  Fadenende,  das  stehen 
I  bleibt  zur  Verknüpfung 
j  mit  dem  Endfaden  der 
1.     fortlaufenden  Naht 


Fortlaufende  Serosanaht  für  den  hinteren  Umfang 


Fig.  119. 


Darmnaht  zur  Demonstration  der  doppelten  Nahtreihe,  Längsschnitt; 
Innenansicht  der  hinteren  Hälfte. 


3g2  Specielle  Operationslehre. 

schrittweisem  Fassen  seiner  grossen  Gefässe  mit  Arterienzangen  oder 
unter  Anlage  einer  Presszange  und  Umschnürung  in  toto  durch- 
schnitten.    So  ist  der  Darm  entfernt. 

4)  Von  den  liegen  gebliebenen  Darmklammern  auf-  und  abwärts 
wird  ein  Stück  Darm  durch  Ausstreifen  leer  gemacht  und  an  der 
Grenze  der  leeren  Partien  eine  Klemmzange  angelegt  oder  durch 
einen  Assistenten  (wie  Fig.  118  zeigt)  oben  und  unten  der  Darm  in 
verlässlicher  Weise  zwischen  Zeige-  und  Mittelfinger  comprimirt.  Die 
Pressklammern  werden  entfernt  und  der  Darm,  soweit  er  klafft,  mit 
sterilisirten  Gazebäuschchen  ausgeputzt. 

5)  Es  folgt  die  Darmnaht.  Zur  sicheren  Orientirung  über  die 
zusammengehörigen  Stellen  der  Darmenden  wird  eine  Fixationsnaht 
am  Mesenterialansatz  und  eine  zweite  an  der  Convexität  derselben 
angelegt,  so  die  beiden  Darmlumina  in  die  richtigen  gegenseitigen 
Beziehungen  gebracht  und  durch  Anspannung  der  Naht  darin  erhalten 
(Fig  118).  Die  jetzt  folgende  fortlaufende  Naht  vereinigt  zuerst  die 
Schleimhaut  (event.  mit  Catgut),  fasst  dann  mit  feiner  Seide  die 
ganze  übrige  Darmwand.  Der  Faden  des  ersten  Knotens  bleibt 
stehen  (Fig.  118),  und  in  einfach  fortlaufender  Kürschnernaht  werden 
ohne  Unterbrechung  ringsherum  die  Ränder  in  vollkommen  feste 
Berührung  gebracht,  bis  man  das  letzte  Fadenende  wieder  mit  dem 
Anfangsfaden  verknüpft  hat.  Jetzt  ist  der  Darm  völlig  fest  und 
sicher  geschlossen.  Man  reinigt  die  Nahtlinie  mit  Lysolbäuschen, 
spült  den  vorliegenden  Darm  mit  warmer  sterilisirter  Kochsalzlösung, 
während  die  Tücher  rings  die  Bauchhöhle  abschliessen. 

6)  Die  Tücher  werden  geändert  und  die  Verschlussnaht  — 
die  erst  beschriebene  Naht  kann  man  als  Fixationsringnaht, 
die  letztere  als  Verschlussringnaht  bezeichnen  —  angelegt. 
Diese  wird  mit  möglichst  feinen  Nadeln  und  feiner,  aber  starker 
Seide  angelegt  und  fasst  bloss  die  Serosa  und  einen  Theil  der  Mus- 
cularis  in  der  Weise,  dass  die  Serosa  eingestülpt  wird  und  die 
serösen  Flächen  in  breite  Berührung  kommen  —  die  LEMBERT'sche 
altbewährte  Nahtmethode.  Die  Doppelnaht  (Fig.  1 1 9  auf  dem  Längs- 
schnitt gezeichnet)  ist  erst  von  Czerny,  dann  von  uns  in  Unkenntniss 
seines  Verfahrens  beschrieben  worden. 

Die  Verschlussringnaht  geht  ebenfalls  ohne  irgend  eine  Unter- 
brechung rings  um  den  Darm  fortlaufend  herum,  so  dass  der  End- 
faden mit  dem  stehen  gebliebenen  Anfangsfaden  verknüpft  werden 
kann.  Nochmaliges  Abtupfen  der  Nahtlinie  mit  Lysol  und  nach- 
herige Abspülung  mit  sterilisirtem  Kochsalzwasser.  Erst  jetzt  werden 
die  schützenden  Tücher  entfernt,  die  Därme  ohne  Gewaltanwendung 
in  die  Bauchhöhle  zurückgelegt  (indem  man  mit  Haken  die  Ränder 
kräftig   emporhebt),   die  Bauchwand    durch  Doppelnaht  verschlossen. 


Abdomen. 


393 


Sind  die  Därme  von  Gas  und  flüssigem  Inhalt  sehr  stark  ge- 
bläht, so  dass  deren  Reposition  erschwert  ist,  so  wird  der  Darm 
oberhalb-  der  Naht  durch  einen  kleinen  Querschnitt  von  4—5  mm 
geöffnet,  der  Inhalt  in  eine  kleine  Glasschale  ablaufen  gelassen,  der 
Stich  vernäht,  eine  nochmalige  Spülung,  wie  oben  beschrieben,  ge- 
macht und  die  Reposition  vorgenommen. 

Wir  halten  bloss  die  fortlaufenden  Nähte  bei  Enterorraphie 
für  zulässig  und  empfehlen  feine  Seide  als  Nahtmaterial. 

Die  beschriebene  circuläre  Darmnaht  ist  stets  das  sicherste 
Verfahren,  sobald  man  den  Darm  aus  der  Bauchhöhle  herausziehen 
kann.  Es  hat  dann  keinen  Sinn,  irgend  eine  Modification  an  deren 
Stelle  anzuwenden.  Wo  aber  die  circuläre  Naht  nicht  unter  Controle 
des  Auges  fortlaufend  vollkommen  verlässlich  angelegt  werden  kann, 
da  mag  man  nach  Abkürzung  des  Verfahrens  suchen.  Das  be- 
währteste Mittel,  rasch  zum  Ziele  zu  kommen,  ist,  wie' für  die  Gastro- 
duodenostomie  bereits  hervorgehoben,  der  Murphy  -  K  n  o  p  f.  Aber 
auch  Verfahren,  wie  das  von  Maundsell  angegebene,  von  Ullmann 
empfohlene,  sind  zulässig,  wo  der  obere  Darm  eingestülpt  und  zu 
einer  seitlichen  Längsincision  herausgestülpt  wird,  während  das 
untere  Darmende  in  denselben  eingeschoben  wird,  um  beide  über 
einem  Stück  einer  Rübenröhre  zusammenzuschnüren  und  zurück- 
zuziehen. 

Hinsichtlich  Darmnaht  hat  Chlumsky  sehr  interessante  Ver- 
suche angestellt,  welche  zeigen,  dass  dieselbe  mechanisch  zuverlässigere 
Vereinigung  giebt,  als  ein  Murphy- Knopf ;  ferner  dass  die  Naht  am 
1.  Tage  resp.  bald  nach  der  Operation  verlässlicher  hält,  als  die 
nächstfolgenden  Tage.  Erst  vom  5.  Tage  ab  stieg  die  Festigkeit 
wieder,  um  nach  7  Tagen  den  primären  Festigkeitsgrad  zu  erreichen. 
Er  zeigte  sich,  dass  End-  zu  Endanastomosen  fester  sind,  als  seit- 
liche Anastomosen. 

Man  darf  aus  diesen  Versuchen  den  Schluss  ziehen,  dass  es  der 
Nahtfestigkeit  wegen  wohl  gestattet  ist,  am  1.  Tage  Abführmittel 
zu  verabfolgen,  wenn  diese  keine  bestimmte  Contraindication  (Ver- 
dacht von  Darmgeschwüren)  haben.  Es  ist  oft  wünschenswerth, 
den  Darm  sofort  entleeren  zu  dürfen.  An  den  folgenden  4  Tagen 
muss  man  damit  viel  vorsichtiger  sein. 

Katzenstein  hat  den  Versuch  gemacht,  die  chemotaktische 
Wirkung  des  Glutenkasein  auf  die  Serosa  zu  benutzen,  um  einer 
Darmnaht  mehr  Festigkeit  zu  geben ;  allein  derartige  Auflagen 
disponiren  auch  zu  Adhäsionsbildung. 

Wo  man  die  directe  circuläre  oder  End-  zu  End- Vereinigung 
des  Darmes  nicht  machen  kann,  da  muss  man  oft  das  eine,  selbst 
beide  Darmlumina  schliessen  und  eine  seitliche  Vereinigung  vor- 
nehmen.   Der  Verschluss  des  Darmes  ist  durch  die  DoYEN'sche 


■2qa  Specielle  Operationslehre. 

Methode  ganz  erheblich  vereinfacht  worden :  Er  legt  eine  Press- 
zange an,  wie  wir  dies  bei  der  Magenresection  beschrieben  haben, 
nimmt  die  Zange  weg  und  umschnürt  die  gepresste  Stelle  mit  einem 
Faden.  Darüber  wird  eine  Tabaksbeutelnaht,  deren  Vortheile  nament- 
lich von  Quervain  hervorgehoben  sind  und  von  Haegler  be- 
stätigt, angelegt  und  unter  Invagination  der  Schnürnaht  die  Serosa 
in  i  oder  2  Reihen  darüber  geschlossen.  Danach  wird  wie  bei  der 
gleich  zu  schildernden  Enteronastomose  vorgegangen. 

Wir  haben  in  letzter  Zeit  durch  Herrn  Dr.  Fricker  (im  Verein 
mit  Dr.  Albert  Kocher)  eine  Reihe  von  Versuchen  anstellen  lassen, 
um  die  Vortheile  dieses  DoYEN'schen  Verfahrens  auch  auf  die  Ver- 
einigung von  zwei  Darmenden  und  auf  Darmanostomosen  auszudehnen: 
Die  Darmenden  werden  mit  Presszange  gefasst  und  hinter  derselben 
eine  einfache  Matratzennaht  hin-  und  herüber,  wie  (vergl.  Fig.  98) 
bei  der  Magenresection  angelegt,  nicht  geknotet,  aber  gespannt  er- 
halten. Nun  ist  der  Darm  ohne  Anlegung  einer  Klemmzange  provi- 
sorisch verschlossen,  und  man  kann  durch  Annäherung  der  geschil- 
derten Verschlussfaden  beider  Darmenden  diese  in  exacte  Berührung 
bringen  und  eine  fortlaufende  Fixationsringnaht  anlegen,  wie  oben 
geschildert.  Nunmehr  wird  der  Verschlussfaden  einfach  wieder  heraus- 
gezogen und  die  Serosanaht  übergelegt.  So  kann  keine  Spur  Inhalt  aus- 
treten, und  man  hat  nicht  nöthig,  die  Circulation  durch  Anlegung  einer 
Klemmzange,  welche  die  Mesenterien  mitfasst,  zu  beeinträchtigen. 

Die  Benutzung  der  Presszangen  einerseits  und  der  Klemmzangen 
andererseits,  soweit  letztere  vertragen  werden,  macht  die  Darm- 
resection  in  allen  denjenigen  Fällen  zu  einer  höchst  einfachen 
Operation,  wo  die  Darmenden  vor  die  Bauchwunde  gelagert  werden 
können,  wie  dies  am  Dünndarm  Regel  ist.  Viel  mühsamer  ist  die 
Resection    am   Dickdarm. 

162)  Resection  am  Dickdarm. 

Wir  haben  der  Resectio  ileo-coecalis  schon  im  Anschluss  an 
die  Resection  des  Processus  vermiformis  gedacht.  Auch  an  der 
Flexura  coli  dextra  und  sinistra,  am  S  romanum  und  an  der  Ueber- 
gangsstelle  des  letzteren  in  das  Rectum  kommt  man  nicht  selten  in 
die  Lage,  Tumoren  zu  excidiren.  Hier  besteht  grosse  Schwierigkeit, 
die  beiden  Darmenden  beweglich  zu  machen.  Zumal  die  Flexura 
coli  sinistra  und  die  Uebergangsstelle  vom  S  romanum  und  Rectum 
sind  schon  so  erheblich  fixirt,  dass  man  die  Excision  selbst  bei  den 
noth  wendigen  sehr  ergiebigen  Incisionen  durch  die  Bauch  wand  bloss 
unter  Zuhülf enahme  von  Press-  und  Klemmzangen  im  Abdomen  selber 
ausführen  kann. 

In  solchen  Fällen  muss  man  sich  in  verschiedener  Weise  helfen : 
In    einem   letzten    Falle,   wo   ein   Carcinom    am    obersten  Theile  des 


Abdomen. 


395 


Rectum  fixirt  war,  gelang  es  uns  bloss  für  die  Flexur,  dieselbe  be- 
weglich genug  zu  machen,  um  sie  dem  Rectum  zu  nähern.  Wir 
machten  in  diesem  Falle  den  Verschluss  der  stark  dilatirten  Flexur 
und  näherten  dieses  blinde  Ende  dem  oberen  Ende  des  Rectum,  welches 
unter  Zuhilfenahme  von  Klemmzangen  in  eine  seitliche  Oeffnung  der 
Flexur  eingesetzt  werden  konnte.     Die  Patientin  ist  geheilt. 

In  einem  anderen  analogen  Falle  war  nicht  weiter  zu  lösen 
möglich,  als  dass  der  kranke  Darmtheil  supraperitoneal  aus  der 
Wunde  heraus  gelagert  werden  konnte,  und  die  Resection  erst 
secundär  nach  einer  Reihe  von  Tagen  angeschlossen  wurde.  Auch 
dieser  Patient  ist  geheilt  (vergl.  Excisio  recti).  Man  darf  gerade  bei 
Stenosen  oft  an  dem  Colon  nicht  zu  sehr  zerren,  weil  bei  starker 
Dehnung  sich  oberhalb  Dehnungsgeschwüre  gebildet  haben,  die  den 
Darm  zerreisslich  machen. 

In  der  Regel  ist  bei  Dickdarmresection  der  Verschluss  des 
Darmes  an  der  Resectionsstelle  und  seitliche  Anastomose  sicherer 
und  bequemer  auszuführen.  Man  bedarf  dazu  freilich  einer  breiten 
Eröffnung  der  Bauchhöhle.  Im  Bereich  der  Flexura  coli  dextra  und 
sinistra  macht  man  am  Rippenrand  ergiebige  Querschnitte.  Auch 
zur  Resection  des  untersten  Theiles  des  Colon  sig- 
moideum  und  Colon  pelvinum  bedarf  man  gehörigen  Zuganges : 
Man  macht  den  Schnitt  parallel  dem  Lig.  Pouparti  links  in  grösserer 
Ausdehnung  in  der  schon  in  anderen  Capiteln  geschilderten  Weise 
oberhalb  des  Leistencanals.  Nach  Spaltung  des  Peritoneum  orientirt 
man  sich  über  die  Lage  der  Geschwulst.  Erscheint  sie  entfernbar, 
so  verlängert  man  den  Schnitt  medianwärts  oberhalb  der  Symphyse 
durch  die  Ansätze  der  Recti  unter  Sorge  dafür,  dass  die  Blase  leer 
ist.  Auf  diese  Weise  erhält  man  ein  freies  Operationsfeld,  in  dessen 
Bereich  selbst  sehr  schwierige  Resectionen  noch  glücklich  durch- 
geführt werden  können. 

Lässt  sich  die  Geschwulst  sammt  Drüsen  im  Mesocolon  pelvinum 
und  Mesoflexur  freimachen,  so  wird  sie  in  gewohnter  Weise  resp.  in 
oben  geschilderter  Weise  mit  lateraler  Anastomose  resecirt.  Ist 
aber  die  Ablösung  mit  grossen  Läsionen  der  Gefässe  verbunden,  so 
kann  man  in  die  Lage  kommen,  lieber  durch  weitere  gehörige  Spaltung 
des  Mesenterium  resp.  ihrer  Peritonealblätter  Flexur  und  event.  Colon 
descendens  beweglicher  zu  machen  und  dieselben  unter  Invagination 
in  das  Rectum  herunter  und  durch  den  Anus  herauszuziehen  und 
daselbst  in  der  bei  Excisio  recti  zu  beschreibenden  Weise  zu  fixiren. 
Kümmell  hat  gezeigt,  wie  weit  man  nach  dieser  Richtung  gehen 
kann,  indem  er  Rectum,  Colon  sigmoideum  und  descendens  erfolg- 
reich resecirte  und  das  Colon  transversum  in  den  Analring  einnähte 
bei  einem  Mädchen  mit  ausgedehnten  tuberculösen  Zerstörungen  des 
Darmes. 


3g6  Specielle  Operationslehre. 

163)  Enteroanastomosis. 

Diese  von  Maisonneuve  vorgeschlagene,  von  Wölfler  mit 
seiner  Gastroenterostomose  inaugurirte  Operation  ist  ein  ausgezeich- 
neter Nothbehelf  für  alle  Fälle,  wo  ein  Hinderniss  im  Darm  nicht 
beseitigt  werden  kann.  Hat  man  bei  Ileus  das  Abdomen  eröffnet  und 
ergiebt  die  Inspection,  dass  von  Hebung  des  Hindernisses  nicht  die 
Rede  sein  kann,  so  macht  man  die  Verbindung  zwischen  dem  ge- 
füllten, dilatirten  Darmstück  oberhalb  des  Hindernisses  mit  dem 
leeren,  zusammengezogenen  Darm  unmittelbar  unterhalb,  indem  man 
dazu  die  zwei  der  verschlossenen  Stelle  nächsten  Darmstücke  wählt, 
immerhin  solche,  welche  sich  leicht  zur  Wunde  herausziehen  und 
aneinander  legen  lassen.  In  Fällen  von  vorgeschrittenem  und  ver- 
wachsenem Darmkrebs  ist  man  namentlich  genöthigt,  sich  in  dieser 
Weise  zu  helfen. 

Man  unterscheidet  eine  End-  zu  End-Anastomose  von  der  seit- 
lichen Anastomose.  Wie  Darmenden  nach  Excision  eines  Darm- 
stückes vereinigt  werden,  ist  soeben  im  Abschnitt  Darmresection 
geschildert  worden.  Wir  haben  uns  hier  bloss  noch  mit  der  Ver- 
einigung zweier  Därme  zu  befassen  für  den  Fall,  wo  keine  Ent- 
fernung von  Darm  stattgefunden  hat.  Diese  kann  so  geschehen, 
dass  man  ein  krankes  Darmstück  ausschaltet  und  zwei  gesunde 
Enden  ober-  und  unterhalb  vereinigt,  oder  dass  man  ohne  Aus- 
schaltung den  Darm  ober-  und  unterhalb  seitlich  in  Verbindung 
setzt. 

Das  einfachste  Verfahren  ist  folgendes:  Man  legt  die  2  Darm- 
stücke mit  ihren  Breitseiten  aneinander,  entleert  sie  durch  Ausstreifen 
und  lässt  sie,  aneinander  gedrückt,  durch  die  Hände  eines  Assistenten 
oben  und  unten  comprimiren,  oder  besser,  man  legt  2  Klemm- 
zangen an ,  welche  auch  die  Blutung  verhüten.  Dann  legt  man 
an  der  Convexität  in  Längsrichtung  eine  fortlaufende  Serosanaht 
durch  die  Serosa  beider  Därme  in  einer  Länge  von  4 — 5  cm  an  und 
lässt  die  Endfaden  lang,  die  eine  mit  der  Nadel  armirt.  Es  folgt, 
5  mm  von  dieser  Längssutur  entfernt,  jederseits  in  das  Darmstück 
ein  Längsschnitt  von  4 — 41/2  cm  und  eine  fortlaufende  Ringnaht 
durch  die  ganze  Wanddicke,  welche  die  Oeffnungen  in  Verbindung 
bringt.  Zuletzt  wird  über  diese  Ringnaht  die  zweite  Hälfte  der 
Serosanaht  geschlossen.  So  lässt  sich  rasch  und  sicher  eine  gute 
Vereinigung"  erzielen. 

Während  der  Naht  wird  durch  Bäuschchen  sterilisirter  (Gaze  die 
früher  erwähnte  isolirende  temporäre  Tamponade)  jedes  Eindringen 
von  Darminhalt  in  die  Bauchhöhle  verhütet,  zuletzt  mit  i-proc.  L}^sol- 
lösung   abgetupft,   mit  sterilem  Kochsalzwasser  gespült  und  reponirt. 

Statt  der  circulären  Vereinigungsnaht  hat  man  eine  ganze  An- 
zahl von  Vereinigungsweisen  der  Därme  mittelst  platten-  und  röhren- 


Abdomen. 


397 


förmiger  Einlagen  empfohlen,  indem  ausser  Murphy's  Knopf  und 
seinen  Modifikationen  namentlich  resorbirbare  Körper  gewählt  wurden, 
nach  N.  Senn's  Vorgang.  Senn  benutzte  entkalkte  Knochenplatten, 
Baracz  Kohlrübenplatten,  Landerer  Kartoffelröhrchen,  Alessandri 
Röhrchen  aus  Maccaroniteig.  Für  Anlegung  eines  MuRPHY-Knopfes 
oder  seiner  Ersatzmittel  ist  keine  Darmvereinigung  so  geeignet,  als 
die  von  Senn  zuerst  empfohlene  seitliche  Apposi'tion.  Man  kann 
hier  gut  zusammenpassende  Stellen  der  Darmwand  wählen ,  die 
Oeffhungen  genau  so  gross  und  in  der  Richtung  wählen,  wie  sie 
am  besten  passen,  kann  jede  Faltenbildung  vermeiden,  weil  die 
Lumina  gleich  gross  sind,  und  weil  man  mit  dem  Mesenterialansatz 
gar  nicht  in  Berührung  kommt.  Fast  nach  jeder  Methode  erhält 
man  hier   einen  verlässlichen  Schluss. 

Die  Operation  ist  für  alle  Stenosen  des  Darms,  welche  sich  nicht 
direct  beseitigen  lassen,  an  die  Stelle  des  Enterostomie  getreten, 
vorausgesetzt,  dass  sich  unterhalb  der  Stenose  noch  ein  zur  Anastomo- 
sirung  geeignetes  Darmstück  findet. 

Die  Enteroanastomose  mit  Darmausschaltung  ist 
von  Salzer  empfohlen,  von  Eiselsberg,  dann  auch  von  Baracz 
u.  A.  besonders  ausgebildet  worden.  Sie  kommt  in  Frage,  wo  die 
Erkrankung  des  Darmes  durch  Verschwärung  und  Zersetzung  des 
Inhalts  Schaden  bringt  für  die  Function  des  gesunden  Darmes.  Der 
Verschluss  des  Darmes  geschieht  nach  den  bei  der  Darmresection 
angeführten  Regeln.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  man  den  be- 
treffenden Darmabschnitt  nicht  völlig  abschliessen  soll,  sondern  durch 
Anlage  einer  Kothfistel  nach  aussen  leiten. 

Blasenoperationen. 

164)  Cystotomia  alta  suprapubica. 

Die  Eröffnung  der  Blase  kann  ganz  gut,  selbst  bei  empfindlichen 
Menschen,  mit  Cocain  ausgeführt  werden,  was  wegen  der  Mitleiden- 
schaft der  Nieren  und  des  Magens  bei  Blasenleiden  oft  wünschenswerth 
ist.  Empfindlich  ist  die  Blasenschleimhaut,  deren  Schädigung  heftigen 
Urindrang-  und  in  den  Penis  ausstrahlende  Schmerzen  hervorruft. 

Der  Blasenschnitt  über  der  Symphyse,  von  Franco  1556  ein- 
geführt, bedingte  einen  grossen  Fortschritt  in  der  Blasenchirurgie 
und  ist  gegenwärtig  das  Normalverfahren  zur  Eröffnung  der  Blase 
aus  den  verschiedensten  Indicationen ,  sobald  man  in  die  Blase 
hineinsehen  will,  wie  dies  der  Fall  ist  bei  Tumoren,  Tuberculose, 
Blutungen,  eingekapselten  und  sehr  grossen  Steinen,  Fremdkörpern. 
Von  einer  Anzahl  Chirurgen  wird  er  als  Methode  bei  der  Behandlung 
des  Blasensteins  überhaupt  bevorzugt,  weil  er  volle  Sicherheit  gründ- 
licher   Entfernung    giebt    und    den    enormen   Vortheil    gewährt,    im 


308  Specielle  Operationslehre. 

Gegensatz  zur  perinealen  Operation  eine  vollkommene  Prima- 
heilung zu  erzielen.  Dagegen  giebt  für  alle  Fälle,  in  denen  die 
Blase  offen  gelassen  und  drainirt  werden  muss,  perineale  Er- 
öffnung viel  günstigeren  Abfluss.  Die  Oeffhung  über  der  Sym- 
physe gestaltet  sich  zu  einer  Fistel  um,  welche  die  Continenz  der 
Blase  aufhebt,  und  der  continuirliche  und  dabei  doch  oft  unvoll- 
ständige Ausfluss  aus  der  Blase  (wie  Auneau  hervorhebt)  veranlasst 
den  Patienten  viele  Plage.  Dandridge  kommt  zu  dem  Schluss,  dass 
die  Cystotomia  alta  mit  offener  Nachbehandlung  die  Contractions- 
fähigkeit  der  Blase  mehr  behindert,  als  die  perineale,  dass  sie  weniger 
rasch  heilt,  schwieriger  ist;  im  Fall  von  Prostatahypertrophie  hat  die 
perineale  Operation  den  Vortheil,  wie  Reginald  Harrison  betont, 
die  obstruirende  Schwellung  gleichzeitig  incidiren  zu  können.  Bei 
Krebs  des  Blasengrundes  ist  die  Cystotomia  alta  vorzuziehen. 

Der  Normalschnitt,  wie  er  auch  von  Bardenheuer  geübt 
wird,  verläuft  quer  in  der  Falte  über  der  Symphyse  durch  die  fett- 
reiche Haut  und  die  oberflächliche  Fascie  hindurch.  Bei  Trendelen- 
BURG'scher  Hochlagerung  des  Beckens  gestattet  derselbe  einen  sehr 
klaren  Einblick  auf  und  in  die  Blase.  Einige  symmetrisch  senkrecht 
verlaufende  Venen  in  der  Unterhaut  sind  zu  durchschneiden  und  zu 
unterbinden.  Um  guten  Raum  zu  bekommen  und  doch  das  Peri- 
toneum nicht  in  Gefahr  zu  bringen,  werden  die  Weichtheile  über 
der  Symphyse  ergiebig  gespalten  und  der  Schnitt  bogenförmig  von 
der  Gegend  oberhalb  des  einen  Leistencanals  bis  zu  derselben  Stelle 
der  anderen  Leiste  herübergeführt.  Nach  Spaltung  des  die  Recti 
bedeckenden  Fascienblattes  werden  die  Ansätze  der  M.  recti  an  der 
S3^mphyse  zum  Theil  getrennt  nebst  den  M.  pyramidales  und  dem 
strammen  Ansatz  der  Linea  alba.  Diese  zieht  sich  sammt  Fascie  und 
Recti  stark  nach  oben  zurück.  Es  ist  aber  meist  besser,  noch  eine 
Längsspaltung  in  der  Medianlinie  durch  die  Linea  alba  hinzuzufüg'en, 
um  mehr  Raum  zu  gewännen.  Mit  dem  Finger  geht  man  hinter 
der  Symphyse  ein  und  zieht  die  dünne  Fascia  transversa,  das  sub- 
seröse Fett  und  mit  ihm  die  Umschlagsstelle  des  Peritoneum  (auf- 
wärts), welche  sich  als  quere  Falte  oder  Wulst  sehen  oder  fühlen 
lässt.  Es  erscheint  die  glatte  bläuliche  Aussenfläche  der  Blase  mit 
einzelnen  darüber  hinziehenden  Venen,  die  am  besten  isolirt  durch- 
schnitten und  torquirt  werden.  Durch  jenen  Handgriff  im  Verein 
mit  der  Beckenhochlagerung  macht  man  die  Hebung  der  Blase 
durch  stärkere  Füllung  derselben  oder  des  Rectum,  wie  sie  von 
Petersen  empfohlen  wurden,  überflüssig.  Die  letzteren  Maass- 
nahmen  sind  nicht  ohne  Gefahr  wegen  Berstung  oder  Verletzung 
dieser  Organe,  wenn  sie  erkrankt  sind.  Auch  die  Füllung  der 
Blase  wird  nach  aseptischer  Reinigung  derselben  besser  mit  Luft- 
injection  statt  mit  Wasser  besorgt. 


Abdomen. 


399 


Am  untersten  Punkt  der  Blase,  an  welchen  man  noch  gut  hin- 
gelangt, zieht  man  durch  die  ganze  Dicke  der  Muscularis  eine  feste 
Fadenschlinge  durch.  Ebenso  wird  unterhalb  der  Umschlagsstelle 
des  Peritoneum  eine  zweite  Fadenschlinge  durch  die  Muscularis  des 
Blasenscheitels  gelegt.  Dieses  Anlegen  von  Fadenschlingen  erleichtert 
nachher  die  Naht  ganz  ausserordentlich,  wenn  die  Blase  sich  entleert 
hat.  DäNDOLO  will  die  2  Fadenschlingen  seitlich  legen ;  aber  dann 
bieten  sie  für  die  lineare  Nahtanlage  nicht  dieselben  Vortheile. 

Zwischen  den  beiden  Fadenschlingen  wird  in  verticaler  Richtung 
die  Muscularis  getrennt,  bis  die  Schleimhaut  als  bläuliche  Blase  sich 
vorwölbt.  Blutungen  werden  sofort  gestillt.  Beim  Anstechen  jener 
Vorwölbung  spritzt  der  Urin,  resp.  die  in  die  Blase  gebrachte  asep- 
tische Lösung  oder  Luft  heraus,  und  der  Schnitt  kann  nach  Be- 
dürfniss  erweitert  werden  behufs  Extraction  eines  Steines,  Excision 
einer  Neubildung  oder  auch  blosser  Inspection  und  Digitalexploration 
der  Blase.  Die  Schleimhaut  braucht  weniger  ergiebig  getrennt  zu 
werden,  als  die  Muscularis,  da  sie  sehr  dehnsam  ist.  Die  Blase  wird 
mit  doppeltreihiger  Seidennaht  geschlossen,  so  zwar,  dass  die  erste 
Naht  bis  zur  Schleimhaut  reicht,  die  oberflächliche  (übrigens  ununter- 
brochen fortlaufend)  ausser  der  Muscularis  das  bedeckende  Zell- 
gewebe mitfasst.     Schluss  der  äusseren  Wunde. 

Die  Blase  ist  vor  der  Operation  gründlich  zu  spülen,  bis  das 
Spülwasser  klar  abläuft,  bei  Zersetzung  und  mit  150 — 200  ccm  ge- 
kochter 4-proc.  Borlösung  ä  30  °. 

Zur  Nachbehandlung  wird  ein  NELATON'scher  Catheter  eingelegt 
durch  die  Urethra,  in  dieser  mittelst  eines  durch  das  Frenulum  ge- 
legten Seidenfadens  fixirt  und  der  Urin  durch  einen  Kautschukschlauch 
in  eine  neben  dem  Bett  stehende,  mit  5-proc.  Carbollösung  (resp. 
1  °/oo  Sublimat)  gefüllte  Flasche  permanent  abgeleitet.  Der  Catheter 
bleibt  8 — 14  Tage  liegen,  bis  man  der  Heilung  der  Blasenwunde 
sicher  ist.  Durch  die  Haut  wird  bis  zur  Blase  ein  Glasdrain  ein- 
gelegt, durch  eine  besondere  kleine  Oeffhung,  und  8 — 10  Tage  liegen 
gelassen,  bis  man  sicher  ist,  dass  die  Blasennaht  hält. 

165)  Cystostomia  alta. 

Behufs  Anlegung  einer  temporären  oder  bleibenden  Fistel  er- 
öffnet man  die  Blase  über  der  Symphyse  in  möglicht  einfacher  Weise. 
Nachdem  die  Blase  mit  warmem  Borwasser  gespült  ist,  wird  sie  mit 
Luft  gefüllt  (Socin).  Man  schneidet  median  senkrecht  bis  zur  Wurzel 
des  Penis,  Haut  und  Unterhaut  bis  zur  Linea  alba,  die  hier  sehr 
stark  ist  und  an  welche  sich  die  M.  p}^ramidales  anlegen.  Dieselbe 
wird  gespalten  bis  dicht  an  den  Knochen  und  diesem  entlang  quer 
etwas  von  der  Symphyse  mit  2  Schnitten  die  Recti  losgelöst,  um  Platz 
zu    gewinnen.     Es    erscheint    die    Fascia    transversa    und    das   Fett- 


4qo  Specielle  Operationslehre. 

gewebe  vor  Peritoneum  und  Blase.  Der  Finger  g-eht  hinter  der 
Symphyse  ein,  bis  er  unter  der  weichen  kugligen  Blase  den  An- 
f angstheil  der  Urethra  und  Prostata  fühlt,  dann  zieht  der  haken- 
förmig gebogene  Finger  das  Fettgewebe  mit  Peritonealfalte  aufwärts 
über  die  Vorderfläche  der  Blase  empor.  Durch  Einstich  wird  die 
Blase  eröffnet  und  mit  scharfen  Häkchen  die  Ränder  festgehakt. 
Mittelst  stumpfen  Messers  wird  abwärts  bis  i — 2  cm  über  der  Prostata 
und  aufwärts  gespalten,  so  dass  man  bequem  2  Finger  einführen, 
die  Blase  palpiren  und  inspiciren  kann.  Es  werden  keine  Nähte  an- 
gelegt, die  Blase  mit  einem  Jodoformkrüll  lose  ausgestopft  und  asep- 
tische Gaze  aufgelegt,  welche  Anfangs  1/2-,  dann  2 -stündlich  ge- 
wechselt wird. 

Bei  jauchigem  chronischen  Blasenkatarrh  ist  die  geschilderte 
Methode  nach  Reg.  Harrison  ein  souveränes  Heilmittel,  bei 
Prostatahypertrophie  ein  Mittel  temporärer  Abwendung  von  Ge- 
fahren des  Catheterismus. 

Poncet  vernäht  die  Wundränder  der  Blase  mit  denjenigen  der 
Bauch  wand  und  Delore  sieht  in  diesem  Vorgehen  den  Haupt- 
schutz gegen  Urininfiltration  und  hält  die  Operation  sowohl  als  tem- 
poräre als  definitive  Cystostomie  in  einer  grossen  Anzahl  von  Blasen- 
Harnröhren  und  namentlich  Prostataleiden  für  angezeigt. 

Die  Operation  wird  hauptsächlich  bei  Prostatahypertrophie  aus- 
geführt, sowie  bei  anderen  nicht  beseitigbaren  Hindernissen  für  Urin- 
entleerung im  Bereich  des  Blasengrundes,  so  bei  inoperablen  Neu- 
bildungen. Es  ist  in  der  Regel  nöthig,  um  gute  Entleerung  zu 
sichern,  eine  silberne  Röhre  zu  tragen,  welche  eine  Heberdrainage 
ermöglicht. 

Unter  welchen  Verhältnissen  gegenüber  dieser  in  Frankreich  nach 
Poncet  benannten  Operation  die  Anlage  einer  perinealen  Fistel 
angezeigt  ist,  ist  bei  Besprechung  der  perinealen  und  suprapubischen 
Cystotomie  erörtert. 

166)  Blaseneröffnung  mit  Symphysenresection. 

Giebt  ein  grosser  Querschnitt  nicht  genug  Raum  zu  Operationen 
in  und  an  der  Blase,  namentlich  in  der  Gegend  des  Blasenhalses  oder 
der  Prostata,  so  ist  es  am  besten,  nach  Helfertch's  Vorgang,  unter 
Ablösung  der  Muskelansätze  (oben  Recti  abdominis  und  pyramidales, 
unten  aussen  Obturatores  externi)  einen  dreieckigen  Theil  mit  oberer 
breiter  Basis  und  der  Spitze  oberhalb  des  Schambogens  aus  der  Sym- 
physe subperiostal  zu  reseciren  und  das  Periost  an  der  Rückseite 
gehörig  abzulösen.  Für  die  Festigkeit  des  Beckens  hat  dieser  Ein- 
griff keinen  weiteren  Schaden.  Bramann  lässt  das  resecirte  Knochen- 
stück der  Symphyse  mit  den  Muskeln  in  Zusammenhang  (temporäre 
Resection).  Dr.  Niehans  macht  die  Symprrysenresection  nur  auf 
einer  Seite,  aber  durchgehend. 


Abdomen. 


401 


167)  Punction  der  Blase. 

Da  die  Punction  der  Blase  bloss  bei  Retentio  urinae  mit  starker 
Blasenfüllung  in  Frage  kommt,  so  ist  der  Blasenstich  über  der  Sym- 
physe in  der  Medianlinie  ausgeführt,  eine  sehr  einfache  Sache.  Man 
sticht  3  cm  über  der  Symphyse  nach  rück-  und  etwas  abwärts  je  nach 
Dicke  der  Bauchwand  (Panniculus),  etwa  der  Mitte  unseres  queren 
Blasenschnittes  entsprechend  —  4 — 6  cm  tief  ein,  bis  der  Urin  ausfliesst. 

Wo  es  sich  bloss  um  einmalige  Entleerung  oder  auch  um  mehr- 
malige Entleerung  mit  Aussicht  baldiger  Wiederherstellung  des  nor- 
malen Weges  handelt,  benutzt  man  einfach  den  PoTAiN'schen  Aspi- 
rationsappart mit  langer  feiner  Canüle.  Soll  aber  länger  dauernde 
Ableitung  des  Urins  (wie  bei  gewissen  Prostata-  und  Harnröhren- 
erkrankungen) stattfinden ,  bedient  man  sich  eines  grösseren  ge- 
bogenen Trocar,  dessen  Caliber  gross  genug  sein  muss,  um  die  Ein- 
führung einer  abgerundeten  Canüle  durch  denselben  in  die  Blase  zu 
gestalten,  damit  der  Rand  des  Trocar  die  Blasenwand  nicht  verletze. 

Zur  Ureteren- Chirurgie. 

Die  Chirurgie  der  Ureteren  hat  in  den  letzten  Jahren  dank 
namentlich  experimentellen  Arbeiten  eine  erhebliche  Wichtigkeit 
erlangt.  Man  excidirt  den  Ureter  bei  Tuberculose,  man  incidirt 
ihn  bei  Steineinklemmung,  man  näht  ihn  bei  Verletzungen,  man 
anastomosirt  denselben  bei  Klappenbildung  mit  neuen  Stellen  des 
Nierenbeckens  resp.  mit  Hydronephrosesäcken ,  mit  der  Blase  bei 
Durchtrennung  seines  unteren  Endes,  mit  dem  Darm  bei  Blasen- 
spalte und  bei  nach  aussen  mündenden  Ureterenfisteln.  Diese  Implan- 
tation des  Ureter  in  die  Blase  und  in  den  Darm  ist  ein  so  wichtiger 
Fortschritt  für  Heilung  sonst  unheilbarer  Leiden,  dass  wir  eine  kurze 
Schilderung  des  daherigen  Verfahrens  geben  wollen. 

168)  Uretero-Cysto-Neostomie. 

Die  Idee,  den  Ureter  nach  Durchschneidung  an  seinem  unteren 
Ende  wieder  in  die  Blase  einzusetzen,  ist  erst  in  zweiter  Linie  auf- 
getaucht, nachdem  man  schon  die  Implantation  in  den  Darm  ein- 
geführt hatte.  Und  doch  ist  es  die  weitaus  natürlichere  und  viel 
ungefährlichere  Methode,  weil  hier  nicht  wie  bei  der  Einsetzung  in 
den  Darm  aufsteigende  Infection  zu  fürchten  ist,  welche  bei  der 
Darmimplantation  eine  so  grosse  Rolle  spielt. 

Boari  hat  eine  sehr  tüchtige  Studie  über  diese  Uretero-Cysto- 
Neostomie  veröffentlicht.  Die  Operation  ist  ausser  bei  Verletzung 
des  untersten  Endes  des  Ureter  hauptsächlich  bei  Fistelbildung  des- 
selben angezeigt,  so  bei  Uretero- Vaginal-,  Uretero-Uterinfisteln.  Poggi 
hat  1887  die  erste  Idee  gehabt  und  Paoli  und  BuSACCHl  die  ersten 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  26 


4-02 


Specielle  Operationslehre. 


Thierversuche   gemacht.     Hegar  (Büdinger)  und  Schede  machten 
die  ersten  Operationen  am  Menschen. 

Boari     kommt     zu     folgenden     Empfehlungen     bezüglich     des 
Operationsverfahrens : 


Fig.  120. 


Fis:.  121. 


Nach  Laparotomie  wird  der  Ureter  aufgesucht  und  das  Parietal- 
peritoneum, welches  ihn  deckt,  gespalten.  Oberhalb  einer  event.  Fistel 
wird  er  durchtrennt.  Die  Blase,  an  einer  Stelle  durch  einen  ein- 
geführten Catheter  emporgehoben,  wird  incidirt  und  zwar  nahe  dem 

Blasenscheitel,  um  das  Zurück- 
treten von  Urin  bei  halbvoller 
Blase  zu  verhüten.  Eine  Ureteren- 
sonde  wird  von  unten  durch  die 
Incisionsstelle  der  Blase  bis  in 
den  Ureter  geführt  (nach  Bazy) 
und  nun  die  Naht  gemacht  und 
zwar  mit  feinem  Catgut  erst  der 
Schleimhaut  des  Ureter  (event. 
nach  seitlicher  Spaltung  der 
Mündung)  mit  der  Schleimhaut 
der  Blase,  dann  werden  die 
übrigen  Schichten  vereinigt.  Man 
muss  sorgen,  den  Ureter  bei 
dieser  Naht  nicht  zu  verengen. 
Boari  hat  einen  Knopf 
(Fig.  120  und  121)  angegeben, 
analog  dem  Murphy  -  Knopf , 
welcher  mit  einem  schmalen  Theil 
in  den  Ureter  circulär  einge- 
bunden, mit  dem  breiten  in  die 
Blase  eingesetzt  wird ;  die  Wände 
der  beiden  OefFnungen  werden 
durch  Federdruck  auseinander 
gepresst.  Der  Knopf  vereinfacht  die  Operation  sehr.  Nachdem  der 
breite  Theil  des  Knopfes  durch  die  Blasenöffnung  eingeführt  ist,  wird 
diese  (vergl.  die  der  Arbeit  von  Boari  entlehnte  Fig.  122)  mit  Tabak- 


Fig.  122. 


Abdomen. 


403 


beutelnaht,  wie  bei  Murphy,  um  den  Knopf  geschlossen.  Boari  hat 
kein  Thier  bei  dieser  Methode  verloren  und  keine  Fistel  bekommen. 
Boari  räth,  nach  NOVARO,  das  Blasenperitoneum  bis  zur  Implantations- 
stelle abzuheben  und  hier  mit  einer  Gaze  zu  drainiren;  eine  Glasröhre 
dürfte  dazu  besser  sein. 

Die  Operation  giebt  zu  keinen  functionellen  Störungen  Anlass, 
weder  zu  Infection  noch  zu  Stenosenbildung,  ganz  im  Gegensatz  zur 
Darmimplantation. 

Für  Defecte  des  Ureter,  welche  trotz  Zuges  am  Ureter  und  Mobili- 
sirung   der   Blase   nach  (Kelly    durch  Trennung    ihrer   Schambein- 


Fig.  123. 


Fig.  124. 


Verbindungen)  die  Vereinigung  unmöglich  machen,  hat  Boari  eine 
Ureterenplastik  empfohlen,  welche  am  besten  aus  seiner  Arbeit 
durch  2  derselben  entlehnte  Figuren  illustrirt  wird  (vergl.  Fig.  123 
und  124). 

Sie  besteht  in  Bildung  eines  langen  Lappens  mit  oberer  Basis, 
der  zum  Rohre  umgestaltet  wird  durch  Naht  und  in  welchen  von 
oben  der  Ureter  einvaginirt  wird. 


169)  Uretero -Trigono-Sigmoideostomie  (Maydls  Ope- 
ration). 

Der  Name  stammt  von  Reuben  Peterson,  welcher  eine  vor- 
zügliche  Arbeit   über   die  Uretero-Enterostomosis   veröffentlicht  hat. 

26* 


aqi  Specielle  Operationslehre. 

Er  hat  eine  sehr  grosse  Anzahl  von  Experimenten  angestellt,  speciell 
um  definitiv  die  Rückwirkung  auf  die  Nieren  abzuklären.  Er  findet 
die  Verhältnisse  bei  Thier  und  Mensch  übereinstimmend.  Das  Resultat 
seiner  Literatur-  und  experimentellen  Studien  ist  ein  sehr  be- 
stimmtes: Alle  Bemühungen,  bei  Implantation  der  Ureteren 
in  den  Darm  die  ascendirende  Inf ection  der  Nieren  abzuhalten, 
sind  fruchtlos,  daher  Allgemeininfection  oder  schwerer  Läsion  der 
Nieren  nicht  zu  verhüten.  In  33  Fällen  bei  Menschen  war  die  Mor- 
talität 33  Proc.  Auch  Stenosenbildung  lässt  sich  nicht  verhindern 
und   führt  zu  Hydro-  und  Pyoureter  oder  Hydro-  und  Pyonephrose. 

Die  Operation  hat  deshalb 
keine  Berechtigung.  Wie  weit 
die  FRANCK'sche  Operation  der 
directen  Cysto-Proctosto- 
mosis  eine  Zukunft  hat,  bleibt 
dahingestellt.  Halstead  hat 
sie  mit  Glück  ausgeführt.  Da- 
gegen hat  sich  die  Einpflanzung 
der  Ureteren  mit  dem  die  Ein- 
mündungssteile umgebenden 
Stück  Blasen  wand ,  welche 
PETERSON  als  Uretero  -  Tri- 
gono  -  Enterostomosis  zu  be- 
zeichnen vorschlägt,  völlig  be- 
währt. Ihre  Mortalität  ist 
gering,  die  Gefahr  schwerer 
Infection  aufwärts  nicht  be- 
deutend, obschon  sich  kein 
Fig.  125.  Ventil-      oder      Muskelschluss 

bilden  lässt.  Das  Rectum  ver- 
trägt den  Urin  ganz  gut  und  sein  Sphinkter  hält  denselben  genügend 
zurück. 

Tuffier  hatte  die  erste  Idee  der  Erhaltung  der  intacten  Ureteren- 
öffnungen,  aber  Maydl  hat  die  Operation  bei  Blasenspalte  in  ihrer 
bewährten  Form  erfunden.  Sie  hat  unter  36  Fällen  bloss  5  Todes- 
fälle ergeben. 

Maydl's  Operationsverfahren  nach  Peterson  modificirt :  Es  soll 
kein  Abführmittel*  gegeben  werden,  ebensowenig  Rectalspülungen 
voraus  gemacht  werden 1),  sondern  erst  zu  Beginn  der  Operation, 
wenn  die  Narkose  eingetreten  ist,  soll  und  kann  Rectum  und  Colon 
gründlich  ausgewaschen  werden.     Bei  Exstrophia  vesicae  wird  (nach 


1)  Auf  diese  wichtige  Vorschrift  werden  wir  bei  Besprechung  der  Rectum- 
exstirpätion  zu  sprechen  kommen. 


Abdomen. 


405 


Tuffier)  die  Blase  umschnitten  und  extraperitoneal  abgelöst.  Peter- 
SON  spaltet  die  Blase  mit  der  Scheere  bis  zum  Fundus.  Hier  wird 
ein  rechteckiges  Stück  (der  elliptischen  sich  nähernde  Form  wäre 
wohl  für  die  Naht  bequemer)  um  die  Ureterenmündungen  herum 
(mindestens  4  qcm  umschnitten  (Fig.  125). 

Die  Bauchhöhle  wird  eröffnet  und  das  S.  romanum  (bei  Hunden 
das  Colon  descendens)  vorgezogen,  längs  eröffnet  (vorher  ist  jeden- 
falls gehöriges  Ausstreifen  und  event.  die  Anlage  einer  Klemmzange 
zu  empfehlen)  in  der 
Länge  des  erhal- 
tenen  Blasenstückes. 
Letzteres  wird  an 
den  einen  Rand  — 
Serosa  gegen  Serosa 
—  angelegt  und  eine 
durch  die  ganze 
Dicke  gehende  Naht 
gemacht  wie  die 
ebenfalls  der  Peter- 
SON'schen  Arbeit 
entnommene  Figur 
126  zeigt. 

vSo      wird     die 
Naht    rings    fortge- 
setzt    (Peterson 
schneidet   bloss  bis  b3"*"^  ~~\~Jf/^" '""       ~~J 

auf  die  Mucosa,  die  '  \f\      ~^§~\~^ 

er  erst  excidirt,  wenn 
"2/3    der    Naht    ge-  V 

macht  sind).     Dann  "T^nJ 

kommt  eine  Serosa- 
naht     rings    herum      ,  j 

nach       gehöriger 
vorgängiger   Reini-  *£•  I2^- 

gung. 

Peterson  hat  gefunden,  dass  das  Trigonum  vesicae  bei  Hunden 
von  den  Arteriae  vesicales  versorgt  ist,  welche  daher  sorgfältig  zu 
schonen  sind,  weil  sie  bloss  geringe  Verbindungen  mit  den  Arteriae 
uretericae  haben.  Von  Anwendung  des  BOARI-Knopfes  ist  natürlich 
keine  Rede.  Der  Grund,  warum  hier  ascendirende  Infection  ausbleibt, 
ist  der,  dass  am  Ureterenende  keine  Wunde  oder  Naht  sich  findet, 
welche  die  Infection  (Colibacillen  etc.)  aufwärts  leiten  könnte.  Auch 
hier  bildet  sich  nach  keiner  Methode  ein  Ventil-  oder  Muskelschluss, 
die  daherigen  operativen  Bemühungen  sind  eher  schädlich  als  nützlich. 


406  Specielle  Operationslehre. 


P.  Perinaeum. 

Operationen  am  Damm  bezwecken  Freilegung  des  untersten 
Theiles  des  Rectum,  der  Urethra,  der  Prostata  und  Samenblasen,  der 
Vagina,  des  Uterus  und  des  Blasengrundes.  Die  Prostata  ist, 
abgesehen  von  ihrem  oft  in  die  Blase  ragenden  Mittellappen,  am 
besten  vom  Damm  aus  zugänglich  zu  machen,  und  von  Dittel  und 
Zuckerkandl  ist  dieser  Weg  genau  präcisirt  worden.  Die  Er- 
krankungen des  Uterus  werden  von  der  Vagina  aus,  die  das  Rectum 
mit  Vorliebe  von  einem  hinteren  »Schnitt  aus  behandelt  (s.  Chirurgie 
der  hinteren  Beckengegend).  Auch  die  Samenblasen  können  sehr 
hübsch  durch  einen  Dammschnitt  neben  dem  Rectum  vorbei  zugäng- 
lich gemacht  werden.  Diejenige  Operation,  welche  vor  Zeiten  weit- 
aus im  Vordergrunde  stand  und  die  häufigste  Indication  bildete,  war 
der  Steinschnitt. 

170)  Cystotomia  perinealis. 

Wir  haben  bei  Besprechung  der  Cystotomia  suprapubica  kurz 
erwähnt,  in  welchen  Fällen  die  Eröffnung  der  Blase  vom  Damm  aus 
vorzuziehen  ist.  Der  Umstand,  dass  nach  älteren  Statistiken  der 
hohe  Schnitt  (Barling)  viel  grössere  Mortalität  giebt,  dürfte  nicht 
zu  schwer  ins  Gewicht  fallen,  da  dieselbe  mit  Ausbildung  der  Asepsis 
stetig  abgenommen  hat1).  Dagegen  ist  es  zweifellos,  dass  für  alle 
Fälle,  wo  die  Blase  zu  drainiren  ist,  wie  bei  Entzündung,  ferner  wo 
die  Incision  des  Blasengrundes  zugleich  das  Grundübel  hebt,  wie 
bei  Prostatahypertrophie,  ferner  wo  eine  Eröffnung  genügt,  um  ohne 
Inspection  der  Blase  die  Operation  auszuführen,  wie  bei  der  wichtigen 
perinealen.  Lithothripsie,  der  Damm  blasenschnitt  noch  jetzt  eine  sehr 
gute  Indication  hat. 

Der  Damm-Steinschnitt  galt  bis  in  die  neueste  Zeit  als  Normal- 
verfahren, und  es  handelte  sich  nur  darum,  von  den  verschiedensten 
Variationen  desselben  die  geeignetste  Methode  auszuwählen,  Lateral- 
schnitt, Bilateralschnitt,  Medianschnitt.  Dass  der  Schnitt  von  unten 
her  so  lange  geübt  ist,  erklärt  sich  dadurch,  dass  man  bei  hohem 
Blasenschnitt  die  Infection  der  Wunde  nicht  zu  verhüten  vermochte, 
während  bei  Dammoperationen  wenigstens  der  Abfluss  des  Urins 
und  der  Wundsecrete  gesichert  werden  konnte,  so  dass  deren  In- 
filtration in  die  Gewebe  nicht  die  Gefahr  der  Infection  vermehrte. 


I)  Allerdings  berechnet  noch  CüNNINGHAM  1887  auf  7201  perineale  Litho- 
tomien  11  Proc.  f  auf  147  suprapubische  42  Proc.  f.  William  White  findet 
bei  perinealem  Blasenschnitt  bei  Kindern  bloss  3  Proc,  bei  suprapubischen 
12  Proc.  f ,  also  soll  ersterer  im  Kindesalter  bevorzugt  werden.  Bei  alten  Leuten 
ist  dies  gerade  umgekehrt. 


Perinaeum. 


407 


Zur  Stunde  liegt  eine  bestimmte  Indication  für  den  Damm-Stein- 
schnitt nur  noch  für  die  seltenen  Fälle  vor,  wo  kleine  Steine  nicht 
durch  Litholapaxie  zu  beseitigen  und  doch  nicht  klein  genug  sind, 
um  die  intacte  Urethra  zu  passiren. 

Die  perineale  Cystotomie  ist  sowohl  als  Median-  als  Lateralschnitt 
technisch  ein  sehr  einfaches  Verfahren,  insofern  als  man,  wie  für 
Urethrotomia  externa  geschildert,  auf  einer  eingeführten  Rinnsonde 
zuerst  die  Urethra  eröffnet  und  von  da  nach  Orientirung  mit  dem 
eingeführten  Finger  ein  Knopfmesser  in  die  Blase  führt,  um  Prostata 
und  Blasengrund  zu  spalten. 

171)  Urethrotomia  externa. 

Der  äussere  Harnröhrenschnitt  ist  die  Hauptoperation,  welche 
am  Damm  wegen  Erkrankung  im  Bereich  der  Harnwege  gemacht 
wird,  da  er  auch  oft  genügt,  um  den  nöthigen  Zugang  zu  geben 
für  Blasenerkrankungen.  Er  wird  gemacht  bei  recidivirenden 
Stricturen,  bei  solchen,  welche  mit  Fisteln  und  Abscessen  com- 
plicirt  sind  und  —  eine  noch  wichtigere  Indication  —  bei  solchen, 
welche  sich  mit  Infection  und  Urininfiltration  compliciren. 

Reginald  Harrison  erzählt  überzeugende  Fälle,  wo  er  bei 
Schüttelfrösten  nach  innerer  Stricturbehandlung  sofortigen  Rückgang 
der  bedrohlichen  Symptome  durch  den  äusseren  Schnitt  erzielte. 

Die  Operation  findet  ausserdem  ihre  Anwendung  bei  derben 
und  bei  impermeablen  Stricturen,  zumal  traumatischen  Ursprunges, 
es  handelt  sich  dabei  entweder  um  blosse  Spaltung  der  verengten 
Stelle  oder  um  Excision  derselben  sammt  der  umgebenden  Narbe, 
welche  im  Corpus  cavernosum  einen  bindegewebigen  Callus  bildet. 
R.  Harrison  macht  aufmerksam,  dass  auch  bei  Harnröhren- 
ruptur die  Spaltung  der  Urethra  von  aussen  wegen  der  gründ- 
lichen Drainage  viel  weniger  ausgedehnte  und  harte  Narben  ergiebt 
als  der  spontane  Ablauf. 

Bezüglich  Operation  beruft  sich  Harrison  auf  Weelhouse's 
Methode  und  will  keinen  Fall  von  Strictur,  wo  nicht  völlige  Oblite- 
ration  der  Urethra  mit  Fistel  hinterhalb  besteht,  operiren  ohne  vor- 
gängige interne  Urethrotomie,  weil  jede  noch  für  Urin  permeable 
Strictur  auch  für  feinste  Sonden  permeabel  sein  müsse  und  daher 
mit  Maisonneuve's  Instrument  erstere  Operation  vorgängig  aus- 
geführt und  dann  eine  gehörige  Rinnsonde  eingeführt  werden  könne. 

Denn  wenn  nicht  erweitert  worden  ist,  so  kann  das  Auffinden 
des  hinteren  Harnröhrenendes  sehr  schwierig  und  mühsam  sein,  so 
dass  gelegentlich '  eine  Eröffnung  der  Blase  über  der  Symphyse  und 
ein  retrograder  Catheterismus  nöthig  wird.  Durch  die  vorgängige 
Urethrotomia  interna  und  Einführung  der  Rinnsonde  wird  die 
Operation   so  einfach,    wie  die  Spaltung  einer  normalen  Urethra  be- 


aoS  Specielle  Operationslehre. 

hufs  Exploration   der   Blase    mit    dem  Finger    nach  R.  Harrison's 
Methode.     Sie  ist  mittelst  Medianschnitt  auszuführen. 

Behufs  Excision  einer  Narbe  resp.  Resection  der  Urethra 
eröffnet  man  die  Urethra  vor  und  hinter  der  engen  Stelle  und 
schneidet  die  Narbenmasse  quer  heraus.  Dann  macht  man  mittelst 
Catgutnähten  eine  exacte  circuläre  Naht  der  Harnröhrenstümpfe  und 
näht  mit  bis  auf  die  Urethra  greifenden  Nähten,  am  besten  unter 
Benutzung  von  SociN's  Broncealuminiumdraht ,  die  Wunde  ohne 
jegliche  Drainage  völlig  zu.  So  erhält  man  eine  prima  reunio  mit 
vorzüglicher  Durchgängigkeit  der  Harnröhre.  Bis  zur  Heilung  der 
Wunde  ist  ein  weicher  Catheter  in  der  letzteren  liegen  zu  lassen 
und  eine  Heberdrainage  der  Blase  zu  permanenter  Ableitung  ihres 
Inhaltes  durchzuführen,  mit  Ausspülung. 

17a)  Die  Freilegung  der  Pars  membranacea  und  pro- 
statica  urethrae.     (Fig.  127  u.  128.) 

Die  Operation  dient  der  Freilegung  der  Prostata,  Samenblasen, 
des  urethralen  Endes  der  Vasa  deferentia  und  des  Blasengrundes. 
Sie  verlangt  einen  ergiebigen  äusseren  Schnitt.  Deshalb  muss 
man  vom  Medianschnitt  von  vorneherein  absehen.  Ein  rein  lateraler 
Schnitt,  wie  er  früher  mit  Vorliebe  geübt  worden  ist,  durchschneidet 
die  von  der  Arteria  und  Nervus  pudendus  internus  nach  der  Mittel- 
linie gehenden  Gefässe  und  Nervenäste  (nach  hinten  die  Aa.  und 
Nn.  haemorrhoidales  externi,  nach  vorne  die  A.  perinea  und  bulbosa 
mit  den  parallel  laufenden  Nerven).  Obschon  die  sacralen  Resectionen 
gelehrt  haben,  dass  einseitige  Durchschneidung  dieser  Nerven  nicht 
nothwendig  bleibende  motorische  Störungen  herbeiführt,  so  ist  doch 
principiell  die  Läsion  dieser  Gebilde  zu  vermeiden  und  als  Normal- 
verfahren für  breiteren  Zugang  der  quere  Spitzbogenschnitt 
anzusehen. 

Der  Schnitt  verläuft  auf  dem  Tuber  ischii  rechts  beginnend  bis 
zu  der  Stelle,  wo  man  den  unteren  Rand  des  Schambogens  fühlt, 
und  symmetrisch  auf  der  anderen  Seite  rückwärts  (Fig.  127). 

Nach  Spaltung  der  Haut  und  der  oberflächlichen  dünnen  Fascie 
gelangt  man  seitlich  auf  das  Fettgewebe,  welches  sich  zwischen 
Becken  und  Rectum  in  die  Excavatio  ischio-rectalis  fortsetzt. 

Dasselbe  wird  stumpf  getrennt  bis  zur  Unterfläche  des  von  vorne 
und  von  der  Seite  her  gegen  das  Rectum  heranziehenden  M.  levator 
ani,  wobei  der  N.  und  die  A.  haemorrhoidalis  externa  nach  hinten, 
der  N.  und  die  A.  perinea  (transversa  perinei)  und  bulbosa  mit  dem 
M.  transversus  perinei  superficialis  nach  vorne  geschoben  und  ab- 
gezogen werden.  Vorne  wird  der  Bulbus  urethrae  freigelegt  mit 
seiner  mittleren  Raphe  und  den  von  derselben  entspringenden 
Muskelfasern  des  Bulbo-cavernosus.   Vom  hinteren  Ende  des  Bulbus 


Perinaeum. 


409 


gehen  quer  gegen  den  aufsteigenden  Ast  des  Sitzbeines  die  Fasern 
des  M.  transversus  perinei  superficialis.  Dicht  am  Bulbus  werden 
die  Verbindungsfasern  zwischen  Sphincter  ani  externus  und  dem 
M.  bulbo-cavernosus  getrennt  und  der  Bulbus  urethrae  nach  vorne 
gezogen  mit  dem  M.  transversus  perinei  superficialis.  Indem  man 
an  der  Hinterfläche  des  Bulbus  mit  queren  Schnitten  resp.  stumpf 
in  die  Tiefe  geht,  sieht  man  vorne  die  queren  Muskelfasern  des 
Transversus  perinei  profundus,  welche  die  Pars  membranacea  als 
Theil  des  Diaphragma  urogenitale  von  hinten  bedecken.  Oberhalb 
derselben  erscheint  die  Prostata.  Von  deren  Rückfläche  muss  man 
eine  derbe  Bindegewebslage  (mit  organischen  Muskelfasern)  ab- 
heben und  quer  spalten.  So  wird  die  glatte  Rückfläche  der  Prostata 
freigelegt,  und  nun  dringt  der  Finger  stumpf  an  derselben  bis  zum 
oberen  Rande  empor.  Hier  gehen  schräg  von  oben  hinten  kommend 
die  Vasa  deferentia  zusammen,  sehr  leicht  kennbar  (Fig.  128),  und  an 
ihrem  lateralen  Rande  liegen  die  Samenblasen,  die  sich  stumpf  heraus- 
holen lassen. 

Indem  man  das  Rectum  mit  einem  langen,  stumpfen  Haken 
nach  hinten  zieht,  spannen  sich  seitlich  frontal  stehende  Muskelbinde- 
gewebsplatten  mit  Fasern  des  Levator  ani  an. 

173)  Excision  der  Hoden  mitsammt  Vas  deferens  und 
Samenblase.     Spermatocystektomie. 

vSeit  Baumgarten  durch  seine  Experimente  und  Bruns  durch 
klinische  Belege  nachgewiesen  hat,  dass  die  Genitaltuberculose  in 
erster  Linie  eine  ascendirende  ist,  d.  h.  sich  vom  Hoden  auf  Vas 
deferens,  Samenblase  und  Prostata  fortsetzt  und  nicht  umgekehrt  von 
der  Prostata  auf  die  Genitalorgane  übergreift,  hat  die  Totalexcision 
der  männlichen  Zeugungsorgane  eine  grössere  Wichtigkeit  erhalten. 
Freilich  giebt  es  noch  heute  genug  Chirurgen,  welche  überhaupt  der 
Operation  bei  Hodentuberculose  abgeneigt  sind. 

Beloseroff  hat  auf  Roux'  Anregung  die  geschichtliche  Ent- 
wicklung der  Castrationsfrage  beleuchtet  und  schreibt  Reclus  das 
Verdienst  zu,  1875  zuerst  entgegen  Louis'  und  Dufour's  Diathese 
tuberculeuse  die  Genitaltuberculose  als  primäre1)  Erkrankung  er- 
wiesen zu  haben.  Der  Beweis  ist  jetzt  nicht  mehr  zu  leisten,  dass 
eine  Anzahl  von  Individuen  nach  Castration  völlig  gesund  bleiben. 
Aber  zweifellos  ist  es,  dass  der  Chirurg  die  kleine  Zahl  der  Fälle 
zu  Gesicht  bekommt,  zur  Zeit,  wo  die  Affection  noch  völlig  auf  den 


1)  Bezüglich  Primärerkrankung  bei  Tuberculose  tief  gelegener  Organe  er- 
scheint es  unnöthig,  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  damit  nicht  gesagt 
sein  will,  dass  der  Tuberkelbacillus  an  dieser  Stelle  eingedrungen  sei,  wohl 
aber  dass  er  hier  zuerst  eine  in  den  Folgen  klinisch  erkennbare  Entwicklung 
durchgemacht  habe. 


4io 


Specielle  Operationslehre. 


Perinaeum. 


bJD 


A12  Specielle  Operationslehre. 

Hoden  beschränkt  ist,  so  dass  er  blosse  Castration  oder  sogar  blosse 
Epididymektomie  nach  Bardenheuer  (1880)  ausführen  kann. 

Sehr  oft  findet  sich  wenigstens  das  Vas  deferens  miterkrankt 
und  ist  dessen  Entfernung  wünschenswerth  oberhalb  des  höchsten 
tuberculösen  Herdes  durch  hohe  Präparation  oder  Evulsion  nach 
BüNGENER.  Ist  die  Samenblase  miterkrankt,  so  ist  auch  deren 
Excision  indicirt.  Allerdings  bleiben  dabei  sehr  oft  noch  die  tuber- 
culösen Herde  in  der  Prostata  zurück  und  eine  klare  Indication  hat 
die  Excision  der  Samenblase  sammt  Vas  deferens  und  Hoden  bloss, 
wenn  die  Samenblase  besonders  intensiv  erkrankt  ist  oder  wenn  die 
Prostata  noch  frei  ist.  Ullmann  hat  1889  die  erste  Spermatocyst- 
ektomie  gemacht. 

Villeneuve  hat  die  Excision  von  der  Leiste  versucht,  Schede, 
Füller,  Routier  auf  dem  sacralen  Weg  nach  Kraske  und  Rydy- 
GIER.  Der  richtige  Weg  ist  der  perineale,  wie  ihn  Ullmann,  Zucker- 
kandl,  BüNGENER,  Guelliot  und  ich  betreten  haben.  Ich  habe  die 
prärectale  Incision  ausgeführt  in  der  schon  bei.  Freilegung 
der  Pars  prostatica  urethrae  (vergl.  No.  172)  beschriebenen  Weise  in 
Form  des  Spitzbogenschnittes.  Es  ist  dies  eine  sehr  empfehlens- 
werthe  Methode,  rationell,  wenig  verletzend  bei  richtiger  Ausführung, 
viel  weniger  als  der  inguinale  und  sacrale  Weg. 

Beloseroff  wirft  dem  Prärectalschnitt  Mangel  an  Raum, 
Schwierigkeit  der  Blutstillung  und  grössere  Verletzung  vor ;  ich  kann 
von  diesen  Vorwürfen  nur  den  ersten  und  nur  soweit  anerkennen, 
als  der  von  Roux  empfohlene  Schnitt  allerdings  noch  mehr  Raum 
giebt.  Man  kann  übrigens  den  einen  oder  beide  Schenkel  des  Spitz- 
bogenschnittes leicht  rückwärts  verlängern.  Dagegen  muss  der  seit- 
liche Schnitt  nothwendig  mehr  von  dem  M.  levator  ani  und  den 
schräg  nach  der  Mittellinie  zustrebenden  Nervenfasern  trennen,  als 
der  Prärectalschnitt,  welcher  erlaubt,  in  der  Mittellinie  einzugehen 
und  die  Muskeln  bloss  von  hier  aus  auseinanderzudrängen. 

Die  Roux'sche  paramediane  Methode  der  Spermato- 
cystektomie  mit  Vasectomia  totalis  und  Castration. 

Roux  macht  die  Castration,  präparirt  das  Vas  deferens  so  hoch 
hinauf  wie  möglich  und  schneidet  es  schräg  durch,  um  bei  Evulsion 
von  unten  zu  erkennen,  dass  man  es  nicht  abgerissen  hat  Ich  rathe, 
wenn  der  Schnitt  käsige  Schleimhaut  trifft,  dieselbe  mit  dem  Paquelin 
zu  cauterisiren. 

Danach  wird  10  cm  langer  Schnitt  am  Damm  paramedian 
{2 — 3  cm  von  der  Mittellinie)  bis  zum  Niveau  des  Steissbeins  mit 
Trennung  der  Fasern  des  Levator  ani.  Der  ins  Rectum  geführte 
Finger  holt  die  Samenblase  heraus,  welche  mit  Faden  angeschlungen 
wird.  Ihre  Verbindungen  werden  stumpf  zurückgeschoben  und  das 
Vas  deferens  herausgezogen.     Der  Hals  der  Samenblase  wird  abge- 


Perinaeum.  413 

schnitten  an  der  Prostata  und  die  Trennungsstelle  in  3-facher  Schicht 
mit  Catgut  vernäht.  Jodoformgaze  für  24  Stunden,  Naht  der  Wunde. 
YOUNG  (Langenbeck's  Arch.,  Bd.  62,  S.  456)  hat  eine  sehr 
radicale  Methode  angegeben  zur  Totalexstirpation  der  Hoden  sammt 
Vasa  deferentia  und  Samenblasen,  indem  er  einen  bis  zum  Nabel 
reichenden  Bauchschnitt  macht,  das  Peritoneum  von  der  hinteren 
Blasenwand  ablöst  und  von  oben  die  Samenblasen  und  Vasa  deferentia 
isolirt  und  sammt  den  Hoden  im  Zusammenhang  excidirt.  Dabei 
werden,  um  genügend  Raum  zu  erhalten,  über  dem  Nabel  die  beiden 
Recti  abdominis  quer  gespalten  und  nachher  wieder  vernäht.  Wenn 
die  Harnblase  krank  ist,  so  wird  sie  incidirt,  event.  ein  Stück  excidirt. 
Ein  radicales  Verfahren  ist  diese  Methode  sicherlich,  aber  angesichts 
des   nicht   geringen  Eingriffs  für  wohlgeeignete  Fälle  vorzubehalten. 

Vasectomie  und  Prostatectomie. 

Die  partielle  oder  totale  Prostatectomie  ist  trotz  der  grossen 
Häufigkeit  der  Prostataleiden,  speciell  der  Hypertrophie,  noch  relativ 
selten  ausgeführt  aus  dem  Grunde,  weil  man  die  Beschwerden  und 
Gefahren  dieser  Erkrankung  durch  weniger  eingreifende  Mittel  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  beseitigen  kann  —  solange  keine  Compli- 
cationen  vorhanden  sind.  Denn  die  Störungen  bei  Prostatahypertrophie 
sind  anfänglich  rein  mechanischer  Natur.  Durch  Benutzung  der 
Bauchpresse,  später  vorübergehender  Blasen-Heberdrainage  mittelst 
Catheter,  endlich  durch  Maassnahmen,  das  Volumen  der  Prostata 
zu  verkleinern  und  dessen  Spornbildungen  zu  beseitigen,  kann  man 
die  Hindernisse  soweit  beheben,  dass  die  Beschwerden  schwinden. 

174)  Vasectomie. 

Unter  den  Mitteln  zur  Verkleinerung  der  Prostata  hat  sich  durch 
alle  Schwankungen  der  Indicationen  und  Resultate  hindurch  die 
Vasectomie  am  besten  gehalten.  Aus  den  wichtigen  Nachweisen 
von  Ramm  und  White,  den  Erfindern  der  Castrationsbehandlung  bei 
Prostatalrypertrophie,  dass  durch  Castration  eine  erhebliche  Einwirkung 
auf  die  Grösse  der  Prostata  ausgeübt  werden  kann,  hat  sich  ein  Ver- 
fahren herausgebildet,  welches  alle  Schädigungen  und  Gefahren  der 
Castration  vermeidet  und  in  nahezu  ebenso  vielen  Fällen  ein  Resultat 
ergiebt,  wie  die  Castration. 

Die  Vasectomie  hat  den  grossen  Vortheil,  nicht  zu  Hoden- 
atrophie zu  führen,  wohl  aber  zu  Verkleinerung  der  Prostata.  Sie 
kann,  was  bei  alten  Leuten  von  grösster  Wichtigkeit  ist,  ohne 
Allgemeinnarkose  und  ohne  folgende  Bettruhe  ausgeführt  werden.  Es 
wird  eine  kleine  Incision  auf  den  unter  der  Haut  fixirten  Samen- 
strang   nach   Cocaininjection    gemacht,    die    Tunica    vag.    communis 


aja  Specielle  Operationslehre. 

gespalten  und  das  derbe  Vas  deferens  zu  einer  Schlinge  hervor- 
gezogen und  excidirt  und  zwar  in  gehöriger  Länge.  Unterbindung 
der  Enden  ist  unnütz.     Naht.     Collodialverband. 

175)  Prostatotomie  und  Prostatektomie. 

Die  Vasectomie  führt  nicht  zum  Ziel,  wenn  die  Schwellung 
der  Prostata  auf  maligner  Neubildung,  auf  Bildung  von  isolirten 
fibromatösen  oder  adenomatösen  Knoten  beruht,  aber  auch  dann  nicht 
mehr,  wenn  bereits  die  Folgen  längerer  Retentio  an  der  Blase  ein- 
getreten sind.  Reglnald  Harrison  macht  auf  die  Störung  der 
Blasenfunction  durch  die  Bildung  von  selbst  kleinen  Divertikeln  zwischen 
den  hypertrophischen  Trabekeln  aufmerksam. 

In  solchen  Fällen  tritt  die  directe  Beseitigung  des  Hindernisses 
in  ihr  Recht.  Die  urethrale  Prostatotomie  zur  Beseitigung 
des  vorspringenden  Mittellappens  ist  nach  Floersheim  ganz  in  den 
Hintergrund  getreten;  für  einzelne  Chirurgen  ist  sie  durch  Bottini's 
Operation  ersetzt  (galvanocaustische  Durchtrennung  der  Klappe 
am  hinteren  Umfang  des  Orificium  internum). 

R.  Harrison  beseitigt  die  Folgen  des  hypertrophischen  Mittel- 
lappens mit  Sackbildung  hinterhalb  durch  perineale  Prostatotomie 
und  Drainage.  Der  andere  Weg  ist  die  Abtragung  des  Mittellappens, 
soweit  er  in  die  Blase  vorragt,  und  Herstellung  einer  mechanisch 
günstigen  Form  des  Orificium  internum  mittelst  C)^stotomia  supra- 
pubica.  Abtragung  mit  dem  Messer  ist  blutig,  wenn  nicht  eine  Naht 
zur  Vereinigung  gemacht  werden  kann.  Es  kann  dieselbe  galvano- 
caustisch  oder  unter  Benutzung  einer  ringförmigen  Presszange  aus- 
geführt werden.  Wir  werden  über  die  Benutzung  dieser  ringförmigen 
Angiotriptoren  anderswo  Auskunft  geben. 

Im  äussersten  Falle  muss  die  operative  Entfernung  der  Prostata 
gemacht  werden,  sei  es  partiell  unter  Enucleation  von  Fibrom-  und 
Adenomknoten  auf  perinealem  Wege,  sei  es  total. 

Prostatectomia  totalis. 

Parker  Syms  hebt  die  Vortheile  der  Alexander  '  s  c  h  e  n 
Methode  hervor:  Der  Patient  wird  so  gelagert,  dass  Steiss  und 
Oberkörper  erhoben  sind,  um  den  Bauch  völlig  zu  erschlaffen.  Die 
Blase  wird  mit  Borsäurelösung  gefüllt,  mit  Längsschnitt  über  der 
Symphyse  eröffnet,  um  2  Finger  einführen  und  so  die  Prostata  gegen 
den  Damm  abwärts  drücken  zu  können.  Am  Damm  wird  median 
gespalten  und  die  Pars  membranacea  urethrae  nach  Einführung  einer 
Rinnsonde  freigelegt  und  in  ganzer  Länge  gespalten.  Jetzt  wird 
stumpf  mit  dem  Finger  von  der  Dammöffnung  aus  die  Prostata  aus 
ihrer  Kapsel  herausgeschält,  unten  und  hinten  beginnend,  erst  die 
Seiten-    und    dann    der    Mittellappen.      Die    Schleimhaut    der    Pars 


Perinaeum. 


415 


prostatica  und  der  Blase  wird  nicht  verletzt.  Von  oben  und  von 
unten  durch  die  Oeffnung  in  der  Urethra  wird  die  Blase  drainirt 
für  4 — 7  Tage  und  die  Blase  ausgewaschen.  Heilung  als  Regel 
in  5  Wochen. 

Alexander  hat  diese  Operation  auch  ohne  Blaseneröffnung 
gemacht,  indem  er  hinter  dem  Schambein  seine  Hand  eindrückte 
und  so  die  Prostata  vorschob.  Wo  hierfür  die  Resistenz  der  Bauch- 
wand zu  gross  ist,  wird  man  gut  thun,  dieselbe  nach  Syms  erst 
durch  einen  Medianschnitt  unter  Schonung  des  Peritoneum  zu 
spalten. 

176)  Arteria  pudenda  interna  und  Nervus  pudendus 
internus  am  Damm  (Fig.  128). 

Schnitt  neben  dem  leicht  fühlbaren  Tuber  ischii,  entlang  dem 
medialen  Rand  des  aufsteigenden  Astes  des  Sitzbeines  vorwärts  durch 
die  Haut.  Spaltung  der  Fascie  unter  Schonung  des  zum  Scrotum 
ziehenden  Hautastes  des  N.  pudendus.  Das  Muskelfleisch  des  Ischio- 
cavernosus  wird  freigelegt.  Neben  dessen  Ansatz  wird  der  M.  trans- 
versus  perinei  superficialis  am  aufsteigenden  Sitzbeinast  durchschnitten 
oder  medianwärts  gezogen  und  zugleich  das  tiefe  Fascienblatt  ge- 
spalten, welches  von  dem  Diaphragma  urogenitale  sich  auf  die  Innen- 
fläche des  M.  obturator  internus  umschlägt.  Die  Arterie  liegt  auf 
der  Innenfläche  des  letzterwähnten  Muskels,  über  dem  Ansatz  des 
Lig.  sacro-tuberosum  nach  vorne  tretend,  der  Nervus  pudendus  in- 
ternus daneben  und  oberflächlicher. 

177)  Amputatio  penis. 

Die  Entfernung  des  männlichen  Gliedes  wird  fast  ausschliesslich 
wegen  Krebs  ausgeführt,  der  seinen  Beginn  gewöhnlich  im  Bereich 
des  Praeputium  und  der  Corona  glandis  nimmt.  Früher  war  wegen 
der  Infectionsgefahr  das  Abtrennen  mit  der  galvanocaustischen 
Schlinge  oder  mit  dem  Thermocauter  Regel.  Für  diejenigen,  welche 
zu  desinficiren  verstehen,  verdient  die  Abtragung  mit  dem  Messer 
den  Vorzug,  weil  es  viel  leichter  ist,  von  vorneherein  eine  gut 
functionirende  Urethralmündung  herzustellen  und  so  dem  Patienten 
die  wesentlichsten  Beschwerden  zu  ersparen  und  sich  namentlich  gegen 
spätere  Verengerung  zu  sichern. 

Man  legt  eine  dünne  Drainröhre  um  die  Wurzel  des  Penis  be- 
hufs prophylaktischer  Blutstillung,  umschneidet  hinter  der  Neubildung 
die  Haut  quer  und  trennt  nach  ihrer  Zurückziehung  am  Haut- 
rande die  Corpora  cavernosa  penis,  während  man  das  Corpus  caver- 
nosum  urethrae  1/2  cm  loslöst  und  weiter  peripher  durchschneidet. 
Die  Schleimhaut  der  Urethra  ist  ziemlich  resistent  und  kann  leicht 
mit  Häkchen    angezogen   werden.    Jetzt   werden  die  2  Arteriae  und 


jjö  Specielle  Operationslehre. 

die  Vena  dorsalis  penis  und  oft  noch  einige  andere  Venen  subcutan 
gefasst  und  ligirt,  dann  die  beiden  leicht  sichtbaren  Art.  profundae 
penis  in  den  Corpora  cavernosa  penis.  In  senkrechter  Richtung 
werden  die  beiden  letzteren  unter  Fassen  der  Albuginea  und  des 
cavernösen  Körpers  verlässlich  zusammengenäht  und  dann  die 
elastische  Umschnürung  losgelassen,  um  zu  controliren,  ob  noch 
Blutung  besteht. 

Nunmehr  wird  die  Schleimhaut  der  Urethra  angezogen  und 
unter  Mitfassen  des  Corpus  cavernosum  urethrae  rings  an  die  Haut 
angeheftet,  während  der  Rest  der  Hautränder  in  senkrechter  Richtung 
aufwärts  vereinigt  wird. 

So  erhält  man  einen  primären  vollkommenen  Schluss  der  Wunde, 
ein  gut  besäumtes  Orificium  urethrae,  das  sich  später  nicht  wesent- 
lich narbig  verengt  und  damit  eine  rasche  und  vollkommene  Heilung. 


Q.  Sacralgegend. 

Die  Chirurgie  des  Rectum. 

178)  Bxcision  von  Hämorrhoidalknoten. 

Wenn  Hämorrhoidalknoten  Beschwerden  machen,  so  werden  die- 
selben am  besten  abgetragen.  Will  man  operiren,  so  ist  ein  Hauptpunkt, 
eine  gehörige  Narkose  zu  machen,  damit  man  den  Anus  leicht  und 
ergiebig  erweitern  kann,  um  bei  Pressen  des  Patienten  die  inneren 
Knoten  gehörig  vor-  und  heraustreten  zu  lassen.  Die  Methode,  die 
Knoten  abzutrennen  über  flügeiförmigen  Fasszangen,  setzt  die  be- 
denklichsten Nachblutungen  aus.  Dagegen  haben  wir  nie  nach- 
theilige Folgen  gesehen  von  der  Ligatur  und  Abtragung  über  der 
Ligatur,  vorausgesetzt,  dass  man  nicht  einen  grösseren  nekrotisirenden 
Stumpf  zurücklässt.  Dies  zu  vermeiden,  wird  in  folgender  Weise  vor- 
gegangen. 

a)  Ligaturmethode. 

Der  Anus  wird  in  guter  Narkose  gedehnt,  mit  Ringzangen, 
welche  in  Form  der  Presszangen  mit  oval  nach  vorn  sich  ver- 
jüngendem Ende  zu  sehr  kräftigem  Zusammenschli essen  gebaut 
sein  müssen,  der  blau  vorragende  Knoten  gefasst,  die  Basis  dünn 
gepresst,  eine  Ligatur  mit  Catgut  darunter  durchgestochen  und  zuerst 
nach  einer  Seite,  dann  unter  Wegnahme  der  Zange  um  den  ganzen 
dünnen  Stiel  zusammengeschnürt  und  abgetragen.  So  bleibt  kein 
flüssigkeitsreiches  Gewebe  über  die  Ligatur  vorragend,  welches 
durch  den  septischen  Inhalt  gangränös  werden  könnte.  Auf  diese 
Weise  wird  ein  Knoten  nach  dem  anderen  abgetragen,  ein  Wismuth- 
suppositorium  eingelegt  (3  mal  täglich  wiederholt)  und  wie  schon  vor 


S  acralgegend.  417 

der  Operation   durch  strenge  Diät  und  Opium  (nach  früherer  Darm- 
entleerung) der  Stuhl  zurückgehalten. 

b)  Die  Whitehead  '  s  c  h  e  Excisionsmethode. 

Die  von  Whitehead  angegebene  Methode,  die  Hämorrhoidal- 
knoten mit  der  Schleimhaut  des  Analtheils  zu  exstirpiren,  besticht 
durch  die  Eleganz  ihrer  Ausführung.  Sie  kann  auch  mit  Cocain- 
anästhesie  gemacht  werden.  Wir  machen  sie  in  folgender  Weise: 
Sobald  der  Patient  durch  Drängen  die  blaurothen  Schleimhautwülste 
mit  den  Venenknoten  zum  Austritt  gebracht  hat,  wird  auf  einer 
Seite  der  Analrand  an  der  Grenze  von  Haut  und  Schleimhaut  durch- 
schnitten, die  Schleimhaut  gefasst  und  heruntergezogen.  Auf  ihrer 
Aussenseite  erscheinen  die  blaurothen  varicösen  Knoten  und  können 
leicht  vom  Sphincter  abgelöst  werden. 

Die  sammt  Varicen  vorgezogene  Schleimhaut  wird  am  oberen 
Rande  der  Knoten  quer  eingeschnitten  und  die  gesunde  Schleimhaut 
oberhalb  sofort  mit  dem  Analrand  durch  Catgutknopfnähte  vereinigt, 
bis  die  ganze  kranke  Schleimhaut  der  einen  Seite  excidirt  und  die 
gesunde  oberhalb  mit  dem  Analsaum  vereinigt  ist.  Danach  wird 
auf  der  anderen  Seite  ebenso  verfahren.  Die  Operation  giebt  auf 
diese  Weise  nur  zu  minimalem  Blutverlust  Anlass.  Wenn  man  Sorge 
trägt,  dass  die  Nähte  den  Grund  der  Wunde  überall  mitfassen,  so 
findet  auch  keine  Nachblutung  im  Gewebe  statt.  Auf  die  Naht  wird 
Bismuthbrei  gestrichen  und  wie  oben  empfohlen,  Bismuthsuppositorien 
3  mal  täglich  in  den  verstopft  gehaltenen  Mastdarm  eingeführt. 

Die  Operation  beseitigt  die  Hämorrhoiden  sehr  gründlich  und 
giebt  sehr  schöne  Heilung;  es  ist  aber  nicht  immer  ganz  leicht,  die 
Schleimhaut  mit  den  Knoten  ganz  sauber  vom  Sphincter  loszulösen 
und  wo  die  Knoten  stark  sind  und  hoch  reichen ,  ist  eine  derbe 
Circularnarbe  nicht  zu  vermeiden.  Die  Narbe  wird  schon  aus  dem 
Grunde  selbst  bei  einfachen  Operationen  dieser  Art  viel  derber, 
weil  sie  nicht  aseptisch  entsteht,  sondern  leichte  Infektion  und  Ent- 
zündung mit  Einschneiden  der  Nähte  trotz  aller  Sorgfalt  nicht  selten 
eintritt.  In  diesen  Fällen  bildet  sich  eine  Analstenose  aus,  welche 
lange  Zeit  den  Patienten,  zumal  wenn  noch  die  eine  oder  andere 
Nahtulceration  fortdauert,  so  starke  Beschwerden  macht,  wie  sie 
Fissuren  begleiten.  Je  mehr  der  Patient  die  Stuhlentleerung  scheut 
und  hintanhält,  desto  schlimmer  wird  der  Zustand. 

Auf  Grund  mehrfacher  derartiger  Erfahrungen  habe  ich  die 
WHlTEHEAD'sche  Methode  sehr  eingeschränkt  und  mache  sie  nur 
ausnahmsweise  mehr  in  typischer  Weise  und  circulärer  Form.  Der 
Anus  muss  elastisch  dilatirbar  sein  und  zwar  in  hohem  Grade,  wenn  die 
Stuhl entleerung  ohne  Beschwerden  stattfinden  soll.  Das  ist  nicht 
mehr  der  Fall,  sobald  der  Analsaum  Sitz  einer  auch  noch  so  schönen 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  27 


^jg  Specielle  Operationslehre. 

Circularnarbe  ist.     Aus  diesem  Grunde   ist   die  unter  a  beschriebene 
isolirte  Excision  der  Knoten  als  Regel  vorzuziehen. 

179)  Operation  des  Prolapsus  ani  et  recti. 

Eine  jsehr  wirksame  Methode  bei  Prolapsus  ani  ist  die  keil- 
förmige Excision  in  der  Weise,  dass  man  nach  hinten  mit 
Basis  im  Analsaum,  oberer  Spitze  im  Rectum  und  unterer  in  der 
äusseren  Haut  einen  Theil  excidirt  und  sofort  durch  tiefgreifende 
Nähte  (Catgut)  combinirt  mit  oberflächlichen  Schleimhaut-  und  Haut- 
nähten wieder  schliesst. 

Ebenso  einfach  ist  das  Vorgehen  bei  Prolapsus  recti,  wenn 
derselbe  mit  hochgradigen  Veränderungen  der  Schleimhaut  durch 
Ulceration  und  chronische  Entzündung  oder  mit  Neubildungen  com- 
binirt ist.  Hier  ist  die  Amputatio  recti  indizirt.  Der  Prolaps  wird 
mit  einer  kräftigen  Presszange  oberhalb  der  kranken  Partie  gefasst 
und  an  einer  beschränkten  Stelle  nach  Einwicklung  des  gründlich 
gereinigten  und  desinfizierten  Vorfalls  die  Schleimhaut,  dann  die 
Wand  des  Rectum  incidirt,  bis  man  in  das  Zellgewebe  resp.  in  die 
Peritonealspalte  kommt,  welche  die  beiden  Wände  der  Vorfalls  trennt. 
Sofort  nach  Eröffnung  derselben  wird  eine  Naht  angelegt  und  unter 
allmählich  weiter  gehender  Trennung  oberhalb  der  Zange  auch 
gleich  die  Kopfnaht  angelegt,,  welche  die  Peritonealhöhle  abschliesst. 
Nach  völliger  Abtragung  wird  eine  fortlaufende  Schleimhautnaht 
übergelegt.  Die  Methode  hat  den  Nachtheil,  eine  circuläre^  Narbe 
am  Analrand  zurückzulassen  und  ist  bei  fortwirkender  Ursache 
Zerreissung  ausgesetzt.  Auch  kann  Recidiv  eintreten,  indem,  wie 
Ludloff  (Eiselsberg)  auseinandersetzt,  dem  Austritt  der  Prolaps  stets 
ein  Vortreten  der  Excavatio  rectovesicalis,  also  eine  Hernia  perinealis 
vorauf  resp.  parallel  geht. 

Wo  demgemäss  nicht  der  abnorme  Zustand  des  vorgefallenen 
Rectum  die  Excision  rechtfertigt,  sind  andere  Behandlungsmethoden 
vorzuziehen.  Die  GERSUNY'sche  Methode  der  Abtrennung  des 
Rectum  unten,  Torsion  desselben  und  Anheftung  in  gedrehter  Lage, 
sowie  Thiersch's  Verfahren,  die  Umführung  eines  Silberdrahtes 
in  der  Richtung  des  Sphincter  um  das  Rectum,  beanspruchen  nicht, 
schwere  Fälle  zur  Heilung  zu  bringen.  Anders  die  Anheftungs- 
methoden. 

Die  Rectopexie  nach  Verneuil  ist  ein  sehr  empfehlen swerthes 
Verfahren  bei  Prolapsus  ani.  Wir  führen  die  2  Enden  eines  Fadens 
durch  den  vorragendsten  Theil  des  Prolapsus  durch,  so  dass  die 
Schlinge  denselben  fasst.  Jene  werden  neben  dem  Steissbein  durch- 
gestochen und  geknotet.  So  wird  nicht  nur,  solange  die  Faden  liegen, 
sondern  Dank  der  ihrem  Verlauf  folgenden  Narbenbildung  bleibend 
das  Rectum  an  die  Rückwand  des  Backens  angeheftet  erhalten. 


Sacralgegend.  4 !  o 

Bei  Prolapsus  recti  leistet  die  Colopexie,  besser  Sigmoideo- 
pexie  nach  Jeanel-Bogdanik  noch  mehr.  Selbst  sehr  grosse  Vor- 
fälle werden  so  ausgezeichnet  gut  und  in  einfachster  Weise  zurück- 
gehalten. Bei  einem  10  cm  langen  Prolaps,  der  permanent  draussen 
lag  (nach  Excisio  recti  alta),  haben  wir  über  dem  1.  Lig.  Pouparti 
incidirt  und  durch  Zug  am  S  romanum  den  Prolaps  sofort  voll- 
ständig reponirt.  Die  aufwärts  gespannt  gehaltene  Flexur  wurde  dann 
mittelst  einer  Reihe  von  Serosanähten  in  grösserer  Ausdehnung  auf 
dem  Peritoneum  der  Fossa  iliaca  interna  fixirt.  Der  Erfolg  ist  bis 
jetzt  ein  bleibender. 

180)  Excisio  recti  carcinomatosi. 

Allgemeine  Bemerkungen  zur  Technik.  Nach  den  Er- 
fahrungen wohl  der  Mehrzahl  der  Chirurgen,  welche  auf  eine  längere 
Thätigkeit  zurückblicken  können,  müssen  wir  uns  drein  ergeben,  die 
Mastdarmkrebse  erst  in  einem  vorgeschrittenen  Stadium 
zur  Operation  zu  bekommen.  Die  überwiegende  Mehrzahl  der 
Patienten  schenkt  den  ersten  S3miptomen  zu  wenig  Aufmerksamkeit, 
und  wenn  endlich  ein  Arzt  berathen  wird,  so  giebt  es  leider  noch 
eine  grosse  Anzahl,  welche  eine  Behandlung  einleiten  gegen  „chro- 
nischen Darmkatarrh"  oder  „Hämorrhoiden",  ohne  nur  den  Mastdarm 
mit  dem  Finger  palpirt  zu  haben. 

Und  doch  sind  die  Symptome  in  Form  von  Stenosirungsz eichen, 
von  gelegentlichen  Durchfällen,  Schleim-  und  Blutabgang  charak- 
teristisch genug.  Ist  endlich  die  Diagnose  gestellt,  -so  giebt  es  stets 
noch  eine  Anzahl  von  tüchtigen  Chirurgen,  welche  bei  einem  hoch- 
gelegenen Carcinom  von  vornherein  von  jeder  Operation  abrathen 
—  ganz  mit  Unrecht.  Solange  ein  Carcinom  per  rectum  der  Pal- 
pation zugänglich  und  zugleich  beweglich  ist1),  d.  h.  beim  Drängen 
abwärts  tritt,  soll  es  radical  entfernt  werden,  denn  gegenüber  der 
Möglichkeit,  wenigstens  den  Krebs  im  Darm  selber  radical  zu  be- 
seitigen, ist  die  sonst  so  empfehlenswerthe  Anlegung  eines  Anus 
praeter  naturam  ein  leidiges  Aushilfsmittel.  Eine  entschiedene  Con- 
traindication  besteht  in  dem  Vorhandensein  von  Lebermetastasen. 
Diese  sind  selbst  bei  sehr  umschriebenen,  aber  hochgelegenen 
Krebsen  keineswegs  selten.  Ich  habe  mehrere  Patienten,  welche 
local  tadellos  heilten,  in  unmittelbarem  Anschluss  an  die  operative 
Heilung  grosser  Lebercarcinome  sterben  sehen.    Die  Verbreitung  nach 


1)  Bei  Untersuchung  in  Narkose  mit  2  Fingern  kann  man  im  Colon  pel- 
vinum  sitzende  Carcinome  beim  Drängen  noch  gut  von  unten  fühlen.  Dagegen 
möchten  wir  auf  die  Möglichkeit  einer  Täuschung  aufmerksam  machen  in  dem 
Falle,  wo  Carcinome  des  untersten  Theiles  der  Flexur  im  Douglas  durch  Ad- 
häsionen fixirt  sind.     Diese  Fälle  sind  natürlich  von  oben  zu  excidiren. 

27* 


a2 o  Specielle  Operationslehre. 

der  Leber  ist  entschieden  häufiger,  als  bei  tiefgelegenen  Krebsen. 
Die  frühe  Diagnose  dieser  Metastasen  ist  schwierig. 

Der  Grund  für  die  verschiedene  Indicationsstellung  liegt  ganz 
einfach  in  der  Technik.  Wer  nicht  die  richtige  Technik  kennt,  wird 
sich  von  der  Mastdarmexcision  nicht  befriedigt  fühlen,  einmal  weil 
er  nicht  die  Sicherheit  hat,  Sepsis  zu  verhüten  und  damit  un- 
mittelbare Lebensgefahr,  zweitens  weil  er  nicht  ruhig  ist,  völlig  sauber 
.das  Kranke  entfernt  und  seinen  Patienten  zum  mindesten  gegen 
locales  Recidiv  im  Darm  sichergestellt  zu  haben,  drittes  weil  er  eine 
Anzahl  sehr  unangenehmer  Folgen  in  Kauf  nehmen  muss,  nämlich 
Incontinenz,  Stenose,  Prolaps.  Allerdings  ist  auch  bei  richtiger 
Technik  die  Mastdarmexstirpation  in  sehr  vielen  Fällen  ein  schweres 
Stück  Arbeit,  man  darf  nicht  glauben,  dass  irgend  eine  Technik  sie 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  zu  einem  angenehmen  und  leichten  Unter- 
nehmen gestalten  könnte. 

Wir  verweisen  für  die  geschichtliche  Entwickelung  der  Technik 
auf  die  trefflichen  Darstellungen  von  Krönlein  und  Rehn  am 
2g.  Congress  der  deutschen  Ges.  f.  Chirurgie  1900  in  Berlin.  Die 
Fortschritte  in  der  Technik  sind,  seit  LlSFRANC  vor  3/4  Jahrhundert 
die  erste  Mastdarmexstirpation  machte,  allerdings  gross,  und  es  ist 
das  grosse  Verdienst  Kraske's  in  neuester  Zeit  mehr  als  ein  Anderer 
Anregung  zur  Verbesserung  der  Technik  gegeben  zu  haben,  durch 
Erweiterung  des  Operationsgebietes  beim  Eingehen  von  hinten  her. 
Rehn  hat  namentlich  auf  die  Notwendigkeit  einer  genauen  Berück- 
sichtigung der  anatomischen  Verhältnisse  aufmerksam  gemacht,  wie 
sie  von  Waldeyer,  Gerota,  Goldmann  klar  gelegt  sind. 

Rehn  will  mit  Waldeyer  behufs  Operation  unterschieden 
wissen  zwischen  einer  Pars  perinealis  recti,  dem  strammen 
musculösen  Schlussapparat,  der  mit  Fascie  und  Muskeln  des  Beckens 
eng  verbunden  ist;  einer  schlaffen  und  blasenartigen  Pars  pelvina 
recti  bis  zur  Höhe  des  3.  Kreuz  wirbeis  halb  intraperitoneal,  von 
einer  zur  Fascia  propria  recti  verdichteten  Fortsetzung  der  Subserosa 
umschlossen,  welche  seitlich  gegen  das  Becken  Verbindung  hat; 
endlich  einem  ganz  intraperitonealen  Colon  pelvinum  (Jonnescu) 
mit  Mesenterium  bis  zum  Promontorium  reichend.  In  diesem 
Mesenterium  läuft  die  Arteria  haemorrhoidalis  interna  (aus  der 
Mesenterica  inferior),  die  Hauptarterie  des  Rectum,  um  mit  zwei  seit- 
lichen Aesten  unter  die  Fascie  der  Pars  pelvina  recti  zu  treten. 
Unter  dieser  liegen  auch  die  Plexus  haemorrhoidales  venosi  interni 
und  externi,  die  Lymphgefässe  und  sympathischen  Nerven.  Zwischen 
Fascie  und  Kreuzbein  liegen  die  Arteriae  sacrales  mediae  (aus  der 
Aorta)  und  laterales  (aus  der  Hypogastrica),  sowie  das  sacrale  Venen- 
netz, die  sacralen  Lymphdrüsen  und  spinalen  Nerven. 


Sacralgegend.  42 1 

Die  Lymphgefässe  der  Analhaut  gehen  zu  den  Leistendrüsen, 
diejenigen  der  Schleimhaut  des  Rectum  in  Drüsen,  welche  bis  zum 
Peritoneum  wesentlich  seitlich  dem  Rectum  anliegen  zwischen  Rectum 
und  der  Fascia  propria  recti,  wo  die  Aeste  der  Art.  haemorrh.  int. 
eintreten ;  oben  liegen  sie  im  Mesenterium  des  Colon  pelvinum. 

Wir  stellten  oben  als  Grenze  für  die  Mastdarmexstirpation  auf 
die  Möglichkeit,  die  Geschwulst  durch  die  Palpation  per  rectum  zu 
erkennen  und  die  Feststellung  der  Beweglichkeit  dieser  Geschwulst. 
Unbewegliche  oder  mit  2  Fingern  auch  in  Narkose  von  unten  nicht 
zu  erreichende  Mastdarmkrebse  von  unten  operiren  zu  wollen,  halten 
wir  nicht  im  Interesse  des  Patienten.  Wir  können  freilich  Alles 
thun,  aber  es  frommt  nicht  Alles.  Man  kann  als  Regel  feststellen, 
dass  die  Lymphgefässe  von  den  oberen  Theilen  des  Mastdarmes 
aufwärts  gehen  und  in  auf-  und  auswärts  gelegenen  Ljrmph- 
drüsen  münden.  Nach  Sappey's,  Poirier's,  Gerota's  und  Wal- 
deyer's  Untersuchungen  ergiessen  sich  bloss  die  Lymphgefässe  der 
Pars  analis  in  die  oberen  inneren  Leistendrüsen.  Für  Krebse  der 
Pars  pelvina  sind  die  oberen  Hämorrhoidaldrüsen  in  der  Excavatio 
sacri  und  weiter  aufwärts  entlang  der  Art.  haemorrhoidalis  interna 
befallen.  Mat  hat  also  keinen  Grund,  Carcinome,  welche  von  oben 
gut  zugänglich  sind,  von  unten  entfernen  zu  wollen,  da  sich  das 
kranke  Lymphstromgebiet  soweit  hinauf  erstreckt.  Man  muss  den- 
selben von  oben  entgegenkommen.  Für  uns  giebt  es  deshalb  keine 
Frage  der  Exstirpatio  recti  von  oben.  Von  oben  zur  excidiren,  sind 
die  Carcinome  der  Flexur  bis  zum  Anfangstheil  des  Colon 
pelvinum  am  Promontorium,  und  diese  können  wir  allerdings  auch 
dann  noch  entfernen,  wenn  sie  keine  Beweglichkeit  für  die  Palpation 
zeigen,  und  auch  wenn  sie  durch  Palpation  von  unten  und  oben 
nicht  direct  nachzuweisen  sind.  Aber  da  ist  es  nicht  zweckmässig, 
noch  von  Mastdarmoperation  zu  sprechen.  Die  präliminare  Ligatur 
der  Art.  haemorrhoidalis  interna  nach  G.  Bruno,  Quenu  und  Hart- 
mann kommt  bloss  in  Frage,  wenn  man  verwachsene  Tumoren  im 
Bereich  der  Flexur  zu  trennen  hat  und  Indication  findet,  gleichzeitig 
das  ganze  Rectum  zu  excidiren.  Ob  diese  Indication  in  den  bislang 
so  operirten  Fällen  stets  eine  absolute  war,  lassen  wir  dahingestellt. 
Ueber  das  Vorgehen  bei  Carcinom  der  Flexur  haben  wir  uns  auf 
Grund  eigener  Erfahrungen  oben  ausgelassen  (vergl.  Darmresection). 

Seit  der  Discussion  über  Mastdarmexcision  1900  in  Berlin  sind 
in  Deutschland  aus  einer  grösseren  Anzahl  Kliniken  Mittheilungen 
erschienen,  um  die  Resultate  festzustellen,  welche  die  Operation  im 
Allgemeinen  und  bei  den  verschiedenen  Methoden  giebt.  Eine  Einig- 
keit ist  nicht  erzielt  worden.  Einzelne  Autoren,  wie  Hochenegg,  wie 
der  Erfinder  der  Methode  selbst  (Kraske)  sind  bei  der  sacralen 
Methode  stehen  geblieben  und  suchen  nachzuweisen,  dass  dieses  Ver- 


a  2  2  Specielle  Operationslehre. 

fahren  die  besten  Resultate  bezüglich  Mortalität  ergiebt,  bloss  5  Proc. 
und  25  Proc.  Dauerheilungen.  Hochenegg  hat  durch  seine  1 2 1  sacralen' 
Rectumexcisionen  den  Beweis  geleistet,  dass  bei  grosser  Uebung  und 
in  geschickten  Händen  sich  sehr  schöne  Resultate  auf  dem  sacralen 
Wege  erreichen  lassen.  Kr aske  berechnet  auf  seine  letzten  51  Ope- 
rarionsfälle  gar  bloss  3,9  Proc.  Mortalität. 

Prutz  (Eiselsberg)  bestreitet  die  Richtigkeit  der  Statistik  von 
Pichler  (Hochenegg).  Er  berechnet  auf  542  sacrale  Operationen, 
von  14  Chirurgen  publicirt,  115  Todesfälle  =  21,2  Proc.  Er  hat 
insofern  völlig  Recht,  als  in  HoCHENEGG's  Operationen  auch  die 
perineal-coccygealen  Methoden  mitgerechnet  sind. 

Hochenegg  erwähnt  meine  coccygeale  Methode1)  gar 
nicht,  und  doch  liegt  für  Jeden,  welcher  die  Statistiken  durchgeht, 
auf  der  Hand,  dass  diese  in  einzelnen  Statistiken  wesentlich  zur  Ver- 
besserung der  Statistik  „sacraler"  Methoden  beigetragen  hat. 

Andere  Autoren,  so  Schneider  (116  Fälle  aus  Madelung's 
und  Garre's  Klinik),  finden  in  den  Resultaten  keine  wesentlichen 
Unterschiede  zwischen  den  sacralen  und  coccygealen  Methoden.  Aus 
der  Statistik  von  Wendel  (46  Fälle  aus  KüSTER's  Klinik)  ergiebt 
sich  ebenfalls,  dass  die  coccygeale  Methode  mit  der  sacralen 
zusammengeworfen  ist  ohne  specielle  Nennung  derselben,  und  dass 
jene  gegen  1 1  Todesfälle  bei  34  sacralen  Operationen  1 1  Heilungen 
ohne  Todesfall  ergeben  hat.  Dasselbe  gilt  von  der  Veröffentlichung 
von  H.  Wolff  aus  der  BERGMANN'schen  Klinik.  Ebenso  hat 
Wölfler  „fast  immer"  meine  Methode  gemacht,  d.  h.  bloss  die 
Exstirpation  des  Steissbeins  ausgeführt.  Dasselbe  gilt  von  Schuchardt 
u.  A.  . 

Soviel  geht  mit  aller  Bestimmtheit  aus  den  Statistiken  der  letzten 
Jahre  ebenso  aus  verschiedenen  Discussionen  in  gelehrten  Gesell- 
schaften hervor,  dass  man  bestrebt  ist,  die  sacralen  Methoden  im 
engeren  Sinne  des  Wortes  —  unter  Ausschluss  unseres  coccy- 
gealen Verfahrens  —  mehr  und  mehr  einzuschränken.  Sehr 
energisch  spricht  sich  N.  Senn  gegen  dieselben  aus.  Er  erklärt 
nach  seinen  Erfahrungen  die  sacrale  Methode  nicht  bloss  für  unnöthig, 
sondern  für  durchaus  schädlich  („absolutely  harmful")  bei  Mastdarm- 
krebs. Er  hofft,  die  Methode  werde  bald  obsolet  werden.  Alle  auf 
Grund  gerechtfertigter  Indication  ausführbaren  hohen  Rectumex- 
cisionen  können    nach   meiner   Methode   mit   Steissbeinexcision   sehr 


1)  Obschon  Hartmann  in  neuester  Zeit  aufmerksam  gemacht  hat,  dass 
der  Vorschlag  Verneuil's,  das  Steissbein  zu  reseciren,  sich  nicht  bloss  auf  den 
Anus  imperforatus,  sondern  auch  auf  Neubildungen  bezogen  habe,  so  glaube 
ich,  ist  es  doch  berechtigt,  die  coccygeale  Methode  als  die  KocHER'sche  zu 
bezeichnen,  weil  ich  —  ohne  Kenntniss  des  Vorschlags  Verneuil's  nach  Rich- 
tung der  Carcinome  —  der  Methode  erst  eine  prinzipielle  Bedeutung  gegeben  habe. 


Sacralgegend.  423 

wohl  ausgeführt  werden,  ohne  die  Verstümmelung,  welche  die  sacrale 
Methode  mit  sich  bringe.  Bei  Excisionen  in  den  unterhalb  des 
Peritonealsackes  gelegenen  Abschnitten  sei  nicht  einmal  die  Steiss- 
beinexcision  von  Nöthen. 

Soviel  ist  für  die  grosse  Mehrzahl  der  Chirurgen  ausgemacht, 
dass  namentlich  die  osteoplastischen  sacralen  Methoden  zu  verlassen 
sind.  Wir  haben  uns  also  zu  beschränken  auf  die  perinealen,  coccy- 
gealen 1),  vaginalen,  endlich  event.  auf  die  combinirten  Methoden 
der  Mastdarm excision.    Einigkeit  herrscht  über  die  vaginale  Methode. 

a)  Die  vaginale  Excision  des  Rectum  (nach  Camperon 
und  Rehn). 

Rehn  und  Liermann,  Murphy,  Schuchardt  sind  für  hohe 
Mastdarmexcisionen  bei  der  Frau  für  die  vaginale  Methode  ein- 
getreten und  betrachten  sie  hier  als  Normalverfahren.  Es  ist 
zweifellos,  dass  die  Spaltung  der  hinteren  Scheidenwand  von  der 
Portio  bis  zum  Frenulum  einen  sehr  bequemen  Zugang  giebt,  und 
auch  wir  halten  dieselbe  für  alle  noch  von  der  Vagina  fühl- 
baren Mastdarmcarcinome  für  vortheilhaft. 

Von  dem  Vaginalschnitt  aus  bis  zur  vorderen  Mastdarmwand  wird 
der  Schnitt  seitlich,  und  zwar  sehr  ergiebig  mittelst  paraanalen 
Schnittes  bis  ins  Cavum  ischio-rectale  vertieft.  Liermann  betont 
besonders  den  Werth  dieses  nach  hinten  gehenden  Schnittantheils, 
welchen  gehörig  auszunutzen  nach  SCHUCHARDT  so  wichtig  ist  bei 
seiner  Methode  der  Uteruscarcinom  -  Exstirpation.  Die  ringförmige 
Umgehung  des  Mastdarms  wird  von  Liermann  3  cm  oberhalb  des 
Anus  gemacht  und  von  hier  die  Auslösung  des  Rectum  vorgenommen. 
Ueber  das  Weitere  siehe  unten. 

Die  vaginale  Methode  hat  sich  auch  ElSELSBERG  sehr  vortheil- 
haft erwiesen,  und  er  hebt  hervor,  wie  oft  er  in  der  Lage  war, 
Theile  der  Vagina  oder  des  Uterus  mitzuentfernen.  Damit  ist  der 
Hauptwerth  der  Methode  berührt.  Wo  Verdacht  einer  Verwachsung 
des  Rectumkrebses  mit  Vagina  und  Uterus  besteht,  sollte  unbedingt 
dieser  vaginale  Weg  gewählt  werden  (soweit  nicht  ein  paravaginaler 
Schnitt  nach  Schuchardt  genügt) ,  um  gründliche '  Entfernung 
alles  Kranken  zu  sichern.  Gehen  die  Gynäkologen  doch  umgekehrt 
so  weit,  bei  primären  Scheidenkrebsen  a  priori  eine  Mitexcision  des 
Rectum  zu  verlangen  (Krönig,  Friedrich)  wegen  der  häufigen 
Recidive  in  dessen  Nachbarschaft.  Wo  die  Scheide  und  die  Gegend 
der  Portio  mitergriffen  sind,  muss  man  auch  die  von  diesen  Theilen 
versorgten  Drüsen  an  der  Theilungsstelle  der  Art.  iliaca  communis 
noch  zu  entfernen  suchen. 


1)  Wir  halten  es  nicht  für  zweckmässig,  die  coccygeale  Methode  den 
perinealen  zuzurechnen,  da  die  Gegend  hinter  dem  After  nach  Sprachgebrauch 
nicht  mehr  zum  Perinaeum  gehört. 


A2A.  Specielle  Operationslehre. 

b)  Die  perineale  Methode  derExcisio  recti  (Lisfranc). 

Dieses  Verfahren  passt  in  erster  Linie  auf  die  Krebse  der  Anal- 
portion und  höchstens  noch  des  unmittelbar  anstossenden  Theiles 
der  Pars  pelvina  recta.  Hier,  wo  man  den  musculösen  Apparat  in 
keiner  Weise  schonen  kann  und  soll,  beginnt  die  Operation  mit  einer 
ergiebigen  Umschneidung  des  Anus  in  genügender  Entfernung  vom 
kranken  Gewebe,  und  die  Analportion  wird  nunmehr  in  der  Weise 
freigemacht,  dass  man  sie  allseitig  umgeht  in  sicher  gesundem  Ge- 
webe. Im  Bereich  der  Analportion  besteht  bei  kräftigem  Auseinander- 
ziehen der  Wundränder  eine  Schwierigkeit  der  Blutstillung  aus  den 
Aesten  der  relativ  kleinen  Arteriae  haemorrhoidalis  media  und 
inferior  nicht. 

Nach  vorne  wird  der  Bulbus  urethrae  gelöst,  beim  Weibe  die 
Vagina  in-  resp.  excidirt.  Man  dringt  vorne  entlang  der  Pars 
membranacea  urethrae  (in  welcher  ein  gut  fühlbarer  Catheter  ver- 
lässlich befestigt  ist)  in  den  Raum  zwischen  Prostata  und  Fascia 
praerectalis  herauf  und  umgeht  seitlich  die  zuführenden  Gefässbündel. 
Ueber  das  Weitere  siehe  die  folgende  Schilderung. 

c)  Die  coccygeale  Methode  der  totalen  Rectum- 
exstirpation   mit   extrarectalem  hinteren  Längsschnitt. 

Diese  Excisionsmethode  ist  für  alle  oberhalb  der  Analportion 
resp.  hochgelegenen  Mastdarmkrebse  unser  Normalverfahren,  das  wir 
demgemäss  eingehender  schildern. 

Es  freut  mich,  mich  dabei  principiell  in  völliger  Uebereinstimmung 
bezüglich  Technik  mit  einem  so  gewandten  und  kühnen  Chirurgen 
zu  wissen  wie  Rehn  in  Frankfurt.  Ich  glaube  zuerst  in  neuester 
Zeit  auf  die  Vortheile  des  medianen  Schnittes,  den  Dieffen- 
BACH  seiner  Zeit  geübt  hat,  wieder  aufmerksam  gemacht  zu  haben, 
als  ich  die  Exstirpation  des  Steissbeins  in  Verbindung 
mit  dem  hinteren  Längsschnitt  empfahl.  Wo  man  auch  nur 
theilweise  Darmwand  zur  Naht  nehmen  muss,  welche  keinem  Peritoneal- 
überzug  besitzt,  begiebt  man  sich  auf  unsicheren  Boden  bezüglich 
Asepsis,  sobald  man  die  Wunde  in  die  Tiefe  versenkt.  Die  medianen 
Schnitte  haben  den  principiellen  Vortheil,  die  Innervation  der  Weich- 
theile,  speciell  Muskeln  intact  zu  erhalten.  Und  dies  ist  das  Maassgebende 
neben  der  Erhaltung  der  Schleimhaut  des  unteren  Mastdarm endes. 

Für  alle  Mastdarmkrebse  soll  man  zunächst  auf  die  hohe  Am- 
putation ausgehen.  Die  Grenze,  wo  die  Resection  den  Vor- 
zug verdient,  d.  h.J  Excision  eines  Stückes  des  Darmes  mit  Vereinigung 
der  beiden  Enden,  ist  nach  dem  Verhalten  des  Bauchfellüberzuges  zu 
bestimmen.  Wo  das  obere  und  untere  Ende  Peritonealüberzug 
besitzen,  kann  man  eine  sichere  Naht  anlegen.  Wo  dieser  fehlt, 
begiebt  man  sich  mit  Resection  auf  unsicheren  Boden  bezüglich  Asepsis 


Sacralgegend.  425 

und  späterer  Stenosirung  sowie  radicaler  Entfernung  des  Erkrankten L). 
Es  soll  für  alle  Fälle,  wo  man  die  Wunde  schliessen  und  Primaheilung 
anstreben  will,  der  gesunde  Darmabschnitt  oberhalb  in  die  Analportion 
eingesetzt  werden,  aber  diese  Einsetzung  soll  in  Einbettung  in  die 
contractionsfähig  erhaltene  Muskulatur  der  untersten  gesunden  Mast- 
darmabschnitte d.  h.  der  Pars  perinealis  recti  mit  Sphincteren  und 
Levator  ani  bestehen. 

Welche  Methode  ist  nun  geeignet,  diesen  principiellen  Forderungen 
für  die  meisten  Fälle  gerecht  zu  werden?  Rehn  befindet  sich  mit 
mir  insofern  in  Uebereinstimmung ,  als  er  den  medianen  hinteren 
Längsschnitt  empfiehlt,  bloss  verzichtet  er  auf  die  Excision  des  Steiss- 
beins  und  zieht  dasselbe  bloss  auf  die  Seite.  Wenn  aber  letzteres 
wirksam  geschehen  soll,  so  muss  es  entweder  luxirt  oder  gebrochen 
werden  und  es  hat  dann  seine  Erhaltung  keinen  wesentlichen  Vor- 
theil,  während  die  Entfernung  viel  besser  Raum  und  Zugang  giebt. 
Dagegen  will  Rehn  stets  zuerst  die  vordere  Raphe  bis  an  den 
Sphincter  spalten  und  gleich  zwischen  die  beiden  Blätter  der  Fascia 
recto-vesicalis  und  damit  zwischen  Prostata  und  Rectum  in  die  Tiefe 
dringen.  Wir  machen  dagegen  diesen  vorderen  Schnitt  erst  in 
zweiter  Linie,  erst  und  nur  dann,  wenn  der  hintere  zu  wenig  Ein- 
blick gewährt. 

Wir  haben  wohl  mit  zuerst  auf  die  Vortheile  aufmerksam  gemacht, 
welche  es  bietet,  das  Rectum  wie  eine  Cyste  in  toto  zu  excidiren,  ohne 
dasselbe  zu  eröffnen  und  den  oberen  Stiel  in  den  Anus  einzusetzen, 
wie  Quenu  und  Baudet  es  wieder  1898  verlangen.  Wir  berufen 
uns  hierfür  auf  die  früheren  Auflagen  dieser  Operationslehre.  Es 
gelingt  aber  leider  nicht  immer,  dies  zu  thun  wegen  Zerreisslichkeit 
des  Rectum  und  Verwachsungen  im  Bereich  des  Tumor.  Wenn  aber 
beim  Versuch,  das  Rectum  geschlossen  auszulösen,  dasselbe  einreisst 
und  der  Inhalt  die  Gewebe  verunreinigt,  so  ist  man  in  einer  viel 
schlimmeren  Lage,  als  wenn  man  von  vornherein  das  Rectum  ge- 
spalten hat.  Für  diese  Fälle  haben  wir  uns  einer  Resectionsmethode 
bedient,  welche  man  mit  sehr  guter  Aussicht  auf  Erfolg  auch  von 
vornherein  anwenden  kann  und  die  sich  zumal  Ungeübteren  durch 
die  Sicherheit  und  Einfachheit  bezüglich  Ausführung  und  Blut- 
stillung empfiehlt.  Wir  werden  dieselbe  in  zweiter  Linie  schildern. 
Kann  man  die  Totalexcision  des  Rectum  bis  an  die  Analportion 
machen,  so  hat  das  noch  den  von  Rehn  geltend  gemachten  Vorzug, 
dass  die  Flexur  sich  nach  Einkerbung  des  Mesenterium  mit  weniger 
Schaden   für   Behinderung   der   Circulation   herunterziehen   lässt,    als 


I)  Man  sehe  nur  die  von  H.  Wolff  publicirten  Resultate  eines  Chirurgen 
ersten  Ranges  (Bergmann)  an,  welche  bei  Amputatio  recti  14,7  Proc,  bei 
Resectio  recti  47,7  Proz.  Todte  aufweisen. 


A26  Specielle  Operationslehre. 

das   Colon    pelvirmm,    da   hier   gute  Anastomosen    mit   den  anderen 
grossen  Mesenterialarterien  bestehen. 

Stets  hat  der  Excisio  recti  für  den  Fall,  dass  dasselbe  angerissen 
wird,  eine  gründliche  Reinigung  vorauszugehen.  Man  darf  sich  aber 
nicht  einbilden,  diese  zu  erreichen  durch  Entleerung  des  Darmes  von 
oben.  Und  man  versteht  sehr  wohl,  wenn  einzelne  Chirurgen,  wie 
HOCHENEGG  von  Abführmitteln  ganz  absehen  wollen.  Denn  wie 
PETERSON  bei  der  Implantation  der  Ureteren  in  die  Flexur  gefunden 
hat,  ist  das  Schlimmste  bei  einer  Operation  eine  vorhandene  Diarrhöe. 
Wir  geben  gründliche  Abführmittel  8  Tage  vor  der  Operation,  dann 
aber  flüssige  Diät  und  Wismuth  mit  Opium,  um  4 — 5  Tage  lang  zu 
stopfen.  Die  letzte  Reinigung,  wie  PETERSON  gefunden  hat,  findet 
am  besten  in  gehöriger  Narkose,  wenn  der  Sphinkter  völlig 
erschlafft  ist,  zu  Beginn  der  Operation  statt.  Da  wird  das  Rectum  bis 
zum  Tumor  gründlich  ausirrigirt  (mit  Seifenwasser),  aber  so,  dass 
nichts  in  den  Darm  aufwärts  gelangt,  um  nachher  das  Operations- 
gebiet zu  überschwemmen.  Jede  Flüssigkeit  wird  sorgfältig  wieder 
ausgetupft,  eventuell  das  Rectum  mit  steriler  Gaze  ausgestopft  bis 
zum  Tumor. 

Schnitt  in  Rückenlage  mit  erhobenem  Steiss  und  zurück- 
geschlagenen Beinen  vom  Anus  median  rückwärts  bis  auf  den 
unteren  Theil  des  Kreuzbeines.  Dicht  am  Knochen  wird  das  Steiss- 
bein  hinten  und  seitlich  blossgelegt,  an  der  Spitze  mit  scharfen  Haken 
gefasst  und  auch  auf  seiner  Vorderfläche  unter  Meidung  der  Art. 
sacralis  media  dicht  vom  Knochen  losgelöst  und  vom  Kreuzbein 
abgetrennt,  event.  an  der  Basis  mit  Zange  durchschnitten,  wenn  man 
das  Gelenk  nicht  gleich  findet. 

Nun  wird  median  tiefer  geschnitten  bis  auf  die  das  Rectum  ein- 
hüllende Fascie  und  über  der  Pars  perinealis,  d.  h.  über  den  Muskeln 
zu  beiden  Seiten  stumpf  das  Rectum  umgangen,  bis  man  in  ge- 
nügender Breite  den  Finger  um  dasselbe  führen,  2  Presszangen 
anlegen  und  mit  starkem  Faden  zuschnüren  kann,  dem  unteren 
Theil  der  Pars  pelvina  entsprechend.  Zwischen  den  Faden  wird 
mit  dem  Thermocauter  getrennt  und  die  Schleimhaut  der  Stümpfe 
verschorft. 

Zwischen  Excavatio  sacralis  und  Rectumfascie  geht  nun  der 
Finger  in  die  Höhe  und  löst  das  Rectum  bis  über  die  Geschwulst 
stumpf  los.  Nach  den  Seiten  hin  werden  zutretende  Gefässbündel 
mit  dem  Finger,  dann  mit  grossen  Arterienhaken  umgangen,  um- 
schnürt und  unter  Anlegen  von  starken  Arterienzangen  an  den 
peripheren  Theil  durchschnitten.  Das  Rectum  wird  möglichst  nach 
unten  gezogen.  Am  vorderen  Umfang  gelangt  man  bald  an  das 
Peritoneum.    Sobald  man  eine  gesunde  Stelle  desselben  ausser  Bereich 


Sacralgegend.  427 

des  Tumor  fassen  kann,  wird  dasselbe  eröffnet  und  auf  und  rückwärts 
an  der  Grenze  gegen  das  Colon  pelvinum  rings  losgelöst.  Durch 
gehörige  Trennung  des  Peritoneum  wird  das  Rectum  auf  einmal 
viel  beweglicher  und  kann  stärker  nach  unten  gezogen  werden. 
Was  es  jetzt  noch  hält,  sind  die  Mesenterien  des  Colon  pelvinum 
und  sisrmoideum.  Auch  diese  trennt  man,  soweit  dieselben  eine 
Spannung  bewirken.  Aber  man  muss  sorgen,  dass  bei  deren 
Ablösung  die  Gefässe  nicht  zerrissen,  sondern  mitabgehoben  werden. 
Eine  Hauptspannung  ergiebt  nach  Rehn's  Nachweisen  nur  noch  die 
Arteria  haemorrhoidalis  interna.  Wenn  diese  zu  sehr  gezerrt  und 
gezerrt  erhalten  wird,  so  leidet  die  Circulation  Noth;  es  ist  daher 
besser,  sie  zu  fassen  und  nach  centraler  Ligatur  und  Anlegen  einer 
langen  Arterienzange  peripher  zu  durchschneiden. 

Dabei  muss  man  Bedacht  nehmen,  das  Zellgewebe  vor  dem 
Sacrum  sammt  den  Hämorrhoidaldrüsen  möglichst  hoch  hinauf  mit- 
zunehmen. 

Der  Darm  kann  soweit  freigemacht  werden,  dass  man  30  cm 
und  mehr  herausziehen  kann.  Auf  diese  Weise  wird  der  Forderung 
Friedrich's  und  Schuchardt's  ein  Genüge  geleistet,  stets  die  Aus- 
räumung des  ganzen  Cavum  praesacrale  mit  Herunterholung  der 
Flexur  auszuführen. 

Jetzt  stülpt  man  die  oben  zugebundene  Pars  analis  am  Schnür- 
ring durch  den  Anus  hindurch  nach  aussen  vor,  schneidet  die  Ligatur 
stumpf  ab  unter  Fassen  der  Ränder  mit  Arterienklammern  und  sicherem 
Schutz  der  Wunde  gegen  Berührung  mit  der  Schleimhaut.  Das  zu- 
gebundene obere  Darmende  wird  durch  den  Analring  und  die  in- 
vaginirte  (besser  exvaginirte)  Pars  perinealis  durchgezogen  und  zwar 
bis  über  die  Geschwulst  hinaus,  gehörig  oberhalb  derselben  (3  —  4  cm) 
mit  Presszange  gefasst  und  Tumor  mit  Rectum  abgeschnitten,  nach- 
dem man  vorher  die  hintere  Wunde  mit  Gazetampon  gehörig  vor 
jeder  Verunreinigung  geschützt  hat. 

Ueber  der  Zange  wird  an  beschränkter  Stelle  die  eine  Wand 
getrennt  und  sofort  mit  dem  freien  Saum  der  invaginirten  Pars 
perinealis  durch  Catgutknopfnähte  nach  Maassgabe  der  Durch- 
schneidung vereinigt. 

Nunmehr  wird  der  invaginirte  Analtheil  wieder  durch  den  Anus 
zurückgeschoben  und  erst  jetzt  die  Pars  analis  nach  hinten  gespalten 
und  über  die  Knopfnaht  noch  beiderseits  eine  fortlaufende  Catgut- 
naht  gelegt. 

Oben  kann  die  Hautwunde  mit  einigen  tiefgreifenden  Silber- 
oder Broncealuminiumdrähten  geschlossen  werden,  mit  einer  Seiden- 
naht drüber.  Die  unterhalb  der  Darmnaht  befindliche  Pars  perinealis 
recti   dagegen   wird   nicht  vereinigt,    damit   der   Ausfluss    aus    dem 


a28  Specielle  Operationslehre. 

Darm  nicht  behindert  sei  und  bei  Nachlass  der  Naht  sich  der  Darm- 
inhalt nicht  ins  Zellgewebe  infiltriren  könne.  Zum  mindesten  muss 
bei  Naht  eine  Xeroformgaze  bis  an  die  Nahtstelle  eingeschoben 
werden. 

Man  kann  sich  die  Operation  vereinfachen,  resp.  die  hintere 
Naht  ohne  Bedenken  vollständig  schliessen  mit  2  und  3  Drainröhren, 
wenn  man  statt  den  Analtheil  intact  zu  erhalten,  denselben  excidirt 
oder  wenigstens  die  Schleimhaut  desselben  abträgt,  was  nicht 
schwierig  ist.  Allein  es  ist  von  WÖLFLER  mit  Recht  aufmerksam 
gemacht  worden,  dass  wir  für  richtige  Function  des  Afters  nicht 
bloss  Muskeln,  sondern  auch  eine  sensible  Zuleitung  brauchen,  welche 
die  Entleerung  regulirt. 

d)  Coccygeale  Resectio  recti  mit  hinterer  Längs- 
spaltung bis  in  das  Darmlumen. 

Die  Methode  der  Totalexcision  des  Rectum  ohne  Eröffnung  des- 
selben mit  Einheftung  des  unteren  Theils  der  Flexur  in  die  Anal- 
portion ist  sicher  das  Ideal,  wenn  man  dabei  noch  das  präsacrale 
Zeildrüsengewebe  ausräumt.  Allein  das  gelingt  nicht  immer.  Oft 
genug  reisst  beim  Versuch  der  Isolirung  das  Rectum  ein  oder  die 
andere  Ligatur  beim  Zug  ab  oder  schneidet  durch.  Für  diese  Fälle 
haben  wir  in  der  Ausnutzung  der  alten  DiEFFENBACH'schen  hinteren 
Längsspaltung  und  Combination  derselben  mit  Steissbeinresection  ein 
vorzügliches  Ersatzmittel  durch  eine  Reihe  von  günstigen  Erfahrungen 
kennen  gelernt.  Wir  schildern  das  Verfahren  für  einen  Fall,  wo 
man  auf  die  extra-  oder  perirectale  Ausschälung  des  ganzen  Rectum 
verzichtet  hat. 

Ausreinigung  und  Austupfen  des  Rectum  wie  oben  beschrieben. 
Schnitt  bis  auf  das  Sacrum  und  Steissbeinexcision,  wie  oben.  Nun 
wird  aber  sofort  nach  Einführen  von  2  Fingern  (mit  Cautschuk- 
handschuh)  ins  Rectum  der  hintere  Längsschnitt  durch  die  ganze 
Dicke  des  Rectum  und  der  dasselbe  bedeckenden  Weichtheile  ge- 
macht und  die  Wundränder  mit  starken  Arterienklammern  gefasst 
und  angezogen  beiderseitig.  So  kann  man  median  aufwärts  unter 
sofortigem  Anlegen  von  Fasszangen  ohne  Blutung  die  Rectalwand, 
selbst  bei  hochsitzendem  Carcinom  bis  an  den  unteren  Rand  des 
Tumor  heran  spalten. 

Das  Rectum  wird  nochmals  gründlich  abgetupft,  der  Finger 
(mit  Cautschuk  geschützt)  durch  die  enge  Stelle  eingeführt  und  der 
Tumor  abwärts  gezogen  und  an  seinem  vorderen  Umfang  die  durch 
den  Zug  invaginirte  Rectalwand  quer  gespalten,  bis  die  Serosa 
erscheint,  der  Rand  gefasst  und  soweit  nach  den  Seiten  gespalten, 
(unter  sofortiger  Fasszangenanlage),  dass  der  Tumor  in  toto  mit  der 
Serosa    oberhalb    desselben    in    der   Wunde    erscheint.     Jetzt   kann 


Sacralgegend.  429 

hier  sofort  eine  Serosanaht  angelegt  werden,  welche  soweit  nöthig 
nach  den  Seiten  und  hinten  unter  weiterer  Durchschneidung  der 
auf  den  Tumor  umgeschlagenen  gesunden  Rectal  wand  fortgesetzt 
wird. 

Durch  diese  Invagination  des  Tumor  abwärts  lässt  sich  unblutig 
mit  der  Scheere  der  Tumor  erst  unten  im  Gesunden  rings  ein- 
schneiden, dann  oben,  indem  man  ihn  von  hinten  sammt  dem  prä- 
sacralen  Drüsenzellgewebe  umgreift  und  herabzieht.  Die  Trennung 
geschieht,  an  der  Vorderwand  beginnend,  schrittweise,  indem 
Muscularis  und  Mucosa,  soweit  sie  getrennt  sind,  sofort  mit  der 
Muscularis  und  Mucosa  unterhalb  durch  Knopfnähte  (Catgut)  ver- 
einigt werden. 

Will  man  jetzt  ganz  sicher  gehen  und  die  Operation  rasch  be- 
endigen, so  heftet  man,  am  besten  in  ganzer  Länge  des  hinteren 
Längsschnittes,  die  Wand  des  Rectum  an  die  äussere  Haut.  Wir 
haben  auf  diese  Weise  saubere  und  gründliche  Resection  von  Rectum- 
krebsen  gemacht,  ohne  eine  Ligatur  anzulegen. 

Erstrebt  man  einen  von  vornherein  besseren  Erfolg,  so  muss 
man  die  hintere  Rectalwand  für  sich  vernähen  mit  Catgut,  an  dem 
obersten  Theil  der  Nahtstelle  eine  Xeroform gaze  einschieben  und  die 
Hautwunde  drüber  nähen.  Ich  habe  mit  KÜSTER  die  Erfahrung 
gemacht,  dass  dabei  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  Rectalfistel  ent- 
steht, so  dass  nur  ein  kleiner  Procentsatz  besser  dran  ist,  als  die- 
jenigen, bei  welchen  Schleimhaut  das  Rectum  in  ganzer  Länge  des 
hinteren  Längsschnittes  mit  der  Haut  vereinigt  wurde.  Die  letzte 
Maassnahme  giebt  aber  eine  viel  grössere  Garantie  gegen  jede  be- 
denkliche Infection  und  die  Resultate,  welche  wir  damit  erzielt 
haben,  haben  uns  mehr  befriedigt,  als  diejenigen  der  anderen 
Methoden. 

Wir  machen  zur  Begründung  dieses  einfachen  und  sicheren 
Operationsverfahrens  nochmals  darauf  aufmerksam,  dass  es  wesent- 
lich darauf  ankommt,  das  retrorectale  Zellgewebe  und  die  Drüsen 
aufwärts  vom  Tumor  mit  herauszubekommen,  also  die  Nicht- 
berücksichtigung der  Ausräumung  der  Excavatio  sacralis  unter- 
halb des  Tumors  nicht  als  ein  Fehler  betrachtet  werden  kann. 
Wir  werden  in  der  Lage  sein ,  bald  über  unsere  Resultate  zu 
berichten. 

Wenn  man  mit  H.  Wolff  eine  peinlich  sorgfältige  Ent- 
fernung der  im  Mesorectum  und  M  esosi  gmoideum 
sitzenden  Drüsen  verlangt,  so  kann  das  nur  die  combinirte 
Methode  bei  gleichzeitiger  Laparotomie  leisten  nach  dem 
bei  der  Resection  des  Dickdarms  geschilderten  Verfahren.  Das 
Gleiche  gilt  von  den  Fällen  mit  reichlichen  Verwachsungen  mit  den 


43 o  Specielle  Operationslehre. 

umgebenden  Organen.  Derartige  Fälle  können  von  unten  resp. 
hinten  nur  operirt  werden,  soweit  es  sich  um  bewegliche  Becken- 
organe handelt,  welche  man  unter  Sichtbarmachung  sauber  mit- 
excidiren  kann,  wie  bei  der  vaginalen  Methode  besprochen.  Sonst 
hat  die  Excision  eines  verwachsenen  Carcinoms  bloss  einen  Sinn, 
wenn  man  sich  von  oben  und  unten  überzeugt,  ob  die  Verwachsungen 
sich  in  völlig  gesundem  Gewebe  trennen  lassen. 

181)  Sigmoideo-Rectostomie  nach   Bacon  und   Rotter. 

Statt  der  Excisio  recti  für  hartnäckige  Mastdarmstricturen  haben 
die  genannten  Autoren  eine  Anastomose  zwischen  der  Flexur,  welche 
unter  Verschli essung  des  unteren  Endes  per  laparotomiam  getrennt 
wurde,  und  dem  Rectum  unterhalb  der  Stenose  hergestellt. 


II  Theil. 

Chirurgie  der  Extremitäten. 


I.  Freilegung  der  Gefässe  und  Nerven. 

Die  grösseren  Gefässe  werden  aufgesucht  behufs  Blutstillung, 
und  diese  geschieht  der  Hauptsache  nach  durch  Ligatur.  Das 
Gefäss  wird  mit  einem  gehörigen  Weichtheilschnitt  unter  Vermeidung 
von  Neben  Verletzungen  freigelegt  und  an  möglichst  beschränkter 
Stelle  isolirt,  um  mittelst  eines  Arterienhakens  (sog.  Aneurysmanadel) 
einen  Faden  umzulegen  und  mit  Kraft  zuzuschnüren,  um  Media  und 
Intima   zu  zerreissen   und   die  Adventitia  zur  Berührung  zu  bringen. 

Die  Blutstillung  in  Wunden  geschieht  wohl  auch  noch  zum 
guten  Theil  mittelst  Umlegung  von  Seidenligaturen,  aber  daneben 
mehr  und  mehr  zur  Vermeidung  einzulegender  Fremdkörper  mittelst 
Torsion  oder  forcirter  Compression  durch  sog.  Angiotriptoren, 
d.  h.  ungemein  kräftig  schliessender  Zangen.  Endlich  verdient  noch 
als  neueste  Errungenschaft  Erwähnung  bei  Blutung  aus  der  Continuität 
grosser  Gefässe  die  Gefässnaht.  Dieselbe  besteht  in  seitlichem  Ver- 
schluss der  Gefässe  mittelst  i  oder  2  Reihen  fortlaufender  Naht.  Sie 
ist  hauptsächlich  bei  grossen  Venen  in  Frage  (von  Zoege-Manteuffel), 
selbst  bei  sehr  breiter  Eröffnung  der  Vena  cava  inferior  mit  Glück 
in  Anwendung  gebracht  worden.  Ich  habe  sie  an  der  Vena  subclavia 
und  im  Winkel   zwischen  Vena  jugularis  und  subclavia  ausgeführt. 

Die  Freilegung  der  Nerven  zur  Resection  oder  Dehnung 
derselben  bei  Neuralgien  und  Krämpfen  oder  behufs  Anlegung  von 
Nervennähten  nach  Trennung  hat  in  neuester  Zeit  eine  erhöhte 
Bedeutung  gewonnen  dadurch,  dass  man  grössere  Regionen  des 
Körpers  durch  Cocainisirung  von  Nervenstämmen  unempfindlich 
machen  und  so  ohne  Allgemeinnarkose  Operationen  ausführen  kann. 
Zu  diesem  Behufe  muss  man  über  den  Verlauf  selbst  kleinerer 
Nervenstämme  genau  orientirt  sein. 


432  Chirurgie  der  Extremitäten. 

Ganz  besonders  ist  in  unserer  Darstellung  noch  darauf  Bedacht 
genommen,  zu  zeigen,  wie  man  grosse  Incisionen  machen  kann  in  die 
Tiefe  unter  Schonung  von  Gefässen  und  selbst  kleinen  Nervenstämmen. 


R.  Obere  Extremität, 
a)  Schultergegend. 

Operationen  an  der  Schulter  werden  am  öftesten  aus- 
geführt zur  Eröffnung  des  Schultergelenks  und  zur  Entfernung  von 
Geschwülsten  aus  der  Achselhöhle,  speciell  Drüsengeschwülsten.  Die 
Incisionen  vorne  und  hinten  halten  sich  als  Regel  an  den  deutlich 
fühlbaren  Vorder-  oder  Hinterrand  des  M.  deltoides,  dessen  Fasern 
geschont  werden  müssen.  Geben  diese  Schnitte  nicht  genügenden 
Raum,  so  wird  ein  Schnitt  am  oberen  Ansatz  des  Deltoideus  entlang 
Acromion  und  Clavicula  oder  Spinae  scapulae  hinzugefügt.  (Vergl.  die 
S.  76  und  77  geschilderten  vorderen  und  hinteren  Schulterschnitte 
zur  Resection.)  Von  der  Axilla  aus  gelangt  man  mittelst  eines  fron- 
talen Schnittes  entlang  der  vorderen  oder  hinteren  Achselfalte  oder 
besser  mittelst  sagittalen  Schnittes  parallel  der  Furche  zwischen  Ober- 
arm und  Thorax,  d.  h.  die  vordere  und  hintere  Achselfalte  kreuzend, 
am  besten  und  schonendsten  in  die  Tiefe  und  erhält  guten  Zugang. 
Bei  solchem  Schnitt  legen  sich  die  Wundränder  nach  Annäherung 
des  Arms  an  den  Thorax  von  selben  aneinander,  so  dass  man  nicht  zu- 
zunähen braucht.  Der  sagittale  Achselhöhlenschnitt  ist  speciell 
bei  Drüsengeschwülsten,  aber  auch  zur  Freilegung  des  unteren  Pfannen- 
randes und  des  nach  vorne  luxirten  Kopfes  am  Platz.  Er  wird  bei 
stark  abducirtem  Arme  gemacht. 

182)  Arteria  subclavia  (Fig.  129  und  130). 

a)  Mit  Querschnitt  unter  der  Clavicula  (Fig.  129). 

Schnitt  1  cm  unter  dem  mittleren  Drittel  der  Clavicula  mit 
Durchschneidung  der  Fasern  des  Platysma  sammt  den  sensiblen 
Nervi  supraclaviculares.  Schonung  der  Vena  cephalica  am 
Vorderrand  des  Deltoides  bei  Spaltung  der  Fascie.  Durchschneidung 
der  Clavicularportion  des  Pectoralis  major.  Die  Vena  cephalica  wird 
nach  oben  gezogen  sammt  den  Aesten  der  A.  thoracico-acromialis 
und  den  N.  thoracici  anteriores.  Diese  dünnen  Nerven  treten  unter 
der  Clavicula  über  den  Gefässen  herab  und  versorgen  die  Pectorales. 
Unter  der  Clavicula  wird  die  stramme  Fascie  des  M.  subclavius 
gespalten  und  der  obere  Rand  des  M.  pectoralis  minor  freigelegt. 
Jetzt  erscheint  die  Vena  subclavia.  Nach  aussen  der  Plexus 
axillaris.  Der  der  Vene  nächste  und  oberflächlichste  grössere 
Nervenstamm  ist  der  Medianus.     Derselbe  wird  am  medialen  Rande 


i*>    ■ 


433 


Arteria 
lingualis 


N.  hypoglossus 
A.   maxillaris    externa 
Carotis  externa 


Cornu  majus 
f  Vena  jug.  ext. 
Carotis     | 
communis    (M-  sternocleido 
■2         f  M.  sternocleido  mastoid. 
A.  ano-'   Glandula    thyreoidea 
nyma    I  N.  vag.  m.  Recurr. 
V.  jug.  comm. 


Glandula  submaxillaris 
M.  stylo-hyoideus  u.  digastricus 


Raraus  descendens  hypoglossi 
rJ M.  omohyoideus 


-Ms 
M.  sterno  hyoideus 


rrsujug. 


Fig.  129.  1.  Ligatur  der  Arteria  lingualis  über  dem  Zungenbein.  2.  Ligatur  der 
Carotis  communis  in  der  Höhe  des  Ringknorpels.  3.  Ligatur  der  Arteria  anonyma. 
4.  Ligatur  der  A.  subclavia  unter  dem  Schlüsselbein.    5.  Ligatur  der  A.  mammaria 

interna. 


Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl. 


28 


434 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


freigemacht  und  zwischen  ihm  und  der  Vene  in  die  Tiefe  gegangen. 
Darunter  tritt  die  Arterie  im  Winkel  zwischen  Clavicula  und  oberem 
Rand  des  Pectoralis  major  zu  Tage,  auf  dem  M.  serratus  anticus 
major  liegend. 

ß)  Arteria  subclavia  mit  Längsschnitt 
-■'      (Fig.  130). 

Ihre  Richtung  ist  äusserlich  gekennzeichnet  durch 
die  sieht-  und  fühlbare  Furche  zwischen  M.  deltoides 
und  pectoralis  major. 

Schnitt  auf  der  Clavicula  an  der  Grenze  des 
mittleren  und  lateralen  Drittels   beginnend,  über  den 

V.  cephalica 

A.  thoracico-acromialis 

A.  subclavia 

N.  medianus 

A-  thoracico-acromialis 
JM.  deltoideus 


V.  axillaris 

M.  pectoralis  minor 

N.  medianus 

A.  axillaris 

f    M.  bieeps 
\  (caput  breve) 
(  M.  pectoralis 
<  major  (portio 
\clavicularis) 


Fig.  130.    Ligatur  der  Arteria  subclavia  unterhalb  der  Clavicula. 


Processus  coraeoides  abwärts  in  der  fühlbaren  Furche  zwischen 
Deltoides  und  Clavicularportion  des  Pectoralis  major  bis  zum  Ueber- 
gang  der  vorderen  Achselfalte  in  den  Arm.  Am  Rande  des  ersteren 
erscheint  die  Vena  cephalica.    Die  Muskeln  werden  stumpf  getrennt 


Obere  Extremität. 


435 


bis  zum  oberen  Rande  der  Sehne  des  Pectoralis  major.  Unter  dem 
Deltoides  erscheint,  nach  dem  Arm  abwärts  ziehend,  der  kurze  Kopf 
des  Biceps.  Unter  seinem  Innenrande  der  Coracobrachialis,  an  welchen 
der  Nervus  musculo-cutaneus  herantritt. 

Geg'en  den  Thorax  zu  legt  man  vom  Processus  coracoides 
herunterziehend  den  lateralen  Rand  des  Pectoralis  minor  frei,  und 
zwischen  diesem  und  dem  Coracobrachialis  liegt  das  Gefässnerven- 
bündel,  medianwärts  die  starke  Vena  axillaris.  Den  ersten  Nerven- 
stamm neben  der  Vene  (Medianus)  zieht  man  medianwärts  ab  und 
findet  darunter  die  Arteria  axillaris.  Lateral  von  ihr  eine  kleinere 
Vena  collateralis. 

Ablösung  der  Portio  clavicularis  des  Pectoralis  major  eine  kurze 
Strecke  entlang  der  Clavicula  erleichtert  die  Operation.  Man  kann 
die  Arterie  bei  diesem  Schnitt  auch  oberhalb  des  Pectoralis  minor 
unterbinden  (Fig.   130). 

183)  Die  Arteria  thoracica  suprema  geht  unter  dem  M. 
subclavius  (Fig.  12  g)  aus  dem  Hauptstamm  hervor,  und  an  derselben 
Stelle  ist  letzterer  von  den  motorischen  Aesten  des  Pectoralis  major 
und  minor,  nämlich  den  N.  thoracici  anteriores  umfasst. 

184)  Die  Arteria  thoracica-acromialis  (Fig.  130)  geht  ober- 
halb des  oberen  Randes  des  M.  pectoralis  minor  aus  der  A.  sub- 
clavia ab,   kann   also  mit  dem  gleichen  Schnitt  unterbunden  werden. 

185)  Arteria  thoracica  longa. 

Schnitt  entlang  der  vorderen  Achselfalte  (resp.  jjdem  hinteren 
Umfang  der  Pectoralis  major- Wölbung)  bei  abducirtem  Arm,  an  der 
Seitenfläche  des  Thorax  beginnend.  Nach  Spaltung  der  Fascie  findet 
man  direct  hinter  dem  Pectoralis  major-Rande  die  Arterie  auf  dem 
Thorax  resp.  dem  M.  serratus  anticus  major  in  der  Axillarlinie  herab- 
laufend, hinter  ihr  den  N.  thoracicus  longus  zum  Serratus  anticus 
major. 

b)  Axilla. 

186)  Arteria  axillaris  (Fig.  131). 

Verlaufsrichtung  des  Gefässes:  Von  der  Mitte  der  Clavicula  zur 
Mitte  der  vorderen  Achselfalte.  Die  Arterie  liegt  auf  der  lateralen 
Wand  des  dreieckig-prismatischen  Raumes  zwischen  Thoraxwand 
innen  (Serratus  anticus  major),  Pectoralis  major  und  minor  vorne 
und  Scapula  (Musculus  subscapularis)  hinten.  Schnitt  bei  stark  ab- 
ducirtem Arm  in  der  Verlängerung  des  Sulcus  bicipitalis  internus 
am  Innenrande  des  unter  dem  Pectoralis  major  gegen  den  Arm  zu 
hervortretenden  Muskelwulstes  des  Coracobrachialis  durch  Haut  und 

28* 


436 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


M.  biceps 

N.  cutaneus  medius 

N.  medianus 
I 

A.  brachialis 

M.  triceps 
N.  ulnaris 


N.  medianus 

N.  ulnaris 

N.  cutaneus  medius 


Caput  Inter- 
im m  tricipitis 


A.  collateralis 
ulnaris  superior 

Fascie 


[  V.  brachialis 

jA.   axillaris 

,  M.  coraco  brachialis! 
M.  biceps 

N.  musculocutaneus 


N.  ulnaris 

Caput  internum  tricipitis 

A.  profunda  brachii 
Muskelzweig-  der  A.  pro-  \ 
funda  brachii  f 


:h. 


N.  radialis 

M.  latissimus  dorsi 

N.  axillaris 

M.  teres  major 

A.  subscapularis 

Caput-longum  tricipitis 

A.  circumflexa  scapulae 

M.  latissimus  dorsi 

Nervi  subscapulares 

A.  thoracico-dorsalis 

M.  subscapularis 


:  ||s 


Fig.  131.    A.    axillaris,    A.    brachialis,    A.   profunda    brachii,    A.    subscapularis, 
N.  medianus,  N.  radialis,  N.  subscapularis,  N.  axillaris. 


439 


Caput  longuml 
tricipitis      / 

N.  teres  major 


Caput  longuml 
tricipitis      J 


N.  radialis 


Caput  ext.  1 
tricipitis   / 


M.  deltoideus 


M.  teres  minor 


Tricepssehne 


N.   axillaris 
-  A.  circumflexa  humeri  posterior 


M.  deltoideus 

—  A.  profunda  brachii 
Caput  longum  tricipitis | 
Caput  externum  tricipitis 

M.  deltoideus 


brachialis  internus 
N.  radialis  u.  A.  profunda 
brachii 
Caput  externum  tricipitis 

~~  N.  cutaneus  radialis  inferior 


M.  supinator  longus 


Fig.  133.     I.   Lig-   art-   circumflexae   humeri   post.  und  N.   axillaris.     2.  u.  3.  N. 
radialis  und  A.  profunda  brachii. 


aaq  Chirurgie  der  Extremitäten. 

sonst  hebt  sich  die  Arterie  mit  ihr  ab.  Die  Fascie  muss  gegen  den 
Thorax  zu  gespalten  werden.  Nach  Spaltung  der  Fascie  erscheint 
die  Arterie  am  vorderen  Rande  des  Armansatzes  des  M.  latissimus 
dorsi  und  des  darunter  liegenden  Teres  major,  welche  die  hintere 
Achselfalte  bilden,  in  lockerem  Fettzellgewebe.  Der  Stamm  ist  kurz. 
Er  ist  daran  zu  erkennen,  dass  rückwärts  aus  ihm  die  A.  circum- 
flexa  scapulae  abgeht.  Im  Armwinkel  des  Schnittes  sieht  man  auf 
der  Wölbung  des  Humeruskopfes  den  Nervus  axillaris. 

190)  Die  Fortsetzung  des  Stammes  gegen  den  Thorax  zu  ist 
die  A.  thoracico-dorsalis  (Fig.  131),  vom  starken  Nervus  subscapularis 
(zum  M.  latissimus   dorsi)   begleitet,   welcher   von   oben  herabkommt. 

191)  Der  andere  Hauptast   ist   die  A.  circumflexa  scapulae 

(Fig.  131),  welche  zwischen  Latissimus  (mit  Teres  major)  und  M.  subscapu- 
laris auf  der  medialen  Seite  des  M.  anconaeus  longus  nach  rückwärts 
zieht.  Neben  ihm  ein  Ast  des  Nervus  subscapularis  zum  Teres 
major. 

c)  Oberarm. 

Operationen  am  Oberarm  müssen  oft  in  sehr  bedeutender 
Ausdehnung  gemacht  werden  wegen  Nekrosen,  Neubildungen  an 
Knochen,  Pseudarthrosen.  Wir  haben  wegen  eines  diffusen  Sarkoms 
des  Knochens  am  11.  Mai  1898  eine  Totalexcision  des  Humerus 
ausführen  müssen.  Die  Linie,  in  welcher  eine  solche  mit  der  ge- 
ringsten Nebenverletzung  ausgeführt  werden  kann,  geht  von  dem 
Vorderrand  des  M.  deltoideus  auf  der  lateralen  Seite  des  Humerus 
im  Sulcus  bicipitalis  externus  abwärts.  Oben  ist  die  Vena  cephalica 
medianwärts  zu  ziehen  und  unter  dem  Humerus-Kopf  die  Arteria 
circumflexa  humeri  anterior  zu  ligiren.  Abwärts  muss  der  Schnitt 
zwischen  lateralem  Tricepskopf  und  Brachialis  internus  auf  dem 
Knochen  so  angelegt  werden,  dass  der  N.  radialis  mit  der  Art. 
profunda  brachii  nach  hinten  bleibt  und  lateralwärts  gezogen  werden 
kann. 

Auf  der  medialen  Seite  kommt  man  entlang  der  Hauptarterie 
und  den  Hauptnerven  (Medianus  und  Ulnaris)  auf  den  Knochen, 
indem  man  diese  Gebilde  medianwärts  zieht,  allein  man  kann  nicht 
so  hoch  hinauf  und  abwärts  gelangen,  wie  auf  der  lateralen  Seite. 
Man  incidirt  deshalb  im  Sulcus  bicipitalis  internus  bloss,  wenn  man 
hier  Gefässe  und  Nerven  aufzusuchen  hat  oder  umschriebene  Ge- 
schwülste, wie  eine  kranke  Cubitaldrüse  über  dem  Epicondylus  in- 
ternus excidiren  will. 

Die  Hauptanhaltspunkte  zur  Orientirung  am  Oberarm  sind  der 
Sulcus  bicipitalis  internus  und  externus ;  vorne  kann  man  den  Biceps, 


Obere  Extremität.  441 

hinten  den  langen  Kopf  des  Triceps  zwischen  die  Finger  fassen  und 
vom  Knochen  abheben. 

Die  Arteria  brachialis  ist  im  Sulcus  bicipitalis  internus  in 
ganzer  Länge  des  Oberarmes  fühlbar  von  dem  in .  der  Axilla  fühl- 
baren Humeruskopf  bis  zur  Mitte  der  Ellenbeuge  unter  dem  eben- 
falls fühlbaren  Nervus  medianus,  welcher  die  Arterie  in  der  Mitte 
von  aussen  nach  innen  kreuzt,  über  dieselbe  hingehend.  Die  Arterie 
ist  in  ihrer  ganzen  Länge  gegen  den  Biceps  zu  comprimirbar. 

192)  Arteria  brachialis  in  der  Mitte  (Fig.  131). 

Schnitt  über  dem  Strang  des  N.  medianus,  der  bei  abducirtem 
Arm  sehr  deutlich  fühlbar  ist  im  Sulcus  bicipitalis  internus.  Auf  der 
Fascie  der  dünne  Nervus  cutaneus  internus.  Spaltung  der 
Fascie  und  Freilegung  des  Muskelfleisches  des  Biceps,  Abziehen 
dieses  Muskels  lateralwärts.  Der  Nervus  medianus  wird  ganz  frei- 
gelegt und  isolirt  medianwärts  gezogen.  Unmittelbar  darunter  die 
Arteria  brachialis  vor  dem  Ligamentum  intermusculare  am  Knochen, 
mit  zwei  begleitenden  Venen.  Neben  ihr  medianwärts  der  N.  cuta- 
neus medius.  Der  N.  ulnaris  liegt  unter  der  Fascie  des  inneren 
Kopfes  des  Triceps  im  hinteren  Theil  des  Sulcus  bicipitalis  internus. 

Unterhalb  der  Mitte  des  Oberarmes  findet  der  Eintritt  der  Vena 
basilica  in  die  Vena  brachialis  und  der  Durchtritt  des  Nervus 
cutaneus  medius  durch  die  Fascie  statt.  Diese  Gebilde  können 
durch  denselben  Schnitt,  wie  zur  Brachialisunterbindung  freigelegt 
werden. 

193)  Arteria  profunda  brachii. 

Auf  der  Innenseite  des  Armes  im  oberenDrittel  (am 
Unterrand  des  M.  latissimus  dorsi)  (Fig.  131). 

Schnitt  im  Sulcus  bicipitalis  internus  von.  der  Höhe  der  hinteren 
Axillarfalte  abwärts  durch  Haut  und  Fascie.  Auf  dieser  der  N.  cuta- 
neus internus.  Hinter  dem  weissen  Streifen  des  Lig.  intermusculare 
internum  wird  die  Fascie  gespalten  und  dem  Wulst  des  M.  anconaeus 
longus.  Auf  der  Vorderfläche  des  letzteren  geht  man  gegen  den 
Knochen  zu  oberhalb  des  Ansatzes  des  Anconaeus  internus  am 
Humerus.  Entlang  einem  starken  Ast  der  Arterie  zum  Caput  in- 
ternum des  Triceps  (A.  collateralis  media)  kommt  man  zu  der  am 
Knochen  liegenden  Arteria  profunda. 

Hinter  der  Arterie  liegt  der  N.  radialis,  der,  von  oben  über  die 
Sehne  des  Latissimus  herabkommend,  zwischen  M.  anconaeus  internus 
und  longus  gegen  die  Rückfläche  des  Humerus  herabtritt.  Man  darf 
beim  Aufsuchen  nicht  zu  weit  nach  hinten  gehen,  sonst  kommt  man 
hinter  Nerv  und  Arterie,  die  hier  im  Sulcus  bicipitalis  internus  dem 
Knochen  anliegen.  Die  Auflagerung  des  Nerven  auf  dem  Latissimus 
ist  für  den  Radialis  charakteristisch. 


,.2  Chirurgie  der  Extremitäten. 

Auf  der  Rückfläche  des  Oberarmes  über  der  Mitte. 
Vergleiche  Freilegamg  des  N.  radialis  daselbst  (Fig.  133). 

Auf  der  Aussenseite  des  Oberarmes  im  unteren  Drittel 
(Fig.  133). 

Schnitt  am  Aussenrande  des  leicht  durch  Umgreifen  von  hinten 
zu  bestimmenden  Wulstes  des  M.  anconaeus  externus),  in  der  Mitte 
zwischen  Deltoidesansatz  und  Epicondylus  externus  humeri,  in  einer 
von  letzterem  senkrecht  aufsteigenden  Linie.  Freilegung  des  Muskel- 
fleisches des  Anconaeus  durch  Schnitt  entlang  dem  Fascienstreifen, 
welcher  das  Ligamentum  intermusculare  externum  anzeigt,  und  Ab- 
lösung des  Musculus  brachialis  internus  von  letzterem  Ligament  bis 
zum  Knochen.  Die  Arterie  kommt  schräg  von  hinten  hervor ;  neben 
ihr  der  Nervus  radialis  dicht  am  Knochen. 

Der  Endast  der  Profunda  brachii  (Arteria  collateralis  radialis)  ist 
auf  der  Basis  des  Epicondylus  externus  humeri  in  der  Furche  zwischen 
Brachialis  internus  und  Brachioradialis  fühlbar  und  hier  hinter  dem 
Nervus  radialis  zu  unterbinden. 

194)  Arteria  collateralis  ulnaris  superior. 

Die  Arteria  coli,  ulnaris  superior  begleitet  den  N.  ulnaris.  Im 
oberen  Drittel  liegt  sie  sammt  diesem  hinter  den  grossen  Ge- 
fässen  und  wird  von  dem  gleichen  Schnitt  aus  unterbunden,  wie  die 
Art.  brachialis  (No.  192),  mit  dem  Unterschied,  dass  der  N.  medianus 
lateralwärts  abgezogen  wird  und  dass  man  medianwärts  von  den 
Hauptgefässen  in  die  Tiefe  geht. 

Von  der  Mitte  abwärts  liegt  die  Arterie  hinter  dem  Lig. 
intermusculare  intern  um.  Schnitt  (Fig.  131)  wie  zur  Freilegung  des 
Nervus  ulnaris  daselbst  (No.  197),  Trennung  der  Fascie  hinter  dem 
erwähnten  Ligament.  Die  Arterie  liegt  neben  dem  Nerven  auf  dem 
Muskelfleisch  des  Caput  internum  des  Triceps. 

Am  unteren  Ende  ist  die  Arterie  auf  der  Rückfläche  des  Epi- 
condylus internus  zu  fühlen  und  aufzusuchen  neben  dem  Nervus 
ulnaris  hinter  dem  Ligamentum  intermusculare  internum. 

195)  Arteria  collateralis  ulnaris  inferior. 

Die  Arterie  liegt  auf  der  Basis  des  Epicondylus  internus  ober- 
halb des  Wulstes  des  Pronator  teres  Ansatzes.  Sie  ist  hier  fühlbar. 
Man  findet  sie  nach  Spaltung  der  strammen  Fascie,  auf  welcher  ein 
Hauptast  des  Nervus  cutaneus  medius  und  die  Vena  basilica  mit  der 
Verbindungsstelle  der  Vena  mediana  liegt. 

196)  Nervus  medianus  (Fig.  131). 

Vergleiche  Ligatur  der  Arteria  brachialis.  Der  Nerv  begleitet 
dieselbe  in    ganzer   Länge;    er  liegt  in   der   oberen   Hälfte   auf   der 


Obere  Extremität.  443. 

äusseren,   in   der  unteren  Hälfte   auf   der  inneren  Seite   der  Arterie, 
oberflächlicher  als  dieselbe. 

197)  Nervus  ulnaris  (Fig.  131)  in  der  unteren  Hälfte  des 
Oberarmes. 

Schnitt  in  einer  senkrecht  vom  Epicondylus  internus  aufsteigenden 
Linie  auf  den  Wulst  des  Caput  internum  des  Triceps.  Die  Spaltung 
der  starken  Fascie  findet  hinter  dem  weissen  Streifen  statt,  welcher 
den  Ansatz  des  Ligamentum  intermusculare  kennzeichnet.  Sie  legt 
das  Muskelfleisch  des  inneren  Kopfes  des  Triceps  frei,  in  dessen 
oberflächlichsten  Fasern  der  Nerv  liegt  und  die  Arteria  collateralis 
ulnaris  superior. 

198)  Nervus  radialis. 

Im   oberen   Drittel   auf   der   medialen  Seite   (Fig.  131). 
Vergl.  Ligatur  der  Arteria  profunda  brachii  im  Sulcus  bicipitalis 
internus. 

Ueber  der  Mitte  auf  der  Rückfläche  (Fig.  133). 

Schnitt  in  einer  senkrecht  von  der  Olecranonspitze  aufwärts  ge- 
zogenen Linie  auf  der  Rückfläche  des  Oberarmes  fingerbreit  hinter 
dem  Hinterrande  des  Deltoides  neben  dem  leicht  abhebbaren  Wulste 
des  langen  Kopfes  des  Triceps.  Der  Schnitt  beginnt  unter  der 
Hähe  der  hinteren  Axillarfalte  und  dringt  abwärts  in  das  Interstitium 
zwischen  langem  und  äusserem  Kopf  des  Triceps  ein,  welche  bis  auf 
den  Knochen  stumpf  von  einander  getrennt  werden.  Der  Nerv  liegt 
zwischen  den  Ansätzen  des  inneren  und  äusseren  Kopfes  des  Triceps, 
nachdem  er  am  Unterrande  des  Latissimus  dorsi  unter  dem  langen 
Tricepskopf  durchgetreten  ist.  Vor  ihm  liegt  parallel  die  starke  Arteria 
profunda  brachii,  ebenfalls  dem  medialen  Umfang  des  Knochens  an- 
liegend. 

Unter  der  Mitte  des  Oberarmes  auf  der  lateralen 
Fläche  (Fig.  133). 

Schnitt  in  einer  senkrecht  vom  Epicondylus  externus  aufsteigen- 
den Linie  am  lateralen  Rande  des  Tricepswulstes,  in  der  Richtung 
gegen  den  Ansatz  des  Deltoides  am  Humerus.  Freilegung  des 
sehnigen  Caput  externum  des  Triceps  und  Eingehen  an  seinem 
Rande  gegen  die  Aussenfläche  des  Humerus  unter  Ablösung  der 
Muskelfasern  des  M.  brachialis  internus.  Dieser  Muskel  überragt 
hier  den  Biceps  lateralwärts  beträchtlich.  Nerv  dem  Knochen  an- 
liegend; auf  seiner  äusseren,  radialen  Seite  die  Arteria  profunda 
brachii  dem  Hauptstamm  parallel  laufend,  hinter  ihm  Nervus  cuta- 
neus  radialis  inferior,  welcher  die  radiale  Rückseite  des  Vorder- 
armes sensibel  versorgt.    An  der  Grenze  von  mittlerem  und  unterem 


,  ..  Chirurgie  der  Extremitäten. 

Drittel   des  Humerus   tritt   der  Nerv   durch   das  Lig.   intermusculare 
externum  auf  dessen  Vorderfläche. 

199)  Nervus  musculo-cutaneus. 

Ueber  der  Mitte  des  Oberarmes  (Fig.  132). 

Schnitt  im  Sulcus  bicipitalis  internus,  vom  Ende  des  Coracobrachi- 
aliswulstes  abwärts.  Freilegung  des  Muskelfleisches  des  Biceps  und 
Abziehen  dieses  Muskels  lateralwärts.  Der  Nerv  liegt,  vom  Biceps 
gedeckt,  am  lateralen  Rande  des  M.  coraco-brachialis,  durch  welchen 
er  durchgetreten  ist,  um  auf  die  Vorderfläche  des  M.  brachialis  in- 
ternus zu  treten. 

Weiter  oben  kann  der  Nerv  durch  Schnitt  auf  den  Wulst  des 
Coraco-brachialis  und  Eingehen  zwischen  diesem  und  dem  kurzen 
Kopf  des  Biceps  gefunden  werden. 

Unter  der  Mitte  des  Oberarmes. 

Schnitt  am  Aussenrand  des  Bicepswulstes,  welchen  man  isolirt 
vom  Brachialis  internus  abheben  kann,  unter  Schonung  der  Vena 
cephalica,  fingerbreit  vor  dem  Sulcus  bicipitalis  externus,  Spaltung 
der  Fascie  bis  auf  das  Muskelfleisch,  stumpfes  Eingehen  mit  dem 
Finger  unter  die  hintere  Fläche  des  Biceps.  Unter  der  dünnen  Fascie 
des  Brachialis  internus  liegt  gegen  dessen  Mitte  zu  der  Nerv.  Man 
muss  sich  hüten,  statt  des  Aussenrandes  des  Biceps  denjenigen  des 
Brachialis  internus  freizulegen. 

d)  Ellenbogengegend. 

aoo)  Operationen  in  der  Ellenbogengegend  betreffen  vor- 
züglich Incisionen  ins  Gelenk  behufs  Resection,  Knochennaht.  Ohne 
die  Gefahr  einer  Nebenverletzung  ist  bloss  die  laterale  hintere  Gelenk- 
gegend leicht  zugänglich.  Sie  wird  denn  auch  zu  Gelenkschnitten 
hauptsächlich  benutzt.  Wir  halten  uns  ausschliesslich  an  diese  Gegend 
mit  unserem  lateralen  Bogenschnitt.  Nur  noch  die  lateralen  Knochen- 
kanten des  Humerus  liegen  bis  zum  Gelenk  ebenfalls  oberflächlich 
genug,  dass  man  ohne  Bedenken  auf  dieselben  einschneiden  kann. 
Den  besten  Anhaltspunkt  zur  Bestimmung  der  Gelenklinie  bildet  stets 
das  Radiusköpfchen,  von  der  lateralen  hinteren  Seite  her  palpirt. 
Wichtige  Orientirungspunkte  sind  ausserdem  die  beiden  Epicondylen 
und  das  Olecranon. 

Leicht  fühlbar  ist  die  Bicepssehne  auf  der  Vola,  medialwärts  von 
ihr  der  Puls  der  Arteria  brachialis;  ferner  der  N.  ulnaris  hinter  dem 
Epicondylus  internus.  Sichtbar  bei  den  meisten  Menschen  ist  die 
Vena  mediana  in  der  Ellenbeuge,  welche  für  den  Aderlass  benutzt 
wird. 


Obere  Extremität. 


445 


20 1)  Arteria  brachialis  in  der  Ellenbeuge  (Fig.  135). 

Schnitt  in  der  Richtung  der  V|orderarmaxe,  in  der  Mitte 
zwischen  beiden  Epicond}den  beginnend,  etwas  näher  der  ulnaren 
Seite,  medianwärts  von  der  Bicepssehne.  Auf  der  Fascie  die  schräg 
verlaufende  Vena  mediana  und  Hautäste  des  Nervus,  cutaneus  medius. 

Unter  der  dünnen  Fascie  treten  die  charakteristischen,  schräg 
ulnar wärts  verlaufenden  Fasern  des  aponeurotischen  Fascikels  des 
Biceps  zu  Tage  und  werden  in  der  Richtung  des  Hautschnittes  ge- 
spalten. Unmittelbar  darunter  oder  von  dünner  Fettschicht  bedeckt 
liegt  die  Arterie,  von  zwei  Venen  begleitet.  Lateralwärts  liegt  die 
längsgefaserte  Bicepssehne.  (Die  Theilung  der  Arteria  brachialis  in 
die  A.  radialis  und  ulnaris  findet  fingerbreit  unter  der  Gelenklinie  statt. 


Epicondylus  internus        ^g 

M 


M.  ulnaris  internus  (2  Köpfe)  "=^" 


ulnaris 

{Caput  internum 
tricipitis 


Fig.  134.  Nervus 
ulnaris  am  Epi- 
condylus in- 
ternus humeri. 


202)  Nervus  medianus  (Fig.  135)  1j2  cm  medianwärts  von 
der  Arteria  brachialis  am  lateralen  Rande  des  M.  pronator  teres. 
Als  Unterlage  des  Gefäss-Nervenbündels  dient  der  M.  brachialis  in- 
ternus. Man  hat  bei  dieser  Operation  zu  bedenken,  dass  die  Arterie 
und  der  Nerv  aus  dem  Sulcus  bicipitalis  internus  herabkommen, 
dass  man  also  nicht  auf  der  lateralen  Seite  der  Bicepssehne  in  die 
Tiefe  geht.  Lateralwärts  von  der  Bicepssehne  kommt  aus  der  Furche 
neben  dem  Muskelwulst  des  Supinator  longus  der  Hautast  des  N. 
musculo-cutaneus  hervor. 

203)  Nervus  ulnaris  (Fig.  134). 

Schnitt  von  hinten  auf  die  Basis  des  Epicondylus  internus  durch 
Haut  und  Fascie ;  jenem  dicht  anliegend,  neben  dem  medialen  Rand 


aa()  Chirurgie  der  Extremitäten. 

des  Triceps,  liegt  der  dicke  Nerv,  nach  abwärts  zwischen  beiden  An- 
sätzen des  M.  ulnaris  internus  am  Epicondylus  und  am  Olecranon 
auf  den  M.  flexor  digitorum  profundus  herabtretend.  Neben  dem 
Nerven  liegt  der  Endast  der  Arteria  collateralis  ulnaris  superior. 

204)  Nervus  radialis  (Fig.  135). 

Am  Ellenbogen gelenk  liegt  der  Nervus  radialis,  und  zwar  der 
sensible  und  motorische  Ast  zusammen  in  der  Furche  zwischen  M. 
brachioradialis  und  brachialis  internus.  Schnitt  in  der  Verlängerung 
des  Sulcus  bicipitalis  externus  am  Rande  des  Wulstes  des  M.  brachio- 
radialis in  der  Ellenbeuge.  Die  Vena  cephalica  wird  abgezogen. 
Nach  Spaltung  der  Fascie  erscheint  im  unteren  Theile  des  Schnittes 
neben  der  Bicepssehne  der  Nervus  musculo-cutaneus  (Fig.  135),  welcher 
die  Fascie  durchbohrt,  um  die  radiale  Vorderseite  des  Vorderarmes 
sensibel  zu  versorgen.  Bei  Eindringen  am  Aussenrande  des  M.  brachi- 
alis internus  findet  man  auf  dem  Knochen  den  oberflächlichen  und 
tiefen  Radialisast  hinter  einander,  unter  ihnen  den  Endast  der  Arteria 
collateralis  radialis. 

e)  Vorderarm.  —  Volarfläche. 

205)  Operationen  am  Vorderarm. 

Incisionen  werden  am  Vorderarm  nöthig  bei  den  häufigen 
Schnitt-  und  Hiebverletzungen  behufs  Ligatur  von  Gefässen,  sowie 
Nerven-  und  Sehnennähten ;  nicht  selten  ferner  zur  Resection  von  Frac- 
turenden  und  Knochennähten  bei  Fractur  und  Pseudarthrose.  Häufig 
ferner  ist  die  Eröffnung  tief  gelegener  Abscesse  unter  den  Muskeln 
(von  fortgeleiteten  Sehnenscheidenphlegmonen)  und  unter  dem  Periost 
bei  Osteomyelitis  nothwendig. 

Incisionen  auf  der  Volarseite  des  Vorderarmes  dürfen  unter 
Berücksichtigung  der  Arteria  radialis  mit  dem  gleichnamigen  Nerven 
einerseits,  des  Medianus,  der  Arteria  und  des  Nervus  interosseus 
andererseits  in  der  Furche  zwischen  Brachioradialis  und  Flexoren  in 
der  ganzen  Länge  auf  den  Radius  und  das  Ligamentum  interosseum 
eindringen,  ohne  Gefahr  irgend  einer  Nebenverletzung,  da  sich  hier 
die  Grenzgebiete  der  2  Nerven  scheiden.  Am  bequemsten  ist  das 
Eingehen  zwischen  dem  M.  brachioradialis  (Supinator  longus)  und 
den  Flexoren  durch  Haut  und  Fascie  und  Präparation  des  N.  radialis 
auf  seiner  lateralen  Seite,  so  dass  er  sammt  der  Arteria  radialis 
medianwärts  gezogen  werden  kann.  Bloss  am  unteren  Drittel  muss 
man  den  Nervus  radialis  auf  der  lateralen  Seite  des  Schnittes 
liegen  lassen,  weil  er  sich  von  der  Arterie  entfernt,  um  auf  das 
Dorsum  zu  gehen.  Auf  diese  Weise  haben  wir  vor  Kurzem  die 
Markhöhle  des  Radius  bei  einer  diffusen  Osteomyelitis  in  ganzer 
Länge  freigelegt.     Am   oberen  Ende  sind   die  Fasern  des  Supinator 


Obere  Extremität.  *aj 

brevis  lateralwärts  zu  lösen,  am  unteren  Ende  diejenigen  des  Pronator 
quadratus  medianwärts.  Will  man  vom  Radius  auf  das  Lig.  inter- 
osseum  weitergehen,  so  müssen  die  am  Radius  sich  ansetzenden 
Muskeln  gelöst  resp.  getrennt  werden  und  zwar  in  der  Mitte  des 
Pronator  teres  und  darunter  der  Radialansatz  des  M.  flexor  sublimis 
und  neben  und  unter  diesem  der  Flexor  pollicis  longus.  In  der  unteren 
Hälfte  kann  man,  weil  die  Nervenfasern  des  Medianus  nicht  mehr 
zu  verletzen  sind,  auch  median  von  diesem  Muskel  auf  das  Lig.  inter- 
osseum  vorgehen  und  die  Ansätze  am  Radius  intact  lassen.  Man 
legt,  wo  nöthig,  nach  Spaltung  des  M.  pronator  teres  und  Flexor 
dig.  com.  sublimis  in  der  oberen  Hälfte  am  besten  zuerst  den  N. 
medianus  in  ganzer  Länge  frei  und  geht  auf  dessen  lateraler  Seite 
wie  zur  Auffindung  des  N.  interosseus  in  die  Tiefe.  Durch 
Eingehen  bis  auf  Radius  und  Ligamentum  interosseum  auf  der 
lateralen  Seite  des  letztgenannten  Nerven  wird  höchstens  der  Ast 
zum  Flexor  pollicis  longus  verlezt.  Auf  dem  Lig.  interosseum  finden 
sich  nicht  selten  tiefe  Abscesse,  welche  von  fortgeleiteten  Sehnen- 
scheiden-Entzündungen der  Hand  nach  Panaritien  sich  ausbreiten 
und  ergiebige,  tiefe  Spaltung  nöthig  machen. 

Incisionen  an  der  Rückfläche  des  Vorderarmes,  dessen  Muskeln 
vom  Radialis  versorgt  sind,  dürfen  in  der  ganzen  Länge  entlang  der 
Ulna  gemacht  werden,  denn  der  Dorsalast  des  N.  ulnaris  kommt 
g'anz  am  untersten  Ende  der  Ulna  unter  dem  M.  flexor  carpi  ulnaris 
hervor;  ferner  entlang  dem  radialen  Rande  des  der  Ulna  anliegenden 
Musculus  ulnaris  externus,  welcher  seinen  Nervenzweig  hoch  oben 
erhält.  Auf  der  radialen  Seite  sind  Incisionen  zulässig  in  einer  Linie 
vom  Radiusköpfchen  zum  Processus  styloideus  radii,  aber  erst  von 
der  Durchtrittsstelle  des  Nervus  radialis  durch  den  Supinator  brevis 
abwärts  zwischen  Musculi  radiales  externi  und  Extensor  digitorum 
communis,  also  ca.  6  cm  unter  dem  Radiusköpfchen  beginnend. 
Dieselben  gelangen  nach  Abziehen  der  Radiales  radialwärts  und  des 
Extensor  communis  ulnarwärts  zuerst  auf  die  Rückfläche  der  Daumen- 
muskeln, und  hier  liegt  in  der  Furche  zwischen  Abductor  longus 
pollicis  (dem  am  meisten  radialwärts  gelegenen  Muskel)  und  dem 
Extensor  longus  des  Daumens  der  Nervus  interosseus  dorsalis  des 
Radialis,  von  der  gleichnamigen  dünnen  Arterie  begleitet.  In  der 
unteren  Hälfte,  wo  die  M.  radiales  externi  unter  die  schräg  ver- 
laufenden langen  Daumenmuskeln  treten,  muss  zwischen  letzteren 
und  der  Sehne  des  M.  brachioradialis  auf  den  Radius  incidirt  werden 
unter  Schonung  des  Dorsalastes  des  N.  radialis.  Ulnarwärts  von  den 
Daumenmuskeln  darf  im  unteren  Drittel  zwischen  allen  Sehnen  der 
Rückfläche  (Extensor  communis,  Extensor  dig.  minimi  und  Ulnaris 
externus)  incidirt  werden,  weil  hier  keine  grösseren  Gefässe  und 
Nervenäste  mehr  zu  fürchten  sind. 


448  Chirurgie  der  Extremitäten. 

206)  Die  Arteria  radialis  (Fig.  135). 

Sie  bildet  die  gerade  Fortsetzung  der  Arteria  brachialis,  ist  in 
zwei  Drittel  der  Länge  gut  fühlbar,  nirgends  von  Muskeln  bedeckt, 
nur  im  oberen  Drittel  ist  der  M.  brachioradialis  durch  die  Fascie 
über  dieselbe  herübergezogen.  Die  Richtung  der  Arterie  ist  bestimmt 
durch  eine  Linie  von  der  Mitte  der  Ellenbeuge  zur  Stelle,  wo  man 
den  Puls  fühlt,  resp.  unterhalb  dieser  zum  Vorsprung  des  Os  multan- 
gulum  majus.  Diese  Linie  bezeichnet  gleichzeitig  das  Grenzgebiet  der 
Ausbreitung  der  Muskeläste  des  Nervus  medianus  und  des  N.  radialis 
am  Vorderarm. 

Im  oberen  Drittel:  Die  Arteria  liegt  tiefer  auf  dem  Supinator 
brevis  und  dem  Pronator  teres,  weil  die  Muskelwülste  des  Brachio- 
radialis und  des  Radialis  internus  sich  stark  erheben.  Schnitt  in  der 
deutlich  fühlbaren  Furche  zwischen  diesen  Muskeln.  Auf  der  Fascie 
erscheint  die  Vena  cephalica  und  ein  starker  Ast  des  N.  musculo- 
cutaneus.  Spaltung  der  Fascie,  Der  M.  brachioradialis  ist  gehörig 
radialwärts  abzuziehen ;  die  Arterie  liegt  tief  auf  dem  Radialansatz 
des  Pronator  teres.  Auf  der  radialen  Seite  der  Arterie  liegt  der 
oberflächliche  (sensible)  Ast  des  Nervus  radialis,  aber  in  einiger  Ent- 
fernung und  tiefer,  an  der  Unterfläche  des  Muskelfleisches  des 
Brachioradialis. 

Im  mittleren  Drittel:  Schnitt  in  der  Furche,  wo  man 
zwischen  den  Muskelwülsten  des  M.  radialis  internus  und  brachio- 
radialis den  Radius  fühlt.  In  der  Furche  liegt  die  Arterie  auf  dem 
Radialansatz  des  M.  flexor  pollicis  longus  und  Flexor  dig.  com. 
sublimis.  An  ihrer  radialen  Seite  der  Ramus  superficialis. 
Nervi  radialis  etwas  entfernt  und  tiefer  unter  dem  Brachioradialis, 
unter  welchem  er  dorsalwärts  zieht. 

Ueberdem  Handgelenk:  Schnitt  bei  hyperextendirter  Hand 
zwischen  vorspringender  Sehne  des  Musculus  radialis  internus  und 
Radiusrand.  Spaltung  von  Haut  und  Fascie ;  Arterie  geht  am  unteren 
Rande  des  Pronator  quadratus  nach  der  Radialseite  der  Handwurzel 
in  die  Tiefe  und  sendet  bloss  einen  dünnen  Ast  subfascial  gegen 
den  Vorsprung  des  Os  multangulum  majus  auf  der  Vola  abwärts. 
Am  Radiusrand  erscheinen,  von  ihrer  Scheide  eingehüllt,  die  Sehnen 
des  Abductor  und  Flexor  pollicis  brevis.  Der  Ramus  superficialis 
des  Nervus  radialis  ist  nicht  mehr  zu  sehen,  da  er  am  unteren 
Drittel  des  Vorderarmes  unter  der  Sehne  des  M.  brachioradialis 
dorsalwärts  tritt. 

207)  Die  Arteria  ulnaris  (Fig.  135). 

Sie  ist  im  unteren  Drittel  fühlbar,  weil  zum  grössten  Theil  nicht 
von  Muskeln   bedeckt;    oben   liegt   sie  nach   winkligem  Abgang  aus 


Obere  Extremität. 


449 


N.  musculo-\ 
cutaneus     / 

M.  brachio-radialis 

Aponeurotisches-i 

Fascikel  des     \ 

M.  biceps       j 


Wulst  des  Supi-1  $. 

nator  longus    / 


A    radialis  mit\ 
2  Venen        / 

N.  radialis 
M.  pronator  teres 

M.  radialis  internus 

M.  supinator"! 
longus      / 


A.  radialis  mit} 
2  Venen       J 


M.  flexor  pollicis| 
longus  J 

Sehne  des  M.  supi-\ 
nator  longus      / 

Sehne  des  M.  \ 
radialis  internus/ 

Sehne  des  M.  \ 
radialis  internus) 


M.  flexor  pollicisl 
longus  / 

A.  radialis 


Sehne  des  M.  Y 
radialis  internus/ 

M.  pronatorl 
quadratus  / 


M.  brachialis 
internus 

fA.  brachialis 
\mit  2  Venen 

N.  medianus 


N.  pronator  teres 
Vena  mediana 

N.  cutaneus  medius 


{M.  flexor  digi- 
torum  sublimis 

M.  ulnaris  internus 


f  M.  flexor  digi- 
(torum  profundus 


{BT.  flexor  digi- 
torum  sublimis 

M.  ulnaris  internus 


/Sehne  des  M.  pal- 
\     maris  longus 

N.  ulnaris 


A.  ulnaris 

{Tendo  ulnaris 
intern  i 

/Ligamentum  carpi 
\  volare 

Os  pisiforme 

M.  palmaris  brevis 


Fig-  ^S-    A.  brachialis,  A.  radialis,  A.  ulnaris. 
Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl. 


29 


a  cq  Chirurgie  der  Extremitäten. 

der  Arteria  brachialis  zwischen  den  tiefen  Muskeln,  nämlich  M.  flexor 
digitorum  sublimis  und  profundus.  Die  Linie,  welche  die  Richtung 
der  Hautschnitte  zu  ihrer  Unterbindung  angiebt,  geht  vom  Epicon- 
dylus  humeri  internus  zum  Vorsprung  des  Os  pisiforme.  Sie  ent- 
spricht nicht  der  Lage  der  Arterie,  welche  namentlich  oben  viel 
mehr  nach  der  Medianlinie  liegt.  Für  die  Unterbindung  an  der 
Abgangsstelle  gelten  die  Vorschriften  wie  für  die  Art.  brachialis  in 
der  Ellenbeuge,  bloss  wird  der  Schnitt  etwas  abwärts  verlängert. 

In  der  oberen  Hälfte:  Schnitt  bei  abducirt  gehaltenem  Arm 
in  einer  Linie  senkrecht  vom  Hinterrand  des  Epicondylus  internus 
humeri  abwärts.  Der  Schnitt  darf  aber  nicht  höher  als  4  Finger  breit 
unterhalb  des  Epicondylus  beginnen  (also  an  der  Grenze  des  oberen 
und  mittleren  Drittels  des  Vorderarmes)  und  darf  nicht  vor  diese 
Linie  fallen.  Er  trifft  den  volaren  Rand  des  M.  ulnaris  internus, 
der  durch  eine  fühlbare  Furche  abgrenzbar  ist.  Gelegentlich  ist 
durch  die  Haut  hindurch  der  Nervus  ulnaris  fühlbar.  Nach  Spaltung 
der  Haut  tritt  auf  der  Fascie  die  Vena  basilica  mit  einem  Ast  des 
N.  cutaneus  medius  zu  Tag-e.  In  der  Fascie  ist  das  Interstitium 
zwischen  M.  ulnaris  internus  einerseits  und  dem  darunterliegenden 
M.  flexor  sublimis  andererseits  durch  einen  deutlichen  weissen  Streifen 
angezeigt.  Nach  Spaltung  der  Fascie,  entlang  diesem  Streifen,  dringt 
der  Finger  stumpf  neben  dem  M.  ulnaris  internus  auf  der  Vorder- 
fläche des  Flexor  digitorum  profundus  lateralwärts  in  die  Tiefe,  den 
Flexor  sublimis  seitwärts  schiebend.  Ist  man  im  richtigen  Inter- 
stitium zwischen  den  beiden  letztgenannten  Muskeln,  so  trifft  man 
zuerst  auf  den  starken  Nervus  ulnaris.  Man  geht  vor  dem  Nerven 
lateralwärts,  da  dieser  die  darunterliegenden  Muskeln  (Ulnaris  internus 
und  Flexor  profundus)  mit  Aesten  versorgt,  und  findet  die  Arterie 
1/2 — 11/2  cm  entfernt  von  demselben  (je  nach  Höhe)  gegen  die  Axe 
des  Vorderarms  zu.  Gegen  das  obere  Ende  ist  die  Arterie  weiter 
radialwärts  vom  Nerven  entfernt. 

In  der  unteren  Hälfte:  Schnitt  in  der  Furche  zwischen 
Musculus  ulnaris  internus  und  Palmaris  longus  auf  die  Finger- 
flexoren;  diese  Furche  ist  deutlich  ausgeprägt  in  der  senkrechten 
Verlängerung  vom  Radialrand  des  Os  pisiforme  aufwärts.  Spaltung 
von  Haut  und  Fascie;  Eingehen  auf  die  Flexorenbündel ,  nicht 
unter  den  Musculus  ulnaris  internus.  Arterie  zwischen  zwei  Venen. 
Nervus  ulnaris  dicht  an  ihrer  ulnaren  Seite. 

208)  Arteria  interossea  (Fig.  135  und  136). 

Dieser  Ast  des  A.  ulnaris  kann  freigelegt  werden  von  demselben 
Schnitt,  wie  die  Arteria  ulnaris  am  oberen  Drittel  (No.  207),  indem 
man  auf  dem  M.  flexor  profundus  radialwärts  geht,  bis  man  den 
Nervus    medianus   mit  seinen  Zweigen   trifft.     Unter   letzterem    geht 


Obere  Extremität. 


451 


die  A.  interossea  gegen  das  Ligamentum  interosseum  zwischen 
Flexor  digitorum  profundus  und  Flexor  pollicis  longus.  Auf  ihr 
liegt  der  Nervus  interosseus  des  Medianus.  Die  Arteria  interossea 
kann  auch  mit  demselben  Schnitt  wie  der  Medianus  im  oberen 
Drittel  freigelegt  werden  (vergl.  Fig.  136  und  No.  211).  Die  Arteria 
ulnaris  liegt  hier  in  der  Tiefe  neben  dem  Radius  (resp.  dem  Wulst 
des  Supinator  brevis)  oberhalb  des  Sehnenbogens  des  Flexor  dig. 
sublimis,  unter  welchem  sie  dicht  am  Radius  die  Arteria  interossea 
herabsendet. 

209)  Nervus  medianus  (Fig.  136). 

Im  oberen  Drittel:  Schnitt  in  der  Furche  zwischen  Brachio- 
radialis  und  Flexoren,  wie  für  die  Ligatur  der  Arteria  radialis. 
Ulnarwärts  von  diesem  Gefäss  wird  der  M.  pronator  teres  ge- 
spalten, welcher  den  Nerven  hier  bedeckt.  Im  oberen  Theile  des 
Schnittes  sieht  man  den  Sehnenbogen  des  Flexor  dig.  com.  sublimis, 
unter  welchen  der  Nerv  von  oben  herab  eintritt.  Dieser  sehnige 
Ansatz  muss  abwärts  gespalten  werden,  wenn  der  Nerv  weiter  nach 
unten  freigelegt  werden  soll.  Radialwärts  vom  Medianus  liegt  die 
Arteria  ulnaris,  um  sich  aber  sofort  unterhalb  dieses  Nerven  im 
Bogen  der  ulnaren  Seite  des  Vorderarms  zu  nähern,  während  die 
Arteria  interossea  gerade  abwärts  aus  derselben  hervorgeht,  um  in 
die  Tiefe  aufs  Ligamentum  interosseum  zu  treten. 

Unter  der  Mitte:  Schnitt  in  der  Mitte  des  Vorderarmes 
zwischen  M.  radialis  internus  und  palmaris  longus.  Im  Zwischen- 
raum dieser  Sehnen  tritt  das  Muskelfleisch  des  Flexor  sublimis  zu 
Tage.  An  seinem  radialen  Rande  blossgelegt,  wird  derselbe  ulnar- 
wärts gezogen.  Der  starke  Nerv  erscheint  auf  dem  M.  flexor  digi- 
torum  profundus,    von   einer  Arteria   comes  (Art.  mediana)  begleitet. 

Oberhalb  des  Handgelenks:  Schnitt  radialwärts  neben 
der  Sehne  des  Musculus  palmaris  longus  durch  die  Haut  und  Fascie. 
Neben  dem  Palmaris  longus  liegt  radialwärts  in  der  Tiefe  der  Nerv 
oberflächlich  zwischen  den  Sehnen  des  Flexor  dig.  sublimis. 

aio)  Nervus  cutaneus  palmaris  (Fig.  136). 

Der  Nervus  cutaneus  palmaris  liegt  in  demselben  Schnitt,  wie 
der  Medianus  oberhalb  des  Handgelenks.  Er  durchbohrt  an  dieser 
Stelle  die  Fascie,  um  zur  Vola  manus  zu  ziehen. 

an)  Der  Nervus  interosseus  des  Medianus  (Fig.  136) 
geht  radialwärts  von  dem  Medianusstamm  ab  bei  Freilegung  des 
letzteren  nach  No.  209  im  oberen  Drittel.  Zur  Freilegung  des  N. 
(und    der    Arteria)    interosseus    wird    in    ganz    gleicher    Weise    vor- 

29* 


452 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


M.  flexor  pollicis 
longus 

A.  interossea 

A.  radialis 

M.  supinator  longus 

N.  interosseus 

M.  pronator  teres 


Sehne  des  M.  radialis» 
internus  / 

M.  flexor  digitoruml 
profundus         J 

Flexor  pollicis  longus 


Fett  auf  den  Flexor- 
sehnen 


Durchscheinende     1 
Tendo  radialis  internij 


M.  flexor  digitorum 
comm.  sublimis 


{Sehne  des  M.  palmaris 
longus 


N.  medianus 
Tendo  palmaris  longi 


{Ligamentum  carp. 
volare  commune 


Fig.  136.    N.  medianus,  N.  interosseus  und  A.  interossea. 


Obere  Extremität. 


453 


gegangen,  wie  zur  Freilegung  des  N.  medianus  über  der  Mitte  des 
Vorderarms  (Fig.  136);  nach  Freilegung  dieses  Nerven  sieht  man  an 
seiner  lateralen  Seite  in  der  Furche  zwischen  M.  flexor  pollicis  longus 
und  Flexor  dig.  com.  profundus  den  N.  interosseus  auf  das  Liga- 
mentum interosseum  sich  einsenken. 

f)  Vorderarm  —  Dorsalfläche. 

212)  Ramus  profundus  Nervi  radialis  (Fig.  137). 
Schnitt   auf   der   radialen  Seite   am  hinteren  Rand   des  Wulstes 

der  Radiales  externi  zwischen  diesen  Muskeln  und  dem  sehnigen 
Extensor  digitorum  communis  in  einer  Linie  vom  Radiusköpfchen, 
welches  stets  deutlich  fühlbar  ist,  auf  der  radialen  Seite  senkrecht 
abwärts.  Spaltung  der  Fascie  zwischen  dem  glänzend  sehnigen 
Ansatz  des  Extensor  digitorum  longus  und  dem  Muskelfleisch  der 
Radiales  externi.  Abziehen  der  Radiales  vorwärts  mit  stumpfem 
Haken.  Es  erscheint  Fascie  und  Muskelfleisch  des  M.  supinator 
brevis  mit  charakteristischer,  schräg  vor-  und  abwärtsgehender 
Faserung.  Ungefähr  5 — 6  cm  unter  dem  Radiusköpfchen  tritt  der 
Nerv  aus  dem  Muskel  hervor,  um  alsbald  in  grössere  Aeste  zu  zer- 
fallen. Von  dieser  Stelle  aufwärts  spaltet  man  den  M.  supinator 
brevis,  um  den  Stamm  des  Dorsalastes  der  Radialis  in  grösserer 
Länge  freizulegen.  Der  Vorderarm  ist  gebeugt,  in  Mittelstellung 
zwischen  Pro-  und  Supination  zu  halten. 

Längere  Aeste  des  Nerven  ziehen  zwischen  Extensor  communis 
und  Radiales  externi  an  der  Rückfiäche  des  Radius  zu  den  Sehnen 
des  Abductor,  der  Extensoren  des  Daumens  und  des  Extensor  indicis 
proprius.  Einer  derselben  geht  als  N.  interosseus  posticus  im  unteren 
Drittel  auf  das  Lig.  interosseum  und  zur  Handgelenkkapsel.  Neben 
diesem  langen  Dorsalast  des  N.  radialis  liegt  die  Arteria  inter- 
ossea  posterior,  die  als  Zweig  der  Arteria  interossea  durch  das 
Lig.  interosseum  am  Unterrand  des  M.  supinator  brevis  zwischen 
die  oberflächliche  und  tiefe  Lage  der  Dorsalmuskeln  am  Vorder- 
arm tritt. 

g)  Handgelenk-Volarseite. 

213)  Arteria  ulnaris  am  Os  pisiforme  (Fig.  135). 

Ihr  Puls  ist  daselbst  deutlich  zu  fühlen.  Sie  muss  als  Haupt- 
zufuhr des  Arcus  volaris  sublimis  bei  anders  nicht  stillbaren  Blutungen 
desselben  unterbunden  werden. 

Schnitt  5  mm  radialwärts  vom  deutlich  fühlbaren  Vorsprung  des 
Os  pisiforme,  durch  die  Haut  und  oben  durch  die  Fascie.  Gerade 
am  Os  pisiforme  ist  die  Fascie  durchbrochen  und  quillt  ein  Fettbündel 
aus  der  Tiefe,  welches  am  besten  weggeschnitten  wird.    Die  Arterie 


454 


Processus  I 

styloideus  | 

ulnae     i 


N.  ulnarisj 
(Hautast)  / 


I. 

{M.  extensor 
dig.  communis 

{M.  radialis 
ext.  longus 


{M.  supinator 
brevis 

N.   radialis 
prof. 


Fig-  l2>1'     !■  N.  radialis  (motorischer  Ast)  unterhalb  des  Radiusköpfchens. 
2.  Dorsalast  des  N.  ulnaris  zur  Hand. 


Obere  Extremität. 


455 


liegt  unter  reichlichem  Fett  auf  dem  Ligamentum  carpi  volare  proprium, 
der  starke  Nervus  ulnaris  neben  ihr  gegen  das  Os  pisiforme  zu.  Am 
Os  pisiforme  setzt  sich  von  oben  kommend  die  Sehne  des  Ulnaris  in- 
ternus an,  und  entspringen  abwärts  die  Muskeln  des  Kleinfingerballens; 
und   auf  diesen  ist  der  querverlaufende  M.  palmaris  brevis  zu  sehen. 

214)  Nervus  medianus  (Fig.  139). 

Schnitt  in  die  Vola  an  der  Vereinigungsstelle  der  beiden  Ballen 
durch  Haut  und  die  Fascie  des  starken  Lig.  carpi  volare  proprium. 
Der  starke  Nerv  liegt  platt  auf  der  gemeinsamen  Schleimscheide  der 
Flexoren,  sich  in  die  2  Endäste  spaltend  (1.  zu  den  Daumballen- 
muskeln excl.  Adductor  und  zu  3  Fingerrändern  am  Daumen  und 
Zeigefinger  und  2.  zu  2  Lumbricales  und  4  weiteren  Fingerrändern 
vom  Zeige-  bis  Ringfinger. 

h)  Operationen  an  der  Hand. 

Wie  an  den  Fingern  kommen  Incisionen  an  der  Hand  behufs  Er- 
öffnung von  Eiteransammlungen  in  Frage  behufs  der  hier  so  häufigen 
Infectionen  und  Entzündungen.  Doch  sind  hier  die  Arterien  schon 
gross  genug,  um  directer  Ligatur  bei  Blutung  zugänglich  zu  sein, 
wenigstens  in  der  Vola  manus.  Ausser  Incisionen  für  tiefe  Eiter- 
herde unter  der  Fascia  palmaris  und  für  Blutung  sind  nicht  selten 
solche  behufs  Sehnenoperationen  an  der  Hand  nöthig,  sei  es  bei 
Sehnenscheidenentzündungen,  sei  es  behufs  Sehnennaht  bei  den  relativ 
häufigen  Verletzungen  durch  schneidende  Instrumente. 

Auf  dem  Dorsum  sind  es  bloss  Sehnen  und  Nerven,  welche 
man  zum  grössten  Theil  durch  die  Haut  hindurch  fühlt,  welche  für 
die  Stelle  der  Incision  maassgebend  sind.  Bloss  hinter  und  neben 
dem  Daumenmetacarpus  kommen  stärkere  Gefässe  in  Frage.  Diese 
sind  wie  die  Nerven  durch  die  Haut  fühlbar. 

Am  Handrücken  trennt  eine  Linie  über  die  Mitte  des 
Mittelfingers  aufwärts  zum  Handgelenk  die  Nerven verzweigungs- 
gebiete  des  Nervus  radialis  und  N.  ulnaris.  Der  arterielle  Arcus 
dorsalis  und  seine  intermetacarpalen  Zweige  sind  relativ  schwache 
Gefässe.  Die  Strecksehnen  haben  am  Handgelenk  zum  grossen  Theil 
getrennte  Schleimscheiden  bis  zur  Mitte  des  Metacarpus  abwärts. 
Auf  dem  Dorsum  manus  fühlt  man  auf  dem  hinteren  Ende  des 
Metacarpus  II  den  dorsalen  Hautast  des  N.  radialis,  auf  der  Basis 
des  Metacarpus  V  denjenigen  des  N.  ulnaris.  Im  Interstitium  zwischen 
Metacarpus  I  und  II  auf  dem  Dorsum  fühlt  man  den  Dorsalast  der 
Art.  radialis,  welcher  auch  weiter  aufwärts  hinter  der  Basis  des  Meta- 
carpus I  auf  dem  Os  multangulum  majus  fühlbar  ist. 

Die  Vena  cephalica  verläuft  sichtbar  über  die  Tabatiere  (zwischen 
den  Sehnen  des  Extensor  longus  und  brevis)  herüber. 


i-5  Chirurgie  der  Extremitäten. 

i)  Vola  manus. 

Zur  Orientirung  über  die  durch  die  Haut  hindurch 
fühlbaren  Theile:  In  der  Vola  manus  verlaufen  Gefässe  und 
Nerven  in  der  Richtung  der  Fingerinterstitien,  die  Sehnen  in  der 
Richtung  der  Finger,  alle  unter  der  strammen  oberflächlichen  Fascia 
palmaris. 

Diese  begleitet  mit  ihren  Fortsätzen  (Ligamenta  viginalia)  die 
Sehnen  auf  die  Finger,  endigt  aber  zwischen  den  Fingern  in  abwärts 
concavem  Bogen,  welche  durch  Septa  an  die  Ligamenta  capitulorum 
metacarpi  angeheftet  sind  zur  Trennung  der  Sehnen  sammt  Musculi 
lumbricales  von  den  Gefässen  und  Nerven. 

Unter  der  glatten  Unterfläche  der  Fascia  palmaris  liegt  das 
Bündel  der  Flexorensehnen  mit  den  Lumbricalmuskeln  in  einer 
Schleimscheide,  welche  von  den  Enden  der  Vorderarmknochen  bis 
zu  den  Basen  des  Metacarpus  reicht.  Der  Flexor  pollicis  longus 
hat  eine  eigene  Scheide.  Unter  dem  Sehnenbündel  liegt  die  schwächere 
tiefe  Fascie,  die  M.  interossei  und  die  Knochen  deckend. 

Als  Merkzeichen  für  Incisionen  im  Bereich  des  Handgelenks 
sind  zu  nennen:  i)  Das  Os  pisiforme  mit  dem  Ansatz  des  M. 
ulnaris  internus  und  der  Anlagerung  der  fühlbaren  Vasa  und  des 
Nervus  ulnaris  auf  deren  radialer  Seite.  2)  Auf  der  Ulnarseite 
des  Handgelenks  unter  dem  Os  pisiforme  der  vorspringende  Körper 
des  Os  hamatum;  auf  diesem  fühlt  man  den  Dorsalast  des  Nervus 
ulnaris.  3)  Daumenbreit  ab-  und  etwas  radialwärts  vom  Os  pisiforme 
am  radialen  Rande  des  Kleinfingerballens  der  Hamulus  ossis 
hamati,  unter  welchem  der  tiefe  Hohlhandbogen  und  der  tiefe  Ast 
des  Nervus  ulnaris  herumläuft ;  auf  dem  Hamalus  kann  man  durch 
die  Haut  hindurch  den  sensiblen  Volarast  des  N.  ulnaris  hin  und 
herrollen  und  radialwärts  desselben  verlaufenden  oberflächlichen  Hohl- 
handbogen fühlen.  4)  Endlich  unmittelbar  oberhalb  des  Daumballens 
der  Vorsprung  des  Os  multangulum  majus,  über  welchen, 
durch  die  Haut  fühlbar,  der  Radialarterienast  zum  Arcus  volaris  sub- 
limis  herüberläuft.  Das  Handgelenk  hat  als  Fascienhülle  eine  Quer- 
verstärkung der  allgemeinen  Fascie  (Ligamentum  carpi  commune 
dorsale  und  volare)  und  eine  Fascia  profunda  auf  der  Gelenkkapsel; 
ausserdem  auf  der  Vola  das  kräftige  Ligamentum  carpi  volare  pro- 
prium, welches  die  Sehnen  in  der  Rinne  der  Handwurzelknochen 
überbrückt  und  einem  Theil  der  Daumenmuskeln  zum  Ursprung  dient. 

215)  Arteria  radialis  auf  dem  Dorsum  manus  (Fig.  138). 

Hauptzufuhr  zum  Arcus  volaris  profundus.  Schnitt  auf  das 
hinterste  fühlbare  Ende  des  Interstitium  intermetacarpeum  von  Daumen 
und   Zeigefinger   längs   der    Ulnarseite   der   Sehne   des   M.   extensor 


Obere  Extremität. 


457 


{Sehne  des  M.  radialis 
externus  longus 

N.  radialis  (Hauptast) 

(Sehne  des  M.  extensor 
\        pollicis  longus 

M.  extensor  pollicis  brevis 
A.  radialis 


(Sehne  des  M.  rad. 
\       ext.  longus 


{Sehne  des  M. 
extensor  pollicis 
longus 

Metacarpus  II 

(M.  interosseus  I 
\        dorsal  is 


Fig.  138.    Arteria  radialis  auf  dem  Dorsum  manus.    Dorsalast  des  N.  radialis. 


,?g  Chirurgie  der  Extremitäten. 

pollicis  longus.  Das  Gefäss  ist  hier  fühlbar.  Auf  der  Fascie  ist  der 
schräg  von  der  Radialseite  aufsteigende  Dorsalast  des  N.  radialis 
und  die  Vena  cephalica  zu  schonen.  Eindringen  zwischen  den 
Basen  der  erwähnten  Metacarpalknochen,  zwischen  denen  die  Arterie 
unter  dem  jene  vereinigenden  queren  Bande  liegt.  Weiter  abwärts  liegt 
zwischen  den  Metacarpalknochen  der  M.  interosseus  dorsalis  primus 
(der  Abductor  des  Zeigefingers).  Auf  der  Ulnarseite  erscheint  der 
breite  Sehnenansatz  des  M.  radialis  externus  longus  am  Metacarpus  II. 
Die  Arterie  giebt  vorher  den  leicht  mit  ihr  zu  verwechselnden  ge- 
meinsamen Digitalast  für  Zeigefinger  und  Daumen  ab. 

21 6)  Arteria  radialis  auf  dem  Os  multangulum  majus 

(Tabatiere)   (Fig.   138). 

Längsschnitt  vom  unteren  Radiusende  bis  auf  die  Basis  des 
Metacarpus  I  zwischen  den  sichtbaren  Sehnen  des  M.  extensor  pollicis 
longus  und  brevis.  Das  Gefäss  ist  durch  die  Haut  fühlbar.  In  der 
Unterhaut  sind  die  parallel  den  Sehnen  laufende  Vena  cephalica  und 
und  der  Nervus  radialis  dorsalis,  welcher  auf  der  Radialseite  des 
Radius  fühlbar  ist,  zu  schonen.  In  schräger  Richtung  zum  Verlauf 
dieser  Gebilde  und  der  Sehnen  liegt  unter  der  Fascie  die  Arterie  auf 
Gelenkkapsel  und  Knochen. 

217)  Ramus  dorsalis  N.  ulnaris  (Fig.  137). 

Der  Dorsalast  des  Nervus  ulnaris  ist  auf  der  Ulnarseite 
auf  dem  Os  hamatum  deutlich  fühlbar.  Er  wird  durch  einen  Längs- 
schnitt vom  untersten  Ende  der  Ulna  abwärts  auf  der  Ulnarseite 
freigelegt,  auf  oder  in  der  Fascie  liegend,  nachdem  er  am  Vorderarm 
unter  dem  M.  ulnaris  internus  dorsalwärts  durchgetrennt  ist. 

218)  Ramus  dorsalis  N.  radialis  (Fig.  138). 

Der  Dorsalast  des  Nervus  radialis  wird  mit  demselben 
Schnitt  wie  die  Arteria  radialis  auf  dem  Os  multangulum  majus 
(s.  No.  215)  gefunden.  Er  ist  auf  der  Radialseite  des  unteren  Radius- 
endes durch  die  Haut  fühlbar,  nachdem  er  am  unteren  Vorderarm- 
drittel unter  der  Sehne  des  M.  brachioradialis  dorsalwärts  getreten 
ist.  Weiter  unten  ist  er  auf  dem  Dorsum  der  Basis  des  Metacarpus  II 
fühlbar. 

219)  Arcus  volaris  sublimis  (Fig.  13  g) 

Längsschnitt  von  der  Vereinigungsstelle  des  Daumen-  und  Klein- 
fingerballens in  der  Richtung  gegen  den  4.  Finger  zu;  seine  Mitte 
soll  in  der  Querlinie  der  Falte  zwischen  Hand  und  abducirtem 
Daumen  liegen.  An  dieser  Kreuzungsstelle  der  beiden  Linien  ist 
der  Arcus  pulsirend  fühlbar.  Nach  Trennung  der  Haut,  des  oft 
starken  Panniculus   und   der  starken   sehnigen  Fascia    palmaris  tritt 


Obere  Extremität. 


459 


Tenda  \ 
flexoris  | 
sublimis  S 
ad  Dig.  I 
IV       I 


opponens  pollicis 

fN.  medianus  (Ast  zu  Mittel- 
\^  und  Ringfinger) 


N.  medianus  (Ast  zu 

Zeigefinger  und 

Daumen) 

Arcus  volaris 

profundus 

Endast  des  A.  prof. 

nervi  ulnaris 

M.  adductor  pollicis  I 


M.  lumbricalis  I 

(Sehne  des 
Flexor 
digitorum 
communis 
(für  den 
Index) 


Fig.    139.     Arcus  volaris  sublimis  links.     Arcus   volaris  profundus   rechts   mit 
2  Doppelästen  des  N.  medianus. 


460  Chirurgie  der  Extremitäten. 

sofort  unter  deren  glatter  Unterfläche  (in  Fett  eingelagert)  der  Arcus 
zu  Tage.  Derselbe  ist  die  Fortsetzueg  der  Arteria  ulnaris  und  be- 
ginnt hier  sich  bogenförmig  nach  der  Daumenseite  zu  wenden.  Ab- 
wärts gehen  aus  ihm  die  starken  Arteriae  digitales  communes  hervor. 
Der  Arcus  liegt  auf  den  längs  verlaufenden  Fingerästen  des  Nervus 
ulnaris  (letztere  werden  sichtbar)  und  medianus.  Findet  man  die 
Arterie  nicht,  so  ist  die  Arteria  ulnaris  am  Os  pisiforme  zu  unterbinden. 
Der  Nervus  ulnaris  ist  in  demselben  Schnitt  freizulegen;  der 
oberflächliche  Ast  läuft  über  den  fühlbaren  Hamulus  ossis  hamati 
abwärts,  hier  durch  die  Haut  fühlbar;  der  tiefe  Ast  dringt  zwischen 
Adductor  und  Flexor  brevis  an  der  ulnaren  Seite  des  erwähnten 
Hamalus  in  die  Tiefe  und  versorgt  den  Flexor  brevis  und  Oppenens 
digiti  minimi,  2  Lumbricales  und  die  sämmtlichen  Interossei  sammt 
Adductor  pollicis. 

220)  Arcus  volaris  profundus  (Fig.  139). 

Im  Gegensatz  zum  Arcus  sublimis  wesentlich  aus  der  Arteria 
radialis  hervorgehend,  giebt  der  tiefe  Bogen  starke  Gefässe  für  die 
Seitenränder  der  Hand  ab,  während  seine  Rami  intermetacarpei  bloss 
schwach  sind.  Er  reicht  weniger  tief  abwärts,  als  der  oberflächliche 
Bogen.  Schnitt  in  der  Falte  des  Daumenballens,  von  der  oberen  Ver- 
einigungsstelle desselben  mit  dem  Kleinfingerballen  in  der  Richtung 
gegen  den  Zeigefinger  zu.  Mitte  des  Schnittes  der  Mitte  des 
Daumenballens  entsprechend.  Spaltung  von  Haut  und  Fascia 
palmaris,  Ligatur  des  oberflächlichen  Bogens. 

Es  tritt  die  oberflächliche  Lage  der  Daumenmuskeln  zu  Tage 
(Opponens  pollicis)  und  wird  oben  sammt  Lig.  carpi  volare  etwas 
eingeschnitten.  Darunter  erscheint  der  dünne  Bauch  des  M.  lumbri- 
calis  I  mit  der  weissen  Flexorsehne  des  Zeigefingers  ulnarwärts.  Am 
radialen  Rande  des  Lumbricalis  geht  man  zwischen  ihm  und  den 
Daumenmuskeln  ein.     Zuerst  tritt  der 

221)  Radiale  Ast  des  Nervus  medianus  zu  Zeigefinger  und 
Daumen  zu  Tage,  welcher  radialwärts  gezogen  wird  sammt  den  ober- 
flächlichen Daumenballenmuskeln  (Flexor  brevis  und  Abductor).  Nun 
erscheint  in  der  Tiefe  die  quere  Faserung  des  breiten  Musculus 
adductor  pollicis.  Direct  unter  diesem  Muskel,  der  gespalten  wird, 
erscheint  die  quer  verlaufende  Arterie  auf  der  tiefen  Fascie  über 
dem  Ursprung  der  M.  interossei,  etwas  näher  dem  Handgelenk,  als 
der  oberflächliche  Bogen.  Man  bestimmt  die  Stelle  der  Ligatur  am 
sichersten,  indem  man  vom  Dorsum  her  das  hintere  Ende  des  Inter- 
stitium  intermetacarpeum  primum  nachfühlt. 

222)  Arteriae  digitales  communes  sind  zwischen  der  Inter- 
digitalfalte  und  dem  Arcus  sublimis  durch  die  entsprechenden  Längs- 


Obere  Extremität.  461 

schnitte  unter  der  Fascie  freizulegen.  Neben  denselben  laufen,  ober- 
flächlicher werdend,  die  starken  Fingeräste  des  Nervus  ulnaris  und 
medianus. 

Die  Sehnennaht  und  Sehnenplastik  an  Hand  und  Fingern. 

223)  Operationen  an  den  Fingern. 

Die  Operationen,  welche  der  Arzt  im  Bereich  der  Finger  zu 
machen  hat,  beziehen  sich  auf  Incisionen  zur  Eröffnung  von  Ab- 
scessen,  zur  Entfernung  von  Geschwülsten,  auf  Resection  der 
kleinen  Gelenke  wegen  eitriger  Nekrose  der  Gelenkenden  und  wegen 
Tuberculose,  Excision  ganzer  Phalangen  wegen  ausgedehnter  Tuber- 
culose  (Spina  ventosa),  endlich  auf  Amputationen  wegen  Verletzungen 
und  Gangrän  der  Finger. 

Die  kleinen  Arterien  und  Nerven  isolirt  freizulegen  kommt  man 
kaum  in  die  Lage,  oft  dagegen  muss  man  sie  bei  den  Incisionen 
vermeiden.  Dazu  müssen  Incisionen  als  Regel  an  den  Seitenrändern 
der  Finger  gemacht  werden,  sowohl  wenn  man  bloss  die  Weichtheile 
spalten,  als  wenn  man  Gelenke  und  Knochen  reseciren  will.  Nur 
wenn  man  Sehnenscheiden  eröffnen  will  bei  Panaritium  tendinosum 
oder  behufs  Sehnennähten  nach  Verletzung,  schneidet  man  auf 
Dorsum  oder  Vola  ein.  Die  Hauptmasse  der  subcutanen  Weich- 
theile an  den  Fingern  machen  die  Sehnen  aus,  welche  bloss  die 
schmalen  Seitenflächen  freilassen.  Die  Beugesehnen  liegen  auf 
dem  Periost.  An  der  Mittelphalanx  tritt  die  Sehne  des  tieferen 
Beugers  durch  diejenige  des  oberflächlichen.  Letztere  ist  im  Durch- 
schnitt halbmondförmig,  erstere  cylindrisch. 

Die  zwei  Schenkel  des  M.  flexor  sublimis  legen  sich  um  die 
Sehne  des  Flexor  profundus  herum  und  setzen  sich  an  die  Seiten- 
flächen der  Mittelphalanx  an.  Der  M.  flexor  profundus  wird  nach 
seinem  Durchtritt  durch  den  Schlitz  des  Flexor  sublimis  ebenfalls 
platter  und  heftet  sich  an  die  Basis  der  Endphalanx  an.  Bis  zur 
Basis  der  Endphalanx  sind  die  Sehnen  von  der  Fortsetzung  der 
oberflächlichen  Fascia  palmaris,  den  Ligamenta  vaginalia,  röhrenförmig 
umschlossen  und  von  den  Köpfchen  der  Metacarpalknochen  abwärts 
von  geschlossenen  Schleimscheiden  umkleidet,  welche  sich  am  Daumen 
und  kleinen  Finger  der  Schleimscheide  der  Hohlhand  nähern,  oft  bis 
zur  Communication.  Von  Knochen  und  Gelenkkapseln  gehen  Vincula 
tendinum  zu  der  Unterfläche  der  Sehnen. 

Die  Strecksehne  der  Finger  setzt  sich  an  die  Basis  der  Grund- 
phalanx mit  einzelnen  Fasern  an  und  theilt  sich  in  drei  Schenkel ;  zum 
mittleren  treten  unter  den  zwei  seitlichen  die  Fasern  der  M.  lumbri- 
cales  und  interossei  (der  Beuger  der  Grund-  und  Strecker  der  Mittel- 
und  Endphalanx)   und   setzen   sich   mit  ihm  an  die  Basis  der  Mittel- 


462  Chirurgie  der  Extremitäten. 

phalanx  an.  Die  seitlichen  Schenkel  gehen  seitlich  am  ersten  Inter- 
phalangealgelenk  herab,  dann  erst  wieder  aufs  Dorsum,  um  an  der 
Basis  der  Endphalanx  sich  anzuheften ;  alle  Strecksehnen  sind  fascien- 
artig  glatt.  Am  Daumen  endigt  der  M.  extensor  brevis  an  der  Basis 
der  Grundphalanx,  der  Extensor  longus,  etwas  dorso-ulnarwärts  ge- 
legen, mit  allen  drei  Schenkeln  an  der  Basis  der  Endphalanx. 

Da  die  Nagelphalanx  nur  an  der  Basis  Sehnenansätze  hat, 
so  ist  für  Incisionen  an  derselben  die  Wahl  frei;  diese  können  also 
je  nach  der  Indication  median  oder  seitlich  angelegt  werden. 

Die  Arteriae  et  Nervi  digitales  verlaufen  zum  Theil  schon 
an  der  Mittelphalanx  von  der  Volarseite  nach  dem  Dorsum  zu; 
bei  Incisionen  an  der  Mittelphalanx  kommen  hauptsächlich  die 
stärkeren  Gefässe  und  Nerven  neben  der  Volarsehne  in  Betracht 
und  daher  sind  seitliche  Schnitte  dem  Dorsum  näher  anzulegen. 

An  der  Grundphalanx  finden  sich  die  zwei  volaren  und  zwei 
dorsalen  Arteriae  und  Nervi  digitales  stark  entwickelt,  doch  ver- 
laufen auch  hier  die  Hauptgefässe  neben  den  volaren  Sehnen  (die 
Nerven  volarwärts  von  den  Arterien  und  Venen),  so  dass  die  Schnitte 
hier  rein  seitlich  geführt  werden  können.  Nur  an  der  Basis  der  Grund- 
phalanx müssen  die  tieferen  Schnitte  nach  Spaltung  der  Haut  volar- 
wärts abgebogen  werden  wegen  der  breiten  sehnigen  Ansätze  der 
M.  lumbricales  und  interossei.  Bei  Möglichkeit  der  Wahl  ist  es 
besser,  auf  der  Ulnar-,  als  auf  der  Radialseite  zu  incidiren,  weil  von 
den  erwähnten  kurzen  Beugern  der  Grundphalanx  die  M.  lumbricales 
radial erseits  herantreten. 


S.  Untere  Extremität. 
Gesässgegend. 

Aeste  der  Arteria  hypogastrica. 

224)  Arteria  glutaea  superior  (Fig.  140). 

Die  Stelle  ihrer  Unterbindung  ist  schon  durch  die  Haut  hindurch 
zu  markiren,  indem  man  im  Niveau  des  oberen  Endes  der  Gesäss- 
spalte  und  am  oberen  Rande  des  Wulstes  des  grossen  Gesässmuskels 
den  oberen  Umfang  der  Incisura  ischiadica  major  fühlt. 

Schnitt  an  der  Spina  posterior  superior  ilii,  beginnend  in  der 
Richtung  gegen  die  Spitze  des  Trochanter  major,  den  oberen  a/3 
dieser  Linie  entsprechend.  Trennung  der  Haut,  Fascie  und  des  dicken 
M.  glutaeus  maximus,  den  Fasern  derselben  parallel.  Der  M.  glutaeus 
medius  wird  nach  Spaltung  seiner  Fascie  an  seinem  unteren  Rande 
stumpf  freigemacht  und  empor  gezogen.  Unter  ihm  fühlt  man  mit 
dem  Finger  den  oberen  Umfang  der  Incisura  ischiadica  major.    Hier, 


Untere  Extremität. 


4&: 


über   dem    oberen  Rande   des  M.  pyriformis,   tritt  die  starke  Arterie 
direct   nach   hinten   aus  dem  Becken   hervor  und  giebt  sofort  starke 


■V*v~v3»-'V'S  ■ 


Fig.  140.     1.  und  2.  Nephrotomie.    3.  Ligatura  arteriae  ischiadicae,  A.  pudendae 

internae,  Freilegung  des  N.  ischiadicus,  des  N.  pudendus  internus.    4.  Ligatura 

arteriae  glutaeae  superioris  (N.  glutaeus  superior). 


464  Chirurgie  der  Extremitäten. 

Aeste  (den  Hauptast  lateralwärts)  ab.  Neben  ihr  tritt  der  N.  glutaeus 
superior  aus  dem  Becken  heraus,  um  zwischen  M.  glutaeus  medius 
und  minimus,  welche  er  versorgt,  mit  dem  Hauptaste  der  Arterie 
lateralwärts  bis  zum  M.  tensor  fasciae  latae  zu  verlaufen. 

225)  Arteria  glutaea  inferior  (ischiadica)  (Fig.  140). 
Schnitt    an    der    Spina   posterior   inferior   ilii    beginnend   in    der 

Richtung  gegen  die  Basis  des  Trochanter  major,  dem  Unterbindungs- 
schnitte der  Arteria  glutaea  superior  parallel;  die  medialen  2/3  der 
erwähnten  Linie  werden  beutzt.  Spaltung  von  Haut  mit  fettreicher 
Unterhaut,  der  Fascie  und  der  Fasern  des  dicken  M.  glutaeus  maxi- 
mus.  Unter  letzterem  wird  der  untere  Rand  des  M.  pyriformis 
sichtbar  und  wird  mit  den  Fingern  klar  freigelegt;  unter  dessen 
medialem  Ende  tritt  die  Arterie  heraus,  begleitet  von  dem  gleich- 
namigen Nerven,  der  wie  die  Arterie  starke  Aeste  an  den  M.  glutaeus 
maximus  abgiebt  und  den  N.  cutaneus  femoris  posterior  nach  abwärts 
schickt.  Die  Orientirung  über  die  Stelle  des  Austrittes  der  Arterie 
aus  dem  Becken  ist  gegeben  durch  die  Spina  ischii  und  das  von 
deren  Spitze  medianwärts  ziehende  Ligamentum  spinoso-sacrum. 
Oberhalb  der  Spina  fühlt  man  den  unteren  Rand  der  Incisura  ischia- 
dica major,  über  welchen  die  Arterie  hervortritt. 

226)  In  der  Richtung  der  Fortsetzung  des  Stammes  der  Arterie 
läuft  der  N.  cutaneus  femoris  posticus  (Fig.  128).  Tiefer  und 
lateralwärts,  direct  auf  dem  Knochen,  liegt  der  leicht  fühlbare, 
sehr  breite  Hauptstamm  des 

227)  N.  ischiadicus,  über  die  Basis  der  Spina  ischii  und  den 
M.  obturator  internus  abwärts  ziehend. 

228)  Arteria  pudenda  interna  (Fig.  140). 
Schnitt  wie  zur  Unterbindung  der  A.  glutaea  inferior. 

Die  Arterie  liegt  unter  und  medianwärts  von  der  A.  glutaea 
inferior  auf  der  Rückfläche  der  Spina  ischii,  begleitet  von  dem  auf 
ihr  gelegenen  N.  pudendus  internus.  Sie  ist  kenntlich  an  ihrem 
Wiedereintritt  ins  Becken  unterhalb  der  Spina. 

Leistengegend. 

229)  Arteria  iliaca  communis  (und  Aorta  abdominalis) 

(Fig.  141  und  142). 

Keen  hat  vor  Kurzem  einen  Fall  mitgetheilt,  wo  ein  Patient  die 
Ligatur  der  Aorta  wegen  Aneurysma,  transperitoneal  ausgeführt, 
48  Tage  überlebte  und  am  Durchschneiden  der  Ligatur  starb  mit 
Blutung.     Er  empfiehlt  die  Anlegung  einer  Klammer. 


Untere  Extremität. 


3>* 


Fig.  141.    1.  Cholecystotomie1)-   2.  Lig.  art.  circumflexae  ilii  (N.  cutaneus  femoris 
externus).  3.  Lig.  art.  iliacae  communis  (N.  cruralis).  4.  Lig.  art.  femoralis  communis. 

1)  Der  Schnitt  für  die  Cholecystotomie  ist  für  einen  schwierigen  Fall  so 
gross  angegeben.  Für  leichte  Fälle  benutzt  man  bloss  die  halbe  Länge  des 
Schnittes,  dessen  Mitte  stets  am  besten  auf  den  Rand  des  Rectus  fällt. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  30 


466 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


Die  Aorta   theilt   sich   in    Nabelhöhe    (Niveau    der   Verbindungs- 
linie der  Spinae  ilii  anteriores  superiores)  in  die  zwei  A.  iliacae  com- 


A.  iliaca  com- 
munis 
Fascia  transversa 

N.  lumbo-inguinalis 

A.  spermatica  int. 
M.  psoas 


M.  quadratus  lumborum 
M.obliquus  abdom.  int. 
M.  obliquus  abdom.  ext. 
A.  circumflexa  ilii  post. 
N.  cutaneus'femorisext. 


M.  iliacus  int. 


Fig.  142.     Ligatura  arteriae  iliacae  communis. 

munes,   und   diese   verlaufen   in  einer  Senkrechten  auf  die  Mitte  der 
Verbindungslinie  zwischen  Spina  anterior  superior  ilii  und  Symphysis 


Untere  Extremität. 


467 


pubis,  am  medialen  Psoasrand  abwärts.  Das  obere  Drittel  der  Linie  ent- 
spricht der  Iliaca  communis,  die  zwei  unteren  Drittel  der  Iliaca  externa. 
Schnitt  übereinstimmend  mit  Mott's  Angaben  vor  der  Spitze 
der  1 1 .  linken  Rippe  beginnend,  erst  senkrecht  abwärts  bis  2  Finger 
breit  medianwärts  von  der  Spina  ant.  sup.  ilii,  dann  schräg  ab  und 
vorwärts  bis  2  Finger  breit  über  der  Mitte  des  Lig.  Pouparti.  Spaltung 
von  Haut  und  Fascia  superficialis,  dann  stumpfe  Trennung  der  starken 
Muskelschichten  der  Bauchwand,  des  M.  obliquus  externus,  internus 
und  des  dünneren  M.  transversus.  Zwischen  den  2  letzteren  Muskeln 
treten  die  starken  Aeste  der  Lumbalgefässe  und  -nerven  zu  Tage. 
Spaltung  der  wohlausgebildeten  Fascia  transversa  und  des  subserösen 
Fettes.  Loslösung  des  Peritoneum  erst  abwärts  und  dann  rückwärts 
von  der  Fascia  iliaca  interna  (welche  mit  glänzenden,  queren  Fasern 
den  M.  iliacus  internus  überzieht),  bis  zum  inneren  Rande  des  M. 
psoas  und  von  da  aufwärts  bis  zum  Promontorium.  Auf  der  Fascia 
iliaca  verläuft  unter  dem  M.  psoas  hervortretend  schräg  aus-  und  ab- 
wärts der  N.  cutaneus  femoris  lateralis,  oberhalb  desselben 
quer  die  Vasa  circumflexa  post.  ilii. 

230)  Die  Vasa  spermatica  interna  mit  dem  Peritoneum 
zum  hinteren  Leistenring  ziehend,  werden  abgehoben  sammt  dem  N. 
genito-cruralis,  welcher  auf  dem  Psoas  herabzieht  und  einen  Ast  mit 
den  Samengefässen  in   den  Leistencanal  sendet. 

Der  N.  genito-cruralis  ist  von  Heinlein  in  Nürnberg  resecirt 
worden  bei  einem  Falle  von  Neuralgia  spermatica  mit  heftigen  Hoden- 
schmerzen, in  Unterbauch-  und  Oberschenkelgegend  ausstrahlend. 
Die  Arteria  iliaca  wurde  bis  zur  Kreuzungsstelle  des  Ureter  frei- 
gelegt nach  Spaltung  von  Bauchwand  mit  Fascia  transversa  und  Ab- 
hebung des  Peritoneum.  Die  beiden  Aeste  des  Nerven,  N.  lumbo- 
inguinalis  und  spermaticus  externus,  auf  und  neben  den  Gefässen 
liegend,  waren  deutlich  sichtbar. 

231)  Der  Ureter  geht  medianwärts  über  die  Theilungsstelle 
der  A.  iliaca  communis  ziemlich  senkrecht  herunter.  Dieser  wird 
ebenfalls  abgehoben  und  zwar  etwas  weiter  nach  der  Mittellinie  zu, 
oberhalb  der  Stelle,  wo  er  auf  der  Theilung  der  A.  iliaca  communis 
ins  kleine  Becken  tritt.  Neben  der  A.  iliaca  communis  läuft  der  N. 
genito-cruralis  herunter,  dessen  Cruralast  sich  auf  die  Vorder- 
fläche der  A.  iliaca  externa  herüberschlägt.  An  der  Vorderfläche 
der  Wirbelsäule  liegt  die  Theilungsstelle  der  Aorta. 

232)  Die  A.  mesenterica  inferior  zieht  über  den  Ureter 
ebenfalls  mit  dem  Peritoneum  abhebbar,  senkrecht  abwärts.  Etwa 
3  cm  über  der  Theilungsstelle  der  Aorta  geht  lateralwärts  eine  A. 
lumbalis    ab.     Wie   M.    Banks    hervorgehoben   hat,    kann    es   unter 

30* 


468  Chirurgie  der  Extremitäten. 

Umständen  leichter  sein,  mit  Marmaduke  u.  A.  die  Ligatur  der  A. 
iliaca  mit  Eröffnung  des  Peritoneum  zu  machen. 

233)  Arteria  hypogastria. 

Die  A.  Irypogastrica  (iliaca  interna)  kann  nach  der  für  die  Art. 
iliaca  communis  geschilderten  Methode  unterbunden  werden  oder 
auch  in  TRENDELENBURG'scher  Lage  transperitoneal,  wie  von  Dennis 
und  Treves  mit  Erfolg  geschehen  ist.  Die  Arterie  geht  auf  der 
medialen  Seite  des  M.  psoas  und  vor  der  Synchondrosis  sacro-iliaca 
aus  der  Theilung  der  A.  iliaca  communis  hervor.  Sie  wendet  sich 
ein-  und  abwärts  in  das  kleine  Becken,  da,  wo  die  Vorderfläche  der 
A.  iliaca  communis  vom  Ureter  gekreuzt  wird.  Dieser  wird  mit  dem 
Peritoneum  abgehoben.  Nach  Baudet  und  Kendirdjy  ist  bei  Prostata- 
hypertrophie, inoperablem  Uteruskrebs,  Excisio  recti,  gefässreichen  Ge- 
schwülsten und  Aneurysmen  der  Art.  glutaea  und  ischiadica  die  "Hypo- 
gastrica  bis  jetzt  unterbunden  worden.  Quenu  und  Duval  empfehlen 
die  transperitoneale  Methode  mit  Medianschnitt  und  Schnitt  durch  das 
Peritoneum  hinten  3 — 5  cm  von  der  Mittellinie  am  Promontorium. 

234)  Arteria  uterina. 

Diese  Arterie  wird  als  Voract  der  Hysterektomie  (SNEGIREFF) 
oder  behufs  Erzielung  von  Schrumpfung  von  Uterusmyomen  aus- 
geführt. Altoukhow  empfiehlt  folgendes  Vorgehen :  Schnitt  in  der 
Medianlinie,  Eröffnung  des  Peritoneum.  Kleine  Incision  in  das  Lig. 
latum  1  cm  von  der  Linea  irmominata  entfernt  hinter  und  parallel 
dem  Lig".  rotundum  und  Eindringen  hinter  dem  vorderen  Blatt 
des  Lig.  latum  12 — 16  mm  tief. 

Ureter  und  Vena  spermat.  interna  bleiben  am  hinteren  Blatt  des 
Lig.  latum. 

235)  Arteria  iliaca  externa. 

Schnitt  parallel  und  dicht  über  dem  mittleren  Drittel  des  Liga- 
mentum Pouparti,  mit  Cooper's  Schnitt  übereinstimmend,  Spaltung 
der  Haut  und  der  wohlausgesprochenen  Fascia  superficialis.  Die 
Arteria  epigastrica  superficialis,  in  der  letzten  senkrecht  emporsteigend, 
muss  durchschnitten  werden.  Trennung  der  Aponeurose  des  Obliquus 
abdominis  externus.  Der  Obliquus  internus  und  der  Transversus 
werden  auf  der  aufwärts  gerichteten  Rinne  des  Ligamentum  Pouparti 
mit  dem  Scalpellstiel  emporgehoben,  danach  die  derbe  Fascia  trans- 
versa gespalten.  Unter  Fettgewebe  mit  Drüsen  liegt  die  Arterie 
unter  der  Mitte  des  Ligamentum  Pouparti;  nach  innen  die  Vene, 
nach  aussen  die  Fascie  des  M.  psoas.  Zwischen  diesem  Muskel  und 
dem  ca.  2  cm  von  der  Arterie  lateralwärts  liegenden  Rande  des 
M.  iliacus  internus  liegt  in  der  Tiefe  der  N.  cruralis.  Auf  der 
Arterie  die  dünnen  Cruraläste  des  Nervus  genitocruralis,  welche  die 
mediale  Vorderseite  der  Oberschenkelhaut  im  oberen  Drittel  versorgen. 


Untere  Extremität. 


469 


Die  Aeste  der  A.  iliaca  externa,  nämlich  die 

Arteria  epigastrica  inferior  und 

A.  circumflexa  ilii  anterior,  können  mit  dem  gleichen 
Schnitt,  wie  die  Iliaca  externa,  an  ihrer  Ursprungsstelle  oberhalb 
des  Lig.  Pouparti  unter  den  Bauchmuskeln  und  unter  der  Fascia 
transversa  freigelegt  werden. 


Art.  epi-    ) 

gastrica  inf./ 

M.  rectusl 

abdominisj 

Fascia  obliquil 
interni  et  / 
transversi     > 


Fascia  obliqui 
externi 


{Dünne  Fascia 
transversa 


Fig.  143.     Lig.  art.  epigastricae  inferioris. 


236)  Arteria  epigastrica  inferior  an  der  vorderen  Bauch- 
wand (Fig.  143). 

Schnitt  3  Finger  breit  über  dem  Lig.  Pouparti,  dessen  medialer 
Hälfte  parallel  durch  die  Haut,  Fascia  superficialis,  die  starke,  schräg 


47 o  Chirurgie  der  Extremitäten. 

abwärts  gefaserte  Fascie  des  M.  obliquus  externus  und  die  davon 
trennbare,  quer  gefaserte  Fascie  des  Obliquus  internus  und  Trans- 
versus,  welche  gemeinsam  in  die  vordere  Scheide  des  Rectus  über- 
gehen. Der  Rand  des  M.  rectus  abdominis  wird  freigelegt  und 
medianwärts  gezogen.  Unter  demselben  erscheint,  von  einer  dünnen 
Schicht  Bindegewebe  (Fascia  transversa)  bedeckt,  das  subseröse  Fett 
und  darauf  die  schräg  von  aussen  unten  zum  Rectusrand  ansteigende 
Arterie.  (Die  Fascia  transversa,  welche  unten  auf  und  oben  unter 
der  Arterie  liegt,  zeigt  hier  den  als  Plica  semilunaris  Douglasii  be- 
kannten Rand.) 

237)  Arteria  circumflexa  ilii  (Fig.  141). 

Schnitt  über  dem  äusseren  Drittel  des  Ligamentum  Pouparti. 
Trennung  der  Haut,  Fascia  superficialis,  der  starken,  schräg  abwärts 
gefaserten  Fascia  obliqui  externi,  des  dicken,  aufwärts  strebenden 
Obliquus  internus  und  des  Transversus.  Zwischen  den  letzteren 
Muskelschichten  liegen  Gefässe  und  Aeste  des  N.  ilio-inguinalis. 
Trennung  der  Fascia  transversa.  Jetzt  hebt  man  sorgfältig  das 
Peritoneum  von  der  Fascia  iliaca  interna  empor.  Nach  Spaltung 
der  letzterwähnten  Fascie  findet  man  auf  dem  Muskel  gleichen 
Namens  parallel  dem  Lig.  Pouparti  die  Arterie  und  unter  ihr  durch- 
gehend den  schräg  von  oben  herabkommenden  N.  cutaneus  femoris 
externus.  Es  ist  wichtig,  die  Verhältnisse  in  dieser  Schnittlinie  zu 
kennen,  weil  dieselbe  öfter  für  Eröffnung  von  Psoasabscessen  be- 
nutzt werden  muss. 

238)  Arteria    obturatoria    und    Nervus    obturatorius 

(Fig.  144). 

Die  Arterie  ist  ein  Ast  der  A.  hypogastrica.  Schnitt  wie  für 
die  Unterbindung  der  A.  circumflexa  femoris  interna,  fingerbreit 
medianwärts  von  der  Mitte  des  Ligamentum  Pouparti  beginnend, 
senkrecht  abwärts.  Spaltung  von  Haut,  Fascia  superficialis  und 
oberflächlichem  Blatt  der  Fascia  lata.  Die  auf  letzterer  liegende 
Vena  saphena  major  wird  lateralwärts  abgezogen,  am  Innenrand 
der  Vena  femoralis  die  stramme  Fascia  pectinaea  durchschnitten,  der 
Aussenrand  des  M.  pectinaeus  klargelegt,  von  dem  Knochen  (Os 
pubis)  und  der  Fascie  des  M.  obturator  externus  abgelöst  und  kräftig 
medianwärts  gezogen.  Jetzt  wird  die  starke  quergestreifte  Fascie 
des  M.  obturator  externus  gespalten,  und  über  dessen  oberem  Rande 
fühlt  der  Finger  unterhalb  des  horizontalen  Schambeinastes  das 
Foramen  obturatorium,  aus  welchem  die  Arterie  mit  dem  darüber- 
liegenden  starken 

239)  Nervus  obturatorius  (Fig.  144)  hervortritt  auf  die 
Vorderfläche  des  M.  obturator  externus. 


Untere  Extremität. 


471 


N.  cruralis 


M.  iliopsoas 

A.  circumflexal 
femoris       | 


A.  profunda 
femoris 
M.  sartorius 


Fascia  lata 
N.  oburatorius 
A.  obturatoria 
V.  femoralis 

M.  obturator 
externus 

{Fascia  obtura- 
torii  externi 


A.  profunda  femoris 
V.  saphena  magna 

M.  adductor  longus 
M.  sartorius 


Fig.  144.     1.   Ligatura   arteriae  femoris  profundae  et  circumflexae  externae. 
2.  Ligatura  art.  obturatoriae.    3.  Ligatura  arteriae  profundae  femoris. 


47  ?  Chirurgie  der  Extremitäten. 

Oberschenkel.  —  Vorderfläche. 

240)  Arteria  femoralis. 

Sie  verläuft  in  einer  Linie  von  der  Mitte  des  PouPART'schen 
Bandes  bis  zur  Mitte  der  Kniekehle  ganz  gerade  herunter,  an  der 
Grenze  des  mittleren  und  unteren  Drittels  auf  der  Innenfläche  des 
Knochens  rückwärts  gehend.  Die  Richtung  der  Unterbindungs- 
schnitte auf  der  Vorder-  und  Innenfläche  wird  aber  bestimmt  durch 
eine  Linie  von  der  Mitte  des  Ligamentum  Pouparti  zum  Epicondylus 
internus  femeris  (Linea  inguino-condylica),  weil  man  im  unteren 
Theile  nicht  mehr  von  vorne  auf  die  Arterie  eingehen  kann,  sondern 
von  der  medialen  Seite.  Am  unteren  Drittel  des  Oberschenkels 
liegt  die  Arterie  auf  der  Rückseite. 

Arteria  femoralis  communis  (Fig.  145). 

Querschnitt  unterhalb  des  Ligamentum  Pouparti  parallel  dem 
mittleren  Drittel  desselben.  Unterbindung  der  Arteria  epigastrica 
superficialis  in  der  Unterhaut.  Spaltung  des  oberflächlichen  Fascien- 
blattes  der  Fascia  lata  unter  dem  Ligamentum  Pouparti.  Es  erscheint 
unter  der  Mitte  desselben  auf  dem  Schambein  liegend  und  deutlich 
fühlbar,  die  Arterie  mit  zwei  abgehenden  Aesten  (A.  epigastrica  in- 
ferior nach  innen  und  circumflexa  ilii  nach  aussen).  Auf  der  Gefäss- 
scheide  der  Nervus  genito-crurälis ;  nach  innen  von  der  Arterie  die 
Vena  femoralis,  nach  aussen  die  Fascie  des  M.  ilio-psoas,  unter 
welcher  am  Innenrand  des  Muskels  der  Stamm  des  Nervus  cruralis 
herabzieht. 

Im  oberen  Drittel  (Fig.  145). 

Spaltung  von  Haut  und  Fascia  lata  in  der  Linea  inguino-con- 
dylica. Abziehen  des  Sartorius  nach  aussen.  Unter  diesem  Muskel 
liegt  die  Gefässscheide  mit  Zweigen  des  Nervus  cruralis,  deren  stärkster 
lateral  von  der  Arterie  der  Nervus  saphenus  ist.  Vena  femoralis 
nach  hinten  innen.  Ueber  der  Fascie  lateralwärts  der  N.  cutaneus 
medius  des  N.  cruralis  und  medianwärts  vom  Schnitt  die  Vena 
saphena  magna. 

Ueber  dem  Adductorschlitz  (Fig.  145). 

Längsschnitt  an  der  Grenze  des  unteren  und  mittleren  Drittels 
des  Femur,  von  der  Spina  anterior  superior  an  gezählt,  an  der  Stelle, 
wo  der  Finger  zwischen  Adductoren  und  Extensoren  (Quadriceps) 
gegen  den  Knochen  eingedrückt  werden  kann.  Schnitt  durch  die 
Haut  unter  Schonung  der  Vena  saphena  major,  Spaltung  der  Fascie, 
Abziehen  des  an  seiner  L  ä  n  g  s  faserung  kenntlichen  Musculus  sartorius 
ein-  und  rückwärts.  Eingehen  an  der  Innenfläche  der  schräg  vor- 
wärts ziehenden  Fasern  der  Fascie  des  Vastus  internus.  Spaltung 
dieser  Fascie   am  Vorderrand  .  der  glänzend   weissen  Sehne  des  Ad- 


Untere  Extremität. 


473 


Spina  iliaca  a.  s. 
M.  tensor  fasciae 

M.  sartorius 

N.  cutaneus  femorisl 
externus  J 

Fascia  lata 

Ligamentum  Pouparti 

M.  ilio-psoas 

N.  cruralis 
Fasciae  latae  lamina 
superficialis 

A.  femoralis  communis 

Vena  femoralis 

A.  epigastrical 
superficialis  \ 

Sehne  des  M.pectinaeus 


Fascia  lata 

A.  femoralis 

V.  saphena  major 

N.  saphenus  internus 
M.  sartorius 


Fascia  lata 

M.  sartorius 

N.  saphenus  , 

A.  femoralis 

(Fascie  des  M.  vastus 
\  internus 

Tendo  adductoris  magni 
M.  sartorius 

Tendo  adductoris  magni 

A.  femoralis  5- 

N.  saphenus  internus 
M.  vastus  internus 


Fig.  145.     1.  N.  cutaneus  femoris  externus.    2.  Art.  femoralis  communis.    3.  Art. 
femoralis.    4.  Art.  femoralis  am  Adductorenschlitz.    5.  Art.  femoralis  am  unteren 

Ende  des  Femur. 


474  Chirurgie  der  Extremitäten. 

ductor  magnus,  mit  welcher  sie  verwachsen  ist.  Arterie  ziemlich 
dicht  am  Knochen.  Nach  hinten  innen  die  Vene,  über  der  Gefäss- 
scheide  der  Nervus  saphenus  internus.  Man  hüte  sich,  nicht  zu  weit 
rückwärts,  d.  h.  hinter  die  Adductorensehne  zu  kommen. 

Arteria  femoralis  am  Uebergange  in  die  Poplitea 
(Fig.  145). 

A.  Von  innen  her.     (Fig.  145.) 

Schnitt  hinter  der  saitenartig  vorspringenden  Sehne  des  Adductor 
magnus,  welche  am  Epicondylus  femoris  internus  endigt.  Nach  hinten 
liegt  der  Wulst  des  Sartorius,  die  Sehne  des  Gracilis  und  Semi- 
tendinosus  (hinter  letzterer  der  M.  semimembranosus).  In  der  Unter- 
haut findet  man  die  Vena  saphena  major.  Nach  Spaltung  der  Fascie 
erscheint  die  Musculatur  des  Sartorius;  zwischen  ihm  und  der  Sehne 
des  Adductor  magnus  dringt  man  in  die  Tiefe  und  findet  die  Arterie 
hinter  der  Sehne  am  Knochen  in  Fett  eingelagert,  rückwärts 
nach  der  Haut  die  Vena  femoralis  und  noch  näher  der  Haut  den 
Nervus  tibialis  posticus.  Nach  Abziehen  des  M.  sartorius  rückwärts 
tritt  unter  diesem  Muskel  der  N.  saphenus  internus  mit  einem 
Ast  der  Arteria  articularis  genu  suprema  zu  Tage.  Diese 
beiden  Gebilde  treten  von  der  Vorderfläche  der  grossen  Adductoren- 
sehne über  deren  Innenrand  rückwärts. 

B.  Von  aussen  her. 

Die  Ligatur  der  Arteria  femoralis  unterhalb  des 
Adductorenschlitzes  im  oberen  Theil  der  Fossa  poplitea 
ist  leichter  von  der  Ausssen-  als  Innenseite  durch  einen  Schnitt 
hinter  dem  Epicondylus  externus  femoris  8—10  cm  aufwärts  durch 
Haut  und  stramme  Fascie.  Nach  vorne  von  dem  Schnitt  fühlt  man 
die  zwei  Stränge  des  Ligamentum  iliofemorale  und  der  Vastus- 
externus-Sehne,  welche  sich  an  den  Epicondylus  externus  ansetzen. 
Hinter  denselben  geht  man  an  der  Rückfläche  des  Knochens  mit 
dem  Finger  in  die  Tiefe,  indem  man  den  kurzen  Kopf  des  Biceps 
femoris  nach  rückwärts  stumpf  ablöst.  Am  medialen  Rande  des 
Biceps- Muskel wulstes  liegt  im  Fett  der  Nervus  popliteus,  vor  dem- 
selben die  Vene   und    etwas   mehr  medialwärts  die  Arteria  poplitea. 

Aeste  der  Arteria  femoralis: 

241)  a.  Arteria  profunda  am  Ursprung  und  Arteria  cir- 
cumflexa  femoris  externa  (Fig.  144). 

Schnitt  1  cm  lateral  von  der  Mitte  des  Ligamentum  Pouparti 
2  Querfinger  unter  diesem  Band  beginnend,  gerade  abwärts  (die 
Mitte  des  Schnittes  entspricht  dem  Niveau  der  Basis  des  Trochanter 
major).     Spaltung  von  Haut  und  strammer  Fascia  lata.    Blosslegung 


Untere  Extremität. 


475 


des  Innenrandes  des  Musculus  sartorius,  der  nach  aussen  gezogen 
wird.  Unter  ihm  der  Innenrand  des  M.  rectus  femoris  und  neben 
diesem  im  Fett  die  Zweige  des  Nervus  cruralis  über  das  untere  Ende 
des  M.  iliopsoas  herabkommend.  Dieselben  werden  lateralwärts  ab- 
gezogen. Es  erscheint  der  laterale  Rand  der  Arteria  femoralis;  aus 
derselben  nach  aus-  und  abwärts  hervorgehend  die  Arteria  profunda 
mit  der  quer  unter  den  M.  rectus  femoris  sich  einsenkenden  A.  circum- 
flexa  externa.  Die  Abgangsstelle  entspricht  dem  unteren  Umfang 
der  fühlbaren  Iliopsoaswölbung. 

b.  Der  Bndast  der  A.  circumflexa  externa  wird  finger- 
breit unter  der  höchsten  lateralen  Wölbung  des  Trochanter  major 
durch  Spaltung  von  Haut,  sehr  starker  Fascia  lata  resp.  der  Sehne 
des  Glutaeus  maximus,  der  glänzenden,  sehnigen  Bedeckung  und  des 
Muskelfleisches  des  Vastus  externus  quer  auf  dem  Knochen  gefunden. 

c.  Arteria  profunda  am  Adductor  longus  (Fig.  144). 

An  der  Grenze  des  oberen  und  mittleren  Drittels  des  Femur, 
handbreit  unter  der  Leistenbeuge,  macht  man  den  Schnitt,  wie  zur 
Ligatur  der  Femoralis,  d.  h.  in  der  Furche,  wo  man  den  Finger 
zwischen  Adductoren  und  Extensoren  gegen  den  Knochen  eindrücken 
kann,  senkrecht  durch  Haut  und  Fascie.  Der  freigelegte  Sartorius 
wird  lateralwärts  gezogen,  aber  statt  wie  für  die  Femoralis  unter 
demselben  die  tiefe  Fascie  auf  den  Gefässen  (Gefässscheide)  zu  er- 
öffnen, spaltet  man  medial  von  derselben  (d.  h.  medial  von  der 
Hauptarterie  und  der  an  ihrer  Rückfläche  liegenden  Vene)  die  Fascie 
des  M.  adductor  longus  und  geht  entlang  dem  Muskelfleisch  dieses 
Muskels  geg-en  den  Knochen  zu  in  die  Tiefe  bis  zu  der  schräg  ab- 
und  vorwärts  gestreiften  Innenfläche  des  Vastus  internus.  Am  Hinter- 
rande dieses  Muskels,  d.  h.  im  Winkel,  welchen  dieser  mit  dem 
lateralen  (oberen)  Rande  des  Adductor  longus  bildet,  liegt  die  starke 
Arterie,  mit  der  Hauptfortsetzung  unter  den  letzterwähnten  Muskel 
tretend. 

242)  Arteria  circumflexa  interna  (Fig.  146). 

Die  Arterie  geht  in  der  Regel  aus  der  Femoralis  communis  ab ; 
in  anderen  Fällen  aus  der  Profunda  femoris.  Schnitt  fingerbreit  ein- 
wärts von  der  Mitte  des  Ligamentum  Pouparti  in  senkrechter  Richtung 
abwärts  durch  die  Haut;  auf  der  Fascia  lata  trifft  man  die  Vena 
saphena  magna,  welche  lateralwärts  gezogen  wird.  Spaltung  der 
Fascia  pectinea  einwärts  vom  Rande  der  Incisura  falciformis,  so 
dass  das  Muskelfleisch  des  M.  pectineus  klar  zu  Tage  liegt. 

Neben  dem  lateralen  Rande  dieses  Muskels  geht  die  Arterie 
oberhalb  seines  Ansatzes  am  Femur  und  unterhalb  des  M.  obturator 
externus  auf  der  Innenseite  des  Femur  direct  nach  ab-  und  rück- 
wärts, einen  starken  Ast  medialwärts  sendend. 


476 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


Man  präparirt  die  Arterie  aus  dem  Fettgewebe  heraus  am  Innen- 
rand der  Vena  femoralis.    Sie  zieht  bei  Abgang  aus  der  A.  profunda 


V.  saphena  major  __^ 

Fascia  lata  — 1| 

I 
I  M.  pectineus  -Ä 

1 

A.  circumflexa  1    J| 

f emoris  interna  J  | 
A.  femoralis  — | 
V.  femoralis  — I 


Fascia  adductoris  longi     __ 


A.  femoralis 

2. 

V.  femoralis 

M.  adductor  longus     - 

A.  profunda  femoris 

Vena  saphena  magna 

Vastus  internus! 

mit  Fascie     f 

M.  sartorius 


Fig.   146.     1.    Lig.   art.   circumflexae   femoris    internae.     2.   Lig.    art.   profundae 

femoris. 


unter,  bei  Abgang  aus  der  A.  femoralis  communis  gelegentlich  über, 
meist  auch  unter  der  Vena  medianwärts. 


Untere  Extremität. 


477 


243)  Arteria  articularis  genu  suprema  (Fig.  145). 
Schnitt  in  einer  Linie  senkrecht  vom  Epicondylus  femoris  internus 

aufwärts.  Spaltung  von  Haut  und  strammer  Fascie.  Der  Muse,  sar- 
torius  wird  rückwärts  gezogen.  Unter  ihm  tritt,  in  Fett  eingebettet, 
der  N.  saphenus  internus  zu  Tage,  begleitet  von  dem  oberflächlichen 
Aste  der  gesuchten  Arterie.  Für  den  tiefen  Ast  geht  man  über  der 
vorragenden  glänzenden  Sehne  des  Adductor  magnus  nach  dem 
Knochen  zu  unter  den  M.  vastus  internus  ein.  Da  die  Arterie  vor 
dem  Adductorenschlitz  aus  der  Femoralis  abgeht,  so  kann  man  sie 
nach  demselben  Verfahren  wie  letztere  daselbst  unterbinden.  Dicht 
über  dem  Condylus  internus  trifft  man  auf  dem  Knochen  die  quer- 
verlaufende Arteria  articularis  genu  superior  interna. 

244)  Nervus  cruralis  (Fig.  144  u.  145). 

Für  die  Freilegung  desselben  an  der  Stehe  der  Unterbindung 
der  Arteria  circumflexa  femoris  externa  vergleiche  letztere  (No.  241). 
Neben  der  Arteria  femoralis  communis:  Querschnitt  wie  zur  Unter- 
bindung letzterer  unterhalb  des  mittleren  Dritttheils  des  Poupart- 
schen  Bandes.  Der  Schnitt  durch  die  Fascia  lata  wird  lateralwärts 
durch  die  Scheide  des  Muse,  iliopsoas  fortgesetzt,  und  unmittelbar 
unter  derselben  liegt  an  der  medialen  Seite  des  Muskels  der  starke 
Nerv,  schon  in  mehrere  Aeste  sich  spaltend. 

245)  Nervus  saphenus  internus  (Fig.  147  u.  153)  begleitet 
die  Arteria  femoralis  bis  an  den  Adductorenschlitz  und  liegt  auf 
der  Gefässscheide  erst  aussen,  dann  vorne.  Dessen  Freilegung  unter 
dem  Knie  siehe  später. 

Ueber  dem  Condylus  internus  femoris:  Schnitt  vor 
dem  Sartoriuswulst ,  unter  welchem  der  Nerv  rück-  und  abwärts 
durchgeht.    Er  hegt  hier  am  Rande  der  Sehne  des  Adductor  magnus. 

246)  Die  Vena  saphena  major  wird  nach  Trendelenburg 
zur  Heilung  von  Varicen  am  oberen  Ende  ligirt.  Da  sie  durch  die  Haut 
bis  zu  ihrem  Eintritt  ins  Foramen  ovale  und  durch  die  Fascia  cribriformis 
in  die  Vena  femoralis  sichtbar  ist,  so  ist  die  Ligatur  leicht.  Es  ist 
besser,  mit  schräg  medianwärts  absteigendem  Querschnitt  frei- 
zulegen, um  nicht  zu  übersehen,  wenn  sie  doppelt  ist.  Excision  der- 
selben nach  Casati  in  ganzer  Länge  unter  Anlegung  mehrerer 
kleiner  Schnitte  giebt  noch  sichereren  Erfolg  für  Varicen. 

247)  Nervus  cutaneus  femoris  lateralis  (Fig.  145). 
Schnitt   fingerbreit   unter    der    Spina    anterior   superior   ilii    dem 

Ligamentum  Pouparti   parallel  durch  Haut   und  Fascie.     Nerv  unter 
der  letzteren  2   cm  unterhalb   der  Spina,  schräg  lateral   und  abwärts 


478 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


am  Aussenrand  des  Sartoriusansatzes  herabziehend,  oder  über  dessen 
Vorderfläche. 

Die  Operation   kann   bei   der   BERNHARDT'schen  Meralgia   par- 
aesthetica  indicirt  sein. 


Fascia  lata 

V.  saphena  major 

M.  sartorius 

N.  saphenus  internus 


Fig.  147.     Freilegung   des   N.   saphenus   internus   über   dem   Condylus   internus 

femoris. 


Oberschenkel.  —  Rückfläche. 

248)  Nervus  ischiadicus  (Fig.  148). 

An  der  Austrittsstelle  aus  dem  Becken.     Siehe  Liga  tu 
der  Arteria  ischiadica  (Fig.   140). 


Untere  Extremität. 


479 


M.  glutaeus  maximus 

N.  ischiadicus 

I  •  M.  adductor  minimus 

M.  biceps  femoris  ^ 
3J\  cutaneus  femoris  post. 


M.  semitendinosus 
N.,  cutaneus  fera.  posterior 

M.  semimembranosus 

j, 

M.  biceps  femoris 

N.  ischiadicusj 
(bereits  getbeilt)/ 


Bicepswulst 


N.  peroneus 

Tendo  bicipitis 

N.  suralis  externus 

Ansatz  am  Fibulaköpfeben 

M.  gastroenemius  lateralis 

Fascia  lata 


Wulst  der  Semimuskeln 


Fig.  148.     1.  Nervus  ischiadicus  in  der  Gesässfalte.    2.  Derselbe  unter  der  Mitte 
des  Femur.    3.  N.  peroneus  und  N.  suralis  externus. 


480  Chirurgie  der  Extremitäten. 

Am  oberen  Ende  des  Oberschenkels  Schnitt  in  der 
Mitte  der  Verbindungslinie  zwischen  Tuber  ischii  und  dem  hinteren 
Rand  des  Trochanter  major  von  der  Gesässfalte  abwärts.  Spaltung 
von  Haut  und  Fascie.  Der  untere  Rand  des  Glutaeus  maximus 
wird  freigemacht  und  emporgezogen.  Es  erscheint  der  Aussen- 
rand  des  schräg  lateralwärts  ziehenden  M.  biceps;  auf  ihm  der 
N.  cutaneus  femoris  posticus.  In  der  Tiefe  liegt  unter  dem  Aussen- 
rand  der  M.  biceps,  welcher  nach  innen  gezogen  wird,  der  starke 
Nervenstamm.  An  derselben  Stelle,  aber  tiefer  und  medianwärts 
kann  man  auf  dem  M.  adductor  minimus  den  Endast  der  Arteria 
glutaea  inferior  unterbinden. 

Unter  der  Mitte  des  Oberschenkels:  Schnitt  auf  der 
Rückfläche  des  Oberschenkels  in  der  Mitte  zwischen  den  Wülsten 
der  Semimuskeln  und  des  Biceps  femoris.  Nach  Spaltung  der  Haut 
erscheint  auf  oder  unter  der  Fascie  der  starke  Nervus  cutaneus  femoris 
posticus.  Tief  zwischen  den  stumpf  zu  trennenden  Muskeln  auf  der 
Rückfläche  des  Knochens  liegt  der  Nervus  ischiadicus,  oft  schon  in 
seine  zwei  Hauptstämme  getrennt.  Im  oberen  Theil  begrenzt  das 
Muskelfleisch  des  Semitendinosus,  wo  dieser  dagegen  abwärts  sehnig 
wird,  dasjenige  des  Semimembranosus  die  erwähnte  Furche  medialer- 
seits. 

Kniekehle. 

249)  Arteria  poplitea  (Fig.  149). 

Schnitt  in  der  Mitte  der  Rückenfläche  des  Knies  in  der  Höhe 
der  Gelenklinie.  Im  unteren  Theil  des  Schnittes  Schonung  der  Vena 
saphena  minor,  welche,  zwischen  den  Gastrocnemiusköpfen  herauf- 
kommend, in  die  Vena  poplitea  einmündet.  An  ihrer  lateralen  Seite 
der  Nervus  suralis  medius  (communicans  tibialis).  Eingehen  auf  der 
medialen  Seite  dieser  Gebilde  durch  das  Fett  zwischen  den  beiden 
Gastrocnemiusköpfen ;  es  erscheint  zuerst  der  Nervus  tibialis  posticus, 
der  nach  aussen  gezogen  wird.  Dann  kommt  die  Vene  zum  Vorschein, 
durch  eine  derbe  Scheide  mit  der  darunter  liegenden  Arterie  eng 
verbunden.  Die  Arterie  liegt  auf  dem  Fett  der  Rückfläche  des  Ober- 
schenkelknochens im  oberen  Theil,  im  unteren  auf  dem  M.  popliteus. 

250)  Nervus  peroneus  (Fig.  148). 

Ist  deutlich  zu  fühlen  und  sogar  sichtbar  hinter  dem  Fibula- 
köpfchen und  noch  deutlicher  auf  der  Rückfläche  des  Condylus  ex- 
ternus  femoris. 

Schnitt  entlang  dem  medialen  Rande  der  Bicepssehne  oben  auf 
dem  fühlbaren  Vorsprung  des  Condylus  externus,  unten  in  einer  Linie 
vom  hinteren  Umfang  des  Fibulaköpfchens  aufwärts.  Der  Nervus 
peroneus  liegt  direct  unter  der  Fascie  am  lateralen  Rande  des  Gastro- 


Untere  Extremität. 


481 


cnemius  lateralis  und  tritt  unter  dem  Fibulaköpfchen  in  den  M.  peroneus 
longus  ein,  nachdem  er  weiter  nach  oben  den 

251)  N.  suralis  lateralis  und  N.  communicans  peroneus 

abgegeben  hat  (Fig.  148).     Auch  dieser  Nerv  ist  an  der  Rückfläche 
des  Condylus  externus  femoris  durch  die  Haut  hindurch  fühlbar. 


M.  semimembranosus 
N.  tibialis  posticus 
V.  poplitea 

A.  poplitea 

Fascia  lata 

M.  gastrocnemius  lateralis 

M.  gastrocnemius  medialis 

V.  saphena  minor 

N.  suralis  medius 

Capitulum  fibulae 


Fig.  149.     Ligatura  arteriae  popliteae. 

Unterschenkel.  —  Vorderfläche  und  Aussenfläche. 

252)  Arteria  tibia  antica  (Fig.  150). 

Die  Verlaufsrichtung  der  Arteria  tibialis  antica  ist  bezeichnet 
durch  eine  Linie  von  dem  nach  vorne  vorragenden  Vorsprung  des 
Condylus  externus  tibiae  (=  Mitte  zwischen  Spina  tibiae  und  Capitulum 
fibulae)  zur  Mitte  zwischen  den  beiden  Malleolen  und  von  da  zum 
1.  Interstitium  intermetatarseum. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  -JI 


482 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


M.  tibialis  anticus 
N.  tibialis  anticus 

A.  tibialis  antica 

M.  extensor  hallucis 
longus 


M.  extensor  hallucis  longus 


{Sehne  des  M.  extensor 
jdigitorum  com.  longus 


N   peroneus  superficialis 

N.  tibialis  anticus 
A.  tibialis  antica 


Ligamentum  cruciatum 

Fig.  150.    Art.  tibialis  antica  und  N.  tibialis  anticus  (peroneus  profundus). 


Untere  Extremität.  483 

Am  obersten  Ende. 

Schnitt  von  der  Mitte  zwischen  Spina  tibiae  und  Capitulum  fibulae 
abwärts,  daumenbreit  unterhalb  der  Tuberositas  des  äusseren  Condylus 
tibiae  beginnend.  An  letzterem  tritt  nach  Spaltung  von  Haut  und 
Fascie  der  Ansatz  des  Tibialis  anticus  als  ein  sehniger  Rand  zu  Tage, 
die  Furche  gegen  den  M.  extensor  digitorum  communis  bezeichnend. 
Eingehen  mit  den  Fingern  zwischen  den  erwähnten  Muskeln  auf  das 
Ligamentum  interosseum,  an  dessen  oberem  Ende  die  Arterie  von 
hinten  das  Ligament  perforirt,  etwa  fingerbreit  unter  dem  Fibula- 
köpfchen. Der  Nervus  peroneus  profundus  kommt  etwas  weiter  ab- 
wärts von  der  lateralen  Seite  her  unter  dem  Musculus  extensor  digi- 
torum communis  hervor,  an  diesen  Muskel  sich  anlehnend.  Die  quer- 
verlaufenden Aeste  zum  Musculus  tibialis  anticus  giebt  der  Nerv  ganz 
oben  ab. 

Im  mittleren  Drittel. 

Schnitt  3  cm  nach  aussen  von  der  Tibiakante  in  der  fühlbaren 
und  oft  sichtbaren  Furche  am  lateralen  Rande  des  M.  tibialis  anti- 
cus. Spaltung  der  Haut  und  Fascie,  entlang  einer  weissen  Linie  in 
letzterer,  welche  die  erwähnte  Furche  anzeigt  (eine  zweite  weisse 
Linie  etwas  lateralwärts  zeigt  das  Interstitium  zwischen  Extensor 
hallucis  longus  und  Extensor  digitorum  communis  longus  an),  und 
Eingehen  mit  den  Fingern  auf  das  Spatium  interosseum,  auf  welchem 
unter  dem  Muskelfleisch  des  Tibialis  anticus  zwischen  ihm  und  dem 
Extensor  hallucis  longus  die  Arterie  mit  dem  Nervus  peroneus  pro- 
fundus (nach  aussen)  liegt. 

Im  unteren  Drittel. 

Schnitt  am  Aussenrand  der  Sehne  des  Tibialis  anticus  (der 
ersten  dicken ,  lateralwärts  von  der  scharfen  vorderen  Tibiakante 
vorragenden  Sehne),  zwischen  dieser  und  der  Sehne  des  Extensor 
hallucis  longus.  Spaltung  der  Haut  und  der  sehr  starken  Fascie 
und  klare  Freilegung  der  letztgenannten  Sehne;  Abziehen  der 
letzteren  nach  aussen.  Eingehen  stumpf  mit  den  Fingern  gegen  die 
Aussenfläche  der  Tibia.  Es  erscheint  lateral  vom  Muskelfleisch  des 
Tibialis  anticus  zuerst  der  Nervus  peroneus  profundus  und  unterhalb 
die  Arterie. 

253)  Nervus  peroneus  profundus  in  der  Nähe  seines 
Ursprungs  (Fig  151). 

Schnitt  fingerbreit  vor  dem  Fibulaköpfchen  vom  lateralsten 
Punkte  des  Condylus  externus  tibiae  abwärts  durch  Haut  und  Fascie. 
In  letzterer  zeigt  ein  etwas  schräg  nach  vorne  abwärts  verlaufender 
weisser  Streifen  das  Muskelinterstitium  an.  Eingehen  zwischen  dem 
stark  sehnigen  M.  extensor  digitorum  longus  und  dem  M.  peroneus 
longus.     Schräg  unterhalb  des  Fibulaköpfchens  in  der  Tiefe  tritt  der 

31* 


484 


Fibul  aköpf chen 


M.  gastrocnemius 
A.  peronea 


M.  peroneus  longus 
M.  soleus 

M.  flexor  hallucis  longus 


M.  soleus  (abgelöst) 

A.  peronea 

M.  peroneus  brevis 

M.  flexor  hallucis  longus 


3- 
N.  saphenus  externus 

V.  saphena  minor 


Fascie 

N.  perones  profundus 
M.  extensor  digitorum  longus 
N.  peroneus  superficialis 
M.  peroneus  longus 


M.  peroneus  longus 
—  N.  peroneus  superficialis 

M.  externus  digitorum  longus 

6. 

Fascia 

N.  peroneus  superficialis 


(Mit  Fascie  bedeckte  Sehne  des 
\M.  extensor  digitorum  longus 


Fig.  151.  Ligatur  der  Arteria  peronea  im  oberen  (1.)  und  unteren  Drittel  (2.). 
3.  Freilegung  des  N.  saphenus  externus.  4.  Freilegung  des  N.  peroneus  pro- 
fundus und  superficialis  unterhalb  des  Condylus  externus  tibiae.  5,  Freilegung 
des  N.  peroneus  superficialis  über  der  Mitte  des  Unterschenkels  und  6.  im 
unteren  Drittel  an  der  Durchtrittsstelle  durch  die  Fascie. 


Untere  Extremität.  485 

Nerv  in  der  erwähnten  Furche  median  und  abwärts  unter  den  M. 
extensor  longus,  während  der  N.  peroneus  superficialis  in  derselben 
Furche  bleibt  und  abwärts  zieht. 

Im  weiteren  Verlaufe  begleitet  der  N.  peroneus  profundus  die 
Arteria  tibialis  antica  in  ganzer  Länge  und  kann  durch  dieselben 
Schnitte  freigelegt  werden.  Er  liegt  auf  ihrer  lateralen,  nur  zu  unterst 
auf  ihrer  vorderen  und  inneren  Seite. 

254)  N.  peroneus  superficialis  (Fig.  151). 

Im  oberen  Drittel.  Siehe  die  Freilegung  des  N.  peroneus 
profundus  unter  dem  Fibulaköpfchen  (No.  253). 

In  der  Mitte  des  Unterschenkels. 

Schnitt  an  der  Vorderfläche  des  Wulstes  der  M.  peronei  (longus 
oben,  brevis  unten)  und  Eingehen  nach  Spaltung  von  Haut  und 
Fascie  zwischen  jenen  Muskeln  und  dem  M.  extensor  digitorum  longus. 
Der  M.  peroneus  wird  lateralwärts  gezogen.  Der  Nerv  liegt  in  der 
Tiefe  der  Furche,  nach  abwärts  oberflächlicher  werdend. 

An  der  Grenze  vom  mittleren  und  unteren  Drittel 
tritt  der  Nerv  durch  die  Fascie. 

Schnitt  in  der  Mitte  zwischen  vorderer  Tibiakante  und  hinterer 
Fibulakante.  Der  Nerv  ist  hier  gelegentlich  schon  durch  die  Haut 
fühlbar. 

Unterschenkel.  —  Rückfläche  und  Innenfläche. 

255)  Truncus  tibio-peronealis  (Fig.  152). 

Schnitt  in  der  Mittellinie  unter  der  Kniekehle  vom  horizontalen 
Niveau  des  Fibulaköpfchens  abwärts,  also  3  Finger  breit  unter  der 
Falte  der  Kniekehle.  Spaltung  der  Fascie  mit  Schonung  der  V.  sa- 
phena minor  und  neben  ihr  des  N.  communicans  tibialis  (N.  suralis 
medius).  Diese  Gebilde  werden  lateralwärts  gezogen.  Sie  bezeichnen 
die  Berührungslinie  der  beiden  Köpfe  des  Gastrocnemius,  zwischen 
denen  man  eingeht.  Dieselben  müssen  abwärts,  wo  sie  sehnig  ver- 
wachsen sind,  gründlich  gespalten  werden.  Die  starken  Gefäss-  und 
Nervenäste  zu  den  2  Gastrocnemiusköpfen  werden  auf  die  Seite  ge- 
zogen. Unter  dem  lateralen  Kopfe  erscheint  der  Rand  des  schräg 
von  oben  aussen  medianwärts  absteigenden  Soleusansatzes  und  dar- 
auf die  dünne,  nach  ein-  oder  abwärts  verlaufende  Sehne  des  Plantaris 
longus.  Am  oberen  Rande  des  Soleus  und  unteren  Rand  des  M. 
popliteus  beginnt  der  Truncus  tibio-peronealis  nach  Abgabe  der  Ar- 
teria tibialis  antica.  Man  muss  den  Soleusrand  abwärts  ziehen  oder 
besser  einkerben,  um  unter  jene  grosse  Arterie  zu  gelangen.  Wie 
bei  der  Arteria  poplitea  wird  der  N.  tibialis  posticus  und  die  Vene 
nach  aussen  gezogen,  um  zur  Arterie  zu  kommen.  Die  Arteria  poplitea 
läuft  auf  dem  M.  popliteus  herab,   an  dessen  unterem  Rande  sie  die 


486 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


A.   tibialis  i|antica   ca.    6    cm   unter   der  Kniegelenkslinie   (fingerbreit 
unterhalb  des  unteren  Umfangs  des  Fibulaköpfchens)  durch  das  Liga- 


Fibularköpfchen 

N.  suralis  medius 

V.  saphena  1 
minor      / 

M.  plantaris  longus 

N.  tibialis  1 
posticus  f 

V.  poplitea 

M.  gastrocnemius  \ 

'  lateralis         / 

Abgangsstelle  1 

der  A.  tibialis  /■ 

antica        ) 


M.  popliteus 

fTruncus  tibio- 
y      peroneus 

M.  soleus 

{M.  gastro- 
cnemius medialis 


Fig.  152.     Ligatur  des  Truncus  tibio-peronealis. 

mentum  interosseum  nach  vorne  abgiebt.  Die  schräg  gegen  die  Innen- 
kante der  Tibia  herablaufende  sehnige  Bedeckung  des  M.  popliteus 
ist  unter  dem  inneren  Gastrocnemiuskopf  deutlich  sichtbar. 


Untere  Extremität. 


487 


256)  Arteria  tibialis  postica  (Fig.  153). 

Richtung  der  Unterbindungsschnitte  auf  der  medialen  Fläche  des 
Unterschenkels  vom  unteren  Rand  des  Condylus  internus  tibiae  zur 
Mitte  zwischen  Malleolus  internus  und  Achillessehne. 

Oberhalb  der  Mitte  und  im  oberen  Drittel. 

Schnitt  1  cm  vom  inneren  Tibiarand  entfernt.  Schonung  des  in 
die  Schnittrichtung  fallenden  Nervus  saphenus  internus  und  der  Vena 
saphena  magna  vor  demselben.  Nach  Spaltung  der  Fascie  tritt  der 
Rand  des  ■  medialen  Gastrocnemiusbauches  zu  Tage  und  lässt  sich 
mit  stumpfem  Haken  abziehen ;  dagegen  der  darunter  liegende  schräg 
rückwärts  gestreifte  Soleus  setzt  sich  breit  an  die  Tibia  an  und  muss 
gespalten  werden,  bis  man  auf  die  schräg  gestreifte,  stramme,  tiefe 
Fascie  kommt.  Spaltung  der  starken  tiefen  Fascie,  welche  sich  an 
die  Rückfläche  der  Tibia  ansetzt,  so  dass  das  Muskelfleisch  des 
Flexor  digitorum  longus  freiliegt.  Zwischen  diesem  Muskel  und  der 
tiefen  Fascie  geht  man  lateralwärts  mit  dem  Finger  tief  hinein  und 
findet  3  cm  vom  Tibiarand  entfernt  die  Arterie  auf  dem  M.  tibialis 
posticus.  Dieser  Muskel  liegt  dem  Lig.  interosseum  auf.  Lateral- 
wärts der  sehr  starke  Nervus  tibialis  posticus.  Man  darf  ja  nicht 
zwischen  Tibia  und  M.  flexor  longus,  ebensowenig  über  der  tiefen 
Fascie  eingehen.  Der  häufigste  Fehler  ist,  dass  man  zwischen  Gastro- 
cnemius  und  Soleus  eingeht,  anstatt  letzteren  in  ganzer  Dicke  zu  spalten. 

Im  unteren  Drittel. 

Schnitt  von  dem  oberen  Winkel  der  sieht-  und  fühlbaren  Furche, 
zwischen  den  tiefen  Beugern  (d.  h.  zunächst  dem  der  Innenkante  der 
Tibia  anliegenden  Flexor  digitorum  longus)  und  dem  vorderen  Soleus- 
rand  abwärts. 

Spaltung  von  Haut  und  Fascie  unter  Schonung  der  Vena  sa- 
phena magna  und  des  hinter  ihr  liegenden  Nervus  saphenus  internus. 
Nach  Spaltung  der  Fascie  wird  der  freie  mediale  Rand  des  Soleus 
nach  hinten  gezogen.  Jetzt  sieht  man  an  der  Tibia  die  Sehne  des 
M.  flexor  dig.  longus  und  hinter  ihr  dessen  Muskelfleisch.  Auf  letz- 
terem muss  auch  die  tiefe,  meist  dünne  Fascie  gespalten  werden  und 
unter  ihr  liegt  1 — 2  cm  tief  die  Arterie,  an  ihrer  lateralen  Seite  der 
Nervus  tibialis  posticus. 

Hinter  dem  Malleolus  internus. 

Schnitt  in  der  Mitte  zwischen  Tendo  Achillis  und  hinterer  Kante 
der  Tibia  durch  Haut  und  die  mit  starken  Querfasern  (Ligamentum 
laciniatum)  versehene  Fascie,  unter  welcher  nach  dem  Malleolus 
z  u  die  Arterie  liegt,  dicht  hinter  den  Beugesehnen  (zu  hinterst  Flexor 
hallucis  longus,  dann  Flexor  digitorum  communis,  zu  vorderst  Tibi- 
alis posticus).  Der  sehr  starke  Nervus  tibialis  posticus  liegt  nach 
hinten.  Man  muss  sich  hüten,  nicht  in  das  vor  der  Achillessehne  ge- 
legene Fettgewebe  hinein  zu  gerathen. 


488 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


M.  flexor  digitoruml 
longus  ) 


Ablösungsfläche"^ 
des  M.  soleus  ( 
von  der  Tibia  J 


N.  saphenus  internus 


V.  saphena  major 

M.  flexor  digitorumj 
longus  | 


Fig.  153.  I.  N.  saphenus 
internus  am  Knie.  2.  Art. 
und  N.  tibialis  posticus 
im  oberen  Drittel.  3.  Die- 
selben im  unteren  Drittel. 
4.  Dieselben  hinter  dem 
Malleolus  internus. 


I. 

M.  sartorius 

N.  saphenus  internus 
V.  saphena  major 


M.  gastrocnemius 
M.  soleus 

Derbe  tiefe  Fascie 
N.  tibialis  posticus 
A.  tibialis  postica 


Fascia  lata 
Rand  des  M.  soleus 
A.  tibialis  postica 
N.  tibialis  posticus 
Fascia  profunda 


Vena  tibialis  postica 

{Tendo  fiexoris 
digitorum  longl 


A.  tibialis  postica 

N.  tibialis  posticus 

I  Lig.  laciniatum 
\   fasciae  latae 


Untere  Extremität.  48g 

257)  N.  saphenus  internus  (Fig.  153). 

a)  Am  Knie.  Am  hinteren  Umfang  des  Condylus  internus 
tibiae,  hinter  dem  Sartorius,  schneidet  man  ein  und  findet  den  Nerven 
in  der  Furche  zwischen  Sartorius  nach  vorne  und  der  starken  Sehne 
des  Gracilis  hinten  unter  dem  Sartorius  hervorkommend.  Auf  der 
Fascie  liegt  vor  dem  Nerven  und  oberflächlicher,  schon  durch  die 
Haut  fühlbar,  die  Vena  saphena  major.  (In  Fig.  147  sind  die  Be- 
zeichnungen von  Nerv  und  Vene  verkehrt.) 

b)  Am  Unterschenkel  findet  man  in  ganzer  Länge  den  Nerven 
entlang  der  inneren  Tibiakante  neben  der  Vena  saphena. major,  in  der 
Linie  der  Unterbindungsschnitte  für  die  Arteria  tibialis  postica  (No.  256). 

c)  Am  Fussgelenk  liegt  der  Nerv  fühlbar  neben  der  Vena 
saphena  major  am  vorderen  Umfang  des  Malleolus  internus. 

258)  Arteria  peronea  (Fig.  151). 

Verlaufsrichtung  in  gerader  Fortsetzung  der  Arteria  poplitea  ent- 
lang der  medialen  Rückfläche  der  Fibula.  Die  hintere  Fläche  der 
Fibula  ist  in  der  ganzen  Länge  des  Unterschenkels  fühlbar.  Die 
Schnitte  fallen  in  die  Linie  vom  hinteren  Umfang  des  Fibulaköpfchens 
zur  Mitte  zwischen  Malleodus  externus  und  Achillessehne.  Die  Arterie 
entsteht  im  oberen  Drittel  des  Unterschenkels  aus  dem  Truncus  tibio- 
peronealis. 

Ueber  der  Mitte. 

Schnitt  auf  die  Fibularückfläche  hinter  dem  Muskel wulst  der 
M.  peronei.  Der  N.  communicans  peroneus  tritt  zu  Tage.  Spaltung 
der  Fascia  lata  hinter  den  M.  peronei.  A.blösung  des  Soleusansatzes 
von  der  Fibula  und  der  tiefen  glänzend  sehnigen  Fascie,  welche  den 
M.  flexor  hallucis  longus  auf  der  Rückfläche  der  Fibula  bedeckt. 
Nach  Spaltung  dieser  Fascie  geht  man  zwischen  ihr  und  dem  Muskel 
in  die  Tiefe  und  findet  an  dem  schrägen  medialen  Rande  des  letzteren 
die  Arterie  vor  ihrem  Eintritt  in  den  Muskel.  Medianwärts  von  ihr 
(tiefer)  der  N.  tibialis  posticus. 

Unter  der  Mitte. 

Incision  an  der  Rückfläche  der  Fibula  wie  oben.  Nach  Spaltung 
der  Fascie  wird  der  dicke  Rand  des  M.  soleus  medianwärts  gezogen. 
Unter  ihm  erscheint  der  wulstige  Flexor  hallucis  longus,  dessen  Rück- 
fläche von  einer  sehnig  gestreiften  Fascie  bedeckt  ist.  Er  wird  von 
der  Rückfläche  der  Fibula  losgelöst.  Unter  ihm  liegt  die  Arterie 
am  Rande  des  dem  Lig.  interosseum  aufgelagerten  M.  tibialis  posticus. 

259)  N.  suralis  externus. 

Der  Hauptast  des  N.  peroneus  zum  Unterschenkel  trennt  sich 
neben  der  Bicepssehne  in  den  N.  communicans  peronei  und  den 
N.  suralis  externus.  Ersterer  läuft  auf  der  Rückfläche  abwärts,  um 
sich  hinter  dem  Malleolus  externus  mit  dem  N.  communicans  tibialis 


aqo  Chirurgie  der  Extremitäten. 

zum  N.  saphenus  externus  zu  vereinigen;  letzterer  tritt  im  oberen 
Drittel  der  Aussenfläche  des  Unterschenkels  durch  die  Fascie,  um 
die  Aussenfläche  des  Unterschenkels  zu  versorgen.  (In  seinem  Ge- 
biete strahlen  Ischiasschmerzen  oft  besonders  intensiv  aus.) 

Der  Hauptast  des  N.  peroneus  wird  mit  demselben  Schnitt,  wie 
der  Stamm  des  N.  peroneus  hinter  dem  Condylus  externus  femoris 
neben  der  Bicepssehne  freigelegt,   direct  unter  der  Fascie  (Fig.  148). 

Nervus  saphenus  externus  (Fig.  151):  Schnitt  in  der  Mitte 
zwischen  Malleolus  externus  und  Achillessehne.  Hier  ist  der  N.  com- 
municans  peronei  als  Nervus  saphenus  externus  mit  dem  N. 
communicans  tibialis  vereinigt,  sub-  oder  suprafascial.  Vor  ihm  die 
Vena  saphena  minor. 

260)  Nervus  suralis  medius  (N.  communicans  tibialis)  (Fig.  152). 
Siehe  Unterbindung  der  Arteria  poplitea  und  tibio-peronea.    Der 

Nerv  geht  in  den  oberen  zwei  Dritttheilen  des  Unterschenkels  in  der 
Mitte  der  Wade  mit  der  Vena  saphena  minor  auf  der  Fascie  senk- 
recht herab,  um  hinter  dem  Malleolus  externus  mit  dem  N.  communi- 
cans peronei  zu  verschmelzen. 

261)  Nervus  tibialis  posticus  (Fig.  153). 

In  ganzer  Länge  entlang  der  Arteria  tibialis  postica  freizulegen; 
oben  lateralwärts,  unten  rückwärts  von  derselben,  in  der  Fusssohle  unter- 
halb (d.  h.  der  Haut  näher). 

Fuss. 

Arteriae  und  Nervi  plantares. 

An  der  Planta  pedis  sind  in  der  Mittellinie  die  tieferen  Gebilde 
durch  das  Muskelfleisch  des  M.  flexor  brevis  bedeckt.  Daher  geht 
man  analog  wie  an  der  Vola  manus  neben  diesem  mittleren  Bündel 
und  den  beiden  seitlichen  Muskelwülsten  ein.  Letztere  bestehen  ober- 
flächlich aus  den  Abductoren  der  grossen  und  der  kleinen  Zehe. 

262)  Arteriae  plantares  am  Ursprung  aus  der  A.  tibialis 
postica  (Fig.   154). 

Schnitt  auf  der  medialen  Fussseite  fingerbreit  unter  dem  fühl- 
baren Sustentaculum  tali  beginnend,  horizontal  rückwärts  oberhalb 
des  Wulstes  des  M.  abductor  hallucis.  Spaltung  von  Haut  und:  Fascie, 
unter  welcher  das  Muskelfleisch  des  Abductor  hallucis  erscheint.  Das- 
selbe wird  von  der  tiefen  Fascie  abwärts  gelöst,  letztere  gespalten. 
In  der  Verlängerung  des  hinteren  Randes  des  Malleolus  internus 
liegt  Arterie  und  Vene  und  darunter  der  Nervus  tibialis  posticus. 

263)  Arteria  plantaris  interna  und  Nervus  plantaris 
internus  (Fig.  155). 

Schnitt  in  der  Richtung  von  der  Spitze  des  Fersenhöckers  zur 
1.  Zehe,  vom  vorderen  Umfang  des  Fersenballens  vorwärts  durch 
Haut,  reichliches  Fett  und  die  derbe,  längsgestreifte  Plantaraponeurose. 


Untere  Extremität. 


491 


Freilegung  des  Muskelfleisches  des  Abductor  hallucis.  Die 
Arterie  kommt  unter  diesem  Muskel  in  die  Planta.  Der  M.  flexor 
digitorum  brevis  liegt  lateralwärts. 

264)  Nervus  plantaris  internus  liegt  neben  der  Arterie.  Die 
Arterie  ist  sehr  klein,  der  Nerv  stark,  von  reichlichem  Fett  bedeckt. 
Die  Sehne  des  Flexor  hallucis  longus  liegt  unter  (tiefer)  diesen  Gebilden. 

265)  Arteria  plantaris  externa  (Fig.  155). 

Schnitt  in  der  Richtung  einer  Linie  von  der  Spitze  des  Fersen- 
höckers zur  4.  Zehe  vom  Fersenballen  vorwärts  durch  Haut,  reichliches 

Mall.  int.  (unterer  Rand) 

Fühlbares  Sustentaculum  tali 

A.  und  N.  tibialis  posticus 

Tiefe  Fascie 

M.  abductor  hallucis 


Fig.  154.    Art.  plantares  am  Ursprung  aus  der  A.  tibialis  postica.    Nach  hinten 

N.  tibialis  posticus. 

Fett  und  die  starke  Plantaraponeurose.  Freilegung  des  Muskelfleisches 
des  Flexor  digitorum  brevis.  Zwischen  diesem  und  dem  kurzem  Kopf 
des  Flexor  longus  tritt  die  Arterie  in  die  Furche  des  ersteren  und 
des  Abductor  dig.  minimi. 

266)  Nervus  plantaris  externus  (Fig.  155). 

Neben   der   gleichnamigen  Arterie   liegt  der  Nerv;   erstere  sehr 
stark,  letzterer  dünn. 

267)  Arcus  plantaris  am  Interstitium  intermetatarseum 

(Fig.  155)- 


492 


Chirurgie  der  Extremitäten. 


M.  Lumbricalisl 

M.  abductorl 

hallucis    f 

Sehne  desM.  pero-1 
neus  longus        ) 


2. 
M.  adductor  hallucis 

N.  u.A.  plantaris  I 
interna         J 

Sehne  des  M.  flexor\ 
hallucis  longus    f 


,.eM.  flexor  brevis 


Arcus  plantaris 


r 


.  plantaris 
internus 


M.  flexor  brevis 

f    Sehne  des  M. 
flexor longus  zur 
<II.  Zehe.    Darüber 

Idie  Sehne  des 
flexor  brevis 


M.  flexor  brevis 

JA.  u.  N.  plantaris 
externus 

M.  abductor  dig. 
minimi 


Fig.  155.     1.  Arcus  plantaris.    2.  u.  3.  A.  u.  N.  plantares  interni  und  externi. 


Untere  Extremität. 


493 


A.  pediaea 


Sehne  des  M.  extensorl 
hallucis  longus        f 


N.  peroneus  superficialis 

Sehne  des  M.  extensorl 
hallucis  longus        f 


M.  interosseus  primus 


N.  peroneus  superficialis 


N.  peroneus  profundus 
(tibialis  anticus) 


M.  extensor  hallucis  brevis 


extensor  hallucis  brevis 

M.  extensor  brevis 

N.  peroneus  profundus 

A.  pediaea 


Fig.  156.   Art.  dorsalis  pedis  (pediaea)  mit  N.  peroneus  profundus  und  superficialis. 


aqa  Chirurgie  der  Extremitäten. 

Schnitt  in  der  Furche  lateral  vom  Grosszehenballen  in  der  Rich- 
tung einer  Linie  von  der  2.  Zehe  zum  Fersenhöcker  rückwärts  durch 
Haut,  reichliches  Fett,  die  stramme  Plantaraponeurose.  Jetzt  erscheint 
medianwärts  die  Sehne  des  Flexor  hallucis  longus  mit  dem  Muskel- 
fleisch des  Abductor  hallucis  hinten,  flexor  brevis  vorne.  Sie  werden 
medianwärts  gezogen.  Auf  der  lateralen  Seite  des  Schnittes  tritt  zu 
Tage  der  N.  plantaris  internus,  Ast  des  Tibialis  posticus  mit  seinen 
starken  Aesten  zur  2.  und  3.  Zehe.  Er  wird  nach  der  Kleinzehenseite 
abgezogen.  Der  Ast  der  grossen  Zehe  kommt  nicht  zu  Gesicht.  Die 
Sehne  des  Flexor  digitorum  brevis  zur  2.  Zehe  und  an  deren  medialem 
Rande  tiefer  diejenige  des  Flexor  digitorum  longus  mit  Lumbricalis  I 
werden  freigelegt  und  lateralwärts  gezogen.  Unter  ihnen  liegt  der  starke 
M.  adductor  hallucis.  Nach  Durchtrennung  dieses  Muskels  gelangt  man 
in  erheblicher  Tiefe  zur  Durchtrittsstelle  der  Arterie  durch  das  Inter- 
stitium  metatarseum  I.  Die  Arterie  liegt  hier  auf  den  M.  interossei,  an 
ihrer  medialen  Seite  ragt  der  Rand  des  Metatarsus  I  vor,  an  dessen 
hinterem  Ende  sich  die  Sehne  des  M.  peroneus  longus  ansetzt. 

268)  Arteria  dorsalis  pedis  (Fig.  156). 

Verlauf  von  der  Mitte  zwischen  beiden  Malleolen  zum  ersten 
Interstitium  intermetatarseum. 

In  der  Fussgele  n  kslinie. 

Spaltung  der  Haut  in  der  Mitte  zwischen  beiden  Malleolen.  Der 
Nervus  peroneus  superficialis  erscheint  in  der  Richtung  des  Schnittes 
und  wird  nach  aussen  gezogen.  Spaltung  der  Fascie  sammt  dem 
Ligamentum  cruciatum  über  der  Sehne  des  Extensor  hallucis  longus ; 
dieser  zum  Theil  noch  fleischige  Muskel  wird  medianwärts  gezogen. 
Unter  ihm  liegt  die  Arterie,  auf  dieser  der  Nervus  peroneus  profundus. 

Auf  der  Mitte  des  Fussrückens. 

Schnitt  in  der  oben  angegebenen  Richtung.  Auf  der  Fascie  wird 
der  Nervus  peroneus  superficialis  nach  aussen  gezogen.  Unter  der 
Fascie  erscheint  die  Sehne  des  Extensor  hallucis  longus  und  lateral- 
wärts Sehne  und  Muskelfleisch  des  M.  extensor  hallucis  brevis.  Dieser 
letztere  wird  lateralwärts  abgezogen  und  unter  ihm  die  Arterie  mit 
dem  ziemlich  starken  Nervus  peroneus  profundus  auf  ihrer  Aussen- 
seite  gefunden.     Die  Arterie  liegt  auf  den  Gelenkbändern. 

Am  Eintritt  ins  Interstitium  intermetatarseum. 

Schnitt  zwischen  den  Basen  des  ersten  und  zweiten  Metatarsus, 
Spaltung  von  Haut  und  Fascie  mit  Schonung  eines  Astes  des  Nervus 
peroneus  superficialis,  der  lateralwärts  gezogen  wird,  sowie  der  Vena 
saphena  major.  Es  erscheint  medianwärts  die  Sehne  des  Extensor 
hallucis  brevis,  und  noch  weiter  median  die  dicke  Sehne  des  Extensor 
hallucis  longus.  Unter  dem  lateralen  Rande  der  ersteren  kommt  der 
Nervus  peroneus  profundus  hervor  und  unter  ihm  die  Arterie,  einen 
starken  Interdigitalast  nach  vorne  sendend. 


Dritter  Abschnitt. 

Exeisionen  und  Reseetionen. 


T.  Allgemeines. 

Wenn  man  statt  blosser  Incisionen  Wunden  anlegt  in  der  Ab- 
sicht, einen  gesunden  oder  pathologischen  Körpertheil  aus  dem  Zu- 
sammenhang mit  den  allseitig  anstossenden  Geweben  zu  entfernen, 
so  spricht  man  Excision,  einen  Ausdruck,  welcher  am  besten  auch 
statt  des  üblichen  der  Reseetionen  auf  die  Gelenke  und  Knochen 
angewandt  wird.  Die  Hauptsache  ist  dabei  die  richtige  Anlage  des 
ersten  Schnittes,  damit  derselbe  mit  der  geringsten  Verletzung  einen 
guten  und  freien  Zugang  zu  einem  zu  entfernenden  Körpertheil  ge- 
statte. Wir  gehen  deshalb  auch  für  die  Gelenke  von  der  Frage  aus: 
Wie  wird  die  beste  Incision  gemacht  zur  Eröffnung  eines  Gelenkes? 
Der  Schnitt  ins  Gelenk,  die  Arthrotomie,  ist  die  Grund- 
lage jedes  Resectio  ns-V  erf  ahrens;  ob  man  ihn  dann  gross 
oder  klein  mache,  d.  h.  in  ganzer  Länge  oder  theilweise  benutze, 
das  hängt  von  der  Indication  zur  Operation  ab,  ebenso  ob  man  von 
der  Arthrotomie  übergehe  zur  Arthrektomie,  zur  partiellen  oder  totalen 
Excision  des  Gelenkes,  Kapsel,  Synovialis,  Gelenkenden,  Zwischen- 
knorpel, Bändern. 

Bezüglich  Technik  gehören  die  Exeisionen  zu  den  einfachsten 
Operationen.  Denn  sobald  der  zu  entfernende  Körpertheil  einmal 
erreicht  ist,  so  handelt  es  sich  darum,  denselben  aus  seiner  Umgebung 
möglichst  rein  auszuschälen,  indem  man  mit  scharfen  oder  stumpfen 
Instrumenten  die  anstossenden  Weichtheile  dicht  an  dem  betreffenden 
Knochentheil  (wenn  ein  solcher  zu  reseciren  ist)  abhebt.  Je  voll- 
kommener der  Knochen  nackt  gelegt  wird,  je  weniger  also  an  dem- 
selben Weichtheile  hängen  bleiben,  desto  correcter  ist  die  Resection. 
Gegen  diese  einfache  Regel  wird  von  Anfängern  in  der  Resections- 
praxis  viel  gefehlt. 


496 


Excisionen  und  Resectionen. 


Es  ist  Langenbeck's  Verdienst,  auf  diesen  capitalsten  Punkt 
in  der  Ausführung  der  Gelenkresectionen  im  engeren  Sinne  hin- 
gewiesen zu  haben,  nämlich  auf  die  Anlage  möglichst  ein- 
facher Schnitte  durch  sämmtliche  Weichtheile  und  die  Er- 
haltung letzterer  in  normalem  Zusammenhang  mit 
dem  Periost  bei  sauberer  Auslösung  der  Knochen.  Und  Ollier 
hat  das  Verdienst,  die  grosse  Bedeutung  ausgesucht  sorgfältiger 
Schonung  des  Periostes  mitsammt  sämmtlichen  Kapsel-,  Bänder- 
und Sehnenansätzen  an  demselben  durch  Experimente  und  vor- 
zügliche Resultate  seiner  Operationen  bewiesen  zu  haben.  Allein 
trotzdem  scheint  es  uns  nicht  im  Geiste  dieser  Meister  zu  liegen, 
bei  ihren  Methoden  stehen  zu  bleiben,  solange  die  Principien  ge- 
wahrt werden,  welche  wir  ihrer  Arbeitskraft  und  ihrem  Genius 
verdanken. 

Einen  sehr  grossen  Fortschritt  sehen  wir  speciell  darin,  dass  — 
wie  wir  es  seit  Jahrzehnten  practiciren  und  wie  KÖNIG  es  am  be- 
stimmtesten ausgesprochen  hat  —  die  Zeit  typischer  Resectionen 
vorbei  ist  und  an  Stelle  der  „Resectio"  die  Arthrotomie  mit  Ent- 
fernung ausschliesslich  der  erkrankten  Weich-  und  Knochentheile 
getreten  ist.  Kappeler  hat  für  solche  Resectionen  den  Namen  der 
atypischen  benutzt.  Es  erweckt  dieser  Name  aber  zu  sehr  den  Ein- 
druck einer  gewissen  Unregelmässigkeit  der  Ausführung  und  wird 
daher  besser  vermieden.  Denn  gerade  darin  glaube  ich  einen  weiteren 
Fortschritt  angebahnt  zu  haben,  dass  ich  für  sämmtliche  Gelenk- 
schnitte diejenigen  Methoden  wähle,  welche  vor  allen  anderen  ge- 
eignet sind,  die  Verletzung  auf  ein  Minimum  herabzusetzen,  nicht 
bloss  grosse  Gefässe,  Nerven  und  Muskeln  zu  schonen,  sondern 
auch  der  Nervenversorgung  der  Muskeln  durch  Schonung  kleinerer 
Aeste,  sowie  der  Bedeutung  der  einzelnen  Muskeln  und  ihrer  An- 
sätze für  die  Gelenkfunction  Rechnung  zu  tragen.  Von  diesem  Ge- 
sichtspunkte aus  dürften  einzelne  unserer  „Methoden"  den  Vorzug  zu 
verdienen. 

Einen  Fortschritt  endlich  sehen  wir  darin,  dass  die  Art  der  Er- 
haltung von  Bänder-  und  Sehnenansätzen  wesentlich  verbessert  worden 
ist  durch  das  vorzüglich  von  König  und  Tiling  ausgebildete  Ver- 
fahren der  Abmeisselung  dieser  Ansätze  sammt  den  Apophysen,  an 
welchen  sie  sich  ansetzen,  resp.  einem  Stück  Corticalsubstanz  des 
Knochens.  Es  handelt  sich  aber  um  Schonung  der  Knochencorticalis 
nicht  bloss  für  die  Apophysen,  sondern  principiell  in  ganzer  Aus- 
dehnung. Deshalb  trage  ich  das  Periost  mittelst  eines  scharfen 
Raspatorium  sammt  der  oberflächlichen  Corticalschicht  des  Knochens 
ab  behufs  sicherer  Erhaltung  der  osteoplastischen  Cambiumschicht. 
Die  Erhaltung  der  oberflächlichen  Knochen schicht  gewährleistet  eine 
gute  Knochenproduction  sicherer,  als  wenn  bloss  das  Periost  vor- 
handen ist.     Wir  halten  deshalb,    wo  sie  zulässig  und  ausführbar  ist, 


Allgemeines.  407 

die  subcorticale  Resecti  onsmetho  de  für  besser  als  die 
subperiostale  Lang-enbeck's  und  subperiosteo-subcapsuläre  von 
Ollier.  Es  ist  dabei  noch  auf  den  Gewinn  aufmerksam  zu  machen,  dass 
die  Verwachsung  rascher  geschieht  und  dass  bei  den  Bewegungs- 
versuchen im  Anfang  die  Schmerzhaftigkeit  geringer  ist.  Denn  die 
Ansätze  von  Sehnen  und  Bändern  haben  einen  besonders  hohen 
Grad  von  Empfindlichkeit,  welche  für  die  so  sehr  wünschens- 
werthe  frühzeitige  Wiederaufnahme  activer  Bewegung  sehr  hinder- 
lich ist. 

Die  empf ehlenswertheste  Methode  der  Neuzeit  scheint 
uns  also  diese  zu  sein  für  die  eigentlichen  Resectionen: 
1)  Wahl  eines  möglichst  einfachen  Schnittes  im  Sinne  LANGENBECK's, 
aber  doch  unter  specieller  Berücksichtigung,  ihn  überall  nicht  bloss 
in  den  Interstitien  von  Muskeln,  Bändern  und  Sehnen,  sondern  da 
bis  auf  den  Knochen  zu  führen,  wo  auch  die  kleinsten  Gefässe  und 
Nerven  geschont  werden  können,  also  in  neutralen  Linien  zwischen 
den  Ausbreitungsgebieten  der  Nerven.  2)  Danach  subcorticale  Ab- 
lösung der  Kapsel,  des  Periosts,  der  Bänder-  und  Sehnenansätze 
und  Entfernung  zunächst  bloss  des  kranken  Knochens,  ganzer  Ge- 
lenkenden aber  bloss  insoweit,  als  deren  Mitentfernung  der  Function 
Nutzen  bringt. 

Wenn  man  sich  an  diese  principiellen  Forderungen  hält,  so  darf 
man  bei  richtiger  Asepsis  ohne  Furcht  vor  Schaden  in  frühen  und 
gelinden  Stadien  der  Gelenkerkrankungen  die  Arthrotomie  ausführen. 
Und  man  mag  Statistiken  beibringen  wie  man  will,  so  ist  doch  noch 
zur  Stunde,  selbst  bei  tuberculösen  Gelenkentzündungen,  die  frühe 
und  ausgiebige  Eröffnung  des  Gelenks  und  die  gründliche  Entfernung" 
der  tuberculös  erkrankten  Gewebe  (mit  folgender  Jodoform einreibung) 
das  einzige  Mittel,  eine  rasche  und  bleibende  Heilung  zu  erzielen. 
Wie  oft  erlebt  man  es  nicht,  dass  man  bei  umschriebener  Erkrankung, 
bei  einem  Käseherd,  z.  B.  in  Patella,  im  Oberarm  u.  s.  w.  diesen 
völlig  entfernt  zu  haben  glaubt  von  einer  kleinen  Incision  aus,  bis 
der  Eintritt  diffuser  Gelen ktuberculose  belehrt,  wie  viel  besser  man 
gethan  hätte,  gleich  zu  Anfang  das  Gelenkinnere  vollkommen  frei- 
zulegen. Bei  den  zahlreichen  Formen  bloss  plastischer  Gelenk- 
entzündung, den  proliferirenden,  deformirenden  und  adhäsiven  Arthri- 
tiden  ist  auch  die  moderne  Chirurgie  im  Allgemeinen  noch  viel  zu 
schüchtern  angesichts  des  trostlos  langen  Verlaufes  bei  nicht  operativer 
Behandlung,  und  nur  einzelne  Stimmen  werden  zu  Gunsten  der  Arthro- 
tomie laut.  Ganz  sicher  liegt  der  Grund  für  dieses  ablehnende  Ver- 
halten darin,  das  man  zu  sehr  in  den  älteren  Methoden  der  Resection 
befangen  ist,  und  die  von  uns  hier  vertretenen  Incisionsformen  haben 
die  specielle  Absicht,  sie  nicht  bloss  für  Resection,  sondern  ebenso 
gut  für  die  blosse  Eröffnung  eines  Gelenks,  die  Arthrotomie  und  für 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  ^2 


498 


Excisionen  und  Resectionen. 


die  Exstirpation  der  Gelenkkapsel  und  eventuell  Knorpel,  die  sog. 
Arthrektomie,  verwerthbar  zu  machen. 

Es  darf  demgemäss  das  Verfahren,  das  man  benutzt  zur  Er- 
öffnung des  Gelenks,  den  Chirurgen  in  keiner  Weise  binden  für  seine 
weitere  Entscheidung;  der  Schnitt  muss  ebenso  gut  sein  für  den 
Fall,  dass  man  nach  Eröffnung  der  Gelenkhöhle  es  dabei  bewenden 
lassen  will,  als  wenn  man  einen  Theil  oder  die  ganze  Synovialis 
exstirpiren  will  oder  zu  partieller  oder  totaler  Entfernung  der 
knöchernen  Gelenkenden  sich  entschliesst.  Der  erste  Schnitt  bleibt 
sich  ganz  gleich.  Wir  sind  schliesslich  für  alle  grossen  Gelenke  zu 
der  Verwendung  eines  Schnittes  g-ekommen,  den  man  als  Hacken- 
schnitt bezeichnen  könnte  und  welchen  wir  bei  den  einzelnen 
Resectionen  illustrirt  haben. 

Bei  Arthrotomie  beispielsweise  zur  Entleerung  eines  Ergusses 
zur  Entfernung  eines  Gelenkkörpers  bleibt  es  bei  dem  Schnitt  durch 
Haut,   Aponeurosen,   Kapsel  und  Synovialis  bis  in  den   Gelenkraum. 

Bei  Arthrektomie  geht  der  Schnitt  bloss  bis  auf  die  erkrankte 
und  verdickte  Synovialmembran  (speciell  bei  Tuberculose),  und  von 
deren  Aussenfläche  wird  die  fibröse  Kapsel  losgelöst,  um  die 
Synovialis  wie  einen  Tumor  als  zusammenhängende  Masse  exstirpiren 
zu  können  unter  Ablösung  ihres  visceralen  Blattes  vom  Knochen 
Ebenso  bei  Arthrektomie  mit  Resection  der  Knochen. 

Bei  Resection  bloss-  der  Knochen  geht  der  Schnitt  bis  auf 
den  Knochen,  und  es  folgt  die  subcorticale  Ablösung  sämmtlicher 
Weichtheile  in  normalem  Zusammenhang,  wie  man  einen  gutartigen 
Tumor  ausschält  aus  gesunder  Nachbarschaft,  danach  die  Entfernung 
der  kranken  Knochen. 

Noch  eine  principielle  Frage  soll  hier  speciell  betont  werden,  das 
ist  diejenige  der  besten  Methode  zur  Wiederherstellung 
guter  Function.  Eine  solche  hat  zwei  Grundbedingungen:  Die  eine 
ist  die  Erhaltung  contractionsf  ähiger  Muskeln,  ein  capitaler 
Punkt,  dessen  Berücksichtigung  .dem  Chirurgen  viel  öfters  als  es 
jetzt  geschieht,  das  Messer  frühzeitig  in  die  Hand  drücken  sollte. 
Man  kann  mit  keiner  Resectionsmethode  so  viel  schaden  wie  mit 
dem  fatalen  Zuwarten  bis  durch  Inactivität  die  Muskeln  atrophisch 
oder  durch  entzündliche  Veränderungen  die  Weichtheile  starr  und 
unelastisch  geworden  sind.  Die  zweite  Grundbedingung  ist  die  Her- 
stellung einer  guten  Form  der  Gelenkenden.  Wie  darf 
man  erwarten,  dass  zwischen  2  Gelenkenden  sich  eine  richtige  Be- 
wegung ausbilde,  wenn  man  dieselben  einfach  quer  absägt,  wie  dies 
früher  ganz  regelmässig  geschehen  ist?  Man  soll  im  Gegentheil  die 
Form  der  Gelenkenden  beim  Schnitt  sorgfältig  nachahmen,  um  den 
mechanischen  Anforderungen  gewisser  Bewegungsformen  gerecht  zu 
werden. 


Allgemeines.  400 

Die  Ausführung  der  Resectionen  und  Amputationen,  wie  auch 
der  schonenden  Operationen  an  den  Gliedmaassen  ist  durch  die  Ein- 
führung der  prophylaktischen  Blutstillungsmethode  von  V.  ESMARCH 
auserordentlich  erleichtert  worden.  Dies  genial  einfache  Verfahren 
besteht  in  der  Einwicklung  des  Gliedes  oberhalb  mittelst  eines  Kaut- 
schukschlauches. Vor  Anlegung  desselben  wird  das  Glied  senkrecht 
in  die  Höhe  gehalten  (P.  Bruns  hat  gezeigt,  dass  dadurch  das  Glied 
ebenso  ergiebig  blutleer  gemacht  wird,  wie  durch  Einwicklung  mit 
elastischer  Binde),  danach  (bei  Wahl  am  besten  im  oberen  Drittel  des 
Oberarms  und  im  unteren  Drittel  des  Oberschenkels,  weil  hier  weniger 
Musculatur  vorhanden  und  keine  Nerven  directem  Drucke  ausgesetzt 
sind)  eine  Gazebinde  an  bestimmter  Stelle  ohne  Schnürung  als  Unter- 
lage umgewickelt  und  sofort  der  erste  beste  Kautschukschlauch  um- 
gelegt und  dabei  eine  einfache  Schleife  ohne  Knoten  gemacht,  um 
jeden  Augenblick  rasch  auflösen  zu  können.  Der  Schlauch  darf  nicht 
zu  stark  angezogen  werden,  sonst  riskirt  man  sehr  unangenehme 
Nervenlähmungen  am  Arm  im  Radialis-,  am  Bein  im  Peroneus  gebiet. 

Für  die  Nachbehandlung  aller  Resectionen  ist  es  zum  Unterschied 
von  blossen  Arthrotomien  ganz  wesentlich,  dass  sofort  ein  fixer 
Verband  (Gypsverband)  angelegt  werde,  damit  die  veränderten  Gelenk- 
enden unverrückt  in  bestimmter  Lage  zu  einander  gehalten  werden. 
Es  kann  bei  schwieriger  Fixation  angezeigt  sein,  einen  Silberdraht 
durch  beide  Gelenkenden  durchzulegen  so,  dass  derselbe  eine  be- 
stimmte Stellung  sichert,  ohne  die  richtigen  Bewegungen  aus- 
zuschliessen.  Arbuthnot  Lane  hat  diesen  Gedanken  bei  veralteten 
Hüftgelenkleiden  zur  Anwendung  gebracht  mit  sehr  gutem  Erfolg. 
So  verheilen  sie  am  raschesten,  und  bei  aseptischem  Verlauf  kann 
ein  Individuum  schon  nach  14  Tagen  mit  der  oberen  Extremität  Be- 
wegungen und  mit  der  unteren  im  fixen  Verband  Gehversuche  machen. 

Je  früher  man  die  Bewegungen  wieder  aufnehmen  lassen 
kann,  desto'  sicherer  ist  der  Erfolg,  wenn  es  auch  bloss  ganz 
geringe  Bewegungsexcursionen  innerhalb  eines  gut  gepolsterten 
Gypsverbandes  sind.  Es  ist  wesentlich,  wenn  man  frühe  die  Function 
wieder  aufnehmen  lassen  will,  dass  bald  die  Empfindlichkeit  der 
Sägeflächen  des  Knochens  verschwinde.  Wo  man  eine  Ankylose 
anstrebt  (wie  am  Knie),  da  wirkt  in  dieser  Hinsicht  eine  sehr  exacte 
Fixation  am  besten;  nach  14  Tagen  kann  dann  ein  Patient  ohne 
Beschwerden  im  Verband  das  Bein  belasten.  Behufs  guter  Fixation 
müssen  die  Knochen  genau  aufeinander  passen  und  möglichst  breite 
Berührungsflächen  haben;  dies  geschieht  durch  bogenförmige  Ab- 
sägung am  Knie  (oder  auch  wie  Tavel  thut,  winklige  Absägung), 
welche  die  Verschiebung  verhütet  oder  durch  Knochennähte  und 
Festnageln  der  Knochen  aufeinander,  welche  Maassnahmen  aber  nur 
bei  nicht  erweichten  Knochen  einen  Werth  haben. 

32* 


5°° 


Excisionen  und  Resectionen. 


Um  rasch  eine  relative  Unempfindlichkeit  der  Gelenkenden  in 
Fällen  zu  erzielen,  welche  Beweglichkeit  ergeben  sollen,  haben  wir 
uns  mehrfach  eines  Verfahrens  bedient,  das  man  als  Luxations- 
methode  oder  Secundärreposition  bezeichnen  könnte.  Wir  bringen 
(am  Ellbogen  und  Hüfte  z.  B.)  nach  der  Resection  die  Knochenenden 
in  Luxationsstellung ,  so  dass  die  empfindlichen  Sägeflächen  des 
Marks  bloss  mit  Weichtheilen  in  Berührung  sind  und  führen  die 
meist  ganz  leichte  Reposition  erst  nach  10 — 14  Tagen  aus,  nachdem 
die  äussere  Wunde  völlig  geheilt  ist.  Der  Patient  beginnt  dann 
sofort  seine  Bewegungen,  was  ihm  oft  selbst  beim  besten  Willen 
unmöglich  ist  bei  der  üblichen  Nachbehandlungsrnethode.  Und 
doch  ist  es  für  Erziehung  baldiger  guter  Function  wesentlich,  dass 
sehr  frühzeitig  die  Bewegung  der  Muskeln  wieder  aufgenommen 
werde.  Mittelst  Apparates  mit  elastischen  Extensions-  und  Flexions- 
zügen bei  gesicherter  Bewegungsaxe  kann  man  die  Behandlung 
wesentlich  unterstützen. 

Bei  tuberculösen  Affectionen  soll  nach  Arthrektomie  und  Resection 
die  ganze  Wundfläche  mit  Jodoformpulver  eingerieben  werden. 
Die  Wunde  wird  nur,  soweit  Höhlen  zurückbleiben,  mit  Jodoform- 
gaze tamponirt,  sonst  bloss  mit  Glasdrains  drainirt,  in  der 
Regel  von  eigens  zu  diesem  Behuf  angelegten  kleinen  Incisions- 
wunden  aus. 


U.  Untere  Extremität. 

269)  Excision  der  Zehenphalangen  und  Metatarsal- 
knochen  (Fig.  157). 

Nach  den  bei  den  Incisionen  an  Zehen  und  Fingern  gemachten 
Angaben  ist  ersichtlich,  dass  bloss  laterale,  mehr  nach  dem  Dorsum  zu 
liegende  Schnitte  zulässig  sind,  zur  Schonung  der  Nerven  und  Sehnen. 
An  Zehen  und  Zehengelenken  ist  es  schonender  für  die  Ausführung 
und  zweckmässiger  wegen  der  Narbenretraction,  zwei  kleinere  seitliche 
Incisionen  zu  machen,  für  die  Metatarsalknochen  genügt  eine  dorsale 
Incision  entlang  den  Strecksehnen  und  den  Fingerästen  der  Peroneal- 
nerven.  Die  Incision  muss  über  die  anstossenden  Gelenke  hinaus- 
gehen, wenn  sie  Raum  genug  geben  soll.  Zuerst  wird  stets  das 
Köpfchen  des  Knochens  freigemacht,  weil  dessen  Bandverbindungen 
leichter  zu  lösen  sind,  als  diejenigen  an  der  Basis. 

270)  Resectio  metatarso  -  tarsea  und  Tarsectomia  an- 
terior (Fig.   158). 

Eine  sehr  wichtige  Operation  bei  infectiösen  Erkrankungen 
speciell  Tuberculose)  der  vorderen  Tarsalgelenke,  weil  in  der  Regel 


Untere  Extremität. 


50I 


die  Gelenkkapseln  derselben  sämmtlich  in  Communication  stehen.  Am 
häufigsten  finden  sich  noch  abgeschlossene  Gelenkkapseln  für  das 
Gelenk  zwischen  Metatarsus  I  und  Cuneiforme  I,  an  der  vorderen 
und  hinteren  Fläche  des  Cuboideum,  zwischen  Taluskopf  und  Navi- 
culare,  Talus  und  Calcaneus.  Bei  dem  häufigen  Beginn  tuberculöser 
Ostitis  in  der  Basis  der  Metatarsalknochen  kann  gelegentlich  eine 
Resection  der  Basen  der  Metatarsalknochen  und  der  Gelenkflächen  der 
anstossenden  Ossa  cuneiformia  und  Ossis  cuboidei  genügen  (Resectio 
metatarso-tarsea).     Sicherer   wird  bei   Ergriffensein   der   Gelenke   die 


Fig.  157. 
Resectio  phalangum. 
Resectio  metatarsorum. 


_  Fig.  158. 

Resectio  tarsea  anterior 

(gewöhnliche  Anordnung  der  Gelenkkapseln). 


Mitentfernung  der  letzterwähnten  Knochen  inclusive  Os  naviculare 
sein.  Bei  diffuser  Erkrankung  sind  auch  die  Gelenkflächen  von  Talus 
und  Calcaneus  abzutragen. 

Die  Resection  wird  gemacht  von  2  dorsal  angelegten  Seiten- 
schnitten aus.  Der  mediale  Schnitt  geht  vom  hinteren  Drittel  des 
Metatarsus  I  bis  auf  den  inneren  Umfang  des  Taluskopfes,  welcher 
in  Abductionsstellung  des  Fusses  sichtbar  zu  Tage  tritt,  an  letzterer 
Stelle  bloss  durch  die  Haut,  um  die  auf  den  Talushals  vorgeschobene 
Fussgelenkkapsel  nicht  zu  eröffnen.  Medialwärts  von  der  Extensoren- 
sehne  der   grossen  Zehe  beginnend,  trennt   der  Schnitt   die  Ansätze 


c02  Excisionen  und  Resectionen. 

des  Tibialis  anticus  auf  dem  Metatarsus  1  und  Cuneiforme  I  ab  und 
macht  die  dorsale  Fläche  des  Keilbeins  und  des  Os  naviculare  frei. 
Nach  abwärts  wird  ebenso  die  untere  Fläche  dieses  Knochens  frei- 
gemacht ;  die  Sehne  des  Tibialis  posticus  bleibt  nach  hinten  und  unten. 

Der  laterale  Schnitt,  vom  hinteren  Drittel  des  Metatarsus  V  bis 
auf  die  obere  Fläche  des  Corpus  calcanei  vor  dem  Malleolus  externus 
bleibt  lateral  von  den  Sehnen,  indem  er  den  Ansatz  des  Peroneus 
tertius  am  Metatarsus  V  abhebt  und  die  obere  Fläche  der  Metatarsal- 
basen  und  des  Os  cuboideum  freimacht.  Zur  Freilegung  der  unteren 
Fläche  dieses  Knochens  muss  die  Sehne  des  Peroneus  brevis  am 
Metatarsus  V  gelöst  und  diejenige  des  Peroneus  longus  aus  der 
Rinne  an  dessen  Aussen-  und  Unterfläche  herausgehoben  und  nach 
hinten  gezogen  werden. 

Dann  wird  die  Abtragung  der  Basen  der  Metatarsalknochen  und 
der  Gelenkfläche  des  Talus  und  Calcaneus  vorgenommen. 

In  schwierigen  Fällen,  zumal  wo  auf  dem  Dorsum  pedis  schon 
Abscesse  bestehen  oder  stärkere  Erkrankung  der  Weichtheile,  ist  es 
besser,  die  Seitenschnitte  vorne  durch  einen  Querschnitt  zu  verbinden, 
d.h.  einen  dorsalen  Lappenschnitt  zumachen,  aber  bloss  durch 
Haut  und  Fascie  unter  Schonung  von  Sehnen,  Nerven  und  Gefässen. 
Letztere  lassen  sich  genügend  auf  die  Seite  ziehen,  so  dass  man  die 
Präparation  der  Knochen  leicht  ausführen  kann.  Den  dorsalen  Lappen- 
schnitt gleich  durch  alle  "Weichtheile  (Sehnen,  Gefässe  und  Nerven) 
auf  den  Knochen  zu  führen,  ist  eine  unnöthig  schwere  Verletzung 
und  durch  die  nachträglichen  Sehnennähte  mühsam.  Der  letzte  von 
uns  nach  obigen  Angaben  mit  dorsalem  Flautlappen  operirte  Fall 
hat  einen  vorzüglich  brauchbaren  beweglichen  Fuss  ergeben. 

OBALINSKI  und  in  modificirter  Form  nach  ihm  CATTERINA 
haben  den  neuen  Weg  der  Spaltung  des  Fusses  von  vorne- 
her  zur  Ausführung  der  Tarsectomia  anterior  betreten;  indem  sie 
durch  die  Intermetatarsalräume  vordringen  (Catterina  zwischen 
2.  u.  3.)  und  die  beiden  vorderen  Fusshälften  nach  innen  und  aussen 
auseinander  klappen.  Vor  Verletzung  der  Plantarbogen  und  des  N. 
plantaris  externus  hat  man  sich  dabei  in  Acht  zu  nehmen. 

Der  verkürzte  Fuss  giebt  eine  ausgezeichnete  Brauchbarkeit  zur 
Stütze  und  Bewegung. 

271)  Resectio  medio-tarsea  (Fig.  159,  160,  161). 

Die  Resection  zwischen  vorderen  und  hinteren  Tarsalknochen 
wird  am  häufigsten  in  der  Form  der  Keilexcision  bei  Pes  varus 
gemacht.  Diese  Keilexcision  giebt  zumal  bei  veraltetem  Klumpfuss 
vorzügliche  Resultate,  bei  gründlichem  Vorgehen,  d.  h.  genügend 
ausgiebiger  Resection,  bessere  Resultate,  als  alle  anderen  Operations- 
verfahren. 


Untere  Extremität. 


503 


Schnitt  auf  der  Rückfiäche  des  Talo-Naviculargelenks  beginnend 
und  schräg  gegen  den  äusseren  Fussrand  ab-  und  rückwärts  ent- 
sprechend den  sichtbaren  Hautfalten.  Im  oberen  Theil  wird  der  N. 
peroneus  superficialis,  im  unteren  der  N.  saphenus  externus  auf  der 
Fascie  angetroffen  und  abgezogen ;  einige  Venen  werden  gefasst  und 
torquirt.  Nach  Spaltung  der  Fascie  erscheint  am  oberen  Ende  des 
Schnittes  die  Sehne  des  Peroneus  III ;  im  unteren  Theil  des  Schnittes 
auf  der  Aussenfläche  des  Calcaneus  liegen  die  Peronealsehnen;  beide 

werden    mit    stumpfen  Haken 
nach   Eröffnung    der   Sehnen- 
,.-■  -r '  \  scheiden  abgezogen.    Die  feste 

Kapsel  auf  dem  Taluskopf  wird 
gespalten,  so  das  Gelenk  er- 
öffnet und  der  Kapselansatz 
auf  dem  Halse  des  Talus  und 
bis  in  den  Sinus  tarsi  getrennt. 
Das     Gelenk     zwischen     dem 

Talusrolle 

Taluskopf 


Processus  anterior 

calcanei  A. 


J 


wm 


Malleolus  externus 


Fig.  159.    Resectio  medio-tarsea. 

Keilexcision  bei  Klumpfuss. 

Schnittlinie. 


stark  vorragenden  Calcaneuskörper  und  dem  Os  cuboideum  wird  er- 
öffnet, und  zwar  werden  die  tiefen  Schnitte  geführt,  nachdem  der 
M.  extensor  brevis  an  seinem  oberen  Rande  und  Ansatz  am  Cal- 
caneus freig-emacht  und  abwärts  gezogen  ist.  Man  kann  von  einem 
verhältnissmässig  kleinen  Schnitt  aus  die  Resection  machen,  wenn 
man  sofort  auf  die  Knochen  dringt,  in  erster  Linie  auf  den  Processus 
anterior  calcanei  und  dann  subperiosteo-subcapsulär  die  weitere  Ab- 
lösung unter  Abziehen  von  Periost  und  Kapsel  mit  scharfen  Haken 
macht.  Darauf  wird  der  Meissel  eingesetzt  und  der  Processus  anterior 
des  Calcaneuskörpers   und   dann    der  Hite   des  Talus  durchschlagen, 


5°4 


Excisionen  und  Resectionen. 


mit  scharfen  Doppelhaken  kräftig  angezogen  und  die  Reste  der 
Kapselverbindungen  getrennt  und  die  Knochenstücke  entfernt.  In 
Fällen  von  hochgradigem  Klumpfuss  muss  noch  das  ganze  Os  navi- 
culare  ausgeschält  und  ein  Stück  des  Os  cuboideum  abgemeisselt 
werden,  damit  unter  fester  Aufeinanderlegung  der  Trennungsflächen 
der  Fuss  sich  über  den  rechten  Winkel  leicht  aufrichten  lasse. 
Draineinlage  ist  nicht  nöthig,  da  keine  Höhle  bleibt  und  keine  Nach- 
blutung zu  gewärtigen  ist.  Fortlaufende  Naht.  Gypsverband  bei 
^^^~w^  dorsalflectirtem    aufgerichtetem 

-<';<  Fuss,  bei  rechtwinklig  flectirtem 

Knie,  jüber  letzteres  hinauf- 
reichend. |Die  Fixation  bei 
rechtwinklig  gebeugtem 
Knie  halten  wir  für  recht 
wesentlich.  Nur  indem  man  in 
dieser  Stellung  den  Verband 
bis  über  das  Knie  macht,  kann 
man    jede    Rotation    und    Ad- 


Caput  tali 


M.  extensor  dier.  brevis 


N.  peroneus  superficialis 


Tendo  peronei  tertii 


Tendines  peroneorum 


Vena  saphena  minor 


Fig.    160.      Keilexcision    bei    Klumpfuss.      2.   Act :    Taluskopf   freigelegt    durch 
Spaltung  der  Kapsel  unter  Schonung  von  Sehnen  und  Muskeln. 


duction  des  Fusses  durch  Bindentouren  vom  lateralen  Fussrand  auf- 
wärts über  den  Oberschenkel  mit  Sicherheit  corrigiren.  Zur  Sicherung 
des  Endresultates  die  Tenotomie  der  Achillessehne  hinzuzufügen,  ist 
in  der  Regel  nothwendig. 

Wenn  in  geschilderter  Weise  dafür  gesorgt  wird,  dass  nach  der 
Operation  der  Fuss  mit  Leichtigkeit  sich  über  den  rechten  Winkel 
aufrichten  lässt;  wenn  Primaheilung  eintritt;  und  wenn  in  den 
schwersten  Fällen  spätere  Verschiebung  der  gewonnenen  Gleich- 
gewichtslage  nach    der   plantaren    Seite   hin    durch  Achillotenotomie 


Untere  Extremität. 


505 


verhütet  wird,   gewinnt  man   durch  das  empfohlene  Verfahren  nicht 
nur  eine  bleibende  Heilung,  sondern  auch  eine  schöne  Fussform. 


272)  Kxcisio   tali  (Fig. 


162) 


Während  für  die  hier  und 
da  nothwendige  Excision  der 
kleinen  Tarsalknochen  unnütz 
erscheint ,  bestimmte  Vor- 
schriften  zu    geben,    ist   dieses 

Collum  tali 


Trennungsstelle  des  Knochens  fe*; 


Tendo  peronei 


Fig.  161.     Keilexcision   bei   Klumpfuss.      2.  Act:    Gelenkflächen   von   Taluskopt 

und  Processus   anterior  calcanei   freigelegt.     Die  Stelle    der   Knochentrennung 

angedeutet  durch  gezackte  Linien. 


nothwendig  für  Talus  und  Calcaneus,  deren  Entfernung  bei  Tuber- 
culose,  Verletzungen  und  Klumpbildungen  öfter  nothwendig  wird. 
Letztere  2  Indicationen  gelten  speciell  für  den  Talus. 

In  der  Regel  genügt  ein 
ergiebiger  Längsschnitt  auf  der 
vorderen  lateralen  Seite,  wie  ihn 
Vogt  angiebt,  für  die  Resection 
des  Fussgelenkes. 

Handbreit  über  dem  Fuss- 
gelenk  an  der  Vorderfläche  der 
Fibula  beginnend,  geht  derselbe 
an  der  lateralen  Seite  der  Streck- 
sehnen (Peroneus  tertius),  die 
Zweige  des  N.  peroneus  superficialis  medianwärts  lassend,  über  den 
lateralen  Rand   der   Talusrolle,   welchen    man   in  Adductionsstellung 


Fig.  162.     Excisio  tali  (laterale  Seite). 


506 


Excisionen  und  Resectionen. 


sehr  gut  fühlt,  bis  gegen  die  Tuber ositas  metatarsi  V  herunter,  dringt 
in  das  Fussgelenk  und  CHOPART'sche  Gelenk  ein,  Talusrolle  und 
Taluskopf  freilegend.  Auf  dem  Talushals  wird  der  Ansatz  der 
vorderen  und  hinteren  Gelenkkapsel  nach  beiden  Seiten  hin  er- 
giebig abgelöst,  im  Sinus  tarsi  lateralerseits  das  stramme  Liga- 
mentum interosseum  getrennt.  Längs  dem  vorderen  Rande  von 
Tibia  und  Fibula  wird  die  Gelenkkapsel  gelöst  und  seitlich  am  vor- 
deren und  hinteren  Ende  der  Talusrolle  das  Lig.  talofibulare  anticum 
und  posticum  durchschnitten.  Aussen  und  dem  Hinterrand  des  Talus 
entlang  wird  die  Kapselverbindung  mit  dem  Calcaneus  gelöst.  In 
forcirter  Adductionsstellung  lässt  sich  nun  der  Talus  so  weit  empor- 
heben, dass  ein  Elevatorium 
darunter  eingeführt  und  die 
Band-  und  Kapselansätze 
auf  der  Innenseite  getrennt 
werden  können. 


Fig.  163.     Excisio  calcanei. 


Fig.  164.  Frontalschnitt  des 
Fussgelenkes,  nach  Henle. 


273)  Excisio  calcanei  (Fig.  163  und  164). 

Ein  Längsschnitt  auf  der  medialen  Seite  dicht  neben  der 
Achillessehne  bis  zum  untersten  hintersten  Ende  des  Tuber  calcanei 
abwärts  und  von  da  quer  herüber  nach  der  lateralen  Seite  bis  gegen 
die  Tuberositas  metatarsi  V  giebt  bei  geschmeidigen  Weichtheilen 
genügenden  Raum. 

Am  hinteren  Anfang  des  Tuber  wird  die  Achillessehne  ab- 
gehoben, die  Gelenkkapsel  am  hinteren  und  äusseren  Umfang  des 
Calcaneus  sammt  Lig.  calcaneo-fibulare  getrennt,  unter  Emporziehen 
der  Peronealsehnen  im  Sinus  tarsi  das  Lig.  interosseum  durch- 
schnitten und  die  Gelenkkapsel  zum  Os  cuboideum  aussen  und 
unten  mit  dem  starken  Lig.  calcaneo-cuboideum  abgelöst.  Die 
Fersenkappe  wird  kräftig  auf  die  mediale  Seite  herübergezogen  und 
hier  die  Sehne  des  Tibialis  posticus  unten  am  Sustentaculum  tali 
freigemacht  und  emporgehoben,  endlich  der  Ansatz  der  Gelenkkapsel 
am  Talus  mit  bedeckendem  Lig.  deltoideum  (Lig.  calcaneo-tibiale) 
und  nach  vorne  das  starke  Lig.  tibio  -  calcaneo  -  naviculare  gelöst. 
Der  Knochen  muss  mit  einer  kräftigen  Zange  gefasst  werden. 


Untere  Extremität. 


Du/ 


Landerer  empfiehlt  einen  medialen  Längsschnitt  über  die 
Ferse  von  der  Achillessehne  bis  in  die  Planta.  Von  diesem  Schnitte 
aus  entfernt  er  nicht  bloss  den  Calcaneus,  sondern  eventuell  sämmt- 
liche  Tarsalknochen.  LANDERER  versichert,  dass  die  Narbe  für  das 
Gehen  nicht  nachtheilig  sei. 

274)  Resectio  talo  -  calcanea  und  Resectio  tarsea 
posterior  (Fig.  165). 

Die  Resection  des  Gelenkes  zwischen  Talus  und  Calcaneus  ist 
von  ANNANDALE  ausgeführt  mit  zwei  seitlichen  Bogenschnitten  und 
kann  nach  der  für  Excisio  calcanei  geschilderten  Methode,  resp. 
modificirten  Methode  für  die  Resectio  tarsea  posterior  besorgt  werden. 

Die  Resectio  tarsea  posterior,  in  gleichzeitiger  Wegnahme  des 
Talus  und  Calcaneus  und  eventuell  der  anstossenden  Gelenkflächen 
bestehend,  ergiebt  wider  Erwarten  gute  Resultate  bei  normal  ge- 
stelltem Fuss,  indem  der  Unter- 
schenkel in  den  Defect  herab- 
rückt (Kocher,  Kummer). 

Die  Bedingung  des  Vor- 
gehens nach  der  zu  schildernden 
Methode  ist  die  Möglichkeit,  die 
den  Fuss  bewegenden  Sehnen 
und  Muskeln  (Peronei,  Tibialis 
anticus  und  posticus)  erhalten 
zu  können. 


Fig.  165.     Resectio  tarsea  posterior. 


Schnitt  handbreit  über  dem  Fussgelenk  auf  der  Aussenseite  neben 
der  Achillessehne  beginnend,  hinter  dem  Malleolus  externus  und  den 
Peronealsehnen  abwärts  bis  an  die  Tuberositas  metatarsi  V.  Von 
diesem  Schnitt  aus  werden  nach  Eröffnung  der  Sehnenscheiden  der 
Peronei  und  Abhebung  dieser  Sehnen  nach  vorne  ganz  in  der  für 
die  Excisio  tali  und  calcanei  geschildeten  Weise  diese  beiden  Knochen 
exarticulirt  und  die  Gelenkfläche  der  Unterschenkelknochen  und  der 
Ossa  cuboideum  und  naviculare  abgetragen.  Es  ist  wünschenswerth, 
einen  kleinen  Vorsprung  des  Malleolus  externus  zu  erhalten,  behufs 
Einhakung  der  Peronealsehnen  hinter  demselben. 

Lässt  sich  der  Tuber  calcanei  erhalten,  so  kann  derselbe  zur 
Osteoplastik  in  analoger  Weise  benutzt  werden,  wie  nach  Pirogoff 
bei  der  Amputatio  pedis.  Es  genügt,  diesen  Fall  durch  die  Säge- 
linien in  beigefügter  Figur  zu  illustriren. 

275)  Resectio  pedis  (Fig.  166,  167  und  168). 

Die  Resection  im  Talo-Cruralgelenk  giebt  wegen  der  Complicirt- 
heit  des  Gelenkes  und  wegen  der  häufigen  Miterkrankung  der  direct 
anstossenden   Knochen,    sowie   auch   des   anstossenden    Talo-Tarsal- 


so8 


Excisionen  und  Resectionen. 


gelenkes  sammt  seinen  Knochen  (zumal  Calcaneus)  nicht  immer  be- 
friedigende Resultate.  Daher  das  Bestreben  nach  fortwährender  Ver- 
besserung der  Technik.  Auf  allen  Seiten  des  Gelenkes  und  in  allen 
Richtungen  sind  Schnitte  geführt  worden.  Eine  gute  Incision  muss 
der  Indication  genügen,  vollkommen  freien  Einblick  zu  gestatten  ins 
Fussgelenk,  eventuell  auch  ins  Gelenk  unter  dem  Talus  zu  gleicher 
Zeit.  Sehr  gut  ist  es,  wenn  auch  die  Sehnenscheiden,  namentlich  der 
Peronealsehnen,  nachgesehen  werden  können. 


Tendo  Achillis 


Calcaneus 
Peroneus  brevis 
Peroneus  longus 


Gastrocnemius  externus 

Peroneus  longus 

Soleus 

Extensor  dig.  communis 

Tibialis  anticus 

Peroneus  brevis 


Fig.  166.     Arthrotomia  pedis,   leider  für  die  rechtsseitige  Operation  angegeben. 
Contouren  unter  theilweiser  Benützung  von  Paul  Richer's  „Anatomie  artistique". 

Vordere  Längsschnitte  machen  VOGT  (lateral);  König  und  Riedel 
(bilateral  mit  Abmeisselung  der  Malleolen);  Meinhardt  Schmidt 
(gleichzeitig  mit  hinterem);  vorderen  Querschnitt  Hüter,  früher 
Sabatier,  Heyfelder,  Hancock  ;  hinteren  Querschnitt  Liebrecht, 
mit  hinteren  Längsschnitt  Wackley,  Textor  ;  unteren  Steigbügel- 
hakenschnitt BUSCH,  Hahn,  Ssabanejew  (mit  Trennung  des  Tuber 
calcanei) ;  seitliche  Schnitte,  zum  Theil  neben  Querschnitten  MOREAU, 
Langenbeck,  Ollier,  Chauvel,  Girard. 


Untere  Extremität. 


509 


Wir  haben,  wie  die  Zeichnungen  zeigen,  unseren  lateralen 
Bogenschnitt  (wie  er  von  Reverdin  und  uns  eingeführt  ist) 
dahin  modificirt,  dass  wir  die  Incision  weiter  rückwärts  verlegen, 
höher  hinauf  führen  am  Unterschenkel  und  im  Bogen  tiefer  abwärts 
gehen  lassen  bis  zur  Höhe  der  Gelenke  zwischen  Talus  und  Calcaneus, 
damit  mehr  Raum  geschaffen  und  nöthigenfalls  (und  zwar  ist  dieser 
Fall  ein  häufiger)  der  Talus  in  toto  ohne  Schwierigkeit  heraus- 
genommen werden  kann,  falls  auch 
das  Gelenk  unterhalb  krank  ist. 
Dadurch  ist  unsere  Schnittführung 
analog  geworden  der  zuerst  nach 
Catterina's  Nachweis  von  Alba- 
nese  und  später  von  Lauenstein 
empfohlenen  (Fig.   166  und  167). 

Der  Schnitt  trennt  die  Haut 
und  Fascie  und  lässt  den  Nervus 
saphenus  externus  und  die  Vena 
saphena  minor,  welche  hier  ver- 
laufen (siehe  Unter- 
bindungen), nach  hinten. 


M.  extensor  digitorum  brevis 

Fig.  167.  Resectio  pedis  mit  Bogenschnitt,  die  Haut  und  Fascie  zurück- 
geschlagen, der  Malleolus  externus  subperiostal  freigelegt,  die  Kapsel  am  Rande 
des  Talus  gelöst  (man  sieht  die  laterale  Knorpelfläche  des  Talus),  die  Peroneal- 

sehnen  durchschnitten. 


Das  Ende  des  Bogenschnittes  geht  bis  zur  Sehne  des  M.  peroneus 
tertius  vorwärts  unter  Schonung  des  Nervus  peroneus  superficialis. 
Man  legt  sofort  die  Sehnenscheide  des  M.  peroneus  longus  und  brevis 
frei  und  spaltet  dieselbe  aufwärts,  entlang  der  Fibula,  soweit  der 
Schnitt  reicht.  Die  Sehnen  müssen  in  einzelnen  Fällen,  um  Raum 
zu  bekommen,  durchschnitten  werden,  werden  aber  in  je  1  Faden- 
schlinge fixirt,  um  nachher  wieder  vernäht  zu  werden.  Das  Periost 
von   der   äusseren   und  unteren  Fläche   des  Malleolus  externus  wird 


5io 


Excisionen  und  Resectionen. 


losgelöst  und  an  der  Vorderfläche  des  Malleolus  das  Fussgelenk 
eröffnet. 

Jetzt  präparirt  man  die  Kapselansätze  los  entlang  der  Aussen- 
fJäche  des  Talus,  so  dass  dieser  zu  Tage  tritt  bis  zur  Fibula,  von 
welcher  die  3  Ligamente  zu  Talus  und  Calcaneus  an  der  Spitze  und 
Innenfläche  dicht  am  Knochen  abgetrennt  werden. 

Entlang  dem  Vorderrand  der  Tibia  wird  der  Kapselansatz  sammt 
Periost  abgelöst  bis  zum  Malleolus  internus,  während  ein  Haken  die 
Strecksehnen   in    die    Höhe  hebt,   ebenso   am  Hinterrand   der  Tibia, 


—'  ;%i*flli ' 


Fig.  168.    Resectio  pedis.    Die  Kapsel  ist  längs  der  Unterschenkelknochen  und 

am  Talus  gelöst  und  der  Fuss  nach  der  medialen  Seite  herüberluxirt.   Man  sieht 

die  obere  Fläche  (Rolle)  des  Talus  und  die  Gelenkfläche  der  Tibia. 


wobei  die  Sehnenscheide  der  Peronei  mit  dem  Periost  in  Zusammen- 
hang gelassen  wird. 

Durch  eine  kräftige  Adductionsbewegung  wird  der  Fuss  medial- 
wärts  über  den  Malleolus  internus  herüberluxirt,  so  dass  die  Talus- 
rolle  abwärts  sieht  und  die  Planta  pedis  aufwärts,  wie  Fig.  168  dies 
veranschaulicht.  Ist  der  Knochen  erweicht,  so  bricht  nicht  selten  der 
Malleolus  internus  bei  diesem  Manöver  ab,  allein  gerade  in  solchen 
Fällen  hat  dieses  Ereigniss  keinen  Nachtheil. 

Jetzt  hat  man  so  freien  Einblick  ins  Gelenk,  dass  man  nicht 
bloss  über  das  Talo-Cruralgelenk  sich  genau  orientiren  kann,  sondern 
auch   das  Tibio-Fibulargelenk   sich   gut  zugänglich   machen  und  ein 


Untere  Extremität. 


5" 


Urtheil  gewinnen  kann,  ob  bei  ausgedehnter  Erkrankung  des  Talus 
oder  bei  intensiver  Erkrankung  auch  des  Talo-Calcanealgelenkes  der 
ganze  Talus  entfernt  werden  soll  oder  nicht.  Dieses  findet  sich  bei 
Tuberculose  zur  Sicherung  des  Erfolges  verhältnissmässig  häufig  noth- 
wendig.     Es  lässt  sich  ohne  besondere  Schwierigkeiten  ausführen. 

Wird  der  Talus  nicht  entfernt,  so  bleibt  es  bei  Arthrektomie  oder 
Resection  des  Talo-Cruralgelenkes. 

An  der  vorragenden  Spitze  des  Malleolus  internus  erhält  man 
wo  möglich  das  kräftige  innere  Seitenband,  das  bloss  getrennt  wird, 
wenn  die  Erkrankung  es  verlangt.  Die  Trennung  muss  in  diesem 
Falle  dicht  am  Knochen,  besser  unter  Wegnahme  eines  oberfläch- 
lichen Knochenstückes  geschehen,  weil  die  Flexorsehnen  dicht  hinter 
dem  Malleolus  herablaufen.  Ausräumung  des  Gelenkes,  Resection 
des  Talus  ist  nun  mit  Leichtigkeit  zu  beschaffen.  Will  man  den 
Talus  erhalten,  so  muss  man  sich  vor  unnützer  Eröffnung  des  Talo- 
Calcanealgelenkes  in  Acht  nehmen,  indem  man  die  Kapselansätze  am 
hinteren  und  am  seitlichen  Umfange  des  Talus  schont. 

Die  geschilderte  Methode  erhält  den  Bandapparat  auf  der  medi- 
alen und  die  Stütze  des  Malleolus  externus  auf  der  lateralen  Seite 
intact,  sichert  daher  gegen  seitliche  Abweichungen  des  Fusses  mög- 
lichst gut. 

Bezüglich  Nachbehandlung  ist  es  von  grosser  Bedeutung,  dass 
der  Fuss  sofort  mittelst  eines  Gipsverbandes  in  ganz  correcter  Stel- 
lung zum  Unterschenkel  gebracht  und  darin  bis  zur  Heilung  erhalten 
werde.  Dabei  kann  bei  Primaheilung  der  Patient  sehr  wohl  noch 
2  oder  3  Wochen  im  Verband  herumgehen.  Später  ist  ein  Scarpa- 
scher  Schuh  zur  Sicherung  guter  Stellung  nöthig. 

276)  Resectio  tarsea  totalis  (Fig.  169  und  170). 

Wladimiroff  und  Mikulicz  haben  unsere  Mittel  zur  Con- 
servirung  des  Fusses  selbst  bei  sehr  ausgedehnten  Erkrankungen 
durch  ein  Verfahren  bereichert,  welches  von  diesen  Autoren  bei  Er- 
krankung der  hinteren  Tarsalknochen  und  -gelenke  angewandt  wor- 
den ist.  Für  diesen  Fall  halten  wir  die  Methode  für  überflüssig,  so 
lange  die  Weichtheile  der  Sohle  und  Ferse  erhalten  werden  können. 
Werth  hat  die  Methode  bei  Erkrankung  sämmtlicher  Tarsalgelenke 
(event.  auch  -knochen).  Es  ermöglicht  auch  dann  noch,  einen  ohne 
Prothese  brauchbaren  Fuss  zu  erhalten,  indem  man  nach  Excision  des 
ganzen  Tarsus  die  abgesägten  Basen  der  Metatarsalknochen  auf  die  Säge- 
fläche der  Unterschenkelknochen  in  verticaler  Stellung  des  Fusses 
(in  der  verlängerten  Unterschenkelaxe)  aufsetzt.  Der  Patient  geht 
auf  der  Vorderfläche  der  Metatarsalköpfchen  bei  forcirt  dorsal-flectirten 
Zehen.     Kann   man  das  Os  naviculare  und  cuboideum  absägen  oder 


512 


Excisionen  und  Resectionen. 


letzteres  und  die  Ossa  cuneiformia  durchtrennen,   so  erhält  man  eine 
breitere  und  festere  Sägefläche. 

Wie  Pirogoff  den  hintersten  Fussabschnitt  um  go°  dreht  und 
als  Verlängerung  an  den  Unterschenkel  ansetzt,  so  thut  dieses  die 
MlKULicz'sche  Methode  mit  dem  vorderen  Fussabschnitt. 


QÄg 


Fig.  169.    Resectio  tarsea  totalis. 
Wladimiroff,  Mikulicz. 


Resectio  cruris  (des  unteren 
Drittels). 


Fig.  170.    Fall  von  Resectio  tarsea  totalis, 
eigene  Beobachtung  nach  Photogramm. 


Da  Mikulicz's  Methode  von  der  Voraussetzung  eines  Defects 
an  der  Fersenhaut  ausgeht,  also  von  einem  ganz  speciellen  Falle,  bei 
welchem  sich  schliesslich  die  Schnittführung  von  selbst  ergiebt,  so 
ziehen  wir  vor,  das  Verfahren  für  den  typischen  Fall  einer  Erkran- 
kung des  ganzen  Tarsus  bei  verwerthbaren  Hautdecken  zu  schildern. 

Schnitt  ganz  analog  wie  zur  Resectio  tarsea  posterior  in  Form 
eines  lateralen  hinteren  Bogen  Schnittes,  nach  Fig.  1 69  handbreit  über 
dem  Fussgelenk  beginnend,  hinter  Malleolus  externus  und  Peroneal- 


Untere  Extremität.  5 1 3 

sehnen  abwärts  bis  zur  Mitte  der  Metatarsus  V.  In  der  früher  ge- 
schilderten Weise  werden  die  Knochen  und  Gelenke  zwischen  Unter- 
schenkel und  Metatarsus  freigelegt,  indem  man  die  Achillessehne 
mit  dem  Periost  des  Calcaneus  ablöst,  die  Peronealsehnen  aus  ihrer 
Sehnenscheide  heraushebt  und  nach  vorne  zieht  und  unter  Schonung 
von  Nerven  und  Gefässen  die  sehnigen  Ansätze  sämmtlicher  langen 
Fussmuskeln  (Peroneus  tertius,  brevis  und  longus)  von  der  oberen, 
äusseren  und  unteren  Fläche  der  Metatarsalknochen  und  die  Ansätze 
des  Tibialis  anticus  und  posticus  ebenso  von  der  oberen,  medialen 
und  unteren  Fläche  derselben  Knochen  abhebt. 

Lauenstein  hat  für  die  Fälle  von  Steifigkeit  im  Fussgelenk 
eine  passende  Prothese  zur  Abwicklung  des  Fusses  durch  An- 
bringung einer  Cylindersohle  mit  transversaler  Axe  angegeben. 

277)  Resection     des     unteren     Unterschenkeldrittels 

(Fig.   171). 

Für  den  Fall  ausgiebiger  Erkrankung  der  Knochen  des  Unter- 
schenkels im  unteren  Drittel  ist  zu  prüfen,  ob  es  zulässig  ist,  mit 
einem  sehr  langen  lateral-hinteren  Schnitt  die  Rückfläche  des  Tuber 
calcanei  freizulegen  und  an  die  entsprechend  angefrischte  Sägefläche 
der  Tibiadiaphyse  anzusetzen. 

278)  Resectio  tibiae. 

In  einem  Falle,  wo  ein  ausgedehnter  Theil  (das  mittlere  Drittel) 
der  Tibiadiaphyse  wegen  Nekrose  resecirt  werden  musste,  wurde  von 
uns  die  Fibuladiaphyse  der  anderen  Seite  entfernt  und  in  die  ausge- 
hölten Reste  der  Tibia  hereingesteckt. 

279)  Resectio  fibulae. 

Die  Diaphyse,  ja  sogar  die  ganze  Fibula  kann  durch  einen 
Schnitt  hinter  den  Peronealmuskeln  in  ganzer  Länge  entfernt  werden, 
ohne  Beeinträchtigung  der  Stütz-  und  Gehfähigkeit  des  Beines  und 
der  Bewegung  des  Fusses  nach  allen  Richtungen.  Am  oberen  Ende 
in  den  Nervus  peroneus,  welcher  sich  um  den  Hals  herumschlingt, 
in  der  unteren  Hälfte  die  hinter  der  Fibula  verlaufende  A.  peronea 
zu  schonen. 

280)  Arthrotomia  et  Resectio  genu  (Fig.  172,  173). 

Für  die  breite  Eröffnung  des  Kniegelenkes  liegen  zahlreiche 
Methoden  vor,  welche  auch  wir  geprüft  haben.  Eine  derselben, 
welche  in  einfacher  Weise  vollkommen  genügenden  Zugang  giebt, 
ist  der  Querschnitt  mit  unterer  Convexität;  allerdings  muss  derselbe 
seitlich  genügend  weit  rückwärts  geführt  werden,  so  dass  er  minde- 
stens zwei  Drittel  des  Umfanges    des  Knies  einnimmt.     Es  ist  nicht 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.     IV.  Aufl.  -i-j 


514 


Excisionen  und  Resectionen. 


recht  klar,  welchem  Chirurgen  das  Verdienst  der  Einführung  des- 
selben zukommt,  da  schon  Park  den  Vorschlag  gemacht  zu  haben 
scheint  und  Textor  als  Vater  der  Methode  genannt  wird.  Jeden- 
falls hat  Erichsen  zur  Verallgemeinerung  desselben  beigetragen. 

Volkmann  hat  einen  Querschnitt  mitten  durch  die  Patella 
empfohlen  und  Diakonow  (Starkow)  macht  einen  Längsschnitt  mitten 
durch   die  Patella,   mit  Abmeisselung   des   zerspaltenen  Lig.   patellae 


Vastus  externus 


Tendo  bicipitis 

Fascia  lata 

Tuberositas  externa .  tibiae 

Caput  fibulae 


Vastus  internus 


Patella 


Fettwülste 


Spina  tibiae 


Gastrocnemius  internus 


Fig.  172.     Arthrotomia  genu.     (Contouren  unter  theilweiser  Benützung  von 
Paul  Richers'  „Anatomie  artistique".) 

nach  beiden  Seiten  sammt  einer  Knochenlamelle.  Die  Methode  hat, 
wie  alle  medianen  Schnitte,  den  Vorzug  der  Einfachheit  und  geringer 
Neben  Verletzungen. 

Wir  haben  die  früher  von  uns  für  Resectio  genu  festgehaltene 
Methode  des  queren  Bogenschnittes  zu  Gunsten  des  lateralen 
Hackenschnittes  völlig  aufgegeben,  da  sich  bei  dieser  nach 
Arthrotomie  sehr  leicht  die  Resection  in  jeder  gewünschten  Aus- 
dehnung  hinzufügen   lässt.     Wir   schliessen  uns  also,  abgesehen  von 


Untere  Extremität. 


515 


der  Schnittführung, 

der  Methode  sous- 

capsulo  -  periostee 

von     Ollier     an, 

immerhin  unter 
strenger  Berück- 
sichtigung des 
Grundsatzes ,  alles 
erkrankte  Gewebe 
von  Grund  aus  zu 
entfernen.  Es  kann 
also  vorkommen, 
dass  wir  bloss  die 
Haut  auf  die  frei 
präparirten  Kno- 
chen legen. 

Aber  zunächst 
suchen  wir  in  allen 
Fällen  einen  völlig 
intakten  Streck- 
apparat zu  sichern, 
um  freie  Hand  zu 
haben  für  die  Art 
des  Vorgehens,  und 
es  fällt  deshalb  jetzt 
unsere  Resections- 
methode  mit  den 
Methoden  der  Ar- 
throtomie  im  We- 
sentlichen zusam- 
men. Nur  über  die 
Art  der  Knochen- 
durchsägung  brau- 
chen wir  uns  für  die 
Resection  vorweg 
speciell  zu  äussern. 
Angesichts  der 
Forderung  fester 
Ankylose  bei  exact 
aneinander  gefüg- 
ter Knochen  am 
Kniegelenk  ist  ein 


Fig.  173.     Arthrotomia  genu  mit  lateralem  Bogenschnitt;   Haut  und  Fascia  lata 
gespalten;    oben  erscheint  der  Vastus  externus,  abwärts  die  Kapsel,  dann  Fett- 
gewebe und  im  unteren  Winkel  der  laterale  Rand  des  Lig.  patellae. 

33* 


5*6 


Excisionen  und  Resectionen. 


sehr  wesentlicher  Punkt  die  Art  und  Weise  der  Absägung  des 
Knochens.  Um  die  Verschiebung  des  Femur  an  der  Tibia  nach  vorne 
zu  verhüten,  hat  man  allerlei  winkelige  Absägungen  einerseits  und 
Fixationsversuche  zwischen  den  Sägeflächen  andererseits  gemacht.  Zur 
Fixation  hat  man  Nägel  benutzt  oder  Suturen  angelegt.  Da  dieselben 
aber  öfter  ausrissen  und  dem  Zwecke  nicht  entsprachen,  haben  ALBERT 
in  Wien  u.  A.  bei  der  Absägung  Kanten  an  gelegt.  Wir  sind  mit 
Metzger,  Fenwick,  welch  letzterer  Autor  darauf  besonderen  Werth 
schon  in  einer  Publication  von  1871  gelegt  und  später  28  Fälle  mit  sehr 
gutem  functionellen  Resultat  mitgetheilt  hat,  weitaus  am  besten 
gefahren  mit  convexer  Absägung  des  Femur  und  entsprechend 
concaver  Absägung  der  Tibia.  Allerdings  muss  man  die  Führung 
der  Säge  gut  zu  berechnen  verstehen,  aber  dann  kann  man  auch 
die  beiden  Sägeflächen  so  exact  zum  Ineinandergreifen  bringen  und 
auf  einander  passen,  dass  irgend  ein  weiteres  künstliches  Fixations- 
mittel völlig  überflüssig  wird,  vorausgesetzt  natürlich,  dass  das  Bein 
in  vollkommener  Streckung  auf  einer  Schiene  befestigt  wird. 
Die  bogenförmige  Absägung  des  Femur  hat  noch  den  Vortheil,  dass 
die  Epiphysenlinie  desselben,  welche  für  das  spätere  Wachsthum 
maassgebend  ist,  am  sichersten  geschont  wird.  Nach  Ineinander- 
fügung der  Knochen  wird  ganz  einfach  eine  tiefgreifende  Haut- 
Fasciennaht  angelegt,  nachdem  Drainröhren  durch  eigene  Oeffnungen 
eingelegt  sind.  Durch  dieses  Verfahren  haben  wir  in  zahlreichen 
Fällen  der  letzten  Jahre  vollkommene  Verklebung  durch  prima 
intentio  wie  bei  einfachen  Weichtheilwunden  erzielt,  so  dass  nach 
8 — 14  Tagen  der  bleibende  Wasserglasverband  wie  für  eine  sub- 
cutane Fractur  angelegt  werden  und  Patient  6  Wochen  nach  der 
Operation  aufstehen  konnte.  Wo  Primaheilung  eintritt,  lassen  wir 
unsere  Patienten  in  neuester  Zeit  nach  2  Wochen  schon  aufstehen. 
Für  diejenigen  Fälle,  wo  wegen  Eiterung,  überhaupt  localer  In- 
fection  offene  Wundbehandlung  stattfinden  muss,  kann  man  die 
Knochenenden  nicht  durch  bogenförmige  Absägung  gegeneinander 
fixiren.  In  diesem  Falle  thut  man  gut,  den  Streckapparat  zu  er- 
halten. 

LANGENBECK  hat  einen  ähnlichen  Schnitt  benutzt  für  die  Resection, 
aber  er  hat  ihn  viel  bogenförmiger  angelegt  und,  was  der  Hauptunter- 
schied ist,  auf  die  mediale  Seite  des  Gelenkes  verlegt.  Das  scheint  uns 
viel  weniger  passend  als  die  Verlegung  des  Schnittes  auf  die 
laterale  Seite.  Besteht  doch  bei  späteren  Stellungsabweichungen 
stets  zunächst  Neigung  zu  Valgus.  Es  kann  daher  nicht  gleich- 
gültig sein,  ob  man  Muskeln  und  Fascien  aussen  oder  innen  durch- 
schneidet ;  vielmehr  ist  es  wünschenswerth,  die  Resistenz  der  Gewebe 
auf  der  medialen  Seite  nicht  durch  Incisionen  zu  vermindern.  Aus 
diesem    Grunde    erscheint    uns    der   Vorzug    des  lateralen   Schnittes 


Untere  Extremität. 


517 


zweifellos.  Wir  geben  die  Schilderung  unseres  Verfahrens,  das  sich 
auch  am  Lebenden  in  vollem  Maasse  bewährt  hat. 

Der  Schnitt  (Fig.  172  u.  173)  beginnt  auf  dem  Vastus  externus,  hand- 
breit oberhalb  des  oberen  Endes  der  Patella  und  geht  erst  senkrecht  ab- 
wärts auf  der  lateralen  Seite  letzterer  und  1  Querfinger  von  derselben 
entfernt,  um  sich  im  leichten  Bogen  median wärts  zu  wenden  und  unter- 
halb der  Spina  tibiae  auf  der  medialen  Tibiafläche  zu  enden.  Spaltung 
von  Haut  und  Durchtrennung  einiger  Quervenen.  Es  erscheint  die 
sehr  stramme  Fascia  lata  mit  schräg  vorwärts  absteigender  Faserung. 
Sie  wird  gespalten ;  sie  ist  namentlich  nach  abwärts  sehr  dick.  Oben 
erscheint  der  laterale  Rand  des  Vastus  externus,  welcher  eingeschnitten 
wird;  abwärts  von  demselben  die  Aussenfläche  der  Gelenkkapsel,  noch 
weiter  abwärts  Fettgewebe  und  am  unteren  Theile  der  laterale  Rand 
des  Ligamentum  patellae,  welchem  entlang  man  auf  den  Knochen 
bis  unter  die  Spina  tibiae  schneidet.  Letztere  wird  mit  dem  unter- 
gesetzten Meissel  im  Zusammenhang  mit  dem  Ligament  und  mit  dem 
Periost  der  Tibia  subcortical  abgehoben  und  medianwärts  gezogen. 

Oben  wird  auf  der  Aussenfläche  des  Condylus  externus  femoris 
die  Gelenkkapsel  gespalten  und  das  obere  Ende  des  Recessus  sub- 
quadricipitalis  freigelegt;  nach  abwärts  aber  wendet  man  sich  der 
Mittellinie  zu,  um  ohne  Ablösung  der  Kapsel  vom  Meniscus 
lateralis  diesen  an  seinem  vordersten  Ende  von  den  Kreuzbändern 
zu  trennen  und  sammt  der  Kapsel  vom  oberen  Umfang  der 
Tibia  loszulösen.  Medianwärts  zieht  man  mit  scharfem  Haken  das 
Lig.  patellae  auf  die  Seite  und  trennt  zwischen  vorderem  Ansatz  des 
Ligamentum  cruciatum  und  Meniscus  medialis  den  letzteren  los  und 
löst,  wie  auf  der  Aussenseite,  vom  Knorpelrand  des  Condylus  in- 
ternus tibiae  die  Kapsel  sammt  dem  Periost  der  Tibia.  Jetzt  kann 
man  die  Patella  einwärtsklappen  (Fig.  174).  Dabei  flectirt  man 
mehr  und  mehr  unter  Loslösung  der  Kapsel  von  der  Tibia  innen 
und  aussen  bis  zur  stärksten  Beug-estellung.  Nunmehr  wird  der 
Ansatz  der  Ligamenta  cruciata  von  der  Eminentia  intercondyloidea 
tibiae  abgelöst  dicht  am  oder  mit  einem  Stück  Knochen  bis  zum  hinteren 
Ansatz  der  Menisken,  welche  im  Zusammenhang  mit  den  Ligamenta 
cruciata  abgelöst  werden  bis  auf  die  Hinterfläche  der  Tibia  (Fig.  175). 

Zeigt  sich  die  Abtragung  der  Gelenkenden  nöthig,  d.  h.  muss 
man  zur  Resection  übergehen,  so  wird  an  der  Fossa  intercondy- 
loidea femoris  der  obere  Ansatz  der  Ligamenta  cruciata  getrennt, 
so  dass  dieselben  sammt  den  Menisken  mit  der  Hinterwand  der 
Kapsel  und  dem  Periost  aufwärts  in  normalem  Zusammenhang 
bleiben.  Danach  wird  am  Knorpelrand  des  Femur  die  Kapsel 
gespalten,  und  wenn  sie  nicht  mit  exstirpirt  werden  muss,  subperiostal 
zurückgeschoben  bis  zum  Ansatz  der  Ligamenta  lateralia  an  den 
Epicondylen,   und   das  Femur   bogenförmig'   unterhalb   dieser  convex 


5i8 


Excisionen  und  Resectionen. 


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■■ 


M.  vastus  externus 

Gespaltene  Kapsel 

Verdickte  Synovialis  ? 
Condylus  ext.  femoris 


Patellaknorpel 


(Fascia  lata  (Fasern 
\des  Lig.  ilio-tibiale) 

{Schnitt   in  der  Mittel- 
linie  zur  Ablösung 
der  Menisci 


Ligamentum  patellae 
Abgetrennte  Spina  tibiae 
Abgeschobenes  Periost 


JX 


Fig.  174.    Arthrotomia  genu.   Das  Gelenk  ist  eröffnet,  die  Patella  mit  Quadriceps- 
sehne   und   Lig.   patellae   median wärts    geschlagen,    ebenso   die  losgemeisselte 
Spina  tibiae,  welche  mit  Lig.  patellae  oben  und  Periost  unten  im  Zusammen- 
hang geblieben  ist. 


Untere  Extremität. 


519 


abgesägt,  ebenso  die  Tibia  bogenförmig  concav  nach  ähnlicher  Los- 
lösung der  Kapsel  sammt  Periost  an  der  Hinterseite. 

Ist  der  Knochen  in  grösserer  Tiefe  erkrankt,  so  werden  die 
Seitenbänder  unter  Abmeisselung  der  Epicondylen  entsprechend 
weiter  vom  Knochen  abgehoben.  Speciell  für  das  Femur  ist  es 
wichtig,  dass  nach  Ablösung  von  Periost  und  Kapsel  von  der  nicht 
knorpeligen  Oberfläche  der  Condylen  bis  unter  die  Epicondylen 
diese  Knochenvorsprünge  (sammt  Seitenbändern  und  Sehnenansätzen) 
mit  einem  Meisselschlag  abgehoben  (nach  Art  der  von  KÖNIG  ein- 
geführten Methode  für  Erhaltung  der  Bandansätze)  und  in  unge- 
störtem Zusammenhang  mit  dem  Periost  rückwärts  gelagert  werden, 
bis   zu   der  Stelle,    wo   der  Sägeschnitt  hindurchgeführt  werden  soll 

(Fig.   176). 

Die  Arthrectomia  genu  mit  lateralem  Hakenschnitt 
weicht  insofern  von  dem  geschilderten  Vorgehen  ab,  als  man  die 
kranke  Kapsel  von  aussen  her  möglichst  weit  freilegt;  die  Schnitt- 
führung und  die  Art  und  Weise  der  subcorticalen  Abhebung  der 
Anheftungsstellen  der  Kreuz-  und  Seitenbänder  nebst  Epicondylen 
und  des  Ansatzes  des  Kniescheibenbandes  sammt  Tuberositas  tibiae 
bleibt  sich  gleich. 

Ist  nämlich  die  Kapsel  in  dem  Maasse  erkrankt,  dass  man  von 
vornherein  sicher  ist  (z.  B.  bei  fungöser  Synovitis  und  Arthritis),  dass 
sie  in  toto  entfernt  werden  muss,  mag  dabei  noch  eine  Resection  der 
Gelenkenden  hinzutreten  oder  nicht,  so  geht  man  in  folgender  Weise  vor: 

Nachdem  nach  Fig.  173  die  Haut,  ein  Theil  des  Vastus  externus, 
die  Fascia  lata  gespalten  sind  und  der  Ansatz  des  Lig.  patellae  abge- 
hoben, so  schneidet  man  nun  nicht  in  die  Gelenkkapsel  hinein,  sondern 
präparirt  sie  von  aussen  her  an  ihrem  ganzen  oberen  und  unteren  Um- 
fang frei  und  löst  das  Visceralblatt  vom  Knochen  los,  was  am  Femur 
bis  zum  Knorpelrand  sich  ganz  gut  machen  lässt,  da  die  Bursa  sub- 
quadricipitalis  durch  eine  Fettschicht  eine  Strecke  weit  vom  Knochen 
getrennt  ist.  Dann  wird  die  ganze  Kapsel  als  eine  zusammen- 
hängende Masse  entlang  den  Knorpelrändern  von  Femur,  Tibia 
und  Patella  gelöst.  Ist  die  Patella  krank,  so  wird  sie  subperiostal 
von  der  bedeckenden  Fascie  abgelöst.  Bei  Kindern  kann  die  Lösung 
der  Bänderansätze  und  die  Abhebung  der  Epicondylen  mit  dem 
Messer  geschehen. 

Bei  der  Arthrektomie  werden  auch  im  Gegensatz  zur  Arthrotomie 
die  Menisken  entfernt,  da  sie  miterkrankt  sind  und  sich  bei  Ab- 
lösung der  Kapsel  ober-  oder  unterhalb  nicht  erhalten  lassen. 
Zumal  bei  Tuberculose  als  Indication  zur  Operation  kommt  ja  Alles 
darauf  an,  dass  die  sämmtlichen  erkrankten  Gewebe,  sei  es  Synovialis, 
Knorpel  oder  Knochen,  gründlich  entfernt  werden,  wie  wenn  es  sich 
um  eine  maligne  Neubildung  handelte. 


520 


Excisionen  und  Resectionen. 


Nachbehand- 
lung. 

Wo  die  Kapsel 
geschont  ist,  wird  die- 
selbe sorgfältig  ge- 
näht ,  dann  werden 
die  Fascien  -  Haut- 
lappen durch  einige 
tiefgreifende  Nähte  in 
Contact  gebracht  und 
nach  Drainage  die 
fortlaufende  Hautnaht 
angelegt.  Zur  Siche- 
rung bleibender  Hei- 
lung bei  Tuberculose 
wird  Jodoform  in  alle 
Furchen  und  Falten 
eingerieben ,  drainirt 
und  genäht ;  bei 
Fisteln  und  offe- 
nen Wunden  wird 
die  Höhle  mit  Todo- 
formtampons  ausge- 
füllt, bloss  proviso- 
risch einige  die  Haut 
in  der  Lage  erhal- 
tende Nähte  ange- 
legt, aber  erst  nach 
i  —  10  Tagen  die  de- 
finitive Naht  nach  der 
von  uns  empfohlenen 
und  in  neuester  Zeit 
von  Bergmann, 
Sprengel  ,  Helfe- 
rich u.  A.  zum  Theil 
modificirten  Methode 
der  Secundärnaht 


Fig.  175.  Arthrotomia  genu  mit  lateralem  Schnitt  behufs  vollkommener  Frei- 
legung des  Gelenks.  Die  Kapsel  ist  bis  in  das  Muskelfleisch  des  Vastus  externus 
oben  und  neben  die  Spina  tibiae  unten  gespalten,  letztere  abgemeisselt  und 
sammt  Ligamentum  patellae  und  Periost  medianwärts  abgehoben,  so  dass  die 
Patella  in  ununterbrochenem  Zusammenhang  mit  dem  Streckapparat  nach  innen 
gewälzt  werden  konnte.  Die  Menisken  am  vorderen  Ansatz  getrennt  und  ohne 
Ablösung  von  der  Kapsel  mit  dieser  nach  beiden  Seiten  geschlagen. 


Untere  Extremität. 


521 


gemacht;  oder  aber  man  legt  die  Jodoformtampons  ein  und  näht 
mit  Belassung  von  Lücken  für  letztere  definitiv  und  entfernt  die 
Gaze  nach  8 — 10  Tagen. 


^W  Wii , 


Fig.  176.  Resectio  genu.  Lösung  von  Spina  tibiae  und  Menisken,  wie  bei 
Fig.  175  angegeben;  auch  der  Ansatz  der  Ligamenta  lateralia  an  den  Epicondylen 
des  Femur  ist  abgemeisselt,  die  Lig.  cruciata,  mit  der  Kapsel  im  Zusammenhang, 
von  ihren  Ansätzen  in  der  Fossa  intercondyloidea  femoris  et  tibiae  losgelöst. 


D*' 


Excisionen  und  Resectionen. 


Bei  gründlicher  Zerstörung  der  Granulationen  und  Reinigung 
der  Fisteln  darf  nach  Einreiben  mit  Jodoform  in  der  Regel  primär 
genäht  werden.  Unumgänglich  nöthig  ist  in  allen  Fällen  der  primäre 
Gipsverband  in  vollkommener  Geradstreckung  des  Beins.  Der  Verband 
soll  bis  zum  Sitzknorren   und  abwärts  bis   zu  den  Malleolen  reichen. 

Unregelmässige  Resectionen  und  Excisionen  im  Knie- 
gelenk, z.  B.  des  einen  Condylus  tibiae  oder  femoris,  sind  nur  ge- 
stattet, wenn  man  den  anderen  Condylus  in  ankylotische  Verbindung 
mit  dem  gegenüberstehenden  Knochen  zu  bringen  Sicherheit  hat. 

281)  Resectio  patellae. 

Eine  bei  primärer  Erkrankung  der  Patella 
zur  Verhütung  diffuser  Gelenkerkrankung 
wichtige  Operation.  Längsschnitt,  Spaltung 
der  Fascie  und  des  häufig  darunterliegenden 
glattwandigen  Schleimbeutels,  Ablösung  der 
bedeckenden  Quadricepsfascie  und  des  Periosts 
und  Auslösung  aus  der  Vorderwand  der 
Kapsel  sind  die  einzelnen  Momente  dieser 
höchst  einfachen  Operation.  Nach  Entfernung 
der  Patella  können  die  Schnittränder  der 
Kapsel  in  Längsrichtung  ohne  Schwierigkeit 
vereinigt ,  das  Gelenk  geschlossen  und  der 
Streckapparat  auf  diese  Weise  wieder  her- 
gestellt werden.  Die  Resultate  sind  functionell 
sehr  befriedigend,  da  völlig  bewegliche  Ge- 
lenke erhalten  werden  können  (Nachweise 
von  Dr.  Kummer). 

282)  Osteotomia  und  Resectio 
cuneiformis  tibiae  (Fig.  177). 

Zwei  Finger  breit  unterhalb  der  Gelenk- 
linie wird  in  der  Spaltrichtung  der  Haut, 
d.  h.  quer  incidirt  von  der  Spina  tibiae  bis  auf 
die  vorragende  Wadenmusculatur,  das  Periost  gespalten,  abgelöst 
und  der  Meissel  aufgesetzt  in  der  Richtung  des  Hautschnittes.  Der 
Ansatz  des  Ligamentum  patellae  darf  nicht  verletzt  werden,  weil 
hier  zwischen  ihm  und  der  Tibia  ein  Schleimbeutel  sich  befindet,  der 
mit  dem  Gelenk  communiciren  kann. 

Bei  hochgradigem  Genu  valgum  ist  die  Excision  eines  Keils 
aus  der  Tibia  vorzuziehen  mit  medialwärts  gerichteter  Basis,  weil 
sonst  bei  der  Geraderichtung  eine  zu  starke  Zerrung  im  Bereich  des 
Fibulaköpfchens  und  eine  Lähmung  des  dasselbe  umschlingenden 
N.  peroneus  die  Folge  sein  kann.  Luksch  (Nicoladoni)  findet  das 
Herausschneiden  eines  Prisma  aus  der  Tibia  vortheilhafter. 


Fig.  177. 
Osteotomia  femoris. 
Osteotomia  cuneiformis 
tibiae. 


Untere  Extremität.  523 

283)  Osteotomia  femoris  supracondylica  (Fig.  177). 

Der  Schnitt  in  der  Spaltrichtung  der  Haut  ist  sowohl  aussen  als 
innen  ein  schräg  von  oben  hinten  nach  vorne  abwärts  gerichteter 
durch  Haut  und  die  zumal  auf  der  lateralen  Seite  sehr  starke  Fascia 
lata.  Der  Vastus  (internus  oder  externus)  wird  an  seinem  hinteren 
Rande  freigelegt,  aufwärts  gezogen  und  vom  Epicondylus  weg  auf- 
wärts das  Periost  gespalten,  nach  vorne  und  hinten  mit  Elevatorium 
gehörig  abg'ehebelt  und  der  Knochen  mit  dem  Meissel  zu  3/4  seines 
Durchmessers  durchschlagen,  der  Rest  eingebrochen. 

Die  Arteria  articularis  genu  superior  interna  resp.  externa  ist  zu 
berücksichtigen,  innen  besonders  der  tiefe  Ast  der  A.  articularis  genu 
suprema.  Wir  haben  neben  Macewen,  welcher  dieselbe  zum  Normal- 
verfahren bei  Genu  valgum  ausgebildet  hat,  die  erste  Osteotomia 
femoris  bei  diesem  Leiden  ausgeführt. 

Als  Normalverfahren  muss  der  Schnitt  auf  der  medialen  Seite 
gelten  oberhalb  des  Epicondylus  internus  und  fingerbreit  vor  dem 
Ansatz  der  Sehne  des  Adductor  magnus,  um  die  Arteria  articu- 
laris genu  suprema  zu  vermeiden.  Man  kommt  von  der  medialen 
Seite  leichter  auf  den  Knochen  und  braucht  nach  Spaltung  von  Haut 
und  relativ  dünner  Fascie  bloss  mit  stumpfem  Haken  den  frei- 
gemachten unteren  Rand  des  Vastus  internus  emporzuheben,  um  das 
Periost  zu  spalten.  Es  ist  von  hier  auch  leichter,  das  Periost  vorne 
unter  Schonung  der  Gelenkkapsel  und  ebenso  hinten  abzuhebein. 
Wir  halten  diese  Abhebelung  im  Interesse  der  sicheren  Schonung 
der  Weichtheile  vor  Meissel  Verletzungen  für  besser,  als  das  vielfach 
beliebte  Verfahren  von  Macewen,  der  von  ganz  kleiner  Oeffnung 
aus  den  Meissel  auf  den  Knochen  aufsetzt.  Ach  bedienen  wir  uns 
eines  Meisseis  mit  einseitig  stumpfem  Fortsatz. 

Man  meisselt  den  Knochen  nicht  total  durch,  sondern  bricht 
den  Rest  ein.  Die  Nachbehandlung  wird  gewöhnlich  mit  sofortiger 
Anlegung  eines  Gypsverbandes  geleistet;  wir  sind  aber  von  diesem 
Verfahren  abgegangen  und  machen  jetzt  lieber  Lagerung  und  Exten- 
sion mit  Gewichten,  um  Steifigkeit  des  Kniegelenks  zu  vermeiden. 
Die  kleine  Wunde  wird  sofort  zugenäht  und  mit  einem  Collodial- 
streifen  bedeckt. 

Die  Osteotomia  supracondylica  femoris  bei  der  femoralen  Form 
des  Genu  valgum  ist  völlig  an  die  Stelle  der  sonst  so  ingeniösen 
Methode  OGSTON's  mit  intraarticulärer  Trennung  des  Condylus  in- 
ternus getreten.  Sie  ist  jeder  Form  von  Osteoclase  und  forcirter 
Geraderichtung  ohne  Operation  weit  vorzuziehen.  Weniger  geübt 
ist  die  Osteotomie  bei  Contractur  und  Ankylose  des  Kniegelenks  in 
falscher  Stellung,  weil  durch  die  Resection  in  Form  keilförmiger 
Entfernung  eines  Stückes  Femur  und  Tibia  sammt  Gelenkspalte  sich 
leicht  sehr  befriedigende  Resultate  erzielen  lassen  und  dabei  gleichzeitig 


524 


Excisionen  und  Resectionen. 


bei  noch  zurückgebliebenen  Krankheitsherden  im  Gelenk  die  definitive 
Ausheilung-  sicher  zu  erzielen  ist.  Es  lässt  sich  aber,  wie  wir  aus 
Erfahrung  berichten  können,  durch  supracondyläre  Osteotomie  in 
Fällen,  wo  Contractur  mit  einem  gewissen  Grad  von  Beweglichkeit 
des  Gelenks  verbunden  ist,  in  einzelnen  Fällen  ein  besseres  Resultat 
erzielen,  als  dieses  mit  Resection  möglich  wäre:  Man  kann  die  Streck- 
stellung  herbeiführen,  ohne  die  Beweglichkeit  des  Gelenks  einzubüssen. 


284)    Osteotomia 
subtrochanterica  (Fig. 


und    Resectio    cuneiformis    femoris 

178  und  179). 

Die  Osteotomia  subtrochan- 
terica ist  als  die  Operation,  welche 
die  Osteotomie  zu  einer  Methode 
erhoben  hat,  schon  historisch 
interessant.  Sie  wurde  von  Rhea 
Barton  ausgeführt.  Sie  ist  von 
Volkmann  in  ausgedehntem 
Maasse  benutzt  und  Adams  und 
Sayre  haben  ihre  Vorzüge  ins 
Licht  gestellt.     Sie  ist  eine  aus- 


Fig.  178.  Fig.  179. 

Osteotomia  subtrochanterica. 


gezeichnete  Operation  für  alle  diejenigen  Stellungsanomalien  im  Hüft- 
gelenk, bei  welchen  man  letzteres  nicht  angreifen  kann  oder  will.  Dies 
ist  in  erster  Linie  der  Fall  bei  der  mit  Ankylose  oder  hochgradiger 
Steifigkeit  in  Flexions-  und  Adductionsstellung  ausgeheilten  Coxitis. 
Man  ist  bei  schweren  Fällen  froh,  dass  es  zur  Ausheilung  mit  Ankylose 
gekommen  ist  und  eine  Resection  des  Gelenkes,  welche  die  Beweglich- 
keit wiederherstellen  würde,  ist  ungünstig,  weil  die  Hüftmusculatur 
atrophisch   geworden   ist.     Mit   der  Osteotomia  subtrochanterica  ver- 


Untere  Extremität. 


525 


meidet  man  diesen  Uebelstand  und  erreicht  die  Correction  ebensogut. 
Der  Eingriff  ist  leicht  und  hat  bloss  die  Bedeutung  einer  subcutanen 
Fractur,  wenn  man  aseptisch  vorgeht. 

In  ähnlicher  Weise  kann  man  ganz  erhebliche  Besserung  der 
Gehfunction  erzielen  durch  Osteotomia  subtrochanterica  bei  veralteten 
und  bei  congenitalen  Hüftluxationen.  Auch  hier  ist  die  Operation 
oft  weniger  verletzend,  als  ein  blutiger  Eingriff  zur  Reposition  des 
Kopfes  in  die  Pfanne,  wenn  diese  anders  nicht  zu  beschaffen  ist 
Wenn  der  luxirte  Kopf  gut  fixirt  und  zugleich  beweglich  ist  an 
seinem  neuen  Standort,  so  kann  es  vortheilhaft  sein,  ihn  daselbst  zu 
belassen  und  bloss  die  gute  Richtung  des  Beins  durch  die  Osteotomie 
herbeizuführen. 

Querer  oder  noch  besser  in  der  Richtung  des  Sägeschnittes 
(Fig.  179)  schräger  Schnitt  durch  Haut  und  Fascie  des  Glutaeus 
maximus  hinter  dem  sehnigen  Ansatz  des  M.  vastus  externus  auf 
den  Knochen  an  der  lateralen  Seite  in  der  Höhe  der  Basis  des 
Trochanter  major,  so  dass  der  Trochanter  minor  oberhalb  der 
Trennungslinie  bleibt.  Der  Endast  der  A.  circumflexa  externa  läuft 
dem  queren  Schnitt  parallel  (s.  Ligaturen.)  Der  Knochen  wird  schräg 
von  aussen  oben  und  hinten  nach  unten  innen  und  vorne  durch- 
gemeisselt,  weil  verhütet  werden  soll,  dass  bei  forcirter  Abduction 
das  untere  Fragment  sich  medialwärts  oder  nach  vorne  vom  oberen 
dislocire. 

Nachbehandlung  kann  mit  Gypsverband  und  Doppelhose  geleistet 
werden  in  den  Fällen,  wo  die  Correction  der  Stellung  leicht  voll- 
kommen zu  bewerkstelligen  ist.  Wo  aber  dies  nicht  auf  einmal  voll- 
kommen gelingt,  ist  eine  Extension  mit  Gewichten  bei  guter  Lagerung 
zweckmässiger. 

285)  Resectio  diaphyseos  femoris. 

Von  der  Basis  des  Trochanter  major,  wo  sich  der  Endast  der 
A.  circumflexa  externa  unter  dem  Vastus  hinzieht,  bis  zum  Condylus 
externus  femoris,  wo  die  A.  articularis  genu  superior  externa  quer 
um  den  Knochen  läuft,  darf  man  auf  der  lateralen  Seite  in  ganzer 
Länge  des  Knochens  am  hinteren  Rande  des  Vastus  externus,  zwischen 
ihm  und  dem  M.  biceps,  einschneiden,  ohne  eine  unvorgesehene  Ver- 
letzung befürchten  zu  müssen. 

286)  Resectio  coxae  (Fig.  180,  181  und  182). 

Wir  haben  den  namentlich  von  Barker,  LÜCKE  und  SCHEDE 
warm  empfohlenen  vorderen  Resectionsschnitt  nach  Hüter  versucht, 
halten  ihn  aber  nur  behufs  partieller  Resection,  d.  h.  zur  Entfernung 
am  vorderen  Umfang  der  Gelenke  geleg-ener  Kapsel-  oder  Knochen- 
theile  angezeigt.  Besonders  geeignet  ist  Hüter's  vorderer  Längs- 
schnitt zur  Freilegung  der  Pfanne  bei  congenitaler  Hüftgelenkluxation : 


526 


Excisionen  und  Resectionen. 


Glutaeus  medius 


Man  geht  zwischen  Tensor  fasciae  latae  und  Sartorius  durch  Haut 
und  Fascie  und  am  lateralen  Rande  des  Rectus  femoris  auf  die  Ge- 
lenkkapsel ein.  Die  Methode  zur  Arthrotomie  des  Hüftgelenkes  bei 
con genitaler  Hüftluxation  ist  durch  die  Arbeiten  Hoffa's  und 
Lorenz'  aufs  Genaueste  ausgebildet  und  daselbst  nachzusehen.  Für 
jede  breite  Eröffnung  der  Gelenke  giebt  der  hintere  Schnitt  bei 
Weitem  mehr  Raum,  zumal  bei  folgendem  Vorgehen: 

Winkelschni  tt 
(resp.  Bogenschnitt)  an 
der  Basis  der  Hinter- 
fläche des  Trochanter 
major  beginnend,  von 
da  zur  hinteren  Tro- 
chanterspitze  aufwärts 
und  winklig  abbiegend 
Tensor  fasciae  latae  in  der  Richtung  der 
Trochanter  major  Faserung  des  Glutaeus 
Glutaeus  maximus  maximus  schräg  auf- 
und  median wärts  durch 
Haut  und  oft  reichliches 
Fettgewebe  (Fig.  180). 
An  der  Basis  des  Tro- 
chanter major  werden 
gelegentlich  grössere 
Aeste  der  Arteria  cir- 
cumflexa  externa  ver- 
letzt und  gefasst.  Auf 
der  Aussenfläche  glatte 
Fascie  des  M.  glutaeus 
maximus  gespalten,  wo- 
durch das  Periost  und 
der  die  Trochanter- 
spitze  in  ganzer  Breite 
deckende  Ansatz  des 
M.  glutaeus  medius 
freigelegt  und  das  Abheben  des  M.  glutaeus  maximus  erleichtert 
wird  (Fig.   181). 

Auf-  und  rückwärts  trennt  der  Schnitt  die  Fasern  des  Glutaeus 
maximus  in  Längsrichtung,  wobei  gewöhnlich  im  oberen  Theil  einige 
grössere  Gefässäste  durchschnitten  und  unterbunden  werden  müssen. 
Besser  ist  es  noch,  womöglich  den  oberen  Rand  dieses  Muskels  frei- 
zulegen und  abwärts  zu  ziehen. 

Jetzt  tritt  eine  dünne  Fettschicht  zu  Tage,  welche  getrennt  wird, 
um  am  unteren  Rande  des  Glutaeus  medius  in  das  Interstitium  zwischen 


Fig.  180.  Arthrotomia  coxae.  Contouren  unter  theil- 

weiser  Benützung  von  Paul  RlCHER's  „Anatomie 

artistique". 


Untere  Extremität. 


527 


diesem  Muskel  nebst  Glutaeus  minimus  oben  und  der  Sehne  des  M. 
pyriformis  unten  zu  gelangen.  Hier  wird  eingegangen  und  zunächst 
die  breite  an  der  Aussenfläche  der  Trochanterspitze  sich  ansetzende 
Sehne  des  Glutaeus  medius  und  darunter  die  am  vorderen  Rande 
sich  anheftende  Sehne  des  Glutaeus  minimus  sammt  dem  Periost 
mit  Längsschnitten  bis  zur  Linea  intertrochanterica  nach  vorne 
abgehoben.  An  letzterer  Stelle  löst  man  den  Ansatz  des  Lig.  ilio- 
femorale  los  unter  Beugestellung  des  Oberschenkels  mit  Auswärts- 
rotation. Nunmehr  wird  entlang  dem  unteren  Rande  der  Sehne  des 
M.  pyriformis  die  Kapsel  gespalten  und  bei  gebeugtem  und  einwärts 
rotirtem  Oberschenkel  der  Ansatz  der  schlanken  Pyriformissehne  in 
der  Fossa  trochanterica  sammt  Periost  dicht  am  Knochen  losgelöst, 
danach  die  sämmtlichen  Auswärtsrotatoren  in  Zusammenhang  mit 
dem  Periost  oder  einer  dünnen  oberflächlichen  Knochenschicht  rück- 
wärts abgehoben,  nämlich  von  vorne  beginnend  die  Sehne  des  Ob- 
turator  internus  mit  Gemelli  und  des  Obturator  externus.  So  wird 
die  periostale  Bedeckung  der  Innenfläche  des  Trochanter  und  der 
Rückfläche  dieses  Knochentheils  im  Zusammenhang  nach  hinten  ab- 
gehoben (bei  einwärts  rotirtem  Oberschenkel)  (Fig.  182). 

Auf  diese  Weise  hat  man  die  vom  Nervus  glutaeus  superior 
versorgten  Muskeln,  nämlich  die  Glutaei  medius  und  minimus  nach 
vorne  oben  geschoben  gegen  den  M.  tensor  fasciae  hin,  welcher 
dieselbe  Nervenversorgung  hat  und  mit  den  Glutaei  für  die  spätere 
Abduction  des  Schenkels  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  während 
die  übrigen  Muskeln,  Glutaeus  maximus  und  Obturatorii,  welche  vom 
N.  glutaeus  inferior  wesentlich  versorgt  sind,  nach  hinten  im  Zu- 
sammenhang bleiben.  Der  M.  pyriformis  ist  von  einem  Nervenzweig 
des  Glutaeus  superior  oder  inferior  versorgt,  aber  dieser  Ast  geht  so 
hoch  oben  ab,  dass  dessen  Verletzung  nicht  in  Betracht  kommt. 

So  wird  die  ganze  Rück-,  Aussen-  und  Vorderfläche  von  Femur- 
kopf,  Femurhals  und,  soweit  nöthig,  Trochanter  freigelegt,  und  man 
hat  bloss  einige  Aeste  der  Arteria  femoris  circumflexa  interna,  welche 
quer  über  die  Kapsel  des  Schenkelhalses  verläuft,  und  eventuell  die 
A.  circumflexa  externa  da,  wo  sie  sich  an  der  Basis  des  Trochanter 
major  unter  dem  Vastus  externus  durchdrängt  und  um  das  Femur 
herumschlägt,  zu  unterbinden.  Meistens  genügt  es,  die  wenigen 
Arterienäste  mit  Arterienzangen  zu  fassen  und  nachher  abzudrehen. 
Es  ist  leicht,  die  Synovialis,  wenn  dieselbe  fungös  entartet  ist  und 
excidirt  werden  soll,  vor  der  Eröffnung  der  Kapsel  auf  eine  grosse 
Strecke  hin  von  hinten  exact  zu  präpariren  und  von  ihrem  Ansätze 
an  Pfanne  und  Schenkelhals  loszulösen  und  so  die  hintere,  obere  und 
zum  Theil  vordere  Wand  in  toto  zu  entfernen.  Nach  Trennung  des 
Lig.  teres  durch  Schnitt  von  hinten  unten  auf  den  Schenkelkopf  bei 
stark  adducirtem,  einwärts  rotirtem  und  flectirtem  Schenkel  wird  der 


528 


Excisionen  und  Resectionen. 


Kopf  nach  hinten  luxirt,  und  in  dieser  Stellung  wird  die  Pfanne  der 
Inspection  zugänglich.  Fungositäten  werden  jetzt  mit  Pincette  und 
Scheere  abgetragen,  so  dass  man  die  Sicherheit  einer  vollständigen 
Ausräumung  des  Gelenkes  bekommt. 

Von  den  zahlreichen  Methoden  der  Hüftgelenksresection  kennen 
wir  keine,  welche  so  vollständige  Schonung  von  Muskeln  mit  Nerven, 


Fig.  181.     Arthrotomia  coxae  nach  Spaltung  des  Glutaeus  maximus  und  dessen 

starker   kappenförmig   über    den   Trochanter   gehender   Fascie.     Man   sieht   die 

Ansätze  des  Glutaeus  medius  und  minimus  am  Trochanter  major. 

sowie  des  Knochens  erlaubt,  so  wenig  verletzend  ist  und  so  freien 
Einblick  ins  Gelenk  gewährt.  Es  ist  die  Weiterbildung  der  Langen- 
BECK'schen  Methode,  deren  Schrägschnitt  zu  Grunde  liegt,  welche 
aber  nicht  genügt,  zumal  für  blosse  Kapselexstirpation  mit  Erhaltung 
des  Knochens.  Wir  verzichten  deshalb  hier  darauf,  Vergleiche  mit 
anderen  Operationsverfahren  herbeizuziehen. 

Will   man  bloss  die  Arthrotomie  machen  oder  bloss  einen  Theil 
der  Knochen  entfernen,  so  eröffnet  man  sofort  die  Kapsel  längs  des 


Untere  Extremität. 


529 


oberen  Randes  des  Pyriformis  von  der  Pfanne  bis  zum  Schenkelhals 
und  löst  mit  der  Kapsel  Periost  und  Muskelansätze  von  Hals 
und  Trochanter  ab.  Die  nach  vorne  und  hinten  mit  dem  Periost 
oder  oberflächlichen  Knochenschichten  losgelösten  Sehnenansätze 
werden  kappenförmig  über  den  Trochanter  nach  der  Operation  zu- 
sammengeklappt   und    wieder    vernäht.      Auch    wo    Herde    an    der 


M.  glutaeus") 
maximus  / 

M.  glutaeus! 
medius     J 

M.  glutaeus) 
minimus     j 


M.  pyriformis - 


Vorderer  \ 
Kapselrand/ 


Abgelöstes! . 
Periost   / 


Fig.  182.   Arthrotomia  coxae.  Die  Kapsel  ist  eröffnet,  die  Ansätze  des  M.  glutaeus 

medius   und  minimus   sammt  Pyriformis  und  Trochanter  nach   oben   losgelöst; 

abwärts  ist  die  Kapsel  im  Zusammenhang  mit  Periost  und  Sehnenansätzen  des 

Obturator  internus,  Gemelli  und  Obturator  externus  rückwärts  gelöst. 


vorderen   Fläche    des  Schenkelhalses  sich   finden,   habe   ich   den  ge- 
schilderten Schnitt  besser  gefunden,  als  die  Resectio  von  vorne. 

Wenn  man  nöthig  hat,  die  Rückfläche  des  Beckens  ausgiebiger 
Inspection  zu  unterwerfen  oder  grössere  Stücke  Darm  wegzunehmen, 
soj  erscheint  Sprengel's  Vorschlag  eines  Beckenschnittes 
entlang  der  Crista  ilii  und  vorne  am  Tensor  fasciae  herunter  mit  Ab- 
wärtsklappen der  gesammten  Glutäalmusculatur  sehr  passend.  Im 
Nothfall    macht    S.    den    vorderen    Schnitt    sogar   bis    entlang    dem 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  -24 


53o 


Excisionen  und  Resectionen. 


lateralen  Rande  des  N.  cruralis  abwärts  und  hat  so  hartnäckige 
Beckeneiterungen  zur  Heilung  gebracht.  Man  hat  den  Vortheil, 
bei  diesem  Schnitt  subperiostal  zu  verfahren  und  damit  sämmtliche 
Weichtheile  in  ungestörtem  Zusammenhang  zu  erhalten  mit  zu- 
führenden Gefässen  und  Nerven.  Man  muss  aber  nach  unserem 
Princip  die  Nervengebiete  säuberlich  auseinanderhalten,  daher  den 
vorderen  Schnitt  zwischen  Tensor  und  Sartorius  abwärts  führen, 
da  letzterer  und  der  darunter  liegende  Rectus  femoris  schon  dem 
Gebiet  des  N.  cruralis  zugehöreh. 

287)  Resection  einer  Beckenhälfte  (Fig.  183). 

Ich  habe  im  Jahre  1884  meine  erste  Operation  dieser  Art  ge- 
macht bei  einem  51 -jährigen  Manne  wegen  Osteoidchondrosarkom. 

Der  Tumor  hatte  sich  angeblich  6  Wochen  vor  seinem  Eintritt  entwickelt 
auf  ein  Trauma  hin  und  war  rasch  grösser  geworden  unter  Schmerzen  und 
Functionsstörung.  Die  unregelmässige,  derbe,  höckerige  Geschwulst  nahm  fast 
die  ganze  rechte  Darmbeinschaufel  ein,  bot  stellenweise  eine  dünne  Knochen- 
schale dar,  wölbte  sich  gegen  die  Glutäen  vor,  war  empfindlich  auf  Druck. 
Im  Hüftgelenk  ein  Knacken. 

Bei  der  Operation  (9.  Dec.  1884)  wurde  Scham-  und  Sitzbein  2  cm  median- 
wärts  von  der  Pfanne  durchsägt,  die  Lösung  hinten  in  der  Synchondrosis  sacro- 
iliaca  gemacht.    Es  zeigte  sich  nöthig,  auch  das  obere  Femurende  zu  reseciren. 

Am  19.  Januar  1885  konnte  Patient  Gehversuche  machen,  am  16.  März  mit 
Krücke  und  Stock  entlassen  werden.  Unser  letzter  Status  datirt  vom  13.  Juli 
1888  (vergl.  Fig.  183):  Patient  ist  seit  der  Operation  gesund  gewesen,  er  hat 
einen  Monat  nach  der  Entlassung  angefangen,  leichte  Arbeit  zu  verrichten; 
jetzt  ist  er  bei  Landarbeit  behülflich.  Er  kann  eine  Stunde  weit  gehen  ohne 
Unterstützung. 

Er  hinkt  wie  ein  Hüftgelenkresecirter,  geht  auf  der  Fussspitze,  setzt  sein 
Bein  in  Schleuderbewegung  vor.  Das  Bein  hat  eine  natürliche  Stellung,  das 
Knie  kann  gestreckt  werden.  Die  Verkürzung  beträgt  10  cm.  Passiv  besteht 
ein  Schlottergelenk  (Rotation  270  °),  activ  abnorme  Auswärtsrotation  möglich. 
Flexion  activ  auf  105  °,  passiv  normal.  Streckung  activ  normal,  passiv  Hyper- 
extension  von  45  °.    Ab-  und  Adduction  passiv  auf  70  °  nach  beiden  Seiten. 

Oberes  Femurende  bloss  3  cm  von  der  Medianlinie  des  Körpers  entfernt 
in  der  Höhe  der  anderseitigen  Spina  ilii  a.  s.  entsprechend.  Das  Femur  lässt 
sich  einige  Centimeter  auf-  und  abwärts  schieben.  Arteria  femoralis,  stark 
pulsirend,  zeigt  starke  Windungen.  Horizontaler  Schambeinast  3  cm  lang. 
Abdomen  wölbt  sich  zu  einer  faustgrossen  Hernie  vor.  Der  rechte  Sacrolum- 
balis  bildet  einen  vorragenden  Wulst.  Der  rechte  Umfang  der  Wirbelsäule  ist 
mit  Leichtigkeit  abzutasten,  ebenso  die  Gelenkfläche  des  Kreuzbeins  und  dessen 
Vorderfläche. 

Bald  nach  mir  hat  Roux  in  Lausanne  eine  ähnliche  Operation 
ausgeführt  und  vor  Kurzem  habe  ich  wieder  wegen  eines  Becken- 
sarkoms bei  einem  13-jährigen  Knaben  die  Operation  gemacht.  Die 
Ausführung  hängt  von  der  Erkrankung  ab.  Bei  diesem  letzteren 
Falle  machte  ich  einen  Schnitt  von  der  Synchondrosis  sacro-iliaca 
entlang  der  Crista  und  des  PouPART'schen  Bandes. 

Nach    oben    wird    zunächst    nach    Trennung   der   Bauchmuskeln 


Untere  Extremität. 


531 


entlang  dem  PouPART'schen  Bande  und  der  Crista  die  Fascia  trans- 
versa mit  dem  [Peritoneum  vom  Tumor  emporgehoben  bis  an  die 
grossen  Gefässe  (A.  und  V.  iliaca),  welche  sammt  dem  Nervus 
cruralis  medianwärts  abgehoben  werden.  Kleinere  Nerven  (Cutaneus 
externus  u.  a.)  müssen  event*  durch- 
schnitten, die  A.  circumflexa  ant. 
und  post.  mit  Klemmzangen  gefasst 
werden. 

Abwärts  werden  erst  unter  dem 
Lig.  Pouparti  die  Muskeln  lateral 
von  den  grossen  Gefässen  gelöst  und 
getrennt:  Rectus  femoris,  Sartorius, 
Tensor  fasciae,  dann  stumpf  die  An- 
sätze des  Glutaeus  medius  und  mini- 
mus  unter  der  Crista  abgehoben  und 
getrennt  bis  zur  Synchondrose. 

Vorne  wird  Iliopsoas  und  Ge- 
lenkkapsel mit  Lig.  Bertini  durch- 
schnitten und  medianwärts  das  Scham- 
bein und  Sitzbein  subperiostal  frei- 
gemacht und  mit  der  schneidenden 
Zange  durchschnitten.  Jetzt  setzt 
man  von  oben  ein  kräftiges  Messer 
in  die  Synchondrosis  sacro-iliaca  ein, 
trennt  dieselbe  und  luxirt  die  Becken- 
hälfte abwärts.  Es  bleibt  noch  der 
Rest  der  Rückfläche  des  Beckens 
stumpf  frei  zu  machen  und  die  Flexo- 
ren  am  Sitzknorren,  sowie  die  starken 
Ligamenta  sacralia  an  diesem  und  an 
der  Spina  ischii  mit  dem  Messer  ab- 
zutrennen. Die  Blutung  ist  wegen 
der  längeren  Dauer  der  Operation 
nicht  unbeträchtlich,  indes  werden 
keine  grösseren  Gefässe  verletzt  und 
bei  unserem  letzten  Falle  haben  wir 

keine    einzige   Ligatur    angelegt,  [sondern    alle   Klemmpincetten   ab- 
gedreht.    Der  Knabe  ist  per  primam  geheilt. 

Nach  einer  Erfahrung  bei  einem  älteren  und  heruntergekommenen 
Patienten,  bei  welchem  wir  einen  Exitus  erlebten,  scheint  es  uns 
empfehlenswerth,  nach  Trennung  der  Bauchmuskeln  an  Crista  und 
Lig.  Pouparti  unter  gehöriger  Abhebung  der  Fascia  transversa  sammt 
Peritoneum  die  Vasa  iliaca  interna  behufs  Verhütung  zu  starken 
Blutverlustes  zu  unterbinden. 


Fig.  183.    Resection  des  Hüftgelenks 

und  einer  Beckenhälfte  wegen  Tumor 

pelvis. 


34 s 


532 


Excisionen  und  Resectionen. 


Partielle  Beckenresectionen  sind  schon  vielfach  gemacht  (vergl. 
Gussenbauer,  Ueber  Exstirpation  von  Beckenknochen geschwülsten 
1891).  WiLMS  hat  eine  von  Trendelenburg  ausgeführte  Resec- 
tion  des  ganzen  vorderen  Beckenrings  beschrieben, -nach 
welcher  der  Gang  der  Patientin  auffallend  wenig  gestört  war. 

Eine  Totalresection  des  Sacrum  wegen  eitrig-käsiger^ Ostitis 
desselben  und  theilweiser  Nekrose  habe  ich  bei  einer  3  7 -jährigen1  Frau 
am  22.  Dec.  1887  ausgeführt  mit  unglücklichem  Ausgang  in  Folge 
Cerebrospinalmeningitis.  Doch  Hess  sich  feststellen,  dass  man  den 
Sacralcanal  und  die  Foramina  sacralia  aufm  eissein  und  die  Cauda  equina 
sammt  den  austretenden  Nerven  in  einer  Weise  herausheben  kann,  dass 
keine  wesentliche  Störung  resultirt.  Die  Frau  zeigte  gar  keine  Mo- 
tilitätsstörung, bloss  eine  herabgesetzte  Sensibilität  am  linken  Peroneus 
nach  der  Operation.    Die  Operation  geschah  mit  Messer  und  MeisseL 


V.  Obere  Extremität. 

288)  Excision  der  Phalangen,  Metacarpalknochen,  der 
Interphalangeal-  und  Metacarpo-phalangealgelenke(Fig.  184 

und  185). 

Für  die  Phalangen  und  Gelenke  kann  es 
sich  bloss  um  Seitenschnitte,  für  die  Metacarpi 


Fig.  184.  Fig.  185. 

Resectio  phalangum  et  metacarporum.  Resectio  articulationum  digitorum. 

Frontalschnitt  des  Handgelenks  nach  Henle. 


Obere  Extremität. 


533 


um  Dorsalschnitte  handeln.  Die  Incisionen  an  den  Fingern  werden 
näher  dem  Dorsum  gelegt,  um  so  mehr,  je  mehr  sie  peripher  ver- 
längert werden. 

Für  die  Finger  ist  es  angezeigt,  um  einseitige  Narbenretraction 
und  laterale  Verkrümmungen  nach  Entfernung  von  Knochen  zu  ver- 
hüten, Incisionen  beiderseits  zu  machen.  Strecksehnen  und  Nerven 
des  Handrückens  (N.  radialis  und  ulnaris)  sind  zu  schonen,  die  Schnitte 
auf  dem  subcutan  fühlbaren  Knochen  zu  führen  über  die  anstossenden 
Gelenke  hinüber. 

Wo  keine  Contraindication,  ist  subperieosteo-capsulär  zu  reseciren, 
und  ist  das  Köpfchen  zuerst  freizulegen,  weil  es  leichter  beweglich 
gemacht  werden  kann. 

Am  Daumenmetacarpus  ist  die  Sehne  des  Extensor  brevis  mit 
dem  Periost  auf  die  eine,  die  Daumenballenmuskeln  auf  die  andere 
Seite  zu  schieben  und  am  oberen  Ende  des  Knochens  der  Sehnen- 
ansatz des  Abductor  longus  abzutrennen.  Bei  den  übrigen  Metacarpi 
sind  mit  dem  Periost  die  M.  interossei  externi  und  interni  abzulösen. 
Nur  das  Metacarpocarpalgelenk  des  Daumens  ist  isolirt,  die  anderen 
hängen  mit  dem  Handgelenk  zusammen. 

289)  Resectio  manus  (Fig.  185,  186,  187  und  188). 

Die  schon  von  dem  preussischen  Arzte  Beyer  und  von  einem 
der  Erfinder  der  Resectionen  Moreau  geübte  Handgelenkresection 
hat  erst  von  dem  Augenblicke  an  bessere  Resultate  erzielt,  als 
Lister  zeigte,  dass  die  totale  Resection  das  Normalverfahren  sein 
muss.  Die  Methode  zur  Totalresection  von  Lister  wie  von  Ollier 
bestand  wesentlich  in  zwei  seitlichen  oder  dorsolateralen  Schnitten, 
und  Treves  hält  die  OLLiER'sche  für  die  beste.  Man  vergleiche 
für  die  verschiedenen  Methoden  die  eingehende  geschichtliche  Dar- 
stellung von  Catterina  (Padua  1893). 

Man  kommt  aber  sehr  wohl  mit  einem  einfachen  Dorsalschnitt 
in  fast  allen  Fällen  aus.  Wir  haben  uns  früher  regelmässig  der 
Methode  bedient,  welche  als  LANGENBECK'sche  bekannt  und  wohl 
am  meisten  geübt  ist.  Faraboeuf  giebt  an,  dass  der  dorso-radiale 
Schnitt  schon  186g  von  BöCKEL  eingeführt  worden  sei.  Treves 
beschreibt  sie  als  die  BöCKEL'sche  und  sagt,  dass  schon  Lister 
vor  BöCKEL  den  dorso-radialen  Schnitt  in  Anwendung  gezogen 
habe.  Wir  haben  denselben  Schnitt  schon  vor  Langenbeck  nicht 
bloss  am  Lebenden  geübt,  sondern  auch  bei  den  Operationsübungen 
am  Cadaver  demonstrirt.  Die  Methode  ist  jedenfalls  durch  Langen- 
beck  zur  Anerkennung  gebracht  und  hat  vor  den  früheren  Ver- 
fahren grosse  Vorzüge. 


534 


Excisionen  und  Resectionen. 


Deltoideus 


Brachialis  internus 
Supinator  longus 

{Radialis  externus 
longus 


Ulnaris  externus 


Dorso-radiale  Incision. 

Wir   machen  bei  stark  ulnarflectirter  Hand  eine  gerade  Incision 

durch   die  Haut   von   der  Mitte   des  II.  Metacarpus  bis  ebenso  weit 

aufwärts  über  die  Mitte  des  Handgelenkes  in  der  Axe  des  Vorder- 
armes. Der  Schnitt  fällt 
zwischen  die  Sehnen 
des  Extensor  digitorum 
communis  sammt  Ex- 
tensor indicis  proprius 
einerseits  und  Extensor 
hallucis  longus  anderer- 
seits ,  trennt  langsam 
Haut ,  peripher  unter 
Schonung  der  zum 
Mittelfinger  ziehenden 
Zweige  des  N.  radialis 
superficialis ,  das  Lig. 
carpi  commune  dorsale 
mit  der  Fascie  und 
dringt  am  Vorderarme 
bis  auf  den  Radius,  am 
Handgelenke  durch  die 
Handgelenkkapsel  und 
abwärts  auf  die  Basis 
des  Metacarpus  III.  An 
letzterer  wird  die  Sehne 
desRadialius  ext.  brevis 
und  an  der  Basis  des 
Metacarpus  II  diejenige 
des  Radialis  ext.  longus 
mit  dem  Periost  ab- 
gelöst, die  Rückfläche 
des  II.  Metacarpus  mit 
den  zwischen  diesem 
und  dem  III.  Metacarpus 
gelegenen  M.  interossei 
freigelegt  und  seitwärts 
dicht  an  den  Knochen 
die      Auslösung       der 

Sehnen   aus  ihren  Rinnen  und  die  Ablösung  der  Handgelenkkapsel 

begonnen. 

Die    BöCKEL  -  LANGENBECK'sche    Methode    hat    immerhin    den 

Nachtheil,  dass,  um  Platz  zu  gewinnen,  die  Ablösung"  der  M.  radiales 
.externi  nöthig  ist.     So  sehr  man  nun  auch  die  Methode  subperiostal 


Radialis  externus  brevis 

{Extensor  digitorum 
communis 

Ulnaris  internus 

{Abductor  pollicis 
longus 

Extensor  pollicis  brevis 

/Processus  styloideus 
(  ulnae 

{Extensor  pollicis 
longus 


Fig.  186.  Arthrotomia  cubiti  et  manus.  (Contouren 

unter  theilweiser  Benützung  von  Paul  Richers' 

„Anatomie  artistique".) 


Obere  Extremität. 


535 


macht,  nach  TRELATs  Ausspruch  (FARABOEUF)  wie  zwischen  Baum- 
stamm und  Rinde  losschälend,  so  ist  doch  eine  erhebliche  Schädigung 
jener  Hauptdorsalnexoren  der  Hand  mit  verbunden,  und  es  mag 
daran  liegen,  dass  so  oft  eine  volare  Subluxation  der  Hand  mit  sehr 
behinderter  Dorsalflexion  resultirt.  Es  ist  deshalb  gerechtfertigt,  mit 
Rücksicht  auf  diese  sehr  gewöhnlichen  Störungen  den  M.  radiales 
grössere  Schonung  angedeihen  zu  lassen  und  den  Schnitt  zwar 
immer  noch  auf  dem  Dorsum,  aber  auf  die  ulnare  Seite  der  Streck- 
sehnen zu  legen. 

Dorso-ulnarer   Schnitt  (Fig.  186,   187  und   188): 

Unser  Schnitt  muss  die  gehörige  Länge  haben  (7 — 8  cm)  und 
wird  so  angelegt,  dass  man  bei  leicht  radial  flectirter  Hand  den 
Schnitt  von  der  Mitte  des  V.  Metacarpus  gegen  die  Mitte  des  Hand- 
gelenkes und  von  da  in  der  Mitte  der  Dörsalnäche  des  Vorderarmes 
aufwärts  führt.  Der  Schnitt  schont  am  unteren  Ende  eine  Ur- 
sprungsvene, die  V.  basilica,  und  den  Dorsalast  des  Nervus  ulnaris, 
was  leichter  ist,  als  für  den  Radialis  bei  dorso-radialem  Schnitt,  weil 
der  Ulnaris  sich  erst  weiter  unten  der  Mittellinie  zuwendet.  Nach 
Spaltung  der  Fascie  und  des  starken  quergefaserten  Lig.  carpi  dor- 
sale commune  eröffnet  der  Schnitt  am  Handgelenke  die  Sehnen- 
scheiden des  Extensor  dig.  minimi  proprius  und  Extensor  communis, 
welche  radialwärts  gezogen  werden,  und  unter  den  Sehnen  die 
Kapsel  auf  der  Basis  des  Metacarpus  V,  auf  Os  hamatum,  triquetrum 
und  Ulna.  Dieselbe  wird  zunächst  ulnarwärts  abgelöst  und  mit  ihr 
die  Sehne  des  M.  ulnaris  externus  am  Metacarpus  V  (Fig.  187). 

Die  Ablösung  der  Sehne  des  Ulnaris  externus  hat  nicht  die- 
selben Nachtheile,  wie  diejenige  der  beiden  Radiales  externi.  Der 
Ulnaris  hat  einen  viel  gering-eren  Antheil  an  der  Dorsalflexion,  als 
die  dem  Radiocarpal-,  also  Hauptgelenk  aufliegenden  Radiales  ex- 
terni. Der  Ulnaris  externus  trägt  allerdings  wesentlich  bei  zur 
Ulnarflexion ;  aber  gerade  diese  Bewegung  kommt  schon  ohnehin 
der  Schwere  gemäss  nach  der  Resection  zu  viel  zur  Geltung,  indem 
gar  oft  die  Hand  in  späterer  Zeit  nach  Vola  und  Ulna  abgewichen, 
resp.  nach  diesen  Richtungen  contrahirt  erscheint.  Es  kann  deshalb  die 
Trennung  der  betreffenden  Sehne  eher  günstig"  als  schädlich  wirken. 
Auch  die  Strecksehnen  haben  weniger  Neigung,  bei  dorso-ulnarem 
Schnitt  aus  der  Hautwunde  zu  prolabiren,  resp.  sich  zu  entblössen,  als 
beim  dorso-radialen  Schnitt.  Die  Extensorsehne  des  kleinen  Fingers 
wird  am  meisten  ausgesetzt,  allein  da  dieser  Finger  mit  doppeltem 
Extensor  versehen  ist  und  lange  nicht  so  wichtige  Function  hat,  wie 
der  Zeigefinger,  so  tritt  auch  dieser  Uebelstand  in  den  Hintergrund. 

Nach  oben  wird  die  Sehne  des  Ulnaris  externus  aus  der  Rinne 
der    Ulna   herausgehoben    und   die    Kapsel   rings   um   die  Ulna   ab- 


536 


Excisionen  und  Resectionen. 


gelöst.      Wenn    das   Gelenk    zwischen    Bandscheibe    und    Ulna    und 
zwischen   Ulna  und  Radius   erkrankt  ist,   so   muss   die  Bandscheibe 


Tendo  extensoris  digiti  minim. 
.  Sehnen  des  Extensor  communis 
Fascie 
Radius 
Ulna 

-  Lig.  carpi  dorsale 

-  Bandscheibe 

-  Os  semilunare 

-  Os  triquetrum 

Os  hamatum 

N.  ulnaris  dorsalis 

—  Basis  metacarpi  V 

—  V.  basilica 

1, 


Fig.  187.     Resectio  manus  mit  dorso  -  ulnarem  Schnitt  bis   durch   die  Gelenk- 
kapsel hindurch. 

excidirt   werden.     Die   Ablösung    der   Kapselansätze    rings    um   die 
Ulna  ist  leicht.     Nach   Abtrennung   der   Kapsel   am  Os  triquetrum 


Obere  Extremität. 


537 


kommt  man  ganz  von  selbst  in  das  Gelenk  zwischen  Os  pisiforme 
und  letzterem  und  lässt  die  Sehne  des  M.  ulnaris  internus  mit  jenem 
Knöchelchen  in  Zusammenhang.  —  Auch  der  Hamulus  ossis  hamati 
kann   leichter    freigemacht    event.    durchschnitten    werden,    als   beim 


Radius 


Processus  styloideus  ulnae 
Ulna 


Tendines  extensorum  (dig.  V.) 
_     Os  naviculare 


Os  semilunare 

—  Os  capitatum 

—  Os  triquetrum 
--;■: 1 Os  hamatum 

Os  pisiforme 

Metacarpus  V. 

—  N.  ulnaris  dorsalis 
V.  basilica 


Fig.  188.     Resectio  manus  mit  dorso-ulnarem  Schnitt.     IL  Act:    Nach  Luxation 
des  Handgelenks  und  Abtrennung  des  Kapselansatzes  an  den  Vorderarmknochen. 


dorso-radialen  Schnitt.  Das  ist  von  Belang,  weil  der  tiefe  Ast  des 
N.  ulnaris  um  denselben  sich  herumschlägt  und  geschont  werden 
muss.  Das  Bündel  der  gemeinsamen  Volarsehnen  hebt  sich  jetzt 
ohne  Anstand  aus  seiner  Rinne  im  Zusammenhange  heraus  und  man 


c-2%  Excisionen  und  Resectionen. 

kann  die  Kapselverbindung  am  V.,  IV.  bis  III.  Metacarpus  auf  der 
Vola  lösen,  während  man  den  Sehnenansatz  des  Radialius  internus  am 
II.  Metacarpus  erhält.  Ebenso  wird  der  stramme  Kapselansatz  am 
Vorderrande  des  Radius  gelöst. 

Auf  dem  Dorsum  wird  bis  unter  die  Radialis  externi  und  Ex- 
tensoren  des  Daumens  die  Kapsel  am  dorsalen  Rande  des  unteren 
Radiusendes  gelöst  und  die  Sehnen  aus  ihren  Rinnen  heraus- 
gehoben. Dagegen  werden  zunächst  die  Sehnen  der  Radialius  ex- 
terni vom  III.  und  II.  Metacarpus  auf  der  Dorsalfläche  nicht  ab- 
gelöst. 

Vielmehr  wird  die  Hand  radio-volarwärts  mit  Kraft  vollkommen 
luxirt,  so  dass  der  Daumen  mit  der  Radialseite  des  Vorderarmes 
sich  berührt  und  die  Strecksehnen  auf  die  radiale  Seite  des  Radius 
zu  liegen  kommen  (Fig.  188).  Jetzt  kann,  wo  nöthig,  am  radialen  Rande 
des  Radius  die  Kapsel  noch  ergiebiger  gelöst  und  event.  der  Ansatz 
des  Supinator  longus  freigemacht  werden.  Die  Auslösung  der  Hand- 
wurzelknochen, die  Abtragung  einer  möglichst  dünnen  Schicht  von 
den  Vorderarmknochen  und  Metacarpi  bietet  nunmehr  keine  Schwierig- 
keiten, nur  im  Bereiche  des  Os  multangulum  majus  und  minus  ist 
der  Zugang  weniger  leicht,  um  diese  und  die  3  radialen  Metacarpal- 
basen  zu  entfernen.  Für  die  Fälle,  wo  die  Haupterkrankung  auf  der 
Radialseite  der  Handwurzel  und  Metacarpi  liegt  oder  gar  die  radiale 
Seite  der  Gelenke  ausschliesslich  Sitz  der  Erkrankung  ist,  bietet 
daher  die  dorso-radiale  Methode  Vortheile  gegenüber  unserem  ge- 
schilderten Verfahren.  Zwischen  Os  multangulum  majus  und  minus, 
resp.  zwischen  den  Basen  des  I.  und  IL  Metacarpus  ist  dorsalerseits 
auf  Schonung  der  hier  zum  tiefen  Hohlhandbogen  umbiegenden 
Art.  radialis  besondere  Sorgfalt  zu  verwenden. 

Was  den  Modus  der  Absägung  der  Vorderarmknochen  und  event. 
der  darauf  anzupassenden  hinteren  Metacarpalenden  anbelangt,  so 
ist  im  Allgemeinen  bogenförmige  Absägung  mit  querer  Axe  an- 
zuempfehlen, ähnlich  dem  Ellbogengelenk,  um  Dorsal-  und  Volar- 
flexionsbewegung  zu  sichern. 

Wesentlich  halten  wir  an  unserem  Verfahren  die  möglichst 
intacte  Erhaltung  der  Sehnen  der  Radiales  externi  und  die  Möglich- 
keit, durch  vollkommene  Luxation  des  Gelenkes  Einblick  zu  erhalten 
in  alle  Recessus  und  über  sämmtliche  Knochen. 

Catterina  hat  eine  dem  OßALiNSKl'schen  Verfahren  zur  Er- 
öffnung der  Tarsalgelenke  nachgebildete  Methode  der  Handgelenk- 
resection  empfohlen,  welche  das  Interstitium  zwischen  3.  und  4.  Meta- 
carpus benutzt  und  durch  eine  vom  Dorsum  zur  Vola  durchgehende 
Incision  den  Zugang  zu  den  Carpalgelenken  herstellt.  Die  volare 
Incision  geht  bloss  bis  zum  oberflächlichen  Hohlhandbogen,  die  dor- 
sale   geht   viel   weiter   aufwärts,   aber   gerade   der  quere  Verlauf  der 


Obere  Extremität. 


539 


Hohlhandbogen   und   des  N.  ulnaris   macht   die  richtige  Ausnutzung 
des  Schnittes  schwierig. 

Für  die  Nachbehandlung'  der  Resectio  und  Arthrotomia  manus 
ist  es  von  Belang,  dass  die  Dorsalflexion  im  Handgelenke  ge- 
sichert werde  durch  eine  Schiene,  wie  wir  sie  schon  seit  vielen 
Jahren  im  Gebrauche  haben,  welche  in  der  Hauptsache  mit  der  von 
Ollier  angegebenen  übereinstimmt  und  welche  erlaubt,  mit  Sicher- 
heit das  Handgelenk  festzustellen  und  dennoch  Bewegungen  der 
Finger  zu  gestatten.  Da  für  feinere  Function  der  Finger  bloss  deren 
kräftige  Flexion  in  Betracht  kommt,  so  ist  eine  Dorsalflexion  im  Hand- 
gelenke die  einzig  richtige  Stellung,  indem  dieselbe  durch  Dehnung  der 
Flexorensehnen  die  Finger  schon  passiv  flectirt  erhält  und  verstärkte 
Flexion  in  Folg'e  dessen  unter  sehr  geringem  Kraftaufwande  gestattet. 
Die  Sicherung  früher  activer  Bewegungen  der  Finger  ist  für  das 
functionelle  Resultat  der  Hauptgesichtspunkt  in  der  Nachbehandlung. 

290)  Resectio  ulnae. 

Die  Ulna  liegt  in  der  ganzen  Länge  des  Vorderarmes  subcutan 
in  dem  Zwischenraum  zwischen  M.  ulnaris  externus  und  internus. 
Sie  kann  daher  partiell  oder  in  ganzer  Länge  ohne  Schwierigkeit 
oder  Nebenverletzung  excidirt  werden. 

291)  Resectio  radii. 

Der  Radius  ist  viel  weniger  leicht  zugänglich  als  die  Ulna.  Auf 
der  radialen  Rückseite  ist  das  Köpfchen  stets  unter  der  Haut  fühlbar 
und  kann  daher  resecirt  werden  von  einem  Theil  des  Schnittes  aus, 
dessen  Richtung  und  Lage  bei  unserer  Methode  der  Resectio  cubiti 
näher  bezeichnet  ist. 

An  der  Diaphyse  ist  das  mittlere  Drittel  auf  der  Rückfläche 
fühlbar  zwischen  den  Extensores  radiales  (longus  und  brevis)  und 
den  Extensoren  der  Finger.  Hier  kann  ohne  Furcht  vor  Gefässen 
incidirt  werden,  und  auch  Nervenäste  kommen  nicht  in  Betracht,  da 
die  anstossenden  Muskeln  ihre  Radialiszweige  bereits  weiter  oben 
erhalten.  Das  obere  Drittel  des  Radius  ist  vom  M.  supinator  brevis 
bedeckt,  durch  welchen  der  motorische  Ast  des  N.  radialis  dorsalwärts 
durchtritt.  Das  untere  Drittel  ist  aussen  von  den  Sehnen  des  Brachio- 
radialis  und  der  Radiales  externi,  welche  immerhin  längs  verlaufen, 
und  vom  M.  pronator  quadratus  und  von  den  schräg  die  dorso-radiale 
Seite  kreuzenden  Extensoren  und  dem  Abductor  des  Daumens  bedeckt. 

Ein  Schnitt  in  ganzer  Länge  des  Radius  bis  auf  den  Knochen 
ist  nur  in  der  Linie  der  Unterbindung  der  A.  radialis  möglich,  indem 
man  dabei  den  oberflächlichen  (sensiblen)  Ast  des  N.  radialis  auf 
die  radiale,  die  Gefässe  auf  die  ulnare  Seite  schiebt.  Der  Nerv  liegt 
nämlich  oben  schon  radialwärts,  unten  wendet  er  sich  am  unteren 
Vorderarm  viertel  auf  die  dorsale  Seite. 


54Q 


Excisionen  und  Resectionen. 


Deltoideus 


Brachialis  internus 


Supinator  longus 

(Radialis  externus 
\  longus 


Anconeus 


Ulnaris  externus 


Methode  der  breiten  Eröffnung  des  Ellenbogengelenkes. 

292)  Resectio  cubiti  (Fig.  189,  190  und  191). 

Wir  huldigen  auch  hier,  wie  bei  allen  Arthrotomien  und  Gelenk- 
resectionen,  welche  einen  freien  Einblick  ins  Gelenk  verlangen,  behufs 

correcter      Entfernung 

/  aller     erkrankten     Ge- 

/  .  webe,   dem   Grundsatz, 

lieber  einen  etwas  com- 
plicirteren  Hautschnitt 
zu  machen ,  um  nicht 
nur  alle  Muskeln  mit 
ihren  Ansätzen  zu  er- 
halten, sondern  beson- 
ders, um  die  Nerven- 
fasern zu  schonen, 
welche  die  .  Muskeln 
versorgen.  Das  war 
uns  ein  Hauptgrund 
der  Einführung  des 
nachher  zu  schildern- 
den hinteren  Bogen- 
schnittes  für  die  Arthro- 
tomie  der  Schulter;  da- 
nach haben  wir  auch 
die  bisherige  Methode 
der  Ellenbogengelenk- 
resection  modificirt. 
Wir  haben  anfäng- 
lich  das  einfache  VON 

LANGENBECK'sche 
Verfahren  mit  hinterem 
Längsschnitt  geübt, 
welches  von  Treves 
auf  Park  und  Maison- 
NEUVE  zurückgeführt 
wird ,  aber  gefunden, 
dass  man  namentlich 
bei  fungösen  Entzün- 
dungen, die  in  der 
Gegend  des  Radiuskopfes  sich  localisiren  oder  nach  dieser  Richtung 
sich  ausdehnen,  nicht  so  bequemen  Zugang  hat,  wie  es  wünschenswerth 
wäre.  Diesen  Zugang  giebt  der  OLLlER'sche  Bajonnettschnitt,  eine 
vorzügliche  Methode.    Aber  auch  sie  hat  den  Nachtheil,  dass  sie  den 


Radialis  externusbrevis 

_  fExtensor  digitorum 
\  communis 

Ulnaris  internus 

{Abductor  pollicis 
longus 

Extensor  pollicis  brevis 

{Processus  styloideus 
ulnae 
{Extensor  pollicis 
longus 


Fig.  189.  Arthrotomia  cubiti  et  manus.  (Contouren 

unter  theilweiser  Benützung  von  Paul  Richers' 

„Anatomie  artistique".) 


54i 


Fig.  190.  Arthrotomia  cubiti.  Schnitt  durch  Haut  und  Fascie  bis  auf  den 
Knochen  oben  zwischen  Triceps  (hinten)  und  Supinator  longus  und  Radiales 
externi  (vorne);  unten  bis  durch  die  Kapsel  auf  den  Radiuskopf  und  abwärts 
zwischen  Anconaeus  IV  (hinten)  und  Ulnaris  externus  (vorne)  bis  auf  die  Ulna. 
Der  unterste  Ausläufer  des  Anconaeus  IV  durchschnitten. 


sa  2  Excisionen  und  Resectionen. 

M.  anconaeus  quartus  ausser  Function  setzt.  Ollier  geht  freilich  mit 
dem  schrägen  Mittelstück  seiner  Incision  in  dem  Interstitium  zwischen 
Caput  externum  tricipitis  und  Anconaeus  quartus  durch,  allein  da 
der  Nervenast  des  Radialis,  welcher  diesen  letzteren  Muskel  ver- 
sorgt, von  oben  herunter  kommt  als  Endast  des  den  oben  erwähnten 
Tricepskopf  versorgenden  Zweiges,  so  muss  der  Muskel  nach  der 
OLLiER'schen  Operation  atrophisch  werden.  Da  wir  aber  für  den 
Ellenbogen  die  besondere  Verpflichtung  haben,  das  Beste  zu  leisten 
zur  Erzielung  activ  beweglicher  Gelenke,  so  sollte  auch  der  Anco- 
naeus quartus,  der  ein  eigentlicher  Gelenkmuskel  ist  zur  Spannung 
und  Fixation  der  Kapsel,  erhalten  bleiben.  Das  erzielen  wir  in 
folgender  Weise: 

Bei  Beugung  des  Ellenbogens  auf  ca.  1500  wird  ein  Haken- 
oder Angelschnitt  nach  Fig.  189  gemacht,  welcher,  wie  der  Ollier- 
sche  Schnitt,  auf  der  Kante  der  Aussenfläche  des  unteren  Humerus- 
randes  3 — 5  cm  über  der  Gelenklinie  beginnt  und  in  wesentlich  der 
Humerusaxe  paralleler,  d.  h.  verticaler  Richtung  bis  zum  Radius- 
kopf, aber  abweichend  von  Ollier,  von  da  entsprechend  dem 
lateralen  Rande  des  M.  anconaeus  IV  bis  zur  Kante  der  Ulna 
4 — 6  cm  unter  der  Spitze  des  Olecranon  herabläuft  und  etwas  auf 
der  medialen  Seite  der  Ulna  heraufbiegt.  Der  Schnitt  dringt  oben 
auf  die  laterale  Kante  des  Humerus  zwischen  M.  brachio-radialis 
und  radiales  externi  vorne  und  Rand  des  Triceps  hinten,  am  Con- 
dylus  externus  und  von  diesem  abwärts  zwischen  den  Extensoren, 
zunächst  Ulnaris  externus  vorne  und  lateralem  Rand  des  Anconaeus 
quartus  bis  auf  die  Ulna;  oben  spaltet  er  die  derbe  Kapsel  auf  dem 
Köpfchen  des  Radius  und  das  Lig.  annulare.  Die  letzten  Ausläufer 
des  Anconaeus  IV  abwärts  an  der  Kante  der  Ulna  werden  quer 
durchschnitten,  da  dieselben  häufig  sehr  weit  am  Vorderarm  herab- 
reichen. 

Der  Schnitt  trennt  demgemäss  vollständig  sauber  die  Musculatur, 
welche  von  den  Oberarmästen  des  N.  radialis  versorgt  wird,  von 
derjenigen,  welche  vom  Ramus  profundus  des  N.  radialis  innervirt 
ist,  und  vermeidet  dadurch  jegliche  spätere  Atrophie.  Ist  der 
Knochen  freigelegt  und  die  Kapsel  gespalten,  so'  wird  subperiostal 
das  Caput  externum  tricipitis  sammt  Periost  und  oberem  Kapsel- 
ansatz rückwärts  vom  Humerus,  der  Anconaeus  quartus  von  der 
Aussenfläche  der  Ulna,  der  Ansatz  des  Triceps  von  der  Olecranon- 
spitze  subcortical  gelöst  und  dieser  Triceps  -  Anconaeuslappen  bei 
gestrecktem  Arm  wie  eine  Kappe  über  das  Olecranon  herüber  ulnar- 
wärts  geklappt.  Jetzt  wird  das  Lig.  lat.  ext.  mit  den  Ansätzen  der 
Extensorensehnen  und  die  Kapsel  am  Condylus  ext.  humeri  sub- 
cortical durch  einen  Meisselschlag  von  unten  gelöst  und  nach  vorne 
gezogen,    und    damit   ist   auch    der   Vorderarm    so   weit   gegen    den 


Obere  Extremität. 


543 


Oberarm  beweglich  geworden,  dass  er  vollständig  1  u  x  i  r  t  werden 
kann  (s.  Fig.  191).  So  bleibt  der  ganze  Streckapparat,  sowohl  was 
Muskeln  als  Nerven  anlangt,  in  seinem  Zusammenhang  erhalten 
und  ist  zunächst  noch  das  Lig.  laterale  internum  intact  geblieben. 
Je  nach  Indication  zur  Arthrotomie  wird  nach  vollzogener  Luxation 
das  Lig.  lat.  internum  vom  Innenrande  der  Ulna,   von  der  medialen 


Triceps 


Anconaeus  IV 

Fig.  191.  Arthrotomia  cubiti  nach  Vornahme  der  Luxation  des  Vorderarms  median- 
wärts.  Man  sieht  die  Aussenfläche  der  Ulna,  von  welcher  der  Anconaeus  IV 
abgelöst  ist.  Die  Schnittfläche  letzteren  Muskels  ist  unten  zu  sehen.  Oben 
herum  sieht  man  die  subperiostal  (resp.  subcortical)  losgelösten  Ansätze  des 
(von  oben  nach  unten)  Supinator  longus,  der  Radiales  externi,  des  Extensor 
digitorum  communis  und  Ulnaris  externus. 


Fläche  der  Trochlea  und  von  der  Basis  des  Epicondylus  internus 
losgelöst,  ebenso  die  Musculatur  so  weit  wie  nöthig  im  Zusammen- 
hang mit  dem  Periost  von  Humerus  und  Ulna,  und  event.  die  Re- 
section  der  Knochen  ausgeführt.  Man  nimmt  auch  hier  lieber  etwas 
Knochen  mit  weg,  als  dass  man  die  Continuität  des  inneren  Seiten- 
bandes mit  dem  Periost  unterbricht. 


544 


Excisionen  und  Resectionen. 


Seit  vielen  Jahren  haben  wir  die  bogenförmige  Absägung  bei 
den  Resectionen  geübt,  hier  um  dem  neuen  Gelenk  eine  "Winkel- 
gelenkbewegung zu  sichern.  Namentlich  wichtig  ist  die  bogenförmige 
Absägung  des  Olecranon,  um  dem  Ansatz  des  Triceps  einen  Hebel 
zu  erhalten.  Dieser  trägt,  wie  Dr.  Oschmann  auf  Grund  der  Nach- 
prüfung unserer  Resecirten  sehr  überzeugend  nachweisen  konnte, 
viel  dazu  bei,  die  Subluxation  des  Vorderarmes  nach  vorne  zu  ver- 
hüten. 

Wir  haben  schon  hervorgehoben,  dass  gegenüber  den  einfachen 
hinteren  Längsincisionen,  von  denen  die  LANGENBECK'sche  Methode 
die  verbreitetste  ist,  die  Bogenschnitte,  deren  bester  Vertreter  die 
Methode  Ollier's  ist,  den  grossen  Vorzug  besseren  Raumes,  klarerer 
Freilegung  des  Gelenkes,  speciell  im  Bereiche  des  Radiuskopfes, 
haben.  Quere  Schnitte,  seien  sie  gerade  oder  gebogen,  mit  i  oder 
2  Längsschnitten  combinirt  oder  nicht,  wird  kaum  Jemand  noch  Ge- 
neigtheit haben  zu  benutzen.  Die  Hauptrichtung  des  Schnittes  wird 
immer  eine  longitudinale  sein  müssen,  wenn  man  die  Musculatur  und 
ihre  Nerven  äste  schonen  will.  Die  einzige  Methode,  deren  wir  nach 
Faraboeuf's  Beschreibung  Erwähnung  zu  thun  haben,  da  sie  sich 
unserer  Schnittführung  annähert,  ist  diejenige  von  Auguste  NELATON, 
welcher  einen  äusseren  Längsschnitt  auf  den  Humeruskopf  mit  einem 
rechtwinklig  abbiegenden  Schnitt  vom  Radiuskopf  rückwärts  zur  Ulna 
verbindet.  Allein  auch  Nelaton  beabsichtigt  damit  namentlich  die 
gehörige  Freilegung  des  Radiuskopfes  und  kümmert  sich  so  wenig 
wie  Ollier  um  Erhaltung  des  Anconaeus  IV.  Auch  Hueter  und 
nach  Faraboeuf  Marangos  haben  Schnitte  durch  die  Haut  em- 
pfohlen, welche  dem  unserigen  verwandt  sind,  aber  in  der  principiellen 
Bedeutung  und  Absicht  des  Schnittes  abweichen.  Auch  Ca vazzani's 
lateralen  Querschnitt  kann  ich  gegenüber  meinem  Verfahren  bloss 
für  einen  Rückschritt  halten,  weil  dabei  der  Anconaeus  quer  durch- 
trennt wird.  Die  Luxation  des  Gelenks  macht  Cavazzani  nach  der 
von  uns  empfohlenen  Weise. 

Kein  anderer  Schnitt  giebt  bei  so  geringer  Verletzung  und 
namentlich  vollständiger  Erhaltung  des  besonders  wichtigen  Streck- 
apparates so  guten  Zugang  zu  allen  Theilen  des  Gelenkes.  Er  erlaubt 
besser  als  andere  Methoden,  sich  nach  Ausführung  des  Schnittes 
für  totale  Excision  der  Kapsel  mit  extracapsulärer  Präparation  der- 
selben oder  für  subperiostale  Ausschälung  der  Knochen  zu  ent- 
scheiden, weil  der  Schnitt  nur  in  kurzer  Ausdehnung  über  die  Kapsel 
zu  liegen  kommt. 

Für  Fälle,  wo  das  Olecranon  Sitz  isolirter  Erkrankung  ist, 
verdient  der  einfache  hintere  Längsschnitt  nach  LANGENBECK  den 
Vorzug,  da  er  direct  auf  den  Knochenherd  führt.  Ebenso  dürfte  bei 
Erkrankungen  bloss  im  Condylus  externus  oder  am  Radiusköpfchen 


Obere  Extremität. 


545 


die  Modification  unserer  Methode  von  Cavazzani  mit  querem  lateralem 
Schnitt  gelegentlich  Anwendung  finden.  In  allen  Fällen  dagegen, 
wo  ein  gehöriger  Einblick  ins  Gelenk  gewünscht  wird,  hat  unsere 
oben  geschilderte  Methode  grosse  Vorzüge. 

293)  Resectio  diaphyseos  humeri. 

Die  Excision  des  Humerusknochens  bietet  nicht  so  einfache  Ver- 
hältnisse wie  am  Femur.  Wie  das  untere  und  obere  Ende  entfernt 
wird,  ergiebt  sich  aus  den  Schilderungen  der  betreffenden  Gelenk- 
resectionen.  An  der  Diaphyse  ist  dem  Verhalten  des  Nervus  radialis 
hauptsächlich  Rechnung  zu  tragen,  welcher  sich  von  innen  her 
um  die  hintere  Fläche  des  Humerus  auf  die  laterale  Seite  herum- 
schlingt. 

Die  einzige  Linie,  in  welcher  man  auf  die  Diaphyse  in  ganzer 
Länge  vom  unteren  Ende  des  chirurgischen  Halses  (in  dessen  Bereich 
die  A.  circumflexae  und  der  gleichnamige  Nerv  zu  schonen  sind)  bis 
zu  den  Epicondylen  abwärts  incidiren  kann,  ist  der  Sulcus  bicipitalis 
externus.  Man  trennt  die  Fascie  des  Deltoideus,  um  dessen  Vorder- 
rand in  abducirter  Stellung  des  Armes  rückwärts  ziehen  zu  können, 
eröffnet  danach  die  Fascie  des  Biceps ,  um  dicht  am  Rande  des 
Muskelfleisches  und  unter  diesem  entlang  dem  Coracobrachialis  und 
dem  Aussenrand  des  Brachialis  internus  auf  den  Knochen  zu  ge- 
langen. Der  Nervus  radialis  nebst  den  Ausläufern  der  Arteria  pro- 
funda brachii  (collateralis  radialis)  bleibt  auf  der  lateralen  Seite, 
während  im  unteren  Drittel  der  N.  musculo-cutaneus,  welcher  zwischen 
Biceps  und  Brachialis  internus  nach  der  lateralen  Vorderseite  abwärts 
tritt,  medianwärts  gezogen  wird. 

294)  Resectio  articulationis  humeri. 

a)  Von  vorne  bei  Erkrankung  des  Humeruskopfes  (Fig.  192 
und  193). 

Der  Humeruskopf  überragt  die  Pfanne  sehr  stark  nach  vorne, 
da  der  Durchmesser  der  Pfanne  in  horizontaler  Richtung  bloss  1/i  des 
Durchmessers  des  überknorpelten  Kopfes  beträgt;  er  ist  deshalb  von 
dieser  Seite  in  dem  Verhältniss  leichter  zugänglich,  als  die  Pfanne 
von  vorn  schwierig  freigemacht  werden  kann.  Die  einfachste  Me- 
thode ist  der  vordere  Längsschnitt,  von  Baudens,  Malgaigne, 
Roeret,  Dubreuil  geübt,  aber  speciell  von  Langenbeck  und  seinen 
Schülern  ausgebildet.  Die  Verbesserung  desselben  durch  Hueter, 
Ollier,  Chauvel  und  Spence,  welche  statt  des  verticalen  Schnittes 
vom  Acromion  abwärts  durch  den  Deltoides  zur  Schonung  des  letzteren 
einen  Schrägschnitt  machen,  erscheint  als  das  rationellste  Ver- 
fahren, weil  für  die  späteren  Bewegungen  dieser  Muskel  die  Haupt- 
bedeutung hat. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  « 


546 


Excisionen  und  Resectionen. 


Der  Schnitt  beginnt  oberhalb  des  Processus  coracoideus  auf  der 

Clavicula  und  geht  am  vorderen  Rande  des  Deltoideus  abwärts.    Der 

Rand   dieses  Muskels,   welchem    die  Cleidalportion   des  M.  pectoralis 

major  eng  anliegt,  ist  charakterisirt  durch  die  Vena  cephalica.    Diese 

wird    mit    dem    Pectoralis    medianwärts    gezogen.     Der 

Deltoideus    wird    lateralwärts    gezogen.      Seine    obersten 

vordersten  Fasern  an  der  Clavicula  werden  durchschnitten 

und  unter  denselben  ein  Ast  der  A.  thoracico-acromialis 

gjjljjl  unterbunden. 

Nun  erscheinen  die  vom  Processus  coracoideus  aus- 
gehenden   Muskeln:    M.   pectoralis   minor,    Caput  breve 


Schnitt  durch  die 
>  vordersten  Fasern  des 
l  Deltoideus 

M.  deltoideus 


\svi 


% 


!\\\    .. 


M.  pectoralis  minor 

|M.  coraco-brachialis  und 
\    biceps  (Caput  breve) 


Humerus 

Caput  longum  bicipitis 

Tendo  pectoralis  majoris 
f  M.  pectoralis  major  (Portio 
\  clavicularis) 

V.  cephalica  (medianwärts 
gezogen) 


Fig.  192.     Resectio  humeri  anterior  mit  Schrägschnitt  (von  Esmarch  als 
Ollier's  Methode  bezeichnet). 


bicipitis  und  Coraco-brachialis,  über  welche  unten  die  platte  Sehne  des 
•Pectoralis  major  mit  scharfem  oberen  Rande  nach  der  Spina  tuberculi 
majoris  hinzieht.  Am  lateralen  Rande  jener  Muskeln  schneidet  man 
auf  den  Knochen  ein  und  eröffnet  bei  leicht  einwärts  rotirtem  Arme 
die  Scheide  der  Bicepssehne  über  der  deutlich  fühlbaren  Bicepsrinne. 


Obere  Extremität. 


547 


Die  Spaltung  derselben  geschieht  ab-  und  aufwärts  bis  durch  die. 
obere  Kapselwand  so  weit  herauf,  dass  die  Sehne  bis  zu  ihrem 
Ansatz  am  oberen  Pfannenrand  freiliegt  und  leicht  nach  einwärts 
abgezogen  werden  kann.    Dieses  Freilegen  der  Bicepssehne  hat  nicht 

bloss  den  Sinn,  die  letztere  womöglich  zu 
erhalten,  sondern  ganz  besonders  die  Absicht, 
den  Humeruskopf  in  einer  Linie  zugänglich 
zu  machen,  längs  welcher  sich  die  Muskel- 
ansätze von  vorne  und  hinten  treffen.  Jetzt 
beginnt  dicht  am  Knochen  und  mit  senk- 
rechten   Schnitten    parallel    der   Biceps- 

Tendo  brevis  bicipitis  und  M.  coraco-brachialis 


Clavicula 

! 

Processus  coracoideus 


Caput  humeri 

\  Ablösungsstelle  der  Kapsel 

\  am  Collum  anatomicum 

Rinne  der  Bicepssehne 

Tendo  longus  bicipitis 

M.  deltoideus 

Tendo  pectoralis  majoris 

Vena  cephalica 


Fig.  193.    Resectio  humeri  anterior.    IL  Act:  Die  Bicepssehne  aus  ihrer  Scheide 
herausgehoben,  die  Gelenkkapsel  geöffnet. 


rinne  die  Ablösung  der  mit  dem  Kapselansatz  verbundenen  Sehnen, 
nämlich  der  Subscapularis  vom  Tuberculum  minus,  des  Supra-  und 
Infraspinatus  und  Teres  minor  vom  Tuberculum  majus.  Dabei  wird 
der  Humerus  gedreht,  so  dass  mehr  und  mehr  die  Gelenkfläche  erst 
nach  vorne,  dann  nach  hinten  zu  Tage  tritt. 

35* 


548 


Excisionen  und  Resectionen. 


Cucullaris 


Deltoideus 


Infraspinatus 


Teres  major 


Jeglicher  Querschnit  durch  die  Kapsel  zwischen  Kopf  und  Pfanne 
ist  durchaus  zu  vermeiden.  Falls  der  Humerus  weiter  abwärts  frei- 
gelegt werden  muss,  müssen  die  A.  circumflexa  anterior  und  posterior 
am  chirurgischen  Hals  sammt  Nervus  axillaris  beachtet,  erstere  event. 
unterbunden  werden. 

b)  Resection  von  hinten  (Fig.  194 — 198)  bei  Erkrankung 
vorwiegend  der  Pfanne  oder  bei  diffuser  Gelenkerkrankung. 

Der  Hautschnitt, 
wie  Fig.  1 94  zeigt,  wird 
auf  dem  Acromio-Cla- 
viculargelenke  begin- 
nend über  die  Schulter- 
höhe längs  des  oberen 
Randes  der  Crista  sca- 
pulae  bis  nahe  zur 
Mitte  der  letzteren 
geführt  und  von  da 
bogenförmig  abwärts 
gegen  die  hintere 
Achselfalte,  2  Finger 
breit  über  letzterer 
endigend.  Der  obere 
Schenkel  des  Schnittes 
dringt  kräftig  in  das 
Acromio  -  Clavicular- 
gelenk     ein     (dessen 

stramme  Bandbe- 
deckung durchschnit- 
ten wird)  und  trennt 
längs  des  weiteren 
Verlaufes  am  oberen 
Rand  der  Crista  den 
sehnig  musculösen 
Ansatz  des  M.  cucul- 
laris ab.  Der  abwärts- 
gehende Schenkel  spaltet  die  derbe  Fascie  auf  und  längs  des  hinteren 
Randes  des  M.  deltoideus  und  legt  diesen  im  unteren  Theile  frei.  Mit 
dem  unter  den  hinteren  Deltoideusrand  geschobenen  Daumen  hebt  man 
diesen  Muskel  von  den  tieferen  Muskelschichten  (Infraspinatus)  ab,  mit 
welchen  seine  glatte  Unterfläche  bloss  durch  lockeres  Zellgewebe  ver- 
bunden ist,  bis  zur  Crista  scapulae;  hier  werden  die  hintersten  Aus- 
läufer des  Deltoideusansatzes  durchschnitten.  Der  Finger  geht  nun 
der  Crista  entlang  am  oberen  Rande  des  M.  infraspinatus  bis  zu  der 
Stelle,   wo  der  laterale  Rand  derselben  sich  von  der  Scapula  erhebt. 


Fig.  194.    Arthrotomia  humeri  mit  hinterem  Bogen- 

schnitt.   (Contouren  unter  theilweiser  Benützung  von 

Paul  Richer's  „Anatomie  artistique".) 


Obere  Extremität. 


549 


In  gleicher  Weise  wird  am  oberen  Rand  der  Crista  der  M.  supra- 
spinatus  stumpf  zurückgeschoben,  bis  der  Finger  auch  von  oben  den 
lateralen  Rand  der  Crista  umgreift.  Jetzt  wird  die  freigemachte 
Stelle  der  Crista  schräg  durchschlagen,  und  diese  sammt  dem  Del- 
toideus  mit  beiden  Daumen  kräftig  nach  vorne  über  den  Humerus- 
kopf  herüberwälzt. 


"j  Articulatio 
\  acromio- 
( clavicularis 


M.  cucullaris 


Crista   scapulae 


M.  deltoideus 


Fig.  195.  Arthrotomia  artic.  humeri  mit  hinterem  Bogenschnitt :  Die  Articulatio 
acromio-clavicularis  ist  eröffnet,  der  M.  cucullaris  vom  oberen  Rande  der  Crista 
scapulae  losgelöst,  der  M.  deltoideus  am  hinteren  Rande  freigelegt  und  sein 
hinterster  oberer  Ansatz  an  der  Crista  durchschnitten.  An  dieser  Schnittstelle 
wird  der  Meissel  nach  stumpfer  Ablösung  des  Supra-  und  Infraspinatus  zur 
Trennung  der  Crista  aufgesetzt. 


Bei  der  Durchmeisselung  des  Knochens  muss  man  Sorge  tragen, 
den  Nervus  suprascapularis,  der  unter  den  Muskeln  aus  der  Fossa 
supra-  in  die  infraspinata  herabtritt,  nicht  zu  verletzen;  der  Nerv  ist 
übrigens  durch  das  Lig.  scap.  transv.  inferius  geschützt.  Es  ist  zweck- 
mässig,   vor  der  Durchtrennung   schon  2  Bohrlöcher   anzulegen,   um 


55o 


Excisionen  und  Resectionen. 


später  mittelst  Naht  die  beiden  Sägeflächen  wieder  in  innigen  Contact 
zu  bringen.  Oder  man  kann  auch  das  Periost  nach  hinten  und  vorne 
trennen,  ein  kleines  Knochenstück  excidiren  und  das  Periost  darüber 
nähen. 

Man  kann  die  Bildung  des  hinteren  Lappens  ganz  zweckmässig 
in  der  Weise  vereinfachen,  dass  man  statt  die  Crista  durchzuschlagen, 
bloss  dieser  entlang  den  Deltoideusansatz  subcortical  abmeisselt,  was 
nachträglich  auch  eine  sehr  sichere  Vereinigung  ermöglicht. 


Claviculagelenkfläche 
Acromialgelenkfläche 

Bicepssehne 

Vordere  Sägeflächel 
der  Crista  scapulae/ 

M.  deltoideus 

Schnitt  durch  die 

Kapsel  am  hinteren 

Rand  der  Bicepssehne 

und  oberen  Rande 

des  Supraspinatus 


M.  supraspinatus 


{Crista  scapulae 
Meisselfläche 


M.  infraspinatus 


*•■■;•■■■.•■ 


0 


s^2 


Fig.    196.     Arthrotomia    scapulo-humeralis ,    nachdem    der    Acromio-Deltoides- 
Hautlappen    nach    vorne    geschlagen    ist,    von    der  Seite    gesehen    bei    einem 

anderen  Individuum. 


Nach  Herüberschlagen  des  Acromio-Deltoideuslappens  erscheint 
die  obere,  äussere  und  hintere  Fläche  der  Humeruskopfwölbung  ganz 
frei  zugänglich,  bedeckt  von  den  Sehnen  der  Auswärtsroller,  Supra- 
und  Infraspinatus  und  Teres  minor.  Ebenso  tritt  die  Rückfläche 
dieser  Muskeln  zu  Tage.  Es  kommt  sehr  viel  darauf  an,  dass  jetzt 
der  Schnitt  auf  den  Humeruskopf  correct  angelegt  werde,  um  nicht 
unnöthig  zu  verletzen.  Da,  wo  die  genannten  Muskeln  mit  ihren 
Sehnen  sich  an  das  Tuberculum  majus  und  die  Spina  tuberculi  majoris 


Obere  Extremität. 


551 


ansetzen,   d.  h     am  Vorderrande  dieser  Ansätze  und  am  Hinterrande 
der  bei  auswärts  rotirtem  Arm  fühlbaren  Bicepsrinne,  wird  ein  Längs- 


Vorderer  Kapselrand 
Bicepssehne 


M.  deltoideus 


^aput  longum  tricipitis 


Teres  major 


mit  der   Trennungsstelle 
des  M.  deltoideus 


M.  supraspinatus 


M.  infraspinatus 

f  Hinterer  Kapsel- 
•jrand  abgelöst  vom 
t-TubercuJum  majus 


Fig.  igj.    Resectio    humeri    von    hinten    mit    Loslösung    des    Deltoideus    vom 

Acromion  und  von  der  Crista  scapula  ohne  Knochentrennung.   Die  Kapsel 

ist  am  oberen  Rande  des  M.  supraspinatus  gespalten  und  entlang  dem  Tuberculum 

majus  rückwärts  vom  Kopf  losgelöst. 


DD' 


Excisionen  und  Resectionen. 


schnitt  auf  den  Knochen  gemacht.  Derselbe  läuft  in  frontaler  Ebene 
über  die  höchste  Kopf  Wölbung  dem  oberen  Rande  des  Supraspinatus 
entlang,  spaltet  auf  der  oberen  Fläche  des  Gelenkes  die  Kapsel  und 

legt  die  Bicepssehne  bis 
zu  ihrem  Ansätze  am 
oberen  Pfannenrande  frei 
(s.  Fig.  196).  Nun  werden 
längs  des  hinteren  Randes 
des  Biceps  die  Ansätze 
der  Auswärtsroller  am 
Tuberculum  majus  in  un- 
gestörtem Zusammen- 
hang mit  dem  Periost 
abgelöst  und  nach  hinten 
gezogen.  Dadurch  wird 
die  Bicepssehne  aus  ihrer 
Knochenrinne  freige- 
macht, so  dass  sie  nach 
vorne  gezogen  werden 
kann  und  die  Biceps- 
scheide  der  Inspection  zu- 
gänglich wird.  Um  sich 
diesen  ganzen  Act  zu 
erleichtern ,  wird  der 
Ellenbogen  nach  vorne 
gebracht  und  der  Arm 
auswärts  rotirt  und  em- 
porgestossen.  So  wird 
die  ganze  Kopfwölbung 
und  die  Pfanne  der  In- 
spection zugänglich  und 
es  bleibt,  wo  totale  Re- 
section  unnöthig  er- 
scheint ,  die  vordere 
Kapselwand  und  die  vor- 
deren Muskelansätze  er- 
halten. Anderenfalls  da- 
gegen wird  nunmehr  der 
Ansatz  des  Subscapularis 
am  Tuberculum  und  an 
der  Spina  tuberculi  mi- 
noris  nach  vorne  und  innen  losgelöst.  Es  gelingt  ohne  Schwierig- 
keit, die  Vasa  und  Nervus  circumflexus,  welche  unterhalb  des  M.  teres 
minor  heraustreten,  zu  schonen,  ja  bei  correcter  Ausführung  kommt 
deren  Verletzung  gar  nicht  in  Frage. 


Fig.  198.     Resectio  articulationis  humero-scapu- 
laris   wegen  Fractura  pertubercularis   mit  Um- 
drehung des  Kopfes. 


Obere  Extremität. 


553 


Sobald  der  Kopf  frei  gemacht  ist,  um  so  mehr  natürlich,  wenn 
derselbe  durch  Resection  entfernt  ist,  erhält  man  einen  vorzüglichen 
Einblick  auf  die  Pfanne,  viel  besser,  als  das  bei  der  Methode  des 
vorderen  Schnittes  je  möglich  ist;  und  dass  dies,  entgegen  der 
früheren  Praxis,  bei  welcher  man  es  fast  für  selbstverständlich  hielt, 
bei  der  Resectio  humeri  bloss  die  Decapitation  des  Kopfes  auszuführen, 
gegenwärtig  ganz  besonders  wichtig  ist,  braucht  kaum  hervorgehoben 
zu  werden.  Wenn  man  bei  den  tuberculösen  Erkrankungen  nicht  in 
ganzer  Ausdehnung  des  Gelenkes  die  tuberculös  inficirten  Gewebe  ent- 
fernt hat,  so  hat  man  der  operativen  Behandlung  ihren  Hauptwerth 
genommen. 

Die  Resection  des  Schultergelenkes  von  dem  geschilderten  hinteren 
Bogenschnitt  aus  giebt  nicht  bloss  vollkommen  freien  Einblick  ins 
Gelenk,  sondern  sie  genügt  der  Indication,  den  M.  deltoideus  (wie 
die  übrigen  Schultermuskeln)  functionsfähig  zu  erhalten,  da  sie  weder 
den  Muskel  noch  den  zuführenden  Nerven  schädigt.  Sie  hat  aber 
insofern  einen  erheblichen  Vorzug  vor  der  Resection  von  vorne  her, 
als  sie  erlaubt,  bei  fehlender  oder  beschränkter  Erkrankung  des  Kopfes 
sich  mit  der  Loslösung  der  von  der  Rückfläche  der  Scapula  zur 
Kapsel  tretenden  Muskeln  zu  begnügen,  die  Kapsel  am  vorderen 
Umfang  des  Kopfes  dagegen  mit  dem  bedeckenden  M.  subscapularis 
und  Lig.  coraco-humerale  intact  zu  lassen ;  dadurch  ist  am  besten  für 
Verhütung  der  so  häufigen  Subluxation  des  Humeruskopfes  nach  dem 
Processus  coracoideus  zu  gesorgt.  Die  Methode  verdient  deshalb 
bei  partiellen  Arthrektomien  besondere  Berücksichtigung. 

Ein  Schnitt  unterhalb  des  Acromion  ist  von  Neudörfer,  ein 
hinterer  Längsschnitt  von  Mac  Cormac  empfohlen  worden,  aber 
dieselben  haben  nicht  Anklang  gefunden,  da  sie  zu  wenig  Raum 
geben. 

Welche  vortrefflichen  Resultate  sich  mit  unserer  Methode  erzielen 
lassen,  zeigt  Fig.  198.  Sie  betrifft  eine  von  Dr.  Lardy  ausgeführte 
Resection  wegen  Fractura  pertubercularis  mit  Umdrehung  des  Kopfes. 
Photogramm  nach  5  Monaten. 

295)  Resectio  claviculae,  articulationis  sterno-clavicu- 
laris  et  acromio-clavicularis. 

Da  die  Clavicula  in  ganzer  Länge  unter  der  Haut  liegt,  so  ist 
ihre  Resection  eine  einfache  Sache,  sobald  dieselbe  subperiostal  ge- 
schehen kann.  Nach  Spaltung  der  Haut,  Platysma  (mit  Nervi  supra- 
claviculares)  und  der  Fascie  lässt  sich  das  Periost  leicht  zurückschieben. 
Die  Durchsägung  der  Clavicula  in  der  Mitte  erleichtert  die  Auslösung 
beider  Hälften.  Am  oberen  Rande  sind  die  Ansätze  der  Cleidal- 
portion  des  M.  sternocleido  und  des  Cucullaris,  am  unteren  Rande 
der  Cleidalportion    des  Pectoralis  major  und  des  Deltoides  abzulösen, 


554 


Excisionen  und  Resectionen. 


an  der  Unterfläche  der  M.  subclavius  und  das  Lig.  costo-claviculare 
medialerseits. 

Bei  Tumoren  (Sarcom)  der  Clavicula  macht  man  den 
Schnitt  über  den  Tumor  entlang  der  Clavicula,  etwas  schräg-  von 
unten  innen  nach  oben  aussen  und  löst  erst  Haut  und  Fascie  vom 
Tumor  allseitig  ab  unter  Durchschneidung  der  Nervi  supraclaviculares 
und  neben  kleinen  Venen  der  Vena  jugularis  externa  hinter  dem 
M.  sternocleido.  Der  Hinterrand  des  letzteren  Muskels  wird  em- 
porgehoben und  der  Cleidalansatz  entfernt  vom  Tumor  ge- 
trennt, ebenso  wird  der  Cucullarisrand  freigelegt  und  unter  Empor- 
heben von  der  Clavicula  gelöst.  Unten  ist  die  Musculatur  der 
Pectoralis  major  (Cleidalportion)  und  Deltoideus  im  Gesunden  zu 
trennen.  Jetzt  kann  man  vorne  ausserhalb  der  Grenze  des  Tumor 
auf  den  noch  gesunden  Theil  des  Knochens  mit  Knochenmesser 
incidiren  und  an  der  Unterfläche  das  Periost  stumpf  abheben.  Messer 
oder  Scheere  hat  man  bloss  nöthig  für  den  sehnigen  Ansatz  des 
M.  subclavius  an  der  Grenze  vom  mittleren  und  äusseren  Drittel, 
sowie  für  die  Lösung  der  Lig.  coraco-claviculare  ant.  und  post.  und 
des  Lig.  costo-claviculare.  Bevor  man  diese  strammen  Gebilde  trennt, 
eröffnet  man  das  Acromico-Claviculargelenk  und  hebt  die  Clavicula 
mit  Haken  kräftig  empor.  So  vermeidet  man  leicht  eine  Verletzung 
der  unter  dem  M.  subclavius  liegenden  Vena  subclavia. 

Zur  Resection  der  Articulatio  acromio-clavicularis 
ist  bloss  die  kräftige  Bandmasse  auf  der  Oberfläche  des  Gelenkes  zu 
durchschneiden,  um  die  Clavicula  beweglich  zu  machen. 

Die  Articulatio  sterno-clavicularis  bietet  an  sich  eben- 
falls keine  Schwierigkeit  für  die  Auslösung  von  einem  vorderen 
Schnitt  aus,  da  die  Bandscheibe  im  Gelenk  die  Trennung  der  Gelenk- 
enden erleichtert.  Wo  aber  die  Excision  nicht  subcapsulo-periostal 
geschehen  kann,  muss  bei  Lösung  des  Lig.  interclaviculare  die  Quer- 
vene in  der  Incisura  sterni  und  bei  Lösung  des  M.  sternocleido  deren 
Fortsetzung  hinter  diesem  Muskel  zur  V.  jugularis  externa,  bei  weiter- 
gehender Trennung  des  Lig.  costo-claviculare  und  M.  subclavius 
Pleura  und  Vena  subclavia  berücksichtigt  werden. 

296)  Resection  und  Totalexcision  der  Scapula  (Fig.  199). 

Totalresection  wurde  zuerst  von  Langenbeck  (Gies)  1855  aus- 
geführt. Welche  vorzüglichen  Resultate  sich  mit  Totalexcision  der 
Scapula  bezüglich  Function  erzielen  lassen,  hat  A.  Ceci  und  in  neuerer 
Zeit  Picque  und  Dartigues  gezeigt.  Selbst  wenn  ein  Theil  der  Clavi- 
cula, ja  das  Caput  humeri  weggenommen  wird  bleibt  ein  brauchbarer 
Arm.  Beiden  nicht  seltenen  Erkrankungen,  zumal  Tumoren  der  Scapula, 
ist  es  wichtig,  die  Excision  dieses  Knochens  gründlich,  aber  ohne  un- 


Obere  Extremität. 


555 


nöthige  Nebenverletzungen  ausführen  zu  können.  Wo  das  Periost 
erhalten  werden  kann,  wird  man  dasselbe  mit  Rücksicht  auf  mögliche 
Regeneration  sammt  den  bedeckenden  Muskeln  zu  erhalten  suchen. 
Wo  dagegen, .  wie  bei  Tumoren,  von  Schonung  des  Periosts  keine 
Rede  ist,  da  erscheint  es  besonders  wünschenswerth,  zur  Verhütung 
von  Recidiven  auch  alle  ausser  Function  tretenden  Muskeln  gründlich 
mit  zu  entfernen.  Dazu  gehören  bei  Totalexcision  der  Scapula  alle 
nur  die  Scapula  bewegenden  oder  von  der  Scapula  aus  auf  den  Arm 
wirkenden  Muskeln. 

Bogenschnitt  von 
der  Stelle,  an  welcher 
das  Acromion  getrennt 
werden  muss,  über  die 
Crista  scapulae  bis  zum 
Hinterrand  der  letzteren 
und  abwärts  bis  zum 
Angulus  scapulae.  Es 
ist  ein  grosser  Vortheil 
für  die  Function  des 
Armes,  wenn  man  ein 
gutes  Stück  vom  Acro- 
mialtheil  erhalten  kann, 
weil  hier  Cucullaris  von 
oben  und  Deltoides  von 
unten  als  wichtige  Mus- 
keln sich  ansetzen.  Soll 
das  Acromion  ganz  ent- 
fernt werden,  so  dringt 
der  Schnitt  an  seinem 
Beginn  gleich  ins  Acro- 
mio  -  Claviculargelenk 
ein  und  trennt  dasselbe 
völlig.  Wird  ein  Stück 
erhalten,  so  wird  das 
Acromion  an  der  be- 
treffenden Stelle  nach  Abhebung  des  Periosts  mit  einem  Meisselschlag 
durchschlagen. 

Der  dreieckige  Lappen,  welchen  der  oben  angegebene  Schnitt 
gebildet  hat,  wird  über  die  lateralen  hinteren  Fasern  des  Deltoides 
vorne  und  über  den  aufsteigenden  Theil  des  Cucullaris  hinten  bis 
zum  lateralen  Rande  des  M.  latissimus  dorsi  zurückgeschlagen.  Unter 
dem  freigelegten  hinteren  Rande  des  Deltoides  wird  der  Finger 
eingeschoben  und  der  Muskel  so  nahe,  als  die  Erkrankung  es 
verträgt,   entlang   der   Crista   und   dem  Acromion    getrennt  bis  zum 


Fic 


199.    Resectio   scapulae.     (Ollier's  Methode 
nach  Esmarch.) 


556 


Excisionen  und  Resectionen. 


Acromio-Claviculargelenk  resp.  bis  zu  der  Durchmeisselungsstelle  des 
Acromion. 

Auf  diese  Weise  legt  man  ähnlich  wie  bei  unserem  Resections- 
schnitt  für  das  Schultergelenk  die  Rückfläche  der  Kapsel  sammt  den 
bedeckenden  Sehnen  der  Auswärtsrotatoren  frei.  Kann  man  den 
Gelenktheil  der  Scapula  erhalten,  so  wird  Muskel  um  Muskel  auf 
untergeschobenem  Elevatorium  oder  Finger  durchschnitten  und  der 
Gelenktheil  der  Scapula  abgesägt.  Muss  dagegen  auch  der  Gelenk- 
theil der  Scapula  entfernt  werden,  so  werden  die  Sehnen  wie  bei 
der  Resectio  humeri  abgelöst  vom  Humeruskopf,  vom  Tuberculum 
majus  der  Supra-  und  Infraspinatus  und  Teres  minor,  vom  Tuber- 
culum minus  der  Subscapularis  und  abwärts  der  vereinigte  Ansatz 
des  Latissimus  dorsi  und  Teres  major  von  der  Spina  tüberculi  minoris. 

Am  Unterrande  des  Teres  minor  ist  der  N.  axillaris  und  A.  circum- 
flexa  humeri  posterior  zu  schonen  oder  letztere  zu  unterbinden,  weiter 
rückwärts  die  A.  circumflexa  scapulae  zu  unterbinden. 

Nun  erfolgt  die  Durchschneidung  des  Cucullaris,  indem  von  der 
Trennungsstelle  des  Acromion  weg  der  Fmger  unter  dessen  Fasern 
eingeschoben  und  der  Muskel  entlang  dem  oberen  Rande  der  Crista 
scapulae  gelöst  wird,  ebenso  hinten  entlang  dem  unteren  Rande  der 
Crista.  Am  vorderen  Ende  sind  dabei  die  Acromialäste  der  A.  thoracico- 
acromialis  zu  unterbinden. 

Indem  die  bereits  freier  bewegliche  Scapula  nach  unten  gezogen 
wird,  erfolgt  die  Ablösung  der  am  oberen  Rande  sich  ansetzenden 
Muskeln  von  vorne  nach  hinten,  des  Omohyoideus  mit  Ligatur  des 
Endastes  der  A.  transversa  scapulae,  des  Levator  scapulae  am  hinteren 
oberen  Winkel  mit  Ligatur  von  Aesten  der  A.  dorsalis  scapulae 
(Transversa  colli). 

Jetzt  bleibt  noch  der  breite  wulstige  Ansatz  des  M.  serratus  anticus 
major  am  Hinterrand  der  Scapula,  dessen  Trennung  bei  umgeklappter 
Scapula  erfolgt,  und  zuletzt  werden  die  Ansätze  der  dünnen  Rhom- 
boidei  an  derselben  Stelle  durchgeschnitten  (event.  Ligatur  der  A.  dorsalis 
scapulae),  welche  letztere  entlang  dem  Scapularande  auf  dem  M.  serratus 
posticus  superior  herunterläuft. 

Buchanan  hat  72  Fälle  dieser  LANGENBECK'schen  Operation 
der  Totalexcision  gesammelt  (1900)  mit  15,3  Proc.  f.  In  92  Fällen 
wurde  partiell  resecirt  mit  18  Proc.  f. 


Vierter  Abschnitt. 

Amputationen  und  Exartieulationen. 


W.  Einleitung. 

Die  Fortschritte  in  der  Methodik  der  Amputationen  und  Exartieu- 
lationen seit  der  letzten  Auflage  dieses  Buches  bestehen,  darin  dass 
sich  dieselbe  noch  intensiver  als  früher  mit  den  Aufgaben  zur  Her- 
stellung brauchbarer  Stümpfe  befasst  hat.  Da  durch  die  Vervoll- 
kommnung der  Asepsis  eine  wirkliche  tadellose  Primaheilung  wie 
für  andere  Operationen  Regel  geworden  ist,  so  hat  man  sich  den 
feineren  Rücksichten  der  Gestaltung  des  Stumpfes  zur  Erzielung 
bestmöglicher  Function  mit  vermehrtem  Interesse  zuwenden  können. 
Es  ist  auch  eine  gewisse  Abklärung  erfolgt,  welche  sich  darin  kund 
giebt,  dass  als  Zeichen  der  Annäherung  an  die  Wahrheit  eine  Ver- 
einfachung eingetreten  ist.  Um  dieses  recht  ins  Licht  zu  stellen, 
reproduciren  wir  aus  der  3.  Auflage  das  über  Entwicklung  der  ver- 
schiedenen Amputationsmethoden  Gesagte  und  die  Art  der  Aus- 
führung dieser  Methoden,  um  das  einfache  Normalverfahren  am 
Schluss  anzufügen,    welches  auf   alle  Fälle   seine  Anwendung  findet. 

Entwicklung^  der  Amputationsmethoden.     Ihre  Indi- 

cationen. 

Die  älteste  Methode  der  Amputation  der  Glieder,  wie  sie  sich 
als  gleichsam  selbstverständlich  schon  den  ältesten  Chirurgen  auf- 
gedrängt hat,  ist  höchst  einfach:  Man  scheidet  die  Weichtheile  bis 
auf  den  Knochen  oberhalb  des  zu  entfernenden  Gliedabschnittes  mit 
einem  Zug  quer  durch  und  schält  den  Knochen  so  weit  aufwärts 
heraus,  um  ohne  Spannung  die  Weichtheile  über  das  abgesägte  Ende 
vereinigen  zu  können.  Ist  hierzu  ein  querer  Schnitt  ungenügend, 
so  fügt  man  1  oder  2  Längsschnitte  hinzu,  wie  der  Querschnitt  bis 
auf  den  Knochen  dringend.     Von  diesem   einfachen  Schema  ist  man 


558 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


im  Verlaufe  der  Zeiten  so  vielfach  abgewichen,  dass  man  es  in  neuester 
Zeit  gleichsam  wieder  erfunden  musste.  Neudörfer,  Bruns  u.  A. 
haben  gezeigt,  dass  man  die  beste  Bedeckung  für  Knochenstümpfe 
erzielt,  wenn  man  dem  auf  dieselben  zu  legenden  Periost  auch  die 
ganze  Weichtheilhülse    möglichst  ungeschädigt  angelegt    lässt,    d.  h. 

Entwicklung  der  Amputationsmethoden. 
Fig.  200. 

b)  Schrägschnitt  oder  Ovalschnitt 


I.  Grundtypen:  Zirkelschnitt  und  Ovalschnitt. 

Fig.  201. 

b)  Schräger  Rakettschnitt 


II.  Hinzufügung  eines  Längsschnittes  behufs  leichter  Ausführung: 
Rakettschnitt. 


Fig.  202. 


III.  Abrundung  der  Ecken  bei  Typus  II  behufs  rascherer  Ausführung  in  einem  Zug : 

Lanzettschnitt. 


wenn  man  die  Weichtheile  bis  auf  den  Knochen  trennt  und  bloss 
diesen  subperiostal  weiter  aufwärts  blosslegt,  um  gehörige  Bedeckung 
für  ihn  zu  erhalten. 

Um  den  Zusammenhang  der  verschiedenen  Amputationsmethoden 
zu   zeigen,    geben    wir  in   Fig.    200—202    eine   Uebersicht    der  Ent- 


Einleitung. 


559 


Wicklung    der    complicirten    Schnitte    aus    der    erwähnten    einfachen 
Methode. 

Die  älteste  Methode  ist  der  Zirkelschnitt,  bestehend  in  einem 
kreisförmig  um  dieses  herumlaufenden  Schnitt.  Hier  liegt  der  Schnitt 
in  einer  quer  zur  Gliederaxe  stehenden  Ebene.  Legt  man  diese  Ebene 
schräg  zur  Gliederaxe,  so  entsteht  ein  Ovalschnitt  (Fig.  201).  Aus 
dem  quer  in  einer  Richtung  fortlaufenden  Zirkelschnitt  und  dem 
schräg  ebenfalls  in  der  Richtung  einer  Ebene  fortlaufenden  Oval- 
schnitt, welche  beiden  man  besser  kurzweg  als  Querschnitt  und  Schräg- 
•■schnitt' bezeichnet,  lassen  sich  alle  anderen  Amputationsmethoden  ab- 


b)  Ungleiche  viereckige  Lappen 


IV.  Hinzufügung  zweier  Längsschnitte  zum  Zirkelschnitt: 
Viereckiger  Lappenschnitt. 


Fig.  204. 


b)  Ungleiche  runde  Lappen 


V.  Abrundung  der  Ecken  bei  Typus-JV:  Runder  Lappenschnitt. 


leiten  nämlich  durch  Hinzufügung  von  Längsschnitten  und  danach 
Abrundung  der  dabei  zu  Stande  kommenden  Ecken.  Wird  zu  einem 
Zirkelschnitt  oder  Ovalschnitt  ein  Längsschnitt  hinzugefügt,  so  ent- 
steht die  „Incision  en  raquette"  (Rakettschnitt)  und  bei  Ab- 
rundung der  Ecken  der  Lanzettschnitt.  Derselbe  ist  vielfach 
als  Ovalärschnitt  bezeichnet  worden ,  aber  ein  Oval  mit  einer  zu- 
gespitzten Seite  ist  kein  Oval.  Fügt  man  2  Längsschnitte  hinzu,  so 
entstehen  die  viereckigen  Lappen-  und  bei  Abrundung  der  Ecken 
die  gewöhnlichen  runden  Lappenschnitte. 

Der  Zirkel  schnitt,  kurzweg  Querschnitt,  (Fig.  200  u.  205) 
ist  der  Grundtypus  einer  Amputationsmethode.  Er  stammt  als  einzeitigre 
Schnitt  von  Celsus,  welcher  überhaupt  zuerst  regelrechte  Amputationen 


-5o  Amputationen  und  Exarticulationen. 

machte,  als  zweizeitiger  von  Cheselden  und  Petit  (Schede).  Die 
höhere  Knochendurchsägung  ist  von  LOUIS  und  BOYER  consequenter 
gefördert  worden.  Nach  der  von  Freres  gegebenen  Beschreibung 
hat  CELSUS  einzeitig  die  Weichtheile  durchschnitten  und  sie  dem 
Knochen  entlang  gelöst,  also  die  Methode  geübt,  welche  neuerdings 
in  modificirter  Weise  von  Bruns  und  Neudörfer  wieder  allgemein 
empfohlen  worden  ist.  Der  jetzige  Zirkelschnitt  ist  von  Bell  und  Hey 
eingeführt  (Treves). 

Bei  grosser  Einfacheit  der  Ausführung  hat  aber  der  Zirkelschnitt 
eine  Anzahl  von  Nachtheilen,  welche  ihn  seltener  zur  Anwendung 
kommen  lassen  als  den  Ovalschnitt.  Da  man  bei  Amputation  in  der 
Regel  möglichst  viel  zu  erhalten  sucht,  so  hat  der  schräge  Schnitt 
einen  Vortheil,  sobald  auf  einer  Seite  mehr  gesunde  Haut  vorhanden 
ist,  als  auf  der  anderen,  oder  wenn  die  Haut  auf  einer  Seite  zur 
Bedeckung  geeigneter  ist.  Dasselbe  ist  der  Fall,  wenn  die  circuläre 
Ablösung  der  Haut  in  genügender  Länge  schwierig  ist,  z.  B.  wenn  das 


Fig.  205.     Lage  der  Nahtlinie  beim  Fig.  206.     Lage  der  Nahtlinie  beim 

Querschnitt.  Schrägschnitt. 


zu  amputirende  Glied  nach  oben  dicker  wird.  Endlich  kommt  —  und 
das  ist  der  weitaus  wichtigste  Uebelstand  bei  dem  queren  Zirkel- 
schnitt —  die  Hautnarbe  auf  das  Stumpfende  zu  liegen,  was  bei 
schrägem  Schnitt  nicht  der  Fall  ist.  Die  Figuren  205  und  206  illu- 
striren  genügend  die  verschiedene  Lage  der  Nahtlinie:  beim  queren 
Schnitt  unten  auf  dem  Stumpf,  beim  schrägen  Schnitt  oberhalb  des 
Stumpfes  seitlich. 

Es  ist  ohne  weitere  Worte  ersichtlich,  dass  aus  obigen  Gründen 
der  Ovalschnitt,  kurzweg  Schrägschnitt,  (Fig.  200  u.  206)  ein 
viel  weiteres  Anwendungsgebiet  hat,  weil  er  sich  den  meisten  Fällen  an- 
passen lässt,  leicht  auszuführen  ist,  eine  bewegliche  narbenfreie  Hautbe- 
deckung des  Stumpfendes  ergiebt.  Der  schräge  Schnitt  ist 
deshalb  die  Methode  der  Wahl  für  die  Mehrzahl  der 
Amputationen  und  Exarticulationen,  wTenn  nicht  ganz 
specielle  Indicationen  zu  erfüllen  sind. 

Diese  einfachsten  Methoden  der  in  einer  Richtung  fortlaufenden 
resp.  in  einer  Ebene  liegenden  Schnitte  geben  aber  nicht  immer  ge- 
nügenden Raum  zur  Auslösung  der  tiefen  Theile,  speciell  des  Knochens^ 


Einleitung.  561 

und  die  technische  Schwierigkeit  ist  der  Grund,  dass  man  complicirtere 
Schnitte  machen  muss,  indem  man  zu  den  rings  das  Glied  umkreisenden 
Schnitten  Längs  sehn  itte  .  hinzufügt.  Macht  man  bloss  einen 
Längsschnitt  hinzu,  so  entsteht  der  Rakettschnitt,  macht  man  2  Längs- 
schnitte, so  entstehen  die  viereckigen  Lappen;  rundet  man  die  bei 
diesen  Methoden  entstehenden  Ecken  ab,  so  wird  der  Rakettschnitt 
zum  Lanzettschnitt,  die  viereckigen  Lappen  zu  abgerundeten 
Lappen. 

Die  Incision  en  raquette  (Fig.  201)  und  der  Lanzett- 
schnitt (Fig.  202)  geben  leichteren  Zugang  zu  den  tieferen  Geweben 
bei  gleicher,  resp.  ebensoviel  bei  grösserer  Hautersparniss,  und  sind 
daher  bei  schwierigen  Exarticulationen  vorzuziehen,  namentlich  aber 
dann  besonders  werthvoll ,  wenn  die  Erhaltung  möglichst  vieler 
Muskeln  im  Stumpf  angezeigt  ist,  wie  bei  der  Exarticulation  (und 
hohen  Amputation)  von  Hüfte,  Schulter,  Daumencarpalgelenk.  Ein 
weiterer  Vortheil  dieser  Schnitte  ist,  vor  der  Abtragung  des  Gliedes 
die  grösseren  Gefässe  unterbinden  und  grössere  Nerven  durchschneiden 
zu  können.  Der  Rakettschnitt  ist  dem  Lanzettschnitt  vorzuziehen,  wenn 
vom  Längsschnitt  aus  die  Weichtheile  bis  auf  den  Knochen  gespalten 
und  subperiostal  abgelöst  werden  sollen.  In  den  übrigen  Fällen  ist 
der  Lanzettschnitt  rascher  ausführbar.  Neudörfer  (Wanach)  und 
nach  ihm  Chaput  hat  als  Normal  verfahren  für  alle  Amputationen 
empfohlen,  erst  einen  Längsschnitt  bis  auf  den  Knochen  zu  führen, 
am  oberen  Ende  mit  dem  Meissel  den  Knochen  zu  durchschlagen 
und  das  periphere  Ende  des  g-etrennten  Knochens  subperiostal  durch 
die  Wunde  herauszustossen,  und  die  Weichtheile  entsprechend  weiter 
abwärts  quer  zu  durchschneiden,  also  einen  richtigen  Rakett- 
schnitt für  alle  Fälle.  Derselbe  kann  sehr  wohl  statt  subperiostal 
auch  subcortical  ausgeführt  werden,  was  vorzuziehen  ist. 

Die  Lappenschnitte  (Fig.  203  und  204)  von  Lowdham  als 
Hautlappen,  von  Ravaton  als  Hautmuskellappen  und  von  Vermale 
als  Stichlappen  angegeben  (nach  Treves),  verdienen  den  Vorzug  da, 
■wo  die  Haut  oder  die  übrigen  Weichtheile  auf  einer  oder  zwei  Seiten 
des  Gliedes  besondere  Berücksichtigung  verlangen.  Dies  ist  z.  B. 
der  Fall  für  die  Haut  an  der  Sohle  und  Ferse,  für  die  Muskeln  an 
Schulter  und  Hüfte.  Der  Nachtheil  der  Lappenschnitte,  welcher  schon 
bei  ihrem  Grundtypus,  dem  Schrägschnitt,  in  geringem  Grade  an- 
hängt, ist   die  mangelhafte  Ernährung   der  Haut. 

Ausführung  der  verschiedenen  Methoden. 

Der  Querschnitt  (Fig.  207,  209  und  211):  Das  Messer  wird 
in  einer  queren  Linie  zur  Gliedaxe  ringsum  durch  die  Haut  und 
Fascie  gezogen;  erst  unten  herum,  dann  oben  herum.    Der  Assistent 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  ?ß 


562 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


zieht  kräftig  die  Haut  mit  beiden  Händen  zurück  während  das 
Messer]  am  Hautrand  noch  die  nicht  getrennten,  spannenden  Fasern 
zur  Musculatur  trennt.  Dann  erfolgt  der  Schnitt  durch  die  Musculatur 
und  zwar  da,  wo  dicke  Lagen  derselben  grössere  Beweglichkeit  der 


Fig.  207. 

Querschnitt:  Art  der  Zurückziehun 
der  Haut  und  der  Anlage  des 
Messers. 


Fig.  208. 
Schrägschnitt:    Faltenerhebung    zur 
Markirung  des  unteren  Endes. 


Fig.  209. 
Querschnitt:   Art  des  Zu- 
rückschiebens   der    tiefen 
Muskeln  sammt  Periost 
mittelst  Raspatorium.] 


Fig.  210. 

Schrägschnitt  : 

Faltenerhebung  zur 

Markirung 
des  oberen  Endes. 


Fig.  211. 

Querschnitt    nach    Absägung,    um 

den  Hohlkegel  zu  zeigen  (auf  einem 

Sagittalschnitt)    von    der   Haut    bis 

zum  Knochen. 


Fig.  212. 

Schrägschnitt:    Art    der    Messeranlage 

mit   senkrecht   gestellter  Schneide  zur 

allmählich  tiefen  Trennung  der  Weich- 

theile. 


oberen  Muskellagen  bedingen,  erst  durch  die  letzteren  allein.  In  der 
Ebene,  bis  zu  welcher  sie  sich  zurückgezogen  haben,  erfolgt  der 
Schnitt  durch  die  tiefe  Musculatur  bis  auf  den  Knochen.  Das  Periost 
wird  mit  einem  Resectionsmesser  kräftig  durchgeschnitten  und  (so- 
weit   thunlich    stumpf)    zurückgeschoben   bis   zu   der   Stelle,    wo   der 


Einleitung.  c()? 

Knochen  durchsägt  werden  soll.  Die  Stelle  der  Durchsägung  des 
Knochens  wird  in  der  Weise  berechnet,  dass  man  reichlich  um  die 
halbe  Länge  des  grösseren  Durchmessers  des  Gliedes  an  der  be- 
treffenden Stelle  in  die  Höhe  geht.  Unter  allen  Umständen  muss 
die  Periosthülse  lang  genug  sein,  um  die  Sägefläche  der  Knochen 
vollkommen  zu  decken.  Wo  man  ein  Gelenk  exarticulirt,  wird  in 
gleicher  Weise  mit  der  Gelenkkapsel  verfahren,  welche  ja  die  Fort- 
setzung des  Periosts  ist.  Dieselbe  wird  vom  Knochen  abgelöst  und 
bis  zur  Gelenklinie  zurückgeschoben  (Ollier,  Socin). 

Dadurch,  dass  der  mehrzeitige  Zirkelschnitt  gemacht  wird  unter 
jeweiligem  Zurückziehen  der  durchschnittenen  oberflächlichen  Theile, 
erhält  der  Schnitt  eine  Trichterform,  in  dessen  Grund  die  Sägefläche 
des  Knochens  liegt.  So  ist  die  breite  Anlegung  der  Weichtheile  von 
der  Haut  bis  zum  Knochen  gesichert. 

Der  Schrägschnitt  (Fig.  208,  210,  212).  Die  „elliptische" 
Methode  wird  von  Treves  auf  Sharpe  und  SOUPART  zurück- 
geführt. Den  von  uns  geschilderten  Schrägschnitt  hat  BLASIUS  an- 
gewandt. Das  obere  und  untere  Ende  des  Schnittes  wird  nach 
Faltenerhebung  der  Haut,  mittelst  zweier  kurzer  Einschnitte  be- 
zeichnet, deren  peripherer  senkrecht,  deren  centraler  wagrecht  liegt, 
Das  obere  Ende  liegt  an  der  Stelle,  wo  das  Periost  durchschnitten 
werden  soll;  das  untere  Ende  liegt  um  den  ganzen  Durchmesser 
des  Gliedes  tiefer.  Nach  Schnitt  durch  Haut  und  Fascie  wird  das 
vorragende  Hautende  nach  Fig.  212  mit  der  linken  Hand  gefasst. 
kräftig  emporgezogen  und  das  Messer,  mit  der  Schneide  senk- 
recht gegen  die  Muskeln  gerichtet,  sägend  durch  die  Muskeln 
bis  zum  Knochen  geführt,  so  dass  ein  nach  oben  zunehmend  dicker 
werdender  Lappen  gebildet  wird.  Da  wo  der  Schnitt  auf  den  Knochen 
trifft,  wird  das  Periost  quer  gespalten  und  wie  beim  queren  Zirkel- 
schnitt aufwärts  gelöst  zur  späteren  Bedeckung  des  Knochens.  Der 
Hautmuskellappen  von  der  längeren  Seite  her  wird  auf  die  Wunde 
übergelegt. 

Kann  man  Muskeln  und  Sehnen  aus  irgend  einem  Grunde  nicht 
erhalten,  so  wird  nach  dem  Hautschnitt  das  untere  Ende  des  Haut- 
lappens gefasst  und  sammt  Fascie  bis  in  die  Höhe  der  Durch- 
trennungsstelle des  Periosts  von  der  Unterlage  gelöst,  wobei  die 
Messerschneide  niemals  gegen  den  Lappen,  sondern  senkrecht  zur 
Unterlage  gerichtet  bleibt.  Nach  Ablösung  der  Haut  wird  mit 
Muskeln  und  Knochen  in  ganz  gleicher  Weise  verfahren,  wie  beim 
queren  Zirkelschnitt. 

Der  Rakettschnitt  (Fig.  201  und  202)  und  seine  Varietät: 
der  Lanzettschnitt.  Scoutetten  ist  der  Erfinder  des  Ovalär- 
oder  besser  Lanzettschnittes,  Malgaigne  der  Rakettmethode.  Er 
besteht  in  der  Hinzufügung  eines  Längsschnittes  nach  oben  rzu  einem 

36* 


cß^  Amputationen  und  Exarticulationen. 

queren  (oder  schrägen)  Zirkelschnitt.  Der  Längsschnitt  geht  bis  in 
die  Höhe,  wo  der  Knochen  getrennt  werden  soll;  er  fällt  womöglich 
an  Stelle  eines  Muskelinterstitium,  welches  zugleich  zwei  Nervenver- 
sorgungsgebiete  scheidet,  dringt  unter  Vermeidung  von  Gefässen 
und  Nerven  bis  auf  den  Knochen  ein  und  spaltet  das  Periost,  welches 
vom  Knochen  abgelöst  wird.  Blutende  Gefässe  werden  unterbunden 
und  grössere  Gefässe  direct  aufgesucht,  um  die  Blutung  beim  nach- 
herigen Zirkelschnitt  zu  beschränken.  Bei  Exarticulationen  wird 
schon  vom  Längsschnitt  aus  das  Gelenk  eröffnet  und  die  Gelenk- 
kapsel vom  Knochen  abgelöst.  Neudörfer  macht  den  Rakettschnitt 
in  der  Weise,  dass  er  in  dem  zuerst  angelegten  Längsschnitt  den 
Knochen  durchmeisselt,  dann  heraustreten  lässt  und  subperiostal  aus- 
löst bis  zur  Stelle  des  Zirkelschnittes. 

Zuletzt  wird  der  Zirkelschnitt  hinzugefügt  durch  die  Haut,  diese 
zurückgezogen,  die  Musculatur  durchschnitten  bis  auf  den  Knochen, 
sammt  Periost  bis  zur  Trennungslinie  des  Knochens  (bei  Exarti- 
culationen bis  zum  Gelenk)  zurückgezogen,  die  Durchsägung  oder 
Auslösung  aus  dem  Gelenk  vollendet. 

Wie  der  Schrägschnitt  die  wichtigste  und  allgemeinste  Am- 
putation smethode  für  die  einfachen  Fälle,  so  ist  der  Rakettschnitt 
der  Typus  der  Amputation  für  alle  Fälle,  bei  welchen  ein  specieller 
Werth  auf  die  Erhaltung  der  Muskeln  im  Stumpf  gelegt  wird,  um 
demselben  das  Maximum  von  Beweglichkeit  zu  sichern.  Er  findet 
daher  seine  Hauptverwendung  bei  Amputation  und  Exarticulation 
in  der  Nähe  der  Gelenke,  speciell  der  mit  grossen  Muskeln  be- 
deckten am  Carpalgelenk  des  Daumens,  an  Schulter  und  Hüfte  und 
eventuell  noch  am  Ellbogen.  Der  Längsschnitt,  welchen  man  dem 
Zirkelschnitt  hinzufügt,  erlaubt,  mit  Schonung  von  Muskeln  und 
Nerven  (auch  Gefässen),  bis  auf  Periost  und  Gelenkkapsel  zu  spalten 
und  sämmtliche  Wefchtheile  um  den  Knochenstumpf  oder  um  die 
Periosthülse  herum  zu  erhalten,  so  dass  selbst  einem  anfänglich 
knochenlosen  Stumpf  noch  eine  wichtige  Beweglichkeit  gewahrt 
bleibt.  Der  Rakettschnitt  erlaubt  auch,  vor  Ausführung  des  Zirkel- 
schnittes, resp.  vor  Abtragung  des  Gliedes  die  grösseren  Gefässe  zu 
unterbinden  oder  verlässlich  zu  comprimiren,  eventuell  auch  Nerven 
zu  durchschneiden. 

Der  Rakettschnitt  ist  der  Typus  der  subperiostal-subcapsulären 
Methode  Ollier's. 

Der  Lanzettschnitt,  bei  welchem  die  Ecken  des  Rakett- 
schnittes  abgerundet  sind,  ist  die  bequemere  und  elegantere  Modi- 
fication  des  letzteren,  sobald  die  rasche  Ausführung  der  Operation 
wichtiger  erscheint,  als  die  peinliche  Erhaltung  möglichst  vieler  in- 
tacter  Weichtheile. 


Einleitung. 


565 


Der  doppelt  gestielte  Quer-  und  Schrägschnitt  oder 
die  Lappenschnitte1)  (Fig.  201,  202)  sind  Modificationen  der  be- 
schriebenen Typen  behufs  leichterer  Ausführung  der  Amputation 
und  Exarticulation.  Sie  sind  desshalb  überall  am  Platze,  wo  die 
blossen  Zirkelschnitte  wegen  Derbheit  und  Spannung  der  Haut  oder 
wegen  breiter  Knochenenden  schwierig  auszuführen  sind,  speciell 
bei  Amputation  in  den  Fussgelenken. 

Ihr  Grundtypus  sind  2  gegenüberliegende  Längsschnitte,  welche 
am  unteren  Ende  durch  einen  Zirkelschnitt  verbunden  sind.  Liegt 
dieser  Zirkelschnitt  quer,  so  entstehen  2  gleich  lange,  liegt  er  schräg, 
2  ungleich  lange  eckige  Lappen.  In  reiner  Form  übt  z.  B.  Teale 
derartige  Lappenmethoden,  alle  Weichtheile  bis  zur  Sägestelle  ein- 
schliessend.  Es  ist  aber  Reg'el,  dass  von  vorneherein  die  Ecken 
dieser  Lappen  abgerundet  geschnitten  werden,  so  dass  bloss  ein  Theil 
der  Längsschnitte  beibehalten  wird,  und  statt  eines  Zirkelschnittes 
2  Bogenschnitte  gemacht  werden,  welche  spitzwinklig  in  die 
Längsschnitte  einmünden.  Es  ist  ein  von  Anfängern  regelmässig 
begangener  Fehler,  dass  diese  beiden  Bogenschnitte  sich  in  zu 
stumpfem  Winkel  treffen.  Es  ist  deshalb  wünschenswerth,  dass  bei 
geringerer  Uebung  die  Operation  mit  den  beiden  seitlichen  Längs- 
schnitten begonnen  werde,  welche  danach  vorne  und  hinten  bogen- 
förmig (mit  Convexität  peripher wärts)  verbunden  werden.  Sonst 
durchschneidet  man  die  Haut  im  Bogen  erst  auf  der  einen,  dann 
der  anderen  Seite,  und  geht  in  ganz  analoger  Weise  wie  beim  ein- 
lachen Schrägschnitt  in  der  Weise  vor,  dass  man  nach  Emporheben 
des  unteren  freien  Endes  der  Lappen  schräg  durch  die  Muskeln  bis 
auf  den  Knochen  schneidet,  das  Periost  cirkular  trennt  und  empor- 
schiebt bis  zur  Durchsägungsstelle.  Man  erhält  so  2  schräge  Weich- 
theilflächen,  welche  sich  glatt  aufeinander  legen  lassen  bei  gleich 
langen  Lappen.  Bei  ungleich  langen  Lappen  bedeckt  der  längere  die 
Wundfläche  in  ihrer  Hauptausdehnung.  Die  Berechnung  der  Anlage 
des  Hautschnittes  zur  Amputationsstelle,  resp.  zur  Knochendurch- 
sägung  oder  Exarticulationslinie  geschieht  bei  den  gestielten  Zirkel- 
schnitten in  derselben  Weise  wie  für  den  einfachen  queren  oder 
schrägen  Zirkelschnitt. 

Eine  Modification  der  Lappenmethode  ist  die  Amputation  mittelst 
Stich  durch  ein  zweischneidiges  Messer.  Hier  werden  die  beiden 
Lappen  dadurch  gebildet,  dass  man  von  einer  Seite  zur  anderen,  über 
und  unter  dem  Knochen,  das  Messer  durchsticht,  und  erst  nach  der 
einen,    dann    der    anderen   Seite   unter   Bildung   eines   Haut-Muskel- 


1)  Nach  Schede  hat  Lowdham  die  Lappenmethode  eingeführt,  Ravaton 
den  Doppellappen  (1739),  LlSFRANC  1827  blosse  Hautlappen  vorgeschlagen. 
Beck  und  Esmarch  haben  auf  die  Vortheile  kurzer  Lappen  aufmerksam  gemacht. 


^56  Amputationen  und  Exarticulationen. 

lappens  das  Messer  bogenförmig  abwärts  durchzieht  Die  Methode 
giebt  sehr  glatte  Wunden  und  ist  sehr  rasch  ausführbar,  hat  aber 
jetzt,  wo  wir  Esmarch's  prophylaktische  Blutstillung  und  die  Nar- 
kose besitzen,  ihre  Bedeutung  eingebüsst. 

Nach  der  Absetzung  des  Gliedes  werden  die  Gefässe  unter- 
bunden, am  besten  mit  feiner  Seide,  indem  man  dieselben  auf  mög- 
lichst kurze  Strecke  von  ihrer  Umgebung  (Gefässscheide)  isolirt. 
Dann  werden  Nervenstämme  aufgesucht,  stark  vorgezogen,  und  so 
hoch  wie  möglich  abgetragen ,  damit  nicht  ein  Nervenstumpf  in 
den  Bereich  der  übrigen  Narbe  komme  und  durch  Verwachsung  mit 
derselben  Zerrungen  ausgesetzt  werde  oder  durch  Druck  im  freien 
Ende  geschädigt  werde;  beides  kann  zu  heftigen  Schmerzen  im 
Stumpf  Anlass  geben.  Wo  durch  die  Naht  die  Wundflächen  nicht 
in  ganzer  Ausdehnung  in  vollkommenen  Contact  gebracht  werden 
können,  wird  durch  eine  eigene  kleine  Oeffnung  (s.  über  deren 
Richtung  die  Figur  der  Spaltrichtungen  der  Haut)  auf  kürzestem 
Wege  in  eventuell  übrig  bleibende  Höhlen  ein  Glasdrain  (mit  grossen 
Seiten  Öffnungen)  eingeschoben. 

Dann  folgen  tiefe  Kopfnähte  durch  das  Periost,  um  die  Säge- 
fläche des  Knochens  zu  decken,  durch  die  tiefen  und  die  ober- 
flächlichen Muskeln,  zuletzt  die  fortlaufende  Hautnaht. 

Normalverfahren  für  Amputationen. 

Die  neueste  Zeit  setzt  sich  das  Ziel,  nicht  nur  eine  Amputations- 
wunde wie  jede  andere  per  primam  intentionem  zu  heilen,  sondern 
auch  einen  functionsfähigen  Stumpf  zu  erzielen.  Functionsfähig  ist  ein 
Stumpf,  wenn  er  belastungs-  und  bewegungsfähig  ist.  Das  Bestreben, 
ihn  tragfähig  zu  machen,  bezeichnet  also  bloss  eine  Seite  unserer 
Bestrebungen.  Die  erste  Bedingung  der  Gebrauchsfähigkeit 
eines  Stumpfes  ist  seine  Schmerzlosigkeit,  die  zweite  seine  gute 
Ernährung  durch  Verhütung  von  Atrophie  der  Muskeln  und 
Knochen. 

Wenn  die  neuere  Zeit  uns  in  viel  höherem  Maasse  brauchbare 
Stumpfe  geliefert  hat,  als  dies  früher  der  Fall  war,  so  haben  wir 
dies  in  erster  Linie  der  Asepsis  zu  danken.  Nur  bei  glatter  Wund- 
heilung ohne  Infectionsfolgen  erhalten  wir  eine  Vereinigung  der 
Wundfläche  durch  zarte  und  schmerzlose  Narben,  während  die  dicken 
und  derben  Narben,  welche  die  Heilung  unter  infectiöser  Entzündung 
schafft,  schmerzhaft  sind.  Am  allerschlimmsten  aber  sind  entzündlich 
hypertrophische,  unregelmässige  Knochennarben  (Narbencallus).  Also 
nicht  bloss  wegen  der  Gefahr  der  Infection  und  nicht  bloss  wegen  der 
Verzögerung  der  Wundheilung  haben  wir  Grund,  nichts  zu  ver- 
nachlässigen, was  die  Heilung  durch  unmittelbare  Verklebung  sichert. 


Einleitung.  567 

Wir  kommen  auf  die  Wundbehandlung  nicht  zurück,  sondern 
verweisen  auf  das  betreffende  Capitel  zu  Anfang  dieses  Werkes. 
Dagegen  darf  hier  betont  werden,  wie  wichtig  die  Methode  der 
Amputation  auch  in  dieser  Hinsicht  ist,  nämlich  dass  glatte  Schnitte  an- 
gelegt werden,  welche  genau  aneinander  gepasst  werden  können.  Die 
zahlreichen  unter  Tavel's  Leitung  angestellten  Versuche  haben  klar 
gezeigt,  wie  ungleich  leichter  gequetschte  und  gerissene  unregel- 
mässige Wunden  von  demselben  Quantum  infectiösen  Materials 
wirklich  inficirt  werden,  als  glatte  Schnittwunden.  Da  wir  eine 
absolute  Keimfreiheit  bei  unseren  Wunden  zur  Stunde  nicht  erzielen 
können,  so  wird  eine  glatte  und  correct  ausgeführte  Amputation 
reactionslos  heilen  können,  wo  eine  technisch  ungeschickte  Aus- 
führung zu  Eiterung  Anlass  giebt.  Gründliche  Blutstillung  und  ge- 
höriger Abfluss  des  primären  Wundsecretes  trägt  zur  Erzielung 
zarter  Narben  wesentlich  bei. 

Aber  auch  bei  Vermeidung  jeglicher  Infection  und  Verhütung 
hypertrophischer,  unnütz  dicker,  derber  Narben  ist  nicht  jeder  Stumpf 
gebrauchsfähig.  Auch  Narben  nach  Primaheilung  bleiben  empfind- 
lich, wenn  sie  besonderen  mechanischen  Schädlichkeiten  der  Zerrung 
und  des  Druckes  ausgesetzt  werden,  wie  man  an  den  Narben  am 
Rumpfe  sehen  kann,  welche  durch  Bewegung  des  Körpers  und 
durch  Druck  der  Kleidungsstücke  geschädigt  werden.  Es  muss 
also  Druck  und  Zerrung  vermieden  werden,  speciell  seitens  der  an- 
zubringenden Prothesen. 

Eine  Narbe  erfährt  am  meisten  Druck,  wenn  sie  zwischen 
Knochen  und  Prothese  (resp.  jeden  äusseren  Gegenstand)  zu  liegen 
kommt,  und  zwar  durch  den  harten  Knochen.  Sie  erfährt  am  meisten 
Zerrung  durch  die  an  dieselben  sich  anheftenden  Muskeln  und 
Sehnen,  wenn  sie  an  einem  unbeweglichen  Theil,  vor  Allem  am 
Knochen,  festsitzt.  Um  schmerzhaften  Druck  zu  verhüten ,  darf 
deshalb  eine  Narbe  nicht  unter  den  Knochenstumpf  zu  liegen 
kommen,  sobald  dieser  zu  Belastung  oder  zu  Stoss  verwerthet 
werden  muss.  Dieser  Indication  wird  allein  der  Schrägschnitt  mit 
seinen  Modificationen  gerecht,  wie  wir  oben  illustrirt|  haben.  Nur 
wenn  man  die  Weichtheile  auf  einer  Seite  tiefer  trennt,  als  auf  der 
anderen,  ist  man  im  Stande,  die  Narbe  seitswärts  zu  verlegen,  an 
diejenige  Stelle,  wo  kein  Druck  ausgeübt  werden  soll. 

Allein  es  ist  sehr  zu  beachten,  dass  dies  durchaus  nicht  bloss 
für  die  Haut  gilt,  sondern  auch  für  die  tieferen  Weichtheile,  Fascien, 
Muskeln,  Sehnen  und  Periost.  Der  Schrägschnitt  muss  also  auch 
diese  Schichten  schräg  trennen,  wenn  man  jegliche  Narbe  von 
der  Belastungsfläche  weghaben  will.  Wir  geben  zu,  dass  die 
Narben  ungleich  empfindlich  sind,  in  den  Muskeln  weniger  als  in 
der  Haut,   aber   schon    eine   Periostnarbe   verhält   sich    ganz   anders 


c(58  Amputationen  und  Exarticulationen. 

angesichts  der  grossen  Empfindlichkeit  dieser  Membran,  die  dazu 
noch  so  leicht  zu  dauernden  Wucherungen  durch  die  Verletzungen 
angeregt  wird.  Wie  man  die  Narben  der  Nervenstämme  als  der 
empfindlichsten  Theile  am  besten  durch  hohe  Resection  ausser  den 
Bereiche  des  Stumpfes  bringt,  ist  schon  oben  angegeben. 

Also  die  Vereinigung  auch  der  tiefen  Weichtheile  und  speciell 
des  Periostes  darf  nicht  auf  dem  Knochenstumpf  gemacht  werden, 
sondern  muss  durchaus  auf  die  Seite,  ausser-  und  oberhalb  desselben 
verlegt  werden.  Dies  ist  eine  Rücksicht,  welcher  man  bis  jetzt  bei  der 
peri  osteoplastischen  Methode  keine  besondere  Rechnung  getragen  hat. 

Aber  auch  unter  Einhaltung  der  so  begründeten  Technik  des 
durchgehenden  Schrägschnittes  bleibt  noch  eine  Quelle  der  Schmerz- 
haftigkeit  des  Stumpfes  bestehen,  welche  auf  die  Form  des  Knochens 
zurückzuführen  ist.  Sobald  diese  scharfe  Kanten  und  Ecken  auf- 
weist, welche  gegen  die  Weichtheile  bei  Belastung  angedrückt 
werden,  entstehen  Schmerzen.  Freilich  sind  dieselben  wesentlich  ge- 
ringer, wenn  keine  Narbe  unter  den  Kanten  liegt.  Man  hat  mit  Recht 
aufmerksam  gemacht,  dass  bei  Syme's  Exarticulation  im  Fussgelenk 
selbst  dann  ein  belastungsfähiger  Stumpf  resultirt,  wenn  man  die 
Malleolen  nicht  absägt.  Allein  dies  ist  nur  dadurch  ermöglicht, 
dass  man  den  Druck  auf  die  weniger  vorragenden  Knochen- 
theile  vertheilt.  Bloss  auf  der  Spitze  des  am  meisten  vorragenden 
Malleolus  externus  zu  marschiren,  verträgt  Keiner. 

Angesichts  dieses  Umstandes  ist  es  sehr  leicht  verständlich, 
warum  wir  an  Epiphysen  (wie  Hirsch  zeigt,  aber  anders  begründet) 
so  oft  recht  gut  tragfähige  Stümpfe  erzielen,  an  Diaphysen  so  selten 
nach  früheren  Methoden.  Wir  können  die  Epiphysen  mit  Leichtig- 
keit zweckmässig  abrunden  und  sollen  dies  auch  ausnahmslos  thun, 
damit  ein  Druck  von  unten  sich  gleichmässig  auf  eine  grössere 
Fläche  vertheile.  Ich  behaupte  bestimmt,  dass  man,  Dank  dieser 
Abrundung,  ohne  jegliche  Osteoplastik  bei  Amputatio  supramalleolaris 
und  diacondylica  femoris  schmerzlose  und  vorzüglich  tragfähige 
Stümpfe  erzielt,  sobald  man  dafür  sorgt,  dass  narbenlose  und  beweg- 
liche (vergl.  weiter  unten)  Weichtheile  auf  den  Stumpf  zu  liegen 
kommen. 

Bei  Diaphysen  ist  eine  solche  Abrundung  sehr  schwer  zu  er- 
zielen. Wir  haben  es  hier  mit  einer  Röhre  mit  harter  Hülse  zu 
thun,  und  wenn  wir  auch  abrunden,  so  verlegen  wir  nur  die  Kante 
von  der  Oberfläche  der  Corticalis  an  die  Markfläche  derselben.  Aber 
die  Hauptsache  ist,  dass  eine  wirkliche  gute  Abrundung  technisch 
zu  schwer  zu  erzielen  ist.  Man  hat  noch  nicht  zahlreiche  Erfahrungen 
darüber,  wie  weit  ein  schön  runder  Diaphysen  stumpf  mit  narben- 
losem Periost  und  narbenlosen  Weichtheilen,  überzogen,  sich  zu 
schmerzloser  Belastung  eignet. 


Einleitung.  cj5g 

Hirsch  hat  das  Verdienst,  darauf  aufmerksam  gemacht  zu  haben, 
dass  Stümpfe,  welche  man  von  Periost  entblösst,  sehr  brauchbar  werden, 
und  es  ist  interessant  zu  erfahren,  dass  die  HlRSCH'sche  Methode, 
nach  ältestem  Vorgehen  das  Periost  nicht  zu  schonen,  d.  h.  nicht 
bloss  keine  osteo-,  sondern  nicht  einmal  eine  periosteoplastische 
Bedeckung  zu  machen,  sondern  einen  aperiostalen  Stumpf  herzustellen, 
am  Chirurgencongress  in  Berlin  1901  so  beredte  Anhänger  gefunden 
hat.  Bunge  aus  der  Klinik  von  Eiselsberg  erklärt,  dass  es  nach- 
theilig- sei,  einen  Stumpf  mit  dem  empfindlichen  Periost  zu  decken,  dass 
letzterer  im  Gegentheil  zu  entfernen  sei  und  dadurch  der  Stumpf  viel 
tragfähiger  werde  als  sonst,  weil  unempfindlicher.  Ja  BUNGE  will 
aus  gleichem  Grunde  sogar  das  Mark  ausräumen,  damit  dieser  eben- 
falls empfindliche  Theil  nicht  gedrückt  werde  bei  der  Belastung. 

Und  sogar  BlER  erklärt  sich  einverstanden,  dass  es  direct 
schädlich  sei,  subperiostal  zu  operiren  wegen  der  folgenden  Knochen- 
wucherungen. Da  er  aber  die  osteoplastische  Methode  doch  der 
ältesten  Methode  vorzieht,  so  geht  daraus  hervor,  dass  der  wesent- 
liche Punkt  nicht  sowohl  darin  liegt,  ob  man  Periost  erhält 
und  Knochen  aufsetzt  oder  nicht,  sondern  dass  man  so  oder 
anders  einen  Stumpf  schafft,  der  rund  und  breit  und  glatt  ist  und 
nicht  mit  Ecken  und  Kanten  gegen  empfindliche  Theile  drückt. 
Aber  ein  weiterer,  zu  lange  unbeachteter  Punkt  ist  der,  dass  man 
dem  Stumpfe  auch  diese  gute  Form  erhalten  muss. 

Denn  wenn  man  schädliche  Wucherungen  an  der  Am- 
putationsfläche sowohl  von  Mark  als  vom  Knochen  aus  vermeiden 
will,  so  kommt  Alles  darauf  an,  so  früh  wie  möglich  die  functionellen 
Verhältnisse  zu  schaffen,  welche  später  für  den  Stumpf  in  An- 
spruch genommen  werden  sollen.  Dann  kommt  es  nicht  zu  den 
unregelmässigen  Wucherungen,  wie  sie  beschrieben  sind,  sondern 
die  Function  weist  der  vernarbenden  Thätigkeit  ihre  bestimmte 
Richtung  an. 

Heilt  man  rasch  per  primam ,  schafft  man  die  Haut-  und 
Fasciennarbe  und  besonders  die  Nervenstümpfe  und  auch  die  Muskel- 
narben aus  dem  Bereich  der  Belastungsfläche  weg  durch  Schräg- 
schnitte, giebt  man  dem  Knochenstumpf  eine  breite  runde  Form 
und  lässt  ihn  gegen  wenig  empfindliche  Muskel-  und  Hautschichten 
drücken,  belastet  man  ihn  sehr  früh  unter  vorsichtiger  Steigerung 
des  Druckes  und  der  Verschiebung,  so  wird  man  gute  und  trag- 
fähige Stümpfe  erhalten,  sowohl  bei  aperiostalen  als  subperiostalen, 
als  osteoplastischen  Knochenstümpfen.  Die  besten  werden  immerhin 
diejenigen  sein,  wo  Haut  und  Periost  am  äussersten  Ende  in  nor- 
maler Beziehung  bleiben,  wie  bei  Pirogoff's  oder  Bier's  Osteo- 
plastik, zumal  wo  man  schon  druckgewohnte  Haut  benutzt,  wie 
bei  Gritti's  Operation    und  bei  Küster's  Modification  des  Pirogoff. 


cjq  Amputationen  und  Exarticulationen. 

Man  hat  mit  directer  Belastung  der  Diaphysenstümpfe  wenige 
methodische  Versuche  gemacht,  bis  Bier  gezeigt  hat,  dass  es  bei 
Anlegung  seiner  osteoplastischen  Stümpfe  sehr  viel  darauf 
ankommt,  dass  der  Knochen  möglichst  früh  functionire,  d.  h.  durch 
directe  Belastung  vor  Atrophie  bewahrt  werde,  und  wie  wir  bei- 
zufügen möchten,  auch  vor  functionell  unzweckmässiger  Hyper- 
trophie. 

Die  besondere  Schwierigkeit  der  Abrundung  corticaler  Knochen 
ist  ein  Grund  für  die  Benutzung  der  osteoplastischen  Amputations- 
methode. Während  die  (nach  Schede)  1813  von  Walther  aus- 
geführte periosteoplastische  Amputationsmethode  von  Ollier  aus- 
gebildet worden  ist,  hat  die  von  Pirogoff  inaugurirte  osteoplastische 
Amputation,  welche  Gritti  'für  die  Diaphysenstümpfe  zuerst  ver- 
werthbar  machte,  erst  nach  langer  Zeit  durch  BlER  eine  principiell 
ausgedehntere  Anwendung  erhalten.  Bier  geht  von  dem  Princip 
aus,  jede  Knochennarbe  am  unteren  Ende  des  Stumpfes  zu  ver- 
hüten, weil  er  diese  stets  für  empfindlich  hält  und  daher  die  Brauch- 
barkeit für  Belastung  und  Druck  beeinträchtigend.  BlER  will  deshalb 
jede  Sägefläche  nicht  bloss  mit  Periost,  sondern  auch  mit  einem 
Knochenlappen  so  gedeckt  wissen,  dass  dieser  seine  mit  Periost 
normal  verbundene  Oberfläche  nach  unten  kehrt.  Der  Knochen- 
lappen wächst  auf  der  Sägefläche  fest,  aber  selbst  wenn  er  nicht 
verwächst,  sondern  beweglich  bleibt,  hat  BlER  keine  Beeinträchtigung 
der  Gebrauchsfähigkeit  gesehen.  Also  selbst  wenn  das  ursprüng- 
liche Stumpfende  mit  Narben  bedeckt  ist,  schadet  das  nichts,  sobald 
noch  ein  Knochenstück  zwischen  ihm  und  den  Weichtheilen  liegt. 

Ich  halte  zwei  Punkte  in  den  BlER'schen  Mittheilungen  besonders 
beachten swerth :  Einmal  die  durch  Röntgen- Aufnahme  sicherge- 
stellte Abrundung  des  Stumpfendes  nach  Osteoplastik  und  zweitens 
die  oben  erwähnte  Schmerzlosigkeit  des  Stumpfes  selbst  bei  binde- 
gewebiger Narbenbildung  an  der  Oberfläche,  wenn  diese  Narbe  nur 
mit  den  Stumpf  weichtheilen  keine  innige  Beziehung  hat.  Ueber  die 
Bedeutung  des  ersten  Punktes  zur  Erzielung  eines  schmerzlosen  und 
brauchbaren  Stumpfes  haben  wir  uns  schon  ausgesprochen.  Wir 
kommen  nun  noch  auf  den  zweiten  Punkt. 

Neben  der  Notwendigkeit  von  Verhütung  von  Narben  druck 
haben  wir  oben  auf  diejenige  der  Vermeidung  von  Narbenzerrung 
aufmerksam  gemacht.  Gezerrt  durch  die  Bewegungen  eines  Stumpfes 
wird  die  Narbe  bloss,  wTenn  sie  den  Bewegungen  nicht  folgen  kann, 
und  dies  geschieht  vor  Allem,  wenn  sie  an  den  starren  unelastischen 
Knochen  angewachsen  ist. 

Wenn  demgemäss  aussen  dem  auch  normal  un verschiebliche 
Periost  die  normal  verschieblichen  Weichtheile  an  der  Sägefläche 
des    Knochens    festwachsen,    vor    Allem    die    Haut    mit    ihrer    aus- 


Einleitung.  c  -  j 

gesprochenen  Sensibilität,  so  muss  Schmerz  bei  Bewegungen  die 
Folge  sein.  Deckt  man  aber  die  Sägefläche  mit  Periost,  welches  in 
normalem  Zusammenhang  mit  den  oberflächlichen  Weichtheilen  ge- 
blieben ist,  so  verhütet  man  ein  Anwachsen  der  übrigen  ver- 
narbenden Weichtheile.  Das  geschieht  wie  gesagt,  nur,  wenn  man 
die  dem  Periostlappen  anliegenden  normalen  Weichtheile  nicht  ab- 
gelöst hat.  Darin  liegt  der  Hauptnutzen  der  periosteoplastischen 
Methode  und  ein  gutes  Stück  des  Nutzens  der  osteoplastischen 
Methode.  Letzterer  kommt  vor  der  ersteren  freilich  noch  der  Vor- 
theil  für  alle  corticalen,  diaphysären  Knochentrennungen  zu,  dass 
sie  eine  gewisse  Abrundung  des  Stumpfes  viel  leichter  erzielt,  als 
Säge  und  Meissel  es  vermögen.  Es  braucht  dabei  der  aufgesetzte 
Knochenlappen  gar  nicht  einmal  eine  sehr  regelmässige  Oberfläche 
zu  haben,  wenn  er  nur  keine  scharfen  Kanten  und  Ecken  aufweist. 

Bier  macht  auf  die  Notwendigkeit  aufmerksam,  den  Stumpf 
recht  früh  belasten  und  gebrauchen  zu  lassen,  damit  Atrophie  des 
Knochens  und  der  Weichtheile  verhütet  werde.  Atrophische  Stümpfe 
sind  empfindlich,  so  gut  wie  atrophische  Glieder  auch  ohne  Am- 
putation. Aber  es  ist  nicht  minder  wichtig,  dass  Wucherungen  am 
Knochenende  verhütet  werden,  welche  Kanten  und  Ecken  bilden,  die 
die  Function  beeinträchtigen.  Gerade  weil  die  Gefahr  von  Exostosen- 
und  Hyperostosenbildung  jeder  Art  bei  Hirsch's  aperiostalen  Stümpfen 
so  gering  ist,  zeichnen  sich  dieselben  durch  ihre  Belastungsfähig- 
keit aus.  Die  BlER'sche  Forderung  gilt  deshalb  besonders  für 
periosteoplastische  Stümpfe,  aber  überhaupt  für  alle  Amputations- 
stümpfe, bei  denen  eine  Primaheilung  einen  frühen  Gebrauch  über- 
haupt zulässt. 

Die  Indication  zur  Vermeidung  einer  Hypertrophie  der  Narben, 
des  Narbendruckes  und  der  Narbenzerrung  und  einer  Atrophie  der 
Weichtheile  lässt  kurzgefasst  folgende  Verfahren  für  die  Amputationen 
als  Normalverfahren  aufstellen. 

Schrägschnitt  event.  in  Combination  mit  Längsschnitten  als 
Rackett-  oder  Lanzettschnitt  durch  die  Haut  und  Fascie;  nach 
Zurückziehen  der  elastischen  Haut  Schrägschnitt  durch  die  Musculatur 
bis  auf  den  Knochen,  Schrägschnitt  durch  das  Periost,  Ablösung 
des  Periostes  auf  der  längeren  Seite  mit  der  oberflächlichen  Knochen- 
corticalis  durch  ein  scharfes  Raspatorium  oder  mit  dem  Meissel,  oder 
wo  dies  ausführbar  ist,  unter  Abhebung  eines  Knochenlappens 
mittelst  der  Säge  mit  beweglichem  periostalen  Stiel,  endlich  Ab- 
sägung des  Knochens  bogenförmig,  abgerundet  für  den  Fall,  dass 
bloss  Periost  mit  Corticalis  erhalten  ist,  dagegen  der  Unterfläche  des 
Knochenlappens  entsprechend,  wo  ein  solcher  gebildet  wurde. 

Fixation  des  Periost-  oder  Knochenlappens  auf  der  Sägefläche 
durch    seitliche   Nähte   an   dem  Periost  der   kürzeren  Seite,    Ver- 


cy2  Amputationen  und  Exarticulationen. 

nähung  der  Muskelstümpfe  oder  Sehnenstümpfe  miteinander  oder  an 
der  Oberfläche  des  Knochens  ausser  Bereich  der  Sägefläche. 
Seitliche  Naht  der  Haut  und  Fasie,  Gefässe  und  Nerven  werden  wie 
oben  beschrieben  behandelt  (hoch  abgetragen).  In  den  Fällen  aber, 
wo  sich  ein  in  normaler  Verbindung  mit  den  übrigen  Weichtheilen 
stehender  eigentlicher  Periost-  oder  Periostknochenlappen  nicht 
schaffen  lässt,  ist  es  besser,  das  Periost  ganz  aus  dem  Bereich  des 
Stumpfes  zu  entfernen,  ebenso  das  Mark  (nach  Eiselsberg  und 
Bunge)  auszuräumen  und  die  Knochenkanten  nach  Art  der  Zahn- 
ärzte abzurunden. 

Bei  den  Exarticulationen  fällt  die  Sorge  für  die  Stumpf- 
form weg;  Knorpeloberflächen  sind,  weil  druckgewohnt  und  un- 
empfindlich, intact  zu  erhalten.  Hierzu  kommen  die  Indicationen, 
welche  wir  bei  den  Resectionen  geltend  gemacht  haben,  nämlich 
für  Erhaltung  von  Sehnen-,  Muskel-  und  Kapselansätzen  mit  sammt 
der  darunterliegenden  Knochencorticalis,  mit  anderen  Worten:  Zu 
dem  als  Normalverfahren  zu  betrachtenden  Vorgehen  nach  der 
periosteoplastisch-subcorticalen  Methode  kommt  noch  die  subcapsuläre 
Methode  hinzu. 


X.  Untere  Extremität. 

I.  Die  Amputationen  am  Fusse. 

Am  Fusse  gilt  als  Hauptregel,  die  Amputationsschnitte  so  ein- 
zurichten, dass  keine  Narbe  in  die  Planta  pedis  reicht.  Schrägschnitte 
und  Lappenschnitte  sind  daher  hier  die  Normalmethoden.  Der  längere 
Theil  muss  stets  auf  der  Plantarseite  liegen.  Eine  zweite  Regel  ist 
es.  mit  Ausnahme  der  isolirten  Zehenamputationen,  den  Fuss  stets 
als  Ganzes  zu  betrachten,    d.  h.  in  querer  Linie  abzutragen  (Major). 

Für  die  Amputationen  und  Exarticulationen  sind  2  Haupttypen 
empfehlenswerth :  Am  vorderen  Theil  des  Fusses,  wo  der  Fuss  breit 
und  wenig  hoch  ist,  soll  die  Entnahme  von  grösseren  Lappen  aus 
der  Planta  die  Regel  bilden,  wie  wir  denselben  in  den  Figuren  zur 
Exarticulatio  tarso-metatarsea  und  intertarsea  illustrirt  haben  (vergl. 
Fig.  216  und  217).  Die  Dorsalschnitte  sollen  convex  gemacht  werden 
und  so  viel  Haut  sparen,  dass  dieselbe  zu  breiter  Vereinigung  mit 
dem  Plantarlappen  benutzt  werden  kann.  Ganz  verwandt  diesem 
Schnitt  ist  der  im  hinteren  Theil  des  Fusses  bei  PlROGOFF's  osteo- 
plastischer Amputatio  pedis  angewandte,  mit  dem  Unterschied,  dass 
hier  ein  Haut-Knochenlappen  aus  der  Planta  aufwärts  geschlagen 
wird.  Im  Uebrigen  aber  ist  für  den  hintersten  Theil  des  Fusses, 
wo  derselbe  hoch,  aber  schmal  geworden,  eine  andere  Schnitt- 
führung als  Regel  vorzuziehen.    Dieselbe  ist  in  Fig.  222,  22$  und  224 


Untere  Extremität. 


573 


illustrirt  und  erleichtert  die  Ausführung  der  Operation  in  hohem 
Maasse,  giebt  dabei  sehr  gute  Bedeckung.  Das  Verfahren  besteht 
in  der  Bildung  eines  seitlichen  und  zwar  medianen  Lappens  für  die 
Exarticulatio  pedis,  Exarticulatio  subtalica  etc.  Auch  diese  Methode 
kann  in  ganz  hübscher  Weise  osteoplastisch  ausgeführt  werden, 
wie  die  unten  erwähnte  Modifikation  der  PlROGOFF'schen  Operation 
nach  Tauber  belegt.  Das  sind  die  2  Normal  verfahren  für  die  Fuss- 
amputationen  im  vorderen  und  hinteren  Abschnitt,  mit  welchen  man 
ausreicht. 

In  neuester  Zeit  gewinnen  auch  die  osteoplastischen  Methoden 
insofern  mehr  und  mehr  an  Boden,  als  man  nach  Lewschin  und 
Spassokukozkii  Knochen  in  die  Lappen  mit  hineinnimmt,  speciell 
wo  Lappen  vom  Dorsum  benutzt  werden  müssen,  und  ferner  nach 
Mikulicz'  Vorgang  Stücke  des  Metatarsus  erhält  und  dem  Stumpfe 
aufsetzt,  indem  man  sie  mit  einem  gut  genährten  Lappen  in  Zusammen- 
hang lässt. 

297)  Abtragung  der  Zehen  mit  und  ohne  Metatarsal- 
knochen  (Fig.  213). 

Es  ist  im  Allgemeinen  gerathen,  nicht  partielle  Amputationen 
an  einzelnen  Zehen  zu  machen,  da  die  Stummel  bloss  hinderlich  sind, 
sondern  gleich  die  Exarticulation  vorzunehmen. 

Die  Amputationen  und  Exarticulationen  der  Zehen  sind  den- 
jenigen an  den  Fingern  völlig  analog.  Für  die  Phalangen  und  Inter- 
phalangealgelenke  ist  der  Schrägschnitt,  für  die  Metatarsi  und  Meta- 
carpo-Phalangealgelenke  der  Rakettschnitt  angezeigt.  Der  dorsale 
Theil  der  Schnitte  geht  bis  auf  den  Knochen  und  löst  diesen  sub- 
periostal aus. 

An  der  ersten  und  letzten  Zehe  wird  der  dorsale  Theil  des 
Schnittes  nicht  auf  die  Mitte  der  Phalanx  und  des  Metatarsus.  sondern 
etwas  nach  der  Fussmitte  zu  verlegt,  um  die  Narben  aus  dem  Bereich 
seitlich  einwirkenden  Druckes  zu  bringen.  Dadurch  erreicht  man 
dieselbe  günstige  Lagerung  der  Narbe,  wie  Faraboeuf  durch  seine 
inneren  und  äusseren  Plantarlappen. 

298)  Exarticulation     sämmtlicher    Zehen    (Exarticulatio 

phalango-metatarsea).     (Fig.  214.) 

Die  sämmtlichen  Zehen  werden  an  der  Basis  da,  wo  sie  sich  aus 
der  gemeinsamen  Hauthülle  des  Fusses  isolirt  erheben,  umschnitten, 
so  dass  die  Schnitte  in  den  In ter digitalfalten  zusammenfallen.  In  der 
Planta  läuft  der  Schnitt  genau  in  der  Zehen-Ballenfurche.  Seitlich 
werden  auf  grosser  und  kleiner  Zehe  zwei  dorso-laterale  Längsschnitte 
hinzugefügt.  Es  wird  also  ein  doppelt  gestielter  Schrägschnitt,  d.  h. 
2  viereckige  Lappen  gebildet. 


574 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


Bei  stark  plantarwärts  gebogenen  Zehen  werden  am  Hautrand 
die  Dorsalsehnen  möglichst  hoch  getrennt,  mit  schmalem  Messer  die 
Seitenbänder  und  die  dorsale  und  plantare  Gelenkkapsel  getrennt, 
zuletzt  auch  die  plantaren  Sehnen  so  hoch  wie  möglich. 

299)  Amputatio  metatarsea  (Fig.  215). 

Die  Operation  hat  vor  der  Exarticulatio  metatarso-tarsea  den 
ganz   wesentlichen  Vorzug,   dass    die  Ansätze   der   hauptsächlichsten 


Fig.  213.  Exarticulatio  hallu- 
cis,  Exarticulatio  digiti  II  c. 
metatarso,  Amputatio  digiti 
III,  Amputatio  metatarsi  V. 


Fig.  214.     Exarticulatio 
digitorum  mittelst  dop- 
pelt    gestielten    Zirkel- 
schnittes. 


Fig.  215.   Amputatio  meta- 
tarsea. 


Muskeln  des  Fusses  alle  erhalten  werden,  nicht  bloss  Tibialis  posticus, 
welcher  am  Os  naviculare  und  Cuneiforme  I  sich  inserirt,  sondern  auch 
Peroneus  longus  und  Tibialis  anticus  mit  Insertion  am  Metatarsus  I, 
Peroneus  brevis  und  tertius  am  Metatarsus  V.  Der  Fuss  bleibt  des- 
halb nach  allen  Richtungen  normal  beweglich.  Auch  als  Stütze  ist 
er  sehr  brauchbar,  da  der  wichtige  Stützpunkt  des  Metatarsus  quintus 
am  hinteren  Ende  erhalten  bleibt  und  nur  derjenige  des  Köpfchens 
des  Metatarsus  I  dahinfällt. 

Schrägschnitt,  welcher  sofort  zu  den  Knochen  durch  die  Muskeln 
mit  langen  Messerzügen   hindurch   geht,   um   die  Aeste   der  Arteria 


Untere  Extremität. 


575 


plantaris  interna  und  externa  zu  erhalten.  Mit  einem  schmalen  Scalpell 
werden  die  sämmtlichen  Metatarsalknochen  einer  nach  dem  anderen 
umschnitten,  das  Periost,  soweit  nöthig,  zurückgeschoben  und  ab- 
gesägt. Der  Schrägschnitt  ist  viel  besser  als  der  Zirkelschnitt,  weil 
er  die  Narbe  aufs  Dorsum  verlegt. 

300)  Exarticulatio  metatarso-tarsea  (Lisfranc)  (Fig.  216 
Tind  217). 

Zwischen  Metatarsus  vorne,  Ossa  cuneiformia  und  cuboideum 
binten.     Das  Gelenk   ist   charakterisirt  lateral   durch   den  Vorsprung 

Fig.  216.     (Plantarfläche).  Fig.  217.     (Dorsalfläche). 


Tuber  metatarsi  V 

/Tuberculum 
(metatarsi  I 


jj       f  Ligamentum 
/   metatarso- 
1  cuneiforme 

Tuberculum 
metatarsi  I 


Fig.  216.     Exarticulatio  tarso-metatarsea 
(Lisfranc)  mit  Schrägschnitt. 


Fig.  217.     Lisfranc's  Operation 
mit  Doppellappen. 


•des  Tuber  metatarsi  V,  hinter  welchem  die  Gelenklinie  liegt  (Fig.  217). 
Auf  der  medialen  Seite  ist  ein  kleiner  Höcker,  die  Basis  des  Meta- 
tarsus I  deutlich  fühlbar.  Von  diesen  mit  den  Fingern  der  linken 
Hand  zu  f ixirenden  Punkten  aus  wird  mit  2  oberhalb  der  Planta 
laufenden  Seitenschnitten  ein  längerer  abgerundeter  Plantarlappen 
gebildet  durch  die  Mitte  beider  Zellenballen.  Der  Lappen  wird  mit 
schrägen,  gegen  die  Tiefe  zu  gerichteten  Schnitten  bis  1  cm  vor  der 
'Gelenklinie,    nach    hinten    dicker    werdend,    losgelöst.     Es    folgt    ein 


ey5  Amputationen  und  Exarticulationen. 

Convexschnitt  auf  dem  Dorsum  und  nach  Zurückziehen  der  Haut 
wird  rings  i  cm  vor  der  Gelenklinie  das  Periost  nebst  den  wichtigen 
Ansätzen  der  bei  der  Amputatio  metatarsea  erwähnten  Sehnen  mit 
scharfem  Raspatorium  bis  zum  Gelenk  zurückgeschoben. 

Die  Gelenklinie  ist  nach  abwärts  und  auswärts  convex,  hat  oben 
eine  Einbuchtung  durch  das  Zurücktreten  des  2.  Keilbeins,  welches 
gegen  das  3.  Keilbein  um  2 — 3  mm,  gegen  das  erste  um  1  cm  zu- 
rücksteht. Man  eröffnet  die  Gelenke  1,  3,  4,  5  zuerst,  zuletzt  das  2. 
Das  stärkste  Band  (Ligamentum  Lisfranci)  befindet  sich  zwischen 
Os  cuneiforme  I  und  Basis  des  Metatarsus  II  (s.  Fig.  217),  und  erst 
nach  dessen  Durchschneidung  lässt  sich  das  Gelenk  zum  Klaffen 
bringen.  Die  Abtragung  der  Basis  des  IL  Metatarsus  in  der  Linie 
der   übrigen  Gelenkflächen  ist  übrigens  eher  Vortheil,  als  Nachtheil. 

Wie  bei  allen  Fussoperationen  werden  im  Plantarlappen  die  Ge- 
fässe  erhalten. 

Die  Wegnahme  der  vorderen  Hälfte  des  Cuneiforme  I 
nach  Hey  und  Faraboeuf  bei  ungenügender  Hautbedeckung  be- 
einträchtigt die  Functionsfähigkeit  des  Fusses  nicht  mehr  als  die 
LlSFRANC'sche  Exarticulation  allein,  weil  der  Ansatz  des  Tibialis 
anticus  erhalten  wird. 

301)  Exarticulatio  intertarsea  anterior  (Jäger,  Bona) 
(Fig.  218). 

Zwischen  Ossa  cuneiformia  vorne  und  naviculare  hinten  mit 
Durchsägung  des  Os  cuboideum.  Operation  wie  bei  LlSFRANC  mit 
Ersparung  von  etwas  weniger  Haut.  Die  Methode  hat  vor  dem 
Chopart  den  Vorzug  der  Erhaltung  des  starken  Ligaments  von 
Calcaneus  zum  Os  cuboideum  und  naviculare. 

Die  BONA-jÄGER'sche  Operation  gehört  schon  zu  den  „unregel- 
mässigen" Typen  der  Fussamputationen.  Aber  auch  diese  unregel- 
mässigen Typen  haben  ihre  volle  Berechtigung,  und  es  soll  jeder 
Fall  individuell  aufgefasst  und  soviel  wie  möglich  von  Muskel-  und 
Sehnenansätzen  und  von  stützenden  Knochenstümpfen  erhalten  werden. 
Wir  haben  oben  der  Abtragung  der  vorderen  Hälfte  des  Os  cunei- 
forme I  Erwähnung  gethan.  Aehnlich  kann  man  an  Stelle  des 
Lisfranc  die  Exarticulation  bloss  des  I.  Metatarsus  setzen  und  die 
übrigen  durchsägen  und  so  namentlich  die  kostbare  Stütze  der  Tubero- 
sitas  des  Metatarsus  V  erhalten.  Aehnlich  kann  es  von  Vortheil  sein, 
gegebenen  Falls  bloss  die  ersten  Metatarsi  sammt  Ossa  cuneiformia  zu 
entfernen  und  den  4.  und  5.  zu  erhalten  nebst  dem  Os  cuboideum  oder 
eventuell  auch  umgekehrt  die  Entfernung  letzterer  Knochen  und  die 
Erhaltung  der  ersten  Metatarsi  sammt  Cuneiformia.  Diese  Fälle 
stossen  die  Regel  nicht  um,  dass  meistens  quere  Abtragungen  des 
Fusses  indicirt  sind. 


Untere  Extremität. 


577 


302)  Exarticulatio  intertarsea  posterior  (Chopart) 
(Fig.   2 ig,    220). 

Zwischen  Calcaneus  und  Talus  hinten,  Os  cuboideum  und  navi- 
culare  vorne.  Die  Operation  hat  oft  zu  schlecht  brauchbarem  Stumpf 
geführt  wegen  Equinusstellung  des  Fusses  und  Decubitus  am  vorderen 
unteren  Umfang  des  Calcaneus.  Das  ist  leicht  begreiflich,  wenn  man 
bedenkt,  dass  sämmtliche  Dorsalflexoren  des  Fusses  zunächst  jeden 
Halt  verlieren,    während   die   mächtigen    Plantarflexoren    durch   die 


Tuberculum) 
calcanei     / 


/CHOPARTSChe 

I  -W"  \        Linie 


{Tuber  ossis 
navicularis 


Fig.  218.      Amputatio    intertarsea        Fig.  219  (Dorsalfläche).  Exarticulatio  inter- 
anterior (Jäger).  Horizontalschnitt  tarsea  posterior  (Chopart). 
des  Fusses  nach  Heitzmann. 


Achillessehne  ihre  ganze  Wirkung  behalten.  Es  scheint  deshalb 
nothwendig,  für  gute  Anheftung  der  Dorsalflexorensehnen  am  Stumpfe 
zu  sorgen  durch  prophylaktische  Tenotomie  der  Achillessehne.  Diese 
ermöglicht,  den  Fuss  in  der  Mittelstellung  (rechtwinklig  zum  Unter- 
schenkel) zu  erhalten,  bis  die  Dorsalflexoren  festen  Ansatz  gefunden 
haben  am  Schnittrand.  Statt  diese  Verwachsung  abzuwarten,  kann 
man  die  Sehnenstümpfe  primär  an  einen  dorsalen  Periostkapsellappen 
annähen  (s.  unten). 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  -in 


i78 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


Die  Gelenklinie    ist   charakterisirt   auf  der  medialen  Seite  durch 

die   stark  vorspringende  Tuberositas  navicularis,  hinter  welcher  sie 

liegt  und  lateralwärts 
durch  einen  Höcker 
am  Carpus  calcanei, 
vor  welchem  sie  liegt. 
Die  Operation  wird 
mit     2    abgerundeten 

Lappen  gemacht, 
einem  Plantarlappen 
dicht  hinter  den  bei- 
den Zehenballen  und 
einem  Dorsallappen 
daumenbreit  vor  der 
Gelenklinie. 

Man  dringt  mit 
letzterem  bis  auf  die 
dorsale  Fläche  von 
Os  naviculare  und  cu- 
boideum  und  hebt  von 
diesen  Knochen  das 
Periost  sammt  Kapsel- 
ansatz hinten  mit 
scharfem  Raspatorium 
ab,  um  so  i  cm  hohe 
Lappen  zu  gewinnen. 
Dann  dringt  man  von 
oben  in  das  Gelenk 
zwischen  Taluskopf 
und  Naviculare,  wel- 
ches eine  nach  ab- 
wärts convexe  Linie 
bildet;  auf  der  late- 
ralen Seite  und  tiefer 
muss  man  dem  Messer 
wieder  die  Richtung 
nach  den  Zehen  zu 
geben,  denn  der  late- 
rale Theil  des  Ge- 
lenkes zwischen  Cal- 
caneus    und    Os    cu- 

boideum  ist  nach  vorne  concav,  also  die  ganze  Gelenklinie  ^^  -förmig. 

Richtet  man  die  Schneide  nach  hinten,  so  geräth  man  in  das  Gelenk 

zwischen  Talus  und  Calcaneus. 


Fig.  220.  Exarticulatio  intertarsea  posterior  mit  plan- 
tarem Lappenschnitt  und  vorderem  Convexschnitt. 
Die  Haut  auf  dem  Dorsum  ist  zurückgeschlagen,  das 
Gelenk  nach  Durchschneidung  der  Sehnen  eröffnet,  so 
dass  man  hinten  die  Gelenkfläche  des  Caput  tali  und 
des  Calcaneus,  vorne  die  Gelenkfläche  des  Naviculare 
und  den  Rand  der  Gelenkfläche  des  Os  cuboideum  sieht. 


Untere  Extremität. 


579 


Hauptverbindung  zwischen  den  Knochen  in  das  Y-Band  vom 
Corpus  calcanei  zum  Os  naviculare  und  cuboideum. 

Ist  die  Exarticulation  gemacht,  so  näht  man  die  Sehnen  der 
Dorsalflexoren  (Tibialis  anticus  und  Peroneus  tertius  und  eventuell 
auch  das  Extensor  digitorum)  an  den  Periostkapsellappen  auf  der 
dorsalen  Seite  bei  rechtwinkliger  Stellung  des  Fusses  an. 

Hoffmann1)  hat  eine  von  Witzel  angegebene  Methode  der 
CHOPART'schen  Exarticulation  mit  Erhaltung  der  Zehen  beschrieben, 
wobei  auf  dem  Dorsum  ein  viereckiger  Lappen  mit  den  Fisteln 
excidirt,  dann  im  CHOPART'schen  Gelenk  und  vorne  im  Metatarso- 
phalangeal- Gelenk  getrennt  (eventuell  durch  den  Metatarsalknochen 
durchgesägt)  und  die  Zehen  mit  der  Sohlenhaut  erhalten  werden. 
Letztere,   anfänglich  stark   sich   faltend,   schrumpft  rasch  zusammen. 

303)  Als  Amputatio  intertarsea  kann  man  die  Operation 
bezeichnen,   bei  welcher  nach  Exarticulation  noch  die  Gelenkflächen 


Fig.  22  r.    Exarticulatio  subtalica  (Textor,  Malgaigne). 


von  Talus  und  Calcaneus  abgesägt  werden  wegen  zu  spärlicher  Haut- 
bedeckung für  einen  Chopart.  Weil  die  Fussgelenkkapsel  dabei  un- 
eröffhet  bleiben  kann  (sie  geht  bis  zu  1  cm  an  den  Rand  des  Talus- 
kopfes  heran),  so  erzielt  man  noch  einen  beweglichen  Fuss. 

304)  Exarticulatio  sub  talo  (Textor,  Malgaigne)  (Fig.  221). 

Rakettschnitt  horizontal  unter  der  Spitze  des  Malleolus  externus 
beginnend,  nach  dem  Dorsum  zu  und  sobald  er  an  der  CHOPART'schen 
Linie  angelangt  ist  (diese  ist  wie  oben  durch  die  Tuberositas  navi- 
cularis  genau  markirt),  in  der  CHOPART'schen  Linie  auf  der  medialen 
Seite  senkrecht  herab  zur  Planta,  um  auf  der  lateralen  Seite  in  den 
Anfangsschnitt  einzumünden.  Der  Schnitt  stimmt  ziemlich  mit  dem- 
jenigen von  Perrin  und  Chauvel  und  ist  nahe  verwandt  dem  inneren 
Plantarlappen  Faraboeuf's. 


1)  Deutsche  med.  Wochenschr.,  Jan.  i* 


37' 


;8o 


Amputationen  und  Exarticulätionen. 


Eröffnung  des  CHOPART'schen  Gelenkes  zwischen  Taluskopf  und 
Naviculare  von  oben.  Dann  wendet  man,  ohne  tiefer  ins  CHOPART'sche 
Gelenk  einzugehen,  das  schmale  Messer  sofort  auf-  und  rückwärts 
unter  den  Taluskopf,  um  das  starke  Ligamentum  interosseum  talo- 
calcaneum  im  Sinus  tarsi  zu  trennen,  so  schält  nun  zuerst  an  der 
oberen,  äusseren  und  unteren  Fläche,  dann  erst  innen  und  zuletzt 
hinten  den  Calcaneus  aus.  Auf  der  medialen  Seite  ist  die  schwierigste 
Stelle  das  weit  hinaufragende  Sustentaculum  tali. 

Bei  mangelhafter  Hautbedeckung  wird  das  Caput  tali  abgesägt. 

305)  Amputatio  subtalica  osteoplastica. 

Von  HANCOCK  gemacht  durch  Ansetzen  des  abgesägten  Tuber 
calcanei  an  die  abgesägte  Unterfläche  des  Talus.  Indication  dazu 
liegt  nur  ganz  ausnahmsweise  vor. 


Fig.  222.    Exarticulatio  pedis  (Syme,  modificirt). 

306)  Exarticulatio  pedis  (Syme)  (Fig.  222 — 225). 

Die  totale  Entfernung  des  Fusses  im  Fussgelenk  ist  von  Syme 
mit  einem  aus  der  Fersenhaut  gebildeten  Lappen  gemacht  worden. 
Diese  Methode  hat  den  Nachtheil,  an  Stelle  des  ausgeschälten  Tuber 
calcanei  eine  Höhle  zu  ergeben,  welche  durch  nichts  ausgefüllt  wird. 

Empfehlenswerther  ist  der  Rakettschnitt  mit  Lappenbildung  aus 
der  medialen  Seite,  quer  über  der  Spitze  des  Malleolus  externus  be- 
ginnend (Fig.  222).  Derselbe  entspricht  am  meisten  dem  von  Fara- 
boeuf  empfohlenen  inneren  Plantarlappen  und  den  Verfahren  von 
ROUX  und  VERNEUIL.  Nach  Trennung  der  Haut  werden  aussen  die 
starken  Seitenbänder  (Lig.  fibulo-calcaneum  und  talo-fibularia)  und 
die  Peronealsehnen,  am  Rande  der  zurückgezogenen  Haut  die  Streck- 
sehnen durchschnitten,  die  Fussgelenkkapsel  eröffnet  und  entlang  dem 
Calcaneus  abwärts  der  Lappen  dicht  am  Knochen  ausgelöst.  Die 
Malleolen  werden  umschnitten  und  abgesägt. 

TAUBER  giebt  einen  ganz  ähnlichen  Schnitt  an  zur  osteoplastischen 
Amputation  im  Fussgelenk  als  Modifikation  der  gleich  zu  beschreiben- 


Untere  Extremität. 


58i 


den  PiROGOFF'schen  Methode;  aber  statt  den  medialen  Lappen  los- 
zulösen vom  Calcaneus,  lässt  er  den  Calcaneus  mit  demselben  in  un- 
gestörtem Zusammenhang  und  sägt  in  sagittaler  Ebene  die  laterale 
Hälfte   desselben    ab,    danach  auch  die  Malleolen,    und  legt  mit  dem 


Fig.  223.    Exarticulatio  pedis  mit  medialem  Lappen;  mediale  Seite;  der  Schnitt 
auf  dem  Dorsum  ist  schon  bis  ins  Gelenk  geführt,  die  Haut  und  Fascienränder 

klaffen  auseinander. 


Lappen  die  Sägefläche  des  Calcaneus  auf.    Nach  Tauber  hat  J.  Bell 
schon  1885  den  medialen  Fersenlappen  benutzt. 

Nach   Bier   muss  man   durchaus   vermeiden,   den   Knorpel   ab- 
zusägen,  um   nicht   eine  Knochennarbe  zu   bekommen,  ja   es  ist  oft 


582 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


Fig.  224.   Exarticulatio  pedis  mit  medialem  Lappen;  laterale  Seite.  Der  Schnitt 

hat   das  Fussgelenk  vorne   und  aussen   eröffnet;   man  sieht   die  Rolle  und  die 

Aussenfläche  des  Talus  und  die  Spitze  des  Malleolus  externus  frei. 


sogar  besser,  selbst  die  Malleolen  zu  erhalten. 
Wenn  man  absägen  muss,  so  verdient  wohl  die 
TAUBER'sche  osteoplastische  Modification  alle 
Beachtung;  jedenfalls  weist  sie  darauf  hin,  dass 
man  bei  bloss  partieller  Erkrankung  des  Calca- 
neus  und  natürlich  auch  je  nach  disponibler  Haut 
von  beliebiger  Stelle  des  Calcaneusumfanges 
Knochen  entnehmen  kann,  um  die  Sägefläche 
des  Unterschenkels  zu  decken  und  zu  schützen. 

Fig.  225.  Frontalschnitt  durch  das  Fussgelenk  nach  Henle. 


Untere  Extremität. 


583 


307)  Amputatio  pedis  osteoplastica  (Pirogoff)  (Fig.  226). 

Die  PiROGOFF'sche  Operation  hat  eine  principielle  Bedeutung  in 
der  Lehre  von  den  Amputationen,  weil  sie  die  erste  osteoplastische 
Amputation   darstellt.     Sie  datirt  aus  dem  Jahre  1854. 

Die  Unterschenkelknochen  werden  dicht  über  der  Knorpelfläche 
abgesägt  und  auf  die  Sägefläche  diejenige  des  Tuber  calcanei  aufgesetzt 
zur  Verlängerung.  Die  Erhaltung  des  Tuber  calcanei  hat  den  grossen 
Vortheil,  dass  die  Fersenhaut  gut  ernährt  und  die  sogenannte  Fersen- 
kappe ausgefüllt  bleibt.  Sie  ist  der  SYME'schen  Exarticulation  weit 
vorzuziehen. 

Die  einfachste  und  sicherste  Methode  ist  folgende :  Tenotomie  der 
Achillessehne.  Schnitt  auf  der  Höhe  des  einen  Malleolus  beginnend 
und  in  der  Unterschenkelaxe  —  bei  rechtwinklig  gehaltenem  Fuss!  — 
über  die  Ferse  laufend  (Steinbügelschnitt),  um  auf  der  Höhe  des 
anderen  Malleolus  zu  endigen.     Der  Schnitt  wird  überall  kräftig  bis 


Fig.  226.    Exarticulatio  pedis  osteoplastica  (Pirogoff). 

auf  die  Knochen  geführt  und  trennt  innen  uud  aussen  die  Sehnen 
vollständig. 

Zweiter  Schnitt  genau  rechtwinklig  zum  ersten  von  dessen  Enden 
direct  nach  vorne,  wodurch  dessen  vorderes  Ende  stark  daumenbreit 
vor  die  Fussgelenklinie  zu  liegen  kommt,  bloss  durch  Haut  und  Fascie, 
an  deren  Rand  die  Strecksehnen  getrennt  werden. 

Eröffnung  des  Talo-Cruralgelenkes  von  vorne,  Trennung  der 
Seitenbänder  unter  den  Malleolen,  bis  der  Talus  bis  zum  hinteren 
Ende  frei  ist.  Dann  wird  das  Tuber  calcanei  hinter  dem  Talus  senk- 
recht abgesägt,  in  der  Ebene  des  Steigbügelschnittes  und  sammt 
Fersenhaut  nach  oben  geschlagen.  Die  Malleolen  und  Gelenktheile  der 
Unterschenkelknochen  werden  umschnitten  und  quer  abgesägt.  Die 
Naht  legt  die  Sägeflächen  sehr  exact  auf  einander.  Der  Gang  ist 
später  ein  vorzüglicher. 

Um  die  unserer  Ansicht  nach  übrigens  ganz  zweckmässige 
Drehung  des  Calcaneus  zu  vermeiden,  haben  viele  Chirurgen  den 
Calcaneus  schräg  (Günther,  Sedillot,   Schede,  Volkmann)  oder 


C84  Amputationen  und  Exarticulationen. 

horizontal  (Busk,  Bruns,  Pasquier,  Lefort)  oder  bogenförmig 
und  winklig  (Bruns,  Böckel)  abgesägt.  Küster  setzt  die  Le- 
FORT'sche  Methode  der  horizontalen  Absägung  des  Calcaneus  weit 
über  den  typischen  Pirogoff,  weil  bei  diesem  die  dünne  Fersenhaut 
leicht  durchgerieben  werde.  Wir  können  diesen  Nachtheil  bloss  als 
einen  ausnahmsweisen  ansehen,  da  unsere  Patienten  stets  eine  ganz 
vorzügliche  Brauchbarkeit  des  Stumpfes  aufwiesen.  Es  kommt  alles 
auf  die  Art  der  Ausführung  an.  KÜSTER  schlägt  vor,  gar  nicht 
abzusägen,  sondern  mit  dem  Fuss  zugleich  bloss  den  Talus  zu  exarti- 
culiren  und  den  Unterschenkel  direct  auf  den  Calcaneus  aufzusetzen, 
eine  Methode,  die  man  als  Exarticulatio  intercruro-calcanea 
bezeichnen  konnte:  Unterer  Convexschnitt  von  i  cm  unterhalb  der 
Malleolen  bis  vor  die  Tuberositas  metatarsi  quinti  und  etwas  kürzerer 
dorsaler  Convexschnitt  dazu  über  das  Talo-Naviculargelenk  und  Aus- 
lösen des  Talus.  Die  Vorderfläche  des  Calcaneus  wird  durch  den 
Lappen  von  unten  gedeckt. 

Für  horizontale  Absägung  empfiehlt  sich  der  Ovalärschnitt  (ähnlich 
Fig.  221),  horizontal  unter  der  Spitze  des  Malleolus  externus  beginnend. 
Durch  diesen  horizontalen  Schnitt  wird  für  die  Absägung  Raum 
gewonnen.  Vergl.  den  Schnitt  für  die  TAUBER'sche  Methode  im 
vorigen  Paragraphen. 

Alle  diese  Modificationen  haben  gegenüber  der  erst  geschilderten 
Methode  den  Nachtheil,  dass  ein  Theil  der  Narbe  näher  an  die  Unter- 
fläche des  Fusses  zu  liegen  kommt.  Ssabanejew  hat  neuerdings 
auch  eine  osteoplastische  Amputatio  sub  talo  angegeben. 

308)  Amputatio  cruris  (Fig.  227 — 232). 

Wir  geben  bloss  durch  Abbildungen  die  empfehlenswerthen 
Schnitte  an  und  verweisen  für  die  Ausführung  auf  die  Schilderung 
der  Amputationen  im  Allgemeinen.  Dagegen  schildern  wir  das 
Normalverfahren  der  BiER'schen  osteoplastischen  Unter- 
schenkelamputation ausführlich.  Wir  haben  im  allgemeinen 
Theil  gezeigt,  dass  Bier  zuerst  ein  complicirtes  Verfahren  benutzt 
hat,  während  Lanz  und  Gleich  auf  die  jetzt  übliche  einfache  Methode 
aufmerksam  machten.  Im  Grossen  und  Ganzen  stimmen  wir  STORP 
und  BüNGE's  Schilderung  des  von  ElSELSBERG  geübten  Verfahrens 
bei,  doch  mit  einigen  Modificationen. 

Bunge  schildert  das  sehr  einfache  Verfahren  folgendermaassen : 
Man  bildet  einen  vorderen  inneren  Lappen  mit  Mitte  auf  der  Tibia- 
innenfläche  und  löst  den  Hautlappen  nach  oben  los,  schneidet  das 
Periost  quer  seitlich  3  mm  hinter  der  vorderen  und  hinteren  medialen 
Tibiakante  durch,  schiebt  es  etwas  nach  oben,  sägt  an  der  entblössten 
Stelle  einen  Knochenkeil  aus,  um  das  Sägeblatt  bequem  parallel  zur 
Innenfläche  der  Tibia  ansetzen  und  dieser  entsprechend  einer  Knochen- 


Untere  Extremität. 


585 


Scheibe  absägen  zu  können.  Die  Scheibe  wird  mit  einem  Elevatorium 
herausgebrochen  und  an  der  Basis  das  den  Stiel  bildende  Periost 
noch  etwas  zurückgeschoben,  dann  die  Weiehtheile  circulär  durch- 
schnitten und  die  Knochen  durchsägt,  der  Knochendeckel  mit  Periost- 
nähten  auf  die  Tibiasägefiäche  befestigt. 

Da  nach  unserer  Erfahrung  die  Erhaltung 
der  Corticalis  in  einzelnen  mit  dem  Periost 
zusammenhängenden  Stücken  genügt,  so  kann 
man  dem  von  Storp  formulirten  Verlangen 
in  einfacher  Weise  gerecht  werden,  den  Periost- 
Knochenlappen  mit  der  Haut  in  Zusammen- 
hang zu  lassen,  wenn  man  den  Periost-Knochen 
läppen  mit  dem  M eissei  parallel  der  Tibia- 
innenfläche  abmeisselt  und  mit  Haut  und  Periost 
nach  oben  zurückschlägt,  unter  Zurückschieben 
des  Periosts  seitlich  und  hinten  an  der  Tibia  und 
rings  um  die  Fibula. 

Die  Erhaltung  des  Zusammenhanges  mit  der 
Haut  ist  wünschenswerth,  da  bei  Ablösung  der 
Haut  doch  mehrfach  Nekrose  eingetreten  ist. 
Unsere  Fig.  229 — 231  zeigen,  wie  man  vorzugehen 
hat,  wenn  man  die  Haut  im  Zusammenhang  er- 
halten und  doch  die  Säge  für  die  Lappenbildung 
benutzen  will.    Mit  Uebung  geht  auch  dies  ganz 


Fig.  227.     Amputatio  intramalleolaris. 


Fig.  228. 

Am- 
putatio  < 
cruris 

alta 
media 
intramalleo 
laris. 

gut,  da  der  Meissel  oft  zu  viel  Splitterung  macht.  Die  Mitbedeckung  der 
Fibula  halten  wir  für  unnütz,  sobald  man  dafür  sorgt,  dass  diese  nicht 
vorsteht,  resp.  dass  sie  höher  abgesägt  wird.  Der  Schrägschnitt 
ist  die  am  häufigsten  zu  benutzende  Methode,  und  zwar  wird  er  am 
unteren  und  oberen  Ende  am  besten  mit  Lappenbildung  vorne  an- 
gelegt, um  die  bogenförmig  abgesägten  Epiphysen  zu  bedecken.   Dass 


586 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


auch   die  Exarticulation   im  Fussgelenk   mit  dorsalem  Lappen   einen 
Stumpf  ergiebt,  der  sehr  gut  als  Stütze  dienen  kann,  hat  PONCET  durch 


Fig.  229.     Osteoplastische  Unterschenkelamputation.    Der  Schrägschnitt   durch 

Haut  und  Fascie,   die  sich  zurückgezogen  haben,   ist  gemacht  und  das  Periost 

der  Tibia  gespalten  und  etwas  heraufgeschoben. 


Untere  Extremität. 


587 


Beobachtungen  sicher- 
gestellt. Endlich  ist 
Guyon's  Schnitt- 
führung erwähnens- 
werth,  welche  auch  für 
die  Exarticulatio  pedis 
passt,  nämlich  ein  etwas 
wellenförmig  verlaufen- 
der Schrägschnitt  hin- 
ten abwärts  bloss  bis 
zum  untersten  Ende  des 
Tuber  calcanei,  so  dass 
ein  ganz  flacher  Fer- 
senlappen zu  Stande 
kommt. 

Im  Bereich  der 
Diaphyse  weiter  oben 
wird  der  Schrägschnitt 
so   gemacht,   dass   der 

Lappen  vorne 
aussen  liegt ,  damit 
die  vordere  Kante  der 
Tibia  (welche  übrigens 
stets  abzurunden  ist) 
nicht  zu  sehr  gegen 
denselben  angedrückt 
werde.  Es  ist  zweck- 
mässig, schon  mit  dem 
Hautlappen  das  Periost 
der  Innenfläche  der 
Tibia  abzulösen  als 
Schutz       gegen       den 


Fig.  230.     Osteoplastische   Unterschenkelamputation. 

Hautränder  emporgehalten,  Schnitt  durch  das  Periost, 

die  Sägelinie  bezeichnend. 


588 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


Fig.  231.     Osteoplastische   Unterschenkelamputation.     Haut -Periost- Knochen- 
lappen sind  aufwärts  geschlagen,   das  Periost  an  der  Basis  des  Lappens  etwas 

nach  oben  geschoben. 


Untere  Extremität. 


589 


Knochen.  Faraboeuf  empfiehlt  ebenfalls  den  vorderen  äusseren 
Lappen,  aber  er  trennt  die  Weichtheile  vom  Knochen  ab  in  ganzer 
Dicke.  Treves  hält  die  hinteren  Lappen  aus  Haut  und  Muskeln 
nach  Hey  und  Lee  für  vortrefflich. 

Hat  man  innerhalb  der  musculösen  Theile  des  Unterschenkels  zu 
amputiren,  so  ist  es  wünschenswerth,  die  Schnitte  zu  vereinfachen  und 
gut  ernährte  Muskeln  im  Stumpf  zur  Bewegung  des  Stumpfendes  zu 
erhalten.  Dazu  dient  am  besten  die  neuerdings  von  BRUNS  wieder  be- 
sonders empfohlene  einfachste  CELSUS'sche  Methode  des  einzeitigen 
Zirkelschnittes  (wo  nöthtg,  mit  2  Seitenschnitten  zur  Erleichterung). 
Zirkelschnitt  durch  Haut  und  Fascie,  Zurückziehen  derselben,  Schnitt 
am  Hautrand  durch  sämmtliche  Muskeln  bis  auf  den  Knochen  und 
subperiostales  Emporschieben  der  sämmtlichen  Weichtheile  bis  zur 
Durchsägungsstelle  (l/2  Glieddurchmesser  höher  als  der  Muskelschnitt). 


M.  extensor  digit.  longus 

N.  tibialis  anticus 
A.  tibialis  antica 

M.  peroneus  longus 

M.  tibialis  posticus 

A.  peronea 

M.  soleus 

M.  gastrocnemius 


M.  tibialis  anticus 


fM.  fiexor  dig. 

\    communis 

A.  tibialis  postica 


N.  tibialis  posticus 


M.  soleus 
Fig.  232.    Querschnitt  des  Unterschenkels  über  der  Mitte,  nach  Photogramm. 

Aehnlichen  Zweck  verfolgt  Teale  mit  grossem  viereckigen 
vorderen  Lappen  und  kleinem  hinteren,  beide  aus  der  ganzen  Dicke 
der  Weichtheile  geschnitten. 

In  neuester  Zeit  sucht  man  auch  für  die  Diaphysenamputation 
am  Unterschenkel  eine  Unterlage  zu  gewinnen,  die  das  Aufstützen 
des  Stumpfes  möglich  macht.  Ollier  hat  für  höhere  Amputation 
den  Fersenlappen  benutzt  und  Kummer  hat  den  zu  langen  Lappen 
einfach  dadurch  auf  die  richtige  Länge  zurückgebracht,  dass  er  ihn 
granuliren  und  schrumpfen  Hess,  bevor  er  ihn  auf  den  Stumpf  legte. 
Bier  hat  einen  tragfähigen  Unterschenkelstumpf  dadurch  erzielt,  dass 
er  nach  einfacher  circulärer  Amputatio  cruris  nachträglich  aus  der 
Tibia  oberhalb  des  Stumpfes  einen  Keil  mit  vorderer  Basis  heraus- 
meisselt  oder  -sägt,  dann  den  Stumpf  rechtwinklig  nach  vorne  biegt, 
so  eine  Art  Fuss  schafft,  bei  der  die  Belastung  die  Rückfläche  der 
Diaphyse  trifft.  Für  den  weniger  musculösen  Theil  des  Unterschenkels 
ist  das  Verfahren  empfehlenswerth. 

Das  Ligamentum  interosseum  haftet  fest  am  Knochen  und  wird 
mit  dem  Periost  zusammen  mittelst   des  Messers   nach  oben  zurück- 


59o 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


präparirt.  Die  Trennung  der  Muskeln  zwischen  den  Knochen  muss 
glatt  in  einer  queren  Ebene  geschehen,  damit  die  Gefässe  mit  einem 
Zug  getrennt  werden. 

In  der  ganzen  Länge  des  Unterschenkels  sind  von  Gefässen  die 
Arteria  (und  Vena)  tibialis  antica  (auf  dem  Lig.  interosseum)  und  die 
A.  tibialis  postica  auf  den  tiefen  Wadenmuskeln,  in  den  unteren 
zwei  Dritteln  die  Arteria  peronea  zu  unterbinden  an  der  Rückfläche 
der  Fibula. 


II.  Amputationen  im  Bereiche  des  Kniegelenkes. 

Wie  für  die  anderen  Gelenksgegenden,  gilt  auch  für  das  Knie- 
gelenk, dass  man  selbst  eine  höchstmögliche  Amputation  des  Unter- 
schenkels   der    Absetzung    im    Gelenk    vorzuziehen    hat,    so    lange 


Fig-  233-    Exarticulatio  genu. 


die  Sehnenansätze  am  oberen  Ende  der  Tibia  und  Fibula  sich 
erhalten  lassen.  Ohne  das  Letztere  hat  allerdings  die  hohe  Ampu- 
tation keinen  Sinn  mehr.  Ein  zweiter  maassgebender  Punkt  zur  Ent- 
scheidung gegenüber  den  zahlreichen  Operationsmethoden  ist  die 
Frage,  ob  das  Gelenk  selbst  gesund  oder  krank  ist.  Ssabanejeff 
hat  gezeigt,  dass  selbst  bei  krankem  Gelenk  noch  eine  Art  hoher 
Unterschenkelamputation  ausführbar  bleibt  ohne  Beschränkung  der 
Indication,  die  kranke  Synovialis  zu  entfernen.  Nach  Berücksichtigung 
dieser  beiden  Hauptpunkte  verdienen  alle  diejenigen  Methoden  den 
Vorzug,  welche  einen  tragfähigen  Stumpf  garantiren.  Nach  diesen 
Principien  besprechen  wir  die  verschiedenen  Methoden. 

309)  Exarticulatio  genu  (Fig.  233  und  234). 

Die  Exarticulatio  genu  wird  gemacht,  wenn  das  Kniegelenk  noch 
gesund  ist,  während  man   bei  Vereiterung  desselben  die  Amputation 


Untere  Extremität. 


591 


höher  oben  machen  muss.  Die  Erhaltung  der  Gelenkkapsel  sammt 
Synovialis  (Socin)  hat  den  Vortheil,  eine  gut  bewegliche  Bedeckung 
für  den  Stumpf  zu  schaffen.  Bei  der  grossen  Breite  und  Dicke  der 
Condylen  muss  ganz  besonders  genügende  Haut  an  den  Seiten  gespart 
werden.  Hierzu  ist  der  Schrägschnitt  geeigneter,  als  alle  Lappen- 
methoden. Er  giebt  bei  aseptischem  Verlauf  vorzüglichen  Stumpf. 
Schrägschnitt  mit  Lappen  vorne,  analog  dem  elliptischen  Schnitte 
von  Baudens,  hinten  in  der  Gelenklinie  beginnend,  vorne  4  Finger 
breit  unterhalb  der  Spina  tibiae  endigend.  Hält  man  den  Unter- 
schenkel halb  gebeugt  (135  °  gegen  den  Oberschenkel),  so  fällt  die 
Schnittrichtung  in  die  verlängerte  Oberschenkelaxe  (Fig.  233).  Haut 
mit  Fascie  wird  zurückpräparirt  bis  zum  Ansatz  des  Lig.  patellae 
vorne,  der  Kapsel  mit  Menisken  und  Seitenligamenten  vorne 
seitlich.  Hier  wird  Kapsel  und  Ligament  dicht  am  Knochen  gelöst, 
dann  entlang  der  Eminentia  intercondyloidea  der  Tibia  die  Ligamenta 


Aussenfläche 
M.  biceps 


N.  tibialis  posticus 


-Innenfläche 


A.  poplitea- 

V'  p0plitea~W^^^Ä^^P#     M.  sartorius 


V.  saphena  magna 


N.  peroneus 

Fig.  234.     Querschnitt  durch  das  untere  Femurende  und  Kniegelenk 
(nach  Braune). 

cruciata  abgetrennt,  die  hintere  Kapselwand  längs  der  Tibia  durch- 
schnitten und  die  Operation  mittelst  Querschnitts  durch  die  hinteren 
Weichtheile  vollendet. 

Die  Hauptgefässe  sind  Arteria  und  Vena  poplitea.  An  grösseren 
Aesten  kommen  die  A.  articularis  genu  und  gelegentlich  Muskeläste 
der  Gastrocnemii  zur  Unterbindung.  Nervus  tibialis  und  peroneus 
werden  vorgezogen  und  hoch  oben  resecirt. 

Bei  Erhaltung  des  Gelenkcavum  ist  es  nöthig,  beiderseits  neben 
der  Patella  je  einen  Drain  durch  eigene  Oeffhung  auf-  und  abwärts 
in  dasselbe  einzuführen,  um  angesammelte  blutige  Gelenkflüssigkeit 
zu  entleeren.    Dann  kann  die  Hauptwunde  ganz  geschlossen  werden. 

Die  Bildung  eines  vorderen  Lappens  ist  weniger  gut,  als  der 
Schrägschnitt;  dagegen  rühmt  Treves  2  seitliche  Lappen  nach 
Stephen  Smith,  bloss  aus  Haut  und  Fascie  bestehend,  und  diese 
Operation  wird  auch  von  anderen  Chirurgen  besonders  geschätzt. 

Miller  macht  bei  vollkommen  gestrecktem  Knie  einen  circulären 
Schnitt   quer  21/2  Zoll  unter  den  Condylen.    Die  Weichtheile  ziehen 


592 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


sich  auf  der  Beugeseite  soweit  zurück,  dass  bloss  der  Lappen  auf 
der  Streckseite  abgelöst  zu  werden  braucht  und  eine  hintere  Narbe 
resultirt. 

Bier  erklärt  die  Exarticulatio  genu  für  ein  ausgezeichnetes 
Verfahren  zur  Erzielung  eines  tragfähigen  Stumpfes ,  .  weil  jede 
Knochennarbe  vermieden  wird.  Wo  Haut  genug  vorhanden,  ist  sie 
demnach  jedem  Amputationsverfahren  vorzuziehen. 

310)  Amputatio  femoris  (Fig.  235 — 238). 

Früher  und  noch  jetzt  eine  der  häufigsten  Amputationen.  Schräg- 
schnitt für  jede  Höhe  empfehlen swerth,  ebenso  Zirkelschnitt,  letzterer 
mit  Ausnahme  des  unteren  Endes  wegen  schlechter  Lage  der  Narbe. 


Fig.  235.     Amputatio  diacondylica  (Carden). 

311)  Amputatio  femoris  diacondylica  (Fig.  235)  (Carden 
und  Buchanan). 

BUCHANAN  trägt  bei  der  Amputation  am  unteren  Femurende 
bei  Kindern  die  Condylen  einfach  in  der  Epiphysenlinie  ab. 

Carden  sägt  die  Condylen  in  ihrer  grössten  Breite  bogenförmig 
ab  und  erhält  auf  diese  Weise  einen  vorzüglichen  Stumpf,  der  die 
Belastung  sehr  gut  verträgt.  Die  Amputatio  diacondylica  tritt  an 
Stelle  der  Exarticulatio  genau,  wenn  das  Gelenk  krank  ist 
und  daher  dieExcision  der  Synovi  alis  wünschenswerth 
erscheint.  Diese  Indication  bedingt  eine  veränderte  Art  der  Aus- 
führung. Auch  hier  ist  der  nach  vorne  verlängerte  Schrägschnitt 
vorzüglich  geeignet,  den  Stumpf  mit  narbenloser  Haut  zu  bedecken. 
Er  beginnt  an  der  Rückfläche  in  der  Höhe  der  Epicondylen  und 
geht  breit  nach  vorne  bis  unter  die  Spina  tibiae.  Die  Haut  sammt 
F  a  s  c  i  e  wird  nach  oben  zurückpräparirt  bis  über  die  Patella  herauf, 
hier  der  Quadriceps  bis  auf  die  Gelenksynovialis  durchschnitten  und 
letztere  unter  demselben  ohne  Eröffnung  des  Gelenkes  bis  an  ihren 
oberen  Rand  freigelegt  und  auf  dem  Knochen  abwärts  bis  unter  die 


Untere  Extremität. 


593 


Epicondylen  des  Femur  abgelöst.  Dann  wird  oberhalb  des  Knorpel- 
randes ein  nach  unten  convexer  Bogenschnitt  gemacht,  welcher  unter 
den  Epicondylen  durchgehend  die  Ansätze  der  beiden  Seitenligamente 
trennt  und  über  der  Ansatzstelle  der  Synovialis  hinten  oberhalb  der 
Condylen   quer   endigt.     In   dieser  Linie   wird   die  untere  Femurepi- 


■ 


Fig.  236.  Amputatio  diacondylica  osteoplastica  (Ssabanejeff).  Schrägschnitt 
durch  Haut  und  Fascie  wie  bei  Carden's  Operation  (Fig.  235).  Die  Tibia  ist 
schräg  rückaufwärts  bis  zum  Fibulaköpfchen  durchsägt  und  der  Knochenhaut- 
lappen nach  oben  zurückgeschlagen;  die  Sägerichtung  durch  die  Femurcondylen 

ist  angegeben. 

physe  in  nach  unten  convexem  Bogen  abgesägt  und  die  hinteren 
Weichtheile  durchschnitten. 

Die  Stümpfe,  welche  ich  nach  Amputatio  diacondylica  gesehen 
habe  (mein  Lehrer  Lücke  hatte  eine  Vorliebe  für  dieses  Verfahren), 
nach  beschriebener  Methode  gebildet,  waren  stets  in  ausgezeichneter 
Weise  tragfähig  und  schmerzlos,  obschon  hier  eine  Knochennarbe 
nach  unten  gerichtet  war ;  die  Haut  war  allerdings  stets  sehr  gut  be- 

K  och  er,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  og 


594 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


weglich  über  dem  Stumpf,  weil  die  Fascie  auf  die  Sägefläche  gelegt 
wurde. 

Endlich  hat  Ssabanejeef  noch  eine  osteoplastische  Form 
der  Amputatio  diacondylica  angegeben,  bei  welcher  mit  dem 
vorderen  Hautlappen  ein  abgesägtes  Stück  der  vorderen  Tibiafläche 
erhalten  wird.  Nachdem  die  Haut  und  Fascie  durchschnitten  und 
zurückgezogen  sind,  wird  am  Hautrande  die  Säge  eingesetzt  und 
ein  schräger,  besser  leicht  concaver  Sägeschnitt  nach  Fig.  236  gefüht, 
welcher  von  der  Tibia  eine  Art  Knochenkappe  abhebt.  Dieser  Haut- 
Knochenlappen  wird  nach  oben  geschlagen,  wie  bei  der  eben  ge- 
schilderten Amputatio  diacondylica  und  nach  schräger  event.  leicht 
convexer  Absägung  der  Femurcondylen  auf  diese  aufgesetzt. 


Fig.  237.    Amputatio  supracondylica  osteoplastica  (Gritti). 

So  kommt  nicht  nur  die  druckgewohnte  Haut,  sondern  auch  die 
unter  dieser  liegenden  druckgewohnten  Knochen  auf  das  Stumpfende 
zu  liegen  und  geben  eine  gute  Stütze;  sowohl  die  Kapsel  als  die 
Sehnenansätze  des  Sartorius,  Gracilis  und  eventuell  auch  des  Biceps 
femoris  werden  erhalten.  Djelitzyn  hat  entgegen  Ssabanejeff's 
senkrechter  Absägung  die  schräge  empfohlen.  Endlich  hat  Abra- 
SHANOW  mit  einem  hinteren  Unterschenkellappen  die  hintere  Hälfte 
der  Tibiacondylen  an  die  horizontal  und  frontal  abgesägten  Femur- 
und  Patellaflächen  angefügt. 

Alle  diese  Methoden  passen,  wenn  einzelne  Knochentheile  wegen 
herdförmiger  Erkrankung  mitentfernt  werden  sollen.  Wölfler 
hat  nach  Hilgenreiner  die  Methoden  am  Lebenden  geprüft  und  fand 
die  Tragfähigheit  des  Stumpfes  günstig  auf  Dauer.  Ein  überlebender 
Fall  von  Abrashanow's  Operation  ergab  ebenfalls  gute  Tragfähigkeit. 


Untere  Extremität. 


595 


312)  Amputatio  supracondylica. 

Die  Amputatio  supracondylica  tritt  an  Stelle  der  Amputatio  diacon- 
dylica,  wenn  für  letztere  nicht  die  genügende  Haut  gewonnen  werden 
kann.  Sie  wird  mit  Schrägschnitt  oder  Lappen  von  der  vorderen  me- 
dialen Seite   ausgeführt   (vergl.  Fig.  239),    weil    die  Adductoren   den 

h  l 


f  Durchschnittenes 

r  igamentur- 

patellae 


Ligamentum 


Schnitt  rings  bis  auf 
den  Patellara 


Durchschnittenes  1 

Ligamentum       / 

patellae  ' 


Patellagelenkfläche 


Fig.  238.  Amputatio  femoris  supracondylica  osteoplastica  (Gritti)  mit  Schräg- 
schnitt. Die  Haut  ist  bis  über  die  Femurcondylen  sammt  Patella  emporgehoben, 
die  Patella  umschnitten   und   die  Säge   auf  deren  Rand  behufs  Abtragung  der 

Knorpelfläche  aufgesetzt. 


Schenkel  nach  vorne  innen  ziehen  und  daher  bei  rein  vorderem  Schnitt 
der  Knochen  zu  sehr  an  den  inneren  Winkel  der  Wunde  andrängt. 
Die  Methode  von  Spence,  |modificirt  von  Faraboeuf,  mit  grossem 
vorderen  und  kleinem  hinteren  Lappen  (am  besten  bloss  in  Form  eines 
Convexschnittes)  ist  besonders  beliebt  bei  vielen  Chirurgen.  Wir  legen 
auch  für  diese  Methode  den  vorderen  Lappen  etwas  auf  die  mediale  Seite. 

38* 


50 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


Eine    Modification    für    diese    häufige    Amputation    ist   Gritti's 
Amputatio   supracondylica   osteoplastica  (Fig.  237  und  238). 

Schrägschnitt  mit  oberem  Ende  hinten 
direct  über  der  Condylenanschwellung, 
mit  unterem  Ende  vorne  2  Finger  breit 
unter  der  Patella,  Durchtrennung  des 
Lig.  patellae  so,  dass  man  noch  einen 
Stumpf  desselben  zur  Naht  erhält.  Das 
Femur  wird  über  der  Epiphyse,  resp. 
oberhalb  der  Gondylen  quer  oder  wie  uns 
zweckmässiger  erscheint,  leicht  bogen- 
förmig durchsägt  nach  circulärer  Durch- 
trennung des  Periosts  einige  Centimeter 
unterhalb.  Die  Patella  wird  der  Fläche 
nach  durchsägt  umgekehrt  bogenförmig 
wie  das  Femur,  so  dass  ihre  Knorpel- 
bedeckung entfernt  wird  und  die  Säge- 
fläche sammt  dem  Weichtheillappen  auf 
Schnitt-  und  Sägefläche  des  Femur  auf- 
gesetzt. Der  Rand  der  Patella  wird  mit 
Nähten  an  das  Periost  des  Femur,  event. 
an  tiefe  Fascientheile  fixirt. 


313)  Die  Amputation  durch 
die  Mitte  (Fig.  23g  und  240)  wird  bei 
massiger  Musculatur  zweckmässig  so 
gemacht,     dass     man     (Lisfranc     und 


M.  cruralis 
M.  vastus  externus 


M.  rectus  femoris 


vastus  internus 
N.  saphenus 


Fig.  239. 

Amputatio   I         ,. 
l  media 

supracondylica. 


Aussenfläche 


N.'ischiadicus 
M.  biceps 


M.  semitendinosus 


M.  gracilis 

adductor 

inagnus 

M.  semimembranosus 


femoris      ) 
vi 


Fig.  240.     Querschnitt  durch  den  Oberschenkel 
(nach  Photogramm). 


Untere  Extremität. 


597 


Esmarch)  2  kurze  seitliche  Lappen  bildet  und  nach  deren  Retraction 
die  Musculatur  mit  glattem  Schnitt  quer  durchschneidet.  Auch  durch 
Einstechen  des  Messers  zu  beiden  Seiten  des  Knochens  nach  Durch- 
schneiden der  Haut  können  sehr  glatte  Wunden  gewonnen  werden. 
Das  Periost  ist  bei  stark  entwickelten  Musculatur  mehrere  Centimeter 
weit  heraufzuschieben,  um  genügende  Hautbedeckung  zu  erlangen 
und  um  die  Sägefläche  mit  Periost  bedecken  zu  können. 

314)  Die  Amputatio  alta  (Fig.  239)  wird  mit  Ovalärschnitt 
in  ähnlicher  Weise  wie  die  Exarticulatio  femoris  gemacht.  Der 
Längsantheil  des  Schnittes  fällt  auf  die  Aussenseite,  geht  bis  auf 
den  Knochen  und  erlaubt,  denselben  bis  zur  Durchsägungsstelle 
subperiostal  auszuschälen. 

Bei  der  Amputatio  femoris  sind  im  unteren  Drittel  (Fig.  240)  die 
Hauptgefässe,  A.  und  V.  femoralis  zu  unterbinden  nebst  A.  articularis 
genu  suprema  vorne  innen  und  eventuell  A.  articulares  genu  superiores. 
In  den  oberen  zwei  Dritteln  sind  ausser  A.  und  V.  femoralis  die 
A.  profunda  femoris  und  im  oberen  Drittel  starke  Aeste  der  A.  cir- 
cumflexa  (externa)  zu  unterbinden. 

315)  Exarticulatio  coxae  (Fig.  242  und  243). 

Angesichts  der  reichlichen  Musculatur,  welche  das  Hüftgelenk 
umgiebt  und  bei  der  grossen  Wichtigkeit,  nach  Entfernung  des  ganzen 
Knochenapparates  des  Beines  wenigstens  einen  beweglichen  muscu- 
lösen  Stumpf  zu  erhalten,  sollte  ausnahmlos  in  allen  Fällen,  wo 
keine  Contraindication  besteht,  die  hohe  Oberschenkelamputation  mit 
subperiostaler  Auslösung  des  oberen  Femurendes  das  Normal- 
verfahren sein.  Wir  verweisen  auf  die  allgemeine  Besprechung 
der  Amputationen.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  ein  solcher  muscu- 
löser  Stumpf  hier,  wie  in  der  Nähe  des  Rumpfes  überhaupt  (Schulter), 
durch  seine  Beweglichkeit  für  die  Anbringung  einer  Prothese  die 
grössten  Dienste  leistet. 

Ganz  abweichend  muss  die  Operationsmethode  ausfallen,  wenn 
auch  die  Entfernung  der  Weichtheile,  z.  B.  bei  malignen  Neubildungen, 
nothwendig  ist.  Je  nach  Indication  sind  also  vollkommen  differente 
Operationsmethoden  anzuwenden  und  lassen  sich  dieselben  in  zwei 
Hauptgruppen,  die  wir  auseinanderhalten,  trennen. 

Als  Typus  der  Methode,  bei  welcher  auch  die  Weichtheile  mit- 
genommen werden  müssen,  ist  die  von  Beck  und  Verneuil  geübte, 
aber  hauptsächlich  von  E.  Rose  ausgebildete  und  zur  Anerkennung 
gebrachte  Exstirpationsmethode  anzusehen.  Für  alle  Fälle 
dagegen,  wo  die  Musculatur  erhalten  werden  kann,  passt  die  von 
Roux  und  Kocher  ausgebildete  Modifikation  des  schon  von  Ra- 
VATON    1743    entworfenen  (Treeves)    und   von  Kerr    ausgeführten 


rgg  Amputationen  und  Exarticulationen. 

äusseren  Rakettschnittes  oder  gleichwertigen  äusseren  Lanzett- 
schnittes, nämlich  die  Combination  von  Resection  mit  hoher 
Amputation.  Das  Princip  dieser  Operation  ist  schon  von  FüRNEAUX 
Jordan  in  der  Weise  zur  Anwendung  gekommen,  dass  Jordan 
mittelst  eines  Längsschnittes  Trochanter  und  oberen  Theil  der  Dia- 
physe  von  den  Muskelansätzen  befreite,  dann  die  Diaphyse  abwärts 
aus  ihren  Verbindungen  löste  und  weit  unten  die  Weichtheile  durch- 
schnitt. Die  von  uns  geübte  Resections- Amputationsmethode,  welche 
Jordan's  Verfahren  modificirt,  beschränkt  den  Blutverlust,  da  sie 
denjenigen  Theil  der  Operation,  der  ohne  sichere  prophylaktische 
Blutstillung  gemacht  werden  muss,  möglichst  wenig  verletzend  ge- 
staltet. Lister  hat  sich  bei  seiner  Methode  des  Vortheils  primärer 
Lösung  des  Gelenkkopfes  begeben,  wie  auch  Esmarch  diesen  Act 
für  zuletzt  aufspart. 

Die  früher  so  ausserordentliche  Gefahr  und  demgemäss  auch 
Mortalität  der  Operation  ist  mit  dem  Augenblick  erst  verschwunden, 
wo  ESMARCH  uns  gelehrt  hat,  die  Blutung  sicher  zu  beherrschen; 
auf  die  Verhütung  der  Blutung  ohne  ESMARCH  ist  die  RoSE'sche 
Methode  zugespitzt.  Daher  kann  Dank  der  verbesserten  Technik 
gegenwärtig  die  Entfernung  des  Schenkels  im  Hüftgelenk  auch  bei 
relativ  schwachen  Individuen  ohne  Bedenken  unternommen  werden. 
Wir  haben  keine  Erfahrung  über  die  Methode  von  Wyeth,  bei 
welcher  der  elastische  Schlauch  hinter  2  grossen  Stahlnadeln,  die 
durch  die  Wurzel  des  Gliedes  durchgestochen  werden,  umgelegt  wird 
Wyeth  benutzt  diese  Methode  hier  sowohl  wie  für  die  Schulter  seit 
1890  und  hat  den  Beweis  erbracht,  dass  in  nahe  70  Fällen  völlig 
sichere  Beherrschung  der  Blutung  damit  erzielt  wurde.  Sie  wird  also 
unter  Umständen  mit  Vortheil  benutzt  werden  können. 

a)   Exstirpationsmethode   (Fig.  241).     Beck-Rose's 

Operation. 

Rose,  nach  Vorgang  von  Beck  (Lüning),  exstirpirt  den  Schenkel 
wie  einen  Tumor,  indem  er  nach  Maassgabe  der  Durchschneidung 
von  Gefässen  dieselben  sofort  unterbindet,  resp.  indem  er  grössere 
Gefässe  zuerst  doppelt  ligirt  und  dann  erst  durchschneidet.  Bei  hoch 
in  den  Bereich  des  Hüftgelenkes  hinaufreichenden  Tumoren  ist  dieses 
Exstirpationsver fahren  das  zweckmässigste ,  weil  man  hier 
die  Weichtheile  nur  zum  Theil  erhalten  kann.  Es  bedarf  auch  aus 
diesen  Gründen  keiner  besonderen  Schilderung  der  dabei  benutzten 
Technik,  weil  diese  von  Fall  zu  Fall  wechselt.  Immerhin  ist  es  an- 
gezeigt, die  Schnitte  so  anzulegen,  dass  man,  wie  bei  der  Exarti- 
culation  des  Oberarmes  sammt  Schultergürtel,  die  Hauptgefässe  vorweg 
unterbinden  kann,  d.  h.  den  Winkel  des  Schnittes  auf  Arteria  und 
Vena  femoralis  zu  legen  (Fig.  241).    Auf  diese  Weise  verhindert  man 


Untere  Extremität. 


599 


N.  cruralis 
A.  femoralis 
V.  femoralis 


C  M.  pectinaeus 
)  (fälschlich  als 
^Schnitt  gezeichnet! 


Adductoren 


Fig.  241.  Exarticulatio  femoris  bei  Erkrankung  der  vorderen  Weichtheile : 
Exstirpationsmethode  mit  Schräg-  resp.  Lanzettschnitt.  Vorerst  sind  die 
Hauptgefässe  unterbunden,  der  das  Gelenk  bedeckende  M.  sartorius  und  Iliopsoas 
durchschnitten  und  das  Gelenk  von  vorneher  eröffnet.  (Fälschlich  ist  vom  Maler 
der  M.  pectinaeus  als  Durchschnitt  durch  den  Muskel  angegeben.  Es  sollte  die 
Vorderfläche  des  Muskels  dargestellt  sein.) 


6oo 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


alle  Blutungen  mit  Ausnahme  derjenigen  aus  der  A.  obturatoria, 
Glutaea  superior  und  inferior  und  allenfalls  noch  pudenda.  Wenn 
man  aber  an  jedes  noch  blutende  Gefäss 
sofort  eine  Arterienzange  anlegt,  bevor  man 
weiter  schneidet,  so  ist  die  Blutung  minimal. 
Die  Figur  zeigt,  dass  die  von  uns  nach 
Erfahrung  am  Lebenden  bei  Fällen  von 
hochreichenden  Knochensarkomen  geschil- 
derte Methode  sich  an  diejenigen  Vor- 
schläge anlehnt,  welche  man  als  vorderen 
Rakettschnitt  zusammenfassen  kann  im 
Gegensatz  zum  äusseren  Rakettschnitt.  Nach 
Faraboeuf  und  Treves  hat  Larrey 
diesen  Schnitt  eingeführt  und  ist  derselbe  in 
verschiedenen  Variationen  von  A.  Cooper, 
Verneuil,  Roser  angewandt.  Auch 
Guthrie's  und  Lisfranc's  Methoden  sind 


-  Resectionsschnitt 


Amputationsschnitt 


Fig.  242.    Exarticulatio  coxae  mittelst  der 
Resections  -  Amputationsmethode. 


Fig.  243.    Frontalschnitt  des  Hüft- 
und  Kniegelenks  nach  Henle. 


nicht   sehr   different  in  der  Schnittanlage,   obschon  die  Schnitte  zum 
Theil  durch  Stich  gebildet  werden.    Von  der  früheren  und  namentlich 


Untere  Extremität.  601 

in  Operationskursen  regelmässig  geübten  Durchstechungsmethode, 
welche  auf  rapide  Ausführung  angelegt  war  bei  fehlender  oder  un- 
genügender prophylaktischer  Blutstillung,  kann  jetzt  füglich  keine 
Rede  mehr  sein,  da  sie  viel  zu  blutig  ist. 

b)  Resections-  Amputationsm  ethode  (Fig.  242). 

Für  alle  Fälle,  wo  die  Weichtheile  im  Bereich  des  Hüftgelenkes 
erhalten  werden  dürfen,  soll  dies  unbedingt  geschehen.  Denn  für 
die  Anlage  der  späteren  Prothese  ist  die  Function  der  Muskeln  im 
Stumpfe  nach  Exarticulatio  coxae  von  grösstem  Werth.  Zumal  wenn 
man  subperiostal  operirt,  erhält  man  einen  Stumpf,  welcher  eine 
kräftige  allseitige  Beweglichkeit  ergiebt,  ähnlich  wie  bei  Amputatio 
femoris  alta.  Wir  haben  wie  Shuter  u.  A.  einen  soliden  Stumpf 
aus  dem  Periost  sich  bilden  sehen,  so  schön  beweglich,  dass  man 
Mühe  hatte  zu  glauben,  dass  wirklich  eine  Exarticulation  gemacht 
worden  war.  Die  üblichste  Methode  ist  die  des  äusseren  Rakett- 
schnittes : 

Um  den  Schenkel  wird  in  der  Leistenfalte  der  Kautschukschlauch 
umgelegt  zur  prophylaktischen  Blutstillung,  und  zwar  ausnahmslos 
mit  Achtertour  ums  Becken,  um  das  Ausgleiten  nach  unten  zu  ver- 
hüten. Die  complicirten  Maassnahmen  von  Trendelenburg,  welcher 
Stahlstäbe  von  einer  Resectionswunde  nach  innen  durchsticht  und 
um  diese  herum  mit  Gummischlauch  eine  Sutura  circumvoluta  macht, 
von  Senn,  welcher  von  der  Resectionswunde  des  Hüftgelenkes  aus 
einen  Doppelschlauch  nach  innen  durchführt  und  die  WeichtLaile  in 
zwei  Hälften  —  nach  vorne  und  nach  hinten  —  umschnürt,  sowie 
Wyeth's  Methode,  bei  welcher  grosse  durchgestochene  Nadeln  das 
Ableiten  des  Schlauches  hindern,  mögen  für  einzelne  Fälle  Vortheile 
haben,  sind  aber  in  der  Regel  entbehrlich.  Braun  lässt  nach  Ligatur 
der  Vasa  iliaca  externa  durch  einen  Assistenten  von  der  Wunde  aus 
die  Vasa  iL  int.  digital  comprimiren  und  rühmt  den  geringen  Blut- 
verlust. 

In  der  üblich  berechneten  Höhe  (s.  Allgemeines  über  Ampu- 
tationen) wird  der  Zirkelschnitt  durch  die  Haut  und  an  dessen  Rande 
der  Zirkelschnitt  durch  die  Muskeln  bis  auf  den  Knochen  gemacht 
und  nach  Periostdurchtrennung  abgesägt.  Es  erfolgt  die  sorgfältige 
Unterbindung  der  Gefässe;  dann  wird  der  Schlauch  entfernt. 

Zweckmässiger  als  der  einfache  Zirkelschnitt  ist  ein  Schrägschnitt 
auf  der  Aussenseite  (Fig.  239)  des  Knochens  weiter  empor  reichend, 
event.  auch  ein  kurzer  vorderer  und  hinterer  Lappen,  nach  LlSTON's 
Vorschlägen  mit  circulärer  Muskeltrennung. 

Beck  und  Esmarch  spalten  nach  der  Amputation  an  der 
Aussenüäche  des  Femur  die  Weichtheile  und  lösen  subperiostal  den 
Knochen    aus   unter  Lösung   der  Ansätze  des  Periosts  an  der  Linea 


5o2  Amputationen  und  Exarticulationen. 

aspera,  der  Sehnenansätze  (drei  M.  glutaei,  Pyriformis,  Obturatorius 
externus  und  internus  mit  Gemelli,  Quadratus  femoris  am  und  unter 
dem  Trochanter  major,  Iliopsoas  am  Trochanter  minor)  und  des 
Kapselansatzes  im  Bereich  der  Linea  intertrochanterica  anterior  und 
posterior  mit  dem  Messer.  Das  Ligamentum  teres  wird  durch  mehr- 
maliges Umdrehen  des  Knochens  zerrissen. 

Wie  Roux  anderwärts  mitgetheilt  hat,  besteht  unsere  Resections- 
amputation  in  Folgendem  (wir  machen  die  Operation  seit  1876  mit 
tadellosem  Resultat,  insofern  als  wir  keinen  Kranken  [9  Fälle]  an 
den  Folgen  dieser  Methode  verloren  haben): 

Schnitt  wie  bei  der  Resectio  coxae  geschildert,  bogenförmig  über 
den  grossen  Trochanter  und  durch  die  Fasern  des  Glutaeus  maximus 
(aber  kürzer  als  der  gewöhnliche  Resectionsschnitt).  Letztere  werden 
stumpf  auseinander  gezogen  und  nach  Ligatur  einiger  Glutäaläste 
und  am  Schenkelhals  und  Trochanter  einiger  Aeste  der  A.  circum- 
flexae  wird  bis  auf  den  Knochen  geschnitten,  die  Kapsel  sammt 
Limbus  gespalten,  die  Ansätze  der  Glutaei  und  des  Pyriformis  nach 
vorne,  der  Obturatorii  und  des  Quadratus  nach  hinten  dicht  am 
Trochanter  abgelöst,  und  der  Femurkopf  luxirt  unter  Durchschneidung 
oder  Zerreissung  des  Lig.  teres.  Vom  Trochanter  major  abwärts  löst 
ftian  die  Weichtheile  vorne  und  hinten  bis  zum  Trochanter  minor  ab, 
wo  man  den  strammen  Ansatz  des  Iliopsoas  mit  dem  Messer  lostrennt. 

Nach  gehöriger  Blutstillung  wird  das  Bein  senkrecht  empor- 
gehalten und  ein  Esmarch,  d.  h.  ein  dicker  Kautschukschlauch  in  Achter- 
touren um  den  höchsten  Theil  des  Oberschenkels  und  das  Becken, 
resp.  Abdomen  gelegt,  und  zwar  muss  die  Kreuzung  der  8  an  die 
hintere  äussere  Seite,  hinter  und  über  dem  Trochanter  major  gelegt 
werden,  damit  vorne  ein  gehöriger  Druck  des  Schlauches  stattfindet. 
Nun  folgt  die  hohe  Amputatio  femoris. 

Circulärer  Hautschnitt  oder  Lancettschnitt  oder  Bildung  zweier 
kurzer  Lappen  je  nach  disponibler  Haut,  Zurückziehen  der  Haut  und 
Durchschneidung  der  Muskeln  glatt  bis  auf  den  Knochen.  Die  Weich- 
theilbedeckung  muss  stets  so  reichlich  wie  möglich  bemessen  werden. 
Nach  Spaltung  des  Periosts  wird  stumpf  das  Periost  nach  oben  zurück- 
geschoben, an  der  Linea  aspera  mit  dem  Messer  gelöst.  Dann  wird 
der  Knochen  durchgesägt  und  sämmtliche  sichtbare  Gefässe,  zunächst 
die  Arteria  und  Vena  femoralis,  dann  A.  und  V.  profunda,  die  Vena 
saphena  und  die  zahlreichen  kleinen  Gefässe  sorgfältig  unterbunden 
und  der  Schlauch  gelöst. 

Der  Oberschenkel -Knochenstumpf  wird  mit  einer  aseptischen 
Gaze  gefasst  und  unter  subperiostaler  Lösung  der  letzten  Verbindungen 
durch  Drehen  herausgelöst.  Einlage  von  Drains  durch  eigene  OefF- 
nungen  neben  der  Resections-  und  Amputationswunde,  welche  ihrer- 
seits durch  Schichtennähte  verschlossen  werden. 


Untere  Extremität.  603 

Roux  hat  einige  Vergleichspunkte  unserer  Operation  mit  dem 
Verfahren  von  Volkmann,  Guyon,  Reverdin  hervorgehoben. 

316)  Exarticulatio  interilio  -  abdominalis  (Jaboulay's 
Operation). 

Nachdem  wir  durch  unsere  2  Fälle  von  Resection  einer  Becken- 
hälfte, sowie  durch  diejenige  von  Roux  gezeigt  haben,  dass  sich 
diese  eingreifende  Operation  mit  bestem  Erfolg  durchführen  lässt, 
erscheint  es  auffällig,  dass  die  ersten  Fälle  von  Exarticulation  des 
Beins  sammt  einer  Beckenhälfte,  die  operirt  und  von  Gayet  zu- 
sammengestellt worden  sind,  alle  gestorben  sind. 

Billroth  hat  die  Operation  1889  zuerst  ausgeführt.  Jaboulay 
hat  1894  die  Operation  zum  zweiten  Mal  ausgeführt  und  zum  dritten 
Mal  1895,  ebenso  CACCIOPOLI  einmal,  alle  3  Fälle  wegen  Osteosarcom 
des  Beckens.  Alle  3  Fälle  starben  rasch  an  Shok  oder  Sepsis. 
Glücklicher  war  GiRARD  in  Bern,  welcher  1895  und  1897  die  Ope- 
ration mit  gutem  Erfolg  ausgeführt  hat.  Auch  bei  seinen  Fällen 
handelte  es  sich  um  Osteosarkom,  aber  allerdings  um  Osteosarkoma 
femoris  am  oberen  Ende,  wo  die  Operation  natürlich  gegenüber 
Beckensarkomen  erheblich  leichter  ist.  Endlich  sind  2  Fälle,  von 
Girard  1897  (mit  raschem  Exitus  an  Shok)  und  von  Barden- 
heuer 1897  (mit  Heilung)  wegen  Coxitis  mit  ausgedehnter  Becken- 
erkrankung ausgeführt.  Seither  hat  Salistscheff  1898  die  9.  Ope- 
ration ausgeführt  nach  Jaboulay's  Vorschrift  mit  glücklichem  Erfolge 
in  einem  schweren  Falle  —  Ligatur  der  Vasa  iliaca  comm.  und  Trennung 
in  der  Symphyse.  Endlich  habe  ich  die  Operation  in  einem  Falle 
eines  pulsirenden  weit  gediehenen  Beckensarkoms  bei  einem  Knaben 
mit  unglücklichem  Ausgang  ausgeführt.  Der  Fall  wird  publicirt 
werden.  Kadjan  hat  ebenfalls  unglücklich  operirt.  GiRARD  hat  die 
Fälle  aus  der  Literatur  gesammelt  und  wird  sie  demnächst  veröffent- 
lichen. Wir  verweisen  auch  auf  seine  Publication  bezüglich  der 
Details  der  von  ihm  befolgten  Operationsmethode  im  Unterschied  von 
Jaboulay's  Verfahren. 

Bezüglich  der  Methode  der  Schnittführung  veranlassen  uns 
unsere  Erfahrungen  über  Beckenresection  zum  Theil  dem  GiRARD'schen 
Verfahren  vor  dem  jABOULAY'schen  den  Vorzug  zu  geben.  Ob  man 
nach  Girard  einen  kurzen  vorderen  Lappen  macht,  scheint  gleich- 
gültig, wesentlich  aber,  dass  man  mit  dem  ersten  Schnitt  in 
die  Bauchschenkelfalte  eindringt  in  der  ganzen  Länge 
des  Ligamentum  Pouparti,  um  die  Ansätze  der  Fascia  obl. 
ext.  und  der  mit  dem  Finger  emporgehobenen  inneren  schiefen  und 
queren  Muskeln  der  Bauchwand  zu  trennen  unter  Ligatur  der  Art. 
und  Vena  epigastrica  und  um  über  dem  Tumor  auf  der  Fossa  iliaca 
interna   in    die  Tiefe   zu   kommen.     So   werden   unter   Spaltung   der 


604  Amputationen  und  Exarticulationen. 

Fascia  transversa  abdominis  und  Abhebung  des  Peritoneum  die 
Hauptgefässe  der  Unterbindung  und  der  N.  cruralis  der  Trennung 
zugänglich,  man  führt  jetzt  am  besten  die  Ligatur  der  Art.  und  Vena 
iliaca  communis  aus,  welche  in  schwierigen  Fällen  einzig  genügend 
ist,  um  sich  vor  lebensgefährlichem  Blutverlust  zu  sichern.  Der  Psoas 
wird  quer  durchtrennt,  unter  Abtrennung  der  Fascia  obl.  ext.  vom 
Os  pubis  kann  man  die  Grenze  der  Abtragung  gegen  die  Mittel- 
linie zu  bestimmen  und  geeigneten  Falles  den  horizontalen  Scham- 
und  Sitzbeinast  subperiostal  freilegen  und  mit  der  Zange  ohne  weitere 
Verletzung  durchkneifen,  wodurch  die  spätere  Trennung  der  Synchon- 
drosis  sacroiliaca  sehr  erleichtert  und  durch  Schonung  der  Nerven- 
plexus hinter  der  Symphyse  und  der  Ansätze  der  Corpora  cavernosa 
die  Blutung  beschränkt  wird.  Ich  habe  bei  meinem  Fall  gesehen, 
dass  bei  blutreichen  Tumoren  nur  die  Ligatur  der  Arteria  und  Vena 
iliaca  communis  genügt,  um  einigermaassen  der  Blutung  Herr  zu 
werden;  denn  die  stark  entwickelten  Venen  hatten  sich  bei  unseren 
Kranken  bis  in  die  Muskeln  ausgedehnt  und  bedingten  starken 
Blutverlust.     Kadjan  hat  dieselbe  Erfahrung  gemacht. 

Muss  man  Scham-  und  Sitzbein  ganz  entfernen,  so  muss  in  der 
Symphyse  getrennt  werden.  Ist  dieser  erste  Act  besorgt,  so  ver- 
längert man  den  Schnitt  rückwärts  und  trennt  man  entlang  der 
Crista,  indem  man  die  Finger  an  der  Innenfläche  der  zugänglich 
gewordenen  Fossa  iliaca  interna  unter  die  Ansätze  der  Bauchmuskeln 
schiebt,  die  letzteren  ohne  stärkere  Blutung  bis  zur  Synchondrose. 
Nunmehr  wird  in  raschem  Zug  der  hintere  Gesäss-Hautmuskellappen 
in  der  Gesäss- Schenkelfalte  gebildet,  welcher  nach  aussen  von  der 
Spina  ant.  sup.  ilii  mit  dem  oberen  Schnitt  zusammenfällt.  Unter 
kräftiger  Auswärtsrotation  des  Beins  wird  vom  Schambein  das  Lig. 
trianguläre,  der  Muse,  transversus  perinaei  vom  Sitzbein,  die  Lig. 
tuberoso-  und  spinoso-sacralia  vom  Tuber.  abgetrennt,  danach  unter 
Ueberspringen  der  hinteren  Muskeln  mit  einem  starken  Resections- 
messer  ohne  zu  grosse  Schwierigkeit  die  Synchondrose  durchschnitten, 
wobei  ein  Assistent  die  aus  der  Fossa  iliaca  emporgehobenen  Ein- 
geweide sammt  Peritoneum  und  Fascia  transversa  kräftig  auf  die 
andere  Seite  zieht. 

Zuletzt  folgt  die  Trennung  der  grossen  und  kleinen  Gesäss- 
muskeln  vom  Kreuzbein  unter  Ligatur  der  Aeste  der  Art.  hypogastrica 
resp.  ihrer  collateralen  Verbindungen  mit  den  Lumbararterien  und 
im  Bereich  der  Art.  glutaea,  ischiadica  und  pudenda  interna.  Zuletzt 
wird  der  N.  ischiadicus  durchschnitten. 

Es  ist  jedenfalls  nothwendig,  Alles  zu  sofortiger  intravenöser 
Kochsalztransfusion  bereit  zu  halten,  d.  h.  die  Vena  mediana  schon 
zum  Voraus  freizulegen  zu  diesem  Behuf,  da  die  Blutung  bei  aller 
Sorgfalt  noch  beträchtlich  sein  kann. 


Obere  Extremität. 


605 


Y.  Obere  Extremität. 

317)  Amputation  und  Exarticulation  an   den  Fingern 

(Fig.  244  und  245). 

Für  die  Finger  gilt  als  Hauptregel,  auch  den  geringsten  Stumpf 
zu  erhalten,  sobald  derselbe  mit  den  Sehnen  in  Verbindung  bleiben 
und  mit  gesunder  Haut  bedeckt  werden  kann.  Es  sind  deshalb  hier 
alle  Methoden  gut. 

Bei  Wahl  sind  Lappen  aus  der  Volarseite  vorzuziehen  zur  Ver- 
meidung von  volaren  Narben.  Der  entsprechende  Schrägschnitt 
ist  am  empfehlenswerthesten,  am  Nagel- 
glied nothwendig.  Wir  halten  ihn  auch 
für  Zeige-  und  Kleinfinger  für  besser, 
als  Faraboeuf's  seitlich- volare  Lappen. 
Die  Stellung  der  Gelenke  ist  durch 
Beugung  der  Finger  leicht  zu  charakte- 

Interossei  u.    Extensor  digitorum     Extensor   digitorum 
Lumbricales     longus  et  interossei  longus 


Interossei  u.  Lumbricales 


Extensor  digitorum  longus 

Fig.  244.    Lage  der  Fingergelenke  in  Beugung 
und  Sehnenansätze. 


Fig-  245- 
Exarticulatio  digiti  V 

„      H 
„  „      IV  c.  metacarpo 

(Dorsalfläche). 


risiren,  da  die  Gelenklinie  stets  peripher  von  den  dorsalen  Vorsprüngen 
liegt  (Fig.  244).  Hier  wird  das  Messer  angesetzt  und  schräg  nach  der 
Vola  abwärts  geschnitten.  Bei  starker  Beugung  des  Fingergliedes  wird 
der  Ansatz  der  Extensoren  an  der  Basis  der  Phalanx,  dann  die  dorsale 
Kapsel,  die  2  Seitenbänder,  die  volare  Kapsel  und  die  Beugungssehnen 
getrennt. 

Bei  Amputationen  muss  der  volare  Lappen  zurückgeschlagen 
werden,  um  den  Knochen  zu  umschneiden. 

Für  Exarticulation  der  Finger  im  Phalango  -  Metacarpalgelenk 
sowohl  als  für  die  Exarticulation  im  Metacarpo-Carpalgelenk  gilt  der 


6o6 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


Lanzettschnitt,  dessen  Längsantheil  bis  über  das  Köpfchen  des 
Metacarpus  resp.  über  die  Basis  des  Knochens  rückwärts  geht.  Die 
Sehnen  werden  am  Rande  der  zurückgezogenen  Haut  durchschnitten, 
dann  das  Periost  gespalten  und  abgelöst,  an  den  Gelenkenden  gleich- 
zeitig mit  dem  Kapselansatz. 

Beim  Daumen,  Zeigefinger  und  kleinen  Finger  wird  der  dorsale 
Antheil  des  Schnittes  gegen  die  Mittellinie  der  Hand  zu  gelegt,  statt 
auf  die  Mitte  des  Knochens  oder  Gelenkes. 

Bei  Entfernung  des  Metacarpus  des  Daumens  und  Kleinfingers 
ist  es  von  besonderer  Bedeutung,  die  kurzen  Ballenmuskeln  völlig 
intact  zu  erhalten,  weil  dadurch  sehr  brauchbare  bewegliche  Stümpfe 
erzielt  werden,  zumal  bei  subperiostaler  Auslösung  des  Knochens. 

Für  die  Exarticulation  des  ganzen  Fingers,  mit  oder  ohne  Meta- 
carpus, ist  in  der  queren  Falte  zwischen  Vola  manus  und  Finger  die 
Stelle  des  Querschnittes  genau  angegeben ;  weiter  rückwärts  dürfen 
keine  Schnitte  in  die  Vola  gemacht  werden. 


tyloideus  radii 


Fig.  246.     Exarticulatio  digiti  III  mit  Lanzettschnitt,   Exarticulatio  manus, 
Amputatio  antibrachii,  beide  mit  volarem  Schrägschnitt. 

318)  Exarticulatio  manus  (Fig.  246). 

Für  diese  wie  für  die  Amputatio  antibrachii  sind  die  ver- 
schiedensten Methoden  zulässig,  mit  welchen  man  einen  längeren 
Stumpf  erhalten  kann.  Entgegen  der  für  den  Fuss  aufgestellten 
MAjOR'schen  Regel  darf  man  nicht  in  querer  Linie  amputiren,  so 
lange  sich  noch  ein  beweglicher  Finger  oder  Antheil  der  Hand  er- 
halten lässt. 

Schrägschnitt  mit  oberem  Ende  in  der  dorsalen  Handgelenklinie, 
unterem  Ende  in  der  Vola  manus.  Bei  starker  Volarflexion 
werden  die  Strecksehnen  und  die  dorsale  Kapsel  getrennt,  unter 
den  weiter  abwärts  ragenden  Processus  styloidei  ebenso  die  seitlichen 
Bandverbindungen  und  Sehnen  (Ulnaris  externus,  Extensoren  und 
Abductor  des  Daumens)  durchschnitten  und  die  aufwärts  convexe 
obere   Carpalknochenreihe    ausgelöst.     In    der   Gelenklinie   wird   das 


Obere  Extremität.  607 

Packet  der  Flexorensehnen  getrennt  und  nach  vorne  der  Volarlappen 
in  seiner  ganzen  Dicke  ausgelöst.  Der  Volarlappen  hat  den  Vortheil 
sehr  guter  Ernährung,  feinerer  Tastempfindung  und  unter  Umständen 
der  Conservirung  beweglicher  Muskelstümpfe,  ferner  der  Vermeidung 
einer  Narbe  auf  der  Volarseite,  welche  beim  Gebrauch  des  Stumpfes 
grösserem  Druck  ausgesetzt  ist. 

Letzteren  Vortheil  theilt  sie  mit  der  von  Treves  empfehlend 
besprochenen  DüBREUlL'schen  Methode  eines  radialen  Lappens 
mit  Erhaltung  der  Daumenmusculatur.  Hier  wird  ebenfalls  am  unteren 
Radiusende,  welches  dem  stärksten  Druck  bei  Benutzung  des  Stumpfes 
ausgesetzt  ist,  jede  Narbe  vermieden. 

Zu  unterbinden  die  Arteria  ulnaris  oder  ihre  2  Aeste  zu  den 
Arcus  volares  auf  der  Volarseite  und  der  Ast  der  A.  radialis  zum 
Arcus  sublimis,  auf  der  Dorsoradialseite  der  Hauptstamm  der  Radialis 
zum  Arcus  profundus. 

319)  Amputatio  antibrachii  (Fig.  246). 

Bietet  keine  Eigenthümlichkeiten,  welche  von  den  allgemeinen 
Regeln  abweichende  Angaben  benöthigen  würden.  Schrägschnitt 
mit  Volarlappen  ist  aus  gleichen  Gründen  wie  am  Handgelenk  em- 
pfehlenswerth.     Er  verhütet  Narbenbildung  auf  der  Volarseite. 

Ligatur  der  Arteria  radialis,  ulnaris  und  der  unter  und  median  - 
wärts  von  letzterer  gelegenen  A.  interossea. 

Treves  will  für  das  untere  Drittel  den  Zirkelschnitt,  für  die 
2  oberen  einen  vorderen  und  hinteren  Lappen  benutzt  wissen,  weil 
hier  die  subperiostale  Ablösung  der  Muskeln  schwierig  sei. 

320)  Bxarticulatio  cubiti  (Fig.  247,  248,  249  und  250). 

Wie  wir  für  die  Amputationen  im  Bereich  des  Kniegelenkes 
hervorgehoben  haben,  so  ist  der  Exarticulation  im  Gelenke  selbst 
jede  noch  so  hoch  reichende  Amputation  des  Vorderarmes  vorzuziehen, 
so  lange  das  Gelenk  selbst  gesund  ist  und  sich  die  Muskelansätze 
an  den  oberen  Gelenkenden  des  Vorderarmes  erhalten  lassen. 

Ist  das  Gelenk  gesund,  während  die  Vorderarmknochen  entfernt 
werden  müssen,  so  bleibt  es  auch  hier  ein  grosser  Vortheil,  wenn  ein 
musculöser  Stumpf  erhalten  werden  kann,  dessen  Nervenversorgung 
nicht  geschädigt  ist.  Es  ist  also  das  bei  der  allgemeinen  Besprechung 
geschilderte  einfache  Verfahren  der  circulären  Durchtrennung  der 
Weichtheile  am  Vorderarm  bis  auf  den  Knochen  und  der  subperiostalen 
Ausschälung  der  Vorderarmknochen  bis  in  das  Gelenk  das  für  das 
functionelle  Resultat  beste  und  einfachste  Vorgehen  (Fig.  247).  Kann 
die  Musculatur  nicht  erhalten  werden,  so  empfiehlt  sich  zur  Bildung 
eines  guten  Stumpfes  speciell  der  Schrägschnitt.  Uebrigens  nimmt, 
wenn  man  bei  gestreckt  gehaltenem  Vorderarm  circulär  amputirt, 
auch  der  Zirkelschnitt  die  Form  des  Schrägschnittes  an  (Miller). 


6o8 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


Es   ist   ein   in  Operationscursen   ohne  Ende  sich  wiederholender 
Irrthum,    dass  die  Gelenklinie  des  Ellbogengelenkes  nach  der  Spitze 


N.   medianus   und   A.  1 
interossea  mit  Vene  / 


M.  supinator  brevis 


M.  radiales  externi  ___ 


N.  radialis  u.  Arteria 
mit  2  Venen 


M.  brachio-radialis 


M.  flexor  profundus 

A.  ulnaris  mit  2  Venen 
N.  ulnaris 

M.  ulnaris  internus 

M.  flexor  sublimis 

l  'M.  radialis  internus 
\  und  Palmaris  longus 


Fig.  247.     Exarticulatio   cubiti   mit  einfachem  Zirkelschnitt  bis  auf  die  Knochen 

und    Erhaltung    eines    Muskelstumpfs    bei    subperiostaler    Auslösung    der 

Vorderarmknochen.     Die  Weichtheile   sind  nach   oben  zurückgezogen  und  das 

Gelenk  von  vorne  her  eröffnet. 


Obere  Extremität. 


609 


M.  radialis  internus 

M.  palmaris  longus 
M.  flexor  digitorum  sublimis 
M.  ulnaris  internus 
N.  ulnaris 

A.  ulnaris 
M.  flexor  digitorum  profundus 

Ulna 


M.  pronator  teres 

A.  radialis 
N.  radialis 

N.  supinator  longus 

M.  radialis  externi 

Radius 

M.  supinator  brevis 

M.  extensor  digit.  communis 
M.  ulnaris  externus 


Fig.  248.     Querschnitt    des  Vorderarms   im    oberen  Drittel,   nach   Photogramm. 


Fig.  249.     Schnittführung  für  die  Exarticulatio   cubiti;   Längsschnitt  durch  den 

Arm  nach  BRAUNE. 


Ligamentum  laterale  ~\ 
externum  / 


Radiusköpfchen  zur       \ 
Bestimmung  der  Gelenklinie/ 


Ligamentum  annulare 


Ligamentum  laterale  internum 


Fig.  250.     Die  ligamentösen  Verbindungen  am  Ellbogengelenk. 
Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV.  Aufl.  -?g 


6io 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


des  Olecranon  bestimmt  wird.  Sie  soll  aber  nach  dem  Radiusköpfchen 
bestimmt  werden,  welches  auf  der  Dorsoradialseite  stets  fühlbar  ist. 
Schrägschnitt  von  der  so  bestimmten  Linie  in  der  Ellenbeuge  bis 
handbreit  unter  die  Olecranonspitze  auf  der  Dorsalseite.  In  einer 
Beugung  des  Vorderarmes  von  1350  ist  die  Schnittrichtung  der  ver- 
längerten Axe  des  Oberarmes  parallel.  Der  dorsale  Lappen  wird 
sammt  Periost,  Ansatz  des  Triceps  und  Anconaeus  IV  bis  über  die 
Spitze  des  Olecranon  und  auf  die  Rückfläche  des  Humerus  losgelöst. 
Vorne    werden    die    Weichtheile    sammt    Gelenkkapsel    quer    durch- 


Fig.  251.    Amputatio  humeri. 

schnitten,  indem  man  bei  emporgezogenem  Lappen  von  aussen  ins 
Humero-Radialgelenk  einschneidet.  Mit  Trennung  des  strammen 
Ligamentum  internum  ist  die  Operation  vollendet.  Unterbindung 
der  Arteria  brachialis  in  der  Ellenbeuge. 

Faraboeuf  macht  den  Schrägschnitt  umgekehrt  von  der  Ole- 
cranonspitze beginnend  bis  handbreit  unter  der  Ellenbeuge  auf  der 
Vorderfläche. 


321)  Amputatio  brachii  (Fig.  251). 

Um    eine   breite   Bedeckung   des  Oberarmstumpfes  zu  erhalten, 
muss  man  berücksichtigen,  dass  der  Arm  eine  starke  Abplattung  von 


Obere  Extremität.  6 1 1 

aussen  nach  innen  zeigt  bei  vorwärts  gerichteter  Volarfläche.  Lappen 
sind  von  der  Breitseite  zu  nehmen.  Beim  Schrägschnitt  fällt  dem- 
gemäss  das  obere  Ende  des  Schnittes  in  den  Sulcus  bicipitalis  internus. 
Der  M.  biceps  zieht  sich  sehr  stark  zurück.  Ganz  zweckmässig  ist 
auch  der  einfache  Zirkelschnitt  mit  genügender  subperiostaler  Zurück- 
schiebung der  Weichtheile. 

Die  obere  Grenze  für  die  Erzielung  eines  brauchbaren  Stumpfes 
durch  Amputation  ist  bestimmt  durch  den  chirurgischen  Hals,  bis 
auf  welchen  sich  die  Gelenkkapsel  auf  der  medialen  Seite  fortsetzt, 
andererseits  durch  den  Ansatz  des  Deltoideus,  Pectoralis  major  und 
Latissimus,  welche  sich  als  Hauptabductoren  und  -adductoren  die 
Stange  halten  müssen. 

Allerdings  hat  es  noch  einen  guten  Sinn,  oberhalb  des  Ansatzes 
des  Deltoideus  und  der  erwähnten  Adductoren  zu  amputiren,  weil 
stets  noch  die  Ein-  und  Auswärtsrotatoren  am  Kopf  erhalten  bleiben 
und  das  Anbringen  einer  Prothese  erleichtert  ist.  Die  Methode  nähert 
sich  der  für  die  Exarticulation  zu  beschreibenden,  bloss  beginnt  der 
Schnitt  am  vorderen  Acromialende  (Guthrie's  Lanzettschnitt).  Man 
vergleiche  bezüglich  der  Regeln  für  die  hohe  Amputation  das 
bei  der  Exarticulatio  humeri  Gesagte.  Zu  unterbinden  sind  die 
Arteria  brachialis  und  profunda  brachii  nebst  kleineren  Aesten  (A. 
collaterales  ulnares).  Wenn  die  Knochen  durchsägung  an  der  Um- 
schlagsstelle des  Nervus  radialis  stattfindet,  so  ist  die  höhere  Resection 
dieses  Nerven  besonders  nothwendig. 

32a)  Exarticulatio  humeri  (Fig.  252  und  253). 

Für  die  Exarticulation  des  Armes  im  Schultergelenk  gilt,  was 
für  die  Exarticulation  im  Hüftgelenk  gesagt  worden  ist,  im  ver- 
stärkten Maasse.  Wenn  die  Weichtheile,  namentlich  die  Musculatur, 
erhalten  werden  können,  soll  unter  allen  Umständen  ein  musculös- 
periostaler  Stumpf  unter  reiner  Auslösung  des  Knochens  gesichert 
werden.  Dieses  geschieht  auch  hier  entweder  durch  Combination  von 
Resection  mit  hoher  Amputation  oder  durch  den  Rakettschnitt  oder 
gleichwerthigen  Lanzettschnitt.  Das  Wichtigste  dabei  ist,  dass  der 
Längstheil  des  Schnittes  in  ein  Interstitium  der  Muskeln  verlegt 
werde  wie  am  Oberschenkel,  wo  die  Innervationsgebiete  der  Muskeln 
sich  säuberlich  trennen  lassen.  Aus  diesem  Grunde  geben  wir  dem 
vorderen  Rakett-(Lanzett-)Schnitt  unbedingt  den  Vorzug. 

Für  alle  Fälle  dagegen,  wo  die  Weichtheile  der  Schulter  ganz 
entfernt  werden  müssen,  hat  man  sich  mit  der  nöthigen  Modification 
an  Schnitte  zu  halten,  die  dem  für  Exarticulation  des  Armes  sammt 
Schultergürtel  Geschilderten  analog  sind,  also  in  der  Art  der  nach 
Lisfranc  benannten  und  von  FERGUSSON  (nach  Treeves)  geübten 

39* 


6l2 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


Methode  mit  vorderem  und  hinterem  Lappen.  Es  handelt  sich  dabei 
um  eine  Exstirpationsmethode  des  Armes  nach  Art  der  von  Rose 
für  die  Hüfte  geschilderten.  Wesentlich  ist  bei  derselben  die  früh- 
zeitige Unterbindung  der  Hauptgefässe  von  dem  ersten  Schnitte  aus 
und  die  stufenweise  Trennung  der  übrigen  Gewebe  unter  sofortiger 
Blutstillung. 

Bei  der  typischen  Exarticulation  kann  man  in  ganz  analoger 
Weise,  wie  bei  der  Hüfte,  in  der  Höhe  der  Achselfalten  mittelst 
Zirkelschnittes   eine  hohe  Amputation    machen   und  nach  Absägung 


Processus  coracoideus 


Fig.  252.    Exarticulatio  humeri  mittelst  vorderen  Lanzettschnittes. 


des  Knochens  auf  die  "Vorderfläche  einen  Längsschnitt  wie  bei 
Resectio  humeri  von  vorne  hinzufügen,  das  obere  Ende  des  Humerus 
auszuschälen:  Rakettschnitt.  Indessen  ist  dies  nicht  nöthig,  da 
man  die  Blutung  ebenso  sicher  beherrschen  kann  mit  einem  einfachen 
Lanzettschnitt  in  einem  Zuge  geführt. 

Zumal  in  den  gewöhnlichen  Fällen,  welche  eine  Exarticulation 
bedingen,  nämlich  bei  Zerschmetterung  des  Armes,  ergiebt  sich  die 
zu  schildernde  Methode  fast  von  selbst.  Bei  den  oft  schweren  Er- 
scheinungen von  Shok  oder  Anämie  muss  hier  jegliche  stärkere 
Blutung  vermieden  bleiben. 


Obere  Extremität. 


613 


Man  beginnt  an  der  Clavicula  lateral  vom  Processus  coracoideus 
mit  einem  senkrechten  Längsschnitt  und  trennt  in  der  Längsrichtung 
den  vorderen  Ansatz  des  Deltoideus  an  der  Clavicula  unter  sofortigem 
Fassen  jedes  blutenden  Gefässes  und  Ligatur  der  hier  emporlaufenden 


Lange  Bi-\ 
cepssehne  / 


f  Spitze  des 
s  Processus 
'  coracoideus 


M.  pectoralis 
major 


'«i.-^ 
^S-*-* 


Fig.  253.  Exarticulatio  humeri  mit  Rakettschnitt.  Der  Schnitt  am  Vorderrande 
des  M.  deltoideus  über  die  Spitze  des  Processus  coracoideus  abwärts  hat  letzteren 
freigelegt  mit  den  Ansätzen  des  kurzen  Kopfes  des  Biceps  und  Pectoralis  minor. 
Ein  kleines  oberes  Stück  des  Deltoideus  ist  durchschnitten,  Deltoideus  und 
Pectoralis  major  auseinandergezogen  und  unten  durchschnitten.  Die  lange 
Bicepssehne,   entlang  welcher  der  Schnitt   auf  den  Knochen  geht,   ist  sichtbar. 


Vena  cephalica.  Im  oberen  Theile  des  Schnittes  werden  auch  die 
Acromialäste  der  Arteria  thoracico-acromialis  unterbunden.  Nun  geht 
man  am  Deltoideusrande  zwischen  ihm  und  dem  Pectoralis  major  in 
die  Tiefe  bis  auf  den  Knochen,  spaltet  vor  der  Bicepsrinne  und  auf- 
wärts hinter  dem  Tuberculum  minus  die  Kapsel  und  löst  mit  ihr  die 


5j4  Amputationen  und  Exarticulationen. 

Sehnenansätze  des  Subscapularis  nach  vorne  ab,  ebenso  abwärts  mit 
dem  Periost  den  Ansatz  des  Pectoralis  major,  sowie  des  Latissimus 
und  Teres  major  unter  Ligatur  der  Art.  circumfiexa  humeri  anterior ; 
dann  trennt  man  über  und  am  Tuberculum  majus  die  Ansätze  des 
Supra-  und  Infraspinatus  und  Teres  minor,  so  dass  der  Humeruskopf 
nach  vorne  und  nach  oben  frei  herausgestossen  werden  kann. 

Nunmehr  wird  der  Hautschnitt  vollendet,  indem  man  in  der 
Höhe  der  Achselfalten  den  Zirkelschnitt  durch  die  Haut  macht;  es 
ist  leicht,  das  Nerven-Gefässbündel  zu  isoliren,  die  Gefässe  zu  unter- 
binden und  die  Nerven  zu  durchschneiden.  Auch  die  Arteria  sub- 
scapularis (und  zugehörigen  Nerven)  können  hierbei  angespannt 
und  isolirt  unterbunden  werden.  Eine  Verletzung  des  N.  axillaris, 
welcher  über  dem  Teres  major  sich  hinter  dem  Knochen  herum- 
schlägt, um  den  Deltoideus  zu  versorgen,  ist  mit  Sorgfalt  zu  ver- 
meiden. Denn  der  Deltoideus  ist  der  Hauptmuskel  des  zurück- 
bleibenden Stumpfes. 

Die  geschilderte  Methode  schliesst  sich  am  nächsten  [der  von 
Spence  *•)  empfohlenen  Rakettmethode  an.  Die  LARREY'sche  Rakett- 
methode,  von  Faraboeuf  .  empfohlen,  wo  der  Längsschnitt  auf  der 
lateralen  Seite  emporsteigt,  ist  weniger  gut,  da  sie  den  Nervus  axillaris 
nicht  berücksichtigt  und  daher  den  Deltoideus  zum  Theil  lähmt. 

323)  Exarticulation  des  Armes  sammt  Schultergürtel, 
Amputatio  interscapulo-thoracica  (Fig.  254  und  255). 

Die  BERGER'sche  Operation  wird  wegen  Verletzungen  und 
Tumoren  des  Oberarmkopfes  und  der  Scapula  am  häufigsten  gemacht, 
aber  auch  wegen  Gangrän,  progressiver  Phlegmone  etc.,  welche 
Schulter gelenk  mit  Scapula,  häufig  sammt  den  Axillardrüsen,  Ge- 
fässen  und  Muskeln  ergriffen  haben.  Allerdings  kommen  Fälle  vor, 
wo  mit  dem  Arm  nur  ein  Theil  der  Scapula  (Acromion  und  Gelenk- 
theil) entfernt  zu  werden  braucht.  Die  Operation  ist  Dank  ihrer  exacten 
Ausführung  nicht  gefährlicher  als  die  Exarticulation  im  Schultergelenk 
und  giebt  viel  bessere  Dauerresultate.  Berger  fand  1898  unter 
46  Fällen  bloss  2  directe  Todesfälle,  10  Heilungen  über  1  Jahr. 

J.  J.  Buchanan  hat  eine  erschöpfende  Zusammenstellung  ge- 
liefert der  bis  1900  bekannten  Fälle  der  BERGER'schen  Operation. 
1737  sei  ein  Pat.  im  St.  Thomasspital  in  London  gepflegt  und  geheilt 
worden,  dem  durch  eine  Maschine  Arm  mit  Scapula  völlig  weg- 
gerissen war  und  1808  machte  Cunning  die  erste  glückliche  Operation 
wegen  Schuss  und  1836  Crosty  wegen  Tumor.  Bergeri  hat  das 
Verdienst,  die  erschöpfendste  Monographie  1887  geschrieben  und  die 
einzelnen  Details  der  Operation  in  klarer  Weise  zusammengefasst  zu 


1)  Spence,  Lectures  on  Surgery,  Vol.  II 


Obere  Extremität. 


615 


haben.  Buchanan  giebt  eine  Tabelle  von  181  Fällen  (131  wegen 
Tumoren)  mit  16  Proc.  f.  Dazu  kommen  31,  wo  die  Scapula  nach- 
träglich excidirt  wurde  nach  Exarticulatio  humeri  mit  6,6  Proc.  f, 
aber  in  der  antiseptischen  Zeit  ist  auch  die  Mortalität  der  einzeitigen 
Operation  auf  8  Proc.  heruntergegangen. 

Bei  ganz  umschriebenen  Tumoren  des  Humeruskopfes  hat  die 
Resection  an  ihre  Stelle  zu  treten,  und  bei  umschriebenen  Tumoren 
der  Scapula  die  Excision  letzterer. 


Fig.  254.    Exarticulation  des  Schultergürtels  mit  vorderem  Lanzettschnitt. 


Von  prophylaktischer  Blutstillung  ist  nicht  die  Rede.  Die  erste 
Sorge  bei  Anlage  der  Schnitte  ist  daher  die  Ligatur  der  grossen 
Gefässe.  Im  Uebrigen  ist  die  Schnittrichtung  je  nach  Erkrankung 
der  Haut  vielfach  zu  modificiren. 

Regel  ist  ein  Lanzettschnitt,  dessen  Längsantheil  über  die 
Clavicula  bis  zum  Acromion  geht,  an  dessen  sternalem  Ende  be- 
ginnend. Das  Periost  der  Clavicula  wird  gespalten,  die  Clavicula 
am  inneren  Drittel  durchsägt  und  energisch  nach  aussen  g'eklappt 
mit  scharfem  Haken  und  mit  hinterem  Periost  der  M.  subclavius 
abgelöst.     Am    oberen   Rande   der  Clavicula  muss  der  M.  cucullaris 


6i6 


Amputationen  und  Exarticulationen. 


losgelöst  werden,  ebenso  am  oberen  Umfang  des  Acromion.  Jetzt 
legt  man  durch  Längsspaltung  des  Musculus  subclavius  und  der 
Fascie   die   Vena  und  Arteria  subclavia  und   den  Plexus  brachialis 


Vena  u.  Artariaf 
axillaris        \ 


A.  transversa  colli 

ohyoideus 

.  serratus  anticus  major 


M.  subscapularis 
M.  deltoideus 
.    —  Processus  coracoideus 

M.  pectoralis  minor 

M.  biceps  brachii 


{M.  pectoralis 
major 


N.  medianus 


Fig.  255.    Exarticulation  des  Armes  sammt  Schultergürtel:  Der  vordere  Schnitt 

mit  Durchtrennung    der   Clavicula,    des   M.  pectoralis    major   und   minor,    der 

grossen  Gefässe  und  des  Plexus  axillaris.    Links  in  der  Wunde  die  Thoraxwand, 

in  der  Tiefe  die  Vordernache  der  Scapula  (M.  subscapularis). 


Obere  Extremität. 


617 


frei.  Die  oberflächlicheren  Nerven  werden  einzeln  durchschnitten, 
die  Gefässe  doppelt  unterbunden  und  durchschnitten. 

Will  man  die  Blutung  auf  ein  geringes  Maass  beschränken,  so 
ist  es  nöthig,  auch  die  lateralwärts  über  die  Scaleni  vortretenden 
Zweige  der  Subclavia  zu  unterbinden,  nämlich  die  3  Aeste  des  Truncus 
thyreocervicalis ,  welche  vor  dem  Scalenus  aufwärts  (A.  cervicalis 
ascendens),  auf-auswärts  (A.  cervicalis  superficialis)  und  hinter  der 
Clavicula  lateralwärts  (A.  transversa  scapulae)  gehen ;  endlich  nament- 
lich die  starke  A.  transversa  colli,  welche  über  oder  durch  den  Plexus 
brachialis  nach  hinten  geht,  um  die  Muskeln  der  Scapula  (Levator, 
Supraspinatus)  zu  versorgen  und  als  Dorsalis  scapulae  zwischen 
M.  rhomboidal  und  serratus  posticus  superior  der  Scapula  entlang  ab- 
wärts zu  laufen.   Jetzt  ist  man  gegen  erhebliche  Blutungen  gesichert. 

Im  Weiteren  wird  die  Operation,  ganz  wie  Rose  für  die  Ex- 
articulatio  femoris  zuerst  vorgeschlagen  und  ausgeführt  hat,  in  der 
Form  durchgeführt,  als  ob  der  Arm  sammt  Scapula  einen  Tumor 
bildete,  welchen  man  zu  excidiren  hat.  Der  Hautschnitt  wird  gegen 
die  vordere  Achselfalte  abwärts  verlängert  unter  sofortigem  Fassen 
und  Unterbinden  blutender  Gefässe,  zumal  der  oft  stark  erweiterten 
Venen ;  die  M.  pectoralis  major  und  minor  werden  quer  zu  ihrer 
Faserung  durchschnitten.  Diese  Durchschneidung  geschieht  nahe 
dem  Ansatz  am  Thorax,  wenn  ein  Packet  maligner  Drüsentumoren 
die  Achstihöhle  erfüllt.  Sofortige  sorgfältige  Blutstillung.  Wo  die 
Axilla  frei  ist,  werden  die  erwähnten  Muskeln  näher  an  ihren  An- 
sätzen am  Processus  coraeoideus  und  Arm  durchschnitten. 

Nu  1  dringt  man  längs  der .  Aussenfläche  des  Thorax,  resp.  des 
M.  senatus  anticus  major  gegen  die  Vorderfläche  der  Scapula  vor, 
indem  man  eventuelle  Drüsenpackete  mit  der  Hand  vom  Thorax 
abhebt.  An  der  hinteren  Achselfalte  angelangt,  wird  der  M.  latissimus 
dorsi  durchschnitten  in  der  Nähe  der  Arminsertion,  bei  grossen  Drüsen- 
geschwülsten entfernt  davon. 

Bei  Auswärtsrotation  lässt  sich  jetzt  der  Arm  sammt  Schulter 
so  nach  aussen  wälzen,  dass  die  Vorderfläche  der  Scapulae  mit  ihren 
Muskeln  in  ganzer  Ausdehnung  zu  Tage  tritt.  An  ihrem  oberen 
medianen  Winkel  wird  der  dicke  Ansatz  des  M.  levator  scapulae 
unter  Ligatur  von  Aesten  der  Art.  dorsalis  scapulae  getrennt  und 
längs  dem  hinteren  medialen  Rande  zuerst  der  wulstige  M.  serratus 
anticus  major  und  danach  die  dünnen  M.  rhomboidei  losgelöst.  Es 
bleibt  bloss  noch  übrig,  nach  Vorziehen  des  medialen  hinteren 
Scapularrandes  entlang  der  Crista  scapulae  den  Ansatz  des  M.  cu- 
cullaris  und  am  oberen  Rande  den  dünnen  M.  omohyoideus  abzu- 
trennen und  den  hinteren  Hautschnitt  behufs  genügender  Haut- 
bedeckung nach  Fig.  255  von  hinten  her  auszuführen  —  und  der 
Arm  sammt  Schulter gürtel  ist  fast  ohne  Blutverlust  ausgelöst. 


618  Amputationen  und  Exarticulationen. 

Unsere  Beschreibung  stimmt,  wie  ersichtlich,  im  Wesentlichen 
überein  mit  der  Methode  „Desarticulation  interscapulo-thoracique" 
von  Berger,  welcher  sich  mit  Adelmann  und  Chavasse  um  die 
Ausbildung  des  besten  Verfahrens  die  grössten  Verdienste  erworben 
hat.  Nach  Nasse  geht  auch  Bergmann  bei  der  Operation  in  ganz 
ähnlicher  Weise  vor,  wie  oben  geschildert.  Esmarch  hat  die  Durch- 
sägung der  Clavicula  und  vorgängige  Ligatur  der  Subclavicular- 
gefässe  zur  Methode  erhoben.  Bei  Mangel  an  Haut  (Operation  wegen 
verwachsener  Tumoren)  kann  man  mit  Keen  die  Haut  vom  Ober- 
arm in  dessen  ganzer  Länge  benutzen. 


Register. 


A. 


Abdomen  277. 

— ,  Normalschnitte     280.    —    Punction 

desselben  351. 
Abscesse  der  Fossa  iliaca  interna  352. 

—  perityphlitische  377. 
Achselhöhlenschnitt,      sagittaler 

432- 
Aether  18. 
Aetherisirung  27. 
Aethylchlorid  7—36. 
Alex  and  er 'sehe  Operation  368. 
Amputationen,  Allgemeines  3.  557. 
— ,  Entwicklung  der  Methoden  557. 
— ,  Indicationen  557. 
— ,  Technik  des  Querschnitts  561. 

—  des  Schrägschnittes  563. 

—  des  Rakettschnittes  563. 

—  des  Lanzettschnittes  564.  606. 

—  des  doppelten,  gestielten,  Quer-  und 
Schrägschnittes  565. 

— ,  Normal  verfahren  566.  571. 
Amputatio  antibrachii  607, 

—  brachii  610. 

—  digitorum  605. 

—  cruris  nach  Bier  584. 

—  femoris  592.  —  diacondylica  592. 

—  osteoplastica  (Ssabanejeff)  594. 
nach  Gritti  596. 

—  supracondylica  595. 

—  durch  die  Mitte  596. 

—  alta  597. 

—  im  Bereiche   des   Kniegelenks  590. 
Amputatio     interscapulo     thoracica 

614. 

—  intertarsea  579. 

—  mammae  bei  gutartigen  Tumoren  239. 


Amputatio,     partielle    bei     circum- 

scripten  Tumoren  239. 
— ,  Radicaloperation  bei  Carcinom  239. 
— ,  Functionsstörungen  nach  derselben 

244. 
■ —  metatarsea  574. 

—  mittelst  Stich  565. 
Amputationsstümpfe,  Abrundung 

derselben  568. 
Amputatio  pedis  osteoplastica  (PiRO- 
goff)  583. 

—  penis  415. 

—  recti  418. 

—  subtalica  osteoplastica  580. 

—  nach  Ssabanejeff  584. 
Anästhesie,  locale,  durch  Cocain  4. 

—  durch  Aethylchlorid  7. 

—  durch  flüssige  Kohlensäure  7. 

—  durch  Cocainisirung  der  grösseren 
Nervenstämme  8. 

— ,  medulläre  8. 
— ,  allgemeine  II. 
Anästh  esirung  5. 
Angiothriptos  en  220.  431. 
Antrum  Highmori,  Eröffnung  des- 
selben 135. 
Anus  iliacus  387. 

—  praeternaturalis  am  Colon  384. 

— ,  Anlegung  eines  384.  —  Unterschied 
von  der  Kothfistel  388. 

—  bei  Excisio  recti  419. 
Aorta  abdominalis  464. 
Aperiostaler  Stumpf  nach  HIRSCH 

569- 
Appendicitis,    operative    Eingriffe 

bei  371.  380. 
Arcus    plantaris    am    Interstitium 

intermetatarseum  491. 


Ö20 


Register. 


Arcus  volaris  profundus  460.  —  subli- 

mis  458. 
Arm,  seine  Exarticulation  613. 
Arteria  anonyma,  Unterbindung  229. 

—  articularis  genu  suprema  477. 

—  axillaris  435. 

—  brachialis  in  der  Mitte  441. 

—  in  der  Ellenbeuge  445. 

—  carotis  communis,  Unterbindung  128. 

193- 

externa,  Ligatur  155 — 178. 

interna,  Unterbindung  183. 

—  circumflexa  femoris  externa  474. 
interna  475. 

humeri  anterior  438. 

posterior  438. 

—  ilii  anterior  46g. 

—  scapulae  438. 

,  Unterbindung  von  hinten  264. 

—  collateralis  radialis  442. 

ulnaris    superior   442.  446,  —  in- 
ferior 442. 
Arteriae  digitales  communes  460. 
Arteria  dorsalis  pedis  494. 
scapulae,  Ligatur  262. 

—  epigastrica  inferior  469. 

—  femoralis  472,  ihre  Unterbindungen 
472.  474.  — ,  ihre  Aeste  474. 

—  glutaea  superior  462. 
inferior  (ischiadica)  464. 

—  hypogastrica ,  ihre  Aeste  462.  — , 
Unterbindung  468. 

—  iliaca  communis  464. 
externa  468. 

—  intercostalis  238. 

—  interossea  450. 

—  —  posterior  453. 

—  lingualis,  Unterbindung  180. 

—  mammaria    interna,     Unterbindung 

237- 

—  maxillaris  externa  130.  — ,  Ligatur 
180. 

—  meningea  media,  Hämatome  116. 
— ,  Unterbindung  bei  Excision  des 
Ganglion  Gasseri  153. 

—  mesenterica  inferior  467. 

—  obturatoria  470. 

—  occipitalis,  Unterbindung  180. 

—  peronea  489. 

—  plantaris  interna  490. 
externa  491. 

Arteriae  plantares  am  Ursprung  490. 
Arteria  poplitea  480. 


Arteria  profunda  brachii  44 1. 

—  —  femoris,  Ligatur  475, 

—  pudenda  interna  415.  464. 

—  radialis,  am  Vorderarm  448.  —  über 
dem  Handgelenk  448.  —  auf  dem 
Dorsum  manus  456.  —  in  der  Ta- 
batiere  458. 

—  subclavia,  Topographie  231.  — ,  Unter- 
bindung über  Clavicula  232.  —  unter 
der  Clavicula  432.  —  mit  Längs- 
schnitt 34. 

—  subscapularis  438. 

—  supraorbitalis  88. 

—  temporalis  85. 

—  thoracica  suprema  435. 
longa  435. 

—  thoracico-acromialis  435.  — ,  dorsalis 
440. 

—  thyreoidea  inferior,  Ligatur  194. 
— ,  superior  181. 

—  tibialis   antica  483.   —  postica   487. 

—  ulnaris,  am  Vorderarm  448.  —  am 
Os  pisiforme  453. 

—  uterina  468. 

—  vertebralis  196. 
Arthrektomie   495 — 498. 

—  genu,  mit  lateralem  Hakenschnitt  519. 
Arthrotomie  495 — 498. 

—  cubiti  540.  —  articulationis  humeri 
549.  —  genu  513.  —  im  Gegensatz 
zur  Arthrektomie  519. 

Ascites,  Laparotomie  bei  286. 
Aspirator,  POTAiN'scher  401. 
Aspirationspneumonien  229. 
Atropin  28. 
Augapfel,  seine  Entfernung  bei  Ober- 

kieferresectionen  159. 
Axilla  435. 

B. 

Bajonettschnitt  nach  Ollier  540. 

Bauchbrüche,  ihre  Verhütung  281. 
283. 

Bauchf  elltuberculo  se,  Laparo- 
tomie bei  286. 

Becken,  Resection  einer  Hälfte  des- 
selben 530. 

— ,  partielle  Resection  532. 

— ,  exarticulatio  interilio- abdominalis 
603. 

Blaseneröffnung,  mit  Symphysen- 
resection  400.  — ,  durch  Punction40i. 

Blase,  Operation  derselben  397. 


Register. 


621 


Blase,  Normalschnitt  hierfür  398. 
Blutstillung,    prophylaktische     am 

Kopfe   85.    —    bei    Resectionen  und 

Amputationen  499. 
Bromäthyl  22. 
Bülau,  Punctionsdrainage  245. 

c. 

Calcaneus,   Excision   506.    —   nach 

Landerer  507. 
Carcinoma  linguae  174. 

—  mammae  239. 

—  recti  419. 

Cardia,    Excision    der   kranken   336. 

Castration  409.  412.  —  mittelst  Quer- 
schnittes   in    frontaler  Richtung  355. 

Cat  gut- Sterilisation  55.  56. 

Catterina,  seine  Methode  der  Tars- 
■  ectomia  anterior  502. 

Cavernen  der  Lunge,  ihre  Eröffnung 
256. 

Centren  der  Hirnrinde  94. 

Chloroform  12. 

Cholecystektomie  342. 

Cholecystendysis  nach  Cour- 
VOisiER  339. 

Cholecystenterostomie  344. 

Cholecystoduodenostomie    345. 

Chol  ecystoj  ejunostomie  345. 

Cholecystostomie  342. 

Cholecystotomie  339. 

Choledocholithotomie  344. 

Choledocholithothrypsie  343. 

Choledochotomia  transduodenalis 
346. 

Choledochoduodenostomia  in- 
terna 347. 

Chopart'sche  Exarticulatio  intertar- 
sea  posterior  577. 

—  Gelenklinie  578. 

Clavicula- Tumoren    (Sarkome)  554. 

Cocain  4.  29. 

Cognac  subcutan  27,  per  os  vor  der 
Operation  30. 

Cöliotomie  (Laparotomie)  Indica- 
tionen  277. 

— ,  Bedingungen  guten  Erfolges  279. 

— ,  Schnittanlagen  und  Nahtmethoden 
280.  282. 

Colon  pelvicum  sigmoideum  395. 

Colopexie  419. 

Coloproktie  384. 


Colostomie  383 — 384. 
Craniektomie  91. 
Craniometer  97. 
Craniotomie,  circuläre  103. 
Cricotracheotomie  199. 
Cystotomia  alta  399. 

—  perinealis  406.  —  suprapubica  414. 

D. 

Damm  406. 

Dammsteinschnitt  406. 
Darmnaht  bei  Resectionen  389. 
— ,  nach  Maundsell-Ullmann  393. 

--,       „        CZERNY  392. 

-,     „      Doyen  393. 
— ,     „      Lembert  392. 
Darmvereinigung  396. 
Darmresection  388. 
Decortication  (Delorme)  250. 
D  e  p  a  g  e '  s   Operation  bei   veraltetem 

Empyem  250. 
Desinfection  des  Materials  43. 

—  der  Haut  44. 

—  der  Hände  44.  49.  —  der  Wunde 
52.  —  nach  FüRBRiNGER  49. 

Dickdarm,  Resection  am  394. 
Drainröhren    bei    Wundbehandlung 
63. 

E. 

Ellenbogengegend  444. 

Ellenbogengelenk,  Methoden  der 
breiten  Eröffnung  540. 

— ,  Exarticulation  607. 

Empyemhöhlen,  (Brust)  ihre  Aus- 
füllung (Delorme)  249. 

Enteroanastomosis  396. 

Enterostomie  382. 

Entspannungsschnitt  bei  acuter 
Nephritis  269. 

— ,  Indicationen  271. 

Esmarch'sche  Blutleere  499. 

Es tl  an  der  'sehe  Operation  249. 

Eucain  4. 

Evidement  (Kropfexstirpation)  222. 

Exarticulationen,      Allgemeines 

557- 

—  an  den  Fingern  605. 

—  coxae  597.  —  Exstirpationsmethode 
598.  —  Resections- Amputationsme- 
thode 601. 

—  cubiti  607. 


Ö22 


Register. 


Exarticulationen  des  Armes  sammt 
Schultergürtel  614. 

—  genu  590. 

—  humeri  611. 

—  interilio-abdominalis  (Jaboulay)  603. 

—  intertarsea   anterior   (Jäger -Bona) 

576. 

posterior  (Chopart)  577. 

nach  Hoffmann- Witzel  579. 

—  intercruro-calcanea  nach  Küster  584. 

—  manus  606. 

—  metatarso-tarsea  (Lisfranc)  575. 

—  mit  Wegnahme  der  vorderen  Hälfte 
des  Cuneiforme  576- 

—  pedis  nach  Syme  568—580.  —  nach 
Tauber  581. 

—  phalango-metatarsea  573. 

—  subtalo  579. 

Excisio  calcanei  506.  —  der  Meta- 
carpalknochen  532-  —  der  Zahn- 
phalangen und  Metatarsalknochen  500. 

—  linguae  172  —  174- 

—  recti  carcinomatosi,  allgemeine  Be- 
merkung zur  Technik  419. 

—  —  vaginale  Excision  423.  —  peri- 
neale Methode  424.  —  coccygeale 
Totalexstirpation  mit  extrarectalem 
hinterem  Längsschnitt  424.  —  coccy- 
geale Resectio  recti  mit  hinterer 
Längsspaltung  428. 

—  scapulae  554. 

—  tali  505. 

Excisionen,  Allgemeines  495.  —  par- 
tielle der  Mamma  bei  Carcinomen  245. 

Exp  lorati  v-Laparotomie  278. 

Exstirpationsm  ethode  des  Hüft- 
gelenks nach  Beck-Rose  598. 

Extremität,  obere 432.  —  Operation 
an   derselben  605. 

—  untere  462.  —  Amputationen  —  Ex- 
cisionen —  Resectionen  —  Exarticu- 
lationen 500. 

F. 

Finger  461.  —  Amputation  und  Ex- 
articulationen 605.  —  Excision  der 
Phalangen  und  Interphalangeal- 
gelenke  532. 

Flexura  coli  sinistra,  Incision  bei 
Erkrankung  derselben  394. 

Foramen  rotundum,  Methoden  zur 
Aufsuchung  142. 


F  o  s  s  a  retromaxillaris,  Freilegung  160. 

—  submandibularis,   Ausräumung    168. 
Frank' sehe  Methode    der   Gastrosto- 
mie 292. 

Fuss,  Arterien  und  Nerven  490.  — 
Amputationen  572.  —  osteoplastische 
nach  Tauber  580.  —  nach  Pirogoff 
583.  —  Exarticulationen  580. 

G. 

Gallenwege,  Chirurgie  der  338. 
Ganglion  Gasseri,  seine  Exstirpation 
151.  —  nach  Krause    152.  —  nach 

CUSHING   152. 

Gastrektomie,  Indicationen  und 
Methode  316.  —  partialis  321.  —  par- 
tialis  cardiaca  336.  —  totalis  332.  — 
Nachbehandlung  323. 

Gastroduo  denostomie  bei  Py- 
lorusresectionen  319.  324.  —  Tech- 
nik 321. 

Gastro  enteroanastomosis ,  In- 
dication  299.  — ,  Technik  303.  307. 

Gastroenterostomosis  antecolica 
inferior  304. 

—  retrocolica  posterior  304. 
Gastrojejunostomie  331.  —  ante- 
colica inferior  308. 

Gastroplastik  337. 

Gastrostomie  und  Gastrotomie29i. 

— ,  FRANK'sche  Methode  292. 

— ,  KADER'sche  Methode  294. 

— ,  WiTZEL'sche  Methode  297. 

Gefässnaht  431. 

Gehirnoperationen  106. 

Genu  valgum,  keilförmige  Osteo- 
tomia  tibiae  522.  —  Osteotomia  fe- 
moris  (Mac-Ewen)  523. 

Gesässgegend  462. 

Gritti,  seine  Amputation  des  Ober- 
schenkels 596. 

H. 

Hämorrhoidalknoten,  Excision 

derselben  416.  —  Ligaturmethode  416. 

—  WHiTEHEAD'sche       Excisionsme- 

thode  417. 
Hand,   Incision    auf    der  Dorsalseite 

455.   —   auf   der   Volarseite   456.    — 

Resectionen  533.  —  Exarticulationen 

606. 
Halsdreieck,  vorderes  193.  — oberes 

seitliches  176.  —  unteres  seitliches  231. 


Register. 


623 


H  eib  er  g-Es  m  ar  ch'scher  Hand- 
griff 39. 

Hepatotomie  und  Resectio  hepatis 
347-  —  transthoracica  252.  —  Blut- 
stillung bei  348. 

Herniotomia  357. 

Herz  und  Herzbeutel  Chirurgie  257. 

Hirnwindungen,  cranio -cerebrale 
Topographie  94. 

Histothriptoren  220. 

Hoden,  Excision  409. 

Hüftgelenk,  Resection  525.  —  con- 
genitale Luxation  525.  —  Arthrotomie 
528.  —  Exarticulation  nach  Kocher 
597.  —  Exstirpationsmethode  nach 
Rose  598. 

Hydrocele,  Operation  der  357. 

Hypophysen- Tumor,  Entfernung  des 

135- 
Hy pochondrium  338. 
Hypogastrium  351.  —  Normalschnitt 

352. 

I  und  J. 

Jaboulay,  seine  Exarticulatio  inter- 
ilio-abdominalis  603. 

Ikterus  bei  Gallensteinen  343. 

Jejunostomie  388. 

Incisionen,  Allgemeines  2.  —  der 
Zunge  167. 

Infectionen,  Contact-  43.  —  Luft- 
53.  —  Implantations-  55.  —  Läsions- 
—  58.  ■ —  Impfungs-  60.  —  Nekrosen- 
61.  —  in  Folge  von  thermischer  und 
chemischer  Schädigung  62. 

—  ihre  Verhütung  69. 

Inguinalschnitt  353. 

Interphalan  gealgelenke,  ihre 
Excision  532. 

Jodoform  68.  70. 

K. 

Kaumuskelkrampf  164. 

Keilbeinhöhle,  Eröffnung  133. 

Kiefergelenksresection  163. 

Kieferklemme  164. 

Kniegelenk,  Resection  513.  —  Ar- 
throtomie mit  lateralem  Haken- 
schnitt 514.  —  Arthrektomie  519.  — 
Amputationen  im  Bereich  desselben 
590.  —  Exarticulation  590.  — ,  un- 
regelmässige Resectionen  522. 

Kniekehle  480. 


Kniescheibe,  Resection  522. 

Kochsalzlösung  62. 

Kothfistel,  Anlegung  383.  —  Indi- 
cation  und  Technik  383. 

Kopf,  Gesichtstheil  127.  —  Schädel- 
theil  85. 

Kropf  siehe  Struma. 

Kropfgeschwülste,  Excision  ent- 
zündeter und  maligner  228. 

Kropf löffel  225. 

Kropffasszange  225. 

Kryoskopie  274. 

L. 

Lagerung  38. 

Laminektomie,Eröffnungder  Rück- 
gratshöhle 268. 

Lange'  sehe   Spaltrichtungslinien   70. 

Laparotomie  bei  Bauchfelltuber- 
culose  286. 

Laparotomia  transthoracica  252. 

Laryngectomia  partialis  203.  — 
totalis  203. 

Laryngotomia  mediana  201.  —  Indura- 
tionen 201.  —  Technik  202.  —  Anästhe- 
sirung  203.   —  Nachbehandlung  203. 

Leistendrüse, ihre  Ausräumung 353. 

Leistengegend  464. 

Leistenhernien,  ihre  Radicalope- 
ration  357.  —  Herniotomia  inguinalis 
357.  —  Invaginationsverlagerung  360. 

—  laterale  Verlagerungsmethode  358. 

—  nach  Bassini  365.  — ,  plastische 
Methode  bei  366.  —  Localanästhesie 
bei  366.  —  directe  Leistenbrüche  368, 
bei  Frauen  368. 

Leistencanal  354.  358. 

Leistenschnitt  353. 

Ligamentum  rotundum,  seine  Ver- 
kürzung, ALEXANDER'sche  Operation 
368. 

Ligaturfäden,  ihre  antiseptische 
Herstellung  57. 

Lisfranc'sche  Exarticulation  am 
Fusse  575. 

Lithothrypsia  perinealis  406. 

Litholapaxie  407. 

Lithotomia  transduodenalis  345. 

Luftinfection  53. 

Lumbalpunction  268. 

Lungen  Chirurgie  255. 

Luxationsmethode  nach  Resectio- 
nen 500. 


624 


Register. 


M. 

Magendarmkanaloperationen 

287. 
May  dl 'sehe  Operation  403.   —   nach 

Peterson  modificirt  404 
Mediastinotomie,  collare  296.  — 

dorsal  267. 
Mediastinum  anticum,  Eröffnung 267. 
—  posticum,   Chirurgie   desselben  264. 

— ,  Indicationen  264. 
M  e  r  a  1  g  i  a  paraesthetica  (Bernhardt) 

478. 
Mesogastrium  349. 
Metacarp  alknochen,  Excision532. 
Metacarpo-Phalangealgelenke, 

Excision  532. 
Metatarsalknochen,  Excision  500. 
Mittelohrräume,     Freilegung    der 

121. 
Mittelohreiterung  J22.  124. 
Morbus  Addis  oni,    Operation  bei 

276. 
Morphium  24.  26.  30. 
Mundboden,  Incisionen  am  167. 
Mundhöhle,  breite  Eröffnung  der  164. 
Murphy-Knopf  335.   336.   348.   393. 

397- 
Myotomie,     bei    Drehkrampf     des 
Kopfes  236. 

N. 

Nabelhernien,  Radicaloperation 350. 

Nackengegend  236. 

Narbencallus  566. 

Narbenzerrungen  570. 

Narkose,  mit  Aether  18.  — ,  Contra- 
indicationen  21. 

— ,  mit  Chloroform  12.  — ,  Contraindi- 
cationen    17. 

— ,  combinirte  24. 

— ,  Morphium  26.  30. 

— ,  Bromäthyl  22. 

Nase,  Operationen  an  der  131. 

— ,  mediane  Spaltung  131.  —  seitliche 
Spaltung  mittelst  paramedianen 
Schnittes  131.  —  mit  partieller  Ober- 
kieferresection  132.  —  durch  Frei- 
legung des  Nasendaches  und  der 
Schädelbasis  132.  —  durch  osteo- 
plastische Resection  beider  Ober- 
kiefer 133. 

Nebenniere,  Excision  276. 


Nephrektomie  274.  —  Indicationen 
274.  —  bei  Infectionsprocessen  275. 
—  bei  grossen  Tumoren  275. 

—  s.  a.  Ureterotomia  anterior. 
Nephropexie  273. 
Nephrorhaphie  273. 
Nephrotomie,  Indicationen  269.  — , 

Technik  271.  —  Vorbereitung  273. 

Nervus  accessorius,  Freilegung  184. 
— ,  Freilegung  seines  Ramus  externus 
194.  234. 

Nervi  alveolares  superiores,  Schnitt- 
methode nach  von  Langenbeck  142. 

Nervus  alveolaris  inferior  145.  — , 
Auffindung  nach  Paravicini  147. 

—  auricularis  magnus  186.  234. 

—  auriculo-temporalis  85.  148. 

—  axillaris  235.  437.  438. 

—  buccinatorius  148. 

—  cruralis  477. 

—  cutaneus  palmaris  451. 

femoris  posticus  464.  —  lateralis 

467,  477- 
internus,  am  Arm  441.  —  medius 

441. 

palmaris  451. 

radialis  inferior  443. 

—  ethmoidalis  88. 

—  facialis  138. 

—  frontalis  88. 

—  genito-cruralis  467. 

—  hypoglossus  180.  —  Freilegung  183. 

—  inframaxillaris  148. 

—  intercostalis  238. 

—  interosseus  des  Medianus  451. 

—  ischiadicus  464.  478. 

—  laryngeus  superior  184. 

—  lingualis  147.  —  Freilegung  vom  Hals 
aus  184. 

—  medianus,  am  Oberarm  442.  —  in 
Ellenbogengegend  445.  —  am  Vorder- 
arm 451.  —  über  dem  Handgelenk 
451.  —  an  der  Volarseite  der  Hand 
455.  —  sein  Nervus  interosseus  451, 
radialer  Ast  460.  —  unter  der  Cla- 
vicula  432.  437. 

—  mentalis  145. 

—  musculo-cutaneus  444. 

—  obturatorius  470. 
Nervus  occipitalis  major  90. 
minor  90.  186. 

—  orbitalis,  Resection  142. 

—  peroneus  480. 


Register. 


62.S 


Nervus  communicans  peroneus  481. 

—  profundus  483. 

—  superficialis  485. 

—  plantaris  internus  490. 
externus  491. 

—  pudendus  internus  415. 

—  radialis  in  der  Achselhöhle  437. 
am  Oberarm  441.  443. 

—  —  in  der  Ellenbogengegend  446. 
ramus  profundus  453. 

—  —  dorsalis  458. 

—  saphenus  internus  über  dem  Cön- 
dylus  internus  477. 

— am  Knie  und  Unterschenkel  489. 

—  —  externus  490. 

—  spermaticus  internus  467. 

—  subcutaneus  colli  186.  194. 

—  subscapularis  235.  438. 

—  supramaxillaris  142. 

—  supraorbitalis  87. 

—  suprascapularis  235.  264. 

—  suralis  lateralis  481. 
externus  489. 

—  —  medius  480.  490. 

Nervi  thoracici  anteriores  236.  435. 
Nervus   thoracicus    posticus   (longus) 

235. 

—  tibialis  posticus  490. 

—  trigeminus  139.  —  ramus  I  118.  — 
ramus  II,  Dehnung  139.  —  Resec- 
tion  142.  —  ramus  III  145.  —  des 
Stammes  155. 

—  ulnaris,  Achselhöhle  437. 

—  — ,  Oberarm  443. 

,  Ellenbogengegend  445. 

ramus  dorsalis  458. 

in  der  Vola  manus  460. 

—  vagus,  Resection  194. 
Neurexeresis  142. 
Nierenbeckeneröffnung  272. 
Nierenschnitt   nach   Tuffier   272. 
Normalschnitte  75. 

—  für  das  obere  Halsdreieck  176. 

—  für  das  untere  Halsdreieck  231. 

—  für  die  Lendengegend  271. 

O. 

Oberarm  440. 

— ,  Amputation  610. 

— ,  Exarticulation  611. 

— ,  Resection  in  der  Diaphyse  545. 

— ,  Resection  des  Gelenkes  545. 

Kocher,  Chirurgische  Operationslehre.    IV 


Oberkiefer,  Methode  der  Resection 

155- 

Oberschenkel,  Amputation  592. 

— ,  Rückfläche  478. 

— ,  Vorderfläche  472. 

Occipitalneuralgien  186. 

Oesophagektomie  197. 

Oesophag  otomie  197.  —  Technik 
197.  —  Behandlung   198. 

Oesophagoduodenostomosis  333. 

Ohnmachtszufälle  29. 

Omentopexie  286. 

Omphalektomie  350. 

Orbita,  Operationen  der  136. 

Os  sacrum,  Totalresection  532. 

Osteoplastische  Stümpfe  bei  Am- 
putationen nach  Bier  570.  —  nach 
Mikulicz  573. 

Osteotomia  femoris  523. 

subtrochanterica  524. 

—  —  supracondylica  523. 

tibiae  522. 

Otitische  Hirncomplicationen,  Ope- 
ration bei  125. 

Ozaena,  Operationen  bei  131. 


Pars  membranacea  urethrae,  Frei- 
legung 408. 

—  prostatica  urethrae,  Freilegung  408. 

Periappendicitis  purulenta  377. 

Pericard,  seine  Eröffnung  258. 

Pericardi  ocent  esis  257. 

Peric  ardiotomie  258. 

Pericarditis,  Operation  bei  262. 

Perinaeum  406. 

Peris trumitis  adhaesiva  222. 

Peritonealadhäsionen,  Laparo- 
tomie bei  286. 

Peritonitis,  Behandlung  der  285.  — 
diffusa  379.  —  Laparotomie   bei  284. 

Perityphlitis  377. 

Pes  varus,  Keilexcision  503. 

Phalangen,  Excision  der  532. 

Pharyngotomia  lateralis  191.  — 
subhyoidea  186.  —  mediana  189.  — 
Nachbehandlung  189. 

Pirogoff,  seine  Amputatio  pedis 
osteoplastica    583.  —  Modificationen 

584. 
Pleurahöhle,   Punction  der  245.  — 
ihre  Punctionsdrainage  nach  Bülau 


Aufl. 


40 


626 


Register. 


245.  —  ihre  Eröffnung  durch  Rippen- 
resection  246. 

Pleurotomie  246. 

Plexus  axillaris  432.  —  brachialis  234. 

Pn  eumoplas  tik  249. 

Potain 'scher  Aspirator  245.  401. 

Processsus  mastoideus,  seine  Er- 
öffnung 122.  —  mit  KoCHER'schem 
Ohrmuschelschnitt  123.  —  Radical- 
operation  nach  Stacke  124.  —  bei 
otitischen  Hirncomplicationen  125. 

—  vermiformis,    Resection  im  Intervall 

372.  —  bei  bestehender  Entzündung 

373.  —  Abscesse  in  Folge  von  Per- 
foration 377.  —  secundäre  Radical- 
operation  desselben  378. 

Prolapsus   ani  et  recti  418. 

—  uteri,  ALEXANDER'sche  Operation  368. 
Prostata  408.  —  Zugänglichmachung 

der  406. 
Prosta  tectomia  totalis  414. 
Prostatotomie  414. 
Punction    des    Herzbeutels    257.    — 

der  Blase  401.  —  des  Abdomen  351. 

—  der  Seitenventrikel  104. 
Punctions  drain  age    nach    Bülau 

245- 
Pylorektomie  316. 

R. 

Radical  Operationen  des  Sinus 
frontalis  120.  —  bei  Mittelohr eite- 
rungen  124. 

Radius-  Resectionen  539. 

Rectopexie   bei  Prolapsus    ani  418.   | 

Rectum,  seine  totale  Exstirpation4i9- 

—  coccygeale  Methode  424. 
Resectionen,    Allgemeines  495.    — 

atypische  496.  —  subcorticale,  sub- 
periostale 497.  —  empfehlenswertheste 
Methode  497.  —  Schnittführung  498. 

—  Nachbehandlung  499.  —  an  der 
unteren  Extremität  500.  —  an  der 
oberen  Extremität  533. 

—  am  Dickdarm  394. 

—  articulationis     acromio  -  clavicularis 

553-  554- 

—  articulationum  digitorum  532. 

—  articulationis  humeri  545.  —  von 
vorne  bei  Erkrankung  des  Humerus- 
kopfes  545.  —  von  hinten  bei  Er- 
krankung der  Pfanne  548. 


Resectio  articulationis  sterno-clavi- 
cularis  553. 

—  claviculae  553.  —  temporäre  zur  Aus- 
räumung der  Fossa  supraclavicularis 
244. 

—  coli  sigmoidei  und  pelvini  395. 

—  costae  246.  —  mehrerer  Rippen  247. 

—  subperiostale  von  innen  249. 

—  coxae  525. 

—  cubiti  54°- 

—  vom  Darm,  Allgemeines  388.  — 
Darmiiaht  392 

—  cuneiformis  femoris  subtrochanterica 
524.  —  tibiae  522. 

—  des  Dünndarmes  389.  -  Regeln  für 
dieselbe  390. 

—  des  Oberkiefers  155.  —  subperiostale 
158.  —  osteoplastische  Totalresection 
:59-  —  partielle   osteoplastische   160. 

—  des    unteren    Unterschenkeldrittels 

513- 

—  des  Unterkiefers,  Methoden  161.  — 
subperiostale  162.  —  osteoplastische 
162. 

—  diaphyseos  femoris  525.   —  humeri 

545- 

—  des  Kiefergelenks  163. 

—  einer  Beckenhälfte  530. 

—  fibulae  513. 

—  genu  513.  —  Methoden  514.  —  mit 
lateralem  Hakenschnitt  514.  —  Tech- 
nik 517.  —  Nachbehandlung  520. 

—  hepatis  347. 

—  humeri,  von  vorne  545.  —  von 
hinten  548. 

—  ileo-coecalis  381. 

—  manus  533.  —  mit  dorso-radialem 
Schnitt  534.  —  mit  dorso-ulnarem 
Schnitt  535.  —  nach  Catterina  538. 

—  Nachbehandlung  539. 

—  medio-tarsea  502. 

—  metatorso-tarsea  500. 

—  patellae  522. 

—  pedis  507.  —  Uebersicht  der  Schnitt- 
führung 508.  —  Nachbehandlung  511. 

—  phalangum  605. 

—  pylori  317. 

—  radii  539. 

—  recti  428. 

—  scapulae  554. 

—  tarso  calcanea  507. 

—  tarsea  anterior,  posterior  507.  — 
totalis  (Wladimiroff-Mikulicz)  511. 


Register. 


627 


Resectio  tibiae  513. 

— ,  grössere    Stücke    der   Thoraxwand 

245- 

—  symphyseos   bei  Blaseneröffnungen 

—  ulnae  539. 

Respiration,  künstliche  31. 
Retroösophagealabscesse,    Er- 
öffnung von  aussen  her  199. 

Retroph  arynge  alabscesse,  Er- 
öffnung von  aussen  her  198. 

Retroversio  uteri]   Operation    der- 

Retroflexio  uteri/       selben    368. 

Roux'sche  Methode  bei  Gastroenter- 
ostomie 305.    Technik  312. 

R  ücken  262. 

Rückenmarkshöhle,  Eröffnung 
268. 

s. 

Sacralgegend  416. 
Samenblasen,  Freilegung  409. 
Samenstrang  354. 
Sarcoma  claviculae  554. 
Schädel,  Weichtheilsbedeckung  85. 
Schädeldefecte,       die      Deckung 

knöcherner     108.    —    autoplastische 

108.  —  heteroplastische  Methode  109. 
Schädeleröffnung  91. 
Schädelresection,       ausgedehnte 

100.  —  osteoplastische  101. 
Schenkelhernien,     Radicalopera- 

tion  366.  —  mit  breiter  Basis  368. 
S  c  a  p  u  1  a ,  Resection  und  Totalexcision 

554- 

Schilddrüsenarterien,  Unter- 
bindungen 228. 

Schleich' sehe  Infiltrationsanästhe- 
sie 4. 

Schnittrichtung  70. 

Schultergegend  432. 

Schultergelenk,  Resection  545. 

Secundärnaht  69. 

Secundäre  Radicaloperation  des 
Proc.  vermiformis  378. 

Secundärreposition  nach  Resec- 
tionen  500. 

Sehnennaht  an  Hand  und  Fingern 
461. 

Sehnenplastik  461 . 

Seitenventrikel,  Punction  des  104. 

Septum  narium,  Spaltung  131. 

Shock  bei  Laparotomien  285. 

Siebbein  höhlen,  Eröffnung  133. 


Sigmoideorektostomie  430. 
Sinus   frontalis,   Eröffnung  118.  — 

Radicaloperation    120.    —    longitudi- 

nalis,  trans versus  107. 
Spaltrichtungen  der  Haut  70. 
Spermatocystektomie      409.     — 

paramediane     Methode    nach    Roux 

412. 
Splenektomie  277. 
Splenopexie  286. 
Sterilisation  43. 
Struma  205    —  Grenzen  der  Exstir- 

pation  206.  —  Excision  mittels  queren 

Bogenschnitts    (Kragenschnitts)    209. 

—    mittels    Winkelschnitts    216.    — 

Enucleation  218.  —  Resection  219.  — 

Enucleationsresection    und  -Excision 

220.  —  Exenteration  222. 

—  interthoracica  224. 

—  reeidiva  226. 

— ,  Excision  entzündeter  und  maligner 
Kropfgeschwülste  228.  —  Narkose  bei 
Kropfoperationen  229.  —  Tracheo- 
tomie  bei  Kropfoperationen  200. 

Sudeck'sche  Methode  bei  Schädel- 
resection 102. 

Suprasymphysäre  Fascienquer- 
schnitte  281. 

Syme,  Exarticulatio  pedis  580. 

Symphysenresection  bei  Blasen- 
eröffnungen 400. 

T. 

Talma'sche  Operation  286. 

T  a  1  u  s  -  Excision  505. 

Tarsectomia  anterior  500.  —  nach 
Catterina  502. 

Tenotomie  der  Achillessehne  bei 
Klumpfuss  504. 

Th  or  acocentesis  245. 

Thoracoplastik  249. 

Thoracotomie  249. 

Thorax  236. 

Thoraxwand,  Chirurgie  derselben 
245.  —  Resection  grösserer  Stücke 
der  Thoraxwand  249.  —  nach  Schede 
249. 

Tonsill  entumoren -Excision  175. 

Tonsillotomie  175. 

Trachealkanüle  203. 

Tracheotomia  superior  199.  —  in- 
ferior 201. 

40* 


628 


Register. 


Trachealtamponade  168. 
Tracheotomie    bei    Laryngotomie 

202.  —  bei  Kropfoperationen  200. 
Transfusion  32.  34. 
Transplantation    von    Mesocolon 

bei  Gastroplastik  337.   —  von   Netz 

bei  Gastroplastik  337. 
Trepanation  91.  —  explorative  104. 

—  des  Sinus  longitudinalis  110.  — 
des  Sinus  trans versus  110.  —  des 
Sinus  frontalis  118.  —  bei  intracra- 
nieller  Blutung  113.  —  zur  Freilegung 
der  Art.  meningea  media  und  ihrer 
Hämatome  115.  —  des  Processus 
mastoideus  122.  —  bei  Hirnabscessen 
126. 

Tropacocain  11. 

Truncus  tibio-peronealis  485. 

Tuberculum  Lisfrancii  234. 

T  u  f  f  i  e  r '  scher     Sectionsschnitt     der 

Niere  272. 
Tumoren  der  Clavicula  554. 
Tunica  vaginalis,  Excision  357. 

U. 

Ulna,  ihre  Resectionen  539. 

Unterschenkel,  Rück-  und  Innen- 
fläche 485.  —  Vorder-  und  Aussen- 
fläche  481.  —  Resection  des  unteren 
Drittels  513.  —  osteoplastische  Ampu- 
tation nach  Bier  584.  —  nach  Bunge 

585. 

Unterkiefer,  Resection  121.  —  des 
aufsteigenden  Astes  163.  —  Trennung 
vor  dem  aufsteigenden  Ast  163. 

Ureter  467,  ihre  Chirurgie  401. 

Ureterenkatheterismus  275. 

Uretero-Cysto-Neostomie    401. 

—  Technik  402. 

Ureteropla  stik403.  — Implantation 

in  den  Darm  404. 
Ureter ektomie  276. 
Ureterotomia  anterior  276. 

—  posterior  277. 

—  inferior  277. 
Uretero-Trigono-sigmoideo- 

stomie  403. 


Urethra,  Freilegung  der  Pars  mem- 
branacea  und  prostatica  408. 

Urethrotomia  externa,  Indicationen 
407. 

—  interna  407. 
Uterus  368. 

V. 

Varicor. ele  356. 

Vasa  d^erentia,   Freilegung  408.  409. 

—  spermatica  interna  467. 
Vasectomia  totalis  412.  413. 
Vena  jugularis  communis  und  interna, 

Unterbindung  184.  —  saphena  major, 
Ligirung  nach  Trendelenburg  und 
Casati  472. 
Vorderarm,  Volarfläche  446.  —  In- 
cisionen  an  446.  —  Dorsalfiäche  453. 
—  Amputation  607. 

W. 

Wangenschnitt,  querer  164. 

Weichtheilsbedeckung  des  Schä- 
dels 85. 

Whiteh  ead'sche  Excisionsmethode 
bei  Hämorrhoiden  417. 

Wiederbelebung  durch  künstliche 
Athmung  31.  —  durch  Transfusion 
34.  —  durch  Herzmassage  35.  36. 

Witzel'sche  Methode  der  Gastro- 
stomie 224. 

Wundbehandlung    40.     —     offene 

66.  —   durch  Excision   einer  Wunde 

67.  —  zusammenfassend  69. 
Wunde  inficirte  64.  —  infectionsver- 

dächtige  59. 

Z. 

Zehen,  Abtragung  mit  und  ohne 
Metatarsalknochen  573.  —  Exarticu- 
lation  sämmtlicher  573.  —  Excision 
der  Phalangen  500. 

Zunge,  Incisionen  167.  —  Excisionen 
167.  —  bei  gleichzeitiger  Kiefer- 
erkrankung 172.  —  Excisio  carcinom. 
linguae  174. 

Zungenbein,  mediane  Spaltung  205. 


Frommannsche  Buchdruckerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena.  —  2192 


Mw 


***a