Skip to main content

Full text of "Die Natugeschichte des Cajus Plinius Secundus : ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen"

See other formats


J\i  D.  H.  HILL  LIBI^;^ 

NORTH    C;«0Lm>4    STATE    C0LLC6E 


ENT0M0L0eiC4L  COLLECTION 


This  book  may  be  kept  out  TWO  WEEKS 
ONLY,  and  is  subject  to  a  fine  of  FIVE 
CENTS  a  day  thereafter.  It  is  due  on  the 
day  indicated  below: 


50M— May-54 — Form    3 


DIE  NATURGESCHICHTE 


DES 


CAJÜS  PLINIÜS  SECÜNDÜS. 


DRITTER  BAND. 


DIE 

NATURGESCHICHTE 

-  DES 

CA  JUS  PLINIUS  SECÜIDÜS. 


INS  DEUTSCHE   ÜBERSETZT 
UND   MIT   ANMERKUNGEN    VERSEHEN 


Prof.  Dr.  G.   C.  WITTSTEIN 

in  München. 


DEITTER  BAND: 

(XII- XIX.  Buch) 
Naturgeschichte  der  Pflanzen. 


LEIPZIG. 

Druck  und  Verlag  von  Gressner  &  Schramm. 


Zwölftes  Euch. 


Von  den  Bäumen. 

1. 
So  verhält  es  sieh  mit  den  Gattungen  und  G-lied- 
maassen  aller  Tbiere,  von  denen  wir  haben  Kenntniss 
erlangen  können.  Es  bleiben  uns  nun  noch  diejenigen 
Naturwunder  übrig,  denen  zwar  auch  die  Seele  nicht  fehlt 
(denn  ohne  sie  ist  nichts  lebensfähig),  welche  aber  aus 
der  Erde  hervorgehen,  und  diese  wollen  wir  jetzt  in  Be- 
tracht ziehen,  damit  kein  Werk  der  Natur  mit  Stillschwei- 
gen übergangen  werde.  Lange  Zeit  blieben  die  Wohl- 
thaten  der  Natur  verborgen,  und  die  Menschen  sahen  nur 
Bäume  und  Wälder  als  das  höchste  ihnen  verliehene  Ge- 
schenk an;  hiervon  nahmen  sie  ihre  erste  Nahrung,  von 
ihrem  Laube  machten  sie  sich  ein  weicheres  Lager,  von 
ihrem  Baste  Kleider;  und  noch  jetzt  leben  manche  Völker 
auf  diese  Weise.  Um  so  mehr  muss  man  sich  wundern, 
dass  schon  von  jener  Zeit  an  Berge  zu  Marmorwänden 
ausgehauen,  Kleider  von  den  Serern  geholt,  Perlen  in  der 
Tiefe  des  rotheu  Meeres  und  Smaragde  im  Schoosse  der 
Erde  gesucht  worden  sind.  Dazu  erdachte  man  noch 
Wunden  in  die  Ohren,  vielleicht  weil  es  zu  wenig  war, 
Schmuck  an  den  Händen,  am  Halse  und  in  den  Haaren 
zu  tragen,  wenn  der  Körper  nicht  auch  deshalb  angebohrt 
würde.  Daher  scheint  es  billig,  dass  wir  der  Ordnung  des 
Lebens  folgen  und  zuerst  von  den  Bäumen  reden,  um  so 
den  Sitten  ihren  ersten  Anfang  zu  zeigen. 

Wittstein:  Plinius.     HI.  Bd.  1 


2  Zwölftes  Buch. 

2. 
Die  Bäume  waren  die  Tempel  der  Götter,  und  noch 
jetzt  weihen,  nach  alter  Weise,  die  einfachen  Landleute 
einen  schönen  Baum  der  Gottheit.  Wir  verehren  die  von 
Gold  und  Elfenbein  schimmernden  Bilder  nicht  mehr  als 
die  Haine,  und  die  in  ihnen  herrschende  Stille.  Diejenigen 
Baumgattungen,  welche  gewissen  Gottheiten  ausschliesslich 
geweihet  sind,  werden  beständig  so  beibehalten,  z.  B.  die 
Speiseeiche  i)  dem  Jupiter,  der  Lorbeerbaum  dem  Apollo, 
der  Oelbaum  der  Minerva,  die  Myrte  der  Venus,  die 
Pappel  dem  Herkules.  Ja  wir  glauben,  dass  die  Sjivane, 
Faune,  und  mehrere  Göttinnen  den  Wäldern  als  eigenthüm- 
liche  Gottheiten,  ebenso  wie  der  Himmel  die  seiuigen  hat, 
zugetheilt  sind.  Die  Bäume  haben  nachher  durch  die  an- 
genehmen Säfte  ihrer  Früchte  den  Menschen  milder  gemacht» 
Von  ihnen  kommt  das  die  Glieder  erquiekende  Oel  und 
der  die  Kräfte  stärkende  Trank  des  Weines;  ferner  so 
viele  jährlich  von  selbst  wachsende  wohlschmeckende 
Sachen,  und  die  auch  noch  jetzt  gebräuchlichen  Nachtische 
(obgleich  man  ihretwegen  mit  wilden  Thieren  kämpft,  und 
die  mit  den  Leibern  der  Schiffbrüchigen  gemästeten  Fische 
aufsucht).  Ausserdem  verschaffen  sie  uns  tausendfältigen 
Nutzen,  ohne  welchen  wir  nicht  leben  könnten.  Mit  einem 
Baume  durchschneiden  wir  die  Meere  und  nähern  uns  an- 
dern Ländern;  aus  Bäumen  erbauen  wir  unsere  Wohnungen. 
Aus  Bäumen  wurden  auch  früher  die  Bilder  der  Götter 
geschnitzt,  als  noch  keine  Preise  für  die  Leiber  ungeheuerer 
Thiere  erdacht  waren,  bevor  man  noch,  gleichsam  als  ob 
das  Recht  der  Schvvelgerei  von  den  Göttern  herkäme,  aus 
ein  und  demselben  Elfenbeine  die  Gesichter  der  Götter 
und  die  Füsse  der  Tische  sah.  Mau  sagt,  die  Gallier^ 
deren  Gebiet  durch  die  Alpen,  dieses  unüberwindliche 
Bollwerk,  eingeschlossen  ist,  hätten  sich  zuerst  vorgenom- 
men Italien  zu  überströmen,  als  Helico,  einer  von  ihren 
Landsleuten  aus  Helvetien,  welcher  sich  der  Schmiedekunst 


*)  Esculus.    Quercus  Esculus  L. 


Zwölftes  Buch.  3 

wegen  in  Rom  aufgehalten  hatte,  eine  trockne  Feige,  eine 
Traube,  und  vom  besten  Oel  und  Weine  bei  seiner  Rück- 
kehr mit  in  die  Heimath  brachte.  Daher  mag  es  ent- 
schuldigt werden,  dass  man  dergleichen  sogar  durch  Krieg 
zu  erhalten  sucht. 

3. 

Aber  wer  sollte  sich  nicht  mit  Recht  darüber  wun- 
dern, dass  man  einen  Baum  bloss  seines  Schattens  wegen 
aus  einem  andern  Welttheile  geholt  hat?  Dieser  Baum 
ist  die  Platane  i),  welcher  über  das  ionische  Meer  zuerst 
auf  die  Insel  des  Diomedes  wegen  dessen  Grabhügels  ge- 
bracht, von  da  nach  Sicilien  verpflanzt,  sodann,  und  zwar 
unter  allen  fremden  Bäumen  am  frühesten  nach  Italien, 
und  jetzt  schon  bis  in  das  Gebiet  der  Moriner,  welches 
ebenfalls  zum  zinsbaren  Grunde  gehört,  gewandert  ist, 
sodass  die  Völker  selbst  für  seinen  Schatten  Steuer  geben. 
Der  ältere  Dionysius,  Tyrann  von  Sicilien,  hat  sie  in  die 
Stadt  Rhegium  gebracht;  sie  waren  dort  eine  merkwürdige 
Erscheinung  bei  seinem  Hause,  w^orin  später  eine  Fechter- 
schule eingerichtet  wurde,  und  mehrere  Schriftsteller  führen 
an,  sie  hätten  nicht  an  Umfang  zunehmen  können,  auch 
habe  es  damals  noch  andere  in  Italien,  und  namentlich 
aus  Spanien  eingeführte,  gegeben. 

4. 

Diess  geschah  ungefähr  um  die  Zeit  der  Einnahme 
Rom's.  Später  ist  das  Ansehen  dieser  Bäume  so  sehr  ge- 
stiegen, dass  man  sie  mit  lauterm  Weine  begiesst,  weil 
man  wahrgenommen,  dass  dieser  den  Wurzeln  am  besten 
zusagt.  So  haben  wir  denn  sogar  Bäumen  das  Weiutrinken 
gelehrt! 

5. 

Den  ersten  Ruf  haben  die  Platanen  in  der  Allee  der 
Academie  zu  Athen  erlangt,  denn  sie  messen  dort  von  der 
Wurzel  bis  zur  ersten  Verzweigung  33  Cubitus.  In  Lycicu 
steht  eine  berühmte  Platane  in   der  Nähe  einer  liebliclien 


*)  Platanus  orientalis  L. 


4  Zwölftes  Buch. 

kalten  Quelle,  am  Wege,  deren  Stamm  zu  einer  Wohnung- 
ausgehöhlt  ist,  die  81  Fuss  misst:  sie  hat  gewaltige,  Bäu- 
men gleichende  Aeste,  ihr  waldiger  Gipfel  bedeckt  durch 
den  Schatten  ganze  Felder,  und  um  das  Bild  einer  Grotte 
zu  vollenden,  so  wird  sie  im  Innern  durch  einen  Kreis  von 
Mauerwerk  aus  bemoosten  Sandsteinen  eingeschlossen. 
Dieser  Baum  war  ein  solcher  Gegenstand  der  Bewun- 
derung, dass  Licinius  Mutianus,  welcher  dreimal  Consul 
und  vor  Kurzem  Statthalter  in  jener  Provinz  war,  der 
Nachwelt  berichten  zu  müssen  glaubte,  er  habe  in  demsel- 
ben mit  18  seiner  Begleiter  gespeist,  das  Laub  ihnen 
allen  bequeme  Sitze  verschafft,  sie  seien  vor  jedem  Winde 
geschützt  gewesen,  er  habe  sich  das  Rauschen  des  Eegeus 
durch  die  Blätter  gewünscht,  und  vergnügter  in  ihm  ge- 
sessen als  beim  Glänze  des  Marmors ,  vielen  Gemälden 
und  goldenen  Decken.  Ein  anderes  Beispiel  der  Art  haben 
wir  vom  Prinzen  Cajus,  welcher  *im  veliternischen  Gebiete 
an  einem  solchen  Baume  die  verschiedenen  Stockwerke 
und  die  auf  den  als  Balken  dienenden  Aesten  freistehenden 
Bänke  bewunderte,  auch  auf  demselben  auf  einem  Räume 
der  15  Gäste  und  die  Dienerschaft  fasste,  ein  Gastmahl 
gab,  welches  er  mit  dem  Namen  „das  Nest"  belegte.  Zu 
Gortyna  auf  der  Insel  Greta  steht  neben  einer  Quelle  eine 
Platane,  welche  durch  mehrere  Schriften  in  beiden  Sprachen 
berühmt  geworden  ist,  und  niemals  die  Blätter  verliert, 
auch  war  das  fabelsüchtige  Griechenland  sogleich  bereit 
zu  erzählen,  Jupiter  habe  mit  der  Europa  unter  ihr  zuge- 
bracht. Als  wenn  nicht  andere  derselben  Art  sich  auch  in 
Cypern  befänden!  Von  jenen  Baume  aber  sind  zuerst  auf 
Greta  selbst  andere  Platanen  gezogen  (wie  denn  die  Men- 
schen immer  nach  Neuem  haschen)  und  haben  obige  Sage 
erneuert,  obgleich  dieser  Baum  sich  eben  durch  nichts  an- 
deres besonders  auszeichnet,  als  dass  er  im  Sommer  die 
Sonne  abhält  und  im  Winter  zulässt.  Hernach  brachte, 
unter  der  Regierung  des  Kaiser  Glaudius,  ein  Freigelasse- 
ner des  Marcellus  Aeserninus,  der  sich  aber  seiner  Macht 
wegen  unter  die  Freigelassenen  des  Kaisers   hatte  rechneu 


Zwölftes  Buch.  5 

lassen,  und  ein  reicher  Verschnittener  aus  Thessalien  war, 
diesen  Baum  nach  Italien  und  auf  seine  Landgüter,  so 
dass  er  mit  Kecht  den  Namen  Dionysius  verdiente.  Es 
giebt  auch  noch  jetzt  manche  Wunderdinge  anderer  Län- 
der in  Italien,  nicht  zu  gedenken  derer,  die  Italien  selbst 
ausgedacht  hat. 

6. 

Diejenigen  Platanen ,  welche  man  mit  Fleiss  nicht 
hoch  wachsen  lässt,  nennt  man  Zwergplatanen  i);  wir 
finden  nämlich  auch  unter  den  Bäumen  Missgeburteu,  und 
diesen  kann  man  überhaupt  den  Namen  Zwergbildungen 
geben.  Man  bringt  sie  aber  durch  Säen  und  Beschneiden 
hervor.  C.  Matius  ein  Ritter  und  Freund  des  Kaiser  Au- 
gustus  hat  innerhalb  der  letztverflossenen  Jahre  zuerst  das 
Beschneiden  der  Bäume  eingeführt. 

7. 

Fremd  sind  die  Kirschen-  und  Pfirsichbäume  nebst 
allen  solchen,  deren  Namen  griechisch  oder  ausländisch; 
diejenigen  aber,  welche  unter  dieser  Zahl  schon  bei  uns 
einheimisch  geworden,  werde  ich  unter  den  fruchttragenden 
anführen.  Gegenwärtig  wollen  wir  die  auswärtigen  durch- 
geben, und  dabei  der  Heilkräftigen  zuerst  gedenken.  Der 
assyrische  Apfelbaum 2),  welchen  Einige  den  medischen 
nennen,  enthält  ein  Arzneimittel  gegen  Gifte.  Sein  Blatt 
gleicht  dem  des  Unedo  3),  besonders  durch  die  darin  befind- 
lichen Rippen.  Der  Apfel  selbst  wird  sonst  nicht  gegessen, 
aber  sein  Geruch  übertrifft  selbst  den  der  Blätter,  zieht  in 
die  Kleider,  wenn  man  ihn  dazwischen  legt,  und  hält  das 
Ungeziefer  ab.  Der  Baum  trägt  beständig  Früchte,  während 
die  einen  abfallen,  werden  die  andern  reif  und  noch  andere 
entstehen.  Mehrere  Völker  haben  versucht,  diesen  Baum 
wegen  seiner  vortrefflichen  Heilkraft  in  irdenen  Gefässen, 
welche   mit  Luftlöchern   für   die  Wurzeln  versehen   waren, 


')  Chamaeplatani. 

2)  Malus  assyria.  Diess  ist  die  Pompelmuse:  Citrus  decumana  L. 

3)  Unedo.    Arbutus  Unedo  L. 


6  Zwölftes  Buch. 

ZU  sich  zu  bringen,  und  man  wird  woliltliun,  sich  ein  für 
alle  Male  zu  merken,  dass  auf  diese  Weise  alles,  was 
weiter  verschickt  werden  soll,  aufs  engste  verpflanzt  und 
verpackt  werden  kann.  Doch  hat  er  nirgends  als  in  Me- 
dien und  Persien  gedeihen  wollen.  Diess  ist  aber  derselbe 
Baum,  von  dem  wir  gesagt  haben  ^),  dass  die  vornehmen 
Parther  dessen  Kerne  mit  ihren  Speisen  kochen,  damit  ihr 
Athem  einen  angenehmen  Geruch  bekommen.  In  Medien 
preist  man  ausser  ihm  keinen  andern  Baum. 

8. 
Von  den  wolletragenden  Bäumen  der  Serer  haben  wir 
bei  Erwähnung  dieses  Volkes  gesprochen;  desgleichen  von 
der  Grösse  der  indischen  Bäume.  Einen  der  in  Indien 
einheimischen  Bäume,  den  Ebenbaum-)  rühmt  Virgil 
mit  dem  Beisatze,  er  käme  sonst  nirgends  vor.  Herodat 
hält  Aethiopien  für  das  Vaterland  desselben,  und  sagt,  die 
Aethiopier  hätten  den  Königen  von  Persien  alle  3  Jahre 
als  Tribut  100  Stämme  davon  nebst  Gold  und  Elfenbein 
geliefert.  Auch  will  ich  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  er 
sagt,  die  Aethiopier  pflegten  aus  gleicher  Ursache  20  grosse 
Elepbantenzähne  abzugeben.  In  so  grossem  Ansehen  stand 
also  das  Elfenbein  im  310.  Jahre  unserer  Stadt;  und  da- 
mals verfasste  dieser  Schriftsteller  seine  Geschichte  zu 
Thurii  in  Italien.  Um  so  merkwürdiger  ist  es,  dass  wir 
ihm  glauben,  da  er  den  Fluss  Po  gesehen  hatte,  welcher 
bis  zu  dieser  Zeit  Niemanden  in  Asien,  Griechenland  oder 
ihm  selbst  bekannt  war.  Die  Karte  von  Aethiopien,  welche, 
wie  wir  gesagt  haben,  neulich  dem  Kaiser  Nero  überbracht 
wurde,  hat  uns  gelehrt,  dass  dieser  seltene  Baum  von 
Syene,  der  Gränze  unseres  Reichs,  nach  Meroe,  896,000 
Schritte  weit  gebracht  sei  und  zu  keinem  andern  Geschlechte 
als  dem  der  Palme  gehöre.  Daher  hat  vielleicht  der  Eben- 
baum unter  den  werth vollen  Gegenständen  der  Abgaben 
den  dritten  Rang  bekommen. 


')  XI.  B.  115.  Cap. 

-)  Ebenum.     Diospyros  Ebenum  Retz. 


Zwölftes  Buch.  7 

9. 

In  Rom  zeigte  den  Ebenbaum  Pompejus  der  Grosse 
bei  seinem  Triumphe  über  Mithridates.  Fabianus  giebt  an, 
«r  brenne  nicht,  verbreite  aber  in  der  Hitze  einen  ange- 
nehmen Geruch.  Es  giebt  2  Arten;  die  seltene  und  zugleich 
bessere  ist  ein  ganz  knotenloser  Baum,  dessen  Holz  schwarz, 
glänzend  und  selbst  unverarbeitet  schön  aussieht;  die  an- 
dere ist  ein  dem  Cytisus  ^)  ähnlicher  und  in  ganz  Indien 
verbreiteter  Strauch. 

10. 

Diesem  ähnlieh  ist  ein  in  Indien  einheimisches 
Dorngewächs2),  welches  schnell  Feuer  fängt,  und  zu 
Fackeln  benutzt  wird.  Nun  will  ich  von  den  Bäumen  reden, 
welche  das  siegreiche  Heer  Alexanders  des  Grossen  be- 
wunderte, als  jener  Erdtheil  ^)  sich  ihm  öffnete. 

11. 

Der  indische  Feigenbaum^)  trägt  sehr  kleine  Früchte, 
pflanzt  sich  immer  von  selbst  fort,  und  streckt  seine  Aeste 
weithin  aus,  von  denen  die  untersten  sich  so  tief  zur  Erde 
herabneigen,  dass  sie  innerhalb  eines  Jahres  fest  wachsen, 
und  auf  diese  Weise  rund  um  den  Mutterstamm  eine  wie 
durch  Kunst  angelegte  Pflanzschule  bilden.  Innerhalb  dieser 
Umzäunung,  welche  zugleich  schattig,  und  durch  die  Stämme 
selbst  geschützt  ist,  halten  sich  die  Hirten  im  Sommer  auf. 
Im  Innern  hat  sie  ein  stattliches  Ansehen  und  von  Weiten 
sieht  das  Ganze  einem  runden  Gewölbe  gleich.  Die  obern 
Zweige  ragen  in  zahlreicher  Menge  empor,  und  der  Mutter- 
baum dehnt  sich  so  sehr  aus,  dass  er  einen  Kreis  von 
^0  Schritten  beschreibt,  sein  Schatten  aber  eine  Fläche  von 
2  Stadien  einnimmt.  Die  Blätter  haben  die  Gestalt  eines 
Amazonen-Schildes,  bedecken  wegen  ihrer  Breite  die  Früchte, 
und  sind  daher  ihrem  Wachsthum  hinderlich.    Diese  finden 


*)  Cytisus.    Medicago  arborea  L. 

2)  Spina.    Acacia  vera  W. 

3)  Nämlich  Indien. 
*)  Ficus  indica. 


8  Zwölftes  Buch. 

sich  nur  einzeln,  weiden  nicht  grösser  als  eine  Bohne,  habe» 
aber,  wenn  die  Sonne  sie  durch  die  Blätter  hindurch  zur 
Reife  gebracht  hat,  einen  sehr  süssen  Geschmack,  und  sind 
dieses  merkwürdigen  Baumes  würdig.  Er  wächst  am  häu- 
figsten am  Flusse  Acesines. 

12. 
Ein  anderer  Baum  ist  grösser,  und  übertrifft  jenen 
durch  den  angenehmen  Geschmack  seiner  Frucht,  von  der 
die  indischen  Weisen  leben.  Sein  Blatt  hat  Aebnlichkeit 
mit  den  Flügeln  der  Vögel,  ist  3  Cubitus  lang  und  2  breit. 
Die  Frucht  kommt  aus  der  Rinde,  und  schmeckt  so  ausser* 
ordentlich  süss,  dass  der  4.  Theil  von  einer  schon  sättigt. 
Der  Baum  heisst  Pala*),  die  Frucht  Ariena.  Man  trifft 
ihn  vorzüglich  in  Sydracieu,  da  wo  die  Grenze  von 
Alexanders  Eroberungen  ist.  Es  giebt  noch  einen  andern 
diesem  ähnlichen  Baum,  dessen  Frucht  noch  süsser,  aber 
den  Eingeweiden  nachtheilig  ist.  Alexander  hatte  den  Be- 
fehl gegeben,  keiner  von  seinem  Heere  sollte  davon  essen. 

13. 
Die  Macedonier  haben  verschiedene  Arten  indischer 
Bäume,  jedoch  grösstentheils  ohne  Namen,  angeführt.. 
So  sieht  einer  im  Uebrigen  der  Terebinthe,  in  der  Frucht 
aber  dem  Mandelbaume  ähnlich,  doch  ist  sie  kleiner  und 
von  sehr  angenehmem  Geschmacke.  In  Bactrien  halten 
ihn  Eiqige  eher  für  eine  besondere  Art  der  Terebinthe,. 
als  für  einen  ihr  gleichen  Baum.  Der  Baum  aber,  von  dem 
man  dort  die  leinenen  Kleider  macht,  hat  Blätter  wie 
der  Maulbeerbaum,  und  einen  Fruchtkelch  wie  die  Hage- 
butten. Man  pflanzt  ihn  auf  Felder,  und  kein  Baum  giebt 
den  Landgütern  einen  angenehmeren  Anblick. 

14. 
Der  indische  Olivenbaum  taugt  nicht  und  trägt  nur  die 


')  Die  Pisangfeige,  Musa  paradisiaca  L.  Musa  ist  das  Arabische 
mauza,  welche  aus  dem  Sanskritworte  moko  hervorging.  Pala  oder 
phala  heisst  in  Sanskrit  Frucht  im  Allgemeinen  und  wurde  also  nur 
aus  Missverständniss   für  den  Namen  der  Pflanze  gebraucht. 


Zwölftes  Buch.  9 

Früchte  des  wilden  Oelbaümes  ^).  Hin  und  wieder  kommen 
dort  Pfefferbäurae^)  vor,  die  unserm  Wacbholder  ähn- 
lich sind;  obgleich  Einige  bericbtet  haben,  sie  wüchsen  nur 
an  der  vordem,  der  Sonne  entgegen  liegenden  Seite  des 
Caucasus.  Die  Samen  unterscheiden  sich  von  denen  des 
Wachholders  dadurch,  dass  sie  in  kleinen,  unsern  Schling- 
bohnen ähnlichen  Schoten  stecken.  Wenn  diese,  bevor  sie 
aufbrechen,  abgenommen,  und  an  der  Sonne  gedörrt  waren, 
so  stellen  sie  den  sogenannten  langen  Pfeifer 3)  dar;  lässt 
man  sie  aber  reif  werden,  so  bersten  sie  und  enthalten 
nun  den  weissen  Pfeffer,  welcher  an  der  Sonne  gedörrt, 
dunkelfarbig  und  runzlig  wird.  Aber  auch  diese  Schoten 
können  Schaden  leiden,  und  werden  bei  ungünstigem  Wetter 
brandig,  ihre  Samen  aber  taub  und  leer,  und  diess  Uebel 
nennt  man  Brechma,  was  in  der  Sprache  der  Indier  so 
viel  bedeutet  als  todt.  Diese  Sorte  ist  von  allen  die  schärfste, 
leichteste  und  von  Farbe  bleich,  angenehmer  ist  der  schwarze 
und  milder  als  beide  ist  der  weisse.  Was  man  Zimpiberi 
oder  Zingiberi^)  nennt  ist  keineswegs,  wie  Einige  glauben, 
die  Wurzel  dieses  Baumes,  obgleich  es  im  Geschmacke 
dem  Pfeffer  nahe  kommt.  Der  Ingber  nämlich  wächst  in 
Arabien  und  im  Lande  der  Troglodyten  in  Dörfern,  hat 
ein  kleines  Kraut  und  eine  weisse  Wurzel.  Obgleich  sie 
ausserordentlich  scharf  ist,  so  wird  sie  doch  bald  wurm- 
stichig. Das  Pfund  davon  kostet  6  Denare.  Der  lange 
Pfeffer  wird  häufig  durch  alexandrinischen  Senf  verfälscht. 
Man  kauft  1  Pfund  für  15  Denare,  1  Pfund  des  weissen 
für  7,  1  Pfund  des  schwarzen  für  4  Denare.  Man  muss 
sich  wundern,  dass  er  so  allgemein  in  Gebrauch  gekommen 
ist.  Bei  Einigen  hat  der  angenehme  Geschmack  gereizt, 
bei  Andern  das  Ansehen  gelockt;  hier  empfiehlt  sich  weder 
ein  Apfel,   noch    eine  Beere,   nur   seine  Bitterkeit  gefällt, 


»)  Oleaster. 

2)  Piper.    Piper  nigrum  L. 

3)  Piper  longum  L. 

*)  Amonium  Zingiber  L. 


10  Zwölftes  Buch. 

und  zwar  deshalb,  weil  er  aus  Indien  kommt.  Wer  hatte 
zuerst  Lust,  ihn  den  Speisen  zuzusetzen?  Oder  wem  ge- 
ntigte bei  dem  Wunsche  zu  essen  nicht  der  Hunger  ?  Beide 
Dinge  finden  sich  bei  den  dortigen  Völkern  wild,  und  doch 
verkauft  man  sie  nach  dem  Gewichte,  wie  Gold  oder  Silber. 
Den  Pfefferbaum  sieht  man  auch  schon  in  Italien;  er  ist 
grösser  als  die  Myrte ,  und  dieser  nicht  unähnlich.  Man 
glaubt,  sein  Korn  habe  dieselbe  Schärfe  wie  frischer  Pfeffer; 
nur  fehlt  ihm  jene  Dürre  und  Reife,  mithin  auch  die  Aehn- 
lichkeit  in  den  Runzeln  und  der  Farbe.  Mau  verfälscht 
ihn  mit  Wachholderbeeren,  die  ihm  merkwürdiger  Weise 
seine  Kraft  entziehen;  auch  hinsichtlich  des  Gewichts  wird 
mancher  Betrug  damit  getrieben. 

15. 
Ausserdem  giebt  es  in  Indien  noch  ein  dem  Pfeffer 
ähnliches  Korn,  welches  Gary  ophy  Hon  ^)  genannt  wird,  aber 
grösser  und  zerbrechlicher  ist.  Es  soll  in  einem  indischen 
Haine  wachsen,  und  wird  seines  Geruchs  wegen  zu  uns 
gebracht.  Auch  ein  Dornstrauch  2)  trägt  eine  dem  Pfeffer 
ähnliche  Frucht  von  ausserordentlicher  Schärfe;  er  hat 
kleine,  dichtstehende  Blätter  wie  der  Cyprus  ^),  3  Cubitus 
lange  Aeste,  eine  bleiche  Rinde,  und  eine  breite  holzige, 
buxbaumfarbige  Wurzel.  Aus  Letzterer  nebst  den  Samen 
bereitet  man  durch  Kochen  mit  Wasser  in  einem  kupfer- 
nen Gefässe  eine  Arznei,  welche  Lycium  genannt  wird. 
Derselbe  Dornstrauch  kommt  auch  auf  dem  Berge  Pelius 
vor  und  damit  verfälscht  man  das  Arzneimittel,  desgleichen 
mit  der  Affodillwurzel,  mit  Ochsengalle  oder  Wermuth, 
oder  Sumach^),  oder  Oelschaum-^).  Dasjenige  Lycion, 
welches  schaumig  ist,  eignet  sich  am  besten  zum  Arznei- 
gebrauch.    Die  ludier  schicken  uns  dasselbe  in  Schläuchen 


')  Diess  ist  der  Piment,  Semen  Amomi  von  Myrtus  Pimenta  L. 

2)  Spina.    Rliamnus  infectoria  L. 

3)  S.  51.  Cap. 

•*)  Rhus.  Rhus  coriaria  L. 
*)  Amui'ca, 


Zwölftes  Buch.  11 

von  Kameel-  oder  Rhinocerosliäuten.   In  Griechenland  heisst 
jenes  Dorngewächs  der  chironische  Buxdorni). 

16. 

Auch  das  Macir  wird  aus  Indien  gebracht;  es  ist  die 
rothe  Rinde  einer  grossen  Wurzel,  und  führt  den  Namen 
des  Baumes,  von  welchem  sie  kommt.  Ueber  den  Baum 
selbst  habe  ich  jedoch  nichts  Näheres  erfahren  können. 
Mit  Honig  abgekocht  liefert  sie  ein  vorzügliches  Mittel 
wider  den  Durchfall. 

17. 

Der  Zucker  kommt  auch  aus  Arabien,  der  indische 
hat  jedoch  den  Vorzug.  Er  ist  aus  Rohr  gesammelter 
Honig,  weiss  wie  Gummi,  zwischen  den  Zähnen  zerbrech- 
lich, höchstens  von  der  Grösse  einer  Haselnuss,  und  findet 
bloss  Anwendung  in  der  Medicin. 

18. 

An  die  Indier  grenzt  das  Volk  der  Arianer,  in  deren 
Gebiete  ein  Dornstrauch  wächst,  welcher  ein  köstliches  der 
Myrrhe  ähnliches  Harz  in  Gestalt  von  Thränen  liefert,  zu 
dem  man  aber  wegen  der  vielen  Stacheln  nur  mit  Mühe 
gelangen  kann.  Dort  ist  auch  ein  giftiger,  dem  Rettig 
ähnlicher  Strauch  mit  lorbeerartigen  Blättern,  der  durch 
seinen  Geruch  die  Pferde  anlockt,  und  Alexandern  bei 
seinem  ersten  Eintritte  in  diess  Land  beinahe  der  ganzen 
Reiterei  beraubt  hätte.  Dasselbe  Ungemach  widerfuhr  ihm 
bei  den  Gedrosern.  Ferner  soll  sich  dort  ein  Dornge- 
wächs mit  Lorbeerblättern  finden,  dessen  Saft,  in  die  Augen 
gespritzt,  alle  Thiere  blind  mache.  Ferner  ein  stark 
riechendes  Kraut,  welches  voll  von  kleinen  Schlangen  sitzt, 
deren  Stich  augenblicklich  den  Tod  nach  sich  zöge.  One- 
sicritus  meldet,  in  den  Thälern  Hyrcaniens  wüchsen 
feigenähnliche  Bäume,  welche  Occhi  hiessen,  aus  denen 
2  Stunden  lang  des  Morgens  Honig  flösse. 

19. 

An  Hyrcanien  grenzt  Bactrien,  dessen  Bdellium   am 


•)  Pyxacanthus, 


12  Zwölftes  Buch. 

berühmtesten  ist.  Diess  ist  ein  schwarzer  Baum  von  der 
Grösse  des  Oelbaumes,  mit  Eichenblättern,  seiner  Frucht 
und  übrigen  Beschaffenheit  nach  dem  wilden  Feigenbaume 
ähnlich.  Das  Gummi  i)  nennen  Einige  Brochon,  Andere 
Malacham,  noch  Andere  Malodacon;  das  schwarze  aber, 
welches  in  Kuchen  gedreht  ist,  heisst  Hadrobolou  2).  Es 
muss  durchscheinend  wie  Wachs,  geruchvoll,  fettig  anzu- 
fühlen, von  Geschmacke  bitter,  jedoch  nicht  scharf  sein. 
Bei  den  Opfern,  wo  es  mit  Wein  angefeuchtet  wird,  riecht 
es  noch  stärker.  Es  kommt  auch  in  Arabien,  Indien,  Me- 
dien und  Babylon  vor.  Einige  nennen  dasjenige,  welches 
aus  Medien  kommt,  das  peratische;  es  ist  zerbrechlicher, 
rindiger  und  bitterer,  das  indische  hingegen  feuchter  und 
gummig.  Es  wird  mit  Mandeln  verfälscht,  die  übrigen 
Arten  auch  mit  der  Rinde  des  Scordastum;  so  heisst 
nämlich  ein  Baum,  der  ein  ähnliches  Gummi  liefert.  Man 
erkennt  sie  aber  alle  (was  auch  in  Bezug  auf  die  übrigen 
Räucherspecies  ein  für  allemal  hier  gesagt  sein  mag)  am 
Gerüche,  der  Farbe,  der  Schwere,  dem  Geschmacke  und 
dem  Verhalten  am  Feuer.  Das  bactrianische  hat  einen 
trocknen  Glanz  und  viele  weisse  Stellen,  ausserdem  ein 
eigenthümliches  Gewicht,  das  nicht  zu  schwer  und  nicht  zu 
leicht  sein  darf.  Von  dem  reinen  kostet  das  Pfund 
3  Denare. 

20. 
An  die  Gebiete  der  oben  genannten  Völker  grenzt 
Persien,  in  welchem  am  rotlien  Meere,  welches  wir  da- 
selbst das  persische  genannt  haben,  weil  es  sein  Wasser 
weit  ins  Land  hinein  schickt,  Bäume  von  wunderbarer  Be- 
schaffenheit vorkommen.  Denn  sie  werden  vom  Salzwasser 
losgerissen,  gleichen  herangetriebenen  und  verlassenen, 
und  man  sieht  sie  an  der  trocknen  Küste  mit  ihren  nakten 
Wurzeln,  gleich  Polypen,  den  unfruchtbaren  Sand  umfassen. 


•)  Heisst  noch  jetzt  Bdellium  und  die  Mutterpflanze  ist  ein  Bal- 
samodendron. 

^)  D.  h.  in  Klumpen  zusammengehäuft. 


Zwölftes  Buch.  13 

Obgleich  die  Wogen  des  anströmenden  Meeres  beständig 
daran  schlagen,  so  bleiben  sie  doch  unbeweglich  stehen. 
Bei  voller  Fluth  werden  sie  sogar  ganz  von  Wasser  be- 
deckt, und  alles  deutet  darauf  hin,  dass  das  scharfe  Wasser 
sie  ernährt.  Sie  sind  ausserordentlich  gross,  vom  Ansehen 
des  Unedo,  ihre  Frucht  gleicht  von  aussen  einer  Mandel, 
und  enthält  gedrehte  Kerne. 

21. 

Die  in  demselben  Meerbusen  belegene  Insel  Tylos  ist 
auf  der  nach  Osten  gekehrten  Seite  ganz  mit  Wald  be- 
wachsen, und  wird  hier  von  der  Meeresfluth  überschwemmt. 
Die  Bäume  haben  die  Grösse  des  Feigenbaumes,  Blütheu 
von  unbeschreiblicher  Anmuth,  und  Früchte  ähnlich  denen 
der  Wolfsbohue  i),  aber  so  herbe,  dass  kein  Thier  sie  an- 
rührt. Auf  einem  erhabenen  Theile  dieser  Insel  stehen 
Wolle  tragende  Bäume,  jedoch  von  anderer  Art  als  die 
bei  den  Serern  vorkommenden.  Sie  haben  unfruchtbare 
Blätter,  welche  man,  wenn  sie  nicht  zu  klein  wären,  für 
Weinblätter  halten  könnte,  tragen  Fruchtköpfe  2)  von  dem 
Umfange  eines  Quittenapfels,  welche  bei  der  Reife  bersten 
und  Ballen  zarter  Wolle  enthalten,  aus  denen  man  Kleider 
von  köstlichem  Gewebe  fertigt.  Man  nennt  die  Bäume 
Gossypini3),  Auf  der  kleinern  Insel  Tylos,  welche  von 
der  grössern  10,000  Schritte  entfernt  ist,  finden  sie  sich  in 
noch  zahlreicherer  Menge. 

22. 

Juba  berichtet,  die  zarte  Wolle  komme  von  einem 
Strauche,  und  die  daraus  bereiteten  Zeuge  seien  besser  als 
die  indischen.  Die  Bäume  in  Arabien  aber,  aus  denen 
man  Kleider  mache,  hiessen  Chynas,  und  ihre  Blätter 
seien  denen  der  Palmen  ähnlich.  So  kleiden  sich  die  In- 
dier  durch  Hülfe  ihrer  Bäume.    Auf  den  beiden  Inseln  Ty- 


')  Lupinus.     Lupinus  hirsutus  L. 
-)  Cucurbitae. 

3)  Gossypium  arboreum  L  und  Bombax  gossypinus  ,  von  denen 
die  Baumwolle  kommt. 


14  Zwölftes  Buch. 

lus  aber  wächst  noch  ein  anderer  Baum,  dessen  Blüthe  der 
weissen  Viole  gleicht,  aber  viermal  grösser  ist,  und  —  was 
bei  einer  Blume  in  jenen  Ländern  merkwürdig  erscheint 
—  keinen  Geruch  hat. 

23. 
Es  giebt  noch  einen  anderen  diesem  ähnlichen  Baum, 
der  jedoch  blattreicher  ist  und  eine  rosenartige  Blüthe  hat, 
welche  sich  des  Nachts  schliesst,  beim  Aufgange  der  Sonne 
zu  öffnen  beginnt,  und  Mittags  ganz  ausbreitet.  Die  Ein- 
wohner nennen  diese  Erscheinung  den  Schlaf.  Dieselbe 
Insel  bringt  auch  Palmen,  Oelbäume,  Weinstöcke,  Feigen 
und  andere  Obstarten  hervor.  Kein  Baum  verliert  da- 
selbst seine  Blätter.  Die  Bewässerung  geschieht  durch 
kalte  Quellen  und  Regen. 

24. 
Die  Erzeugnisse  des  benachbarten  Arabiens  sind  von 
verschiedener  Art,  denn  sie  bestehen  in  Wurzeln,  Stauden, 
Rinden,     Säften,     Thränen,    Holz,     Sprösslingen,    Blüthen, 
Blättern  und  Früchten. 

25. 
Die  Wurzeln  und  Blätter  stehen  bei  den  Indiern  im 
höchsten  Preise.  Die  Wurzel  des  Costus')  hat  einen 
brennenden  Geschmack,  und  vortrefflichen  Geruch,  der 
Stengel  aber  ist  unbrauchbar.  Gleich  beim  ersten  Eintritt 
des  Flusses  Indus,  bei  der  Insel  Patale,  wachsen  2  Arten 
davon,  eine  schwarze,  und  eine  weisse  die  besser  ist.  Das 
Pfund  davon  kostet  3  Denare. 

26. 
Von  der  Pflanze  Nardus  muss  ich  etwas  aus- 
führlicher reden,  da  sie  als  ein  Hauptingredienz  der  Salben 
dient.  Eine  Art  ist  ein  Strauch  mit  einer  schweren,  dicken, 
aber  kurzen  und  schwarzen  und  obwohl  fetten,  dennoch 
zerbrechlichen,  gleich  der  Cyperwurzel  nach  Schimmel 
riechenden  und  herbe  schmeckenden  Wurzel.  Die  Blätter 
sind  klein  und  stehen  dicht.    Der  oberste  Theil  (der  Wurzel) 


')  Costus  speciosus  L. 


Zwölftes  Buch.  15 

trägt  rundum  grannenartige  Fäden;   man  preist  daher  vor- 
züglich   zwei  Theile   an   dieser  Pflanze,   die  ährenähnliche 
Wurzel   und   die  Blätter").    Eine   andere  Art,   welche   am 
Ganges  wächst,  heisst  Ozänitis,  riecht  giftig  und  wird  gänz- 
lich  verworfen.    Man   verfälscht    auch   die  Narde  mit  der 
unächten2),  welche  allenthalben  wächst,  ein  dickeres,  brei- 
teres Blatt,  und  eine  matte  ins  Weisse  fallende  Farbe  hat; 
desgleichen    mit  ihrer  Wurzel,  die   man,  um  das  Gewicht 
zu    vermehren,    untermischt,    auch   mit   Harz,   Silberglätte, 
Spiessglanz,  Cyperus  oder  deren  Einde.    Die  echte  erkennt 
man  an  ihrer  Leichtigkeit,  röthlichen  Farbe,  dem  angenehmen 
Gerüche,  an  ihrer  Eigenschaft  beim  Kosten  den  Mund  aus- 
zutrocknen und  an  ihrem  angenehmen  Geschmacke.    1  Pfund 
Aehren    kostet   100    Denare.      Die   jährigen    unterscheidet 
man   am  Blatte;   die   grossblättrige   nennt   man  die  gross- 
runde 3),   und   ihr  Preis   ist  50  Denare;    die   kleinblättrige 
heisst  die  mittelrunde  ^),  und  kostet  GO  Denare.    Die  beste 
ist   die   kleinrunde 'O,   mit   den   kleinsten  Blättern  und  ihr 
Preis  75  Denare.     Geruch  haben  sie  alle,  am  meisten  aber 
wenn  sie  noch  frisch  sind.   Die  schwarze  Narde  6)  bekommt, 
wenn  sie  alt  wird,   eine   bessere  Farbe.     In  unserm  Welt- 
theile  wird  die  syrische ')  am  meisten  geschätzt,  dann  folgt 
die  gallische  *)   und  hierauf  die  cietische  ■%  welche  von  Ei- 
nigen die   wilde,   von  Andern  Phu   genannt   wird;   sie   hat 
Blätter   wie    das  Olusatrum  ^%   der   Stengel   ist   1   Cubitus 
lang,  gekniet,  purpurroth  und  weisslich,  die  Wurzel  schräg, 


')  Diese  Art  ist  Valeriana  Jatamansi  Jones. 

■•')  Pseuclonarclus.    Valeriana  celtica  L.? 

3)  Haclrosphaerum. 

•*)  Mesosphaeruni. 

5)  Microspliaerum. 

•=)  Valeriana  Hardwickii  Wall. 

')  Valeriana  scabiosaefolia  Fisch. 

*)  Valeriana  celtica  L. 

*)  Valeriana  tuberosa  L. 

>o)  Smyrnium  Olusatrum  L. 


1(3  Zwölftes  Buch. 

t 

zottig  und  von  der  Form  der  Vogelftisse.  Die  Land-Narde  i) 
heisst  Baccharis  und  von  dieser  wollen  wir  bei  den  Blumen 
reden  2).  Alle  diese  Arten  aber  sind  Kräuter,  ausge- 
nommen die  indische  ^).  Unter  ihnen  wird  die  gallische 
mit  der  Wurzel  ausgezogen,  in  Wein  abgewaschen  und 
bündelweise  in  Papier  gewickelt;  von  der  indischen  ist  sie 
nicht  sehr  verschieden,  jedoch  leichter  als  die  syrische. 
10  Pfund  kosten  3  Ass.  Die  einzige  Probe  ihrer  Güte  be- 
steht darin,  dass  die  Blätter  nicht  zerbrechlich,  und  mehr 
dürr  als  trocken  sind.  In  Gesellschaft  der  gallischen  Narde 
wächst  stets  ein  Kraut,  welches  wegen  seines  starken  Ge- 
ruches und  seiner  Aehnlichkeit,  Böckchen  ^)  genannt  wird, 
und  womit  man  sie  am  meisten  verfälscht.  Diess  unter- 
scheidet sich  aber  von  ihr  dadurch,  dass  es  ohne  Stengel 
ist,  kleinere  Blätter  und  eine  weder  bitter  schmeckende 
noch  riechende  Wurzel  hat. 

27. 
Die  Haselwurz^)  besitzt  die  Kräfte  der  Narde,  und 
wird  daher  von  Einigen  wilde  Narde  genannt,  hat  aber 
Blätter  wie  Epheu,  nur  dass  sie  runder  und  weicher  sind, 
eine  purpurrothe  Blume,  eine  Wurzel  wie  die  gallische 
Narde,  einen  der  Weinbeeren  ähnlichen  Samen,  und  schmeckt 
erwärmend  und  weinartig.  Auf  schattigen  Bergen  blühet 
sie  des  Jahres  zweimal.  Die  beste  wächst  in  Pontus,  dann 
folgt  die  phrygische,  und  auf  diese  die  illyrische.  Man 
gräbt  sie,  wenn  die  Blätter  anfangen  auszubrechen,  und 
trocknet  sie  an  der  Sonne,  weil  sie  sonst  leicht  schimmlig 
und  grau  wird.  Neulich  hat  man  auch  in  Griechenland  ein 
Kraut  gefunden,  dessen  Blätter  sich  in  nichts  von  der  in- 
dischen Narde  unterscheiden. 


>)  Valeriana  Dioscoridis  Hawk. 

2)  Vergl.  XXI.  B.  16.  Cap. 

3)  Obige  V.  Jatamansi. 

^)  Hirculus.    Saxifraga  Hirculus  L.    Diese  Pflanze  liat  aber  aller- 
dings einen  Stengel,  was  Plinius  leugnet. 
^)  Asarum.    Asarum  europaeum  L. 


-Zwölftes  Buch.  17 

28. 
Von  dem  Arno m um  ist  die  Traube  im  Gebrauche. 
Einige  glauben  sie  komme  von  der  indischen  wilden  Rebe*), 
einem  myrtenartigem  handhohem  Strauche.  Man  sammelt 
es  mit  der  Wurzel,  und  jedesmal  eine  Hand  voll  behutsam 
zusammen  gelegt,  weil  es  sonst  leicht  zerbricht.  Dasjenige 
wird  für  das  beste  gehalten,  was  denen  des  Granatbaumes 
ähnliche,  nicht  runzlige  und  röthliche  Blätter  hat.  Das 
blasse  bildet  die  zweite  Sorte,  noch  schlechter  ist  das  gras- 
artige, und  am  schlechtesten  das  weisse,  welche  Farbe  es 
im  Alter  bekommt.  Von  der  Traube  kostet  1  Pfund 
öO  Denare,  von  dem  zerriebeneu  Amomum  aber  49.  Es 
wächst  auch  in  dem  armenischen  Distrikte  Otene  in  Me- 
dien und  in  Pontus.  Man  verfälscht  es  mit  Granatblättern 
und  flüssigem  Gummi,  damit  es  zusammenhält  und  die 
Form  einer  Traube  bekommt.  Es  giebt  noch  eine  andere 
Art,  Amomis  genannt,  welche  weniger  aderig,  härter  und 
von  geringerem  Gerüche  ist;  woraus  hervorgeht,  dass  sie 
entweder  etwas  Anderes  als  das  Amomum  sei,  oder  unreif 
eingesammelt  werde. 

29. 
Diesen  im  Namen  und  Ansehen  ähnlich  ist  das  Car- 
damomum^)  mit  länglichen  Samen,  wird  auch  in  Arabien 
zu  denselben  Preisen  verkauft.  Es  giebt  4  Arten  davon; 
-die  grünste  und  fette  mit  spitzen  Ecken  und  schwer  zu 
zerreiben,  wird  am  meisten  geschätzt;  die  zweite  ist  röth- 
lichweiss,  die  dritte  kürzer  und  schwärzer.  Noch  schlechter 
ist  die  scheckige,  die  sich  leicht  zerreiben  lässt  und  wenig 
Geruch  besitzt.  Die  ächte  muss  dem  Costus  nahe  kommen. 
Auch  dieses  Gewächs  trifft  man  in  Medien.  Der  Preis  von 
1  Pfund  des  besten  Cardamom  beträgt  3  Denare. 

30. 
Den  nächsten  Rang  würde  nun  der  Zimmt  verdienen, 
'Wenn    es    nicht    passender  wäre,    zuvor    die  Reichthümer 


•)  Vitis  Labrusca.     Soll  N'itis  vitigiaea  L.  sein. 
^)  Amomum  Cardamomum  L. 
Wittstein:  Plinius.    in.  Bd. 


18  Zwölftes  Buch. 

Arabiens  zu  nennen,  und  die  Ursachen  anzugeben,  welc  lie 
ihm  den  Namen  des  glücklichen  und  gesegneten  verliehen 
haben.  Die  vorzüglichsten  Erzeugnisse  daselbst  sind  der 
Weihrauch^)  und  die  Myrrhe;  letztere  kommt  auch  im 
Lande  der  Troglodyten  vor,  der  Weihrauch  aber  in  keinem 
andern  Lande  als  in  Arabien,  und  nicht  einmal  hier  über- 
all. Fast  in  der  Mitte  desselben  wohnen  die  Atramiter,. 
ein  Stamm  der  Sabäer  mit  der  Hauptstadt  Sabota  auf  einem 
hohen  Berge,  und  8  Stationen  weiter  davon  entfernt  liegt 
ihre  Weihrauchtragende  Gegend,  Saba  genannt,  was  nach 
griechischer  Auslegung  soviel  als  mysterium  heisst.  Sie 
liegt  gegen  Osten,  ist  allenthalben  durch  Felsen  und  von 
der  rechten  Seite  durch  Meeresklippen  unzugänglich.  Hier 
allein  soll  das  Meer  röthlichmilchweiss  sein.  Die  Länge 
der  Wälder  beträgt  20  Schönus  und  die  Breite  halb  so  viel. 
Ein  Schönus  misst  nach  Eratosthenes  40  Stadien  oder 
5000  Schritte,  nach  Andern  nur  32  Stadien.  Dort  erheben 
sich  hohe  Hügel,  und  laufen  in  eine  Ebene,  wo  jene  Bäume 
wildwachsen,  aus.  Man  kommt  darin  überein,  dass  das 
Erdreich  thonig  ist,  und  wenige  natronhaltige  Quellen  hat. 
Es  wird  von  einem  andern  Bezirke,  in  welchem  die  Minäer 
wohnen,  begrenzt,  durch  welchen  man  den  Weihrauch  auf 
einem  engen  Wege  ausführt.  Dieses  Volk  hat  den  Handel 
damit  angefangen,  betreibt  ihn  am  stärksten,  und  nach  ihm 
wird  er  auch  Minäum  genannt.  Ausser  den  Minäern  sieht 
kein  Araber  und  unter  ihnen  nicht  einmal  ein  jeder  den 
Weihrauchbaum.  Ihre  Anzahl  soll  sich  nur  auf  3000  Fa- 
milien belaufen,  welche  sich  das  Eecht  durch  Erbfolge  zu 
erhalten  wissen.  Sie  sollen  deshalb  auch  heilige  genannt 
werden,  und  während  dem  Einschneiden  der  Bäume  oder 
dem  Absammeln  sich  nicht  durch  Berührung  von  Frauen 
oder  Leichen  verunreinigen.  Durch  diese  religiösen  Beo- 
bachtungen höben  sie  den  Preis  der  Waare.  Einige  be- 
richten, diese  Völker   hätten   ohne  Unterschied  Weihrauch, 


*)  Thus.  Boswellia  thurifera  Roxb. 


Zwölftes  Buch.  19 

in  diesen  Wäldern;  andern  Nachrichten  zufolge  theilen  sie 
ihn  jährlich  abwechselnd  unter  sich. 

OL. 

Von  der  Gestalt  des  Baumes  selbst  weiss  man  auch 
nichts.  Wir  haben  Kriege  in  Arabien  geführt  und  die  rö- 
mischen Waffen  sind  in  einen  grossen  Theil  desselben  ein- 
gedrungen; selbst  Cajus  Cäsar,  der  Sohn  des  Augustus, 
strebte  dort  nach  Euhm,  und  dennoch  ist  (so  viel  ich  weiss) 
von  keinem  Lateiner  der  Baum  beschrieben  worden.  Die 
Angaben  der  Griechen  weichen  sehr  von  einander  ab.  Ei- 
nige berichten,  er  habe  Blätter  wie  ein  Birnbaum,  nur  seien 
sie  kleiner  und  von  grasgrüner  Farbe,  Andere  sagen,  er 
sei  dem  Mastixbaum  i)  ähnlich  und  habe  röthliche  Blätter. 
Noch  Andere  halten  ihn  für  eine  Terebinthe  2),  und  diess 
hat  auch  dem  Könige  Antigonus,  dem  ein  junger  Stamm 
gebracht  wurde,  so  geschienen.  Der  König  Juba  erzählt 
in  den  Büchern,  die  er  an  C.  Cäsar,  den  Sohn  des  Augu- 
stus,  der  sich  in  Arabien  Ruhm  zu  erwerben  wünschte, 
schrieb:  er  habe  einen  gewundenen  Stamm,  Aeste  wie  der 
Ahorn,  besonders  der  pontische,  und  lasse  einen  Saft  wie 
der  Mandelbaum  von  sich;  solche  sähe  man  auch  in  Car- 
manien ,  und  in  Aegypten  wären  sie  durch  die  Bemühungen 
der  dort  regierenden  Ptolemäer  angepflanzt.  Gewiss  ist, 
dass  er  eine  dem  Lorbeerbaum  ähnliche  Rinde  hat,  und 
Einige  sagen,  auch  das  Blatt  gleiche  ihm.  Wenigstens 
haben  die  Sarder  solche  Bäume  gehabt,  denn  auch  die 
Könige  in  Asien  verwandten  Sorgfalt  auf  ihre  Anpflanzung. 
Die  Gesandten,  welche  zu  meiner  Zeit  aus  Arabien  kamen, 
haben  alles  noch  ungewisser  gemacht,  worüber  man  sich 
mit  Recht  wundern  muss,  da  sie  sogar  Zweige  von  Bäumen 
mit  zu  uns  brachten;  diesen  kann  man  es  glauben,  dass 
auch  ein  Baum  mit  rundem,  knotenlosem  Stamme  Zweige 
treibe. 


')  Lentiscus.    Pistacia  Lentiscus  L. 
^)  Terebinthus.  Pistacia  Terebinthus  L. 


20  Zwölftes  Buch. 

32. 

Als  sich  uoch  weniger  Gelegenheit  zum  Verkaufe  dar- 
bot, pflegte  mau  den  Weihrauch  nur  einmal  im  Jahre  zu 
sammeln.  Jetzt  macht  die  häufigere  Nachfrage  danach  eine 
zweite  Erndte  erforderlich.  Die  erste  und  natürliche  Lese 
geschieht,  wenn  der  Hundsstern  aufgeht,  bei  der  grössten 
Hitze,  indem  man  da,  wo  der  Baum  am  saftreichsten  scheint 
und  die  Rinde  am  dünnsten  ist.  Einschnitte  macht.  Diese 
Stelle  wird  nun  erweitert,  jedoch  die  Rinde  nicht  wegge- 
nommen, worauf  aus  der  Wunde  ein  fetter  Schaum  quillt 
welcher  gerinnt,  sich  verdichtet,  und  wo  es  die  Beschaffen- 
heit des  Orts  erfordert  auf  einer  Palmmatte,  sonst  aber 
auf  dem  Boden,  der  ringsumher  festgeschlagen  ist,  aufge- 
fangen wird.  Auf  jene  Weise  erhält  man  Weihrauch 
reiner,  auf  diese  dichter.  Was  am  Baume  hängen  bleibt, 
wird  mit  einem  Eisen  abgeschabt,  enthält  daher  Rinden- 
theile.  Der  Wald,  welcher  in  gewisse  Theile  geschieden 
ist,  bleibt  durch  gegenseitige  Rechtlichkeit  gesichert,  und 
man  bewacht  weder  die  angeritzten  Bäume,  uoch  entwen- 
det Einer  dem  Andern  etwas.  Man  bedenke  dagegen:  in 
Alexandrien,  wo  der  Weihrauch  noch  gekünstelt  wird, 
können  die  Werkstätten  nicht  genug  bewacht  werden. 
Hier  wird  der  Schurz  des  Arbeiters  bezeichnet,  sein  Kopf 
mit  einer  Maske  und  einem  dichten  Netze  versehen,  ja  sie 
müssen  nackt  herausgehen.  Folglich  macht  bei  uns  die 
Strafe  noch  weniger  treu,  wie  dort  die  Wälder.  Im  Herbste 
sammelt  man  den,  welcher  sich  im  Sommer  erzeugt  hat. 
Dieser  ist  weiss  und  am  reinsten.  Die  zweite  Lese  ge- 
schieht im  Frühlinge,  und  zu  ihrem  Behuf  wird  die  Rinde 
im  Winter  eingeschnitten.  Dieser  fliesst  röthlich  hervor 
und  hält  mit  dem  erstem  keinen  Vergleich  aus.  Jener 
heisst  der  carphiatische,  dieser  der  dathiatische.  Man 
glaubt,  der  Weihrauch  von  jungen  Bäumen  sei  weisser,  der 
von  alten  wohlriechender.  Einige  sind  der  Meinung,  von 
den  Inseln  sei  er  besser;  Juba  aber  sagt,  auf  Inseln  komme 
gar  keiner  vor. 

Derjenige   Weihrauch,   welcher  runde    Tropfen   bildet, 


■    Zwölftes  Buch.  21 

heisst  der  männliclie,  obgleich  man  sonst  nicht  leicht  etwas 
männlich  nennt,  von  dem  nichts  weibliches  existirt.  Aus 
Keligiosität  hat  man  das  andere  Geschlecht  dabei  nicht  ge- 
braucht. Einige  sind  der  Meinung,  der  männliche  habe 
seinen  Namen  wiegen  der  Aehnlichkeit  mit  den  Hoden  er- 
halten. Besonders  beliebt  aber  ist  der  zizenförmige,  bei 
dem  ein  Tropfen  sich  mit  einem  andern  vermischt  hat.  Ich 
finde  angeführt,  dass  ein  solches  Stück  eine  Hand  ausge- 
füllt hat,  als  die  Sucht  die  Bäume  zu  plündern  noch  ge- 
ringer war  und  diesen  zur  Erzeugung  des  Weihrauchs  Zeit 
gelassen  wurde.  Die  Griechen  nennen  solchen  Weihrauch 
den  geflossenen  ^)  und  den  untheilbaren  -),  den  kleinern 
aber  Erbsenrauch  3).  Die  Brocken,  welche  abgesprungen 
sind,  nennen  wir  Manna.  Doch  findet  man  auch  noch  jetzt 
Körner,  welche  dem  3.  Theile  einer  Mine,  d.  i.  dem  Ge- 
wichte von  28  Denaren  gleich  kommen.  Alexander  dem 
Grossen  sagte  sein  Erzieher  Leonides,  als  er  in  seiner  Kind- 
heit den  Weihrauch  zu  verschwenderisch  auf  den  Altar 
streuete,  er  möge  auf  solche  Art  opfern,  wenn  er  die  Weih- 
rauch-Völker besiegt  hätte.  Jener  aber  schickte  diesem, 
als  er  Arabien  erobert  hatte,  ein  mit  Weihrauch  beladenes 
Schiff,  und  Hess  ihm  sagen,  er  möge  davon  den  Göttern 
reichlich  spenden. 

Der  gesammelte  Weihrauch  wird  auf  Kameelen  nach 
Sabota,  der  einzigen  dahinführenden  Pforte  gebracht.  Nach 
den  Gesetzen  steht  Todesstrafe  darauf,  vom  Wege  abzu- 
weichen. Dort  empfangen  die  Priester  für  den  Gott,  welchen 
sie  Sabis  nennen,  den  10.  Theil  dem  Maasse,  nicht  dem 
Gewichte  nach;  eher  darf  nichts  davon  verkauft  werden. 
Von  jenem  Antheile  werden  die  öffentlichen  Kosten  be- 
stritten, denn  der  Gott  unterhält  die  Fremden  eine  gewisse 
Anzahl  von  Tagereisen  hindurch.  Er  kann  i'nicht  anders 
als  durch  das  Land  der  Gebaniter  ausgeführt  werden,  da- 
her wird  auch  dem  Könige  derselben  ein  Zoll  erlegt.    Ihre 


')  stagonias.     ^)  atomum. 

^)  Orobias;  von  orobus  (oQoßog)  die  Kichererbse. 


22  Zwölftes  Buch. 

Hauptstadt  Thomna  ist  von  der  auf  unserer  Küste  belege- 
nen jüdischen  Stadt  Gaza,  4,436,000  Schritte  entfernt,  welche 
Strecke  in  65  Kameel-Stationen  getheilt  wird.  Auch  den 
Priestern  und  Schreibern  der  Könige  werden  bestimmte 
Antheile  gegeben.  Ausser  diesen  plündern  noch  die  Wäch- 
ter, Trabanten,  Pförtner  und  Bedienten  davon.  Wohin  ihr 
Weg  geht,  müssen  sie  hier  für  Wasser,  dort  für  Futter, 
oder  für  das  Quartier  und  allerlei  Zölle  zahlen,  so  dass 
die  Kosten  für  jedes  Kameel  sich  bis  an  unsere  Küste  auf 
688  Denare  belaufen,  und  dann  wird  noch  an  die  Zoll- 
pächter unseres  Reiches  abgegeben.  Daher  kostet  1  Pfund 
des  besten  Weihrauchs  6,  die  2.  Sorte  5  und  die  3.  3  De- 
nare. Man  verfälscht  ihn  bei  uns  mit  Thränen  eines  weissen 
Harzes,  die  ihm  ähnlich  sind,  erkennt  diesen  Betrug  aber 
auf  die  angeführte  Weise.  Bei  seiner  Prüfung  nimmt  man 
Rücksicht  auf  seine  Weisse,  seinen  Umfang,  seine  Zerbrech- 
lichkeit, die  Kohle,  die  er  giebt,  und  seine  leichte  Brenn- 
barkeit. Auch  darf  er  von  den  Zähnen  keinen  Eindruck 
annehmen,  sondern  muss  in  Stücke  springen. 

33. 

Einige  haben  berichtet,  der  Myrrhenbaum  ^)  wachse 
in  denselben  Wäldern  unter  den  übrigen  Bäumen,  nach  An- 
dern steht  er  abgesondert;  übrigens  kommt  er  an  vielen 
Orten  Arabiens  vor,  wie  bei  den  einzelnen  Arten  gezeigt 
werden  soll.  Auch  die  Inseln  liefern  eine  gute  Sorte,  und 
die  Sabäer  fahren  sogar  über  das  Meer  und  holen  Myrrhe 
von  den  Troglodyten.  Man  trifft  auch  den  Myerhnebaum 
angepflanzt,  und  dieser  liefert  ein  besseres  Produkt  als  der 
wilde.  Er  gedeihet  besonders  gut,  wenn  er  behackt  und 
mit  einem  Graben  umzogen  wird,  wodurch  die  Wurzeln  sich 
abkühlen. 

34. 

Die  Höhe  des  Baumes  beträgt  5  Cubitus;  er  ist  mit 
Dornen   versehen,   der  Stamm   hart,  gewunden  und  dicker 


')  Myn-ha.      Amyris    Kataf    Forsk.     (ßalsamodeudron      Myrrha 
Ehrenb.) 


'    Zwölftes  Buch.  23 

als  der  Weihrauchbaum,  jedoch  mehr  in  der  Nähe  der 
Wurzel  als  an  seinen  übrigen  Theilen.  Einige  haben  die 
Kinde  für  glatt  und  dem  Unedo  ähnlich,  Andere  für  rauh 
und  dornig  ausgegeben.  Das  Blatt  gleicht  dem  des  Oel- 
baumes,  ist  aber  rauher  und  stachelig;  Juba  vergleicht  es 
mit  dem  Blatt  vom  Olusatrum.  Nach  Einigen  ist  der  Baum 
dem  Wachholder  ähnlich,  nur  noch  rauher  und  voller  Dor- 
nen, das  Blatt  runder,  aber  vom  Geschmacke  des  Wach- 
holders.  Es  gab  sogar  Leute,  welche  die  falsche  Meinung 
aussprachen,  beide  Gummiharze  wüchsen  auf  dem  Weih- 
rauchbaume. 

35. 

Die  Myrrhenbäume  werden  ebenfalls  zweimal  und 
zu  derselben  Zeit,  aber  von  der  Wurzel  an  bis  zu  den 
Aesten  eingeschnitten,  wenn  die  Bäume  saftreich  sind.  Sie 
schwitzen  von  selbst,  bevor  sie  gereizt  werden,  die  soge- 
nannte Tropfmyrrhe  i)  aus,  welche  alle  übrigen  Sorten 
übertrifft.  Nach  dieser  kommt  die  von  angepflanzten 
Bäumen  gewonnene,  und  unter  denjenigen  von  wilden 
Stämmen  hat  die  Sommermyrrhe  den  Vorzug.  Von  der 
Myrrhe  giebt  man  der  Gottheit  keinen  Antheil,  weil  sie 
auch  bei  andern  Völkern  vorkommt,  doch  erhält  der  König 
der  Gebaniter  den  4.  Theil  davon,  Uebrigens  kauft  man 
sie  hie  und  da  von  den  gemeinen  Leuten  zusammen,  und 
packt  sie  in  Schläuche,  unsere  Salbenhändler  wissen  sie 
aber  leicht  nach  dem  Gerüche  und  der  Fettigkeit  zu 
Sortiren. 

Es  giebt  mehrere  Sorten  Myrrhe.  Unter  denen  von 
wilden  Bäumen  ist  die  troglodytische  die  erste,  dann  folgt 
die  miuäische,  zu  welcher  auch  die  atramitische  und  die 
au sari tische  in  dem  Königreiche  der  Gebaniter  gehört.  Die 
dritte  ist  die  dianitische;  die  vierte  die  zusammengetragne  2)  • 
die  fünfte  die  sambracenische,  sogenannt  von  der  nahe  am 


»)  Stacte. 
^)  CoDatitia, 


24  Zwölftes  Buch. 

Meere  liegenden  Stadt  im  Reiche  der  Sabäer.;  die  sechste 
die  sogenannte  dusaiitische.  Es  giebt  auch  eine  weisse» 
jedoch  nur  an  einem  einzigen  Orte,  die  in  der  Stadt  Messa- 
lum  zusammengebracht  wird,  Die  troglodytische  erkennt 
man  an  ihrer  Fettigkeit  und  daran,  dass  sie  im  Ansehen 
trockner,  auch  schmutzig  und  rauh,  aber  schärfer  als  die 
übrigen  ist.  Die  sambracenische  hat  die  ebengenannten 
Fehler  nicht,  ist  von  Aussen  hübscher  als  die  andern,  je- 
doch nicht  kräftig.  üeberhaupt  aber  erkennt  man  die 
Güte  einer  Myrrhe  an  den  kleinen,  nicht  runden,  im  Innern 
weissen  und  matten,  beim  Brechen  weisse  Splitter  bildenden 
und  gelinde  bitter  schmeckenden  Körnern.  Die  inwendig 
scheckig  aussehende  bildet  die  zweite  Sorte;  die  im  Innern 
schwarze  ist  noch  schlechter,  und  am  schlechtesten,  wenn 
sie  auch  ausserhalb  so  aussieht.  Die  Preise  sind  nach  den 
mehr  oder  weniger  günstigen  Gelegenheiten,  die  sich  den 
Käufern  darbieten,  verschieden.  Die  Tropfmyrrhe  variirt 
im  Preise  von  3  bis  zu  50  Denaren,  die  gebauete  kostet 
höchstens  bis  11,  die  erythräische,  d.  i.  die  arabische,  bis 
16,  der  Kern  der  troglodytischen  16,  die  sogenannte 
Räuchermyrrhe  aber  14  Denare.  Man  verfälscht  sie  mit 
Mastixkörnern  und  Gummi,  desgleichen  mit  Gurkensaft  der 
Bitterkeit  wegen,  sowie  mit  Silberglätte,  um  das  Gewicht 
zu  vermehren.  Die  übrigen  Fehler  findet  man  durch  den 
Geschmack,  denn  das  Gummi  wird  zwischen  den  Zähnen 
weich.  Die  schändlichste  Verfälschung  ist  aber  die  mit 
indischer  Myrrhe,  welche  von  einem  gewissen  Dornge- 
wächse daselbst  gesammelt  wird,  der  einzige  schlechte 
Stoff  aus  Indien  ist,  und  sich  an  ihrer  verwerflichen  Be- 
schaffenheit leicht  erkennen  lässt. 

36. 
Wir  gehen  nun  zum  Mastix  über,  welcher  von  einem 
andern  Dornbaume  Indiens,  der  aber  auch  in  Arabien  wächst 
und  Laina  heisst,  gewonnen  wird.  Auch  vom  Mastix  giebt 
es  2  Sorten;  denn  sowohl  in  Asien  als  in  Griechenland 
findet  sich  eine  krautartige  Pflanze  mit  Wurzelblättern  und 
einem,   mit   Samen   erfüllten    und    einem   Apfel    ähnlichen- 


■    Zwölftes  Buch.  25> 

Distelkopfe,  aus  dessen  obersten  Theile,  wenn  er  geritzt 
wird,  ein  Saft  quillt,  der  kaum  von  dem  wahren  Mastix 
unterschieden  werden  kann  ^)  In  Pontus  giebt  es  noch  eine 
dritte  Sorte,  die  aber  mehr  dem  Erdpech  gleicht.  Der  beste 
ist  der  weisse  von  Chios,  von  dem  das  Pfund  20  Ass,  von 
dem  schwarzen  aber  12  Ass  kostet.  Man  sagt,  der  chio- 
tische  schwitze  wie  ein  Gummi  aus  dem  Lentiscus^).  Er 
wird,  gleich  dem  Weihrauche,  mit  Harz  verfälscht. 

37. 
Arabien  rühmt  sich  ferner  des  Ladanum^).  Viele 
haben  berichtet,  diess  entstehe  von  ohngefähr  und  durch 
Zufall,  sowie  durch  Verderbniss  eines  andern  Rauchwerks- 
Die  Ziegen,  ein  sonst  den  Zweigen  schädliches  und  nach 
wohlriechenden  Sträuchern  begierigeres  Thier,  sollen,  als 
wenn  sie  den  Werth  derselben  wüssten,  die  von  süssem 
Safte  strotzenden  Stengel  der  Pflanzen  benagen,  und  den 
daraus  tröpfelnden  Saft  durch  zufällige  Berührung  mit  ihren 
frechen  Barthaaren  abwischen.  Dieser  werde  durch  hinzu- 
kommenden Staub  geballt  und  an  der  Sonne  verdickt;  da- 
her fände  man  auch  im  Ladanum  Ziegenhaare.  Diese  Ein- 
sammlungsweise  soll  aber  nur  bei  den  Nabatäern,  welche 
zu  den  an  Syrien  grenzenden  Arabern  gehören,  vorkommen. 
Die  neuern  Schriftstellern  nennen  das  Ladanum  Stobolon 
oder  Storbon,  und  sagen,  das  Buschwerk  in  Arabien  werde 
durch  die  weidenden  Ziegen  gebrochen,  und  dabei  hänge  sich 
der  Saft  in  ihre  Haare,  das  wahre  Ladanum  sei  aber  auf  der 
Insel  Cypern.  Diess  entstehe  (um  hier  überhaupt  von  den 
Rauchwerken,  wenn  auch  nicht  nach  der  Ordnung  der 
Länder,  zu  reden)  daselbst  auf  ähnliche  Weise,  und  es  sei 
eine  Art  Schmutz  ^),  die  sich  an  die  Barte  und  haarigen 
Kniee  der  Böcke  hänge,  besonders,  wenn  sie  früh  Morgens, 
wo   die   Insel   voll   Thau   ist,   die   Epheublüthen   benagen. 


1)  Die  Mutterpflanze  heisst  Atractylis  gumraifera  L, 

2)  Pistacia  Lentiscus  L. 

^)  Die  wahre  Mutterpflanze   desselben    heisst   Cistus    creticus  L.. 
Dann  wird  es  aber  auch  von  C.  monspeliensis  L  gesammelt, 
■*)  Oesypus, 


26  Zwölftes  Buch. 

Nachher,  weuii  die  Souue  den  Nebel  zerstreuet  habe,  hafte 
der  Staub  auf  den  nassen  Haaren,  und  nun  werde  das 
Ladanum  abgekämmt. 

Einige  sagen,  es  käme  von  einem  auf  Cypern  wach- 
senden Kraute,  welches  sie  Leda,  und  das  davon  gewonnene 
Harz  Ledanuni  nennen.  Das  Kraut  enthalte  ein  Fett,  man 
zöge  es  daher  mit  Schnüren  zusammen,  rolle  es  auf  und 
mache  Kugeln  daraus.  Es  giebt  also  bei  beiden  Völkern 
2  Arten  von  Ladanum,  ein  irdisches  (natürliches)  und 
künstliches;  ersteres  ist  zerreiblich,  letzteres  zähe. 

Auch  in  Carmanieu  soll  es  einen  Ladanum- Strauch 
geben,  und  nach  Aegypten  durch  die  Ptolemäer  mit  andern 
Pflanzen  gebracht  worden  sein;  oder  (nach  Andern)  käme 
es  mit  von  dem  Weihrauchbaume,  werde  wie  Gummi  durch 
Einschneiden  der  Rinde  gesammelt  und  in  Ziegenfellen 
aufbewahrt.  Von  der  besten  Sorte  kostet  das  Pfund  40  Ass. 
Es  wird  mit  Myrteubeeren  und  mehreren  Schmutztheilen 
von  Thieren  verfälscht.  Der  Geruch  des  reinen  muss  wild 
sein,  und  gewissermaassen  an  die  Einsamkeit  erinnern; 
es  muss  trocken  aussehen,  aber  beim  Anfassen  sogleich 
weich  werden,  angezündet  hell  brennen,  und  einen  starken 
augenehmen  Geruch  verbreiten.  Das  mit  Myrten  versetzte 
erkennt  man  au  dem  Prasseln  im  Feuer.  Ausserdem 
stecken  in  dem  echten  mehr  Steinchen  von  Felsen,  als 
feines  Pulver. 

38. 

In  Arabien  liefert  auch  der  Oelbaum  einen  tropfenden 
Saft,  woraus  eine  Arznei  bereitet  wird,  die  bei  den 
Griechen  die  blutstillende  ^)  genannt  wird,  und  sich  ganz 
besonders  wirksam  zeigt,  Wunden  zusammenzuziehen  und 
zu  vernarben.  An  den  Seeküsten  werden  diese  Bäume 
durch  die  Fluth  der  Wellen  bedeckt;  doch  schadet  diess 
den  Beeren  nicht,  denn  man  weiss,  dass  das  Seesalz  selbst 
auf  den  Blättern  zurückbleibt.  Diess  ist  Arabien  eigen- 
thümlich,   und    ausserdem  hat  es  noch  Einiges  mit  andern 

*)  enhaemum. 


.  Zwölftes  Buch.  27 

Ländern  gemeinschaftlich,  wovon  wir  aber  an  einem  andern 
Orte  reden  wollen,  weil  es  darin  von  andern  Ländern 
übertroffen  wird.  Die  Araber  holen  merkwürdigerweise 
bei  auswärtigen  Völkern  fremde  Rauch  werke.  So  leicht 
werden  die  Menschen  ihrer  eignen  Sachen  überdrüssig,  und 
so  begierig  sind  sie  nach  fremden. 

39. 
Sie  reisen  nämlich  zu  den  Elymäern,  um  den  Bratus^) 
zu  lioleu.  Dieser  gleicht  einer  ausgebreiteten  Cypresse, 
hat  weissliche  Aeste,  riecht  angezündet  angenehm,  und  ist 
in  dem  Geschichtsbüchern  des  Kaisers  Claudius,  welcher 
angiebt,  die  Parther  streueten  davon  in  ihre  Getränke, 
wunderbar  gepriesen  worden.  Im  Gerüche  soll  er  der  Ceder 
am  nächsten  kommen,  und  sein  Rauch  gut  für  anderes 
Holz  sein.  Er  wächst  jenseits  des  Pasitigris  an  den  Grenzen 
der  Stadt  Sittaca  auf  dem  Berge  Zagrus. 

40. 
Auch  zu  den  Carmanern  reisen  sie  wegen  des  Baumes 
Strobus^),  mit  dem  sie  räuchern,  zu  welchem  Zwecke  sie 
ihn  mit  Palmwein  übergiessen  und  dann  anzünden.  Sein 
Geruch  geht  von  der  Decke  zum  Fussboden,  ist  augenehm, 
beschwert  aber  den  Kopf,  jedoch  ohne  Schmerzen.  Sie 
suchen  damit  den  Kranken  Schlaf  zu  verschaffen.  Durch 
diesen  Handel  haben  sie  den  Weg  zur  Stadt  Carrhä  ge- 
öffnet, welche  ihr  Marktplatz  ist.  Von  da  pflegten  sie  alle 
nach  Gabba,  welches  20  Tagereisen  weit  liegt,  und  nach 
Palästina  in  Syrien  zu  reisen.  Nach  Juba's  Berichte  fingen 
sie  hernach  aus  demselben  Grunde  an,  nach  Charace  und 
in  die  Reiche  der  Parther  zu  ziehen.  Mir  scheint  auch, 
nach  dem  Zeugnisse  Herodots,  dass  sie  deshalb  eher  zu 
den  Persern,  als  nach  Syrien  und  Aegypten  gereist  sind, 
denn  er  erzählt,  sie  hätten  alle  Jahre  den  Königen  von 
Persien  1000  Talente  an  Weihrauch  als  Zoll  bezahlt. 


')  luniperus  Sabina  L. 
-)  Pinus  Cenibra  L. 


28  Zwölftes  Buch. 

Aus  Syrien  holen  sie  den  Styrax^),  um  durch  dessen 
scharfen  Geruch  den  unangenehmen  Dunst  ihrer  eigenen 
Eauehwerke  von  den  Heerden  zu  vertreiben.  Uebrigens 
sind  bei  ihnen  keine  andern  Holzarten  im  Gebrauche  als 
wohlriechende ;  die  Sabäer  kochen  ihre  Speisen  bei  Weih- 
rauchholze, Andere  bei  Myrrhenholze,  und  in  ihren  Städten 
und  Dörfern  herrscht  ein  Geruch  und  Duft,  wie  auf  Altären. 
Um  diesen  nun  zu  entfernen,  brennen  sie  Styrax  auf  Bock- 
fellen und  durchräuchern  damit  die  Häuser.  So  giebt  es 
denn  kein  Vergnügen,  welches  nicht  bei  längerer  Dauer 
Ekel  erregt.  Dieses  Brennen  geschieht  auch,  um  die 
Schlangen  zu  verjagen,  welche  sich  in  den  Balsamwäldern 
in  grosser  Menge  aufhalten. 

41. 

Zimmt^)  und  Cassia^)  haben  die  Araber  nicht,  und 
doch  nennt  man  ihr  Land  das  glückliche,  ein  Beiname, 
den  es  mit  Unrecht  und  Undank  führt,  da  es  das  Em- 
pfangene den  obern  Göttern  spendet,  und  doch  eher  den 
untern  schuldig  ist.  Selbst  die  Schwelgerei  der  Menschen 
im  Tode  hat  es  glückselig  gemacht,  weil  sie  dasjenige, 
von  welchen  sie  wussten,  dass  es  für  die  Götter  erzeugt 
war,  zur  Verbrennung  der  Todten  verwenden.  Sachkundige 
versichern,  das  Land  bringe  in  einem  Jahre  nicht  soviel 
hervor,  als  der  Kaiser  Nero  an  dem  Bestattungstage  seiner 
Gemahlin  Poppaea  verbrannt  habe.  Nun  rechne  man  jähr- 
lich die  Menge  von  Leichen  auf  der  ganzen  Erde,  und  die 
zur  Ehre  der  Todten  haufenweise  zusammengebrachten  Spe- 
cereien, welche  den  Göttern  nur  brockenweise  gegeben 
werden.  Und  doch  waren  sie  denen,  welche  mit  Schrot  und 
Salz  opferten,  nicht  weniger  geneigt,  ja  sogar  (wie  klar 
am  Tage  liegt)  noch  geneigter.  Aber  das  arabische  Meer 
ist  noch  glücklicher,  denn  aus  demselben  kommen  die 
Perlen  zu  uns.    Nach  dem  geringsten  Anschlage  entziehen 


*)  Styrax  officinalis  L. 
2)  Laurus  Cinnamomum  L. 
^)  Laurus  Cassia  L. 


'  Zwölftes  Buch.  29 

Indien,  die  Serer  und  diese  Halbinsel  unserm  Reiche  alle 
Jahre  100,000,000  Sesterzen.  So  viel  kosten  uns  die  Ver- 
gnügungen und  die  Weiber.  Denn  welcher  Tbeil  davon 
kommt,  frage  ich,  an  die  Götter  oder  die  Verstorbenen? 

42. 
Die  Alten  und  besonders  Herodotus  erzählen  fabel- 
hafterweise, der  Zimmt  und  die  Cassia  würden  aus  '  den 
Nestern  der  Vögel  und  besonders  des  Phönix,  in  der  Ge- 
gend Avo  Bacchus  erzogen  wäre,  auf  unwegsamen  Felsen 
und  Bäumen  entweder  durch  das  Gewicht  des  Fleisches, 
welches  sie  selbst  hineintrügen,  herab  geworfen,  oder  mit 
bleibeschlagenen  Pfeilen  herabgeschossen.  Ebenso  wachse  die 
Cassiain  der  NähevouSümpfen,wo  eine  scheussliche  Art  Fleder- 
mäuse mit  ihren  Krallen,  und  geflügelte  Schlangen  den 
Zugang  verwehrten.  Durch  solche  Erdichtungen  haben  sie 
den  Preis  der  Dinge  erhöhet.  Noch  ein  Mährchen  ist  dazu 
gekommen;  durch  das  Zurückprallen  der  Mittagssonne  soll 
sich  nämlich  die  Luft  mit  einem  unaussprechlichen  Dufte 
über  die  ganze  Halbinsel  erfüllen,  indem  die  Ausdünstungen 
so  vielerlei  Arten  von  wohlriechenden  Pflanzen  sich  ver- 
einigen, und  hiedurch  sich  auf  hohem  Meere  der  Flotte 
Alexanders  des  Grossen  zuerst  die  Nähe  Arabiens  ange- 
kündigt haben.  Alle  diese  Erzählungen  sind  falsch,  denn 
das  Cinnamomum  und  Cinnamum  wächst  in  Aethiopien, 
dessen  Bewohner  mit  den  Troglodyten  durch  Heirathen 
vermischt  sind.  Diese  kaufen  die  Waaren  von  ihren  Grenz- 
nachbaren,  und  fahren  sie  über  weite  Meere  auf  Flössen^ 
welche  durch  keine  Steuerruder  gelenkt,  durch  keine  Ruder 
weiter  getrieben  werden,  keine  Segel  haben  und  keiner  ge- 
schickten Leitung,  sondern  nur  der  Kühnheit  dieser  Men- 
schen anvertrauet  sind.  Ueberdiess  befahren  sie  das  Meer 
mitten  im  Winter,  wo  die  Ostwinde  wehen,  welche  ihre 
Fahrzeuge  geradeswegs  durch  die  Meerbusen  treiben  und 
mit  einem  Nordwest  um  ein  Vorgebirge  herum  in  den  Hafen 
der  Gebaniter,  welcher  Ocilia  heisst,  bringen.  Deswegen 
besuchen  sie  diesen  Hafen  am  meisten,  kehren,  wie  man 
behauptet,  kaum  vor  dem  5.  Jahre  wieder  zurück,  und  viele 


30  Zwölftes  Buch. 

von  ihnen  kommen  um.  Sie  führen  dagegen  gläserne,  und 
kupferne  Gesehirre,  Kleider,  Schnallen,  Armbänder  und 
Halsbänder  mit  sich  zurück.  Dieser  Handel  besteht  also 
hauptsächlich  der  Eitelkeit  der  Frauen  wegen. 

Der  Strauch  selbst  wird  höchstens  2  Cubitus  hoch, 
4  Finger  dick,  theilt  sich  gleich  über  der  Erde  in  6  Aeste, 
und  sieht  aus,  als  wenn  er  trocken  wäre.  Wenn  er  grünt 
hat  er  keinen  Geruch,  ein  Blatt  wie  Origauum  ,  liebt  die 
Trockenheit,  ist  unfruchtbarer  bei  Regenwetter,  und  lässt 
sich  leicht  abhauen.  Er  wächst  zwar  in  Ebenen,  aber  in 
den  dichtesten  Hecken  und  Dorngesträucb,  und  ist  daher 
schwer  zu  sammeln.  Man  holt  nicht  davon,  wenn  es  nicht 
der  Gott  erlaubt  hat.  (Einige  verstehen  darunter  den  Ju- 
piter, den  jene  Völker  Assabinus  nennen.)  Durch  ein  Opfer 
von  44  Stieren,  Ziegen  und  Widdern  erlangt  man  die  Er- 
laubniss  zu  hauen,  was  jedoch  weder  vor  Sonnenaufgang 
noch  nach  Sonnenuntergang  gestattet  ist.  Die  Zweige  zer- 
theilt  der  Priester  mit  einem  Beile,  und  legt  einen  Theil 
für  die  Gotthoit  zurück;  das  Uebrige  bindet  der  Kaufmann 
in  Bündel.  Man  giebt  auch  an ,  es  werde  durch  die 
Sonnenwärme  in  3  Theile  getheilt,  hernach  2  Theile  da- 
von genommen,  was  nämlich  der  Sonne  gewichen  wäre? 
bliebe  zurück  und  verbrenne  von  selbst. 

Die  dünnsten  Theile  der  Reiser,  von  der  Länge  einer 
Palme,  sind  von  vorzüglichster  Güte.  Dann  folgt  dasjenige, 
was  ihm  am  nächsten  steht,  aber  kürzer  ist,  und  so  der 
Ordnung  nach  weiter.  Das  schlechteste  befindet  sich  in 
der  Nähe  der  Wurzel,  weil  daselbst  am  wenigsten  Rinde 
ist,  und  die  Rinde  gerade  das  angenehmste  Aroma  enthält^ 
Aus  diesem  Grunde  zieht  man  die  obersten  Spitzen,  wo= 
die  meiste  Rinde  ist,  vor.  Das  Holz  selbst  wird  wegen 
seiner  Schärfe,  die  dem  Origanum  gleicht,  verworfen  und 
heisst  Holzzimmti).  Ein  Pfund  Zimmt  kostet  10  Denare.^ 
Einige  führen  2  Arten  Zimmt  an,  eine  weisse  und  eine 
schwärzliche.     Ehemals  ward  die  weisse  vorgezogen,  jetzt 


•)  Xylocinnamomum. 


•  Zwölftes  Buch.  31 

hingegen  schätzt  man  die  schwarze,  und  zieht  selbst  die 
scheckige  der  weissen  vor.  Die  sicherste  Probe  der  Güte 
ist,  dass  er  nicht  rauh  sei,  und  wenn  man  ihn  aneinander 
reibt,  sich  nicht  leicht  abschabe.  Man  verwirft  namentlich 
den  weichen,  und  dessen  Rinde  wenig  Zusammenhang  hat. 

Das  Recht  ihn  zu  verhandeln  geht  allein  vom  Könige 
der  Gebaniter  aus,  welcher  den  Verkauf  desselben  öffent- 
lich ankündigen  lässt.  Ehemals  kostete  das  Pfund 
1000  Denare.  Dieser  Preis  wurde  um  die  Hälfte  vermehrt, 
weil,  wie  man  sagt,  die  Barbaren  aus  Zorn  die  Wälder  an- 
gezündet hätten;  ob  diess  wegen  Ungerechtigkeiten  der 
Machthaber  oder  von  ohngefähr  geschehen  ist,  weiss  man 
nicht  genau.  Bei  mehrern  Schriftstellern  finde  ich  auge- 
führt, dort  weheten  so  heisse  Südwinde,  dass  sie  im  Sommer 
die  Wälder  in  Brand  steckten.  Kronen  von  Zimmt,  in  mit 
Figuren  geschmückten  Golde  eingeschlossen  hat  zuerst  der 
Kaiser  Vespasiamus  in  den  Tempeln  des  Capitols  und  des 
Friedens  geweihet.  Eine  Wurzel  des  Zimmtbaumes  von 
bedeutendem  Gewichte  haben  wir  in  dem  Tempel  des  Pa- 
latii,  welchen  dem  Kaiser  Augustus  seine  Gemahlin  er- 
richtet hatte,  gesehen;  sie  lag  iu  einer  goldenen  Schale, 
und  die  aus  ihr  fliessenden  Tropfen  erhärteten  alljährig  zu 
Körnern,  bis  endlich  diess  Heiligthum  durch  eine  Feuers- 
brunst zerstört  wurde. 

43. 

Die  Cassia  ist  ebenfalls  ein  Strauch,  wächst  in  der 
Nähe  der  Zimmtfelder,  wird  aber  auf  Bergen  dicker,  hat 
mehr  eine  dünne  Haut  als  Rinde,  und  erhält  im  Gegensatz 
zum  Zimmt  dann  Werth,  wenn  man  diese  von  ihm  abnehmen 
oder  dünner  machen  kann.  Er  wird  3  Cubitus  hoch,  und 
seine  Farbe  ist  dreifach;  von  seinem  ersten  Heryorsprossen 
an  bis  zu  1  Fuss  Höhe  erscheint  er  weiss,  dann  bis  zu 
IV2  Fuss  Höhe  röthlich  und  hierauf  schwarz.  In  letzterm 
Zustande  schätzt  man  ihn  am  meisten,  auf  ihn  folgt  der 
röthliche,  den  weissen  aber  verwirft  man.  Man  schneidet 
die  Reiser  in  einer  Länge  von  2  Fingern  ab  und  nähet  sie 
in  frische  Häute  von  vierfüssigen  Thieren,  die  zu  dem  Ende 


32  Zwölftes  Buch. 

getödtet  werden,  damit  die  durch  Fäulniss  derselben  ent- 
stehenden Würmer  das  Holz  abnagen  und  die  Rinde  aus- 
höhlen, welche  wegen  ihrer  Bitterkeit  vor  dem  Anfressen 
gesichert  ist.  Man  hält  diejenige  Rinde  für  die  beste,  welche 
frisch  ist,  den  zartesten  Geruch  besitzt,  im  Munde  eher  ein 
scharfes  Brennen  als  Beissen  verursacht,  purpurfarbig  aus- 
sieht uijd  von  der  die  grösste  Menge  verhältnissmässig  am 
wenigsten  wiegt;  auch  sollen  die  Röhren  der  Rinde  kurz 
und  nicht  zerbrechlich  sein.  Man  belegt  eine  solche  mit 
dem  ausländischen  Namen  Lada.  Eine  andere  Sorte  heisst 
wegen  ihres  Geruchs  Cassiabalsamodes,  schmeckt  aber  bitter, 
und  eignet  sich  daher  besser  zum  Arzneigebrauch,  sowie 
die  schwarze  zu  Salben,  Bei  keiner  Waare  sind  die  Preise 
verschiedener,  denn  von  der  besten  kostet  das  Pfund  50, 
von  den  übrigen  das  Pfund  5  Denare. 

Die  Aufkäufer  haben  noch  eine  Sorte  gemacht,  welche 
sie  die  lorbeerartige  i),  mit  dem  Beinamen  zimmtähnliche 
nennen,  und  in  Quantitäten  von  1  Pfund  für  300  Denare 
ausbieten.  Man  verfälscht  sie  mit  Styrax,  und,  wegen  der 
Aehnlichkeit  der  Rinde,  mit  sehr  dünnen  Reisern  des  Lor- 
beerbaumes. Ja  sie  wird  auch  in  unserm  Welttheile  ange- 
pflanzt, und  wächst  an  der  äussserten  Grenze  unseres 
Reiches,  da  wo  es  der  Rhein  bespült,  in  den  Bienengärten. 
Ihm  mangelt  aber  jene  von  der  Sonne  gedörrte  Farbe,  und 
daher  auch  zugleich  jener  Geruch. 

44. 
Aus  dem  an  die  Cassia  und  den  Zimmt  grenzenden 
Distrikte  wird  auch  das  Cancamum^)  und  das  Tarum^) 
eingeführt,  aber  durch  das  Gebiet  der  nabatäischen  Troglo- 
dyten,  welche  von  den  Nabatäern  weggezogen  sind  und 
«ich  daselbst  festgesetzt  haben. 

45. 
Daher   wird   auch   das   Serichatum   und  Gabalium 


*)  Daphnoides. 

2)  Ein  Gummi.    Etwa  der  Stocklack?  Nach  Sprengel  soll  es  eine 
-Art  MyiThe  sein.    3)  Aloeholz  von  Aloexylon  Agallochum  L. 


Zwölftes  Buch.  33 

gebracht,  welche  die  Araber  unter  sich  verbrauchen;  sie  sind 
in  unserm  Welttheile  nur  dem  Namen  nach  bekannt,  wachsen 
jedoch  mit  dem  Zimmt  und  der  Cassia  zusammen.  In- 
dessen kommt  das  Serichatum  mitunter  zu  uns  und  wird 
von  Einigen  uuter  die  Salben  gethan.    Für  1  Pfund  bezahlt 

man  6  Denare. 

46. 

Der  Myrobalanenbaum  1)  wächst  in  Troglodytice, 
Thebais  und  dem  Theile  von  Arabien,  welcher  Judäa  von 
Aegypten  scheidet,  und  findet  Anwendung  bei  Salben,  wie 
schon  sein  Name  sagt,  der  ferner  anzeigt,  dass  die  Frucht 
eine  Eichel  ist.  Das  Blatt  sieht  dem  des  Heliotropium,  von 
welchem  wir  bei  den  Kräutern  reden  werden  2),  ähnlich. 
Die  Frucht  hat  die  Grösse  einer  Haselnuss;  die  in  Arabien 
wachsende  heisst  die  syrische  und  ist  weiss,  die  aus  The- 
bais kommende  sieht  dagegen  schwarz  aus.  Jene  hat  den 
Vorzug  wegen  des  vortrefflichen  Oeles,  welches  aus  ihr  ge- 
presst  wird,  die  thebaische  giebt  aber  eine  reichlichere  Menge 
Oel.  Die  troglodytische  ist  die  geringste  Sorte.  Einige 
ziehen  allen  diesen  die  äthiopische  vor,  welche  auf  Feldern 
wächst,  schwarz,  ohne  Fett  ist,  einen  kleinen  Kern  hat, 
deren  ausgepresster  Saft  aber  stärker  riecht.  Die  ägyp- 
tische soll  fetter  sein,  eine  dickere  Rinde  und  röthliche 
J  Farbe  haben;  auch  soll  sie,  ob  sie  gleich  in  Sümpfen 
wächst,  kürzer  und  trockner  sein,  hingegen  die  arabische 
grün  und  zarter,  und,  weil  sie  auf  Bergen  wächst,  dichter. 
Die  beste  soll  die  peträische  sein,  welche  aus  einer  bereits 
angeführten  Stadt  kommt,  eine  schwarze  Rinde  und  einen 
weissen  Kern  hat.  Die  Salbenhändler  pressen  nur  die 
Schale  aus,  die  Aerzte  nur  den  Kern,  indem  sie  sie  zuvor 
unter  zuweiligem  Zusätze  von  warmem  Wasser  zerstossen. 

47. 

Aehnlich   wie   die   Myrobalane    und   ihr   zunächst   ge- 
braucht  man   zu  Salben   eine  Palme   in  Aegypten,   welche 


')  Myrobalanuin.    Hyperanthera   Moringa  Yahl;    die  Behennuss. 
2)  Im  XXII.  B.  29.  Cap. 
Wittstein:  Plinius.    m.  Bd.  q 


34  Zwölftes  Buch. 

Adipsos  genannt  wird,  deren  Frucht  grün  ist,  den  Geruch 
eines  Quittenapfels  hat,  und  inwendig  kein  Holz  enthält  '). 
Man  sammelt  sie  kurz  vor  der  Reife  ein.  Die  Frucht^ 
welche  man  auf  dem  Baume  zurücklässt,  heisst  Phönico- 
balanus^),  wird  schwarz,  und  berauscht  die  davon  Essen- 
den. Von  der  Myrobalaue  kostet  das  Pfund  2  Denare.  Die 
Salbenbereiter  benennen  auch  das  Unreine  (den  Absatz) 
der  Salben  mit  diesem  Namen. 

48. 
Auch  der  wohlriechende  Calamus^),  der  in  Ara- 
bien wächst,  kommt  in  Indien  und  Syrien  und  in  letzterm 
Lande  in  einer  Entfernung  von  50  Stadien  vom  Meere  ^) 
am  meisten  vor.  Zwischen  dem  Berge  Libanus,  und  einem 
andern  unbekannten,  nicht  (wie  einige  geglaubt  haben) 
dem  Antilibanus,  in  einem  nicht  sehr  grossen  Thale  neben 
einem  See,  dessen  Sumpf wasser  im  Sommer  austrocknet, 
und  30  Stadien  vom  Antilibanus  wächst  der  wohlriechende 
Calamus  und  der  wohlriechende  Juncus 5).  Ich  will 
jetzt  auch  den  letztern  abhandeln,  da  gerade  von  den 
Stoffen  zu  den  Salben  die  Rede  ist,  obgleich  ich  den  Kräu- 
tern ein  anderes  Buch  gewidmet  habe.  Beide  sind  dem 
Ansehn  nach  von  den  übrigen  Pflanzen  ihrer  Art  nicht 
verschieden;  der  Calamus  aber  besitzt  einen  vortrefflichen 
Geruch,  und  lockt  dadurch  schon  von  Weitem  an,  ist  auch 
weicher  anzufühlen.  Die  bessere  Qualität  davon  bricht 
weniger  leicht  und  mehr  spahnweise  nach  Art  des  Rettigs. 
Im  Rohrstengel  befindet  sich  ein  spinugewebeartiges  Mark, 
welches  die  Blume  heisst;  jemehr  davon  vorhanden,  um  so- 
besser  ist  das  Rohr.  Ausserdem  wird  das  geschätzt,  wel~ 
ches  schwarz  ist;  an  andern  Orten  hingegen  verwirft  man 
diess.     Je  kürzer  und  dicker,  und  je  zäher  beim  Brechen,. 


*)  D.  h.  keinen  Samen  hat. 

2)  Plinius  versteht  darunter  die  unreife  Frucht  der  Dattelpalme, 
Phoenix  dactylifera. 

3)  Calamus  odoratus.  Acorus  Calamus  L? 
'')  D.  i.  dem  mittelländischen. 

^)  luncus  odoratus.  Cyperus  rotundus  L. 


Zwölftes  Buch.  35 

um  so  besser  ist  es.  Vom  Calamus  kostet  das  Pfund  11, 
vom  Juncus  15  Denare.  Der  wohlriechende  Juncus  soll 
sich  auch  in  Campanien  finden, 

49. 

Wir  sind  jetzt  von  den  gegen  den  Ocean  hin  liegen- 
den Ländern  in  diejenigen  gekommen,  welche  sich  in  un- 
sere Meere  beugen.  In  Afrika,  welches  zunächst  unter 
Aethiopien  liegt,  tröpfelt  innerhalb  seiner  Sandwüsten  das 
Hammoniacum  .gleich  einem  Harze  oder  Gummi  her- 
vor; diesen  Namen  hat  es  von  dem  Orakel  des  Hammon, 
in  dessen  Nähe  der  Baum,  den  man  Metopion  nennt,  wächst  ^). 
Es  giebt  zwei  Arten,  das  bröckliche  -),  welches  dem  männ- 
lichen Weihrauch  ähnlich  sieht,  und  am  meisten  geschätzt 
wird,  und  das  massige  3),  welches  fett  und  harzig  ist. 
Man  verfälscht  es  mit  Sand,  und  zwar  so,  dass  es  aussieht, 
als  ob  es  im  Entstehungsmomente  damit  in  Berührung 
gekommen  wäre.  Dasjenige  ist  daher  das  beste,  was  aus 
den  kleinsten  und  reinsten  Körnern  besteht,  und  von  diesem 
kostet  das  Pfund  40  Ass. 

50. 

Von  dem  Sphagnos,  was  unterhalb  dieser  Gegenden 
wächst,  wird  das  von  der  eyrenaischen  Provinz  kommende 
am  meisten  gelobt.  Andere  nennen  es  Bryon.  Die  zweite 
Sorte  bildet  das  cyprische,  die  dritte  das  phönicische.  Es 
soll  auch  in  Aegypten,  ja  sogar  in  Gallien  vorkommen, 
und  ich  möchte  es  auch  nicht  bezweifeln,  denn  es  giebt 
unter  diesem  Namen  eine  Art  grauen  haarigen  Mooses  an 
den  Bäumen,  besonders  den  Eichen,  welches  aber  vortreff- 
lich riecht.  Den  ersten  Rang  verdient  das  weisseste  und 
höchste,  den  zweiten  das  röthliche;  das  schwarze,  desglei- 
chen das  auf  Inseln  und  Felsen  wachsende,  sowie  das, 
was  den  Geruch  von  den  Palmen  und  nicht  seinen  eigenen 
hat,  werden  verworfen. 


')  Das  Ammoniacum,  ein  Gummiharz,  kommt  von  keinem  Bamne 
sondern  von  einem  Doldengewäche ,  Ferula  Orientalis  oder  Dorema 
armeniacum. 

^)  thrauston.    ^)  phyrama. 

3* 


36  Zwölftes  Buch. 

51. 
In  Aegypten  wächst  ein  Baum  Namens  Cypros^)  mit 
Blättern  desZiziphus  2),  und  dem  Coriander  ähnlichen,  weissen, 
wohlriechenden  Samen.  Diesen  kocht  man  in  Oel,  drückt 
aus,  und  giebt  ihm  nun  den  Namen  Cyprus.  Ein  Pfund 
davon  kostet  5  Denare.  Der  beste  Cyprus  wird  aus  dem 
canopischen,  welcher  an  den  Ufern  des  Nils  wächst,  berei- 
tet, der  zweite  kommt  von  Ascalon  in  Judäa,  der  dritte 
von  der  Insel  Cypern  und  besitzt  einen  angenehmen  Ge- 
ruch. Einige  sagen,  diess  sei  derselbe  Baum,  welcher  in 
Italien  Rainweide  ^)  genannt  wird. 

52. 
In  demselben  Distrikte  wächst  auch  der  Aspalathos^), 
ein  weisser  Dornstrauch,  von  der  Grösse  eines  gewöhnlichen 
Baumes,  und  mit  rosenrother  Blüthe.  Die  Wurzel  dient 
zu  Salben.  Man  sagt,  nur  die  Sträucher,  auf  welche  sich 
der  Regenbogen  herabkrümme,  erhielten  jenen  angenehmen 
Geruch,  wie  der  Aspalathos,  dieser  aber  bekäme  dadurch 
einen  äusserst  lieblichen.  Einige  nennen  ihn  Erysiscep- 
trum^).  Andere  Sceptrum.  Seine  gute  Beschaffenheit  be- 
steht in  der  röthlichen  oder  feurigen  Farbe,  in  der  Dichtig- 
keit beim  Anfühlen  und  in  dem  Gerüche  nach  Bibergeil. 
1  Pfuiid  davon  kostet  5  Denare. 

53. 

In   Aegypten   wächst   auch    das   Maron^),    was    aber 

schlechter   als    das   lydische   ist,    und   grössere    scheckige 

Blätter,  während  dieses  kurze,  kleine   und  wohlriechende 

hat. 

54. 

Aber  allen  wohlriechenden  Specereien  wird  der  ßal- 


')  Lawsonia  alba  Lam. 

2)  Rhamnus  Zizj'j^hus  L.  Sextus  Pampinius  brachte  diesen  Strauch 
zu  Augusts  Zeiten  aus  Syrien  nach  Italien.    Brustbeerenbaum. 

3)  Ligustruiii.  Ligustrum  vulgare  L. 

^)  Genista    acanthoclada    Dec;    nach    Andern:  Aquilaria- Arten. 
Aloeholz?    ^)  Vergl.  XXIV.  B.  69,  Cap. 
^)  Origanuna  sipyleum  L. 


Zwölftes  Buch.  37 

sambaum')  vorgezogen,  der  nur  allein  dem  jüdischen 
Lande  verliehen  ist,  und  ehedem  nur  in  2  königlichen  Gär- 
ten anzutreffen  war,  von  denen  der  eine  nicht  mehr  als 
20  Jugera  und  der  andere  noch  weniger  umfasst.  Die 
beiden  Kaiser  Vespasian  zeigten  diess  Bäumchen  zuerst 
in  Rom,  und  es  muss  rühmlich  erwähnt  werden,  dass  wir 
seit  dem  grossen  Pompejus  auch  Bäume  im  Triumphe  auf- 
geführt haben.  Jetzt  dient  er  uns,  jetzt  ist  er  uns  sammt 
seinem  Volke  zinsbar,  und  wir  finden  ihn  von  ganz  ande- 
rer Beschaffenheit,  als  ihn  unsere  und  auswärtige  Schrift- 
steller beschrieben  haben;  denn  er  gleicht  mehr  einem 
Weinstocke  als  einer  Myrte.  Man  sagt,  er  werde  wie  der 
Weinstock,  kurz  nach  dem  Binden  durch  Schösslinge  fort- 
gepflanzt; er  bedeckt  die  Hügel  nach  Art  der  Weinpflan- 
zungen, und  die  Pflanzen  halten  sich  selbst  ohne  Stützen. 
Auf  gleiche  Weise  beschneidet  man  ihn  wenn  er  buschig 
wird;  durch  Behacken  gewinnt  er  an  Ansehn,  wächst  schnell 
und  trägt  im  3.  Jahre  Früchte.  Die  Blätter,  welche  ihm 
nie  mangeln,  sehen  denen  der  Gartenraute  ähnlich.  Die 
Juden  haben  wider  ihn  gewüthet,  wie  gegen  ihr  eigenes 
Leben;  dagegen  vertheidigten  ihn  die  Römer,  und  so  ist 
denn  sogar  für  einen  Strauch  gefochten  worden.  Jetzt 
lässt  ihn  die  kaiserliche  Casse  pflanzen,  und  niemals  war 
er  früher  in  grösserer  Menge  und  höher  vorhanden.  Seine 
Höhe  beträgt  nicht  über  2  Cubitus. 

Es  giebt  drei  Arten  dieses  Baumes.  Eine  mit  dünnem 
und  haarigem  Schöpfe  heisst  der  leicht  zu  beschneidende  2); 
die  zweite  von  rauhem  Ansehn,  gekrümmt,  buschig  und 
wohlriechender:  der  rauhe  ^);  die  dritte  mit  glatter  Rinde 
heisst  die  lange  ^) ,  weil  er  höher  als  die  übrigen  ist. 
Letzterer  hat  den  2.  Rang,  am  schlechtesten  ist  der  erst- 
genannte. Der  Same  kommt  im  Geschmack  dem  Weine 
am  nächsten,  hat  eine  röthliche  Farbe  und  enthält  etwas 
Fett;  die  leichten  und  grünen  Körner  sind  schlechter;   die 


')  Balsamum.     Amyris  Gileadensis  L. 
2)  eutheriston.    ^)  trachy.    ^)  eumeces 


38  Zwölftes  Buch. 

Aeste  dicker  wie  die  der  Myrte.  Er  wird  mit  Glas,  Steinen 
oder  knöchernen  Messern  geritzt.  Man  darf  ihn  im  leben- 
den Zustande  nicht  mit  einem  Eisen  verletzen,  sonst  stirbt 
er  sogleich  ab,  dennoch  kann  man  das  Ueberflüssige  ohne 
Schaden  damit  abschneiden.  Die  Hand  dessen,  der  ihn 
anschneidet,  muss  so  gelenkt  werden,  dass  sie  mit  dem  In- 
strumente nicht  tiefer  als  in  die  Rinde  kommt. 

Aus  dem  Schnitte  fliesst  ein  Saft,  der  Opobalsamum 
genannt  wird,  einen  äusserst  lieblichen  Geruch  besitzt,  aber 
nur  in  kleiuen  Tro))feu  hervorquillt,  und  mittelst  Wolle  in 
kleinen  Hörnern  aufgefangen  wird.  Aus  diesen  wird  er  in 
neue  irdene  Geschirre  gethan,  gleicht  jetzt  einem  dicken 
Oele  und  sieht,  so  lange  er  noch  frisch  ist,  weiss  aus. 
Später  wird  er  röthlich,  dabei  zugleich  hart  und  durch- 
scheinend. Als  Alexander  der  Grosse  dort  Krieg  führte, 
war  das  rechte  Maass  an  einem  Sommertage  eine  Muschel 
voll.  Die  ganze  Erndte  aber  betrug  aus  dem  grossen 
Garten  6,  aus  dem  kleinen  1  Congius,  und  diese  Quantität 
wurde  mit  dem  doppelten  Gewichte  Silber  aufgewogen. 
Jetzt  geben  die  einzelnen  Bäume  eine  reichlichere  Ausbeute; 
man  ritzt  sie  jeden  Sommer  und  berechnet  nachher  den  Preis. 

Auch  die  Reiser  machen  einen  Handelsartikel  aus.  Das 
Abschneiden  der  Sprösslinge,  welche  nur  alle  5  Jahre 
genommen  werden  können,  ist  um  800  Sesterzen  verpachtet. 
Man  nennt  die  Reiser  Xylobalsamum  und  kocht  sie  zur 
Bereitung  von  Salben  aus.  Die  Officinen  haben  ihn  statt 
des  Saftes  untergeschoben.  Auch  die  Rinde  hat  ihren  Werth 
zur  Darstellung  von  Arzneien.  Den  ersten  Rang  behaupten 
aber  die  Thränen,  den  zweiten  die  Samen,  den  dritten  die 
Rinde,  und  am  schlechtesten  ist  das  Holz.  Von  letzterm 
ist  das  buxbaumgelbe,  welches  am  angenehmsten  riecht, 
das  beste;  von  dem  Samen  aber  verdient  der  den  Vorzug, 
welcher  am  grössten,  und  am  schwersten  ist,  auf  der  Zunge 
beisst  und  im  Munde  brennt.  Man  verfälscht  ihn  mit  derü 
Samen  vom  Hypericum  petraeum  J);  diesen  Betrug  erkennt 


•)  Hypericum  crispum  L, 


Zwölftes  Buch.  39 

man   aber   an   der  Grösse,  Leere,  Länge,   dem   schwachen 
Gerüche  und  pfefferartigen  Geschmacke  desselben. 

Proben  der  Aechtheit  der  Thränen  sind,  dass  sie  fett, 
klein,  schwach  röthlich  und  beim  Reiben  angenehm  riechen- 
Die  weisse  Farbe  ist  hier  im  Range  die  zweite,  noch 
schlechter  die  grüne  und  dichte,  am  schlechtesten  die 
schwarze;  der  Balsam  wird  nämlich,  wie  das  Oel,  durchs 
Alter  immer  dunkler.  Von  allen  Sorten  schätzt  man  die, 
welche  vor  der  öamenreife  geflossen  ist,  am  meisten. 
Man  verfälscht  den  Opobalsam  auch  mit  dem  Safte  des 
Samens  selbst,  und  diesen  Betrug  kann  man  nur  an  dem 
bitterern  Geschmacke  erkennen,  denn  er  muss  milde,  nicht 
säuerlich,  und  bloss  von  scharfem  Gerüche  sein.  Er  wird 
auch  mit  dem  Oele  der  Rose,  des  Cyprus,  Mastix,  der  Ba- 
lane,  Terebinthe,  Myrte,  mit  Harz,  Galbanum,  cyprischem 
Wachse,  jenachdem  man  eines  oder  das  andere  passend 
findet,  verfälscht.  Am  wenigsten  taugt  das  Gummi  dazu, 
weil  dieses,  wenn  man  es  in  der  Hand  wendet,  schon  von 
selbst  anklebt  und  im  Wasser  untersinkt,  also  auf  doppelte 
Weise  erkannt  werden  kann.  Auch  der  reine  muss  an- 
kleben, aber  der  mit  Gummi  versetzte  wird  trocken  und 
zerbricht  in  Blättern.  Auch  durch  den  Geschmack  kann 
man  ihn  untersuchen.  Der  mit  Wachs  oder  Harz  ver- 
fälschte bildet  beim  Verbrennen  eine  schwärzere  Flamme. 
Der,  welcher  Honig  enthält,  zieht,  wenn  man  ihn  in  der 
Hand  hält,  sogleich  die  Fliegen  herbei.  Ausserdem  wird 
ein  Tropfen  des  echten  im  warmen  Wasser  verdickt  und 
sinkt  zu  Boden,  der  verfälschte  schwimmt,  wie  Oel,  oben- 
auf, und  der  Metopium  i)  haltige  ist  dann  mit  einem 
weissen  Ringe  umgebeu.  Die  beste  Probe  besteht  darin, 
dass  er  Milch  zum  Gerinnen  bringt,  und  in  Kleidern  keine 
Flecke  macht.  Bei  keinem  andern  Gegenstande  ist  der 
Betrug  augenscheinlicher,  denn  man  verkauft  den  Sextarius, 
welchen  di«  Regierung  für  1000  Denare  ablässt,  zu  300  De- 


')  Das  ausgepresste  Oel  der  bittern  Mandehi.    Vergl.   XIII.  B^ 
'-2.   Caip. 


40  Zwölftes  Buch.. 

Daren.     So  weit  geht  man,  diesen  Saft  zu  verdünnen!  Vomv 
Xylobalsam  kostet  das  Pfund  6  Denare. 

55. 

Syrien,  welches  oberhalb  Phönicien  an  Judäa  grenzt, 
liefert  aus  der  Gegend  von  Gabala^  Marathus  und  vom 
Berge  Casius  in  Seleucia  den  Styrax^).  Der  Baum  hat 
denselben  Namen  und  gleicht  einem  Quittenbaume;  das 
Auströpfelnde  schmeckt  anfangs  herbe,  dann  angenehm. 
Der  Stamm  hat  in  seinem  Innern  Aehnlichkeit  mit  einem 
Rohre  und  strotzt  von  Safte.  Beim  Aufgange  des  Hunds- 
sternes fliegen  kleine  geflügelte  Wünaaer  auf  ihn  und  nagen 
ihn  an,  daher  sieht  er  von  den  anhängenden  Spähneß 
schmutzig  aus.  Ausser  dem  an  obigen  Orten  vorkommen- 
den Styrax  schätzt  man  auch  den  von  Pisidien,  Sidon,  Cy- 
pern,  Cilicien;  der  schlechteste  ist  der  cretische.  Den  vom 
Amanus  in  Syrien  ziehen  die  Aerzte,  aber  noch  mehr  die 
Salbenhändler,  alle  Völker  aber  den  vor,  welcher  röthlich^ 
fettig  und  zähe  ist;  eine  schlechtere  Sorte  bildet  der  kleien- 
artige  2)  und  mit  grauem  Schimmel  überzogene.  Man  ver- 
fälscht ihn  mit  Cedernharz  oder  Gummi,  auch  mit  Honig 
oder  bittern  Mandeln;  alle  diese  Untugenden  erkennt  man 
am  Geschmacke.  Von  dem  besten  kostet  das  Pfund 
17  Denare.  Auch  aus  Pamphylien  führt  man  Styrax  aus, 
der  aber  schärfer  und  minder  saftig  ist» 

56. 

Auch  Galbanum  liefert  Syrien  von  demselben  Berge 
Amanus;  die  Mutterpflanze  ist  eine  Art  Steckenkraut^), 
welche  man  von  dem  diesem  Gummiharze  gleichfalls  ge- 
gebenen Namen  Stagonitis  nennt.  Das  am  meisten  ge- 
schätzte ist  knorpelig,  ähnlich  dem  Hammoniakum,  und  nicht 
holzig.  Es  wird  mit  Bohnenmehl  oder  Sagapenum  ver- 
fälscht   Das    reine    verjagt    beim   Brennen    durch    seinem 


•)  Styraxofficinalis  L. 

2)  Unser  Styrax  calamitus. 

3)  Ferula.    Die  wahre  Mutterpflanze  ist  noch  nicht  mit  Sicher- 
.^eit  bekannt. 


Zwölftes  Buch.  4'I 

Dunst   die   Schlangen.     1   Pfund   davon    kostet    5    Denare.. 
Es  dient  bloss  zu  Arzneien. 

57. 
Dort   wächst   auch   die  Pflanze  Panax^),   welche   zu: 
Salben   gebraucht   wird,   sie  kommt  aber  auch  in  Psophis, 
einer  Landschaft  Arcadiens,  bei  den  Quellen  des  Eryman- 
thus,   in  Afrika  und  Macedonien   vor,    Es    ist  eine  beson- 
dere   Art   Steckenkraut,    5    Cubitus   hoch,   hat   anfangs   4, 
später  6  Blätter  die  auf  der  Erde  liegen,  sehr  gross  und- 
rund  sind,  an  der  Spitze  aber  dem  Oelblatte   gleichen,  und 
Samen,   welche   wie   bei   der  Fernla   in  Büscheln  '^)   herab- 
hängen.   Der  Saft  wird  durch  Einschneiden  und  zwar   zur 
Zeit   der  Erndte   vom   Stengel,   und   im    Herbste   von    der 
Wurzel  gesammelt.    Man  schätzt  von  dem  frischgesammel- 
ten den  weissen,  später,  auf  der  Waage,  den  blassen;   der 
schwarze    wird    verworfen.      1    Pfund    des    besten    kostet 
2  Denare. 

58. 
Von  dieser  Pflanze  unterscheidet  sich  das  sogenannte 
Spondylion^)  nur  durch  die  Blätter,  welche  bei  letzterem 
kleiner,  und  wie  die  der  Platane,  getheilt  sind.  Es  wächst 
auch  an  schattigen  Orten.  Der  Same  hat  denselben  Namen, 
ist  dem  Silis  ähnlich,  und  wird  bloss  in  der  Arzneikundc 
angewandt. 

59. 
In  Syrien  wächst  ferner  der  Malobathron*),  ein  Baum 
mit  aufgerollten  und  dürr  aussehenden  Blättern,  aus  denen 
ein  zu  Salben  dienendes  Oel  gepresst  wird.  In  Aegypten 
findet  er  sich  noch  häufiger,  aber  besser  ist  das  indische 
Oel.  Man  berichtet,  er  wüchse  dort  in  Sümpfen  wie  die 
Linse,  das  Oel  röche  stärker  als  Safran,  sei  schwärzlich, 
rauh,  und  schmecke  salzig.  Das  weisse  ist  weniger  be- 
liebt.   Wenn    es    alt    wird,    bedeckt    es    sich    rasch    mit 


')  Panax.    Pastinaca  Opopanax  L.    ^)  Muscaria. 
3)  Heracleum  Spondylion  L.    '*)  Laurus  Cassia  oder  L.  Malaba-- 
thrum  L. 


42  Zwölftes  Buch. 

Schimmel.  Auf  der  Zunge  muss  es  ähnlich  wie  die  Narde 
schmecken.  Sein  Geruch  aber,  wenn  es  mit  Wein  erhitzt 
wird,  übertrifft  alle  anderen.  Es  steht  in  erstaunlich 
hohem  Preise,  denn  1  Pfund  kostet  300  Denare;  von  der 
andern  Sorte  kostet  1  Pfund  60  Denare. 

60. 
Es  giebt  auch  ein  Oel  Namens  Omphacium.  Man 
bereitet  es  aus  2  Arten,  nemlich  aus  der  Olive  und  den 
Weinbeeren,  und  auf  gleiche  Weise;  eine  Sorte  presst  man 
aus  den  Oliven  die  noch  weiss  sind,  die  andere,  schlechtere 
aus  der  Druppa,  so  heisst  nemlich  die  Olive  bevor  sie  zum 
Essen  reif  ist,  aber  ihre  Farbe  schon  verändert.  Der 
Unterschied  besteht  darin,  dass  dieses  Oel  grün,  jenes  weiss 
aussieht.  Aus  dem  Weinstocke  bereitet  man  die  Psythia 
oder  Amminea  i),  wenn  die  Beeren  von  der  Grösse  einer 
Kichererbse  sind,  vor  dem  Aufgange  des  Hundssterns.  So- 
bald die  Trauben  weich  werden,  wird  der  Saft  2)  ihnen  ge- 
nommen,  und  an  der  Sonne  gezeitigt.  Nächtlicher  Thau 
muss  dabei  abgehalten  werden.  Der  Saft  wird  in  einem 
irdenen,  zuweilen  auch  in  einem  kupfernen  Gefässe  aufbe- 
wahrt. Der  röthliche,  pikante  und  trocknende  ist  der 
beste.  1  Pfund  Omphacium  kostet  6  Denare.  Man  berei- 
tet ihn  auch  auf  andere  Weise,  indem  man  nemlich  die  un. 
reifen  Trauben  im  Mörser  zerstösst,  an  der  Sonne  trocknet 
und  darauf  in  kleine  Brode  formt. 

61. 
Hierher  gehört  auch  dasBryon,  die  Traube  der  weissen 
Pappel.  Das  beste  findet  sich  bei  Gnidus  und  in  Carlen 
an  dürren,  rauhen  Orten;  eine  zweite  Sorte  auf  der  Ceder 
in  Lycien.  Ferner  gehört  hieher  die  Oenanthe,  die 
Traube  des  wilden  Weinstocks  ^) ;  man  sammelt  sie  zur 
'.Zeit  der  Blüthe,  d.  i.  wenn  sie  am  besten  riecht,  trocknet 
sie  im  Schatten  auf  Leinwand,  und  thut  sie  in  Gefässe. 
Die  beste  kommt  aus  Parapotamia,   die   zweite  von  Antio- 


')  Rosinenwein.    ^)  melligo. 
•'j  Vitis  Labrusca  L. 


■  Zwölftes  Buch.  43 

chia  und  Laodicea  in  Syrien,  die  dritte  von  den  medischen 
Bergen.  Letztere  eignet  sich  besser  zu  Arzneien.  Einige 
ziehen  allen  diesen  diejenige  vor,  welche  auf  der  Insel 
Cypern  vorkommt.  Die  in  Afrika  vrachsende  wird  nur 
von  den  Aerzten  angewandt,  und  heisst  Massaris.  Alle 
aber  sind  besser  veu  der  weissen,  als  von  der  schwarzen 
wilden  Rebe. 

62. 
Ausserdem  giebt  es  noch  einen  Baum,  der  zu  denselben 
Salben  dient,  und  den  Einige  Elate,  was  bei  uns  Tanne 
heisst,  Andere  Palme,  noch  andere  Spat  he  nennen.  Am 
meisten  schätzt  man  die  ammoniacische ,  dann  folgt  die 
ägyptische,  dann  die  syrische;  sie  ist  nur  an  dürren  Orten 
wohlriechend,  und  schwitzt  einen  fetten  Saft  aus,  der  den 
Salben  zugesetzt  wird,  um  das  Oel  milder  zu  machen. 

63. 
In  Syrien  wächst  auch  eine  Art  Zimmt,  den  man 
Comacum^)  nennt.  Aus  dessen  Nuss  wird  ein  Saft  ge- 
presst,  der  zwar  sehr  von  dem  des  echten  Zimmt  abweicht, 
jedoch  fast  eben  so  angenehm  riecht.  Ein  Pfund  kostet 
40  Ass. 


')  Muthmaasslich   Myristica   moschata   L,    die   freilich  nicht  in 
Syrien  wächst. 


Dreizehntes  Euch. 


Von  den  fremden  Bäumen,  den  Salben  und  Balsamen. 

1. 
Bisher  besassen  nur  die  Wälder  die  schätzbarsten 
Bauch  werke,  und  jedes  derselben  wurde  bewundert;  dem 
Luxus  hat  es  aber  gefallen,  sie  zn  vermischen,  und  aus 
allen  ein  einziges  zu  bereiten.  So  entstanden  denn  die 
wohlriechenden  Balsame  i).  Wer'  sie  zuerst  bereitet  hat, 
ist  nicht  angegeben.  In  den  Zeiten  Troja's  kannte  man 
sie  noch  nicht,  auch  opferte  man  damals  nicht  mit  Weih- 
rauch, sondern  man  wusste  bloss  von  dem  Dufte,  der  sich 
aus  dem  bei  dem  Gottesdienste  brennenden  Cedern-  und 
Citronenholze  entwickelte.  Der  Rosensaft  war  aber  schon 
erfunden;  wir  werden  ihn  noch  bei  dem  Lobe  des  Oeles 
anführen.  Die  Salben  müssen  eine  Erfindung  der  Perser 
sein,  denn  diese  triefen  davon,  und  vertilgen  durch  Anwen- 
dung künstlicher  Wohlgerüche  den  aus  ihrem  Halse  sich 
entwickelnden  Gestank.  Zuerst  hat,  so  viel  ich  wenigteus 
finde,  Alexander  bei  der  Eroberung  des  Lagers  des  Königs, 
Darius  unter  andern  Geräthschaften  desselben  eineni 
Schrank  mit  Salben  erbeutet.  Nachher  wurde  das  Ver- 
gnügen daran  von  den  Römern  sogar  unter  die  löblichsteui 
und  anständigsten  Güter  des  Lebens  gerechnet,  und  man. 
fing  selbst  an,  diese  Ehre  den  Verstorbeneu  angedeihen  zu: 
lassen,    weshalb    wir    ausführlicher   davon    reden    müssen.. 


*)  unguenta,  Salben. 


Dreizehntes  Buch.  45 

Diejenigen  Arten  unter  ihnen,  welche  nicht  von  Strauciige- 
■wäcbsen  kommen,  sollen  jetzt  bloss  dem  Namen  nach  an- 
gezeigt werden;  das  Nähere  über  sie  wird  an  ihren  Orten 
berichtet. 

2. 

Einige  Salben  haben  ihre  Beinamen  von  dem  Vater- 
lande, andere  von  den  in  ihnen  enthaltenen  Säften,  andere 
von  den  Bäumen,  andere  aus  andern  Ursachen  bekommen. 
Zuerst  ist  zu  wissen  nöthig,  dass  sich  die  Mode  oft  geän- 
dert, und  der  Euhm  der  einen  auf  andere  tibergegangen  ist. 
Vormals  war  die  auf  der  Insel  Delos  die  geschätzteste,  her- 
nach ward  es  die  meudesische.  Der  Grund  davon  liegt 
nicht  allein  in  der  Mischung  und  Zusammensetzung,  sondern 
ein  und  dieselben  Säfte  haben  bald  hier  bald  da  den  Vor- 
zug gehabt,  oder  sind  ausgeartet.  Der  Lilienbalsam  i) 
von  Corinth  stand  lange  Zeit  im  Ansehn,  später  der  von 
€ycicum;  ebenso  der  Rosenbalsam  von  Phaselus,  dessen 
Ruf  jetzt  auf  Neapel,  Capua  und  Präneste  übergegangen 
ist.  Der  Safranbalsam  zu  Soli  in  Cilicien  stand  lange  Zeit 
im  Rufe,  nachher  der  rhodische.  Ebenso  der  Traubenbal- 
sam-)  auf  Cypern,  dann  in  Aegypten  und  hierauf  zu 
Adramytteum.  Der  Majoranbalsam  3)  auf  Cos,  später  eben- 
daselbst der  Quittenbalsam  4).  Der  cyrische  auf  Cypern, 
hernach  in  Aegypten,  wo  auch  auf  einmal  der  mendesische 
und  metopische  angenehmer  bereitet  ward.  Bald  darauf 
vertrieb  der  Palmbalsam  ■^)  diese,  und  Hess  Aegypten  das 
Lob  des  cyprischen.  Athen  hat  den  Ruf  seines  parathe- 
näischen  beständig  behalten.  Es  gab  auch  einen  Parderbal- 
sam  in  Tarsus,  dessen  Zusammensetzung  und  Anfertigung 
aber  in  Vergessenheit  gekommen  ist.  Auch  der  Narcissen- 
balsam  aus  der  Narcissenblume   wird  nicht  mehr  bereitet. 

Die  Zubereitung  ist  doppelter  Art,  man  macht  sie 
nämlich   entweder   flüssig   oder   fest.    Der  flüssige  Balsam 


*)  Irinum.    '■')  Oenanthinum.    ^)  Amaracinum.    *)  Melinum. 


')  Phönice. 


46  Dreizehntes  Buch. 

besteht  fast  nur  aus  verschiedenen  Oelen,  der  feste  aus 
wohlriechenden  Specereien;  diese  heissen  Stymmata,  jene 
Hedysmata.  Ein  dritter  unter  diesen  ist  der  gefärbte,  der 
aber  von  Vielen  nicht  geachtet  wird,  und  um  desswillen 
man  Drachenblut  ^)  und  rothe  Ochsenzunge  -)  anwendet. 
Zusatz  von  Salz  mässigt  die  Natur  des  Oeles.  Zu  denen 
man  Ochsenzunge  setzt,  wird  kein  Salz  gethan.  Harz  und 
Gummi  fügt  man  dem  festen  Balsam  zu,  um  den  Geruch 
zu  binden;  denn  werden  sie  nicht  zugesetzt,  so  verschwin- 
det und  verfliegt  dieser  äusserst  schnell. 

Der  am  leichtesten  anzufertigende  und  auch  wahr- 
scheinlich der  erste  unter  den  Balsamen  war  der  aus  Bryum 
und  Balanenöl  bereitete,  von  denen  oben  schon  die  Rede 
war.  Darauf  wurde  der  mendesische  vermehrt,  indem  man 
dem  Balanenöl  3),  Myrrhe  und  noch  Metopium  zumischte. 
Letzteres  ist  ein  Oel,  was  in  Aegypten  aus  bittern  Mandeln 
gepresst  wird.  Hiezu  hat  man  noch  Traubenkernöl,  Car- 
damom,  Juncus,  Calmus,  Honig,  Wein,  Myrrhe,  Samen  vom 
Balsambaum,  Galbanum  undTerebinthenharz  gethan.  Heut- 
zutage rechnet  man  den,  welcher  aus  Myrtenöl,  Calamus, 
Cypresse,  Cyprus,  Mastix  und  Granatschale  besteht,  unter 
die  geringsten,  und  glaubt  daher,  dass  es  der  älteste  sei. 
Ich  möchte  aber  annehmen,  dass  die  Rosen-Balsame  am 
meisten  verbreitet  sind,  weil  diese  Blume  überall  häufig 
wächst.  Die  Zubereitung  des  Rosen -Balsams  war  daher 
auch  lange  Zeit  sehr  einfach,  denn  man  setzte  zum  Ompha- 
cium  Rosenblüthe,  Safranbalsam,  Drachenblut,  Calamus, 
Honig,  Gewürzbinsen,  reines  Salz  oder  Ochsenzunge  und 
Wein.  Ebenso  bereitete  man  den  Safranbalsam;  jedoch 
mit  mehr  Drachenblut,  Ochsenzunge  und  Wein,  desgleichen 
den  Majoranbalsam,  aber  mit  mehr  Omphacium  und  Cal- 
mus. Letzterer  wird  am  besten  in  Cypern  und  Mitylene 
bereitet,  wo  der  Majoran  ^)  in  reichlicher  Menge  wächst. 
Man  vermischt  auch  wohlfeilere  Oelarten  aus  Myrten,  Lor- 


')  cinnabaris.    ^)  anchusa.  Anchusa  tinctoria  L. 

3)  Behenöl.     ■*)  sampsuchus.    Origanum  Majorana  L. 


Dreizehntes  Buch.  47 

beeren,  und  setzt  ihnen  Majoranbalsam,  Lilien,  Bockshorn- 
samen,  Myrrhe,  Cassia,  Narde,  Gewürzbinsen  und  Zimmt 
hinzu.  Auch  aus  den  Quittenäpfeln  und  der  Seifenpflanze  *) 
bereitet  man,  wie  wir  noch  anführen  werden,  das  Quittenöl, 
welches  unter  Zusatz  von  Omphacium,  Cyperbalsam, 
Sesamöl ,  Opobalsam ,  Binsen,  Cassia  und  Stabwurz  -)  in 
Balsame  eingeht.  Der  susische  Balsam  ist  der  feinste  von 
allen;  er  besteht  aus  Lilien,  Balanen,  Calamus,  Honig, 
Zimmt,  Safran  und  Myrrhe.  Der  cyprische  enthält  Cyprus, 
Omphacium,  Cardamom,  Calmus,  Rosenholz  und  Stabwurz; 
Einige  setzen  ihm  noch  Myrrhe  und  Panace  zu.  Der  beste 
kommt  von  Sidon,  dann  folgt  der  ägyptische,  wenn  man 
kein  Sesam  3)  hinzuthut.  Er  hält  sich  4  Jahre  lang.  Durch 
Zimmt  wird  er  wieder  aufgefrischt.  Den  Bockshornbalsam  ^) 
bereitet  man  aus  frischem  Oele,  Cyperus,  Calamus,  Stein- 
klee, Bockhorn,  Honig,  Marum  und  Majoran.  Dieser  war 
zur  Zeit  des  Lustspieldichters  Menander  der  berühmteste. 
Lange  nachher  folgte  der  seines  Rufes  wegen  sogenannte 
Grosse  •>),  dessen  Bestandtheile  ßalanenöl,  Opobalsam,  Ca- 
lamus, Binse,  Xylobalsam,  Cassia  und  Harz  waren.  Eine 
besondere  Eigenschaft  desselben  ist,  dass,  wenn  er  beim 
Kochen  so  lange  bewegt  wird,  bis  er  nicht  mehr  riechr, 
er  nach  dem  Erkalten  seinen  Geruch  wieder  annimmt. 

Auch  aus  einzelnen  Säften  werden  schöne  Balsame  be- 
reitet. Dahin  gehört  vorzüglich  das  Malabathrum;  sodann 
die  illyrische  Schwertlilie  und  der  cyzinische  Majoran,  bei- 
des krautartige  Pflanzen.  Diesen  setzt  man  wenig  mehr 
zu,  jedoch  die  Einen  diess,  die  Andern  jenes,  und  die, 
welche  am  meisten  zumischeu,  thun  zu  einem  von  beiden 
Honig,  reines  Salz  ß),  Omphacium,  Keuschbaumblätter  ")  und 
Panace,  lauter  auswärtige  Dinge.    Am  kostbarsten  ist  der 


•)  struthium.  Saponaria  officinalis  L, 

2)  Abrotanum.  Artemisia  Abrotanum  L. 

3)  Sehamum  Orientale  L. 

")  Telinum  von  der  Pflanze  Telis:  Trigonella  Foenum  graecum  L. 
*)  Megalium.    «)  flos  salis.    ')  folia  agni.     Vitex  Agnus  castus  L. 


.48  Dreizehntes  Buch. 

Zimmtbalsam;  hiezu  nimmt  man  Zimmt,  Balaneuöl,  Xylo- 
balsam,  Calamus,  Juncus,  Samen  vom  Balsambaum,  Myrrhe, 
und  wohlriechenden  Honig;  er  ist  der  dickste  von  allen 
Balsamen.  1  Pfund  davon  kostet  25  bis  300  Denare.  Der 
Narden-  oder  Blattbalsam  besteht  aus  Omphacium,  Bala- 
nenöl,  Juncus,  Costus,  Nardus,  Amomum,  Myrrhe  und  Opo- 
balsam.  Bei  dieser  Gelegenheit  wird  es  passend  sein,  daran 
zu  erinnern,  dass  wir  9  Arten  von  Kräutern  genannt  haben, 
welche  der  indischen  Narde  ähnlich  sind;  so  reichlich  ist 
der  Stoff  zur  Verfälschung  vorhanden.  Alle  Balsame 
werden  durch  Costus  und  Amomum,  welche  am  meisten  in 
die  Nase  beissen,  schärfer,  durch  Myrrhe  dicker  und  ange- 
nehmer, durch  Safran  aber  zum  Arzneigebrauch  dienlicher, 
und  am  schärfsten  durch  Amomum  allein,  welches  auch 
Kopfweh  verursacht.  Einige  begnügen  sich  damit,  die 
theuersten  Ingredienzien  nur  auf  die  übrigen,  nachdem  diese 
ausgekocht  sind,  zu  sprengen,  um  die  grossen  Kosten  zu 
ersparen;  allein  dadurch  erreicht  man  nicht  den  Zweck,  wie 
mit  dem  Zusammenkochen.  Die  Myrrhe  liefert  schon  für 
sich  allein,  ohne  Oel,  einen  Balsam;  ausserdem  macht  sie 
zu  bitter.  Durch  cyprinischen  Balsam  wird  er  grün,  durch 
susinischen  fettig,  durch  mendesischen  schwarz,  durch  Rosen- 
balsam weiss,  durch  Myrrhe  blass.  Diess  sind  nun  die 
Balsam-Arten  alter  Erfindung,  mit  welchen  uns  hernach  die 
Anfertiger  betrogen  haben.  Jetzt  wollen  wir  noch  von  der 
ausserordentlich  grossen  Liebhaberei  und  dem  Ansehen,^zu 
welchem  die  Balsame  gelangt  sind,  reden. 

Königs-Balsam  heisst  derjenige,  welcher  für  die  par- 
thischen  Könige  bereitet  wird;  er  besteht  aus  Myrobalanen, 
Costus,  Amomum,  Zimmt,  Comacum,  Cardamom,  Narden- 
ähren,  Marum,  Myrrhe,  Cassia,  Styrax,  Ladanum,  Opobal- 
sam,  Calamus,  Juncus,  wilder  Weintraube,  Malobathrum, 
Serichatum,  Cyprus,  Aspalathum,  Panace,  Safran,  Cypirus, 
Majoran,  Lotus,  Honig  und  Wein.  Nichts  hiervon  wächst 
in  Italien,  der  Besiegeriu  aller  Völker,  ja  in  ganz  Europa, 
ausser  der  illyrischen  Schwerdtlilie  und  der  gallischen 
.Narde;    denn   dass  der  Wein,  die  Kose,  Myrtenblätter  und 


Dreizehntes  Buch.  49 

Oel    fast    allen  Ländern  gemein   sind,  versteht  sich   von 
selbst. 

3. 
Was  man  Räucher-Species  i)  nennt,  besteht  aus 
trocknen  wohlriechenden  Dingen.  Der  Absatz  der  Salben 
heisst  Magma.  Unter  allen  Parfümen  riecht  das  am 
stärksten,  welches  zuletzt  zugethan  wird.  Salben  werden 
am  besten  in  Alabasterbtichsen,  riechende  Sachen  am  besten 
in  Oel  aufbewahrt,  und  je  fetter  das  Oel,  um  so  grösser 
ist  seine  Erhaltungsfähigkeit,  wie  z.  B.  das  Mandelöl.  Auch 
selbst  die  Salben  verbessern  sich  durch  das  Alter.  Das 
Sonnenlicht  schadet  ihnen;  man  bewahrt  sie  daher  im 
Schatten  in  bleiernen  Gefässen.  Proben  davon  nimmt  man 
auf  die  äussere  Seite  der  Hand,  damit  die  Wärme  des 
.fleischigen  Theils  ihnen  nicht  schade. 

4. 
Die  Parftimerien  sind  unter  den  Gegenständen  des 
Luxus  die  aller  überflüssigsten;  denn  Perlen  und  Edelsteine 
kommen  doch  auf  die  Erben,  Kleider  dauern  eine  Zeit  lang, 
allein  die  Balsame  verdunsten  rasch,  und  gehen  in  der- 
selben Stunde,  wo  sie  gebraucht,  werden,  zu  Grunde.  Da- 
durch empfehlen  sie  sich  am  meisten,  dass,  wenn  ein  Frauen- 
zimmer vorbeigeht,  ihr  Geruch  auch  die,  welche  nicht 
daran  denken,  anlockt.  Das  Pfund  wird  bis  zu  40  Denaren 
verkauft.  So  theuer  kauft  man  ein  Vergnügen,  was  nur 
Andere  gemessen,  denn  wer  einen  Balsam  an  sich  trägt, 
riecht  ihn  selbst  nicht.  Aber  auch  hier  müssen  wir  einige 
Unterschiede  bemerklich  machen.  In  den  Schriften  des 
Cicero  ist  angegeben,  dass  diejenigen  Salben,  welche  nach 
Erde  schmecken,  mehr  Beifall  finden,  als  die,  welche  nach 
Safran  schmecken;  empfiehlt  sich  ja  selbst  bei  der  grössten 
Verdorbenheit  mehr  eine  gewisse  strenge  Beharrlichkeit  im 
Sündigen!  Einige  haben  es  lieber,  wenn  die  Salben  recht 
dick  sind,  und  es  genügt  ihnen  noch  nicht,  wenn  ihr  Leinen - 
zeug  davon   durchdrungen  ist.    Ich  habe  sogar  die  Fuss- 


*)  diapasmata. 

Wittstein:  Pliniua.    U.  Bd. 


50  Dreizehntes  Buch. 

sohlen  mit  Salben  bestreichen  sehen,  und  man  sagte, 
M.  Otho  habe  diess  dem  Prinzen  Nero  gezeigt.  Wie  konnte 
man  wohl,  frage  ich,  die  Salben  von  diesem  Theile  des 
Körpers  her  wahrnehmen,  und  wozu  nützten  sie  folglich 
da?  Auch  habe  ich  gehört,  ein  Privatmann  habe  die 
Wände  seiner  Badestube  mit  Balsam  besprengen,  und  der 
Prinz  Cajus  den  Sitzboden  damit  bestreichen  lassen,  und, 
damit  diess  nicht  für  ein  fürstliches  Gut  angesehen  werde, 
sei  ihm  einer  von  den  Sclaven  des  Nero  bald  hierin  nach- 
gefolgt. Jedoch  am  meisten  muss  man  es  bewundern,  dass 
dergleichen  Parfümerien  auch  ins  Lager  gedrungen  sind; 
wenigstens  werden  die  Adler  und  Feldzeichen,  wenn  sie 
staubig  und  schmutzig  aussehen,  an  festlichen  Tagen  ge- 
salbt. Könnte  ich  doch  angeben,  wer  diess  zuerst  einge- 
führt hat!  So  ist's,  ohne  Zweifel  haben  unsere  Adler,  durch 
diesen  Lohn  bestochen,  den  Erdkreis  besiegt.  Solchen 
Schutz  suchen  wir  für  das  Laster,  damit  wir  uns  dadurch 
ein  Recht  nehmen  können,  unter  dem  Helme  Salben  zu 
tragen. 

5. 
Wann  die  Mode,  sich  zu  parfümiren,  zuerst  zu  den 
Römern  gelangt  ist,  lässt  sich  kaum  sicher  bestimmen. 
So  viel  ist  gewiss,  dass  nach  der  Ueberwindung  des  Königs 
Antiochus  und  Asiens,  im  565.  Jahre  der  Stadt,  die  Cen- 
soren  P.  Licinius  Crassus  und  L.  Julias  Cäsar  eine  Ver- 
ordnung erlassen  haben,  nach  welcher  Niemand  auslän- 
dische Salben  (denn  so  nannten  sie  dieselben)  verkaufen 
sollte.  Aber  wahrlich!  jetzt  thut  man  sie  schon  ins  Ge- 
tränk, und  schätzt  die  Bitterkeit  so  hoch,  dass  man  sie  in 
reichlichem  Maasse  mit  beiden  Theilen  des  Körpers  i)  ge- 
niesst.  Es  ist  bekannt,  dass  L.  Plotius,  ein  Bruder  des 
L.  Plankus ,  der  zweimal  Consul  und  Censor  gewesen  war, 
als  die  Triumviren  ihn  in  die  Acht  erklärt  hatten,  in  einem 
Schlupfwinkel  im  Salernitanischen  durch  den  Geruch  seiner 
Salben  sich  verrieth,  durch  welchen  Umstand  die  Achtser- 


')  Nemlich  mit  dem  Munde  und  der  Nase. 


Dreizehntes  Buch. 


51 


klärung  in  volle  Wirksamkeit  trat.  Denn  wer  sollte  nicht 
der  Meinung  sein,  dass  solche  Menschen  mit  Recht  um- 
kommen? 

6. 

Aegypten  ist  unter  allen  Ländern  das  passendste  für 
die  Anfertigung  der  Salben;  nächstdem  Campanien  wegen 
der  Menge  Rosen.  Judäa  aber  zeichnet  sich  mehr  durch 
die  Palmen^)  aus,  von  denen  nun  die  Rede  sein  soll.  Es 
giebt  ihrer  zwar  auch  in  Europa,  und  häufig  in  Italien,  sie 
sind  aber  unfruchtbar.  In  den  Seedistrikten  Spaniens 
tragen  sie  Früchte,  jedoch  herbe;  die  afrikanischen  tragen 
süsse,  welche  aber  bald  verderben.  Im  Oriente  dagegen 
macht  man  aus  ihnen  Wein,  einige  Völker  aueh  Brot,  und 
den  meisten  vierfüssigen  Thieren  dienen  sie  zur  Nahrung. 
Man  nennt  sie  daher  mit  Recht  ausländische.  Keine  von 
ihnen  wächst  in  Italien  wild,  auch  sonst  nirgends  als  in 
warmen  Ländern,  und  trä^t  nur  in  heissen  Früchte. 

1. 

D(e  Palme  wächst  in  einer  leichten,  sandigen,  grössten- 
theils  auch  nitrösen  Erde»    Sie  steht  auch  gern  an  feuchten 
Orten,  und  in  einem  trocknen  Jahre  will  sie  beständig  be- 
"wässel't   sein.    Mist   soll   ihr   schaden,   besonders  wenn  er, 
wie  ein  Theil  der  Assyrier  glaubt,  nicht  durch  Wasser  ge- 
netzt ist.    Es  giebt  viele  Aften  derselben.     Die  erste  wird 
nicht   höher   als   ein  Strauch,   ist   unfruchtbar,   an   einige!>^ 
Orten  jedoch  auch  fruchfbar,  ihre  Aeste  bilden  einen  kurzen  ; 
Umkreis,  sind  aber  sehr  laubreich.    An  den  meisten  Orten 
dienen  sie  zur  Bedee'kung  der  Wände  wider  das  Anscl^lagen 
des  Regens.    Die  höhern  Bäume  bilden  eine  Art  Wa\d,  aus 
denen  rund  heraßi  die  Stacheln  der  Blätter  wie  ein  Eamm  , 
hervorbrechen,  daher  man  sie  noth wendig  für  wild   halten  . 
muss.     Vermöge    einer    nicht    näher    bekanntep    Geilheit . 
mischen  sie  sich  unter   die  Zahmen.     Die  übrigen  Palmen 
sind  rund   und   schlank,   und  durch  die  dicht  und  stufen-. 


')  Piinius  hat  in  den  Capiteln  von  den  Palmen   hauptsächlich 
die  DatteJpahue,  Phoenix  dactylifera,  im  Sinne. 

X* 


52  Dreizehntes  Buch. 

weise  übereinander  befindlichen  ringförmigen  Absätze  der 
Rinde  machen  sie  es  den  Völkern  des  Morgenlandes  leicht, 
sie  zu  ersteigen,  denn  man  kann  auf  diesen,  den  Baum  wie 
einen  geflochtenen  Ring  umgebenden  Bekleidungen  äusserst 
schnell  hinaufkommen.  Alles  Laub  sitzt  an  der  Spitze,  die 
Frucht  nicht  zwischen  den  Blättern,  wie  bei  andern  Bäumen, 
sondern  zwischen  den  Aesten  an  eigenen  Zweigen  ^)  in 
Trauben,  und  hat  beiderlei  Natur,  die  einer  Traube  und 
eines  Apfels.  Die  Blätter  haben  eine  messerartige  Spitze, 
sind  an  den  Seiten  doppelt  gespalten,  und  haben  zuerst  die 
doppelte  Kriegsweise  gelehrt  2);  jetzt  werden  sie  zu  Stricken, 
und  andern  nützlichen  Geflechten,  wie  zu  leichten  Schirmen 
für  den  Kopf  gebraucht. 

Die  in  der  Naturkunde  erfahrensten  Schriftsteller  geben 
an,  dass  alle  Bäume,  ja  selbst  die  Kräuter,  beide  Ge- 
schlechter  hätten.  Ich  begnüge  mich,  diess  ein  für  allemal 
hier  gesagt  zu  haben.  Bei  keinem  Baume  ist  es  aber  augen- 
scheinlicher als  bei  der  Palme.  Die  männliche  Palme  trägt 
Blüthen  an  eigenen  Zweigen,  die  weibliche  treibt  bloss  in 
Form  einer  Aehre,  ohne  Blüthe.  Bei  beiden  wächst  das 
Fleisch  der  Frucht  zuerst,  später  in  ihrem  Innern  das  Holz, 
d.  i.  ihr  Same,  und  ein  Beweis  dafür  ist,  dass  man  an  ein 
und  demselben  Zweige  noch  kleine  Früchte  ohne  Samen 
findet.  Der  Same  ist  länglich,  nicht  rund  wie  bei  den 
Oliven,  ausserdem  am  Rücken  eingeschnitten  mit  erhöheten 
Rändern  zu  beiden  Seiten  des  Einschnitts,  und  mitten  auf 
der  untern  Seite  bei  den  meisten  genabelt.  Von  diesem 
Punkte  aus  entwickelt  sich  beim  Keimen  zuerst  die  Wurzel. 
Man  pflanzt  die  Samen,  indem  man  2  neben  einander  mit 
dem  Rücken  nach  unten  legt,  und  ebenso  viele  darauf, 
weil  die  Pflanze  aus  einem  gezogen  zu  schwach  wird. 
Die    4    Samen    verwachsen     dann    miteinander.      Dieser 


')  palmites. 

'-)  Plinius  will  wahrscheinlich  damit  sagen,  die  Spitze  der  Palm- 
blätter hätten  zur  Anwendung  der  Spiesse,  und  die  Schneide  der 
Blätter  zur  Anwendunsr  der  Schwerdter  im  Kriege  geführt. 


Dreizehntes  Buch.  53 

holzige  Kern  wird  durch  mehrere  weisse  Häute,  deren  ei- 
nige ihm  anhängen,  vom  Fleische  getrennt,  liegt  übrigens 
lose  und  ist  nur  an  seiner  Spitze  an  einem  Faden  befestigt. 
Das  Fleisch  wird  in  einem  Jahre  reif.  Obgleich  es  in 
einigen  Gegenden,  z.  B.  in  Cypern  nicht  zur  Reife  gelangt, 
so  hat  es  doch  einen  angenehmen  süssen  Geschmack;  das 
Blatt  des  Baumes  ist  dort  auch  breiter,  die  Frucht  runder, 
und  nicht  so  beschaffen,  dass  sie  ganz  verzehrt  werden 
kann,  sondern  nachdem  der  Saft  ausgesogen  worden,  wirft 
man  sie  weg.  Auch  in  Arabien  sollen  die  Palmen  nur 
wenig  süss  schmeckende  Früchte  tragen,  obgleich  Juba  die 
im  Lande  der  scenitischen  Araber  vorkommenden  Früchte, 
welche  dort  Dabla  heissen,  allen  andern  im  Geschraacke 
vorzieht.  —  Uebrigens  wird  versichert,  dass  die  wildwach- 
senden weiblichen  Bäume  ohne  männliche  keine  Früchte 
tragen,  und  um  jeden  männlichen  ständen  mehrere  weib- 
liche und  neigten  ihre  Zweige  lüstern  nach  ihm  hin.  Er 
richte  dann  die  seinigen  starr  empor,  und  befruchte  durch 
seinen  Anblick,  Anhauch  und  Blüthenstaub  die  weiblichen. 
Werde  ein  solcher  männlicher  Baum  abgehauen,  so  blieben 
die  gleichsam  verwittweten  Waisen  unfruchtbar.  Die 
Menschen,  welche  die  Nothwendigkeit  dieser  Befruchtung 
eingesehen,  haben  sie  sogar  künstlich  bewerkstelligt,  da- 
durch, dass  sie  den  Blumenstaub  der  Männchen  auf  die 
Weibchen  streueten. 

8. 
Die  Palmen  werden  auch  durch  den  Stamm  fortge- 
pflanzt, indem  man  2  Cubitus  lange  Stücke  von  der  Spitze 
des  Baumes  abhauet,  zerspaltet,  und  eingräbt.  Auch  abge- 
rissene Theile  der  Wurzel,  sowie  die  zartesten  Zweige, 
gehen  an.  In  Assyrien  treibt  selbst  ein  gefällter  Baum  in 
einem  feuchten  Erdreiche  Wurzeln ,  aber  keinen  Stamm 
mehr,  sondern  nur  Strauchwerk.  Daher  die  Einrichtung  der 
Pflanzschulen,  aus  denen  man  die  jährigen  Reiser  versetzt, 
und  diese  wieder  wenn  sie  2  Jahre  alt  sind.  Sie  lieben 
nämlich  die  Veränderung  des  Standorts;  diess  geschieht 
sonst  im  Frühjahre,   in  Assyrien  aber  beim  Aufgange   des 


54  Dreizelintes  Buch. 

Hundssterns.  Daselbst  berührt  man  auch  die  jungen 
Sprossen  nicht  mit  einem  Eisen,  sondern  bindet  das  Laub 
auf,  damit  sie  in  die  Höhe  gehen.  Sind  sie  stark  genug 
so  werden  sie,  um  an  Dicke  zu  gewinnen,  beschnitten,  je- 
doch 1/2  Fuss  lange  Stümpfe  der  Aeste  stehen  gelassen; 
wollte  man  auch  diese  abhauen,  so  würde  der  Baum  zu 
Grunde  gehen.  Dass  sie  einen  salzigen  Boden  lieben, 
haben  wir  bereits  gesagt;  ist  daher  ein  solcher  nicht  vor- 
handen, se  streuet  man  Salz,  jedoch  nicht  an  die  Wurzeln 
sondern  etwas  weiter  entfernt.  Einige  in  Syrien  und  in 
Aegypten  theilen  sich  in  2  Stämme;  in  Cypern  auch  in 
3  und  selbst  in  5.  Sie  tragen  gleich  im  3.  Jahre;  in  Cy- 
pern, Syrien  und  Aegypten  aber  einige  im  4.,  andere  im 
5.,  bei  einer  Höhe  eines  Menschen,  haben  aber,  so  lange 
sie  jung  sind,  keinen  Holzkern  in  der  Frucht,  und  heissen 
deshalb  Entmannte. 

9. 

Es  giebt  viele  Arten  von  ihnen.  Der  unfruchtbaren 
bedient  man  sich  in  Assyrien  und  ganz  Persien  zu  Nutz- 
holz und  prächtigem  Bauwerken.  Es  giebt  auch  Palmen- 
wälder, welche  ausgehauen  werden  und  wiederum  aus  der 
Wurzel  ausschlagen.  Im  Gipfel  haben  sie  süsses  Mark, 
welches  Gehirn  genannt  wird;  nimmt  man  es  ihnen,  so 
bleiben  sie,  was  bei  andern  Bäumen  nicht  der  Fall  ist, 
dennoch  am  Leben.  Diejenigen  mit  etwas  breiten  und 
weichen  Blättern,  welche  sich  vorzüglich  gut  zu  Flechtwerk 
eignen,  heissen  Zwergpalmen  *).  Sie  wachsen  häufig  in 
Greta,  noch  häufiger  aber  in  Sicilien.  Die  Palmen  geben 
eine  lebhaft  brennende  Kohle  und  verbrennen  langsam. 

Die  fruchttragenden  Palmen  haben  theils  einen  kurzen, 
theils  längern,  weichern  oder  härtern,  einige  einen  knochen- 
harten und  mondförmigen  Kern,  der  gegen  Zauberkünste 
dient  und  feierlich  mit  einem  Zahne  geglättet  wird.  Die 
einen  sind  mit  mehreren  oder  weniger  Häuten  bedeckt,  die 


Cliamaerepes.  Chemaerops  humilis  L. 


Di?eizehntes  Buch.  55 

andern  mit  dickem  oder  dünnern.  So  erhalten  wir  49  Arten, 
wenn  man  alle,  auch  die  fremden  Namen,  und  die  ver- 
schiedenen aus  ihnen  bereiteten  Weine  hinzurechnen  will. 
Am  berühmtesten  unter  ihnen  sind  die  geworden,  welche 
man  der  ihnen  angethanen  Ehre  wegen  die  königlichen  ge- 
nannt hat,  weil  sie  bloss  für  die  persischen  Könige  zu 
Babylon  in  einem  Garten  Namens  Bagou  gezogen  wurden; 
mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  nämlich  die  Ver- 
schnittenen, welche  auch  bei  den  Persern  regiert  haben. 
Dieser  Garten  war  nie  in  eines  Andern  als  des  Hofes  Be- 
sitz. In  dem  südlichen  Theile  des  Erdkreises  aber  haben 
diejenigen,  welche  Syagri  i)  und  demnächst  die,  welche 
Margariden  2)  heissen,  das  meiste  Ansehen.  Diese  3)  sind 
weiss,  kurz,  rund.  Beeren  ähnlicher  als  Balanen,  und  daher 
auch  nach  den  Perlen  benannt  worden.  Es  soll  nur  ein 
Baum  davon  in  Chora  sein,  auch  soll  es  nur  einen  von  den 
Syagern  geben.  Vom  letzterm  habe  ich  eine  wunderbare 
Geschichte  erfahren;  er  soll  nämlich  mit  dem  Vogel  Phönix, 
Ton  dem  man  glaubt,  dass  er  von  der  Beschaffenheit  dieses 
Baumes  seinen  Namen  erhalten  habe,  sterben  und  aus  sich 
selbst  wieder  hervorwachsen.  Er  trägt  aber,  da  ich  diess 
schreibe,  Früchte.  Die  Frucht  selbst  ist  gross,  hart,  rauh, 
mid  von  den  übrigen  Arten  durch  einen  ähnlichen  Wildge- 
schmack unterschieden,  wie  wir  ihn  von  den  wilden 
Schweine  kennen,  und  diess  ist  wohl  die  unzweideutigste 
Ursache  seines  Namens.  Den  vierten  Rang  behaupten  die 
von  der  Aehnlickeit  ihrer  Frucht  sogenannten  Sandaliden  *). 
An  der  Grenze  von  Aethiopien  sollen  ihrer  5  und  nicht 
mehr  stehen,  und  sie  verdienen  nicht  sowohl  wegen  ihrer 
Seltenheit,  als  wegen  ihres  angenehmen  Aeussern  Bewun- 
derung. 

Nächst  diesen  sind  die  Caryoten^),  welche  das  meiste 


*)  wörtlich:  wilde  Schweine.     ^)  Perlen. 
3)  Nämlich  die  Früchte  der  Margariden. 
*)  Pantoffelpalmen,  von  sandalium,  Pantoffel. 
^)  Von  Caryota  urens  L. 


56  Dreizehntes  Buch. 

Fleisch  und  den  meisten  Saft  haben,  die  geschätztesten^ 
Aus  ihnen  bereiten  die  Morgenländer  vorzügliche  Weine^ 
welche  den  Kopf  einnehmen,  daher  der  Name  der  Frucht  ^). 
Sowie  sie  hier  in  grosser  Menge  vorkommen,  sind  sie  in 
Judäa  von  edler  Art,  aber  nicht  im  ganzen  Lande,  sondern 
vorzüglich  nur  bei  Jericho;  jedoch  werden  auch  die  in  den 
dortigen  Thälern  Archelais,  Phaseiis  und  Livias  wachsen- 
den gelobt.  Ihr  Hauptvorzug  besteht  darin,  dass  sie  von 
fettem  Safte  träufeln,  und  neben  der  Süsse  des  Honigs 
einen  gewissen  Weingeschmaek  haben.  Die  sogenannte» 
Nicolaen  unter  ihnen  sind  trockner,  aber  von  bedeutender 
Grösse,  da  4  derselben  1  Elle  messen.  Weniger  schön,, 
aber  dem  Geschmacke  nach  die  Schwestern  der  Caryoten,. 
und  darum  Adelphiden  genannt,  kommen  ihnen  an  Lieb- 
lichkeit  zwar  nahe,  jedoch  nicht  gleich.  Die  dritte  Art,  die 
Pateten  2)  haben  zu  viel  Saft,  und  dieser  Ueberfluss  bricht 
sogar,  wenn  die  Frucht  noch  am  Baume  hängt,  aus  der- 
selben hervor,  als  wenn  er  gekeltert  würde. 

Von  den  trocknen  bilden  die  fingerförmigen,  welche 
sich  wegen  ihrer  Länge  und  Dünne  zuweilen  krümmen^ 
eine  eigene  Art.  Diejenigen  unter  ihnen,  welche  wir  den 
Göttern  weihen,  haben  die  Bewohner  Judäa's,  ein  Volk, 
welches  durch  Schmähung  der  Götter  bekannt  ist,  die 
schlechten  3)  genannt.  Die  thebaischen  und  arabischen  sind 
überhaupt  trocken,  klein  und  mager,  durch  die  beständige 
Hitze  ausgedörrt  und  eher  mit  einer  Kruste  als  Haut  über- 
zogen. Diese  Frucht  ist  so  dürre,  dass  sie  in  Aethiopien. 
gerieben  und  als  Mehl  zu  Brot  verbacken  wird.  Sie  wächst 
auf  einem  Strauche  mit  ellenlangen  Aesten  und  breiten 
Blättern,  ist  rund  aber  grösser  als  ein  Apfel  und  heisst 
Coica  *).  Sie  wird  in  3  Jahren  reif;  der  Strauch  hat  immer 
Früchte,  da  stets  welche  nachwachsen.  Die  Frucht  in  The- 
bais   wird  unmittelbar  nach  ihrer  Abnahme  in  Fässer  ge- 


*)  von  caryon  (xaQvov)  Kopf. 

2)  von  TiarrjTog  getreten,  gekeltert.    ^)  chydaei. 

*)  Von  Hyphaena  coriacea  Gäxtn. 


Dreizehntes  Buch.  57 

than;  geschieht  diess  nicht,  so  verraucht  die  ausdünstende 
Feuchtigkeit  hald,  und  sie  verwelkt,  wenn  man  sie  nicht 
in  Oefen  neu  bäckt.  Die  Früchte  der  übrigen  Arten  scheinen 
geringe  zu  sein,  und  heissen  der  Nachtisch  i).  Die  in 
einem  Theile  Phöniciens  und  Siciliens  vorkommenden  führen 
bei  uns  den  Volksnamen  Eicheln,  und  bilden  gleichfalls 
mehrere  Arten,  die  sich  in  Ansehung  der  Runde  oder  Länge 
sowie  durch  eine  mehr  oder  weniger  schwarze  und  rothe 
Farbe  unterscheiden.  Sie  sollen  nicht  weniger  Farbe  haben 
als  die  Feigen;  am  beliebtesten  sind  aber  die  weissen. 
Auch  in  der  Grösse  weichen  sie  von  einander  ab,  und  viele 
sind  einen  Cubitus  lang,  dagegen  manche  nicht  grösser  als 
eine  Bohne,  Diejenigen  endlich,  welche  auf  salzigem  und 
sandigem  Boden,  wie  in  Judäa  und  im  cyrenaischen  Afrika 
wachsen,  hebt  man  auf,  nicht  aber  die  in  Aegypten,  Cypern^ 
Syrien  und  Seienden  in  Assyrien.  Daher  werden  die 
Schweine  und  andere  Thiere  damit  gemästet.  Wenn  die 
Frucht  verdirbt  oder  alt  wird,  fällt  die  weisse  Warze,  wo- 
mit sie  am  Stengel  fest  gesessen  hat,  ab.  Alexander'» 
Soldaten  erstickten  an  grünen  Palmfrüchten,  und  zwar  war 
im  Lande  der  Gedroser  die  Art,  anderwärts  die  Menge  der 
Früchte  daran  schuld;  im  frischen  Zustande  schmecken  sie 
nämlich  so  angenehm,  dass  man  nicht  eher  zu  essen  auf- 
hört, bis  Gefahr  sich  zeigt. 

10. 
In  Syrien  giebt  es  ausserdem  noch  andere  diesem 
Lande  eigenthtimliche  Bäume.  Unter  den  Arten  mit  Nüssen 
ist  die  Pistacie^)  bekannt.  Sie  soll,  im  Getränk  sowohl 
wie  in  Speisen  genossen,  ein  Mittel  gegen  den  Biss  der 
Schlangen  sein.  Von  Feigen  giebt  es  dort  die  Caricae^), 
und  eine  kleinere  Sorte  davon,  welche  man  Gott  an  a  nennt; 
ferner  Pflaumen,  welche  auf  dem  Berge  Damascus 
wachsen^),  und  Sebesten^),  welche  beide  in  Italien  schon 


')  tragemata. 

^)  Pistacia  vera  L.    ^)  Ficus  Carica  L, 

*)  Prunus  domestica  L.    ^)  Myxae.  Cordia  Myxa  L. 


58  Dreizehntes  Buch. 

ganz   einheimisch   sind.    Aus  den  Sebesten  macht  man  in 
Aegypten  auch  Wein. 

11. 

Die  Phönicier  haben  auch  einen  kleinen  Cedernbaum, 
der  dem  Wachholder  ähnlich  ist.  Es  giebt  2  Arten  davon, 
den  lycischen  und  phönicischen.  Sie  unterscheiden  sich 
durchs  Blatt;  der  nämlich,  welcher  ein  hartes,  spitzes  stach- 
liches  hat,  heisst  Oxycedrus  i),  ist  ästig  und  an  den  Knoten 
stechend.  Der  andere  hat  einen  bessern  Geruch  2).  Sie 
tragen  eine  Frucht  von  der  Grösse  der  Myrte,  und  süssem 
Geschmacke.  Auch  von  der  grössern  Ceder^)  giebt  es 
2  Arten.  Welche  blüht,  trägt  keine  Frucht;  die  fruchttra- 
gende blühet  nicht,  und  es  folgt  auf  die  vorhergehende 
Frucht  sogleich  wieder  eine  neue.  Ihr  Same  ist  dem  der 
Cypresse  ähnlich.  Einige  nennen  sie  Cedertanne  4).  Von 
dieser  kommt  das  beste  Harz.  Das  Holz  selbst  aber  ist 
unverweslich,  daher  hat  man  die  Standbider  der  Götter 
aus  demselben  gemacht.  Der  sosianische  Apollo  in  einem 
Tempel  zu  Rom,  den  man  von  Seleucien  hergebracht,  ist 
von  Cedernholz.  In  Arkadien  wächst  ein  Baum,  welcher 
der  Ceder  gleicht;  in  Phrygien  wird  ein  Strauch  Cedris 
genannt. 

12. 

In  Syrien  wächst  auch  die  Terebinthe^).  Der 
Stamm  derselben  trägt  keine  Früchte.  Weibliche  giebt  es 
2  Arten,  eine  mit  röthlicher  Frucht  von  der  Grösse  einer 
Linse,  die  andere  mit  blasser  Frucht,  welche  mit  der 
Weinbeere  zugleich  reif  wird,  nicht  grösser  als  eine  Bohne 
ist,  angenehmer  riecht  und  sich  harzig  anfühlt.  Am  Ida 
in  Troas  und  in  Macedonien  ist  dieser  Baum  niedrig  und 
strauchartig,  in  Damascus  aber  gross.  Sein  Holz  ist  sehr 
zähe,    empfieht    sich   durch   seine   Dauer    und    hat    einen 


^)  luniperus  Oxycedrus  L. 

2)  Scheint  Juniperus  phoenicea  L.  zu  sein. 

3)  Pinus  Cedrus  L. 
'')  Cedrelate. 

5)  Terebinthus.  Pistacia  Terebinthus  L. 


Dreizehntes  Buch.  59 

schwarzen  Glanz;  die  Blüthe  ist  traubig  wie  beim  Oelbaum, 
aber  röthlich;  die  Blätter  stehen  dicht.  Er  trägt  kleine 
Anschwellungen  i)  aus  dene  u  mückenartige  Thiere  kriechen, 
und  die  ein  ähnliches  zähes  Harz,  wie  es  aus  der  Rinde  her- 
vorbricht, ausschwitzen. 

13. 

In  Syrien  trägt  nur  der  männliche  R  h  u  s  2)  Früchte, 
der  weibliche  nicht.  Sein  Blatt  ist  etwas  länger  als  das 
der  Ulme  und  haarig,  die  Blattstiele  stehen  an  einem 
dünneu  und  kurzen  Aste  einander  stets  gegenüber,  und 
dienen  zum  Weissmachen  der  Häute.  Der  Same  gleicht 
einer  Linse,  und  ist,  wenn  er  mit  der  Traube  roth  wird, 
in  welchem  Zustande  er  Rhus  heisst,  ein  nothwendiger 
Bestandtheil  der  Arzneimittel. 

14. 

In  Aegypten  giebt  es  viele  Arten  von  Bäumen,  wel- 
che anderswo  nicht  vorkommen.  Vor  allen  gehört  dahin 
der  Feigenbaum  3)  welcher  daher  auch  den  Beinamen 
der  ägyptische  erhalten  hat.  Er  ist  im  Blatte,  Ansehn  und 
in  der  Grösse  dem  Maulbeerbaume  ähnlich,  und  trägt  die 
Frucht  nicht  an  den  Aesten  sondern  am  Stamme  selbst. 
Diess  ist  die  sehr  süsse  Feige,  welche  inwendig  keine 
Körner  hat,  und  in  ausserordentlicher  Menge  vorkommt, 
man  muss  sie  jedoch  nur  mit  eisernen  Nägeln  ritzen,  sonst 
wird  sie  nicht  reif.  Am  4,  Tage  aber,  nachdem  diess  ge- 
schehen, wird  sie  gepflückt,  indem  sogleich  wiederum  eine 
neue  nachwächst,  und  diese  Vermehrung  dauert  so  fort 
bis  zum  7.  Nachwüchse,  denn  der  Baum  enthält  im  Sommer 
stets  einen  grossen  Vorrath  von  Milchsaft.  Das  Nach- 
wachsen findet  auch  statt,  wenn  man  nicht  ritzt,  und  zwar 
4  mal  im  Sommer,  dabei  stösst  die  folgende  Frucht  die 
erstere  noch  unreif  ab.  Das  Holz  ist  von  eigenthümlicher 
Art  und  gehört  zu  den  nützlichsten.  Sobald  es  gehauen 
ist,  wird  es  ins  Wasser  gesenkt,  was  man  sein  Trocknen 
nennt;  anfänglich  sinkt  es  nämlich  unter,  begiebt  sich 
aber   später   in   die   Höhe,   und   man    darf  nicht  zweifeln, 

•)  folliculi,  eine  Art  Galläpfel. 

^)  Rhus.  Rhus  Coriaria  L.    ^)  Ficus.  Ficus  Sycomorus  L. 


60  Dreizehntes  Buch. 

dass  ein  fremdartiger  Saft,  der  sonst  alles  andere  Holz 
feucht  macht,  dasselbe  aussaugt  (d,  h.  das  Holz  verlässt.) 
Sobald  es  anfängt  zu  schwimmen,  ist  es  zur  Verarbeitung 
hinreichend  vorbereitet. 

15. 

Ihm  sieht  der  sogenannte  cyprische  Feigenbaum i) 
in  Greta  einigermaassen  ähnlich,  denn  auch  dieser  trägt 
die  Früchte  am  Stamme  selbst,  jedoch  auch  an  den  Aesten 
wenn  sie  gehörig  dick  sind.  Er  treibt  einen  Sprössling 
ohne  alle  Blätter  und  vom  Ansehn  einer  Wurzel.  Der 
Stamm  sieht  dem  der  Pappel  und  das  Blatt  dem  der  Ulme 
ähnlich.  Er  setzt  4  mal  Früchte  und  ebenso  oft  Knospen 
an.  Die  Frucht  wird  aber  nur  dann  reif,  wenn  durch 
einen  Einschnitt  die  Milch  abgelassen  wird.  Sie  hat  den 
angenehmen  Geschmack  und  das  Innere  einer  andern 
Feige,  und  die  Grösse  einer  Sorbus-Frucht.  2) 

16. 

Ein  ähnlicher  Baum,  den  die  Jonier  Johannisbrot- 
baum 3)  nennen,  trägt  auch  am  Stamme  selbst  Früchte, 
aber  Schoten,  und  ist  von  Einigen,  jedoch  offenbar  irrthüm- 
licherweise,  der  ägyptische  Feigenbaum  genannt  worden, 
denn  er  wächst  nicht  in  Aegypten,  sondern  in  Syrien, 
Jonien,  bei  Gnidus  und  auf  Rhodus,  hat  beständig  grüne 
Blätter,  weisse  starkriechende  Blüthen,  treibt  unten  Schöss- 
linge  und  sieht,  weil  diese  ihm  den  Saft  nehmen,  ganz 
unten  blassgelb  aus.  Wenn  man  die  Frucht  vom  vorigen 
Jahre  beim  Aufgange  des  Hundssterns  abnimmt,  so  wächst 
sogleich  eine  neue;  nachher,  beim  Aufgange  des  Arcturus. 
kommt  die  Blüthe,  und  den  Winter  über  entwickelt  sich 
die  Frucht. 

17. 

In  Aegypten  wächst  auch  eine  besondere  Art  von 
Pfirsichbaum 4),    der   dem    Birnbäume   gleicht   und   sein 


•)  Varietät  des  vorigen. 

2)  Vergl.  XV.  B.  23.  Cap.    3)  Ceraunia.  Ceratonia  Siliqua  L. 

■*)  arbor  persica.  Amygdalus  persica  L. 


Dreizehntes  Buch.  Q\ 

Laub  nicht  abwirft.  Er  trägt  beständig  Früchte,  indem 
den  folgenden  Tag  schon  wieder  eine  neue  nachwächst; 
beim  Wehen  der  Passatwinde  werden  sie  reif.  Die  Frucht 
ist  grösser  als  eine  Birne,  wird  von  einer  der  Mandel  ähn- 
lichen Hülle  eingeschlossen  und  hat  eine  grasgrüne  Haut; 
doch  während  bei  jener  eine  Nuss,  ist  hier  eine  Fleisch- 
frucht 1),  die  sich  auch  noch  durch  ihre  Kürze  und  Weich- 
heit unterscheidet,  und  obgleich  sie  durch  ihre  angenehme 
Süssigkeit  den  Geschmack  sehr  reitzt,  nicht  schadet.  Das 
Holz  unterscheidet  sich  in  der  Güte,  Festigkeit  und  Schwärze 
in  nichts  von  dem  des  Lotusbaums.  Man  hat  Statuen  aus 
ihnen  gemacht,  die,  obwohl  dauerhaft,  allerdings  nicht  so 
schön  aussehen  wie  die  von  dem  Baume,  welchen  wir 
Baianus  genannt  haben,  und  der  grösstentheils  gewunden 
ist.    Es  dient  daher  jetzt  nur  zum  Schiffbaue. 

18. 
Dagegen  aber  steht  der  Kokosbaum2)  welcher  den 
Palmen  gleicht,  in  grossem  Ansehn,  denn  seine  Blätter 
gebraucht  man  auch  zu  Flechtwerken.  Er  unterscheidet 
sich  nur  dadurch,  dass  er  seine  Aeste  armförmig  ausbreitet. 
Die  Frucht  ist  so  gross,  dass  sie  eine  Hand  füllt,  von 
Farbe  braungelb,  und  enthält  einen  Saft  von  angenehmem 
süsslich  zusammenziehendem  Geschmack.  Der  darin  be- 
findliche Samen  3)  ist  gross,  ausserordentlich  hart  und  wird 
zu  Siegelringen  verarbeitet;  er  enthält  einen  in  frischem 
Zustande  süssen  Kern,  der  aber  durch  Trocknen  so  hart 
wird,  dass  er  nur  dann  gekauet  werden  kann,  wenn  er 
zuvor  mehrere  Tage  lang  eingeweicht  war.  Das  Holz  ist 
schön  gemasert,  und  deshalb  bei  den  Persern  sehr  hoch 
geschätzt. 

19. 
Nicht  minder  berühmt  ist  in  jenem  Lande  *)  der  Dor  n- 
baum^),  jedoch   nur  der  schwarze,  denn   sein  Holz   hält 

')  prunum. 

-)  Cuci.  Cocos  nucifera  L.    ^j  Die  eigentliche  Nuss. 

"*)  Nämlich  in  Aegypten. 

'')  Spina.  Acacia  vera  W. 


(32  Dreizehntes  Buch. 

sich  im  Wasser  unverändert,  und  giebt  deshalb  das  beste 
Material  zu  Schiflfskielen.  Der  weisse  fault  leicht.  Auch 
die  Blätter  haben  Stacheln.  Der  Same  liegt  in  Schoten 
und  dient  zur  Bereitung  des  Leders  statt  der  Galläpfel.. 
Die  Blume  nimmt  sich  schön  in  Kränzen  aus  und  wird 
auch  zu  Arzneimitteln  angewandt.  Es  fliesst  auch  ein 
Gummi  aus  diesem  Baume,  aber  ganz  besonders  nützlich; 
wird  er  dadurch,  dass  er  abgehauen  im  3.  Jahre  wieder 
aufschiesst.  Er  wächst  um  Theben,  wo  auch  die  Eiche,, 
der  Pfirsich-  und  der  Oelbaum  vorkommen,  300  Stadien 
vom  Nile  in  einer  waldigen  Gegend,  welche  durch  die 
Quellen  dieses  Flusses  bewässert  wird.  Dort  wächst  auch 
die  ägyptische  Pflaume,  welche  dem  eben  erwähnten 
Dornbaume  nicht  unähnlich  ist,  eine  der  Mispel  ähnliche,. 
im  Winter  reifende  Frucht  hat  und  die  Blätter  nicht  ver- 
liert. Der  Stein  in  der  Frucht  ist  gross,  das  Fleisch  aber 
liefert  seiner  Beschaffenheit  und  Menge  nach  den  dortigen 
Bewohnern  gleichsam  eine  Erndte.  Nachdem  sie  es  ge- 
reinigt haben,  stossen  sie  es  und  bewahren  es  in  Klossen 
auf.  In  einem  waldigen  Districte  um  Memphis  giebt  es. 
so  starke  Bäume  davon,  dass  3  Menschen  sie  nicht  um-, 
spannen  können.  Einer  von  diesen  ist  besonders  merk- 
würdig, nicht  seiner  Frucht  oder  seines  Nutzens,  sondern 
einer  besondern  Eigenthümlichkeit  wegen;  denn  er  hat 
das  Ansehn  eines  Dornbaumes,  Blätter  wie  Federn,  welche, 
sobald  ein  Mensch  die  Aeste  berührt,  abfallen,  und  sicl^ 
hierauf  wiedererzeugen. 

20, 
Das  Gummi  vom  ägyptischen  Dorubaume,  welches 
für  das  beste  gehalten  wird,  ist  wurmförmig,  graugrün, 
rein,  ohne  Kindentheile  und  hängt  sich  an  die  Zähne. 
1  Pfund  desselben  kostet  3  Denare.  Schlechter  ist  das- 
jenige von  dem  bittern  Mandel-  und  Kirschbaume,  am 
schlechtesten  das  vom  Pflaumenbaume.  Auch  aus  den 
Weinstöcken  fliesst  ein  Gummi,  welches  bei  Geschwüren 
an  Kindern  die  besten  Dienste  leistet;  auch  mitunter  aus 
dem  Oelbaume,   was   gut   für  Zahnweh  ist,    ferner  liefert 


Dreizehntes  Buch.  63 

der  Ulmenbaum  auf  dem  Berge  Corycum  in  Cilicien  und 
der  Wachholder  Gummi,  das  aber  nichts  taugt.  Aus  dem 
Ulmengummi  entstehen  aber  daselbst  die  Mücken.  Auch 
aus  der  Sarkokolle  i),  einem  Baume,  fliesst  Gummi, 
welches  von  den  Malern  und  Aerzten  viel  gebraucht  wird ; 
es  sieht  dem  zerriebenem  Weihrauche  ähnlich,  ist  daher 
weiss  besser  als  röthlich  und  hat  mit  dem  obigen  Gummi 
einen  Preis. 

21. 
Wir  haben  die  Sumpfpflanzen  und  die  an  den  Flüssen 
wachsenden  Sträucher  noch  nicht  berührt.  Ehe  wir  jedocU 
Aegypten  verlassen,  müssen  wir  von  der  Papierstaude  *) 
reden,  weil  hauptsächlich  der  Gebrauch  des  Papiers  uns 
die  Mittel  an  die  Hand  giebt,  Kenntnisse  zu  erwerben  und 
der  Vergessenheit  zu  entziehen.  Das  Papier  soll,  wie 
M.  Varro  berichtet,  durch  den  Sieg  Alexanders  des  Grossen, 
als  er  Alexandrien  in  Aegypten  erbau ete,  erfunden  sein; 
vorher  habe  man  es  nicht  gekannt,  sondern  erst  auf  Palm- 
blättcr,  später  auf  den  Bast  gewisser  Bäume  geschrieben; 
hierauf  die  öffentlichen  Urkunden  auf  bleierne  Rollen,  dann 
die  Privatnachrichten  auf  Leinwand  oder  auf  Wachs  ge- 
tragen; dass  aber  schon  vor  dem  trojanischen  Kriege  die 
Schreibtafeln  im  Gebrauch  gewesen  sind,  finden  wir  bei 
Homer  angeführt.  Nach  Varro  existirte  aber  damals  noch 
nicht  all'  das  Land,  was  wir  jetzt  Aegypten  nennen,  (er 
sagt  nämlich,  die  Papierstaude  wüchse  nur  im  sebenny- 
tischen  Distrikte  Lais),  sondern  wurde  später  erst  durch 
den  Nil  angeschwemmt;  denn  seiner  Angabe  nach  musste 
man  von  der  Insel  Pharus  aus,  welche  jetzt  durch  eine 
Brücke  mit  Alexandrien  verbunden  ist,  einen  Tag  und  eine 
Nacht  lang  segeln,  um  ans  feste  Land  zu  kommen.  Eben- 
derselbe erzählt,  dass  bald  darauf,  als  die  Könige  Ptole- 
mäus  und  Eumenes  wegen  ihrer  Büchersammlungen  eifer- 


*)  Sarcocolla.    Ist  botanisch  noch  nicht  festgestellt. 
2)  Papyruni.  Cyperus  Papyrus  L. 


g4  Dreizehntes  Buch. 

süchtig  auf  einander  wurden,  und  Ptolemäus  das  Papier 
zurückhielt,  die  Schreibhäute  zu  Pergamus  ^)  erfunden  sei- 
en. Nachher  aber  konnte  sich  Jeder  ohne  Unterschied 
eines  Gegenstandes  bedienen,  der  die  Menschheit  unsterb- 
lich gemacht  hat. 

22. 

Die  Papierstaude  wächst  in  Aegypten  an  sumpfigen 
Orten  oder  in  stillstehendem  Nilwasser,  welches  nach 
seinem  Austreten  Teiche  bildet,  in  denen  das  Wasser  nicht 
über  2  Cubitus  tief  ist.  Die  Wurzel  wächst  schräg,  ist 
armdick,  dreieckig,  und  treibt  einen  dünnen,  höchstens  10 
Cubitus  hohen  Schaft,  dessen  Spitze  aber  einen  Strauss 
bildet,  der  weder  Samen  trägt,  noch  irgend  einen  andern 
Nutzen  gewährt,  als  dass  man  die  Götter  damit  bekränzt. 
Die  Wurzel  gebrauchen  die  Bewohner  als  Holz,  und  nicht 
bloss  zum  Brennen  sondern  auch  zur  Verfertigung  nützlicher 
Geschirre.  Aus  dem  Schafte  flechten  sie  Fahrzeuge,  aus 
dem  Baste  Segel,  Decken,  auch  Kleider,  Matratzen  und 
Stricke.  Sie  kauen  ihn  auch  roh  und  abgesotten,  und  ver- 
schlucken bloss  den  Saft  davon.  Diese  Pflanze  wächst 
auch  in  Syrien  an  dem  See,  wo  der  wohlriechende  Calamus 
vorkommt,  und  der  König  Antigonus  hatte  keine  anderen 
Seile  an  seinen  Schiffen  im  Gebrauch  als  von  ihr,  weil  das 
Pfriemenkraut  ^)  noch  nicht  bekannt  war.  Vor  kurzem  hat 
man  gefunden,  dass  die  am  Euphrat  bei  Babylon  wachsende 
Papierstaude  ebenfalls  zur  Bereitung  des  Papiers  brauchbar 
ist;  und  doch  ziehen  es  die  Parther  vor,  die  Buchstaben 
in  ihre  Kleider  einzuweben. 

23. 

Man  bereitet  nun  daraus  das  Papier,  indem  man  die 
Pflanze  mit  Hülfe  eines  spitzen  Instruments  in  äusserst 
dünne  und  möglichst  breite  Häute  ^)  zertheilt.  Das  beste 
kommt  aus  der  Mitte,  und  von  da  ab  nach  Ordnung  der 
Spaltung.    Ehemals  hiess  dasjenige,  welches  bloss  zu  reli- 


•)  Pergament.    -)  Spartum.  Spartium  junceum  L. 
3)  Philurae. 


Dreizehntes  Buch.  t>5 

.:giö8en  Schriften  bestimmt  war,  das  heilige,  jetzt  benennt 
man  es  aus  Schmeichelei  gegen  den  Kaiser  Angustus,  mit 
seinem  Namen,  sowie  die  zweite  Sorte  nach  seiner  Gemahlin 
Livia.  Daher  hat  jetzt  das  heilige  den  dritten  Rang  be- 
kommen. Die  nächste  Sorte,  von  dem  Orte  seiner  Verfer- 
tigung das  ampbitheatralische  genannt,  wurde  in  der 
sinnreichen  Werkstätte  des  Fannius  zu  Rom  durch  beson- 
dere Handgriffe  dünner  gemacht,  dadurch  eine  der  besten 
Sorten  und  mit  dem  Namen  dieses  Mannes  bezeichnet. 
Was  diese  Umarbeitung  nicht  erlitten  hatte,  behielt  seinen 
alten  Namen  amphitheatralisches.  Hierauf  folgt  das  säi- 
tische,  so  genannt  von  der  Stadt,  wo  es  in  grösster  Menge 
und  zwar  von  den  schlechtem  Schnittsein  bereitet  wird. 
Noch  näher  der  Rinde  ist  das  leneotische,  welches  den 
Namen  von  einem  benachbarten  Orte  hat,  und  das  schon 
nach  dem  Gewichte,  nicht  nach  der  Qualität  verkauft  wird. 
Das  Packpapier  taugt  nicht  zum  Schreiben,  und  wird 
bloss  zu  Umschlägen  für  anderes  Papier,  sowie  zum  Ein- 
wickeln der  Waaren  gebraucht;  daher  hat  es  auch  den 
Zunamen  von  den  Kaufleuten  bekommen.  Nach  diesem 
kommt  das  Papier  von  der  äussersten  Rindensubstanz, 
welches  Binsen  ähnlich  ist,  und  nur  zu  Stricken  taugt,  die 
der  Feuchtigkeit  ausgesetzt  sind. 

Alles  Papier  wird  auf  einer  Tafel  mittelst  Nilwasser 
bereitet;  das  trübe  Wasser  vertritt  dabei  die  Stelle  des 
Leims.  Zuerst  klebt  man  ein  abgelöstes  möglichst  langes 
Blatt,  an  welchem  zu  beiden  Seiten  die  Schnitzel  entfernt 
sind,  auf  die  Tafel,  legt  dann  eine  Lage  der  Quere  nach 
auf,  presst  hierauf  das  Ganze,  trocknet  die  Bogen  an  der 
Sonne,  und  verbindet  sie  untereinander,  indem  man  bei 
den  besten  anfängt  und  bei  den  schlechtesten  aufhört. 
Niemals  sind  mehr  als  20  Bogen  in  einer  solchen  Rolle. 

24. 
Die  Breite  des  Papieres   ist  sehr   verschieden;    das 
beste  ist  13,  das  heilige  11,  das  fannianische  10,  das  am- 
pbitheatralische 9  Finger  breit,  das  saitische  noch  schmäler, 
hält  auch  die  Hammerschläge  nicht  aus,  und  das  Packpa- 

Wittstein:  Pliuius.    III.  Bd.  5 


QQ  Dreizehntes  Buch. 

pier  misst  nichf  über  6  Zoll.  Ausserdem  berücksichtigt- 
man  bei  dem  Papiere  die  Dünne,  Festigkeit,  Weisse  und 
Glätte.  Die  erste  Sorte,  das  augustische  hat  der  Kaiser 
Claudius  verändern  lassen,  denn  es  war  zu  dünn  um  dem 
Drueke  der  Feder  zu  widerstehen;  zu  dem  schlug  es  durch, 
sodass  man  befürchten  musste,  auf  der  andern  Seite  etwas 
ausgestrichen  zu  sehen,  und  sah  auch,  weil  es  sehr  durch- 
scheinend war,  nicht  schön  aus.  Man  gab  ihr  daher  eine 
Unterlage  von  der  zweiten  Haut,  und  machte  aus  der  ersten 
Haut  Gewebe.  Auch  seine  Grösse  hat  man  vermehrt. 
Das  Regalpapier  ^)  war  einen  Fuss  breit  und  l  Cubitus 
lang,  allein  man  sah  den  Nachtheil  davon  ein,  weil  man 
durch  Abreissen  eines  Blättchens  viele  Bogen  beschädigte.. 
Daher  zog  man  das  claudische  Papier  allen  andern  vor, 
bei  Briefen  hält  man  noch  das  augustische  in  Ehren;  das 
livianische  hat  sein  Ansehn,  als  2.  Sorte  behalten. 

25. 

Das  rauhe  Papier  wird  mit  einem  Zahne  oder  einer 
Muschel  geglättet,  aber  die  Schrift  hält  sich  nicht  lange 
darauf.  Geglättetes  Papier  zieht  weniger  an,  und  glänzt 
mehr.  Die  Nässe,  welche  ihm  zuerst  aus  Nachlässigkeit 
gegeben  worden,  wirkt  nachtheilig  darauf  ein,  und  diess 
zeigt  sich  beim  Daraufschlagen  mit  dem  Hammer,  oder 
auch  durch  den  Geruch,  wenn  noch  weniger  Sorgfalt  dabei 
verwandt  ist.  Das  fleckige  erkennt  man  am  Ansehn ,  die 
Streifen  aber  an  den  Stellen,  wo  es  zusammengeleimt  ist; 
und  wenn  es,  gleich  einem  Schwämme,  Feuchtigkeit  ein- 
saugt, so  fliesst  die  Schrift  aus.  Soviel  Betrug  findet  da- 
bei statt!  Man  hat  nun  die  Arbeit,  es  zu  verleimen,  von 
Neuem. 

26. 

Der  gemeine  Leim  wird  aus  dem  feinsten  Mehle  mit 
siedendem  Wasser  und  etwas  wenigem  Essig  bereitet,  denn 
der  Tischlerleim  und  das  Gummi  sind  zu  zerbrechlich. 
Noch  besser  thut  man,  wenn  man  sich  des  durchgeseiheten> 


')  macrocollum. 


Dreizehntes  Buch.  g7 

Wassers  von  gesäuertem  Brote  bedient,  denn  auf  diese 
Weise  kommt  am  wenigsten  Unreinigkeit  darunter;  auch 
ist  diess  besser  als  Leimsamenschleim.  Aller  Leim  darf 
nicht  älter  und  nicht  frischer  als  einen  Tag  sein.  Hierauf 
wird  das  Papier  mit  dem  Hammer  dünn  geschlagan,  noch- 
mals durch  den  Leim  gezogen,  wenn  es  sich  gerunzelt  hat 
geebnet,  und  wiederum  geschlagen.  Durch  diese  Bearbei- 
tung haben  sich  die  Schriften  von  der  Hand  der  Gracchen 
Tiberius  und  Cajus,  welche  ich  bei  Pomponius  Secundus, 
einem  hochbertihmten  Dichter  und  Bürger,  fast  200  Jahre 
nachher  gesehen  habe,  so  lange  gehalten.  Die  Schriften 
des  Cicero,  Kaiser  Augustus  und  Virgilius  habe  ich  oft 
Gelegenheit  zu  sehen. 

27. 

Gegen  die  oben  ^)  mitgetheilte  Meinung  Varro's  über 
das  Papier  liegen  aber  gewichtige  Thatsachen  vor.  Cas- 
sius  Hemina  ^),  der  älteste  Annalenschreiber ,  erzählt  näm- 
lich im  4.  Buche  derselben,  der  Schreiber  Cn.  Terentius 
habe,  als  er  seinen  Acker  auf  dem  Janikulus-Berge  umgrub, 
eine  Kiste  gefunden,  in  welchem  der  römische  König  Nu- 
ma,  gelegen  sei.  In  eben  derselben  Kiste  habe  man  auch 
unter  den  Consuln  P.  Cornelius,  L.  F.  Cethegus,  M.  Bäbius 
unter  Q.  F.  Tamphilus,  bis  zu  deren  Zeit  von  Numa's  Re- 
gierung an  535  Jahre  verstrichen  waren,  dessen  Bücher 
gefunden,  und  diese  seien  von  Papier  gewesen.  Noch 
mehr  muss  man  sich  wundern,  dass  sie  sich  so  viele  Jahre 
hindurch  in  der  Frde  vergraben  erhalten  haben,  ich  will 
deshalb  bei  dieser  so  wichtigen  Begebenheit  Hemina's  eig- 
nen Worte  anführen.  Einige  fanden  es  nämlich  wunderbar 
wie  die  Bücher  so  lange  hätten  unversehrt  bleiben  können; 
er  erklärt  es  aber  auf  folgende  Weise:  Es  habe  mitten 
in  der  Kiste  ein  viereckiger  Stein  gelegen,  welcher  allent- 
halben mit  Talglichtern  umwunden  gewesen  sei;  die  Bücher 


')  Im  21.  Cap. 

2)  Lebte  zur  Zeit  des  2.  punischen  Krieges;  seine  Annalen  sind 
verloren. 


6g  Dreizehntes  Buch. 

hätten  in  diesen  Steine  gelegen,  und  deshalb,  wie  er  glaube^ 
nicht  faulen  können.  Auch  wären  die  Bücher  mit  Citro- 
nenöl  bestrichen  gewesen,  und  daher  möchten  sie  die 
Motten  vielleicht  nicht  angefressen  haben.  In  diese  Bücher 
war  die  Philosophie  des  Pythagoras  eingeschrieben,  und 
sie  sollen,  weil  es  philosophische  Schriften  waren,  von  dem 
Prätor  Q.  Petilius  verbrannt  worden  sein.  Dasselbe  be- 
richtet L.  Piso  Censorius  im  ersten  seiner  Commentare 
doch  sagt  er,  7  Bücher  hätten  vom  Priesterrechte  gehan- 
delt, und  ebenso  viele  wären  pythagorischen  Inhalts  ge- 
wesen. Tudetanus  ^)  giebt  im  14.  Buche  seiner  Schriften 
an,  sie  hätten  die  Gesetze  Numa's  enthalten;  selbst  Varro 
sagt  im  7.  Buche  seiner  menschlichen  Alterthumskunde, 
und  Antias  im  2,  es  wären  12  lateinische  Bücher  vom 
Priesterrechte,  und  ebenso  viele  griechische,  welche  die 
Lehren  der  Philosophie  enthalten  hätten,  gewesen.  Letz- 
terer meldet  noch  im  3.,  man  habe  den  Beschluss  gefasst 
sie  zu  verbrennen.  Darin  aber  stimmen  alle  überein,  eine 
gewisse  Sibylle  habe  dem  Tarquinius  Superbus  3  Bücher 
gebracht;  von  diesen  sind  2  von  ihm  selbst,  das  dritte  aber 
mit  dem  Capitolium  zu  den  Zeiten  Sulla's  verbrannt. 
Ausserdem  schreibt  Mutianus,  welcher  dreimal  Consul  war, 
er  habe  neulich,  als  er  Lycien  verwaltete,  in  einem  Tem- 
pel einen  von  Troja  her  auf  das  Papier  geschriebenen 
Brief  Sarpedon's  gelesen.  Ich  wundere  mich  hierüber  um 
so  mehr,  wenn  zu  der  Zeit,  als  Homer  sein  Gedicht  schrieb, 
Aegypten  noch  nicht  da  war;  2)  oder  warum  er,  wenn  man 
schon  den  Gebrauch  des  Papiers  kannte,  auf  bleierne  oder 
leinene  Rollen  schrieb?  Ferner,  warum  Homer  sagt,  dass 
selbst  in  diesem  Lycien  dem  Bellerophon  eine  Schreibtafel 
und  nicht  ein  Brief  mitgegeben  sei?  —  Auch  die  Papier- 
staude missräth  zuweilen,  und  man  sah  sich  schon  unter 
der  Regierung  des  Tiberius  aus  Mangel  am  Papier  veran- 
lasst, von  Seite   des  Senats  Schiedsrichter  zur  Vertheilung 


')  Ein  unbekannter  Schriftsteller. 

2)  D.  h.  in  der  jetzigen  Ausdehnung  Vgl.  Cap.  21.  dieses  Buches. 


Dreizehntes  Buch.  69 

desselben   zu   ernennen,   sonst  wäre  das  ganze  Leben   in 
Verwirrung  gerathen. 

28. 

Aethiopien,  welches  an  Aegypten  grenzt,  hat  beinahe 
gar  keine  ausgezeichneten  Bäume,  ausser  den  wolletra- 
genden, von  denen  schon  bei  Beschreibung  Indiens  und 
Arabiens  die  Rede  war.  Diese  Wolle  nähert  sich  jedoch 
mehr  der  Natur  der  Schafwolle,  die  Fruchtkapsel  ist 
grösser  als  ein  Granatapfel,  und  die  Bäume  selbst  sind 
unter  sich  einander  gleich.  Ausserdem  giebt  es  daselbst 
auch  Palmen,  wie  wir  sie  beschrieben  haben.  Die  Bäume 
der  um  Aethiopien  liegenden  Inseln  und  die  wohlriechenden 
Wälder  sind  schon  bei  diesen  Inseln  selbst  angeführt 
worden. 

29. 

Man  erzählt  von  einem  auf  dem  Berge  Atlas  befind- 
lichen merkwürdigen  Walde,  dessen  wir  bereits  erwähnt 
haben  i).  An  diesen  grenzen  die  Mauren,  in  deren  Lande 
der  Citrusbaum^)  sehr  häufig  wächst,  aus  dem  man 
Tische  verfertigt,  die  zu  unsinniger  Verschwendung  Anlass 
geben,  und  deren  Anschaffung  die  Weiber  ihren  Perlen 
gegenüber  den  Männern  zum  Vorwurfe  machen  könnten. 
Noch  jetzt  existirt  ein  solcher  Tisch  des  M.  Cicero,  der 
beidem  damaligen  Geldmangel,  und  was  noch  mehr  zu  bewun- 
dern ist,  in  jenem  Zeitalter  für  L  Million  Sesterzen  gekauft 
wurde.  Auch  wird  eines  Tisches  des  Gallus  Asinius  ge- 
dacht, der  1,100,000  Sesterzen  kostete.  Ferner  sind  2 
Tische  des  Königs  Juba  verkauft  worden,  von  denen  der 
eine  um  1,200,000  Sesterzen,  der  andere  zu  einem  etwas 
geringern  Preise  wegkam.  Neulich  verbrannte  ein  von 
dem  Cethegern  herstammender,  der  um  1,400,000  Sesterzen 
erstanden  war  —  eine  Summe,  für  welche  man  ein  grosses 
Landgut  kaufen  könnte.  Der  grösste  unter  allen  war  bis 
jetzt  der  des  Königs  Ptolemäus   in  Mauritanien,  welcher 


')  V.  B.  1.  Cap. 

^)  Citrus.  Thuja  articulata  Vahl, 


70  Dreizehntes  Buch. 

aus  2  halben  Zirkeln  zusammengesetzt  war,  41/2  Fuss  im 
Durchmesser  und  1/4  Fuss  in  der  Dicke  hatte.  An  ihm 
musste  man  die  Kunst  bewundern,  denn  die  Fugen  waren 
so  verborgen,  als  wenn  die  Natur  sie  gemacht  hätte.  Des- 
gleichen einer  aus  einem  Stücke,  welcher  von  Nomius, 
einem  Freigelassenen  des  Kaiser  Tiberius,  einen  Beinamen 
erhielt,  4  Fuss  weniger  3/^  ZolP)  gross  und  V2  Fuss  we- 
niger 3/4  Zoll  dick  war.  Hierbei  glaube  ich  nicht  uner- 
wähnt lassen  zu  dürfen,  dass  der  Kaiser  Tiberius  einen 
Tisch  gehabt  hat,  der  ^6  Sicilicus  mehr  als  4  Fuss  gross, 
durchaus  aber  nur  anderthalb  Zoll  dick,  und  mit 
einer  Platte  tiberdeckt  war,  während  -doch  sein  Freigelas- 
sener einen  so  vorzüglichen  besass.  Das  Material  zu 
diesen  Tischen  ist  der  knollige  Auswuchs  einer  Wurzel, 
und  derjenige  Theil  davon,  welcher  ganz  unter  der  Erde  steckt, 
wird  am  meisten  geschätzt,  aber  weit  seltener  gefunden,  als  ein 
über  der  Erde  oder  auch  an  den  Zweigen  befindlicher.  Was  zu 
so  hohen  Preisen  gekauft  wird,  ist  eigentlich  ein  krankhaftes 
Erzeugniss  der  Bäume,  deren  Umfang  und  Wurzeln  man  aus 
den  Ringen  beurtheilen  kann.  Sie  sind  aber  dem  wilden 
Cypressenbaume  im  Blatte,  Gerüche  und  Stamme  ähnlich. 
Ein  Berg  im  diesseitigen  Mauritanien,  genannt  der  Anker- 
berg 2),  lieferte  die  besten  Citrusbäume,  ist  aber  jetzt  er- 
schöpft. 

30. 
Die  Tische  mit  krausen  Adern  oder  kleinen  Wirbeln 
haben  den  Vorzug.  Jene  laufen  längs  dem  Holze,  woher 
letzteres  denn  auch  getigert  genannt  wird,  diese  entstehen 
durch  Einwärtsdrehen,  und  solches  Holz  heisst  gepanthert. 
Es  giebt  auch  Tische  mit  wellenförmig  krauser  Zeichnung, 
und  diese  sind  noch  beliebter,  wenn  sie  den  Pfauenfeder- 
augen gleichen.  Nächst  ihnen  stehen  auch,  ausser  den 
schon  genannten,  die  im  Ansehen,  welche  wie  mit  einem 
dichten  Haufen  Körnern  gesprengt  sind,  und  aus  diesem 
Grunde   die   getüpfelten  3)    genannt   werden.     Ihr  höchster 


')  Tres  sicilici.    -)  ancorarins.    ^)  apiatae. 


Dreizehntes  Buch.  71 

Weith  beruht  aber  bei  allen  auf  der  Farbe;  am  beliebte- 
sten ist  die  Farbe  des  Mostes,  welche  aus  seinen  Adern 
schimmert.  Dann  folgt  ihre  Grösse;  man  hat  sie  entweder 
aus  einem  Stamme,  oder  aus  mehreren  Stämmen  verbunden. 

Fehler  eines  Tisches  sind;  das  Holz  d.  i.  der  todte 
Stamm,  oder  die  ungeordnete  Einfachheit,  oder  die  Ver- 
theilung  nach  Art  der  Platanenblätter;  ferner  die  Aehn- 
lichkeit  mit  den  Adern  oder  der  Farbe  der  Eiche,  sowie 
Risse  oder  Rissen  gleiche  Fasern,  welche  sie  durch  Ein- 
fiuss  von  Hitze  und  Wind  bekommen  haben.  Sodann  ein 
durchlaufender  schwarzer  Streif),  die  Einfassung  mit  ver- 
schiedenen krummen  Punkten  gleich  Mohnsaamen,  und 
überhaupt  die  dem  Schwarzen  sich  mehr  nähernde  Farbe 
oder  mehrfarbige  Flecke.  Die  Barbaren  vergraben  das 
grüne  Holz  in  die  Erde,  und  bestreichen  es  mit  Wachs; 
die  Künstler  aber  legen  es  7  Tage  lang  in  Getreidehaufen, 
und  ebenso  lange  heraus,  und  es  ist  merkwürdig,  wie  viel 
dadurch  am  Gewichte  abgeht.  Neulich  sind  wir  durch 
Schiffbrüche  belehrt  worden,  dass  diess  Holz  auch  im 
Meere  austrocknet,  und,  ohne  Verminderung  seiner  Härte, 
auf  keine  andere  Weise  dichter  wird.  Man  conservirt 
diese  Tische  am  besten  und  erhält  sie  glänzend,  wenn 
man  sie  mit  trockner  Hand,  besonders  gleich  nach  dem 
Bade,  reibt;  auch  macht  der  Wein  auf  ihnen  kleine  Flecke, 
wie  er  es  auf  seinem  eignen  Holze  thut. 

Dieser  Baum  gehört  unter  die  seltenern  Geräthe  eines 
glänzendem  Hausstandes;  daher  wollen  wir  noch  ein  wenig 
bei  ihm  verweilen.  Auch  Homer  kannte  ihn;  im  Griechi- 
schen heisst  er  Thyon  ^),  bei  Andern  Thya,  und  seiner  Aus- 
sage nach  wird  das  Holz  nebst  anderen  Rauch  werken,  zu 
Ehren  der  Circe,  welche  er  für  eine  Göttin  ausgiebt,  an- 
gezündet. Wer  aber  unter  jenem  Worte  Thya  Parfüme 
versteht,  irret  sehr,  denn  er  spricht  vorzüglich  in  diesem 
Verse  vom  Brennen  der  Ceder  und  Lärchentanne,  und  es 


')  muraena. 

2)  Der  göttliche. 


72  Dreizehntes  Buch. 

ist  klar,  dass  nur  von  Bäumen  die  Rede  ist.  Theophrastus^ 
der  nächste  Schriftsteller  nach  dem  Zeitalter  Alexanders 
des  Grossen,  um  das  Jahr  440  nach  Rom's  Erbauung,  er- 
weist diesem  Baume  schon  grosse  Ehre,  und  meldet,  dass 
aus  ihm  das  Gebälk  der  alten  Tempel  gemacht  sei,  und 
dass  das  Holz  wegen  seiner  Fehlerlosigkeit  und  Dauer- 
haftigkeit ein  unverwesliches  Material  zu  Häusern  abgebe. 
Nichts  sei  krauser  als  seine  Wurzel,  und  nichts  liefere 
kostbarere  Werke.  Von  .  vorzüglicher  Beschaffenheit 
aber  sei  er  beim  Tempel  des  Hammon,  doch  wachse  er 
auch  im  untern  Theile  der  cyrenaischen  Provinz.  Von 
Tischen  sagt  er  jedoch  nichts,  auch  findet  man  vor  dem 
ciceronianischen  keines  älteren  erwähnt,  woraus  hervorgeht, 
dass  sie  etwas  Neues  sind. 

31. 

Ein  anderer  Citrusbaum  trägt  eine  Frucht;  die- 
bei  Einigen  wegen  ihres  Geruchs  und  ihrer  Bitterkeit  ver- 
hasst,  bei  Andern  beliebt  ist,  auch  zur  Ausschmückung  der 
Häuser  dient;  doch  wollen  wir  uns  nicht  länger  dabei 
aufhalten. 

32. 

In  dem  uns  gegenüberliegenden  Theile  Afrikas  wächst 
auch  der  berühmte  Baum  Lotus,  den  man  Celtis  i)  nennt^ 
und  der  auch  in  Italien  bekannt,  aber  durch   den  Boden 
verändert   ist.    Am  besten  findet   er  sich  bei  den  Syrten. 
und  den  Nasamonen.    Er  hat  die  Grösse  eines  Birnbaumes,- 
obgleich  Cornelius  Nepos  ihn  für   niedrig  ausgiebt.     Sein 
Blatt  ist  mehrfach  eingeschnitten,  wie  das  der  Eiche.    Es 
giebt  verschiedene  Abarten,  die  am  besten  durch  die  Frucht 
bestimmt  werden.    Diese  hat  die  Grösse  einer  Bohne,  eine 
safranartige  Farbe,  erscheint  jedoch  vor  der  Reife  bald  so,. 
bald   so   gefärbt,  wie  man  es  bei  den  Weintrauben  sieht. 
Er   wächst  mit   dichten  Zweigen   gleich  der  Myrte,  nicht,, 
wie  in  Italien,  gleich  dem  Kirschbaum,  und  giebt  doit  auch.. 


')  Celtis  australis  L. 


Dreizehntes  Bach.  73 

eine  so  süsse  Speise  ')»  dass  das  Volk  und  Land,  deren 
grosse  Gastfreundschaft  die  Ankömmlinge  ihr  Vaterland 
vergessen  lassen,  den  Namen  davon  bekommen  hat.  Die, 
welche  davon  essen,  sollen  kein  Bauchgrimmen  bekommen. 
Sie  ist  besser  ohne  den  Innern  Kern,  der  bei  einer  andern 
Art  Knochenhärte  hat.  Man  presst  auch  einen  Wein  daraus, 
der  dem  Moste  ähnlich  ist,  und  nach  demselben  Nepos 
sich  nicht  über  10  Tage  halten  soll;  auch  werden  die 
Beeren  zerschnitten  und  mit  Graupen  zur  Speise  in  Fässer 
gepackt.  Ja  wir  haben  selbst  erfahren,  dass  ganze  Kriegs- 
heere auf  ihren  Zügen  durch  Afrika  sich  davon  genährt 
haben.  Das  Holz  hat  eine  schwarze  Farbe,  und  wird  zur 
Verfertigung  von  Flöten  sehr  gesucht.  Aus  der  Wurzel 
macht  man  Messergriffe  und  andere  kleine  Geräthschaften. 
Diess  ist  die  Natur  des  dortigen  Baumes  Lotus. 

Unter  demselben  Namen  giebt  es  auch  ein  Kraut  2)^ 
und  in  Aegypten  unter  den  Sumpfgewächsen  ein  Stengel- 
gewächs 3).  Wenn  nämlich  das  ausgetretene  Nilwasser 
wieder  abnimmt,  so  kommt  ein  bohnenähnlicher  Stengel 
hervor,  der  dicht  mit  Blättern  besetzt  ist,  nur  dass  diese 
dünner  und  kürzer  sind  wie  bei  der  Bohne,  und  an  der 
Spitze  eine  Frucht  trägt,  welche  durch  ihre  Einschnitte 
sowohl  wie  in  jeder  andern  Hinsicht  dem  Mohne  gleicht 
und  im  Innern  hirseartige  Samen  hat.  Die  Einwohner 
lassen  die  Köpfe  auf  einem  Haufen  faulen,  trennen  dann 
die  Samen  durch  Waschen,  trocknen,  stossen  sie,  und  be- 
dienen sich  derselben  statt  des  Brotes.  Ausserdem  erzählt 
man  noch  folgendes  Merkwürdige  davon:  diese  dem  Mohn 
ähnlichen  Köpfe  schliessen  sich  beim  Untergange  der  Sonne 


*)  Plinius  verwechselt  hier  Celtis  australis  mit  anderen  Pflanzen, 
denn  erstere  hat  eine  unschmackhafte  Frucht.  Der  Lotus  mit  süsser 
Frucht  ist  entweder  Zizyphus  Lotus  W,  oder  Diospyros  Lotus,  oder 
man  begriff  darunter  beide  zusammen. 

^)  Melilotus  messanensis  L. 

3)  caulis.  Hierher  gehören  2  Species ,  Nymphaea  Lotus  und' 
Nymphaea  Nelumbo  (Nelumbium  speciosum). 


74  Dreizehntes  Buch. 

und  bedecken  sich  mit  den  Blättern,  bei  Sonnenaufgange 
aber  öffnen  sie  sich,  bis  sie  endlich  reifen,  und  die  Blüthe, 
welche  weiss  ist,  abfällt. 

Ferner  wird  berichtet,  der  Kopf  und  die  Blume  tauchen 
im  Euphrat  vom  Abend  bis  Mitternacht  unter,  und  gehen 
ganz  in  die  Tiefe  hinab,  so  dass  mau  sie  mit  ausgestreckter 
Hand  nicht  fassen  könne.  Dann  kehre  die  Pflanze  um,  er- 
hebe sich  allmählig,  steige  beim  Aufgange  der  Sonne 
wiederum  aus  dem  Wasser,  öffne  ihre  Blume,  und  erhöbe 
sich  soweit,  dass  sie  hoch  über  dem  Wasser  stehe.  Diese 
Lotuspflanze  hat  eine  Wurzel  von  der  Grösse  eines  Quitten - 
apfels,  welche  mit  einer  schwarzen  Rinde,  ähnlich  der, 
welche  die  Kastanien  umschliesst,  bedeckt  ist.  Inwendig 
befindet  sich  ein  weisses,  angenehm  schmeckendes  Fleisch, 
das  jedoch  in  Wasser  gekocht  oder  auf  Kohlen  gebraten 
noch  besser  mundet.  Die  Abfälle  davon  sind  die  beste 
Mästung  für  die  Schweine. 

33. 

In  der  cyrenaischen  Provinz  zieht  man  den 
Paliurus^)  dem  Lotus  vor.  Er  hat  mehr  das  Ansehen 
eines  Strauchs,  die  Frucht  ist  röthlicher  (der  Kern  wird 
nicht  mitgegessen),  schmeckt  an  und  für  sich  schon  ange- 
nehm, aber  noch  angenehmer  mit  Wein,  ja  ihr  Saft  erhöht 
den  Geschmack  des  Weines.  Das  innere  Afrika  bis  zu 
dem  Gebiete  der  Garamanter  und  die  Wüsten  sind  durch 
ihre  grossen  und  schönen  Palmbäume,  von  denen  die  auö- 
gezeichnetsten  beim  Tempel  des  Hammon  stehen,  bekannt. 

34. 

Aber  um  Carthago  behauptet  der  punische  Apfel  2) 
selbst  durch  seinen  Beinamen,  den  ersten  Rang.  Er  heisst 
auch  Granatapfel  und  wird  in  mehrere  Arten  getheilt. 
Diejenige,  welche  keinen  holzigen  Kern  hat,  heisst  die 
kernlose,  ist  von  Natur  weisser,  die  Kerne  milder,  und 
durch  weniger  bittere  Häute  getrennt.    Sonst  besitzen  sie 


*)  Rhamnus  Paliurus  L. 

^)  Punicmii  malum.  Punica  Granatum. 


Dreizehntes  Buch.  75 

alle  gemeinschaftlich  einen  besondern,  dem  der  Bieuen- 
scheiben  ähnlichen  Bau.  Fünf  Arten  haben  Kerne,  nemlich 
süsse,  scharfe,  vermischte,  saure,  weinige.  Die  samnische 
und  ägyptische  unterscheidet  man  als  rothlaubige  und 
weisslaubige.  Von  den  herben  eignet  sich  die  Einde  besser 
zum  Gerben.  Die  Blume  heisst  Balaustium,  dient  zu 
Arzneien  und  zum  Färben  der  Kleider,  deren  Farbe  davon 
benannt  wird. 

35. 

In  Asien  und  Griechenland  wachsen  unter  andern 
folgende  Sträucher :  Epipactis  1),  welche  Einige  Helleborine 
nennen,  mit  kleinen  Blättern,  aus  denen  man  einen  Trank 
gegen  Gifte  bereitet;  ebenso  dienen  die  derErice^)  gegen 
den  Schlangenbiss.  Ferner  die  Pflanze,  auf  welcher  das 
gnidische  Korn  wächst,  das  verschiedene  Namen  führt, 
nämlich:  Linum,  Thymeläa,  Chameläa,  Pyrosachne, 
Cnestron,  Cneoron^).  Der  Strauch  selbst  ist  dem  wilden 
Oelbaume  ähnlich,  hat  aber  schmalere  Blätter,  die  gekauet 
Harzgehalt  zeigen,  und  die  Grösse  einer  Myrte.  Der  Same 
gleicht  in  der  Farbe  und  Gestalt  dem  Getreide.  Es  wird 
nur  in  der  Medicin  Anwendung  davon  gemacht. 

36. 

Der  Strauch  Tragion*)  wächst  allein  auf  der  Insel 
€reta,  gleicht  der  Terebinthe,  auch  im  Samen,  und  dieser 
soll  das  wirksamste  Mittel  gegen  die  Pfeilwunden  sein. 
Auch   kommt   dort   der  Bocksdorn'')    mit   einer   der   des 


•)  Epipactis  grandiflora  Sm. 

2)  Erica  arborea  L. 

3)  Plinius  verwechselt  hier  mehrere  Arten  Daphne  mit  einander. 
Das  gnidische  Korn  und  die  Thymelaea  ist  D.  Gnidium  L.;  Chame- 
laea  und  Cnestron  ist  D.  oleoides  L.;  Cneoron  ist  D.  Tartonraira  L. 
die  übrigen  Namen  im  Texte  gehören  der  einen  oder  andern  dieser 
Arten  an,  nur  lässt  sich  bei  der  mangelhaften  Beschreibung  nicht 
sagen  welcher? 

*)  Ohne  Zweifel  ein  Astragalus. 

^)  Tragacanthe.  Astragalus  Tragacantha  L.  (A.  aristatus  L'Her. 
und  A.  creticus  Sibth). 


76  Dreizehntes  Buch. 

weissen  Dornstrauchs  gleichen  Wurzel  vor ,  welche  der  in 
Medien  und  Achaja  wachsenden  weit  vorgezogen  wird. 
10  Pfund  davon  kosten  3  Ass. 

37. 

Auch  Asien  hat  einen  Tragus ')  oder  sogenannten 
Scorpion,  einen  Dornstrauch  ohne  Blätter,  und  mit  röth- 
lichen  Trauben,  der  in  der  Medicin  gebraucht  wird.  In 
Italien  wächst  die  Myrice,  welche  Einige  Tamarisce^) 
nennen;  in  Achaja  die  wilde  Brya,  an  welcher  das  merk- 
würdig ist,  dass  nur  die  angebauete  eine  dem  Galläpfel 
ähnliche  Frucht  trägt.  In  Syrien  und  Aegypten  wächst 
diese  Pflanze  häufig;  ihr  Holz  nennen  wir  das  unglückliche^), 
jedoch  hat  Griechenland  ein  noch  unglücklicheres  Gewächs, 
nämlich  den  Baum  Ostrys,  von  Einigen  auch  Ostrya*) 
genannt,  einzeln  an  Klippen  im  Wasser,  dessen  Rinde  und 
Aeste  denen  der  Esche,  dessen  Blätter  denen  des  Birn- 
baumes ähnlich  sehen,  nur  dass  sie  etwas  länger  und  dicker 
sind,  Einschnitte  und  Runzeln,  welche  ganz  hindurch  laufen, 
haben.  Der  Same  gleicht  in  Gestalt  und  Farbe  der  Gerste, 
Sein  Holz  ist  hart  und  fest,  und  soll  in  ein  Haus  gebracht 
schwere  Geburten  und  einen  kläglichen  Tod  bewirken, 

38. 

Eben  so  unheilbringend  ist  der  sogenannte  Spindel- 
baum 5)  auf  der  Insel  Lesbos,  der  dem  Granatbaum  etwas 
gleich  sieht;  sein  Blatt  hält  das  Mittel  in  der  Grösse 
zwischen  dem  des  Granatbaums  und  des  Lorbeers,  hat 
aber  die  Gestalt  und  Weichheit  des  erstem,  die  Blume 
mehr  weiss.  Er  ist  stets  der  Verkündiger  der  Pest.  Seine 
Schoten  sind  denen  des  Sesams  ähnlich,  die  darin  befind- 
lichen Körner  viereckig,  dicht  und  den  Thieren  tödtlich; 
die  Blätter  haben  dieselbe  Wirkung.  Zuweilen  hilft  eine 
schnelle  Ausleerung  des  Leibes  dagegen. 


')  Ephedra  distachya  L.    "■')  Tamarice.  Tamarix  africana  Desf^ 

^)  Nämlich  zu  Vorbedeutungen. 

^)  Ostrya  vulgaris  W,  die  Hopfenbuche. 

^)  Evonymus.  Evonymus  latifolius  Scop. 


Dreizehntes  Buch.  77 

39. 

Alexander  Cornelius  neunt  den  Baum,  aus  welchem 
das  Schiff  Argo  gemacht  sei,  Eon;  er  sei  der  Eiche,  welche 
die  Mistel  trägt  *■),  ähnlich,  und  könne  gleich  der  Mistel 
weder  durch  Wasser  noch  durch  Feuer  zerstört  werden. 
So  viel  ich  weiss,  kennt  ihn  Niemand  weiter. 

40. 

Den  Namen  Andrachle  übersetzen  fast  alle  Griechen 
mit  Portulaca,  während  dieses  doch  ein  Kraut  ist,  und, 
durch  einen  einzigen  Buchstaben  unterschieden,  Andrachne 
genannt  wird.  Uebrigens  ist  der  Andrachle  2)  ein  wilder 
Baum,  der  nicht  in  Ebenen  wächst,  und  dem  Unedo  gleicht, 
nur  dass  sein  Blatt  kleiner  ist  und  niemals  abfällt.  Seine 
Rinde  ist  zwar  nicht  rauh,  scheint  aber  rundum  beinahe 
wie  gefroren,  so  traurig  ist  sein  Ansehen. 

41. 

Der  Coccygia^)  gleicht  ihm  im  Blatte,  ist  aber  kleiner. 
Er  besitzt  die  Eigenschaft,  die  Frucht  zu  verlieren,  wenn 
dieselbe  eine  wollige  Krone  (das  sogenannte  Pappus)  hat, 
was  man  bei  keinem  andern  Baume  findet.  Ihm  ähnlich 
ist  der  Apharce,  der  gleich  dem  Andrachle  2 mal  trägt; 
die  erste  Frucht  wird  reif,  wenn  die  Weintraube  anzusetzen 
beginnt,  die  zweite  im  Anfange  des  Winters;  wie  sie  be- 
schaffen sind,  ist  nicht  angegeben. 

42. 

Es  wird  auch  passend  sein,  das  wir  die  Ferula  unter 
den  ausländischen  Gewächsen  abhandeln  und  den  Bäumen 
zurechnen,  denn  einige  Bäume  haben  (wie  wir  den  Unter- 
schied gefunden  haben)  alles  Holz  an  der  Stelle  der  Rinde, 


•)  Die  eigentliche  Mistel,  Viscum  album,  kommt  fast  nie  auf 
Eichen,  sondern  auf  Aepfel-  Birnbäumen,  Pappeln  Linden  und 
Tannen  vor;  dagegen  findet  sich  ein  der  Mistel  sehr  verwandtes 
Schmarotzergewächs,  di«  Riemenblume,  Loranthus  europaeus  auf 
Eichen,  namentlich  auf  Quercus  pubesceus  W.  und  austriaca  W. 
in  Oesterreich,  Schlesien. 

■^)  Arbutus  Andrachne. 

^)  Rhus  Cotinus  L. 


78  Dreizehntes  Buch. 

d.  h.  auswärts,  statt  des  Holzes  aber  inwendig  ein 
schwammiges  Mark,  wie  die  Hollunderbäume;  andere  da- 
gegen sind  inwendig  leer,  wie  die  Schilfe.  Die  Ferula 
wächst  in  warmen  Gegenden  jenseits  des  Meeres,  und  hat 
einen  knotig  geknieeten  Stengel.  Es  giebt  2  Arten  davon; 
die,  welche  hoch  aufschiesst  nennen  die  Griechen  Nartheca  ^), 
die  andere,  niedrige  aber  Narthecya  2).  Die  grössten  Blätter 
stehen  der  Erde  am  nächsten,  und  entspringen  an  den 
Knieen.  Uebrigens  kommt  die  Pflanze  mit  dem  Anethum^) 
überein,  auch  sehen  sich  die  Früchte  einander  ähnlich; 
ferner  ist  keine  Staude  leichter  als  diese,  daher  sie  auch, 
alten  Leuten  als  Stock  dient. 

43. 
Den  Samen  der  Ferula  haben  Einige  Thapsia  ge- 
nannt, allein  sie  täuschten  sich  dadurch,  dass  die  Ferula 
unbezweifelt  eine  Thapsia  ist;  jedoch  begreift  man  unter 
letzterm  Namen  wiederum  eine  besondere  Gattung  mit 
fenchelartigen  Blättern,  hohlem  Stengel  von  der  Länge  eines 
Spazierstocks,  Samen  ähnlich  der  Ferula  und  weisser 
Wurzel"*).  Beim  Einschneiden  fliesst  Milch  daraus;  zer- 
stösst  man  sie,  so  bekommt  man  einen  Saft.  Auch  die 
Kinde  verwirft  man  nicht.  Alle  Theile  sind  giftig,  ja  selbst 
denen,  welche  sie  graben,  schadet  sie;  wenn  der  geringste 
Luftstrom  entsteht,  schwillt  ihr  Leib  auf,  und  im  Gesichte 
entsteht  die  Rose,  daher  sie  dasselbe  zuvor  mit  einer 
Wachssalbe  bestreichen.  Doch  soll  sie  nach  Aussage  der 
Aerzte,  wenn  sie  mit  andern  Stoffen  vermischt  wird,  in 
einigen  Krankheiten  Hülfe  leisten,  auch  beim  Ausfallen  der 
Haare,  bei  Beulen  und  blauen  Flecken  gut  sein,  als  ob  es 
an  Heilmitteln  fehle,  um  so  gefährliche  Dinge  zu  gebrauchen! 
Aber  man  liebt  es,  schädlichen  Mitteln  ein  unschuldiges 
Gewand  anzuziehen,  und  ist  so  unverschämt,  die  Leute 
glaubend  zu  machen,  Gift  gehöre  mit  zur  Kunst.     In  Afrika^ 


')  Ferula  communis  L. 

^)  Ferula  nodiflora  L.    ^)  Anethuni 

'')  Thapsia  garganica  L. 


graveolens  L. 


Dreizehntes  Buch.  79 

ist  die  Thapsia  am  giftigsteo.  Einige  ritzen  den  Stengel 
zur  Zeit  der  Erndte,  höhlen  ihn  an  der  Wurzel  aus,  damit 
der  Saft  zusammenfliesst,  und  wenn  dieser  trocken  ge- 
worden ist,  nehmen  sie  ihn  heraus.  Andere  zerstossen. 
Blätter,  Stengel  und  Wurzel  in  einem  Mörser,  lassen  den 
Saft  an  der  Sonne  verdicken  und  bilden  daraus  kleine 
Kuchen-  Der  Kaiser  Nero  hat  im  Anfange  seiner  Regierung 
dieser  Pflanze  Ruf  erworben;  ihm  wurde  nämlich  bei  seinen 
nächtlichen  Schwärmereien  das  Gesicht  damit  zerschlagen, 
er  aber  bestrich  es  sich  mit  Weihrauch  und  Wachs,  und 
konnte  nun  am  folgenden  Tage,  dem  Gerüchte  zuwider, 
seine  unbeschädigte  Haut  zeigen,  Dass  sich  in  dem  Stecken- 
kraute das  Feuer  am  besten  hält  1),  und  dass  es  in  Aegypten 
deshalb  andern  dergl.  Mitteln  vorgezogen  wird,  ist  gewiss- 

44. 

Dort  wächst  auch  die  Capparis^),  ein  Strauch  mit 
ziemlich  hartem  Holze,  dessen  Same  eine  allgemeine  Speise 
ausmacht  und  mit  dem  man  auch  meistentheils  den  Zweig 
abnimmt.  Man  muss  sich  vor  den  ausländischen  Arten  hüten,, 
denn  die  arabische  ist  giftig,  die  afrikanische  schadet  dem 
Zahnfleische,  die  marmarische  den  weiblichen  Geschlechts- 
theilen  und  macht  Blähungen,  die  apulische  erregt  Brechen,, 
und  schadet  dem  Magen  und  Unterleibe.  Einige  nennen 
sie  Cynosbatos  3),  Andere  Opheostaphylos. 

45. 

Auch  das  Sari  3),  welches  am  Nile  wächst,  gehört  zu 
den  Sträuchern,  ist  beinahe  2  Cubitus  hoch,  einen  Daumen 
dick,  hat  Blätter  wie  der  Papyrus,  und  wird  wie  dieser 
gegessen.  Die  Wurzel  wird  in  den  Schmieden  sehr  ge- 
schätzt, weil  sie  harte  Kohlen  giebt. 

46. 

Auch  dürfen  wir  den  Strauch  nicht  übergehen,  welcher 
zu  Babylon  auf  die  Dornbäume  gesäet  wird,  weil  er,  gleich. 


')  Das  Mark  der  Ferula  communis  diente  nämlich  als  Zunder. 

2)  Capparis  spinosa  L, 

ä)  Diess  ist  Rosa  sempervirens  L.    ■*)  Cyperus  comosus  L. 


.gQ  Dreizehntes  Buch. 

wie  die  Mistel  auf  Bäumen,  sonst  nirgends  anders  fort- 
kommt; man  trifft  ihn  aber  nur  auf  den  sogenannten  könig- 
lichen Dornbäumen.  Merkwürdig  ist,  dass  der  Same 
an  demselben  Tage,  wo  er  darauf  geworfen  wird,  schon 
keimt  —  diess  geschieht  aber  beim  Aufgange  des  Hunds- 
sterns —  und  äusserst  schnell  in  den  Baum  eindringt. 
Man  würzt  den  Wein  damit  und  cultivirt  ihn  deshalb. 
Jener  Dornbaum  i)  wächst  auch  in  Athen  an  den  langen 
Mauern. 

47. 
Strauchartig  ist  auch  der  Cytisus 2),  welcher  von  dem 
Athenienser  Aristomachus  ^)  mit  ausserordentlichem  Lobe 
als  Futter  für  die  Schafe,  trocken  aber  auch  für  die  Schweine 
gepriesen  wird,  und  von  einem  Morgen  selbst  mittelmässigen 
Bodens  jährlich  1000  Sesterzen  Einkünfte  liefert.  Er  hat 
denselben  Nutzen  wie  die  Erve*),  sättigt  aber  mehr,  und 
vierftissige  Thiere  werden  von  einer  massigen  Quantität  so 
fett,  dass  das  Zugvieh  selbst  die  Gerste  nicht  anrührt.  Der 
Genuss  keines  andern  Futters  giebt  mehr  und  bessere 
Milch,  und  ausserdem  ist  es  ein  Arzneimittel  bei  allen  Vieh- 
krankheiten. Ja  er  empfiehlt  sogar,  es  den  Ammen  bei 
Mangel  an  Milch,  getrocknet  in  Wasser  gekocht,  mit  Wein 
zu  trinken  zu  geben;  die  Kinder  würden  dadurch  kräftiger 
und  grösser.  Auch  den  Hühnern  soll  man  es  grün  oder, 
ist  es  trocken,  angefeuchtet  geben.  Democritus  und  Aristo- 
machus versichern,  wo  der  Cytisus  wachse,  würde  es  nie 
an  Bienen  fehlen.  Kein  anderes  Futter  kostet  weniger. 
Man  säet  es  mit  der  Gerste  im  Frühlinge,  wie  das  Porrum, 
oder  setzt  die  Pflanze  im  Herbste  vor  dem  December.  Der 
Same  muss  feucht  erhalten,  und  bei  Mangel  an  Regen 
begossen  werden.    Die  Pflanzen  werden,  wenn  sie   1  Cubi- 


')  Nämlich  der  königliche. 
")  Medicago  arborea  L. 

3)  Schrieb  über  Wein-  und  Pflanzenkultur ,   seine  Schriften  sind 
;aber  verloren  gegangen. 

*)  Ervum,  eine  Hülsenfrucht,  Ervum  Ervilia  L. 


Dreizehntes  Buch.  gl 

-tus  lang  sind,  in  fusstiefe  Löcher  gesetzt;  diess  geschieht 
zur  Zeit  der  Tag-  und  Nachtgleiche,  wo  der  Strauch  noch 
zart  ist,  und  in  3  Jahren  ist  er  völlig  ausgewachsen.  Man 
schneidet  ihn  im  Fröhlings-Aequinoctium,  wenn  er  ausge- 
blühet  hat,  ab,  und  diess  ist  die  leichteste  Arbeit  für  einen 
Knaben  oder  eine  alte  Frau.  Er  sieht  grau  aus,  und  ist, 
will  man  die  Aehnlichkeit  kurz  ausdrücken,  ein  Strauch 
mit  kleinem  Dreiblatt.  Man  giebt  ihn  den  Thieren  allemal 
nach  2  Tagen,  im  Winter  aber,  wo  er  trocken  ist,  ange- 
feuchtet. Pferde  werden  von  10  Pfunden,  und  die  kleinern 
Thiere  nach  Verhältniss  von  geringern  Mengen  satt.  Säet 
man  zwischen  die  Reihen  Knoblauch  und  Zwiebeln  dünn 
aus,  so  vermehrt  diess  den  Ertrag.  Man  fand  diesen  Strauch 
zuerst  auf  der  Insel  Cythnus,  brachte  ihn  dann  auf  alle 
Cycladeu,  später  in  die  griechischen  Städte,  wodurch  die 
Bereitung  des  Käse  sich  sehr  vermehrte;  ich  wundere  mich 
daher  nicht  wenig,  dass  er  in  Italien  so  selten  vorkommt. 
Er  leidet  weder  von  der  Hitze,  noch  von  der  Kälte,  dem 
Hagel  oder  dem  Schnee.  Hyginus  i)  fügt  hinzu,  auch  von 
Feinden  habe  er  nichts  zu  fürchten,  denn  sein  Holz  stehe 
in  keinem  Werthe. 

48. 
Auch  im  Meere  wachsen  Sträucher  und  Bäume,  doch 
sind  die  in  dem  unsrigen  kleiner,  das  rothe  Meer  und- 
der  ganze  östliche  Ocean  aber  mit  Wäldern  augefüllt.  In 
keiner  andern  Sprache  giebt  es  ein  Wort  für  das,  was  die 
Griechen  Phycos2)  nennen,  denn  mit  dem  Worte  alga  be- 
zeichnet man  mehr  ein  krautartiges  Gewächs;  jenes  aber 
ist  ein  Strauch.  Er  hat  breite  grüne  Blätter,  welche  Einige 
Prason,  Andere  Zostera3)  nennen.  Eine  andere  ähnliche 
Art  mit  haarartigem,  dem  Fenchel  gleichem  Blatte,  wächst 
auf  Felsen,   das   vorige  au  seichten  Orten  nicht  weit  vom 


•j  C.  Julius  Hjginus  aus  Spanien  oder  Alexandrien,  um  10  n. 
Chr.,  Freigelassener  des  Augustus,  Freund  Ovids,  Aufseher  über 
die  palatin.  Bibliothek. 

-)  Fucus,  Seetang.     »)  Zostera  niarinä  L. 

Wittstein:  Pliiuiis.     III.  Bd.  c 


g2  Dreizehntes  Buch. 

Ufer,  beide  im  Fiühlinge,  und  vergehen  im  Herbste.  Mit 
dem,  was  bei  der  Insel  Greta  an  Felsen  wächst,  färbt  man 
auch  Purpurzeuge,  und  am  besten  ist  das,  was  gegen  Norden 
oder  an  Schwämmen  wächst.  Die  dritte  Art  sieht  dem» 
Grase  gleich,  hat  eine  knotige  Wurzel  und  einen  rohrartigen 
Stängel. 

49. 

Eine  andere  strauchartige  Gattung  nennt  man  See- 
moos^),  es  hat  ein  dem  Lattich  ähnliches,  aber  runzliges 
Blatt,  und  wächst  schon  weiter  ins  Meer  hinein.  Auf  dem 
hohen  Meere  aber  finden  sich  die  Seetanne  und  Seeeiche 
von  der  Höhe  eines  Cubitus.  An  ihren  Aesten  hängen 
Muscheln.  Die  Seeeiche  soll  zum  Färben  der  Wolle  ange- 
wandt werden;  auch  sollen  einige,  wie  Schiffbrüchige  und 
Taucher  gefunden  haben,  Eicheln  tragen.  Noch  andere  bei 
Sicyon  vorkommende  giebt  man  für  ausserordentlich  gross 
aus.  Der  Weinstock  wächst  an  mehreren  Orten,  der 
Feigenbaum  aber  ohne  Blätter  und  mit  rother  Rinde.  Auch 
eine  strauchartige  Palme  wächst  im  Meer,  Jenseits  der 
Säulen  des  Herkules  steht  ein  Strauch  mit  Blättern  wie 
Lauch,  ein  anderer  mit  Lorbeer-  und  Thymianblättern ; 
werden  diese  beiden  vom  Wasser  ausgeworfen,  so  ver- 
wandeln sie  sich  in  Stein  2). 

50. 

Merkwürdig  ist  im  Oriente,  dass  unmittelbar  von  Copto  s 
an  in  den  Wüsten  nichts  als  ein  Dornbaum,  welcher  der 
Durstende  heisst,  und  selbst  dieser  nur  selten  vorkommt; 
ferner,  dass  es  im  rothen  Meere  ganze  Wälder,  nament- 
lich von  Lorbeer-  und  Oelbäumen,  welche  Früchte  tragen, 
und,  wenn  es  regnet,  Schwämme  gibt,  die  von  der  Sonne 
beschienen  zu  Stein  werden.  Die  Höhe  der  Sträucher  selbst 
beträgt  3  Cubitus;  sie  sitzen  voller  Haifische,  welche  kaum 
aus  dem  Schiffe  zu  sehen  gestatten  und  sehr  oft  die  Ruder 
anfallen. 


*)  Bryon.    ^)  pumex. 


Dreizehntes  Buch.  83 

51. 

Alexander's  Soldaten,  welche  zu  Schiffe  nach  Indien 
gekommen  waren,  erzählten,  das  Laub  der  Seebäume  sei 
im  Wasser  grün,  vertrockne  aber,  so  bald  es  herausge- 
nommen würde,  an  der  Sonne  zu  einer  Salzmasse.  Auch 
gäbe  es  au  den  Küsten  steinerne,  den  ächten  ähnliche 
Binsen,  und  in  der  Tiefe  einige  Bäume  von  der  Farbe  der 
Ochsenhörner,  ästig,  und  an  den  Spitzen  röthlich;  sie  Hessen 
sich  wie  Glas  brechen,  im  Feuer  aber  glüheten  sie  wie 
Eisen,  und  wenn  sie  abgelöscht  wären,  kehrte  ihre  vorige 
Farbe  wieder  zurück.  Ebendaselbst  bedeckt  die  Fluth  auf 
Inseln  ganze  Wälder,  obgleich  sie  höher  als  die  Platanen 
und  höchsten  Pappeln  sind.  Diese  Bäume  haben  Blätter 
wie  der  Lorbeer,  Blüthen  gleich  den  Violen  an  Geruch 
und  Farbe,  Beeren  wie  Oliven,  welche  auch  angenehm 
riechen  und  im  Herbste  reifen.  Die  Blätter  fallen  niemals 
ab.  Die  kleinen  Bäume  bedeckt  das  Meer  gänzlich;  von 
den  grössten  ragen  nur  die  Gipfel  hervor,  an  welche  man 
die  Schiffe  befestigt,  und  ist  Ebbe  eingetreten,  so  bindet 
man  sie  unten  an  die  Stämme.  Ebendieselben  haben  auch 
erzählt,  man  sehe  auf  dem  hohen  Meere  Bäume,  welche  be- 
ständig ihre  Blätter  behielten,  und  deren  Frucht  der  Wolfs - 
bohne  gleiche. 

52. 

Juba  schreibt,  bei  den  Inseln  der  Troglodyten  wachse 
im  Meere  ein  Strauch,  der  Isis  haar  hiesse,  einer  Koralle 
gleiche,  und  keine  Blätter  habe;  schneide  man  ihn  ab,  so 
werde  er  schwarz  und  hart,  und  wenn  er  falle,  so  zerbreche 
er.  Ein  anderer,  das  sogenannte  Liebesauge  ^)  sei  wirk- 
sam in  Liebessachen;  die  Weiber  sollen  sich  daraus  Arm- 
bänder und  Halsgeschmeide  machen.  Dieser  Strauch  soll 
es  merken,  wenn  er  gefasst  wird,  und  so  hart  wie  ein 
Hörn  werden,  auch  die  Schneide  eiserner  Werkzeuge  stumpf 
machen.  Wenn  er  den  Nachstellungen  nicht  entgangen 
ist,  soll  er  sich  in  Stein  verwandeln. 


')  Charitoblephavon. 


Vierzehntes  Buch. 


Von  dem  Weinstocke  und  dem  Weine. 

1. 

Wir  haben  bis  jetzt  die  ausländischen  Bäume  und  die, 
welche  nur  da  gedeihen,  wo  sie  entsprossen  sind  und  nicht 
in  fremde  Länder  einwandern,  fast  sämmtlich  kennen  ge- 
lernt. Nun  erlaube  ich  mir,  von  den  allgemein  verbreiteten 
zu  reden,  für  deren  aller  besonderes  Vaterland  Italien  an- 
gesehen werden  kann.  Kenner  mögen  sich  indessen  erin- 
nern, dass  wir  nur  von  ihrer  Beschaffenheit,  nicht  von  ihrer 
Cultur  reden,  obgleich  der  grösste  Theil  ihrer  Wartung 
auf  ihrer  Natur  beruht.  Ich  kann  mich  nicht  genug  da- 
rüber wundern,  dass  die  Nachrichten  von  einigen,  ja  selbst 
die  Keuntniss  der  von  den  Schriftstellern  angegebeneu 
Namen  verloren  gegangen  sind.  Denn  wer  sollte  nicht 
meinen,  dass,  nachdem  der  ganze  Erdkreis  unter  dem 
Scepter  des  römischen  Reichs  vereinigt  ist,  auch  dem  Leben 
Vortheile  aus  dem  gegenseitigen  Verkehr  und  dem  geselli- 
gen Frieden  erwachsen,  und  alles,  was  vorher  vorborgen 
war,  in  allgemeinen  Gebrauch  gekommen  sein  müsste? 
Aber  wahrlich,  man  findet  Niemanden,  der  viel  von  dem, 
was  die  Alten  uns  überliefert  haben,  weiss.  Wie  viel 
fruchtbarer  war  dagegen  die  Sorgfalt  der  Alten,  wie  viel 
glücklicher  ihr  Fleiss,  denn  schon  vor  ICOO  Jahren,  wo 
die  Wissenschaften  erst  anfingen,  gab  Hesiodus  Vorschriften 
für  die  Ackerleute  heraus,  und  ihm  sind  nicht  Wenige  mit 
gleicher  Sorgfalt  nachgefolgt.     Daher  kommt  es,  dass  uns 


Vierzehntes  Buch.  85 

die  Arbeit  gewachsen  ist,  denn  nicht  allein  das  was  nach- 
her erfunden  wurde,  sondern  auch  das  von  den  Alten  Er- 
fundene muss  wieder  aufgesucht  werden,  weil  durch  den 
Verlust  des  Andenkens  eine  gewisse  Unthätigkeit  darin 
Platz  gegriffen  hat.  Wer  kann  von  dieser  Schläfrigkeit 
andere,  als  allgemeine  Welt-Ursachen  angeben?  Es  sind 
nämlich  andere  Gebräuche  aufgekommen,  der  menschliche 
Geist  wird  von  andern  Dingen  gefesselt,  und  man  übt  nur 
die  Künste  der  Habsucht.  Früher  als  die  Eeiche  der  ein- 
zelnen Völker  mit  ihnen  selbst  ein  abgeschlossenes  Ganze 
bildeten,  mithin  auch  ihre  geistigen  Anlagen  innerhalb  der- 
selben blieben,  machte  es  gleichsam  die  Unfruchtbarkeit 
des  Glücks ')  nothwendig,  den  Geist  in  Thätigkeit  zu 
setzen;  sehr  viele  Könige  wurden  als  Verehrer  der  Künste 
gepriesen,  sie  suchten  einen  Ruhm  darin,  diese  höher  zu 
stellen  als  Reichthümer,  und  glaubten,  sich  dadurch  die 
Unsterblichkeit  erwerben  zu  können.  Daher  waren  sowohl 
Vortheile  als  Arbeiten  im  Leben  zum  Ueberflusse  vorhan- 
den. Den  Nachkommen  gereichte  die  Weitläufigkeit  der 
Welt  und  die  Menge  der  Dinge  zum  Schaden,  nachdem 
man  angefangen  hatte,  einen  Senator  nach  seinem  Ver- 
mögen zu  wählen.  Jemand  durch  seinen  Reichthum  zum 
Richter  wurde,  und  nichts  eine  Magistratsperson  und  einen 
Feldherrn  mehr  zierte  als  Geld,  nachdem  das  höchste  An- 
sehn und  die  höchste  Gewalt  verloren  gegangen,  dagegen 
ein  Streben  nach  dem  reichsten  Gewinne  an  die  Stelle 
getreten  sind,  und  die  einzige  Freude  im  Besitzen  besteht. 
So  sind  denn  die  Vortheile  des  Lebens  zu  Grunde  gegan- 
gen, alle  nach  dem  höchsten  Gute  ^)  sogenannte  Künste  in 
das  Gegentheil  verfallen,  und  nur  aus  der  Sclaverei  hat 
man  Nutzen  zu  ziehen  begonnen.  Diese  verehrt  der  Eine 
so,  der  Andere  so,  doch  streben  Aller  Wünsche  dahin,  ihre 
Hoffnungen  erfüllt  zu  sehen.     Zuweilen  wollen   selbst  vor- 


')  D.  h.  es  fehlte  an  Gelegenheit  zu  Eroberungen. 
-)  Nämlich  der  Freiheit. 


86  Vierzehntes  Buch. 

treffliche  Männer  lieber  fremde  Laster  üben  als  ihre  eigenen 
Güter  benutzen.  Also  hat  in  der  That  die  Wollust  ihr 
Leben  begonnen,  und  das  Leben  selbst  hat  aufgehört. 
Aber  wir  wollen  auch  das  längst  Vergessene  erforschen, 
und  die  Geringfügigkeit  mancher  Gegenstände  soll  uns 
hier  ebenso  wenig  abschrecken,  wie  sie  es  bei  den  Thieren 
gethan  hat,  obgleich  wir  sehen,  dass  der  vortreffliche  Dichter 
Virgil  aus  diesem  Grunde  die  Beschreibung  der  Erzeugnisse 
der  Gärten  vermieden,  und  von  so  wichtigen  Dingen,  die 
er  behandelte,  nur  das  Vornehmste  berührt  hat.  Ihn 
machte  schon  der  Beifall  glücklich,  obgleich  er  im  Ganzen 
nur  15  Arten  Trauben,  3  Arten  Oliven,  ebenso  viele  Birnen, 
und  unter  den  Aepfeln  nur  den  assyrischen  genannt,  die 
übrigen  aber  übergangen  hat. 

2. 
Wo  aber  können  wir  passender  anfangen  als  beim 
Weinstocke  ^),  wodurch  Italien  so  ausserordentlich  bevor- 
zugt ist,  dass  es  scheinen  möchte,  dieses  Land  übertreffe 
durch  ihn  allein  schon  alle  Güter,  ja  selbst  die  wohlrie- 
chenden der  übrigen  Völker,  denn  nichts  riecht  angenehmer 
als  die  (in  Blüthen)  ausbrechenden  Stöcke!  Der  Weinstock 
wurde  seiner  Grösse  wegen  von  den  Alten  mit  Recht  zu 
den  Bäumen  gezählt.  In  der  Stadt  Populonium  sieht  mau 
eine  Statue  Jupiters,  die  aus  einem  Stamm  geschnitzt, 
und  viele  Jahrhunderte  hindurch  unversehrt  geblieben  ist. 
Ebenso  befindet  sich  zu  Massilia  eine  Schale  aus  einem 
Stücke.  Zu  Metapontus  steht  ein  Tempel  der  Juno  auf 
Säulen  von  Weiuholz.  Auf  das  Dach  des  Tempels  der 
Diana  zu  Ephesus  steigt  man  noch  jetzt  auf  einer  Treppe, 
die,  wie  man  sagt,  aus  einem  Weinstocke  von  der  Insel 
Cypern  wo  sie  zu  einem  ausserordentlichen  Umfange  heran- 
wachsen, gefertigt  ist.  Kein  Holz  ist  unverweslicher.  Ich 
glaube  aber,  dass  man  wilde  Weinstöcke  dazu  genommen 
hat. 


')   \  itis.  Vitis  vinifera  L. 


Vierzehntes  Buch.  87 

3. 
Die  andern  (zahmen)  Weinstöcke  werden  durch  das 
jährliche  Beschneiden  im  Wachsthum  gehindert,  alle  ihre 
Kraft  geht  in  die  Sprösslinge  und  Ableger,  und  diess  ge- 
schieht bloss  deshalb,  um  einen  angenehmen,  nach  dem 
Klima  und  dem  Boden  verschiedenen  Saft  daraus  zu  ge- 
winnen. In  Campanien  vereinigen  sie  sich  mit  den  Pappeln; 
sie  umschlingen  deren  Weibchen,  und  steigen  mit  ihren 
geilen  Armen  durch  deren  Zweige  im  gedreheten  Laufe 
bis  zu  solcher  Höhe  hinan,  dass  der  gedungene  Winzer  bei 
seiner  Arbeit  wie  auf  Seheiterhaufen  und  Hügeln  steht. 
Sie  wachsen  ohne  Aufhöreu,  und  können  von  denselben 
weder  getrennt,  noch  losgerissen  werden.  Auch  Valerianus 
Cornelius  hat  es  vor  allem  für  bemerkenswerth  gehalten, 
dass  durch  die  Zweige  und  biegsamen  Ranken  einzelne 
Weinstöcke  ganze  Land-  und  andere  Häuser  umkleidet 
werden.  Ein  Weinstock  in  den  Gallerien  der  Livia  zu  Rom 
schützt  die  offenen  Spaziergänge  durch  sein  dichtes  Laub- 
werk vor  den  Sonnenstrahlen,  und  liefert  12  Amphoren 
Most.  Fast  überall  werden  sie  höher  als  die  Ulmen,  und 
man  sagt,  Cineas,  der  Gesandte  des  Königs  Pyrrhus,  habe 
zu  Aricia  ihre  Höhe  bewundert,  und  im  Scherze  über  den 
herben  Geschmack  des  Weines  mit  den  Worten  gespottet: 
„  Die  Mutter  desselben  i)  hinge  mit  Recht  au  einem  so 
hohen  Kreuze".  Rumbotinus  wird  die  italienische  Pappel 
jenseits  des  Po  genannt;  dessen  rund  herum  offenstehende 
Zweigreihen  füllen  sie  aus,  und  vertheilen,  wenn  sie  durch 
eine  alte  Rebe  2)  auf  dessen  Hauptstamm  gelangt  sind, 
ihre  Rauken  unter  den  aufgerichteten  Reisern  der  Aeste. 
Sie  stehen  auch,  durch  Pfähle  gestüzt,  in  mittlerer  Höhe 
eines  Menschen  gerade  auf,  und  bilden  so  einen  Weinberg; 
andere  kriechen  kühn  umher,  und  bedecken  durch  ihre 
grosse  Menge  von  Ranken  die  Mitte  der  Vorhöfe  in  weiter 
Ausdehnung.     So     grosse    Verschiedenheiten    hat    Italien 


')   Nämlich  des  Weines.     '•')  Draco. 


88  "Vierzehntes  Buch. 

allein  aufzuweisen.  In  einigen  Provinzen  steht  der  Wein- 
stock ohne  alle  Bepfählung  frei,  zieht  seine  Bogen  mehr 
in  sich  zusammen,  und  ersetzt  in  der  Dicke,  was  ihm  an 
Länge  abgeht.  An  andern  Orten  verhindern  diess  die 
Winde,  wie  in  Afrika  und  in  einigen  Distrikten  der  narbo- 
nensischen  Provinz.  Wenn  man  sie  nicht  über  ihre  jähr- 
lichen Sätze  1)  schiessen  lässt,  und  sie  den  behackten 
immer  gleich  hält,  so  verbreiten  sie  sich  gleich  den  Kräu- 
tern über  die  Felder,  und  ziehen  zuweilen  durch  die 
Trauben  den  Saft  aus  der  Erde,  welche  daher  in  dem 
innern  Theile  Afrika's  kleine  Kinder  an  Grösse  übertreffen. 
Nirgends  giebt  es  schlechtere  Weine  als  dort,  aber  ande- 
rerseits empfiehlt  sich  keine  andere  Traube  mehr  durch 
ihre  harte  Haut,  daher  sie  auch  mit  dem  Namen  der  hart- 
häutigen belegt  wurde. 

Die  durch  Grösse,  Farbe,  Geschmack  und  Beeren  ver- 
schiedenen Arten  von  Trauben  sind  unzählig,  und  werden 
noch  durch  die  Weine  vermehrt.  Hier  sind  sie  purpurn, 
dort  rosenroth,  dort  grün;  denn  die  weissliche  und  schwarze 
Farbe  gehören  zu  den  gemeinen.  Die  grossbeerigen  stro- 
tzen gleich  Brüsten.  Die  Dactylen  tragen  sehr  lange  Bee- 
ren. Es  ist  ein  Spiel  der  Natur,  dass  an  sehr  grossen 
kleine,  angenehme  und.  mit  jenen  im  Geschmacke  wett- 
eifernde hängen,  die  man  Zwergbeeren  2)  nennt.  Einige 
halten  sich  den  Winter  über,  wenn  sie  an  einer  Schnur  an 
der  Decke  aufgehängt  werden.  Andere  werden  nur  in 
ihrer  eigenen  Ausdünstung  erhalten,  wenn  man  sie  in  ir- 
dene Töpfe  und  diese  noch  in  Fässer,  welche  mit  schwit- 
zenden 3)  Weintrestern  umgeben  sind,  einschliesst.  Andern 
giebt,  sowie  den  Weinen,  der  Rauch  aus  den  Schmieden 
einen  angenehmen  Geschmack,  und  diesen  hat  in  den 
Oefen  Afrikas  das  Ansehn  des  Kaiser  Tiberius  ganz  be- 
sondern Ruhm  verschafft.  Vor  ihm  hatten  die  rhätischen 
und  die  im  veronensischen   Gebiete  wachsenden  Trauben 


')  pollices. 

')  leptorages.     ^)  D,  i.  gährenden. 


Vierzehntes  Buch.  89- 

den  Vorzug  auf  den  Tischen.  Ja  die  getrockneten  i)  Bee- 
ren haben  sogar  von  der  Geduld  2)  ihren  Namen  bekommen. 
Auch  bewahrt  man  Trauben  im  Moste,  und  berauscht  sie 
selbst  mit  ihrem  eigenen  Weine.  Andere  werden  durch 
Kochen  in  Most  versüsst;  andere  aber  erwarten,  in  ein 
durchsichtiges  Glas  eingeschlossen,  an  der  Mutter  selbst 
einen  neuen  Zuwachs,  und  Pech  auf  den  Stengel  gegossen 
giebt  durch  seine  Schärfe  den  Beere©  dieselbe  dauernde 
Festigksit,  die  sie  in  Fässern  und  Krügen  bekommen. 
Jetzt  kennt  man  auch  eine  Art  Trauben,  deren  Wein  an 
und  für  sich  schon  nach  Pech  schmeckt;  durch  ihn  ist  das 
vienuensische  Gebiet  berühmt  geworden,  welches  sich  auch 
durch  die  arvernische,  sequanische  und  helvische  Art  aus- 
zeichnet. Diese  waren  zu  Zeiten  des  Dichters  Virgil,  der 
vor  90  Jahren  starb,  unbekannt.  Und  sind  sie  nicht  jetzt 
im  Lager  eingeführt  und  halten  die  höchsten  Angelegen- 
heiten und  das  Reich  zusammen?  Der  Weinstok  befindet 
sich  in  den  Händen  der  Centurionen,  führt  mit  reichlichem 
Lohne  die  trägen  Reihen  zu  den  langsamen  Adlern,  und 
ehrt  selbst  die  Strafe  beim  Verbrechen.  Die  Weinstöcke 
haben  uns  auch  eine  gewisse  Art  von  Belagerung  ver- 
schafft. Ferner  behaupten  sie  unter  den  Arzneimitteln 
einen  so  ansehnlichen  Platz,  dass  sie  selbst  durch  ihren 
Wein  schon  als  Arzneien  dienen. 

4. 
Nur  Democritus  hat  geglaubt,  man  könne  die  Arten 
des  Weinstocks  in  einer  Zahl  umfassen;  indem  er  vor- 
gab ,  alle  in  Griechenland  vorkommenden  wären  ihm  be- 
kannt. Die  übrigen  Schriftsteller  haben  sie  für  unzählig 
und  unendlich  gehalten,  und  dass  diess  wahrer  sei,  wird 
aus  den  Weinen  erhellen.     Ich  will  aber  nicht  alle,  sondern 


')  passae  d.  i.  Rosinen. 

^)  patientia.  Die  hier  von  Plinius  gegebene  Etymologie  ist  un- 
richtig, denn  passus  muss  hier  nicht  von  patior  passus  suni,  pati 
dulden,  sondern  von  pando,  pandi,  pansum  und  passum,  pandere. 
ausbreiten,  trocknen,  abgeleitet  werden. 


90  Vierzehntes  Buch. 

nur  die  ausgezeichnetsten  anführen,  denn  es  giebt  ihrer 
beinahe  ebenso  viele,  als  Aeker.  Daher  wird  es  hinreichend 
sein,  nur  die  berühmtesten  Weinstöcke,  und  die,  welche 
durch  besondere  Eigenthümlichkeit  Bewunderung  verdienen, 
anzuzeigen. 

Den  ammineischen  räumt  man  wegen  ihrer  Festig- 
keit und  weil  ihr  Wein  durchs  Alter  an  Güte  gewinnt, 
den  Vorzug  ein.  Es  giebt  5  Arten  davon;  die  ächte  hat 
kleinere  Beeren,  blühet  besser  ab,  und  erträgt  leicht  Regen 
und  Stürme;  die  grössere  thut  diess  nicht,  doch  leidet  sie 
weniger  davon  an  Bäumen  als  auf  Bergen,  Die  Zwillings- 
trauben, welche  deshalb  so  heissen,  weil  immer  2  Trauben 
beisammen  stehen,  sclimecken  am  herbsten,  haben  aber 
vorzügliche  Kräfte.  Den  kleinem  davon  schadet  der  Süd- 
wind, die  übrigen  gedeihen  beim  Winde  besser,  wie  z.  B. 
die  auf  dem  Vesuv  und  auf  den  surrentinischen  Hügeln. 
Im  übrigen  Italien  ist  sie  nur  gewohnt  an  Bäumen  zu 
wachsen.  Die  fünfte  Art  ist  die  wollichte,  welche,  damit 
wir  die  Serer  und  Indier  nicht  zu  bewundern  brauchen, 
ganz  mit  Wolle  umkleidet  ist.  Die  Trauben  des  amminei- 
schen Weinstocks  werden  am  frühesten  reif  und  am  schnell- 
sten faul. 

Den  nächsten  Rang  haben  die  nomentanischen,  deren 
Holz  röthlich  ist,  daher  Einige  diese  Weinstöcke  die  röth- 
lichen  nennen.  Sie  geben  weniger  Ausbeute,  denn  sie  ent- 
halten zu  viel  Hülsen  und  Hefen;  gegen  Reife  sind  sie 
am  empfindlichsten,  und  leiden  durch  Trockniss  oder  Hitze 
mehr  als  durch  Regen  oder  Kälte.  Daher  behaupten  sie 
in  kalten  und  feuchten  Gegenden  den  Vorrang.  Die  Art, 
welche  kleinere  Beeren  und  ein  weniger  eingeschnittenes 
Blatt  hat,  ist  fruchtbarer. 

Die  apianischen  haben  diesen  Beinamen  von  den 
Bienen  bekommen,  welche  sehr  begierig  danach  sind.  Es 
giebt  2  Arten,  und  diese  sind  ebenfalls  wollig.  Ihr  Unter- 
schied besteht  darin,  dass  die  eine  früher  reift,  obgleich 
die  andere  auch  zu  den  zeitigen  gehört.  Sie  gedeihen  auch 
jin    kalten   Gegenden,   und   dennoch   werden   keine   andern 


Vierzehntes  Buch.  91 

schneller  reif;  Regen  macht  sie  aber  faul.  Der  davon  be- 
reitete Wein  ist  anfangs  süss,  bekommt  aber  nach  Jahren 
-einen  herben  Geschmack.  Am  meisten  findet  sieh  dieser 
Weinstock  in  Etrurien.  Die  bis  hieher  als  die  besten  ge- 
nannten Gewächse  sind  in  Italien  einheimisch  und  ihm 
eigenthümlich. 

Die  übrigen  sind  von  Chios  und  Thasos  zu  uns  ge- 
kommen. Der  griechische  steht  dem  ammineischen  an 
Güte  nicht  nach,  hat  eine  sehr  zarte  Beere,  und  selbst  die 
Traube  ist  so  klein,  dass  es  nur  auf  dem  fettesten  Boden 
der  Mühe  lohnt,  ihn  zu  bauen.  Von  den  taurominitanischen 
Hügeln  haben  wir  den  mit  einem  edlern  Beinamen  ge- 
nannten „Eugenischen"  erhalten,  jedoch  nur  für  das  alba- 
nische Gebiet,  denn  wird  er  von  da  versetzt,  so  verändert 
er  sich  bald.  Einige  lieben  nämlich  ihre  Standörter  so 
sehr,  dass  sie  all'  ihren  Ruhm  zurücklassen,  und  nirgends- 
hin ganz  unverändert  übergehen.  Diess  ist  auch  der  Fall 
mit  dem  rhätischen  und  allobrogischen,  die  wir  oben  die 
gepichten  genannt  haben,  denn  zu  Hause  sind  sie  edle  Ge- 
wächse, anderswo  erkennt  man  sie  nicht  wieder.  Sie  sind 
jedoch  sehr  fruchtbar  und  ersetzen  das,  was  ihnen  an  Güte 
abgeht,  durch  die  Menge,  und  zwar  der  eugenische  an 
beissen,  der  rhätische  an  gemässigten,  der  allobrogische  an 
kalten  Orten.  Letzterer  reift  bei  der  Kälte  und  hat  eine 
schwarze  Farbe.  Die  Weine  von  den  bis  jetzt  genannten 
Arten,  ja  selbst  von  den  schwarzen  Arten  werden  durchs 
Alter  weiss.  Die  übrigen  werden  nicht  geschätzt,  dennoch 
aber  zuweilen  durch  Hülfe  der  Witterung  und  des  Bodens 
dauerhaft,  wie  die  fecenische  und  die  mit  ihr  blühende 
biturigische,  deren  Beeren  dünner  stehen,  und  in  der  Bltithe 
nicht  leiden,  weil  sie  früher  kommen,  auch  Wind  und  Regen 
widerstehen;  sie  gerathen  aber  besser  an  kalten  und 
feuchten  als  an  warmen  nnd  trocknen  Orten.  Der  visu- 
lische  Stock  leidet  mehr  durch  unbeständige  Witterung  als 
durch  zu  reichlichen  Ertrag  an  Trauben,  ist  hingegen  bei 
lortdauernder  Kälte  oder  Hitze  gesund.  Die  kleinere  Sorte 
von  dieser  Art  ist  die  bessere.     Bei  der  Wahl  des  Bodens 


92  Vierzehntes  Buch. 

zeigt  er  sich  eigensinnig,  denn  in  einem  fetten  fault  er,  und 
in  einem  magern  kommt  er  gar  nicht  fort.  Zärtlich  ver- 
langt er  eine  mittlere  Temperatur,  und  ist  deshalb  auf  den 
sabinischen  Bergen  ganz  zu  Hause.  Seine  Traube  sieht 
hässlich  aus,  schmeckt  aber  angenehm,  und  wenn  man  sie 
nicht  gleich  abnimmt,  so  fällt  sie,  auch  ohne  gefault  zu 
sein,  ab.  Gegen  Hagel  schützen  sie  seine  breiten  und 
harten  Blätter. 

Ausgezeichnet  durch  die  Farbe  sind  die  röthlichen, 
welche  das  Mittel  zwischen  den  purpurnen  und  schwarzen 
halten,  öfters  die  Farbe  ändern,  und  deshalb  von  Einigen 
die  vielfarbigen  genannt  sind.  Unter  ihnen  wird  die 
schwärzere  Art  vorgezogen;  beide  tragen  ein  Jahr  um  das 
andere,  und  je  weniger,  um  so  besser  wird  der  Wein.  Auch 
von  den  Frühtrauben  unterscheidet  man  2  Arten  durch  die 
Grösse  der  Beeren;  sie  haben  das  meiste  Holz,  ihre  Trauben 
bewahrt  man  am  besten  in  Töpfen  auf,  ihr  Blatt  gleicht 
der  Petersilie,  die  Dyrrachiner  preisen  die  sogenannte 
Königstraube,  welche  die  Spanier  Coccolobis  nennen;  sie 
ist  lockerer,  erträgt  Hitze  und  Südwinde,  giebt  reichliche 
Erndte,  verursacht  aber  Kopfweh.  In  Spanien  unter- 
scheidet man  zwei  Arten  davon,  eine  mit  länglichen,  die 
andere  mit  runden  Beeren;  die  letztern  keltern  sie.  Je 
süsser  die  Coccolobis,  um  so  besser  ist  sie.  Aber  auch 
die  herbe  wird  durchs  Alter  süss,  und  die,  welche  süss 
war,  herbe;  hierin  kommen  sie  mit  dem  albanischen  Weine 
überein.  Dieser  Wein  soll  wider  Blasenkrankheiten  am 
dienlichsten  sein.  Der  albulische  Stock  ist  oben,  und  der 
visulische  unten  an  den  Bäumen  fruchtbarer;  wenn  man  sie 
daher  um  sie  pflanzt,  so  geben  sie  wegen  ihrer  verschie- 
denen Natur  eine  reichliche  Erndte.  Von  den  schwarzen 
hat  man  eine  Art  die  träge  genannt,  welche  vielmehr  den 
Namen  der  nüchternen  verdient;  sie  empfiehlt  sich  durch 
den  aus  ihr  gewonnenen  und  altgewordenen  Wein,  der 
zwar  kräftig  aber  unschädlich  ist,  denn  es  ist  der  einzige, 
der  keinen  Schwindel  bewirkt. 

Die  übrigen  empfehlen  sieh   durch   ihre  Fruchtbarkeit^ 


Vierzehntes  Buch.  93 

vorzüglich  der  blasse.  Es  giebt  2  Arten  davon,  die 
grössere,  welche  Einige  die  lange,  und  die  kleinere,  welche 
sie  Emarcum  nennen;  letztere  ist  nicht  so  fruchtbar,  liefert 
aber  einen  angenehmer  schmeckenden  Wein.  Man  unter- 
scheidet sie  durch  ihr  zirkelruudes  Blatt,  beide  sind  aber 
schwach,  müssen  durch  Gabeln  gestützt  werden,  wenn  sie 
reichlich  tragen  sollen,  lieben  den  Wind  vom  Meere  her, 
und  duften  nach  Thau.  Kein  Weinstock  hat  sich  weniger 
in  Italien  accUmatisirt,  denn  er  ist  hier  selten,  klein  und 
fault  leicht;  auch  der  Wein,  der  von  ihm  kommt,  hält  sich 
nicht  länger  als  einen  Sommer;  ferner  liebt  keiner  mehr 
einen  magern  Boden.  Gräcinus  i),  der  sonst  den  Cornelius 
Celsus  abgeschrieben  hat,  glaubt,  seine  Natur  widerspreche 
dem  Boden  und  Klima  Italiens  nicht,  sondern  seine  Cultur, 
denn  man  sei  zu  sehr  bemüht,  ihn  in  Reben  schiessen  zu 
lassen;  dadurch  werde  aber  seine  Fruchtbarkeit  verändert, 
wenn  nicht  ein  äusserst  fetter  Boden  das  matie  Gewächs 
erhielte.  Man  sagt,  er  leide  nicht  vom  Brande  —  ein 
grosser  Vorzug,  wenn  es  wahr  ist,  dass  das  Wetter  keinen 
Einfluss  auf  eioen  Weinstock  ausübe. 

Der  Spionia,  den  Einige  den  Dornigen  nennen,  erträgt 
Hitze,  und  erstarkt  im  Herbste  und  durch  Regen.  Ja  selbst 
durch  Nebel  wird  er  allein  ernährt  und  ist  deshalb  im 
ravennatischen  Lande  zu  Haus.  Den  veniculischen,  der 
unter  die  am  besten  abblühenden  und  zur  Aufbewahrung  geeig- 
netsten gehört,  wollen  die  Campauer  lieber  Scircula,  Andere 
Stacula  genannt  wissen.  Bei  Terracina  ist  der  numisia- 
nische,  der  keine  eigenen  Kräfte  hat,  sondern  dessen  Werth 
sich  ganz  nach  dem  Boden  richtet.  Doch  die  Surrentiner 
haben  bis  an  den  Vesuv  hin  die  besten  zum  Aufbewahren, 
denn  dort  ist  der  murgentinische,  der  stärkste  aus  Sicilien, 
den  Einige  den  pompejanischen  nennen,  und  der  auch  in 
Latium    trägt;    sowie    der    horconische    nur  in  Campanien. 


')  Julius  Giaecinus,  Senator,  Philosoph  und  Redner,  sollte  den 
•  Silanus  anklagen  und  wurde,  diess  verweigernd,  hingerichtet. 


94  Vierzehntes  Buch. 

Dagegen  macht  der  argeische,  von  Virgil  Argistis ')  ge- 
nannt, den  Boden  sogar  fruchtbarer,  und  leidet  weder 
durch  Regen  noch  durch  Alter,  der  von  ihm  gewonnene  Wein 
aber  hält  sich  kaum  ein  Jahr  und  taugt  seiner  geringen  Güte 
wegen  bloss  zu  Speisen,  wird  aber  in  reichlicher  Menge 
erhalten.  Der  metische  dauert  auch  mehrere  Jahre,  wider- 
steht allen  Einflüssen  der  Atmosphäre  am  kräftigsten,  hat 
schwarze  Beeren  und  der  Wein  wird  durchs  Alter  röthlich. 
Bis  jetzt  haben  wir  bloss  die  allgemein  verbreiteten 
Arten  genannt;  die  übrigen  gehören  besondern  Gegenden 
und  Orten,  oder  sie  sind  aus  diesen  durch  Propfen  unter 
einander  entstanden.  Bloss  bei  den  Tuscern  nämlich  ist 
der  tudernische,  sowie  der  tudernisch-florentinische  ein- 
heimisch. Aretium  hat  den  hewlichen  talponischen,  ete- 
sischen  und  gemengten  2).  Die  schwarze  talponische  Traube 
giebt  einen  weissen  Most.  Der  etesische  ist  trüglich,  je- 
mehr  er  trägt,  desto  besser  wird  der  Wein  davon,  und,  was 
zu  bewundern  ist,  wenn  er  reichlich  getragen  hat,  liefert 
er  nichts  mehr.  Der  gemengte  ist  schwarz,  sein  Wein  hält 
sich  gar  nicht ,  dagegen  die  Traube  sehr  lange;  man  nimmt 
sie  15  Tage  später  als  alle  anderen  ab,  sie  giebt  eine 
reichliche  Erndte,  dient  aber  bloss  zu  Speisen.  Die  Blätter 
dieser  Art  werden,  gleich  denen  der  wilden  Rebe,  blutroth, 
bevor  sie  abfallen.  Dasselbe  tritt  bei  einigen  andern  Arten 
ein,  und  ist  ein  Beweis,  dass  sie  zu  den  schlechtesten  ge- 
hören. Die  irtiolische  ist  in  Umbrien,  dem  nevanatischen 
und  picenischen  Gebiete  einheimisch,  die  Pumula  zu  Ami- 
terninum.  Ebendaselbst  gedeihet  der  bannauische  nicht 
immer,  und  dennoch  liebt  man  ihn.  Die  Traube  dieser 
Freistadt  heisst  die  pompejauische,  obgleich  sie  bei  den 
Clusinern  häufiger  wächst.  Auch  die  Tiburter  haben  nach 
ihrer  Freistadt  eine  Traube  benannt,  obgleich  sie  dieselbe, 
von  der  Aehnlichkeit  der  Olive,  olivenartig  befunden  haben. 
Diess  ist  die  neueste  unter  den  Trauben,   welche  bis  jetzt 


')  D.  h.  ein  Weinstock  mit  weissen  Trauben. 
2)  conseminia. 


.Vierzehntes  Buch.  95, 

bekannt  geworden  sind.  Die  vinaciolische  kennen  nur  die 
Sabiner  und  Laurentier;  denn  ich  weiss,  dass  die  gaurani- 
schen,  welche  man  vom  falernischen  Gebiete  dahin  gebracht 
hat,  die  falernischen  genannt  werden.  Diese  arten  überall 
sehr  schnell  aus.  Einige  nennen  auch  eine  tarentinische 
Art  mit  sehr  süsser  Traube.  Die,  welche  Capnias,  Bucco- 
niatis  und  Tarrupia  heissen,  werden  auf  den  thurinischen 
Hügeln  nicht  eher  gelesen,  bis  Frost  eingetreten  ist.  Pisa 
hat  die  parische  Traube,  Mutina  die  prusinische  mit  schwarzen 
Beeren,  deren  Wein  innerhalb  4  Jahren  weiss  wird.  Als 
Merkwürdigkeit  führe  ich  eine  dortige  Traube  an,  welche 
sich  mit  der  Sonne  dreht,  und  deshalb  die  Wendetraube 
heisst;  ebenso,  dass  in  Italien  die  gallische,  jenseits  der 
Alpen  aber  die  picenische  beliebt  ist.  Virgil  hat  noch  die 
thasischen,  mareotidischen  und  hasenfarbigen  Trauben,  und 
noch  mehrere  auswärtige,  welche  in  Italien  nicht  vorkommen, 
angeführt. 

Doch  es  sind  noch  einige  Weinstöcke  ihrer  Trauben, 
nicht  aber  ihres  Weines  wegen  bemerkenswerth,  als  die 
ambrosische  und  die  harte,  welche  sich  ohne  alles  Geschirr 
am  Stocke  aufbewahren  lässt,  so  sehr  widersteht  sie  der 
Kälte,  Hitze  und  andern  atmosphärischen  Einflüssen.  Der 
sogenannte  gerade  Stock  bedarf  keines  Baumes  oder  Pfahls, 
sondern  hält  sich  selbst  aufrecht,  nicht  aber  der  Finger- 
stock, der  nicht  dicker  als  ein  Finger  ist.  Die  Tauben- 
trauben sind  die  vollsten,  und  die  mehr  purpurrothen  haben 
den  Namen  zweibrüstige,  da  sie  keine  neuen  Trauben, 
sondern  nur  neue  Beeren  führen.  Desgleichen  der  drei- 
füssige,  welcher  von  seiner  Länge  so  genannt  ist.  Der 
Scirpula  mit  trocknen  Beeren.  Der  in  den  Seealpen  vor- 
kommende sogenannte  rhätische,  welcher  dem  schon  ange- 
führten nicht  gleicht,  denn  dieser  ist  klein,  voll  von  Beeren, 
welche  sciilechten  Wein  geben,  aber  von  allen  die  dünnste 
Haut,  einen  einzigen  äusserst  kleinen  Kern,  welchen  man 
den  chiischen  nennt,  und  hie  und  da  eine  sehr  grosse  Beere 
haben.     Es   giebt  auch  einen  schwarzen  aramineischen,  der 


'96  Vierzehntes  Buch. 

den  Namen  syrischer  bekommen  hat.  Ferner  eine  spanische 
Alt,  die  unter  den  unedlen  noch  die  beste  ist. 

Zu  Weingeländern  werden  die  sogenannten  escarischen 
gesetzt,  welche  zu  den  Harten  gehören,  und  schwarze  und 
weisse  Trauben  haben;  ferner  die  grosstraubigen,  welche 
in  denselben  Farben  vorkommen,  und  die  noch  nicht  ge- 
nannten ägischen,  rbodischen  und  die  zweilöthigen,  die 
diesen  Namen  von  dem  Gewichte  der  Beeren  haben.  Des- 
gleichen die  Pechtraube,  welche  von  allen  die  schwärzeste 
ist,  die  von  einem  Spiele  der  Natur  sogenannte  bekränzte, 
zwischen  deren  Beeren  das  Laub  durchläuft,  und  die  soge- 
nannten Markttrauben,  welche  schnell  heranwachsen,  durch 
ihr  Ansehen  zum  Kaufe  einladen,  und  leicht  zu  tragen  sind. 
Dagegen  verwirft  man  die,  welche  aschgrau,  grauschwarz 
und  eselsgrau  aussehen;  weniger  jedoch  die  von  der  Aehn- 
lichkeit  mit  einem  Fuchsschwänze  sogenannte  Alopecis-Art. 
Der  sogenannte  alexaudrinische  Weinstock  wächst  um  Pha- 
lacra,  ist  klein,  hat  ellenlange  Aeste,  schwarze  Beeren  von 
der  Grösse  einer  Bohne,  mit  einem  weichen  sehr  kleinen 
Kerne,  die  Trauben  stehen  schief  und  schmecken  sehr  süss, 
das  Blatt  ist  klein,  rund  und  ungetheilt.  Vor  7  Jahren 
ward  zu  Alba  Helvia  in  der  narbouensischen  Provinz  ein 
Weinstock  gefunden,  der  in  einem  Tage  abblühet  und  da- 
her der  sicherste  von  allen  ist!  Man  nennt  ihn  den  narbo- 
nischen,  und  pflanzt  ihn  jetzt  dort  in  der   ganzen  Provinz. 

5. 

Cato,  der  erste  unter  den  Männern  dieses  Namens,  vor 
allem  ausgezeichnet  als  Triumphator  und  Censor,  noch  mehr 
aber  durch  seineu  wissenschaftlichen  Ruhm  und  durch  die 
Vorschriften,  welche  er  dem  römischen  Volke  über  alle  zu 
erzielenden  Dinge,  namentlich  über  den  Ackerbau  gab,  und 
der  nach  dem  Geständnisse  seiner  Zeitgenossen  der  beste 
und  erfahrenste  Ackersmaun  war,  hat  nur  wenige  Arten 
des  Weinstocks  angeführt,  von  deren  einigen  selbst  die 
Namen  schon  verschollen  sind.  Dieses  Mannes  Ansichten 
müssen  wir  in  dieser  ganzen  Abhandlung  berücksichtigen, 
damit   man    bei  jeder  Art   erfahre,  welches  im  600.  Jahre 


•  Vierzehntes  Buch.  97 

Eoms  um  die  Zeit  der  Eroberung  Carthago's  und  Corinths, 
wo  er  starb,  die  berühmtesten  waren,  und  was  für  Vor- 
theile  das  Leben  in  den  230  Jahren  später  in  dieser  Be- 
ziehung gewonnen  hat. 

Cato  schreibt  also  über  Weinstöcke  und  Trauben  Fol- 
gendes: Bepflanze  den  für  den  Wein  geeignetsten,  an  der 
Sonnenseite  gelegenen  Ort  mit  kleinen  ammiueischen, 
zwillingseugenischen  und  kleinen  helvinischen  Stöcken; 
-einen  dumpfigem  oder  nebligem  hingegen  mit  grossen 
ammineischen,  murgentinischen,  apicischen  oder  lucanischen. 
Die  übrigen  eignen  sich  meistens  ohne  Unterschied  für 
Jeden  Boden.  Man  bewahrt  den  Wein  zweckmässig  in 
Schläuchen.  Die  harten,  grössern  ammineischen  Trauben 
hebt  man  am  besten  auf,  wenn  man  sie  aufhängt  oder  in 
^iner  Schmiede  austrocknen  lässt.  Aeltere  Vorschriften  hat 
man  über  diese  Gegenstände  in  lateinischer  Sprache  nicht; 
so  nahe  sind  wir  dem  Ursprünge  derselben.  Den  so  eben 
genannten  ammineischen  nennt  Varro  den  scantianischen. 

Zu  unserer  Zeit  gab  es  noch  wenige  Beispiele  von 
Vollkommenheit  in  dieser  Kunst,  wir  dürfen  sie  aber  um 
^0  weniger  übergehen,  damit  wir  auch  ihren  Nutzen  kennen 
lernen,  worauf  .man  doch  immer  am  meisten  sehen  muss. 
Den  grössten  Ruhm  darin  hat  Acilius  Sthenelus,  ein  Frei- 
gelassener aus  der  gemeinen  Klasse,  erlangt,  der  im  nomen- 
tanischen  Gebiete  Weinberge  von  nicht  grösserm  Umfange 
als  60  Jugern  bebauete  und  für  40,000,000  Sesterzen  ver- 
kaufte. Auf  gleiche  Weise  machte  sich  der  freigelassene 
Vetulenus  Aegialus  im  literninischen  Districte  von  Cam- 
panien  berühmt,  und  zwar  noch  mehr  durch  die  Gunst  der 
Menschen,  denn  er  bauete  selbst  den  Verbannungsort  des 
Africanus ')  an.  Allein  das  grösste  Lob  erwarb  sich,  durch 
Hülfe  des  genannten  Sthenelus,  Rhemmius  Palämon  (der 
«onst  auch  als  Grammatiker  ausgezeichnet  war),  denn  dieser 
kaufte  in  den  letzten  20  Jahren  in  eben  demselben  nomen- 


*)  Scipio  Africanus. 

wittstein:  Plinius.     III.  Bd. 


98  Vierzehntes  Buch. 

anischen  Gebiete,  10  Meilensteine  von  Rom  entfernt,  ein 
Land  für  60,000,000  Sesterzen.  Nun  ist  aber  bekannt,  wie 
wenig  alle  Landgüter,  zumal  dort  kosten,  und  er  wählte  ge- 
rade solche,  welche  aus  Nachlässigkeit  heruntergekommen 
waren  und  unter  den  schlechtesten  nicht  einmal  solche,  die 
einen  bessern  Boden  hatten,  denn  seine  Absicht  ging  dahin,, 
sie  zu  cultiviren,  aber  nicht  etwa  aus  Liebe  zur  Sache,, 
sondern  Anfangs  aus  Eitelkeit,  die  er  bekanntlich  in  hohem 
Grade  besass.  Er  liess  also  durch  Sthenelus  die  Wein- 
berge von  Neuem  umackern,  wobei  er  einem  Landwirthe 
nachahmte,  und  trieb  sie  zu  einem  fast  unglaublichen 
Werthe,  denn  im  8.  Jahre  wurden  die  am  Stocke  hängen- 
den Trauben  einem  Käufer  für  40,000,000  Sesterzen  zuge- 
schlagen. Auch  kam  Jemand  dahin,  um  die  Haufen  von 
Trauben  in  diesen  Weinbergen  zu  sehen,  und  entschuldigte 
sich  gegen  den  Anschein,  er  sei  ein  fauler  Nachbar,  damit,, 
dass  er  höhere  Wissenschaften  übe;  und  vor  nicht  langer 
Zeit  wurde  Annäus  Seneca,  damals  der  erste  Gelehrte  und 
vermöge  seiner  Macht,  die  ihn  zuletzt  unterdrückte,  gewiss^ 
kein  Bewunderer  unbedeutender  Dinge,  so  sehr  von  jenem 
Landgute  eingenommen,  dass  er  sich  nicht  schämte,  dem 
Besitzer,  obgleich  er  ihn  hasste  und  dieser  mit  seinem  Gute 
nur  prahlen  wollte,  einen  solchen  Vorziis:  zu  geben,  dass 
er  jene  Weinberge,  nachdem  sie  beinahe  10  Jahre  lang 
cultivirt  waren,  um  den  4  fachen  Preis  kaufte.  Dergleichen 
Sorgfalt  wäre  werth,  auf  die  cäcubischen  und  setinischen 
Aecker  verwandt  zu  werden,  denn  später  gab  noch  jeder 
Morgen  7  Culei  d.  1.  140  Amphoren  Most.  Doch  damit 
Niemand  glaube,  das  Alterthum  sei  hierin  übertroffen,  so 
bemerken  wir  noch  aus  Cato's  Schriften,  dass  aus  1  Morgen 
zehn  Culei  gewonnen  wurden,  —  kräftige  Beispiele,  dass. 
weder  die  beunruhigten  Meere,  noch  die  von  den  Küsten 
des  rothen  und  indischen  Meeres  geholten  Waaren  dem 
Kaufmann  mehr  einbringen  als  eine  fleissig  betriebene 
Landwirthschaft. 

6. 
Den  ältesten  Ruf  hat  der  maroneische  Wein,  der,  wie 


■Vierzehntes  Buch.  99 

Homer  berichtet,  in  dem  Küstenstriche  von  Thracien 
wächst;  denn  wir  folgen  keinen  fabelhaften  oder  über  den 
Ursprung  von  diesem  oder  jenem  auf  verschiedene  Weise 
erzählten  Nachrichten,  und  führen  nur  noch  an,  dass  Ari- 
stäus  unter  jenem  Volke  der  erste  war,  welcher  Honig 
unter  den  Wein  mischte,  weil  beide,  von  der  Natur  von 
selbst  hervorgebrachte  Erzeugnisse  eine  besondere  Lieb- 
lichkeit besitzen.  Homer  sagt,  man  müsse  den  maroneischen 
Wein  mit  der  20fachen  Menge  Wasser  mischen;  und  doch 
behält  dieser  im  Lande  noch  eben  dieselbe  Stärke  und 
das  unbezwingliche  Feuer.  Auch  hat  Mucianus,  der  3 mal 
Consul  war,  unter  Denen,  welche  erst  ganz  kürzlich  darüber 
geschrieben  haben,  selbst  in  jenem  Laude  erfahren,  dass 
man  unter  1  Sextar  Wein  8  Sextar  Wasser  mische;  der 
Wein  sei  aber  schwarz,  starkriechend  und  werde  durchs 
Alter  fett.  Auch  der  von  Homer  gespriesene  pramnische 
Wein  steht  noch  in  hohem  Ansehen,  und  wächst  in  der 
Gegend  von  Smyrna  neben  einem  Tempel  der  Cybele.  Von 
den  übrigen  Sorten  ist  keine  recht  berühmt  gewesen.  In 
dem  633.  Jahre  Roms,  wo  L.  Opimius  Consul  war  und  der 
Tribun  C.  Gracchus,  welcher  das  Volk  zum  Aufruhr  reitzte, 
umgebracht  wurde,  gerieth  aller  Wein  gut,  denn  die  Sonne 
bewirkte,  dass  diejenige  gemässigte  Witterung  herrschte, 
welche  man  das  Kochen  nennt.  Man  hat  noch  jetzt  Weine 
von  beinahe  200  Jahren  her,  die  wie  ein  rauher  Honig  aus- 
sehen (denn  so  sind  die  Weine  im  Alter  beschaifen),  auch 
für  sich  nicht  getrunken  werden  können,  wenn  sie  nicht 
zuvor  mit  Wasser  vermischt  sind,  denn  das  Alter  hat 
ihnen  eine  ausserordentliche  Bitterkeit  verliehen.  Aber 
werden  sie  den  übrigen  Weinen  in  sehr  geringer  Menge 
zugesetzt,  so  verbessern  sie  sie  und  sind  ihnen  gleichsam 
eine  Arznei.  Damals  kostete  eine  Amphore  100  Sesterzen, 
und  ich  habe  durch  ein  merkwürdiges  Beispiel  gezeigt,  als 
ich  das  Leben  des  Dichters  Pomponius  Secundus  und  das 
Gastmahl,  was  er  dem  Sohne  des  Cajus  Cäsar  Germanicus 
gab,  beschrieb,  dass,  wenn  die  Zinsen,  zu  V2V0  gerechnet, 
was  bürgerlich  und  gerecht  ist,  hinzugezählt  werden,  nach 


100  Vierzehntes  Buch. 

160  Jahren  1  Uncia  desselben  Weines  ebensoviel  kostet. 
So  viel  Geld  steckt  in  den  Weinkellern.  Kein  anderer 
Gegenstand  vertbeuert  sieb  bis  zum  20.  Jahre  mehr,  oder 
bringt,  wenn  der  Preis  niebt  steigt,  mehr  Verlust.  Selten, 
und  nur  bei  Scbwelgereien,  bat  bisber  eine  Flascbe  Wein 
1000  Sesterzen  gekostet.  Man  glaubt,  die  Viennenser  allein 
verkauften  ihre  gepichten  Weine,  deren  Arten  wir  ange- 
führt babeu,  höher,  jedoch  aus  Patriotismus  nur  unter  sich. 
Diese  Weine  werden,   kalt   getrunken,  für  kälter  gebalten. 

7, 
Die  Wirkung^)  des  Weines  besteht  darin,  dass  er 
getrunken  durch  seine  Wärme  die  Eingeweide  erhitzt,  aussen 
aufgegossen  kühlt.  Es  dürfte  nicht  unpassend  sein,  bei 
dieser  Gelegenheit  das  anzuführen,  was  Androcydes,  ein 
berühmter  Weise,  an  Alexander  den  Grossen  geschrieben 
hat,  um  dessen  Unmässigkeit  Einhalt  zu  thun:  „Erinnere 
dich,  König,  dass  du  im  Weine  das  Blut  der  Erde  trinkst; 
der  Schierling  ist  ein  Gift  für  die  Menschen  und  der  Wein 
ein  Gift  für  den  Schierling."  Hätte  er  diese  Lehren  be- 
folgt, wahrlich  dann  hätte  er  seine  Freunde  nicht  in  der 
Trunkenheit  getödtet.  Man  kann  daher  wohl  mit  Recht, 
sagen,  nichts  sei  den  Kräften  des  Körpers  dienlicher,  nichts 
aber  auch  für  die  Schwelgsucht  verderblicher,  wenn  das 
Maass  überschritten  wird. 

8. 
Wer  wird  aber  bezweifeln,  dass  ein  Wein  angenehmer 
als  der  andere  sei?  oder,  dass  aus  ein  und  demselben  Be- 
hälter einmal  ein  besserer  hervorgeht  als  das  andere  Mal, 
liege  es  nun  an  dem  irdenen  Geschirre  oder  an  zufälligen 
Umständen?  Daher  mag  ein  Jeder  selbst  über  die  Weine, 
welche  die  besten  sind,  entscheiden.  Die  Kaiserin  Julia 
brachte  die  82  Jahre  ihres  Lebens  auf  Rechnung  des  puci- 
nischen  Weines,  denn  sie  trank  keinen  andern.  Dieser 
wächst  an  einem  Busen  des  adriatischen  Meeres,  nicht  weit 
von   der  Quelle  Timavus,   an  einem  steinigen  Hügel,  und 


')  Das  Wesen,  natura." 


•Vierzehntes  Buch.  101 

liefert  wegen  der  Seeluft  nur  wenige  Amphoren  reife  Aus- 
beute. Kein  Wein  soll  besser  zu  Arzneien  sein.  Diess 
ist  wahrscheinlich  derselbe  Wein,  den  die  Griechen  aus 
einem  adriatischen  Busen  geholt,  Prätetianum  genannt  und 
mit  ausserordentlichen  Lobsprüchen  verherrlicht  haben.  Der 
Kaiser  Augustus  zog  den  Setinischen  allen  übrigen  Sorten 
vor  und  ihm  ahmten  alle  seine  Nachfolger  hierin  nach,  weil 
die  Erfahrung  zeigte,  dass  er  nicht  leicht  schädliche  Be- 
standtheile  im  Speichel  zurück  lässt.  Er  wächst  hinter 
Forum  Appii  ^).  Früher  behauptete  der  cäcubische  Wein 
aus  den  sumpfigen  Pappelwäldern  im  amyelanischen  Busen 
den  ersten  Rang,  doch  ist  derselbe  jetzt  durch  die  Nach- 
lässigkeit der  Anbauer  und  den  engen  Raum  des  Lokals, 
noch  mehr  aber  durch  den  Graben,  welchen  Nero  vom 
avernischen  See  an  bis  nach  Ostia  schiffbar  zu  machen  be- 
absichtigte, ganz  zurückgekommen. 

Den  zweiten  Rang  behauptete  das  falernische  Land, 
in  ihm  vorzüglich  der  faustianische  Distrikt,  und  diesen 
hatte  es  sich  selbst  durch  die  darauf  verwendete  Sorgfalt 
und  Pflege  geschaffen.  Auch  er  verliert,  weil  man  jetzt 
mehr  auf  die  Menge  als  auf  die  Güte  bedacht  ist.  Das 
falenische  Land  beginnt  bei  der  Campanischen  Brücke  da, 
wo  man  links  nach  der  sullanischen  Colonie  Urbana,  die 
kürzlich  zu  Capua  geschlagen  ist,  geht;  der  faustianische 
Districkt  aber  ungefähr  4  Meilen  von  einem  bei  Cediciae 
liegenden  Dorfe,  welches  von  Sinuessa  6000  Schritte  ent- 
fernt liegt.  Kein  Ort  ist  berühmter  durch  seinen  Wein,  der 
sich  auch  einzig  dadurch  auszeichnet,  dass  er  sich  anzünden 
lässt.  Es  giebt  3  Arten  davon,  herben,  süssen  und  leichten. 
Einige  unterscheiden  ihn  also:  oben  auf  den  Hügeln  wachse 
der  caucinische,  mitten  der  faustianische  und  unten  der 
falernische  Wein.  Wir  wollen  es  auch  nicht  unbemerkt 
lassen,  dass  von  keinem  Stocke,  dessen  Wein  geschätzt 
wird,  die  Trauben  angenehm  schmecken. 


')  Flecken   in   Etrurien.    hiess    später  Regeta:  jetzt  Dorf  Foro 
Ajijüo. 


102  Vierzehntes  Buch. 

Zum  dritten  Range  sind  abwechselnd  die  albanischen 
Weine  gekommen,  welche  in  der  Nähe  von  Rom  wachsen, 
sehr  süss  und  selten  herbe  schmecken;  ferner  die  surren- 
tinischen,  welche  nur  in  Weinbergen  wachsen,  und,  wegen 
ihrer  Leichtigkeit  und  heilsamen  Wirkung  sich  für  Recon- 
valescenten  am  meisten  eignen.  Der  Kaiser  Tiberius  sagte, 
die  Aerzte  hätten  beschlossen,  den  surrentiuischen  edel  zu 
machen,  denn  er  sei  sonst  nur  ein  guter  Essig.  Der  Kaiser 
Cajus,  welcher  ihm  folgte,  nannte  ihn  einen  berühmten 
kahmigen  Wein  *).  Mit  diesen  streiten  um  den  Rang  die 
massischen  Weine,  und  die,  welche  von  der  nach  Puteoli 
und  Bajä  gerichteten  Seite  des  Berges  Gaurus  kommen. 
Denn  die  statanischen  Weine  von  der  falernischen  Grenze 
sind  ohne  Zweifel  zur  höchsten  Ehre  gelangt,  und  haben 
dadurch  klar  gezeigt,  dass  alle  Länder,  gleichwie  der  Ur- 
sprung und  Untergang  der  Dinge,  ihre  Zeiten  haben.  Der 
ihm  benachbarte  calenische  und  der  fundanische,  welcher 
in  Weinbergen  und  an  Bäumen  wächst,  pflegten  zuweilen 
noch  vorgezogen  zu  werden.  Andere  Weine  aus  der  Nähe 
Roms  sind  der  veliterninische  und  der  privernatische. 
Denn  der,  welcher  zu  Signia  gewonnen,  und  seiner  ausser- 
ordentlichen Herbigkeit  wegen  gegen  den  Durchfall  ge- 
braucht wird,  ist  ein  Arzneimittel. 

Den  vierten  Rang  bei  den  öffentlichen  Gastmählern 
hat  der  mamertinische,  der  bei  Messana  in  Sicilien  wächst, 
von  Julius  Cäsar  erhalten,  denn  er  verschaffte  ihm,  wie 
aus  seinen  Briefen  erhellt,  zuerst  dieses  Ansehen.  Nächst 
ihm  wird  der  von  seinem  Erfinder  sogenannte  potulanische, 
welcher  von  einem,  Italien  zunächst  liegenden  Distrikte 
kommt,  am  meisten  geschätzt.  Auch  steht  der  tauromini- 
tanische  in  Sicilien  in  Ansehen,  und  werden  die  damit  ge- 
füllten Flaschen  sehr  oft  dem  mamertinischen  untergeschoben. 

Unter  den  übrigen  aber  sind  diejenigen  zu  nennen, 
welche  am  obern  Meere  zu  Prätutia  und  Ankona  wachsen, 


')  vappa. 


Vierzehntes  Buch.  103 

und  welche  wir,  weil  sie  von  einer  Palme  und  zwar  viel- 
leicht von  einer  Art  derselben  kommen,  palmensische  ge- 
nannt haben.  Mitten  im  Lande  aber  der  cäsenatische  und 
mäcenatianische.  Ferner  im  Veronesischen  der  rhätische, 
■der  von  Virgil  nur  dem  falernischen  nachgesetzt  wird. 
Nicht  sehr  fern  davon,  an  dem  innersten  Theile  des  Meer- 
husens  der  adrianische;  am  untern  Meere  aber  der  latinien- 
«ische,  graviscanische,  statoniensische.  In  Etrurien  hat 
Luna  den  Vorzug,  in  Ligurien  Genua.  Massilien,  welches 
zwischen  den  Pyrenäen  und  den  Alpen  liegt,  hat  Wein 
von  doppeltem  Geschmacke,  denn  dort  wächst  auch  einer, 
der  fetter  ist,  daher  zur  Verbesserung  anderer  dient  und 
■der  saftige  genannt  wird.  Inneröalb  Gallien  steht  der 
Wein  von  Bäterrä  im  Ansehen.  Von  den  übrigen  in  der 
narbonensischen  Provinz  vorkommenden  Arten  kann  man 
diess  nicht  sagen,  denn  man  hat  dort  eine  Fabrik  ange- 
legt, um  ihn  zu  räuchern.  Wollte  Gott,  sie  thäten  es  nicht 
auch  mit  schädlichen  Kräutern  und  Arzneimitteln;  denn 
sie  kaufen  sogar  Aloe,  um  Geschmack  und  Farbe  damit 
zu  verfälschen. 

Doch  auch  die  entfernten  italienischen  Weine  sind 
nicht  unrühmlich  bekannt,  als  die  vom  ausonischen  Meere, 
der  tarentinische,  servitianische,  der  zu  Consentia,  Tempsa, 
Babia  und  Thurini,  welcher  letztere  vor  dem  lucanischen 
den  Vorzug  hat.  Unter  allen  aber  behaupten  der  zu  Mes- 
sala  und  der  lagarinische,  welcher  nicht  weit  von  Grumen- 
tum  wächst,  den  ersten  Rang  hinsichtlich  ihres  Geschmacks 
und  ihrer  Zuträglichkeit  für  die  Gesundheit.  In  Campanien 
haben  neulich,  entweder  durch  Sorgfalt  oder  durch  Zufall, 
neue  Namen  Ansehen  bekommen,  nemlich  vier  Meilensteine 
von  Neapolis  der  trebellische,  bei  Capua  der  cauliuische, 
und  auf  ihrem  eignen  Acker  der  trebulanische,  Sorten,  die 
sonst  nur  unter  den  gemeinen  und  bei  den  Trifolinern 
«inigen  Ruf  haben.  Der  Pompejanische  gewinnt  höchstens 
bis  zum  10.  Jahre  an  Güte,  ein  höheres  Alter  hilft  ihm 
nichts;  auch  verursacht  er  Kopfweh,  welches  bis  zur  sech- 
sten Stunde  des  folgenden  Tages  dauert.     Diese  Beispiele 


104  Vierzehntes  Bach. 

beweisen,  wenn  ich  nicht  irre,  dass  bei  den  Weinen  da& 
Vaterland  und  der  Boden,  nicht  die  Traube,  von  Einfluss 
ist,  und  dass  es  eine  unnütze  Arbeit  sein  würde,  die  Sorten, 
alle  aufzuzählen,  da  ein  und  derselbe  Weinstock  an  ver- 
schiedenen Orten  verschiedene  Kräfte  zeigt.  In  Spanien 
schätzt  man  den  laletanischen  wegen  seiner  Einträglichkeit^ 
den  tarraconensischen  und  lauronensischen  aber  wegen 
seiner  Vortrefflichkeit,  und  der  von  den  balearischen  Inseln 
wird  den  ersten  Weinen  Italiens  zur  Seite  gesetzt.  Ich 
weiss  wohl,  dass  Viele  glauben  werden,  ich  habe  vieles 
ausgelassen,  denn  einem  Jeden  gefällt  das  Seinige,  und 
wohin  man  geht,  findet  man  mährchenhafte  Berichte.  Einer 
von  den  Freigelassenen  des  Kaisers  Augustus,  der  dessen 
Urtheil  und  Geschmack  am  besten  kannte  und  den  Wein 
zu  dessen  Gastmählern  aussuchte,  soll  zu  einem  Gaste  in 
Bezug  auf  einen  einheimischen  Wein  gesagt  haben:  Der 
Geschmack  desselben  komme  ihm  zwar  neu  vor,  und  es 
sei  keine  von  den  bessern  Sorten,  allein  der  Kaiser  würde 
keinen  andern  trinken.  Ich  will  nicht  leugnen,  dass  auch 
andere  Sorten  ruhmwürdig  sind,  aber  diejenigen,  welche 
unser  Zeitalter  einstimmig  gut  befunden,  habe  ich  an- 
geführt. 

9. 
Nun  wollen  wir  auch  die  überseeischen  Weine 
nennen.  Nächst  dem  homerischen,  von  dem  schon  oben 
die  Rede  war,  standen  der  thasische  und  chiotische,  und 
von  letzterm  der  sogenannte  arvisische  im  höchsten  Ruhme. 
Zu  diesen  hat  Erasistratus '),  der  grösste  Arzt,  etwa  um 
das  Jahr  450  nach  Roms  Erbauung,  den  lesbischen  zuge- 
sellt. Jetzt  hat  der  clazomenische  vor  allen  den  Vorzugs 
seitdem  er  weniger  mit  Seewasser  vermischt  wird.  Der 
lesbische  schmeckt  von  Natur  salzig.  Der  tmolitische  wird 
an  und  für  sich  nicht  als  Wein  geschätzt,  sondern,  da  er 
süss  ist,  unter  andern  gemischt,  wodurch  diese  ihre  Rauh- 


')  Aus  Julis   auf  Cos,  Schüler  des  Chrysippus ,  lebte  um  300  \v 
Chr.  erst  am  Hofe  des  Seleukos  Nikator.  dann  zu  Alexandrien. 


yierzehntes  Buch.  105 

igkeit  verlieren  und  einen  angenehmen  Gesehmacii  be- 
kommen, auch  dann  gleich  älter  zu  sein  scheinen.  Auf 
die  eben  genannten  folgen  zunächst  der  sicyonische,  cy- 
])rische,  telmesische,  tripolitische,  berytische,  tyrische,  se^ 
bamytische.  Letzterer  wächst  in  Aegypten,  und  zwar  giebt 
es  daselbst  3  sehr  edle  Arten  Trauben,  welche  die  3  Sorten, 
den  thasischen,  aethalischen  und  Peuce  liefern.  Nach 
diesen  stehen  im  Ansehen:  der  Hippodamantische ,  mysti-. 
sehe,  comtharitische,  gnidische  Protopus^),  catacecaume- 
nitische,  petritische,  mycouische.  Denn  dass  der  mesogi- 
tische  Kopfschmerzen  verursacht,  hat  die  Erfahrung  gelehrt ; 
auch  der  ephesische  ist  nicht  gesund,  weil  er  mit  See- 
wasser und  eingekochtem  Most  2)  vermischt  wird.  Der 
apamenische  soll,  gleich  wie  der  prätutische  in  Italien  zu 
Weinmeth  sich  besonders  eignen.  Auch  dadurch  entstehen 
eigenthümliche  Arten,  dass  die  süssen  nicht  gänzlich  unter 
sich  übereinkommen.  Auch  der  Protagion,  welchen  die 
Schulen  des  Asclepiades  den  italienischen  zunächst  gestellt 
hatten,  ist  ausser  Gebrauch  gekommen.  Der  Arzt  Apollo^ 
dorus  3)  hat  in  dem  Buche,  worin  er  dem  Könige  Ptole- 
mäus  rieth,  was  er  für  Weine  trinken  sollte,  da  die  ita^ 
lienischen  damals  noch  unbekannt  waren,  in  Pontus  den 
naspercenitischen,  dann  den  oretischen,  öneatischen,  leuca- 
di sehen,  ambraciotischen,  und  den  peparethischen,  welchen 
er  allen  andern  vorzog,  empfohlen,  doch  sagt  er,  dieser 
stehe  weniger  im  Rufe,  weil  er  vor  dem  sechsten  Jahre 
nicht  besonders  schmecke. 

10. 
Bis  hieher  wurden  den  Völkern  gute  Weine  zu  Theil, 
Bei  den  Griechen  erhielt  der  sogenannte  Lebenswein  mit 
Recht  den  berühmtesten  Namen,  der,  wie  wir  in  dem 
medicinischen  Abschnitte  sagen  werden,  zur  mannigfaltig- 
sten Anwendung   für   die  Gesundheit   erfunden  worden  ist. 


')  protopus,  ein  Wein  der  ohne  Presse  abläuft. 

■■*)  detrutum. 

')  Von  Lemnos,  übrigens  nicht  näher  bekannt. 


106  Vierzehntes  Buch. 

Er  wird  auf  folgende  Art  bereitet:  die  Trauben  werden 
kurz  vor  der  Reife  abgenommen,  an  der  Sonne  getrocknet, 

3  Tage  lang  täglich  3  mal  umgewendet,  am  4.  Tage  aus- 
gedrückt, und  der  Saft  in  Gefässen  an  der  Sonne  gezeitigt. 
Die  Coer  mischen  hiezu  eine  reichliche  Menge  Seewasser, 
(ein  Zusatz,  der  von  dem  Diebstahle  eines  Sclaven,  um  das 
richtige  Maass  wieder  herzustellen,  herrührt),  und  wenn 
diess  Gemisch  zu  weissem  Moste  gegeben  ist,  bekommt  es 
den  Namen  weisser  coischer  Wein.  Bei  andern  Völkern 
heisst  der  auf  dieselbe  Weise  dargestellte  Salzwein;  man 
nennt  ihn  aber  Seewein,  wenn  die  mit  Most  gefüllten 
Fässer  ins  Meer  versenkt  werden,  wodurch  er  eher  alt 
wird.  Auch  bei  uns  hat  Cato  ein  Verfahren  angegeben, 
aus  italienischem  Weine  coischen  zu  machen,  wobei  er 
unter  andern  vorschreibt,  ihn  4  Jahre  lang  der  Sonne  aus- 
zusetzen. Der  rhodische  Wein  gleicht  dem  coischen.  Der 
phorineische  ist  salziger  als  der  coische.  Alle  übersee- 
ischen Weine  sollen  in  7  oder  6  Jahren  ihr  mittleres  Alter 
erreichen. 

11. 
Aller  süsse  Wein   hat   weniger  Geruch;    je    dünner 
aber   der  Wein,   um   so    stärker   riecht  er.     Der  Wein  hat 

4  Farben,  es  giebt  nämlich  weissen,  gelben,  rothen  und 
schwarzen.  Der  psythische  und  melampsythische  sind 
Rosinenweine  1),  die  einen  eigenen  und  keinen  Weinge- 
schmack haben;  der  Scybilites  aber  ist  eine  Art  Most,  der 
in  Galatien,  sowie  das  Aluntium  in  Sicilien  gewonnen  wird. 
Der  siräische,  den  Einige  Hepsema,  wir  aber  Sapa  nennen, 
ist  ein  Werk  der  Kunst  und  nicht  der  Natur,  nemlich  ein 
bis  zum  dritten  Theile  seines  Maasses  eingekochter 
Most;  geschieht  diess  nur  bis  zur  Hälfte,  so  nennen  wir 
ihn  defrutum.  Alle  diese  hat  man  zur  Verfälschung  des 
Honigs  ausgedacht;  die  erstem  aber  bestehen  aus  Trauben 
und   Erde.     Nächst   dem    cretischeu    Rosinenweine   ist   der 


•)  passum  sc.  vinum. 


Vierzehntes  Buch.  107 

cilicische  und  afrikanische  sowohl  in  Italien  als  auch  in 
den  angrenzenden  Provinzen  der  beliebteste.  Man  weiss 
mit  Sicherheit,  dass  er  aus  einer  Traube ,  welche  die 
Griechen  Sticha,  wir  aber  Apiana  nennen,  sowie  aus  der 
Scirpula,  welche  beide  längere  Zeit  am  Stocke  durch  die 
Sonne  oder  aber  in  einem  heissen  Fasse  gedörrt  werden, 
bereitet  wird.  Einige  machen  ihn  aus  jeder  süssen  Traube, 
indem  sie  vorher  den  weissen  Most  absieden,  dann  die 
Beeren  an  der  Sonne  trocknen,  bis  noch  etwas  mehr  als 
die  Hälfte  des  Gewichts  übrig  ist,  stossen  und  gelinde  aus- 
drücken. Nachdem  sie  nun  ausgepresst  haben,  geben  sie 
unter  die  Weintrester  Brunnenwasser,  um  so  eine  zweite 
Sorte  Rosiuenwein  zu  bekommen.  Aufmerksamere  Leute 
trocknen  sie  ebenso,  pflücken  aber  die  Beeren  ab,  be- 
feuchten dieselben,  ohne  die  Stiele,  mit  einem  vorzüglichen 
Weine,  bis  sie  aufschwellen  und  pressen  dann.  Letztere 
Sorte  hat  den  Vorzug  vor  den  übrigen,  und  aus  ihren 
Pressrückständen  macht  man  ebenfalls  durch  Zusatz  von 
Wasser  eine  zweite  Sorte. 

Ein  Mittelding  zwischen  den  süssen  Getränken  und 
dem  Weine  nennen  die  Griechen  Aigleucos  i),  d.  h.  be- 
ständiger Most.  Dieser  wird  durch  besondere  sorgfältige 
Behandlung  gewonnen,  denn  man  lässt  ihn  nicht  gähren; 
unter  gähren  versteht  man  nemlich  den  Uebergang  des 
Mostes  in  Wein.  Sobald  der  Most  aus  der  Kelter  gelaufen, 
wird  er  sogleich  in  Fässer  gefüllt  und  diese  versenkt  man 
ins  Meer  bis  der  kürzeste  Tag  vorüber  und  der  Wein  die 
Kälte  gewohnt  ist.  Man  hat  noch  eine  andere  eigenthüm- 
liche  Sorte  der  Art,  welche  man  in  der  narbonensischen 
Provinz,  und  hier  namentlich  bei  den  Vocontiern  findet 
und  den  süssen  nennt.  Dieserhalb  lässt  man  die  Traube 
längere  Zeit  am  Stocke  und  verdrehet  den  Blüthenstiel. 
Von  Einigen  wird  der  Zweig  selbst  bis  aufs  Mark  einge- 
schnitten,  von  Andern   die  Traube   auf  Ziegelsteinen    ge- 


')  aSL  immer  und  yhtvxoq  Most. 


108  Vierzehntes  Buch. 

trocknet,  und  zu  diesem  Endzwecke  benutzt  man  die  Hel- 
venacischen  Weinstöcke.  Einige  setzen  noch  das  sogenannte 
diachyton  hinzu,  welches  entsteht,  wenn  die  Trauben  an 
einem  verschlossenen  Orte  7  Tage  lang  auf  7  Fuss  hoch 
von  der  Erde  stehenden  Hürden  an  der  Sonne  getrocknet, 
des  Nachts  vor  dem  Thaue  geschützt,  und  am  8.  gekeltert 
werden.  Dadurch  soll  der  Wein  den  besten  Geruch  und 
Geschmack  erhalten.  Zu  den  süssen  Getränken  gehört 
auch  der  Honigwein.  Er  unterscheidet  sich  vom  Methe 
dadurch,  dass  er  aus  Most  bereitet  wird;  man  siedet  näm- 
lich 5  Congii  herben  Most,  1  Congius  Honig  und  1  Cyathus 
Salz  miteinander.  Er  schmeckt  herbe.  Aber  unter  diese 
Arten  von  Getränken  muss  ich  auch  den  Protopus  setzen, 
—  so  heisst  nämlich  bei  Einigen  der  von  selbst  aus  den 
Trauben  fliessende  Most,  bevor  sie  gekeltert  werden.  Man 
zieht  ihn  sogleich  auf  Flaschen,  lässt  ihn  abgähren,  und 
setzt  ihn  dann  im  folgenden  Sommer  beim  Aufgange  des 
Hundssterns  40  Tage  lang  der  Sonne  aus. 

12. 

Was  die  Griechen  Deuteria ^),  Cato  und  wir  aber 
Lora  nennen,  und  aus  den  Weintrestern  durch  Einweichen 
in  Wasser  bereitet  wird,  können  wir  füglich  nicht  Wein 
nennen,  demungeachtet  aber  rechnet  man  dieses  Getränk 
unter  die  Weine  der  Arbeitsleute.  Es  giebt  3  Sorten  da- 
von. Die  eine  wird  erhalten,  wenn  man  den  Trestern  den 
zehnten  Theil  des  erhaltenen  Mostes  Wasser  hinzufügt,  das 
Ganze  einen  Tag  und  eine  Nacht  stehen  lässt  und  dann 
wiederum  presst;  die  zweite,  wenn  man,  wie  es  die 
Griechen  gemacht  haben,  den  3.  Theil  des  Mostes  Wasser 
nimmt,  und  das  Ausgepresste  bis  auf  ein  Drittheil  ein- 
kocht; die  dritte  wird  aus  den  Weinhefen  gepresst,  und 
heisst  bei  Cato  Hefenwein.  Keine  derselben  hält  sich 
länger  als  ein  Jahr. 

13. 

Hiebei  fällt  mir  ein,  dass,  während  es  auf  dem  ganzen 


')  Von  dfvTfQog,  der  zweite,  also  Weine  zweiter  Qualität. 


Vierzehntes  Buch.  109 

Erdkreise  beinahe  80  edle  Sorten  von  dem,  was  wir  eigent- 
lich unter  Wein  verstehen,  giebt,  2/3  von  dieser  Anzahl 
Italien  angehören,  und  dieses  Land  in  dieser  Hinsicht 
also  den  übrigen  weit  voran  steht.  Es  lässt  sieh  daher 
schwer  begreifen,  woher  es  kommt,  dass  Italien  nicht  von 
Anfang  an,  sondern  erst  600  Jahre  nach  Erbauung  Roms 
zu  diesem  Ansehen  gelangt  ist. 

14. 

Dass  Romulus  nicht  mit  Wein,  sondern  mit  Milch 
opferte,  beweisen  die  von  ihm  angeordneten  Opfer,  welche 
noch  heutigen  Tages  ebenso  beobachtet  werden.  Das  po- 
stumische  Gesetz  Numa's  lautet:  den  Scheiterhaufen  sollst 
du  nicht  mit  Wein  benetzen.  Und  Niemand  wird  bezwei- 
feln, dass  er  diess  aus  Mangel  an  Wein  verordnet  habe. 
Durch  dasselbe  Gesetz  hat  er  es  für  ein  Vergehen  er- 
klärt, wenn  man  den  Göttern  Wein  von  einem  unbe- 
schnittenen Stocke  weihe,  und  zwar  aus  dem  guten  Grunde, 
um  diejenigen,  welche  bloss  Ackerbau  trieben  und  zu  faul 
waren  sich  der  Baumzucht  anzunehmen,  zum  Beschneiden 
der  Reben  zu  zwingen.  M.  Varro  berichtet,  der  etrurische 
König  Mezentius  i)  habe  für  die  Hülfe,  welche  er  den  Ru- 
tulern  wider  die  Lateiner  geleistet,  den  Wein,  der  damals 
im  lateinischen  Gebiete  war,  bekommen. 

Den  Weibern  in  Rom  war  es  nicht  gestattet,  Wein  zu 
trinken.  Unter  andern  finde  ich  einen  Fall,  wo  die  Gattin 
des  Egnatius  Macenius,  welche  Wein  aus  einem  Fasse  ge- 
trunken hatte,  von  ihrem  Manne  todtgeprügelt,  und  dieser 
durch  Romulus  von  dem  Morde  freigesprochen  wurde. 
Fabius  Pictor  erzählt  in  seinen  Jahrbüchern,  eine  Frau 
vom  Stande  sei,  weil  sie  einen  Schrank,  worin  die  Schlüssel 
zum  Weinkeller  waren,  geöffnet  hatte,  von  ihren  Ange- 
hörigen zum  Hungertode  verdammt  worden.  Cato  sagt, 
Frauenzimmer   würden  deshalb  von  ihren  Verwandten  ge- 


*)  Tapferer  aber  grausamer  Fürst  zu  Caere  in  Etrurien,  Vater 
des  Lausus,  wurde  von  seinen  Unterthanen  verjagt  und  focht  im 
Heere  des  Turnus  gegen  Aeneas,  der  ihn  erlegte. 


110  Vierzehntes  Buch. 

kiisst,  damit  diese  erführen,  ob  sie  nach  berauschendem 
Getränke  ^)  röchen.  So  hiess  damals  der  Wein,  und  davon 
hat  der  Rausch  -)  seinen  Namen.  Der  Richter  Cn.  Domitius 
bestrafte  eine  Frau,  die  ohne  Vorwissen  ihres  Mannes  mehr, 
als  der  Gesundheit  zuträglich  war,  getrunken  hatte,  mit 
dem  Verluste  der  Mitgift.  Lange  Zeit  war  der  Wein  spar- 
sam in  Gebrauch.  Als  der  Oberfeldherr  L.  Papirius  gegen 
die  Samniter  streiten  wollte,  gelobte  er,  im  Falle  ihm  der 
Sieg  zu  Theil  würde,  dem  Jupiter  einen  kleinen  Becher 
Wein.  Endlich  finde  ich,  dass  man  zum  Geschenke  einen 
Sextarius  Milch,  niemals  aber  Wein  gab.  Als  ebenderselbe 
Cato  nach  Spanien,  von  wo  er  im  Triumphe  zurückkehrte, 
segelte,  trank  er  keinen  andern  Wein,  als  die  Ruderknechte; 
so  sehr  war  dieser  Mann  von  denen  verschieden,  welche 
sogar  den  Gästen  andern  Wein  als  sich  selbst  vorsetzen, 
oder  während  der  Tafel  unterschieben. 

15. 
Die  geschätztesten  Weine  der  Alten  waren  die,  welche 
man  mit  -Myrrhe  versetzt  hatte,  wie  aus  dem  Schauspiel 
des  Plautus  ^),  das  den  Titel  Persa  hat,  erhält,  obgleich  er 
sagt,  man  solle  auch  Calmus  dazu  thun.  Daher  glauben 
Einige,  sie  hätten  den  gewürzten  Wein  am  meisten  geliebt. 
Allein  Fabius  Dossennus^)  entscheidet  die  Sache  in  folgen- 
den Versen: 

„Ich  sandte  schönen  Myrrhen- Wein." 
Und  im  Acharistion: 

„Brot,  Graupen  und  Myrrhen-Wein." 


')  temetum. 

^)  temulentia. 

3)  M.  Accius  Plautus  aus  Sarsina  in  Umbi-ien,  227  bis  184  v. 
Chr.,  lebte  zu  Rom,  Unternehmer  und  Vorsteher  eines  komischen 
Theaters. 

■')  Fabius  Dossennus  Mundus,  ein  alter  römischer  Dichter,  schrieb 
Atellanen  (Schauspiele,  nach  der  oscischen  Stadt  Atella  in  Campa- 
nien  benannt,  weil  sie  angeblich  in  der  oscischon  Mundart  aufge- 
führt wurden.  Die  Darsteller  waren  keine  Histrionen,  sondern  junge 
freie  Römer). 


Vierzehntes  Buch.  111 

Ich  sehe,  dass  auch  Scävola  i),  Lälius  2)  und  Attejus 
Capito  3)  derselben  Meinung  gewesen  sind,  weil  im  Pseudo- 
lus  steht: 

„Wenn  es  nöthig  ist,  dass  er  hernach  etwas  Süsses 
gebe,  hat  er  auch  wohl  dergleichen? 

Char:  Du  fragst?  Myrrhenwein,  Rosinenwein,  Meth, 
Honig " 

Es  ist  demnach  klar,  dass  der  Myrrhenwein  nicht  nur 
unter  die  Weine,  sondern  selbst  unter  die  süssen  ge- 
rechnet wurde. 

16. 

Der  opimianische  Wein  giebt  den  unzweifelhafte- 
sten Beweis,  dass  bereits  im  633.  Jahre  der  Stadt  Wein- 
keller^) existirten  und  Wein  auf  Flaschen  gezogen  wurde, 
Italien  also  schon  damals  sein  Gut  erkannte.  Jedoch 
standen  jene  vielen  Arten  noch  nicht  im  Rufe,  und  führten 
sie  alle  den  einzigen  Namen  des  Consuls.  Auch  wurden 
noch  lange  nachher,  und  zwar  bis  zu  unserer  Grossväter 
Zeiten,  ja  selbst  als  man  den  falernischen  schon  kannte, 
die  überseeischen  Weine  geschätzt,  wie  folgender  Vers 
jenes  Lustspieldiehters  besagt: 

„Ich  hole  5  Flaschen  thasischen  und  2  Flaschen  faler- 
nischen Weines  herbei." 

Die  Censoren  P.  Licinius  Crassus  und  L.  Julius  Cäsar 
erliessen  im  Jahre  665  der  Stadt  eine  Verordnung  mit  fol- 
genden Worten:  Niemand  solle  ein  Quadrantal  griechischen 
und  ammineischen  Weines  um  8  Ass  verkaufen.  Der  grie- 
chische Wein  ward  aber  so  hoch  gehalten,  dass  jeder  Gast 
nur  einmal  davon  zu  trinken  bekam. 

17. 

Welche  Weine   bei   Tische   beliebt    waren,    sagt    uns 

')  Es  gab  mehrere  berühmte  Römer  dieses  Namens;  welcher 
hier  gemeint  ist,  lässt  sich  nicht  bestimmen. 

^)  C.  Laelius,  Freund  des  Scipio  Aeniilianus,  Held ,  Staatsmann, 
Gelehrter,  Philosoph,  140  Consul. 

^)  L.  Attejus  Capito,  berühmter  Jurist,  Consul  unter  Augustus. 

'')  apothecae. 


112  Vierzehntes  Buch. 

M.  Vasi'o  mit  folgenden  Worten:  „L.  Lucullus  sab  als 
Knabe  bei  seinem  Vater  nie  ein  prächtiges  Gastmahl,  bei 
welchem  mehr  als  einmal  griechischer  Wein  gereicht 
wurde.  Als  er  aus  Asien  zurückkehrte,  theilte  er  1100  Ca- 
dus  zum  Geschenke  aus.  C.  Sentius,  den  ich  als  Prätor 
gekannt  habe,  sagte,  erst  damals  sei  chiischer  Wein  in 
sein  Haus  gebracht  worden,  als  ihm  der  Arzt  davon  gegen 
Magenbeschwerden  gegeben  hätte.  Horteusius  hinterliess 
seinem  Erben  über  10,000  Cadus  Wein."  Soweit  Varro. 
Doch,  hat  nicht  auch  der  Dictator  Cäsar  bei  seinem  Sieges- 
mahle für  die  Tafeln  Amphoren  falernischen,  und  Cadi 
chiischen  Weines  aufsetzen  lassen?  Bei  seinem  spanischen 
Triumphe  gab  er  chiischen  und  falernischen  Wein,  bei 
seinem  dritten  Consulate  falernischen,  chiischen,  lesbischen 
und  mamertinischen,  und  es  ist  bekannt,  dass  zu  dieser 
Zeit  zum  ersten  Male  4  Sorten  Wein  auf  die  Tafel 
gesetzt  worden  sind.  Nachher,  etwa  im  700.  Jahre  der 
Stadt,  kamen  alle  übrigen  in  Ruf. 

•  18. 

Ich  wundere  mich  daher  nicht,  dass  schon  vor  vielen 
Jahrhunderten  fast  unzählige  Arten  gekünstelter  Weine  er- 
funden sind,  welche  wir  nun  anführen  wollen,  und  die  alle 
zum  Arzneigebrauch  dienen.  Wie  das  Omphacium  bereitet 
wird,  haben  wir  im  vorigen  Buche,  der  Salben  wegen,  an- 
gegeben. Das  sogenannte  Oeuanthinum  wird  aus  der 
Labruscai),  d.  h.  der  wilden  Rebe  gewonnen,  indem  man 
von  ihren  Blumen  2  Pfund  in  einem  Cadus  Most  einweicht, 
und  nach  30  Tagen  wieder  herausnimmt.  Ausserdem 
dienen  die  Wurzel  und  die  Beeren  des  wilden  Weinstocks 
zur  Bereitung  des  Leders.  Die  Beeren  sind  kurz  nach  dem 
Abblühen  ein  vorzügliches  Mittel,  um  bei  Krankheiten  die 
körperliche  Hitze  zu  mildern,  da  sie  von  äusserst  kalter 
Natur  sein  sollen.  Ein  Theil  davon  geht  durch  die  Hitze 
zu  Grunde,  und  zwar  eher  als  die  übrigen,  welche  man 
Sommerbeeren  nennt.    Alle  werden  niemals  reif,  und  wenn 


•)  Vitis  Labrusca  L. 


yierzehntes  Buch.  113 

<nan  eine  Traube,  ehe  sie  ganz  reif  ist,  den  Hühnern  abge- 
sotten unter  das  Futter  giebt,  so  bekommen  sie  einen 
?«olchen  Ekel  vor  Trauben,  dass  sie  keine  mehr  anrühren. 

19. 

Den  ersten  gekünstelten  Wein,  den  man  den 
^schwachen  nennt,  macht  man  aus  Wein  selbst  auf  folgende 
Art:  zwanzig  Sextarien  weissen  Most  und  halb  so  viel 
Wasser  kocht  man  so  lange  bis  so  viel,  als  Wasser  ge- 
nommen war,  eingekocht  ist.  Andere  lassen  10  Sextarien 
Seewasser  und  ebenso  viel  Regenwasser  40  Tage  lang  an 
der  Sonne  stehen.  Man  giebt  diess  Getränk  den  Kranken, 
bei  denen  man  Naehtheil  vom  Genüsse  des  Weines  be- 
sorgt. 

Die  nächste  Sorte  bereitet  man  aus  reifem  Hirsesameu, 
von  denen  man  1^/4  Pfund  mit  den  Halmen  in  2  Congius 
Most  einweicht,  und  nach  7  Tagen  durchseihet.  Wie  die 
Arten  aus  dem  Baume,  Strauche  und  Kraute  Lotus  bereitet 
werden,  ist  schon  angegeben. 

Auch  aus  Obst  macht  man  dergleichen  Getränke,  wie 
wir  sogleich  anführen  und  nur  die  nöthigsten  Erklärungen 
beifügen  wollen.  Das  erste,  dessen  sich  die  Parther,  Indier 
iind  der  ganze  übrige  Orient  bedienen,  wird  von  Palm- 
früchten bereitet,  indem  man  1  Modius  reife,  welche  die 
gemeinen  heissen,  in  3  Congius  Wasser  einweicht  und  dann 
Äuspresst.  Auf  dieselbe  Weise  erhält  man  von  den  Feigen 
den  Feigenwein,  den  Einige  Palmiprimum,  Andere  Cator- 
chites  nennen.  Will  man  denselben  nicht  gern  süss  haben, 
so  thut  man  statt  des  Wassers  ebenso  viele  Weinhülseu 
hinzu.  Aus  der  cyprischen  Feige  macht  man  auch  einen 
vortrefflichen  Essig,  und  aus  der  alexandrinischen  einen 
noch  bessern.  Man  bereitet  auch  Wein  aus  der  syrischen 
Schote,  aus  Birnen  und  allen  Arten  von  Aepfeln;  ferner 
aus  Granaten,  welchen  man  Rhoites  nennt,  aus  Kornel- 
kirschen,  Mispeln,  Arjesbeeren,  trocknen  Maulbeeren,  Pinien- 
nüssen.  Letztere  werden  mit  Most  angefeuchtet  ausgedrückt, 
die  obigen  sind  an  sich  milde.  Die  Bereitungsweise  des 
Myrtenweins,  welche  uns  Cato  gelehrt  hat,  werden  wir  bald 

Wittstein:  Pliaiua.     III.  BJ.  ft 


114  Vierzehntes  Buch. 

mittheilen.  Die  Griechen  naachen  ihn  aber  auf  andere 
Weise.  Sie  sieden  die  zarten  Zweige  mit  den  daran  be- 
findlichen Blättern  in  weissem  Moste,  zerstossen  sie,  und 
lassen  1  Pfund  in  3  Congius  Most  soweit  einkochen,  bis 
noch  2  Congius  übrig  sind.  Das  Getränk,  welches  auf 
diese  Weise  von  den  Beeren  der  wilden  Myrte  gemacht 
wird,  heisst  Myrtidanum  und  färbt  die  Hände. 

Von  folgenden  Gartengewächsen  macht  man  Wein: 
Rettig,  Spargel,  Cunila,  Origanum,  Petersiliensamen,  Abro- 
tanum,  wilder  Münze,  Raute,  Nepeta,  Quendel,  Andorn. 
Man  giebt  2  Hände  voll  davon  zu  einem  Cadus  Most, 
1  Sextar  gekochten  Most  und  1  Hemina  Seewasser.  Aus 
Steckrüben  stellt  man  ihn  dar,  wenn  man  2  Denare  schwer 
zu  2  Sextar  Most  giebt;  ebenso  aus  der  MeerzwiebelwurzeL 
Unter  den  Blumen  nimmt  man  die  Rosenblätter  zu  Wein; 
man  zerstösst  sie,  bindet  sie  in  Leinentuch  und  hängt  diess 
in  den  Most,  nachdem  man  ein  kleines  Gewicht,  damit  es 
niedersinkt,  daran  befestigt  hat.  40  Denare  schwer  kommen 
zu  20  Sextar  Most,  und  das  Fass  wird  vor  3  Monaten  nicht 
geöffnet.  Ebenso  verfährt  man  mit  der  gallischen  wilden 
Narde. 

Ich  finde  auch,  dass  man  durch  Zusammensetzung  fast 
aller  Specereien  Gewürzwein  gemacht  hat,  und  zwar  zuerst 
aus  Myrrhe,  wie  schon  angeführt  wurde,  dann  aus  celtischer 
Narde,  Calamus,  Aspalathum,  von  denen  man  Stückchen  in 
Most  oder  süssen  Wein  that.  Andere  bereiteten  auf  dieselbe 
Weise  dergleichen  aus  Calamus,  Juncus,  Costus,  syrischer 
Narde,  Amomum,  Cassia,  Zimmt,  Safran,  Palmfrüchten, 
Asarum.  Noch  Andere  thun  Narde  und  Malobathrum,  von 
jedem  1/2  Pfund,  in  2  Congius  Most;  man  macht  sie  auch 
jetzt  noch  durch  Zusatz  von  Pfeffer  und  Honig,  was  Einige 
Gewürzwein,  Andere  Pfefferwein  nennen.  Man  findet  ferner 
Necktartrank  aus  einem  Kraute  bereitet,  welches  Helenium, 
Medica,  Symphytum,  Idäa,  Orestium  oder  Nectarea  heisst, 
indem  man  40  Denare  schwer  davon  gleichfalls  in  Lein- 
wand gebunden  mit  6  Sextar  Most  in  Berührung  bringt. 
Aus  den  übrigen  Kräutern  bereitet  man:  den  Wermuthwein, 


Vierzehntes  Buch.  1^5 

wozu  man  1  Pfund  pontischen  Wermuth  mit  40  Sextar  Most 
bis  zum  dritten  Theile  einkocht,  oder  Büschel-Wermuth  in 
den  Wein  hängt.  Ebenso  der  Isopwein  aus  cilicischem 
Isop,  von  dem  man  3  Unzen  in  2  Congius  Most  wirft  oder 
zerstossen  in  den  Wein  thut.  Beide  macht  man  auch  auf 
andere  Art,  wenn  man  jene  Kräuter  um  die  Wurzeln  der 
Weinstöcke  säet.  So  lehrt  auch  Cato  den  Nieswurzwein 
aus  dem  Veratrum  nigrum  darstellen.  Auf 'dieselbe  Weise 
wird  auch  der  Scammoniumwein  gemacht.  Merkwürdig  ist 
die  Eigenschaft  der  Weinstöcke,  einen  fremdartigen  Ge- 
schmack anzunehmen:  so  riechen  die  Trauben,  welche  in 
den  sumpfigen  Gegenden  von  Padua  wachsen,  nach  Weiden. 
So  säet  man  in  Thasus  Nieswurz,  wilde  Gurken  und 
Scammonium,  und  der  dabei  wachsende  Wein  heisst  der 
Verderber,  weil  er  die  Geburt  abtreibt. 

Auch  macht  man  Weine  von  andern  Kräutern,  welche 
an  ihren  Orten  näher  beschrieben  werden  sollen,  nemlich 
vom  Stöchas,  der  Enzianwurzel,  dem  Tragoriganum,  Dictara, 
Asarum,  Daucus,  Elelisphacum,  Panax,  Acorus,  Conyza, 
Thymian,  Mandragora,  Juncus.  Man  findet  auch  noch  an- 
dere Sorten  unter  den  Namen  Scyzinum,  Itäomelis  und 
Lectiphagites  angeführt,  deren  Bereitungsart  aber  verloren 
gegangen  ist. 

Ferner  werden  Weine  bereitet  aus  der  Familie  der 
Strauch  er,  aus  den  beiden  Cedern,  der  Cypresse,  dem  Lor- 
beer, dem  Wachholder,  der  Terebinthe,  dem  Mastixbaume 
in  Gallien,  indem  man  die  Beeren  oder  das  frische  Holz 
im  Most  abkocht.  Ebenso  verfährt  man  mit  dem  Holze 
Chamelaea,  Chamaepitys  und  Chamaedrys,  und  von  der 
Blüthe  nimmt  man  10  Denare  schwer  auf  1  Congius  Most. 

20. 

Man  macht  auch  bloss  aus  Wasser  und  Honig  Wein, 
und  soll  zu  diesem  Behuf  das  Regenwasser  5  Jahre  lang 
aufbewahren.  Einige  thuen  klüger,  indem  sie  dasselbe  so- 
gleich zu  1/3  einsieden,  den  dritten  Theil  alten  Honig  hin- 
zu setzen,  und  vom  Aufgange  des  Hundssterns  an  40  Tage 
lang  an  der  Sonne  stehen  lassen.     Andere  vörschliessen  die 


11(3  Vierzehntes  Buch. 

damit  gefüllten  Gefässe  am  10.  Tage.  Mau  nennt  diess 
Getränk  Meth^);  im  Alter  bekommt  es  den  Geschmack 
des  Weines  und  nirgends  ist  es  vortreft'licher  als  in 
Phrygieu. 

21. 

Sogar  den  Essig  versetzt  man  mit  Honig,  hat  also  im 
Leben  nichts  unversucht  gelassen.  Ein  solches  Gemisch 
lieisst  öauerhonig-),  und  wird  durch  zehnmaliges  Sieden 
von  10  Pfd.  Honig,  5  Hemina  alten  Essig,  1  Pfund  Seesalz 
und  5  Sestarien  Regeuwasser,  Ausgiessen  und  Hinstelleu 
zum  Altwerdeu  bereitet.  Alle  diese  Getränke  sind  von 
dem  berühmten  Schriftsteller  Themison  3)  verworfen,  und 
in  der  That  kann  ihr  Gebrauch  nur  als  erzwungen  ange- 
sehen werden,  wenn  man  nicht  annimmt,  der  Gewürz  wein 
und  die  aus  Specereien  bereiteten  seien  ein  Werk  der  Na- 
tur, oder  diese  habe  die  Sträucher  geschaffen,  damit  sie 
getrunken  werden  sollten.  Es  ist  interessant  zu  wissen, 
wie  der  Erfindungsgeist  des  Menschen  alles  ausforscht.  Man 
darf  als  gewiss  annehmen,  dass  keiner  von  denselben,  aus- 
genommen die,  welche,  wie  wir  gesagt  haben,  durchs  Alter 
erst  das  werden  was  sie  sind,  sich  ein  Jahr,  ja  einige  nicht 
einmal  30  Tage  lang  halten. 

22. 

Auch  der  Wein  ist  eine  Quelle  für  Wunder.  In  Ar- 
cadien  soll  es  einen  geben,  wovon  Weiber  fruchtbar,  Männer 
rasend  werden.  In  Achaja  aber,  besonders  um  Cerynia 
soll  der  Wein  die  Frucht  abtreiben,  auch  selbst  wen;i 
Schwangere  nur  eine  Traube  essen,  obgleich  sie  sich  durch 
den  Geschmack  nicht  von  andern  unterscheiden.  Diejenigen, 
welche  trözenischen  Wein  trinken,  sollen  keine  Kinder 
zeugen.  Von  den  Thasern  erzählt  man,  dass  sie  2  ver- 
schiedene Sorten  Wein  machen;  durch  den  einen  werde 
der   Schlaf    befördert,   durch   den   andern   vertrieben.     Bei 


>}  hydromeli.  "VN'assenneth.     ^)  Oxymeli. 

3)  Arzt   aus    Laodicea,    kui-z-v.  Chr..    Schüler    des  Asclepiades, 
Gründer  der  methodischen  vSchule.    Seine  Schriften  sind  verloren. 


Vierzehntes  Buch.  117 

ebendenselben  heisst  ein  Weinstock  der  giftwidrige,  weil 
dessen  Wein  und  Traube  gegen  den  Schlangenbiss  helfen. 
Der  Libanios  riecht  nach  Weihrauch,  und  von  ihm  spendet 
man  den  Göttern.  Der  Aspendios  hingegen  wird  zum  Ge- 
brauche auf  Altären  verworfen;  auch  soll  ihn  niemals  ein 
Vogel  berühren.  In  Aegypten  wächst  eine  Traube,  welche 
die  thasische  heisst  und  den  Leib  öffnet;  in  Lycien  hin- 
gegen ist  eine,  welche  die  entgegengesetzte  Wirkung  hat 
In  Aegypten  wächst  auch  der  Ecbolas,  der  die  Frucht  ab- 
treibt. Beim  Aufgange  des  Hundssterns  werden  einige 
Weine  in  den  Kellern  verändert,  nehmen  aber  nachher  ihre 
vorige  Beschaffenheit  wieder  an.  Ebenso  bemerkt  man 
beim  Fahren  auf  dem  Meere,  dass  das  Schütteln  denen, 
welche  schon  ausgedauert  haben,  dasjenige,  was  sie  gehabt 
hatten,  wieder  giebt. 

23. 

Weil  das  Leben  im  Dienste  der  Götter  besteht,  so  hält 
man  es  für  sträflich,  ihnen  Wein  von  einem  unbeschnittenen 
Stocke,  einem,  den  der  Blitz  getroffen,  neben  welchen  ein 
Mensch  an  einem  Stricke  gehangen  hat,  oder  der  mit  ver- 
wundeten Füssen  getreten  ist,  dessen  Beeren  zerschnitten 
und  ausgelaufen  sind,  oder  der  durch  etwas  von  oben 
Heruntergefallenes  verunreinigt  ist;  desgleichen  die  grie- 
chischen Weine,  weil  sie  Wasser  enthalten,  —  zu  opfern. 
Auch  der  Weinstock  selbst  wird  gegessen;  man  kocht  nem- 
lich  die  obersten  Schösslinge  ab  und  macht  sie  in  Essig 
und  Salzwasser  ein. 

24. 

Aber  ich  muss  nun  auch  von  den  bei  der  Bereitung 
(los  Weines  gebräuchlichen  Materialien  reden ,  da  die 
Griechen  besondere  Vorschriften  dazu  gegeben  und  eine 
eigene  Kunst  daraus  gemacht  haben,  wie  Euphronius  i), 
Aristomachus,  Commiades  2)  und   Hicesius  3)    berichten.     In 


')  Ein  nicht  näher  bekannter  Schriftsteller. 
'^)  Ebenfalls  unbekannt. 
ä)  Desgleichen. 


118  Vierzehntes  Buch. 

Afrika  benimmt  man  ihm  die  Rauhigkeit  durch  Gyps,  und 
in  einigen  Gegenden  daselbst  durch  Kalk.  Die  Griechen 
machen  ihn  durch  Thon,  Marmor,  Salz  oder  Seewasser 
milde;  Ein  Theil  von  Italiens  Bewohnern  durch  schwarzes 
Pech,  und  sie,  nebst  den  angrenzenden  Provinzen,  behan- 
deln gewöhnlich  den  Most  mit  Harz.  An  einigen  Orten 
versetzt  man  denselben  mit  Hefen  vom  früheren  Weine  oder 
mit  Essig.  Auch  selbst  aus  dem  Moste  macht  man  Arz- 
neien; man  kocht  ihn,  damit  er  im  Verhältniss  seiner 
Kräfte  süss  werde.  Ein  solcher  soll  sich  aber  nicht  über 
ein  Jahr  lang  halten.  An  einigen  Orten  siedet  man  den 
Most  bis  zur  Sapa  ^)  ein,  und  durch  Zugiessen  desselben 
benimmt  man  dem  Weine  das  Feuer.  Doch  bei  dieser  und 
jeder  andern  Art  thun  die  Fässer  selbst  durch  ihre  Aus- 
pichung Dienste,  und  wie  man  diese  bewerkstelligt,  wollen 
wir  im  nächsten  Abschnitte  sagen. 

25. 
Von  den  Bäumen,  aus  denen  gleich  einem  Safte  Pech 
und  Harz  fliesst,  haben  einige  den  Orient,  andere  Europa 
zum  Vaterlande.  Asien,  welches  dazwischen  liegt,  hat  auf 
beiden  Seiten  einige.  Im  Oriente  geben  die  Terebinthen 
das  beste  und  dünnste,  die  Mastixbäume  den  sogenannten 
Mastix,  ferner  die  Cy pressen  das  schärfste  vom  Geschmack. 
Alle  diese  Bäume  enthalten  einen  flüssigen  Saft,  der  nur 
Harz  ist,  die  Ceder  aber  einen  diekern  und  zur  Bereitung 
von  Pech  geeigneten.  Das  arabische  Harz  ist  weiss,  von 
scharfem  Geruch  und  schwer  zu  schmelzen,  das  jüdische 
ist  zäher,  der  Terpenthin  noch  stärker  riechend;  das  syrische 
sieht  dem  attischen  Honige  gleich;  das  cyprische  übertrifft 
alle  andern,  ist  aber  honigfarben  und  fleischig;  das  colopho- 
nische  dunkler  als  die  übrigen,  wird  durch  Reiben  weiss, 
hat  einen  starken  Geruch  und  wird  deshalb  von  den  Salben- 
händlern nicht  gebraucht.  Was  man  in  Asien  von  der 
Picea 2)  macht,  ist  sehr  weiss  und  heisst  Spagas.  Alles 
Harz  löst  sich  in  Oel  auf.     Einige  glauben,  diess  geschehe 

»)  Vergl.  11.  Capitel. 

■'')  Pinus  Abies  L.  die  Rothtanne. 


Vierzehntes  Buch.  119 

auch  durch  Töpferkreide.  Ich  schäme  mich  zu  sagen,  dass 
es  jetzt  am  meisten  wegen  seines  Gebrauchs,  die  Haare 
am  Körper  des  Mannes  auszurotten,  geschätzt  wird. 

Der  Most  wird  verbessert,  wenn  man  zu  Anfang  der 
Gährung,  welche  meistens  nach  9  Tagen  zu  Ende  ist,  Pech 
hineinstreuet,  damit  der  Wein  davon  Geruch  und  einen 
scharfen  Geschmack  annimmt.  Man  glaubt,  diess  werde 
durch  den  rohen  Anbruch  des  Harzes  in  noch  höherra 
Orade  bewirkt  und  der  Wein  dadurch  milde.  Andererseits 
werde  durch  abgesottenes  Pech  •)  seine  allzugrosse  Wild- 
heit gemildert,  und  sein  Feuer  geschwächt,  oder  wenn  er 
matt  und  fade  ist,  ihm  dadurch  Feuer  gegeben.  In  Ligurien 
und  den  Gegenden  um  den  Po  wird  der  Nutzen  der  Crapula 
beim  Moste  auf  folgende  Art  unterschieden:  In  starkbrau- 
senden Most  wird  mehr,  in  schwachen  weniger  gethan. 
Einige  wollen,  man  solle  ihn  auf  beiderlei  Weise  verbessern. 
Aber  das  Pech  besitzt  ausser  seiner  Einwirkung  auf  den 
Most  auch  noch  andere  gute  Eigenschaften.  An  einigen 
Orten  hat  der  Most  den  Fehler,  nochmals  von  selbst  zu 
gähren;  er  verliert  dadurch  den  Geschmack,  und  bekommt 
dann  den  Namen  Vappa,  womit  man  auch  einen  Menschen, 
dessen  Gemiith  verdorben  ist,  schimpflicherweise  benennt 
Verdorbener  Wein  hat  die  Kraft  des  Essigs,  welcher  so 
mannigfaltige  Anwendung  findet  und  ohne  welchen  das 
feinere  Leben  nicht  bestehen  könnte. 

Uebrigens  trägt  man  für  die  Verbesserung  der  Weine 
so  grosse  Sorge,  dass  er  bei  Einigen  durch  Asche,  bei 
Andern  durch  Gyps,  oder  auf  die  bereits  angeführten  Weisen 
verbessert  wird.  Man  zieht  aber  die  Asche  von  Weinstock- 
reisern oder  von  der  Eiche  vor.  Sogar  wird  vorgeschrieben, 
man  solle  zu  diesem  Behufe  Seewasser  vom  hohen  Meere 
holen,  dasselbe  vom  Frühlings -Aequinoctium  an  aufbe- 
wahren, oder  wenigstens  in  einer  Nacht  zur  Zeit  der 
Sonnenwende    oder   während   der  Aquilo   wehet,   schöpfen. 


')  ci-apula. 


120  Vierzehntes  Bach. 

oder   aber,   wenn    es   um  die  Zeit  der  Weinlese   geschöpft 
werde,  absieden. 

Zu  Weinfässern  wird  in  Italien  das  bruttische  Pech  am 
meisten  geschätzt.  Man  bereitet  es  aus  dem  Harze  der 
Rothtanne;  in  Spanien  aus  wilden  Fichten,  aber  diess  wird 
gar  nicht  gelobt,  denn  das  Harz  derselben  ist  bitter,  trocken 
und  stark  riechend.  Den  Unterschied  und  die  Bereitungs- 
art wollen  wir  im  nächsten  Buche  bei  den  wilden  Bäumen 
angeben.  Seine  Fehler  sind,  ausser  den  angezeigten,  eine 
gewisse  Schärfe  und  ein  rauchiger  Gestank,  bei  dem 
Peche  aber  das  Angebranntsein.  Man  erkennt  diess,  wenn 
die  Bruchstücke  etwas  glänzen,  zwischen  den  Zähnen  weich 
werden,  und  dabei  eine  angenehme  Schärfe  entwickeln. 
Die  Asiaten  halten  das  idäische  Pech  für  das  beste,  die 
Griechen  das  pierische,  Virgil  das  narycische.  Sorgfältigere 
Landwirthe  mischen  schwarzen  Mastix  hinzu,  der  im  Pon- 
tus  gewonnen  wird  und  dem  Erdpech  gleicht,  ferner  die 
Wurzel  und  das  Oel  der  Iris  hinzu,  denn  die  Erfahrung 
hat  gelehrt,  dass,  wenn  man  W^achs  in  die  Fässer  thut,  die 
Weine  sauer  werden.  Dagegen  ist  es  besser,  den  Wein 
in  solche  Fässer  zu  bringen,  in  denen  Essig  gewesen  ist, 
als  in  solche,  welche  süssen  Wein  oder  Meth  enthielten. 
Cato  befiehlt,  den  Wein  mit  dem  40.  Theile  Aschenlauge, 
die  mit  gesottenem  Weine  gekocht  ist  oder  mit  Vj^  Pfund 
Salz,  zuweilen  auch  mit  zerstossenem  Mamor  in  einem 
Culeus  zu  beschicken  ^)  (denn  dieses  Wortes  bedient  er 
sich).  Er  erwähnt  auch  des  Schwefels,  des  Harzes  aber 
nur  zuletzt.  Vor  allem  aber  soll  man  dem  Weine,  wenn 
er  zeitig  wird,  Most  hinzuthun,  den  er  Keltermost 2)  nennt; 
wir  verstehen  aber  darunter  den  zuletzt  gepressten.  Auch 
setzt  mau,  um  ihn  zu  färben,  verschiedene  Farbstoffe  hin 
zu,  wodurch  er  dann  auch  fetter  werden  soll.  Durch  s(v 
viele  schädliche  Künsteleien  bestrebt  man  sich,  den  Wein 
angenehm  zu  machen  und  wir  wundern  uns  noch,   dass  er 


')  concinnari.     ■-*)  tortivum. 


Vierzehntes  Buch.  121 

schädlich  ist.    Die  Probe,  ob  ein  Wein  verderbe,  ist,  wenn 
eine  Bleiplatte  in  demselben  ihre  Farbe  verändert. 

26. 

Unter  den  Flüssigkeiten  hat  der  Wein  die  Eigentbüm- 
lichkeit,  kahmig  zu  werden  und  sich  in  Essig  zu  ver- 
wandeln, und  es  existiren  ganze  Bücher  darüber,  wie  man 
ihm  helfen  soll.  Die  getrocknete  Weinhefe  fängt  Feuer, 
und  brennt  ohne  andere  Nahrung  von  selbst.  Die  Asche 
hat  die  Natur  des  Natrons  und  dieselben  Kräfte,  ja  noch 
mehr,  je  fetter  sie  sich  zeigt. 

27. 

Hinsichtlich  des  nun  eingebrachten  Weines  zeigt  sich 
ein  grosser  Unterschied  in  dem  Keller.  Am  Fusse  der 
Alpen  verwahrt  man  ihn  in  hölzernen  Gefässen,  umgiebt 
diese  mit  Reifen,  und  hält  in  starken  Wintern  durch  Feuer 
die  Kälte  davon  ab.  Es  klingt  wunderbar,  ist  aber  doch 
zuweilen  beobachtet  worden,  dass,  wenn  die  Gefässe  ge- 
sprungen waren,  der  Wein  eine  eisige  Masse  bildete,  und 
so  als  ein  Wunderzeichen  galt,  denn  der  Wein  hat  von 
Natur  die  Eigenschaft  nicht,  zu  Eis  zu  gefrieren,  sondern 
erstarrt  nur  bei  starker  Kälte.  In  milderen  Himmelsstrichen 
hält  man  ihn  in  Fässern,  und  vergräbt  diese  ganz  oder 
zum  Thei],  je  nach  der  Lage,  in  die  Erde.  Auch  lässt  man 
ihn  unter  freiem  Himmel,  an  andern  Orten  aber  macht 
man  Dächer  darüber.  Ferner  werden  folgende  Vorschriften 
gegeben:  Eine  Seite  des  Kellers  oder  wenigstens  die  Fenster 
sollen  nach  Norden,  oder  gegen  den  Aequinoctial-Aufgang 
gerichtet  sein.  Misthaufen  und  Baumwurzeln  sollen  fern 
davon  sein,  und  Gerüche  aller  Art,  weil  sie  leicht  in  den 
Wein  übergehen,  ferner  zahme  und  wilde  Feigenbäume  ver- 
mieden werden.  Zwischen  den  Fässern  soll  man  Raum 
lassen ,  damit  das  Verderben  nicht  weiter  greife,  weil  ein 
Wein  den  andeni  äusserst  schnell  ansteckt.  Auch  von 
der  Gestalt  der  Gefässe  hänge  viel  ab,  denn  die  bauchigen 
und  weiten  wären  minder  gut.  Beim  Aufgange  des  Hunds- 
sterns müsse  man  sogleich  auspichen,  sodann  mit  See-  oder 
Salzwasser  ausspülen ,  hierauf  mit  Reiserasche  oder  Thon 


122  Vierzehntes  Buch. 

bestreuen;  wären  sie  darauf  abgewischt,  sie  und  öfters  auch 
die  Keller  mit  Myrrhe  ausräuchern.  Schwache  Weine  soll 
man  in  Fässern,  welche  in  die  Erde  vergraben  sind,  aufbe- 
wahren, starke  dagegen  in  solchen,  die  an  der  Luft  stehen. 
Nie  soll  man  die  Fässer  ganz  anfüllen,  und  den  leeren 
Raum  mit  Rosinenweine  oder  abgesottenem  Weine,  worunter 
man  Safran,  altes  Pech  und  eingedickten  Most  gethan,  aus- 
streichen; ebenso  müsse  man  mit  den  Deckeln  der  Fässer 
verfahren,  und  ausserdem  noch  Mastix  und  bruttisches  Pech 
darunter  mischen.  Die  Gefässe  öffne  man  nur  an  heitern 
Tagen,  auch  nicht  bei  Südwinde  oder  Vollmonde.  Der 
Schaum  i)  des  Weines  soll  weiss  sein;  die  rothe  Farbe  des- 
selben ist  ein  trauriges  Zeichen,  wenn  der  Wein  selbst 
nicht  diese  Farbe  hat;  ebenso,  wenn  die  Fässer  warm 
werden  und  die  Deckel  schwitzen.  Der  Wein,  welcher 
schnell  zu  schäumen  anfängt,  und  einen  Geruch  bekommt, 
soll  sich  nicht  lange  halten.  Gesottenen  und  eingekochten 
Most  soll  man  nur  an  Tagen,  wenn  kein  Mond  am  Himmel 
ist,  d.  h.  bei  der  Zusammenkunft  dieses  Gestirns,  und  sonst 
nicht,  bereiten,  ferner  dieses  nicht  in  kupfernen  sondern  in 
bleiernen  Gefässen  vornehmen,  auch  welsche  Nüsse  hinzu- 
fügen, denn  diese  zögen  den  Rauch  an  sich.  Es  scheint 
am  zweckmässigsten,  dass  man  die  edelsten  Weine  Cam- 
paniens  der  freien  Luft,  und  dem  Einflüsse  der  Sonne,  des 
Mondes  und  Regens  aussetze. 

28. 
Wahrlich,  bei  reiflichem  Nachdenken  wird  man  finden, 
dass  die  Menschen  in  keiner  andern  Hinsicht  emsiger  sind, 
als  ob  uns  die  Natur  nicht  das  Wasser,  dessen  sich  alle 
übrigen  Thiere  bedienen,  zum  Getränke  gegeben  hätte. 
Aber  wir  zwingen  selbst  die  Lastthiere  Wein  zu  trinken, 
und  soviel  Mühe,  soviel  Arbeit  und  Kosten  macht  dasjenige? 
was  des  Menschen  Verstand  verwirrt,  und  bei  denen,  welche 
ihm  ergeben  sind,  eine  unsinnige  Lust  zu  tausend  Lastern 
erzeugt,  denn  sie  finden  ein  solches  Vergnügen  darin,  dass 

')  flos. 


Vierzehntes  Buch.  123 

die  Meisten  unter  ihnen  nichts  Anderes  des  Lebens  werth- 
achten.  Ja,  wir  schwächen  sogar,  um  desto  mehr  nehmen 
zu  können,  seine  Stärke  durch  Durchseihen;  man  ersinnt 
noch  andere  Reizmittel  und  bereitet  Gift,  um  es  zu  trinken, 
denn  Einige  nehmen  vorher  Schierling  zu  sich,  damit  die 
Todesfurcht  sie  zum  Trinken  zwinge,  Andere  gestossenen 
Bimsstein,  und  noch  andere  Dinge  die  ich  mich  zu  nennen 
schäme.  Wir  sehen,  dass  die  vorsichtigsten  unter  ihnen 
in  den  Bädern  fast  gekocht,  und  halbtodt  herausgetragen 
werden;  Andere  können  nicht  einmal  das  Lager  oder  ihr 
Kleid  erwarten,  sondern  noch  nackend  greifen  sie  sehn- 
süchtig nach  den  grossen  Humpen,  als  wenn  sie  ihre  Kräfte 
zeigen  wollten,  giessen  sie  in  sich  hinein,  um  das  Genommene 
sogleich  wieder  von  sich  zu  geben  und  dann  wieder  zu 
trinken,  und  wiederholen  diess  noch  zwei-  oder  dreimal. 
Als  wenn  diese  Menschen  dazu  auf  der  Welt  wären,  um 
die  Weine  zu  verderben,  und  der  Wein  nicht  anders  als 
durch  den  menschlichen  Körper  gegossen  werden  könne! 
Dahin  gehören  auch  die  fremdartigen  Uebungen,  das  Herum- 
wälzen im  Koth,  das  Vorstrecken  der  Brust  und  das  Zurück- 
biegen des  Halses.  Durch  alles  diess,  heisst  es,  mache  man 
sich  Durst.  Und  hat  man  nicht  selbst  an  den  Trinkge- 
schirren ehrbrecheiische  Bilder  angebracht?  Als  wenn  die 
Trunkenheit  nicht  schon  an  und  für  sich  Wollust  erzeuge. 
Man  trinkt  also  Wein  aus  Geilheit,  ladet  durch  Belohnungen 
zur  Trunkenheit  ein,  und  erkauft  sie  also.  Dieser  bekommt, 
wenn  er  so  viel  isst  als  er  getrunken  hat,  nach  dem  Ge- 
setze eine  Belohnung  für  seine  Trinkbegierde;  Jener  trinkt 
so  viel,  als  er  im  Spiele  gewonnen  hat.  Dann  suchen  die 
gierigen  Augen  die  Ehefrau,  und  die  matten  verrathen  sich 
dem  Manne;  dann  werden  die  Geheimnisse  der  Seele  aus- 
gesprochen. Einige  machen  ihr  Testament,  Andere  führen 
verderbenbringende  Reden  und  halten  die  Worte  nicht  in 
ihrer  Kehle  zurück,  wenn  auch  noch  so  Viele  auf  solche 
Art  ums  Leben  gekommen  sind.  Schon  allgemein  hat  man 
dem  Weine  Wahrheit  zugeschrieben.  Wenn  es  noch  gut 
abgeht,  sehen  die  Trinker  die  aufgehende  Sonne  nicht,  und 


124  Vierzehntes  Buch. 

erreichen  kein  hohes  Alter.  Daher  die  Blässe,  die  hängen- 
den Wangen,  die  eiternden  Augen,  die  vom  Ausleeren  der 
vollen  Becher  zitternden  Hände,  und  (was  die  unmittelbare 
Strafe  ist)  die  schrecklichen  Träume,  die  nächtliche  Un- 
ruhe, endlich  —  der  grösste  Lohn  der  Trunkenheit  —  eine 
unbändige  Wollust  und  ein  Vergnügen  zu  sündigen.  Den 
folgenden  Tag  die  Ausdünstung  vom  Weinfasse  aus  dem 
Munde,  Vergessenheit  aller  Dinge  und  der  Verlust  des  Ge- 
dächtnisses. Sie  rühmen  sich,  auf  solche  Weise  schneller 
zu  leben,  da  sie  den  vorigen  Tag  jedesmal  verlieren,  allein 
auch  den  bevorstehenden  verlieren  sie. 

Unter  der  Regierung  des  Kaisers  Tiberius  Claudius, 
vor  40  Jahren,  fing  man  an,  nüchtern  zu  trinken,  und  den 
Wein  dem  Essen  vorangehen  zu  lassen.  Diess  war  auch 
eine  von  den  fremden  Künsten,  und  eine  Vorschrift  von 
Aerzten,  welche  sich  durch  Neuerungen  beliebt  machen 
wollen.  Die  Parther  suchen  hierin  einen  Ruhm,  bei  den 
Griechen  erwarb  sich  Alcibiades  dadurch  einen  Ruf,  und 
bei  uns  hat  Novellius  Torquatus  ein  Mailänder,  der  die 
Ehrenstellen  von  der  Prätur  an  bis  zum  Proconsulate  ver- 
waltete, sogar  einen  Beinamen  davon  erlangt,  denn  er 
trank  3  Congius  (von  denen  er  den  Beinamen  erhielt)  auf 
einmal  aus.  Ihm  sah  der  Kaiser  Tiberius,  der  damals  schon 
alt  und  mürrisch  und  zuweilen  selbst  grausam,  in  seiner 
Jugend  aber  auch  ein  grosser  Liebhaber  vom  Weine  war, 
Wunders  halber  zu.  Man  hat  geglaubt,  dass  L.  Piso  sich 
eben  dadurch  bei  ihm  beliebt  gemacht  und  die  Verwaltung 
der  Stadt  Rom  bekommen  habe,  weil  er  bei  ihm,  als  er 
schon  Kaiser  war,  2  Tage  und  Nächte  hindurch  in  einem 
Trinkgelage  ausgehalten  hätte.  Man  will  wissen,  Drusus 
Cäsar  habe  in  keiner  andern  Hinsicht  seinem  Vater  Tiberius 
mehr  geglichen.  Dem  Torquatus  ward  der  seltene  Ruhm 
(denn  auch  diese  Kunst  hat  ihre  Gesetze)  in  der  Rede 
nicht  gestockt,  noch  sich  durch  Brechen  oder  durch  einen 
andern  Theil  des  Körpers  erleichtert  zu  haben,  während 
er  trank;  ferner  hat  er  seine  Frühwachen  gehalten,  das 
Meiste   in   einem   Zuge   getrunken,    ausserdem    noch    am 


Vierzehntes  Buch.  125 

meisten  in  andern  kleinern  Trunken  hinzugefügt ,  am  auf- 
richtigsten das  Nichtabsetzen  beim  Trinken  und  das  Nicht- 
ausspucken gehalten,  und,  um  auf  dem  Fussboden  einen 
Schall  hervorzubringen  i),  nichts  von  dem  Weine  zurück- 
gelassen, denn  diess  ist  ein  Hauptgesetz,  um  dem  Betrüge 
beim  Trinken  zu  begegnen.  Tergilla  2)  wirft  dem  Jüngern 
Äl.  Cicero  vor,  er  habe  gewöhnlich  2  Congius  getrunken, 
und  im  Taumel  dem  Marcus  Agrippa  einen  Becher  an  den 
Hals  geworfen.  Das  sind  nämlich  die  Werke  des  Rausches. 
Allein,  gewiss  hat  Cicero  dem  Mörder  seines  Vaters,  dem 
M.  Antonius,  diese  Ehre  streitig  machen  wollen;  denn  dieser 
hatte  vor  ihm  sehr  begierig  darnach  gestrebt,  und  sogar 
von  seiner  Trinksucht  ein  Buch  herausgegeben,  und  da  er 
in  demselben  sich  selbst  zu  vertheidigen  versuchte,  so  be- 
wies er  (meines  Bedtinkeus)  klar,  welches  Unheil  von  ihm 
durch  die  Trunkheit  über  den  Erdkreis  gebracht  worden 
ist.  Kurze  Zeit  vor  der  Schlacht  bei  Actium  vollendete  er 
das  Buch,  man  sieht  also  leicht  ein,  dass  er  schon  vom 
Bürgerblute  berauscht  und  um  so  begieriger  nach  dem- 
selben war,  denn  dieses  Laster  hat  die  noth wendige  Folge, 
dass  die  Gewohnheit  zu  trinken  die  Begierde  danach  ver- 
mehrt; und  sehr  richtig  sind  die  Worte  eines  scy tischen 
Gesandten:  jemehr  die  Parther  trinken,  desto  mehr 
dürstet  sie- 

29. 
Die  Völker  des  Occidents haben  ebenfalls  berausch  e ad  e 
Getränke  und  zwar  von  benetztem  Getreide  3);  man  macht 
sie  in  Gallien  und  Spanien  auf  verschiedene  Weise,  giebt 
ihnen  auch  mehrere  Namen,  doch  sind  sie  in  der  Haupt- 
sache einerlei.  Die  Spanier  haben  auch  schon  gelehrt,  die- 
selben lange  aufzubewahren.  In  Aegypten  bereitet  man 
ähnliche  Getränke  aus  Getreide,  kurz  es  fehlt  nirgends  in 
der  Welt  an  dergleichen.     Man  trinkt  sie  unvermischt,  ver- 


')  Nämlich  durch  das  Niedersetzen  des  Trinkgefässes. 

■-)  Ein  nicht  näher  bekannter  Autor. 

•■')  D.  h.  Malz.  Plinius  meint  also  hier  das  Bier. 


126  Vierzehntes  Buch. 

dünnt  sie  nicht  wie  Wein  durch  Wasser;  und  in  der  That 
scheint  die  Erde  dort  nichts  als  Getreide  hervorzubringen. 
—  Ach,  über  die  grenzenlose  Sucht  nach  Lastern!  Man 
hat  sogar  das  Wasser  berauschend  machen  gelernt!  Zwei 
Flüssigkeiten  sind  dem  menschlichen  Körper  die  angenehm- 
sten, inwendig  Wein,  auswendig  Oel,  beide  die  vornehm- 
sten aus  dem  Geschlechte  der  Bäume;  das  Oel  aber  ist 
noth wendig,  und  der  Mensch  hat  nicht  wenig  Fleiss  darauf 
verwendet.  Allein  wie  viel  erfindungsreicher  erscheint  er 
nicht  hinsichtlich-  der  Getränke,  da  es  195  Gattungen,  und, 
wenn  man  die  Species  mitrechnet,  beinahe  doppelt  so  viele, 
vom  Oele  aber  um  so  wenigere  giebt,  und  von  diesem 
wollen  wir  im  folgenden  Buche  handeln. 


Fünfzehntes  Euch. 


Von  den  obsttragenden  Bäumen. 


Theophrastus ,  einer  der  berühmtesten  griechischen 
Schriftsteller,  etwa  um  das  Jahr  440  nach  der  Erbauung 
Roms,  sagt,  der  Oelbaumi)  wachse  nur  innerhalb  einer 
Entfernung  von  40,000  Schritten  vom  Meere;  Fenestella 
aber  berichtet,  er  sei  zur  Zeit  der  Regierung  des  Tarqui- 
nius  Priscus,  170  Jahre  nach  der  Gründung  des  römischen 
Reichs,  in  Italien,  Spanien  und  Afrika  noch  gar  nicht  vor- 
gekommen, während  er  jetzt  sogar  über  die  Alpen  mitten 
nach  Gallien  und  Spanien  gewandert  ist.  Im  505.  Jahre 
der  Stadt,  unter  den  Consuln  Appius  Claudius,  des  Cäcus 
Enkel,  und  L.  Junius,  kosteten  12  Pfund  Oel  einen  Ass. 
Bald  darauf  im  680.  Jahre  verschaffte  M.  Sejus,  des  Lucius 
Sohn,  als  Aedilis  curulis  dem  römischen  Volke  das  ganze 
Jahr  hindurch  10  Pfund  Oel  für  1  Ass.  Man  wird  sich 
weniger  darüber  wundern,  wenn  man  weiss,  dass  22  Jahre 
später  während  des  3.  Consulats  des  Cn.  Pompejus  von 
Italien  aus  Oel  in  die  Provinzen  geschickt  wurde.  Hesio- 
dus,  welcher  ganz  besonders  darauf  bedacht  war,  den 
Menschen  den  Ackerbau  zu  lehren,  sagt,  dass  ein  Oelbaum- 
pflanzer  nie  Früchte  2)  von  seinen  Bäumen  gehabt  habe. 
So  langsam  entwickelte  sich  damals  diess  Geschäft.    Jetzt 


')  Olea.  Olea  europaea. 
2)  D.  h.  keinen  Nutzen. 


128  Fünfzehntes  Buch. 

säet  man  sie  in  Baumschulen,  und  pflückt  von  den  versetzten 
schon  im  zweiten  Jahre  Früchte. 

2. 

Nach  Fabianus  wächst  der  Oelbaum  weder  in  sehr 
kalten,  noch  in  sehr  heissen  Ländern.  Virgil  giebt  3  Arten 
davon  an,  Orchites,  Radii  und  Posiä,  und  sagt,  man  brauche  • 
sie  weder  zu  behacken,  noch  zu  beschneiden,  noch  sonst 
zu  warten.  Ohne  Zweifel  kommt  bei  ihnen  am  meisten 
auf  den  Boden  und  das  KUma  an.  Jedoch  werden  sie  auch 
beschnitten,  und  zwar  zu  gleicher  Zeit  mit  den  Wein- 
stöcken;  auch  nützt  ihnen  das  Auflockern  des  Bodens. 

Die  Olivenerndte  folgt  auf  die  der  Trauben,  und 
die  Kunst  gutes  Oel  zu  bereiten,  ist  noch  grösser  als  die 
Erzielung  eines  guten  Weines.  Die  Säfte  aus  ein  und  der- 
selben Olive  sind  nämlich  von  verschiedener  Art.  Zuerst 
macht  man  Oel  aus  der  rohen,  welche  noch  nicht  zu  reifen 
angefangen  hat,  und  dieses  schmeckt  am  vortrefflichsten. 
Von  diesem  ist  wiederum  das  zuerst  aus  der  Presse 
fliessende  das  beliebteste,  hernach  nimmt  es  immer  mehr 
an  Güte  ab;  das  Pressen  geschieht  entweder  in  geflochtenen 
Körben  oder,  nach  neuerer  Erfindung,  zwischen  Platten.  Je 
reifer  die  Beere,  desto  fetter  und  weniger  angenehm  fällt 
ihr  Saft  aus.  Die  beste  Zeit  zum  Pflücken,  hinsichtlich  der  * 
Menge  und  Güte  ist,  wenn  die  Beeren  anfangen  schwarz 
zu  werden.  Wir  nennen  die  Früchte  Drupä  i),  die  Griechen 
aber  Drypetä.  üebrigens  ist  es  nicht  einerlei,  ob  die 
Beere  jene  Keife  in  der  Presse  oder  am  Baume  bekomme 
ob  der  Baum  nass  gewesen  sei,  oder  ob  die  Beere  bloss 
ihren  eigenen  Saft  und  nichts  anderes  als  den  Thau  des 
Himmels  aufgenommen  habe. 

3. 

Durchs  Alter  verdirbt  das  Oel,  nicht  so  der  Wein, 
und  sein  höchstes  Alter,  wo  es  gut  bleibt,  beträgt  1  Jahr. 
Die  Natur  hat  darin  (wenn  man  es  nur  einsehen  will)  weise 
gehandelt;    denn,  da  die  Weine  zur  Schwelgerei  wachsen, 


')  Steinfrüchte. 


Fvinfzehntes  Buch.  129 

ist  ihr  Gebrauch  nicht  nothwendig,  vielmehr  reizt  ihre 
durch  Altwerden  gewinnende  Annehmlichkeit,  sie  aufzube- 
wahren. Das  Oel  dagegen  wollte  sie  nicht  geschont  wissen, 
und  brachte  es  wegen  des  unausbleiblichen  Verderbens 
häufig  und  allgemein  hervor.  Den  Vorzug  in  diesem  Gute 
erhielt  vor  allen  Ländern  Italien,  besonders  das  veuafra- 
nische  Gebiet  und  der  Theil  desselben,  welcher  das  lici- 
nianische  Oel  liefert.  Daher  ist  auch  die  Olive  von  Lici- 
nien  die  berühmteste.  Die  Salben  haben  ihr  diesen  Ruhm 
verliehen,  da  ihr  Geruch  sich  am  besten  für  dieselben  eig- 
net. Auch  im  Geschmacke  stehen  sie,  nach  der  Meinung 
feiner .  Zungen,  oben  an.  Sonst  rührt  kein  Vogel  die  lici- 
nische  Beere  an.  Uebrigens  kämpfen  ^)  Istrien  und  Biitika 
mit  gleichen  Waffen.  Die  Oliven  der  Provinzen  kommen 
diesen  an  Güte  nahe,  mit  Ausnahme  des  getreidereichen 
Bodens  von  Afrika,  welchen  die  Natur  gänzlich  dem  Ge- 
treide eingeräumt  hat,  nicht  etwa,  weil  sie  ihm  Oel  und 
Wein  missgönnte,  sondern  weil  sie  dessen  Ruf  in  seine 
reichen  Erndten  setzte.  Die  übrigen  Nachrichten  sind  voll 
Irrthum,  und  wir  werden  zeigen,  dass  derselbe  in  keinem 
Zweige  des  menschlichen  Lebens  häufiger  auftritt. 

Die  Oliven  bestehen  aus  dem  Kerne,  dem  Oele,  dem 
Fleische  und  der  Oelhefe^).  Letztere  ist  ein  bitterer  Saft 
desselben,  entsteht  durch  Wasser,  ist  daher  in  trocknen 
Zeiten  nur  gering,  bei  Nässe  dagegen  in  grösserer  Menge 
vorhanden.  Der  eigeuthümliche  Saft  der  Olive  ist  das  Oel 
und  diess  ersehen  wir  besonders  an  den  unreifen,  wie  bei 
der  Beschreibung  des  Omphaciums^)  gezeigt  wurde.  Das 
Oel  vermehrt  sich  bis  zum  Aufgange  des  Arcturus,  am 
15.  September,  nachher  nehmen  die  Kerne  und  das  Fleisch 
zu.  Wenn  auf  Dürre  häufige  Regenschauer  folgen,  verdirbt 
das  Oel  und  verwandelt  sich  in  die  Amurca.  Die  Farbe 
derselben  macht  die  Olive  schwarz;  sobald  also  diese  an- 
fängt schwarz  zu  werden,  enthält  sie   eine   geringe  Menge 

')  Wegen  der  Güte  der  Oliven, 
^)  amurca.  Oelsatz. 
3)  XII.  B.  60.  C. 

Wittstein:  Pliuius.     in.    Bd  o 


130  Fünfzehntes  Buch. 

davon,  vorher  aber  gar  nichts.  Es  ist  mithin  ein  offen- 
barer Irrthum,  wenn  man  das  für  den  Anfang  der  Reife 
hält,  was  die  beginnende  Verderbniss  anzeigt;  ferner,  dass 
das  Oel  mit  dem  Wachsen  des  Fleisches  zunähme,  da  doch 
aller  Saft  in  die  festen  Theile  übergeht,  und  inwendig  der 
Same  gross  wird.  Daher  werden  sie  dann  am  meisten  be- 
gossen. Geschieht  diess  häufig,  oder  fällt  viel  Regen,  so 
wird  alles  Oel  verzehrt,  wenn  nicht  heiteres  Wetter  darauf 
folgt,  welches  die  festen  Theile  auflockert.  Ueberhaupt  ist, 
nach  Theophrastus  Meinung,  die  Wärme  die  Ursache  des 
Oeles.  und  man  bedient  sich  daher  beim  Pressen  und  schon 
in  den  Kellern  des  Feuers.  Ein  drittes  Verfahren  liegt  in 
dem  Geize,  weil  man,  um  die  Kosten  des  Abpflückens  zu 
ersparen,  die  Zeit  abwartet,  wenn  die  Olive  abfällt.  Die- 
jenigen, welche  hierin  den  Mittelweg  gehen,  schlagen  sie 
mit  Stangen  ab,  schaden  aber  den  Bäumen,  und  haben  im 
nächsten  Jahre  Verlust.  Ein  uraltes  Gesetz  der  Oliven- 
bauer sagt  nämlich:  den  Oelbaum  sollst  du  weder  streifen 
noch  schlagen.  Am  vorsichtigsten  verfahren  die,  welche 
mit  einem  Rohrstocke  sanft  abschlagen  und  die  Aeste  nicht 
berühren.  So  wird  auch  der  Baum  gezwungen,  wenn  die 
Sprösslinge  entfernt  sind,  neue  Früchte  anzusetzen;  ebenso, 
wenn  man  wartet  bis  sie  abfallen,  denn  wenn  sie  über  ihre 
Zeit  hängen  bleiben,  nehmen  sie  den  neu  ankommenden 
die  Nahrung,  und  halten  ihren  Ort  besetzt.  Ein  Beweis 
dafür  ist,  dass,  wenn  sie  vor  dem  Frühlinge  nicht  ge- 
sammelt sind,  sie  wiederum  neue  Kräfte  bekommen  und 
nun  schwieriger  abfallen. 

4. 
Die  erste  also,  welche  durch  einen  Fehler  ihrer  War- 
tung und  nicht  der  Natur  im  Herbste  gesammelt  wird,  ist 
die  Posia,  und  diese  hat  das  meiste  Fleisch;  hierauf  die 
Orchites,  mit  dem  meisten  Oele  und  dann  die  Radius. 
Letztere  werden  nämlich,  weil  sie  die  zartesten  sind,  im 
Sommer  am  schnellsten  von  der  Amurca  ergriffen  und  fallen 
ab.  Das  Sammeln  der  dickhäutigen  aber  verschiebt  man 
sogar   bis   in   den  Monat  März,   denn   sie  widerstehen   der 


Fünfzehntes  Buch.  131 

Feuchtigkeit  und  sind  deshalb  am  kleinsten,  als  die  licini- 
sche,  cominische,  contische,  sergisebe,  die  von  den  Sabinern 
die  königliehe  genannt  wird.  Alle  diese  werden  vor  dem 
Wehen  des  Favonius,  d.  i.  vor  dem  7.  Februar,  nicht 
schwarz.  Dann,  glaubt  man,  werden  sie  reif,  und  weil  aus 
ihnen  das  beste  Oel  gewonnen  wird,  so  scheint  der  Irr- 
thum  einen  Grund  zu  bekommen.  Auch  soll  durch  Kälte 
eine  schlechte,  durch  Reif  aber  eine  reichliche  Erndte  ent- 
stehen, allein  jene  Güte  liegt  nicht  in  der  Zeit  sondern  in 
der  Art,  welche  sehr  langsam  in  den  fauligen  Zustand  über- 
geht. Ebenso  ist  es  ein  Fehler,  die  gesammelten  Früchte 
auf  Böden  zu  bewahren,  und  nicht  eher  auszupressen,  bis 
sie  schwitzen,  weil  jede  Stunde  einen  Verlust  an  Oel  mit 
sich  bringt  und  die  Amurca  vermehrt.  Daher  sagt  man, 
dass  gewöhnlich  nicht  mehr  als  6  Pfund  Oel  aus  1  Modius 
gepresst  werden;  aber  keiner  misst  die  Amurca,  welche 
sich  mit  Zunahme  der  Tage  in  ein  und  derselben  Art  um 
so  häufiger  findet. 

Ueberhaupt  irren  die  Menschen  allgemein  darin,  dass 
sie  glauben,  mit  dem  Wachsen  der  Olive  vermehre  sich 
auch  ihr  Oel;  während  doch  die  Oliven,  welche  königliche, 
oder  majorinische  oder  auch  phaulische  genannt  werden, 
zum  Beweise  dienen,  das  die  Menge  des  Oels  nicht  in  der 
Grösse  besteht,  und  die  grössten  oft  am  wenigsten  Oel 
haben.  Auch  in  Aegypten  haben  die  fleischigsten  sehr 
wenig  Oel.  Zu  Decapolis  in  Syrien  giebt  es  sehr  kleine, 
die  nicht  grösser  als  Kappern,  aber  ihres  Fleisches  wegen 
geschätzt  sind.  Daher  werden  die  überseeischen  den  itali- 
enischen zu  Speisen  vorgezogen,  obgleich  sie  hinsichtlich 
des  Oeles  von  ihnen  tibertroffen  werden;  selbst  in  Italien 
giebt  man  den  picenischen  und  sidicinischen  vor  den  übrigen 
den  Vorzug.  Diese  werden  eigends  in  Salz  eingemacht, 
und  wie  die  übrigen  in  Amurca  und  gesottenen  Wein,  ei- 
nige, die  sogenannten  Colymbaden  i),  schwimmen  auch  ohne 
weitere  Würzung  in  ihrem  eigenen  Oele;  man  zerbricht  sie 

')  Von  ieoXvpßaiu  schwimmen. 


132  Fünfzehntes  Buch. 

und  macht  sie  mit  schmackhaften  grünen  Kiäutern  ein, 
zeitigt  sie  auch  duTch  Aufgiessen  siedenden  Wassers,  wenn 
sie  noch  nicht  reif  sind;  und  es  ist  merkwürdig,  dass  die 
Oliven  einen  süssen  Saft  in  sich  ziehen  und  einen  fremden 
Geschmack  annehmen.  Es  giebt  auch  unter  ihnen  purpur- 
farbene, welche,  wie  die  Trauben,  ins  Schwarze  übergehen, 
nämlich  die  posischen.  Ferner:  edle,  ausser  den  schon  ge- 
nannten; sehr  süsse,  die  für  sich  getrocknet  werden,  süsser 
als  Rosinen,  aber  sehr  selten  sind,  in  Afrika  und  bei 
Emerita  in  Portugal  vorkommen.  Das  Oel  selbst  wird 
durch  Salz  von  dem  Verderben  geschützt.  Durch  zer- 
schnittene Oelbaumrinde  bekommt  es  den  Geruch  eines 
Arzneimittels,  wie  der  Wein,  hat  aber  sonst  keinen  sehr 
angenehmen  Geschmack.  Jedoch  giebt  es  nicht  so  zahl- 
reiche Sorten  davon,  sondern  man  unterscheidet  höchstens 
3  gute.  Das  Dünne  hat  einen  scharfem  Geruch;  dieser  ist 
jedoch,  selbst  bei  dem  besten,  nicht  dauernd. 

5. 
Das  Oel  hat  die  Eigenschaft  den  Körper  zu  erwärmen 
und  ihn  gegen  Kälte  zu  schützen,  auch  die  Hitze  des 
Kopfes  abzukühlen.  Die  Griechen,  die  Erfinder  aller  Laster, 
haben  seinen  Gebrauch  auf  die  Ueppigkeit  erstreckt,  denn 
sie  bedienen  sich  desselben  allgemein  in  den  Fechterschulen. 
Es  ist  bekannt,  dass  Magistratspersonen,  die  eine  grosse 
Ehre  darein  setzten,  solche  Oelschmiere ')  für  80  Sesterzen 
gekauft  haben.  Der  hohe  römische  Staat  hat  dem  Oelbaume 
grosse  Ehre  erwiesen,  denn  er  lässt  am  15.  Julius  die 
Reiter-Geschwader  damit  bekränzen;  auch  die  im  kleinen 
Triumphe  einziehenden  werden  damit  bekränzt.  Athen 
krönt  auch  seine  Sieger  mit  Oelzweigen,  die  Griechen  aber 
die  olympischen  Sieger  mit  Laube  vom  wilden  Oelbaum. 


')  Strigmenta  olei.  Die  Fechter  bestrichen  sich  bekanntlich  mit 
Oel.  Wenn  sie  nun  beim  Ringen  zufällig  mit  dem  Körper  an  den 
Wänden  rieben,  so  wui'den  diese  davon  schmutzig.  Diesen  Schmutz, 
der  eine  Heilkraft  besitzen  sollte,  Hessen  die  Aufseher  sorgfältig 
abkratzen  und  verkauften  ihn  theuer. 


Fünfzehntes  Buch.  133 

6. 
Nun  wollen  wir  Cato's  Ansichten  von  den  Oliven  an- 
führen. Die  grössere  radisehe,  salentinische,  orehitische, 
posische,  sergianische,  cominianische  und  gelbweisse  solle 
man  in  einen  warmen  und  fetten  Boden  pflanzen;  und  mit 
grosser  Klugheit  setzt  er  hinzu,  welche  unter  ihnen  man 
in  den  einzelnen  Arten  für  die  besten  hält.  In  einem 
kalten  und  magern  Boden  mttsse  die  licinische  stehen,  denn 
in  einem  fetten  und  heisseu  verderbe  ihr  Oel,  und  der 
Baum  selbst  sterbe  durch  zu  grosse  Fruchtbarkeit  ab. 
Ausserdem  schade  ihm  das  rothe  Moos.  Die  Oelbaumgärten 
sollen  gegen  Abend  an  einem  der  Sonne  zugänglichen  Orte 
liegen;  jede  andere  Lage  derselben  tadelt  er.  Zum  Ein- 
macheu eigneten  sich  am  besten  die  Orchiten  und  Posiä, 
entweder  grün  in  Salzwasser,  oder,  zerbrochen  in  Mastix- 
baum-Oel.  Die  herbeste  Olive  gebe  das  beste  Oel.  Ue- 
brigens  müssen  sie  sobald  als  möglich  von  der  Erde  auf- 
gelesen, und,  wenn  sie  schmutzig  sind,  gewaschen  werden. 
Ein  Stägiges  Trocknen  sei  hinreichend.  Wenn  es  fröre, 
mtissten  sie  am  4.  Tage  gepresst  werden  und  dann  be- 
streue mau  sie  mit  Salz.  Durch  Liegen  auf  dem  Boden 
vermindere  sich  das  Oel  und  werde  schlechter,  ebenso, 
wenn  sie  Amurca  oder  zu  viel  Fraces  enthalten;  dieses  ist 
nämlich  das  Fleisch,  jenes  ein  Abschaum.  Daher  müsse 
man  es  täglich  mehrere  Male  abgiessen,  und  zwar  in  Mu- 
scheln und  bleierne  Kessel,  denn  Kupfer  werde  davon  an- 
gegriffen. Alles  diess  müsse  in  heissen  und  verschlossenen 
Kelterstuben,  in  denen  so  wenig  als  möglich  Zugwind 
herrscht,  geschehen.  Aus  diesem  Grunde  solle  man  kein 
Holz  darin  hauen,  und  am  passendsten  sei  ein  Feuer  aus 
den  Steinkernen  der  Oliven.  Aus  den  Kesseln  müsse  das 
Oel  in  Wannen  gegossen  werden,  damit  es  von  dem  Ab- 
schäume und  den  Fleischtheilen  befreiet  werde.  Daher 
soll  man  oft  die  Gefässe  wechseln,  und  die  Körbe  mit 
einem  Schwämme  abtrocknen,  damit  es  recht  rein  und  lauter 
werde.  Später  hat  man  erfunden,  die  Oliven  mit  heissem 
Wasser   zu   waschen,   sogleich   ganz   unter   die   Presse   zu 


134  Fünfzehntes  Buch. 

bringen,  um  die  Amurca  zu  entfernen,  und  dann  erst,  nach- 
dem sie  gestossen  sind,  nochmals  zu  pressen.  Man  soll 
nicht  mehr  als  100  Modius  pressen,  und  er  nennt  diess  den 
Presssatz.  Was  in  der  Mühle  zuerst  ausfliesst,  heisst  die 
Blume.  3  Presssätze  können  von  4  Menschen  in  1  Tage 
und  1  Nacht  mit  2  Gefässen  recht  gut  bewerkstelligt 
werden. 

T. 
Damals  hatte  man  noch  keine  gekünstelten  Oele; 
daher  erkläre  ich  mir  das  Schweigen  Cato's  darüber.  Jetzt 
giebt  es  mehrere  Arten  davon.  Zuerst  will  ich  die  an- 
führen, welche  ihren  Ursprung  von  Bäumen  haben,  und 
unter  diesen  vor  allen  die  vom  wilden  Oelbaume  i).  Das- 
selbe ist  dünner  und  weit  bitterer  als  das  vom  Oelbaume, 
und  wird  nur  als  Medicament  benutzt.  Ihm  am  ähnlichsten 
ist  das  von  der  Chamelaea,  einem  auf  Felsen  wachsenden, 
nicht  über  1  Fuss  hohem  Strauche,  mit  Blättern  und  Beeren 
gleich  denen  des  Oleaster.  Das  diesem  am  nächsten  stehende 
kommt  von  dem  Cici,  einem  in  Aegypteu  häufig  wachsen- 
dem Baume,  den  Einige  Cr o ton.  Andere  Sili,  noch  Andere 
wildenSesamum  nennen;  erst  unlängst  hat  man  dort  ange- 
fangen, es  zu  bereiten.  Er  wächst  auch  in  Spanien  schnell 
zu  der  Höhe  eines  Oelbaumes  heran,  hat  einen  dem  Stecken- 
kraute ähnlichen  Stengel,  Blätter  wie  der  Weinstock,  und 
Samen  gleich  denen  kleiner  und  blasser  Trauben.  Bei  uns 
nennt  man  ihn  wiegen  der  Aehnlichkeit  seines  Samens 
Läusebaum  -).  Man  kocht  den  Samen  mit  Wasser  und 
schöpft  das  obenschwimmende  Oel  ab.  In  Aegypten  da- 
gegen, wo  derselbe  in  reichlicher  Menge  vorkommt,  presst 
man  ihn,  nachdem  er  mit  Salz  bestreuet  ist,  ohne  Anwen- 
dung von  Feuer  und  Wasser  aus.  Zu  Speisen  eignet  es 
sich  nicht,  wohl  aber  zum  Brennen.     Das  Mandelöl,  welches 


')  Oleaster,  ohne  Zweifel  ist  hier  eine  wilde  Spielart  der  Olea 
europaea  gemeint,  nicht  Elaeagnus  angustifolia,  deren  Frucht  durch 
Pressen  kein  Oel  giebt. 

^)  Ricinus:  Ricinus  communis  L, 


Fünfzehntes  Buch.  135 

Einige  Metopium  nennen,  wird  aus  bittern  Mandeln,  welche 
zuvor  gedörrt,  kleingestossen,  mit  Wasser  besprengt  und 
wiederum  gestossen  sind,  gepresst.  Auch  vom  Lorbeerbaum 
macht  man  Oel,  indem  man  Oel  von  Steinfrüchten  hinzu 
mischt.  Einige  pressen  es  bloss  aus  den  Beeren,  Andere 
bloss  aus  den  Blättern,  noch  Andere  aus  den  Blättern  und 
Schalen  der  Beeren,  thun  auch  Styrax  und  andere  wohl- 
riechende Stoffe  hinzu.  Am  besten  eignet  sich  der  breit- 
blättrige wilde  Lorbeer  mit  schwarzen  Beeren  zu  diesem 
Behuf.  Aehulich  ist  das  Oel  von  der  schwarzen  Myrte, 
und  auch  hier  hat  die  breitblättrige  den  Vorzug.  Man 
stösst  die  Beeren  unter  Zusatz  von  warmem  Wasser  und 
kocht  sie  dann  aus.  Andere  kochen  die  zartesten  Blätter 
in  Oel  und  drücken  aus;  noch  Andere  legen  sie  in's  Oel 
und  lassen  sie  an  der  Sonne  ausziehen.  Ebenso  verfährt 
man  auch  mit  der  Gartenmyrte  ') ;  man  zieht  aber  die  wilde 
Myrte  2)  mit  kleinern  Samen  vor,  die  von  Einigen  die 
Spitzenmyrte  3),  von  Andern  die  Zwergmyrte  *),  von  Andern, 
wegen  der  Aehnlichkeit,  Acoros  genannt  wird;  denn  sie 
ist  niedrig  und  strauchartig.  Andere  Oele  sind:  von  der 
Citrone,  Cypresse,  den  welschen  Nüssen,  welches  Kernöl 
heisst,  und  von  den  Cedern- Aepfeln,  das  sogenannte  Kienöl  •'). 
Ferner:  aus  dem  gnidischen  Samen,  nachdem  er  gereinigt 
und  gestossen  ist;  vom  Mastix.  Vom  Cyprinusöl  und  dem 
aus  der  ägyptischen  Eichel,  welche  des  Wohlgeruchs  wegen 
bereitet  werden,  ist  schon  die  Kede  gewesen.  Die  Indier 
sollen  Oel  aus  Kastanien,  Sesam  und  Reis  machen,  die 
Ichthyophagen  aus  Fischen.  Das  Bedürfniss  zwingt  auch 
zuweilen  die  Menschen,  um  Licht  zu  haben,  dergleichen  aus 
Platanen-Beeren,  die  mit  Salzwasser  eingeweicht  werden, 
zu  bereiten.  Das  wilde  Rebenöl  wird  aus  der  Pflanze  ^) 
selbst  gemacht,  wie  bei  den  Salben  bereits  gesagt  ist.    In 


')  Myrtus  communis  L. 

2)  Myrtus  sylvestris;  Ruscus  aculeatus  L. 

3)  Oxymyrsine.    *)  Chamaemyrsine. 
*)  Pisselaeon.    ^)  Oenanthe. 


136  Fünfzelintes  Buch. 

das  Mostöl  wird  bei  gelindem  Feuer  Most  eingekocht;  An- 
dere thun  diess  ohne  Feuer,  indem  sie  22  Tage  hindurch, 
jeden  Tag  2  mal  Weinhülsen  herum  legen,  wodurch  der 
Most  vom  Oele  verzehrt  wird.  Andere  setzen  nicht  nur 
Majoran,  sondern  auch  noch  kostbarere  Specereien  hinzu. 
Auch  in  den  Fechtschulen  versetzt  man  es  mit  dergleichen, 
aber  von  sehr  geringem  Werthe. 

Ferner  bereitet  man  Oel:  aus  Aspalathum,  Calamus, 
Balsambaum,  Iris,  Cardamom,  Steinklee,  gallischer  Narde, 
Panax,  Majoran,  Alant  und  Zimmtwurzel,  deren  Säfte  alle 
durch  Oel  ausgezogen,  und  dann  durch  Pressen  geschieden 
werden.  So  auch  das  Eosenöl  von  den  Rosen,  das  Binsenöl 
von  den  Binsen,  welches  dem  Rosenöle  am  meisten  gleich 
kommt;  desgleichen  vom  Bilsen ,  den  Wolfsbohnen  und 
der  Narcisse.  Am  häufigsten  wird  aber  in  Aegypten  Oel 
aus  den  Rettigsamen  oder  einem  Grase  bereitet,  was  sie 
Grasöl  nennen;  auch  aus  Sesam  und  Nesseln,  welches  sie 
Nesselöl  nennen.  Anderswo  bereitet  man  Oel  aus  Lilien 
unter  freiem  Himmel,  welches  durch  Sonne,  Mond  und  Reif 
gezeitigt  wird.  Zwischen  Cappadocien  und  Galatien  ver- 
fertigt man  ein  Oel  aus  besondern  Kräutern,  welches  sel- 
gisches  heisst  und  die  Nerven  stärkt.  Ein  ähnliches  macht 
man  in  Italien  zu  Iguvinum.  Das  Pechöl  bereitet  man 
durch  Kochen  von  Pech,  über  dessen  Dampf  man  Felle 
ausspannt  und  dann  ausdrückt;  das  beste  kommt  aus  Bru- 
tien,  denn  diess  ist  am  fettesten  und  harzigsten.  Die  Farbe 
dieses  Oeles  ist  braungelb.  An  der  Küste  von  Syrien  er- 
zeugt es  sich  von  selbst  und  heisst  Oelhonig.  Es  flies  st 
aus  Bäumen,  ist  fett,  dicker  als  Honig,  dünner  als  Harz, 
von  süssem  Geschmacke,  und  wird  von  den  Aerzten  ge- 
braucht. Altes  ist  auch  bei  manchen  Krankheiten  von 
Nutzen;  ferner  glaubt  man,  dass  es  das  Elfenbein  vor  dem 
Anfressen  schütze,  wenigstens  ist  das  Standbild  des  Saturn, 
in  Rom  inwendig  mit  Oel  ausgefüllt. 

8. 

Ueber  alles  aber  erhebt  Cato  die  Oelhefe*)  mit  Lob- 

•)  amurca. 


Fünfzehntes  Buch.  137 

Sprüchen.  Mit  derselben  würden  die  Oelfässer  und  Töpfe 
angefeuchtet,  damit  sie  kein  Oel  anziehen;  auch  bestriche 
man  die  Tennen,  auf  denen  das  Getreide  gedroschen  wird, 
damit,  um  Risse  zu  verhüten  und  die  Ameisen  abzuhalten, 
ja  man  besprenge  selbst  mit  ihr  den  Leim  der  Wände,  die 
Decken  und  Böden  der  Kornmagazine,  und  die  Kleider- 
schränke zur  Abhaltung  der  Motten  und  anderer  schädlichen 
Thiere.  Ferner  tränke  man  damit  die  Saatkörner,  heile  die 
Krankheiten  der  vierfüssigen  Thiere  und  Bäume,  und  sie 
sei  ein  wirksames' Mittel  gegen  Geschwüre,  welche  sich 
im  Munde  des  Menschen  erzeugen.  Man  schmiere  damit, 
nachdem  sie  gesotten  worden,  Riemen,  alles  Lederwerk, 
Schuhe  und  Räderachsen  ein,  auch  kupferne  Geschirre,  um 
den  Grünspan  abzuhalten  und  ihnen  ein  glänzenderes  An- 
sehen zu  geben,  desgleichen  alles  hölzerne  Hausgeräth  und 
irdenen  Gefässe,  in  denen  man  trockne  Feigen  aufbewahren, 
oder  wenn  man  die  Blätter  und  Beeren  an  Myrtenzweigen 
oder  andern  ähnlichen  Arten  erhalten  will.  Endlich  soll 
Holz,  welches  von  Amurca  durchdrungen  ist,  beim  Brennen 
keinen  lästigen  Rauch  verbreiten.  M.  Varro  sagt,  wenn 
eine  Ziege  den  Oelbaum  mit  ihrer  Zunge  belecke,  und  die 
ersten  Sprossen  abfrässe,  so  bliebe  er  unfruchtbar.  Soweit 
vom  Oelbaum  und  vom  Oele. 

9. 

Die  übrigen  Baumfrüchte  können  kaum  nach  ihrem 
Ansehen  und  ihrer  Gestalt,  geschweige  denn  nach  ihrem 
Geschmacke,  und  ihren  so  vielfältig  gemischten  und  einge- 
sogenen Säften  aufgezählt  werden. 

Die  Frucht  der  Pinien  *)  ist  am  grössten  und  hängt 
am  höchsten;  inwendig  schliesst  sie  in  hohlen  Lagern  kleine 
Kerne  ein,  die  ausserdem  noch  mit  einer  rostfarbigen 
Hülle  bekleidet  sind,  —  so  wunderbar  sorgfältig  verfährt 
die  Natur,  um  den  Samen  ein  weiches  Bette  zu  gehen. 
Eine  zweite  Art  derselben  sind  die  terentinischen,  deren 
Schale    mit    den   Fingern    zerbrochen    werden    kann,   und 


')  Pineae.  Pinus  Pinea  L. 


138  Fünfzehntes  Buch. 

welche  die  Vögel  vom  Baume  rauben.  Eine  dritte  sind  die 
sappinisehen,  von  der  zahmen  Tanne,  deren  Kerne  mehr 
eine  Haut  als  eine  Schale  haben,  die  so  weich  ist,  dass 
sie  mitge^essen  wird.  Eine  vierte  hat  den  Namen  pityidi- 
sche,  kommt  von  dem  Piuaster  i),  und  ist  ein  ausgezeich- 
netes Mittel  wider  den  Husten.  Die  in  Honig  abgekochten 
Kerne  nennen  die  Tauriner  Aquiceli.  Mit  einem  Pinien- 
kranze werden  die  Sieger  auf  dem  Isthmus  gekrönt. 

10. 

Hinen  kommen  die  Quitten 2)  in  der  Grösse,  welche 
von  den  Griechen  cydonische  Aepfel  genannt  werden,  und 
von  der  Insel  Greta  stammen,  am  nächsten.  Der  Baum 
schiesst  krumme  Aeste,  und  verhindert  daher  den  Haupt- 
stamm zu  wachsen.  Es  giebt  mehrere  Arten:  Goldquitten, 
mit  Einschnitten  und  einer  ins  Goldgelbe  sich  neigenden 
Farbe.  Die  weissem,  welche  wir  inländisohe  nennen,  haben 
den  herrlichsten  Geruch.  Auch  die  neapolitanischen  stehen 
im  Ansehen;  die  kleinem  von  dieser  Art,  welche  Sperlings - 
äpfeP)  heissen,  riechen  durchdringender,  kommen  spät, 
reifen  aber  bald.  Wenn  man  auf  die  Sperlingsäpfel  andere 
Quitten  propft,  so  erhält  man  eine  besondere  Art,  die  mul- 
vianische,  welche  unter  diesen  allein  auch  roh  gegessen 
wird.  Alle  Arten  bewahrt  man  in  den  Besuchszimmern 
der  Männer,  und  legt  sie  auf  die  Bilder  derer,  welche  man 
Abends  erwartet.  Es  giebt  auch  noch  kleine  wilde,  die 
nächst  den  Sperlingsäpfeln  am  stärksten  riechen  und  in 
Hecken  wachsen. 

11. 

Auch  andere  Früchte  nennen  wir  Aepfel,  obgleich  sie 
verschieden  davon  sind,  wie  die  Pfirsiche^)  und  Granaten, 
von  welchen  letztern  wir  bei  den  Granatbäumen  9  Arten 
angeführt  haben.  Diese  haben  unter  der  Schale  inwendig 
Kerne,  jene   einen  Holzkern  in  ihrem  Fleische.    Von  den 


•)  Pinus  Pinaster  L. 

2)  Mala  cotonea:  Pyrus  Cydonia  L. 

3)  struthea. 

^)  Mala  persica.    Amygdalus  persica  L. 


Fünfzehntes  Buch.  I39 

Birnen  hat  man  einige  Pfundbirnen  genannt,  weil  sie  so 
schwer  wie  ein  Pfund  wiegen.  Unter  den  Pfirsichen  steht 
die  harthäutige  oben  an;  die  gallische  und  asiatische  haben 
von  den  Völkerschaften  diese  Namen.  Sie  reifen  nach 
dem  Herbste,  die  zeitigen  schon  im  Sommer;  man  kennt 
sie  erst  seit  30  Jahren  und  verkaufte  Anfangs  das  Stück 
um  1  Denar.  Die  feinen  kommen  von  den  Sabinern,  die 
gewöhnlichen  allenthalben  her.  Es  ist  ein  unschädliches 
Obst,  welches  auch  die  Kranken  geniessen  können,  keins 
aber  wohl  je  theurer  gewesen,  denn  ein  Stück  hat  schon 
30  Sesterzen  gekostet,  worüber  man  sich  wundern  muss, 
da  keine  Frucht  vergänglicher  ist.  Sie  hält  sich  gepflückt 
längstens  2  Tage,  und  zwingt  den  Besitzer,  sie  zu  ver- 
kaufen. 

12. 
Nun  folgt  eine  grosse  Anzahl  Pflaumen  i):  die  bunte, 
schwarze,  weisse,  die  von  der  zu  gleicher  Zeit  mit  der 
Gerste  erfolgenden  Reife  sogenannte  Gerstenpflaume.  Es 
giebt  noch  andere  von  derselben  Farbe  die  später  kommen 
und  grösser  sind,  und  wegen  ihrer  geringen  Qualität  Esels- 
pflaumen genannt  werden.  Ferner:  onyxfarbige,  doch  sind 
die  wachsgelben  und  purpurfarbigen  beliebter;  desgleichen 
die  von  einem  fremden  Volke  benannten  armenischen  -), 
welche  sieh  schon  durch  ihren  Geruch  empfehlen.  Dieje- 
nigen, welche  auf  Nussbäume  gepropft  sind,  haben  das 
Eigenthümliche,  in  der  Gestalt  der  Mutter  und  im  Safte 
dem  neuen  Stamme  zu  gleichen,  und  werden  daher  Nuss- 
pflaumen  genannt.  Diese,  sowie  die  Pfirsiche,  die  wachs- 
gelben und  wilden  3)  Pflaumen  halten  sich,  wenn  sie  wie 
die  Trauben  in  Töpfe  eingemacht  werden,  so  lange,  bis 
wieder  neue  wachsen;  die  übrigen  reifen  schnell,  halten 
sich  aber  nicht  lange.  Kürzlich  hat  man  auch  in  Bätica 
-angefangen,    durch    Propfen    auf  Apfelbäume    sogenannte 


')  Pruni.  Prunus  domestica  und  P.  insititia  L,  wo  keine  andere 
Namen  angegeben  sind. 

^)  Prunus  armeniaca  L.  Die  Aprikose. 
')  Prunus  spinosa  L.,  die  Schlehe. 


140  Fünfzehntes  Buch. 

Aepfelpflaumen,  sowie  auf  Mandelbäumen  sogenannte  Mandel- 
pflaumeu  zu  ziehen.  Diese  haben  innerhalb  des  Steines 
einen  Mandelkern,  und  kein  anderes  Obst  ist  sinnreicher 
gepaart  worden.  Unter  den  fremden  Bäumen  haben  wir 
die  damascener  Pflaumen,  sogenannt  von  Damascus  'in  Sy- 
rien, aufgefühlt,  welche  aber  bereits  in  Italien  einheimisch 
sind;  sie  haben  einen  grössern  Stein,  weniger  Fleisch,  und 
bekommen  beim  Trocknen  niemals  Runzeln,  weil  ihnen  die 
eigenthümliche  Wärme  fehlt.  Die  Sebesten  i),  welche  man 
jetzt  zu  Rom  auf  Sorbi  -)  gepropft  hat,  können  hier  zu- 
gleich als  die  Landsleute  der  Damascener  genannt  werden. 

13. 
Ueberhaupt  ist  es  aus  dem  Namen  augenscheinlich, 
dass  die  Pfirsiche  auch  in  Asien  und  Griechenland  Fremd- 
linge und  von  Persien  dahin  gebracht  worden  sind;  hin- 
gegen wachsen  die  wilden  Pflaumen  sicherlich  allenthalben. 
Um  so  mehr  wundert  es  mich,  dass  Cato  dieses  Obstes 
gar  nicht  erwähnt,  da  er  doch  angiebt,  wie  man  auch  wilde 
Früchte  einmachen  solle.  Die  Pfirsichbäume  sind  spät  und 
mit  vielen  Schwierigkeiten  in  andere  Länder  gebracht 
worden,  so  z.  B.  tragen  sie  auf  Rhodus  nichts,  weil  sie  zu- 
erst von  Aegypten  dahin  gekommen  waren.  Es  ist  un-, 
richtig,  dass  sie  in  Persien  giftig  sind  und  grosse  Schmerzen 
erregen,  daher  zur  Vollziehung  von  Strafen  von  den  Königen 
nach  Aegypten  gebracht,  und  durch  den  Boden  milder  ge- 
worden sind;  denn  genauere  Schriftsteller  melden  diess  von 
der  Persea^),  einem  ganz  anderen  Gewächse,  ähnlich  den 
rothen  Sebesten,  und  der  noch  nirgends  anders  als  im 
Oriente  fortgekommen  ist.  Gelehrtere  sagen  auch,  er  sei 
niemals  wegen  Strafen  aus  Persien  ausgeführt,  sondern 
von  Perseus  zu  Memphis  gepflanzt  worden.  Deshalb  habe 
auch  Alexander  zu  Ehren  seines  Urältervaters  angeordnet, 
dass  die  Sieger  damit  gekrönt  würden.  Dieser  Baum  hat 
beständig  Blätter  und  Früchte,  da  immer  neue  nachwachsen.. 


')  Myxae,  Cordia  Myxa  L.     -)  S.  23.  Cap. 
^)  Die  bereits  genannte  Cordia  Myxa. 


Fünfzehntes  Buch.  141 

Es  ist  aber  auch  offenbar,    dass  alle  Pflaumen  erst  nach 
"Cato's  Zeitalter  aufgekommen  sind. 

14. 
Aepfel  *)  giebt  es  mehrere  Arten.  Von  den  Citronen 
haben  wir  schon  bei  ihren  Bäumen  geredet;  die  Griechen 
nennen  sie  nach  dem  Vaterlande  medische  Aepfel.  Gleich- 
falls fremd  sind  die  ßrustbeeren  2)  und  die  Tuberes,  welche 
beide  erst  kürzlich,  diese  aus  Afrika,  jene  aus  Syrien  nach 
Italien  gekommen  sind.  Sex.  Papinius,  den  ich  als  Consul 
gekannt  habe,  brachte  sie  zuerst  zu  uns  in  den  letzten 
Lebensjahren  des  Kaisers  Augustus,  und  Hess  sie  im  Lager 
anpflanzen.  Sie  gleichen  mehr  den  Beeren  als  den  Aepfeln, 
dienen  aber  den  Wällen  zur  grossen  Zierde,  denn  sie 
reichen  jetzt  schon  bis  an  die  Dächer.  Von  den  Tuberes 
giebt  es  2  Arten,  eine  weisse,  und  eine  von  ihrer  Farbe 
sogenannte  syrische  3).  Sie  sind  fast  als  Fremdlinge  zu 
betrachten,  und  in  ganz  Italien  wachsen  nur  im  veronen- 
sischen  Gebiete  sogenannte  wollige,  mit  einem  ähnlichen 
Wollüberzuge,  wie  er  an  den  Vogelquitten  und  Pfirsichen 
sehr  häufig  ist,  und  wovon  sie,  da  sie  sich  durch  nichts 
,    anderes  besonders  empfehlen,  jenen  Beinamen  führen. 

15. 

Warum  sollte  ich  nicht  gern  die  übrigen  Apfelarten 

noch  namentlich  anführen,  da  sie  ihren  Entdeckern,  gleich- 

;    sam  als  eine  herrliche  That  ihres  Lebens,  ein  ewiges  An- 

;    denken    gestiftet    haben?     Wenn   ich    nicht   irre,  so  datirt 

;  •  sich   hieraus    die  Kunst   des  Propfens,  und  dass  nichts  so 

';    klein    sei,    was    nicht    den   Keim   eines   Ruhmes    in    sich 

^    schliesse.    Sie    haben    also    ihren    Ursprung    vom   Matius, 

Cestius,    Mallius    und    Scandius.    Diejenigen,   welche   von 

^    Appins,  aus  dem  Claudischen  Geschlechte,  auf  Quitten  ge- 

\    propft  sind,  heissen  appianische,  riechen  wie  Quitten,  sind 

\    so  gross  als  die  scandianischen  und  von  röthlicher  Farbe. 


')  Mala.  Pjrus  Malus  L. 

-)  Zizipha.  Rhamnus  Ziziphus  L. 

^)  Die  syrische  Farbe  war  röthlich. 


142  Fünfzehntes  Buch. 

Damit  aber  Niemand  glaube,  dieser  Name  sei  aus 
Schmeichelei  gegen  eine  berühmte  Familie  angenommen 
worden,  so  bemerken  wir,  dass  es  auch  sceptianische  giebt, 
so  geuannnt  nach  ihrem  Erfinder,  einem  Freigelassenen, 
und  ausgezeichnet  durch  ihre  Kunde.  Cato  fügt  noch  die 
quirinianischen  und  die  scandianischen,  welche  man  in 
Fässern  aufbewahren  soll,  hinzu.  Ganz  kürzlich  sind  noch 
kleine,  von  sehr  angenehmem  Geschmacke,  welche  petisi- 
sche  genannt  werden,  hinzugekommen.  Die  amerinischen 
und  gräculischeu  haben  ihr  Vaterland  berühmt  gemacht. 
Die  übrigen  führen  ihre  Namen  aus  andern  Ursachen ;  von 
ihrer  Verbindung  die  Zusammenhängenden  und  Zwillinge, 
weil  die  Frucht  nie  einzeln  steht;  von  der  Farbe  die  sy- 
rischen; von  ihrer  Aehnliclikeit  die  Birnenäpfel;  von  der 
Schnelligkeit  im  Reifen  die  Jüngern,  welche  jetzt  wegen 
ihres  Honiggeschmacks  Houigäpfel  heissen.  Kreisrunde, 
von  der  Gestalt  einer  runden  Scheibe;  dass  diese  in  Epirus 
zuerst  waren,  beweisen  die  Griechen,  welche  sie  epirotische 
nennen.  Hochbrüstige,  von  der  Gestalt  der  Brüste.  Wegen 
der  Beschaffenheit  des  verstümmelten  Samens  nennen  die 
Beiger  einige  die  verschnittenen.  Den  Blattäpfeln  wächst 
mitten  an  der  Seite  eins  oder  zuweilen  auch  2  Blätter 
heraus.  Die  Eunzeläpfel  welken  bald  und  bekommen 
Falten.  Die  Lungenäpfel  schwellen  eigenthttmlich  dick  auf. 
Die  Blutfarbigen  haben  ihre  Farbe  vom  Propfen  auf  Maul- 
beerbäume bekommen.  Die  übrigen  sind  an  der,  der 
Sonne  zugekehrten  Seite  röthlich.  Es  giebt  auch  kleine, 
die  ihres  Geschmackes  und  schärfern  Geruchs  wegen  wilde 
heissen,  also  von  schlecbter  Beschaffenheit  und  so  sauer 
sind,  dass  der  Saft  ein  scharfes  Schwerdt  stumpf  macht. 
Den  schlechtesten  hat  ihre  mehlige  Beschaffenheit  einen 
Namen  gegeben;  sie  kommen  am  frühesten  und  müssen 
schnell  gepflückt  werden. 

16. 
Eben  diesen  Umstand  tadelt  man  an  den  sogenannten. 


Fünjfzehntes  Buch.  143 

Muscatellerbiinen  ^),  welche  klein  sind,  aber  sehr  schnell 
reifen.  Unter  allen  Birnen 2)  aber  empfehlen  sich  die 
crustumischen  am  meisten.  Dann  kommen  zunächst  die 
falernischen,  sogenannt  von  dem  Weine,  weil  sie  eine  so 
ausserordentliche  Menge  Saft  (der  Milch  genannt  wird)  ent- 
halten; unter  ihnen  giebt  es  einige  von  schwarzer  Farbe, 
welche  in  Syrien  vorkommen.  Die  übrigen  werden  an 
einem  Orte  so,  am  andern  so  genannt.  Allein  folgende 
haben  durch  Benennungen,  welche  von  Rom  ausgegangen 
sind,  ihre  Urheber  berühmt  gemacht;  die  decimianischen, 
und  die  von  ihr  abstammenden  pseudodecimianischen,  die 
dolabellianischen  mit  den  längsten  Stielen,  die  pomponia- 
nischen  mit  dem  Beinamen  der  zitzenförmigeu,  die  liceria- 
nischeu,  sevianischen  und  die  von  diesen  abstammenden 
turranianischen,  welche  sich  durch  die  Länge  des  Stiels 
unterscheiden.  Die  rothen  favonianischen,  etwas  grösser 
als  die  Muscateller,  die  laterianischen,  anitianischen,  die 
im  Spätherbst  kommen  und  augenehm  sauer  schmecken. 
Tiberianische  heissen  die,  welche  dem  Kaiser  Tiberius  am 
besten  gefallen  haben;  sie  färben  sich  mehr  an  der  Sonne 
und  werden  gross,  sonst  kämen  sie  mit  den  licerianischen 
überein.  Die  nach  ihrem  Vaterlande  benannten  sind  die 
spätesten  von  allen,  nämlich  die  amerinischen,  picentini- 
schen,  numantinischen,  alexandrinischen,  uumidianischen, 
griechischen  und  unter  diesen  die  tarentinischen,  die  signi- 
nischen,  welche  Andere  von  der  Farbe  die  erdfarbigen, 
onychinischen  und  purpurnen  nennen.  Nach  dem  Gerüche 
benannt  sind  die  Balsam-,  Lorbeer-  und  Myrtenbirne;  nach 
der  Zeit  die  Gerstenbirne;  nach  ihrem  Halse  die  Flaschen- 
birne; nach  ihrer  Güte  die  coriolanische,  bruttische;  nach 
ihrer  Aehnlichkeit  die  Kürbisbirne,  und  nach  ihrem  Safte 
die  säuerliche.  Warum  man  einige  Birnen  barbarische, 
andere  Venusbirnen  oder  gefärbte  nennt,  ist  nicht  mit  Be- 
stimmtheit anzugeben;  ebense  ist  es  mit  den  königlichen, 
welche   an   sehr   kleinen  Stielen    sitzen,   den   patricischen 


*)  Superbiae.    ^)  Pyri.  Pyrus  communis  L. 


144  Fünfzehntes  Buch. 

voconischen,  grünen  und  länglichen.  Ausserdem  nennt 
Virgil  eine  Sorte  Volema  i),  ein  Ausdruck  den  er  vom  Cato 
entlehnt  hat,  giebt  ihnen  aber  auch  den  Namen  Saatbirnen 
und  Mostbirnen. 

17. 

Diese  Seite  des  Lebens  hat  schon  längst  den  Gipfel 
erreicht,  denn  die  Menschen  haben  darin  alles  versucht. 
So  sagt  Virgil,  man  propfe  den  Arbutus  mit  Nüssen,  die 
Platane  mit  Aepfeln,  die  Ulme  mit  Kirschen.  Weiter  kann 
nichts  mehr  ausgedacht  werden,  und  man  findet  auch  in 
d(Br  That  seit  langer  Zeit  kein  neues  Obst  mehr.  Jedoch 
muss  man  nicht  alles  ohne  Unterschied  durch  Propfen  ver- 
mischen, sowie  keine  Dornbusche  bepropfeu,  weil  man  da- 
durch die  Blitze  nicht  leicht  abwenden  kann,  denn  so 
viele  Arten  man  gepropft  hat,  so  oft  hat  sich  der  Blitz 
durch  einen  Schlag  angekündigt. 

Die  Birnen  haben  eine  mehr  ki'eiselförmige  Gestalt. 
Die  späten  unter  ihnen  hängen  bis  zum  Winter  am  Baume, 
und  werden  durch  die  Kälte  reif,  als:  die  griechischen, 
Flaschen-  und  Lorbeerbirnen,  unter  den  Aepfeln  die  ameri- 
nischen  und  scandianischen.  Die  Birnen  bewahrt  man  auf 
eben  die  Weise  wie  die  Trauben  auf,  und  kein  anderes 
Obst,  ausser  den  Pflaumen,  in  Flaschen.  Die  Aepfel  und 
Birnen  haben  (in  ihrem  Safte)  die  Eigenschaft  des  Weines, 
und  ebenso  wie  bei  diesem,  geben  auch  bei  jenem  die 
Aerzte  den  Kranken  Vorschriften;  sie  werden  auch  in  Wein 
und  Wasser  gekocht  und  vertreten  die  Stelle  des  Gemüses, 
jedoch  nur  die  grossen  und  Sperlingsquitten. 

18. 
Ueberhaupt  giebt  man  folgende  Vorschriften  für  die 
Aufbewahrung  des  Obstes;  Die  Obstböden  müssen  an 
einem  kühlen  und  trocknen  Orte  angelegt  werden,  die 
Fenster  sollen  gegen  NoMen  liegen  und  an  heitern 
Tagen    offen    stehen;    die  Südwinde,   auch    der  Nordwind, 


'■)  Faustbirne. 


Fünfzehntes  Buch.  145 

durch  welchen  das  Obst  zusammenschrumpft,  durch  Glas- 
scheiben abgehalten  werden.  Das  Obst  muss  nach  dem 
Herbst- Aequinoctium,  und  weder  16  Tage  vor  Neumond, 
noch  vor  der  ersten  Stunde  i)  gesammelt  werden.  Das 
abgefallene  soll  man  von  dem  übrigen  trennen,  und  Stroh, 
Matten  oder  Spreu  unterlegen.  Es  soll  nicht  zu  dicht  ge- 
legt werden,  damit  die  Luft  überall  Zutritt  habe.  Die 
amerinischen  Aepfel  halten  sich  am  besten,  die  Honigäpfel 
am  wenigsten. 

Die  Quitten  soll  man  zur  Abhaltung  aller  Luft  ver- 
sah Hessen,  oder  in  Honig  einkochen  und  untertauchen.  Die 
Granatäpfel  müssen  in  siedendem  Seewasser  gehärtet,  dann 
3  Tage  lang  an  der  Sonne  getrocknet,  aufgehängt,  doch  so, 
dass  der  nächtliche  Thau  sie  nicht  berührt,  und  wenn  man 
will,  in  heissem  Wasser  ausgewaschen  werden.  M.  Varro 
empfiehlt,  sie  in  mit  Sand  gefüllten  Fässern  aufzubewahren, 
und  die  unreifen  in  Töpfen,  deren  Boden  herausgeschlagen 
ist,  in  die  Erde  zuvergraben,  doch  keine  Luft  hinzuzulassen 
und  den  Stiel  mit  Pech  zu  verschmieren;  sie  wüchsen  so 
grösser,  als  sie  am  Baume  werden  könnten.  Die  übrigen 
Aepfel  müsse  man  einzeln  in  Feigenblätter,  aber  keine  ab- 
gefallene, wickeln,  und  in  Körben  aufbewahren  oder  mit 
Töpferkreide  bestreichen. 

Die  Birnen  müssen  in  verpichten  umgekehrten  Gefässen 
in  Gruben  verscharrt  werden.  Die  tarentinischen  sind  am 
spätesten  einzusammeln.  Die  anicianischen  werden  auch 
in  Rosinenwein  aufbewahrt.  Die  Speierlinge  thue  man 
auch  in  Gruben,  verschliesse  den  Deckel  mit  Gyps,  und 
werfe  zwei  Fuss  hoch  Erde  darüber;  wähle  aber  einen 
sonnigen  Ort,  kehre  die  Gefässe  um,  und  in  Fässern  hänge 
man  sie,  gleich  den  Weintrauben,  mit  den  Aesten  auf. 

Einige  der  neuesten  Schriftsteller  verlangen  eine  noch 
grössere  Sorgfalt;  sjie  schreiben  nemlich  vor,  man  solle  zu 
diesem  Behufe  die  Aepfelbäume  und  die  Weinstöcke  so- 
gleich bei  abnehmendem  Monde,   nach    der  3.  Stunde   des 


*)  D.  h.  vor  6  Uhr  Morgens. 

Wittstein:  Pliniue.    III.  Bd.  10 


146  Fünfzehntes  Buch. 

Tages,  bei  heitern  Himmel  und  trocknen  Winden  abnehmen, 
ferner  solche  von  trocknen  Orten  und  vor  der  vollständigen 
Reife,  wenn  der  Mond  unter  der  Erde  sei,  auswählen;  die 
Trauben  mit  einem  Theil  harten  Reises,  nachdem  die  an- 
gegangenen Beeren  mit  einer  Zange  entfernt  worden,  in 
einem  neuen  gepichten  Fasse  aufhängen,  und  alle  Luft 
durch  einen  Deckel  und  Gyps  abhalten.  Eben  so  solle 
man  mit  den  Birnen  und  Speierlingen  verfahren,  bei  allen 
aber  die  Stiele  mit  Pech  verstreichen.  In  der  Nähe  der 
Fässer  darf  kein  Wasser  sein.  Einige  bewahren  sie  so 
mit  dem  Zweige  in  Gyps,  dass  sie  die  Enden  desselben  in 
eine  Meerzwiebel  stecken.  Andere  hängen  sie  in  Wein- 
fässer, doch  so,  dass  die  Trauben  den  Wein  nicht  berühren. 
Andere  bringen  auch  Aepfel,  die  in  irdenen  Geschirren 
schwimmen,  hinein,  und  glauben,  dass  auch  der  Wein  einen 
Geruch  davon  annehme.  Andere  ziehen  es  vor,  alle  diese 
Früchte  in  Hirse  zu  legen.  Die  Meisten  legen  das  Obst  in 
Gruben  auf  eine  2  Fuss  hohe  Lage  von  Sand,  verschliesseu 
mit  einem  irdenen  Deckel,  und  bringen  auf  diesen  noch 
Erde.  Einige  bestreichen  auch  die  Trauben  mit  Töpfer- 
kreide, trocknen  an  der  Sonne  und  hängen  sie  auf;  beim 
Gebrauche  spülen  sie  die  Kreide  wieder  ab.  Bei  den 
Aepfeln  vermischen  sie  die  Kreide  mit  Wein.  Die  edel- 
sten Aepfel  überziehen  sie  ebenso  mit  Gyps  oder  Wachs; 
wenn  sie  aber  nicht  ganz  reif  waren,  wachsen  sie  fort  und 
durchbrechen  die  gemachte  Hülle.  Stets  jedoch  werden 
sie  auf  den  Stiel  gestellt.  Einige  pflücken  sie  mit  kleinen 
Zweigen  ab,  stecken  diese  in  Hollundermark,  und  vergraben 
sie  auf  die  oben  beschriebene  Weise.  Andere  nehmen  zu 
jedem  Apfel  und  jeder  Birne  ein  besonderes  irdenes  Ge- 
schirr, verpicben  ihre  Deckel  und  verschliessen  sie  sämmt- 
lich  in  ein  Fass;  Andere  in  Wolle  und  Kästen,  die  sie 
mittelst  Leim,  dem  Spreu  beigemischt  ist,  verstreichen; 
Andere  in  irdenen  Schüsseln,  oder  in  Gruben  mit  einer 
Unterlage  von  Sand,  und  bedecken  sie  sogleich  trocken 
mit  Erde.  Manche  bestreichen  die  Quitten  mit  pontischem 
Wachse   und   tauchen  sie  in  Honig.     Columella  sagt,  man 


Fünfzehntes  Buch.  147 

solle  sie  in  Brunnen  und  Cisternen,  welche  gut  ausgepicht 
wären,  versenken.  In  Ligurien,  welches  am  Meere  und 
den  Alpen  sehr  nahe  liegt,  trocknet  man  die  Trauben  an 
der  Sonne,  wickelt  sie  in  Binsenbündel  ein,  legt  sie  in 
Fässer  und  verschliesst  diese  mit  Gyps.  Ebendiess^)  thun 
die  Griechen  mit  Platanen-  oder  Wein-  oder  Feigenblättern, 
trocknen  sie  1  Tag  im  Schatten  und  legen  im  Fasse  Wein- 
trester  dazwischen.  Auf  diese  Weise  werden  die  coischen 
und  berytischen  Trauben,,  welche  keinen  andern  an  ange- 
nehmem Geschmacke  nachstehen,  aufbewahrt.  Einige 
tunken  die  Trauben,  um  sie  den  ebengenannten  ähnlich  zu 
machen,  in  Aschenlauge  sobald  sie  vom  Stocke  genommen 
sind,  trocknen  sie  darauf  an  der  Sonne,  tauchen  die  ge- 
trockneten in  warmes  Wasser  und  legen  sie  abermals  au 
die  Sonne;  dann  wickeln  sie  dieselben  auf  die  oben  be- 
schriebene Weise  in  Blätter  und  legen  sie  mit  Weintrestern 
zusammen.  Manche  ziehen  es  vor,  die  Trauben  in  Säge- 
und  andern  Spähnen  von  Tannen.  Pappeln,  Eschen  zu  be- 
wahren. Andere  schreiben  vor,  man  solle  sie  fern  von 
Aepfeln  und  sogleich  auf  Speichern  aufhängen,  weil  es  am 
besten  sei,  wenn  sie  im  Hängen  vom  Staube  bedeckt  werden. 
Gegen  die  Nachstellungen  der  Wespen  bespritzt  man  sie 
mit  Oel  aus  dem  Munde.  Von  den  Palmen  haben  wir 
schon  geredet. 

19. 
Unter  den  übrigen  Obstarteu  sind  die  Feigen'^)  die 
stärkste,  denn  manche  gleichen  den  Birnen  au  Grösse. 
Von  den  Wundern  Aegyptens  und  Cyperns  in  dieser  Be- 
ziehung haben  wir  bei  den  ausländischen  Bäumen  ge- 
sprochen. Die  idäische  Feige  ist  roth,  so  gross  wie  eine 
Olive,  nur  etwas  runder  und  schmeckt  wie  die  Mispel. 
Dort  heisst  diejenige  die  alexaudrinische,  deren  Stamm  die 
Dicke  einer  Elle,  viele  Aeste,  hartes  zähes  Holz,  keinen 
Milchsaft,    eine   grüne  Rinde    und    ein    lindenartiges,  aber 

*)  Nämlich  das  Einwickeln. 
-)  Flcus.  Ficus  Carica  L. 

10* 


148  Fünfzehntes  Buch. 

weiches  Blatt  hat.  Onesicritus  erzählt,  in  Hyreanien  fanden; 
sieh  weit  süssere  und  fruchtbarere  Feigenbäume  als  bei 
uns,  von  denen  einer  270  Modius  trüge.  Zu  uns  sind  sie 
von  andern  Ländern,  z.  B.  von  Chalcis  und  Chios  ge- 
kommen. Es  giebt  mehrere  Arten;  so  hat  man  lydische, 
welche  purpurfarben  sind,  und  warzenförmige,  welche  ihnen 
gleichen;  ferner  schöngeformte  i) ,  welche  etwas  besser 
schmecken,  aber  unter  allen  Feigen  die  kältesten  sind. 
Von  den  afrikanischen,  welche  Viele  den  übrigen  vorziehen, 
ist  die  Frage  noch  unentschieden,  und  da  diese  Art  erst 
neuerdings  nach  Afrika  gekommen  ist,  so  behält  sie  den 
Namen  des  Vaterlandes  bei.  Die  alexandrinische  gehört 
unter  die  schwarzen,  hat  einen  weisslichen  Streifen  und 
führt  den  Beinamen  der  köstlichen.  Auch  die  rhodische 
ist  schwarz  und  die  tiburtinische  gehört  zu  den  frühzeitigen. 
Einige  führen  auch  die  Namen  von  Schriftstellern,  wie  die 
livische  und  pompejische;  letztere  eignet  sich  nebst  den 
Mariscen,  und  denen,  welche  ein  Fleck  vom  Blatte  des 
Schilfes  färbt,  zum  Trocknen  an  der  Sonne  für  den  jähr- 
lichen Gebrauch  am  besten.  Es  giebt  auch  eine  hercu- 
lauische,  wachsartig  weisse  und  weisse  aratische,  welche 
den  kleinsten  Stiel  hat,  aber  am  grössten  ist.  Zuerst  ent- 
wickelt sich  die  purpurfarbige,  mit  dem  längsten  Stiele.. 
Sie  begleitet  eine  von  den  kleinsten  und  schlechtesten,  die 
gemeine  genannt.  Am  spätesten  hingegen  im  Winter  reift 
die  Schwalbenfeige.  Ausserdem  sind  oft  ein  und  dieselben 
spät  und  frühtragend,  doppeltragend,  weiss  und  schwarz, 
welche  zugleich  mit  dem  Getreide  und  den  Trauben  reif 
werden.  Die  Spätlinge  werden  auch  nach  ihrer  harten 
Haut  benannt.  Von  den  chalcidischen  tragen  einige  drei- 
mal. Zu  Tarent  wachsen  nur  ganz  süsse,  welche  Onä 
heissen. 

Cato  giebt  für  die  Feigen  folgende  Regeln:  Die  Maris- 
cen säe  an  einen  kreidigen  oder  freien  Ort;  an  einen 
fettern  und  gedüngten  aber  die  afrikanischen,  herculanischen^ 


")  Kalistruthiae. 


Fünfzehntes  Buch.  149 

saguntinischen,  die  Winterfeigen  und  die  schwarzen  tela- 
nischen  mit  langem  Stiele.  Später  sind  so  viele  Namen 
und  Arten  aufgekommen,  dass,  wenn  man  nur  diess  allein 
erwägt,  es  schon  einleuchtet,  dass  die  Lebensweise  sich  ge- 
ändert habe.  Es  giebt  auch  in  einigen  Ländern,  wie  in 
Mösien,  Winterfeigen,  allein  sie  sind  es  nicht  von  Natur, 
sondern  durch  Kunst.  Man  bedeckt  nach  dem  Herbste 
eine  Art  kleine  Bäume  und  die  im  Winter  hervorkömmende 
unreife  Frucht  mit  Mist,  gräbt  beide  bei  milderem  Wetter 
wieder  auf  und  bringt  sie  ans  Licht,  wo  sie  dann  die 
Sonnenstrahlen,  welche  ihnen  neu  und  von  anderer  Art 
sind  als  die,  bei  denen  sie  früher  lebten,  begierig  und 
gleichsam  neu  geboren  anziehen  und  mit  der  Ankunft  der 
Blüthe  reif  werden,  also  in  dem  ihnen  nicht  eignen  Jahre, 
auch  in  der  kältesten  Gegend  zeitig  erscheinen. 

20. 
Aber  die  schon  damals  von  Cato  genannte  afrikanische 
Feige  erinnert  mich  au  Afrika,  weil  er  sich  dieser  Frucht 
zu  einem  Beweise  bediente,  der  wichtige  Folgen  nach  sich 
zog.  Denn  er,  der  einen  tödtlichen  Hass  gegen  Carthago 
hegte,  und,  für  das  Wohl  der  Enkel  besorgt,  in  jeder  Se- 
natsversammlung rief,  Carthago  müsse  zerstört  werden, 
brachte  eines  Tages  eine  frühzeitige  Feige  aus  jenem 
Lande  in  den  Rath,  zeigte  sie  der  Versammlung  und 
sprach:  Ich  frage  Euch,  wann  glaubt  Ihr,  dass  diese  Frucht 
vom  Baume  gepflückt  sei?  Da  nun  Alle  darin  überein- 
kamen, dass  sie  noch  frisch  sei,  fuhr  er  fort;  So  wisset 
denn,  dass  sie  vor  3  Tagen  zu  Carthago  gepflückt  ist;  so 
nahe  bei  unsern  Mauern  haben  wir  den  Feind.  Gleich 
darauf  unternahm  mau  den  dritten  punischen  Krieg,  in 
welchem  Carthago  zerstört  wurde,  was  aber  Cato  nicht 
mehr  erlebte,  denn  er  starb  im  folgenden  Jahre.  Was 
sollen  wir  hiebei  zuerst  bewundern?  seinen  tiefen  Scharf- 
sinn oder  die  zufällige  Gelegenheit,  die  schnelle  Fahrt  oder 
den  Eifer  dieses  Mannes?  Vor  allem  aber  halte  ich  das 
für  das  Wunderbarste,  dass  jene  grosse  Stadt,  welche  in 
der  Weltherrschaft   120  Jahre    lang    die   Nebenbuhlereien 


150  Fünfzehntes-  Buchi 

Rom's  war,  durch  den  Beweis  eines  Stück  Obstes  zerstört 
worden  ist,  was  weder  Trebia,  noch  der  trasymenische  See 
noch  Cannä,  welche  Orte  i)  durch  die  Gräber  der  Römer 
berühmt  geworden  sind,  nicht  haben  vollbringen  können; 
auch  nicht  das  verschanzte  punische  Lager  3  Meilen  von 
Eom,  nicht  Hannibal  selbst,  der  bis  ans  collinische  Thor 
ritt.  So  viel  näher  hat  Cato  durch  jenes  Obst  Carthago 
gebracht. 

Mau  unterhält  einen  Feigenbaum,  der  auf  dem  Markt- 
und  Versammlungsplatze  zu  Rom  selbst  hervorgewachsen 
ist,  und  durch  die  darin  verborgenen  Blitze  (?),  noch  mehr 
aber  zum  Andenken  an  die  Amme  des  Romulus  und  Remus 
heilig  gehalten  und  Ruminalis  genannt  wird,  denn  unter 
demselben  fand  man  die  Wölfin,^  welche  den  Kindern  das 
Euter  2)  (so  nannte  man  die  Zitzen)  gab.  Daneben  hat 
der  Augur  Attus  Navius  diese  wunderbare  Begebenheit  in 
Erz  so  dargestellt,  als  wenn  sie  von  selbst  auf  den  Platz 
gekommen  wäre.  Er  vergeht  immer  in  Folge  einer 
Weissagung,  wird  aber  von  den  Priestern  jedesmal  wiederum 
sorgfältig  gepflanzt.  Ehemals  stand  auch  einer  vor  dem- 
Tempel  des  Saturn,  kam  aber  im  260.  Jahre  der  Stadt, 
als  die  Vestalinnen  eine  Feier  hatten,  weg,  wobei  er  das 
Standbild  des  Silvanus  umriss.  Ein  anderer,  von  selbst 
aus  der  Erde  gewachsen,  steht  mitten  auf  dem  Forum,  dav 
wo  Curtius  die  durch  ein  unglückliches  Wunderzeichen - 
sinkenden  Grundvesten  des  Reiches  durch  die  grössten 
Güter  des  Lebens  d.  i.  durch  Tapferkeit  und  Vaterlandsliebe 
und  durch  den  Tod  wieder  hergestellt  hatte.  Ebenso  be- 
finden sich  an  demselben  Orte  zufällig  ein  Weinstock  und. 
ein  Oelbaum,  welche  beide  des  Schattens  wegen  vom  Volke 
gepflanzt  sind.  Der  Altar  ist  wegen  des  vom  göttlichen 
Julius  gegebenen  Fechterspiels,  welches  jüngst  auf  dem 
Forum  gehalten  wurde,  von  da  weggenommen. 


•)  An  diesen  3  Orten  wurden  die  Römer  geschlagen. 
*)  rumen. 


Fünfzehntes  Buch.  151 

21. 

Zu  bewundern  ist  das  schnelle  Wachsen  dieser  Frucht, 
welche  einzig  unter  allen  durch  die  Kunst  eher  zur  Reife 
gelangt.  Eine  wilde  Feigenart,  welche  Caprificus  ge- 
nannt wird,  trägt  nie  reife  Früchte,  giebt  aber  andern,  was 
sie  selbst  nicht  bat,  denn  der  Uebergang  der  Wirkungen 
liegt  in  der  Natur,  und  aus  faulenden  Stoffen  wird 
wiederum  etwas  anderes  hervorgebracht.  Jener  wilde 
Feigenbaum  erzeugt  nämlich  Mücken  ^) ;  wenn  diese  in 
ihrer  Mutter  ^),  welche  in  Fäulniss  übergegangen  ist,  keine 
Nahrung  mehr  finden,  so  fliegen  sie  zu  der  verwandten  Art 
hin,  öffnen  durch  häufiges  Anbeissen,  d.  h.  durch  begieriges 
Fressen  davon  ihre  Flächen,  dringen  dann  hinein  und 
lassen  auf  diese  Weise  die  Sonnenstrahlen,  und  die  reifende 
Luft  in  das  Innere.  Sie  verzehren  dann  den  milchichten 
Saft  ,d.  h.  die  Kindheit  der  Frucht,  der  auch  von  selbst 
ausfliesst.  Man  setzt  daher  den  Caprificus  dahin,  wo  der 
Wind  nach  den  Feigengärteu  zieht,  damit  derselbe  die  aus- 
fliegenden Insekten  auf  die  Feigenbäume  bringe.  Noch 
ein  anderes  Mittel  hat  man  ausfindig  gemacht;  man  legt 
nemlich  jene,  wenn  man  sie  anderswo  her  bringt,  zusammen- 
gebunden auf  den  zahmen  Baum.  Doch  ist  diess  auf  einem 
magern  und  gegen  Norden  gelegenen  Boden  nicht  nöthig, 
weil  sie  dort  von  selbst  trocken  werden,  und  die  entstehen- 
den Risse  dieselbe  Wirkung,  wie  durch  die  Thiere  hervor- 
bringen; auch  da  nicht,  wo  viel  Staub  ist  z.  B.  neben  einer 
fahrbaren  Strasse,  denn  der  Staub  hat  ebenfalls  die  Kraft 
auszutrocknen  und  den  Milchsaft  zu  absorbiren.  Diess  Ver- 
fahren durch  Caprification  sowie  durch  Staub  hat  noch  den 
Vortheil,  dass  die  Früchte  nicht  abfallen,  wenn  ihr  zarter, 
unbeständiger  und  schwerer  Saft  verzehrt  ist. 

Die  Feigen  fühlen  sich  alle  weich  an;  im  reifen  Zu- 
stande haben  sie  Körner  3)  in  sich;     während  des  Reifens 


')  Culices.     Das  Insect  heisst:  Cynips  Psenes  L. 
=*)  Nämlich  der  Frucht  des  Capiificus. 
3)  frumenta. 


152  Fünfzehntes  Buch. 

ist  ihr  Saft  milchartig,  wenn  sie  aber  reif  sind,  honigartig. 
Sie  werden  auf  den  Bäumen  alt,  und  schwitzen  eine  gummi- 
artige Feuchtigkeit  in  Thränen  aus.  Von  den  trocknen  be- 
wahrt man  die  guten  der  Ehre  wegen  in  Kästen  auf;  die 
besten  und  grössten  kommen  von  der  Insel  Ebusus,  und 
auf  sie  folgen  die  von  den  Marrucinen.  Wo  sie  aber  in 
Menge  vorkommen,  füllt  man  Tonneu  damit  an  wie  in 
Asien,  oder  Töpfe  wie  in  der  Stadt  Ruspina  in  Afrika. 
Trocken  vertreten  sie  zugleich  die  Stelle  des  Brotes  und. 
des  Zubrotes,  denn  Cato  sagt,  da  wo  er  den  Arbeitsleuten 
auf  dem  Felde  ihre  Kost  gleichsam  gesetzlich  bestimmt, 
man  solle  sie  zur  Zeit  der  Feigenreife  vermindern.  Man 
hat  neulich  erfunden,  gesalzene  Speisen  mit  frischen  Feigen 
statt  Käse  zu  essen.  Zu  dieser  Obstart  gehören ,  wie  wir 
bereits  gesagt  haben,  die  Cottaneu  und  Caricä,  und  die  ver- 
hängnissvollen 1),  welche  dem  M.  Crassus,  als  er  wider  die 
Parther  zu  Schiffe  ging,  ein  böses  Omen  wurden,  denn  es 
rief  sie  gerade  Jemand  zum  Verkaufe  aus.  Alle  diese 
Sorten  hat  L.  Vitellius,  welcher  später  Censor  war,  in  der 
letzten  Lebenszeit  des  Kaisers  Tiberius,  aus  Syrien,  wo  er 
die  Statthalterschaft  bekleidete,  in  das  albanische  Gebiet 
gebracht. 

22. 
Den  Aepfeln  und  Birnen  werden  mit  Recht  auch  die 
Mispeln  2)  und  Speierlinge  3)  beigezählt.  Von  der  Mis- 
pel giebt  es  3  Arten:  Anthedon^),  die  setanische  und  die 
gallische  "■),  welche  ausartet,  jedoch  der  erstem  ähnlich 
sieht.  Die  setanische  trägt  einen  grössern  und  weissem 
Apfel  mit  weichern  Kernen;  die  übrigen  haben  eine  klei- 
nerne,  aber  besser  riechende  und  haltbarere  Frucht.  Der 
Baum  selbst  gehört  unter  diejenigen,  welche   den  grössten 

')  caunaeae,  von  xavvoq  Loos. 

2)  Mespila.  Mespilus  germanica  L. 

3)  Sorba.  Sorbus  domestica  L. 

■*)  Anthedon.  Crataegns  tanacetifolia  Pers. 

^)  Mespilus  Chamaemespilus  L.  (?).  Die  setanische  ist  M.  ger- 
manica. 


Fünfzehntes  Buch.  I53 

Umfang  einnehmen.  Die  Blätter  werden,  bevor  sie  abfallen, 
rotii;  die  Wurzeln  sind  in  zahlreicher  Menge  vorhanden 
und  gehen  so  tief,  dass  man  sie  nicht  ausrotten  kann.  Zu 
den  Zeiten  Cato's  war  dieser  Baum  in  Italien   noch  nicht. 

23. 
Von  den  Speierlingen  hat  man  4  verschiedene  Arten ; 
einige  sind  nämlich  rund  wie  ein  Apfel,  andere  kreisei- 
förmig wie  die  Birne,  einige  eirund  i)  wie  manche  Aepfel. 
Letztere  werden  leicht  sauer.  Im  Geruch  und  Geschmack 
sind  die  runden  am  besten;  die  übrigen  haben  einen  Wein- 
geschmack. Am  edelsten  sind  diejenigen,  deren  Stiele  mit 
zarten  Blättern  umgeben  sind.  Die  vierte  Art  heisst  die 
Grimmbeere  2);  sie  dient  wahrscheinlich  nur  zu  Arzneien, 
trägt  beständig,  hat  die  kleinste  Frucht  und  sieht  den  an- 
dern nicht  ähnlich,  denn  ihr  Blatt  gleicht  dem  der  Platane. 
Keine  von  diesen  Arten  trägt  vor  dem  dritten  Jahre.  Cato 
sagt,  die  Speierlingsäpfel  würden  auch  im  gesottenen  Wein 
eingemacht. 

24. 
Auf  diese  folgen  nun  zunächst  ihrer  Grösse  wegen  die 
welschen  Nüsse  ^),  stehen  ihnen  aber  an  Werth  nach, 
obgleich  sie  bei  den  muthwilligen  Hochzeitsgesängen  ^)  eine 
Rolle  spielen.  Sie  sind  weit  kleiner  als  die  ganze  Pinien- 
frucht, jedoch  übertrifft  ihr  Kern  den  der  letztern.  Auch 
hat  ihnen  die  Natur  den  besondern  Vorzug  verliehen,  eine 
doppelte  Schale  zu  besitzen,  nemlich  eine  äussere  weiche, 
und  eine  innere  holzige.  Aus  diesem  Grunde  haben  sie 
eine  heilige  Bedeutung  bei  Hochzeiten  bekommen,  weil  die 
Frucht  im  Mutterleibe  ebenso  vielfach  geschützt  wird,  und 


>)  Hier  scheint  Crataegus  Oxyacantha  L.  gemeint  zu  sein,  wäh- 
rend die  kugeh-unden  und  kreiseiförmigen  zu  Sorbus  domestica  ge- 
hören. 

-}  Torminalis.  Crataegus  torminalis  L.  Der  Elzbeerbaum. 

3)  Nuces  juglandes.  luglans  regia  L. 

*)  Nuptiales  Fascennini,  so  genannt  von  Fescenna,  einer  Stadt 
in  Etrurien,  welche  wegen  ihrer  muthwilligen,  schäckerhaften,  auch 
theils  unzüchtigen  Gedichte  und  Lieder  bekannt  war. 


154  Fünfzehntes  Buch. 

diess  ist  wahrscheinlicher,  als,  weil  sie  beim  Fallen  springen 
und  Geräusch  machen.  Dass  sie  ebenfalls  von  den  Königen 
aus  Persien  zu  uns  gebracht  sind,  beweisen  die  griechischen 
Namen,  denn  die  beste  Art  heisst  die  persische  und  könig- 
liche, und  hierait  bezeichnete  man  sie  am  frühesten.  All- 
gemein nimmt  man  an,  dass  sie  wegen  der  Beschwerde, 
welche  ihr  starker  Geruch  dem  Kopfe  verursacht,  Caryon 
genannt  worden  ist.  Mit  ihrer  Schale  färbt  man  Wolle, 
und  mit  den  eben  hervorkommenden  Nüsschen  macht  man 
das  Haar  braun,  ein  Verfahren,  auf  welches  man  durch 
das  Braunwerden  der  Hände,  worin  man  die  Früchte  hält, 
kam.     Durchs  Alter  werden  sie  fetter. 

Der  ganze  Unterschied  der  Arten  besteht  in  der  harten 
oder  zerbrechlichen,  dünnen  oder  dicken,  mehrfächrigen 
oder  einfachen  Schale.  Es  ist  die  einzige  Frucht,  welche 
die  Natur  mit  aufeinander  passenden  Deckeln  verschlossen 
hat,  denn  die  Schale  theilt  sich  in  2  nachenartige  Hälften, 
der  Kern  ist  vierfach  getheilt  und  von  hölzernen  Häuten 
durchzogen.  Bei  den  übrigen  Nüssen  ist  die  Schale  durch- 
aus fest,  und  der  Kern  ein  Ganzes,  wie  z.  B.  bei  den 
Haselnüssen!)  und  derjenigen  Art,  welche  früher  nach 
ihrem  Vaterlande  abellinische  genannt  wurden.  Andere 
sind  aus  Pontus  nach  Asien  und  Griechenland  gekommen 
und  deshalb  pontische  Nüsse  genannt  worden.  Diese  um- 
giebt  noch  ein  weicher  Bart,  allein  Schale  und  Kern  bilden 
jeder  ein  rundes  Ganze.  Sie  werden  auch  geröstet.  Ihr 
Nabel  ist  mitten  am  Bauche.  Eine  dritte  Art  sind  die 
Mandeln 2),  deren  äusserste  Bedeckung  derjenigen  der 
Nussschale  gleich,  aber  dünner  ist.  Auch  ihre  zweite 
Schale  gleicht  derjenigen  bei  der  Nuss.  Der  Kern  ist  ihr 
wegen  seiner  Breite  unähnlich  und  hat  eine  bittere  Haut. 
Ob  dieser  Baum  zu  Cato's  Zeiten  schon  in  Italien  gewesen 
sei,  ist  ungewiss,  denn  er  nennt  seine  Früchte  griechische 
Nüsse,    mit    welchem  Namen   Einige    auch    die    welschen 


•)  Avellanae.  Corylus  Avellana  L. 
*)  Amj^gdali.  Amygdalus  communis  L. 


Fünfzehntes  Buch»  155> 

Nüsse  noch  belegen.  Er  führt  ausserdem  noch  die  Hasel- 
nüsse, die  Galbae  und  pränestinischen  an,,  welche  letztere 
er  am  meisten  lobt  und  von  denen  er  anführt,  man  thue 
sie  noch  grün  in  Töpfe  und  vergrabe  diese  in  die  Erde.. 
Jetzt  rühmt  man  die  thasischen,  albensischen  und  2  Arten 
der  tarentinischen  mit  zerbrechlicher  und  harter  Schale, 
welche  zugleich  die  grössten  und  am  wenigsten  runden 
sind.  Es  giebt  ferner  dünnschalige,  deren  Schale  berstet. 
Einige  erweisen  ihnen  grosse  Ehre,  indem  sie  sie  ^)  Jupiters- 
Eichel  nennen.  Kürzlich  sagte  mir  ein  Consular,  er  habe 
auch  welsche  Nussbäume,  die  zweimal  im  Jahre  trügen. 
Von  den  Pistacien  und  den  Nussarten  selbst  ist  schon  die 
Rede  gewesen  2);  diese  brachte  zu  derselben  Zeit  eben  jener 
Vitellius  3)  nach  Italien,  und  der  römische  Ritter  Fla'ccus 
Pompejus,  welcher  mit  ihm  diente,  nach  Spanien. 

25. 
Auch  die  Kastanien*)  nennen  wir  Nüsse,  obgleich: 
sie  eher  zu  den  Eicheln  gehören.  Sie  sind  von  einer  stach- 
lichen  Hülle  umgeben,  während  die  Eicheln  nur  zum  Theil' 
umhüllt  werden.  Man  muss  sich  wundern,  dass  die  Natur 
die  gemeinste  Frucht  so  sorgfältig  verwahrt  hat.  Eine 
Hülle  enthält  zuweilen  3  Kerne,  deren  jede  eine  zähe  Rinde 
umgiebt.  Aber  die  dem  Kerne  nächste  Haut  verdirbt  bei 
diesem  wie  bei  den  Nüssen  den  Geschmack,  wenn  sie 
nicht  abgezogen  wird.  Es  ist  besser,  sie  zum  Speisen  zu 
rösten;  auch  werden  sie  gemahlen,  und  beim  Fasten  der 
Frauen  vertreten  sie  die  Stelle  des  Brotes.  Die  ersten 
kamen  aus  Sardes;  sie  heissen  daher  bei  den  Griechen, 
sardianische  Eicheln  und  den  durch  Cultur  verbesserten 
gaben  sie  später  den  Namen  Jupiters-Eichel.    Jetzt  giebt 


')  Die  welschen  Nüsse. 

2)  Im  XIII.  B.  10.  Cap. 

^)  Plinius  meint  wahrscheinlich  den  kurz  vorher  genannten  Con- 
sular. Lucius  Vitellius  war  34  n.  Chr.  Consul,  dann  Proconsul  ia 
Syrien. 

-*)  Castaneae.  Castanea  vesca.  Gaertn. 


156  Fünfzehntes  Buch. 

es  mehrere  Arten  davon.  Die  tarentinisehen  sind  leicht, 
gut  zu  verdauen  und  flach  von  Gestalt.  Die  sogenannte 
Balanitis  ist  runder,  springt  von  selbst  heraus  und  lässt 
sich  am  leichtesten  reinigen.  Unter  ihnen  ist  die  salaria- 
nische  auch  rein  und  flach,  die  tarentinische  nicht  so  gut; 
besser  ist  die  corellianische  und  die  von  ihr  auf  die  beim 
Propfen  angezeigte  Weise  abstammende  eterejanische  mit 
röthlicher  Schale,  welche  den  dreieckigen  und  gemeinen 
schwarzen,  die  Kochkastanien  heissen,  vorgezogen  werden. 
Das  Vaterland  der  besten  ist  Tarent  und  Neapel  in  Cam- 
panien.  Die  übrigen,  welche  auch  zwischen  den  Kernen 
Rinde  haben,  dienen  zum  Füttern  der  Schweine. 

26. 

Das  süsse  Johannisbrot  i)  möchte  hievon  nicht  sehr 
verschieden  sein,  nur  isst  man  bei  diesem  die  Schale  selbst 
mit.  Es  hat  die  Länge  eines  menschlichen  Fingers,  ist 
zuweilen  sichelförmig  gekrümmt,  und  einen  Daumen  breit. 
Die  Eicheln  kann  man  nicht  unter  das  Obst  rechnen,  wir 
wollen  deshalb  besonders  von  ihnen  reden. 

27. 

Die  übrigen  Obstarten  sind  fleischig,  und  unter- 
scheiden sich  durch  ihre  Beeren  und  ihr  Fleisch.  Anders 
ist  das  Fleisch  bei  Traubenbeeren  2),  Maulbeeren,  Meer- 
kirschen 3);  anders  bei  erstem  zwischen  der  Haut  und  dem 
Safte,  anders  bei  den  Sebesten  und  den  den  Oliven  ähn- 
lichen Früchten.  Die  Maulbeeren 4)  haben  einen  weinigen 
Saft  in  ihrem  Fleische,  und  eine  dreifache  Farbe,  zuerst 
die  weisse,  dann  die  rothe  und,  wenn  sie  reif  sind,  die 
schwarze.  Sie  blühen  am  spätesten  und  werden  am  frühe- 
sten reif.  Der  Saft  der  reifen  färbt  die  Hände,  der  der 
unreifen  macht  sie  wieder  rein.  Der  Erfindungsgeist  hat 
bei  diesem  Baume  am  wenigsten  geleistet,  weder,  was 
Namen,  noch  Propfen,  noch  etwas  Anderes  anbelangt;  bloss 


*)  Praedulces  siliquae.  Ceratoaia  Siliqua  L. 

2)  acini.     ^)  unedones. 

*)  Mori.  Morus  alba  L.  nigra  L. 


Fünfzehntes  Buch.  15T' 

die  Grösse  der  Früchte  hat  mau  vermehrt.  In  Rom  unter- 
scheidet man  die  ostiensischen  und  tusculanischen.  Es 
wachsen  auch  deren  auf  den  Brombeersträuchen  i),  sind 
aber  durch  die  Haut  unterschieden. 

28. 
Von  anderer  Beschaffenheit  sind  die  Erdbeeren  ^), 
sowie  die  ihnen  verwandten  Meerkirschen  3),  welche 
das  einzige  Obst  sind,  das  einer  Erdfrucht^)  gleicht.  Der 
Baum  selbst  ist  strauchig.  Die  Frucht  wird  in  einem  Jahre 
reif;  während  die  eine  blühet,  reift  die  andere.  Ob  der 
männliche  oder  weibliche  Stamm  unfruchtbar  sei,  darüber 
sprechen  sich  die  Schriftsteller  nicht  bestimmt  aus.  Diese 
Frucht  wird  nicht  geachtet,  denn  sie  hat  ihren  Namen 
(unedo)  davon  bekommen,  dass  man  nur  eine  davon  essen 
solle.  Jedoch  geben  ihnen  die  Griechen  2  Namen,  Cornaron 
und  Memecylon,  woraus  hervorgeht,  dass  es  auch  2  Arten 
davon  giebt.  Der  andere  bei  uns  gebräuchliche  Name  ist 
Arbutus.     Nach   Juba   soll   es   in  Arabien   50  Ellen   hohe 

geben. 

29. 

Es  giebt  auch  sehr  verschiedene  Traubenbeeren  ^).. 
Zuerst  unter  den  Weinbeeren  selbst  hinsichtlich  der  Zart- 
heit und  Dicke  der  Haut,  des  Innern  Holzkerns,  der  bei 
einigen  klein,  bei  andern  selbst  doppelt  ist,  und  diese 
letztern  geben  sehr  wenig  Most.  Am  meisten  unterschieden 
sind  die  Epheu-  und  Hollunderbeerenj  der  Gestalt  nach 
auch  die  Granatbeeren,  welche  allein  eckig  sind.  Eine 
jede  hat  auch  nur  eine  Haut,  die  weiss  ist.  Sie  bestehen, 
namentlich  diejenigen,  welche  nur  einen  kleinen  Kern  haben, 
ganz  aus  Saft  und  Fleisch. 

Auch  bei  den  einzelnen  Beeren^)  findet  grosse  Ver- 


*)  Rubi.  Rubus  fruticosus  L. 

2)  Fraga  teiTestria.  Fragaria  vesca  L. 

3)  Unedones.  Arbutus  Unedo  L. 

■*)  D.  h.  der  Frucht  einer  kleinen  krautartigen  Pflanze. 
*)  acini. 
*)  baccae. 


'9.58  Fünfzehntes  Buch. 

sehiedenheit  statt.  Andere  hat  der  Oelbaum,  der  Lorbeer, 
der  Lotus,  der  Kornelkirsclienbaum,  die  Myrte,  der  Lentis- 
-iius.  Die  der  Stechpalme  und  des  Dornbaums  sind  saftlos'; 
die  Kirschen  aber  stehen  mitten  zwischen  den  Trauben 
und  einzelnen  Beeren.  Die  genannten  Bäume  haben  zuerst 
eine  weisse  Frucht  und  fast  alle  einzelne  Beeren;  bei  ei- 
nigen wird  sie  bald  darauf  grün,  wie  bei  den  Oliven  und 
Lorbeeren,  bei  andern  aber  roth,  wie  bei  den  Maulbeeren, 
Kirschen  und  Kornelkirschen,  hierauf  bei  den  Maulbeeren, 
Kirschen  und  Oliven  schwarz. 

30. 
Die  Kirscheubäume  ^)  waren  vor  dem  Siege  des 
L.  Lucullus  über  Mithridates  noch  nicht  in  Italien.  Lucullus 
brachte  sie  im  680.  Jahre  der  Stadt  zuerst  aus  Pontus  mit, 
und  120  Jahre  später  kamen  sie  über  den  Ocean  bis  nach 
Britannien.  In  Aegypten  hat  man  sie,  wie  schon  erwähnt, 
nicht  acclimatisiren  können.  Die  apronianischen  Kirschen 
sind  am  röthesten,  die  lutatischen  am  schwärzesten,  die 
cäcilianischeu  aber  zugleich  rund.  Die  junianischen  schmecken 
angenehm,  aber  fast  nur  unter  ihrem  Baume,  denn  sie  lei- 
den, ihrer  Zartheit  wegen,  durch  den  Transport.  Den  ersten 
Rang  behaupten  die  harthäutigen,  welche  mau  in  Cam- 
panien  die  plinianischen,  in  Belgien  die  lusitanischen  nennt. 
An  den  Ufern  des  Eheins  giebt  es  auch  welche  von  einer 
dritten  Farbe,  nemlich  aus  schwarz,  roth  und  grün  gemischt, 
gleichsam  als  ob  sie  stets  reiften.  Es  sind  noch  keine 
5  Jahre  her,  dass  die  sogenannten  Lorbeerkirscheu,  welche 
auf  Lorbeerbäume  gepropft  werden,  und  angenehm  bitter 
schmecken,  aufgekommen.  Es  giebt  auch  macedonische  '^), 
von  einem  kleineu,  selten  über  3  Ellen  hohen  Baume,  und 
die  Zwergkirschen  ^)  von  einem  noch  kleinern  Strauche. 
Dieses  Obst  gehört  vorzüglich  unter  diejenigen,  welche  dem 
Landmann  jährlich  eine  reichliche  Erndte  bringen.    Es  liebt 


*i  Ceiasi.  Prunus  Cerasus  L.  und  Prunus  avium  L. 

-)  Prunus  Mahaleb  L. 

•*j  ChamaecerasT.  Prunu.s  prostrata  Bill. 


Fünfzehntes  Buch.  159 

die  Nordseite  und  kalte  Lage,  wird  auch  an  der  Sonne 
getrocknet,  und,  gleich  wie  die  Oliven,  in  Töpfe  einge- 
macht. 

31. 

Dieselbe  Sorgfalt  verwendet  man  auf  die  Kornel- 
kirsche  1)  und  den  Mastixbaum  2),  damit  es  den  Anschein 
habe,  dass  alles  für  den  menschlichen  Leib  geschaffen  sei. 
Man  mischt  verschieden  schmeckende  Dinge  zusammen,  und 
das  eine  muss  das  andere  verbessern.  Aber  selbst  Länder 
und  verschiedene  Himmelsstriche  werden  vermischt.  Zu 
einer  Art  Speise  wird  Indien,  zu  einer  andern  Aegypten, 
Greta,  Cyrene  und  andere  Länder  in  Anspruch  genommen. 
Der  Mensch  greift  selbst  zu  Giften,  um  nur  alles  zu  ver- 
schlingen. Diess  wird  sich  bei  Beschreibung  der  Kräuter 
iioch  deutlicher  herausstellen. 

32. 

Inzwischen  findet  man  13  Arten  des  Geschmackes, 
welche  dem  Obste  und  allen  Säften  zukommen:  den 
süssen,  angenehmen,  fetten,  bittern,  herben,  scharfen,  stechen- 
den, strengen,  sauren,  salzigen.  Die  übrigen  3  sind  von 
wunderbarer  Beschaffenheit.  Einer,  in  welchen  mau  mehreres 
zugleich  zu  schmecken  glaubt,  wie  z.  B.  beim  Weine;  denn 
in  ihm  findet  mau  den  herben,  stechenden,  süssen  und  au- 
genehmen —  lauter  einander  fremdartige  —  vereinigt.  Der 
zweite  ist  derjenige,  in  welchem  sich  zwar  auch  ein  fremd- 
artiger, aber  auch  ein  eigener  und  besonderer  Geschmack 
befindet,  wie  z.  B.  in  der  Milch,  denn  sie  enthält  etwas, 
was  streng  genommen  weder  süss,  noch  fett,  noch  auge- 
nehm genannt  werden  kann,  und  das  Milde,  was  dem  Ge- 
schmacke  folgt  und  seine  Stelle  vertritt,  waltet  vor.  Keine 
von  diesen  Arten  besitzt  das  Wasser,  nicht  einmal  einen 
saftigen,  jedoch  schmeckt  es  nach  etwas,  und  bildet  daher 
eine  eigeue  Art.  Es  ist  sogar  ein  Fehler,  wenn  das  Wasser 
irgend    einen   Geschmack    besitzt.     Bei    allen    diesen    Ge- 


')  Com  US  uiascula  L.     -)  Lentiscu?.  Pistaria  Lentiscus  L. 


160  Fünfzehntes  Buch. 

schmäcken  spielt  der  Geruch  eine  bedeutende  Rolle,  und 
beide  stehen  in  genauer  Verwandtschaft  zu  einander.  Das 
"Wasser  hat  auch  keinen  Geruch,  und  taucht  nicht,  wenn 
es  riecht.  Merkwürdigerweise  sind  die  3  vornehmsten  Ele- 
mente der  Natur,  Wasser,  Luft  und  Feuer,  geschmack-  upd 
geruchlos. 

33. 
Einen  weinigen  Saft  haben  die  Birnen,  Maulbeeren  und 
Myrten;  die  Weintrauben  (was  zu  bewundern  ist)  am  we- 
nigsten. Fett  ist  er  bei  den  Oliven,  Lorbeeren,  welschen 
Nüssen,  Mandeln;  süss  bei  den  Weinbeeren,  Feigen,  Datteln; 
wässrig  bei  den  Pflaumen.  Auch  in  ihrer  Farbe  sind  die 
Säfte  verschieden.  Blutroth  ist  er  bei  den  Maulbeeren, 
Kirschen,  Kornelkirschen,  schwarzen  Weinbeeren;  weiss 
aber  bei  den  weissen  Weinbeeren.  Im  obern  Theile  der 
Feige  ist  er  milchig,  nicht  aber  in  der  Mitte;  schaumähn- 
lich bei  den  Aepfeln,  ungefärbt  bei  den  Pfirsichen,  unter 
denen  die  harthäutigen  sehr  saftreich  sind;  aber  Wer  wird 
diesen  nach  irgend  einer  Farbe  benennen  können?  Auch 
hinsichtlich  des  Geruchs  findet  sich  manches  Merkwürdige. 
Die  Aepfel  haben  einen  stechenden,  die  Pfirsiche  einen 
schwachen,  die  süssen  Früchte  gar  keinen  Geruch;  auch 
der  süsse  Wein  ist  geruchlos,  der  dünne  dagegen  riecht 
schon  weit  mehr,  und  dringt  schneller  in  die  Nase  als  die 
fetten  Sorten.  Früchte,  welche  stark  riechen,  empfehlen 
sich  nicht  durch  den  Geschmack,  denn  Geruch  und  Ge- 
schmack sind  nicht  ein  und  dasselbe.  Daher  haben  die 
Citronen,  welche  sehr  durchdringend  riechen,  einen  äusserst 
rauhen  Geschmack;  die  Quitten  gewissermaassen  auch. 
Die  Feigen  riechen  gar  nicht. 

34. 
Soweit  von  den  Arten  des  Obstes;  wir  wollen  nun 
noch  ihre  verschiedene  Beschaffenheit  etwas  kürzer 
zusammen  fassen.  Einige,  die  an  sich  süss  sind,  aber 
einen  bittern  Samen  einschliessen,  wachsen  in  Schoten; 
während  in  den  meisten  Früchten  die  Samen  verwendet 
werden,    verwirft    man    die    in    den   Schoten    befindlichen. 


Fünfzehn tes  Bück  161 

-Andere  biMen  Beeren,  bei  den«n  inwendig  ein  Holzkern, 
aussen  das  Fleisch  ist,  wie  bei  den  Oliven  und  Kirschen; 
bei  einigen  ist  innen  der  weiche,  aussen  der  harte  Theil, 
z,  B.  diejenigen,  welche,  wie  wir  gesagt  haben,  in  Aegypten 
wachsen.  Wie  die  Beeren,  so  sind  auch  die  Aepfel  be- 
schaffen. Bei  einigen  ist  inwendig  das  Fleisch,  auswendig  der 
Holzkern,  z.B.  den  Nüssen;  bei  andern  aussen  das  Fleisch,  innen 
das  Holz,  wie  bei  den  Pfirsichen  und  Pflaumen;  hier  ist  das 
Unnütze  von  der  Frucht  umgeben,  während  sonst  das  Un- 
' nütze  die  Frucht  umgiebt.  Die  Nüsse  sind  in  eine  harte 
Schale,  die  Kastanien  in  eine  lederartige  Hülle  einge- 
schlossen; diese  zieht  man  sich  vorher  ab,  aber  bei  den 
Mispeln  wird  sie  mitgegessen.  Die  Eicheln  umgiebt  eine 
Kruste,  die  Weinbeeren  eine  Haut,  die  Granatäpfel  eine 
lederartige  Hülle  und  dünne  Haut.  Die  Maulbeeren  be- 
stehen aus  Fleisch  und  Saft,  die  Kirschen  aus  Haut  und 
Saft.  Einige  sondern  sich  gleich  vom  Kerne,  wie  die  Nüsse 
und  Datteln;  andere  sitzen  fest  daran,  wie  die  Oliven  und 
Lorbeeren.  Bei  einigen,  z.  B.  den  Pfirsichen,  trifft  man 
beides,  denn  die  harthäutige  sitzt  fest,  und  lässt  sich  nicht 
von  dem  Steine  ablösen,  die  übrigen  aber  trennen  sich 
leicht  davon.  Einige  haben  weder  innen  noch  aussen  Holz, 
wie  z.  B.  manche  Palmfrüchte.  Bei  andern  wird  der  Kern 
selbst  als  Obst  benutzt,  z.  B.  bei  derjenigen  Art  Mandeln, 
welche,  wie  oben  gesagt,  in  Aegypten  wächst.  Bei  einigen, 
z.  B.  den  Kastanien,  Mandeln  und  welschen  Nüssen,  findet 
man  2  äussere,  nutzlose  Decken.  Einige  bestehen  aus 
3  Theilen,  dem  Fleische,  dem  darauf  folgenden  Steine  und 
dem  in  diesem  befindlichen  Samen,  z.  B.  die  Pfirsiche. 
Einige  sitzen  zahlreich  beisammen,  wie  die  Weinbeeren  und 
Speierlinge,  welche  die  Aeste  umgeben,  und  überall  in 
Trauben  herabhängen.  Andere  wachsen  einzeln,  wie  die 
Pfirsiche.  Einige  befinden  sich  in  einer  Hülle,  wie  die  Gra- 
naten; andere  hängen  an  Stielen,  wie  die  Birnen;  andere 
an  Kämmen,  wie  die  Weinbeeren  und  Palmfrüchte ;  andere 
an  Stielen  und  Kämmen,  wie  die  Epheu-  und  Hollunder- 
beeren;    andere  an   Zweigen,   wie   die   Lorbeeren;  andere 

Wittstein:  Plinius.     III.  Bd.  H 


162  Fünfzehntes  Buch. 

auf  beiderlei  Art,  wie  die  Oliven,  denn  sie  haben  kurze- 
und  lange  Stiele.  Einige  enthalten  Samenkapseln  wie  die 
Granaten,  Mispeln  und  der  Lotus  in  Aegypten  und  am 
Euphrat. 

Die  Güte  der  Früchte  ist  sehr  verschieden  und  auf 
eben  so  mannigfaltige  Weise  empfehlen  sie  sich.  An  den 
Datteln  liebt  man  das  Fleisch,  an  den  thebaischen  die 
Schale,  an  den  Weinbeeren  und  Caryoten  i)  den  Saft,  an 
den  Birnen  und  Aepfeln  die  harte  Haut,  an  den  Honig- 
äpfeln das  Fleisch,  an  den  Maulbeeren  das  Knorpelige,  an 
den  Nüssen  den  Kern,  an  einigen  Früchten  Aegyptens,  z.  B. 
den  Feigen,  die  Haut.  Letztere  zieht  man,  wie  eine  Schale, 
den  grünen  Feigen  ab,  und  an  den  trocknen  schätzt  man 
sie  am  meisten.  An  der  Papierpflanze,  der  Ferula  und 
dem  weissen  Dornstrauche  ist  der  Stengel  selbst  das  Obst.. 
Es  giebt  auch  feigenartige  Stengel.  Unter  den  Sträuchern 
ist  es  die  Kapper,  bei  welche  der  Stiel  die  Frucht  be- 
gleitet; was  wird  aber  an  den  Schoten  anderes,  als  Holz, 
gegessen?  Hiebei  dürfen  wir  die  Beschaffenheit  ihrer  Samen 
nicht  zu  erwähnen  vergessen,  denn  man  kann  sie  weder 
Fleisch,  noch  Holz,  noch  Knorpel  nennen,  noch  einen  an- 
dern Namen  für  sie  ausfindig  machen. 

35. 

Besondere  Bewunderung  verdient  der  Saft  in  der 
Myrte  2),  denn  er  ist  der  einzige,  woraus  2  Sorten  Oel  und 
Wein  bereitet  werden;  auch  geht  er  in  das  schon  erwähnte 
Myrtidanum^)  ein.  Der  Beeren  bedienten  sich  die  Alten, 
ehe  der  Pfeffer  bekannt  wurde,  an  dessen  Statt,  und  daher 
schreibt  sich  der  Name  eines  köstlichen  Zugemüses,  welches 
noch  jetzt  das  myrtenhaltige  genannt  wird.  Ferner  beruht 
hierauf  der  gepriesene  Wohlgeschmack  des  wilden  Schweine- 
fleisches, denn  zu  der  Sauce  setzte  man  meistentheils  Myrte. 

36. 

Der  Myrtenbaum  soll  in  dem  diesseitigen  Theile 
Europa's,   welcher   von   den   ceraunischen  Bergen   anfängt,. 

')  Eine  Art  grosser  Datteln,  wie  Nüsse  aussehend. 
2)  Myrtus  communis  L.     3)  XIV.  B.  19.  Cap. 


Fünfzehntes  Buch.  163 

zuerst  zu  Civceji  auf  dem  Grabe  Elpenor's  i)  gesehen 
worden  sein;  er  hat  seinen  griechischen  Namen  behalten, 
ein  Beweis,  dass  er  ein  Fremdling  ist.  Wo  jetzt  Rom  steht, 
war  er  schon,  als  die  Stadt  gebauet  wurde;  man  berichtet 
nemlich,  die  Römer  und  Sabiner  wären,  als  sie  wegen  der 
geraubten  Jungfrauen  hätten  streiten  wollen,  nach  Ablegung 
der  Waffen  an  demselben  Orte,  wo  jetzt  die  Bildnisse  der 
cluacinischen  Venus  stehen,  durch  einen  geheiligten  Myrten- 
zweig gereinigt;  cluere  nannten  aber  die  Alten  reinigen. 
An  diesem  Baume  befindet  sich  auch  eine  Art  Rauchwerk. 
Man  wählte  denselben  damals  deshalb ,  weil  Venus  sowohl 
die  Ehen  als  auch  diesen  Baum  schützt.  Ich  weiss  nicht, 
ob  er  nicht  unter  allen  zuerst  aus  Anlass  einer  Weissagung 
und  merkwürdigen  Vorbedeutung  an  öffentliche  Orte  Rom's 
gepflanzt  ist.  Unter  die  ältesten  Tempel  gehört  nemlich 
der  des  Quirinus,  d.  i.  des  Romulus;  vor  demselben  standen 
lange  Zeit  hindurch  2  heilige  Myrten,  von  denen  die  eine 
die  patricische,  die  andere  die  plebejische  genannt  wurde. 
Viele  Jahre  hindurch,  so  lange  der  Senat  im  Flore  stand, 
hatte  die  patricische  den  Vorzug,  denn  sie  wuchs  üppig 
und  lebhaft  heran,  während  die  plebejische  dürr  und  unan- 
sehnlich war.  Als  diese  sich  aber  im  marsischen  Kriege 
wieder  erholte,  wurde  die  andere  gelb,  und  auch  die  Sena- 
toren verloren  am  Ansehen;  kurz  nachher  welkte  der  statt- 
liche Baum  und  ward  dürre.  Es  gab  auch  einen  alten 
Altar,    welcher    der   Venus   Myrtea,    welche  jetzt  Murcia 

heisst,  geweihet  war. 

37. 
Gate  nennt  3  Arten  der  Myrte,  die  schwarze,  weisse 
und  die  eonjugulische  (vielleicht  so  genannt  von  den  Heit 
rathen'-),  welche  zu  jener  clucianischen  gehört.  Jetzt  theil- 
man  sie  auch  noch  anders  ein,  nemlich  in  zahme  und 
wilde,  und  bei  beiden  unterscheidet  man  wieder  die  breit- 
blättrigen.   Unter  die  wilden  gehört  besonders  der  Myrten- 


*)  Gefährte  des  Ulysses,   schlief  betrunken   auf  dem  Dache  des 
Palastes  der  Circe,  fiel  herunter  und  starb.      -)  conjugia. 

11* 


164  Fünfzehntes  Buch. 

dorn').  Die  zabineu  Arten  verdanken  ihr  Entstehen  den 
Kunstgärtnern,  als  die  tarentinische  mit  kleinen  Blättern; 
die  unsrige  mit  breiten;  die  sechsreihige  mit  den  dichte- 
sten, denn  sie  bilden  6  Reihen.  Letztere  wird  nicht  ge- 
braucht; die  beiden  andern  sind  ästig.  Ich  glaube  die  con- 
jugulische  heisst  jetzt  die  unsrige.  Die  Myrte  riecht  in 
Aegypteu  am  schönsten.  Cato  hat  uns  gelehrt,  aus  der 
schwarzen  einen  Wein  zu  bereiten;  man  solle  sie  uemlich 
im  Schatten  völlig  austrocknen  und  dann  in  Most  thun. 
Wenn  die  Beeren  nicht  zuvor  getrocknet  würden,  erzeuge 
sich  daraus  Oel.  Nachher  hat  man  erfunden,  aus  der 
weissen  einen  weissen  Wein  zu  machen,  wenn  man  2  Sex- 
tarius  davon  stösst,  in  3  Hemina  Wein  einweicht  und  aus- 
presst.  Die  getrockneten  Blätter  gebraucht  man  zu  Pulver 
gestossen  als  Heilmittel  für  Geschwüre  am  menschlichen 
Körper;  diess  Pulver  ist  etwas  beissend  und  kühlt  den 
Schweiss  ab.  Ja  selbst  das  Oel  hat  merkwürdigerweise 
einen  weinartigen  Geschmack,  und  besitzt  in  hohem  Grade 
die  Eigenschaft,  den  Wein  zu  verbessern,  wenn  die  Seihe- 
tücher vorher  damit  durchfeuchtet  sind.  Es  enthält  nem- 
lich  Satz  2),  lässt  daher  nur  die  reine  Flüssigkeit  hindurch- 
gehen, und  verleihet  letzterer,  indem  es  sich  damit  ver- 
einigt, einen  sehr  angenehmen  Geschmack.  Dünne  Zweige 
davon  in  der  Hand  gehalten  leisten  einem  Fussgänger  auf 
langem  Wege  gute  Dienste.  Ja,  Ringe  die  aus  seinen 
lleiseru  geflochten  sind,  heilen,  wenn  kein  Eisen  daran  ist, 
die  Geschwulst  der  Schamtheile. 

38. 
Auch  bei  Kriegsangelegenheiten  wird  die  Myrte  ge- 
braucht.   Als   Postumius   Tubertus   (der   erste   welcher  zu 
Pferde  in  Rom  einzog  ^),   weil  er  den  Krieg  milde,   ohne 


•)  Oxymyi-sine.  Ruscus  aculeatus  L. 

2)  faeces. 

3)  ovans.  Eine  ovatio,  kleiner  Triumph,  war  ein  solcher,  wo 
der  Feldherr  nach  erhaltenem  Siege  nur  zu  Pferde  oder  zu  Fuss 
seinen  Einzug  hielt,  und  einen  MjTtenkranz  auf  dem  Kopfe  hatte. 


Fünfzehntes  Buch.  165 

Blutvergiessen  geführt  hatte)  währeud  seines  Consulats 
über  die  Sabiner  Triumph  hielt,  war  er  mit  einer  Myrte 
der  Venus  Victrix  bekränzt,  und  machte  dadurch  auch  den 
Feinden  diesen  Baum  wünschenswerth.  Später  diente  er 
zum  Kranze  der  kleineu  Triumphatoreu,  mit  Ausnahme 
des  M.  Crassus,  der  nach  dem  Siege  über  die  Flüchtlinge 
und  den  Spartacus  mit  einem  Lorbeerkranze  einzog.  Ma- 
surius  erzählt,  auch  die  im  Wagen  Triumphirenden  hätten 
Myrtenkränze  getragen.  Nach  L.  Piso's  Berichte  pflegte 
Papirius  Maso,  welcher  zuerst  auf  dem  albanischen  Berge 
über  die  Corsen  triumphirte,  mit  Myrte  bekränzt  die  cir- 
censischen  Spiele  anzusehen.  Diess  war  der  Grossvater 
des  zweiten  Afrikanus  mütterlicher  Seite.  Marcus  Valerius 
trug  in  Folge  eines  Gelübdes  2,  einen  Lorbeer-  und  einen 
Myrtenkranz. 

39. 
Der  Lorbeer  1)  ist  ganz  besonders  den  Triumphen 
gewidmet,  und  bildet  gewiss  den  schönsten  Pförtner  der 
Wohnungen  der  Kaiser  und  Hohepriester;  er  allein  schmückt 
die  Häuser,  und  bewacht  die  Schwellen.  Cato  führt  2 
Arten  von  ihm  an,  den  delphischen  und  cyprischen.  Pom- 
pejus  Lenäus  2)  fügt  noch  eine  Art  hinzu,  die  er  Mustace 
nennt,  weil  er  zu  den  Kuchen 3)  gesetzt  wird;  dieser  soll 
ein  sehr  grosses,  schlaffes  und  weissliches  Blatt  haben,  der 
delphische  von  ähnlicher  Farbe,  aber  mehr  grün  sein  und 
sehr  grosse  grünrothe  Beeren  tragen.  Hiermit  wurden  die 
Sieger  zu  Delphi  und  die  Triumphatoreu  zu  Rom  gekrönt. 
Der  cyprische  soll  kurze,  schwarze,  am  Rande  schuppige 
und  krause  Blätter  haben.  Später  sind  noch  folgende 
Arten  hinzu  gekommen:  Tinus*),  worunter  Einige  den 
wilden  Lorbeer,  Andere  eine  eigne  Art  verstehen ;  und  der 
blaue  Beeren  hat.  Ferner  die  königliche,  welche  man 
jetzt  Augusta  nennt,  deren  Stamm  und  Blatt  am  grössten 
unter  allen  sind,  und  deren  Beeren  auch    keinen   rauhen 


')  Laurus.  Laurus  nobilis  L.  *)  Ein  nicht  näher  bekannter  Autor. 
•')  Mustacea.  sc.  liba.     '*)  Tinus  occidentalis  L. 


166  Fünfzehntes  Buch. 

Geschmack  besitzen.  Einige  meinen,  diese  beiden  seien 
nicht  eins,  und  sie  machen  den  königlichen  zu  einer  eige- 
nen Art  mit  längern  und  breitern  Blättern,  nennen  ferner 
einen  andern,  der  am  gemeinsten  ist  und  die  meisten 
Beeren  trägt,  den  Beerenlorbeer,  den  unfruchtbaren  aber 
(was  mich  sehr  wundert)  den  Siegeslorbeer,  weil  die 
Triumphatoren  sich  desselben  bedienten;  es  sei  denn, 
dass  diess  vom  Kaiser  Augustus  an  mit  dem  Lorbeer  auf- 
gekommen sei,  welcher,  wie  wir  noch  anführen  werden, 
ihm  vom  Himmel  gesandt  wurde,  und  der  unter  allen  die 
geringste  Höhe,  kleine  krause  Blätter  hat,  und  selten  ist. 
Hiezu  kommt  noch  in  den  Kunstgärten  der  Taxlorbeer,  aus 
dessen  Blatte  in  der  Mitte  noch  ein  kleines,  wie  ein 
Läppchen  heraus  wächst.  Ausserdem  noch  der  verschnittene, 
welcher  den  Schatten  ganz  vorzüglich  liebt,  und  im  Schatten 
sich  weithin  ausbreitet. 

Es  giebt  auch  noch  einen  wilden  strauchigen  Zwerg- 
lorbeer i);  ferner  den  alexandrinischen  2),  den  Einige  den 
idäischen,  Andere  Hipoglottion,  Danae,  Caryophyllon,  Hy- 
pelate  nennen.  Er  schickt  spannenlange  Aeste  von  der 
Wurzel  aus,  eignet  sich  für  Kunstgärten  und  zu  Kränzen, 
hat  ein  spitzeres,  weicheres  und  weisseres  Blatt  als  die 
Myrte,  und  zwischen  den  Blättern  rothe  Samen.  Er  wächst 
sehr  häufig  auf  dem  Ida  und  bei  Heraclea  in  Pontus,  je- 
doch immer  nur  auf  Bergen.  Auch  diejenige  Art,  welche 
die  lorbeerartige  ^)  heisst,  hat  mehrere  Namen;  denn  Einige 
nennen  sie  die  pelasgische,  Andere  das  Schönblatt,  Andere 
die  Alexanderskrone.  Dieser  Strauch  ist  gleichfalls  ästig, 
sein  Blatt,  welches  dicker  und  weicher  als  beim  echten 
Lorbeer  ist,  entzündet  beim  Kauen  Mund  und  Kehle;  die 
Beeren  sind  schwarzroth.  Die  Alten  führen  an,  früher  sei 
in  Corsica  keine  Art  Lorbeer  gewesen,  jetzt  wird  er  dort 
gepflanzt  und  gedeihet  auch. 


•)  Chamaedaphne.  Ruscus  hypoglossum  L. 

2)  Ruscus  h^'pophyllum  L. 

^)  Daphnoides.  Daphne  alpina  L 


Fünfzehntes  Buch.  167 

40. 
Der  Lorbeerbaum  ist  ein  Zeichen  des  Friedens,  und 
bewirkt  selbst,  wenn  man  ihn  unter  bewaffneten  Feinden 
vorzeigt,  Ruhe,  Bei  den  Kömern  namentlich  wird  er  als 
Freuden-  und  Siegesbote  an  die  Briefe,  sowie  an  die 
Lanzen  und  Öpiesse  der  Soldaten  gesteckt.  Auch  ziert  er 
die  Gerichtsbündel  der  Kaiser.  Von  diesen  wird  er  in 
den  Schooss  des  grossen  Jupiter  niedergelegt,  so  oft  ein 
neuer  Sieg  Freude  verkündigt,  Diess  geschieht  aber  nicht, 
weil  er  beständig  grünt  oder  der  Friedensbote  ist,  denn  in 
beiden  Stücken  musste  ihm  der  Oelbaum  vorgezogen 
werden,  sondern  weil  er  der  ansehnlichste  Baum  auf  dem 
Berge  Parnassus  ist.  Aus  demselben  Grunde  liebt  ihn  auch 
Appollo,  dem  nach  L.  Brutus  i)  Zeugniss,  schon  die  römi- 
schen Könige  Geschenke  zu  schicken  und  um  Orakel  an- 
zugehen pflegten.  Vielleicht  auch  zum  Beweise,  dass  dieser 
Mann,  der  nach  dem  göttlichen  Ausspruche  jenes  lorbeer- 
tragende Land  küsste,  die  öffentliche  Freiheit  verdient 
hätte;  oder  auch  deshalb,  weil  dieser  Baum  mit  der  Hand 
gesäet  und  in  ein  Haus  aufgenommen,  der  einzige  ist, 
welcher  vom  Blitze  nicht  getroffen  wird.  Ich  wenigstens 
glaube,  dass  ihm  mehr  der  eben  angeführten  Gründe  wegen 
die  Ehre  bei  Triumphen  widerfahren  sei,  als  weil  er,  wie 
Masurius  angiebt,  nach  der  Niederlage  des  Feindes  als 
Rauchwerk  und  Reinigungsmittel  diene.  Es  ist  daher  nicht 
erlaubt,  sich  des  Lorbeers  und  Oelbaums  zu  unheiligen 
Gebräuchen  zu  bedienen,  und  nicht  einmal  zur  Versöhnung 
der  Götter  darf  davon  auf  Altären  gebrannt  werden.  Der 
Lorbeer  zeigt  (beim  Brennen)  durch  lautes  Knistern  eine 
Art  Widerwillen  oder  Abscheu  vor  dem  Feuer;  das  Holz 
belästigt  auch  kranke  Eingeweide  und  Nerven.  Der  Kaiser  Ti- 
berius  soll  jedesmal  bei  Gewittern,  aus  Furcht  vom  Blitze  er- 
schlagen zu  werden,  einen  Lorbeerkranz  aufgesetzt  haben. 


')  Derselbe,  welche  die  Vertreibung  des  letzten  römischen  Kö- 
nigs Tarquinius  im  Jahre  R.  245  veranlasste ,  und  so  die  römische 
Republik  begründete. 


168  Fünfeebntes  Buch. 

Hiebei  müssen  wir  auch  einige  merk würdige^  Begeben* 
heiten  aus  dem  Leben  des  Kaisers  Augustus  erzählen.    Als 
Livia  Drusilla,  welche  nach  ihrer  Verheirathung  den  Namen« 
Augusta  annahm,  mit  diesem  Kaiser  versprochen  war,  warf 
ihr  ein  Adler  eine  schneeweisse  Henne  unverletzt  aus  der 
Luft  in   den   Schooss.     Während    sie    sich    unerschrocken 
darüber   verwunderte,   zeigte  sich,  noch   eine  Merkwürdig- 
keit,   denn    die    Henne    hielt    einen    Lorbeerzweig    voller 
Beeren  in  ihrem  SchnabeL    Die  Vogeldeuter  riethen,  das 
Thier    und    dessen    Nachkommenschaft    zu   erhalten,    den. 
Zweig  aber  zu  pflanzen  und  sorgfältig  zu  bewahren.    Diess 
geschah  auch  auf  dem  kaiserlichen  Landgute,  welches  an 
dem  Flusse  Tiber   nahe  bei   dem   9;  Meilensteine  auf  der 
flaminischen  Strasse   liegt,   und   davon    den   Namen    „  das 
Haus   zu   den  Hennen"   bekommen  hat.      Der   Zweig   hat 
merkwürdigerweise   einem   ganzen   Walde   sein   Entstehen, 
gegeben.    Aus   diesem   hielt   später  der  Kaiser   beim  Tri-- 
umphe   einen  Zweig  in   der  Hand,   und  trug  einen  Kranz, 
welche  Sitte  alle  nachfolgenden  Kaiser,  wenn  sie  siegreich 
zurückkehrten,  beibehielten.    Ebenso  wurden  die  von  ihnen . 
getragenen  Zweige  jedesmal  gepflanzt;  es  existiren  davon, 
noch  die  nach  ihnen  benannten  Wälder,,  und  vielleicht  hat 
man   deswegen   die   Siegeszeichen    verändert.    Nur    allein 
der  Name  dieses  Baumes  wird  in  der  lateinischen  Sprache 
den  Männern  beigelegt.    Bloss  sein  Laub  wird,  durch  eine 
eigene  Benennung  von  ihm  unterschieden,  denn  wir  nennen 
es    laurea.    In  Rom   giebt  es   auch  einen  nach  ihm    be- 
nannten   Ort,    nemlich    Loretum    auf    dem    Aventinisehen 
Berge,  wo  ehemals  ein  Lorbeerwald  war.     Derselbe  Baum 
dient    endlich    noch   zu  (feierlichen);  Reinigungen,  und  im 
Vorbeigehen  will  ich  nur  bemei'ken,  das«  er  durch  Zweige 
fortgepflanzt  wird,  weil  Democrit  und   Theophrast   daran, 
gezweifelt  haben. 

Nun  wollen  wir  von  den  wilden  Bäumen  handeln... 


Sechszehntes  Buch. 


Von  den  wilden  Bäumen. 

1. 

Die  unter  den  bis  jetzt  beschriebenen  Bäumen  befind - 
liehen  obsttragenden  haben  vermöge  ihrer  milden  Säfte 
den  Speisen  zuerst  einen  angenehmen  Geschmack  ertheilt, 
und  den  nothwendigen  Nahrungsmitteln  Leckerbissen  bei- 
zumischen gelehrt,  sei  es  nun,  dass  sie  ursprünglich  diese 
Lieblichkeit  in  sich  tragen,  oder  durch  den  Menschen  ihnen 
dieselbe  erst  mittelst  Annahme  anderer  oder  durch  Ver- 
mischung verschiedener  Arten  entlockt  worden  ist,  —  ein 
Geschenk,  welches  auch  die  wilden  Thiere  und  Vögel  von 
uns  empfangen  haben.  Es  läge  nun  am  nächsten,  auch 
die  eicheltragenden  Bäume  aufzuzählen,  welche  den 
Menschen  zuerst  ernährten,  als  er  sich  noch  in  einem  arm- 
seligen und  wilden  Zustande  befand,  wenn  uns  nicht  die 
durch  die  Erfahrung  begründete  Bewunderung  nöthigte,  zu- 
vor anzugeben,  wie  diejenigen,  in  deren  Ländern  kein 
Baum  oder  Strauch  wächst,  ihr  Leben  hinbringen. 

Wir  haben  viele  Völker  im  Oriente  und  am  Welt- 
meere angeführt,  welchen  die  Bäume  fehlen.  Unter 
andern  leben  im  Norden  die  sogenannten  grossen  und 
kleinen  Chaucer,  woselbst  auf  einer  Ungeheuern,  2  Tage- 
und  2  Nachtreisen  grossen  Strecke  der  Ocean  weit  und, 
breit  übertritt,  dadurch  einen  ewigen  Streit  der  Natur  her- 
vorruft und  es  zweifelhaft  lässt,  ob  dieser  Strich  zum  Fest- 
lande oder  zum  Meere  gehöre.  Hier  bewohnt  diess  armselige^ 


170  Sechszehntes  Buch. 

Volk  hohe  Hügel  oder  Bühnen,  die  nach  den  Erfahrungen, 
wie  hoch  die  Fluth  steigt,  mit  den  Händen  errichtet  sind 
und  auf  welchen  ihre  Hütten  stehen.  Sie  gleichen  den 
Schwimmenden,  wenn  das  Wasser  rund  umher  alles  be- 
deckt, den  Schiffbrüchigen  aber,  wenn  es  zurückgetreten 
ist,  und  auf  die  mit  dem  Meere  forteilenden  Fische  machen 
sie  bei  ihren  Hütten  Jagd.  Sie  können  weder  Vieh  halten 
noch  Milch  trinken  wie  ihre  Nachbarn,  ja  nicht  einmal  mit 
wilden  Thieren  streiten,  denn  alles  Gesträuch  ist  aus  ihrer 
Nähe  verbannt.  Sie  flechten  sich  aus  Seetangen  und  Sumpf- 
binsen Stricke,  um  den  Fischen  Netze  zu  stellen,  trocknen 
den  mit  den  Händen  aufgenommenen  Schlamm  mehr  durch 
den  Wind  als  durch  die  Sonne,  versetzen  damit  ihre 
Nahrung,  und  erwärmen  dadurch  ihre  von  der  nördlichen 
Kälte  starren  Glieder.  Zum  Getränk  dient  ihnen  bloss 
Kegenwasser,  welches  sie  vor  ihren  Häusern  in  Gruben 
aufbewahren.  Und  dennoch,  sollten  diese  Völker  von  den 
Eömern  besiegt  werden,  so  würden  sie  sich  für  Sclaven 
halten.  Aber  so  ist  es;  das  Glück  verschont  Viele  zu 
ihrer  eigenen  Strafe. 

2. 
Ein  anderer  Gegenstand  der  Bewunderung  sind  die 
Wälder.  Sie  erstrecken  sich  über  das  ganze  übrige 
Deutschland,  und  machen  es  kalt  und  schattig,  der  entfern- 
teste Theil  davon  ist  jedoch  nicht  weit  von  den  genannten 
Chaucern,  und  liegt  grösstentheils  an  2  Seen.  Selbst  an 
den  Küsten  stehen  Eichen  im  üppigsten  Wachsthum; 
werden  diese  von  den  Wogen  untergraben  oder  von  den 
Winden  fortgerissen,  so  nehmen  sie  vermöge  ihres  starken 
Geflechts  von  Wurzeln  ganze  Inseln  mit  sich.  Auf  diese 
Weise  schiffen  sie  im  Gleichgewichte  stehend  mit  ihren 
grossen,  dem  Takelwerk  gleichenden  Zweigen,  haben  auch 
schon  oft  unsere  Flotten  in  Schrecken  gesetzt,  denn  sie 
wurden,  gleichwie  mit  Fleiss,  von  den  Wellen  auf  die 
Vordertheile  der  des  Nachts  vor  Anker  liegenden  Schiffe 
getrieben  und  die  Mannschaft  wusste  kein  anderes  Mittel, 
als  wider  die  Bäume  ein  Seetreffen  anzustellen. 


Sechszehntes  Buch.  171 

In  derselben  nördlichen  Gegend,  und  zwar  in  dem 
liercynischen  Walde,  übertrifft  die  ungeheuere  Grösse  der 
Eichen,  welche  Jahrhunderte  hindurch  nicht  berührt  worden 
sind,  und  mit  der  Welt  gleiches  Alter  haben,  durch  ihr 
fast  unsterbliches  Loos  alle  Wunder.  Um  vieles  Andere, 
was  sich  nicht  verbürgen  lässt,  zu  übergehen,  so  ist  doch 
so  viel  bekannt,  dass  durch  die  sich  begegnenden  und 
zurückprallenden  Wurzeln  ganze  Hügel  entstehen,  oder  da, 
wo  die  Erde  nicht  mitgehobeu  ist,  sich  dieselben  bis  zu 
den  Zweigen  hinauf  zu  Bögen,  gleich  offenen  Thoren, 
krümmen,  unter  denen  ganze  Keiterhaufen  durchkommen 
können.  Alle  diese  Bäume  gehören  zu  den  eichel- 
tragenden und  werden  von  den  Römern  stets  in  Ehren 
gehalten. 

3. 

Von  ihnen  machte  man  die  Bürgerkrone  i),  das 
rühmlichste  Ehrenzeichen  eines  tapfern  Soldaten,  seit 
längerer  Zeit  auch  schon  der  Gnade  der  Feldherren,  nach- 
dem mau  in  den  schaudervollen  Bürgerkriegen  es  für  ein 
Verdienst  zu  halten  anfing,  einen  Bürger  nicht  zu  tödten. 
Diesen  stehen  die  Mauerkronen 2),  Wallkronen  3)  und  goldenen 
nach,  während  sie  ihnen  dem  Werthe  nach  vorangehen. 
Auch  die  Schiffsschnabelkronen  *)  werden  nicht  so  hoch 
geschätzt,  obgleich  sie  bis  zu  unserer  Zeit  durch  2  Männer 
hochberühmt  geworden  sind,  nemlich  durch  M.  Varro,  der 
sie,  nach  den  Kriegen  mit  den  Seeräubern,  von  dem  grossen 
Pompejus  erhielt,  und  durch  M.  Agrippa,  dem  sie  der 
Kaiser'')  nach  den  sicilischen  Kriegen,  welche  gleichfalls 
gegen  die  Seeräuber  geführt  waren,  zuertheilte.  Früher 
wurden  die  Schnäbel  von  den  eroberten  Schiffen  vor  dem 
Rathhause  zur  Zierde  des  Marktes  aufgestellt,  und  bildeten 
so    gleichsam    eine  Krone   für   das   römische  Volk    selbst. 


*)  Corona  ci\-ica. 

-)  murales,  welche  denen,  die  im  Kriege  zuerst  die  Mauern  einer 
•Stadt  erstiegen  hatten,  verliehen  wurden. 

3)  vallares,  für  Ersteigung  eines  Walles  verliehen. 
*;  rostratae.     *)  Augustus. 


172  Sechszehntes  Buch. 

Als  man  aber  bei  den  tribunitischen  Aufständen  sie  zu,- 
betreten  und  zu  verunreinigen  angefangen  batte,  als  die 
Kräfte  des  Staates  mebr  zu  besondern  Vortbeilen  und  für 
einzelne  Bürger  in  Anspruch  genommen  wurden,  und  alles 
unverletzlich  Heilige  zum  Gemeinen  herabgewürdigt  ward, 
da  wanderten  die  Schnäbel  von  den  Füssen  auf  die  Köpfe 
der  Bürger.  Augustus  gab  diese  Krone  dem  Agrippa,  er 
selbst  aber  empfing  von  der  Menschheit  die  Btirgerkrone. 

4. 

In  alten  Zeiten  gab  man  nur  den  Göttern  Kränze; 
Homer  theilt  sie  daher  auch  bloss  dem  Himmel  und  der 
ganzen  Schlacht,  nicht  aber  einem  einzelnen  Manne,  selbst 
nicht  beim  Zweikampfe  zu.  Bacchus  soll  sich  zuerst  einen 
Kranz  von  Epheu  aufgesetzt  haben.  Nachher  bedienten 
sich  ihrer  auch  diejenigen,  welche  den  Göttern  zu  Ehren 
opferten,  und  schmückten  auch  zugleich  die  Opferthiere 
damit.  Seit  kurzem  haben  sie  auch  in  den  heiligen  Kampf- 
spielen Eingang  gefunden,  und  heutigen  Tages  giebt  man 
sie  darin  nicht  dem  Sieger,  sondern  sein  Vaterland  wird 
als  von  ihm  gekrönt  ausgerufen.  Daher  entstand  der  Ge- 
brauch, dass  sie  von  denen,  welche  triumphiren  wollen,  ge- 
tragen werden,  um  sie  hernach  in  die  Tempel  zu  weihen; 
bald  darauf  wurden  sie  auch  in  den  Fechterspielen  gegeben. 
Es  wäre  zu  zeitraubend  vyid  unserm  Zwecke  entgegen, 
wenn  wir  untersuchen  wollten,  wer  unter  den  Römern  zu- 
erst einen  Kranz  empfangen  habe;  denn  sie  kannten  keine 
andern,  als  militairische.  So  viel  aber  ist  gewiss,  dass 
dieses  Volk  mehr  Arten  Kränze  hat,  als  alle  übrigen  Na- 
tionen zusammen. 

5. 

Romulus  setzte  dem  Hostus  Hostilius,  dem  Grossvater 
des  TuUus  Hostilius,  einen  Laubkranz  auf,  weil  dieser 
zuerst  in  Fidena  eingedrungen  war.  Im  samnitischen. 
Kriege,  in  welchem  der  Consul  Cornelius  Cossus  den  Ober- 
befehl hatte,  wurde  der  Kriegstribun  P.  Decius  der  Vater 
von  dem  durch  ihn  geretteten  Kriegsheere  mit  einem  Laub- 
kranze beschenkt.     Die  Bürgerkrone  war  zuerst  von  Stech- 


Sechszehntes  Buch.  173 

eichenlaub '),  spä  ter  zog  man  es  vor,  sie  aus  dem  Laube 
der  Speiseiche  2),  welche  dem  Jupiter  geheiligt  ist,  zu 
machen.  Man  hat  auch  abwechselnd  die  gemeine  Eiche 
dazu  genommen,  und  überall  das,  was  gerade  da  war,  ver- 
wendet, jedoch  behielten  nur  die  eicheltragenden  Bäume 
diese  Ehre.  Man  gab  in  dieser  Hinsicht  strenge  und  hoch- 
trabende Gesetze,  welche  man  mit  jenem  höchsten  Gesetze 
der  Griechen  vergleichen  kann,  wo  der  Kranz  unter  freiem 
Himmel  verliehen  wird,  und  das  Vaterland  dem,  der  ihn 
trägt,  freudig  die  Mauern  einreisst.  Die  Bedingungen,  unter 
welchen  ein  Kranz  ertheilt  wird,  sind  nemlich  folgende : 
Man  muss  einen  Bürger  gerettet,  einen  Feind  getödtet,  und 
dieser  den  Ort,  wo  es  geschehen,  noch  an  demselben  Tage 
inne  gehabt  haben;  der  Gerettete  muss  das  Factum  aus- 
sagen, denn  Zeugen  gelten  dabei  nicht,  und  er  muss  ein 
römischer  Bürger  gewesen  sein.  Die  Hülfsvölker  verhelfen 
zu  dieser  Ehre  nicht,  selbst  wenn  einem  Könige  darunter 
das  Leben  gerettet  wäre.  Auch  gewinnt  die  Ehre  nicht 
dadurch,  dass  ein  Feldherr  gerettet  ist,  weil  die  Gründer 
derselben  einen  jeden  Bürger  im  höchsten  Werthe  er- 
scheinen lassen  wollten.  Der  Empfänger  darf  sich  des 
Kranzes  immer  bedienen.  Kommt  er  in's  Schauspiel,  so 
steht  Jeder,  selbst  der  Senator,  vor  ihm  auf;  auch  darf  er 
sich  den  Senatoren  zunächst  niedersetzen.  Er  ist  von 
allen  Diensten  frei,  und  diess  erstreckt  sich  auch  auf  seinen 
Vater  und  Grossvater  von  väterlicher  Seite.  Siccius  Den- 
tatus  erhielt,  wie  wir  an  seinem  Orte  gesagt  haben,  14; 
der  Capitolinus  6,  unter  diesen  auch  einen  wegen  Rettung 
des  Feldherrn  Servilius.  Africanus  wollte  wegen  der  Ret- 
tung seines  Vaterlandes  bei  der  Trebia  keinen  annehmen. 
0,  ewig  würdige  Sitten,  welche  so  wichtige  Thaten  bloss 
mit  der  Ehre  belohnten,  und,  während  sie  den  Werth  der 
übrigen  Kronen  durch  Gold  erhöheten,  für  die  Erhaltung 
eines  Bürgers  keinen  Preis  bestimmen  wollten!    Sie  gaben 


')  iligna.    Quercus  Ilex  L. 

*)  Esculus.  Quercus  Esculus  L. 


174  Sechszehntes  Buch. 

dadurch    deutlich    zu    erkennen,    dass    die   Rettung    eines 
Menschen  um  des  Gewinnes  willen  ein  Verbrechen  sei. 

6. 

Es  ist  ausgemacht,  dass  noch  jetzt  die  Eicheln  der 
ganze  Reichthum  vieler  Völker,  auch  in  Zeiten  des  Friedens, 
sind.  Jedoch  dörret  man  sie  auch  bei  Mangel  an  Getreide, 
macht  Mehl  daraus,  und  bäckt  diess  zu  Brot.  Ja  noch 
heutigen  Tages  wird  in  Spanien  die  Eichel  mit  dem  Nach- 
tische aufgesetzt.  In  Asche  gebraten  schmeckt  sie  süsser. 
Uebrigens  ist  es  durch  ein  Gesetz  in  den  12  Tafeln  ver- 
boten, Eicheln,  die  auf  fremden  Grund  fallen,  aufzulesen. 
Es  giebt  viele  Arten  davon.  Sie  unterscheiden  sich  durch 
Gestalt,  Vorkommen,  Geschlecht  und  Geschmack,  denn  an- 
ders ist  die  Gestalt  der  Buchen-,  Eichen-  und  Stecheichen- 
frucht, und  jede  Art  bietet  selbst  wieder  unter  sich  Ab- 
weichungen dar.  Sodann  sind  einige  wild,  andere  zahmer, 
und  diese  werden  angebauet.  Ferner  ist  es  nicht  einerlei, 
ob  sie  auf  Bergen  oder  in  Ebenen  stehen;  auch  giebt  es 
Bäume  männlichen  und  Bäume  weiblichen  Geschlechts, 
und  endlich  weichen  sie  im  Geschmacke  von  einander  ab. 
Die  süsseste  Frucht  unter  ihnen  hat  die  Buche  i),  mit 
welcher  sich  nach  Cornelius  Alexander  die  in  der  Stadt 
Chius  belagerten  Einwohner  genährt  haben.  Mir  scheint 
es  nicht  passend,  die  Arten  durch  Namen  zu  unterscheiden, 
denn  sie  heissen  hier  so,  dort  so.  Während  wir  nemlich 
die  gemeinen  Eicheln  überall  wachsen  sehen,  bemerken 
wir  die  Speiseiche  seltener,  und  die  sogenannte  Cerreiche  ■■^), 
die  vierte  dieser  Arten,  ist  in  dem  grössten  Theile  Italiens 
nicht  einmal  bekannt.  Wir  wollen  sie  daher  zur  Unter- 
scheidung ihre  Eigenschaften,  und  da,  wo  es  nöthig  ist, 
auch  ihre  griechischen  Namen  zu  Hülfe  nehmen. 

7. 

Die  Bucheiehel  gleicht  den  Kernen,  und  wird  von 
einer  dreieckigen  Haut  eingeschlossen.     Das  Blatt  ist  dünn,. 


•)  Fagus.  Fagus  hyluatica  L. 
^)  Cerrus.  Quercus  Cen-is  L. 


Sechszehntea  Buch.  175 

sehr  leicht,  dem  der  Pappel  ähnlich,  und  wird  schnell  gelb; 
auf  der  Mitte  desselben  entsteht  oberhalb  sehr  häufig  eine 
kleine  grüne,  an  der  Spitze  stachlichte  Beere  ^).  Die  Buch- 
eicheln lieben  die  Mäuse  ganz  vorziiglicl),  daher  kommen 
diese  mit  ihnen  zugleich  hervor;  auch  die  Siebenschläfer -) 
werden  davon  fett,  und  die  Drosseln  suchen  sie  auf.  Die 
Fruchtbarkeit  wechselt  fast  bei  allen  Bäumen,  am  meisten 
aber  bei  der  Buche. 

8. 

Diejenige  Frucht,  welche  man  im  engern  Sinne  Eichel 
nennt,  wächst  auf  der  gemeinen  Eiche  3),  Speiseiche,  Cerr- 
eiche,  Stecheiche  und  Korkeiche^).  Sie  sitzt  in  einem 
rauhen  Kelche,  der  in  den  einzelnen  Arten  mehr  oder  we- 
niger Haut  umschliesst.  Die  Blätter  sind,  mit  Ausnahme 
der  Stecheiche,  schwer,  fleischig,  lang,  an  den  Seiten  aus- 
geschweift, werden  nicht,  wie  bei  der  Buche,  gelb,  wenn 
sie  abfallen,  und  sind  bei  den  verschiedenen  Arten  kürzer 
oder  länger.  Von  der  Stecheiche  giebt  es  2  Arten;  das 
Blatt  der  in  Italien  wachsenden  weicht  nicht  viel  vom  Oel- 
blatte  ab,  und  diese  heisst  hei  einigen  Griechen  Smilax '"). 
Die  in  den  Provinzen  wachsende  hat  stachliche  Blätter. 
Die  Frucht  dieser  beiden  Arten  ist  kürzer  und  dünner; 
Homer  nennt  sie  Acylos,  und  unterscheidet  sie  durch  die- 
sen Namen  von  der  gewöhnlichen  Eichel.  Die  männlichen 
Stecheichen  sollen  nicht  tragen. 

Die  beste  und  grösste  Eichel  wächst  auf  der  gemeinen 
Eiche;  dann  folgt  die  der  Speiseiche;  die  der  Robur  ist 
klein,  die  der  Cerreiche  hässlich,  rauh  und  mit  stachlichem 
Kelche  wie  die  Kastanie  umgeben.  Aber  auch  unter  den 
eigentlichen  Eicheln  sind  einige  süsser,  die  weiblichen 
weicher,  die  männlichen  fester.  Am  meisten  werden  die 
sogenannten  breitblättrigen  geschätzt.     Unter   sieh  weichen. 


•)  Diess  ist  eine  durch  Insektenstiche  bewirkte  Anschwellung  des - 
Blattes. 

*)  Glires.  Sciurus  Glis  L. 

3)  Robur.  Quercus  Robur  L.  und  Q.  pedunculata  Erh. 

^)  Suber.  Quercus  Suber  L.     ^)  Diess  ist  Quereus  Ballota  Desf. . 


176  Sechszehntes  Buch. 

sie  in  der  Grösse  und  in  der  mehr  oder  weniger  dünnen 
Haut,  ferner  dadurch  von  einander  ab,  dass  bei  einigen  die 
Haut  inwendig  rostroth  und  rauh  ist,  bei  andern  sogleich 
■das  weisse  Fleisch  folgt.  Auch  lobt  man  die,  an  deren 
Eichel  das  äusserste  Ende  an  beiden  Seiten  der  Länge 
nach  steinhart,  und  noch  mehr,  wenn  diess  an  der  Schale, 
als  wenn  es  am  Fleische  der  Fall  ist;  beides  zeigt  sich 
indessen  nur  beim  Männchen.  Ueberdiess  haben  einige 
eine  eiförmige,  andere  eine  runde,  noch  andere  eine  spitzige 
Gestalt.  So  giebt  es  auch  dunkler  und  hellergefärbte,  von 
denen  die  letztern  den  Vorzug  verdienen.  An  den  äusser- 
sten  Enden  sind  sie  bitter,  in  der  Mitte  süss.  Ja  selbst 
die  verschiedene  Länge  des  Fruchtstiels  giebt  einen  Unter- 
schied ab. 

Unter  den  Bäumen  selbst  wird  derjenige,  welcher  die 
:grössten  Früchte  trägt,  Hemeris^)  genannt;  er  ist  niedriger 
als  andere,  rundum  belaubt,  und  seine  ausgebreiteten  Aeste 
sind  hohl  gebogen.  Die  gemeine  Eiche  hat  stärkeres  und 
dauerhafteres  Holz,  sie  ist  auch  sehr  ästig,  jedoch  höher 
und  dicker  im  Stamm.  Am  höchsten  steigt  aber  die 
Knoppereiche  2) ,  welche  gern  an  unbebaueteu  Plätzen 
wächst.  Ihr  kommt  in  der  Höhe  die  breitblättrige  am 
nächsten,  eignet  sich  aber  nicht  besonders  zu  Bauten  und 
zu  Kohlen.  Nach  dem  Behauen  ist  sie  verschiedenen 
Fehlern  unterworfen,  daher  wendet  man  sie  ganz  an.  Die 
Kohle  gebraucht  man  nur  in  den  Werkstätten  der  Kupfer- 
schmiede, und  da  sie,  wenn  das  Blasen  aufhört,  sogleich 
verlöscht,  so  kann  sie  öfters  wieder  angebrannt  werden, 
giebt  übrigens  sehr  viele  Funken.  Besser  ist  die  Kohle 
von  Jüngern  Stämmen.  Zur  Gewinnung  der  Kohlen  bauet 
man  ganze  Haufen  von  frischen  Scheiten  mittelst  Lehm, 
wie  einen  Ofen  auf,  zündet  den  Stoss  an,  und  sticht  mit 
Stangen   in   die   hartwerdende  Decke,   um   dem  Schweisse 


')  Quercus  pubescens  W.  Vielleicht   gehört   auch  Q.   infectoria 
"Oliv,  hierher. 

2)  Aegilops.  Quercus  Aegilops  L. 


Seöhszehntes  Buch.  177 

(dem  Rauche  und  der  Feuchtigkeit)  einen  Ausweg  zu  ver- 
schaffen. 

Der  schlechteste  Baum  sowohl  zu  Kohlen  als  auch  zu 
Bauten  ist  der  sogenannte  Haliphlöus  ') ;  er  hat  die  stärkste 
Rinde  und  den  stärksten  Stamm,  und  ist  meistens  hohl  und 
schwammig.  Kein  anderer  aus  dieser  Gattung  als  dieser 
fault  schon  bei  Lebzeiten.  In  ihn  schlägt  sogar  der  Blitz 
am  häufigsten,  obgleich  er  nicht  sehr  hoch  ist;  daher  darf 
man  sich  seines  Holzes  beim  Opfern  nicht  bedienen.  Er 
trägt  selten  Eicheln,  und  im  günstigen  Falle  bittere,  die, 
ausser  den  Schweinen,  kein  Thier  anrührt,  und  selbst  diese 
nicht,  wenn  sie  anderes  Futter  haben.  Das  gehört  auch 
noch  unter  die  Ueberbleibsel  des  vernachlässigten  Gottes- 
dienstes, dass  man  nach  verlöschter  Kohle  opfert. 

Die  Bucheicheln  machen  die  Schweine  munter,  das 
Fleisch  leicht  kochbar,  leicht  verdaulich  und  gesund  für 
den  Magen;  von  der  Stecheichel  werden  sie  schmal,  glän- 
zend, mager  und  schwer;  von  der  gemeinen  Eichel,  welche 
die  schwerste  und  süsseste  ist,  am  dicksten.  Ihr  zunächst 
stellt  Nigidius  die  Cerreichel,  denn  keine  andere  hätte  ein 
festeres  Fleisch,  aber  es  sei  hart.  Von  der  Stech  eichel 
sollen  die  Schweine  krank  werden,  wenn  man  sie  ihnen 
nicht  nach  und  nach  giebt.  Diese  fiele  am  spätesten  ab. 
Das  Fleisch  der  Speiseichel,  gemeinen  und  Korkeichel  sei 
schwammig. 

9. 

Alle  Bäume,  welche  Eicheln  tragen,  haben  auch  Gall- 
äpfel, und  ein  Jahr  um  das  andere  Eicheln.  Die  Gall- 
äpfel von  der  Hemeris  sind  aber  die  besten  und  zur  Be- 
reitung des  Leders  geeignetsten.  Die  der  breitblättrigen 
gleichen  diesen,  sind  aber  leichter  und  weit  weniger  ge- 
schätzt. Letzterer  trägt  auch  schwarze,  (denn  es  giebt 
2  Arten)  und  diese  haben  den  Vorzug  in  der  Färberei.  — 
Die  Galläpfel  entstehen,  wenn  die  Sonne  aus  dem  Zeichen 


*)  D.  h.  Meeninde,  die  schon  oben  genannte  Korkeiche :  Quercus 
Suber. 

Wittstein:  Plinius.     III.   Bd.  12 


178  Sechszehntes  Buch. 

der  Zwillinge  tritt,  und  brechen  alle  zugleich  des  Nachts 
aus;  schon  nach  eintägigem  Wachsen  werden  sie  weisser, 
und  wenn  sie  die  Hitze  getroffen  hat,  vertrocknen  sie  auf 
der  Stelle  und  bilden  sich  nicht  gehörig  aus,  d.  h.  dann 
haben  sie  einen  Kern  von  der  Grösse  einer  Bohne.  Die 
schwarzen  erhalten  sich  länger  grün,  und  wachsen  zuweilen 
bis  zur  Grösse  eines  Apfels  heran.  Die  besten  sind  die 
commagenischen,  die  schlechtesten  die  von  der  gemeinen 
Eiche.  Ihre  Güte  erkennt  man  an  den  durchscheinenden 
Höhlen. 

10. 
Die  gemeine  Eiche  trägt  ausser  ihrer  Frucht  noch 
vieles  Andere;  denn  auf  ihr  finden  sich  beide  Arten  Gall- 
äpfel, ferner  eine  Art  Maulbeeren,  von  denen  sie  sich  aber 
dui-ch  ihre  Trockenheit  und  Härte  unterscheiden,  welche 
gewöhnlich  Aehnlichkeit  mit  einem  Stierkopfe  haben,  und 
eine  den  Olivenkernen  gleichende  Frucht  einschliessen. 
Auch  Avachsen  auf  derselben  kleine,  den  Nüssen  nicht  un- 
ähnliche Kügelchen,  in  denen  sich  weiche  Flocken  befinden, 
welche  zum  Brennen  in  den  Laternen  gebraucht  werden 
können,  denn  sie  brennen  auch  ohne  Oel  wie  die  schwarzen 
Galläpfel.  Noch  ein  anderes,  behaartes,  Kügelchen  trägt 
sie,  welches  aber  keinen  Nutzen  hat,  jedoch  im  Frühlinge 
einen  honigartigen  Saft  enthält.  Auch  die  Verzweigungen 
der  Aeste  tragen  Kügelchen,  die,  ohne  Stiel,  mit  dem 
Körper  selbst  daranhängen;  sie  sind  am  Nabel  weiss, 
in  der  Mitte  scharlachroth,  übrigens  aber  schwarz  gefleckt, 
im  Geschmacke  bitter  und  inwendig  hohl.  Zuweilen 
kommen  auch  auf  der  Eiche  steinartige  Körper  i),  ferner 
aus  Blättern  zusammengewickelte  Kügelchen  und  auf  den 
rothwerdendcB  Blättern  wässrige,  weissliche  und  so  lange 
sie  noch  weich  sind,  durchscheinende  Kerne  vor,  in  welchen 
sich  Fliegen  erzeugen,  und  die,  nach  Art  der  Galläpfel,  reif 
werden. 


1)  Pumices. 


Se,chszehntes  Buch.  179 

11. 

Die  gemeinen  Eichen  tragen  auch  die  Cachrys^),  so 
heisst  nemlich  ■  ein  Kügelchen,  welches  Brennen  verur- 
sacht und  in  der  Medicin  gebraucht  wird.  Sie  wächst  auch 
auf  Rothtannen,  dem  Lerchenbaume,  der  Weisstanne,  der 
Linde,  dem  Nussbaume  und  der  Platane,  nachdem  die 
Blätter  abgefallen  sind  und  dauert  den  Winter  über  aus. 
Sie  enthält  einen  den  Pinien  ähnlichen  Kern,  wächst  im 
Winter,  im  Frühlinge  aber  öffnet  sich  das  ganze  Gewächs 
und  fällt  ab,  wenn  die  Blätter  auszuschlagen  anfangen.  So 
vielerlei  tragen  die  Eichen  ausser  den  Eicheln!  Ja  selbst 
essbare  Pilze  und  gemeine  Erdschwämme  erzeugen  sie; 
diess  sind  die  neuesten  Reizmittel  des  Gaumens,  welche 
an  ihren  Wurzeln  wachsen.  Die  von  der  gemeinen  Eiche 
sind  am  besten,  von  der  Cypresse  und  Fichte  aber  schäd- 
lich. Auch  soll  auf  Eichen  die  Mistel  2)  wachsen,  und  nach 
Hesiodus  Honig  vorkommen.  So  viel  ist  bekannt,  dass  der 
Honigthau,  welcher,  wie  wir  gesagt  haben,  vom  Himmel 
herabfällt,  sich  auf  kein  anderes  Laub  mehr  als  auf  dieses 
setzt.  Auch  weiss  man,  dass  die  Eichenasche  natron- 
haltig  ist. 

12. 

Doch  alle  diese  Vorzüge  werden  von  der  Stecheiche 
durch  die  Kermesbeere^)  allein  übertroffen.  Dieses  Korn, 
welches,  zuerst  wie  ein  rauher  Körper,  auf  der  kleinen 
stachligen  Stecheiche  ^)  sitzt,  heisst  Ousculium,  und  ver- 
schafft den  armen  Leuten  in  Spanien  die  Hälfte  ihrer  Ab- 
gaben. Von  ihrer  nützlichen  Anwendung  habe  ich  bei  Ge- 
legenheit der  Muscheln  gesprochen^).  Sie  wächst  in  Ga- 
latien,  Afrika,  Pisidien,  Cilicien,  die  schlechteste  in 
Sardinien. 


')  Siehe  auch  XXIV.  B.  59  und  60.  Cap. 

-)  Viscum.   Diess  ist   nicht  Viscum    album,    sondern  Loranthus 
europaeus. 
3)  Coccus. 

*)  Hex  aquifolia  parva.  Quercus  coccifera  L.  Die  Kermeseiche. 
*)  Vergl.  IX.  B.  65.  Cap. 

12* 


180  Sechszehntes  Buch. 

13. 

Den  Agaricus^)  bringen  vorzüglich  die  eiclieltragen- 
den  Bäume  Galliens  hervor.  Es  ist  diess  ein  weisser, 
wohlriechender  Pilz,  der  ein  wirksames  Gegengift  abgiebt, 
auf  den  Gipfeln  der  Bäume  sitzt  und  Nachts  leuchtet. 
Durch  letztere  Eigenschaft  ist  man  im  Stande  ihn  im  Fin- 
stern  abzubrechen.  Unter  den  eicheltragenden  Bäumen 
trägt  allein  die  Knoppereiche  trockne,  von  moosartigem 
grauem  Filze  bedeckte  Lappen,  die  sowohl  von  der  Rinde, 
als  von  den  Aesten  1  Cubitus  lang  herabhängen  und,  wie 
bei  den  Salben  angeführt  wurde,  wohlriechend  sind. 

Der  Korkbaum  ist  der  kleinste,  und  trägt  die  schlechte- 
sten und  wenigsten  Eicheln;  nur  seine  Rinde,  welche  sehr 
dick  ist,  sich  wieder  ersetzt  und  nach  allen  Seiten  bis  zu 
10  Fuss  ausbreitet,  wird  benutzt.  Man  bedient  sich  der- 
selben am  meisten  zu  den  Ankertauen  der  Schiffe,  zu 
Fischernetzen  und  zu  Fassspunden,  auch  zu  Winterschuhen 
für  Frauen.  Daher  nennen  ihn  die  Griechen  nicht  un- 
passend den  Rindenbaum;  Einige  heissen  ihn  auch  den 
weiblichen  Hex,  und  da  wo  kein  Hex  wächst,  soll  man  sich 
statt  seiner  des  Korkbaumes  zu  den  Arbeiten  der  Stell- 
macher bedienen,  wie  z.  B.  um  Elis  und  Laeedämon.  Er 
wächst  aber  weder  in  ganz  Italien,  noch  überhaupt  in 
Gallien. 

14. 

Auch  die  Rinden  der  Buche,  Linde,  Tanne  werden 
auf  dem  Lande  vielfältig  benutzt.  Man  macht  daraus  Ge- 
schirre, Körbe  und  noch  grössere  Geräthschaften  zur  Ein- 
sammlung des  Getreides  und  der  Trauben;  auch  dienen  sie 
zu  Zäunen  um  die  Hütten.  Auf  die  frischen  Rinden  schreibt 
der  Kundschafter  an  den  Feldlierru,  indem  er  die  Buch- 
staben hineinschneidet,  welche  dann  der  Saft  kenntlich 
macht.  Auch  zu  gewissen  heiligen  Gebräuchen  ist  die 
Buchenrinde  bestimmt;  der  Baum  (das  Holz)  selbst  aber 
hält  sich  nicht. 


')  Asaiicus  drvinus  Pers. 


.Sechszehntes  Buch.  281 

15. 
Die  eichenen  Schindeln  sind  die  besten,  dann  folgen 
die  von  den  übrigen  eicheltragenden  Bäumen  und  der 
Buche.  Sie  lassen  sich  am  leichtesten  von  den  harzführen- 
den Bäumen  machen;  diese  nutzen  sich  aber,  bis  auf  die- 
jenigen von  der  Fichte,  sehr  bald  ab.  Cornelius  Nepos  be- 
richtet, Rom  sei  470  Jahre  lang  bis  zum  Kriege  mit  Pyr- 
rhus,  mit  Schindeln  gedeckt  gewesen.  Wenigstens  ist  so 
viel  gewiss,  dass  mehrere  Wälder  dastanden,  durch  welche 
es  getrennt  wurde;  so  steht  noch  jetzt  der  Jupiter  Faguta- 
lus  da,  wo  ein  Buchenhain  war;  ferner  hatte  man  ein 
Eichenthor,  einen  Hügel,  von  welchem  man  Reisholz  holte, 
und  viele  andere  Haine,  unter  ihnen  auch  einige  doppelt '). 
Der  Dictator  Q.  Hortensius  gab,  als  das  Volk  sich  auf  den 
Janiculus  gezogen  hatte,  auf  dem  Esculetus  das  Gesetz, 
dass  alles,  was  dasselbe  befohlen  hätte,  die  Römer  thun 
sollten. 

16. 
Damals  hielt  man  die  Fichte,  Tanne  und  alle  Bäume, 
welche  Pech  tragen,  für  fremde,  weil  sie  sich  nicht  bei  der 
Stadt  befanden,  und  von  diesen  wollen  wir  jetzt  reden,  da- 
mit man  zugleich  den  Ursprung  derjenigen  Stoffe,  die  zur 
Aufbewahrung  des  Weines  dienen,  kennen  lerne.  Einige 
unter  den  vorgenannten  erzeugen  in  Asien  und  im  Oriente 
Pech;  in  Europa  tragen  6  Arten  verwandter  Bäume  das- 
selbe. Von  diesen  haben  die  Fichte 2)  und  der  Pinaster^) 
ein  Blatt,  welches  so  dünn  wie  ein  Haar,  lang  und  stachel- 
spitzig ist.  Die  Fichte  führt  am  wenigsten  Harz,  zuweilen 
an  den  Zapfen  selbst,  von  denen  wir  bereits  geredet  haben, 
so  dass  sie  kaum  dieser  Art  zugeschrieben  wird  *). 


')  Plinius    will    wohl    damit    sagen,    manche  Haine    hätten   aus 
zweierlei  Holzarten  bestanden. 

'^)  Pinus.  Pinus  sylvestris  L.,  Kiefer. 

*)  Pinus  Pinaster  Ait. 

*)  Nämlich  den  harzfiihrenden  Bäumen. 


182  Sechszehntes  Buch. 

17. 

Der  Pinaster  ist  nichts  anderes  als  ein  wilder  Fichten- 
baum, erreicht  eine  bedeutende  Höhe,  und  breitet  sich  von 
der  Mitte,  die  Fichte  dagegen  erst  vom  Gipfel  an  ästig 
aus.  Er  giebt  mehr  Harz,  dessen  Gewinnungsweise  später 
angezeigt  werden  soll,  gedeihet  auch  in  ebenen  Gegeudeu. 
Die  Meisten  glauben,  diese  Bäume  wären  dieselben,  welche 
unter  anderen  Namen  an  der  Küste  Italiens  wachsen  und 
Tibuli  heissen,  aber  letztere  sind  dünner,  kürzer  und  knoten- 
los, werden  zu  liburnischen  Fahrzeugen  verwendet  und 
enthalten  fast  gar  kein  Harz. 

18. 

Die  Rothtanne  1)  liebt  bergige  und  kalte  Plätze;  sie 
ist  ein  Trauer  verkündender  Baum;  denn  man  setzt  ihn, 
wenn  sich  eine  Leiche  im  Hause  befindet,  vor  die  Thtir, 
und  bringt  ihn  grün  auf  die  Scheiterhaufen;  jedoch  hat 
man  ihn  jetzt  auch  in  die  Häuser  aufgenommen,  weil  er 
sich  leicht  beschneiden  lässt.  Er  liefert  das  meiste  Harz, 
unter  dem  auch  weisse  Kugelchen  vorkommen,  die  dem 
Weihrauche  so  ähnlich  sind,  dass  sie,  unter  diesen  gemischt, 
durch  das  Auge  nicht  zu  erkennen  sind.  Hierauf  beruht 
der  Betrug  mit  den  seplasischen  Salben'-). 

Die  Blätter  aller  dieser  Arten  bilden  kurze  dicke  und 
harte  Borsten,  ähnlich  denen  der  Cypresse.  Die  Aeste  der 
Rothtanne  hängen  gleich  von  der  Wurzel  an  in  massiger 
Grösse  gleich  Armen  an  den  Seiten;  auf  dieselbe  Weise 
auch  an  der  Weisstanne^),  deren  Holz  zum  Schiffbau 
dient.  Ihr  Stand  ist  auf  den  Gipfeln  der  Berge,  als  wenn 
sie  vor  dem  Meere  flöhe;  auch  weicht  sie  in  ihrem  Aeussern 
(von  jener)  nicht  ab.  Das  Holz  passt  ganz  vorzüglich  gut 
zu  Balken  und  vielen  andern  Dingen  im  Leben.  Das  Harz 
ist  eine  Krankheit  an  ihnen,  und  vertritt  die  Stelle  der 
Frucht;   bei  Sonnenschein  quillt  es  mitunter  sparsam  her- 


')  Picea.  Pinus  Abies  L. 

-)  Seplasia.  sc.  platea,    eine  Gasse  in  Capua,  wo  Salben  verkauft 
wurden. 

3)  Abies.  Pinus  Picea  L.  (Abies  pectinata  Dec)? 


Sechszehntes  Buch.  183 

vor.  Dahingegen  wird  das  Holz,  welches  bei  der  Weiss- 
tanne am  schönsten  ist,  von  der  Rothtanne  zu  gespalteneu 
Schindeln,  Fässern  und  noch  einigen  andern  Gegenständen 

gebraucht. 

19. 

Die  fünfte  Art  hat  denselben  Standort  und  dieselbe 
Gestalt;  sie  heisst  Lärchenbaum  i).  Sein  Holz  ist  weit 
vortrefflicher,  verdirbt  nicht,  stirbt  nur  sehr  langsam  ab, 
hat  ausserdem  eine  röthliche  Farbe  und  einen  scharfem 
Geruch.  Aus  ihm  bricht  etwas  mehr  Feuchtigkeit  hervor, 
die  die  Farbe  des  Honigs  hat,  aber  zäher  ist  und  nie 
hart  wird. 

Die  sechste  Art  ist  die  eigentlicii  sogenannte  Harz- 
Fichte'^),  welche  mehr  Saft  als  die  vorige,  aber  weniger 
und  ihn  flüssiger  als  die  Weisstanne  hat,  auch  gern  zum 
Feuer  und  zu  Fackeln  bei  Opfern  gebraucht  wird.  Dieser, 
aber  nur  das  Männchen,  trägt  auch  das,  was  die  Griechen 
Syce  nennen,  und  äusserst  stark  riecht.  Beim  Lärchen- 
baume ist  es  eine  Krankheit,  wenn  er  zum  Harzbaume  wird. 

Alle  diese  Arten  brennen  mit  starkem  Rauche,  werfen 
unter  knisterndem  Geräusche  die  Kohlen  aus  und  weit 
um  sich  her,  der  Lärchenbaum  ausgenommen,  der  weder 
brennt,  noch  sich  verkohlt,  und  durchs  Feuer  nicht  anders 
verzehrt  wird  als  die  Steine.  Sie  grünen  beständig,  und 
werden  selbst  von  Kennern  nur  schwierig  an  ihrem  Laube 
unterschieden;  so  gross  ist  die  Vermischung  ihres  Ursprungs. 
Die  Weisstanne  aber  ist  weniger  hoch  als  der  Lärchen- 
baum. Dieser  hat  eine  dickere  und  leichtere  Rinde, 
wolligere,  fettere,  dichter  stehende,  weichere  und  biegsamere 
Blätter;  die  Rothtanne  dagegen  hat  einzelne,  trocknere, 
dünnere  und  steifere  Nadeln,  ist  weit  rauher,  und  mit 
Harz  durchtränkt;  das  Holz  gleicht  dem  der  Weisstanne. 
Wenn  die  Wurzeln  des  Lärchenbaumes  verbrannt  sind, 
schlägt  er  nicht  wieder  aus,  wie  es  auf  Lesbos  geschah, 
als  der  pyrrhäische  Wald  in  Brand  gerathen  war. 

')  Larix.  Pinus  Larix  L. 
2)  Taeda.  Pinus  Taeda  L. 


184  Sechszehntes  Buch. 

Hinsichtlich  des  Geschlechts  bieten  diese  Arten  noch 
einen  andern  Unterschied  dar.  Das  Männchen  ist  niedriger 
und  härter,  das  Weibchen  höher,  hat  fettere,  einfache  und 
nicht  steife  Nadeln.  Das  Holz  des  Männchens  ist  hart  und 
zeigt  sich  beim  Zimmern  gewunden,  das  des  Weibchens 
weicher,  und  unter  der  Axt  erkennt  man  den  Unterschied 
stets  ganz  deutlich,  denn  diese  dringt  in  das  männliche 
Holz  nur  schwierig  ein,  erzeugt  beim  Hauen  einen  grössern 
Schall  und  lässt  sich  nicht  so  leicht  wieder  herausziehen. 
Das  Holz  selbst  ist  dürr,  und  die  männlichen  Bäume  haben 
eine  schwärzere  Wurzel.  Am  Ida  in  Troas  unterscheidet 
man  auch  die  auf  Bergen  und  die  an  der  Meeresküste 
wachsenden.  Aber  in  Macedonien,  Arkadien  und  um  Elis 
verwechselt  man  die  Namen,  und  die  Schriftsteller  stimmen 
in  dem  Namen,  welchen  sie  einer  jeden  Art  beilegen,  nicht 
tiberein;  wir  unterscheiden  sie  nach  dem  Urtheile  der 
Römer.  Die  Weisstanne  ist  unter  allen  die  breiteste,  und 
ihr  Weibchen  streckt  die  Aeste  noch  weiter  vor;  ihr  Holz 
ist  weicher  und  tauglicher,  am  Stamme  runder,  die  Blätter 
stehen  dicht  und  gefiedert,  so  dass  sie  den  Regen  nicht 
durchlassen,  und  überhaupt  hat  sie  ein  gefälligeres  Aeussere. 
Von  den  Aesten  dieser  Arten  hängen,  gleich  Büscheln, 
schuppig  vereinigte  Nüsse  herab,  ausgenommen  vom  Lärchen- 
baume. Bei  der  männlichen  Weisstanne  haben  dieselben  i) 
am  vordem  Theile  Kerne,  nicht  aber  bei  der  weiblichen. 
Die  Rothtannen  aber  tragen  in  ihren  ganzen  Zapfen,  welche 
kleiner  und  schmaler  sind,  sehr  kleine,  schwarze  Kerne, 
werden  daher  von  den  Griechen  Phthirophoros  2)  genannt. 
An  eben  diesen  stehen  bei  den  Männchen  die  Früchtchen 
dichter  beisammen,  und  sind  nicht  so  klebrig  von  Harz. 

20. 

Ihnen  gleicht  auch  noch  im  Aeussern,  damit  wir  nichts 
übergehen,  der  Eibenbaum 3),  welcher  schmutziggrün, 
dünn,   traurig   und   Unglück  verkündend   ist,    keinen   Saft 

')  Nämlich  die  Früchte  (Zapfen).    -)  Läuseträger. 
3)  Taxus.  Taxus  baccata  L. 


Sechszehntes  Buch.  Ig5 

führt,  und  allein  unter  allen  diesen  eine  Beere  trägt.  Die 
Frucht  des  Männchens  ist  schädlich,  in  den  Beeren  befindet 
sich  nemlich,  besonders  in  Spanien,  ein  Gift.  Auch  hat 
man  die  Erfahrung  gemacht,  dass  aus  seinem  Holze  in 
Gallien  gefertigte  Reiseflaschen  dem  darin  aufbewahrten 
Weine  tödtliche  Eigenschaften  verliehen.  Sextius  ^)  sagt, 
die  Griechen  nennten  ihn  Smilax,  und  in  Arkadien  sei  der- 
selbe so  giftig,  dass  Personen,  welche  unter  ihm  schliefen 
oder  speiseten,  stürben.  Nach  Einigen  soll  von  diesem 
Baume  das  Gift,  in  welches  die  Pfeile  getaucht  werden, 
das  taxische  genannt  sein,  das  nun  den  Namen  toxisches 
bekommen  hat.  Man  hat  gefunden,  dass  es  unschädlich 
wird ,  wenn  man  einen  ehernen  Nagel  in  den  Baum  ein- 
schlägt. 

21. 
Den  The  er  2)  bereitet  man  in  Europa  aus  der  Harz^ 
flehte,  und  gebraucht  ihn  zum  Dichtmachen  der  Fahrzeuge 
und  zu  vielen  andern  Zwecken.  Das  Holz  wird  in  Stücke 
gesägt,  und  in  einem  Ofen,  der  von  aussen  allenthalben  mit 
Feuer  umgeben  ist,  geschwelt.  Das  zuerst  Uebergehende 
läuft  wie  Wasser  in  einer  Rinne  ab,  heisst  in  Syrien  Ce- 
drium  und  besitzt  eine  solche  Kraft,  dass  man  in  Aegyp- 
ten  menschliche  Leichname  damit  übergiesst  und  dadurch 
conservirt. 

22. 
Die  nachfolgende  Flüssigkeit  ist  schon  dicker  nnd 
liefert  den  The  er.  Dieser  wird  auf's  Neue  in  kupferne 
Pfannen  gegossen,  und  durch  Essig  verdickt;  wenn  er  ge- 
ronnen ist,  bekommt  er  den  Beinamen  brutischer,  wird 
bloss  zu  Fässern  und  andern  Geräthschaften  gebraucht, 
und  unterscheidet  sich  von  dem  andern  Theer  durch  seine 
Zähigkeit,  röthliche  Farbe  und  grössere  Fettigkeit.  Zu 
allen   diesen  Operationen   dient   die  Rothtanne;    das  Harz 


*)  Ein  von  Plinius  häutig  benutzter  Schriftsteller,  dessen  Lebens- 
verhältnisse uns  aber  nicht  bekannt  sind. 
■■*)  Pix  liquida. 


186  Sechs  zehntes  Buch, 

schmilzt  man  durch  heisse  Steine  in  Trögen  von  starkem 
Eichenholz  oder,  wenn  man  keine  Tröge  hat,  in  meiler- 
artigen Haufen,  wodurch  es  eine  schwärzere  Farbe  be- 
kommt, stösst  es  dann  zu  feinem  Mehle  #ind  thut  es  in  den 
Wein.  Wenn  man  eben  dasselbe  Harz  mit  Wasser  gelinde 
kocht  und  dann  durchseihet,  wird  es  braunroth  und  zähe, 
und  heisst  Tropfharz.  Hiezu  verwendet  man  aber  in  der 
Regel  nur  das  schlechtere  Harz  und  die  Rinde.  Das  ge- 
sottene Pech  1)  bereitet  man  auch  noch  auf  andere  Weise. 
Man  nimmt  nemlich  das  feinere,  rohe  Harz  nebst  vielen 
kleinen  und  zarten  Spähnen  vom  Baume  ab,  zerkleinert 
und  siebt  es  durch,  und  kocht  es  hierauf  mit  Wasser  aus. 
Das  davon  durch  Auspressen  erhaltene  Fett  giebt  ein  vor- 
zügliches, seltenes  Harz,  was  bloss  an  wenigen  Orten  Ita- 
liens in  der  Nähe  der  Alpen  zu  ärztlicher  Anwendung  ge- 
wonnen wird.  Man  kocht  dort  1  Congius  Harz  mit  2  Con- 
gius  Regenwasser.  Einige  halten  für  besser,  es  ohne 
Wasser  einen  ganzen  Tag  hindurch  bei  gelindem  Feuer  zu 
schmelzen,  und  anderswo  bedient  man  sich  dazu  eines 
kupfernen  Gefässes.  Ferner  siedet  man  dort  den  Terpen- 
thin,  den  man  den  übrigen  Harzen  vorzieht,  in  einer 
Pfanne.  Nach  diesem  folgt  zunächst  das  Harz  des  Mastix- 
baumes. 

23. 

Wir  dürfen  nicht  unberührt  lassen,  dass  eben  dieselben 
unter  dem  Namen  Zopissa  das  von  den  Seeschiffen  abge- 
kratzte und  mit  Wachs  vereinigte  Pech  verstehen  (da 
denn  im  Leben  nichts  unversucht  gelassen  wird),  welches 
sich  in  jeder  Beziehung  wirksamer  als  Pech  und  Harz 
zeigt,  wenn  man  es  mit  einer  Schicht  Salz  bedeckt. 

Die  Rothtanne  wird  an  der  Sonnenseite,  aber  nicht 
durch  einen  Längsschnitt,  sondern  durch  das  Abziehen  der 
Rinde,  meistens  in  einer  Weite  von  2  Fuss  und  in  einem 
Abstände  von  mindestens  1  Cubitus  von  der  Erde,  geöffnet. 


•)  crapula. 


Sech§zehntes  Buch.  187 

Mau  schont  auch  selbst  des  Holzes  nicht,  wie  bei  den 
übrigen  Bäumen,  weil  die  Spähne  gleichfalls  benutzt  weiden. 
Doch  schätzt  man  diese  nur,  wenn  sie  dicht  von  der  Erde 
sind,  höher  hinauf  schmecken  sie  bitter.  Nachher  fliesst 
aller  Saft  aus  dem  ganzen  Baume  in  die  Wunde  und  eben- 
so ist  es  bei  der  Harzfichte.  Wenn  die  Wunde  nicht  mehr 
fliesst,  wird  auf  dieselbe  Weise  au  einer  andern  Seite  eine 
neue  gemacht,  und  hierauf  noch  eine.  Dann  hauet  man 
den  ganzen  Baum  um,  und  brennt  das  Mark  aus.  So  wird 
auch  in  Syrien  die  Kinde  von  den  Aesten  und  Wurzeln 
der  Terebinthe  abgezogen,  während  man  (bei  uns)  das 
Harz  von  diesen  Theilen  verwirft.  In  Macedonien  brennt 
man  den  männlichen  Lärchenbaum,  von  dem  weiblichen 
aber  nur  die  Wurzeln.  Theopompus  berichtet,  im  Gebiete 
der  Apolloniater  werde  ein  fossiles  Pech  gefunden,  welches 
dem  macedonischen  nicht  nachstehe.  Das  beste  Pech  wird 
von  Bäumen,  welche  an  sonnigen,  gegen  Norden  gelegenen 
Orten  stehen,  gewonnen;  das  aus  schattigen  Gegenden  ist 
rauher  und  führt  einen  schädlichen  Stoff  bei  sich.  In  kalten 
Wintern  erhält  man  es  schlechter,  in  geringerer  Menge 
und  bleich.  Einige  glauben,  an  bergigen  Orten  sei  es  häu- 
figer, von  besserer  Farbe,  auch  süsser  und  rieche  ange- 
nehmer, so  lange  es  noch  Harz  sei;  durch  Absieden  liefere 
es  aber  weniger  Pech,  weil  es  in  eine  Art  Wasser  i)  über- 
gehe. Selbst  die  Bäume  wären  hier  dünner  als  in  Ebenen, 
und  diese  sowohl  als  jene  bei  heiterm  Wetter  unfrucht- 
barer. Einige  tragen  im  nächsten  Jahre  nach  ihrem  An- 
schnitte Frucht,  andere  im  zweiten,  noch  andere  im  dritten. 
Die  Wunde  füllet  sich  aber  mit  Harz  an,  nicht  mit  Einde 
oder  durch  Vernarbung,  denn  letztere  findet  bei  diesen 
Bäumen  nicht  Statt. 

Einige  haben  unter  diesen  Arten  noch  eine  eigene, 
Sapium,  aufgestellt,  weil  sie  aus  der  Vermischung  jener 
ebenso  entsteht,  wie  wir  es  bei  den  Kernfrüchten  gesagt 
haben;   die    untersten    Theile   dieses   Baumes    nennen   sie 

')  Serum. 


188  Sechszehntes  Buch. 

Fackelholz  ^).  Allein  er  [ist  nichts  anderes  als  ',  eine  Roth- 
tanne, deren  Wildheit  durch  die  Cultur  etwas  gemildert 
ist,  denn  das  Sapiumholz  wird,  wie  ich  noch  zeigen 
werde,  aus  den  gefällten  Stämmen  der  übrigen  Arten  ge- 
macht. 

24. 
Die  übrigen  Bäume  aber,  und  ganz  vorzüglich  die 
Esche 2),  hat  die  Natur  des  Holzes  wegen  hervorgebracht. 
Die  Esche  ist  hoch  und  rund,  trägt  gefiederte  Blätter,  und 
ist  durch  das  Lob  Homer's  und  den  daraus  verfertigten 
Spiess  des  Achilles  zu  grosser  Berühmtheit  gelangt.  Ihr 
Holz  hat  vielfache  Anwendung.  Dasjenige,  was  auf  dem 
Ida  in  Troas  wächst,  gleicht  dem  Cedernholze  so  sehr, 
dass  man  damit  nach  abgezogener  Einde  die  Käufer  be- 
trügt. Die  Griechen  unterscheiden  2  Arten,  die  lange  ohne 
Knoten,  und  die  kurze,  welche  härter,  dunkler  ist  und  lor- 
beerartige Blätter  hat.  Diejenige,  welche  sich  am  weitesten 
ausbreitet  und  am  zähesteu  ist,  heisst  in  Macedonien  die 
grosskopfige  ^).  Andere  theilen  sie  nach  ihren  Standörtern 
ein;  die  in  Ebenen  wachsenden  sollen  nämlich  krauses 
und  die  auf  den  Bergen  dichtes  Laub  haben.  Griechischen 
Berichten  zufolge  sind  die  Blätter  dem  Zugvieh  tödtlich, 
den  übrigen  Wiederkauern  hingegen  unschädlich.  In  Italien 
schaden  sie  selbst  dem  Zugvieh  nicht.  Gegen  den  Biss 
der  Schlangen  erweist  sich  der  ausgepresste  Saft  im  Tranke 
und  auf  Geschwüre  geschlagen  heilsam,  und  zwar  mehr 
als  jedes  andere  Mittel.  Der  Baum  hat  eine  solche  Kraft, 
dass  die  Schlangen  weder  früh  Morgens  noch  Abends  in 
seinen  Schatten  kommen,  dieser  mag  sich  noch  so  weit 
ausdehnen,  ja  selbst  weit  vor  ihm  fliehen.  Als  Augenzeuge 
berichten  wir,  dass  wenn  in  einen  Kreis  dieses  Laubes 
eine  Schlange  und  Feuer  eingeschlossen  wird,  dieselbe  eher 
ins   Feuer   als  in  das  Eschenlaub    läuft.    Die  Natur  zeigt 


')  Taedae. 

^)  Fraxinus.  Fraxinus  excelsior  L. 

3)  ßumelia. 


Sechszehntes  Buch.  189 

sich  darin  ganz  besonders  gütig,  dass  der  Eschenbaum 
blühet,  bevor  die  Schlangen  hervorkommen,  und  sein  Laub 
nicht  eher  fallen  lässt ,  bis  diese  sich  wieder  verborgen 
haben. 

25. 

Der  männliche  und  w^eibliche  Lindenbaum  i)  sind  in 
jeder  Hinsicht  von  einander  verschieden;  denn  das  Holz 
des  erstem  ist  hart,  röther,  knotig  und  geruchvoller,  die 
Rinde  ist  dicker,  und  nach  dem  Abziehen  vom  Stamme 
unbiegsam,  er  trägt  auch  keinen  Samen  oder  Blüthe  wie 
der  weibliche,  welcher  einen  dickern  Stamm,  weisseres  und 
besseres  Holz  hat.  Es  ist  merkwürdig,  dass  die  Frucht 
dieses  Baumes  von  keinem  Thiere  angerührt  wird,  obgleich 
der  Saft  der  Blätter  und  Rinde  süss  schmeckt.  Zwischen 
der  Rinde  und  dem  Holze  befinden  sich  vielfache  Lagen 
dünner  Häute,  von  welchen  die  Lindenbinden  ihren  Namen 
haben;  die  zartesten  von  ihnen  heissen  Philyrae  und  sind 
durch  die  Kranzbinden,  welche  bei  den  Alten  sehr  im  An- 
sehen standen,  berühmt  geworden.  Das  Holz  wird  von 
Würmern  nicht  angefressen,  ist  zwar  nicht  besonders  lang, 
aber  sehr  nützlich. 

26. 

Der  Ahornbaum  2)  wird  fast  ebenso  gross,  und  steht, 
was  Schönheit  und  Zartheit  der  daraus  verfertigten  Ar- 
beiten betrifft,  nur  dem  Citrus  ^)  nach.  Es  giebt  mehrere 
Arten.  Der  weisse,  von  vorzüglicher  Schönheit,  heisst  der 
gallische,  und  wächst  in  Italien  jenseits  des  Po's,  sowie 
hinter  den  Alpen.  Die  zweite  Art  hat  krausdurchlaufende 
Flecke;  die  bessere  Varietät  davon  führt  von  der  Aehnlich- 
keit  mit  dem  Pfauenschwanze  diesen  Namen  und  findet 
sich  am  besten  in  Istrien  und  Rhätien.  Die  schlechtere 
Art  heisst  die  grobaderige.  Die  Griechen  unterscheiden 
sie  nach  ihren  Standorten.  Die  auf  Ebenen  wachsende 
soll  nämlich  weiss,  nicht  kraus  sein,  und   heisst  Glinon*); 


')  Tilia.  Tilia  argentea  Desf. 

-)  Acer.    .^)  Vergl.  XIII.  B.  29.  Cap.    *)  Acer  creticum. 


190  Sechszehntes  Buch. 

der  Bergahorn  i)  dagegen  sei  krauser  und  härter ,  auch 
habe  der  männliche  mehr  Masse  und  die  daraus  gefertigten 
Arbeiten  verdienten  den  Vorzug.  Eine  dritte  Art,  Zygia  2), 
sei  roth,  habe  ein  leicht  spaltbares  Holz,  und  eine  bleifar- 
bige, rauhe  Rinde.  Andere  verstehen  hierunter  eine  eigene 
Gattung,  und  nennen  sie  im  Lateinischen  Carpinus  ^). 

27. 

Von  besonderer  Schönheit  ist  das  Bruscum,  und  noch 
viel  vortrefflicher  das  Molluscum;  beide  sind  Auswüchse 
des  Ahorns,  das  erstere  mehr  krausgedrehet,  das  Mollus- 
cum einfacher  geädert,  und  hätten  sie  die  zu  Tischen  er- 
forderliche Grösse,  so  würden  sie  ohne  Zweifel  dem  Citrus 
vorgezogen  werden.  So  aber  sieht  man  sie  nur  selten  an 
Schreibtafeln  und  Stühlen  als  kleine  Platten  eingelegt. 
Auch  an  der  Erle  4)  findet  sich  ein  Auswuchs,  der  aber 
um  so  viel  schlechter  ist,  als  sich  die  Erle  von  dem  xlhorn 
selbst  unterscheidet.  Die  Männchen  des  Ahorns  blühen 
eher;  auch  zieht  man  die  an  trocknen  Stellen  wachsenden 
denen  von  nassen  vor,  wie  diess  ebenfalls  bei  der  Esche 
geschieht.  Jenseits  der  Alpen  wächst  ein  dem  weissen 
Ahorn  sehr  ähnlicher  Baum,  welcher  Pimpernuss^)  heisst 
und  Schoten  trägt,  deren  Kerne  wie  Haselnüsse  schmecken. 

28. 

DerBuxbaumß)  steht  besonders  seines  Holzes  wegen 
sehr  im  Ansehen,  denn  dasselbe  ist  selten,  und  nur  in  der 
Wurzel  knorrig,  empfiehlt  sich  auch  durch  eine  gewisse 
milde  Ruhe,  durch  Härte  und  Blässe,  der  Baum  selbst  aber 
zu  Gartenanlagen.  Es  giebt  3  Arten:  den  gallischen,  der 
zu  Spitzsäulen  und  auch  wohl  etwas  breiter  gezogen  wird; 


')  Acer  luontanum  L.  (A.  Pseudoplatanus)  und  A,  platanoides. 

-)  Acer  campestre  L. 

^)  Carpinus  Betulus  L.,  die  Hainbuche. 

■*)  Alnus.  Betula  Alnus  L. 

^)  Staphylodendron.  Staphylea  pinnata  L. 

'')  Buxus.  Buxus  sempervirens  L. 


Sechszehntes  Buch.  191 

den  Oleaster,  welcher  zu  nichts  taugt  und  einen  starken 
Geruch  besitzt;  endlich  den  sogenannten  unsrigen,  welcher, 
wie  ich  glaube,  ein  durch  Cultur  verbesserter  wilder  ist, 
sich  mehr  ausbreitet,  dichte  Wände  bildet,  beständig  grünt 
und  sich  beschneiden  lässt.  Der  Buxbaum  wächst  sehr 
häufig  auf  den  pyrenäischen  und  cytorischen  Grebirgen  und 
in  dem  berecynthischen  Distrikte,  wird  in  Corsika  am  dick- 
sten, seine  Blüthe  ist  nicht  unansehnlich,  macht  aber  den 
Honig  bitter,  und  seinen  Samen  meiden  alle  Thiere.  Auf 
dem  Olymp  in  Macedonien  ist  er  schlanker  aber  niedriger. 
Er  liebt  kalte,  sonnige  Standplätze.  Im  Feuer  ist  er  so 
hart  wie  Eisen,  giebt  weder  eine  Flamme  noch  brauchbare 
Kohle. 

29. 
Zwischen  diese  und  die  fruchttragenden  Bäume  stellt 
man  wegen  ihres  Holzes  und  ihrer  Freundschaft  mit  dem 
Weinstock,  die  Ulme^).  Die  Griechen  kennen  zwei  Arten, 
eine  auf  Bergen  wachsende,  welche  grösser,  und  eine  in 
Ebenen,  die  strauchartig  ist.  In  Italien  neunt  man  die 
höchsten  atinische  2),  und  zieht  unter  diesen  die  trocknen 
nicht  feucht  stehenden  vor.  Die  zweite  Art  heisst  die  galli- 
sche, die  dritte,  welche  dichteres  Laub  und  daher  mehr  Stiele 
hat,  die  unsrige,  die  vierte  die  wilde.  Die  atinischen  tragen 
keine  Flügelfrüchte  (so  heisst  nämlich  der  Samen  der 
Ulme)  und  pflanzen  sich  durch  Wurzelschösslinge  fort, 
während  die  übrigen  aus  dem  Samen  entstehen. 

30. 
Nachdem  wir  nun  die  vornehmsten  Bäume  angeführt 
haben,  müssen  wir  von  allen  einige  allgemeine  Bemerkungen 
einschalten.  Die  Ceder,  der  Lärchenbaum,  die  Harzfichte 
und  die  übrigen,  welche  Harz  liefern,  lieben  die  Berge; 
desgleichen  die  Kermeseiche,  der  Buxbaum,  die  Stecheiche, 
der  Wachholder,  die  Terebinthe,  Pappel,  die  Mannaesche  ^), 


M  Ulmus.  Ulmus  campestris  und  effusa  L. 
2)  Die  Varietät  Ulmus  suberosa  Wild. 
^)  Ornus,  Fraxinus  Ornus  L. 


192  Sechszehntes  Buch. 

die  Kornelkirsche,  die  Hainbuche.  Auf  dem  Apennin  findet 
sich  ein  Strauch,  der  Cotinus  ^  heisst  und  durch  die 
von  ihm  kommende  Conchylienfarbe  bekannt  ist ,  welche 
aber  nur  zu  leinenen  Bändern  gebraucht  wird.  Berge  und 
Thäler  liebt  die  Tanne,  Eiche,  Kastanie,  Linde,  Stecheiche 
und  Kornelkirsche.  Auf  wasserreichen  Bergen  gedeihen 
der  Ahorn,  die  Esche,  der  Speierling,  die  Linde  und  Kirsche 
gut.  Nicht  leicht  sieht  man  auf  Bergen  die  Pflaume,  Gra- 
nate, den  wilden  Oelbaum,  die  welsche  Nuss,  die  Maulbeere, 
den  Hollunder.  Auch  in  die  Ebenen  steigen  herab:  die 
Kornelkirsche,  die  Haselnuss,  die  Eiche,  Mannaesche,  der 
Ahorn,  die  Esche,  Buche,  Hainbuche.  Ebenso  findet  man 
auch  auf  Bergen:  die  Ulme,  den  Apfelbaum,  Birnbaum, 
Lorbeer,  die  Myrte,  die  blutrothen  Sträucher  -),  die  Stech- 
eiche und  den  zum  Färben  dienenden  Ginster  ^),  Einen 
kalten  Standort  liebt  der  Speierling,  und  noch  mehr  die 
Birke  ^).  Diess  ist  ein  gallischer  Baum  von  ausgezeichneter 
Weisse  und  Zartheit  (der  äussersten  Rindenschicht),  und 
schreckbar  durch  die  obrigkeitlichen  Ruthen;  er  lässt  sich 
wegen  seiner  Biegsamkeit  zu  Tonnenreifen,  sowie  zu 
Korbrippen  gebrauchen.  Die  Gallier  kochen  aus  ihr  ein 
Bitumen^).  Dort  wächst  auch  ein  Dornbaum,  welcher  zu 
Hochzeitsfackeln  das  glückbringendste  Gewächs  ist,  weil, 
wie  Masurius  berichtet,  die  Hirten,  welche  die  Sabinerinnen 
raubten,  die  ihrigen  daraus  gemacht  hatten.  Jetzt  gebraucht 
man  zu  Hochzeitsfackeln  am  meisten  die  Hainbuche  und 
die  Haselstaude. 

3L 
Die  Cypresse,  welsche  Nuss,  Kastanie  und  der  Bohnen- 
baum''')  lieben  die  Nässe  nicht.     Letzterer  ist  ein  nicht 
allgemein  bekannter  Alpenbaum  mit  hartem,  weissem  Holze, 


»)  Rhus  Cotinus  L.? 

2)  Wahrscheinlich  Cornus  alba  und  sanguinea. 

3)  Genista,  G.  tinctoria  L.    ")  Betula.  B.  alba  L. 
^)  Den  Birkentheer. 

^)  Laburnum,  Cytisus  Laburnum  L. 


Sechszehntes  Buch.  193 

dessen  ellenlange  Blütbeu ')  die  Bienen  nicht  berühren. 
Auch  steht  nicht  gern  uass  der  sogenannte  Jupitersbart  2), 
der  sich  als  Zierpflanze  empfiehlt,  beschneiden  lässt,  rund 
und  dicht  wächst  und  ein  silberfarbiges  Blatt  hat.  Nur 
an  wässrigen  Plätzen  gedeihen:  die  Weiden,  Erlen,  Pappeln, 
der  Siler  3)  und  die  Rainweide,  welche  die  besten  Würfel 
liefert.  Ferner  die  Vaccinia  ^),  welche  man  in  Italien  zum 
Verkauf  pflanzt;  in  Gallien  giebt  es  aber  rothe  •■) ,  mit 
denen  die  Kleider  der  Sclaven  gefärbt  werden.  Alle 
Bäume,  welche  auf  Bergen  und  in  Ebenen  wachsen,  werden 
in  diesen  grösser  und  bekommen  ein  besseres  Ansehen;  da- 
gegen haben  sie  auf  Bergen  besseres  und  mehr  gemasertes 
Holz  mit  Ausnahme  der  Aepfel-  und  Birnbäume. 

32. 

Ferner  fallen  von  einigen  Bäumen  die  Blätter  ab, 
andere  sind  immerwährend  grlinbelaubt.  Jedoch  noch  ein 
anderer  Unterschied  muss  diesem  vorhergehen;  denn  einige 
Bäume  sind  gänzlich  wild,  andere  milder,  und  nach  diesen 
Namen  wollen  wir  sie  unterscheiden.  Zahme  Bäume  sind 
aber  diejenigen,  welche  durch  ihre  Früchte,  ihren  Schatten 
oder  durch  sonst  etwas  dem  Menschen  nützlich  werden, 
und  daher  nicht  unpassend  städtische  genannt  werden 
könnten. 

33. 

Folgende  Arten  verlieren  ihre  Blätter  nicht:  Der 
Oelbaum,  der  Lorbeer,  die  Palme,  Myrte,  Cypresse,  Fichte, 
der  Epheu,  Oleander 0)  und  (obgleich  er  ein  Kraut  ge- 
nannt wird)  der  Sadebaum  ^).  Der  Oleander  kommt,  wie 
aus  dem  Namen  erhellet,  von  den  Griechen.  Einige  nennen 
ihn    Neriuni,    Andere    Rhododaphne;    er    behält    beständig 


')  Worunter  der  ganze  (traubige)  Blüthenstand  zu  verstehen 
ist.     2)  Jovis  barba.  Anthyllis  cretica  W. 

3)  Siler.  Nach  Caesalpin:  Der  Spindelbaum,  Evonymus  euro- 
paeus  L.     *)  Vaccinium  Myrtillus  L. 

^)  Vaccinium  Vitis  idaea  L. 

")  Rhododendron.  Neriuni  Oleander  L. 

')  Sabina.  Juniperus  Sabina  L. 

Wittstein:  PliniuB.     III.  Bd.  J3 


194  Sechszeimtes  Buch. 

sein  Laub,  hat  Aehnliclikeit  mit  der  Rose,  und  einen  strauch- 
artigen Stengel.  Für  das  Zugvieh,  die  Ziegen  und  Schafe 
ist  er  ein  Gift;  der  Mensch  aber  gebraucht  ihn  als  Heil- 
mittel gegen  das  Gift  der  Schlangen. 

Unter  den  wilden  Bäumen  behalten  die  Blätter:  Die 
Tanne,  der  Lärchenbaum  i),  der  Pinaster,  Wachholder,  die 
Ceder,  Terebinthe,  der  Buxbaum,  die  Stecheiche,  Kermes- 
eiche,  Korkeiche,  der  Eibenbaum,  die  Tamariske.  Das 
Mittel  zwischen  beiden  Reihen  halten  der  Andrachne  in 
Griechenland  und  der  Unedo  allenthalben,  denn  diese  ver- 
lieren alle  Blätter  mit  Ausnahme  der  obersten.  Auch 
unter  den  Sträuchern  wirft  sie  ein  Rubus  und  das  Rohr 
nicht  ab.  Im  thurinischen  Gebiete,  da  wo  Sybaris  stand, 
sah  man  von  der  Stadt  aus  eine  Eiche,  welche  die  Blätter 
niemals  verlor,  auch  immer  erst  nach  der  ersten  Hälfte 
des  Sommers  ausschlug;  und  es  ist  zu  bewundern,  dass 
griechische  Schriftsteller  diess  berichtet,  und  die  unsrigen 
davon  geschwiegen  haben.  Manche  Gegenden  besitzen  in 
der  That  eine  solche  Kraft,  dass  z.  B.  um  Memphis  in 
Aegypten  und  zu  Elephantine  in  Thebais  kein  Baum, 
nicht  einmal  der  Weinstock,  das  Laub  verliert. 

34. 

Ausser  den  früher  genannten  verlieren  alle  übrigen 
(welche  aufzuzählen  zu  lange  dauern  würde)  die  Blätter, 
und  man  hat  bemerkt,  dass  nur  allein  die  dünnen,  breiten 
und  weichen  Blätter  vertrocknen,  und  dass  die  nicht  abfal- 
lenden dick  und  schmal  sind.  Es  ist  eine  falsche  Meinung, 
die  Bäume,  deren  Saft  fett  sei,  verlören  sie  nicht;  denn 
wie  lässt  sich  diess  auf  die  Stecheiche  einwenden?  Der 
Mathematiker  Timäus  glaubt,  die  Blätter  fielen,  wenn  die 
Sonne  durch  den  Scorpion  gehe,  durch  die  Wirkung  des 
Gestirnes  und  ein  gewisses  Gift  der  Luft,  ab.  Allein  da 
müssen  wir  mit  Recht  bewundern,  warum  diese  Ursache 
nicht  auf  alle  Bäume  gleichen  Einfluss  ausübe.     Von   den 


•)  Dieser  verliert  allerdings  jährlich  die  Nadeln. 


S^chszehntes  Buch.  5^95 

meisten  Bäumen  fällt  das  Laub  im  Herbste;  einige  ver- 
lieren es  später  und  behalten  es  bis  zum  Winter.  Die^s 
richtet  sich  jedoch  nicht  nach  dem  frühem  Ausschlagen, 
denn  einige,  obwohl  sie  sehr  früh  ausschlagen,  werden 
mit  am  spätesten  kahl,  wie  die  Mandeln,  Eschen,  Hollun- 
der.  Der  Maulbeerbaum  aber  schlägt  am  spätesten  aus, 
und  ist  einer  der  ersten,  die  die  Blätter  wieder  verlieren. 
Der  Erdboden  übt  hierbei  auch  seinen  Einfluss  aus  Von 
Bäumen,  welche  an  trocknen  und  magern  Plätzen  stehen, 
fallen  die  Blätter  eher  ab,  desgleichen  von  alten  Bäumen, 
auch  von  vielen,  ehe  die  Frucht  reif  ist;  so  kann  man  an 
der  späten  Feige,  der  Winterbirne  und  dem  Grauatbaum3 
das  blosse  Obst  an  der  Mutter  hängen  sehen.  Aber  auch 
auf  den  Bäumen,  welche  ihr  Laub  behalten,  bleiben  nicht 
fortwährend  dieselben  Blätter,  sondern  es  wachsen  andere 
nach,  während  die  alten  trocken  werden,  und  diess  geschieht 
vorzüglich  in  den  längsten  Tagen. 

35. 
Eine  jede  Pflanzenart  hat  nur  Blätter  von  einerlei 
Beschaffenheit,  ausgenommen  die  Pappel,  der  Epheu  und 
der  Wunderbaum,  der,  wie  wir  gesagt  haben  1),  auch  Cici 
genannt  wird.  Es  giebt  drei  Arten  Pappeln,  weisse  2), 
schwarze^),  und  die  sogenannte  Libj^sche*),  welche  die 
kleinsten  Blätter  hat,  die  schwärzeste  ist,  und  wegen  der 
an  ihr  wachsenden  Schwämme  am  meisten  geschätzt  wird. 
Das  Blatt  der  weissen  Pappel  ist  zweifarbig,  oben  weiss 
unterhalb  grün.  Diese,  die  schwarze  und  der  Wunderbaum 
haben  anfangs  cirkelrunde  Blätter,  werden  dieselben  jedoch 
älter,  so  gehen  sie  in  Ecken  aus.  Dahingegen  werden  die 
anfangs  eckigen  Blätter  des  Epheus  rund.  Von  den  Pap- 
pelblättern fliegt  eine  sehr  grosse  Menge  Wolle  in  die 
Luft'');   von    der  weissen,  die,  wie  schon  erwähnt,  dichter 


•)  XV.  B.  7.  Cap.     -')  Populus  alba    L.     3)  Populus  nigra  L. 
■*)  Populus  treraula  L. 

5)  Die    herumfliegende   Wolle    kommt    nicht  von    den   Blättern, 
sondern  aus  den  berstenden  Früchten. 

13* 


19(3  Sechszelmtes  Buch. 

belaubt    ist,    bildet    dieselbe    weisse    lauge    Zotteu.     Die 
Blätter  des  Granat-  uud  des  Mandelbaums  sind  röthlieh. 

86. 

Ich  muss  hier  eines  besonders  merkwürdigen  Umstan- 
des  erwähnen,  den  man  bei  der  Ulme,  Linde,  dem  Oel- 
baume,  der  weissen  Pappel  und  Weide  bemerkt.  Ihre 
Blätter  drehen  sieh  nämlich  nach  der  Sonnenwende 
herum,  und  diess  ist  der  sicherste  Beweis,  dass  diess  Ge- 
stirn seinen  Lauf  vollendet  hat;  sie  bieten  auch  noch 
einige  allgemeine  Unterschiede  dar,  denn  die  untere  Fläche 
hat  eine  grasgrüne  Farbe,  die  obere  ist  glatter  und  auf 
ihr  befinden  sich  die  Rippen,  die  stärkere  Haut  und  die 
Glieder,  die  Einschnitte  aber  unterhalb  wie  bei  der  mensch- 
hchen  Hand.  Die  Blätter  des  Oelbaums  und  Epheus  sind 
oben  weisser  und  weniger  glatt.  Alle  Blätter  aber  wenden 
sich  täglich  nach  der  Sonne,  denn  auch  die  untern  Theile 
wollen  erwärmt  sein.  Die  obere  Fläche  hat  immer  einen 
wollartigen  Ueberzug,  der  bei  einigen  Völkern  die  Stelle 
der  Wolle  vertritt. 

37. 

Es  wurde  bereits  angeführt,  dass  man  im  Oriente  aus 
Palmenblättern  starke  Stricke  macht,  die  besonders  in 
der  Kasse  sehr  brauchbar  sind.  Auch  bei  uns  sammelt 
man  solche  Blätter  nach  der  Erute  von  Palmen  ein. 
Unter  diesen  sind  diejenigen,  welche  sich  nicht  zertheilt 
haben,  die  bessern.  Man  trocknet  sie  4  Tage  lang  unter 
einem  Dache,  breitet  sie  dann  an  der  Sonne  aus,  lässt  sie 
auch  des  Nachts  an  der  Luft,  bis  sie  weiss  und  dürr  ge- 
worden sind,  und  spaltet  sie  dann  zur  weitern  Verarbeitung. 

38. 

Die  breitesten  Blätter  hat  die  Feige,  der  Weiustock 
und  die  Platane;  schmale  die  Myrte,  der  Grauatbaum  uud 
Oelbaum;  haarartige  die  Fichte  und  Ceder;  stachliche  die 
Kermeseiche  und  die  Stecheiche,  und  der  Wachholder 
statt  der  Blätter  Dornen;  fleischige  die  Cy presse  und  Ta- 
mariske; sehr  dicke  die  Erle;  lange  das  Rohr  und  die 
Weide;  sogar  doppelte  die  Palme;    runde   die  Birne;  kurz- 


Öcchszehntes  Buch.  197 

stachlichte  der  Apfelbaum;  eckige  der  Epheii;  lappige  die 
Platane;  kamraartig  eiiigesclinittene  die  Tanuen;  am 
ganzen  Umfange  buchtige  die  gemeine  Eiche;  auf  der 
Fläche  dornige  der  Brombeerstrauch.  Stechende  Blätter 
haben  die  Fichte,  die  Tannen,  der  Lärchenbaum,  die  Ceder 
und  die  Kermeseichen.  Einen  kurzen  Stiel  haben  die 
Blätter  des  Oelbaums  und  der  Stecheiche;  einen  langen  die 
des  Weinstocks,  einen  zitternden  die  der  Pappeln,  welche 
allein  unter  sich  ein  Geräusch  machen.  Ja  selbst  aus 
Früchten,  z.  B.  aus  einer  Art  Aepfeln,  wachsen  ein,  zuwei- 
len auch  zwei  Blätter  heraus.  Bei  einigen  sitzen  sie  an  den 
Aesten  herum,  bei  andern  an  der  Spitze  derselben,  bei 
der  Eiche  am  Stamme  selbst.  Bald  stehen  sie  dicht,  bald 
einzeln;  die  breiten  stehen  stets  mehr  vereinzelt.  An  der 
Myrte  finden  sie  sich  regelmässig  geordnet,  am  Bux- 
baume  hohl,  den  Apfelbäumen  ohne  Ordnung.  An  den 
Apfel-  und  Birnbäumen  kommen  mehrere  aus  einem  Stiele 
hervor.  Bei  der  Ulme  und  dem  Cytisus  sind  sie  voll 
kleiner  Aeste.  Hierzu  fügt  Cato  noch  die  abfallenden 
wnd  sagt,  man  solle  die  Pappel-  und  Eichenblätter  dem 
Vieh  nicht  zu  trocken  geben,  und  dem  Rindvieh  auch  das 
Laub  von  der  Feige,  Stecheiche  und  dem  Epheu.  Man  giebt 
ihnen  auch  das  vom  Schilfe  und  Lorbeer.  Vom  Speierlings- 
baume  fällt  alles  Laub  auf  einmal,  von  den  übrigen  Bäumen 
nur  nach  und  nach  ab.     So  viel  von  den  Blättern. 

39. 
Die  jährliche  Ordnung  in  der  Natur  ist  aber  fol- 
gende. Zuerst  findet  die  Befruchtung  statt,  und  zwar 
wenn  der  Westwind  zu  wehen  anfängt,  etwa  am  18.  Fe- 
bruar. Durch  ihn  wird  alles,  was  aus  der  Erde  hervor- 
kommt, befruchtet,  ja  selbst  die  Stuten  in  Spanien,  wie 
wir  bereits  gesagt  haben.  Er  ist  der  erzeugende  Hauch 
des  Weltalls,  und  hat  daher  auch,  wie  Einige  glauben, 
vom  brüten  i)  seinen  Namen  erhalten.  Er  wehet  gerade 
von  Westen  her  und  eröffnet  den  Frühling.  Die  Bauern 
nennen   es    die   Brunstzeit,   wenn   die   Natur   begierig   ist, 

')  favere,  davon  Favonius. 


198  Sechszehntes  Buch. 

Samen  zu  empfangen  und  dem  ganzen  Gewächsreiehe  Le- 
ben damit  einzuhauchen.  Die  Pflanzen  werden  in  ver- 
schiedenen Tagen  und  eine  jede  ihrer  Natur  gemäss  be- 
fruchtet. Einige  tragen  bald  darauf  Früchte,  wie  manche 
Thiere;  andere  erst  später  und  gehen  gleichsam  länger 
damit  schwanger,  was  daher  das  Hervorsprossen  *)  genannt 
wird.  Sie  gebären  aber,  wenn  sie  blühen,  und  ihre  Blüthe 
besteht  aus  zerrissenen  Bälgen.  Die  Erziehung  findet  an 
der  Frucht  statt;  diess  ist  nämlich  auch  ein  Act  des 
Sprossens. 

40. 
Die  Blüthe  zeigt  den  vollen  Frühling  und  das  wieder 
neugeborene  Jahr  an;  sie  ist  die  Freude  der  Bäume. 
Dann  zeigen  diese  sich  neu  und  anders  als  zuvor;  dann 
schwelgen  sie  bis  zum  Wettstreite  in  üppigem  Farben- 
wechsel. Jedoch  ist  dieser  Vorzug  sehr  vielen  unter  ihnen 
versagt,  denn  nicht  alle  tragen  Blüthen,  sondern  manche 
sind  traurig,  und  fühlen  die  Freuden  des  Jahreswechsels 
nicht.  Denn  weder  die  Stecheiche,  noch  die  Tanne,  Lärche 
und  Fichte  freuen  sich  der  Blüthen  oder  versprechen  das 
Entstehen  ihrer  Früchte  durch  jährliche  Wiederkehr  von 
bunten  Vorboten;  auch  die  zahmen  und  wilden  Feigen 
blühen  nicht,  denn  mit  den  Blüthen  kommt  auch  zugleich 
die  Frucht.  Bei  den  Feigen  ist  das  Fehlschlagen  mancher 
Früchte,  die  reif  werden,  merkwürdig.  Auch  der  Wach- 
holder^)  blüht  nicht.  Einige  geben  2  Arten  davon  an, 
von  denen  angeblich  eine  blühe  und  nicht  trage,  an  der- 
jenigen aber,  welche  nicht  blühe,  entständen  sogleich 
Beeren,  die  2  Jahre  lang  hängen  blieben.  Allein  diess  ist 
unrichtig  ^),  denn  sie  sehen  alle  beständig  widrig  aus.  So 
entbehrt  denn  auch  das  Schicksal  vieler  Menschen  der 
Blüthe. 


*)  germinatio. 

-)  Juniperus.  Juniperus  comuiunis  L. 

'•>)  Im  Gegentheile  ist  hier  des  Plinius  Ansicht   falsch,   und  das 
Gesagte  richtig. 


Sechszehntes  Buch.  199 

41. 

Alle  Bäume  aber,  selbst  die  welche  nicht  blühen, 
schlagen  aus,  jedoch  findet  dabei  hinsichtlich  des  Stand- 
ortes ein  grosser  Unterschied  statt.  Diejenigen  von  ein 
und  demselben  Geschlechte,  welche  in  Sümpfen  stehen, 
kommen  zuerst,  dann  die  auf  Ebenen  und  zuletzt  die  in 
Wäldern;  die  Holzbirnen  überhaupt  aber  später  als  die 
übrigen  Bäume.  Sobald  der  Westwind  zu  wehen  beginnt, 
schlägt  die  Kornelkirsche  aus,  dann  zunächst  der  Lorbeer, 
kurz  vor  dem  Aequinoctium  die  Linde,  der  Ahorn.  Unter 
die  ersten  gehört  ferner  die  Pappel,  Ulme,  Weide,  Erle 
und  die  Nuss.  Auch  die  Platane  kommt  zeitig.  Die 
übrigen  beim  Beginn  des  Frühlings,  als  die  Kermeseiche, 
Terebinthe,  der  Judendorn  i),  die  Castanie  und  die  Eichel- 
bäume. Später  der  Apfelbaum  und  am  spätesten  die  Kork- 
eiche. Bei  einigen  findet  ein  doppeltes  Ausschlagen  statt, 
was  entweder  von  zu  grosser  Fruchtbarkeit  des  Bodens 
oder  von  der  reizenden  Wollust  der  Luft  herrührt;  doch 
trifft  man  diess  mehr  bei  dem  Kraute  der  Feldsaaten.  Bei 
Bäumen  verursacht  das  zu  starke  Treiben  eine  gewisse 
Erschlaffung. 

Manchen  Bäumen  sind,  ausser  dem  im  Frühlinge  statt- 
findenden, noch  andere  Arten  des  Sprossens  natürlich  eigen, 
welche  mit  ihren  Gestirnen  im  Zusammenhange  stehen, 
und  wovon  wir  die  Ursache  passender  im  dritten  auf  dieses 
folgenden  Buche  angeben  werden.  Der  Wiutertrieb  ge- 
schieht beim  Aufgange  des  Adlers,  der  Sommertrieb  beim 
Aufgange  des  Hundssterns,  der  dritte  beim  Aufgange  des 
Arcturs.  Einige  glauben,  die  beiden  letzteren  seien  allen 
Bäumen  gemein,  man  bemerke  sie  aber  am  meisten  bei 
der  Feige,  dem  Weinstock  und  der  Granate,  denn  um 
diese  Zeit  brechen  z.  B.  die  Feigen  in  Thessalien  und 
Macedonien  am  meisten  aus.  Doch  findet  diess  in  Aegyp- 
ten    am    augenscheinlichsten    Statt.     Die    übrigen    Bäume 


')  Paliurus  Rhamnus  Paliurus  L. 


200  Sechszehntes  Buch. 

setzen  ihren  Trieb,  wie  sie  ihn  angefangen  haben,  fort. 
Die  Eiche,  Tanne  und  Lärche  setzen  3  mal  ab,  und  treiben 
3  Knospen,  daher  sie  auch  3  mal  aus  der  Rinde  Augen 
treiben,  was  bei  allen  Bäumen  während  des  Triebes  erfolgt, 
weil  durch  das  Strotzen  die  Rinde  zersprengt  wird.  Ihr 
erster  Trieb  geschieht  mit  dem  Anfange  des  Frühlings  in 
etwa  15  Tagen;  dann  treiben  sie  vom  Neuem,  wenn  die 
Sonne  durch  die  Zwillinge  geht.  Daher  kommt  es,  dass 
die  ersten  Spitzen  von  den  nachfolgenden  durch  einen 
gelenkartigen  Anwuchs  fortgetrieben  zu  werden  scheinen. 
Der  dritte  und  kürzeste  Trieb  fällt  in  die  Zeit  der  Sonnen- 
wende ,  und  dauert  nicht  länger  als  7  Tage.  Alsdann 
sieht  man  auch  deutlich  die  Gliederung  der  heranwachsen- 
den Spitzen.  Nur  der  Weinstock  treibt  zweimal,  zuerst 
wenn  er  die  Trauben  ansetzt  und  zweitens,  wenn  deren 
Saft  sich  ausbildet.  Diejenigen,  welche  nicht  blühen,  zeigen 
bloss  den  Fruchtansatz  und  ihr  Reifwerden.  Einige  blühen, 
sobald  sie  ausschlagen  und  eilen  damit,  bringen  aber  spät 
reife  Früchte,  wie  z.  B.  die  Weinstöcke.  Einige  blühen 
bei  sehr  spätem  Ausschlagen,  und  reifen  schnell,  wie  der 
Maulbeerbaum,  welcher  unter  den  zahmen  am  spätesten, 
und  nicht  eher,  bis  keine  Kälte  mehr  eintritt,  sich  belaubt; 
daher  wird  er  auch  der  klügste  Baum  genannt.  Fängt 
er  aber  einmal  au,  so  dauert  sein  ganzes  Ausschlagen 
nicht  länger  als  eine  Nacht  und  ist  sogar  mit  Geräusch 
verbunden. 

42. 
Von  denen,  welche,  wie  wir  gesagt  haben,  im  Winter 
beim  Aufgange  des  Adlers  treiben,  blühet  der  Mandelbaum 
zuerst  unter  allen  im  Januar,  seine  Frucht  kommt  aber 
erst  im  März  zur  Reife.  Demnächst  blühen  die  armeni- 
schen, knolligen  und  frühen  Pflaumen,  jene  als  Fremdlinge, 
diese  als  getrieben.  In  natürlicher  Ordnung  aber  unter 
den  wilden  zuerst  der  Hollunder,  welcher  das  meiste  Mark 
hat,  und  der  männliche  Kornelkirscheubaum,  in  welchem 
gar  keins  ist;  unter  den  zahmen  der  Apfelbaum,  und  kurze 
Zeit   darauf,    so    dass   man    es    zugleich    sehen  kann,   der 


Sechszehntes  Buch.  201 

Biiii',  Kirsch-  und  Pflaumenbaum.  Nun  folgt  der  Lorbeer, 
auf  diesen  die  Cypresse,  dann  die  Granate  und  Feige. 
Der  Weinstoek  und  Oelbaum  aber  schlagen  erst  aus,  wenn 
jene  schon  blühen;  sie  treiben  beim  Aufgange  des  Sieben- 
gestirns, diess  ist  nämlich  ihr  Gestirn.  Der  Weinstock, 
blühet  bei  der  Sonnenwende,  und  etwas  später  der  Oel- 
baum. Alle  Bäume  blühen  nicht  schneller  als  in  7  Tagen 
ab,  einige  brauchen  noch  länger  dazu,  jedoch  niemals  mehr 
als  14  Tage,  und  zwar  stets  noch  vor  dem  8.  Juli,  welcher 
den  Passatwinden  vorhergeht. 

43. 

Bei  einigen  Bäumen  folgt  auf  die  Bliithe  nicht  sogleich 
die  Frucht.  Der  Kornelkirschenbaum ')  bringt  um  den 
längsten  Tag  seine  Frucht,  und  zwar  ist  sie  erst  weiss, 
dann  roth.  Das  Weibchen  derselben  Art  trägt  nach  dem 
Herbste  herbe  und  für  alle  Thiere  ungeniessbare  Beeren; 
auch  ist  sein  Holz  schwammig  und  unbrauchbar,  während 
das  der  Männchen  zu  den  festesten  gehört.  So  gross  ist 
der  Unterschied  in  ein  und  derselben  Art.  Aber  auch  die 
Terebinthe,  der  Ahorn  und  die  Esche  haben  erst  zur  Zeit 
dei"  Ernte  reifen  Samen;  der  Nuss-,  Apfel-  und  Birnbaum, 
das  Winterobst  und  das  frühzeitige  ausgenommen,  im 
Herbste.  Die  .  eicheltragenden  Bäume  noch  später,  beim 
Untergange  des  Siebengestirns,  die  Speiseiche  nur  im  Herbste, 
beim  Beginn  des  Winters  aber  einige  Apfel-  und  Birnarten  und 
die  Korkeiche.  Die  Weisstanne  trägt  zur  Zeit  der  Sonnen- 
wende safranfarbige  Blüthen  und  nach  dem  Untergange 
des  Siebengestirns  Samen.  Die  Fichte  und  Rothtanne 
kommen  ihm  mit  dem  Ausschlagen  beinahe  15  Tage  zuvor,, 
führen  aber  auch  erst  gleichzeitig  mit  ihm  Samen. 

44. 

Von  dem  Citrus,  dem  Wachholder  und  der  Stecheiche 
glaubt  man,  dass  sie  ihre  Früchte  1  Jahr  lang  tragen, 
denn  die  neue  hängt  zugleich  mit  der  vorjährigen  an 
ihnen.     Die  meiste  Bewunderung  verdient  aber  die  Fichte, 


')  Cornus.  Coinus  mascula  L. 


202  Sechszehntes  Buch. 

denn  sie  trägt  zugleich  reifende  Früchte,  solche  die  im 
nächsten,  und  solche  die  im  3.  Jahre  reif  werden;  kein 
Baum  wächst  auch  begieriger.  In  demselben  Monate,  wo 
man  eine  Nuss  von  ihm  abbricht,  wird  wieder  eine  andere 
reif,  und  es  ist  so  eingerichtet,  dass  in  jedem  Monate  einige 
reif  werden.  Diejenigen,  welche  sich  auf  dem  Stamme 
selbst  aufschlitzen,  heissen  Dürräpfel  i);  werden  diese  nicht 
abgenommen,  so  verderben  sie  die  übrigen. 

'  45. 

Unter  allen  Bäumen  sind  es  folgende,  welche  keine 
Frucht,  d.  h.  nicht  einmal  Samen  tragen:  die  Tamariske, 
welche  bloss  um  der  Besen  willen  wächst,  die  Pappel, 
Erle,  atinische  Ulme,  der  Alaternusstrauch  2),  dessen  Blätter 
das  Mittel  zwischen  denen  der  Stecheiche  und  des  Oel- 
baums  halten.  Man  bezeichnet  aber  die  Bäume,  welche 
weder  gepflanzt  werden  noch  Früchte  tragen,  für  unglück- 
lich und  durch  die  Religion  verworfen.  Cremutius  berich- 
tet, der  Baum,  au  welchen  sich  die  Phyllis  aufgehängt 
habe,  grüne  niemals.  Die  Harzbäume  werden  nach  dem 
Ausschlagen  geöffnet,  das  Harz  aber  wird  nicht  eher  dick, 
bis  die  Frucht  abgenommen  ist. 

46. 

Junge  Bäume  haben,  so  lange  sie  wachsen,  keine 
Frucht.  Der  Palmen-,  Feigen-,  Mandel-,  Apfel-  und  Birn- 
baum verlieren  ihre  Frucht  sehr  leicht  vor  der  Reife ; 
ebenso  der  Granatbaum,  von  dem  sogar  durch  zu  viel  Thau 
und  Reif  die  Blüthen  abfallen.  Daher  biegen  sich  seine 
Aeste  einwärts,  um  nicht,  in  aufrechter  Stellung,  die  schäd- 
liche Feuchtigkeit  aufzunehmen  und  zurückzuhalten.  Der 
Birn-  und  Mandelbaum  verlieren,  auch  wenn  es  nicht  regnet, 
sondern    schon   bei   Südwind    und    nebligem  Himmel   ihre 


')  Azaniae  von  at^avoj  ausdörren.  Andere  Lesarten  haben:  Za- 
iniae  von  t,7ifiia:  Schaden. 

2)  Alaternus.  Rhamnus  Alaternus.  Dass  Phnius  die  eben  ge- 
nannten Bäume  für  unfruchtbar  hält,  beweist  nur  die  OberflächUch- 
keit  seiner  Beobachtungen. 


Öechszehntes  Buch.  203 

ßliithen  und,  wenn  nach  dem  Abblühen  solche  Tage  ein- 
treten, ihre  ersten  Früchte.  Am  schnellsten  aber  verliert 
die  Weide  ihren  Samen,  denn  er  fällt  schon  vor  der  völ- 
ligen Eeife  ab,  daher  sie  auch  Homer  die  Fruchtabv^er- 
fende  ^)  nennt.  In  der  Folge  hat  die  Lasterhaftigkeit  der 
Menschen  diesem  Ausspruche  seine  Deutung  gegeben,  denn 
bekanntlich  wird  der  Same  als  ein  Mittel  zur  Unfruchtbar- 
keit der  Weiber  angewendet.  Aber  auch  hierin  zeigte 
sich  die  Vorsehung  der  Natur  dadurch,  dass  sie  bei  der 
Weide,  welche  leicht,  und  schon  aus  einem  einge- 
steckten Reise  hervorwächst,  sorgloser  hinsichtlich  des  Sa- 
mens verfuhr.  Eine  Weide  jedoch,  welche  auf  der  Insel 
Greta,  am  Eingange  in  die  Höhle  des  Jupiters  steht, 
soll  ihre  Samen  zur  Reife  bringen,  diese  sind  aber  hässlieh, 
holzig  und  von  der  Grösse  einer  Kichererbse. 

47. 
Einige  sind  in  Folge  eines  fehlerhaften  Bodens  un- 
fruchtbar, wie  z,  B.  die,  welche  im  Walde  Parus  gehauen 
werden  und  nichts  tragen.  Die  Pfirsichbäume  auf  Rhodus 
blühen  bloss.  Ein  solcher  Fall  rührt  auch  von  dem  Ge- 
schlechte her,  denn  die  männlichen  Bäume  bringen  keine 
Früchte  hervor.  Andere  Leute  kehren  diess  um  und  sagen, 
die  Männchen  seien  es,  welche  trügen.  Eine  andere  Ur- 
sache der  Unfruchtbarkeit  ist  die  Dichtigkeit. 

48. 
Unter  den  fruchtbringenden  tragen  einige  au  den 
Seiten  und  Spitzen  der  Aeste,  wie  die  Birn-,  Granaten-, 
Feigen-  und  Myrtenbäume,  übrigens  auf  dieselbe  Weise 
wie  bei  den  Feldfrüchten;  denn  bei  diesen  entsteht  auch 
die  Aehre  an  der  Spitze,  die  Schote  an  den  Seiten.  Die 
Palme  allein  hat,  wie  wir  gesagt  haben,  ihre  Früchte  in 
Scheiden,  aus  welchen  sie  traubig  herabhängen. 

49. 
Bei    den   übrigen   sitzt   die  Frucht  unter  dem  Blatte, 
damit  sie  geschützt  werde,  mit  Ausnahme  der  Feige,  denn 

M  Frugiperda. 


204  Sechszehntes  Buch. 

diese  hat  das  grösste  und  schattenreichste  Blatt  und  daher 
die  Frucht  über  demselben;  auch  kommt  ihr  Blatt  spä- 
ter als  die  Frucht.  Man  erzählt  als  eine  Merkwürdig- 
keit von  einer  Art  Feigen  in  Cilicien,  Cyperu  und  Hellas, 
welche  unter  den  Blättern  sitzen,  aber  erst  nach  der  Ent- 
wicklung der  Blätter  kommen.  Es  giebt  auch  Frühfeigen, 
welche  zu  Athen  die  Vorläufer  heissen.  Unter  der  la- 
conischen  Art  giebt  es  die  grössten. 

50. 

Es  giebt  Feigenbäume,  welche  zweimal  (jährlicli) 
tragen.  Auf  der  Insel  Cea  tragen  die  wilden  Feigen- 
bäume dreimal.  Durch  die  erste  Frucht  wird  die  zweite, 
uud  durch  diese  die  dritte  hervorgerufen,  und  zwar  ge- 
schieht diess  durch  die  Caprification.  Die  wilden  Feigen 
wachsen  auch  den  Blättern  gegenüber.  Auch  unter  den 
Apfel-  und  Birnbäumen  giebt  es  solche,  welche  zweimal 
tragen,  sowie  frühe.  Der  wilde  Apfelbaum  trägt  zweimal; 
seine  zweite  Frucht  erscheint,  besonders  an  sonnigen 
Stellen,  nach  dem  Aufgange  des  Arcturus.  Es  giebt  sogar 
Weinstöcke,  welche  dreimal  tragen,  uud  deswegen  die  un- 
bändigen heissen,  denn  man  findet  au  ihnen  zugleich  reife 
Früchte,  wachsende  und  Blütheu.  M.  Varro  erzählt,  zu 
Smyrna  bei  Matrous  habe  ein  Weinstock,  uud  im  consen- 
tinischen  Gebiete  ein  Apfelbaum  zweimal  getragen.  Diess  ge- 
schieht aber  fortwährend  in  Afrika  im  tacapensischem  Ge- 
biete (worüber  wir  später  noch  ausführlicher  reden  werden); 
so  gross  ist  die  Fruchtbarkeit  jenes  Bodens.  Auch  die  Cy- 
presse  trägt  dreimal;  denn  man  sammelt  von  ihr  die  Kerne 
im  Januar,  Mai  und  September,  und  diese  sind  von  dreier- 
lei Grösse. 

Auch  hinsichtlich  der  Vertheilung  der  Früchte  auf  den 
Bäumen  finden  sich  Verschiedenheiten.  Der  Erdbeerbaum 
und  die  Eiche  sind  an  ihrer  obern  Hälfte  am  fruchtbarsten, 
die  Wallnuss-  und  ordinären  Feigenbäume  an  ihrer  untern. 
Alle  Bäume  tragen  um  so  zeitiger,  je  älter  sie  werden,  und 
namentlich  an  sonnigen  Plätzen,  nicht  aber  in  einem  fetten 
Boden;    alle   wilden  Bäume  hingegen    später.     Einige   von 


Sechszehntes  Buch.  205 

diesen  bringen  gar  nichts  zur  Reife.  Die,  welche  behackt 
und  an  der  Wurzel  gesäubert  werden,  tragen  schneller  als 
solche,  bei  denen  diess  nicht  geschieht,  sind  auch  frucht- 
barer. 

51. 
Einen  Unterschied  macht  ferner  das  Alter;  denn  der 
Mandel-  und  Birnbaum  sind  im  Alter  am  fruchtbarsten, 
ebenso  die  eicheltragenden  Bäume  und  eine  Art  Feigen. 
Die  übrigen  und  die  später  reifenden  in  der  Jugend,  was 
man  am  meisten  an  den  Weinstöcken  bemerkt,  denn  die 
alten  geben  bessern,  die  jungen  aber  mehr  Wein.  Der 
Apfelbaum  aber  altert  sehr  schnell  und  trägt  im  Alter 
schlechtere  Früchte;  diese  sind  nemlich  dann  kleiner  und 
dem  Wurmstich  unterworfen,  ja  die  Würmer  entstehen  so- 
gar im  Baume  selbst.  Die  Feige  ist  die  einzige  Frucht, 
welche  durch  Insekten  zur  Reife  gebracht  wird;  sie  gehört 
zu  den  Seltsamkeiten,  weil  alles  Verkehrte  einen  höhern 
Werth  hat.  Alle  Bäume,  welche  allzu  fruchtbar  sind,  werden 
schneller  alt;  ja  einige  gehen  sogleich  aus,  wenn  die  Wit- 
terung alle  ihre  Fruchtbarkeit  hervorgelockt  hat,  ein  Um- 
stand, der  sich  bei  den  Weinstöckeu  vorzüglich  ereignet. 
Der  Maulbeerbaum  hingegen,  der  durch  seine  Frucht  nicht 
erschöpft  wird,  altert  sehr  langsam;  desgleichen  werden 
die  Bäume  mit  aderigem  Holze,  wie  der  Ahorn,  die  Palme 
und  Pa])pel,  spät  alt;  diejenigen  aber,  welche  mau  unten 
aufackert,  früher,  sehr  spät  hingegen  die  wilden.  Im 
Ganzen  kann  man  annehmen,  dass  Sorgfalt  die  Fruchtbar- 
keit, und  diese  das  Alter  herbeiführt;  daher  blühen  solche 
auch  früher,  schlagen  früher  aus,  und  sind  überhaupt  zeitiger, 
weil  alles,  w^as  schwach,  der  Einwirkung  der  Witterung 
mehr  unterworfen  ist. 

52. 
Viele  Bäume  tragen  mehrerlei,  wie  wir  bereits  bei 
den  eicheltragenden  gesagt  haben.  Unter  diesen  hat  der 
Lorbeer  seine  Trauben,  und  der,  w'elcher  nichts  weiter 
trägt,  ist  sehr  unfruchtbar  und  wird  daher  für  das  Männchen 
gehalten.     Auch  die  Haselsträuche  tragen  in  eine  Haut  ein- 


206  Sechszehntes  Buch. 

geschlossene  Kätzchen,  welche  zu  nichts  gebraucht  werden 
können.  Der  Buxbaum  aber  trägt  das  meiste  Verschieden- 
artige, nämlich  seinen  Samen,  ferner  ein  Korn,  welches 
Cratägus  genannt  wird,  gegen  Norden  die  Mistel  und 
gegen  Süden  den  Hyphear  i),  worüber  wir  bald  mehr 
sagen  werden.  Zuweilen  enthält  er  diese  4  Gegenstände 
zugleich. 

53. 
Einige  Bäume  wachsen  einfach,  indem  von  der  Wurzel 
nur  1  Stamm  und  (oben)  zahlreiche  Aeste  ausgehen,  wie 
die  Oel-  und  Feigenbäume  und  Weinstöcke.  Andere  sind 
strauchig,  wie  der  Paliurus,  die  Myrte  und  die  Haselnuss; 
letztere  trägt  sogar  bessere  und  häufigere  Früchte,  wenn 
sie  in  viele  Aeste  zertheilt  ist.  Andere  haben  gar  keinen 
Samen,  wie  eine  Art  Buxbaum  und  der  überseeische  Lotus . 
Einige  haben  2  Stämme ,  ja  man  trifft  sogar  5  theilige 
Stämme  an.  Einige  sind  getheilt  und  nicht  ästig,  wie  der 
HoUunder;  andere  ungetheilt  und  ästig,  wie  die  Tannen. 
An  einigen  sitzen  die  Aeste  in  einer  gewissen  Ordnung, 
z.  B.  an  den  Tannen;  an  andern  ohne  Ordnung,  wie  an 
der  Eiche,  dem  Apfel-  und  Birnbäume.  Die  Tanne  beson- 
ders zeigt  eine  gerade  Theilung  und  zum  Himmel  gerich- 
tete, nicht  flach  liegende  Aeste.  Merkwürdig  ist,  dass, 
wenn  man  die  Spitzen  derselben  abhauet,  der  Baum  ver- 
trocknet, hingegen  am  Leben  bleibt,  wenn  sie  ganz  weg- 
genommen werden;  auch  wenn  er  unterhalb  der  Zweige 
abgehauen  wird,  gedeihet  er  fort,  nimmt  man  ihm  aber 
nur  den  Gipfel,  so  stirbt  er.  Einige  Bäume  th eilen  sich 
von  der  Wurzel  an  armförmig  aus,  wie  die  Ulme.  Andere 
sind  an  der  Spitze  ästig,  wie  die  Fichte  und  der  Lotus 
oder  die  griechische  Bohne  2)^  welche  man  in  Rom  von 
ihrer  wohlschmeckenden,  zwar  wilden  aber  den  Kirschen 
nahe  kommenden  Frucht,  Lotos  nennt.  Man  zieht  ihn  be- 
sonders gern  an  Häusern,  weil  er  einen  kurzen  Stamm  hat 


')  Im  93.  Cap.  dieses  Buches. 

-)  Die  Dattelpflaume,  Diospyros  Lotus  L 


Sechszehntes  Buch.  207 

und  durcb  seine  ausscbweifenden  Aeste,  die  sieh  oft  bis  zu 
den  Nachbarhäusern  erstrecken,  viel  Schatten  verbreitet. 
Kein  Baum  verleihet  auf  kürzere  Zeit  Schatten,  denn  im 
Winter  hält  er  die  Sonne  nicht  ab,  weil  er  dann  keine 
Blätter  bat;  keiner  hat  eine  angenehmere  und  für  die  Augen 
gefälligere  Rinde,  und  keiner  längere  und  stärkere  oder 
mebr  Aeste,  so  dass  man  sie  eben  so  viele  Bäume  nennen 
könnte.  Mit  seiner  Rinde  färbt  man  Häute,  und  mit  der 
Wurzel  Wolle.  Von  den  Aepfeln  hat  man  noch  eine  bO' 
sondere  Art,  die  wilden  nämlich,  welche  wie  Schnäbel  aus- 
sehen, denn  an  einem  grossen  hängen  noch  mehrere  kleine. 

54. 
Einige  Aeste  sind  blind  und  schlagen  nicht  aus;  diess 
iceschieht  entweder  von  Natur,  wenn  sie  nicht  kräftig  genug 
dazu  sind,  oder  zur  Strafe,  wenn  beim  Abhauen  die  Wunde 
nicht  sorgfältig  wieder  vernarbt  ist.  Den  Aesten  der  ge- 
theilten  Bäume  entsprechen  die  Augen  des  Weinstocks  und 
die  Gelenkknoten  des  Robrs.  Alle  Theile,  welche  der  Erde 
am  nächsten  stehen,  sind  dicker.  In  die  Länge  wachsen 
die  Tanne,  Lärche,  Palme,  Cy presse,  Ulme,  und  die  sonst 
einstämmig  sind.  Unter  die  ästigen  gehört  auch  der  Kirsch- 
baum, von  dem  man  40  Cubitus  lange,  und  überall  2  Cu- 
bitus  dicke  Balken  findet.  Einige  breiten  sich  sogleich  in 
Aeste  aus,  wie  die  Apfelbäume. 

55. 

Die  Rinde  ist  an  einigen  dünn,  z.  B.  am  Lorbeer,  der 
Linde;  an  andern  dick,  wie  an  der  Eiche;  au  andern  glatt ^ 
wie  am  Apfel-  und  Feigenbaume;  an  andern  rauh,  wie  an 
der  Eiche  und  Palme.  Bei  allen  ist  sie  im  Alter  runzliger . 
Bei  einigen,  z.  B.  dem  Weinstocke,  platzt  sie  von  selbst; 
von  einigen  fällt  sie  ab,  wie  vom  Apfelbaume  und  dem 
Unedo;  bei  einigen  ist  sie  fleischig,  z.  B.  bei  der  Korkeiche 
und  Pappel;  häutig,  wie  bei  dem  Weinstock  und  Schilfe  ; 
bastähnlich  beim  Kirschbaume;  vielhäutig  beim  Weinstock, 
der  Linde  und  Tanne;  einfach  beim  Feigenbaume  und 
Schilfe. 


208  Sechszehntes  Buch. 

56. 
Die  Wurzeln  sind  sehr  verschieden  unter  einander. 
Sehr  zahlreiche  haben  die  Feige,  Eiche  und  Platane;  kurze 
und  dünne  der  Apfelbaum;  ganz  besondere  die  Tanne  und 
Lärche,  denn  sie  stützen  sich  darauf,  obgleich  die  kleineu 
auf  die  Seiten  vertheilt  sind.  Der  Lorbeer  hat  dickere 
und  ungleiche,  ebenso  der  Oelbaum,  bei  dem  sie  auch  ästig 
sind.  Die  Eiche  hat  fleischige,  tief  in  die  Erde  gehende. 
Wenn  wir  Virgil  glauben  wollen,  so  steigt  die  Speiseiche 
mit  ihrer  Wurzel  so  tief,  als  sie  mit  dem  Stamme  über 
der  Erde  hervorragt.  Die  Wurzeln  des  Oelbaumes,  des 
Apfelbaumes  und  der  Cypresse  verbreiten  sich  nur  oben 
unter  dem  Rasen.  Einige  laufen  gerade  aus  wie  die  des 
Lorbeers  und  Oelbaumes,  andere  in  Krümmungen,  wde  die 
des  Feigenbaumes.  Einige  sind  durch  kleine  Haarfasern 
rauh  wie  bei  der  Tanne  und  vielen  wilden  Bäumen,  aus 
denen  die  Gebirgsbewohner  ansehnliche  Flaschen  und  an- 
dere Gefässe  flechten,  nachdem  sie  die  dünnen  Fasern  ab- 
geschnitten haben.  Manche  sagen,  die  Wurzeln  gingen 
nur  so  tief,  als  die  Sonne  sie  erwärmen  könnte,  und  diess 
hänge  von  dem  lockern  oder  festern  Boden  ab;  allein  ich 
halte  diess  für  unrichtig.  Wenigstens  findet  man  bei 
mehreren  Schriftstellern  angeführt,  dass  eine  Tanne,  welche 
versetzt  wurde,  8  Cubitus  tief  gehende  Wurzeln  hatte,  und 
nicht  einmal  ganz  ausgegraben,  sondern  abgerissen  war. 
Der  Citrus  hat  die  ausgedehnteste  und  vollste  Wurzel; 
hierauf  folgen  die  Platane,  Eiche  und  die  übrigen  eichel- 
tragenden Bäume.  Bei  einigen  zeigt  sich  die  Wurzel  lebens- 
kräftiger als  der  Obertheil,  wie  z.  B.  beim  Lorbeer;  ist 
daher  sein  Stamm  vertrocknet  und  man  hauet  ihn  ab,  so 
wächst  bald  wieder  ein  neuer  hervor.  Manche  sind  der 
Meinung,  dass  Bäume  mit  kurzen  Wurzeln  eher  alt  würden; 
dem  widersprechen  jedoch  die  Feigenbäume,  welche  sehr 
lange  Wurzeln  haben  und  sehr  schnell  altern.  Ich  halte 
auch  das,  was  Andere  berichtet  haben,  für  falsch,  dass  näm- 
lich die  Wurzeln  der  Bäume  durchs  Alter  sich  vermindern; 
denn  ich  habe  eine  alte  durch  den  Sturmwind  umgerissene 


Sechszehntes  Buch.  209 

Eiche    gesehen,   deren  Wurzeln   ein  Jugerum   Landes   ein- 
nahmen. 

57. 
Es  ist  nichts  Ungewöhnliches,  dass  umgeworfene  Bäume 
sich  erholt,  und  in  einem  Erdrisse  wieder  ausge- 
schlagen haben.  Bei  den  Platanen  tritt  diess  oft  ein, 
weil  die  Aeste  wegen  ihrer  dichten  Stellung  sehr  viel  Wind 
fassen;  nachdem  diese  abgeschnitten  sind,  werden  die  da- 
durch erleichterten  Bäume  in  ihre  (selbst  gemachte)  Grube 
wiederum  eingesetzt.  Auf  gleiche  Weise  ist  man  auch 
schon  mit  den  Wallnuss-,  Oel-  und  andern  Bäumen  ver- 
fahren. Man  hat  Beispiele,  dass  viele  Bäume  ohne  Mit- 
wirkung des  Sturmes  oder  einer  andern  Ursache  als  durch 
ein  Wunder  niedergefallen  und  sich  von  selbst  wieder  auf- 
gerichtet haben.  Ein  solches  Ereignis«  widerfuhr  den  rö- 
mischen Bürgern  im  cimbrischen  Kriege  zu  Nuceria  im 
Haine  der  Juno  mit  einer  Ulme,  deren  Spitze,  nachdem  sie 
abgehauen  war,  weil  sie  auf  den  Altar  herabhiug,  sich  von 
selbs't  wieder  herstellte,  so  dass  sie  bald  darauf  Blüthen 
trug,  und  von  dieser  Zeit  an  hob  sich  das  Ansehen  des 
römischen  Volkes  wieder,  welches  vorher  durch  mehrere 
Niederlagen  geschwächt  war.  Etwas  ähnliches  soll  zu  Phi- 
lipp! mit  einer  umgefallenen  und  abgebrochenen  Weide, 
desgleichen  zu  Stagira  im  Museum  mit  einer  weissen  Pap- 
pel geschehen  sein.  Alles  diess  waren  gute  Vorbedeutungen. 
Aber  das  grösste  Wunder  ist,  dass  eine  Platane  zu  Autan- 
drus  von  15  Cubitus  Länge  und  4  Ellen  Dicke,  welche 
s^chon  ringsum  behauen  war,  sich  von  selbst  wieder  aufge- 
richtet und  gegrünt  hat. 

58. 

Bäume,   welche   uns   die  Natur   liefert,    entstehen   auf 

dreierlei  Weise,  von  selbst,  aus  dem  Samen  oder  aus   der 

Wurzel.     Die  Kunst  kennt  noch  zahlreichere  Methoden,  von 

denen  wir  jedoch  in  einem  eigenen  Buche  reden  werden  i), 


')  Im  XVII.  B. 

VVittstein:  Pliuius.     III.  Bd. 


14 


210  Sechszehntes  Buch. 

denn  jetzt  beschäftigen  wir  uns  noch  mit  der  Natur,  die 
uns  so  vieles  Merkwürdige  und  Wunderbare  darbietet.  Wir 
haben  nemlich  schon  gezeigt,  dass  nicht  Jedes  überall 
wächst,  und  dass  Manches,  was  versetzt  wird,  nicht  fort- 
kommt. Diess  rührt  bald  von  dem  Widerwillen,  bald  von 
dem  Eigensinn,  öfters  noch  von  der  Zartheit  dessen,  was 
versetzt  wird,  mitunter  auch  von  widerstrebendem  Klima 
oder  Boden  her. 

59. 

Der  Balsambaum  wächst  nirgends  anders,  der  assyrische 
Apfelbaum  trägt  nirgends  anders  (als  in  seinem  Vaterlande); 
ebenso  geht  es  mit  dem  Wachsen  oder  Tragen  der  Palme, 
ja,  wenn  sie  Früchte  bekommt,  so  werden  sie  nicht  reif, 
gleichsam  als  wenn  sie  sie  wider  Willen  hervorgebracht 
hätte.  Der  Zimmtstrauch  hat  nicht  die  Kraft,  in  die  Nach- 
barschaft Syriens  zu  kommen.  Die  Gewürze  Amomum 
und  Nardus  vertragen  es  nicht,  zu  Schiffe  aus  Indien  nach 
Arabien  zu  wandern;  einen  derartigen  Versuch  machte 
nemlich  Seleucus.  Am  meisten  muss  man  sich  darüber 
wundern,  dass  man  Bäume  beim  Transporte  lebend  erhält, 
und  zuweilen  dem  Boden  eine  solche  Beschaffenheit  geben 
kann,  dass  fremde  Bäume  darin  gedeihen;  das  Klima  aber 
lässt  sich  durch  kein  Mittel  verändern,  In  Italien  lebt  der 
Pfeffer  bäum,  die  Cassia  selbst  im  nördlichen  Theile  dieses 
Landes;  in  Lydien  ist  auch  der  Weihrauchbäum  fortge- 
kommen. Allein  woher  soll  man  die  Sonnenstrahlen  nehmen, 
welche  allen  Saft  aus  ihnen  ziehen,  und  das  Harz  voll- 
kommen ausbilden? 

Fast  ebenso  merkwürdig  ist  es,  dass  die  Natur  dieser 
Bäume  sich  verändert,  und  daher  in  ihren  Wirkungen  ohne 
Unterschied  dieselbe  ist.  Die  Ceder  gab  sie  den  heissen 
Ländern;  sie  wächst  aber  auch  auf  den  lycischen  und  phry- 
gischen  Bergen,  Den  Lorbeer  hatte  sie  zur  Feindin  der 
Kälte  gemacht,  und  doch  ist  kein  Baum  häufiger  auf  dem 
Olymp.  Am  cimmerschen  Bosporus  in  der  Stadt  Pantica- 
paeum  gaben  sich  der  König  Mithridates  und  die  übrigen 
Einwohner  alle  mögliche  Mühe,  wenigstens  um  der  Opfer 


Sechszehntes  Buch.  211 

willen  Lorbeer  und  Myrte  zu  ziehen,  allein  es  glückte 
ihnen  nicht,  obgleich  es  dort  warm  genug  für  Bäume  ist, 
auch  Granaten,  Feigen  und  die  köstlichsten  Birnen  und 
Aepfel  daselbst  wachsen.  Auch  hat  die  Natur  dort  keine 
an  Kälte  gewöhnte  Bäume  erzeugt  wie  die  Fichten  und 
Tannen.  Doch  was  haben  wir  nöthig  bis  nach  dem  Pontus 
zu  gehen?  Selbst  in  der  Nähe  von  Rom  kommen  die  Ka- 
-stanien  und  Kirschen,  im  Tusculanischen  die  Pfirsiche 
schwer  fort,  und  kaum  lassen  sich  daselbst  die  Mandeln 
acclimatisiren,  während  es  zu  Terracina  ganze  Wälder  da- 
von giebt. 

60. 
Die  Cypressei)  war  vormals  bei  uns  ein  Fremdling 
und  gedieh  nur  sehr  mühsam,  so  dass  Cato  ausführlicher 
und  öfter  von  ihr  redet,  als  von  allen  andern  Bäumen. 
Sie  wächst  schwer,  trägt  überflüssig  viele  Früchte,  welche 
herbe  Beeren  darstellen,  hat  bittere  Blätter,  einen  sehr 
starken  Geruch,  giebt  wenig  Schatten,  und  hat  wenig  Holz, 
so  dass  sie  fast  zu  den  Sträuchern  gehört.  Sie  ist  dem 
Pluto  geweihet  und  wird  daher  vor  die  Häuser  zum  Zeichen 
einer  darin  befindlichen  Leiche  gesetzt.  Das  Weibchen 
bleibt  lauge  unfruchtbar.  Endlich  hat  man  ihn  doch  in 
Form  von  Spitzsäulen  nicht  verschmähet,  um  dadurch  we- 
nigstens die  Reihen  der  Fichtenbäume  zu  unterscheiden; 
jetzt  aber  beschneidet  man  ihn  zu  dichten  Wänden,  und 
zwingt  ihn  gleichsam  dadurch  immer  dünn  und  zart  zu 
bleiben.  Man  nimmt  ihn  auch  zu  Landschafts-Gemälden, 
und  bekleidet  Jagden,  Flotten  und  Bilder  anderer  Gegen- 
stände mit  seinen  dünnen,  kurzen  und  immer  grünen 
Blättern.  Es  giebt  2  Arten :  die  pyramidenförmige,  welche 
bis  zur  Spitze  hinauf  gewunden  ist,  und  das  Weibchen  ge- 
nannt wird.  Die  andere,  das  Männchen,  breitet  ihre  Aeste 
nach  aussen  hin,  und  wird  beschnitten.  Von  beiden  hauet 
man  die  Aeste  und  versetzt  sie  zu  Pfählen  und  Latten, 
von   denen   im  13.  Jahre  das  Stück  1  Denar  kostet.     Ein 


')  Cupi-essus.  C.  sempervirens  L. 

14* 


212  Sechszehntes  Buch. 

Wald  solcher  Bäume  bringt  durch  seine  Anpflanzung  ausser- 
ordentlichen Gewinn;  daher  nannten  auch  die  Alten  solche 
Pflauzschulen  die  Mitgift  der  Töchter.  Das  Vaterland  der 
Cypresse  ist  die  Insel  Greta;  zwar  nennt  Cato  sie  die  ta- 
rentinische,  und,  wie  ich  glaube,  deshalb,  weil  man  sie  zu- 
erst dahin  gebracht  hat.  Auf  Aenaria  wächst  sie  wieder, 
wenn  man  sie  abgehauen  hat.  Auf  Creta  entsteht  sie  selbst 
durch  die  Kraft  der  Natur,  wenn  man  irgendwo  die  Erde 
aufwühlt,  und  schiesst  bald  daranf  hervor;  anch  sogar  ohne 
Bearbeitung  des  Bodens  gedeihet  sie,  und  diess  nament- 
lich auf  den  idäischen  Bergen,  den  sogenannten  weissen 
Bergen,  und  den  höchsten  Jochen,  welche  immer  mit  Schnee 
bedeckt  sind,  —  was  merkwürdig  ist,  da  sie  anderswo  nur 
iu  einem  warmen  Himmelsstriche  fortkommt,  und  nicht 
jeder  Erdboden  ihr  zusagt. 

61. 

Bei  den  Bäumen  kommt  es  nicht  nur  auf  die  Be- 
schaffenheit des  Bodens  und  des  Klimas  an,  sondern  auch 
die  zu  Zeiten  fallenden  Regen  üben  ihren  Einfluss  aus. 
Die  Wasser  führen  nemlich  meistens  Samen  mit  sich,  und 
enthalten  bald  diese  bald  jene  Art,  zuweilen  selbst  eine 
unbekannte.  Der  letztere  Fall  ereignete  sich  im  Cyre- 
naischen,  wo  zuerst  das  Laserpitium,  wie  wir  bei  den 
Kräutern  noch  anführen  werden  i),  hervorkam.  So  ist  auch 
nahe  bei  Rom,  ungefähr  im  430.  Jahre  der  Stadt,  ein  Wald 
in  Folge  eines  pechschwarzen  dichten  Regens  entstanden. 

62. 

Der  Epheu2)  soll  jetzt  in  Asien  wachsen;  Theophrastus 
hatte  diess  geleugnet  und  gesagt,  er  fände  sich  auch  nicht 
in  Indien,  sondern  nur  auf  dem  Berge  Meros.  Ja  Harpalus 
soll  sich  alle  Mühe  gegeben  haben,  ihn  in  Medien  anzu- 
pflanzen, doch  vergebens;  Alexander  aber  soll  der  Selten- 
heit wegen  sein  Heer  damit  haben  bekränzen  lassen  und 
so,  gleich  dem  Bacchus,  als  Sieger  aus  Indien  zurückgekehrt 


«)  Im  XIX.  B.  15.  Cap. 
2)  Edera.  Hedera  Halix  L. 


Se'chszelmtes  Buch.  /  213 

sein.  Jetzt  schmückt  der  Epheii  den  Stab,  Helm  und  Schild 
dieses  Gottes  bei  den  feierlichen  Opfern  der  thracischen 
Völker.  Er  ist  ein  Feind  der  Bäume  und  aller  Saaten, 
durchbricht  Grabmäler  und  Mauern,  und  verschafft  den 
Sehlaugen  eine  angenehme  Kühle,  so  dass  es  zu  bewundern 
ist,  warum  man  ihn  so  in  Ehren  hält. 

Seine  beiden  Hauptarten  sind,  wie  bei  den  übrigen, 
das  Männchen  und.  das  Weibchen.  Das  Männchen  soll 
einen  grössern  Stamm,  härtere  und  fettere  Blätter  und  eine 
ins  Purpurrothe  übergehende  Blüthe  haben.  Die  Blüthe 
beider  gleicht  aber  der  wilden  Rose,  nur  dass  sie  nicht 
riecht.  Von  diesen  Arten  giebt  es  noch  3  Unterarten,  denn 
man  hat  einen  weissen,  schwarzen  Epheu,  und  sogenannten 
Helix.  Selbst  diese  Unterarten  werden  noch  in  andere 
eingetheilt,  nemlich  in  solche  mit  weissen  Früchten,  und 
solche  die  auch  weisse  Blätter  haben.  Von  denen  mit 
weisser  Frucht  haben  einige,  festere  und  grössere  Beeren, 
und  Trauben,  welche  in  einen  Kreis  gestellt  sind  und 
Doldentrauben  genannt  werden.  Ferner  der  Mondepheu, 
mit  kleinern  Beeren  und  lockerern  Trauben.  Eben  diess 
findet  sich  auch  bei  den  schwarzen.  Einige  haben  schwarzen, 
andere  safrangelben  Samen.  Derjenige,  dessen  sich  die 
Dichter  zu  Kränzen  bedienen,  hat  minder  schwarze  Blattei- 
die  grössten  Doldentrauben  unter  den  schwarzen,  und  heisst 
bei  Einigen  der  nysische,  bei  andern  der  bacchische.  Ei- 
nige griechische  Schriftsteller  unterscheiden  ausserdem 
noch  2  Arten  nach  der  Farbe  der  Beeren,  nemlich  die 
rothe  und  goldfarbige. 

Der  Helix  bietet  jedoch,  und  zwar  hinsichtlich  der 
Blätter,  die  meisten  Unterschiede  dar;  diese  sind  nemlich 
klein,  eckig  und  netter,  während  die  der  übrigen  Arten 
einfach  sind.  Er  weicht  ferner  ab  in  der  Länge  der  Ge- 
lenkschüsse, vorzüglich  aber  durch  seine  Unfruchtbarkeit, 
denn  er  trägt  nichts.  Einige  meinen,  der  Grund  davon 
läge  im  Alter  und  nicht  in  der  Art,  denn  was  erst  Helix 
sei,  werde  später  Edera.  Diess  ist  ein  offenbarer  Irrthum, 
denn  man    findet  mehrere  Arten   des  Helix,  aber  3  beson- 


214  Sechszebntes  Buch. 

ders  kenntliche:  eine  krautartige  und  grüne  am  häufigsten, 
zweitens  eine  mit  weissen  Blättern,  und  drittens  eine  bunte, 
welche  die  thracische  heisst.  Auch  sind  die  Blätter  der 
krautartigen  zarter,  in  gewisse  Ordnung  gestellt  und  dichter. 
Bei  der  andern  Art^)  sind  alle  diese  Theile  ganz  anders. 
Auch  unter  den  bunten  findet  sich  eine  Abart  mit  dünnern 
und  gleichfalls  geordnet  und  dichter  stehenden  Blättern; 
bei  der  andern  Art  ist  diess  alles  nicht  der  Fall.  Die 
Blätter  sind  ferner  grösser  oder  kleiner  und  ungleich  ge- 
fleckt; bei  den  weissen  auch  einige  weisser.  Die  kraut- 
artige wächst  am  meisten  in  die  Länge;  die  weisse  aber 
tödtet  die  Bäume,  und  da  sie  allen  Saft  in  sich  zieht, 
nimmt  sie  so  sehr  in  der  Dicke  zu,  dass  sie  selbst  ein 
Baum  wird.  Man  erkennt  dieselbe  an  den  sehr  grossen 
und  breiten  Blättern,  an  den  aufwärts  gerichteten  Erhöhungen 
der  Rinde  2),  die  bei  den  übrigen  einwärts  gebogen  sind, 
an  den  stehenden  und  aufrechten  Trauben.  Obgleich  alle 
Arten  des  Epheus  wurzelständige  Aeste  haben,  so  sind  sie 
doch  an  dieser  am  ästigsten  und  stärksten,  und  nächst  ihr 
steht  in  dieser  Beziehung  der  schwarze.  Der  weisse  Epheu 
hat  das  Eigenthümliche,  mitten  zwischen  den  Blättern  Aeste 
auszuschiessen,  und  dadurch  überall  Alles  zu  umfassen,  und 
diess  findet  auch  an  Mauern  statt,  obgleich  er  diese  nicht 
umfassen  kann.  Wenn  er  auch  an  mehreren  Stellen  ab- 
geschnitten wird,  so  bleibt  er  dennoch  am  Leben,  denn  er 
hat  so  viele  Wurzelansätze,  als  Banken,  womit  er  sich  er- 
hält und  feststeht,  andere  Bäume  aussaugt  und  erstickt. 
Auch  die  Frucht  bietet  einen  Unterschied  zwischen  dem 
weissen  und  schwarzen  Epheu  dar,  denn  einige  haben  so 
bittere  Beeren,  dass  sie  kein  Vogel  anrührt.  Es  giebt  noch 
einen  steifen  Epheu,  der  ohne  Stützen  steht,  und  deshalb 
unter  allen  Arten  allein  Cissus  genannt  wird.  Dahingegen 
heisst  der,  welcher  auf  der  Erde  hinkriecht,  Zwergepheu  ^). 


•)  Nämlich  der  Edera. 

-)  maminae. 

■'')  Chamaecissos.  Antirrhinum  Asarina  L. 


Sechszehntes  Buch.  215 

63. 

Dem  Epheu  ähnlich  ist  die  zuerst  aus  Cilicien  ge- 
kommene, in  Giiechenlaud  aber  häufigere  sogenannte 
Stechwinde^);  sie  hat  dichte  knotige  Stengel,  buschichte 
Zweige  mit  Dornen,  epheuartige,  kleine,  nicht  eckige 
Blätter,  Ranken  welche  vom  Fruchtstiele  ausgehen,  weisse 
Blüthen  und  riecht  wie  Lilien.  Ihre  Trauben  gleichen 
denen  des  wilden  Weinstocks,  nicht  des  Epheu,  sind  roth 
gefärbt,  die  grösseren  Beeren  haben  jedesmal  3  Kerne,  die 
kleinern  nur  einen,  welche  hart  und  schwarz  sind.  Man 
hält  sie  bei  allen  heiligen  Gebräuchen  und  in  Kränzen  für 
uuglückbringend,  weil  sie  einen  traurigen  Ursprung  hat; 
eine  Jungfrau  dieses  Namens  wurde  nemlich  aus  Liebe  zu 
einem  Jünglinge  Crocus  in  diesen  Strauch  verwandelt.  Der 
gemeine  Mann,  der  diess  nicht  weiss,  verunreinigt  dadurch 
meistens  seine  Feste,  indem  er  ihn  für  einen  Epheu  hält; 
denn  wer  weiss  nicht,  dass  sie  sich  damit  als  Dichter, 
Bacchus  oder  Silenus  bekränzen?  Aus  der  Stechwinde 
macht  man  Schreibtafeln,  und  das  Holz  hat  die  Eigenschaft, 
einen  gelinden  Laut  von  sich  zu  geben,  wenn  man  es  au's 
Ohr  hält.  Der  Epheu  soll  eine  merkwürdige  Eigenschaft 
haben,  die  ihn  zur  Prüfung  der  Weine  fähig  mache;  ein  aus 
seinem  Holze  gefertigtes  Gefäss  soll  nemlich  den  reinen 
Wein  hindurch  lassen,  und  das  etwa  beigemischte  Wasser 
zurückhalten. 

64. 

Unter  den  Pflanzen,  welche  einen  kalten  Standort 
Heben,  müssen  wir  billig  auch  die  Wassersträucher  an- 
führen. Von  diesen  nimmt  das  gemeine  Rohr 2),  welches 
durch  die  Erfahrung  im  Kriege  und  Frieden  noth wendig 
geworden,  und  selbst  als  Leckerbissen  beliebt  ist,  den 
ersten  Platz  ein.  Die  nördlichen  Völker  decken  damit  ihre 
Häuser,  und  dergleichen  hohe  Dächer  erhalten  sich  ganze 
Menschenalter  hindurch.  In  den  übrigen  Theilen  des  Erd- 
kreises  hängt  man  es  an  die  Decken.     Die  Halme  beson- 

')  Smilax.  Smilax  aspera  L. 

^)  Arando.  Arundo  phragmites  L.,  Schilf. 


21^  Sechszehntes  Buch. 

ders  der  ägyptischen,  welche  gewissermaassen  verwandt 
mit  der  Papierstaude  sind,  dienen  zur  Bereitung  von  Pa- 
pier; doch  hält  man  das  gnidische  und  das,  was  in  Asien 
am  anoitischen  See  wächst,  für  besser.  Das  unsrige  ist 
schwammiger,  die  Haut  zieht  Feuchtigkeit  an,  der  Stiel  ist 
innen  hohl,  zeigt  aussen  dünnes  trocknes  Holz,  lässt  sich 
spalten,  bildet  schneidend  scharfe  Stöcke,  und  hat  Knie- 
gelenke; ist  übrigens  dünn,  durch  Knoten  abgetheilt,  geht 
allmählig  nach  oben  spitz  zu,  und  trägt  einen  dicken 
Schopf,  der  nicht  ohne  Nutzen  ist.  Man  füllt  nemlich  da- 
mit, statt  der  Federn,  die  Betten  in  den  Wirthshäusern  aus; 
oder,  man  stösst  es  wo  es  holziger  und  härter  ist,  wie  in 
Belgien,  und  kalfatert  damit  die  Schiffe,  denn  es  macht 
die  Fugen  dicht,  ist  zäher  als  Leim,  und  eignet  sich  besser 
zum  Ausfüllen  der  Ritze,  als  Pech. 

65. 
Die  Völker  des  Orients  führen  Kriege  mit  Rohren  i), 
an  welche  sie  Spitzen  befestigt  haben,  die  der  daran  be- 
findlichen Widerhaken  wegen  nicht  wieder  aus  der  Wunde 
gezogen  werden  können.  Den  Tod  beschleunigen  sie  da- 
durch, dass  sie  das  Rohr  befiedern  2),  und  bricht  der  Pfeil 
«elbst  in  den  Wunden  ab,  so  wird  aus  ihm  ein  neuer. 
Mit  diesen  Geschossen  verdunkeln  sie  sogar  die  Sonne; 
daher  wünschen  sie  auch  vorzugsweise  heitere  Tage  und 
hassen  Wind  und  Regen,  welche  sie  Friede  untereinander 
zu  halten  zwingen.  Und  wenn  man  nun  die  Aethiopier, 
Aegypter,  Araber,  Indier,  Scythen,  Bactrier,  die  vielen  sar- 
matischen  und  orientalischen  Völkerschaften  und  alle 
Reiche  der  Parther  zusammenrechnet,  so  ist  ein  fast  gleich 
grosser  Theil  der  Menschen  auf  der  ganzen  Welt  durch 
Rohr  überwunden.  Hauptsächlich  sind  durch  seinen  Ge- 
brauch die  Krieger  in  Greta  berühmt  geworden.  Sowie 
aber  in  allen  übrigen  Dingen,  besitzt  auch  in  diesem  Ita- 
lien   die   Krone,    denn   kein  Rohr   eignet   sich    besser    zu 


*)  Calami. 

^)  Weil  dadurch  der  Pfeil  schneller  fliegt  und  sein  Ziel  erreicht» 


Sechszebntes  Buch.  217 

Pfeilen,  als  das  im  Rhenus,  einem  bononiensi sehen  Flusse 
wachsende,  welches  am  meisten  Mark  enthält,  dieses  Ge- 
wichts wegen  sehr  schnell  fliegt  und  selbst  gegen  den 
Wind  das  Gleichgewicht  behauptet.  Das  belgische  hat 
diese  Vorzüge  nicht.  Das  cretische  gehört  zu  den  bessern, 
doch  wird  ihm  das  indische  vorgezogen,  unter  welchem 
manches  von  anderer  Beschaffenheit  zu  sein  scheint,  da  es 
mit  langen  Spitzen  beschlagen  wird  und  die  Stelle  der 
Wurfspiesse  vertritt.  Das  indische  Rohr  i)  ist  so  gross  wie 
ein  Baum,  und  wir  sehen  dergleichen  häufig  in  den  Tem- 
peln der  Götter.  Wie  die  Indier  sagen,  unterscheidet  sich 
auch  hier  das  Männchen  von  dem  Weibchen,  jenes  soll 
nemlich  dichteres,  und  dieses  mehr  Holz  haben.  Wenn  wir 
den  Berichten  glauben  wollen,  so  dienen  einzelne  Schüsse  -) 
als  Fahrzeuge.  Es  wächst  am  meisten  um  den  Fluss 
Acesines. 

Aus  einem  Stocke  kommen  stets  viele  Rohre,  und 
schneidet  mau  sie  ab,  so  wachsen  sie  noch  zahlreicher 
nach.  Die  Wurzel  ist  sehr  lebenskräftig,  und  gleichfalls 
voller  Gelenke.  Nur  das  indische  Rohr  hat  kurze  Blätter; 
diese  wachsen  aber  allemal  aus  einem  Knoten  und  über- 
ziehen sich  rund  herum  mit  einer  dünnen  Haut,  doch  hört 
diese  Bekleidung  meistens  vom  mittelsten  Schusse  an  auf, 
und  sie  senken  sich  nieder.  Das  Schilf  und  Rohr  haben 
in  der  Runde  zwei  Seiten,  da  ein  ums  andere  über  den 
Knoten  ein  Auge  ^)  ist,  so  dass  abwechselnd  eins  zur 
Rechten,  das  andere  an  dem  höhern  Gelenk  zur  Linken 
liegt.  Hier  kommen  zuweilen  Aeste  heraus,  welches  dünne 
Rohre  sind. 

66. 

Es  giebt  vom  Rohre  viele  Arten.  Eins  ist  dichter, 
hat  mehr  Knoten  und  kurze  Internodien;  ein  anderes,  we- 
nigere und  grössere,  und  das  Rohr  selbst  ist  dünner.  Noch 


')  D.  i.  Bambusrohr,  Bambusa  arundinacea  L. 
^)  internodia. 
^)  inguen. 


218  Sechszehntes  Buch, 

ein  anderes  aber,  das  sogenannte  syringische,  ist  durchaus 
hohl,  und  eignet  sieh  am  besten  zu  Pfeifen,  weil  es 
keinen  Knorpel  und  kein  Fleisch  hat  i).  Dasorchomenische 
ist  sogleich  mit  einer  Oeflfnung  versehen,  und  heisst  daher 
das  Flötenrohr;  es  dient  besonders  zu  Flöten,  jenes  zu 
Pfeifen.  Ein  anderes  hat  einen  dickem  Holzkörper,  eine 
kleinere  Oeffmmg,  und  ist  ganz  mit  schwammigem  Marke 
angefüllt.  Eins  ist  kürzer,  ein  anderes  grösser,  eins  dünner 
und  eins  dicker.  Das  strauchigste  ist  das  sogenannte  donax  -), 
welches  nur  im  Wasser  wächst;  denn  auch  hierin  liegt 
ein  Unterschied,  weil  das  an  trocknen  Stellen  vorkommende 
weit  mehr  vorgezogen  wird.  Das  Pfeilrohr  bildet,  wie  be- 
reits erwähnt,  eine  eigene  Art,  doch  hat  das  cretische  die 
längsten  Internodien,  und  lässt  sich,  warm  gemacht,  be- 
liebig biegen.  Auch  die  Blätter  bieten  Unterschiede  dar, 
nicht  durch  ihre  Menge,  sondern  durch  ihre  Farbe.  Das 
lakonische  hat  bunte  und  an  ihrem  untersten  Theile  dich- 
tere Blätter;  solches  soll  überhaupt  am  stehenden  Wasser 
wachsen,  dem  Flussrohre  unähnlich,  von  langen  Häuten 
umkleidet  sein,  und  nach  oben  an  Dicke  zunehmen.  Es 
giebt  auch  ein  schiefes  Kohr,  welches  nicht  gerade  in  die 
Höhe  wächst,  sondern  sich,  wie  ein  Gesträuch  auf  der  Erde 
ausbreitet,  und  wegen  seiner  Zartheit  von  den  Thieren  sehr 
gesucht  wird.  Einige  nennen  es  das  vorzügliche  3).  In 
Italien  wächst  auch  eins,  Namens  Adarca,  in  Sümpfen, 
dessen  unmittelbar  unter  dem  Schöpfe  befindliche  Rinde 
sehr  gut  für  die  Zähne  ist,  denn  sie  besitzt  dieselbe  Kraft 
wie  der  Senf. 

Die  Bewunderung  des  Alterthums  nöthigt  mich,  von 
den  Rohrgebüschen  des  orchomenischen  See's  etwas  aus- 
führlicher zu  reden.  Das  dickere  und  stärkere  nennt  mau 
Pfahlrohr  1),  das  schwächere  aber  Schwimmrohr'');  dieses 
ist  auf  schwimmenden  Inseln,  jenes  an  den  Ufern  des  aus- 
getretenen   See's    entstanden.     Eine  dritte   Art  ist  das  zu 

*)  Saccharum  Ravennae  L. 

^)  6ova§,  der  gi-iechische  Name  des  Rohrs.  Arund  o  Donax  L. 

3)  elegia.     ^)  Characias.    *)  Plotias. 


Sechszehntes  Buch.  219 

Flöten  dienende  Rohr,  welches  auch  deshalb  Flötenrohr 
heisst.  Dieses  entstand  im  9.  Jahre;  der  See  erreichte 
nemlich  in  diesem  Zeiträume  seinen  hohen  Stand,  und  man 
hielt  es  für  ein  Wunder,  wenn  er  einmal  innerhalb  2  Jahren 
angeschwollen  war,  was  man  bei  Chaeronea,  in  der  un- 
glücklichen Schlacht  der  Athenienser,  und  öfters  zu  Lebadia 
beim  Einflüsse  des  Cephissus  bemerkt  hat.  Wenn  nun 
die  Ueberschwemmung  1  Jahr  gedauert  hat,  so  bekommt 
es  eine  solche  Stärke,  dass  es  zum  Vogelfange  gebraucht 
werden  kann,  und  heisst  alsdann  Sprenkelwehr  i).  Da- 
gegen fand  sich,  wenn  das  Wasser  früher  zurücktrat,  das 
dünne  Seidenrohr  2),  dessen  Weibchen  breitere  und  weissere 
Blätter,  wenig  oder  gar  keine  Wolle  haben  und  wovon  die 
besten  den  Namen  Verschnittene  führen.  Diess  lieferte  das 
Material  zu  den  Flöten,  und  wir  wollen  die  auf  diesen 
Zweig  der  Kunst  verwendete  wunderbare  Sorgfalt,  welche 
es  verzeihlich  macht,  dass  man  jetzt  auf  silbernen  Flöten 
bläst,  nicht  mit  Stillschweigen  übergehen.  Bis  zur  Zeit 
des  Flötenspielers  Antigenides,  als  man  sich  noch  der  ein- 
fachen Spielkunst  bediente,  pflegte  man  diess  Rohr  zur 
rechten  Zeit,  wenn  der  Arcturus  scheint,  zu  schneiden,  und 
so  vorbereitet  fing  es  nach  einigen  Jahren  an,  brauchbar 
zu  werden.  Alsdann  musste  man  es  noch  durch  viele 
Hebung  brauchbar  machen,  und  durch  Zusammenziehung 
der  Häutchen  ^)  die  Flöten  gleichsam  selbst  zum  Spielen 
abrichten,  wodurch  sie  geeigneter  bei  den  Schauspielen 
wurden.  Als  aber  die  Veränderung  eintrat,  dass  selbst  die 
Musik  zur  Ueppigkeit  wurde,  fing  man  an,  es  vor  dem 
längsten  Tage  abzuschneiden,  wodurch  es  im  3.  Jahre  seine 
Brauchbarkeit  erlangte,  denn  die  Hautfalten  standen  jetzt 
mehr  offen,  um  die  Töne  zu  brechen,  und  so  ist  es  auch 
noch  heutigen  Tages.  Damals  war  man  aber  noch  der 
Meinung,  dass  nur  Flöten  aus  ein  und  demselben  Rohre 
zusammenstimmten,  und  dass  die  der  Wurzel  zunächst  ge- 


')  Zeugites.     -)  Bombycia.     ^)  ligulae. 


220  Sechszehntes  Buch. 

standene  sich  zur  linken  ^),  und  die  der  Spitze  nächste  sich 
zur  rechten  eigne.  Hiebei  gab  man  denen,  welche  der  Ce- 
phissus  selbst  bespühlt  hatte,  einen  weit  grösseren  Vorzug. 
Jetzt  macht  man  die  Opferflöten  der  Tuscer  aus  Buxbaum, 
die  Schauspielflöteu  aus  Lotus,  Eselsknocheu  und  Silber. 
Zum  Vogelstellen  ist  das  panhormische,  und  zum  Fisch- 
fange das  abaritanische  aus  Afrika  das  beste. 

67. 

Das  italienische  Kohr  wird  am  meisten  in  den  Wein- 
bergen benutzt.  Nach  Cato  soll  man  es  in  feuchtes  Erd- 
reich, welches  zuvor  mit  dem  Doppelspaten  umgegraben 
ist,  einsetzen,  die  Augen  aber  3  Fuss  weit  von  einander 
legen.  Daneben  soll  der  wilde  Spargel  2),  aus  dem  der 
essbare  wird,  stehen,  denn  beide  hielten  freundschaftlich 
zusammen;  um  dasselbe  herum  aber  die  Weide,  ein  Baum, 
der  keinem  Wassergewächse  an  Nützlichkeit  nachsteht, 
während  die  Pappeln  den  Weinstöcken  gefallen  und  den 
cäcubischeu  Wein  aufziehen,  die  Erlen,  ans  Wasser  ge- 
pflanzt, das  Land  durch  ihre  Verzäunung  schützen,  und  die 
Felder  gegen  den  Andrang  der  anschwellenden  Flüsse 
gleichwie  eine  Ufermauer  bewahren,  und,  wenn  sie  behauen 
sind,  noch  durch  ihre  dichtstehenden  und  zahlreichen 
Schösslinge  nützlich  werden. 

68. 

Von  der  Weide 3)  führen  wir  sogleich  mehrere  Arten 
an.  Einige  nemlich  schiessen  hoch  auf,  liefern  für  die 
Weingärten  die  Querlatten,  und  von  ihrer  gürtelartigen 
Rinde  Bänder.  Andere  geben  Ruthen,  welche  die  zum 
Binden  nöthige  Zähigkeit  besitzen;  von  andern,  sehr  dünnen, 
werden  feine  Flechtwerke  gemacht.  Noch  andere,  welche 
fester  sind,  dienen  zu  Körben  und  viele  andere  zum  Haus- 


')  Tibia  laeva  (sinistra)  hielt  der  Pfeifer  in  der  Unken  Hand; 
sie  war  kürzer  als  die  rechte,  hatte  mehrere  Löcher,  und  gab  einen 
höhern  Ton  an.  T.  dextra  hielt  er  in  der  rechten;  sie  war  länger, 
hatte  weniger  Löcher,  und  gab  einen  tiefern  Ton  an. 

^)  Corruda.  Asparagus  acutifolius  L. 

^)  SaUx.  Mehrere  Species,  als  fragilis,  alba,  HeUx  etc. 


Sechszehntes  Buch.  221 

geräth  der  Landleute.  Nach  Hinwegnahme  der  Riude  sind 
sie  weisser,  lassen  sich  leicht  biegen,  und  geben  wohlfeilere 
Geschirre,  welche  so  fest  wie  aus  Leder  bereitet,  sind, 
eignen  sich  auch  besonders  gut  zu  bequemen  Lehnsesseln. 
Durch  das  Behauen  wird  die  Weide  fruchtbar,  der  behauene 
Theil  wird  dichter  und  treibt  eher  aus  einem  kurzen 
Knollen,  als  Aeste.  Dieser  Baum  verdient  daher,  wie  mir 
scheint,  eine  besondere  Beachtung;  denn  keiner  giebt 
sicherere  Einkünfte,  macht  weniger  Unkosten,  und  trotzt 
der  Witterung  mehr. 

69. 

Cato  räumte  der  Weide  bei  der  Schätzung  eines  Land- 
guts den  dritten  Platz  ein,  und  setzte  ihn  vor  die  Oelbäume, 
das  Getreide  und  die  Wiesen;  aber  nicht  etwa  deshalb, 
weil  es  au  sonstigem  Bindwerke  fehlt,  denn  auch  die 
Ginster,  Pappeln,  Ulmen,  rothen  Sträucher,  Birken,  das 
gespaltene  Rohr,  die  Rohrblätter  wie  in  Ligurien,  selbst 
der  Weinstock,  die  von  den  Stacheln  befreieten  Brombeer- 
sträuche, und  der  einwärts  gedrehete  Haselstrauch  dienen 
zum  Binden,  und  es  ist  merkwürdig,  dass,  wenn  man  das 
Holz  von  einer  dieser  Arten  klopft,  die  bindende  Kraft  er- 
höhet wird.  Die  Weide  hat  jedoch  hierin  einen  besondern 
Vorzug.  Die  griechische  röthliche  wird  gespalten;  ebenso 
die  weissere  amerinische  0,  doch  ist  diese  etwas  zerbrech- 
licher, man  bindet  daher  mit  dem  ganzen  Zweige.  In 
Asien  kommen  3  Arten  vor:  die  schwarze,  welche  die  besten 
Flechtruthen  liefert,  die  weisse  zum  Gebrauche  der  Land- 
leute, und  die  dritte,  welche  am  kleinsten  ist  und  Helix 
heisst.  Bei  uns  belegen  Viele  ebenso  viele  Arten  mit 
Namen;  die  eine  nennen  sie  Flechtweide  oder  die  purpur- 
rothe,  die  zweite,  welche  zarter  ist,  die  eichhornfarbige, 
und  die  dritte,  dünnste,  die  gallische. 

70. 

Die  zerbrechlichen  Sumpfbinsen  2),  welche  zu  Dächern 


')  Diess  ist  keine  Weide,  sondern  Vitex  Agnus  castus. 
^)  Scirpi  palustres. 


222  Sechszelintes  Buch. 

und  Decken  gebraucht  werden,  kann  man  weder  zu  den 
Sträuchern,  noch  zu  den  Dornen,  Stengeln,  Kräutern  oder 
sonst  wozu  rechnen,  sondern  muss  eine  eigene  Gattung 
aus  ihnen  machen.  Sie  dienen  auch,  nachdem  man  die 
Rinde  abgezogen  hat,  zu  Lichtern  in  Lampen  und  bei 
Leichenbegängnissen.  An  manchen  Orten  sind  sie  etwas 
steifer  und  fester;  denn  mit  ihnen  segeln  nicht  nur  die 
Schiffer  auf  dem  Po,  sondern  auch  der  afrikanische  Fischer, 
welcher,  verkehrter  Weise,  die  Segel  zwischen  den  Mast- 
bäumen aufspannt.  Auch  bedecken  die  Mauren  ihre  Hütten 
damit,  und  der  genauere  Beobachter  wird  finden,  dass  diese 
Binsen  dasselbe  sind,  was  am  untern  Theile  des  Xils  den 
Gebrauch  der  Papierstaude  vertritt. 

7L 
Unter  die  strauchartigen  Wassergewächse  werden  auch 
die  Brombeere')  und  der  HoUunder-)  gerechnet, 
welche  zu  den  schwammigen  Arten  gehörigen,  aber  doch 
anders  als  die  Gartenstauden  beschaffen  sind,  denn  der 
Hollunder  hat  wenigstens  mehr  Holz.  Die  Hirten  glauben, 
er  gäbe  eine  besser  klingende  Trompete  und  Hörn,  wenn 
sie  ihn  da  abschneiden,  wo  er  das  Krähen  des  Hahnes 
nicht  hört.  Die  Brombeersträuche  tragen  maulbeerartige 
Früchte  3),  und  auf  einer  andern  Art  wächst  etwas  der 
Rose  ähnliches,  welche  Hagebutte^)  heisst.  Die  dritte  Art 
heisst  bei  den  Griechen  nach  ihrem  Yaterlaude  die  idäische  ^), 
ist  dünner  als  die  übrigen,  hat  nicht  so  viele  und  weniger 
gekrümmte  Stacheln.  Hire  Blüthe  wendet  man  mit  Honig 
zum  Auflegen  auf  triefende  Augen  und  auf  die  Rose  an; 
gegen  Magenübel  trinkt  man  auch  eine  wässrige  Abkochung 
davon.  Der  Hollunder  trägt  kleine  schwarze  Beeren,  welche 
eine  zähe,  zum  Färben  der  Haare  sehr  taugliche  Feuchtig- 
keit enthalten;  auch  werden  sie  mit  Wasser  gekocht 
gegessen. 


*)  Rubus.     -)  Sambucus.  Sambucus  nigra  L. 
3)  Diess  ist  Rubus  fruticosus  L.     ^)  Cynosbatos. 
^)  Rubus  idaeus  L. 


Sechszehntes  Buch.  223 

72. 
Auch   in    der   Rinde   der   Bäume   befindet    sich   eine 
Feuchtigkeit,  welche  als  ihr  Blut  angesehen  werden  kann, 
jedoch  nicht  bei  allen  gleich  ist.     Die  Feigen  haben  einen 
milchigen  Saft,  und  dieser  besitzt  die  Kraft  des  Labs  beim 
Käsemachen;    die   Kirschen    einen    gummigen,    die    Ulmen 
einen    speichelartigen,   die  Aepfel   einen   zähen  und  fetten, 
die  Weinstöcke  und  Birnen  einen  wässrigen.   Die  mit  zähen 
Safte  begabten  leben  länger.     Ueberhaupt  sind  die  Bäume, 
gleich  den  übrigen  Thieren,  mit  Haut,  Blut,  Fleisch,  Nerven, 
Adern,  Knochen  und  Mark   versehen,    und  ihre  Rinde  ver- 
tritt die  Stelle  der  Haut.     Eine  merkwürdige  Erscheinung 
ist,    dass,    wenn    die  Aerzte   im  Frühling  Morgens   um    die 
zweite  Stunde  vom  Maulbeerbaume  Saft  holen  wollen,  der- 
selbe durch  Anschlagen  mit  einem  Steine  ausfliesst,  sammelt 
man   ihn    dagegen    später,   so   erscheint  er  trocken.     Dann 
folgt  bei  den  meisten  zunächst  das  Fett,    was   von   seiner 
Farbe  der  Splint  genannt  wird,  den  weichen  und  schlech- 
testen Theil  des  Holzes  bildet,  selbst  an  der  Eiche   leicht 
fault,  und  dem  Wurmfrasse  ausgesetzt  ist,  daher  stets  hin- 
weggenommen    werden    muss.      Unter     diesem    liegt    das 
Fleisch,   und   darunter  die  Knochen,  d.  h.   der  beste  Theil 
des  Holzes.    Die  Früchte  wechseln  bei  denjenigen  Bäumen, 
welche    trockenes  Holz    haben,    wie   bei   den   Oelbäumen, 
mehr  ab,  als  bei  denen  mit  saftigerm  Holze,  wie  z.  B.  den 
Kirschen.     Auch   haben   manche    Bäume,   ebenso    wie    die 
reissendsten  Thiere,  nur  wenig  Fett  und  Fleisch.    Der  Bux- 
baum,   die  Kornelkirsche   und    der    Oelbaum    haben    keins 
von  beiden,  auch  kein  Mark  und  nur  äusserst  wenig  Blut. 
Die  Speierlinge  haben  keine  Knochen,  die  Hollunder  kein 
Fleisch,   (beide   aber   sehr   viel  Mark)  und   die  Rohre   fast 
gar  keins. 

73. 
In    dem    Fleische^)    einiger   Bäume    sind    weichere 


')  D.  i.  Holze. 


224  Sechszehntes  Buch. 

Theile^)  und  Adern  (härtere  Fasern).  Beide  lassen  sieh 
leicht  von  einander  unterscheiden,  denn  in  dem  spaltbaren 
Holze  sind  die  Adern  breiter  und  die  weichem  Theile 
weisser.  Daher  kommt  es,  dass,  wenn  man  das  Ohr  an 
das  Ende  eines  sehr  ^angen  Balkens  hält,  man  den  am 
andern  Ende,  selbst  mit  einem  Griffel  gethauen  Schlag 
hört,  denn  der  Schall  dringt  durch  die  geraden  Gänge. 
Ebenhieraus  wird  man  auch  gewahr,  ob  das  Holz  gedreht 
oder  durch  Knoten  unterbrochen  ist.  An  einigen  befinden 
sich  Auswüchse,  sowie  im  Fleische  Drüsen;  in  diesen  sind 
weder  Adern  noch  weiche  Theile,  weil  hier  das  harte 
Holz  gleichsam  in  sich  selbst  zusammengewickelt  ist.  Diess 
ist  eben  das  schätzbarste  an  dem  Citrus  und  dem  Ahorn. 
Die  übrigen  Tische  werden  aus  Bäumen,  welche  den 
weichern  Theilen  entlang  gespalten  sind,  gedrehet,  denn 
das  in  der  Quere  geschnittene  Holz  wäre  wegen  der  Adern 
zu  zerbrechlich.  Bei  der  Buche  gehen  Querfasern  durch 
weichere  Theile,  daher  standen  die  daraus  bereiteten  Ge- 
fässe  bei  den  Alten  im  Ansehen.  Manius  Curius  schwor, 
er  habe  von  der  Beute  nichts  angerührt  als  eine  buchene 
Giesskanne,  um  damit  zu  opfern.  Das  Holz  wird  der 
Länge  nach  immer  lockerer,  denn  der  der  Wurzel  zunächst 
befindliche  Theil  ist  der  festere.  Bei  einigen  haben  die 
weichern  Theile  keine  Adern,  sondern  bestehen  bloss  aus 
dünnen  Fasern,  und  diese  lassen  sich  am  besten  spalten. 
Andere,  denen  die  weichern  Theile  fehlen,  brechen  leichter 
als  sie  sich  spalten,  wie  die  Oelbäume  und  Weinstöcke. 
Dahingegen  besteht  der  ganze  Körper  des  Feigenbaumes 
aus  Fleisch.  Ganz  knochenartig  ist  es  bei  der  Stecheiche, 
Kornelkirsche,  der  gemeinen  Eiche,  dem  Cytisus,  dem  Maul- 
beerbaum, dem  Ebenbaum,  dem  Lotos,  und  denen,  welche, 
wie  schon  gesagt  wurde,  kein  Mark  haben. 

Die  übrigen  haben  eine  schwärzliche  Farbe,  das  Fleisch 
der  Kornelkirsche  eine  gelbliche,  welche  an  Jagdspiessen 
schön   aussieht,   wenn   es   zur   Zierde   gelenkweise    eiuge- 

')  Pulpae. 


Sechszehntes  Buch.  225 

schnitten  ist.  Die  Ceder,  der  Lärchenbaum  und  Wachhol- 
der haben  röthliches.  Das  Fleisch  der  weiblichen  Lärche, 
welches  bei  den  Griechen  Schildholz  heisst,  ist  von  honig- 
gelber Farbe,  liegt  zunächst  dem  Marke,  und  man  hat  ge- 
funden, dass  dasselbe  für  die  Tafeln  der  Maler  ewig  hält, 
denn  es  bekommt  keine  Risse.  Bei  der  Tanne  nennen  es 
die  Griechen  das  steinige.  Auch  an  der  Ceder  ist  das  dem 
Marke  am  nächsten  liegende  das  Härteste,  sowie  am  Körper 
die  Knochen,  wenn  man  nur  den  Schleim  davon  abschabt. 
Ferner  soll  das  Innere  des  Holländers  ausserordentlich 
hart  sein,  denn  die  Verfertiger  von  Jagdspiessen  ziehen  es 
allen  andern  vor,  weil  es  aus  Haut  und  Knochen  besteht. 

74. 
Diejenigen  Bäume,  welche  geschält,  und  zu  Tempeln 
und  anderm  Behufe  gerundet  werden  sollen,  muss  man 
fällen,  wenn  sie  ausschlagen,  denn  sonst  kriegt  man  die 
Rinde  nicht  los,  der  Wurm  entsteht  darunter,  und  das  Holz 
wird  schwarz.  Bauholz  und  solches,  denen  die  Axt  die 
Rinde  nimmt,  fällt  man  vom  kürzesten  Tage  an  bis  zum 
Favonius,  oder  wenn  man  eher  dazu  genöthigt  ist,  beim 
Untergange  des  Arcturus,  und  vor  ihm  bei  Untergange  der 
Leyer  i),  nach  neuestem  Dafürhalten  aber  im  Solstitium. 
Die  Tage  dieser  Gestirne  sollen  gehörigen  Orts  angeführt 
werden  2).  Gewöhnlich  glaubt  man,  es  sei  hinreichend, 
wenn  Bäume  nicht  eher  gehauen  werden,  bis  sie  ihre 
Früchte  getragen  haben.  Im  Frühlinge  gefälltes  Eichen- 
holz wird  wurmstichig,  im  Winter  darf  es  weder  gefahren, 
noch  an  die  Luft  gelegt  werden,  sonst  ist  es  leicht  dem 
Fehler,  sich  zu  krümmen  und  zu  reissen,  ausgesetzt,  was 
bei  der  Korkeiche  selbst  dann  stattfindet,  wenn  sie  zur 
rechten  Zeit  gefällt  war.  Auch  auf  den  Mond  kommt  sehr 
viel  an,  und  man  soll  nur  vom  20.  bis  zum  30.  Tage  Holz 
schlagen;  Alle  kommen  aber  darin  überein,  es  geschehe 
am    zweckmässigsten    bei    der   Zusammenkunft    dieses  Ge- 


»)  Fidicula.    -)  Siehe  XVIII.  B.  59.  Cap. 

Wittsteiu:  Pliimis.     III.  Bd.  I5 


226  Sechszehntes  Buch. 

stirns,  welchen  Tag  Einige  den  Neumond,  Andere  den 
schweigenden  Mond  nennen.  Wenigstens  befahl  der  Kaiser 
Tiberius,  als  die  Schiffkampfbriicke  abgebrannt  war,  dass 
die  zur  Wiederherstellung  derselben  erforderlichen  Lärchen- 
bäume in  Rhätien  um  jene  Zeit  gefällt  werden  sollten^ 
Einige  sagen,  es  müsse  geschehen,  wenn  der  Mond  in  der 
Zusammenkunft  und  unter  der  Erde  sei;  diess  (letztere) 
kann  aber  nur  des  Nachts  eintreten.  Fällt  die  Zusammen- 
kunft auf  den  kürzesten  Tag,  so  soll  das  Holz  unveränder- 
lich bleiben,  und  ihm  zunächst  stehe  das,  was  zur  Zeit  der 
obengenannten  Gestirne  geschlagen  ist.  Einige  fügen  noch 
den  Aufgang  des  Hundssterns  hinzu  und  zu  dieser  Zeit  soll 
das  Holz  zum  Forum  des  Augustus  gefällt  worden  sein. 
Doch  eignen  sich  weder  ganz  junge,  noch  ganz  alte  Bäume 
gut  zu  Nutzholze.  Manche  lassen  die  bis  auf's  Mark  an- 
gehauenen Bäume  noch  einige  Zeit  stehen,  was  den  Nutzen 
hat,  dass  alle  Feuchtigkeit  von  ihnen  abläuft.  Merkwürdig 
ist  die  Thatsache,  dass  im  ersten  punischen  Kriege  die 
Flotte  des  Feldherrn  Duillius  schon  am  60.  Tage,  nachdem 
das  Holz  dazu  gehauen  war,  absegelte.  L.  Piso  schreibt 
sogar,  eine  gegen  den  König  Hiero  i)  bestimmte  Flotte  von 
220  Schiffen  sei  in  45  Tagen  gezimmert  worden.  Auch 
im  2.  punischen  Kriege  war  die  Flotte  des  Scipio  40  Tage 
nach  c'er  Fällung  des  dazu  verwendeten  Holzes  segelfertig. 
Soviel  vermag  selbst  in  der  grössten  Eile  die  rechte  Zeit. 

75. 
Cato,  der  unter  den  Männern,  welche  nützliche  Anwei- 
sungen gaben,  den  ersten  Rang  behauptet,  sagt  über  die 
verschiedenen  Hölzer  noch  folgendes.  „Die  Presse  mache 
vorzugsweise  aus  der  schwarzen  Tanne.  Ulmen,  Fichten, 
Nussbüume  und  alles  andere  Bauholz  musst  du  im  abneh- 
menden Monde  Nachmittags  wenn  kein  Südwind  weht,  und 
zwar  dann  ausgraben,  wenn  der  Same  reif  ist.    Hüte  dich, 


')  Hiero  II.  Sohn  des  Hierokles,  ward  -270  König  von  Syrakus 
und  regierte  bis  215  v.  Chr.  Er  soll  Bücher  über  den  Ackerbau  ge- 
schrieben haben. 


S'echszehntes  Buch.  227 

es  durch  Thau  zu  ziehen,  oder  in  demselben  zu  behauen." 
Weiter  fügt  derselbe  hinzu:  „Rühre  das  Holz  nur  beim 
Neumonde  oder  halben  Monde  an.  Grabe  es  alsdann  nicht 
aus  oder  haue  es  an  der  Erde  ab;  die  nächsten  sieben 
Tage  nach  Vollmond  sind,  die  besten  zum  Ausgraben. 
Hüte  dich  überhaupt,  schwarzes  Holz  zu  behauen,  zu  fällen 
oder  zu  berühren,  wenn  es  nicht  trocken,  auch  dann  nicht, 
wenn  es  gefroren  oder  bethauet  ist."  Tiberius  liess  sich 
immer  nur  beim  Neumonde  die  Haare  schneiden.  M.  Varro 
räth  wider  das  Ausfallen  der  Haare,  man  solle  sich  die- 
selben gleich  nach  dem  Vollmonde  schneiden  lassen. 

7(3. 
Aus  der  gefällten  Lärche  und  noch  mehr  aus  der 
Tanne,  fliesst  der  Saft  noch  lange  Zeit  aus;  sie  sind  unter 
allen  Bäumen  die  höchsten  und  geradesten.  Zu  Mastbäu- 
men und  Segelstangen  zieht  man,  der  Leichtigkeit  wegen, 
die  Tanne  vor.  Sie  haben  das  mit  der  Fichte  gemein, 
dass  sie  4theilige  oder  2  theilige  oder  bloss  einzelne  Ader- 
läufe enthalten.  Zu  den  innern  Arbeiten  der  Tischler 
lässt  sich  das  Mark  zerschneiden.  Das  beste  Holz  haben 
die  4  aderigen;  auch  ist  es  weicher  als  an  andern  Bäumen. 
Sachkundige  sehen  diess  ^)  gleich  an  der  Rinde.  Der  der 
Erde  zunächst  stehende  Theil  der  Tanne  hat  keine  Kno- 
ten; er  wird  auf  die  bereits  angezeigte  Weise  gewässert  und 
geschält  und  heisst  nun  Saftstück  2).  Der  obere  Theil  ist 
knotig,  härter  und  heisst  das  Knorrenstück  3).  An  den 
Räumen  selbst  aber  ist  die  Nordseite  die  kräftigere.  Ue- 
berhaupt  liefern  die  auf  feuchtem  und  schattigem  Boden 
wachsenden  Bäume  schlechteres,  die  von  sonnigem  Boden 
dagegen  dichteres  und  dauerhafteres  Holz.  Daher  werden 
zu  Rom  die  Tannen  aus  Unteritalien  denen  von  Oberitalieu 
vorgezogen.  Auch  ist  es  nicht  einerlei,  aus  welcher  Gegend 
sie  kommen.  Auf  den  Alpen  und  dem  Apennin,  in  Gallien 
auf  dem  Jura  und  den  Vogesen,  ferner  in  Corsica,  Bithy- 


')  Nämlich,  ob  ein  Stamm  4aderig  ist.    -)  Sapinus. 
^)  Fusterna  von  fustis,  Knüttel. 

15* 


228  Sechszehntes  Buch. 

uien,  Pontus  uud  Macedouieu  fiudeu  sich  die  besten. 
Schlechter  sind  die  äueatisclien  und  arcadischen,  am  schlech- 
testen die  parnassischen  und  euböischen,  weil  diese  viel 
Aeste  und  Knorren  haben  und  leicht  faul  werden.  Die 
Ceder  von  Greta,  Afrika  und  Syrien  ist  die  beste.  Holz, 
was  mit  Cederöl  bestrichen  ist,  wird  weder  wurmstichig 
noch  faul.  Dieselbe  schützende  Kraft  besitzt  der  "Wach- 
holder. Dieser  wird  in  Spanien,  besonders  im  Gebiete  der 
Vaccäer  sehr  gross;  sein  Mark  ist  auch  überall  fester  als 
das  der  Ceder.  Ein  allgemeiner  Fehler  alles  Holzes  sind 
die  Krümmungen  '),  wo  sich  die  Adern  und  Knoten  in  ein- 
ander gewickelt  haben.  In  einigen  Bäumen  finden  sich 
auch,  ebenso  wie  im  Marmor,  sogenannte  Härten  -),  welche 
so  hart  wie  ein  Nagel  sind  und  den  Sägen  sehr  schaden; 
einige  von  diesen  kommen  zufällig  in  den  Baum,  wenn 
ein  Stein  oder  ein  Ast  eines  andern  Baumes  ins  Holz  ein- 
wächst. 

Zu  Megara  stand  lange  Zeit  hindurch  ein  wilder  Oel- 
baum  auf  dem  Markte,  an  welchem  tapfere  Männer  ihre 
Waffen  befestigt  hatten,  die  mit  der  Zeit  durch  die  da- 
rüberwachseude  Rinde  verborgen  wurden.  Dieser  Baum 
ward  unheilbringend  für  die  Stadt,  denn  das  Orakel  hatte 
ihr  den  Untergang  prophezeihet,  wenn  ein  Baum  Waffen 
trüge;  diess  war  denn  auch  der  Fall,  als  man  den  Baum 
umhieb,  denn  mau  fand  darin  Beinharnische  uud  Helme. 
Man  sagt,  die  Steine  welche  man  in  Bäumen  fände,  wären 
ein  Mittel,  die  Frucht  zu  erhalten.  Für  den  grössten  Baum 
bis  auf  diese  Zeit  wird  der  gehalten,  welchen  man  in  Rom 
gesehen  hat,  und  den  der  Kaiser  Tiberius  der  Merkwür- 
digkeit wegen  auf  derselben  Schiffkampfbrücke  *)  nebst  dem 
übrigen  Holze  hatte  ausstellen  lassen,  und  der  daselbst 
bis  zum  Bau  des  Amphitheaters  des  Kaisers  Nero  blieb. 
Man  hatte  auch  einen  Balken  von  einem  Lärchenbaume, 
der  120  Fuss  lang  und  überall  2  Fuss   dick  war.     Hieraus 


')  Spirae.     ^j  Centra. 

3)  pons  iiauniachiarius,  von  der  im  74.  Cap.  die  Rede  war. 


Sechszehntes  Buch.  229 

konnte  man  abnehmen,  dass  seine  ganze  Höhe  bis  zuv 
Spitze  fast  ins  Unglaubliche  ging.  In  unserer  Zeit  fand 
sich  auch  einer,  den  M.  Agrippa  in  den  Gallerien  der 
.Schranken  i)  der  Merkwürdigkeit  wegen  liegen  gelassen 
hatte,-  der  bei  dem  Bau  des  Diribitorium's  2)  übrig  geblieben, 
20  Fuss  kürzer,  und  anderthalb  Fuss  dick  war.  Eine  ganz 
besonders  bewuudernswerthe  Tanne  sah  man  auf  einem 
Schifife,  welches  auf  Befehl  des  Kaisers  Cajus  den  auf  dem 
vaticanischen  Circus  errichteten  Obelisk  und  4  Steinblöcke 
zu  dessen  Grundlage  aus  Aegypten  brachte;  und  gewiss 
trug  das  Meer  nie  etwas  Staunenswertheres  als  dieses 
Schiff,  denn  es  führte  120,000  Modius  Linsen  als  Ballast. 
Seine  Länge  nahm  grösstentheils  den  linken  Raum  des 
ostiensischen  Hafens  ein,  denn  dort  Hess  es  der  Kaiser 
Claudius  nebst  drei  auf  demselben  aus  puteolanischer  Erde 
erbaueten  thurmhohen  Massen  versenken.  Um  den  Baum 
zu  umspannen,  waren  4  Menschen  nothwendig.  Man  hört 
insgemein,  dass  Stämme  zu  Mastbäumen  für  80  und 
mehr  Sesterzen,  die  meisten  daraus  zusammengesetzten 
Flösse  aber  für  40,000  Sesterzen  verkauft  werden.  Die 
Könige  in  Aegypten  und  Syrien  sollen  aus  Mangel  au 
Tannen,  Cedern  zu  ihren  Flotten  genommen  haben. 
Die  grösste  von  diesen  war  angeblich  in  Cypern  zu  der 
elfrudrigen  Galeere  des  Demetrius  gefällt,  130  Fuss  lang, 
und  so  dick,  dass  erst  3  Männer  sie  umspannen  konnten. 
Die  deutschen  Seeräuber  fahren  in  einzelnen  ausgehöhlten 
Bäumen,  von  denen  manche  30  Menschen  tragen. 

Für  das  dichteste,  mithin  auch  das  schwerste  Holz 
hält  man  den  Eben-  und  Buxbaum,  welche  beide  von  Na- 
tur dünn  sind;  keines  von  beiden  schwimmt  in  Wasser, 
auch  nicht  das  Korkholz  nach  hinweggenommener  Rinde, 
und  das  Lärchenholz,  Von  den  übrigen  hat  der  in  Rom 
sogenannte  Lotus  das  trockenste;  auf  diesen  folgt  die  vom 


')  septa,  innerhalb  welchen  das  römische  Volk  in  Comitiis  votirte. 
■-)  sc.  aedificium,   ein   Gebäude,  wo   die  Täfelchen  zum  Votiren 
ausf'etheilt  wurden. 


230  Sechszehntes  Buch. 

Splinte  befieiete  Eiche,  deren  Farbe  schwärzlich  ist,  noch 
mehr  aber  ist  diess  beim  Cytisus  der  Fall,  welcher  dem 
Ebenholze  am  nächsten  zu  kommen  scheint.  Doch  behaup- 
ten Viele,  die  syrischen  Terebinthen  seien  schwärzer. 
Auch  rühmt  man  einem  gewissen  Thericles,  der  aus  Tere- 
binthenholze  Becher  mit  dem  Dreheisen,  welches  zum 
Untersuchen  des  Holzes  dient,  verfertigt  habe.  Dieses 
Holz  ist  das  einzige,  welches  mit  Oel  geschmiert  und  da- 
durch besser  wird.  Seine  Farbe  wird  dadurch  sehr  ver- 
fälscht, dass  man  Holz  vom  Nussbaum  und  der  wilden 
Birne  färbt  und  in  irgend  einem  Mittel  abkocht.  Alle  eben 
genannten  Hölzer  sind  dicht  und  fest.  Ihnen  zunächst 
kommt  die  Kornelkirsche;  da  ihr  Holz  aber  so  ausseror- 
dentlich dünn  ist,  kann  man  es  fast  zu  nichts  andern  als 
zu  Radspeichen,  oder  wenn  etwas  im  Holze  zu  verkeilen 
oder  wie  mit  eiserneu  Nägeln  zu  befestigen  ist,  gebrauchen ; 
desgleichen  die  Stecheiche,  der  wilde  und  zahme  Oelbaum, 
die  Kastanie,  Hainbuche  und  Pappel.  Letztere  hat,  gleich 
dem  Ahorn,  krauses  Holz,  und  eignet  sich  ganz  besonders 
zum  Bauen,  wenn  man  die  Aeste  oft  abhauet;  durch  eine 
solche  Verstümmlung  werden  ihr  aber  die  Kräfte  genommmen. 
Uebrigens  haben  die  meisten  von  diesen,  namentlich  aber 
die  Eiche,  eine  solche  Härte,  dass  sie  nur  im  befeuchteten 
Zustande  gebohrt  werden  können,  und  ein  eingeschlagener 
Kagel  nicht  wieder  heraus  zu  reissen  ist.  Dahingegen 
haftet  kein  Nagel  im  Cederholze.  Am  weichsten  und  wie 
es  scheint  auch  am  wärmsten,  ist  das  Lindenholz,  denn  es 
macht,  wie  mau  sagt,  die  Aexte  sehr  schnell  stumpf.  Auch 
die  Maulbeere,  der  Lorbeer,  der  Epheu  und  alle  die,  aus 
denen  man  Feuerzeuge  fertigt,  haben  warmes  Holz. 

77. 
Die  Kundschafter  im  Lager  und  die  Hirten  erfanden 
den  Gebrauch  der  Feuerzeuge,  weil  mau  nicht  immer 
Steine  zum  Feuerschlagen  bei  der  Hand  hat.  Man  reibt 
nämlich  Holz  an  Holz,  bis  es  Feuer  fasst,  und  fängt  diess 
in  trocknem  Zunder,  Schwämme  oder  Blatte  sehr  leicht  auf. 
Nichts   eignet    sich    besser,    um   gerieben   zu    werden    als 


Sechszehntes  Buch.  231 

Epheu-,  und  zum  Reiben  als  Lorbeerliolz.  Auch  eine  Art 
wilden  Weins,  aber  verschieden  von  der  Labrusca,  welche 
ebenso  wie  der  Epheu  an  Bäumen  hinauf  klettert,  passt 
recht  gut  dazu.  —  Alle  Wassergewächse  sind  sehr  kalt,  aber 
sehr  zähe,  und  daher  zur  Verfertigung  von  Schilden  ganz 
besonders  verwendbar,  denn  ein  hineingekommener  Hieb- 
riss  zieht  sich  bald  wieder  zusammen ,  und  die  Wunde 
schliesst  sich,  daher  Eisen  nur  mit  Mühe  hindurchgeht. 
Hierher  gehören  die  Feigen,  Weide,  Linde,  Birke,  derHoUunder 
und  die  Pappeln.  Unter  diesen  ist  die  Feige  und  Weide  am  leich- 
testen,unddaher  am  nützlichsten;  alle  aber  eignen  sich  zu  Kisten 
und  zu  geflochtenem  Behältern.  Sie  sind  auch  weiss,  steif  und 
leicht  zu  Schnitzwerken  zu  verarbeiten.  Die  Platane  und 
Erle  sind  zähe  aber  nass.  Letztere  ist  trockner  als  die 
Ulme,  Esche,  Maulbeere  und  Kirsche,  aber  schwerer.  Die 
Ulme  behält  ihre  Steifigkeit  am  längsten,  daher  i3as8t  sie 
sehr  gut  zu  Angeln  und  dichten  Besetzungen  i)  der  Thüren, 
weil  sie  sich  fast  gar  nicht  krümmt,  nur  muss  man  sie  so 
stellen,  dass  ihre  Spitze  nach  der  untern  Angel,  ihre  Basis 
nach  der  obern  gerichtet  ist.  Das  Holz  der  Palme  und 
Korkeiche  ist  weich;  das  des  Apfel-  und  Birnbaumes  dicht; 
desgleichen  das  des  Ahorns,  aber  zerbrechlich  wie  alles 
Maserholz,  Unter  allen  vermehren  die  wilden  und  männ- 
lichen Bäume  die  Unterschiede  einer  jeden  Art.  Auch 
sind  unfruchtbare  fester  von  Holz  als  fruchtbare,  wenn  sie 
nicht  in  einer  Art  Männchen  tragen,  wie  die  Cy presse  und 
Kornelkirsche. 

78. 

Weder  faul  noch  alt  werden  die  Cy  presse,  Ceder, 
der  Ebenbaura,  Lotus,  Buxbaum,  Taxus,  Wachholder,  wilde 
und  zahme  Oelbaum;  von  den  übrigen  am  spätesten  die 
Lärche,  gemeine  Eiche,  Korkeiche,  Kastanie,  welsche  Nuss. 
Weder  Spalten  noch  Risse  kriegt  von  selbst  die  Ceder, 
Cypresse,  der  Oelbaum  und  Buxbaum. 

79. 

Für  die   unvergänglichsten  Hölzer  hält  man   das 

')  crassamenta. 


232  ;Sechszehntes  Buch. 

des  Ebenbaumes,  der  Cypresse  und  Ceder,  wozu  die  Be- 
weise am  Tempel  der  Diana  zu  Epbesus  klar  vorliegeu> 
welcher  mit  Hülfe  von  ganz  Asien  in  400  Jahren  vollendet 
wurde.  Darüber  ist  man  einig,  dass  das  Dach  aus  Ceder- 
balken  besteht;  wegen  des  Bildnisses  der  Göttin  selbst 
walten  noch  Zweifel  ob;  Andere  sagen,  es  sei  von  Eben- 
holz, Mucianus  aber,  der  3  mal  Consul  war,  berichtet  laut 
Denen,  welche  nach  eigner  Anschauung  darüber  geschrie- 
ben haben,  es  sei  von  Weinrebenholze,  und,  während  der 
Tempel  7  mal  wieder  aufgebauet  wurde,  niemals  verändert 
worden.  Er  nennt  sogar  einen  Künstler  Pandemion,  der 
diess  Holz  ausgesucht  habe,  was  mich  sehr  wundert,  da  er 
ihm  ein  höheres  Alter  nicht  nur  als  dem  Bacchus,  sondern 
auch  als  der  Minerva  beigelegt.  Er  setzt  noch  hinzu,  diess 
Standbild  werde  durch  viele  Löcher  mit  Nardenöl  befeuch- 
tet, damit  es  nicht  verderbe,  und  die  Fugen  dicht  bleiben 
—  W'Obei  ich  wiederum  bewundere,  dass  ein  so  massiges 
Bild  dergleichen  i)  hat.  Die  Thorflügel  sollen  von  Cypres- 
senholz  sein  und,  obschon  nun  fast  400  Jahre  alt,  noch 
wie  neu  aussehen;  auch  bedenke  man,  dass  sie  4  Jahre 
lang  im  Leim  2)  gestanden  haben.  Man  wählte  Cypressen- 
holz  dazu,  weil  bei  ihm  allein  der  Glanz  unvergänglich 
ist.  Existirt  nicht  noch  die  aus  Cypressenholz  gefertigte 
Statue  Jupiter's  auf  der  Burg,  welche  im  55L  Jahre  der 
Stadt  eingeweihet  wurde?  Merkwürdig  ist  auch  der  Tem- 
pel des  Apollo  zu  Utika,  worin  die  Balken  von  numidi- 
schen  Cedern  noch  ganz  so,  wie  sie  bei  Erbauung  dieser 
Stadt  vor  1178  Jahren  gelegt  wurden,  beschaffen  sind. 
Auch  soll,  wie  Bocchus  =^)  erzählt,  zu  Sagunt  in  Spanien 
ein  Tempel  der  200  Jahre  vor  der  Zerstörung  Troja's  mit 
den  Erbauern  von  Zacynthus  her  dorthin  gekommenen 
Göttin  Diana  unterhalb  der  Stadt  stehen,  den  Hannibal 
aus  Ehrfurcht  verschonte,  und  dessen  Wachholderbalken 
noch   jetzt   vorhanden   sind.     Vor   allem   aber   wird   eines 


')  Nämlich  Fugen.     -)  In  glutinis  compage. 

3)  Ein  nicht  näher  bekannter  römischer  Schriftsteller. 


Sechszehntes  Buch.  233 

Tempels  derselben  Göttin  in  Aulis  erwähnt,  der  mehrere 
Jahrhunderte  vor  dem  trojanischen  Kriege  erbauet  worden 
ist,  und  dessen  Holzwerk  man  nicht  mehr  kennt.  Ueber- 
haupt  kann  man  sagen,  dass  alles  Holz,  welches  einen 
starken  Geruch  besitzt,  ewig  dauert. 

Auf  die  vorgenannten  folgt  hinsichtlich  der  Güte  zu- 
nächst der  Maulbeerbaum,  dessen  Holz  durch  Alter  schwarz 
wird.  Doch  zeigt  sich  manches  Holz  zu  einem  Behufe 
dauerhafter,  wie  zum  andern.  Die  Ulme  ist  fest  in  freier 
Luft,  die  Steineiche  in  der  Erde,  die  geraeine  Eiche  im 
Wasser;  die  aus  letzterer  gefertigten  Gegenstände  bekom- 
men über  der  Erde  Risse  und  krümmen  sich.  Die  Lärche 
und  schwarze  Erle  sind  besonders  da  brauchbar,  wo  es 
feucht  ist.  Das  Eichenholz  verdirbt  durch  Seewasser. 
Auch  die  Buche  und  welsche  Nuss  eignen  sich  zu  Wasser- 
bauten, aber  vielleicht  am  besten  zum  Einsetzen  in  die 
Erde;  ebenso  der  Wach  holder,  welcher  auch  zu  Bauten  in 
freier  Luft  ganz  vorzüglich  ist.  Die  Buche  und  Cerreiche 
werden  schnell  welk  (morsch).  Auch  die  Speiseiche  ver- 
trägt keine  Nässe.  Wird  hingegen  die  Erle  an  sumpfigen 
Orten  in  die  Erde  getrieben,  so  hält  sie  ewig,  und  trägt 
jede  Last.  Das  Kirschholz  ist  fest;  Ulmen-  und  Eschen- 
holz  sind  zähe  aber  leicht  hin  und  her  zu  biegen,  und 
wenn  sie  rund  herum  angeschnitten  auf  dem  Stamme  ge- 
trocknet sind,  noch  besser.  Man  sagt,  in  Seeschiffen  sei 
das  Lärchenholz,  ja  selbst  alles  aus  dem  wilden  und  zah- 
men Oelbaume  dem  Wurmstiche  unterworfen.  Das  eine 
verdirbt  nämlich  eher  im  Meere,  das  andere  eher  auf  dem 
Lande. 

80. 

Es  giebt  vier  Arten  Würmer,  welche  das  Holz  an- 
fressen. Der  Teredo,  welcher  einen  verhältnissmässig 
sehr  grossen  Kopf  hat,  nagt  mit  den  Zähnen,  lebt  nur  im 
Meere,  und  ist  der  einzige  seines  Namens.  Die  auf  dem 
Lande  befindlichen  heissen  Tineae  und  die,  welche  den 
Mücken  gleichen,  Thripä.  Die  vierte  Art  gehört  ebenfalls 
zu   den    Würmern;    einige   von   ihnen   entstehen    aus   dem 


234  Sechszehntes  Buch. 

faulenden  Safte  des  Holzes  selbst,  andere,  wie  z.  B.  die 
auf  Bäumen,  werden  von  dem  sogenannten  Kornkäfer  er- 
zeugt. Wenn  dieser  so  weit  um  sich  gefressen  hat,,  dass 
er  sich  umdrehen  kann,  so  erzeugt  er  ein  Junges.  In 
manchem  Holze  wird  die  Entstehung  dieses  Ungeziefers 
durch  dessen  Bitterkeit  verhütet,  s.  B.  in  der  Cypresse; 
in  andern  durch  die  Härte  z.  B.  im  Buxbaum.  Man  sagt 
auch,  dass  die  Tanne,  wenn  sie  in  dem  von  uns  gegebe- 
nen Mondesstande  während  ihres  Ausschiagens  geschält 
wird,  in  Wasser  nicht  verderbe.  Die  Gefährten  Alexanders 
des  Grossen  haben  erzählt,  auf  der  Insel  Tylus  im  rothen 
Meere  gebe  es  Bäume,  aus  denen  man  Schiffe  baue,  die 
200  Jahre  lang  brauchbar  wären,  und,  wenn  sie  untergin- 
gen, niclit  verfaulten.  Eben  daselbst  wachse  auch  ein 
Strauch,  der  Stämme  nicht  dicker  als  ein  gewöhnlicher 
Stock  trüge,  welche  tigerartig  gefleckt  und  schwer  wären; 
fielen  diese  auf  etwas  hartes,  so  zerbrächen  sie  wie  Glas. 

81. 
Bei  uns  spaltet  sich  manches  Holz  von  selbst,  daber 
lassen  die  Baumeister  solches  mit  Mist  bedecken  und  so 
trocknen,  damit  ihm  die  Luft  nicht  schade.  Zum  Tragen 
von  Lasten  sind  am  stärksten:  die  Tanne  und  der  Lär- 
chenbaum, auch  wenn  sie  quer  gelegt  werden.  Die  Eiche 
und  der  Oelbaum  krümmen  sich  und  geben  nach;  jene 
aber  halten,  brechen  nicht  leicht,  und  werden  eher  morsch, 
als  dass  sie  ihre  Kräfte  verlieren.  Auch  die  Palme  ist  gleich- 
wie die  Pappel  stark,  aber  sie  krümmt  sich  i^der  Last) 
entgegen  und  wölbt  sich,  während  alle  übrigen  Bäume 
sich  nach  unten  beugen.  Die  Fichte  und  Cypresse  werden 
am  wenigsten  morsch  und  wurmstichig.  Das  Wallnussholz 
krümmt  sich  leicht  (denn  auch  aus  ihm  macht  man  Balken) 
und  zeigt  durch  Krachen  an,  dass  es  brechen  will  —  ein 
Vorfall,  der  sich  zu  Antandrus  ereignete,  wo  die  Leute, 
durch  das  Geräusch  geschreckt,  aus  den  Bädern  flohen. 
Die  Fichte,  Rothtanne  und  Erle  werden  auch  zu  Wasser- 
leitungsröhren au!?gebohrt.  Unter  der  Erde  bleiben  sie 
viele  Jahre  hindurch  brauchbar;  sind   sie  aber  nicht  damit 


Sechszehntes  Buch.  235 

bedeckt,   so   verderben  sie  bald,  halten  sich  dagegen  un- 
gleich länger,  wenn  sie  auch  von  aussen  Wasser  haben. 

82. 

Das  Tannenholz  ist  zu  Dächern  das  festeste,  sowie 
es  sich  am  besten  zu  Thürriegeln,  und  allen  Holzsachen  im 
Innern  des  Hauses  eignet,  und  den  griechischen,  campa- 
nischen und  sicilischen  Tischlerarbeiten  ein  schönes  An- 
sehen giebt,  denn  bei  dem  schnellen  Ansätze  des  Hobels 
drehen  sich  die  Spähne  stets  in  lankenförmigem  Kreise. 
Es  lässt  sich  auch  mittelst  Leim  sehr  gut  zu  Wägen  ver- 
binden, so  dass  es  sogar  eher  im  festen  Holze  als  an  den 
verleimten  Theilen  reisst. 

83. 

Hinsichtlich  der  Gegenstände  welche  mit  Holzplatten 
und  auf  andere  Weise  belegt  werden,  kommt  sehr  viel  auf 
den  Leim  an.  Man  wählt  besonders  zu  diesem  Behuf  die 
fadigen  Streifen,  und  nennt  sie  überall,  weil  sie  franzig 
kraus  sind,  der  Aehnlichkeit  wegen  die  ferulaartigen. 
Manche  Holzarten  nehmen  den  Leim  nicht  an,  und  lassen 
sich  durch  denselben  weder  unter  sich  noch  mit  andern 
vereinigen,  wie  z.  B.  das  Eichenholz.  Auch  haften  Dinge 
von  verschiedener  Natur  nicht  leicht  aneinander;  so  z.  B. 
wird  Niemand  Holz  und  Stein  durch  Leim  verbinden  kön- 
nen. Mit  der  Kornelkirsche  hängt  am  leichtesten  der 
Speierling,  die  Hainbuche,  der  Buxbaum  und  hiernach  erst 
die  Linde  zusammen.  Die  Holzarten,  welche  wir  zähe 
nannten,  sind  alle  biegsam  und  leicht  zu  jeder  Arbeit  zu 
gebrauchen;  dahin  gehören  ferner  noch  der  Maulbeer-  und 
wilde  Feigenbaum.  Holz,  was  nicht  zu  feucht  ist,  lässt 
sich  leicht  sägen  und  schneiden;  das  trockne  wird  von  der 
Säge  nicht  so  leicht  angegriffen,  das  grüne  aber,  ausser 
dem  Eichen-  und  Buxbaumholze,  widersteht  ihr  noch  mehr, 
und  füllt  durch  seine  träge  Gleichartigkeit  die  Zähne  der 
Säge  an,  daher  man  durch  abwechselndes  Neigen  das 
Sägemehl  herausschaffen  muss.  Die  Esche  lässt  sich  in 
jeder  Beziehung  am  besten  bearbeiten;  zu  Spiessen  ist  sie 
besser  als  der  Haselstrauch,  leichter  als  die  Kornelkirsche, 


23t3  Sechszehntes  Buch. 

und  zähev  als  der  Speierling.  Die  gallische  passt  auch 
wegen  ihrer  Biegsamkeit  zu  Wagen.  Die  Ulme  würde  dem 
Weinstocke  gleichen,  wenn  sie  nicht  zu  schwer  wäre. 

84. 

Die  Buche  bearbeitet  sich  leicht,  obgleich  sie  zer- 
brechlich und  zart  ist;  biegt  sich  in  dünnen  Brettern, 
und  passt  daher  nur  zu  Kisten  und  Schränken.  Auch  die 
Stecheiche  sägt  man  in  ganz  dünne  Bretter;  sie  hat  auch 
keine  üble  Farbe  und  liefert  das  beste  Material  zu  solchen 
Gegenständen,  welche  der  Reibung  ausgesetzt  sind,  wie  zu 
Radaxen.  Zu  diesen  erweist  sich  die  Esche  wegen  ihrer 
Zähigkeit,  die  Stecheiche  wegen  ihrer  Härte,  und  um 
beider  Eigenschaften  willen  die  Ulme  nützlich.  Manche 
Bäume  sind  aber  auch  wegen  ihres  Nutzens  zu  kleineu  Gegen- 
ständen der  Holzarbeiter  bemerkenswerth,  denn  man  findet 
angegeben,  dass  vom  wilden  Oelbaum,  Buxbaum,  der 
Stecheiche,  Ulme,  Esche  die  besten  Griffe  zu  Bohrern  ge- 
macht werden;  ebenso  auch  zu  Hämmern,  jedoch  die  grös- 
sern von  der  Fichte  und  Stecheiche.  Diese  muss  man 
auch  der  Festigkeit  wegen  eher  zu  rechter  Zeit,  als  zu 
früh  fällen,  denn  man  weiss,  dass  Thürangeln,  aus  dem 
Oelbaume,  dem  härtesten  Holze,  verfertigt,  welche  längere 
Zeit  unbewegt  standen,  wie  ein  Baum  ausgeschlagen  sind. 
Nach  Cato  soll  man  Hebebäume  aus  der  Stecheiche,  dem 
Lorbeer  und  der  Ulme,  und  nach  Hyginus  die  Handheben 
für  die  Bauern  aus  der  Hainbuche,  Steineiche  und  Ceri- 
eiche  machen. 

Hölzer,  welche  in  dünne  Blätter  gesägt  und  zur  Ue- 
berkleidung  andern  Holzes  gebraucht  werden,  sind  vor- 
nehmlich das  des  Citrus,  der  Terebinthe,  der  Ahorne,  des 
Buxbaumes,  der  Palme,  Kermeseiche,  Stecheiche,  HoUunder- 
wurzel  und  Pappel.  Auch  giebt  die  Erle,  wie  schon  ge- 
sagt, gleich  dem  Citrus  und  dem  Ahorn,  eine  Maser  zum 
Furnireu.  Andere  Maserarten  werden  nicht  geschätzt.  Der 
mittlere  Theil  des  Holzes  ist  krauser,  und  je  näher  der 
Wurzel,  um  so  kleiner  und  verschlungener  sind  die  Flecken. 
Das   war    der  Anfang   des   Luxus,    dass    man    einen  Baum 


Secliszehntes  Buch.  237 

mit  einem  andern  überkleidete  und  diejenigen,  welche 
schlechteres  Holz  haben,  durch  einen  Ueberzug  werthvoller 
machte.  Damit  also  ein  Baum  mehrere  Male  verkauft 
werde,  hat  man  dünne  Blätter  von  Holz  zu  verfertigen  er- 
dacht. Noch  nicht  genug!  Man  hat  angefangen,  die  Hörner 
der  Thiere  zu  färben,  ihre  Zähne  zu  zersägen,  das  Holz 
mit  Elfenbein  auszulegen  und  zu  überdecken.  Hierauf 
holte  mau  das  Holz  aus  dem  Meere;  indem  man  die  Schild- 
kröten zerschnitt.  Kürzlich  unter  der  Regierung  Nero's, 
haben  sogar  seltsame  Köpfe  erfunden,  das  Schildpatt 
durch  Uebermalen  zu  verbergen,  und  es  durch  Nachahmung 
des  Holzes  noch  theuerer  zu  machen.  Auf  solche  Art 
macht  man  die  Preise  für  die  Betten,  so  bewirkt  man, 
dass  sich  das  Terebinthenholz  selbst  übertreffe,  dass  der 
Citrus  werthvoller  und  der  Ahorn  betrogen  werde.  Der 
Luxus  war  mit  dem  Holze  nicht  allein  zufrieden,  denn 
jetzt  bedient  man  sich  an  seiner  Statt  der  Schildkröte. 

85. 
Die  Lebensdauer  mancher  Bäume  kann  man  für  un- 
endlich lange  halten,  wenn  man  die  Grösse  der  Welt  und 
die  vielen  noch  unbetretenen  Wälder  in  Anschlag  bringt. 
Aber  unter  denen,  von  welchen  die  Menschen  das  Andenken 
erhalten  haben,  befinden  sich  im  Literninischen  die  von 
dem  altern  Afrikanus  mit  eigner  Hand  gepflanzten  Oel- 
bäume;  ferner  eine  Myrte  von  bedeutender  Grösse  an  dem- 
selben Orte.  Bei  derselben  ist  eine  Höhle,  wo,  der  Sage 
nach,  ein  Drache  seine  ^)  Manen  bewacht.  Zu  Rom  aber 
steht  ein  Lotus  auf  der  Area  des  Tempels  der  Lucina, 
w^elcher  im  379.  Jahre  der  Stadt,  wo  es  keine  Magistrats- 
pei sonen  gab,  erbauet  wurde.  Man  weiss  nicht,  um  wie 
viel  älter  der  Baum  ist;  dass  er  aber  älter,  leidet  keinen 
Zweifel,  denn  Lucina,  deren  Name  jetzt  ungefähr  350  Jahre 
alt  ist,  wurde  nach  jenem  Haine  -)  benannt.  Noch  älter, 
allein  von  nicht  gewiss  zu   ermittelndem  Alter  ist  der  so- 


')  Nämlich  des  Scipio  Afrikanus.     -)  lucus. 


238  Sechszehntes  Buch. 

genannte  Haaibaum,  dem  das  Haar  der  vestalischen  Jung- 
frauen dargebracht  wird. 

So. 

Noch  ein  anderer  Lotus  steht  auf  dem  Vulkanal, 
(welchen  Romulus  nach  dem  Siege  aus  den  Zehnten  ange- 
bauet  hat),  der,  wie  Massurius  schreibt,  in  gleichem  Alter 
mit  unserer  Stadt  ist.  Seine  Wurzeln  reichen  bis  auf  das 
Forum  Cäsars  durch  die  Standplätze  der  Freistädte. 
Gleiches  Alter  mit  ihm  hatte  eine  Cypresse,  die  aber  in 
der  letzten  Lebenszeit  des  Kaisers  Nero  vernachlässigt 
wurde  und  ausging. 

87. 

Noch  älter  als  die  Stadt  selbst  ist  eine  Stecheiche  auf 
dem  Vatican,  an  welcher  eine  in  Erz  gegrabene  etruscische 
Aufschrift  besagt,  dass  sie  schon  damals  der  Gottesver- 
ehrung würdig  gewesen  sei.  Die  Tiburter,  welche  eben- 
falls schon  lange  vor  Erbauung  der  Stadt  Rom  existirteu, 
haben  3  Stecheichen,  die  noch  älter  als  ihr  Stifter  Tibur- 
tus  sind,  denn  man  sagt,  er  sei  bei  denselben  eingeweihet; 
er  selbst  aber  soll  ein  Sohn  des  Amphiaraus,  der  bei  Theben 
um  1  Menschenalter  i)  früher,  als  der  trojonische  Krieg  aus- 
brach, starb,  gewesen  sein. 

88. 

Einige  Schriftsteller  berichten,  die  delphisehe  Platane 
und  noch  eine  andere  im  Haine  zu  Caphys  in  Arcadien  sei 
von  Agamemnon  selbst  gepflanzt.  Noch  jetzt  stehen  der 
Stadt  Troja  gegenüber  am  Hellesponte  auf  dem  Grabmal 
des  Protesilaus  Bäume,  welche  jedesmal,  wenn  sie  so  hoch 
gewachsen  sind,  dass  sie  Troja  sehen  können,  vertrocknen, 
und  dann  wiederum  von  Neuem  ausschlagen.  Bei  dieser 
Stadt  aber  stehen  auf  dem  Grabe  des  Bus  Eichen,  welche 
damals,  als  man  die  Stadt  Blum  zu  nennen  anfing,  gepflanzt 
sein  sollen. 

89. 

Zu  Argos    soll    jetzt    noch    der  Oelbaum    stehen,    an 

')  30  Jahre. 


Sechszehntes  Buch.  239 

welchen  Argus  die  in  eine  Kuli  verwandelte  Jo  ange- 
bunden habe.  Bei  Heraelea  in  Pontus  stehen  Altäre  des 
Jupiter  Stratius,  und  daneben  Eichen,  welche  Hercules  ge- 
pflanzt hat.  In  derselben  Gegend  ist  ein  Hafen  durch  die 
Ermordung  des  Amycus,  eines  Königs  der  Bebrycer,  be- 
kannt; auf  dessen  Grabe  steht  seitdem  ein  Lorbeerbaum, 
den  man  den  tollen  nennt,  denn  wenn  man  etwas  von  ihm 
abreisst  und  mit  auf  das  Schiff  nimmt,  so  entsteht  Zank, 
und  dieser  hört  nicht  eher  auf,  bis  es  weggeworfen  wird. 
Wir  haben  von  der  Gegend  Aulocrene,  durch  welche  man 
von  Apamia  nach  Phrygien  kommt,  geredet;  hier  zeigt  man 
die  Platane,  an  welcher  der  vom  Apollo  überwundene  Mar- 
syos  hing,  und  die  sich  schon  damals  durch  ihre  Grösse 
auszeichnete.  Auch  sieht  man  zu  Delos  eine  Palme,  welche 
noch  aus  dem  Zeitalter  dieses  Gottes  herstammt.  Zu 
Olympia  wird  noch  ein  wilder  Oelbaum,  von  welchem  Her- 
cules zuerst  bekränzt  wurde,  heilig  aufbewahrt.  Auch  zu 
Athen  soll  noch  der  Oelbaum  stehen,  den  Minerva  in  einem 
Wettstreite  schuf. 

90. 
Eine  sehr  kurze  Lebensdauer  dagegen  haben  die 
Granaten-,  Feigen-  und  der  Apfelbaum,  und  unter  diesen 
eher  die  frühen  als  die  späten,  eher  die  süssen  als  die 
scharfen,  und  von  den  Granaten  die  süsseren.  Ebenso  ist 
es  bei  den  Weinstöcken  und  besonders  den  fruchtbarem. 
Gräcinus  sagt,  der  Weinstock  lebe  60  Jahre.  Auch  die 
Wassergewächse  scheinen  schneller  zu  vergeheo.  Der  Lor- 
beer-, die  Aepfel-  und  Granatbäume  werden  zwar  schnell 
alt,  sprossen  aber  aus  der  Wurzel  wiederum  hervor.  Die 
Oelbäume  sind  also  am  lebenskräftigsten,  denn  die  Schrift- 
steller kommen  darin  überein,  dass  sie  200  Jahre  alt 
werden. 

9L 

Auf   einem   der  Stadt   Rom   naheliegenden  Hügel  des 

tusculanischen  Gebietes   liegt   ein   von    den  Lateinern   der 

Diana  aus  religiöser  Verehrung   geweiheter  Hain,  Namens 

Corne,   von  Buchen,    deren   Kronen   wie   durch   Kunst   be- 


240  Sechszehntes  Buch. 

schnitten  sind.  Einen  darin  befindlichen  Baum  von  bedeu- 
tender Grösse  liebte  in  unserer  Zeit  Passienus  Crispus,  der 
2 mal  Consul  sowie  auch  Eedner  war,  und  hernach  durch 
seine  Hairath  mit  der  Agrippina  und  durch  seinen  Stief- 
sohn Nero  noch  berühmter  wurde;  er  pflegte  ihn  zu  küssen, 
zu  umarmen,  unter  ihm  zu  liegen  und  ihn  mit  Wein  zu 
begiessen.  Nahe  bei  diesem  Haine  steht  auch  eine  ihres 
Stammes  wegen  berühmte  Stecheiche,  die  34  Fuss  im  Um- 
fange hat,  zehn  Bäume  von  ansehnlicher  Grösse  getrieben 
hat,  und  allein  einen  Wald  ausmacht. 

92. 
Dass  der  Epheu  die  Bäume  tödtet,  weiss  man.  Das- 
selbe thut  die  Mistel  ^),  doch  soll  es  mit  dieser,  welche  an 
den  Bäumen,  ausser  ihren  Früchten,  keine  der  geringsten 
Merkwürdigkeiten  ausmacht,  etwas  langsamer  gehen.  Ei- 
nige Gewächse,  wie  die  Mistel,  können  nemlich  nicht  in 
der  Erde,  sondern  nur  auf  Bäumen  wachsen  und  leben,  da 
sie  keinen  eigenen  Wohnsitz  haben,  auf  fremden.  Auch  in 
Syrien  giebt  es  ein  Kraut,  Cadytas^),  was  sich  nicht 
allein  um  Bäume,  sondern  auch  um  Dornen  herumschlingt. 
Ebenso  im  thessalischen  Tempe  das  sogenannte  Engel- 
süss  ^),  das  Dolichos^)  und  der  Quendel^).  Was  auf  abge- 
hauenem Oleaster  wächst,  heisst  Phaunos.  Das  auf  der 
Walkerdistel 6)  heisst  Hippophäston,  hat  leere  Köpfe, 
kleine  Blätter,  und  eine  weisse  Wurzel,  deren  Saft  in  der 
Epilepsie  zu  Abführungen   aus  dem  Körper  sehr  geschätzt 

wird. 

93. 
Von  der  Mistel  giebt  es  3  Arten.  In  Euböa  nemlich 
nennt  man  die  auf  der  Tanne  und  Lärche  wachsende 
Stelis,  die  in  Arcadien  vorkommende  heisst  Hyphear. 
Von  den  Meisten  wird  aber  die,  welche  auf  der  Eiche,  der 
wilden  Pflaume,  der  Terebinthe  und  auf  sonst  keinem   an- 


1)  Viscum.     ^)  Cuscuta  Epilinum  W. 

3)  Polypodium.  PoljTpodium  vulgare  L. 

^)  Phaseolus  vulgaris  L.     ^)  Serpyllum.  Thymus  Serpyllum  L. 

")  Spina  fullonia.  Dipsacus  fullonum  L, 


Sechszehntes  Buch.  241 

dern  Baume  wächst,  Vis  cum  genannt.  Die  am  häufigsten 
auf  der  Eiche  vorkommende  heisst  Hyphear  Dryos.  Auf 
allen  Bäumen,  mit  Ausnahme  der  Stech-  und  gemeinen 
Eiche,  giebt  der  Geruch,  der  Saft  und  der  unangenehme 
Geschmack  der  Blätter  den  Unterschied.  Beide  sind  bei 
der  Mistel  bitter  und  zähe.  Der  Hyphear  dient  vornehm- 
lich zum  Mästen  des  Viehes;  zuerst  führt  er  die  unreinen 
Stoffe  hinweg,  dann,  nach  vollbrachter  Reinigung,  macht 
er  fett.  Thiere,  welche  die  Auszehrung  haben,  halten  diese 
im  Sommer  40  Tage  lang  dauernde  Kur  nicht  aus.  Man 
giebt  noch  folgenden  Unterschied  bei  der  Mistel  an;  auf 
Bäumen,  welche  ihr  Laub  abwerfen,  solle  sie  das  ihrige 
auch  verlieren,  dahingegen  auf  immergrünenden  ebenfalls 
behalten  i).  Ueberhaupt  aber  wächst  sie  nicht,  wenn  sie 
ausgesäet  wird,  sondern  nur,  wenn  Vögel,  namentlich  die 
wilden  Tauben  und  Krammetsvögel,  den  Samen  verzehren 
und  durch  den  After  wieder  von  sich  geben.  Er  muss 
nemlich,  um  aufzugehen,  zuvor  im  Leibe  der  Vögel  zur 
Reife  gelangen.  Die  Mistel  wird  nicht  über  eine  Elle  hoch, 
ist  stets  strauchig  und  grün,  das  Männchen  fruchtbar,  das 
Weibchen  unfruchtbar,  zuweilen  trägt  aber  auch  jenes  nicht. 

94. 
Den  Vogelleim  bereitet  man  aus  den  Beeren  der 
Mistel,  welche  zur  Zeit  der  Erndte  unreif  eingesammelt 
werden;  denn  kommt  Regen  dazu,  so  werden  sie  zwar 
grösser,  aber  am  Stamme  schlaff.  Diirauf  trocknet  man  sie, 
zerstösst  sie,  und  legt  sie  zum  Faulen  beinahe  12  Tage 
lang  in's  Wasser  (es  ist  die  einzige  Materie,  welche  durch 
Fäuluiss  erst  ihre  Güte  bekommt);  hierauf  klopft  man  sie 
aufs  Neue  mit  einem  Hammer  in  fliessendem  Wasser, 
wodurch  die  Hülsen  abfallen  und  das  inwendige  Fleisch 
zähe  wird.     Diess   ist   der  Vogelleim,   an   dem  die  Federn 

*)  Plinius  vermengt  hier  2  einander  ähnliche  Schmarotzerge- 
wächse, nämlich  Loranthus  europaeus  und  Viscum  alhum.  Ersteres 
findet  sich  fast  nur  auf  Eichen  und  verliert  alljährlich  seine  Blätter, 
dagegen  letzteres  immer  grünend  ist.  Yergl.  die  Anmerkung  im 
XIII.  B.  39.  Cap. 

vVittsteiu:  Plinius.     III.  Bd.  16 


242  Sechszehntes  Buch. 

der  Vögel  beim  Berühren  festhaften,  und  den  man  mit  Oel 
vermischt,  wenn  man  dieselben  fangen  will. 

95. 
Bei  dieser  Gelegenheit  dürfen  wir  die  wunderbaren 
Nachrichten  von  den  Galliern  nicht  mit  Stillschweigen  über- 
gehen. Die  Druiden  (so  heissen  nemlich  ihre  Zauberer) 
halten  nichts  heiliger  als  die  Mistel  und  den  Baum,  auf 
welchen  sie  wächst  (namentlich  wenn  es  eine  Eiche  ist). 
Sie  wählen  an  sich  schon  die  Eichenhaine,  und  verrichten 
ohne  deren  Laub  kein  Opfer,  so  dass  es  nach  griechischer 
Deutung  scheint,  sie  hätten  davon  den  Namen  Druiden 
erhalten.  Ja  sie  glauben,  alles  was  an  den  Eichen  wächst, 
sei  vom  Himmel  gesandt,  und  sehen  diess  als  einen  Be- 
weis an,  dass  die  Gottheit  selbst  sich  diesen  Baum  erwählt 
habe.  Die  Mistel  ist  aber  nur  sehr  selten;  hat  man  sie 
gefunden,  so  wird  mit  grosser  Feierlichkeit  dahin  gezogen, 
und  vor  allem  am  6.  Tage  nach  dem  (Neu)-Monde,  welcher 
bei  ihnen  den  Anfang  der  Monate  und  Jahre,  und  nach 
Verlauf  von  30  Jahren  den  eines  neuen  Seculum's  macht, 
weil  alsdann  der  Mond  schon  Kräfte  genug  habe,  und  noch 
nicht  halb  voll  sei.  Sie  nennen  diesen  Tag  mit  einem 
eigenen  Worte  den  allheilenden,  bereiten  Opfer  und  Mahle 
unter  dem  Baume,  und  führen  2  weisse  Stiere  herbei,  deren 
Hörner  dann  zum  ersten  Male  umbunden  werden.  Der 
Priester  in  weissem  Kleide  besteigt  hierauf  den  Baum  und 
schneidet  mit  einer  goldenen  Sichel  die  Mistel  ab,  welche 
in  einem  weissen  Tuche  aufgefangen  wird.  Sodann  opfern 
sie  Thiere,  und  bitten  die  Gottheit,  sie  wolle  ihr  Geschenk 
Denen,  welchen  sie  es  gegeben  hat,  segnen.  Sie  glauben, 
ein  von  diesem  Gewächs  bereiteter  Tränk  mache  ein  jedes 
unfruchtbare  Thier  fruchtbar;  auch  sei  es  ein  Hülfsmittel 
wider  alle  Gifte.  Soviel  Verehrung  bezeugen  oft  ganze 
Völker  den  gewöhnlichsten  Dingen. 


Siebenzehntes  Euch. 


Von  den  angepflanzten  Bäumen. 

1. 
Wir  haben  bisher  von  den  Bäumen  gehandelt,  welche  auf 
dem  Lande  und  im  Meere  wild  vorkommen.  Jetzt  bleiben 
uns  noch  diejenigen  übrig,  welche  eher  der  Kunst  und  dem 
menschlichen  Scharfsinne  ihr  Dasein  verdanken.  Vorher 
aber  sei  es  erlaubt,  unsere  Bewunderung  darüber  auszu- 
drücken, dass  das  was  der  Mensch  aus  Noth  den  wilden 
Thieren  als  ihr  ungetheiltes  Eigenthum  entriss,  indem  er 
mit  ihnen  um  die  herabgefallenen  Früchte  und  mit  den 
Vögeln  um  die  hängend  gebliebenen  stritt,  unter  den 
Gegenständen  des  Wohllebens  zu  so  hohen  Preisen  gestiegen 
ist,  wovon  L.  Crassus  und  Cn.  Domitius  Ahenobarbus  den 
deutlichsten  Beweis  geliefert  haben.  Crassus  war  einer 
der  berühmtesten  Redner  unter  den  Römern,  und  hatte  ein 
prächtiges  Haus;  Q.  Catulus,  der  mit  C.  Marius  die  Cim- 
bern  schlug,  besass  auf  demselben  palatinischen  Hügel 
ein  noch  prächtigeres;  am  schönsten  aber  war,  nach  Aller 
Meinung,  in  jener  Zeit  das  auf  dem  viminalischen  Hügel 
stehende  des  römischen  Ritters  C.  Aquilius,  der  auch 
hierdurch  berühmter  als  durch  seine  Kenntniss  des  bürger- 
lichen Rechts  wurde,  während  mau  dem  Crassus  das  sei- 
nige zum  Vorwurf  machte.  Beide,  Crassus  und  Domitius, 
aus  den  vornehmsten  Familien  führten  zugleich  nach  dem 
Consulate  das  Censoramt  im  662.  Jahre  der  Stadt,  und 
wzar,  wegen  der  Ungleichheit  ihres  Charakters,  unter 
häufigen  Zänkereien.    Cn.  Domitius,  der  von  Natur  heftig 

16* 


244  Siebenzeliutes  Buch. 

und  ausserdem  vom  Hasse  (welcher  durch  die  Eifersucht 
am  heftigsten  wird)  entbrannt  war,  tadelte  es  laut,  dass 
ein  Censor  so  prächtig-  wohne,  und  bot  mehrere  Male  für 
dessen  Haus  1,000,000,  Sesterzen.  Crassus  hingegen,  der 
sich  stets  zu  helfen  wusste,  und  erfinderisch  in  treffendem 
Witze  war,  antwortete,  er  wolle  ihm  das  Haus  abtreten, 
aber  mit  Ausnahme  von  6  Bäumen.  Nein,  sagte  Domitius, 
ich  will  es  nicht  für  einen  Denar,  wenn  diese  weggenom- 
men werden.  Wie  Domitius,  evwiederte  Crassus,  gebe  ich 
nun  ein  so  anstössiges  Beispiel,  um  von  meinem  Amte 
selbst  bestraft  zu  werden,  dass  ich  in  einem  geerbten 
Hause  angenehm  wohne;  oder  du,  der  du  6  Bäume  1  Mil- 
lion Sesterzen  werth  hältst?  Diess  waren  Lotusbäume, 
welche  durch  die  Ausdehnung  ihrer  Aeste  einen  bedeuten- 
den Kaum  beschatteten,  und  die  in  meiner  Jugend  Caecines 
Largus,  einer  der  vornehmsten  Männer,  oft  in  seinem  Hause 
zeigte.  Sie  blieben  auch  (wie  wir  denn  bereits  von  dem 
Alter  dieser  Bäume  geredet  haben)  bis  zu  der  vom  Kaiser 
Nero  angelegten  Feuersbruust,  welche  die  Stadt  einäscherte, 
180  Jahre  lang  grün  und  gesund,  und  würden  noch  älter 
geworden  sein,  wenn  dieser  Fürst  nicht  auch  ihren  Unter- 
gang beschleunigt  hätte.  Damit  übrigens  Niemand  das 
Crassushaus  für  gering  halte,  und  glaube,  Domitius  habe 
nur  der  Bäume  wegen  seine  Galle  darüber  ausgeschüttet 
so  bemerke  ich,  dass  jeuer  in  dem  Vorhofe  4  Säulen  von 
hymettischem  Marmor  zur  Ausschmückung  der  Schaubühne 
bei  Gelegenheit  seines  Aedilamtes  bereits  hatte  errichtei; 
lassen,  als  an  öffentlichen  Plätzen  dergleichen  noch  nicht 
von  Marmor  standen.  So  neu  ist  noch  die  grosse  Pracht, 
und  so  viel  ehrwürdiger  machten  damals  Bäume  ein  Haus, 
dass  ohne  dieselben  Domitius  aus  Feindschaft  nicht  ein- 
mal einem  Hause  seinen  Werth  zuerkannte. 

Von  Bäumen  führten  die  Alten  auch  Beinamen.  Fron- 
ditius  hiess  jener  Soldat,  welcher  mit  einem  über  sein 
Haupt    gelegten  Zweige    über    den  ^'ulturnus^)  schwamm, 


*)  Flu  SS  in  Campanien. 


Sielienzelmtes  Buch.  245 

und  lierrlicbe  Thaten  gegen  Hannibal  ausführte.  Die  lici- 
niscbe  Familie  hatte  den  Beinamen  Stolonen;  so  heissen 
nemlich  die  unnützen  Reiser  an  den  Bäumen,  und  derjenige 
von  ihnen,  welcher  die  Ausschneidung  derselben  erfand,  er- 
hielt zuerst  den  Namen  Stolo.  Selbst  in  den  alten  Ge- 
setzen ist  der  Sorgfalt  für  die  Bäume  gedacht;  es  lieisst 
nemlich  in  den  12  Tafeln,  wer  fremde  Bäume  unherech- 
tigterweise  umhaue,  solle  für  jeden  25  Ass  Strafe  geben. 
Was  glauben  wir  nun  wohl,  sollten  Jene,  die  die  frucht- 
tragenden Bäume  so  hoch  schätzten,  vermuthet  haben,  dass 
die  oben  angeführten  zu  einem  so  enormen  Preise  steigen 
würden?  Das  Obst  ist  kein  geringerer  Gegenstand  der 
Bewunderung,  denn  die  Früchte  mancher  Bäume  in  der 
Nähe  der  Stadt  werden  jährlieh  zu  2000  Sesterzeu  ver- 
pachtet, und  ein  Baum  bringt  jetzt  mehr  Gewinn  als  bei 
den  Alten  ein  ganzes  Landgut.  Darum  ist  das  Propfen 
und  der  Ehebruch  unter  den  Bäumen  ausgedacht,  damit 
für  die  Armen  kein  Obst  wachse.  Wir  wollen  daher  jetzt 
anführen,  auf  welche  AVeise  man  hieraus  den  grössten  Ge- 
winn zieht,  und  wie  diese  Art  der  Cultur  am  besten  und 
vollständigsten  betrieben  wird.  Jedoch  werden  wir  weder 
ganz  gewöhnliche,  noch  bereits  bekannte  Gegenstände,  son- 
dern nur  solche  abhandeln,  die  ungewiss  und  zweifelhaft 
sind,  und  am  meisten  zu  Irrungen  im  Leben  veranlassen; 
denn  es  ist  unsere  Sache  nicht,  da,  wo  es  unnöthig  er- 
scheint, einen  unzeitigen  Fleiss  zu  zeigen.  Vor  allem  soll 
nun  überhaupt  von  dem  Einfluss  des  Himmels  und  der 
Erde,  und  im  Allgemeinen  von  dem,  was  auf  alle  Arten 
von  Bäumen  Bezug  hat,  die  Rede  sein. 

2. 
Die  Bäume  stehen  am  liebsten  gegen  Nordost,  und 
werden  durch  den  aus  dieser  Himmelsgegend  kommenden 
Wind  dichter,  schöner  und  fester.  Gerade  hierin  irren  die 
Meisten,  denn  in  den  Weinbergen  müssen  die  Pfähle 
diesem  Winde  nicht  entgegen  gesetzt  werden,  sondern  diess 
soll  man  nur  gegen  -Mitternacht  beobachten.  Ja  selbst 
Kälte,  wenn  sie  zu  rechter  Zeit  kommt,  giebt  den  Bäumen 


246  Siebenzehntes  Buch. 

viel  Festigkeit,  und  macht,  dass  sie  am  besten  ausschlagen; 
werden  sie  aber  von  lauen  Südwinden  ange wehet,  so  ver- 
lieren sie,  und  zwar  vorzugsweise  in  der  Blütbe,  ihre  Kräfte. 
Folgen  sogleich  nach  dem  Abblühen  starke  Regenschauer, 
so  geht  das  Obst  gänzlich  verloren.  Daher  verlieren  Mandel- 
und  Birnbäume,  wenn  es  beständig  neblig  ist  und  der  Süd- 
wind wehet,  ihre  Früchte.  Regen  zur  Zeit  des  Siebenge- 
stirns ist  dem  Weinstock  und  Oelbaum  äusserst  schädlich, 
weil  sie  sich  dann  befruchten;  diess  ist  für  die  Oelbäume 
der  entscheidende  4tägige  Zeitpunkt,  diess  ist  die  Periode 
des  schlechten,  nebligen,  von  Südwinden  begleiteten  Wetters, 
von  denen  wir  bereits  geredet  haben.  Das  Getreide  wird 
auch  bei  Südwind  nicht  so  gut,  obgleich  schneller  reif.  Die 
Kälte,  welche  von  Korden  oder  zur  unrechten  Zeit  kommt, 
ist  schädlich.  Wenn  im  Winter  der  Wind  aus  Nordost 
wehet,  gedeihen  die  Saaten  am  besten.  Dass  aber  alsdann 
der  Regen  wüuschenswerth  sei,  ist  einleuchtend,  denn  die 
Bäume  haben  sich  durch  die  Frucht  erschöpft,  sind  durch 
den  Verlust  der  Blätter  matt  geworden,  und  fühlen  also 
natürlich  heftigen  Durst;  der  Regen  aber  ist  ihre  Nahrung. 
Man  hält  daher  nach  längerer  Erfahrung  einen  milden 
Winter,  in  welchem  die  Bäume  sogleich  nach  abgenommener 
Frucht  wieder  eine  neue  Befruchtung  erleiden,  d.  h.  aus- 
schlagen, imd  worauf  dann  eine  neue  Entkräftung  durch 
das  Blühen  erfolgt,  für  sehr  schädlich.  Ja,  wenn  mehrere 
solcher  Jahre  auf  einander  folgen,  sollen  die  Bäume  sogar 
absterben,  denn  ein  Jeder  weiss,  dass  die  Folge  davon 
Hungersnoth  unter  den  Landleuten  ist.  Wer  also  heitere 
Winter  wünscht,  der  hat  dabei  das  Beste  der  Bäume  nicht 
im  Auge.  Dem  Weinstocke  schadet  auch  bei  der  Sonnen- 
wende der  Regen.  Dass  durch  den  Winterstaub  die  Erndten 
besser  ausfallen,  hat  wohl  ein  witziger  Kopf  aus  Muth- 
willen  gesagt.  Uebrigens  muss  mau  den  Bäumen  sowohl 
wie  dem  Getreide  wünschen,  dass  der  Schnee  lange  liegen 
bleibe,  und  zwar  nicht  allein,  weil  er  das  belebende  Prin- 
cip  der  Erde,  welches  durch  die  Ausdünstung  verloren  gehen 
würde,  einschliesst  und  zurückhält,  und  zu  den  Kräften  der 


Siebenzehntes  Buch.  247 

Saaten  und  den  Wurzeln  zurückführt,  sondern  auch,  weil 
-er  ihnen  allmählig  eine  reine  und  äusserst  leichte  Feuchtig- 
keit mittheilt,  denn  der  Schnee  ist  der  Schaum  des  himm- 
lischen Wassers.  Diese  Feuchtigkeit  also  dringt  nicht  gänz- 
lich hinein  und  zertheilt,  sondern  tröpfelt  nur  nach  Bedürf- 
niss  zu,  und  nähret  gleichwie  aus  einer  Brust  alles,  was 
sie  bedeckt.  Die  Erde  wird  selbst  auf  diese  Weise  locker, 
von  Safte  erfüllt,  für  die  saugenden  Saaten  nicht  entkräftet, 
und  lacht,  wenn  sie  sich  später  öffnet,  den  warmen  Tagen 
entgegen.  So  wird  das  Getreide  am  fettesten,  ausgenommen 
da,  wo  die  Luft  beständig  warm  ist,  wie  in  Aegypten,  denn 
Dauer  und  Gewohnheit  bewirken  das,  was  anderwärts  das 
Maass  thut,  und  allenthalben  besteht  der  grösste  Nutzen 
in  der  Abwesenheit  aller  schädlichen  Elemente.  Auf  dem 
grössern  Theile  des  Erdkreises  werden  die  sehr  früh  aus- 
gebrochenen Knospen,  welche  durch  milde  Witterung  her- 
vorgelockt sind,  durch  später  eintretende  Kälte  zerstört. 
Daher  schaden  späte  Fröste  auch  den  wilden  Bäumen,  und 
diese  leiden  noch  mehr  dadurch,  dass  ihr  Schatten  sie  ver- 
grössert,  und  kein  Hülfsmittel  dagegen  schützt,  denn  bei 
den  wilden  ist  es  nicht  rathsam,  die  zarten  mit  Stroh  zu 
umwickeln.  Daher  kommt  das  Wasser  rechtzeitig,  zuerst 
in  den  Winterregen,  sodann  in  denen,  welche  der  Keimung 
vorangehen,  drittens,  wenn  die  Frucht  ansetzt,  jedoch  nicht 
im  Anfange,  sondern  wenn  dieselbe  nicht  ganz  klein  mehr 
ist.  Denjenigen  Bäumen,  welche  ihre  Früchte  lauge  be- 
halten und  längere  Zeit  Nahrung  bedürfen,  wie  dem  Wein- 
stock, Oelbaum  und  der  Granate,  ist  später  Regen  zuträg- 
lich; doch  bedürfen  die  verschiedenen  Arten  der  Bäume 
diesen  Regen  auf  verschiedene  Weise,  da  die  einen  zu 
dieser,  die  andern  zu  jener  Zeit  reife  Früchte  bringen. 
Daher  sieht  man,  dass  durch  ein  und  denselben  Regen 
dem  einen  geschadet,  dem  andern  genützt  wird,  ja  diess 
sogar  bei  einer  Art,  wie  bei  den  Birnen,  denn  die  Winter- 
birnen bedürfen  den  Regen  zu  einer  andern  Zeit,  als  die 
Frühbirnen,  haben  ihn  also  gleichsam  zu  allen  Zeiten  nöthig. 
Die  Winterzeit  geht   dem  Ausschlagen   voraus,   und  dieses 


248  Siebenzelintes  Buch. 

erfolgt  besser  beim  Nordost  als  beim  Südwinde.  Daher 
zieht  man  auch  die  Gegenden  mitten  im  Lande  denen  an 
der  Seeküste  (denn  diese  sind  meistens  kälter),  ferner 
bergichte  Gegenden  den  Flächen  und  nächtlichen  Regen 
dem  täglichen  vor.  Die  Saaten  haben  mehr  Nutzen  von 
dem  Wasser,  wenn  es  nicht  sogleich  wieder  von  der  Sonne 
weggenommen  wird. 

Bei  der  Anlage  von  Weinbergen  und  Baumpflanzungen 
wird  auch  erwogen,  nach  welcher  Himmels- Gegend  hin  sie 
sehen  sollen.  Virgil  widerräth,  sie  gegen  Abend  an- 
zulegen; Andere  dagegen  ziehen  diese  Lage  derjenigen 
gegen  Osten  vor.  Ich  finde,  dass  die  Meisten  die  Mittags- 
gegend gut  heissen,  glaube  aber,  dass  sich  hierüber  nichts 
allgemein  Gültiges  bestimmen  lässt.  Man  muss  vielmehr 
die  Beschaifenheit  des  Bodens,  die  örtlichen  und  klimati- 
schen Verhältnisse  hiebei  in  Erwägung  ziehen.  Die  Lage 
der  Weinberge  in  Afrika  gegen  Mittag  ist  dem  Weinstocke 
schädlich  und  dem  Landmanne  unzuträglich,  weil  das  Land 
selbst  in  der  Mittagslinie  liegt;  legt  er  ihn  aber  gegen 
Abend  oder  Mitternacht  an,  so  wird  er  eine  glückliche 
Mischung  zwischen  dem  Boden  und  dem  Himmel  bewirken, 
obgleich  Virgil  die  Abendseite  nicht  lobt.  Wegen  der  Mitter- 
nachtseite scheint  kein  Zweifel  mehr  übrig  zu  sein,  denn 
in  dem  diesseits  der  Alpen  belegenen  Italien  haben  die 
Weinberge  grösstentheils  diese  Lage,  und  doch  sind,  wie 
man  weiss,  keine  fruchtbarer. 

Sehr  viel  kommt  ferner  auf  die  Winde  an.  In  der 
narbonensischen  Provinz,  in  Ligurien  und  einem  Theile 
von  Etrurien  hält  man  es  für  einen  Beweis  von  Unerfahren- 
heit,  Weinberge  gegen  Nordnordwest  anzulegen,  hingegen 
von  Vorsichtigkeit,  denselben  zur  Seite  zu  haben;  denn  er 
mildert  dort  die  Hitze,  aber  meistens  mit  solcher  Heftig- 
keit, dass  er  die  Häuser  abdeckt.  Einige  zwingen  den 
Himmel,  der  Erde  zu  gehorchen,  indem  das,  was  sie  an 
trockne  Orte  säen,  gegen  Morgen  und  Mitternacht,  und  w^as 
sie  an  feuchte  säen,  gegen  Mittag  liegen  muss.  Selbst  bei 
den  Weinstöcken   borgen   sie   fremde  Ursachen,  indem  sie 


Siebenzehntes  Buch.  249 

an  kalte  Orte  die  frühen  pflanzen,  damit  sie  vor  dem  Ein- 
tritt der  Kälte  reif  werden.  Die  Obstbäume  und  Wein- 
stöeke,  welchen  der  Thau  schadet,  setzen  sie  gegen  Osten, 
damit  ihn  die  Sonne  sogleich  wegnimmt;  die,  welchen  der 
Thau  wohlthut,  gegen  Abend,  oder  selbst  gegen  Mitter- 
nacht, damit  sie  ihn  um  so  länger  geniessen  können.  Die 
Uebrigen  sind,  fast  immer  den  Regeln  der  Natur  gefolgt, 
und  haben  Weinstöcke  und  Bäume  gegen  Nordost  zu  setzen 
empfohlen.  Democrit  meint  auch,  ein  solche  Frucht  bekomme 
einen  besseren  Geruch.  Die  Lage  des  Aquilo  und  der 
übrigen  Winde  haben  wir  bereits  im  2.  Buche  angegeben; 
im  nächstfolgenden  werden  wir  noch  mehr  auf  den 
Himmel  Bezügliches  sagen.  Inzwischen  scheint  in  dessen  i) 
Lage  ein  offenbarer  Beweis  seiner  Gesundheit  begründet, 
denn  von  Bäumen,  welche  gegen  Mittag  stehen,  fällt  das 
Laub  immer  früher  ab. 

Aehnlich  verhält  es  sich  mit  den  Küstenländern;  denn 
in  einigen  Gegenden  sind  die  vom  Meere  her  webenden 
Winde  schädlich,  in  den  meisten  aber  von  günstiger  Wir- 
kung. Einigen  Pflanzen  ist  es  dienlich,  das  Meer  von  ferne 
im  Angesicht  zu  haben,  näberhin  schadet  ihnen  dessen 
Ausdünstung.  Gleiche  Rücksichten  erfordern  die  P'lüsse 
und  Seen;  sie  zerstören  durch  ihre  Nebel  oder  erkälten  die 
hitzigen.  Einige,  welche  wir  bereits  genannt  haben,  lieben 
den  Schatten  und  selbst  Kälte.  Daher  muss  man  den  Er- 
fahrungen den  meisten  Glauben  schenken. 

3. 

Nächst  der  Luft  müssen  wir  zuerst  von  der  Beschaffen- 
heit des  Erdreichs  handeln,  eine  Materie,  deren  Durch- 
führung nicht  geringere  Schwierigkeiten  darbietet,  denn  in 
den  meisten  Fällen  eignet  sich  ein  und  derselbe  Boden 
nicht  für  Bäume  und  Getreide.  Selbst  die  schwarze,  welche 
in  Campanien  vorkommt,  oder  die,  welche  feine  Nebel  aus- 
haucht, ist  für  den  Weinstock  nicht  überall  die  beste;  auch. 


*)  Nämlich  des  Aquilo. 


250  Siebenzehntes  Buch. 

ivird  die  rothe  von  Vielen  nicht  gelobt.  Den  Kalk  im  Ge- 
biete der  pompejanischen  Albenser  und  den  Thon  zieht 
man  in  Weinbergen  allen  übrigen  Arten  vor,  obgleich  beide 
sehr  fett  sind,  was  bei  diesem  Gewächse  eine  Ausnahme 
macht.  Dahingegen  ist  im  Ticinensischen  der  weisse,  und 
an  vielen  Orten  der  schwarze  und  rothe  Sand,  wenn  er 
auch  mit  fetter  Erde  vermischt  wird,  unfruchtbar. 

Die  Schlüsse  der  darüber  Urtheilenden  trügen  auch 
öfters.  Fruchtbar  ist  nicht  gerade  ein  Boden,  in  welchem 
hohe  Bäume  prangen,  sondern  es  liegt  an  diesen  Bäumen 
selbst.  Denn  was  ist  höher  als  die  Tanne?  Und,  welcher 
andere  Baum  kann  an  derselben  Stelle  ausdauern?  Auch 
sind  reiche  Weiden  nicht  immer  ein  Beweis  eines  fetten 
Bodens;  denn  welche  Futterkräuter  sind  besser  als  die 
deutschen?  Und  gleichwohl  findet  man  dort  unter  einer 
sehr  dünnen  Rasenschicht  sogleich  Sand.  Nicht  immer  ist 
das  Erdreich,  auf  welchem  hohe  Kräuter  wachsen,  bewässert; 
gewiss  nicht  mehr,  als  das,  was  au  den  Fingern  hängen 
bleibt,  fett  ist,  wie  die  Thonarten  beweisen.  Erde,  welche 
in  ein  ausgegrabenes  Loch  wieder  zurückgeworfen  wird, 
füllt  dasselbe  nicht  wieder  ganz  aus;  man  kann  daher  eine 
dichte  und  lockere  auf  diese  Weise  nicht  erkennen,  und 
jede  Erdart  überzieht  das  Eisen  mit  Rost.  Auch  lässt  sich 
eine  schwerere  oder  leichtere  nicht  wohl  durchs  Gewicht 
bestimmen,  denn  welches  Gewicht  wäre  als  das  richtige 
der  Erde  zu  betrachten?  Auch  das  durch  Flüsse  ange- 
schwemmte Land  kann  man  nicht  immer  loben,  weil  einige 
Pflanzen  durch  das  Wasser  matt  werden.  Selbst  die  Erde, 
welche  man  gut  nennt,  erweist  sich,  ausgenommen  bei  den 
Weiden,  nicht  auf  lange  Zeit  dienlich.  Ein  Beweis  davon 
sind  unter  andern  die  Halme,  welche  in  dem  berühmten 
laborinischen  Felde  Canpaniens  so  stark  werden,  dass  sie 
die  Stelle  des  Holzes  vertreten.  Aber  dieser  Boden  ist  müh- 
sam zu  beackern  und  zu  bestellen,  und  quält  den  Land- 
mann durch  seine  Vorzüge  fast  mehr,  als  er  es  durch 
Fehler  thuu  könnte.  Die  sogenannte  Carbunkel-Erde  soll 
durch   magere  Weinstöcke   verbessert  werden.     Selbst  der 


Siebenzelintes  Buch.  251 

rauhe,  von  Natur  leicht  zerreibliche  Tofstein  wird  von  den 
Schriftstellern  nicht  verworfen.  Virgil  hält  die,  in  welcher 
Farnkraut  wächst,  für  nicht  unpassend  zu  Weinstöcken. 
Viele  Gewächse  sollen  zweckmässiger  in  salzige  Erde  ge- 
pflanzt werden,  weil  sie  darin  vor  den  Nachstellungen  der 
in  der  Erde  wohnenden  Thiere  sicherer  sind.  Die  Hügel 
werden,  wenn  man  vorsichtig  gräbt,  durch  die  Bearbeitung 
nicht  entblösst.  Alle  Felder  bekommen  nicht  weniger 
Sonne  und  Wind,  als  uöthig  ist.  Dass  einigen  Weiustöcken 
Reif  und  Nebel  zur  Nahrung  dienen,  haben  wir  bereits  ge- 
sagt. Alle  Dinge  haben  ihre  tiefen  Geheimnisse,  welche 
ein  Jeder  mit  seinem  Verstände  erforschen  muss. 

Verändert  sich  nicht  oft  das,  was  man  für  gut  hielt, 
und  durch  lange  Erfahrung  bewährt  fand?  Die  Gegend  um 
Larissa  iu  Thessalien  wurde,  nachdem  man  einen  See  ab- 
gelassen hatte,  kälter  und  die  dortigen  Oelbäume  gingen 
aus.  Ebenso  erfroren  um  dieselbe  Zeit  die  Weinstöcke  der 
Stadt  Aenos,  als  der  Hebrus  näher  geleitet  war.  Bei  Phi- 
lippi  trocknete  man  den  Boden  aus,  und  darauf  änderte 
sich  das  Klima.  Im  syracusanischen  Gebiete  aber  verlor 
ein  neu  angekommener  Landwirth,  der  sein  Feld  von  Steinen 
befreiet  hatte,  sein  Getreide  so  lange  im  Kothe,  bis  er  die 
Steine  wieder  zurückbrachte.  In  Syrien  zieht  man  mit  der 
Pflugschar  nur  eine  schmale  Furche,  weil  Felsen  darunter 
sind,  die  im  Sommer  die  Saat  verbrennen  würden.  An 
einigen  Orten  gleichen  sich  die  Wirkungen  einer  über- 
mässigen Hitze  und  Kälte.  Thracien  ist  durch  die  Kälte, 
Afrika  und  Aegypteu  durch  die  Hitze  fruchtbar  an  Ge- 
treide. Auf  Chalcia,  einer  Insel  der  Rhodier,  ist  eine  Stelle 
so  fruchtbar,  dass  man  die  zur  gewöhnlichen  Zeit  gesäete 
Gerste  abmähen,  das  freie  Feld  sogleich  wieder  damit  be- 
säen, und  mit  andern  Getreide  noch  einerndten  kann.  Der 
kiesige  Boden  erweist  sich  im  Venafranischen,  und  der 
fetteste  in  Bätica  für  die  Oelbäume  als  der  beste.  Der 
pucinische  Wein  reift  auf  Felsen,  der  cäcubische  iu  den 
pontinischen  Sümpfen.  So .  grosse  Unterschiede  zeigt  der 
Boden  in  seiner  Natur  und  so  verschieden  sind  die  Beweise 


252  Siebenzehntes  Buch. 

für  seine  (gute  oder  schlechte)  Beschaffenheit.  Als  Cäsar- 
Vopiscus  seine  Rechtssache  bei  den  Censoren  vertheidigte, 
sagte  er,  die  Felder  von  Rosea  seien  das  Fett  Italiens, 
denn  das  Gras  auf  denselben  bedecke  eine  gestern  dort 
zurlickgelassene  Stange;  allein  man  schätzt  sie  nur  als 
Viehweiden,  Doch  wollte  uns  die  Natur  nicht  unwissend 
lassen,  denn  sie  zeigte  uns  da,  wo  sie  das  Gute  nicht  deut- 
lich an  den  Tag  gelegt  hatte,  die  Fehler,  und  von  diesen 
wollen  wir  zuerst  reden. 

Einen  bittern  und  magern  Boden  erkennt  man  an  den 
schwarzen  und  entarteten  Kräutern,  einen  kalten  an  den 
dürren,  einen  sumpfigen  an  den  traurig  aussehenden,  einen 
röthelartigen  und  thonigen  an  den  Augen.  Letztere  beiden 
Erdarten  sind  am  schwersten  zu  bearbeiten,  und  beschweren 
die  Hacken  und  Pflüge,  an  welche  sie  sich  in  grossen 
Klössen  anhängen;  indessen  erstreckt  sich  das  Widerwär- 
tige bei  ihrer  Bestellung  nicht  auf  die  in  ihnen  gezogenen 
Früchte.  Das  Gegentheil  findet  bei  der  aschartigen  und 
weissen  sandigen  statt.  Eine  unfruchtbare  erkennt  man 
leicht  an  ihrer  dichten  Oberschicht,  sowie  beim  Einstechen 
mit  einem  Spiesse.  Cato  bezeichnet  die  Fehler  auf  kurze 
und  ihm  eigeuthtimliche  Weise:  „Treibe  weder  Wagen 
noch  Vieh  auf  dürre  Erde."  Was  glauben  wir  wohl,  warum 
er  in  diesen  Worten  eine  solche  Furcht  zu  erkennen  giebt, 
dass  er  beinahe  verbietet,  den  Fuss  darauf  zu  setzen?  Wir 
wollen  zur  Fäulniss  des  Holzes  zurückkehren,  und  werden 
dann  die  Fehler  finden,  welche  er  so  sehr  verabscheuet; 
sie  bestehen  in  der  Trockenheit,  Löcherigkeit,  Rauheit,  der 
grauen  Farbe,  dem  Ausgefressen-  und  dem  Blasigsein.  Er 
hat  durch  eine  Bezeichnung  mehr  gesagt,  als  er  mit  vielen 
Worten  hätte  ausdrücken  können.  Bei  der  Besprechung 
der  Fehler  ist  zu  errinnern,  dass  manche  Erde  nicht  durch's 
Alter  (denn  davon  kann  bei  ihr  keine  Rede  sein)  sondern 
von  Natur  veraltet  und  mithin  in  jeder  Beziehung  unfrucht- 
bar und  schwach  ist. 

Ebenderselbe  hält  denjenigen  Acker  für  den  besten, 
welcher  am   Fusse   eines  Berges   liegt   und   gegen  Mittag 


Siebenzehntes  Buch.  253 

eben  ausläuft.  Ganz  Italien  hat  diese  Lage.  Die  Erde 
aber  soll  nach  ihm  die  zarte,  sogenannte  schwarze  sein. 
Diese  wird  sich  also  zur  Bearbeitung  und  für  die  Gewächse 
am  besten  eignen.  Wenn  man  nun  erwägt,  dass  sie  mit 
dem  wunderbaren  Ausdruck  „die  zarte"  belegt  worden  ist, 
so  wird  man  in  diesem  Worte  alles,  was  man  nur  wünschen 
kann,  vereinigt  finden.  Sie  ist  gemässigt  fruchtbar,  weich 
und  leicht  zu  bearbeiten,  weder  nass  noch  dürre,  und  glänzt, 
nachdem  die  Pflugschar  sie  durchschnitten;  Homer,  die 
Quelle  des  Scharfsinns,  sagt,  sie  sei  von  einem  Gotte  auf 
den  Waffen  eingeprägt,  und  fügt  als  ein  Wunder  hinzu, 
sie  habe,  obgleich  in  Gold  gearbeitet,  schwärzlich  ausge- 
sehen. Frisch  abgeschnitten  wird  sie  von  den  unersättlichen 
Vögeln,  welche  die  Pflugschar  begleiten,  durchspähet,  wobei 
die  ßaben  fast  die  Fersen  des  Pflügenden  benagen. 

Bei  dieser  Gelegenheit  müssen  wir  auch  einen  Aus- 
spruch, der  sich  auf  Gegenstände  des  Luxus  bezieht,  sowie 
einiges  andere  hierher  Gehörige  anführen.  Cicero,  der 
zweite  Stern  der  Gelehrsamkeit,  sagt:  „Die  Salben,  welche 
nach  Erde  schmecken,  sind  besser,  als  die,  welche  nach 
Safran  schmecken."  Er  sagte  diess  nämlich  lieber,  als: 
„welche  —  riechen".  Wahrlich,  so  ist  es;  diejenige  Erde, 
welche  nach  Salben  schmeckt,  wird  die  beste  sein.  Wenn 
wir  veranlasst  sind,  anzugeben,  von  welcher  Art  der  Geruch 
der  Erde  sei  den  Avir  suchen,  so  gelingt  uns  diess  auch  oft, 
wenn  sie  ruhet,  gegen  den  Untergang  der  Sonne  hin,  da, 
wo  der  Regenbogen  sich  mit  seinen  Enden  hingeneigt  hat; 
ferner,  wenn  die  Erde  nach  anhaltender  Dürre  durch  Kegen 
nass  geworden  ist,  denn  dann  haucht  sie  ihren  von  der 
Sonne  empfangenen  himmlischen  Dunst,  welcher  eine  unver- 
gleichliche Anmuth  besitzt,  aus.  Eben  dieser  Geruch  muss 
in  ihr  sein,  wenn  sie  aufgegraben  wird,  und  ist  er  vorhan- 
den, so  kann- er  Niemandem  entgehen.  Der  Geruch  fällt 
das  sicherste  Urtheil  über  die  Erde.  Von  solcher  Be- 
schaffenheit findet  er  sich  auf  neuen  Aeckern,  wo  ein  alter 
Wald  ausgehauen  ist,  und  wird  hier  allgemein  als  ein  gutes 
"Merkmal  angesehen. 


254  Siebenzehntes  Buch. 

In  Betreff  der  Feldfrüchte  hält  man  ein  und  dieselbe 
Erde  für  besser,  wenn  sie  durch  Brachliegen  ausgeruhet 
hat;  was  bei  den  Weinbergen  nicht  der  Fall  ist.  Um  so 
sorgfältiger  muss  man  sie  aussuchen,  damit  nicht  die  Mei- 
nung Derer,  welche  geglaubt  haben,  der  Boden  von  Italien 
sei  schon  erschöpft,  Wurzel  fasse.  Die  Möglichkeit  des 
Feldbaues  beruht  bei  einigen  Erdarten  auch  auf  der  Witte- 
rung, denn  manche  kann  nach  dem  Regen  nicht  gepflügt 
werden,  weil  sie  durch  zu  viel  Feuchtigkeit  zähe  wird. 
Dahingegen  haben  wir  im  Byzacischen  Gebiete  von  Afrika 
ein  bis  zum  150.  Korne  fruchtbares  Feld  gesehen,  welches 
trocken  durch  keine  Stiere  gepflügt  werden  konnte,  nach 
dem  Regen  aber  durch  einen  schlechten  Esel,  an  dessen 
anderer  Seite  ein  altes  Weib  den  Pflug  mit  zog,  beackert 
ward.  Erde  aber  durch  Erde  zu  verbessern,  (wie  Einige 
lehren),  indem  man  auf  magere  Erde  fette,  oder  auf  feuchte 
und  allzufette  magere  und  sandige  werfen  solle,  ist  ein 
thörichtes  Bemühen;  denn  was  kann  der  hoffen,  der  eine 
solche  Erde  bebauet? 

Eine  andere  Methode,  Erde  durch  Erde  zu  düngen, 
haben  die  Britannier  und  Gallier  erfunden,  und  nennen 
diese  Erdart  Mergel.  Er  besitzt  eine  dichtere  "Reichhaltig- 
keit und  ist  gleichsam  das  Schmalz  der  Erde,  in  welcher 
sich,  wie  in  den  Drüsen  des  Körpers,  ein  Kern  von  Fett 
verdichtet.  Auch  diess  ist  den  Griechen  nicht  entgangen, 
denn  was  haben  die  nicht  alles  versucht?  Leucargillon 
nennen  sie  einen  weissen  Thon,  dessen  sie  sich  in  dem 
megarischen  Gebiete,  jedoch  nur  in  feuchter  und  kalter 
Erde,  bedienen. 

Jene  Erde,  welche  Gallien  und  Britannien  reich  machen, 
müssen  Avir  sorgfältig  in  Betracht  ziehen.  Früher  gab  es 
nur  2  Arten  davon;  kürzlich  aber  hat  man  in  Folge  der 
fortgeschrittenen  Kenntnisse,  noch  mehrere  einzuführen  an- 
gefangen, denn  es  giebt  eine  weisse,  röthliche,  taubenfarbige, 
thonartige,  tofartige  und  sandige.  Ihre  Beschaffenheit  ist 
zweifach,   entweder   rauh   oder   fett;   Beides    erkennt   man. 


Siebenzehntes  Buch.  255- 

durch  die  Hand.  Auch  ihr  Gebrauch  ist  zweifach,  ent- 
weder dienen  sie  bloss  zum  Ernähren  der  Feld- 
früchte oder  sie  bringen  auch  Viehfutter  hervor.  Früchte 
■wachsen  auf  der  weissen  tofartigen,  und  findet  sie  sich 
zwischen  Quellen,  so  ist  sie  ins  Unendliche  fruchtbar;  sie 
fühlt  sich  aber  rauh  an  und  wird  zu  viel  davon  auf  den 
Boden  gebracht,  so  verbrennt  sie  ihn.  Ihr  am  nächsten 
steht  die  röthliche,  welche  Rauchmergel  genannt  wird,  und 
aus  Steinen  mit  untermischter  feiner,  sandiger  Erde  besteht. 
Die  Steine  werden  auf  dem  Felde  selbst  zerstossen,  und  in 
den  ersten  Jahren  lassen  sich  deshalb  die  Halme  schwierig 
abmähen.  Er  wird  jedoch  mit  den  geringsten  Kosten  her- 
beigeschafft, da  er  um  die  Hälfte  leichter  als  die  übrige 
ist.  Man  streuet  ihu  dünn  aus;  er  soll  mit  Salz  vermischt 
werden.  Wenn  diese  beiden  Arten  nur  einmal  auf  den 
Acker  gestreuet  sind,  so  zeigt  sich  ihre  Wirkung  50  Jahre 
lang  durch  den  bedeutenden  Ertrag  von  Getreide  und  Heu. 
Unter  den  sogenannten  fetten  ist  die  weisse  die  vor- 
züglichste, und  zerfällt  wieder  in  mehrere  Arten.  Von  der 
fressendsten  haben  wir  schon  oben  geredet.  Die  zweite 
Art  der  weissen  heisst  Tripel  ^);  man  holt  sie  tief  aus  der 
Erde  hervor,  zu  welchem  Behuf  man  gegen  100  Fuss  tiefe 
Schächte  gräbt,  die  oben  enge  sind,  und  innerhalb,  gleich- 
wie in  den  Bergwerken,  weite  Gänge  haben.  Dieser  be- 
dient man  sich  in  Britannien  am  meisten.  Sie  hält  80  Jahre 
lang  an,  und  man  kennt  kein  Beispiel,  dass  Jemand  die- 
selbe 2  mal  auf  sein  Land  gebracht  hat.  Die  dritte  Art 
der  weissen  heisst  Gleissmergel  2),  ist  eine  mit  fetter  Erde 
vermischte  Walkerkreide,  und  giebt  mehr  Futterkräuter  als 
Getreide,  dergestalt,  dass  nach  vollendeter  Erndte  vor  der 
neuen  Saatzeit  noch  eine  reichliche  j\[euge  davon  er- 
halten werden  kann.  Ist  sie  auf  einem  Kornfelde,  so  lässt 
sie  kein  anderes  Gras  aufkommen;  sie  hält  30  Jahre  lang 
an,  liegt  sie  aber  zu  dicht,  so  erstickt  sie  wie  die  Signi- 
nische  den  Boden.    Den  taubenfarbigen  Mergel  nennen  die 

')  Greta  argentaria,  zum  Poliren  des  Silbers. 

-)  Glyssomarga.  von  Altdeutschen:  glizen  d.  h,  gleissen,  glänzen. 


25(3  Siebenzehntes  Buch. 

Gallier  in  ihrer  Sprache  Eglecopala;  er  wird  wie  Steine  in 
grossen  Klösseu  ausgegraben,  durch  Sonne  und  Kälte  aber 
so  locker  gemacht,  dass  er  in  sehr  dünne  Blätter  zerfällt, 
und  ist  ebenso  fruchtbar  wie  der  vorige.  Des  sandigen 
bedienen  sie  sich,  wenn  sie  keinen  anderen  haben,  auf 
sumpfigem  Boden  aber  stets,  auch  wenn  es  an  anderen  nicht 
fehlt.  Die  Ubier  sind  die  einzigen  Völker,  welche  den 
fruchtbarsten  Boden  bebauen,  jeden  Acker  über  3  Fuss  tief 
ausgraben,  und  durch  1  Fuss  hoch  darüber  gestreueten 
Mergel  düngen;  aber  er  nützt  nicht  länger  als  10  Jahre. 
Die  Heduer  und  Pictoner  haben  ihre  Aecker  durch  Kalk 
sehr  fruchtbar  gemacht,  und  in  der  That  findet  man  den- 
selben für  Oelbäume  und  Weinstöcke  sehr  zuträglich.  Aller 
Mergel  muss  aber  auf  gepflügtes  Land  geworfen  werden, 
damit  dieses  Verbesserungsmittel  schnell  eindringe;  der- 
jenige, welcher  anfangs  mehr  rauh  ist,  sowie  der,  welcher 
nicht  auf  Gras  geworfen  wird,  erfordert  ein  wenig  Mist, 
sonst  schadet  er,  von  welcher  Art  er  auch  sei,  durch  seine 
Keuheit  dem  Boden,  den  er  zeigt  sich  nicht  einmal  im  nächst- 
folgenden Jahre  fruchtbar.  Es  ist  auch  nicht  einerlei,  auf 
welchen  Boden  er  gebracht  wird,  denn  der  trockene 
eignet  sich  eher  für  einen  feuchten,  der  fette  für  einen 
trockenen,  die  Greta  oder  der  taubenfarbige  Mergel  aber 
für  einen  nicht  zu  feuchten  und  zu  trockenen. 

5. 
Die  Völker  jenseits  des  Po's  lieben  den  Gebrauch  der 
Asche  so  sehr,  dass  sie  dieselbe  dem  Miste  des  Zugviehs 
vorziehen,  und  da  dieser  sehr  leicht  ist,  so  brennen  sie  ihn 
aus.  Jedoch  bedienen  sie  sich  beider  nicht  zugleich  auf 
ein  und  demselben  Felde,  auch,  wie  wir  bereits  gesagt 
haben,  der  Asche  nicht  in  "Weingärten  ^)  oder  auf  gewissen 
Saatfeldern.  Einige  sind  der  Meinung,  die  Trauben  er- 
nährten sich  vom  Staube,  bestreuen  daher  die  heranwach- 
senden und  die  Wurzeln  der  Weinstöcke  und  Bäume  damit. 
Soviel  ist  gewiss,  dass  in  der  narbonensischen  Provinz  der 


M  Avbusta.  in  denen  der  Wein  an  Bäumen  sezo^en  wird. 


Siebenzehnte^  Buch.  257 

Wein  eher   dadurch   reif  wird,   denn  dort  trägt  der  Staub 
mehr  dazu  bei  als  die  Sonne. 

6. 
Der  Mist  bietet  mehrere  Unterschiede  dar;  sein  Ge- 
brauch selbst  ist  sehr  alt.  Schon  bei  Homer  findet  man 
einen  königlichen  Greis,  welcher  auf  diese  Weise  seinen 
Acker  mit  seinen  Händen  düngt.  Man  sagt,  der  König 
Augias  in  Griechenland  habe  seine  Anwendung  erfunden, 
Herkules  sie  aber  in  Italien  verbreitet,  und  dieses  Land 
erkannte  seinem  Könige  Stercutus,  einem  Sohne  des  Faunus, 
wegen  jener  Erfindung  die  Unsterblichkeit  zu.  M.  Varro 
giebt  dem  Drosselmiste  aus  den  Vogelhäusern  den  Vozug 
vor  allen  anderen;  auch  zur  Weide  für  Ochsen  und  Schweine 
schätzt  er  ihn  hoch,  und  versichert,  dass  sie  bei  keinem 
anderen  Futter  schneller  fett  würden.  Man  kann  aus  unseren 
Sitten  gute  Hoffnungen  schöpfen,  wenn  unsere  Vorfahren 
so  grosse  Vogelhäuser  gehabt  haben,  um  daraus  die  Felder 
düngen  zu  können.  Den  nächsten  Rang  räumt  Columella 
dem  Tauben-  und  nach  diesem  dem  Hühnermiste  ein,  ver- 
wirft aber  den  der  Schwimmvögel.  Die  übrigen  Schrift- 
steller bezeichnen  einstimmig  den  Menschenkoth  als  ein 
vorzügliches  Düngemittel.  Einige  von  diesen  ziehen  den 
Urin  vor,  mit  welchem  in  den  Gerbereien  die  Haare  ange- 
feuchtet waren.  Andere  wenden  ihn  für  sich  an,  mischen 
aber  Wasser  hinzu,  und  zwar  noch  reichlicher  als  man  es 
trinkt;  denn  hier  giebt  es  noch  mehr  Böses  zu  mildern,  weil 
zu  dem  Gifte  des  Weines  auch  noch  das  des  Menschen 
kommt.  Diess  sind  die  eifrigen  Bemühungen,  denen  sich 
die  Menschen  hingegeben  haben,  um  die  Erde  zu  ernähren. 
Nächstdem  loben  sie  den  Koth  der  Schweine,  nur  Colu- 
mella verwirft  ihn.  Andere  loben  den  Mist  eines  jeden 
vierfüssigen  Tliieres,  welches  Cytisus  frisst.  Andere 
ziehen  den  Taubenmist  vor.  Dann  folgt  der  der  Ziegen, 
hierauf  der  der  Schafe,  des  Rindvieh's  und  endlich  der 
Pferde.  Diess  waren  die  verschiedenen  Miste  bei  den  Alten, 
diess  (wie  ich  finde)  die  Vorschriften  zu  seiner  Anwendung, 
und  man  muss  gestehen,  dass  es  auch  hierin  früher  besser 

wittstein:  Plinius.    lU.  Bd.  17 


258  Siebenzehntes  Buch. 

stand  als  jetzt.  Bei  einigen  Bewohnern  der  Provinzen^ 
welche  eine  bedeutende  Menge  Vieh  besitzen,  sieht  man- 
sogar,  dass  der  Mist  gleich  dem  Mehle  durch  Siebe  ge- 
schlagen wird,  nachdem  der  Geruch  und  das  Ansehen  durch 
die  Kraft  der  Zeit  eine  gewisse  Annehmlichkeit  bekommen, 
haben.  Neulich  fand  man,  dass  die  Asche  aus  Kalköfen 
der  beste  Dünger  für  die  Oelbäume  ist. 

Vavro  fügt  diesen  Vorschriften  noch  hinzu,  mit  Pferde-^ 
mist,  welcher  am  leichtesten  sei,  solle  mau  die  Saaten 
düngen;  die  Wiesen  aber  mit  schwererem,  der  aus  dem  Ge- 
nuss  der  Gerste  hervorginge  und  viel  Gras  erzeuge.  Einige^ 
ziehen  den  Mist  des  Zugvieh's  dem  Kuhmiste,  den  Schaf- 
mist dem  Ziegenmiste,  den  Eselsmist  aber  allen  anderen 
vor,  weil  diese  Thiere  am  langsamsten  kauen;  allein 
nichts  gegen  beides  spricht  die  Erfahrung.  Gewiss  ist  aber 
besser  als  das  Kraut  der  Wolfsbohne,  ehe  es  Schoten 
treibt,  mit  dem  Pfluge  oder  der  Hacke  unterzuackern,  oder 
Hände  voll  davon  abzuschneiden  und  an  die  Wurzeln  der 
Bäume  und  Weinstöcke  zu  verscharren.  Auch  da,  wo  kein 
Vieh  sei,  düngt  man,  wie  es  heisst,  selbst  durch  Stroh  oder 
Farnkraut. 

Cato  giebt  folgende  Vorschriften  zur  Bereitung  de» 
Düngers:  Man  nehme  Stroh,  Wolfsbohne,  Spreu,  Bohnenkraut,. 
Laub  von  Stecheichen  und  gemeinen  Eichen;  ferner  sammele 
man  von  den  Saatfeldern:  Attich,  Schierling,  sowie  d<xs 
um  die  Weidenbüsche  häufig  wachsende  Kraut  und  Wasser- 
gras 1).  Dieses  und  faules  Laub  streue  man  den  Schafen 
unter.  Wenn  dein  Weinberg  mager  wird,  so  verbrenne 
Weinreben  und  pflüge  die  Asche  davon  in  demselben  unter. 
Da  wo  du  Getreide  säen  willst,  lass  die  Schafe  weiden. 

7. 

Cato  sagt  auch,  dass  selbst  durch  einige  Saaten  der 
Boden  genährt  werde.  Die  Felder  werden  durch  fol- 
gende Getreidearten  gedüngt:  Wolfsbohnen,  Saubohnen  und 
Wicken.    Ebenso   wirken   auf  entgegengesetzte  Weise  die 

«)  Ulva. 


Siebenzehntes  Buch.  '        259 

Kichererbse,  weil  sie  ausgezogen  wird  und  salzig  ist,  die 
Gerste,  der  Bockshorn,  die  Erve;  alle  diese,  sowie  alles, 
was  ausgerissen  wird,  saugen  die  Saatfelder  aus.  Man 
streue  keine  Kerne  in  die  Saaten.  Virgil  ist  der  Meinung, 
die  Felder  würden  auch  durch  Lein,  Hafer  und  Mohn  aus- 
gebrannt (ausgesogen). 

8. 
Die  Mistgruben  soll  man  unter  freiem  Himmel  an  einem 
tiefen  Platze,  wo  sich  die  Feuchtigkeit  sammeln  kann,  an- 
legen, mit  Stroh  bedecken,  und  mit  eichenen  Pfählen  um- 
geben; auf  diese  Weise  werden  keine  Schlangen  darin  ent- 
stehen. Es  ist  äusserst  vortheilhaft,  den  Mist  mit  Erde 
zu  vermischen,  wenn  der  Favonius  wehet  und  der  Mond 
dürstet  i).  Viele  verstehen  diess  unrichtig  und  glauben,  es 
müsse  beim  Anfange  des  Favonius  und  bloss  im  Februar 
geschehen,  während  doch  die  meisten  Pflanzen  diess  in  an- 
deren Monaten  erfordern.  Thue  man  es  nun,  wann  man 
wolle,  so  muss  man  dafür  Sorge  tragen,  dass  es  geschieht, 
wenn  der  Wind  gerade  von  Abend  her  wehet,  und  der  Mond 
abnimmt  und  trocken  ist.  Beobachtet  man  diess,  so  wird  die 
Fruchtbarkeit  und  die  Wirkung  auf  eine  wunderbare  Weise 
vergrössert. 

9. 
Nachdem  wir  nun  von  der  Beschaffenheit  der  Luft  und 
der  Erde  ausführlich  geredet  haben,  wollen  wir  von  den 
Bäumen  sprechen,  welche  durch  menschliche  Sorgfalt  und 
Kunst  hervorkommen.  Es  giebt  deren  eben  so  viele  Arten 
(als  wilde);  so  reichlich  haben  wir  der  Natur  unseren  Dank 
abgestattet.  Man  zieht  sie  entweder  durch  Samen,  oder 
aus  Wurzeln,  Schösslingen,  Abreissern,  Reisern  oder  aus 
einem  eingepropften  und  eingeschnitteneu  Stamme  eines 
Baumes;   denn    mich    wundert   es   sehr,   dass  Trogus    ge- 


')  Nach  älterer  Idee  nährte  sich  der  Mond  und  andere  Gestirne 
von  den  Erddünsten,  welche  auch  sein  Leuchten  verursachen  sollten. 
Im  Neumond  verzehrte  ihm  die  Sonne  die  Feuchtigkeit,  und  der 
Mond  sei  daher  durstig'. 

17* 


260  Siebenzehntes  Buch. 

glaubt  hat,  die  Babylonier  pflanzten  Palmblätter,  aus 
denen  Bäume  würden.  Einige  werden  auf  mehrere,  andere 
auf  alle  Weise  erzielt. 

10. 

Die  meisten  Verfahrungsarten  hat  uns  die  Katur  selbst 
gelehrt,  besonders  den  Samen  zu  säen,  da  derselbe  ab- 
fällt, von  der  Erde  aufgefangen  wird  und  keimt.  Einige 
Bäume  pflanzen  sich  aber  anders  nicht  fort,  wie  z.  B.  die 
Kastanien  und  welschen  Nüsse,  ausgenommen  wenn  sie 
abgehauen  werden.  Aus  dem  Samen  entstehen,  obwohl  er 
sich  nicht  gleich  ist,  auch  die  Bäume,  welche  auf  andere 
Weise  fortgepflanzt  werden,  wie  die  Weinstöcke,  Aepfel  und 
Birnen,  denn  hier  dient  der  Kern  statt  des  Samens  und 
nicht,  wie  bei  den  obengenannten,  die  Frucht  selbst.  Auch 
die  Mispeln  können  aus  Samen  gezogen  werden.  Alle 
diese  entwickeln  sich  langsam,  arten  aus,  und  müssen 
durch  Propfen  erst  wieder  veredelt  werden.  Auch  die 
Kastanien  sind  zuweilen  in  diesem  Falle. 

11. 

Einige  Bäume  sind  so  beschaffen,  dass  sie,  wie  man 
sie  auch  pflanzt,  niemals  ausarten,  wie  die  Cypressen, 
Palmen  und  Lorbeeren;  denn  auch  der  Lorbeer  wird  auf 
mehrfache  Weise  fortgepflanzt.  Unter  seinen  schon  ge- 
nannten Arten  bauet  man  den  Kaiserlorbeer,  'den  Beeren 
tragenden  und  den  Tinus  auf  gleiche  Weise.  Im  Januar 
werden  die  durch  den  Nordostwind  getrockneten  Beeren 
eingesammelt,  und  dünn  ausgestreut,  damit  sie  sich  nicht 
erhitzen.  Hierauf  bereitet  mau  einige  mit  Mist  zum  Säen 
zu,  und  benetzt  sie  mit  Urin.  Andere  treten  sie  mit  den 
Füssen  in  einem  geflochtenen  Korbe  im  Wasser,  bis  die 
Haut  abgeht;  sonst  schadet  ihnen  die  Erdfeuchtigkeit,  und 
hindert  sie  am  Wachsen.  In  eine  aufgehackte  handbreit 
hohe  Furche  legt  man  sie  im  März  etwa  zu  '20  auf  einen 
Haufen.  Man  pflanzt  diese  auch  durch  Ableger^),  den 
Triumphlorbeer  aber  nur  durch  Schnittlinge  2)  fort.  Alle 
Arten  der  Myrte  werden   in  Campanien    durch  Beeren,   im 

')  propagines.    ^)  taleae. 


Siebenzehnfces  Buch.  261 

Tarentinischen  bei  Rom  durch  Ableger  fortgepflanzt.  De  - 
mocritus  hat  uns  noch  ein  anderes  Verfahren  gelehrt,  man 
solle  nämlich  die  grössten  Beeren  gelinde  stossen,  damit 
die  Kerne  nicht  zerbrechen,  ein  rauhes  Seil  damit  bestreichen 
und  diess  so  pflanzen,  dadurch  entstehe  eine  dichte  Wand, 
aus  welcher  Reiser  genommen  werden  könnten.  Man  säet 
auch  Dornsträucher  zu  Hecken  auf  die  Weise ,  dass  mau 
ein  Seil  mit  den  Dornbeeren  bestreicht.  Die  kleinen  Pflänz- 
chen  vom  Lorbeer  und  der  Myrte  kann  man,  wenn  Mangel 
ist,  im  3.  Jahre  recht  gut  versetzen.  Unter  den  Bäumen, 
welche  aus  Samen  gezogen  werden,  handelt  Mago  ^)  von 
den  Nüssen  sehr  ausführlich.  Die  Mandeln  soll  man  nach 
ihm  in  weichen  Thon  an  die  Mittagsseite  pflanzen;  sie  hätten 
auch  gern  ein  hartes  und  warmes  Erdreich,  in  einem  fetten 
oder  feuchten  gingen  sie  zu  Grunde  oder  würden  unfrucht- 
bar. Man  müsste  vorzugsweise  die  sichelförmigen  und  die 
frischen  pflanzen,  und  diese  3  Tage  lang  in  mit  Wasser  verdünn- 
tem Mist,  oder  Tags  vor  dem  Pflanzen  in  Wassermeth  ein- 
weichen. Sie  sollen  mit  der  Spitze  in  die  Erde  gebracht 
und  die  scharfe  Seite  gegen  Nordost  gerichtet  werden;  drei 
soll  man  auf  einmal  in  einem  Dreieck  pflanzen,  doch  so, 
dass  sie  eine  handbreit  von  einander  entfernt  sind,  und 
10  Tage  lang  sie  begiessen,  bis  sie  anfangen  zu  wachsen. 
Die  welschen  Nüsse  werden  platt  gelegt,  so  dass  die 
Fugen  liegen.  Pinienkerue  thut  man  man  etwa  zu  7  in 
einen  durchlöcherten  Topf,  oder  man  verfährt  damit  wie 
beim  Lorbeer,  dessen  Beeren  man  pflanzt.  Die  Citronen- 
bäume  pflanzt  man  durch  Samenkerne  oder  durch  Ableger 
fort,  die  Speierlinge  durch  Samen,  sowie  die  Absenker  2) 
und   Ausreisser  3).     Aber  jene    kommen   nur   in    warmen, 


')  Vater  des  Hamilkar  und  Hasdrubal,  im  5.  Jahrhundert  v.  Chr. 
verdienter  Suffet  in  Carthago,  schrieb  über  den  Ackerbau.  Sein 
Werk  wurde  von  Cassius  Dionysius  aus  Utika  ins  Lateinische  über- 
setzt. 

^)  planta  a  radice. 

=*)  avulsio. 


262  Siebenzehntes  Buch. 

die  Speieilinge  jedoch  auch  in  kalten  und  feuchten  Gegen- 
den fort. 

12. 

Die  Natur  hat  uns  auch  ein  Vorbild  von  Pflanzschulen 
gegeben,  denn  aus  den  Wurzeln  vieler  Bäume  schiessen 
zahlreiche  Sprösslinge  hervor,  und  die  Mutter  zeugt  Kinder, 
welche  sie  wiederum  tödtet,  denn  durch  ihren  Schatten  wird 
der  unordentliche  Haufe  erstickt,  wie  z.  B.  bei  dem  Lorbeer, 
der  Granate,  Platane,  Kirsche,  Pflaume.  Bei  wenigen  dieser 
Arten  schonen  die  Aeste  des  jungen  Anwuchses,  z.  B.  bei 
den  Ulmen  und  Palmen.  Aber  nur  solche,  deren  Wurzeln 
Sonne  und  Regen  lieben  und  sich  in  der  obersten  Erdschicht 
ausbreiten,  bekommen  dergleichen  Sprösslinge.  Man  be- 
obachtet die  Regel,  sie  nicht  sogleich  an  den  für  sie  be- 
stimmten Platz  zu  setzen,  sondern  sie  zuvor  einem  nähren- 
den Erdreiche  anzuvertrauen,  in  Baumschulen  heranwachsen 
zu  lassen,  und  dann  erst  wieder  zu  verpflanzen.  Diese 
Versetzung  macht  auch  die  wilden  Bäume  auf  eine  wunder- 
bare Weise  zahm,  es  sei  nun,  dass  die  Bäume,  gleich  den 
Menschen,  nach  Neuerungen  und  Wanderungen  begierig 
sind,  oder  dass  sie,  wenn  sie  ihren  Standort  verlassen,  ihre 
schädlichen  Theile^)  zurücklassen,  und  von  der  Wurzel  ab- 
gerissen, gleich  den  wilden  Thieren,  unter  den  Händen  des 
Menschen  zahm  werden. 

13. 

Noch  eine  andere,  ähnliche  Art  (der  Vermehrung)  hat 
uns  die  Natur  gelehrt,  denn  es  giebt  Beispiele,  dass  Reiser, 
welche  von  Bäumen  abgerissen  waren,  fortgekommen  sind. 
Bei  diesen  Arten  werden  sie  auch  mit  ihrem  Stammauge  2) 
abgerissen,  und  nehmen  dadurch,  dass  an  ihrem  unteren 
Ende  einige  Fasern  bleiben,  einen  Theil  von  dem  Leibe 
des  Mutterstammes  mit  sich  fort.  Auf  solche  Weise  ver- 
pflanzt man  Granaten,  Haselstauden,  Aepfel,  Speierlinge, 
Mispeln,  Eschen,  Feigen  und  namentlich  Weinstöcke.    Wird 


')  virus. 
-)  perna. 


Siebenzehntes  Buch.  263 

«die  Quitte  dieser  Behandlung  unterworfen,  so  artet  sie  aus. 
Hieraus  entsprang  auch  die  Erfindung,  abgeschnittene 
Heiser  zu  pflanzen;  zuerst  geschah  es  um  der  Hecken 
•willen,  indem  man  Hollunder,  Quitten  und  Brombeersträucher 
in  die  Erde  steckte,  bald  nachher  aber  auch  der  Kultur 
wegen,  wie  bei  den  Pappeln,  Erlen  und  Weiden,  welche 
letztere  sogar  mit  der  Spitze  nach  unten  gekehrt  verpflanzt 
werden.  Alle  diese  setzt  man  sogleich  dahin,  wohin  man 
^sie  haben  will.  Es  scheint  daher  am  passendsten,  vor  Be- 
sprechung der  übrigen  Vermehrungsmethoden  erst  über  die 
Anlegung  der  Baumschulen  zu  handeln. 

14. 

Zu  den  Baumschulen  muss  man  einen  besonders 
guten  Boden  wählen,  weil  es  oft  nöthig  ist,  dass  die  Pflege- 
-«rde  milder  sei  als  diejenige,  worin  der  Mutterbaum  steht. 
Sie  sei  also  trocken,  saftig,  mit  einem  Spaten  umgearbeitet, 
zur  Aufnahme  der  Ankömmlinge  geeignet,  und  soviel  als 
möglich  der  Erde,  aus  welcher  die  zu  versetzenden  Reiser 
kommen,  gleich.  Vor  allem  muss  sie  von  Steinen  befreiet, 
und  gegen  das  Eindringen  der  flühner  geschützt  sein,  und 
keine  Risse  haben,  damit  die  Sonne  die  zarten  Fasern  nicht 
verbrenne.  Die  Pflanzen  müssen  anderthalb  Fuss  von  ein- 
ander entfernt  sein,  damit  sie  sich  nicht  berühren.  Ausser 
anderen  Fehlern  sind  sie  auch  dem  Wurmfrasse  ausgesetzt, 
daher  muss  man  sie  oft  behacken  und  das  Unkraut  aus- 
gäten.  Ausserdem  soll  man  die  ausschlagenden  Reiser  ab- 
schneiden und  sie  so  an  das  Messer  gewöhnen, 

Cato  schreibt  vor,  man  solle  Hürden  mittelst  Stützen 
in  Manneshöhe  darüber  legen,  um  die  Sonnenstrahlen  auf- 
zufangen, und  sie  zur  Abhaltung  der  Kälte  mit  Stroh  be- 
decken; auf  diese  Weise  würden  die  jungen  Birnen-,  Aepfel-, 
Pinienbäume  und  selbst  die  aus  Samen  gezogenen  Cypressen 
erhalten.  Letzterer  Samen  bildet  so  kleine  Körner,  dass 
man  sie  kaum  sehen  kann,  und  doch  entstehen  daraus  — 
als  ein  Wunder  der  Natur,  welches  wir  nicht  übergehen 
dürfen  —  Bäume,  während  doch  die  Weizen-  und  Gersten- 
körner, der  Bohnen  nicht  zu  gedenken,   viel    grösser   sind. 


264  Siebenzehntes  Buch. 

Welche  Aehnlichkeit  haben  die  Aepfel  und  Birnen  mit  ihrem 
Ursprünge?  Entsteht  nicht  aus  ihren  Samen  Holz,  welches 
der  Axt  widersteht;  Pressen,  die  durch  ungeheure  Lasten 
nicht  überwältigt  werden,  Bäume  für  die  Segel  und  Sturm- 
bocke  zum  Einrennen  der  Thürme  und  Mauern?  Diess  ist 
die  Kraft,  diess  die  Macht  der  Natur.  Doch  über  alles  geht^ 
dass  aus  einem  Tropfen  etwas  entsteht,  wie  wir  an  seinem 
Orte  sagen  werden.  Man  sammelt  also  von  der  weiblichen 
Cypresse  (denn  die  männliche  trägt,  wie  schon  erwähnt 
wurde,  nichts)  die  kleinen  Beeren  in  den  von  mir  bezeich- 
neten Monaten,  und  trocknet  sie  an  der  Sonne.  Sie  bersten 
dann  und  lassen  einen  Samen  fallen,  nach  welchem  die 
Ameisen  sehr  begierig  sind,  und  dadurch,  dass  ein  so  kleine» 
Thier  sich  mit  etwas  ernährt,  was  so  grossen  Bäumen  ihre 
Entstehung  giebt,  wird  das  Wunderbare  noch  vermehrt.. 
Man  säet  ihn  im  April  auf  einem  Platze,  der  mit  Walzen 
oder  Stampfen  gleichgemacht  ist,  dicht  aus,  und  siebt  da- 
rauf 1  Zoll  hoch  Erde.  Gegen  eine  sehr  grosse  Last  kann 
er  sich  nicht  erheben,  sondern  er  beugt  sich  in  diesem  Falle 
in  die  Erde;  daher  vermeidet  man  auch  das  Gehen  auf 
einem  solchen  Boden.  Man  begiesst  ihn  drei  Tage  lang 
sanft  nach  dem  Untergange  der  Sonne,  damit  er  überall 
gleich  feucht  sei,  bis  die  Samen  hervorbrechen.  Nach  Ver- 
lauf eines  Jahres  sind  es  1  Spanne  lange  Pflänzchen;  sie 
werden  nun  versetzt,  jedoch  unter  strenger  Beobachtung 
des  Wetters,  denn  das  Verpflanzen  muss  bei  heiterem  Himmel 
und  Windstille  geschehen.  Merkwürdigerweise  drohet  ihnen 
nur  an  diesem  Tage  Gefahr,  wenn  auch  sehr  wenig  Regen 
darauf  tröpfelt,  oder  ein  Luftzug  sie  anwehet.  Ausserdem 
sind  sie  stets  sicher,  und  hassen  das  Wasser.  Auch  die 
Samen  der  Brustbeeren  werden  im  Monat  April  gesäet.  Die 
Nusspfirschen  i)  werden  zweckmässiger  auf  wilde  Pflaumen^ 
Quitten  und  den  Calabrix  d.  i.  wilder  Dornstrauch  2)  ge- 
pfropft. Jede  dieser  Arten  nimmt  auch  am  besten  die  Se- 
besten  ^),   und    mit  Nutzen    die  Speierlinge   auf.     Dass  die 

')  Tuberes.    ^)  Spina  sylvestris.  Rhamnus  cathartica? 
^J  Myxae.  Cordia  Myxa  L, 


Siebenzehntes  Buch.  265 

Pflanzen  aus  einer  Baumschule  in  die  andere  gesetzt  wer- 
den, bevor  sie  an  den  für  sie  bestimmten  Standort  kommen^ 
glaube  ich  gründlich  auseinandersetzen  zu  müssen,  wenn 
auch  nur  durch  das  Versetzen  die  Blätter  Hoffnung  geben,, 
breiter  zu  werden. 

15. 
Die  Flügelfrucht  der  Ulmen  muss  man,  bevor  die 
Blätter  kommen,  zu  Anfange  des  Märzes,  wo  sie  anfangen 
gelb  zu  werden,  sammeln,  2  Tage  lang  im  Schatten  trocknen,, 
auf  gepflügtes  Land  dicht  aussäen,  und  Erde  so  hoch  wie 
bei  den  Cypressen  fein  darauf  sieben.  Wenn  kein  Regen 
fällt,  muss  man  sie  begiessen.  Nach  1  Jahre  müssen  sie 
von  diesen  Beeten  weg  in  die  Ulmenpflanzungen  versetzt 
werden,  dabei  aber  alle  1  Fuss  weit  von  einander  abstehen. 
Die  männlichen  Ulmen  pflanzt  man  am  besten  im  Herbste, 
weil  sie  keinen  Samen  haben;  denn  diese  zieht  man  aus 
Pflanzen.  Bei  Rom  bringt  man  dieselben  in  die  Wein- 
gärten, wenn  sie  5  Jahre  alt,  oder  (wie  es  Einigen  besser 
scheint)  wenn  sie  20  Fuss  hoch  sind.  Diess  geschieht  in 
Gruben,  die  man  neunfüssige  nennt,  3  Fuss  hoch,  3  lang 
und.  3  breit  sind,  und  um  die  gesetzten  Stämme  wird  rund 
herum  3  Fuss  hoch  feste  Erde  gebracht.  Dergleichen  Vor- 
richtungen heissen  in  Campanien  kleine  Altäre.  Die  Zwi- 
schenräume richten  sich  nach  der  Beschaffenheit  des  Ortes. 
Auf  Feldern  muss  man  sie  weitläufiger  pflanzen.  Die  Pappeln 
und  Eschen  müssen,  weil  sie  schneller  ausschlagen,  früher 
d.  h.  am  13.  Februar  gesetzt  werden;  sie  wachsen  auch 
aus  Pflanzen.  Beim  Setzen  der  Bäume  in  Gärten  und 
Weinbergen  ist  die  Fünfstellung  ^)  die  allgemeine  und  noth- 
wendige;  sie  verschafft  nicht  nur  dem  Winde  freien  Zutritt^ 
sondern  hat  auch  ein  gefälliges  Ansehen,  denn  wohin  man 
das  Auge    wendet,   laufen  die  Bäume  in   einer   Reihe   hin. 


')  Ordo  quincuncialis,  so  genannt,  weil  3  Bäume  jedesmal  eine 
römische  V  beschreiben,  wie  folgende  Stellung  zeigt: 


266  Siebenzehntes  Buch. 

Mit  dem  Samen  der  Pappeln  verfährt  man  ebenso  wie  mit 
dem  der  Ulmen,  auch  versetzt  man  sie  ebenso  aus  den  Pflanz- 
schulen und  Wäldern. 

16. 

Vor  allen  muss  man  sie  daher  in  eine  ähnliche  oder 
bessere  Erde  setzen,  nicht  aber  aus  warmen  und  frühreifen- 
den Gegenden  in  kalte  und  späte,  sowie  auch  nicht  aus 
diesen  in  jene.  Die  Pflanz-Gruben  müssen  vorher,  und 
womöglich  um  so  viel  früher  gemacht  werden,  damit  sie 
sich  mit  einem  fetten  Rasen  überziehen.  Nach  Mago  soll 
es  ein  Jahr  vorher  geschehen,  damit  Sonne  und  Regen 
hineindringen;  oder,  wenn  die  Umstände  diess  nicht  erlauben, 
soll  man  2  Monate  vorher  in  dieselben  Feuer  machen,  und 
die  Bäume  nicht  eher  als  nach  einem  Regen  hineinsetzen. 
Die  Tiefe  der  Gruben  soll  in  einem  thonigen  oder  harten 
Erdreiche  überall  3  Ellen  betragen,  an  geneigten  Stellen 
aber  noch  eine  Handbreit i)  mehr,  und  sie  sollen  gewölbt 
sein,  sodass  die  Oeffnung  enger  ist.  In  schwarzer  Erde 
aber  sollen  sie  2  Ellen  und  eine  Handbreit  haben  und  recht- 
winklig sein.  Die  griechischen  Schriftsteller  stimmen  mit 
diesem  Maasse  überein,  sagen  aber,  die  Gruben  müssten  nicht 
tiefer  als  2^/2  und  nicht  breiter  als  2  Fuss,  nirgends  aber 
niedriger  als  I1/2  Fuss  sein,  weil  man  an  einem  sumpfigen 
Orte  leicht  auf  Wasser  komme. 

Cato  spricht  sich  folgendermaassen  aus:  Wenn  der  Ort 
wässrig  ist,  so  mache  sie  oben  3  Fuss,  unten  1  Fuss  und 
1  Palme  breit  und  4  Fuss  tief,  pflastere  sie  mit  Steinen, 
oder  in  Ermangelung  dieser  mit  grünen  Weidenstöcken,  oder, 
fehlen  auch  diese,  mit  Reisern,  sodass  sie  ^1^  Fuss  hoch 
zu  liegen  kommen.  Mir  scheint,  ich  müsse  nach  der  oben 
angeführten  Beschaffenheit  der  Bäume  noch  hinzufügen, 
dass  man  diejenigen,  welche  gern  oben  an  der  Erde  stehen, 
wie  die  Esche  und  der  Oelbaum,  tiefer  setzen.  Diese  und 
ähnliche   müssen   4   Fuss   tief  in   die   Erde;    die    übrigen 


*)  palmus. 


Siebenzehntes  Buch.  267 

Ijrauchen  nicht  tiefer  als  3  Fuss  gesetzt  zu  werden.  „Haue 
diese  Wurzel  ab",  sprach  der  Feldherr  Papirius  Cursor  zum 
Schrecken  des  Heerführers  der  Pränestiner,  und  befahl,  dass 
die  Aexte  hervorgezogen  werden  sollten.  Es  ist  unschäd- 
lich, die  Theile  der  Wurzel,  welche  (von  Erde)  entblösst 
sind,  abzuhauen.  Einige  schreiben  vor,  man  solle  Scherben, 
Andere,  man  solle  runde  Steine  darunter  legen,  um  die 
Feuchtigkeit  aufzuhalten  und  dann  weiter  zu  schicken;  man 
dürfe  aber  keine  platten  Steine  nehmen,  weil  sie  die  Wurzel 
von  der  Erde  abhielten.  Kies  darunter  zu  schütten,  ist 
eine  Meinung,  die  zwischen  jenen  beiden  stehen  mag. 

Einige  schreiben  vor,  keinen  Baum  unter  2,  und  keinen 
über  3  Jahren  zu  verpflanzen;  Andere,  wenn  er  ein  Jahr 
alt,  Cato  sagt^  wenn  er  über  5  Finger  dick  sei.  Derselbe 
hätte,  wenn  etwas  darauf  ankäme,  gewiss  nicht  vergessen 
zu  bemerken,  dass  man  die  Mittagsseite  an  der  Rinde  no- 
tiren  müsse,  damit  der  Baum  beim  Versetzen  wieder  in 
seine  gewohnte  Lage  komme,  die  Nordseite  gegen  Mittag 
gekehrt  durch  die  Sonne  nicht  gespalten  werde,  und 
die  mittägige  gegen  Norden  hin  nicht  erfröre.  Einige 
thun  hierin  mit  Fleiss  gerade  das  Gegentheil,  indem  sie 
den  Weinstock  und  den  Feigenbaum  verkehrt  setzen,  denn 
sie  glauben,  die  Bäume  würden  so  dichter  belaubt,  wodurch 
die  Frucht  besser  gedeckt  und  weniger  dem  Abfallen  aus- 
gesetzt wäre;  auch  würde  der  Feigenbaum  auf  diese  Weise 
so  stark,  dass  man  ihn  ersteigen  könne.  Die  Meisten  sorgen 
nur  dafür,  dass  die  Stelle  des  gekappten  Gipfels  nach  Mit- 
tag sehe,  wissen  aber  nicht,  dass  durch  zu  grosse  Hitze 
Risse  entstehen.  Ich  halte  die  Stellung  gegen  Südwest  für 
die  zweckmässigste.  Auch  will  ich  die  wohl  zu  beachtende, 
aber  unbekannte  Regel  anführen,  dass  man  die  Wurzel  nicht 
durch  Zögern  trocken  werden  lasse,  und  dass  man,  wenn 
der  Nordwind  wehet,  oder  derselbe  von  daher  nach  Süd- 
ost zieht,  die  Bäume  nicht  ausgrabe,  oder  wenigstens  die 
Wurzeln  dem  Winde  nicht  entgegen  stelle.  Diess  ist  die 
Ursache,  dass  sie  absterben,  was  aber  die  Landleute  nicht 
wissen.     Cato  will,  dass   die  Versetzung   weder   bei  Wind 


268  Siebenzehntes  Buch. 

noch  bei  Regen  geschehen  solle.  Es  ist  auch  vortheilhafl^ 
wenn  den  Wurzeln  soviel  als  möglich  von  der  Erde,  m 
welcher  sie  gelebt  haben,  anhängen  bleibt,  und  dieselben 
mit  Rasen  umgeben  sind;  Cato  lässt  sie  daher  auch  in 
Körben  transportiren  —  ohne  Zweifel  das  beste  Verfahren.. 
Ebenderselbe  begnügt  sich  auch  damit,  die  oberste  Erde 
darunter  zu  legen.  Einige  geben  an,  wenn  man  unter  die- 
Granatbäume  Steine  lege,  so  bersteten  die  Aepfel  auf  dem. 
Baume  nicht.  Es  ist  besser,  die  Wurzeln  einwärts  gebogen 
zu  setzen;  nothwendig  aber,  den  Baum  so  zu  pflanzen,  dass 
er  genau  in  die  Mitte  der  Grube  kommt.  Man  sagt,  der 
Feigenbaum  trage,  wenn  man  Meerzwiebeln  (eine  Art 
Zwiebelgewächs)  dabei  säe,  sehr  schnell  Früchte  und  werde 
nicht  vom  Wurm  angefressen;  ein  Fehler,  von  dem  die 
übrigen  auf  ähnliche  Weise  gepflanzten  Obstbäume  nicht 
frei  sind.  Dass  man  auf  die  Wurzeln  dieses  Baumes  grosse 
Sorgfalt  verwenden  müsse,  damit  sie  herausgehoben  und 
nicht  herausgerissen  erscheinen,  wer  wird  diess  bezweifeln? 
Daher  übergehen  wir  auch  das  übrige  schon  Bekannte,  ferner 
die  Vorschrift,  dass  die  Erde  um  die  Wurzeln  mit  einem 
Schlägel  fest  gemacht  werden  muss,  was  dem  Cato  das 
richtigste  hierbei  zu  sein  scheint.  Derselbe  schreibt  auch 
vor,  der  Schnitt  am  Stamme  müsse  mit  Mist  verstrichen 
und  mit  Blättern  verbunden  werden. 

17. 
Ein  anderer  Theil  dieser  allgemeinen  Vorschriften 
handelt  von  dem  Abstände  der  Bäume  von  einander. 
Einige  sind  der  Ansicht,  die  Granaten,  Myrten  und  Lor- 
beeren müssten  dichter,  jedoch  immer  9  Fuss  von  einander 
entfernt  gesetzt  werden;  die  Aepfelbäume  etwas  weiter, 
noch  weiter  die  Birnbäume,  und  noch  mehr  die  Mandeln 
und  Feigen.  Am  besten  werden  diese  Weiten  durch  die 
Ausdehnung  der  Aeste,  die  Grösse  der  Plätze  und  durch 
den  Schatten,  welchen  die  Bäume  werfen,  bestimmt  werden 
können,  denn  auch  auf  diesen  muss  man  sein  Augenmerk 
richten.  Manche  niedrige  Bäume,  wie  die  Aepfel  und  Birnen,, 
welche  ihre  Aeste  in  einen  Kreis  ausbreiten,  werden  doch 


Siebenzehntes  Buch.  269 

ZU  den  grossen   gerechnet    Dagegen   stehen   sie   hei    den 
Kirschen  und  Lorbeeren  unregelmässig  und  hoch  empor. 

18. 
Der  Schatten  hat  auch  gewisse  Eigenschaften.  Für 
die  welschen  Nüsse  ist  er  beschwerlich  und  schädlich,  eben 
so  für  das  menschliche  Haupt  und  für  fast  alle  Saaten. 
Auch  die  Fichte  erstickt  das  Gras,  aber  den  Winden  wider- 
stehen beide,  und  dienen  daher  zu  Schutzdächern  der  Wein- 
berge. Die  Traufe  von  der  Fichte,  der  gemeinen  und  Stech- 
eiche ist  die  schwerste.  Von  der  Cypresse  kommt  gar  keine, 
ihr  Schatten  ist  am  kleinsten  und.  in  sich  gerollt ').  Die 
Feigenbäume  werfen  einen  dünnen ,  obgleich  weit  ver- 
breiteten; daher  darf  man  sie  auch  in  die  Weinberge 
pflanzen.  Der  Schatten  der  Ulmen  ist  mild  und  nährend, 
wohin  er  auch  fallen  mag.  Atticus^)  hält  ihn  für  den  be- 
schwerlichsten; ich  bezweifle  diess  nicht,  wenn  man  den 
Baum  sich  in  Aeste  ausbreiten  lässt,  bindet  man  sie  aber 
zusammen,  so  wird  er,  meiner  Meinung  nach,  keinen  Scha- 
den thun.  Auch  der  der  Platane  ist,  wenn  auch  dicht, 
dennoch  angenehm;  zwar  kann  man  sich  auf  das  Gras 
allein  nicht  verlassen,  obwohl  keiner  schöner  dessen  Tep- 
piche bedeckt.  Die  Pappel  hat  keinen,  da  ihre  Blätter 
flattern,  die  Erle  einen  starken,  aber  die  Pflanzen  nähren- 
den. Der  Weinstock  wirft  sich  selbst  genug  Schatten,  sein 
Laub  ist  sehr  beweglich,  mässigt  durch  häufiges  Hin-  und 
Hergehen  die  Sonnenhitze  und  bildet  beim  Regen  eine  starke 
Decke.  Fast  alle  Bäume  mit  langen  Blattstielen  haben 
schwachen  Schatten.  Man  muss  diese  Kenntniss  vom 
Schatten  nicht  gering  achten  und  zu  den  überflüssigen 
Dingen  rechnen,  da  derselbe  für  die  Gewächse  entweder 
eine  Pflegerin  oder  Stiefmutter  abgiebt.  Dass  der  Schatten 
der  welschen  Nüsse,  Fichten  und  Tannen  für  die  damit  in 
Berührung  kommenden  Pflanzen  ein  Gift  ist,  leidet  keinen 
Zweifel. 


')  D.  h.  auf  kleinen  Raum  vereinigt. 

^)  Julius  Atticus,  ein  nicht  näher  bekannter  Schriftsteller. 


270  Siebenzehntes  Buch. 

19. 

Die  Traufe  lässt  sich  kurz  erklären.  Alle  Bäume- 
nämlich,  welche  durch  Vorstreckung  ihrer  Blätter  so  ge- 
schützt werden,  dass  der  Regen  durch  sie  selbst  nicht 
dringen  kann,  lassen  mächtige  Tropfen  fallen.  Daher  wird 
in  Ahsicht  dieses  Gegenstandes  sehr  viel  darauf  ankommen,, 
in  wie  weit  die  Erde,  in  welche  wir  Bäume  verpflanzen 
wollen,  dieselben  ernährt.  Die  Hügel  erfordern  schon  an 
sich  kleinere  Zwischenräume.  An  windigen  Orten  muss 
man  sie  dichter  setzen.  Der  Oelbaum  erfordert  jedoch  den 
grössten  Platz,  und  Cato's  auf  Itahen  gerichteter  Ausspruch 
ist:  man  setze  ihn  mindestens  25  und  höchstens  30  Fus» 
von  einander.  Allein  diess  ändert  sich  nach  der  Beschaffen- 
heit der  Gegenden.  In  der  Provinz  Bätica  ist  kein  Baum 
grösser.  Man  schreibt  (doch  das  mögen  die  Schriftsteller 
verantworten),  in  Afrika  würden  viele  Oelbäume  von  dem 
Gewichte  des  Oel's,  welches  man  jährlich  von  ihnen  gewänne,. 
Tausendbäume  genannt.  Daher  giebt  ihnen  Mago  rings- 
herum einen  Raum  von  75  Fuss,  oder  in  einem  magern, 
harten  und  dem  Winde  ausgesetzten  Boden,  von  wenigstens 
45  Fuss.  Bätica  schätzt  ihren  Oelertrag  zu  der  reichsten 
Erndte.  Es  ist  gewiss  eine  Unwissenheit,  deren  man  sich 
schämen  muss,  die  herangewachsenen  Bäume  mehr  als  er- 
forderlich auszulichten  und  dadurch  bald  alt  zu  machen, 
oder  sie  ganz  auszuschneiden  (wobei  meistens  die,  welche 
sie  gesetzt  haben,  ihre  Unerfahrenheit  beweisen).  Nichts 
ist  für  die  Landleute  schimpflicher,  als  die  Reue  über  ein 
solches  Unternehmen,  und  es  wäre  allerdings  besser,  die 
Bäume  in  ihrer  Ausgedehntheit  zu  lassen. 

20.  , 

Einige  Bäume  wachsen  von  Natur  langsam,  und 
zwar  besonders  die,  welche  nur  aus  dem  Samen  hervor- 
gehen und  sehr  alt  werden;  diejenigen  aber,  welche  schnell 
absterben,  wachsen  rasch,  wie  die  Feige,  Granate,  Pflaume, 
der  Apfel,  die  Birne,  Myrte,  Weide;  und  doch  übertreffen 
sie  jene  an  reichem  Ertrage,  denn  sie  fangen  schon  im 
dritten  Jahre  an  zu  tragen,  zeigen  auch  wohl   schon  eher 


Siebenzehntes  Buch.  271 

ihre  Frucht.  Die  Birne  ist  unter  ihnen  die  langsamste. 
Der  schnellste  unter  allen  ist  der  Cyprus  und  der  unechte 
Cyprus,  ein  Strauch,  denn  sie  blühen  sogleich  und  tragen 
Früchte.  Alle  aber  wachsen  schneller  in  die  Höhe,  wenn 
die  Schösslinge  entfernt  sind,  wodurch  die  Nahrung  in 
einen  Stamm  getrieben  wird. 

21. 

Die  Natur  hat  uns  auch  die  Fortpflanzung  durch 
Ableger  (Absenker)  gelehrt.  Die  durch  ihre  dünne  und 
bedeutende  Länge  gekrümmten  Brombeersträucher  befestigen 
nämlich  ihre  Spitzen  in  die  Erde,  wachsen  wiederum  aus 
sich  selbst  hervor,  und  würden,  wenn  man  sie  nicht  daran 
hinderte,  alles  überdecken,  —  was  uns  deutlich  beweiset, 
dass  die  Menschen  um  der  Erde  willen  geschaffen  sind. 
So  hat  die  schlimmste  und  verwünschteste  Sache  doch  die 
Ableger  und  Setzlinge  ^)  zu  machen  gelehrt.  Ebenso  ver- 
hält es  sich  auch  mit  dem  Epheu.  Cato  sagt,  ausser  dem 
Weinstocke  würden  auch  die  Feige,  der  Oelbaura,  die  Gra- 
naten, alle  Obstarten,  der  Lorbeer,  die  Pflaumen,  Myrten, 
die  avellanischen  und  pränestinischen  Nüsse  und  die  Pla- 
tane durch  Ableger  fortgepflanzt. 

Es  giebt  2  Arten  des  Absenkens;  die  eine  besteht  da- 
rin, dass  man  einen  Zweig  von  dem  Baume  herab  in  eine 
Grube  drückt,  welche  überall  4  Fuss  weit  ist,  ihn  nach  2 
Jahren  an  der  Biegung  abschneidet,  und  die  neue  Pflanze 
im  dritten  Jahre  versetzt.  Will  man  sie  weit  transportiren, 
so  ist  es  am  besten,  die  Zweige  gleich  in  die  Körbe  oder 
iidenen  Gefässe  zu  senken,  in  welchen  sie  fortgebracht 
werden  sollen.  Die  zweite  Art  ist  noch  fruchtbarer,  denn 
man  erzeugt  am  Baume  selbst  Wurzeln,  indem  man  die 
Zweige  durch  irdene  Gefässe  oder  Körbe  zieht,  und  sie 
rings  herum  mit  Erde  umgiebt.  Durch  diese  Behandlung 
erhält  man  zwischen  dem  Obste  und  den  Spitzen  Wurzeln 
(denn  man  nimmt  die  Operation  an  den   höchsten  Spitzen 


')  viviradix. 


272  Siebenzehntes  Buch. 

vor)  und  erzeugt  durch  kühnen  Scharfsinn  weit  von  der 
Erde  einen  anderen  Baum,  indem  man  nach  einem  Zeit- 
räume von  2  Jahren,  wie  oben,  den  Ableger  abschneidet 
und  mit  dem  denselben  umgebendem  Gefässe  pflanzt.  Der 
Sadebaum  wird  durch  Ableger  und  Abreisser  fortgepflanzt, 
und  soll  durch  Weinhefe  oder  zerstossene  Ziegelsteine  aus 
Wänden  ausserordentlich  genährt  werden.  Auf  gleiche 
Weise  pflanzt  man  den  Rosmarin  durch  Zweige  fort,  denn 
keiner  von  Beiden  trägt  Samen;  den  Oleander  aber  durch 
Ableger  und  Samen. 

22. 
Die  Natur  lehrte  uns  ferner,  durch  Samen  einen 
Baum  auf  den  andern  zu  versetzen.  Der  Samen 
nämlich,  welcher  von  hungrigen  Vögeln  verschluckt  ist, 
bleibt  ganz,  wird  durch  die  Wärme  ihres  Leibes  erweicht, 
durch  fruchtbaren  Mist  gedüngt  auf  die  weichen  Astachseln, 
und  oft  durch  Winde  in  etwaige  Risse  der  Rinde  gebracht. 
Wir  sehen  daher  Kirschen  auf  Weiden,  Platanen  auf  Lor- 
beereo,  den  Lorbeer  auf  dem  Kirschbaume,  also  auf  einem 
Baume  Beeren  von  verschiedener  Farbe.  Auch  die  Dohlen, 
welche  sich  Samen  in  Höhlungen  aufhäufen,  sollen  die  Ur- 
sache davon  sein 

23. 
Hieraus  ist  das  Versetzen  durch  Augen  i)  entstan- 
den. Mit  einem  dem  Schusterkneif  ähnlichen  Instrumente 
nimmt  man  nämlich  durch  Ablösen  der  Rinde  ein  Auge 
von  einem  Baume,  und  schiebt  ein  von  einem  anderen 
Baume  genommenes  unter  jene  Rinde.  Bei  den  Feigen 
und  Aepfeln  ist  diese  Operation  nichts  Neues  mehr.  Die 
Virgilianische  Methode  besteht  darin,  dass  man  eine  Ver- 
tiefung an  dem  Augenknoten  der  weggenommenen  Rinde 
sucht  und  die  Knospen  von  dem  anderen  Baume  dort 
einschliesst.  Soweit  von  dem,  was  uns  die  Natur  ge- 
lehrt hat. 


')  Inoculatio. 


Siebenzehntes  Buch.  273 

24. 

Das  Pfropfen^)  aber  leinte  der  Zufall,  ein  anderer 
und  fast  noch  häufigerer  Lehrmeister,  auf  folgende  Weise. 
Ein  Landmann,  der  seine  Hütte  mit  einem  dauerhaften 
Zaune  versehen  wollte,  legte  unter  die  Pfähle,  damit  sie 
weniger  faulten,  eine  Sehwelle  von  Epheuholz.  Jene  aber 
erhielten,  sobald  sie  in  die  Löcher  des  noch  lebenden  Holzes 
kamen,  von  dem  fremden  Leben  ein  eigenes,  und  es  schien, 
als  wenn  der  Balken  ihnen  statt  der  Erde  diente.  Man 
sägt  daher  den  Stamm  gerade  ab,  und  macht  die  Fläche  mit 
dem  Gartenmesser  gleich.  Hierauf  verfährt  man  auf  zweier- 
lei Weise.  Die  erste  besteht  darin,  das  Reis  zwischen  die 
Rinde  und  das  Holz  zu  setzen.  Die  Alten  fürchteten  sich 
den  Stamm  zu  spalten;  später  wurden  sie  so  dreist,  den- 
selben bis  auf  die  Mitte  zu  bearbeiten,  indem  sie  selbst 
ins  Mark  ein  Reis  setzten,  jedoch  nur  eins,  denn  das  Mark 
konnte  nicht  mehrere  fassen.  Eine  feiner  erdachte  Methode 
hat  die  Zahl  der  Reiser  sogar  auf  6  vermehrt,  um  ihrer 
Vergänglichkeit  durch  die  Zahl  zu  Hülfe  zu  kommen.  Man 
spaltet  nämlich  den  Stamm  behutsam  mitten  durch,  und 
hält  die  Spalte  durch  einen  dünnen  Keil  so  lange  offen, 
bis  man  das  spitz  zugeschnittene  Pfropfreis  2)  hinein  ge- 
steckt hat. 

Hierbei  ist  vieles  zu  beobachten,  und  vor  allen  Dingen, 
welcher  Baum,  und  wessen  Baumes  Reis  eine  solche  Be- 
gattung duldet.  Der.  Saft  ist  auch  verschieden,  und  nicht 
an  allen  Theilen  überall  gleich.  Bei  dem  Weinstocke  und 
dem  Feigenbaume  ist  der  mittlere  Theil  der  trocknere,  und 
die  Fruchtbarkeit  findet  sich  am  oberen  Theile,  daher  muss 
man  von  da  die  Reiser  nehmen.  Die  Oelbäume  haben  ihren 
Saft  in  der  Mitte;  deshalb  nimmt  man  auch  die  Reiser  von 
daher;  die  Spitzen  dagegen  sind  dürr.  Diejenigen  Reiser 
wachsen  am  leichtesten  zusammen,  deren  Rinde  gleicher 
Art  mit  der  des  Baumes  ist,  welche   zugleich   blühen,   zu 


')  Insitio. 
^)  calamus. 

Wittstein:  Plinius.     III.   Bd.  18 


274  Siebenzehntes  Buch. 

ein  und  derselben  Zeit  ausschlagen,  und  verwandte  Säfte 
haben.  Denn  es  geht  immer  langsam,  wenn  trockene  Rinde 
mit  feuchter,  weiche  mit  harter  zu  kämpfen  hat.  Ausser- 
dem ist  zu  beobachten,  dass  die  Spalte  nicht  bei  einem 
Knoten  gemacht  werde,  denn  die  Härte  desselben  stösst 
den  Ankömmling  ungastlich  von  sich;  ferner  dass  sie  sich 
am  besten  Theile  (des  Baumes)  befinde,  nicht  über  3  Finger 
breit  lang,  nicht  schief  oder  durchschimmernd  sei.  Virgil 
widerräth,  Reiser  von  der  Spitze  zu  pfropfen.  Es  ist  auch 
ausgemacht,  dass  man  die  Pfropfreiser  von  den  Baumästen, 
welche  gegen  Osten  gerichtet  sind,  sowie  von  tragbaren 
und  von  einem  jungen  Schusse  nehmen  muss,  wenn  sie 
nicht  auf  einen  alten  Baum  gepfropft  werden;  denn  für 
diese  müssen  sie  etwas  stärker  sein.  Ausserdem  sollen 
sie  strotzende,  d.  h.  ausschlagsnahe  Augen,  welche  in  dem- 
selben Jahre  schon  Früchte  gebracht  haben  würden,  ent- 
halten. Man  nimmt  in  der  Regel  2  zugleich,  und  nie  dünner 
als  der  kleine  Finger.  Sie  werden  auch  umgekehrt  ge- 
pfropft, und  zwar  deshalb,  damit  ihr  Wachsthum  mehr  in 
die  Breite  als  in  die  Höhe  gehen  soll.  Vor  allem  wird  es 
gut  sein,  dass  die  treibenden  Reiser  ein  nettes  Aeussere 
haben,  und  weder  wund  noch  dürr  sind.  Viel  Hoffnung^ 
des  Gelingens  giebt  das  Mark  des  Reises,  wenn  es  in  der 
Fuge  mit  dem  Holze  und  der  Rinde  des  Stammes  verbun- 
den wird;  denn  diessist  besser,  als  wenn  es  aussen  mit  der 
Rinde  in  Berührung  kommt.  Beim  Zuspitzen  des  Reises 
darf  man  sein  Mark  nicht  entblössen,  doch  muss  es  nur 
durch  eine  dünne  darum  liegende  Röhre  bedeckt  sein,  so 
dass  die  Zuspitzung  in  einen  schrägen,  nicht  mehr  als  3 
Finger  breit  langen  Kiel  ausläuft.  Man  erreicht  diess  am 
leichtesten,  wenn  man  das  Reis  ins  Wasser  tunkt  und  dann 
abschabt.  Es  darf  nicht  im  Winde  zugespitzt  werden,  auch 
darf  weder  bei  dem  einen  noch  bei  dem  andern  die  Rinde 
vom  Holze  abgehen.  Das  Reis  muss  bis  an  seine  Rinde 
eingesetzt,  dabei  nicht  verletzt,  noch  seine  Rinde  in  Runzeln 
geschoben  werden.  Daher  muss  man  keine  thränenden 
Reiser   und   ebensowenig   trockene  Reiser   pfropfen;    denn 


Siebenzehntes  Buch.  275 

dort  hängt  der  zu  vielen  Feuchtigkeit  wegen  die  Rinde 
locker,  hier  wird  dasselbe  aus  Maugel  an  Lebenssaft  nicht 
angefeuchtet,  und  kann  nicht  anwachsen.  Einige  setzen  es 
aus  Aberglauben  im  zunehmenden  Monde  und  drücken  es 
mit  beiden  Händen  ein.  Uebrigens  werden  bei  dieser  Ar- 
beit 2  Hände  weniger  angestrengt,  nur  ist  hier  der  ge- 
hörige Grad  von  Kraft  nöthig.  Senkt  man  sie  stärker  ein, 
so  tragen  sie  später  und  dauern  länger;  wo  nicht,  so  erfolgt 
das  Gegentheil.  Die  Spalte  muss  nicht  so  weit  offenstehen, 
und  das  Reis  weder  zu  schlaff  noch  zu  eng  fassen;  sie  kann 
es  aussprengen  oder  durch  Zusammendrücken  ersticken. 
Hierauf  muss  man  am  meisten  Acht  haben,  nämlich,  dass 
das  Reis,  wenn  es  vom  Stamme  kräftig  gefasst  wird,  in 
der  Mitte  der  Spalte  bleibe,  fiiüige  verbinden,  nachdem 
die  Spur  der  Spalte  mit  dem  Messer  gemacht  ist,  den  Rand 
selbst  mit  Weidenruthen,  und  setzen  dann  Keile  hinein: 
durch  das  Band  wird  dann  das  Aufreissen  der  Spalte  ver- 
hindert. Einige  Bäume,  welche  man  in  der  Pflanzschule 
gepfropft  hat,  werden  an  eben  demselben  Tage  versetzt. 
Soll  ein  dicker  Stamm  gepropft  werden,  so  geschieht  diess 
besser  zwischen  der  Rinde  und  dem  Holze,  und  zwar  mit 
einem  recht  harten  Keile,  damit  derselbe  nach  geöffneter 
Rinde  nicht  platze.  Die  Kirschbäume  werden  gespalten, 
nachdem  der  Bast  weggenommen  worden  ist;  sie  allein 
pfropft  man  nach  dem  kürzesten  Tage.  Nach  Hinwegnahme 
des  Bastes  bleibt  noch  ein  wolliger  Ueberzug;  kommt  dieser 
an  das  Pfropfreis,  so  wird  es  faul.  "Wird  das  Reis  unver- 
sehrt an  den  Keil  gebracht,  so  kann  man  es  dadurch  am 
besten  verbinden.  Es  ist  am  besten,  der  Erde  so  nahe  als 
möglich  zu  pfropfen,  wenn  es  anders  die  Beschaffenheit  des 
Stammes  und  der  Astknoten  erlaubt.  Die  Reiser  dürfen 
nicht  länger  als  6  Finger  hoch  hervorstehen. 

Cato  räth,  Thon  oder  Creta  mit  Sand  und  Kuhmist  zu 
vermischen,  den  Teig  so  lange  zu  kneten,  bis  er  zähe  wird, 
und  ihn  zwischen  die  Fugen  und  aussen  herum  zu  schmieren. 
Aus  seinen  Angaben  erhellet,  dass  man  zu  jener  Zeit  nicht 
anders  als  zwischen  Rinde  und  Holz  pfropfte,  und  das  Reis 

18* 


276  Siebenzehntes  Buch. 

nicht  tiefer  als  2  Finger  breit  einliess.  Nach  ihm  soll  man 
Birnen  und  Aepfel  den  Frühling  über,  50  Tage  nach  der 
Sonnenwende  und  nach  der  Weinlese,  Oel-  und  Feigenbäume 
aber  nur  im  Frühlinge,  wenn  der  Mond  durstig  d.  h.  trocken 
ist  ^),  ausserdem  nach  Mittag  und  wenn  kein  Südwind  wehet, 
pfropfen.  Man  muss  sieh  wundern,  dass  er  sich  nicht  damit 
begnügte,  das  Pfropfreis  auf  die  angegebene  Weise  zu  ver- 
wahren, und  durch  Käsen  und  zarte  gespaltene  Weideuruthen 
gegen  Regen  und  Kälte  zu  schützen;  nein,  er  befiehlt  sogar, 
man  solle  es  noch  mit  Ochsenzunge  (einer  Art  Kraut)  2) 
bedecken  und  dasselbe  mit  Stroh  belegt  darauf  binden. 
Jetzt  hält  man  es  für  mehr  als  hinreichend,  die  Rinde  mit 
einem  spreuhaltigen  Kitte  zu  verwahren,  so  dass  das  Reis 
2  Finger  breit  hervorragt.  Diejenigen,  welche  im  Frühjahre 
pfropfen,  müssen  sieh  beeilen,  weil  die  Knospen  bald  aus- 
brechen ,  ausgenommen  beim  Oelbaume ,  dessen  Augen 
äusserst  langsam  hervorkommen,  und  die  unter  der  Rinde 
äusserst  wenig  Saft  haben,  denn  eine  zu  grosse  Menge  von 
letzterem  schadet  den  Reisern.  Bei  der  Granate  und  Feige 
aber  darf  man,  obgleich  sie  sonst  trocken  sind,  nicht  säumig 
sein.  Ein  Reis  vom  Birnbäume  kann  man  sogar,  wenn  es 
blühet,  pfropfen,  und  die  Versetzung  selbst  bis  in  den  Mai 
hinausschieben.  Werden  die  Reiser  von  Obstbäumen  weit 
hergebracht,  so  hält  man,  zur  Bewahrung  ihres  Saftes,  es 
für  das  Beste,  sie  in  eine  Rübe  zu  stecken;  man  kann  sie 
auch  zwischen  2  Hohlziegeln,  die  von  beiden  Seiten  mit 
Erde  verstopft  sind,  neben  Bächen  oder  Fischteichen  auf- 
bewahren. Die  Reiser  vom  Weinstock  verwahrt  man  in 
trocknen  Gruben,  welche  mit  Stroh  bedeckt  und  dann  so 
weit  mit  Erde  überworfen  werden,  dass  sie  nur  mit  der 
Spitze  hervorragen. 

25. 
Cato   pfropft   den  Weinstock   auf  dreierlei   Weise. 
Die    erste    Methode    besteht    darin,    den    abgeschnittenen 


>)  D.  i.  im  Neumonde.    ^)  S.  XXV.  B.  40.  Cap. 


Siebenzehntes  Buch.  277 

Stamm  durch  das  Mark  hindurch  zu  spalten,  in  dieses  die 
(auf  die  bereits  angegebene  Weise)  zugespitzten  Reiser  zu 
stecken,  und  so  Mark  mit  Mark  zu  vereinigen.  Die  zweite 
wird  angewandt,  wenn  die  Weinstöcke  einander  berühren; 
man  soll  nämlich  die  entgegengesetzten  Seiten  beider  schräg 
abschaben,  Mark  an  Mark  bringen,  und  sie  so  zusammen- 
binden. Nach  der  dritten  soll  mau  den  Stamm  schräg  bis 
aufs  Mark  anbohren,  ein  2  Fuss  langes  Reis  einstecken^ 
verbinden,  und,  wenn  dasselbe  gerade  in  die  Höhe  gerichtet 
ist,  aiit  durchkneteter  Erde  bestreichen.  In  unserer  Zeit 
ist  diese  Methode  verbessert  worden,  man  bedient  sich 
nämlich  eines  gallischen  Bohrers,  welcher  das  Holz  aushöhlt 
und  nicht  erhitzt,  denn  alle  Erhitzung  schwächt.  Auch 
muss  man  ein  Reis  nehmen,  was  schon  anfängt  auszu- 
schlagen; dasselbe  muss  von  der  Stelle  an,  wo  es  hervor- 
steht, nicht  mehr  als  2  Augen  haben,  mit  Ulmenruthen 
festgebunden  und  von  2  Seiten  in  eine  doppelte  Spitze  zu- 
schärft werden,  damit  der  Schleim,  welcher  den  Weinstöcken 
sehr  schadet,  besser  abtröpfele.  Wenn  nun  die  Reben- 
schösslinge  2  Fuss  hoch  geworden  sind,  muss  mau  den 
Verband  einschneiden,  damit  auch  das  Wachsthum  in  die 
Dicke  stattfinden  kann.  Die  Zeit  zum  Pfropfen  der  Wein- 
stöcke hat  man  vom  Herbstäquinoctium  bis  zum  Anfange  des 
Ausschiagens  festgesetzt.  Zahme  Pflanzen  werden  auf 
Wurzeln  von  wilden,  welche  von  Natur  trockener  sind,  ge- 
pfropft. Pfropft  man  zahme  auf  wilde,  so  arten  sie  in  wilde 
aus.  Das  Uebrige  wird  durch  die  Witterung  bedingt. 
Trocknes  Wetter  eignet  sich  für  die  Reiser  am  besten;  zu 
ihrer  Erholung  setzt  man  neben  sie  irdene  Gefässe,  aus 
welchen  durch  Asche  etwas  Feuchtigkeit  tröpfelt.  Inocu- 
lirte  Gewächse  gedeihen  gut  bei  massigem  Thau. 

26. 
Die  Methode,  ein  Rindenpflaster i)  einzulegen,  scheint 
aus  der  Inoculation  entstanden  zu  sein.   Sie  ist  am  anwend- 
barsten bei   einer  dicken   Rinde,   dergleichen    der   Feigen- 


•)  Emplastrum. 


278  Siebenzehntes  Buch. 

bäum  hat.  Mau  schneidet  nämlich  alle  Aeste  ab,  damit 
diese  den  Saft  nicht  an  sich  ziehen,  nimmt  an  der  besten 
Stelle,  da  wo  der  Baum  am  gesundesten  aussieht,  eine 
4  eckige  Scheibe  aus  der  Rinde  (doch  so,  dass  das  Messer 
nicht  tiefer  geht),  drückt  in  die  Stelle  ein  gleiches  Stück 
Rinde  von  einem  andern  Baume,  woran  eine  schwellende 
Knospe  ist,  und  verdichtet  die  Fuge  so,  dass  keine  Ritze 
übrig  bleibt,  alles  gleich  gemacht  ist,  und  weder  Nässe 
noch  Wind  hinzutreten  können.  Besser  aber,  man  verstreicht 
noch  mit  Lehm  und  umbindet  das  Ganze.  Leute,  welche 
den  Neuerungen  mehr  huldigen,  sagen,  diese  Methode  sei 
erst  vor  Kurzem  erfunden;  allein  man  findet  sie  schon  bei 
den  alten  Griechen  und  bei  Cato,  welcher  den  Oel-  und 
Feigenbaum  so  zu  pfropfen  lehrt,  und  dabei,  seiner  gewöhn- 
lichen Sorgfalt  gemäss,  sogar  das  Maass  vorschreibt.  Man 
soll  nämlich  mit  einem  Messer  ein  4  Finger  breit  langes 
und  3  Finger  breites  Stück  ausschneiden,  wie  oben  gesagt 
einfügen,  und  mit  gekneteter  Erde  überstreichen.  Eben  so 
soll  mau  beim  Apfelbaume  verfahren. 

Manche  haben  die  Spalte  an  den  Weinstöcken  mit 
dieser  Art  vermischt,  weil  man  zuvor  ein  4  eckiges  Stück 
Rinde  hinwegnimmt,  wenn  ein  Reis  an  der  flachen  Seite 
angebracht  werden  soll.  Ich  habe  bei  den  tullianischen 
Tiburten  einen  auf  so  vielerlei  Weise  gepfropften  Baum  ge- 
sehen, der  mit  allen  Arten  von  Obst  behangen  war,  an 
einem  Aste  waren  nämlich  Nüsse,  an  einem  andern  Beeren, 
da  Weintrauben,  dort  Feigen,  Birnen,  Granaten  und  andere 
Arten  von  Aepfeln;  er  lebte  aber  nicht  lange.  Durch  unsere 
Experimente  können  wir  jedoch  der  Natur  nicht  in  jeder 
Beziehung  gleich  kommen;  einige  Bäume  nämlich  gedeihen 
nicht  anders  als  von  selbst,  und  kommen  nur  an  unge- 
baueten  und  wüsten  Orten  vor.  Auf  die  Platane  soll  man 
am  leichtesten  pfropfen  können,  dann  folgt  die  gemeine 
Eiche,  allein  beide  verderben  den  Geschmack  (der  Früchte). 
Auf  einige,  wie  z.  B.  die  Feige  und  Granate,  kann  man 
alles  pfropfen.  Der  Weiustoek,  ferner  solche  Bäume,  welche 
eine  dünne,   hinfällige   oder   rissige  Rinde   haben,   nehmen 


Siebenzehntes  Buch.  279 

das  Rindenpflaster  nicht  an.  Zur  Inoculation  eignen  sieh 
keine  trockene,  oder  wenig  Feuchtigkeit  enthaltende  Bäume. 
Die  Inoculation  ist  unter  allen  Methoden  die  fruchtbarste, 
dann  folgt  das  Emplastriren;  beide  aber  sind  am  unzuver- 
lässigsten, denn  wenn  die  Rinde  dünn  ist  oder  die  Luft 
stark  wehet,  geht  das  Auge  zu  Grunde.  Am  sichersten 
ist  das  Pfropfen,  und  es  zeigt  sich  fruchtbarer  als  das 
Säen. 

Ein  Beispiel  darf  ich  der  Seltenheit  wegen  nicht  über- 
gehen. Corellius,  ein  römischer  Ritter  aus  Ateste,  pfropfte 
im  Neapolitanischen  Gebiete  eine  Kastanie  mit  ihrem  eigenen 
Reise.  Daraus  ward  eine  der  besten  Arten  von  Kastanien, 
welche  nun  nach  ihm  den  Namen  erhielt.  Später  pfropfte 
der  Freigelassene  Eterejus  wiederum  die  corellianische. 
Zwischen  beiden  findet  nun  der  Unterschied  statt,  dass 
jene  mehr,  die  eterejanische  dagegen  bessere  Früchte  trägt. 

27. 

Auch  auf  die  übrigen  Arten  der  Vermehrung  undVeredlung 
verhalf  der  Zufall,  denn  als  man  sah,  dass  eingeschlagene 
Pfähle  Wurzeln  treiben,  fing  man  auch  an,  abgebrochene 
Zweige  zu  pflanzen.  Auf  diese  Weise  pflanzt  man  viele 
Bäume,  und  besonders  den  Feigenbaum,  der  auf  jede  Art, 
nur  nicht  durch  einen  Schnittling  gezogen  werden  kann; 
am  besten  kommt  er  fort,  wenn  ein  starker  Zweig,  wie  ein 
Pfahl  zugespitzt,  tief  in  die  Erde  gesetzt  wird,  so  dass  nur 
ein  kurzer  Theil  über  der  Erde  bleibt,  den  man  gleichfalls 
mit  Sand  bedeckt.  Auch  vom  Granatbaum  werden  Zweige 
gepflanzt,  nachdem  man  zuvor  ein  Loch  mit  einem  Pfahle 
gemacht  hat;  ebenso  die  Myrte.  Alle  diese  Aeste  müssen 
S  Fuss  lang,  fast  wie  ein  Arm  dick  sein,  die  Rinde  muss 
sorgfältig  in  Acht  genommen  und  das  Stämmchen  selbst 
zugespitzt  werden. 

•   28. 

Die  Myrte  wird  auch  durch  Schnittlinge  fortgepflanzt; 
der  Maulbeerbaum  nur  durch  diese,  weil  die  Furcht  vor 
dem  Blitze  ihn  auf  die  Ulme  zu  pfropfen  hindert.  Wir 
müssen  daher  jetzt  von  dem  Pflanzen  der  Schnittlinge  reden. 


280  Siebenzehntes  Buch. 

Dabei  ist  vor  allem  zu  beobachten,  dass  man  die  Schnitt- 
linge  von  tragbaren  Bäumen  nehme,  dass  sie  weder  krumm, 
noch  gabelig,  noch  ästig  seien,  ferner  nicht  dünner,  als  die 
Hand  zu  füllen,  nicht  kürzer  als  einen  Fuss,  dass  die  Rinde 
nicht  verletzt  sei,  dass  allemal  der  untere  Schnitt,  und  was 
der  Wurzel  nahe  ist,  gesetzt  werde,  und  dass  man  die 
Knospen  so  lange  mit  Erde  überdecke,  bis  die  Pflanze 
kräftig  zu  werden  anfängt. 

29. 
Was  Cato  in  Betreff  der  Cultur  der  Oelbäume  vor- 
schreibt, können  wir  am  besten  mit  seinen  eigenen  Worten 
wiedergeben.  Die  Schnittliuge  der  Oelbäume,  welche  in 
eine  Grube  gepflanzt  werden  sollen,  nehme  man  3  Fuss 
lang,  und  verfahre  beim  Abhauen  oder  Abschneiden  mit 
Vorsicht,  damit  die  Rinde  nicht  beschädigt  wird.  Die  für 
die  Pflanzschule  bestimmten  mache  man  1  Fuss  lang  und 
setze  sie  folgendermaassen  ein:  Der  Platz  muss  umgegraben 
und  wohl  aufgelockert  sein.  Wird  der  Schnittling  einge- 
setzt, so  trete  man  ihn  mit  dem  Fusse  ein;  geht  er  nicht 
gut  hinein,  so  treibe  man  ihn  mit  dem  Hammer  oder  dem 
Schlägel  ein,  aber  hüte  sich,  dass  man  dabei  den  Bast  nicht 
spaltet.  Macht  man  zuvor  mit  einem  Pfahle  ein  Loch  zum 
Einsetzen  des  Schnittlings,  so  wird  er  besser  angehen.  Sind 
die  Pflanzen  nun  3  Jahre  alt,  so  muss  man  darauf  Acht 
haben,  wohin  sich  der  Bast  wendet  i).  Pflanzt  man  in 
Gräben  oder  Furchen,  so  stecke  man  jedes  Mal  3  Schnitt- 
linge,  und  decke  soviel  Erde  darüber,  dass  sie  nicht  mehr 
als  4  Finger  breit  herausstehen,  und  die  Knospe  oder  das 
Auge  verwahrt  sei.  Den  Oelbaum  muss  man  behutsam 
ausgraben,  und  an  den  Wurzeln  muss  so  viel  Erde  wie 
möglich  hängen  bleiben.  Die  Wurzeln  bedecke  man  gut 
und  trete  die  Erde  rund  herum  fest,  damit  sie  keinen 
Schaderi  leiden. 


')  D.  h.  nach  welcher  Himmelsgegend  er  gerichtet  ist,  damit  das 
Stämmchen  beim  Versetzen  wieder  dieselbe  Stellung  bekommt. 


Siebenzehntes  Buch.  281 

30. 

Auf  die  Frage,  welches  die  rechte  Zeit  zum  Pflanzen 
sei,  antworte  ich:  auf  trocknen  Acker  während  der  Säezeit, 
auf  fruchtbaren  im  Frühlinge.  Einen  Oelgarten  fange  man 
15  Tage  vor  dem  Frtihlingsäquinoctium  an  zu  beschneiden, 
und  von  dieser  Zeit  an  kann  es  40  Tage  lang  geschehen. 
Das  Beschneiden  selbst  wird  auf  folgende  Art  ausgeführt. 
An  recht  fruchtbaren  Plätzen  nehme  man  alles  was  trocken 
ist  und  was  der  Wind  zerbrochen  hat,  weg;  an  unfrucht- 
baren schneide  man  mehr  weg,  und  mache  durch  Pflügen 
und  Ausschneiden  der  Knoten  die  Stämme  leicht.  Um  die  Oel- 
bäume  mache  man  Gruben  und  umgebe  sie  mit  Mist.  Wer 
seinen  Oelgarten  häufig  und  tief  umarbeitet,  wird  die  zar- 
testen Wurzeln  herauspflügen.  Kommen  die  Wurzeln  in 
die  Höhe,  so  werden  sie  dicker,  denn  dann  gehen  die  Kräfte 
des  Oelbaumes  in  die  Wurzeln  über. 

Welches  die  verschiedenen  Arten  des  Oelbaumes  sind, 
in  was  für  einer  Erde  sie  leben  und  gepflanzt  werden,  und 
welche  Lage  die  Oelgarten  haben  müssen,  haben  wir  be- 
reits bei  der  Beschreibung  des  Oelbaumes  augegeben. 
Mago  sagt,  man  solle  sie  auf  Hügeln,  trocknem  Boden  und 
Thon  zwischen  dem  Herbste  und  Winter,  in  dichter,  nasser 
oder  etwas  feuchter  aber  von  der  Erndtezeit  an  bis  zum 
Winter  pflanzen.  Es  ist  augenscheinlich,  dass  er  diese 
Vorschriften  nur  in  Bezug  auf  Afrika  gegeben  hat.  In 
Italien  pflanzt  man  sie  jetzt  meistens  im  Frühjahre.  Will 
man  es  aber  im  Herbste  thun,  so  geschehe  es  40  Tage 
nach  dem  Aequinoctium  bis  zum  Untergange  des  Sieben- 
gestirns. Bloss  4  Tage  giebt  es,  welche  dem  Anpflanzen 
schädlich  sind.  Nur  in  Afrika  pfropft  man  den  zahmen 
Oelbaum  auf  den  wilden.  Sie  behalten  bei  ihrem  Altwerden 
doch  eine  gewisse  Unvergänglichkeit,  denn  zur  nächsten 
Fortpflanzung  schiesst  aus  ihnen  ein  Zweig  hervor,  ein 
anderer,  junger  Baum  erhebt  sich  aus  ihm,  und  diess  ge- 
schieht jedesmal  so  oft  es  nöthig  ist,  so  dass  ein  und  der- 
selbe Baum  Jahrhunderte  lang  besteht.  Man  pfropft  einen 
wilden  Oelbaum  durch  ein  Reis  oder  durch  Inoculation. 


282  Siebenzehntes  Buch. 

Ein  Oelbaum  darf  nicht  dahin  gesetzt  werden,  wo  eine 
Eiche  ausgegraben  ist,  denn  in  der  Eichenwurzel  entsteht 
eine  Art  Würmer,  welche  Raucä  heissen  und  in  den  neuen 
Baum  übergehen.  Man  hat  es  für  besser  befunden,  die 
Schnittlinge  nicht  in  die  Erde  zu  scharren  oder  zu  trocknen, 
bevor  sie  gepflanzt  werden.  Ferner  hat  es  sich  vortheil- 
haft  bewiesen,  einen  alten  Oelgarten  vom  Frühlingsäqui- 
noctium  an  während  dem  Aufgange  des  Siebengestirns  ein 
Jahr  um  das  andere  umzuackern,  Moos  um  die  Wurzeln 
zu  legen,  um  diese  aber  alle  Jahr  vom  Solstitium  an  einen 
2  Cubitus  breiten  und  1  Fuss  tiefen  Graben  zu  machen,  und 
im  3.  Jahre  zu  düngen. 

Mago  räth,  die  Mandelbäume  vom  Untergange  des  Arc- 
turus  an  bis  zum  kürzesten  Tage,  alle  Birnen  aber  nicht 
zu  ein  und  derselben  Zeit  zu  pflanzen,  weil  sie  nicht  zu 
gleicher  Zeit  blühen,  die  länglichen  und  runden  vom  Unter- 
gange des  Siebengestirns  an  bis  zum  kürzesten  Tage,  die 
übrigen,  gegen  Norden  und  Osten  hin  stehenden,  mitten  im 
Winter  nach  dem  Untergange  des  Schützen;  den  Lorbeer 
vom  Untergange  des  Adlers  an  bis  zum  Untergange  des 
Schützen.  Die  Pflanzzeit  beruhet  nämlich  gleichfalls  auf 
Gründen.  Man  hat  geglaubt,  das  Pflanzen  müsse  vorzüg- 
lich im  Frühjahre  und  Herbste  geschehen;  es  giebt  aber 
noch  eine  andere,  in  den  Aufgang  des  Hundssterns  fallende 
(günstige)  Zeit,  die  nur  Wenigen  bekannt  ist,  weil  man  sie 
nicht  an  allen  Orten  gleich  nützlich  befunden  hat,  und  die 
wir  nicht  übergehen  dürfen,  weil  wir  nicht  von  der  Be- 
schaffenheit einer  einzelnen  Gegend,  sondern  der  ganzen 
Natur  handeln.  In  der  cyrenaischen  Provinz  und  in  Griechen- 
land pflanzt  man  nämlich  beim  Wehen  der  Passatwinde, 
in  Laconien  namentlich  den  Oelbaum  und  auf  der  Insel 
Cos  auch  die  Weinstöcke.  Die  übrigen  Griechen  tragen 
kein  Bedenken,  zu  inoculiren  und  zu  pfropfen,  allein  Bäume 
pflanzen  sie  nicht.  Hierbei  hängt  von  der  Beschaffenheit 
des  Ortes  das  Meiste  ab;  denn  in  Aegypten  und  wo  im 
Sommer  kein  Regen   fällt,    wie   in  Indien   und  Aethiopien 


Siebenzehntes  Buch.  283 

säet  man  alte  Monate.  Nächstdem  werden  die  Bäume 
nothwendigerweise  im  Herbste  gepflanzt. 

Drei  Zeiten  sind  sich  also  hinsichtlich  des  Ausschiagens 
gleich :  der  Frühling,  der  Aufgang  des  Hundssterns  und  der 
Aufgang  des  Arcturus;  denn  nicht  allein  die  Thiere  haben 
eine  Begierde  sich  zu  begatten,  sondern  diese  ist  in  der 
Erde  und  in  allen  Pflanzen  noch  viel  stärker,  und  sie  recht- 
zeitig zu  benutzen,  trägt  sehr  viel  zur  Fruchtbarkeit  bei. 
Oanz  besonders  gewahrt  mau  sie  bei  den  Pfropfreisern,  wo 
sich  von  beiden  Seiten  ein  Streben  zur  Vereinigung  zeigt. 
Diejenigen,  welche  den  Frühling  vorziehen,  fangen  gleich 
vom  Aequinoctium  an,  denn  sie  sagen,  jetzt  trieben  die 
Pflanzen  Knospen,  und  daher  fasse  die  Rinde  alles  leicht. 
Welche  den  Herbst  vorziehen,  beginnen  gleich  nach  dem 
Aufgange  des  Arcturus,  weil  dann  die  Reiser  gleich  einige 
Wurzeln  schlügen,  also  zubereitet  in  den  Frühling  kämen, 
und  das  Ausschlagen  ihnen  nicht  sobald  die  Kräfte  raube. 
Doch  haben  einige  Bäume  tiberall  eine  bestimmte  Jahres- 
zeit, in  der  sie  gepflanzt  oder  gepfropft  werden,  wie  z.  B. 
die  Kirschen  und  Mandeln  um  den  kürzesten  Tag.  Bei 
vielen  wird  die  Lage  der  Gegend  die  beste  Entscheidung 
abgeben;  denn  solche  Gegenden,  welche  kalt  und  feucht 
liegen,  muss  man  im  Frühlinge,  dagegen  trockne  und  warme 
im  Herbste  bepflanzen. 

In  Italien  theilt  man  allgemein  die  Zeiten  zum  Pflanzen 
etc.  auf  folgende  Weise  ein:  den  Maulbeerbaum  pflanzt  man 
vom  13.  Februar  bis  zum  Aequinoctium;  die  Birne  im  Herbste, 
und  zwar  nicht  weniger  als  15  Tage  vor  dem  kürzesten; 
die  Sommeräpfel,  Quitten,  Speierlinge  und  Pflaumen  nach 
der  Glitte  des  Winters  bis  zum  13.  Februar;  das  Johannis- 
brot und  die  Pfirsiche  den  Herbst  über  vor  dem  kürzesten 
Tage;  die  Nussarten,  als  die  welschen,  Pinien-,  Hasel-  und 
griechischen  Nüsse  und  die  Castanien  vom  1.  bis  15.  März; 
die  Weide,  den  Ginster  um  den  ersten  März,  und  dieser 
wird,  wie  wir  bereits  gesagt  haben,  aus  Samen  an  trock- 
nen Orten,  jene  aus  Stecklingen  an  feuchten  Orten  ge- 
zogen. 


284  Siebenzehntes  Buch. 

Um  nun  wissentlich  nichts  von  dem,  'was  ich  ge- 
funden habe,  zu  tibergehen,  so  führe  ich  noch  eine  neue 
Art  zu  pfropfen  an,  welche  Columella  nach  seiner  eignen 
Versicherung  erfunden  hat,  und  durch  welche  Bäume  von 
verschiedener  und  widerstrebender  Natur,  wie  Feigen-  und 
Oelbäume,  miteinander  verbunden  werden.  Man  soll  näm- 
lich neben  einen  Oelbaum  einen  Feigenbaum  pflanzen,  je- 
doch nicht  weiter  davon  entfernt,  als  der  Oelzweig  welcher 
sehr  biegsam  ist  und  nachfolgt,  jenen  erreichen  kann  und 
ihn  die  ganze  Zeit  hindurch  durch  Krümmen  zu  gewöhnen 
suchen.  Nachdem  nun  der  Feigenbaum  gehörige  Kräfte 
gesammelt  hat  (was  im  3.  oder  spätestens  im  5.  Jahre  ein- 
einzutreten pflegt),  so  nimmt  man  seine  Krone  hinweg, 
schabt  auf  die  schon  angezeigte  Weise  die  Fläche  glatt, 
befestigt  jenen  Ast  in  den  Stamm  des  Feigenbaumes,  und 
bindet  ihn  fest,  damit  er  der  Krümmung  wegen  nicht  wie- 
der herausschnellt.  So  muss  er,  als  ein  Mittelding  zwischen 
Senker  und  Propfreis,  3  Jahre  lang  zwischen  den  beiden 
Mutterstämmen  wachsen.  Im  4.  Jahre  schneidet  man  ihn 
ab,  und  nun  gehört  er  ganz  der  neuen  Mutter.  Diese  Me- 
thode ist,  so  viel  ich  wenigstens  weiss,  noch  nicht  allgemein 
verbreitet. 

31. 

Ausserdem  hat  jene  bereits  oben  angeführte  Berück- 
sichtigung in  Bezug  auf  warmen  und  kalten,  feuchten  und 
trocknen  Standort  uns  auch  gelehrt.  Pflanzgruben  anzu- 
legen. An  wässrigen  Orten  wird  man  wohl  thun,  sie  weder 
tief  noch  weit  zu  machen;  anders  ist  es  auf  warmem  und 
trocknem  Boden,  damit  sie  eher  das  Wasser  anziehen  und 
behalten  können.  Auf  diese  Weise  pflegt  man  auch  alte 
Bäume;  denn  an  heissen  Stellen  behäufelt  und  bedeckt  man 
Wurzeln,  damit  sie  die  Sonnenhitze  nicht  verbrennt.  Anders- 
wo zieht  man  Gräben  um  sie,  damit  die  Luft  Zutritt  hat, 
und  schützt  sie  im  Winter  durch  Behäufeln  vor  der  Kälte. 
Jene  dagegen  decken  im  Winter  die  Erde  von  ihnen  auf, 
und  suchen  ihnen,  wenn  sie  trocken  sind,  Feuchtigkeit  zu 
verschaffen.    Das  Aufgraben  der  Erde    unter   den  Bäumen 


Siebenzehntes  Buch.  285 

geschieht  überall  3  Fuss  im  Kreise  herum,  jedoch  nicht 
auf  Wiesen,  weil  die  Wurzeln  aus  Neigung  zum  Sonnen- 
scheine und  zur  Feuchtigkeit  oben  unter  der  Erdlläche 
hinkriechen. 

So  viel  von  den  Bäumen,  die  der  Früchte  wegen  ge- 
pflanzt und  gepfropft  werden  müssen. 

32. 

Jetzt  sind  noch  diejenigen  Bäume  übrig,  welche  mau 
um  anderer  Willen  und  besonders  wegen  der  Weinberge 
bauet,  und  deren  Holz  deshalb  gefällt  wird.  Unter  ihnen 
behaupten  die  Weiden  den  ersten  Platz;  man  pflanzt  sie 
an  feuchte  Orte,  die  man  aber  2^/2  Fuss  tief  aufgräbt,  und 
nimmt  dazu  1^2  Fuss  lange  Schnittliuge  oder  Stämme,  welche 
je  voller,  desto  besser  sind.  Sie  müssen  6  Fuss  weit  von 
einander  stehen.  Wenn  sie  3  Jahre  alt  sind,  werden  sie 
2  Fuss  von  der  Erde  durch  Beschneiden  gezwungen,  sich 
in  die  Breite  auszudehnen,  um  sie  ohne  Leiter  schneiden 
zu  können.  Die  Weide  ist  nämlich  um  so  fruchtbarer,  je 
näher  sie  der  Erde  steht.  Man  schreibt  auch  vor,  sie  all- 
jährlich im  Monat  April  umzugraben.  Diess  ist  die  Wartung 
der  Ruthenweiden.  Die  Stangenweiden  werden  als  Zweig 
oder  Schnittling  in  dieselbe  Grube  gepflanzt.  Das  vierte 
Jahr  ist  die  rechte  Zeit,  Stangen  aus  ihr  zu  hauen.  Sie 
ersetzen  aber  die  Stelle  der  altern  durch  neue  Schüsse, 
wenn  man  eine  Stange  hineinsteckt  und  nach  einem  Jahre 
abschneidet.  Ein  Morgen  Ruthenweiden  reicht  für  25  Morgen 
Weinland  hin.  Aus  gleicher  Ursache  wird  auch  die  weisse 
Pappel  gepflanzt;  man  gräbt  zu  diesem  Behuf  2  Fuss  tief, 
steckt  11  2  Fuss  lange  Schnittlinge,  die  2  Tage  lang  ge- 
trocknet sind,  in  einem  Abstände  von  1^4  Fuss  ein,  und 
wirft  2  Ellen  hoch  Erde  darüber. 

33. 

Das  Rohr  liebt  einen  noch  lockerern  (nassern)  Boden  als 
jene.  Man  pflanzt  dessen  Wurzelzwiebeln,  welche  Einige 
Augen  nennen,  in  spannegrosse  Löcher  2V>  Fuss  weit  von 
einander.  Es  wächst,  wenn  das  alte  Rohr  ausgerissen  ist, 
von  selbst  wieder,   und  diess  hat  sich   besser  bewährt,  als 


286  Siebenzehntes  Buch. 

das  früher  hier  befolgte  Abschneiden,  denn  in  letzterem 
Falle  schlingen  sich  die  Wurzeln  in  einander,  und  werden 
dadurch  erstickt.  Die  Zeit,  dasselbe  zu  pflanzen  ist,  bevor 
die  Augen  gross  werden  d.  i.  vor  dem  ersten  März,  Es 
wächst  bis  in  den  Winter,  und  hört  auf,  wenn  es  anfängt 
zu  erhärten.  Dieses  ist  der  rechte  Zeitpunkt,  dasselbe  zu 
schneiden,  und  es  geschieht  so  oft  man  glaubt  den  Wein- 
berg umgraben  zu  müssen.  Das  Rohr  wird  auch  schräg 
in  die  Quere  gepflanzt,  und  nicht  tief  gelegt;  aus  jedem 
Auge  bricht  eine  eigene  Pflanze  hervor.  Man  pflanzt  ferner 
abgebrochenes  Rohr  in  fussgrosse  Furchen,  so  dass  2  Augen 
mit  Erde  bedeckt  werden,  und  der  3.  Knoten  die  Erde  nur 
berührt;  die  Spitze  wird  gebogen,  damit  sie  keinen  Thau 
annimmt.  Man  schneidet  es  bei  abnehmendem  Monde.  Für 
Weinberge  ist  das,  was  ein  Jahr  getrocknet  hat,  besser  als 
das  grüne. 

34. 
Die  Kastanie  wird  zu  Pfählen  allen  andern  Holzarten 
vorgezogen,  weil  sie  sich  leicht  behandeln  lässt,  sehr  dauer- 
haft ist,  und  der  Stamm,  nachdem  er  abgehauen,  im  Wie- 
derausschlagen die  Weide  noch  übertrifft.  Sie  verlangt 
einen  leichten,  aber  nicht  trocken  sandigen,  sondern  beson- 
ders einen  feuchten  sandigen,  oder  schwärzlichen  sowie 
toffigen  Boden,  wenn  er  auch  noch  so  schattig,  nördlich, 
kalt  oder  abschüssig  liegt.  Dahingegen  gedeihet  sie  nicht 
auf  Kies,  Röthel,  Greta  oder  sonst  irgend  einem  frucht- 
baren Boden.  Wir  haben  bereits  gesagt,  dass  sie  durch 
die  Nüsse  fortgepflanzt  wird,  aber  nur  die  grössten  sind 
keimungsfähig,  und  auch  nur  dann,  wenn  ihrer  5  zusammen- 
gelegt werden.  Die  darüber  befindliche  Erde  muss  vom 
Monat  November  bis  in  den  Februar  durchbrochen  werden; 
sie  fallen  um  diese  Zeit  vom  Baume  und  wachsen,  wenn 
sie  dann  in. die  lockere  Erde  kommen,  hervor.  Sie  müssen 
1  Fuss  weit  von  einander  entfernt,  und  in  einer  allenthalben 
Spannengrossen  Furche  stehen.  Aus  dieser  Pflanzschule 
werden  sie  nach  mehr  als  2  Jahren  in  einen  andern  Boden 
gesetzt,  und  zwar  je  2  Fuss  weit  von  einander.  Kein  Baum 


Siebenzehntes  Bucli.  287 

bekommt  leichter  Wurzelschösslinge.  Wenn  man  die  Wurzel 
entblösst,  und  ihn  ganz  in  einen  Graben  hinstreckt,  so 
wächst  er  aus  der  über  der  Erde  gelassenen  Spitze  wieder 
hervor,  und  aus  der  Wurzel  entsteht  noch  ein  anderer 
Baum.  Versetzt  man  ihn  aber,  so  gewöhnt  er  sich  nicht 
leicht  an  den  neuen  Platz,  scheuet  die  neue  Veränderung 
und  schiesst  erst  fast  zwei  Jahre  danach  in  die  Höhe.  Da- 
her bauet  man  in  die  zu  behauenden  Pflanzschulen  lieber 
Nüsse,  als  Wurzelreiser.  Er  braucht  keine  andere  Wartung, 
als  dass  man  ihn  2  Jahre  lang  umgräbt  und  unten  be- 
schneidet; hernach  zieht  er  sich  selbst  und  tödtet  durch 
seinen  Schatten  die  überflüssigen  Schösslinge.  Im  7.  Jahre 
wird  er  gehauen.  Sein  Pfahlholz  von  1  Morgen  reicht  für 
20  Morgen  Weinland  hin,  wenn  auch  die  Pfähle  aus  2 mal 
gespaltenen  Stämmen  gemacht  werden,  und  dauert  länger 
als  zum  Wiedereintritt  der  folgenden  Hauungszeit. 

Die  Speiseiche  gedeihet  unter  ähnlichen  Umständen, 
wird  3  Jahre  später  gehauen,  wächst  aber  weniger  langsam. 
Sie  kann  in  jedes  Erdreich  gesetzt  werden,  wächst  aus  der 
Eichel,  jedoch  nur  aus  der  ihrigen,  in  spannenweiten  und 
zwei  Fuss  von  einander  entfernten  Gruben.  Man  pflanzt 
sie  viermal  im  Jahre  dünn  aus.  Ausserdem  lassen  sich 
auch  noch  andere  Bäume,  welche  wir  bereits  angeführt 
haben,  nämlich  die  Esche,  der  Lorbeer,  der  Pfirsich,  die 
Haselnuss,  der  Apfelbaum  behauen,  allein  sie  wachsen  zu 
langsam,  ertragen  kaum  die  Erde,  in  welche  sie  gesetzt 
sind,  und  ebenso  wenig  die  Feuchtigkeit.  Der  Hollunder 
hingegen  ist  sehr  dauerhaft  zu  Pfählen,  und  wird  wie  die 
Pappel  aus  Schnittlingen  gezogen.  Von  der  Cypresse  haben 
wir  schon  ausführlich  geredet. 

35. 

Nachdem  wir  im  Vorigen  gleichsam  die  Hülfs-Materia- 
lien  für  die  Weinberge  genannt  haben,  bleibt  uns  noch 
die  Beschaffenheit  der  letztern  und  die  auf  sie  zu 
verwendende  Sorgfalt  näher  zu  betrachten  übrig. 

An  den  Reisern  der  Weinstöcke  und  einiger  andern 
Bäume,  welche  im  Innern  etwas   schwammig   sind,   durch- 


288  Siebenzehntes  Buch. 

setzen  die  Gelenkknoten  das  Mark.  Die  dünnen  Zweige 
selbst  sind  kurz,  gegen  den  Gipfel  zu  noch  kürzer,  und 
schliessen  gewöhnlich  ihre  Schüsse  in  2  Gelenkknoten  ein. 
Das  Mark,  welches  vielleicht  das  belebende  Organ  ist, 
schiebt  vor  sich  her  und  treibt  in  die  Länge,  so  lange  die 
Röhre  an  den  Knoten  den  Durchgang  gestattet.  Wem  aber 
die  verwachsenen  Gelenke  ihm  den  Durchgang  verwehren, 
wird  es  zurückgetrieben  und  bricht  an  seinem  untersten 
Ende  neben  dem  vorhergehenden  Knoten,  und  zwar  wie 
bereits  beim  Schilfe  und  Gartenkraute  gesagt  wurde,  an 
den  Stellen,  wo  die  Aeste  sitzen  (die  sich  immer  an  den 
abwechselnden  Seiten  befinden),  von  denen  man  die  rechte 
am  untersten  Gliede,  die  linke  an  dem  darauf  folgenden 
u.  s.  w.  wahrnimmt.  Diese  Stelle  nennt  man  am  Wein- 
stocke die  Knospe,  wenn  sie  sich  daselbst  grünend  aus- 
breitet. Bevor  diess  aber  geschieht,  liegt  das  Auge  in  einer 
Höhlung,  und  die  Knospe  selbst  an  der  Spitze.  So  ent- 
stehen die  Zweige,  Trauben,  Blätter  und  Ranken;  und  es 
ist  merkwürdig,  dass  das,  was  auf  der  rechten  Seite  wächst, 
stärker  ist. 

Beim  Pflanzen  der  Reiser  nun  werden  die  Knoten  in 
der  Mitte  durchgeschnitten,  damit  das  Mark  nicht  heraus- 
fliesst.  Vom  Feigenbaume  nimmt  man  sie  spannenlaug  und 
macht  vor  dem  Einsetzen  ein  Loch  mit  einem  Pflock  in 
die  Erde,  dergestalt,  dass  das,  was  dem  Baume  am  nächsten 
war,  in  die  Erde  kommt,  und  2  Augen  aus  der  Erde  her- 
vorragen. Augen  nennt  man  aber  an  den  Zweigen  die 
Stelleu,  wo  sie  ausschlagen.  Daher  tragen  sie  auch  in  den 
Pflanzschulen  zuweilen  in  demselben  Jahre  die  Früchte, 
welche  sie  auf  dem  (vorigen)  Baume  getragen  haben  wür- 
den, denn  werden  sie  in  ihrem  vollen  Triebe  zu  rechter 
Zeit  verpflanzt,  so  bildet  sich  die  begonnene  Frucht  auch 
anderswo  aus.  Feigen,  die  auf  diese  Weise  gepflanzt  sind, 
können  leicht  im  3.  Jahre  versetzt  werden.  Zum  Ersatz 
für  das  schnelle  Altern  dieses  Baumes  hat  er  das  Gute, 
äusserst  schnell  aufzukommen. 

Bei  den  Weinstöcken  ist  das  Pflanzen   häufiger.    Vor 


Siebenzehntes  Buch.  289 

allen  Dingen  wird  von  ihnen  nur  das  verpflanzt,  was  un- 
tauglich ist  und  sich  beim  Beschneiden  unter  den  Schöss- 
iingen  findet.  Man  schneidet  aber  dasjenige  ab,  was  zuletzt 
Früchte  getragen  hat.  Ehemals  pflegte  man  Reiser  aus 
hartem  Holze,  die  an  beiden  Enden  knotig  waren,  zu  pflan- 
zen; und  daher  heissen  sie  noch  jetzt  Hämmerchen.  Nach- 
her fing  man  an,  sie  mit  ihrem  Ansätze  abzutrennen,  wie 
es  z.  B.  beim  Feigenbaum  geschieht,  und  so  wächst  er  am 
besten  empor.  Eine  dritte  Art  geht  noch  schneller,  ohne 
Ansatz,  und  heisst  Pfeilrebe,  weil  sie  eingekrümmt  gepflanzt 
wird;  wird  sie  aber  nicht  gebogen,  so  heisst  sie  die  drei- 
iiugige.  Auf  diese  Weise  entstehen  aus  einem  Reise 
mehrere  Stämme.  Fruchtlose  Zweige  geben  unfruchtbare 
Stöcke,  daher  müssen  tragende  zum  Pflanzen  genommen 
werden.  Zweige  mit  langen  Schüssen  werden  gleichfalls 
für  unfruchtbar  gehalten;  wogegen  dichte  Knospen  ein 
Zeichen  von  Fruchtbarkeit  sind.  Einige  geben  an,  man 
solle  nur  solche  Reiser,  welche  bereits  geblühet  haben, 
pflanzen.  Pfeilreben  zu  pflanzen  ist  weniger  vortheilhaft, 
weil  das,  was  gekrümmt  war,  beim  Versetzen  leicht  bricht. 
Man  pflanzt  sie  nicht  kürzer  als  1  Fuss  lang  und  mit  5 
bis  6  Knoten,  und  von  dieser  Länge  können  keine  weniger 
als  3  Augen  haben.  Am  besten  ist  es,  sie  an  demselben 
Tage,  wo  sie  geschnitten  sind,  zu  setzen.  Wenn  man  ge- 
nöthigt  ist,  sie  aufzuheben  und  lange  Zeit  nachher  erst 
zu  pflanzen,  so  muss  man  sich,  wie  bereits  gezeigt  wurde, 
hüten,  dass  sie  nicht  ausserhalb  der  Erde  liegen  und  von 
der  Sonne  trocken-  werden,  oder  durch  Wind  und  Kälte 
verkümmern.  Welche  längere  Zeit  trocken  gelegen  haben, 
müssen  vor  dem  Einsetzen  mehrere  Tage  lang  in  Wasser 
aufgefrischt  werden. 

In  der  Pflanzschule  oder  im  Weinberge  soll  der  Boden 
gegen  die  Sonne  hinliegen  und  möglichst  geräumig  sein; 
«r  muss  mit  einem  3  Fuss  langen  Doppelspaten  aufge- 
graben, und  mit  einem  4  Fuss  langen  Haken  aufgeworfen 
werden,  so  dass  der  Graben  2  Fuss  tief  fortläuft.  Der 
Graben  muss  gereinigt  und  geräumig  gemacht,  damit  nichts 

Wittstein:  Plinius.     III.  Bd.  19 


290  Siebenzehntes  Buch. 

Fremdartiges  darin  bleibt,  hiebei  aber  auch  das  Maass  be- 
rücksichtigt werden.  Schlecht  gegrabenes  Land  erkennt 
man  an  den  ungleichen  Tritten.  Auch  muss  man  den  Theil 
der  Rabatten,  der  dazwischen  liegt,  messen.  Die  Setzlinge 
pflanzt  man  in  Gruben  und  längere  Furchen  und  wirft  die 
lockerste  Erde  darüber;  aber  von  einem  magern  Boden 
würde  man  vergebens  etwas  hoffen,  wenn  nicht  eine  fettere 
Schicht  darunter  gelegt  wird.  Man  darf  nicht  weniger  als 
2  einsetzen,  und  diese  müssen  die  nächste  Erdschicht  ^) 
berühren,  i^it  ein  und  demselben  Pflocke  eingetrieben  und 
fest  gestampft  werden.  In  der  Pflanzschule  muss  zwischen 
je  2  Reben  ein  Raum  von  Vj^  Fuss  in  der  Breite,  und 
halb  so  viel  in  der  Länge  bleiben.  Die  so  gepflanzten 
Reben  müssen  im  24.  Monate  bis  zum  untersten  Gliede^ 
wenn  man  dasselbe  nicht  schonen  will,  abgeschnitten  wer- 
den; dann  brechen  die  Augen  hervor,  und  mit  diesen  ver- 
setzt man  das  Stämmchen  im  36.  Monate. 

Es  giebt  auch  eine  üppige  Methode,  Weinstöcke  za 
pflanzen;  man  bindet  nämlich  4  Reiser  an  ihren  frucht- 
barsten Theilen  zusammen,  steckt  sie  durch  den  Beinknochen 
eines  Ochsen  oder  ein  irdenes  Geschirr,  und  vergräbt  sie 
so,  dass  nur  2  Augen  hervorragen.  Auf  diese  Weise  ziehen 
sie  Feuchtigkeit  an,  und  schiessen  in  einen  Stamm  hervor. 
Später  zerbricht  man  die  sie  umgebende  Röhre,  die  nun 
freie  Wurzel  schöpft  Kräfte,  und  die  nachher  kommenden 
Trauben  tragen  alle  Arten  Beeren  der  gepflanzten  Reiser. 
Bei  einer  andern  Weise  neuerer  Erfindung  wird  das  Reis 
gespalten,  das  Mark  herausgekratzt,  und  die  beiden  Stücke 
wieder  zusammengebunden,  doch  so  dass  die  Knospen  mög- 
lichst geschont  werden.  Darauf  setzt  mau  das  Reis  in  mit 
Mist  vermengte  Erde,  schneidet  es,  wenn  sich  Aeste  bilden 
wollen,  ab,  und  gräbt  oft  um.  Die  Beeren  von  solchen 
Trauben  sollen,  wie  Columella  versichert,  keine  Kerne  ent- 
halten; und  es  erscheint  schon  wunderbar,  dass  dergleichen 


')  Unterhalb  nämlich. 


Siebenzehntes  Buch.  291 

des  Markes  beraubte  Reiser,  am  Leben  bleiben.  Wir  dürfen 
auch  nicht  anzuführen  unterlassen,  dass  selbst  Reiser,  denen 
die  Gliederung  des  Baumes  fehlt,  wachsen;  denn  wenn  man 
5  oder  6  sehr  dünne  Zweige  vom  Buxbaume  zusammen- 
bindet und  einsetzt,  so  kommen  sie  fort.  Ehemals  nahm 
man  sie  nur  von  einem  unbeschnittenen  Buxbaume,  in  der 
Meinung,  dass  sie  anders  nicht  gedeihen  würden;  allein 
Versuche  haben  gezeigt,  dass  diess  nicht  gerade  nothwen- 
dig  sei. 

Nach  Besprechung  der  Pflanzschulen  lassen  wir  jetzt 
die  Besorgung  der  Weinberge  folgen.  Es  giebt  5  Arten 
Weinberge,  die  Reben  stehen  nämlich  zerstreut  im  Lande, 
oder  für  sich  aufrecht,  oder  auf  Stützen  ohne  Querlatten, 
oder  bepfählt  und  an  einfachen  Querlatten  oder  an  in  vier- 
eckiger Gestalt  zusammengefügten  Querlatten.  Wie  die  be- 
pfählten, ebenso  werden  auch  die  ohne  Stützen  stehenden 
Stöcke  behandelt,  denn  bei  diesen  iässt  man  die  Pfähle  bloss 
aus  Mangel  daran  weg.  Die  mit  der  einfachen  Querlatte  be- 
stehen aus  einer  langen  Reihe,  welche  man  Weingeländer 
nennt.  Ein  solches  eignet  sich  dann  eher  für  den  Wein, 
wenn  es  sich  selbst  keinen  Schatten  macht,  beständig  den 
Sonnenstrahlen  ausgesetzt  ist,  dem  Winde  freien  Durchzug 
gestattet,  und  den  Thau  rasch  verliert.  Auch  Iässt  es  sich 
leicht  abblättern,  behacken  und  gestattet,  auch  die  übrigen 
Arbeiten  daran  leicht  auszuführen.  Vor  allen  andern  blühet 
es  besser  ab.  Die  Querlatte  macht  man  aus  Stöcken,  Rohr, 
Haaren  oder  Stricken  wie  in  Spanien  und  zu  Brundusium. 
Die  durch  Vierecke  vereinigten  Stöcke  sind  ergiebiger  an 
Wein;  sie  haben  ihren  Namen  von  den  hohlen  (leeren)  vier- 
eckigen Höfen  der  Tempel.  Wir  wollen  die  Methode,  wie 
sie  gesetzt  werden,  jetzt  angeben,  denn  sie  gilt  für  alle 
Arten,  und  es  findet  nur  der  Unterschied  statt,  dass  bei 
jener  zahlreichere  Modificationen  vorkommen. 

Das  Setzen  geschieht  auf  folgende  3  Weisen;  am  besten 
in  umgegrabenem  Lande,  nächstdem  in  einer  Furche,  und 
hierauf  in  einer  Grube.  Vom  Umgraben  war  schon  die 
Rede.     Zu   einer  Furche  ist    die   Breite   des   Spatens   hin- 

19* 


292  Siebenzehntes  Buch. 

reichend,  die  Grube  aber  muss  überall  3  Fuss  breit  sein, 
die  Tiefe  in  jedem  Falle  3  Fuss  betragen,  daher  auch  kein 
kürzerer  Stock  versetzt  werden  darf,  denn  2  Knospen  sollen 
noch  hervorragen.  Es  ist  nothweudig,  die  Erde  in  der  Grube 
durch  kleine  Furchen  aufzulockern  und  mit  Mist  zu  ver- 
mengen. Ein  hügeliger  Boden  erheischt  tiefere  Gruben, 
und  ausserdem  muss  man  die  abschüssigen  Seiten  noch 
durch  Aufwerfen  von  Rändern  erhöhen.  Diejenigen  Gruben, 
welche  so  laug  gemacht  werden,  dass  sie  2  Stöcke  hinter- 
einander aufnehmen  können,  heissen  Betten.  Die  Wurzel 
des  Weiustocks  muss  in  der  Mitte  der  Grube  stehen,  der 
Stock  selbst  aber,  da  wo  er  auf  etwas  Festes  gestützt  ist, 
gegen  Osten  gerichtet  sein  und  seine  erste  Stütze  vom  Rohr 
erhalten. 

Man  muss  durch  die  Weinberge  einen  Hauptgang  von 
18  Fuss  Breite,  um  mit  dem  Wagen  hindurch  fahren  zu 
können,  auch  mitten  durch  die  Morgen  noch  andere  Gänge 
von  10  Fuss  Breite  machen.  Hat  mau  mehr  Platz,  so  macht 
man  die  Nebeugänge  eben  so  breit  wie  den  Hauptgang. 
Stets  aber  muss  man  von  5  zu*  5  pflanzen,  d.  h.  zwischen 
je  2  Reihen  muss  ein  Raum  bleiben,  der  so  breit  ist,  als 
5  mit  einander  verbundene  Pfähle  einnehmen. 

Nur  in  einen  festen  Boden  soll  man  ein  Wurzelreis 
setzen,  und  auch  dann  nur,  wenn  er  gehörig  umgegl'aben 
ist;  in  einem  zarten  und  lockern  auch  wohl  ein  Senkreis 
in  eine  Furche  oder  Grube.  Auf  Anhöhen  ist  es  besser 
Querfurchen  zu  ziehen,  als  umzuackern,  damit  die  dadurch 
gebildeten  Seitenwäude  das  abfliessende  Wasser  aufnehmen 
können.  Senkreiser  kann  man  bei  regnigem  Wetter  oder 
bei  trocknem  Boden  im  Herbste  pflanzen,  es  sei  denn,  dass 
die  Beschaffenheit  der  Gegend  es  anders  erheischt.  Denn 
trockne  und  warme  Landstriche  müssen  im  Herbste,  feuchte 
und  kalte  im  Ausgange  des  Frühjahrs  bepflanzt  werden. 
In  einen  trocknen  Boden  wird  ein  Wurzelreis  umsonst  ein- 
gesetzt, auch  kommen  die  Senkreiser  auf  trocknem  Lande 
schlecht  fort,  und  am  besten  noch  nach  einem  Regen.  In 
feuchtem  Erdreich  aber  geht  selbst  der  belaubte  Weinstock, 


Siebenzehntes  Buch.  293 

und  zwar  bis  zum  Solstitium,  wie  z.  B.  in  Spanien  an.  Am 
besten  ist  es,  wenn  an  dem  Tage,  wo  gepflanzt  wird, 
kein  Wind  wehet.  Die  Meisten  wünschen  dabei  Südwind, 
Cato  hingegen  verwirft  ihn. 

Das  mittlere  Maass  zwischen  2  Weinstöcken  soll  5  Fuss, 
auf  einem  fruchtbaren  Boden  aber  mindesten  4,  und  auf 
einem  magern  höchstens  8  sein.  Die  Umbrer  und  Marser 
lassen  in  den  sogenannten  Weinbeeten  des  Pflügens  wegen 
einen  bis  zu  20  Fuss  breiten  Raum.  An  einem  feuchten 
und  dunkeln  Orte  muss  man  die  Stöcke  weitläufiger,  an 
einem  trocknen  dagegen  dichter  setzen.  Der  Scharfsinn 
hat  der*  Sparsamkeit  einen  Vortheil  erdacht,  nämlich  bei 
Anlage  eines  Weinbergs  auf  beackertem  Boden  zugleich 
eine  Pflauzschule  einzurichten,  so  dass  das  Wurzelreis  an 
seinen  Platz  und  das  zu  verpflanzende  Senkreis  zwischen 
die  Weinstöcke  und  Reihen  gesetzt  wird.  Auf  diese  Weise 
bekommt  man  auf  einen  Morgen  16,000  Wurzelreiser.  Nur 
erfolgt  die  Frucht  um  2  Jahre  später,  weil  der  Stock  da, 
wo  er  gepflanzt  wird,  später  trägt,  als  da,  wohin  er  versetzt 
wird.  Ein  Wurzelreis,  welches  in  einen  Weinberg  gesetzt 
ist,  wird  nach  einem  Jahre  bis  an  die  Erde  abgeschnitten, 
so  dass  nur  1  Auge  hervorragt,  sodann  ein  Pfahl  daneben 
gesteckt  und  Mist  hinzugebracht.  Ebenso  schneidet  man 
ihn  im  2.  Jahre  ab,  wodurch  er  kräftig  wird  und  die  Fähig- 
keit behält,  künftig  Früchte  zu  tragen;  lässt  man  ihn  aber 
schnell  heranwachsen,  so  wird  er  schwach  und  dünn,  und 
geht,  wenn  man  ihn  nicht  durch  den  Schnitt  zurückhält, 
ganz  in  Knospen  über.  Nichts  wächst  begieriger,  und  würde 
man  seine  Kräfte  nicht  für  die  Frucht  aufbewahren,  so  ent- 
ständen lauter  Ranken  daraus. 

Das  beste  Pfahlwerk  ist  das  bereits  von  mir  angeführte. 
Die  Weinpfähle  macht  man  aus  Eichen  und  Oelbäumen,  oder 
in  Ermangelung  dieser,  aus  Waehholder,  Cypressen,  dem 
Bohnenbaum  und  Hollunder.  Die  Pfähle  anderer  Holzarten 
werden  alle  Jahre  nachgespitzt.  Zu  Querlatten  eignet  sich 
das  in  Bündel  gebundene  Rohr  am  besten;  es  hält  5  Jahre 
aus.    Wenn  kürzere  Reben  durch  Reiser,  wie  durch  Stricke, 


294  Siebenzehntes  Buch. 

verbunden  werden,  so   heisst   der  daraus   gebildete  Bogen 
gebundener  Wein. 

Im  3.  Jabre  schickt  der  Weinstock  einen  schnellen  und 
kräftigen  Stamm  hervor,  der  mit  der  Zeit  zum  eigentlichen 
Weinstocke  wird,  und  dieser  rankt  an  den  Querlatten  hin. 
Einige  nehmen  ihn  alsdann  mit  dem  Messer  die  Augen  weg, 
um  ihn  länger  zu  treiben,  —  ein  Verfahren,  dass  keine 
Billigung  verdient.  Besser  ist  es,  ihn  Früchte  treiben  zu 
lassen,  und  ihn,  wenn  er  bepfählt  ist,  von  der  zu  grossen 
Menge  Laubwerk  zu  befreien,  so  lange  man  ihn  will  Kräfte 
sammeln  lassen.  Einige  wollen,  dass  man  ih»  im  1.  Jahre 
nach  seiner  Versetzung  nicht  anrühre,  und  nicht  vor  dem 
60.  Monate  beschneide,  dann  aber  alles  bis  auf  3  Augen 
wegnehme.  Andere  beschneiden  ihn  zwar  schon  im  ersten 
Jahre,  lassen  ihm  aber  jedes  Jahr  3  bis  4  Schüsse  mehr, 
und  ziehen  ihn  im  4.  Jahre  an  die  Querlatten.  Diess  bei- 
des liefert  in  Folge  des  zwergigen  Wuchses  späte,  dürre 
und  knotige  Früchte.  Am  besten  ist  ein  kräftiger  Stock, 
von  dem  dann  auch  eine  kräftige  Frucht  kommt.  Nicht 
immer  liefern  die  Stöcke,  welche  voll  Narben  sind,  sichere 
Resultate,  wie  Unerfahrene  irrigerweise  glauben.  Bei  sol- 
chen findet  das  Wachsen  aus  den  Seiten  und  nicht  aus  dem 
Stamme  statt.  Der  Weinstock  hat  aber  alle  Kräfte  bei- 
sammen, wenn  man  ihn  stark  werden  lässt,  und  bekommt 
ganz  den  jährlichen  Zuwachs,  wenn  er  sich  frei  entwickeln 
kann.  Die  Natur  bringt  nichts  stückweise  hervor.  Wenn 
er  nun  gehörig  ausgewachsen  ist,  muss  er  sogleich  an  die 
Querlatten  gebracht  werden,  und  sollte  er  ja  noch  etwas 
schwach  sein,  so  beschneide  man  ihn,  nachdem  er  schon 
unter  den  Latten  steht.  Man  entscheidet  hierbei  nach  den 
Kräften,  nicht  nach  dem  Alter.  Es  ist  unbesonnen,  den 
Weinstock,  bevorer  die  Dicke  einesDaumenshat,zwingeuzuwol- 
len.  Im  folgenden  Jahre  muss  man,  je  nach  den  Kräften  des 
Stammes,  1  oder  2  Zweige  stehen  lassen ;  im  zweiten  ebenso  viele 
unter  halten,  wenn  die  Schwäche  des  Stocks  es  fordert,  undim 
dritten  endlich  noch  2  mehr.  Niemals  aber  dürfen  mehr 
als   4   bleiben,   —   kurz,    man   darf   hierbei   nichts   ausser 


Siebenzehntes  Buch.  295 

Acht  lassen,  sondern  muss  das  Fruchttreiben  verhindern, 
denn  er  will  von  Natur  lieber  Früchte  treiben  als  (lange) 
leben.  Alles  was  ihm  am  Holze  entzogen,  wird  durch  die 
Frucht  ersetzt.  Er  will  lieber  Samen  erzeugen  als  Frucht, 
weil  diese  etwas  Vergängliches  ist.  So  treibt  er  auf  tippige 
Weise  zu  seinem  Verderben,  und  erweitert  sich  nicht,  son- 
•dern  entleert  (entkräftet)  sich. 

Auch  die  Kenntniss  der  Beschaffenheit  des  Bodens  wird 
uns  hierbei  von  Nutzen  sein.  In  einem  magern  Erdreiche 
muss  der  Stock,  auch  wenn  er  kräftig  ist,  beschnitten  unter 
der  Querlatte  bleiben,  damit  alle  Triebe  unter  derselben  aus- 
gehen. Jedoch  soll  der  Abstand  von  der  Latte  nur  sehr 
gering  sein,  so  dass  er  sie  kaum  erreicht,  aber  doch  nicht 
ganz  fasst,  mithin  weder  darauf  liegen,  noch  sich  ihr  an- 
schmiegend ausbreiten  kann.  Auf  diese  Weise  suche  man 
es  dahin  zu  bringen,  das  er  lieber  wächst  als  trägt. 

Die  Rebe  muss  unter  der  Querlatte  (Joch)  2  oder  3 
Augen  haben,  aus  welchem  das  Holz  wächst,  dann  bis  zur 
Querlatte  steigen  und  fest  gebunden  werden,  so  dass  sie 
von  derselben  untersttitzt  wird  und  nicht  herbhängt.  Beim 
3.  Auge  muss  sie  bald  durch  ein  Band  befestigt  werden, 
denn  hierdurch  wird  auch  der  Trieb  des  Holzes  beschränkt, 
und  das  Entstehen  stärkern  Laubes  bezweckt.  Die  Spitze 
will  man  nicht  angebunden  wissen.  Beim  Weinstocke  giebt 
der  niedergedrückte  oder  ungebundene  Theil,  namentlich 
aber  die  Krümmung  selbst  die  Frucht.  Was  darunter  ist, 
treibt  Holz,  weil,  wie  ich  glaube,  die  Luft  und  das  Mark, 
von  dem  bereits  die  Rede  war,  daselbst  Widerstand  finden. 
Der  so  hervorgekommene  Holztrieb  wird  im  folgenden  Jahre 
Früchte  tragen. 

Demnach  giebt  es  2  Arten  Rebenschüsse;  kommt  er 
aus  hartem  Holze  und  erhält  er  schon  im  folgenden  Jahre 
Holz,  so  heisst  er  Rankenrebe;  befindet  er  sich  aber  über 
der  Narbe,  Fruchtrebe.  Der  andere  kommt  immer  aus  ein- 
jährigen Stöcken,  ist  stets  eine  Fruchtrebe,  wird  stets  unter 
dem  Joche  gelassen  und  heisst  der  Wächter;  er  ist  ein 
neuer  Schoss,  nicht  länger  als  3  Augen,  und  setzt  im  fol- 


296  Siebenzehntes  Buch. 

genden  Jahre  Holz  an,  wenn  der  Stock  durch  üppiges 
Wachsthum  sich  aufgerieben  hat.  Noch  ein  anderer  neben 
ihm  hat  die  Grösse  einer  Warze,  lieisst  der  Räuber,  und 
wird  gesetzt,  wenn  vielleicht  der  Wächter  ausgehen  sollte. 

Bevor  der  Weinstock,  vom  Reise  au  gerechnet,  das 
siebente  Jahr  zurückgelegt  hat,  darf  man  ihn  keine  Früchte 
tragen  lassen,  sonst  wird  er  dürr  und  stirbt  ab.  Auch  taugt 
es  nicht,  eine  alte  Rebe  in  die  Länge  und  bis  zum  vierten 
Pfahle  zu  ziehen,  was  Einige  Drachen,  Andere  Juniculi 
nennen,  und  diese  bilden  die  sogenannten  Masculata  i). 
Wenn  der  Weinstock  schon  hart  geworden  ist,  darf  man 
ihn  nicht  mehr  in  den  Weinberg  verpflanzen.  Im  5. 
Jahre  werden  die  Reben  gekrümmt,  treiben,  jede  für  sich,^ 
Holzschüsse,  diess  geht  so  fort  aus  den  nächstfolgenden^ 
und  die  früheren  schneidet  man  ab.  Man  muss  stets  den. 
Wächter  stehen  lassen,  dieser  aber  dem  Stocke  am  nächsten^ 
und  nicht  länger  sein  als  bereits  gesagt  wurde;  auch  soll 
man  ihn  krümmen,  wenn  die  Reben  zu  sehr  gewuchert 
haben,  damit  er  4  oder  2  Holzschüsse  treibe,  wenn  der 
Weinberg  einjochig  ist. 

Wenn  man  den  Weinstock  für  sich  ohne  Pfahlwerk 
anpflanzt,  so  muss  er  im  Anfange  irgend  eine  Stütze  haben, 
bis  er  allein  stehen  und  gerade  aufsteigen  kann.  Uebrigens 
kommt  seine  erste  Behandlung  mit  der  vorigen  überein. 
Beim  Beschneiden  aber  müssen  die  kurzen  Zweige  überall 
gleichmässig  vertheilt  werden,  damit  die  Frucht  nicht  nach 
einer  Seite  hin  zu  schwer  werde,  denn  wenn  letztere  zu- 
gleich herabdrückt,  so  hindert  sie  das  Wachsen  in  die  Höhe. 
Derartige  Stöcke  nicken  schon,  wenn  sie  höher  als  3  Fuss 
sind,  die  übrigen  bei  5  Fuss  Höhe,  dürfen  daher  die  ge- 
wöhnliche Mannshöhe  nicht  überschreiten.  Auch  die  Reben, 
welche  auf  der  Erde  zerstreuet  liegen,  umgiebt  man  zur 
Stütze  mit  kurzen  Rohren,  und  macht  Vertiefungen  rund 
um  sie  herum,  damit  sich   die  kriechenden  Ranken    nicht 


1)  D.  i.  Orte,  wo  Weinstöcke  männlichen  Geschlechts  gepflanzt 
sind. 


Siebenzehntes  Buch.  297 

durch  Begegnen  hindern.  In  den  meisten  Ländern,  nämlich 
in  Afrika,  Aegj'pten,  Syrien,  ganz  Asien  und  an  vielen 
Orten  in  Europa  ist  dieser  Gebrauch,  auf  der  Erde  liegende 
Trauben  zu  sammeln,  vorherrschend.  Hier  muss  also  der 
Stock  an  die  Erde  gedrückt  werden,  während  die  Wurzel 
auf  eben  dieselbe  Weise  genährt  wird,  wie  in  einer  Joch- 
pflanzung; man  darf  stets  nur  kurze  Zweige  lassen  (besser 
viele  Zweige,  als  lange),  und  diese  in  einem  fruchtbaren 
Boden  mit  3  Augen,  in  einem  magern  aber  mit  5.  Was 
wir  von  der  Beschaffenheit  des  Badens  gesagt  haben,  wird, 
gehörig  befolgt,  um  so  wirksamer  sich  zeigen,  je  näher  die 
Traube  der  Erde  ist. 

Es  ist  sehr  zweckmässig,  die  verschiedenen  Arten  zu 
trennen,  und  einer  jeden  ein  besonderes  Terrain  anzuweisen. 
Denn  ihre  Vermischung  erweist  sich  nicht  bloss  im  Moste 
sondern  auch  im  Weine  nachtheilig.  Will  man  sie  aber 
doch  vermischen,  so  dürfen  wenigstens  nur  solche,  welche 
zugleich  reifen,  vereinigt  werden.  Je  fruchtbarer  und  flacher 
der  Boden  ist,  um  so  höber  müssen  die  Geländer  sein;  hohe 
Geländer  eignen  sich  auch  für  feuchte,  neblige  und  weniger 
windige  Orte,  hingegen  niedrige  für  ein  mageres,  trocknes, 
heisses  und  den  Winden  ausgesetztes  Erdreich.  Die  Quer- 
latten muss  man  möglichst  fest  an  die  Pfähle  binden,  die 
Weinstöcke  aber  nur  locker  daran  legen.  Welche  Arten 
des  Weinstocks,  in  was  für  einen  Boden  und  in  welchem 
Klima  sie  gepflanzt  werden  müssen,  haben  wir  schon  früher 
angeführt,  als  von  ihnen  und  den  Weinen  die  Rede  war  *). 

In  Bezug  auf  die  übrige  Behandlung  herrschen  sehr 
abweichende  Ansichten.  Die  Meisten  wollen,  man  solle  den 
ganzen  Sommer  hindurch  nach  jedesmaligem  Thauen  den 
Weinberg  umgraben.  Andere  verbieten  diess  während  der 
Zeit  des  Ausschiagens,  denn  sonst  würden  die  Augen  ab- 
geschlagen, und  von  den  zwischen  den  Stöcken  durchgehen- 
den Arbeitern  abgetreten.  Aus  gleicher  Ursache  müsse  man 


»)  Im  XIV.  B. 


298  Siebenzehntes  Buch. 

auch  alles  Hornvieh,  namentlich  die  Schafe  nicht  hinein- 
lassen, weil  diese  die  Augen  gern  abfressen.  Ferner  sei 
es  nicht  gut,  während  dem  Heranwachsen  der  Trauben  zu 
hacken,  und  es  reiche  hin,  wenn  der  Weinberg  jährlich 
3  mal  umgegraben  würde,  nämlich  nach  dem  Frühlingsäqui- 
noctium  beim  Aufgange  des  Siebengestirns,  beim  Aufgange 
des  Hundssterns,  und  wenn  die  Beere  anfange  sich  dunkel 
zu  färben.  Einige  machen  folgende  Bestimmungen:  man 
beackere  einen  alten  Weinberg  einmal  nach  der  Weinlese 
vor  dem  Eintritt  des  Winters,  während  Andere  das  Gäten 
und  Düngen  für  hinreichend  halten;  ferner  nachdem  13.  April, 
vor  dem  Ausschlagen,  d.  i.  vor  dem  9.  Mai;  hierauf  bevor 
der  Stock  anfängt  zu  blühen,  wenn  er  abgeblühet  hat,  und 
wenn  die  Traube  sich  färbt.  Erfahrene  Landwirthe  be- 
haupten, wenn  man  zu  oft  umgrabe,  so  würden  die  Beeren 
so  zart  dass  sie  platzten.  Das  Graben  geschieht  zweck- 
mässig, ehe  die  Tageshitze  zu  gross  wird.  Weichen  (ko- 
thigen)  Boden  muss  man  weder  pflügen  noch  graben.  Der 
Staub,  welcher  durch  das  Graben  entsteht,  soll  wider  die 
Sonnenhitze  und  Nebel  gut  sein. 

Das  bekannte  Abblättern  im  Frühjahre  geschieht  nach 
dem  15.  Mai,  innerhalb  10  Tagen,  bevor  die  Blüthe  erscheint, 
und  zwar  muss  es  unterhalb  der  Querlatten  vorgenommen 
werden.  Ueber  das  nun  Folgende  sind  die  Meinungen  ge- 
theilt.  Einige  sagen,  man  müsse  nach  der  Blüthezeit,  An- 
dere, man  müsse  während  dem  Reifen  der  Trauben  ab- 
blättern. Doch  hierüber  können  Cato's  Vorschriften  ent- 
scheiden, denn  wir  müssen  auch  vom  Beschneiden  sprechen. 

Man  beginnt  damit  sogleich  nach  der  Weinlese,  wenn 
die  Witterung  günstig  ist;  niemals  aber  darf  es,  aus  natür- 
lichen Gründen,  vor  dem  Aufgange  des  Adlers  geschehen, 
wie  wir  im  nächsten  Buche  bei  den  Wirkungen  der  Ge- 
stirne lehren  werden.  Es  kann  selbst  zu  Anfang  des  Fe- 
bruars vorgenommen  werden,  weil  zu  grosse  Eilfertigkeit 
leicht  Nachtheil  bringen  möchte.  Wenn  die  durch  den  an 
sich  heilsamen  Schnitt  erzeugten  Wunden  von  der  Kälte 
ergriffen  werden,  so  leiden  sicherlich  davon  die  Augen,  die 


Siebenzehntes  Buch.  299 

Schnittstellen  klaffen,  und  die  Augen,  aus  welchen  der  Saft 
tröpfelt,  vertrocknen.  Denn  wer  weiss  nicht,  dass  sie  vom 
Froste  zerbrechlich  werden?  Auf  grossen  Landgütern  ver- 
fahren die  Arbeiter  eigennützigerweise  auf  jene  Art,  die 
Natur  aber  treibt  sie  nicht  zu  solcher  Eile.  Je  zeitiger  die 
Weinstöcke  an  passenden  Tagen  beschnitten  werden,  desto 
mehr  Holz  setzen  sie  an,  und  je  später,  desto  reichlichere 
Früchte  tragen  sie.  Es  ist  daher  besser,  die  schwächern 
zuerst,  und  die  stärkern  zuletzt  zu  beschneiden.  Jeder 
Schnitt  muss  schräg  geschehen,  damit  der  Regen  davon 
leicht  ablaufen  kann,  ferner  nach  der  Erde  zu  gehen,  die 
Narbe  möglichst  schwach,  was  durch  grosse  Schärfe  des 
Messers  bezweckt  wird,  und  der  Schnitt  glatt  sein.  Man 
muss  stets  zwischen  zwei  Augen  schneiden,  damit  an  dem 
beschnittenen  Theile  kein  Auge  verwundet  werde.  Man 
glaubt,  dieser  sei  schwarz,  und  man  müsse  so  lange  schnei- 
den, bis  man  auf  gutes  Holz  komme,  weil  aus  verdorbenem 
kein  gutes  wachsen  könne.  Wenn  ein  schwacher  Stock 
keine  guten  Reben  habe,  sei  es  am  besten  ihn  dicht  an  der 
Erde  abzuschneiden,  und  neue  treiben  zu  lassen.  Beim  Ab- 
blättern soll  man  das  Laub  (die  Ranken),  was  um  die 
Trauben  sitzt,  nicht  wegnehmen,  denn  dadurch  fallen  die 
Trauben  ab,  ausgenommen  in  einem  neuen  Weinberge.  Das 
aus  den  Seiten  und  nicht  aus  einem  Auge  kommende  Laub, 
sowie  die  Traube,  welche  aus  einem  harten  steifen  Stiele 
hervorwächst,  so  dass  sie  nur  mit  Hülfe  eines  Messers  ab- 
genommen werden  kann,  hält  man  für  unnütz.  Einige 
sind  der  Meinung,  es  sei  besser,  das  Pfahlwerk  zwischen 
zwei  Weinstöcke  zu  stellen;  auf  diese  Weise  können  sie 
leichter  behackt  werden,  auch  ist  diess  Verfahren  zweck- 
mässiger für  einen  einjochigen  Weinberg,  wenn  anders  die 
Querlatten  stark  genug  sind,  und  die  Gegend  dem  Winde 
nicht  ausgesetzt  ist.  In  einem  vierfach  bepfählten  muss 
die  Stütze  der  Last  sehr  nahe  sein,  doch,  damit  man  beim 
Behacken  nicht  gehindert  werde,  nicht  mehr  als  eine  Elle 
Raum  bleiben.  Man  soll  aber  das  Behacken  eher  vornehmen 
als  das  Beschneiden. 


300  Siebenzehntes  Buch. 

Cato  spricht  sich  über  die  ganze  Cultur  der  Wein- 
stöcke folgendermaassen  aus:  Lege  den  Weinberg  so  hoch 
wie  möglich  an,  binde  die  Stöcke  gut,  jedoch  nicht  zu  fest 
an,  und  behandle  sie  also.  Umgrabe  die  beschnittenen 
Spitzen  der  Weinstöcke,  und  fange  an  zu  pflügen;  führe 
diess-  und  jenseits  fortlaufende  Furchen.  Zarte  Stöcke 
pflanze  sobald  als  möglich  fort,  alte  beschneide  so  wenig 
als  möglich,  ziehe  sie  vielmehr,  wenn  es  nöthig  ist,  abwärts 
und  schneide  sie  nach  2  Jahren  ab.  Die  rechte  Zeit,  einen 
jungen  Stock  abzuschneiden,  wird  sein,  wenn  er  kräftig 
genug  ist.  Wenn  der  Weinberg  von  Stöcken  entblösst  ist, 
ziehe  Furchen,  und  setze  Wurzelableger  hinein.  Von  den 
Furchen  entferne  allen  Schatten,  und  grabe  öfters.  In  einen 
alten  Weinberg  säe  Basilienkraut  ^);  ist  er  mager,  so  säe 
nichts  was  Samen  bringt,  und  lege  um  die  Ranken  Mist, 
Spreu,  Weinhtilsen  oder  dergleichen.  Wenn  der  Weinstock 
grün  geworden  ist,  so  blättere  ab.  Junge  Stöcke  binde 
fleissig  an,  damit  die  Stämme  nicht  abbrechen.  Stöcke, 
deren  Stamm  schon  pfahlartig  wird,  binde  an  den  zarten 
Ranken  gelinde  fest,  und  führe  diese  weiter;  wenn  diese 
recht  stehen,  und  die  Traube  angefangen  hat  sich  zu  färben, 
80  binde  die  Stöcke  unten  an. 

Eine  Pfropfung  des  Weinstocks  geschieht  im  Frühjahre, 
eine  andere  während  der  Blüthezeit,  und  diese  ist  die  beste. 
Wenn  du  einen  alten  Weinstock  an  einen  andern  Ort  ver- 
setzen willst,  so  musst  du  wenigstens  zuerst  den  dicken 
Stamm  abschneiden,  nicht  mehr  als  2  Augen  sitzen  lassen, 
mit  den  Wurzeln  wohl  ausgraben  und  dich  hüten,  dieselben 
zu  beschädigen.  Ist  diess  geschehen,  so  setze  ihn  in  eine 
Grube  oder  Furche,  und  bedecke  ihn  gut  mit  Erde.  Auf 
dieselbe  Weise  bepflanze  einen  (neuen)  Weinberg,  binde 
die  Stöcke  fest,  biege  sie  wie  sie  vorher  waren,  und  grabe 
oft  um.  Das  Basilienkraut,  welches  Cato  in  den  Weinberg 
gepflanzt  wissen  will,  nannten  die  Alten  Futterkraut;  es 
kann  im  Schatten  stehen  und  kommt  schnell  fort. 


')  Ocimum.  Ocimum  basilicum  L. 


Siebenzehntes  Buch.  301 

Wir  kommen  nun  auf  die  Art  und  Weise,  den  Wein- 
stock an  Bäumen  zu  ziehen  i),  die  von  Saserna  Vater 
und  Sohn'-),  gänzlich  verworfen,  von  Scrofa  gepriesen  wird 
—  beide  sind  nächst  Cato  die  ältesten  und  erfahrensten 
Männer ;  Scrofa  ^)  erachtet  sie  aber  nur  für  Italien  zulässig. 
Man  schliesst  aus  langjähriger  Erfahrung,  dass  die  edlen 
Weine  nur  an  Bäumen  wachsen,  und  zwar  geben  die  höch- 
sten Trauben  den  besten,  die  niedrigsten  den  meisten  Wein. 
So  viel  Vortheil  bringt  die  Höhe.  Daher  wählt  man  auch 
die  Bäume  zum  Anbinden  der  Stöcke.  Den  ersten  Raug 
unter  ihnen  hat  in  dieser  Beziehung  die  Ulme,  ausgenom- 
men die  atinische,  wegen  ihres  starken  Laubes,  Dann 
folgt  die  schwarze  Pappel,  welche  aus  demselben  Grunde 
nicht  zu  dicht  belaubt  sein  darf.  Viele  verachten  auch  die 
Esche,  den  Feigenbaum  und  Oelbaum  nicht,  wenn  ihre 
Zweige  nicht  zu  viel  Schatten  geben.  Die  Pflanzung  und 
Cultur  dieser  Bäume  haben  wir  schon  ausführlich  beschrieben. 
Man  darf  solche  Stöcke  nicht  vor  dem  36.  Monate  mit  der  Sichel 
berühren.  Man  lässt  einen  Zweig  um  den  andern  stehen,  be- 
schneidet ein  Jahr  um  das  andere,  und  zieht  im  sechsten 
Jahre  den  Stock  an  dem  Baume  hinauf.  In  dem  jenseits 
des  Po  gelegenen  Theile  von  Italien  bepflanzt  man  die 
Weinäcker,  ausser  oben  genannten  Bäumen,  mit  Kornel- 
kirschen,  Pappeln,  Linden,  Ahorn,  Eschen,  Hainbuchen, 
Eichen;  zu  Venedig,  wegen  des  sumpfigen  Bodens,  mit  Wei- 
den. Die  Ulme  wird  auch  in  der  Mitte  abgehauen,  in  Ast- 
absätze vertheilt,  und  dadurch  kein  Baum  höher  als  20 
Fuss.  Die  Stockwerke  davon  verbreitet  man  auf  Hügeln 
und  trocknen  Aeckern  vom  8.  Fusse  ihrer  Höhe  an,  auf 
flachen  und  feuchten  Feldern  aber  vom  12.  Fusse  an.  Die 
höchsten  Stämme  müssen  gegen  die  Mittagssonne  gerichtet 
sein;  die  Aeste  an  ihren  hervorragenden  Spitzen  aufgerichtet, 
und  das  Laub  der  dünnen  Zweige  beschnitten  werden,  damit 
sie  keinen  Schatten  machen.  Der  richtige  Zwischenraum 
zwischen  den  Bäumen,  wenn  der  Boden  gepflügt  wird,    ist 

')  Arbusti  ratio.    ^)  Nicht  näher  bekannte  römische  Schriftsteller. 
3)  Ebenfalls  unbekannt. 


302  Siebenzehntes  Buch. 

nach  hinten  und  vorn  je  40  Fuss,  und  nach  den  Seiten  20 
Fuss;  wird  nicht  gepflügt,  überall  zwanzig.  Oft  zieht  man 
an  einem  Baume  zehn  Stöcke,  und  man  tadelt  den  Landmann, 
der  weniger  als  3  zieht.  Man  darf  nur  starke  Bäume  zu 
diesem  Behufe  nehmen,  denn  sonst  werden  sie  durch  das 
schnelle  Wachsthum  der  Weinstöcke  erstickt.  Man  muss  diese 
in  eine  3  Fuss  breite  Grube  pflanzen,  so  dass  sie  unter 
sich  und  vom  Baume  immer  1  Fuss  abstehen.  Hierbei  hat 
man  keine  Mühe  mit  den  Schösslingen  und  keine  Unkosten 
für  das  Behacken  und  Graben,  und  diese  Methode  des 
Weinbaues  hat  noch  den  besondern  Vortheil,  dass  man  in 
denselben  Boden  Getreide  säen  kann,  was  den  Weinstöcken 
sehr  zuträglich  ist.  Ueberdem  braucht  man,  da  die  Höhe 
hier  ein  Schutzmittel  abgiebt,  nicht  wie  in  Weinbergen, 
theuere  Schutzwehren  als  Zäune,  Hecken  oder  Gräben,  um 
das  Eindringen  des  Viehes  abzuhalten. 

Beim  Ziehen  der  Weinstöcke  an  Bäumen  bedient  man 
sich  bloss  der  Wurzelsprossen,  sowie  der  Ableger  und  dieser 
doppelt,  wie  wir  bereits  angegeben  haben.  Sie  in  Körben 
auf  das  Stockwerk  selbst  zu  legen,  wird  für  das  beste  ge- 
halten, weil  sie  dann  vor  dem  Vieh  am  sichersten  sind. 
Ein  anderes  Verfahren  besteht  darin,  den  Weinstock  oder 
einen  Zweig  davon  neben  seinen  Baum,  oder  um  den  näch- 
sten noch  unumschlungenen  nieder  zu  biegen.  Was  von 
dem  Mutterstamme  über  der  Erde  ist,  muss  abgeschnitten 
werden,  damit  es  nicht  buschig  ausschlage.  In  der  Erde 
werden  nicht  weniger  als  4  Augen,  um  Wurzel  zu  fassen, 
bedeckt,  und  nur  2  aussen  frei  gelassen.  Der  Weinstock 
an  einem  Baume  erfordert  eine  Furche  von  4  Fuss  in  der 
Länge,  3  Fuss  in  der  Breite,  und  2V2  Fuss  Tiefe.  Nach 
einem  Jahre  wird  das  Reis  bis  aufs  Mark  eingeschnitten, 
damit  es  sich  allmählig  an  seine  Wurzeln  gewöhne;  den 
Stengel  schneidet  man  bis  auf  2  Augen  ab.  Im  3.  Jahre 
wird  der  ganze  Senker  abgeschnitten,  und  tiefer  in  die 
Erde  gesetzt,  damit  er  an  dem  beschnittenen  Ende  nicht 
austreibe.  Das  Wurzelreis  muss  gleich  nach  der  Weinlese 
ausgehoben  werden. 


Siebenzebntes  Buch.  303 

Kürzlich  hat  man  die  Erfindung  gemacht,  einen  Drachen 
neben  einen  Baum  zu  pflanzen,  —  so  nennt  man  nämlich  eine 
ausgediente  Rebe,  weche  schon  mehrere  Jahre  hindurch 
erhärtet  ist.  Man  schneidet  diese  recht  weit  ab,  schabt 
auf  3  Theile  seiner  Länge  die  Rinde,  so  weit  sie  in  die 
Erde  kommen  soll  (daher  man  sie  auch  die  Schaberebe 
nennt),  ab,  senkt  sie  in  eine  Furche  und  lehnt  den  übrigen 
Theil  an  einen  Baum  hinauf.  Auf  diese  Weise  geht  es  mit 
dem  Weinstocke  am  schnellsten.  Wenn  der  Stock  oder  die 
Erde  unkräftig  ist,  so  pflegt  man  ihn  nahe  an  der  Erde 
abzuschneiden,  bis  sich  die  Wurzel  befestigt,  ihn  auch  an 
keinen  feuchten  oder  dem  Nordwinde  ausgesetzten  Ort  zu 
pflanzen.  Die  Stöcke  selbst  müssen  gegen  Nordost,  ihre 
Reben  aber  gegen  Mittag  stehen. 

Mit  dem  Beschneiden  eines  jungen  Stocks  darf  man 
nicht  sehr  eilen,  sein  Stamm  soll  sich  vielmehr  erst  rund 
um  den  Baum  schlingen,  und  nur  die  bereits  kräftigen  soll 
man  beschneiden.  An  Bäumen  gezogene  Stöcke  tragen  fast 
ein  ganzes  Jahr  später  Früchte  als  die  an  Geländern. 
Einige  sagen,  man  solle  sie  nicht  eher  beschneiden,  bis  sie 
die  Höhe  des  Baumes  erreicht  haben.  Zuerst  werden  sie 
6  Fuss  von  der  Erde  beschnitten;  unten  bleibt  ein  Schoss 
stehen,  und  diesen  zwingt  man  durch  Krümmung  des 
Stammes  zum  Wachsen.  Beim  Beschneiden  darf  man  nicht 
mehr  als  3  Augen  übrig  lassen.  Die  aus  diesen  getriebenen 
Schösslinge  müssen  im  nächsten  Jahre  bis  zu  den  untersten 
Astabsätzen  getrieben  werden,  und  so  jedes  Jahr  um  einen 
höher  steigen,  wobei  man  ihnen  in  jedem  Stockwerk  eine 
verholzte  Rebe  und  eine  erst  jüngst  entstandene,  welche 
man  nach  Belieben  leitet,  lässt.  Uebrigens  müssen  bei 
jedesmaligem  Beschneiden  diejenigen  Ranken,  welche  zu- 
letzt getragen  haben,  hinweggenommen  und  neue  auf  den 
Stockwerken  ausgebreitet  werden.  Bei  uns  nimmt  man  den 
Aesten  der  Weinstöcke  die  Gabeln  '),  umkleidet  den  Baum, 
und  entblösst  selbst  die  Trauben  von  den  Gabeln;  in  Gal- 

')  crines. 


304  Siebenzelintes  Bucli. 

lien  wird  diess  sogar  auf  die  Senkreben  ausgedehnt,  und 
am  ämiliselien  Wege  auf  die  Wurzeln  der  die  atiuisclien 
Ulmen  umschlingenden,  weil  man  deren  Laub  fürchtet. 

Einige  begehen  die  Unklugheit,  den  Weinstock  unter- 
halb des  Zweiges  an  einem  Bande  aufzuhängen,  denn  hier- 
durch wird  er  erstickt;  er  muss  vielmehr  durch  eine  Ruthe 
angehalten,  aber  nicht  festgeschnürt  werden.  Diejenigen, 
welche  Weiden  genug  haben,  ziehen  zu  jenem  Behufe  dieses 
weiche  Bandwerk,  sowie  ein  Kraut,  welches  die  Sicilier 
Weiubund  ^)  nennen,  vor;  in  ganz  Griechenland  aber  be- 
dient man  sich  der  Binsen,  des  Cypergrases  und  Wasser- 
grases. Man  löst  auch  wohl  ihre  Baude,  lässt  sie  einige 
Tage  hindurch  frei,  sich  nach  Belieben  ausbreiten,  und  auf 
die  Erde,  welche  sie  das  ganze  Jahr  hindurch  angesehen 
haben,  niederlegen;  denn  sowie  dem  Zugvieh  nach  dem 
Ausspannen,  und  den  Hunden  nach  dem  Laufen  das  Wälzen 
wohlthut,  ebenso  strecken  sich  die  Weinstöcke  auch  gern 
einmal  aus.  Selbst  der  Baum  freuet  sich  dann  über  die 
Abnahme  seiner  beständigen  Last  und  scheint  sich  wieder 
zu  erholen.  Es  giebt  nichts  in  der  Natur,  was  nicht,  gleich 
dem  Beispiele  von  Tag  und  Nacht,  einigen  Wechsel  zum 
Ruhen  begehrte.  Daher  wird  das  Beschneiden  gleich  nach 
der  Weinlese  nicht  für  gut  gehalten,  weil  4ann  die  Stöcke 
noch  von  dem  Fruchttragen  ermüdet  sind.  Die  beschnittenen 
Stöcke  müssen  an  einer  andern  Stelle  festgebunden  wer- 
den, denn  sie  fühlen  bei  der  offenbaren  Reibung  die  Ringe 
ihrer  Bande. 

Nach  der  in  Gallien  befolgten  Cultur  sind  an  beiden 
Seiten  2  Senkreben,  wenn  der  Raum  vom  Stamme  ab  40 
Fuss  beträgt,  4  aber  bei  20  Fuss  Entfernung;  sie  werden 
da  wo  sie  sich  begegnen,  vermischt,  und  so  vereinigt  an- 
gebunden; auch  da  wo  es  nöthig  ist,  durch  angebrachtes 
Ruthenwerk  steif  gehalten,  oder,  wenn  sie  zu  kurz  sind, 
durch  einen  angebundenen  Haken  nach  einem  ledigen 
Baume  hingeleitet.    Dort  pflegte  man  früher  eine  zweijäh- 


')  Ampelodesmos. 


Siebenzehntes  Buch.  305 

i'ige  Senkrebe  abzuschneiden.  Es  ist  aber  besser,  alten 
Bäumen,  wenn  es  ihre  Dicke  erlaubt,  Zeit  zu  lassen,  damit 
sie  einen  vorspringenden  Schuss  machen;  sonst  muss  man 
die  dicken  Schüsse  zu  Drachen  ziehen. 

Es  giebt  noch  eine  Art,  welche  zwischen  dieser  und 
den  Ablegern  das  Mittel  hält,  nämlich,  ganze  Weinstöcke 
in  die  Erde  zu  pflanzen,  sie  mit  Keilen  zu  spalten,  aus 
einem  mehrere  zugleich  in  Furchen  zu  ziehen,  die  einzelnen 
dünnen  Stämme  an  Pfählen  zu  befestigen,  und  die  seit- 
wärts auslaufenden  Ranken  nicht  abzuschneiden.  Die  Land- 
leute zu  Novara  sind  mit  vielen  Senkreben  und  Zweigen 
noch  nicht  zufrieden,  sondern  bringen  noch  Staugen  darüber 
an  und  wickeln  die  Keben  darum.  Daher  werden  die  Weine, 
ausser  durch  den  nacbtheiligen  Einfluss  des  Bodens,  auch 
noch  durch  die  Cultur  herbe.  Einen  andern  Fehler  begeht 
man  in  der  Nähe  von  Rom  mit  den  varracinischeu  Stöcken, 
w^elche  ein  Jahr  um  das  andere  beschnitten  werden,  nicht, 
weil  ihnen  diess  zuträglich,  sondern  weil  er  so  schlecht  ist, 
dass  die  Unkosten  die  Einkünfte  übersteigen.  Im  Carseo- 
lauischen  schlägt  man  den  Mittelweg  ein;  man  schneidet 
nämlich  nur  die  laubigen  Theile  des  Stocks  und 
die,  welche  trocken  werden  wollen,  ab,  und  lässt  das 
Uebrige  bei  der  Traube  zurück;  hierdurch  wird  die  über- 
flüssige Last  entfernt,  und  statt  der  Ernährung  dient  das 
seltene  Beschneiden.  Diese  Behandlungsweise  veranlasst 
aber  das  Ausarten  in  wilden  Wein,  wenn  der  Boden  nicht 
fett  ist. 

Die  mit  Bäumen  verpflanzten  Weinfelder  *)  müssen  sehr 
tief  gepflügt  werden,  wenngleich  das  darauf  gesäete  Ge- 
treide diess  nicht  erheischt.  Man  pflegt  sie  nicht  abzulauben, 
und  dadurch  erspart  man  sich  eine  Mühe.  Man  beschnei- 
det sie  zugleich  mit  den  andern  Weinstöcken,  und  lichtet 
die  dichtsteheuden  Zweige,  welche  überflüssig  sind  und  die 
Nahrung  wegziehen.  Wir  haben  gesagt,  sie  dürften  nicht 
gegen  Norden    oder  Süden    stehen;    besser    wäre    es   auch, 


*]  arbusta. 

Wittstein:  Pliaius.     III.  Bd.  20 


306  Siebenzelintes  Buch. 

wenn  sie  nicht  gegen  Westen  ständen.  Schnitte,  welche 
bei  zu  starker  Kälte  oder  Hitze  gemacht  sind,  bleiben  lange 
wund  und  heilen  schwer.  Mit  den  gewöhnlichen  Weinstöcken 
darf  man  nicht  so  fein  umgehen,  wie  mit  den  an  Bäumen 
gezogenen,  denn  hier  ist  es  leichter,  gewisse  Theile  zu  ver- 
bergen und  zu  drehen,  wohin  man  will.  Die  Bäume  muss 
man  von  oben  herunter  in  Form  eines  Kelchs  beschneiden, 
damit  die  Feuchtigkeit  nicht  auf  ihnen  stehen  bleibt. 

36. 

Man  muss  dem  Weinstocke  Stützen  geben,  welche 
gross  genug  sind,  dass  er  an  ihnen  hinaufsteigen  kann. 
Man  räth,  die  Geländer  edler  Weine  am  fünftägigen  Minerva- 
feste  ^)  und  die,  deren  Trauben  man  aufbewahren  will,  im 
abnehmenden  Monde  zu  beschneiden;  welche  aber  beim 
Wechsel  des  Mondes  beschnitten  wären,  würden  von 
keinem  Thiere  beschädigt.  Andere  meinen,  das  Be- 
schneiden müsse  des  Nachts  beim  Vollmonde,  und  zwar 
wenn  dieser  im  Löwen,  Scorpion,  Schützen  oder  Stiere 
stehe,  geschehen,  und  überhaupt  müsse  mau  den  Weinstock 
bei  vollem  oder  zunehmendem  Monde  pflanzen.  In  Italien 
reichen  10  Arbeiter  auf  100  Morgen  Weinland  aus. 

37. 

Nachdem  wir  von  der  Pflanzung  und  Wartung  der 
Bäume,  sowie  unter  den  fremden  Bäumen,  von  den  Palmen 
und  dem  Cytisus  ausführlich  gehandelt  haben,  müssen  wir 
der  Vollständigkeit  wegen  auch  der  übrigen  Umstände  ge- 
denken, welche  mit  dem  bisher  Vorgetragenen  im  engen 
Verbände  stehen.  Die  Bäume  werden  nämlich  auch  von 
Krankheiten  befallen;  denn  welches  Geschöpf  bleibt 
wohl  frei  von  diesen  Uebeln?  Zwar  sagt  man,  den  wilden 
Bäumen  seien  sie  nicht  gefährlich,  und  sie  litten  bloss 
während  des  Ausschiagens  oder  Blühens  vom  Hagel;  aber 
ihnen  schaden  Hitze  oder  kalte  Winde  zu  unrechter  Zeit, 
denn  die  Kälte  ist,  wie  wir  bereits  gesagt  haben,  zu  ihrer 


')  Quinquatria,  begonnen  den  19.  März. 


Siebenzehntes  Buch.  307 

Zeit  auch  dienlich.  Wie?  erfrieren  nicht  selbst  Weinstöcke? 
Diess  ist  es  eben,  woran  man  den  Fehler  des  Bodens  er- 
kennt, denn  nur  in  kaltem  Erdreiche  widerfährt  ihm  diess. 
Daher  haben  wir  den  Winter  über  gern  Kälte  in  der  Luft, 
aber  nicht  im  Erdboden.  Es  sind  nicht  die  schwächsten, 
sondern  die  grössten  Bäume,  denen  die  Kälte  schadet,  und 
an  ihnen  vertrocknen  zuerst  die  Gipfel,  weil  die  durch  die 
Kälte  gebundene  Feuchtigkeit  nicht  dahin  gelangen  konnte. 

Einige  Krankheiten  treffen  alle  Bäume,  andere  nur 
gewisse  Arten.  Allgemein  sind:  der  Wurmstich,  der  Brand  i), 
der  Gliederschmerz,  woher  die  Schwäche  der  Theile  kommt, 
—  lauter  Namen,  deren  Bedeutungen  mit  den  Uebeln  der 
Menschen  übereinstimmen.  Wir  sagen  auch,  die  Körper 
sind  verstümmelt,  die  Augen  der  Sprossen  sind  ausgebrannt, 
und  andere  ähnliche  Redensarten.  Ebenso  leiden  die  Pflan- 
zen auch  Hunger,  und  an  Unverdaulichkeit,  beides  wegen 
zu  vieler  Feuchtigkeit.  Andere  haben  zu  viel  Fett;  so 
werden  alle  Harzführenden  durch  die  grosse  Menge  Fett 
in  Kienholz  verwandelt  und  sterben,  und  wenn  die  Wurzeln 
auch  anfangen,  fett  zu  werden,  wie  die  Thiere  durch  das 
allzuviele  Fett.  Zuweilen  verbreitet  sich  unter  manchen 
Arten  eine  ansteckende  Seuche,  wie  unter  den  Menschen 
bald  die  Sclaven,  bald  die  gemeine  Classe,  bald  die  Bauern 
von  dergleichen  befallen  werden. 

Einige  Bäume  leiden  mehr,  andere  weniger  vom  Wurm- 
stiche, doch  ganz  wird  keiner  davon  verschont,  und  diess 
erkennen  die  Vögel  an  dem  Schalle  der  hohlen  Rinde. 
Solche  Würmer  sind  schon  ein  Gegenstand  der  Schwelgerei 
geworden,  die  grossen  im  Eichenholze  (welche  den  Namen 
cossi  führen)  gehören  unter  die  feinen  Gerichte  und,  da 
man  sie  sogar  schon  mit  Mehl  mästet,  bereits  unter  das 
Mastvieh.  Unter  den  Bäumen  leiden  die  Birn-,  Aepfel-  und 
Feigenbäume  am  meisten  davon;  weniger  die,  welche  bitter 
und  wohlriechend  sind.  Von  den  Würmern,  welche  sich  auf 
den  Feigenbäumen  befinden,  wachsen  einige  aus  ihnen  selbst 

')  sideratio. 

20* 


308  Siebeuzeliates  Buch. 

heraus,  andere  erzeugt  der  sogenannte  Kornkäfer,  alle  aber 
werden  in  Hornkäfer  verwandelt,  und  geben  einen  gelinde 
rauschenden  Ton  von  sich.  Auch  der  Speierling  wird  von 
rothen  haarigen  Würmern  (Raupen)  angefressen,  und  stirbt 
dadurch  ab.  Der  Mispel  bäum  ist  im  Alter  derselben  Krank- 
heit unterworfen. 

Der  Braud  entsteht  ausschliesslich  durch  atmosphä- 
rische Einflüsse;  daher  muss  man  zu  den  Ursachen  seiner 
Erzeugung  auch  den  Hagel,  die  Bereifung  und  andere  aus 
dem  Reif  entspringende  Uebel  rechnen.  Dieser  setzt  sich 
auf  die  zarten  Pflanzen,  welche  durch  die  Frühlings  wärme 
gelockt  hervorbrechen  wollen,  verbrennt  die  milchenden 
Augen  der  Knospen,  und  diess  nennt  man  bei  den  Blüthen 
den  Carbunkel.  Der  Reif  ist  von  Natur  um  so  verderb- 
licher, weil  er  da,  wo  er  hinfällt,  festsitzt,  anfriert,  und 
durch  die  Luft  nicht  weggetrieben  wird,  weil  er  nur  bei  stiller 
und  heiterer  Luft  sich  erzeugt.  Das  eigentliche  Wesen  des 
Brandes  jedoch  ist  die  dürre  Ausdünstung  beim  Aufgange 
des  Hundssterns,  woran  die  gepfropften  und  jungen  Bäume, 
besonders  Feigen  und  Weinsöcke  sterben.  Der  Oelbaum 
wird  ausser  dem  Wurmstich,  woran  auch  der  Feigenbaum 
leidet,  auch  noch  vou  der  Warze  ^)  (die  man  auch  wohl 
Schwamm  oder  Schüssel  nennen  kann)  befallen,  welche 
durch  die  Sonnenhitze  entsteht.  Cato  sagt,  auch  das  rothe 
Moos  sei  schädlich.  Die  Weinstöcke  und  Oelbäume  leiden 
grösstentheils  durch  zu  grosse  Fruchtbarkeit.  Von  der 
Räude  werden  alle  befallen.  Die  Flechte  -)  und  die  ge- 
wöhnlich daran  wachsenden  Schnecken  sind  eigenthümliche 
Krankheiten  des  Feigenbaums,  jedoch  nicht  überall,  denn 
einige  Uebel  finden  sich  nur  an  gewissen  Orten. 

Aber  so  wie  den  Menschen  die  Nerven  schmerzen,  so 
auch  den  Baum,  und  gleichfalls  auf  zweierlei  Weise,  denn 
der  Krankheitsstoff  kommt  entweder  in  die  Füsse,  d.  i.  in 
die  Wurzeln,  oder  in  die  Glieder,  d.  i.  in  die  dünnen  Ver- 


')  clavus.     -I  Impetigo. 


Siebenzehntes  Buch.     -  '  309 

zweiguDgen  der  Krone,  welche  am  längsten  vom  Stamme 
ausgehen.  Alsdann  vertrocknen  sie,  und  die  Griechen  ha- 
ben für  beide  Uebel  besondere  Namen.  Zuerst  entstehen 
überall  Schmerzen,  darauf  folgt  Abnahme  und  Zerbrechlich- 
keit der  Theile,  zuletzt  Auszehrung  und  der  Tod,  wenn 
entweder  der  Saft  nicht  eindringt  oder  nicht  durchkommen 
kann.  Am  meisten  tritt  diess  bei  den  Feigenbäumen  ein;  der 
wilde  Feigenbaum  hingegen  wird  von  allen  den  bis  jetzt  ge- 
nannten Uebeln  nicht  befallen.  Die  Räude  entsteht  durch 
den  klebrigen  Thau  nach  dem  Aufgange  des  Siebengestirns. 
Wenn  er  seltener  fällt,  durchnässt  er  den  Baum,  frisst  ihn 
jedoch  nicht  an;  fällt  er  aber  stark  oder  regnet  es  sehr 
häufig,  so  leidet  der  Feigenbaum,  weil  dann  seine  Wurzeln 
nass  stehen,  an  einem  andern  Uebel. 

Die  Weinstöcke  haben  ausser  dem  Wurmstiche  und 
dem  Brande  noch  eine  besondere  Krankheit,  nämlich  an 
den  Knoten.  Sie  entsteht  aus  3  Ursachen;  erstens,  wenn 
dm-ch  stürmisches  Wetter  die  Knospen  abgerissen,  zweitens, 
nach  Theophrast's  Bemerkung,  wenn  sie  von  hinten  ausge- 
schnitten, und  drittens,  wenn  sie  unvorsichtiger  Weise  ver- 
letzt werden.  Alle  ihnen  widerfahrene  Verletzungen  haben 
auf  die  Knoten  Einfluss.  Eine  Art  Brand  an  den  Wein- 
stöcken, wenn  sie  ausgeblühet  haben,  ist  das  Thauen,  oder, 
wenn  die  Beeren,  bevor  sie  wachsen,  sich  in  einen  harten  Kör- 
per verwandeln.  Die  Weinstöcke  erkranken  auch,  wenn  sie 
Frost  gelitten  haben,  und  die  Augen  der  beschnittenen 
durch  Brand  verletzt  sind.  Diess  geschieht  auch  durch  un- 
zeitige Hitze,  denn  bei  Allem  muss  ein  gewisses  Maass  und 
Mittelweg  sein.  Auch  kommt  es  wohl  von  einem  Versehen 
der  Bebauer  her,  wenn  sie  sie,  wie  bereits  gesagt  wurde, 
zu  fest  schnüren,  oder  wenn  der  Gräber  sie  durch  einen 
heftigen  Stoss  verletzt,  oder  auch,  wenn  der,  welcher  unter 
ihnen  pflügte,  aus  Unachtsamkeit  die  Wurzeln  beschädigt, 
oder  die  Rinde  abgelöst  hat.  Auch  wirkt  ein  stumpfes 
Messer  nachtheilig.  Unter  diesen  Umständen  ertragen  sie 
Kälte  und  Hitze  weit  schwieriger,  weil  alle  nachtheiligen 
Einflüsse  von  aussen  in  die  Wunde  dring-en.   Der  schwächste 


310  Siebenzehntes  Buch. 

aller  Bäume  ist  der  Apfelbaum,  und  besonders  der  süsse. 
Bei  einigen  wird  durch  Schwäche  Unfruchtbarkeit,  aber 
nicht  der  Tod  herbeigeführt,  z.  B.  wenn  man  einer  Fichte 
oder  Palme  den  Gipfel  nimmt,  denn  dann  sterben  sie  zwar 
n  icht  ab,  werden  aber  unfruchtbar.  Zuweilen  erkrankt  auch 
das  Obst  an  sich  ohne  den  Baum,  wenn  der  nöthige  Regen, 
Wind  oder  Wärme  fehlten,  oder  im  Gegentheil  sich  zu  viel 
davon  einstellte;  denn  alsdann  fällt  es  ab  und  wird  schlech- 
ter. Das  grösste  aller  Uebel  ist,  wenn  ein  Platzregen  auf 
einen  abblühenden  Weinstock  oder  Oelbaum  fällt,  weil  da- 
durch zugleich  auch  die  Frucht  verloren  geht. 

Dieselbe  Ursache  veranlasst  die  Entstehung  der  Raupen, 
eines  scheusslicheu  Thieres,  von  denen  einige  das  Laub, 
andere  die  Blüthen  und  zwar  selbst  von  den  Oliven,  wie 
zu  Milet  abnagen,  und  den  abgefressenen  Baum  in  einem 
hässlichen  Ausehen  hinterlassen.  Dieses  Ungeziefer  entsteht 
bei  feuchter  und  anhaltender  Wärme,  und  aus  ihm  noch 
ein  anderes,  wenn  die  darauf  folgenden  heissen  Sonnen- 
strahlen das  Schadhafte  (gleichsam)  einbrennen  und  somit 
verändern.  Die  Oliven  und  Weinstöcke  sind  noch  einer  be- 
sondern Krankheit,  dem  sogenannten  Spinnengewebe,  aus- 
gesetzt, wobei  eine  Art  Gewebe  die  Frucht  einhüllt  und 
verzehrt.  Ferner  schaden  manche  Winde  den  Oliven  sehr, 
jedoch  auch  andern  Früchten.  Wurmstichig  wird  auch  das 
Obst  selbst  an  sich  in  manchen  Jahren,  z.  B.  die  Aepfel, 
Birnen,  Mispeln,  Granaten.  Bei  der  Olive  ist  der  Erfolg 
des  Wurmstichs  zweifach;  kommt  nämlich  der  Wurm  nach 
ihrer  Entstehung  unter  die  Haut,  so  verdirbt  die  Frucht, 
ist  er  aber  in  dem  Kern  selbst  gewesen  und  hat  ihn  zer- 
fressen, so  vergrössert  sich  die  Frucht.  Regen,  der  nach 
dem  Arcturus  kommt,  verhindert  die  Entstehung  der  Würmer; 
kommt  er  aber  von  Süden,  so  erzeugt  er  sie,  und  selbst  in 
den  Steinfrüchten,  welche  dann  am  meisten  abfallen.  Letz- 
teres ereignet  sich  mehr  in  feuchten  Gegenden,  und  fallen 
sie  dann  auch  nicht  ab,  so  schmecken  sie  doch  nicht  gut. 
Auch  einige  Arten  von  Mücken  schaden  manchen  Früchten, 
wie  z.  B.  den  Eicheln  und  Feigen,   und  jene  scheinen  aus 


Siebenzehntes  Buch.  311 

dem  alsdann  unter  der  Rinde  befindlichen  süssen  Safte 
zu  entstehen.  Diess  sind  so  ziemlich  die  Krankheiten  der 
Bäume. 

Manche  Wirkungen,  welche  in  der  Zeit  und  0 ertlich- 
keit ihre  Ursachen  haben,  können  nicht  füglich  Krankheiten 
genannt  werden,  weil  sie  sogleich  tödten,  sowie  z.  B.  ein 
Baum  von  der  Auszehrung,  oder  Dörrung  oder  einem  irgend 
einer  Gegend  eigenthümlichen  Winde,  wie  der  Atabulus  in 
Apulien,  der  Olympias  in  Euböa  ist,  ergriffen  wird.  Wenn 
letzterer  um  den  kürzesten  Tag  wehet,  dörrt  und  verdirbt 
er  alles  durch  Kälte,  so  dass  nachher  die  Sonnenstrahlen 
die  Pflanzen  nicht  wieder  ins  Leben  zurückrufen  können. 
Diesem  Unfälle  sind  die  Thäler  und  an  Flüssen  gelegenen 
Gegenden,  und  unter  den  Gewächsen  besonders  der  Wein- 
stock, Oelbaum  und  Feigenbaum  ausgesetzt.  Man  entdeckt 
ihn  sogleich  beim  Ausschlagen,  bei  der  Olive  jedoch  später, 
bei  allen  aber  ist  es  ein  Beweis  ihres  Wiederauflebens, 
wenn  sie  die  Blätter  verloren  haben,  ausserdem  sterben 
die,  welche  man  fiir  die  kräftigsten  halten  sollte.  Zuweilen 
vertrocknen  die  Blätter  und  werden  wieder  grün.  Einige 
Bäume  in  nördlichen  Gegenden,  wie  in  Pontus,  Phrygien, 
leiden  von  Frost  und  Kälte,  wenn  diese  noch  40  Tage  nach 
dem  kürzesten  anhalten.  Dort  aber  und  in  andern  Ländern 
wirkt  ein  bald  nach  Hervorbrechung  der  Frucht  eintreten- 
der starker  Frost,  sogar  in  wenigen  Tagen  tödtlich. 

Eine  zweite  Art  von  Ursachen  der  Krankheiten  sind 
die,  welche  aus  den  Verletzungen  durch  Menschen  hervor- 
gehen. Pech,  Oel,  Fett  schaden  namentlich  den  jungen 
Bäumen.  Wenn  man  rundherum  die  Rinde  abschält,  stirbt 
der  Baum,  mit  Ausnahme  der  Korkeiche,  der  diess  sogar 
dienlich  ist,  denn  wenn  deren  Rinde  dick  wird,  so  schnürt 
sie  den  Stamm  ein  und  erstickt  ihn.  Auch  dem  Erdbeer- 
baume schadet  es  nicht,  wenn  man  nur  nicht  ins  Holz 
schneidet.  Ferner  blättert  sich  auch  vom  Kirschbaume, 
der  Linde  und  dem  Weinstocke  die  Rinde  ab,  aber  nicht 
die  lebende  und  dem  Holze  zunächst  liegende,  sondern  die, 
welche  von    der  darunter    nachwachsenden    fortgeschoben 


312  Siebenzehntes  Buch. 

wird.  Einge  Bäume,  z.  B.  die  Platanen,  haben  von  Natur 
eine  rissige  Rinde.  Bei  der  Linde  wächst  sie  nicht  ganz 
wieder  nach.  Daher  muss  man  den  Bäumen,  deren  Rinden 
Narben  hinterlassen,  mit  Lehm  und  Mist  zu  Hülfe  kommen; 
und  mitunter  nützt  es,  wenn  nicht  zu  starke  Kälte  oder 
Hitze  darauf  folgt.  Einige  sterben  auf  diese  Weise  nicht 
so  schnell,  z.  B.  die  gemeine  Eiche.  Hierbei  kommt  es 
auch  auf  die  Jahreszeit  an.  Denn  nimmt  man,  wenn  die 
Sonne  durch  das  Zeichen  des  Stiers  oder  der  Zwillinge 
geht,  der  Tanne  oder  Fichte  um  die  Zeit  des  Ausschiagens 
die  Rinde,  so  gehen  sie  auf  der  Stelle  aus.  Thut  mau  es 
hingegen  im  Winter,  so  halten  sie  länger  aus.  Ebenso 
verhalten  sich  die  Stech-,  Wald-  und  gemeine  Eiche.  Er- 
streckt sich  die  Abschälung  nicht  weit,  so  schadet  sie  den 
genannten  Bäumen  nicht;  wird  aber  schwächern  oder  auf 
einem  magern  Boden  wachsenden  nur  an  einer  Seite  die 
Rinde  abgezogen,  so  gehen  sie  aus.  Gleiche  Bewandtniss 
hat  es  mit  der  Abköpfung  der  Cypresse,  Rothtanne  und 
Ceder,  denn  wird  diesen  der  Gipfel  genommen  oder  durch 
Feuer  angebrannt,  so  sterben  sie.  Dasselbe  erfolgt  durch 
das  Abfressen  der  Thiere.  Der  Oelbaum  soll,  wie  Varro 
sagt  und  wir  bereits  angeführt  haben,  sogar  schon  absterben, 
wenn  ihn  eine  Ziege  beleckt.  Einige  sterben  von  dieser 
Beschädigung,  andere  arten  nur  aus,  wie  die  Mandeln, 
welche  aus  süssen  in  bittere  verwandelt  werden;  noch  an- 
dere verbessern  sich  sogar,  wie  der  sogenannte  phocische 
Birnbaum  bei  den  Chieru.  Welchen  Bäumen  das  Abstam- 
men dienlich  ist,  haben  wir  bereits  gesagt.  Die  Meisten 
sterben  auch,  wenn  der  Stamm  gespalten  wird,  mit  Aus- 
nahme des  Weinstocks,  Apfel-,  Feigen-  und  Granatbaums. 
Einige  sterben  schon  an  einer  blossen  Wunde,  aber  dem 
Feigenbaume,  sowie  allen  harzführenden  schadet  diess  nicht. 
Dass  durch  Abschneiden  der  Wurzeln  der  Tod  erfolgt,  ist 
nicht  zu  verwundern;  die  meisten  sterben  jedoch  nur,  wenn 
ihnen  nicht  alle,  sondern  die  grössten  oder  die,  welche 
unter  ihnen  die  Lebenswuraeln  sind,  abgeschnitten  werden. 
Die  Bäume   tödten    sich    selbst   unter   einander   durch 


Siebenzehntes  Buch.  313 

den  Schatten,  oder  durch  ihr  dichtes  Beisammensein,  oder 
durch  das  Entziehen  der  Nahrung.  Auch  der  Epheu  tödtet 
sie  durch  Umschlingen;  die  Mistel  nützt  ebenfalls  nicht, 
und  der  Cytisus  wird  durch  das,  was  die  Griechen  Hali- 
mon ')  nennen,  getödtet.  Manche  Gewächse  tödten  zwar 
als  solche  nicht,  schaden  aber  durch  ihren  Geruch  oder 
die  Einmischung  ihres  Saftes,  wie  der  Rettig  und  Lorbeer 
dem  Weinstocke,  denn  man  bemerkt  den  scharfen  Geruch, 
der  ihn  so  wunderbar  ergreift;  er  soll  daher,  wenn  er  jenen 
nahe  steht,  zurückweichen  und  den  feindlichen  Geruch  fliehen. 
Hierin  erkannte  Androcydes  ein  Mittel  wider  die  Trunken- 
heit, und  schrieb  zu  diesem  Behufe  vor,  Rettig  zu  essen. 
Der  Weinsiock  hasst  auch  den  Kohl,  alle  Küchenkräuter, 
die  Haselstaude;  stehen  sie  nicht  weit  von  ihm  entfernt 
so  ist  er  traurig  und  krank.  Endlich  sind  auch  Natron, 
Alaun,  warmes  Meerwasser  und  Bohnen-  oder  Erbsenhülsen 
Gifte  für  die  Bäume. 

38. 
Unter  den  Fehlern  oder  Gebrechen  der  Bäume  nehmen 
auch  die  seltsamen  Erscheinungen  einen  Platz  ein. 
Wir  finden  nämlich  Bäume,  welche  ohne  Blätter  aufge- 
wachsen sind;  Weinstöcke  und  Granaten,  welche  ihre 
Früchte  nicht  an  Aesten  oder  Ranken,  sondern  am  Stamme 
tragen;  Weinstöcke  mit  Trauben  und  ohne  Blätter;  Oel- 
bäume,  welche  die  Blätter  verlieren,  während  die  Früchte 
hängen  bleiben.  Ferner  giebt  es  zufällige  Wunder;  denn 
ein  Oelbaum,  der  ganz  angebrannt  war,  lebte  wieder  auf, 
und  in  Böotien  schlugen  von  den  Heuschrecken  abgefressene 
Feigenbäume  wiederum  aus.  Die  Bäume  ändern  auch  ihre 
Farbe,  und  aus  echwarzen  werden  weisse,  ohne  dass  diess 
allemal  was  Wunderbares  wäre;  am  meisten  kommt  der- 
gleichen bei  solchen  vor,  welche  aus  dem  Samen  wachsen, 
wie  denn  die  weisse  Pappel  in  die  schwarze  übergeht. 
Einige  meinen  auch,  der  Speierling  werde,  wenn  er  in 
wärmere    Gegenden    komme,    unfruchtbar.      Wunderbarer 


»)  Atriplex  Halimus  L.  S.  auch  XXII.  B.  33.  Cap. 


14  Siebenzehntes  Buch. 

Weise  entsteht  aber  aus  süssem  Obste  saures,  oder  aus 
saurem  süsses,  aus  wilden  Feigen  zahme,  oder  umgekehrt, 
durch  ein  mächtiges  Wunderzeicben,  wenn  sie  sich  in 
schlechtere  Sorten  umwandeln,  wie  echte  Oelbäume  in 
wilde,  weisse  Trauben  und  Feigen  in  schwarze.  So  wurde 
bei  der  Ankunft  des  Xerxes  zu  Laodicea  eine  Platane  in 
einen  Oelbaum  verwandelt.  Von  solchen  Wundern  strotzen 
—  damit  wir  uns  nicht  zuweit  darin  verlieren  —  bei  den 
Griechen  Aristanders  ^)  Buch,  bei  uns  aber  C.  Epidius'  2) 
schriftliche  Aufsätze,  in  denen  man  sogar  von  Bäumen 
liest,  welche  geredet  haben.  Im  Cumanischen  Gebiete  ver- 
sank durch  ein  mächtiges  Wunderzeichen,  kurz  vor  den 
Bürgerkriegen  des  grossen  Pompejus,  ein  Baum  so  weit, 
dass  nur  noch  wenige  Zweige  hervorragten.  Man  fand 
nämlich  in  den  sibyllinisehen  Büchern  aufgezeichnet,  es 
würde  eine  grosse  Niederlage  von  Menschen  kommen,  und 
diese  um  so  viel  grösser  werden,  je  näher  sie  bei  Rom 
wäre.  Zu  den  Wundern  gehört  auch,  wenn  Bäume  an  un- 
gewöhnlichen Orten  hervorwachsen,  wie  auf  den  Köpfen 
von  Bildsäulen,  auf  Altären,  oder  wenn  auf  Bäumen  selbst 
fremdartige  Dinge  wachsen.  So  wuchs  zu  Cyzicum,  vor  der 
Belagerung,  eine  Feige  auf  einem  Lorbeerbaume,  zu  Tralles 
eine  Palme  auf  dem  Fussgestelle  des  Dictators  Cäsar  zur 
Zeit  seiner  Bürgerkriege.  Eine  zweimal  aus  einem  Kopfe 
hervorgewachsene  Palme  zu  Rom  auf  dem  Capitolium  im 
Kriege  gegen  Perseus  bedeutete  Sieg  und  Triumphe;  nach- 
dem diese  durch  Sturm  umgeworfen  war,  wuchs,  als  die 
Censoren  M.  Messala  und  C.  Cassius  das  Sühnopfer  hielten, 
an  eben  derselben  Stelle  ein  Feigenbaum  hervor.  Von 
dieser  Zeit  an  sei,  schreibt  Piso,  ein  angesehener  Schrift- 
steller, alle  Sittsamkeit  vernichtet,  lieber  alles,  was  jemals  ge- 
hört worden  ist,  geht  aber  das  Wunder,  was  sich  zu  unsern 


')  Von  Telmessus,  Günstling  Philipps  und  dessen  Sohnes  Alexanders 
(den  er  nach  Indien  begleitete)  wegen  Traumdeutungen;  schrieb  ein 
(verloren  gegangenes)  Buch  de  portentis. 

=*;  Ein  nicht  näher  bekannter  Autor. 


Siebenzehntes  Buch.  315 

Zeiten  beim  Sturze  des  Kaisers  Nero  im  marrucinischen 
Gebiete  ereignet  hat;  der  ganze  Oelgarten  des  Vectius 
Marcellus,  eines  der  ersten  aus  dem  Ritterorden,  ging  näm- 
lich über  den  öffentlichen  Weg  auf  die  Felder,  und  die 
Felder  nahmen  die  Stelle  des  Oelgartens  ein. 

39. 

Nachdem  wir  von  den  Krankheiten  der  Bäume  geredet 
haben,  müssen  wir  auch  die  Hülfsmittel  gegen  dieselben 
anführen.  Von  diesen  passen  einige  für  alle,  andere  aber 
nur  für  einzelne.  Allgemeine  Hülfsmittel  sind:  das  Ab- 
blättern, das  Behäufeln,  das  Lüften  oder  Bedecken  der 
Wurzeln,  dass.  man  denen,  welche  begossen  werden,  Wasser 
giebt  oder  nimmt,  sie  durch  Mistjauche  erquickt,  und  durch 
Beschneiden  ihrer  Last  entledigt.  Einige  heilt  man  durch 
Ablassen  des  Saftes,  gleichsam  wie  durch  einen  Aderlass, 
durch  Beschälung  der  Rinde;  die  Weinstöcke  durch  Aus- 
schneiden und  Zurückhalten  der  Reben.  Sind  die  Knospen 
durch  die  Kälte  struppig  und  rauh  geworden,  so  hilft  man 
ihnen  durch  Glätten  und  Putzen.  Einige  Bäume  lieben 
diese  Mittel  mehr,  andere  weniger,  wie  denn  der  Cypressen- 
baum  weder  bewässert,  noch  gedüngt,  noch  umgraben,  noch 
beschnitten  sein  will,  und  alle  Mittel  hasst,  ja  sogar  davon 
stirbt.  Der  Weiustock  und  die  Granate  werden  besonders 
durch  Begiesseu  erhalten;  dem  Feigenbaume  selbst  ist  das 
Begiessen  heilsam,  sein  Obst  aber  welkt  dadurch.  Wenn 
die  Mandelbäume  umgraben  werden,  verlieren  sie  die 
Blüthen.  Gepropfte  Bäume  muss  man  nicht  eher  umgraben, 
bis  sie  stark  sind  und  angefangen  haben  zu  tragen.  Die 
Meisten  aber  wollen,  dass  man  ihnen  alles  Lästige  und 
Ueberflüssige  nehme,  gleich  wie  wir  es  mit  den  Nägeln 
und  Haaren  machen.  Alte  werden  ganz  gekappt  und 
schlagen  in  einem  Reise  wieder  aus;  doch  thun  diess  nicht 
alle,  sondern  nur  die,  deren  Beschaffenheit  es,  wie  wir  ge- 
sagt haben,  zulässt. 

40. 

Das  Begiessen  ist  während  der  Sommerhitze  von 
Nutzen,  im  Winter  schädlich,  im  Herbst  von  veränderlicher 


316  Siebenzehntes  Buch.. 

Wirkung  und  richtet  sich  nach  der  Natur  des  Bodens,  wie 
denn  der  Winzer  in  Spanien  die  Trauben  abschneidet,  wenn 
der  Boden  ganz  unter  Wasser  steht.  Uebrigens  ist  es  auf 
dem  grössten  Theile  der  Erde  gut,  das  herbstliche  ßegen- 
wasser  abzuleiten.  Das  Begiessen  bewährt  sich  am  besten 
um  die  Zeit,  wenn  der  Hundsstern  aufgeht,  aber  auch  dann 
darf  es  nicht  zu  reichlich  geschehen,  weil  die  Wurzeln  da- 
durch Schaden  leiden.  Auch  nach  dem  Alter  der  Bäume 
richtet  sich  das  Maass  der  Bewässerung;  denn  junge  Bäume 
verlangen  weniger,  diejeoigen  aber,  welche  daran  gewöhnt 
sind,  fordern  am  meisten.  Dahingegen  bedürfen  die  an  trock- 
nen Orten  stehenden  Gewächse  nicht  mehr  als  die  noth- 
wendige  Feuchtigkeit. 

41. 

In  sulmonensischen  Kreise  Italiens,  im  Fabianischen 
Bezirke,  wo  man  auch  die  Felder  bewässert,  müssen  die 
rauhern  Weine  begossen  werden;  merkwürdigerweise  ster- 
ben die  Kräuter  von  dem  Wasser,  das  Getreide  aber  wird 
dadurch  ernährt,  und  die  Bewässerung  dient  ihm  statt  des 
Behackens.  Ebendaselbst  begiesst  man  mitten  im  Winter, 
und  um  so  mehr  wenn  Schnee  liegt  und  es  friert,  die  Wein- 
stöcke rundherum,  damit  sie  nicht  erfrieren,  und  nennt  diess 
dort  das  Erwärmen.  Hierbei  ist  besonders  die  Beschaffen- 
heit des  Wassers  dieses  Flusses  zu  bewundern;  aber  eben 
dasselbe  besitzt  im  Sommer  eine  fast  unerträgliche  Kälte. 

42. 

Die  Mittel  wider  den  Carbunkel  und  Eost  \  .^hn  wir 
im  nächsten  Buche  angeben.  Unter  die  Hülfsmittel  gehört 
auch  eine  Art  Schröpfen  i).  Wenn  nämlich  die  kranke 
dörrende  Rinde  sich  zusammenzieht  und  die  lebenden  Theile 
des  Baumes  zu  sehr  presst,  so  drückt  man  eine  recht  scharfe 
Sichel  mit  beiden  Händen  hinein,  führt  einen  ununter- 
brochenen Schnitt  hindurch,  und  öffnet  so  gleichsam  die 
Haut.    Als  Beweis,  dass  diess  geholfen,   dienen  die  erwei- 


*)  scarificatio. 


Siebenzehntes  Buch.  317 

terteu  Narben,  welche  durch  dazwischen  gewachsenes  Holz 
ausgefüllt  sind. 

43. 

Die  Heilung  der  Menschen  und  der  Bäume  istsichgrössten- 
theils  gleich,  denn  man  durchbohrt  auch  deren  Knochen 
(Aeste  etc.).  Aus  bittern  Mandeln  werden  süsse,  wenn  man 
den  Stamm  umgräbt,  unten  ringsum  einbohrt,  und  den  aus- 
fliessenden schleimigen  Saft  wegnimmt.  Auch  den  Ulmen 
nimmt  man  den  schädlichen  Saft,  wenn  man  sie  im  Alter 
oder  auch  wenn  man  merkt,  dasssiezu  viel  Saft  haben,  über 
der  Erde  bis  aufs  Mark  anbohrt.  Auch  den  Feigenbäumen 
entzieht  man  ihn  durch  schräge  Einschnitte  in  die  strotz- 
ende Rinde,  und  bewirkt  dadurch,  dass  die  Frucht  nicht 
abfällt.  Obstbäume,  welche  grünen  und  keine  Früchte 
tragen,  macht  man  dadurch  fruchtbar,  dass  man  die  Wurzel 
spaltet  und  einen  Stein  hineinlegt.  Dasselbe  bewirkt  man 
bei  den  Mandelbäumen  durch  Hineintreiben  eines  Keils  von 
Eichenholz.  Bei  den  Birnen  und  Speierlingen  nimmt  man 
einen  von  Kienholz  und  bedeckt  ihn  mit  Asche  und  Erde. 
Es  ist  auch  gut,  die  Wurzeln  der  üppig  wachsenden  Wein- 
stöcke und  Feigenbäume  ringsherum  zu  beschneiden,  und 
Asche  an  die  Stellen  zu  streuen.  Die  Feigen  werden  spät 
reif,  wenn  die  ersten  unreifen,  sobald  sie  grösser  als  eine 
Bohne  sind,  abgebrochen  werden,  denn  die  dann  noch  wach- 
senden reifen  später.  Wenn  die  Feigenbäume  Laub  be- 
kommen, und  man  jedem  Zweige  die  Spitze  nimmt,  werden 
sie  stärker  und  fruchtbarer. 

44. 

Offenbar  werden  in  denjenigen  Feigen,  welche  durch 
die  Fliegen  reif  werden,  wenn  sie  noch  unreif  sind, 
jene  Fliegen  erzeugt,  denn  nach  ihrem  Ausfliegen  findet 
man  keinen  Kern  mehr  darin,  ein  Beweis,  dass  diese  in 
jene  verwandelt  sind.  Diese  Thiere  haben  eine  solche  Be- 
gierde auszufliegen,  dass  die  meisten  von  ihnen  mit  Zurtick- 
lassung  eines  Fusses  oder  Flügels  zugleich  hervorbrechen. 
Es  giebt  noch  eine  andere  Art  Fliegen,  welche  Spornfliegen 
heissen,  an  Faulheit  und  Bösartigkeit  den  Hummeln  gleichen, 


318  Siebenzehntes  Buch. 

und  wie  diese  zum  Untergange  der  ächten  und  nützlichen 
da  sind,  denn  sie  bringen  die  letztern  um  und  sterben  dann 
selbst.  Auch  die  Motten  verderben  die  Samen  der  Feigen. 
Ein  Mittel  gegen  sie  ist,  dass  man  in  dieselbe  Grube  ein 
Reis  vom  Mastixbaume  eingi*äbt,  jedoch  so,  dass  das  obere 
Ende  nach  unten  zu  stehen  kommt.  Am  reichlichsten  tra- 
gen aber  die  Feigenbäume,  wenn  man  um  die  Zeit,  wo  sie 
zu  grünen  anfangen,  verdünnten  rothen  Oelschaum  nebst 
Mist  an  die  Wurzeln  giesst.  Unter  den  wilden  Feigen- 
bäumen lobt  man  am  meisten  die  schwarzen,  und  die  auf 
felsigen  Plätzen  stehenden,  weil  soicue  die  meisten  Kerne 
haben.  Die  Caprificatiou  selbst  geschieht  nach  einem 
Regen.  ^) 

45. 
Vorzüglich  muss  man  sieh  hüten,  dass  die  Hülfsmittel 
keinen  Schaden  verursachen,  ein  Umstand,  der  sich  ereignet, 
wenn  sie  zu  reichlich  und  zur  Unzeit  angewandt  werden. 
Das  Lichtmachen  nützt  den  Bäumen,  aber  das  alljährige 
Niedermetzeln  schadet  ihnen.  Nur  der  Weinstock  muss 
alljährig  beschnitten  werden,  ein  Jahr  um's  andere  aber  die 
Myrte,  Granate,  der  Oelbaum,  weil  sie  schnell  strauchig 
werden.  Die  übrigen  Bäume  werden  seltener  und  niemals 
im  Herbste  beschnitten;  auch  dürfen  sie  nur  im  Frühjahre 
beim  Beschneiden  abgeputzt  werden.  Alle  überflüssigen 
Schnitte  bedrohen  das  Leben. 

46. 
Mit  dem  Miste  hat  es  dieselbe  Bewandniss,  die  Bäume 
haben  ihn  gern,  aber  man  muss  sich  hüten,  ihn  bei  Sonnen- 
hitze, oder  unreif,  oder  stärker  als  nöthig  ist,  hinzuzubringeu. 
Der  Schweinemist  verbrennt  die  Weinberge,  wenn  er  nicht 
zuvor  5  Jahre  lang  gelegen  hat  und  durch  Wasser  ver- 
dünnt worden  ist;  eben  die  Wirkung  hat  der  Abgang  der 
Lederarbeiter,  wenn  kein  Wasser  hinzugesetzt  wird;  des- 
gleichen zu  reichlicher  Mist.   3  Modius  auf  10  Quadratfuss 


')  Ueber  die  Caprification  siehe  auch  im  XV.  B.  21.  Cap. 


Siebenzehntes  Buch.  319 

hält  man  für   die   richtige  Menge.    Doch   entscheidet    hier 
die  Beschaffenheit  des  Bodens. 

47. 

Durch  Tauben- und  Schweinemist  heilt  man  auch  die 
Wunden  an  Bäumen.  Wenn  die  Granatäpfel  sauer  sind, 
räumt  man  um  die  Wurzel  die  Erde  weg  und  bringt 
Schweinemist  hinzu,  wodurch  sie  in  demselben  Jahre  weiu- 
säuerlich  und  im  nächsten  süss  werden.  Andere  rathen, 
man  solle  sie  mit  Wasser,  dem  Menschenurin  zugemischt 
ist,  4 mal  im  Jahre  und  jedesmal  mit  einer  Amphora  voll, 
oder  die  Spitzen  mit  Wein,  worin  Teufelsdreck  aufgelöst 
worden,  befeuchten.  Wenn  sie  sich  auf  dem  Baume  spalten, 
soll  man  den  Stiel  umdrehen.  An  Feigenbäume  giesse  man 
besonders  Oelschaum,  an  andere  kranke  Bäume  Weinhefe, 
oder  man  pflanze  Wolfsbob nen  um  ihre  Wurzeln.  Auch 
das  Wasser  von  gekochten  Wolfsbohnen  wirkt  um  die 
Bäume  gegossen  vortbeilhaft  auf  das  Obst.  Die  Feigen 
fallen  ab,  wenn  es  zur  Zeit  der  Vulcanalien  i)  donnert;  ein 
Hülfsmittel  dagegen  ist,  dass  man  vorher  die  Plätze  mit 
Gersten  Stroh  umgiebt.  Kalk  an  die  Wurzeln  gebracht  macht 
frühzeitige  Kirschen,  und  zwingt  sie  zu  reifen.  Noch  besser 
ist  es,  wenn  man  von  ihnen,  sowie  von  allen  andern  Obst- 
arten einige  abpflückt,  damit  die  zurückgebliebenen  gross 
werden. 

Einige  Bäume  werden  durch  Strafe  verbesserf,  oder 
durch  beissende  Dinge  angereizt,  wie  die  Palmen  und 
Mastixbäume,  denn  sie  gedeihen  gut  durch  Salzwasser.  Die 
Asche  hat  gleichfalls  die  Kraft  des  Salzes,  ist  aber  milder; 
daher  streuet  man  sie  an  die  Feigenbäume  und  die  Raute, 
damit  sie  nicht  wurmstichig  werden,  und  die  Wurzeln  nicht 
faulen.  Man  soll  sogar  an  die  Wurzeln  der  Weiustöcke 
Salzwasser  giessen,  wenn  sie  thränen;  wenn  aber  ihre 
Frucht  abfällt,  soll  man  Asche  mit  Essig  befeuchten,  und 
sie   damit    bestreichen,    oder   mit  Sandarach^),    wenn   die 


')  Im  August. 
2)  Schwefelarsen. 


320  Siebenzehntes  Buch. 

Traube  fault.  Sind  sie  aber  nicht  fruchtbar,  so  soll  man 
sie  mit  durch  starken  Essig  versetzter  Asche  bestreichen. 
Wird  die  Frucht  nicht  reif,  und  eher  trocken,  so  schneide 
man  die  Stöcke  an  der  Wurzel  ab,  benetze  die  Schnittfläche 
und  die  Fasern  mit  scharfem  Essig  und  altem  Urin,  be- 
decke sie  mit  demselben  Leime  und  grabe  oft  um.  Wenn 
die  Oelbäume  nicht  viel  Frucht  versprechen,  so  setzt  man 
die  entblössten  Wurzeln  der  Winterkälte  aus,  und  durch 
diese  Art  von  Züchtigung  werden  sie  verbessert.  Alle  diese 
Mittel  richten  sich  in  ihrer  Anwendung  nach  dei-  Witte- 
rung, und  müssen  daher  mitunter  früher,  mitunter  später 
angewandt  werden.  Auch  das  Feuer  hilft  etwas,  wie  z.  B. 
bei  dem  Schilfe,  denn,  wenn  es  rundum  etwas  angebrannt 
ist,  wächst  es  dichter  und  milder  hervor. 

Auch  Cato  führt  einige  Arzneimittel  an,  und  unter- 
scheidet dabei  selbst  das  Quantum,  nämlich:  für  die  Wurzeln 
grösserer  Bäume  eine  Amphora,  kleinerer  eine  Urne  voll 
Oelsatz  und  ein  gleiches  Maass  Wasser,  und  diese  Flüssig- 
keit soll  nach  und  nach  an  die  zuvor  abgeräumten  Wurzeln 
gegossen  werden.  Ferner  solle  man  um  den  Oel-  und 
Feigenbaum  zuvor  Stroh  legen.  Namentlich  bei  den  Wur- 
zeln des  letztern  müsse  mau  die  Erde  im  Frühjahre  an- 
häufen, denn  dann  fielen  die  unreifen  Früchte  nicht  ab,  ihre 
Anzahl  würde  grösser,  und  es  wüchsen  keine  rauhen.  Eben- 
so müsse  man,  damit  die  Wickelraupe  nicht  im  Weinberge  ent- 
stehe, 2  Congius  Oelsatz  zur  Dicke  des  Honigs  einkochen, 
und  darauf  mit  1/3  Erdpech  und  1/4  Schwefel  kochen,  aber 
unter  freiem  Himmel,  weil  die  Masse  unter  einem  Dach 
Feuer  fängt.  Hiermit  müssten  die  Spitzen  und  Zweig- 
achseln der  Weinstöcke  bestrichen  werden,  und  dann  ent- 
stehe keine  Wickelraupe.  Einige  begnügen  sich,  mit  dem 
Rauche  von  jener  Mischung  die  Weinberge  3  Tage  hin- 
durch bei  günstigem  Winde  zu  räuchern.  Sehr  Viele  ver- 
sprechen sich  von  dem  Urine  denselben  günstigen  Erfolg, 
wie  Cato  von  der  Oelhefe,  wenn  nur  ein  gleiches  Mass 
Wasser  hinzugesetzt  würde,  dann  allein  schade  er.  Einige 
nennen  ein  gewisses  Thier,  welches  die  reifenden  Trauben 


Siebenzehntes  Buch.  321 

Ibenagt,  die  Spinnraupe ;  zu  deren  Abwehr  wischen  sie  die 
Sicheln,  nachdem  sie  gewetzt  sind,  mit  Bieberfell  ab,  und 
beschneiden  alsdann;  nach  dem  Schneiden  solle  man  die 
Stöcke  mit  Bärenblut  bestreichen.  Auch  die  Ameisen  sind 
den  Bäumen  verderblich.  Man  vertreibt  sie  durch  Be- 
schmieren der  Stämme  mit  Röthel  und  Theer;  auch  bringt 
man  sie  durch  Aufhängen  eines  Fisches  in  ihrer  Nähe  auf 
einen  Punkt  zusammen,  oder  man  bestreicht  die  Wurzeln 
mit  in  Oel  abgeriebenen  Wolfsbohnen.  Viele  tödten  auch 
die  Maulwürfe  durch  Oelsatz,  und  rathen,  gegen  die  Raupen 
und  das  Faulen  des  Obstes,  die  Gipfel  mit  der  Haut  einer 
grünen  Eidechse  zu  berühren.  Besonders  zur  Vertreibung 
der  Raupen  soll  eine  Weibsperson,  welche  die  monatliche 
Reinigung  hat,  mit  blossen  Füssen  um  jeden  Baum  gehen. 
Ferner,  damit  kein  Thier  durch  schädliche  Bisse  das  Laub 
abnage,  soll  man  die  Blätter,  so  oft  ein  Regen  fällt,  mit 
Rindermistjauche  besprengen,  weil  dadurch  der  giftige  Stoff 
weggespült  werde.  Alles  diess  hat  der  menschliche  Scharf- 
sinn wunderbar  ausgedacht.  Ja,  viele  Menschen  glauben 
sogar,  man  könne  durch  eine  Zauberformel  den  Hagel  ab- 
wenden. Ich  getraue  mir  nicht,  die  Worte  eines  Schrift- 
stellers im  Ernste  anzuführen,  obgleich  sie  Cato  aufgezeich- 
net hat,  nämlich :  um  verrenkte  Glieder  zu  heilen,  soll  man 
dieselben  in  die  Spalte  eines  Rohrs  stecken.  Ebenderselbe 
hat  auch  erlaubt,  geheiligte  Bäume  und  Haine  zu  fällen, 
wenn  man  vorher  geopfert  hätte,  wovon  er  in  eben  dem- 
selben Buche  die  Art  und  Weise  sowie  die  Gebetformeln 
iinsiiebt. 


"Wittsteiu:  Plinius.     III,  Ed.  21 


Achtzehntes  Euch. 


Von  den  Feldfrüchten. 

1. 
Nun  folgt  die  Naturgeschichte  der  Feldfrüchte,  der 
Gärten,  Blumen  und  was  sonst,  ausser  Bäumen  und  Sträu- 
chern, aus  der  gütigen  Erde  hervorkommt.  Hiervon  ist 
allein  schon  die  Betrachtung  der  Kräuter  von  ungeheuer m 
Umfange,  wenn  man  ihre  Verschiedenheit,  Anzahl,  ihre 
Blumen,  Gerüche,  Farben,  Säfte  und  Kräfte,  welche  von  der 
Natur  zum  Heile  und  Vergnügen  der  Menschen  erzeugt 
werden,  in  Erwägung  zieht.  In  dieser  Beziehung  will  ich 
gern  zuerst  die  Erde  in  Schutz  nehmen  und  der  Mutter 
aller  Dinge  beistehen,  obgleich  sie  schon  im  Eingange 
des  Werkes  vertheidigt  worden  ist.  Weil  aber  ihr  innerer 
Stoff  uns  zu  der  Meinung  verleitet,  sie  erzeuge  auch  schäd- 
liche Dinge,  so  beladen  wir  sie  nichts  desto  weniger  mit 
unsern  Verbrechen,  und  rechnen  ihr  unsere  Schuld  an. 
Sie  hat  Gifte  erzeugt;  gut,  aber  wer  anders  als  der  Mensch 
hat  sie  aufgefunden?  Den  Vögeln  und  wilden  Thieren 
reicht  es  hin,  sich  davor  zu  hüten.  Die  Elephanten  wetzen 
und  schärfen  ihre  Zähne,  die  Ure  ihre  Hörner  an  Bäumen, 
die  Riüocerosse  ihre  Hörner  an  Felsen,  die  Eber  die  Spitzen 
ihrer  Zähne  an  beiden,  und  diese  Thiere  wissen,  dass  sie 
sie,  um  andern  zu  schaden,  in  Vertheidigungsstand  setzen; 
wer  also,  ausser  dem  Menschen,  taucht  seine  Waffen  in 
Gift?  Wir  benetzen  auch  die  Pfeile  damit,  und  geben  dem 
Eisen  eine  noch  schädlichere  Eigenschaft,  als  es  schon  hat. 
Wir  vergiften    die  Flüsse   und   die  Elemente    der   Natur. 


Achtzehntes  Buch.  323 

Selbst  die  Luft,  in  der  wir  leben,  machen  wir  verderblich. 
Wir  dürfen  nicht  glauben,  dass  diess  die  Thiere  nicht  wis- 
sen; wir  haben  bereits  angeführt,  was  sie  gegen  den  Kampf  mit 
den  Schlangen  zubereiten,  und  was  sie  nach  dem  Streite 
zur  Heilung  ausdenken.  Kein  Geschöpf,  ausgenommen  der 
Mensch,  streitet  mit  fremdem  Gifte.  Bekennen  wir  also 
unsere  Schuld,  denn  wir  sind  nicht  einmal  mit  dem  zu- 
frieden was  wächst,  sondern  bereiten  noch  mehrere  andere 
Gifte  mit  unsern  Händen.  Ja,  werden  nicht  selbst  Men- 
schen mit  Giften  geboren?  Ihre  schwarze  Zunge  zischt 
gleich  der  der  Schlangen,  und  die  Pest  ihrer  Seele  verdirbt 
alles,  was  sie  berühren;  gleich  den  Schuldigen  und  schreck- 
lichen Vögeln  hüllen  sie  sich  auch  in  Finsterniss,  miss- 
gönnen selbst  den  Nächten  die  Ruhe,  und  verhindern  durch 
ihr  Stöhnen,  gleich  jenen  unglückbringenden  Vögeln,  wem 
sie  begegnen,  zu  handeln  oder  dem  Leben  nützlich  zu  sein. 
Hir  schändliches  Herz  kennt  auch  keinen  andern  Geuuss, 
als  alles  zu  hassen.  Aber  darin  zeigt  sich  die  Hoheit  der 
Natur,  dass  sie  um  so  mehr  gute  Menschen  geschaffen  hat, 
als  sie  in  Erzeugung  derjenigen  Gewächse,  welche  nützen 
und  ernähren,  fruchtbarer  war.  In  Anerkennung  und  Freude 
darüber  wollen  wir  jener  Klasse  von  Menschen  ihren  Eifer 
lassen,  uns  bemühen,  die  guten  Seiten  des  Lebens  zu  stu- 
dieren, und  hierbei  um  so  mehr  verharren,  da  wir  mehr 
nach  Thätigkeit  als  nach  Ruhme  streben.  Denn  wir 
werden  jetzt  vom  Lande  und  von  nützlichen  ländlichen  An- 
gelegenheiten handeln  —  eine  Materie,  in  deren  Ausübung  die 
Alten  die  höchste  Ehre  ihres  Lebens  setzten. 

2. 
Ackerpriester  hat  zuerst  Romulus  errichtet,  und  sich 
unter  ihnen  den  zwölften  Bruder  genannt.  Diesen  wurde  in 
ihrem  Priesterthum,  von  seiner  Amme  Acca  Laurentia  zum 
feierlichsten  Zeichen  ein  mit  einer  weissen  Binde  versehener 
Aehrenkranz  gegeben.  Dieser  war  der  erste  Kranz  bei 
den  Römern;  die  Ehre  ihn  zu  tragen,  endigt  nur  mit  dem 
Leben,  und  begleitet  auch  Verbannte  und  Gefangene.  Da- 
mals begnügte  sich  das  römische  Volk  mit  2  Jugern  Land, 

21* 


324  Achtzehntes  Buch. 

und  es  verlieli  auch  Keinem  mehr;  dagegen  haben  kurz  vor 
meiner  Zeit  die  Sclaveu  des  Kaisers  Nero  Gärten  von  dieser 
Grösse  verachtet,  und  noch  gössere  Fischteiche  haben  wollen; 
und  es  ist  viel,  dass  man  nicht  schon  so  grosse  Küchen  ver- 
langt hat.  Numa  ordnete  an,  die  Götter  mit  Feldfrüchten 
zu  verehren,  Getreide  mit  Salz  zu  opfern,  und,  wie  Hemina 
schreibt,  Dinkel  ^)  zu  rösten,  weil  er  sich  dann  besser  zur 
Nahrung  eigne.  Diess  allein  hatte  zur  Folge,  dass  man 
hernach  sagte,  nur  das  geröstete  sei  zum  Gottesdienste  i-ein. 
Derselbe  setzte  auch  die  Fornacalien2)  zur  Feier  des  Korn- 
röstens ein,  die  eben  so  heilig  gehalten  werden,  wie  die 
Grenzen  der  Aecker.  Dergleichen  Gottheiten  kannte  man 
damals  am  besten;  eine  nannte  man  Seja  vom  Säen,  eine 
andere  Segesta  von  den  Saaten.  Ihre  Standbilder  sehen 
wir  noch  jetzt  im  Circus.  Die  dritte  von  diesen  im  Hause 
zu  nennen  ist  bedenklich.  Auch  kostete  man  damals  nicht 
eher  die  neuen  Früchte  und  Weine,  bis  die  Priester  die 
Erstlinge  geopfert  hatten. 

3. 
Jugum  nannte  man  eine  Strecke,  welche  mit  einem 
Joch  Ochsen  in  einem  Tage  umgepflügt  werden  kann.  Actus 
hiess  der  Weg,  in  welchem  die  Ochsen  in  einem  Zuge 
gehalten  wurden;  dieser  Weg  betrug  120  Fuss,  und  noch 
einmal  so  lang  machte  er  ein  Jugerum  aus.  Die  reichsten 
Geschenke  für  Feldherren  und  tapfere  Bürger  waren  so  viel 
Land,  als  Jemand  in  einem  Tage  umpflügen  konnte;  ferner 
mit  Korn  gefüllte  Quartarii  oder  Heminä,  welche  das  Volk 
zusammenschoss.  Daher  schreiben  sich  auch  die  Beinamen: 
Pilumnus,  der  die  Stampfkeule  in  der  Mühle  erfunden  hatte, 
Piso,  vom  Stampfen,  die  Fabier,  Lentuler,  Ciceronen,  von 
denen  Jeder  die  nach  ihm  benannten  Früchte  am  besten 
baute.  Die  Familien  der  Junier  nannten  den,  welcher  die 
Stiere    am    besten   zu    gebrauchen   wusste,   Bubulcus.     Ja 


1)  far.  Triticuni  Spelta  L. 

-)  Zu    Ehren    der   Göttin  Fornax ,    die   man  wegen  des  Backens 
verehrte. 


Achtzehntes  Buch.  325 

selbst  unter  den  heiligen  Gebräuchen  war  nichts  feierlicher 
als  ein  durch  Opfergetreide  geschlossenes  Eheband,  und 
hierbei  trug  man  vor  der  neu  Vermählten  einen  Dinkel- 
kuchen her.  Seinen  Acker  schlecht  bestellen,  hielt  man 
für  eine  grosse  Schande;  und  wen  man  (wie  Cato  sagt) 
einen  guten  Landmann  nannte,  dem  glaubte  man  die  meiste 
Ehre  erwiesen  zu  haben.  Daher  nannte  man  auch  die- 
jenigen reich  i),  welche  viele  Plätze  d.  h.  Aecker  besassen^). 
Selbst  das  Geld  ward  nach  dem  Vieh  s)  benannt.  Auch 
noch  jetzt  heisst  in  den  Listen  der  Censoren  alles  das- 
jenige Weiden^),  woraus  das  Volk  seine  Einkünfte  zieht, 
weil  jene  lange  Zeit  hindurch  die  einzige  Quelle  ihres  Ge- 
winns waren.  Auch  wurden  bloss  Strafen  auf  Kosten  von 
Schafen  und  Ochsen  auferlegt,  und  hierbei  ist  die  Milde 
der  alten  Gesetze  nicht  zu  übersehen,  denn  es  war  festge- 
setzt, dass  der,  welcher  die  Strafe  anzeigte,  nicht  eher 
einen  Ochsen  als  ein  Schaf  nennen  sollte.  Spiele,  welche 
um  Ochsen  gehalten  wurden,  hiessen  Bubetii.  Der  König 
Servius  Hess  zuerst  Münzen  mit  den  Bildnissen  von  Ochsen 
und  Schafen  prägen.  Wer  heimlich  des  Nachts  Feldfrüchte, 
die  mit  dem  Pfluge  bestellt  waren,  abweidete  oder  abschnitt, 
wurde,  falls  er  schon  erwachsen  war,  nach  den  12  Tafeln 
mit  dem  Tode  bestraft,  und  zwar  sollte  er  der  Ceres  auf- 
gehängt werden,  erlitt  also  eine  schwerere  Strafe  wie  Einer, 
der  einen  Mord  begangen  hatte.  Ein  Unmündiger  dagegen 
sollte  nach  dem  Gutbefinden  des  Prätors  gegeisselt  und  in 
die  doppelte  Schadenerstattung  verurtheilt  werden. 

Damals  suchte  man  die  Auszeichnung  und  Ehre  der 
Stadt  noch  in  nichts  Anderm.  Unter  denjenigen  Einwohnern, 
welche  Länder  hatten,  waren  die  ländlichen  Tribus  die  an- 
gesehensten; die  städtischen  dagegen  hiessen  der  Faulheit 
zum  Schimpfe  so,  und  es  war  eine  Schande,  in  diese  ver- 
setzt zu  werden.  Daher  gab  es  auch  nur  4,  welche  von 
den  Theilen  der  Stadt,  in  welchen  sie  wohnten,  benannt 
waren,  nämlich  die  suburranische,  palatiuische,  collinische 


•)  locupletes.    '^)  loci  plenos.    ^)  pecus :  pecunia.    ^)  pascua. 


326  Achtzehntes  Buch. 

und  exquilinische.  Alle  9  Tage  ^)  besuchten  sie  die  Stadt 
wieder,  und  es  war  nicht  gestattet,  an  Markttagen  Volks- 
versammlungen zu  halten,  damit  den  Landleuten  kein 
Hinderniss  in  den  Weg  gelegt  werde.  Man  ruhete  und 
sehlief  auf  Stroh.  Den  Ruhm  selbst  nannte  man  zur  Ehre 
des  Dinkels  den  Dinkelruhm.  Ich  bewundere  auch  die 
alte  Bezeichungsweise  durch  Wörter.  So  heisst  es  in  den 
Priesterverordnuugen:  Die  Tage  zum  Weissagen  aus  Hun- 
den sollen  gehalten  werden,  ehe  das  Getreide  aus  seinen 
Scheiden  geht,  und  ehe  es  in  Aehren  ausgewachsen  ist. 

4 
Unter  solchen  Umständen  reichten,  obgleich  Italien  von 
keiner  andern  Provinz  her  Zufuhr  erhielt,  die  Feldfrüchte 
zum  Unterhalte  nicht  nur  hin,  sondern  sie  standen  auch 
in  unglaublich  niedrigem  Preise.  Der  Volks- Aedil  Manius 
Marcius  gab  zuerst  den  Modius  Getreide  für  ein  Ass. 
Minutius  Augurinus,  der  elfte  Volks-Tribun,  welcher  gegen 
Sp.  Melius  gezeugt  hatte,  brachte  den  Preis  des  Dinkels 
an  3  Markttagen  auf  1  Ass;  darum  setzte  ihm  das  Volk 
vor  dem  dreifachen  Thore  eine  Ehrensäule,  deren  Kosten 
durch  eine  veranstaltete  Collecte  bestritten  wurden.  Tre- 
bius  verschaffte  während  seines  Adilamtes  dem  Volke  Ge- 
treide für  1  Ass,  daher  ihm  auf  dem  Capitolium  und  Pala- 
tium  Bildsäulen  geweihet,  und  er  selbst  nach  seinem  Tode 
von  dem  Volke  auf  den  Schultern  zum  Scheiterhaufen  ge- 
tragen wurde.  Man  berichtet,  dass  in  dem  Jahre,  wo  die 
Mutter  der  Götter  2)  nach  Rom  gefahren  wurde,  die  Erndte 
reichlicher  als  in  den  vorhergehenden  10  Jahren  ausge- 
fallen sei.  Nach  M.  Varro  kostete  um  die  Zeit,  als  L.  Me- 
tellus  mehrere  Elephanten  im  Triumphe  mit  sich  führte, 
der  Modius  Dinkel,  ferner  1  Congius  Wein,  30  Pfund  trockne 
Feigen,  10  Pfund  Oel,  12  Pfund  Fleisch,  jedes  nur  1  Ass. 
Diess  kam  auch  nicht  von  den  grossen  Landgütern  Ein- 
zelner her,  welche  die  Nachbarn  vom  Verkauf  ausschlössen. 


*)  Jedesmal  den  neunten  Tag  war  Markt. 
2)  Cybele. 


Achtzehntes  Buch.  327 

•denn  nach  dem  Gesetze  des  Stolo  Licinius  war  die  Grösse 
derselben  auf  500  Morgen  eingeschränkt,  und  er  wurde 
selbst  nach  seinem  eignen  Gesetze  bestraft,  weil  er  unter 
der  eingeschobenen  Person  seines  Sohnes  mehr  besass.  Und 
diess  war  schon  das  Maass  eines  üppigen  Staates.  Es  ist  ja 
die  Rede  des  Manius  Curius  bekannt,  welche  er  nach 
mehreren  Triumphen,  in  Folge  deren  das  römische  Reich 
einen  Ungeheuern  Zuwachs  an  Ländern  bekam,  hielt,  und 
worin  er  sagte:  Der  Bürger,  dem  7  Morgen  nicht  genügten, 
müsse  für  gefährlich  gehalten  werden.  Dieses  Maass  wurde 
aber  dem  Volke  nach  Vertreibung  der  Könige  zuertheilt. 

Was  war  nun  die  Ursache  so  grosser  Fruchtbarkeit? 
Die  Feldherren  bebaueten  damals  die  Aecker  mit  ihren 
eigenen  Händen,  und  es  ist  wohl  glaublich,  dass  die  Erde 
sich  über  die  lorbeerbekränzte  Pflugschar  und  den  im 
Triumph  eingezogenen  Ackersmann  freuete;  sei  es  nun, 
dass  jene  mit  derselben  Sorgfalt  den  Samen  behandelten 
wie  die  Kriege,  und  die  Felder  ebenso  fleissig  bestellten 
als  die  Lager;  oder  sei  es,  dass  unter  ehrenvollen  Händen 
alles  besser  gedeihet,  weil  es  zugleich  mit  mehr  Sorgfalt 
geschieht.  Den  Seranus  fand  man  bei  Uebertragung  der 
Ehrenstellen  mit  Säen  beschäftigt,  und  daher  kommt  sein 
Zuname.  Als  Cincinnatus  seine  4  Morgen  auf  dem  vati- 
canischen  Hügel,  welche  die  quinctischen  Wiesen  hiessen, 
beackerte,  brachte  ihm  ein  Gerichtsbote  die  Dictatur,  und 
zwar  soll  er  gerade  nackend,  und  sein  Gesicht  voll 
Staub  gewesen  sein.  Der  Bote  sprach  zu  ihm:  bekleide 
dich,  damit  ich  die  Befehle  des  Senats  und  des  römi- 
schen Volks  dir  vortragen  kann.  Solche  Gerichtsboten 
hatte  man  auch  damals,  denn  ihren  Namen i)  erhielten 
sie,  weil  sie  zuweilen  Senatoren  und  Feldherren  von 
'den  Aeckern  zusammen  rufen  mussten.  Jetzt  aber  ver- 
richten diess  alles  gefesselte  Füsse,  verurtheilte  Hände  und 
Lgebranntmarkte Gesichter;  jedoch  ist  die  Erde,  welche  Mutter 


*)  viator. 


328  Achtzehntes  Buch. 

genannt  und  selbst  verehrt  wird,  nicht  taub  dagegen,  dass 
man  diesen  die  Ehre  anthut  und  glaubt,  sie  sähe  diess 
nicht  ungern  und  werde  nicht  unwillig  darüber.  Und  doch 
wundern  wir  uns,  dass  die  Arbeit  der  Selaven  nicht  den 
Vortheil  schafft,  wie  vormals  die  der  Feldherren. 

5. 

Auch  bei  den  Ausländern  gehörte  es  zu  den  fürstlichen 
Beschäftigungen,  über  den  Ackerbau  zu  schreiben;  denn  die- 
Könige  Hiero,  Attalus  Philometor,  Archelaus,  ferner  die  Feld- 
herren Xeuophou^)  und  der  Carthaginienser  Mago  haben  diess 
gethan.  Letzterem  erwies  auch  unser  Senat  nach  der  Einnahme 
von  Carthago  so  viel  Ehre,  dass  er  bei  Verschenkung  der 
Büchersammlungen  an  die  kleinen  Könige  in  Afrika  die 
28  Bücher  dieses  Mannes  allein  in  die  lateinische  Sprache 
übersetzen  zu  lassen  beschloss  (obgleich  M.  Cato  damals 
schon  seine  Vorschriften  entworfen  hatte),  und  diese  Arbeit 
den  in  der  punischen  Sprache  bewandertsten  Männern, 
unter  denen  D.  Silanus  2)^  aus  einer  berühmten  Familie, 
alle  andern  übertraf,  übergeben  Hess.  Es  haben  aber  viele 
gelehrte  Männer,  welche  wir  im  Inhaltsverzeichniss  dieses 
Buches  der  Reihe  nach  genannt,  in  diesem  Fache 
gearbeitet,  und  unter  ihnen  müssen  wir  dankbar  den 
M.  Varro  nennen,  welcher  selbst  noch  im  81.  Jahre  darin, 
thätig  war. 

Die  Römer  begannen  den  Weinbau  viel  später  und  be- 
stellten zuerst,  der  Nothwendigkeit  wegen,  bloss  die  Felder. 
Wir  wollen  jetzt  diesen  Gegenstand  nicht  allzu  gewöhnlich 
behandeln,  sondern  wie  wir  bisher  gethan,  Altes  sowohl, 
als  Neues  mit  aller  Sorgfalt  erforschen,  und  die  Ursachen > 
und  Gründe  zugleich  zu  ermitteln  suchen.  Wir  wollen  auch 
von  den  Sternen  reden,  und  von  ihnen  selbst  unzweifelhafte 
Zeichen  für  die  Erde  angeben ,  weil  es  sonst  scheinen 
könnte,  als  wenn  Diejenigen,  welche  mit  noch  mehr  Fleiss 


•)  Aus  Athen,  der  bekannte  Philosoph  und  Historiker ,  geb.  446 
T.  Chr.,  starb  356  zu  Skillos  in  Elis.  Er  schrieb  unter  andern  eine 
Philosophie  des  Hauswesens. 

2)  Vielleicht  der  Consul  Decius  Junius  Silanus,  62  v.  Chr. 


Achtzehntes  Buch.  32^ 

davon  gehandelt  haben,  eher  für  jeden  andern  als  für  den 
Landmann  geschrieben  hätten. 

6. 

Vor  allem  müssen  wir  uns  grösstentheils  nach  weisen 
Aussprüchen,  welche  in  keinem  andern  Verhältnisse  des 
Lebens  zahlreicher  und  gewisser  sind,  richten.  Denn  warum 
sollen  wir  das  nicht  als  Orakel  betrachten,  was  von  einem 
ganz  bestimmten  Tage  und  von  der  bewährtesten  Erfahrung 
ausgeht.     Den  Anfang  machen  wir  aber  bei  Cato. 

Die  tapfersten  Männer,  die  dauerhaftesten  Soldaten 
und  die  besten  Charakter  werden  unter  den  Landleuten 
gezogen.  Kaufe  nicht  begierig  ein  Landgut.  Spare  keine 
Mühe  in  der  Landwirthschaft,  am  wenigsten  beim  Ankauf 
eines  Ackers.  Was  übel  gekauft  ist,  reuet  stets.  Die, 
welche  einen  Acker  anschaffen  wollen,  müssen  vor  allen 
auf  das  "Wasser,  den  Weg  und  das  Nachbarland  sehen, 
denn  diese  Dinge  geben  zu  wichtigen  und  unzweifelhaften 
Aufklärungen  Anlass.  Nach  Cato  soll  man  unter  den  an- 
grenzenden Ländern  dasjenige  um  so  höher  schätzen,  wel- 
ches mehr  glänzt,  denn,  sagt  er,  in  einer  guten  Gegend 
glänzen  die  Acker  stark.  Attilius  Regulus,  der  im  punischen 
Kriege  zweimal  Consul  war,  sagte,  man  müsse  weder  an 
sehr  fruchtbaren  Orten  einen  schlechten,  noch  an  erschöpften 
den  besten  Acker  wählen.  Die  gesunde  Lage  einer  Gegend 
erkennt  man  nicht  immer  an  der  Farbe  der  Einwohner, 
denn  Leute,  die  daran  gewöhnt  sind,  können  auch  an  un- 
gesunden Orten  leben.  Ueberdiess  sind  manche  Gegenden 
nur  zu  gewissen  Zeilen  des  Jahres  gesund;  keiner  aber 
verdient  gesund  genannt  zu  werden,  welcher  es  nicht  das 
das  ganze  Jahr  hindurch  ist.  Das  ist  ein  schlechter  Acker,, 
mit  welchem  der  Eigenthümer  zu  kämpfen  hat.  Cato  rätb, 
man  solle  vorzüglich  darauf  sehen,  dass  der  Boden  durch 
seine  Wirksamkeit  gelte,  d.  h.  dass  viele  Arbeiter  und  eine 
ansehnliche  Stadt  in  der  Nähe  seien,  dass  man  zu  Schiffe 
oder  auf  guten  Wegen  dazu  gelangen  könne,  und  dass  er 
gut  bebauet  und  beackert  sei  —  ein  Punkt,  worin  die 
Meisten  sich  betrügen.    Sie  glauben  nämlich,  die  Faulheit 


:330  Achtzehntes  Buch. 

-des  vorigen  Herrn  komme  dem  Käufer  zu  statten.  Nichts 
ist  übler  als  ein  verwahrloster  Acker.  Daher  meint  Cato, 
man  kaufe  besser  von  einem  guten  Herrn,  und  müsse  nicht 
geradezu  den  Fleiss  Anderer  verachten;  es  gehe  dem  Acker 
v^rie  dem  Menschen,  wenn  viel  Einnahme  und  grosser  Auf- 
wand zusammenkomme,  so  bleibe  nicht  viel  übrig.  Er  hält 
den  Weinstock  für  das  vortheilhafteste  Gewächs  auf  einem 
Acker  und  mit  Recht,  denn  dieser  sichert  vor  allen  die 
Deckung  der  Unkosten.  Nächstdem  nennt  er  die  bewässer- 
ten Gärten,  wenn  sie  in  der  Nähe  einer  Stadt  sind.  Die 
Wiesen  i)  nannten  die  Alten  parata.  Als  Cato  gefragt  wurde, 
welches  der  gewisseste  Gewinn  sei,  antwortete  er:  „Wenn 
du  gute  Weide  hast."  Was  folgt  dann  zunächst?  „Wenn 
du  mittelmässige  Weide  hast."  Es  handelte  sich  wohl 
hierbei  hauptsächlich  darum,  dass  dasjenige,  was  die  wenig- 
sten Unkosten  verursache,  am  meisten  einbringe.  Je  nach 
den  verschiedenen  Gegenden  urtheilt  man  hier  so,  dort  so. 
Dahin  gehören  auch  seine  Worte:  ein  Landmann  müsse 
gern  verkaufen.  Ein  Gut  muss  man  in  der  Jugend  unver- 
weilt  besäen,  aber  nicht  eher  bauen  2),  als  bis  der  Acker 
bestellt  ist;  auch  dann  muss  es  noch  langsam  geschehen, 
und  am  besten  ist  es  (wie  das  Sprichwort  sagt),  aus  den 
Thorheiteu  Anderer  Nutzen  zu  ziehen,  jedoch  so,  dass  die 
Unterhaltung  der  Landhäuser  einem  nicht  zur  Last  falle. 
Derjenige,  welcher  gut  wohnt,  kommt  oft  auf  den  Acker, 
und  die  lügen  nicht,  welche  sagen,  die  Stirn  des  Herrn 
nütze  mehr  als  sein  Hinterhaupt. 

7. 
Das  richtige  Verhältniss  besteht  darin,  dass  man  bei 
einem  Landgute  nicht  das  Landhaus,  und  bei  diesem 
nicht  den  Grund  und  Boden  zu  suchen  braucht.  Man  muss 
es  nicht  machen,  wie  L.  Lucullus  und  Q.  Scävola  zu  ein 
und  derselben  Zeit  in  entgegengesetzter  Richtung,  denn  das 
Land  des  Scävola  war  ohne  Gebäude,   und   das  Landhaus 


')  prata. 
^)  aedificare. 


Achtzehntes  Buch.  331 

lies  LucuUus  ohne  Land.  Ehemals  bestraften  die  Censoren 
den,  der  weniger  säete  als  fegte.  Und  diess  erfordert 
auch  Kunst.  Ganz  kürzlich  hat  C.  Marius,  der  7  mal  Con- 
sul  war,  im  Gebiete  von  Misenum  ein  Landgut,  ganz  in 
der  Art  wie  ein  Lager  errichtet  wird,  angelegt,  so  dass 
Sulla  der  Glückliche  Andere  im  Vergleich  mit  diesem  blinde 
nannte. 

Darin  ist  man  einig,  dass  ein  Landgut  weder  bei 
Sümpfen,  noch  einem  Strome  entgegen  liegen  müsse,  ob- 
schon  Homer  sehr  richtig  alle  vor  Aufgang  der  Sonne  aus 
einem  Flusse  steigende  Dünste  ungesund  nennt.  In  heissen 
Gegenden  muss  es  gegen  Norden,  in  kalten  gegen  Mittag 
und  in  gemässigten  gegen  Nordost  liegen.  Ob  es  gleich 
scheinen  kann,  dass  wir,  als  von  den  Erdarten  die  Rede 
war,  die  Merkmale,  woran  die  Güte  eines  Bodens  erkannt 
wird,  hinreichend  angegeben  haben,  so  wollen  wir  doch 
noch  die  darüber  niedergelegten  Bemerkungen,  und  zwar 
vorzüglich  mit  Cato's  Worten,  hier  anzeigen.  Attich,  wilde 
Pflaumen,  Brombeeren,  kleine  Zwiebeln,  Klee,  Gras,  Eichen, 
wilde  Birnen  oder  wilde  Aepfel,  ferner  schwarze  und  asch- 
graue Erde  sind  Merkmale  eines  Getreidebodens.  Jede 
Kalkart  zeitigt,  wenn  sie  nicht  zu  mager,  Sand,  wenn  er 
nicht  zu  fein  ist,  und  alles  diess  zeigt  sich  wirksamer  auf 
flachem  Boden  als  auf  hügeligem. 

Die  Alten  waren  der  Ansicht,  man  müsse  nicht  zu  viel 
Land  haben,  und  sagten,  es  sei  besser,  weniger  säen  und 
besser  pflügen.  Ich  finde,  dass  Virgil  derselben  Meinung 
ist.  Wenn  wir  die  Wahrheit  sagen  sollen,  so  haben  die 
ausgedehnten  Ländereibesitzungen  Italien,  ja  selbst  schon 
die  Provinzen  zu  Grunde  gerichtet.  Sechs  Herren  besassen 
die  Hälfte  von  Afrika,  als  der  Kaiser  Nero  sie  tödtete. 
Auch  hierin  zeigte  sich  (wir  dürfen  es  nicht  verschweigen) 
die  Grösse  des  Pompejus,  dass  er  niemals  einen  an  den 
seinen  grenzenden  Acker  kaufte.  Mago  sagt,  man  müsse 
nach  Ankauf  des  Ackers  sein  Haus  ohne  Schonung  und 
ohne  Nutzen  davon  dem  Publikum  entziehen  zu  wollen 
verkaufen;  mit  diesem  Eingänge  beginnt   er   seine  Lehren 


332  Achtzehntes  Buch. 

vorzutragen,   und   man  sieht  daraus,   dass  er   anhaltenden 
Fleiss  verlangt. 

Demnächst  mnss  man  sieh  um  einen  erfahrenen  Guts- 
verwalter umsehen;  Cato  giebt  hierüber  viele  Vorschriften. 
Wir  begnügen  uns  zu  bemerken,  er  soll  nächst  dem  Herrn 
der  klügste  sein ,  sich  selbst  aber  dieses  Ansehen  nicht 
geben  wollen.  Die  Bestellung  des  Landes  durch  Sclaven, 
sowie  überhaupt  alles,  was  von  verzweifelten  Menschen  ge- 
schieht, taugt  nicht.  Es  dürfte  verwegen  scheinen,  einen 
Ausdruck  der  Alten  anzuführen,  der  vielleicht  für  ganz  un- 
glaublich gehalten  werden  möchte,  nämlich:  nichts  sei 
weniger  zuträglich  als  sein  Land  aufs  Beste  anbauen. 
L.  Tarius  Kufus,  ein  Mann  von  ganz  geringem  Herkommen^ 
der  sich  durch  seine  ausgezeichneten  Militärdienste  das 
Consulat  erworben  hatte,  und  sonst  nach  Art  der  Alten 
sehr  sparsam  war,  brachte  durch  Ankauf  und  Anbau  von 
Aeckern  im  Picenischen  gegen  1  Million  Sesterzen,  die  er 
der  Freigebigkeit  des  Kaisers  Augustus  verdankte,  so  weit 
durch,  dass  Niemand  sein  Erbe  sein  wollte.  Sollen  wir 
nun  Verlust  des  Vermögens  und  Hunger  für  etwas  Rühm- 
liches halten?  Ja  wahrlich,  Massigkeit  ist  in  jeder  Be- 
ziehung das  beste.  Den  Acker  wohl  zu  bauen,  erscheint 
nothwendig,  aber  ihn  aufs  Beste  bestellen,  schädlich,  es 
sei  denn  durch  seine  Hausgenossen,  Pächter  oder  Leute,, 
die  man  doch  ernähren  muss.  Ferner  bringt  es  dem  Acker- 
bau treibenden  Herrn  auch  keinen  Nutzen,  einige  Male  zu 
erndten,  wenn  man  die  Kosten  der  Arbeit  rechnet.  Man  soll 
nicht  zu  rasch  in  der  Olivenkultur  sein,  auch  manches  Land 
nicht  oft  bebauen,  wie  z.  B.  in  Sicilien;  denn  die  Ansiedler 
würden  dadurch  betrogen  werden. 

8. 

Auf  welche  Weise  werden  nun  die  Aeckeram  besten 
bebauet?  Nach  dem  Ausspruch  eines  Orakels:  durch  gute 
Uebel  *).  Ich  muss  aber  hier  unsere  Vorfahren  verthei- 
digen,  deren  Vorschriften  für  das  Leben  sorgten;  denn  was 

')  malis  bonis. 


Achtzehntes  Buch.  333 

sie  Uebel  nannten,  sollte  das  Wohlfeilste  bedeuten.  Am 
meisten  sahen  sie  darauf,  dass  die  Unkosten  gering  waren. 
Solche  Verordnungen  gaben  Männer,  welche  es  Einem,  der 
triumphirt  hatte,  zum  Verbrechen  anrechneten,  wenn  er 
10  Pfund  silbernes  Hausgeräth  besass;  welche  verlangten, 
man  solle,  wenn  der  Verwalter  mit  Tode  abgegangen  sei, 
die  Siege  verlassen  und  zu  seinen  Ländereien  zurückkehren; 
deren  Güter  der  Staat  zu  bebauen  übernahm,  und  die  der 
Senat  verwaltete,  während  sie  Kriegsheere  anfahrten.  Da- 
her schrieben  sich  auch  die  übrigen  denkwürdigen  Aus- 
sprüche: Der  sei  kein  guter  Landmann,  welcher  etwas 
kaufe,  was  ihm  sein  Acker  liefern  könne.  Das  sei  ein 
schlechter  Hausvater,  der  bei  Tage  thäte,  was  er  des  Nachts 
thun  könne,  wenn  die  Witterung  ihm  nicht  hinderlich  wäre; 
der  sei  noch  schlechter,  welcher  das,  was  an  Feiertagen 
geschehen  könne,  an  Werktage  verrichte;  und  der  am 
"schlechtesten,  welcher  an  heitern  Tagen  mehr  im  Hause 
als  auf  dem  Felde  arbeite. 

Ich  kann  nicht  umhin,  wenigstens  ein  Beispiel  aus  dem 
Alterthume  anzuführen,  woraus  man  ersehen  mag,  dass  es 
auch  unter  dem  Volke  üblich  war,  über  den  Ackerbau  zu 
verhandeln,  und  wie  dergleichen  Männer  in  Schutz  genommen 
zu  werden  pflegten.  Als  C.  Furius  Cresinus  nach  seiner 
Befreiung  aus  der  Sclaverei,  auf  seinem  kleinen  Acker 
weit  mehr  Früchte  erndtete  als  seine  Nachbaren  auf  ihren 
weitläufigen  Gründen,  beneidete  man  ihn  deshalb  und  be- 
schuldigte ihn,  er  brächte  fremde  Früchte  durch  Zauberei 
auf  sein  Feld.  Er  wurde  deshalb  von  Sp.  Albinus  vor  Gericht 
geladen,  und  aus  Furcht  verurtheilt  zu  werden  (weil  die 
Zünfte  darüber  stimmen  mussten),  brachte  er  all  sein  Acker- 
geräth  auf  den  Marktplatz,  nahm  seine  kräftige  und  (wie 
Piso  sagt)  wohlgenährte  und  gekleidete  Familie,  ferner  vor- 
trefflich gemachtes  Eiseuzeug,  starke  Hacken,  gewichtige 
Pflugscharen,  und  gemästete  Ochsen  mit  sich,  und  sprach : 
„Diess,  Römer,  sind  meine  Zaubermittel;  mein  nächtliches 
Arbeiten,  mein  Wachen  und  meinen  Schweiss  kann  ich  Euch 
aber  nicht  zeigen  oder  auf  das  Forum  briuseu."    Er  wurde 


334  Achtzehntes  Buch. 

emstimmig  freigesprochen.  Wahrlieh,  der  Ackerbau  fordert 
keine  Unkosten,  sondern  Fleiss.  Daher  sagten  auch  die 
Alten,  das  fruchtbarste  auf  dem  Acker  sei  das  Auge  des 
Herrn. 

Die  übrigen  Vorschriften  sollen  an  den  ihnen  zukom- 
menden Orten  angeführt  werden;  indessen  wollen  wir  die 
allgemeinen,  welche  uns  beifallen,  hierhersetzen.  Vor  allen 
ist  folgende  des  Cato  höchst  nützlich  und  nachahmungs- 
würdig: Trachte  dahin,  dass  die  Nachbarn  dich  lieben. 
Er  giebt  auch  Gründe  dafür  an,  welche  meiner  Meinung 
nach  Jedem  einleuchten  werden.  Ganz  besonders  hebt  er 
hervor,  die  Leute  im  Hause  sollen  nicht  böse  gegeneinander 
gesinnt  sein.  Alle  stimmen  darin  überein,  beim  Ackerbau 
dürfe  nichts  zu  spät  geschehen,  und  alles  müsse  zu  rechter 
Zeit  vollbracht  werden,  denn  das  Versäumte  könne  nicht 
wieder  nachgeholt  werden.  Dass  Cato  eine  zu  trockne 
Erde  verwirft,  haben  wir  zur  Genüge  angegeben,  schweigen 
also  jetzt,  obgleich  er  gar  nicht  aufhört,  davon  zu  reden. 
Alles  was  durch  einen  Esel  verrichtet  werden  kann,  kostet 
am  wenigsten.  Das  Farnkraut  stirbt  nach  2  Jahren  ab, 
wenn  man  es  nicht  Blätter  treiben  lässt.  Diess  geschieht 
am  sichersten,  wenn  man  in  der  Periode  des  Ausschiagens 
die  Zweige  mit  einem  Stocke  abschlägt,  denn  der  Saft, 
welcher  ihm  entquillt,  tödtet  die  Wurzel.  Auch  sollen  sie 
nicht  wieder  wachsen,  wenn  man  sie  zur  Zeit  der  Sonnen- 
wende abreisst;  ferner  nicht,  wenn  man  sie  durch  Rohr 
anschneidet,  oder  durch  einen  mit  Rohr  belegten  Pflug  aus- 
pflügt. Ebenso  solle  man  das  Rohr  durch  Farnkraut,  welches 
auf  den  Pflug  gelegt  worden,  auspflügen.  Ein  mit  Binsen 
bewachsener  Acker  muss  mit  einem  Spaten,  ein  steiniger 
mit  einer  zweizinkigen  Hacke  bearbeitet  werden.  Strauch- 
werk entfernt  man  am  besten  durch  Feuer.  Wird  ein  zu 
feuchter  Acker  mit  Gräben  durchschnitten  und  dadurch 
ausgetrocknet,  so  bringt  er  grossen  Nutzen.  Die  Gräben 
aber  muss  man  an  kalkigen  Stellen  offen  lassen,  in  einem 
zu  losen  Boden  jedoch  mit  Zäunen  befestigen,  damit  sie 
nicht  einfallen,  oder  die  Seiten  müssen  nicht   zu   sehr   ge- 


Achtzehntes  Buch.  335. 

neigt  liegen.  Einige  muss  man  bedecken  und  in  grössere 
und  breitere  leiten  und  womöglich  mit  Kieselsteinen  und 
Kies  auspflastern.  Ihre  Mündungen  müssen  auf  beiden  Sei- 
ten mit  2  Steinen  gestützt  und  mit  einem  andern  überdeckt 
werden.  Wie  man  einen  Wald  ausrottet,  hat  Democrit  an- 
gegeben; es  wird  nämlich  die  Blüthe  der  Wolfsbohne  einen 
Tag  lang  in  Schierlingssaft  eingeweicht,  und  mit  diesem 
besprengt  man  die  Wurzeln. 

9. 

Nachdem  nun  der  Acker  zugerichtet  ist,  wollen  wir 
auch  die  Feldfrüchte  näher  angeben.  Es  giebt  vorzüg- 
lich 2  Arten  derselben,  nämlich  Getreide  wie  z.  B.  der 
Weizen,  die  Gerste,  und  Hülsenfrüchte,  wie  die  Bohnen  und 
die  Futtererbsen.  Wie  sich  beide  von  einander  unter- 
scheiden, ist  zu  bekannt,  als  dass  es  hier  angegeben  zu 
werden  braucht. 

10. 

Vom  Getreide  selbst  giebt  es  wieder  ebenso  viele 
Arten,  welche  sich  durch  die  Zeit  der  Aussaat  unterschei- 
den. Wintergetreide  heisst  das,  was  gegen  den  Untergang 
des  Siebengestirns  gesäet  und  den  Winter  über  durch  die 
Erde  genährt  wird,  wie  der  Weizen,  der  Dinkel  i),  die  Gerste. 
Sommergetreide  wird  im  Sommer  vor  dem  Aufgange  des 
Siebengestirns  gesäet,  wie  die  Hirse  2),  Mohrenhirse  3)^ 
Sesam  ^),  Horminum^),  Irio*');  jedoch  ist  diess  nur  in  Italien 
gebräuchlich.  Anderswo,  wie  in  Griechenland  und  in  Asien 
wird  alles  beim  Untergange  des  Siebengestirns  gesäet;. 
Manches  aber  in  Italien  zu  beiden  Zeiten,  ja  Einiges  auch 
zu  einer  dritten  Zeit,  nämlich  im  Friihlinge.  Einige  nennen, 
die  Hirse,  Mohrenhirse,   Linse  ^),   Kicher  ^),   Alica'^)   Früh-. 


•)  far.     Triticum  Spelta  L. 

2)  Milium.  Panicum  miliaceum  L. 

^)  Panicum.  Holcus  Sorghum  L. 

'')  Sesama.  Sesamum  Orientale  L.    *)  Salvia  Horminum  L? 

^)  Irio.  Sisymbrium  Irio.     '')  Lens.  Ervum  Lens  L. 

*)  Cicer.  Cicer  arietinum  L.    »)  Eine  Art  Dinkel. 


33G  Achtzehntes  Buch. 

flüchte;  den  Weizen,  die  Gerste,  Bohne i),  Napus^),  Rapa^) 
Saatfrüchte.  Unter  dem  Weizen  giebt  es  eine  Art,  welche 
nur  zum  Futtern  der  vierfüssigen  Thiere  dient,  und  Farrago 
heisst;  unter  den  Hülsenfrüchten  vertritt  die  Wicke  diese 
Stelle.  Die  Wolfsbohne*)  aber  wird  zum  Gebrauche  für 
Menschen  und  Vieh  gebauet. 

Alle  Hülsenfrüchte,  ausser  der  Bohne,  haben  einfache 
holzige  Wurzeln,  die  sich  nicht  in  mehrere  zertheilen,  die 
tiefsten  hat  die  Kicher.  Die  Getreidearten  dagegen  wurzeln 
mit  vielen  Fasern  ohne  Zweige.  Die  Gerste  bricht  am 
7.  Tage  nach  der  Aussaat  hervor,  die  Hülsenfrüchte  am 
4.,  spätestens  am  7.;  die  Bohne  am  15.  bis  20.,  die  Hülsen- 
früchte in  Aegypten  am  3.  Tage.  Von  dem  Gersteukorne 
geht  das  eine  Ende  in  die  Wurzel,  das  andere  in  den 
Stengel  über,  und  dieser  blühet  auch  zuerst;  das  dickere 
Ende  wird  zur  Wurzel,  das  dünnere  zur  Blüthe.  Bei  den 
übrigen  Samenkörnern  bildet  ein  und  derselbe  Theil  die 
Wurzel  und  Blüthe  (den  Stengel). 

Das  Getreide  hat  im  Winter  nur  Blätter;  im  Frühjahre 
wächst  das  Wintergetreide  in  den  Stengel  aus,  aber  die 
Hirse  und  Mohrenhirse  in  einen  knotigen,  hohlen,  der  Se- 
sam in  einen  ruthenartigen  (doldigen)  Halm.  Die  Frucht 
aller  Saaten  befindet  sich  entweder  in  Aehren,  wie  die  des 
Weizens,  der  Gerste,  und  wird  durch  eine  vierfache  Be- 
deckung von  Grannen  geschützt;  oder  sie  ist  in  Hülsen 
eingeschlossen  wie  bei  den  Hülsenfrüchten,  oder  aber  in 
Gehäusen  wie  beim  Sesam,  Mohn.  Nur  die  Hirse  und 
Mohrenhirse  sind  ein  gemeinschaftliches  Gut,  und  den 
kleinen  Vögeln  zugänglich;  sie  haben  nämlich  keine  Waffen, 
sondern  sind  nur  in  Häuten  enthalten.  Das  Panicum  hat 
seinen  Namen  von  den  Büscheln  ^),  welche  an  seiner  Spitze 
schlaff  niederhängen,  denn  sein  Halm  verdünnt  sich  all- 
.  niälig  in  ein  feines  Reis,  wovon  sehr  dichte  Körner  in  einer 


1)  Faba.  Vicia  faba  L.     -)  Brassica  campestris  Napobrassica  L. 

3)  Brassica  Rapa  L. 

^)  Lupinus.  L.  hirsutus  L.  und  L.  angustifoUus  L. 

^)  paniculae,  Risj)en. 


Achtzöliiltes  Buch.  337 

■fusslangen  Doldentraube  i)  angehäuft  sind.  Die  feinen  Fa- 
sern, welche  die  Körner  der  Hirse  umfassen,  endigen  in  ge- 
krümmte und  gefranzte  Haare.  Vom  Panicum  giebt  es 
mehrere  Arten;  man  hat  nämlich  ein  zizenförmiges,  wo  aus 
einer  Anschwellung  kleine  traubenartige  Büschel  ausgehen 
und  die  Spitze  doppelt  ist.  Ja  selbst  in  der  Farbe  findet 
ein  Unterschied  statt,  denn  es  giebt  weisses,  schwarzes, 
röthliches  und  purpurfarbiges.  Aus  der  Hirse  bäckt  mau 
auf  vielerlei  Weise  Brot,  aus  dem  Panicum  selten;  kein 
Getreide  aber  ist  schwerer  oder  schwillt  beim  Kochen  mehr 
auf  als  dieses.  Ein  Modius  giebt  60  Pfund  Brot,  und  3 
Sextare  geben  durch  Anwässern  1  Modius  Teig.  Während 
der  letzten  10  Jahre  ist  aus  Indien  eine  Art  Hirse  nach 
Italien  gekommen,  welche  eine  schwarze  Farbe,  eiu  grosses 
-Korn  und  einen  rohrartigen  Halm  hat^).  Sie  treibt  sehr 
lange  Halme,  erreicht  eine  Höhe  von  7  Fuss,  heisst  Lobä 
und  ist  unter  allen  Feldfrüchten  die  fruchtbarste,  denn 
ein  Korn  liefert  3  Sextarieu.  Sie  verlangt  eiu  feuchtes 
Erdreich. 

Einige  Getreidearten  beginnen  am  3.  Knoten  die  Aehre 
zu  treiben,  andere  am  4.,  doch  ist  sie  dann  noch  verborgen. 
Der  Weizen  hat  4  solche  Halmknoteu,  der  Dinkel  6,  die 
Gerste  8.  Vor  der  so  eben  genannten  Anzahl  Knoten  be- 
ginnt die  Aehre  nicht;  sobald  sie  aber  hervorbrechen  will, 
fäugt  die  Pflanze  am  4.  oder  spätestens  am  5.  Tage  darauf 
IUI  zu  blühen,  und  in  ebenso  viel  oder  etwas  mehr  Tagen 
tragen  blühet  sie  ab;  die  Gerste  hingegen  spätestens  in  7. 
Varro  sagt,  die  Feldfrüchte  erlangten  in  36  Tagen  ihre 
Vollkommenheit  und  würden  im  9.  Monate  eingeerntet. 

Die  Bohnen  brechen  in  Blättern  hervor,  und  treiben 
■dann  einen  Stengel  ohne  Knoten.  Die  übrigen  Hülsenfrüchte 
haben  staudige  ^)  Stengel,  und  unter  ihnen  die  Kicher,  Erve  ^) 


')  obba,   eigentlich  ein  Trinkgeschirr  mit  weitem  Bauche;  hiei- 
im  figurlichem  Sinne. 

2)  Ohne  Zweifel  eine  Varietät  des  Holcus  Sorghum. 
^)  surculosus,  holzig  (fest). 
*)  Ervum.  Vicia  Ervilia  L. 

Wittstein:  Pliuius.     III.  Bil.  '>•) 


338  Achtzehntes  Buch. 

und  Linse  ästige.  Die  Stengel  mancher  breiten  sich  auf 
der  Erde  aus,  wenn  sie  keine  Stützen  haben,  wie  z.  B.  die 
der  Erbsen  1);  und  fehlen  sie  ihnen,  so  arten  sie  aus.  Unter 
den  Hülsenfrüchten  haben  nur  die  Bohne  und  Wolfsbohne 
einen  einfachen  Stengel;  bei  den  übrigen  ist  er  hart  und 
ästig,  bei  allen  aber  hohl. 

Einige  treiben  die  Blätter  an  der  Wurzel  hervor,  andere 
an  der  Spitze.  Die  Getreidearten,  Gerste,  Wicke  und  alles, 
was  Halme  hat,  trägt  am  Ende  nur  1  Blatt.  Die  Gerste 
hat  rauhe,  die  übrigen  glatte  Blätter;  vielfach  sind  sie  da- 
gegen bei  der  Bohne,  Kicher  und  Erbse.  Die  Getreide- 
arten haben  ein  schilfartiges  Blatt,  die  Bohne  und  die 
meisten  Hülsenfrüchte  ein  rundes;  bei  der  Ervilie  2)  und 
Erbse  sind  die  Blätter  mehr  länglich,  bei  der  Schwert- 
bohne 3)  aderig,  beim  Sesam  und  dem  Irio  blutroth.  Nur 
von  der  Wolfsbohne  und  dem  Mohne  fallen  die  Blätter  ab. 
Die  Hülsenfrüchte  blühen  länger  als  andere,  besonders  die 
Erve  und  Kicher,  am  längsten  aber  die  Bohne,  nämlich 
40  Tage,  jedoch  nicht  jeder  Blüthenstiel  so  lange,  denn 
wenn  der  eine  aufgehört  hat,  fängt  der  andere  an;  auch 
nicht  das  ganze  Feld  auf  einmal,  wie  beim  Getreide.  Sie. 
setzen  aber  alle  in  verschiedenen  Tagen  und  zwar  am 
untersten  Ende  zuerst,  Hülsen  an,  während  allmählig  neue 
Blüthen  nachkommen. 

Wenn  das  Getreide  verblühet  ist,  schwillt  es  und  wird 
längstens  in  40  Tagen  reif;  ebenso  die  Bohne,  die  Kicher 
aber  in  sehr  wenigen  Tagen,  denn  diese  ist  schon  40  Tage- 
nach der  Aussaat  reif.  Hirse,  Panicum,  Sesam  und  alle» 
Sommergetreide  wird  in  40  Tagen,  von  der  Blüthe  an  ge- 
rechnet, reif;  dabei  sind  aber  Boden  und  Klima  von  grossem 
Einflüsse.  Denn  in  Aegypten  schneidet  man  die  Gerste  im 
6.  Monate  nach  der  Aussaat,  das  übrige  Getreide  im  7.; 
in  Hellas  die  Gerste  im  7.,  im  Peloponnes  im  8.,    und  das 


')  Pisa.  Pisum  sativum  L. 

2)  Lathyrus  Cicera  L. 

')  Faseoli.  Phaseolus  vulgaris  L. 


Achtzehntes  Buch.  339 

Übrige  noch  später.  Die  Körner  sitzen  auf  dem  Halme  in 
von  haarigem  Gewebe  umgebenen  Aehren.  Die  Bohne  und 
die  Hülsenfrüchte  tragen  die  Schoten  abwechselnd.  Das 
Getreide  zeigt  sich  dauerhafter  gegen  den  Winter.  Die 
Hülsenfrüchte  dienen  zur  Speise. 

Das  Getreide  hat  mehrere  häutige  Hüllen.  Die  Gerste 
und  die  Arincai)  sind  am  nacktesten;  ebenso  der  Hafer. 
Das  übrige  Getreide  hat  längere  Halme  als  die  Gerste, 
diese  aber  schärfere  Grannen.  Auf  der  Tenne  werden  Wei- 
zen 2),  Siligo^)  und  Gerste  ausgedroschen.  Man  säet  sie 
auch  so  rein,  wie  sie  gemahlen  werden,  ohne  vorherige 
Dörrung.  Dagegen  können  Dinkel,  Hirse,  Panicum,  ohne 
erst  gedörrt  zu  sein,  nicht  gereinigt  werden;  und  deshalb 
säet  man  diese  roh,  mit  ihren  Hüllen.  Auch  den  Dinkel 
dörrt  man  nicht,  sondern  hebt  ihn  in  den  Hüllen  zur 
Saat  auf. 

11. 

Am  leichtesten  unter  allen  diesen  ist  die  Gerste,  denn 
sie  übersteigt  selten  das  Gewicht  von  15  Pfund;  die  Bohne 
wiegt  22  Pfund*).  Schwerer  ist  der  Dinkel  und  noch 
schwerer  der  Weizen.  In  Aegypten  macht  man  Brot-Mehl^) 
aus  der  Olyra^^),  welche  dort  die  3.  Art  der  Aehrenfrucht 
ist.  Auch  in  Gallien  hat  man  eine  Art  Brot-Mehl,  welches 
dort  Brace,  bei  uns  Sandala  heisst,  von  sehr  glänzendem 
Korne  ist,  und  sich  noch  dadurch  unterscheidet,  dass  es 
fast  4  Pfund  Brot  mehr  giebt,  als  jedes  andere  Getreide. 
Verrius  sagt,  das  römische  Volk  habe  sich  300  Jahre  lang 
bloss  des  (groben)  Brot-Mehls  vom  Getreide  bedient. 

12. 

Vom   Weizen   giebt   es   mehrere  Arten,    welche   ihre 


*)  Ist  nach  Cap.  20  identisch  mit  Olyra  (Triticum  Zea  Host). 
2)  Winterweizen.  Triticum  vulgare,  «)  hibernum  L. 
^)  Sommerweizen.  Triticum  vulgare,  ß)  aestivum  L. 
*)  Das  Gemäss,  welches  hierbei  zur  Norm  diente,  ist  der  Modius. 
^)  Far,   Schrot   oder  grobes  Mehl;    also   wohl  zu  unterscheiden 
von  dem  Dinkel,  welchen  Phnius  auch  far  nennt. 
^)  Triticum  Zea  Host. 

22* 


340  Achtzehntes  Buch. 

Entstehung  den  Völkern  zu  verdanken  haben.  Dem  italie- 
nischen möchte  ich  keinen  an  Weisse  und  Schwere,  welche 
Merkmale  den  Hauptunterschied  ausmachen,  gleich  setzen, 
nnd  nur  dem  auf  den  bergigen  Aeckern  Italiens  wachsenden, 
den  ausländischen,  von  dem  der  böotische  den  Vorzug  ver- 
dient; dann  folgt  der  sicilische  und  hierauf  der  afrikanische. 
Das  dritte  Gewicht  i)  hatte  der  thracische,  syrische  und 
ägyptische.  Hiermit  stimmt  auch  die  Meinung  der  Athleten 
iiberein,  welche  in  der  Gefrässigkeit  dem  Rindvieh  gleichen 
und  die  eben  eingeführte  Ordnung  gemacht  haben.  In 
Griechenland  lobt  man  auch  den  pontischen.  der  noch  nicht 
nach  Italien  gekommen  ist.  Unter  allen  Arten  schätzte 
man  daselbst  vorzüglich  den  dracontischen,  strangischen 
und  salenusischeu  wegen  des  sehr  dicken  Rohres,  und  säete 
daher  diese  auf  fetten  Boden.  Den  leichtesten  und  leersten^ 
sowie  denjenigen  mit  dünnstem  Halme  säete  mau  an  feuchte 
Plätze,  weil  er  der  meisten  Nahrung  bedürfe.  Diess  waren 
die  Meinungen  Griechenlands,  als  Alexander  der  Grosse 
herrschte,  als  diess  Land  am  berühmtesten,  und  auf  der 
ganzen  Erde  am  mächtigsten  war;  und  doch  ist  nicht  zu 
übersehen,  dass  beinahe  vor  dessen  Tode  der  Dichter 
Sophocles  in  dem  Schauspiel  Triptolemus  dem  italienischen 
Getreide  den  Vorzug  vor  allem  andern  einräumte,  und  zwar 
mit  den  Worten: 
„  Und  das  durch  weisses  Korn  beglückte  Italien  besingen. " 

Diess  Lob  gehört  dem  italienischen  bis  jetzt  noch  an, 
und  ich  wundere  mich  um  so  mehr,  dass  die  spätem  Grie- 
chen dessen  gar  nicht  erwähnt  haben. 

Jetzt  ist  von  den  Arten,  welche  nach  Rom  eingeführt 
worden,  die  gallische  und  die,  welche  vom  Chersones  kommt, 
die  leichteste,  denn  es  gehen,  wenn  man  das  Korn  selbst 
wiegt,  nicht  über  20  Pfund  auf  den  Modius.  Der  sardische 
Weizen  wiegt  V2  Pfund,  der  alexandriuische  noch  V^  mehr, 
und   dasselbe  Gewicht   hat   der   sicilische.     Der   böotische 


')  D.  h.  den  dritten  Rang. 


Achtzehntes  Buch.  341 

wiegt  noch  1  Pfund  mehr,  und  der  afrikanische  ^U.  Ich 
weiss,  dass  in  Italien  jenseits  des  Po  ein  Modius  Brot-Mehl 
25  Pfund  wiegt,  bei  Clusium  auch  wohl  26  Pfund.  Es  ist 
ein  natürlich  begründetes  Gesetz,  dass  in  jeder  Art  Com- 
missbrot  i)  der  dritte  Theil  zum  Gewichte  des  Korns  noch 
hinzukommt  2);  und  dasjenige  Getreide  ist  am  besten,  wel- 
ches beim  Kneten  1  Congius  Wasser  aufnimmt.  Einige 
Arten  haben  ein  besonderes  Gewicht,  wie  die  balearische, 
von  welcher  1  Modius  35  Pfund  Brot  giebt;  andere  wenn  sie 
zu  zweien  miteinander  gemischt  werden,  wie  die  cyprische 
und  alexandrinische,  von  denen  das  Brot  nicht  über  20 
Pfund  wiegt.  Der  cyprische  Weizen  ist  braun  und  giebt 
schwarzes  Brot;  daher  mengt  man  weissen  alexandrinischen 
darunter  und  erhält  dann  25  Pfund.  Die  thebaische  giebt 
noch  1  Pfund  mehr.  Mit  Seewasser  zu  kneten,  was  Viele 
in  den  Ktistenortschaften  thuu,  um  das  Salz  zu  sparen,  taugt 
nicht,  denn  nichts  disponirt  den  Körper  mehr  zu  Krank- 
heiten als  der  Genuss  eines  solchen  Brotes.  In  Gallien 
und  Spanien  bedient  man  sich  statt  des  Sauerteigs  des 
verdichteten  Schaumes  3),  welcher  entsteht,  wenn  aus  den 
bereits  angegebenen  Getreidearten  ein  Trank  bereitet  wird ; 
daher  ist  dort  das  Brot  leichter  als  bei  andern  Völkern. 

Auch  im  Halme  liegt  ein  Unterscheidungsmerkmal;  der 
dickere  deutet  auf  eine  bessere  Art.  Der  thracische  Weizen 
ist  mit  vielen  Hüllen  umgeben,  und  eignet  sich  für  dieses 
Land  wegen  der  darin  herrschenden  grössern  Kälte.  Aus 
eben  derselben  Ursache  erfand  man,  weil  der  Schnee  so 
lange  die  Erde  bedeckt,  dreimonatlichen  Weizen,  welcher 
von  der  Saatzeit  an  im  3.  Monate  auch  in  den  übrigen 
Ländern  geschnitten  wird.  Dieser  ist  im  ganzen  Alpenge- 
birge bekannt,  und  kein  Getreide  wächst  in  diesen  kalten 
Himmelsstrichen  üppiger;  es  treibt  nur  einen  Halm,  breitet 


')  panis  militaris. 

-)  D.  h.  das  Brot  ist  um  Va  schwerer,   als  das  dazu  genommene 
Getreide. 

3)  D.  i.  Hefe. 


342  Achtzehntes  Buch. 

sich  nicht  aus  und  wird  nur  in  dünne  Erdschicht  gesäet. 
Es  giebt  auch  bei  Aenus  in  Thracien  zweimonatlichen 
Weizen,  welcher  am  40.  Tage  nach  der  Aussaat  reif  wird, 
und  merkwürdigerweise  schwerer  und  an  Kleie  ärmer  als 
jedes  andere  Getreide  ist.  Man  bauet  ihn  in  Sicilien  und 
Achaja  in  bergigen  Gegenden,  auch  in  Euböa  bei  Carystus. 
Columella  irrt  sehr,  wenn  er  glaubt,  der  3  monatliche  wäre 
nicht  einmal  eine  besondere  Art,  während  er  doch  schon 
sehr  alt  ist.  Die  Griechen  nennen  ihn  Setanion.  Man 
erzählt,  inBactrien  gebe  es  Weizenkörner  von  solcher  Grösse, 
dass  eins  so'gross  sei  wie  bei  uns  eine  ganze  Aehre. 

13. 

Unter  allen  Getreidearten  wird  die  Gerste  i)  zuerst 
gesäet.  Wenn  wir  jede  Art  einzeln  abgehandelt  haben, 
wollen  wir  auch  ihre  Säezeit  aageben.  Die  Indier  haben 
eine  angebauete  und  wilde  Gerste,  aus  welch'  letzterer  sie 
hauptsächlich  ihr  Brot  backen  und  Alica  -)  bereiten.  Am 
meisten  aber  bauen  sie  Reis^),  wovon  sie  einen  Trank  ^) 
darstellen,  den  alle  übrigen  Menschen  aus  Gerste  machen. 
Die  Blätter  des  Reises  sind  fleischig,  dem  Lauche  ähnlich 
aber  breiter,  die  Pflanze  selbst  hat  1  Cubitus  Höhe,  pur- 
purrothe  Blumen,  und  eine  knospenartig  runde  Wurzel. 

14. 

Die  Gerste  ist  am  frühesten  zur  Speise  angewandt 
worden,  wie,  dem  Schriftsteller  Menander  zufolge,  aus  dem 
Gebrauche  der  Athenienser  und  aus  dem  Zunamen  der 
Fechter,  welche  Gerstenesser  hiessen,  erhellet.  Die  Grie- 
chen ziehen  auch  die  Graupen  der  Gerste^)  allen  andern 
vor.  Man  bereitet  dieselbe  auf  mehrfache  Weise.  Die 
Griechen  übergiessen  die  Gerste  mit  Wasser,  lassen  eine 
Nacht  über  stehen,  trocknen  sie  dann,  rösten   und  mahlen 


')  Horcleum.    Hordeum   vulgare,    H.    clistichon   und    H.    hexasti- 
chum  L. 

2)  Eine  Art  Graupen.    Näheres  im  29.  Cap. 

3)  Oryza.  0.  sativa  L.    ^)  ptisana. 
^)  polenta. 


Achtzehntes  Buch.  ,  343 

sie.  Manche  rösten  sie  stärker,  besprengen  sie  dann  wie- 
derum mit  etwas  Wasser  und  trocken  sie  vor  dem  Mahlen; 
Andere  aber  reinigen  die  frisch  aus  den  Aehren  geschlagene 
Gerste,  stampfen  sie  noch  feucht  in  einem  Mörser,  waschen 
sie  in  Körben  aus,  stossen  sie,  nachdem  sie  an  der  Sonne 
getrocknet  worden,  wieder  und  mahlen  sie.  Was  für  ein 
Verfahren  nun  auch  angewandt  worden  ist,  so  mischt  man 
in  der  Mühle  zu  20  Pfund  Gerste,  3  Pfund  Leinsamen, 
V2  Pfund  Coriander  und  ein  Acetabulum  Essig.  Wer  sie 
länger  aufbewahren  will,  der  thut  sie  in  neue  irdene  Ge- 
fässe  und  überdeckt  sie  mit  Gerstenmehl  und  Gerstenkleie. 
In  Italien  röstet  man  sie  ohne  vorheriges  Anbrühen  und 
mahlt  sie,  nachdem  derselbe  Zusatz  und  ausserdem  noch 
Hirse  hinzugekommen,  in  der  Mühle  fein.  Das  bei  den 
Alten  gebräuchliche  Gerstenbrot  hat  man  zum  Genuss  für 
Menschen  verworfen,  so  dass  es  fast  nur  noch  ein  Nahrungs- 
mittel für  das  Vieh  ist. 

15. 

Seitdem  schätzt  man  den  sehr  kräftigen  und  gesunden 
"Gerstentrank  1)  um  so  mehr.  Hippocrates,  einer  der  be- 
rühmtesten Aerzte,  hat  zum  Lobe  desselben  ein  ganzes 
Buch  geschrieben.  Der  uticensische  wird  für  vorzüglich 
gut  gehalten;  in  Aegypten  aber  der,  welcher  aus  zwei- 
eckiger (zweizeiliger)  Gerste  bereitet  wird.  Turranius  nennt 
die  Art,  aus  der  man  in  Bätika  und  Afrika  den  Trank 
macht,  die  glatte;  glaubt  auch,  Olyra  und  Oryza  sei  ein 
und  dasselbe.  Die  Bereitungsart  des  Tranks  ist  allgemein 
bekannt. 

16. 

Auf  ähnliche  Weise  macht  man,  doch  nur  in  Campanien 
und  Aegypten,  aus  dem  Weizeukorne  das  Tragum^). 

17. 

Das  Stärkmehl  gewinnt  man  aus  allen  Weizen- 
arten und  dem  Siligo,  das  beste  aber  aus  dem  dreimonat- 
lichen.    Diese   Erfindung   verdankt   man   der  Insel  Chios; 

')  ptisana. 
^)  ein  gewisser  Brei. 


344  Achtzehntes  Buch. 

auch  noch  jetzt  kommt  von  dorther  das  beste.  Den  Nameit 
Amylum  i)  hat  es  daher  bekommen,  weil  es  ohne  Mühle- 
bereitet  wird.  DienächstbesteSorte  liefert  derjenigedreimonat- 
liche  Weizen,  welcher  zu  den  leichtesten  gehört.  Man 
ttbergiesst  ihn  in  hölzernen  Gefässen  mit  soviel  süssem 
Wasser,  dass  er  davon  bedeckt  ist,  und  rührt  den  Tag  über 
5 mal  um.  Besser  ist  es,  wenn  das  Umrühren  auch  des 
Nachts  geschieht,  damit  sich  alles  gleichförmig  mische. 
Das  so  erweichte  Gemisch  wird,  bevor  es  anfängt  sauer  za 
werden,  durch  Leinwand  öder  Körbe  geseihet,  auf  Ziegeln, 
welche  mit  Hefe  bestrichen  sind,  gegossen,  und  an  der 
Sonne  getrocknet.  Nach  dem  chiischen  Stärkmehle  schätzt 
man  das  cretische  am  meisten;  dann  folgt  das  ägyptische. 
Seine  Güte  beurtheilt  man  nach  der  Glätte,  Leichtigkeit 
und  Frische,  wie  Cato  schon  angegeben  hat. 

18. 
Bei  uns  bedient  man  sich  auch  des  Gerstenmehls 
in  der  Heilkunde.  Es  ist  merkwürdig,  welchen  Nutzen 
dasselbe  beim  Zugvieh  schafft;  wenn  man  nämlich  Gerste 
am  Feuer  dörrt,  dann  mahlt,  Klösse  daraus  macht  und 
diese  mit  der  Hand  ihnen  einstopft,  so  werden  sie  kräftiger 
und  beleibter.  Manche  Aehren  haben  2  Reihen,  manche 
mehrere  bis  zu  6.  Das  Korn  ist  dadurch  unterschieden, 
dass  es  länger,  leichter,  oder  kürzer,  runder,  weisser,  schwär- 
zer oder  purpurner  ist.  Letztere  Sorte  ist  zur  Bereitung 
der  Graupen,  die  weisse  gegen  Sturmwind  die  schwächste. 
Die  Gerste  ist  die  weichste  aller  Feldfrüchte  und  darf  nur 
in  trocknes,  lockeres  und  fruchtbares  Erdreich  gesäet  wer- 
den. Ihre  Spreu  gehört  zu  der  besten,  und  ihrem  Strohe 
kommt  kein  anderes  gleich.  Die  Gerste  leidet  von  allen 
Getreidearten  am  wenigsten  Wetterschaden,  weil  sie  eher 
geschnitten  wird  als  der  Brand  den  Weizen  befällt;  daher 
sähen  kluge  Landleute  den  Weizen  nur  zum  Futter.  Man. 
sagt,   die  Gerste   werde   mittelst   der  Hacke  in's  Land  ge- 


*)  Zusammengesetzt  aus  «  und  fivXov. 


Achtzehntes  Buch.  345 

bracht;  daher  geht  sie  auch  am  schnellsten  auf.  Am  frucht- 
barsten ist  die,  welche  in  Spanien  und  Carthago  im  Monat 
April  geerndtet  wird;  in  Celtiberien  säet  man  sie  in  dem  - 
selben  Monate,  und  erndtet  sie  zweimal  im  Jahre.  Alle 
Gerste  wird  sogleich  nach  der  Reife  eher  geschnitten  als 
die  übrigen  Getreidearten,  denn  ihr  Halm  bricht  leicht  und 
das  Korn  befindet  sich  in  einer  äusserst  dünnen  Hülle. 
Auch  sollen  bessere  Graupen  erhalten  werden,  wenn  die 
Gerste  vor  völliger  Reife  abgeschnitten  wird. 

19. 
Nicht  überall  hat  man  ein  und  dieselben  Arten  von 
Getreide,  und,  wo  sie  sind,  führen  sie  nicht  einerlei 
Namen.  Am  gemeinsten  sind  der  Dinkel,  welchen  die  Alten 
Adoreum  genannt  haben,  Siligo  und  Weizen,  denn  sie  fin- 
den sich  in  den  meisten  Ländern.  Die  Arinca^)  ist  in 
Gallien  einheimisch,  wächst  aber  auch  häufig  in  Italien. 
Zea2),  Olyra,  Tiphe3)sind  in  Aegypten,  Syrien,  Cilicien, 
Asien  und  Griechenland  zu  Hause.  In  Aegypten  macht 
man  aus  dem  dortigen  Weizen  ein  feines  MehH),  was  aber 
dem  italienischen  nicht  gleichkommt.  Diejenigen  Völker,, 
welche  sich  der  Zea  bedienen,  haben  keinen  Dinkel.  Auch 
dieser  wächst  in  Italien,  namentlich  in  Campauien  und  wird 
„der  Same"  genannt.  Diesen  Namen  führt,  wie  wir  bald 
zeigen  werden,  ein  berühmter  Gegenstand,  weshalb  Homer 
ihn  den  frucht  spenden  den  Acker  ^)  genannt  hat,  und  nicht 
wie  Einige  glauben,  weil  er  das  Leben  verliehe.  Aus  dem- 
selben macht  man  auch  Stärkmehl,  was  sich  von  dem  ge- 


»)  S.  im  10  Cap. 

2)  Ob  hier  Plinius  Zea  mit  Olyra  (Triticum  Zea  Host)  verwech- 
selt, oder  eine  andere  Art  "Weizen,  oder  endlich  gar  Zea  Mays  L. 
(über  dessen  Vaterland  man  nicht  einig  ist,  das  aber  höchst  wahr- 
scheinhch  den  Alten  schon  bekannt  war  und  nicht  erst  von  der  Ent- 
deckung Amerikas  her  datdirt)  meint,  lässt  sich   nicht  entscheiden., 

3)  Triticum  monococcum  L. 
'*)  Similago. 

*)  ZsiöoDQoq  l'QOVQa. 


346  Achtzehntes  Buch. 

wohnlichen  nur  durch  etwas  gröbere  Beschaffenheit  unter- 
scheidet. 

Der  Dinkel  ist  das  härteste  und  gegen  den  Winter 
dauerhafteste  Getreide.  Er  verträgt  das  kälteste  Klima 
und  wächst  in  schlecht  gepflügtem,  heissem  und  trocknem 
Boden.  Dass  er  bei  den  alten  Bewohnern  Latium's  die 
erste  Nahrung  war,  beweisen  die  Dinkelgeschenke,  von 
denen  wir  bereits  geredet  haben.  Dass  aber  die  Kömer 
lange  Zeit  hindurch  von  Brei  uud  nicht  von  Brot  gelebt 
haben,  ist  offenbar,  denn  noch  heutigen  Tages  haben  die 
Zugemüse^)  davon  ihren  Namen.  Eunius,  der  älteste 
Dichter  sagt,  indem  er  die  Hungersuoth  bei  einer  Belage- 
rung ausdrücken  will,  die  Väter  hätten  den  weinenden 
Kindern  den  Kloss'^)  entrissen.  Noch  jetzt  werden  bei 
alten  Feierlichkeiten  und  Geburtstagen  Brei  uud  Kuchen 
bereitet,  und  es  scheint,  dass  in  Griechenland  der  Brei  so 
unbekannt  war,  wie  in  Italien  die  Graupen. 

20. 

Kein  Same  ist  begieriger  als  der  Weizen,  und  keiner 
zieht  mehr  Nahrung  an  sich.  Den  Siligo  möchte  ich  wohl 
den  leckern  Weizen  nennen,  denn  er  ist  weiss,  ohne  Kraft 
und  Gewicht,  und  passt  für  feuchte  Gegenden,  wie  sie  in 
Italien  uud  in  Gallia  comata  sind.  Aber  beständig  zeigt 
er  sich  nur  jenseits  der  Alpen  im  Lande  der  Allobroger 
uud  Meminer,  in  den  übrigen  Ländern  verwandelt  er  sich 
nach  2  Jahren  in  gewöhnlichen  Weizen.  Man  verhütet 
diess,  wenn  man  nur  die  schwersten  Körner  säet.  Der 
Siligo  giebt  das  beste  Brot  und  die  schönste  Waare  der 
Bäckereien.  In  Italien  erhält  man  ganz  vorzügliche  Ge- 
bäcke,  wenn  man  den  campanischen  zu  dem  pisanischeu 
mischt;  jener  ist  mehr  röthlich,  der  pisauische  aber  weisser 
lind  der  auf  thonigen  Boden  gewachsene  schwerer.  Von 
demjenigen  campanischen  Korne,  welches  das  gereinigte 
heisst,  muss  1  Modius  4  Sextarien  Mehl  3),  oder  von  dem 
gemeinen,  nicht  gesiebten,  5  Sextarien  und  ausserdem  noch 


')  pulmentaria.    ^)  offa.    ')  siligo. 


Achtzehntes  Buch.  347 

V2  Modius  Blüthenmehl  ^)  geben;  ferner  vom  Speisekorn 
Avelehes  die  zweite  Sorte  heisst,  4  Sextarien  und  ebenso- 
viel Kleien;  vom  pisanischen  aber  5  Sextarien  Mehl  und, 
4  Sextarien  Kleie.  Das  clusinische  und  aretinische  Korn 
giebt  noch  ein  Sextarius  Mehl  mehr,  kommt  aber  sonst  mit 
den  übrigen  überein.  Wenn  man  aber  Staubmehl  2)  machen 
will,  so  erhält  mau  16  Pfund  Brot,  3  Pfund  Speisemehl  und 
1/2  Modius  Kleien.  Hier  liegt  der  Unterschied  im  Mahlen; 
denn  was  trocken  gemahlen  wird,  giebt  mehr  Mehl,  was 
mit  Salzwasser  besprengt  wird ,  einen  weissem  Kern, 
lässt  aber  mehr  iu  der  Kleie  zurück.  Dass  das  Mehl  ^) 
vom  Dinkel^)  benannt  sei,  erhellet  schon  aus  dem  Namen. 
1  Modius  gallisches  Siligo-Mehl  giebt  22  Pfund  Brot,  das 
italische  2  oder  3  Pfund  mehr  beim  Bäckerbrote,  denn  bei 
Brot,  was  im  Backofeu  gebacken  ist,  rechnet  man  in  jeder 
Art  noch  2  Pfund  hinzu. 

Das  beste  Semmelmehl*)  giebt  der  Weizen.  Von 
dem  afrikanischen  soll  1  Modiu^  einen  halben  und  5  Sex- 
tarien Staubmehl  geben;  so  heisst  nämlich  das  vom  Weizen, 
was  man  vom  Siligo  Blüthenmehl  nennt.  Die  Erzarbeiter 
und  Papiermacher  bedienen  sich  desselben.  Ausserdem 
giebt  es  noch  4  Sextarien  Nachmehl  uud  ebenso  viel  Kleien. 
Aus  1  Modius  Semmelmehl  bäckt  man  122  Brote,  aus  1 
Modius  Blüthenmehl  117.  Der  jährliche  Mittelpreis  eines 
Modius  Mehl  ist  40  Ass;  gesiebtes  Semmelmehl  kostet  8 
Ass  mehr;  gesiebtes  Siligomehl  doppelt  so  viel.  Noch  ein 
anderer  Unterschied,  der  einmal  zur  Zeit  des  L.  Paullus 
sich  ereignete,  findet  statt;  man  machte  nämlich  damals 
die  Beobachtung,  dass  von  17  Pfund,  18  Pfund  Brot  ge- 
wonnen wurden,  vom  dritten  19  V3,  und  vom  Nachmehle 
21/2  Pfund  Brot,  ebenso  viel  Speisemehl  und  6  Sextarien 
Kleie. 

Der  Siligo  wird  nie  zugleich  reif,  und  keine  Saat  leidet 
das  Ausbreiten  weniger  als  diese,  denn  sie  ist  sehr  zart, 
und   die   zur  Keife   gelangten  Halme   lassen   sogleich   ihre 


0  flos.     -)  poUeu.     ^)  farina.     ^)  far.     ^j  similago. 


348  Achtzehntes  Buch. 

Körner  fallen.  Aber  weniger  als  die  übrigen  Getreide- 
arten leidet  er  geschnitten,  denn  er  hat  immer  eine  be- 
deckte Aehre,  und  hält  den  Thau,  welcher  leicht  Brand 
verursacht,  nicht  an  sich. 

Die  Arinca  giebt  das  süsseste  Brot;  sie  selbst  ist  dichter 
als  der  Dinkel,  die  Aehre  grösser  und  schwerer.  Selten 
dass  1  Modius  nicht  volle  16  Pfund  giebt.  In  Griechen- 
land lässt  sie  sich  schwer  austreten,  daher  man  sie,  wie 
Homer  berichtet,  dem  Zugvieh  giebt,  denn  diess  ist  es,  was 
er  Olyra  nennt.  In  Aegypten  lässt  sie  sich  leicht  austreten 
und  ist  fruchtbar.  Der  Dinkel  hat  keine  Grannen;  ebenso 
der  Siligo,  ausgenommen  der,  welcher  lakonischer  heisst.. 
Zu  diesen  Arten  kommen  noch:  der  Bromus  i),  der  auser- 
lesene Siligo,  und  der  Tragos,  sämmtlich  ausländische,  aus 
dem  Orient  eingeführte  und  dem  Reis  ähnliche  Gewächse. 
Auch  die  Tiphe  gehört  zu  der  Art,  welche  bei  uns  der 
Reis  liefert.  Bei  den  Griechen  ist  diess  die  Zea,  und  man 
sagt,  dass  diese  und  die  Tiphe,  wenn  sie  ausgeartet  sind 
und  zerstampft  gesäet  werden,  zwar  nicht  sogleich,  aber 
doch  im  dritten  Jahre  wiederum  zu  gutem  Getreide  werden. 

21. 

Nichts  ist  fruchtbarer  als  der  Weizen;  die  Natur  gab 
ihm  diese  gute  Eigenschaft,  weil  sie  durch  ihn  den  Men- 
schen am  meisten  ernährt,  denn  ein  Modius  giebt  auf  einem 
dazu  geeigneten  Boden,  wie  z.  B.  der  im  Byzacischen  Ge- 
biete in  Afrika  ist,  150  Modius.  Von  daher  schickte  der 
Statthalter  des  Kaiser  Augustus  diesem  aus  1  Korne  (was 
unglaublich  scheint)  nahe  an  40  Sprossen.  Die  Briefe 
darüber  sind  noch  vorhanden.  Ebenso  sandte  er  dem 
Nero  360  Halme  aus  einem  Korne.  Das  hundertste  Korn 
geben  die  Leontinischen  Felder  in  Sicilien  und  andere,  ganz 
Bätika  und  namentlich  Aegypten.  Unter  die  fruchtbarsten 
Arten  des  Weizens  gehört  der  ästige,  oder  der  sogenannte 
hundertkörnige.  Man  hat  auch  schon  Stauden  gefunden, 
die  100  Bohnen  trugen. 


')  Ist  Avena  sativa,  der  Hafer. 


Achtzehntes  Buch.  349 

22. 

Wir  haben  als  Sommergetreide  den  Sesam,  die  Hirse 
und  Mohrenhirse  bezeichnet  i).  Der  Sesam  kommt  aus 
Indien;  man  macht  aus  ihm  auch  ein  Oel,  und  seine  Farbe 
ist  weiss.  Diesen  ähnlich  sieht  das  in  Asien  und  Griechen- 
land wachsende  Erysimum,  —  dasselbe,  was  man  bei 
uns  Irio  nennt,  nur  ist  jenes  fetter,  und  wird  mehr  zu  den 
Arzneigewächsen  als  zu  den  Feldfrüchten  gezählt.  Dieselbe 
Beschaffenheit  hat  das  von  den  Griechen  sogenannte  Hör - 
minum,  sieht  aber  dem  Cyminum^)  ähnlich,  und  wird  mit 
dem  Sesam  gesäet.  Dieses  und  das  Irio  frisst  kein  Thier, 
so  lange  sie  grün  sind. 

23. 

Nicht  alles  Getreide  lässt  sich  leicht  mahlen;  in 
Etrurien  nämlich  stampft  man  die  gedörrten  Aehren  des 
Dinkels  mittelst  einer  mit  Eisen  beschlagenen  Keule,  einer 
mit  Sägezähnen  versehenen  Röhre  und  eines  inwendig  ge- 
zähnten Sterns,  so  dass,  wenn  nicht  vorsichtig  gestampft 
wird,  die  Körner  zu  Grunde  gehen  und  das  Eisen  zerbricht. 
In  Italien  bedient  man  sich  grösstentheils  eines  unbeschla- 
genen Stempels,  auch  der  Kader,  welche  von  oben  auf- 
fiiessendes  Wasser  umdrehet,  und  so  das  Mahlen  bewirkt. 
In  Betreff  des  Mahlens  selbst  will  ich  Mago's  Ansicht  hier 
anführen;  er  sagt  nämlich,  man  solle  zuvor  den  Weizen  mit 
vielem  Wasser  begiessen,  dann  aushülsen,  hierauf  an  der 
Sonne  trocknen  und  mit  dem  Stempel  bearbeiten.  Ebenso 
werde  die  Gerste  behandelt.  Auf  20  Sextarien  davon  nähme 
man  2  Sextarien  Wasser.  Die  Linsen  müssen  erst  gedörrt, 
dann  mit  den  Kleien  leicht  gestampft  werden;  oder  man 
müsse  zu  20  Sextarien  1  Stück  Ziegelstein  und  1/2  Modius 
Sand  setzen.  Die  Ervilie  wird  wie  die  Linse  behandelt. 
Den  Sesam  muss  man  in  warmes  Wasser  legen,  dass  die 
Spreu  oben  schwimmt,  wieder  an  der  Sonne  auf  Tüchern 
ausbreiten;  doch  muss  diess  alles  möglichst  schnell  ge- 
schehen, sonst  bekommt  er  eine  hässliche  Farbe  und  schim- 


')  Sielje  10.  Cap.     -)  Cuiiiinum  Cj'miuuni  L. 


350  Achtzehntes  Buch. 

melt.  Aber  auch  die  Getreidearten,  welche  ausgehülset  wer- 
den, erleiden  eine  verschiedene  Behandlung  beim  Stampfen. 
Hülse  1)  sagt  man  dann,  wenn  bloss  die  Aehre  für  sich  zum 
Gebrauche  der  Goldarbeiter  gestossen  wird;  wenn  sie  aber 
auf  der  Tenne  ausgedroschen  wird,  so  heisst  sie  Spreu,  wie 
es  in  den  meisten  Ländern  zum  Futtern  des  Viehes  ge- 
schieht. Das  was  beim  Reinigen  der  Hirse,  des  Panicums 
und  Sesams  abfällt,  heisst  Apluda,  hat  aber  an  andern 
Orten  andere  Namen. 

24. 

In  Campanien  giebt  es  besonders  viel  Hirse 2),  aus 
der  man  einen  weissen  Brei  bereitet.  Sie  liefert  ein  sehr 
süsses  Brot.  Auch  die  Sarmater  leben  grossentheils  von 
solchem  Brei,  sowie  von  rohem  Mehle,  welchem  sie  Pferde- 
milch oder  aus  Beinadern  gelassenes  Blut  zumischen. 
Die  Aethiopier  kennen  kein  anderes  Getreide  als  Hirse 
und  Gerste. 

25. 

Die  Gallier  und  namentlich  die  Aquitanier  bauen  das 
Panicum;  desgleichen  die  Italiener  am  Po,  doch  bedienen 
sich  diese  desselben  nicht  allein,  sondern  in  Verbindung 
mit  Bohnen,  ohne  welche  sie  nichts  zurichten.  Die  pon- 
tischen  Völker  ziehen  dem  Panicum  keine  Speise  vor. 
Uebrigens  ist  allem  Sommergetreide  das  Begiessen  zuträg- 
licher als  viel  Regen.  Hirse  und  Panicum  leiden  sehr  durch 
Wasser,  wenn  sie  Blätter  treiben;  man  will  auch  nicht,  dass 
sie  zwischen  Weinstöcke  oder  Obstbäume  gesäet  werden, 
weil  dadurch  der  Boden  ausgesogen  werde. 

26. 

Hirse,  welche  mit  Most  angemacht  ist,  liefert  einen 
guten  Sauerteig,  der  sich  ein  Jahr  lang  hält.  Einen  ähn- 
lichen bereitet  man  aus  der  besten  zerkleinerten  Kleie  des 
Weizens  dadurch,  dass  man  sie  mit  weissem,  3  Tage  altem 
Moste  ernährt  und  an  der  Sonne  trocknet.  Beim  Brotbacken 


«)  acus.    ^)  S.  im  10.  Cap. 


Achtzehntes  Buch.  351 

weicht  man  ein  Stück  davon  ein,  erhitzt  es  mit  feinem 
Mehle  und  mischt  dieses  unter  das  übrige  Mehl.  So  be- 
reitetes Brot  hält  man  für  das  beste.  Die  Griechen  sagen, 
auf  1  Modius  Mehl  reiche  Vs  Pfund  Sauerteig  hin.  Diese 
Art  Brot  bäckt  man  nur  während  der  Weinlese;  zu  jeder- 
andern  beliebigen  Zeit  aber  werden  aus  Wasser  und  Gerste 
gemachte  Klumpen  von  2  Pfund  auf  einem  heissen  Herde 
oder  in  einer  irdenen  Schüssel  üßer  Kohlen  und  Asche  so 
lange  geröstet,  bis  sie  röthlich  sind,  hierauf  in  bedeckten 
Gefässen  aufbewahrt  bis  sie  sauer  werden,  und  dienen  dann 
als  Sauerteig.  Als  man  noch  Brot  aus  Gerste  backte,  wurde 
aus  dem  Mehle  der  Erve  oder  Kicher  der  Sauerteig  ge- 
macht, und  von  diesem  nahm  man  2  Pfund  auf  5  halbe 
Modius.  Jetzt  macht  man  den  Sauerteig  aus  dem  Mehle 
selbst,  welches  vor  dem  Zusätze  des  Salzes  geknetet,  zum 
Brei  eingekocht  und  dieser  bis  zum  Sauerwerden  hingestellt 
wird.  Gemeiniglich  aber  erhitzt  man  ihn  nicht,  sondern 
bedient  sich  bloss  des  vom  vorhergehenden  Tage  aufge- 
hobenen Teiges.  Oifenbar  entsteht  die  Gährung  durch  die 
Säure;  und  das  sind  die  gesundesten  Menschen,  welche  ge- 
säuertes Brot  essen,  wie  denn  auch  die  Alten  den  schwer- 
sten Weizen  für  den  gesundesten  gehalten  haben. 

27. 
Die  verschiedenen  Arten  Brote  selbst  durchzugehen, 
scheint  mir  überflüssig.  Entweder  benannte  man  das  Brot 
nach  der  Zuspeise,  z.  B.  Austerbrot;  oder  nach  seiner  Fein- 
heit, z.  B.  Kuchenbrot;  oder  nach  der  schnellen  Bereitung,^ 
z.  B.  Schnellbrot;  ferner  nach  der  Art  und  Weise  des 
Backens,  als  Ofenbrot,  in  Artopten  oder  in  Clibaneni)  ge- 
backnes.  Unlängst  hat  man  auch  eine  Art  Brot  von  den 
Parthern  eingeführt,  welches  Wasserbrot  heisst,  weil  es 
durch  Wasser  gezogen  wird,  dünn  und  hohl  wie  ein  Schwamm 
ist,  und  von  jenem  Volke  auch  den  Namen  parthisches  Brot 
führt.  Die  Güte  des  Brotes  beruhet  auf  der  des  Mehles 
und  auf   der  Feinheit   des  Siebes.    Einige   kneten   es   mit 


')  Artopta,  clibanus,  Geschirre  für  feine  Bäckereien, 


352  Aclitzelintes  Buch. 

Eiern  und  Milch  an;  mit  Butter  aber  einige  in  Ruhe  lebende 
Völker,  welche  ihre  Sorgfalt  jetzt  auf  die  Bäckerei  wenden. 
Picenum  ist  noch  immer  wegen  der  Erfindung  des  Brotes 
aus  demjenigen  Getreide,  welches  auch  zur  Bereitung  der 
Alica  dient,  berühmt.  Man  lässt  nämlich  dort  dasselbe  9 
Tage  lang  einweichen,  knetet  am  zehnten  den  Teig  mit 
Rosinensaft  zu  Broten,  und  bäckt  diese  in  Oefen,  nachdem 
sie  in  Töpfen  gethan  sind,  welche  darin  zerspringen.  Ge- 
gessen kann  es  nur  werden,  wenn  es  zuvor  aufgeweicht  ist, 
was  grösstentheils  mit  Milch  und  Honig  geschieht. 

28. 
Bis  zum  persischen  Kriege,  mehr  als  580  Jahre  nach 
Erbauung  der  Stadt,  gab  es  in  Rom  noch  keine  Bäcker. 
Die  Römer  backten  sich  ihr  Brot  selbst,  und  diess  war,  wie 
noch  jetzt  bei  den  meisten  Völkern,  das  Geschäft  der  Wei- 
ber. Plautus  nennt  in  dem  von  ihm  unter  dem  Namen 
Aulularia  geschriebenen  Lustspiele  einen  Bäcker  i),  was 
unter  den  Gelehrten  zu  einem  grossen  Streite  über  die 
Frage:  ob  jener  Vers  auch  diesem  Dichter  angehöre?  An- 
lass  gegeben  hat.  Soviel  geht  aus  der  Aussage  des  A.  Atte- 
jus  Capito  hervor,  dass  die  Köche  damals  für  die  Vor- 
nehmem Brot  backten,  und  dass  nur  diejenigen,  welche 
das  Getreide  stampften,  pistores^)  genannt  wurden.  Man 
hatte  aber  unter  der  Dienerschaft  keine  Köche,  sondern 
miethete  sie  von  der  Fleischbank.  —  Die  Gallier  haben  die 
Siebe  aus  Pferdehaaren,  die  Spanier  die  Beutelsiebe  3)  und 
Staubsiebe  ^)  aus  Leinwand,  die  Aegypter  die  Siebe  aus 
Papyrus  und  Binsen  erfunden. 

29. 

Vor  allen  Dingen  müssen  wir  auch  der  vortrefflichen 

und  heilsamen  Alica  5)  gedenken,  welche  Krone  aller  Ge- 

treidearteu  ohne  Zweifel  Italien  gebührt.     Gewiss  ist,  dass 

man  sie  auch  in  Aegypten  bereitet,  diese  taugt  aber  nichts. 


1)  artopta.    ^j  D.  i.  Stampfei-  von  piso. 

2)  excussoria.    '*)  pollinaria. 

^j  Hier  eine  Art  Graupen  aus  der  gleichnamigen  Pflanze  (IJ.  C.) 


Achtzehntes  Buch.  353 

In  Italien  giebt  es  mehrere  Gegenden,  wo  sie  bereitet  wird, 
z.  B.  das  veronensische,  pisanische  Gebiet,  die  beste  aber 
liefert  Campanieu.  Dort  befindet  sich  ein  40,000  Schritte 
grosses,  am  Fusse  nebelumhüllter  Berge  belegenes  Feld 
dessen  Erdreich  (damit  wir  sogleich  auch  die  Beschaffen- 
heit des  Bodens  anführen)  oben  staubig,  weiter  unten  locker 
und  porös  wie  Bimsstein  ist.  Dadurch  geschieht  es,  dass 
der  Schaden,  den  sonst  die  Berge  anrichten  würden,  hier 
zum  Nutzen  gereicht,  denn  der  häufig  fallende  Regen 
sickert  durch,  und  der  Boden  braucht  nicht,  um  leichter 
bestellt  zu  werden,  durchweicht  und  genässt  zu  werden. 
Er  giebt  die  empfangene  Feuchtigkeit  nicht  wieder  an 
Quellen  ab,  sondern  vertheilt  sie,  und  hält  sie  verarbeitend 
gleichwie  einen  Saft  an  sich.  Man  besäet  jenes  Feld  das 
ganze  Jahr  hindurch,  einmal  mit  Panicum  und  zweimal  mit 
Dinkel.  Und  dennoch  geben  die  Saatfelder,  welche  brach 
gelegen  haben,  im  Frtihlinge  Rosen,  welche  angenehmer 
riechen  als  die  angebaueten;  diess  Land  hört  also  nicht 
auf  zu  tragen.  Daher  kommt  das  gewöhnliche  Sprichwort: 
in  Campanien  giebt  es  mehr  Balsam  als  anderswo  Oel. 
Wie  sehr  aber  Campanien  alle  Länder  übertrifft,  ebenso 
wird  es  selbst  von  einem  Theile  übertroffen,  welcher  La- 
boria  1),  von  den  Griechen  aber  das  phlegräische  (Cam- 
panien) genannt  wird.  Laboria  wird  zu  beiden  Seiten 
von  dem  consularischen  Wege,  welcher  von  Puteoli  und 
von  Cumä  nach  Capua  führt,  begränzt. 

Die  Alica  bereitet  man  aus  der  Zea,  einem  bereits 
genannten  Samen 2).  Diese  wird  in  einem  hölzernen  Mörser 
gestossen  (denn  mit  einem  harten  Steine  geht  es  nicht), 
die  feinere  Sorte  aber  bekanntlich  mit  einer  Keule  von 
Sträflingen  als  Zwangsarbeit  zugerichtet.  In  dem  Mörser 
befindet  sich  eine  eiserne  Büchse.  Sind  die  Hülsen  ausge- 
schüttet, so  wird  mit  denselben  Werkzeugen  der  innere 
Kern  gestossen.  Auf  diese  Weise  bekommt  man  3  Sorten 
Alica:  die  kleinste,  die  mittlere  und  die  grösste  oder  soge- 


•)  D.  h.  das  arbeitsame.     -)  Siehe  das  19.  Cap. 

Wittstein:  Plinius.    III.  Bd.  23 


354  Achtzehntes  Buch. 

nannte  abgezogene  i).  Noch  haben  sie  jetzt  ihre  Weisse^ 
die  sie  so  auszeichnet,  nicht,  werden  aber  doch  schon  der 
alexandrinischen  vorgezogen.  Nun  mischt  man  (merkwür- 
digerweise) Greta 2)  hinzu,  welche  in  das  Korn  einzieht  und 
ihm  Farbe  und  Zartheit  ertheilt.  Diese  Greta  findet  sich 
zwischen  Puteoli  und  Neapolis  auf  einem  Hügel,  welcher 
der  weisserdige  heisst.  Es  ist  noch  eine  Verordnung  des 
Kaiser  Augustus  vorhanden,  nach  welcher  den  Neapoli- 
tanern jährlich  für  denselben  20,000  Sesterzen  aus  dem 
kaiserlichen  Schatze  ausgezahlt  werden,  seitdem  er  eine  Go- 
lonie  nach  Gapua  brachte,  und  zwar,  wie  es  in  jener  Ver- 
ordnung heisst,  desshalb,  weil  die  Gampaner  gesagt  hatten^ 
ohne  diese  Erde  könnte  sie  keine  Alica  machen.  Jener 
Hügel  enthält  auch  Schwefel,  sowie  die  Quellen  des  Oraxus^ 
welche  klare  Augen  machen,  Wunden  heilen,  und  die  Zähne 
befestigen. 

Unechte  Alica  wird  zwar  meistens  von  der  Zea  ge- 
macht, aber  von  der,  welche  in  Afrika  ausartet.  Diese  hat 
breitere  und  schwärzere  Aehren  und  einen  kürzern  Halm. 
Man  stösst  sie  mit  Sand,  und  selbst  dadurch  gehen  die 
Hülsen  schwierig  ab.  Enthülset  misst  sie  nur  halb  soviel 
als  vorher.  Hierauf  streuet  man  den  vierten  Theil  Gyps 
darunter,  und  sobald  dieser  haftet,  schlägt  man  durch  ein 
Mehlsieb  ab.  Was  zurückbleibt  heisst  die  aufgehaltene 
und  sie  ist  zugleich  die  grösste.  Die  durchgegangene  heisst, 
wenn  sie  durch  ein  noch  engeres  Sieb  geschlagen  ist,  die 
mittlere;  die  in  dem  3.,  engsten,  Siebe  zurückgebliebene, 
welche  nur  den  Sand  hindurchgelassen  hat,  die  gesiebte. 
Ausserdem  verfälscht  man  sie  noch  auf  andere  Weise.  Man 
liest  nämlich  vom  Weizen  die  weissesten  und  grössten 
Körner  aus,  kocht  sie  in  Töpfen  halb  gar,  trocknet  sie 
dann  erst  etwas  an  der  Sonne,  feuchtet  sie  wiederum 
schwach  an,   und  schrotet  sie   in  Mühlen.      Die  Zea   giebt 


')  aphaerema. 

2)  Greta  ist  nicht  unsere  Kreide  sondern  eine  thonige  Erde.  S. 
XXXV.  B.  57.  Cap. 


Achtzehntes  Buch.  355 

ein  schöneres  Korn  als  der  Weizen,  obgleich  diess  ein 
Fehler  der  Alica  ist.  Weisse  erhält  sie  aber  statt  durch 
Greta,  durch  die  Vermischung  mit  darangekochter  Milch. 

30. 
Wir   wollen    nun    von    den   Hülsenfrüchten    reden, 
unter  denendiegrosseB  oh  nei)ammeisten  geachtet  zu  werden 
verdient,  denn  man  hat  sogar  aus  ihr  Brot  zu  backen  ver- 
sucht.   Ihr  Mehl  heisst  Lomentum,   und   übertrifft   an   Ge- 
wicht  das    der   Getreidearten    und   aller   übrigen   Hülsen- 
früchte.    Die  Bohne  wird  bereits  als  Futter  verkauft,   und 
ist   von   vielfältigem  Nutzen   für   alle    vierfiissigen  Thiere, 
ganz  vorzüglich  aber  für  den  Menschen.   Die  meisten  Völker 
mengen   sie   sogar   unter   das  Getreide,   am  meisten   ganz 
unter  das  Panicum,  und  noch  besser  gescbroten.   Ja,  einem 
alten  Gebrauche  zufolge,  ist  der  Bohnenbrei   ein  würdiges 
Opfer  bei  gottesdienstlicheu  Handlungen.     Sie  ist  kräftiger 
als  alles  andere  Zugemüse,  und  man  glaubt,  sie  mache  die 
Sinne  stumpf  und   errege   Schlaflosigkeit.     Deshalb,  oder, 
wie   Andere   angeben,   weil   die   Seelen   der  Verstorbenen 
darin  wären,  verbot  Pythagoras,  sie  zu  essen.    Aus  letzterm 
Grunde  nimmt  man  sie   gewöhnlich   zu   den  Todtenopfern. 
Varro  berichtet,  dieserhalb  und  weil  in  ihrer  Blüthe  trau- 
rige Buchstaben  ständen,   esse  sie    der  Oberpriester   nicht. 
Bei  der  Bohne  beobachtet  man  einen  eigenthümlichen  reli- 
giösen Gebrauch;  man  bringt  nämlich,  eines  guten  Anfangs 
wegen,  die  Bohne  unter  allen  Feldfrüchten  zuerst  ein,  und 
davon  führt  sie  den  Namen  die  Vorgängerin,    Man  hält  sie 
auch  für  Gewinn  bringend,  wenn   sie   bei  Versteigerungen 
mitgenommen   wird.     Sie   ist   die   einzige   Frucht,   welche, 
wenn   gleich   ausgefressen,  doch  bei   zunehmendem  Monde 
wieder  vollwächst.    In  Seewasser  oder  anderm  gesalzenem 
Wasser  lässt  sie  sich  nicht  kochen. 

Die  Bohne  wird  unter  allen  Hülsenfrüchten  zuerst,  vor 
dem  Untergange  des  Siebengestirns  gesäet,  so  dass  sie  noch 
dem  Winter  vorhergeht.   Nach  Virgil  soll  man  sie  im  Frtih- 


')  faba.  Vicia  Faba  L.,  die  Saubohne. 

23* 


356  Achtzelintes  Bucb. 

ling  säen,  wie  es  die  Italiener  am  Po  tliun;  aber  die  Mei- 
sten wollen  lieber  zeitig  bestellte  Bolinenfelder,  als  in  3 
Monaten  die  Frucht,  denn  ihre  Hülsen  und  Stengel  werden 
vom  Vieh  sehr  gern  gefressen.  Während  der  Blüthezeit 
verlangen  sie  viel,  späterhin  aber  nur  wenig  Wasser.  Für 
den  Boden,  in  welchem  sie  stehen,  versehen  sie  die  Stelle 
des  Düngers;  daher  pflügt  man  in  Macedonien  und  Thessa- 
lien die  Felder  um,  sobald  sie  anfangen  zu  blühen. 

Sie  wächst  an  vielen  Orten  wild,  wie  z.  B.  auf  den 
Inseln  des  nördlichen  Oceaus,  welche  wir  daher  die  Bohuen- 
inseln  nennen;  ferner  in  Mauritanien,  wo  sie  aber  sehr  hart 
ist  und  nicht  weich  gekocht  werden  kann.  —  In  Aegypten 
wächst  die  Bohne  i)  an  einem  dornigen  Stengel;  daher  wird 
sie  von  den  Crocodilen,  welche  ihrer  Augen  wegen  besorgt 
sind,  gemieden.  Ihr  Stengel  misst  4  Cubitus,  ist  sehr  dick, 
hat  keine  Gelenke  und  eine  weiche  Consistenz;  in  einer 
dem  Mohnkopfe  ähnlichen  rosenrothen  Frucht  sitzen  nicht 
über  30  Bohnen.  Die  Blätter  sind  breit,  die  Frucht  schmeckt 
bitter  und  riecht,  aber  die  Wurzel  ist  roh  oder  gekocht  eine 
beliebte  Speise  der  dortigen  Bewohner,  und  sieht  der  Rohr- 
wurzel ähnlich.     Sie  wächst   auch   in  Syrien,  Cilicien   nnd 

am  See  Toro  in  Chalcis. 

31. 

Unter  den  Hülsenfrüchten  wird  im  November  bei  uns 
die  Linse,  und  in  Griechenland  die  Erbse  gesäet.  Die 
Linse  liebt  eher  einen  magern  als  fetten  Boden  und  trockne 
Luft.  Es  giebt  davon  2  Arten  in  Aegypten;  die  eine  ist 
runder  und  schwärzer,  die  andere  hat  die  gewöhnliche  Ge- 
stalt. Von  den  Linsen  hat  man  nach  dem  verschiedenen 
Gebrauche  den  Namen  auf  gewisse  Geschirre  2)  übertragen. 
Ich  finde  bei  mehreru  Schriftstellern  angeführt,  dass  das 
Linsenessen  die  Menschen  gelassen  mache.  Die  Erbse  muss 
an  sonnige  Plätze  gesäet  werden,  weil  sie  sehr  empfindlich 
gegen  die  Kälte  ist;  daher  säet  man  sie  in  Italien  und  in 


1)  Diese   ägyptische    Bohne    kommt   von  Nelumbium    speciosum 
(Nymphaea  Nelumbo).     -)  knticulae. 


Achtzehntes  Buch.  357 

rauhem  Himmelsstriclien  nur  im  Frühlioge,   und   zwar  auf 
leichten  und  lockern  Boden. 

32. 

Zugleich  mit  der  Kichererbse  erzeugt  sich  ein  sal- 
ziger Körper,  und  daher  kommt  es,  dass  sie  den  Boden 
ausdörrt.  Sie  darf  nicht  anders,  als  Tags  vorher  angenetzt, 
gesäet  werden.  Es  giebt  mehrere  Arten  und  diese  unter- 
scheiden sich  durch  die  Grösse,  Gestalt,  Farbe  und  den 
Geschmack.  Eine  nämlich  gleicht  einem  Widderkopfe,  wo- 
her sie  auch  ihren  Namen  hat  i),  ist  schwarz  und  weiss. 
Eine  andere,  Taubenkicher  oder  Venuskicher  genannt,  ist 
weiss,  rund,  leicht,  kleiner  als  die  widderköpfige,  und  dient 
bei  gottesdienstlichen  Handlungen  in  den  Nachtwachen. 
Eine  dritte  2)  ist  klein,  ungleich  und  eckig  wie  die  Erbse. 
Am  süssesten  aber  ist  die,  welche  der  Erve  gleicht.  Die 
schwarze  und  röthliche  ist  fester  als  die  weisse. 

33. 

Die  Kicher  hat  eine  runde  Schote,  die  übrigen  Hülsen - 
gewäclise  hingegen  eine  längliche,  und  nach  der  Gestalt  ihres 
Samens  breite;  die  Erbse  eine  cylindrische.  Die  Schoten 
von  den  Schwer tbohuen 3)  isst  man  mit  den  Samen. 
Man  kann  sie  in  jedes  beliebige  Erdreich  von  Mitte  October 
bis  Anfang  November  säen.  Die  Hülsenfrüchte  muss  man, 
sobald  sie  reif  werden,  einbringen,  weil  sie  bald  aufspringen, 
und,  einmal  abgefallen,  nicht  gut  zu  finden  sind.  Dasselbe 
gilt  von  der  Wolfsbohne.  Doch,  wir  wollen  erst  von  den 
Rüben  reden. 

34. 

Die  weissen  Rüben ^)  sind  von  den  römischen  Schrift- 
stellern nur  flüchtig  berührt,  von  den  Griechen  etwas  aus- 
führlicher, jedoch  mit  unter  den  Gartengewächsen  beschrie- 
ben worden.     Wenn  es  der  Ordnung  nach  gehen  sollte,  so 


•)  Cicer  arietinum  L. 

2)  Cicercula.  Lathyrus  sativus  L. 

3)  faseoli.  Phaseolus  vulg,  L. 
^)  Rapa.  Brassica  Rapa  L, 


358  Achtzehntes  Buch. 

müsste  man  sie  unmittelbar  nach  dem  Getreide  oder  wenig- 
stens nach  den  Bohnen  abhandeln,  weil  nächst  diesen  kein 
Gewächs  nützlicher  ist.  Denn  vor  allen  andern  dienen  sie  zur 
Nahrung  sämmtlicherThiere,  und  sind  nicht  das  schlechteste 
Futter  für  das  Federvieh  auf  dem  Lande,  zumal  wenn  sie 
in  Wasser  abgesotten  werden.  Die  vierfüssigen  Thiere 
fressen  auch  die  Blätter  gern.  Selbst  der  Mensch  liebt  zu 
seiner  Zeit  das  Kraut  nicht  weniger  als  die  jungen  Spros- 
sen, und  sogar  die  gelblichen  und  in  den  Kellern  fast  ab- 
gestorbenen Rüben  mehr  als  die  frischen.  Sie  halten  sich, 
wenn  man  sie  in  ihrer  Erde  i)  aufbewahrt,  und  dann  zum 
Trocknen  hinlegt,  so  lange  bis  wieder  neue  da  sind;  auch 
beugen  sie  dem  Hunger  vor.  Nächst  dem  Weine  und  Ge- 
treide ist  die  Rübe  die  dritte  Frucht,  welche  den  Völkern 
jenseits  des  Po  Gewinn  bringt.  Sie  bedarf  keines  sorg- 
fältig ausgesuchten  Bodens,  sondern  wächst  da,  wo  sonst 
nichts  fortkommt.  Selbst  durch  Nebel,  Reif  und  Kälte  ge- 
deihet sie  zu  ausserordentlichem  Umfange;  ich  habe  welche 
gesehen,  die  über  40  Pfund  wogen.  Zu  unsern  Speisen 
eignet  sie  sich  auf  mehrfache  Weise;  zu  andern  wird  sie 
genommen,  wenn  dieselben  durch  die  Schärfe  des  Senfs  ge- 
mildert sind.  Ferner  wird  sie,  ausser  ihrer  eignen,  noch 
mit  6  andern  Farben,  sogar  mit  Purpur,  bemalt.  Ausser- 
dem taugt   das  Färben  für  keine  der  übrigen  Speisen. 

Die  Griechen  unterscheiden  2  Hauptarteii,  ein  Männchen 
und  ein  Weibchen,  welche  beide  aus  ein  und  demselben 
Samen  entstehen;  wird  nämlich  dieser  etwas  dicht  gesäet, 
oder  in  einen  schweren  Boden  gebracht,  so  wächst  das 
Männchen  daraus.  Je  feiner  der  Same,  um  so  besser  ist 
er.  Ueberhaupt  aber  giebt  es  3  Arten ,  denn  entweder 
breiten  sie  sich  weit  aus,  oder  werden  kugelrund,  oder 
haben  (und  diese  dritte  Art  heisst  die  wilde)  eine  lang 
auslaufende  Wurzel,  wie  der  Rettig,  eckige  rauhe  Blätter 
und  einen  scharfen  Saft,  welcher,  um  die  Zeit  der  Erndte 
entnommen   und   mit   Frauenmilch    vermischt,    die    Augen 


')  D.  h.  in  welcher  sie  srewachsen  sind. 


Achtzehntes  Buch.  359 

reinigt  und  klar  macht.  Man  glaubt,  die  Rüben  würden 
durch  Kälte  süsser  und  grösser;  Wärme  macht,  dass  sie  in 
Blätter  schiessen.  Die  besten  wachsen  im  Nursinischen 
Gebiete,  kosten  pro  Pfund  1  Sesterz,  und,  sind  sie  selten, 
zwei.    Die  nächste  (2.)  Sorte  wächst  im  Algidischen. 

35. 

Die  amiterninischen  Steckrüben i),  welche  jenen  sehr 
nahe  kommen,  lieben  gleichfalls  die  Kälte.  Man  säet  sie 
vor  Anfang  März,  und  zwar  auf  1  Jugerum  4  Sextarien. 
Genauere  Landwirthe  sagen,  man  müsse  die  Steckrübe  in 
die  fünfte,  die  weisse  in  die  4.  Furche  säen,  und  beide 
düngen.  Die  weissen  Rüben  sollen  üppiger  wachsen,  wenn 
sie  sammt  den  Hülsen  gesäet  werden.  Der  Säemann  soll 
unbekleidet  sein  und  beten:  er  säe  für  sich  und  die  Nach- 
barn. Die  rechte  Säezeit  für  beide  Arten  liegt  zwischen 
den  Festen  der  beiden^  Gottheiten  Neptun  und  Vulkan-). 
Einer  scharfsinnigen  Beobachtung  zufolge  sollen  sie  ausser- 
ordentlich gut  gedeihen,  wenn  sie  innerhalb  der  soeben 
festgesetzten  Zeit  an  demselben  Monatstage  gesäet  werden, 
an  welchem  im  vergangenen  Winter  der  erste  Schnee  ge- 
fallen war.  In  warmen  und  feuchten  Gegenden  säet  man 
sie  auch  im  Frtihlinge. 

36. 

Hierauf  folgt  hinsichtlich  des  Nutzens  die  W  o  If  s  b  o  h  n  e  3), 
denn  sie  ist  sowohl  für  die  Menschen  als  auch  für  die  klauen- 
fübrenden  Vierfüsser  ein  Nahrungsmittel.  Man  muss  darauf 
achten,  dass  sie  den  Schnittern  nicht  durch  Aufspringen 
entwischt,  oder  vom  Regen  weggeführt  wird.  Keine  andere 
Pflanze,  welche  gesäet  wird,  zeigt  eine  wunderbarere  An- 
hänglichkeit an  die  Erde  als  diese.  Erstens  drehet  sie  sich 
täglich  mit  der  Sonne  herum,  und  giebt  auch  bei  trübem 
Wetter  dem  Landmann  die  Tageszeit  an.  Ferner  blühet 
sie  dreimal;  sie  liebt  die  Erde  und  will  nicht  von  der  Erde 


*)  Napi.  Brassica  campestris.  var.  Napobrassica  L. 

2)  Das  Fest  des  Neptun  fiel  in  den  August. 

•=•;  Lupinus.  Lupinus  hirsutus  L.  und  L.  angustifolius  L. 


360  Achtzehntes  Buch. 

bedeckt  sein.  Sie  allein  wird  auf  ungepflügtes  Land  ge- 
säet, liebt  vorzüglich  sandigen,  trocknen,  ja  selbst  steinigen 
Boden,  und  entbehrt  am  liebsten  aller  Wartung.  Sie  liebt 
die  Erde  so  sehr,  dass,  wenn  man  sie  auf  einem  mit  Ge- 
sträuch überwachsenen  Boden  unter  Laub  und  Dornen  wirft, 
sie  dennoch  mit  ihrer  Wurzel  zur  Erde  gelangt.  Dass  sie 
die  Aecker  und  Weinberge  dünge,  haben  wir  bereits  ge- 
sagt; und  sie  bedarf  so  wenig  des  Mistes,  dass  sie  die 
Stelle  des  besten  vertritt.  Kein  anderes  Gewächs  macht 
weniger  Unkosten,  denn  man  braucht  sie  nicht  einmal  da- 
hin zu  bringen,  wohin  man  sie  säen  will;  das  Säen  ge- 
schieht gleich  auf  dem  Felde,  und  da  sie  von  selbst  aus- 
fällt, so  bedarf  sie  des  Ausstreuens  nicht.  Sie  wird  zuerst 
gesäet  und  zuletzt  eingeerntet;  beides  geschieht  im  Sep- 
tember, weil  die  Kälte  ihr  leicht  Schaden  bringen  kann. 
Uebrigens  liegt  sie  ganz  sicher,  wenn  sie  auch  vergessen 
wird,  vorausgesetzt,  dass  nicht  plötzlich  eintretende  Regen- 
güsse sie  in  die  Erde  drücken,  denn  vor  den  Thieren  schützt 
sie  ihre  Bitterkeit,  Jedoch  pflegt  man  sie  in  einer  schwa- 
chen Vertiefung  zu  halten.  Von  den  dichtem  Erdarten 
liebt  sie  am  meisten  die  rothe.  Um  diese  zu  düngen,  muss 
-sie  nach  der  dritten  Blüthe,  im  Sande  aber  nach  der  zwei- 
ten unterpflügt  werden.  In  thonigem,  sowie  in  schlammigem 
Boden  gedeihet  sie  nicht.  In  warmem  Wasser  eingeweicht 
dient  sie  auch  dem  Menschen  zur  Speise.  Einen  Ochsen 
macht  1  Modius  satt  und  stark.  Kindern  auf  den  Leib  ge- 
legt wirkt  sie  als  Heilmittel.  Am  besten  bewahrt  man  sie 
im  Rauche  auf,  weil  an  feuchten  Orten  Würmer  ihren 
Keim  anfressen  und  sie  unfruchtbar  machen.  Wenn  man 
ihr  Laub  hat  abweiden  lassen,  muss  man  das  Feld  sogleich 
umpflügen. 

37. 
Auch    die   Wicke  ^)   macht   den  Acker   fett   und  dem 
Landmann  wenig  Mühe.   Sie  wird  in  Furchen  gesäet,  weder 
behackt  noch  gedüngt,  sondern  nur  beegget.   Man  säet  sie^ 


1)  Vicia.  Vicia  sativa  L. 


Achtzehntes  Buch.  361 

zu  3  Jahreszeiten:  beim  Untergange  des  Bären,  um  im 
December  abgeweidet  zu  werden,  welches  die  beste  Zeit 
zum  Samenziehen  ist,  denn  sie  trägt  auch  abgeweidet  gut. 
Die  zweite  Periode  fällt  in  den  Januar,  die  letzte  in  den 
März,  und  diese  eignet  sich  am  besten  zum  grünen  Futter. 
Unter  allen  Gewächsen,  welche  gesäet  werden,  liebt  sie 
die  Trockenheit  am  meisten,  steht  aber  auch  gern  schattig. 
Ihre  Samenhtilsen  werden,  wenn  sie  reif  eingesammelt  ist. 
allen  andern  vorgezogen.  Den  Weinstöcken  entzieht  sie  den 
Saft,  und  diese  werden  entkräftet,  wenn  man  sie  auf  Aecker, 
wo  der  Wein  an  Bäumen  gezogen  wird,  säet. 

38. 

Ebenso  erfordert  die  Erve*)  keine  mühsame  Wartung. 
Sie  wird  mehr  als  die  Wicke  gegätet,  und  besitzt  selbst 
arzneiliche  Kräfte.  In  den  Briefen  des  Kaisers  Augustus 
heisst  es,  er  sei  durch  Erven  genesen.  Die  Aussaat  von 
.5  Modius  reicht  gerade  für  ein  paar  Ochsen  hin.  Die  im 
März  gesäete  soll  dem  Rindvieh  schädlich  sein,  die  im 
Herbste  gesäete  erzeuge  Schnupfen,  aber  die  im  Anfange 
des  Frühlings  gesäete  sei  unschädlich. 

39. 

Auch  der  Bockshorn 2),  das  ist  der  griechische  Heu- 
same, wird  in  Furchen,  die  nicht  tiefer  als  4  Finger  breit 
sind,  gesäet,  und  je  schlechter  er  behandelt  wird,  desto- 
besser  kommt  er  fort.  Es  ist  gewiss  eine  seltsame  Be- 
hauptung, dass  es  etwas  gäbe,  was  durch  Vernachlässigung 
am  besten  gedeihe.  Das  was  man  Seeale  und  Farrago 
nennt,  braucht  bloss  geegget  zu  werden. 

40. 

Das  Seeale  ^)  heisst  zu  Turin  an  den  Alpen  Asia, 
ist  eine  der  schlechtesten  Kornarten  und  dient  bloss  zur 
Verhütung  von  Hungersnoth;  sein  Halm  ist  fruchtbar  aber 
schwach,  von  traurig   schwarzer  Farbe,   aber  bedeutendem. 


')  Ervum  Vicia  Ervilia  L. 

'■^)  Silicia.  Trigonella  Foenum  graecum  L. 

3)  Secale  cereale  L.,  der  Roggen. 


362  Achtzehntes  Buch. 

Gewichte.  Um  seine  Bitterkeit  zu  mildern,  vermischt  man 
es  mit  Dinkel,  und  dessen  ungeachtet  bekommt  es  dem 
Magen  nicht  gut.  Es  giebt  auf  jedem  Boden  hundertfäl- 
tiges Korn,  und  dient  sogar  demselben  zur  Erfrischung. 

41. 

Farrago  heisst  das  Korn,  was  durch  dichtes  Aussäen 
des  Abgangs  vom  Dinkel,  dem  mitunter  auch  noch  Wicken 
beigemengt  sind,  gewonnen  wird.  In  Afrika  liefert  die 
Gerste  das  Material  dazu.  Alles  diess  dient  zum  Futter  für 
das  Vieh,  desgleichen  die  von  den  Hülsenfrüchten  aus- 
artende sogenannte  Vogelwicke  ^),  welche  die  Tauben 
sogern  fressen,  dass,  wenn  man  sie  einmal  damit  gefüttert 
hat,  sie  niemals  von  dem  Orte  wegfliegen. 

42. 

Die  Alten  hatten  eine  Futterart,  welche  Cato  Ocimum^) 
nennt,  Avomit  sie  beim  Kindvieh  den  Durchfall  curirten.  Es 
gehörte  zu  den  Kräutern,  welche  man  grün  abmähen  musste, 
bevor  es  fror.  Sura  Mamilius  ^)  spricht  sich  anders  darüber 
aus,  denn  er  sagt,  man  habe  10  Modius  Bohnen,  2  Wicken 
und  ebenso  viel  Ervilie^)  untereinander  gemischt  und  im 
Herbste  auf  1  Jugerun  Land  gesäet.  Besser  sei  es,  griechi- 
schen Hafer  (dessen  Same  nicht  abfällt)  darunter  zu  mischen. 
Dieses  habe  man  Ocymum  genannt  und  bloss  für  das 
Rindvieh  gesäet.  Varro  glaubt,  es  sei  wegen  der  Schnellig- 
keit seines  Wachsthums,  nach  dem  griechischen  Worte 
<üiivg  ^)  benannt  worden. 

43, 

Die  Luzerne  6)  ist  ebenfalls  in  Griechenland  nicht 
einheimisch,  sondern  erst  durch  die  Kriege  der  Perser, 
womit  Darius  Medien  überzog,  dort  eingeführt,  verdient 
aber  einer  besondern  Erwähnung,  deun  sie  giebt  so  reich- 


>)  Cracca.  Yicia  Cracca  L. 

^)  Das  Basilienkraut,  Ocimuui  Basilicum  L.  kann  hier  unmöglich 
gemeint  sein.    ^)  Ein  nicht  näher  bekannter  Autor. 
'*)  Lathyrus  Cicera  L.    ^)  schnell, 
ß)  Medica.  Medicago  sativa  L. 


Achtzehntes  Buch.  3()3 

lieh  aus,  dass  sie,  einmal  gesäet,  mehr  als  30  Jahre  aus- 
ilauert.  Sie  gleicht  dem  Klee,  Steugel  und  Blätter  sind 
geknieet,  und  alles  was  au  dem  Stengel  empor  wächst, 
wird  zu  Blättern.  Von  ihr  und  dem  Cytisus  i)  hat  Amphi- 
loehus  2)  ein  Buch  geschrieben,  worin  er  sie  mit  einander 
verwechselt.  Der  Boden,  in  welchen  man  sie  säet,  wird 
von  Steinen  gereinigt  und  im  Herbste  umgeackert,  nach 
dem  Pflügen  und  Eggen  aber  nochmals  und  ein  drittes  Mal, 
jedes  Mal  nach  5  Tagen,  unter  Zusatz  von  Mist  mit  einer 
•Egge  tiberfahren.  Sie  erfordert  einen  trocknen  aber  saft- 
reichen oder  bewässerten  Boden.  Nach  diesen  Vorberei- 
tungen säet  man  sie  im  Mai;  widrigenfalls  leidet  sie  vom 
Reif.  Der  Same  muss  so  dicht  liegen,  dass  keine  andern 
Kräuter  neben  ihm  aufkommen  können,  was  man  erreicht, 
wenn  man  auf  1  Jugerum  20  Modius  nimmt.  Damit  er 
sieb  nicht  brenne,  muss  er  sogleich  mit  Erde  bedeckt  wer- 
den. Ist  der  Boden  feucht  oder  grasig,  so  wird  die  Luzerne 
unterdrückt  und  das  Land  zur  Wiese;  daher  muss  sofort 
alles  Gras,  sobald  es  nur  1  Zoll  hoch  ist,  entfernt  werden, 
was  besser  mit  der  Hand  als  mit  dem  Spaten  geschieht. 
Sie  wird  geschnitten,  sobald  sie  zu  blühen  beginnt  und 
so  oft  sie  wieder  Blüthen  ansetzt,  was  jährlich  6  mal,  min- 
destens aber  4  mal  eintritt.  Das  Reifen  des  Samens  ver- 
hüte man,  denn  bis  in's  dritte  Jahr  bringt  sie  als  Futter 
mehr  Nutzen.  Im  Frühlinge  muss  sie  gesäet,  auch  von 
allen  Kräutern  befreiet  werden;  bis  in's  dritte  Jahr  säubere 
man  sie  am  Boden  mit  Hacken.  Auf  diese  Weise  gehen 
die  übrigen  Kräuter  zu  Grunde,  ohne  dass  sie  selbst  Scha- 
den leiden,  denn  ihre  Wurzeln  steigen  tief  hinab.  Wenn 
das  Unkraut  die  Oberhand  bekommen  hat,  so  hilft  weiter 
nichts,  als  das  Land  so  lange  umzuackern,  bis  alle  fremd- 
artigen Wurzeln  vertilgt  sind.  Dem  Vieh  darf  man  nicht 
so  viel  davon   geben   bis   es   gesättigt    ist,   weil  man  ihm 


')  Medicago  arborea  L. 

2)  Aus  Athen;   seine  übrigen  Lebenverhältnisse   sind  unbekannt 
auch  seine  Schiiften  nicht  mehr  vorhanden. 


364  Achtzehntes  Buch. 

sonst  Blut  lassen  muss.  Im  grünen  Zustande  ist  sie  ein 
besseres  Futter.  Sie  vertrocknet  wie  Holz  und  zerfällt  zu- 
letzt zu  einem  unbrauchbaren  Pulver.  Vom  Cytisus,  der 
gleichfalls  einen  vorzüglichen  Rang  unter  den  Futterge- 
wächsen einnimmt,  haben  wir  bei  den  Sträuchern  schon 
ausführlich  geredet.  Jetzt  wollen  wir  von  der  Natur  aller 
Feldfrüchte  handeln,  und  ein  besonderes  Capitel  ihren 
Krankheiten  widmen. 

44. 

Die  erste  aller  Untugenden  des  Getreides,  in  welche 
auch  die  Gerste  ausartet,  ist  der  Hafer  ^).  Er  ist  gleich- 
falls eine  Art  Getreide,  denn  die  Völker  Deutschlands  bauen 
ihn  und  bedienen  sich  keines  andern  Teiges.  Das  Aus- 
arten in  Hafer  rührt  hauptsächlich  von  feuchter  Luft  und 
Boden  her.  Eine  zweite  Ursache  liegt  in  der  Schwäche 
des  Samens,  wenn  er  zu  lange  in  der  Erde  liegt  bis  er  zu 
keimen  beginnt  und  hervorbricht;  desgleichen,  wenn  er 
schon  beim  Säen  wurmstichig  war.  Man  erkennt  diesen 
Fehler  aber  sogleich  beim  Hervorbrechen  aus  der  Erde,  ein 
Beweis,  dass  das  Uebel  in  der  Wurzel  liegt.  Eine  andere 
dem  Hafer  verwandte  Untugend  ist  die,  wenn  das  Korn 
angefangen  hat  zu  quellen,  aber  in  noch  unreifem  Zustande 
(bevor  es  stark  genug  geworden),  durch  schädlichen  Luft- 
zug entleert  wird,  und  so,  gleichsam  wie  durch  eine  un- 
zeitige Geburt,  in  der  Aehre  verschwindet  2). 

Die  Winde  schaden  zu  3  Zeiten  dem  Getreide  und  der 
Gerste:  während  der  Blüthe,  kurz  nach  derselben  und  beim 
Beginn  der  Fruchtreife.  Im  letztern  Falle  werden  die  Körner 
taub,  in  den  beiden  erstem  wird  ihre  Bildung  verhindert. 
Auch  die  Sonne  schadet,  wenn  sie  oft  durch  Wolken  bricht. 
Ferner  erzeugen  sich  Würmer  an  der  Wurzel,  wenn  nach 
der  Aussaat  Regen  gefallen  ist,  und  plötzlich  eintretende 
Wärme  die  Feuchtigkeit  eingeschlossen  hält;  sie  entstehen 
im  Korne,  wenn  die  Hitze  die  Regentropfen  in  der  Aehre 


')  Avena.  Avena  fativa  L. 

*)  Plinius  meint  hier  den  tauben  Hafer,  Avena  fatua  L, 


Achtzehntes  Buch.  365 

erwärmt.  Auch  giebt  es  einen  kleinen  Käfer,  welcher  Can- 
tharis  heisst,  und  das  Getreide  benagt.  Alle  diese  Thiere 
sterben,  sobald  ihre  Nahrung  aufgezehrt  ist.  Oel,  Pech  und 
Schmalz  schaden  den  Samen,  man  muss  sich  daher  hüten, 
«olche  zu  säen,  welche  damit  in  Berührung  gekommen  sind. 
Regen  ist  nur  dann  dienlich,  wenn  die  Pflanzen  erst  Blätter 
getrieben;  sobald  Getreide  und  Gerste  blühen,  schadet  er 
ihnen,  nicht  aber  den  Hülsenfrüchten,  mit  Ausnahme  der 
Kicher.  Reifendes  Getreide  und  noch  mehr  die  Gerste 
leidet  vom  Regen.  Es  giebt  auch  ein  weisses,  dem  Pani- 
cum  ähnliches  Kraut,  welches  die  Aecker  überzieht,  und 
auf  das  Vieh  tödtlich  wirkt.  Den  Lolch  i),  den  Felddorn 2), 
die  Disteln  und  Kletten,  desgleichen  die  Brombeersträuche, 
möchte  ich  dagegen  eher  zu  den  Krankheiten  der  Feld- 
früchte als  zu  den  seuchenartigen  Auswüchsen  der  Erde 
rechnen.  Ein  aus  der  Luft  herrührendes,  den  Feldfrüchten 
und  Weiustöcken  nicht  weniger  schädliches  Uebel  ist  der 
Brand.  Er  entsteht  am  häufigsten  in  thaureichen  Gegenden, 
in  Thäleru  und  da,  wo  kein  Luftzug  stattfindet;  dahingegen 
trifft  man  ihn  nicht  in  solchen,  welche  dem  Winde  ausge- 
setzt sind  und  hoch  liegen.  Zu  den  Fehlern  des  Getreides 
gehört  auch  das  Wuchern,  in  Folge  dessen  es  unter  der 
Last  seiner  Frucht  erliegt.  Eine  Krankheit  aber,  welche 
alle  Saaten  miteinander  theilen,  ist  die  sogenannte  Raupe  3); 
sie  befällt  auch  die  Kicher,  wenn  der  Regen  ihren  Salz- 
gehalt wegspült  und  sie  dadurch  süsser  macht. 

Ein  Kraut,  Namens  Ervenwürger  *),  tödtet  die  Kicher 
und  Erve  durch  Umschlingen;  der  Weizen  erleidet  dasselbe 
Schicksal  durch  die  Aera  ^),  die  Gerste  durch  die  Festuca, 
welche  Aegilops  ß)  heisst,  die  Linse  durch  das  Beilkraut  ''), 
welches  die  Griechen  wegen   der  Aehnlichkeit    mit   einem 


•)  Lolium.  L.  temulentum  L.     -)  Tribulus.  Tr.  ten-estris  L. 

3)  urica. 

^)  Orobanche.  Nicht  unsere  0.,  sondern  Lathyrus  Aphaca  L. 
Orobanche  des  Dioscorides  ist  dagegen  die  Schmarotzerpflanze  Oro 
banche  grandiflora  Bory.     ^)  Aera.  Ist  Lolium  temulentum  L. 

ßj  Aegilops  ovata  L.    '}  Securidaca.  Coronilla  securidaca  L. 


366  Achtzelintes  Buch, 

Beil  Pelecinon  *)  nennen.  Alle  diese  tödten  durch  Um-^ 
schlingen.  Bei  Philippi  nennt  man  ein  Kraut,  welches  auf 
fettem  Boden  wächst  und  die  Bohne  tödtet,  Ateramnon; 
Teramnon  aber,  wenn  diess  auf  magerm  Boden  geschieht, 
wo  dann  der  Wind  die  Feuchtigkeit  heranwehet.  Die  Aera 
trägt  äusserst  kleine  Körner  in  stachlichten  Hüllen;  im 
Brote  genossen  erregt  sie  bald  Schwindel,  und  in  Asien 
und  Griechenland  sollen  die  Bader,  wenn  sie  zu  viele 
Menschen  vertreiben  wollen,  diesen  Samen  auf  Kohlen 
streuen.  In  der  Erve  entsteht  auch,  wenn  der  Winter  feucht 
ist,  eine  Art  giftiger  Spinnen.  In  den  Wicken  entstehen 
Schnecken,  und  zuweilen  kommen  aus  der  Erde  kleine 
Schnecken,  von  welchen  sie  merkwürdigerweise  ganz  zer- 
nagt werden.  —  Diess  sind  so  ziemlich  die  Krankheiten 
der  Feldfrtichte. 

45. 
Die  Hülfsmittel  dagegen  sind  in  Bezug  auf  die 
Kräuter  die  Hacke,  und,  wenn  der  Same  ausgeworfen  wird, 
die  Asche.  Diejenigen  Krankheiten  aber,  welche  im  Samen 
und  der  Wurzel  ihren  Sitz  haben,  müssen  von  vornherein 
sorgfältig  vermieden  werden.  Samen,  welche  vorher  in 
Wein  gelegen,  sollen  weniger  zum  Erkranken  geneigt  sein. 
Virgil  empfielt,  die  Bohnen  in  Soda  und  Oelsatz  einzuwei- 
chen, wodurch  sie  zugleich  recht  gross  würden.  Einige  aber 
sind  der  Meinung,  sie  wüchsen  vorzüglich,  wenn  sie  3  Tage 
vor  der  Aussaat  in  Urin  und  Wasser  eingeweicht  würden. 
Wenn  man  sie  3  mal  gäte,  so  gäbe  1  Modius  ganze  1  Mo- 
dius  geschrotete.  Die  übrigen  Samen  wären  dem  Wurm- 
frasse  nicht  ausgesetzt,  wenn  man  sie  mit  zerstossenen 
Cypressenblättern  vermische,  oder  auch  wenn  sie  während 
des  Neumondes  gesäet  würden.  Viele  geben  an,  man  solle, 
um  die  Hirse  zu  schützen,  des  Nachts  eine  Kröte  um  das 
Feld  tragen,  bevor  es  gegätet  würde,  und  dieselbe  mitten 
darauf  in  einem  irdenen  Geschirr  vergraben;  diess  halte 
die  Sperlinge   und  Würmer   ab.     Die   Kröte   mtisste   aber,. 


•)  von  TteXexvd  Beil. 


Achtzehntes  Buch.  367" 

vor  dem  Schneiden  der  Hirse,  wieder  herausgescharrt  wer- 
den, sonst  würde  diese  bitter.  Ja,  wenn  man  die  Samen 
mit  dem  Vorderbug  eines  Maulwurfs  berühre,  so  gäben  sie 
eine  reichere  Erndte.  Democritus  sehreibt  vor,  alle  Samen 
vor  dem  Säen  mit  dem  Safte  eines  Krautes,  welches  Immer- 
grün 1),  lateinisch  aber  Sedum  oder  Digitellum  heisst,  und 
auf  Dächern  und  Brettern  wächst,  zu  behandeln.  Gewöhn- 
lich aber,  wenn  die  Süssigkeit  schädlich  sein  könnte  oder 
Würmer  sich  an  die  Wurzeln  setzen,  hilft  man  dadurch^ 
dass  man  die  Samen  mit  blossem  Oelsatze  ohne  Salz  be- 
sprengt, dann  gätet,  und  wenn  die  Saat  1  Schuss  getrieben 
hat,  wieder  reinigt,  damit  das  Unkraut  nicht  überhand 
nimmt.  Um  die  verderblichen  Schwärme  der  Staare  und 
Sperlinge  von  der  Hirse  und  dem  Panicum  abzuhalten,, 
gräbt  man,  wie  ich  weiss,  ein  Kraut,  dessen  Name  nicht 
bekannt  ist,  an  den  4  Ecken  des  Saatfeldes  ein,  und  merk- 
würdigerweise berührt  dann  kein  Vogel  dasselbe.  Die 
Mäuse  vertreibt  man,  wenn  man  die  Samen  mit  der  Asche 
eines  Wiesels  oder  einer  Katze,  welche  in  Wasser  eingerührt 
war,  oder  mit  der  Abkochung  dieser  Thiere  in  Wasser  be- 
sprengt. Allein,  da  der  üble  Geruch  dieser  Thiere  sich  auch 
dem  Brote  mittheilt,  so  zieht  man  es  vor,  den  Samen  mit 
Ochsengalle  zu  befeuchten.  Der  Brand,  dieses  grösste 
Uebel  der  Saaten,  geht  aus  dem  Acker  in  die  Blätter  über, 
wenn  man  Lorbeerzweige  in  das  Land  steckt.  Das  wuchernde 
Wachsthum  der  Saaten  wird,  wenigstens  so  lange  sie  bloss 
Blätter  getrieben  haben,  durch  Rindviehzähne  gedämpft,  und 
wenn  sie  gleich  öfter  abgeweidet  werden,  so  schadet  diess 
der  nachherigen  Frucht  doch  nichts.  So  viel  ist  gewiss, 
dass  nach  einmaligem  Schnitt  das  Korn  länger  aber  taub 
wird,  und  keinen  Samen  bringt.  Bei  Babylon  schneiden 
sie  2 mal,  und  zum  dritten  Male  lassen  sie  abweiden;  sonst 
triebe  die  Pflanze  nichts  als  Blätter.  So  giebt  selbst  ein 
schlechter  Boden  fünfzigfachen,  ja  umsichtigem  Landwirthen 
hundertfachen  Ertrag.    Es  ist  auch  keine  grosse  Mühe,  so 


•)  Aizoon.  Sempervivum  tectorum  L,  Hauslauch. 


368  Achtzelintes  Buch. 

lange  als  möglieb  zu  begiessen,  damit  die  allzufette  und 
zu  sehr  angehäufte  fruchtbare  Materie  vertheilt  werde.  Der 
Euphrat  und  Tigris  führen  keinen  Schlamm  zu  wie  der  Kil 
in  Aegypten;  auch  erzeugt  das  Land  selbst  keine  Kräuter, 
(Unkraut);  die  dortige  Gegend  ist  aber  so  fruchtbar,  dass 
sich  im  folgenden  Jahre  die  Saat  von  selbst  wieder  her- 
stellt, wenn  die  Samen  durch  Eintreten  in  die  Erde  ge- 
bracht sind.  Diese  grosse  Verschiedenheit  des  Bodens  be- 
stimmt mich,  die  Bodenarten  nach  den  Feidfrüchten  ein- 

zutheilen. 

46. 
Cato's  ürtheil  darüber  lautet:  In  dichten  und  frucht- 
baren Boden  säe  man  Getreide,  ist  aber  viel  Nebel  vor- 
handen, Rettig,  Hirse,  Panicum.  An  kalten  und  feuchten 
Orten  müsse  man  zuerst  säen,  sodann  an  warmen.  In  roth- 
lehmigen, schwarzen  oder  sandigen  Boden  säe,  wenn  er 
nicht  wässrig  ist,  Wolfsbohnen;  in  kalkigen,  rotherdigen 
und  wässerigen:  Adoreum;  in  trocknen,  nicht  mit  Unkraut, 
bewachsenen,  auch  nicht  schattigen:  Weizen;  in  kräftigen: 
grosse  Bohnen.  Wicken  niemals  in  wässrigen  und  grasigen; 
Siligo  und  Weizen  in  offenen  und  hochliegenden,  welcher 
der  Sonne  am  längsten  ausgesetzt  ist;  die  Linse  in  mit 
Gebüsch  bewachsenen  und  röthelartigeu,  aber  nicht  grasigen; 
die  Gerste  in  Brachland  und  solches,  was  jährlich  wieder 
bebauet  werden  kann;  dreimonatliches  Korn  aber,  wenn 
die  Aussaat  nicht  zur  Reife  gebracht  werden  kann  und  das 
Land  so  dicht  ist,  dass  es  das  künftigie  Jahr  wieder  zu 
bebauen  ist.  Auch  folgende  Ansicht  zeugt  von  Scharfsinn: 
man  müsse  das,  was  nicht  viel  Saft  nöthig  hätte,  z.  B.  den 
Cytisus,  in  lockeres  Erdreich  säen,  und,  mit  Ausnahme  der 
Kicher,  müssten  alle  Hülsengewächse,  welche  aus  der 
Erde  gerissen  werden,  nicht  abgeschnitten  werden.  Daher 
haben  sie  auch  den  Namen  Legumina  bekommen,  weil  sie 
auf  diese  Weise  eingesammelt^)  werden.  In  einen  fetten 
Boden  aber  gehört  das,  was  mehr  Nahrung  liefert,  wie  Kohl, 
Weizen,  Siligo  und  Lein.   Daher  wird  man  der  Gerste  einen 

'j  leguntur. 


Achtzehntes  Buch.  369 

magern  Boden  geben,  denn  ihre  Wurzel  bedarf  weniger 
Kahrung;  dem  Weizen  ein  leichteres  und  dichteres  Erdreich. 
An  einen  niedrigen  Ort  soll  man  lieber  Dinkel  als  Weizen 
säen,  an  einen  gemässigten  Weizen  und  Gerste.  Auf  Hü- 
geln wächst  kräftigerer  aber  weniger  Weizen.  Dinkel  und 
Siligo  stehen  gern  in  kalkigem  und  sumpfigem  Boden. 
Mit  den  Feldfrüchten  hat  sich  (so  viel  ich  gefunden  habe) 
einmal  ein  Wunder  ereignet;  in  demselben  Jahre,  als  Han- 
nibal  unter  dem  Consulate  des  P.  Aelius  und  Cn.  Cornelius  be- 
siegt ward,  soll  nämlich  Getreide  auf  Bäumen  gewachsen  sein. 

47. 
Nachdem  wir  von  den  Arten  der  Feldfrüchte  und  des 
Bodens  ausführlich  geredet  haben,  wollen  wir  vom  Pflügen 
handeln,  und  zuerst  der  Leichtigkeit,  mit  welcher  diese  Ar- 
beit in  Aegypten  verrichtet  wird,  erwähnen.  Der  Nil  ver- 
sieht daselbst  die  Stelle  des  Ackermannes;  er  fängt,  wie 
früher  gesagt,  mit  der  Sonnenwende  und  dem  Neumonde 
an  erst  langsam,  hiernach  stärker,  und  so  lange  als  die 
Sonne  im  Löwen  steht,  zu  steigen.  Bald  nachher,  wenu 
die  Sonne  in's  Zeichen  der  Jungfrau  getreten  ist,  wird  er 
träger,  und  wenn  die  Sonne  in  der  Waage  steht,  bleibt  er 
ganz  ruhig.  Wenn  er  nicht  über  12  Ellen  gegangen  ist, 
erfolgt  unausbleiblich  Hungersnoth;  ebenso  wenn  sein  Stei- 
gen mehr  als  16  Ellen  beträgt.  Denn  je  höher  er  gestiegen, 
um  so  langsamer  fällt  er  wieder,  und  hindert  das  Säen. 
Man  glaubte  sonst  allgemein,  dass,  sobald  er  zurückgetreten 
sei,  die  Einwohner  gesäet,  dann  Schweine  darauf  getrieben 
hätten,  welche  die  Saat  mit  ihren  Füssen  in  den  nassen 
Boden  eintraten;  und  ich  glaube  auch,  dass  diess  vor  Zeiten 
geschehen  ist.  Jetzt  giebt  man  sich  indessen  keine  viel 
grössere  Mühe,  allein  so  viel  ist  gewiss,  dass  man  das 
zuvor  in  den  Schlamm  des  zurückgetretenen  Flusses  ge- 
brachte Korn,  d.  h.  im  Anfange  des  Novembers  unterpflügt. 
Einige  gäten  nachher  und  nennen  diese  Operation  Botauis- 
mus.  Die  Uebrigen  sehen  ihr  Land  nicht  eher  wieder  als 
mit  der  Sichel  in  der  Hand,  kurz  vor  dem  Anfange  des 
Aprils.     Die  Erndte  wird  im  Mai  vollendet;  die  Halme  sind 

Wittstein:  Plinius.     III.  Bd.  24 


370  Achtzehntes  Buch. 

niemals  1  Elle  hoch,  denn  unten  liegt  Sand,  und  der  Same 
hält  sich  nur  in  dem  Schlamm.  Das  Getreide  im  theba- 
nischen  Gebiete  ist  vorzüglicher,  weil  Aegypten  sumpfig 
ist.  Eine  ähnliche  aber  viel  glücklichere  Productionsweise 
bietet  das  seleucische  Babylon,  wo  der  Euphrat  und  Tigris 
überschwemmen,  dar,  weil  dort  die  Bewässerung  durch 
Menschenhände  regulirt  wird.  In  Syrien  pflügt  mau  auch 
schwache  Furchen,  während  in  Italien  oft  8  Ochsen  vor 
1  Pfluge  keuchen.  In  jedem  Theile  des  Ackerbaues,  be- 
sonders aber  in  diesem,  gilt  der  alte  Spruch:  dass  eine  jede 
Gegend  ihre  Mängel  hat. 

48. 

Es  giebt  mehrere  Arten  von  Pflugscharen.  Messer 
nennt  man  diejenige,  womit  man  sehr  festes  Land  durch- 
schneidet, bevor  es  völlig  umgearbeitet  wird,  und  womit 
man  die  Spur  der  künftigen  Furchen  durch  blosse  Ein- 
schnitte angedeutet,  die  der  zurückgebogene  Pflug  später 
durchbrechen  soll.  Die  zweite  Art,  mit  vorstehendem  Eisen, 
ist  die  gewöhnliche.  Eine  dritte,  an  welcher  der  Schar- 
baum nicht  ganz  fortläuft,  sondern  nur  vorn  eine  kleine 
Spitze  hat,  wird  in  leichtem  Boden  gebraucht.  Diese  Spitze 
ist  in  der  vierten  Art  breiter,  aber  vorn  mehr  zugespitzt 
und  geschärft,  um  mit  dieser  Schneide  den  Boden  und  die 
Wurzeln  des  Unkrauts  zu  spalten.  Diese  letztere  Art  hat 
man  unlängst  im  rhätischen  Gallien  erfunden;  Andere  geben 
ihr  noch  2  kleine  Räder,  und  nennen  nun  diese  Art  einen 
Flachpflug.  Die  Schneide  hat  die  Gestalt  eines  Spatens. 
Sie  säen  also  nur  auf  beackertes  und  gleichsam  neues  Land. 
Die  breite  Seite  des  Pfluges  wendet  die  Käsen  um.  Den 
Samen  werfen  sie  sogleich  hinein  und  ziehen  mit  Eggen 
darüber  hin.  Bei  diesem  Verfahren  darf  die  Saat  nicht 
behackt  werden.  Sie  pflügen  aber  auf  die  beschriebene 
Weise  mit  2  oder  3  Zügen  Ochsen.  Auf  1  Paar  Ochsen 
kann  man  jährlich  vierzig  Jugera  leichten,  dreissig  Jugera 
aber  schweren  Boden  rechnen. 

49. 

Beim   Pflügen   beachte   man   wohl    den  weisen  Aus- 


Achtzehntes  Buch.  371 

Spruch  Catö's:  Was  ist  das  Erste?  Den  Acker  wohl  zu 
bearheiten.  Was  das  Zweite?  Gut  zu  pflügen.  Was  das 
Dritte?  Gut  zu  düngen.  Man  pflüge  nicht  verschiedene 
Furchen.  Man  pflüge  zu  rechter  Zeit.  In  warmen  Gegen- 
den muss  man  das  Land  nach  dem  kürzesten  Tage,  in 
kältern  nach  dem  Frühlings-Aequinoctium  brechen;  früher, 
wo  es  trocken,  als  wo  es  feucht  ist;  früher  ein  festes  als 
lockeres  Erdreich;  früher  ein  fettes  als  mageres.  Wo  trockne 
und  heisse  Sommer  herrschen,  wird  ein  kalkiger  oder  magerer 
Boden  besser  zwischen  dem  (Sommer-)  Solstitium  und  dem 
Herbst- Aequinoctium  gepflügt.  Wo  gelinde  Hitze,  häufiger 
Hegen,  fetter  und  grasiger  Boden  ist,  da  geschieht  es  zweck- 
mässig mitten  in  der  heissen  Zeit.  Einen  tiefen  und  schweren 
Boden  ackere  man  auch  im  Winter  auf;  einen  sehr  leichten 
und  trocknen  kurz  vor  der  Säezeit. 

Auch  hierüber  hat  er  Vorschriften  gegeben.  Einen 
kothigen  Boden  rühre  nicht  an.  Pflüge  mit  aller  Kraft; 
bevor  du  pflügst,  schneide  ein;  diess  hat  den  Nutzen,  dass 
wenn  der  Käsen  umgekehrt  ist,  die  Wurzeln  der  Gräser 
absterben.  Einige  wollen,  man  solle  in  der  Regel  nach 
dem  Frühlings-Aequinoctium  einschneiden  (brechen).  Das 
Land,  was  im  Frühjahre  einmal  gepflügt  ist,  wird  nach 
dieser  Zeit  „das  im  Frühling  gepflügte"  genannt.  Diese 
Behandlungsweise  ist  bei  einem  neuen  Acker  gleichfalls 
nothwendig.  Neuen  Acker  (Brachacker)  nennt  man  den, 
welcher  ein  Jahr  um  das  andere  bebauet  wird.  Die  Pflug- 
ochsen muss  man  eng  zusammenspannen,  damit  sie  mit  auf- 
gehobenem Kopfe  ziehen,  denn  so  scheuern  sie  sich  die 
Hälse  am  wenigsten.  Wird  unter  Bäumen  und  Weinstöcken 
gepflügt,  muss  man  ihnen  Maulkörbe  anlegen,  damit  sie  die 
zarten  Schösslinge  nicht  abnagen.  An  der  Pflugschar  muss 
ein  kleines  Beil  hängen,  um  damit  die  Wurzeln  durchzu- 
hauen; denn  diess  ist  besser,  als  wenn  man  sie  mit  dem 
Pfluge  abreissen  und  die  Ochsen  zerren  lässt.  Beim  Pflügen 
muss  man  die  Furche  vollenden,  und  nicht  mitten  in  der 
Arbeit  innehalten.  An  einem  Tage  lässt  sich  ein  Morgen 
in  spannengrossen  Furchen  brechen,  und  wenn  der  Boden 

24* 


372  Achtzehntes  Buch. 

leicht  ist,  kann  man  IV2  Morgen  nachpflügen;  wo  nicht,  so 
breche  man  die  Hälfte,  und  pflüge  1  Morgen  nach,  denn 
die  Natur  hat  auch  für  die  Arbeit  der  Thiere  Gesetze  ge- 
geben. In  jedem  Acker  müssen  erst  gerade  (Längs-) Furchen, 
dann  Querfurchen  gezogen  werden.  An  Hügeln  wird  bloss 
in  schräger  Lage  gepflügt,  so  dass  die  Spitze  der  Pflugschar 
bald  nach  oben,  bald  nach  unten  gerichtet  ist.  Der  Mensch 
muss  sogar  mitunter  die  schwere  Arbeit  der  Ochsen  ver- 
sehen, denn  die  Gebirgsvölker  bearbeiten  ohne  diese 
Thiere  ihr  Land,  und  zwar  mit  dem  Spaten.  Wenn 
der  Pflüger  nicht  gekrümmt  geht,  hält  er  keinen  geraden 
Strich  ^),  welcher  Fehler  auch  auf  gerichtliche  Angelegen- 
heiten übertragen  ist^).  Man  verhüte  ihn  daher  da,  wo  er  er- 
funden wurde.  Die  Pflugschar  muss  man  zuweilen  mit  der 
am  Ende  des  Treibstachels  befindlichen  Reute  reinigen. 
Die  Erhöhungen  zwischen  2  Furchen  sollen  nicht  roh  blei- 
ben, und  die  Erdschollen  nicht  hervorstehen.  Es  taugt  nicht 
ein  Feld  zu  pflügen,  wenn  das  Eggen  für  die  Saaten  aus- 
reicht. Der  Acker  ist  dann  gut  bearbeitet,  wenn  man  nicht 
sieht,  wohin  der  Pflug  gegangen  ist.  Man  pflegt  da,  wo 
es  erforderlich,  Wasserrinnen  in  Form  von  breitern  Furchen 
zu  ziehen,  welche  das  Wasser  in  die  Gräben  leiten. 

Nachdem  das  Pflügen  in  die  Quere  wiederholt  worden, 
folgt  das  Eggen,  je  nach  Umständen  mit  der  Egge  oder  Karate, 
und  wird  nach  erfolgter  Aussaat  wiederholt.  Auch  letzteres 
geschieht  entweder  mit  der  Egge  oder  mit  einer  an  den 
Pflug  befestigten  Platte,  welche  die  Samen  bedeckt,  und 
diese  Operation  heisst  das  Eineggen  3),  Davon  stammt  die 
Benennung  deliratio*)  ab.  Es  scheint,  Virgil  will,  man  solle 
in  die  vierte  Furche  säen,  denn  er  sagt,  die  Saat  sei  die 
beste,  auf  welche  zweimal  die  Sonne  und  zweimal  die  Kälte 


1)  iDraevaricatur. 

-)  Praevaricari  hatte  auch  die  Bedeutung:  nicht  recht  handeln, 
seine  Pflicht  überschreiten,  besonders  vor  Gericht,  wenn  man  nur 
zum  Scheine  Jemanden  anklagt  oder  vertheidigt,  im  Herzen  es  aber 
mit  der  Gegenparthei  hält.     ^)  lirare. 

*)  Wörtüch:  Das  Gehen  aus  der  Furche.  —  Der  Wahnwitz. 


Achtzehntes  Buch.  373 

eingewirkt  hätte.  In  einem  dichten  Boden,  wie  er  sich  in 
Italien  grösstentheils  findet,  wird  zweckmässiger  die  fünfte 
Furche,  in  Thusoien  aber  die  neunte  besäet.  Viel  Mühe 
erspart  man  dadurch,  dass  man  Bohnen  und  Wicken  ohne 
Nachtheil  in  nicht  gebrochenes  Land  säen  kann. 

Noch  eine  Art  des  Pflügens,  welche  im  transpadanischen 
Italien  in  Folge  der  Kriege  entstanden  ist,  dürfen  wir  nicht 
tibergehen.  Als  die  Salasser  die  am  Fasse  der  Alpen  ge- 
legenen Felder  plünderten,  fielen  sie  auch  über  hervorge- 
wachsene Hirse  und  das  Panicum,  und  da  die  Natur  ihr 
Vorhaben  vereitelte,  pflügten  sie  sie  unter.  Die  dadurch 
vervielfältigte  Ernte  lehrte  das,  was  man  jetst  artrare  nennt 
d.  h.  aratrare,  wie  man  wahrscheinlich  damals  gesagt  hat. 
Die  Zeit,  wann  diess  geschieht,  ist,  wenn  die  Pflanze  be- 
reits 2 — 3  Blätter  getrieben  und  der  Halm  sich  gebildet 
hat.  Als  eine  Neuigkeit  wollen  wir  ferner  anführen,  was 
man  vor  3  Jahren  im  treverischen  Gebiete  beobachtete. 
Als  nämlich  die  Feldfrüchte  durch  den  sehr  kalten  Winter 
gelitten  hatten,  hackte  man  im  März  die  Felder  wieder 
um,  säete  von  Neuem,  und  erhielt  die  reichlichste  Ernte. 
Nun  wollen  wir  das,  was  über  die  Kultur  der  Feld- 
früchte noch  zu  sagen  übrig  ist,  nach  den  Arten  derselben 
vortragen. 

50. 

Siligo,  Dinkel,  Weizen  und  Gerste  egge,  behacke  und 
gäte  an  den  besagten  Tagen.  Zu  jeder  Art  wird  l  Ar- 
beiter auf  1  Morgen  Land  ausreichen.  Durch  Behacken  im 
Frühjahr  wird  der  durch  die  Winterkälte  verhärtete  Boden 
wieder  aufgeschlossen  und  den  Sonnenstrahlen  von  Neuem 
der  Zutritt  gestattet.  Wer  behackt,  hüte  sich  die  Wurzeln 
des  Getreides  zu  durchstechen.  Es  ist  gut,  den  Weizen, 
die  Gerste  und  die  Bohne  2  mal  zu  behacken.  Das  Gäten 
befreiet,  wenn  die  Saat  Knoten  setzt,  durch  Ausreissen  des 
Unkrautes  die  Wurzeln  und  trennt  die  Saat  von  dem  Reifen. 
Unter  den  Hülsenfrüchten  erfordert  die  Kicher  dieselbe 
Behandlung  wie  der  Dinkel.  Die  Bohne  braucht  man  nicht 
zu  gäten,   weil  sie  des  Unkrauts  Herr  wird,   und   nur   bei 


374  Achtzelintes  Buch. 

den  Wolfsbolmen  geschieht  es.  Die  Hirse  uud  das  Pani- 
cum  egget  und  behackt  man,  und  wiederholt  diess  nicht 
noch  einmal,  noch  gätet  man.  Der  Bockshorn  und  die 
Schwertbohne  werden  bloss  geegget.  Es  giebt  Aecker, 
deren  Fruchtbarkeit  es  erforderlich  macht,  die  Saat  unter- 
zueggen  i),  —  unter  pecten  versteht  man  nämlich  auch  eiue 
Art  Egge,  mit  zahnartig  gestellten  eisernen  Spitzen  —  und 
nichts  destoweniger  lässt  man  sie  noch  abweiden.  Die 
abgeweideten  Felder  müssen  wieder  aufgehackt  werden. 
In  Baktrien,  Afrika  und  Cyrene  aber  macht  das  günstige 
Klima  alle  diese  Arbeiten  überflüssig,  und  nachdem  gesäet 
worden,  geht  man  erst  zur  Zeit  der  Ernte  wieder  aufs 
Land,  weil  die  Trockniss  das  Unkraut  nicht  aufkommen 
lässt,  und  die  Saat  durch  den  nächtlichen  Thau  ernährt 
wird.  Virgil  will,  man  solle  ein  Feld  um  das  andere  brach 
liegen  lassen,  was,  wenn  die  Grösse  der  Ländereien  es  er- 
laubt, unbezweifelt  das  Beste  ist.  Gestatten  diess  die  Um- 
stände nicht,  so  säe  man  Dinkel  oder  etwas  anderes,  was 
die  Erde  erfrischt,  dahin,  wo  Wolfsbohnen,  Wicken  oder 
grosse  Bohnen  standen.  Ganz  besonders  ist  auch  zu  be- 
merken, dass  Manches  um  andern  willen  zugleich  gesäet  wird; 
aber  schon  im  vorigen  Buche  haben  wir  gesagt  (damit  wir  nicht 
ein  und  dasselbe  öfter  wiederholen),  dass  dergleichen  nicht 
gut  gedeihet,  denn  die  Beschaffenheit  des  Bodens  hat  gros- 
sen Einfluss  darauf. 

51. 
Ein  Stadtbezirk  in  Afrika,  Namens  Tacape,  mitten  im 
Sande  auf  dem  Wege  zu  den  Syrten  und  Gross-Leptis  ^) 
bat  einen  wunderbar  glücklichen,  feuchten  Boden.  Kings- 
um  in  einer  Ausdehnung  von  3000  Schritten  befindet  sich 
eine  Quelle,  welche  zwar  reichlich  läuft,  aber  nach  be- 
stimmten Stunden-unter  die  Bewohner  sich  vertheilt.  Unter 
sehr  hohen  Palmen  stehen  Oelbäume,  unter  diesen  Feigen- 
bäume, dann  folgen  Granaten  und  Weinstöcke;  unter  letztere 
säet  man  Getreide,  hierauf  Hülsenfrüchte  und  endlich  Kohl, 

•)  pectinari. 

2)  Vergl.  V.  B.  4.  Cap.- 


Achtzehntes  Buch.  375 

alles  in  ein  und  demselben  Jahre,  und  alles  wächst  in  frem- 
dem Schatten.  Von  diesem  Boden  kosten  4  Quadrat-Cubitus, 
aber  nicht  solche,  deren  Länge  sich  auf  die  ausgestreckten 
Finger,  sondern  auf  die  eingezogenen  (geballte  Faust)  be- 
zieht, 4  Denare,  lieber  alles  aber  geht  die  Thatsache 
dass  der  Weinstock  2  mal  im  Jahre  trägt.  Wenn  nicht 
durch  vielfachen  Anbau  die  ausserordentliche  Fruchtbar- 
keit etwas  vermindert  wird,  so  gehen  die  Früchte  in  zu 
tippigem  Wachsthum  verloren.  So  aber  erndtet  man  das 
ganze  Jahr  hindurch  etwas  ein,  und  es  ist  ausgemacht,  dass 
die  Menschen  die  Fruchtbarkeit  nicht  beeinträchtigen.  Auch 
im  Wasser,  welches  zum  Befeuchten  des  Bodens  dient,  liegt 
ein  bedeutender  Unterschied.  In  der  narbonensischen  Pro- 
vinz befindet  sich  eine  berühmte  Quelle,  Namens  Orge;  in 
dieser  wachsen  Kräuter,  welche  die  Ochsen  so  gern  fressen, 
dass  sie  die  Köpfe  ganz  untertauchen,  um  sie  zu  suchen; 
aber  so  viel  ist  gewiss,  dass  diese  im  Wasser  wachsenden 
Kräuter  nur  durch  den  Regen  ernährt  werden.  Daher  muss 
ein  Jeder  sein  Land  und  Wasser  kennen. 

52. 

In  solche  Erde,  welche  wir  „zarte"  genannt  haben, 
kann  nach  dem  Einerndten  der  Gerste  Hirse  gesäet  wer- 
den; ist  diese  eingebracht,  Raps,  nach  diesem  wieder 
Gerste  oder  Weizen,  wie  z.  B.  in  Campanien;  und  es  reicht 
aus,  wenn  man  diese  Erde  vor  dem  Säen  pflügt.  Nach 
einer  andern  Ordnung  lässt  man  das  Land,  auf  welchem 
Getreide  gestanden,  die  4  Wintermonate  hindurch  liegen, 
und  bepflanzt  es  dann  mit  den  Frtihbohnen,  so  dass  es  vor 
der  Winterbohne  in  Thätigkeit  ist.  Ein  zu  fetter  Acker 
kann  dadurch  gewechselt  werden,  dass  man  nach  dem  Ein- 
erndten des  Getreides  im  3.  Jahre  Hülsenfrüchte  darauf  säet; 
ein  magerer  kann  auch  bis  in's  dritte  Jahr  brach  liegen. 
Nach  Einigen  soll  man  das  Getreide  nur  in  solchen  Boden 
säen,  der  das  Jahr  zuvor  brach  gelegen  hat. 

53. 

Ein  äusserst  wichtiger  Punkt  ist  das  Düngen,  wovon 
wir  bereits  im  vorigen  Buche  geredet  haben.    Soviel  wenig- 


376  Achtzehntes  Buch. 

stens  steht  fest;  man  darf  nur  in  gedüngtes  Land  säen; 
doch  finden  auch  hier  besondere  Gesetze  statt.  Hirse,  Pani- 
cum,  weisse  Rüben  und  Steckrüben  säe  man  nur  in  gedüng- 
ten Boden.  In  nicht  gedüngten  säe  eher  anderes  Getreide 
als  Gerste;  ebenso  auch  in  Brachland,  obgleich  man  es 
vorzieht,  in  dieses,  sowie  in  ein  frisch  gedüngtes  Bohnen 
zu  säen.  Wer  im  Herbste  säen  will,  der  pflüge  im  Sep- 
tember nach  einem  Regen  den  Mist  unter;  und  wer  im 
Frühjahre  säen  will,  vertheile  während  des  Winters  den 
Mist.  Auf  einen  Morgen  gehören  18  Fuder;  man  muss  ihn 
aber  ausstreuen  bevor  er. trocknet,  oder  wenn  die  Aussaat 
geschehen  ist.  Hat  man  diese  Düngung  unterlassen,  so  ge- 
schieht die  folgende,  vor  dem  Behacken,  mit  dem  Staube 
aus  Vogelhäusern.  Um  hierbei  Alles  recht  sorgfältig  zu 
bestimmen,  fügen  wir  hinzu,  dass  das  Fuder  Mist  1  Denar 
kostet,  dass  auf  jedes  kleinere  Thier  1  Fuder,  auf  jedes 
grössere  aber  10  gerechnet  werden,  und  dass,  wenn  diess 
nicht  eintrifft,  der  Landmann  offenbar  nicht  gut  unterge- 
streuet  hat.  Einige  sind  der  Meinung,  der  Dünger  sei 
dann  am  besten,  wenn  das  Vieh  unter  freien  Himmel  in 
Netze  eingeschlossen  verbleibe.  Ein  Acker,  der  nicht  ge- 
düngt wird,  erfriert;  wird  er  zu  stark  gedüngt,  so  verbrennt 
er,  und  es  ist  besser,  öfters  als  zu  viel  auf  einmal  zu  dün- 
gen. Je  hitziger  der  Acker,  desto  weniger  darf  gedüngt 
werden. 

54. 
Der  beste  Same  ist  der  jährige,  schlechter  der  2-,  am 
schlechtesten  der  3jährige,  und  der  über  diess  Alter  hinaus- 
geht ist  unfruchtbar  ^).  Bei  allen  Arten  von  Samen  gilt 
es  als  Regel;  Was  sich  auf  der  Tenne  zu  unterst  gesetzt 
hat,  muss  zur  Saat  aufbewahrt  werden,  denn  der  beste 
Same  ist  am  schwerstsn,  und  lässt  sich  auf  keine  andere 
Weise  besser  unterscheiden.  Die  Aehre,  welche  nicht  voll 
ist,  sondern  Zwischenräume  zwischen  den  Samen  hat,  muss 


Eine  übertriebene  Behauptung. 


Achtzehntes  Buch.  377 

verworfen  werden.  Am  besten  ist  das  Korn,  welches 
röthlich  aussieht,  und  mit  den  Zähnen  zerbissen  diese 
Farbe  behält;  das  inwendig  mehr  weisse  steht  ihm  nach. 
Man  weiss,  dass  diess  Land  mehr  Samen,  jenes  wenige^* 
aufnimmt;  in  diesem  Umstände  erblicken  die  Landleute 
die  erste  Vorbedeutung,  sie  glauben  nämlich,  das  Land 
sei  hungrig,  wenn  es  den  Samen  begierig  aufnehme,  und 
verzehre  ihn.  Das  Aussäen  muss  an  feuchten  Orten  schneller 
(eher)  geschehen,  damit  der  Samen  vom  Regen  nicht  faule, 
an  trocknen  hingegen  später,  damit  der  Regen  auf  dasselbe 
folge,  denn  liegt  er  zu  lange  vor  dem  Keimen,  so  vergeht 
er.  Auch  muss  man  bei  frühem  Aussäen  dicht  streuen, 
weil  das  Korn  langsam  keimt,  bei  spätem  aber  dünn,  weil 
es  sonst  erstickt  wird.  Es  gehört  eine  gewisse  Kunstfer- 
tigkeit dazu,  gleichmässig  zu  säen.  Ueberhaupt  muss  die 
Hand  mit  dem  Schritte  zusammentreffen,  und  zwar  allemal 
mit  dem  rechten  Fusse.  Einige  wissen  auf  geheime  Weise 
ihren  Wurf  glücklich  und  fruchtbar  zu  machen.  Man  darf 
den  Samen  aus  kalten  Gegenden  nicht  in  warme,  noch  aus 
frühtreibenden  in  spättreibende  bringen,  während  Manche 
in  falschem  Eifer  das  Umgekehrte  anempfehlen. 

55. 
Zum  Besäen  eines  Jugerum  von  gemässigtem  Bo- 
den reichen  5  Modius  Weizen  oder  Siligo  hin,  10  Modius 
Dinkel  oder  Samen  (wie  wir  diese  Art  Getreide  genannt 
haben),  6  Modius  Gerste,  6  Bohnen,  12  Wicken,  3  Kicher, 
ihre  kleinere  Art  und  Erbsen,  10  Wolfsbohnen,  3  Linsen, 
doch  letztere  mit  trocknem  Miste  vermengt;  6  Erven,  6 
Bockshorn,  4  Schwertbohnen,  20  Futterkraut,  4  Hirse  und 
4  Sextarien  Panicum  —  in  einem  fetten  Bodenmehr,  in  einem 
magern  weniger.  Man  macht  noch  einen  andern  Unter- 
schied. In  einen  dichten,  thonigen  oder  sumpfigen  Boden 
6  Modius  Weizen  oder  Siligo,  in  einen  nakten,  lockern, 
trocknen  und  frischen  4.  Ein  magerer  Boden  nämlich 
macht,  wenn  die  Halme  nicht  dünn  stehen,  die  Aehren 
klein  und  taub.  Fette  Felder  treiben  aus  1  Korne  zahl- 
reiche Reiser,   und  liefern   aus   wenig  Samen   dichte  Saat. 


378  Achtzehntes  Buch. 

Daher  rechnet  man  je  nach  der  Beschaffenheit  des  Bodens 
4  und  6  Modius,  Andere  aber  säen  nicht  weniger  als  5  und 
noch  mehr,  auch  in  bepflanzten,  bergigen  oder  magern  Bo- 
den. Hierher  gehört  noch  jener  wohl  zu  beachtende,  weise 
Ausspruch:  Deinen  Acker  sollst  du  nicht  überhäufen. 
Accius  ^)  fügt  in  seinem  praktischen  Rathgeber  noch  hinzu, 
man  solle  säen,  wenn  der  Mond  im  Widder,  den  Zwilhn- 
gen,  dem  Löwen,  der  Wage  und  dem  Wassermanne  stehe. 
Nach  Zoroaster  ist  die  rechte  Zeit,  wenn  die  Sonne  12 
Grade  jenseits  des  Scorpions,  und  der  Mond  im  Stiere 
steht. 

56. 
Ich  komme  nun  auf  die  bis  jetzt  verschobene,  die 
grösste  Sorgfalt  bedürfende  Untersuchung  über  die  rechte 
Säezeit  der  Feldfrüchte,  welche  meistentheils  mit  dem 
Laufe  der  Gestirne  im  Zusammenhange  steht,  und  will 
alle  hierher  gehörige  Ansichten  mittheilen.  Hesiodus,  der 
erste  welcher  über  den  Ackerbau  handelte,  setzte  eine 
Saatzeit,  nämlich  nach  dem  Untergange  des  Siebengestirns 
fest.  Er  schrieb  nämlich  in  Böotien,  einem  Theile  von 
Hellas,  wo,  wie  wir  bereits  gesagt  haben,  um  jene  Zeit 
gesäet  wird.  Die  aufmerksamsten  Landwirthe  kommen 
darin  überein,  dass,  sowie  den  Vögeln  und  vierfüssigen 
Thieren,  auch  der  Erde  ein  gewisser  Trieb  zur  Begattung 
innewohne,  was  die  Griechen  daran  erkennen,  wenn  sie  warm 
und  feucht  ist.  Nach  Virgil  soll  man  den  Weizen  und 
Dinkel  nach  dem  Untergange  des  Siebengestirns,  die  Gerste 
zwischen  den  Hei-bstäquinoctium  und  dem  kürzesten  Tage, 
die  Wicke,  Schwertbohne  und  Linse  nach  dem  Untergange 
des  Bootes  säen.  Daher  müssen  der  Aufgang  und  Unter- 
gang dieser  und  anderer  Gestirne  auf  ihre  Tage  zurück- 
geführt werden.  Nach  Einigen  soll  man,  wenigstens  in 
trocknes  Land  und  in  heissen  Gegenden,  schon  vor  dem 
Untergänge  des  Siebengestirns  säen;  denn  der  Same  werde 


1)  Welcher  Accius  diess  ist,  lässt  sich  nicht  entscheiden;  vielleicht 
der  Wahrsager  Accius  Naevins  zu  Rom  unter  Tarquinius  Priscus. 


Achtzehntes  Buch.  379 

hier  gegen  die  zerstörende  Nässe  geschützt,  und  breche 
nach  dem  nächsten  Eegen  in  einem  Tage  hervor.  Andere 
säen  sogleich  nach  dem  Untergange  des  Siebengestirns, 
denn  sieben  Tage  später  falle  Regen.  Einige  schreiben 
vor,  in  kalten  Gegenden  nach  dem  Herbstäquinoctium,  in 
warmen  dagegen  später  zu  säen,  damit  die  Pflanzen  vor 
dem  Winter  nicht  üppig  aufschiessen.  Alle  aber  kommen 
darin  tiberein,  um  die  Zeit  des  kürzesten  Tages  müsse 
man  nicht  säen,  und  zwar  aus  dem  wichtigen  Grunde, 
weil  die  vor  dieser  Zeit  in  die  Erde  gekommenen  Winter- 
saaten schon  am  7.,  die  nach  den  kürzesten  Tage  gesäeten 
kaum  am  40.  Tage  hervorbrechen.  Einige  sind  sehr  eil- 
fertig, denn  sie  sagen,  frühes  Säen  betrüge  oft,  spätes 
immer.  Im  Gegentheil  sagen  Andere:  säe  lieber  im  Früh- 
jahre als  in  einem  schlechten  Herbste,  und  wo  es  erforder- 
lich ist,  in  der  Zeit  zwischen  dem  Wehen  des  Favonius 
und  dem  Frühlingsäquinoctium. 

Manche  lassen  den  Einfluss  des  Himmels  als  etwas 
Unnützes  unbeachtet,  und  bestimmen  die  Säezeit  nach  den 
Jahreszeiten.  Lein,  Hafer  und  Mohn  im  Frühlinge,  und 
wie  es  noch  jetzt  bei  den  Völkern  jenseits  des  Po  geschieht, 
bis  zum  Feste  der  Minerva;  Bohnen  und  Siligo  im  Novem- 
ber; Dinkel  am  Schlüsse  des  Septembers  bis  zur  Mitte  des 
Octobers,  nach  Andern  von  hier  an  bis  zum  ersten  No- 
vember. Man  sieht,  dass  diese  Leute  sich  um  die  Natur 
nicht  kümmern,  vielmehr  eine  ängstliche  und  daher  blinde 
Genauigkeit  beobachten.  Aber  diess  darf  nicht.  Wunder 
nehmen,  wenn  man  bedenkt,  dass  den  Landleuten  welche 
so  handeln,  die  Kenntniss  der  Gestirne  und  anderer  Wissen- 
schaften abgeht.  Gleichwohl  muss  man  gestehen,  dass  fast 
Alles  auf  den  Himmel  ankommt.  So  sagt  Virgil,  man  solle 
sich  namentlich  mit  den  Winden  und  dem  Laufe  der  Ge- 
stirne vertraut  machen,  und  sie  ebenso  wie  die  Seefahrer 
beobachten.  Es  ist  eine  schwierige  und  grossartige  Hoff- 
nung, zu  glauben,  die  himmlische  Gottheit  könne  sich  mit 


380  Achtzehntes  Buch. 

der  Unwissenheit ')  einlassen,  nichtsdestoweniger  aber  muss 
man  sie  zu  einem  so  bedeutenden  Lebenszwecke  zu  erlangen 
suchen.  Zuvor  jedoch  haben  wir  die  Schwierigkeit  bei  der 
Beobachtung  der  Gestirne,  welche  selbst  Unterrichtete 
eingesehen,  in  Erwägung  zu  ziehen,  und  dann  erst  möge 
man  freudigeren  Sinpes  vom  Himmel  abgehen,  und  die 
Thatsachen  wahrnehmen,  welche  man  nicht  vorher  wissen 
kann. 

57. 
Vor  Allem  bietet  selbst  die  Berechnung  der  Tage  des 
Jahres  und  der  Bewegung  der  Sonne  fast  unauflösliche 
Schwierigkeiten  dar.  Zu  den  365  Tagen  zählt  man  noch 
eingeschaltete  Viertel  des  Tages  und  der  Nacht,  und  diess 
macht,  dass  die  Zeiten  der  Gestirne  nicht  sicher  an- 
gegeben werden  können.  Dazu  kommt  noch  die  anerkannte 
Dunkelheit  des  Gegenstandes,  denn  bald  geht  die  Anzeige 
der  Witterung  vorher,  und  zwar  nicht  wenige  Tage,  was 
die  Griechen  mit  dem  Namen  „vorhergehendes  Winter- 
wetter" 2)^  bald  folgt  sie  nach,  was  sie  „nachfolgendes 
Winterwetter"  ^)  nennen.  Die  Wirkung  des  Himmels  kommt 
also  bald  schnell,  bald  langsamer  zur  Erde,  und  wir  hören, 
wenn  gutes  Wetter  eingetreten  ist ,  gemeiniglich  sagen, 
das  Gestirn  sei  wieder  vollendet.  Da  diess  alles  sich  auf 
die  beständigen  und  am  Himmel  befestigten  Sterne  bezieht, 
und  bei  der  Bewegung  der  Sterne  Hagel  und  Regen,  selbst 
unter  nicht  unbedeutender  Wirkung,  wie  bereits  angegeben 
wurde,  zwischen  sie  treten,  so  entsteht  dadurch  eine  Stö- 
rung der  Ordnung  und  der  gehegten  Hoffnung,  Man 
glaube  aber  nicht,  dass  dergleichen  bloss  uns  Menschen 
begegen,  nein  auch  die  Thiere,  welche  doch  in  dieser  Be- 
ziehung viel  schlauer  sind,  weil  ihre  Existenz  damit  ver- 
knüpft ist,  werden  dadurch  betrogen,  denn  unzeitige  oder 
zu  frühe  Fröste  tödten  die  Sommervögel,  Hitze  die  Winter- 
vögel.    Daher    schreibt    Virgil    vor,    man   solle    sich    mit 


*)  D.  i.    rait  dem  Menschen. 
^)  TtQOxeifiaaiq.    ^)  eTtixeifxaoig. 


Achtzehntes  Buch.  381 

den  Irrsternen  *)  bekannt  machen,  uiid  den  Durchgang  des 
kalten  Sternes  Saturn  beobachten.  Einige  halten  das  Er- 
scheinen des  Schmetterlings  für  das  sicherste  Zeichen  des 
Frühlings,  weil  dieses  Thier  so  schwach  sei;  allein  selbst 
in  dem  Jahre,  wo  ich  dieses  schreibe,  hat  man  beobachtet, 
dass  ihre  Brut  3  mal  durch  die  Kälte  vernichtet  wurde 
und  dass  die  am  27.  Januar  angelangten  Vögel,  von  denen 
man  sich  einen  baldigen  Frühling  versprach,  bald  darauf 
mit  der  heftigsten  Kälte  zu  kämpfen  hatten. 

Die  Sache  ist  also  zweifelhaft;  zuerst  muss  man  das 
Gesetz  vom  Himmel  hernehmen,  darauf  dasselbe  durch 
Gründe  zu  unterstützen  suchen.  Die  Hauptsache  liegt  in 
der  gewölbten  Form  des  Himmels,  und  in  der  Verschieden- 
heit der  Länder  unseres  Erdballes,  denn  ein  und  dasselbe 
Gestirn  erscheint  in  dieser  Zeit  diesem,  in. jener  jenem 
Volke,  und  daher  kommt  es;  dass  dessen  Wirkung  in  ein 
und  denselben  Tagen  nicht  überall  gleich  stark  ist.  Die 
Schriftsteller  haben  die  Schwierigkeit  noch  dadurch  ver- 
mehrt, dass  sie  theils  an  verschiedenen  Orten  beobachteten, 
theils  an  ein  und  demselben  sogar  Verschiedenes  aufzeich- 
neten. Es  gab  in  der  Sternkunde  3  Schulen:  die  chal- 
däische,  ägyptische  und  griechische.  Dazu  fügte  der  Dic- 
tator  Caesar  noch  eine  vierte;  er  regulirte  nämlich  unter 
Mitwirkung  des  in  diesem  Fache  gelehrten  Sosigenes  ein 
jedes  Jahr  nach  dem  Laufe  der  Sonne.  Aber  auch  die 
Berechnung  selbst  wurde,  nachdem  man  den  Fehler  einge- 
sehen, verbessert,  so,  dass  man  12  Jahre  hintereinander 
nichts  einschaltete,  weil  das  Jahr,  welches  früher  vorher- 
ging, angefangen  hatte  die  Gestirne  aufzuhalten.  Und 
selbst  Sosigenes  trug,  obgleich  er  gelehrter  als  die  übrigen 
war,  in  3  Abhandlungen  kein  Bedenken,  seine  Zweifel  aus- 
zusprechen und  sich  selbst  zu  verbessern.  Die  Schrift- 
steller, welche  wir  vor  diesem  Buche  angeführt  haben, 
theilen  diess  mit,  aber  selten  stimmt  die  Aussage  des 
Einen  mit  der   des  Andern   überein.     Bei   den   übrigen  ist 

»)  D.  i.  Planeten. 


382  Achtzehntes  Buch. 

diess  noch  weniger  zu  verwundern,  denn  sie  werden  durch 
die  verschiedenen  Aufenthaltsorte  entschuldigt.  Von  denen, 
welche  in  ein  und  derselben  Gegend  abweichen,  will  ich 
nur  eine  widersprechende  Angabe  als  Beispiel  anführen. 
Hesiodus  nämlich  (denn  auch  unter  seinem  Namen  existirt 
eine  Schule  der  Astrologie)  sagt,  der  Morgenuntergang  des 
Siebengestirns  finde  statt,  wenn  das  Herbstäquinoctium  vor- 
bei sei;  Thaies,  am  25.  Tage  nach  demselben;  Anaximander, 
am  neunundzwanzigsten;  Euctemon  ^),  am  achtundvierzigsten. 
Wir  wollen  den  Beobachtungen  Caesar's  folgen,  weil 
sie  für  Italien  wohl  am  zutreffendsten  sein  möchten;  doch 
auch  Anderer  Meinungen  sollen  nicht  verschwiegen  werden, 
denn  wir  beschreiben  ja  nicht  bloss  ein  Land,  sondern  die 
ganze  Natur,  nicht  die  Schriftsteller  (denn  diess  würde 
sehr  weitläufig  sein),  sondern  die  Gegenden.  Nur  mögen 
sieb  die  Leser  erinnern,  dass  wenn  Attika  genannt  wird, 
wir  der  Kürze  wegen  zugleich  die  Cycladischen  Inseln  mit 
verstehen;  bei  Macedouien  auch  Magnesien  und  Thracieu; 
bei  Aegypteu  auch  Phönicien,  Cypern  und  Cilicien;  bei 
Böotien  auch  Locris,  Phocis  und  stets  die  angrenzenden 
Landstriche;  beim  Hellesponte  den  Chersones  und  den 
Distrikt  bis  zum  Berge  Athos;  bei  Jonien  auch  Asien  und 
dessen  Inseln;  beim  Peloponnes  auch  Achaja  und  die  gegen 
Abend  gelegenen  Länder.  Die  Chaldäer  begriffen  in  ihre 
Beobachtungen  zugleich  auch  Assyrien  und  Babylon.  Dass 
wir  von  Afrika,  Spanien  und  Gallien  schweigen,  wird  Nie- 
manden wundern,  denn  in  diesen  Ländern  hat  von  denen, 
welche  den  Aufgang  der  Gestirne  angegeben,  Keiner  Beo- 
bachtungen angestellt;  doch  wird  man  sie  auch  hier  nicht 
schwer  erkennen,  wenn  man  die  Eintheilung  der  Himmels- 
striche, wie  wir  sie  im  6.  Buche  gemacht  haben,  berück- 
sichtigt. Hieraus  erkennt  man  die  Verwandtschaft  des 
Himmels,  nicht  nur  mit  den  Völkern,  sondern  auch  mit 
einzelnen  Städten;   bekannt  ist  sie  bereits   von   den  oben 


')  Atheniensischer  Astronom  um  432  v.  Chr. 


Achtzehntes  Buch.  383 

genannten  Ländern,  wenn  man  die  krumme  Linie  des  Zir- 
kels, welcher  zu  den  Ländern,  die  man  sucht  und  die  zu  dem 

Aufgange  ihrer  Gestirne  gehört ,  durch  gleiche  Schatten 
aller  Zirkel  zieht.  Auch  ist  zu  bemerken,  dass  die  Wit- 
terung innerhalb  4  Jahren  einen  besondern  Höhepunkt  hat, 
und  dass  sie  mit  geringem  durch  die  Sonne  bewirktem 
Unterschiede  wiederkehrt,  in  8  Jahren  aber,  wenn  der 
Mond  zum  hundertsten  Male  wieder  scheint,  vermehrt  wird. 

58. 

Diess  ganze  Verhalten  hat  man  auf  dreierlei  Weise 
beobachtet,  durch  den  Aufgang  der  Gestirne,  durch 
ihren  Untergang,  und  durch  die  Cardinalzeiten  i)  selbst. 
Den  Aufgang  und  Untergang  erkennt  man  auf  zweierlei 
Weise;  entweder  werden  die  Sterne  durch  die  Ankunft 
der  Sonne  verborgen  und  dadurch  unsichtbar,  oder  sie  treten 
bei  deren  Fortgänge  wieder  hervor.  Letztere  Erscheinung 
hätte  man  lieber  den  Austritt  als  den  Aufgang,  und  erstere 
lieber  die  Verdeckung  als  den  Untergang  nennen  sollen. 
Ferner  beobachtet  man,  an  welchem  Tage  sie  erscheinen 
oder  verschwinden,  beim  Aufgange  oder  Untergange  der 
Sonne,  daher  man  sie  Morgen-  oder  Abendsterne  nennt,  je 
nachdem  sich  diess  bei  ihnen  Frühmorgens  oder  Abends 
ereignet.  Es  sind  wenigstens  3/4  Stunden  Zeit  vor  dem 
Aufgange  oder  nach  dem  Untergange  der  Sonne  erforder- 
lich, um  sie  zu  sehen.  Ausserdem  gehen  einige  zweimal 
auf  und  unter.  Alles  diess  bezieht  sich  auf  solche  Sterne, 
welche,  wie  wir  gesagt  haben,  am  Himmel  festsitzen. 

59. 

Die  Cardinalzeiten  beruhen  auf  der  Eintheilung  des 
Jahres  in  4  Theile,  nach  der  Zunahme  des  Lichts.  Dieses 
vermehrt  sich  vom  kürzesten  Tage  an,  und  kommt  nach 
90  Tagen,  um  3  Stunden  verlängert,  in  dem  Frühlings- Ae- 
quinoctium,  der  Nacht  gleich.  Hierauf  tibertrifft  es  nach 
93  Tagen,  zur  Zeit  des  Sommer-Solstitiums ,  die  Nacht 
um  12  Stunden,  nimmt  dann  wieder  ab,  und  verliert,  nach- 


M  D.  i.  Frühlings-,  Sommers-,  Herbst-  und  Winters-Anfang. 


384  Achtzehntes  Buch. 

dem  im  Herbst-Aequinoetium  Tag  und  Nacht  gleich  ge- 
worden sind,  bis  zum  kürzesten  Tage,  in  89  Tagen,  noch 
3  Stunden.  Bei  allen  diesen  Zunahmen  werden  Aequinoc- 
tial-Stunden,  nicht  solche  eines  jeden  andern  Tages  gerech- 
net, und  alle  diese  Abweichungen  geschehen  in  den  achten 
Theilen  (Graden)  der  himmlischen  Zeichen.  Den  kürzesten 
Tag  haben  wir  im  Steinbocke,  am  23.  December;  das 
Frühhngs-Aequinoctium  im  Widder,  das  Solstitium  im 
Krebse,  das  Herbst-Aequinoetium  in  der  Waage.  Diese 
Tage  dienen  nicht  selten  als  Wetterpropheten. 

Diese  Cardinalzeiten  werden  noch  in  einzelne  Zeit- 
punkte getheilt,  welche  sich  nach  der  mittleren  Zeit  aller 
Tage  richten.  Nämlich  zwischen  dem  Solstitium  und  dem 
Herbst-Aequinoetium,  am  46.  Tage,  beginnt  mit  dem  Untei- 
gange  der  Leyer  der  Herbst;  von  diesem  Aequinoctium  an 
bis  zum  kürzesten  Tage,  am  44.  Tage,  mit  dem  Morgen- 
untergange des  Siebengestirns  der  Winter;  zwischen  dem 
kürzesten  Tage  und  dem  Frühlings- Aequinoctium,  am  45. 
Tage,  mit  dem  Wehen  des  Favonius  der  Frühling;  endlich 
beginnt  am  48.  Tage  nach  dem  Frtihlings-Aquinoctium,  mit 
dem  Morgenaufgange  des  Siebengestirns  der  Sommer.  Wir 
wollen  mit  der  Säezeit  des  Getreides,  d.  h.  mit  dem  Mor- 
genuntergange des  Siebengestirns  anfangen,  ohne  aber  her- 
nach unsere  Untersuchung  durch  Anführen  der  kleinern 
Gestirne  zu  zerstückeln,  was  die  Schwierigkeit  nur  vermeh- 
ren würde,  denn  der  heftige  Stern  Orion  weicht  an  jenen 
Tagen  weit  ab. 

60. 

Die  Meisten  benutzen  die  Zeiten  zum  Säen  vorher, 
und  bringen  ihr  Getreide  11  Tage  nach  dem  Herbstäqui- 
noctium  in  die  Erde,  wenn  sich  die  Krone  ihrem  Aufgange 
nähert,  weil  sie  dann  eines  mehrtägigen  Regens  fast  ge- 
wiss sind.  Xenophon  sagt,  Gott  müsse  erst  das  Zeichen 
dazu  gegeben  hat.  Cicero  meint,  darunter  sei  der  Regen 
im  November  zu  verstehen;  denn  man  dürfe  nicht  eher 
säen,  als  bis  die  Blätter  anfingen  abzufallen.  Einige  meinen, 
wie  bereits  gesagt  wurde,  dass  diess  beim  Untergange  des 


Achtzehntes  Buch.  385 

Siebengestirns  selbst,  am  11.  November  geschehe.  Diess 
Gestirn  ist  am  leichtesten  am  Himmel  zu  bemerken,  und 
auch  die  Kleiderverkäufer  beobachten  es;  aus  dessen  Un- 
tergange nämlich  schliessen  die,  welche,  durch  die  Habsucht 
des  Kaufmanns  verleitet,  Andere  zu  betrügen  trachten,  auf 
den  Winter.  Geht  es  neblicht  unter,  so  deutet  diess  auf 
einen  regnichten  Winter  und  sogleich  steigen  die  Preise 
der  Eegenkleider.  Ist  der  Untergang  heiter,  so  wird  der 
Winter  strenge,  und  die  Preise  der  übrigen  Kleider  gehen 
in  die  Höhe.  Derjenige  Landraann  aber,  welcher  die 
himmlischen  Zeichen  nicht  kennt,  halte  sich  nur  an  das 
Zeichen  in  seinen  Dornhecken,  und  wenn  er  auf  seinem 
Boden  abgefallene  Blätter  sieht.  So  kündigt  sich  die  jähr- 
liche Witterung  da  früher,  dort  später  an.  Man  säet  daher 
nach  der  Beschaffenheit  des  Wetters  und  Bodens,  und  diess 
Verfahren  verdient  deshalb  den  Vorzug,  weil  es  in  der 
ganzen  Welt  allgemein  anwendbar  und  einer  jeden  Gegend 
eigenthümlich  ist.  Wundern  wird  sich  Der  darüber,  wel- 
cher nicht  weiss,  dass  selbst  am  kürzesten  Tage  der  Polei 
in  den  Speisekammern  blähet.  Die  Natur  wollte  nichts 
verborgen  sein  lassen,  gab  daher  diess  Zeichen  zum  Säen. 
Dns  ist  die  wahre  Erklärung,  welche  den  Beweis  aus  der 
Natur  in  sich  schliesst;  diese  räth  nämlich  die  Erde  zu 
suchen,  verspricht  gleichsam  eine  Art  Dünger,  verkündigt 
sie  wolle  das  Erdreich  gegen  Kälte  und  Winde  schüzen, 
und  mahnt  zur  Eile. 

61. 
Varro  hat  vorgeschrieben,  beim  Säen  der  Bohnen  die 
soeben  erwähnte  Betrachtung  zur  Kichtschnur  zu  nehmen. 
Nach  Andern  soll  man  sie  zur  Zeit  des  Vollmondes  säen, 
die  Linsen  aber  vom  25.  bis  zum  30.  Tage,  die  Wicken 
an  denselben  Tagen;  dadurch  würden  die  Schnecken  von 
ihnen  abgehalten.  Einige  wollen,  man  solle  sie  zur  Fütte- 
rung in  der  genannten  Zeit,  des  Samens  wegen  aber  im 
Frlihlinge  säen.  Es  giebt  eine  noch  augenscheinlichere  Be- 
rechnung, welche  uns  die  Vorsorge  der  Natur  noch  mehr 

Wlttstein  :  Plinius.     lU.  Bd.  25 


386  Achtzehntes  tJucü. 

bewundern    lehrt,    wesshalb    wir  den   darauf  bezüglichen 
Ausspruch  Cicero's  hier  wörtlich  wiedergeben  wollen. 

Der  stets  grüne  und  stets  beschwerte 

Mastixbaum  pflegt  dreimal  befeuchtet  zu  schwellen; 

Dreimal  trägt  er  Früchte,  und  zeigt  die  drei 

Zeiten  des  Pflügens  an. 
Eine  von  diesen  Zeiten  ist  die,  wo  der  Lein  und 
Mohni)  gesäet  werden  muss.  Cato  sagt  vom  Mohne  fol- 
gendes: dünne  Stengel  und  Schösslinge,  welche  überflüssig 
sind,  verbrenne  auf  dem  Saatfelde.  Auf  die  Stelle,  wo  du 
sie  verbrannt  hast,  säe  wilden  Mohn.  Wird  dieser  mit 
Honig  gesotten,  so  giebt  er  ein  vortrefi'liches  Heilmittel 
gegen  Halsübel.  Der  Gartenmohn  hat  auch  die  Kraft, 
Schlaf  zu  erregen.  —  Soviel  von  der  Wintersaat. 

62. 
Um  gleichsam  einen  kurzen  Abriss  des  ganzen 
Ackerbaues  zu  geben,  so  bemerken  wir:  Zu  ein  und 
derselben  Zeit  müssen  die  Bäume  gedüngt  und  die  Wein- 
stöcke gehäufelt  werden;  auf  1  Jugerum  reicht  ein  Arbeiter 
aus.  Da  wo  die  Beschaffenheit  der  Gegend  es  erlaubt, 
müssen  die  Bäume  in  den  Weingärten  und  die  Weinstöcke 
beschnitten,  ferner  der  Boden  in  den  Pflanzschulen  mit 
einem  Spaten  umgearbeitet,  die  Wassergräben  geöffnet, 
das  Wasser  vom  Acker  geschafft  und  die  Kelter  gewaschen 
und  aufbewahrt  werden.  Nach  dem  ersten  November  lege 
den  Hühnern  nicht  eher  wieder  Eier  unter,  bis  der  kürzeste 
Tag  vorüber  ist.  Von  diesem  Tage  an  lege  jedesmal  13 
den  ganzen  Sommer  über,  im  Winter  weniger,  jedoch  nicht 
weniger  als  9  unter.  Democritus  glaubt,  der  Winter  werd  e 
so  werden,  wie  der  kürzeste  und  die  ihm  nächsten  3  Tage 
gewesen  wären;  ebenso  habe  die  Sommersonnenwende  Ein- 
fluss  auf  den  Sommer.  Um  den  kürzesten  Tag  ist  meisten- 
theils  14  Tage  lang,  wo  die  Eisvögel  hecken  und  kein 
Wind  wehet,  gelinde  Witterung;  aber  zu  dieser,  sowie  zu 
allen  andern  Zeiten  müssen  die  Gestirne  nach  dem  Erfolge 


»)  S.  XX.  B.  76.  77.  und  78.  Cap 


Achtzehntes  Buch.  387 

der  Anzeigen  betrachtet,  und  Prophezeiungen  der  Witterung 
nicht  auf  bestimmte  Tage  erwartet  werden. 

63. 

Den  Winter  über  lass  den  Weinstock  ruhen.  Hygi- 
nus  sagt,  zu  dieser  Zeit  müsse  man  den  Wein  von  der 
Hefe  befreien,  oder  auch  umfüllen,  und  zwar  sieben  Tage 
später,  besonders  wenn  der  siebente  Tag  des  Monats  be- 
damit  zusammentrifft.  Kirschen  setze  man  um  den  kürze- 
sten Tag.  Alsdann  weiche  man  auch  für  das  Rindvieh 
Eicheln,  1  Modius  auf  je  zwei  ein;  reichlicher  gegeben 
schaden  sie  ihnen,  und  werden  sie,  wann  es  auch  sei, 
nicht  30  Tage  lang  hintereinander  gereicht,  so  soll  das 
Vieh  dann  die  Krätze  im  Frühjahre  bekommen.  Diese 
Zeit  haben  wir  auch  zur  Fällung  des  Holzes  bestimmt. 
Die  übrigen  Arbeiten  werden  meistens  bei  nächtlicher 
Weile  verrichtet,  denn  die  Nächte  sind  um  jene  Zeit  sehr 
lang.  Da  giebt  es  allerlei  Körbe  und  Hürden  zu  flechten, 
Fackeln  zu  schneiden,  viereckige  Weinpfosten,  bei  Tage 
30,  und  runde  Pfähle,  täglich  60  Stück  zu  machen;  Abends 
bei  Licht  5  Weinpfosten  und  10  Pfähle  und  ebenso  viele 
Morgens  vor  Tage. 

64. 

Vom  kürzesten  Tage  an  bis  zum  Wehen  des 
Favonius  zeigen  sich  (regieren)  nach  Caesar  drei  wichtige 
Gestirne;  am  30.  December  früh  der  untergehende  Hunds- 
stern, an  welchem  Tage  in  Attika  und  den  angrenzenden 
Ländern  der  Adler  untergehen  soll.  Am  vierten  Januar 
früh  Morgens  geht  nach  Caesar  der  Delphin  auf,  den  fol- 
genden Tag  die  Leier,  und  zu  derselben  Zeit  geht  in  Ae- 
gypten  der  Schütze  Abends  unter.  Den  8.  Januar,  wenn 
Abends  der  Delphin  untergeht,  ist  in  Italien  mehrere  Tage 
hindurch  starke  Kälte,  desgleichen,  wenn  die  Sonne  in  das 
Zeichen  des  Wassermanns  treten  will,  was  ungefähr  in 
der  Mitte  des  Januar  geschieht.  Am  25.  Januar  geht  nach 
Tubero  i)    der   sogenannte    königliche   Stern    in    der   Brust 

*)  Q.  Aelius  Tubero,  Freund  des  Laelius   und  h-üher  auch  des 
Ti.  Gracchus,  war  ein  Anhänger  der  stoischen  Philosophie,  auch  Jurist. 

•25* 


388  Achtzehntes  Buch. 

des  Löwen  unter,  und  den  vierten  Februar  Abends  die 
Leier.  In  den  letzten  Tagen  dieses  Zeitraums  muss  man, 
wenn  das  Klima  es  erlaubt,  die  Erde  zum  Setzen  der  Ro- 
sen und  Weinstöcke  mit  einem  Spaten  umgraben;  für  1 
Jugerum  reichen  60  Arbeiter  aus.  Auch  die  Gräben  müssen 
gereinigt  und  neue  gemacht  werden.  Morgens  vor  Tage 
schärfe  man  das  Eisenwerk,  mache  die  Handhaben  zurecht, 
bessere  die  zerbrochenen  Fässer  aus,  scheuere  die  Dauben 
ab  und  mache  neue. 

65. 

Vom  Wehen  des  ersten  Frühlings  wind  es  an  bis 
zum  Frühliugs-Aequinoctium  äussern  sich  um  die 
Mitte  des  Februar  nach  Caesar  drei  Tage  auf  verschiedene 
Weise.  Aehnlich  gehe  es  mit  dem  2L  Februar,  wo  man 
die  Schwalben  sieht,  mit  dem  folgenden  Tage  wo  der  Arc- 
tur  Abends  aufgeht,  und  mit  dem  4.  März  beim  Aufgange 
des  Krebses;  nach  den  meisten  Schriftstellern  aber,  beim 
Aufgange  des  Winzersterns,  mit  dem  achten  März  beim 
Aufgange  des  nördlichen  Fisches  und  mit  dem  folgenden 
Tage  beim  Aufgange  des  Orions.  In  Attika  bemerkt  man, 
dass  sich  um  diese  Zeit  der  Geyer  zeigt.  Caesar  hat  auch 
den  ihm  tödtlichen  15.  März  ^)  durch  den  Untergang  des 
Scorpions  bezeichnet;  ferner  zeigt  sich  nach  ihm  am  17. 
März  in  Italien  der  Geyer,  und  am  20.  früh  gehe  das  Pferd 
unter. 

Dieser  Zeitraum  setzt  die  Landleute  am  meisten  in 
Bewegung  und  ist  für  sie  der  mühsamste,  in  welchem  sie 
sich  vornehmlich  täuschen.  Denn  nicht  an  dem  Tage,  wo 
der  Favonius  wehen  soll,  sondern  wo  er  anfängt  zu  wehen, 
werden  sie  zur  Arbeit  gerufen.  Diesen  Tag  muss  man 
sehr  genau  beachten.  Gott  gab,  zufolge  einer  gewiss  un- 
trüglichen oder  unzweifelhaften  Beobachtung,  dem  Aufmerk- 
samen solche  Anzeige  in  jenem  Monate.  Woher  aber  die- 
ser Wind  wehet,  und  aus  welcher  Weltgegend  er  kommt, 
das  haben   wir   bereits   im  zweiten  Baude  ^)   gesagt,   und 


*)  Wo  er  ermordet  wurde.  44  J.  v.  Chr.    ^j  j^^  4(3.  Cap. 


Achtzehntes  Buch.  389 

bald  werden  wir  noch  mehr  davon  reden.  Inzwischen 
müssen  von  dem  Tage  an  (er  sei  nun  welcher  er  wolle), 
wo  er  zu  wehen  anfängt,  wenigstens  nicht  am  8.  Februar, 
sondern  entweder  früher,  im  Falle  der  Frühling  zeitig 
kommt,  oder  später,  wenn  der  Winter  lange  anhält;  unmit- 
telbar nach  diesem  Tage,  sage  ich,  müssen  d'ie  Landleute 
ununterbrochen  beschäftigt  sein,  und  zuerst  dasjenige  voll- 
bringen, was  nicht  aufgeschoben  werden  kann.  Die  drei- 
monatlichen Saaten  müssen  in  die  Erde,  die  Weinstücke 
auf  die  bereits  angegebene  Weise  beschnitten,  die  Oel- 
bäume  besorgt,  die  Obstbäume  gesetzt  und  gepfropft,  die 
Weinberge  umgehackt,  die  Schösslinge  zurecht  gesetzt,  an- 
dere wieder  erneuert,  Rohr,  Weiden,  Ginster  gesetzt  und 
behauen  werden.  Ulmen,  Pappeln  und  Platanen  setze  man 
auf  die  beschriebene  Weise.  Dann  muss  man  auch  die 
Saatfelder  reinigen,  und  das  Wintergetreide  behacken,  vor- 
züglich den  Dinkel,  und  zwar  dann,  wenn  er  4  Blätter  ge- 
trieben hat;  die  Bohne  nicht  eher,  bis  3  Blätter  da  sind; 
auch  dann  grabe  man  nicht,  sondern  behacke  sie  nur  sanft. 
Während  sie  blühet,  rühre  man  sie  15  Tage  lang  nicht 
an.  Die  Gerste  behacke  man  nur  bei  trocknem  Wetter. 
Das  Beschneiden  muss  bis  zum  Aequinoctium  vollbracht 
sein.  1  Jugerum  Weinland  beschneiden  und  binden  4  Ar- 
beiter; in  den  Wein-Baumgärten  reicht  für  15  Bäume  Einer 
hin.  In  derselben  Zeit  besorgt  man  auch  die  Gärten  uud 
Rosenhecken,  worüber  wir  noch  besonders  im  nächsten 
Buche  reden  werden;  ferner  die  Kunstgärten.  Alsdann 
macht  man  am  besten  die  Gruben.  Die  Erde  wird  für 
spätere  Zeit  zertheilt,  damit  sie  von  der  Sonne  durchdrungen 
werde  —  eine  Arbeit,  die  von  Virgil  vorzüglich  angerathen 
wird.  Gründlicher  ist  die  Ansicht,  nach  welcher  nur  ein 
mittelmässiger  Boden  in  der  Mitte  des  Frühlinges  gepflügt 
werden  soll,  denn  in  einem  fetten  nimmt  das  Unkraut  so- 
gleich die  Furchen  ein,  und  ein  magerer  wird  durch  die 
nachfolgende  Hitze  ausgetrocknet;  in  beiden  Fällen  aber 
dem  (später)  hineinkommenden  Samen  der  Saft  entzogen. 
Solciie  Aecker  pflügt  man  zweckmässiger  im  Herbste.     Cato 


390  Achtzehntes  Buch. 

setzt  die  Arbeitendes  Frühlings  folgendermaassen  fest:  Man 
mache  Pflanzgruben,  besorge  die  Baumschulen,  setze  an 
dichte  und  feuchte  Orte  Ulmen,  Feigen-,  Aepfel-  und  Oel- 
bäume,  düage  die  Wiesen  im  Neumonde,  wenn  sie  trocken 
liegen,  schütze  gegen  denFavonius,  reinige,  reisse  das  Unkraut 
mit  der  Wurzel  aus,  putze  die  Feigenbäume  ab,  lege  neue 
Pflanzschulen  an  und  verbessere  die  alten.  Alles  diess  ge- 
schehe, ehe  der  Weinstock  anfängt  zu  blühen.  Wenn  der 
Birnbaum  zu  blühen  beginnt,  pflüge  man  die  magern  und 
sandigen  Aecker, nachher  die  schweren  und  wasserreichsten. 
Die  Pflügezeit  hat  daher  folgende  Merkmale:  wenn  der 
Mastixbaum  die  erste  Frucht  treibt,  und  wenn  die  Birne 
blühet.  Noch  ein  dritter  Zeitpunkt  ist  der,  wenn  die  Meer- 
zwiebel gesetzt  wird,  desgleichen  die  Kranz-Narcisse,  denn 
auch  diese  blühet  dreimal.  Ihre  erste  Blüthezeit  zeigt  die 
erste  Zeit  des  Pflügens  an,  iure  mittlere  die  zweite  und 
ihre  dritte  die  letzte.  So  dient  Eins  dem  Andern  unter 
sich  zum  Merkmale.  Ganz  besonders  hüte  man  sich,  wäh- 
rend die  Bohnen  blühen,  den  Epheu  zu  berühren,  denn 
diese  Zeit  ist  ihm  schädlich  und  selbst  tödtlich.  Einige 
Gewächse,  z.  B.  die  Feigen  haben  auch  ihre  eigenen  Merkmale; 
wenn  nämlich  enige  Blätter  am  Gipfel  in  Form  eines  Essigfläsch- 
chens  ausschlagen,  dann  muss  man  sie  Yornehmlich  pflanzen. 

6Q. 
Die  Frühlings-Tag-  und  Nachtgleiche  scheint  am  24. 
März  beendigt  zu  sein.  Von  da  bis  zum  Frühaufgange 
des  Siebengestirns  kommt  nach  Caesar  der  erste  April. 
Am  3.  April  geht  in  Attika  das  Siebengestirn  Abends 
unter,  Tags  darauf  in  Böotien,  nach  Caesar  und  den  Chal- 
däern  aber  am  5.;  in  Aegypten  fangen  dann  der  Orion 
und  das  Schwert  an  sich  zu  verdunkeln.  Nach  Caesar 
deutet  der  8.  auf  Regen,  wenn  die  Wage  untergeht.  Am 
17.  Abends  geht  in  Aegypten  das  Gestirn  Suculae,  welches 
sich  äusserst  heftig  zeigt,  und  zu  Land  und  Wasser  stür- 
misch wirkt,  unter;  in  Attika  am  15.  nach  Caesar  den  16. 
und  nach  ihm  herrscht  er  3  Tage  hintereinander;  in  Assy- 
rien  aber  am    19.     Diess    Gestirn   nennt   man  gewöhnlich 


Achtzehntes  Buch.  391 

den  Geburtsstern,  weil  am  20.  April  der  Geburtstag  Rom's, 
und  die  Beobachtung,  dass  an  diesem  Tage  fast  immier 
schönes  Wetter  ist,  hat  ihn  so  berühmt  gemacht;  die  Grie- 
chen hingegen  nennen  diess  Gestirn  wegen  des  dadurch 
herbeigeführten  Regens  „Die  Hyaden".  Die  Römer  glaubten 
wegen  der  Aehnlichkeit  des  Namens  mit  vg  (Schwein),  die 
Griechen  hätten  ihm  davon  denselben  beigelegt,  und  nannten 
ihn  in  dieser  irrigen  Ansicht  Suculae  (von  sus).  Caesar 
giebt  den  23.  April  an.  Den  24.  April  gehen  in  Aegypten 
die  Böcke  auf.  Den  25.  Abends  geht  in  Böotien  und  Attika 
der  Hundsstern  unter.  Früh  Morgens  geht  die  Leier  auf. 
Am  26.  wird  in  Assyrien  der  Orion  am  28.  aber  der  Hunds- 
stern ganz  unsichtbar.  Den  2.  Mai  früh  Morgens  geht  nach 
Caesar  das  Gestirn  Suculae,  und  den  8.  die  regnichte  Ziege 
auf.  In  Aegypten  aber  wird  am  Abende  desselben  Tages 
der  Hundsstern  unsichtbar.  So  durchlaufen  denn  die  Ge- 
stirne bis  zum  10.  Mai,  der  Aufgangszeit  des  Siebengestirns, 
ihre  Bahn. 

Während  dieses  Zeitraums,  in  den  ersten  15  Tagen, 
muss  sich  der  Landmann  mit  denjenigen  Arbeiten,  welche 
er  vor  dem  Aequinoctium  nicht  vollenden  konnte,  beeilen; 
denn  bekanntlich  datirt  sich  daher  der  schimpfliche  Vor- 
wurf gegen  diejenigen,  welche  den  Weinstock  dann  be- 
schneiden, wenn  ein  gewisser  Zugvogel,  den  man  Kukuk 
nennt,  schreiet.  Man  hält  es  nämlich  für  schimpflich,  wenn 
nach  dem  Erscheinen  dieses  Vogels  eine  Sichel  am  Wein- 
stocke bemerkt  wird,  und  deshalb  ergötzt  man  sich  beim 
Beginn  des  Frühlings  mit  muthwilligen  Scherzen.  Dennoch 
scheinen  diese  Vögel  zu  Anspielen  verwerflich.  So  beruhet 
auch  das  Geringste  in  der  Landwirthschaft  auf  natürlichen 
Gründen.  Am  Schlüsse  jener  Zeit  aber  muss  Panicum  und 
Hirse  gesäet  werden.  Es  ist  zweckmässig,  diese  zu  säen, 
wenn  die  Gerste  reif  ist,  und  auf  ebendenselben  Acker, 
und,  eine  gemeinschaftliche  Anzeige ,  dass  diese  reif  ist 
und  jene  gesäet  werden  müssen,  geben  uns  die  des  Nachts 
auf  den  Feldern  leuchtenden  Johanniswürmchen,  welche  bei 
den  Bauern  fliegende  Sterne,  bei  den  Griechen  aber  Leuoht- 


392  Achtzehntes  Buch. 

fliegen  heissen.  In  diesen  Geschöpfen  hat  uns  die  Natur 
einen  neuen  Beweis  ihrer  überschwenglichen  Güte  gegeben. 

67. 

Das  Siebengestirn  hat  die  Natur  am  Himmel  schon 
durch  seine  grosse  Schaar  bemerkbar  gemacht,  doch,  damit 
nicht  zufrieden,  schuf  sie  noch  andere  irdische  Sterne, 
gleichsam  ausrufend:  Warum,  Landmann,  schauest  du  den 
Himmel  an?  Bauer,  warum  suchst  du  die  Sterne  auf?  Schon 
halten  dich  Ermüdeten  die  Nächte  in  kürzerm  Schlafe. 
Siehe,  ich  streue  unter  deine  Kräuter  besondere  Sterne, 
und  zeige  sie  dir  Abends,  wenn  du  von  der  Arbeit  gehst; 
und  damit  du  nicht  so  vorbeigehen  mögest,  errege  ich 
deine  Aufmerksamkeit  durch  eine  wunderbare  Erscheinung. 
Siehst  du  nicht,  dass  ein  feuerähnlicher  Glanz  durch  da^ 
Zusammendrücken  der  Flügel  bedeckt  wird,  und  auch  bei 
Nacht  Licht  in  sich  trägt?  Ich  habe  dir  Pflanzen  gegeben, 
welche  die  Stunden  anzeigen;  und  damit  du  nicht  einmal 
der  Sonne  wegen  deine  Augen  von  der  Erde  zu  wenden 
brauchst,  so  lasse  ich  das  Heliotropium  ^)  und  die  Wolfs- 
bohne mit  jener  sich  herumdrehen.  Warum  blickst  du 
nun  noch  in  die  Höhe  und  spähest  am  Himmel?  Siehe, 
vor  deinen  Füssen  ist  ja  das  Siebengestirn;  es  kommt  an 
bestimmten  Tagen  zum  Vorschein,  bleibt  im  Bündniss  mit 
jenem  am  Himmel,  gleichlange  sichtbar,  und  ist  unbezwei- 
felt  eine  Ausgeburt  desselben.  Wer  daher  vor  demselben 
die  Sommerfrüchte  säet,  betrügt  sich  selbst.  Auch  zu  die- 
ser Zeit  zeigt  die  hervorkommende  Biene  an,  dass  die 
Bohne  blühet,  denn  die  blühende  Bohne  lockt  jene  hervor. 
Ich  will  noch  eine  andere  Anzeige  des  Aufhörens  der  Kälte 
geben,  und  diess  ist  das  Ausschlagen  des  Maulbeerbaums. 

Nunmehro  ist  folgendes  zu  besorgen:  Man  lege  die 
Schnittlinge  der  Oelbäume,  putze  diese  selbst  aus,  bewässere 
in  den  ersten  Tagen  nach  dem  Aequinoctium  die  Wiesen, 
halte  das  Wasser  ab,  wenn  das  Gras  in  Halme  schiesst, 
ranke   die   Weiustöcke   ab,   und   zwar   letztere,   wenn   die 


')  Heliotropium  villos^nni  Dosf. 


Achtzehntes  Buch.  393. 

Ranken  4  Fioger  lang  geworden  sind.  Ein  Arbeiter  rankt 
1  Morgen  Weinland  ab.  Ferner  hacke  man  die  Saatfelder 
wieder  um,  was  20  Tage  hindurch  geschehen  kann;  nach 
dem  Aequinoctium  soll  es  dem  Weinpflanzungen  und  den 
Saaten  schädlich  sein.  Um  diese  Zeit  müssen  auch  die 
Schafe  gewaschen  werden. 

Nach  dem  Aufgange  des  Siebengestirns  tritt  nach 
Caesar  Tags  darauf  der  Friihuntergang  des  Avcturus  ein, 
am  13.  Mai  der  Aufgang  der  Leyer,  am  20.  Mai  die  Abends 
untergehende  Ziege,  und  in  Attika  der  Hundsstern.  Am 
21.  fängt  nach  Caesar  das  Schwert  des  Orions  an  unter- 
zugehen; am  3.  Juni  sieht  man  nach  Caesar  und  in  Assy- 
rien den  Adler  des  Abends;  am  6.  früh  geht  der  Arcturus 
auf,  in  Italien  am  8.,  am  10.  Abends  der  Delphin,  am  15. 
das  Schwert  des  Orion,  in  Aegypteu  jedoch  4  Tage  später. 
Am  20.  desselben  Monats  fängt  nach  Caesar  das  Schwert 
des  Orions  an  unterzugehen.  Am  23.  Junlus  aber  tritt  mit 
dem  längsten  Tage  und  der  kürzesten  Nacht  die  Sonnen- 
wende ein. 

In  diesem  Zeiträume  werden  die  Weinstöcke  abge- 
blattet, ein  alter  Weinberg  einmal,  ein  neuer  zvYeimal  um- 
gegraben, die  Schafe  geschoren,  die  Wolfsbohneu  behufs 
der  Düngung  umgegraben,  die  Erde  gebrochen,  die  Wicke 
zur  Fütterung  gemähet,  die  Bohne  geschnitten  und  ge- 
droschen. 

Die  Wiesen  werden  zu  Anfang  des  Junius  gemähet. 
Von  ihnen,  deren  Besorgung  dem  Landmann  am  wenigsten 
Mühe  verursacht,  müssen  wir  folgendes  sagen.  Solche, 
welche  ein  fruchtbares,  feuchtes  oder  gewässertes  Erdreich 
haben,  überlasse  man  sich  selbst,  aber  die  an  öffentlichen 
Wegen  liegenden  benetze  man  mit  Regenwasser.  Es  ist 
zugleich  für  das  Gras  von  grossem  Nutzen,  wenn  man 
pflügt  und  dann  egget,  oder  den  Samen  von  den  Heuböden 
und  den,  welcher  vom  Heu  aus  den  Krippen  gefallen  i^t, 
säet,  bevor  man  egget.  Man  darf  dann  aber  im  ersten 
Jahre  nicht  bewässern,  und  vor  der  zweiten  Heuerndte  kein 
Vieh   darauf   treiben,    damit    die  Halme   nicht   ausgerissen 


394  Achtzehntes  Buch, 

und  niedergetreten  werden.  Mit  der  Zeit  nehmen  die  Wie- 
sen ab,  und  müssen  daher  durch  Aussäen  von  Bohnen, 
ßtiben  oder  Hirsen  verbessert  werden.  Im  folgenden  Jahre 
säet  man  Getreide  darauf,  und  tiberlässt  sie  alsdann  wie- 
derum sich  selbst.  Ausserdem  muss  jedesmal  nachgemähet, 
d,  h.  was  die  Mäher  stehen  gelassen  haben,  geschnitten 
werden,  denn  es  ist  sehr  nützlich,  wenn  ein  Theil  Gras  zu 
Samen  auswächst.  Das  beste  Kraut  auf  den  Wiesen  ist 
der  Klee,  dann  folgt  das  Gras,  und  am  schlechtesten  ist 
der  Mimmulus,  dessen  Schoten  sehr  schädlich  sind.  Auch 
den  Pferdeschwanz  i),  der  von  der  Aehnlichkeit  mit  einem 
Pferdeschweif  seinen  Namen  hat,  sieht  man  ungern.  Wenn 
die  Aehren  anfangen  abzublühen  und  steif  zu  werden,  ohne 
schon  einzutrocknen,  muss  man  mähen.  Cato  sagt:  mähe 
das  Gras  nicht  spät,  sondern  bevor  der  Same  reif  ist.  Ei- 
nige netzen  die  Wiesen  den  Tag  zuvor,  wenn  sie  Wasser- 
gräben haben.  Es  ist  besser,  in  thaureichen  Nächten  zu 
mähen.  In  mehreren  Gegenden  von  Italien  mähet  man 
nach  der  Erndte. 

Auch  diese  Arbeit  machte  den  Alten  mehr  Unkosten, 
denn  damals  kannte  man  nur  cretische  und  andere  über- 
seeische Wetzsteine,  und  schärfte  die  Sichel  bloss  mit  Oel, 
daher  auch  die  Mäher  ein  am  Beine  befestigtes  Hörn  zum 
Aufbewahren  des  Oeles  trugen.  Jetzt  liefert  Italien  die 
Wasser  Wetzsteine,  welche,  gleich  einer  Feile,  das  Eisen 
schärfen,  aber  leicht  grün  werden.  Es  giebt  zweierlei 
Sicheln;  die  italienische  ist  kürzer,  und  kann  auch  zwischen 
Dornhecken  gebraucht  werden.  Auf  den  grossen  Gütern 
in  Gallien  verfährt  man  weit  kürzer,  denn  dort  mähet  man 
die  Halme  mitten  ab,  und  lässt  die  kürzern  stehen.  Der 
italienische  Mäher  schneidet  bloss  mit  der  rechten  Hand. 
Ein  Arbeiter  muss  in  einem  Tage  1  Morgen  abmähen,  und 
1200  Bunde,  jedes  zu  4  Pfund,  binden.  Das  gemähete 
Gras  muss  an  der  Sonne  ausgebreitet  und  erst  nach  dem 
Trocknen  aufgerichtet  werden;   versäumt  man   diese  Vor- 


*)  Equisetum,  entweder  unser  Equisetum  oder  Hippuras. 


Achtzehntes  Buch.  395 

sieht,  so  kann  man  sicher  sein,  dass  die  Schober  des  Mor- 
gens Nebel  ausstossen,  dann  durch  die  Sonne  entzündet 
werden  und  verbrennen,  i)  Abgemähete  Wiesen  müssen 
wiederum  bewässert  werden,  damit  das  Herbstbeu,  welches 
Grummet  heisst,  geschnitten  werden  kann.  Zu  Interamna 
in  Umbrien  mähet  man  selbst  die  nicht  gewässerten  Wiesen 
viermal  jährlich,  an  den  meisten  Orten  aber  dreimal,  und 
nachher  ist  die  Weide  noch  ebenso  vortheilhaft  als  das 
Heu.  Hierbei  wird  die  Sorge  für  die  Heerden,  und  die 
Rindviehzucht,  am  meisten  aber  der  von  den  Pferden  zu 
ziehende  Nutzen  einem  Jeden  den  besten  Rath  an  die  Hand 
geben. 

68. 
Wir  haben  bereits  gesagt,  dass  die  Sommer-Sonnen- 
wende im  achten  Grade  des  Krebses  und  am  24.  Junius 
eintritt.  Diess  ist  der  grosse  Wechsel  des  Jahres,  die 
grosse  Begebenheit  im  Laufe  der  Welt.  Bis  zu  dieser 
Zeit  haben  vom  kürzesten  Tage  an,  die  Tage  6  Monate 
lang  immer  zugenommen.  Die  Sonne  selbst,  welche  .bis 
zum  Adler  (nach  Osten)  hinaufstieg  und  hoch  empor  ge- 
langte, beginnt  von  da  an  sich  zu  wenden  und  gegen  Süden 
abzuweichen,  um  die  6  folgenden  Monate  hindurch  die 
Nächte  zu  verlängern,  und  das  Maass  der  Tage  zu  verkür- 
zen. Nun  folgt  die  Zeit,  wo  bald  diese  bald  jene  Frucht 
abgenommen  und  eingefahren  wird,  wo  man  gegen  den 
rauhen  Winter  schützende  Maassregeln  trifft,  und  es  war 
billig,  dass  uns  die  Natur  auf  diesen  Wechsel  durch  sichere 
Zeichen  aufmerksam  machte.  Diese  Zeichen  legte  sie  da- 
her sogar  dem  Landmann  in  die  Hände,  indem  sie  an  jenem 
Tage  die  Blätter  umkehrte  und  hiermit  den  vollendeten 
Lauf  des  Gestirnes  anzeigte.  Jedoch  sind  es  nicht  bloss 
die  wilden  und  entfernten  Bäume,  damit  man  die  erwähnten 
Erscheinungen  nicht  in  entlegenen  Gebirgen  zu  suchen 
braucht,  auch  nicht  die  in  Lustgärten  gezogenen,  obgleich 
sie  auch  an  diesen  wahrgenommen  werden;  sondern  aucli 


*)  Das  feuchte  Heu  erhitzt  sich  bis  zur  Selbstentzündung. 


396  Achtzehntes  Buch. 

der  Oelbaum,  welcher  dicht  vor  unsere  Fiisse  gepflanzt  wird, 
auch  die  Linde,  die  zu  tausend  Zwecken  dient,  auch  die 
weisse  Pappel  die  vom  Weinstocke  umschlungen  ist,  drehet 
das  Laub.  Aber,  spricht  die  Natur,  diess  ist  noch  zu 
wenig,  du  hast  die  mit  dem  Weinstocke  umrankte  Ulme, 
auch  ihre  Blätter  will  ich  umwenden;  ihre  Blätter  streifst 
du  zum  Futter  ab,  und  den  Weinstock  beschneidest  du. 
Siehe  sie  an,  und  du  kennst  den  Lauf  des  Gestirns.  Ihre 
Blätter  sind  jetzt  mit  der  andern  Fläche  gegen  den  Himmel 
gerichtet,  als  am  Tage  zuvor.  Mit  der  Weide,  dem  nie- 
drigsten Baume,  den  du  selbst  um  einen  Kopf  hoch  an 
Länge  übertriffst,  bindest  du  alles  fest;  auch  ihre  Blätter 
will  ich  umkehren.  Worüber  klagst  du  nun  noch,  Land- 
mann? Es  liegt  nicht  an  mir,  wenn  du  vom  Himmel  und 
den  himmlischen  Zeichen  nichts  weisst.  Auch  deinen  Oh- 
ren will  ich  ein  Zeichen  geben.  Du  wirst  um  jene  Zeit 
gewöhnlich  die  Tauben  girren  hören.  Glaube  nicht,  dass 
die  Sonnenwende  vorüber  sei,  ehe  du  die  Ringeltaube  hast 
brüten  sehen. 

Von  der  Sonnenwende  an  bis  zum  Untergange  der 
Leier,  am  25.  Juni  geht  nach  Caesar  der  Orion  auf,  sein 
Gürtel  aber  am  4.  Juli  in  Assyrien;  in  Aegypten  früh 
Morgens  der  heisse  Procyon  auf,  ein  Gestirn,  welches  bei 
den  Römern  keinen  Namen  hat,  wenn  man  nicht  darunter 
die  Canicula,  d.  h.  den  kleinen  Hund,  wie  er  unter  den 
Sternbildern  abgebildet  wird,  verstehen  will.  Dieser  Stern 
bat  einen  gewaltigen  Einfluss,  wie  wir  bald  nachher  zeigen 
werden.  Den  5.  Julius  geht  bei  den  Chaldäern  früh  Mor- 
gens die  Krone  unter,  in  Attika  wird  an  demselben  Tage 
der  ganze  Orion  sichtbar.  Den  14.  Juli  fängt  bei  den  Ae- 
gyptern  der  Orion  an  zu  verschwinden;  den  16.  geht  in 
Assyrien  der  Procyon  auf.  Den  Tag  darauf  zeigt  sich  das 
vor  allem  bekannte  Gestirn,  welches  wir  den  Hundsaufgang 
nennen,  wenn  die  Sonne  in  den  ersten  Grad  des  Löwen 
getreten  ist,  nämlich  am  23.  Tage  nach  der  Sonnenwende. 
Sein  Einfluss  erstreckt  sich  auf  Meer  und  Land,  ja  selbst 
auf  viele  wilde  Thiere,  wie  bereits  angegeben   wurde.     Es 


Achtzehntes  Buch.  3i)7 

wird  auch  nicht  minder  verehrt,  als  diejenigen  Sterne, 
welche  den  Göttern  zugetheilt  sind,  erhitzt  die  Sonne,  und 
hat  bedeutenden  Antheil  an  der  grossen  Hitze.  Am  19. 
Juli  früh  geht  in  Aegypten  der  Adler  unter,  und  nun  kom- 
men die  Vorläufer  der  Passatwinde,  die,  nach  Caesars  An- 
sieht, am  22.  in  ganz  Italien  herrschen.  Der  Adler  geht 
in  Attika  früh  Morgens  unter.  Am  29.  wird  nach  Caesar 
der  königliche  Stern  auf  der  Brust  des  Löwen  unsichtbar. 
Am  6.  August  geht  der  mittlere  Arcturus  unter;  am  11. 
beginnt,  wie  Ebenderselbe  bemerkt,  mit  dem  Untergange 
der  Leier  der  Herbst;  jedoch  der  wahren  Berechnung  zu- 
folge, am  8.  desselben  Monats. 

In  diesem  Zeiträume  wird  die  wichtigste  Arbeit  an 
den  Weinstöcken  verrichtet,  denn  jenes  sogenannte  Hunds- 
gestirn bestimmt  das  Schicksal  der  Trauben.  Daher  sagt 
mau,  sie  haben  Brandbeulen,  wenn  gewisse  Stellen  wie 
mir  glühenden  Kohlen  ausgebrannt  sind.  Mit  diesem  Uebel 
ist  weder  Hagel,  noch  Sturmwind  zu  vergleichen,  welche 
niemals  zur  Theuerung  beigetragen  haben.  Letztere  sind 
nämlich  Unfälle,  die  dem  Acker  begegnen;  die  Brandbeulen 
aber  erstrecken  sich  über  ausgedehnte  Landstriche,  wären 
indessen  leicht  zu  beseitigen,  wenn  die  Menschen  nur  nicht 
lieber  die  Natur  lästern,  als  sich  selbst  Nutzen  schaffen 
wollten.  Democritus,  welcher  zuerst  den  Zusammenhang 
zwischen  Himmel  und  Erde  einsah  und  zeigte,  während 
die  reichsten  Leute  diese  Sorgfalt  verachteten,  soll,  als  er 
aus  dem  künftigen  Aufgange  des  Siebengestirns  eine  Theue- 
rung des  Oeles  voraussah,  (sowie  wir  es  bereits  angegeben 
haben  und  noch  ausführlicher  zeigen  werden)  bei  dem  we- 
gen der  Hoffnung  auf  eine  reiche  Olivenerndte  damals  nie- 
drigen Preise  alles  Oel  in  der  ganzen  Gegend  aufgekauft 
haben;  worüber  sich  Die  wunderten,  welche  wussten,  dass 
er  arm  sei  und  ihm  in  seinen  wissenschaftlichen  Studien 
Ruhe  am  Herzen  liege.  Nachdem  aber  die  Ursache  davon 
und  der  ungeheuere  Anwuchs  seines  Vermögens  bekannt 
geworden  war,  soll  er  den  in  Angst  und  Reue  versetzten 
Herren   ihr  Geld   wiedergegeben,   und   sich   damit  begnügt 


398  Acliizeüiiteri  Uucu. 

haben,  dass  er  den  Beweis  abgelegt,  es  sei  ihm,  wenn  er 
wolle,  leicht  reich  zu  werden.  Dasselbe  that  später  Sex- 
tius,  einer  von  den  römischen  Anhängern  der  Weltweisheit 
in  Athen.  So  glänzende  Gelegenheit  haben  die  Wissen- 
schaften, sich  geltend  zu  machen,  und  ich  will  suchen,  sie 
so  klar  und  verständlich  wie  möglich  in  die  landwirthschaft- 
lichen  Arbeiten  einzuflechten.  Die  Meisten  behaupten,  der 
durch  starke  Sonnenhitze  gebrannte  Thau  sei  die  Ursache 
des  Rests  am  Getreide  und  der  Brandbeulen  am  Weinstocke; 
doch  diess  halte  ich  zum  Theil  für  unrichtig,  glaube  viel- 
mehr, dass  aller  Brand  von  der  Kälte  allein  herrührt,  und 
die  Sonne  keinen  Einfluss  in  dieser  Beziehung  ausübt. 
Aufmerksamen  wird  diess  leicht  augenscheinlich  werden, 
denn  vor  Allem  werden  sie  wahrnehmen,  dass  es  nur  des 
Nachts  und  bevor  der  Tag  heiss  wird,  geschieht.  Alles 
aber  kommt  auf  den  Stand  des  Mondes  an,  denn  jenes 
Uebel  erscheint  nur  im  Neumonde  oder  im  Vollmonde  d. 
h.  wenn  er  das  Uebergewicht  bat,  in  beiden  Fällen  näm- 
lich ist  er,  wie  schon  oft  gesagt  wurde,  voll^  im  Neumonde 
aber  führt  er  alles  von  der  Sonne  empfangene  Licht  dem 
Himmel  wieder  zu.  Beide  Stellungen  bieten  einen  ebenso 
grossen  als  offenkundigen  Unterschied  dar,  denn  zur  Zeit 
des  Neumondes  ist  es  im  Sommer  am  wärmsten,  im  Winter 
am  kältesten.  Im  Gegentheil  haben  wir  während  des  Voll- 
mondes im  Sommer  kalte,  im  Winter  laue  Nächte.  Die 
Ursache  davon  liegt  klar,  aber  von  Fabianus  i)  und  den 
griechischen  Schriftstellern  wird  eine  andere  angegeben.  Im 
Sommer  nämlich  muss  es  während  des  Neumondes  wärmer 
sein,  weil  der  Mond  mit  der  Sonne  in  einem  uns  sehr  nahen 
Kreise  läuft,  und  von  dem  so  nahe  empfangenen  Feuer 
glühet;  im  Winter  aber  muss  er  im  Neumonde  entfernt 
sein,  weil  auch  die  Sonne  von  uns  abgeht.  Ebenso  muss 
er  im  Vollmonde  des  Sommers,  der  Sonne  entgegen,  fern 
sein,   im  Winter    aber    durch   den   Sommerzirkel  näher   /u 


*)  Ein  nicht  näher  bekannter  Schriftsteller. 


Achtzehntes  Buch.  399 

uns  gelangen.  Da  er  nun  an  sich  schon  bei  niederer  Tem- 
peratur den  Thau  befördert,  so  lässt  sich  daraus  abnehmen^ 
wie  sehr  er  dann  fallenden  Reif  erkältet. 

69. 

Vor  allem  aber  muss  man  sich  erinnern,  dass  es  zwei 
Arten  der  durch  den  Einfluss  des  Himmels  erzeugten  Un- 
fälle giebt.  Eine  nennen  wir  Ungewitter,  und  verstehen 
darunter  Hagel,  Sturm  und  dergleichen,  und  wenn  diese 
kommen,  bezeichnen  wir  sie  als  die  grössere  Kraft;  sie 
gehen,  wie  wir  schon  öfters  gesagt  haben,  von  rauhen  Ge- 
stirnen, wie  dem  Aicturus,  Orion  und  den  Böcken  aus. 
Die  andern  Unfälle  entstehen  bei  ruhiger  Luft  in  heitern 
Nächten,  und  werden  nicht  eher  wahrgenommen,  bis  sie 
geschehen  sind.  Sie  sind  allgemein  und  sehr  verschieden 
von  den  erstem,  heissen  bei  Einigen  Rost,  bei  Andern 
Brand,  bei  Andern  Karbunkel,  bei  Allen  aber  Unfrucht- 
barkeit. Von  dieser  zweiten  Art,  welche  vor  mir  noch 
kein  Schriftsteller  behandelt  hat,  wollen  wir  nunmehr  re- 
den, vorher  jedoch  die  Ursachen  ihrer  Entstehung  angeben. 

Ausser  dem  Einflüsse  des  Mondes  sind  noch  2  Ursachen 
vorhanden,  und  diese  bestehen  nur  an  wenigen  Stellen  des 
Himmels.  Das  Siebengestirn  nämlich  wirkt  ausschliesslich 
auf  die  Feldfrüchte,  denn  bei  seinem  Aufgange  beginnt  der 
Sommer,  bei  seinem  Untergange  der  Winter,  und  es  umfasst 
in  diesem  halbjährigen  Zeiträume  die  Erndte,  die  Weinlese 
und  das  Reifwerden  aller  Früchte.  Ferner  befindet  sich 
am  Himmel  die  sogenannte  Milchstrasse,  welche  schon  mit 
blossem  Auge  leicht  zu  sehen  ist.  Durch  ihren  Ausfluss 
werden,  wie  aus  einer  Brust,  alle  Saaten  genährt,  wozu 
noch  2  Gestirne  in  Betracht  kommen,  der  Adler  in  der 
nördlichen  und  der  Hundsstern  in  der  südlichen  Region, 
dessen  wir  bereits  an  seinem  Orte  erwähnt  haben. 
Sie  selbst  geht  durch  den  Schützen  und  die  Zwillinge, 
und  schneidet  im  Mittelpunkte  der  Sonne  zweimal 
den  Aequinoctialzirkel,  dessen  Fugen  an  der  einen 
Seite  der  Adler,  an  der  andern  der  Hundsstern  einnimmt. 
Desshalb    also    erstreckt    sich   beider   Wirkung    auf   alle 


400  Achtzehntes  Buch. 

fruchttragenden  Länder,  weil  bloss  an  diesen  Orten  die 
Mittelpunkte  der  Sonne  und  Erde  zusammentreffen.  Daher 
wachsen  an  den  Tagen  dieser  Gestirne,  wenn  eine  reine 
und  milde  Luft  jenen  schaffenden  Milchsaft  zur  Erde  sen- 
det, die  Saaten  fröhlich  empor.  Wenn  aber  der  Mond  auf 
die  schon  angegebene  Weise  seine  thauige  Kälte  darunter 
mischt,  so  tödtet  die  hinzugekommene  Bitterkeit,  wie  bei 
der  Milch,  die  Frucht.  Das  Maass  dieses  Unfalls  in  den 
Ländern,  welches  er  bei  jeder  Krümmung  macht,  ist  von 
beiden  Ursachen  begleitet;  daher  nimmt  man  ihn  nicht  zu- 
gleich auf  der  ganzen  Erde,  auch  nicht  am  Tage  wahr. 
Wir  haben  gesagt,  dass  der  Adler  in  Italien  am  19.  De- 
cember  aufgeht,  und  die  Natur  leidet  nicht,  dass  man  vor 
diesem  Tage  sichere  Hoffnung  auf  die  Saaten  baue.  Wenn  aber 
Neumond  eintritt,  müssen  alle  Winter-  und  Frühsaaten  leiden. 
Das  Leben  der  Alten  war  rauh  und  unwissenschaft- 
lich; dass  aber  ihre  Beobachtungen  nicht  minder  scharf- 
sinnig waren,  als  jetzt  die  Gründe,  wird  sogleich  erhellen. 
Sie  fürchteten  nämlich  für  ihre  Früchte  3  Zeiten,  um  deret- 
willen  sie  auch  Feiertage  und  Feste  anordneten:  das  Korn- 
brandfest, das  Blüthenfest  und  das  Weinfest.  Das  Korn- 
brandfest stiftete  Numa  im  11.  Jahre  seiner  Regierung; 
jetzt  wird  es  am  24.  April  gefeiert,  weil  etwa  um  diese 
Zeit  die  Saaten  vom  Brande  befallen  werden.  Eben  diesen 
Zeitpunkt  setzt  Varro,  wie  es  damals  die  Rechnung  mit 
sich  brachte,  in  die  Periode,  wo  die  Sonne  im  10.  Grade 
des  Stiers  steht.  Die  wahre  Ursache  ist  aber,  dass  19 
Tage  nach  dem  Frühlings-Aequinoctium,  jene  4  Tage  hin- 
durch, nach  verschiedener  Völker  Meinung  am  27.  April, 
der  an  und  für  sich  heftige  Hundsstern,  vor  welchem  noch 
der  kleine  Hund  untergehen  niuss,  verschwindet.  Unsere 
Vorfahren  setzten  auch  auf  den  27.  April  nach  dem  Aus- 
spruche der  Sibylla  im  516.  Jahre  der  Stadt,  das  Blüthen- 
fest ein,  damit  alles  besser  abblühete.  Varro  verlegt  diesen 
Tag  in  die  Zeit,  wo  die  Sonne  im  4.  Grade  des  Stiers 
steht.  Wenn  also  in  diese  4  Tage  der  Vollmond  fällt,  so 
muss  alles,  was  blühet,  leiden.     Das  erste  Weinfest,  wel- 


Achtzehntes  Buch.  401 

ches  vor  diese  Tage  auf  den  22.  April  zum  Behuf  des 
Weinkostens  eingesetzt  ist,  hat  mit  den  Früchten  nichts 
gemein;  ebensowenig  die  bisher  angeführten  Feste  mit  den 
Weinstöcken  und  Oelbäumen,  weil  deren  Fruchtansatz  mit 
■dem  Aufgange  des  Siebengestirns  am  10.  Mai,  wie  schon 
gesagt,  beginnt.  Diess  ist  ein  anderer  Zeitraum  vou  4 
Tagen,  in  dem  selbst  die  Benetzung  mit  Thau  schadet, 
denn  jene  Gewächse  fürchten  den  Tags  darauf  untergehen- 
den kalten  Arcturus;  noch  mehr  Nachtheil  aber  bringt 
ihnen  der  Vollmond. 

Am  1,  Juuius  geht  Abends  der  Adler  wieder  auf,  und 
diess  ist  ein  entscheidender  Tag  für  die  blühenden  Oel- 
bäume  und  Weinstöcke,  wenn  gerade  Vollmond  eintritt. 
Ich  möchte  die  Sonnenwende  am  23.  Juni  aus  demselben 
Grunde  anführen,  sowie  den  23  Tage  darauf  erfolgenden 
Aufgang  des  Hundssterns,  doch  nur  beim  Vollmonde,  weil 
in  seinem  Dunste  die  Schuld  liegt,  dass  die  Beeren  hart 
werden.  Wiederum  nachtheilig  ist  der  Vollmond  am  4. 
Juli,  wenn  in  Aegypten  der  kleine  Hund  aufgeht,  oder  we- 
nigstens am  16.  Juli,  wenn  er  in  Italien  sichtbar  wird;  des- 
gleichen am  19.  Juli,  wenn  der  Adler  untergeht^  bis  zum 
22.  desselben  Monats.  Ausserdem  giebt  es  noch  ein  zwei- 
tes Weinfest  am  19.  August.  Varro  setzt  es  in  die  Zeit, 
wo  die  Leier  anfängt,  früh  Morgens  unterzugehen,  nimmt 
auch  damit  zugleich  den  Beginn  des  Herbstes  an,  und 
sagt,  dieser  Festtag  sei  zur  Milderung  der  üngewitter  ein- 
geführt. Jetzt  beobachtet  man  den  Untergang  der  Leier 
am  8.  August. 

In  diese  Periode  fällt  die  Unfruchtbarkeit,  welche  vom 
Einflüsse  des  Himmels  herrührt;  doch  will  ich  nicht  in  Ab- 
rede stellen,  dass  sie  sich  nach  dem  Gutachten  der  Leser, 
wenn  sie  die  Beschaffenheit  der  Länder  erwägen,  ändere. 
Indessen  genügt  es,  die  Ursachen  angegeben  zu  haben; 
das  Uebrige  richtet  sich  nach  eines  Jeden  Beobachtung. 
Dass  aber  eins  von  beiden,  entweder  der  Vollmond  oder 
der  Neumond,  die  Ursache  sei,  leidet  keinen  Zweifel. 
Hierbei  kann  man  nicht  umhin,   die  Güte  der  Vorsehung 

Wittstein:  Plimus.     III.  Bd.  26 


402  Achtzehntes  Buch. 

ZU  bewundern;  denn  erstens  kann  dieser  Unfall  sich  wegem 
des  bestimmten  Laufes  der  Gestirne  nicht  alle  Jahre,  fer- 
ner nur  in  wenig  Nächten  ereignen,  und  man  kann  es 
leicht  vorher  wissen,  wann  er  komipt.  Und  damit  man 
nicht  alle  Monate  in  Furcht  zu  sein  braucht,  besteht  die 
gesetzmässige  Eintheilung,  dass  im  Sommer  die  Neumonde, 
im  Winter  die  Vollmonde,  mit  Ausnahme  von  2  Tagen,, 
sicher  sind;  auch  ist  die  Furcht  nur  in  den  kürzesten 
Sommernächten  gegründet,  am  Tage  dagegen  überflüssig. 
Noch  ist  hierzu  zu  merken,  dass  die  Ameise,  ein  ausser- 
ordentlich kleines  Thier,  bei  Neumonde  ruhet,  bei  Voll- 
monde aber  selbst  des  Nachts  arbeitet.  Der  Vogel  Parra^)  lässt 
sich,  wenn  der  Hundstern  aufgeht,  am  Tage  nicht  sehen, 
so  lange  bis  jener  untergeht;  hingegen  kommt  der  Vireo  2) 
am  Tage  der  Sonnenwende  zum  Vorschein.  Keiner  von 
beiden  Mondständen  aber  ist  schädlich,  selbst  nicht  bei 
Nacht,  wenn  diese  nicht  heiter  sind  und  keine  Luft  geht, 
weil  weder  bei  bewölktem  Himmel  noch  beim  Winde  Thau 
fällt.  Auch  stehen  uns  noch  einige  Hülfsmittel  dagegen 
zu  Gebote. 

70. 
Wenn  du  dergleichen  besorgest,  so  zünde  Reiser,  Hau- 
fen von  Spreu,  ausgerissenes  Gras  und  Strauchwerk  in  den 
Weinbergen  und  Feldern  an;  der  Rauch  davon  hilft.  Der 
Spreurauch  erweist  sich  auch  da  nützlich  gegen  Nebel,  wo 
diese  schaden.  Einige  rathen,  3  lebendige  Krebse  in  den 
Baum- Weingärten  zu  verbrennen,  um  die  Karbunkeln  un- 
schädlich zu  machen;  Andere,  Fleisch  vom  Welse  da,  wo 
der  Wind  herkommt,  langsam  zu  rösten,  damit  der  Rauch 
durch  die  ganze  Pflanzung  verbreitet  werde.  Varro  sagt 
wenn  beim  Untergange  der  Leier,  d.  i.  zu  Anfang  des 
Herbstes,  eine  gemalte  Taube  zwischen  den  Weinstöcken 
geweihet  werde,  so  sei  das  Ungewitter  weniger  schädlich. 
Archibius  ^)   schrieb  an  den  König  Antiochus   von  Syrien,, 


')  Der  Grünspecht  oder  Kiebitz.    ^)  Grünfinke. 
3)  Griechischer  Grammatiker  um  80  v.  Chr. 


Achtzehntes  Buch.  403 

das  Ungewitter  thäte  keinen  Schaden,  wenn  ein  Laubfrosch 
in  einem  neuen  irdenen  Geschirre  mitten  im  Felde  ein- 
gescharrt würde. 

71. 

Die  Landarbeiten  nach  der  Sommer-Sonnen- 
wende sind:  aufackern  der  Erde,  pflügen,  umgraben  der 
Bäume,  und,  in  heissen  Regionen,  behäufeln.  Alles  was 
treibt  muss  man  nicht  umgraben,  es  sei  denn  in  einem 
üppigen  Boden.  Die  Baumschulen  reinige  man  mit  der 
Hacke.  Ferner  erndte  man  die  Gerste  ein.  Nach  Cato 
soll  man  die  Dreschtenne  mit  Greta,  welche  mit  Oelsatz 
durchknetet  ist,  belegen;  Virgil  hält  diess  jedoch  für  zu 
mühsam.  Die  Meisten  ebnen  sie  bloss,  und  bestreichen 
sie  mit  magerm  Kuhmist,  was  zur  Verhütung  des  Staubens 
hinreichend  erscheint. 

72. 

Die  Erndte  selbst  geschieht  auf  mehrfache  Weise. 
Auf  den  grossen  Gütern  in  Gallien,  werden  grosse,  am 
Rande  mit  scharfen  Zähnen  versehene  Wannen  i)  auf  2 
Rädern  von  ein  Paar  hinten  angespannten  Ochsen  durch 
das  Getreidefeld  getrieben,  wobei  die  abgerissenen  Aehren 
in  die  Wanne  fallen.  An  andern  Orten  schneidet  man  die 
Halme  in  der  Mitte  mit  der  Sichel,  und  streift  die  Aehren 
zwischen  zwei  Gabeln  2)  ab.  Wiederum  anderswo  reisst 
man  die  Halme  an  der  Wurzel  ab,  und  nennt  diess:  den 
Acker  an  seiner  Oberfläche  brechen,  wobei  man  aber  den 
Saft  auszieht.  Wo  die  Häuser  mit  Stroh  gedeckt  werden, 
lässt  man  dasselbe  so  lang  als  möglich;  wo  Mangel  an 
Heu  ist,  verwendet  man  Spreu  zum  Streuen.  Mit  Panicum- 
stroh  deckt  man  nicht;  Hirsestroh  wird  in  der  Regel  ver- 
brannt. Gerstenstroh  ist  das  beste  Futter  für's  Rindvieh 
und  wird  zu  diesem  Zwecke  aufbewahrt.  In  Gallien  sam- 
melt man  Panicum  und  Hirse  besonders  mit  einer  Hand- 
hechel. 

Das  eingebrachte  Getreide  wird  auf  der  Tenne  an  eini- 
gen Orten  mit  Dreschwalzen  3),  an  andern  durch  Stutenhufe 

*)  valli.    ^)  mergites.    ^)  tribula. 

26* 


404  Achtzehntes  Buch. 

an  andern  mit  Flegeln  ausgehülst.  Je  später  der  Weizen 
geschnitten  wird,  um  so  voller  findet  man  ihn;  je  früher 
aber,  um  so  schöner  und  kräftiger  fällt  er  aus.  Die  passend- 
ste Zeit  ist,  bevor  das  Korn  hart  wird  und  wenn  es  sich 
schon  gefärbt  hat.  Ein  weiser  Ausspruch  aber  ist:  erndte 
lieber  2  Tage  zu  früh  als  2  Tage  zu  spät.  Der  Siligo  und 
gewöhnliche  Weizen  haben  selbst  ihre  eigne  Behandlungs- 
weise  auf  der  Tenne  und  im  Speicher.  Der  Dinkel  muss, 
weil  er  schwer  auszudrescheu  ist^  sammt  der  Spreu  auf- 
gehäuft werden,  und  wird  bloss  von  den  Halmen  und 
Acheln  befreiet. 

Die  meisten  Völker  bedienen  sich  der  Spreu  statt  des 
Heues.  Am  besten  ist  die  dünne,  kleine  und  dem  Staube 
sich  nähernde;  daher  wird  sie  von  der  Hirse  am  vorzüg- 
lichsten geliefert,  dann  folgt  die  der  Gerste  und  am  schlech- 
testen ist  die  des  Weizens,  ausgenommen  für  das  arbeitende 
Zugvieh.  Die  Halme  auf  steinigem  Boden  bricht  mau, 
wenn  sie  trocken  sind,  mit  einem  Stabe,  und  streuet  sie 
dem  Viehe  unter.  Wenn  es  an  Spreu  fehlt,  werden  auch 
die  Halme  zerrieben;  man  schneidet  sie  nämlich  etwas 
früh,  besprengt  sie  längere  Zeit  hindurch  mit  Salzwasser, 
trocknet  sie  hierauf,  wickelt  sie  in  Bündel  und  giebt  sie 
so  dem  Rindvieh  statt  des  Heues.  Einige  verbrennen  das 
Stroh  auf  dem  Felde,  was  Virgil  sehr  lobt;  der  Haupt- 
nutzen dabei  ist  aber,  dass  die  Samen  des  Unkrauts  zer- 
stört werden.  Die  verschiedenen  Gebräuche  haben  ihren 
Grund  in  der  Menge  des  Getreides  und  dem  Mangel  au 
Arbeitsleuten. 

73. 

Hieran  knüptt  sich  die  Aufbewahrungsweise  des 
Getreides.  Nach  Einigen  soll  man  sich  die  Mühe  geben, 
3  Fuss  dicke  Magazine  von  Ziegelwänden  zu  erbauen, 
weder  Luft  zulassen,  noch  Fenster  anbringen,  und  sie  von 
oben  anfüllen.  Andere  schreiben  vor,  sie  nur  gegen  Mor- 
gen oder  Mitternacht  anzulegen,  und  keinen  Kalk  dabei 
zu  verwenden,  weil  dieser  dem  Getreide  sehr  schädlich 
sei;    was    sie    aber   in    Bezug   auf   den  Oelsatz   empfohlen 


Achtzehntes  Buch.  405 

haben,  ist  bereits  von  uns  mitgetheilt  worden.  An  manchen 
Orten  bauet  man  hölzerne  Kornböden  auf  Säulen,  und  lässt 
die  Luft  überall,  selbst  vom  Boden  aus  hinzu.  Andere 
glauben,  auf  schwebenden  Böden  werden  die  Körner  klei- 
ner, und  wenn  sie  unter  Dach  lägen,  erhitzten  sie  sich. 
Viele  widerrathen  auch  das  Umschaufeln,  denn  der  Korn- 
wurm gehe  nur  4  Finger  tief,  und  tiefer  sei  nichts  zu 
fürchten.  Nach  Columella  soll  man  den  Westwind  zum 
Getreide  lassen,  was  mich  sehr  wundert,  da  dieser  sonst 
der  trockenste  ist.  Einige  wollen,  man  solle,  vor  dem  Ein- 
fahren des  Getreides,  an  der  Schwelle  der  Scheune  einen 
Laubfrosch  an  einem  der  längern  Öeine  aufhängen.  Wir 
glauben,  es  kommt  am  meisten  auf  die  rechte  Zeit  des 
Einbringens  an;  denn,  wenn  es  nicht  trocken  genug  oder 
sehr  kräftig  oder  warm  ist,  so  müssen  allerhand  Schädlich- 
keiten darin  aufkeimen. 

Es  giebt  mehrere  Ursachen,  die  auf  die  Dauer  Ein- 
fluss  haben.  Entweder  liegt  es  an  der  Haut  des  Kornes 
selbst,  wenn  sie  zu  dick  ist,  wie  bei  der  Hirse;  oder  an 
der  Fettigkeit  des  Saftes,  der  allein  schon  zum  Feucht- 
werden hinreicht,  wie  beim  Sesam;  oder  an  der  Bittterkeit 
wie  bei  der  Wolfsbohne  und  kleinen  Kicher,  Am  meisten 
wachsen  in  dem  Weizen  Thiere,  weil  er  sich  seiner  Dicke 
wegen  leicht  erhitzt,  und  mit  einer  dicken  Kleie  umgeben 
ist.  Die  Spreu  der  Gerste  ist  dünner,  die  der  Hülsenfrüchte 
noch  mehr,  und  daher  entstehen  sie  nicht  darin.  Die  Bohne 
erhitzt  sich  leicht,  weil  sie  dicke  Häute  hat.  Einige  be- 
sprengen den  Weizen,  um  ihn  zu  conserviren,  mit  Oelsatz 
und  nehmen  auf  1000  Modius  1  Quadrantal;  Andere  be- 
streuen ihn  mit  chaldäischer  oder  carischer  Erde,  oder  auch 
mit  Wermuth.  Zu  Olynthus  und  Cerinthus  in  Euböa  giebt 
es  eine  Erde,  welche  vor  dem  Verderben  schützt.  Die  in 
den  Aehren  aufbewahrten  Samen  verderben  nicht  leicht. 
Die  beste  Aufbewahrungsweise  ist  jedoch  die  in  Gruben, 
welche  man  Siri  nennt,  wie  in  Cappadocien  nnd  Thracien 
geschieht.  In  Spanien  und  Afrika  sorgt  man  besonders 
dafür,  dass  sie  auf  einem  trocknen  Boden  angelegt  werden, 


406  Achtzehntes  Buch. 

und  dass  Spreu  die  Unterlage  bilde.  Ausserdem  bewahrt 
man  das  Getreide  mit  der  Aehre  auf,  und  so  ist  man,  wenn 
keine  Luft  hinzutritt,  sicher,  dass  nichts  Schädliches  sich 
darin  erzeugt.  Varro  behauptet,  auf  diese  Art  verwahrter 
Weizen  halte  sich  50,  Hirse  aber  100  Jahre.  Bohnen  und 
andere  Htilsentrtichte  können  in  mit  Asche  verstrichenen 
Oelfässern  lange  Zeit  conservirt  werden.  Derselbe  sagt,  es 
seien  während  des  Seeräuberkrieges  des  grossen  Pompejus 
in  einer  Höhle  zu  Ambracien  gut  erhaltene  Bohnen  gefun- 
den worden,  welche  aus  der  Zeit  des  Königs  Pyrrhus,  also 
ohngefähr  120  Jahre  alt  waren.  Nur  allein  in  der  Kicher- 
erbse wächst  kein  Ungeziefer  in  den  Scheunen.  Einige 
häufen  um  mit  Essig  gefüllte  Krüge,  unter  welche  Asche 
gestreuet  worden,  und  die  damit  bestreichen  sind,  Hülsen- 
früchte an,  in  der  Meinung,  dass  dann  kein  Ungeziefer  da- 
rin entstehe.  Andere  bringen  sie  in  Fässer,  in  denen  ge- 
salzene Fische  waren,  und  verstrichen  mit  Gyps;  noch  An- 
dere besprengen  die  Linsen  mit  Essig,  in  welchem  Laser- 
saft 2)  aufgelöst  ist,  und  tränken  sie  nach  dem  Trocknen 
mit  Oel.  Die  beste  Regel  aber  ist,  alles  was  nicht  verderben 
soll,  sammele  im  Neumonde.  Daher  kommt  sehr  viel 
darauf  an,  ob  man  sein  Getreide  aufbewahren  oder  ver- 
kaufen will;  denn  mit  dem  zunehmenden  Monde  wird  es 
grösser. 

74. 
Nach  der  Eintheilung  der  Zeiten  folgt  nun  der  Herbst, 
dauert  vom  Untergange  der  Leier  bis  zum  Aequinoctium, 
und  weiter  bis  zum  Untergange  des  Siebengestirns  und 
zum  Anfange  des  Winters.  In  diesen  Zeitabschnitten  sind 
das  am  12.  August  in  Attika  Abends  aufgehende  Pferd, 
und  der  in  Aegypten  und  nach  Caesar  untergehende  Del- 
phin von  Bedeutung.  Am  21.  August  geht  nach  Caesar 
und  in  Assyrien  der  sogenannte  Winzer-Stern  früh  auf, 
und  kündigt  das  Reifwerdeu  der  Trauben  an,  denn  von 
dieser  Zeit  an  bekommen   die  Beeren  eine   andere  Farbe. 


»)  S.  XIX.  B.  15.  Cap. 


Achtzehntes  Buch.  407 

-Am  2^7.  geht  in  Assyrien  der  Schütze  unter,  und  von  da 
an  hören  die  Passatwinde  auf.  Am  5.  September  geht  in 
Aegypten  der  Winzer-Stern  auf.  In  Attika  geht  früh  Mor- 
gens der  Arctur  und  der  Schütze  unter.  Am  9.  September 
geht  bei  Caesar  die  Ziege  des  Abends  auf;  der  mittlere 
Stern  des  Arcturs  aber  am  12.,  zu  Wasser  und  zu  Lande 
5  Tage  lang  die  heftigsten  Wirkungen  drohend.  Man 
schliesst  darüber:  wenn  es  beim  Untergange  des  Delphins 
geregnet  hat,  so  würde  der  Arctur  keinen  Regen  bringen. 
Als  ein  Zeichen,  dass  dieses  Gestirn  aufgeht,  merke  man 
sich  den  Abzug  der  Schwalben,  denn  wenn  es  seinen  Ein- 
fluss  auf  diese  ausübt,  so  müssen  sie  sterben.  Am  15. 
September  geht  in  Aegypten  die  Aehre,  welche  die  Jung- 
frau hält,  früh  auf,  und  zugleich  lassen  die  Passatwinde 
nach.  Eben  dieses  trifft  nach  Caesar  am  17.,  in, Assyrien 
am  18.  ein;  am  20.  geht  nach  Caesar  die  Fuge  der  Fische 
unter,  und  am  23.  das  Gestirn  des  Aequinoctii  selbst. 
Hierauf  stimmen  (was  eine  Seltenheit  ist)  Philippus  ^),  Cal- 
lippus^),  Dositheus^),  Parmeniscus*),  Conon^),  Criton^), 
Democritus,  Eudoxus  darin  tiberein,  dass  am  27.  September 
früh  die  Ziege,  und  am  28.  die  Böcke  aufgehen.  Am  2. 
October  früh  geht  in  Attika  die  Krone  auf.  In  Asien  und 
nach  Caesar  geht  am  26.  September  früh  der  Fuhrmann 
unter.  Am  28.  fängt  nach  Caesar  die  Krone  an  aufzugehen, 
und  den  folgenden  Tag  gehen  Abends  die  Böcke  unter. 
Am  8.  October  geht  nach  Caesar  der  glänzende  Stern  in 
der  Krone,  am  13.  Abends  das  Siebengestirn  und  am  15. 
die  ganze  Krone  auf.  Am  26.  geht  Abends  das  Siebenge- 
stirn auf.    Am  31.  geht  nach  Caesar  der  Arctur  unter,  und 


')  Der  Arzt  Alexanders  des  Grossen,  aus  Akarnanien. 
^)  Aus  Cyzicum,  Astronom  um  330  v.  Chr. 
3)  Griechischer  Grammatiker  des  3.  Jahrh.  v.  Chr. 
■*)  Ein  nicht  näher  bekannter  Gelehrter. 

5)  Aus  Samos,  Astronom  um  300  v.  Chr.;  von  ihm  ward  Bereni- 
•ce's  Haupthaar  an  den  Hmimel  versetzt. 

6)  Aus  Athen,  400  v.  Chr.;  Schüler  und  Freund  des  Socrates. 


408  Achtzehntes  Buch. 

das  Siebengestirn  mit  der  Sonne  auf.  Am  2.  November 
Abends  geht  der  Arctur  unter.  Am  9.  fängt  das  Schwerdt 
des  Orion  an,  unterzugehen.  Endlich  am  11.  geht  das 
Siebengestirn  unter. 

In  diesem  Zeiträume  sind  die  Landarbeiten:  Steckrü- 
ben, Kettige  säen  an  den  bereits  bezeichneten  Tagen  zu 
verrichten.  Das  gemeine  Landvolk  glaubt,  die  weisse  Rübe 
müsse  nicht  nach  dem  Abzüge  des  Storchs  gesäet  werden; 
uns  dünkt,  es  müsse  jedenfalls  nach  dem  Feste  des  Vulkan 
geschehen,  die  frühzeitigen  aber  zugleich  mit  dem  Panicum. 
Nach  dem  Untergänge  der  Leier:  Wicken,  Schwerdtbohnen 
und  Futterkraut,  letzteres  jedoch  nur,  wenn  der  Mond  nicht 
scheint.  Diess  ist  auch  die  Zeit,  in  welcher  das  Laub  ge- 
sammelt wird.  Ein  Laubscheerer  soll  in  1  Tage  4  Laub- 
körbe voll  sammeln.  Es  fault  nicht,  wenn  es  im  abneh- 
menden Monde  gesammelt  wird.  Trocknes  muss  man  nicht 
lesen. 

Die  Alten  waren  der  Meinung,  die  Weintrauben  seien 
vor  dem  Aequinoctium  nicht  reif  zur  Lese;  jetzt  sehe 
ich,  dass  man  an  verschiedenen  Orten  sehr  damit  eilt,  und 
ich  will  daher  auch  die  hiezu  zweckmässigste  Zeit  durch 
bestimmte  Merkmale  und  Gründe  bezeichnen.  Folgende 
Regeln  sind  dabei  zu  beobachten:  Liess  keine  warme  d. 
h.  trockne  Traube,  und,  wenn  kein  Regen  inzwischen  ge- 
fallen ist.  Lies  sie  nicht  bethauet,  d.  h.  wenn  es  die 
Nacht  zuvor  gethauet,  und  nicht  eher,  als  bis  die  Sonne 
den  Thau  verzehrt  hat.  Beginne  die  Weinlese,  wenn  das 
Blatt  sich  an  die  Rebe  zu  legen  anfängt,  oder  wenn  nach 
Herausnahme  eines  Kernes  der  Zwischenraum  wegen  Dich- 
tigkeit der  Masse  sich  nicht  auszufüllen  scheint,  und  die 
Beere  selbst  nicht  mehr  wächst.  Es  ist  von  grossem  Nutzen 
für  die  Beeren,  wenn  sie  bei  zunehmendem  Monde  gesam- 
melt werden  können.  Eine  Kelterung  muss  20  Culei  an- 
füllen; diess  ist  das  rechte  Maass.  Zu  ebenso  vielen  Cu- 
leis  und  Kübeln  reicht  auf  20  Jugera  1  Kelter  hin.  Einige 
keltera  nur  mit  einer,  besser  ist  es  aber  mit  zweien,  wenn, 
eine  auch  noch  so  geräumig  ist;   denn  hier  kommt  es  auf 


Achtzehntes  Buch.  409' 

die  Länge  und  nicht  auf  die  Dicke  an.  Geräumige  Keltern 
sind  besser.  Die  Alten  zogen  sie  mit  Stricken,  ledernen 
Riemen  und  Hebebäumen.  In  den  letzten  100  Jahren 
wurden  die  griechischen  Keltern  erfunden,  an  denen 
die  Falten  des  Press-Baumes  durch  Schrauben  gehen, 
mittelst  Pfählen  ein  Kreuz  an  dem  Baume  befestigt  ist, 
und  der  Baum  an  diesen  Pfählen  Steinkisten  mit  sich  in 
die  Höhe  hebt.  Diese  Einrichtung  wird  sehr  gut  befanden. 
Innerhalb  der  verflossenen  22  Jahre  hat  man  die  Erfindung 
gemacht,  mit  kleinern  Pressen  und  weniger  auf  einmal  zu 
keltern;  die  ganze  Maschine  ist  kürzer,  der  Baum  steht  in 
der  Mitte  fest,  über  die  Weinbeeren  werden  Bretter  gelegt, 
welche  von  oben  herab  mit  ihrem  ganzen  Gewichte  drücken, 
und  über  der  Presse  bringt  man  die  Steinkisten  an. 

Diess  ist  auch  die  Zeit  der  Obsterndte,  dereu  Zeit- 
punkt man  daran  erkennt,  dass  Obst  der  Reife  wegen, 
nicht  durch  Sturm  herabfällt.  Ferner  fällt  in  diese  Zeit 
das  Auspressen  der  Hefen,  und  das  Kochen  des  Mostsaftes, 
Avas  bei  Neumonde  des  Nachts,  bei  Vollmonde  am  Tage, 
an  den  übrigen  Tagen  aber  entweder  vor  dem  Aufgange 
des  Mondes  oder  nach  dessen  Untergange  geschieht.  Man 
nehme  dazu  keine  Trauben  von  jungen  oder  sumpfig  stehen- 
den Stöcken,  auch  nur  reife,  und  schäume  nur  mit  Blättern 
ab,  denn  wenn  man  das  Gefäss  mit  Holz  berührt,  so  soll 
er  anbrennen  und  räucherich  werden.  Die  rechte  Zeit  der 
AVeinlese  dauert  44  Tage  lang,  vom  Aequinoctium  bis  zum 
Untergange  des  Siebengestirns.  Von  diesem  Tage  an  gilt 
der  Spruch:  was  kalt  gepicht  wird,  taugt  nichts.  Ich  habe 
schon  gesehen,  dass  Einige  wegen  Mangel  an  Fässern  erst 
zu  Anfange  des  Januar  Weinlese  hielten,  dass  man  den 
Most  in  Fischbehältern  aufbewahrte,  oder  den  vorigen  Wein 
ausgoss,  um  zweifelhaften  einzufüllen.  Diess  geschieht 
nicht  sowohl  wegen  allzureifer  Erndte,  sondern  aus  Wuth 
derjenigen,  welche  auf  Theuerung  lauern.  Der  Hausvater 
thut  aber  wohl,  den  Ertrag  eines  jeden  Jahres  zu  benutzen ; 
und  dabei  steht  man  sich  überhaupt  am  besten.  Was  noch 
von  den  Weinen  zu  sagen  wäre,  ist  schon  früher  mitgetheilt 


410  Achtzehntes  Buch. 

worden;  ebenso,  dass  man  nach  der  Weinlese  die  Oliven 
schnell  einsammeln  müsse,  ferner  was  das  Oel  betrifft,  und 
was  beim  Untergange  des  Siebengestirns  zu  verrichten  sei. 

75. 
Wir  wollen  jetzt  noch  das  Nöthige  von  dem  Monde, 
d«n  Winden  und  den  Voranzeigen  hinzulügen,  um  hiermit 
die  ganze  Materie  von  den  Sternen  abzuschliessen.  Auch 
Virgil,  welcher  der  Prahlerei  Democrits  gefolgt  ist,  hat  ge- 
glaubt, nach  den  Mondeszahlen  etwas  eintheilen  zu  müssen. 
Der  Nutzen  dieser  Gesetze  zeigt  sich  uns,  gleichwie  in 
der  ganzen  Sache,  so  auch  in  diesem  Theile.  Alles  was 
geschnitten,  gebrochen  und  eingesammelt  wird,  geschieht 
besser  im  abnehmenden  Monde  als  im  zunehmenden.  Dünger 
rühre  man  nur  im  abnehmenden  Monde  an;  vorzüglich 
dünge  man  im  Neumonde  und  im  letzten  Viertel.  Eber, 
junge  Stiere,  Widder,  Böcke  verschneide  im  abnehmenden 
Monde.  Eier  lege  im  Neumonde  unter.  Pflanzgruben 
mache  des  Nachts  bei  Vollmonde.  Baumwurzeln  bedecke 
bei  Vollmonde.  An  feuchten  Orten  säe  im  Neumonde  und 
vier  Tage  später.  Man  räth  auch,  Getreide  nnd  Hülsen- 
früchte gegen  Ende  des  letzten  Viertels  umzuschaufeln  und 
einzufahren ;  die  Pflanzschulen  zu  machen,  wenn  der  Mond 
über  der  Erde  ist;  Most  zu  bereiten,  wenn  der  Mond  unter 
der  Erde  ist;  ebenso,  Holz  zu  fällen  und  alles  das  zu  ver- 
richten, was  wir  gehörigen  Orts  besprochen  haben.  Die 
Beobachtung  selbst,  von  der  schon  im  2.  Buche  die  Rede 
war,  ist  sehr  leicht;  aber  damit  auch  der  Landmann  Kennt- 
niss  davon  bekomme,  bemerke  ich  noch  folgendes:  So  oft 
man  den  Mond  gleich  nach  dem  Untergange  der  Sonne 
sieht,  und  er  in  den  ersten  Stunden  der  Nacht  scheint, 
nimmt  er  zu  und  erscheint  dem  Auge  halb;  wenn  er  aber 
bei  untergehender  Sonne  gerade  gegenüber  aufgeht,  so  dass 
man  beide  Gestirne  zugleich  sieht,  dann  haben  wir  Voll- 
mond. Geht  er  nach  dem  Aufgange  der  Sonne  hervor, 
entzieht  ihr  in  den  ersten  Stunden  der  Nacht  das  Licht, 
und  scheint  bis  zum  Tage,  so  nimmt  er  ab  und  wird  wie- 
der halb.     In  der  Zusammenkunft,  dem   sogenannten  Neu- 


Achtzehntes  Buch.  411 

monde,  befindet  er  sieh,  wenn  er  nicht  mehr  scheint;  wäh- 
rend des  Neumondes  aber  ist  er  so  lange  als  die  Sonne, 
und.  den  ersten  ganzen  Tag  über  der  Erde;  am  zweiten 
Vio  und  V48  Stunde  weniger,  vom  dritten  bis  fünfzehnten 
in  derselben  Weise  weiter,  indem  diese  Stundentheile  sieh 
vervielfältigen;  am  15.  ist  er  die  ganze  Nacht  unter,  und 
den  ganzen  Tag  über  der  Erde.  Am  16.  Tage  bringt  er 
1/10  und  1/4S  Stunde  der  Nacht  unter  der  Erde  zu,  und 
diese  Stundentheile  kommen  jeden  Tag  bis  zum  Neumonde 
hinzu.  So  viel  er  in  den  ersten  Theilen  der  Nacht  für 
das  Verweilen  unter  der  Erde  abnimmt,  ebensoviel  fügt 
er  den  letzten  von  dem  Tage  über  der  Erde  hinzu.  Einen 
Monat  um  den  andern  macht  er  die  Zahl  30  voll,  oder 
nimmt  eins  davon  ab.     So  verhält  es  sich  mit  dem  Monde. 

76. 
Die  Kenntniss  der  Winde  ist  weit  schwieriger.  Man 
merke  sich  an  einem  beliebigen  Tage  die  Gegend,  wo  die 
Sonne  aufgeht,  und  stelle  sich  in  der  sechsten  Tagesstunde^) 
so,  dass  man  den  Sonnenaufgang  an  der  linken  Schulter 
hat,  so  sieht  man  gerade  gegen  Mittag,  und  im  Kücken  ist 
Mitternacht.  Die  Grenze,  welche  in  dieser  Richtung  durch 
den  Acker  geht,  heisst  die  Hauptgrenze.  Es  ist  besser, 
sich  nun  umzudrehen,  damit  man  seinen  Schatten  sieht, 
denn  sonst  ist  er  hinter  der  Gestalt.  Hat  man  sich  also 
so  weit  umgedrehet,  dass  der  Sonnenaufgang  desselben 
Tages  an  der  rechten  Schulter,  der  Untergang  an  der  lin- 
ken liegt,  so  ist  dann  Mittag,  wenn  mitten  vor  der  Gestalt 
der  kleinste  Schatten  sich  zeigt.  Mitten  durch  denselben 
der  Länge  nach  ziehe  man  mit  dem  Spaten  eine  Furche, 
oder  mit  Asche  einen  Strich  am  besten  von  etwa  20  Fuss 
Länge;  die  Mitte  desselben,  d.  h.  von  jedem  Ende  10  Fuss 
entfernt,  umgebe  man  mit  einen  kleinem  Kreise,  welcher 
Nabel  genannt  wird.  Da  wo  der  Scheitel  des  Schattens 
liegt,  ist  die  Region  des  Nordwindes.  Lass,  Baumbeschneider, 
die  Bäume  nicht  dahin  sehen,  ebensowenig  die  Weinbaum- 


»)  Um  Mittag. 


412  Achtzehntes  Buch. 

gärten  und  Weinberge,  ausgenommen  in  Afrika,  Cyrene 
und  in  Aegypten.  Weht  der  Wind  daher,  so  pflüge  weder, 
noch  versäume  die  Vorschriften,  welche  ich  bereits  darüber 
gegeben  habe,  zu  befolgen.  Der  zu  den  Füssen  des  Schat- 
tens liegende  Theil  der  Linie  sieht  nach  Mittag,  und  von 
daher  kommt  der  Südwind,  welchen  die  Griechen,  wie 
schon  bemerkt,  Notus  nennen.  Wehet  dieser  Wind,  so  be- 
arbeite der  Landmann  weder  Holz  noch  Weinpflanzungen. 
In  Italien  ist  er  feucht  und  schwül;  in  Afrika  bringt  er 
brennende  Hitze  und  heitern  Himmel.  Die  Schösslinge  der 
Reben  sollen  in  Italien  gegen  ihn  gerichtet  sein,  nicht  aber 
die  Bäume  und  Weinstöcke.  Vor  ihm  hüte  sich  der  Oel- 
baumpflanzer  in  den  4  Tagen  des  Siebengestirns,  der  Pfropfer 
der  Reiser  und  Einsetzer  der  Augen.  Es  wird  gut  sein, 
wenn  wir  selbst  über  die  Stunde  dieser  Gegend  einige 
Worte  vorausschicken.  Der  Baumgärtner  haue  um  Mittag 
kein  Laub  ab.  Wenn  der  Hirte  merkt,  dass  es  Mittag  ist 
(um  welche  Zeit  sich  im  Sommer  der  Schatten  verkürzt), 
so  soll  er  das  Vieh  aus  der  Sonne  in  den  Schatten  treiben. 
Wer  im  Sommer  weiden  lässt,  der  sehe  vor  Mittag  gegen 
Abend,  Nachmittags  gegen  Morgen,  sonst  wird  er  Nachtheil 
haben,  ebenso  wie  im  Winter  und  Frühlinge,  wenn  er  das 
Vieh  auf  bethauete  Plätze  treibt.  Auch  treibe  er  nicht 
gegen  den  oben  genannten  Nordwind,  denn  sonst  wird  das 
Vieh  lahm,  bekommt  triefende  Augen,  und  erliegt  schnell 
dem  Durchfalle.  Wer  trächtige  Weibchen  haben  will,  lasse 
sie  gegen  diesen  Wind  gerichtet  bespringen. 

77. 
Wir  haben  gesagt,  in  der  Mitte  jener  Linie  solle  ein 
Nabel  gezeichnet  werden.  Quer  mitten  durch  denselben 
ziehe  man  eine  andere;  diese  geht  vom  Aequinoctial- Auf- 
gange zum  Untergange,  und  die  Grenze,  welche  auf  diese 
Weise  den  Acker  durchschneidet,  heisst  die  grosse.  Man 
zieht  hierauf  noch  2  Linien  schräg  ins  Kreuz  so,  dass  sie 
von  der  rechten  und  linken  Seite  des  Nordens  zur  Rechten 
und  Linken  des  Südens  gehen.  Alle  gehen  durch  ein  und 
denselben  Mittelpunkt,   alle   müssen  unter   einander  gleich. 


Achtzehntes  Buch.  413 

und  zwischen  allen  gleiche  Zwischenräume  sein.  Diese 
Anordnung  muss  man  auch  einmal  auf  dem  Acker,  oder, 
wenn  man  sich  ihr  öfter  bedienen  will,  auf  einer  kleinen, 
runden  Scheibe  von  Holz  ausführen.  Auf  diese  Weise 
muss  man  dem  Verstände  des  Ungebildeten  zu  Hülfe 
kommen.  Am  besten  ist  es,  die  Mittagszeit  zu  erforschen, 
weil  sie  stets  dieselbe  bleibt;  die  Sonne  aber  gebt  immer 
an  einem  andern  Punkte  des  Himmels  als  den  Tag  zuvor 
auf,  und  man  darf  daher  nicht  glauben,  den  Strich  nach 
dem  Aufgange  richten  zu  müssen.  Ist  die  Gegend  des 
Himmels  erforscht,  wo  die  Spitze  des  Striches  dem  Norden 
von  Osten  an  gerechnet,  zunächst  liegt,  so  hat  man  den 
Solstitial-Aufgang,  des  längsten  Tages  nämlich,  und  den 
Nordostwind  i),  welchen  die  Griechen  Boreas  nennen.  Ge- 
gen diesen  setze  man  Bäume  und  Weinstöcke;  pflüge  aber 
nicht  wenn  er  wehet,  säe  kein  Getreide  und  werfe  keinen 
Samen  aus,  denn  er  verdichtet  und  reitzt  die  Wurzeln  der 
Bäume,  die  man  versetzen  will.  Man  bedenke,  dass  Diess 
für  kräftige.  Jenes  für  schwache  passt.  Ich  erinnere  mich 
auch,  dass  die  Griechen  in  diese  Richtung  einen  Wind 
setzen,  welchen  sie  Caecias  nennen.  Aber  eben  jener 
scharfsinnige  Aristoteles,  der  diess  gethau,  führt  als  Grund 
die  convexe  Gestalt  der  Welt  au,  vermöge  dessen  der 
Aquilo  dem  Südwestwinde  2)  entgegen  blase.  Doch  fürchtet 
ihn  der  Landmann  bei  den  angeführten  Arbeiten  nicht  das 
ganze  Jahr  hindurch.  Mitten  im  Sommer  mildert  ihn  die 
Sonne,  und  dann  wechselt  er  seinen  Namen  und  heisst 
Etesias.  Daher  hüte  dich  vor  ihm,  wenn  es  kalt  wird ;  und 
so  sehr  man  auch  vor  dem  Nordostwinde  warnt,  so  ist  der 
Nordwind  doch  noch  verderblicher.  Gegen  diesen  müssen 
die  Weinbaumgärteu  und  Weinberge  in  Asien,  Griechenland, 
Spanien,  an  der  italienischen  Küste,  in  Campanien  und 
Apulien  liegen.  Wer  gern  männliche  Zucht  haben  will, 
der  weide  das  Vieh  gegen  diesen  Wind,  damit  ihn  dasselbe 
cinathme.     Vom  Winteruntergange  her  wehet  dem  Aquilo 


')  Aquilo.     -)  Afrious 


414  Achtzehntes  Buch, 

entgegen  der  Africus,  welchen  die  Griechen  Liba  nennen. 
Wenn  sich  das  Vieh  beim  Begatten  gegen  ihn  wendet,  so 
wirft  es  lauter  Weibchen. 

Die  dritte  von  Norden  her  gehende  Linie,  welche  wir 
der  Breite  nach  durch  den  Schatten  gezogen  und  die  grosse 
genannt  haben,  hält  die  Richtung  des  Aequinoctial-Aufganges, 
und  bezeichnet  den  Ostwind  ^),  den  die  Griechen  Apeliotes 
nennen.  In  gesunden  Gegenden  müssen  ihn  die  Landhäuser 
und  Weinberge  im  Angesicht  haben.  Er  bringt  gern  Regen, 
doch  ist  der  Westwind  2),  welcher  ihm  entgegen  weht,  und 
der  bei  den  Griechen  Zephyr  heisst,  trockner.  Nach  Cato 
sollen  die  Oelbaumpflanzungen  gegen  den  letztern  gerichtet 
sein.  Er  bringt  den  Frühling,  öffnet  das  Erdreich  und  ist 
seiner  milden  Kälte  wegen  gesund.  Sobald  er  wehet,  darf 
man  die  Weinstöcke  beschneiden,  die  Feldfrüchte  besorgen, 
die  Bäume  pflanzen,  die  Obstbäume  pfropfen,  die  Oelbäume 
ausputzen,  und  er  wird  einen  nährenden  Einfluss  ausüben. 

Die  vierte  Linie,  von  Norden  an  gezählt,  welche  von 
Morgen  her  dem  Südwinde  zunächst  liegt,  bezeichnet  den 
Winteraufgang  und  den  Südostwind  3) ,  bei  den  Griechen 
Eurus  genannt,  der  trockner  und  wärmer  ist.  Die  Bienen- 
stöcke und  Weinberge  in  Italien  und  Gallien  sollen  nach 
ihm  gerichtet  sein.  Dem  Südostwinde  entgegen  wehet  vom 
Solstitial-Untergange  und  der  westlichen  Seite  des  Nordens 
her  der  Nordwestwind  ^),  bei  den  Griechen  Argestes  ge- 
nannt, welcher  gleichwie  alle  von  Norden  her  wehenden, 
sehr  kalt  ist.  Er  bringt  Hagel,  und  man  muss  sich  vor 
ihm  ebenso  hüten  wie  vor  dem  Nordwinde.  Wenn  der 
Südostwind  aus  einer  heitern  Himmelsgegend  wehet,  so 
dauert  er  nicht  bis  zur  Nacht;  der  Ostwind  hingegen  hält 
bis  über  die  Hälfte  der  Nacht  aus.  Sobald  ein  Wind, 
gleichviel  welcher,  heiss  ist,  dauert  er  mehrere  Tage  hin- 
durch.   Der  Nordostwind  wird  durch  das  plötzliche  Trocken- 


•)  Subsolanus    ^)  Favonius.    ^)  Vulturnus.    *)  Corus. 


Achtzehntes  Buch. 


41; 


werden  des  Erdreichs,  und  der  Südwind  durch  Feuchtwerden 
von  unsichtbarem  Thau  vorher  verkündigt  i). 

78. 
Nachdem  nun  die  Winde  abgehandelt  sind,  wollen  wir,^ 
um  nicht  oft  ein  und  dasselbe  zu  sagen,  zu  den  übrigen 
Voranzeigen  der  Witterung  übergehen,  weil  ich  finde,^ 
dass  Virgil  sehr  darauf  gehalten  hat,  denn  er  sagt,  selbst 
in  der  Erndte  lieferten  die  Winde  dem  Unkundigen  oft  ge- 
fährliche Treffen.  Man  erzählt,  der  (bereits  genannte)  De- 
mocritus  habe  seinen  Bruder  Damasus,  welcher  in  der 
brennendsten  Hitze  einerndtete,  gebeten,  das  übrige  Ge- 
treide stehen  zu  lassen  und  das  bereits  geschnittene  schnell 
unter  Dach  zu  bringen,  und  wenige  Stunden  später  habe 
ein  heftiger  Platzregen  seine  Weissagung  bestättigt.  Man  . 
soll  sogar  das  Rohr  nur  säen,  wenn  Regen  drohet,  und  das 
Getreide  nach  dem  Regen.  Wir  wollen  daher  diesen  Ge- 
genstand, der  allerdings  genau  erforscht  zu  werden  ver- 
dient, hier  kurz  behandeln. 


*)  Zur  leichtern  Uebersicht  der  Winde  setzen  wir  hier  eine  Wind- 
rose mit  den  Namen  der  in  diesem  Capitel  abgehandelten  Winde  her. 


^  o 

• 

Corus 
(Argestes)    v 

/ 

Aquilo 

(Caecias) 

Favonius 

\ 

/ 

^ 

Subsolanus 

(Zephyrus) 

/ 

\ 

(Apeliotes) 

Africus    / 
(Liba) 

'S 

o 

> 

^ 

Vulturnus 
(Eurus) 

416  Achtzehntes  Buch. 

Zuerst  die  Voranzeigen  von  der  Sonne.  Geht  sie 
rein  und  feurig  auf,  so  verkündet  sie  einen  heitern  Tag, 
ist  sie  blass,  einen  stürmischen  Hagel.  Wenn  sie  den  Tag 
vorher  heiter  unterging  und  ebenso  wieder  aufgeht,  kann 
man  um  so  sicherer  auf  schönes  Wetter  bauen.  Wenn 
sie  hohl  aufgeht,  zeigt  sie  Regen  an,  ebenso  wenn  unter 
rothen  Wolken  schwarze  sind,  und  Winde,  wenn  die  Wol- 
ken vor  ihrem  Aufgänge  roth  werden.  Wenn  ihre  Strahlen 
beim  Auf-  und  Untergange  roth  sind,  wird  viel  Regen  fallen. 
Wenn  die  um  ihr  stehenden  Wolken  beim  Untergange  roth 
sind,  wird  der  folgende  Tag  heiter  sein.  Stehen  beim  Auf- 
gange die  Wolken  gegen  Süden  und  Nordost  zerstreuet,  so 
kündigen  diese,  wenn  auch  der  Himmel  um  sie  herum  klar 
ist,  Regen  und  Wind  an.  Wenn  die  Strahlen  beim  Auf- 
und  Untergange  kurz  erscheinen,  erfolgt  Regen.  Regnet 
es  bei  ihrem  Untergange,  oder  ziehen  die  Strahlen  Wolken 
an,  so  bedeutet  diess  ungestümes  Wetter  am  folgenden 
Tage.  Wenn  die  Strahlen  beim  Aufgange,  auch  ohne  von 
Wolken  umgeben  zu  sein,  nicht  schimmernd  hervorbrechen, 
so  kündigen  sie  Regen  an.  Wenn  sich  die  Wolken  vor 
dem  Aufgange  haufenweise  vereinigen,  so  prophezeien  sie 
einen  rauhen  Winter;  werden  sie  aber  von  Morgen  gegen 
Abend  getrieben,  heiteres  Wetter.  Wenn  die  Wolken  die 
Sonne  einschliessen,  so  wird  die  Witterung  um  so  stürmi- 
scher, je  weniger  Licht  sie  durchlassen;  ist  aber  der  sie 
umgebende  Kreis  doppelt,  um  so  heftiger.  Findet  solches 
beim  Aufgange  Statt,  und  sind  dabei  die  Wolken  zugleich 
roth,  so  darf  man  des  heftigsten  Sturmes  gewärtig  sein. 
Umgeben  sie  die  Wolken  nicht,  sondern  stehen  sie  über 
ihr,  so  zeigen  sie,  welcher  Wind  auch  wehen  mag,  dasselbe 
an.  Kommen  sie  von  Süden,  bedeuten  sie  Regen.  Wenn 
die  aufgehende  Sonne  mit  einem  Kreise  umgeben  ist,  so 
darf  man  von  der  Seite,  wo  er  sich  öffnet,  Wind  erwarten ; 
vertheilt  sich  aber  der  Kreis  gleichmäsbig,  so  erfolgt  heite- 
res Wetter.  Wenn  die  Sonne  beim  Aufgange  ihre  Strahlen 
weit  durch  die  Wolken  schickt,  aber  mitten  frei  davon  ist, 
so    zeigt   diess  Regen   an;    wem   sich   vor   dem  Aufgange 


Achtzehntes  Buch.  417 

"Strahlen  zeigen,  Nässe  und  Wind.  Steht  beim  Untergange 
ein  weisser  Kreis  um  dieselbe,  so  tritt  in  der  Nacht  gelin- 
der Sturm  ein;  ist  Nebel  vorhanden,  so  wird  der  Sturm 
heftiger;  scheint  die  Sonne  durch  denselben,  so  giebt  es 
Wind.  Ist  der  Kreis  schwarz,  so  kommt  starker  Wind  da- 
her, wo  derselbe  sich  öflfnet. 

79. 
Mit  Recht  lassen  wir  hierauf  zunächst  die  Voranzei- 
gen des  Mondes  folgen.  Den  vierten  Tag  desselben  be- 
rücksichtigt man  am  meisten  in  Aegypten.  Wenn  er  mit 
reinem  Glänze  aufgeht  und  hell  scheint,  so  verkündigt  er 
heiteres  Wetter;  ist  er  röthlich.  Wind;  ist  er  schwarz,  so 
vermuthet  man  Regen.  Am  fünften  Tage  deuten  seine 
stumpfen  Ausläufer  (Enden)  Regen  an;  sind  dieselben  hoch- 
gerichtet und  spitz,  stets  Wind,  doch  meistens  am  4.  Ist 
seine  nördliche  Spitze  scharf  und  starr,  erfolgt  Nordwind; 
ist  die  untere  Spitze  so  beschaffen,  wird  Südwind  kommen, 
und  stehen  sie  beide  gerade,  gewärtigt  man  eine  windige 
Nacht.  Umgiebt  ihn  am  4.  Tage  ein  röthlicher  Kreis,  so 
kündigt  er  Wind  und  Platzregen  an.  Varro  sagt  folgendes 
hierüber:  Wenn  der  Mond  am  4.  Tage  gerade  steht,  so 
deutet  er  auf  grossen  Seesturm,  ausgenommen,  wenn  ihn 
ein  klarer  Kranz  umgiebt,  denn  diess  zeigt  an,  dass  es  vor 
dem  Vollmonde  nicht  stürmt.  Ist  er  im  Vollmonde  zur 
Hälfte  klar,  so  folgen  heitere  Tage;  ist  er  roth,  Winde,  und 
ist  er  schwarz,  Regen.  Schliesst  sein  dunkler  Kreis  eine 
Wolke  ein,  so  erfolgt  Wind,  und  zwar  daher,  wo  jene  sich 
bricht;  umgeben  ihn  2  Kreise,  grosser  Sturm,  und  noch 
grösserer,  wenn  3  Kreise  vorhanden,  oder  wenn  sie  schwarz, 
unterbrochen  und  zerrissen  sind.  Wenn  der  zunehmende 
Mond  mit  der  obern  verdunkelten  Spitze  aufgeht,  bringt  er 
beim  Abnehmen  Regen;  findet  diess  an  der  untern  Spitze 
Statt,  so  regnet  es  vor  dem  Vollmonde,  und  ist  er  in  der 
Mitte  schwarz,  während  des  Vollmondes.  Wenn  der  Voll- 
mond einen  Kreis  (Hof)  um  sich  hat,  bekommen  wir  Wind 
von  der  Seite,  wo  er  am  meisten  glänzt.  Sind  beim  Auf- 
gange die  Spitzen  dick,  so  stellt  sich  höchst  rauhe  Witte- 

Wittstein:  Plinius.    m.  Bd.  27 


418  Achtzehntes  Buch. 

rung  ein.  Wenn  er  vor  dem  4.  Tage  nicht  zum  Vorschein 
kommt,  und  der  Westwind  wehet,  wird  es  den  ganzen 
Monat  hindurch  kalt  sein.  Wenn  er  am  16.  Tage  feurig 
ist,  kündigt  er  rauhe  Witterung  an.  Auch  hat  der  Mond 
selbst  8  Knoten  i) ;  er  bildet  nämlich  mit  der  Sonne  eben- 
soviele  Winkel,  und  die  Meisten  beobachten  seine  Vorbe- 
deutungen nur  innerhalb  derselben,  d.  h.  am  3.,  7.,  IL,  15., 
19.,  23.,  27.  Tage  und  im  Neumonde. 

80. 
Den  dritten  Rang  muss  die  Beobachtung  der  Sterne 
einnehmen.  Sie  scheinen  zuweilen  hin  und  her  zu  laufen, 
und  bald  darauf  kommt  Wind.  Sie  geben  in  dieser  Beziehung; 
folgende  Anzeigen:  Wenn  der  ganze  Himmel  in  den  bereits 
genannten  Zeitabschnitten  gleichmässig  glänzt,  wird  der 
Herbst  heiter  und  kalt  sein.  Wenn  der  Frühling  und 
Herbst  etwas  nass  waren,  machen  sie  den  Herbst  heiter, 
kräftig  und  minder  windig.  Einem  heitern  Herbste  folgt 
ein  windiger  Winter.  Wenn  der  Glanz  der  Sterne  plötz- 
lich, und  weder  durch  Wolken  noch  durch  Finsterniss  ver- 
dunkelt wird,  erfolgt  Regen  und  schweres  Ungewitter. 
Wenn  viele  Sterne  umherzufliegen  scheinen,  kündigen  sie 
Wind  aus  derjenigen  Gegend  an,  wohin  sie  mit  weissem 
Lichte  ziehen;  wenn  sie  oft  hin  und  her  laufen,  bestimmte^ 
wenn  diess  von  vielen  Seiten  her  geschieht,  unbeständige 
Winde.  Wird  irgend  ein  Irrstern  von  Kreisen  eingeschlos- 
sen, so  entsteht  Regen.  Im  Zeichen  des  Krebses  befinden 
sich  2  Sterne,  genannt  die  Eselchen,  zwischen  welchen 
ein  dunkler  Fleck  ^j,  die  sogenannte  Krippe,  einen  sehr 
kleinen  Raum  einnimmt;  wird  diese  bei  heiterm  Himmel 
unsichtbar,  so  bekommen  wir  einen  strengen  Winter.  Wenn 
der  eine  von  diesen  Sternen,  der  gegen  Osten  steht  ver- 
dunkelt wird,  tobt  der  Südwind;  verdeckt  sich  der  südliche, 
so  stürmt  der  Nordostwind.  Ein  doppelter  Regenbogen  be- 
deutet Regen;  nach   dem   Regen,    nicht  immer  dauernde 


*)  articuli,  Zeitabschnitte. 
*)  nubecula. 


Achtzehntes  Buch.  419 

Heiterkeit.     Neue    Kreise    um    gewisse    Sterne    kündigen 
Kegen  an. 

81. 
Wenn  es  im  Sommer  heftiger  donnert  als  blitzt,  so 
entsteht  Wind,  und  zwar  aus  der  Gegend  woher  der  Schall 
kommt;  ist  hingegen  der  Donner  schwächer,  Regen.  Wenn 
es  bei  heiterem  Himmel  blitzt  und  donnert,  so  wird  Sturm 
eintreten,  und  dieser  am  heftigsten  sein,  wenn  es  in  allen 
4  Weltgegenden  blitzt.  Geschieht  es  bloss  in  Nordost,  so 
regnet  es  den  folgenden  Tag;  in  Norden,  so  deutet  es  die- 
sen Wind  an.  Hat  es  im  Süden,  Westen  oder  Nordwesten 
bei  heiterer  Nacht  geblitzt,  so  erfolgt  aus  der  betreffenden 
Gegend  her  Wind  und  Regen.  Donner  des  Morgens  be- 
deutet Wind,  des  Mittags  Regen. 

82. 
Von  wo  bei  heiterm  Himmel  die  Wolken  kommen,  ist 
Wind  zu  erwarten:  häufen  sie  sich  daselbst,  so  werden  sie 
sich  bei  Annäherung  der  Sonne  zerstreuen.  Geschieht 
diess  in  Nordost,  so  stellt  sich  Wind,  im  Süden  Regen  ein. 
Wenn  beim  Untergange  der  Sonne  die  Wolken  von  beiden 
Seiten  des  Himmels  emporsteigen,  entsteht  Sturm.  Ziehen 
schwarze  Wolken  von  Osten  heftig  her,  regnet  es  in  der 
Nacht,  und  von  Westen,  den  folgenden  Tag.  Wenn  sich 
die  Wolken,  gleich  der  Schafwolle,  von  Osten  her  zerstreuen, 
fallt  den  dritten  Tag  nachher  Regen.  Senken  sich  die 
Wolken  auf  die  Gipfel  der  Berge,  wird  es  winterlich;  er- 
scheinen aber  diese  wieder  klar,  erfolgt  Heiterkeit.  Er- 
scheint eine  schwere  weisse  Wolke,  welche  man  mit  dem 
Namen  weisses  Ungewitter  bezeichnet,  so  drohet  Hagel. 
Entsteht  ein  noch  so  kleines  Wölkchen  an  dem  übrigens 
heitern  Himmel,   darf  man  auf  stürmischen  Wind  rechnen. 

83. 
Nebel,   der  von   den   Bergen   herabsteigt    oder    vom 
Himmel  fällt  oder  sich  in  Thäler  lagert,  verspricht  heiteres 
Wetter. 

84. 
Nächst  diesen  ist  das  irdische  Feuer  am  bezeichnet- 

27* 


420  Achtzehntes  Buch. 

sten  für  die  Witterung.  Brennt  es  nämlich  blass  und  ge- 
räuschvoll, so  deutet  es  auf  Sturm.  Regen  zeigen  auch 
die  Dochte  in  den  Lampen  an;  wenn  die  Flamme  hin  und 
her  fliegt,  auch  wenn  die  Lichter  Flammen  aussprühen  und 
sich  mit  Mühe  anzünden  lassen,  kommt  Wind.  Ferner, 
wenn  die  daran  hängenden  Funken  sich  häufen,  oder,  wenn 
man  einen  Topf  vom  Feuer  nimmt  und  es  bleibt  eine  Kohle 
daran  hängen;  oder,  wenn  bedecktes  Feuer  glühende  Asche 
ausstreuet  oder  Funken  aussprühet;  oder,  wenn  die  Asche 
auf  dem  Herde  zusammenbackt,  und  die  Kohlen  stark  leuchten. 

85. 
Auch  das  Wässer  hat  seine  Bedeutung.  Wenn  das 
Meer  nach  dem  Einlaufen  in  den  Hafen  ruhig  steht  und 
in  sich  murmelt,  kündigt  es  Wind  au.  Geschieht  es  öfter, 
so  erfolgt  Sturm  und  Regen.  Wenn  die  Küsten  und  Ufer 
bei  ruhigem  Wetter  rauschen,  so  wird  heftiger  Sturm  ein- 
treten; ebenso,  wenn  bei  ruhigem  Wetter  das  Meer  rauscht, 
der  Schaum  sich  weit  zerstreuet  oder  das  Wasser  Blasen 
wirft.  Wenn  sich  die  sogenannten  Seelungeu  auf  dem 
Meere  zeigen,  ist  mehrere  Tage  lang  anhaltendes  ungestümes 
Wetter  die  Folge  davon.  Oft  schwillt  auch  das  Meer  in 
der  Ruhe  an  und  zeigt  dann  durch  das  ungewöhnliche  hohe 
Aufblähen,  dass  schon  Wind  in  ihm  enthalten  ist. 

86. 
Selbst  das  Geräusch  in  den  Bergen,  und  das  Getöse 
in  den  Wäldern  sind  weissagend;  desgleichen  das  ohne 
merklichen  Luftzug  spielende  Laub,  die  herumfliegende 
Wolle  des  Pappelbaums  oder  Dornstrauchs,  und  Federn, 
welche  auf  dem  Wasser  schwimmen.  Sogar  auf  den  Fel- 
dern verkündigt  ein  eignes  Krachen  (Reissen)  einen  heran- 
nahenden Sturm.  Auch  giebt  das  Summen  in  der  Luft 
eine  bestimmte  Anzeige. 

87. 

Auch  Thiere  prophezeien   die  Witterung.    Wenn  die 

Delphine  bei  ruhiger  See  umherspringen,  deuten  sie  Wind 

von  der  Seite  an,  von  welcher  sie  kommen;  wenn  sie  bei 

stürmischer  See   Wasser  umher  spritzen,  ruhiges  Wetter. 


Achtzehntes  Buch.  421 

Wenn  der  Tintefisch  springt,  die  Muscheln  sich  festhängen, 
die  Seeigel  sich  ansaugen  oder  sich  in  Sand  einscharren, 
tritt  Sturm  ein.  Dasselbe  erfolgt,  wenn  die  Frösche  unge- 
wöhnlich laut  quaken,  und  die  Blässhühner  ^)  des  Morgens 
schreien.  Wenn  die  Taucher  und  Enten  niit  dem  Schnabel 
ihre  Federn  putzen,  die  übrigen  Wasservögel  sich  schaaren- 
weise  versammeln,  die  Kraniche  auf  das  feste  Land  eilen,  die 
Taucher  das  Meer  oder  die  Teiche  verlassen,  kommt  Wind. 
Wenn  die  Kraniche  ruhig  empor  fliegen,  tritt  heiteres  Wetter 
ein;  ebenso,  wenn  die  Nachteule  beim  Regen  schreiet; 
thut  sie  diess  aber  bei  schönem  Wetter,  so  wird  es  stür- 
misch. Wenn  die  Raben  beim  Schreien  gleichsam  schluch- 
zen, und  sich  anhaltend  schlagen,  zeigen  sie  Wind  an; 
wenn  sie  aber  theilw  eise  .die  Stimme  an  sich  halten,  Wind 
und  Regen.  Wenn  die  Krähen  von  ihrer  Nahrung  spät 
zurückkehren,  tritt  stürmisches  Wetter  ein.  Desgleichen 
wenn  die  weissen  Vögel  sich  versammeln,  die  Landvögel, 
vorzüglich  die  Krähen,  gegen  das  Wasser  gerichtet  schreien 
und  sich  begiessen;  auch  wenn  die  Schwalben  so  nahe 
über  dem  Wasser  hinfliegen,  dass  ihre  Flügel  zuweilen  hin- 
durch schlagen.  Ferner,  wenn  die  auf  den  Bäumen  leben- 
den Vögel  in  ihre  Nester  eilen,  die  Gänse  zur  ungewöhn- 
lichen Zeit  fortwährend  schnattern,  und  der  Reiher  mitten 
auf  sandigem  Boden  traurig  steht. 

88. 
Es  ist  kein  Wunder,  dass  Wasserthiere  oder  Vögel 
überhaupt  die  bevorstehenden  Ereignisse  in  der  Luft  fühlen. 
Aber  auch  sogar  das  Hornvieh  kündigt  durch  Springen 
und  ungestüme  Lustigkeit  die  Witterung  an.  Die  Ochsen, 
wenn  sie  gegen  den  Himmel  an  schnauben  und  sich  den 
Haaren  entgegen  lecken;  die  hässlichen  Schweine,  wenn 
sie  die  sonst  unbeachteten  Heubündel  auseinanderzerren; 
die  Ameisen,   wenn  sie  träge   und   gegen   ihren   sonstigen 


')  fulicae. 


422  Achtzehntes  Buch. 

Fleiss,  sich  verbergen  oder  zusammenlaufen  oder  ihre  Eier 
forttragen;  die  Erdwürmer,  wenn  sie  hervorbrechen. 

89. 

Es  ist  Thatsache,  dass  auch  der  Klee  emporstarrt, 
und  seine  Blätter  gegen  den  Sturm  aufrichtet. 

90. 

Bei  unsern  Gastmählern  und  auf  unsern  Tischen  kün- 
digen die  Gefässe  in  denen  die  Speisen  aufgetragen  wer- 
den, wenn  sie  auf  ihren  Gestellen  Feuchtigkeit  zurücklassen,, 
heftigen  Sturm  und  Regen  an. 


Neunzehntes  Euch. 


Von  dem  Leine  und  der  Cultur  der  Gartengewächse. 

1. 
So  haben  wir  denn  auch  das  Verhalten  der  Gestirne 
•nnd  der  Witterung  auf  eine,  selbst  für  die  Unkundigen 
klare  und  leichtfassliche  Weise  auseinandergesetzt  und 
gezeigt,  dass  dem  Verständigen  nicht  weniger  das  Feld 
dazu  dient,  den  Himmel  zu  erforschen,  als  dem  Ackerbau 
die  Sternkunde  Nutzen  schafft.  Die  meisten  Schriftsteller 
sind  nächst  diesem  auf  den  Gartenbau  übergegangen; 
allein  diess  scheint  mir  etwas  zu  voreilig.  Ich  wundere 
mich  selbst,  dass  Einige  aus  wissenschaftlichem  Eifer,  um 
den  Ruhm  ihrer  Gelehrsamkeit  daraus  zu  schöpfen,  so  Vie- 
les nicht  berücksichtigt,  so  viele  von  selbst  und  durch 
Pflege  emporwachsende  Pflanzen  unerwähnt  gelassen  habeu, 
da  doch  mehrere  unter  ihnen,  ihres  Werthes  und  ihres 
Gebrauches  im  Leben  wegen,  noch  höher  geschätzt  werden 
als  das  Getreide.  Und  um  sogleich  mit  den  anerkannt 
nützlichen,  welche  sich  nicht  nur  über  alle  Länder,  sondern 
auch  über  die  Meere  verbreitet  haben,  zu  beginnen  —  man 
bauet  Lein'),  ein  Gewächs,  was  weder  zu  den  Getreide- 
arten noch  zu  den  Gartenpflanzen  gezählt  werden  kann. 
Wo  im  Leben  trifft  man  nicht  den  Flachs  an?  Wo  giebt 
es  ein  grösseres  Wunder,  als,  dass  ein  Kraut  es  ist,  wel- 
ches Aegypten  Italien  nahe  bringt,  so  zwar,  dass  Galerius 


*)  Linum.  Linum  usitatissimum  L.,  Flachs. 


424  Neunzehntes  Buch. 

aus  der  Meerenge  von  Sieilien  am  7.  Tage,  Babilius  ams 
6.  (Beide  waren  Feldherren),  im  letzten  Sommer  aber  Va- 
lerius  Marianus,  einer  von  den  früher  das  Amt  eines  Prä- 
tors bekleidenden  Senatoren,  von  Puteoli  bei  sehr  gelinden 
Winde  am  neunten  Tage  nach  Alexandrien  kam?  Ein 
Kraut,  welches  Gades  an  den  Säulen  des  Herkules  am  7. 
Tage,  das  diesseitige  Spanien  am  4.,  die  narbonensische 
Provinz  am  3.  und  Afrika  am  2.  nach  Ostia  bringt,  was 
C.  Flavius,  oberstem  Amtsgehülfen  des  Proconsul  Vibius 
Crispus  glückte?  Ob,  verwegene,  gottlose  Menschheit,  die 
etwas  säet,  um  Wind  und  Sturm  aufzufangen,  der  es  nicht 
genügt,  durch  die  Wellen  allein  fortgebracht  zu  werden. 
Schon  reichen  die  Schiffe  an  Grösse  übertreffenden  Segel 
nicht  mehr  aus,  denn  obgleich  ganze  Bäume  für  die  Länge 
der  Segelstangen  dienen,  spannt  man  dennoch  über  diese 
noch  andere  Segel,  ausserdem  welche  am  Vorder-  und  Hin- 
tertheil  auf,  und  lockt  so  auf  mehrfache  Weise  den  Tod 
herbei.  Endlich  muss  man  bewundern,  dass  das,  was  über 
den  Erdkreis,  bald  hier  bald  dahin  führt,  aus  einem  so 
kleinen  Samen  entsteht,  einen  so  schwachen  Halm  hat, 
und  sich  nur  wenig  über  die  Erde  erhebt;  dass  es  nicht 
ursprünglich  diese  Kraft  besitzt,  sondern  erst  durch  Brechen, 
Stossen  und  Verwandeln  in  eine  weiche  Wolle,  kurz  durch 
Gewalt  und  ungeheuere  Kühnheit,  dahin  gebracht  wird. 
Keine  Verwünschung  gegen  den  Erfinder,  welchen  wir  ge- 
hörigen Orts  genannt  haben,  kann  gross  genug  sein,  denn 
ihm  war  es  nicht  hinreichend,  dass  der  Mensch  auf  dem 
Lande  sterbe,  nein,  auch  unbegraben  sollte  er  vergehen. 
Im  vorigen  Buche  riethen  wir,  der  Feldfrüchte  und  anderer 
Nahrungsmittel  wegen  sich  vor  Regen  und  Wind  zu  hüten, 
und  siehe,  jetzt  säet  des  Menschen  Hand  und  erndtet  sein 
Witz  das,  was  sich  auf  dem  Meere  den  Wind  wünscht. 
Doch,  damit  wir  inne  werden  die  Strafen  zu  fürchten,  wächst 
nichts  leichter;  damit  wir  erfahren,  es  geschehe  wider  Wil- 
len der  Natur,  so  saugt  es  den  Acker  aus,  und  verdirbt- 
den  Boden. 


Neunzehntes  Buch.  425^ 

2. 
Der  Lein  wird  meistentheils  an  sandigen  Orten,  und 
in  eine  Furche  gesäet,  und  wächst  schneller  als  alle  an- 
dern Pflanzen.  Im  Frühjahre  gesäet,  reisst  man  ihn  im 
Sommer  aus,  und  diess  ist  gleichfalls  ein  Uebel,  welches 
dem  Erdreich  widerfährt.  Doch  möchte  sein  Anbau  Aegyp- 
ten  noch  verziehen  werden,  weil  es  die  Waaren  Arabiens 
und  Indiens  einführt;  aber  schätzt  man  nicht  auch  Gallien 
nach  solchen  Einkünften?  Ist  es  nicht  genug,  dass  dem 
Meere  Berge  entgegengesetzt  sind,  und  dass  nach  der  Seite 
des  Oceans  hin  die  sogenannte  Leere  sich  befindet?  Die 
Cadurcer,  Caleter,  Rutener,  Bituriger  und  die  für  die  ent- 
ferntesten Menschen  gehaltenen  Moriner,  ja  sogar  ganz 
Gallien  webt  Segel.  Schon  sind  unsere  Feinde  jenseits 
des  Rheins  vertraut  damit,  und  ihre  Frauen  kennen  keinen 
schönern  Stoff  zu  Kleidern.  Mir  fällt  bei  dieser  Gelegen- 
heit die  Bemerkung  M.  Varro's  ein,  in  der  Familie  der  Se- 
raner  sei  es  eingeführt,  dass  die  Frauen  keine  leinenen 
Kleider  tragen.  In  Deutschland  verrichtet  man  diese  Ar- 
beit in  tief  in  die  Erde  gegrabenen  Räumen;  desgleichen 
in  Italien  in  der  allianischen  Landschaft  zwischen  den 
Flüssen  Po  und  Ticino,  deren  Lein  unter  allen  europäischen 
den  dritten  Rang  nach  Setabis  hat,  während  das  dem  Allia- 
nischen nahe  Retovinische,  und  das  Faventinische  an  der 
ämilischen  Strasse  den  zweiten  Rang  einnimmt.  Hinsicht- 
lieh der  Weisse  wird  der  faventinische  Flachs  dem  allia- 
nischen stets  vorgezogen;  der  retovinische  ist  am  zartesten 
und  dichtesten,  ebenso  weiss  als  der  faventinische,  aber 
nicht  wollig,  um  deretwillen  er  dem  Einen  gefällt,  dem 
Andern  nicht.  Der  Faden  ist  stark  und  gleichartiger,  fast 
so  wie  die  Spinngewebe,  und  klingt,  wenn  man  ihn  zwi- 
schen den  Zähnen  versucht;  sein  Preis  beträgt  daher  dop- 
pelt so  viel  als  der  der  übrigen. 

Auch  der  Flachs  im  diesseitigen  Spanien  hat  einen 
ausgezeichneten  Glanz,  welchen  er  durch  Waschen  in  dem 
bei  Tarragona  vorbeifliessenden  Strome  erhält;  er  ist  ferner 
höchst  fein,   und  eben  dort  erfand    man   zuerst  die   feinen 


-426  Neunzehntes  Buch. 

Gewebe,  welche  Carbasa  beissen.  Erst  unlängst  kam 
aus  demselben  Spanien  der  zölische  nach  Italien,  welcher 
sich  zu  Jägernetzen  sehr  gut  eignet.  Die  Stadt  Zoelae 
liegt  in  Gallizien  nicht  weit  vom  Meere.  Auch  der  cuma- 
nische  in  Campanien  ist  wegen  seiner  Anwendung  zu  Fisch-, 
Vogel-  und  andern  Jagdnetzen  berühmt,  denn  wir  legen 
nicht  minder  allen  Thieren  wie  uns  selbst  mit  dem  Leine 
Fallen.  Mit  den  cumanischen  Netzen  fängt  man  sogar 
wilde  Schweine,  sie  sind  besser  als  Jägergarn  i)  und  Schwer- 
ter, und  ich  habe  sie  schon  so  fein  gesehen,  dass  sie 
sammt  den  Schnüren  durch  eines  Menschen  King  gezogen 
werden  konnten,  und  dass  ein  Mann  so  viele  trug,  um  ein 
ganzes  Revier  damit  zu  umziehen.  Ja,  was  noch  merk- 
würdiger ist,  ein  einzelner  Faden  bestand  aus  150  andern, 
von  welcher  Art  diejenigen  des  Julius  Lupus,  der  als 
Statthalter  von  Aegypten  starb,  waren.  Doch  darüber 
werden  sich  nur  die  wundern,  welche  nicht  wissen,  dass 
in  einem  Tempel  der  Minerva  auf  der  Insel  Rhodus  ein 
Brustkleid  des  ehemaligen  aegyptischen  Königs  Amasis  ge- 
eigt  wird,  dessen  Fäden  365  dräthig  sind.  Mucianus,  der 
3  mal  Consul  war,  theilte  uns  neulich  die  Nachricht  in 
Rom  nebst  dem  Zusätze  mit,  dass  er  sich  selbst  davon 
überzeugt  habe,  und  dass  in  Folge  der  Verletzungen,  welche 
durch  ähnliche  Untersuchungen  entstanden,  nur  noch  we- 
nige Ueberbleibsel  davon  vorhanden  seien.  Noch  einen 
brauchbaren  Flachs  giebt  es  in  Italien  und  bei  den  Peli- 
gnern,  dessen  sich  aber  nur  die  Walker  bedienen,  und  der 
-die  übrigen  Sorten  an  Weisse  und  Wolligkeit  übertrifft. 
Der  cadurcische  wird  vornehmlich  zu  Polstern  angewandt, 
welche  nebst  den  Stopfwerken  von  den  Galliern  erfunden 
sind.  In  Italien  nennt  man  noch  jetzt  die  Matratzen  so. 
Der  ägyptische  Flachs  besitzt  am  wenigsten  Festigkeit, 
bringt  aber  den  meisten  Gewinn.  Es  giebt  dort  4  Arten, 
der  tanitische,  pelusische,  butische  und  tentyritische,  welche 
Namen  von   den  Distrikten,   wo   sie   wachsen,   hergeleitet 

*)  casses. 


Neunzehntes  Buch.  427 

sind.  In  Ober-Aegypten,  gegen  Arabien  hin  wächst  ein 
Strauch,  welchen  Einige  Gossypioni),  Andere  Xylon  und 
daher  die  davon  bereiteten  Gewebe,  xylina  nennen;  er  ist 
klein  und  trägt  eine  der  Bartnuss  ähnliche  Frucht,  in  deren 
Innern  sich  die  Baumwolle  befindet,  welche  gleich  der 
Wolle  gesponnen  wird.  Sie  übertrifft  an  Weisse  und  Weich- 
heit alle  übrigen  Arten.  Die  daraus  bereiteten  Kleider 
lieben  die  ägyptischen  Priester  ganz  besonders.  Die  vierte 
Art  heisst  die  orchomenische,  und  wird  aus  einem  rohrartigen 
Sumpfgewächs,  doch  nur  aus  dessen  Blüthenbüschel  darge- 
stellt. In  Asien  bereitet  man  aus  der  Geniste,  durch  10 
tägiges  Einweichen  des  Strauches,  Flachs,  der  sich  beson- 
ders zu  Netzen  für  den  Fischfang  eignet,  in  Aethiopien 
und  Indien  von  Apfelbäumen,  in  Arabien  aus  Kürbissen, 
welche,  wie  wir  gesagt  haben,  auf  Bäumen  wachsen. 

3. 
Die  Reife  des  Flachses  erkennt  man  bei  uns  auf 
zweifache  Weise,  an  dem  Anschwellen  des  Samens  und  an 
dem  Gelb  werden.  Alsdann  wird  er  ausgerissen  und  in 
Handbüschel  gebunden  an  der  Sonne  getrocknet,  indem 
man  ihn  am  ersten  Tage  mit  den  Wurzeln  nach  Oben  ge- 
richtet aufhängt,  an  den  folgenden  5  Tagen  aber  so,  dass 
die  Spitzen  der  Büschel  gegen  einander  zugekehrt  sind, 
damit  der  Same  in  die  Mitte  falle.  Letzterer  hat  medici- 
nische  Kräfte,  und  in  Italien  jenseits  des  Po  bereitet  man 
daraus  bei  den  Landleuten  eine  süsse  Speise,  die  aber 
schon  längst  bloss  noch  bei  Opfern  gebräuchlich  ist.  Hier- 
auf taucht  man  nach  der  Weizenerndte  die  Bündel  selbst 
in  Wasser,  was  durch  die  Sonne  lau  geworden  ist,  und 
beschwert  sie  mit  Gewichten,  denn  nichts  ist  leichter  als 
diese  Stengel.  Den  Zeitpunkt,  wo  er  hinreichend  einge- 
weicht ist,  erkennt  man  an  dem  Ablösen  der  Oberhaut;  man 
wendet  ihn  dann  wieder  um,  trocknet  ihn  wie  vorher  an 
der  Sonne,   dörrt  ihn   dann  noch  auf  Steinen   und   schlägt 


1)  Bombax  gossypinus  L.  und  auch  wohl  Gossypium  arboreum  L. 


428  Neunzehntes  Buch. 

ihn  mit  dem  Flachsbläuel.  Was  zunächst  unter  der  Ober- 
haut liegt,  heisst  Werg,  ist  schlechter  als  Flachs,  eignet 
sich  aber  sehr  gut  zu  Lampendochten.  Man  hechelt  ihn 
auch,  um  alle  äussere  Haut  davon  zu  entfernen.  Das  Mark 
ist  hinsichtlich  der  Weisse  und  Weichheit  sehr  verschieden. 
Flachs  zu  spinnen,  geziemt  auch  den  Männern.  Die  ent- 
fernte Oberhaut  (die  Schabe)  lässt  sich  in  Back-  und  an- 
dern Oefen  nützlich  verwenden.  Es  ist  eine  Kunst  gut  zu 
hecheln  und  zuzurichten;  aus  50  Pfund  Leinbiindeln  müssen 
15  Pfund  gekrämpelt  werden.  Das  Garn  wird  noch  einmal 
geglättet,  indem  man  es  anfeuchtet  und  wiederholt  auf 
Steine  schlägt;  auch  die  Leinwand  wird  wiederum  mit 
Hämmern  geklopft,  und  durch  dergleichen  gewaltsame  Be- 
handlung verbessert  sie  sich  immer  mehr. 

4. 
Man  hat  auch  Flachs  entdeckt,  welcher  durch 
Feuer  nicht  verzehrt  wird;  er  heisst  der  lebendige,  und 
ich  habe  daraus  bereitete  Tischtücher  gesehen,  welche  bei 
Gastmählern  auf  dem  Heerde  brannten,  und  nachdem  der 
Schmutz  verzehrt  war,  sauberer  waren,  als  das  Wasser  sie 
gemacht  haben  würde.  Man  verfertigt  daraus  Kleider  für 
die  Leichname  der  Könige,  um  die  Asche  derselben  von  der 
übrigen  getrennt  zu  erhalten.  Dieser  unverbrennliche  Flachs 
kommt  in  den  von  der  Sonne  ausgebrannten  Wüsten  In- 
diens, wo  kein  Regen  fällt,  in  der  Nähe  scheusslicher  Schlan- 
gen vor,  und  ist  es  gewohnt,  im  Feuer  nicht  zu  vergehen; 
findet  sich  aber  selten,  und  lässt  sich  wegen  seiner  Kürze 
schwer  weben  (spinnen).  Seine  von  Natur  röthliche  Farbe 
wird  im  Feuer  weiss.  Anfangs  stand  er  mit  den  besten 
Perlen  in  gleichem  Preise.  Die  Griechen  nennen  ihm 
seiner  Eigenschaft  wegen,  Asbest i).  Anaxilaus^)  giebt 
an,  wenn  ein  Baum  damit  damit  umbunden  und  dann  ge- 


*)  asbestinum  (sc.  linum)von  «  und  qßevvv/xi  auslöschen,  vertilgen.. 
Daher,  unzerstörbarer  Flachs. 

^)  Von  Larissa,  Neupythagoräer,  beschäftigte  sich  viel  ruit 
Magie;  wurde,  der  Zauberei  verklagt,  von  Augustus  aus  Rom  ver- 
bannt. 


Neunzehntes  Buch.  429 

•fällt  würde,  so  klängen  die  Hiebe  so  schwach,  dass  man 
sie  gar  nicht  höre.  Diese  Leinwand  wird  daher  überall 
jeder  andern  vorgezogen.  Auf  sie  folgen  zunächst  die 
baumwollenen  Zeuge  ^),  diese  Lieblinge  der  Weiber,  wozu 
Elis  in  Achaja  das  Material  liefert,  und  wovon,  wie  ich 
finde,  1  Scrupel  zu  4  Denaren,  also  dem  Golde  gleich, 
verkauft  worden  ist.  Scharpie  von  Leinwand,  besonders 
von  den  Segeln  der  Seeschiffe,  wird  viel  in  der  Medicin 
gebraucht,  und  ihre  Asche  wirkt  so  kräftig  wie  Spodium  2). 
Es  giebt  eine  Art  Mohn,  wodurch  der  Leinwand  ein  vor- 
züglicher Glanz  ertheilt  wird. 

5. 

Man  hat  versucht,  Flachs  zu  färben,  um  ihm  die 
Pracht  der  Kleider  zu  geben.  Diess  geschah  zuerst  auf 
der  Flotte  Alexanders  des  Grossen,  als  er  auf  dem  Indus 
fuhr,  wo  die  vornehmsten  Befehlshaber  in  einem  gewissen 
Kampfe  die  Flaggen  wechselten,  und  der  Wind  verschieden- 
farbige Segel  anschwellte,  worüber  die  Bewohner  der  Ufer 
in  Staunen  geriethen.  Mit  einem  purpurfarbenen  Segel 
kam  Cleopatra  mit  M.  Antonius  nach  Actium,  und  mit 
ebendemselben  entfloh  sie.  Ein  solches  Segel  war  das 
Abzeichen  des  Admiralschiffes. 

6. 

Später  hat  man  bloss  in  den  Theatern  (mit  Vorhän- 
gen) Schatten  gemacht,  was  Q.  Catulus  bei  der  Einweihung 
des  Capitoliums  zuerst  einführte.  Hierauf  soll  zuerst  Len- 
tulus  Spinther  carbasanische  Vorhänge  bei  den  apollina- 
rischen  Spielen  im  Theater  aufgehängt  haben.  Bald  nach- 
her tiberzog  der  Dictator  Cäsar  das  ganze  Forum  Roma- 
11  um  und  den  heiligen  Weg  von  seinem  Hause  an  bis  zum 
capitohnischen  Hügel  (mit  Leinwand),  und  diess  soll  sich 
merkwürdiger  ausgenommen  haben,  als  die  Fechterspiele 
selbst.  Darnach  hat  Marcellus,  der  Sohn  der  Octavia, 
einer  Schwester  des  Augustus,  während  seines  Aedilamtes, 


')  byssinum. 

•■')  S.  XXXIV.  B.  34.  und  52.  Cap. 


430  Neunzehntes  Buch. 

und  ohne  Spiele  zu  halten,  zur  Zeit  als  sein  Onkel  zum 
elften  Male  Consul  war,  am  1.  August  das  Forum  mit 
Leinwand  überschattet,  damit  die  streitenden  Personen  ge- 
schützter ständen. 

Wie  haben  sich  doch  die  Gebräuche  geändert!  denn 
der  Censor  Cato  rieth,  das  Forum  mit  spitzigen  Muscheln 
zu  bestreuen  ^).  Kürzlich  wurden  im  Amphitheater  des 
Kaisers  Nero  himmelblaue  gestirnte  Segeltlicher  über  die 
Seile  gezogen.  Im  Innern  der  Häuser  sind  sie  von  rother 
Farbe,  und  halten  die  Fliegen  gegen  die  Sonnenseite  hin 
ab.  Uebrigeus  behielt  die  weisse  Leinwand  doch  stets  den 
Vorzug.  Schon  im  trojanischen  Kriege  stand  die  Leinwand 
im  Ansehn,  und  warum  sollte  sie  auch  nicht  ebenso  gut 
in  Schlachten  wie  bei  Schiffbrüchen  sein?  Jedoch  sollen 
damals,  wie  Homer  bezeugt,  nur  Wenige  in  leinenen  Wämm- 
sen  gefochten  haben.  Gelehrtere  Männer  behaupten,  schon 
damals  sei  das  Tau-  und  Segelwerk  der  Schiffe  aus  Flachs 
gemacht  gewesen,  denn  was  Homer  sparta  nenne,  be- 
zeichne den  Lein. 

7. 

Mehrere  Jahrhunderte  später,  und  nicht  vor  Beginn 
der  Kriege  mit  den  Carthaginiensern,  welche  zuerst  in 
Spanien  einfielen,  fing  der  Gebrauch  des  Spartum^)  an. 
Diess  ist  ein  wildes  Gewächs,  welches  nicht  gesäet  werden 
kann,  eine  Art  Binse,  wächst  auf  trocknem  Boden  und  ge- 
reicht diesem  zum  Verderben,  denn  in  solcher  Erde  kommt 
weiter  nichts  fort.  Das,  was  in  Afrika  wächst,  ist  klein 
und  untauglich.  In  dem  Gebiete  von  Carthago,  im  dies- 
seitigen Spanien,  bedeckt  das  Spartum  ganze  Berge.  Aus 
ihm  bereiten  sich  die  dortigen  Bauern  ihre  Betten,  Lampen- 
dochte, Fackeln,  Schuhe  und  die  Hirten  ihre  Kleider;  den 
Thieren  ist  sein  Genuss,  mit  Ausnahme  der  zarten  Gipfel, 
schädlich.     Zu  den  übrigen  Anwendungen   wird  es  ausge- 


•)  Damit  das  Volk  vom  Forum  und  dadurch  von  Zank  und  Streit 
abgehalten  würde. 

2)  Spartium  junceum  L. 


Neunzehntes  Buch.  431 

rissen,  was  viele  Mühe  kostet,  und  man  bedeckt  bei  dieser 
Arbeit  die  Füsse  mit  Stiefeln,  die  Hände  mit  Handschuhen, 
und  wickelt  es  mit  leinenen  und  hölzernen  Werkzeugen 
zusammen.  Jetzt  geschiebt  diess  kurz  vor  dem  Winter, 
am  leichtesten  aber  von  der  Mitte  des  Mai  bis  zur  Mitte 
des  Juni,  um  welche  Zeit  es  reif  ist. 

8. 
Nachdem  es  ausgerauft  ist,  lässt  man  es  in  Bündeln 
2  Tage  lang  auf  einem  Haufen  gähren,  am  dritten  wird  es 
wieder  aufgebunden,  ausgestreuet,  an  der  Sonne  getrocknet 
und  abermals  eingebunden  unter  Dach  gebracht.  Hierauf 
wird  es  am  besten  in  Seewasser,  oder  auch,  in  Ermange- 
lung dessen,  in  süssem  Wasser  eingeweicht,  an  der  Sonne 
getrocknet,  und  wiederum  benetzt.  Wenn  man  Eile  hat, 
kann  die  Arbeit  dadurch  beschleunigt  werden,  dass  man 
es  in  einem  Kübel  mit  warmem  Wasser  anbrühet  und  stehend 
trocknen  lässt.  Zuletzt  wird  es  noch  gebrochen,  und  ist 
dann  zur  Anwendung  vorbereitet.  Die  daraus  verfertigten 
Stricke  u.  s.  w.  zeigen  sich  besonders  dauerhaft  in  süssem 
und  Seewasser,  während  man  im  Trocknen  die  Seile  von 
Hanf  vorzieht.  Das  Spartum  verbessert  sich  sogar  im 
Wasser,  gleichsam  als  wollte  es  sich  für  die  Dürre  seines 
Standorts  entschädigen.  Es  lässt  sich  auch  ausbessern, 
und  man  kann  nach  Belieben  altes  mit  neuem  vermischen. 
Um  zur  Bewunderung  hingerissen  zu  werden,  bedenke  man, 
wie  viel  von  dieser  Pflanze  in  allen  Ländern,  auf  den  aus- 
gerüsteten Schiffen,  an  den  Baugerüsten  und  zu  andern 
Lebensbedürfnissen  in  Gebrauch  ist,  und  dass  alles,  was 
hierzu  erfordert  wird,  auf  einem  Terrain  wächst,  welches 
sich  von  der  Küste  bei  Neu-Carthago  an  kaum  30,00J 
Schritte  weit  ins  Land  erstreckt,  und  dessen  Breite  100 
Schritte  weniger  beträgt.  Es  wird  nicht  ausgeführt,  weil 
die  Unkosten  zu  bedeutend  sind. 

9. 
Dass  sich  die  Griechen   dieser  Binse  zur  Verfertigung 
von  Stricken  bedient  haben,  erhellt  aus  dem  Namen,  wo- 


-432  Neunzehntes  Buch. 

mit  sie  dieselbe  benennen  i);  gewiss  ist  aber,  däss  sie 
sich  nachher  der  Palmenblätter  und  des  Lindenbastes  be- 
dienten, und  sehr  wahrscheinlich  führten  die  Carthager 
von  dort  den  Gebrauch  des  Spartum  ein. 

10. 

Nach  Theophrasts  Angabe  wächst  an  den  Ufern  der 
Flüsse  eine  Zwiebelpflanze,  zwischen  deren  äusserster 
Haut  und  demjenigen  Theile,  welcher  gegessen  wird,  sich 
eine  Art  Wolle  befindet,  aus  welcher  Schuhe  und  Kleider 
gemacht  werden.  Allein  er  theilt  in  den  Exemplaren, 
welche  ich  vorgefunden  habe,  weder  den  Namen  der  Län- 
der, wo  diess  geschieht,  noch  etwas  Näheres  darüber  mit, 
ausser,  dass  die  Pflanze  Eriophoron  2)  heisse;  auch  erwähnt 
er  gar  keiner  andern  ähnlichen,  obgleich  er,  wie  wir  schon 
an  einem  andern  Orte  gesagt  haben,  390  Jahre  vor  uns 
alles  mit  grösster  Sorgfalt  beschrieben  hat,  woraus  her- 
vorgeht, dass  erst  nach  jener  Zeit  das  Spartum  in  An- 
wendung gekommen  ist. 

IL 

Weil  ich  einmal  von  wunderbaren  Dingen  zu  reden 
angefangen  habe,  will  ich  auch  gleich  darin  fortfahren,  und 
«agen,  was  wohl  am  seltsamsten  scheint,  dass  es  Pflan- 
zen giebt,  die  ohne  Wurzel  entstehen  und  leben.  Sie 
heissen  Trüffeln  3),  sind  allenthalben  von  Erde  umgeben 
weder  mit  Fasern  noch  mit  Haaren  besetzt,  die  Erde,  in 
welcher  sie  wachsen,  zeigt  weder  Erhabenheiten  noch 
Risse;  sie  selbst  hängen  nicht  mit  der  Erde  zusammen, 
werden  auch  von  einer  Hülle  umschlossen,  daher  man  sie 
nicht  wohl  Erde,  sondern  einen  Auswuchs  der  Erde  nennen 
kann.  Sie  wachsen  fast  immer  an  trocknen,  sandigen  und 
strauchichten  Plätzen,  erreichen  oft  die  Grösse  einer  Quitte 
und    die  Schwere  von    1  Pfund.    Es  giebt   2  Arten,   eine 


')  TOCnaQVOv  lieisst  nämlich  der  Strick. 

2)  Gossypium  herbaceum  L. 

3)  tubera.  Plinius  versteht  unter  diesem  Namen,  ausser  Tuber 
cibarium,  ohne  Zweifel  auch  mehre  Boletus-Arten. 


Neunzehntes  Buch.  433 

Teine,  und  eine  sandige,  welche  den  Zähnen  schadet;  die 
röthliche,  schwarze  und  innen  weisse  Farbe  liefern  die 
Unterscheidungsmerkmale.  Die  beste  wächst  in  Afrika. 
Ob  dieses  Uebel  der  Erde  (denn  als  etwas  anderes  kann 
Juan  es  nicht  wohl  betrachten)  wirklich  wächst,  oder  von 
Anfang  an  dieselbe  kugelartige  Ausdehnung  hat,  wie  es 
später  erscheint,  ob  es  lebt  oder  nicht,  ist  meiner  Meinung 
«ach  schwer  zu  entscheiden.  Die  Eigenschaft  zu  faulen 
theilt  es  mit  dem  Holze.  Ich  weiss,  dass  dem  Lartius  Li- 
cinius,  der  Prätor  gewesen  war  und  zu  Carthagena  in  Spa- 
nien Processe  führte,  als  er  vor  einigen  Jahren  in  eine 
Trüffel  biss,  ein  darin  steckender  Denar  die  Vorderzähne 
krumm  bog,  und  dieser  Vorfall  beweist  offenbar,  dass  die 
Erde  selbst  solche  runde  Ballen  bilde.  So  viel  steht  fest, 
-dass  dergleichen  Dinge  entstehen  und  nicht  gesäet  werden 

können. 

12. 

Ein  ähnliches  Gewächs,  in  der  cyrenäischen  Provinz 
IVIisyi)  genannt,  hat  einen  sehr  angenehmen  Geruch  und 
Oeschmack  und  mehr  Fleisch  als  jenes.  In  Thracien  heisst 
es  Iton,  und  in  Griechenland  Geranion. 

13. 

Von  den  Trüffeln  ist  noch  folgendes  zu  bemerken. 
Sie  entstehen  im  Herbste  nach  häufigem  Regen  und  Donner, 
oind  besonders  gleich  nach  Gewittern,  werden  nicht  über 
1  Jahr  alt,  und  sind  im  Frühlinge  am  zartesten.  In  einigen 
Gegenden  kommen  sie  nach  Ueberschwemmungen  zum 
Vorschein,  so  z.  B.  giebt  es  zu  Mitylene  keine,  wenn  der 
Keim  dazu  nicht  von  Tiara  herab  durch  die  Flüsse  ange- 
■schwemmt  wird.  Die  besten  findet  man  in  Asien  um  Lamp- 
«acus  und  Alopeconnesus,  und  in  Griechenland  um  Elis. 

14. 

Zu  den  Pilzen  gehören  auch  die  bei  den  Griechen  so 
genannten  Pezicä^),  welche  weder  Wurzel  noch  Stengel 
baben. 


')  Boletus  suaveolens? 

2)  gr.  nei,iat,  unser  Bovist  (Lycoperdon  Bovista). 

Wittstein:  Pliniua.    III.  Bd.  28 


434  Neunzehntes  Buch. 

15. 

Hiernächst  verdient  das  so  überaus  berühmte  Laser- 
pitiumi)  genannt  zu  werden,  welches  bei  den  Griechen 
Silphion  heisst;  es  wächst  in  der  cyrenaischen  Provinz,  sein 
Saft,  Laser 2)  genannt,  wird  viel  und  mit  vortrefflichem 
Erfolge  in  der  Medicin  angewandt,  und  mit  Silberdenar en 
aufgewogen.  Schon  seit  vielen  Jahren  findet  man  es  nicht 
mehr  in  diesem  Lande,  weil  die  Pächter,  welche  die  Weiden 
miethen,  den  Ertrag  des  Viehfutters  höher  schätzen,  und. 
daher  jene  Pflanze  vertilgen.  So  lange  ich  denken  kann,, 
hat  man  nicht  mehr  als  1  Stock  davon  gefunden,  welcher 
an  den  Kaiser  Nero  geschickt  wurde.  Wenn  etwa  das- 
Vieh  auf  eine  solche  keimende  Pflanze  stösst,  so  merkt 
man  diess  am  Schafe  daran,  dass  es,  nachdem  es  davon 
gefressen,  sogleich  in  Schlaf  fällt,  an  der  Ziege,  dass  sie 
niest.  Schon  seit  langer  Zeit  wird  bei  uns  kein  anderer 
Laser  eingeführt,  als  der  in  Persien,  Medien  und  Armenien 
reichlich  vorkommende,  der  an  Güte  aber  dem  cyrenaischen 
sehr  nachsteht,  auch  mit  Gummi,  Sagapenum  oder  gestos- 
senen  Bohnen  verfälscht  wird.  Daher  dürfen  wir  um  sa 
weniger  zu  erwähnen  unterlassen,  dass  unter  dem  Consu- 
late  des  C.  Valerius  und  M.  Herennius  30  Pfund  Laser 
auf  Staatskosten  von  Cyrene  nach  Rom  gebracht  wurden; 
ferner  dass  der  Dictator  Cäsar  zu  Anfange  des  Bürgerkriege» 
unter  Gold  und  Silber  1500  Pfund  Laser  aus  der  Schatz- 
kammer brachte.  Bei  den  glaubwürdigsten  griechischen 
Schriftstellern  finde  ich  aufgezeichnet,  dass  diess  Gewächs 
durch  plötzliche  Benetzung  der  Erde  mit  einem  pechartigen 
Regen  in  der  Nähe  der  Gärten  der  Hesperiden  und  der 
grossen  Syrte,  7  Jahre  vor  Erbauung  der  Stadt  Cyrenae- 
welche  im  143.  Jahre  Roms  gegründet  wurde,  entstanden 
sei,  und  die  Wirkung  davon  sich  bis  auf  4000  Stadien  ins- 


1)  Thapsia  Silphium  Viv. 

*)  Oder  cyrenaischer  Saft,  während  unter  den  Namen  syrischer, 
medischer,  persischer  Laser,  der  Saft  der  Ferula  asa  foetida  zu  ver- 
atehen  ist. 


Neunzehntes  ßuch.  435 

Land  hinein  erstreckt  habe.  Auf  diesem  Terrain  wachse 
nur  vorzüglich  das  Laserpitium ;  es  sei  eine  wilde  und 
widerspenstige  Pflanze;  wolle  man  sie  cultiviren,  so  flöhe 
sie  in  die  Wüsten,  ihre  Wurzel  sei  gross  und  dick,  der 
Stengel  gertenartig  oder  ebenso  dick,  als  der  des  Gerten- 
krauts. Die  Blätter,  welche  denen  des  Eppichs  sehr  ähn- 
lich sind,  hiessen  Maspetum;  vom  Vieh  genossen  reinigen 
sie  erst,  machen  dann  bald  fett,  und  ertheilen  dem  Fleische 
einen  äusserst  angenehmen  Geschmack.  Nachdem  die 
Blätter  abgefallen  sind,  werden  die  Stengel  von  den  Men- 
schen gekocht,  gebraten  und  gedämpft  gegessen,  und  auch 
diese  reinigen  die  ersten  40  Tage  hindurch  den  Körper 
von  jedem  Uebel.  Den  Saft  gewann  man  auf  doppelte 
Weise,  nämlich  aus  dem  Stengel  und  der  Wurzel,  und 
nannte  diese  Rhizias,  jenen  Caulias.  Der  letztere  war  von 
geringerer  Güte  und  ging  leicht  in  Fäulniss  über.  Die 
Wurzel  hat  eine  schwarze  Rinde,  welche  zur  Verfälschung 
der  Waare  dient.  Der  Saft  selbst  wurde  in  ein  Gefäss  ge- 
than,  Kleie  hinzugemischt,  und  durch  öfteres  Umarbeiten 
zur  Reife  gebracht;  ohne  diese  Behandlung  faule  er  gern. 
Die  gehörige  Reife  erkannte  man  an  der  Farbe  und  der 
Trockenheit  nach  beendigtem  Schwitzen.  Einige  sagen, 
die  Wurzel  des  Laserpitium  sei  über  1  Cubitus  lang  ge- 
wesen, und  habe  oberhalb  der  Erde  einen  Knollen  getragen; 
beim  Ritzen  des  letztern  sei  ein  milchähnlicher  Saft  heraus- 
geflossen, und  hierauf  der  Stengel  darüber  emporgewachsen 
welcher  Magydaris  genannt  wurde.  Die  goldgelben 
Blätter,  welche  nach  dem  Aufgange  des  Hundssterns  beim 
Südwinde  fielen,  hätten  die  Function  des  Samens  vertreten, 
aus  ihnen  sei  gewöhnlich  die  Pflanze  entstanden,  und  Wurzel 
und  Stengel  hätten  sich  in  Jahresfrist  vollkommen  ausge- 
bildet. Man  habe  auch  die  Pflanzen  gewöhnlich  umgraben ; 
auf  das  Vieh  hätten  sie  nicht  eröffend  gewirkt,  sondern 
die  kranken  wären  entweder  davon  genesen  oder  sogleich 
gestorben,  was  aber  nur  in  wenigen  Fällen  geschehen  sei. 
Die  erstere  Ansicht  passt  auf  das  persische  Silphium. 

28* 


436  Neunzehntes  Buch. 

16. 

Die  andere  Art,  welche  Mygdaris  ')  heisst,  ist  zarter, 
weniger  scharf,  saftlos,  wächst  in  Syrien,  und  kommt  in 
Cyrene  nicht  vor,  aber  häufig  auf  dem  Berge  Parnassus. 
Einige  nennen  sie  Laserpitium,  und  durch  dergleichen  Ver- 
wechselungen wird  das  Vertrauen  zu  den  heilsamsten  und 
nützlichsten  Dingen  geschmälert.  Die  Aechtheit  dieser  Art 
erkennt  man  hauptsächlich  an  der  massig  rothen  Farbe; 
auf  dem  frischen  Bruche  ist  sie  weiss  und  bald  nachher 
durchscheinend,  im  Wasser  oder  Speichel  zergeht  sie.  Sie 
macht  einen  Bestandtheil  von  vielen  Arzneimitteln  aus. 

17. 

Es  giebt  noch  2  Arten,  die  bloss  dem  gemeinen  Volke 
bekannt  sind,  nichts  desto  weniger  aber  viel  einbringen. 
Eine  von  ihnen  ist  die  Färberröthe^),  welche  man  zum 
Färben  der  Wolle  und  des  Leders  braucht;  die  beste  liefert 
Italien  und  namentlich  die  Umgegend  von  Rom,  in  fast 
allen  Provinzen  aber  wird  sie  in  reichlicher  Menge  gebauet- 
Sie  wächst  wild,  wird  auch  gesäet  und  sieht  der  Ervilie 
ähnlich,  ihr  Stengel  ist  aber  borstig,  knotig  und  um  jeden 
Knoten  stehen  5  Blätter  im  Kreise.  Der  Same  ist  roth. 
Ueber  ihre  Anwendung  in  der  Arzneikunde  werde  ich  am 
gehörigen  Orte  reden. 

18. 

Die  sogenannte  Radicula  enthält  einen  Saft,  welcher 
zum  Waschen  der  Wolle  gebraucht  wird,  die  davon  eine 
ausserordentliche  Weisse  und  Weichheit  erhält.  Sie  kann 
überall  angebaut  werden,  wild  findet  sie  sich  besonders  in 
Asien  und  Syrien  an  steinigen  und  rauhen  Orten.  Die 
jenseits  des  Euphrat  wachsende  ist  aber  die  beste;  diese 
hat  einen  gertenartigen,  dünnen  Stengel,  der  eine  beliebte 
Speise  der  dortigen  Bewohner  ausmacht,  zu  Salben  dient 
und  alles,  was  damit  gekocht  wird,  färbt;  die  Blätter  glei- 


•)  Ode^-  Magydaris,  wahrscheinlich  der  der  Asa  foetida  sehr  ähn- 
liche Saft  von  Ferula  tingitana. 
')  Rubia.  Rubia  tinctorum  L. 


Neunzehntes  Buch.  437 

eben  denen  des  Oelbaums.  Die  Griechen  nennen  sie  Stru- 
thioni);  die  Blüthen,  welche  im  Sommer  erscheinen,  sehen 
schön  aus,  riechen  aber  nicht,  der  Stengel  ist  borsig  und 
wollig.  Sie  trägt  keinen  Samen,  hat  aber  eine  grosse 
Wurzel,  die  zu  dem  genannten  Zwecke  gesammelt  wird. 

19. 
Es  bleibt  uns  nun  noch  übrig,  von  dem  Gartenbau 
zu  reden,  nicht  allein  desshalb,  weil  er  an  und  für  sich 
schon  der  Erwähnung  werth  ist,  sondern  auch,  weil  die 
Geschichte  viele  wunderbare  Thatsachen  davon  aus  frühern 
Zeiten  überliefert  hat,  z.  B.  die  Gärten  der  Hesperiden, 
der  Könige  Adonis  und  Alcinous,  und  die  hängenden  Gärten, 
welche  entweder  Semiramis  oder  der  assyrische  König 
Cyrus  anlegte,  und  von  denen  wir  in  einem  andern  Buche 
reden  wollen.  Die  römischen  Könige  bebaueten  ihre  Gärten 
selbst,  und  Tarquinius  Superbus  sandte  jenen  grausamen 
und  blutdürstigen  Boten  aus  dem  Garten  an  seinen  Sohn. 
In  unsern  12  Gesetztafeln  wird  niemals  der  Name  villa 
gebraucht,  sondern  statt  dessen  hortus,  und  statt  „Garten" 
Erbgut.  Hiermit  stand  auch  ein  gewisser  religiöser  Ge- 
brauch in  Verbindung,  die  Gärten  und  Heerde  wurden  näm- 
lich gegen  die  Behexungen  der  Neider  geweihet,  und  zwar 
mit  satyrischen  Zeichen,  obwohl  Plautus  die  Gärten  unter 
den  Schutz  der  Venus  stellt.  Jetzt  besitzt  man  unter  dem 
Namen  der  Gärten  sogar  in  Rom  selbst  Lustplätze,  Aecker 
und  Landgüter.  Epikur,  der  Lehrer  des  Müssiggangs,  machte 
dergleichen  Anlagen  zuerst  in  Athen;  denn  bis  zu  seiner 
Zeit  bewohnte  man  noch  nicht  in  den  Städten  das  Land, 
zu  Rom  wenigstens  war  der  Garten  der  Acker  eines  Armen. 
Für  den  gemeinen  Mann  war  der  Garten  sein  Fleisch-  und 
Gemüsemarkt,  und  wie  unschuldig  war  diese  Lebensweise, 
in  Vergleich  mit  dem  jetzigen  Luxus!    Gewiss  besser,  wie 


')  Saponaria  officinalis  L.,  Plinius  wirft  aber  damit  die  levantische 
Seifenwurzel  (von  Gypsophila  Struthium  L.)  zusammen,  denn  er  sagt, 
sie  habe  eine  grosse  Wurzel,  was  doch  nur  auf  diese,  nicht  auf  Sa- 
ponaria oft",  zu  beziehen  ist. 


438  Neunzehntes  Buch. 

ich  glaube,  als  wenn  man  ins  Meer  taucht  und  Austern 
beim  Sturme  sucht,  Vögeln  hinter  dem  Flusse  Phasis  nach- 
stellt, die  zwar  der  fabelhaften  Schreckensnachrichten  wegen 
sicher,  aber  desshalb  um  so  kostbarer  sind,  andere  in  Nu- 
midien  und  auf  den  Gräbern  in  Aethiopien  sucht,  oder, 
als  wenn  man  mit  wilden  Thieren  kämpft,  und  derjenige 
gefressen  wird,  welcher  das  zu  fangen  wünscht,  was  ein 
Anderer  verzehren  soll.  Und  wie  billig  sind  in  der  That 
alle  jene  Gartenspeisen,  wie  sehr  sind  sie  zum  Vergnügen 
und  zur  Sättigung  geeignet:^  aber  wie  überall,  verleidet  auch 
hier  derUebermuth  ihren  Genuss!  Es  möchte  noch  hingehen, 
dass  Obstarten  gezogen  werden,  die  sich  theils  durch  den 
Geschmack,  theils  durch  ihre  Grösse,  theils  durch  ihre 
Seltsamkeit  auszeichnen,  und  den  Armen  nicht  zu  gute 
kommen;  dass  man  Weine  alt  werden  lässt  und  in  Schläu- 
chen verschneidet;  dass  Niemand  so  lange  lebt,  der  nicht 
vor  seiner  Zeit  gewonnenen  "Wein  trinkt;  dass  der  Luxus 
sogar  aus  dem  Getreide  eine  gewisse  Speise,  nämlich  das 
blosse  Mark  desselben,  zu  ziehen  gewusst  hat;  ja,  dass  man 
von  den  Arbeiten  und  Künsteleien  der  Bäcker  lebt,  die 
Vornehmen  ein  anderes  Brot  als  die  Armen  haben,  und 
dass  das  Korn  seinen  Weg  in  so  vielen  Arten  bis  zum 
gemeinen  Manne  nimmt.  Hat  man  nicht  auch  unter  den 
Kräutern  einen  Unterschied  gefunden,  hat  der  Reichthum 
nicht  auch  Speisen  unterschieden,  die  man  noch  um  1  Ass 
kaufen  kann?  Der  Bürger  bekennet,  dass  selbst  unter  den 
Kräutern  Manches  wächst,  was  ihm  zu  kostbar  ist,  denn 
die  Stengel  werden  durch  Cultur  von  solcher  Stärke  ge- 
wonnen, dass  sie  den  Tisch  eines  Armen  nicht  erreichen. 
Die  Natur  gab  uns  wilden  Spargel  *),  damit  sich  ein  Jeder 
davon  ausstechen  könne;  doch  siehe,  jetzt  hat  man  gemä- 
steten Spargel  2),  und  in  Ravenna  wiegen  3  Stück  1  Pfund. 
Oh,  seltsame  Begierde  des  Magens!  Es  wäre  ein  Wunder, 
wenn  es  dem  Vieh  nicht  gestattet  sei,  Disteln  zu  fressen, 


*)  Corruda  sylvestris.  Asparagus  acutifolius  L. 
2)  Asparagus  altilis.  Asparagus  officinalis  L. 


Neunzehntes  Buch.  439 

der  gemeine  Mann  aber  kann  sie  nicht  haben  0-  Sogar 
das  Wasser  wird  geschieden,  und  somit  Kraft  des  Geldes 
selbst  das  natürliche  Element  sortirt.  Diese  trinken  Schnee- 
wasser, jene  Eiswasser,  und  die  Uebel  der  Berge  gebraucht 
man  zum  Kitzeln  des  Gaumens.  Kälte  wird  für  die  Hitze 
aufbewahrt  2),  und  man  bringt  es  dahin,  dass  der  Schnee  in 
aussergewöhnlichen  Monaten  kalt  macht.  Einige  kochen 
das  Wasser  und  kühlen  es  bald  darauf  ab.  Dem  Menschen 
gefällt  also  nichts  in  der  Art,  wie  es  die  Natur  geschaffen 
hat.  Und  wachsen  denn  gewisse  Pflanzen  bloss  für  die 
Reichen?  Niemand  sieht  sich  nach  dem  heiligen  und  aven- 
tinischem  Berge  und  nach  den  entfernten  Plätzen  des  er- 
bitterten Pöbels  um,  denn  der  Tod  wird  gewiss  die  gleich- 
stellen, welche  das  Geld  unterschieden  hat.  Daher  betrug 
in  der  That  keine  Marktsteuer  zu  Rom  mehr  als  diese, 
bis  endlich,  nachdem  das  Volk  bei  allen  Fürsten  seinen 
Unwillen  durch  Tumult  zu  erkennen  gegeben  hatte,  die 
auf  dieser  Waare  lastende  Abgabe  erlassen  war;  und  die 
Erfahrung  hat  gezeigt,  dass  der  Census  kein  vortheilhaf- 
teres,  sichereres  und  weniger  vom  Glücke  abhängiges  Re- 
sultat liefert,  als  wenn  eine  solche  Abgabe  in  den  Händen 
der  Armen  bleibt.  Hier  befindet  sich  im  Boden  der  Bürge, 
unter  freiem  Himmel  das  Einkommen,  und  die  Oberfläche 
gedeihet  in  jeder  Witterung.  Cato  rühmt  die  Stengel 
{Kohl)  der  Gärten.  Nach  der  Kunst  ihres  Anbaues  wurden 
vormals  die  Landleute  taxirt,  und  man  urtheilte,  eine  Haus- 
frau, deren  Garten  nicht  gut  bestellt  wäre  (denn  diess  ge- 
hörte zu  den  Geschäften  der  Frau)  erfülle  ihre  Pflicht 
nicht,  weil  man  dann  genöthigt  sei,  die  Lebensmittel  aus 
der  Speisekammer  und  von  der  Fleischbank  zu  holen* 
Man  zog  aber  nicht,  wie  jetzt  die  Kohlärten  allen  andern 
vor,  und  verwarf  die  Zugemüse,  welche  noch  eines  andern 
Zugemüses  bedürfen;  diess  geschah,  um  das  Oel  zu  sparen, 


*)  Wahrscheinlich  eine  Anspielung  auf  die  Artischoke   (Cynara 
Scolymus). 

*)  D.  h.  Eis  für  den  Sommer. 


440  Neunzehntes  Buch. 

und  man  schämte  sich  des  Gelüstes  nach  kostbaren  Fisch- 
brtihen.  Den  Gärten  schenkten  sie  vorzügliche  Aufmerk- 
samkeit, weil  diese  keines  Feuers  bedurften,  Holz  ersparten, 
und  ihre  Producte  immer  fertig  zubereitet  waren.  Daher 
nannte  man  auch  Salatkräuter  diejenigen,  welche  leicht 
verdaulich  sind,  den  Körper  nicht  belästigen,  und  die  Be- 
gierde nach  Brot  am  wenigsten  reizen.  Aus  einem  Theile 
derselben,  den  gewürzhaften,  zog  man  den  geeigneten  Vor- 
theil  für  den  Hausbedarf,  und  verlangte  nicht  indischen. 
Pfeffer,  den  wir  über  das  Meer  herholen.  Ehedem  hatte 
das  Volk  in  der  Stadt  in  seinen  Gärten  gleichsam  ein. 
stetes  Bild  des  Landes  vor  den  Augen,  bis  endlich  durch 
die  Habgierde  einer  unzähligen  Menge  jede  Aussicht  ver- 
sperret wurde.  Darum  lasse  man  auch  diesen  Kräutern, 
einige  Ehre,  und  benehme  ihnen,  ihres  geringen  Werthes- 
wegen,  ihr  Ansehn  nicht;  sehen  wir  doch  sogar,  dass  die 
Beinamen  einiger  vornehmen  Personen  davon  abgeleitet 
sind,  z.  B.  in  der  Valerischen  Familie  einige  nicht  ver- 
schmähet haben,  sich  Lactuciner  zu  nennen,  und  in  Be- 
tracht, dass  selbst  Virgil  bekennt,  wie  schwer  es  sei  so- 
geringe  Dinge  würdig  zu  rühmen,  gebührt  unserer  Mühe 
und  Sorgfalt  allerdings  einiger  Anspruch  auf  Dank. 

20. 
Man  muss,  diess  ist  kein  Zweifel,  die  Gärten  mit  den) 
Landgütern  vereinigen,  und  sie  namentlich  mit  Wasser 
versehen,  womöglich  durch  Hülfe  eines  vorbeifliessenden. 
Flusses ,  oder  statt  dessen  dasselbe  aus  einem  Brunnen 
mittelst  Rädern,  Pumpen  oder  Schwengeln  schöpfen.  Gleich, 
nachdem  der  Favonius  zu  wehen  begonnen,  muss  der  Bo- 
den gepflügt,  14  Tage  nach  Herbstanfang  zubereitet  und 
diess  vor  dem  kürzesten  Tage  noch  einmal  wiederholt 
werden.  Die  Arbeiter  müssen,  je  einer,  8  Morgen  Land 
bepfählen,  den  Mist  3  Fuss  tief  mit  der  Erde  vermischen,, 
die  Beete  abtheilen,  ihre  Erhöhungen  abschüssig  machen, 
und  Gänge  um  dieselben  ziehen,  damit  die  Menschen  hin-^ 
zukommen  und  das  Wasser  ablaufen  könne. 


Neunzehntes  Buch.  441 

21. 

Unter  den  Gartengewächsen  ist  dieses  wegen  der 
Zwiebel,  jenes  wegen  des  Kopfes,  des  Stengels,  des  Blattes, 
oder  beider  wegen,  wegen  des  Samens,  der  Rinde,  der 
Haut,  der  knorpeligen  Theile,  des  Fleisches  oder  der  flei- 
schigen Häute  beliebt. 

22. 

An  einigen  befindet  sich  die  Frucht  in  der  Erde,  bei 
andern  auch  ausserhalb,  und  an  noch  andern  bloss  aussen. 
Einige  wachsen  liegend,  wie  der  Kürbiss  und  die  Gurke. 
Ihre  Früchte  hängen,  obgleich  sie  viel  schwerer  sind  al» 
Baumfrüchte,  die  Gurke  vermittelst  ihrer  zähen  Theile,  und  nur 
dessen  Rinde  verwandelt  sich  beim  Reifen  in  Samen. 
Von  der  Erde  bedeckt  werden  die  Rettige,  Steckrüben, 
weissen  Rüben,  und,  doch  auf  eine  andere  Weise,  der  Alant  i), 
die  Zuckerwurzel  2),  der  Pastinak  3).  Einige  wollen  wir 
gertenartige  (stabartige)  nennen,  wie  den  Dill*)  und  die 
Malve  ^),  denn  die  Schriftsteller  berichten,  in  Arabien  er- 
reichten die  Malven  im  7.  Monate  eine  baumartige  Höhe 
und  würden  dann  zu  Stäben  benutzt.  In  einem  Sumpfe  ^) 
bei  der  Stadt  Lixus  in  Mauritanien,  wo  die  Gärten  der 
Hesperiden  gewesen  sein  sollen,  200  Schritte  vom  Ocean 
entfernt,  neben  einem  Tempel  des  Herkules,  der  älter  als 
der  gaditanische  ist,  steht  eine  baumartige  Malve  '^)  von 
20  Fuss  Höhe  und  so  dick,  dass  Niemand  sie  umspannen 
kann.  Zu  jener  Abtheilung  kann  auch  der  Hanf  *)  gerech- 
net werden.  Mehrere  andere  wollen  wir  fleischige  nennen, 
wie  die  Schwämme,  welche  auf  feuchten  Wiesen  wachsen, 
denn  von  den  Baumschwämmen  haben  wir,  als  vom  Holze 


•)  Inula.  Inula  Helenium  L.    ^)  Siser.  Sium  Sisarum  L. 
')  Pastinaca  sativa  L.    *)  Anethum.  Anethum  graveolons  L. 
')  Malva  sylvestris  L. 

6)  aestuarixun,  eine  Vertiefung  im  Lande,   in  welche   das  Meer 
zur  Fluthzeit  tritt. 

')  Wahrscheinlich  Lavatera  arborea  L. 
»)  Cannabis.  Cannabis  sativa  L. 


442  Neunzehntes  Buch. 

und  den  Bäumen  die  Rede  war,  und  von  den  Erdschwäm- 
men erst  vor  Kurzem  gesprochen. 

23. 
Von  knorpeliger  1)  Beschaffenheit  und  ausserhalb 
der  Erde  ist  die  Gurke  2),  welche  ein  besonderer  Lecker- 
bissen des  Kaisers  Tiberius  war,  und  keinen  Tag  auf  seiner 
Tafel  fehlte,  denn  die  Gärtner  schoben  ihre  hängenden 
Gärten  auf  Rädern  an  die  Sonne,  und  brachten  sie  bei 
rauhem  Wetter  hinter  Glaswände.  Bei  alten  griechischen 
Schriftstellern  findet  sich  angegeben,  wenn  man  den  Gur- 
kensamen 2  Tage  lang  in  Milchmeth  einweiche  und  dann 
säe,  so  würden  die  Früchte  süsser.  Die  Gurken  nehmen 
jede  Gestalt,  die  man  ihnen  beim  Wachsen  giebt,  an.  Die 
italienischen  sind  grün  und  sehr  klein,  die  in  den  Provinzen 
sehr  gross,  gelb  und  schwarz.  Man  liebt  die  afrikanischen, 
welche  in  bedeutender  Menge  vorkommen,  und  die  mösi- 
schen,  welche  sehr  gross  sind.  Die  ausserordentlich  grossen 
heissen  Peponen  ^).  Wer  sie  gegessen  hat,  spürt  sie  noch 
am  folgenden  Tage  im  Magen,  sie  zergehen  nicht  unter 
andern  Speisen,  sind  jedoch  meistentheils  nicht  ungesund. 
Oel  ist  ihnen  von  Natur  zuwider,  Wasser  hingegen  lieben 
sie,  denn  selbst  abgeschnitten  kriechen  sie  zu  demselben 
hin,  wenn  es  nicht  zu  weit  entfernt  ist,  und  liegt  etwas 
im  Wege,  so  drehen  oder  krümmen  sie  sich  darum.  Diess 
kann  man  schon  nach  einer  Nacht  wahrnehmen;  setzt  man 
nämlich  ein  Gefäss  mit  Wasser  in  einer  Entfernung  von  4 
Fingerbreit  darunter,  so  sind  sie  noch,  ehe  es  Tag  wird, 
so  weit  herabgekommen,  aber,  nahm  man  statt  des  Wassers 
Oel,  so  haben  sie  *)  sich  hakenförmig  gekrümmt.  Steckt 
man  sie,  nachdem  die  Blüthe  abgefallen  ist,  in  eine  Röhre, 
so  wachsen  sie  zu  einer  bedeutenden  Länge  heran.  Eine 
ganz  neue  Art  davon  kommt  in  Campanien  in  Form  einer 


•)  Unter  .knorpelig"  muss  hier  wohl  die   markig-fleischige  Be- 
schaffenheit verstanden  werden. 

'j  Cucumis.  Cucumis  sativus  L. 

3)  Cucurbita  Pepo  L.    ■<)  D.  h.  die  Fruchtstiele. 


Neunzehntes  Buch.  443 

Quitte  vor;  zufällig  soll  eine  solche  entstanden,  und  aus 
deren  Samen  hernacli  jene  besondere  Art  hervorgegangen 
sein.  Man  nennt  sie  Melonen  i).  Sie  hängen  nicht,  son- 
dern runden  sich  auf  der  Erde.  Ausser  der  Gestalt,  der 
Farbe,  und  dem  Gerüche  ist  an  ihnen  bemerkenswerth, 
dass  sie  gleich  nach  erlangter  Reife  vom  Stengel  sich  ab- 
trennen, obgleich  sie  nicht  hängen  2).  Columella  schreibt 
als  seine  eigene  Erfindung  vor,  man  solle,  damit  man  die 
Melone  das  ganze  Jahr  hindurch  haben  könne,  einen  sehr 
ausgebreiteten  Brombeerstrauch  in  den  Tagen  der  Früh- 
lings- Tag-  und  Nachtgleiche  an  einen  sonnigen  Ort  setzen, 
so  weit  beschneiden,  dass  nur  2  Finger  hoch  vom  Stamme 
ü  brig  bleiben,  in  das  Mark  desselben  den  Samen  einlegen, 
und  das  Ganze  mit  feiner  Erde  und  Mist  verwahren;  da- 
durch blieben  die  Wurzeln  vor  dem  Einflüsse  der  Kälte 
geschützt.  Die  Griechen  uitterscheiden  3  Arten  Gurken 
die  lakonische,  scytaliscke  und  böotische.  Von  diesen  soll 
bloss  die  lakonische  das  Wasser  lieben.  Einige  schreiben 
vor,  den  Gurkensamen  mit  dem  zerriebenen  Kraute  Culix 
einzuweichen,   wenn  man  Früchte  ohne  Kerne  haben  will. 

24. 
Von  ähnlicher  Beschaffenheit,  wenigstens  hinsichtlich 
des  Wachsens,  sind  die  Kürbisse 3);  sie  vertragen  keine 
Kälte,  und  verlangen  Feuchtigkeit  und  Dünger.  Beide  säet 
man  in  anderthalbfussige  Furchen,  zwischen  dem  Frählings- 
Aequinoctium  und  dem  Solstitium,  am  besten  am  Feste 
der  Pares"*).  Einige  ziehen  es  vor,  die  Kürbisse  am  1. 
März,  die  Gurken  am  7.  und  während  des  Minervafestes  ^) 
zu  säen.  Die  Ranken  beider  steigen  an  rauhen  Wänden 
bis  zum  Dache  hinan,  denn  sie  lieben  von  Natur  die  Höhe. 
Ohne  Stützen  können  sie   sich  nicht  aufrecht   halten,   sie 


')  Melopeponas.  Cucumis  Melo  L. 

2)  Das  ist  die  Springgurke  s.  XX.  B.  2.  C. 

3)  Cucurbitae.  Cucurbita  lagenaria  L. 

*)  Parilia,  oder  Palilia,  Fest  der  Pales,  der  Göttin  der  Hirten 
und  Heerden,  das  am  21.  April,  dem  Stiftungstage  Roms,  gefeiert 
wurde.    *)  Quinquatrus. 


444  Neunzehntes  Buch. 

schiessen  schnell  empor  und  geben  Zimmern  und  Lauben 
einen  angenehmen  Schatten.  Hiernach  unterscheidet  man 
zuerst  folgende  2  Arten,  den  Zimmerkürbiss  und  den  ge- 
meinen, welcher  auf  der  Erde  kriecht.  An  der  ersten  Art 
hängt  an  einem  äusserst  dünnen  Stiele  eine  schwere  Last 
unbeweglich  in  der  Luft.  Auch  der  Kürbiss  kann  In  jeder 
spitzigen  Form  erhalten  werden,  namentlich  in  geflochtenen 
schmalen  Behältern  (Scheiden),  in  welche  man  ihn  nach 
dem  Abblühen  steckt,  und  nimmt  beim  Wachsen  jede  Ge- 
stalt, z.  B.  die  eines  gekrümmten  Drachen  an.  Lässt  man 
ihn  frei  hängen,  so  kann  er,  wie  man  aus  Erfahrung  weiss, 
sogar  9  Fuss  lang  werden.  Die  Gurke  blüht  theilweise  i), 
ihre  Frucht  trägt  noch  die  Blüthe  an  ihrer  Spitze,  kommt 
an  mehr  trocknen  Plätzen  fort  und  ist,  am  meisten  während 
des  Wachsens,  mit  einer  weissen  Wolle  überzogen.  Die 
Kürbisse  benutzt  man  vielfältiger.  Die  ersten  Ranken- 
schösslinge  werden  gegessen,  und  zeigen  eine  von  den 
übrigen  Theilen  ganz  verschiedene  Beschaffenheit.  Vor 
Kurzem  hat  man  die  Früchte  in  den  Bädern  statt  der 
Krüge  eingeführt,  seit  längerer  Zeit  aber  dienen  sie  schon 
statt  der  Fässer  zur  Aufbewahrung  des  Weines.  Die  Schale 
der  grünen  ist  zart,  wird  aber  demungeachtet  beim  Ver- 
speisen entfernt.  Man  hält  sie  in  mehrfacher  Beziehung 
für  eine  gesunde  und  milde  Nahrung,  die  zwar  vom  mensch- 
lichen Magen  nicht  (ganz)  verdauet  wird,  aber  doch  auch 
nicht  aufschwillt.  Die  zu  oberst  sitzenden  Kerne  bringen 
lange  Früchte,  auch  die  untersten,  obgleich  diese  jenen 
weit  nachstehen,  die  mittleren:  runde,  und  die  seitenständigen: 
dicke  sehr  kurze;  man  trocknet  sie  im  Schatten,  und  weicht 
sie  vor  der  Aussaat  in  Wasser  ein.  Je  länger  und  dünner 
die  Früchte  sind,  desto  besser  schmecken  sie;  die  hängen- 
den sind  am  gesundesten,  haben  auch  die  wenigsten  Kerne, 
denn  durch  deren  Härte  wird  der  Wohlgeschmack  beein- 
trächtigt.   Diejenigen  Früchte,  welche  zur  Aussaat  bestimmt 


')  D.  h.  die  ganze  Pflanze  blühet  nicht  zu  gleicher  Zeit. 


Neunzehntes  Buch.  445 

«ind,  pflegt  man  vor  dem  Winter  nicht  abzuschneiden. 
Nachher  trocknet  man  sie  im  Rauche,  um  die  Samen,  im 
Vorrath  aufbewahren  zu  können.  Man  hat  auch  eine  Me- 
thode ausfindig  gemacht,  sie  ebenso  wie  die  Gurken  zum 
Essen  aufzubewahren,  bis  es  beinahe  wieder  neue  giebt,  und 
diess  geschieht  in  Salzwasser.  Aber  auch  in  Gruben,  die 
nn  einem  schattigen  Orte  liegen,  soll  man  sie  mit  Sand 
überstreuet,  mit  trocknem  Heu  und  hierauf  mit  Erde  be- 
deckt, grün  erhalten  können.  Es  giebt  von  beiden  Arten, 
sowie  von  fast  allen  Gartengewächsen,  auch  wilde,  welche 
wir  aber,  da  sie  nur  in  der  Arzneikunde  Anwendung  finden, 
später  1)  abhandeln  wollen. 

25. 
Von  den  übrigen  knorpelartigen  2)  Gartengewächsen 
stecken  die  nutzbaren  Theile  in  der  Erde.  Es  könnte 
scheinen,  dass  wir  die  weissen  Rüben  genügend  abgehan- 
delt hätten,  wenn  nicht  die  Aerzte  die  runden  unter  ihnen 
als  männliche,  die  breiten  und  hohlen  aber  als  weibliche 
unterschieden,  welche  schmackhafter,  leichter  zu  würzen 
seien  und  nach  mehrmaliger  Aussaat  in  männliche  über- 
gingen. Ebendieselben  stellen  5  Arten  Steckrüben  auf, 
die  corinthische,  cleonäische,  liothasische,  böotische  und 
die  sogenannte  grüne.  Von  diesen  wächst  die  corinthische 
in  die  Breite,  und  ihre  Wurzel  steht  fast  ganz  bloss,  denn 
sie  hat  ein  Bestreben  nach  Oben  zu  wachsen,  und  nicht  in 
die  Erde  wie  die  andern.  Die  liothasische,  von  Einigem 
auch  die  thracische  genannt,  widersteht  der  Kälte  am  besten. 
Die  böotische  ist  süss,  und  durch  ihre  Kürze  und  Runde 
ausgezeichnet,  die  cleonäische  sehr  lang.  Ueberhaupt  aber 
sind  sie  um  so  süsser,  je  zartere  Blätter  sie  haben,  und  um 
«0  bitterer,  je  rauher,  eckiger  und  steifer  jene  sind.  Aus- 
serdem giebt  es  eine  wilde  Art,  deren  Blätter  denen  des 
weissen  Senfs  gleichen.  In  Rom  schätzt  man  die  amiter- 
nischen   am   meisten,    dann    folgen   die   nursinischen    und 


')  Im  XX.  B.  1.  2.  etc.  Cap.    '^)  (fleischigen). 


446  Neunzehntes  Buch. 

hierauf  unsere  eigenen.    Was  sonst  noch  über  ihren  Anbau 
zu  sagen  wäre,  ist  bereits  bei  den  Rüben  i)  mitgetheilt. 

26. 
Die  Rettige  2)  bestehen  aus  Rinde  und  Mark,  und 
viele  haben  selbst  eine  dickere  Rinde  als  manche  Bäume. 
Sie  besitzen  die  meiste  Bitterkeit  (Schärfe),  doch  wechselt 
diese  je  nach  der  Dicke  der  Rinde;  zuweilen  finden  sich 
auch  holzige  unter  ihnen.  Sie  haben  eine  ausserordentliche 
Kraft,  das  Athmen  und  Aufstossen  zu  befördern,  sind  daher 
eine  Anstand-widrige  Speise,  besonders  wenn  man  gleich 
darauf  Gemüse  isst;  werden  sie  aber  gemeinschaftlich  mit 
Oliven  verzehrt,  so  ist  das  Aufstossen  seltener  und  minder 
übelriechend.  In  Aegypten  schätzt  man  sie  besonders  we- 
gen des  reichlichen,  aus  ihren  Samen  erhaltenen  Oeles, 
und  möchte  sie,  wenn  es  nur  anginge  (erlaubt  sei),  gern 
noch  mehr  anbauen,  weil  die  dortigen  Bewohner  mehr  Ge- 
winn daraus  ziehen  als  aus  dem  Getreide,  weniger  Abgaben 
dafür  zahlen  und  mehr  Oel  als  aus  andern  Pflanzen  davon 
erhalten.  Die  Griechen  unterscheiden  3  Arten,  eine  mit 
krausen,  eine  zweite  mit  glatten  Blättern  und  eine  dritte 
wilde,  die  zwar  auch  glatte,  aber  kürzere,  runde  und  viele 
buschigstehende  Blätter  hat,  rauh  schmeckt  und  als  Arznei- 
mittel zum  Abführen  dient.  Doch  weichen  die  beiden  ersten 
Arten  auch  im  Samen  von  einander  ab,  die  krausblättrige 
nämlich  trägt  schlechten,  oder  nur  wenig  Samen.  Die 
Römer  nehmen  andere  Arten  an:  die  algidensische,  so  ge- 
nannt nach  dem  Standorte,  ist  lang  und  durchscheinend; 
eine  andere  von  der  Gestalt  der  Rübe  heisst  die  syrische, 
gehört  zu  den  wohlschmeckendsten  und  zartesten  und  lässt 
sich  überwintern.  Die  vorzüglichste  aber  scheint  erst  seit 
Kurzem  aus  Syrien  zu  uns  gebracht  zu  sein,  denn  man 
findet  sie  bei  den  Schriftstellern  nicht  genannt;  sie  hält 
sich   den   ganzen   Winter   hindurch.    Noch    giebt    es   eine 


»)"  Im  X'VIII.  Buche,  Cap.  34  und  35. 

')  Raphani,    Raphanus    sativus  L.,    der    eigentliche  Rettig.  und 
R.  Radicula  (Radieschen). 


Neunzehntes  Buch.  447 

wilde,  welche  die  Griechen  Agrion,  die  Ponter  Armon, 
Andere  Leuce,  die  Römer  Armoracia  i)  nennen,  und  deren 
Laub  stärker  als  der  Stamm  ist.  Im  Allgemeinen  berück- 
sichtigt man  bei  der  Beurtheilung  der  Güte  den  Stengel; 
bei  den  rauhen  ist  er  runder,  dicker  und  langröhrig,  die 
Blätter  haben  ein  trauriges  Ansehn  und  sind  an  den  Ecken 
steif. 

Der  Rettig  muss  in  ein  lockeres,  feuchtes  Erdreich  ge- 
säet werden;  Mist  bedarf  er  nicht,  sondern  nur  Spreu  zur 
Düngung.  In  der  Kälte  gedeihet  er  so  gut,  dass  z.  B.  in 
Deutschland  solche  von  der  Grösse  kleiner  Kinder  2)  vor- 
kommen. Man  säet  ihn  nach  dem  13.  Februar,  und  diess 
ist  der  frühzeitige;  der  aber  um  die  Zeit  des  Vulkanfestes  3) 
gesäet  wird,  giebt  eine  bessere  Sorte.  Viele  säen  ihn  auch 
im  März,  April  und  September.  Wenn  er  anfängt  zu  schies- 
sen, muss  man  ein  Blatt  um  das  andere  ringsum  ein- 
scharren, die  Pflanze  selbst  aber  behäufeln,  denn  wenn  die 
Wurzel  aus  der  Erde  hervorragt,  wird  sie  hart  und  schwam- 
mig. Aristomachus  empfieht,  während  des  Winters  die 
Blätter  wegzunehmen  und,  damit  sich  kein  Wasser  darum 
ansammle,  zu  behäufeln;  diese  Fürsorge  mache  ihn  im 
Sommer  recht  gross.  Einige  geben  an,  wenn  man  in  einen 
Pfahl  eine  Höhlung  mache,  diese  6  Fingerbreit  tief  mit 
Spreu  ausstreue,  dann  den  Samen  und  hierauf  Mist  und 
Erde  bringe,  so  werde  der  Rettig  so  gross  als  die  Höhlung 
sei.  Salzigen  Boden  lieben  sie  am  meisten;  man  begiesst 
sie  daher  auch  mit  Salzwasser,  und  in  Aegypten,  wo  sie 
am  schmackhaftesten  sind,  mit  Natronlauge.  Ueberhaupt 
nimmt  ihnen  das  Salz  die  Bitterkeit  und  macht  sie  den 
gekochten  ähnlich,  denn  auch  durch  Kochen  werden  sie 
süss  und  schmecken  dann  ohngefähr  wie  die  Rüben.  Die 
Aerzte  empfehlen,  um  die  Schärfe  der  Eingeweide  zu  sam- 
meln, dieselben  roh  mit  Salz  nüchtern  zu  essen,  wodurch 
der  Weg  zum  Brechen  gebahnt  werde.    Auch   behaupten 


•)  Meerrettig.  Cochlearia  Armoracia  L. 

*)  Nämlich  der  Köpfe  kleiner  Kinder.    ')  Im  August. 


448  Neunzehntes  Buch. 

sie,  der  Saft  sei  ein  nothwendiges  Heilmittel  für  die  Brust, 
denn  die  ina  Innern  des  Herzens  sitzende  Schwindsucht 
könne  durch  nichts  anderes  gehoben  werden;  welche  Er- 
fahrung in  Aegypten  gemacht  worden  sei,  wo  die  Könige, 
um  die  Krankheiten  zu  erforschen,  die  Leichen  seciren 
lassen  hätten.  Als  eine  griechische  Windbeutelei  erzählt 
man  auch,  dass  in  dem  Tempel  des  Apollo  zu  Delphi  der  Rettig 
einen  solchen  Vorzug  vor  den  übrigen  Speisen  gehabt 
habe,  dass  er  in  goldenen  Gefässen,  die  Beta  in  Silber,  und 
die  Rübe  in  Blei  geweihet  sei.  Und  damit  man  wisse,  dass 
der  Feldherr  Manius  Curius  nicht  dort  geboren  sei,  will  ich 
anführen,  was  nnsere  Annalen  berichten,  dass  er  nämlich 
gerade  Rüben  auf  dem  Heerde  röstete,  als  er  das  Gold, 
was  ihm  die  Gesandten  der  Samniter  anboten,  ausschlug. 
Ueber  den  Rettig  hat  auch  ein  Grieche,  Namens  Moschion  i) 
geschrieben.  Für  am  besten  zum  Verspeisen  hält  man  sie 
zur  Winterszeit;  den  Zähnen  schaden  sie  jedoch  immer, 
denn  sie  greifen  dieselben  an,  und  man  weiss,  dass  Elfen- 
l)ein  damit  polirt  werden  kann.  Zwischen  den  Rettigeu 
und  dem  Weinstocke  besteht  eine  Art  von  Hass,  denn 
dieser  entfernt  sich,  wenn  sie  daneben  gesäet  werden. 

27. 

Die  übrigen  Gewächse,  welche  wir  unter  die  knorpeli- 
gen reihen,  haben  eine  mehr  holzige  Beschaffenheit,  merk- 
würdig aber  ist  es.  dass  sie  alle  scharf  schmecken.  Unter 
ihnen  befindet  sich  eine  wilde  Art  Pastinak,  welche  die 
Griechen  Staphylinos  2)  nennen.  Die  andere  Art  zieht  man 
aus  Wurzeln  oder  Samen  im  Frühlinge  und  im  Herbste, 
nach  Hygin  im  Februar,  August,  September  und  October, 
in  einem  möglichst  tief  aufgegrabenen  Boden.  Einjährig 
kann  sie  schon  gebraucht  werden,  nach  2  Jahren  ist  sie 
aber  besser,  im  Herbste  verdient  sie,  namentlich  zum  Braten 
den  Vorzug,  und  auch  so  (zubereitet)  hat  sie  noch  einen 
beissenden  Geschmack.    Der  Eibisch  3)  unterscheidet   sich 


•)  Arzt,  zur  Zeit  Nero's.    ^)  Daucas  Carota  L. 
^)  Hibiscum.  Althaea  off.  L. 


Neunzehntes  Buch.  449 

vom  Pastinak  durch  seinen  dünnen  und  schlanken  Wuchs; 
er  wird  nicht  verspeist,  sondern  nur  in  der  Medizin  ange- 
wandt. Noch  eine  vierte,  gleichfalls  dem  Pastinak  ähnliche 
Art  nennen  wir  die  gallische,  die  Griechen  aber  Daucos, 
aus  welcher  sie  sogar  4  Arten  gemacht  haben,  die  unter 
den  Arzneigewächsen  angeführt  werden  sollen  '). 

'  28. 

Die  Pflanze  Siser^)  verdankt  ihren  Ruf  dem  Kaiser 
Tiberius,  der  sie  jährlich  aus  Deutschland  kommen 
Hess.  Die  wohlschmeckendste  wächst  bei  der  am  Rheine 
belegenen  Festung  Gelduba,  was  beweist,  dass  ihr  ein  kaltes 
Klima  zuträglich  ist.  Sie  enthält  in  ihrem  Innern  der  Lauge 
nach  einen  Nerven,  der  aus  der  gekochten  herausgezogen 
wird,  jedoch  einen  grossen  Theil  der  Bitterkeit  zurücklässt; 
diese  wird  dann  vor  dem  Essen  durch  Honigmeth  gemil- 
dert, und  dadurch  der  Geschmack  verbessert.  Auch  die 
grössere  Pastinaka,  jedoch  nur  die  einjährige,  hat  einen 
solchen  Nerven.  Das  Säen  des  Sisers  geschieht  in  den 
Monaten  Februar,  März,  April,  August,  September  und  Oc- 
tober. 

29. 

Niedriger  als  diese,  aber  dicker  und  bitterer  ist  der 
Alant 3),  welcher  an  und  für  sich  dem  Magen  schadet, 
aber  mit  Süssigkeiten  vermischt  sehr  gut  bekommt.  Ist 
der  unangenehme  Geschmack  beseitigt,  was  auf  mehrfache 
Weise  geschieht,  so  giebt  er  eine  angenehme  Speise  ab. 
Zu  diesem  Behufe  stösst  mau  ihn  trocken  zu  feiuem  Pulver, 
mischt  eine  süsse  Flüssigkeit  hinzu,  giesst  gekochten  sauren 
Wein^)  daran,  und  setzt  eingesottenen  Most,  oder  durch- 
kneteten Honig,  oder  Rosinen  oder  fleischige  Datteln  hinzu. 
Mit  Quitten,  Speierlingen  oder  Pflaumen,  zuweilen  auch 
mit  Pfeffer  oder  Thymian  gewürzt,  dient  er  zur  Stärkung 
eines  schwachen  Magens.  Die  grösste  Berühmtheit  hat  er 
dadurch   erlangt,   dass   er    eine   tägliche   Speise   der  Julia 


■  »)  XX.  B.  14.  Cap.  XXV.  B.  64.  C. 

-)  Sium  Sisarum  L. 

^)  Inula.  Inula  Helenium  L.     •')  posca. 

Wittstein:  Plinius.     III.  Bd.  29 


450  Neunzehntes  Buch. 

Augusta  war.  Sein  Same  ist  überflüssig,  denn  er  lässt 
sich  durch  die  aus  der  Wurzel  kommenden  Augen,  gleich- 
wie das  Schilfrohr,  fortpflanzen.  Ihr  Anbau  geschieht  aber, 
wie  beim  Siser  und  Pastinak,  in  weiten  Zwischenräumen 
zur  Zeit  des  Frühlings  und  Herbstes,  und  zwar  wenigstens 
3  Fuss  weit,  weil  er  sich  sehr  strauchig  ausbreitet.  Der 
Siser  muss  übrigens  umgesetzt  werden. 

30. 
Nächst  diesen  folgen  die  Zwiebelgewächse,  welche 
Cato  vorzüglich  zum  Aubau  empfiehlt,  und  unter  denen  er 
die  megarischen  rühmt.  Vor  allen  schätzbar  ist  aber  die 
Meerzwiebel);  ob  sie  gleich  nur  in  der  Medicin  und 
zum  Schärfen  des  Essigs  gebraucht  wird.  Keine  andere 
Zwiebel  ist  grösser  und  schärfer  als  diese.  Es  giebt  2 
medicinische  Arten,  von  denen  die  eine  weisse  -),  die  andere 
schwarze  Blätter  hat.  Eine  dritte,  essbare  Art  heisst  Epi- 
menidium  ^) ,  hat  schmälere  und  minder  rauhe  Blätter. 
Alle  tragen  viel  Samen,  lassen  sich  aber  durch  seitlich 
auswachsende  Zwiebeln  leichter  ziehen.  Um  das  Wachsen 
zu  befördern,  biegt  man  ihre  grössten  Blätter  herab  und 
bedeckt  sie  mit  Erde,  in  Folge  dessen  die  Köpfe  allen 
Saft  an  sich  ziehen.  Sie  wachsen  in  grosser  Menge  wild 
auf  den  Balearen,  auf  der  Insel  Ebusus^)  und  in  Spanien. 
Der  Philosoph  Pythagoras  hat  über  die  Meerzwiebeln  ein 
Buch  geschrieben,  welches  ihre  arzneilichen  Kräfte  enthält, 
von  denen  wir  im  nächsten  Bande  reden  wollen.  Die 
übrigen  Zwiebelgewächse  unterscheiden  sich  durch  die 
Farbe,  Grösse,  den  angenehmen  Geschmack,  sodass  man 
einige  sogar  noch  essen  kann,  wie  die  im  taurischen  Cher- 
sones  vorkommenden,  und  nächst  diesen  die  afrikanischen 
und  apulischen.  Die  Griechen  haben  folgende  Arten  auf- 
gestellt: Bulbine^),  Setanion,  Pythion,  Acrocorion,  Aegilops, 
Sisyrinchium  '^).    An  letzterer  wachsen  merkwürdigerweise 


')  Scilla.  Scilla  maritima  L. 

^)  Diess  ist  Pancratium  maritimum  L. 

3)  Ornithogaium  pyrenaicum  L.     '>)  Ibiza. 

*)  Ornithogaium  umbellatum  L.     ^)  Iris  Sisyrinchium  L. 


Neunzehntes  Buch.  451 

die  Wurzeln  im  Winter  tief  in  die  Erde,  werden  aber 
im  Frühling,  wenn  das  Veilchen  kommt,  kleiner,  ziehen 
sich  zusammen  und  bilden  eine  fleischige  Zwiebel. 

Hierher  gehört  auch  das  Gewächs,  welches  in  Aegyp- 
ten  Aron  ^)  heisst;  es  kommt  in  der  Grösse  der  Meerzwie- 
bel am  nächsten,  hat  Blätter  wie  der  Ampfer,  einen  gera- 
den, zwei  Cubitus  langen  Stengel  von  der  Dicke  eines 
Stockes,  und  eine  so  weiche  Wurzel,  dass  man  sie  auch 
roh  essen  kann.  Die  Knollen  werden  vor  dem  Frühjahre 
ausgegraben,  denn  später  sind  sie  nicht  mehr  so  gut.  Ihre 
Reife  erkennt  man  daran,  dass  die  Blätter  von  unten  auf 
vertrocknen.  Die  alten,  sowie  die  kleinen  und  langen  tau- 
gen nichts;  die  röthlichen,  runden  und  grossen  aber  werden 
geschätzt.  Oben  sind  die  meisten  bitter,  in  der  Mitte  süss. 
Aeltere  Schriftsteller  geben  an,  die  Zwiebeln  entständen 
nicht  anders  als  aus  Samen,  allein  auf  den  Feldern  bei 
Präneste,  und  in  unzähliger  Menge  bei  Remi  wachsen  sie 
wild. 

31. 

Fast  alle  Gartenkräuter  haben  eine  einfache  Wur- 
zel; wie  der  Rettig,  die  Beta  ^j,  der  Eppich  3),  dieMalve^); 
die  grösste  hat  der  Ampfer  s),  welche  3  Cubitus  tief  geht, 
bei  der  wilden  ist  sie  aber  kürzer  und  saftig,  und  hält 
sich  nach  dem  Ausgraben  noch  lange  Zeit  frisch.  Einige 
haben  faserige  Wurzeln,  wie  der  Eppich,  die  Malve;  andere 
reisige,  wie  das  Basilienkraut;  andere:  fleischige,  wie  die 
Beta,  und  noch  mehr  der  Safran •»);  bei  andern  bestehen 
sie  aus  Rinde  und  Fleisch  wie  beim  Rettig  und  den  weissen 
Rüben;  andere  haben  knotige,  wie  das  Gras.  Diejenigen 
welche  keine  gerade  Wurzel  haben,  bilden  gleich  viele 
Fasern ,   wie  die  Atriplex ")  und  das  Blitum  ^).    Die  Meer- 


*)  Aus  clei-  Beschreibung  folgt,   dass  hier  Arum   Dracunculus  L. 
gemeint  ist. 

2)  S.  40.  Cap.     3)  S.  37.  Cap.     ^)  S.  XX.  ß.  74.  Cap. 
5)  S.  XX.  B.  7.5.  Cap.    6)  S.  XXI.  B.  81.  Cap. 
■<)  S.  XX.  B.  83.  Cap.     «)  S.  XX.  B.  93.  Cap. 

•29* 


452  Neunzehntes  Buch. 

Zwiebel  aber,  die  Zwiebeln,  die  Zipolle  i)  und  der  Knob- 
lauch ^)  treiben  bloss  gerade  Wurzeln.  Einige  wilde  haben 
mehr  Wurzeln  als  Blätter,  wie  der  Aspalax,  das  Perdicium  ^), 
der  Safran.  Dicht  gedrängt^)  blühen  der  Quendel^)  das 
Abrotanum  ^)  die  Steckrübe,  der  ßettig,  die  Minze  ^),  die 
Gartenraute;  sie  und  die  übrigen  fangen  mit  dem  Aufbrechen 
auch  schon  an  abzublühen,  das  Basilienkraut  hingegen 
blühet  stückweise  und  fängt  damit  von  unten  an,  daher  es 
auch  am  längsten  Blüthen  trägt.  Dasselbe  ist  mit  dem 
Heliotropium  ^)  der  Fall.  Einige  haben  weisse ,  andere 
gelbe,  andere  purpurrothe  Blüthen.  Die  Blätter  fallen 
von  der  Spitze  an  ab  bei  dem  Origanum  ^),  dem  Alant  und 
zuweilen  auch  bei  der  Gartenraute,  wenn  sie  verletzt  ist. 
Hohle  Blätter  haben  vornehmlich  die  Zipolle  und  das  Ge- 
thyum  to). 

32. 
Den  Knoblauch  und  die  Zipollen  rechnen  die  Aegypter 
beim  Eidschwören  unter  die  Götter.  Die  Griechen  unter- 
scheiden folgende  Arten  der  Zipolle:  die  sardische,  sa- 
mothracische,  alsidenische,  setanische,  gespaltene  und  die 
askalonische,  welche  diesen  Namen  von  einer  Stadt  in  Ju- 
däa  bekommen  hat.  Alle  und  vorzüglich  die  cyprische, 
am  wenigsten  aber  die  gnidische,  reizen,  wenn  man  daran 
riecht,  zu  Thräneu.  Alle  bestehen  ganz  und  gar  aus  einem 
fetten  Knorpel.  Die  setanische  ist,  mit  Ausnahme  der 
tusculanischen,  die  kleinste  unter  ihnen,  schmeckt  aber 
süss.  Die  gespaltene  und  askalonische  werden  eingemacht. 
Die  gespaltene  lässt  man  im  Winter  mit  den  Blättern  ste- 
hen, im  Frühjahre  aber  nimmt  man  diese  hinweg,  und 
dann  wachsen  aus  den  Abschnitten  neue  nach,  woher  die 


')  Caepe.  AUium  Cepa  L.  die  gemeine  Zwiebel. 

•-)  Allium.  Allium  sativum  L.     3)  S.  XXII.  B.  20.  Cap. 

■*)  D.  i.  alle  Blüthen  entfalten  sich  auf  einmal. 

5)  Serpyllum.  Thymus  Serpyllum  L.     c)  S.  XXI.  B.  34.  Cap. 

^)  S.  47.  Cap.     8j  S.  XXll.  B.  29.  Cap.     <>)  S.  XX.  B.  62.   Cap. 

'•')  Allium  fistulosum  L. 


Neunzehntes  Buch.  453 

Pflanze  auch  benannt  worden  ist.     Dieselbe  Beliandlungs- 
weise  empfiehlt  man  auch  für  die  übrigen  Arten,  damit  sie 
mehr   in  Knollen  als  in  Samen   übergehen.     Die   alkaloni- 
sche  1)    ist   von  ganz  eigentbümlicher  Beschaffenheit,  denn 
sie  zeigt   sich  von   der  Wurzel    an    gleichsam    unfruchtbar, 
und  deshalb  wollen  die  Griechen  sie  nicht,  gesäet  sondern 
gepflanzt  wissen;  ferner  soll  sie  später  im  Frühlinge,  wenn 
sie  ausschlägt,   versetzt  werden.    Hierdurch  nimmt  sie  an 
Dicke  zu  und  wiegt  durch  schnelles  Wachsen  den  frühem 
Zeitverlust  auf.    Man   muss  sich    aber   mit   ihnen   beeilen, 
denn  sobald  sie  reif  geworden  sind,  fangen  sie  an  zu  faulen. 
Werden  sie  gepflanzt,  so  erzeugen  sie  Stengel  und  Samen, 
und  verschwinden  selbst  ^).     Auch  die  Farbe  ist  nicht  gleich, 
denn   bei   Issus   und   Sardes   giebt   es   schneeweisse.    Die 
cretischen  sind  gleichfalls  geschätzt;   ob  diese  mit  den  as- 
kalonischen  identisch  sind,  wird  noch  bezweifelt,  denn  sie 
bekommen  dicke  Köpfe,  und  wenn  sie  gepflanzt  sind,  Sten- 
gel und  Samen.    Bloss  in  ihrem   süssen  Geschmacke  liegt 
ein  Unterschied.     Bei   uns  giebt   es    2    vorzügliche  Sorten, 
von  denen  die  eine,  welche  bei  den  Griechen  Gethyon,  bei 
uns  Pallanaca  heisst,  zum  Würzen   dient,  und  in  den  Mo- 
naten März,  April   und  Mai   gesäet   wird.     Die  andere  Art 
der  kopftragenden  ^)  säet  man  nach  dem  Herbst-Aequinoc- 
tium    oder    zu    Anfang    des    Frühlings.     Hinsichtlich    des 
scharfen  Geschmacks  folgen  die  Arten  also:  die  afrikanische, 
gallische,  tusculanische,  askalouische  und  amiternische.     Die 
rundesten   sind  auch   zugleich    die    besten.     Die    röthlichen 
besitzen  mehr  Schärfe  als  die  weissen,   die  trocknen  mehr 
als   die   grünen,   die    rohen    mehr   als   die   gekochten,   die 
dürren  mehr  als  die  eingemachten.     Die  amiternische  bauet 
man  an  kalten  und  feuchten  Stellen,  und  zwar  nur,  gleich 
dem  Knoblauch,  vermittelst  des  Kopfes,  die  übrigen  dagegen 
durch   den  Samen.     Im  ersten  Sommer  treiben   sie  keinen 


')  Allium  ascalonicum  L. 

2)  Nämlich  unten,  d.  h.  der  Wurzelstock  nimmt  ab. 

•'')  Allium  Porruni  L. 


454  Neunzehntes  Buch. 

Samen,  sondern  nur  den  Kopf,  welcher  vertrocknet;  im 
folgenden  Jahre  findet  das  Umgekehrte  statt,  der  Same 
hildet  sich  aus  und  der  Kopf  geht  zu  Grunde.  Daher  wird 
alljährlich  der  Same  um  der  Zwiebel,  und  die  Zwiebel  um 
des  Samens  willen  gesetzt.  Man  verwahrt  sie  am  besten 
in  Spreu.  Das  Gethyum  hat  fast  gar  keinen  Kopf,  sondern 
gleichsam  nur  einen  langen  Hals,  schiesst  mithin  ganz  in's 
Laub,  und  wird,  wie  das  Porrum,  oft  abgeschnitten.  Aus 
diesem  Grunde  pflanzt  man  es  auch  nicht,  sondern  säet 
es.  Die  Zwiebeln  soll  man  in  einen  3  mal  gegrabenen 
Boden,  in  welchem  die  Wurzeln  des  Unkrauts  ausgerottet 
sind,  und  zwar  10  Pfund  auf  jeden  Morgen  säen,  Saturey  i) 
dazwischen  bauen,  weil  dieser  dann  besser  gedeihet,  und 
wenigstens  4  mal  gäten  und  behacken.  Bei  uns  säet  man 
die  askalonische  im  Februar.  Den  Zwiebelsamen  erndtet 
man  ein,  wenn  er  anfängt  schwarz  zu  werden,  und  bevor 
er  trocken  ist. 

33. 
Es  wird  auch  schicklich  sein,  das  verwandte  Porrum 
hier  anzuführen,  zumal  da  der  Kaiser  Nero  dieses  Schnitt- 
lauch in  Ruf  gebracht  hat,  denn  er  ass  dasselbe  mit  Oel 
zubereitet  jeden  Monat  an  bestimmten  Tagen,  und  nahm 
dann  ausserdem  weiter  nichts,  nicht  einmal  Brot  zu  sich. 
Man  bauet  es  durch  den  Samen  nach  dem  Herbst- Aequi- 
noctium,  und,  wenn  es  Schnittlauch  werden  soll,  etwas 
dichter.  Es  wird  auf  demselben  Beete  geschnitten  und 
gedüngt,  bis  es  aufgeht.  Wird  es  vor  dem  Schneiden  zu 
Köpfen  gezogen,  so  pflanzt  man  es  auch  nach  dem  Auf- 
schiessen auf  ein  anderes  Beet,  schneidet  jedoch  zuvor  die 
obersten  Blätter  bis  auf  die  Basis  ab,  und  zieht  die  Köpfe 
und  die  äussersten  Häute  weg.  Die  Alten  erweiterten  die 
Köpfe  durch  Auflegen  von  Kieselsteinen  und  Dachziegeln, 
und  eben  so  behandelten  sie  die  Zwiebeln.  Jetzt  werden 
die  Wurzeln  mit  einer  Hacke  sanft  aufgerissen,  damit  sie 
etwas  gelähmt,  bloss  nähren  und  nichts  zerstreuen.     Es  is;; 

')  Satureja.  Satureja  hortensis  L. 


Neunzehntes  Buch.  455 

bemerkenswerth,  dass  diess  Gewächs,  während  es  Dünger 
und  einen  fruchtbaren  Boden  gern  hat,  Nässe  verschmähet 
und  dennoch  in  jedwedem  Boden  fortkommt.  Das  beste 
Porrum  kommt  aus  Aegypten,  dann  folgt  das  von  Ostia 
und  Aricia.  Es  giebt  2  Arten  Schnittlauch,  das  krautartige  ^) 
mit  deutlich  eingeschnittenen  Blättern,  welches  zu  Medica- 
menten dient,  und  dasjenige  mit  blassern  rundern  Blättern 
und  schwächern  Einschnitten  ^).  Man  sagt,  der  römische 
Ritter  Mela  habe,  als  er  angeklagt  und  vom  Kaiser  Tibe- 
rius  von  seiner  Verwaltungsstelle  abberufen  wurde,  in  höch- 
ster Verzweiflung  eine  3  Silberdenare  schwere  Menge  Por- 
rumsaft verschluckt,  und  gleich  darauf  ohne  schmerzhafte 
Symptome  den  Geist  aufgegeben.  Eine  grössere  Quantität 
davon  soll  aber  unschädlich  sein. 

34. 
Den  Knoblauch  3)  hält  man  für  ein  ausgezeichnetes 
Heilmittel  unter  den  Landleuten.  Er  ist  von  leicht  trenn- 
baren und  sehr  zarten  allgemeinen  Häuten  eingeschlossen, 
unter  welchen  sich  mehrere,  wiederum  besonders  eingeklei- 
dete Knollen  befinden.  Er  besitzt  einen  sehr  scharfen  und 
um  so  stärkern  Geschmack,  jemehr  Knollen  er  hat.  Sein 
Genuss  ertheilt,  gleichwie  die  Zipollen,  dem  Athem  einen 
unangenehmen  Geruch,  doch  nur  dann,  wenn  er  nicht  ge- 
kocht war.  Seine  Arten  unterscheiden  sich  nach  der  Jah- 
reszeit; der  frühzeitige  wird  in  60  Tagen  reif.  Ein  anderes 
Merkmal  liegt  in  der  Grösse.  Die  Art  Ulpicum^)  nennen 
die  Griechen  cyprischen  Knoblauch,  Andere  Antiscorodon ; 
er  steht  besonders  in  Afrika  als  Landgemüse  in  Ruf  und 
ist  grösser  als  der  gewöhnliche.  Mit  Oel  und  Essig  abge- 
rieben macht  er  ausserordentlich  viel  Schaum.  Diesen  und 
den  gewöhnlichen  Knoblauch  soll  man  nicht  auf  Ebenen 
sondern  auf  einzelne  Erdhaufen,  die  3  Fuss  von  einander 
entfernt   sind,    säen.    Die   Körner   müssen   fingerbreit   von 


')  Allium  Scorodoprasum  L.     ^)  Alliuni  Schoenoprasuni  L. 

3)  Allium.  A.  sativum  L. 

*)  Nach  Columella  der  ffrosszwiebelige  Knoblauch. 


456  Neunzehntes  Buch. 

einander  abstehen,  und  die  Pflanzen,  sobald  3  Blätter  her- 
vorgebrochen sind,  behackt  werden.  Je  öfter  man  sie  be- 
hackt, um  so  grösser  werden  sie.  Ist  der  Stengel  ausge- 
wachsen, so  biegt  man  ihn  herab  und  scharret  ihn  in  die 
Erde,  um  den  zu  grossen  Blatttrieb  zu  verhüten.  In  kalten 
Gegenden  wird  er  zweckmässiger  im  Frühlinge  als  im 
Herbste  gesäet.  Uebrigens  sollen  alle  diese  Gewächse, 
damit  sie  nicht  riechen,  gesäet  werden  wenn  der  Mond 
unter  der  Erde  ist,  und  gesammelt,  wenn  er  sich  in  der 
Zusammenkunft  befindet.  Ausserdem  sollen,  dem  griechi- 
schen Schriftsteller  Menander  i)  zufolge,  Personen,  welche 
Knoblauch  und  hinterher  auf  Kohlen  geröstete  Beten  essen, 
den  Geruch  verlieren.  Einige  halten  es  für  das  beste,  das 
Ulpicum  zwischen  dem  Feste  der  Lares  compitales  ^)  und 
dem  des  Saturns  zu  säen.  Der  Knoblauch  entwickelt  sich 
auch  aus  dem  Samen,  aber  langsam;  im  ersten  Jahre  näm- 
lich erlangt  der  Kopf  (die  Zwiebel)  die  Dicke  des  Porrum, 
im  zweiten  theilt  er  sich,  und  erst  im  dritten  gelangt  er 
zur  vollständigen  Ausbildung.  Hier  und  da  zieht  man 
solches  Gewächs  vor.  Man  muss  ihn  nicht  in  Samen 
schiessen  lassen,  sondern  den  Stengel  umbiegen,  damit  der 
Kopf,  behufs  der  Fortpflanzung,  stärker  werde.  Will  man 
Knoblauch  und  Zipollen  alt  werden  lassen,  so  taucht  man 
sie  in  warmes  Salzwasser;  diess  macht  sie  nun  wohl  dauer- 
hafter und  zum  häuslichen  Gebrauch  besser,  vernichtet  aber 
ihre  Fähigkeit,  sich  fortzupflanzen.  Einige  begnügen  sich 
damit,  sie  erst  über  glühende  Kohlen  zu  hängen,  und  glau- 
ben dadurch  das  Auskeimen  zu  verhüten,  aber  diess  er- 
reicht man  auch,  wenn  sie  ausserhalb  der  Erde  sind,  selbst 
der  schon  vorhandene  Stengel  vergeht  dann.  Andere  glauben, 
der  Knoblauch  werde  am  besten  in  Spreu  aufbewahrt.  Es 
giebt  auch  eine  Art  Knoblauch,  welche  auf  Feldern  wild 


')  Ein  nicht  näher  bekannter  Autor,  schrieb  nach  Plinius  nütz- 
liche Bemerkungen  für  das  Leben  [Bio^Q-rioxa). 

-)  Diese  standen  an  den  Scheidewegen.  Das  Fest  wurde  am  Ende 
des  Jahres  gefeiert. 


Neunzehntes  Buch.  457 

wächst  imd  Alum  genannt  wird;  diesen  kocht  man,  damit 
er  nicht  wieder  keimt,  und  streuet  ihn  für  die  Vögel,  wel- 
che die  Aussaat  wegfressen.  Sobald  diese  davon  verzehrt 
haben,  werden  sie  so  betäubt,  dass  man  sie  mit  der  Hand 
fangen  kann,  und  wenn  man  ein  wenig  wartet,  so  verfallen 
sie  in  tiefen  Schlaf.  Eine  andere  wilde  Art,  Bärenlauch  i) 
genannt,  hat  einen  milden  Geruch,  kleinen  Knollen  und 
grosse  Blätter. 

35. 
Unter  den  Gärtengewächsen  schiesst  am  schnellsten: 
die  Basilie,  das  Blitum,  die  Steckrübe  und  die  Eruca  2)^ 
denn  sie  brechen  schon  am  dritten  Tage  hervor;  der  Dill 
am  vierten,  der  Lattich  am  fünften,  der  Rettig  am  sechsten^ 
die  Gurke  und  der  Kürbiss  am  siebenten,  jedoch  die  Gurke 
etwas  früher,  das  Nasturtium  3)  und  der  Senf  ^)  am  fünften, 
die  Beta  im  Sommer  am  sechsten,  im  Winter  am  zehnten, 
die  Atriplex  am  achten,  die  Zipolle  am  neunzehnten  oder 
zwanzigsten,  das  Gethyum  am  zehnten  oder  zwölften,  der 
Coriander  •■^)  etwas  später,  die  Cunila»^)  und  das  Origanum 
nach  dem  dreissigsten,  am  spätesten  aber  der  Eppich,  denn 
er  braucht  mindestens  40,  gewöhnlich  aber  50  Tage  zum 
Aufbrechen.  Einigen  Einfluss  hat  auch  das  Alter  der  Sa-> 
men;  vom  Porrum,  Gethyum,  der  Gurke  und  dem  Kürbiss 
geht  frischer  Same  früher  auf,  vom  Eppich ,  der  Beta  dem 
Nasturtium,  der  Cunila,  dem  Origanum  und  Coriander  hin- 
gegen  treibt  alter  schneller.  Merkwürdig  ist  es  am  Beten- 
Samen,  dass  er  im  ersten  Jahre  nur  theilweise  aufgeht, 
und  von  dem  zurückgebliebenen  ein  Theil  im  zweiten,  und 
der  andere  erst  im  dritten  nachkommt;  daher  entspricht 
die  Summe  der  aufgehenden  Pflanzen  in  jedem  Jahre  keines- 
wegs den  ausgestreueten  Samen.  Einige  Gewächse  tragen  bloss 
in  dem  Jahre  ihrer  Entwicklung  Samen  ''),  andere  öfter,  wie  der 
Eppich,  das  Porrum,  das  Gethyum.  Sind  diese  letztern  einmal 
gesäet,  so  bleiben  sie  eine  Reihe  von  Jahren  hindurch  fruchtbar^ 

»)  ursinum.  Allium  ursinum  L.     ^)  S,  44.  Cap.     »)  s.  44.  Cap. 
-»)  Sinapis.   Sinapis  alba  L.     ^)  Coriandrura  sativum  L. 
6)  S.  XX.  B.  61.  Cap.  etc.    ')  D.  h.  es  sind  einjährige. 


458  Neunzehntes  Bucli, 

36. 

Die  meisten  Gewächse  haben  runde  Samen,  einige 
längliche,  nur  wenige  blattartige  und  breite,  wie  die  Atri- 
plex,  einige  dünne  und  gerinnelte,  wie  das  Cuminum.  Auch 
durch  die  Farbe  unterscheiden  sie  sich,  denn  es  giebt 
schwarze  und  weisse,  desgleichen  durch  die  holzige  Härte. 
In  Kapseln  eingeschlossen  sind  sie  beim  Rettig,  dem  Senf 
und  der  weissen  Rübe.  Nakte  Samen  hat  der  Eppich,  Co- 
riander,  Dill,  Fenchel,  das  Cuminum;  in  eine  Haut  geklei- 
dete das  Blitum,  die  Beta,  Melde,  das  Basilienkraut;  woll- 
haarige der  Lattich.  Keins  ist  fruchtbarer  als  das  Basilien- 
kraut; man  schreibt  vor,  dasselbe  mit  Fluchen  und  Ver- 
wünschungen zu  säen,  damit  es  leichter  aufwachse.  Nach- 
dem es  gesäet,  wird  die  Erde  fest  gestampft.  Die  das 
€uminum  Säenden  beten,  damit  er  nicht  ausgehe.  Der 
Same,  welcher  in  einer  Hülle  sitzt,  trocknet  schwierig  aus, 
z.  B.  der  des  Basilienkrautes  und  Gith  i);  allderartiger 
Same  wird  künstlich  getrocknet  und  ist  fruchtbar.  In  der 
Regel  wächst  der  Same  besser,  wenn  er  gehäuft,  als  wenn 
er  dünn  ausgestreuet  liegt,  nnd  bekanntlich  säet  man  das 
Porrum  und  den  Knoblauch  in  kleinen  Bündeln  einge- 
schlossen, auch  den  Eppich  in  ein  mit  einem  Pflock  ge- 
machtes und  mit  Mist  versehenes  Loch.  Alle  Pflanzen 
aber  wachsen  entweder  aus  Samen  oder  aus  Abreissern, 
einige  aus  Samen  und  Reisern,  wie  die  Raute,  das  Origa- 
uum,  das  Ocimum;  letzteres  nämlich  wird  auch,  wenn  es 
handhoch  ist,  abgeschnitten.  Andere  hingegen  aus  der 
Wurzel  und  dem  Samen,  wie  die  ZipoUe,  der  Knoblauch, 
die  Knollengewächse,  und  diejenigen,  deren  Wurzeln,  wenn 
sie  1  Jahr  getragen  haben,  in  der  Erde  stehen  geblieben 
sind.  Diejenigen,  welche  aus  der  Wurzel  hervorwachsen, 
haben  eine  dauerhafte  und  feste,  wie  die  Knollengewächse, 
das  Gethyum  und  die  Meerzwiebel.  Einige  wachsen  stau- 
denartig und  ohne  Köpfe,  wie  der  Eppich,  die  Beta.     Wenn 

•)  S.  52.  Cap. 


Neunzehntes  Buch.  459 

man  den  Stengel  abschneidet,  so  sehlagen  die  meisten, 
ausgenommen  die  welche  keinen  rauhen  Stengel  haben, 
wieder  aus.  Diese  Eigenschaft  benutzt  man  beim  Ocimum, 
dem  Rettig  und  dem  Lattich,  und  hält  den  nachgewachsenen 
Theil  für  wohlschmeckender.  Der  Rettig  wird  sicher  schmack- 
hafter, wenn  man  ihm  die  Blätter  nimmt,  bevor  der  Stengel 
treibt.  Ebenso  die  Steckrüben,  denn  auch  sie  wachsen, 
nach  Wegnahme  der  Blätter,  mit  Erde  bedeckt  und  halten 
sich  den  Sommer  über. 

37. 
Von  folgenden  Gewächsen  giebt  es  nur  eine  Art:  von 
Ocimum,  Ampfer,  Blitum,  Nasturtium,  Eruca,  Atriplex,  Co- 
riander,  Dill,  denn  sie  sind  sich  überall  gleich,  und  an 
einem  Orte  nicht  besser  wie  am  andern.  Nur  glaubt  man, 
gestohlene  Raute  sei  fruchtbarer,  wogegen  gestohlene  Birnen 
am  schlechtesten  gedeihen.  Einige  entstehen,  ohne  gesäet 
zu  sein,  wie  die  wilde  Minze  i),  die  Katzenminze  2),  die 
Cichorie,  der  Poley.  Viele  Arten  aberhaben  die,  welche 
wir  bereits  angeführt  haben  und  noch  nennen  werden,  be- 
sonders der  Eppich.  Diejenige  Art  davon,  welche  an 
teuchteu  Plätzen  wächst,  heisst  Helioselinum  ^)  und  hat  nur 
ein  *),  unbehaartes  Blatt;  die  an  trocknen  Orten  vorkommende 
heisst  Hipposelinum  •'),  sieht  jeuer  ähnlich,  hat  aber  meh- 
rere Blätter.  Die  dritte  Art  hat  Blätter  wie  der  Schierling, 
eine  dünne  Wurzel,  Samen  wie  der  Dill,  nur  etwas  kleiner, 
und  heisst  Oreoselinum  ß).  Auch  der  angebauete  kommt 
mit  dichten,  krausen,  dünnen  und  schwachen  Blättern,  mit 
dünnem  und  dickem  Stengel  vor;  letzterer  ist  ferner  bei  einigen 
weiss,  bei  andern  purpurroth  oder  bunt. 

38. 
'   Die   Griechen   unterscheiden   3   Arten   Lattich;    eine 


»)  Mentastrum.    ^}  Nepeta.  Nepeta  cataria  L. 
3)  Apium  graveoleus  L. 

<)  In  Theophrast   steht  /j.avo  (fvklov,  (dünnes  Blatt),  was  Plinius 
wahrscheinlich  für  [xovo  (pvXXov  gelesen  hat. 
^)  Smyrnium  olusatrum  L. 
•*)  Seseli  annuum  L.? 


460  Neunzehntes  Buch. 

davon  hat  einen  so  breiten  Stengel,  dass  daraus  sogar 
kleine  Gartenthüren  gemacht  werden  sollen,  die  Blätter 
sind  etwas  grösser  als  Grasblätter  und  ganz  sehmal,  gleich- 
sam als  wenn  die  Pflanze  ihre  Nahrung  vorzüglich  nur 
auf  andere  Theile  tibertragen  habe.  Die  zweite  Art  hat 
einen  runden  Stengel,  die  dritte  sitzt  (an  der  Erde)  und 
heisst  die  laconische.  Andere  theilen  die  Arten  nach  der 
Farbe  und  Saatzeit  ein,  nämlich  eine  schwarze,  die  im 
Januar,  eine  weisse,  die  im  März,  und  eine  röthliche,  die 
im  April  gesäet  würde,  und  alle  würden  2  Monate  später 
versetzt.  Genauere  Landwirthe  unterscheiden  noch  mehr 
Arten:  eine  purpurrothe,  krause,  cappadocische,  griechisch» 
mit  längern  Blättern  und  breitem  Stengel,  ferner  mit  langen 
und  schmalen  Blättern  wie  die  Cichorie.  Die  schlechteste 
Art  ist  wegen  ihrer  abscheulichen  Bitterkeit  Picris  i)  ge- 
nannt worden.  Noch  eine  andere  Art,  die  schwarze,  heisst 
Mecoiiis  wegen  des  in  grosser  Menge  darin  enthaltenen 
Schlaf  erregenden  Milchsaftes,  doch  sollen  auch  die  übrigen 
diese  Wirkung  haben.  Unsere  Vorfahren  in  Italien  kannten 
nur  diese  Art  allein,  und  nannten  sie  desshalb  Lactuca  ^). 
Die  purpurrothe,  welche  die  grösste  Wurzel  hat,  heisst  die 
cäcilianische,  die  runde,  mit  der  kleinsten  Wurzel  und 
breiten  Blättern:  die  stengellose,  nach  Andern  die  entmannte, 
weil  ihr  Genuss  der  Liebe  am  meisten  widerstehen  machen 
soll.  Doch  sind  sie  alle  von  Natur  kühlend  und  daher  im 
Sommer  eine  angenehme  Speise,  benehmen  auch  den  Ekel 
und  machen  Appetit.  Man  weiss,  dass  der  Kaiser  Augustus 
durch  die  Geschicklichkeit  des  Arztes  Musa  mittelst  Lattich 
von  einer  Krankheit  geheilt  worden  ist.  Während  die  Alten 
den  Lattich  zu  sehr  vernachlässigten,  ist  er  dagegen  jetzt 
so  ausserordentlich  beliebt,  dass  man  ausfindig  gemacht 
hat,  ihn  in  Sauerhonig  für  diejenigen  Monate,  in  welchen 
er  nicht  frisch  zu  haben  ist,  aufzubewahren.  Man  glaubt 
auch,  dass  er  das  Blut  vermehre.     Es  giebt  noch  eine  Art 


')  Urospermum  echioides  L.     -)  von  lac.  Lactuca  sativa  L. 


Neunzehntes  Buch.  461 

der  sogenannte  Ziegenlattich,  dessen  wir  unter  den  Arznei- 
gewächsen näher  erwähnen  wollen  i).  Unter  den  Garten- 
gewächsen beginnt  die  sehr  beliebte  Art  Lattich,  welche 
die  cilicische  heisst  und  ein  der  cappadocischen  ähnliches 
jedoch  krauses  und  breites  Blatt  hat,  Eingang  zu  finden. 

39. 
Die  lutubi  *)  können  weder  zu  derselben  Art,  noch 
zu  einer  andern  gerechnet  werden;  sie  sind  nicht  so  em- 
j'^ndlich  gegen  den  Winter,  scheinen  giftige  Eigenschaften 
zu  haben,  liefern  aber  nicht  minder  wohlschmeckende  Sten- 
gel. Es  giebt  auch  einen  sich  weit  ausbreitenden  Intubus, 
welcher  in  Aegypten  Cichorium  heisst,  von  dem  wir  aber 
ein  anderes  Mal  reden  wollen  ^).  Man  hat  ausfindig  gemacht, 
alle  Sträusse  und  Blätter  der  Latticharten  durch  Einschlie- 
ssen  in  Krüge  auf  lange  Zeit  zu  conserviren  und  die  so 
frisch  erhaltenen  in  Pfannen  zu  kochen.  Lattich  säet  man 
das  ganze  Jahr  hindurch  auf  fruchtbaren,  feuchten  und 
gedüngten  Boden;  zwischen  der  Aussaat  und  der  Reife  der 
Pfianze  verlaufen  2  Monate.  Doch  soll  man  eigentlich 
gleich  nach  dem  kürzesten  Tage  aussäen,  und  zu  Anfang 
des  Frühlings  die  Pflanzen  versetzen,  oder  um  diese  Zeit 
säen,  und  im  Frühlings- Aequinoctium  versetzen.  Die  wei- 
ssen vertragen  die  Kälte  am  besten.  Alle  Gartengewächse 
lieben  Feuchtigkeit  und  Dünger,  vorzüglich  der  Lattich 
und  noch  mehr  der  Intubus.  Es  ist  auch  von  Nutzen,  die 
"Wurzel  vor  dem  Setzen  mit  Mist  zu  bestreichen,  und  die 
durch  Umgraben  entstandenen  Vertiefungen  mit  Erde  aus- 
zufüllen. Einige  befördern  auch  die  Ausbreitung  der  Ge- 
wächse dadurch,  dass  sie  dieselben,  wenn  sie  V2  Fuss  hoch 
sind,  abschneiden,  und  mit  frischem  Schweinmiste  bestrei- 
chen. Man  glaubt,  nur  diejenigen  würden  weiss,  welche 
aus  weissem  Samen  wüchsen,  wenn  vom  Beginn  des  Wach- 
sens  an   Ufersand   zwischen   sie   gestreuet   wird,   und   die 


ii  S.  XX.  B.  24.  Cap. 

■•')  Intubi.  Cichorium  Intylaif;  L.  und  Cichorium  Endivia  L. 

=)  S.  XX.  B.  -29.  Cap. 


462  Neunzehntes  Buch. 

sich  ausbildenden  Blätter  an  den  Stengel  hinaufgebunden 
werden. 

40. 
Der  Mangold  1)  ist  unter  allen  Gartengewächsen  das 
leichteste.  Die  Griechen  unterscheiden  2  Arten  desselben 
nach  der  Farbe,  die  schwarze  2)  und  weisse^);  letztere  wird 
vorgezogen,  hat  sehr  wenige  Samen,  heisst  die  sicilische, 
und  wird,  was  die  Farbe  anbetrifft,  noch  dem  Lattich  vor- 
gezogen. Wir  theilen  denselben,  nach  der  Zeit  der  Aus- 
saat, in  den  Frühlings-  und  Herbst-Mangold,  doch  säet  man 
ihn  auch  im  Juni.  Er  wird  gleichfalls  verpflanzt,  und  es 
ist  zweckmässig,  die  Wurzeln  mit  Mist  zu  bestreichen  und 
den  Boden  recht  feucht  zu  halten.  Man  gebraucht  ihn  mit 
Linsen  und  Bohnen,  und  ebenso  wie  Kohl,  namentlich  aber 
in  Verbindung  mit  Senf,  um  seine  Milde  mit  Schärfe  zu 
paaren.  Die  Aerzte  sind  der  Meinung,  er  sei  schädlicher 
als  Kohl;  ich  erinnere  mich  auch  nicht,  ihn  auf  dem  Tische 
gesehen  zu  haben,  denn  man  hält  es  für  bedenklich,  ihn 
zu  kosten,  und  nur  für  kräftige  Personen  möchte  er  sich 
eignen.  Er  ist  von  doppelter  Natur,  nämlich  wie  der 
Kohl  und  wie  die  Zwiebel,  und  die  Güte  hängt  von  der 
Breite  ab.  Diese  erlangt  er,  wenn,  wie  beim  Lattich,  im 
Anbeginn  der  Färbung  ein  leichtes  Gewicht  darauf  gelegt 
wird.  Kein  anderes  Gewächs  breitet  sich  mehr  als  dieses 
aus,  mitunter  bis  auf  2  Fuss,  was  übrigens  viel  von  der 
Beschaffenheit  des  Bodens  abhängt.  Im  circeiensischen 
Gebiete  findet  man  die  grössten.  Manche  glauben,  die 
beste  Säezeit  sei,  wenn  der  Granatapfel  blüht,  uud  die 
beste  Verpflanzung,  wenn  5  Blätter  zum  Vorschein  gekom- 
men sind.  Merkwürdig  ist  der,  wenn  anders  gegründete 
Unterschied,  dass  der  Genuss  der  weissen:  Oefifnung,  der 
der  schwarzen:  Verstopfung  bewirkt,  und  dass,  wenn  der 
Geschmack  des  Weines  in  einem  Fasse  durch  Kohl   ver- 


»)  Beta.    2)  Beta  vulgaris  L.;  die  rothe  Spielart. 
3)  Beta  cicla  L. 


Neunzehntes  Buch.  465 

dorben   ist,   eingetauchte  Mangoldblätter   ihn    wieder    ver- 
bessern. 

41. 
Dass  Kohl  und  Krauts),  welche  gegenwärtig  die 
wichtigsten  Gärtengewächse  sind,  von  den  Griechen  beson- 
ders geachtet  wurden,  finde  ich  nirgends  angeführt.  Cato 
aber  macht  auf  den  Kohl  grosse  Lebenserhebungen,  die 
wir  bei  den  Arzneien  gehörigen  Orts  anführen  wollen.  Er 
unterscheidet  3  Arten,  eine  mit  ausgedehnten  Blättern  und 
grossem  Stengel,  eine  andere  mit  krausen  Blättern,  welche 
er  Eppichkohl  ^)  nennt ,  eine  dritte  mit  kleinen  Stengeln^ 
mild  und  zart,  aber  am  werthlosesten.  Kohl  wird  das 
ganze  Jahr  hindurch  gesäet  und  geschnitten,  am  zweckmä- 
ssigsten  säet  man  ihn  jedoch  nach  dem  Herbst-Aequinoctium^ 
und  versetzt  ihn,  wenn  er  5  Blätter  hat.  Die  jungen  Spro- 
ssen vom  ersten  Schnitte  sind  im  folgenden  Friihliuge  am 
besten;  diess  sind  nämlich  an  den  Stengeln  selbst  wach- 
sende feinere  und  zartere  Stengel,  welche  von  dem  Schwel- 
ger Apicius  und  durch  diesen  vom  Drusus  Cäser  verschmä- 
het wurden,  und  weshalb  dieser  von  seinem  Vater  Tiberius 
Strafe  bekam.  Nach  jenen  Sprossen  schiessen  aus  derselben 
Kohlstaude  die  Sommer-,  Herbst-  und  Winterstengelchen, 
dann  wiederum  Sprossen  —  denn  keine  Art  ist  so  frucht- 
bar als  diese  —  bis  sie  durch  ihre  eigene  Fruchtbarkeit 
aufgerieben  wird.  Die  dritte  Art  wird  im  Solstitium  gesäet 
und  bei  feuchtem  Boden  im  Sommer,  bei  trockuem  im 
Herbste  verpflanzt.  Mangel  an  Mist  und  Feuchtigkeit  be- 
dingen einen  angenehmem  Geschmack,  und  Ueberfluss  au 
beiden  grössere  Fruchtbarkeit.  Eselsmist  leistet  hier  die 
besten  Dienste.  Auch  diess  Gewächs  gehört  zu  den  Lecke- 
reien, daher  wir  uns  wohl  etwas  ausführlicher  darüber 
verbreiten  müssen.  Ganz  besonders  schmackhaft  und  gross 
wird  der  Kohl,  wenn  man  ihn  in  zweimal  gegrabene  Erde 
säet    die  über  die  Erde  sich  erhebenden   Stengel   au  dem 


'    Olus  et  caules.  Brassica  oleracea  L.  und  deren  Varietäten. 
2)  apiana. 


4(54  Neunzehntes  Buch. 

Boden  abschneidet  und  an  die,  welche  sich  im  üppigen 
Wüchse  vom  Boden  erheben,  soviel  andere  Erde  häuft, 
dass  nur  die  Spitzen  hervorragen.  Man  nennt  diese  Art, 
wobei  man  Unkosten  und  Verdruss  doppelt  rechnen  muss, 
die  dreifache.  Der  übrigen  Arten  sind  noch  eine  ziemliche 
Anzahl.  Die  cumanische  bat  sitzende  Blätter  und  einen 
offnen  Kopf;  die  ariciniscbe  ist  nicht  höher,  hat  mehr,  aber 
weniger  zarte  Blätter,  und  wird  für  die  beste  gehalten, 
weil  sie  fast  unter  allen  Blättern  besondere  Stiele  treibt. 
Die  pompejanische  ist  höher,  der  Stengel  von  der  Wurzel 
an  dünn,  in  der  Nähe  der  Blätter  aber  dick,  die  Blätter 
sind  weniger  zahlreich  und  schmäler,  aber  ihrer  Zartheit 
wegen  geschätzt,  verlieren  jedoch  durch  Kälte.  Dagegen 
ist  die  Kälte  der  brutianischen  Art  mit  grossen  Blättern, 
dünnem  Stengel  und  vom  scharfen  Geschmacke  zuträglich. 
Die  sabellische  Art  hat  ausgezeichnet  krause  Blätter,  deren 
Dicke  den  Stengel  selbst  (scheinbar)  dünne  macht,  und 
wird  für  die  süsseste  von  allen  gehalten.  Vor  Kurzem  ist 
auch  die  seethurraige  aus  dem  aricinischen  Thale,  wo  ehe- 
mals ein  See  war  und  noch  ein  Thurm  steht,  bekannt  ge- 
worden, welche  einen  sehr  grossen  Kopf  und  zahllose 
Blätter  trägt,  und  von  der  einige  sich  rundum  ausdehnen, 
andere  in  die  Breite  wachsen.  Auch  hat  keine,  nächst 
der  dreifachen,  einen  grössern  Kopf,  der  zuweilen  1  Fuss 
misst,  und  keine  bekommt  die  Sprossen  später.  Alle  Arten 
macht  der  Keif  delikater,  wenn  aber  das  Mark  nicht  durch 
einen  Querschnitt  geschützt  wird,  so  schadet  er  sehr.  Kohl, 
der  zur  Saat  bestimmt  ist,  wird  nicht  geschnitten.  Auch 
derjenige,  welcher  den  Habitus  der  Pflanze  nie  überschreitet, 
ist  vorzüglich  gut;  er  heisät  Seekohl  i),  weil  er  nur  am 
Meere  wächst,  und  hält  sich  selbst  auf  langer  Seefahrt 
grün.  Nachdem  er  abgeschnitten,  thut  man  ihn  sogleich, 
ohne  dass  er  die  Erde  berührt  hat,  in  kurz  zuvor  getrock- 
nete Oelfässer,  und  verschliesst  diese  sorgfältig  vor  dem 
Zutritt  der  Luft.  Einige  glauben,  die  Pflanze  komme  schneller 


')  halniyviiHa.  Crambe  maritima  L.? 


Neunzehntes  Buch.  465 

zur  Reife,  wenn  man  beim  Versetzen  Seegras  und  so  viel 
Natron,  als  man  mit  3  Fingern  fassen  kann,  unter  den 
Stengel  lege.  Andere  streuen  ein  Gemenge  von  Kleesamen 
und  Natron  auf  die  Blätter.  Ein  Zusatz  von  Natron  beim 
Kochen  erhält  sie  auch  grün,  oder,  wenn  man  sie,  nach 
apicianischer  Weise,  vor  dem  Kochen  in  Oel  und  Salz  ein- 
weicht. Auch  bei  den  Kräutern  bedient  man  sich  einer 
Art  Pfropfens,  indem  man  die  Sprossenaugen  des  Stengels 
abschneidet  und  in  das  Mark  Samen  von  andern  Pflanzen 
steckt.  Diess  geschieht  unter  andern  bei  der  wilden  Gurke. 
Es  giebt  noch  einen  wilden  Kohl  mit  3  Blättern,  welcher 
durch  die  Gedichte  des  göttlichen  Julius  (Caesar)  und 
durch  Soldatenscherze  berühmt  geworden  ist,  denn  in  einem 
Verse  um  den  andern  warfen  sie  ihm  vor,  dass  sie  bei 
Dyrrachium  von  Lapsana  i)  hätten  leben  müssen,  und  spot- 
teten über  seine  Sparsamkeit  bei  Austheilung  der  Geschenke. 
Diese  Pflanze  ist  aber  der  wilde  Kohl. 

42. 
Unter  allen  Gartengewächsen  wird  die  meiste  Sorgfalt 
auf  den  Spargel^)  verwendet.  Ueber  seinen  Ursprung 
wurde  bei  den  wilden  Kräutern  genügend  gesprochen  und 
ebendaselbst  angeführt,  wie  er,  nach  Cato's  Anleitung,  in 
Rohrgebüsche  zu  säen  sei.  Es  giebt  noch  eine  andere  Art, 
welche  weniger  angebaut  ist  als  der  Gartenspargel,  milder 
als  der  Corruda^)  schmeckt,  hin  und  wieder  auf  Bergen, 
und  Felderweise  im  obern  Deutschland  wächst,  und  von 
dem  der  Kaiser  Tiberius  die  witzige  Aeusserung  machte, 
es  wachse  dort  ein  dem  Gartenspargel  sehr  ähnliches 
Kraut.  Derjenige  aber,  welcher  auf  der  campanischen  In- 
sel Nesis  wild  wächst,  wird  für  den  besten  gehalten.  Man 
pflanzt  den  Gartenspargel  durch  Wurzeln  *)  fort,  denn  er 
hat  deren  sehr  viele  und  geht  sehr  tief.  Zuerst  bricht  ein 
Strunk  hervor,  der,  zum  Stengel  aufwachsend,  sich  mit  der 


•)  Sinapis  incana  L.,  oder  vielleicht  eher  Raphanus  Raphanistrum. 
'■')  Asparagus  officinalis  L.    »)  Asparagus  acutifolius  L. 
'*)  spTongiae. 

Wittstein:  Plinius.     UI.  Bd.  30 


466  Neunzehntes  Buch. 

Zeit  hoch  erhebt  und  in  breite  Büsche  vertheilt.  Man  kann 
ihn  auch  aus  dem  Samen  ziehen.  Cato  hat  keine  Materie 
fleissiger  bearbeitet,  und  sie  umfasst  das  Letzte  seines 
Werks,  woraus  erhellet,  dass  dieser  Mann  dem  Spargel 
auf  einmal  ganz  zuletzt  seine  Sorge  widmete.  Man  soll 
nach  Ihm  einen  feuchten  und  dichten  Boden  zurichten,  und 
den  Spargel  nach  allen  Seiten  hin  i;,  Fuss  weit  von  ein- 
ander pflanzen,  damit  er  nicht  zertreten  werde.  Ausserdem 
soll  man  der  Schnur  entlang  2  bis  3  Körner  mittelst 
eines  Pflockes  (denn  damals  zog  man  den  Spargel  bloss 
aus  Samen)  und  zwar  nach  dem  Frühlings-Aequinoctium 
einsetzen.  Man  müsse  ferner  gut  düngen,  fleissig  gäten, 
und  sich  vorsehen,  dass  mit  dem  Unkraute  nicht  auch  der 
Spargel  herrausgerissen  werde.  Im  ersten  Jahre  bedecke 
man  ihn  im  Winter  mit  Stroh,  im  Frühjahre  lüfte  man 
wieder,  behacke  und  gäte,  im  dritten  Frühlinge  aber  zünde 
man  ihn  an.  Je  zeitiger  man  ihn  anzündet,  desto  besser 
gedeihet  er.  Daher  steht  er  am  zweckmässigsten  in  Rohr- 
gebüschen, weil  diese  früh  angezündet  werden.  Cato  sagt, 
man  müsse  ihn  nicht  früher  behacken,  bis  er  emporge- 
wachsen sei,  damit  die  Wurzeln  nicht  verletzt  würden. 
Hierauf  müsse  der  Spargel  nahe  an  der  Wurzel  abgerissen 
werden,  denn  bräche  man  ihn  ab,  so  verholze  er  und  sterbe 
ab.  Dass  Abreissen  kann  so  lange  geschehen,  bis  der 
Same  ansetzt.  Dieser  werde  aber  im  Frühjahre  reif,  dann 
wird  angezündet,  und  wenn  der  Stengel  neuerdings  erscheint, 
behacke  und  dünge  man.  Nach  neun  Jahren  setze  man 
ihn  in  geackertes  und  gedüngtes  Land,  und  pflanze  ihn 
durch  Wurzeln,  welche  1  Fuss  weit  von  einander  entfernt 
sind,  fort.  Man  soll  namentlich  Schafmist  gebrauchen,  weil 
aller  andere  leicht  Unkraut  erzeugt.  Hernach  fand  man 
es  am  zweckmässigsten,  um  die  Mitte  des  Februars  Samen, 
welcher  haufenweise  vergraben,  und  besonders  in  Mist  ein- 
geweicht ist,  in  kleine  Gruben  zu  säen.  Wenn  dann  die 
Wurzeln  sich  in  einander  verflochten  haben,  versetzt  man 
nach  dem  Herbst-Aequinoctium  1  Fuss  weit  von  einander, 
was  eine  zehnjährige  Fruchtbarkeit  zur  Folge  hat.    Kein 


Neunzehntes  Buch.  4(57 

Boden  eignet  sich  besser  für  ihn  als  das  Gartenland  zu 
Ravenna.  —  Unter  dem  bereits  erwähnten  Corruda  verstehe 
ich  den  wilden  Spargel,  welchen  die  Griechen  Hormenum, 
Myacanthum  oder  auch  anderes  nennen.  Ich  finde,  dass 
der  Spargel  auch  gut  wachsen  soll,  wenn  man  ihn  mit 
zerstossenen  Widderhörnern  düngt. 

43. 

Es  könnte  nun  scheinen,  als  haben  wir  alles,  was  ei- 
nigen Werth  hat,  angeführt,  wenn  nicht  noch  des  bedeu- 
tenden Ertrags  von  einem  Gegenstande,  dessen  man  nicht 
ohne  Schaam  erwähnen  kann,  gedacht  werden  müsste. 
Man  bauet  nämlich,  namentlich  bei  Carthagena  und  Cor- 
duba  Disteln  0,  welche  von  kleinen  Feldern  einen  Ge- 
winn von  6000  Sesterzien  abwerfen;  denn  wir  bringen  auch 
die  hässlicben  Ausgeburten  der  Erde,  ja  selbst  das  was 
die  damit  vertrauten  Thiere  vermeiden,  zu  Leckereien  in 
die  Küche.  Man  bauet  diese  Disteln  auf  zweierlei  Weise, 
durch  junge  Pflanzen  im.  Herbste  und  durch  Samen  vor 
dem  7.  März;  die  Pflanzen  davon  werden  vor  Mitte  No- 
vember oder  in  kalten  Gegenden  im  Februar  versetzt, 
merkwürdiger  Weise  auch  gedüngt  und  gedeihen  dann 
besser,  ferner  in  mit  Essig  vermischtem  Honig  eingemacht, 
und  Laserwurzel  nebst  Rosskümmel  zugesetzt,  damit  kein 
Tag  ohne  Disteln  hingeht. 

44. 

Die  übrigen  Gewächse  brauche  ich  nur  kurz  anzu- 
deuten. Das  Ocimum  soll  am  Feste  der  Pales  gesäet 
werden,  doch  kann  diess  auch  im  Herbste  geschehen;  wenn 
aber  die  Aussaat  im  Winter  vorgenommen  werden  soll, 
so  müsse  man  den  Samen  in  Essig  einweichen.  Die  Eruca  2) 
und  die  Brunnenkresse 3)  säet  naan  gleichfalls  um  die- 
selbe Zeit,  und  beide  wachsen  im  Sommer  oder  Winter  am 
besten  heran.  Namentlich  widersteht  die  Eruca  der  Kälte 
sehr  gut,  ist  von  dem  Lattich  verschieden  und  reizt  zum 


')  Cardui.  Cynara  Scolymus  L.  die  Artischoke. 
2)  Eruca  sativa  L.    3)  Nasturtium.  Nasturtium  officinale  Br. 

30* 


4ßg  Neunzehntes  Buch. 

Geschlechtstrieb,  daher  man  sie  mit  jenem  vermischt  ver- 
speist, um  allzugrosse  Kälte  durch  Hitze  zu  massigen. 
Die  Brunnenkresse  hat  ihren  Namen  von  dem  Reize,  den 
sie  auf  die  Nase  ausübt  i).  Mau  gebraucht  daher  diess 
Wort  als  Redensart  zur  Bezeichnung  der  Lebhaftigkeit, 
welche  auf  einen  trägen  (gleichsam  der  Betäubung  ähn- 
lichen) Zustand  erfolgt  ist.  In  Arabien  soll  sie  eine  ausser- 
ordentliche Grösse  erlangen. 

45. 

Die  Raute-)  wird  gleichfalls  im  ersten  Frühlinge  und 
nach  dem  Herbst- Aequinoctium  gesäet;  Kälte,  Feuchtigkeit 
und  Mist  schaden  ihr,  an  sonnigen  und  trocknen  Plätzen 
sowie  in  Ziegelerde  gedeihet  sie  gut.  Sie  muss  mit  Asche 
gedüngt  werden,  und  zur  Abhaltung  der  Raupen  mischt 
man  dieselbe  unter  den  Samen.  Bei  den  Alten  stand  diess 
Gewächs  in  besonderm  Ansehn.  Ich  finde,  dass  Corne- 
lius Cethegus,  der  College  des  Quintius  Flamininus 
im  Consulate,  dem  Volke  nach  Beendigung  des  Wahlaktes 
Rautenmost  reichen  Hess.  Die  Raute  ist  dem  Feigenbaume 
so  befreundet,  dass  sie  nirgends  besser  als  unter  diesem 
gedeihet.  Sie  wird  auch  durch  Reiser  fortgepflanzt,  und 
diess  geschieht  zweckmässig  dadurch,  dass  man  ein  solches 
in  eine  durchbohrte  Bohne  steckt,  deren  Saft  den  Steckling 
nährt.  Endlich  zieht  man  sie  durch  sich  selbst;  wenn  man 
nämlich  die  Spitze  eines  Astes  zur  Erde  biegt,  so  schlägt 
er  gleich  Wurzeln.  Dieselbe  Eigenschaft  besitzt  das  Ba- 
silienkraut, nur  wächst  dieses  nicht  so  leicht.  Sobald  die 
Pflanze  einige  Festigkeit  erlangt,  wird  sie  gesäubert,  was 
etwas  schwierig  ist,  weil  sie  leicht  juckende  Geschwüre 
erzeugt,  wenn  man  die  Hände  nicht  vorher  mit  Oel  be- 
strichen hat.    Man  hebt  die  Blätter  in  Bändeln  auf. 

46. 

Den  Eppich  bauet  man  nach  dem  Frühlings-Aequinoc- 
tium,  und  stösst  zuvor  den  Samen  ein  wenig  im  Mörser, 
denn  durch  diese  Behandlung,  oder  auch,   wenn  man  die 


>)  -a  narium  tonnento.    -)  Ruta.  Rata  greveoleus  L. 


Neunzehntes  Buch.  469 

Saat  mit  einer  Walze  oder  mit  den  Füssen  eintritt,  soll  er 
krauser  werden.  Er  hat  das  Eigenthümliche,  die  Farbe  zu 
wechseln.  In  Acbaja  widerfährt  ihm  die  Ehre,  dass  die 
Sieger  in  den  heiligen  Nemeischen  Kampf-Spieleu  damit 
bekränzt  werden. 

47. 
Um  dieselbe  Zeit  wird  die, Minze  durch  die  Pflanze  i) 
oder,  wenn  sie  noch  nicht  ausgeschlagen  ist,  durch  die 
"Wurzel  gebauet.  Sie  liebt  trocknen  Boden.  Im  Sommer 
ist  sie  grttn,  im  Winter  gelblich.  Eine  wilde  Art,  die 
Rossminze  2),  wird  entweder  auf  ähnliche  Weise  wie  der 
Weinstock  oder  durch  Umkehren  der  Aeste  fortgepflanzt. 
Den  Namen  mentha  hat  sie  bei  den  Griechen  des  ange- 
nehmen Geruchs  wegen  bekommen,  denn  sie  hiess  sonst 
mintha,  und  davon  haben  unsere  Vorfahren  den  Namen 
abgeleitet.  Seit  Kurzem  bezeichnet  man  sie  auch  mit 
'HSvoafxog.  Bei  ländlichen  Gastmahlen  duften  die  Tische 
vom  Aroma  der  Minze.  Einmal  gesäet  dauert  sie  eine 
Reihe  von  Jahren  hindurch  aus.  Ihr  nahe  steht  der  Poley  3), 
der,  wie  ich  bereits  angeführt  habe,  die  Eigenschaft  hat, 
in  den  Speisekammern  nochmals  zu  blühen.  Minze,  Poley 
und  Nepeta  werden  auf  gleiche  Weise  aufbewahrt.  Doch, 
wenn  wir  auch  alle  übrigen  Gewürze  verwerfen  wollen,  so 
bleibt  doch  der  RosskümmeH)  das  beliebteste.  Er  wur- 
zelt nur  in  der  obersten  Erdschicht,  sodass  er  kaum  darin 
befestigt  ist,  und  wächst  hoch  empor.  Man  muss  ihn 
namentlich  an  warme,  und  faulende  Stoffe  enthaltende 
Plätze  mitten  im  Frühlinge  säen.  Die  wilde  Art,  welche 
Einige  den  Bauernkümmel,  Andere  den  thebaischen  nennen, 
hilft  zerrieben  mit  Wasser  getninken,  gegen  Magenschmerzen. 
In  unserm  Welttheile  ist  der  carpetanische  der  beste, 
ausserdem  hat  der  aethiopische  und  afrikanische  den  Vor- 


1)  D.  i.  durch  Reiser. 

-)  Mentastrum.   Mentha   sylvestris    L.    Unter   der   nicht   wilden 
Art  ist  vorzüglich  Mentha  piperita  L.  zu  verstehen. 
3)  Pulegium.  Mentha  Pulegium  L. 
^)  Cuminum.  Cuminum  Cyminum  L. 


470  Neunzehntes  Buch. 

zug,  und  Einige  schätzen  den  ägyptischen   noch  höher   als 
diesen. 

48. 
Von  ganz  wunderbarer  Beschaffenheit  ist  das  Olusa- 
trum^),  welches  die  Griechen  Hipposelinum  2),  Andere 
Smyrnium  nennen.  Es  wächst  aus  dem  Thränensafte  seines 
Stengels,  wird  aber  auch  mittelst  der  Wurzel  fortgepflanzt. 
Der  davon  gesammelte  Saft  soll  wie  Myrrhe  schmecken, 
und  nach  Theophrast's  Angabe  wäre  diess  Gewächs  aus 
gesäeter  Myrrhe  entstanden.  Die  Alten  bauten  die  Pferde- 
silge  an  wüste,  steinige  Plätze  neben  Gartenmauern,  jetzt 
geschieht  es  auf  zweimal  geackertem  Boden  vom  Beginn 
des  Frühlings  bis  nach  dem  Herbst-Aequinoctium.  Ebenso 
säet  man  auch  die  Kapper  in  trocknes  Erdreich,  dessen 
Fläche  man  beim  Graben  hohl  macht  und  allenthalben  mit 
einer  Steinwand  umgiebt,  weil  sie  sonst  den  Acker  durch- 
wuchert und  unfruchtbar  macht.  Sie  blühet  im  Sommer, 
bleibt  bis  zum  Untergange  des  Siebengestirns  grün,  und 
liebt  besonders  sandigen  Boden.  Die  Fehler  dieses  über- 
seeischen Gewächses  haben  wir  bei  den  fremden  Stauden 
genannt. 

49. 

Auch  der  FeldkümmeH),  der  nach  einem  Volke 
benannt  ist,  gehört  zu  den  ausländischen  Gewächsen.  Er 
wird  viel  in  der  Küche  gebraucht,  und  erfordert  denselben 
Boden  wie  die  Pferdesilge.  Der  beste  kommt  aus  Carlen, 
und  auf  diesen  folgt  zunächst  der  phrygische. 

50. 

Das  wilde  Ligusticum^)  wächst  auf  den  Bergen  seines 
Vaterlandes  Ligurien;  man  säet  es  überall,  das  angebauete 
ist  zwar  milder  aber  nicht  kräftig.     Einige   nennen  es  Pa- 


*)  Smyrnium  Olusatrum  L. 
-)  Pferdesilge. 
3)  Careum.  Carum  Carvi  L. 

^)  Laserpitium    Siler   L.;   nach  Dierbach   ist   es   Trochiscanthes 
nodiflorus  Koch. 


Neunzehntes  Buch.  471 

Dax.  Unter  den  Griechen  benennt  Cratevas  i)  die  Ochsen- 
Cuuila  2)  mit  diesem  Namen,  sonst  alle  Uebrigen  die  Conyza 
d.  i.  Cunilago;  die  Thymbra^)  aber  ist  die  (echte)  Cunila- 
Letztere  bat  bei  uns  den  Namen  Satureja  und  gehört  zu 
den  Gewürzen.  Man  säet  diess  Kraut  im  Februar;  es  ist 
ein  Nebenbuhler  des  Origanum,  und  wegen  seiner  ähnlichen 
Wirkung  wendet  man  niemals  beide  zugleich  an.  Doch 
zieht  man  das  ägyptische  Origanum  der  Cunila  vor. 

51. 
Das  Lepidium*)  gehörte  auch  früher  zu  den  fremden 
Gewächsen.  Man  säet  es  zu  Anfang  des  Frühlings,  schneidet 
es  ,  nachdem  sich  ein  Stengel  gebildet  hat,  nahe  an  der 
Erde  ab,  behackt  und  düngt.  Diese  Behandlung  wird  zwei 
Jahre  lang  befolgt.  Später  benutzt  man  seine  Stengel- 
schüsse, wenn  die  Winterkälte  ihm  nicht  geschadet  hat, 
denn  gegen  diese  ist  es  sehr  empfindlich.  Es  wird  ein  Cu- 
bitus  hoch,  hat  Blätter  von  der  Form  des  Lorbeerbaums, 
aber  von  weicher  Consistenz  und  wird  stets  mit  Milch  ver- 
speist. 

52. 
Das  Gith^)   wird   in   den   Bäckereien,   der  Anis  und 
Dill  in    den  Küchen  und  zu  Arzneien  gebraucht.    Das  Sa- 
copenium'^)   wird  auch  in  Gärten  gebauet,   dient  aber  nur 
als  Arzneimittel. 

53. 
Einige  Gewächse  werden  zusammen  mit  andern  ge- 
säet, wie  z.  B.  der  Mohn  mit  dem  Kohl  und  Portulak''), 
und  die  Eruca  mit  dem  Lattich.  Vom  Mohn  giebt  es  drei 
Arten;  von  dem  weissen  wurde  der  Samen  bei  den  Alten 
geröstet,  und  mit  Honig  beim  Nachtische  aufgesetzt,   auch 


>)  Rhizotom  zur  Zeit  des  Mithridates,  dem  er  ein  Werk  von  den 
med.  Kräften  der  Pflanzen  zueignete. 
2)  S.  XX.  B.  61.  Cap. 

^)  Satureja  hortensis  L.  und  Satureja  Thymbra  L. 
'')  Lepidum  latifolium  L.  und  Lepidium  sativum  L.,  Kresse. 

5)  Nigella  sativa  L.,  der  schwarze  Kümmel. 

6)  S.  XX.  B.  75.  Cap.    ■>)  S.  XX.  B.  81.  Cap. 


^72  Neunzehntes  Buch. 

spreogt  man  ihn,  mit  einem  Ei  vermischt,  auf  die  (obere) 
Rinde  des  Bauernbrotes,  dessen  untere  mit  Petersilie  und 
Schwarzkümmel  gewürzt  wird.  Die  zweite  Art  ist  der 
schwarze  ^),  aus  dessen  Stengel  durch  Ritzen  ein  Milchsaft 
gewonnen  wird.  Die  dritte  nennen  die  Griechen  Rhöas^), 
die  Römer  den  umherschweifenden  3);  er  wächst  wild,  be- 
sonders auf  Aeckern  zwischen  der  Gerste,  ähnelt  der  Eruca, 
ist  ein  Cubitus  hoch,  seine  Blüthe  ist  roth  und  fällt  bald 
ab,  daher  die  Griechen  ihm  obigen  Namen  gegeben  haben  ^). 
Von  den  übrigen  Arten  des  wilden  Mohns  wollen  wir  bei 
den  Arzneigewächsen  reden  ^).  Dass  aber  der  Mohn  bei 
den  Römern  stets  geschätzt  worden  ist,  beweist  Tarqui- 
nius  Superbus,  welcher  in  seinem  Garten  in  Gegenwart 
der  von  seinem  Sohne  abgeschickten  Gesandten  die  höchsten 
Mohnköpfe  abschlug,  und  durch  diese  versteckte  Hand- 
lungsweise jene  blutdürstige  Antwort  gab. 

54. 
Wiederum  werden  im  Herbst-Aequinoctium  zu- 
sammen gesäet:  Coriander,  Dill,  Melde,  Malve,  Ampfer, 
KörbeP),  den  die  Griechen  Päderos  nennen,  und  Senf 
welcher  einen  äusserst  scharfen  Geschmack,  eine  feurige 
Wirkung  und  heilsame  Kräfte  besitzt,  keiner  Cultur  bedarf, 
aber  besser  gedeihet,  wenn  er  versetzt  wird.  Ja,  ist  er 
einmal  gesäet,  so  lässt  sich  das  Feld  kaum  wieder  davon 
befreien,  denn  ein  jedes  Korn,  welches  zur  Erde  fällt,  fängt 
sogleich  an  zu  keimen.  Man  speist  ihn  auch  in  kleinen 
Schüsseln  gekocht  als  Gemüse,  nimmt  dann  aber  keine 
Schärfe  mehr  an  ihm  wahr.  Ferner  kocht  man  die  Blätter 
gleich  andern  Kohlarten.  Es  giebt  drei  Arten;  die  eine  ist 
dünn,  die  andere  hat  Blätter  wie  die  Rübe,  und  die  dritte 
solche   wie   die  Eruca.    Der  beste   Same   kommt  aus  Ae- 


•)  Papaver  album  et  nigrum.  Papaver  somniferum  L. 

^)  Papaver  Argemone  L.  und  Papaver  Rhoeas  L.    3)  erraticum. 

■*)  von  Qscj,  fliessen,  abfallen.     *)  S.  XX.  B.  76.  Cap.  etc. 

*)  Caerefolium.  ScanFix  Cerefolium  L. 


Neunzehntes  Buch.  473 

gypten.    Die  Athenienser  nennen  ihn  Napy,  Andere  Thapsi^ 
und  wieder  Andere  Saurion  i). 

55. 

VomSerpyllum2)und  Sisymbrium  ^)  sind  die  meisten 
Berge  bedeckt,  z.  B.  in  Thracien;  von  diesen,  sowie  von 
den  Bergen  bei  Sieyon  und  vom  Hymettus  bei  Athen  trägt 
man  die  abgerissenen  Zweige  dieser  Gewächse  herunter 
und  streuet  sie  aus.  Das  Sisymbrium  wächst  am  tippigsten 
an  den  Seiten  der  Brunnen,  an  Fischteichen  und  Pfützen. 

56. 

Die  übrigen  sind  ruthenartige ^)  Gewächse,  wie 
der  Fenchel  ^),  welchen,  wie  bereits  angegeben  wurde ,  die 
Schlangen  sehr  gern  fressen,  und  der  getrocknet  häufig  als 
Gewürz  dient.  Ihm  ist  die  Thapsia,  welche  wir  unter  den 
fremden  Stauden  nannten  ß),  ähnlich.  Der  zur  Verfertigung 
von  Stricken  viel  benutzte  Hanf  ^)  wird  gleich  zu  Anfang 
des  Frühlings  gesäet.  Je  dichter  er  ist,  um  so  feiner  fällt 
er  aus.  Der  Same  wird  nach  seiner  Reife  im  Herbst- 
Aequinoctium  abgestreift  und  entweder  an  der  Sonne  oder 
im  Winde  oder  im  Rauche  getrocknet,  die  Pflanze  selbst 
nach  der  Weinlese  ausgerissen  und  in  den  Abendstunden 
durch  Abschälen  gereinigt.  Der  beste  ist  der  alabandische, 
und  dient  besonders  zu  Netzen.  Es  giebt  dort  3  Arten; 
der  schlechteste  befindet  sich  zunächst  der  Rinde  und  dem 
Marke,  am  besten  ist  der  mittlere,  welcher  Mittelhanf  ge- 
nannt wird,  und  der  zweite  heisst  mylaseischer.  Hin- 
sichtlich seiner  Höhe  bemerke  ich,  dass  der  roseische  im 
sabinischen  Gebiete  die  Grösse  der  Bäume  erreicht.  Von 
der  Ferula  haben  wir  unter  den  fremden  Stauden  zwei  Arten 
angeführt.  Ihr  Same  wird  in  Italien  gegessen;  man  macht 
ihn  nämlich  ein  und  erhält  ihn  so  in  Krügen  etwa  ein  Jahr 


1)  Dfe  angeblichen  3  Arten  gehören  wahrscheinlich  sämmtlich 
zu  Sinapis  alba  L.    *)  Thymus  Serpyllum  L. 

3)  Nasturtium  offic.  Br.  Vielleicht  möchte  auch  die  Mentha  aqua- 
tica  L.  hierher  zu  ziehen  sein. 

■*)  ferulacea.    *)  Foeniculum.  Anethum  Foeniculum  L. 

«)  Vergl.  XIII.  B.  43.  Cap.    ')  Cannabis.  Cannabis  sativa  L. 


474 


Neunzehntes  Buch. 


laug.     Man   unterscheidet    Stengel    und    Traube;    letztere 
nennt  man  Corymbia,  und,  was  man  einmacht,  Corymbi. 

57. 

Die  Gartengewächse  werden  ebenso  wie  die  übrigen 
Pflanzen  von  Krankheiten  heimgesucht.  Das  Basilien- 
kraut geht  im  Alter  in  Quendel,  und  das  Sisymbrium  in 
Calaminthe  ^)  über.  Aus  altem  Kohlsamen  werden  Rüben, 
und  umgekehrt.  Der  Rosskümmel  wird,  wenn  man  ihn 
reinigt,  Yom  Limodorum  2)  getödtet.  Letzteres  hat  einen 
einfachen  Stengel,  eine  zwiebelartige  Wurzel,  und  wächst 
bloss  auf  magerm  Boden.  Eine  andere  Krankheit  des  Ross- 
kümmels ist  die  Räude.  Das  Basilienkraut  wird  beim  Auf- 
gange des  Hundssterns  bleich.  Alle  Kräuter  werden  gelb, 
wenn  ein  menstruirendes  Frauenzimmer  sich  ihnen  nähert. 
Es  entstehen  auch  mehre  Arten  kleiner  Thierchen  auf 
Pflanzen,  Mücken  auf  den  Steckrüben,  Raupen  und  Würmer 
auf  dem  Rettig,  dem  Lattich  und  Kohl,  und  noch  mehr  als 
diese,  verschiedene  Schnecken.  Ferner  noch  besondere 
Thiere,  welche  man  am  leichtesten  durch  Aufwerfen  von 
Mist ,  in  welchem  sie  sich  verkriechen ,  fängt.  Sabinus 
Tiro  ^)  sagt  in  seinem  Buche  „über  den  Gartenbau  *)", 
welches  er  dem  Mäcenas  widmete,  es  sei  nicht  gut,  Raute, 
Saturei,   Minze   und  Basilienkraut  mit  Eisen   zu  berühren. 

58. 

Eben  derselbe  hat  auch  wider  die  Ameisen,  diese 
Plage  derjenigen  Gärten,  welche  ohne  Wasser  sind,  ein 
Mittel  angegeben,  nämlich  ihre  Löcher  mit  Meerschlamm 
oder  Asche  zu  verstopfen.  Allein  am  besten  vertilgt  sie 
-das  Kraut  Heliotropium.  Einige  sind  auch  der  Meinung, 
Wasser,  in   welches  rohe  Ziegelsteine  geweicht,   sei  ihnen 


')  Unter  diesem  Namen  begriffen  die  Alten  mehrere  Gewächse: 
Melissa  altissima  Sibth.,  Thymus  Calamintha  L.,  und  Mentha  tomen- 
tella  Lk.  Nehmen  wir  das  im  55.  Cap.  genannte  Sisymbrium  für 
Mentha  aquatica,  so  erklärt  sich  der  angebliche  Uebergang  durch 
<Jie  Aehnlichkeit  beider  Pflanzen. 

2)  Limodorum  abortivum  Sw.  ? 

^)  Dichter  unter  Augustus,  grosser  Feinschmecker.    •*)  Cepuricon. 


Neunzehntes  Buch.  475 

schädlich.  Die  Rüben  weiden  durch  Zwischensäen  von 
Schotenkraut  1),  und  der  Kohl  durch  Kichererbsen  vor  den 
Raupen  geschützt.  Hat  man  diese  Vorsicht  nicht  be- 
obachtet, und  haben  sich  die  Thiere  schon  erzeugt,  so  be- 
sprenge man  die  Pflanzen  mit  einer  Abkochung  von  Wer- 
muth  und  Hauslauch,  welches  Aizoon  beisst  und  dessen 
bereits  früher  gedacht  wurde.  Wenn  in  den  Saft  dieses 
Gewächses  der  Kohlsame  eingeweicht  wird,  so  sollen  sich 
auf  den  daraus  entstehenden  Pflanzen  niemals  schädliche 
Thiere  flnden,  überhaupt  aber  keine  Raupen,  wenn  man 
die  Kopfknochen  eines  Pferdes,  namentlich  eines  weiblichen, 
auf  Pfählen  in  den  Gärten  aufstellt.  Auch  soll  ein  mitten 
im  Garten  aufgehangener  Flusskrebs  die  Raupen  abhalten. 
Einige  berühren  die  Pflanzen  mit  blutrothen  Ruthen  2),  um 
das  Ungeziefer  abzuhalten.  Die  Mücken  schaden  beson- 
ders den  bewässerten  Gärten,  wenn  kleine  Bäume  darin 
stehen.    Man  vertreibt  sie  durch  Räuchern  mit  Galbanum. 

Was  die  Veränderung  der  Samen  betrifft,  so  besitzen 
mancbe  eine  grössere  Dauerhaftigkeit,  wie  der  des  Cori- 
-  anders,  der  Beta,  des  Porrum,  der  Brunnenkresse,  des 
Senfs,  der  Eruca,  der  Saturey  und  fast  alle  scharfen.  Ver- 
gänglicher sind  die  der  Melde,  des  Basilienkrauts,  des 
Kürbiss,  der  Gurke;  die  Samen  der  Sommergewächse 
halten  sich  länger  als  die  der  Wintergewächse,  am  wenig- 
tsen  aber  der  des  Gethyum.  Aber  auch  die  besten  taugen 
nach  vier  Jahren  nicht  mehr  zum  Säen,  können  jedoch 
noch  in  der  Küche  gebraucht  werden. 

59. 

Ein  eigenthümliches  Hülfsmittel  für  den  Rettig,  die 
Beta,  Raute,  Saturey  ist  das  Salzwasser,  welches  auch 
ausserdem  dieselben  wohlschmeckend  und  fruchtbar  macht. 
Den   übrigen  Gewächsen   nützt  das  Begiessen  mit  süssem 


*)  Siliqua.  Trigonella  Foenum  graecum  L. 

^)  Virgae  sanguineae.  Entweder  meint  PI.  hier  die  rothen  Zweige 
von  Comus  sanguinea  L.,  oder  überhaupt  Zweige,  welche  mit  Blut 
benetzt  sind. 


476  Neunzehntes  Buch. 

Wasser,  und  unter  diesem  ist  das  kälteste  und  trinkbarste 
das  beste;  weniger  gut  das  Wasser  aus  Teichen  und 
Gräben,  denn  diess  führt  die  Samen  von  Unkraut  mit  sich. 
Am  nährendsten  jedoch  das  Regenwasser,  denn  es  tödtet  da<^ 

Ungeziefer. 

60. 
Man  muss  des  Morgens  früh  und  des  Abends  be- 
giessen,  damit  das  Wasser  nicht  von  der  Sonne  erhitzt 
werde,  nur  das  Basilienkraut  auch  Mittags;  dessen  Same 
soll  sehr  rasch  aufgehen,  wenn  man  im  Anfange  mit  heissem 
Wasser  begiesst.  Alle  Pflanzen  werden  durchs  Versetzen 
besser  und  grösser,  besonders  Porrum  und  Steckrüben. 
Das  Versetzen  ist  auch  zugleich  eine  Art  Arzneimittel, 
denn  manche  hören  dann  auf  zu  kränkeln,  z.  B.  Gethyum^ 
Porrum,  Rettig,  Eppig,  Lattich,  Rübe  und  Gurke.  Fast 
alle  wilden  Gewächse  haben  kleinere  Blätter  und  Stengel 
und  schärfere  Säfte,  wie  die  Saturey,  der  Dost,  die  Raute. 
Unter  allen  ist  nur  der  wilde  Ampfer  i)  besser;  der  auge- 
bauete  heisst  Rumex,  und  wird  sehr  kräftig,  wenigstens 
dauert  er,  einmal  gesäet,  sehr  lange  aus,  und  lässt  sich,^ 
besonders  am  Wasser,  nicht  ausrotten.  Mit  Gerstengraupen 
gekocht,  ertheilt  er  der  Speise  bloss  einen  mildern  und  ange- 
nehmem Geschmack.  Der  wilde  findet  mannichfache  An- 
wendung in  der  Medizin.  Die  Sorgfalt  im  Gartenbau  geht 
so  weit,  dass  ich  in  einem  Gedichte  die  Bemerkung  finde, 
wenn  man  Samen  von  Porrum,  Eruca,  Lattich,  Eppich,  Ci- 
chorie,  Kresse  in  ausgehöhlten  Ziegenmist  thue  und  dann 
aussäe,  so  gediehen  sie  vortrefflich  zu  Pflanzen.  Werden 
die  wilden  Gewächse  angebauet,  so  bekommen  sie  mehr 
Trockenheit  und  Schärfe. 

61. 
Wir  müssen  auch  der  Verschiedenheit  der  Säfte 
und  ihres  Geschmacks  gedenken,   der  bei  den  Garten- 
gewächsen grösser  als  bei  dem  Obste  ist.    Scharf  schmecken 
die   Saturei,   der  Dost,  die  Kresse,   der  Senf;   bitter:   der 


•)  S.  XX.  B.  85  und  86.  Cap. 


Neunzehntes  Buch.  477 

"Wermuth,  das  Tausendgüldenkraut  i);  wässerig:  die  Gurke, 
der  Kürbiss,  Lattich;  heiss:  der  Thymian  und  die  Saturei; 
heiss  und  balsamisch:  der  Eppich,  Dill,  Fenchel.  Einen 
rein  salzigen  Geschmack  findet  man  nicht,  sondern  das 
Salz  setzt  sich  nur  zuweilen  aussen  als  ein  Pulver,  z.  B. 
an  den  Kichererbsen  2),  ab. 

62. 

Aber  damit  man  inne  wird,  dass  die  Ansichten  im  ge- 
meinen Leben  oft  trügen,  so  führe  ich  an,  dass  das  Pa- 
nax  wie  Pfeffer  schmeckt,  noch  mehr  aber  das  Siliquas- 
trum,  welches  daher  auch  den  Namen  Pfefferkraut 3) 
bekommen  hat;  die  Libanotis*)  wie  Weihrauch,  das 
Smyrnium'')  wie  Myrrhe  riecht.  Von  dem  Panax  habe 
ich  schon  ausführlich  gehandelt  6).  Die  Libanotis  wird  an 
faulige,  magere  und  thauige  Plätze  gesäet;  ihre  Wurzel 
gleicht  der  des  Olusatrum,  und  riecht  ganz  so  wie  Weih- 
rauch. Ein  Jahr  alt  ist  sie  ein  vortreffliches  Magenmittel. 
Einige  nennen  sie  Rosmarinus^).  Das  Smyrnium  wird  an 
denselben  Plätzen  gebauet;  seine  Wurzel  schmeckt  wie 
Myrrhe.  Ebenso  bauet  man  das  Pfefferkraut.  Die  übrigen 
sind  im  Geruch  und  Geschmack  von  andern  verschieden, 
wie  der  Dill,  und  Unterschied  und  Kraft  oft  so  gross,  dass 
nicht  allein  das  Eine  durch  das  Andere  verändert,  sondern 
sogar  gänzlich  aufgehoben  wird.  Durch  Petersilie  benehmen 
die  Köche  dem  Gemüse  die  Säure,  und  die  Kellermeister 
durch  die  in  Säcke  gebundene  Petersilie  dem  Weine  den 
üblen  Geruch. 

Bis  jetzt  haben  wir  von  den  Gartenkräutern  nur  in 
Hinsicht  ihres  Gebrauchs  als  Nahrungsmittel  geredet.    Es 


•)  Centaureum,  Erythraea  Centaurium  Pars. 

^)  Dieses  Salz  ist  Kleesäure.  ^)  Piperitis.  Capsicum  longum  Dec. 

*)  Cachrys  Libanotis  L.    *)  Smj'rnium  perfoliatum  L. 

6)  Im  XII.  B.  57.  Cap. 

'')  Allerdings  wurde  mit  dem  Namen  Libanotis  auch  der  Rosma- 
rin bezeichnet,  allein  hier  scheint  Plinius  die  Cachrys  Libanotis  im 
Auge  gehabt  zu  haben. 


478  Neunzehntes  Buch. 

bleibt  uns,  nachdem  wir  auch  ihres  Vorkommens  und 
einiger  allgemeiner  Beziehungen  gedacht,  nun  noch  das 
Wichtigste,  was  ihnen  die  Natur  verlieh,  anzuführen  übrig. 
Die  wahre  Natur  eines  jeden  Gewächses  kann  aber  nur 
aus  seiner  medizinischen  Wirkung  erkannt  werden,  und 
hierin  liegt  ein  grosses  Werk  der  Gottheit,  dem  an  Er- 
habenheit keines  gleichkommt,  verborgen.  Aus  guten 
Gründen  haben  wir  unterlassen,  diese  Materie  bei  der  Be- 
schreibung jeder  einzelnen  Pflanze  hinzuzufügen,  denn  Manche 
wünschen  bloss  die  Arzneikräfte  kennen  zu  lernen;  und 
hätten  wir  beides  zusammen  abgehandelt,  so  würden  beide 
Theile  lange  aufgehalten  worden  sein.  So  aber  ist  Eins 
von  dem  Andern  gesondert,  und  die  es  wünschen,  können 
ja  beides  mit  einander  vereinigen. 


DIE 

NATURGESCHICHTE 


DES 


CAJÜS  PLINIÜS  SECUNDÜS. 


INS  DEUTSCHE  ÜBERSETZT 
UND   MIT   ANMERKUNGEN    VERSEHEN 


Prof.  Dr.  G.  C.  WITTSTEIN 

in  München. 


VIEKTEK  BAND; 

(XX-XXVII.  Buch) 

Arzneimittel  von  den  Pflanzen. 


LEIPZIG. 


Druck  und  Verlag  von  Gressner  &  Schramm. 
1881. 


Zwanzigstes  Buch. 


Arzneimittel  von  den  Gartengewächsen. 


Jetzt  wollen  wir  zu  dem  wichtigsten  Werke  der  Natur 
libergehen,  die  für  den  Menschen  bestimmten  Speisen  auf- 
zählen und  ihn  zu  dem  Geständniss  zwingen,  er  kenne  das 
nicht,  wovon  er  lebt.  Niemand  lasse  sich  durch  die  Ge- 
ringfügigkeit der  Namen  verleiten,  diese  Materie  für  klein 
und  mittelmässig  zu  halten.  Wir  werden  dabei  vom  Frieden 
und  Kriege  der  Natur,  vom  Hasse  und  Freundschaft  der 
fühllosen  und  der  Sinne  ermangelnden  Geschöpfe  reden, 
und  müssen  es  um  so  mehr  bewundern,  dass  alles  diess  um 
der  Menschen  willen  existirt.  Dieses  Verhältniss,  wodurch 
alles  besteht,  Wasser  das  Feuer  auslöscht,  die  Sonne  das 
Wasser  verzehrt,  der  Mond  dasselbe  erzeugt,  das  eine  Ge- 
stirn durch  die  Gewalt  des  andern  verfinstert  wird,  haben  die 
Griechen  Sympathie  und  Antipathie  genannt.  Und  um  uns  von 
erhabenem  Gegenständen  zu  niedrigem  zu  wenden,  so  be- 
denke man,  dass  ein  Magnet  das  Eisen  anzieht,  der  andere 
es  abstösst,  dass  der  Diamant,  die  Freude  der  Reichen, 
durch  keine  mechanische  Gewalt  gebrochen  und  besiegt 
wird,  aber  in  Bocksblute  zerspringt  und  dergleichen  ähn- 
liche und  noch  grössere  Wunder  mehr,  von  denen  wir  ge- 
hörigen Ortes  ausführlicher  sprechen  wollen.  Nur  verzeihe 
man  mir,  wenn  ich  mit  den  kleinsten,  aber  heilsamsten, 
nämlich  den  Gartengewächsen  beginne. 

Wittstein:  Plinius.    IV.  Bd.  1 


2  Zwanzigstes  Buch, 

2. 

Ich  habe  bereits  gesagt  i),  dass  die  wilde  Gurke  ^)' 
viel  kleiner  als  die  angebauete  ist.  Aus  ihrem  Samen  be- 
reitet man  durch  Auspressen  ein  Arzneimittel,  welches  E 1  a  - 
terium  genannt  wird.  Wenn  man  sie  zu  diesem  Behufe 
nicht  zeitig  genug  aufschneidet,  so  wird  der  Same  (und 
Saft)  herausgeschleudert,  und  wenn  er  ins  Gesicht  spritzt,  den 
Augen  leicht  gefährlich.  Nachdem  sie  abgepflückt  worden, 
lässt  man  sie  eine  Nacht  über  liegen,  und  ritzt  sie  am  fol- 
genden Tage  mit  einem  Rohre  auf.  Der  Same  wird  auch, 
um  den  zu  reichlichen  Abfluss  des  Saftes  zu  verhindern, 
mit  Asche  bestreuet;  man  presst  aus,  fängt  den  Saft  in 
Regenwasser  auf,  lässt  absetzen,  darauf  an  der  Sonne  ver- 
dunsten, und  formt  aus  der  verdickten  Masse  Kügel- 
chen,  die  eine  ausgedehnte  Anwendung  im  menschlichen 
Leben  haben.  Man  heilt  damit  die  Trübheit  und  an- 
dere Fehler  der  Augen  und  die  Geschwüre  der  Wangen. 
Wenn  die  Wurzeln  der  Weinstöcke  mit  diesem  Safte  be- 
strichen werden,  sollen  die  Vögel  die  Trauben  nicht  ab- 
fressen. Die  Wurzel  (der  Eselsgurke)  wird,  mit  Essig  ge- 
kocht, gegen  das  Podagra  aufgelegt  und  der  Saft  dient 
gegen  Zahnschmerzen.  Trocken  mit  Harz  vermengt  heilt 
sie  die  Räude  und  Krätze,  welche  man  Aussatz  und  Flechte 
nennt,  ferner  Ohren-  und  andere  Geschwüre,  und  giebt  den 
Narben  die  (natürliche)  Farbe  wieder.  Der  Saft  der  Blätter 
wird  bei  Taubheit,  mit  Essig  vermischt,  in  die  Ohren  ge- 
tröpfelt. 

3. 

Das  Elaterium  ist  im  Herbste  zum  Einsammeln  reif, 
und  hält  sich  unter  allen  Arzneimitteln  am  längsten.  Man 
wendet  es  erst  nach  3  Jahren  an;  soll  es  früher  gebraucht 
werden,  so  müssen  die  Kügelchen  in  einem  neuen  irdenen 
Geschirre  über  gelindem  Feuer  mit  Essig  gemildert  werden. 


')  S.  XIX.  B.  23.  Cap. 

2)  Cucumis  sylvestris.  Momordica  Elaterium  L.  Eselskürbiss,  Spring- 
gurke. 


Zwanzigstes  Buch.  3 

Je  älter,  um  so  besser  ist  es,  und  nach  Theophrastus  hat 
es  schon  200  Jahre  altes  gegeben.  Noch  bis  zum  50.  Jahre 
löscht  es  das  Licht  der  Lampen  aus.  Das  echte  zeichnet  sich 
dadurch  aus,  dass  es  der  Flamme  genähert,  dieselbe  vor  dem 
Auslöschen  auf-  und  abwärts  funkeln  macht.  Das  blasse,  glatte 
und  gelinde  bittere  ist  besser  als  das  grasgrüne  und  rauhe 
(körnige).  Der  Same  soll,  wenn  er  die  Erde  nicht  berührt 
hat,  an  den  Leib  gebunden  das  Empfangen  befördern,  das 
Gebären  aber,  wenn  er  einer  Frau,  ohne  dass  sie  es  wisse, 
in  Widderwolle  auf  die  Lenden  gebunden,  jedoch  gleich 
nach  der  Geburt  aus  dem  Hause  geschafft  würde.  Die  Ver- 
ehrer dieses  Gewächses  sagen,  das  beste  wachse  in  Arabien, 
demnächst  in  Arcadien,  nach  Andern  in  Cyrene,  sei  der 
Sonnenwende  ähnlich,  und  die  Wallnuss-  grossen  Früchte 
ständön  zwischen  den  Blättern  und  Zweigen,  die  Samen 
aber  hätten  einen  Scorpionschwanz  ähnlich  gekrümmten, 
weissen  Schweif.  Daher  nennen  Einige  diese  Pflanze  Scor- 
pionsgurke,  und  rühmen  den  Samen  sowie  den  Saft  als  ein 
kräftiges  Mittel  gegen  die  Stiche  der  Scorpione  und  zur 
Reinigung  des  Uterus  und  des  Unterleibes.  Die  Gabe  steigt 
je  nach  der  Constitution  von  ^2  bis  zu  1  Obolus;  eine 
grössere  Dosis  wirkt  tödtlich.  Man  bereitet  auch  daraus 
einen  Trank  gegen  die  Läuse-  und  Wassersucht.  Mit  Honig 
und  altem  Oele  vermischt  aufgestrichen  ist  es  heilsam  für 
Bräune  und  Fehler  der  Luftröhre. 

4. 
Viele  sind  der  Meinung,  die  Eselsgurke  sei  dasselbe, 
was  bei  uns  Schlangengurke,  von  Andern  wilde  ^)  heisst. 
Was  mit  dem  Absude  derselben  besprengt  wird,  rühren  die 
Mäuse  nicht  an.  Werden  die  Glieder  der  Podagristen  mit 
dem  Essigabsude  bestrichen,  so  erfolgt  baldige  Heilung; 
gegen  Lendenschmerz  gebraucht  man  den  Samen,  welcher 
an  der  Sonne  getrocknet,  zerrieben  und  zu  30  Denaren 
schwer  in  1  Hemina  Wasser  gereicht  wird.  Mit  Frauen- 
milch  vermischt  aufgelegt   heilt   er  plötzlich   entstehende 

•)  erraticus. 


4  Zwanzigstes  Buch. 

Geschwüre.  Das  Elaterium  reinigt  die  Frauen,  aber  bei 
schwängern  bewirkt  es  unzeitige  Geburt;  auf  Engbrüstige 
wirkt  es  wohlthätig,  und  wider  die  Gelbsucht  steckt  man 
es  in  die  Nase.  An  der  Sonne  aufgestricheu  vertreibt  es 
Flecken  und  Maale  aus  dem  Gesichte. 

5. 
Viele  schreiben  alle  diese  Wirkungen  der  Garten- 
gurke  zu,  denn  auch  diese  enthält  wirksame  Theile. 
Ihr  Same  wirkt  gegen  den  Husten,  wenn  man  so  viel 
davon,  als  3  Finger  fassen  können,  mit  Kosskümmel  zu- 
sammenreibt und  mit  Wein  vermischt  trinkt;  feruer  für 
Wahnwitzige  mit  Frauenmilch  genommen,  und  bei  Dysen- 
terie ein  Acetabulum  voll,  für  Eiteraiiswerfende  mit  gleich 
viel  Rosskümmel,  bei  Leberkrankheiten  mit  Honigwasser. 
Mit  süssem  Weine  vermischt  genommen  treibt  er  den  Harn 
aus,  und  bei  Kierenschmerzen  wird  er  zugleich  mit  Ross- 
kümmel zu  Klystiereu  verwendet. 

6. 
Die  sogenannten  Peponen  kühlen  verspeist  sehr  stark 
und  machen  weiche  Stuhlgänge.  Ihr  Fleisch  legt  man  auf 
fliessende  und  schmerzende  Augen.  Die  Wurzel  heilt  die 
nach  Art  der  Bienenwaben  zusammengewachsenen,  und 
davon  sogenannten  Wacbsgeschwüre.  Sie  erregen  Er- 
brechen; die  Dosis  der  getrockneten  und  fein  gepulverten 
ist  4  Oboli,  welche  von  dem  Patienten,  der  hernach  500 
Schritte  gehen  muss,  in  Honig wasser  genommen  werden. 
Dieses  Pulver  wird  auch  zu  Seifen  gemischt.  Auch  die 
Schaale  bewirkt  Erbrechen,  und  reinigt  das  Gesicht,  was 
aber  ebenfalls  durch  Auflegen  der  Blätter  einer  jeden 
Gartengurke  erreicht  wird.  Diese  Blätter  heilen  mit  Honig 
die  Nachtblattern  i),  mit  Wein  den  Biss  der  Hunde  und 
Tausendfüsse,  eines  länglichen,  rauhfüssigen,  dem  Hornvieh 
besonders  schädlichen  Thieres,  welches  die  Griechen  Sepa 
nennen.  Die  Folge  seines  Bisses  ist  eine  Anschwellung 
und  Faulung  der  Stelle.    Der  Geruch  der  Gurken  vertreibt 


*)  epinyctides,  die  des  Nachts  aufzubrechen  pflegen. 


Zwanzigstes  Buch.  5 

die   Ohnmacht.    Wenn   sie,   zuvor   geschält,   mit   Oel  und 
Honig  gekocht  werden,  schmecken  sie  weit  angenehmer. 

7. 

Man  findet  auch  wilde  Kürbisse,  bei  den  Griechen 
Spongos  genannt,  weicheleer  sind  (wovon  sie  diesen  Namen  i) 
führen),  die  Dicke  eines  Fingers  haben  und  auf  steinigem 
Boden  wachsen.  Der  durch  Kauen  derselben  entwickelte 
Saft  stärkt  den  Magen. 

8. 

Eine  andere  Art  heisst  Coloquinte^),  ist  voll  Samen, 
aber  kleiner  als  die  Gartengurke.  Die  blasse  eignet  sich 
zur  medicinischen  Anwendung  am  besten;  die  grüne  führt 
getrocknet  schon  für  sich  genommen  ab.  Ihr  Aufguss  dient 
zu  Klystieren,  heilt  alle  Uebel  der  Eingeweide,  Nieren, 
Lenden  und  die  Gicht;  man  wirft  zu  diesem  Behuf  die 
Samen  heraus  und  kocht  das  Mark  mit  Honigwasser  zur 
Hälfte  ein,  am  besten  jedesmal  ein  Gewicht  von  4  Obolen. 
Die  trockne  Frucht  gepulvert  und  mit  eingekochtem  Honig 
in  Pillenform  genommen,  stärkt  den  Magen.  In  der  Gelb- 
sucht erweisen  sich  die  Samen,  mit  Honigwasser  genommen, 
wohlthätig.  Das  Fleisch  derselben  mit  Wermuth  und  Salz 
angewendet  vertreibt  das  Zahnweh.  Der  mit  Essig  erhitzte 
Saft  befestigt  die  losen  Zähne.  Mit  Oel  eingerieben  lindert 
sie  die  Schmerzen  der  Lenden,  Hüfte  und  des  Rückgrats, 
und  merkwürdigerweise  sollen  die  Samen,  in  gerader  Zahl 
angebunden,  dasjenige  Fieber  heilen,  welches  die  Griechen 
das  wechselnde  nennen.  Der  Saft  der  abgeschälten  Garten- 
gurke heilt  erwärmt  die  Ohren;  das  von  den  Sameu  befreite 
Fleisch  die  Hühueraugeu  und  die  von  den  Griechen  Aposte- 
mata  genannten  Geschwüre.  Der  Absud  der  ganzen  Frucht 
aber  befestigt  die  wackelnden  Zähne  und  lindert  die  Zahn- 
schmerzen, damit  siedend  gemachter  Wein  heilt  entzündete 
Augen.     Die  Blätter  mit  frischem  Cypressenlaub  gestossen 


')  Nämlich   spongos,    anoyyoq,   Schwamm.     Der  Ausdruck  leer 
(inanis)  soll  wohl  kernlos  bedeuten.' 

2)  Colocynthis.  Cucumis  Colocynthis  L. 


g  Zwanzigstes  Bucli. 

und  aufgelegt,  oder  sie  selbst  in  einem  irdenen  Geschirr 
gebrannt  und  mit  Gänzefett  vermischt,  heilen  Wunden.  Mit 
den  abgeschälten  Rindenstücken  kühlt  man  die  erst  jüngst 
vom  Podogra  befallenen  Theile  und  Kopfschmerzen,  beson- 
ders bei  Kindern,  und  durch  Auflegen  der  Abschnitzel  oder 
der  Samen  die  Rose.  Der  Saft  von  den  Abschnitzeln  kühlt, 
mit  Rosenwasser  und  Essig  aufgestrichen,  die  Fieberhitze. 
Die  Asche  getrockneter  Gurken  heilt  auf  Brandstellen  ge- 
legt wunderbar.  Der  Arzt  Chrysippus  i)  will  sie  nicht 
verspeist  wissen;  man  hält  sie  aber  allgemein  zuträglich 
für  den  Magen  und  für  Vereiterungen  der  Innern  Theile, 
besonders  der  Blase. 

9. 

Auch  die  weisse  Rübe  hat  medicinische  Kräfte.  Heiss 
aufgelegt  heilt  sie  die  Frostbeulen,  und  treibt  die  Kälte 
aus  den  Füssen,  der  heisse  Absud  derselben  das  kalte 
Podagra,  und  roh  mit  Salz  gestossen  alle  Fussübel.  Der 
aufgelegte  oder  in  Wein  getrunkene  Same  soll  gegen 
Schlangen  und  Gifte  heilsam  sein,  und  viele  halten  ihn,  mit 
Wein  und  Oel  genommen,  für  ein  kräftiges  Gegengift. 
Democritus  hat  die  Rüben,  wegen  ihrer  Eigenschaft 
Blähungen  zu  erzeugen,  von  den  Speisen  gänzlich  ausge- 
schlossen. Diocles  2)  dagegen  preist  sie  ausnehmend, 
und  sagt ,  sie  reizten  auch  zum  Beischlaf;  Dyonysius  ^) 
stimmt  darin  bei,  die  Wirkung  werde  aber  durch  Würzen 
mit  Eruca  noch  verstärkt.  Mit  Schmalz  gebraten  heben 
sie  die  Gliederschmerzen. 

10. 

Die  wilde  Rübe*)  wächst  hauptsächlich  auf  Aeckern, 
ist  staudig  und  hat  weisse  Samen,  welche  doppelt  so  gross 
als  die  des  Mohns  sind.    Des  Samens  bedient  man  sich,  in 


')  Aus  Knidos,  um  die  Mitte  des  4.  Jahrh.  v.  Chr.,  verwarf  Ader- 
lassen und  Purgiren,  maass  dagegen  dem  Kohle  grosse  Heilkräfte  bei, 

2)  Aus  Karystos,  lebte  nicht  lange  nach  Hippocrates. 

3)  Dieser  Arzt  ist  nicht  näher  bekannt. 

*)  Rapum  sylvestre.    Wahrscheinlich  Sinapis  arvsnsis  L. 


Zwanzigstes  Buch.  7 

Verbindung  mit  gleichen  Theilen  Erven-,  Gersten-,  Weizen - 
und  Bohnenmebl,  um  die  Haut  im  Gesichte  und  am  übrigen 
Körper  glatt  und  zart  zu  machen.  Die  Wurzel  lässt  sich 
zu  nichts  gebrauchen. 

11. 

Die  Griechen  unterscheiden  auch  in  medicinischer  Be- 
ziehung 2  Arten  Steckrüben.  Eine,  mit  eckigen  Blatt- 
stielen heisst  Bunioni),  dient  abgesotten  zur  Keinigung 
der  Frauen,  der  Blase  und  des  Harns,  und  wird  mit  Honig- 
wasser oder  als  Saft  zu  1  Drachma  genommen;  den  Samen 
giebt  man  geröstet  und  in  warmem  Wasser  zerrieben  zu 
4  Bechern  in  der  Ruhr;  wird  aber  nicht  zugleich  Leinsamen 
mit  eingenommen,  so  erfolgt  Harnstrenge.  Die  andere  Art 
beisst  Bunias,  gleicht  dem  Rettig  und  der  Rübe,  und  ent- 
hält in  ihrem  Samen  ein  ausgezeichnetes  Gegengift,  welches 
auch  zu  diesem  Behufe  angewendet  wird. 

12. 

Wir  haben  gesagt,  es  gäbe  auch  wilden  Rettig;  er 
wächst  zwar  in  mehrern  Gegenden,  doch  findet  sich  in  Ar- 
kadien der  beste,  der  namentlich  sehr  harntreibend  ist. 
Uebrigens  wird  in  Italien  der  Sommerrettig  oder  soge- 
nannte Meer  rettig  gebraucht. 

13. 

Ausser  dem,  was  wir  bereits  vom  Gartenrettig  er- 
wähnt haben,  reinigt  derselbe  den  Magen,  verflüssigt  den 
Schleim,  reizt  zum  Harnen,  und  führt  die  Galle  ab.  Ferner 
dient  ein  weiniger  Absud  der  Schalen,  früh  Morgens  zu  3 
Bechern  getrunken,  zur  Zerkleinerung  und  Austreibung  der 
Harnsteine.  Gegen  Schlangenbisse  werden  die  Schalen  in 
saurem  Weine  gekocht  aufgelegt.  Der  Rettig  lindert  auch, 
des  Morgens  früh  nüchtern  mit  Honig  genommen,  den 
Husten,  sein  Same  geröstet  und  gekauet  das  Bauchgrimmen, 
der  wässrige  Absud  der  Blätter  oder  ihr  Saft,  zu  2  Bechern 
genommen,  bekommt  den  Schwindsichtigen  gut,  zer- 
stossen    aufgelegt    heilen    sie    Geschwulste  2),    die    Schale 

*)  ßunium  pumilum  Sm.? 
2)  Phlegmone. 


Q  Zwanzigstes  Buch. 

aber  mit  Honig  übergeschlagen  vertreibt  blaue  Flecken.- 
Schlafsücbtige  müssen  die  schärfsten,  und  Engbrüstige  den 
gerösteten  und  mit  Honig  vermischten  Samen  kauen.  Sie 
erweisen  sich  auch  als  Gegengifte  wirksam.  Den  Horn- 
schlangen  und  Scorpionen  ist  der  Rettig  zuwider,  ja  wenn 
man  mit  dessen  Safte  die  Hände  bestreicht  oder  die  Samen 
darin  hält,  so  kann  man  diese  Thiere  ohne  Gefahr  an- 
greifen, und  die  Scorpionen  sterben,  wenn  man  Rettig  auf 
sie  legt.  Nach  Nicanders  *)  Angabe  ist  er  auch  heilsam 
gegen  giftige  Pilze  und  Bilsenkraut.  Ferner  rathen  die 
beiden  ApoUodori  2),  ihn  gegen  das  Viscum  zu  geben, 
nämlich  der  Citier  den  mit  Wasser  zerriebenen  Samen, 
der  Tarentiner  den  Saft.  Rettig  vermindert  die  Milz,  heilt 
Leber  und  Lendenschmerzen,  mit  Essig  genommen  Wasser- 
sucht und  mit  Senf  Schlafsucht.  Praxagoras  ^)  empfiehlt 
ihn  den  Darmgichtigen,  Plistonikus ^)  den  an  Verstopfung 
Leidenden.  Mit  Honig  gegessen  heilt  er  die  Geschwüre 
der  Eingeweide  und  die  Eiterblasen  des  Netzes.  Einige 
empfehlen,  sie  zu  diesem  Behufe  mit  Lehm  bestrichen  zu 
kochen,  und  so  zubereitet  dienten  sie  auch  als  Reinigungs- 
mittel der  Frauen.  Mit  Essig  und  Honig  genommen  treiben 
sie  die  Eingeweide-Würmer  ab.  Wein,  welcher  bis  zu  *  3 
damit  eingekocht  ist,  getrunken  heilt  den  Darmbruch,  ver- 
treibt auch  das  unnütze  Blut.  Medius  ^)  verordnet  sie 
gekocht  zu  diesem  Behufe,  sowie  denen,  welche  Blut  spucken, 
und  zur  Vermehrung  der  Milch  der  Wöchnerinnen.  Nach 
Hippocrates  soll  man  die  kahlen  Stellen  des  Kopfes  bei 
den  Weibern  mit  Rettig  einreiben,  und  ihn  gegen  die 
Schmerzen   der  Scheide   über   den  Nabel  schlagen.    Auch 


*)  Aus  Colopbon,  um  160  v.  Chr.,  Arzt  nnd  Sprachlehrer. 

^)  Aerzte,  der  Eine  aus  Citium,  der  Andere  aus  Tarent,   beide 
übrigens  nicht  näher  bekannt. 

3)  Aus  Kos,  im  4.  Jahrh.  v.  Chr.  Asclepiade,  Lehrer  des  Hero- 
philus,  Entdecker  des  Unterschieds  der  Schlag-  und  Venenadern,, 
wovon  er  erstere  für  luftführend  hielt  und  Arterien  nannte. 

'')  Ein  nicht  näher  bekannter  Arzt. 

^)  Ein  gleichfalls  unbekannter  Arzt. 


Zwanzigstes  Buch.  9 

erhalten  Narben  dadurch  die  (natürliche)  Farbe  wieder. 
Der  mit  Wasser  übergeschlagene  Same  hemmt  die  weitere 
Ausbreitung  der  sogenannten  um  sich  fressenden  Geschwüre. 
Democritus  giebt  an,  der  Rettig  reize  zum  Beischlafe; 
und  ■vielleicht  auf  diess  gestützt  haben  Einige  gesagt,  er 
schade  der  Stimme.  Die  Blätter,  wenigstens  die,  welche 
auf  den  länglichen  Pflanzen  wachsen,  sollen  die  Sehkraft 
schärfen.  Wenn  bei  der  mediciniscben  Anwendung  des 
Rettigs,  derselbe  zu  heftig  wirken  sollte,  so  müsste  man 
gleich  darauf  Hyssopus^)  geben,  denn  beide  widerstreben 
einander.  Bei  Schwerhörigkeit  tröpfelt  man  Rettigsaft  in 
die  Ohren.  Diejenigen,  welche  sieb  erbrechen  wollen,  machen 
den  Rettig  am  zweckmässigsten  zur  letzten  Speise. 

14. 
Der  dem  Pastinak  ähnliche  Eibisch  2),  welchen  Einige 
wilde  Malache,  Andere  Plistolochia  nennen,  heilt  Kuor- 
pelgeschwüre  und  Knochenbrüche.  Der  aus  den  Blättern 
bereitete  wässrige  Trank  macht  Oeffnung  und  vertreibt 
die  Würmer.  Aufgelegt  heilen  sie  die  Stiche  der  Bienen, 
Wespen  und  Hornisse.  Die  vor  Sonnenaufgang  ausge- 
grabene Wurzel  wickelt  man  in  rohe  Wolle  von  einem 
Schafe,  welches  ein  Weibchen  geworfen  hat,  und  bindet 
sie  auf  Kröpfe  und  eiternde  Geschwüre.  Einige  sagen,  man 
müsste  sie  zu  diesem  Behufe  mit  einem  goldnen  Gerätbe 
ausgraben,  und  verhüten,  dass  sie  die  Erde  berühre.  Celsus 
lässt  die  Wurzel  mit  Wein  kochen  und  gegen  Podagra, 
welches  nicht  mit  Geschwulst  verbunden  ist,  auflegen. 

15. 
Die  andere  Art  heisst  Staphylinos  oder  wilder 
Pastinak.  Dessen  Same  heilt,  gestossen  und  mit  Wein 
getrunken,  den  geschwollenen  Leib  und  die  Mutterbe- 
schwerden der  Weiber  und  lindert  die  Schmerzen  so  sehr, 
dass  er  die  Scheide  wieder  in  Ordnung  bringt,  auch  mit 
Rosinenwein  aufgelegt  ihrem  Leibe  woblthut;  Männern  aber 


')  Nach  Sprengel  nicht  unser  Isop,  sondern  Origanum   smyrnae- 
um  L.    •■')  Hibiscum  S.  XIX.  B.  27.  Cap. 


JO  Zwanzigstes  Buch. 

dient  er  mit  gleichen  Theilen  Brot  zusammengerieben  und 
mit  Wein  getrunken,  gegen  Leibweh.  Er  treibt  auch  den 
Urin,  und  hemmt,  frisch  mit  Honig  aufgelegt  oder  trocken 
iüit  Mehl  eingestreuet,  das  Umsichfressen  der  Geschwüre. 
Dieuches  i)  empfiehlt  die  Wurzel  mit  Honigwasser  gegen 
die  Leiden  der  Leber,  Milz,  Gedärme,  Lenden  und  Nieren 
zvi  nehmen,  Cleophantus  2)  auch  bei  veralteten  Kuhren. 
Philistion  3)  lässt  die  Wurzel  in  Milch  kochen  und  zu  4 
Unzen  gegen  Harnstrenge  geben,  in  Wasser  gegen  Wasser- 
sucht, Opisthotonie  *),  Seitenstechen  und  Epilepsie.  Wer 
sie  bei  sich  trägt,  soll  von  Schlangen  nicht  gebissen,  wer 
vorher  davon  gegessen  hat,  nicht  verletzt  werden.  Auf  ge- 
schlagene Theile  legt  man  sie  mit  Fett;  die  Blätter  werden 
gegen  Unverdaulichkeit  gekauet.  Orpheus  sagt,  dieser 
Pastinak  enthalte  ein  Liebesmitttel,  vielleicht  weil  sein 
Genuss  zum  Beischlaf  reizt,  und  daher  geben  Einige  an, 
■er  befördere  das  Empfangen.  Uebrigens  hat  auch  der 
Oartenpastinak  Kräfte,  jedoch  ist  der  wilde,  namentlich 
der  auf  felsigem  Boden  wachsende,  wirksamer.  Der  Same 
Jes  gebaueten  erweist  sich,  mit  Wein  oder  saurem  Wein 
genommen,  auch  heilsam  gegen  den  Biss  der  Schlangen. 
Wenn  man  mit  der  Wurzel  an  den  Zähnen  herum  kratzt, 
hören  sie  auf  zu  schmerzen. 

16. 
In  Syrien  wird  der  Gartenbau  am  emsigsten  betrieben, 
<iaher  hat  man  in  Griechenland  das  Sprichwort:  Die  vielen 
Küchenkräuter  der  Syrier.  Man  bauet  daselbst  ein  dem 
Staphylinos  sehr  ähnliches  Kraut,  welches  Einige  Gingi- 
4ion5)  nennen;  es  ist  nur  zarter  und  bitterer,  besitzt  aber 
-sonst  dieselbe  Wirkung.  Man  isst  dasselbe  gekocht  und  roh 
als  Magenmittel;  auch  trocknet  es  alle  (überflüssige)  Feuch- 
tigkeit dieses  Organs  aus  dem  Grunde. 


*)  Ein  nicht  näher  bekannter  Arzt. 
■*)  Desgleichen.    ^)  Desgleichen. 

*)  Opisthotonus,  von  oniqd^ev  hinten  und  xovoo)  spannen,   eine 
Krankheit,  wo  der  Kopf  krampfhaft  nach  hinten  gebogen  wird. 
^)  Gingidion.  Daucus  Gingidium  L. 


Zwanzigstes  Buch.  H 

17. 

Der  wilde  Siser  ist  dem  zahmen  auch  in  der  Wirkung 
ähnlich;  mit  Essig  aus  Laserpitium  oder  mit  Pfefifer  und 
Meth  oder  mit  Fischbrühe  genommen,  reizt  er  den  Magen 
und  benimmt  die  Appetitlosigkeit.  Er  wirkt  auf  den  Harn 
und  den  Geschlechtstrieb,  wie  Opion  behauptet,  und  Dio- 
cles  beipflichtet.  Auch  soll  er  bei  Wiedergenesenden  das 
Herz  stärken,  so  wie  nach  häufigem  Erbrechen  wohlthätig 
wirken.  Heraklides  ^)  hat  ihn  gegen  das  Quecksilber, 
gegen  die  Stockung  des  Geschlechtstriebes  und  für  Recon- 
valescenten  verwendet.  Hicesius  2)  hält  diess  Gewächs 
deshalb  für  ein  Magenmittel,  weil  Niemand  3  Stück  hinter- 
einander essen  könne,  doch  bekomme  es  den  Genesenden, 
welche  wieder  anfingen  Wein  zu  trinken,  gut.  Der  Same 
des  zahmen  hemmt,  mit  Ziegenmilch  getrunken,  den  Durchfall. 

18. 

Da  die  Aehnlichkeit  der  griechischen  Namen  die  Meisten 
irre  macht,  so  wollen  wir  auch  vomSili^),  einer  allgemein 
bekannten  Pflanze  reden.  Das  beste  kommt  von  Marseille, 
und  hat  breite  und  fahlgelbe  Samen;  dann  folgt  das  äthio- 
pische, welches  schwärzer  ist,  das  cretische  aber  riecht 
am  stärksten.  Die  Wurzel  besitzt  einen  angenehmen  Ge- 
ruch. Den  Samen  sollen  die  Geier  gern  fressen;  er  leistet 
wohlthätige  Dienste  bei  langwierigem  Husten,  wenn  man 
ihn  zerkleinert  mit  weissem  Weine  trinkt,  ferner  zu  2  bis 
3  Löffeln  voll  gegen  Opisthotonie,  Leberleiden,  Leibweh 
und  Harnstrenge.  Die  Blätter  werden  zur  Erleichterung 
des  Gebarens,  selbst  bei  vierfüssigen  Thieren  angewandt, 
und  Hirschkühe,  welche  werfen  wollen,  sollen  davon  fressen. 
Bei  der  Rose  schlägt  man  dieselben  über,  und  am  Ende  der 
Mahlzeit  isst  man  die  Blätter  oder  den  Samen  zur  Beför- 
derung der  Verdauung.  Der  Same  stillt  auch  den  Durch- 
fall bei  den  Säugethieren,  wenn  man  ihn  gestossen  in  den 


1)  Aus  Kos,  Arzt,  Vater  des  Hippocrates. 

'^)  Ein  nicht  näher  bekannter  Arzt. 

3)  Auch  Seseli  genannt,  ist  Tordylium  officinale  L. 


12  Zwanzigstes  Buch. 

Trank   thut,   oder  mit  Salz  unter  das  Futter  mengt.     Dem 
kranken  Rindvieh  wird  er  gepulvert  eingegeben. 

19. 

Der  Alant  1)  befestigt,  nüchtern  gekauet,  die  Zähne, 
wenn  er  beim  Ausgraben  die  Erde  nicht  berührt  hat,  und 
stillt  eingemacht  den  Husten.  Mit  dem  Absude  der  Wurzel 
vertreibt  man  die  Motten;  an  der  Sonne  getrocknet  und 
gestossen  wird  sie  gegen  Husten,  Verzückungen,  Blähungen 
und  Luftröhrenleiden  gebraucht.  Ferner  heilt  er  die  Bisse 
giftiger  Thiere.  Die  Blätter  werden  in  Wein  geweicht  und 
bei  Lendenschmerzen  aufgelegt. 

20. 

Von  den  Zipollen  giebt  es  keine  wilde.  Die  ange- 
baueten  heilen  schon  durch  ihren  Geruch  und  ihr  Reizen 
zu  Thränen  die  Schwäche  der  Augen,  noch  mehr  aber,  wenn, 
man  ihren  Saft  aufstreicht.  Sie  sollen  auch  Schlaferregen, 
mit  Brot  genossen  Mundgeschwüre  heilen,  sowie  gegen 
Hundsbiss  gut  sein,  wenn  sie  grün  mit  Essig  oder  trocken 
mit  Honig  oder  Wein  aufgelegt  und  erst  nach  drei  Tagen 
wieder  weggenommen  werden,  in  welchem  Zeiträume  die 
Wirkung  schon  erfolgt.  Denselben  Zweck  erreicht  man 
durch  Aufreiben  derselben.  Viele  braten  sie  in  Asche  und 
legen  sie  mit  Gerstenmehl  bei  Augenflüssen  und  bei  Ge- 
schwüren der  Schaamtheile  auf.  Den  Saft  streicht  man  auf 
Wunden,  weisse  Flecke  und  Geschwüre  in  den  Augen,  mit 
Honig  vermischt  auf  Schlangenbisse  und  sonstige  Wunden, 
mit  Frauenmilch  auf  Ohrengeschwüre,  und  bei  Sausen  in 
den  Ohren  und  Schwerhörigkeit  tröpfelt  man  ihn  mit  Gänse- 
schmalz oder  Honig  ein.  Hat  Jemand  plötzlich  die  Sprache 
verloren,  so  lässt  man  ihn  mit  Wasser  trinken.  Bei  Zahn- 
weh tröpfelt  man  ihn  ein,  um  den  Zahn  zu  reinigen,  des- 
gleichen in  die  durch  den  Stich  von  Thieren,  besonders 
der  Scorpione,  entstandene  Wunden.  Mit  zerquetschten 
Zwiebeln  reibt  man  Glatzen  und  Flechten  ein.    Abgesotten 


Inula.  S.  XIX.  B.  29.  Cap. 


Zwanzigstes  Buch.  13 

giebt  man  sie  gegen  Ruhr  und  Lendenschmerzen.  Die  Ab- 
schnitzel 1)  werden  zu  Asche  verbrannt  und  mit  Essig  gegen 
Schlangenbiss,  die  Zwiebeln  selbst  aber  ebenso  gegen  As- 
selnbiss  aufgelegt.  Uebrigens  sind  die  Meinungen  der  Aerzte 
über  diess  Gewächs  sehr  getheilt.  Die  neuern  sagen, 
es  tauge  nicht  für  Brust  und  Verdauung,  verursache 
Blähungen  und  Durst.  Nach  der  Lehre  der  Asklepiadischen 
Schule  giebt  der  Genuss  der  Zwiebeln  eine  gesunde  Farbe, 
und  wenn  man  sie  täglich  nüchtern  esse,  sei  man  sicher 
vor  Krankheiten,  auch  wirkten  sie  durch  das  Aufstossen 
wohlthätig  auf  den  Magen,  erweichten  den  Leib,  vertrieben 
als  Zäpfchen  applicirt  die  Hämorrhoiden;  der  Saft  mit 
Fenchelsaft  gegeben  thue  wunderbare  Wirkung  bei  anfan- 
gender Wassersucht,  sowie  mit  Raute  und  Honig  wider  die 
Bräune,  und  Schlafsüchtige  werden  dadurch  ermuntert. 
Varro  sagt,  Zwiebeln,  welche  mit  Salz  und  Essig  ange- 
stossen  und  getrocknet  würden,  frässen  die  Würmer  nicht  an. 

21. 
Das  Schnittlauch  stillt  das  Nasenbluten,  wenn  man 
es  zerreibt  und  die  Nasenlöcher  damit  verstopft,  oder  mit 
Gallapfel  oder  Minze  vermischt,  ferner  die  Blutflüsse  nach 
unzeitigen  Geburten,  wenn  der  Saft  desselben  mit  Frauen- 
milch getrunken  wird.  Auch  gebraucht  man  es  gegen 
langwierigen  Husten,  Brust-  und  Lungenübel.  Durch  Auf- 
legen der  Blätter  werden  Brandschäden  und  die  sogenannten 
Epinyctiden  oder  Syce,  ein  Geschwür,  welches  in  den  Augen- 
winkeln entsteht  und  beständig  läuft,  geheilt;  mit  letztern 
Namen  belegen  auch  Einige  gewisse  bleifarbige  Blattern, 
die  des  Nachts  so  beschwerlich  fallen.  Ferner  heilt  der 
Schnittlauch,  mit  Honig  zerrieben,  noch  andere  Geschwüre, 
mit  Essig  die  Bisse  wilder  Thiere  und  Schlangen;  mit 
Ziegengalle  oder  gleichviel  Honigmeth  die  Ohrenübel,  mit 
Frauenmilch  das  Brausen  in  den  Ohren,  in  die  Nasenlöcher 
gebracht  das  Kopfweh,  und  den  Schlafsüchtigen  giesst  man 
ein   Gemisch    von   2   Löffel    voll   Lauchsaft    und   1   Löffel 


*)  i)urgainenta,  der  Ausschuss. 


;j^^  Zwanzigstes  Buch. 

voll  Honig  in  die  Ohren.  Den  Saft  trinkt  man  bei  Schlangen- 
und  Scorpionsbissen  mit  lauterm  Weine,  und  bei  Lenden- 
schmerzen mit  einer  Hemina  gewöhnlichem  Wein.  Gegen 
Blutspeien,  Schwindsucht  und  langwierigen  Schnupfen  hilft 
der  Saft  oder  der  Genuss  des  Lauches  selbst;  desgleichen 
gegen  Gelbsucht,  Wassersucht,  Nierenschmerzen,  1  Ace- 
tabulum  voll  mit  Gerstentrank.  Ein  gleiches  Quantum  mit 
Honig  genommen  reinigt  die  weibliche  Schaam.  Man  isst 
es  gegen  giftige  Pilse  und  legt  es  auf  Wunden.  Es  reizt 
zum  Beischlaf,  stillt  den  Durst  und  vertreibt  die  Trunken- 
heit, soll  aber  die  Augen  schwächen  und  Blähungen  er- 
regen, welche  jedoch  dem  Magen  nicht  schaden  und  den 
Leib  erregen.     Die  Stimme  macht  es  hell. 

22. 

Das  Kopflauch  1)  wirkt  in  allen  jenen  Fällen  noch 
kräftiger.  Der  Saft  desselben  wird  mit  gestossenen  Gall- 
äpfeln, Weihrauch  oder  Acaciensaft^)  gegen  Blutspeien  ge- 
geben. Hippocrates  lässt  ihn  unverraischt  nehmen,  und 
glaubt,  er  öffne  die  zusammengezogene  Gebärmutter  und 
vermehre  die  Fruchtbarkeit  der  Weiber.  Mit  Honig  zu- 
sammengerieben reinigt  es  die  Geschwüre.  Husten,  Brust- 
catarrh,  Leiden  der  Lunge  und  Luftröhre  heilt  es  mit 
Gerstengraupen  im  Tranke  oder  roh  ohne  die  Köpfe,  einen 
um  den  andern  Tag,  auch  wenn  Eiter  ausgeworfen  wird, 
genommen.  Die  Stimme,  den  Geschlechtstrieb  und  Schlaf 
befördert  es  ebenfalls.  Die  Köpfe,  zweimal  in  gewechseltem 
Wasser  gekocht,  hemmen  langwierige  Durchfälle.  Die  ab- 
gekochte und  aufgelegte  Rinde  färbt  graue  Haare  (schwarz). 

23. 

Der  Knoblauch  besitzt  bedeutende  Kräfte,  und  er- 
weist sich  sehr  heilsam  gegen  den  Wechsel  des  Wassers 
und  der  Wohnorte.  Sein  Geruch  vertreibt  Schlangen  und 
Scorpionen,  und  wie  Einige  angeben,  hilft  er,  verspeist, 
im  Tranke   oder   aufgelegt   wider   den  Biss  jedes   wilden 


•)  Allium  capitatum.    Allium  Porrum  L. 
2)  Gummi  arabicum. 


Zwanzigstes  Buch.  15^ 

Tbieres.  Besonders  dient  er,  mit  Wein  ausgebrochen,  gegen 
Hämorrhoiden.  Und  damit  wir  uns  nicht  darüber  wundern, 
dass  er  den  giftigen  Biss  der  Spitzmäuse  heilt,  so  bedenke 
man,  dass  er  das  Aconitum,  welches  auch  Pardalianches  ^) 
heisst,  den  Bilsen  2)  und  den  Hundsbiss,  in  dessen  Wunden 
er  mit  Honig  gebracht  wird,  unschädlich  macht.  Gegen 
Schlangenbiss  kann  er  zwar  mit  den  Blättern  getrunken 
werden,  jedoch  am  wirksamsten  zeigt  er  sich  mit  Oel  über- 
geschlagen, ferner  gegen  gescheuerte  Theile  des  Körpers, 
wenn  sie  auch  schon  in  Blasen  aufgeschwollen  sind.  Hip- 
pocrates  sagt.  Räuchern  mit  Knoblauch  befördere  die  Nach- 
geburt, und  die  Asche  desselben  mit  Oel  aufgestrichen  heile 
laufende  Geschwüre  vollständig.  Engbrüstigen  giebt  man 
denselben  roh  zerrieben  oder  gekocht.  Diocles  empfiehlt 
ihn  den  Wassersüchtigen  mit  Tausendgüldenkraut  oder  mit 
dem  Doppelten  Feigen  zur  Ausleerung  des  Leibes,  und 
diese  Wirkung  erreicht  man  noch  vollständiger,  wenn  er 
grün  mit  Coriander  in  reinem  Weine  genommen  wird.  Einige 
geben  ihn  in  Milch  vertheilt  den  Engbrüstigen.  Praxagoras 
mischte  ihn  auch  gegeu  Gelbsucht  mit  Wein,  gegen  Darm- 
gicht mit  Oel  und  Brei,  und  äusserlich  gegen  Kröpfe.  Die 
Alten  gaben  ihn  auch  roh  den  Wahnsinnigen;  Diocles  ge- 
sotten den  Verrückten.  Wider  die  Bräune  legt  man  ihn 
zerrieben  auf  und  gurgelt  sich  damit.  Das  Zahnweh  ver- 
geht, wenn  man  3  Köpfe  in  Essig  zerreibt,  oder  den  Mund 
mit  Knoblauchabsud  ausspühlt  und  ihn  selbst  in  die  hohlen 
Zähne  steckt.  Den  Saft  tröpfelt  man  mit  Gänsefett  ver- 
mischt in  die  Ohren;  die  Knollen  mit  Essig  und  NatroR 
vermischt  eingenommen  heilen  Läusesucht  und  Räude,  mit 
Milch  oder  mit  weichem  Käse  zerrieben  die  Flüsse,  auf 
dieselbe  Weise  die  Heiserkeit,  oder  mit  Bohnen  getrunken 
die  Schwindsucht.  Ueberhaupt  ist  er  gekocht  besser  als 
roh .  und  gedämpft  besser  als  gebraten ,  in  welcher 
Form  er  auch  die  Stimme   verbessert.    In   Essigmeth   ge- 


>)  Nicht  unser  Aconitum,  sondern  Doronicum  Pardalianches  L. 
*)  Hyoscyamus. 


2^j  Zwanzigstes  Buch. 

kocht  treibt  er  die  Spulilwürmer  und  alle  übrigen  Einge- 
weidethiere  aus.  Er  heilt  den  Stuhlgang  in  einem  Breie 
gegeben,  die  Sehmerzen  der  Schläfen  gekocht  aufgelegt, 
das  Roth  lauf  mit  Honig  gekocht  und  zerrieben;  den  Husten 
mit  altem  Fette  oder  Milch  gekocht,  oder  bei  Blut-  und 
Eiterauswurf  unter  Kohlen  gebraten  und  mit  ebensoviel 
Honig,  Verrenkungen  und  Bauchschäden  mit  Salz  und  Oel 
genommen.  Mit  Schmalz  heilt  er  verdächtige  Geschwulste. 
Mit  Schwefel  und  Harz  vermischt  zieht  er  das  Schädliche 
aus  Fistelgeschwüren,  und  mit  Pech  die  Pfeile  heraus.  Mit 
Dost  allein,  oder  seine  Asche  mit  Oel  und  Fischtunke  auf- 
gelegt zieht  er  Krätze,  Flechten,  Sommerfiecken  und  die 
Rose  aus  und  heilt  sie.  Gebrannt  und  mit  Honig  vermischt, 
giebt  er  aufgelaufenen  und  blauen  Stellen  ihre  vorige  Farbe 
wieder.  Auch  die  Epilepsie  soll  geheilt  werden,  wenn  der 
damit  Behaftete  Knoblauch  isst,  oder  einen  Trank  davon 
nimmt,  und  ein  Knollen  mit  1  Obolus  Laserpitium  in  herbem 
Wein  genommen  soll  das  4tägige  Fieber  vertreiben.  Husten 
und  jegliche  Brusteiterung  heilt  er,  wenn  man  ihn  mit 
zerbrochenen  Bohnen  kocht  und  diess  Gemenge  bis  zur 
Genesung  speiset.  Er  macht  auch  Schlaf  und  verleiht  dem 
Körper  eine  röthere  Farbe.  Mit  grünem  Coriander  zer- 
rieben und  mit  lauterm  Weine  getrunken  reizt  er  zum  Bei- 
schlafe. Seine  nicht  empfehlenden  Eigenschaften  bestehen 
darin,  die  Sehkraft  zu  verringern,  Blähungen  zu  erregen, 
zu  reichlich  genommen  den  Magen  zu  schwächen  und  Durst 
zu  erzeugen.  Unter  das  Futterkorn  gemengt  heilt  er  den 
Pips  bei  den  Hühnervögeln.  Wenn  mau  die  Zeugungstheile 
des  Zugviehes  mit  zerriebenem  Knoblauch  bestreicht,  so 
soll  es  den  Harn  leicht  lassen  und  keine  Schmerzen  dabei 
haben. 

24. 
Unter  den  wildwachsenden  Arten  des  Lattichs  ist 
diejenige  die  erste,  welche  man  Ziegenlattich  nennt; 
wirft  man  diesen  ins  Meer,  so  sterben  die  in  der  Nähe  be- 
findlichen Fische  augenblicklich.  Von  dem  eingedickten 
Milchsäfte    desselben   giebt    man    den   Wassersüchtigen    2 


Zwanzigstes  Buch.  17 

Obolus  schwer  in  Essig  und  mit  2  Bechern  Wasser  ver- 
setzt. Der  zerstossenen  und  mit  Salz  bestreueten  Stengel 
und  Blätter  bedient  man  sich  zur  Heilung  zerschnittener 
Nerven.  Spühlt  man  mit  denselben  in  Essig  zerriebenen 
Pflanzentheilen  zweimal  des  Monats  den  Mund  früh 
Morgens  aus,  so  bekommt  man  kein  Zahnweh. 

25. 
Eine  zweite  Art  nennen  die  Griechen  Caesapon;  sie 
kommt  auf  Aeckern  vor,  und  ihre  Blätter  werden  zerrieben 
und  mit  Gerstenbrei  auf  Geschwüre  gelegt.  Die  dritte,  in 
Wäldern  wachsende  Art  heisst  Waid^);  ihre  Blätter  ge- 
braucht man,  wie  die  der  vorigen  zur  Heilung  von  Wunden. 
Die  vierte  Art  wird  von  den  Wollfärbern  benutzt  2);  ihre 
Blätter  sind  denen  des  wilden  Ampfers  ähnlich,  aber  zahl- 
reicher vorhanden  und  schwärzer.  Diese  Pflanze  stillt  das 
Blut,  heilt  um  sich  fressende  und  faulige  Geschwüre,  sowie 
Geschwulste,  wenn  sie  noch  nicht  eitern.  Gegen  die  Rose 
dienen  Wurzel  und  Blätter,  und  ein  Trank  davon  lindert 
Milzkrankheiten.  Diess  sind  die  Eigenschaften  der  einzelnen 
Arten. 

26. 

Alle  wildwachsenden  Arten  haben  im  Allgemeinen  ein 
helleres  Ansehn,  und  oft  ellenhohe  Stengel,  welche,  gleich 
den  Blättern ,  rauhhaarig  sind.  Unter  diesen  heisst  die 
mit  runden,  kurzen  Blättern  Habichtskraut 3),  weil  die 
Habichte  es  aufschlitzen,  wenn  sie  nicht  gut  sehen  können, 
und  mit  dem  Safte  die  Augen  benetzen.  Bei  allen  ist  der 
Saft  weiss,  und  besitzt  dem  Mohne  ähnliche  Kräfte;  er  wird 
durch  Einschneiden  des  Stengels  gewonnen,  in  einem  neuen 
irdenen  Gefässe  aufbewahrt,  und  leistet  in  vielen  Fällen 
vortreffliche  Dienste.  Mit  Frauenmilch  vermischt  heilt  er 
alle  Augenübel,  Nebelflecken ,  Narben,  alle  Arten  Entzün- 
dungen und  besonders   die  Dunkelheit   der  Augen.    Auch 


,)  Isatis.  Isatis  sylvestris  L. 

2)  Diess  ist  Isatis  tinctoria  L. 

3)  Hieracia.  Tragopogon  picioicles  L. 

Wittstein:  Plinius.     IV.  Bd. 


^Q  Zwanzigstes  Buch. 

gegen  Flüsse  im  Auge  wird  er  mit  Wolle  aufgelegt.  In 
saurem  Wein  zu  2  Obolen  schwer  getrunken  reinigt  er  den 
Leib,  mit  Wein  vermischt  heilt  er  die  Schlangenbisse.  Auch 
die  Blätter  und  die  Bltithenbüschel  werden  mit  Essig  zer- 
rieben getrunken;  namentlich  aber  streicht  man  sie  auf 
Wunden,  die  durch  Scorpionbisse  entstanden  sind,  und  mit 
Wein  und  Essig  auf  Bissstellen  von  Spitzmäusen.  Ferner 
vernichten  sie  ändere  Gifte,  mit  Ausnahme  derjenigen, 
welche  durch  Ersticken  tödten  oder  welche  der  Blase 
schädlich  sind,  sowie  des  Bleiweisses.  Zur  Beseitigung  der 
Unterleibsbeschwerden  legt  man  sie  mit  Honig  und  Essig 
auf  den  Bauch.  Der  Saft  hebt  das  schwere  Harnen.  Cra- 
tevas  empfiehlt  ihn  den  Wassersüchtigen  zu  2  Obolen 
schwer  mit  Essig  und  einem  Becher  Wein  zu  geben.  Einige 
sammeln  auch  einen,  jedoch  minder  wirksamen  Saft  aus 
dem  angebaueten  Lattich.  Die  vorzüglichem  Kräfte  dieser 
Gewächse  sind  zum  Theil  schon  angeführt,  nämlich,  dass 
sie  Schlaf  verursachen,  die  Lust  zum  Beischlaf  benehmen,, 
die  Hitze  mildern,  den  Magen  reinigen  und  das  Blut  ver- 
mehren; aber  noch  mehrere  sind  zu  nennen  übrig,  denn 
sie  vertreiben  auch  die  Blähungen  und  befördern  das  Auf- 
stossen.  Nichts  reizt  und  stillt  die  Esslust  mehr,  und  zu. 
ein  und  dem  andern  gehört  ein  gewisses  Maass.  So  machen 
sie  auch  in  Menge  genossen  Oeffnung,  weniger  davon  be- 
wirkt das  Gegentheil.  Sie  zertheilen  den  zähen  Schleim, 
und  nach  Einigen  reinigen  sie  die  Sinne.  Gegen  verdor- 
benen Mägen  zeigen  sie  sich  sehr  wirksam;  zu  diesem  Be- 
hufe  fügt  man  einige  Obolen  scharfe  Tunke  ^)  und  etwas 
Süsses  zur  Milderung  hinzu;  ist  der  Schleim  sehr  dick, 
Meerzwiebeln  oder  Wermuth-Wein,  und  wenn  man  Husten 
verspürt,  Hyssop-Wein.  Mit  wilden  Endivien  giebt  man 
sie  bei  Verstopfungen  und  gegen  Verhärtungen  der  Brust. 
Melancholische  und  an  Blasenübeln  Leidende  bekommen 
meistens  die  weissen  Arten.  Praxagoras  gab  sie  auch 
gegen  Durchfall.    Mit  Salz   auf  frische  Brandwunden   ge- 

*)  Oxypori. 


Zwanzigstes  Buch.  19 

legt,  bevor  Blasen  entständen  sind,  heilen  sie.  Um  sich 
fressende  Geschwüre  werden  aufgehalten,  wenn  ihre  An- 
wendung erst  mit  Aphronitrum  i),  und  später  mit  Wein 
geschieht.  Auf  die  Rose  legt  man  sie  zerrieben.  Die 
Stengel  lindern  mit  Graupen  und  kaltem  Wasser  verrieben 
Verrenkungen  und  Bauchschäden,  und  mit  Graupen  und 
Wein  den  Ausbruch  der  Blattern.  In  der  Gallensucht  gab 
man  sie  sogar  schüssel weise,  und  hiezu  nahm  man  die, 
welche  die  grössten  Stengel  haben  und  bitter  schmecken. 
Einige  bereiten  einen  Aufguss  mit  Milch.  Abgekocht  sollen 
diese  Stengel  dem  Magen  sehr  zuträglich  sein,  sowie  der 
bittere  und  milchende  Sommerlattich,  welcher  Mohnlattich  2) 
heisst,  am  meisten  Schlaf  erregt.  Dieser  Milchsaft  soll,  mit 
Frauenmilch  früh  Morgens  auf  den  Kopf  eingerieben,  die 
Augen  klar  machen,  auch  diejenigen  Augenkrankheiten, 
welche  durch  Erkältung  entstanden  sind,  heilen.  Ich  finde 
noch  verschiedene  andere  vorzüglichere  Eigenschaften  der- 
selben angeführt.  Brustübel  sollen  dadurch  ebenso  wie 
durch  das  Abrotanum  geheilt  werden,  zu  welchem  Behufe 
man  attischen  Honig  damit  vermischt;  Frauen  werden  da- 
durch gereinigt.  Den  Samen  des  Gartenlattichs  giebt  man 
gegen  Scorpionbisse;  ferner  nimmt  man  ihn  in  Wein  gegen 
üppige  Träume.  Denen,  welche  Lattich  essen,  soll  unge- 
sundes Wasser  nicht  schädlich  sein.  Doch  sagen  Einige, 
der  zu  häufige  Genuss  des  Lattichs  schade  den  Augen. 

27. 
Die  beiden  Arten  der  Beta  besitzen  auch  medicinische 
Kräfte.  Die  frische,  angefeuchtete  und  an  einem  Faden 
aufgehängte  Wurzel  der  weissen  oder  schwarzen  Art  soll 
gegen  Schlangenbisse  helfen;  die  weisse  gekocht  und  mit 
rohem  Knoblauch  genommen,  gegen  die  Würmer;  die 
schwarze  gleichfalls  gekocht,  vertreibt  den  Grind,  und 
überhaupt  soll  diese  am  kräftigsten  sein.  Ihr  Saft  stillt 
altes  Kopfweh,  Schwindel,  auch  das  Klingen  der  Ohren, 


>)  Eine  salzige  Auswitterung  an  Mauern. 
2)  Meconis. 

2* 


20  Zwanzigstes  Buch. 

wenn  er  in  dieselben  gegossen  wird.  Er  treibt  den  Urin, 
heilt  den  Durchfall  und  die  Gelbsucht,  aufgestrichen  die 
Zahnschmerzen;  und,  wenn  er  aus  der  Wurzel  gepresst  ist, 
die  Schlaugenbisse.  Der  Absud  der  Pflanze  selbst  heilt 
die  Frostbeulen.  Der  Saft  der  weissen  hebt,  auf  die  Stirn 
gestrichen,  die  Flüsse  in  den  Augen;  mit  etwas  Alaun 
vermischt,  die  Rose.  Auch  ohne  Zusatz  von  Oel  gerieben, 
heilt  sie  Brandschäden.  Man  wendet  sie  auch  gegen  den 
Ausbruch  der  Blattern  an,  und  legt  sie  gekocht  auf  fressende 
Geschwüre;  im  rohen  Zustande  aber  auf  kahle  Stellen  und 
fliessende  Geschwüre  des  Kopfes.  Wird  der  Saft  mit  Ho- 
nig vermischt  in  die  Nasenlöcher  gestrichen,  so  reinigt  er 
das  Haupt.  Mit  Linsen  und  Essig  gekocht  dient  sie  zum 
Erweichen  des  Leibes.  Stärker  gekocht  hemmt  sie  die 
Flüsse  des  Magens  und  Unterleibes. 

28. 
Es  giebt  auch  eine  wilde  Bete,  welche  Einige  Limo- 
niumi),  Andere  Nervenkraut 2)  nennen;  sie  hat  viel 
kleinere,  dünnere  und  dichtere  Blätter,  deren  Zahl  oft  11 
beträgt,  und  einen  lilienartigen  Stengel.  Die  Blätter,  wel- 
che beim  Kauen  den  Mund  zusammenziehen,  heilen  Brand- 
schäden. Der  Same  hilft  zu  1  Acetabulum  genommen, 
bei  der  Ruhr.  Mit  dem  Absude  der  Wurzel  soll  man  Fle- 
cken in  den  Kleidern  und  im  Pergament  vertilgen  können. 

29. 
Auch  die  Intubi  sind  nicht  ohne  arzneiliche  Kräfte. 
Ihr  Saft  lindert  mit  Rosenessenz  und  Essig  vermischt  das 
Kopfweh,  mit  Wein  genommen  die  Schmerzen  der  Leber 
und  Blase;  auch  legt  man  ihn  gegen  Augenflüsse  auf.  Den 
wilden  nennen  bei  uns  Einige  den  Wanderer 3).  In  Ae- 
gypten  heisst  der  wilde  Cichorium,  der  zahme  aber  Seris  *), 
und  dieser  ist  kleiner  und  aderiger. 

30. 
Die  Cichorien)  kühlt.    Verspeist  und  aufgelegt,  zer- 


*)  Limorium:  Statice  Limonium  L.     -)  Neuroicles. 
3)  Ambula.     '■)  Cichorium  Enclivia  L. 
5)  Cichorium:  C.  Tntubus  L. 


Zwanzigstes  Buch.  21 

theilt  sie  Geschwülste,  und  ihr  abgekochter  Saft  öffnet  den 
Leib.  Sie  wirkt  vortheilhaft  auf  Leber,  Nieren  und  Magen; 
hebt  in  Essig  gekocht  die  Schmerzen  beim  Urinireu,  auch 
mit  Houigtrank  bereitet  die  Gelbsucht,  wenn  kein  Fieber 
vorhanden  ist.  Blasenleiden  werden  dadurch  gehoben.  In 
Wasser  gekocht  zeigt  sie  sich  zur  Keinigung  der  Frauen 
so  wirksam,  dass  sie  sogar  todte  Kinder  abführt.  Die 
Magier  sagen,  wenn  man  sich  mit  dem  mit  Oel  vermisch- 
ten Safte  der  ganze  Pflanze  bestriche,  so  würde  man  von 
Andern  mehr  Gunstbezeigungen,  und  alles,  was  man  wollte, 
erhalten.  Wegen  ihrer  besondern  Heilkraft  wird  sie  von 
Einigen  die  Nützliche  ^j,  von  Andern  die  Allkräftige^) 
genannt. 

31. 

Die  wilde  Art  mit  breitern  Blättern  nennen  Einige 
Hedypnois.  Sie  stärkt  gekocht  den  schwachen  Magen; 
und  stopft  roh  genossen  den  Durchfall.  Sie  heilt,  besonders 
in  Verbindung  mit  Linsen,  die  Kuhr.  Zerrissene  und  ver- 
renkte Theile  werden  von  beiden  Arten  geheilt;  auch  hilft 
sie  denen,  w^elche  aus  Schwäche,  in  Folge  von  Krankheit, 
den  Samenfluss  haben. 

32. 

Der  Salat  3)  sieht  dem  Lattich  selbst  sehr  ähnlich 
und  hat  2  Arten,  von  denen  die  wilde,  welche  schwarz  und 
ein  Sommergewächs  ist,  den  Vorzug  verdient,  während  die 
schlechtere  Art  eine  hellere  Farbe  hat  und  im  Winter  ge- 
deihet. Beide  Arten  sind  für  die  mit  Flüssen  Behafteten 
vorzügliche  Magenmittel.  Mit  Essig  verspeist  oder  aufge- 
legt kühlen  sie,  und  vertreiben  auch  andere  Flüsse  als  die 
des  Magens.  Die  Wurzeln  der  wilden  werden  mit  Graupen 
für  den  Magen  genommen,  und  gegen  Magenübel  auf  die 
linke  Brust  gelegt.  Alle  diese  erweisen  sich  auch  den  mit 
dem  Podagra,  Blutspeien,  Samenfluss  Behafteten,  einen  um 
den   andern  Tag   getrunken   wohlthätig.    Petronius  Diodo- 


»)  Chrestos.    "■')  Pancijation 

3)  Seris. 


22  Zwanzigstes  Buch. 

tus  1),  welcher  Blumenlesen  geschrieben  hat,  verwirft  den 
Salat  gänzlich  und  führt  mehrere  nachtheilige  Wirkungen 
von  ihm  an;  aber  die  Ansichten  Anderer  weichen  sehr 
davon  ab. 

33. 
Vielseitig  sind  die  Vorzüge  des  Kohls 2),  denn  der 
Arzt  Chrysippus  hat  ihm  ein  eignes,  über  alle  Glieder  des 
menschlichen  Körpers  sich  erstreckendes  Buch  gewidmet, 
und  Dieuches,  vor  allen  aber  Pythagoras  und  Cato  sind 
seines  Ruhmes  voll.  In  die  Ansichten  des  letztern  müssen 
wir  um  so  genauer  eingehen,  damit  mau  wisse,  welcher 
Arznei  sich  das  römische  Volk  seit  600  Jahren  bedient  bat. 
Die  ältesten  Griechen  unterschieden  3  Arten;  den  krausen, 
nach  der  Aehnlichkeit  mit  den  Blättern  des  Eppichs  der 
eppichartige  3)  genannt,  welcher  dem  Magen  dienlich  ist 
und  auf  den  Unterleib  gelinde  erweichend  wirkt.  Die 
zweite  heisst  Lea^),  hat  breite  aus  dem  Stengel  gehende 
Blätter,  weshalb  ihn  Einige  den  Stengelkohl  ^)  nennen,  und 
ist  in  medicinischer  Beziehung  von  keiner  Bedeutung.  Die 
dritte  Art  heisst  Crambe,  hat  einfache,  zartere  und  dicht 
stehende  Blätter,  schmeckt  bitterer,  ist  aber  die  kräftigste. 
Cato  schätzt  am  meisten  den  krausen,  dann  den  glatten 
mit  grossen  Blättern  und  Stengel.  Er  rühmt  ihn  für  Kopf- 
weh, Dunkelheit  und  Blinzeln  der  Augen,  die  Milz,  den 
Magen  und  die  Brust,  zu  welchen  Zwecken  man  ihn  roh 
mit  Essig  und  Honig,  Coriandei-,  Raute,  Minze  und  Laser- 
wurzel früh  Morgens  zu  2  Acetabeln  nehmen  soll;  seine 
Kraft  sei  so  gross,  dass  schon  der,  welcher  diese  Mischung 
bereite,  sich  dadurch  gestärkt  fühle.  Um  so  grösser  müsse 
die  Wirkung  sein,  wenn  die  Mischung  selbst  oder  der  Kohl 
da  hineingetaucht  genommen  werde.  Gegen  Podagra  und 
Gliederkrankheiteu  soll  er  mit  Raute,  Coriander,  Salz  und 
Gerstenmebl  aufgelegt  werden;  und  sein  Absud  den  Nerven 


*)  Ein  unbekannter  Arzt. 

^)  Brassica  oleracea  L.  und  deren  Varietäten.    ^)  selinoidea. 

^)  von  ?.eioq:  glatt.     ^)  Caulades. 


Zwanzigstes  Buch.  23 

und  Gelenken  sehr  zuträglieh  sein.  Umschläge  davon  auf 
neue  und  alte  Wunden,  selbst  auf  Krebsschäden  gelegt, 
helfen,  wenn  auch  kein  anderes  Mittel  mehr  anschlägt,  zu 
diesem  Behufe  aber  solle  man  ihn  erst  mit  warmem  Wasser 
anbrühen  und  dann  zerquetscht  zweimal  des  Tags  auflegen. 
So  heile  man  auch  Fistelschäden,  Verrenkungen,  Flüsse 
und  was  sonst  zu  zertheilen  ist.  Gekocht  und  nüchtern 
reichlich  mit  Gel  und  Salz  gegessen  vertreibe  er  die 
Schlaflosigkeit;  und  nochmals  gekocht,  mit  Zusatz  von  Gel, 
Salz  und  Graupen  das  Leibweh.  Isst  man  ihn  so  zubereitet 
ohne  Brot,  so  soll  er  noch  wirksamer  sein.  Mit  schwarzem 
Weine  genommen  vertreibt  er  auch  die  Galle.  Den  Harn 
Dessen,  der  Kohl  gegessen  hat,  hebe  man  auf,  denn  er  ist 
warm  gemacht,  gut  für  die  ISferven.  Der  Deutlichkeit 
wegen  will  ich  die  eigenen  Worte  dieses  Schriftstellers 
anführen:  „Wenn  du  kleine  Knaben  in  solchem  Urin  wäschst, 
werden  sie  nie  schwächlich."  Er  räth  auch,  gegen  das 
schwere  Hören  den  Saft  warm  mit  Wein  vermischt  in  die 
Ohren  zu  tröpfeln,  sowie  gegen  die  Flechte  anzuwenden, 
welche  dadurch  heile  ohne  Geschwüre  zu  bilden. 

34. 
Nun  wollen  wir  um  Cato's  willen  auch  die  Verord- 
nungen der  Griechen,  wenigstens  diejenigen,  welche  er 
ausgelassen  hat,  hier  mittheilen.  Ihrer  Ansicht  zufolge 
führt  der  nicht  gekochte  Kohl  die  Galle  ab  und  öffnet, 
der  zweimal  gekochte  (aufgewärmte)  dagegen  stopft.  Er 
soll  ein  Feind  des  Weins  und  des  Weinstocks  sein;  vor 
der  Mahlzeit  gegessen  verhüte  er  das  Trunkenwerden, 
nach  derselben  vertreibe  er  den  Rausch.  Diese  Speise  be- 
fördere sehr  die  Helligkeit  der  Augen,  am  meisten  aber 
der  Saft  des  rohen  Kohls,  wenn  er  mit  attischem  Honig 
vermischt  in  die  Augenwinkel  getupft  wird.  Er  soll  sehr 
leicht  verdauet  werden  und  die  Sinne  reinigen.  Die  Schüler 
des  Erasistratus  behaupten,  nichts  sei  dem  Magen  und  den 
Nerven  dienlicher,  weshalb  sie  ihn  auch  bei  Lähmungen, 
Zittern  und  Blutspeien  verordnen.  Hippocrates  empfiehlt 
ihn  zweimal  gekocht  mit  Salz  den   an  Verstopfung,   Ruhr, 


24  Zwanzigstes  Buch. 

Stuhlzwang  und  den  Nieren  Leidenden,  auch  vermehre  er 
bei  den  Wöchnerinnen  die  Milch  und  reinige  die  Frauen^ 
Das  Kauen  des  rohen  Stengels  befördert  den  Abgang 
todter  Geburten.  Apollodorus  verordnet  den  Samen  oder 
Saft  gegen  giftige  Pilze,  Philistion  den  Saft  mit  Ziegen- 
milch, Salz  und  Honig  gegen  Opisthotonie.  Ich  finde  auch^ 
dass  an  Podagra  Leidende  durch  Essen  von  Kohl  oder 
Trinken  der  Kohlbrühe  geheilt  worden  sind.  Die  Suppe 
giebt  man  terner  mit  Salz  den  mit  Magenschmerzen  und 
Epilepsie  Behafteten,  desgleichen  den  Milzsüchtigen  mit 
weissem  Weine  40  Tage  lang.  Gegen  Gelbsucht,  auch 
Wahnsinn  soll  man  mit  dem  Safte  der  rohen  Wurzel  gur- 
geln und  ihn  trinken;  gegen  das  Schlucken  aber  mit  Co- 
riander,  Dill,  Honig,  Pfeflfer  und  Essig.  Bei  Blähungen  im 
Magen,  gegen  Schlangenbisse,  alte  und  faule  Geschwüre 
legt  man  entweder  das  (davon  abgekochte)  Wasser  mit 
Gerstenmehl,  oder  den  mit  Essig  bereiteten  Saft  nebst 
Bockshornsamen  auf.  Einige  legen  ihn  auch  auf  gegen 
Gliederweh  und  Gicht.  Hitzige  Blattern  oder  andere  um 
sich  fressende  Uebel  heilt  er  durch  Auflegen,  desgleichen 
plötzliche  Verdunkelung  der  Augen,  wenn  man  ihn  mit 
Essig  verzehrt,  blaue  Flecken  durch  blosses  Ueberschlagen 
des  Krauts,  Schorf  und  Krätze  mit  Zusatz  von  rundem 
Alaun  und  Essig.  Auch  befestigt  er  ausfallende  Haare. 
Epicharmus  i)  empfiehlt  ihn  als  vorzüglich  wirksam  gegen 
Hoden-  und  andere  Krankheiten  der  Geschlechtswerkzeuge 
äusserlich  angewandt,  und  noch  besser  in  Verbindung  mit 
Bohnenmehl;  desgleichen  gegen  Verstauchungen  mit  Raute, 
gegen  Fieberhitze,  Magenübel  und  zum  Abführen  der  Nach- 
geburt mit  Rautensamen.  Die  Bisse  der  Spitzmäuse  reinigt 
das  Pulver  der  Blätter  in  beiderlei  Weise  angewandt. 

35. 
Unter  allen  Kohlarten   ist   der   Sprossenkohl 2)   die 


')  Arzt,  wahrscheinlich  nicht  identisch  mit  dem  Philosophea 
Epicharmos  aus  Kos,  der  grösstentheils  in  Sicilien  lebte  und  daselbst 
477  V.  Chr.  starb. 

-)  cyma,  Blumenkohl? 


Zwanzigstes  Buch.  25 

lieblichste,  doch  wird  sie  für  undienlich  gehalten,  kocht 
sich  schwer  und  wirkt  nachtheilig  auf  die  Nieren.  Auch 
will  ich  noch  bemerken,  dass  die  wässrige  Abkochung  des 
Kohls,  welche  so  vielfältige  nützliche  Anwendung  gestattet, 
auf  die  Erde  gegossen  übel  riecht.  Die  Asche  von  getrock- 
neten Kohlstengeln  ist  ein  Aetzmittel;  man  gebraucht  sie 
mit  altem  Schmalze  vermischt  gegen  Hüftschmerzen,  und 
statt  einer  Haare  vertilgenden  Salbe  mit  Laser  und  Essig 
auf  ausgerissene  Haare  gelegt  hindert  sie  das  Wachsen 
neuer  Haare,  Sie  wird  auch  mit  Oel  erwärmt  oder  für 
sich  allein  gesotten  bei  innerlichen  Verstauchungen  und 
beim  Fallen  von  einer  Höhe  eingenommen.  Besitzt  denn 
aber  der  Kohl  gar  keine  üblen  Eigenschaften?  Allerdings, 
denn  er  soll  schweres  Athmen  erzeugen,  und  den  Zähnen 
und  dem  Zahnfleische  schädlich  sein.  In  Aegypten  isst 
man  ihn  wegen  seiner  Bitterkeit  nicht. 

36. 
Den  wilden  oder  Feld  kohl  rühmt  Cato  noch  weit 
mehr,  und  versichert,  dass  wenn  man  ihn  gepulvert  in 
einer  Büchse  aufbewahre  und  nur  den  Geruch  davon  in 
die  Nase  ziehen  lasse,  dadurch  die  Krankheiten  dieses  Or- 
gans und  der  üble  Geruch  desselben  gehoben  würden. 
Diese  Art,  welche  bei  Einigen  Steinkohl  heisst,  ist  ein 
solcher  Feind  des  Weines,  dass  der  Weinstock  selbst  davor 
fliehet,  und,  wenn  ihm  diess  unmöglich  ist,  ausgeht.  Er 
hat  gleichstehende,  kleine,  runde,  glatte  Blätter,  sieht  dem 
Küchenkohl  mehr  ähnlich,  und  ist  heller  und  rauher  als 
der  Gartenkohl.  Chrysippus  sagt,  er  heile  die  Blähungen, 
auch  die  Melancholie  und  frische  Wunden  mit  Honig,  wenn 
sie  vor  dem  siebenten  Tage  nicht  neu  verbunden  würden; 
mit  Wasser  angestosseu  Kröpfe  und  Fisteln.  Nach  Andern 
hemmt  er  das  Umsichfressen  der  sogenannten  Nomen-Ge- 
schwüre, vertilgt  Auswüchse  und  ebnet  Narben.  Durch 
Kauen,  Kochen  und  Gurgeln  des  Saftes  mit  Honig  werden 
Mundgeschwüre  und  geschwollene  Mandeln,  durch  Auflegen 
eines  Gemisches  von  3  Theilen  Kraut  und  2  Tbeilen  Alaun 
in  Essig  alter  Schorf  und  Krätze  geheilt.    Epicharmus  hat 


2Ö  Zwanzigstes  Buch. 

es  für  hinreichend,  ihn  gegen  den  tollen  Hundsbiss  aufzu- 
legen, besser  aber  ist  es,  wenn  man  Laser  und  Essig  hin- 
zufügt; auch  sollen  die  Hunde,  welchen  er  mit  Fleisch  ge- 
geben wird,  dadurch  getödtet  werden.  Der  geröstete  Same 
hilft  gegen  Schlangen,  Pilze  und  Ochsenblut.  Die  gekochten 
Blätter  werden  mit  Vortheil  den  Milzsücbtigen  gegeben, 
auch  roh  mit  Schwefel  und  Natron  hiebei  sowohl  wie  gegen 
verhärtete  Brüste  anfgelegt.  Die  Asche  der  Wurzeln  heilt 
durch  Berühren  das  geschwollene  Zäpfchen  im  Halse,  un- 
terdrückt mit  Honig  aufgelegt  die  Geschwüre  hinter  den 
Ohren,  und  heilt  die  Schlangenbisse.  Noch  will  ich  einen 
bedeutenden  und  wunderbaren  Beweis  von  der  Kraft  des 
Kohls  anführen.  Wenn  Gefässe,  in  welchen  bloss  Wasser 
gekocht  wird,  inwendig  ganz  mit  einer  Rinde  überzogen 
sind,  und  diese  nicht  losgemacht  werden  kann,  so  geht 
«ie,  sobald  Kohl  darin  gesotten  wird,  gleich  ab. 

37. 

Unter  die  wilden  Kohlarten  gehört  auch  die  L ap sa- 
tt a^)  welche  1  Fuss  hoch  wird,  rauhe  Blätter  hat,  und  dem 
l!^apus  sehr  ähnlich  ist,  nur  dass  ihre  Blüthen  blässer  sind. 
Man  kocht  sie  zur  Speise,  und  ihre  Wirkung  besteht  im 
gelinden  Erweichen  des  Unterleibes. 

38. 

Der  Meerkohl 2)  reitzt  unter  allen  Arten  den  Unter- 
leib am  meisten.  Seiner  Schärfe  wegen  wird  er  mit  fettem 
Fleische  gekocht,  schadet  aber  dem  Magen  sehr. 

39. 

Unter  den  Meerzwiebelarten  heisst  die  weisse  das 
Männchen,  die  schwarze  das  Weibchen.  Je  weisser,  um 
so  besser  ist  sie  auch.  Man  zieht  ihr  die  trocknen  Häute 
ab,  schneidet  die  darunter  liegenden  lebenden  Theile  aus 
einander,  und  hängt  sie  an  Fäden  in  geringem  Abstände 
von  einander  auf.  Hierauf  taucht  man  die  trocknen  Stücke 
in  ein  mit  scharfem  Essig  gefülltes  Gefäss  so,  dass  sie  die 


*)  Sinapis  incana  L.  oder  vielleiclit  eher  Raphanus  Raphanistrum. 
-)  Brassica  marina.    Crainbe  maritima  L,? 


Zwanzigstes  Buch.  27 

Wände  des  letztem  nirgends  berüliren.  Diess  geschieht 
48  Tage  vor  dem  Sommer-Solstitium.  Das  Gefäss  wird 
nun  mit  Gyps  verstrichen  und  unter  ein  Dach  gestellt, 
welches  den  ganzen  Tag  der  Sonne  ausgesetzt  ist.  Nach 
Verlauf  dieser  Zeit  wird  das  Gefäss  hinweggestellt,  die 
Meerzwiebel  herausgenommen  und  der  Essig  durchgeseihet. 
Er  macht  klare  Augen,  hilft  alle  2  Tage  in  geringer  Dosis 
genommen  für  Magen-  und  Seitenstechen,  seine  Kraft  ist 
aber  so  gross,  dass  dem,  welcher  ihn  etwas  zu  schnell 
trinkt,  der  Athem  auszugehen  drohet.  Für  das  Zahnfleisch 
und  die  Zähne  kauet  man  die  Wurzel  selbst.  Mit  Essig 
und  Honig  genommen  vertreibt  sie  die  Würmer  und  son- 
stigen Eingeweide-Thiere.  Legt  man  sie  den  Wassersüch- 
tigen unter  die  Zunge,  so  fühlen  sie  keinen  Durst.  Man 
kocht  sie  auf  verschiedene  Weise,  entweder  in  einem  Toj^fe, 
der  in  ein  anderes  Gefäss  oder  in  einen  Ofen  gesetzt  wird, 
oder  mit  Fett  und  Leim  bestrichen  oder  stückweise  in 
Schüsseln.  Sie  wird  auch  roh  getrocknet,  dann  zerschnitten, 
in  Essig  gekocht  und  auf  Bisswunden  von  Schlangen  ge- 
legt. Ferner  röstet  man  sie,  reinigt  sie  dann,  und  kocht 
den  mittleren  Theil  davon  nochmals  in  Wasser.  So  zuge- 
richtet findet  sie  in  der  Wassersucht  Anwendung,  und  als 
Diureticum  wird  sie  zu  3  Obolen  schwer  mit  Honig  und 
Essig  eingegeben;  auch  gegen  Milz-  und  Magenbeschwerden 
(wenn  keine  Geschwüre  vorhanden  sind)  bei  denen,  welche 
an  Verdauung  leiden;  gegen  Bauchgrimmen,  Gelbsucht  und 
langwierigen  mit  Engbrüstigkeit  begleiteten  Husten.  Die 
Blätter,  alle  4  Tage  neu  aufgelegt,  vertreiben  die  Kröpfe; 
mit  Oel  gekocht  die  Schuppen  und  nassen  Geschwüre  des 
Kopfes.  Man  kocht  sie  auch  zum  Verspeisen  mit  Honig 
um  die  Verdauung  zu  befördern,  und  die  Innern  Theile  zu 
reinigen.  In  Oel  gekocht  und  mit  Harz  vermischt  heilt 
sie  aufgebrochene  Füsse.  Bei  Lendenweh  wird  ihr  Same 
mit  Honig  aufgelegt.  Pythagoras  sagt,  wenn  man  die 
Meerzwiebel  an  der  Thürschwelle  aufhänge,  so  verhindere 
sie  den  Eintritt  von  Gift  und  andern  schädlichen  Einflüssen. 


28  Zwanzigstes  Buch. 

40. 
Ausserdem  heilen  die  Zwiebeln  i)  mit  Essig  und 
Schwefel  die  Wunden  im  Gesicht;  für  sich  zerrieben  den 
Nervenkrampf,  mit  "Wein  den  Grind,  mit  Honig  den  Biss 
der  tollen  Hunde,  wobei  Erasistratus  den  Zusatz  von  Pech 
vorschreibt.  Ebenderselbe  giebt  an,  mit  Honig  aufgelegt 
stillten  sie  das  Blut.  Andere  setzen,  wenn  das  Blut  aus 
der  Nase  kommt,  Coriander  und  Mehl  hinzu.  Theodorus  2) 
heilte  auch  die  Flechten  mit  Zwiebeln  und  Essig,  und  auf 
dem  Kopfe  aufbrechende  Geschwüre  mit  saurem  Wein  und 
einem  Ei;  ferner  legte  er  auf  Augenflüsse  Zwiebeln  und 
heilte  so  das  Triefen  der  Augen.  Die  röthlichen  unter  die- 
sen Zwiebeln  heilen  Fehler  im  Gesichte,  wenn  sie  an  der 
Sonne  mit  Honig  und  Natron,  und  die  Sommersprossen, 
wenn  sie  mit  Wein  oder  gekochten  Gurken  aufgelegt  wer- 
den. Bei  Wunden  zeigen  sie  sich  ganz  besonders  wirksam 
theils  allein,  theils,  wie  Damion  ^)  angiebt,  mit  Honigtrank, 
wenn  der  Verband  alle  5  Tage  erneuert  wird.  Dieser  Arzt 
heilt  ferner  damit  verletzte  Ohren  und  Schleim  an  den  Ho- 
den. Bei  Gliederschmerzen  vermischt  man  sie  mit  Mehl. 
In  Wein  gekocht  und  auf  den  Leib  gelegt,  machen  sie  die 
Brust  weich.  Den  Ruhrkränken  giebt  man  sie  in  Wein 
und  Regenwasser  eingeweicht;  bei  innerlichen  Verrenkungen 
mit  Silphium^)  in  Kügelchen  von  der  Grösse  einer  Bohne. 
Für  den  Schweiss  werden  sie  gestossen  aufgelegt.  Sie 
erweisen  sich  heilsam  für  die  Nerven,  daher  man  sie  auch 
bei  Lähmungen  eingiebt.  Die  röthlichen  heilen  mit  Honig 
und  Salz  Fussverrenkungen  sehr  schnell.  Die,  welche  um 
Megara  wachsen,  reizen  zum  Beischlaf;  die  Gartenzwiebeln 
befördern  mit  eingekochtem  oder  Rosinenwein  genommen 
die  Geburt;  die  wilden  heilen  mit  Silphium  in  Pillenform 
genommen  innerliche  Wunden  und  andere  Fehler.  Der 
Same   der  zahmen   wird   gegen  Spitzmäuse   mit  Wein    ge- 


*)  bulbi.  Muscari  comosum  L. 

2)  Ein  nicht  näher  bekannter  Arzt.     ^)  Desgleichen. 

'')  Oder  Laserpitium. 


Zwanzigstes  Buch.  29 

trunken ;  die  Zwiebeln  selbst  legt  man  mit  Essig  gegen 
Schlangenbisse  auf.  Die  Alten  gaben  auch  Rasenden  den 
Samen  in  einem  Tranke  ein.  Die  zarteren  Theile  der 
Zwiebel  werden  zerrieben  gegen  Flecke  an  den  Beinen  und 
verschiedene  andere  durchs  Feuer  entstandene  Fehler  ange- 
wendet. Diocles  glaubt,  die  Augen  würden  dadurch  ge- 
schwächt; gesotten  wären  sie  nicht  so  gut  als  gebraten, 
und  im  Allgemeinen  schwer  zu  verdauen. 

41. 

Bulbinei)  nennen  die  Griechen  ein  Kraut  mit  lauch- 
artigen Blättern  und  röthlicher  Zwiebel,  welches  besonders 
bei  frischen  Wunden  wunderbare  Dienste  leisten  soll.  Das- 
jenige Zwiebelgewächs,  welches  wegen  seiner  Wirkung 
Brechzwiebel  2)  heisst,  hat  schwarze  und  längere  Blätter 
als  die  andern. 

42. 

Der  Spargel  soll  sehr  gut  für  den  Magen  sein.  Aller- 
dings vertreibt  er  mit  Rossktimmel  genommen  die  Blähun- 
gen, macht  auch  in  Wein  gekocht  klare  Augen,  eröffnet 
gelinde,  lindert  Brust-  und  Rückenschmerzen  und  andere 
innerliche  Uebel.  Bei  Lenden-  und  Nierenschmerzen  nimmt 
man  3  Obolen  des  Samens  mit  gleichviel  Rosskümmel  im 
Tranke.  Er  reizt  zum  Beischlaf,  ist  ein  vortreffliches  Harn 
treibendes  Mittel,  macht  aber  die  Blase  wund.  Die  Wurzel 
führt  sogar,  nach  Angabe  Vieler,  mit  weissem  Wein  einge- 
geben die  Blasensteine  ab,  und  heilt  Lenden-  und  Nieren- 
schmerzen. Einige  verordnen  auch  dieselbe  mit  süssem 
Wein  bei  Schmerzen  der  weiblichen  Geschlechtstheile.  In 
Essig  gekocht  erweist  sie  sich  nützlich  beim  Aussatz.  Wer 
sich  mit  einem  Gemisch  aus  Spargel  und  Oel  bestreicht, 
soll  von  den  Birnen  nicht  gestochen  werden. 

43. 

Den  wilden  Spargel  nennen  Einige  den  lybischen 


')  Grnithogalum  umbellatum  L, 

2)  Bulbus  vomitorius.     Omithogalum  nutans  L. 


30  Zwanzigstes  Buch. 

die  Attiker  Scharlei  i).  Er  besitzt  für  die  genannten  Uebel 
noch  grössere  Kräfte,  und  ist  namentlich  dem  weissen  vor- 
zuziehen. Er  vertreibt  die  Gelbsucht.  Zur  Beförderung 
des  Beischlafs  soll  man  den  Absud  zu  1  Hemina  trinken, 
sowie  3  Obolen  des  Samens  mit  ebensoviel  Dill  nehmen. 
Der  gekochte  Saft  wird  auch  gegen  Schlangenbisse  gegeben. 
Die  Wurzel  ist  in  Verbindung  mit  der  des  Fenchels  eine 
der  kräftigsten  Arzneien.  Nach  Chrysippus  soll  man  bei 
blutigem  Harnen  3  Obolen  Spargel-,  Eppich-  und  Ross- 
kümmel-Samen in  2  Bechern  Wein  alle  5  Tage  nehmen. 
Ihm  zufolge  schadet  er  den  Wassersüchtigen,  obgleich  er 
urintreibend  wirkt,  auch  dem  Beischlafe  und  der  Blase, 
wenn  er  nicht  gekocht  ist.  Von  dem  Absude  sollen  Hunde 
getödtet  werden.  Wird  der  mit  Wein  gekochte  Saft  in 
Wunden  gehalten,  so  vertreibt  er  das  Zahnweh. 

44. 
Die  Kräfte  des  Eppichs  (Sellerie)  sind  allgemein  be- 
kannt, denn  sein  Kraut  wird  in  reichlicher  Menge  in  die 
Suppen  gethan,  und  hat  unter  den  Gewürzen  einen  beson- 
dern Werth.  Mit  Honig  wird  es  zweckmässig  auf  die  Augen 
gelegt,  auch  brühet  man  mit  dem  heissen  Safte  die  Augen 
und  andere  Glieder.  Flüsse  werden  gleichfalls  dadurch 
geheilt;  für  sich  zerrieben  oder  mit  Brot  oder  Graupen  auf- 
gelegt, leistet  er  vortreffliche  Dienste.  Auch  den  Fischen, 
welche  in  den  Teichen  erkranken,  kommt  man  mit  grünem 
Sellerie  zu  Hülfe.  Doch  herrscht  bei  den  Gelehrten  über 
nichts,  was  aus  der  Erde  gegraben  wird,  eine  grössere 
Meinungsverschiedenheit,  als  über  diess  Gewächs.  Man 
unterscheidet  ihn  nach  dem  Geschlecht.  Chrysippus  nennt 
das  Weibchen  die  Art  mit  krausern  und  harten  Blättern, 
dickem  Stengel,  und  brennend  scharfem  Geschmack,  Dio- 
nisius  die  schwärzern,  mit  kürzerer  Wurzel,  welche  Würmer 
erzeuge.  Beide  Autoren  verbieten,  diese  Arten  zur  Speise 
zu  gebrauchen,  und  halten   es   sogar  für  ein  Verbrechen, 


*)  Hormenum.  Salvia  Horminum  L.,  was  indessen  eine  von  dem 
wilden  Spargel  ganz  verschiedene  Pflanze  ist. 


Zwanzigstes  Buch.  32 

denn  diess  Kraut  sei  den  traurigen  Todtenmahlen  geweihet^ 
und  wirke  nachtheilig  auf  die  Augen.  Im  Stengel  des 
Weibchens  entstehen  Würmer,  und  Alle  die  davon  essenr 
es  seien  männliche  oder  weibliche  Personen,  werden  un- 
fruchtbar, säugender  Mütter  Kinder  aber  bekommen  in 
diesem  Falle  die  Epilepsie.  Die  männliche  Pflanze  soll 
weniger  schädlich  sein,  und  daher  zählt  man  sie  nicht  zu 
den  verbotenen  Kräutern.  Durch  Auflegen  der  Blätter 
werden  harte  Brüste  weich.  In  Wasser  gekocht  ertheilt 
er  demselben  einen  angenehmen  Geschmack.  Der  Saft,, 
namentlich  aus  der  Wurzel,  lindert  mit  Wein  die  Lenden- 
schmerzen, und  heilt,  ins  Ohr  getröpfelt,  die  Schwerhörigkeit. 
Der  Same  treibt  den  Harn,  den  Monatsfluss  und  die  Nach- 
geburt ab,  und  von  dem  gekochten  Samen  gemachte 
Umschläge  geben  blau  angelaufenen  Stellen  ihre  vorige 
Farbe  wieder.  Mit  dem  Weissen  vom  Ei  aufgelegt  oder 
mit  Wasser  gekocht  und  getrunken,  heilt  er  die  Nieren,  mit 
kaltem  Wasser  zerrieben  die  Mundgeschwüre.  Wird  der 
Same  mit  Wein,  oder  die  Wurzel  mit  altem  Weine  ge- 
nommen, so  werden  dadurch  die  Blasensteine  zerkleinert. 
Den  Samen  giebt  man  auch  mit  weissem  Wein  den  Gelb- 
süchtigen. 

45. 

Das  Apiastrum  nennt  Hyginus  zwar  Melissophyl- 
lum,  es  ist  aber  offenbar  zu  verwerfen  und  in  Sardinien 
besitzt  es  giftige  Eigenschaften.  Wir  müssen  jedoch  alles 
berücksichtigen,  was  bei  den  Griechen  unter  demselben 
Namen  gemeint  ist. 

46. 

Das  Olusatrum,  welches  auch  Pferdesilge  *)  heisst 
ist  den  Scorpionen  zuwider.  Der  aus  dem  Samen  bereitete 
Trank  heilt  innerliche  Schmerzen,  und  mit  Honigmeth  die 
Harnstrenge.  Die  Wurzel  vertreibt  mit  Wein  gekocht  den 
Stein,  sowie  Lenden-  und  Seitenschmerzen.  Tolle  Hunds- 
bisse  werden   davon  durch  innerliche   und  äusserliche  An- 


•)  Hipposeljnum. 


32  Zwanzigstes  Buch. 

Wendung  geheilt.  Der  Saft  erwärmt  Frierende.  Einige 
machen  daraus  eine  vierte  Art,  die  Bergpetersilie  i), 
deren  Stengel  1  Palme  hoch  und  aufrecht  ist,  der  Same 
sieht  dem  Rossktimmel  ähnlich.  Sie  erweist  sich  bei  Urin- 
verhaltungen und  beim  Mouatsfluss  wirksam.  Der  Sumpf- 
eppich 2)  besitzt  eine  besondere  Kraft  gegen  die  Spinneu. 
Samen  von  Bergpetersilie  in  Wein  getrunken  reinigt  die 
Weiber. 

47. 

Eine  andere  Art  nennen  Einige  Petersilie^),  weil  sie 
auf  Felsen  wächst;  sie  zeigt  sich  besonders  wirksam  bei 
Blutgeschwüren,  wenn  man  2  Löfifel  voll  Saft  in  einem 
Becher  Andornsaft  thut,  und  diess  Gemisch  mit  3  Bechern 
warmen  Wassers  einnimmt.  Einige  fügen  noch  den  soge- 
nannten Ochseneppich 4)  hinzu,  der  sich  von  dem  ange- 
baueten  durch  den  kurzen  Stengel  und  die  röthlich  gefärbte 
Wurzel  unterscheidet,  aber  ganz  dieselbe  Wirkung  besitzt. 
Er  soll,  innerlich  und  äusserlich  angewandt,  ein  gutes  Mittel 
gegen  die  Schlangen  sein. 

48. 

Auch  das  Basilienkraut'^)  hat  Chrysippus  nicht 
wenig  mitgenommen;  nach  ihm  soll  es  nämlich  dem  Magen, 
Urin  und  den  Augen  schädlich  sein,  Wahnwitz,  Schlafsucht 
und  Leberleiden  erzeugen,  und  selbst  von  den  Ziegen  nicht 
augerührt  werden,  daher  es  auch  von  den  Menschen  nicht 
gebraucht  werden  müsse.  Einige  fügen  noch  hinzu,  es  er- 
zeuge zerrieben  und  mit  einem  Steine  bedeckt,  Scorpione, 
und  gekauet  an  die  Sonne  gelegt,  Würmer.  Die  Afrikaner 
sagen,  wenn  Jemand  an  demselben  Tage,  wo  er  Basilien- 
kraut gegessen  habe,  von  einem  Scorpione  gestochen  würde, 
so  sei  er  unheilbar.  Andere  geben  sogar  an,  wenn  man 
10  See-  oder  Flusskrebse  mit  diesem  Kraute  zerriebe,  so 
kämen    die    in    der    Nähe    befindlichen    Scorpione    heran. 


')  Oreoselinum.     ^)  Heleoselinum. 

3)  Petroselinum.  Apium  Petroselinuni  L,    •*)  Buselinura. 

^)  Ocimum. 


Zwanzigstes  Buch.  33 

Diodotus  1)  sagt  in  seinen  praktischen  Erfahrungen,  der 
Genuss  des  Basilienkrautes  erzeuge  Läuse.  In  der  nach- 
folgenden Zeit  wurde  es  eifrig  vertlieidigt,  denn  man  be- 
hauptete, dass  die  Ziegen  es  frässen,  dass  Niemand  dadurch 
irre  geworden  sei,  und  dass  durch  den  Genuss  desselben 
mit  Wein  und  etwas  Essig  die  Stiche  der  Land-Scorpione 
und  Vergiftungen  durch  Seegeschöpfe  geheilt  würden.  Die 
Erfahrung  hat  ferner  bewiesen,  dass  Ohnmächtige,  welche 
an  den  damit  bereiteten  Essig  riechen,  wieder  zu  sich  selbst 
kommen,  und  dass  es  bei  Schlafsucht  und  Eutzimdungeu 
Kühlung  gewährt.  Mit  Rosenöl,  Myrtenöl  oder  Essig  auf- 
gelegt heilt  es  das  Kopfweh,  und  mit  Wein  die  Augenge- 
schwüre. Es  ist  auch  dem  Magen  zuträglich,  lindert  in 
Essig  genommen  Blähungen  und  Aufstosseu,  hemmt  aufge- 
legt den  Bauchfluss,  reizt  zum  Harnen,  soll  auch  gegen 
Gelbsucht  und  Wassersucht  dienlich  sein,  Gallensucht  und 
Durchfall  heilen.  Daher  verordnete  es  Philistion  bei  Ver- 
stopfungen, und  Plistouicus  in  der  Abkochung  bei  Durchfall 
und  Kolik;  Einige  mit  Wein  bei  Stuhlzwang  und  Blut- 
speien, sowie  bei  verhärteter  Brust.  Auf  die  Brüste  ge- 
legt vertreibt  es  die  Milch.  Für  die  Ohren  der  Kinder 
erweist  es  sich  besonders  mit  Gänsefett  sehr  nützlich.  Der 
gestossene  Same  in  die  Nase  geschnupft  erregt  Niesen  und 
auf  den  Kopf  gelegt  den  Schnupfen;  mit  Essig  eingenommen 
reinigt  er  die  weiblichen  Geschlechtstheile.  Mit  Schuster- 
schwärze vermischt,  vertilgt  er  die  Warzen,  und  reizt  zur 
Begattung,  daher  er  atich  den  Pferden  und  Eseln  zur  Zeit 
der  Beschälung  eingegeben  wird. 

Das  wilde  Basilienkraut  besitzt  noch  grössere  Wirk- 
samkeit in  denselben  Fällen,  besonders  bei  solchen  Krank- 
heiten, welche  durch  häufiges  Erbrechen  entstanden  sind, 
und  seine  Wurzel  wird  in  Wein  mit  dem  besten  Erfolge 
gegen  die  Eiterbeulen  der  weiblichen  Schaam  und  Bisse 
wilder  Thiere  angewandt. 


')  Petronius  Diodotus. 

Wittstein:  Pliuius.     IV.  Bd. 


34  Zwanzigstes  Buch. 

49. 

Der  Same  der  Eruea  heilt  die  giftigen  Bisse  der 
Scorpione  und  Spitzmäuse.  Er  vertreibt  alle  im  Körper 
befindlichen  Thierehen,  mit  Honig  aufgelegt  die  Hautschäden 
im  Gesichte,  mit  Essig  die  Sommersprossen,  macht  mit 
Ochsengalle  schwarze  Narben  wieder  weiss.  Man  sagt, 
wenn  Leute,  welche  geprügelt  werden  sollen,  den  Samen 
mit  Wein  tränken,  so  fühlten  sie  die  Schläge  nicht  so  sehr. 
Er  ist  ein  so  angenehmes  Gewürz  für  die  Zuspeisen,  dass 
die  Griechen  ihm  den  Namen  Tafelwürze  ^)  gegeben  haben. 
Die  Augen  sollen  mit  Eruca  gebrühet,  klar  werden,  und 
die  Kinder  den  Husten  dadurch  verlieren.  Die  mit  Wasser 
gekochte  Wurzel  zieht  zerl)rocheue  Knochen  aus.  Von  ihrer 
Wirkung,  zum  Beischlafe  zu  reizen,  habe  ich  schon  ge- 
sprochen 2);  man  bricht  zu  diesem  Behufe  3  Blätter  der 
wilden  Art  mit  der  linken  Hand  ab;  zerreibt  sie  mit  Wasser 
und  trinkt  diesen  Brei. 

50. 

Die  Brunnenkresse  3)  dagegen  unterdrückt  den  Ge- 
schlechtstrieb, und  belebt,  wie  schon  erwähnt^)  den  Geist» 
Es  giebt  2  Arten,  die  weisse  reinigt  und  entfernt,  mit  dem 
zehnfachen  Gewichte  Wasser  genommen,  die  Galle.  Mit 
Bohnenbrei  auf  Kröpfe  gelegt  und  mit  einem  Kohlblatt  be- 
deckt, heilt  sie  vortrefflich.  Die  andere  Art,  welche  dunkler 
ist,  reinigt  die  Kopfübel,  das  Gesicht,  beruhigt  mit  Essig 
genommen,  aufgeregte  Gemüther,  stillt  mit  Wein  oder  Feigen 
Milzkrankheiten,  und  täglich  nüchtefn  mit  Honig  genommen 
den  Husten.  Der  Same  vertilgt  mit  Wein,  oder  besser 
wenn  noch  wilde  Minze  hinzugethan  wird,  alle  Eingeweide- 
würmer. Er  hilft  auch  mit  Most  und  süssem  Wein  gegen 
Engbrüstigkeit  und  Husten,  und  in  Ziegenmilch  gekocht 
bei  Brustschmerzen.  Mit  Pech  zertheilt  er  Geschwulste, 
zieht  Splitter  aus  dem  Leibe,  und  mit  Essig  vertreibt  er 
Flecken.     Gegen  Krebsgeschwüre  wird  das  Weisse  vom  Ei 

>)  enzomon.    2)  s.  XIX.  B.  44.  Cap.    ^)  Nasturtium. 
")  XIX.  B.  41.  Cap. 


Zwanzigstes  Buch.  35 

hiii'.ugesetzt.  Mit  Essig  legt  man  ihn  bei  Milzleiden  auf, 
den  Kindern  aber  giebt  man  ihn  am  zweckmässigsten  mit 
Honig.  Sextius  sagt,  geröstet  solle  die  Brunnenkresse  die 
Sclilangen  veitreiben  und  den  Scorpionen  zuwider  sein, 
zerrieben  mit  Senf  versetzt  Kopfweh  und  Glatzen,  mit 
Feigen  auf  die  Ohren  gelegt  die  Schwerhörigkeit,  als  Saft 
in  die  Ohren  gegossen  die  Zahnschmerzen,  und  mit  Gänse- 
schmalz vermischt  Grind  und  andere  Kopfgeschwüre  ver- 
treiben. Kleine  entzündliche  Geschwüre  heilt  sie  mit  Sauer- 
teig, Karbunkeln  bringt  sie  zur  Reife  und  Oeffnung.  Um 
sich  fressende  Geschwüre  reinigt  sie  mit  Honig.  Auf  Hüften 
und  Lenden  legt  man  sie  mit  Essig,  desgleichen  auf  Flechten 
und  böse  Nägel,  denn  sie  besitzt  eine  ätzende  Kraft.  Die 
beste  wächst  um  Babylon;  die  wilde  ist  aber  die  kräftigste. 

51. 
Zu  den  vorzüglichem  Arzneikräutern  wird  auch  die 
Raute  gezählt.  Die  Gartenraute  hat  breitere  Blätter  und 
buschigere  Zweige.  Die  wilde  wirkt  strenger  und  ist  in 
jeder  Beziehung  schärfer.  Der  durch  Zerstampfen  der  Pflanze 
mit  etwas  Wasser  und  Auspressen  bereitete  Saft  wird  in 
einer  kupfernen  Büchse  aufbewahrt.  In  grössern  Gaben 
wirkt  derselbe  giftig,  und  zwar  besonders  der  von  der  am 
Flusse  Aliacmon  in  Macedonien  wachsenden  Pflanze.  Merk- 
würdigerweise wird  sein  nachtheiliger  Einfluss  auf  den 
Organismus  durch  Schierlingssaft  aufgehoben;  so  ist  ein 
Gift  dem  andern  entgegen,  denn  durch  Schierlingssaft 
schützt  man  auch  die  Hände  derer,  welche  Raute  ein- 
sammeln. Sonst  gehört  sie,  namentlich  die  galatische,  zu 
den  ersten  Gegengiften;  doch  ist  auch  jede  Raute  schon  an 
"und  für  sich  ein  Gegengift,  wenn  ihre  Blätter  zerrieben 
und  mit  Wein  genommen  werden,  vorzüglich  wider  das 
Aconitum,  Viscum,  die  Pilze,  zu  welchem  Behuf  mau  sie 
entweder  als  Trank  und  in  Substanz  eingiebt;  desgleichen 
wider  die  Schlangenbisse;  ja  selbst  die  Wiesel,  welche  mit 
ihnen  kämpfen  wollen,  wafl'nen  sich  durch  den  Genuss  von 
Raute.  Ferner  helfen  die  Blätter  wider  die  Stiche  der 
Scorpione,   Spinnen,  Bienen,  Hornisse  und  Wespen,   wider 

3* 


3(5  Zwanzigstes  Buch. 

spanische  Fliegen,  yalamander  und  tolle  Hundsbisse,  zu 
welchen  Zwecken  man  1  Acetabulum  voll  Saft  mit  Wein 
trinkt,  und  die  zerriebenen  Blätter  entweder  gekauet  mit 
Honig  und  Salz  oder  mit  Essig  und  Pech  gekocht  auflegt. 
Wer  sich  mit  dem  Safte  bestreicht  oder  das  Kraut  bei  sich 
trägt,  soll  von  jenen  Thieren  nicht  verletzt  werden,  und 
die  Schlangen  sollen  den  Dunst  von  brennender  Raute 
fliehen.  Doch  ist  die  Wurzel  der  wilden  Raute  am  kräf- 
tigsten, und  noch  mehr,  wie  man  sagt,  wenn  ein  Trank 
davon  unter  freiem  Himmel  eingenommen  werde.  Pytha- 
goras  unterscheidet  männliche  Raute  mit  kleinern  gras- 
grünen, und  weibliche  mit  breitern,  heuern  Blättern,  hält 
sie  für  schädlich  den  Augen,  jedoch  mit  Unrecht,  denn  die 
Steinschneider  und  Maler  essen  sie  mit  Brot  oder  Kresse 
zur  Schärf iing  der  Augen,  und  wie  man  sagt,  sollen  die 
wilden  Ziegen  sie  aus  demselben  Grunde  verzehren.  Viele 
sollen  von  blöden  Augen  dadurch  befreit  worden  sein,  dass 
sie  den  Saft  mit  attischem  Honig  oder  mit  Milch  von  einer 
Frau,  die  einen  Knaben  geboren,  vermischten,  oder  auch 
allein  in  die  Augenwinkel  gestrichen.  Mit  Graupen  auf- 
gelegt lindert  sie  die  Augenflüsse,  mit  Wein  getrunken  oder 
mit  Essig  und  Rosenessenz  aufgelegt  die  Kopfschmerzen, 
anhaltendes  Kopfweh  aber  mit  Gerstenmehl  und  Essig. 
Sie  hebt  Unverdaulichkeit,  Blähungen  und  langandauernde 
Leibschmerzen.  Sie  öffnet  die  Gebärmutter  und  bringt  sie 
wieder  in  die  rechte  Lage,  wenn  sie  mit  Honig  auf  den  ganzen 
Leib  und  die  Brust  gelegt  wird.  Mit  Feigen  zur  Hälfte  einge- 
kocht und  mit  Wein  eingenommen  wirkt  sie  wohlthätig  bei  der 
Wassersucht.  Ebenso  zubereitet  bedient  man  sich  ihrer  bei 
Brust-j  Seiten-  und  Lendenschmerzen,  Husten,  Engbrüstigkeit) 
Leiden  der  Lunge,  Leber  und  Nieren,  und  kalten  Schauern. 
Gegen  Berauschung  trinkt  man  einen  Absud  der  Blätter.  Auch 
roh,  gekocht  oder  eingemacht  verspeist  ist  sie  dienlich,  mit 
Hyssop  und  Wein  gekocht  heilt  sie  das  Bauchgrimmen. 
Sie  stillt  das  innerliche  Blut  und  in  die  Nase  gesteckt, 
das  Nasenbluten,  wirkt  auch  erhaltend  auf  die  Zähne,  wenn 
man  den  Mund  damit  ausspült.    Bei  Ohrenschmerzen  wird 


Zwanzigstes  Buch.  37 

der  Saft  der  wilden  in  dem  besagten  Maasse  in  die  Ohren 
gegossen;  bei  Schwerhörigkeit  und  Klingen  der  Ohren  aber 
mit  Rosenöl,  Lorbeeröl,  oder  Rosskümmel  und  Honig.  Den 
Wahnsinnigen  tröpfelt  man  den  durch  Abreiben  mit  Essig 
bereiteten  Saft  auf  die  Schläfen  und  das  Gehirn;  Einige 
fügen  noch  Quendel  und  Lorbeer  hinzu,  und  bestreichen 
Kopf  und  Hals.  Man  giebt  sie  auch  den  Schlafsüchtigen 
mit  Essig  zum  Riechen,  den  Epileptischen  den  gekochten 
Saft  zu  4  Bechern  vor  den  Anfällen,  welche  mit  unerträg- 
licher Kälte  verbunden  sind,  zum  Trinken,  den  Frostigen 
roh  zu  essen.  Sie  treibt  sogar  den  blutigen  Harn  ab, 
ferner,  wie  Hippocrates  behauptet,  mit  schwarzem  süssem 
Wein  getrunken  die  Nachgeburt  und  todte  Kinder.  Zu 
demselben  Zweck  soll  man  auch  die  Schaam  damit  belegen 
und  räuchern.  Diocles  legt  sie  bei  Magenbeschwerden  mit 
Essig,  Honig  und  Gerstenmehl  auf,  auch  gegen  die  Darm- 
gicht, wenn  das  Pulver  derselben  in  Oel  gekocht  und  in 
einem  Felle  aufbewahrt  wird.  Viele  empfehlen,  bei  eite- 
rigem Auswurf  2  Drachmen  trockne  Raute  mit  anderthalb 
Drachmen  Schwefel,  und  beim  Blutspeien  3  Zweige  in  Wein 
gekocht  zu  nehmen.  In  der  Ruhr  giebt  man  sie  mit  Käse 
und  Wein  vermischt,  bei  schwerem  Athem  mit  Pech  als 
Trank,  und  ist  jemand  von  einer  Höhe  gefallen,  so  ver- 
ordnet man  ihm  3  Unzen  Samen.  Auf  verbrannte  Stelleu 
legt  man  die  Blätter,  nachdem  sie  in  1  Pfunde  Oel  und  1 
Sextarius  Wein  gekocht  sind.  Wenn  sie  harntreibend  wirkt, 
wie  Hippocrates  sagt,  so  ist  zu  verwundern,  dass  Einige  sie 
als,  das  Trinken  verhindernd,  gegen  die  Unenthaltsamkeit 
des  Urins  empfehlen.  Grind  und  Krätze  heilt  sie  mit  Honig 
und  Alaun  aufgelegt,  desgleichen  Leberflecken,  Warzen, 
Kröpfe  u.  s.  w.  mit  Strychnos  i),  Schweinefett  und  Ochsen- 
talg, die  Rose  mit  Essig,  Oel  oder  Blei  weiss,  Karbunkeln 
mit  Essig.  Einige  lassen  Laser  mit  auflegen,  aber  ohne 
denselben  heilen  sie  die  des  Nachts  ausbrechenden  Hitz- 
blattern.    Abgekocht   werden  sie  auf  geschwollene  Brüste, 

')  S    XXI.  B.  1).-).  Ciip. 


38  Zwanzigstes  Buch. 

Diit  Wachs  auf  Schleimausbrüche,  mit  dünueu  Lorbeer- 
zweigen auf  Hodenflüsse  gelegt,  und  ihre  Wirkung  auf  diese 
Theile  soll  so  eigenthümlich  sein,  dass  Brüche  durch  äusser- 
liche  Behandlung  von  wilder  Raute  und  altem  Fett  kurirt 
werden.  Auch  gebrochene  Glieder  heilt  man  mit  dem  mit 
Wachs  vermischten  Samen.  Die  Wurzel  der  Raute  würd 
äusserlich  bei  Anhäufungen  von  Blut  an  den  Augen  und 
zur  Vertilgung  von  Narben  und  Flecken  angewandt.  Unter 
dem,  was  man  noch  von  ihrer  Wirksamkeit  angiebt,  ist 
das  merkwürdig  (da  doch  die  Raute  hifziger  Natur  ist), 
dass  ein  Bündel  davon  mit  Rosenöl  gekocht,  mit  1  Unze 
Aloe  versetzt  und  aufgelegt,  den  Schweiss  unterdrücken 
soll.  Auch  soll  ihr  Genuss  die  Zeugung  verhindern;  daher 
giebt  man  sie  denen,  welche  den  Samenfluss  und  im  Schlafe 
geile  Vorstellungen  haben.  Schwangere  dürfen  diess  Kraut 
nicht  gebrauchen,  denn  es  tödtet,  wie  ich  angegeben  finde, 
die  Leibesfrucht.  Unter  allen  angebaueten  Gewächsen  wird 
die  Raute  am  meisten  bei  den  Krankheiten  der  Säugethiere 
angewandt;  wenn  sie  schwer  athmeu  oder  von  giftigen 
Thieren  verletzt  sind,  giesst  man  ihnen  einen  weinigen 
Auszug  in  die  Nase;  wenn  ein  Blutegel  sie  angesogen  hat, 
nimmt  man  statt  Wein  den  Essig.  Ausserdem  dient  sie  zur 
Heilung  derselben  Krankheiten  wie  bei  den  Menschen. 

52. 
Die  wilde  Minze  heisst  Mentastrum;  sie  unterscheidet 
sich  durch  die  Gestalt  der  Blätter,  welche  denen  des  Ba- 
silienkrauts ähnlich  sind  und  die  Farbe  des  Polei  haben, 
daher  sie  auch  Einige  wilden  Polei  nennen.  Gekaut  und 
aufgelegt  soll  sie  den  Aussatz,  welcher  Elephantiasis  ge- 
nannt wird,  heilen,  und  diese  Entdeckung  machte  man  zur 
Zeit  des  grossen  Pompejus  zufällig,  als  Jemand  sich  aus 
Schaam  das  Gesicht  damit  bedeckte.  Man  legt  die  Blätter 
auf  und  nimmt  sie  in  Aufguss  gegen  die  Bisse  der  Scolo- 
pender  und  Schlangen,  zu  2  Drachmen  in  2  Bechern  Wein, 
gegen  die  Stiche  der  Scorpione  mit  Salz,  Oel  und  Essig, 
sowie  gegen  die  Scolopender  im  Absud.  Gegen  alle  Arten 
von  Gift   hebt    man   die   gepulverten   Blätter  auf.     Ausge- 


Zwanzigstes  Buch.  39 

streuet  und  angezündet  verscheuclit  sie  auch  die  Scorpione. 
Als  Trank  führt  sie  die  Geburt  ab,  tödtet  sie  aber  auch 
zugleich.  Wider  Brüche,  Verrenkungen  (jedoch  weniger), 
wider  das  Uebel,  nur  im  Stehen  athmen  zu  können,  bei 
Bauchgrimmen  und  Gallensucht  zeigt  sie  sich  sehr  wirk- 
sam; desgleichen  bei  Lenden  weh  und  Podagra  aufgelegt. 
Der  Saft  wird  in  die  Ohren  getröpfelt,  wenn  Würmer  darin 
sind.  In  der  Gelbsucht  nimmt  man  sie  ein,  und  gegen 
Kröpfe  schlägt  man  sie  über.  Sie  hindert  geile  Träume, 
vertreibt  mit  Essig  getrunken  die  Spuhlwürmer,  und  heilt, 
an  der  Sonne  mit  Essig  auf  den  Kopf  gelegt,  den  Grind. 

53. 
Der  Geruch  der  Minze  >)  erfrischt  das  Gemüth  und 
ihr  Genuss  macht  Appetit,  daher  sie  gewöhnlich  den  Tunken 
zugesetzt  wird.  Sie  verhindert  das  Sauer-  und  Dickwerden 
der  Milch,  dient  daher  als  Zusatz  zu  den  Milchtränken 
damit  die  Trinkenden  nicht  durch  die  geronnene  erstickt 
werden.  Man  giebt  sie  in  Wasser  oder  Meth.  Ebenso  soll 
sie  der  Zeugung  entgegen  wirken,  weil  sie  die  Geschlechts- 
theile  nicht  straff  mache.  Bei  Männern  und  Frauen  stillt 
sie  das  Blut,  und  verhindert  die  Reinigung  der  letztern; 
mit  Stärkmehl  und  Wasser  heilt  sie  Uuterleibsbeschwerden. 
Sie  vertreibt  die  Geilheit  und  die  Beulen  der  weiblichen 
Schaam,  Leberleiden  zu  3  Obolen  in  Meth  genommen,  und 
das  Blutspeien.  Geschwüre  auf  den  Köpfen  der  Kinder 
heilt  sie  vortrefflich,  trocknet  feuchte  Luftröhren,  und  zieht 
trockne  zusammen.  Bösartigen  Schleim  reinigt  sie  mit  Meth 
und  Wasser;  der  Saft  verbessert  die  Stimme  im  Streite,  bei 
geschwollenem  Zapfen  gurgelt  man  sich  damit  unter  Zusatz 
von  Raute,  Coriander  und  Milch.  Sie  leistet  auch  gute 
Dienste  bei  geschwollenen  Mandeln  mit  Alaun,  bei  rauher 
Stimme  mit  Honig,  und  für  sich  allein  ])ei  innerlichen  Ver- 
renkungen und  Lungenübeln.  Das  Schlucken  und  Erbrechen 
liemmt  sie,  wie  Democrit  angiebt,  mit  Granatsaft.  Der  Saft 
der  frischen  Minze  in  die  Nase  eingezogen  heilt  die  Fehler 


')  D.  h.  der  nicht  wilden. 


40  Zwanzigstes  Buch, 

dieses  Organs,  das  Kraut  selbst  zerrieben  und  mit  Essig 
eingenommen  die  Gallensuelit;  innere  Blutfliisse  mit  Graupen 
aufgelegt  die  Darmgieht  und  geschwollene  Brüste.  Bei 
Kopfweh  legt  man  es  auf  die  Schläfe,  gegen  Scolopender 
Scorpione  und  fSchlangen  nimmt  man  es  ein.  Gegen  Flüsse, 
jede  Art  von  Kopfausschlag,  Afterübel  wird  es  äusserlieh 
angewandt,  hindert  auch,  bloss  in  der  Hand  gehalten,  das 
Wundwerden  beim  Gehen,  Mit  Meth  tröpfelt  man  es  ins 
Ohr.  Es  soll  auch  die  Milz  heilen,  wenn  man  davon,  ohne 
es  abzupflücken,  9  Tage  lang  in  einem  Garten  isst  und 
dabei  sagt,  man  heile  seine  Milz.  Von  dem  Pulver  soviel 
in  Wasser  eingenommen,  wie  man  mit  3  Fingern  fassen 
kann,  vertreibt  die  Magenschmerzen  und  die  Eingeweide- 
würmer. 

54. 
Der  Pol  ei  kommt  darin,  dass  er  Ohnmächtige  wieder 
zu  sich  selbst  bringt,  wenn  man  Zweige  davon  in  Glas- 
flaschen mit  Essig  einweicht,  der  Raute  sehr  nahe;  daher 
empfahl  Varro  einen  Kranz  von  Polei  als  passender,  wie 
einen  Kranz  von  Rosen,  für  unsere  Schlafzimmer,  denn  auf 
den  Kopf  gelegt  soll  er  die  Schmerzen  desselben  vertreiben. 
Sogar  sein  Geruch  soll  den  Kopf  gegen  Kälte,  Hitze  und 
Durst  bewahren,  und  Diejenigen,  welche  2  Stengel  Polei 
hinter  den  Ohren  stecken  haben,  sollen  in  der  Sonne  nicht 
schwitzen.  Gegen  Schmerzen  legt  man  ihn  mit  Graupen 
und  Essig  auf.  Das  Weibchen  ist  wirksamer  und  trägt 
purpurrothe  Blüthen,  das  Männchen  weisse.  Mit  Salz  und 
Graupen  in  kaltem  Wasser  getrunken,  benimmt  er  den 
Ekel,  Brust-  und  Leibweh,  Reissen  im  Magen  mit  Wasser 
und  Erbrechen  mit  Essig  und  Graupen.  Mit  Honig  und 
Natron  gekocht,  heilt  er  innere  Uebel,  mit  Wein  wirkt  er 
harntreibend,  und  mit  ammineischem  Weine  vertreibt  er 
die  Harnsteine  und  alle  innerlichen  Schmerzen,  Mit  Honig 
und  Essig  wirkt  er  heilsam  auf  den  Monatsfluss  und  die 
Nachgeburt,  bringt  die  Geschlechtstheile  wieder  in  die 
rechte  Lage  und  treibt  todte  Kinder  ab.  Die,  welche  die 
Sprache  verloren  haben ,  lässt  man  an  den  Samen  riechen, 


Zwanzigstes  Buch.  41 

Epileptiscben  giebt  man  1  Becher  voll  davon  in  Essig. 
Verdorbenes  Wasser  macht  man  durch  Hineinvrerfen  des 
gestossenen  Samens  trinkbar;  mit  Wein  eingenommen 
vermindert  er  die  Salzigkeit  der  Säfte;  für  die  Nerven,  bei 
Krämpfen  und  Lähmung  des  Rückgrats  zerreibt  man  ihn 
mit  Salz,  Essig  und  Honig.  Den  Absud  giebt  man  gegen 
Schlangenbisse,  das  Pulver  besonders  desjenigen  Samens, 
welcher  an  trocknen  Plätzen  gewachsen  ist,  gegen  Scor- 
pionstiche.  Bei  Mundgeschwüren  und  Husten  soll  er  gute 
Dienste  leisten.  Der  Dunst  von  brennender  frischer  Polei- 
blüthe  tödtet  die  Flöhe.  Xeuocrates  ^)  empfiehlt,  beim  drei- 
tägigen Fieber  einen  Zweig  Polei  in  Wolle  einzuwickeln 
und  vor  dem  Anfalle  daran  zu  riechen,  oder  denselben  auf 
das  Lager  und  den  Patienten  darauf  zu  legen. 

55. 
Der  wilde  Polei,  welcher  dem  Origanum  ähnlich  ist, 
besitzt  grössere  Wirksamkeit,  hat  kleinere  Blätter  als  der 
angebauete,  und  wird  auch  Dictammus  2)  genannt.  Schafe 
und  Ziegen  werden  durch  dessen  Genuss  zum  Blöken  ge- 
reizt, daher  einige  Griechen  ihm  den  Namen  Blechon  3)  ge- 
geben haben.  Er  reizt  so  stark,  dass  er  aufgelegt  Ge- 
schwüre hervorbringt.  Beim  Husten  ist  es  gut,  sich  vor 
dem  Bade,  ferner  bei  Krämpfen  und  Bauchgrimmen  vor 
dem  Anfalle  damit  zu  reiben.  Gegen  Podagra  leistet  er 
vortreffliche  Dienste.  Bei  Leberleiden  giebt  man  ihn  mit 
Honig  und  Salz  im  Tranke,  und  bei  Lungeuübeln  befördert 
er  den  Auswurf.  Bei  Milzkrankheiten  wird  er  mit  Salz, 
bei  Blasenkrankheiten,  Engbrüstigkeit  und  Blähungen  ge- 
kocht angewandt,  heilt  auch  die  weibliche  Schaam,  die 
Bisse  der  Land-  und  See-  Scolopender,  der  Scorpione  und 
ganz  besonders  der  Menschen.  Gegen  wachsende  Geschwüre 
erweist  sich  die  frische  Wurzel  am  kräftigsten;  die  trockne 
aber  verbessert  die  Narben. 


')  Arzt    aus    Aphrodisias    in    Cilicien,    lebte   im    1.  Jahrhundert 
V.  Chr.     '^)  Origanum  Dictamnus  L. 
')  von  ßXrj/ao/.tai,  blöken. 


42  Zwanzigstes  Buch. 

56. 

Mit  dem  Polei  hat  auch  die  Nepeta  eine  gewisse 
üebeieinstimmung.  Denn  mit  Wasser  bis  zu  einem  Drittel 
eingekocht,  vertreiben  sie  die  Kälte,  und  befördern  den 
-Monatsfluss;  im  Sommer  wirken  sie  kühlend.  Die  Nepeta 
besitzt  auch  Kräfte  gegen  die  Schlangen;  diese  fliehen 
nämlich  den  Rauch  und  Geruch  derselben.  Man  legt  sie 
zweckmässig  denen  unter,  welche  vor  dem  Einschlafen 
furchtsam  sind.  Zerstosseu  wird  sie  bei  Thränenfisteln, 
frisch  mit  1/3  Bj'ot  in  Essig  eingeweicht  bei  Kopfweh  auf- 
gelegt, der  Saft  bei  Nasenbluten  in  die  Käse  getröpfelt; 
die  Wurzel  mit  Myrtensamen  in  warmem  Rosinenweiu  ge- 
weicht, und  mit  diesem  Aufgusse  bei  der  Bräune  gegurgelt. 

57. 

Der  wilde  Rosskiimmel  i)  ist  eine  zarte  Pflanze  mit 
4  bis  5  gezähnten  Blättern,  und  wird,  gleich  dem  ange- 
baueten,  häufig  und  namentlich  als  Magenmittel  gebraucht. 
Er  zertheilt,  zerrieben  mit  Brot  genommen  oder  mit  Wasser 
und  Wein  getrunken,  Schleim  und  Blähungen,  sowie  Bauch- 
grimmen und  Schmerzen  in  den  Eingeweiden;  der  Genuss 
desselben  erzeugt  aber  Blässe.  Wenigstens  erzählt  man, 
die  Anhänger  des  berühmten  Lehrers  der  Beredtsamkeit, 
Porcius  Latro,  hätten  damit  dessen  durch  anhaltende  Stu- 
dien zugezogene  Blässe  im  Gesicht  nachgeahmt,  und  etwas 
früher  habe  Julius  Vindex,  der  uns  von  der  Tyrannei  des 
Nero  befreiete,  diesem  dadurch  mit  der  baldigen  Hoffnung 
auf  Erbschaft  geschmeichelt.  In  Form  von  Zeltchen  oder 
in  Essig  eingeweicht  in  die  Nase  gesteckt,  stillt  er  das 
Blut.  Auf  Augeuflüsse  legt  man  es  für  sich,  und  auf  ge- 
schwollene Theile  mit  Honig.  Kindern  braucht  man  ihn 
bloss  auf  den  Leib  zu  legen.  In  der  Gelbsucht  wird  er 
nach  dem  Bade  mit  weissem  Wein,  der  äthiopische  meist 
in  saurem  Wein  und  in  einem  Lecksaft  2)  mit  Honig  gege- 


'j  Cmninum  sjlvestre.  Nigella  aiistata  Sm. 

-)  Ligiiia,  von  ?.iyjicm  lecken;  soviel  als  Looeb,  Linctus. 


Zwanzigstes  Buch.  43 

ben.  Der  afrikanische  soll  die  Unenthaltsamkeit  des  Urins 
etwas  heben.  Der  Garten-Rosskümmel ')  wird  geröstet 
und  mit  Essig  zerrieben  bei  Leberleiden,  auch  beim  Schwin- 
del gegeben;  denen  aber,  welche  beim  flarnen  Brennen 
verspüren,  in  süssem  Wein;  bei  Fehlern  der  weiblichen 
Schaam  in  Wein,  wobei  ausserdem  die  Blätter  mit  Wolle 
aufgelegt  werden;  bei  angeschwollenen  Hoden  geröstet  und 
mit  Honig  oder  Rosenessenz  und  Wachs.  Der  wilde  besitzt 
in  jeder  Beziehung  grössere  Wirksamkeit,  und  dient  auch 
in  Verbindung  mit  Oel  bei  Schlangen-,  Scorpionen-  und 
Scolopender- Wunden.  Wenn  man  so  viel,  als  man  mit  3 
Fingern  fassen  kann,  in  Wein  einnimmt,  so  wird  die  Nei- 
gung zum  Brechen  und  der  Ekel  gehoben.  Gegen  Kolik 
wird  er  innerlich  gegeben  und  aufgelegt  oder  heiss  mit 
Schwämmen  und  Binden  angedrückt.  Zu  3  Drachmen  in 
3  Bechern  Wein  genommen  hebt  er  die  Zusammenschnürung 
der  Gebärmutter.  Wider  das  Klingen  und  Sausen  der  Oluen 
wird  ein  Gemisch  Rosskümmel,  Kalbstalg  und  Honig  ein- 
getröpfelt. Auf  blaue  Flecken  legt  man  ihn  mit  Honig, 
Rosinen  wein  und  Essig ,  und  auf  schwarze  Sommer- 
sprossen mit  Essig  auf. 

58. 
Mit  dem  Namen  Amnii^)  bezeichnen  die  Griechen 
eine  dem  Rosskümmel  sehr  ähnliche  Pflanze;  nach  Andern 
soll  diess  der  äthiopische  Rosskümmel  sein.  Hippocrates 
nennt  es  den  königlichen,  weil  er  es  für  kräftiger  als  den 
ägyptischen  hält.  Die  Meisten  bezeichnen  es  als  eine 
andere  Art,  weil  es  kleiner  und  heller  ist.  Doch  ist  seine 
Anwendung  dieselbe,  denn  man  setzt  es  den  alexandrischen 
Broten  und  den  Gewürzen  hinzu.  Es  vertreibt  Blähungen 
und  Bauchgrimmen,  reitzt  zum  Harnen  und  zur  Menstruatiou, 
lindert  unterlaufene  Stellen  und  Augenflusse,  heilt  zu  2 
Drachmen   mit  Leinsamen  in  AVein  genommen  die  Stiche 


')  Cuminuni  sativum.  Cuminum  Cj'minum  L. 
-;  Ammi  majus  L.  und  Ammi  Visnaga  L. 


44  Zwanzigstes  Buch. 

der  Scorpione,  und  mit  gleichen  Theilen  Myribe  die  Bisse 
der  Hörn  schlangen.  Sein  Gebrauch  zieht  ebenfalls  eine 
blasse  Farbe  nach  sich.  Mit  Rosinen  und  Pech  geräuchert 
reinigt  es  die  Mutter.  Weiber,  welche  während  des  Bei- 
schlafs daran  riechen,  sollen  leichter  empfangen. 

59. 

Vom  Kappergewächse  haben  wir  unter  den  auslän- 
dischen Sträuchern  ^)  bereits  ausführlich  gesprochen.  Die 
überseeischen  sind  nicht  zu  gebrauchen,  die  in  Italien  vor- 
kommenden dagegen  unschädlicher.  Der  tägliche  Genuss 
derselben  soll  vor  Lähmung  und  Milzschmerzen  bewahren. 
Die  Wurzel  vertreibt  die  weissen  Leberflecken,  wenn  man 
sie  damit  in  der  Sonne  reibt.  Wenn  Milzstichtige  2  Drach- 
men der  Wurzelrinde  in  Wein  nehmen  und  sich  des  Ge- 
brauchs der  Bäder  enthalten,  so  werden  sie  geheilt,  denn 
nach  35  Tagen  soll  durch  den  Urin  und  die  Excremente 
die  Milz  gänzlich  entfernt  werden.  Bei  Lenden-  und  Gicht- 
schmerzen macht  man  einen  Trank  davon.  Der  in  Essig 
gekochte  Same  oder  die  gekauete  Wurzel  stillt  das  Zahn- 
weh. Ein  Absud  in  Oel  wird  bei  Ohrenschmerzen"  einge- 
gossen. Umsichfressende  Geschwüre  heilen  die  Blätter 
und  die  frische  Wurzel  mit  Honig.  Die  in  Wasser  gekochte 
Wurzel  vertreibt  auch  Kröpfe,  Ohrengeschwüre  und  Würmer; 
hebt  Leberleiden,  führt  mit  Essig  und  Honig  eingenommen 
den  Bandwurm  ab,  heilt  in  Essig  gekocht  Mundgeschwüre, 
schadet  aber  nach  dem  übereinstimmenden  Urtheile  der 
Schriftsteller  dem  Magen. 

60. 

Das  Ligusticum,  von  Einigen  Panax  genannt,  hilft 
für  den  Magen,  für  Convulsionen  und  Blähungen.  Andere 
nennen  ihn  auch,  jedoch,  wie  wir  bereits  gesagt  haben, 
irrigerweise  Ochsen-Cuuila^) 

6L 

Ausser  der  Garten-Cunila  werden  noch  mehrere  andere 


1)  Im  XIII.  B.  44.  Cap. 

2)  Im  XIX.  Buche,  50.  Cap. 


Zwanzigstes  Buch.  45 

Alten  in  der  Medicin  gebraucht.  Die  sogenannte  Oclisen- 
Cunila')  trägt  einen  dem  Polei  ähnlichen  Samen,  welcher 
gekanet  auf  Wunden  gelegt  und  am  fünften  Tage  wieder 
abgenommen  wird.  Gegen  Schlangenbisse  wird  er  in  Wein 
getrunken  und  zerrieben  aufgelegt,  auch  reibt  man  solche 
Wunden  damit  ein.  Ebenso  schützen  sich  die  Schildkröten, 
wenn  sie  mit  den  Schlangen  kämpfen  wollen,  dadurch,  und 
desshalb  nennen  Einige  die  Pflanze  Heilkraut  (Panax).  Sie 
vertreibt  Geschwulste  und  Wunden  der  männlichen  Ge- 
schlechtslheile,  wenn  sie  trocken  oder  die  Blätter  zerquetscht 
angewandt  werden;  zu  jeglichem  Gebrauch  eignet  sie  sich 
am  besten  in  Verbindung  mit  Wein. 

62. 

Eine  andere  Art  heisst  Hühner-Cunila^) ,  bei  den 
Griechen  herakleotischer  Dost.  Mit  Zusatz  von  Salz  zerrie- 
ben wird  sie  bei  den  Augenkrankheiten  gebraucht,  heilt 
Husten  und  Leberleiden,  mit  Mehl,  Oel  und  Essig  zum 
Tranke  bereitet  Seitenstechen,  besonders  aber  Schlangenbisse. 

63. 

Die  dritte  Art,  welche  von  den  Griechen  die  männliche, 
bei  uns  aber  Cunilago  genannt  wird,  hat  eine  holzige 
Wurzel,  rauhe  Blätter  und  riecht  unangenehm  Sie  soll 
die  stärkste  Wirkung  besitzen;  streuet  man  eine  Hand  voll 
davon  aus,  so  kommen  alle  Schaben  aus  dem  ganzen  Hause 
zusammen.  Besonders  dient  sie  mit  saurem  Wein  wider 
die  Scorpionen.  Wenn  mau  sich  mit  einem  Aufguss  von 
3  Blättern  in  Oel  einreibt,  so  werden  die  Schlangen  ver- 
trieben. 

64. 

Die  weiche  Cunila  dagegen,  welche  haarigere  Blätter 
imd  stachliche  Zweige  hat,  riecht  zerrieben  wie  Honig,  und 
klebt  beim  Berühren  an  den  Fingern.  Eine  andere  Art, 
die  Weihrauch-Cunila,  heisst  Libanotis.  Beide  werden 
mit   Wein   oder   Essig    gegen   Schlangen    angewandt;   mit 


')  Cunila  bubula.     Ein   Origanum,    und    wahrgcheinlicb    ebenso 
alle  folgende  Cunilae. 

^)  Cunila  gallinacea.  Origanum  heracleoticuni  L. 


46  Zwanzigstes  Buch. 

Wasser  angerieben  und  dieses  ausgesprengt  tödten  sie  die 
Flöhe. 

65. 

Auch  die  Garten-Cunila  hat  ihren  Nutzen.  Ihr  Saft 
heilt  mit  Rosenessenz  vermischt  die  Ohrläppchen,  in  Sub- 
stanz nimmt  man  sie  gegen  Schlangenbisse  ein.  Aus  ihr 
entsteht  die  dem  Quendel  ähnliche  Berg-Cunila,  welche 
ein  wirksames  Mittel  wider  Schlangen  ist,  Sie  treibt  deu 
Harn  und  reinigt  die  Weiber  nach  der  Geburt.  Beide  be- 
föidern  die  Verdauung  und  Esslust,  wenn  sie  nüchtern  im 
Getränk  genommen  werden.  Auch  bei  Verrenkungen  sind 
sie  heilsam,  namentlich  aber  in  Verbindung  mit  Gerstenmehl 
und  saurem  Wein  gegen  die  Stiche  der  W^espen  und  anderer 
Insekten.  Von  der  Libauotis  werden  wir  die  übrigen  Arten 
gehörigen  Orts  anführen. 

66. 

Das  Pfeffer  kraut,  welches  wir  auch  Siliquastrum 
genannt  haben  i),  wird  gegen  Epilepsie  im  Tranke  genom- 
men. Nach  Castor  -)  hat  es  einen  rothen  langen  Stengel, 
dicke  Kniegelenke,  lorbeerartige  Blätter,  weisse  kleine  wie 
Pfeffer  schmeckende  Samen,  stärkt  das  Zahnfleisch,  macht 
angenehmen  Athem  und  befördert  das  Aufstosseu. 

67. 

Das  Origanum,  welches  im  Geschmack,  wie  erwähnt, 
der  Cunila  ähnlich  ist,  hat  mehrere  Arten,  die  in  der  Arz- 
neikunde gebraucht  werden;  eine  davon  heisst  Onitis'j 
oder  Prasion  und  sieht  dem  Hyssop  ähnlich.  Besonders 
wendet  man  ihn  mit  lauwarmem  Wasser  gegen  Magenkräm- 
pfe und  Unverdaulichkeit,  mit  weissem  Wein  gegen  Spinnen 
und  Scorpione,  und  mit  Essig,  Oel  und  Wolle  gegen  Ver- 
renkungen und  Stossbeulen  an. 

68. 

Das  Tragoriganum^)  gleicht  mehr  dem  wilden  Quen- 


>)  S.  XIX.  B.  62.  Cap. 

*)  Antonius  Castor,  ein  nicht  näher  bekannter  römischer  Schrift- 
steller.   3)  Origanum  creticum  L. 

^)  Thymus  graveolens  Sibth.  und  Satureja  .Tuliana  L. 


Zwanzigstes  Buch  47 

del;  es  treibt  den  Urin,  vertheilt  Geschwulste,  wirkt  sehr 
kräfti^^  gegen  die  Mistel,  Vipernbisse,  bei  sauer  aufstossen- 
dern  Magen  und  für  die  Brust.  Mit  Honig  giebt  man  ihu 
gegen  Husten,  Seitenstechen  und  Lungensucht. 

69. 
Der  herakleische  Dost  hat  3  Arten;  eine  dunkle, 
mit  breiten  und  klebrigen  Blättern;  eine  andere  mit  klei- 
nern weichern  Blättern,  ähnlich  dem  Majoran,  und  von 
Einigen  Prasion  genannt;  die  dritte  hält  das  Mittel  zwischen 
beiden,  und  besitzt  die  geringste  Wirksamkeit.  Die  beste 
ist  aber  die  cretische,  welche  auch  zugleich  angenehm 
riecht.  Nächst  dieser  kommt  die  smyrnaische  von  stärke- 
rem Gerüche.  Die  herakleotische,  mit  dem  Beinamen  Oni- 
tis  eignet  sich  besser  zum  Trank.  Sie  werden  aber  allge- 
mein gebraucht,  um  die  Schlangen  zu  vertreiben,  den  Ge- 
bissenen giebt  man  sie  im  Absude  zu  essen.  Sie  treiben 
als  Getränk  eingenommen,  den  Urin,  heilen  zerrissene  und 
verrenkte  Theile  mit  der  Wurzel  des  Pauax,  Wassersüch- 
tige mit  einer  Abkochung  von  1  Acetabulum  nebst  Feigen 
und  Hyssop  bis  zum  sechsten  Theile;  desgleichen  Krätze, 
Schorf  und  Grind,  wenn  man  beim  Einsteigen  ins  Bad  sich 
derselben  bedient.  Der  Saft  wird  mit  Milch  in  die  Ohren 
gegossen.  Geschwollene  Drüsen,  Zäpfchen  und  Kopfge- 
schwüre bringt  das  Kraut  zum  Heilen.  Der  Absud  mit 
Asche  und  Wein  getrunken  tödtet  die  Giftigkeit  des  Opiums 
und  Gypses.  Ein  Acetabulum  voll  führt  gelinde  ab,  mit 
Honig  und  Natron  wird  es  auf  Stossbeulen,  sowie  beim 
Schmerzen  der  Zähne,  die  es  auch  weiss  macht,  aufgelegt. 
Es  stillt  das  Nasenbluten.  Zur  Heilung  der  Ohrengeschwüre 
wird  es  mit  Gerstenmehl  gekocht,  gegen  rauhen  Hals  mit 
Gallapfel  und  Honig  zerrieben;  für  die  Milz  giebt  man  die 
Blätter  mit  Honig  und  Salz.  Dicken  und  schwarzen  Schleim 
zertheilt  es  mit  Essig  und  Salz  gekocht,  und  zuweilen 
davon  getrunken.  Bei  der  Gelbsucht  wird  es  mit  Oel 
abgerieben  in  die  Nase  gebracht.  Matte  werden  damit  ein- 
gerieben, ohne  dass  man  jedoch  den  Bauch  dabei  berührt. 
Es  heilt  mit  Pech   die  Hitzblattern,  öffnet  mit  Feigen  ab- 


48  Zwanzigstes  Buch. 

gerieben  die  Schwären,  vertreibt  mit  Oel,  Essig  und  Ger- 
stenmehl  die  Kröpfe,  mit  Feigen  aufgelegt  die  Seitenschmer- 
zen, mit  Essig  aufgelegt  den  Blutfluss  der  Geschlechtstheile 
und  führt  die  Nachgeburt  ab. 

70. 

Die  Kresse  1)  wird  unter  die  brennendscharfen  Kräu- 
ter gezählt.  Sie  verbessert  durch  Wundmachen  die  Haut, 
welche  dann  mit  Wachs  und  Kosenöl  geheilt  werden  kann, 
vertilgt  auch  leicht  Schorf,  Grind  und  Narbeugeschwüre. 
Zahnweh  soll  sie  vertreiben,  wenn  man  sie  an  der  Seite, 
wo  der  Schmerz  ist,  auf  den  Arm  bindet. 

71. 

Den  schwären  Kümmel-)  nennen  einige  Griechen 
Schwarzkraut  ^)  andere  Schwarzsame.  Am  besten  ist 
derjenige,  welcher  am  stärksten  riecht  und  am  schwärzesten 
aussieht.  Er  heilt  die  Stiche  der  Schlangen  und  Seorpione. 
Ich  finde,  dass  mau  ihn  mit  Essig  und  Honig  auflegt  und 
anzündet,  um  die  Schlangen  zu  vertreiben.  Gegen  die 
Spinnen  nimmt  man  1  Drachme  im  Getränk.  .Zerstosseu  in 
ein  Leintuch  gebunden  und  davon  gerochen  heilt  er  den 
Schnupfen,  mit  Essig  aufgelegt  und  in  die  Nase  gebracht 
das  Kopfweh,  mit  Schwertelsaft  die  Augenflüsse  und  Ge- 
schwulste, mit  Essig  gekocht  die  Zahnschmerzen,  zerrieben 
oder  gekauet  die  Mundgeschwüre;  mit  Essig  Schorf  und 
Sommersprossen,  mit  Natron  eingenommen  das  beschwer- 
liche Athmen,  aufgelegt  alte  verhärtete  Geschwüre  und 
Eiterwmnden.  Einige  Tage  hintereinander  genommen  ver- 
mehrt er  die  Milch  bei  den  Frauen.  Sein  Saft  wird  eben- 
so wie  der  des  Bilsenkrauts  gesammelt,  und  ebenso  ist  er 
in  grösserer  Menge  ein  Gift,  was  um  so  mehr  auffallen 
muss,  da  der  Same  dem  Brote  eine  angenehme  Würze  er- 
theilt.  Er  reinigt  auch  die  Augen,  befördert  das  Harnen 
und  den  Mouatsfluss,  ja  30  Körner  in  ein  Läppehen  ein- 
gebunden sollen  sogar  die  Nachgeburt  abtreiben.  Ferner 
behauptet  man,  mit  Urin  abgerieben  heile  er  die  Hühner- 


•)  Lepidium.     -)  Gith.     ^)  Melanthiuiii. 


Zwanzigstes  Buch.  49 

äugen,   und   damit   geräuchert    tödte   er   die  Mücken   und 
Fliegen. 

72. 

Auch  der  Anis')  dient  gegen  die  Scorpione  mit  Wein 
eingenommen,  und  gehört  zu  den  wenigen  Gewächsen, 
denen  das  Lob  des  Pythagoras  zu  Theil  geworden  ist.  Man 
nimmt  ihn  sehr  gern,  roh  oder  gesotten,  grün  oder  troclien 
zu  allem,  was  gewürzt  und  eingemacht  wird,  streuet  ihn 
auch  auf  die  untere  Rinde  des  Brotes,  und  legt  ihn  nebst 
bittern  Nüssen  (Mandeln)  in  Säckchen,  um  den  Wein  zu 
verbessern.  Er  macht  den  Athera  wohlriechend  und  ver- 
treibt den  üblen  Geruch  aus  dem  Munde,  wenn  man  ihn 
früh  Morgens  mit  Smyrnium  und  etwas  Honig  kauet,  und 
hierauf  den  Mund  mit  Wein  ausspühlt.  Er  giebt  ein  jün- 
geres Aussehen,  erleichtert,  wenn  man  ihn  so  über  dem 
Bette  aufhängt,  dass  die  Schlafenden  den  Geruch  davon 
einziehen  können,  das  Träumen,  und  macht  Appetit,  wes- 
halb man  sich  seiner  bedient,  wenn  man  nach  der  Arbeit 
nicht  mehr  hungrig  wird;  daher  haben  ihm  auch  Einige 
den  Namen  der  Unbesiegte 2)  gegeben. 

73. 

Der  beste  Anis  ist  der  cretische,  und  dann  folgt 
der  ägyptische,  welcher  statt  des  Ligustieum  als  Gewürz 
benutzt  wird.  Kopfweh  vertreibt  er,  wenn  mau  die  Nase 
damit  räuchert.  Evenor  3)  legt  die  zerstossene  Wurzel  gegen 
Augenflüsse  auf,  JoUas  *)  den  Samen  mit  Safran  und  Wein 
und  mit  Graupen  abgerieben  gegen  das  Triefen  der  Augen 
und  um  das,  was  etwa  hineingekommen  ist,  herauszuziehen. 
Mit  Wasser  aufgelegt  vertreibt  er  die  Krebsgeschwüre  in 
der  Nase;  mit  Honig,  Hyssop  und  Essig  gegurgelt  heilt  er 
die  Bräune;  mit  Rosenöl  bringt  man  ihn  in  die  Ohren,  und 
geröstet  oder  besser  mit  Honig  eingenommen  entfernt  er 
den  Schleim  von  der  Brust.    Bei  Husten  nehme  man  eiuen 


')  Anisum.  Pimpinella  Anisum  L. 

'^)  anicetum  von  avtxTJtog.    ')  Ein  unbekannter  Arzt. 

^)  Desgleichen. 

Wlttsteia:  Pliaiua.     IV.  Bd  A. 


50  Zwanzigstes  Buch. 

aus  1  Acetabulum  Anis,  50  geschälten  bittern  Mandeln  und 
Honig  bereiteten  Brei  ein.  Noch  besser  für  diesen  Zweck 
mischt  man  3  Drachmen  Anis,  2  Drachmen  Mohnsamen 
und  Honig,  soviel  wie  eine  Bohne  gross,  untereinander, 
und  gebraucht  diess  3  Tage  lang.  Er  befördert  ganz  be- 
sonders das  Aufstossen,  daher  er  auch  Blähungen,  Bauch- 
grimmen und  Verstopfung  hebt.  Er  vertreibt,  im  Absude 
getrunken,  das  Schlucken  und  den  üblen  Geruch.  Die  ge- 
kochten Blätter  sind  gut  gegen  Unverdaulichkeit.  Riecht 
man  an  einen  mit  Eppich  gemachten  Absud,  so  vergeht 
das  Niesen.  Ein  Trank  davon  bringt  Schlaf,  führt  die  Bla- 
sensteine ab,  hindert  das  Erbrechen  und  vertreibt  Auf- 
schwellungen der  Brust,  wirkt  auch  heilsam  auf  andere 
Brustübel  und  die  den  Leib  umgürtenden  Nerven.  Bei 
Kopfschmerzen  wird  der  Absud  mit  Oel  vermischt  aufge- 
tröpfelt. Nichts  soll  besser  für  den  Unterleib  und  die  Ein- 
geweide sein,  daher  giebt  man  ihn  geröstet  gegen  Ruhr 
und  Stuhlzwang.  Einige  setzen  noch  Opium  hinzu,  bereiten 
daraus  Pillen  von  der  Grösse  einer  Wolfsbohue  und  nehmen 
ä  glich  3  davon  in  einem  Becher  Wein.  Dieuches  bediente 
sich  gegen  Lendenschmerzen  des  Saftes;  den  Samen  gab 
er  mit  Minze  zerrieben  gegen  Wassersucht  und  Verstopfung, 
die  Wurzel  Evenor  für  die  Nieren.  Der  Kräuterkenner 
Dalion  ')  machte  den  in  den  Kinds  wehen  Liegenden  einen 
Umschlag  davon  mit  Eppich,  wandte  dasselbe  bei  Schmerzen 
der  Gebärmutter  an,  und  verordnete  der  Patientin  ein  aus 
Dill  und  Anis  bereitetes  Getränk.  Den  Wahnsinnigen,  auch 
Kindern,  welche  an  Epilepsie  und  Krämpfen  leiden,  legt 
man  ihn  frisch  mit  Graupen  auf;  Pythagoras  behauptet  sogar, 
wer  ihn  in  der  Hand  halte,  werde  von  der  Epilepsie  nicht 
befallen,  daher  solle  ihn  jeder  für  sich  recht  reichlich  an- 
bauen; die  daran  riechen,  sollen  leichter  gebären,  und  gleich 
nach  der  Geburt  soll  man  ihn  der  Mutter  im  Tranke  nebst 
Graupen  geben.  Sosimenes  2)  gab  ihn  mit  Essig  wider  alle 
Verhärtungen ,    und   mit   Oel   und   Natron    gekocht    wider 


')  Desgleichen.     -)  Desgleichen. 


Zwanzigstes  Buch.  51 

Mattigkeit.  Der  Gebrauch  des  Samens  als  Getränk  gewährt 
den  Fussgängern  Hülfe  gegen  Müdigkeit.  Heraclides  i)  gab 
bei  Blähungen  des  Magens  ein  Gemisch  von  einer  Pugille -) 
Samen,  2  Obolen  Bibergeil  und  Meth;  ferner  bei  Blähungen 
im  Bauche  und  den  übrigen  Eingeweiden,  sowie  bei  Eng- 
brüstigkeit 1  Pugille  Anis  mit  ebenso  viel  Bilsen  und 
Eselsmilch.  Viele  rathen  Denen,  welche  Neigung  zum 
Brechen  haben,  1  Acetabulum  Anis  und  10  Lorbeerblätter 
mit  Wasser  abzureiben,  und  diess  während  der  Mahlzeit 
zu  trinken.  Der  Anis  hebt  das  Zusammenziehen  der  Ge- 
bärmutter, wenn  man  ihn  kaut  und  warm  auflegt,  oder  mit 
Bibergeil  in  Essig  und  Wein  einnimmt.  Zu  1  Pugille  mit 
ebenso  viel  Gurken-  und  Leinsamen  in  3  Bechern  weissen 
Wein  genommen,  vertreibt  er  den  nach  dem  Gebären  ein- 
tretenden Schwindel.  Tlepolemus  ^)  verordnete  beim  vier- 
tägigen Fieber  1  Pugille  Anis  und  Fenchel  mit  Essig  und 
Honig.  Mit  bittern  Mandeln  aufgelegt  hilft  er  gegen  Glie- 
derkrankheiten. Einige  sind  der  Meinung,  er  hebe  die 
Wirkung  des  Giftes  der  kleinen  Giftschlangen  auf.  Er 
treibt  den-  Urin,  stillt  den  Durst,  reitzt  zum  Beischlaf,  be- 
wirkt mit  Wein  genommen  massigen  Schweiss,  hält  auch 
die  Motten  von  den  Kleidern  ab.  Je  frischer  und  dunkler 
um  so  besser  ist  er.  Dem  Magen  bekommt  er,  ausser  bei 
Blähungen,  nicht  gut. 

74. 

Auch  der  DilH)  befördert  das  Aufstossen,  hebt  das 
Bauchgrimmen,  und  hemmt  den  Durchfall.  Mit  Wasser 
oder  Wein  legt  mau  die  Wurzeln  auf  Flüsse.  Der  heisse 
Same  vertreibt  durch  Aufriechen  das  Schlucken.  Mit  Was- 
ser eingenommen  heilt  er  die  Unverdaulichkeit.  Die  Asche 
davon  hebt  Zäpfchen  im  Munde,  schwächt  die  Augen  und 
Geschlechtstheile. 

75. 

Das  Sacopenium,  welches  bei  uns  vorkommt,  ist  von 

Von  Kos.      -)  So  viel  man  mit  3  Fingern  fassen  kann. 
3)  Gleichfalls  ein  unbekannter  Arzt. 
Anethum. 


52  Zwanzigstes  Buch. 

dem  überseeischen  ganz  verschieden,  denn  diess  ähnelt  den 
Thränen  des  Ammoniakum  und  wird  Sagapenum^)  ge- 
nannt. Es  hilft  bei  Seiten-  und  Brustschmerzen,  Krämpfen, 
anhaltendem  Husten,  Auswurf,  und  geschwollenen  Brüsten; 
vertreibt  den  Schwindel,  das  Zittern,  die  Opisthotonie,  heilt 
Milz,  Lenden-  und  Reibwunden.  Man  mischt  auch  Essig 
dazu,  und  lässt  bei  Zusammenziehuugen  der  Gebärmutter 
daran  riechen.  Andern  giebt  man  es  im  Getränk  und  reibt 
CS  mit  Oel  ein.    Es  ist  auch  ein  Mittel  wider  Gifte. 

76. 
Von  dem  Garteumohn  haben  wir  3  Arten  angeführt, 
und  dort  versprochen,  die  des  wilden  Mohns  nachzutragen  2). 
Von  dem  Garteumohn  zerreibt  mau  die  Kapsel  des  weissen 
mit  Wein  und  nimmt  davon  zur  Beförderung  des  Schlafes 
ein.  Der  Same  heilt  die  Elephantiasis.  Aus  dem  schwar- 
zen gewinnt  man  einen  Saft  durch  Einschneiden  des  Sten- 
gels, nach  Diagoras^),  während  er  im  vollen  Wachsen, 
nach  JoUas  nach  der  Blüthe  zu  einer  heitern  Tageszeit,  d. 
h.  wenn  der  Thau  schon  abgetrocknet  ist.  Man  schreibt 
auch  vor,  ihn  unter  dem  Kopfe  und  diesen  selbst  zu  ritzen, 
während  bei  keiner  andern  Art  die  Kapsel  selbst  einge- 
schnitten wird.  Der  Saft  wird,  wie  es  auch  bei  jedem  an- 
dern Kraute  geschieht,  in  Wolle,  oder,  wenn,  wie  beim 
Lattich,  nur  sehr  wenig  da  ist,  auf  dem  Daumennagel  auf- 
gefangen, meistens  aber  erst  am  folgenden  Tage  das,  was 
trocken  geworden,  abgenommen.  Der  reichlich  ausfliessende 
Saft  des  Mohns  wird  eingedickt,  in  Kügelchen  geformt  und 
im  Schatten  getrocknet;  er  erregt  nicht  allein  Schlaf,  son- 
dern kann,  in  grösserer  Menge  genommen,  selbst  den  Tod 
nach  sich  ziehen.  Man  nennt  ihn  Opium.  So  wissen  wir, 
um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  dass  der  Vater  des  Cou- 
sulars  Licinius  Caecina  zu  Bavilis  in  Spanien  aus  Lebens- 
überfluss  in  Folge  einer  bösen  Krankheit  sich  damit  das 
Leben  genommen  hat.     Daraus  entspann  sich   eine  grosse 


•)  Der  Milchsaft  von  Ferula  persica  L. 

■-)  Im  XIX.  Buch.  53.  Cap.     3)  Ein  unbekannter  Arzt. 


Zwanzigstes  Buch.  53 

MeinuDgsverschiedenheit.  Diagoras  und  Erasistratus  ver- 
warfen ihn  gänzlich  als  ein  tödtliehes  Gift,  und  warnten 
auch  deshalb,  ihn  einzunehmen,  weil  er  den  Augen  nach- 
theilig sei.  Andreas  i)  fügt  hinzu,  man  würde  darum  nicht 
so  leicht  davon  blind,  weil  man  ihn  in  Alexandrien  ver- 
fälsche. Späterhin  jedoch  hat  man  keinen  Anstand  ge- 
nommen, ihn  der  berühmten  Arznei,  welche  Diacodion  heisst, 
hinzuzusetzen.  Der  Same  wird  zerrieben,  in  Kügelchen  ge- 
formt und  mit  Milch  für  den  Schlaf,  auch  mit  Rosenöl  gegen 
Kopfweh  eingenommen;  gegen  Ohrenweh  tröpfelt  man  letz- 
teres Gemisch  in  die  Ohren.  Mit  Frauenmilch  legt  mau 
ihn  (ebenso  die  Blätter)  gegen  Gift  auf;  mit  Essig  gegen 
die  Rose  und  Wunden.  Ich  kann  es  nicht  gutheisseu,  ihn 
den  Augensalben,  und  noch  viel  weniger  den  sogenannten 
Fieber-,  Verdauungs-  und  eröffnenden  Mitteln  zuzusetzen. 
Der  schwarze  wird  jedoch  den  an  Verstopfung  Leidenden 
mit  Wein  gegeben.  Der  Gartenmohn  ist  stets  grösser  und 
hat  runde  Köpfe,  der  wilde  längliche  und  kleine,  und  be- 
sitzt mehr  Wirksamkeit.  Man  kocht  daraus  einen  Trank 
gegen  die  Schlaflosigkeit,  und  sptihlt  damit  den  Mund  aus. 
Der  beste  wächst  in  trocknen  Gegenden  und  wo  es  selten 
regnet.  Der  aus  den  Köpfen  und  Blättern  gekochte  Saft 
heisst  Meconium,  und  ist  viel  schwächer  als  das  Opium. 
Das  erste  Prüfungsmittel  des  Opiums  ist  der  Geruch,  denn 
der  des  ächten  ist  fast  unerträglich;  nächstdem  seine  Ver- 
brennung, das  reine  nämlich  giebt  eine  leuchtende  Flamme 
und  riecht  nach  dem  Verlöschen;  das  verfälschte  zeigt  diese 
Merkmale  nicht,  lässt  sich  schwieriger  anzünden  und  ver- 
löscht leicht  wieder.  Auch  erzeugt  das  ächte  in  Wasser 
eine  Trübung,  das  nachgemachte  dagegen  bildet  Bläschen. 
Merkwürdigerweise  lässt  es  sich  auch  an  der  Sonne  prüfen, 
das  ächte  nämlich  wird  weich  und  zuletzt  so  dünn,  wie 
der  frische  Saft.    Mnesides  2)  ist  der  Meinung,  es  lasse  sich 


')  Aus    Karystos,    nach   Andern   aus    Panormos,    Leibarzt    des 
Ptolemaeus  Philopator.     -)  Ein  unbekannter  Arzt. 


54  Zwanzigstes  Buch. 

am  besten  mit  Zusatz  von  Bilsensamen   aufbewahren;  An- 
dere empfehlen  dazu  eine  Bohne. 

77. 
Zwischen  dem  Garten-  und  wilden  Mohn  steht  eine 
andere  Art,  welche  sowohl  auf  Feldern  als  wild  wächst, 
und  Khoeas  oder  der  umherschweifende  genannt  wird. 
Einige  brechen  ihn  ohne  Weiteres  ab  und  kauen  ihn  sammt 
der  Kapsel.  Ein  Absud  von  5  Köpfen  in  3  Hemiuen  Wein 
macht  OeffnuDg  und  Schlaf. 

78. 
Eine  andere  wilde  Art  heisst  gehörnter  Mohn  i); 
er  ist  schwarz,  1  Elle  hoch,  hat  eine  dicke,  rindige  Wurzel, 
eine  hornartig  gebogene  Kapsel,  und  kleinere,  dünnere 
Blätter  als  die  übrigen.  Der  kleine  Same  wird  zur  Zeit 
der  Erndte  reif;  ein  halbes  Acetabulum  davon  in  Meth  ge- 
nommen führt  ab.  Die  mit  Oel  abgeriebenen  Blätter  heilen 
die  kleinen  Augengeschwüre  des  Zugviehes.  Eine  Ab- 
kochung von  1  Acetabulum  der  Wurzel  in  2  Sextarien 
Wasser  bis  auf  die  Hälfte  heilt  Lenden-  und  Leberleiden. 
Gegen  Karbunkeln  gebraucht  man  die  Blätter  mit  Honig. 
Einige  nennen  diese  ArtGlaucium,  Andere  Paralium^), 
denn  sie  wächst  am  Gestade  des  Meeres  oder  an  Plätzen, 
wo  Natron  vorkommt. 

79. 
Noch  eine  andere  wilde  Mohnart  heisst  Heraclium, 
bei  Andern  Aphron  ^);  ihre  Blätter  sehen  von  fern  betrach- 
tet wie  Sperlinge  aus,  die  Wurzel  steht  nahe  an  der  Ober- 
fläche der  Erde.  Der  schaumige  Same  verleihet  der  Lein- 
wand im  Sommer  ihren  Glanz.  Gegen  Epilepsie  stösst  man 
die  Pflanze  mit  1  Acetabulum  weissen  Weines,  und  nimmt 
davon  zum  Brechen  ein.  Sie  eignet  sich  am  besten  zu  der 
Arznei,  welche  Diacodium  oder  Luftröhrentrank  genannt 
wird,   und    die   man   also   darstellt.      120   Kapseln   dieses 


')  ceiatitis,  Chelidonium  Glaucium  L. 
-)  von  7ia(}aXiog:  am  Meere  wachsend. 
3)  Euphorbia  Peplus  L.V 


Zwanzigstes  Buch.  55 

Mohns  oder  einer  andern  Art  werden  in  o  Sextarien  Re- 
genwasser 2  Tage  lang  eingeweicht,  hierauf  gekocht,  durch- 
geseihet,  die  Flüssigkeit  abermals  mit  Honig  bis  zur  Hälfte 
langsam  eingedampft,  und  mit  6  Drachmen  Safran,  1  Sex- 
tarius  Hypocist,  Weihrauch,  arabischem  Gummi  und  ere- 
tischem  Rosinenwein  versetzt.  Doch  ist  diess  ein  Luxus, 
denn  nach  älterer,  einfacher  Vorschrift  bereitet  man  das 
Mittel  ebenso  zweckmässig  bloss  aus  Mohn  und  Honig. 

80. 

Eine  dritte  Art  heisst  Tithymälum  i),  Mecon  oder 
Paralium,  hat  weisse,  dem  Lein  ähnliche  Blätter  und 
Kapseln  von  der  Grösse  einer  Bohne.  Man  sammelt  sie 
wenn  der  Weinstock  blüht,  und  trocknet  sie  im  Schatten. 
Ein  halbes  Acetabulum  des  Samens  in  Meth  genommen 
führt  ab.  Die  Kapsel  jedweden  Mohns  frisch  oder  trocken 
aufgelegt,  heilt  die  Augentlüsse.  Wird  Opium  mit  reinem 
Weine  sogleich  eingegeben,  so  heilt  es  die  Scorpionsstiche. 
Einige  schreiben  diese  Wirkung  nur  dem  schwarzen  Mohn 
zu,  dessen  Kapseln  und  Blätter  zu  jenem  Zwecke  zerrieben 
werden. 

81. 

Die  Porcilaca^),  welche  Peplis  heisst,  ist  nicht  viel 
wirksamer  als  die  angebaute.  Von  ihr  erzählt  man  merk- 
würdige Dinge;  das  Gift  der  Pfeile,  Blut  und  Brenn-Schlan- 
gen  soll  sie,  innerlich  und  äusserlich  angewandt,  vertilgen, 
ebenso  das  Bilsengift ,  wenn  der  ausgepresste  Saft  mit 
Rosinenwein  getrunken  wird.  In  Ermangelung  der  Pflanze 
selbst  bedient  man  sich  zu  demselben  Zweck  des  Samens. 
Mit  Wein  gestossen  und  aufgelegt  hebt  sie  die  schädlichen 
Wirkungen  des  Wassers,  Kopfweh  und  Kopf-Geschwüre. 
Andere  Geschwüre  heilt  sie,  wenn  man  sie  kauet  und  mit 
Honig  auflegt.  Den  Kindern  legt  man  sie  auf  den  Kopf 
und- ausgetretenen  Nabel,  bei  allen  aber  mit  Polenta  auf 


♦)  Euphorbia  Characias  L.? 

-)  Portulaca  oleracea  L.     Plinius  verwechselt  sie   aber  mit  Eu- 
phorbia  Peplis. 


56  Zwanzigstes  Buch. 

Flüsse,  Stirn  und  Schläfe;  auf  die  Augen  mit  Milch  und 
Honig;  wenn  die  Augen  hervortreten,  reibt  man  die  Blätter 
mit  Bohnenschalen,  gegen  Hitzblattern  mit  Polenta,  Salz 
und  Essig.  Roh  gekauet  heilt  sie  Mundgeschwüre,  geschwol- 
lenes Zahnfleisch  und  Zahnschmerzen;  der  Absud  geschwol- 
lene Mandeln.  Einige  setzen  ein  wenig  Myrrhe  hinzu. 
Gekauet  befestigt  sie  auch  lose  Zähne.  Sie  ist  gut  gegen 
Unverdaulichkeit,  kräftigt  die  Stimme  und  stillt  den  Durst. 
Mit  gleichen  Theilen  Gallapfel,  Leinsamen  und  Honig  heilt 
sie  die  Schmerzen  des  Genicks,  mit  Honig  und  cimolischer 
Kreide  die  kranken  Brüste.  Engbrüstige  sollen  den  Samen 
mit  Honig  einnehmen.  Als  Salat  gegessen  stärkt  sie  den 
Magen.  Bei  hitzigen  Fiebern  wird  sie  mit  Polenta  aufge- 
legt. Roh  gegessen  kühlt  sie  die  Eingeweide  ab.  Sie 
stillt  das  Brechen.  Gegen  Durchfall  und  Blutgeschwüre 
isst  man  sie  mit  Essig,  oder  bereitet  einen  Trank  davon 
mit  Zusatz  von  RosskUmmel.  Beim  Stuhlzwang  leistet  sie 
gekocht  und  in  der  Epilepsie  in  Substanz  oder  als  Trank 
gute  Dienste;  1  Acetabulum  voll  mit  eingekochtem  Most 
genommen  reinigt  die  Weiber;  gegen  hitziges  Podagra  und 
die  Rose  legt  man  sie  mit  Salz  auf.  Ihr  Saft  wird  für 
Nieren  und  Blase  eingenommen,  vertreibt  auch  die  Einge- 
weide-Würmer. Mit  Oel  und  Polenta  legt  man  sie  auf 
schmerzende  Wunden.  Steife  Sehnen  macht  sie  weich. 
Metrodorus  i),  welcher  eine  Schrift  über  das  Kräutersammlen  2) 
verfasst  hat,  empfiehlt,  sie  zur  Reinigung  nach  der  Ent- 
bindung zu  geben.  Sie  vertreibt  die  Geilheit  und  die  gei- 
len Träume.  Ich  weiss,  dass  der  Vater  eines  gewesenen 
Piätors,  welcher  die  erste  Stelle  in  Spanien  bekleidete, 
wegen  unleidlichen  Schmerzen  des  Zäpfchens  die  Wurzel 
dieser  Pflanze  an  einem  Faden  fortwährend,  ausgenommen 
im  Bade,  am  Halse  trug,  und  dadurch  von  seinem  Uebel 
befreiet  wurde.  Einige  Autoren  geben  auch  an,  wer  den 
Kopf   damit   bedecke,    bekäme    das   ganze   Jahr   hindurch 


')  Ein  nicht  näher  bekannter  Arzt. 


Zwanzigstes  Buch.  57 

keinen  Schnupfen.     Den  Augen  soll  sie  jedoch   nachtheilig^ 
sein. 

82. 

Der  Coriander')  wird  unter  den  wildwachsenden 
Kräutern  nicht  angetroffen.  Am  besten  ist  der  ägyptische. 
Innerlich  und  äusserlich  angewandt  hilft  er  wider  diejenige 
Art  Schlangen ,  welche  man  Doppelgänger  '^)  nennt.  Er 
heilt  zerrieben  auch  andere  Wunden,  Hitzblattern  und  Bläs- 
chen, mit  Honig  oder  Rosinen  alle  Arten  Geschwulste  und 
Anhäufungen,  mit  Essig  zerrieben  die  Fettbeulen.  Beim 
dreitägigen  Fieber  soll  man  3  Samenkörner  vor  dem  Anfalle 
verschlucken,  oder  auch  einige  mehr  auf  die  Stirn  binden. 
Einige  empfehlen  auch,  sie  vor  Sonnenaufgang  unter  das 
Kopfkissen  zu  legen.  Das  frische  Kraut  besitzt  eine  sehr 
kühlende  Kraft,  heilt  auch  um  sich  fressende  Geschwüre 
mit  Honig  und  Rosinen,  desgleichen  die  Hoden,  Brandstellen  ^ 
Karbunkeln  und  wunde  Ohren;  mit  Frauenmilch  die  Augen- 
flüsse; der  Same  in  Wasser  genommen  die  Bauchflüsse. 
Mit  Raute  wird  er  im  Tranke  gegen  die  Gallensucht,  mit 
dem  Safte  der  Granatäpfel  und  Oel  gegen  die  Eingeweide- 
würmer angewandt.  Xenocrates  erzählt  eine  merkwürdige 
Wirkung  des  Corianders  (wenn  sie  gegründet  ist);  wenn 
nämlich  Frauenzimmer  1  Korn  davon  einnähme,  so  bliebe 
ihr  Monatsfluss  1  Tag  aus,  wenn  sie  zwei,  2  Tage,  und  sa 
fort.  Marcus  Varro  sagt,  mit  Essig  zerriebener  Coriander 
schütze  das  Fleisch  im  Sommer  vor  dem  Verderben. 

83. 

Auch  von  der  Melde  ^)  giebt  es  eine  wilde  und  zahme. 
Pythagoras  beschuldigt  sie,  sie  erzeuge  Wassersucht,  Gelb- 
sucht und  Blässe,  sei  schwer  zu  verdauen,  und  alles,  was 
in  den  Gärten  neben  ihr  stünde,  wachse  langsam.  Nach 
Dionysius    und  Diocles  sollen  sehr  viele  Krankheiten  da- 


')  Coriandrum  sativum  L. 

'*)  Amphisbaenae,  von  denen  man  glaubte,  sie  hätten  hinten  und 
vorn  einen  Kopf. 

3)  Atriplex.  Atriplex  hortensis  L. 


5ii  Zwanzigstes  Buch. 

durch  entstehen;  das  Wasser,  worin  sie  gekocht  werde, 
müsse  man  oft  erneuern,  sie  schade  dem  Magen,  und  er- 
zeuge Sommerflecken  und  Blattern.  Mich  wundert,  dass 
Solon  von  Smyrna  ^)  angiebt,  sie  komme  in  Italien  schwie- 
rig fort.  Hippocrates  applicirt  sie  mit  Bete  bei  kranken 
weiblichen  Geburtsgliedern.  Der  Neapolitaner  Lycus  2) 
giebt  sie  als  Trank  gegen  die  Canthariden.  Gegen  begin- 
nende Fettbeulen,  hitzige  Geschwüre  und  alle  Arten  von 
Verhärtungen  solle  man  sie  gekocht  oder  roh  auflegen, 
ebenso  mit  Honig,  Essig  und  Natron  gegen  die  Rose  und 
das  Podagra.  Sie  soll  schlimme  Nägel  ohne  Schwären 
ausziehen.  Einige  geben  gegen  Gelbsucht  den  Samen  mit 
Honig,  reiben  mit  Zusatz  von  Natron  Hals  und  Mandeln 
ein,  und  befördern  damit  die  Oeffnung.  Koh  oder  gekocht 
oder  mit  Malve  und  Linsen  genommen  erregen  sie  Brechen. 
Die  wilde  Melde  gebraucht  man  zum  Färben  der  Haare 
80wie  in  allen  den  genannten  Fällen  gleich  der  zahmen. 

84. 
Dahingegen  steht  die  wilde  und  zahme  Malve  sehr 
im  Euf.  Die  beiden  Arten  werden  nach  der  Grösse  der 
Blätter  unterschieden.  Die  grössere  unter  den  Gartenmalven 
nennen  die  Griechen  Malope^);  die  andere  soll  von  ihrer 
Eigenschaft,  den  Leib  zu  erweichen,  Malache*)  genannt 
worden  sein.  Unter  den  wilden  heisst  diejenige  mit  grossen 
Blättern  und  weisser  Wurzel  Althaea^),  und,  ihrer  vor- 
trefflichen Wirkung  wegen,  Plistolochia'^),  Sie  machen 
den  Boden  fetter.  Der  Eibisch  wird  mit  Erfolg  gegen  alle 
Stiche,  besonders  der  Scorpione,  Wespen  und  dergleichen, 
auch  gegen  die  Bisse  der  Spitzmäuse  gebraucht.  Wer  sich 
mit  einem  Gemisch  einer  dieser  Arten  und  Oel  bestreicht, 
oder   sie   nur   bei   sich    trägt,   wird   nicht   gestochen.    Die 


>)  Ein  nicht  näher  bekannter  Arzt.     -)  Desgleichen. 
3)  Lavatera  arborea  L.,  auch  Althaea  rosea  L. 
■*)  Malva  sylvestris  u.  M.  rotundifolia  L.  die  Käsepappel. 
•'')  Althaea  officinalis  L.  Eibisch. 

®)  Von  n/MoTOQ  (am  meisten)  und  loyela  (Reinigung  der  Kind- 
betterinnen). 


Zwanzigstes  i5uch.  59 

aufgelegten  Blätter  machen  die  Scorpione  erstarren,  dienen 
auch  als  Mittel  wider  Gifte,  ziehen  roh  mit  Natron  auf- 
gelegt alle  Stacheln  aus,  vernichten  sammt  der  Wurzel  ge- 
kocht und  davon  getrunken,  das  Gift  des  Seehasen,  und 
sind  nach  Einigen  gut  wenn  man  bricht.  Man  erzählt  noch 
andere,  wunderbare  Dinge  von  ihrer  Wirkung;  namentlich 
soll  der,  welcher  täglich  einen  halben  Becher  des  Saftes 
einer  dieser  Arten  trinkt,  von  keiner  Krankheit  befallen 
werden.  Längere  Zeit  in  Urin  geweicht  heilen  sie  fliesseude 
Kopfgeschwüre,  mit  Honig  Flechten  und  Mundgeschwüre; 
die  abgekochte  Wurzel  vertreibt  die  Schuppen  auf  dem 
Kopfe  und  befestigt  die  Zähne.  Mit  der  Wurzel  derjenigen 
Art,  welche  nur  einen  Stengel  hat,  stochert  man  so  lange 
um  den  leidenden  Zahn,  bis  der  Schmerz  vergangen  ist. 
Sie  reinigt  auch  mit  Zusatz  von  menschlichem  Speichel 
Kröpfe,  Ohrengesehwüre  und  Fettbeulen,  ohne  wund  zu 
machen.  Der  Same  befreiet  in  schwarzem  Weine  genommen 
von  Schleim  und  Ekel.  Die  Wurzel  heilt,  in  schwarzer 
Wolle  aufgebunden,  kranke  Brüste,  vertreibt  in  Milch  ge- 
kocht und  als  Trank  genommen,  in  5  Tagen  den  Husten. 
Nach  Sextius  Niger  taugt  sie  nicht  für  den  Magen;  nach 
Olympias  •)  aus  Theben  treibt  sie  mit  Gänsefett  die  Leibes- 
frucht ab;  die  Blätter  sollen,  zu  1  Hand  voll  in  Oel  und 
Wein  genommen,  die  Frauen  reinigen.  Gewiss  ist,  dass 
Schwangere,  wenn  man  ihnen  die  Blätter  unterlegt,  leichter 
entbinden;  gleich  nach  erfolgter  Geburt  müssen  sie  aber 
wieder  weggenommen  werden,  sonst  geht  die  Gebärmutter 
auch  mit  ab.  Frauen,  welche  gebären  wollen,  giebt  man 
nüchtern  1  Hemina  mit  Wein  gekochten  Saft.  Sogar  den 
Samen  bindet  man  denen,  welche  den  Samen  nicht  halten 
können,  auf  den  Arm.  Diese  Kräuter  wirken  so  sehr  auf 
die  Wollust,  dass  wenn  man,  wie  Xenocrates  erzählt,  den 
Frauen  die  Samen  der  einstengligen  Art  an  die  Geschlechts- 
theile  streuet,  oder  '6  Wurzeln  daran  bindet,  diese  im  höch- 


*)  Schiiftstellernde  Hebamme,  von  der  wir  nichts  weiter  wissen. 


60  Zwanzigstes  Buch. 

sten  Grade  geil  werden.  Bei  Stuhlzwang,  Ruhr  und  wun- 
dem Hintern  gebraucht  man  sie  zum  Trank  oder  auch  zu 
Blähungen.  Gegen  Melancholie  giebt  man  3  und  gegen 
Wahnsinn  4  Becher  warmen  Saft;  gegen  Epilepsie  1  Hemin?. 
gekochten  Saft.  Diesen  sowie  den  am  Stein,  Bähunger.. 
Bauchgrimmen  oder  Rtickgiatkrampfe  Leidenden  schlägt 
man  den  Saft  auch  warm  über.  Gegen  die  Rose  umi 
Brandstellen  legt  man  die  in  Oel  gekochten  Blätter,  und 
bei  heftigem  Schmerz  der  Wunden  dieselben  roh  mit  Honig 
auf.  Eine  Abkochung  derselben  ist  gut  für  die  Nerven, 
Blase  und  das  Reissen  in  den  Gedärmen.  In  Substanz  ge- 
nossen oder  mit  Oel  applicirt,  erweichen  sie  die  Gebär- 
mutter; der  Absud  erzeugt  gelinden  Seh  weiss.  Die  Wurzel 
des  Eibisch  besitzt  gegen  alle  genannten  üebel  noch  grö- 
ssere Wirksamkeit,  namentlich  bei  verrenkten  und  zerrisse- 
nen Gliedern.  Die  wässrige  Abkochung  derselben  hemmt 
den  Durchfall.  Die  Abkochung  der  Wurzel  sowie  der 
Blätter  innerlich  und  äusserlich  angewandt,  vertreibt  Kröpfe, 
Ohiengeschwüre,  Entzündungen  der  Brüste  und  Fettbeulen: 
Trocken  mit  Milch  gekocht  heben  sie  sehr  schnell  den 
Husten.  Hippocrates  gab  die  Abkochung  der  Wurzel  Ver- 
wundeten und  denen,  welche  aus  Mangel  au  Blut  Durst 
leiden,  und  die  Wurzel  selbst  äusserlich  mit  Honig  und 
Harz  gegen  Wunden;  ebenso  legte  er  sie  bei  Contusionen, 
Verrenkungen,  geschwollenen  Muskeln,  Sehnen  und  Gliedern 
auf,  und  liess  sie  mit  Wein  gegen  Asthma  und  Ruhr  ein- 
nehmen. Merkwürdig  ist,  dass  das  Wasser,  worin  diese 
Wurzel  liegt,  unter  freiem  Himmel  dick  und  milchig  wird. 
Je  frischer,  um  so  kräftiger  ist  sie  auch. 

85. 

Das   Lapathumi)   besitzt   ähnliche   Wirkungen.     Die 

wilde  Art 2),  welche  Einige  Oxalis  nennen,  schmeckt  wie 

die  zahme,  hat  spitze  Blätter,  die  Farbe  der  weissen  Bete, 

eine  sehr  kleine  Wurzel,  und   heisst  bei  uns  Rum  ex,   bei 

')  Der  Ampfer. 
^       ^)  sylvestre.    Rumex  bucephalophovvis  L. 


Zwanzigstes  Buch.  Q\ 

Andern  Lapathum  cautherinum  i);  mit  Fett  liefert  sie 
ein  wirksames  Mittel  gegen  Kröpfe.  Eine  andere  Art, 
Oxy lapathum 2)  sieht  dem  Gartenampfer  sehr  ähnlich, 
hat  aber  spitzigere  und  röthere  Blätter  und  wächst  nur 
in  Sümpfen.  Einige  führen  auch  eine  in  Wasser  wachsende 
Art  unter  dem  Namen  Hydrolapathum  ^)  an;  ferner  das 
Hippolapathum^),  welches  grösser,  hellerund  fleischiger 
als  der  Gartenampfer  ist.  Die  wilden  Arten  heilen  die 
Scorpionsstiche  und  wer  sie  bei  sich  trägt,  wird  nicht  ge- 
stochen. Der  mit  Essig  bereitete  Absud  der  Wurzel  ist 
ein  Mittel  gegen  Zahnweh,  und  innerlich  genommen  gegen 
Gelbsucht.  Der  Same  hebt  unheilbare  Magenübel.  Die 
Wurzeln  des  Hippolapathum  dienen  noch  besonders  zum 
Ausziehen  schlimmer  Nägel.  Der  Same  heilt  zu  2  Drach- 
men mit  Wein  genommen  die  Ruhr.  Der  mit  Regenwasser 
gewaschene  Same  des  Oxylapathum  wird  mit  Zusatz  eines 
1  Linse  grossen  Stückes  Acaciensaft  gegen  Blutspeien  ge- 
braucht. Aus  den  Blättern  und  Wurzeln  bereitet  mau  mit 
Zusatz  von  etwas  Natron  und  Weihrauch  die  vortrefflichsten 
Zeltchen,  welche  beim  Gebrauch  mit  Essig  versetzt  werden. 

86. 
Den  Gartenampfer  5)  legt  man  gegen  Augenflüsse 
auf  die  Stirn.  Mit  der  Wurzel  heilt  man  Flechte  und 
Grind;  in  Wein  gekocht  Kröpfe,  Ohrengeschwüre  und 
Steinbeschwerden;  mit  Wein  genommen  und  aufgelegt  die 
Milzkrankheiten,  Verstopfung,  Durchfall  und  Stuhlzwaug. 
Gegen  alle  diese  Uebel  erweist  sich  die  Ampfersuppe  wirk- 
samer; sie  macht  Aufstossen,  treibt  den  Harn,  giebt  den 
Augen  Klarheit  und  hebt  das  Jucken  am  Körper,  wenn 
man  sie  in  die  Badewannen  legt  oder  vorher  ohne  Zusatz 
von  Gel  auflegt.  Die  Wurzel  gekauet  befestigt  die  Zähne, 
mit  Wein  gekocht,  hebt  sie  den  Durchfall;  die  Blätter  da- 


')  Rossampfer. 

-)  Rumex  crispus  L, 

5)  Rumex  maritimus  L.?     ')  Rumex  aquaticus  L. 

'')  Lapathum  sativum.  Rumex  Patientia  L. 


62  Zwanzigstes  Buch. 

gegen  machen  offenen  Leib.  Selon  führt  (damit  wir  nichts 
übergehen)  noch  das  Bulapathum*)  an,  welches  sich  nur 
durch  seine  ansehnliche  Wurzel  auszeichnet,  und  mit  Wein 
eingenommen,  die  Ruhr  heilt. 

87. 
Der  Senf,  von  welchem  wir  unter  den  Gartengewächsen 
3  Arten  angeführt  haben 2),  nimmt  nach  Pythagoras 
den  ersten  Platz  unter  denjenigen  Pflanzen  ein ,  deren 
Kräfte  nach  oben  gehen ,  denn  nichts  dringe  mehr  in  die 
Nase  und  das  Gehirn.  Man  legt  ihn,  mit  Essig  eingerieben, 
auf  Wunden,  die  durch  Schlangen  und  Scorpione  entstan- 
den sind.  Er  vernichtet  das  Gift  der  Pilze.  Gegen 
Schleimansammlung  hält  man  ihn  so  lange  im  Munde,  bis 
er  zergangen  ist,  oder  benutzt  ihn  mit  Milch  zum  Gurgeln. 
Gegen  Zahnweh  wird  er  gekauet,  und  bei  geschwollenem 
Zapfen  in  Essig  und  Honig  zum  Gurgeln  benutzt.  Er  ist 
ein  vorzügliches  Mittel  gegen  alle  Magen-  und  Lungenübel. 
Sein  Genuss  befördert  den  Auswurf;  man  giebt  ihn  gegen 
Engbrüstigkeit  und  lauwarm  mit  Gurkeusaft  gegen  Epilepsie. 
Er  reinigt  die  Sinne  und  durch  Niesen  den  Kopf,  macht 
weiche  Stuhlgänge,  befördert  den  Monatsfluss  und  die  Urin- 
absonderung. Mit  3  Theilen  Feigen  und  Rosskümmel  an- 
gestossen,  legt  man  ihn  den  Wassersüchtigen  auf.  Gegen 
Epilepsie,  Gebärmutterkrankheit  und  Schlafsucht  giebt  man 
ihn  mit  Essig  zum  Riechen,  thut  auch  wohl  Tordylium,  d.  i. 
Seselsamen,  hinzu.  Sind  die  Schlafsiichtigen  schwer  zu 
erwecken,  so  legt  man  ihnen  Senf  mit  Feigen  und  Essig 
auf  Schienbeine  und  Kopf.  Anhaltende  Schmerzen  der 
Brust,  Lenden,  Hüfte,  Schulter  und  alle  körperlichen  üebel, 
die  aus  dem  Innern  herausgezogen  werden  müssen,  lindert 
er,  aufgelegt,  durch  seine  ätzende  Kraft,  indem  er  Blasen 
erzeugt.  Bei  bedeutenden  Verhärtungen  legt  man  ihn  ohne 
Feigen,  und,  wenn  man  zu  starke  Reizung  besorgt,  in  dop- 
pelten Tüchern  auf.     Gegen  Glatzen,  Schorf,  Grind,  Läu^e- 


»)  Rumex  scutatus?    -)  XIX,  B.  54.  Cap. 


Zwanzigstes  Buch.  63; 

sucht,  Steinbeschwerden  und  Rückgratskrampf  wird  er  mit 
Röthel  angewandt.  Auf  rauhe  Wangen  und  trübe  Auge» 
streicht  man  ein  Gemisch  von  Senf  und  Honig.  Den  Saft 
des  Senfes  presst  man  auf  dreierlei  Art  aus,  und  stellt  ihn 
in  einem  irdenen  Geschirr  an  die  Sonne.  Der  Stengel 
giebt  einen  Milchsaft,  welcher  eingetrocknet  gegen  Zahn- 
weli  gebraucht  wird.  Der  Same  und  die  Wurzel  werden 
mit  Most  zerrieben  und  zu  einer  Handvoll  zur  Stärkung-^ 
des  Schlundes,  Magens,  der  Augen,  des  Kopfes  und  aller 
Sinne  ,  auch  gegen  Mattigkeit  der  Frauen  mit  dem  besten 
Erfolge  eingenommen.  In  Essig  getrunken,  zerkleinert  er 
die  Blasensteino.  Auf  Stoss-  und  Quetschbeulen  legt  man 
ihn  mit  Honig  und  Gänsefett  oder  cyprischem  Wachse. 
Aus  dem  Samen  presst  msn,  nachdem  er  in  Oel  eingeweicht 
ist ,  ein  Oel ,  welches  zum  Einreiben  der  steifen  Sehnen^ 
Lenden  und  Hüfte  benutzt  wird. 

88. 
Die  Adarcai),  welche  in  Wäldern,  an  der  Rinde  des 
Rohrs    unter   dem  Blüthenbüschel   wächst,   soll   die  Natur 
und  Wirkung  des  Senfs  haben. 

89. 
Den  Andorn^),  welchen  die  meisten  Schritsteller  zu  den 
vorzüglichsten  Kräutern  zählen,  nennen  die  Griechen  Pra- 
sion,  Andere  Linostrophon,  Einige  Philo päs  oder  Philo- 
chares; er  ist  so  bekannt,  dass  eine  nähere  Beschreibung 
überflüssig  erscheint.  Seine  Blätter  und  Samen  zusammen- 
gerieben ,  sind  ein  gutes  Mittel  gegen  Schlangen ,  Brust- 
und  Seitenschmerzen ,  und  anhaltenden  Husten.  Auch 
denen,  welche  Blut  ausbrechen,  ist  er  sehr  heilsam,  und 
zu  diesem  Zwecke  wird  er  mit  Panicum  in  Wasser  ge- 
kocht, um  seine  Schärfe  etwas  zu  mildern.  Mit  Fett  legt 
man  ihn  auf  Kröpfe.  Einige  kochen  wider  den  Husten 
Alldornsamen,  soviel  man  mit  2  Fingern  fassen  kann,  mit 
einer   Pugille    Dinkel ,   setzen    etwas  Oel   und  Salz   hinzu 


*)  Vielleicht  Typha  latifolia  L.,  die  Rohrkolbe. 

Maviubium.  Marrubium  albiim  und  M.  creticum  L. 


^4  Zwanzigstes  Buch. 

und  trinken  davon  nüchtern.  Nach  Andern  ist  in  dies'em 
Falle  nichts  besser,  als  wenn  man  Andorn  und  Fenchel 
«.uspresst ,  3  Sextarien  dieses  Saftes  auf  2  einkocht, 
1  Sextarius  Honig  zusetzt,  wiederum  auf  2  einkocht ,  und 
täglich  davon  1  Löffel  voll  in  1  Becher  Wasser  einnimmt. 
Mit  Honig  verrieben  heilt  er  vortrefflich  die  kranken 
männlichen  Geschlechtstheile.  Mit  Essig  reinigt  er  die 
Flechten;  dient  auch  zur  Heilung  zerrissener,  verrenkter 
und  krampfhaft  zusammengezogener  Adern.  Mit  Salz  und 
Essig  genommen  öffnet  er,  befördert  den  Abgang  des 
monatlichen  Blutflusses  und  der  Nachgeburt.  Das  trockne 
Pulver  davon  wird  mit  Honig  bei  trocknem  Husten,  Krebs 
lind  einer  gewissen  Augenkrankheit  i)  mit  dem  besten  Er- 
folge angewandt.  Der  Saft  ist  mit  Honig  vermischt  ein 
Mittel  für  Ohren,  Nase,  Gelbsucht,  zur  Verminderung  der 
Galle,  und  namentlich  gegen  Gifte.  Das  Kraut,  mit 
Schwertel  und  Honig  eingenommen,  reinigt  den  Magen 
und  die  Brust  vom  Schleime;  es  wirkt  auch  harntreibend, 
jedoch  darf  man  es  nicht  bei  wunder  Blase  und  bei  Nieren- 
leiden gebrauchen.  Der  Saft  soll  die  Augen  klar  machen. 
Castor  führt  2  Arten  Andorn  an,  eine  schwarze,  welche 
zugleich  die  bessere  ist,  und  eine  weisse.  Ebenderselbe 
thut  den  Saft  in  ein  leeres  Ei,  setzt  gleiche  Theile  Honig 
hinzu,  erwärmt,  und  rühmt  diess  Gemisch  zum  Aufziehen, 
Reinigen  und  Heilen  der  Eiterbeulen;  auch  empfiehlt  er 
das  Kraut  zu  stosseu  und  mit  altem  Fett .  auf  Bisswunden 
von  Hunden  zu  legen. 

90. 
Der  Quendel'-)  soll  seinen  Namen  von  dem  kriechen- 
den Wachsthum  haben ,  was  allerdings  bei  dem  wilden, 
namentlich  dem  auf  Felsen  wachsenden  der  Fall  ist.  Der 
zahme  kriecht  jedoch  nicht,  sondern  wächst  wie  eine  Palme 
hoch  empor.  Der  wilde  ist  fetter,  hat  hellere  Blätter  und 
Zweige,  und  wird,  in  Wein  gekocht,  gegen  Schlangen,  ua- 


')  pteiygium. 
2)  Serpyllum. 


Zwanzigstes  Buch.  65 

meiitlich  die  Kenchris,  Land-  und  See-Scolopender  und 
Scorpione  gebraucht.  Angezündet  vertreibt  sein  Rauch 
alle  diese  Thiere.  Er  hilft  auch  gegen  die  giftigen 
Seethiere.  In  Essig  gekocht  und  mit  Rosenöl  auf  Schläfe 
und  Stirn  gelegt,  vertreibt  er  Kopfweh,  Wahnsinn  und 
Schlafsucht;  wider  Bauchgrimmen,  Urinbeschwerden,  Bräune, 
und  Erbrechen  werden  4  Drachmen  eingegeben.  Gegen 
Leberleiden  bereitet  man  einen  wässrigen  Trank.  Für  die 
Milz  verordnet  man  4  Obolen  Kraut  mit  Essig.  Bei  Blut- 
auswurf bedient  man  sich  eines  Gemisches  von  Quendel 
und  2  Bechern  Essig  mit  Honig, 

91. 

Das  wilde  Sisymbrium^)  oder  Thymbraeum  wird 
nur  1  Fuss  hoch.  Dasjenige,  welches  an  nassen  Plätzen 
wächst,  heisst  Brunnenkresse'-).  Beide  sind  wirksame 
Mittel  gegen  gestachelte  Thiere,  als  Hornisse  u.  s.  w.  Das 
auf  trocknem  Boden  vorkommende  hat  schmalere  Blätter, 
ist  wohlriechend  und  wird  in  Kränze  eingeflochten.  Beide 
stillen  Kopfschmerzen,  und,  nach  Philinus^),  Augenflüsse. 
Einige  setzen  Brot  sinzu.  Andere  kochen  es  für  sich  mit 
Wein.  Es  heilt  auch  Hitzblattern  und  Hautschäden  ioi 
Gesichte  der  Frauen,  wenn  es  4  Nächte  lang  aufgelegt 
und  am  Tage  abgenommen  wird.  Verspeist  oder  als  Saft 
getrunken  hebt  es  das  Erbrechen ,  Schlucken  und  Bauch- 
grimmen und  die  Schwäche  des  Magens.  Schwangere 
dürfen  es  nicht  essen,  denn  es  tödtet  die  Leibesfrucht; 
sogar  aufgelegt  treibt  es  dieselbe  ab.  Mit  Wein  ge- 
nommen, treibt  es  den  Harn,  das  wilde  auch  den  Stein. 
Um  wach  zu  bleiben,  giesst  mau  einen  Aufguss  davon  in 
Essig  auf  den  Kopf. 

92. 

Der  Leinsamen  wird  auch  mit  andern  Mitteln  ge- 
meinschaftlich angewandt;  für  sich  allein  verbessert  er  die 
Haut  im  Gesichte  der  Frauen.  Sein  Saft  schärft  die  Seh- 
kraft.    Mit  Weihrauch    und  Wasser  oder  mit   Myrrhe  und 

')  Mentha  aquatica  L.V    ^)  Nasturtiuiu. 

3)  Von  Kos,  Arzt  und  Schüler  des  Herophüus. 

Wittstein:  Plinius.     rv'.  Bil.  ^ 


gg  Zwanzigstes  Buch. 

Wein  stillt  er  die  Flüsse,  mit  Houig  oder  Fett  oder  Wacli8 
die  Ohrengeschwüre,  nach  Art  der  Polenta  aufgestreuet, 
die  Schwäche  des  Magens,  in  Wasser  und  Oel  gekocht 
und  mit  Anis  aufgelegt  die  Bräune.  Gegen  den  Durchfall 
wird  er  geröstet,  bei  Verstopfung  und  Ruhr  mit  Essig  auf- 
gelegt. Bei  Leberschmerzen  isst  man  ihn  mit  Rosinen; 
gegen  Schwindsucht  wendet  man  mit  bestem  Erfolge  eine 
aus  dem  Samen  bereitete  Latwerge  an.  Verhärtungen  der 
Muskeln,  Nerven,  Glieder  und  des  Nackens,  sowie  die 
Häute  des  Gehirns  erweicht  ein  Gemisch  aus  Leinsamen- 
mehl, Natron  oder  Salz  oder  Asche.  Ebendieselben  Theile 
werden  mit  Leinsamen  und  Feigen  zur  gehörigen  Reife 
gebracht.  Mit  wilder  Gurkenwurzel  zieht  er  alles,  was  im 
Körper  steckt,  sogar  gebrochene  Knochen,  aus.  In  Wein 
gekocht  hindert  er  das  Umsichfressen  der  Geschwüre,  uud 
mit  Honig  den  Schleimauswurf.  Gleich  wie  die  Brunnen- 
kresse heilt  er  schlimme  Nägel,  mit  Harz  und  Myrrhe 
Hoden  und  Brüche,  mit  Wasser  den  Krebs,  mit  1  Sextarius 
Bockshornsamen  in  Meth  gekocht ,  Magenschmerzen,  mit 
Oel  oder  Honig  im  Klystier  Brust-  und  Eingeweide- 
Schäden. 

93. 

Das  Blitumi)  besitzt  keinen  besondern  Geschmack 
und  scheint  ohne  alle  Kräfte  zu  sein,  daher  die  Ehemänner 
bei  Menander  ihn  zum  Schimpfwort  auf  die  Frauen  ge- 
brauchen. Für  den  Magen  taucht  er  nicht,  und  Einigen 
macht  er  so  viel  Unruhe,  dass  daraus  die  Cholera  entsteht. 
Jedoch  soll  er,  in  Wein  getrunken,  gegen  Scorpione,  auf- 
gelegt gegen  Fussbeulen,  und  mit  Oel  augewandt  gegen 
Milz-  und  Schläfeschmerzen  gut  sein.  Hipporates  sagt, 
sein  Genuss  hemme  den  Monatsfluss. 

94. 

Das  Meum2)  wird  in  Italien  nur  von  Aerzten  und 
auch    bloss   von   wenigen  gesäet.    Es   giebt    2  Arten;    die 


')  Amarantus  Blitum  L. 

=*)  Meum  athamanticura  Jacq. 


Zwanzigstes  Buch.  (57 

bessere  heisst  das  athamantische,  nach  Einigen,  weil 
Athamas  es  zuerst  entdeckt  hat,  nach  Andern,  weil  das 
beste  zu  Athamas  vorkommt.  Die  Blätter  sind  denen  des 
Anis  ähnlich,  der  Stengel  wird  mitunter  2  Cubitus  hoch, 
die  zahlreichen,  mitunter  sehr  langen  Wurzeln  haben  eine 
schwärzliche  Farbe ,  keine  röthliche  wie  die  der  anderen 
Art.  Ein  Trank  von  der  Wurzel,  oder  sie  selbst  zerklei- 
nert oder  abgekocht  genossen  treibt  den  Urin.  Die  Blä- 
hungen des  Magens  vertreibt  sie  vortrefflich ,  ebenso  das 
Bauchgrimmen  und  die  Blasenleiden;  mit  Honig  auf  die 
Schaam,  und  mit  Eppich  den  Kindern  aufgelegt,  lockt  sie 
den  Urin  tief  aus  dem  Leibe  hervor. 

95. 

Der  FencheD)  hat  durch  die  Schlangen  Berühmtheit 
erlangt,  denn  diese  sollen  ihn  fressen,  um  die  alte  Haut 
loszuwerden  und  ihre  Augen  zu  stärken ,  was  zu  der  Mei- 
nnng  Anlass  gab,  dass  auch  bei  den  Menschen  die  trüben 
Augen  dadurch  geheilt  werden  könnten.  Man  sammelt  ihn 
(den  Saft) ,  wenn  der  Stengel  ausgewachsen  ist ,  trocknet 
ihn  an  der  Sonne  und  streicht  ihn  mit  Honig  auf.  Der 
Fenchel  findet  sich  iiberall.  Der  beste  Saft  kommt  aus 
Iberien,  wird  aus  dem  frischen  Samen  gewonnen  und  bildet 
Thränen.  Man  bereitet  ihn  auch  aus  der  Wurzel,  welche 
zu  diesem  Behufe  bald  nach  dem  Ausschlagen  geritzt 
wird. 

96. 

Hierher  gehört  noch  ein  wilder  Fenchel,  welchen  Einige 
Hippomarathrum'^),  Andere  Myrsineum  nennen;  er  hat 
grössere  Blätter,  einen  schärfern  Geschmack,  einen  höhern, 
armsdicken  Stengel  und  eine  weisse  Wurzel.  Man  findet  ihn 
an  warmen,  steinigen  Plätzen.  Diocles  erwähnt  noch  eines 
andern  Hippomarathrums')  mit  langen  schmalen  Blättern  und 
dem  Coriander  ähnlichen  Samen.     Der  Same  des  angebaueten 


')  Foeniculum.  Anethum  Foeniculum. 

2)  Seseli  Hippomarathrum  L.;  Rossfenchel. 

3)  Anethum  segetumV 


gg  Zwanzigstes  Buch. 

wild    mit    Wein    gegen    die    Stiche     der    Scorpione    und 
Schlangen    eingenommen.     Den   Saft   tröpfelt   man   in  die 
Ohren,  um  die  darin  befindlichen  Würmer  zu  tödten.    Das 
Kraut  selbst   setzt   man  fast    zu  allen  Würzen,  am  besten 
zu  den  sauren  Tunken;   auch   wird   das  Brot   von  Aussen 
damit  bestreuet  i).     Der  Same  stärkt  den  schwachen  Magen 
und  vertreibt  das  Fieber,     In  Wasser  abgerieben  vertreibt 
er   den    Ekel,   und   heilt   Lungen-    und   Leberleiden.      In 
kleinen  Dosen  genommen ,   hemmt  er  den  Durchfall,  treibt 
den   Urin,    mildert    das    Bauchgrimmen,    und    erfüllt    die 
Brüste    mit   Milch.      Die   Wurzel    mit    Gerstentrank    oder 
bloss    als    Absud,     oder     auch     der   Same     als   Substanz 
angewandt,    reinigt   die  Nieren.     Die   mit  Wein   gekochte 
Wurzel   hilft   auch   bei  Wassersucht   und   Krämpfen.     Die 
Blätter  werden   mit  Essig   auf  brennende  Geschwülste  ge- 
legt, führen  auch   die  Blasensteine   ab.     Wird   die  Pflanze 
auf  was  immer  für  eine  Weise  eingenommen,  so  vermehrt 
sie   den    Samen.     Auf   die  Schaamglieder   wirkt   sie   ganz 
besonders  wohlthätig,   wenn   man  dieselben   entweder  mit 
dem  weinigen  Absude  der  Wurzel  berührt,  oder  letztere  mit 
Oel  abgerieben  auflegt.     Viele    legen   eine   mit  Wachs  be- 
reitete Salbe  auf  Geschwülste^und  Stossbeulen,  nnd  bedienen 
sich    des  Saftes  der  Wurzel   mit   Honig   gegen  Hundsbisse 
und   mit  Wein  gegen   die  Vielfusse.     Der  Rossfenchel   ist 
in    jeder    Beziehung    kräftiger ,    namentlich    führt    er    die 
Blasensteiue  ab.    Mit  schwachem  Weine  heilt  er  die  Blase 
und   befördert  den  Monatsfluss.     Sein  Samen  besitzt   mehr 
Wirksamkeit  als  die  Wurzel;  von  beiden  wird  aber  soviel 
als    man    mit    2   Fingern    fassen    kann   zum  Tranke    ge- 
nommen.    Petrichus^),    welcher   über   die  Schlangen,  und 
Micton  ^),  welcher  über  die  Wurzeln  geschrieben  hat,  sagen, 
gegen  Schlangen    sei    nichts    besser    als    der  Rossfenchel. 
Auch    Nicander    zählt    ihn    zu    den    vorzüglichen   Arznei 
gewachsen. 

')  Wie  noch  jetzt  in  Bayern. 

-)  Ein  unbekannter  Arzt.    ^)  Desgleichen. 


Zwanzigstes  Buch.  09 

97. 
Der  Hanf  wuchs  anfangs  nur  in  Wäldern,  seine 
Blätter  sind  dunkler  und  rauher').  Der  Same  soll  die 
Zeugungskraft  des  männlichen  Geschlechts  vernichten.  Der 
Saft  desselben  vertreibt  die  Würmer  und  andere  Thiere 
aus  den  Ohren,  macht  aber  Kopfweh;  seine  Kraft  ist  so 
gross,  dass  er,  wie  man  angiebt,  das  Wasser  verdickt,  wiid 
daher  in  Wasser  den  Lastthieren  mit  Nutzen  für  den  Leib 
gegeben.  Die  Wurzel  in  Wasser  gekocht  erweicht  steif 
gewordene  Glieder,  heilt  das  Podagra  und  ähnliche  Uebel. 
Eoh  legt  man  sie  auf  Brandstellen ,  doch  muss  man  sie 
jedesmal,  b^yor  sie  trocken  geworden,  wegnehmen  und  er- 
neuern. 

98. 
Das  Steckenkraut-^)  hat  einen  dem  Dill  ähnlichen 
Samen;  dasjenige,  dessen  Stengel  sich  oben  theilt,  heisst 
das  weibliche.  Die  Stengel  werden  gekocht  verspeist, 
und  mit  Most  und  Honig  für  den  Magen  empfohlen;  in  zu 
grosser  Menge  genossen  machen  sie  jedoch  Kopfweh  Die 
Wurzel  zu  1  Denar  in  2  Bechern  Wein  genommen,  hilft 
gegen  die  Schlangen;  auch  legt  mau  sie  selbst  auf. 
Ebenso  vertreibt  sie  das  Bauchgrimmen ,  mit  Oel  und 
Essig  übermässigen  Schweiss  und  Fieber.  Der  Saft  des 
Krautes,  wie  eine  Bohne  gross  genommen,  bewirkt  Oeff- 
nung.  Das  Mark  des  grünen  Krautes  heilt  alle  Krank- 
heiten der  Gebärmutter.  Zur  Stillung  des  Blutes  werden 
10  Samenkörner  zerrieben  und  entweder  für  sich  oder  mit 
Wein  eingenommen.  Einige  verordnen  gegen  Epilepsie  einen 
Löffel  voll  am  vierten,  sechsten  und  siebenten  Tage  nach 
dem  Vollmonde.  Den  Muränen  ist  das  Steckenkraut 
höchst  verderblich,  denn,  wenn  man  sie  nur  damit  berührt, 
so  sterben  sie.  Castor  rühmt  den  Saft  der  Wurzel  als  ein 
Mittel,  die  Augen  klar  zu  machen. 

99. 
•    Da  wir  bei  den  Gartengewächsen  von  dem  Anbau  der 

•)  Als  die  des  Fenchels.    '^)  Fei-ula.  Fei-ula  communis  L. 


70  Zwanzigstes  Buch. 

Disteln  1)  gesprochen  habend),  so  wollen  wir  auch  hiervon 
ihrer  medicinischen  Anwendung  handeln.  Es  giebt  2  wilde 
Arten,  eine  davon  breitet  sich  gleich  vom  Boden  an  strauchig 
aus,  die  andere  hat  nur  einen  oben  dicken  Stengel,  beide 
nur  wenige,  stachelige  und  zugespitzte  Blätter.  Die  eine 
treibt  mitten  aus  Stacheln  eine  purpurrothe,  schnell  grau- 
werdende und  in  die  Luft  sich  zerstreuende  Bliithe;  die 
Griechen  nennen  sie  Scolymus^j.  Diese  wird  vor  der 
Blüthezeit  zerstampft,  ausgepresst  und  der  Saft  auf 
Glatzen  gestrichen.  Die  Wurzel  beider  Arten  in  Wasser 
iiekocht,  soll  bei  Trinkern  Durst  erregen.  Sie  stärkt  den 
Magen,  soll  auch  (wenn  wir  es  glauben  wollen),  dergestalt 
auf  die  Gebärmutter  wirken,  dass  Knaben  geboren  wer- 
den —  so  schreiben  nämlich  der  Athenienser  Chaereas 
und  Glaucias*),  welcher  letztere  die  Disteln  am  sorg- 
fältigsten beschrieben  zu  haben  scheint.  Kauen  von  Disteln 
macht  den  Athem  wohlriechend. 

100. 
Ehe  wir  die  Gartengewächse  verlassen,  wollen  wir 
ein  daraus  bereitetes,  berühmtes  Gemisch  gegen  giftige 
Thiere  anführen,  welches  an  der  Schwelle  des  Tempels 
des  Aesculaps  in  Stein  gehauen  ist.  Nimm  Quendel, 
Opopanax  und  Meum,  von  jedem  2  Denare  schwer,  Bitter- 
klee 1  Denar,  Anis-,  Fenchel-,  Amrai-  und  Petersilien- 
samen von  jedem  6  Denare,  Ervenmehl  12  Denare; 
stosse  alles,  siebe  es  durch,  und  bereite  daraus  mit  der 
besten  Sorte  Wein  Kügelchen  von  der  Schwere  einer 
Siegesmünze'').  Ein  einzelnes  Kügelchen  wird  mit  3 
Bechern  gemischten  Weines  eingenommen.  Dieses  Theriaks 
soll  sich  der  König  Antiochus  der  Grosse  gegen  alle  Gifte 
bedient  haben. 


•)  Cardui.     -)  XIX.  B.  43    Cap.    ^)  Cynara  Scolymus  L. 
^)  Zwei  unbekannte  Schriftsteller. 
*)  victoriatus,  ein  halber  Denar. 


Eiziundzwanzigstes  Euch. 


Von  den  Blumen  und  Kränzen. 

1. 

Kianzblumeni)  befahl  schon  Cato  zu  bauen.  Ihre 
ausserordentliche  Zartheit  ist  erstaunenswerth  und  nicht 
so  leicht  mit  Worten  auszudrucken,  als  die  Natur  sie  zu 
färben  vermag,  welche  sich  hierin  vorzüglich  verschwen- 
derisch zeigt,  und  mit  ihrer  grossen  Productivität  ein  so 
mannichfach  freudiges  Spiel  treibt.  Alles  Uebrige  schafft 
sie  zur  Nahrung  und  andern  Zwecken ,  und  ertheilt  ihm 
daher  Jahre,  ja  Jahrhunderte  lange  Brauchbarkeit;  die 
Blumen  aber  und  deren  Riechstoff  erzeugt  sie  nur  auf 
Tagesdauer ,  und  —  was  die  Menschen  wohl  beherzigen 
mögen  —  diejenigen,  welche  am  schönsten  sind,  werden 
am  schnellsten  welk.  Und  nicht  zufrieden  mit  schönen 
Bildern  und  verschiedenen  Tönen ,  worin  die  Farben  der 
Blumen  auftreten,  schlingt  sie  das  Colorit  noch  vielfältig 
und  abwechselnd  in  einander,  besondere  Arten  von  Bän- 
dern laufen  kreisförmig,  schräg  und  am  Rande  hin,  und 
Kränze  winden  sich  durch  Kränze  hindurch. 

2. 

Die  Alten  gebrauchten  ganz  dünne  Kränze,  welche  sie 
Bänder^)  nannten,  und  davon  entstanden  die  Kränzchen^). 
Ja  selbst  dieser  Name  wurde  erst  spät  allgemein,  denn 
nur  bei  den  Opfern  und   den  Kriegs-Belohnungen    bebaup- 


')  Coronamenta.    -)  stroppi.    ^)  strophiola. 


72  Einund zwanzigstes  Buch. 

leten  die  Kränze  ihren  Namen.  Da  man  aber  aus  Blumen 
Guirlanden^)  machte,  so  nannte  man  sie  vom  Zusammen- 
knüpfen  Blumensträusse  2) ,  was  bei  den  Griechen  auch 
noch  nicht  sehr  lange  üblich  ist. 

3. 

Zuerst  war  es  Sitte,  die  Sieger  in  den  heiligen 
Kämpfen  mit  Baumzweigen  zu  bekränzen.  Später  ver- 
tauschte man  sie  mit  einem  bunten  Gemisch  von  Blumen 
verschiedener  Farben  und  Gerüche,  nach  der  Erfindung 
des  Malers  Pausias  von  Sicyon  und  der  von  ihm  heiss  ge- 
liebten Kranzwinderin  Glycera,  deren  Arbeit  er  durch 
Malen  nachahmte,  und  der,  indem  er  sie  zur  Mannigfaltig- 
keit in  ihren  Producten  bewog ,  auch  die  Zahl  seiner  ver- 
schiedenen Gemälde  vermehrte,  so  dass  in  dieser  Beziehung 
ein  Wettstreit  zwischen  Natur  und  Kunst  hervorgerufen 
wurde.  Derartige  Gemälde  jenes  Künstlers  sind  jetzt  noch 
vorhanden,  und  besonders  zeichnet  sich  unter  ihnen  eins 
aus,  die  Kranzwinderin  genannt,  auf  welchem  er  sie  selbst 
abbildete.  Diess  geschah  nach  der  hundertsten  Olym- 
piade^). Als  nun  Kränze^)  aus  Blumen  eingeführt  waren, 
entstanden  auch  bald  die  sogenannten  ägyptischen  und 
dann  die  winterlichen,  welche  letztere,  weil  im  Winter  die 
Erde  keine  Blumen  hervorbringt,  aus  gefärbten  Stückchen 
von  Hörnern  gemacht  wurden.  Etwas  später  kam  auch 
zu  Kom  jene  Benennung  auf,  man  nannte  aber  die  Kränze 
anfangs  wegen  ihrer  Kleinheit  Kränzchen^),  und  hernach, 
als  sie  aus  dünnen  vergoldeten  und  versilberten  Kupfer- 
blechen gefertigt  wurden,  Kranzgeschenke  •*). 

4. 

Der  reiche  Crassus  ahmte  zuerst  die  Blätter  in  Gold 
und  Silber  nach,  und  schenkte  dergleichen  Kränze  in  den 
von  ihm  veranstalteten  Spielen.  Später  kamen  noch  die 
Bänder')  hinzu,  was  eine  besondere  Auszeichnung, 
der  hetrurischen,  an  welche  nur  goldene  gebunden  werden 


*  serta.    -)  serviae.    ^)  375  J.  v.  Chr.  G. 

'')  coronae.    ')  corollae.    *)  coiollaria.    ')  lemnisci. 


Einundzwanzigstes  Buch.  73 

durften,  war.  Lange  Zeit  hindurch  machte  man  sie  ganz 
einfach;  P.  Claudius  Pulcher  aber  war  der  erste,  der  sie 
von  getriebener  Arbeit  ausführen  liess,  und  dem  Bande 
noch  Blätter  hinzufügte. 

5. 
Auch  die  in  den  Schauspielen  erworbenen  Kränze 
standen  immer  sehr  in  Ansehn;  denn  zu  den  dabei  statt- 
findenden Kämpfen  gingen  entweder  die  Herren  selbst  in 
den  Circus  oder  schickten  ihre  Sclaven  hin.  Darauf  be- 
zieht sich  ein  Gesetz  der  12  Tafeln:  „Wer  selbst  oder  für 
sein  Geld  einen  Kranz  gewinnt,  der  hat  ein  Unterpfand 
seiner  Tapferkeit".  Es  war  kein  Zweifel,  dass  das  Gesetz 
mit  den  Worten  „für  sein  Geld"  verstanden  wissen  wollte 
was  die  Sclaven  und  Pferde  gewonnen  hätten.  Worin 
bestand  nun  die  Ehre?  dass,  wenn  die  Sieger  oder  ihre 
Eltern  starben,  ihnen,  während  sie  auf  dem  Paradebette 
lagen,  oder  hinausgetragen  wurden,  der  Kranz  ohne  Scheu 
(Betrug)  aufgesetzt  werden  konnte.  Uebrigens  durfte  man 
sich  nicht  einmal  der  in  den  Scherzspielen  gewonneneu 
ohne  Unterschied  bedienen. 

6. 
Es  herrschte  nämlich  beim  Gebrauch  der  Kränze 
eine  grosse  Strenge.  Der  während  des  zweiten  puni- 
schen  Krieges  lebende  Wechsler  L.  Fulvius,  welcher,  mit 
einem  Rosenkranze  auf  dem  Haupte  aus  seinem  Laden  auf 
den  Markt  gesehen  hatte,  wurde  auf  Befehl  des  Senats 
ins  Gefängniss  gebracht,  und  erst  nach  Beendigung  des 
Krieges  wieder  entlassen.  Als  P.  Munatius  dem  Marsyas 
einen  Blumenkranz  abgenommen  und  sich  selbst  aufgesetzt 
hatte,  und  dieserhalb  auf  Befehl  der  Triumviren  gefäng- 
lich eingezogen  werden  sollte,  appellirte  er  an  die  Volks- 
Tribunen;  allein  diese  legten  sich  nicht  für  ihn  ins  Mittel. 
Anders  war  es  in  Athen,  wo  die  zusammenspeisenden 
Jünglinge  selbst  vor  Mittag  die  Lehrstunden  damit  be- 
suchten. Bei  uns  kennt  man  kein  anderes  Beispiel  solcher 
Freiheit ,   als   die  Tochter   des  vergötterten  Augustus ,  bei 


74  Einundzwanzigstes  Buch. 

deren    nächtlicher    Schwelgerei,    wie    die    Briefe    dieses 
Mannes  klagen,  der  Marsyas  bekränzt  wurde. 

7. 

Nur  allein  den  Scipio  beehrte  das  römische  Volk  mit 
«inem  Blumenkranze.  Wegen  seiner  Aehnlichkeit  mit 
einem  gewissen  ScLweinhändler  bekam  er  den  Namen 
Serapio.  Deshalb  liebte  ihn  das  Volk  während  seines 
Amtes  als  Tribun  und  betrachtete  ihn  als  ein  würdiges 
Familienglied  der  Afrikaner.  Da  er  nicht  soviel  hinterliess, 
um  sein  Begräbniss  zu  bestreiten,  so  gab  ein  Jeder  1  Ass 
her,  und  beim  Hinaustragen  der  Leiche  streuete  man  aus 
^Uen  Fenstern,  wo  sie  vorbeikam,  Blumen. 

8. 

Noch  damals  waren  die  Kränze  eine  Ehrenbezeugung 
der  Götter,  der  öffentlichen  und  häuslichen  Laren,  der 
Oräber  und  Manen,  und  im  höchsten  Ansehn  stand  die 
Friedenskrone.  Zusammengebundene  Kränze  finden 
wir  bei  den  Opfern  der  Priester  des'Mars,  und  prachtvolle 
bei  den  Mahlzeiten.  Hernach  kamen  die  Rosenkränze  auf, 
und  die  Ueppigkeit  ging  so  weit,  dass  nur  die  aus  blossen 
Blättern  gemachten  im  Ansehn  standen,  und  die  zusammen- 
gebundenen aus  Indien  und  noch  weiter  hergeholt  wurden. 
Am  beliebtesten  und  nobelsten  sind  die  aus  Narden- 
blättern  gefertigten,  oder  bunt  mit  Seidenzeug  durch- 
flochten en  und  mit  Balsamen  bestrichenen  Kränze.  Letz- 
tere verdanken  ihr  Entstehen  der  Prunkliebe  der  Weiber. 

9. 

Unter  den  Griechen  haben  die  Aerzte  Mnesitheus  und 
Callimachus  *)  über  Kränze  geschrieben,  welche  dem  Kopfe 
schaden,  denn  auch  hierin  kommt  die  Gesundheit  in  so 
fern  mit  ins  Spiel,  dass  bei  Trank  und  Fröhlichkeit  die 
Ausdünstung  der  Blumen  leicht  unvermerkt  ihre  verderbliche 
Wirkung  ausüben  kann.  Ein  Beispiel  hiervon  giebt  uns 
die  schändliche  List  der  Cleopatra.    Als  nämlich   zur  Zeit 


')  Beide  unbekannt. 


Einundzwanzigstes  Buch.  75 

der  Zurüstung  zum  actianischen  Kriege  Antonius  wegen 
der  Gunst  der  Königin  besorgt  war  und  keine  andere  als 
zuvor  gekostete  Speise  ass,  soll  sie  seine  Furcht  zu  einem 
Scherz  benutzt  haben,  indem  sie  die  äussersten  Blumen 
eines  Kranzes  mit  Gift  bestrich,  sich  denselben  aufsetzte 
und  als  man  recht  fröhlich  war,  den  Antonius  aufforderte, 
die  Kränze  zu  trinken.  Wer  hätte  hier  etwas  argwöhnen 
sollen?  Sie  zerpflückte  hierauf  ihren  Kranz,  warf  die  Stücke 
in  den  Becher ,  hielt  aber ,  sobald  er  trinkan  wollte ,  die 
Hand  davor  und  sprach:  Nun  Marcus  Antonius,  ich  bin 
die,  welche  du,  wie  aus  der  Thätigkeit  deiner  Vor- 
schmecker hervorgeht,  fürchtest;  du  siehst,  es  fehlt  mir 
nicht  an  Mitteln  und  Gelegenheit,  wenn  ich  ohne  dich 
leben  könnte.  Sie  Hess  darauf  einen  Gefangeneu  vorführen, 
befahl  ihm  den  Becher  auszuleeren,  und  jener  starb  auf 
der  Stelle.  —  Unter  den  Griechen  schrieb ,  ausser  den 
Obengenannten  ,  auch  Theophrastus  über  die  Blumen. 
Von  den  römischen  Schriftstellern  haben  einige  ihren 
Werken  den  Namen  Blumenlese i)  gegeben,  doch  handelte 
Niemand,  so  viel  ich  weiss,  darin  von  Blumen.  Auch  wir 
wollen  jetzt  keine  Kränze  winden  (denn  das  sind  Tände- 
leien), sondern  von  den  Blumen  dasjenige,  was  uns  werth 
genug  scheint,  mittheilen. 

10. 
Die  Römer  kannten  unter  den  Gartengewächsen  sehr 
wenige  Arten ,  welche  zu  Kränzen  gebraucht  werden ,  ja 
fast  nur  die  Violen  und  Rosen.  Die  Rose 2)  ist  mehr  ein 
Dorngewächs  als  ein  Strauch,  kommt  auch  auf  einem 
Rubus  vor  ^) ,  wo  sie  zwar  angenehm  aber  schwach  riecht. 
Jegliche  Rose  ist  anfangs  in  eine  drüsige  Schale  ge- 
schlossen; diese  schwillt  an,  schiesst  in  einen  birn formigen 
Kelch  hervor,  welcher  allmählich  sich  erweiternd  rötbliche 


1)  anthologicon. 

')  Rosa  centifolia,  R.  gallica  und  die  Spielarten  derselben. 
3)  Plinius  meint  liier  wahrscheinlich  die  Heckenrose:  Rosa   ca* 
nina  L. 


76  Einundzwanzigstes  Buch. 

Blätter  durchblicken  lässt,  sich  endlich  ganz  aufschliesst, 
und  in  Mitte  der  von  ihm  umgebenen  Blumenkrone  gelbe 
Staubgefässei)  enthält.  Zu  Kränzen  wird  sie  fast  gar 
nicht  gebraucht.  Man  macht  sie  in  Oel  ein,  was  nach 
Homer  schon  zur  Zeit  des  trojanischen  Krieges  geschah, 
bedient  sie  ihr  auch,  wie  wir  bereits  gesagt  haben 2),  zu 
Salben,  und  selbst  für  sich  allein  besitzt  sie  schon  Heil- 
kräfte. Ihrer  gelinden  Schärfe  wegen  geht  sie  in  Pflaster 
und  Augensalben  ein ,  auch  werden  die  Leckereien  der 
Tafel  ohne  Gefahr  damit  parftimirt.  Bei  uns  sind  die 
pränestinische  und  campanische  die  berühmtesten  Arten, 
Einige  nehmen  dazu  noch  die  milesische,  welche  die  feu- 
rigste Farbe  und  nicht  über  12  Blumenblätter  hat.  Nächst 
dieser  kommt  die  blassere  trachinische,  dann  die  alaban- 
dische  mit  weisslichen  Blättern,  und  die  allergeringste 
hat  die  meisten,  aber  sehr  kleine  Blätter  und  kleine  Dor- 
nen; man  unterscheidet  nämlich  die  Arten  nach  der  Menge, 
Rauheit,  Glätte,  Farbe  und  dem  Gerüche  der  Blumen- 
blätter. Die  geringste  Zahl  der  Blumenblätter  ist  5,  ihre 
Menge  steigt  aber  so  sehr,  dass  eine  Art  die  hundert- 
blättrige genannt  wird,  und  diese  kommt  in  Italien  zu 
Campanien  und  in  Griechendland  um  Philippi ,  jedoch 
nicht  wild,  vor.  In  der  Nähe  des  Berges  Pangaeus  wächst 
eine  Art  mit  zahlreichen  kleinen  Blättern,  welche  von  den 
dortigen  Bewohnern  auf  ihren  Aeckeru  gebauet  wird  uud 
ihnen  einen  Nahrungszweig  verschafft.  Doch  besitzt  weder 
diese,  noch  die  mit  den  grössten  Blättern  den  stärksten 
Geruch.  Alle  mit  einem  rauhen  Kelche  versehenen  Rosen 
riechen  am  besten.  Caepio^),  welcher  unter  der  Regierung 
des  Kaisers  Tiberius  lebte,  sagt,  Rosen  würden  nicht  zu 
Kränzen  genommen,  ausgenommen  etwa  an  die  äussersten 
Enden  derselben.  Eine  Art,  welche  weder  durch  Geruch 
noch  Ansehn  ausgezeichnet  ist,  nennt  man  bei  uns  die 
griechische  Rose,  bei  den  Griechen  Lychnis^),  sie  wächst 

')  apices.    «)  im  XIII.  Buche. 

^)  Ein  nicht  näher  bekannter  Schriftsteller. 

'')  Agrostenima  coronaria  L? 


Einundzwanzigstes  Buch.  77 

mu-  an  feuchten  Plätzen,  hat  nie  über  5  Blumenblätter  von 
der  Grösse  einer  Viole,  und  riecht  nicht.  Eine  andere 
Art,  die  kleine  griechische  genannt,  erscheint  immer  mit 
zusammengeschlagenen  Blättern,  springt  nur  auf,  wenn 
mau  sie  mit  der  Hand  berührt,  uud  sieht  stets  aus,  als 
wenn  sie  eben  erst  aufbräche;  ihre  (Blümen-)Blätter  sind 
sehr  gross.  Noch  eine  andere  Art  bricht  aus  einem  malven- 
artigen  Stengel,  hat  Blätter  wie  der  Oelbaum,  und  heisst 
die  sprossende.  Zwischen  diesen  steht  die  Herbstrose, 
welche  Kranzrose  genannt  wird,  hinsichtlich  der  Grösse  in 
der  Mitte.  Nur  allein  diese  und  die  auf  dem  Rubus  wach- 
sende besitzen  Geruch,  —  so  viele  unächte  giebt  es.  Auch 
die  echte  Rose  ist  in  ihrer  Qualität  gar  sehr  von  dem 
Boden  abhängig.  Die  zu  Cyrene  wachsende  riecht  am 
besten,  daher  kommt  von  dort  die  beste  Rosensalbe;  zu 
Carthago  in  Spanien  blühet  sie  den  ganzen  Winter  hin- 
durch. Auch  hat  die  Witterung  Einfluss  darauf,  denn  nicht 
jedes  Jahr  riecht  die  Rose  gleich  stark.  Sie  liebt  keine 
fette,  thonige  und  feuchte  Plätze,  dagegen  magere,  und 
namentlich  wüste.  Die  campanische  blühet  früh,  die  mile- 
sische  spät  und  die  pränestinische  am  spätesten.  Man 
setzt  sie  tiefer  als  die  Feldfrüchte,  aber  nicht  so  tief  als 
die  Weinstöcke.  Der  Same,  welcher  im  Kelche  unter  der 
Blume  in  Wolle  gehüllt  liegt,  geht  sehr  langsam  auf, 
daher  pflanzt  man  sie  lieber  durch  Stecklinge  und  Wurzel- 
augen, wie  das  Schilf,  fort.  Nur  eine  Art  der  blassen, 
liinf blättrigen,  vieldoruigen  mit  sehr  langen  Zweigen,  welche 
unter  den  griechischen  die  zweite  ist,  säet  man.  Alle 
Rosen  aber  werden  durch  Beschneiden  und  Brennen  ver- 
bessert; auch  durch  Versetzen  kommen  sie,  gleich  dem 
Weinstock,  rasch  fort,  wenn  man  4  Zoll  oder  darüber  nach 
dem  Untergange  des  Siebengestirns  pflanzt,  diese,  zur  Zeit 
des  Favonius ,  1  Fuss  weit  von  einander  versetzt  und  oft 
umgräbt.  Um  früh  Rosen  zu  bekommen,  macht  man,  wenn 
die  Knospen  sich  zeigen,  eine  fusstiefe  Grube  um  die 
Wurzel,  und  begiesst  mit  warmem  Wasser. 


78  Einundzwanzigstes  Buch. 

11. 

Die  Lilie')  steht  an  Weith  der  Rose  am  nächsten; 
auch  bereitet  man  aus  ihr  eine  ähnliche  Salbe  wie  ein 
Oel,  welches  Lilienöl  genannt  wird.  Sie  ist  eine  Zierde 
der  Rosenpflanzungen,  wenn  man  sie  dazwischen  setzt, 
denn  sie  fängt  dann  an  zu  blühen,  wenn  jene  in  voller 
Pracht  stehen.  Keine  andere  Blume  schiesst  höher  empor, 
denn  der  Stengel  ist  oft  3  Ellen  lang,  aber  so  schwach,  dass 
er  kaum  die  Krone  zu  tragen  vermag.  Sie  besitzt  eine 
blendende  Weisse,  die  Kronblätter  sind  aussen  gestreift, 
gehen  aus  einem  engen  Grunde  allmählig  ins  Breite,  nach 
Art  eines  Korbes,  über,  sind  am  äussern  Rande  umge- 
schlagen, und  innerhalb  stehen  Samengehäuse  und  gold- 
farbige Fäden  (Staubbeutel).  Ihr  Geruch  ist  ein  doppelter, 
denn  die  Krone  riecht  anders  als  die  Staubgefässe ,  doch 
ist  der  Unterschied  nicht  gross.  Zur  Bereitung  der  Salbe  und 
des  Oeles  bedient  man  sich  aber  auch  der  Steugelblätter, 
Die  Blume  ist  derjenigen,  welche  die  in  den  Hecken  wach- 
sende Windet)  trägt,  nicht  unähnlich,  aber  letztere  besitzt 
keinen  Geruch ,  auch  nicht  die  gelben  Staubbeutel  im  In- 
nern, sondern  bloss  die  weisse  Farbe,  und  liefert  nur  ein 
Beispiel,  wie  die  Natur  eine  Lilie  zu  bilden  anfängt.  Die 
weissen  Lilien  werden  ganz  ebenso  wie  die  Rosen  gebauet, 
aber  auch,  wie  das  Hipposelinum ,  durch  den  auströpfeln- 
den Saft,  und  nichts  ist  fruchtbarer,  denn  eine  einzige 
Wurzel  treibt  oft  50  Zwiebeln.  Es  giebt  auch  eine  rothe 
Lilie,  welche  die  Griechen  Crinon^),  Andere,  was  die  Blume 
selbst  betrifft  Cynorrhodon  nennen.  Die  besten  wachsen 
in  Antiochien|,  zu  Laodicea  in  Syrien,  ferner  zu  Phaseiis; 
den  vierten  Rang   nimmt   die  in  Italien  vorkommende  ein. 

12. 

Es  giebt  auch  purpurrothe  Lilien,  welche  zuweilen 
einen   zweifachen    gespaltenen   Stengel,    eine    fleischigere. 


')  Lilium  candiclum  L. 

^)  Convolvulus.  Convolvulus  sepium  L. 

^)  Lilium  bulbifevum  L. 


Einundzwanzigstes  Buch.  T^ 

grössere,  aber  nur  einfache  Zwiebelwurzel  haben,  und 
Narcisseni)  genannt  werden.  Eine  andere  Art  hat  eine 
weisse  Blüthe  und  purpurrothe  Kelche 2).  Die  Narcissen 
unterscheiden  sich  von  den  Lilien  auch  dadurch,  dass  ihre 
Blätter  aus  der  Wurzel  entspringen.  Die  vorzüglichsten 
wachsen  auf  den  lycischen  Bergen.  Die  dritte  Art  weicht 
nur  darin  ab,  dass  ihr  Kelch  grün  ist  ^).  Alle  blühen  spät, 
nämlich  erst  nach  dem  Untergange  des  Arcturus  und  wäh- 
rend  des  Herbst-Aequinoctii. 

13. 
Der  Erfindungsgeist  der  Menschen  hat  auch  folgende 
seltsame  Fortpflanzungsw^eise  ausgemittelt.  Im  Monat  Juli 
werden  nämlich  die  trocknen  Stengel  der  Lilie  abge- 
schnitten und  in  den  Bauch  gehängt.  Wenn  sich  hiedurch 
die  Samenkapseln  geöffnet  haben,  nimmt  man  sie  ab,  weicht  sie 
im  März  in  Hefe  von  dunkeln  oder  griechischem  Wein  ein, 
damit  sie  die  Farbe  davon  annehmen,  säet  sie  in 
kleine  Furchen  und  begiesst  sie  mit  einer  Hemina  Hefen. 
Auf  diese  Weise  entstehen  rothe  Lilien,  und  es  ist  merk» 
würdig,  dass  Gefärbtes  Gefärbtes  erzeugt. 

14. 
Zunächst  im  Werthe  folgen  nun  die  Violen,  von 
denen  es  viele  Arten  giebt,  nämlich  rothe,  gelbe^)  und 
weisse^),  welche  alle,  wie  der  Kohl,  aus  Pflanzen  gezogen 
werden.  Unter  denen  aber,  welche  an  sonnigen  und  ma- 
gern Plätzen  wild  vorkommen,  schiessen  die  purpurrothen 
mit  breiten  Blättern  unmittelbar  aus  einer  fleischigen 
Wurzel  hervor,  und  sie  allein  werden  von  den  übrigen 
durch  einen  griechischen  Namen  6)  unterschieden ,  wovon 
die  blauen  Kleider  ihre  Benennung  haben.  Unter  den  an- 
gebaueten  schätzt  man  die  gelben  am  meisten;  ihre  Arten 
heissen  die   tuskulanische ,   und    die  Seeviole,  deren  Blatt 


')  Narcissus  serotinus  L.'? 

^)  Narcissus  poeticus  L.    *)  Narcissus  Tazetta  L. 

*)  Cheiranthus  Cheiri  L. 

*)  Cheiranthus  incanus  und  Ch.  annuus  L. 

*)  ia  von  lov  das  Veilchen. 


^0  Einundzwanzigstes  Buch. 

etwas  breiter,  die  aber  nicht  so  wohlriechend  ist.  Die 
Korbviolei)  bat  gar  keinen  Geruch,  kleine  Blätter  und 
kommt  im  Herbste  zur  Blüthe,  die  übrigen  im  Frühlinge. 

15. 
Die  Caltha^),  welche  eine  grosse  einfarbige  Krone 
trägt,  steht  der  obengenannten  am  nächsten.  Sie  hat  mehr 
Blätter  als  die  Seeviole,  deren  Zahl  nie  über  5  geht,  auch 
besitzt  sie  einen  unangenehmem  Geruch  als  letztere.  Nicht 
minder  widrig  riechen  die  Stengelblätter  des  sogenannten 
königlichen  Zweigs^). 

16. 
Die  Baccharis^),  welche  von  einigen  Bauernnarde^) 
genannt  wird ,  riecht  nur  an  der  Wurzel.  In  früheren 
Zeiten  bereitete  man,  nach  dem  Zeugniss  des  alten  Schau- 
spieldichters Aristophanes ,  aus  dieser  Wurzel  Salben. 
Einige  nennen  sie  auch  wohl  aus  Irrthum  die  barbarische. 
Ihr  Geruch  kommt  dem  des  Zimmts  sehr  nahe.  Sie  wächst 
auf  magerm,  trocknem  Boden.  Eine  ihr  sehr  ähnliche 
Pflanze  ist  das  Combretum,  welches  Blätter  so  dünn  wie 
ein  Faden  hat,  aber  höher  wird.  Die  Ansicht  Derer, 
welche  die  Baccharis  Bauernnarde  genannt  haben,  bedarf 
einer  Berichtigung,  denn  unter  diesem  Namen  existirt  ein 
anderes  Kraut,  welches  bei  den  Griechen  Asarum  heisst, 
und  dessen  wir  bereits  bei  den  Arten  der  Narde  gedacht 
habend).  Ihren  Namen  (asaron)^)  soll  sie  daher  haben, 
weil  sie  nicht  zu  den  Kränzen  genommen  wird. 

17. 
Der  wilde  Safran  ist  der  beste;  es  ist  nicht  vortheil- 
haft,    ihn   in  Italien  zu  bauen,   denn   die  Aecker   werden 
dadurch   bis  auf  den   Stein   ausgesogen.     Man   bauet   ihn 

*)  calathiana.  nach  C.  Bauhin:  Digitalis  lutea. 

^)  Caltha  palustris  L.  seheint  hier  gut  zu  passen,  demungeachtet 
deutet  man  gewöhnlich  auf  Calendula  arvensis  L. 

3)  scopa  regia.  Chenopodiura  Scoparia  L.  Nach  Andern  Achillaea 
nobilis  L.     '*)  Gnaphalium  sanguineum  L.? 

*)  Nardum  inisticum,  welches  Valeriana  Dioscoridis  Hawk.  ist. 

*)  Im  XII.  Buche.  27.  Cap.  ')  von  «  nicht,  und  aaoovj  fegen, 
also   ungefegt.  d.  h.  sclimutzig,  unansehnlich. 


Einundzwanzigstes  Buch.  81 

durch  Zwiebeln.  Der  Gartensafran  ist  breiter^),  grösser 
und  glänzender,  aber  viel  schwächer  und  artet  überall  aus, 
ist  auch  selbst  zu  Cyrene,  wo  sonst  immer  die  besten 
Blüthen  wachsen,  nicht  immer  fruchtbar.  Im  höchsten  An- 
sehn steht  der  in  Cicilien  und  hier  namentlich  auf  dem 
Berge  Cyricus  wachsende ,  dann  folgt  der  lycische ,  olym- 
pische und  centuripinische  in  Sicilien.  Andere  geben  dem 
phlegräischen  den  zweiten  Rang.  Nichts  wird  so  sehr 
verfälscht  als  der  Safran.  Der  echte  muss,  in  der  Hand 
gehalten,  rauschen,  als  wenn  er  zerbräche;  denn  der 
feuchte,  welcher  diesen  Zustand  einer  Künstelei  ver- 
dankt, giebt  beim  Drücken  nach.  Eine  andere  Probe 
besteht  darin,  dass  er,  wenn  man  ihn  ans  Gesicht  hält, 
Haut  und  Augen  beissen  muss.  Unter  den  Arten  des  an- 
gebaueten  Safrans  giebt  es  eine  allgemein  beliebte,  welche 
ihrer  Farbe  wegen  die  weissbunte  genannt  wird.  Die 
cyrenaische  hat  den  Fehler,  dunkler  zu  sein  als  alle  übri- 
gen Arten  und  schnell  zu  verwelken.  Diejenige  Sorte  ist 
allemal  die  beste,  welche  am  meisten  Fett  und  kurze 
Fäden  bat,  am  schlechtesten  aber  die,  welche  nach  Schim- 
mel riecht.  Nach  Mucianus  versetzt  man  in  Lycien  den 
Safran  im  siebenten  oder  achten  Jahre  in  gepflügtes  Land, 
und  verhindert  auf  solche  Weise  das  Ausarten.  Zu  Kränzen 
wird  er  nirgends  genommen,  denn  seine  Blätter  sind 
schmal,  fast  herzförmig,  aber  als  Zusatz  zum  Weine,  na- 
mentlich dem  süssen ,  eignet  er  sich  vortrefflich.  Sein 
Pulver  wird  als  Parfüm  in  die  Theater  gestreut.  Die 
Bltithe  bricht  beim  Untergange  des  Siebengestirns  zwischen 
den  Blättern  hervor,  hält  sich  aber  nur  wenige  Tage.  Zur 
Zeit  des  kürzesten  Tages  steht  er  in  voller  Kraft,  wird 
dann  eingesammelt,  und  im  Schatten,  am  besten  an  einem 
kalten  Orte,  getrocknet.  Die  fleischige  Wurzel  bleibt 
länger  als  bei  andern  Gewächsen  kräftig.  Durch  Treten 
und  Reiben  wird  sie  besser,  und  dem  Verderben  schon 
nahe    erholt    sie    sich   dadurch   wieder,   daher   ihr   bester 


*)  Crocus  sativus  L. 

Wittstein:  Plinius.     IV.  Bd. 


82  Einundzwanzigstes  Buch. 

Standort  Pfade  und  Quellen  sind.  Schon  in  den  trojani- 
schen Zeiten  wurde  der  Safran  geschätzt,  wenigstens 
rühmt  Homer  die  drei  Pflanzen  Lotus ,  Safran  und  Hya- 
cinthe. 

18. 
Alle  geruchvollen  Pflanzen  und  daher  auch  die  Kräuter 
unterscheiden  sich  durch  Farbe,  Geruch  und  Saft.  Rie- 
chende Gewächse  schmecken  fast  alle  bitter;  hingegen  be- 
sitzen die  süssschmeckenden  keinen  Geruch.  Daher  riecht 
auch  der  Weib  stärker  als  der  Most,  und  alle  wilden 
Pflanzen  stärker  als  die  angebaueten.  Einige  riechen  in 
der  Ferne  angenehmer  als  in  der  Nähe,  wie  z.  B.  die  Viole. 
Eine  frische  Rose  riecht  mehr  in  der  Ferne,  eine  trockne 
mehr  in  der  Nähe,  alle  aber  stärker  im  Frühlinge  und 
früh  Morgens,  denn  gegen  den  Mittag  hin  wird  der  Geruch 
immer  schwächer.  Eine  junge  riecht  auch  weniger  als  eine 
alte;  alle  aber  besitzen  mitten  im  Sommer  den  stärksten 
Geruch.  Rosen  und  Safran  riechen  stärker  wenn  sie  bei 
heiterm  Wetter  gesammelt  werden,  ebenso  riechen  alle 
Gewächse  mehr,  die  an  warmen,  als  die  an  kalten  Plätzen 
wachsen.  In  Aegypten  besitzen  die  Blumen  den  schwäch- 
sten Geruch,  weil  da  die  Luft  durch  den  Nil  mit  Nebel 
und  Thau  erfüllt  ist.  Mancher  an  sich  angenehme  Geruch 
hat  etwas  Beschwerliches.  Einige  riechen  wegen  allzu 
vieler  Feuchtigkeit  im  lebenden  Zustande  nicht,  wie  das 
Foenum  graecum.  Einige  sind  starkriechend  und  zugleich 
saftig,  wie  die  Viole,  Rose,  der  Safran;  bei  denjenigen  aber, 
welche  keinen  Saft  haben,  ist  der  Geruch  unangenehm, 
Avie  bei  beiden  Arten  der  Lilie.  Das  Abrotanum  und  der 
Majoran  riechen  scharf.  Von  einigen  Pflanzen  riechen  nur 
die  Blumen  angenehm,  die  übrigen  Theile  gar  nicht,  wie 
bei  den  Violen  und  Rosen.  Die  trocknen  Gartengewächse, 
und  die,  welche  an  trocknen  Plätzen  vorkommen,  wie  die 
Raute,  Minze,  der  Eppich,  riechen  sehr  stark.  Einige  wer- 
den durchs  Alter  wohlriechender,  wie  die  Quitten,  und 
diese  noch  mehr,  wenn  sie  nicht  mehr  am  Baume  hängen. 
Einige  riechen   nur   nach  dem  Zerbrechen   oder  Zerreiben, 


Einundzwanzigstes  Buch.  g3 

andere  nur,  wenn  die  Schale  abgezogen  ist,  wiederum  an- 
dere nur  beim  Verbrennen,  wie  der  Weihrauch  und  die 
Myrrhe.  Zerriebene  ßlüthen  sind  allemal  bitterer  als  ganze. 
Einige  behalten  getrocknet  den  Geruch  sehr  lange,  wie  der 
Steinklee.  Einige  machen  den  Ort  selbst,  wo  sie  stehen, 
wohlriechend,  wie  die  Iris,  ja  diese  sogar  den  ganzen 
Baum,  dessen  Wurzeln  sie  berührt.  Die  Nachtviole  i)  riecht 
des  Nachts  stärker  und  hat  daher  ihren  Namen  bekommen. 
Kein  Thier  besitzt  etwas  Wohlriechendes,  man  miisste 
denn  das,  was  ich  von  den  Panthern  2)  gesagt  habe,  für  wahr 
halten. 

19. 
Wir  müssen  auch  des  Umstandes  gedenken,  dass  viele 
riechende  Gewächse  nicht  zu  den  Kranzblumen  gehören, 
wie  die  Iris^)  und  die  Narde,  obgleich  beide  vortrefflich 
riechen.  Von  der  Iris  wird  nur  die  Wurzel  benutzt,  und 
zwar  nur  zu  Salben  und  Arzneien.  Die  beste  wächst  in 
Illyrien,  aber  nicht  am  Meere,  sondern  in  den  Wäldern 
von  Drilon  und  Naron;  dann  folgt  die  macedonische,  deren 
Wurzel  sehr  lang,  weiss  und  dünn  ist.  Die  afrikanische 
bildet  die  dritte  Sorte,  ist  am  dicksten  und  schmeckt  am 
bittersten,  Die  illyrische  bildet  2  Arten,  den  Raphanitis, 
sogenannt  von  seiner  Aehnlichkeit  mit  Retttg,  und  den 
Rhizotomos,  welcher  röthlich  aussieht  und  besser  als  jener 
ist,  Am  besten  ist  die,  welche  beim  Berühren  Niesen  er- 
regt. Ihr  Stengel  ist  aufrecht  und  1  Cubitus  hoch;  ihre 
Blüthen  haben  verschiedene  Farben,  ähnlich  dem  Regen- 
bogen, und  diess  war  der  Grund,  sie  Iris  zu  nennen.  Auch 
die  pisidische  ist  nicht  zu  verwerfen.  Wenn  man  sie  aus- 
graben will,  giesst  man  3  Monate  vorher  Honigwasser  um  sie 
herum,  um  durch  Schmeichelei  die  Erde  gleichsam  zu  ver- 
söhnen, zieht  mit  der  Spitze  eines  Schwertes  einen  drei- 
fachen Kreis  um  sie ,  sticht  die  Wurzel  aus  und  hält  sie 
sogleich  gegen  den  Himmel  empor.  Sie  ist  von  Natur 
brennend,   und   erzeugt   auf  der   Haut   Blasen,  wie  wenn 

>)  Hesperis.    ■')  Im  VIII.  B.  23.  Cap. 

3)  Iris.  Iris  florentina  L.  und  T.  germanica  L.  S.  auch  83.  Cap. 

6* 


g4  Einundzwanzigstes  Buch. 

mau  sich  verbrannt  hätte.  Man  soll  sie  nur  durch  keusche 
Leute  sammeln  lassen.  Nicht  nur  trocken,  sondern  auch 
an  ihrem  Standorte  selbst  wird  sie  gern  von  Würmern 
angefressen.  Das  beste  Irisöl  wurde  vormals  aus  Leu- 
cadien  und  Elis  (wo  man  sie  seit  langer  Zeit  bauet)  be- 
zogen; jetzt  kommt  es  aus  Pamphylien,  aber  dasjenige 
aus  Cilicien  und  aus  den  nördlichen  Ländern  hält  man  für 

das  beste. 

20. 

Die  Saliunca^)  hat  kurze  Blätter,  welche  nicht  (zu 
Kränzen)  gewunden  werden  können,  und  mit  zahlreichen 
Wurzeln  zusammenhängen,  ist  eher  ein  Gras  als  eine 
Blume,  dicht,  als  wenn  sie  mit  der  Hand  zusammenge- 
drückt wäre  —  kurz  eine  besondere  Art  Rasen.  Sie 
wächst  auf  sonnigen  Plätzen  in  Pannonien,  Noricum,  den 
Alpen  und  um  die  Städte  in  Eporadia,  und  ist  so  beliebt 
wie  ein  Metall.     Man  legt  sie  gern  zwischen  die  Kleider. 

21. 

Das  bei  den  Griechen  unter  dem  Namen  P  o  1  i  u  m  2)  bekann- 
te Kraut  hat  durch  die  Lobsprüche  des  Musaeus  3)  und  He- 
siodus  Ruf  erlangt,  denn  sie  sagen,  es  sei  zu  Allem,  beson- 
ders zu  Ruhm  und  Würden  dienlich;  jedenfalls  ist  es 
merkwürdig,  dass  (wie  sie  sagen)  die  Blätter  desselben  des 
Morgens  weiss,  Mittags  purpurroth  und  Abends  blau  aus- 
sehen. Es  giebt  2  Arten,  eine  auf  Aeckern,  welche  gross, 
und  eine  wilde,  welche  klein  ist.  Einige  nennen  es  Teu- 
thrium.  Die  Blätter  ähneln  den  grauen  Menschenhaaren, 
entspringen  unmittelbar  aus  der  Wurzel  und  werden  nicht 
länger  als  1  Palme. 

22. 

Hiermit  schliesse  ich  die  Beschreibung  der  wohlriechen- 
den  Blumen.     Sowie    aber   der   Luxus    dahin   gelangt   ist, 


*)  "Valeriana  Saliunca  All. 

2)  Teucrium  Polium  L.  Die  grosse  Art  ist  T.  capitatum  und  riecht 
nicht. 

2)  Wahrscheinlich  der  Grammatiker,  dessen  Lebenszeit  ungewiss 

ist. 


Einundzwanzigstes  Buch.  85 

hierin  die  Natur  durch  wohlriechende  Salben  zu  übertreffeu, 
ebenso  hat  er  versucht,  die  schöngefärbten  Blumen  in  den 
Kleidern  künstlich  nachzuahmen.  Ich  finde,  dass 
dazu  namentlich  3  Arten  gebraucht  werden:  rothe  in  der 
Scharlachfarbe,  welche  von  den  Rosen  abgenommen  ist  und 
in  den  tyrischen  Purpur,  in  die  zweimal  gefärbten  und  in 
die  lacedämonischen  Kleider  eingeht.  Die  zweite  in  der 
Amethystfarbe,  zu  deren  Typus  die  Viole  dient  und  welche 
in  die  purpurnen  und  vielfarbigen  Stoffe  eingeht.  (Ich 
spreche  hier  nur  von  Gattungen,  welche  noch  in  viele  Arten 
zerfallen).  Die  dritte  ist  die  eigentliche  Muschelfarbe, 
von  der  es  viele  Nuancen  giebt:  eine  heliotropartige  helle 
und  dunkle,  eine  mal  venartige  die  sich  in  Purpur  zieht, 
und  eine  herbstviolenartige  welche  die  lebhafteste  Muschel- 
farbe ist.  Jetzt  stellt  man  ähnliche  Farben  künstlich  dar, 
sodass  Natur  und  Luxus  miteinander  wetteifern.  Die  gelbe 
Farbe  steht,  soviel  ich  weiss,  seit  den  ältesten  Zeiten  in 
Ansehn,  und  wurde  von  jeher  nur  allein  für  die  Hochzeits- 
schleier der  Bräute  verwendet,  und  diess  vielleicht  der 
Grund,  warum  sie  nicht  unter  die  vornehmsten,  das  heisst, 
dem  männlichen  und  weiblichen  Geschlechte  gemeinschaft- 
lichen gezählt  wird,  denn  die  Gemeinschaft  ist  es,  welche 
den  Vorzug  bestimmt  hat. 

23. 
Der  Amarant!)  ^jj-d  bekanntlich  zu  Kränzen  genom- 
men. Er  ist  mehr  eine  purpurfarbene  Aehre  als  eine 
Blume,  und  riecht  nicht.  Merkwürdig,  dass  die  Aehre, 
wenn  sie  abgepflückt  ist,  sich  kräftiger  wieder  erneuert. 
Im  August  bricht  er  aus  und  bleibt  bis  in  den  Herbst  blü- 
hend. Der  alexandrische  ist  am  besten;  diesen  bewahrt 
man,  dem  Stengel  entnommen,  auf,  und  es  bekommen  die 
welkgewordenen  Blumen  durch  Befeuchten  wiederum  ihre 
vorige  Frische,  daher  man  die  Winterkränze  daraus  macht. 


')  amarantus.  Amarantus  caudatus  L.  lifxaQuv&oc  des  Diocori- 
des  dagegen  ist  Gnaphalium  Stoechas  L.,  welches  goldgelbe  Blumen 
hat. 


86  Einundzwanzigstes  Buch. 

Seine  Eigenschafi,  nicht  (dauernd)  zu  verwelken,  gab  ihm 
den  Namen  i). 

24. 

In  den  Namen  Cyanus^)  und  Holochrysus^)  Hegt 
gleichfalls  ihre  Farbe.  Alle  diese  Blumen  waren  aber  zur 
Zeit  Alezanders  des  Grossen  noch  nicht  gebräuchlich,  son- 
dern fanden  offenbar  erst  später  Eingang,  denn  die  bald 
nach  seinem  Tode  lebenden  Schriftsteller  erwähnen  ihrer 
nicht.  Wer  möchte  aber  zweifeln,  dass  die  Griechen  sie 
zuerst  kennen  gelernt  haben,  da  man  sich  in  Italien  ihrer 
Namen  unverändert  bedient? 

25. 

Aber  das  Petilium  hat  in  Italien  seinen  Namen  be- 
kommen. Diese  Pflanze  wächst  im  Herbste  um  Dornsträu- 
che und  hat  nur  einigen  Werth  wegen  der  Farbe  ihrer 
Blüthe,  die  der  wilden  Rose  gleicht.  Die  Blätter  sind  klein 
und  stehen  zu  5.  An  der  Blume  ist  merkwürdig,  dass  die 
Blätter  an  der  Spitze  einwärts  gebogen  sind  und  nur  um- 
gedrehet  erscheinen.  Der  Kelch  ist  klein,  scheckig  und 
schliesst  einen  gelben  Samen  ein.  Auch  der  gelbe  Bellio*) 
trägt  kuchenartige  Bltithen,  welche  durch  55  Bärtchen  ge- 
krönt sind.  Diess  sind  Wiesenblumen,  welche  grösstentheils 
keinen  Nutzen  und  daher  auch  keinen  Namen  haben;  doch 
benennen  sie  Einige  so,  Andere  so. 

26. 

Die  Chrysocome^),  auch  Chrysitis  genannt,  hat 
keinen  lateinischen  Namen,  wird  eine  Palme  hoch,  trägt 
goldglänzende  feine  Blüthenbüschel ;  ihre  Wurzel  ist  schwarz 
und  schmeckt  süsslich  herbe.  Man  findet  sie  auf  steinigen 
und  schattigen  Plätzen. 

27. 

Nachdem   wir  nun   die  vornehmsten  Farben  abgehan- 


')  von  a  nicht  und  ixaQalvio  welken. 

^)  von  xvavoq:  blau.    Centaurea    Cyanus  L. 

')  von  oAo$:  ganz  und   )^Qvooq  golden.   Gnaphalium  Stoechas  L. 

•*)  BiUis  perennis  L. 

*)  Chrysocoma  Linosyris  L. 


Einundzwanzigstes  Buch.  87 

delt  haben,  wollen  wir  uns  zu  denjenigen  Kränzen 
wenden,  welche  nur  bunt  im  Gebrauche  sind.  Es  giebt 
2  Arten,  die  eine  besteht  aus  Bliithen,  die  andere  aus 
Blättern,  Die  Genisten  möchte  ich  eher  eine  Blume  nennen 
(denn  sie  trägt  gelbe),  desgleichen  die  Rhododendra  und 
die  Brustbeerensträuche,  welche  auch  cappadocische  genannt 
werden,  und  ähnlich  den  Blüthen  des  Oelbaums  riechen.  In 
Dornsträuchen  wächst  auch  das  Cyclamen,  von  dem  wir 
anderswo  1)  ausführlicher  sprechen  wollen,  und  dessen 
grosse  Blume  zu  Kränzen  genommen  wird. 

28. 

Zu  Kränzen  gebraucht  man  die  Blätter  der  Stech- 
winde und  des  Epheu,  und  ihre  Blüthenbüschel  stehen,  wie 
wir  bei  der  Beschreibung  der  Sträucher  ausführlich  gesagt 
haben  2) ,  gleichfalls  im  Ansehn.  Es  giebt  noch  andere 
Arten,  welche  ich  mit  griechischen  Namen  bezeichnen 
muss,  weil  die  Römer  es  sich  selten  angelegen  sein  Hessen, 
dafür  Namen  aus  ihrer  Muttersprache  zu  bilden.  Zwar 
wachsen  die  meisten  von  ihnen  in  andern  Ländern,  allein 
wir  müssen  sie  dennoch  berücksichtigen,  denn  unser  Zweck 
hier  ist  Beschreibung  der  Natur  und  nicht  bloss  Italiens. 

29. 

Es  werden  also  ferner  zu  Kränzen  genommen:  die 
Blätter  des  Melothron^),  der  Spiräa^),  des  Origauum, 
des  Cneorum,  welches  Hyginus  Casia-^)  nennt  und  einer 
anderen  Art  desselben:  Cunilago  oder  Couyzaß);  ferner  des 
Melissophyllum'')  oder  Apiastrum,  und  des  Melilotus^), 
welcher  campanischer  Kranz  genannt  wird.  Von  letzterm 
ist  nämlich  unter  den  italienischen  der  campanische ,  und 
unter  den  griechischen  der  sunische  der  beste,  dann  folgt 
der  chalcidische  und  cretische,  alle  aber  wachsen  in  rauhen 


»)  XXV.  B.  67.  Cap.    2)  XVI.  B.  62.  und  63.  Cap. 

3)  Chematis  Vitalba  L.? 

■*)  Ligustrum  vulgare?  oder  Viburnum.  Lantana? 

*)  Daphne  Gnidium  L. 

")  S.  32.  Cap.    '')  Melissa  altissima  Sibth. 

®)  Melüotus  neopolitana  Lam.  M.  vulgaris  L.  und  M.  cretica 


gg  Einundzwanzigstes  Buct. 

waldigen  Gegenden.  Dass  daraus  schon  seit  langer  Zeit 
Kränze  geflochten  werden,  beweist  sein  Name*).  Im  Ge- 
ruch und  der  Blüthe  ähnelt  er  dem  Safran ,  die  übrige 
Pflanze  ist  grau.  Je  kleiner  und  fetter  die  Blätter  sind, 
um  so  mehr  wird  er  geschätzt. 

30. 

Auch  das  Dreiblatt'^)  spendet  seine  Blätter  zu  Krän- 
zen. Es  giebt  davon  3  Arten;  die  eine  mit  grossen  Blät- 
tern, von  den  Griechen  die  kurze  Zeit  blühende  3),  von 
Andern  die  nach  Judenpech  riechende^)  genannt,  gebrauchen 
die  Kranzflechter.  Die  zweite  heisst  nach  der  Form  ihrer 
Blätter  die  spitzblättrige,  die  dritte  aber  ist  die  kleinste 
von  allen'').  Einige  unter  ihnen  haben  aderige  Stengel, 
wie  der  Fenchel,  Rossfenchel  und  der  Mäusetod^).  Man 
gebraucht  sie  in  Verbindung  mit  den  Zweigen,  Büscheln 
und  roihen  Blüthen  des  Epheu.  Eine  andere  Art  ist  der 
wilden  Rose  ähnlich.  Bei  ihnen  kommt  bloss  die  Farbe  in 
Betracht,  denn  Geruch  besitzen  sie  nicht.  Vom  Cneorum 
giebt  es  zwei  Arten,  eine  schwarze'')  und  weisse  ^);  letztere 
riecht  auch,  beide  aber  sind  vielästig  und  blühen  nach 
dem  Herbst-Aequinoctium.  Ebenso  viele  Arten  des  Origanum 
nimmt  man  zu  den  Kränzen,  die  eine  trägt  keinen  Samen 
und  die  andere,  welche  nicht  riecht,  heisst  kretischer  Dost''). 

31. 

Auch  der  Thymian^o)  hat  2  Arten,  eine  weisse  und 
schwärzliche.  Er  blühet  zur  Zeit  der  Sommerweude,  wo 
dann  die  Bienen  ihn  besuchen ,  und  giebt  uns  schon  eine 
Andeutung  über  die  zukünftige  Honigernte,  denn,  wenn  er 
reichlich  blühet,  so  hoffen  die  Bienenzüchter  auf  eine  gute 


^)  sertula. 

-)  trifolium.     ^)  minyanthes. 
^)  asplialtion.     Psoralea  bituminosa  L. 

*)  Die  zweite  und  dritte  Art  sind  wahrscheinlich  Meliloten. 
*)  myophonum.     ')  Passerima  hirsuta  L. 
^)  Daphne  Tartonraira  L.     ^)  Origanum  creticum  L. 
'•')  Thymus  vulgaris  L.,  dann  die  wohlriechende  Art  Thymus  inca- 
nus  Sibth. 


Einundzwanzigstes  Buch.  89 

Ausbeute.  Durch  starke  Regengüsse  leidet  er  und  ver- 
liert die  Blüthen.  Den  Samen  des  Thymian  sucht  man 
vergebens,  während  man  doch  den  des  Dostes,  wenn  er 
auch  sehr  klein  ist,  bemerken  kann.  Doch  was  thuts,  dass 
die  Natur  ihn  verborgen  hat?  denn  die  Blume  selbst  ist 
es  ja,  welche  durch  Aussäen  die  Pflanze  hervor- 
bringt. Was  haben  die  Menschen  nicht  alles  versucht? 
Der  attische  Honig  behauptet  unter  allen  Sorten  den  ersten 
Rang;  daher  holte  man  den  Thymian  aus  Attika,  und 
säete  mühsam  seine  Blüthen  aus.  Allein  ein  Umstand  stellte 
sich  hiebei  hindernd  in  den  Weg,  der  attische  Thymian  ge- 
deihet nämlich  nur  in  der  Seeluft.  Schon  lange  hatte  man 
diese  Ansicht  von  allen  Arten  Thymian,  und  deshelb 
wachse  er  auch  nicht  in  Arcadien.  Damals  glaubte  man 
auch,  der  Oelbaum  wachse  nicht  weiter  als  in  einer  Ent- 
fernung von  300  Stadien  vom  Meere.  Wir  wissen  aber, 
dass  jetzt  die  steinigen  Felder  in  der  narbonensischen 
Provinz  voll  Thymian  stehen,  und  dass  er  fast  der  einzige 
Nahrungszweig  der  dortigen  Bewohner  ist,  denn  aus  fernen 
Gegenden  wird  das  Vieh  zu  Tausenden  dahin  getrieben, 
um  den  Thymian  zu  fressen. 

32. 
Zu  Kränzen  gebraucht  man  ferner  2  Arten  Conyza, 
die  männliche  1)  und  die  weibliche  2),  welche  sich  durch  die 
Blätter  von  einander  unterscheiden.  Die  weibliche  Art  hat 
nämlich  dünne  und  schmale,  die  männliche  dagegen  schup- 
pige und  stark  aderige  Blätter.  Die  Blume  der  letztern 
glänzt  auch  mehr,  bei  beiden  kommt  sie  aber  spät,  näm- 
lich nach  dem  Scheinen  des  Arcturus.  Das  Männchen 
riecht  unangenehm,  das  Weibchen  scharf  und  eignet  sich 
daher  besser  zum  Gebrauch  gegen  die  Bisse  wilder 
Thiere.  Die  Blätter  des  Weibchens  riechen  wie  Honig. 
Die  Wurzel  des  Männchen  nennen  Einige  Libanotis,  wovon 
bereits  die  Rede  war  3). 


')  Erigeron  viscosus  L.     ^)  Erigeron  graveolens  L. 
3)  Im  XIX.  Buche  62.  Cap. 


90  Einund zwanzigstes  Buch. 

33. 
Zu  Kränzen  bedient  man  sieh  nur  der  Blätter  von 
folgenden  Arten:  Jupitersblume^),  Majoran,  Hemero- 
callis^),  Abrotanum,  Helenium^),  Sisymbrium,  Quendel, 
welche  alle,  gleich  der  Rose,  holzig  sind.  Die  Jupiters- 
blume ist  nur  wegen  ihrer  Blume  beliebt,  denn  Geruch  be- 
sitzt sie  nicht;  ebenso  diejenige  Pflanze,  welche  den  grie- 
chischen Namen  Phlox 4)  hat.  Mit  Ausnahme  des  Quendel, 
sind  die  Zweige  und  Blätter  der  genannten  Arten  wohl- 
riechend. Das  Helenium  soll  aus  den  Thränen  der  He- 
lena entstanden  sein,  daher  wächst  auch  das  beste  auf  der 
Insel  Helene;  es  ist  ein  Strauch  mit  spannenlangen  auf 
der  Erde  liegenden  Zweigen  und  quendelartigen  Blättern. 

34. 

Das  Abrotanum^)  riecht  angenehm  aber  stark,  und 
trägt  eine  goldfarbige  Blüthe.  Das  unfruchtbare  wächst 
wild,  und  pflanzt  sich  durch  die  Spitzen  fort.  Mau  bauet 
es  aber  zweckmässiger  aus  dem  Samen,  als  aus  der  Wur- 
zel und  aus  Ablegern,  was  jedoch  einige  Mühe  kostet;  die 
jungen  Pflänzchen  werden  versetzt.  Ebenso  verfährt  man 
mit  der  Adonis^);,  und  zwar  bei  beiden  im  Sommer,  denn 
sie  sind  empfindlich  gegen  die  Kälte,  leiden  indessen  auch 
von  zu  starker  Sommerhitze;  wo  sie  aber  einmal  aufge- 
kommen sind,  breiten  sie  sich  gleich  der  Raute  aus.  Das 
Leucanthemum^)  riecht  ähnlich  wie  das  Abrotanum,  und 
trägt  eine  weisse  blattreiche  Blume. 

35. 

Den  Majoran  nennen  der  Arzt  Diocles  und  das  sicilia- 
nische  Volk  Amaracus  ^),  die  Aegypter  und  Syrier  Samp- 


')  rios  Jovis.  Dianthus  arboreus  Sibtb.    -)  HemerocoUis  fulva. 

')  Hier  ist  Thymus  incanus  Sibth  gemeint,  nicht  Inula  Helenium. 

■*)  Silene  vespertina  Retz  und  ähnliche  Arten. 

^)  Artemisia  Abrotanum  L.  S.  auch  92.  Cap. 

®)  Adonis  antumnalis  L.    '')  Matricaria  Chamomilla? 

*)  Origanum  Majorana  L. 


Einundzwanzigstes  Buch.  91 

suchus.  Man  bauet  ihn  auf  zweierlei  Weise,  durch 
Samen  und  Ableger,  er  wächst  rascher  als  die  vorherge- 
nannten Arten  und  riecht  angenehmer,  trägt  ebenso  zahl- 
reiche Samen  wie  das  Abrotanum,  aber  letzteres  hat  eine 
tief  in  die  Erde  gehende  Wurzel,  während  diese  bei  den 
übrigen  nur  mit  einer  dünnen  Erdschicht  bedeckt  ist.  Die 
übrigen  werden  mit  Beginn  des  Herbstes,  oder  auch  an 
Plätzen,  wo  Schatten,  Feuchtigkeit  und  Dünger  ist,  im 
Frtihlinge  gesäet. 

36. 
Die  Nachtblume  ^)  gehört  zu  den  wenigen  Gewächsen 
welche  Democritus  bewundert  hat;  sie  ist,  wie  er  sagt, 
feuerfarbig,  hat  Blätter  wie  Dornen,  erhebt  sich  nicht  hoch 
über  die  Erde,  und  gedeihet  am  besten  in  Gedrosien.  Man 
zieht  sie  nach  dem  Frühlings- Aequinoctium  mit  der  Wurzel 
aus,  trocknet  sie  30  Tage  lang  am  Monde,  und  ertheilt  ihr 
dadurch  die  Eigenschaft  bei  Nacht  zu  leuchten.  Die  Ma- 
gier und  parthischen  Könige  sollen  sich  derselben  bei  Aus- 
sprechung von  Gelübden  bedienen.  Man  nennt  sie  auch 
Gänseschreck 2),  weil  die  Gänse  bei  ihrem  Anblick  in 
Furcht  gerathen ;  Andere  nennen  sie  Nachtlicht  3)  weil  sie 
des  Nachts  von  ferne  leuchtet. 

37. 
Der  Melilotus^)   wächst   überall,   der  beste  aber  in 
Attica;  frisch  ist  er  gewöhnlich  nicht  weiss,   sondern  sieht 
dem  Safran  sehr  ähnlich,  doch  kommt  in  Italien  auch  wei- 
sser vor  und  dieser  riecht  besser. 

38. 
Die  erste  unter  den  Blumen,  welche  den  Frühling 
verkündigen,  ist  die  weisse  Viole;  in  wärmern  Gegenden 
bricht  sie  auch  im  Winter  hervor.  Hernach  kommt  die 
purpurrothe,  dann  die  brennende,  welche  auch  Phlox  heisst 
und  nur  wild  wächst.  Das  Cyclamen  blüht  zweimal  des 
Jahres,   im  Frühlinge  und  Herbste,  denn  der  Sommer  und 


')  nyctegretum,  nach  Harduin:  Lunaria. 

')  chenomyehe.    ^)  nyctalops.    ■*)  S.  29.  Cap. 


92  Einundzwanzigates  Buch. 

Winter  ist  ihm  nicht  zuträglich.  Etwas  später  erscheinen 
die  überseeische  Narcisse  und  Lilie,  iu  Italien  aber  erst 
nach  der  Rose,  wie  wir  gesagt  haben  i).  Noch  später  kommt 
in  Griechenland  die  Anemone,  ein  wildes  Zwiebelgewächs 
und  nicht  zu  verwschseln  mit  derjenigen,  von  welcher  wir 
bei  den  Arzneien  reden  werden  2).  Nun  folgt  die  Oenan- 
the^),  das  Melianthum^),  unter  den  wilden  das  Helio- 
chrysum^)  ferner  eine  andere  Art  Anemone,  welche  Li- 
monia^)  heisst,  der  Gladiolus^),  die  Hyacinthe  ^)  und 
endlich  die  Rose.  Letztere  blüht  auch,  mit  Ausnahme  der 
angebaueten,  am  frühesten  ab;  unter  den  übrigen  hält  sich 
die  Hyacinthe,  weisse  Viole  und  Oenanthe  am  längsten, 
doch  letztere  nur,  wenn  mau  durch  häufiges  Abschneiden 
die  Bildung  des  Samens  verhindert.  Sie  wächst  an  war- 
men Plätzen,  und  hat  ihren  Namen  0)  daher,  dass  sie  wie 
die  Blüthe  des  Weiustocks  riecht.  Au  die  Hyacinthe  knüpfen 
sich  zwei  Fabeln;  nach  der  einen  nämlich  zeigt  sie  die 
Trauer  des  Jünglings,  welchen  Apollo  liebte;  nach  der  an- 
dern ist  sie  aus  dem  Blute  des  Ajax  entstanden,  denn  die 
x\dern  ihrer  Blüthe  sind  so  gestellt,  als  wenn  die  griechi- 
schen Buchstaben  A  I  darauf  geschrieben  wären.  Das 
Heliochrysum  hat  goldfarbige  Blüthen,  zarte  Blätter  und 
einen  dünnen  aber  harten  Stengel.  Hiermit  bekränzen  sich 
die  Magier,  und  sagen,  wenn  man  Salben  aus  Gold  bereitet, 
welches  noch  nicht  am  Feuer  gewesen  ist,  dazu  nähme,  so 
verstriche  das  Leben  angenehm  und  ruhmvoll.  Soweit  die 
Frühlingsblumen. 

39. 
Es  folgen  nun   die   Sommerblumen:   die   Lychnis, 
Jupitersblume,  die   zweite  Art  der  Lilie,  das  Tiphyumi")^ 

')  Im  11.  und  12.  Cap. 

•-)  Im  94.  Cap. 

^)  Phytolacca  decandra  L.?  oder  Spiraea  Ulmaria  L.? 

^)  Nigella  sativa  L.?    ^)  Gnaphalium  Stoechas  L. 

'')  Anemone  coronaria  L. 

')  Gladiolus  communis  L.     »)  Gladiolus  segetum  Gawl. 

'••)  von  oLVOq  und  avöoq.     '•>)  Scilla  antumnalis  L.? 


Einundzwanzigstes  Buch.  93 

der  phrygische  Majoran.  Am  ansehnlichsten  aber  ist  der 
Pothos,  wovon  es  2  Arten  giebt.  die  eine  mit  hyaciuthar- 
tiger'),  und  die  andere  mit  weisser  2)  Bltithe,  letztere  auf 
Hügeln  und  von  längerer  Dauer,  Auch  die  Jris  blühet  im 
Sommer.  Diese  welken  und  sterben  ab,  andere  kommen 
im  Herbste  wieder  hervor.  Die  dritte  Art  der  Lilie  und 
beide  Arten  Safran,  von  denen  die  eine  riecht,  die  andere 
nicht,  brechen  bei  den  ersten  Eegenschauern  aus.  Die 
Kranzflechter  bedienen  sich  auch  der  Dornblüthe;  von  dem 
weissen  Dornstrauch  werden  die  zarten  Stengel  eingemacht 
und  als  ein  Leckerbissen  verspeist.  Diess  ist  die  Reihen- 
folge des  Aufbrechens  der  überseeischen  Blüthen.  In  Italien 
folgt  auf  die  Violen  die  Rose,  dazwischen  kommt  die  Lilie, 
nach  der  Rose  die  Kornblume  und  nach  dieser  der  Ama- 
rant. Die  Vincapervinca  3)  grünt  ununterbrochen,  ist 
an  den  Knoten  von  den  Blättern  gleich  einer  Schnur  um- 
gürtet, ein  Kraut  der  Kunstgärtner,  und  ersetzt  mitunter 
den  Mangel  an  Blumen.  Die  Griechen  nennen  sie  Chamae- 
daphne. 

40. 
Am  längsten  hält  sich  die  Viole,  nämlich  3  Jahre  hin- 
durch; später  artet  sie  aus.  Die  Rose  dauert  5  Jahre  aus, 
ohne  geschnitten  und  gebrannt  zu  werden;  durch  diese 
Operationen  wird  sie  nämlich  wieder  verjüngt.  Doch  hat 
auch,  wie  wir  gesagt  haben  4),  das  Erdreich  grossen  Ein- 
fluss,  denn  in  Aegypten  sind  alle  diese  Gewächse  geruch- 
los, und  bloss  die  Myrten  riechen  dort  stark.  In  manchen 
Gegenden  findet  das  Ausschlagen  2  Monate  früher  statt. 
Rosengärten  müssen  zu  Anfang  des  Frühlings  und  mitten 
im  Sommer  umgegraben,  und  in  der  Zwischenzeit  gegätet 
werden. 

4L 

Doch  Garten-  und  Kranzblumeu  passen  am  besten  für 


')  Silene  Sibthorpiana  Rchb. 

2)  Silene  Otites  L.     ^)  Vinca  minor  L. 

*)  Im  10.  Cap. 


94  Einundzwanzigstes  Buch. 

die  Bienen  und  die  Bienenzucht,  —  ein  Geschäft,  welches 
im  günstigen  Falle  viel  Gewinn  bringt.  Zu  diesem  Zwecke 
muss  man  Thymian,  Apiastium,  Kosen,  Violen,  Lilien,  Cy- 
tisus,  Bohnen,  Wicken,  Saturei,  Mohn,  Conyza,  Casia,  Stein- 
klee, Melissophyllum  und  Wachsblumen  i)  bauen.  Letz- 
tere ist  ein  ellenhohes  Kraut  mit  weissen  krummen  Blättern 
und  einer  hohlen  Blumenkrone,  worin  sich  ein  honigartiger 
Saft  befindet.  Die  Bienen  sind  nach  diesen  Blumen,  und, 
was  zu  bewundern,  auch  nach  denen  des  Senfs  sehr  be- 
gierig, während  sie  bekanntlich  die  des  Oelbaumes  nicht 
anrühren;  daher  steht  dieser  Baum  besser  nicht  zu  nahe 
bei  den  Bienenstöcken,  während  man  andere,  wodurch  die 
ausfliegenden  Schwärme  angelockt  werden,  zweckmässig  in 
ihre  Nähe  pflanzt,  damit  sie  keinen  zu  weiten  Weg  zu 
machen  brauchen. 

42. 

Auch  die  Kornelkirsche  muss  man  aus  der  Nähe  der 
Bienen  bringen,  denn  wenn  sie  deren  Blumen  aussaugen^ 
so  bekommen  sie  den  Durchfall  und  sterben.  Man  heilt 
sie  wieder,  wenn  man  ihnen  gestossene  Ariesbeeren  mit 
Honig,  oder  Urin  vom  Menschen  oder  Ochsen,  oder  Granat- 
apfelkörner mit  amineischem  Weine  benetzt  vorsetzt.  Am 
besten  zur  Pflanzung  um  die  Bienenstöcke  passt  der  Ginster. 

43. 

Wunderbar  und  mittheilungswürdig  ist,  was  ich  von 
der  Ernährung  der  Bienen  erfahren  habe.  Am  Po  liegt 
ein  Dorf  Hostilia.  dessen  Einwohner,  weil  es  rings  umher 
an  Futter  gebricht,  die  Bienenkörbe  auf  Schiffe  setzen  und 
sie  bei  Nacht  5000  Schritte  weit  gegen  den  Strom  hiuan- 
fahren.  Mit  Anbruch  des  Tages  fliegen  die  Bienen  aus^ 
sammeln  ein  und  kehren  täglich  zu  den  Schiffen  zurück ; 
letztere  wechseln  ihren  Ankerplatz  so  lange,  bis  die  Stöcke 
voll  sind,  worauf  zurückgefahren  und  der  Honig  ausgenom- 
men wird.  Aus  gleicher  Ursache  führt  man  sie  in  Spanien 
auf  Mauleseln  aus. 


')  cerinthe.    Cerinthe  major  und  minor  L. 


Einundzwanzigstes  Buch.  95 

44. 
Das  Futter  ist  so  verschieden,  dass  sogar  giftiger 
Honig  daraus  entstehen  kann.  Zu  Heraclea  im  Pontus 
ist  er  in  manchen  Jahren  höchst  schädlich,  obgleich  er 
immer  von  ein  und  denselben  Bienen  zubereitet  wird.  Kein 
Autor  giebt  an,  welche  Blumen  schuld  daran  sind;  ich  will 
daher  meine  Erfahrungen  darüber  mittheilen.  Es  giebt 
ein  Kraut,  welches  von  der  tödtlichen  Wirkung  auf  das 
Hornvieh  und  namentlich  die  Ziegen,  Ziegenpest  *)  ge- 
nannt wird.  Wenn  dessen  Blumen  in  einem  nassen  Frilh- 
linge  welk  werden,  so  erzeugt  sich  ein  schädliches  Gift  in 
ihnen;  daher  tritt  auch  das  Uebel  nicht  jedes  Jahr  auf. 
Man  erkennt  den  giftigen  Honig  daran,  dass  er  nicht  dick 
wird,  eine  mehr  röthliche  Farbe  besitzt,  fremdartig  riecht. 
Niesen  erregt  und  schwerer  als  der  nicht  giftige  ist.  Men- 
schen, welche  davon  gegessen  haben,  werfen  sich  auf  die 
Erde  nieder  und  suchen  sich  abzukühlen,  denn  sie  triefen 
von  Schweiss.  Es  giebt  viele  Hülfsmittel  dagegen,  wel- 
che wir  gehörigen  Orts  anführen  werden.  Um  aber  doch 
wegen  der  Grösse  der  Gefahr  sogleich  mit  einigen  bekannt 
zu  machen,  so  bemerken  wir,  dass  alter,  aus  dem  besten 
Honig  bereiteter  Meth  nebst  Raute  gut  dagegen  ist,  ferner 
eingesalzene  Fische,  doch  dürfen  diese  nicht  oft  gegessen 
werden,  weil  sie  dann  schaden.  Gewiss  ist  auch,  dass 
diess  Gift  durch  die  Excremente  auf  Hunde  übergehen  und 
sie  ebenso  quälen  kann.  Doch  thut  der  Geuuss  von  Meth, 
welcher  aus  dergleichen  Honig  bereitet  war  und  längere 
Zeit  gelagert  hat,  keinen  Schaden,  und  mit  Kostus  ange- 
wandt soll  nichts  besser  für  die  Haut  der  Frauen  sein; 
mit  Aloe  aber  legt  man  ihn  auf  Stossbeulen. 

45. 

Bei  den  Saunern,  deren  Gebiet  ebenfalls  im  Pontus  liegt, 

kommteineandere  Art  Honig  vor,  welcher  Raserei  bewirkt 

und  deshalb  der  rasende  genannt  wird.    Die  Ursache  seiner 

schädlichen  Eigenschaft  sollen  die  Blüthen  des  Rhododendron  2) 

')  aegolethron,  von  ca§  und  okeÖQoq.  Azalea  pontica  L. 
^)  Nerium  Oleander  L. 


96  Einundzwanzigstes  Buch. 

sein,  welches  dort  häufig  in  den  Wäldern  wächst.  Jenes 
Volk  bringt  den  Römern  das  Wachs  als  Tribut,  den  Honig 
aber  verkauft  es  nicht,  weil  er  giftig  ist.  Auch  in  Persien 
und  in  der  zum  cäsariensischen  Mauritanien  gehörigen 
Landschaft  Gätulien,  welche  an  das  Gebiet  der  Massäsyler 
grenzt,  giebt  es  giftigen  Honig,  doch  nicht  durchgängig; 
und  nicht  leicht  existirt  etwas,  was  trügerischer  wäre  als 
solcher  Honig,  denn  nur  am  Ansehen  kann  man  ihn  er- 
kennen. Was  für  einen  Zweck  mag  die  Natur  dabei  im 
Auge  haben,  dass  ein  und  dieselben  Bienen  nicht  jedes  Jahr 
und  nicht  in  allen  Stöcken  giftigen  Honig  bereiten?  Wäre 
es  nicht  genug,  dass  sie  etwas  erzeugte,  worin  am  leich- 
testen Gift  beigebracht  wird,  und  musste  sie  es  noch  im 
Honig  so  vielen  Thieren  verleihen?  Was  wollte  sie  anders, 
als  die  Menschen  vorsichtiger  und  weniger  begierig  machen? 
Denn  gab  sie  nicht  schon  den  Bienen  selbst  Stacheln  und 
sogar  giftige?  Um  diese  Stiche  zu  heilen,  ist  es  am  besten, 
den  Saft  von  Malven  oder  Epheublättern  einzureiben,  oder 
dieselben  zu  stossen  und  einzunehmen.  Merkwürdig  bleibt 
es  aber,  dass  Thiere,  welche  Gift  im  Munde  tragen  und  es 
erzeugen,  nicht  daran  sterben;  doch  verlieh  die  Beherr- 
scherin aller  Dinge  den  Bienen  jenes  Vertheidigungsmittel, 
sowie  unter  den  Menschen  den  Psyllern  und  Marsern  ein 
solches  gegen  die  Schlangen. 

46. 

Eine  andere  merkwürdige  Art  Honig  kommt  in  Greta 
vor.  Auf  dieser  Insel  liegt  der  9000  Schritte  im  Umfange 
haltende  Berg  Carina,  an  welchem  keine  Fliegen  ge- 
troffen werden,  die  den  dort  erzeugten  Honig  anrühren. 
Aus  diesem  Grunde  wählt  man  den  letztern  gern  zu  Arzneien. 

47. 

Die  Bienenstöcke  müssen  gegen  Osten  hin  stehen, 
denn  der  Nordost-  und  Westwind  ist  ihnen  uachtheilig. 
Die  besten  Bienenkörbe  macht  man  aus  Baumrinde,  eine  zweite 
Sorte  aus  Ruthen,  eine  dritte  aus  dünnen  Reisern;  Manche 
haben  auch  welche  aus  Marienglas  angefertigt,  um  die  Thiere 
bei  ihrer  Arbeit  beobachten  zu  können.    Es  ist  sehr  zweck- 


Einundzwanzigstes  ßu(;h.  97 

massig,  die  Körbe  mit  Kuhmist  zu  umgeben  und  den  Deckel 
hinten  und  verschiebbar  anzubringen,  um  ihn  hineinschieben 
zu  können,  wenn  der  Korb  zu  gross  ist  oder  nicht  viel  durch 
die  Arbeit  beschafft  wird,  damit  die  Bienen  nicht  aus  Ver- 
zweiflung träge  werden;  nimmt  ihr  Fleiss  zu,  so  kann  man 
den  Deckel  allmäh lig  wieder  nach  Aussen  ziehen.  Im  Winter 
muss  man  die  Körbe  mit  Stroh  bedecken,  und  öfters,  na- 
mentlich mit  Kuhmist  räuchern;  letzterer  eignet  sich  des- 
halb sehr  gut  dazu,  weil  er  die  etwa  aufgekommenen  fremd- 
artigen Thiere  als  Spinnen,  Schmetterlinge,  Maden  tödtet, 
die  Bienen  selbst  aber  ermuntert.  Die  Spinnen  sind  nicht 
so  schädlich  als  die  Schmetterlinge:  diese  vertreibt  man 
aber,  wenn  man  zur  Zeit  der  Malvenblüthe,  bei  Nacht, 
Neumond  und  heiterem  Himmel  vor  die  Körbe  ein  bren- 
nendes Licht  hält,  in  welches  sie  hineinfliegen. 

48. 

Glaubt  man,  dass  es  den  Bienen  an  Nahrung  fehle,  so 
muss  man  vor  die  Oeffnungen  trockene  Rosinen  und  zer- 
stossene  Feigen,  auch  mit  Rosinenwein  abgesottenen  Wein 
oder  mit  Meth  getränktes  Wollenzeug,  sowie  rohes  Hühner- 
fleisch legen.  Auch  ist  man  in  manchem  Sommer  genöthigt, 
ihnen  diese  Speise  zu  geben,  wenn  sie  wegen  anhaltender 
Dürre  in  den  Blumen  keine  Nahrung  finden.  Soll  der  Honig 
ausgenommen  werden,  so  muss  man  das  Flugloch  der  Körbe 
mit  zerstossenem  Melissophyllum  oder  Ginster  verstopfen, 
oder  dieselben  in  der  Mitte  mit  weissen  Weinruthen  um- 
binden, damit  die  Bienen  nicht  davonfliegen.  Um  einen 
vortrefflichen  Essig  zu  bekommen,  soll  man  die  Honiggefässe 
und  Waben  mit  Wasser  abwaschen,  und  diese  Flüssigkeit 
einkochen. 

49. 

Das  Wachs  erhält  mau  durch  Auspressen  der  Waben; 
man  reinigt  nämlich  dieselben  zuvor  mit  Wasser,  trocknet 
sie  3  Tage  lang  an  einem  finstern  Orte,  bringt  sie  am 
vierten  Tage  in  einem  neuen  irdenen  Geschirr  mit  Wasser 
bedeckt  aufs  Feuer  und  seihet  durch  Körbe.  Das  Wachs 
wird  nun  abermals    in  demselben  Geschirr    und    mit   dem- 

Wittstein:  Plinius.     IV.  Bd.  ' 


9  g  Einundzwauzigstes  Buch. 

selben  Wasser  gekocht  und  in  ein  anderes,  mit  Honig  aus- 
gestrichenes kaltes  Geschirr» gegossen.  Die  heste  Sorte  ist  das| 
punische,  dann  folgt  das  dunkelgelbe,  nach  Honig  riechende, 
welches  aus  Pontus  kommt  und  vom  giftigen  Honig  ab- 
stammt, hierauf  das  cretische,  worin  viel  Verstoss  (dessen 
wir  bei  Beschreibung  der  Bienen  gedacht  haben  i)  enthalten 
ist.  Nächstdem  das  corsikanische,  welchem  man,  weil  es 
vom  Buxbaum  bereitet  wird,  mediciuische  Kräfte  zuschreibt. 
Das  punische  Wachs  wird  auf  folgende  Art  bereitet:  das 
dunkelgelbe  Wachs  legt  man  oft  an  die  frische  Luft,  siedet 
es  dann  in  Seewasser,  was  aus  der  Tiefe  geholt  ist,  mit 
Zusatz  von  Natron,  schöpft  mit  einem  Löffel  die  Blume  d.  i. 
den  weissesten  Theil  ab,  und  giesst  in  ein  Gefäss,  worin 
sich  etwas  kaltes  Wasser  befindet.  Mau  kocht  es  nun 
abermals  mit  Seewasser  allein,  und  kühlt  das  Gefäss  selbst 
ab;  wenn  diese  Operation  dreimal  gescheheu  ist,  trocknet 
man  es  auf  Binsenhiirden  unter  freiem  Himmel  bei  Sounen- 
und  Mondeschein  (denn  der  Mond  macht  es  weiss,  die  Sonne 
trocknet  es)  und  bedeckt  es  mit  dünner  Leinwand,  damit 
es  nicht  flüssig  wird.  Am  weissesten  wird  aber  das  Wachs, 
wenn  man  es  nach  dem  Bleichen  noch  einmal  kocht.  Das 
punische  eignet  sich  am  besten  zur  medicinischen  Anwen- 
dung. Zusatz  von  Papierasche  macht  das  Wachs  schwarz, 
Ochsenzungenwurzel  roth;  durch  verschiedene  Zusätze  er- 
zeugt man  allerlei  Farben,  um  Aehnlichkeiten  mit  andern 
Dingen  zu  erzielen;  die  Menschen  machen  zahlreiche  Anwen- 
dungen davon,  schützen  auch  die  Wände  und  Waffen  damit. 
Was  sonst  noch  vom  Honig  und  den  Bienen  zu  wissen  nöthig 
ist,  haben  wir  bereits  am  gehörigen  Orte  mitgetheilt.  Und 
soweit  wäre  auch  die  Lehre  von  den  Gärten  und  ihren  Ge 
wachsen  fast  ganz  vollständig  geschlossen. 

50. 
Es  folgen  nun  die  wildwachsenden  Kräuter,  deren 
sich  die  meisten  Völker  zur  Speise  bedienen,  namentlich  die 
Aegypter,  deren  Land  schon  so  reich  an  Getreide  ist,  ob- 


«)  Im  XI.  Buche,  6.  Cap. 


Einundzwanzigstes  Buch.  99 

gleich  sie  desselben  bei  dem  grossen  Ueberfluss  an  Gemüse- 
kiäutern  fast  gänzlich  entbehren  könnten.  In  Italien  kenneu 
wir  nur  wenige,  als  Erdbeeren i),  Tamnus^),  Ruscus^ 
Meer-Batis3),  Garten-Batis*),  welchen  Einige  gallischen 
Spargel  nennen,  ferner  Wiesen-Pastinak^)  und  Weiden- 
Hopfen"),  welcher  eher  eine  Leckerei  als  Speise  ist, 

51. 
In  Aegypten  wird  die  Colocasia^)  welche  Einige 
Cyamos  nennen,  sehr  hoch  geschätzt.  Man  holt  sie  aus  dem 
Nile;  der  Stengel  wird  gekocht,  zeigt  aber  beim  Kauen 
etwas  Sandiges;  der  zwischen  den  Blättern  hervorragende 
Blüthenbtischel  ist  sehr  gross,  die  Blätter  haben  in  Vergleich 
mit  Baumblättern,  eine  bedeutende  Oberfläche,  und  gleichen 
denjenigen,  welche  in  unsern  Flüssen  vorkommen  nnd  mas- 
kirte  genannt  werden.  Die  Aegypter  schätzen  die  Gaben 
ihres  Nils  so  sehr,  dass  sie  z.  B.  die  Blätter  der  Colocasia 
in  allerhand  Formen  von  Trinkgeschirreu  bringen  und  sich 
mit  grosser  Vorliebe  solcher  zum  Trinken  bedienen.  Jetzt 
bauet  man  sie  auch  schon  in  Italien. 

52. 
Zunächst  im  Werthe  steht  in  Aegypten  die  Cichorie, 
welche  wir  wilden  Intubus  genannt  haben.  Sie  entsteht 
nach  dem  Scheine  des  Siebengestirns  und  blühet  stellen- 
weise. Die  Wurzel  wird  wegen  ihrer  Zähigkeit  zum  Binden 
gebraucht.  Das  Anthalium^)  wächst  weiter  vom  Flusse  ab, 
trägt  Früchte  von  der  Grösse  und  Gestalt  der  Mispel,  aber 
ohne  Kern  und  Kelch,  und  seine  Blätter  gleichen  denen  des 
Cypergrases.  Am  Feuer  zubereitet  geniesst  man  es  gleich 
dem  Kraute  Oetum,  welches  nur  wenige  und  sehr  gleiche 
Blätter,  aber  eine  grosse  Wurzel  hat.  Auch  isst  man  dort 
die  Kräuter  Arachidna^)  und  Ar acosio)^  welche  zahlreich 


•)  Fraga.  Fragaria  vesca  L.    -)  Tamus     communis  L. 

^)  batis  marina.  Chrithmum  maritimum  L.     "*)  Crambe  maritima? 

*)  Pastinaca  sativa  L.?  ß)  lupus  salictarius.   Humulus  Lupulus  L. 

')  Nicht  Arum  Colocosia,  sondern  Nymphaea  Nelumbo  L. 

•)  Cyperus  esculentus  L.    *)  Arachis  hypogaea  L. 

"•)  Lathyrus  tuberosus  L. 


100  Einundzwanzigstes  Buch. 

verästelte  Wurzeln,  aber  weder  Blätter  noch  sonst  etwas  über 
der  Erde  befindliebes  tragen.  Die  Namen  der  übrigen  bei 
ibnen  als  Speise  gebräuchlicben  Kräuter  sind:  Condrilla  i), 
Hypobaeris2),  Caucalis^),  Anthriscus^),  Scandix  5), 
welche  von  andern  Tragopogon^)  genannt  wird  und  Blätter 
wie  der  Safran  hat,  Parthenium^),  Strychnum^),  C  or- 
chorus'^)  und  die  zur  Zeit  der  Tag-  und  Nachtgleiche  wach- 
sende Aphaceio)^  Acinos")  und  das  sogenannte  Epi- 
petroni2),  welches  niemals  blühet.  Am  Acinos  dagegen 
bricht  den  ganzen  Winter  und  Frühling  hindurch  bis  zum 
Sommer,  sobald  eine  Blüthe  welk  wird,  eine  andere  hervor. 

53. 
Ausserdem  giebt  es  dort  viele  unansehnliche  Kräuter,  in 
grossem  Ansehen  steht  aber  der  in  Italien  unbekannte  Cni- 
cus,  dessen  man  sich  zwar  nicht  zur  Speise,  wohl  aber  zur 
Bereitung  eines  Oels  bedient.  Den  nächsten  Unterschied  macht 
man  zwischen  dem  wilden  und  angebaueten.  Von  dem  wilden 
giebt  es  2  Arten,  die  eine  fühlt  sich  milde  an,  ihr  Stengel 
auch,  ist  aber  steif  und  diente  vormals  den  Frauen  zu  Spin- 
deln, wesshalb  einige  sie  auch  Spiudelkraut^^)  nennen;  der 
Same  ist  weiss,  gross  und  bitter.  Die  andere  Art^^)  ist  rauh, 
der  Stengel  knotig  und  liegt  fast  auf  der  Erde,  der  Same 
klein.  Diess  Gewächs  gehört  zu  den  stachlichteu,  denn  auch 
solche  Arten  muss  man  unterscheiden. 

54. 
Es  giebt  nämlich  Gewächse  mit  Stacheln  und  solche 
ohne  Stacheln,  und  von  den  erstem  haben  wir  viele  Arten. 
Ganz  stachelig  sind  der  Spargel  und  das  Scorpionkraut  i^), 


»)  Chondrilla  s.  XXII.  B.  45.  Cap. 
2)  Hyoseris  lucida?    ^)  Pimpinella  Saxifraga  L. 
^)  Scaudix  australis  L.     ^}  Scandix  Pecten  L. 
^)  Tragopogon  porrifoLius  L.   also  eine  ganz  andere  Pflanze  wie 
Scandix.     '')  Matricaria  Parthenium  L.     ^)  S.  105  Cap. 
")  Auagallis  arvensis  L.     ^°)  Vicia  Cracca  L. 
'M  Thymus  acinos  L.     *^)  Frankenia  pulverulenta  L. 
")  atractjlis.    Carthamus  lanatus  L. 
'■')  Cnicus  benedictus  Vaill. 
'5)  Genista  acanthoclada  Sni. 


Einundzwanzigstes  Buch.  101 

denn  ihnen  fehlen  die  Blätter.  Einige  haben  stachelige 
Blätter,  "wie  Carduus,  Mannstreu i),  Süssholz^),  Nessel; 
an  den  Blättern  aller  dieser  Pflanzen  befinden  sich  scharfe 
Stacheln.  Einige  haben  auch  neben  den  Stacheln  die 
Blätter,  wie  der  Tribulus^)  und  die  Ononis^).  Andere 
haben  die  Stacheln  an  den  Blättern  und  am  Stengel  wie 
die  Phleos»),  die  auch  den  Namen  Stoebe  führt.  Die  Hip- 
pophaes6)  trägt  die  Stacheln  an  den  Gelenken;  der  Tri- 
bulus  sogar  auch  an  der  Frucht. 

55. 
Unter  allen  diesen  Arten  ist  die  Urtica  am  bekann- 
testen; sie  wird  oft  zwei  Ellen  hoch,  und  in  ihrer  Blüthe 
entwickelt  sich  ein  Acetabulum  voll  purpurrother  Wolle. 
Es  giebt  mehrere  Arten:  eine  wilde  ^),  welche  auch  das 
Weibchen  heisst,  ist  milder,  eine  andere,  auch  Hundsnessel  ^) 
genannt,  ist  schärfer,  der  Stengel  besitzt  gleichfalls  Schärfe 
und  die  Blätter  sind  gefranzt.  Die  Art  aber,  welche  riecht, 
heisst  die  herculanische'').  Alle  tragen  zahlreiche,  schwarze 
Samen.  Merkwürdig  ist,  dass  nicht  bloss  die  Stacheln  son 
dern  auch  die  Wolle  gefährlich  ist,  und  bei  der  leisesten 
Berührung  Jucken  und  Blasen  wie  beim  Verbrennen,  erzeugt. 
Ein  bekanntes  Hülfsmittel  dagegen  bietet  Oel.  Durch  das 
Kraut  selbst  entsteht  nicht  allemal  gleich  ein  Brennen, 
sondern  erst  dann,  wenn  es  durch  die  Sonnenhitze  steif  ge- 
worden ist.  Zur  Zeit  des  Frühlings,  wo  es  sich  erst  ent- 
wickelt, ist  es  eine  nicht  unangenehme  Speise,  von  der 
Viele  glauben,  dass  sie  das  ganze  Jahr  hindurch  vor  Krank- 
heiten schütze.  Die  Wurzeln  der  wilden  Arten  sind  un- 
schädlich, und  mit  dem  Stengel  gekocht  machen  sie  diesen 
zarter.  Diejenige  Art,  welche  nicht  sticht,  heisst  taube 
Nessel^o),  Vom  Scorpionkraut  werde  ich  bei  den  Arz- 
neien handeln  11). 

')  Eryngiuni-Axten.  '^)  Glycyrrhiza.  G.  echinata  und  G.   glabra  L. 
3)  Tribulus  ten-estris  L.    ^)  Ononis  antiquorum  L. 
*)  Poterium  spinosum  L.  ^)  Euphorbia  spinosa  L.,  nicht  unsere 
Hippophae  rhamnoides  L.     ')  Urtica  urens  L.     *)  Urtica  dioica  L. 
^j  Urtica  püulifera  L. 
'")  lamiuni.  Lamium  albuni  L.     '*)  Im  XXII.  Buche,  17.  Cap. 


102  Einundzwanzigstes  Buch. 

56. 
Carduus,  Acornai),  Leucacanthus^),  Cbalceus^), 
Cnieus,  Polyacanthus,  Onopyxus,  Helxine*)  und  Sco- 
lymus^)  haben  stachelwoUige  Blätter  und  Stengel.  Das 
Chamaeleon^)  hat  keine  Stacheln  an  den  Blättern.  Diese 
Gewächse  unterscheiden  sich  dadurch,  dass  einige  mehrere 
Stengel  und  Aeste  haben  wie  der  Carduus,  andere  nur  1 
Stengel  und  keine  Aeste  wie  der  Cnieus.  Einige  tragen 
nur  an  der  Spitze  Stacheln,  wie  das  Eryngium.  Einige 
blühen  im  Sommer,  wie  die  Tetralix^)  und  die  Helxine. 
Der  Scolymus  blühet  spät  und  lange.  Die  Acorna  unter- 
scheidet sich  bloss  durch  ihren  röthlichen  Stengel  und  fettern 
Saft.  Das  Spindelkraut  ist  heller  von  Farbe  und  hat  einen 
blutrothen  Saft.  Die  Acorna  nennen  auch  Einige  die  böse, 
weil  sie  unangenehm  riecht  und  der  Same  erst  spät  (im 
Herbste)  reif  wird,  was  man  indessen  von  allen  stachligen 
Gewächsen  sagen  kann.  Alle  aber  können  aus  Samen  und 
Ablegern  gezogen  werden.  Der  Scolymus  unterscheidet  sich 
von  den  übrigen  Distelarten  dadurch,  dass  seine  Wurzel  gekocht 
und  verspeist  wird.  Merkwürdig  ist,  dass  diese  Pflanze  den  gan- 
zen Sommer  hindurch  ununterbrochen  blühet,  denn  während 
eine  Blüthe  Samen  setzt,  bricht  eine  andere  auf  und  eine  dritte 
entwickelt  sich.  Wenn  die  Blätter  trocken  werden,  verlieren  die 
Stacheln  ihre  Eigenschaft  zu  stechen.  Die  Helxine  findet  sich  sel- 
ten und  nicht  in  allen  Ländern;  sie  ist  gleich  von  der  Wurzel 
an  stark  beblättert,  und  mitten  aus  derselben  ragt  gleich- 
sam das  UebeP)  bedeckt  von  den  Blättern  hervor.  Ganz 
oben  aus  den  Blättern  schwitzt  eine  angenehm  schmeckende 
Feuchtigkeit,  welche  Dornen-Mastixio)  genannt  wird. 


')  Cnieus  Acama  L.    '^)  Centaurea  dalmatica  Petter. 
3)  Carlma  corymbosa  L.?    *)  s.  XXII.  B.  19.  Cap. 
^)  Scolymus  maculatus  und  Cynara  Scolymus  L. 
ß)  Atractylis  gummifera  L.    ')  Centaurea  solstitialis  L. 
*)  phonos;  (povog:  Mord. 
8)  Die  Stacheln  nämlich. 

'°)  mastiche  acanthice,  bezieht  sich  aber  eher  auf  Atractylis  gum- 
mifera. 


Einundzwanzigstes  Buch.  X03 

57. 

Der  Cactus^),  welcher  nur  in  Sicilien  wächst,  hat 
ebenfalls  sein  Eigenthümliches;  seine  Stängel  kriechen  gleich 
von  der  Wurzel  an  auf  der  Erde,  die  Blätter  sind  breit  und 
dornig.  Die  Stengel  heissen  Caeti  und  werden,  wenn  auch 
alt,  zu  Speisen  genommen,  Sie  haben  einen  geraden  Stengel, 
welcher  P  t  e  r  n  i  x  heisst,  und  zwar  ebenso  angenehm  schmeckt, 
aber  durchs  Alter  unbrauchbar  wird.  An  dem  Samen  hängt 
ein  wollartiger  Körper,  Pappus  genannt;  wird  dieser  und 
die  äussere  (Kelch-)  Hülle  hinweggenommen,  so  findet  man 
ein  zartes,  dem  Gipfelmark  der  Palmen  ähnliches  Fleisch, 
welches  den  Namen  Ascalia  bekommen  hat. 

58. 

Der  Tribulus  wächst  nur  in  sumpfigen  Gegenden, 
wird  fast  überall  verworfen,  an  den  Flüssen  Nil  und  Stry- 
mon  aber  verspeist;  er  hängt  ins  Wasser,  seine  Blätter  sehen 
denen  des  ülmenbaumes  ähnlich  und  sind  langgestielt. 
Ausserdem  giebt  es  noch  zwei  Arten,  eine  mit  kicherartigen, 
die  andere  mit  stachligen  Blättern.  Letztere  blüht  später 
und  findet  sich  häufig  an  den  Zäunen  der  Landhäuser;  ihr 
Same  ist  rundlich,  schwarz  und  steckt  in  einer  Schote,  der 
der  andern  Art  sandartig.  Noch  ein  anderes  stachliges  Ge- 
wächs ist  die  Hauhechel^);  ihre  Stacheln  sitzen  an  den 
Zweigen,  die  Blätter  stehen  ähnlich  wie  die  der  Raute  und 
bedecken  den  ganzen  Stengel  wie  einen  Kranz.  Sie  kommt 
gleich  nach  der  Getreideernte  hervor,  hindert  beim  Pflügen 
und  wächst  üppig  heran. 

59. 

Die  Stengel  mancher  Stachelgewächse  kriechen  auf 
der  Erde  hin,  wie  z.  B.  der  Krähen fuss  ^).  Andere  stehen 
aufrecht,  wie  die  Ochsenzunge*)  deren  Wurzel  zum  Fär- 


')  Gegen  Cactus  Opuntia  spricht  die  (übrigens  noch  sehr  zweifel- 
hefte) Annahme,  dass  er  aus  Amerika  stamme.  Also  wahrscheinlich 
irgend  ein  Carduus,  dessen  genauere  Deutung  bis  jetzt  nicht  gelun- 
gen ist. 

^)  ononis.     ^)  coronopus.  Lotus  ornithopodioides  L. 

■*)  anchusa.  Anchusa  tinctoria  L. 


104  Einundzwanzigstes  Buch. 

ben  des  Holzes  und  Wachses  dient,  und  unter  den  mildern 
(nicht  stachligen)  die  Anthemis  i),  Phyllanthes,  Anemone 
und  Aphace.  Beblättert  ist  der  Stengel  bei  Crepis  und 
Lotus  2). 

60. 

Die  Verschiedenheit  der  Blätter  beruhet  auch  hier, 
wie  bei  den  Bäumen,  auf  der  Länge  oder  Kürze  des  Stiels, 
auf  der  Schmalheit  des  Blattes  selbst,  auf  der  Breite,  den 
Ecken,  Einschnitten,  dem  Geruch  und  der  Bliithe.  Letztere 
ist  bei  einigen,  welche  nach  und  nach  blühen,  z.  B.  dem 
Basilienkraut,  Heliotropium  3),  der  Aphaca  und  Onochilis  ^), 
von  längerer  Dauer.  Viele  haben,  gleich  manchen  Bäumen, 
fortwährend  Laub,  namentlich  das  Heliotropium,  das 
Adiantum^)  und  das  Polium^). 

61. 

Zu  den  Aehren  tragenden  Kräutern  gehören:  Cy- 
nops^),  Alopecurus  ^),  Stelephurus  9)  (auch  Ortyx 
oder  Plantago  genannt,  wovon  wir  bei  den  Arzneien  ein 
Mehreres  sagen  werden)  und  Tryallis^o^.  Unter  diesen 
hat  der  Alopecurus  eine  weiche,  wollige  und  dichte  Aehre, 
die  einem  Fuchsschwänze  ähnlich  sieht  und  die  Ursache 
des  Namens  dieser  Pflanze  ist.  Ihm  am  ähnlichsten  steht 
der  Stelephurus,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  jeuer 
theiweise  blühet.  Die  Cichorie  und  ähnliche  Arten  haben 
Blätter,  welche  rings  umher  auf  der  Erde  liegen;  sie  schla- 
gen nach  dem  Siebengestirn  aus. 

62. 

Das  Kebhühnerkraut  11),  welches  seinen  Namen  von 
dem  Vogel,  welcher  es  vorzüglich  ausscharrt,  bekommen 
hat,  wird  ausser  den  Aegyptern  auch  von  andern  Völkern 
gegessen;   es   hat    zahlreiche,   dicke    Wurzeln.     Ferner    die 


')  S.  XXII.  B.  26.  Cap.     -)  Melilotus  messanensis  L. 

^)  Heliotropium  villosmn  Desf.     ^)  Ecliium  rubrum  Jacq. 

5)  s.  XXII.  B.  30.  Cap.     «)  Teucrium  Polium  L. 

')  Plantago  Cynops  L. 

*)  Polypogon  monspeliensis  Desf.    ^)  Plantago  Lagopus  L. 

'oj  Sanguisorba  off.  L.?     ")  perdicium.  Parietaria  diffusa  L. 


Einundzwanzigstes  Buch.  105 

Vogelmilch  i),  welche  einen  zarten  weissen  Stengel  und 
eine  halbfusslange,  zwieblige  weiche  Wurzel,  an  welcher 
noch  3  oder  4  andere  sitzen,  hat.  Man  kocht  sie  zu  einem 
Brei  ein. 

63. 

Merkwürdig  ist,  dass  der  krautartige  Lotus  und  der 
Aegilops  erst  nach  einem  Jahre  aus  dem  Samen  her- 
vorwächst; ferner,  dass  die  Anthemis  von  oben  zu  blühen 
beginnt,  während  doch  bei  allen  übrigen,  deren  Blumen 
sich  nach  und  nach  entwickeln,  diess  von  unten  herauf  ge- 
schieht. 

64. 

Auch  von  der  Klette  2),  welche  sich  (an  die  Kleider) 
anhängt,  ist  bemerkenswerth,  dass  die  Blume  derselben 
nicht  sichtbar  ist  sondern  ganz  eingeschlossen  bleibt,  so 
dass  die  Samen  sich,  gleich  wie  bei  den  Thieren  welche 
lebendige  Junge  gebären,  im  Innern  der  Hülle  entwickeln. 
Um  Opus  wächst  die  schmackhafte  Opuntia^),  welche 
durch  die  Blätter  fortgepflanzt  wird,  denn  diese  schlagen, 
in  die  Erde  gesteckt,  Wurzeln. 

65. 

Die  Jasione^)  bat  nur  ein  Blatt,  diess  ist  aber  so 
ineinander  gefaltet,  dass  es  wie  mehrere  aussieht.  Die 
Chondrylla^)  ist  bitter  und  der  Saft  der  Wurzel  schmeckt 
scharf.  Bitter  ist  ferner  die  Aphace  und  die  sogenannte 
Picris  0),  welche  ihren  Namen  von  dem  bittern  Geschmacke 
bekommen  hat,  und  das  ganze  Jahr  hindurch  blühet. 

66. 

Die  Meerzwiebel  und  der  Safran  bilden  zuerst  den 
Stengel  und  dann  die  Blätter,  während  bei  allen  übri- 
gen Kräutern  erst  die  Blätter  und  dann  der  Stengel 


')  ornitliogale.  Ornithogalum  umbellatum  L. 

-)  lappa.  Arctium  Lappa  L. 

3)  Cynara  Cardunculus  L.?  Oder  Cactus  Opuntia  L.? 

■*)  Convolvulus  sepium  L.     ^}  Chondrilla  juncea  L. 

")  Urospermuni  echioides  L. 


106  Einundzwanzigstes  Buch. 

kommt;  und  zwar  wird  beim  Safran  die  Blüthe  mit  dem 
Stengel  hervorgetrieben,  bei  der  Meerzwiebel  dagegen  ent- 
steht erst  der  Stengel  und  dann  brechen  aus  diesem  die 
Blüthen  hervor.  Letztere  blühet,  wie  wir  bereits  gesagt 
haben  i),  dreimal,  und  zeigt  damit  die  3  Zeiten  des  Pflü- 
gens  an. 

67. 

Zu  den  Zwiebeln  zählen  Einige  auch  die  Wurzel  des 
Cypirus  d.  h.  des  Gladiolus;  sie  ist  süss,  macht  das  Brot 
wohlschmeckender  und  zugleich  auch  schwerer.  Das  The- 
sium2)  sieht  ihr  ähnlich,  schmeckt  aber  rauh. 

68. 

Die  übrigen  Gewächse  der  Art  unterscheiden  sich 
durch  die  Blätter.  Der  AffodilP)  hat  lange  und  schmale 
Blätter,  die  Meerzwiebel  breite  und  biegsame,  der  Schwertel 
seinem  Namen  entsprechende.  Vom  Affodill  wird  sowohl 
der  geröstete  Same  als  auch  die  Zwiebel  gegessen,  letztere 
dörrt  man  aber  in  Asche,  und  setzt  ihr  hernach  Salz  und 
Oel  hinzu;  ausserdem  stösst  man  sie  auch  mit' Feigen,  und 
sie  soll  so  bereitet  nach  Hesiodus  ein  Leckerbissen  sein. 
Wenn  man  sie  vor  die  Thüren  der  Landhäuser  pflanzt, 
dient  sie  als  Htilfsmittel  gegen  Zauberei.  Auch  Homer  ^) 
gedenkt  des  Affodills;  seine  Wurzel  hat  die  Grösse  mittle- 
rer Rüben,  und  gedeihet  so  zahlreich,  dass  mitunter  80 
Zwiebeln  in  einem  Haufen  beisammen  sind.  Theophrastus 
und  fast  alle  Griechen,  namentlich  Pythagoras  nennen 
seinen  1 — 2  Ellen  langen,  mit  Blättern,  welche  dem  wildem 
Porrum  gleichen,  besetzten  Stengel  Antherikus,  die  Wurzel 
(Zwiebel)  aber  Affodill.  Wir  Römer  nennen  dagegen  jenen 
Albucus,  den  Affodill  aber  Königsspiess;  letzterer  hat  einen 
drüsigen  Stengel  und  bildet  2  Arten.  Der  Albucus  hat 
einen  ellenlangen,  dicken,  nackten  und  glatten  Stengel,  den 
man    nach    Mago    im    Ausgang    März    oder   Anfang    Aprils, 


')  Im  XIX.  B.  30.  Cap. 

2)  Thesium  linophyllum  L.     ^)  Asphodelus.  Asphodelus  ramosus 
L.     ')  Odyssee  XI.  539.  XXIV.  13. 


Einundzwanzigstes  Buch.  107 

wenn  er  geblühet  hat  aber  noch  keinen  reifen  Samen  t  ragt, 
absehneidet,  spaltet,  am  vierten  Tage  an  die  Sonne  legt 
und  nach  dem  Trocknen  in  Bündel  bringt.  Ebenderselbe 
sagt  auch,  die  Griechen  nennten  ein  Kraut  Pistana,  wel- 
ches wir  unter  den  Wassergräsern  aufgeführt  und  mit  dem 
Namen  Pfeilkraut  bezeichnet  haben;  diess  solle  man  von 
der  Mitte  des  Mai  bis  zum  October  abschälen  und  an  der 
Sonne  laugsam  trocknen  lassen.  Auch  den  andern  Schwer- 
tel  oder  Cypirus,  welcher  gleichfalls  in  Sümpfen  wächst, 
lässt  er  während  des  ganzen  Monats  Juli  bei  der  Wurzel 
abschneiden  und  vom  3.  Tage  an  der  Sonne  so  lange  aus- 
setzen, bis  er  weiss  ist;  täglich  müsse  man  ihn  aber  vor 
Sonnenuntergang  unter  Dach  bringen,  weil  den  Sumpfge- 
wächsen die  nächtlichen  Thaue  schaden. 

69. 
Aehnliche  Vorschriften  giebt  Mago  in  Bezug  auf  die- 
jenige Binse  ^)  welche  er  Mariscus^)  nennt  und  aus  der 
man  Decken  macht;  sie  wird  vom  Juni  bis  zur  Mitte  des 
Juli  gesammelt  und  ebenso  getrocknet,  wie  wir  bei  dem 
Wassergrase  gesagt  haben.  Eine  andere  Art  Binse  ist 
nach  ihm  die  Seebinse,  welche  die  Griechen  Oxyschönus 
nennen.  Von  dieser  giebt  es  3  Arten:  eine  spitze  ^)  un- 
fruchtbare, bei  den  Griechen  die  männliche  oder  spitze  ge- 
nannt; die  übrigen  sind  weiblich,  eine  davon  trägt  schwarze 
Samen,  heisst  Schwarzknopf  4),  und  ist  dick  und  strauchig. 
Noch  stärker  ist  die  3.  Art,  welche  Holoschönus  5)  genannt 
wird.  Von  diesen  wächst  der  Schwarzkuopf  für  sich  allein, 
der  Oxyschönus  und  Holoschönus  dagegen  kommen  in  ein 
und  demselben  Rasen  vor.  Der  weiche  fleischige  Holoschö- 
nus wird  vorzüglich  zu  Flechtwerken  benutzt;  seine  Frucht  . 
sieht  aus  wie  ein  Knäuel  Eier.  Die  männliche  Art  pflanzt 
sich  selbst  fort,  wenn  man  ihre  Spitze  in  die  Erde  steckt, 
der  Schwarzkuopf  aber  vermehrt  sich  durch  Samen,  Ue- 
brigens    sterben   die   Wurzeln   aller   Arten  jedes   Jahr  ab. 


')  juncus.     2)  Schoenus  Mariscus  L.     3)  Juncus  maritimus  L. 
'')  melancranis.  Schoenus  nigricans  L.  ^)  Scirpus  Holoschoenus  L. 


108  Einundzwanzigstes  Buch. 

Man  bedient  sich  ihrer  zu  Fischreusen,  zierlichen  Geflech- 
ten (Körben),  ihres  Markes,  welches  in  den  Seealpen  1  Zoll 
im  Durchmesser  beträgt,  vorzüglich  zu  Lampenkerzen,  und 
in  Aegypten  werden  aus  den  langen  Stengeln  Siebe  ver- 
fertigt, wozu  sie  sich  vor  allen  andern  vortrefflich  eignen. 
Einige  führen  noch  eine  dreieckige  Binse  an,  welche  sie 
Cyperus  nennen;  Viele  verstehen  darunter  den  Cypirus,. 
weil  beide  Namen  einander  so  ähnlich  sind;  wir  aber  un- 
terscheiden sie  als  zwei  besondere  Arten.  Der  Cypirus  ist 
nämlich,  wie  bereits  gesagt,  ein  Gladiolus  mit  zwiebelarti- 
ger Wurzel:^  der  beste  wächst  auf  der  Insel  Greta,  dann 
folgt  der  auf  Naxos  und  nächstdem  der  tu  Phönicien  vor- 
kommende. Der  cretisehe  gleicht  an  "Weisse  und  an  Ge- 
ruch der  Karde,  der  naxische  riecht  schärfer,  der  phönici- 
sche  wenig  und  der  ägyptische  gar  nicht,  (denn  auch  in 
diesem  Lande  kommt  er  vor).  Er  zertheilt  Verhärtungen 
im  Körper.  Wir  wollen  nämlich  jetzt  auch  der  Arzneimittel 
gedenken,  denn  die  Blüthen  und  riechenden  Kräuter  werden 
in  der  Medicin  vielfach  angewendet.  Hinsichtlich  des  Cy- 
pirus will  ich  zwar  dem  Apollodorus  folgen,  welcher  sagt, 
man  dürfe  ihn  nicht  einnehmen,  dennoch  gesteht  er,  es  sei 
das  kräftigste  Mittel  gegen  den  Stein,  und  lässt  den  Mund 
damit  ausspühlen.  Er  sagt  ferner,  es  entständen  dadurch 
unzeitige  Geburten,  und  erzählt  als  ein  merkwürdiges  Fac- 
tum, die  Barbaren  zögen  mit  dem  Munde  den  Rauch  des 
Krautes  ein,  um  die  Milz  zu  vertreiben,  und  gingen  keinen 
Tag  eher  aus,  als  bis  sie  diesen  Rauch  eingenommen 
hätten,  denn  diess  mache  sie  munterer  und  kräftiger.  Beim 
Wundgehen,  bei  schlimmen  Achseln  und  Reibungen  legt 
man  es  zweckmässig  mit  Oel  auf. 

70. 
Der  Cyperus  i)  ist  eine  Art  Binse,  eckig,  an  der  Ba- 
sis weiss,  au  der  Spitze  schwarz  und  fleischig,  die  untersten 
Blätter    sind   dünner    als    beim    Lauch,    die    obersten    sehr 
klein  und   zwischen   ihnen    sitzt   der   Samen.     Die  Wurzel 

')   Cyperus    longus    L.,    zum  Tbeil  auch  C.  rotundus  L. 


Einundzwanzigstes  Buch.  109 

gleicht  den  schwarzen  Oliven,  heisst,  wenn  sie  länglich  ist, 
Cyperis  und  wird  häufig  in  der  Medicin  gebraucht.  Am 
besten  ist  der  hammonische  Cyperus,  dann  tolgt  der  rho- 
dische,  theräische  und  endlich  der  ägyptische,  mit  welchem 
der  ebenfalls  dort  wachsende  Cypirus  verwechselt  wird. 
Der  letztere  ist  aber  sehr  hart  und  besitzt  kaum  etwas 
Geruch,  während  die  andern  Arten  der  Narde  ähnlich  rie- 
chen. Auch  in  Indien  giebt  es  ein  Kraut,  welches  Cypira^) 
genannt  wird,  dem  Ingwer  gleicht,  und  beim  Kauen  die 
Kraft  des  Safrans  zeigt.  Der  Cyperus  dient  als  Haarwuchs 
beförderndes  Mittel.  Mau  legt  ihn  auf  kranke  Augeu,  Ge- 
schwüre an  den  Geschlechtstheileu,  im  Munde  und  auf  sol- 
che, welche  nass  sind.  Die  Wurzel  ist  ein  gutes  Mittel 
gegen  Schlangenbisse  und  Scorpionstiche.  Im  Trank  ge- 
nommen öfinet  sie  die  Gebärmutter,  nimmt  man  aber  zu 
reichlich  davon,  so  treibt  sie  dieselbe  ab.  Sie  treibt  auch 
den  Harn  und  die  Blasensteine  aus,  daher  sie  bei  Wasser- 
süchtigen mit  besten  Erfolge  angewandt  wird.  Man  legt 
sie  auf  fressende  Geschwüre,  besonders  solche,  welche  im 
Magen  sind,  mit  Wein  und  Essig. 

71. 
Die  Wurzel  der  Binse  wird  mit  3  Heminis  Wasser  zu 
einem  Dritttheil  eingekocht  gegen  den  Husten  gebraucht; 
der  Same  geröstet  und  in  Wasser  bei  Husten  und  bei 
fehlerhaftem  Monatsfluss  der  Weiber  genommen.  Der  soge- 
nannte Holoschönus  macht  Kopfweh;  die  der  Wurzel  am 
nächsten  liegenden  Theile  aber  werden  gegen  die  Bisse 
der  Spinnen  gekauet.  Noch  finde  ich  einer  Art  Binse  ge- 
dacht, welche  Euripice  genannt  wird,  dessen  Same  Schlaf 
macht;  doch  muss  man  nicht  zu  viel  davon  nehmen,  um 
nicht  betäubt  zu  werden. 

72. 

Auch   der  Avoblriechenden  Binse,,  welche  (wie  wir 
bereits  gemeldet  haben 2)   in  Syria  Coele   wächst,   müsseu 


1)  Curcuma  longa  L.     -)  Im  XII.  B.  48.  Cap. 


■\^\0  Einundzwanzigstes  Buch. 

wir  in  medicinischer  Beziehung  erwähnen.  Die  beste  ist  die 
nabatäische,  mit  dem  Beinamen  die  Gewaffnete*),  dann 
kommt  die  babylonische 2),  am  schlechtesten  und  ohne  Ge- 
ruch ist  die  afrikanische  von  runder  Gestalt  und  weinartigem 
Geschmack.  Die  ächte  bildet  beim  Keiben  röthliche  Stück- 
chen und  riecht  wie  Kosen.  Sie  vertreibt  die  Blähungen, 
ist  daher  sehr  gut  für  den  Magen  sowie  beim  Auswerfen  von 
Galle  und  Blut,  hebt  das  Schlucken,  befördert  das  Aufstossen, 
treibt  den  Urin  und  heilt  die  Blasenleiden.  Zum  Gebrauch 
bei  Frauenkrankheiten  wird  sie  gekocht.  Gegen  Rückgrat- 
krampf  legt  man  sie  mit  trocknem  Harz  auf,  um  Erwärmung 
zu  bewirken. 

73. 
Die  Rose  zieht  zusammen  und  kühlt.  Bei  ihrer  An- 
wendung unterscheidet  man  Blätter,  Blüthen  und  Köpfe. 
Die  weissen  Blatttheile  heissen  Nägel.  Au  der  Blüthe  unter- 
scheidet man  den  Samen  ^J  und  die  Haare  ^),  an  den  Knos- 
pen (Bltithenknospen  oder  Kapseln)  die  Rinde  und  den  Kelch. 
Die  Blätter  werden  getrocknet  oder  auf  dreierlei  Weise  aus- 
gepresst:  für  sich  allein,  ohne  die  Nägel  (in  welchen  sich 
die  meiste  Feuchtigkeit  befindet)  abzuziehen,  oder,  nach 
Entfernung  der  Nägel,  mit  Oel  oder  mit  Wein  in  Glasge- 
fässen  an  der  Sonne  digerirt.  Einige  setzen  noch  Salz 
hinzu,  Andere  Ochsenzunge,  Aspalathnm  oder  wohlriechende 
Binse,  weil  diese  sich  bei  Gebärmutter- Krankheiten  und 
Ruhr  sehr  wirksam  zeigt.  Das  Ausdrücken  der  von  den 
Nägeln  befreiten  Blätter  geschieht  durch  dichte  Leinwand, 
den  Saft  lässt  man  in  ein  kupfernes  Gefäss  laufen  und 
kocht  ihn  darin  bei  gelindem  Feuer  so  lange,  bis  er  die 
Dicke  des  Honigs  hat.  Hiezu  müssen  die  stark  riechenden 
Blätter  ausgewählt  werden.  Von  der  Bereitung  des  Rosen- 
weins haben  wir  beim  Weine  gesprochen  5),  Den  Saft  ge- 
braucht mau  für  die  Ohren,  den  Mund,  das  Zahnfleisch,  die 


')  teuchites.    -)  Alpinia  Galanga  L.  ? 
3)  Die  Staubbeutel.    ^)  Die  Staubfäden. 
5)  Im  XIV.  Buche,  19.  Cap. 


Einundzwanzigstes  Buch.  Wl 

Mandeln  am  Halse,  zum  Gurgeln,  für'den  Magen,  die  Gebär- 
mutter, Lenden-  und  Kopfsclimerzen;  bei  Fiebern  für  sich 
allein  oder  mit  Essig  bei  Schlaflosigkeit  und  Uebelkeit.  Die 
Blätter  werden  zur  Bereitung  eines  Augenmittels  gebrannt. 
Trocken  streuet  man  sie  auf  die  Schenkel  und  lindert  da- 
mit die  Augenflüsse.  Die  Blumen  machen  Schlaf,  in  saurem 
Weine  genommen  heilen  sie  die  Flüsse  der  Weiber,  beson- 
ders den  weissen  und  das  Blutspeien,  auch  in  3  Bechern 
Wein  die  Magenschmerzen.  Am  besten  ist  derjenige  Same, 
welcher  die  Farbe  des  Safrans  hat  und  nicht  über  ein  Jahr 
alt  ist :  man  trocknet  ihn  im  Schatten.  Der  schwarze  taugt 
nichts.  Aufgelegt  hilft  er  gegen  Zahnweh,  treibt  den  Urin, 
wirkt  auch  äusserlich  gut  auf  den  Magen  und  die  Rose, 
wenn  sie  nicht  schon  alt  ist.  In  die  Nase  gezogen  reinigt 
er  den  Kopf.  Ein  aus  den  Köpfen  bereiteter  Trank  stillt 
den  Durchfall  und  das  Blut.  Mit  den  Nägeln  der  Rose  heilt 
man  Augenflüsse;  denn  die  Augengeschwüre  werden  durch 
Rosen  aufgezogen,  ausgenommen  zu  Anfang  des  Flusses,  wo 
man  trockenes  Brot  auflegt.  Die  Blätter  wendet  man  zu 
Umschlägen  bei  Magenübeln  und  Krankheiten  der  übrigen 
Eingeweide  an.  Zum  Essen  macht  man  sie  ebenso  wie  den 
Ampfer  ein,  hat  aber  dabei  zu  beachten,  dass  sich  gerne 
eine  Schimmelbaut  darauf  bildet.  Trocken  und  ausgepresst 
haben  sie  gleichfalls  ihren  Nutzen.  Man  bereitet  daraus  ein 
Pulver  zur  Verminderung  des  Schweisses,  welches  man  nach 
dem  Bade  auf  dem  Körper  ein  trocknen  lässt,  und  hierauf  mit 
kaltem  Wasser  abwäscht.  Kügelcheni)  von  wilden  Rosen  mit 
Bärenfett  vermischt,  legt  man  mit  bestem  Erfolge  auf  Glatzen. 

74. 
Die  Wurzeln  der  Lilie  haben  zum  Ruhme  ihrer  Blüthen 
nicht  wenig  beigetragen,  denn  mit  Wein  genommen  helfen 
sie  gegen  Schlangenbisse  und  giftige  Pilze.  Zur  Vertreibung 
der  Hühneraugen  werden  sie  in  Wein  gekocht  und  3  Tage 
lang  liegen  gelassen.  Mit  Schmalz  und  Oel  gehocht  rufen 
feie  an  Brandstellen  die  Haare   wieder  hervor.     Mit  Meth 


»)  pilulae,  vielleicht  die  Samen. 


112  Einundz wanzigstes  Buch. 

eingenommen  führen  sie  das  verdorbene  Blut  wieder  durch 
den  After  ab,  dienen  auch  für  die  Milz,  Brüche,  Verrenk- 
ungen und  zur  Beförderung  der  Menstruation.  In  Wein  ab- 
gekocht und  mit  Honig  aufgelegt  heilen  sie  zerschnittene 
Nerven.  Sie  wirken  wohlthätig  gegen  Flechte,  Grind  und 
Schuppen  im  Gesichte,  und  befreien  den  Körper  von  Run- 
zeln. Die  in  Essig  gekochten  Blätter  legt  mau  auf  Wunden, 
auch  mit  Bilsen  und  Weizenmehl  auf  eiternde  Hoden.  Der 
Same  wird  auf  die  Rose,  Blüthen  und  Blätter  auf  alte  Ge- 
schwüre gelegt.  Der  aus  den  Blüthen  gepresste  Saft,  von 
Einigen  Honig,  von  Andern  syrischer  Saft  genannt,  dient 
zur  Erweichung  der  Gebärmutter,  zur  Erzeugung  von  Schweiss 
und  zur  Reifung  von  Geschwüren. 

75. 
Von  der  Narcisse  gebrauchen  die  Aerzte  2  Arten,  von 
denen  die  eine  purpurrothe  Blüthen  hat,  die  andere  krautartig 
ist.  Letztere  taugt  nicht  für  den  Magen,  dient  daher  zum 
Brechen  und  Purgiren,  schadet  den  Nerven,  nimmt  den 
Kopf  ein  und  hat  von  dieser  Eigenschaft  des  Betäubens^), 
nicht  aber  von  jenem  fabelhaften  Knaben  ihren  Namen. 
Die  Wurzel  beider  Arten  schmeckt  wie  Meth;  mit  etwas 
Honig  legt  man  sie  auf  Brandstellen,  mit  Honig  und  Hafer- 
mehl als  Brot  auf  sonstige  Wunden  und  verrenkte  Theile, 
und  in  derselben  Form  applicirt  zieht  sie  alles,  was  im 
Körper  steckt,  heraus.  Als  Polenta  mit  Oel  zerrieben  heilt 
sie  gequetschte  und  durch  Werfen  mit  Steinen  verletzte 
Stellen,  Mit  Meth  vermischt  reinigt  sie  die  Wunden,  und 
vertilgt  die  schwarzen  Leberflecken.  Aus  der  Blüthe  be- 
reitet man  das  Narcissenöl,  welches  zum  Erweichen  ver- 
härteter und  zum  Erwärmen  erfrorener  Theile  gebraucht 
wird.  Gegen  Ohrenübel  ist  dasselbe  ein  gutes  Mittel,  macht 
aber  Kopfweh. 

76. 
Es   gibt  wilde  und  Garten -Vi  ölen.     Die  purpurrothen 
bewirken  Kühlung.    Wider  Entzündungen  legt  man  sie  auf 


')  narce,  vaQxt]  i.  q.  torpor. 


Einundzwanzigstes  Bucli.  113 

den  Magen  (Leib),  auch  auf  die  Stirn,  namentlich  aber  auf 
Augenflüsse,  ausgetretenen  Mastdarm  und  eiternde  Ge- 
schwüre. Legt  man  die  daraus  geflochtenen  Kränze  auf 
den  Kopf  oder  riecht  daran,  so  verschwinden  Rausch  und 
Schwere  des  Kopfes;  ein  Absud  davon  in  Wasser  innerlich 
genommen  heilt  die  Bräune.  Die  purpurnen  Theile  der 
Violen  heilen  mit  Wasser  eingegeben  die  Epilepsie,  beson- 
ders bei  Kindern.  Der  Same  ist  den  Scorpioneu  zuwider. 
Die  Blüthe  der  weissen  Art  öfi'net  die  Geschwüre,  das  Kraut 
derselben  heilt  sie.  Die  weisse  sowohl  wie  die  gelbe  ver- 
mindern den  Monatsfluss  und  treiben  den  Urin.  Im  frischen 
Zustande  besitzen  sie  weniger  Kraft,  daher  man  sie  trocken 
nach  Jahresfrist  anwenden  muss.  Ein  halber  Becher  voll 
der  gelben  mit  3  Bechern  Wasser  genommen  befördert  die 
Menstruation.  Die  Wurzel  derselben  mit  Essig  aufgelgt 
heilt  die  Milz,  das  Podagra,  mit  Myrrhen  und  Safran  aber 
Augenentzündungen.  Die  Blätter  mit  Honig  applicirt  rei- 
nigen die  Kopfgeschwüre ,  mit  Wachssalbe  aufgesprungene 
Lenden  und  sonstige  feuchte  Stelleu.  Mit  Essig  aber  heilen 
sie  Anhäufungen  von  Säften. 

77. 
Die  Baccharis,  welche  zumArzneigebrauch  dient,  nennen 
einige  römische  Schriftsteller  die  gedrückte  i).  Sie  ist  ein 
Mittel  gegen  Schlangen,  Kopfweh,  Hitze  und  Flüsse.  Mau 
legt  sie  auf  die  geschwollenen  Brüste  der  Wöchnerinnen, 
auf  Thränenfisteln  und  die  Nase.  Ihre  Ausdünstung  be- 
fördert den  Schlaf  Der  Absud  der  Wurzel  wird  mit  Er- 
folg gebraucht  bei  Krämpfen,  Verdrehungen  und  Engbrüstig- 
keit. Gegen  anhaltenden  Husten  kocht  man  3  bis  4  Wurzeln 
zu  Vs  ein.  Ebenderselbe  Trank  reinigt  auch  die  Frauen 
nach  einer  unzeitigen  Geburt.  Sie  vertreibt  Seitenstechen 
und  Blasensteine.  Zum  Gebrauch  als  Kräuterkissen 2)  zer- 
störst man  sie.  Ihres  Geruches  wegen  streuet  mau  sie 
zwischen  die  Kleider.    Das  Combretum,  welches,  wie  wir 


')  perpressa. 
2)  diapasmata. 

Wittstein:  Plinius.     IV.  Bd. 


]^J4  Einundzwanzigstes  Buch. 

gesagt  haben  i),  ihr  ähnlich  ist,  heilt  mit  Sehmalz  vermischt 
die  Wunden  vortrefflich. 

78. 

Die  Haselwurz 2)  soll,  zu  1  Unze  in  1  Heraina  ge- 
mischten Meths  genommen,  gegen  Leberleiden  sehr  wirksam 
sein.  Sie  reinigt  gleich  dem  EUeborus  den  Leib,  hilft  gegen 
Wassersucht,  Brustkrankheiten,  Fehler  der  Gebärmutter  und 
Gelbsucht.  Setzt  man  sie  dem  Moste  hinzu,  so  bekommt 
der  daraus  gewonnene  Wein  harntreibende  Eigenschaften. 
Sobald  die  Blätter  zum  Vorscheine  kommen,  gräbt  man  sie 
aus  und  trocknet  sie  im  Schatten.  Sie  ist  dem  Schimmeln 
sehr  unterworfen. 

79. 

Da,  wie  oben  erwähnt,  Einige  die  Wurzel  der  Baccharis 
Bauernnarde  genannt  haben,  so  will  ich  die  Arzneien  der 
gallischen  Narde,  von  der  unter  den  ausländischen  Bäu- 
men die  Rede  war^),  auch  gleich  hier  anknüpfen.  Gegen 
Schlangenbisse  nimmt  man  2  Drachmen  mit  Wein,  gegen 
Entzündungen  des  Mastdarms,  der  Leber,  Nieren  und  gegen 
ausgetretene  Galle  mit  Wasser  oder  Wein,  gegen  Wasser- 
sucht dieselbe  allein  oder  mit  Wermuth.  Sie  mildert  die 
zu  heftige  Reinigung  der  Weiber. 

80. 

Die  Wurzel  des  ganzen  Gewächses,  welches  wir  an 
demselben  Orte  Phu  genannt  haben,  giebt  man  zerrieben 
im  Tranke  oder  in  der  Abkochung  gegen  Ersticken,  Brust- 
und  Seitenschmerzen.  Sie  befördert  auch  die  Menstruation 
und  wird  mit  Wein  getrunken. 

81. 

Der  Safran  wird  weder  vom  Honig  noch  sonst  einem 
Stoffe,  wohl  aber  vom  Wein  oder  Wasser  aufgelöst,  und 
findet  in  der  Arzneikunde  vielfache  Anwendung.  Man  be- 
'.'^ahrt  ihn  in  einer  hörnernen  Büchse   auf.     Mit  Eiern  auf- 


')  Im  16.  Cap.     2)  Asarum. 
»)  Im  XII.  B.  26.  Cap. 


Einundzwanzigstes  Buch.  115 

gelegt,  vertreibt  er  alle  Entzündungen,  namentlich  die  der 
Augen.  Ferner  bebt  er  die  Zusammensehnürungen  der  Ge- 
bärmutter, die  Geschwüre  des  Magens,  der  Brust,  Nieren, 
Leber,  Lunge,  Blase,  wirkt  namentlich  der  Entzündung  dieser 
Tb  eile  entgegen  und  befreiet  von  Husten  und  Seitenstechen 
Er  vertreibt  auch  das  Jucken,  und  befördert  die  Absonde- 
rung des  Harns.  Wenn  man  Safran  eingenommen  hat,  so 
bekommt  man  keinen  Rausch,  denn  er  widersteht  der  Trunken- 
heit. Auch  daraus  gemachte  Kränze  mildern  die  Trunken- 
heit. Er  macht  Schlaf,  erregt  den  Kopf  sanft  und  reizt  zum 
Beischlaf.  Die  Safranbltithe  legt  man  mit  cimolischer  Lvreide 
auf  die  Rose.  Ausserdem  bildet  der  Safran  einen  Bestand- 
theil  vieler  anderer  Arzneien. 

82. 

Dem  Safran  verdankt  auch  eine  Augensalbe  ihren 
Namen.  Der  Satz  seines  ausgepressten  Saftes  wird  nämlich 
dazu  benutzt,  und  diess  Präparat,  welches  den  Namen  Safran- 
gemisch führt,  wendet  man  bei  unterlaufenen  Augen  und 
Urinverhaltungen  an.  Es  erwärmt  mehr  als  der  Safran 
allein.  Der  beste  Safran  ist  der,  welcher  beim  Kauen  Speichel 
und  Zähne  färbt. 

83. 

Die  röthliche  Iris  ist  besser  als  die  weisse.  Kindern, 
welche  Zähne  bekommen,  hängt  man  sie  (die  Wurzel)  mit 
Erfolg  um,  und  wenn  sie  an  Husten  oder  Würmern  leiden, 
giebt  man  ihnen  davon  ein.  Uebrigens  kommen  ihre  Wirk- 
ungen fast  mit. denen  des  Honigs  überein.  Sie  reinigt  Kopf- 
geschwüre und  alte  Eiterwunden.  2  Drachmen  mit  Honig 
genommen  machen  Oeffnung;  als  Getränk  vertreiben  sie 
Husten,  Bauchgrimmen  und  Blähungen,  mit  Essig  Milzkrank- 
heiten. Mit  saurem  Wein  heilt  sie  Schlangen-  und  Spinnen- 
bisse; 2  Drachmen  mit  Brot  oder  Wasser  Scorpionstiche; 
gegen  Hundsbisse,  Reibungen  und  Nervenschmerzen  legt 
man  sie  mit  Oel,  gegen  Lenden-  und  Hüftschmerzen  mit 
Harz  auf.  Hire  Wirkung  besteht  im  Erwärmen.  Geschnupft 
erregt  sie  Niesen  und  reinigt  den  Kopf.  Gegen  Kopfweh  wird 
sie  mit  grossen  oder  kleinen  Qnittenäpfeln  aufgelegt.     Sie 

8* 


l\Q  Einundzwanzigstes  Buch. 

befreiet  von  Rausch  und  schwerem  Athem,  erregt,  zu  2  Obolen 
genommen,  Brechen,  und  zieht  mit  Honig  aufgelegt  zerbrochene 
Knochen  heraus.  Als  Pulver  gebraucht  man  sie  zur  Heilung 
von  Nietnägeln,  mit  Wein  gegen  Hühneraugen  und  Warzen, 
zu  welchem  Behuf  man  das  Gemisch  3  Tage  lang  liegen  lässt. 
Gekauet  vertreibt  sie  den  üblen  Geruch  aus  dem  Munde  und 
unter  den  Achseln.  Ihr  Saft  vertreibt  alle  Verhärtungen. 
Sie  macht  Schlaf,  verzehrt  aber  den  Samen,  heilt  ge- 
borstene After,  Geschwüre  und  alle  Auswüchse  am  Leibe. 
Einige  nennen  die  wilde  Art  Xyris  ^),  diese  zertheilt  Kröpfe, 
Geschwulste  und  aufgelaufene  Schaamtheile.  Zu  diesem  Be- 
hufe  soll  sie  mit  der  linken  Hand  ausgezogen  werden,  und 
die  sie  sammeln,  sollen  dabei  sagen,  um  wessen  Menschen 
Willen  sie  diess  thun.  Hiebei  zeigt  sich  auch  der  Betrug  der 
Kräütersammler;  sie  heben  nämlich  einen  Theil  dieser  Pflanze 
sowie  anderer  z.  B.  der  Plantago  auf,  und  graben,  wenn  sie 
zu  wenig  verdient  zu  haben  glauben  und  neuerdings  Arbeit 
suchen,  die  aufbewahrten  Theile  an  derselben  Stelle  wieder 
ein,  um,  wie  ich  glaube,  die  Gebrechen  derer,  welche  von 
ihnen  geheilt  worden  sind,  wieder  hervorzurufen.  Die  in 
Wein  gekochte  Wurzel  der  Saliunca  stillt  das  Brechen,  und 
stärkt  den  Magen. 

84. 
Mit  dem  Pol  in  m  sollenj  sich  nach  Musaeus  und  He- 
siodus  die,  welche  nach  Würde  und  Ruhm  streben,  salben; 
auch  sollen  sie  es  selbst  bauen.  Ferner  empfehlen  sie,  diess 
Gewächs  gegen  Schlangen  unterzustreuen,  zu  verbrennen 
oder  bei  sich  zu  tragen,  auch  frisch  oder  trocken  in  Wein 
abzukochen  und  aufzulegen.  Milzsüchtigen  reicht  man  es 
mit  Essig,  Gelbstichtigen  mit  Wein,  denen,  welche  anfangen 
an  Wassersucht  zu  leiden,  in  Wein  gekocht;  auch  legt  man 
es  in  dieser  Form  auf  Wunden.  Es  treibt  die  Nachgeburt 
und  todte  Leibesfrucht  ab,  hebt  auch  die  Leibschmerzen, 
entleert  die  Blase,  wird  auch  auf  Flüsse  gelegt.  Kein  an- 
deres Kraut  passt  besser  zu  derjenigen  Arznei,  welche  Gegen- 


')  Iris  foetidissiina  L. 


Einundzwanzigstes  Buch.  117 

gift  genannt  wird.  Dass  es  jedoch,  wie  Einige  behaupten, 
dem  Magen  schade,  den  Kopf  einnehme  und  unzeitige  Ge- 
burtsn  bewirke,  wenn  man  einen  Trank  davon  nähme,  wird 
von  Andern  verneint.  Der  Abergkiube  schreibt  vor,  man 
solle  es  da.  wo  es  vorkomme,  sogleich  aufbinden,  um  trie- 
fende Augen  zu  heilen,  und  sich  vorsehen,  damit  es  nicht 
auf  die  Erde  falle.  Seine  Blätter  sollen  denen  des  Thymians 
ähnlich,  aber  weicher  und  weisswollichter  sein.  Mit  wilder 
Raute  in  Regenwasser  zerrieben,  soll  es  das  Schlangengift 
unschädlich  machen,  und  ebenso  wie  die  Granatapfelblüthe 
zieht  es  Wunden  zusammen  und  hindert  ihr  Umsichfressen. 

85. 
Das  Holochrysum  heilt  mit  Wein  genommen  die 
Harnstange  und  aufgelegt  die  Augeuflüsse,  mit  Weinhefe 
oder  mit  Graupen  gebrannt  wirkt  es  wohlthätig  auf  Flech- 
ten. Die  Wurzel  der  Chrysocorae  erwärmt  und  zieht  zu- 
sammen. Man  gibt  sie  im  Tranke  bei  Leiden  der  Leber, 
Lunge,  und  in  Meth  gesotten  gegen  Gebärmutterschmerzen 
Sie  befördert  die  monatliche  Reinigung,  und  treibt,  roh  ge- 
gessen, das  Wasser  der  Wassersüchtigen  ab. 

86. 
Wenn  man  die  Bienenkörbe  mit  Melissophyllum  oder 
Bienenkraut  1)  reibt,  so  fliegen  die  Bienen  nicht  aus,  denn 
keine  Blüthe  ist  ihnen  lieber  als  diese,  und  hat  man  es  in 
hinreichender  Menge,  so  bleiben  die  Schwärme  leicht  bei- 
sammen. Es  ist  auch  das  beste  Mittel  gegen  die  Stiche 
der  Bienen,  Wespen  und  ähnlicher  Thiere,  sowie  der  Spinnen 
und  Scorpione.  Gegen  die  Zusammenschuürungen  der  Ge- 
bärmutter wandet  man  es  mit  Natron,  und  gegen  Bauch- 
grimmen mit  Wein  an.  Die  Blätter  werden  auf  Kröpfe 
und  mit  Salz  auf  kranke  After  gelegt.  Der  Absud  reinigt 
die  Frauen,  hebt  die  Entzündungen  und  heilt  Geschwüre, 
Gliederkrankheiten  und  Hundsbisse.  Die  Pflanze  ist  ferner 
gut  für  anhaltende  Ruhr,  Verstopfung,  Engbrüstikeit,  Milz- 


')  melittaena. 


118  Einundzwanzigstes  Buch. 

leiden  und  Brustgeschwüie.     Ihr  Saft  dient  mit  Honig  als 
ein  vorzügliches  Mittel  gegen  trübe  Augen. 

b7. 
Mit  dem  Melilotus  heilt  man  unter  Zusatz  des  Gelben 
vom  Ei  oder  Leinsamen  schlimme  Augen.  Derselbe  lindert 
auch  mit  Kosenöl  Kinnladenschmerz  und  Kopfweh ,  des- 
gleichen mit  Rosinenwein  Ohrenschmerz,  geschwollene  und 
aufgebrochene  Hände,  mit  Wein  gekocht  oder  roh  zerrieben 
Magendrücken.  Ebendieselbe  Wirkung  hat  er  auf  die  weib- 
liche Schaam;  alle  Fehler  der  Hoden  und  des  Afters  heilt 
er  frisch  mit  Wasser  oder  Rosinenwein  gekocht.  Auf  Krebs- 
geschwüre legt  man  ihn  mit  Rosenöl.  Man  brühet  ihn  mit 
süssem  Wein  an.  Gegen  die  Honiggeschwulste  zeigt  er 
sich  namentlich  sehr  wirksam, 

88. 
So  viel  ich  weiss,  hält  man  das  Dreiblatt  für  ein 
wirksames  Mittel  gegen  Verletzungen  durch  Schlangen  und 
Scorpione,  und  nimmt  zu  diesem  Behuf  20  Samenkörner 
mit  gewöhnlichem  oder  saurem  Weine,  oder  kocht  die  Blätter 
und  Stengel  ab;  auch  soll  man  niemals  Sehlaugen  im  Drei- 
blatt finden.  Ferner  wird  von  berühmten  Schriftstellern  be- 
hauptet, 25  Samenkörner  des  sogenannten  Minyanthes  seien 
ein  Antidot  gegen  alle  Gifte,  und  ausserdem  besitze  er  noch 
viele  andere  heilsame  Wirkungen.  Allein  gegen  diese  An- 
sichten spricht  das  Urtheil  eines  sehr  gewichtigen  Mannes, 
nämlich  des  Dichters  Sophokles,  welcher  sagt,  das  Dreiblatt 
sei  giftig;  auch  der  Arzt  Simus^)  giebt  an,  der  Saft  des 
gekochten  oder  zerquetschten  Dreiblatts  bewirke,  auf  den 
Körper  gegossen,  ein  ähnliches  Brennen,  wie  es  nach  dem 
Bisse  der  Schlangen  entstehe.  Ich  denke  daher,  dass  mau 
es  nie  anders  als  wider  Gifte  anwenden  sollte,  denn  viel- 
leicht besitzen  diese  Gifte  eine  dem  Dreiblatte  entgegen- 
gesetzte Natur ,  wie  wir  dergleichen  Fälle  mehr  haben. 
Auch  finde  ich,  dass  die  Samen  derjenigen  Art,  welche  die 


M  Nicht  näher  bekannt. 


Einundzwanzigstes  Buch,  \\^ 

kleinsten  Blätter  hat,  aufs  Gesicht  der  Frauen   gestrichen, 
die  Haut  zart  und  schön  erhält. 

89. 

Der  Thymian  muss  während  seiner  Blüthezeit  ge- 
sammelt und  im  Schatten  getrocknet  werden.  Es  giebt  2  Arten, 
eine  weisse  mit  holziger  Wurzel,  welche  auf  Hügeln  wächst 
und  besser  ist,  und  eine  dunklere  mit  dunkeln  Blüthen.  Beide 
sollen,  sowohl  verspeist  als  medicinisch  angewandt,  die 
Augen  klar  machen,  auch  langwierigen  Husten  vertreiben, 
und  als  Latwerge  mit  Essig  und  Salz  genommen,  den  Aus- 
wurf befördern.  Mit  Honig  gebraucht  hindert  er  die  Ver- 
dickung des  Blutes,  vertreibt  äusserlich  mit  Senf  aufgelegt 
die  Flüsse  der  Kehle,  sowie  Magen-  und  Bauchübel.  Doch 
darf  sein  Gebrauch  nur  massig  sein,  denn  er  erhitzt,  hemmt 
aber  den  Durchfall;  ist  im  Unterleib  ein  Geschwür,  so 
nimmt  man  1  Denar  schwer  Thymian  nebst  1  Sextarius 
Essig  und  Honig.  Dieselbe  Mischung  dient  gegen  Schmerzen 
in  der  Seite,  zwischen  den  Schultern,  in  der  Brust,  am 
Herzen,  bei  Wahnsinn  und  Melancholie.  Auch  gegen  Epi- 
lepsie giebt  man  den  Thymian,  und  wenn  der  daran  Kranke 
einen  Anfall  bekommt,  hält  man  ihm  demselben  unter  die 
Nase;  Einige  meinen,  es  sei  auch  nöthig,  dass  er  darauf 
schlafe.  Er  ist  ferner  gut  für  Engbrüstige,  Keuchende,  zu- 
rückbleibende Menstruation  und  todte  Leibesfrüchte,  zu 
welchem  Behufe  man  ihn  mit  Wasser  zu  einem  Drittel  ein- 
kocht. Bei  Männern  wird  er  mit  Honig  und  Essig  gegen 
Blähungen,  bei  Anschwellungen  des  Bauches  und  der  Hoden 
oder  bei  Blasenschmerz  gegeben;  Mit  Wein  vertreibt  er 
Geschwulste  und  Entzündungen,  mit  Essig  Schwielen  und 
Warzen.  Gepulvert  und  mit  Zusatz  von  Gel  in  Wolle  ge- 
than  legt  man  ihn  bei  Gliederkrankheiten  und  Verrenk- 
ungen, mit  Wein  gegen  Hüftweh  auf.  Man  giebt  auch  den 
Gliederkranken  3  Obolen  schwer  Thymian  mit  Essig  und 
Honig,  bei  üebelkeit  Thymian  mit  Salz. 

90. 

Die  Hemerocallis  hat  blassgrüne,  weiche  Blätter,  und 
eine  wohlriechende,   zwiebelige  Wurzel,  welche  mit  Honig 


]^20  Einundzwanzigstes  Buch. 

auf  den  Unterleib  gelegt,  das  Wasser  und  unnütze  Blut  ab- 
treibt. Die  Blätter  werden  auf  Augenflü.sse  und  Brüste, 
welche  nach  der  Geburt  schmerzen,  gelegt. 

91. 

Das  Heleninmi),  welches  von  der  Helena,  wie  wir 
bereits  gesagt  haben,  seinen  Namen  hat,  soll  die  Schönheit 
befördern,  die  Haut  im  Gesichte  und  an  den  übrigen  Körper- 
tbeilen  der  Weiber  frisch  und  zart  erhalten,  und  ihnen  An- 
mutli  und  Liebe  zum  andern  Geschlecht  ertheilen.  Auch 
soll  es  fröhlich  machen  und  in  Wein  genommen  ganz  die- 
selbe Wirkung  hervorbingen,  welche  das  von  Homer 2)  ge- 
priesene Nepenthes  hatte,  wodurch  alle  Traurigkeit  ver- 
scheucht werde.  Der  Saft  des  Helenium  schmeckt  süss. 
Aus  der  Wurzel  wird  ein  Trank  bereitet  und  dieser  von 
Engbrüstigen  Morgens  nüchtern  getrunken.  Die  Wurzel 
selbst  ist  inwendig  weiss  und  süss^).  Man  giebt  sie  in  Wein 
gegen  Schlangenbisse,  und  zuweilen  soll  sie  die  Mäuse  ver- 
tilgen. 

92. 

Vom  Abrotanum  werden  2  Arten  angeführt,  von  denen 
die  eine  auf  Feldern^),  die  andere  auf  Bergen  wächst 5), 
jene  ist  das  Weibchen,  diese  das  Männchen.  Beide  schmecken 
so  bitter  wie  Wermuth.  Die  beste  Sorte  kommt  aus  Sicilien, 
die  zweite  aus  Galatien.  Mau  bedient  sich  zum  Erwärmen 
wohl  auch  der  Blätter,  aber  mehr  des  Samens,  denn  er  er- 
weist sich  kräftig  bei  Husten,  Engbrüstigkeit,  Krämpfen, 
Verrenkungen  der  Lenden  und  Harnstrenge.  Man  bereitet 
einen  Trank,  welcher  aus  einer  Handvoll  Abrotanum  mit 
Wasser  zu  einem  Drittel  eingekocht  ist,  und  trinkt  zur  Zeit 
4  Becher  voll  davon.  Ferner  giebt  man  2  Drachmen  Samen  in 
Wasser  zerrieben;  er  wirkt  woblthätig  auf  die  Gebärmutter. 
Mit  Gerstenmehl  zertheilt  es  Geschwulste,  und  mit  gekochten 
Quitteuäpfelu  legt  man  es  bei  Augenentzündungen  auf.    Es 


')  S.  33  Cap.     ■-•)  Odyssee  IV.  220, 

3j  Hier  scheint  wieder  Inula  Helenium  L.  gemeint  zu  sein. 

■*)  Artemisia  campestris  L.?     ^)  Artemisia  Abrotanum  L. 


Einundzwanzigstes  Buch.  121 

verscheucht  die  Schlangen;  gegen  ihren  Biss  nimmt  mau 
es  mit  Wein  und  macht  Umschläge  davon.  Es  ist  das 
kräftigste  Mittel  gegen  diejenigen  Thiere,  deren  Gift  Zittern 
und  Frost  erregt,  wie  Scorpione  und  Spinnen;  auch  ver- 
tilgt es  andere  Gifte,  wenn  es  im  Trank  genommen  wird, 
vertreibt  den  Frost,  Eingeweideübel  und  zieht  alles,  was  im 
Körper  steckt,  heraus.  Ein  Zweig  davon  unter  das  Kopf- 
kissen gelegt,  soll  zum  Beischlaf  reitzen,  und  das  Kraut 
das  wirksamste  Mittel  wider  alle  Zauberei,  womit  man  den 
Beischlaf  hindern  kann,  sein. 

93. 
Das  Leucanthemum  mit  2  Theilen  Essig  vermischt, 
hilft  gegen  schweren  Athem.  Der  Majoran,  welcher  auf 
Cypern  am  besten  und  wohlriechendsten  vorkommt,  heilt  mit 
Essig  und  Salz  aufgelegt  die  Scorpionstiche.  Auch  befördert 
er  aufgelegt  die  monatliche  Reinigung,  wogegen  er  im  Tranke 
genommen  weniger  Wirksamkeit  besitzt.  Mit  Polenta  an- 
gewandt, heilt  er  die  Augeuflüsse.  Der  gekochte  Saft  hilft 
gegen  Bauchgrimmen,  Urinkrankheiten  und  Wassersucht. 
Trocken  ist  er  ein  Niesemittel.  Mau  bereitet  auch  ein  Oel 
daraus  i),  welches  zur  Erweichung  und  Erwärmung  der  Nerven 
und  Gebärmutter  dient.  Die  Blätter  werden  mit  Honig  auf 
Stossflecken  und   mit  Wachs  auf  verrenkte  Theile  gelegt. 

94. 
Von  der  Anemone 2)  haben  wir  bisher  nur  in  Bezug 
auf  ihre  Anwendung  zu  Kränzen  geredet;  jetzt  wollen  wir 
nun  auch  ihre  arzneilichen  Wirkungen  anführen.  Sie  wird 
von  Einigen  Phrenium  genannt  und  zählt  2  Arten,  eine 
wilde  und  angebauete,  die  aber  beide  sandigen  Boden  lieben. 
Letztere  zerfällt  wieder  in  mehrere  Unterarten ,  denn  es 
giebt  eine  mit  scharlachrothen  (die  am  häufigsten  ist),  mit 
purpurrothen  und  mit  milchweisen  Blüthen,  deren  Blätter 
aber  alle  denen  des  Eppichs  ähnlich  sind.    Sie  werden  selten 


*)  sampsuchinum  aut  ainaracinum. 

2)  Windblume.  Die  weiterhin  beschriebenen  Arten  sind  Anemone 
coronaria  L.  und  A.  hortensis  L. 


122  Einuiidzwauzigstes  BucTi. 

über  V2  Fuss  hoch  und  haben  einen  Gipfel  wie  der  Spargel. 
Die  Blüthen  öffnen  sich  nur,  wenn  der  Wind  weht  und 
ebendaher  rührt  ihr  Name,  Die  wilde  ist  grösser,  hat  brei- 
tere Blätter  und  rothe  Blumen.  Einige  halten  dieselbe 
irriger  Weise  für  den  Feldmohn  i),  Andere  für  den  Klatsch- 
mohn 2),  allein  diese  beiden  unterscheiden  sich  schon  dadurch 
von  jener,  dass  sie  später  blühen.  Die  Anemonen  geben 
auch  keinen  Saft  wie  jene,  haben  auch  keinen  Kelch,  son- 
dern einen  spargelartigen  Gipfel.  Sie  sind  ein  gutes  Mittel 
für  Kopfweh,  Entzündungen,  die  weibliche  Schaam  und 
Milch.  Mit  Ptisane  eingenommen  oder  mit  Wolle  aufgelegt, 
befördern  sie  den  Monatsfluss,  die  Wurzel  befördert  gekauet 
die  Absonderung  des  Schleimes,  heilt  die  Zähne  und  gekocht 
Augeufiüsse  und  Narben.  Die  Magier  ertheilen  ihnen  viele 
Heilkräfte;  sie  sagen,  man  müsse  sie,  sobald  man  sie  im 
Jahre  zum  ersten  Male  sehe,  herausnehmen  und  gegen  das 
drei-  und  viertägige  Fieber  aufbewahren.  Die  Blumen  solle 
man  in  ein  rosafarbiges  Tuch  binden,  an  einen  schattigen 
Ort  legen  und  nöthigenfalls  den  Kranken  auflegen.  Legt 
man  die  zerstossene  Wurzel  der  rothblüthigen  Art  einem 
Thiere  auf,  so  erzeugt  sie  vermöge  ihrer  beissenden  Eigen- 
schaft ein  Geschwür,  daher  sie  auch  zur  Reinigung  der  Ge- 
schwüre angewandt  wird. 

95. 
Das  Kraut  Oenanthe^)  wächst  auf  Felsen,  hat  Blätter 
wie  der  Pastinak  und  grosse  zahlreiche  Wurzeln.  Stengel 
und  Blätter  mit  Honig  und  schwarzem  Weine  eingenommen 
bewirken  eine  leichte  Geburt,  treiben  die  Nachgeburt  ab 
befreien  mit  Honig  vom  Husten  und  befördern  die  Abson- 
derung des  Harns,    Die  Wurzel  heilt  auch  die  Blasenleiden. 

Das  Heliochrysum,  von  Einigen  Chrysanthemum  ge- 
nannt, hat  weisse  Zweige,  weissliche,  dem  Abrotauum  ähn- 


')  argemone.    ^)  rhoeas. 
3)  S.  38.  Cap. 


Einundzwanzigstes  Buch.  123 

liehe  Blätter,  und  kreisförmig  steheudeDoldeutrauben,  welche 
von  der  Sonne  beschienen,  goldartig  glänzen  und  niemals 
welk  werden,  weshalb  man  auch  die  Götter  damit  be- 
kränzt, was  der  ägyptische  König  Ptolemaeus  am  sorgfäl- 
tigsten beobachtet  hat.  Es  wächst  in  Gesträuchen;  treibt 
mit  Wein  genommen  den  Urin  und  den  Monatsfluss,  zer- 
theilt  Verhärtungen  und  Entzündungen,  wird  mit  Honig  auf 
Brandwunden  gelegt  und  gegen  Schlaugenbisse  und  Lenden- 
übel getrunken.  Mit  Meth  gegeben  entfernt  es  das  im  Bauche 
oder  in  der  Blase  befindliche  geronnene  Blut.  Die  Blätter 
zu  3  Obolen  schwer  mit  weissem  Wein  genossen,  stillen 
die  Blutflüsse  der  Frauen. 

97. 
Die  Hyacinthe  kommt  in  Gallien  am  häufigsten  vor 
und  wird  dort  zum  Dunkelrothfärben  benutzt.  Die  zwiebel- 
artige Wurzel  ist  den  Sklavenhändlern  wohl  bekannt,  denn 
wenn  sie  mit  süssem  Wein  aufgelegt  wird,  so  tritt  die  Mann- 
barkeit nicht  hervor.  Sie  heilt  Bauchgrimmen  und  Spinnen - 
bisse,  treibt  den  Harn;  der  Same  wird  nebst  Abrotanum  gegen 
Schlaugen,  Scorpione  und  Gelbsucht  gegeben. 

98. 
Auch  von  der  glänzenden  Lychnis  wird  der  Same  mit 
Wein  gegen  Schlangen,  Scorpione,  Hornisse  und  ähnliche 
Thiere  eingenommen.  Die  wilde  Art  taugt  nicht  für  den 
Magen.  Sie  macht  Oeffuung,  führt  zu  2  Diachmeu  genom- 
men die  Galle  am  kräftigsten  ab,  und  ist  den  Scorpioueu 
so  zuwider,  dass  sie  schon  bei  ihrem  Anblick  erstarren. 
Die  Wurzel,  welche  von  den  Asianern  Bolites  genannt  wird, 
soll  auf  die  Augen  gebunden  die  weissen  Flecken  vertreiben. 

99. 
Das  Sinngrün  1)  oder  der  Zwerglorbeer  wird  getrock- 
net,  zerstossen    und  den  Wassersüchtigen    zu  1  Löffel  mit 
Wasser  eingegeben,  worauf  sehr  bald  Wasserentleeiung  er- 
folgt.   In  Asche  gebraten    und  mit  Wein  benetzt,   trocknet 


*)  Vincapex'vinca. 


124  Einundzwanzigstes  Buch, 

es  die  Geschwulste  aus.     Sein  Saft  heilt    schlimme  Ohren. 
Beim  Durchfall  aufgelegt  soll  es  gute  Dienste  leisten. 

100. 
Der  Absud  der  Wurzel  des  Ruscus  wird  bei  Steinkrank- 
heiten, schmerzhaftem  und  blutigem  Harnen  einen  um  den 
andern  Tag  getrunken.  Die  Wurzel  muss  zu  diesem  Zweck 
den  Tag  vorher  ausgegraben,  am  Morgen  darauf  gekocht, 
und  1  Sextarius  des  Absuds  mit  2  Bechern  Wein  vermischt 
werden.  Manche  nehmen  auch  die  rohe  mit  Wasser  zer- 
riebene Wurzel  ein,  und  allgemein  hält  man  nichts  wirk- 
samer für  die  männlichen  Geschlechtstheile  als  die  mit 
Essig  abgeriebenen  kleinen  Zweige. 

101. 
DieBatis  wirkt  auch  eröffnend.  Roh  und  zerkleinert 
legt  man  sie  beim  Podagra  auf.  Den  Acinos  bauen  die 
Aegypter  zur  Nahrung  und  zu  Kränzen;  er  sieht  dem  Ba- 
silienkraut sehr  ähnlich,  hat  aber  rauhere  Aeste  und  Blätter 
und  riecht  stark.  Er  befördert  don  Monatsfluss  und  |das 
Harnen. 

102. 
Das    Colocasia    soll   nach   Glaucias   die   Schärfe   im 
Körper  mildern  und  dem  Magen  zuträglich  sein. 

103. 
Vom  Anthalium  weiss  ich  sonst  keine  Nutzanwendung, 
als  dass  es  in  Aegypten  gegessen  wird.  Aber  von  dem  Kraute 
Anthylliumi),  welches  andere  Anthyllum  nennen,  giebt 
es  2  Arten;  seine  Blätter  und  Zweige  gleichen  denen  der 
kleinen  Linse,  seine  Grösse  beträgt  1  Palme,  es  wächst  auf 
sandigen,  sonnigen  Plätzen  und  schmeckt  etwas  salzig.  Die 
zweite  Art  2)  ist  der  Chamaepitys^)  ähnlich,  aber  kleiner  und 
rauher,  blühet  purpurfarbig,  riecht  unangenehm  und  wächst 
auf  steinigen  Plätzen.  Die  erstere  heilt  mit  Rosenöl  und 
Milch  aufgelegt  die  Gebärmutter  und  Wunden.  Gegen  Harn- 
strenge und  Nierenleiden  gebraucht  man  einen  aus  3  Drach- 


i)  Cressa  cretica  L.    ^)  Frankema  birsuta  L.? 
3)  S.  XXIV.  B.  20.  Cap. 


Einundzwanzigstes  Buch.  225 

men  bereiteten  Trank.  Die  zweite  Art  nimmt  man  gleich 
als  Trank  zu  4  Drachmen  mit  Honig  und  Essig  gegen  Ver- 
härtungen der  Gebärmutter,   Bauchgrimmen  und  Epilepsie. 

104. 

Das  Parthenium  nennen  Einige  Leucanthes,  Andere 
Amnacum,  unter  unsern  Landsleuten  Celsus  Rebbübuer- 
und  Mauerkraut  1).  Es  wächst  in  Gartenzäunen,  blübt  weiss, 
riecbt  wie  Aepfel  und  schmeckt  bitter.  Bei  Verhärtungen 
und  Entzündungen  der  Gebärmutter  wird  ein  Absud  davon 
bereitet,  über  welchen  der  Kranke  sich  setzt.  Trocken  mit 
Honig  und  Essig  aufgelegt  treibt  es  die  schwarze  Galle  ab; 
daher  auch  sein  Nutzen  bei  Schwindel  und  Nierenkrank- 
heit. Mit  altem  Fett  legt  man  es  auf  die  Nase  und  auf 
Kröpfe.  Die  Magier  schreiben  vor,  gegen  das  dreitägige 
Fieber  das  Mutterkraut  mit  der  linken  Hand  auszuziehen, 
dabei  zu  sagen,  warum  man  es  ausziehe  und  nicht  rück- 
wärts zu  sehen;  darauf  dem  Kranken  ein  Blatt  davon  unter 
die  Zunge  zu  legen,  und  es  ihn  bald  nacher  mit  1  Becher 
Wasser  verschlucken  zu  lassen. 

105. 

Es  wäre  zu  wünschen,  dass  sich  die  Kranzflechter  in 
Aegypten  des  Trychnon'-),  welchen  Einige  Strychnon 
nennen,  nicht  bedienten;  die  Aehnlichkeit  der  Blumen  bei 
beiden  Arten  verleitet  sie  dazu.  Die  eine  derselben,  welche 
rothe  Beeren  und  körnige  Balgkapseln  hat,  nennen  Einige 
Halicacabum^),  Andere  Gallium,  wir  aber  Blasengewächs, 
weil  es  für  Blase  und  Steine  gut  ist.  Es  ist  eher  ein  Strauch 
als  ein  Kraut  und  hat  grosse  kegelförmige  Balgkapseln, 
in  welcher  sich  eine  grosse  Beere  befindet,  die  im  November 
reif  wird.  Die  dritte  Art  hat  Blätter  wie  das  Basilienkraut 
und  verdient  von  denen,  welche  Arzneimittel  und  keine  Gifte 


')  Plinius  verwechselt  hier  offenbar  mehrere  Pflanzen  miteinan- 
der, welche  allerdings  silramtlich  Parthenium  hiessen.  In  diesem  Cap. 
ist  aber  speciell  nur  von  der  Matricaxia  Parthenium  L.  (Mutterkraut) 
die  Rede. 

2)  Etwa  Solanum  nigrum  L.? 

3)  Meerkirsche.    Physalis  somnifera  L. 


226  Einundzwanzigstes  Buch. 

beschreiben,  nicht  berücksichtigt  zu  werden,  denn  ihr  Saft 
erzeugt,  selbst  in  geringer  Menge  genommen,  Wahnsinn^ 
Die  griechischen  Schriftsteller  machen  zwar  einen  Scherz 
daraus,  indem  sie  sagen,  1  Drachme  desselben  bewirke,  dass 
man  mit  der  Schaamhaftigkeit  sein  Spiel  treiben  könne, 
denn  man  bekäme  dann  allerlei  Gestalten  und  Vorstel- 
lungen in  den  Kopf;  verdopple  man  aber  die  Dosis,  so  wäre 
ein  völliger  Wahnsinn  die  Folge  davon,  und  nehme  man 
noch  mehr,  so  müsse  man  sterben.  Diess  ist  dasselbe  Gift, 
welches  die  glaubwürdigsten  Schriftsteller  Dorycniumi) 
genannt  haben,  weil  damit  in  den  Gegenden,  wo  es  häufig 
wächst,  die  in  den  Kriegen  dienenden  Lanzen  benetzt  wur- 
den. Diejenigen,  welche  nicht  so  sorgfältig  nachforschten, 
nannten  es  Manicon^);  welche  es  böswilligerweise  verhehl- 
ten, Erythron^)  oder  Neuras^),  Andere  Perisson^),  — 
was  alles  sorgfältig  anzuführen  ich  für  nothwendig  halte, 
damit  man  sich  davor  in  Acht  nimmt.  Auch  die  zweite 
Art,  welche  Halicacabum  heisst,  erregt  Schlaf  und  führt 
noch  schneller  als  das  Opium  zum  Tode;  es  wird  von  einigen 
Morion^),  von  Andern  Moly  genannt.  Diocles  und  Evenor 
dagegen  loben  diess  Gewächs,  undTimaristus^)  sogar  in  einem 
Gedichte,  wobei  man  sich  über  ihr  Nichtbeachten  von  dessen 
Schädlichkeit  wundern  muss,  weil  sie  einen  weinigen  Auf- 
guss  davon  zum  Ausspühlen  des  Mundes,  um  lose  Zähne  zu 
befestigen,  als  ein  schnell  wirkendes  Mittel  empfehlen;  doch 
soll,  wie  sie  hinzufügen,  diese  Kur  nicht  zu  lange  dauern, 
denn  sonst  entstehe  dadurch  Wahnsinn.  Mau  empfiehlt  also 
Mittel,  deren  Anwendung  ein  noch  grösseres  üebel  nach 
sich  ziehen  kann!  So  rechnet  man  auch  die  dritte  Art  zu 
den  essbaren  Gewächsen  und  die  in  Gärten  wachsenden 
werden  ihres  Geschmackes  wegen  vorgezogen.   Xenocrate^ 


')  Lanzengift.  Convolvulns  Dorycnium  L.  ? 

2)  Tollkraut.  Atropa  Belladonna  L.?    3)  Rothkraut. 

*)  Nervenkraut.     ^)  Nutzloses  Kraut.  Datura  Stramonium  L.? 

^)  Narrenkraut. 

■')  Ein  nicht  näher  bekannter  Arzt. 


Einundzwanzigstes  Buch.  ]^27 

sagt,  es  gebe  kein  körperliches  Uebel,  für  welches  das 
Strychnon  nicht  heilsam  sei;  allein  sein  Nutzen  ist  nicht 
der  Art^  dass  ich  mich  ausführlich  darüber  verbreiten  kann, 
zumal  wir  eine  so  grosse  Anzahl  unschädlicher  Medika- 
mente besitzen.  Die,  welche  im  Wahrsagen  bewandert  sind, 
nehmen  einen  aus  der  Wurzel  der  Meerkirsche  bereiteten 
Trank  zu  sich,  um  sich,  zur  Bestärkung  des  Aberglaubens, 
das  Ansehen  eines  Wahnsinnigen  zu  geben.  Ein  Hülfs 
mittel  dagegen  (was  ich  um  so  lieber  hier  mittheile)  ist 
häufiges  Trinken  von  warmem  Meth.  Ferner  will  ich  nicht 
übergehen,  dass  die  Meerkirsche  den  Giftschlangen  so  zu- 
wider ist,  dass,  wenn  man  die  Wurzel  ihnen  nähert,  sie 
einschlafen  und  dadurch  ihre  gefährlichen  Eigenschaften 
verlieren.  Daher  legt  mau  auch  die  mit  Oel  abgeriebene 
Wurzel  auf  solche  Bisswunden. 

106. 

Der  Corchorus  ist  ein  Kraut  mit  zusammengerollten, 
dem  Maulbeerbaume  ähnlichen  Blättern,  welches  in  Alexan- 
drien  zur  Speise  dient;  es  soll  für  Brust,  Kahlköpfigkeit 
und  Sommersprossen  gut  sein.  Auch  finde  ich  bei  Nican- 
der,  dass  es,  vor  der  Blüthezeit  gesammelt,  die  Räude  des 
Rindviehs  und  die  Bisse  der  Schlangen  aufs  schnellste  heilt. 

107. 

Des  Cnicus  oder  Atractylis,  eines  ägyptischen  Krautes, 
brauchte  ich  uicht  weiter  zu  erwähnen,  wenn  es  nicht  ein 
bewährtes  Mittel  wider  giftige  Thiere  und  Pilze  gäbe. 
Wenn  Menschen,  die  von  Scorpionen  gestochen  sind,  diess 
Kraut  in  die  Hand  nehmen,  so  fühlen  sie,  so  lange  sie  es 
halten,  keinen  Schmerz. 

108. 

Die  Persoluta  wird  in  den  ägyptischen  Gärten  um 
der  Kränze  willen  gebauet.  Es  giebt  2  Arten,  eine  männ- 
liche und  weibliche;  beide  sollen  untergelegt  bei  Männern 
die  Lust  zum  Beischlafe  benehmen. 

109. 

Weil   wir   uns  bei  Maass  und  Gewicht  häufig  grie- 


128  Einundzwanzigstes  Buch. 

chischer  Namen  bedienen  müssen ,  so  wollen  wir  jetzt  die- 
selben bier  ein  für  allemal  näber  bezeichnen.  Die  attische 
Drachme  (denn  die  attische  gebrauchen  die  Aerzte  fast 
durchgehends)  ist  1  Silberdeuar  schwer  und  gleich  6  Obo- 
len,  1  Obolus  zu  10  Chalci  gerechnet.  1  Becher;  wiegt  10 
Drachmen.  1  Acetabulum  ist  der  vierte  Theil  einer  Hemina 
oder  15  Drachmen.  1  Mna,  welche  wir  Mina  nennen,  wiegt 
100  attische  Drachmen. 

•)  cyathus. 


Zweiundzwanzigstes  Buch. 


Von  dem  Ansehn  und  Werthe  der  Kräuter  und  Feldfrüchte. 

1. 

Erwägt  man  bloss  die  zahlreichen;  im  vorigen  Buche 
genannten  Kräuter,  welche  zum  Nutzen  nud  Vergnügen  der 
Menschen  geschaffen  sind,  so  muss  man  gestehen,  dass 
Natur  und  Erde  schon  darum  ihre  Wunder  vollendet  haben. 
Allein  wie  vieles  weit  Erstaunenswertheres  bleibt  uns  noch 
übrig?  denn  jene  Gewächse  verdanken  ihre  zahlreiche  An- 
wendung grösstentheils  ihrer  Geniessbarkeit,  sowie  ihrem 
Gerüche  und  ihrer  Schönheit,  die  übrigen  aber  beweisen 
durch  ihre  Kräfte,  dass  die  Natur  nichts  ohne,  wenn  auch 
weniger  offenkundige  Ursache  erzeugt. 

2. 

Ich  finde  ferner,  dass  mehrere  auswärtige  Völker  sich 
verschiedener  Kräuter  wegen  ihrer  Gestalt  und  nach 
alter  Sitte  an  ihren  Körpern  bedienen.  Wenigstens  be- 
streichen manche  Frauen  unter  den  Barbaren  das  Gesicht 
und  unter  den  Daciern  und  Sarmaten  die  Männer  den  Leib 
damit.  In  Gallien  wird  ein  dem  Wegebreit  ähnliches  Kraut 
Trauerkraut  1)  genannt;  mit  diesem  färben  sich  die  alten 
und  jungen  Weiber  in  Britanien  bei  gewissen  religiösen 
Handlungen  den  ganzen  Körper  nach  Art  der  Mohren  und 
gehen  dann  nackend  einher. 


•)  glastum,  von  xkaiu)  weinen.     Isatis  tinctoria  L,  s.  XX.  25. 

wittstein:  Plinius.    IV.  Bd.  9 


y^Q  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

3. 

Bekanntlich  werden  jetzt  die  Kleider  äusserst  schön 
purpurn  gefärbt  und  nicht  zu  gedenken  der  zu  den  Kaiser- 
mänteln angewandten  Coccusfarbe  aus  Galatien,  Afrika  und 
Lusitanien,  so  bringt  man  jetzt  im  transalpinischen  Gallien 
die  tyrische,  die  Conchylien-  und  alle  andern  Farben  mit 
Kräutern  hervor.  Die  dortigen  Bewohner  suchen  keine 
Stachelschnecken  in  der  Tiefe  des  Meeres,  bieten  nicht  selbst 
ihr  Leben  feil,  um  den  Meerungeheuern  etwas  zu  entreissen, 
und  durchspähen  nicht  die  von  den  Ankern  noch  unberühten 
Gründe,  um  etwas  zu  finden,  wodurch  die  Frau  dem  Ehe- 
brecher sich  gefällig  macht,  und  der  Verführer  die  Ehe- 
gattin heranlockt;  sondern  sie  sammeln  das  Material  gleich 
den  Feldfrücbten  im  Trocknen.  Allein  leider  ist  dessen 
Gebrauch  nicht  allgemein  geworden,  sonst  könnte  der  Luxus 
sich  recht  glänzend  und  doch  vorwurfsfreier  darin  zeigen. 
Unsere  Absicht  geht  jetzt  nicht  dahin,  diess  Kapitel  weiter 
zu  besprechen,  sondern  wir  wollen,  den  Luxus  weniger  be- 
achtend, solidere  Dinge  in  Untersuchung  ziehen,  denn  sonst 
müssten  wir  auch  von  dem  Färben  der  Steine  und  dem 
Bemalen  der  Wände  mit  Kräutern  reden.  Wir  würden  jedoch 
die  Färbekunst  nicht  übergangen  haben,  wenn  sie  jemals 
zu  den  freien  Künsten  gezählt  worden  wäre.  Indessen  steigt 
hiedurch  das  Ansehen  der  Kräuter,  nnd  in  welchem  Grade 
es  selbst  den  tauben,  d.  h.  unansehnlichen  zukomme,  wer- 
den wir  angeben.  Die  Stifter  des  römischen  Reichs  wähl- 
ten nämlich  aus  diesen  ihren  bedeutenden  Bedarf,  denn 
wozu  anders  gehören  die  als  allgemeine  Heilmittel  ge- 
brauchten Sagmina  und  die  bei  Opfern  und  Gesandschaften 
dienenden  Verbenen?  Wenigstens  bezeichnen  beide  Namen 
ein  und  dasselbe,  d.  i.  Gras,  welches  auf  einer  Anhöhe  mit 
der  Erde  ausgerissen  ist,  und  jedesmal  hiess  einer  von  den 
Gesandten ,  welche  zum  Feinde  geschickt  wurden  um  Ge- 
nugthuung ')  d.  h.  die  Wiedererstattung  der  geraubten  Sachen 
mit  lauter  Stimme  zu  verlangen,  der  Grasträger. 2) 


*)  adclarigatum.     ^)  Verbenarius. 


Zweiunclzwanzigstes  Buch.  131 

4. 

Zur  Bezeichnung  der  Würde  des  miicbtigsten  Volks 
auf  Erden  und  zu  Belohnungen  für  erworbenen  Ruhm  stand 
kein  Kranz  mehr  im  Ansehn  als  der  Graskranz.  Später 
kamen  die  mit  Gold  und  Edelsteinen  besetzten,  die  Wall-, 
Mauer-,  Schiffs-,  Bürger-  und  Triumphkiionen  auf,  aber  erst 
lange  Zeit  nacher,  und  sehr  verschieden  unter  sich  selbst. 
Alle  übrigen  gaben  einzelne  Personen  selbst  Feldherren 
und  Kaiser  ihren  Soldaten  und  mitunter  auch  ihren  Amts- 
genossen, die  Triumphkrone  aber  ward  durch  Beschluss  des 
Senats,  wenn  er  der  Kriegssorge  enthoben  war,  und  des  in 
Ruhe  lebenden  Volks,  und  die  Graskorue  nicht  anders  als 
in  der  höchsten  Noth,  wenn  Jemand  z.  B.  ein  ganzes  Kriegs- 
heer gerettet  hatte,  erhielt.  Die  übrigen  gab  der  Feldherr, 
letztere  allein  der  Soldat  dem  Feldherrn.  Die  sogenannte 
Belagerungskrone  bezieht  sich  auf  die  Befreiung  eines 
ganzen  Lagers  von  der  Belagerung  und  einem  schmäh- 
lichen Untergange.  Wenn  man  schon  die  Ehre  der  Bürger- 
krone für  die  Rettung  eines  wenn  auch  noch  so  geringen 
Bürgers  für  ansehnlich  und  heilig  hält,  wie  hoch  verdient 
dann  die  Rettung  eines  ganzen  Heeres  durch  eines  Einzigen 
Tapferkeit  angeschlagen  zu  werden?  Die  für  solche  Fälle 
bestimmte  Krone  wurde  aus  Gras,  welches  da,  wo  die  That 
geschehen  war,  geflochten;  es  galt  nämlich  bei  den  Alten 
als  ein  Zeichen  des  vollständigsten  Sieges,  wenn  die  Be- 
siegten Kraut  überreichten,  d.  i.  die  Erde,  ihre  Ernährerin 
und  Grabstätte,  abtraten,  welche  Sitte,  soviel  ich  weiss, 
jetzt  noch  bei  den  Germanen  besteht. 

5. 

Mit  einem  Graskranze  ist  nur  einmal  L.  Siccius  Den- 
tatus,  welcher  schon  14  Bürgerkronen  verdient  und  in  120 
Schlachten  stets  als  Sieger  gefochten  hatte,  beschenkt  worden; 
so  selten  ist  es,  dass  die  Geretteten  den  Retter  beschenkten. 
Mehrere  Feldherrn  haben  sie  öfter  bekommen,  z.  B.  der  Kriegs- 
tribun P.  Decius  Mus  eine  von  dem  Heere,  eine  zweite  von 
denen,  welche  in  der  Festung  belagert  waren;  und  wie  gross 
die  ihm  damit  bewiesene  Ehre  war,  bewies  er  dadurch,  dass  er 

9* 


232  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

dem  Mars  einen  weissen  Ochsen  und  100  gelbliehe,  die  er 
zuo-leich  von  jenen  erhalten  hatte,  weibete.  Derselbe  Decius 
opferte  sieh  später  als  Consul  unterj  der  Tyrannei  seines 
CoUegen  für  den  Sieg  auf.  Auch  der  Senat  und  das  römische 
Volk  verlieh  (was  ich  für  das  Ruhm  würdigste  und  Erhabenste 
unter  allen  Dingen  halte)  eine  Graskrone  dem  Fabius, 
welcher,  ohne  zu  streiten,  das  römische  Reich  wiederher- 
stellte; er  bekam  sie  dagegen  nicht,  als  er  den  Oberbefehls- 
haber der  Reiterei  und  das  Heer  gerettet  hatte.  Damals 
hielt  man  es  für  besser,  ihm  einen  neuen  Namen  zu  geben, 
und  die  Geretteten  nannten  ihn  Vater;  aber  nachdem  er 
Hannibai  aus  Italien  vertrieben,  ward  ihm  die  besagte  Ehren- 
bezeugung einstimmig  zu  Theil.  Dieser  Kranz  ist  noch  der 
einzige,  welcher  mit  den  Händen  des  Staats,  und,  was  eigen- 
thümlich  erscheint,  allein  von  ganz  Italien  aufgesetzt  wird. 

6. 
Ausserdem  ward  die  Ehre  dieser  Krone  dem  P.  Cal- 
purnius  Flamma,  einem  Kriegstribun  in  Sicilien,  bis  auf  diese 
Zeit  aber  nur  einem  einzigen  Centurio,  dem  Cn.  Petrejus 
Atinas,  im  cimbrischen  Kriege  zu  Theil.  Letzterer,  welcher 
unter  Catulus  als  erster  Hauptmann  diente,  feuerte  seine  vom 
Feinde  abgeschnittene  Legion  an,  tödtete  seinen  Obersten, 
welcher  Bedenken  trug,  das  feindliche  Lager  zu  durch- 
brechen und  führte  das  Heer  glücklich  hindurch.  Ich  finde 
ferner  aufgezeichnet,  dass  derselbe  ausser  dieser  Ehrenbe- 
zeugung mit  einer  Prätexta  bekleidet  in  Gegenwart  der 
Consuln  Marius  und  Catulus  auf  einem  kleinen  eigens 
errichteten  Altare  beim  Klange  der  Flöten  geopfert.  Der 
Dictator  Sulla  schreibt,  dass  auch  er  und  zwar  bei  Nola 
als  Unterfeldherr  (legatus)  im  marsischen  Kriege  vom  Heere 
damit  bekränzt  worden  sei,  und  diese  Begebenheit  Hess  er 
sogar  in  seinem  Landhause  zu  Tusculum,  welches  später 
dem  Cicero  gehörte,  bildlich  darstelleu.  Wenn  diess  wahr 
ist,  so  erscheint  er  in  meinen  Augen  noch  verabscheuungs- 
würdiger,  denn  durch  seine  Achtserklärung  riss  er  sich 
die  Krone  selbst  vom  Haupte,  weil  er  später  um  so  mehr 
Bürger   umbrachte,   als    er   früher   wenige    gerettet   hatte. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  133 

Mochte  er  auch  dieser  Ehre  noch  den  stolzen  Beinamen 
des  Glücklichen  hinzufügen,  so  musste  er  doch,  da  die  Be- 
lagerten auf  dem  ganzen  Erdkreise  verachtet  werden,  jene 
Krone  dem  Sertorius  überlassen.  Varro  berichtet,  auch  Aemi- 
lianus  Scipio  sei  unter  dem  Consulate  des  Manilius  mit  einer 
Belagerungskrone  in  Afrika,  wo  er  3  Coborten  gerettet  und 
zu  diesem  Zwecke  eben  so  viele  ausgeführt  hatte,  beschenkt 
worden.  Der  Kaiser  Augustus  Hess  diess  Ereigniss  an  seiner 
auf  dem  Forum  errichteten  Bildsäule  eingraben.  Dem  Au- 
gustus selbst  schenkte  der  Senat  am  13.  September  unter 
dem  Consulate  des  Jüngern  Cicero  die  Belagerungskrone, 
denn  die  Bürgerkrone  schien  ihm  keine  hinreichende  Be- 
lohnung. Ausserdem  ist  mir  Niemand  bekannt,  der  damit 
beschenkt  worden  sei. 

7. 
Zu  einer  solchen  Ehrenbezeugung  gebrauchte  man  aber 
keine  besfimmten  Kräuter,  sondern  die,  welche  gerade  an 
dem  Orte  der  Gefahr  wuchsen,  denn,  so  unansehnlich  und 
unbedeutend  sie  auch  waren,  gereichten  sie  doch  zu  hoher 
Ehre.  Dass  diess  bei  uns  so  unbekannt  ist,  nimmt  mich 
wenig  Wunder,  weil  ich  sehe,  dass  man  selbst  das  verachtet, 
was  zur  Erhaltung  der  Gesundheit,  zur  Entfernung  der  kör- 
perlichen Uebel  und  Abhaltung  des  Todes  dient.  Doch  wer 
möchte  nicht  mit  Recht  unsere  Sitten  strafen?  Leckerei  und 
Luxus  haben  den  Werth  des  Lebens  erhöht.  Niemals  war 
die  Sucht  zu  leben  grösser  und  die  Sorge  dafür  geringer 
als  jetzt.  Wir  glauben,  Anderen  käme  diese  Mühe  zu.  An- 
dere mtissten  diess  auch  ohne  unsern  Befehl  thun,  und  den 
Äerzten  läge  die  Sorge  für  unser  leibliches  Wohl  ob.  Wir 
selbst  geniessen  die  Vergnügungen  und  (was  ich  für  das 
Schändlichste  halte)  wir  leben  im  Vertrauen  auf  Andere. 
Ja  ich,  der  ich  diess  schreibe,  werde  sogar  den  Meisten  zum 
Gelächter,  man  beschuldigt  mich,  ich  beschäftige  mich  mit 
unnützen  Dingen,  und  verachtet  den  mit  einer  so  unge- 
heuren Arbeit  verbundenen  Trost  sammt  der  Natur  selbst; 
doch  ich  will  wenigstens  zeigen,  dass  diese  mir  nicht  fremd 
ist,  und  dass  sie  unscheinbaren  Kräutern,  sogar  stachlich- 


j^34  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

ten,  Heilkräfte  verliehen  hat,  Sie  schliessen  sich  zunächst 
an  die  in  vorigem  Buche  genannten,  und  reissen  mich  zur 
Bewunderung  und  Verehrung  der  Vorsehung  hin,  denn  sie 
schuf,  wie  bereits  angeführt,  weiche  und  schmaclvhafte, 
malte  die  Arzneimittel  in  die  Blumen  gleichsam  hinein  und 
lud  durch  deren  Aussehn  die  Menschen  ein,  verband  also 
Heil  und  Freude  miteinander.  Ferner  brachte  sie  solche 
hervor,  welche  rauh  aussehen,  gefährlich  anzurühren  sind, 
und  uns  fast  die  Stimme  des  Schöpfers  und  seine  Absicht 
vernehmen  lassen;  denn  er  schützte  dieselben  mit  Stacheln 
und  waffnete  sie  mit  Geschossen,  damit  die  gefrässigen 
Thiere  sie  nicht  verzehren,  muthw^illige  Hände  sie  nicht 
abreissen,  keine  Fustritte  sie  vernichten,  keine  Vögel  sich 
darauf  setzen  und  sie  zerbrechen,  sondern  ihre  Heilkräfte 
unversehrt  erhalten  werden.  So  ist  auch  das,  was  wir  an 
ihnen  hassen,  um  der  Menschen  willen  vorhanden. 

8. 
Unter  den  stachlichten  Gewächsen  ist  ganz  besonders 
die  Mannstreu^)  berühmt,  denn  sie  wird  gegen  Schlangen 
und  alle  andern  Gifte  gebraucht.  Wider  Stiche  und  Bisse 
nimmt  man  ihre  Wurzel  zu  1  Drachme  mit  Wein,  oder 
wenn  Fieber  damit  verbunden,  mit  Wasser.  Man  legt  sie 
auf  Wunden  und  besonders  wirksam  ist  sie  gegen  Land- 
hydern  und  Frösche.  Der  Arzt  Heraclides  hält  sie  in  Gänse- 
brühe gekocht  für  das  wirksamste  Mittel  gegen  Aconitum 
und  andere  Gifte.  Apollodorus  lässt  sie  wider  Gift  mit 
Fröschen  absieden,  die  Uebrigen  bloss  mit  Wasser.  Das  Ge- 
wächs selbst  ist  hart,  staudig,  1  Elle  und  darüber  hoch, 
weisslich  oder  schwarz,  hat  einen  gegliederten  Stengel, 
stachlichte  Blätter,  eine  wohlriechende  Wurzel  und  wird 
angebauet,  kommt  jedoch  auch  wild  an  rauhen  steinigten 
Plätzen  und  an  der  Meeresküste  vor,  erscheint  dann  aber 
noch  fester  und  dunkler;  ihre  Blätter  sehen  denen  des  Eppichs 
ähnlich. 


•)EryngesivcEryngiuni.Eryngium  campestre,  maritimum,  graecum. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  135 

9. 
Die  weisse  Art  derselben  nennt  man  bei  uns  Hundert- 
kopf. Sie  besitzt  ganz  dieselben  Wirkungen;  Stengel  und 
Wurzel  werden  bei  den  Griechen  rohoder  gekocht  verspeist,  i) 
Merkwürdig  ist  es,  was  davon  erzählt  wird;  die  Wurzel  soll 
nämlich  in  der  Gestalt  Aehnlichkeit  mit  einem  Menschen 
(männlichen  oder  weiblichen  Geschlechts)  haben,  schwer  zu 
finden  sein,  und  die  Männer,  wenn  sie  das  Männchen  be- 
kommen, liebenswürdig  machen.  Diess  sei  auch  die  Ursache, 
warum  Sappho  den  Phaon  aus  Lesbos  geliebt  habe.  Nicht 
nur  die  Magier,  sondern  auch  die  Pythagoräer  haben  mit 
dieser  Wurzel  viele  Thorheiten  begangen.  Ausser  in  den 
oben  genannten  P'ällen  dient  sie  bei  Blähungen,  Bauch- 
grimmen, Herz-,  Magen-,  Leber-  und  Brustleiden  in  Meth, 
und  für  die  Milz  in  saurem  Wein  genommen;  ferner  mit 
Meth  bei  Nierenleiden,  Harnstrenge,  Rückgratkrämpfen, 
Lendenweh,  Wassersucht,  Epilepsie,  unterdrückter  und  zu 
reichlicher  Menstruation,  und  allen  Krankheiten  der  Gebär- 
mutter. Mit  Honig  zieht  sie  alle^s,  was  im  Körper  steckt, 
heraus.  Mit  gesalzenem  Fett  und  Gerat  heilt  sie  Kröpfe, 
Ohrengeschwüre,  Geschwulste,  das  von  den  Knochen  sich 
ablösende  Fleisch  und  Bruchschäden.  Vorher  genommen 
hindert  sie  das  Berauschtwerden,  hemmt  auch  den  Durch- 
fall. Einige  römische  Schriftsteller  sagen,  sie  müsse  wäh- 
rend der  Sonnenwende  eingesammelt  werden;  mit  Regen- 
wasser aufgelegt  heile  sie  alle  Krankheiten  des  Nackens, 
und  aufgebunden  die  weissen  Flecken  auf  den  Augen. 

10. 

Einige  rechnen  zu  der  Mannstreu  das  Acanum^),  ein 
kleines  stachlichtes  breites  Kraut  mit  breiten  Stacheln;  es 
soll  aufgelegt  die  Kraft,  das  Blut  zu  stillen,  in  hohem  Grade 
besitzen. 


»)  Die  Arten  Eryngium  graecum  und  maritimnm. 
^)  Onopordon  Acanthium  und  0.  illyricum. 


23g  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

11. 

Andere  sind  der  irrigen  Ansicht,  Mannstreu  und  Süss- 
holz*)  seien  ein  und  dasselbe  Gewächs,  daher  wir  von 
letzterem  sogleich  das  Nöthige  mittheilen  wollen.  Das^ 
Süssholz  gehört  unbezweifelt  auch  zu  den  stachlichten 
Pflanzen,  denn  es  hat  stachlichte  Blätter,  die  sich  fett  und 
schleimig  anfühlen,  ein  strauchiges  Ansehn,  eine  Höhe  von 
2  Ellen,  Blüthen  wie  |die  Hyacinthe  und  Früchte  von  der 
Grösse  der  Platanenkugeln.  Das  beste  wächst  in  Cicilien 
dann  folgt  das  pontische,  die  Wurzel  ist  süss  und  nur  allein 
im  Gebrauche,  wird  beim  Untergange  des  Siebengestirns 
gegraben  und  hat  die  Längo  der  Weinranken;  die  buchs- 
baumfarbige  und  zähe  ist  besser  als  die  dunkle  und  spröde. 
Zum  Unterlegen  kocht  man  sie  zu  einem  Drittheil  ein, 
ausserdem  bis  zur  Consistenz  des  Honigs,  zuweilen  zerstösst 
man  sie  auch  und  legt  sie  in  dieser  Form  auf  Wunden  und 
und  alle  Fehler  im  Schlünde.  Der  verdickte  Saft  wird  zur 
Verbesserung  der  Stimme  unter  die  Zunge  gestrichen,  auch 
für  Brust  und  Leber  angewandt.  Dass  die  Wurzel  Hunger 
und  Durst  stille,  haben  wir  bereits  gesagt.  Darum  nannten 
sie  auch  Einige  die  du rstver treibende 2)  und  verordneten 
sie  den  Wassersüchtigen  gegen  den  Durst,  Man  kauet  sie 
ferner  als  Magenmittel  und  streuet  sie  auf  Mundgeschwüre 
und  das  Fell  im  Auge.  Sie  heilt  Blasengeschwüre,  kranke 
Nieren,  Geschwulst  am  After  und  Geschwüre  an  den  Ge- 
schlechtstheilen.  Einige  geben  sie  im  Tranke,  zu  2  Drach- 
men mit  Pfeffer  und  1  Hemina  Wasser  gegen  das  vier- 
tägige Fieber.  Gekaut  hemmt  sie  den  Blutfluss  aus  Wun- 
den. Nach  der  Behauptung  Einiger  soll  sie  auch  die  Blasen- 
steine abtreiben. 

12. 

Vom  Tribulus  wächst  eine  Art  in  den  Gärten,  die 
andern  nur  an  Flüssen.  Der  Saft  wird  zu  Augenmitteln 
und  wegen  seiner  kühlenden  Eigenschaft  namentlich  gegen 


»)  Glycyi-rhiza.     ^)  Adipsos. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  137 

Entzündungen  und  Zusammenbäufungen  von  Haften  ange- 
wandt. Die  von  selbst  aufbrechenden  Geschwüre,  besonders 
im  Munde,  sowie  die  geschwollenen  Mandeln  am  Halse  heilt 
er  mit  Honig,  im  Tranke  genommen  zerkleinert  er  den 
Blasenstein.  Die  Thracier,  welche  am  Strymon  wohnen> 
füttern  ihre  Pferde  mit  den  Blättern;  sie  selbst  leben  von, 
den  Samenkernen,  aus  welchen  sie  ein  sehr  süsses  Brot  be- 
reiten, das  Verstopfung  bewirkt.  Wenn  die  Wurzel  von 
keuschen  und  reinen  Personen  gesammelt  wird,  so  lassen 
sich  die  Kröpfe  damit  zertheilen.  Der  Same  stillt  aufge- 
bunden die  Schmerzen  in  den  Krampfadern  und  tödtet,  in 
Wasser  vertheilt,  die  Flöhe. 

13. 

Die  Stoebe*),  welche  von  Einigen  Pheos  genannt  wird, 
heilt  mit  Wein  abgekocht  eitrige  Ohren,  blutig  geschlagene 
Augen  und  aufgegossen  Blutfltisse  und  Durchfall. 

14. 

Die  Hippophyes2)  wächstauf  sandigen  Stellen  sowie 
am  Meere  und  hat  weisse  Dornen.  Sie  trägt  Trauben  wie 
der  Epheu.  mit  weissen  und  röthlichea  Beeren.  Die  Wurzel 
trieft  von  Saft  und  wird  entweder  für  sich  oder  in  Mehl- 
brötchen aufbewahrt.  Zu  1  Obolus  schwer  eingenommen, 
namentlich  in  Meth,  treibt  sie  die  Galle  ab.  Eine  zweite 
Art  hat  weder  Stengel  noch  Blüthen  und  nur  sehr  kleine 
Blätter;  ihr  Saft  wird,  mit  Erfolg  bei  Wassersüchtigen  an- 
gewandt. Diese  Gewächse  müssen  den  Pferden  zuträglich 
sein  und  davon  ihren  Namen  bekommen  haben;  denn  manche 
Pflanzen  sind  als  Heilmittel  für  die  Thiere  da,  und  wir 
sehen  hieraus,  wie  unerschöpflich  die  Gottheit  in  der  Spen- 
dung von  Hülfe  ist.  Ja,  wir  können  ihre  Weisheit  nicht 
genug  bewundern,  da  sie  ihre  Hülfe  nach  den  Arten,  Ur- 
sachen und  Zeiten  einrichtet,  das  eine  zu  dieser,  das  andere 


')  Poterium  spinosum  L. 

^)  von  Innoq  Pferd  und  <pvri  Natur.  Die  bereits  XXI.  B.  54.  Cap, 
unter  dem  Nameu  Hippopbaes  vorgekommene  Pflanze  (Euphorbia 
spinosa). 


138  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

ZU  jener    Stunde  nützt,  und  fast  jeder  Tag  ein  Heilmittel 

bringt. 

15. 

Was  kann  verachteter  sein  als  die  Nessel?^)  Und 
doch  enthält  sie  ausser  einem  Oele,  welches,  wie  wir  an- 
gegeben habend),  iu  Aegypteu  daraus  bereitet  wird,  eine 
Menge  Heilmittel.  Ihr  Same  hebt  nach  Nicander  die  Wirk- 
ung des  Schierlings,  der  Pilze  und  des  Quecksilbers  auf, 
mit  Schildkröteubrühe  gekocht  nach  Apollodorus  auch  die 
der  Salamander,  des  Bilsen,  der  Schlangen  und  Scorpione. 
Selbst  das  Kraut  treibt,  vermöge  seiner  scharfen  Bitterkeit, 
durch  blosse  Berührung  das  Zäpfchen  im  Munde,  die  vor- 
getretene Gebärmutter  und  den  ausgetretenen  After  der 
Kinder  zurück,  und  iu  tiefen  Schlaf  Verfallene  erwachen, 
wenn  man  ihre  Schienbeine  oder  noch  besser  ihre  Stirn 
damit  berührt.  Mit  Salz  heilt  sie  die  Hundsbisse,  als  Pulver 
(namentlich  das  der  Wurzel)  in  die  Nase  geschnupft  den 
Blutfluss;  ferner  mit  Salz  die  Krebs-  und  eiternden  Ge- 
schwüre, Verrenkungen,  Blutbeulen,  Ohrengeschwüre  und 
das  von  den  Knochen  sich  ablösende  Fleisch.  Der  Same 
bebt  mit  eingekochtem  Moste  genommen  die  Zusammen- 
sehnürungen  der  Gebärmutter  und  stopft  aufgelegt  den  Ka- 
tarrh der  Nase.  Zu  2  Obolen  mit  Meth  nach  dem  Essen 
genommen,  befördert  er  das  Brechen,  zu  1  Obolus  mit  Wein 
vertreibt  er  die  Mattigkeit.  1  Acetabulum  voll  gerösteter 
Same  heilt  die  Krankheiten  der  Gebärmutter,  und  in  ge- 
kochtem Most  getrunken  die  Blähungen  im  Magen.  Mit 
Honig  ist  er  gut  für  Engbrüstige  und  reinigt  die  Brust,  mit 
Leinsamen,  wozu  auch  wohl  Hyssop  und  Pfeffer  gesetzt  wird, 
vertreibt  er  das  Seitenstechen.  Für  die  Milz  legt  man  ihn 
auf;  geröstet  verspeist  macht  er  Oeffnung.  Nach  Hippocrates 
soll  er  als  Trank  gebraucht  die  Gebärmutter  reinigen,  ge- 
röstet zu  1  Acetabulum  voll  in  süssem  Trank  genommen 
und  mit  Malvensaft  aufgelegt  die  Schmerzen  lindern,  mit 
Honigmeth  und  Salz  die  Eingeweidewürmer  abtreiben,  und 

«)  Urtica.    »)  Im  XXI.  Buche,  55  Cap. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  139 

auf  den  Kopf  gelegt  das  Haar  schön  herabwallen  machen. 
Gegen  Gliederkrankheiten  und  Podagra  legen  die  Meisten 
den  Samen  mit  altem  Oele  oder  die  Blätter  mit  Bärenfett 
vermischt  auf.  Wider  dieselben  Uebel,  sowie  für  die  Milz 
erweist  sich  auch  die  mit  Essig  angestossene  Wurzel  wirk- 
sam. Ferner  zertheilt  die  Wurzel  in  Wein  gesotten  und  mit 
altem  gesalzenem  Fett  vermischt  die  Blutbeulen,  und  trocken 
dient  sie  als  haarvertreibendes  Mittel.  Der  Naturforscher 
Phaniasi)  erwähnt  ihrer  mit  grossem  Lobe  und  sagt,  sie 
sei  als  Speise  gekocht  und  eingemacht  gut  für  die  Luft- 
röhre, den  Husten,  Bauchfluss,  Magen,  Blutbeulen,  Ohren- 
geschwüre und  Frostbeulen,  errege  mit  Oel  Schweiss,  mache 
mit  Muscheln  gekocht  Oeffnung,  reinige  mit  Ptisane  die 
Brust  und  die  Menstruation,  und  verhindere  mit  Salz  das 
Umsichfressen  der  Geschwüre.  Auch  der  Saft  wird  ange- 
wandt; auf  die  Stirn  gestrichen  hemmt  er  das  Nasenbluten, 
getrunken  treibt  er  den  Harn,  zerbricht  die  Blasensteiue, 
und  als  Gurgelwasser  benutzt  heilt  er  das  Zäpfchen.  Der 
Same  muss  während  der  Erndte  eingesammelt  werden;  der 
beste  ist  der  alexandrinische.  Gegen  alle  genannte  Uebel 
zeigen  sich  besonders  die  wilden  und  zarten  Pflanzen,  na- 
mentlich aber  jene  wilde  Art  wirksam,  welche  auch  in  Wein 
genommen  den  Aussatz  im  Gesicht  vertreibt.  Wenn  vier- 
lüssige  Thiere  sich  nicht  begatten  wollen,  soll  man  die  Ge- 
schlechtstheile  mit  Nesseln  einreiben. 

16. 
Auch  die  Art,  welche  wir  taube  Nessel 2)  genannt 
haben,  und  die  sehr  milde  und  ohne  stechende  Blätter  ist, 
heilt  mit  etwas  Salz  Stoss-,  Schlag-,  Brandbeulen,  Kröpfe, 
Geschwulste,  Podagra  und  Wunden.  Mitten  auf  ihren  Blät- 
tern befindet  sich  ein  weisser  Fleck,  und  diese  Stelle  wird 
für  die  Nase  gebraucht.  Einige  römische  Schriftsteller 
unterscheiden  ihre  Arten  nach  der  Zeit.  Die  Wurzel  der 
Herbstnessel  heilt  aufgebunden  das  dreitägige  und  viertägige 
Fieber,  wenn,  wie  man  angiebt,  beim  Ausgraben  derselben 


")  Nicht  näher  bekannt.    ')  Lamium. 


140  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

der  Name  des  Kranken  genannt  und  hinzugefügt  wird,  für 
wessen  Sohn  diess  geschehe.  Ebendieselbe  Wurzel  soll  mit 
Zusatz  von  Salz  alles  im  Körper  Steckende  heraus  ziehen. 
Durch  die  Blätter  sollen  mit  Zusatz  von  Fett  die  Kröpfe 
zertheilt,  oder,  wenn  sie  schwären,  weggebeizt  und  geheilt 
werden. 

17. 

Das  Scorpionkrauti)  verdankt  seinen  Namen  dem 
Scorpionschwanz  ähnlichen  Samen;  es  hat  nur  wenige 
Blätter.  Man  wendet  es  auch  gegen  das  gleichnamige 
Thier  an;  ebenso  ein  anderes^),  welches  keine  Blätter, 
einen  dem  Spargel  ähnlichen  Stengel  und  an  der  Spitze 
einen  Stachel  hat,  von  dem  es  seinen  Namen  führt. 

18. 

Die  Leucacantha,  auch  Phyllon,  Ischias,  Poly- 
gonatum^)  genannt,  hat  eine  dem  Cyperus  ähnliche  Wurzel, 
welche  gekauet  das  Zahnweh  vertreibt;  nach  Hicesius 
heilt  man  mit  einem  Tranke  aus  8  Drachmen  Samen  oder 
mit  dem  Safte  Seiten-  und  Lendenschmerzen.  Auch  wendet 
man  diess  Gewächs  bei  zerrissenen  oder  verrenkten  Glie- 
dern an. 

19. 

Die  Helxine^)  nennen  Einige  Perdicium,  weil  die  Reb- 
hühner dasselbe  gerne  fressen,  Andere  Sideritis,  auch  Par- 
thenium.  Ihre  Blätter  sind  theils  dem  Plantago  theils  dem 
Marrubium  ähnlich,  die  Stengel  sind  röthlich  und  stehen 
dicht,  die  Samen  stecken  in  klettenartigen  Köpfen,  hängen 
sich  leicht  an  die  Kleider,  und  diess  soll  die  Ursache  des 


•)  Genista  acanthoclada  L.     -)  Asparagus  spinosus. 

^)  Plinius  wirft  liier  oflenbar  mehrere  Gewächse  zusammen.  Leu- 
cacantheistCentaureadalmaticaPetter;  Phyllon  ist  Mercurialisperennis, 
Ischias  ist  wahrscheinlich  Theophrasts  iayaq:  Euphorbia  Apios  L. 
und  Polygonatum  ist  ConvaUaria  Polygonatum  L. 

"*)  Diese  kann  nicht  Parietaria,  sondern  muss  jedenfalls  eine 
Distelart  sein,  wie  aus  der  Beschreibung  im  XXI.  B.  56.  Cap.  und 
im  gegenwärtigen  Cap.  hervorgeht.    Etwa  Carthamus  tinctorius? 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  141 

iSIames  Helxine^)  sein;  welches  die  wahre  Helxine  ist,  haben 
wir  im  vorigem  Bucbe  gesagt.  Sie  dient  zum  Färben  der 
Wolle,  heilt  die  Nase,  Geschwulste,  alle  Arten  von  An- 
sammlungen und  Brandstelleu,  ibr  Saft  mit  Bleiweiss  Blut- 
beulen und  geschwollenen  Hals,  zu  1  Becher  voll  getrunken 
anhaltenden  Husten,  Flüsse,  sowie  mit  Rosenessenz  ge- 
schwollene Mandeln  und  Krampfadern.  Mit  Ziegentalg  und 
cyprischem  Wachse  legt  man  sie  gegen  Podagra  auf. 

20. 
Das  Perdicium2)  oder  Parthenium  (denn  die  Side- 
ritis  ist  eine  andere  Pflanze)  wird  bei  uns  Krugkraut^), 
von  Andern  Sternkraut^)  genannt,  hat  dem  Basilienkraute 
ähnliche  aber  dunklere  Blätter,  und  wächst  auf  Dächern 
und  Mauern.  Man  gebraucht  es  mit  Salz  abgerieben  in 
allen  den  Fällen  und  auf  dieselbe  Weise  wie  die  taube 
Nessel,  der  Saft  wird  gegen  Eiterbeulen  warm  getrunken, 
aber  ausgezeichnete  Wirkung  besitzt  es  gegen  Geschwüre 
und  Verletzungen  durcb  Fallen,  Herabstürzen  oder  Um- 
stürzens  des  Wagens.  Ein  bei  dem  atheniensischen  Regenten 
Perikles  in  hoher  Gunst  stehender  Sklave''),  welcher,  als  jener 
einen  Tempel  auf  der  Burg  bauen  liess,  auf  dessen  Gipfel 
geklettert  und  heruntergefallen  war,  soll  durch  dieses  Kraut, 
das  Minerva  dem  Perikles  im  Schlafe  zeigte,  gerettet  wor- 
den sein.  Daher  bekam  es  den  Namen  Partheninm")  und 
wurde  der  Göttin  geweihet.  Diess  ist  derselbe  kleine  Sklave, 
dessen  Bild  in  Erz  gegossen  ist  und  unter  dem  Namen 
Splanchnoptes^)  Berühmtheit  erlangt  hat. 


')  von  skxü)  ziehen,  zerren.  Uebrigens  kommt  (bei  Dioskorides) 
unter  dem  Namen  sX^ivtj  auch  Convolvulus  arvensis  L.  vor. 

2)  Parietaria  diffusa  L. 

3)  Urceolaris,  zum  Reinigen  der  Krüge. 
^)  Astericum. 

^)  vema,  ein  Sclave,  der  in  seines  Herrn  Hause  von  einer  Sclavin 
geboren  ist. 

ß)  von  nuQ&svoQ,  Jungfrau. 

■'j  von  gTtXäyxvcc  Eingeweide  und  otcto)  sehen  d.  h.  eine  Statue, 
an  der  man  die  Eingeweide  (deutlich)  sehen  kann. 


242  Zweiundzwanzigstes  Bucli. 

21. 
Das  Chamaeleoni)  von  Einigen  Ixia  genannt,  bildet 
2  Arten,  von  denen  die  hellere  rauhere  Blätter  hat,  auf  der 
Erde  kriecht,  ihre  Stacheln  gleich  einem  Igel  emporreckt, 
eine  süsse  Wurzel  trägt  und  äusserst  heftig  riecht.  In  einigen 
Gegenden  bildet  sich,  namentlich  uni  die  Zeit  des  Aufgangs 
des  Hundsterns,  in  den  Achseln  der  Blätter  ein  weisser  Leim'-^), 
der  gleich  wie  der  Weihrauch  entsteht,  und  hievon  heisst  die 
Pflanze  Ixia^).  Die  Weiber  bedienen  sich  desselben  ebenso 
wie  des  Mastix.  Den  Namen  Chamaeleon  verdankt  sie  den 
verschiedenen  Farben  ihrer  Blätter,  denn  sie  ändert  die- 
selben je  nach  dem  Erdreiche,  da  sie  hier  schwarz,  dort 
grün,  dort  blau,  dort  safranfarbig  etc.  ist.  Der  gekochte 
Saft  der  Wurzel  von  der  weissen  Art  heilt  die  Wasser- 
sucht ,  man  nimmt  auch  1  Drachme  in  Rosinenwein.  1  Ace- 
tabulum  voll  von  demselben  Safte  mit  herbem  Weine  und 
Doststengeln  genommen  treibt  die  Eingeweidewürmer  ab. 
Er  bewirkt  aber  schweres  Harnen.  Mit  Polenta  eingegeben 
tödtet  er  Hunde  und  Schweine.  Mit  Wasser  und  Oel  ver- 
mischt lockt  er  die  Mäuse  hervor  und  wenn  sie  davon 
fressen,  sterben  sie,  falls  sie  nicht  gleich  Wasser  saufen 
können.  Einige  schreiben  vor,  die  Wurzel  an  Fäden  auf- 
gereihet  zu  verwahren,  und  sie  gegen  diejenigen  Flüsse^ 
welche  die  Griechen  Kheumatismen  nennen,  gekocht  zu  ver- 
speisen. Von  der  dunkeln  Art  haben  Einige  die  mit  pur- 
purrothen  Blüthen  das  Männchen  und  die  mit  violetten  das 
Weibchen  genannt.  Ihr  Stengel  hat  eine  Höhe  von  1  Elle 
und  eine  Dicke  von  1  Finger.  Die  Wurzeln  dienen,  mit 
Schwefel  und  Pech  gekocht,  zur  Heilung  der  Flechte,  ge- 
kauet oder  in  Essig  gekocht  zur  Befestigung  loser  Zähne. 
Mit  dem  Safte  curirt  man  auch  die  Räude  des  Viehes;  die 
Läuse  der  Hunde  werden  davon  getödtet,  auch  bekommen 
die  Kälber  durch  ihren  Genuss  die  Bräune  und  sterben, 
daher  die  Pflanze  von  Einigen  die  tödtliche^)  oder  auch 


•)  Atractyhs  gummifera  L.    -)  viscum  album. 
^)  tgi«  /.  q.  viscum.     '')  ulophonos:  ovXocpovoq. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  143 

wegen  ihres  unangenehmen  Geruchs,  Hundsgestank i)  ge- 
nannt wird.  Aber  erwähnter  Leim  soll  ein  gutes  Heilmittel 
für  Geschwüre  sein.  Die  Wurzel  aller  dieser  Arten  ist  den 
Scorpionen  nachtheilig. 

22. 

Der  Krähenfuss'^)  ist  eine  längliche  Pflanze  mit  Ein- 
schnitten. Man  bauet  sie  hie  und  da  an,  denn  die  in 
Asche  gebratene  Wurzel  leistet  bei  den  Verstopfungen  gute 
Dienste. 

23. 

Auch  die  Wurzel  der  rothen  Ochsenzunge"),  welche 
1  Finger  dick  ist,  wird  gebraucht.  Man  spaltet  sie  wie  den 
Papyrus;  sIq  färbt  die  Hände  blutroth  und  giebt  der  Wolle 
ein  vortreffliches  Colorit.  Mit  Gerat  heilt  sie  Geschwüre, 
besonders  alter  Leute,  und  Brandwunden.  Die  ächte  er- 
kennt man  daran,  das  sich  der  Farbestoff  nicht  in  Wasser, 
sondern  in  Gel  auflöst.  Bei  Niereuschmerzen  giebt  man  1 
Drachme  mit  Wein,  bei  Fieber  mit  Dattelnabsud;  ferner 
wird  sie  bei  Leiden  der  Leber,  Milz  und  bei  ausgetretener 
Galle  angewandt.  Gegen  Schorf  und  Sommersprossen  legt 
mau  sie  mit  Essig  auf.  Die  Blätter  werden  mit  Honig  und 
Meth  abgerieben  auf  verrenkte  Stellen  gelegt,  und  zu  2 
Drachmen  mit  Meth  gegen  den  Durchfall  eingenommen. 
Die    mit  Wasser   gekochte  Wurzel     soll   die  Flöhe   tödten. 

24. 

Eine  andere  ihr  ähnliche  Pflanze  heisst  falsche  An- 
chusa,  auch  Echis^),  Doris  u.  s.  w.,  ist  wolliger,  weniger 
saftig,  und  hat  dünnere  und  mildere  Blätter.  Ihre  Wurzel 
ertheilt  dem  Gele  keine  rothe  Farbe  uud  unterscheidet  sich 
hierdurch  von  der  ächten  Auchusa.  Gegen  Schlangen  wird 
ein  aus  den  Blättern  oder  Samen  bereiteter  Trank  mit 
bestem  Erfolge  angewandt;  die  Blätter  selbst  legt  man  auf 


')  cynozolos:  xvcof  und  o'QokTjg. 

-)  coronopus.     Lotus  ovnithopodioides  L. 

3)  anchusa.     Anchusa  tinctoria  L. 

^)  Echium  vulgare  L. 


■^^^  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

Bisswnnden.  Sie  vernichtet  nämlich  das  Gift  der  Schlangen, 
wird  aber  auch  für  das  Rückgrat  im  Tranke  verordnet, 
die  Magier  sagen,  man  müsse  die  Blätter  mit  der  linken 
Hand  abpflücken,  dabei  sagen,  warum  es  geschehe,  und  sie 
gegen  das  dreitägige  Fieber  aufbinden. 

25. 
Weiter  führt  eine  andre  Pflanze  den  eigenthümlichen  Namen 
Onochiles, 1)  wird  auch  Anchusa,  Arcebium,  Onochelis, 
Rhexia,  Enchusa  genannt,  bildet  eine  kleine  Staude  mit 
purpurrothen  Blüthen,  rauhen  Blättern  und  Zweigen,  einer 
zur  Zeit  der  Erndte  bluthrothen,  sonst  schwarzen  Wurzel, 
wächst  an  sandigen  Stellen,  und  besitzt  in  der  Wurzel  und 
den  Blättern,  die  man  in  Substanz  und  als  Trank  anwendet, 
ausgezeichnete  Wirksamkeit  gegen  Schlangen  und  nament- 
lich Vipern.  Während  der  Erndte  ist  sie  am  kräftigsten. 
Wenn  mau  die  Blätter  zerreibt,  so  entwickelt  sie  einen  den 
Gurken  ähnlichen  Geruch.  Bei  vorgetretener  Gebärmutter 
wird  sie  in  3  Bechern  gegeben.  Mit  Isop  treibt  sie  die 
Würmer  ab;  bei  Nieren-  oder  Leberschmejzen  nimmt  man 
sie,  wenn  Fieber  vorhanden,  mit  Wassermeth,  ausserdem 
mit  Wein.  Die  Wurzel  wird  auf  Sommersprossen  und  Schorf 
gelegt.  Wer  sie  bei  sich  führt,  soll  von  den  Schlangen 
nicht  gebissen  werden.  —  Eine  andere  ihr  ähnliche  Pflanze, 
die  aber  kleiner  ist  und  rothe  Blüthen  trägt,  dient  zu  den- 
selben Zwecken ;  wenn  man  diese  kaue  und  auf  Schlangen 
spucke,  so  sollen  sie  sterben. 

26. 
Der  Anthemis  wird  von  Asclepiades  mit  grossem  Lobe 
gedacht.  Sie  führt  verschiedene  Namen,  nämlich  Leucan- 
themis,  Leucanthemum,  Eranthemum,  weil  sie  im  Früh- 
linge blühet,  Chamaemelon,  weil  sie  wie  Aepfel  riecht, 
und  Melanthemum.  Ihre  3  Arten  sind  bloss  durch  die 
Blüthe  unterschieden,  werden  nicht  über  1  Palme  gross, 
und   tragen   kleine,   wie   die   der  Raute   grosse,   weisse^), 

*)  Echium  rubrum  L. 

2)    Matricaria    Chamomilla   L,      Ohne    Zweifel    auch     Anthemis 
Chia  L. 


Zweiundzwanzigstes  Buch,  145 

lioiiiggelbe  1)  oder  purpurrothe^)  Blüthen.  Man  sammelt  sie 
von  dürren  Stellen  an  Fusssteigen  im  Frühjahre  und  hebt 
«ie  zu  Kränzen  auf.  Um  dieselbe  Zeit  holen  auch  die  Aerzte 
die  Blätter,  Blüthen  und  Wurzeln ,  stossen  und  formen  sie 
zu  Kügelcheu.  Ein  Gemisch  aller  Theile  der  Pflanze  wird 
zu  1  Drachme  gegen  die  Bisse  aller  Schlangen  gegeben. 
Sie  treibt  todte  Kinder  ab,  befördert  auch  als  Trank  ge- 
braucht die  Menstruation,  das  Harnen  und  befreit  vom 
Blasensteine.  Sie  heilt,  wenn  man  sie  kauet,  Blähungen, 
Leberleiden,  ausgetretene  Galle,  Thränenfisteln  und  flies- 
send c  Geschwüre.  Zur  Vertreibung  des  Blasensteins  zeigt 
sich  die  rothblüthige  Art,  welche  höher  ist,  grössere  Blätter 
hat  und  insbesondere  nur  den  Namen  Eranthemum  führt, 
am  wirksamsten. 

27. 

Diejenigen,  welche  glauben,  es  gäbe  unter  dem  Namen 
Lotus 3)  nur  einen  Baum,  können  schon  durch  Homer  wider- 
legt werden,  denn  dieser  Dichter  nennt  unter  denjenigen 
Kräutern,  welche  zu  Ehren  der  Götter  wachsen,  zuerst  den 
Lotus,  Die  Blätter  desselben,  mit  Honig  angewandt,  ent- 
fernen Wunden,  Geschwüre  und  Nebelflecken  an  den  Augen. 

28. 

Aus  dem  angebauten  Lotus  entsteht  die  Lotometra, 
aus  deren  der  Hirse  ähnlichem  Samen  die  Hirten  in  Aegyp- 
ten  mittelst  Wasser  und  Milch  Brot  backen.  Nichts  soll 
gesunder  und  leichter  zu  verdauen  sein  als  diess  Brot,  so 
lange  es  warm  ist;  kalt  wird  es  nicht  so  gut  vertragen 
und  beschwert  den  Magen.  Soviel  ist  gewiss,  dass  die 
Menschen,  welche  davon  leben,  weder  vom  Durchfall,  noch 
vom  Stuhlzwange,  noch  von  andern  Krankheiten  des  Leibes 
heimgesucht  werden,  und  deshalb  zählt  man  es  unter  diese 
Art  von  Arzneimitteln. 

')  Anthemis  tinctoria  L.     '^)  Anthemis  rosea, 

3)  Melilotus  messanensis  L.  —  Lotus  war  auch  bei  den  Alten 
Appellativname  für  die  insbesondere  zur  Fütterung  tauglichen 
Kleearten,  unter  denen  aber  Trifolium  fragiferum  bei  weitem  alle 
übertrifft.  Der  hier  gemeinte  Homerische  Lotus  dürfte  daher  wohl 
Trifolium  fragiferum  sein. 

Wittstein:  Plinius.     IV.  Bd.  10 


246  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

29. 
Wir  haben  schon  mehrere  Male  der  wunderbaren  Eigen- 
schaft des  Heliotropiumi)  gedacht,  sich  auch  an  trüben 
Tagen  nach  der  Sonne  zu  drehen,  so  gross  ist  die  Liebe 
dieses  Gewächses  zu  diesem  Himmelskörper;  des  Nachts 
soll  es  gleichsam  aus  (nicht  gestillter)  Sehnsucht  seine 
blaue  Blüthe  schliessen.  Es  giebt  2  Arten,  das  Tricoccum 
und  das  Helioscopium;  beide  werden  über  i  2  Fuss  hoch, 
letzteres  ist  aber  die  grössere  Art  und  verzweigt  sich  gleich 
von  der  Wurzel  an.  Die  Samen  stecken  in  einer  Balgkapsel 
und  werden  zur  Zeit  der  Erndte  eingesammelt.  Es  wächst 
nur  in  fettem  und  bebautem  Erdreich,  das  Tricoccum  da- 
gegen allenthalben.  Gekocht  sind  sie  eine  beliebte  Speise, 
mit  Milch  zubereitet  erweichen  sie  den  Leib  gelinde,  und 
der  eingesottene  Saft  ist  ein  |vorzügliches  Abführungsmittel. 
Von  der  grössern  Art  sammelt  mnn  den  Saft  um  die  Mit- 
tagszeit; mit  Wein  vermischt  ist  er  kräftiger  und  mit  Zu- 
satz von  Rosenessenz  vertreibt  er  die  Kopfschmerzen.  Der 
Saft  der  Blätter  nimmt,  mit  Salz  angewandt,  die  Warzen 
hinweg,  daher  Einige  diese  Pflanze  Warzenkraut 2)  nen- 
nen; sie  verdient  aber  ihrer  übrigen  Wirkungen  wegen 
einen  noch  würdigeren  Namen,  denn  nach  Apollophanes ^) 
und  Apollodorus  widersteht  sie  mit  Wein  oder  Wassermeth 
eingenommen  den  Schlangen  und  Scorpionen.  Die  Blätter 
heilen  denjenigen  Katarrh  der  Kinder,  welchen  man  Siriasis 
nennt,  auch  Krämpfe,  selbst  wenn  sie  epileptischer  Art  sind. 
Mit  der  Abkochung  wird  der  Mund  ansgespühlt.  Ein  davon 
bereiteter  Trank  führt  Wärmer  und  Nierengries  ab.  Mit 
Zusatz  von  Kosskümmel  werden  dadurch  die  Blasensteine 
zerkleinert.  Die  Wurzel]  wird  gekocht  und  nebst  den  Blättern 
und  Hammeltalg  beim  Podagra  aufgelegt.    Das  Tricoccum, 


•)  Heliotropium  villosuin  Desf. 
^)  Verrucaria. 

3)  Von   Seleucia,    Arzt     Antiochus    des    Grossen,  nach  Einigea 
Stifter  der  medic.  Schule  eu  Smyrna,  um  200  v.  Chr. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  I47 

auch  Scorpionschwanz  genannt,  hat  kleinere,  zur  Erde 
geneigte  Blätter,  und  Samen,  welche  die  Gestalt  eines 
Scorpionschwanz  haben;  daher  der  Name  i).  Aufgelegt  wirkt 
es  allen  Giften,  den  Spinnen  und  namentlich  den  Scorpionen 
kräftig  entgegen.  Wer  es  bei  sich  trägt,  wird  nicht  ge- 
stochen; zieht  man  mit  einem  Zweige  vom  Heliotropium 
einen  Kreis  auf  die  Erde,  so  sollen  die  Scorpione  nicht 
daraus  gehen,  lege  man  aber  das  Kraut  auf  sie,  oder  be- 
spritze sie  mit  dessen  Safte,  so  stürben  sie  auf  der  Stelle. 
4  Samen  im  Trank  genommen  sollen  das  viertägige  Fieber 
vertreiben,  drei  das  dreitägige,  welches  letztere  auch  ver- 
gehen soll,  wenn  man  das  Kraut  dreimal  um  den  Kranken 
herumträgt  und  ihm  dann  unter  den  Kopf  legt.  Der  Same 
reizt  auch  zum  Beischlafe,  zertheilt  mit  Honig  aufgelegt 
Geschwulste  und  Warzen,  und  Auswüchse  am  After  zieht 
diess  Gewächs  rein  aus.  Der  Same  entfernt  aufgelegt  und 
in  Hühnersuppe  oder  mit  Beten  und  Linsen  gekocht  ein- 
genommen das  verdorbene  Blut  aus  Rückgrat  und  Lenden. 
Die  Kinde  verleihet  den  blauen  Flecken  ihre  vorige  Farbe 
wieder.  Die  Magier  sagen,  diess  Kraut  müssten  sich  die 
Kranken  selbst,  in  viertägigem  Fieber  viermal,  in  drei- 
tägigem dreimal,  anbinden,  dabei  beten,  wenn  sie  geheilt 
würden,  wollten  sie  die  Knoten  lösen,  und  diess  dann,  ohne 
aber  das  Kraut  wegzunehmen,  thun. 

30. 

Beim  Adiantum'-)  finden  wir  ein  anderes  Wunder;  es 
grünt  im  Sommer,  wird  im  Winter  nicht  welk  und  ist  ein 
Feind  des  Wassers,  denn  wenn  man  es  auch  damit  über- 
giesst  oder  hineintaucht,  so  sieht  es  doch  wie  vertrocknet 
aus;  diese  Eigenschaft  verlieh  diesem  in  Kunstgärten  häu- 
figen Strauche  jenen  griechischen  Namen.    Einige   nennen 


1)  Die  scorpionschwanzähnliche  Form  bezieht  sich  auf  den  ganzen 
Blüthenstand. 

2)  adiantum ,     von    a    nicht   und    Siaivoj    benetzen.     Adiantum 
Capillus  Veneria  L. 

10* 


1^^  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

<lie  Pflanze  nach  ihren  Wirkungen  Seliönhaari),  Viel- 
liaar2),  denn  sie  färbt  das  Haar,  zu  welchem  Behuf  sie  mit 
Petersiliensamen  und  Wein,  nebst  Zusatz  von  viel  Oel,  um  die 
Haare  kraus  und  dicht  zu  machen,  gekocht  wird,  und  ver- 
hindert das  Ausfallen  derselben.  Es  giebt  2  Arten,  eine 
weisse  und  schwarze;  letztere  ist  kleiner,  die  andere,  grös- 
sere heisst  Polytrichum  oder  auch  Feinhaar^).  Die  Aeste 
beider  Arten  haben  eine  glänzend  schwarze  Farbe,  und 
tragen  Farnkraut  ähnliche  Blätter,  von  denen  die  untern 
rauh  und  braun  sind,  und  gleich  den  übrigen  dicht  gedrängt 
einander  gegenüber  stehen;  eine  Wurzel  ist  nicht  vorhanden. 
Es  wächst  an  beschatteten  Steinen,  feuchten  Mauern,  von 
Quellen  durchrieselten  Grotten  und  tröpfelnden  Felsen,  was 
zu  bewundern  ist,  da  das  Wasser  nicht  darauf  einwirkt. 
Es  zermalmt  und  vertreibt  die  Blasensteine,  besonders  das 
schwarze,  weshalb  ich  glaube,  dass  es  eher  wegen  dieser 
Wirkung,  als  weil  es  auf  Steinen  wächst,  bei  uns  Stein- 
brech^) genannt  wird.  Aus  so  viel,  als  man  mit  3  Fingern 
fassen  kann,  wird  mit  Wein  ein  Trank  bereitet.  Es  treibt 
den  TJrin,  vertilgt  das  Gift  der  Schlangen  und  Spinnen, 
hemmt  mit  Wein  gekocht  den  Durchfall,  und  ein  daraus 
geflochtener  Kranz  stillt  die  Kopfschmerzen.  Gegen  die  Stiche 
des  Scorpions  lege  man  es  auf;  erneuere  es  aber  öfters,  da- 
mit es  sich  nicht  brenne;  desgleichen  auf  Glatzen.  Es 
vertreibt  die  Kröpfe,  die  Schuppan  im  Gesichte  und  die 
fliessenden  Kopfgeschwüre.  Ein  davon  bereiteter  Absud  ist 
gut  für  Engbrüstigkeit,  Leber,  Milz  ausgetretene  Galle  und 
Wassersucht.  Bei  Harnstrenge  und  Nierenleiden  legt  man 
es  mit  Wermuth  auf.  Es  befördert  den  Abgang  der  Nachge- 
burt und  den  Monatsfluss.  Mit  Essig  oder  Himbeersaft  ge- 
nommen stillt  es  den  Blutfluss.  Mit  Schwären  behaftete 
Kinder  wäscht  man  erst  mit  Wein  und  reibt  sie  dann  mit 
einem  Gemisch  aus  Adiantum  und  Rosenessenz  ein.    Wer- 


')  callitrichum.     ^)  polytrichum. 

3)  trichomanes.    Asplenium  Trichomanes  L? 

'')  saxifraga. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  149 

den  die  Blätter  in  den  Urin  eines  unmündigen  Knaben  ge- 
weicht, mit  Mauersalpeter  vermischt  und  auf  den  Leib  eines 
Frauenzimmers  gelegt,  so  entstehen  keine  Runzeln.  Reb- 
hühner und  ähnliche  Vögel,  denen  man  es  unter  das  Futter 
mengt,  sollen  kampflustiger  werden;  auch  soll  sein  Geuuss 
dem  Hornvieh  zuträglich  sein. 

31. 

Die  Picris  besitzt,  wie  bereits  angegeben  wurde  i), 
eine  ausserordentliche  Bitterkeit,  hat  runde  Blätter  und  ist 
ein  gutes  Mittel  gegen  Warzen.  Das  T  h  e  s  i  u  m  schmeckt 
fast  ebenso  bitter,  und  wird  mit  Wasser  zerrieben  zum  Ab- 
führen gebraucht. 

32. 

Der  Affodill  gehört  zu  den  berühmtesten  Kräutern, 
und  wird  von  Einigen  Heldenkraut  genannt.  Hesiodus  sagt? 
er  wachse  auch  in  den  Wäldern,  und  Dionysius  unter- 
scheidet eine  männliche  und  eine  weibliche  Art.  Die  mit 
Ptisane  gekochten  Zwiebeln  werden  gegen  Schwäche  und 
Schwindsucht  gerühmt,  und  das  daraus  mit  Mehl  bereitete 
Brot  soll  sehr  gesund  sein.  Gegen  Schlaugen  und  Scorpione 
verordnet  Nicander  den  Stengel,  welchen  wir  Antericus  ge- 
nannt haben  2),  oder  den  Samen  oder  die  Zwiebeln  zu  3 
Drachmen  mit  Wein,  und  lässt  ihn  wider  die  Furcht  im 
Schlafe  unterlegen.  Auch  giebt  man  ihn  wider  giftige 
Seethiere  und  Land-Scolopender.  In  Carapanien  suchen  die 
Schnecken  den  Stengel  begierig  auf  und  saugen  ihn  ganz 
trocken.  Die  Blätter  legt  man  mit  Wein  auf  Giftwunden, 
die  mit  Polenta  angestossenen  Zwiebeln  auf  Sehnen  und 
Gelenke.  Man  zerschneidet  sie  auch,  thut  Essig  hinzu  und 
reibt  die  Flechten  damit  ein;  auf  faulige  Geschwüre,  ent- 
zündete Brüste  und  Hoden  legt  man  sie  mit  Wasser.  In 
Weinhefe  gekocht  und  in  einem  Läppchen  aufgelegt,  heilen 
sie  die  Augenflüsse.  Fast  in  jeder  Krankheit  wendet  man 
sie  vorzugsweise  gekocht  an;  getrocknet  und  gepulvert  aber 


>)  Im  XXI.  ß.  65.  Cap. 
2)  Im  XXI.  B.  68.    Cap. 


I^Q  Zweiund zwanzigstes  Buch. 

für  die  hässlichen  Beingeschwüve  und  alle  Arten  von  Rissen 
am  Kör}3er.  Man  sammelt  sie  im  Herbste,  wo  sie  am  heil- 
kräftigsten sind.  Der  durch  Stossen,  Kochen  und  Aus- 
pressen erhaltene  Saft  hilft  mit  Honig  genommen  gegen 
Leibschmerz,  und  wird  nebst  trockener  Iris  und  etwas  Salz 
von  denen  gebraucht,  welche  ihren  Körper  wohlriechend 
machen  wollen.  Die  Blätter  heilen  ausserdem  in  Wein  ge- 
kocht, Kröpfe,  Geschwulste  und  Geschwüre  im  Gesichte. 
Die  zu  Asche  gebrannte  Wurzel  wird  für  Kablköpfigkeit 
und  aufgesprungene  Füsse,  und  der  Saft  der  in  Oel  ge- 
kochten gegen  Frost-  und  Brandbeulen  gebraucht.  Gegen 
Schwerhörigkeit  giesst  man  davon  in  die  Ohren,  und  bei 
Zahnweh  in  das  entgegengesetzte  Ohr.  Ein  aus  der  Wurzel 
bereiteter  Trank  wird  bei  Urinverhaltungen ,  gestörtem 
Monatsfluss  und  Seitenschmerzen  genommen;  bei  Verrenk- 
ungen, Bruchwunden  und  Husten  1  Drachme  mit  Wein. 
Gekauet  befördert  sie  das  Brechen.  Der  Same  wirkt  auf- 
regend auf  den  Leib.  Chrysermus^)  hat  mit  der  in  Wein 
gekochten  Wurzel  die  Ohrengeschwüre,  und  mit  Zusatz  von 
Cachrys  die  Kröpfe  geheilt.  Einige  geben  an,  wenn  man 
einen  Theil  der  aufgelegten  Wurzel  in  Rauch  hänge  und 
am  vierten  Tage  wieder  wegnehme,  so  solle  mit  der  Wurzel 
zugleich  der  Kropf  vertrocknen.  Sophocles  bediente  sich  der 
rohen  und  gekochten  gegen  das  Podagra;  gegen  Frostbeulen 
gab  er  sie  mit  Oel  gekocht  und  den  Gallenkranken  und 
Wassersüchtigen  mit  Wein.  Mit  Wein  und  Honig  genommen 
soll  sie  auch  zum  Beischlaf  reitzen.  Xenocrates  sagt,  die  in 
Essig  gekochte  Wurzel  vertreibe  Flechte,  Schorf  und  Krätze; 
ferner  mit  Bilsen  und  Theer  gekocht  die  Fehler  unter  den 
Armen  und  an  den  Schenkeln,  und  wenn  der  Kopf  abrasirt 
und  mit  der  Wurzel  gerieben  würde,  so  wüchse  das  Haar 
krauser.  Simus  trieb  mit  einer  weinigen  Abkochung  der- 
selben die  Nierensteine  ab.  Hippocrates  empfiehlt  den 
Samen  innerlich  gegen  Milzbeschwerden.  Wird  die  Wurzel 
oder  ihr  gekochter  Saft  auf  schwärende  und  räudige  Stellen 


')  Ein  unbekannter  Arzt. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  151 

am  Zugvieh  gestrichen,  so  wachsen  aus  denselben  die  Haare 
wieder.  Die  Mäuse  werden  dadurch  vertrieben  und,  wenn 
mau  ihre  Löcher  damit  verstopft,  so  kommen  sie  um. 

33. 

Einige  sind  der  Meinung,  der  Affodill  werde  von  He- 
siodus  A  lim  um  genannt,  was  ich  aber  für  unrichtig  halte, 
•denn  dieser  Name  bezeichnet  ein  eigenes  Kraut,  über 
welches  die  Schriftsteller  sehr  irrige  Ansichten  haben. 
Einige  sagen  nämlich,  es  sei  ein  dichter,  weisser,  dornloser 
Strauch  mit  Blättern,  ähnlich  denen  des  Oelbaums  aber 
weicher,  und  werde  als  Speise  gekocht.  Die  Wurzel  zu 
1  Drachme  in  Wassermeth  genommen,  vertreibe  Bauch- 
grimmen, Verrenkungen  und  Brüche.  Andere  verstehen 
darunter  einen  salzigen  Meerkohl  (daher  der  Name  ^)  mit 
länglich-runden  Blättern,  der  ein  beliebtes  Gericht  sei. 
Es  giebt  übrigens  2  Arten,  eine  wilde  und  eine  zahme; 
beide  sollen  mit  Brot  gegen  Durchfall  und  Geschwüre,  mit 
Essig  aber  für  den  Magen  sehr  dienlich  sein.  Man  legt 
sie  roh  auf  alte  Geschwüre,  lindert  damit  den  heftigen 
Schmerz  frischer  Wunden,  verrenkter  Füsse  und  der  Blase. 
Die  wilde  Art  hat  dünnere  Blätter,  ist  aber  wirksamer,  heilt 
auch  die  Krätze  bei  Menschen  und  Vieh.  Durch  Reiben 
mit  der  Wurzel  macht  man  den  Körper  glatt  und  die  Zähne 
weiss;  legt  man  den  Samen  unter  die  Zunge,  so  wird  man 
nicht  durstig.  Letzteren  kauet  man  auch,  und  beide  wer- 
den eingemacht.  Cratevas  erwähnt  noch  einer  dritten  Art 
mit  längern,  rauheren  Blättern  und  Cypressen  ähnlichem 
Gerüche;  sie  soll  vorzüglich  unter  dem  Epheu  wachsen,  und 
zu  3  Obolen  in  1  Sextarius  Wasser  genommen  den  Rück- 
gratskrampf und  die  Contraction  der  Nerven  heilen. 

34. 

Der  Acanthus  findet  sich  in  Kunstgärten  und  Städten, 
hat  aufrechte,  lange  Blätter  und  bekleidet  die  Erhöhungen 
der   Feldränder,   sowie   die   Rabatten.     Es  giebt  2   Arten, 


•)  aXifioq  salzig.    Atriplex  Halimus  L. 


252  Zweiundzwanzigstes  Buch, 

eine  stachlichte  und  krause,  i)  welche  kleiner  ist,  und  eine 
glatte,2)dievonEinigen  Päderos,  auch  Melamphyllum  ge- 
nanntwird. Die  Wurzeln  der  letzteren  leisten  als  Speise,  beson- 
ders mit  Ptisane  gekocht,  vortreffliche  Dienste  bei  verrenkten, 
verbrannten,  zerbrochenen  und  verdrehten  Gliedern,  sowie 
wenn  man  die  Schwindsucht  zu  bekommen  fürchtet. 
Zerrieben  und  erwärmt  legt  man  sie  auch  gegen  hitziges 
Podagra  auf. 

35. 

Das  Bupleurum,^)  welches  die  Griechen  zu  den  wild- 
wachsenden Kohlarten  zählen,  hat  einen  ellenhohen  Stengel, 
zahlreiche  lange  Blätter,  einen  dem  Dill  ähnlichen  Kopf 
(Blüthenstand),  und  wird  von  Hippocrates  als  Gemüse,  von 
Glaucon  und  Nicander  als  Arzneimittel  gerühmt.  Der  Same 
hilft  wider  die  Schlangenbisse.  Zur  Beförderung  des  Ab- 
gangs der  weiblichen  Nachgeburt  legt  man  die  Blätter  oder 
den  mit  Wein  bereiteten  Saft,  zur  Vertreibung  der  Kröpfe 
die  Blätter  mit  Salz  und  Wein  auf.  Die  Wurzel  giebt  man 
mit  Wein  gegen  die  Schlangen  und  gegen  Harnstrenge. 

36. 

Die  Buprestis*)  wird,  jedoch  mit  wenig  Ueberein- 
stimmung,  von  den  Griechen  zu  den  beliebten  Gemüsearten 
gerechnet;  auch  hält  man  sie  für  heilkräftig  wider  Gifte» 
Allein  ihr  Name 5)  zeigt  schon  an,  dass  sie  wenigstens  für 
das  Rindvieh  ein  Gift  ist,  denn  wenn  diess  davon  frisst, 
soll  es  bersten.  Aus  diesem  Grunde  wollen  wir  auch 
nicht  weiter  davon  reden.  Wir  haben  aber  Ursache,  auch 
unter  den  Kranzkräutern  die  giftigen  anzuzeigen;  vielleicht 
möchte  sie  auch  Jemand  aus  Wollust  einsammeln,  denn 
nichts  soll  dieselbe  mehr  reizen,  als  ein  daraus  bereiteter 
Trank. 


*)  Acanthus  spinosus  L.    -)  Acanthus  mollis  L, 

3)  Bupleurum  protractum  Lk. 

■*)  Identisch  mit  dem  Bupleurum. 

*)  ßövq  Stier  und  TtQijd^u)  brennen,  anschwellen. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  153 

37. 

Das  sogenannte  Hirschfuttei-i)  ist  eine  fingersdicke 
gertenartige  Pflanze  mit  Knoten,  deren  Samen  traubenartig 
herabhängen,  an  Gestalt  denen  des  Silis  gleichen,  aber 
bitter  schmecken,  und  deren  Blätter  dem  Olusatrum  ähnlich 
sind.  Es  ist  eine  beliebte  Speise;  eingemacht  hält  man  sie 
vorräthig  zur  Beförderung  des  Hamens,  zur  Vertreibung 
der  Seitenschmerzen,  Heilung  von  Brüchen  und  Verrenkungen, 
Blähungen  und  Bauchgrimmen,  Schlangenbissen  und  Stichen 
gestachelter  Thiere.  Auch  sollen  es  die  Hirsehe  zum  Schutze 
gegen  Schlangen  fressen.  Die  Wurzel  dient  mit  Natron 
aufgelegt  zur  Heilung  der  Fistelschäden;  zu  diesem  Behuf 
muss  sie  aber  zuvor  getrocknet  werden,  damit  sie  ihren 
Saft,  wecher  sie  für  die  Schlangen  verderblicher  macht, 
nicht  verliert. 

38. 

Auch  die  Scandix^)  wird,  wie  Opion  und  Erasistratus 
angeben ,  von  den  Griechen  zu  den  wilden  Kohlarten 
gezählt.  Gekocht  hemmt  sie  den  Durchfall,  der  Same  mit 
Essig  genommen  vertreibt  augenblicklich  das  Schlucken. 
Man  legt  sie  auf  Brandschäden ,  gebraucht  sie  auch  zur 
Beförderung  des  Hamens.  Der  Absud  derselben  ist  ein 
Mittel  für  den  Magen,  die  Leber,  Nieren  und  Blase.  Diess 
ist  dieselbe  Pflanze,  womit  Aristophanes  dem  Dichter 
Euripides^)  scherzend  vorwirft:  seine  Mutter  habe  statt 
ächten  Kohl,  Scandix  verkauft.  Der  Anthriscus*)  ist  ihr 
am  ähnlichsten,  hat  aber  dünnere  und  wohlriechendere 
Blätter.  Ihr  besonderer  Ruf  besteht  darin,  dass  sie  den 
durch  häufigen  Beischlaf  ermatteten  Körper  wieder  kräftigt 
und  schwache  alte  Leute  noch  zum  Liebesgenuss  reizt. 
Sie  hemmt  auch  den  weissen  FIuss  der  Frauen. 


•)  elaphoboscon.    Pastinaca  sativa  L. 
2)  Scandix  Pecten  L. 

^)  Geb.  480  V.  Chr.  auf  Salamis,  starb  407  am  Hofe   des  Königs 
Archelaus  v,  Macedonien. 
*)  Scandix  australis  L. 


254  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

39. 

Für  eine  wilde  Kohlart  hält  man  ferner  die  Jasione, 
welche  auf  der  Erde  kriecht,  eine  bedeutende  Menge  Milch- 
saft hat,  weisse  Blumen  trägt  und  der  Gesellschafter i)  genannt 
wird.  Man  empfiehlt  sie  als  Reizmittel  zum  Beischlaf. 
Roh  mit  Essig  verspeist,  verleihet  sie  den  "Weibern  reich- 
liche Milch.  Auf  das  Haupt  der  Kinder  gelegt,  befördert 
sie  den  Haarwuchs  und  macht  die  Haut  fester. 

40. 

Auch  die  Caucalis^)  wird  gegessen,  sieht  dem  Fenchel 
ähnlich,  hat  einen  kurzen  Stengel,  weisse  Blüthen,  und  wird 
für  das  Herz  angewendet.  Auch  ihren  Saft  trinkt  man  für 
den  Magen,  Urin,  gegen  Steine,  Gries  und  Blasenjucken. 
Sie  vermindert  den  Schleim  der  Milz,  Leber  und  Nieren. 
Der  Same  befördert  die  Menstruation  und  trocknet  die  Galle 
nach  der  Geburt;  wird  auch  gegen  den  männlichen  Samen- 
fluss  gegeben.  Chrysippus  sagt,  mit  Wein  nüchtern  genommen 
befördere  er  die  Empfängniss.  Wie  Petrichus  in  seinem 
Gedichte  angiebt,  wird  ein  Umschlag  davon  gegen  das  Gift 
der  Seethiere  gebraucht. 

41. 

Hierher  gehört  auchdasSium,^)  welches  breiter,  fetter 
und  dunkler  als  die  Petersilie  ist,  im  Wasser  wächst, 
vielen  Samen  trägt  und  im  Geschmack  der  Brunnenkresse 
gleicht.  Es  wird  roh  oder  gekocht  oder  als  Absud  oder 
der  Same  zu  2  Drachmen  mit  Wein  für  den  Harn,  die 
Nieren,  Milz  und  Menstruation  gegeben.  Es  zermalmt  den 
Harnstein  und  wirkt  dem  Wasser,  welches  ihn  erzeugt, 
entgegen.  Ein  Aufguss  davon  ist  gut  gegen  die  Ruhr;  zur 
Vertreibung  der  Sommersprossen  und  anderer  Fehler  im 
Gesichte  der  Weiber  legt  man  es  über  Nacht  auf,  denn  es 
verbessert  die  Haut  augenblicklich,  heilt  auch  Brüche  und 
Räude  bei  Pferden. 


*)  conciliuni,  walirscheinlich  weil  sie  gruppenweise  vorkommt. 

2)  Pimpinella  Saxifraga  L. 

3)  Sium  latifolium  L. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  155 

42. 

Das  Silybum^),  welches  dem  weissen  Chamaeleon 
ähnlich  und  ebenso  stachlicht  ist,  verlohnt  nicht  einmal  in 
Cilicien,  Syrien  oder  Phönicien,  wo  es  wächst,  des  Kochens, 
denn  seine  Znrichtung  wird  als  sehr  mühsam  geschildert 
Arzneiliche  Anwendung  hat  es  nicht. 

43. 

Das  Scolimum2),  welches  auch  Limoniura  heisst. 
wird  im  Oriente  verspeist.  Es  wird  nicht  üher  eine  Elle 
hoch,  die  Blätter  sind  kammartig  eingeschnitten,  die  Wurzel 
schwarz  und  süss;  Eratosthenes  empfiehlt  es  zur  Nahrung 
für  arme  Leute.  Es  soll  den  Harn  treiben,  mit  Essig  Flechte 
und  Ausschlag  heilen,  und  nach  Hesiodus  und  Alcäus^)  in 
Wein  genommen  zum  Beischlaf  reizen.  Nach  denselben 
Schriftstellern  zirpen  um  die  Zeit,  wenn  diess  Gewächs 
blühet,  die  Cicaden  am  lautesten,  sind  die  W^eiber  am 
geilsten  und  die  Männer  zum  Beischlafe  am  wenigsten 
geneigt,  wesshalb  die  Vorsehung  demselben  in  jener  Periode 
die  grösste  Wirksamkeit  verliehen  habe.  Gegen  den  Übeln 
Geruch  unter  den  Armen  nimmt  man  eine  Unze  von  der 
Wurzel,  welche  vom  Marke  befreit  worden  ist,  kocht  sie 
mit  drei  Heminis  falernischen  Weines  zu  einem  Drittbeil 
ein  und  trinkt  davon  nach  dem  Bade  nüchtern  oder  nach 
dem  Essen  einen  Becher  voll.  Merkwürdig  ist ,  was 
Xeuocrates  aus  Erfahrung  gestützt  mittheilt;  jenes  Uebel 
unter  den  Armen  soll  nämlich  durch  den  Urin  abgehen. 

44. 

Ferner  isst  man  den  Sonchus*)  (welchen  beim  Calli- 
machus   Hecale    dem  Theseus   vorsetzt)    und    zwar    beide 


')  Weil  Plinius  diese  Pflanze  als  eine  schlechte  Speise  schildert, 
so  scheint  er  nicht  Silybum  marianum  (Carduus  marianus),  sondern 
Carhna  corymbosa  oder  Acarna  cancellata  gemeint  zu  haben. 

2)  Scolymus  maculatus  L. 

3)  Aus  Mitylene,  um  600  v.  Chr.,  Ij'rischer  Dichter,  Zeitgenoss 
der  Sappho. 

'')  Sonchus  oleraceus  und  arvensisL;  auch  Helminthiai  echioides  L. 
Die  weisse  Art  ist  S.  oleraceus. 


256  Zweiunclzwanzigstes  Buch. 

Arten,  den  weissen  und  schwarzen;  beide  gleichen  dem 
Lattich,  tragen  aber  Stacheln,  ihre  Stengel  werden  eine 
Elle  hoch,  sind  eckig,  innen  hohl  und  geben  beim  Verletzen 
eine  bedeutende  Menge  Milchsaft  von  sich.  Der  weisse, 
welcher  sein  Aussehen  dem  Milchsafte  verdankt,  wird  gegen 
Engbrüstigkeit  wie  die  Latticharten  in  einer  Tunke  gegessen. 
Erasistratus  sagt,  er  treibe  die  Steine  durch  den  Urin  ab 
und  diene  gekauet  zur  Verbesserung  des  üblen  Geruchs 
aus  dem  Munde.  Der  Saft  zu  3  Bechern  mit  weissem  Wein 
und  Oel  erwärmt  befördert  die  Entbindung,  so  dass  die 
Wöchnerinnen  gleich  nachher  wieder  umhergehen  können. 
Man  reicht  ihn  auch  als  Brühe.  Der  gekochte  Stengel 
giebt  den  Ammen  reichliche  Milch,  den  Kindern  ein  gesundes 
Aussehen,  und  ist  besonders  denen  zu  empfehlen,  welche 
fühlen,  dass  ihre  Milch  gerinnt.  Der  Saft  wird  in  die  Ohren 
getröpfelt,  gegen  Harnstrenge  zu  1  Becher  warm  getrunken 
und  gegen  Magendrücken  mit  Gurken-  und  Piniensamen 
genommen.  Gegen  Flüsse  am  After  legt  man  das  Kraut 
auf.  Gegen  Schlangen-  und  Scorpionstiche  wird  ein  Trank 
davon  bereitet,  die  Wurzel  aber  aufgelegt.  Letztere  wird 
gegen  Ohrenkrankheiten  mit  Granatapfelschale  in  Oel 
gekocht.  Zu  allen  ebengenannten  Zwecken  dient  die  weisse 
Art.  Cleemporus^)  stimmt  damit  überein  und  warnt  vor 
dem  Genüsse  der  schwarzen,  welche  Krankheiten  erzeuge. 
Agathocles^)  empfiehlt  auch  den  Saft  gegen  die  Wirkung 
des  Rindsbluts.  Doch  ist  soviel  ausgemacht,  dass  die  schwarze 
Art  kühlende  Kräfte  besitzt,  daher  sie  auch  mit  Polenta 
zu  Umschlägen  gebraucht  wird.  Zeno^)  sagt,  die  Wurzel 
der  weissen  Art  heile  die  Harnstrenge. 

45. 
Das  Condrillum  oder  die  Condrille^)  trägt  Blätter, 
welche  denen  des  Intubus  ähnlich   und  rundum  wie  abge- 

')  Unbekannter  Schriftsteller. 

2)  Von  Chios,  ein  nicht  näher  bekannter  Schriftsteller. 

3)  Welcher  Zeno  hier  gemeint  ist,  lässt  sich  nicht  bestimmen; 
es  gab  mehrere  Aerzte  dieses  Namens. 

")  Chondrilla  juncea  L.  und  Cbondrilla  ramosissima  Sm. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  157 

nagt  sind,  der  Stengel  wird  nicbt  ganz  1  Fuss  hoch  und 
stiozt  von  bitterem  Safte,  die  Wurzel  gleicht  einer  Bohne 
und  ist  mitunter  in  zahlreicher  Menge  vorhanden.  Zunächst 
der  Erde  findet  sich  am  Stengel  ein  Harz  von  der  Grösse 
einer  Bohne,  welches  aufgelegt  den  Monatsfluss  der  Frauen 
befördern  soll.  Die  ganze  Pflanze  sammt  der  Wurzel  wird 
zerstossen  und  zu  Kügelchen  wider  die  Schlangen  geformt, 
denn  man  weiss,  dass  die  von  Schlangen  gebissenen  Feld- 
mäuse diess  Gewächs  fressen.  Der  mit  Wein  bereitete  Ab- 
sud hemmt  den  Durchfall.  Statt  eines  Gummi  angewandt, 
werden  dadurch  die  Haare  der  Augenlider  in  Ordnung  ge- 
halten. Dorotbeus  i)  lobt  die  Pflanze  in  seinen  Gedichten 
als  Magen-  und  Verdauungsmittel.  Einige  glauben,  sie  schade 
den  Frauen,  den  Augen   und  Zeugungstheilen  der  Männer. 

46. 
Zu  denjenigen  Gewächsen,  welche  ohne  Weiteres  ge- 
gessen werden,  kann  ich  zwar  mit  Recht  auch  die  Boleti 
rechnen,  denn  sie  sind  eine  köstlicbe  Speise,  allein  sie  haben, 
wie  aus  vielen  Beispielen  erhellet,  auch  zu  verbreche- 
rischen Absichten  gedient;  unter  anderm  vergiftete  damit 
Agrippina  ihren  Ehegatten,  den  Kaiser  Tiberius  Claudius, 
und  bereitete  dadurch  der  Welt  und  sich  selbst  ein  noch 
grösseres  Gift,  ihren  Sohn  Nero.  Die  giftigen  Arten  dieser 
Pilze  erkennt  mau  leicht  an  der  blassrothen  Farbe,  dem 
hässlichen  Ansehen,  der  bläulieben  Farbe  im  Innern,  den 
furchigen  Streifen  und  dem  ringsum  bleichen  Kande.  Bei 
einigen  findet  man  diese  Merkmale  nicht;  solche  sind  aber 
trocken,  dem  Natron  ähnlich,  und  haben  oben  auf  ihrer 
Haut  weisse  Tropfen  -  ähnliche  Tupfen.  Zuerst  bildet  sich 
nämlich  an  denselben  die  Hülle,  und  später  in  dieser,  wie 
in  einem  Eie  das  Gelbe,  der  Kern.  An  den  jungen  Pilzen 
ist  diese  Haut  gleichfalls  wohlschmeckend.  Letztere  berstet, 
so  wie  der  Pilz  hervorkommt,  dessen  ganze  Substanz  später 
in  den  Stiel  (welcher  selten  zu  zweien  erscheint)  übergeht. 
Die    erste  Ursache   ihrer  Bildung    liegt   in  dem   Schlamme 


*)  Aus  Athen,  übrigens  nicht  näher  bekannt. 


J58  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

und  der  scharfen  Feuchtigkeit  der  Erde  oder  einer  eichel- 
tragenden Wurzel;  Anfangs  sind  sie  zäher  als  Schaum,  dann 
stellen  sie  einen  häutigen  Körper  dar  und  endlich  bilden 
sie  sich  gänzlich  aus.  Diese  Giftpilze  müssen,  wie  gesagt, 
durchaus  verworfen  werden.  Denn  wenn  da,  wo  sie  wachsen, 
ein  Schuhnagel,  ein  rostiges  Stück  Eisen  oder  ein  morsches 
Stück  Tuch  liegt,  so  ziehen  sie  sogleich  allen  fremden  Saft 
und  Geschmack  in  sich  und  bilden  daraus  Gift;  wer  aber 
anders  als  die  Landleute  und  die,  welche  sie  sammeln, 
kann  das  wissen?  Sie  ziehen  auch  noch  andere  Gifte  ein, 
z.  B.  wenn  sich  neben  ihnen  eine  Schlangenhöhle  befindet, 
oder  wenn  eine  Schlange  einen  eben  sich  öffnenden  Pilz 
anhaucht,  denn  ein  Gift  besitzt  die  Fähigkeit,  noch  ein  an- 
deres aufzunehmen.  Es  ist  daher  Vorsicht  anzurathen,  ehe 
Schlangen  sich  verkriechen;  diess  merkt  man  an  einer  Menge 
von  Kräu:jern,  Bäumen  und  Sträuchern,  welche  von  ihrem 
Hervorkommen  an  bis  zu  der  Zeit,  wo  sie  sich  verkriechen, 
grünen  und  schon  allein  die  Blätter  der  Esche  zeigen  es 
an,  da  sie  weder  nachher  wachsen,  noch  vorher  abfallen. 
Die  ganze  Lebensdauer  der  Boleten  erstreckt  sich  auf  7 
Tage. 

47. 
Die  Pilze  1)  bilden  zahlreichere  Arten,  sind  milder  und 
entstehen  nur  aus  dem  Schleime  der  Bäume.  Am  unschäd- 
lichsten sind  die  mit  rother,  und  zwar  dunklerer  Haut 2) 
als  bei  den  Boleten;  dann  folgen  die  weissen,  mit  ansehn- 
lichen den  Priestermützen  ähnlichen  Stielen.  Die  dritte  Art 
wird  Saupilze  genannt,  und  passt  am  besten  zu  Vergiftungen, 
denn  durch  diese  sind  kürzlich  ganze  Familien  und  Gast- 
gesellschaften ums  Leben  gekommen,  wie  Annaeus  Serenus, 
der  Befehlshaber  der  Leibwache  des  Nero,  die  Tribunen 
und  Centurionen.  Wie  kann  man  eine  so  gefährliche  Speise 
lieben?  Einige  unterscheiden  die  Pilze  nach  den  Bäumen, 
nämlich  der  Feige,  der  Ferula  nnd  den  Gummi  tragenden- 
den, oder  wie  bei  uns  nach  der  Buche,  Eiche,  Cypresse,  wie 


fungi.    2)  Boletus  edulis. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  159 

wir  gesagt  haben.  Aber  wer  steht  gut  dafür,  dass  nur  diese 
verkauft  werden?  Alle  haben  eine  bläuliehe i)  Farbe,  und 
diese  zeigt  dann  die  giftige  Beschaffenheit  an,  wenn  sie 
der  Farbe  der  Feigenfrucht  ähnlich  ist.  Hülfsmittel  dagegen 
haben  wir  schon  angeführt  uud  werden  deren  in  der  Folge 
noch  nennen;  inzwischen  gebraucht  man  einige  Pilze  auch 
als  Heilmittel.  Glaucias  sagt,  die  Boleteu  wären  gut  für 
den  Magen.  Die  Saupilze  werden  an  Binsenhalme  gereihet 
zum  Trocknen  aufgehängt  und  in  solchen  Bündeln  aus  Bi- 
thynien  gebracht.  Man  gebraucht  sie  gegen  diejenigen 
Bauchflüsse,  welche  Eheumatismen  genannt  werden  und 
gegen  die  fleischigen  Auswüchse  am  After,  welche  dadurch 
nach  und  nach  gänzlich  verschwinden;  ferner  gegen  Som- 
mersprossen und  andere  Fehler  im  Gesichte  der  Frauen. 
Gleich  dem  Blei  dienen  sie  zum  Waschen  der  Augen.  Auf 
eiternde  Geschwüre  und  Ausbrüche  des  Kopfes,  sowie  auf 
Hundsbisse  legt  man  sie  mit  Wasser.  In  Bezug  auf  das 
Kochen  der  Pilze  will  ich  noch  einige  allgemeine  Regeln 
bei  jeder  Art  anführen,  denn  die  Leckerei  geht  soweit,  dass 
man  nur  allein  diese  Speise  mit  eigenen  Händen  bereitet 
und,  bernsteinene  Messer  und  silberne  Geschirre  dabei  ge- 
brauchend, sie  schon  vorher  in  Gedanken  schmeckt.  Die- 
jenigen Pilze,  welche  beim  Kochen  härter  werden,  sind  ver- 
dächtig; kochen  sie  sich  aber  unter  Zusatz  von  Natron  ganz 
weich,  so  kann  man  sie  ohne  Gefahr  essen.  Noch  sicherer 
ist  es,  sie  mit  dem  Fleische  oder  den  Stielen  der  Birnen 
zu  kochen;  zweckmässig  isst  man  auch  gleich  darauf 
Birnen.  Desgleichen  vernichtet  der  Essig  ihre  schädliche 
Wirkung,  denn  er  ist  ihnen  von  Natur  zuwider. 

48. 
Alle  Pilze    schiessen  nach  Regengüssen   hervor.    Das- 
selbe ist  der  Fall  beim  Silphium,  welches,  wie  wir  gesagt 
haben  2),  zuerst  aus  Cyrene  gebracht  wurde.    Jetzt  kommt 
es  meistens   aus  Syrien,   ist   aber  schlechter   als    das  pan- 


*)  lividus. 

2)  XIX.  B.  15  Cap. 


jßO  Zweundzwanzigstes  Buch. 

thische,  jedoch  besser  als  das  medische,  denn  das  cyrenischc 
kommt,  wie  schon  angeführt,  nicht  mehr  vor.  Es  wird  in 
der  Arzneikunde  gebraucht;  die  Blätter  werden  in  weissem 
wohlriechendem  Wein  gekocht  und  von  diesem  Absude  giebt 
man  1  Acetabulum  voll  nach  dem  Bade  zur  Reinigung  der 
Gebärmutter  und  zur  Abtreibung  todter  Kinder.  Die  Wurzel 
dient  für  rauhe  Luftröhren,  wird  auf  Stellen,  wo  sich  das 
Blut  augesammelt  hat,  gelegt,  ist  aber  schwer  zu  verdauen, 
verursacht  BlähungeUj  Aufstossen  und  schadet  dem  Urine. 
Mit  Wein  und  Oel  legt  man  sie  zweckmässig  auf  blaue 
Flecken,  mit  Wachs  auf  Kröpfe,  und  wenn  die  Warzen  am 
After  damit  geräuchert  werden,  so  fallen  sie  ab. 

49. 
Der  Laser,  welcher,  wie  wir  angegeben i),  aus  dem 
Silphium  fiiesst,  gehört  zu  den  vorzüglichsten  Geschenken 
der  Natur  und  geht  in  sehr  viele  Mischungen  ein.  Für 
sich  genommen  vertreibt  er  den  Frost  und  als  Trank  die 
Krankheiten  der  Nerven.  Den  Frauen  giebt  man  ihn  in 
Wein.  In  weiche  Wolle  gewickelt  legt  man  ihn  an  die 
weibliche  Schaam,  um  die  Menstruation  zu  befördern.  Mit 
Wachs  vermischt  zieht  er  die  Hühneraugen  aus,  wenn  sie 
zuvor  mit  einem  eisernen  Instrumente  ringsum  gelöst  wor- 
den. Eine  Erbse  gross  aufgelöst  genommen,  befördert  das 
Harnen,  Andreas  versichert,  sein  öfterer  Gebrauch  verur- 
sache keine  Blähungen,  befördere  besonders  bei  alten  Leuten 
und  Weibern  die  Verdauung,  bekomme  im  Winter  besser 
als  im  Sommer,  namentlich  denen,  welche  Wasser  trinken; 
doch  müsse  man  sich  desselben  enthalten,  wenn  im  Körper 
ein  Geschwür  sei.  Zur  Beförderung  des  Geuesens  nach 
Krankheiten  setzt  mau  ihn  zweckmässig  den  Speisen  zu. 
Zu  rechter  Zeit  angewandt,  besitzt  er  die  Kraft  eines  Aetz- 
mittels,  ist  ferner  denen  zuträglicher,  welche  daran  gewöhnt 
sind  als  Anderen.  Auch  als  Mittel  gegen  äusserliche  Uebel 
des  Körpers  hat  sich  sein  Ruf  fest  begründet.  Im  Trank 
genommen  vernichtet  er  das  Gift  der  Pfeile  und  Schlangen; 


>)  XIX.  B.  15.  Cap. 


Zweiundzwanzigstes  Bu(;h.  Jßl 

mit  Wasser  vermischt  streicht  man  ihn  um  derartige  Wun- 
den, mit  Oel  nur  auf  Scorpioustiche,  mit  Gerstenmehl  und 
trockenen  Feigen  auf  unreife  Geschwüre;  mit  Raute  und 
Honig  oder  für  sich,  vermittelst  Vogelleims  zum  Zweck  des 
Festhaftens,  auf  Karbunkeln  und  Hundsbisse;  mit  Granat- 
apfelschalen in  Essig  gekocht  auf  Auswüchse  am  After, 
mit  Zusatz  von  Natron  auf  Leichdornen,  welche  abgestorbene 
genannt  werden.  Ein  Gemisch  aus  Natron  und  Laser,  mit 
Wein  und  Safran  oder  Pfeffer  oder  Mäusekoth  und  Essig 
versetzt,  erfüllt  kahle  Stellen  auf  dem  Kopfe  wieder  mit 
Haaren.  Mit  Wein  oder  Oel  gekocht  wird  er  auf  Frost- 
beulen und  Schwielen  gelegt.  Besonders  gut  ist  er  für 
Leichdornen,  wenn  sie  zuvor  abgeschält  sind;  ferner  wider 
schlechtes  Wasser,  ungesunde  Gegenden  und  Tage,  Husten, 
geschwollenes  Zäpfchen,  lange  dauernden  Austritt  der  Galle, 
Wassersucht  und  Heiserkeit,  denn  er  reinigt  sogleich  den 
Hals  nnd  stellt  die  Stimme  wieder  her.  In  saurem  Weine 
gelöst  und  mit  einem  Schwämme  aufgelegt,  lindert  er  das 
Podagra.  Gegen  Seitenstechen  nimmt  man  ihn  in  einer 
Brühe  ein  und  trinkt  Wein  nach;  gegen  Zusaramenziehungen 
und  Rückgratskrämpfe  legt  man  ein  erbsengrosses  Stück 
mit  Wachs  bestrichen  auf.  Gegen  die  Bräune  setzt  mau 
es  dem  Gurgelwasser  zu.  Denen,  welche  schwer  athmen 
und  anhaltend  husten,  giebt  man  ihn  mit  Lauch  und  Essig 
auch  denen,  welche  geronnene  Milch  getrunken  haben; 
in  Wein  gegen  Brustleiden,  Abzehrung  und  Epilepsie,  in 
Wassermeth  gegen  Lähmung  der  Zunge.  Gegen  Hüften- 
und  Lendenschmerzen  wird  er  mit  gekochtem  Honig  auf- 
gelegt. Ich  kann  dem,  was  die  Schriftsteller  unter  andern 
angeben,  nämlich,  man  solle  gegen  Zahnweh  ein  Stück 
Laser  mit  Wachs  umgeben  in  den  hohlen  Zahn  stecken, 
nicht  beipflichten,  denn  ich  weiss,  dass  sich  ein  Mensch  in 
Folge  dieser  Anwendung  von  einer  Höhe  herabgestürzt  hat. 
Wird  er  den  Stieren  auf  die  Nase  gestrichen,  so  macht 
er  sie  gleichfalls  wüthend,  und  wenn  Schlangen  (die 
sehr  begierig  nach  Wein  sind)  in  Wein  aufgelösten  Laser 
verschluckt  haben,   so   müssen   sie  bersten.    Auch  möchte 

Wittsteiii.  Plinius.     IV.  Bd.  ^^ 


1Q2  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

ich  nicht  rathen,  ihn  mit  attischem  Honig  zu  vermischen, 
wie  Einige  vorschreiben.  Es  würde  ins  Unendliche  gehen, 
alle  die  nützlichen  Anwendungen,  deren  er  in  Verbindung 
mit  andern  Stoffen  fähig  ist,  anzuführen;  wir  handeln  hier 
bloss  von  einfachen  Arzneien,  denn  diese  bieten  uns  ihre 
natürlichen  Heilkünste  dar,  die  zusammengesetzten  dagegen 
täuschen  oft  die  von  ihnen  gehegten  Erwartungen,  weil 
die  Eintracht  und  Zwietracht  der  Naturkörper  in  den  Ge- 
mischen noch  nicht  hinreichend  erkannt  worden  ist.  Ueber 
diese  Materie  werden  wir  bald  mehr  reden. 

50. 
Der  Honig  würde  ebenso  hoch  geschätzt  werden  als 
der  Laser,  wenn  er  weniger  häufig  vorkäme.  Der  Laser 
wird  von  der  Natur  ursprünglich  erzeugt,  zu  jenem  aber 
dient  bekanntlich  ein  Tljier  und  seine  Anwendung  geht  ins 
Unzählige,  wenn  man  bedenkt,  wie  oft  er  vermischt  wird. 
Das  Stopfwachs  (von  dem  früher  die  Rede  war')  zieht 
Stacheln  und  alles,  was  sonst  im  Körper  steckt,  heraus, 
zertheilt  Geschwülste,  erweicht  Verhärtungen,  lindert  die 
Schmerzen  der  Nerven,  und  überzieht  Geschwüre,  an  deren 
Heilung  man  schon  verzweifelt,  mit  einer  Narbe.  Der  Honig 
selbst  hat  die  Eigenschaft,  das  Faulen  der  Körper  zu  ver- 
hüten, schmeckt  milde  und  angenehm,  und  unterscheidet 
sich  in  seiner  Natur  von  dem  Salze;  er  ist  ein  vortreffliches 
Mittel  für  Hals,  Drüsen,  Bräune,  alle  Mundkraukheiten  und 
Trockenheit  der  Zunge  bei  Fiebern;  gekocht  für  Lungen- 
sucht, Seitenweh,  Schlangenbisse  und  giftige  Pilze.  Bei 
Lähmungen  dient  er  in  der  Form  des  Meths,  dessen  Nütz- 
lichkeit auch  in  andern  Fällen  hinlänglich  bekannt  ist. 
Mit  Rosenessenz  wird  der  Honig  in  die  Ohren  getröpfelt; 
Nisse  und  Ungeziefer  auf  dem  Kopfe  vertilgt  er.  Zweck- 
mässiger bedient  man  sich  immer  des  abgeschäumten;  es 
muss  jedoch  bemerkt  werden,  dass  er  den  Magen  aufblähet 
die  Galle  vermehrt,  Ekel  verursacht,  und,  wie  manche  glauben, 
den  Augen  schadet.     Andere  dagegen  empfehlen  ihn  zum 

«)  XI.  B.  6.  Cap. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  163 

Bestreichen  gescliworener  Augenwinkel  Von  den  verschie- 
denen Sorten  des  Honigs,  ihrem  Vaterlande  u.  s.  w.  haben 
wir  bereits  bei  den  Bienen  und  Blumen  gesprochen,  i)  denn 
die  Anlage  unseres  Werkes  machte  es  nöthig,  für  diejenigen, 
welche  die  Naturdinge  kennen  lernen  wollen,  das  zu  ver- 
theilen,  was  wir  nun  wiederum  verbinden. 

51. 
Bei  Gelegenheit  des  Honigs  müssen  wir  auch  des 
Wassermeths  gedenken,  von  dem  man  zwei  Arten,  frischen 
und  alten,  unterscheidet.  Der  aus  abgeschäumtem  Honig 
schnell  bereitete,  eignet  sich  vorzüglich  zu  leichter  Kranken- 
speise, nämlich  zu  gewaschener  Alica,  um  die  verlorenen 
Kräfte  wieder  zu  ersetzen,  Mund  und  Magen  geschmeidig 
zu  machen,  und  die  Hitze  zu  vertreiben;  denn  die  Schrift- 
steller sagen,  er  müsse,  um  den  Leib  zu  erweichen,  kalt 
getrunken  werden.  Desselben  Trankes  sollen  sich  Frostige, 
Kleinmüthige  und  Aengstliche  (denen  man  den  Namen 
Mikropsychi-)  gegeben  hat)  bedienen.  Plato  stellte  nämlich 
mit  grossem  Scharfsinn  den  Satz  auf,  dass  das  Glatte, 
Rauhe,  Eckige  und  Runde  der  Körper  zu  der  (ähnlichen) 
Beschaffenheit  anderer  mehr  oder  weniger  passe;  daher 
ein  und  dasselbe  nicht  für  einen  Jeden  bitter  oder  süss  sei. 
So  sollen  auch  müde  und  durstige  Menschen  leichter  zum 
Jähzorn  geneigt  sein.  Daher  wird  jene  Rauheit  des  Geistes 
oder  vielmehr  des  Athems  durch  einen  süssen  Saft  gemildert. 
Er  erleichtert  den  Durchgang  der  Luft,  denn  er  macht  den 
Weg  weich  und  hindert  die  Unterbrechung  im  Ein-  und 
Ausathmen.  Ein  Jeder  kann  an  sich  selbst  die  Erfahrung 
machen,  denn  Zorn,  Betrübniss  und  alle  Art  Gemüthsbewe- 
gungen  werden  durch  seinen  Genuss  gemildert.  Wir  sehen 
also,  dass  auch  diejenigen  Mittel  Beachtung  verdienen, 
welche  nicht  bloss  den  Körper  heilen,  sondern  auch  die 
Sitten  verbessern. 


•)  Im  XI.  und  XXI.  Buche. 

2)  von  /xixQoq  klein  und  xpi'xv  die  Seele. 


iß^  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

52. 
Der  Wassermeth  vertreibt  den  Husten;  erwärmt  be- 
fördert er  das  Brechen.  Die  giftige  Wirkung  des  Bleiweisses 
vernichtet  er  mit  Zusatz  von  Oel;  die  des  Bilsen  mit  Esels- 
milcli  und,  wie  bereits  angeführt,  des  Halicacabum. ')  Man 
tröpfelt  ihn  in  die  Obren  und  in  die  Fistelscbäden  der 
Gescblechtstbeile.  Auf  die  weiblicbe  Scbaam,  plötzlicb 
entstehende  Gescbwulste  und  Verrenkungen  wird  er  zur 
Linderung  mit  weichem  Brot  gelegt.  Spätere  Autoren 
verbieten  den  Gebraucb  des  alten  Metbs,  denn  er  sei  scbäd- 
licber  als  Wasser  und  weniger  kräftig  als  Wein.  Durcb 
sehr  langes  Liegen  aber  verwandelt  er  sich  bekanntlicb  in 
Wein,  scbadet  jedoch  aucli  dem  Magen  und  den  Nerven. 

53. 
Metb  aus  altem  Wein  ist  immer  der  beste  und  lässt 
sich  mit  Honig  am  leichtesten  vereinigen,  was  bei  dem 
süssen  niemals  angeht.  Der  aus  herbem  Weine,  sowie  der 
aus  gekochtem  Honig  bereitete,  beschwert  den  Magen  nicht, 
macht  auch,  was  sonst  häufig  geschieht,  keine  Blähungen, 
und  stellt  den  Appetit  nach  Speisen  wieder  her.  Kalt 
getrunken  macht  er  Oeffnung,  warm  bei  den  Meisten  Ver- 
stopfung, und  giebt  dem  Körper  Stärke  und  Festigkeit. 
Viele  haben  bloss  durch  den  Genuss  des  Weinmeths  und 
nichts  anderem  ein  hohes  Alter  erreicht.  Unter  diesen  ist 
Pollio  Romilius  ein  berühmtes  Beispieh  Als  derselbe,  nach 
bereits  zurückgelegtem  hundertstem  Lebensjahre,  einst  beim 
Kaisei  Augustus  zu  Gaste  war,  und  dieser  ihn  fragte,  wo- 
durch er  sich  so  lebenskräftigen  Geist  und  Körper  erhalten 
hätte,  antwortete  er:  innerlich  durch  Weiumeth,  äusserlieh 
durch  Oel.  Varro  sagt,  die  Gelbsucht  sei  deshalb  die 
königliche  Krankheit 2)  genannt  worden,  weil  sie  mittelst 
Weinmeth  curirt  werde. 

54. 
Wie  der  aus  Honig  und  Most  bestehende  Honigtrank 


«)  Im  XXI.  B.  105.  Cap. 
*)  morbus  arquatus. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  Iß5 

bereitet  wird,  haben  wir  bei  der  Beschreibung  des  Weines 
mitgetheilt.i)  Ich  glaube,  dass  dieses  so  leicht  Blähungen 
verursachende  Getränk  schon  seit  Jahrhunderten  nicht 
mehr  gemacht  wird.  Man  gab  es  gewöhnlich  alt  bei 
Fiebern  zur  Oeifuung,  ferner  in  der  Gliederkrankbeit,  Per- 
sonen, welche  schwache  Nerven  haben  und  Weibern,  die 
keinen  Wein  trinken. 

55. 
An  den  Honig  knüpft  sich  zunächst  das  Wachs,  über 
dessen  Ursprung,  Güte,  Sorten  wir  bereits  gesprochen 
haben. 2)  Alles  Wachs,  besonders  das  frische,  erweicht 
erwärmt  und  füllt  den  Körper  aus.  Man  giebt  es  in  einer 
Brühe  gegen  die  Ruhr,  auch  die  Waben  selbst  in  einem 
Brei  von  gerösteter  Alica.  Es  widersteht  von  Natur 
der  Milch ,  und  wenn  man  10  Hirsekörner  grosse  Krumen 
Wachs  einnimmt,  so  wird  die  Gerinnung  der  Milch  im 
Magen  verhindert.  Die  Geschwulst  der  Schaamtheile 
kann  durch  Auflegen  von  Wachs  auf  die  Haare  vertrieben 
werden. 

56. 
Die  verschiedenen  medicinischen  Anwendungen,  deren 
das  Wachs  mit  andern  Stoffen  verbunden  fähig  ist,  lassen 
sich  ebenso  wenig  aufzählen,  wie  die  der  übrigen  Mittel  in 
ihren  Mischungen.  Sie  beruhen,  wie  wir  gesagt  haben, 3) 
alle  auf  dem  Erfindungsgeiste,  denn  die  Gerate,  Umschläge, 
Pflaster,  Augeiisalben  und  Gegengifte  sind  keine  Geburten 
jener  göttlichen  Schöpferin,  sondern  der  Officinen  oder, 
richtiger  gesagt,  der  Habsucht.  Die  Werke  der  Natur  gehen 
fertig  und  vollkommen  aus  ihrem  Schoosse  hervor;  nur 
wenige  Stoffe  dienen  aus  Gründen,  nicht  aus  Muthmaas- 
sungen,  zu  ihrer  Bildung,  um  das  Trockne  mit  dem  Feuchten 
oder  in  andern  Fällen  das  Feuchte  mit  dem  Trocknen 
zweckmässig     zu    verschmelzen.      Aber    die    Kräfte    nach 


»)  Im  XIV.  Buche. 

2)  XXI.  B.  49.  Cap. 

3)  In  diesem  Buche.  Cap.  49. 


IßQ  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

Scrupelgewicht  zu  sammeln  und  zu  vermischen,  ist  nicht 
das  Werk  menschlicher  Deutung,  sondern  der  Unverschämt- 
heit. Wir  benutzen  weder  die  Arzneikräfte  der  indischen 
und  arabischen  Waaren ,  noch  die  der  aus  entferntem 
Ländern  kommenden;  wir  lieben  so  entfernt  wachsende 
Heilmittel,  die  unserm  Vaterlande  fehlen,  nicht,  aber  auch 
bei  jenen  Bewohnern  sind  sie  nicht  beliebt,  denn  sonst 
würden  sie  sie  nicht  verkaufen.  Zu  Parfümen,  Salben  und 
anderen  Luxus-Gegenständen,  selbst  aus  Aberglauben  mag 
man  sie  kaufen,  denn  wir  huldigen  den  Göttern  mit 
Weihrauch  und  Kostus.  Dass  die  Gesundheit  auch  ohne 
dieselben  bestehen  könne,  wollen  wir  besonders  desshalb 
beweisen,  damit  sich  der  Luxus  seiner  selbst  wegen  schäme. 

57. 
Nachdem  wir  nun  die  Heilkräfte  der  Blumen,  Kranz,- 
Garten-  und  essbareu  Kräuter  augeführt  haben,  wäre  es 
wohl  billig,  der  Feldfrüchte  nicht  zu  gedenken?  Nein, 
auch  diese  verdienen  berücksichtigt  zu  werden.  Bekanntlich 
sind  diejenigen  Thiere,  welche  von  Feldfrüchten  leben,  am 
klügsten.  Geröstete  und  mit  ammineischem  Weine  geriebene 
Körner  vom  Siligo  stillen  äusserlich  angewandt,  die  Augen- 
flüsse, in  eisernem  Geschirr  geröstete  Triticum-Köruer  aber 
sind  ein  bewährtes  Mittel  gegen  erfrorene  Glieder.  Mit 
Essig  gekochtes  Weizenmehl  heilt  Nerven- Contractionen, 
die  Kleien  aber  wendet  man  mit  Rosenessenz,  trocknen 
Feigen  und  gekochten  Sebesten  als  Gurgelwasser  für  ge- 
schwollene Mandeln  und  Hals  an.  Als  Sextus  Pomponius, 
der  Vater  des  gewesenen  Prätors  und  vornehmste  Mann 
im  diesseitigen  Spanien,  einst  in  seiner  Scheune  sass,  wo 
man  Getreide  umstach,  und  vom  Podagra  sehr  geplagt 
wurde,  steckte  er  die  Beine  bis  über  die  Knie  in  den 
Weizen,  wodurch  dieselben  trocken  wurden  und  er  sich  so 
bedeutend  erleichtert  fühlte,  dass  er  sich  dieses  Mittels 
auch  nachher  bediente.  Seine  Kraft  ist  so  gross,  dass  er 
volle  Weinfässer  austrocknet.  Auch  empfehlen  erfahrene 
Männer,  warme  Spreu  vom  Weizen  oder  Gerste  auf  Brüche 
zu  legen,  und    mit   der   Abkochung   davon   Umschläge   zu 


Zweiundzwänzigstes  Buch.  167 

machen.  In  demFav  findet  sich  eine  Art  Holzwurm,  welcher 
mit  Wachs  in  hohle  Zähne  gesteckt  oder  auch  daran  ge- 
rieben bewirkt,  dass  dieselben  ausfallen.  Was  Olyra  oder 
Arinca  genannt  wird,  haben  wir  schon  angezeigt,  i)  Hiervon 
bereitet  man  eine  Arznei,  wxlche  die  Aegypter  Athera 
nennen,  und  die  sich  besonders  für  Kinder  eignet;  doch 
legt  man  sie  auch  erwachsenen  Personen  auf. 

58. 
Das  Mehl  der  Gerste  zertheilt,  lindert  und  reift  roh 
oder  gekocht  Anschwellungen  und  sonstige  Anfälle.  Ausser- 
dem kocht  man  es  mit  Wassermeth  oder  trocknen  Feigen. 
Gegen  Leberschmerzen  muss  man  es  mit  saurem  oder  gutem 
Weine  absieden.  Verfährt  man  aber  beim  Kochen  und  Zu- 
richten mit  Sorgfalt,  so  geschieht  es  besser  mit  Essig, 
Essighefen,  gesottenen  Quitten  oder  Birnen.  Wider  die 
Bisse  der  Asseln  gebraucht  man  es  mit  Honig,  wider  die 
der  Schlangen  mit  Essig,  zur  Reinigung  eiternder  Gesebwüre 
mit  saurem  Wein,  Harz  und  Galläpfeln;  zum  Reifen  alter 
Geschwüre  mit  Harz,  gegen  Verhärtungen  mit  Taubenmist, 
trocknen  Feigen  oder  Asche;  gegen  Entzündungen  der 
Nerven,  Eingeweide  und  Seiten,  Schmerzen  des  männlichen 
Gliedes  und  wenn  sich  das  Fleisch  von  den  Knochen  ab- 
löst, mit  Mohn  oder  Steinklee;  gegen  Kröpfe  mit  Pech  und 
dem  Harn  eines  unmündigen  Knaben,  sowie  mit  Oel;  gegen 
Brustanschwellungen  mit  Bockshorn;  gegen  Fieber  mit 
Honig  oder  altem  Fett.  Für  Eiterwunden  eignet  sich  das 
Weizenmehl  wegen  seiner  Milde  besser.  Mit  Bilsensaft 
vermischt  streicht  man  es  auf  die  Sehnen,  mit  Essig  und 
Honig  auf  Sommersprossen.  Das  Mehl  der  Zea,  welche, 
wie  wir  schon  früher  gesagt  haben,  2)  die  Alica  liefert, 
scheint  noch  wirksamer  zu  sein  als  das  Gerstenmehl.  Die 
nach  drei  Monaten  reifende  Art  ist  aber  zarter.  Gegen 
Scorpionstiche,  Blutspeien  und  Fehler  der  Luftröhre  wird 
es  in  rothem  Wein  erwärmt;  gegen  Husten  mit  Bockstalg 


»)  XVIII.  B.  19  Cap. 
2)  XVIII.  B.  29.  Cap. 


168  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

der  Butter.  Der  Bockshorn  liefert  das  allerzarteste  Mehl; 
es  heilt  mit  Wein  und  Katron  gekocht  fliessende  Geschwüre, 
Schuppen  am  Körper,  Magenschmerzen,  wehe  Ftisse  und 
Brüste.  Mehl  von  Aera  reinigt  und  heilt  am  besten  alte 
Geschwüre  und  Krebsschäden,  mit  Rettig,  Salz  und  Essig 
Flechten,  mit  natürlichem  Schwefel  die  Krätze,  und  mit 
Gänsefett  auf  die  Stirn  gelegt  Kopfweh.  Mit  Taubenmist, 
Leinsamen  und  Wein  gesotten,  zertheilt  es  Kröpfe  und 
andere  Geschwulste. 

59. 
Von  den  verschiedenen  Arten  Polen ta  haben  wir  unter 
den  Feldfrüchten  in  Bezug  auf  die  Länder,  wo  sie  bereitet 
werden,  hinreichend  gesprochen,  i)  Sie  unterscheiden  sich 
von  dem  Gerstenmehle  dadurch,  dass  sie  gedörrt  werden, 
und  sind  daher  zuträglich  für  den  Magen.  Sie  hemmen 
den  Durchfall  ucd  heilen  entzündliche  Geschwulste.  Mit 
Minze  oder  anderen  kühlenden  Kräutern  legt  man  sie  wider 
schlimme  Augen  und  Kopfweh  auf,  mit  Wein  auf  Frostbeulen, 
Schlangenbisse  und  Brandschäden. 

60. 
Das  feine  Staubmehl  besitzt  die  Kraft,  Feuchtigkeiten 
anzuziehen,  daher  es  von  mit  Blut  unterlaufenen  Stellen 
das  Blut  bis  in  die  Binden  führt;  durch  dickgekochten 
Most  wird  seine  Wirkung  erhöhet.  Man  legt  es  auch  auf 
Fussbeulen  und  Leichdornen.  Mit  altem  Oele  und  Pech 
gekocht  und  so  warm  als  möglich  auf  Geschwulste  und 
andere  Uebel  des  Afters  gelegt,  heilt  es  dieselben  auf 
bewunderungswerthe  Weise.  Der  davon  bereitete  Brei 
macht  den  Körper  stark.  Das  Mehl,  womit  das  Papier 
zusammen  geklebt  wird,  giebt  man  als  Suppe  zweck- 
mässig gegen  Blutspeien. 

6L 
Die  Alica  wurde  vor  nicht  sehr  langer  Zeit  von  den 
Eömern  erfunden;  sonst  hätten   die   Griechen  ihre   Ptisane, 


«)  XVIII.  B.  14.  Cap. 


•       Zweiundzwanzigstes  Buch.  169 

nicht  so  sehr  gerühmt.  Ich  glaube,  sie  war  noch  nicht 
einmal  zur  Zeit  des  grossen  Pompejus  in  Gebrauch,  daher 
die  asclepiadische  Schule  kaum  etwas  Schriftliches  von  ihr 
aufzuweisen  hat.  Niemand  stellt  in  Abrede,  dass  sie  sehr 
brauchbar  ist;  man  giebt  sie  entweder  gewaschen  mit 
Wassermeth  oder  zur  Brühe  gekocht  oder  auch  als  dicken 
Brei.  Zur  Hemmung  des  Durchfalls  wird  sie  erst  geröstet 
und  hierauf  mit  dem  Wachse  der  Bienenwaben  gekocht, 
wie  wir  oben  gesagt  haben.  Besonders  wohltliätig  wirkt 
sie  auf  solche,  welche  in  Folge  einer  langen  Krankheit  ab- 
gezehrt sind;  zu  diesem  Behuf  kocht  man  3  Becher  voll 
davon  mit  1  Sextarins  Wasser  langsam  so  lange  ein,  bis 
alles  Wasser  verdampft  ist,  setzt  dann  1  Sextarins  Ziegen- 
oder Schafmilch  während  eines  Zeitraumes  von  mehreren 
Tagen,  und  endlich  Honig  hinzu.  Dieser  Trank  ist  gut 
gegen  Entkräftung. 

62. 

Die  Hirse  stopft  und  vertreibt  das  Bauchgrimmen, 
wenn  sie  zuvor  geröstet  wird.  Bei  Schmerzen  der  Nerven 
und  anderen  Theilen  legt  man  sie  heiss  in  einem  Säckchen 
auf,  und  sie  ist  wegen  ihrer  Leichtigkeit,  Zartheit  und 
Fähigkeit,  die  Hitze  an  sich  zu  halten,  zu  diesem  Zwecke 
das  beste  Mittel,  wird  daher  in  allen  Fällen,  wo  Wärme 
von  Nutzen  ist,  angewandt.  Fein  gestossen  und  mit  Theer 
vermischt,  legt  man  sie  auf  Wunden,  die  durch  Schlangen 
und  Asseln  entstanden  sind. 

63. 

Das  Panicum  nennt  der  Arzt  Diocles  den  Honig  der 

Feldfrüchte.    Es  besitzt  dieselben  Wirkungen  wie  die  Hirse; 

mit  Wein  genommen  heilt  es  die  Ruhr,  auch  wird  es,  gleich 

jener,  erwärmt  auf  solche  Theile  gelegt,  die  heiss  werden 

sollen.     Mit  Ziegenmilch  gekocht  uud  täglich  zweimal  davon 

getrunken    hemmt    es    den    Durchfall    und    vertreibt    das 

Bauchweh. 

64. 

Der  Sesam  wird  zerrieben  mit  Wein  wider  das  Er- 
brechen eingenommen.    Er  wird  auf  entzündete  Ohren  und 


^^YO  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

Brandwunden  gelegt,  und  zwar  schon  mit  demselben 
o-iinstigen  Erfolge,  wenn  er  auch  erst  Blätter  getrieben  hat. 
Ferner  legt  man  ihn  in  AVein  gekocht  auf  die  Augen. 
Für  den  Magen  taucht  er  nicht,  macht  auch  den  Athem 
übelriechend,  ist  aber  gut  wider  die  Bisse  der  Sterneidechsen 
und  die  sogenannten  unheilbaren  Geschwüre.  Das  daraus 
bereitete  Oel  tröpfelt  man  in  die  Ohren.  Das  Kraut 
Sesamoidesi)  verdankt  seinen  Namen  der  Aehnlichkeit 
mit  jenem;  es  hat  aber  kleinere  Blätter,  bittere  Samen  und 
wächst  an  kiesigen  Stellen.  Mit  Wasser  genommen  führt 
es  die  Galle  ab;  der  Same  wird  auf  die  Rose  gelegt,  ver- 
theilt  auch  die  Fettbeulen.  —  Noch  ein  anderes  ähnliches 
Kraut  wächst  zu  Anticyra,  hat  daher  von  einigen  den 
Namen  Anticyricum  bekommen,  sieht  übrigens  fast  wie 
das  Erigeron,  von  dem  wir  später  reden  werden,  aus, 
und  trägt  Samen  wie  der  Sesam.  Man  giebt  davon  soviel 
man  mit  drei  Fingern  fassen  kann  mit  süssem  Wein  zum 
Abführen,  setzt  auch  wohl  anderthalb  Obolen  weisse  Nies- 
wurz hinzu  und  verordnet  diess  Purgirmittel  besonders  den 
an  Wahnsinn,  Melancholie,  Epilepsie  und  Podagra  Leidenden. 
Auch  für  sich  allein  zu  1  Drachme  genommen  macht  es 
Ausleerung. 

65. 
Die  beste  Gerste  ist  die  hellste.  Sie  wird  mit  Regen- 
wasser gekocht,  in  Kügelchen  geformt,  und  diese  gegen 
innerliche  Geschwüre  und  kranke  Gebärmutter  eingenommen. 
Die  durch  Verbrennen  gewonnene  Asche  streuet  man  auf 
Brandwunden,  auf  Fleisch  was  sich  von  den  Knochen 
ablöst,  auf  Schleimflüsse  und  Biss wunden  der  Spitzmäuse; 
mit  Salz  und  Honig  vermischt  dient  sie  um  die  Zähne 
weiss  und  glänzend  und  den  Athem  wohlriechend  zu  macheu. 
Wer  Gerstenbrot  isst,  soll  keine  Fusskrankheit  bekommen. 
Ferner  wird  angegeben,  wenn  man  neun  Gerstenkörner  in  die 


')  Aubrietia  deltoidea  Dec.  —  Dioscorides  unterscheidet  noch 
ein  grosses  Sesamoides,  welches  Reseda  undata  L.,  und  vielleicht 
das  Anticyricum  des  Plinius  ist. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  171 

liuke  Hand  nehme,  dreimal  damit  um  entzündliche  Geschwüre 
fahre  und  sie  dann  ins  Feuer  werfe,  so  erfolge  sofortige 
Heilung.  —  Ein  anderes  Kraut,  welches  die  Griechen  das 
phöuicischei)  nennen,  heisst  bei  uns  Mauergerste;  es 
befördert  zerrieben  und  mit  Wein  getrunken  die  monatliche 
Reinigung. 

66. 

Alle  Lobsprüche  auf  die  aus  der  Gerste  bereitete 
Ptisana,  welche  Hippocrates  in  einem  Buche  niedergelegt 
bat,  gehen  nunmehr  auf  die  Alica  über,  denn  um  wie  viel 
unschädlicher  ist  diese?  Hippocrates  rühmte  jene  zum  l'ranke, 
weil  sie  wegen  ihrer  Schlüpfrigkeit  leicht  zu  nehmen  sei, 
den  Durst  stille,  keine  Blähungen  verursache,  leicht  wieder 
abginge  und  denen,  welche  daran  gewöhnt  sind,  bei  Fiebern 
zweimal  des  Tages  als  einzige  Nahrung  gegeben  werden 
könne;  so  sehr  wich  er  von  denen  ab,  welche  durch  Hunger 
die  Kranken  curiren.  Er  warnte  jedoch  vor  dem  Genüsse 
des  ganzen  Breies,  sondern  empfahl  nur  die  Brühe  davon, 
und  Hess,  so  lange  die  Füsse  kalt  waren,  auch  diese  nicht 
einmal  trinken.  Aus  dem  Weizen  bereitet  man  eine  Ptisane, 
welche  klebriger  ist  und  gegen  Geschwüre  in  der  Luftröhre 
mit  günstigem  Erfolge  gebraucht  wird. 

67. 

Das  Stärkmehl  macht  blöde  Augen,  und  ist,  gegen 
die  gewöhnliche  Ansicht,  schädlich  für  den  Hals.  Ferner 
hemmt  es  den  Durchfall,  wirkt  den  Augenflüssen  entgegen, 
heilt  Geschwüre,  Blutblasen  und  Blutflüsse,  und  erweicht 
harte  Backen.  Gegen  Blutspeien  wird  es  mit  einem  Eie, 
gegen  Blasenschmerzen  zu  1/2  Unze  mit  einem  Eie  und  drei 
Unzen  Rosinenwein  erwärmt,  nach  dem  Bade  genommen. 
Auch  das  in  Essig  gekochte  Mehl  des  Hafers  vertreibt 
Muttermale. 

Selbst  das  Brot,  wovon  man  lebt,  dient  in  unzähligen 
Fällen  als  Arzneimittel.    Mit  Wasser  und  Oel  oder  Rosen- 


•)  Ist  Lolium  perenne  L. 


172  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

essenz  vermengt  erweicht  es  allerlei  Anschwellungen,  und 
mit  Wassermeth  am  besten  die  Verhärtungen.  Mit  Wein 
gieht  man  es,  um  alles  was  im  Umsichfressen  gehemmt 
werden  muss,  zu  vertheilen,  und  bei  grösserer  Gefahr  mit 
Essig  gegen  die  scharfen  Schleimflüsse,  welche  die  Griechen 
Rheumatismen  nennen.  Desgleichen  bei  Schlagwunden  und 
Verrenkungen,  Zu  allen  diesen  Zwecken  verdient  das 
gesäuerte  Brot,  welches  man  selbstgebackenes  i)  nennt,  den 
Vorzug.  In  Essig  geweicht  legt  man  es  auf  Nietnägel  und 
Fussschwielen.  Altes  Brot  oder  Schiffszwieback  hemmt, 
gestossen  und  abermals  gebacken,  den  Durchfall.  Diejenigen, 
welche  eine  reine  Stimme  behalten  wollen,  und  an  Schnupfen 
Leidende  müssen  es  bei  Tische  immer  zuerst  und  zwar 
trocken  essen.  Brot  von  dreimonatlichem  Getreide  heilt 
mit  Honig  die  Schlagwunden  und  Schuppen  im  Gesichte 
am  besten.  Weissbrot  in  warmes  oder  kaltes  Wasser  ge- 
weicht ist  für  Kranke  die  leichteste  Speise.  Mit  Wein 
legt  man  es  auf  geschwollene  Augen;  in  eben  derselben 
Form  oder  mit  Zusatz  von  trockner  Myrte  auf  Blasen  am 
Kopfe.  Menschen,  welche  zittern,  sollen  gleich  nach  dem 
Bade  nüchtern  Brot  und  Wasser  verzehren.  Im  Schlaf- 
zimmer verbrannt  vertreibt  es  den  üblen  Geruch;  der  Wein 
wird  durch  Einhängen  eines  mit  Brot  gefüllten  Beutels 
verbessert. 

69. 
Auch  die  Bohne  wird  als  Medicament  gebraucht. 
Ganz  geröstet  und  noch  heiss  in  scharfen  Essig  geworfen, 
vertreibt  sie  das  Bauchgrimmen.  Zerrieben  und  mit  Knob- 
lauch gekocht  wird  sie  wider  unheilbaren  Husten  und  Ge- 
schwüre in  der  Brust  täglich  genossen,  auch  mit  nüchternem 
Munde  gekauet  auf  hitzige  Geschwüre  zum  Reifen  und 
Vertheilen,  und  in  Wein  gekocht  aufgeschwollene  Geschlechts- 
theile  gelegt.  Mit  Bohnenmehlbrei,  welcher  mit  Essig 
bereitet  worden,  bringt  man  Geschwulste  zur  Oeffnung  und 
Reife,  heilt  auch  damit  blaue  Flecken  und  Brandwunden. 

•)  autopyrus. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  I73 

VaiTO  giebt  an,  durch  Bohnen  würde  die  Stimme  hell  und 
rein.  Die  Asche  von  Bohnenstengeln  und  Hülsen  wird  mit 
altem  Schweinefett  vermischt,  zweckmässig  gegen  Hüft- 
und  anhaltende  Nervenschmerzen  aufgelegt.  Die  Hülsen 
allein  hemmen,  zum  dritten  Theile  eingekocht,  den  Durchfall. 

70. 
Die  besten  Linsen  sind  die,  welche  sich  leicht  weich 
kochen  und  viel  Wasser  verschlucken.  Sie  vermindern 
zwar  die  Schärfe  der  Augen  und  verursachen  Blähungen, 
hemmen  aber  verspeist,  wenn  sie  mit  Regenwasser  gekocht 
sind,  den  Durchfall;  öffnen  dagegen,  sobald  sie  noch  nicht 
völlig  weich  geworden.  Sie  öffnen  den  auf  den  Geschwüren 
sitzenden  Schorf,  reinigen  die  Fehler  des  Mundes  und  heilen 
sie.  Alle  Arten  von  Anhäufungen,  besonders  die  eiterigen 
und  rissigen,  vertreiben  sie  aufgelegt;  die  Augeufiüsse  mit 
Steinklee  und  Quitten.  Mit  Polenta  gebraucht  man  sie 
äusserlich  gegen  Schwären.  Die  davon  erhaltene  Abkochung 
wendet  man  bei  Geschwüren  des  Mundes  und  der  Geschlehts- 
theile  an,  für  den  After  mit  Rosenessenz  oder  Quitten; 
gegen  Uebel,  welche  ein  kräftigeres  Mittel  erfordern,  mit 
Granatapfelschale  und  Honig  an,  wozu  noch,  um  das  rasche 
Trocknen  zu  verhüten,  Ruukelrübenblätter  gesetzt  werden. 
In  Essig  gekocht  legt  man  sie  auf  Kröpfe  und  Fettge- 
schwulste,  die  entweder  schon  reif  sind  oder  erst  werden; 
mit  Wassermeth  bereitet  auf  Risse,  mit  Grauatsehalen  auf 
Krebsschäden;  mit  Pofenta  auf  das  Zipperleiu,  die  weibliche 
Schaam,  Nieren,  Frostbeulen  und  schwierig  vernarbende 
Geschwüre.  Gegen  Schwäche  des  Magens  nimmt  mau  30 
Liusenkörner  ein.  Bei  der  Galleusucht  und  Ruhr  ist  ihre 
Wirkung  kräftiger,  wenn  sie  drei  mal  in  Wasser  gekocht 
und  noch  besser,  wenn  sie  zuvor  gedörrt  und  gestossen 
werden,  damit  sie  möglichst  fein  vertheilt  in  den  IMageu 
gelangen;  in  diesen  Fällen  wendet  man  sie  nun  entweder 
für  sich  allein,  oder  mit  Quitten,  Birnen,  Myrte,  wilder 
Endivie,  schwarzer  Bete  oder  Wegebreit  an.  Schädlich 
sind  die  Linsen  für  die  Lunge,  Nerven,  Galle,  bei  Kopfweh, 
bewirken  auch  Schlaflosigkeit,  zeigen  sich  aber,   in  Meer- 


274  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

wasser  gekocht,  wirksam  für  Bläschen,  die  Rose  uud  Brüste, 
und  vertheilen  in  Essig  gekocht  Verhärtungen  uud  Kröpfe. 
Für  den  Magen  streuet  man  sie,  gleich  der  Polenta,  in  den 
Trank.  In  Wasser  halb  weich  gekocht,  dann  zerrieben 
und  durch  ein  Sieb  von  den  Hülsen  befreit  benutzt  man 
sie  gegen  Brandschäden ,  und  wenn  die  Heilung  schon 
voranschreitet,  setzt  man  noch  Honig  hinzu.  Für  die  Kehle 
kocht  man  sie  mit  saurem  Wein.  —  Es  giebt  auch  Sumpf- 
linsen 1),  welche  wild,  in  stehenden  Gewässern  vorkommen, 
kühlende  Eigenschaften  besitzen,  und  daher  für  sich  allein 
oder  mit  Polenta  gegen  Geschwulste  und  Podagra  aufgelegt 
werden.     Auch  befestigen  sie  die  vortretenden  Eingeweide. 

71. 

Zu  den  wilden  Linsen  gehört  auch  die  Art,  welche 
von  den  Griechen  Drehlinse,^)  von  Anderen  Sphacus 
genannt  wird;  sie  ist  leichter  als  die  angebauete,  hat  kleinere, 
trocknere,  und  geruch vollere  Blätter.  Eine  zweite  Abart 
dieser  wilden  riecht  unangenehm,  ist  aber  milder,  hat 
Blätter  ähnlich  denen  der  Quitte,  aber  kleiner  und  heller 
von  Farbe;  man  siedet  dieselben  mit  den  Zweigen  ab. 
Sie  befördert  den  Monatsfluss  und  das  Harnen,  und  heilt 
die  Stiche  des  Stachelrochen,  lähmt  aber  die  gestochene 
Stelle.  Man  trinkt  sie  mit  Wermuth  für  die  Ruhr.  Mit 
Wein  befördert  sie  die  Menstruation,  ist  aber  der  Blutfluss 
zu  stark,  so  trinkt  man  einen  Absud  davon.  Das  Kraut 
stillt  für  sich  aufgelegt  das  Bluten  der  Wunden.  Heilt 
auch  die  Schlangenbisse  und  vertreibt  in  Wein  gekocht 
das  Jucken  der  Hoden.  Unsere  jetzigen  Kräuterkenner 
nennen  die  Drehlinse  Salvia  und  sagen,  sie  sei  der  Minze 
ähnlich,  graufilzig  und  rieche  stark.  Aufgelegt  befördert 
sie  den  Abgang  todter  Kinder,  vertreibt  die  Würmer  aus 
den  Ohren  und  Geschwüren. 

72. 

Auch  die  Kichererbse   wächst   wild,  hat  der  ange- 

')  Lens  palustris.    Lemna  minor  L. 

2)  elelisphacus.  Salvia  pomifera,  calycina  und  officinalis  L. 
vorzüglich  aber  die  erstere  Art. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  175 

baueten  ähnliche  Blätter  und  einen  unangenehmen  Geruch. 
In  reichlicher  Gabe  genommen,  öffnet  sie  den  Leib,  vertreibt 
Blähungen  und  Bauchgrimmen,  wird  jedoch  im  gerösteten 
Zustande  für  wirksamer  gehalten.  Die  kleine  Kicher 
leistet  noch  bessere  Dienste  für  den  Leib.  Das  Mehl  von 
beiden,  besonders  der  wilden,  heilt  nasse  Kopfgeschwüre, 
Epilepsie,  Lebergeschwulste  und  Schlangenbisse.  Den 
Monatsfluss  und  das  Harnen  befördert  am  besten  der  Same. 
Mau  heilt  damit  Flechten,  entzündete  Hoden,  Gelbsucht  und 
Wassersucht,  schadet  aber  damit  eitrigen  Nieren  und  Blasen. 
Gegen  Krebs  und  sogenannte  unheilbare  Geschwüre  bedient 
man  sich  ihrer  besser  mit  Honig.  Zur  Vertreibung  aller 
Arten  von  Warzen  berührt  man  im  Neumonde  eine  jede 
mit  einem  besondern  Samenkorne  der  Kicher,  bindet  dann 
diese  Körner  in  ein  Läppchen,  wirft  sie  hinter  sich,  und 
glaubt,  dass  das  Uebel  nun  fortgehe,  l^ömische  Schrift- 
steller verordnen  gegen  Harnstrenge,  die  Widderkicheri) 
mit  Salz  und  Wasser  zu  kochen  und  zwei  Becher  davon  zu 
trinken.  In  derselben  Form  treibt  sie  auch  die  Blasensteine 
ab  und  heilt  die  Gelbsucht.  Der  aus  den  Blättern  und 
Zweigen  durch  Kochen  mit  Wasser  bereitete  Brei  heilt,  so 
warm  als  möglich  übergeschlagen,  die  Krankheiten  der 
Füsse,  zu  welchem  Behuf  man  auch  die  ganze  Pflanze 
zerreibt  und  erwärmt.  Die  Taubenkicher  mit  Wasser  gekocht 
soll  den  Schauer  im  drei-  und  viertägigen  Fieber  vertreiben; 
die  schwarze  aber  mit  der  Hälfte  Galläpfel  und  Rosinen - 
wein  vermischt  heilt  die  Augengeschwüre. 

73. 
Von  der  Erve  haben  wir  bereits  Einiges  mitgeth'eilt^). 
Die  Alten  hielten  sie  für  ebenso  wirksam  als  den  Kohl. 
Sie  dient  mit  Essig  gegen  die  Bisse  der  Schlangen,  Kroko- 
dile und  Menschen.  Wer  täglich  nüchtern  Erven  isst, 
verliert  nach  Versicherung  der  glaubwürdigsten  Schriftsteller 
die  Milz.    Das  Mehl  vertreibt  Maale  und  Flecken  am  ganzen 


>)  d.  h.  dessen  Same  einige  Aehnlichkeit  mit  einem  Widderkopfe 
hat.    2)  XVIir.  B.  38  Cap. 


j^yg  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

Körper,  bindert  das  Umsicbfressen  der  Geschwüre,  bietet 
ein  vortreffliches  Heilmittel  für  die  Brüste  dar  und  öffnet 
mit  Zusatz  von  Wein  die  Feuerbeulen.  Geröstet  und  zu 
einer  Haselnuss  gross  mit  Honig  vermischt  eingenommen 
ist  sie  ein  gutes  Mittel  gegen  Harnstrenge,  Blähungen, 
Leberleiden,  Stuhlzwang,  Schwindsucht,  und  mit  Essig  ge- 
kocht aufgelegt  und  am  vierten  Tage  abgenommen,  gegen 
Flechten.  Mit  Honig  auf  Fettbeulen  applicirt  verhindert 
sie  das  Schwären  derselben.  Umschläge  von  Wasser,  worin 
Erven  gekocht  worden,  heilen  die  Frostbeulen  und  das  Jucken. 
Wer  täglich  nüchtern  Erventrank  zu  sich  nimmt,  soll  am 
ganzen  Körper  eine  bessere  Farbe  bekommen.  Als  Speise 
ist  sie  nicht  sehr  zu  empfehlen,  denn  sie  erregt  Brechen, 
Bauchgrimmen,  beschwert  den  Kopf  und  Magen  und  ermüdet 
die  Kuiee.  Durch  mehrtägiges  Einweichen  wird  sie  dagegen 
milde,  ist  ein  gutes  Futter  für  das  Rind-  und  übrige  Zug- 
vieh. Die  grünen  weichen  Hülsen,  Stengel  und  Blätter  können 
zerrieben  zum  Schwarzfärben  der  Haare  angewandt  werden. 

74. 
Es  giebt  auch  w'ilde  Wolfsbohnen;  sie  stehen  in  jeder 
Beziehung  den  angebaueten  nach,  sind  aber  bitterer.  Unter 
allen  Feldfrüchten  wiegt  keine  im  trocknen  Zustande  leichter, 
und  ist  nützlicher.  Durch  Asche  oder  warmes  Wasser  werden 
sie  milde.  Wer  sie  oft  isst,  bekommt  eine  frische  Farbe. 
Die  bittern  sind  gut  wider  die  Giftschlangen.  Getrocknet, 
abgeschält,  zerrieben  und.  in  einem  Tuche  eingeschlagen 
aufgelegt,  machen  sie  die  Stellen,  wo  sich  schwarze  Ge- 
schwüre befinden,  wieder  gesund.  In  Essig  gesotten  ver- 
theilen  sie  Kröpfe  und  Ohrengeschwüre.  Die  mit  Raute  und 
Pfeffer  bereitete  Abkochung  giebt  man  Personen  unter  30 
Jahren  selbst  im  Fieber  zur  Abtreibung  der  Würmer;  Knaben 
legt  mau  sie  nüchtern  auf  den  Leib,  röstet  sie  auch  und 
lässt  sie  mit  gesottenem  Most  oder  Honig  einnehmen.  Sie 
machen  Appetit  und  benehmen  den  Ekel.  Das  i\[ehl  wird 
mit  Essig  vermengt  beim  Baden  wider  die  Blattern  und  das 
Jucken  aufgelegt,  trocknet  auch,  für  sich  angewandt,  die 
Geschwüre   aus.    Es  vertreibt  die  blauen  Flecken  und  mit 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  177 

Polenta  die  Entzündungen.  Die  wilde  Art  besitzt  grössere 
Wirksamkeit  gegen  Schwäche  in  den  Hüften  und  Lenden. 
Der  Absud  davon  vertreibt  durch  Brühen  die  Sommersprossen 
und  sonstigen  Hautfehler;  kocht  man  aber  bis  zur  Honig- 
dicke ein,  so  nimmt  selbst  die  angebauete  die  schwarzen 
Hautflecken  und  den  Schorf  weg.  Die  zahmen  Wolfsbohnen 
öffnen  auch  aufgelegt  die  Karbunkeln,  vermindern  die  Fett- 
beulen und  Kröpfe  oder  machen  sie  reif,  und  verleihen  mit 
Essig  gekocht  den  Narben  die  weisse  Farbe  wieder;  siedet 
mau  sie  aber  mit  Regenwasser,  so  bekommt  man  eine  Art 
Salbe,  welche  man  mit  bestem  Erfolge  gegen  Krebs,  Schleim- 
ausbrüche und  eiternde  Geschwüre  anwendet.  Für  die  Milz 
und  den  stockenden  Mouatsfluss  werden  sie  mit  Honig  ein- 
genommen; im  ersten  Falle  auch  roh  mit  trocknen  Feigen  in 
Essig  vermischt  aufgelegt.  Die  Wurzel  befördert,  in  Wasser 
gekocht,  das  Harnen.  Als  Vieharznei  werden  die  Wolfsbohnen 
mit  dem  Kraute  Chamaeleon  gekocht  und  in  das  Getränk 
gethan.  Mit  Oelschaum  gekocht,  oder  für  sich  gesotten  und 
mit  ersterem  vermischt  heilen  sie  die  Räude  aller  vier- 
füssigen  Thiere.  Der  beim  Brennen  derselben  aufsteigende 
Rauch  tödtet  die  Mücken. 

75. 
Bei  Beschreibung  der  Feldfrüchte  haben  wir  gesagt  i), 
dass  der  Irio  dem  Sesam  ähnlich  sei,  von  den  Griechen 
Erysimum  und  von  den  Galliern  Vela  genannt  werde.  Er 
ist  strauchig,  hat  Blätter  wie  die  Eruca,  nur  etwas  schmäler, 
und  Samen  wie  das  Nasturtium.  Man  gebraucht  ihn  mit 
Honig  gegen  Husten  und  eitrigen  Brustauswurf;  ferner  gegen 
Gelbsucht,  Lenden-,  Seiten-,  Bauchweh  und  Verstopfung. 
Wider  Ohrengeschwüre,  Krebs  und  entzündete  Hoden  legt 
man  ihn  mit  Wasser,  sonst  mit  Honig  auf.  Auch  Kindern 
bekommt  er  gut;  auf  kranken  After  und  Gliederleiden 
wendet  man  ihn  mit  Honig  und  Feigen  an.  Als  Trank  ist 
er  wider  Gifte  wirksam.   Leute,  die  mit  Engbrüstigkeit  uud 


«)  XVIII.  ß.  22.  Cap. 

Wittstein:  Plinius.    IV.  Bd.  12 


J78  Zweiundzwanzigstes  Buch. 

Fistelschäden  behaftet  sind,  müssen  sieh  derselben  mit  altem 
Fett,  jedoch  nicht  innerlich,  bedienen. 

76. 

Das  Horminum  hat  (wie  erwähnt i)  im  Samen  Aehn- 
lichkeit  mit  dem  Rosskümmel,  sieht  übrigens  dem  Porrum 
gleich  und  wird  eine  Spanne  hoch.  Es  giebt  2  Arten,  deren 
eine  mit  dunklerm,  länglichem  Samen,  als  Reizmittel  zum 
Beischlaf,  für  entzündete  nnd  blöde  Augen  gebraucht  wird. 
Die  andere  Art  hat  weisse  runde  Samen.  Beide  ziehen, 
zerstossen  und  mit  Wasser  aufgelegt,  die  Splitter  aus  dem 
Körper,  die  Blätter  werden  mit  Essig  oder  mit  Honig  zum 
Vertheilen  der  Fettbeulen,  feurigen  Geschwulste,  bevor  die- 
selben eine  Spitze  bekommen,  und  jede  Art  von  Schärfe 
aufgelegt. 

77. 

Selbst  Kräuter,  welche  den  Feldfrüchten  verderblich 
sind,  wendet  man  arzneilich  an.  So  wird  der  Lolch  2),  den 
Virgil  den  unglücklichen  nennt,  gemahlen,  mit  Essig  ge- 
kocht und  gegen  Räude  aufgelegt;  die  Heilung  erfolgt  um 
so  schneller,  je  öfter  mit  dem  Umschlage  gewechselt  wird. 
Auch  mit  Sauerhonig  dient  er  für  Podagra  und  andere 
Schmerzen.  Diese  Behandlung  ist  von  andern  verschiedeu; 
man  muss  nämlich  auf  2  Unzen  Honig  1  Sextarius  Essig 
nehmen,  von  diesem  Gemisch  3  Sextarieu  mit  2  Sextarieu 
Lolchmehl  dick  einkochen,  und  die  Masse  noch  warm  auf 
die  schmerzenden  Theile  legen.  Elx'n  dieses  Mehl  zieht 
auch  zerbrochene  Knochen  aus  dem  Körper. 

78. 

Hirsetodä)  nennt  man  ein  Kraut,  welches  die  Hirse 
erstickt.  Es  soll  zerrieben  und  mit  Wein  in  ein  Hörn  ein- 
gegossen die  kranken  Beine  des  Zugviehes  heilen. 

79. 

Der  Bromus^)  ist  ein  ährentragendes  Gewächs;  welches 

')  XVIII.  B.  22.  Cap. 

2)  Lolium.  L.     temulentum  L. 

3)  miliaria.     Wahrscheinlich  eine  Cuscuta. 
■*)  Bromus  secalinus  L.  und  ähnliche  Arten. 


Zweiundzwanzigstes  Buch.  I79 

ZU  den  dem  Getreide  schädlichen  Gewächsen  gehört,  sieht 
dem  Hafer  ähnlich  und  hat  Blätter  und  Halm  wie  der  Weizen. 
An  der  Spitze  hängen  gleichsam  kleine  Heuschrecken  herab  i). 
Der  Same  wird,  wie  die  Gerste  und  ähnliche,  zu  Umschlägen 
gebraucht. 

80. 
Orobanche^)  nennen  wir  eine  Pflanze,  welche  die  Erve 
und  Hülsenfrüchte  erstickt;  Andere  nennen  dieselbe  wegen 
ihrer  Aehulichkeit  mit  dem  Zeugungsglied  der  Hunde,  Hunde- 
glied3).  Der  Stengel  ist  saftlos  und  bei  den  Blättern  röth- 
lich.  Das  noch  junge  und  zarte  Gewächs  wird  gekocht  und 
aus  Schüsseln  gegessen. 

81. 
Auf  den  Hülsenfrüchten  kommen  auch  kleine  gif- 
tige Thiere  aus  dem  Geschlechte  der  Giftameisen ^)  vor, 
welche  in  die  Hände  stechen  und  das  Leben  in  Gefahr 
bringen.  Man  gebraucht  gegen  diese  dieselben  Hülfsmittel, 
wie  gegen  die  Erdspinnen  und  ähnliche  giftige  Geschöpfe. 
—  Hiemit  schliessen  wir  die  Betrachtung  der  medicinisch 
gebräuchlichen  Feldfrüchte. 

82. 
Man  bereitet  aus  ihnen  auch  ein  Getränk,  welches  in 
Aegypten  Zythus,  in  Spanien  Celia  und  Ceria,  in  Gallien 
und  andern  Ländern  cerevisia^)  genannt  wird,  und  dessen 
Schaum  (Hefe)  die  Haut  im  Gesichte  der  Frauen  conservirt. 
Was  aber  die  Getränke  selbst  betrifft,  so  wollen  wir  jetzt 
zur  Betrachtung  des  Weines  übergeheu  und  mit  dem  Wein- 
stocke die  Arzneien  der  Bäume  vorzuführen  anfangen. 


')  nämlich  die  grünlichen  Aehrchen. 
2)  XVIII.  B.  44  Cap.  3)  Cynomorion. 
^)  solipugae.    *)  Bier. 


12* 


Dreiundswansigstes  Buch. 


Arzneimittel  von  den  cultivirten  Bäumen. 

1. 

Somit  haben  wir  nun  aucli  die  Betrachtung  der  Heil- 
kräfte des  Getreides,  aller  essbaren  Kräuter  und  solcher, 
welche  der  Blumen  oder  des  Geruchs  wegen  aus  der  Erde 
hervorkommen,  vollständig  durchgeführt.  Hinter  ihnen  ist 
aber  Pomona  nicht  zurückgelieben,  denn  sie  hat  selbst 
den  hängenden  Früchten  Arzneikräfte  verliehen,  nicht  da- 
mit zufrieden,  die  genannten  Gewächse  im  Schatten  der 
Bäume  zu  schützen  und  zu  nähren,  ja  gleichsam  entrüstet 
darüber,  dass  die,  welche  weiter  vom  Himmel  entfernt  sind 
und  erst  später  in  Gebrauch  kamen,  mehr  Wirksamkeit 
besitzen  sollten;  da  bekanntlich  die  Menschen  sich  An- 
fangs von  den  Bäumen  ihre  Nahrung  holten  und  dadurch 
veranlasst  wurden,  den  Himmel  anzuschauen,  auch  jetzt 
noch  ohne  Feldfrüchte  leben  könnten. 

2. 

In  der  That  stattete  sie  den  Weinstock  vor  allem  mit 
Arzneikräften  aus,  obgleich  sie  ihm  schon  in  dem  Ompha- 
cium,  der  Oeuanthe  und  Massaris  (von  denen  bereits  die 
Rede  war  i)  nicht  wenig  Annehmlichkeit  und  balsamischen 
Duft  gegeben  hatte.  „Von  mir,  spricht  sie,  rührt  grössten- 
theils  die  Annehmlichkeit  des  menschlichen  Lebens  her; 
ich  schaffe  Traubensaft,  Oel,  Palmen,  so  viele  Arten  Obst, 


')  Till  XU.  B.  60.  und  61.  Cap. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  X81 

und  alles  diess  nicht,  wie  die  Erde,  auf  eine  mühevolle 
Weise  durch  Pflügen  mit  Stieren,  Dreschen  auf  Tennen, 
Zerkleinern  zwischen  Steinen,  um  endlich  nach  einer  Reihe 
von  Arbeiten  verspeisbar  zu  sein!  Nein,  von  mir  kommt 
alles  zubereitet;  meine  Erzeugnisse  brauchen  nicht  müh- 
sam gebauet  zu  werden,  sondern  bieten  sich  von  selbst  dar, 
und  fallen,  wenn  man  sie  nicht  abnehmen  will,  auch  so- 
gar ab."  Sie  bat  auch  mit  sieh  selbst  gewetteifert  und 
mehr  zum  Nutzen  als  zum  Vergnügen  geschaffen. 

3. 
Die  Blätter  und  Ranken  des  Weinstocks  lindern 
mit  Polenta  Brustweh  und  Entzündungen,  die  Blätter 
allein  mit  kaltem  Wasser  die  Hitze  im  Magen,  mit  Ger- 
stenmehl aber  die  Gliederkrankheiten.  Die  Ranken  wer- 
den zerrieben  aufgelegt,  um  alle  Arten  von  Geschwulsten 
auszutrocknen;  den  Saft  derselben  gebraucht  man  inner- 
lich gegen  Ruhr.  Die  Thränen  des  Weinstocks,  welche 
eine  Art  Gummi  sind,  heilen  mit  Natron  vermischt  Schorf, 
Flechte  und  Krätze;  wirken  mit  Oel  ins  Haar  gestrichen 
haarvertilgend,  noch  besser  aber  bedient  mau  sich  zu  die- 
sem Zweck,  sowie  zur  Vertreibung  der  Warzen,  der  durch 
Anzünden  der  grünen  Weinreben  ausschwitzenden  Tropfen. 
Die  Rauken  dienen  im  Tranke  gegen  Blutspeien  und  gegen 
Ohnmächten  der  Frauen  nach  der  Entbindung.  Die  Rinde 
des  Weinstocks  und  die  trocknen  Blätter  stillen  das  Bluten 
der  Wunden  und  heilen  die  letztern  zu.  Der  durch  Stossen 
der  frischen  weissen  Weinrebe")  erhaltene  Saft  vertreibt 
die  Flechte.  Die  Asche  der  jungen  Schösslinge,  Zweige 
und  Trester  heilen  mit  Essig  die  Beulen  und  andere  Uebel 
des  Afters,  mit  Rosenessenz,  Raute  und  Essig  Verren- 
kungen, Brandschäden  und  die  geschwollene  Milz.  Auch 
wird  sie  ohne  Oel  mit  Wein  auf  die  Rose  und  durch 
Reiben  wundgewordene  Stellen  gelegt,  sowie  zur  Vertil- 
gung   der   Haare    gebraucht.     Ferner    giebt   mau    für   die 


»)  16.  Cap. 


182  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

Milz  einen  Trank  aus  Weinrebenasehe,  welche  mit  etwas 
Essig  versetzt  worden  ist,  nämlich  2  Becher  in  lauwarmem 
Wasser,  wobei  der  Patient  sich  auf  die  Seite,  wo  die  Milz 
sitzt,  legen  muss.  Selbst  die  Gabeln,  mittelst  deren  der 
Weinstock  emporkriecht,  vertreiben,  mit  Wasser  genommen, 
das  öfter  wiederkehrende  Erbrechen.  Die  mit  altem  Fett 
vermischte  Asche  des  Weinstocks  ist  gut  gegen  Geschwulste, 
reinigt  die  Fisteln  und  heilt  sie  bald,  desgleichen  die 
durch  Erkältung  entstandenen  Nervenschmerzen  und  Con- 
tractionen,  gequetschte  Theile  aber  mit  Oel,  an  den  Kno- 
chen ausgewachsenes  Fleisch  mit  Essig  und  Natron,  Scor- 
pionstiche  und  Hundebisse  mit  Oel.  Die  Asche  der  Rinde 
allein  ruft  auf  verbrannten  Stellen  die  Haare  wieder  hervor. 

4. 
Wie  das  Omphacium  aus  eben  hervorsprossenden 
Trauben  bereitet  wird,  haben  wir  bei  den  Salben i)  mit- 
getheilt;  jetzt  wollen  wir  von  seiner  arzneilichen  Anwen- 
pung  reden.  Es  heilt  die  feuchten  Geschwüre  des  Mundes, 
der  Mandeln  und  Geschlechtstheile,  macht  klare  Augen, 
hilft  auch  gegen  rauhe  Wangen,  geschworne  Augenwinkel. 
Nebelflecke,  alle  Arten  triefender  Geschwüre,  verschrumpfte 
Narben  und  schleimig  eiternde  Knochen.  Mit  Honig  oder 
Kosinenwein  wirkt  man  seiner  zu  starken  Kraft  entgegen 
Ferner  dient  es  gegen  Ruhr,  Blutspeien  und  Bräune. 

5. 
Mit  dem  Omphacium  ist  die  auf  dem  wilden  Wein- 
stocke vorkommende  Oenanthe,  von  der  wir  ebenfalls  bei 
den  Salben  sprachen,  verwandt.  Die  beste  kommt  in 
Syrien,  besonders  auf  den  Bergen  von  Antiochien  und 
Laodicea  an  dem  weissen  Weinstocke  vor;  sie  kühlt,  zieht 
zusammen,  wird  auf  Wunden  und  den  Magen  gelegt,  hilft 
gegen  Urinbeschwerden,  Leberleiden,  Kopfweh  und  Ruhr. 
Um  den  Ekel  zu  vertreiben,  nimmt  mau  1  Obolus  schwer 
mit  Essig.  Sie  trocknet  fliessende  Kopfwunden,  wirkt  sehr 
kräftig  gegen  Uebel  an  feuchten  Stellen,  daher  auch  gegen 

»)  XIII.  B. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  183 

Geschwüre  im  Muüde,  an  den  Sehaamtheilen  und  am  After 
mit  Honig  und  Safran.  Sie  hemmt  den  Durchfall,  heilt  den 
Ausschlag  auf  den  Wangeu  und  das  Thränen  der  Augen, 
mit  Wein  die  Schwäche  im  Magen  und  mit  kaltem  Wasser 
das  Blutspeien.  Ihre  Asche  benutzt  man  zu  Augensalben, 
zur  Reinigung  der  Geschwüre,  gegen  Nietnägel  und  das 
Fell  auf  dem  Auge.  Sie  wird  in  einem  Ofen  so  lange  er- 
hitzt, als  zum  Brotbacken  nothig  ist.  Die  Massaris  dient 
bloss  als  Parfüm;  dergleichen  Dinge  sucht  aber  der  mensch- 
liche Erfindungsgeist  begierig  auf  und  verleihet  ihnen  da- 
durch Werth. 

6. 
Unter  den  reifen  Trauben  sind  die  schwarzen  am 
strengsten,  daher  der  daraus  bereitete  Wein  auch  weniger 
mundet;  die  weissen  schmecken  angenehmer,  denn  sie 
nehmen  wegen  ihrer  Durchsichtigkeit  die  Luft  leichter  auf. 
Die  frischen  blähen  den  Magen  und  die  Luftröhre  auf, 
und  verursachen  Bauchgrimmen,  daher  ihr  zu  reichlicher 
Genuss  bei  Fiebern  schadet,  denn  sie  machen  schläfrig  und 
den  Kopf  schwer.  Wenn  sie  nach  dem  Abpflücken  längere 
Zeit  in  der  Luft  gehangen  haben,  sind  sie  weniger  nachtheilig 
für  den  Magen  und  bekommen  wegen  ihrer  Eigenschaft 
gelinde  zu  kühlen  und  die  Appetitlosigkeit  zu  benehmen, 
selbst  den  Kranken  gut. 

7. 
Die  in  süssem  Wein  eingemachten  Trauben  nehmen 
den  Kopf  ein.  Den  aufgehäugten  kommen  die  welche  man 
in  Spreu  eingemacht  hat,  am  nächsten,  während  die  in 
den  Trestern  gelegenen  für  Kopf,  Blase  und  Magen  schäd- 
lich sind;  doch  hemmen  sie  den  Durchfall  und  Blutaus- 
wurf. Noch  schädlichere  Eigenschaften  besitzen  die  im 
Moste  eingemachten,  und  ebendasselbe  gilt  von  denen  in 
eingekochtem  Moste.  Die  Aerzte  halten  die  in  Regen- 
wasser aufbewahrtem  für  die  gesundesten,  wenn  ihr  Ge- 
schmack nicht  besonders  ist;  ihre  heilsame  Wirkung  zeigt 
sich  besonders  bei  Magenbrennen,  Bitterkeit  der  Leber, 
Erbrechen   von   Galle,   Wassersucht   und    hitzigen   Fieber- 


;lg4  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

krankheiten.  Die  in  Töpfen  aufbewahrten  aber  schmecken 
angenehm  und  machen  Appetit;  doch  hält  man  sie  wegen 
der  Ausdunstung  der  BeerenhUlsen  für  schwer  verdaulich. 
Wenn  man  den  Hühnern  Weinblüthen  unter  das  Futter 
mengt,  so  rühren  sie  die  Trauben  nicht  an. 

8. 

Die  Stiele  der  Weinbeeren  besitzen  adstriugierende 
Eigenschaften,  und  sind  in  Töpfen  aufbewahrt  noch  kräf- 
tiger. 

9. 

Die  Kerne  der  Beeren  haben  dieselbe  Kraft.  Von 
ihnen  bekommt  der  Wein  die  Eigenschaft,  Kopfweh  zu  er- 
zeugen. Geröstet  und  zerrieben  sind  sie  ein  gutes  Magen- 
mittel. Das  Mehl  derselben  wird,  wie  die  Polenta,  gegen 
Ruhr,  Verstopfung  und  Magenschwiicbe  unter  das  Getränk 
gemischt.  Ein  davon  bereiteter  Absud  wird  mit  Erfolg  zu 
Umschlägen  gegen  Schorf  und  Jucken  angewandt. 

10. 

Die  Weiubeer hülsen  schaden  an  und  für  sich  dem 
Kopfe  und  der  Blase  weniger  als  die  Kerne.  Mit  Salz  zu- 
sammeugerieben  gebraucht  man  sie  mit  Erfolg  bei  entzün- 
deten Brüsten,  und  ein'  Absud  davon  wird  innerlich  und 
äusserlich  gegen  anthaltende  Ruhr  und  Darmgicht  gegeben. 

11. 

Die  Theriaktraube,  von  der  wir  gehörigen  Orts 
geredet  haben,  wird  gegen  Schlangenbisse  gegessen.  Auch 
empfiehlt  man,  deren  Ranken  zu  geniessen  und  aufzulegen; 
ferner  soll  der  daraus  bereitete  Wein  und  Essig  ganz  die- 
selbe Kraft  besitzen, 

12. 

Die  getrockneten  Trauben,  welche  Rosinen^)  heissen, 
würden  den  Magen,  Unterleib  und  Eingeweiden  schaden, 
wenn  nicht  die  in  ihnen  befindlichen  Kerne  gerade  ein 
Hülfsmittel  dagegen  wären-  nach  Entfernung  letzterer  wendet 
man  sie  bei  Blasenbeschwerden  und  die  weisse  Art 
wider  den  Husten  an.    Sie  sind  ferner  der  Luftröhre  und 

')  astaphis. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  X85 

den  Nieren  zuträglicb,  und  der  daraus  gesottene  Wen 
wirkt  besonders  kräftig  gegen  die  Bisse  der  Blutschlangen. 
Auf  entzündete  Hoden  legt  man  sie  mit  gestossenem  Ross- 
kümmel oder  Koriander;  nach  Entfernung  der  Kerne  mit 
Raute  auf  Karbunkeln  und  kranke  Glieder;  Geschwüre 
muss  man  zuvor  mit  Wein  bähen.  Mit  den  Kernen  dienen 
sie  zur  Heilung  der  Hitzblattern,  Cerien  und  der  Ruhr. 
In  Oel  gekocht  werden  sie  mit  Rettigschaleu  und  Honig 
auf  den  Krebs  gelegt.  Gegen  Gicht  und  lose  Nägel  kauet 
man  sie  mit  Panax,  und  zur  Reinigung  des  Mundes  und 
Kopfes  mit  Pfeffer. 

13. 
Die  wilde  Astaphis  oder  Staphis'),  welche  Einige 
irrigerweise  taminische  Traube^)  nennen  (denn  sie  ist 
eine  eigene  Art  mit  schwarzen  aufrechten  Stengeln  und 
der  Labrusca  ähnlichen  Blättern),  trägt  grüne,  den  Kicher- 
erbsen ähnliche,  eher  den  Kamen  Kapseln  als  Beeren  ver- 
dienende Früchte,  in  welchen  sich  dreieckige  Samen  befin- 
den. Die  Früchte  werden  zur  Zeit  der  Weinlese  reif  und 
sehen  dann  schwärzlich  aus,  während  bekanntlich  die  Ta- 
minien  rothe  Beeren  haben,  jene  an  sonnigen,  diese  an 
schattigen  Orten  wachsen.  Vor  dem  Gebrauch  ihrer  Beeren 
zum  Abführen  muss  ich  warnen,  denn  sie  bewirken  ge- 
fährliche Zusammenschnürungen;  auch  hüte  man  sich,  den 
Schleim  im  Munde  damit  auszutrocknen,  weil  sie  den 
Schlund  angreifen.  Zerrieben  für  sich,  noch  besser  aber 
mit  Realgar 3)  angewandt,  tödten.  sie  die  Läuse  auf  dem 
Kopfe  und  an  den  übrigen  Tlieilen  des  Körpers,  vertrei- 
ben auch  das  Jucken  und  den  Schorf.  In  Essig  kocht 
man  sie  wider  Zahnschmerzen,  Ohrenübel,  rheumatische 
Wunden  und  nasse  Geschwüre.  Die  Blüthen  werden  zer- 
rieben mit  Wein  gegen  Schlangenbisse  eingenommen;  den 
Samen  dagegen  möchte  ich  wegen  seiner  brennenden 
Schärfe  nicht  hiezu  empfehlen.    Einige  nennen  diese  Pflanze 


')  Delphinium  Staphisagria  L. 

2)  S.  das  folgende  Cap. 

')  Sandaracha,  rother  Schwefel arsenik. 


186  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

auch  Schleimkraut,!)  und  legen  sie  auf  Schlangenbisse. 

14. 
Auch  die  Labrusca^)  trägt  die  oft  genannte  Oenanthe; 
jene,  von  den  Griechen  auch  wilde  Rebe  genannt,  hat 
dicke  weissliche  Blätter,  Kniegelenke  und  eine  rissige 
Rinde.  Ihre  kermesrothen  Trauben  reinigen  die  Haut  und 
Flecken  im  Gesichte  der  Weiber,  und  der  durch  Zerstos- 
sen  derselben  sammt  den  Blättern  erhaltene  Saft  zeigt 
sich  heilsam  bei  Hüften-  und  Lendenleiden.  Die  in  Was- 
ser gekochte  und  mit  2  Bechern  coischen  Weines  genom- 
mene Wurzel  entfernt  die  (überflüssige)  Feuchtigkeit  aus 
dem  Leibe  und  wird  daher  den  Wassersüchtigen  gegeben. 
Ich  halte  diese  Pflanze  für  die,  welche  man  gemeinhin 
ta  minische  Traube  nennt.  Man  bedient  sich  derselben 
als  Amulet,  auch  gegen  Blutspeien,  doch  nur  als  Gurgel- 
arznei, mit  der  Vorsicht,  dass  man  nichts  hinunterschlukt, 
und  unter  Zusatz  von  Thymian,  Salz  und  Essigmeth.  Ihre 
Anwendung  als  Abführmittel  scheint  bedenklich. 

15. 
Es  giebt  eine  der  vorigen  ähnliche  Pflanze,  welche 
zwischen  Weidengebüsch  wächst,  und,  da  sie  zu  denselben 
Zwecken  (wie  die  Weide)  gebraucht  wird,  den  Namen 
Salicastrum  führt.  Mit  Essigmeth  dient  sie  als  wirk- 
sames Mittel  wider  Krätze  und  Grind  bei  Menschen  und 
Säugethieren. 

16. 
Die  Vitis  alba^)  nennen  die  Griechen  Ampeloleuce, 
Andere  Ophiostaphylos,  Melothrus,  Psilothrus,  Ar- 
chezostis,  Cedrostis  oder  auch  Madus.  Ihre  langen 
dünnen  Ranken  sind  mit  weit  abstehenden  Knoten  ver- 
sehen und  wachsen  klimmend  heran;  die  Blätter  haben  die 
Grösse  der  Epheublätter  und  dem  gewöhnlichen  Weinblät- 
tern ähnliche  Einschnitte.  Die  Wurzel  ist  weiss,  gross, 
fast  dem  Rettig  gleich  und  schickt  Spargel- ähnliche  Stengel 


')  Pituitaria.    ^)  Vitis  Labrusca  L.  Oder  etwa  Bryonia  dioica  L? 
3)  Bryonia  cretica  L. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  lg  7 

aus.  Letztere  bewirken^  gekocht  verspeist,  Oefifnung  und 
reichliches  Harnen.  Blätter  und  Stengel  erregen  Geschwüre 
am  Körper;  doch  werden  sie  auf  fressende  Geschwüre, 
Krebs  und  übelriechende  Beinwunden  mit  8alz  gelegt.  Die 
Beeren  bilden  eine  lockere  hängende  Traube  und  enthal- 
ten einen  erst  röthlichen,  dann  safraufarbigen  Saft.  Die 
Samen  werden  von  den  Lederbereitern  benutzt;  auch  legt 
man  sie  auf  Grind  und  Schorf,  und  ein  mit  Zusatz  von 
Weizen  daraus  bereiteter  Trank  befördert  die  Secretiou  der 
Milch.  Die  Wurzel  steht  ihrer  zahlreichen  nützlichen  An- 
wendungen wegen  sehr  in  Ruf;  gegen  Schlangenbiss  giebt 
man  2  Drachmen  derselben  zerrieben  im  Tranke.  Sie  ver- 
bessert, in  Oel  gekocht,  die  Fehler  der  Haut  im  Gesichte, 
als  Maale  und  Sommersprossen,  sowie  blaue  Flecken  und 
Narben.  Denen,  welche  an  Epilepsie,  Geisteskrankheiten 
und  am  Schwindel  leiden,  reicht  man  ein  ganzes  Jahr  hin- 
durch täglich  einen  aus  einer  Drachme  Wurzel  bereiteten 
Trank.  In  grösserer  Gabe  genossen  reinigt  sie  die  Sinne. 
Wie  die  Zaunrübe  besitzt  sie  die  vortreffliche  Eigenschaft, 
mit  Wasser  aufgelegt  zerbrochene  Knochen  herauszuziehen, 
und  wird  daher  auch  wohl  weisse  Zaunrübe  1)  genannt.  Eine 
andere,  schwarze  Art  aber  erweist  sich  mit  Honig  und 
Weihrauch  zu  demselben  Zwecke  noch  wirksamer.  Sie 
zertheilt  junge  Eitergeschwüre,  reift  und  reinigt  alte;  be- 
fördert auch  die  monatliche  Reinigung  und  die  Harnent- 
leerung. Eine  daraus  bereitete  Latwerge  gebraucht  man 
gegen  Engbrüstigkeit.  Seitenschmerzen,  Verrenkungen  und 
Brüche.  Zu  3  Obolen  30  Tage  lang  im  Getränk  genommen 
verzehrt  sie  die  Milz.  Mit  Feigen  legt  man  sie  auf  die 
Finger,  wenn  sich  die  Haut  mit  Schmerz  davon  ablöst.  Mit 
Wein  aufgelegt  zieht  sie  die  Nachgeburt  der  Frauen,  und 
zu  1  Drachme  mit  Wassermeth  eingenommen,  den  Schleim 
hervor.  Der  Saft  der  Wurzel  muss  vor  der  Reife  des 
Sommers  gesammelt  werden;  für  sich  oder  mit  Erven  auf- 
gelegt, schmückt  er  den  Körper  mit  einer  lebhaften  Farbe 

*)  Bryonia  alba. 


Igg  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

und  macht  die  Haut  zarter.  Die  Wurzel  selbst  dient,  mit 
fleischigßn  Feigen  gestossen,  zur  Vertreibung  der  Runzeln, 
wenn  man  gleich  darauf  2  Stadien  weit  geht;  ausserdem 
brennt  sie,  wenn  sie  nicht  mit  kaltem  Wasser  abgewaschen 
wird.  Noch  besser  ist  zu  diesem  Zweck  die  schwarze  Art, 
denn  die  weisse  bewirkt  Jucken  auf  der  Haut. 

17. 

Die  Vitis  nigra^),  welche  eigentlich  Bryonia,  oder 
auch  Chirouia,  Gyuäcanthe,  Apronia  genannt  wird,  ist 
also,  ausgenommen  in  der  Farbe,  der  vorigen  ähnlich.  Die 
jungen  Schösslinge  sind  nach  Diocles,  zum  Zweck  der  Urin- 
absonderung und  Milzverminderung,  eine  noch  wirksamere 
Speise  als  der  wahre  Spargel.  Sie  wächst  meistentheils 
zwischen  Gesträuchen  und  Schilf.  Die  aussen  schwarze  und 
innen  buxbaumfarbige  Wurzel  zieht  noch  besser  als  die 
oben  angeführte  Knochen  aus  dem  Körper.  Ausserdem  ist 
sie  ein  Specificum  zur  Heilung  des  Nackens  beim  Zugvieh. 
Wenn  man  sein  Landhaus  damit  bepflanzt,  so  sollen  sich 
die  Habichte  nicht  nähern  und  das  Plausgeflügel  keiner 
Gefahr  ausgesetzt  sein.  Man  heilt  auch  damit  durch  An- 
binden beim  Menschen  und  Zugvieh  Schleim  und  Blut,  welche 
bis  zu  den  Fersen  hinabgerounen  sind.  —  Soweit  von  den 
Weinstöcken. 

18. 

Der  Most  ist  von  Natur  darin  verschieden,  dass  er 
entweder  schwarz  oder  weiss  aussieht  oder  das  Mittel 
zwischen  beiden  hält,  dass  man  aus  dem  einen  Wein,  aus 
dem  andern  gekochten  Most 2)  bereitet.  Die  Kunst  hat  aber 
unzählige  Unterschiede  ins  Leben  gerufen,  was  wir  hiemit 
ein  für  allemal  ohne  weitere  Ausfülirung  gesagt  haben  wollen. 
Alle  Arten  Most  sind  nicht  gut  für  den  Magen,  den  Adern 
hingegen  zuträglich.  Wird  er  nach  dem  Bade  unmittelbar, 
ohne  sich  vorher  etwas  erholt  zu  haben,  getrunken,  so  wirkt 


')  Bryonia  alba  L. 
')  passum. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  189 

er  tödtlich.  Den  spanischen  Fliegen,  Schlangen,  besonders 
den  Blutschlangen  und  Salamandern  ist  er  von  Natur  zu- 
wider. Er  enegt  Kopfweh  und  wirkt  nicht  gut  auf  den  Hals, 
aber  wohlthätig  auf  die  Nieren,  Leber  und  Blase.  Er  dient 
ferner  wider  den  Buprestis  >),  das  Meconium,  die  Gewinnung 
der  Milch,  Schierling,  Lanzen-  und  andere  Gifte,  zu  welchem 
Behuf  er  mit  Oel  getrunken  und  wieder  ausgebrochen  wird. 
Der  weisse  Most  ist  weniger  kräftig,  der  eingesottene  schmeckt 
angenehmer  und  macht  weniger  Kopfweh. 

li). 
Die  vielen  Arten  des  Weines  und  deren  Eigenschaften 
haben  wir  schon  ausführlich  besprochen'-).  Keine  Materie 
ist  wegen  ihrer  Reichhaltigkeit  schwieriger  zu  behandeln, 
und  dann  kommt  noch  der  bedenkliche  Umstand  hinzu,  ob 
es  mehr  nütze  als  schade.  Ueberdem  lässt  sich  nicht  so 
leicht  entscheiden,  ob  sein  Genuss  Hülfe  oder  Gift  dem 
Körper  zufahrt  (denn  wir  reden  jetzt  bloss  von  den  medi- 
cinischen  Wirkungen  auf  den  Körper).  Asclepiades  hat  ein 
eigens  benanntes  Buch  über  die  Anwendung  des  Weines 
geschrieben;  unzählig  sind  aber  die,  welche  später  über 
jenes  verfasst  wurden.  Wir  wollen  nun  mit  römischer 
Ernsthaftigkeit  und  jeuer  Vorliebe  für  die  freien  Künste 
nicht  als  Aerzte  sondern  als  Richter  über  das  menschliche 
Wohl  das  hieher  Gehörige  genau  mittheilen.  Von  deu  ein- 
zelnen Arten  ausführlich  zu  handeln,  würde  bei  den  wider- 
sprechenden Ansichten  der  Aerzte  eine  unermessliche  ja  un- 
mögliche Arbeit  sein, 

20. 

Vor  Alters  nahmunter  den  Weinen  der  surrentinische, 

später  der  albanische  oder  falernische  den  ersten  Rang 

ein.     In  der  Folge  zogen  Einige  diese,  Andere  jene  Sorte 

vor,  allein  es  muss  höchst  unbillig  erscheinen,  wenn  Einer 


•)  ein  Insekt,  dessen  Gift  die  Kühe  aufbläht. 
2)  Im  XIV.  Buche. 


190  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

den  Wein,  welcher  nach  seiner  Ansicht  der  beste  ist,  vor 
allen  Uebrigen  als  solchen  genommen  wissen  will.  Gesetzt  aber 
auch,  die  Meinungen  stimmten  überein,  wie  viele  Menschen 
würden  davon  Gebrauch  machen  können?  Jetzt  gemessen 
schon  nicht  einmal  die  Reichen  mehr  reine  Sorten.  Es  ist 
schon  so  weit  gekommen,  dass  die  blossen  Namen  aus  den 
Kellern  verkauft  und  die  Weine  schon  in  den  Keltern  ver- 
fälscht werden.  Ja  wahrlich,  so  wunderbar  es  klingt,  so 
richtig  ist  es,  je  schlechter  die  Sorte  desto  reiner.  Indessen 
scheinen  doch  die  Arten,  deren  wir  oben  gedachten,  stets 
obenan  zu  stehen.  Um  einen  Unterschied  anzugeben,  so 
bemerken  wir,  dass  der  falernische  weder  zu  jung  noch 
zu  alt  gut  bekommt,  sein  mittleres  Alter  beginnt  mit  dem 
fünfzehnten  Jahre,  und  er  darf  weder  zu  kalt  noch  zu  warm 
getrunken  werden.  Bei  anhaltendem  Husten  und  im  vier- 
tägigen Fieber  nimmt  man  ihn  unvermischt  nüchtern.  Kein 
Wein  erhitzt  das  Geblüt  so  sehr,  als  dieser.  Er  stillt  den 
Durchfall  und  nährt.  Man  glaubt,  er  mache  dunkle  Augen, 
schade  den  Nerven  und  der  Blase.  Der  albanische  Wein  ist 
den  Nerven  zuträglicher;  die  süssen  Sorten  passen  nicht 
für  den  Magen,  die  herben  aber  sind  besser  als  der  faler- 
nische. Zur  Verdauung  eignen  sie  sich  weniger,  denn  sie 
machen  den  Magen  zu  voll.  Der  surrentinische  besitzt  diese 
Nachtheile  nicht,  nimmt  auch  den  Kopf  nicht  ein,  und  beugt 
den  Rheumatismen  des  Magens  und  der  Gedärme  vor.  Cä- 
cubischen  Wein  giebt  es  nicht  mehr. 

21. 
Der  noch  vorhandene  setinische  Wein  hilft  zur  Ver- 
dauung der  Speisen.  Der  surrentinische  ist  kräftiger,  der 
albanische  herber  und  der  falernische  schwächer;  letzterm 
kommt  der  statanische  am  nächsten.  Der  signinische 
wird  zweckmässig  gegen  den  Durchfall  getrunken. 

22. 

Die  übrigen  Weine  wollen  wir  insgesammt  abhandeln. 

Der  Wein  verschafft  den  Menschen  Kräfte,   Blut  und  eine 

gesunde  Farbe.  Hiedurch  unterscheidet  sich  auch  der  mittlere 

Theil    des  Erdkreises   und  die  mildere  Zone  von  den  an- 


Dreiundswanzigstes  Buch.  J91 

grenzenden;  was  den  Bewohnern  der  letztern  Länder  die 
Rauheit  des  Klimas  an  Kräften  verleihet,  das  giebt  uns 
jener  Saft.  Die  Milch  ernährt  die  Knochen,  die  Feldfrucht 
die  Nerven  und  das  Wasser  das  Fleisch;  daher  besitzt  der 
Körper  jener  Menschen  weniger  Röthe,  weniger  Stärke  und 
weniger  Ausdauer  im  Arbeiten.  Durch  massigen  Genuss 
des  Weines  werden  die  Nerven  und  Augen  gestärkt,  durch 
allzureichen  geschwächt.  Der  Magen  wird  dadurch  erquickt 
Appetit  erregt,  Traurigkeit  und  Sorge  verscheucht,  Harn  und 
Kälte  ausgetrieben  und  Schlaf  hervorgerufen.  Ferner  stillt 
er  das  Brechen,  und  vertreibt,  äusserlich  mit  Wolle  auf- 
gelegt, die  Flüsse.  Asclepiades  sagt,  der  Nutzen  des  Weines 
könne  beinahe  der  göttlichen  Macht  gleich  geachtet  werden. 
Alter  Wein  wird  mit  viel  Wasser  vermischt  und  wirkt  mehr 
harntreibend,  stillt  aber  den  Durst  nicht  so  gut.  Der  süsse 
berauscht  weniger,  bleibt  aber  länger  im  Magen,  während 
der  herbe  leichter  verdauet  wird.  Am  leichtesten  ist  der, 
welcher  am  schnellsten  alt  wird.  Der  durchs  Alter  süss 
werdende  greift  die  Nerven  nicht  sehr  an.  Der  fette  dunkle 
ist  nicht  gut  für  den  Magen,  nährt  aber  besser;  der  dünne 
herbe  nährt  weniger,  bekommt  aber  dem  Magen  wohl.  Je 
schneller  er  durch  den  Harn  wieder  abgeht,  um  so  mehr 
nimmt  er  den  Kopf  ein,  —  was,  wie  ich  hier  ein  für  allemal 
bemerkt  haben  will,  gleichfalls  von  einem  jeden  andei-n 
Safte  gilt.  Im  Rauche  alt  gewordener  Wein  ist  höchst  un- 
gesund. Die  Weinhändler  haben  diese  Erfahrung  i)  in  ihren 
Vorrathskellern  gemacht;  auch  schon  die  Familienväter  wissen 
dem  schimmlig  gewordenen  künstlich  ein  gewisses  Alter  zu 
ertheilen.  Die  Alten  sind  uns  hiebei  mit  gutem  Rathe  voran 
gegangen,  denn  sie  fanden,  dass  der  Rauch  den  Schimmel 
im  Holze  zerstört;  wir  aber  lassen  uns  bereden,  dass  der 
Wein  durch  die  Bitterkeit  des  Rauches  an  Alter  gewinne. 
Sehr  blasse  Weine  werden  durch  langes  Liegen  ungesund. 
Je  edler  der  Wein  ist,  um  so  dicker  wird  er  durchs  Alter, 


')' nämlich,  den  Wein  durch  Rauch  zu  behandeln. 


2^2  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

und  zugleich  nimmt  er  eine  dem  Körper  wenig  zusagende 
Bitterkeit  an.  Es  taugt  niclit,  einen  jungem  Wein  damit 
zu  versetzen.  Bei  einer  jeden  Sorte  Wein  ist  der  ihm  eigene 
natürliche  Geschmack  am  unschädlichsteu,  und  das  mittlere 
Alter  am  besten. 

23. 
Wer  am  Körper  zunehmen  oder  Oeffnung  haben  will, 
muss  den  Wein  während  des  Essens  trinken;  um  das  Gegen- 
theil  zu  bemerken,  trinke  man  ihn  erst  nach  der  Mahlzeit 
und  massig.  Aber,  wie  man  ganz  neuerlich  angefangen  hat, 
den  Wein  nüchtern  zu  trinken,  ist  für  die,  welche  mit  Sorg- 
falt und  aufgewecktem  Geiste  an  ihre  Geschäfte  gehen 
wollen,  ganz  unzuträglich;  dass  jene  Helena  bei  Homer  ihn 
vor  der  Tafel  reichte,  hatte  offenbar  den  Zweck,  Schlaf  und 
Sorglosigkeit  zu  bewirken.  So  ist  denn  das  Sprichwort  ent- 
standen, der  Wein  verdunkle  die  Weisheit.  Dem  Weine  haben 
wir  Menschen  es  zu  danken,  dass  wir  unter  allen  lebenden 
Geschöpfen  allein  trinken,  ohne  durstig  zu  sein.  Es  ist  sehr 
gut,  zwischen  dem  Weine  Wasser,  oder  auch  beide  vermischt 
zu  trinken;  auch  vertreibt  ein  Trunk  kalten  Wassers  sofort 
den  Rausch.  Hesiodus  empfiehlt,  20  Tage  vor  und  ebenso- 
lange nach  dem  Aufgange  des  Hundsterns  reinen  Wein  zu 
trinken.  Der  reine  Wein  ist  ein  Hülfsmittel  wider  Schier- 
ling, Coriander,  Aconitum,  Viscum,  Meconium,  Quecksilber, 
Bienen,  Wespen,  Hornisse,  Spinneu,  Schlangen,  Scorpione 
und  alles,  was  durch  Erkältung  schadet,  namentlich  wider 
Hämorrboiden-Schlangen,  Brennschlangeni)  und  Pilze;  ferner 
gegen  Blähungen  und  nagenden  Schmerz  in  der  Brust,  Nei- 
gung zum  Erbrechen  und  Flüsse  im  Leibe.  Unversetzter 
Wein  dient  weiter  gegen  Ruhr,  starkes  Schwitzen,  anhal- 
tenden Husten  und  Augenflüsse;  gegen  Herzkrankheiten 
legt  man  einen  damit  getränkten  Schwamm  auf  die  linke 
Brust.  Zu  allen  diesen  Zwecken  verdient  alter  weisser  Wein 
den  Vorzug.     Das    männliche  Glied   der  Zugthiere   wäscht 


')  presteres,  deren  Biss  brennenden  Durst  verursacht. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  193 

man  zweckmässig  mit  warmem  Weine;  giesst  man  ihnen 
davon  mittelst  eines  Hornes  ein,  so  sollen  sie  wieder  munter 
nnd  kräftig  werden.  Affen  und  andere  Vierhänder  sollen, 
wenn  sie  öfters  Wein  trinken,  nicht  wachsen. 

24. 
Nun  wollen  wir  von  dem  Weine  in  Bezug  auf  die 
Krankheiten  handeln.  Dem  frei  Geborenen  ist  jede  leichte 
campanische  Sorte,  dem  niedern  Volke  aber  jede  kräftige 
Sorte  am  zuträglichsten.  Allen  bekommt  derjenige  am 
besten ,  dessen  Kräfte  durch  ein  Säckchen  gebrochen  sind. 
Wir  müssen  bedenken,  dass  der  Wein  eine  Flüssigkeit  ist, 
welche  durch  Gährung  die  Kräfte  des  Mostes  sich  angeeignet 
hat.  Ein  Gemisch  aus  mehreren  Sorten  kann  niemals  ge- 
sund sein.  Am  heilsamsten  ist  der  Wein,  dessen  Most  keinen 
Zusatz  bekommen  hat,  und  dessen  Gefäss  kein  Pech  ent- 
hält, denn,  sollte  nicht  selbst  der  Gesunde  vor  einem  Weine 
erschrecken,  der  mit  Marmor,  Gyps  oder  Kalk  versetzt  ist? 
Ganz  besonders  erweist  sich  der  mit  Seewasser  vermischte 
Wein  ungesund  für  Magen,  Nerven  und  Blase.  Die 
Harz  enthaltenden  sollen  für  Kälte  im  Magen  gut  sein 
aber  Denen,  welche  leicht  brechen,  ebenso  wenig  helfen 
wie  Most,  eingesottener  Wein  und  Rosinenwein.  Junger 
mit  Harz  zugerichteter  Wein  bekommt  Niemandem  gut,  macht 
Kopfweh  und  Schwindel  und  ist  die  Ursache,  dass  man  den 
Rausch  mit  dem  Worte  crapula^)  bezeichnet.  Für  Plusten, 
Rheumatismus,  Verstopfung,  Ruhr  und  monatliche  Reinigung 
w'endet  man  die  genannten  Sorten  mit  Nutzen  au,  und  unter 
ihnen  erweist  sich  der  rothe  oder  schwarze  mehr  befestigend 
und  erwärmend.  Am  unschuldigsten  ist  der  mit  Pecli,  d.  h. 
geschmolzenem  und  gebranntem  Plarz,  zugerichtete  Wein, 
denn  er  wirkt  erwärmend,  verdauend,  reinigend  für  die 
Brust,  den  Unterleib,  Schmerzen  in  der  Gebärmutter,  weun 
kein  Fieber  vorhanden  ist,  für  andauernden  Rheumatismus, 
Geschwüre,  zerrissene,  eitrige  und  verrenkte  Theile,  schwache 
Nerven,  Blähungen,  Husten  und  schweren  Athem,  weun  man 


^)  von  xuQCi  Kopf  und  naXXio  zittern. 

Wittstein     Plinius.     IV.  Bd. 


194  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

ihn  mit  frisch geschorner  Wolle  auflegt.  Noch  empfehlender 
für  diese  Uehel  ist  diejenige  Sorte,  welche  schon  von  Natur 
Pech  enthält  und  Pechwein  genannt  wird.  Doch  nimmt  der 
blassrothe,  in  zu  reichlichem  Maasse  genossen,  den  Kopf  ein. 
Bei  Fieber  darf  er  nur  alten  Leuten  und  wenn  die  Krank- 
heit in  der  Abnahme  begriffen  ist,  gegeben  werden.  In 
acuten  Krankheiten  nur  Denen,  welche  (Fieber)-freie  Perio- 
den haben,  denn  die  Gefahr  ist  nur  halb  so  gross,  wenn 
sie  ihn  des  Nachts  d.  h.  in  der  Hoffnung,  dass  Schlaf  ein- 
trete,nehmen;  ferner  nicht:  den  Wöchnerinnen,  den  aus  Geil- 
heit Kranken,  den  an  Kopfweh  Leidenden,  Denen,  deren 
Anfälle  mit  Kälte  der  Extremitäten  beginnen,  beim  Husten 
in  Fiebern,  beim  Zittern  und  Nerven-  oder  Schlundscbmerzen 
oder  wenn  dieser  Zustand  bedenklich  erscheint;  nicht  bei 
Brustverhärtung,  Entzündung  der  Adern,  Rückgratkrampf, 
Schlucken  und  schwerem  Athmen  während  des  Fiebers.  Eben- 
sowenig bei  starrenden  Augen,  steifen,  schv/achen  und 
schweren  Wangen,  wenn  die  Augenlider  geschlossen,  aber  die 
Augen  doch  sichtbar  sind,  wenn  die  Augenlider  sich  gar  nicht 
sehliessen,  auch,  wenn  diess  während  des  Schlafes  stattfindet, 
wenn  die  Augen  mit  Blut  unterlaufen  oder  voll  Eiter  sind;  wenn 
die  Zunge  schwammig  ist  und  das  Sprechen  nur  schwer 
und  zuweilen  unvollständig  von  Statten  geht;  bei  schwerem 
Harnen,  plötzlichem  Erschrecken,  Zuckungen  und  darauf 
folgendem  Erstarren  und  Abgange  des  Samens  im  Schlafe 

25. 
Es  ist  ausgemacht,  dass  die  Herzkranken  ihre  einzige 
Hoffnung  im  Weine  finden.  Einige  meinen,  man  müsse  ihn 
nur  beim  Anfalle,  Andere,  man  müsse  ihn  nur  in  der  freien 
Zeit  reichen;  Jene  beabsichtigen  damit  den  Seh  weiss  zu 
mindern,  diese  halten  die  Kur  für  wirksamer,  wenn  die 
Krankheit  den  heftigen  Charakter  verloren  hat,  und  diess 
scheint  die  allgemeinste  Ansicht  zu  sein.  Er  darf  auch  nicht 
anders  als  mit  Speisen  gegeben  werden,  nicht  nach  dem 
Schlafe,  nicht  wenn  man  schon  etwas  Anderes  getrunken 
hat,  d.  h.  beim  Durst,  und  nur  in  der  äussersten  Noth;  auch 
eher  einem  Manne  als  einer  Frau,   eher   einem  Greise  als 


Dreiiindzwanzigstes  Bucb.  I95 

einem  Jünglinge,  eher  einem  Jünglinge  als  einem  Knaben, 
eher  im  Winter  als  im  Sommer,  eher  Denen,  die  daran  ge- 
wöhnt sind  als  Anderen.  Die  Dosis  richtet  sich  nach  der 
Stärke  und  Mischung  des  Weines,  gewöhnlich  mischt  man 
zu  einem  Becher  Wein  zwei  Becher  Wasser.  Man  muss  ihn 
geben,  wenn  der  Magen  schwach  ist  und  die  Speisen  nicht 
hinabgehen  wollen. 

26. 
,  Von  denjenigen  Wein  Sorten,  welche,  wie  ich  schon 
früher  sagte ^),  künstlich  dargestellt,  jetzt  aber,  wie  ich 
glaube,  nicht  mehr  bereitet  werden,  will  ich  noch  den  (nun 
überflüssigen)  Nutzen  und  die  Bestandtheile,  welche  zu  ihrer 
Darstellung  dienen,  mittheilen.  Die  Aerzte  gingen  hiebei 
in  ihrer  Prahlerei  zu  weit,  denn  sie  sagten,  Wein  aus  Rüben 
sei  gut  für  die  durch  Waffenübuug  und  Reiten  herbeigeführte 
Müdigkeit,  ebenso,  um  nur  noch  Eines  zn  erwähnen,  der 
Wachholderweiu.  Wer  möchte  es  aber  wohl  für  besser  halten, 
lieber  den  Wermuthwein  als  den  Wermuth  zu  gebrauchen? 
Unter  andern  wollen  wir  auch  den  Palmwein  übergehen, 
welcher  dem  Kopfe  schadet  und  bloss  einigen  Werth  bei 
hartem  Stuhlgang  und  beim  Blutspeien  hat.  Der  sogenannte 
Lebenswein  kann  nicht  zu  den  künstlichen  gerechnet  wer- 
den, denn  bei  ihm  kommt  statt  der  Kunst  nur  die  Eile  in 
Betracht.  Er  hilft  für  Schwäche  des  Magens  oder  für  Un- 
verdaulichkeit,  bei  Schwängern,  Ohnmächtigen,  Lahmen,  Zit- 
ternden, bei  Schwindel,  Bauchgrimmen  und  Hüftsschmerzen. 
Auch  bei  Seuchen  und  auf  Wanderungen  soll  er  sich  äusserst 
wirksam  zeigen. 

27. 
Auch  der  verdorbene  Wein  2)  gehört  zu  den  Heilmitteln. 
Der  Essig  wirkt  hauptsächlich  kühlend  und  zertheilend, 
daher  das  Schäumen,  wenn  man  ihn  auf  die  Efrde  giesst^). 
Wir  haben  seiner  schon  oft  gedacht,  und  werden  ihn,  so 
oft  er  mit  andern  Dingen  angewandt  wird,  noch  nennen. 


1)  Im  XIV.  ß.  19.  Cap. 

'■^)  Vitium  vini.    ^)  cl.  h.  eine  Erde,  welche  kohlensaure  Verbin- 
dungen enthält. 

13* 


^(jß  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

Für  sich  genommen  vertreibt  er  den  Ekel,  das  Schlucken, 
und  daran  gerochen,  das  Niesen.  Während  des  Bades  im 
Munde  gehalten,  mässigt  er  die  Hitze.  Man  trinkt  ihn  auch 
mit  Wasser.  Er  ist  ein  zweckmässiges  Gurgelmittel  für  den 
Magen,  fördert  die  Wiedergenesung,  kühlt  die  Sonnenhitze 
und  stärkt  die  Augen.  Innerlich  genommen  heilt  er  die 
Stiche  der  Blutigel,  die  Krätze,  Schuppen  auf  der  Haut, 
fliessende  Geschwüre,  Hundsbisse,  Stiche  der  Skorpione, 
Skolopender,  Spitzmäuse  und  anderer  giftigen  Stachelthieve, 
das  danach  folgende  Jucken  sowie  den  Biss  des  Vielfusses. 
Zur  Heilung  des  kranken  Afters  thut  man  zu  drei  Sextaiien 
Essig  einen  Sextarius  Schwefel  oder  ein  Büschel  Hyssop 
und  legt  in  einem  Schwämme  auf;  bei  Blutflüssen  nach  dem 
Steinschnitt  und  in  allen  andern  Fällen  legt  man  ihn  äusser- 
lich  in  einem  Schwämme  auf  und  trinkt  zwei  Becher  von  der 
schärfsten  Sorte.  Ferner  zertheilt  er  geronnenes  Blut,  heilt 
innerlich  und  äusserlich  angewandt  die  Flechte,  stillt  ein- 
genommen den  Durchfall,  Bauchfluss,  und  verhindert  das 
Austreten  des  Mastdarmes  und  der  Gebärmutter.  Er  ver- 
treibt anhaltenden  Husten,  Ausflüsse  des  Schlundes,  Eng- 
brüstigkeit und  befestigt  lose  Zähne.  Bei  Schwäche  der 
Blase  und  Nerven  ist  er  schädlich.  Seine  Heilkraft  wider 
die  Giftschlangen  blieb  den  Aerzten  bis  jetzt  unbekannt. 
Vor  Kurzem  trat  Jemand,  der  einen  Schlauch  voll  Essig 
trug,  auf  eine  Schlange  und  wurde  von  ihr  gebissen;  so  oft 
er  nun  den  Schlauch  ablegte,  fühlte  er  den  Biss,  nahm  er 
ihn  wieder  auf,  so  war  es  ihm,  als  sei  er  nicht  gebissen, 
und  hiedurch  kam  man  auf  den  Gedanken,  in  solchem  Falle 
Essig  als  Hülfsmittel  zu  trinken.  Diejenigen,  welche  Gift 
aussaugen,  spülen  mit  nichts  anderm  als  mit  Essig  den  Mund 
aus.  Ueberkaupt  besitzt  der  Essig  die  Kraft,  nicht  nur  die 
Speisen,  sondern  auch  andere  Dinge  zu  bändigen.  Fels- 
stücke, die  nicht  durch  Feuer  bezwungen  werden  können 
zerkleinert  er.  Keine  andere  Flüssigkeit  macht  die  Speisen 
schmackhafter  und  pikanter,  zu  welchem  Zwecke  er  durch 
gebranntes  Brot  oder  Wein  geschwächt,  oder  durch  Pfeffer 
und  Laser  geschärft  wird.     Auch  Salz  macht   ihn  gelinder. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  197 

Hiebei  können  wir  nicht  umhin,  ein  merkwürdiges  Faktum 
mitzutlieilen.  M.  Agrippa  litt  nämlich  in  seinen  letzten  Lebens- 
jahren sehr  heftig  an  der  Fussgieht,  und  da  der  Schmerz  zu 
sehr  überhand  nahm,  steckte  er  auf  den  Eath  eines  seiner 
Aerzte  und  ohne  Wissen  des  Augustus,  die  Beine  in  warmen 
Essig,  indem  er  lieber  den  Gebrauch  und  die  Empfindung 
seiner  Füsse  aufgeben,  als  die  Qualen  länger  erdulden  wollte. 

28. 

Der  Meerzwiebelessig  nimmt  mit  dem  Alter  an  Güte 
zu.  Ausser  in  den  vorgenannten  Fällen  ist  er  gut  für  sauer- 
werdende Speisen  (denn  sein  Genuss  hebt  die  nachtheilige 
Wirkung  derselben)  und  für  Personen,  welche  sich  nüchtern 
erbrechen,  denn  er  macht  den  Schlund  und  Magen  weniger 
reizbar;  vertreibt  ferner  den  üblen  Geruch  aus  dem  Munde, 
stärkt  das  Zahnfleisch,  befestigt  die  Zähne  und  verleihet 
eine  bessere  Hautfarbe.  Als  Gurgelwasser  angewandt,  reinigt 
er  die  Ohren  und  öffnet  die  Gehörgange.  Er  schärft  auch 
das  Gesicht,  ist  gut  für  Epilepsie,  Melancholie,  Schwindel, 
Zusammenschnürungen  der  Gebärmutter,  Geschlagene  und 
Gefallene  bei  denen  das  Blut  geronnen  ist,  schwache  Nerven 
und  kranke  Niereu.  Bei  Eiterwunden  darf  man  ihn  nicht 
gebrauchen. 

29. 

Den  Sauerhonig  bereiteten,  wie  Dieuches  berichtet, 
die  Alten  auf  folgende  Weise:  10  Minen  Honig,  5  Heminä 
alten  Essig  und  I1/4  Pfund  Seesalz  kochten  sie  mit  5  Sex- 
tarien Seewasser  in  einem  Kessel  zehnmal  auf,  gössen  aus 
und  Hessen  längere  Zeit  stehen.  Asclepiades  verwarf  diese 
Zubereitung  gänzlich,  denn  man  gab  sie  auch  bei  Fiebern. 
Doch  soll  der  Sauerhonig  gegen  die  Art  von  Schlangen, 
welche  Sepae  heissen,  gegen  Meconium  undViscum,  gegen 
Bräune  warm  damit  gegurgelt,  gegen  Ohren-,  Mund-  und 
Schlundweh  gute  Dienste  geleistet  haben,  welche  Uebel  alle 
jetzt  mit  Salzbrühe,  die  am  kräftigsten  aus  frischem  Essig 
und  Salz  ist,  behandelt  werden. 

30. 

Dem  Weine  verwandt  ist  die  Sapa,  ein  bis  zum  dritten 


19b  DreiuiidzAvanzigstes  Buch. 

Theile  eingekochter  Most.  Der  von  weissen  Trauben 
bereitete  bat  den  Vorzug.  Man  gebraucht  ihn  wider  die 
Cantbariden,  Buprestisi),  die  Ficbtenraupen,  welche  Pityo- 
campä^)  heissen,  die  Salamander  und  andern  giftig  beissen- 
den  Tbiere.  Mit  Zwiebel  eingenommen  treibt  er  todte 
Leibesfrüchte  und  unzeitige  Geburten  ab.  Fabianus  sagt, 
er  wirke  giftig,  wenn  er  nüchtern  nach  dem  Bade  getrunken 
würde. 

31. 
Hierauf  lassen  wir  die  Weinhefe  folgen,  die  je  nach 
der  Beschaffenheit  des  Weines  verschieden  ist.  Sie  besitzt 
eine  solche  Kraft,  dass  Die,  welche  in  die  Fässer  steigen, 
davon  getödtet  werden^).  Man  steckt  daher  zuvor  ein  bren- 
nendes Licht  hinein,  welches,  so  lange  es  noch  verlöscht, 
Gefahr  anzeigt.  Man  mischt  die  Weinhefe  ungewaschen 
unter  die  Arzneien,  Mit  gleichen  Theilen  Violenwurzel  legt 
man  sie  auf  Schleimflüsse,  trocken  oder  feucht  wider  Erd- 
spinnen, entzündete  Hoden  und  Brüste,  oder  auch  andere 
körperliche  Uebel.  Ferner  wird  sie  mit  Gerstenmehl,  Weih- 
rauchstaub und  Wein  gekocht,  eingetrocknet  und  gebrannt. 
Ob  sie  gehörig  gekocht  ist,  erkennt  man  daran,  dass  sie 
nach  dem  Erkalten  auf  die  Zunge  gebracht  ein  gewisses 
Brennen  verursacht.  Nicht  sorgfältig  verschlossen  verliert 
sie  bald  ihre  Kraft.  Durchs  Brennen  wird  ihre  Wirksam- 
keit erhöht.  Mit  Feigen  gekocht  heilt  sie  die  Flechten  und 
Hautschuppen  vortrefflich;  auch  auf  Schorf  und  nasse  Ge- 
schwüre wird  sie  mit  Erfolg  gelegt.  Als  Getränk  oder  noch 
besser  roh  genommen  vernichtet  sie  die  giftige  Wirkung  der 
Pilze.  Augenmitteln  setzt  man  sie  gekocht  und  gewaschen 
zu.  Aufgelegt  heilt  sie  kranke  Geschlechtstheile,  mit  Wein 
getrunken  die  Harnstrenge.  Auch  dann,  wenn  sie  ausge- 
dunstet hat,  dient  sie  noch  zum  Waschen  des  Körpers  und 
der  Kleider,  und  wird  dann  wie  der  Acaciensaft  gebraucht. 


')  Ein  Insekt,  welches  die  Kühe  sticht  und  aufblähet. 
^)  von  TtiTvg  Fichte  und  xafin?]  Raupe. 

3)  Das    Tödtliche   ist    das   in    den    Fässern   verbreitete   kohlen- 
saure Gas. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  199 

32. 

Die  Essighefe  muss  ihrer  Natur  nach  schärfer  sein 
und  mehr  zum  Schwären  wirken.  Aufgelegt  hemmt  sie  das 
zu  starke  Eitern  und  wirkt  wohlthätig  auf  den  Magen,  die 
Eingeweide  und  den  Unterleib,  stillt  auch  die  Flüsse  dieser 
Theile  und  die  (zu  starke)  monatliche  Reinigung.  Sie  ver- 
theilt  mit  Wachs  vermischt  die  noch  nicht  schwärenden  Ge- 
schwulste, die  Halsdrüsen  und  die  Rose.  Brüste,  welche  zu 
viel  Milch  enthalten,  heilt  sie,  und  schadhafte  Nägel  nimmt 
sie  weg.  Wider  die  Hornschlangeu  ist  sie  in  Verbindung 
mit  Polenta,  wider  die  Bisse  des  Krokodils  und  Hundes  mit 
schwarzem  Kümmel  am  kräftigsten.  Durch  Brennen  (Rösten) 
wird  ihre  Wirkung  gleichfalls  verstärkt;  streicht  man  sie ^  so 
vorbereitet  mit  Mastixöl  in  die  Haare,  so  färbt  sie  dieselben 
in  einer  Nacht  roth,  und  mit  Wasser  in  einem  Läppchen 
aufgelegt  reinigt  sie  die  weibliche  Schaam. 

33. 

Mit  Hefe  von  gekochtem  Moste  heilt  man,  am  besten 
unter  Zusatz  von  Schilfwolle,  Brandschäden,  und  mit  einem 
Absude  derselben  innerlich  anhaltenden  Husten.  Man  kocht 
sie  auch  mit  Salz  und  Fett  und  legt  sie  auf  geseh wollene 
Kinnladen  und  Nacken. 

34. 

Die  nächste  Beachtung  verdienen  nun  billigerweise  die 
Oelbäume.  Ihre  Blätter  ziehen  ausserordentlich  zusam- 
men, reinigen  und  stopfen.  Daher  werden  sie  zur  Heilung 
von  Geschwüren  gekauet  und  gegen  Kopfweh  mit  Oel  auf- 
gelegt. Ein  Absud  derselben  mit  Honig  versetzt  heilt  die 
Theile,  welche  die  Aerzte  gebrannt  haben,  auch  Entzündungen 
des  Zahnfleisches,  Nietnägel,  schmutzige  und  faule  Geschwüre, 
und  verhindert  den  Blutfluss  aus  nervösen  Theilen.  Der  Saft 
der  Blätter  zeigt  sich  wirksam  bei  feurigen  Geschwüren  um 
die  Augen,  Bläschen  und  Vortreten  der  Pupille,  daher  er 
den  Augensalben  hinzugesetzt  wird;  heilt  auch  anhaltendes 
Thränen  der  Augen  und  zernagte  Wangen.  Man  bereitet 
den  Saft  durch  Zerstossen  der  Blätter  unter  Zusatz  von  Wein 
und  Regenwaser,  Auspressen,  Eintrocknen  der  Flüssigkeit 


200  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

und  Formen  zu  Ktigelchen.  In  Wolle  der  weibliehen  Schaam 
angebunden  hemmt  er  den  (zu  starken)  Mouatsfluss,  heilt 
ferner  eitrige  Wunden,  Geschwulste  am  After,  die  Rose,  um- 
sichfressende  Greschwtire  und  bösartige  Blattern. 

35. 

Die  Blüthen  des  Oelbaums  besitzen  dieselben  Wir- 
kungen. Man  verbrennt  sie  sammt  ihren  Stielen  und  bedient 
sieh  der  Asche  anstatt  des  Hütteurauchs  i);  diese  übergiesst 
man  auch  mit  Wein  und  brennt  sie  abermals.  Mit  dieser 
Asche  nun,  oder  auch  mit  den  mit  Honig  angestossenen 
Blättern  belegt  man  eiternde  und  geschwollene  Theile,  in 
Verbindung  mit  Polenta  aber  die  Augen.  Der  von  einem 
frischen  angezündeten  Oelstrauche  tröpfelnde  Saft  heilt 
Flechten,  Schuppen  auf  der  Haut  und  feuchte  Geschwüre. 
Aber  wundern  muss  ich  mich  sehr  darüber,  dass  Einige  die 
Thränen,  welche  aus  dem  Baume  selbst,  namentlich  der 
äthiopischen  Art,  fliessen,  an  schmerzende  Zähne  zu  legen 
empfohlen  haben,  da  sie  doch  sagen,  sie  seien  ein  Gift,  was 
auch  der  wilde  Oelbaum  enthalte.  Die  von  der  Wurzel 
eines  noch  ganz  jungen  Oelbaums  abgeschälte  Rinde  heilt, 
oft  mit  Honig  gegessen,  das  Blutspeien  und  den  Auswurf 
von  Eiter.  Die  mit  Fett  vermischte  Asche  des  Holzes  zieht 
aus  Fisteln  die  Unreinigkeiten  und  heilt  diese  sowie  auch 
Geschwülste. 

36. 

Die  weissen  Oliven  sind  gut  für  den  Magen,  aber 
nachtheilig  für  den  Unterleib.  Frisch  vor  dem  Einmachen 
genossen  besitzen  sie  vortreffliche  Wirkung,  denn  sie  heilen 
den  griesigen  Harn  und  die  durch  das  Kauen  des  Fleisches 
abgeriebenen  und  lose  gewordenen  Zähne.  Die  schwarzen 
Oliven  bekommen  dem  Unterleibe  besser  als  dem  Magen, 
taugen  auch  nicht  für  den  Kopf  und  die  Augen.  Beide  legt 
man  in  zerriebenem  Zustande  mit  Nutzen  auf  Brandwunden. 
Wenn  man  die  schwarzen  kauet  und  unmittelbar  aus  dem 


»)  spodium  s.  XXXIV.  B.  34.  Cap. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  201 

Munde  genommen  applicirt,  entstehen  keine  Blasen.  Ein- 
gemachte Oliven!)  reinigen  schmutzige  Geschwüre,  dürfen 
aber  bei  Harnstrenge  nicht  angewandt  werden. 

37. 

Es  könnte  scheinen,  dass  ich,  auf  Cato's  Autorität  ge- 
stützt, den  Oelsatz2)  bereits  hinreichend  besprochen  hätte; 
allein  auch  seine  medicinischeu  Kräfte  verdienen  erwähnt 
zu  werden.  Er  ist  ein  vortrefi"liches  Mittel  für  das  Zahn- 
fleisch, Mundgeschwüre  und  zum  Befestigen  der  Zähne, 
desgleichen  für  Rothlauf  und  um  sich  fressende  Geschwüre. 
Für  Frostbeulen,  sowie  für  Bähungen  bei  Kindern  eignet 
sich  der  Oelsatz  von  schwarzen  Oliven  besser;  der  von 
weissen  gewonnene  wird  mit  Wolle  auf  die  weibliche  Schaam 
gelegt.  Aller  Oelsatz  ist  aber  im  eingekochten  Zustande 
kräftiger;  das  Einkochen  selbst  geschieht  in  einem 
kupfernen  Gefässe  und  wird  bis  zur  Honigdicke  fortgesetzt. 
Mit  Essig,  altem  Wein  oder  Most  dient  er,  je  nach 
Erforderuiss  zur  Heilung  des  Mundes,  der  Zähne,  Ohren, 
eiternder  Geschwüre,  der  Geschlechtstheile  und  der  aufge- 
sprungenen Haut.  Auf  Wunden  legt  man  ihn  mit  Leinwand, 
auf  verrenkte  Stellen  mit  Wolle;  auch  wenn  er  sehr  alt  ist, 
leistet  er  noch  sehr  gute  Dienste,  namentlich  bei  Fisteln 
als  Aufguss  bei  Geschwüren  am  After,  an  männlichen  und 
weiblichen  Geschlechtstheilen,  aufgestrichen  bei  anfangendem 
Podagra  und  Gliederkraukheiten.  Mit  Omphacium  zur  Honig- 
dicke eingekocht,  besitzt  er  die  Eigenschaft,  lose  Zähne  heraus- 
zuziehen, und  mit  Wolfsbohnen  und  Chamäleonkraut  gekocht, 
die  Käude  des  Hornviehs  zu  heilen.  Den  rohen  Oelsatz 
wendet  man  auch  zweckmässig  zu  Bähungen  beim  Podagra  an. 

38. 

Die  Blätter  des  wilden  Oelbaums  besitzen  ähnliche 
Eigenschaften.  Die  aus  den  Stielen  bereitete  Asche  hilft 
gegen  Rheumatismus,  Augenentzündungen,  reinigt  Geschwüre, 
füllt  leergewordene  Stellen  wieder  aus,  ätzt  sanft  das  wilde 
Fleisch,  trocknet  und  heilt  Wunden.  Im  Uebrigen  gilt  hier 
dasselbe,  was  bei  den  (zahmen)  Oelbäumen  gesagt  worden 

')  calymbades.    '*)  amurca. 


202  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

ist.  Die  Blätter  des  wilden  zeichnen  sich  noch  dadurch 
aus,  dass  sie  mit  Honig  gekocht  und  löffelweise  genommen 
ein  gutes  Mittel  gegen  Blutspeien  sind.  Das  Oel  aber  ist 
schärfer  und  wirksamer;  zum  Befestigen  der  Zähne  spült 
man  den  Mund  damit  aus.  Mit  Wein  legt  man  die  Blätter 
auf  Nagelgeschwüre,  Hitzblattern  und  alle  Arten  von  Saft- 
ansammhmgen,  mit  Honig  auf  Stellen,  welche  gereinigt 
werden  sollen.  Den  Absud  der  Blätter  und  den  Saft  des 
Baumes  setzt  man  den  Augenmitteln  zu,  tröpfelt  ihn  ferner 
mit  Honig  in  die  Ohren,  namentlich  wenn  aus  denselben 
Eiter  fliesst.  Die  Blüthe  des  Baums  schlägt  man  auf  Ge- 
schwulste und  schnell  ausbrechende  Hitzblattern,  mit  Gersten- 
mehl auf  den  Unterleib  bei  Rheumatismus,  mit  Oel  auf  den 
Kopf  bei  Kopfweh.  Wenn  die  Haut  auf  dem  Kopfe  sich  von 
der  Hiinschaale  ablöst,  schlägt  man  einen  Absud  der  Stiele 
mit  Honig  über.  Die  reife  Frucht  wird  gegen  Diarrhoe  ge- 
gessen; geröstet  und  mit  Honig  vermischt,  reinigt  sie  fres- 
sende Geschwüre  und  öffnet  die  Hitzblattern. 

39. 

Von  dem  Oele  und  seinen  Kräften  habe  ich  bereits 
genügend  gesprochen.  Zum  medicinischen  Gebrauche  eignet 
sich  das  Omphaeiumi)  am  besten,  dann  folgt  das  grüne; 
übrigens  muss  es  möglichst  frisch  (es  sei  denn,  dass  man 
es  ausdrücklich  recht  alt  verlaugt),  dünn,  wohlriechend  und 
milde  (ganz  entgegengesetzt  dem  zu  Speisen  dienenden) 
sein.  Das  Omphacium  ist  gut  für  das  Zahnfleisch.  Im 
Munde  gehalten,  conservirt  es  die  (weisse)  Farbe  der  Zähne 
mehr  als  jedes  andere  Mittel;  vermindert  auch  den  Schweiss. 

40. 

Das  Oel  aus  den  Trauben  des  wilden  Wein- 
stocks^)  besitzt  dieselbe  Wirksamkeit  wie  das  Rosenöl. 
Eine  jede  Art  von  Oel  erweicht  den  Leib,  macht  munter 
und  stark,  ist  aber  dem  Magen  nicht  dienlich.  Es  vergrössert 
die  Geschwüre,  bewirkt  Rauhigkeit  des  Halses;  schwächt 
die  Wirkung   aller  Gifte,    besonders   des   Bleiweisses   und 

')  Oel  aus  unreifen  Oliven. 
2)  oenantliinum. 


Dieiundzwanzigstes  Buch.  203 

Gypses,  wenn  es  mit  Wassermeth  oder  einem  Absud  trockener 
Feigen,  des  Meconiums,  der  Cantbaviden,  Rinderbremsen, 
Salamander  und  Fichtenraupen,  wenn  es  mit  Wasser  ein- 
genommen wird;  für  sich  genommen  und  wieder  ausge- 
brochen hat  es  dieselben  Wirkungen.  Auch  bei  Schlaffheit 
der  Glieder  und  Erkältung  tbut  es  gute  Dienste.  Zu  sechs 
Bechern  warm  getrunken  und  noch  mehr,  wenu  es  mit 
Raute  gesotten  ist,  vertreibt  es  das  Bauchgrimmen  und  die 
Würmer.  Eine  Hemina  voll  mit  Wein  und  Wasser  oder 
Ptisane  getrunken,  bewirkt  Stuhlgang.  Auch  dient  es  zu 
Mundpflastern  und  reinigt  das  Gesicht.  Den  Ochsen  in  die 
Nasenlöcher  gegossen,  bis  sie  aufstossen,  befreiet  es  sie  von 
Blähungen.  Altes  Oel  aber  erwärmt  den  Körper  und  ver- 
theilt  den  Schweiss  mehr.  Verhärtungen  werden  dadurch 
vertheilt.  Schlaf  süchtige  ermuntert  und  die  Krankheits-Krisen 
beschleunigt.  Mit  gleichen  Theilen  ungeräuchertem  Honig  i) 
vermehrt  es  die  Klarheit  der  Augen.  Mit  Wasser  dient  es 
gegen  Kopfweh  und  Fieberhitze.  Steht  kein  altes  Oel  zu 
Gebote,  so  koche  man  neues;  es  erhält  dadurch  die  Eigen- 
schaften des  alten. 

41. 
Das  CiciöP)  trinkt  man  mit  gleichen  Theilen  warmen 
Wassers  zum  Abführen;  namentlich  aber  soll  es  das 
Zwerchfell  reinigen.  Auch  hilft  es  bei  Gliederkrankheiten, 
allen  Arten  von  Verhärtungen,  bei  Krankheiten  der  weiblichen 
Schaam,  der  Ohren ,  bei  Brandwunden,  in  Verbindung  mit 
der  Asche  der  Stachelschnecke  aber  bei  Entzündung  des 
Afters  und  bei  Krätze.  Es  verbessert  die  Farbe  der  H^ut 
und  bewirkt,  dass  auf  Glatzen  das  Haar  wieder  wächst. 
Den  Samen,  woraus  es  bereitet  wird,  rührt  kein  Thier  an. 
Aus  den  Trauben  macht  man  hellbrennende  Lampendochte. 
Das  Oel  selbst  aber  giebt  wegen  seiner  zu  grossen  Fettig- 
keit nur  ein  dunkles  Licht.  Die  Blätter  legt  man  frisch 
auf  Brüste   und  Augenflüsse,   mit  Essig  auf  die  Rose,   in 


•)  mel  acapnon,  Honig  der  ohne  (Vertreibung  der  Bienen  durch) 
Rauch  aus  den  Waben  genommen  ist. 

2)  "Vom  Cicibaume  (Ricinus  communis)  s.  XV.  B.  7.  Cap. 


204  Dreiundzwanzigstes  Buch, 

Wein  gekocht  mit  Zusatz  von  Gerstengraupen  und  Safran 
auf  entzündete  Tbeile.  Für  sieh  drei  Tage  lang  aufs  Gesicht 
gelegt,  reinigen  sie  dasselbe. 

42. 

Das  Mandelöl  reinigt,  erweicht  den  Körper,  glättet 
die  Haut,  verleihet  ihr  ein  gefälliges  Ansehn,  und  nimmt 
mit  Zusatz  von  Honig  die  Flecken  aus  dem  Gesichte. 
Mit  Kosenöl,  Honig  und  Granatapfelkernen  gekocht,  tödtet 
es  die  kleinen  Würmer  in  den  Ohren,  vertreibt  Schwer- 
hörigkeit, Summen  und  Klingen  in  denselben ,  und  gleich- 
zeitig damit  Kopf-  und  Augenweh.  Mit  Wachs  heilt  es 
entzündliche  Geschwüre  und  von  der  Sonne  verbrannte 
Stellen.  Mit  Wein  reinigt  es  eiternde  Geschwüre  und  die 
Haut  von  Schuppen,  mit  Steinklee  Aftergeschwüre.  Für 
sich  auf  den  Kopf  gestrichen,  führt  es  Schlaf  herbei. 

43. 

Das  Lorbeeröl  ist  je  frischer  und  grüner,  um  so  besser. 
Es  besitzt  erwärmende  Eigenschaften,  wird  daher  bei 
Lähmungen,  Krämpfen,  Hüftweh,  Contusiouen,  Kopfweh, 
anhaltendem  Katarrh,  Ohrenweh  in  einer  Granatschale 
warm  aufgelegt. 

44. 

Aehnlich  verhält  sich  das  Myrtenöl;  es  zieht  zusammen, 
verhärtet,  heilt  mit  Kupferschlacken  und  Honig  angewandt 
Zahnfleisch,  Zahnweh,  Dysenterie,  Geschwüre  der  weiblichen 
Schaam,  Blasenleiden,  alte  und  eiternde  Geschwüre,  Aus- 
schlag und  Brandübel.  Eingerieben  vertreibt  es  die  Schuppen 
und  Sprünge  auf  der  Haut,  Aftergeschwüre,  Verrenkungen, 
und  übelriechende  Leibesausdünstungen.  Es  wirkt  den 
Canthariden,  Rindsbremsen  und  anderen,  durch  Ausseh  wären 
schadenden  Giften  entgegen. 

45. 

Das  Zwerg-  oder  SpitzmyrteuölO  besitzt  dieselben 
Kräfte,  ebenso  das  Cypressenöl  und  CitronenöL  Das 
Oel  der  luglans,  welches  ich  Nussöl  genannt  habe,  erweist 


•)  Chamaemyrsine  sive  oxymyrsine,  s.  XV.  B.  7.  Cap. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  205 

sich  wirksam  bei  Glatzen,  Schwerhörigkeit  und  Kopfweh, 
zeigt  aber  ausserdem  wenig  Wirkung,  schmeckt  unangenehm, 
und  enthielte]!  die  Kerne,  woraus  es  bereitet  ist,  faule 
Theile,  so  nützt  es  gar  nichts.  Das  Gnideröl  reihet  sich 
an  das  Ciciöl.  Das  Mastix  öl  ist  ein  vorzügliches  Mittel 
gegen  Müdigkeit;  dem  Rosenöle  steht  es  nur  darin  nach, 
dass  es  sich  etwas  härter  (weniger  geschmeidig)  erweist. 
Man  gebraucht  es  ferner  wider  starke  Schweisse  und  die 
daraus  entstehenden  Blattern.  Die  Räude  des  Rindviehs 
wird  dadurch  vollkommen  vertrieben.  Dattelnöl  reinigt 
die  Flecken  im  Gesichte,  Hitzblatteru,  Sommersprossen  und 
das  Zahnfleisch. 

46. 

Was  der  C^'prus  ist  und  wie  mau  daraus  ein  Oel 
bereitet,  habe  ich  bereits  mitgetheilt.i)  Es  hat  die  Eigen- 
schaft zu  erwärmen  und  die  Sehnen  zu  erweichen.  Die 
Blätter  legt  man  auf  die  Magengegend  und  mit  dem  Safte 
bestreicht  man  die  entzündete  weibliche  Schaam,  Frische, 
gekauete  Blätter  heilen  die  feuchten  Geschwüre  auf  dem 
Kopfe  und  am  Munde ,  auch  die  Zusammenhäufungen  von 
Säften  und  die  Aftergeschwüre.  Eine  Abkochung  der  Blätter 
ist  gut  für  Brandwunden  und  Verrenkungen.  Werden  die 
Blätter  zerstampft  und  mit  Quittensaft  versetzt,  so  geben 
sie  ein  Mittel  zum  Rothfärben  der  Haare  ab.  Die  Blüthen 
vertreiben,  mit  Essig  aufgelegt,  das  Kopfweh;  in  einem 
neuen  Topfe  verbrannt  heilen  sie  für  sich  oder  mit  Honig 
krebsartige  Wunden  und  faule  Geschwüre.  Der  Geruch 
der  Blüthen  ist  stark  und  macht  schläfrig.  Das  mit  Most 
vermischte  Oel'^)  kühlt  ähnlich  wie  das  Oel  aus  den 
Trauben  des  wilden  Weinstocks. 

47. 

Das  Balsam  öl  ist,  wie  ich  bereits  bei  den  Salben 
erwähnt  habe,  das  vortrefflichste  aller  Oele,  und  ein  wirk- 
sames Mittel  gegen  alle  Arten   Schlangen.     Es  macht   die 


»)  XII.  B.  .51.  Cap. 
2)  gleuciuum. 


206  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

Augen  klar,  erleichtert  das  Athmen,  erweicht  Geschwulste 
und  alle  Verhärtungen,  verhütet  die  allzugrosse  Verdickung 
des  Blutes,  reinigt  die  Geschwüre,  und  erweist  sich  auch 
sehr  dienlichbei  Ohrenschmerzen,  Kopfweh,  Zittern,  Krämpfen 
und  innerlichen  Verletzungen.  Mit  Milch  genommen  ver- 
nichtet es  die  giftigen  Wirkungen  des  Aconits.  Bestreicht 
man  sich  damit,  so  mildert  es  die  mit  Schauder  verbundenen 
Fieberanfälle.  Sein  Gebrauch  erfordert  jedoch  Vorsicht, 
denn  es  macht  Hitze  und  verschlimmert  sogar  die  Uebel, 
wenn  man  zuviel  davon  nimmt. 

48. 

Das  Malobathrumöl  wurde  ebenfalls  schon  in  Betreff 
seiner  Natur  und  verschiedenen  Arten  besprochen.  Es 
treibt  den  Urin;  mit  Wein  ausgepresst  legt  man  es  mit 
Nutzen  bei  Augenflüssen  auf,  desgleichen  auf  die  Stirn 
um  Schlaf  hervorzurufen,  und  seine  Wirkung  wird  noch 
erhöhet,  wenn  man  die  Nase  damit  bestreicht  oder  es  mit 
Wasser  trinkt.  Legt  man  die  Blätter  des  Gewächses  unter 
die  Zunge,  so  wird  der  Athem  wohlriechend;  ebenso  ver- 
leihen sie  den  Kleidungsstücken  einen  angenehmen  Geruch. 

49. 

Das  Bilsenöl  ist  ein  gutes  Erweichungsmittel,  schadet 
aber  den  Nerven.  Innerlich  angewandt  regt  es  das  Gehirn 
auf.  Das  Wolfsbohnenöl  erweicht  ebenfalls  und  schliesst 
sich  an  das  Rosenöl.  Des  Narcissenöls  wurde  bei  diesen 
Blumen  gedacht.  Das  Rettigöl  vertreibt  die  durch  lang- 
wierige Krankheit  entstandene  Läusesucht  und  die  Rauheit 
der  Haut  im  Gesichte.  DasSesamöl  heilt  Ohrenschmerzen, 
umsichfressende  und  sogenannte  unheilbare  Geschwüre. 
Das  Lilienöl,  welches  ich  auch  mit  dem  Namen  Bohnenöl 
und  syrisches  Oel  bezeichnet  habe,  ist  gut  für  die  Nieren 
macht  Seh  weiss,  erweicht  die  Gebärmutter  und  befördert 
die  Verdauung.  Das  selgitische  Oel  sowie  dasjenige 
Kräuteröl,  welches  die  Iguviner  an  der  flamiuischen  Strasse 
verkaufen,  besitzt,  wie  bereits  erwähnt,  gleichfalls  nerven- 
stärkende Kräfte. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  207 

50. 

Das  Honigöl,  von  dem  ich  früher  berichtet  habe, 
dass  es  aus  den  Oelbäumen  selbst  quillt,  schmeckt  wie 
Honig,  obschon  etwas  widrig  und  bewirkt  Stuhlgang;  zwei 
Becher  davon  mit  einer  Hemina  Wasser  getrunken  führen 
die  Galle  ab;  die  Patienten  verfallen  dabei  in  Erstarrung 
und  fahren  häufig  auf.  Personen,  welche  einen  Wettstreit 
im  Trinken  eingehen  wollen,  nehmen  zuvor  von  diesem 
Oele  einen  Becher  voll  zu  sich.  Das  Pech  öl  erweist  sich 
nützlich  bei  der  Räude  der  Thiere. 

51. 

Nach  den  Weinstöcken  und  Oelbäumen  gebührt  den 
Palmen  die  vorzüglichste  Beachtung.  Frische  Palmeufrüchte 
(Datteln)  berauschen  und  verursachen  Kopfweh;  trockne 
sind  milder,  aber,  wie  es  scheint,  nicht  gut  für  den  Magen, 
vermehren  den  Husten ,  nähren  jedoch.  Den  gekochten 
Saft,  namentlich  der  thebaischen  Früchte,  gaben  die  Alten 
statt  Honigmeth  den  Kranken  zur  Stärkung  und  zum 
Stillen  des  Durstes.  Als  solche  verspeist,  erweisen  sie  sich 
bei  Blutspeien  heilsam.  Bei  Uebeln  des  Magens,  der  Blase, 
des  Unterleibs  und  der  Eingeweide  legt  man  die  nussartigen 
Datteln  1)  mit  Quitten,  Wachs  und  Safran  auf.  Unterlau- 
fene Schäden  werden  dadurch  geheilt.  Wenn  man  die 
Kerne  in  einem  neuen  irdenen  Geschirr  verbrennt  und  den 
Rückstand  auslaugt,  so  erhält  man  eine  Art  Spodium, 
welches  den  Augensalben  beigemischt  wird  und  mit  Zusatz 
von  Narde  ein  gutes  Mittel  für  die  Augenlider  abgiebt. 

52. 

Diejenige  Palme,  auf  welcher  die  Myrobalane  wächst, 
findet  sich  am  vorzüglichsten  in  Aegypteu  und  ist  daran 
kenntlich,  dass  die  Frucht  keinen  Stein  in  ihrem  Innern 
hat.  Man  verordnet  die  Frucht  mit  herbem  Wein  zur  Be- 
förderung des  Stuhlgangs  und  des  weiblichen  Monatsflusses^ 
auch  zur  Heilung  von  Wunden. 


')  caryotae. 


208  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

53. 

Von  der  Palme  Elate  oder  Spathe  gebraucht  man 
<iie  Knospen ,  Blätter  und  Rinde  in  der  Mediciu.  Die 
Blätter  legt  man  bei  Leiden  des  Zwercbfells,  Magens,  der 
Leber,  bei  umsicbfressenden  und  nicht  leicht  vernarbenden 
Geschwüren  auf.  Die  dünne  Rinde  heilt  im  Verein  mit 
Harz  und  Wachs  die  Krätze  in  Zeit  von  20  Tagen;  gegen 
Hodenübel  kocht  man  sie  ab.  Durch  Räuchern  mit  der 
Rinde  wird  das  Haar  geschwärzt  und  die  Leibesfrucht  ab- 
getrieben. Bei  Fehlern  der  Nieren,  Blase  und  des  Zwerch- 
fells giebt  mau  einen  daraus  bereiteten  Trank;  Kopf  und 
Nerven  ist  sie  aber  schädlich.  Ein  Absud  davon  hemmt 
die  Flüsse  der  Gebärmutter  und  des  Unterleibs.  Die  Asche 
der  Rinde  giebt  man  mit  Wein  gegen  Bauchgrimmen  und 
ganz  vorzüglich  bei  Krankheiten  der  Gebärmutter. 

54. 

Wir  kommen  nun  zu  der  Betrachtung  der  Arten  und 
Arzneien  der  Aepfel.  Die  Frühlingsäpfel  sind  sauer, 
bekommen  dem  Magen  nicht  gut,  regen  den  Unterleib  und 
die  Blase  auf,  greifen  die  Nerven  an;  gekocht  besitzen  sie 
bessere  Eigenschaften.  Die  gekochten  Quitten  sind  noch 
milder,  erweisen  sich  jedoch  im  rohen,  wenn  nur  reifen 
Zustande  heilsam  bei  Blutspeien,  Dysenterie,  Galleufieber 
und  Darmgicht;  ja  die  gekochten  nützen  in  diesen  Fällen 
gar  nichts,  weil  sie  durch  das  Kochen  ihre  zusammenzie- 
henden Eigenschaften  verlieren.  Nichtsdestoweniger  kocht 
man  sie  für  dieselben  Zwecke,  sowie  zum  Auflegen  auf 
die  Brust  bei  Fieberhitze,  in  Regenwasser  ab.  Gegen 
Magenschmerzen  werden  sie  roh  oder  gekocht  nach  Art 
eines  Geräts  aufgelegt.  Der  wollige  Theili)  der  Quitten 
heilt  Carbuukeln.  In  Wein  gekocht  und  mit  Wachs  auf- 
gestrichen, rufen  sie  auf  Glatzen  das  Haar  wieder  hervor. 
Roh  in  Honig  eingemacht  bewirken  sie  Oeffnung;  dem 
Honig  selbst  verleihen  sie  einen  angenehmem  Geschmack 


*)  lanugo. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  209 

und  bewirken,  dass  derselbe  dem  Magen  besser  bekommt. 
Zuvor  aber  gekocht  und  in  Honig  eingemacht,  giebt  man 
sie  mit  gesotteneu  Rosenblättern  abgerieben  als  Speise  bei 
Magenübeln.  Der  Saft  der  rohen  Quitten  ist  ein  gutes 
Mittel  für  Milz,  schweren  Athem,  Wassersucht,  Fehler  der 
Brüste,  Aftergeschwüre  und  Wadenkrampf,  Die  frische 
sowohl  als  die  trockne  Blüthe  heilt  Augenentzündungen, 
Blutspeien  und  krankhafte  Menstruation.  Mit  süssem  Wein 
angestossen  liefert  sie  einen  milden  Saft,  der  bei  Verstopfung 
und  Leberleiden  angewendet  wird.  Wedn  die  Gebärmutter 
und  andere  innere  Theile  ausgetreten  sind,  benutzt  man 
eine  Abkochung  davon  zu  Bähungen.  Man  bereitet  auch 
ein  Oel  daraus,  welches  man  Apfelöl  nennt,  doch  werden 
dazu  nur  BJütheu  von  trocknen  Standorten  genommen, 
daher  auch  die  siciliauischen  die  besten  sind.  Die  Sper- 
lingsäpfeli)  sind,  obgleich  den  Quitten  nahe  verwandt, 
weniger  gut  anzuwenden.  Die  Wurzel  dieses  Gewächses 2) 
wird  auf  die  Weise  ausgegraben,  dass  man  zuvor  mit 
der  linken  Hand  einen  Kreis  um  das  Erdreich  zieht  und 
während  der  Operation  spricht,  was  man  thut  und  warum 
man  es  thut;  die  Wurzel  dient  nämlich,  in  Bündeln  aufbe- 
wahrt, als  Kropfmittel. 

55. 

Die  sogenannten  Honigäpfel  und  übrigen  süssen  Aepfel 
erleichtern  den  Magen  und  Unterleib,  macheu  Durst  und 
Hitze,  schaden  aber  den  Nerven  nicht.  Die  kugelrunden 
hemmen  Durchfall  und  Brechen  und  treiben  den  Harn. 
Die  den  sauren  Frühlingsäpfelu  ähnlichen  Holzäpfel  stopfen 
gleichfalls;  denselben  Zweck  erfüllen  aber  auch  die  unreifen 
Aepfel. 

56. 

Die  Citronen  oder  auch  nur  ihre  Kerne    trinkt   man 

')  struthia,  eine  kleine  Art  Quitten. 

2)  Offenbar  findet  hier  eine  Verwechselung  der  Pflanzen  statt; 
denn  das  Gewächs,  von  dessen  Wurzel  Plinius  redet,  ist  sicherHch 
nicht  eine  Art  Quittenbaum,  sondern  das  HtQOv&iov  der  Alten 
(Saponaria  officinalis}. 

Wittstein:  Plinius.     IV.  Bd.  '"i 


210  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

mit  Wein  gegen  Vergiftungen.  Spühlt  man  mit  ihrem 
Absude  oder  auch  mit  dem  ausgepressten  Safte  den  Mund 
aus,  so  bekommt  der  Athem  einen  angenehmen  Geruch. 
Den  Schwängern,  welche  keinen  Appetit  haben,  empfiehlt 
man  den  Genuss  der  Kerne;  die  Frucht  selbst  aber  ver- 
speist man  bei  schwachem  Magen,  doch  selten  ohne  Zusatz 
von  Essig. 

57. 
Die  neun  Arten  des  Granatapfels  brauche  ich  nicht 
noch  einmal  aufzuzählen.  Die  sogenannten  kernlosen,  süssen, 
sollen  für  den  Magen  nicht  gut  sein,  verursachen  Blähungen, 
greifen  die  Zähne  und  das  Zahnfleisch  an.  Die  diesen  am 
nächsten  stehenden  sogenannten  weinigen  mit  kleinen  Kernen 
werden  für  besser  gehalten;  sie  heben  den  Durchfall,  doch 
muss  man  sie  nur  massig  und  niemals  bis  zum  Sattwerden 
geni essen.  Bei  Fiebern  dürfen  sie  durchaus  nicht  gegeben 
werden,  denn  der  fleischige  Theil  sowohl  wie  der  Saft 
würde  da  von  keinem  Nutzen  sein;  ebenso  muss  man  sich 
ihrer  bei  Erbrechungen  und  Auswurf  von  Galle  enthalten. 
Die  Natur  hat  in  diesen  beiden  Fruchtarten  eine  Art  Wein- 
beere geschaffen,  welche  keinen  Most,  sondern  unmittelbar 
sogleich  den  Wein  selbst  enthält.  Ihre  Rinde  ist  rauh 
und  die  der  herben  Art  stark  im  Gebrauche,  denn  in  den 
Gewerben  bedient  man  sich  ihrer  zur  Lederbereitung  und 
aus  diesem  Grunde  nennen  die  Aerzte  die  Frucht  Leder- 
apfel i).  Die  Rinde  soll  auch  urintreibend  wirken,  und  mit 
Galläpfeln  in  Essig  gekocht  lose  Zähne  befestigen.  Man 
empfiehlt  sie  ferner  nachdrücklich  den  Schwangern  bei 
Mangel  an  Appetit,  denn  sie  bewirkt,  dass  die  Leibesfrucht 
sieb  bewegt.  Der  zerschnittene  Apfel  wird  drei  Tage 
lang  in  Regenwasser  eingeweicht,  bei  Unterleibsbeschwerden 
und  Blutspeien  kalt  gegeben. 

58. 
Aus  den  herben  Granatäpfeln  bereitet  man  eine  sogc- 


malicorium. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  211 

nannte  Mundavzuei,  welche  sieh  bei  üebeln  des  Mundes, 
der  Nase,  Ohren,  Augen,  Geschlechtstheile,  bei  Krebsschäden 
und  wildem  Fleisch  äusserst  wirksam  zeigt.  Wider  den 
Seehasen  fertigt  man  folgendes  Mittel  an:  man  entfernt 
die  äussere  Schale,  zerstösst  die  Kerne  upd  kocht  sie  mit 
einem  halben  Pfunde  Safran,  gestossenem  Alaun,  Myrrhe 
und  attischem  Honig  zu  zwei  Drittel  ein.  Man  stampft 
auch  mehrere  herbe  Früchte,  kocht  den  Saft  in  einem 
neuen  Topfe  zur  Honigdicke  ein  und  wendet  diess  Präparat 
bei  Schwäche  der  männlichen  Geschlechtstheile,  Uebeln 
des  Afters  und  allen  was  mittelst  des  Lycium  geheilt  wird, 
triefenden  Ohren  und  Augen  und  bei  rothen  Flecken  an. 
Hält  man  die  Aeste  des  Granatbaums  in  den  Händen,  so 
werden  die  Schlangen  verjagt.  Frostbeulen  heilt  mau  durch 
Auflegen  der  mit  Wein  gekochten  Schale.  Zur  Vertreibung 
der  Leibschmerzen  und  Bandwürmer  kocht  man  eiuen 
Granatapfel  mit  drei  Heminis  Wein  zu  einer  Hemina  ein. 
Gegen  Durchfall  und  Leibschmerzen  brennt  man  einen 
Granatapfel  in  einem  neuen  bedeckten  und  verstrichenen 
Topfe  bis  zur  Verkohlung ,  zerreibt  den  Rückstand  und 
trinkt  ihn  mit  Wein. 

59. 
lieber  die  Blüthenknospe  des  Granatbaums,  welche  bei 
den  Griechen  Cytinus  genannt  wird,  hat  man  im  Laufe 
der  Zeit  merkwürdige  Beobachtungen  gemacht.  W^enu 
Jemand,  der  weder  einen  Gürtel,  noch  Schuhe,  noch  einen 
Ring  trägt,  mit  dem  Daumen  und  vierten  Finger  der  linken 
Hand  eine  solche  Knospe  abpflückt,  sanft  damit  die  offnen 
Augen  berührt,  dann  dieselbe  in  den  Mund  steckt  und 
ohne  mit  den  Zähnen  in  Berührung  zu  kommen,  hinunter- 
schluckt, so-  soll  derselbe  während  des  ganzen  Jahres  von 
Augenschwäche  befreit  sein.  Die  getrocknete  und  zerriebene 
Knospe  verhütet  die  Bildung  von  wildem  Fleisch,  heilt 
Zahnfleisch  und  Zähne,  und  im  Falle  letztere  lose  sind, 
bedient  man  sich  eines  Absudes.  Als  Umschläge  wendet 
man  die  Knospen  bei  umsichfressenden  und  faulenden 
Geschwüren,  Entzündungen  der  Augen  und  Eingeweide  und 

14* 


212  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

bei  fast  allen  liebeln,  wozu  man    sieb    der   Granatscbalen 
bedient,  an.     Aucb  sind  sie  ein  Mittel  gegen  die  Seorpione. 

60. 

Die  Sorgfalt  und  den  Fleiss  der  Alten,  welcbe  alles 
durcbforscbten  und  nicbts  unversuebt  Hessen,  kann  man 
nicbt  genug  bewundern.  Bevor  nämlicb  die  Frucht  selbst 
bervortrit,  entfalten  sich  aus  jener  Knospe  kleine  Blumen, 
welche,  wie  schon  früher  erwähnt,  Balaustium  genannt 
werden;  und  auch  diese  hat  man  als  Mittel  wider  die 
Seorpione  erkannt.  Als  Trank  genommen  massigen  sie 
den  übermässigen  Monatsfluss  der  Frauen,  heilen  Muudge- 
schwüre,  Drüsen,  das  Zäpfchen,  Blutspeieu,  Durchfall,  die 
Geschlechtstheile  und  umsichfresseuden  Gescbwüre.  Ferner 
stellte  man  damit  im  trocknen  Zustande  Versuche  an  und 
rettete  durch  Anwendung  des  Pulvers  an  der  Dysenterie 
Leidende  vom  Tode.  Ja  man  gab  sich  sogar  die  Mühe, 
den  Inhalt  der  Kerne  hinsichtlicb  ihrer  Wirkung  zu  prüfen 
und  fand,  dass  derselbe  geröstet  und  gestossen  iu  Speise 
oder  Trank  genommen,  den  Magen  stärkt,  und  mit  Regeu- 
wasser  genommen  den  Durchfall  hebt.  Der  Saft  von  einem 
halben  Denar  der  Wurzel  tödtet  die  Bandwürmer.  Der 
Absud  der  Wurzel  besitzt  ähnliche  Kräfte  wie  das  Lycium. 

61. 

Es  giebt  auch  einen  wilden  Granatbaum,  der  dem 
vorigen  ähnlich  ist.  Nimmt  man  einen  Denar  schwer  der 
mit  einer  rothen  Rinde  überzogenen  Wurzel  als  weinigen 
Trank  zu  sich,  so  verfällt  man  in  Schlaf.  Ein  aus  dem 
Samen  bereiteter  Trank  trocknet  das  unter  der  Haut  an- 
gesammelte Wasser.  Wenn  man  mit  Granatapfelrinde 
räuchert,  werden  die  Mücken  vertrieben. 

62. 

Alle  Arten  Birnen  sind  in  rohem  Zustande  selbst  für 
Gesunde  eine  schwer  verdauliche  Speise;  auch  den  Krauken 
untersagt  man  sie  wie  den  Wein.  Gekocht  hingegen  schmecken 
sie  angenehm  und  bekommen  gut,  und  in  dieser  Beziehung 
zeichnen   sich   besonders   die  crustuminischeui)  aus.     Alle 

*)  von  den  Ufern  des  Flusses  Crustumium  in  Umbrien,  jetzt  Conza. 


Dreiundz wanzigstes  Buch.  213 

stärken,  mit  Honig  gekocht,  den  Magen,  Umschläge  von 
Birnen  wendet  man  zum  Vertlieileu,  Abkochungen  davon 
gegen  Verhärtungen  an.  Sie  sind  auch  ein  Gegenmittel  der 
schädlichen  Pilze  und  treiben  vermöge  ihrer  Schwere  und 
ihres  widerstrebenden  Saftes  dieselben  ab.  Die  Holzbirnen 
werden  sehr  spät  reif;  gegen  Abweichen  verordnet  man  die 
zerschnittenen  und  an  Fäden  getrockneten,  sowie  einen 
durch  Kochen  derselben  bereiteten  Trank.  Zu  demselben 
Zweck  kocht  man  auch  die  Blätter  mit  der  Frucht.  Gegen 
Giftpilze  erweist  sich  die  Asche  des  Birnbaumholzes  noch 
wirksamer.  Aepfel  und  Birnen  zu  tragen,  fällt  dem  Zug- 
vieh sehr  schwer;  leichter  soll  es  diesen  Thieren  werden, 
wenn  man  ihnen  zuvor  einige  davon  zu  fressen  giebt  oder 
auch  nur  zeigt. 

63. 
Der  Milchsaft  der  Feigen  verhält  sich  wie  Essig,  denn 
er  bringt  die  Milch  zum  Gerinnen.  Man  sammelt  ihn  vor 
der  Reife  der  Frucht,  trocknet  ihn  im  Schatten  und  legt 
ihn  mit  Eigelb  abgerieben  zum  Oeffnen  der  Geschwüre  und 
zur  Beförderung  der  Menstruatien  auf  oder  bereitet  daraus 
mit  Zusatz  von  Stärkmehl  einen  Trank.  Bei  Podagra  wendet 
man  ihn  nebst  Bockshornsamen  und  Essig  als  Umschlag  an. 
Er  besitzt  auch  die  Eigenschaft,  Haare  wegzubeitzen,  den 
Schorf  der  Augenlider,  Flechte  und  Krätze  zu  heilen  und 
Oeftuung  zu  machen.  Die  Feigenmilch  ist  ein  Antidot  des 
Giftes  der  Hornisse,  Wespen  und  ähnlicher  Thiere,  nament- 
lich aber  der  Seorpione.  Mit  Fett  vermischt  vertreibt  sie 
die  Warzen.  Die  Blätter  und  die  nicht  reif  gewordenen 
Feigen  legt  man  auf  Kröpfe  und  überhaupt  auf  solche  Stellen 
des  Körpers,  welche  erweicht  oder  vertheilt  werden  sollen. 
Denselben  Zweck  erreicht  man  auch  mit  den  blossen  Blät- 
tern; sie  haben  aber  noch  einen  andern  Nutzen,  man  reibt 
sie  nämlich  bei  Flechten,  Glatzen  und  um  Geschwüre  her- 
vorzurufen ein.  Die  zartesten  Zweige  legt  man  gegen  den 
Biss  toller  Hunde  auf,  desgleichen  mit  Honig  auf  soge- 
genannte wachsähnliche  Geschwüre;  mit  wilden  Mohnblät- 
tern  zugleich  angewandt  ziehen  sie  zerbrochene  Knochen 


214  Dreiunclzwanzigstes  Buch. 

aus  dem  Körper.  Der  Biss  toller  Kunde  \\ird  unscliädlicli, 
wenn  mau  die  Wunde  mit  in  Essig  abgeriebenen  Feigen- 
blättern behandelt.  Die  Sprösslinge  des  schwarzen  Feigen- 
baums legt  man  mit  Wachs  auf  entzündete  Geschwüre  und 
die  Bisse  der  Spitzmäuse.  Die  Asche  der  Blätter  desselben 
Baums  ist  ein  gutes  Mittel  zur  Heilung  des  Krebses  und 
wildwachsenden  Fleisches.  Reife  Feigen  sind  harntreibend, 
abführend,  erzeugen  Schweiss  und  Hitzblattern;  daher  ist 
es  nicht  gut,  sie  im  Herbste  zu  essen,  weil  der  Körper, 
wenn  er  dadurch  in  Schweiss  gekommen,  sich  dann  leicht 
eine  Erkältung  zuzieht.  Sie  beschweren  auch  den  Magen, 
jedoch  nicht  dauernd,  und  sollen  der  Stimme  schaden,  die 
späten  sind  gesunder  als  die  frühen,  eignen  sich  aber  nicht 
zum  medicinischen  Gebrauche.  Sie  verleihen  den  Jünglingen 
Kraft,  älteru  Personen  eine  dauerhaftere  Gesundheit  und 
verhüten  die  zu  frühe  Bildung  von  Runzeln.  Ferner  stillen 
sie  den  Durst,  kühlen  ab,  und  verdienen  daher  bei  den  ge- 
bundenen Fiebern  1),  welche  die  Griechen  Stegnae  nennen, 
Beachtung.  Trockene  Feigen  sind  nicht  gut  für  den  Magen, 
vortrefflich  aber  für  Kehle  und  Schlund;  sie  erwärmen, 
machen  Durst,  weichen  Stuhlgang,  heilen  rheumatische  Uebel, 
Leber-,  Nieren-,  Milzleiden,  bekommen  den  Keuchenden  und 
Engbrüstigen.  Sie  stärken  auch  den  Körper  und  verleihen 
ilim  mehr  Kraft,  werden  daher  von  den  Athleten  gegessen 
und  der  Meister  Pythagoras  empfahl  zuerst  ihren  Genuss 
zu  diesem  Zweck.  Sie  bekommen  den  Reconvalescenten, 
sowie  den  Epileptischen  und  Wassersüchtigen  ausserordent- 
lich gut;  ferner  legt  man  sie  auf  Schäden,  welche  zur  Reife 
gebracht  oder  vertheilt  werden  sollen,  und  vermehrt  ihre 
Wirkung  noch  durch  Zusatz  von  Kalk  und  Natron.  Mit 
Hyssop  gekocht  reinigen  sie  die  Brust  vom  Schleim,  be- 
freien vom  hartnäckigen  Husten;  mit  Wein  aber  legt  man 
sie  auf  den  After,  geschwollene  Kinnladen,  entzündliche  Ge- 
schwüre, Fett-  und  Ohrenübel.    Zu  Bähungen  benutzen  die 


*)    febres    constrictae;    walu-scheinlich    meint    Plinius    hier    clit 
Wechselfieber,  weil  sie  an  eine  bestimmte  Zeit  gebunden  sind. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  215 

Frauen  einen  Absud  der  Feigen.  Gegen  Seitenstechen  und 
Lungensucht  kocht  man  sie  zweckmässig  mit  Bockshorn- 
samen. Mit  Raute  gekocht  heilen  sie  Bauchgrimmen,  mit 
Kupferrost  Beingeschwüre,  mit  Granatäpfeln  die  mit  einem 
Fell  überzogeneu  Augeu,  mit  Wachs  Brandschäden  und 
Frostbeulen.  Den  Wassersüchtigen  giebt  man  sie  in  Wein 
mit  Zusatz  von  Wermuth,  Gerstenmehl  und  Natron  gekocht. 
Gekauet  hemmen  sie  den  Durchfall;  gegen  die  Stiche  der 
Scorpione  legt  man  sie  mit  Salz  zerrieben  auf.  Mit  Wein 
eingekocht  und  aufgelegt,  ziehen  sie  die  Carbunkeln  auf. 
Um  Krebsschäden,  welche  nicht  schwären,  desgleichen  um 
fiessende  Geschwüre  zu  heilen,  giebt  es  fast  kein  anderes 
Mittel  als  die  äusserliche  Anwendung  "sehr  saftiger  Feigen. 
Die  Asche  des  Feigeuholzes  ist  schärfer  als  die  aller  an- 
dern Bäume;  sie  reinigt,  verkittet,  füllt  aus  und  zieht  zu- 
sammen. Man  nimmt  sie  in  einem  Tranke  zur  Vertheilung 
des  geronnenen  Bluts;  auch  mit  einem  Becher  Wasser  und 
Oel,  bei  Contusiouen,  Fallschäden,  Verrenkungen  und  der- 
gleichen, ferner  bei  Krämpfen,  Verstopfung  und  Dysenterie. 
Wer  sich  mit  Oel,  worin  Feigeuasche  vertheilt  ist,  einreibt, 
fühlt  eine  merkliche  Wärme.  Ein  Gemenge  dieser  Asche  mit 
Wachs  und  Rosenöl  tiberzieht  Brandwunden  mit  einer  nur 
wenig  merklichen  Narbe.  Mit  Oel  aufgelegt  verbessert  sie 
die  Blödsichtigkeit,  und  für  sich  ist  sie  ein  gutes  Zahnpulver. 
Man  sagt  auch,  wenn  Jemand  von  einem  niedergebogenen 
Baume  rücklings  einen  Knoten  abbeisst,  ohne  dass  es  ein 
Anderer  sieht,  denselben  in  feines  Leder  bindet  und  an 
einem  Faden  um  den  Hals  hängt,  so  -würden  Kröpfe  und 
Ohrengeschwüre  vertheilt.  Die  mit  Oel  abgeriebene  Rinde 
heilt  Bauchgeschwüre.  Rohe  unreife  Feigen  tilgen  mit  Zu- 
satz von  Natron  und  Mehl  Warzen  und  [ähnliche  Schäden. 
Die  Asche  der  aus  der  Wurzel  schlagenden  Triebe  vertritt 
die  Stelle  des  Hüttenrauchs;  zur  Heilung  von  Augengeschwüren 
und  Krätze  brennt  man  sie  zweimal,  setzt  Bleiweiss  hinzu 
und  formt  daraus  Kügelchen. 

64. 
Die  wilde  Feige  besitzt  noch  grössere  Wirksamkeit 


216  Dreiund zwanzigstes  Buch. 

als  die  zahme.  Sie  hat  weniger  Milchsaft,  derselbe  bringt 
aber  ebenfalls  die  Milch  zum  Gerinnen.  Der  eingetrocknete 
Milchsaft  ist  ein  gutes  Mittel  für  die  fleischigen  Theile  des 
Leibes.  Mit  Essig  vermischt  dient  er  zum  Einreiben;  man 
setzt  ihn  auch  den  bei  Geschwüren  anzuwendenden  Medica- 
menten zu.  Die  Frucht  selbst  wirkt  abführend  und  öffnet, 
mit  Stärkmehl  versetzt,  die  Gebärmutter,  Mit  dem  Gelben 
von  einem  Ei  genossen  befördert  sie  die  Menstruation.  Bei 
Gift  wird  sie  mit  gestossenem  Bockshornsamen  aufgelegt. 
Sie  vertreibt  Schorf,  Grind,  Flechte,  Sommerflecken,  heilt 
die  Stiche  giftiger  Thiere  und  den  Biss  toller  Hunde.  Legt 
man  den  Saft  mit  Wolle  an  die  Zähne  und  in  die  Höhlungen 
derselben,  so  werden  die  Schmerzen  gehoben.  Die  zarten 
Stiele  und  die  Blätter  machen,  mit  Zusatz  von  Erven  oder 
auch  Wein,  den  Biss  giftiger  Seethiere  unschädlich.  Wenn 
man  jene  Stiele  dem  Rindfleisch  zusetzt,  so  wird  dasselbe 
mit  weit  geringerem  Aufwand  von  Brennmaterial  mürbe 
gekocht.  Aufgelegte  unreife  Früchte  erweichen  und  ver- 
theilen  die  Kröpfe  und  ähnliche  Ansammlungen.  Dieselbe 
Kraft  besitzen  auch  in  gewissem  Grade  die  Blätter;  die 
zartesten  der  letztern  heilen  mit  Essig  fliessende  Geschwüre, 
Hitzblattern  und  Hautschuppen.  Ferner  wendet  man  die 
Blätter  mit  Honig  gegen  sogenannte  Honiggeschwüre  und 
tolle  Hundsbisse,  mit  Wein  gegen  frische,  fressende  Ge- 
schwüre, mit  Mohnblättern  zur  Ausziehung  von  Knochen  an. 
Die  unreifen  Feigen  vertreiben,  wenn  man  damit  räuchert, 
die  Blähungen,  als  Trank  genommen  machen  sie  ver- 
schlucktes Ochsenblut,  Bleiweiss  und  geronnene  Milch  un- 
schädlich. Mit  Wasser  gekocht  und  aufgelegt  heilen  sie 
Ohrengeschwüre.  Die  zarten  Stiele  und  die  unreifen,  mög- 
lichst kleinen  Früchte  trinkt  man  mit  Wein  gegen  den  Stich 
der  Scorpione.  Die  Milch  tröpfelt  man  auch  in  Wunden  und 
die  Blätter  legt  man  in  ähnlichen  Fällen,  sowie  gegen  das 
Gift  der  Spitzmäuse  auf.  Die  Asche  der  Stiele  heilt  den 
geschwollenen  Zapfen  im  Halse,  die  Asche  des  Holzes  mit 
Honig  die  Risse  in  der  Haut,  die  mit  Wein  abgebrühete 
Wurzel  das  Zahnweh.   Die  Winterfeige  wird  gegen  Flechte 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  317 

mit  Essig  gekocht  und  zerrieben.  Auch  den  innern  Theil 
der  Rinde  legt  man  auf,  nachdem  er  so  fein  wie  Sägespäne 
zermalmt  ist.  Von  dem  wilden  Feigenbaume  erzählt  man 
sich  nachfolgende,  an's  Wunderbare  grenzende  Kraft;  wenn 
ein  Knabe  die  noch  ganz  junge  Rinde  eines  abgebrochenen 
Zweiges  mit  den  Zähnen  abzieht  und  den  markigen  Theil 
vor  Sonnenaufgang  an  sich  bindet,  so  bekomme  er  keinen 
Kropf.  Bindet  man  Ochsen  einen  Zweig  des  Baumes  um 
den  Hals,  so  werden  sie,  wenn  auch  noch  so  wild,  so  zahm, 
dass  sie  unbeweglich  stehen  bleiben. 

65. 
Ich  muss  auch  hier  eines  verwandten  Krauts,  das  die 
Griechen  Erineusi)  genannt  haben,  gedenken.  Es  wird 
eine  Hand  hoch,  hat  gewöhnlich  5  Stengel,  ähnelt  dem  Ba- 
silioumkraute,  trägt  weisse  Blumen,  kleine  schwarze  Samen, 
und  entlässt  beim  Verletzen  einen  süssen  Milchaft  in  reich- 
licher Menge.  Mit  attischem  Honig  vermischt  heilt  es  Augen- 
geschwüre, mit  etwas  Natron  Ohrenschmerzeu;  auch  ist  es 
ein  Mittel  wider  Gifte. 

QQ. 
Die  Blätter  des  Pflaumenbaums  wendet  man  gekocht 
bei  geschwollenen  Drüsen  und  Zahnfleisch  an;  mit  einem 
weinigen  Dekokte  spühlt  man  zur  Heilung  des  Zäpfchens 
zuweilen  den  Mund  aus.  Die  Frucht  selbst  bewirkt  Oeff- 
nung,  bekommt  aber  dem  Magen  nicht  besonders  gut,  doch 
hält  letztere  Wirkung  nur  kurze  Zeit  an. 

67. 
Besser  sind  die  Pfirsiche  und  ihr  Saft,  zumal  wenn 
sie  mit  Zusatz  von  Wein  oder  Essig  ausgepresst  werden. 
Sie  gehören  zu  den  unschädlichsten  Obstarten,  haben  keinen 
Geruch,  und  sehr  viel  Saft,  der  indessen  Durst  verursacht. 
Die  Blätter  werden  zerrieben  gegen  BlutflLisse,  die  Frucht- 
kerne mit  Essig  und  Oel  gegen  Kopfweh  aufgelegt. 


')  Eine  Art  Campanula;  nach  Einigen  C.  Rapunculus  L.,  wahr- 
scheinlicher C.  ramosissima  Sibth. 


218  Dreiundzwanzigstes  Buct. 

68. 

Die  Frucht  oder  Wurzeliiude  des  wilden  Pflaumen- 
baums wendet  man,  mit  1  Hemiua  herben  Weines  auf  ein 
Drittel  eingekocht  und  zu  1  Becher  voll  davon  getrunken, 
gegen  Durchfall  und  Leibschmerzen  au. 

69. 

Der  an  wilden  und  zahmen  Pflaumenbäumen  sich  fin- 
dende schmutzige  Auswuchs 3),  welchen  die  Griechen 
Flechte  nennen,  ist  ein  sehr  gutes  Mittel  gegen  Eisse  in 
der  Haut  und  Aftergeschwiire. 

70. 

Die  Maulbeerbäume  in  Aegypten  undCypern,  welche, 
wie  bereits  angegeben,  dort  eine  eigene  Art  bilden,  geben 
nach  Entfernung  der  äussersten  Rinde  eine  reichliche  Menge 
Saft  von  sich;  Bäume  höheren  Standorts  sind  merkwürdiger- 
weise von  trockener  Beschaffenheit.  Dieser  Saft  vernichtet 
die  Wirkung  des  Schlangengifts,  hilft  gegen  Dysenterie, 
zertheilt  Fettbeuleu  und  alle  Anschwellungen,  schliesst 
Wunden,  stillt  Kopf-  und  Ohrenweh;  bei  Milzleiden  und  Er- 
kältungen wendet  man  ihn  innerlich  und  äusserlich  an.  Er 
verdirbt  sehr  bald  und  enthält  dann  Würmer.  Auch  bei  uns 
bedient  man  sich  häufig  dieses  Saftes.  Mit  Wein  trinkt  man 
ihn  gegen  Aconit  und  giftige  Spinnen;  er  macht  Oeffnung, 
vertreibt  auch  den  Schleim-,  Band-  und  ähnliche  Leibes- 
würmer,  und  dieselbe  Wirkung  hat  die  Rinde.  Zum  Färben 
der  Haare  kocht  man  die  Blätter  mit  der  Rinde  des  schwarzen 
Feigenbaums  und  Weinstocks  in  Regenwasser,  Der  Saft 
der  Maulbeerfrucht  führt  unmittelbar  ab;  die  Frucht  selbst 
ist  gut  für  den  Magen,  kühlt,  und  macht  Durst;  isst  man 
aber  nichts  anderes  hinterher,  so  verursacht  sie  Aufblähen. 
Der  Saft  der  unreifen  Frucht  bewirkt  Verstopfung  ,  und  so 
zeigt  denn  dieser  Baum,  gleich  wie  gewisse  Thiere,  wunder- 
bare Eigenschaften,  von  deneu  wir  schon  früher  zu  sprechen 

Gelegenheit  gehabt  haben. 

71. 

Aus  der  Maulbeerfrucht  bereitet  man  eine  sehr  heilsame 

')  limus. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  219 

Mundarznei  (auch  Luftröhrenarznei  genannt)  auf  die  Weise, 
dass  man  3  Sextare  Saft  in  gelinder  Wärme  zur  Honigdicke 
verdampft,  und  hierauf  2  Denare  schwer  trockenes  Ompha- 
cium,  oder  1  Denar  Myrrhe  und  1  Denar  Safran  hinzusetzt; 
oder  man  kocht  2  Sextare  Saft  und  1  Hectar  attischen 
Honig  zusammen  ein.  Es  giebt  kein  besseres  Mittel  für 
den  Mund,  die  Luftröhre,  das  Zäpfchen  und  den  Magen. 

Von  dem  Maulbeerbäume  werden  ausserdem  noch  wun- 
derbare Dinge  erzählt.  Wenn  man  im  Frühjahre,  vor  dem 
Ausschlagen  der  Blätter,  die  ersten  Ansätze  der  Frucht, 
welche  die  Griechen  Ricini  nennen,  mit  der  linken  Hand 
abbricht  und  dieselben,  bevor  sie  die  Erde  berührt  haben, 
um  den  Leib  bindet,  so  sollen  sie  das  Blut  stillen,  es  mag 
aus  einer  Wunde,  aus  dem  Munde,  der  Nase  oder  aus  den 
Hämorrhoideu-Beulen  kommen.  Zu  diesem  Zwecke  hebt  man 
jene  Fruchtansätze  auch  auf.  Gleiche  Wirkung  sollen  die 
Aeste  haben,  w^enn  man  sie  zur  Zeit  der  Fruchtbildung  ab- 
bricht und  nicht  auf  die  Erde  fallen  lässt;  gegen  zu  starken 
Monatsfluss  bindet  mau  sie  auch  den  Weibern  auf  den  Arm, 
ja  die  Aeste  versagen  in  letzterer  Beziehung  ihren  Dienst 
zu  keiner  Zeit,  wenn  sie  nur  von  den  Weibern  selbst  mit 
der  angegebenen  Vorsicht  abgebrochen  werden.  Die  Blätter 
gebraucht  man  als  Abkochung  innerlich  und  äusserlich  gegeu 
Schlangenbiss.  Der  Saft  der  Wurzelrinde  wird  mit  Wein 
oder  einem  Gemisch  von  Essig  und  Wasser  gegen  Scorpion- 
stiche  getrunken. 

Die  Alten  haben  uns  auch  einige  Vorschriftten  zu  Mund- 
arzneien hinterlassen.  Sie  kochten  den  Saft  der  reifen  und 
und  unreifen  Maulbeeren  zusammen  in  einem  kupfernen 
Geschirre  zur  Honigdicke  ein;  Einige  setzten  noch  Myrrhe 
und  Cypresse  hinzu  und  Hessen  das  Ganze,  unter  drei- 
maligem Umrühren  des  Tags  mit  einem  Spatel,  an  der  Sonne 
eintrocknen.  Dieses  Präparat  diente  unter  andern  zur  Hei- 
lung von  Wunden,  Ein  anderes  Verfahren  bestand  darin, 
die  getrocknete  Frucht  auszupressen;  der  dadurch  erhaltene 
Saft  wurde  dem  Gemüse  zugesetzt,  um  ihm  einen  angeneh- 
mem Geschmack    zu    ertheilen,    auch    in   der  Arzneikunde 


220  Dreiundzwanzigstes  Bucb. 

gegen  fressende  Geschwüre,  Sebleim  auf  der  Brust,  zur 
Vereinigung  innerer  Theile  und  zum  Reinigen  der  Zähne  an- 
gewandt. Eine  dritte  Arznei,  durch  Kochen  des  Saftes  der 
Blätter  und  Wurzel  bereitet,  wurde  mit  Oel  auf  Brandschäden 
gelegt.  Auch  die  Blätter  für  sich  dienen  als  TJmschlag. 
Wenn  man  die  Wurzel  zur  Zeit  der  Ernte  anschneidet,  so 
erhält  man  einen  Saft,  welcher  für  Zahnweh,  Geschwulste, 
eiternde  Wunden  und  zur  Keinigung  des  Unterleibs  gut  ist. 
Im  Urin    eingeweichte  Maulbeerblätter  beitzen    die   Haare 

vom  Leder  weg. 

72. 
Die  Kirschen  bewirken  Stuhlgang  und  sind  dem  Magen 
nicht  dienlich;  getrocknet  hingegen  verstopfen  sie  und  treiben 
den  Harn.  Einige  Schriftsteller  geben  an,  wenn  ein  Kranker 
die  mit  dem  Morgenthau  bedeckten  Kirschen  sammt  den 
Kernen  verschlucke,  so  fühle  er  sich  so  erleichtert,  dass 
die  Füsse  ihren  Dienst  nicht  versagen. 

73. 
Die  Mispeln,  mit  Ausnahme  der  setanischen,  welche 
in  ihrer  Wirkung  den  Aepfeln  näher  stehen,  ziehen  den 
Magen  zusammen  und  verstopfen.  Dasselbe  ist  mit  den 
trocknen  Arlesbeereni)  der  Fall;  im  frischen  Zustande 
hingegen  bekommen  die  letztem  dem  Magen  und  Unter- 
leibe gut. 

74. 
Die  harzhaltigen  Piniennüsse  wendet  man,  gröblich 
gestossen  und  je  zu  einer  mit  einem  Sextar  Wasser  auf  die 
Hälfte  eingekocht,  gegen  Blutspeien  an;  die  Dosis  dieses 
Trunkes  ist  zwei  Becher  voll.  Ein  weiniger  Absud  der  Rinde 
des  Baums  wird  gegen  Leibschmerzen  verordnet.  Die  Kerne 
der  Pininennüsse  stillen  den  Durst,  die  Schärfe  und  das 
Schneiden  im  Magen  und  die  darin  sich  findenden  fremd- 
artigen Säfte,  machen  kräftig,  bekommen  den  Nieren  und 
der  Blase  gut.  Doch  wird  durch  ihren  Genuss  der  Hals 
rauh  und  Husten  erzeugt.    Mit  Wasser,  Wein,  Rosinentrauk 

')  sorba. 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  221 

oder  Dattelnabsud  genommen  treiben  sie  die  Galle  aus. 
Wider  heftiges  Reissen  im  Magen  nimmt  man  sie  mitGurken- 
saraen  und  Portulaksaft.  Wegen  ihrer  harntreibenden  Eigen- 
schaften werden  sie  auch  gegen  Blasengeschwüre  und 
Nierenleiden  angewandt. 

75. 
Ein  Absud  der  Wurzel  des  bitteiu  Mandelbaums 
verbessert  die  Haut  im  Gesicht  und  giebt  ihm  eine  gesun- 
dere Farbe.  Die  Nüsse  (Mandeln)  selbst  bewirken  Schlaf 
und  Appetit,  befördern  die  Harnabsouderung  und  Meu- 
struatiou.  Aufgelegt  werden  sie  gegen  Kopfweh  und  ganz 
vorzüglich  gegen  Fieber;  sind  diese  Uebel  aber  eine  Folge 
der  Trunkenheit,  so  setzt  mau  noch  Essig,  Rosineuöl  und 
1  Sextar  Waser  hinzu.  Mit  Stärkmehl  und  Miuze  hemmen 
sie  den  Blutfluss.  Auch  gegen  Schlafsucht  und  Epilepsie 
erweisen  sie  sich  heilsam.  Auf  den  Kopf  gelegt  heilen  sie 
die  Hitzblattern,  mit  Zusatz  von  altem  Wein  umgeschlagene 
faulige  Geschwüre,  mit  Honig  tolle  Hundsbisse  und  Schuppen 
im  Gesicht;  mit  Wasser  getrunken  oder  auch  mit  Terpen- 
thinharz  als  Latwerge  Leber-  und  Nierenleiden.  Gegen 
Steinbeschwerden  und  Harnstrenge,  wie  auch  zum  Reinigen 
der  Haut  wendet  man  einen  Trank  aus  zerstossenen  bittern 
Mandeln  und  Honigwasser  an.  Mit  einem  massigen  Zusatz 
von  Salvei  als  Latwerge  gegeben ,  heilen  sie  auch  Leiden 
der  Leber,  Eingeweide  und  vertreiben  den  Husten.  Wenn 
man  sie  mit  Honig  nimmt,  so  ist  die  Dosis  des  letztern  eine 
Haselnuss  gross.  Wer  zuvor  fünf  bittere  Mandeln  gegessen 
hat,  soll  nicht  berauscht  werden,  und  die  Füchse  sollen 
sterben,  wenn  sie  nach  dem  Genuss  von  bittern  Mandeln 
nicht  sogleich  Gelegenheit  haben,  Wasser  zu  saufen.  — 
In  der  Heilkunst  haben  die  süssen  Manaeln  weniger  Werth 
doch  wirken  sie  auch  reinigend  und  harntreibend.  Frische 
Mandeln  blähen  den  Magen  auf. 

76. 
Die  süssen  Mandeln   sollen  mit  Wermuthsamen  und 
Essig  eingenommen,  die  Gelbsucht,  für  sich  äusserlich  an- 


222  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

gewandt  Schäden   an  den  Lenden  und  besonders  Afterge- 
schwüre heilen,  auch  gegen  Husten  und  BlutsiDcien  gut  sein. 

77. 
Die  welschen  Nüsse  haben  ihren  griechischen  Na- 
men i)  wegen  der  eingreifenden  Wirkung,  welche  sie  auf 
den  Kopf  ausüben,  erhalten;  denn  die  Kräfte  der  Bäume 
und  ihrer  Theile  dringen  selbst  bis  in  das  Gehirn,  obwohl 
der  Genuss  der  Kerne  noch  am  wenigsten  uachtheilig  ist. 
Die  frischen  Kerne  schmecken  angenehmer  als  die  alten 
die  trocknen  sind  ölreicher  und  nicht  gut  für  den  Magen, 
schwer  verdaulich,  machen  Kopfweh,  schaden  Denen,  welche 
an  Husten  leiden  und  nüchtern  brechen  wollen,  und  er- 
weisen sich  nur  bei  Stuhlzwang  dienlich,  weil  sie  den  Schleim 
entfernen.  Isst  man  sie  vorher,  so  machen  sie  verschlucktes 
Gift  unwirksam.  Mit  Raute  und  Oel  heilen  sie  die  Bräune. 
Ferner  mildern  sie  die  Schärfe  der  Zwiebeln.  Mit  etwas 
Honig  legt  man  sie  auf  entzündete  Ohren,  mit  Raute  auf 
die  Brüste  und  verrenkte  Glieder,  mit  Zwiebeln,  Salz  und 
Honig  auf  Bisse  von  tollen  Hunden  und  Menschen.  Mit 
der  Nussschale  brennt  man  hohle  Zähne  aus.  Die  Asche  der 
Schalen  legt  man  mit  Oel  und  Wein  abgerieben  auf  den 
Kopf  der  Kinder,  um  das  Wachsen  der  Haare  zu  befördern, 
und  dieselbe  Mischung  wird  bei  Glatzen  angewandt.  Je 
mehr  Nüsse  man  isst,  desto  leichter  gehen  die  Würmer  ab. 
Sehr  alte  Nüsse  heilen  Krebsschäden,  Karbunkeln  und  Blut- 
beulen. Die  Rinde  des  Baums  hilft  wider  Flechten,  Dysen- 
terie, die  mit  Essig  abgeriebenen  Blätter  wider  Ohren- 
schmerzen. In  den  innersten  Gemächern  der  Wohnung  des 
Mithridates,  des  grössten  aller  besiegten  Könige,  fand  Cn. 
Pompejus  in  einem  besondern,  von  des  Königs  eigener 
Hand  geschriebenen  Aktenstück  die  Vorschrift  zu  einem 
Gegengift,  welches  nüchtern  genommen,  alle  an  demselben 
Tage  verschluckten  Gifte  unwirksam  machen  soll;  dasselbe 
wird  aus  zwei  trocknen  Nüssen,  zwei  Feigen,  zwanzig 
Rautenblättern  und  einem  Korn  Salz  durch  Zusammenreiben 


')  die  Griechen  nannten  sie  xuqvov,  na^vöca,  von  xaiJu:  Kopf. 


Dreiundzwaiizigstes  Buch.  .       223 

bereitet.     Gegen    tollen  Hundsbiss   wird   empfohlen,   einen 
Nusskern  nüchtern  zu  kauen  und  <auf  die  Wunden  zu  legen. 

78., 

Die  Haselnüsse  verur?aclien  Kopfweh,  Blähungen  im 
Magen  und  machen  den  Körper  fetter,  als  man  von  vorn- 
herein glauben  sollte.  Geröstet  heilen  sie  den  Schnupfen, 
zerrieben  mit  Wassermeth  getrunken  anhaltenden  Husten; 
Einige  thun  Pfefferkörner  hinzu,  Andere  nehmen  statt  Wasser- 
meth Rosinenwein.  Die  Pistacien  werden  ebenso  ange- 
wandt und  haben  dieselbe  Wirkung  wie  die  Piniennüsse, 
dienen  aber  auch  als  Speise  und  im  Getränk  gegen  Schlangen- 
bisse. Die  Kastanien  sind  ein  kräftiges  Mittel  gegen  Magen- 
und  Bauchfliisse;  sie  befördern  auch  den  Stuhlgang,  heben 
das  Blutbrechen  uud  nähren  den  Körper. 

79. 

Das  Johannisbrot  bekommt  frisch  dem  Magen  nicht 
gut  und  bewirkt  Diarrhoe.  Trocken  zeigt  es  entgegenge- 
setzte und  harntreibende  Eigenschaften.  Gegen  Magen- 
schmerzen kocht  man  3  Schoten  syrisches  Johannisbrot  mit 
o  Sextaren  Wasser  zur  Hälfte  ein  und  trinkt  diesen  Absud. 
Flechten,  welche  eben  erst  entstanden  sind,  heilt  man  auf 
die  Weise,  dass  man  eine  glühende  Platte  Eisen  einem 
Zweige  vom  Kornelkirschenbaum  nähert,  doch  so,  dass 
derselbe  nicht  davon  berührt  wird,  den  ausquellenden  Saft 
auf  das  Metall  fallen  lässt  und  den  dadurch  erzeugten 
Eisenrost  als  Salbe  applicirt.  Der  Strauch  Arbutus  oder 
Unedo  trägt  eine  Frucht,  welche  schwer  verdaulich  ist  und 
den  Magen  belästigt. 

80. 

Der  Lorbeer  besitzt  in  den  BUltttern,  der  Rinde  und 
den  Beeren  wärmende  Kräfte;  man  bedient  sich  daher  einer 
Abkochung  derselben,  namentlich  der  Blätter,  mit  gutem 
Erfolge  bei  Fehlern  der  weiblichen  Schaam  und  der  Harn- 
blase. Aeusserlich  wendet  man  sie  gegen  das  Gift  der 
Wespen,  Hornisse,  Bären,  Schlangen  und  ähnlicher  Thiere 
an.  Mit  Oel  gekocht  bei  der  monatlichen  Reinigung,  mit 
feingestossenen  Gerstengraupen  bei  Augenentzündungen,  mit 


224  Dreiundzwanzigstes  Bucli. 

Raute  bei  Hodenentzünduugen,  mit  Rosen-  oder  Lilienöl  bei 
Kopfschmerzen.  Kauet  man  die  Blätter  und  verschluckt 
sie  dann,  und  setzt  man  diese  Kur  drei  Tage  lang  fort,  so 
wird  man  vom  Husten  befreit.  Gegen  Engbrüstigkeit  nimmt 
man  die  Blätter  mit  Honig  ein.  Die  Wurzelrinde  ist  den 
Schwangern  schädlich.  Die  Wurzel  selbst  zerkleinert  die 
Blasensteine;  bei  Leberleiden  bereitet  man  einen  Trank 
aus  drei  Obolen  der  Wurzel  mit  Gewürzwein.  Ein  aus  den 
Blättern  bereiteter  Trank  erregt  Brechen.  Die  Beeren  be- 
fördern aufgelegt  oder  genossen  die  Menstruation.  Zwei 
Lorbeeren,  welche  man  von  der  äusseren  Schale  befreiet 
hat,  trinkt  man  mit  Wein  gegen  anhaltenden  Husten  und 
schweren  Athem,  bei  gleichzeitigen  Fieberanfälleu  bereitet 
man  daraus  einen  wässerigen  Trank  oder  eine  Latwerge 
mit  Wassermeth  oder  Rosinenwein.  In  derselben  Form 
dienen  sie  bei  Schwindsucht  und  allen  Arten  von  Brust- 
Rheumatismus,  denn  sie  zeitigen  den  Schleim  und  entfer- 
nen ihn.  Gegen  die  Scorpione  nimmt  man  vier  Stück  auf 
einmal  in  einem  weinigen  Tranke.  Mit  Oel  aufgelegt  heilen 
sie  Hitzblattern,  Leberflecken,  eiternde  Geschwüre,  Mund- 
geschwüre, Schuppen  auf  der  Haut,  als  Saft  das  Jucken 
der  Haut  und  die  Läusesucht.  Bei  Ohrenschmerzen  und 
Harthörigkeit  tröpfelt  man  ein  Gemisch  von  Lorbeeren, 
altem  Wein  und  Rosenöl  ein.  Vor  Personen,  welche  sich 
mit  Lorbeeröl  eingerieben  haben,  fliehen  alle  giftigen  Thiere. 
Gegen  bösartige  Stiche  erweist  sich  ein  Lorbeertrank, 
namentlich  von  einem  zartblättrigen  Baume,  beilsam.  Die 
mit  Wein  zubereiteten  Beeren  sind  ein  Mittel  wider  Schlan- 
gen, Scorpionen  und  Spinnen.  Mit  Oel  und  Essig  wendet 
man  sie  äusserlich  gegen  Milz  und  Leberleiden,  mit  Honig 
gegen  den  Krebs  au.  Bei  Müdigkeit  und  Erkältung  wird 
der  mit  Natron  versetzte  Saft  eingerieben.  Ein  aus  der 
Wurzel  bereiteter  Trank  soll,  zu  1  Acetabulum  genommen, 
die  Entbindung  beschleunigen,  und  zu  diesem  Zwecke  die 
frische  Wurzel  besser  sein  als  die  trockne.  Gegen  die 
Stiche  der  Scorpione  empfiehlt  man  einen  aus  10  Beeren 
bereiteten    Trauk;    zur    Heilung    des    Zäpfchens    ein    aus 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  225 

J  4  Pfuud  Beeren  oder  Blättern  mit  3  Sextaren  Wasser  auf 
ein  Drittel  eingekochtes  und  noch  warmes  Gurgehvasser; 
gegen  Kopfweh  ein  warmes  Gemisch  von  einer  unpaaren 
Anzahl  Beeren  und  Gel.  —  Wenn  man  an  die  zerriebenen 
oder  nocli  besser  an  die  bis  zum  Verbrennen  erhitzten 
Blätter  des  delphischen  Lorbeers  riecht,  wird  man  nicht 
selten  vor  dem  Anstecken  der  Pest  geschüzt.  Das  aus 
dem  delphischen  Lorbeer  bereitete  Gel  dient  mit  Erfolg  zu 
Wachssalben  und  stärkenden  Arzneien,  bei  Erkältungen, 
Schlaffheit  der  Nerven,  Seitenstechen  und  Fieber,  desglei- 
chen in  einer  Granatschale  warm  gemacht,  bei  Ghren- 
schmerzen.  Ein  durch  Kochen  der  Blätter  mit  Wasser  bis 
auf  ein  Drittel  bereiteter  Absud  heilt,  wenn  man  sich  da- 
mit gurgelt,  das  Zäpfchen,  innerlich  angewandt  Schmerzen 
im  Unterleibe;  die  zartesten  Blätter  legt  man  mit  Wein 
abgerieben.  Nachts  gegen  Hitzblattern  und  Jucken  auf.  Die 
übrigen  Lorbeer-Arten  kommen  in  ihrer  arzneilichen  Wirk- 
samkeit der  delphischen  sehr  nahe.  Der  alexandrinische 
oder  idäische  Lorbeer  beschleunigt  die  Entbindungen,  wenn 
man  von  der  Wurzel  3  Denare  schwer  mit  3  Bechern  süssen 
Weines  einnimmt;  auch  treibt  er  die  Nachgeburt  aus  und 
befördert  die  Menstruation.  Zu  demselben  Zwecke  dient 
der  daphuische  Lorbeer  i)  (dessen  übrige  Namen  ich  am 
geeigneten  Orte  mitgetheilt  habe.)  Auch  der  wilde  Lorbeer 
hat  seinen  Nutzen;  3  Drachmen  der  frischen  oder  trocknen 
Blätter  mit  Salz  und  Meth  genommen  bewirken  Stuhlgang; 
die  Blätter  treiben  ferner  den  Schleim  ab  und  erregen 
Brechen,  bekommen  aber  dem  Magen  nicht  gut.  5  his  10 
Beeren  wirken  gleichfalls  innerlich  genommen  als  Purgans. 

8L 
Die  weisse  angebaute  Myrte  eignet  sich  nicht  so  gut 
zum  arzneilichen  Gebrauch  als  die  schwarze.  Der  Same 
wird  gegen  Blutspeien  und  mit  Wein  gegen  giftige  Pilze 
verordnet.  Wenn  man  ihn  Tags  zuvor  gekauet  hat,  erhält 
der    Athem    einen    augenehmen    Geruch;   daher   essen   ihn 

'j  l)apluioides;  Daphiie  alpina  L. 

Wittstein:  Pliuius.     IV.  Bd.  15 


226  Dreiundzwanzigstes  Buch. 

auch  bei  Menander  die  zusammenscbmausendeu  Weiber i). 
Man  giebt  ihn  zu  1  Denar  schwer  mit  Wein  gegen  Dysen- 
terie. Mit  Wein  aufgekocht  heilt  er  bösartige  Geschwüre 
an  den  Extremitäten.  Mit  Gerstengraupen  legt  man  ihn 
auf  triefende  Augen  und  bei  Herzklopfen  auf  die  linke 
Brust,  mit  unvermischtem  Wein  auf  Scorpionstiche,  wider 
Blasenübel,  Kopfweh  und  noch  nicht  schwärende  Thiänen- 
fisteln,  Geschwulste,  und  nach  Entfernung  der  Kerne,  mit 
altem  Wein  abgerieben  wider  schleimige  Flüsse.  Der  Saft 
des  Samens  hemmt  den  Durchfall  und  treibt  den  Harn. 
Wider  aufbrechende  Pusteln  und  schleimige  Flüsse,  sowie 
wider  die  giftigen  Spinnen  legt  man  ihn  mit  Wachssalbe 
auf.  Auch  färbt  er  das  Haar  schwarz.  Das  Oel  dieser 
Myrte  ist  milder  als  der  Saft;  noch  milder  ist  der  daraus 
bereitete  Wein,  denn  er  berauscht  niemals,  und  wenn  er 
alt  geworden,  stopft  er  Bauch-  und  Magenflüsse,  vertreibt 
Leibschmerzen  und  macht  Appetit.  Das  aus  den  trocknen 
Blättern  bereitete  feine  Pulver  streuet  man  wider  Schweiss 
und  Fieber  auf;  es  leistet  auch  als  Bähung  gute  Dienste 
bei  Verstopfung,  Vorfall  der  Gebärmutter,  Afterschäden, 
eiternden  Geschwüren,  Rose,  Ausfallen  der  Haare,  Schuppen 
auf  der  Haut  und  ähnlichen  Fehlern,  sowie  bei  Brandwun- 
den. Man  setzt  es  ferner  derjenigen  Arznei  zu,  welche  den 
Namen  fettige  Mittel  führt,  und  wendet  dieselbe  dann  zu 
denselben  Zwecken  an  wie  das  Myrtenöl,  nämlich  gegen 
Schäden  an  feuchten  Stellen,  wie  im  Munde  und  der  weib- 
lichen Schaam.  Die  mit  Wein  abgeriebenen  Blätter  wer- 
den gegen  giftige  Pilze,  und  die  mit  Wachs  versetzten  gegen 
Gliederkrankheiten  und  Geschwülste  gebraucht.  Ein  da- 
raus mit  Wein  bereiteter  Trank  heilt  Dysenterie  und 
Wassersucht.  Ferner  wird  das  Pulver  der  Blätter  auf  Ge- 
schwüre und  Blutflüsse  gestreuet.  Sie  reinigen  auch  in  Ver- 
bindung mit  Wachssalbe,  Leberflecke,  dunkle  Augen,  Niet- 
nägel, Hitzblattern,  Aftergeschwüre,  Hodenübel,  stinkende 
Sehwären  und  Brandwunden,     Bei  eiternden  Ohren  wendet 

*)  Synaristosae   (simul  prandentes),  der  Titel  einer  Komödie  des 
Menander, 


Dreiundzwanzigstes  Buch.  227 

man  die  Blätter  verbrannt  als  Saft  und  als  Abkochung  an. 
Als  Gegengift  brennt  mau  dieselben,  wie  auch  die  von 
den  Blüthen  abgepflückten  Stielchen  in  einem  neuen  irdenen 
bedeckten  Topfe  in  einem  Ofen,  und  reibt  alsdann  den  Rück- 
stand mit  Wein  ab.  Die  Asche  der  BLätterheilt  auch  Brand- 
wunden. Um  zu  verhüten,  dass  die  Schaamtheile  in  Folge 
eines  Geschwüres  aufschwellen,  genügt  es,  einen  dünnen 
Myrtenzweig,  der  weder  mit  einem  Eisen  noch  mit  der 
Erde  in  Berührung  gekommen  ist,  bei  sich  zu  tragen. 

82. 

Wie  das  Myrtidanum  bereitet  wird,  ist  schon  früher 
angegeben  worden.  1)  Man  wendet  es  äusserlich  bei  Fehlern 
der  weiblichen  Schaam  an,  und  seine  Wirksamkeit  wird  noch 
erhöhet,  wenn  man  zu  seiner  Darstellung  Rinde,  Blätter  und 
Samen  nimmt.  Die  zartesten  Blätter  stösst  man  auch  in  einem 
Mörser  unter  Zusatz  von  herbem  Wein  oder  Regenwasser, 
presst  aus  und  bedient  sich  dieses  Saftes  wider  Geschwüre 
des  Mundes,  Afters,  der  weiblichen  Schaam,  zum  Schwärzen 
der  Haare,  Reinigen  der  Zähne,  Leberflecken  und  überall, 
wo  etwas  zu  vereinigen  ist. 

83. 

Die  wilde  Myrte,  Oxymyrsine  oder  Chamaemyrsine 
unterscheidet  sich  von  der  zahmen  durch  ihre  röthlichen 
Beeren  und  geringere  Grösse.  Ihre  Wurzel  ist  sehr  heil- 
sam; man  wendet  sie  in  Wein  gekocht  innerlich  bei  Ner- 
venschmerzen, Harnstrenge  (zumal  wenn  der  Harn  dicklich 
und  übelriechend),  Gelbsucht  und  mit  Wein  abgerieben  zur 
Reinigung  der  Gebärmutter  an.  Die  jungen  Sprossen  ver- 
speist man  in  heisser  Asche  gekocht  wie  Spargel.  Den 
Samen  nimmt  man  mit  W^ein,  Oel  oder  Essig  gegen  Blasen- 
steine ein;  mit  Essig  und  Rosenöl  vermengt  aufgelegt  ver- 
treibt er  die  Kopfschmezen  und  eingenommen  die  Gelbsucht. 
Castor  hat  dieses  mit  spitzen  Blätter  versehene  Gewächs 
Ruscus  genannt,  weil  man  auf  dem  Lande2)Besen  darausmacht. 

Soweit   von    den  Arzneimitteln    der    edleren 3)    Bäume. 
Gehen  wir  nun  zu  den  wilden  Bäumen  über. 
»j  XIV.  B.  19.  Cap.    ^)  ruri.    3)  -urbanae. 

15* 


Vierundswanzigstes  Buch. 


Arzneimittel  von  den  wilden  Bäumen. 

1. 

Nicht  einmal  die  Wälder  und  die  unansehnlich eu  Pro- 
drukte  der  Katur  sind  ohne  arzneiliche  Kräfte;  die  heilige 
Scliöpferin  aller  Dinge  hat  den  Menschen  überall  Heil- 
mittel zur  Benutzung  gespendet,  damit  selbst  die  Einsam- 
keit zur  Arznei  würde  und  ihre  Wunder  den  Erscheinungen 
der  Eintracht  und  Zwietracht  zuvorkämen^).  Die  Eiche 
und  der  Oelbaum  hassen  sich  einander  so  sehr,  dass,  wenn 
man  den  einen  dahin  versetzt  wo  der  andere  gestanden 
hat,  er  sogleich  zu  Grunde  geht;  ebenso  stirbt  die  Eiche 
neben  einem  Wallnussbaume  ab.  Die  Kohlpflanze  steht 
dem  Weinstock  feindlich  gegenüber,  und  während  jene  die- 
sen vertreibt,  vertrocknet  sie  selbst  in  der  Nähe  von  Cy- 
clamen  und  Origanum.  Ja  man  giebt  sogar  an,  dass  alte 
Bäume  schwieriger  zu  fällen  sind  und  schneller  trocken 
werden,  wenn  man  sie  eher  mit  der  Hand  als  mit  dem 
Eisen  berühre.  Die  Schwere  des  Obstes  sollen  die  Last- 
thiere  sogleich  empfinden,  und  falls  man  es  ihnen  nicht 
vorher  zeigt,  so  gerathen  sie,  sobald  es  ihnen  aufgeladen 
ist,  in  Seh  weiss,  wenn  dessen  Zahl  auch  nur  wenig  be- 
trägt.   Das  Gertenkraut 2)  ist  das  beste  Futter  für  die  Esel, 


')  d.  h.  das  Missverhältniss  zwischen  den  Naturprodukten  in 
Bezug  auf  ihr  Aeusseres  etc.  ist  dadurch  ausgegliclien ,  dass  auch 
die  unansehnlichem  Gewächse  etc.  Arzneikräfte  enthalten. 

-)  ferula. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  229 

ein  schuelles  Gift  aber  für  die  übrigen  Lastthiere,  daher 
jenes  Gewächs  sowohl  wie  der  Esel  dem  Vater  Bacchus 
geweüiet.  Selbst  unbedeutende  und  kleine  Dinge  haben  ihr 
Gift  und  Gegengift.  Durch  Zusatz  von  Lindenstaub  mil- 
dern die  Köche  die  allzugrosse  Schärfe  der  Speisen.  Das 
Salz  benimmt  den  zu  süssen  Speisen  den  widerigen  Ge- 
schmack. Alkalische  und  bittere  Wässer  werden  durch 
Zusatz  von  Gerstengraupen  (welche  in  ein  Weinsäckchen 
gebunden  sind)  dergestalt  gemildert,  dass  man  sie  inner- 
halb zwei  Stunden  trinken  kann.  Dieselbe  Eigenschaft  besitzt 
die  rhodische  Kreide  und  unser  Thon.  Aber  auch  Beispiele 
von  Eintracht  finden  wir  in  der  Natur;  so  wird  das  Pech 
vom  Oele  aufgenommen,  denn  beide  sind  von  fettiger  Be- 
schaffenheit. Oel  lässt  sich  mit  Kalk  vermischen,  wäh);eud 
beide  für  sich  dem  Wasser  widerstreben.  Gummi  löst 
sich  leichter  in  Essig,  Atramentumi)  leichter  in  Wasser. 
So  giebt  es  noch  unzählige  Fälle  der  Art,  welche  ich  ge- 
eigneten Orts  mittheileu  werde.  Allen  diesen  Erscheinungen 
verdankt  die  Heilkunde  ihr  Entstehen.  Die  Vorsehung 
wollte,  dass  nur  dasjenige  als  Arzneimittel  dienen  sollte, 
was  allgemein  vorhanden,  leicht  und  ohne  Kosten  zu  ver- 
schaffen sei,  und  zur  Nahrung  diene.  Später  jedoch  erfand 
der  Betrug  und  die  Raffinerie  der  Menschen  jene  Werk- 
stätten, in  denen  ihnen  das  Leben  und  die  Gesundheit  für 
Geld  verheissen  wird,  und  wo  man  die  verwickeltsten  Com- 
positionen  und  Mixturen  anpreist.  Man  glaubt  sich  hier 
mitten  nach  Arabien  und  Indien  versetzt;  für  ein  kleines 
Geschwür  wird  eine  Arznei  vom  rothen  Meere  verordnet, 
während  der  ärmste  Mensch  täglich  die  wahren  Mittel  als 
Speise  geniesst.  Wenn  man  die  letztern  aus  dem  Garten, 
von  Kräutern  und  Sträuchern  holen  würde,  so  wäre  keine 
Kunst  schlichter  als  die  Medicin.  Aber  so  ist  es  in  der 
That,  je  mehr  das  römische  Volk  an  Macht  und  Grösse 
seiner  Besitzungen  gewonnen,  desto  mehr  hat  es  seine  alten 
Sitten    und  Gebräuche   verloren,  durch  Siege  sind  wir  be- 


')  S.  XXXIV.  B.  32.  Cap. 


230  Vierundzwanzigstes  Buch. 

siegt  weiden.  Wir  gehorchen  den  Ausländern  und  eine 
der  Künste  herrscht  sogar  über  die  Kaiser.  Doch  hiervon 
später  mehr. 

2. 
Des  Lotus,  welcher  auch  der  ägyptische  Lotus  oder 
der  syrtische  Baum  genannt  wird,  haben  wir  bereits  früher 
gedacht.  Bei  uns  nennt  man  ihn  griechische  Bohne ^). 
Seine  Beeren  hemmen  den  Durchfall.  Das  zerkleinerte 
Holz  ist  in  Wein  gekocht  gut  für  Dysenterie,  Menstruation, 
vSchwindel  und  Epilepsie,  hindert  auch  das  Ausfallen  der 
Haare.  Merkwürdigerweise  schmeckt  das  Holz  äusserst 
bitter,  während  die  Beeren  zu  den  süssesten  Früchten  ge- 
hören. Aus  den  Sägespänen  bereitet  man  durch  Abkochen 
mit  Myrtenwasser,  Kneten  und  Formen  in  Kügelchen  ein 
Miltel,  welches  sich,  zu  1/2  Denar  mit  3  Bechern  Wasser 
genommen,  bei  Dysenterie  äusserst  wirksam  zeigt. 

3. 
Die  Früchte  der  Eiche  heilen  mit  Schmalz  vermischt, 
diejenigen  Verhärtungen,  welche  man  unheilbare  zu  nennen 
pflegt.  Noch  kräftiger  wirkt  das  Holz,  die  Rinde  und  vor 
allem  der  Bast.  Letzterer  wird  bei  Verstopfung  abgesotten 
und  bei  Dysenterie,  wie  die  Eichel  selbst,  aufgelegt;  ist 
auch  ein  Mittel  bei  Schlangeubiss,  Rheumatismus  und  Ge- 
schwüren. Blätter,  Frucht,  Rinde  und  der  abgkochte  Saft 
werden  als  Gegengifte  angewandt.  Auf  Schlangenbisse 
legt  man  die  mit  Kuhmilch  gesottene  Rinde,  und  gegen 
Dysenterie  giebt  man  sie  mit  Wein.  Dieselbe  Wirkung 
besitzt  die  Steineiche. 

4. 
Die  Kermesbeeren^)  legt  man  mit  Essig  auf  frische 
Wunden,  mit  Wasser  auf  Augenflüsse  und  mit  Blut  unter- 
laufene  Augen.     Eine   Art   davon,   welche   in   Attika   und 
Asien   vorkommt,  sich   schnell   in  einen  Wurm  umwandelt 


')  Diospyros  Lotus  L.  S.  XVI.  B.  53.  Cap. 
2)  coccus  ilicis. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  231 

und    daher  Wttrmcheni)   genannt   wird,   taugt   nicht.    Die 
hauptsächlichsten  Arten  habe  ich  schon  früher  besprochen"'^). 

5. 
Von  den  Galläpfeln  habe  ich  ebenfalls  mehrere  Arten 
aufgeführt,  nämlich  dichte,  durchlöcherte,  weisse,  schwarze, 
grosse  und  kleine.  Sie  besitzen  alle  gleiche  Wirksamkeit, 
doch  sind  die  commagenischen  die  besten.  Sie  vertreiben 
die  Auswüchse  am  Leibe,  heilen  das  Zahnfleisch,  Zäpfchen, 
die  Muudgeschwüre,  werden  gebrannt  und  in  Wein  abge- 
löscht wider  Darmgicht  und  Dysenterie,  mit  Honig  auf  Nä- 
gelgeschwüre, rauhe  Nägel,  Augenfell,  Afterschäden,  lau- 
fende und  um  sich  fressende  Geschwüre  gelegt.  Einen 
weinigen  Absud  tröpfelt  man  in  die  Ohren,  mit  Essig  legt 
man  sie  auf  die  Augen  wider  Ausbrüche  und  Geschwulste. 
Die  innersten  Theile  der  Galläpfel  kauet  man  gegen  Zahn- 
weh, oder  legt  sie  auf  den  (durch  Gehen  oder  Reiten  ent- 
standenen) sogenannten  Wolf,  sowie  auf  Brandwunden. 
Trinkt  man  unreife  Galläpfel  mit  Essig,  so  vergeht  die 
Milz;  brennt  man  dieselben  und  löscht  sie  in  salzhaltigem 
Essig  ab,  so  dienen  sie  als  wirksamer  Umschlag  bei  der 
monatlichen  Reinigung  und  bei  ausgetretener  Gebärmutter. 
Alle  Arten  fiirben  das  Haar  schwarz. 

6. 
Ich  habe  bereits  mitgetheilt,  dass  die  Mistel  vor- 
züglich auf  Eichen  vorkommt,  und  wie  der  Vogelleim  be- 
reitet wird  3).  Einige  stossen  sie^)  und  kochen  sie  so  lange 
mit  Wasser,  bis  sie  oben  auf  schwimmen.  Andere  kauen 
die  Beeren  und  spucken  die  Schale  aus.  Am  besten  sind 
die,  welche  nur  wenig  Schale  haben,  sehr  leicht,  aussen 
gelb,  innen  lauchgrau  und  sehr  klebrig  sind.  Sie  erwei- 
chen, vertheilen  die  Geschwulste  und  trocknen  die  Kröpfe. 
Mit  Harz  und  Wachs  vertreiben  sie  alle  Arten  von  Beulen; 
man   setzt  auch  Galbanura  hinzu  und  zwar  von  jedem  der 


')  scolecion. 

2)  XVI.  B.  12.  Cap. 

3)  Im  XVI.  B.  94.  und  95.  C. 
*)  Nämlich  die  Beeren. 


232  Vierundzwanzigstes  Buch. 

IngTedienzieu  ein  g-leiches  Gewicht,  und  wendet  dieses 
Mittel  zu  demselben  Zwecke  wie  auch  bei  Wunden  an. 
Rauhe  Nägel  werden  glatt,  wenn  man  die  Beeren  alle 
7  Tage  frisch  auflegt  und  den  schadhaften  Theil  jedesmal 
mit  Natronlösung  wäscht.  Einige  meinen,  ihre  Wirkung 
sei  noch  kräftiger,  wenn  man  sie  zur  Zeit  des  Neumondes 
ohne  Hülfe  eines  eisernen  Instrumentes  von  der  Eiche 
sammle.  Wenn  sie  die  Erde  nicht  berührt  haben,  sollen 
sie  die  Epilepsie  vertreiben,  und  wenn  Frauen  sie  bei 
sich  tragen,  sollen  sie  leichter  empfangen.  Gekauet  und 
aufgelegt  heilen  sie  die  Geschwüre. vollkommen  aus. 

7. 

Die  Kügelchen  der  Eichel)  rufen  auf  Glatzen  die 
Haare  wieder  hervor,  wenn  sie  mit  Bärenfett  vermischt 
aufgestrichen  werden.  Die  Blätter,  Rinde  und  Früchte  der 
C erreiche  trocknen  flüssige  Ansammlungen,  Sehwären  und 
hemmen  die  Flüsse.  Einen  Absud  davon  benutzt  man  als 
Bähung,  um  erstarrte  Glieder  zu  kräftigen;  und  setzt  man 
sich  darüber,  so  trocknet  er  und  zieht  zusammen.  Die 
Wurzel  der  Cerreiche  ist  ein  Mittel  wider  die  Scorpionen. 

8. 

Die  Rinde  der  Korkeiche  wird  zerrieben  und  mit 
warmem  Wasser  gegen  alle  Arten  von  Blutfltissen  getrun- 
ken. Hire  Asche  empfiehlt  man  mit  warmem  Leim  als  ein 
vorzügliches  Mittel  gegen  Blutspeien. 

9. 

Die  Rinde  der  Buche  kauet  man  bei  Fehlern  des 
Zahnfleisches  und  der  Lippe,  die  Asche  der  Frucht  legt 
man  gegen  Steinbeschwerden,  mit  Honig  gegen  Glatzen  auf. 

10. 

Die  Blätter  der  Cypresse  legt  man  zerrieben  auf 
Schlangenbisse,  mit  Polenta  auf  den  Kopf,  wenn  derselbe 
in  Folge  der  Sonnenhitze  schmerzt;  desgleichen  auf  Brüche, 
zu   welchem  Zweck   man   sie   auch   als   Trank   anwendet. 


')  pilulae.      Wahrscheinlich    meint   Plinius    die   galläpfelartigen 
Auswüchse  auf  den  Blättern  unserer  Eichen. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  233 

Auf  geschwollene  Hoden  legt  man  sie  mit  Wachs.  In  Ver- 
bindung mit  Essig  schwärzen  sie  das  Haar.  Mit  zwei  Thei- 
len  weichen  Brotes  vermischt  und  mit  amineischem  Weine 
angeknetet  stillen  sie  die  Schmerzen  der  Füsse  und  Sehnen. 
Die  Früchte  1)  trinkt  man  gegen  Schlangenbisse  und  Blut- 
speien. Bei  Saftanhäufungeu  wendet  mau  sie  äusserlich 
an.  Wenn  sie  noch  jung  sind,  werden  sie  bei  Brüchen  mit 
Schmalz  und  Bohnenmehl  aufgelegt  oder  auch  als  Trank 
genommen.  Gegen  Ohrentibel  und  Kröpfe  legt  man  sie  mit 
Getreidemehl  auf.  Bei  Blödigkeit  der  Augen  wendet  man 
den  ausgepressten  Saft  der  Früchte  mit  Oel  vermischt  an. 
Nimmt  man  ^2  Deuar' schwer  von  den  Früchten  als  weini- 
gen Trank  und  wendet  man  diess  Mittel  mit  einer  von  den 
Kernen  befreiten,  trocknen  weichen  Feige  äusserlich  an, 
so  werden  die  Hodenübel  und  Geschwulste  geheilt.  Mit 
Hefe  vermischt  heilen  sie  die  Kröpfe.  Wurzel  und  Blätter 
werden  zerrieben  als  Trank  gegen  Blasenübel,  Harnstrenge 
und  Erdspinnen  verordnet.  Ein  aus  den  Holzspänen  be- 
reiteter Trank  befördert  die  Menstruation  und  heilt  die 
Stiche  der  Scorpione. 

11, 
Die  grosse  Ceder-)  liefert  eine  Art  Pech,  welches 
man  Cedria  nennt.  Dasselbe  ist  ein  gutes  Mittel  bei  Zahn- 
übeln, denn  es  zermalmt  die  Zähne,  treibt  sie  aus  und  stillt 
den  Schmerz.  Der  Cedernsaft,  dessen  Bereitung  ich  früher 
angegeben  habe,  würde  als  Beleuchtungsmittel  von  grossem 
Nutzen  sein,  wenn  er  kein  Kopfweh  verursachte,  Todte 
Körper  schützt  er  auf  lange^Zeit  vor  der  Fäulniss,  lebende 
vernichtet  er;  sonderbare  Erscheinung  entgegengesetzter 
Wirkung  einer  und  derselben  Substanz,  dem  Lebenden  das 
Leben  zu  nehmen ,  und  den  Todten  gleichsam  lebendig  zu 
machen!  Er  verdirbt  auch  die  Kleider  und  tödtet  die 
Thiere.  Ich  kann  daher  denen  nicht  beistimmen,  welche 
jenes    Mittel   innerlich   bei   Bräune    und    Unverdauliehkeit 


')  pilulae. 

2)  Cedrelate;  Pinus  Cedrus  L. 


234  Vierundzwanzigstes  Buch. 

empfehlen;  möchte  auch  selbst  Anstand  nehmen,  bei  Zahn- 
schmerzen den  Mund  mit  einer  Mischung  von  Cedernsatt 
und  Essig  auszuspülen,  oder  ihn  bei  Schwerhörigkeit  und 
Würmern  in  die  Ohren  zu  tröpfeln.  Folgende  seltsame 
Wirkung  schreibt  man  dem  Cedernsafte  zu;  wenn  nämlich 
das  männliche  Glied  damit  benetzt  werde,  so  soll  bei  nach- 
heriger  Pflegung  des  Beischlafs  die  Leibesfrucht  abgehen. 
Dagegen  trage  ich  kein  Bedenken,  ihn  als  Einreibemittel 
bei  Läusesucht,  hartnäckigem  Grind  und  Aussatz  zu  em- 
pfehlen. Wider  das  Gift  des  Seehasen  verordnet  man  ihn 
innerlich  mit  Rosinenwein.  Einige  Schriftsteller  lassen  bös- 
artige und  wildes  Fleisch  enthaltende  Geschwüre,  sowie 
schwache  Augen  damit  einreiben,  gegen  Lungengeschwüre 
und  Bandwürmer  aber  einen  Becher  voll  davon  trinken 
Man  bereitet  daraus  ein  Oel,  welches  Pechöl  genannt  wird 
und  eine  noch  stärkere  Wirkung  besitzt.  Die  Sägespäne 
der  Ceder  vertreiben  die  Schlangen;  dieselbe  Wirkung 
haben  die  mit  Oel  abgeriebenen  Beeren,  wenn  man  sich 
damit  bestreicht. 

12. 

Die  Cederfrüchte  sind  gut  für  den  Husten,  harntrei- 
bend, hemmen  den  Durchfall,  und  erweisen  sich  auch  wirk- 
sam bei  Brüchen,  Verrenkungen,  Krämpfen,  Harnstrenge 
und  Uebeln  der  weiblichen  Schaam,  wenn  man  sie  auflegt; 
mau  wendet  sie  ferner  wider  den  Seehasen,  Geschwulste, 
Entzündungen  u.  s.  w.  an. 

13. 

Das  Galbanum,  von  dem  schon  früher  die  Rede  war, 
soll  weder  zu  trocken  noch  zu  schmierig,  sondern  so  be- 
schaffen sein,  wie  ich  es  beschrieben  habe.  Man  verord- 
net es  für  sich  als  Trank  bei  anhaltendem  Husten,  schwerem 
Athem,  Brüchen  und  Verrenkungen;  äusserlich  bei  Hüftweh, 
Seitenstechen,  Fettbeulen,  Hitzblattern,  Ablösung  des  Flei- 
sches von  den  Knochen,  Kröpfen,  Gichtknoten  und  Zahn- 
schmerzen, mit  Honig  bei  Kopfgeschwüren.  Mit  Rosenöl  oder 
Karde  tröpfelt  man  es  in  eiternde  Ohren.  Vermöge  seines  Ge- 
ruchs(ätherischen  Oeles)hilft  es  schon  bei  Epilepsie,  Zusammen- 


Vierundzwanzigstes  Buch.  235 

schnürung  der  Gebärmutter  und  Magenkrampf.  Legt  man 
es  auf  oder  räuchert  man  damit,  oder  legt  man  damit  be- 
strichene Stengel  der  Nieswurz  unter,  so  befördert  es  den 
Abgang  unzeitiger  Geburten.  Dass  die  Schlangen  durch 
den  beim  Brennen  des  Galbanums  sich  entwickelnden 
Rauch  vertrieben  werden,  habe  ich  bereits  mitgetheilt;  sie 
fliehen  auch  vor  Personen,  welche  damit  bestrichen  sind. 
Auch  Scorpionstiche  heilt  man  damit.  Bei  schweren  Ge- 
burten und  bei  unrichtiger  Lage  der  Gebärmutter  verordnet 
man  Galbanum  von  der  Grösse  einer  Bohne  mit  einem 
Becher  Wein.  Mit  Myrrhe  und  Wein  genommen  treibt  es 
todte  Kinder  ab,  vernichtet  auch  die  Wirkung  der  Gifte. 
Wenn  Schlangen  eine  Mischung  von  Galbanum,  Oel  und 
Spondylion  berühren,  werden  sie  getödtet.  Man  glaubt,  das 
Galbanum  sei  dem  Urin  schädlich. 

14. 

Aehuliche  Eigenschaften  hat  das  Ammoniakum;  es 
erweicht,  erwärmt,  vertheilt  und  löst.  In  Augensalben  be- 
wirkt es  besonders,  dass  die  Augen  hell  werden.  Es  ver- 
treibt auch  das  Jucken,  befördert  die  Vernarbung;  stillt 
Zahnschmerzen,  besonders  wenn  man  damit  räuchert.  Als 
Trank  genommen  wendet  man  es  bei  beschwerlichem  Athem, 
Seitenstechen,  Luugenübeln,  Blutharnen,  Milzkrankheiten, 
Hüftweh  und  Verstopfung  an.  Mit  einem  gleichen  Gewichte 
Pech  oder  Wachs  und  Rosenöl  gekocht  legt  man  es  bei 
Gliederkrankheiten  und  Podagra  auf.  Es  zeitigt  die  Fett- 
beulen, zieht  mit  Honig  die  Hühneraugen  aus,  und  erweicht 
Verhärtungen.  Auf  die  Milzgegend  legt  man  es  unter  Zu- 
satz von  Essig  und  cyprischem  Wachs  oder  Rosenöl  mit 
bestem  Erfolge.  Schlaffe  Glieder  werden  mit  einer  Mischung 
von  Ammoniakum,  Essig,  Oel  und  ein  wenig  Natron  ein- 
gerieben. 

15. 

Auch  vom  Styrax  habe  ich  bereits  bei  den  ausländi- 
schen Bäumen  gesprochen.  Ausser  den  dort  angeführten 
Sorten  schätzt  man  besonders  den  fetten,  reinen  und  mit 
weissen  Stücken  durchsetzten.    Er  dient  bei  Husten,  Hals, 


236  Vierundzwanzigstes  Buch. 

Brust,  verschlossener  und  verhärteter  Gebärmutter.  Als  Trank 
genommen  oder  aufgelegt  befördert  er  den  Monatsfluss  und 
erweicht  den  Unterleib.  Geringe  Dosen  des  daraus  berei- 
teten Trankes  sollen  die  Schwermuth  lindern,  grössere  Dosen 
dieselbe  ganz  vertreiben.  Giesst  man  es  in  die  Ohren,  so 
vergeht  das  Sausen  derselben;  aufgelegt  heilt  es  Kröpfe 
und  knotige  Sehnen.  Es  widersteht  denjenigen  Giften, 
welche  vermöge  ihrer  erkältenden  Wirkung  schaden  und 
daher  auch  dem  Schierlinge. 

16. 

Das  ebenfalls  schon  erwähnte  Spondylioni)wird  inForm 
eines  Aufgusses  den  Wahnsinnigen,  Schlafsüchtigen  und  an 
Kopfschmerzen  Leidenden  auf  den  Kopf  gelegt.  Mit  altem 
Oele  nimmt  man  es  innerlich  oder  räuchert  damit  bei  Le- 
berleiden, Gelbsucht,  Epilepsie,  Engbrüstigkeit,  Zusammen- 
schnürung der  Gebärmutter  und  Verstopfung.  Mit  Raute 
legt  man  es  auf  fressende  Geschwüre.  Die  Blüthe  des 
Gewächses  heilt  eiternde  Ohren,  wenn  man  den  Saft  da- 
von hinein  tröpfelt;  dieser  Saft  muss  gut  bedeckt  aufbe- 
wahrt werden,  denn  die  Fliegen  und  ähnliche  Insekten 
sind  sehr  begierig  danach.  Die  abgeschabte  Wurzel  legt 
man  auf  Fistelschäden,  um  die  schwieligen  Theile  weg- 
zubeitzen;  setzt  sie  auch  dem  in  die  Ohren  zu  tröpfelnden 
Safte  zu,  verordnet  sie  ferner  ohne  weitern  Zusatz  gegen 
Gelbsucht,  Krankheiten  der  Leber  und  Gebärmutter.  In  Form 
einer  Salbe  ins  Haar  gestrichen,  macht  sie  dieselben  kraus. 

17. 

Das  Sphagnum,  Sphacum  oder  Bryum,  welches  wie 
gesagt  auch  in  Gallien  vorkommt,  heilt  die  Gebärmutter, 
wenn  man  sich  über  die  Abkochung  desselben  setzt,  mit 
Brunnenkresse  und  Salzwasser  abgerieben  heilt  es  geschwol- 
lene Knie  und  Schenkel.  Mit  Wein  und  trocknem  (altem) 
Harze  getrunken,  wirkt  es  stark  auf  die  Harnsekretion, 
mit  Wein  und  Wachholderbeeren  getrunken  befreit  es  die 
Wassersüchtigen  vom  Wasser. 

')  XII.  B.  58.  Cap. 


Tierundzwanzigstes  Buch.  237 

1«. 
Von  der  Terebinthe  legt  mau  die  Blätter  und  Wur- 
zeln auf  angeschwollene  Theile.  Ein  Absud  davon  stärkt 
den  Magen.  Den  Samen  nimmt  man  mit  Wein  gegen 
Kopfwell  und  Harustrenge;  er  wirkt  gelinde  auf  den  Stuhl- 
gang und  reizt  zum  Beiscblafe. 

19. 
Die  Blätter  der  Rothtanne  und  des  Lärehenbaumes 
werden  gegen  Zahnweh  zerrieben  und  in  Essig  gekocht; 
die  Asche  ihrer  Rinden  dient  zur  Heilung  des  sogenannten 
Wolfs  und  der  Brandwunden.  Ein  daraus  bereiteter  Trank 
hemmt  den  Durchfall  und  treibt  den  Harn.  Bei  Fehlern 
der  weiblichen  Schaam  räuchert  man  damit.  Die  Blätter  der 
Rothtanne  werden  zu  1  Drachme  schwer  in  Wassermeth  mit 
Essig  gegen  Leberleideu  getrunken.  Die  Erfahrung  hat 
gelehrt,  dass  die  Pech  und  Harz  liefernden  Wälder  den 
Schwindsüchtigen  und  solchen  Personen,  welche  sich  von 
einer  langwierigen  Krankheit  nicht  leicht  erholen  können, 
ein  höchst  zuträglicher  Aufenthaltsort  sind,  die  dort  herr- 
schende Luft  ihnen  jedenfalls  besser  bekommt  als  eine 
Reise  nach  Aegypten  oder  der  Genuss  des  Saftes  frischer 
Bergkräuter  während  des  Sommers. 

20. 
Die  Feldcypressei)  führt  bei  uns  den  Namen  Trei- 
bekraut 2)  wegen  ihrer  abtreibenden  Wirkung.  Einige  nennen 
sie  auch  Erdweihrauch;  sie  hat  ellenlange  Zweige,  ihre 
Blttthen  und  ihr  Geruch  erinnern  an  die  Fichte.  Eine 
zweite  Art  ist  kleiner  und  etwas  gekrümmt 3).  Eine  dritte 
Art,  ebenso  benannt  und  von  gleichem  Gerüche,  ist  noch 
kleiner,  der  Stengel  hat  die  Dicke  eines  Fingers,  die  Blät- 
ter sind  rauh,  sehr  klein,  weiss  und  findet  sich  auf  Fel- 
sen^). Alle  drei  sind  Kräuter,  aber  wegen  der  Aehnlichkeit 
ihrer  Namen  nicht  von  einander  zu  unterscheiden.   Man  be- 


•)  Chamaepitys;  Ajuga  Iva  L. 

-)  abiga.    ^)  Diess  ist  Passerina  hirsuta  L. 

•')  Diess  ist  Ajuga  Chia  oder  A.  Chamaepitys  L. 


238  Vierundzwanzigstes  Buch. 

nutzt  sie  mit  Zusatz  von  Datteln  und  Quitten  äusserlich 
gegen  Seorpionstiche  und  Leberleiden,  mit  Geistenmehl 
gekocht  bei  Fehlern  der  Nieren  und  Blase.  Gegen  Gelbsucht 
und  schweres  Harnen  trinkt  man  einen  Absud  davon.  Die 
dritte  Art  ist  mit  Zusatz  von  Honig  ein  Mittel  gegen 
Schlangen;  aufgelegt  reinigt  sie  auch  die  Gebärmutter,  als 
Trank  genommen  entfernt  sie  verdicktes  Blut.  Wer  sich 
damit  einreibt,  geräth  in  Schweiss  und  spürt  Linderung  in 
den  Nieren.  Man  bereitet  auch  daraus  Pillen  gegen  Was- 
sersucht; und  nimmt  man  dieselben  mit  Feigen  ein,  so 
führen  sie  ab.  ^2  Denar  schwer  mit  Wein  genommen  ver- 
treibt die  Lendenschmerzen  und  den  erst  entstehenden 
Husten.  Ein  mit  Essig  bereiteter  Trank  soll  die  todte 
Leibesfrucht  sogleich  abtreiben. 

2L 
Auch  der  Pityusa^),  welche  von  Einigen  zu  den  Tithy- 
malus-Arten  gezählt  wird ,  muss  ich  hier  billigerweise 
gedenken.  Sie  bildet  einen  der  Rothtanne  ähnlichen  Strauch 
mit  kleinen  purpurrothen  Blumen.  Ein  Absud  der  Wurzel 
zu  einer  Hemina  oder  einen  Löfl'el  voll  Samen  in  einer 
Dattel  genommen,  führt  Galle  und  Schleim  durch  den 
After  ab.  Die  in  Essig  gekochten  Blätter  entfernen  die 
Schuppen  von  der  Haut,  sind  auch  gut  für  die  Brüste,  für 
Bauchgrimmen ,  Schlaiigenbisse  und  eben  erst  entstandene 
Anschwellungen,  wenn  man  Bautendekokt  hiuzumischt. 

n. 

Ich  habe  bereits  angegeben ,  dass  die  oben  genannten 
Bäume  Harz  liefern;  ferner  habe  ich  die  Arten  desselben 
und  ihre  Herkunft  in  Bezug  auf  den  Wein  und  später  auch 
bei  den  einzelnen  Bäumen  selbst  besprochen.  Es  giebt 
zwei  Hauptarten,  trocknes  und  flüssiges.  ■  Das  trockne 
erhält  man  von  der  Fichte  und  Tanne,  das  flüssige  von 
der  Terebinthe,  dem  Lärchenbaum,  Mastixbaum  und  der 
Cypresse,  denn  auch  diese  letzten  (beiden)  führen  solches 


•)  Euphorbia  Pityusa  L. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  239 

in  Asieu  und  Syrien.  Es  ist  ein  Iirthum,  das  Haiz  der 
Tanne  und  des  Lärchenbaums  für  ein  und  dasselbe  zu 
halten;  denn  das  Tannenharz  ist  fett  und  saftig  wie  der 
Weihrauch,  das  Lärcheuharz  hingegen  mager,  honigdick  und 
übelriechend.  Die  Aerzte  bedienen  sieh  des  flüssigen 
Lärchenharzes  nur  selten  und  fast  nur  mit  einem  Ei  ver- 
setzt bei  Husten  und  Geschwüren  in  den  Eingeweiden, 
des  Fiehteuharzes  auch  nicht  häufig,  und  der  übrigen  nur  im 
gekochten  Zustande.  Auch  die  Zubereitungsweise  durch 
Kochen  habe  ich  früher  angegeben.  In  Bezug  auf  den 
Unterschied  der  Bäume  erscheint  das  Harz  der  Terebiuthe 
als  das  wohlriechendste  und  leichteste;  in  Rücksicht  auf 
das  Vaterland  verdient  das  cyprische  und  syrische  den 
Vorzug,  beide  haben  die  Farbe  des  attischen  Honigs,  doch 
ist  das  cyprische  fleischiger  und  trockner.  Von  der  trocknen 
Art  zieht  man  diejenigen  Sorten  vor,  welche  weiss,  rein 
und  durchsichtig  sind;  von  allen  Arten  aber  diejenigen, 
welche  von  auf  Bergen  und  gegen  Norden  stehenden  Bäumen 
gesammelt  waren.  Zum  Gebrauch  für  Wunden  und  zu 
weichen  Salben  löst  man  das  Harz  in  Oel  auf;  zu  Tränken 
versetzt  man  es  mit  bitteren  Mandeln.  Die  Heilkraft  des 
Terebinthenharzes  besteht  darin,  die  Wunden  zusammenzu- 
'  ziehen,  zu  reinigen,  Anschwellungen  und  Fehler  in  der  Brust 
zu  zertheilen.  Man  streicht  es  warm  auf  schmerzende 
Glieder  und  solche  Theile,  die  durch  Einwirkung  der  Sonne 
gelitten  haben.  Die  Quacksalber  empfehlen  als  Mittel 
wider  die  Magerkeit,  den  ganzen  Körper  damit  zu  überziehen, 
weil  es  die  Haut  an  allen  Gliedern  ausdehne  und  in  Folge 
davon  den  Körper  fähig  mache,  mehr  Speise  zu  sich  zu 
nehmen.  Dem  Terebinthenharze  steht  das  des  Mastixbaums 
am  nächsten;  es  zieht  zusammen  und  wirkt  namentlich 
harntreibend.  Die  übrigen  Arten  erweichen  den  Leib, 
befördern  die  Verdauung,  vertreiben  anhaltenden  Husten 
und  wenn  man  damit  räuchert,  die  Beschwerden  der  Gebär- 
mutter. Der  Mistel  wirken  sie  entgegen.  Fettbeulen  und 
ähnliche  Uebel  heilen  sie  mit  Kindstalg  und  Honig.  Der 
Mastix   verleihet    den    Augenlidern  eine   ausserordentliche 


240  Vierundzwanzigstes  Buch. 

Geschmeidig'keit,  erweist  sieh  auch  sehr  wirksam  bei  zer- 
brochenen Gliedern,  eiternden  Ohren  und  juckenden  Ge- 
schlechtstheilen.  Kopfwunden  heilt  man  am  besten  mit 
Fichtenharz. 

23. 

Wie  das  Pech  bereitet  wird  und  dass  es  zwei  Arten, 
festes  und  flüssiges  (Theer)  giebt,  habe  ich  ebenfalls 
schon  mitgetheilt.  Unter  den  Sorten  des  festen  ist  das 
brutische  für  den  medicinisehen  Gebrauch  am  besten,  denn 
es  besitzt  die  g-rösste  Fettigkeit  und  Klebrigkeit  und  sieht 
daher  auch  mehr  roth  aus  als  die  übrigen.  Dagegen  halte 
ich  die  Angabe,  dass  das  vom  männlichen  Baume  besser 
sei,  für  unbegründet.  Das  Pech  besitzt  die  Kraft  zu 
erwärmen  und  auszufüllen.  Besonders  heilt  es  mit  Polenta 
die  Bisse  der  Hornschlangen,  mit  Honig  die  Bräune,  den 
Schnupfen  und  das  Niesen,  Mit  Rosenöl  tröpfelt  mau  es 
in  die  Ohren,  mit  Wachs  streicht  man  es  auf.  Es  heilt 
Flechten,  macht  offnen  Leib,  befördert  als  Latwerge  genommen 
den  Auswurf  und  heilt  mit  Honig  aufgelegt  die  geschwol- 
lenen Mandeln.  Daher  reinigt  und  füllt  es  auch  die  Ge- 
schwüre aus;  mit  Rosenwein  und  Schmalz  die  Carbunkeln 
und  eiternden  Geschwüre;  mit  Fichtenriude  oder  Schwefel 
die  umsichfressenden  Geschwüre.  Einige  verordnen  es  auch 
zu  einem  Becher  voll  gegen  Schwindsucht  und  anhaltenden 
Husten.  Es  heilt  die  aufgesprungene  Haut  an  After  und 
Füssen,  die  Fettbeulen  und  rauhen  Nägel,  vermöge  seines 
riechenden  Princips  Verhärtungen  und  Verdrehungen  der 
Gebärmutter  sowie  die  Schlafsucht.  Mit  Gerstenmehl  und 
Kindsharn  gekocht  bringt  es  die  Kröpfe  zum  Schwären. 
Auch  gegen  Glatzen  bedient  man  sich  des  trocknen  Pechs; 
auf  weibliche  Brüste  legt  man  brutisches  Pech ,  welches 
mit  feinstem  Mehle  und  Wein  gekocht  ist,  so  warm  als 
möglich  auf. 

24. 

Der  Theer  und  das  Theeröl  ist  ebenfalls  schon  be- 
sprochen worden.  Einige  kochen  den  Theer  noch  einmal 
und  nennen  ihn  dann  zweimal  gesottenen.   Bei  Bräune  und 


Vierundzwanzigstes  Buch.  .  241 

gesehwollenen  Zäpfchen  bestreicht  man  die  leidenden  Theile 
damit.  Ebenso  bei  Olirenschmerzen,  Augenschwäche,  Miind- 
übclu,  Engbrüstigkeit,  Gebärmutterleiden,  anhaltendem 
Husten,  heftigem  ßrustkatarrh,  Krämpfen,  Zittern,  krampf- 
hafter Zurückbiegung  des  Kopfes,  Lähmung  und  Schmerz 
in  den  Sehnen.  Er  ist  das  beste  Mittel  gegen  die  Räude 
der  Hunde  und  Lastthiere. 

25. 

Es  giebt  auch  Asphaltpech,  welches  eine  natürliche 
Mischung  von  Asphalt  und  Pech  ist  und  im  Gebiete  der 
Apolloniater^)  gefunden  wird.  Einige  bereiten  es  künst- 
lich durch  Mischung.  Man  empfiehlt  es  besonders  gegen 
die  Räude  des  Rindviehs  und  wenn  die  Ziegen  durch  das 
Säugen  verletzt  sind.  Das  ist  das  beste,  welches  beim 
Schmelzen  obenaufschwimmt. 

26. 

Ich  habe  angegeben,  dass  das,  was  man  von  den 
Schiffen  abschabt,  wenn  das  Wachs  durch  Einwirkung  des 
Seewassers  verändert  ist,  Zopissa  genannt  wird.  Das 
beste  erhält  mau  von  solchen  Schiffen,  welche  noch  nicht 
lange  im  Gebrauch  gewesen  sind.  Man  setzt  es  den  zur 
Vertheilung  von  Geschwulsten  dienenden  Mitteln  zu. 

27. 

Vom    Tädabaume   bereitet  man  mit  Essig  einen  Ab- 
■id  zum  Ausspühlen  des  Mundes  bei  Zahnschmerzen. 

28. 

Der  Same,  die  Rinde  und  die  Harzthränen  des  Mastix- 
baums wirken  harntreibend  und  auf  den  Mastdarm  stopfend. 
Eine  Abkochung  davon  dient  zu  Bähungen  bei  um  sich 
fressenden  Geschwüren,  zu  Umschlägen  auf  feuchte  Stellen 
und  auf  die  Rose,  und  zum  Abspühlen  des  Zahnfleisches. 
Schmerzende  Zähne  reibt  man  mit  den  Blättern,  und  wenn 
sie  lose  sind,  spült  mau  mit  einem  Absude  derselben  den 
Mund  aus;   auch   färben   sie    das  Haar.     Die    Harzthränen 


')  In  Assyrien,  am  östlichen  Ufer  des  Tigris. 

Wittstein:  PUnius.     IV.   Bd.  ]6 


242  ■  Yierundzwanzigstes  Buch. 

dienen  zum  Austrocknen  und  Erwärmen  von  Afteriibelu. 
Ein  Absud  derselben  ist  gut  für  den  Magen,  befördert  das 
Aufstossen  und  Uriniren;  gegen  Kopfweh  setzt  man  ihm 
Gerstengraupen  zu  und  macht  Ueberschläge.  Die  jungen 
Blätter  legt  man  auf  entzündete  Augen.  Das  Mastixharz 
verwendet  man  auch,  um  die  Augenlider  wieder  in  ihre  ge- 
hörige Lage  zu  bringen,  die  Haut  im  Gesichte  auszudehnen 
und  zu  reinigen,  den  Auswurf  des  Blutes,  anhaltenden  Husten 
zu  vertreiben;  es  hat  überhaupt  ähnliche  Wirkung  wie  das 
Ammoniacum.  Ferner  heilt  es  durch  Reiben  entstandene 
Verletzungen,  wenn  man  es  mit  dem  Oele  des  Mastixsamens 
und  Wachs  oder  mit  den  in  Oel  gekochten  Blättern  versetzt. 
Mit  einer  wässerigen  Abkochung  des  Mastix  bähet  mau  das 
männliche  Glied.  Ich  weiss,  das  der  Arzt  Demokrates  der 
kranken  Considia,  der  Tochter  des  gewesenen  Consuls  M. 
Servilius,  welche  sich  zu  keiner  strengen  Kur  verstehen 
wollte,  längere  Zeit  mit  Nutzen  Milch  von  Ziegen,  welche 
er  mit  Mastixblättern  fütterte,  verordnet  hat. 

29. 

Die  Platanen  werden  von  den  Fledermäusen  gemie- 
den. Die  runden  Früchte  heilen,  vier  Denare  schwer  mit 
Wein  getrunken  die  Bisse  der  Schlangen,  Stiche  der  Scor- 
pione  und  Brandschäden.  Mit  scharfem  und  noch  besser  mit 
Meerzwiebel-Essig  stillen  sie  alle  Blutflüsse;  mit  Honig  ver- 
treiben sie  Sommersprossen,  Krebsgeschwüre  und  alte 
schwarze  Hautflecken.  Blätter  und  Rinde,  wie  auch  deren 
Abkochung  wendet  man  äusserlich  bei  Geschwulsten  und 
eiternden  Schäden  an.  Eine  Abkochung  der  Rinde  mit 
Essig  ist  ein  Mittel  für  die  Zähne  und  eine  Abkochung  der 
zartesten  Blätter  mit  weissem  Wein  ein  Mittel  für  die  Augen. 
Der  zarte  Flaum  der  Blätter  schadet  Ohren  und  Augen.  Die 
Asche  der  Früchte  heilt  verbrannte  uud  erfrorene  Glieder. 
Die  Rinde  giebt  man  mit  Wein  gegen  die  Stiche  der  Scor- 
pione. 

30. 

Die  Esche  besitzt,  wie  schon  früher  berichtet,  bedeu- 
tende Kräfte  wider  die  Schlangen.    In  ihren  Blättern  steckt 


Vierundzwanzigstes  Buch.  243 

ein  Same  ^),  welcher  mit  Wein  genommen  Leber-  und  Seiten- 
sobmerzeu,  auch  das.  unter  der  Haut  angesammelte  Wasser 
vertreibt.  Die  Blätter  giebt  mau  in  Wein  vertbeilt  fetten 
Personen,  um  sie  mager  zu  machen  und  zwar  Knaben  5 
Blätter  mit  3  Bechern  Wein,  Erwachsenen  7  Blätter  mit  5 
Bechern.  Ich  darf  hier  nicht  unberührt  lassen,  dass  Einige 
augegeben  haben,  man  solle  sich  vor  den  grübern  und  fei- 
nern Spänen  des  Eschenholzes  in  Acht  nehmen. 

31. 

Die  Wurzel  des  Ahorns  wird  mit  Wein  angestossen 
bei  Leberleiden  mit  bestem  Erfolge  aufgelegt. 

32. 

Der  Anwendung  der  Trauben  (Kätzchen)  der  weissen 
Pappel  habe  ich  bereits  gedacht.  Ein  aus  der  Rinde  be- 
reiteter Trank  erweist  sich  heilsam  bei  Hüftweh  und  Harn- 
strenge, der  Saft  der  Blätter  wird  warm  in  schmerzende 
Ohren  getröpfelt.  Wer  einen  dünnen  Pappelzweig  in  der 
Hand  hält,  geht  sich  keinen  Wolf.  Die  schwarze  Pappel, 
welche  in  Greta  wächst,  soll  am  wirksamsten  sein.  Ihren 
Samen  wendet  man  mit  Nutzen  gegen  Epilepsie  an.  Das 
aus  diesem  Samen  in  geringer  Menge  quellende  Harz  wird 
erweichenden  Pflastern  zugemischt.  Die  Blätter  legt  man 
in  Essig  gesotten  auf  gichtische  Theile.  Der  aus  hohlen 
Stellen  der  schwarzen  Pappel  fliessende  Saft  vertilgt  Warzen 
und  durch  Eeiben  entstandene  Hitzblattern.  Aus  der  Feuch- 
tigkeit, welche  sich  auf  den  Pappelblättern  findet,  bereiten 
die  Bienen  das  Stopf  wachs;  sie  besitzt,  mit  Wasser  zube- 
reitet, ähnliche  Kräfte  wie  das  Stopfwachs  selbst. 

33. 

Die  Blätter,  Rinde  und  Zweige  der  Ulme  wirken  auf 
Wunden  verdichtend  und  zusammenziehend.  Vorzüglich 
heilen    der    innere,    bastartige   Theil   der   Rinde    und    die 


')  d.  h.  die  ganze  Frucht  ist  dünn,  blattartig,  eine  sogenannte 
Flügelfrucht  (saniara).  Setzt  man  im  Texte  statt  folüs:  folhculis 
(wie  denn  auch  im  33.  Cap.  die  Flügelfrucht  der  Ulme  folliculus 
genannt  wird),  so  ist  der  Sinn  des  Satzes  sogleich  klar. 

16* 


244  Vierundzwanzigstes  Buch. 

Blätter,  mit  Essig  aufgelegt,  die  Krätze,  Die  Rinde  zu  einem 
Denar  schwer  mit  einer  Hemina  kalten  Wassers  getrunken, 
reinigt  den  Unterleib,  entfernt  den  Schleim  und  die  wäss- 
rigen  Theile.  Die  aus  dem  Stamm  thränenartig  ausquel- 
lende Substanz  kocht  man  mit  Wasser  zu  Bähungen  für 
geschwollene  Stellen,  Wunden  und  Brandschäden.  Die  in 
den  Fruchtbälgen  sich  vorfindende  Feuclitigkeit  macht  die 
Haut  glänzend  und  giebt  dem  Gesichte  ein  besseres  Aus- 
si-hen.  Die  jungen  Blattstiele  heilen,  mit  Wein  gekocht,  die 
Geschwülste  und  entfernen  sie  durch  Fisteln;  ebenso  wirkt 
dev  Bast.  Viele  halten  die  gekauete  Rinde  für  ein  sehr  wirk- 
sames Mittel  bei  Wunden,  und  die  mit  etwas  Wasser  zer- 
quetschten Blätter  sollen  geschwollene  Füsse  heilen.  Auch 
die  Feuchtigkeit,  welche,  wie  ich  angegeben,  aus  dem  Marke 
des  verschnittenen  Baumes  fliesst,  hat  ihren  Nutzen;  streicht 
II. an  sie  auf  den  Kopf,  so  ruft  sie  auf  kahlen  Stelleu  die 
Haare  wieder  hervor  und  hindert  das  Ausfallen  der  noch 
vorhandenen. 

34. 

Die  Linde  und  der  wilde  Oelbaum  können  in  ähn- 
1  ciien  Fällen  angewandt  werden.  Doch  sind  die  Blätter 
1  ur  im  Gebrauche,  und  ZAvar  gekauet  bei  Geschwüren  der 
K'nder  im  Munde;  gekocht  wirken  sie  harntreibend,  aufge- 
legt massigen  sie  den  zu  reichlichen  Monatsfluss,  und  in 
<'  uem  Tranke  genommen,  führen  sie  das  Blut  ab. 

35. 

Vom  Ho  11  und  er  giebt  es  noch  eine  zweite,  wildere 
Art,  welche  kleiner  ist,  von  den  Griechen  Chamaeacte,  von 
l.'uigen  Heiion  genannt  wird. i)  Ein  mit  altem  Wein  berei- 
tMicr  Absud  der  Blätter,  Samen  oder  Rinde  beider  Arten 
z'i  /.wei  Bechern  getrunken,  beschwert  den  Magen  und  macht 
iiiä-sigeu  Stuhlgang.  Er  kühlt  auch  die  Hitze,  namentlich 
tiischer  Brandwunden  und  der  tollen  Hundsbisse,  wenn  mau 


')  Diess  ist  der  Atticli,  Sambucus    Ebulus     L.    —   Die    grössere 
Art  ist  Sambucus  ui":ra  L. 


Viei-undzwanzigstes  Buch.  245 

die  zartesten  Blätter  mit  Polenta  auflegt.  Der  Saft  wird 
gegen  Ansammlungen  im  Gehirn  und  unter  der  Gebirnhaut 
als  Umschlag  empfohlen.  Die  Beeren  besitzen  weniger 
Wirksamkeit  als  die  übrigen  Tlieile  des  Gewächses,  färben 
aber  die  Haare.  Ein  Acetabulum  voll  reifer  Beeren  wirkt 
harntreibend.  Die  jungen  Blätter  speist  man  mit  Oel  und 
Essig,  um  Schleim  und  Galle  abzuführen.  Die  niedrige  Art 
ist  in  jeder  Beziehung  kräftiger.  Zwei  Becher  voll  des  weinigen 
Dekokts  der  Wurzel  befreien  die  Hydropischen  vom  Was.ser 
und  erweichen  die  Gebärmutter;  der  letztere  Zweck  wird 
auch  erreicht,  wenn  man  sich  über  ein  Dekokt  der  Blätter 
setzt.  Die  in  Pfannen  gekochten  jungen  Stengel  des  Hol- 
lunders  öffnen  den  Leib.  Gegen  Schlangenbisse  trinkt  man 
die  Blätter  mit  Wein.  Die  jungen  Stengel  legt  man  auch 
mit  Bockstalg  auf  gichtische  Glieder  mit  bestem  Erfolge; 
um  die  Flöhe  zu  tödten,  weicht  man  sie  in  Wasser  ein  und 
sprengt  damit.  Ebenso  werden  die  Fliegen  getödtet,  wenn 
man  mit  einem  Absud  der  Blätter  sprengt.  Einen  Kranken, 
der  an  den  sogenannten  rothen  Blattern i)  leidet,  peitscht 
man  mit  Hollunderzweigen.  Die  innere  Rinde  wird  mit 
weissem  Wein  zum  Abführen  eingenommen. 

36. 
Der  Wach  hol  der  besitzt  ausgezeichnete  erwärmende 
und  verdünnende  Kräfte,  und  steht  der  Ceder^)  sehr  nahe. 
Auch  von  ihm  giebt  es  eine  grössere  und  kleinere  Art. 
Beide  Arten  vertreiben,  wenn  man  sie  anzündet,  die  Schlangen. 
Die  Samen  (Beeren)  sind  gut  für  Magen-,  Brust-  und  Seiten- 
stechen, Blähungen,  Erkältungen,  Husten  und  Verhärtungen. 
Geschwulste  vertreiben  sie,  wenn  man  sie  auflegt,  und  den 
Durchfall  hemmen  sie,  wenn  man  sie  mit  dunkelrothem 
W^ein  trinkt.  Man  setzt  sie  auch  den  schnellwirkenden 
Gegengiften  zu.  Die  Harnabsonderung  wird  durch  ihren 
Genuss  befördert.  Bei  Augengeschwüren  wendet  man  sie 
äusserlich    an.     Wider  verrenkte  und  zerbrochene  Glieder, 


')  boa.    2)  Es  ]jann  hier  natürlich  nicht  Pinus  Cedrus,   sondern 
nur  ein  anderer  Juniperus,  etwa  T.  Oxycedrus  gemeint  sein. 


246  Vierundzwanzigstes  Buch. 

Baucl]grimmen,  Fehler  der  weiblichen  Schaam  und  Hüftweh 
giebt  man  4  Beeren  mit  weissem  Wein  oder  einen  aus  20 
Beeren  bereiteten  weinigen  Trank.  Wer  sich  vor  Schlangen 
fürchtet,  reibt  sich  den  Leib  mit  Wachholderbeereu  ein. 

37. 

Die  Frucht  der  Weide  zeigt  vor  der  Reife  einen  spinn- 
gewebeartigen Flaum;  sammelt  man  sie  vor  dieser  Periode i), 
so  ist  sie  ein  gutes  Mittel  bei  Blutspeien.  Die  Asche  der 
von  jungen  Zweigen  gesammelten  Rinde  heilt  mit  Zusatz 
von  Wasser  Hühneraugen  und  Schwielen,  und  verbessert 
mit  Zusatz  des  Saftes  der  frischen  Rinde  selbst  die  Fehler 
der  Haut  im  Gesichte.  Es  giebt  aber  3  Arten  dieses  Saftes. 
Die  eine  Art  schwitzt  aus  dem  Stamme  gleich  einem  Gummi. 
Die  andere  Art  quillt  aus  einem  während  der  Bltithezeit 
in  die  Rinde  drei  Finger  lang  gemachten  Einschnitte,  dient 
zum  Reinigen  der  Augen,  zum  Verdichten,  zur  Beförderung 
der  Harusecretion  und  zur  Entfernung  aller  im  Innern  des 
Körpers  entstandenen  Ansammlungen.  Die  diitte  Art  ist 
derjenige  Saft,  welcher  beim  Abstutzen  der  Zweige  mittelst 
des  Gartenmessers  von  diesem  abläuft.  Die  eine  oder  an- 
dere Art  wird  mit  Rosenöl  in  einer  Granatapfelschale  er- 
wärmt in  die  Ohren  gegossen;  zu  demselben  Zwecke  sowie 
gegen  Gift  legt  man  auch  die  gekochten  und  mit  Wachs 
vermischten  Blätter  auf.  Die  Blüthe  mit  den  Blättern  ab 
gerieben  vertreibt  die  Schuppen  im  Gesichte.  Die  zerriebenen 
und  in  einem  Tranke  eingenommenen  Blätter  schwächen 
die  Lust  zum  Beischlaf,  und  wenn  man  diese  Kur  längere 
Zeit  fortsetzt,  so  benehmen  sie  alle  Neigung  dazu.  Ein  Ge- 
misch von  gleichen  Theilen  der  schwarzen  am  er  in  i  scheu 
Weide  und  Silberglätte  ist  ein  Mittel  zum  Wegbeitzen  der 
Haare,  wenn  man  es  gleich  nach  dem  Bade  auflegt. 

38. 

Der  Keusch  bäum  2)  steht  in  Bezug  auf  die  Anwendung 


')  d.  li.  bevor  sie  aufspringt   und  ihre    mit   "Wolle    bekleideten 
Samen  ausstreuet. 

-)  Vitex.    Vitex  agnus  castus  L. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  247 

seiner  Reiser  zu  Körben  und  wegen  der  Aelmliclikeit  der 
Blätter  der  Weide  nahe,  riecht  aber  angenehmer;  die 
Griechen  nennen  ihn  Lygos,  Andere  Agnos,  weil  die  vor- 
nehmen Frauen  in  Athen  beim  Feste  der  Ceres  ihr  Lager 
mit  den  Blättern  bestreuen,  um  ihre  Keuschheit  zu  bewahren. 
Es  giebt  zwei  Arten;  die  grössere  erhebt  sich  \\'ie  die  Weide 
zur  Höhe  eines  Baumes,  die  kleinere  ist  sehr  ästig,  hat  hellere 
und  filzigere  Blätter.  Erstere  heisst,  wenn  sie  weissröthliche 
Blumen  trägt,  die  weisse,  wenn  sie  nur  purpui'rothe  trägt, 
die  schwarze  Art.  Ihr  Standort  sind  saftige  Triften.  Ein 
aus  dem  Samen  bereiteter  Trank  schmeckt  weinartig  und 
soll  das  Fieber  vertreiben;  Einreibungen  mit  einer  Mischung 
von  Oel  und  dem  Samen  sollen  Schweiss  hervorrufen  und 
die  Müdigkeit  heben.  Sie  befördern  den  Abgang  des  Harns 
und  des  Monatsflusses;  steigen  wie  der  Wein  zu  Kopfe  (rie- 
chen auch  weinartig),  führen  die  Blähungen  durch  den  After 
üh,  hemmen  den  Durchfall,  sind  auch  gut  bei  Wassersucht 
und  Milzleiden,  vermehren  die  Secretion  der  Milch  und  ver- 
nichten die  Wirkung  des  Schlaugengiftes,  namentlich  des- 
jenigen, welches  Kälte  verursacht.  Die  kleinere  Art  erweist 
sich  in  letzterer  Beziehung  kräftiger  und  zwar  nimmt  man 
davon  eine  Drachme  Samen  oder  zwei  ganz  junge  Blätter 
mit  Wein  oder  Dünnbier.  Gegen  die  Bisse  giftiger  Spinnen 
legt  man  beide  auf,  oder  reibt  sich  damit  ein,  oder  räuchert 
damit  oder  legt  sie  auch  bloss  unter.  Sie  schwächen 
die  Begierde  zum  Beischlaf,  sind  daher  auch  ein  Mittel 
gegen  die  Erdspinneu,  deren  Biss  die  Geschlechtstheile 
reizt.  Kopfschmerzen,  welche  in  Folge  von  Berauschung 
entstanden  sind,  werden  durch  die  mit  Rosenöl  versetzten 
Blüthen  und  zarten  Stiele  vertrieben.  Durch  Bähung  mit 
einem  Absud  der  Samen  lindert  man  heftigere  Kopfschmerzen; 
legt  man  die  Samen  auf  oder  räuchert  damit,  so  wird  die 
Gebärmutter  gereinigt.  Zum  Abführen  nimmt  man  einen 
aus  den  Samen,  Polei  und  Honig  bereiteten  Trank  ein. 
Mit  Zusatz  von  Gerstenmehl  werden  die  Eiter-  und  Fett- 
beulen erweicht.  Ferner  heilen  die  Samen  mit  Mauersal- 
peter  und  Essig  versetzt  Flechten,   Sommersprossen,   mit 


248  Vierundzwanzigstes  Buch. 

Honig  Geschwüre  und  Ausschlag  am  Munde,  mit  Butter  und 
Weinlaub  Hodengeschwiire,  mit  Wasser  aufgelegt  Eisse  in 
den  Lenden,  mit  Salz,  Natron  und  Wacbs,  Verrenkungen. 
Samen  und  Blätter  setzt  man  den  Nerven-  und  Gichtpflastern 
zu.  Gegen  Schlafsucht  und  Wahnsinn  tröpfelt  man  Oel, 
worin  die  Samen  gekocht  sind,  auf  den  Kopf.  Wer  einen 
Zweig  des  Keuschbaums  in  der  Hand  hält  oder  umgebunden 
hat,  soll  sich  keinen  Wolf  gehen. 

39. 
Einen  von  der  Mvricai)  nicht  sehr  verschiedenen  Strauch, 
der   in  Farbe   und   Blatt  auch  dem   Rosmarin  nahe   steht, 
nennen  die  Griechen  Erica. 2)   Derselbe  soll  für  die  Schlan- 
gen ein  Gift  sein. 

40. 
Der  Ginster 3)  dient  ebenfalls  zum  Binden.  Die  Blumen 
werden  von  den  Bienen  sehr  gesucht.  Ich  zweifle,  dass 
diess  dieselbe  Art  ist,  welche  bei  den  griechischen  Autoren 
den  Namen  Sparton*)  führt  und  aus  der,  wie  ich  mitgetheilt 
habe,  dort  Fischernetze  gemacht  werden;  auch  glaube  ich 
nicht',  dass  Homer  jene  Art  im  Sinne  hat,  wenn  er  sagt, 
die  Schiffstaue ^)  seien  zerrissen.  Soviel  ist  gewiss,  dass- 
damals  das  afrikanische  und  spanische  Spartum  noch  nicht 
im  Gebrauche  war,  und  da  man  in  jenen  Zeiten  die  Schifl"e 
zusammen  nähete*^),  so  geht  schon  hieraus  hervor,  dass 
diess  mit  Flachs  und  nicht  mit  Spartum  geschah.  Der 
Same,  den  die  Griechen  ebenso  nennen  und  der  nach  Art 
der  Schminkbohnen  in  Hülsen  steckt,  reinigt  wie  die  Nies- 
wurz, wenn  man  anderthalb  Drachmen  davon  mit  vier 
Bechern  voll  Wassermeth  nüchtern  nimmt.  Die  noch  mit 
den  Blättern  versehenen  Zweige  weicht  man  mehrere  Tage 
lang  in  Essig  ein,  stösst  sie  dann  mit  der  Flüssigkeit   zu- 


')  S.  das  41.  Cap.     -)  Erica  arLorea  L. 
3)  Genista;  Genista  liispanica  L. 
*)  Diess  ist  Spartium  junceum  L. 

^)  sparta  navium.  *')  d.  h.  die  einzelnen  Theile  durch  Zusammen- 
nähen vereinigte. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  249 

samnieu  und  trinkt  bei  Hüftweh  einen  Becher  voll  davon. 
Einige  empfehlen,  diess  Einweichen  mittelst  Seewasser  vor- 
zunehmen und  die  Flüssigkeit  als  Klystier  anzuwenden. 
Auch  reiben  sie  die  Hüftkranken  mit  einer  Mischung  von 
Oel  und  dem  Safte  des  Ginsters  ein.  Einige  wenden  den 
Samen  bei  Harnstrenge  an.  Ginster  mit  Zusatz  von  Schmalz 
zerstampft  heilt  Knieschmerzeu. 

41. 
Die  Myrica*),  welche  Lenaeus^J Erica  nennt,  und  von 
der  er  angiebt,  dass  sie  dem  amerinischen  Besenkraut 
ähnlich  sei,  soll  die  Krebsgeschwüre  heilen,  wenn  man  sie 
mit  Wein  kocht ,  dann  mit  Honig  mengt  und  auflegt. 
Einige  meinen,  diess  sei  die  Tamariske, 3)  aber  diese 
wird  vorzüglich  bei  Milzleiden  angewandt,  zu  welchem 
Behuf  man  den  daraus  gepresisten  Saft  mit  Wein  trinkt. 
Sie  soll ,  wie  Einige  versichern ,  diesem  Leibesorgan  so 
entgegenwirken,  dass  Schweine,  welche  aus  Trögen  die 
von  Tamariskenholz  gefertigt  sind,  fressen,  dasselbe  ver- 
lieren. Man  giebt  daher  auch  milzsüchtigen  Menschen 
Speise  und  Trank  in  daraus  bereiteten  Gefässeu.  Ein 
angesehener  medicinischer  Schriftsteller  behauptet,  ein  von 
diesem  Gewächs  abgebrochener  Zweig,  der  weder  mit  der 
Erde  noch  mit  Eisen  in  Berührung  gekommen  sei,  vertreibe 
die  Leibschmerzen,  wenn  man  ihn  über  die  Tunika  fest 
um  den  Leib  binde.  Der  gemeine  Mann  nennt  diess  Ge- 
wächs ein  unglückliches,  weil  es  nichts  (Nützliches)  trägt 
und  nicht  angebauet  wird. 

42. 
Zu  Corinth  und  in   dessen  Umgegend  nennt  man  ein 
Gewächs  Brya*)  und  unterscheidet  zwei  Arten  davon,  eine 


')  Taxnaiix  africana  Desf. 

*)  Pomponius  Lenaeus ,  ein  nicht  näher  bekannter  römischer 
Schriftsteller. 

^)  Tamarix  gallica  oder  noch  wahrscheinlicher  T.  germanica. 

''^  Vielleicht  Bryonia,  wenigstens  in  Bezug  auf  die  wilde  Art. 
S.  XIII.  B.  37.  Cap. 


250  Vierundzwanzigstes  Buch. 

wilde  unfruchtbare  und  eine  bessere.  Letztere  Art  kommt 
auch  in  Aegypten  und  Syrien  vor,  trägt  zahlreiche  holzige 
Früchte,  welche  grösser  als  Galläpfel  sind,  herbe  schmecken 
und  von  den  Aerzten  statt  der  Galläpfel  zu  denjenigen 
Compositionen  verwendet  werden,  die  den  Namen  Anthe- 
raei)  führen.  Zu  demselben  Zwecke  bedient  man  sich 
auch  des  Holzes,  der  Blumen,  Blätter  und  Rinde,  doch  sind 
diese  Theile  nicht  so  kräftig.  Die  zerriebene  Rinde  giebt 
man  gegen  Blutspeien,  weibliche  Flüsse  und  Verstopfung; 
zerstossen  und  aufgelegt  beugt  sie  allen  Anhäufungen  vor. 
Der  aus  den  Blättern  gepresste  Saft  hat  denselben  Zweck. 
Man  kocht  sie  auch  mit  Wein,  und  legt  sie  mit  Honig  auf 
Krebsschäden.  Ein  weiniger  Absud  derselben  heilt  inner- 
lieh genommen  oder  mit  Rosenöl  und  Wachs  aufgelegt 
ebenfalls  den  Krebs  wie  auch  die  Hitzblattern.  Ein  wäss- 
riger  Absud  der  Blätter,  desgleichen  der  Wurzel  vertreibt 
Zahn-  und  Ohrenschmerzen.  Ferner  legt  man  die  Blätter 
mit  Polenta  auf  fressende  Geschwüre.  Von  den  Samen 
nimmt  man  eine  Drachme  in  einem  Trank  gegen  giftige 
Spinnen,  und  mit  dem  Fette  von  Mastvieh  legt  man  ihn 
auf  feurige  Beulen.  Auch  zeigt  er  sich  wirksam  gegen  die 
Bisse  der  Schlangen,  ausgenommen  der  Aspiden.  Ein 
Absud  desselben  hilft  bei  Gelbsucht,  Läusesucht,  Kopfnissen, 
ein  Aufguss  vermindert  den  zu  reichlichen  Monatsfluss  des 
weiblichen  Geschlechts.  Die  Asche  des  Gewächses  kann 
zu  demselben  Zwecke  benutzt  w^erden.  Wenn  die  Asche 
mit  dem  Harn  eines  verschnittenen  Ochsen  versetzt  und 
diese  Mischung  unter  Speise  und  Trank  gethan  wird,  soll 
die  Lust  zum  Beischlaf  vergehen.  Die  aus  der  Pflanze 
bereitete  Kohle  wird  in  demselben  Harne  ausgelöscht  und 
im  Schatten  aufbewahrt;  zündet  man  sie  an,  so  vertreibt 
sie  ebenfalls  die  Geilheit.  Die  Magier  geben  an,  der  Harn 
eines  verschnittenen  Menschen  habe  dieselbe  Kraft. 


')  So  nennt  Galenu  s  eine  trocknende,  vorzüglich  aus  metallischen 
Ingredienzien  bestehende  Arznei. 


Vierimdzwanzigstes  Buch.  251 

43. 

Die  Blutrathe^)  hält  man  für  nicht  hesser;  ihre 
innere  Rinde  öffnet  die  zu  frühe  zugeheilten  Narben. 

44. 

Die  Blätter  des  Siler  legt  man  gegen  Kopfweh  auf 
die  Stirn;  sein  mit  Oel  abgeriebener  Samen  hindert  die 
Verbreitung  der  Läusesueht.  Auch  diesen  Strauch  fliehen 
die  Schlangen,  und  daher  tragen  die  Bauern  davon  geschnit- 
tene Stöcke. 

45. 

Der  Hartriegel"^),  welcher  vielleicht  derselbe  Baum 
ist,  der  im  Oriente  Cyprus  heisst^),  hat  auch  in  Europa 
seinen  Nutzen.  Sein  Saft  ist  ein  gutes  Mittel  für  Sehnen, 
Glieder  und  Erkältungen,  seine  Blätter  wendet  man  nebst 
etwas  Salz  stets  mit  Erfolg  bei  alten  Mund-Geschwüren 
an;  die  Beeren  gegen  die  Läusesueht,  ferner  gegen  den  Pips 
der  Hühner,  die  Beeren  oder  auch  die  Blätter  gegen  das 
Wolfgehen. 

46. 

Die  Blätter  der  Erle  sind  das  sicherste  Mittel  gegen 
Geschwulste,  wenn  man  sie  mit  heissem  Wasser  anbrühet. 

47. 

Vom  Epheu  habe  ich  20  Arten  beschrieben.  Die  me- 
dicinische  Wirkung  aller  ist  doppelter  Natur.  Nimmt  man 
einen  daraus  bereiteten  Trank  in  etwas  reichlicher  Menge, 
so  verwirrt  er  die  Sinne  und  reinigt  den  Kopf.  Innerlich 
schadet  der  Epheu  den  Nerven,  äusserlich  bekommt  er  ihnen 
gut.  In  Bezug  auf  seine  Kräfte  kann  man  ihn  mit 
dem  Essig  vergleichen.  Er  kühlt,  treibt  als  Trank  den 
Harn,  entfernt  die  Schmerzen  des  Kopfs;  die  zarten  Blätter 
erweisen  sich  heilsam  für  das  Gehirn  und  die  dasselbe  um- 
gebende Haut,   wenn   man  sie  mit  Essig  und  Rosenöl  an- 


')  Virga  sanguinea;  Cornus  sanguinea  L. 
-)  Ligustrum,  L.   vulgare  L. 

3)  Plinius  iiTet  hier,    denn  der  Cyprus  der  Orientalen  ist  Law- 
sonia  alba  Lam. 


252  Vierundzwanzigstes  Buch. 

reibt,  koebt  und  bierauf  nocbmals  mit  Rosenöl  versetzt. 
Man  legt  sie  aucb  auf  die  Stirn,  spült  mit  einem  daraus 
bereiteten  Absude  den  Mund  aus  und  maebt  davon  Kopf- 
übersebläge.  Gegen  Milzleiden  trinkt  man  sie  und  legt  sie 
auf.  Gegen  Fieberscbauder  und  Scbleimauswurf  bilft  ein 
Absud  davon  oder  ein  mit  Wein  bereiteter  Trank.  Auch 
die  Blüthenbüschel  bellen  innerlicb  und  äusserlicb  ange- 
wandt die  kranke  Milz,  äusserlicb  Leberleiden.  An  die 
Schaam  gelegt,  befördern  sie  den  Monatsfluss.  Der  Saft  des 
Epbeu,  namentlicb  des  weissen  Gartenepbeu  vertreibt  den 
aus  der  Nase  sich  entwickelnden  üblen  Geruch;  für  sich 
oder  noch  besser  nach  Zusatz  von  Natron  in  die  Nase  ein- 
gezogen reinigt  er  den  Kopf;  in  eiternde  oder  schmerzende 
Obren  tröpfelt  man  ihn  mit  Oel;  Vernarbungen  kommt  er 
aufs  beste  zu  Hilfe.  Der  Saft  des  weissen  ist  wirksamer 
bei  Milzleiden,  %venn  er  in  Eisen  erwärmt  wird,  und  man 
braucht  nur  sechs  Beeren  in  zwei  Bechern  Wein  zu  nehmen. 
Drei  Beeren  von  weissem  Epbeu  in  Essigmeth  getrunken 
und  gleichzeitig  dann  auf  den  Unterleib  gelegt,  vertreiben 
die  Würmer.  Nach  Erasistratus  führen  20  Beeren  des  gold- 
farbigen Epheus,  wenn  sie  mit  einem  Sextar  Wein  abge- 
rieben werden  und  wenn  man  je  drei  Becher  davon  trinkt, 
das  unter  der  Haut  angesammelte  Wasser  durch  den  Harn 
ab.  Fünf  Beeren  von  eben  derselben  Art  reibt  man  mit 
Rosenöl,  erwärmt  das  Gemisch  in  einer  Granatapfel  schale 
und  tröpfelt  es  bei  Zahnweh  in  das  dem  schmerzenden 
Zahne  gegenüberliegende  Ohr.  Nimmt  man  die  mit  einem 
safrangelben  Safte  versehenen  Beeren  vor  dem  Trinken  ein, 
so  verhüten  sie  das  Berauschtwerden;  auch  helfen  sie  bei 
Blutspeien  und  Bauchgrimmen.  Die  weisslichen  Blüthen- 
büschel des  schwarzen  Epheus  machen  den  Mann  unfrucht- 
bar, wenn  er  einen  daraus  bereiteten  Trank  einnimmt.  Auf 
alle  Arten  von  Geschwüren,  selbst  auf  die  sogenannten  un- 
heilbaren, legt  man  den  Epbeu  mit  Wein.  Der  als  Thräneu 
daraus  quellende  Saft  vertreibt  die  Haare  und  die  Läuse- 
sucht; drei  Finger  voll  Epheublüthe,  zweimal  des  Tags  mit 
saurem  Wein  genommen,  heilen  Dysenterie  und  andere  Unter- 


Vierundzwanzigstes  Buch.  253 

leibsübel.  Auf  Brandwunden  legt  man  sie  zweckmässig  mit 
Wachs.  Die  Blüthenbüscbel  färben  auch  das  Haar  schwarz. 
Den  Saft  der  Wurzel  verordnet  man  mit  Essig  gegen  die 
Erdspiunen.  Milzsücbtige  sollen  genesen,  wenn  sie  aus 
einem  Gefässe  von  Epbeuholz  trinken.  Die  Beeren  zerreibt 
man  auch,  verbrennt  sie  und  legt  den  Rückstand  auf  zuvor 
mit  warmem  Wasser  befeucbtete  Brandwunden.  Einige  be- 
dienen sich  auch  des  durch  Einschnitte  gewonnenen  Saftes 
bei  hohlen  Zähnen,  welche  dadurch  zerbröckelt  werden  sollen, 
nur  müsse  man  die  benachbarten  gesunden  Zähne  mit 
Wachs  umgeben,  weil  diese  sonst  auch  angegriffen  würden. 
Man  sammelt  auch  vom  Epheu  eine  Art  Gummi  und  wendet 
es  mit  Essig  bei  Zahnübeln  an. 

48. 
Mit  dem  (dem  Epheu  •)  verwandten  Namen)  C  i  s  t  u  s 
bezeichnen  die  Griechen  einen  Strauch,  der  grösser  als  der 
Thymian  ist  und  Blätter  wie  das  Oeimum  hat.  Es  giebt 
zwei  Arten,  eine  männliche  mit  rosenrothen  und  eine  weib- 
liche mit  weissen  Blumen  2).  Beide  wendet  man  mit  Erfolg 
bei  heftigem  Durchfall  in  der  Weise  an,  dass  man  einen 
aus  drei  Fingern  voll  Blüthen  und  herbem  Wein  bereiteten 
Trank  zweimal  des  Tages  nimmt;  auf  alle  Geschwüre  und 
Brandschäden  legt  man  sie  mit  Wachs  und  auf  Mundgeschwüre 
ohne  andern  Zusatz.  An  ihrer  Basis  wächst  besonders 
der  Hypocist,  dessen  wir  bei  den  Kräutern  gedacht  haben. 

49. 
ßothen  Cissus^)  nennen  die  Griechen  ein  dem  Epheu 
ähnliches  Gewächs,  von  dem  man  mit  Wein  einen  Trank 
gegen  Hüft-  und  Lendentibel  anwendet.  Seine  Beeren  sollen 
die  Eigenschaft  besitzen,  das  Blut  durch  den  Harn  abzu- 
führen. Mit  dem  Namen  Zwergcissus^)  bezeichnen  sie 
eine  Art  Epheu,  die  sich  nicht  von  der  Erde  erhebt.  Dieser  wird 


')  KiaooQ.     -)  Cistus  villosus  und  C.  salvifolius. 
3)  Cissus  erythranus,  diess  ist  Cissus  (Vitis)  hederacea,    dessen 
Blätter  im  Herbste  roth  werden. 

*)  Chamaecissus;  Antivrliinum  asarinum. 


254  Vierundzwanzigstes  Buch. 

mit  einem  Acetabulum  voll  Essig  zerstossen  gegen  die  Milz 
verordnet;  die  Blätter  heilen  mit  Fett  Brandwunden.  Auch 
die  Smilaxi),  welche  den  Namen  Siegesverkünderin'^)  führt, 
sieht  dem  Epheu  ähnlich,  hat  jedoch  kleinere  Blätter.  Ein 
aus  einer  ungleichen  Anzahl  ihrer  Blätter  gemachter  Kranz 
auf  den  Kopf  gesetzt,  soll  das  Kopfweh  vertreiben.  Einige 
führen  zwei  Arten  davon  an;  die  eine  nähert  sich  der  Un- 
sterblichkeit 3),  wächst  in  schattigen  Thälern,  klimmt  an 
Bäumen  in  die  Höhe,  und  trägt  haarige  Beerentrauben, 
welche  gegen  alle  Vergiftungen  aufs  kräftigste  wirken,  ja 
selbst  Kinder  vor  spätem  Vergiftungen  schützen,  wenn  man 
ihnen  den  Saft  öfters  eingiebt.  Die  andere  Art  wächst  gern 
auf  bebaueten  Feldern,  ist  aber  ohne  Wirkung.  Die  erstere 
Art  ist  dieselbe  Pflanze,  von  der  ich  angegeben  habe,  dass 
das  Holz  vor  den  Ohren  klingt.  Ein  ähnliches  Gewächs, 
welches  an  den  Bäumen  hinkriecht  und  einen  knotigen 
Stängel  hat,  heisst  Clematis^).  Dessen  Blätter  reinigen 
den.  Aussatz;  der  Same  eröffnet  zu  einem  Acetabulum  voll 
mit  einer  Hemina  Wasser  oder  Wassermeth,  oder  auch  als 
Absud  genommen. 

50. 
Die  medicinischen  Eigenschaften  des  Schilfs,  von  der 
ich  29  Arten  aufgeführt  habe,  ergeben  sich  wohl  am  klarsten 
aus  der  Art  und  Weise,  wie  ich  sie  in  diesen  aufeinander- 
folgenden Büchern  beschreibe.  So  zieht  die  Wurzel,  wenn 
man  sie  zerreibt  und  auflegt,  den  Stiel  des  Farnkrauts,  um- 
gekehrt die  Wurzel  des  Farnkrauts  den  Stiel  des  Schilfs 
aus  dem  Leibe.  Um  aber  auch  einen  Unterschied  in  den 
Arten  zu  machen,  so  treibt  das  in  Judäa  und  Syrien  wach- 
sende und  zu  Parfümerien  und  Salben  dienende  den  Harn, 
wenn  es  mit  Gras  und  Eppichsamen  abgekocht,  und  den 
Monatsfluss,  wenn  es  aufgelegt  wird.  Zu  zwei  Obolen  schwer 
in  einem  Tranke  genommen  heilt  es  Krämpfe,  Leber,  Nieren, 


»)  Smilax  aspera  L.    S.  XVI.  B.  63.  Cap. 

-)  nicophorus.    ^)  Plinius    will    damit   sagen,  sie   gedeihet  sehr 
lange.     *)  Clematis  cü-rhosa  L. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  25 5' 

Wassersucht,  durch  Räuchern,  besonders  mit  Zusatz  von 
Harz,  den  Husten,  mit  Myrrhe  abgesotten  Hautschuppen  und 
fliessende  Geschwüre.  Es  liefert  auch  einen  dem  Elaterium 
ähnlichen  Saft.  Von  allen  Theileu  der  Schilfpflanze  ist  aber 
derjenige  am  wirksamsten,  welcher  sich  der  Wurzel  am 
nächsten  befindet.  Auch  die  Knoten  haben  ihre  Kräfte. 
Das  cyprische  Schilf,  welches  den  Namen  Donax  führt,  heilt 
Glatzen  und  faulige  Geschwüre,  zu  welchem  Behufe  man 
seine  Rinde  zu  Asche  verbrennt.  Seiner  Blätter  bedient  man 
sich  zum  Ausziehen  von  Stacheln,  wider  die  Rose  und  alle 
Arten  von  Anschwellungen.  Das  gemeine  Schilf  hat  frisch 
gestossen,  und  nicht  bloss  in  der  Wurzel  eine  ausziehende 
Kraft.  Die  Wurzel  heilt  mit  Essig  aufgelegt,  Verrenkungen 
und  Rückgratschmerzen;  frisch  mit  Wein  getrunken  reizt 
sie  zum  Beischlaf.  Die  Wolle  vom  Schilf  stumpft,  ins  Ohr 
gesteckt,  das  Gehör  ab. 

51. 

Dem  Schilfe  verwandt  ist  die  in  Aegypten  vorkommende 
Papier  st  au  de.  Getrocknet  erweist  sie  sich  sehr  heilsam 
zur  Erweiterung  und  Austrocknung  der  Fisteln,  indem  sie 
anschwellt  und  so  den  Arzneien  den  Eingang  erleichtert. 
Das  daraus  bereitete  Papier  dient  verbrannt  als  Aetzmittel. 
Die  Asche  macht,  mit  Wein  getrunken.  Schlaf  und  die  Pflanze 
selbst  heilt  mit  Wasser  aufgelegt,  Schwielen. 

52. 

Der  Ebenbaum  wächst,  wie  ich  augegeben  habe,  nicht 
einmal  in  Aegypten;  auch  würde  ich  seiner  hier  nicht  ge- 
denken, weil  ich  keine  fremden  Erdtheile  in  die  Medicin  auf- 
nehmen will,  wenn  es  nicht  eines  bemerkenswerthen  Um- 
standes  wegen  geschähe.  Die  davon  abfallenden  Sägespäne 
sollen  nämlich  für  die  Augen  ganz  besonders  heilsam  sein; 
mit  dem  auf  einem  Steine  geriebenen  und  mit  Rosinenwein 
versetzten  Holze  vertreibt  man  die  Dunkelheit  derselben, 
mit  der  Wurzel  und  Wasser  aber  die  weissen  Flecken  darin; 
ferner  mit  der  Wurzel  und  einem  gleichen  Gewichte  Es- 
dragon  nebst  Honig  den  Husten.  Die  Aerzte  zählen  den 
Ebenbaum  zu  den  ausfressenden  Mitteln. 


256  Vierundzwanzigstes  Buch. 

53. 
Der  Rliododeudvon,  auch  Rhododapline  oder  Nerium 
genannt,  hat  noch  nicht  einmal  einen  lateinischen  Namen 
bekommen.  Seltsamerweise  wirken  die  Blätter  auf  vier- 
füssige  Thiere  giftig,  während  sie  von  dem  i\Ienschen  mit 
Eaute  in  weinigem  Tranke  genommen,  alsSchutzmitel  gegen 
Schlangen  dienen.  Sogar  Rindvieh  und  Ziegen,  welche 
Wasser,   worin    die  Blätter   gelegen    haben,    saufen,    sollen 

sterben. 

54. 

Auch  der  Rhus  hat  keinen  lateinischen  Namen,  obgleich 
er  vielfach  gebraucht  wird.  Er  ist  krautartig,  wächst  wild, 
hat  myrtenartige  Blätter,  kurze  Stengel  und  dient  zur  Ab- 
führung der  Würmer  1).  Auch  bezeichnet  man  mit  jenem 
Namen  einen  röthlichen,  ellenhohen,  fingerdicken  Gerber- 
strauch 2),  mit  dessen  trocknen  Blättern  man  wie  mit  Granat- 
apfelschalen gerbt.  Die  Aerzte  bedienen  sich  des  Rhus  mit 
Honig  und  Essig  äusserlich  bei  Contusionen,  Verstopfung, 
After-  und  um  sich  fressenden  Geschwüren,  Einen  Absud 
davon  tröpfelt  man  in  eiternde  Ohren.  Aus  den  Aesten  be- 
reitet man  durch  Kochen  eine  Mundarznei,  welche  zu  den- 
selben Zwecken  verwendet  wird  wie  diejenige  aus  Maul- 
beeren, und  durch  Zusatz  von  Alaun  noch  kräftiger  werden 
kann.  Endlich  macht  man  auch  Umschläge  davon,  um  die 
Geschwulste  der  Wassersüchtigen  zu  heilen. 

55. 

Der  sogenannte  vothe  Rhus  ist  der  Same  des  ebener- 
wähuten  Gerberstrauchs.  Derselbe  zieht  zusammen  und  kühlt. 
Man  streuet  ihn  auch  auf  Speisen  statt  Salz.  Er  macht 
Oeffnung  und  verleihet  mit  Zusatz  vonSilphium  dem  Fleische 
ein  gutes  Aussehen.  Mit  Honig  heilt  er  fliessende  Geschwüre, 
belegte  Zungen,  Quetschungen,  unterlaufene  Stellen  und 
schuppichte  Haut.  Er  heilt  Kopfgeschwüre  in  kürzester  Zeit, 
und  wenn  Frauen  davon  essen,  so  verhindert  er  zu  reich- 
liche Menstruation. 


*)  Rhus  Cotinus  L. 

^)  frutex  coriarius;  Rhus  coriaria  L. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  257 

56. 

Eia  anderes  Gewächs  ist  die  Fürberröthe^),  von 
Einigen  Ereuthodanus,  bei  uns  Rubia  genannt,  womit  man 
Wolle  färbt  und  Häute  gabr  macht.  Sie  treibt  den  Harn, 
heilt  mit  Wassermeth  die  Gelbsucht,  mit  Essig  aufgelegt 
die  Flechten;  auch  Hüftweh  und  Lähmung  wenn  die  daran 
Leidenden  einen  Trank  davon  gebrauchen  und  sich  täglich 
baden.  Wurzel  und  Samen  befördern  die  Menstruation, 
hemmen  den  Bauchfluss  und  vertheilen  Anschwellungen. 
Stengel  und  Blätter  legt  man  gegen  die  Schlangen  auf. 
Die  Blätter  färben  auch  das  Haar.  Ich  finde  angegeben, 
die  Gelbsucht  werde  geheilt,  wenn  der  Kranke  diess  Ge- 
wächs nur  an  sich  binde  und  ansehe. 

57. 

Das  Alyssum"-)  unterscheidet  sich  von  dem  vorigen 
nur  durch  kleinere  Blätter  und  Zweige;  seinen  Namen  hat 
es  davon  bekommen,  dass  es  den  Ausbruch  der  Wuth  bei 
von  tollen  Hunden  Gebissenen  verhütet,  wenn  man  es  mit 
Essig  einnimmt  und  anbindet.  Man  behauptet  sogar,  der 
Wiithschaum  vertrockne,  sobald  der  Kranke  die  Pflanze  nur 
ansehe. 

58. 

Die  Radicula,  welche  die  zum  Färben  bestimmte 
Wolle  vorbereitet,  heisst  bei  den  Griechen,  wie  ich  früher 
angegeben  habe,  Struthion.  Ein  daraus  bereiteter  Trank 
heilt  Gelbsucht  und  Brustübel,  treibt  den  Harn,  macht 
Oeffnuug,  reinigt  die  Gebärmutter,  und  wird  daher  von  den 
Aerzten  der  goidne  Trank  genannt.  Mit  Honig  zu  einen 
Löffel  voll  ist  sie  auch  ein  gutes  Mittel  bei  Husten  und 
Engbrüstigkeit.  Mit  Polenta  und  Essig  vertreibt  sie  die 
Hautausschläge.  Mit  Panax  und  Cappernwurzel  zermalmt 
sie  die  Blasensteine  und  führt  sie  ab.  Mit  Gerstenmehl 
und  Wein  gekocht  zertheilt  sie  die  Fettbeulen.  Um  die 
Augen  klar  und  hell  zu  machen,  setzt  man  sie  den  Augen- 


')  Erythroclanus;  Rubia  tinctorum  L. 
-)  Rubia  lucida  L. 

Wittstein:  Plinius.     IV.  Bd.  17 


258  Vierundzwanzigstes  Buch. 

salben  zu.  Ferner  ist  sie  ein  vorzügliches  Mittel  zum 
Niesen,  sowie  bei  Milz-  und  Leberleiden.  Zu  einem  Denar 
schwer  mit  Wassermeth  genommen,  hebt  sie  das  beschwer- 
liche Athmen.  —  Das  Apocynum/)  ein  Strauch  mit  epheu- 
artigen,  aber  weichern  Blättern,  kurzem  Zweigen ,  spitzen, 
getheilten,  haarigen,  stark  riechenden  Samen,  wird  gegen 
alle  Arten  von  Seitenschmerzen  angewandt  und  zwar  der 
Same  innerlich  als  Trank.  Mengt  man  ihn  den  Hunden 
und  übrigen  vierfüssigen  Thieren  unter  das  Futter,  so  gehen 
sie  zu  Grunde. 

59. 
Von  den  beiden  Arten  des  Rosmarins  ist  die  eine 
unfruchtbar,  die  andere  hat  einen  harzigen  Stengel  und 
Samen,  welch  letzterer  Cachrys  heisst.  Die  Blätter  riechen 
wie  Weihrauch.  Die  frisch  aufgelegte  Wurzel  heilt  Wunden, 
ausgetretenen  Mastdarm,  Aftergeschwüre  und  Hämorrhoiden; 
der  Saft  der  ganzen  Pflanze  die  Gelbsucht  und  ähnliche 
Gebrechen,  schärft  auch  die  Sehkraft.  Den  Samen  giebt 
man  als  Trank  wider  alte  ßrustübel,  mit  Wein  und  Pfeffer 
bei  Krankheiten  der  Gebärmutter;  er  befördert  die  Menstrua- 
tion, heilt  mit  Ervenmehl  aufgelegt  das  Podagra,  reinigt 
die  Leberflecken,  erwärmt,  ruft  Schweiss  hervor  und  ver- 
treibt die  Krämpfe.  Wird  der  Same  oder  auch  die  Wurzel 
mit  Wein  genommen,  so  erfolgt  reichlichere  Milchsecretion. 
Die  Blätter  legt  man  mit  Essig  auf  Kröpfe,  und  bei  Husten 
wendet  man  sie  mit  Honig  an. 

60. 
Es  giebt,  wie  bereits  erwähnt,  viele  Arten  der  Cachrys.'-) 
Die  aus  dem  oben  genannten  Rosmarin  entstehende  zeigt 
sich  beim  Reiben  von  harziger  Beschafi"enheit.  Sie  wider- 
steht den  Giften  und  giftigen  Thieren ,  nur  nicht  den 
Schlangen,  erregt  Schweiss,  vertreibt  Bauchgrimmen  und 
befördert  die  Milchbildung. 


•)  Apocynum  erectum  L. 
2)  S.  XVI.  B.  11.  Cap. 


Vierundzwan7.igstes  Buch.  259 

61. 

Die  Sabina,  bei  den  Griecheu  Biatliy  genannt,  hat 
zwei  Arten;  die  eine  ähnelt  im  Blatte  der  Tamaiiska,  die 
andere  der  Cypresse,  daher  sie  auch  bei  Einigen  cretische 
Cypresse  heisst.  Man  bedient  sieb  ihrer  häufig  statt  des 
Weihrauchs  zum  Eäuchern;  als  Medicament  soll  sie  dieselbe 
Wirkung  haben  wie  der  Zimmt,  wenn  man  doppelt  soviel 
davon  als  von  letzterm  nimmt.  Sie  vertheilt  Saftanhäufungen, 
hindert  das  Weitergreifen  fressender  Geschwüre  und  reinigt 
sie,  treibt  auch  aufgebunden  und  damit  geräuchert,  todte 
Leibesfrüchte  ab.  Gegen  die  Rose  und  Feuerbeuleu  wendet 
man  sie  als  Umschlag  an;  gegen  die  Gelbsucht  innerlich 
mit  Honig  und  Wein.  Auch  soll,  wenn  man  damit  räuchert, 
der  Pips  der  Hühner  geheilt  werden. 

(32. 

Der  Sabina  ähnlich  ist  die  Selago.')  Man  sammelt  sie 
ohne  Hülfe  eines  Messers  mit  der  rechten  Hand  durch  die 
Tunika  hindurch  2),  und  streckt  die  linke  Hand  daraus 
hervor  als  ob  man  etwas  stehlen  wolle;  dabei  muss  mau 
weiss  gekleidet  sein,  in  nackten,  sauber  gewaschenen 
Füssen  gehen  und  zuvor  mit  Brot  und  Wein  geopfert  haben. 
Das  gesammelte  Kraut  wird  in  einem  neuen  Leinentueh 
nach  Haus  getragen.  Nach  der  Behauptung  der  gallischen 
Druiden  soll  es  gegen  alle  Uebel,  und  sein  Rauch  gegen 
alle  Augenkrankheiten  helfen. 

63. 

Eben  diese  Druiden  nennen  ein  gewisses,  an  feuchten 
Plätzen  wachsendes  Kraut  Samolus^);  sammle  man  das- 
selbe nüchtern  mit  der  Hand,  sehe  sich  dabei  nicht  um, 
lege  es  nirgends  anders  hin  als  in  eine  Rinne,  zerkleinere 
es  darin  und  lasse  es  von  Schweinen  und  Rindvieh  fressen, 
so  schütze  es  diese  Thiere  gegen  Krankheiten. 


')  Lycopodium  Selago  L.? 

^)  d.  h.  die  Hand  ist  dabei  mit  der  Tunika  bedeckt,   damit  sie 
die  Pflanze  nicht  unmittelbar  berühre. 
3)  Samolus  Valerandi  L? 

17* 


2(30  Vierundzwanzigstes  Buch. 

64. 
Die  verschiedenen  Gummi-Arten  habe  ich  bereits 
früher  besprochen;  von  den  reinern  kann  man  auch  eine 
bessere  Wirkung  erwarten.  Den  Zähnen  sind  sie  schädlich. 
Das  Blut  wird  davon  verdickt,  daher  sie  auch  bei  Blutspeien 
verordnet  werden ;  desgleichen  bei  Brandschäden  und 
Krankheiten  der  Luftröhre.  Fehlerhaften  Harn  treiben  sie 
ab,  bittern  Geschmack  vermindern  sie.  Das  Gummi  vom 
bittern  Mandelbaume  verdickt  mehr  und  erwärmt;  doch 
zieht  man  gewöhnlich  das  von  Pflaumen-  und  Kirschbäumen 
und  vom  Weinstock  vor.  Aufgelegt  trocknet  es  und  zieht 
zusammen,  mit  Essig  heilt  es  die  Flechten  bei  Kindern. 
Zu  vier  Obolen  schwer  verordnet  man  es  als  Trank  bei 
anhaltendem  Husten.  Es  soll  auch  der  Haut  eine  bessere 
Farbe  verleihen,  Appetit  erregen  und  mit  Rosinenwein  den 
an  Blasensteinen  Leidenden  dienlich  sein.  Bei  Augenübeln 
und  Wunden  erweist  es  sich  besonders  heilsam. 

65. 
Des  ägyptischen  oder  arabischen  Dorngewäch- 
ses i)  habe  ich  bei  den  Parfürmerien  lobend  erwähnt;  es  ver- 
dickt und  hemmt  alle  Arten  von  Flüssen,  Blutauswurf,  zu 
reichlichen  Monatsfluss.  Die  Wurzel  zeigt  diese  Eigen- 
schaften am  kräftigsten. 

Der  Same  des  weissen  Dorugewächses^)  ist  ein 
Mittel  gegen  Scorpione.  Gegen  Kopfweh  setzt  man  einen 
aus  dieser  Pflanze  gemachten  Kranz  auf.  Ein  ähnliches 
Gewächs  ist  das  von  den  Griechen  sogenannte  Acanthium^), 
nur  hat  es  kleinere,  an  den  Enden  gestachelte  und  mit 
einer  spinngewebeartigen  Wolle  überzogene  Blätter.  Aus 
dieser  Wolle  fertigt  mau  im  Oriente  Kleider,  welche  den 
seidenen  nicht  sehr  nachstehen.  Die  Blätter  selbst  und 
die  Wurzel  verordnet  man  als  Trank  bei  krampfhaftem 
Zurückbiegen  des  Kopfes. 

')  Spina  Aegyptiae  sive  Arabicae.     Acacia  vera  W. 
-)  Spina  alba.  Acacia  Farnesiana. 
2)  Onopordon  Acanthium  L. 


VieiundzAvanzigstcs  Ihich.  2*11 

07. 

Auch  die  dornige  Acacie')  liefert  eiüen  Saft.  In  A'.- 
g7pten  gewinnt  man  ihn  von  der  weissen,  schwarzen  und 
grünen  Art,  doch  ist  der  von  den  beiden  ersteren  besser. 
In  Galatien  wählt  man  zu  diesem  Behufe  den  kleinsten  aber 
dornigsten  Stamm,  Der  Same  aller  dieser  Arten  ist  klein, 
linsenförmig,  sitzt  in  einer  Hülse  und  wird  am  besten  im 
Herbste  gesammelt,  früher  zeigt  er  sich  weniger  wirksam. 
Die  Hülsen  weicht  man  in  Regenwasser  ein,  zerquetscht  sie 
in  einem  Mörser,  presst  sie  aus,  verdunstet  den  Saft  an 
der  Sonne  und  formt  daraus  Kiigelchen.  Ein  ähnliches,  aber 
schwächeres  Präparat  liefern  die  Blätter.  Des  Samens  be- 
dient man  sich  statt  der  Galläpfel  zum  Gerben.  Der  Saft 
der  Blätter  der  galatischen  Acacie  ist  sehr  schwarz  und 
verwerflich;  ebensowenig  taugt  derrothe.  Der  purpurfarbige, 
grau  weisse  und  leicht  lösliche  besitzen  die  stärkste  ver- 
dickende und  kühlende  Kraft,  werden  daher  zu  Augen- 
arzneien vorgezogen.  Einige  waschen  die  Kügelcheu  zu 
diesem  Behufe  ab.  Andrere  dörren  sie.  Man  färbt  auch  das 
Haar  damit,  heilt  die  Kose,  umsichfressende  Geschwüre, 
feuchte  Leibesübel,  Geschwulste,  Quetschungen,  Frostbeulen 
und  Nabelgeschwüre.  Sie  hemmen  den  zu  reichlichen  Monats- 
fluss,  treiben  die  ausgetretene  Gebärmutter  und  den  ausge- 
tretenen Mastdarm  zurück,  heilen  Augen,  Mund  und  Ge- 
schlechtstheile. 

68. 

Auch  das  gemeine  Dorngewächs,  dessen  sich  die  Walker 
bedienen  2),  besitzt  in  der  Wurzel  arzneiliche  Kräfte.  In 
Spanien,  wo  es  Aspalathus  heisst,  bedient  man  sich 
desselben  häufig  zu  wohlriechenden  Mitteln  und  zu  Salben. 
Es  ist  kein  Zweifel,  dass  jener  Name  auf  den  im  Oriente 
wachsenden  wilden  Dornbaum  passt,  welcher,  wie  ich  an- 


')  Obige  Acacia  vera  W. 

2)  Plinius  ineint  hier  die  Walkerdistel:  Dipsacus  fuUonum  L 
und  wirft  sie  mit  dem  echten  Aspalathus  (S.  Xll.  B.  52.  Cap.) 
zusammen. 


262  Vierundzwanzigstes  Bucli. 

gegeben,  weiss  aussieht  und  die  Grösse  eines  gewöLulichen 
Baumes  erreicht. 

69.       . 

Ein  uiediigerer,  aber  ebenfalls  dorniger  Strauch,  der 
auf  den  Inseln  Nisyrus  und  Rhodus  vorkommt,  heisst  bei 
Einigen  Erysisceptrum^) ,  bei  Andern  Adipsatheum 
oder  auch  Diachetum.  Am  besten  ist  er,  wenn  er  wenig 
in  Zweige  geschossen  und  nach  Wegnahme  der  iünde,  roth 
bis  purpurfarben  erscheint.  Er  ist  weit  verbreitet,  aber  nicht 
überall  wohlriechend.  Was  er  für  Kräfte  erhält,  wenn  der 
Regenbogen  ihn  berührt,  habe  ich  bereits  angegeben.  Er 
heilt  stinkende  Mundgeschwlire,  Schmerzen  in  der  Nase, 
schwärende  oder  entzündete  Geschlechtstheile,  Risse  in  der 
Haut;  innerlich  Blähungen  und  Harnstrenge.  Die  Rinde  wird 
gegen  Blutharnen  verordnet;  ein  Absud  davon  hemmt  den 
Durchfall.     Die  wilde  Art  soll  dieselben  Dienste  leisten. 

70. 

Eine  Art  Dornstrauch  wird  Hängedorn^)  genannt,  weil 
seine  rothen  Beeren  den  Namen  Anhänge  führen.  Letztere 
hemmen,  frisch  für  sich  oder  trocken  mit  Wein  gekocht  ge- 
genossen,  den  Durchfall  und  vertreiben  das  Bauchgrimmen. 
Die  Beeren  der  Pyracautha  verordnet  man  als  Trank 
gegen  Schlaugenbisse. 

71. 

Auch  der  Paliurus  ist  ein  dorniges  Gewächs.  Sein 
Same,  von  den  Afrikanern  Zura  genannt,  erweist  sich  sehr 
wirksam  gegen  Scorpione,  Blasensteine  und  Husten.  Die 
Blätter  sind  zusammenziehend.  Die  AVurzel  zertheilt  Fett- 
beulen, Geschwulste,  Eiterbeulen,  und  befördert  innerlich 
genommen  das  Harnen.  Ein  weiniges  Dekokt  davon  hemmt 
den  Durchfall  und  heilt  Schlangenbisse.  Ueberhaupt  giebt 
mau  die  Wurzel  vorzugsweise  mit  Wein. 


')  XII.   B.   52.  Cap.   wird    diess    Gewächs    mit    dem    Aspalathus 
identificirt,  allein  es  ist  Dipsacus  sylvestris  L. 
-)  Spi  a  appendix.    Berberis  vulgaris  L. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  263 

72. 

Die  Blätter  des  Aquifoliumi)  wendet  man  mit  Zusatz 
von  Salz  gegen  Gliederkrankheiten  an,  die  Beeren  als  Rei- 
nigungsmittel der  Frauen,  gegen  Darmgicht,  Dysenterie  und 
Gallentieber.  Die  Wurzel  zieht,  gesotten  und  aufgelegt, 
alles  was  im  Körper  steckt  heraus,  ist  auch  gut  für  Ver- 
renkungen und  Geschwulste.  Wenn  man  den  Baum  neben 
ein  Haus  oder  Landgut  pflanzt,  so  werden  alle  giftigen 
Thiere  davon  aligehalteu.  Pythagoras  giebt  an,  durch  die 
Bliithe  werde  das  Wasser  in  Eis  verwandelt;  ferner,  wenn 
man  einen  aus  dem  Stamme  geschnittenen  Stock  nach  einem 
Thiere  werfe,  und  derselbe  wegen  mangelnder  Kraft  des 
W^erfenden  letzteres  auch  nicht  ganz  erreiche,  so  flöge  er 
doch  von  selbst  wieder  auf  und  bis  zum  Thiere  hin  —  von 
so  besonderer  Beschaffenheit  sei  dieser  Baum.  —  Wenn  man 
mit  Taxus  räuchert,  gehen  die  Mäuse  zu  Grunde. 

73. 

Die  Rubus-Arten  hat  die  Vorsehung  nicht  bloss  zu 
schädlichen  Zwecken  geschaffen,  denn  ihre  Beeren  dienen 
selbst  den  Menschen  zur  Nahrung.  Sie  haben  trocknende  und 
abstriugirende  Eigenschaften,  eignen  sich  daher  für  das  Zahn- 
fleisch, die  Mandeln  am  Halse  und  die  Genitalien.  Blüthe 
und  Beeren  sind  Mittel  gegen  die  gefährlichsten  Schlangen, 
nämlich  die  Haemorrhois  und  Prester.  Sie  heilen  die  von 
Scorpionstichen  herrührenden  Wunden,  ohne  dass  diese  an- 
schwellen, wirken  auch  harntreibend.  Die  jungen  Stengel 
werden  gestossen,  gepresst,  der  Saft  an  der  Sonne  zur 
Honigdicke  verdunstet  und  innerlich  wie  äusserlich  gegen 
Mund-  und  Augenübel,  Blutspeien,  Bräune,  Fehler  der  Ge- 
bärmutter und  des  Afters  und  gegen  Darmgicht  angewandt. 
Gegen  Mundübel  kauet  man  auch  die  Blätter,  gegen  flies- 
sende und  alle  Arten  von  Kopfgeschwüren  legt  man  sie  auf. 
Koh  legt  man  sie  bei  Herzübeln  auf  die  linke  Brust,  des- 
gleichen bei  Magenschmerzen  und  ausgetretenen  Augen. 
Hir  Saft  wird  in  die  Ohren  getröpfelt;  mit  Rosenöl  in  einer 


';  S.  XYI.  B.  12.  Cap.    Ob  etwa  auch  Hex  Aquifolium? 


264  Vierundzwanzigstes  Buch. 

Wachssalbe  heilt  er  Aftergeschwüre.  Ein  Absud  der  jungen 
Stengel  in  Wein  ist  ein  schnell  wirkendes  Mittel  bei  ge- 
schwollenem Zapfen;  man  verspeist  sie  auch  wie  Kohlsprossen 
oder  kocht  in  herbem  Wein  zur  Befestigung  loser  Zähne; 
sie  heben  den  Durchfall  und  Blutfluss,  heilen  die  Rose ;  die 
Asche  der  im  Schatten  getrockneten  Stengel  drückt  das 
Zäpfchen  wieder  nieder.  Die  getrockneten  und  zerstossenen 
Blätter  sollen  auch  bei  Geschwüren  des  Zugviehs  anwendbar 
sein.  Die  Beeren  der  wilden  Art  geben  eine  wirksamere 
Mundarznei  als  die  des  Garteu-Rubus.  In  dieser  Form  oder 
auch  bloss  mit  Hypocist  und  Honig  nimmt  man  sie  bei 
Gallenfieber,  Herzübeln  und  wider  giftige  Schlangen.  Unter 
den  sogenannten  styptischen  Arzneien  eignet  sich  nichts 
besser  als  die  Wurzel  eines  Beeren  tragenden  Rubus,  in 
Wein  zu  einem  Dritttheil  eingekocht,  zum  Ausspühlen  des 
Mundes  und  zum  Bähen  des  Afters,  wenn  Geschwüre  vor- 
handen sind;  ja  ihre  Kraft  ist  so  gross,  dass  selbst  Schwämme 
zu  Stein  werden. 

74. 
Eine  andere  Art  Rubus,  welche  Rosen  trägt,  hat  eine 
kastanienähnliche  Frucht^),  die  besonders  gegen  Steinbe- 
schwerden angewandt  wird.  Noch  eine  andere  ist  die  Hunds- 
rose-), von  welcher  ich  im  folgenden  Buche  sprechen  will. 
Den  Cynosbatus3)  nennen  Einige  Cynospastus,  Andere 
Nevrospastus;  seine  Blätter  haben  die  Form  eines  Menschen- 
fusses,  die  Beeren  sind  scliwarz  und  in  den  Kernen  findet 
sich  ein  Nerv,  daher  der  Name  Nevrospastus.  Er  ist  ver- 
schieden von  der  Kapper,  welche  die  Aerzte  Cynosbatus 
genannt  haben.  Der  Blüthenstrauss  desselben  wird  mit 
Essig  eingemacht  und  bei  Milzleiden  und  Blähungen  ge- 
gessen. Der  vorhin  erwähnte  Nerv  wird  zur  Reinigung  des 
Mundes  mit  chiischem  Mastix  gekauet.  Die  roseuartige 
Rubusblüthe  ruft  mit  Schmalz  auf  Glatzen  die  Haare  wieder 
hervor.    Die  Beeren  färben  mit  Oel  aus  unreifen  Oliven  das 


>)  pilula.     2)  cynorrhodon  S.  XXV.  B.  6.  Cap. 
3)  Rosa  sempervirens  L. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  2(55 

Kopfhaar.  Die  liubusblütbe  sammelt  man  zur  Zeit  der 
Ernte;  die  weisse  verordnet  man  als  weinigen  Trank  be- 
sonders bei  Seitenstechen  und  Darmgicht.  Die  Wurzel 
hemmt,  7ai  einem  Drittel  eingekocht,  den  Durchfall  und 
Blutfluss;  bei  Zahniibeln  spült  man  mit  demselben  Absude 
den  Mund  aus,  und  Geschwüre  am  After  und  an  den  Ge- 
schlechtstheilen  bähet  man  damit.  Die  Asche  der  Wurzel 
drückt  das  Zäpfchen  herunter. 

7ö. 
Der  ßubus  idaeus  hat  seinen  Namen  dem  Umstände 
zu  verdanken,  dass  er  nirgend  anders  als  auf  dem  Berge 
Ida  wächst!).  Er  ist  zart,  klein,  hat  wenige  schwach  stache- 
lige Stengel,  und  wächst  im  Schatten  der  Bäume.  Seine 
Blumen  legt  man  mit  Honig  auf  Augengeschwüre  und  die 
Rose;  für  den  Magen  bereitet  man  einen  massigen  Trank 
daraus.  Im  Uebrigen  dient  er  zu  denselben  Zwecken  wie 
die  oben  genannten  Arten. 

76. 
Eine  weissere  und  strauchartigere  ßubusart  heisst  bei 
den  Griechen  Rhamnus.  Derselbe  blühet,  hat  Aeste  mit 
geraden,  nicht  wie  die  übrigen  mit  krummen  Dornen  und 
grössere  Blätter  2).  Eine  andere  Art  3)  wächst  wild,  ist  dunkler, 
fast  röthlich  und  trägt  eine  Art  Hülse;  aus  der  Wurzel 
bereitet  man  durch  Kochen  mit  Wasser  das  sogenannte  Ly- 
cium;  der  Same  treibt  die  Nachgeburt  ab.  Jene  weissere 
Art  zieht  mehr  zusammen,  kühlt  und  eignet  sich  besser  für 
Geschwulste  und  Wunden.  Die  Blätter  beider  Arten  wer- 
den roh  oder  gekocht  mit  Oel  aufgelegt. 

77. 
Das  Medicament  Lycium  soll  wirksamer  sein,  wenn 
es   aus   demjenigem   Dorngewächs   bereitet   wird,   welches 
chironischer  Pyxacanthus^)   heisst  und  dessen    ich  bei  den 

*)  Worin    Plinius    gewaltig     irrt ,   wenn    sein    R.    idaeus    unsere 
Himbeere  ist. 

-)  Rhamnus  saxatilis  L. 

^)  Rhamnus  Paliurus  L.  und  R.  oleoides  L. 

^)  S.  XII.  B.  15.  Cap.  Rhamnus  infectoria  L. 


266  Vierundzwanzigstes  Buch. 

indischen  Bäumen  gedacht  habe;  in  der  That  scliätzt  man 
auch  das  indische  Lycinm  am  höchsten.  Man  erhält  es 
durch  dreitägiges  Kochen  der  höchst  bitter  schmeckenden, 
zerkleinerten  Aeste  und  Wurzeln  mit  Wasser  und  nachheriges 
Eindicken  des  Absudes  zur  Honigconsistenz.  Man  verfälscht 
es  mit  bittern  Säften,  Oelhefe  und  Ochsengalle.  Der  sich 
oben  absetzende  Schaum  oder  die  sogenannte  Blüthe  setzt 
man  den  Augenmitteln  hinzu.  Der  Saft  selbst  reinigt  das 
Gesicht,  heilt  die  Krätze,  angefressene  Augenwinkel,  alte 
Flüsse,  eiternde  Ohren,  geschwollene  Drüsen,  das  Zahn- 
fleisch, Husten  und  Blutspeien,  wenn  man  eine  Bohne  gross 
davon  nimmt;  äusserlich  wendet  man  ihn  bei  fliessenden 
Wunden,  Bissen  in  der  Haut,  Geschwüren  an  den  Geschlechts- 
theilen,  durch  Reiben  entstandenen  Wunden,  frischen,  fressen- 
den und  fauligen  Geschwüren,  Warzen  in  der  Nase  und 
Eiterbeulen  an.  Frauenzimmer  trinken  ihn  mit  Milch  wider 
Blutflüsse.  Das  indische  Lycium  zeichnet  sich  dadurch  aus, 
dass  die  Klös^se  aussen  schwarz,  innen  röthlich  sind,  aber 
bald,  nachdem  sie  auseinandergebrochen,  schwarz  werden. 
Es  ist  sehr  abstringirend  und  bitter,  dient  zu  all'  den 
Zwecken  wie  jenes,  erweist  sich  aber  ganz  besonders 
wirksam   bei  den  Geschlechtstheilen. 

oz. 

Die  SarcocoUei),  welche  von  Einigen  für  die  Thränen 
eines  Dorngewächses  gehalten  wird,  sieht  dem  Weihrauch- 
staube ähnlich,  schmeckt  bitterlich  süss  und  gummiartig; 
hemmt  mit  Wein  angestossen  die  Flüsse,  wird  auch  Kin- 
dern aufgelegt.  Je  weisser  um  so  besser  ist  sie;  mit  dem 
Alter   wird  die  Farbe  dunkler. 

34. 

Aus  Arzneimitteln  von  Bäumen  bereitet  man  noch  ein 
schätzbares  Mittel,  die  Oporice,  zur  Heilung  von  Dysen- 
terie und  Magen  Übeln  auf  folgende  Weise:  In  einem  Congius 
weissen  Most   kocht  man  bei  a^elinder  Wärme  fünf  Quitten 


')  Abstammung  noch  unbekannt;  die  bisher    angenommene  (von 
Penaea  mucronata  L.)  ist  falsch. 


Vierundzwanzigstes  Bucli.  267 

mit  den  Kernen,  ebensoviele  Granatäpfel,  einen  Sextar  Vogel- 
beeren, ebensoviel  syrischen  Sumach  und  eine  halbe  Unze 
Safran  bis  zur  Honigdicke  ein. 

80. 

Jetzt  sollen  diejenigen  Gewächse  folgen,  von  denen  es 
die  Griechen,  indem  sie  die  Namen  mitgetheilt,  zweifelhaft 
gelassen  haben,  ob  sie  zu  den  Bäumen  gehören. 

Chamaedrysi)  ist  ein  Kraut,  welches  im  Lateinischen 
Trixago  heisst,  von  Einigen  auch  Chamaerops  oder 
Teuer i um  genannt  wird;  es  hat  Blätter  von  der  Grösse 
der  Minze  und  von  der  Farbe  und  Getheiltheit  der  Eiche. 
Einige  geben  an,  es  sei  gesägt  und  von  da  datire  sich  der 
Ursprung  der  Säge;  die  Blumen  sind  fast  purpurfarbig. 
Man  sammelt  es  zur  Zeit  wo  es  recht  saftreich  ist,  von 
steinigen  Standorten,  und  verwendet  es  innerlich  und  äusser- 
lich  mit  bestem  Erfolge  ge.geTx  Schlangengift,  Magenübel, 
anhaltenden  Husten,  im  Halse  festsitzenden  Schleim,  zer- 
brochene und  verrenkte  Glieder;  es  befördert  die  Absonde- 
rung des  Harns  und  des  Monatsflusses,  ist  daher  auch  bei 
anfangender  Wassersucht  von  Nutzen;  man  kocht  zu  diesem 
Behufe  eine  Handvoll  Stengel  mit  drei  Hemiuis  Wasser  auf 
ein  Drittel  ein,  oder  formt  daraus  durch  Anstossen  mit 
Wasser  Ktigelchen.  Es  heilt  ferner  mit  Honig  Eiterbeulen, 
alte  und  schmutzige  Geschwüre.  Gegen  Brustübel  bereitet 
man  daraus  einen  weinigen  Trank.  Der  Saft  der  Blätter 
vertreibt  mit  Oel  das  Flimmern  vor  den  Augen.  Für  die 
Milz  nimmt  man  es  mit  Essig.  Es  erwärmt,  wenn  man  sich 
damit  einreibt. 

81. 

Die  Chamaedaphne2)  hat  nur  einen  Stengel,  der 
fast  ellenlang  ist,  und  lorbeerähnliche,  aber  dünnere  Blätter. 
Der  rothliche,  an  den  Blättern  haftende  Same  wird  im 
frischen  Zustande  gegen  Kopfweh  aufgelegt;  er  kühlt  und 
vertreibt   mit  Wein  genommen    das  Bauchgrimmen.     Sein 


')  Teucrium  lucidum  L.,  auch  wohl  T.  flavum  L. 
^)  Ruscus  racemosus  L. 


2t)8  Vierundzwanzigstes  Buch. 

Saft  befördert  innerlich  die  Menstruation  und  das    Harnen, 
und  mit  Wolle  aufgelegt  erleichtert  er  das  Gebären. 

S2. 

Die  Blätter  der  Chamaeleai)  haben  Aehnlichkeit  mit 
denen  des  Oelbaums.  Diese  Pflanze  wächst  auf  steinigem 
Boden,  wird  nicht  über  eine  Hand  hoch,  riecht  angenehm 
und  schmeckt  bitter.  Einen  aus  den  Blättern  nebst  zwei 
Theilen  Wermuth  bereiteten  und  mit  Honig  versetzten 
Absud  trinkt  man  zur  Keinigung  des  Unterleibes,  um 
Schleim  und  Galle  zu  entferneu.  Geschwüre  werden  durch 
Auflegen  der  Blätter  gereinigt.  Wenn  Jemand  die  Pflanze 
vor  Sonnenaufgang  sammelt  und  dabei  sagt,  er  thue  diess 
um  damit  die  weissen  Flecken  in  den  Augen  zu  vertreiben, 
so  soll  sie  wirklich  diese  Wirkung  haben,  wenn  man  sie 
aufbindet;  für  die  Augen  des  Zug-  und  Rindviehs  soll  sie 
aber,  auf  was  immer  für  eine  Weise  gesammelt,  gut  sein. 

Ö3. 

Die  Chamaesyce^)  hat  linsenähnliche,  herabhängende 
Blätter,  wächst  auf  trocknen,  steinigen  Plätzen,  und  ist  ein 
vorzügliches  Mittel  wider  trübe  und  unterlaufene  Augen, 
befördert  auch  die  Vernarbungen,  wenn  man  sie  mit  Wein 
kocht  und  auflegt.  In  einem  Säckchen  aufgelegt  vertreibt 
sie  die  Schmerzen  der  weiblichen  Schaam;  ferner  alle 
Arten  von  Warzen,  bekommt  auch  Engbrüstigen  gut. 

84. 

Der  Chamaecissus3)  hat  weizenähnliche  Aehren, 
gewöhnlich  fünf  Zweige,  viele  Blätter,  Blüthen  wie  die 
weisse  Viole  und  eine  dünne  Wurzel.  Gegen  Hüftweh 
nimmt  man  sieben  Tage  lang  drei  0 holen  von  den  Blättern 
mit  zwei  Bechern  Wein.    Dieses  Mittel  schmeckt  sehr  bitter. 

85. 

Die  Chamaeleuce^)    heisst   bei   uns   Farfarum   oder 


')  Daphne  oleoides  L. 
-)  Euphorbia  chamaesyce  L. 
^)  Antirrhinum  Asarina. 
^)  Tussilago  Farfara  L. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  269 

Fai'fugium.  Es  wächst  an  Flüssen  und  hat  pappelähnliche 
aber  grössere  Blätter.  Ihre  Wurzel  legt  man  auf  Kohlen 
von  Cypressenholz  und  zieht  den  davon  aufsteigenden 
Dampf  mittelst  eines  Trichters  ein,  um  anhaltenden  Husten 
zu  vertreiben. 

86. 

Die  Chamaepeuce^)  mit  lärchenbaumähnlichen  Blät- 
tern ist  ein  gutes  Mittel  gegen  Lenden-  und  Rückgrat- 
schmerzen. Vom  Chamaecyparissus^)  benutzt  man  das 
Kraut  zu  einem  weinigen  Tranke  gegen  die  Gifte  aller 
Schlangen  und  Scorpione.  Das  Ampeloprasum^)  wächst 
in  Weingärten,  hat  lauchähnliche  Blätter,  verursacht  unan- 
genehmes Aufstossen,  zeigt  sich  wirksam  gegen  Schlangen- 
bisse, befördert  innerlich  und  äussevlich  angewandt  das 
Harnen  und  den  Monatsfluss  und  hindert  den  Abgang  des 
Bluts  durch  die  Geschlechtstheile.  Man  giebt  es  auch  den 
Frauen  nach  der  Entbindung  sowie  gegen  tollen  Hundsbiss. 
Die  sogenannte  Stachj^s^)  sieht  dem  Lauch  ähnlich,  hat 
aber  längere  und  zahlreichere  Blätter,  einen  angenehmen 
Geruch  und  eine  gelbliche  Farbe.  Man  wendet  sie  zur 
Beförderung  der  monatlichen  Reinigung  au. 

87. 

Das  Clinopodium'^),  auch  Cleonicium,  Zopyrum, 
Ocymoides^) genannt, ist  dem  Serpyllum  ähnlich,  strauchig, 
handhoch,  wächst  auf  steinigem  Boden,  die  Blätter  sind 
kreisrund  und  die  Pflanze  selbst  hat  Aehnlichkeit  mit 
Bettfüssen.  Man  bereitet  daraus  einen  Trank  oder  Saft 
gegen  Krämpfe,  Zerreissungen,  Harnstrenge  und  Schlangen- 
bisse. 

88. 

Nun  will  ich  auch  noch  die  wunderbaren,  aber  weniger 


•)  Serratula  Chamaepeuce  L. 

-)  Santolina  Chamaecyparissus  L. 

3)  Allium  Ampeloprasum  L. 

*)  Stacliys  germanica  L. 

*)  Clinopodium  Plumieri. 

")  Diess  ist  Silene  gallica  L. 


270  Vierundzwanzigstea  Buch. 

berühmten  Kräuter  anführen,   die    edleren  jedoch    für    die 
folgenden  Bücher  versparen. 

Eins  derselben,  welches  wir  Centuuculusi) ,  die 
Griechen  Clematis  nennen,  hat  Blätter,  welche  den  Kopf- 
bedeckungen 2)  ähnlich  sehen,  und  liegt  platt  auf  dem  P'elde. 
Mit  herbem  Weine  genommen  stopft  es  kräftig  den  Durch- 
fall. Ein  Denar  schwer  davon  mit  fünf  Bechern  Sauerhonig 
oder  warmem  Wasser  genommen,  stillt  das  Blut,  treibt 
auch  die  Nachgeburt  ab. 

89. 

Die  Griechen  unterschieden  aber  noch  andere  Arten 
von  Clematis;  eine  derselben  heisst  Echite,  Lago  oder 
kleine  ScammoniaJ)  Sie  hat  zwei Fuss  lange,  beblätterte, 
der  Scammonia  ähnliche  Zweige ,  doch  sind  die  Blätter 
dunkler  und  kleiner;  wächst  in  Weingärten  und  auf  Feldern. 
Man  verspeist  sie  wie  Kohl,  mit  Oel  und  Salz,  und  bekommt 
Oeffnung  davon.  Mit  Leinsamen  und  herbem  Wein  wird 
sie  gegen  Dysenterie  eingenommen.  Die  Blätter  legt  man 
in  einem  feuchten  leinenen  Tuche  auf  Augengeschwüre. 
Auch  bringen  sie  Kröpfe  zum  Schwären,  und  setzt  man 
später  noch  Schmalz  hinzu,  so  heilen  sie  dieselben  auch 
aus.  Mit  grünem  Oele  dienen  sie  gegen  Hämorrhoiden, 
mit  Honig  gegen  Schwindsucht.  Verspeist  befördern  sie 
die  Secretion  der  Milch,  Kindern  auf  den  Kopf  gelegt  das 
Wachsthum  der  Haare,  und  mit  Essig  genossen  reitzen 
sie  zum  Beischlaf. 

90. 

Eine  andere  Cl  ematis,  mit  dem  Beisatz  ägyptische  •*), 
auch  Daphnoides  oder  Polygonoides  genannt,  ist  lang 
und  schmächtig,  hat  lorbeerähnliche  Blätter,  und  wird  mit 
Essig  gegen  Schlangen,  besonders  die  Aspiden   getrunken. 

91. 

Auch  das  Arum,  dessen  ich  bei  den  Zwiebelgewächsen 


*)  Polygonum  Convolvulus  L. 
-)  penulae  capitis. 
3)  Convolvulus  Scammonia  L. 
*)  Vinca  major  L. 


Vieiundzwanzigstes  Buch.  271 

gedacht  habe,  kommt  in  Aegypten  vor.  Ueber  dessen 
Beziehungen  zum  Dracontiumi)  sind  die  Ansichten  wider- 
sprechend; einige  behaupten  nämlich,  beide  seien  ein  und 
dasselbe,  Glaucias  unterscheidet  sie  nach  dem  Anbau  und 
hält  das  Dracontium  für  wildes  Arum,  Andere  nennen  die 
Wurzel  Arum,  den  Stengel  aber  Dracontium,  der  aber  doch 
etwas  ganz  anderes  ist,  insofern  dieser  Stengel  mit  dem 
übereinstimmt,  was  bei  uns  Dracunculus  genannt  wird. 
Das  Arum  hat  nämlich  eine  schwarze,  flachrunde,  viel 
grössere,  eine  ganze  Hand  ausfüllende  Wurzel,  der  Dracun- 
culus  hingegen  eine  röthliche,  wie  ein  Drache  aufgerollte 
Wurzel-),  welchem  Umstände  er  auch  seinen  Namen 
verdankt. 

92. 
Selbst  die  Griechen  haben  hierbei  einen  wesentlichen 
Unterschied  hervorgehoben,  da  sie  sagen,  der  Same  des 
Dracunculus  sei  hitzig  und  beissend  und  von  so  heftiger 
Wirkung,  dass  Schwangere,  wenn  sie  nur  daran  röchen, 
abortirten;  während  sie  dagegen  das  Arum 2)  gewaltig 
lobpreisen.  Zunächst  geben  sie  dem  weiblichen  Arum  den 
Vorzug  zu  Speisen ,  denn  das  männliche  sei  härter  und 
schwieriger  weich  zu  kochen;  es  reinige  die  Brust  und 
befördere,  trocken  in  einem  Tranke  oder  einer  Latwerge 
genommen,  das  Harnen  und  die  Menstruation.  Mit  Sauer- 
honig soll  man  es  für  den  Magen,  mit  Schafmilch  für 
innerliche  Geschwüre,  mit  Oel  in  heisse  Asche  gekocht  für 
den  Husten  trinken.  Einige  empfehlen  das  Arum  mit 
Milch  zu  kochen  und  diesen  Absud  zu  trinken.  Es  wird 
für  sich  auf  Augengescliwüre,  Stossbeulen  und  geschwollene 
Drüsen,  mit  Oel  auf  Hämorrhoiden,  mit  Honig  auf  Leber- 
flecken gelegt.  Cleophantus  rühmt  dasselbe  auch  als  Gegen- 
gift, ferner  gegen  Seitenstechen  und  Lungenübel  auf  dieselbe 
Weise  wie  beim  Husten,  und  bei  Ohrenschmerzen  soll  man 


')  Arum  Dracunculus.  L. 

^)  Diess  ist  wohl  Polygonum  Bistorta  L. 

'■')  Arum  maculatum  L.,  A.  italicum  Lam.  und  A.Dioscoridis  Sibth. 


272  Vierundzwanzigstes  Buch. 

eine  Mischung  des  Samens  mit  Oel  oder  Rosenöl  eintröpf  ein. 
Dieuelies  verordnet  das  Arum  mit  Mebl  vermischt  und  zu 
Brot  gebacken  bei  Husten,  Engbriiistigkeit  und  Eiteraus- 
wurf; Diodotus  mit  Honig  in  einer  Latwerge  bei  Schwind- 
sucht und  andern  Lungenübeln,  äusserlich  bei  Knochen- 
brüchen. Reibt  man  es  um  die  Geschlechtstheile  herum, 
so  bewirkt  es  bei  allen  Thieren  den  Abgang  der  Leibes- 
frucht. Der  Saft  der  Wurzel  vertreibt  mit  attischem  Honig 
die  Blödigkeit  der  Augen  und  die  Fehler  des  Magens,  und 
eine  Abkochung  der  Wurzel  mit  Honig  den  Ilusten.  Der 
Saft  ist  ein  vorzügliches  Heilmittel  für  fressende  und  krebs- 
artige Geschwüre  und  für  Nasenpolypen.  Die  Blätter  dienen 
mit  Wein  und  Oel  gekocht  bei  Brandwunden,  frisch  oder 
trocken  mit  Honig  bei  Verrenkungen,  mit  Salz  bei  Gicht. 
Mit  Salz  und  Essig  eingenommen  führen  sie  ab.  Hippo- 
crates  empfiehlt,  sie  mit  Honig  auf  alle  Arten  von  An- 
schwellungen zu  legen.  Um  die  Menstruation  zu  befördern, 
genügen  zwei  Drachmen  Samen  oder  Wurzel  mit  zwei 
Bechern  Wein;  derselbe  Trank  führt  auch  die  Nachgeburt 
ab.  Hippocrates  lässt  in  diesen  Fällen  die  Wurzel  selbst 
an  die  Geschlechtstheile  legen.  Gegen  die  Pest  soll 
sie,  den  Speisen  zugesetzt,  gut  sein.  Sie  vertreibt  den 
Rausch.  Der  von  der  brennenden  Wurzel  aufsteigende 
Rauch  verjagt  die  Schlaugen  und  unter  diesen  besonders 
die  Aspiden  oder  betäubt  sie  so ,  dass  sie  ganz  starr  da 
liegen.  Auch  fliehen  sie,  wenn  sie  mit  Lorbeeröl,  worin 
Arum  eingeweicht  war,  bestrichen  werden;  daher  hält  man 
einen  mit  schwarzem  Weine  daraus  bereiteten  Trank  auch 
für  ein  gutes  Mittel  gegen  Schlangenbisse.  Käse  wird  am 
besten  in  Arumblättern  aufbewahrt. 

93. 
Der  oben  erwähnte  Dracunculus  wird  zur  Zeit  der 
Gerstenreife  bei  zunehmendem  Monde  ausgegraben.  Von 
dem,  der  die  Pflanze  bei  sich  trägt,  fliehen  schon  die 
Schlangen;  daher  empfiehlt  man  die  grössere  Art  als  Trank 
gegen  Schlangenbisse,  sowie  sie  auch,  wenn  kein  Eisen 
damit  in  Berührung  gekommen  ist,  den  Monatsfluss  mässigt. 


Vieruudzwanzigstes  Buch.  273 

Den  Saft  wendet  man  ge2:en  Ohrensch merzen  an.  Das 
aber,  was  die  Griechen  Dracontium  nennen,  ist  mir  unter 
dreierlei  Gestalt  gezeigt  worden,  nämlich  eins  mit  beteu- 
ähnlichen  Blättern,  nicht  ohne  Büschel^)  und  mit  purpur- 
rothen  Blättern,  welches  dem  Arum  ähnlich  sieht;  ein 
zweites  mit  langer,  gleichsam  gliederartig  geformter  Wurzel 
und  drei  Stengeln,  dessen  Blätter  mit  Essig  gekocht  gegen 
Schlaugenbisse  verordnet  werden;  endlich  ein  drittes  mit 
Blättern  grösser  als  die  des  Cornus,  schilfartiger  Wurzel 
mit  so  vielen  Knoten  als  sie  Jahre  alt  sei  und  mit  ebenso 
vielen  Blättern,  welch'  letztere  man  mit  Wein  oder  Wasser 
gegen  Schlangen  giebt. 

94. 

Auch  der  in  Aegypten  vorkommende  Aris-)  hat  Aehn- 
lichkeit  mit  dem  Arum,  ist  jedoch  kleiner,  hat  kleinere 
Blätter  und  Wurzel,  letztre  erreicht  aber  doch  die  Grösse 
einer  ausgewachsenen  Olive.  Die  weisse  Abart  treibt  zwei, 
die  andere  nur  einen  Stengel.  Mit  beiden  heilt  man  flies- 
seude  Geschwüre,  Brandschäden  und  Fisteln,  wenn  man 
sie  unter  Salben  mischt.  Mit  Wasser  gekocht  und  hierauf 
mit  Rosenöl  versetzt,  hindern  sie  das  Weiterfressen  ge 
wisser  Geschwüre.  Berührt  man  damit  die  Geschlechtstheile 
irgend  eines  weiblichen  Thieres,  so  soll  dasselbe  seltsamer 
weise  zu  Grunde  gehen. 

95. 

Das  Myriophyllum^)^  bei  uns  Millefolium  ge- 
nannt, hat  einen  zarten,  dem  Fenchel  ähnlichen  Stengel, 
zahlreiche  Blätter,  welchem  Umstände  es  auch  den  Namen 
verdankt,  fachst  in  Sümpfen  und  erweist  sich  bei  Wunden 
sehr  wirksam.  Man  trinkt  es  mit  Essig  bei  Fehlern  des 
Harns  und  der  Blase,  Engbrüstigkeit  und  wenn  man  von 
einer  Höhe  herabgefallen  ist.  Die  Blätter  sind  besonders 
gut  bei  Zahnsehmerzen.   Mit  obigem  Namen  bezeichnet  man 


')  thyrsus. 

-)  Arum  Arisarum  L. 

'■*)  Myriophj-lluni  spicatuiii  L. 

VVittstein:  Pliiüus.     IV.  Bd.  ly 


274  Vierundzwanzigstes  Buch. 

in  Etrurien  ein  auf  Wiesen  wachsendes  zartes  Krauti),  welches 
seitwärts  stehende,  haarartige  Blätter  trägt  und  ebenfalls 
ein  grosses  Wundmittel  ist,  denn  es  soll  mit  Zusatz  von 
Schmalz  die  durch  die  Pflugschaar  abgeschnittenen  'Sehnen 
der  Ochsen  wieder  vereinigen  und  kräftigen. 

Das  Pseudobunium'^)  hat  der  Steckrübe  ähnliche 
Blätter,  wächst  strauchig,  bis  zur  Höhe  einer  Hand  und  ist 
am  besten  auf  Greta.  Gegen  Leibschmerzen,  Harnstrenge, 
Seiten-  und  Herzstiche  nimmt  man  einen  aus  fünf  oder  sechs 
Zweigen  bereiteten  Trank  ein. 

97. 

Die  Myrrhis,  Myrrhiza  oder  Myrrha^)  hat  in  Stengel, 
Blättern  und  Blüthen  viel  Aehnlichkeit  mit  dem  Schierling, 
ist  aber  kleiner  und  schmeckt  nicht  unangenehm.  Mit  Wein 
befördert  sie  die  Menstruation  und  Entbindungen,  soll  auch 
als  Trank  gegen  die  Pest  heilsam  sein  und  den  Schwind- 
süchtigen gut  bekommen,  macht  Appetit  und  die  Bisse  der 
giftigen  Spinnen  unwirksam.  Der  Aufgoss,  den  mau  durch 
dreitägiges  Einweichen  der  Pflanze  in  Wasser  erhält,  heilt 
die  Geschwüre  im  Gesicht  und  auf  dem  Kopfe. 

Die  Onobrychis^)  hat  der  Linse  ähnliche,  aber  längere 
Blätter,  röth liehe  Blumen,  eine  kleine  dünne  Wurzel  und 
wächst  an  Quellen.  Man  trocknet  sie,  stösst  sie  fein  wie 
Mehl  und  nimmt  dieses  mit  weissem  Wein  gegen  Harn- 
strenge ein.  Sie  hemmt  auch  den  Durchfall.  Reibt  mau 
sie  mit  dem  mit  Oel  versetzten  Safte  ein,  so  geräth  man 
in  Schweiss. 

99. 

Da  ich  gerade  von  wunderbaren  Kräutern  rede,  so 
darf  ich  auch  die  zauberischen   nicht   mit  Stillschweigen 


>)  Etwa  Achillea  Millefolium? 

2)  Bunium  pumilum  Sm.? 

3)  Myi'i-his  odorata  L. 

*)  Onobrychris  Caput  galli  und  0.  crista  galli  L, 


Vierundzwanzio'stes  Buch.  275 

übergehen,  denn  verdienen  nicht  die  mei.sten  unsere  Be- 
wunderung? In  unserem  Welttheile  sind  es  Pythagoras 
und  Democritus,  welche  dieselben  zuerst,  rühmend  erwähnt 
Imben  uud  ihnen  folgten  die  Magier.  Pythagoras  giebt  an, 
durch  die  Coracesia  und  Callicia  würde  das  Wasser 
zum  Gefrieren  gebracht,  doch  theilt  er  über  diese  Pflanzen 
nichts  weiter  mit;  auch  finde  ich  ihrer  bei  anderen  Schritt- 
stellern nicht  gedacht. 

100. 

Eine  andere  Pflanze,  welche  erMinyas  oder  Cory- 
sidia  nennt,  soll  die  Schlangenbisse  augenblicklich  heilen, 
wenn  man  die  Wunde  mit  einem  Absude  derselben  bähef. 
Wer  aber  auf  Gras,  auf  welches  dieser  Absud  gegossen  ist, 
tritt  oder  zufällig  davon  bespritzt  wird,  soll  unrettbar  ver- 
loren sein  —  sonderbare  Wirkung  eines  Giftes,  welches  nur 
anderen  Giften  widersteht. 

101. 

Derselbe  Pythagoras  führt  unter  dem  Namen  Aproxis 
ein  Kraut  an,  dessen  Wurzel  schon  in  einiger  Entfernung, 
wie  die  früher  von  mir  erwähnte  Naphtha,  Feuer  fängt. 
Ferner:  wenn  ein  Mensch  während  der  Blüthezeit  dieser 
Pflanze  erkranke  und  wieder  genese,  so  werde  er  doch  so 
oft,  als  sie  wieder  blühe,  an  jene  Krankheit  durch  das  Ge- 
fühl erinnert.  Dieselbe  Wirkung  besitze  auch  das  Getreide, 
der  Schierling  und  die  Viole.  Es  ist  mir  zwar  nicht  un- 
bekannt, dass  Einige  den  Arzt  Cleemporus^)  als  Verfasser 
des  in  Rede  stehenden  Buches  bezeichnen,  allein  zahlreiche 
Nachrichteii  und  das  Alter  beweisen,  dass  es  Pythagoras 
geschrieben.  Ein  Beweis  für  den  Werth  dieses  Werkes 
liegt  schon  darin,  dass  man  es  dieses  Mannes  würdig  er- 
achtet hat;  wie  kann  man  aber  den  Cleemporus  für  den 
Autor  halten,  da  er  andere  Werke  unter  seinem  Namen 
herausgegeben? 

102. 

Dass  die  sogenannten  Handbücher'-)    dem   Democritus 

';  Nicht  näher  bekannt. 
^)  chirocmeta. 

18* 


27(3  Vierundzwanzigstes  Buch. 

aDgeliören,  ist  ausser  Zweifel.  Aber  um  wie  viel  seltsamere 
Dinge  theilt  er  uns  darin  mit,  er  der  nach  Pythagoras  die 
Magier  am  eifrigsten  studirte!  Ein  Kraut  Aglaophotis, 
welches  diesen  Namen  wegen  seiner  überaus  schönen  Farbe 
bekommen  habe,  in  den  Marmorbrüchen  Arabiens  an  der 
Grenze  von  Persien  wächst  und  daher  auch  Marmaritis 
heisse,  sollen  die  Magier  gebrauchen,  wenn  sie  die  Götter 
anrufen  wollen.  Die  Achaemenis  von  bernsteingelber 
Farbe  und  blattlos,  wachse  in  Indien  im  Lande  der  Tardis- 
tiler;  forme  man  deren  Wurzel  zu  Kügelchen  und  nehme  die- 
selben am  Tage  mit  Wein  ein,  so  bekenne  man,  wenn  man 
Böses  gethan  habe,  bei  Nacht  unter  Qualen  und  mannigfaltigen 
Gedanken  an  die  Götter  alle  Vergehungen.  Dieselbe  Pflanze 
nennt  er  auch  Hippophobas,  weil  die  Pferde  leicht  scheu 
davor  werden.  Das  Theombrotium  soll  3ü  Schoenus  weit 
von  Choaspe  vorkommen,  pfaueuartig  gefärbt,  äusserst  wohl- 
riechend sein  und  von  den  persischen  Königen  wider  alle 
Beschwerden  des  Leibes  und  schwachen  Verstiind  gegessen 
und  getrunken  werden;  es  heisse  auch  Semnium  wegen 
der  Erhabenheit  seiner  Wirkung.  Ein  anderes,  Adamautis, 
in  Armenien  und  Cappadocien  zu  Haus,  soll,  wenn  man  es 
Löwen  vorhält,  diese  mit  offenem  Kachen  rücklings  um- 
werfen; seinen  Namen  habe  es  davon,  weil  es  nicht  zer- 
neben  werden  könne.  Die  Arianis  soll  in  Ariana  vor- 
kommen, die  Farbe  des  Feuers  haben,  zur  Zeit  wenn  die 
Sonne  im  Löwen  steht,  gesammelt  werden  und  die  Eigen- 
schaft besitzen,  Holz,  welches  mit  Oel  bestrichen  ist,  durch 
blosse  Berührung  anzuzünden.  Durch  die  in  Cappadocien 
und  Mysien  vorkommende  Therionarca  sollen  alle  wilden 
Thiere  in  Erstarrung  gerathen  und  nur  durch  Besprengen 
mit  Hyänenharn  wieder  zu  sich  kommen.  Die  Aethiopis, 
welche  in  Meroe  wächst  und  daher  auch  Merois  heisst, 
hat  lattichartige  Blätter  und  soll  mit  Meth  getrunken  die 
Wassersucht  heilen.  Die  Ophiusa  in  der  äthiopischen 
Provinz  Elephantine,  hässlich  vom  Ansehen,  soll  als  Trank 
genommen  dem  Menschen  Schrecken  und  Drohungen  gegen 
Schlangen  verleihen,  dergestalt  dass  diese  sich  aus  Furcht 


Vierundzwanzigstes  Buch.  277 

unibringeu;  daher  soll  man  auch  den  Tenipelräubeni  davon 
zu  trinken  geben;  Palmwein  habe  aber  diese  Wirkung  auch. 
Die  Thalasse gle  am  Flusse  Indus  und  wegen  des  Stand- 
orts auch  Potamocys  (Potamas)  genannt,  macht  Men- 
schen, welche  einen  daraus  bereiteten  Trank  zu  sich  neh- 
men, wahnsinnig  und  bewirkt,  dass  ihnen  allerlei  wunder- 
bare Dinge  vorschweben.  Die  Theangelis,  welche 
auf  dem  Libanon,  auf  den  cretischen  Bergen  Dicte,  um 
Babylon  und  Susa  in  Persien  vorkommt,  soll  den  Magiern 
die  Kraft  der  Weissagung  verleihen.  Die  Gelotophyllis 
in  Bactrien  nud  am  Borysthenes  soll,  mit  Myrrhe  und  Wein 
genommen,  bewirken,  dass  man  allerlei  Gestalten  sehe  und 
nicht  eher  zu  lachen  aufhöre,  bis  man  Palmwein  mit  Pinienker- 
nen, Pfeffer  und  Honig  getrunken  habe.  Die  Hestiatoris  in 
Persien  hat  ihren  Namen  von  den  Schmausereien,  weil  sie 
munter  macht;  sie  heisst  auch  Protomedia,  weil  man 
sich  dadurch  bei  Königen  in  Gunst  setzen  kann.  Ca  Si- 
gnete heisst  ein  Kraut,  weil  es  einsam,  nicht  in  Gesell- 
schaft anderer  wächst;  es  wird  auch  Dionysonymphas 
genannt,  weil  es  sich  gut  zum  Wein  eignet.  Helianthes 
heisst  ein  anderes  Kraut  in  Themiscyrena  in  den  am  Meere 
gelegenen  Gebirgen  Ciliciens  mit  myrtenartigen  Blättern, 
woraus  durch  Kochen  mit  Löwenfett,  nachherigen  Zusatz 
von  Safran  und  Palm  wein  eine  Salbe  bereitet  wird,  mit 
welcher  sich  die  Magier  und  persischen  Könige  den  Körper 
einreiben,  um  ihm  ein  gefälliges  Ansehen  zu  geben,  und 
dieses  Zweckes  wegen  führt  es  auch  den  Namen  Helio- 
callis.  Was  Democrit  Hermesias  nennt  und  als  ein 
Mittel  zur  Erzeugung  schöner  und  guter  Kinder  empfiehlt, 
ist  keine  Pflanze  sondern  eine  Composition  aus  zerriebenen 
Pinienkernen,  Honig,  Myrrhe,  Safran,  Palmwein,  Theom- 
brotium  und  Milch ;  hievon  sollen  die  Männer  vor  dem  Bei- 
schlaf und  die  Frauen  nach  der  Empfängniss  trinken.  Allen 
diesen  Dingen  giebt  er  auch  magische  Namen.  Apollodorus, 
sein  Nachfolger  in  der  Magie,  fügt  noch  das  Kraut  Aeschy- 
n  0  m  e  n  ei)hiuzu,welches  diesen  Namen  führt,weil  es  bei  Berüh- 

')  Mimosa  pudica? 


278  Vierundzwanzigstes  Buch. 

rung  mit  der  Hand  (vor  Scbaam)  seine  Blätter  zusammen- 
faltet, ferner  die  Crocis,  durch  deren  Berührung  die  Erd- 
spinnen getödtet  werden,  Cratevas:  die  Oenotheris  i), 
welche  die  Wildheit  aller  Thiere  zähme  wenn  mau  Wein 
damit  auf  dieselben  sprenge;  der  ebengenannte  berühmte 
Grammatiker  2),  die  Anaeampseros,  durch  deren  blosse  Be- 
rührung die  Liebe,  auch  wenn  an  ihre  Stelle  Hass  getreten 
sei,  wiederkehre. 

So  viel  vorläufig  von  den  seltsamen  Berichten  der 
Magier  über  diese  Gewächse;  an  einem  andern  Orte  \verde 
ich  wieder  darauf  zurückkommen. 

103. 

Ueber  die  Eriphia^)  sind  viele  Nachrichten  vorhan- 
den; in  ihrem  Halme  befindet  sich  ein  Käfer,  der  darin  mit 
dem  Laute  eines  Bocks  auf-  und  abläuft,  und  die  Ursache 
jenes  Namens  ist.  Nichts  soll  besser  für  die  Stimme  sein 
als  dieses  Kraut. 

104. 

Das  Wollkraut^)  giebt  man  den  Schafen  nüchtern, 
um  mehr  Milch  zu  bekommen.  Ebenso  bekannt  ist  der 
Lactoris,  welcher  viel  Milchsaft  hat,  und  deren  Genuss 
Blechen  erregt.  Einige  geben  an,  sie  sei  dieselbe  Pflanze, 
welche  Militaris  heisst,  nach  Andern  sieht  sie  ihr  nur 
ähnlich;  letzterer  Name  rührt  nur  daher,  weil  sie  mit  Oel 
aufgelegt  alle  durch  Eisen  entstandenen  Wunden  innerhalb 
fünf  Tagen  heilt. 

105. 

Aber  auch  die  Griechen  schätzen  eine  mit  ähnlichen 
Eigenschaften  begabte  Pflanze,  welche  sie  daher  Stratio- 
tes^)  nennen.  Sie  findet  sich  nur  in  Aegypten  und  zwar 
an  vom  Nil  überschwemmten  Plätzen,  ist  dem  Aizoon  ähn- 
lich, hat  aber  grössere  Blätter,  kühlt  vortrefflich,  heilt  mit 


')  Epilobium  hirsutura  L.     -)  Apollodorus. 
^)  von  igufoq  Bock. 

'')  lanaria,  soll  die  Radicula  XIX.   18.  sein. 
'0  Pistia  stratiotes  L. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  279 

Essig  aufgelegt  Wunden,  die  Rose  und  Vereiterungen.  Mit 
niäimlichem  Weihrauch  als  Trank  genommen  stillt  sie  das 
au.s  den  Nieren  fliessende  Blut  aufs  beste. 

1013. 
Das    auf   dem  Haupte  einer  Bildsäule  gewachsene 
Kraut  soll,  in  einem  Kleidungsstück  gesammelt  und  in  einem 
röthlichen  Stück    Leinwand    auf   den  Kopf  gebunden,    die 
Sehmerzen  sogleich  vertreiben. 

107. 
Jedwedes  aus  Bächen  und  Flüssen  vor  Sonnenauf- 
gang und  ohne  Beisein  einer  andern  Person  gesammelte 
Kraut  heilt  das  dreitägige  Fieber,  wenn  man  es  dem  Kran- 
ken auf  den  linken  Arm  bindet,  doch  muss  er  nicht  wissen, 
was  es  ist. 

108. 
Das  Zungenkrauti)  wächst  an  Bächen.    Die  Wurzel 
desselben  verbrennt  man,  mischt  sie  mit  Schweinefett  und 
bestreicht    damit   au   der  Sonne    die  Glatze.     Es  soll  auch 
eine  schwarze  unwirksame  Art  geben. 

109. 
Wenn   man  ein  Sieb  auf  eine  Grenzscheide  legt,  die 
darin-)   wachsenden  Kräuter  abrupft    und  Schwangern    um- 
bindet, so  wird  die  Entbindung  beschleunigt. 

110. 
Das  Kraut,    welches  auf  Misthaufen  wächst,    ist  als 
wässeriger    Trank  ein    sehr    wirksames   Mittel    gegen    die 
Bräune. 

111. 
Das  Kraut,  neben  welches  die  Hunde  pissen,  heilt 
sehr   schnell  Verrenkungen,    wenn    mau    es    ohne  Mithülfe 
eines  Eisens  sammelt. 

112. 
Bei  der  Beschreibung  der  Baumanlagen  in  Weingärten 
habe  ich  des  rumbotiuischen  Baumes  gedacht.    Neben  diesem 


')  Lingua.     Ranunculus  Lingua.  L.? 
-)  d.  h.  durch  dessen  Löcher. 


280  Vierundzwanzigstes  Buch. 

wächst,  Avenn  )*ich  keine  Weinranken  darum  schlingen,  ein 
Kraut,  das  die  Gallier  Rodarum  nennen;  dasselbe  hat 
einen  nach  Art  eines  Feigenreises  knotigen  Stengel,  nessel- 
ähnlicbe,  in  der  Mitte  weissliche,  mit  der  Zeit  aber  roth 
werdende  Blätter,  silberfarbige  Blüthen  und  ist  ein  vorzüg- 
liches Mittel  gegen  Geschwülste,  Entzündungen,  Ansamm- 
lungen, wenn  man  es  mit  altem  Fett  vermischt  und  kein 
Eisen  damit  in  Berührung  bringt.  Wer  sich  damit  einge- 
rieben hat,  spuckt  dreimal  in  seine  rechte  Hand.  Es  soll 
noch  kräftiger  wirken,  wenn  drei  Menschen  von  drei  ver- 
schiedenen Nationen  rechter  Hand  damit  einreiben. 

113. 

Impiai)  heisst  ein  graufilziges,  dem  Rosmarin  im  An- 
sehen ähnliches,  wie  ein  Thyrsus  bekleidetes  und  Köpfchen 
tragendes  Kraut,  von  welchen  aus  noch  mehrere,  ebenfalls 
Köpfchen  tragende  Zweige  emporsteigen;  hier  erheben  sich 
also  gleichsam  die  Kinder  über  den  Vater  und  diess  ist  der 
Grund  zu  jener  Benennung  (das  gottlose  Kraut),  während 
Andere  angeben,  es  sei  deshalb  so  genannt  worden,  weil 
kein  Thier  es  anrühre.  Man  reibt  es  zwischen  zwei  Steinen, 
wobei  es  sich  erhitzt  und  verordnet  den  Saft  mit  Zusatz 
von  Milch  und  Wein  gegen  Bräune;  ja  wer  nur  einmal  davon 
gekostet  hat,  soll  nie  wieder  von  dieser  Krankheit  befallen 
werden.  Zu  demselben  Zwecke  giebt  man  es  auch  den 
Schweinen,  und  wenn  sie  es  nicht  fressen,  sollen  sie  an  der 
Krankheit  sterben.  Mau  räth  auch,  dieses  Kraut  in  die 
Vogelnester  zu  stecken,  damit  die  Jungen,  wenn  sie  zu  gierig 
fressen,  nicht  ersticken. 

114. 

Der  Venuskamm^),  eine  Pflanze,  welche  einem  Kamme 
ähnlich  sieht,  besitzt  in  der  Wurzel,  wenn  man  sie  mit  Malve 
anstösst,  die  Kraft,  alles  was  im  Leibe  steckt,  herauszu- 
ziehen. 


*)  8antolina  rosmarinifolia? 

2)  Pecten  Veneris.     Scanclix  Peeten  L. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  281 

115. 
Das  Exedum,  auch  Nodia,  Mularis  u.  s.  w.  genannt, 
dessen  man  sich  in  den  Gerbereien  häufig  bedient,  heilt  die 
Schlafsucht,  auch  die  Eiterbeulen  und  mit  Wein  oder  Nach- 
bier  genommen  aufs  beste  die  Scorpionstiche. 

116. 
Philanthropus  nennen  die  Griechen  ein  rauhes  Kraut, 
weil  es  sich  gern  an  die  Kleider  hängt.  Setzt  man  einen 
daraus  gemachten  Kranz  auf,  so  vergeht  das  Kopfweh.  Die 
sogenannte  Hundsklette  ^  heilt,  mit  Wegebreit  und  Tausend- 
blatt in  Wein  abgerieben  und  alle  drei  Tage  aufgelegt,  den 
Krebs.  Ohne  Hülfe  eines  Eisens  gesammelt,  mit  Milch  und 
Wein  angemacht  und  in  das  Spühlig  der  Schweine  gethan, 
macht  es  diese  Tbiere  gesund.  Einige  geben  an,  der  welcher 
es  ausgrabe,  solle  dabei  sagen:  diess  ist  das  Kraut  Argemon, 
welches  Minerva  als  Mittel  für  die  Schweine  erfunden  hat. 

117. 
Einige  geben  an,  das  Tordylum2)  sei  der  Same  des 
Sil,  Andere:  es  sei  ein  eigenthümliches  Kraut  und  nennen 
es  auch  Syreum.  Alles,  was  ich  davon  aufgezeichnet 
finde,  ist,  dass  es  auf  Bergen  wachsen  soll.  Verbrannt  und 
als  Trank  genommen,  befördere  es  den  Monatsfluss  und  den 
Auswurf  bei  Brustleiden,  am  besten  eigne  sich  dazu  die 
Wurzel;  drei  Obolen  des  Safts  heilen  die  Nieren  und  die 
Wurzel  setze  man  den  erweichenden  Pflastern  zu. 

118. 
Das  Gras  selbst  ist  das  gemeinste  Kraut.  Es  wächst 
kriechend,  hat  knotige  Absätze  und  treibt  von  diesen  und 
von  der  Spitze  häutig  neue  Wurzeln  aus.  Seine  Blätter 
endigen  fast  überall  in  schmalen  Fäden,  nur  auf  dem  Par- 
nass  findet  man  sie  dicker,  epheuartig,  die  Blüthen  wohl- 
riechend und  weiss.  Es  ist  frisch  oder  getrocknet  und  mit 
Wasser  besprengt,  das  beste  Futter  für  das  Zugvieh.  Die 
auf  dem   Parnass    wachsende  Art   enthält   eine   reichliche 


•)  Lappa  canaria. 

^)  Tordylium  officinale  L. 


2öJ  Vierund zwanzigstes  Buch. 

Menge  süssen  Saftes,  welchen  mau  auffängt.  Statt  dieses 
Saftes  kocht  man  au  andern  Orten  die  Pflanze  aus  und 
wendet  den  Absud  zum  Vereinigen  der  Wundränder  an; 
aber  auch  das  Kraut  selbst  besitzt  diese  Kraft  und  schützt 
die  Wunden  vor  Entzündung.  Dem  Absude  setzt  man  noch 
Wein  und  Honig,  auch  wohl  ein  Drittheil  Weihrauch,  Pfeffer 
und  Myrrhe  hinzu,  kocht  nochmals  in  einem  kupfernen 
Kessel  und  gebraucht  diess  Mittel  gegen  Zahnschmerzen 
und  Augengeschwtire.  Die  in  Weiu  gekochte  Wurzel  be- 
seitigt Bauchgrimmen,  Htirnstreuge,  Blasengeschwüre,  und 
zerkleinert  die  Harnsteine.  Der  Same  treibt  den  Harn  noch 
kräftiger  aus,  stillt  Durchfall  und  Erbrechen,  leistet  aber 
besonders  gute  Dienste  bei  den  Bissen  der  Drachen.  Gegen 
Kröpfe  und  Fettbeulen  empfiehlt  man,  neun  Knoten  von 
einem,  zwei  oder  di  ei  Halmen  (je  nach  der  Zahl  der  daran 
befindlichen  Knotei.)  in  schwarze  Wolle  einzuwickeln  uud 
aufzulegen;  der  die  Knoten  sammele,  müsse  nüchtern  sein, 
während  der  Abwesenheit  des  zu  Heilenden  in  dessen  Haus 
gehen,  wenn  dieser  darüber  zukomme,  dreimal  sagen,  ein 
Nüchterner  bringe  einem  Küchteiuen  ein  Medicameut,  hie- 
rauf es  ihm  anbinden  und  diese  Procedur  drei  Tage  hinter- 
eluiinder  wiederholen.  Die  sieben  Knoten  führenden  Halme 
bindet  man  gegen  Kopfschmerzen  mit  bestem  Erfolge  auf. 
Einige  verordnen  gegen  Blasenschmerzen,  Gras  mit  Wein 
bis  zur  Hälfte  einzukochen  und  diess  Dekokt  nach  dem 
Bade  zu  trinken. 

119. 
Von  dem  stachlichteu  Grase  unterscheidet  man  drei 
Arten;  finden  sich  an  der  Spitze  Stacheln  und  zwar  meist 
fünf,  so  heisst  es  Dactylus^);  man  wickelt  dieselben  zu- 
sammen, steckt  sie  in  die  Nase  und  zieht  sie  wieder  heraus, 
um  das  Bluteu  zu  befördern.  Die  zweite  dem  Aizoon  ähn- 
liche Art  wendet  man  mit  Schmalz  bei  Nagelgeschwüren, 
Kietnägelu  und  daransitzendem  wildem  Fleische  an;  wegen 


')  Cynodon  Dactylon  Pers. 


Vierundzwanzigstes  Buch.  283 

dieses  Gebrauchs  bei  Fehlern  der  Finger  heisst  es  auch 
Dactylus.  Die  dritte  Dactylus-Art  ist  klein,  wächst  auf 
Dächern  und  an  Wänden,  hat  ätzende  Eigenschaften  und  heilt 
umsichfressende  Geschwüre,  Legt  man  Gras  um  den  Kopf, 
so  hört  das  Nasenbluten  auf.  Dasjenige,  welches  um  Baby- 
lon an  Wegen  wächst,  soll  die  Kameele  tödten. 

120. 
Nicht  weniger  Werth  hat  das  Foenum  graecum, 
welches  auch  Telis,  Carphus,  Buceras,  Aegoceras  (wegen 
der  hornähulichen  Samen),  bei  uns  Silicia  heisst;  von 
seinem  Anbau  habe  ich  bereits  gesprochen  i).  Es  trocknet, 
erweicht  und  löst  auf  (zertheilt).  Der  eingedickte  Absud 
wird  bei  den  meisten  Weiberkrankheiten,  nämlich  bei  Ver- 
härtung, Geschwulst  oder  bei  Zusammeuziehung  der  Gebär- 
mutter, umgeschlagen,  eingespritzt,  oder  die  Leidende  setzt 
sich  darüber.  Es  vertreibt  die  Hautschuppen  im  Gesichte, 
heilt  mit  Zusatz  von  Natron  oder  mit  Essig  gekocht  und 
aufgelegt  die  Milz  und  Leber.  Diocles  verordnet  bei  schweren 
Entbindungen,  als  ein  ausgezeichnetes  Mittel,  ein  Acetabu- 
lum  voll  Samen  mit  neun  Bechern  gesottenen  Weins  abzu- 
reiben, ein  Drittheil  davon  einzugeben  und  die  Kreisende 
in  ein  Bad  zu  bringen;  sobald  Schweiss  eingetreten  ist,  soll 
man  ihr  von  dem  noch  übrigen  Tranke  die  Hälfte  und  nach 
dem  Bade  den  Rest  geben.  Gegen  Krämpfe  in  der  Gebär- 
mutter legt  er  das  mit  Zusatz  von  Gersten-  und  Leinsameu- 
mehl  in  Wassermeth  gekochte  Pulver  von  Foenum  graecum 
entweder  auf  die  Schaam  selbst  oder  auf  den  Unterleib. 
Um  Krätze  und  Leberflecken  zu  heilen,  reinigt  er  zuvor  die 
Haut  mit  Soda,  und  lässt  dann  täglich  mehrere  Male  mit 
einer  Mischung  von  gleichen  Theilen  Foenum  graecum- 
Pulver  und  Schwefel  einreiben.  Theodorus  mischt  gegen 
Krätze  zu  dem  Pulver  des  Foenum  den  vierten  Theil  mit 
schärfstem  Essig  gereinigten  Nasturtiums.  Dämon  giebt  zur 
Beförderung  der  Menstruation  V>  Acetabulum  voll  Samen  mit 
neun  Becher  gesottenen  Weins   und  Wassers  als  Getränk. 


•)  XVIII.  B.  39.  Cap. 


234  Vierundzwanzigstes  Buch. 

Es  ist  kein  Zweifel,  dass  ein  Absud  der  Ptiaüze  für  schwä- 
rende Gebärmutter  und  andere  Eingeweide,  der  Same  für 
die  Glieder  und  das  Zwerchfell  sehr  dienlich  sei.  Ein  durch 
Abkochung-  mit  Malve  und  nachherigen  Zusatz  von  Meth 
bereiteter  Trank  wird  bei  Fehlern  der  Gebärmutter  und 
anderer  Innern  Theile  besonders  gerühmt,  auch  wenn  man 
nur  den  Dampf  des  Dekokts  anwende.  Ein  Absud  des  Foe- 
num  vertreibt  auch  den  üblen  Geruch  unter  den  Achseln. 
Das  Pulver  dient  mit  Wein  und  Natron  zur  schnellen  Ent- 
fernung des  Grinds  und  der  Schuppen  vom  Kopfe.  Mit  Honig- 
meth  gekocht  und  Schmalz  versetzt  heilt  es  die  Geschlechts- 
theile,  Fettbeulen,  Ohreugeschwüre,  Gicht  an  Händen  und 
Füssen,  Gliederkrankheiten,  das  von  den  Knochen  sich  ab- 
lösende Fleisch,  mit  Essig  aber  Verrenkungen.  Mit  Essig 
und  Honig  gekocht  legt  man  es  auf  die  Milzgegend.  Mit 
Wein  versetzt  reinigt  es  die  Krebsgeschwüre,  und  setzt 
man  später  noch  Honig  hinzu,  so  heilt  es  sie  auch.  Ein 
mit  dem  Pulver  bereiteter  Trank  wird  bei  Geschwüren  in 
der  Brust  und  anhaltendem  Husten  eingenommen;  man  lässt 
zu  diesem'Behufe  so  lange  kochen,  bis  der  bittere  Geschmack 
vergangen  ist,  und  fügt  dann  noch  Honig  hinzu. 

Nun  wollen  wir  von  dem  eigentlichen  Ruhme  der  Kräuter 
handeln. 


Fünfundzwanzigstes  Buch. 

Von  der  Beschaffenheit,  dem  Ansehen  und  Werthe  der  wild- 
wachsenden Kräuter. 

1. 
Selbst  der  Ruhm  der  Kräuter,  von  welchem  wir  jetzt 
handeln  -wollen  —  denn  die  Erde  liefert  sie  uns  nur  zu  arz- 
neilichen Zwecken  —  führt  mich  zur  Bewunderung  des 
Fleisses  und  der  Sorgfalt  der  Alten.  In  der  That,  sie  haben 
nichts  unversucht  und  unerforscht  gelasseu,  nichts  verhehlt, 
was  ihren  Nachkommen  Nutzen  bringen  kann.  Aber  wir 
trachten  das  von  ihnen  U eberlieferte  zu  verbergen  und  zu 
unterdrücken  und  sogar  das  Leben  um  fremde  Güter  zu 
bringen.  Gewiss,  diejenigen  verbergen,  welche  etwas  we- 
niges wissen  und  es  Andern  nicht  gönnen;  Niemanden  zu 
belehren,  halten  sie  für  wissenschaftlich  erhaben.  Soweit 
ist  unser  Zeitalter  von  Erfindung  neuer  Dinge  und  Schaffung 
der  Mittel  zur  Erhaltung  des  Lebens  entfernt,  uud  der  mensch- 
liche Geist  hat  schon  lange  darin  seine  höchste  Beschäftigung 
gesucht,  die  schönen  Erzeugnisse  der  Alten  dem  Untergange 
zu  weihen.  Und  doch  waren  einzelne  Erfindungen  der  Art, 
dass  die  Erfinder  unter  die  Götter  versetzt  wurden;  wenig- 
stens machten  sie^)  das  Leben  Aller  durch  die  Beinamen 
der  Kräuter  berühmt  und  so  trug  das  Andenken  den  ge- 
bührenden Dank  ab.  Der  Fleiss  der  Alten  in  Bezug  auf 
solche  Gewächse,  welche  schön  aussehen  und  den  Gaumen 
kitzeln,    wäre  nicht  so  sehr  zu  bewundern;    aber  nein,   sie 


•)  Die  Erfindungen. 


286  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

haben  selbst  unwegsame  Bergspitzen,  entlegene  Einöden  und 
das  Innere  der  Erde  durchsucht  und  ermittelt,  was  jede 
Wurzel  für  Kräfte  hat,  zu  welchem  Nutzen  die  Blätter  der 
Kräuter  tauglich  sind,  ja  sogar  Pflanzen,  welche  von  Thieren 
nicht  gefressen  werden,  nutzbar  zu  machen  gewusst. 

2. 

In  dieser  Beziehung  haben  wir  Römer,  die  wir  sonst  auf 
alles,  was  Nutzen  und  Tapferkeit  betrifft,  wahrhaft  räube- 
risch ausgehen,  uns  weniger  Ruhm  erworben,  als  recht  wäre. 
Der  erste  und  lange  Zeit  einzige  Mann,  welcher,  wenn  auch 
nur  wenig  darin  wirkte,  aber  selbst  die  Thierarzneikunde 
nicht  unberücksichtigt  liess,  war  M.  Cato,  der  Lehrer  aller 
nützlichen  Künste.  Nach  ihm  hat  unter  berühmten  Männern 
nur  einer,  C.  Valgiusi),  ein  ausgezeichneter  Gelehrter,  sich 
in  diesem  Fache  versucht,  nämlich  in  einem  unvollendeten 
Buche  an  den  Kaiser  Augustus,  welches  mit  einer  ehrfurchts- 
vollen Vorrede  beginnt,  worin  er  die  Majestät  des  Fürsten 
als  das  kräftigste  Heilmittel  aller  menschlichen  Uebel  be- 
zeichnet. 

3. 

Früher  hatte,  soviel  ich  in  Erfahrung  bringen  konnte, 
bei  uns  nur  Pompejus  Lenaeus,  ein  Freigelassener  des  gross^en 
Pompejus,  ähnliche  Gegenstände  behandelt,  und,  wie  ich  be- 
merke, ist  damals  diese  Wissenschaft  erst  zu  uns  gekommen. 
Mithridates  nämlich,  der  grösste  König  seines  Zeitalters, 
welcher  uns,  abgesehen  von  seinem  übrigen  Ruhme,  durch 
seinen  alle  vor  ihm  Geborenen  übertreffenden  Fleiss  als  ein 
Vorbild  nützlicher  Lebensthätigkeit  erscheint,  wurde  vi  n 
Pompejus  besiegt.  Er  war  es,  der  die  Erfindung  machte, 
täglich,  nach  vorhergenommenen  Gegenmitteln,  Gift  zu  ver- 
schlucken und  sich  so  nach  und  nach  daran  ohne  Nachtheil 
zu  gewöhnen.  Zuerst  wurden  die  verschiedenen  Gegenmittel 
ausfindig  gemacht,  von  denen  noch  eins  seinen  Namen  führt. 
Sein  Geheimniss  soll  darin  bestanden  haben,  das  Blut  der 
pontischen  Enten  den  Gegenmitteln  beizumischen,  weil  diese 


')  Er  war  Arzt  in  Rom. 


Fünfundzwanzigstes  Buch,  287 

von  Giften  leben.  Es  sind  noch  die  von  dem  berühmten 
Arzte  Asciepiades  an  ihn  gerichteten  Schriften  vorhanden, 
welche  dieser  ihm  an  seiner  Statt  zuschickte,  als  M.  ilin 
einhul,  von  Rom  aus  zu  ihm  zu  kommen.  Man  weiss  mit 
Sicherheit,  dass  dieser  König  —  was  als  einzig  zu  allen 
Zeiten  dasteht  —  zweiundzwanzig  Sprachen  verstand,  und  in 
den  56  Jahren  seiner  Regierung  mit  keinem  der  ihm  unter- 
worfenen Völker  durch  Hülfe  eines  üolmetsQ^iel-s  redete. 
Trotz  seiner  grossen  Gelehrsamkeit  suchte  er  sich  auch  noch 
in  der  ]\Iediciu  Kenntnisse  zu  verschaffen,  forschte  bei  allen 
seinen  Unterthanen  (welche  über  viele  Länder  verbreitet 
waren)  in  dieser  Beziehung  nach,  und  hinterliess  in  seinen 
innersten  Gemächern  einen  Schrank  voll  dergleichen  Auf- 
zeichnungen, Proben  und  Gegenproben.  Pompejus,  welcher 
sich  dieser  Beute  bemächtigte,  Hess  die  Schriften  von  seinem 
Freigelassenen,  dem  Grammatiker  Lenaeus,  in  die  lateinische 
Sprache  übersetzen  und  nützte  auf  solche  Weise  durch  seinen 
Sieg  nicht  weniger  dem  menschlichen  Leben  als  dem  Staate. 

4. 

Ausser  diesen  schrieben  auch  Griechen  übei"  Arznei- 
kunde und  diese  habe  ich  gehörigen  Orts  angeführt.  Unter 
ihnen  sind  Cratevas,  Dyonysius,  Metrodoras  auf  die  be- 
quemste und  bestechendste  Weise  verfahren,  aus  ihrer  Arbeit 
erkennt  man  indessen  fast  niclits  weiter  als  die  Schwierig- 
keit der  Sache,  denn  sie  haben  die  Kräuter  abgebildet  und 
die  Wirkungen  darunter  gesciirieben.  Aber  theils  ist  die 
Malerei  trügerisch,  theils  verlässt  bei  so  zahlreichen  Farben, 
besonders  in  Bezug  auf  die  Nachahmung  der  Natur,  den 
Copirenden  nicht  selten  das  Glück.  Dann  hat  es  auch  wenig 
Werth,  die  Pflanzen  nur  in  einem  Alter  gemalt  zu  sehen, 
denn  ihr  Aeusseres  wechselt  ja  zu  jeder  Jahreszeit. 

5. 

Daher  bedienten  sich  die  Uebrigeu  bei  der  Beschreibung 
der  Pflanzen  nur  der  Sprache.  Einige  umgingen  sogar  die 
Beschreibung  und  begnügten  sich  meist  mit  der  Anführung 
der  blossen  Namen,  denn  sie  glaubten  schon  das  Ihrige 
gethan    zu    haben,    wenn   sie  Denen,    welche    die  Pflanzen 


288  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

suchen  wollten,  die  Kräfte  und  Wirkungen  davon  anzeigten. 
Es  ist  auch  nicht  schwer,  sie  kennen  zu  lernen.  Mir  we- 
nigstens ist  es  geglückt,  fast  alle  hieher  gehörigen  Gewächse 
in  Augenschein  nehmen  zu  können,  und  zwar  in  dem  Gar- 
ten des  sehr  gelehrten  Antonius  Castor,  der  dieselben  mit 
iSorgfalt  cultivirte,  und  obschon  über  100  Jahre  alt,  mit 
keinem  körperlichen  Uebel  behaftet  war,  auch  sich  noch 
eines  guten  Gedächtnisses  und  einer  bedeutenden  Lebens- 
frische erfreuete  —  Erscheinungen,  welche  von  jeher  die 
grösste  Bewunderung  erregt  haben. 

Man  ist  schon  lauge  im  Stande,  nicht  bloss  die  Tage 
und  Nächte,  sondern  selbst  die  Stunden,  in  welchen  Sonnen- 
und  Mondfinsternisse  eintreten,  voraus  zu  bestimmen  und 
doch  steht  bei  den  meisten  Menschen  noch  die  Ansicht  fest, 
solche  Naturereignisse  würden  durch  Zaubereien  und  Kräuter 
heraufbeschworen  und  die  Weiber  verständen  sich  auf  diese 
Kunst  ganz  besonders.  Welche  Fabeln  knüpfen  sich  nicht 
an  die  colchische  Medea  und  an  andere,  namentlich  die 
an  italienische  Circo,  welche  auch  zu  den  Göttinnen  ge- 
zählt wird?  Hieraus  erklärt  es  sich  meiner  Ansicht  nach, 
dass  Aeschylos,  einer  der  ältesten  Dichter,  den  Kräutern 
Italiens  ganz  besondere  Kräfte  zuschreibt,  dass  viele  Schrift- 
steller ein  Circäi  nennen,  wo  jene  Zauberin  gewohnt  habe, 
und  dass  noch  jetzt  die  Marser,  von  denen  es  bekannt  ist, 
dass  sie  die  Schlangen  zähmen  können,  behaupten,  sie  stam- 
men von  einem  Sohne  der  Circe.  Docli  schon  Homer,  der 
Vater  der  Wissenschaften  und  des  Alterthums,  giebt,  wenn 
auch  ein  Bewunderer  der  Circe,  Aegypten  die  Palme  in 
Bezug  auf  werth volle  Kräuter,  obgleich  das  Land,  was  er 
meint,  vielleicht  das  jetzt  bewässerte  und  durch  den  Fluss- 
sclilamm  überdeckte  Aegypten  war.  Wenigstens  führt  er 
sehr  viele  äg^^ptische  Pflanzen  an,  von  denen  die  Gemalin 
des  Königs  seiner  Helena  Nachricht  gegeben,  unter  anderen 
die  berühmte  Nepenthe,  welche  die  Kraft  besitzt,  Trübsal 
vergessen  zu  machen  und  Verzeihung  zu  erwirken,  und 
billigerweise  von  der  Helena  allen  Sterblichen  zugetrunken 
werden  sollte. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  289 

So  weit  die  Geschichte  reicht,  war  Orpheus  der  erste, 
welcher    über  Kräuter    mit    einiger  Umsicht   schrieb.     Ihm 
folgten  Musaeus   und  Hesiodus    in    ihrer    Lobpreisung   des 
Polium,  von  dem  schon  früher  in  diesem  Werke  die  Rede 
war.    Orpheus  und  Hesiodus  empfahlen  die  Räucherungen. 
Homer  erwähnt  rühmend  noch  anderer  Kräuter,  die  ich  am 
geeigneten  Orte  näher  besprechen  werde.     Später  schrieb 
der  weise  Pythagoras  ein  Werk  über  die  Wirkungen  der 
Kräuter,  worin  er  den  Apollo,  Aesculap   und  die  unsterb- 
lichen Götter  überhaupt  als  die  Erfinder  und  Schöpfer  der- 
selben bezeichnet;  ein  ähnliches  verfasste  Democritus,  denn 
dieser  sowohl  wie  jeuer  reisten  bei  den  Magiern  in  Persien, 
Arabien,  Aethiopieu  und  Aegypten  umher.    Die  Erzählungen 
der    letztern    übten   aber  früher    eine  so  zauberische  Kraft 
aus,  dass  man  die  unglaublichsten  Dinge  für  wahr  ausgab. 
Der  Historiker  Xanthus^)    berichtet   in   dem    ersten  Buche 
seiner  Geschichte,  ein  junger  Drache  sei  von  seinem 2)  Vater 
durch    die  Pflanze  Balis    wieder  ins   Leben   zurückgerufen 
worden,  und  eben  dieselbe  Pflanze  habe  auch  den  von  einem 
Drachen  getödteteu  Thylo  wieder  belebt.    Auch  Juba  giebt 
an,  in  Arabien   sei  ein  Mensch   durch  Hülfe  eines  Krautes 
von    den  Todten   auferstanden.     Demoerit   behauptete   und 
Theophrast  glaubte,  es  gäbe  ein  Kraut,  welches  von  einem 
Vogel  (den  ich  früher  genannt  habe)  herbeigebracht  würde 
und,   mit  den  von  den   Hirten  in   die  Bäume    getriebeneu 
Keilen  in  Berührung  gesetzt,  diese  sogleich  austreibe.    Wenn 
nun  auch  alle  diese  Dinge  nicbt  wahr  sind,  so  erregen  sie  • 
doch  Verwunderung  und  nöthigen  zu  dem  Bekenntniss,  dass 
noch   viel  Ueberflüssiges   (Unrichtiges,   Unwahres)   existirt. 
Ich  sehe  hieraus,   dass  Viele  glauben,   durch  die  Kräuter 
könne  man  alles  erreichen,    aber  die  Kräfte   der   meisten 
seien  noch  unbekannt;  zu  diesen  Männern  gehörte  auch  der 
berühmte  Arzt  Herophilus,  der  gesagt  haben  soll,  vielleicht 
hätten   selbst   einige  von  den  Kräutern,   auf   welche  man 


•)  Aus  Sardes,  Historiker  im  6.  Jahrb.  v.  Chr. 
■-)  Des  Drachen? 

Wittstein:  Plinius.    VI.  Bd.  Ifi 


290  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

trete,  ihren  Nutzen.  So  viel  wenigstens  steht  fest,  dass 
Wunden  und  Krankheiten  durch  Dazwischenkunft  von  Per- 
sonen, welche  eine  Fussreise  gemacht  haben,  an  Heftigkeit 
zunehmen. 

6. 
So  stand  es  mit  der  Arzneikunde  der  Alten,  deren  all- 
einiges Organ  die  griechische  Sprache  war.  Der  Grund, 
aber,  warum  man  nicht  mehr  davon  weiss,  ist,  weil  nur 
Landleute  und  in  den  Wissenschaften  Unerfahrene,  also 
solche,  welche  allein  unter  den  Kräutern  leben,  sich  damit 
beschäftigten,  und  weil  man  ihr  Aufsuchen  vernachlässigt, 
obgleich  an  Aerzten  kein  Mangel  ist.  Ferner  haben  viele 
aufgefundene  Kräuter  noch  keine  Namen,  und  nicht  besser 
geht  es  dem  Gewächse,  dessen  ich  bei  den  Feldfrüchten 
gedacht  habe  und  von  dem  man  weiss,  dass  es,  an  die 
Ecken  der  Saatfelder  gesetzt,  die  Vögel  abhält.  Der  be- 
klagenswertheste  Grund  unserer  Unwissenheit  in  dieser  Be- 
ziehung besteht  aber  darin,  dass  Diejenigen,  welche  etwas 
wissen,  ein  Geheimniss  daraus  machen,  als  ob  das,  was  sie 
Andern  mittheilten,  für  sie  verloren  ginge.  Dazu  gesellt 
sich  noch  die  Unsicherheit  der  Erfindung,  denn  in  einigen 
Fällen  war  der  Zufall  der  Erfinder,  in  andern  war  es  (um 
die  Wahrheit  zu  sagen)  ein  Gott.  Bis  auf  die  neueste  Zeit 
war  der  Biss  eines  tollen  Hundes  unheilbar,  und  bewirkte 
Scheu  vor  dem  Wasser  und  Widerwillen  gegen  jede  Art  von 
Getränken.  Vor  Kurzem  träumte  nun  der  Mutter  eines  Sol- 
daten von  der  Leibwache,  sie  schicke  ihrem  Sohne  die 
Wurzel  von  der  wilden  oder  sogenannten  Hundsrose^), 
an  deren  Anblick  sie  sich  Tags  zuvor  geweidet  hatte,  zur 
Bereitung  eines  Tranks;  diess  geschah  in  Lacetanien,  dem 
nächsten  Distrikte  Spaniens,  der  Zufall  wollte,  dass  der 
Soldat,  welcher  von  einem  tollen  Hunde  gebissen  war  uud 
schon  vor  dem  Wasser  scheuete,  gerade  einen  Brief  von 
seiner  Mutter  erhielt,  worin  sie  ihn  bat,  dem  göttlichen 
Winke   zu   gehorchen,   und   siehe   da,    er   wurde   gerettet. 


')  Cynorrhodos.  Rosa  canina  L. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  291 

Seitdem  hat  sich  diess  Mittel  in  jedem  ähnlichen  Falle  be- 
währt. Sonst  findet  man  bei  den  Schriftstellern  nur  ein  ein- 
ziges Mittel  von  der  Hundsrose  erwähnt,  nämlich  die  kleinen 
schwammigen  Körper,  welche  mitten  zwischen  den  Dornen 
wachsen  und  deren  Asche  mit  Honig  auf  Glatzen  die  Haare 
wieder  hervorufen. 

Ich  habe  in  Erfahrung  gebracht,  dass  man  in  derselben 
Provinz  auf  dem  Acker  eines  Fremden  einen  sogenannten 
Dracunculus  -  Stengel  gefanden  hat,  der  daumendick, 
schlangenartig  gefleckt  ist^)  und  gegen  alle  Bisse  helfe. 
Er  ist  nicht  derselbe  Dracunculus,  dessen  Arten  ich  im 
vorigen  Buche  beschrieben  habe,  denn  letzterer  bat  eine 
ganz  andere  Gestalt  und  das  Merkwürdige,  dass  er  im  Früh- 
ling zur  Zeit  der  Schlaugen  2  Fuss  hoch  aus  der  Erde  her- 
vorschiesst  und  sich  mit  denselben  wieder  in  die  Erde  zu- 
rückzieht. Wenn  er  verschwunden  ist,  lässt  sich  keine 
Schlange  mehr  sehen,  und  schon  durch  diesen  Umstand 
allein  leistet  er  den  Menschen  einen  grossen  Dienst;  es 
wäre  nur  zu  wünschen,  dass  er  auch  warnte  und  die  Zeit 
der  Furcht  vorher  anzeigte. 

Nicht  bloss  die  wilden  Thiere  besitzen  die  Mittel,  uns 
zu  schaden,  sondern  zuweilen  auch  die  Gewässer  und  Land- 
plätze. Als  Caesar  Germanicus  in  Deutschland  sein  Lager 
auf  das  jenseitige  Ufer  des  Rheins  verlegte,  fand  man  in 
der  Nähe  des  Meeres  eine  einzige  Quelle  süssen  Wassers, 
welches  bewirkte,  dass  allen,  die  davon  tranken,  innerhalb 
zwei  Jahren  die  Zähne  ausfielen  und  die  Kniesehnen  ge- 
lähmt wurden.  Die  Aerzte  nannten  diese  Krankheiten  die 
Mundfäule  und  Knielähmung.  Ein  Mittel  dagegen  erkannte 
man  in  demKraute  B  r  i  t  a  u  n  i  c  a'-),welches  sich  aber  auch  gegen 
Bräune  und  Schlangen  bewährt,  längliche  schwarze  Blätter 
und  eine  schwarze  Wurzel  hat,  und  zur  Gewinnung  eines  Saf- 
tes ausgepresst  wird.  Seine  Blüthe,  welche  man  Vibo  nennt, 
wird  gesammelt,  ehe  man  es  donnern  hört  und  bewahrt  den, 
der  sie  verschluckt,  vor  allen  Gefahren.   Die  Friesen,  in  deren 

•)  Wahrsclieinlich  ein  Stengel  eines  Echium. 
2)  Inula  britannica? 

19=^ 


292  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

Gebiete  damals  das  Lager  stand,  Laben  uns  mit  dem  Mittel 
bekannt  gemacht;  nur  begreife  ich  nicht,  warum  es  obigen 
Namen  führt,  es  mtisste  denn  sein,  dass  ihre  in  dem  dem 
Ocean  zunächst  liegenden  Theile  Britanniens  wohnenden 
Grenznachbarn  sie  damit  bekannt  gemacht  hätten.  Denn  so 
viel  ist  gewiss,  dass  es  dort  sehr  häufig  wächst,  wenn  auch 
jener  Theil  von  Britannien  jetzt  noch  frei  ist. 

7. 
Der  Ehrgeiz  machte  sich  ehedem  auch  in  diesem  Fache 
geltend,  denn  selbst  Könige  verliehen,  wie  ich  zeigen  werde, 
ihre  Namen  den  Kräutern  ;  es  schien  ihnen  wichtig  genug, 
ein  Kraut  zu  entdecken  und  so  dem  Leben  hilfreiche  Hand 
zu  reichen.  Jetzt  werden  vielleicht  Manche  meine  Sorgfalt 
hierin  für  unnütz  und  albern  halten,  denn  die  Leppigkeit 
zieht  selbst  die  Mittel  zur  Erhaltung  des  Lebens  in  den 
Staub.  Allein  die  Billigkeit  erfordert,  dass  ich  die  Erfinder 
der  Arzneigewächse  nenne,  und  deren  Wirkungen  nach  den 
verschiedenen  Krankheiten  durchgehe.  Hierbei  kann  ich 
indessen  nicht  umhin,  das  menschliche  Geschick  zu  be- 
jammern, denn  nicht  bloss  durch  Zufall  und  besondere  Er- 
eignisse, nein,  zu  jeder  Stunde  sind  Namen  für  Tausende 
von  Krankheiten,  die  der  Mensch  zu  fürchten  hat,  ausge- 
dacht worden.  Es  wäre  fast  thöricht,  zu  unterscheiden, 
welche  von  diesen  Krankheiten  die  schwersten  sind,  da 
gegenwärtig  einem  Jeden  die  seinige  auch  die  heftigste  zu 
sein  scheint.  Unsere  Vorfahren  haben  sich  allerdings  da- 
hin ausgesprochen,  die  schmerzlichsten  Qualen  verursachte 
die  Harnstrenge  beim  Blasensteine,  denen  folgten  die  Magen- 
übel, drittens  die  Kopfschmerzen,  denn  fast  um  keiner 
anderen  willen  sei  man  zum  Selbstmord  verleitet  worden. 
Ich  wundere  mich,  dass  von  den  Griechen  auch  die  schäd- 
lichen Kräuter  hieher  gerechnet  sind;  der  Gifte  nicht  zu 
gedenken,  weil  unser  Leben  so  beschaffen,  dass  der  Tod 
oft  die  Zuflucht  des  besten  Menschen  ist.  So  erzählt 
M.  Varro,  der  römische  Kitter  Servius  Clodius  habe,  von 
den  heftigsten  Gichtschmerzen  gefoltert,  seine  Beine  mit 
Gift  eingerieben  und  dadurch  alles  Gefühl  in  diesen  Gliedern 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  293 

verloren,  aber  auch  keine  Sehmerzen  mehr  empfunden.  Aber 
ich  frage,  kann  man  es  verzeihen,  dass  Mittel  empfohlen 
worden  sind,  welche  wahnsinnig  machen,  welche  die  Leibes- 
frucht abtreiben  und  dergleichen  mehr?  Ich  werde  nicht 
von  Abtreibemitteln,  nicht  einmal  von  Liebestränken  sprechen, 
denn  ich  weiss,  dass  der  berühmte  Feldherr  Lueullus  an 
einem  Liebestranke  gestorben  ist;  auch  übergehe  ich  die 
Seltsamkeiten  der  Magier,  ausgenommen  in  den  Fällen,  wo 
ich  mich  genöthigt  sehe  davor  zu  warnen,  wo  ich  sie  wide- 
legen  und  den  Glauben  daran  verwerfen  kann.  Genug  der 
Mühe,  genug  der  Sorge  für  das  Leben,  die  heilsamen  und 
später  entdeckten  Kräuter  besprochen  zu  haben. 

8. 
Nach  dem  Zeugniss  Homer's  ist  das  Moly^)  das  2"e- 
schätzteste  aller  Kräuter;  er  glaubt  es  habe  seinen  Na  .len 
von  den  Göttern  bekommen,  sei  von  Mercur  entdeckt,  und 
hält  es  für  das  stärkste  aller  Gegengifte.  Es  soll  noch  jetzt 
am  Peneus  und  in  der  arkadischen  Landschaft  Cyllene 
wachsen,  in  Uebereinstimmung  mit  Homer's  Beschreibung 
eine  runde  schwarze  Wurzel  von  der  Grösse  einer  Zwiebel, 
uieerzwiebelähnliche  Blätter  haben  und  schwierig  auszu- 
graben sein.  Die  griechischen  Schriftsteller  haben  es  mit 
gelber  Blume  abgebildet,  während  Homer  sagt,  sie  sei  weiss. 
Ein  pflanzenkundiger  Arzt  sagte  mir,  es  wachse  auch  in 
Italien;  später  erhielt  ich  ein  Exemplar,  welches  man  in 
Campanieu  binnen  einigen  Tagen  mit  vieler  Mühe  aus 
felsigem  Boden  gegraben,  und  das  eine  dreissig  Fuss  lange 
Wurzel  hatte,  die  aber  nicht  einmal  ganz,  sondern  nur  ein 
abgerissener  Theil  war. 

9. 

Den   nächsten  Platz   nimmt   eine  Pflanze   ein,   welche 

als  das  Sinnbild  der  Majestät  aller  Götter   betrachtet  und 

daher  Dodekatheon  2)  genannt  wird.     Sie  hat  eine  gelbe 

Wurzel  und  sieben,  der  Wurzel  entspringende,  lattichähnliche 


')  Allium  magicum  L. 
LiJiura  Martasror.  L.? 


294  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

Blätter.    Ein  daraus  bereiteter  Trank  soll  alle  Krankheiten 
heilen. 

10. 

Die  Paeonia^)  ist  eine  schon  sehr  lange  bekannte 
und  den  Namen  des  Entdeckers  2)  führende  Pflanze,  heisst 
aber  auch  Pentorobus  und  Glycysis.  Auch  das  ist  ein 
Uebelstand,  dass  ein  und  dieselbe  Pflanze  an  andern  Orten 
anders  benannt  wird.  Sie  wächst  an  schattigen  Bergen, 
zwischen  den  Blättern  steigt  ein  4  Finger  hoher  Stengel 
empor ,  der  an  einer  Spitze  vier  bis  fünf  mandelähnliche 
Kapseln  trägt,  worin  viele  rothe  und  schwarze  Samen  ein- 
geschlossen sind.  Man  wendet  sie  gegen  die  Neckereien, 
welche  die  Faunen  im  Schlafe  erregen,  an.  Sie  muss  zur 
Nachtzeit  ausgegraben  werden,  weil  sonst  leicht  der  Schwarz- 
Specht  zu  ihrem  Schutze  herbeieilt  und  den  Gräber  nach 
den  Augen  hackt. 

11. 

Der  Panax  verräth  schon  durch  seinen  Namen,  dass 
er  ein  Heilmittel  für  alle  Krankheiten  ist;  er  hat  zahlreiche 
Arten  und  man  schreibt  seine  Erfindung  den  Göttern  zu. 
Eine  Art  heisst  der  asclepische^),  weil  Asclepius  seine 
Tochter  Panacea  nannte.  Sie  enthält  einen  dicken  Saft 
wie  die  früher  besprochene  Ferula,  die  Wurzelrinde  ist  dick 
und  salzig.  Wenn  man  die  Wurzel  ausgerissen  hat,  muss 
man  —  um  das  der  Erde  schuldige  Sühnopfer  zu  bringen  — 
das  entstandene  Loch  mit  allerlei  Feldfrüchten  wieder  aus- 
füllen. Wo  und  wie  der  Saft  behandelt  wird  und  welcher 
am  besten  ist,  habe  ich  bei  den  Arzneien  von  fremden 
Gewächsen  auseinander  gesetzt.  Der  aus  Macedonien 
kommende  heisst  Bucolicus,  weil  die  Hirten  dort  den  von 
selbst  ausquellenden  sammeln,  der  sich  aber  sehr  schnell 
verflüchtigt.     Auch   bei   den   andern   Arten   verwirft    man 


')  Paeonia  corallina  Retz  und  P.  officinalis  L. 
-)  Arzt  Paeon,  der  damit  den  Pluto  heilte. 
^i  Echinophora  tenuifolia  L.  Diess  ist  die  Pflanze  des  Dioscorides. 
Die  Theophrastsche  ist  Ferula  geniculata  Guss. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  295 

namentlich  den  schwarzen  und  weichen,  weil  sie  nämlich 
mit  Wachs  verfälscht  sind. 

12. 
Die  andere  Art  heisst  der  heraclische  Panax^),  weil 
er  von  Hercules  entdeckt  sein  soll;  Einige  nennen  dieselbe 
heracleotisches  Origanum,  weil  sie  einem  Origanum  ähnlich 
sieht;  sie  hat  eine  unbrauchbare  Wurzel  und  ich  habe 
schon  beim  Origanum  davon  gesprochen.  2) 

13. 
Die  dritte  Art  wird  nach  dem  Entdecker  der  chiro- 
nische Panax^)  genannt.  Seine  Blätter  sind  denen  des 
Ampfers  ähnlich,  aber  grösser  und  rauher,  die  Blütheu  gold- 
gelb, die  Wurzel  klein.  Er  wächst  an  fetten  Plätzen;  die 
Blüthe  ist  äusserst  wirksam,  und  daher  hat  diese  Art  ent- 
schiedenen Vorzug  vor  der  vorigen. 

14. 
Die  vierte,  von  demselben  Chiron  entdeckte  Art  heisst 
der  centaurische  Panax*),  aber  auch  der  pharnacische, 
weil  Einige  den  König  Pharnax  als  den  Entdecker  be- 
zeichnen. Seine  Blätter  sind  länger  als  die  der  übrigen 
Arten  und  gesägt;  die  geruchvolle  Wurzel  wird  im  Schatten 
getrocknet  und  dem  Weine  zugesetzt,  um  ihm  einen  ange- 
nehmen Geschmack  zu  ertheilen.  Man  unterscheidet  noch 
zwei  Varietäten,  eine  mit  glatten  und  eine  mit  dünnern 
Blättern. 

15. 
Das   siderische  Heracleum^),    von  Hercules    selbst 
entdeckt,    hat   einen   zarten,    vier   Finger    hohen   Stengel, 
granatrothe  Blüthen  und  coriauderähnliche  Blätter,  w^ächst 


')  Des  Dioscorides:  Ferula  Opoponax  Spr.;  des  Theophrast: 
Heracleum  Sphondylimn  L. 

-)  XX.  ß.  69.  Cap.  PI.  wirft  hier  offenbar  wieder  durcheinander. 

3)  Des  Theophrast:  Ferula  Opopanax  und  Inula  Heleniuxn  L. 

'^)  Wahrscheinlich  eine  grössere  Spielart  der  vorigen  Ferula  oder 
Inula. 

5)  Geranium  coriandrifolium? 


296  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

an  Seen  und  Flüssen  und  heilt  alle  durch  Eisen  entstandenen 
Wunden  aufs  kräftigste. 

16. 
Es  giebt  auch  einen  von  Chiron  entdeckten  Weinstock, 
der  daher  der  chironische  genannt  wird  und  von  welchem 
ich    schon   bei   den  Weinstöcken   gesprochen   habe;   ferner 
ein  Kraut,  das  von  Minerva  entdeckt  sein  soll. 

17. 
Eine  andere,  dem  Hercules  zugeschriebene  Pflanze 
heisst  Apollinaris,  bei  den  Arabern  Altere  um,  bei  den 
Griechen  Hyoseyamus,  und  hat  mehrere  Arten.  Die  eine 
Art^)  ist  stachlicht,  trägt  fast  purpurrothe  BUithen  und 
schwarze  Samen  und  kommt  in  Galatien  vor.  Die  zweite 
oder  gemeine  Art  2)  ist  weisser,  staudiger  und  höher  als 
Mohn.  Der  Same  der  dritten  Art  3)  ist  dem  des  Irio  ähnlich, 
alle  drei  aber  verursachen  Wahnsinn  und  Schwindel.  Die 
vierte  Art  4)  ist  weich,  wollig,  fetter  als  die  vorigen,  bringt 
weisse  Samen,  wächst  am  Meere  und  wird  arzneilich  ange- 
wandt. Auch  giebt  es  eine  Art  mit  röthlichem  Samen; 
ferner  erscheint  jener  weisse  Same  vor  gehöriger  Reife  zu- 
weilen röthlich  und  taugt  dann  nicht.  Uebrigeus  geschieht 
die  Einsammlung  niemals  vor  völligem  Trockenwerden  der 
Pflanze.  Die  Pflanze  wirkt  wie  der  Wein  auf  Kopf  und 
Sinne;  der  Same  wird  für  sich  und  als  ausgepresster  Saft 
gebraucht.  Man  presst  auch  den  Stengel  und  die  Blätter 
separat  aus,  benutzt  auch  die  Wurzel;  doch  halte  ich  diese 
Art  Arznei  für  bedenklich,  weil  man  weiss,  dass  auf  den 
Genuss  von  mehr  als  vier  Blättern  Wahnsinn  eintritt.  Die 
Alten  waren  sogar  der  Meinung,  sie  vertrieben  mit  Wein  ge- 
nommen das  Fieber.  Wie  ich  schon  früher  gemeldet,  berei- 
tet man  aus  den  Samen  auch  ein  Oel,  welches  selbst  in  die 
Ohren  gegossen  den  Verstand  verwirret.  Merkwürdigerweise 


')  Hyoseyamus  niger  L 
-)  Hyoseyamus  albus  L. 
^)  Hyoseyamus  aureus  L. 
•'•)  Hyoseyamus  mutieus? 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  297 

hat  man  diesen  Samen  als  Hülfsmittel  wider  Gift,  mithin 
ein  Gift  wider  das  andere  empfohlen,  das  Experinientiren 
hörte  also  nicht  eher  auf,  bis  man  die  Gifte  gezwungen 
hatte,  Arzneimittel  zu  sein. 

18. 
Die  Pflanze  Linozostis  oder  Parthenium  hat  Mercur 
entdeckt;  bei  vielen  Griechen  heisst  sie  Hermupoa,  bei 
uns  stets  Mercurialis.  Es  giebt  zwei  Arten,  eine  männliche  i) 
und  eine  weibliche 2)  wirksamere;  hat  einen  ellenhohen,  zu- 
weilen oben  verzweigten  Stengel,  schmälere  Blätter  als  das 
Ocimum,  dichte  Gelenkknoten,  vertiefte  Achseln,  Samen  welche 
von  den  Gelenkkuoten  ausgehen  und  bei  der  weiblichen  Art 
frei  und  zahlreich  herabhängen,  bei  der  männlichen  aber 
dicht  neben  den  Knoten  stehen,  der  Zahl  nach  wenig,  kurz, 
gekrümmt  und  dunkler  sind.  Auch  haben  die  Blätter  des 
Männchens  eine  dunklere  Farbe  als  die  des  Weibchens. 
Die  Wurzel  ist  nutzlos  und  klein.  Sie  finden  sich  auf  be- 
bauten Feldern.  Von  diesen  beiden  Arten  erzählt  man 
wunderliche  Dinge;  das  Männchen  soll  bewirken,  dass 
Knaben,  und  das  Weibchen,  dass  Mädchen  geboren  werden, 
und  zwar  soll  die  Mutter  zu  diesem  Zweck  gleich  nach  der 
Empfängniss  den  ausgepressten  Saft  mit  gesottenem  Weine 
trinken,  oder  die  gekochten  Blätter  mit  Oel  und  Salz,  oder 
auch  dieselben  noch  mit  Essig  verspeisen.  Einige  sieden 
auch  die  Pflanze  in  einem  neuen  irdenen  Gefässe  mit 
Heliotropium  und  zwei  oder  drei  Aehren,  bis  sie  weich  ist, 
lassen  den  Absud  und  das  Kraut  selbst  den  ersten  Tag 
nach  der  monatlichen  Keinigung  drei  Tage  hintereinander 
nehmen,  und  empfehlen  am  vierten  Tage  nach  dem  Bade 
den  Beischlaf.  Hippocrates  empfiehlt  die  beiden  Arten 
dringend  den  Weibern;  unsere  Aerzte  kennen  jedoch  diese 
Art  von  Anwendung  nicht.  Er  lässt  sie  zur  Beförderung 
der  Menstruation   und    des    Abgangs   der   Nachgeburt   mit 


•)  Mercurialis  perennis  L. 
-)  Mercurialis  annua  L. 


298  Fünfundzwanzigstes  Bucli. 

Honig,  Rosen-,  Iris-  oder  Lilieiiöl  auf  die  Schaam  legen, 
als  Trank  oder  auch  als  Bähung  anwenden.  Den  Saft 
lässt  er  in  übelriechende  Ohren  tröpfeln,  auch  damit  nach 
Zusatz  von  altem  Wein  einreiben.  Die  Blätter  lässt  er  auf 
den  Unterleib,  auf  Augengeschwüre,  bei  Harnstrenge  und 
Blasenübeln  auflegen,  und  einen  Absud  davon  mit  Myrrhe 
und  Weihrauch  reichen.  Zur  Eröffnung  des  Leibes,  auch 
gegen  Fieber  soll  man  eine  Handvoll  davon  mit  zwei 
Sextaren  Wasser  zur  Hälfte  einkochen,  und  den  Absud  mit 
Salz  und  Honig,  oder  noch  besser  mit  Zusatz  von  Schweins- 
klauen oder  Hühnerfleisch  gekocht  trinken.  Einige  meinen, 
man  müsse  zur  Reinigung  beide  Zubereitungen  oder  einen 
mit  Malve  bereiteten  Absud  geben.  Diese  Pflanzen  reinigen 
auch  die  Brust  und  entfernen  die  kranke  Galle,  beschweren 
aber  den  Magen.  Von  sonstigen  Anwendungen  wird  später 
die  Rede  sein. 

19. 
Auch  Achilles,  der  Schüler  des  Chiron,  hat  ein  Kraut 
entdeckt,  womit  mau  Wunden  heilt  und  das  daher  das 
achilleische  1)  genannt  wird.  Er  soll  damit  den  Telephus 
geheilt  haben;  Andere  geben  an,  er  habe  den  zu  Pflastern 
so  nützlichen  Grünspan  erfunden,  und  bilden  ihn  ab,  wie 
er  gerade  denselben  an  der  Spitze  seines  Schwertes  in  die 
Wunde  des  Telephus  hiuablässt;  wiederum  Andere  meinen, 
er  habe  beide  Mittel  angewandt.  Einige  nennen  diese 
Pflanze  auch  Panax  heracleus.  Andere  Sideritis,  bei 
uns  heisst  sie  Millefofium,  ist  ellenhoch,  ästig  und  von 
unten  an  mit  Blättern  bekleidet,  welche  kleiner  als  die  des 
Fenchels  sind.  Wieder  Andere  geben  zwar  zu,  dass  jene 
Pflanze  bei  Wunden  von  Nutzen  sei,  sagen  aber,  die  wahre 
achilleische  habe  einen  blauen,  fusshohen,  einfachen,  überall 
mit  runden  Blättern  schön  besetzten  Stengel;  von  Andern 
wird  der  Stengel  viereckig,  der  Blütenkopf  andornähnlich 
und  die  Blätter  eichenähnlich  bezeichnet,  und  mau  benutzt 
sie  zum  Zusammenheilen  durchgeschnittener  Sehneu.    Einige 

')  Achillea  Millefolium  L„  toraentosa  und  magna. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  299 

berichten,  die  an  Mauern  vorkommende  Sideritis  entwickle 
beim  Reiben  einen  üblen  Geruch;  es  gäbe  noch  eine  andere 
ähnliche  Art,  die  aber  hellere  und  fleischigere  Blätter,  einen 
dünnern  Stengel  habe  und  an  Mauern  wachse.  Noch  eine 
dritte  sei  zwei  Ellen  hoch,  habe  dünne  dreieckige  Aeste, 
dem  Farrnkraut  ähnliche  Blätter,  lange  Blattstiele,  Samen  wie 
die  Bete  und  alle  seien  gute  Wundmittel.  Bei  uns  heisst 
die  mit  den  breitesten  Blättern  versehene  Scopa  regia 
und  wird  gegen  die  Bräune  der  Schweine  angewendet. 

20. 

Zu  derselben  Zeit  hat  Teucer  das  Teucrium,  auch 
Hemioniumi)  genannt,  entdeckt,  welches  dünne  binsen- 
artige Stengel  treibt,  keine  Blätter  hat,  an  wüsten  Orten 
wächst,  herbe  schmeckt,  weder  blühet  noch  Samen  giebt. 
Es  heilt  die  Milz  und  ist  bekanntlich  dadurch  entdeckt 
worden,  dass  es  sich  von  den  darauf  geworfenen  Einge- 
weiden eines  Thieres  an  die  Milz  hing  und  diese  ganz  aus- 
leerte; daher  nennen  es  auch  Einige  Splenium.  Man  er- 
zählt, Schweine,  welche  die  Wurzel  frässen,  verlören  die 
Milz.  Einige  bezeichnen  mit  demselben  Namen  eine  dem 
Hyssop  ähnliche  Pflanze  mit  bohnenähnlicheu  Blättern  und 
lassen  sie  während  der  BUUhezeit  einsammeln;  sie  setzen 
also  keinen  Zweifel  darin,  dass  sie  blühe  und  geben  der  auf 
den  Bergen  Ciliciens  und  Pisidiens  wachsenden  den  Vorzug. 

21. 

Der  Ruf  des  Melampus-)  gründet  sich  auf  die  Künste 
der  Wahrsagerei.  Nach  ihm  heisst  eine  Art  des  EUeborus: 
Melampodion.  Andere  gaben  an,  ein  Hirt  dieses  Namens 
hätte  sie  und  zwar  dadurch  entdeckt,  dass  Ziegen,  welche 
davon  gefressen,  gereinigt  wurden,  und  hätte  dann  mit  der 
Milch  dieser  Thiere  die  wüthenden  Töchter  des  Praetus 
geheilt.  Ich  will  daher  von  allen  ihren  Arten  jetzt  gleich 
reden.     Die   beiden   ersten   sind   eine   weisse^)    und    eine 


')  Aspleniuiu  Cetaracli  L. 

2)  Sohn  des  Amythaon  und  der  Adomene,  Wahrsager  und  Gott- 
versöhner, der  die  Sprache  der  Thiere  verstand. 
^j  Veratrum  album  L. 


300  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

schwarze  1),  die  meisten  Autoren  geben  an,  diese  könnten 
nur  durch  die  Wurzel  unterschieden  werden;  Andere  sagen, 
die  Blätter  der  schwarzen  Art  wären  denen  der  Platane 
ähnlich,  aber  kleiner,  dunkler  und  vielfach  getheilt;  die  der 
weissen  ähnelten  den  jungen  Blättern  der  Bete,  wären  aber 
auch  dunkler  und  auf  der  Unterseite  an  den  Rippen  röthlich; 
der  Stengel  von  beiden  wäre  gertenartig,  handhoch,  in  der 
Nähe  des  Wurzelkopfs  mit  Häuten  umgeben  und  die  Wurzel 
faserig  wie  die  der  Zwiebeln.  Die  schwarze  tödtet  Pferde, 
Ochsen  und  Schweine,  wird  daher  von  ihnen  nicht  ange- 
rührt, während  sie  die  weisse  Art  fressen.  Zur  Erntezeit 
soll  sie  (die  weisse)  die  rechte  Beschaffenheit  haben;  sie 
wächst  sehr  häufig  auf  dem  Berge  Oeta,  ist  aber  an  einer 
Stelle  desselben,  bei  Pyra,  am  besten.  Die  schwarze  findet 
sich  überall,  man  zieht  aber  die  vom  Helicon  vor,  sowie 
man  auch  andere  auf  diesem  Berge  vorkommende  Kräuter 
sehr  schätzt.  Dem  Eange  nach  folgt  auf  die  weisse  ätolische 
die  pontische,  dann  die  eleatische,  welche  an  Weinstöcken 
wachsen  soll,  dann  die  parnassische,  welche  durch  die  be- 
nachbarte ätolische  verfälscht  wird.  Diejenige  von  diesen 
Varietäten,  welche  dunkler  aussieht,  heisst  Melampodium, 
dient  zum  Räuchern  und  Reinigen  der  Häuser,  zum  Be- 
sprengen des  Viehs  unter  feierlichem  Gebete,  wird  daher 
auch  mit  mehr  religiösem  Ceremoniell  gesammelt.  Zuerst 
nämlich  zieht  man  mit  dem  Schwerte  einen  Kreis  um  die- 
selbe, dann  wendet  sich  der,  welcher  sie  abhauen  will 
nach  Morgen,  bittet  die  Götter  ihm  diess  zu  gestatten,  und 
beobachtet  den  Flug  des  Adlers,  denn  dieser  findet  sich 
stets  dabei  ein  und  wenn  er  ganz  nahe  hiuzufliegt,  so  deutet 
diess  an,  dass  der  Sammler  noch  in  demselben  Jahre  sterben 
werde.  Auch  die  weisse  lässt  sich  nicht  so  leicht  sammeln, 
denn  sie  nimmt  den  Kopf  sehr  ein,  besonders  wenn  man 
nicht  vorher  Knoblauch  isst,  zuweilen  einen  Schluck  Wein 
trinkt  und  das  Ausgraben  beschleunigt.  Die  schwarze 
nennen  Einige  die  eingeschnittene,  Andere  die  vielwurzelige; 


')  Helleborus  offic.  Salisb.  und  H.  niger  L. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  301 

sie  reinigt  durch  den  Stuhlgang,  die  weisse  hingegen  durch 
Erbrechen  und  beseitigt  die  Ursachen  der  Krankheiten. 
Anfangs  fürchtete  man  sie,  später  machte  man  keinen  Unter- 
schied mehr  zwischen  beiden,  und  Viele  nahmen  sie  ein, 
um  ein  richtigeres  Urtheil  über  ihre  Wirkung  abgeben  zu 
können.  So  Carneades,  als  er  auf  die  Bücher  Zeno's  Ant- 
^vort  geben  wollte;  auch  w^urde  bekanntlich  der  berühmte 
Volkstribuu  Drusus  (dem  vor  allen  das  Volk  stehend  Bei- 
fall klatschte,  dem  die  vornehme  Klasse  aber  den  marsischen 
Krieg  Schuld  gab)  auf  der  Insel  Anticyra  durch  dieses 
Mittel  von  der  Epilepsie  befreiet.  Dort  kann  dasselbe  auch 
ohne  Gefahr  gewonnen  werden,  weil  man  (wie  ich  ange- 
geben) das  Sesamoides  darunter  mischt.  In  Italien  nennt 
man  die  Pflanze  Veratrum.  Das  daraus  oder  auch  mit 
Zusatz  der  Wurzelfasern  bereitete  Mehl,  womit  bekanntlich 
die  Wolle  gewaschen  wird,  erregt  Niesen,  beide  Theile  aber 
machen  Schlaf.  Man  sammelt  die  dünnsten  und  die  kurzen 
gleichsam  abgebrochenen  Wurzeln,  denn  der  oberste,  knollige 
Theil  der  Wurzel  wird  bloss  den  Hunden  zur  Reinigung  ein- 
gegeben. Die  Alten  schälten  die  fleischige  Rinde  der 
Wurzel  ab,  bedeckten  den  inneren  markigen  Theil  mit 
feuchten  Schwämmen,  schlitzten  ihn,  wenn  er  aufgequollen 
war,  mittelst  einer  Nadel  der  Länge  nach  in  Fäden,  trock- 
neten letztere  im  Schatten  und  wendeten  sie  in  diesem 
Zustande  an.  Jetzt  hingegen  verordnet  man  von  der  dick- 
schaligsten Wurzel  die  Fasern  selbst.  Am  besten  ist  die 
Wurzel  (Faser),  wenn  sie  scharf  und  brennend  schmeckt, 
und  beim  Brechen  stäubt.  Sie  soll  ihre  Wirksamkeit  30 
Jahre  lang  -behalten. 

22. 
Die  schwarze  Art  heilt  Lähmungen,  Wahnsinn,  Wasser- 
sucht, wenn  kein  Fieber  zugegen  ist,  anhaltendes  Podagra 
und  Gliederkrankheiten,  führt  Galle  und  Schleim  durch  den 
After  ab.  Um  gelinde  abzuführen,  nimmt  man  meistens  eine 
Drachme,  je  zu  vier  Obolen  mit  Wasser;  setzt  auch  wohl 
Scammonium,  besser  aber  Salz  hinzu.  Mit  süsser  Sahne  ein- 
genommen schadet  sie  nicht  selten.    Bähet  man  trübe  Augen 


302  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

damit,  so  werden  sie  hell;  denselben  Zweck  erreicht  man 
durch  Einreiben.  Alle  drei  Tage  frisch  aufgelegt  zeitigt  und 
reinigt  sie  Kröpfe,  Eiterungen,  Verhärtungen  und  Fisteln. 
Mit  Kupferasche  und  Sandarach  vertreibt  sie  die  Warzen. 
Mit  Gerstenmehl  und  Wein  legt  man  sie  den  Wassersüch- 
tigen auf  den  Bauch.  Den  Rotz  des  Rind-  und  Zugviehs 
heilt  man  auf  die  Weise,  dass  man  eine  Wurzelfaser  durch's 
Ohr  steckt  und  am  folgenden  Tage  um  dieselbe  Stunde 
wieder  herauszieht,  die  Räude  durch  ein  Gemisch  von  Nies- 
wurz, Weihrauch  oder  Wachs  uud  Pech  oder  Pechöl. 

23. 
Die  weisse  Art  ist  dann  am  besten,  wenn  sie  recht 
schnell  Niesen  erregt,  wirkt  aber  viel  heftiger  als  die 
schwarze,  was  man  schon  aus  den  Zurüstungen  erkennen 
kann,  welche  die  Alten  bei  ihrer  Anwendung  gegen  Schau- 
der, Erstickungen,  Schlafsucht,  unaufhörliches  Schlucken 
und  Niesen,  schlechten  Magen,  langsame  oder  andauernde, 
unbedeutende  oder  übermässige  Erbrechungen  gemacht  haben. 
Sie  pflegten  nämlich  noch  andere  Dinge  zu  geben,  welche 
zum  Brechen  reitzen  und  den  Elleborus  selbst  durch  inner- 
liche Mittel  oder  Klystiere,  ja  selbst  durch  einen  Aderlass 
ausziehen  (wieder  hinausschaffen)  sollten.  Wenn  ein  solches 
Experiment  nun  auch  glücklich  abläuft,  so  machen  die  ver- 
schiedenfarbigen Erbrechungen  und  die  nachfolgenden  Stuhl- 
gänge einen  widrigen  Anblick,  und  die  alle  dem  voraus- 
gehenden Vorschriften  zu  Bädern  und  sonstigen  sorgfältig 
zu  treffenden  Maassregeln  für  den  Körper  sind  recht  geeignet, 
mit  dem  Rufe  des  Mittels  zugleich  Schrecken  zu  verbreiten. 
Ja  man  giebt  sogar  an.  Fleisch,  was  man  damit  koche, 
werde  verzehrt.  Aus  Furcht  begingen  die  Alten  den  Fehler, 
dasselbe  in  zu  geringer  Dosis  zu  geben,  während  es  doch 
desto  eher  durchbricht,  je  reichlicher  es  genommen  wird. 
Themison  verordnete  nicht  mehr  als  zwei  Drachmen,  seine 
Nachfolger  bis  zu  vier  und  Herophilus  that  den  berühmten 
Ausspruch,  der  Elleborus  sei  einem  tapfern  Feldherrn  zu 
vergleichen;  wenn  er  alles  im  Leibe  in  Bewegung  gesetzt 
hätte,   ginge   er   selbst,   allen   andern   voraus,   wieder  ab. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  303 

Ausserdem  ist  die  Erfindung  merkwürdig,  dass  man  ihn  mit 
Scheeren  zerschneidet  und  dann  siebt;  hiebei  bleibt  näm- 
lich die  Rinde  zurück,  welche  ausleerend,  während  das 
durchfallende  Mark  den  zu  starken  Erbrechungen  entgegen 
wirkt. 

24. 

Auch  bei  einer  glücklichen  Kur  muss  man  sich  hüten, 
sie  an  einem  neblichten  Tage  zu  geben,  weil  sonst  unleid- 
liche Schmerzen  eintreten;  ja  es  ist  nicht  zu  bezweifeln, 
dass  ihre  Anwendung  im  Winter  bedenklicher  als  im  Som- 
mer. Den  Körper  muss  man  sieben  Tage  vorher  durch 
scharfe  Speisen  und  Enthaltung  des  Weins,  den  vierten  und 
dritten  Tag  durch  Brechmittel  und  Tags  vorher  durch  Fasten 
darauf  vorbereiten.  Die  weisse  Art  gibt  man  mit  süssem 
Safran,  oder  besser  mit  Linsen  oder  irgend  einem  Brei  ein. 
Seit  Kurzem  räth  man,  Rettig  in  Scheiben  zu  schneiden, 
gepulverten  Elleborus  dazwischen  zu  streuen,  jene  Wurzel 
wieder  zusammenzudrücken,  um  ihr  die  Schärfe  mitzutheilen 
und  die  dadurch  milder  gemachte  Arznei  einzugeben;  nach 
Verlauf  von  vier  Stunden  finge  sie  an  wieder  abzugehen, 
und  binnen  sieben  Stunden  sei  die  ganze  Kur  abgemacht. 
Auf  diese  Weise  heilt  man  Epilepsie,  Schwindel,  Melancholie, 
Raserei,  Wahnwitz,  weisse  Elephantiasis,  Krätze,  Starrkrampf, 
Zittern,Podagra,anfangendeWassersucht,Mageuübel,Krämpfe, 
lange  Bettlägrigkeit,  Hüftweh,  viertägiges  Fieber,  welches 
keinem  andern  Mittel  weicht,  anhaltenden  Husten,  Bläh- 
ungen und  öfter  wiederkehrendes  Bauchgrimmen. 

25. 

Den  Elleborus  darf  man  weder  Greisen  noch  Kin- 
dern, weder  Leuten  von  weichem  und  weibischem  Körper 
oder  Gemüthe,  noch  kleinen  oder  zartgebaueten  Personen, 
noch  weniger  Weibern  als  Männern,  auch  keineswegs  Furcht- 
samen, ferner  nicht  bei  Geschwüren  und  Geschwülsten  der 
Brust,  Blutausvvurf,  Seiten-  und  Halsübeln  geben.  Aeusser- 
lich  verordnet  mau  ihn  mit  Fett  und  Salz  als  Salbe  bei 
schleimigen  Ergüssen  und  alten  Eiterungen.  Zum  Tödten 
der  Mäuse  setzt  man  ihn  der  Polenta  hinzu.     Die  Gallier 


304  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

bedienen  sich  auf  der  Jagd  in  EUeborus  getauchter  Pfeile, 
schneiden  die  dadurch  entstandene  Wunde  heraus  und  ver- 
sichern, das  Fleisch  der  auf  diese  Weise  erlegten  Thiere 
schmecke  zarter.  Um  die  Fliegen  zu  tödten,  übergiesst  man 
die  Wurzel  der  weissen  Art  mit  Milch;  auch  verordnet  man 
sie  gegen  die  Läusesucht. 

Ein  von  Mithridates  genanntes  und  daher  von  Crate- 
vas  Mithridatiai)  genanntes  Kraut  hat  zwei  Blätter,  welche 
aus  der  Wurzel  entspringen  und  denen  des  Acanthus  ähn- 
lich sind,  und  einen  zwischen  demselben  mit  rosenrother 
Blüthe  emporsteigenden  Stengel. 

27. 

Eine  andere  von  Mithridates  entdeckte  und  von  Lenaeus 
mit  dem  Namen  Scordotis  oder  Scordium^)  bezeichnete 
Pflanze  ist  ellenhoch,  hat  einen  vierkantigen  Stengel,  ver- 
zweigt sich  nach  Art  des  Eichenbaums,  trägt  wollige  Blät- 
ter, wächst  im  Pontus  auf  fetten  und  feuchten  Feldern  und 
schmeckt  bitter.  Eine  Abart  davon  hat  breitere  Blätter, 
ähnelt  der  wilden  Minze;  beide  werden  häufig  sowohl  für 
sich  als  auch  zu  Gegengiften  angewandt. 

28. 

Die  PolemoniaS)  nennen  Einige,  wegen  des  Streites 
der  Könige  über  ihre  Erfindung,  Philetaeria^),  die  Cappa- 
docier  aber  Chiliodynama^);  sie  hat  eine  dicke  Wurzel, 
dünne  Zweige,  von  deren  Enden  Blüthenbüschel  herab- 
hängen, schwarze  Samen,  ist  übrigens  der  Raute  ähnlich 
und  wächst  in  bergigen  Gegenden. 

29. 

Auch  die  Eupatoria^)  ist  eine  königliche  Entdeckung  ^); 
ihr  Stengel  ist  holzig,  schwärzlich,  eine  Elle  hoch  oder  höher, 

')  Teucrium  Scoi'dium  L.     *)  Teucrium  Scorodonia  L. 

^)  Polemonium  coeruleum  L.  Fraas  hält  Hypericum  olympicum  L. 
für  die  Polemonia  der  Alten.    *)  Die  Kameradenliebe. 

5)  Die  mit  tausend  Tugenden  Begabte. 

^)  Agriraonia  Eupatoria  L. 

")  Des  syrischen  Königs  Antiochus  V,  der  den  Beinamen  Eupator 
hatte. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  305 

die  Blätter  stehen  in  Zwischenräumen  je  zu  fünf,  wie  beim 
Hanf,  sind  fünfmal  eingeschnitten,  dunkelgrün  und  federig. 
Die  Wurzel  hat  keinen  Nutzen.  Der  Same  wird  in  Wein 
mit  ausgezeichnetem  Erfolge  gegen  Dysenterie  angewandt. 

30. 
Mit  dem  Centaurium^)  soll  Chiron,  als  er  bei  Her- 
cules auf  Besuch  dessen  Waffen  in  die  Hand  nahm  und 
ihm  ein  Pfeil  auf  den  Fuss  gefallen  war,  geheilt  worden 
sein,  weshalb  Einige  es  auch  Chironium  nennen.  Die 
Blätter  stehen  an  der  Wurzel  dicht  beisammen,  sind  breit, 
länglich,  gesägt,  die  Stengel  drei  Ellen  hoch,  geknieet  und 
tragen  mohnartige  Köpfe.  Die  Wurzel  ist  gegen  zwei  Ellen 
lang,  röthlich,  zart  und  zerbrechlich,  voll  bittersüssen  Saftes. 
Man  findet  es  auf  fetten  Hügeln,  am  besten  in  Arcadien, 
Elis,  Messenien,  Pholoe  und  Lycien,  selbst  auf  den  Alpen 
u.  a.  Orten.  In  Lycien  bereitet  man  daraus  auch  das  Ly- 
cium.  Seine  Kraft  im  Heilen  von  Wunden  ist  so  gross, 
dass  Fleisch,  welches  man  damit  kocht,  fest  aneinander 
haften  soll.  Man  gebraucht  nur  die  Wurzel  und  zwar  zwei 
Drachmen  davon  als  Trank  in  Wein,  bei  Fieber  aber  in 
Wasser;  zu  denselben  Zwecken  dient  auch  eine  Abkochung. 

31. 
Eine  andere  Art,  Centaurium  leptum'^)  oder  klein- 
blättriges, auch  wegen  seines  vStandorts  an  Quellen  Liba- 
dium  genannt,  ist  dem  Origanum  ähnlich,  hat  aber  schma- 
lere und  längere  Blätter,  einen  eckigen,  nicht  zu  niedrigen, 
staudigen  Stengel,  Blumen  wie  die  Lychnis,  eine  dünne  un- 
brauchbare Wurzel  und  enthält  einen  wirksamen  Saft.  Man 
sammelt  es  im  Herbste  und  presst  aus  den  Blättern  den 
Saft.  Einige  zerschneiden  die  Stengel,  weichen  sie  18  Tage 
lang  ein  und  pressen  dann  aus.  Bei  uns  heisst  diese  Pflanze 
wegen  ihrer  ausserordentlichen  Bitterkeit  Erdgalle,  bei 
den  Galliern  Exacum,  weil  sie  alle  schädlichen  Theile  auf 
dem  Wege  des  Stuhlgangs  aus  dem  Körper  schafft. 


•)  Erythraea  Centaurium  Pers. 
2)  Exacum  filiforme  L. 

Wittstein:  Pliniua.     IV.  Bd. 


,306  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

32. 
Eine  dritte  Art  ist  das  dreihodige  Centauiium. 
Wer  dasselbe  schneidet,  verwundet  sich  gewöhnlich  dabei. 
Es  enthält  einen  blutrothen  Saft.  Theophrastus  sagt,  der 
Falke  Triorchis^)  (von  dem  es  den  Beinamen  bekommen 
hat)  schütze  es  und  wehre  die  es  Sammelnden  ab.  Uner- 
fahrene vermengen  diese  Art  irrigerweise  mit  der  erstge- 
nannten. 

33. 
Das  Kraut  Clymeuus^)  ist  nach  einem  Könige  be- 
nannt worden,  hat  epheuähnliche  Blätter,  einen  ästigen, 
hohlen,  gegliederten  Stengel,  Samen  wie  der  Epheu,  einen 
unangenehmen  Geruch,  wächst  in  Wäldern  und  Gebirgen. 
Welche  Krankheiten  ein  daraus  bereiteter  Trank  heilt,  werde 
ich  später  angeben;  hier  will  ich  nur  bemerken,  dass  es  bei 
Männern  gleichzeitig  mit  der  Heilung  Unfruchtbarkeit  ver- 
ursacht. Nach  Angabe  der  Griechen  soll  es  der  Plautago 
ähnlich  sein,  einen  viereckigen  Stengel  und,  wie  die  Fang- 
arme der  Polypen,  in  einander  verschlungene  Fruchtbälge 
haben.  Auch  den  Saft,  welcher  sehr  kühlend  ist,  wendet 
man  an. 

34. 
Die  Gentiana^)  hat  der  illyrische  König  Gentius  ent- 
deckt; sie  kommt  überall,  namentlich  häufig  in  den  feuch- 
ten Voralpen  vor,  ist  aber  in  lUyrieu  am  besten,  hat 
eschenartige,  aber  an  Grösse  denen  der  Lactuca  ähnliche 
Blätter,  einen  zarten,  daumdicken,  hohlen,  zuweilen  drei 
Ellen  hohen,  in  Zwischenräumen  belaubten  Stengel,  eine 
zähe,  dunkle,  geruchlose  Wurzel.  Man  gebraucht  davon  die 
Wurzel  und  den  Saft;  erstere  erwärmt,  darf  aber  Schwän- 
gern nicht  gegeben  werden. 

35. 
Lysimachus  hat  die  nach  ihm  benannte  und  von  Era- 


')  Falco  Buteo  L.     -)  Calendula  arvensis  L. 
'■')  Gentiana  lutea  L. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  307 

sistratus  gepriesene  Lysimachia')  entdeckt.  Sie  wächst 
am  Wasser,  ist  staudig,  die  Zweige  stehen  aufrecht,  die 
Blätter  sind  denen  der  Weide  ähnlich,  die  Blumen  purpur- 
roth,  der  Geruch  scharf.  Wenn  Ochsen  nicht  zusammen 
an  einem  Joche  ziehen  wollen,  so  kann  man  sie  durch  Auf- 
legen dieser  Pflanze  auf  dasselbe  leicht  sanft  und  verträg- 
lich machen. 

36. 

Auch  Weiber  haben  nach  Entdeckungen  von  Pfianzeu 
gestrebt,  unter  andern  A  r  t  e  m i  s  i  a,  des  Mausolus  Gattin,  nach 
welcher  eine,  die  früher  Parthenishiess,  benannt  worden  ist. 
Einige  geben  an,  ihr  Name  rühre  von  der  Artemis  Ilithya^) 
her,  weil  sie  besonders  zur  Heilung  von  Frauenkrankheiten 
diene.  Uebrigens  wächst  sie  staudig  wie  der  Wermuth,  hat 
aber  grössere  und  fleischige  Blätter,  und  bildet  zwei  Arten, 
eine  mit  breitern  3)  und  eine  zarte^),  nur  am  Meere  vor- 
kommende mit  kleinern  Blättern.  Denselben  Namen  giebt 
man  auch  einer  weit  vom  Meere  entfernt  wachsenden 
Pflanze  mit  einfachem  Stengel,  sehr  kleinen  Blättern,  zahl- 
reichen, zur  Zeit  der  Traubenreife  erscheinenden  und  nicht 
unangenehm  riechenden  Blumen;  diese  heisst  auch  Botrys 
oder  Ambrosia^)  und  findet  sich  in  Cappadocien. 

37. 

Die  Nymphaea  soll  aus  einer,  vor  Eifersucht  gegen 
Hercules  gestorbenen  Nymphe  entstanden  sein.  Ebendarum 
heisst  sie  auch  bei  Einigen  Heracleum,  bei  Andern  wegen 
der  Aehnlichkeit  der  Wurzel  mit  einer  Keule  Rhopalum, 
und  wer  sie  zwölf  Tage  lang  einnehme,  verlöre  die  Fähig- 
keit zur  Zeugung.  Die  Boeotier  nennen  sie  Madum  und 
geniessen  den  Samen.  Sie  findet  sich  am  kräftigsten  in 
Orchomenum  und  Marathon,  wächst  im  Wasser,  hat  einen 
dünnen  Stengel,  grosse,  von  der  Wurzel  ausgehende  und  auf 


M  Lythrum  Salicana  L. 

'■^)  (Jeburtshelferin  Diana. 

3)  Artemisia  arborescens  L.     *)  Avteinisia  compestris 

*)  Ist  Ambrosia  maritima  L. 

20* 


308  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

dem  Wasser  schwimmende  Blätter,  lilieuähnliche  Blumen  i), 
mohuähnliche  Fruchtkaspeln  und  wird  im  Herbste  einge- 
sammelt. Die  schwarze,  au  der  Sonne  getrocknete  Wurzel 
wendet  man  bei  Unterleibsbeschwerden  au.  In  Thessalien 
im  Flusse  Peneus  kommt  eine  Nymphaea  mit  weisser  Wurzel 
und  gelber  Blume  2)  von  der  Grösse  einer  Rose  vor. 

38, 
Zur  Zeit  unserer  Väter  hat  auch  der  König  Juba  eine 
Pflanze  entdeckt,  welche  nach  seinem  Arzte,  einem  Bruder 
des  Musa,  von  dem  ich  berichtete,  dass  er  dem  Kaiser  Au- 
gustus  das  Leben  gerettet,  Euphorbia^)  benannt  wurde. 
Eben  denselben  Brüdern  verdankt  man  auch  die  Einrich- 
tung, den  Körper  nach  dem  Bade  durch  Anwendung  viel 
kalten  Wassers  zusammenzuziehen;  früher  nämlich  war  es, 
wie  wir  bei  Homer  finden,  Sitte,  nur  in  warmem  Wasser  zu 
baden.  Wir  besitzen  von  Juba  auch  eine  Schrift  über  die 
Euphorbia,  worin  er  ihr  das  grösste  Lob  spendet.  Er  fand 
sie  auf  dem  Berge  Atlas  von  thyrsusartigem  Ausehen  und 
mit  dornigen  Blättern.  Ihre  Kraft  ist  so  gross,  dass  man 
sie  schon  von  ferne  wittert;  sticht  man  sie  mit  einem  Spiesse 
an,  so  läuft  eine  Art  Milch  heraus,  die  in  untergesetzten 
Gefässen  von  Bocksmagen  aufgefangen  wird  und  getrock- 
net das  Ansehen  des  Weihrauchs  hat.  Wer  sich  mit  dem 
Sammeln  derselben  befasst,  bekommt  ein  schärferes  Gesicht. 
Der  Milchsaft  heilt  Schlangenbisse,  mögen  sie  sich  wo  immer 
befinden,  wenn  man  die  Spitze  der  Wunde  einschneidet  und 
das  Mittel  hineinthut.  Die  Gaetuler,  welche  ihn  sammeln, 
verfälschen  ihn  mit  Ziegenmilch,  was  mau  aber  beim  Er- 
hitzen erkennt,  denn  der  unächte  verbreitet  dabei  einen 
widrigen  Geruch.  Viel  werthloser  ist  der  Saft,  welcher  in 
Gallien  aus  der  Chamelea^)  die  Scharlachbeeren  trägt,  be- 
reitet wird,  auf  dem  Bruche  dem  Ammoniakum  gleicht,  nur 
schwach  gekostet  ein  heftiges,  in  Zwischenräumen  sich  ein- 


')  Nymphaea  alba  L.     -)  Nymphaea  lutea  L. 
^)  Euphorbia  ot'ticinaiuin  L. 
*)  Daphne  oleoides  1. 


FnnfHnclzwajizigstes  Buch.  309 

stellendes    Brennen    verursacht    und    endlich    den    Schlund 
trocken  macht. 

Der  Arzt  Themison  hat,  gleichsam  als  Entdecker,  das 
gemeine  Kraut  Plantagoin  einer  eigens  darüber  verfassten 
Schrift  gepriesen.  Man  kennt  davon  zwei  Arten;  die  eine') 
wächst  auf  Wiesen,  hat  einen  kantigen,  zur  Erde  gebogenen 
Stengel,  und  schmale,  dunklere,  schafzungenförmige  Blätter, 
die  andere  2)  wächst  an  feuchten  Plätzen,  ist  grösser,  ellen- 
hoch mit  rübenähnlichem  Stengel,  durch  die  Blätter  von  allen 
Seiten  eingeschlossen,  heisst  auch,  weil  davon  sieben  da 
sind,  Siebenseite  und  besitzt  weit  mehr  Wirksamkeit.  Sie 
trocknet  und  verdichtet  wunderbar,  und  vertritt  die  Stelle 
eines  Aetzmittels;  nichts  stillt  auch  die  von  den  Griechen 
mit  dem  Namen  Rheumatismen  bezeichneten  Flüsse  besser. 

40. 

Hieran  schliesst  sich  die  Buglossus^),  welche  der 
Zunge  eines  Ochsen  ähnlich  ist  und  sich  dadurch  auszeichnet, 
dass  sie  in  Wein  geweicht  das  Gemüth  heiter  stimmt.  Sie 
heisst  auclr  Euphrosine. 

41. 

Ferner  die  einer  Hundszunge  ähnliche  Cyuoglossus^), 
welche  in  cten  Kunstgärten  sehr  beliebt  ist.  Die  drei 
Samenbüschel  treibende  Art  soll,  wenn  man  die  Wurzel 
mit  Wasser  einnimmt,  das  dreitägige  Fieber,  die  vier 
Samenbttschel  treibende  Art  das  viertägige  Fieber  heilen. 
Die  Wurzel  einer  andern  Art  mit  sehr  kleinen  Kletten ^^) 
ist,  mit  Wasser  eingenommen,  ein  Mittel  gegen  Frösche 
und  Schlangen. 

42. 

Ferner  der  einem  Ochsenauge  ähnliche  Buphthalmus"), 

')  Plantago  asiatica  L.     -)  Plantago  luaritima  L. 

3)  Anchusa  italica  Retz. 

*)  Cynoglossum  pictum  Ait. 

*)  mit  Häkchen  besetzten  8ameB(*\  Diese  Art  ist  wohl  Cyno- 
glossum officinale  L.  Die  Gestalt  des  sJ^Saß^s  ist  natürlich  bei  beiden 
Arten  gleich.     ")  Chrysanthemum  coronänum  L. 


310  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

er  wächst  um  Städte,  hat  einen  staudigen  Stengel,  fenchel- 
ähnliehe  Blätter;  sein  Stengel  wird  gekocht  gegessen  und 
mit  Wachs  zertheilt  man  damit  die  Leberverhärtungen. 
Einige  nennen  diese  Pflanze  Cachla. 

43. 
Auch  ganze  Völker  haben  Kräuter  entdeckt.  Erstens 
die  Scythen  das  sogenannte  scythische  Kraut'),  welches 
in  Boeotien  vorkommt,  sehr  süss  schmeckt  und  sich  bei 
Krämpfen  sehr  heilsam  zeigt.  Wer  es  in  den  Mund  nimmt, 
fühlt  weder  Hunger  noch  Durst. 

44. 

Dieselbe  Wirkung  bei  Pferden  hat  ein  anderes  Kraut, 

welches   deshalb   bei  jenem  Volke  Hippace  heisst.     Mit 

Hülfe  dieser  beiden  Kräuter  sollen  die  Scythen  im  Stande 

sein,  zwölf  Tage  lang  ohne  Speise  und  Trank  auszuharren. 

45. 
Die  Thracier  haben  die  Ischaemone^)  entdeckt, 
womit  man  das  Blut,  es  fliesse  aus  einer  geöffneten  oder 
abgeschnittenen  Ader,  soll  stillen  können.  Sie  kriecht  aus 
der  Erde  wie  die  Hirse,  hat  rauhe  und  wollige  Blätter  und 
wird  in  die  Nase  gesteckt.  Die  in  Italien  wachsende  Art 
stillt  aufgebunden  das  Blut  ebenfalls. 

46. 
Die  Vettonen  in  Spanien  haben  eine  Pflanze  entdeckt, 
welcbe  in  Gallien  Vettonica^),  in  Italien  Serratula,  in 
Griechenland  Cestrus  oder  Psychotrophum  genannt  und 
sehr  heilsam  ist.  Sie  hat  einen  zwei  Ellen  hohen,  kantigen 
Stengel,  von  der  Wurzel  ausgehende,  gesägte  Blätter  und 
purpurrothe  Samen.  Die  Blätter  werden  getrocknet  und 
als  Pulver  vielfach  angewandt,  unter  undern  mit  Wein  und 
Essig  für  den  Magen  und  die  Augen.  Ein  Haus,  in  welches 
dieselbe  gepflanzt  ist ,  soll  vor  allem  Ungemach  bewahr 
bleiben. 


')  Astragalus  glycyphyllusV 

*)  Panicum  sanguinale  L. 

^)  Betonica  Alopecurus  L.  oder  Sideritis  syriaca  L. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  311 

47. 

Ebenfalls  in  Spanien  haben  die  Cantabrer  zur  Zeit  des 
Kaiser  Augustus  ein  Kraut  entdeckt,  welches  nach  ihnen 
den  Namen  cantabrisches  führt.  Es  kommt  überall 
vor,  hat  einen  fusshohen  binsenartigen  Stengel,  auf  diesem 
k'eine  längliche  kelchartige  Blumen  und  sehr  kleine  Samen. 
Auch  ausserdem  ist  man  in  Spanien  in  Auffindung  von 
Pflanzen  sehr  emsig  gewesen,  so  z.  B.  bedient  man  sich  dort 
bei  grossen  Gastmählern  eines  aus  hundert  Kräutern  mit 
Meth  bereiteten,  sehr  angenehm  schmeckenden  und  gesun- 
den Trankes;  niemand  kennt  zwar  diese  Arten  näher,  doch 
erhellet  ihre  Zahl  aus  den  verschiedenen  Namen. 

48. 

Auch  die  Marser  haben  in  gegenwärtigem  Zeitalter  ein 
Kraut  entdeckt,  welches  im  Lande  der  Aequicoler  beiniFlecken 
Nervesia  wächst,  Consiligo  heisst,  und  wie  wir  gehörigen 
Orts  zeigen  wollen,  den  an  der  Schwindsucht  hoffnungslos 
danieder  Liegenden  mit  Nutzen  verordnet  wird 

49. 

Vor  Kurzem  hat  auch  Servilius  Democrates,  einer  der 
ersten  Aerzte,  eine  Pflanze  entdeckt,  mit  dem  fingirten  Na- 
men Iberis^)  bezeichnet  und  seine  Entdeckung  mit  einem 
Gedichte  begleitet.  Sie  wächst  häufig  um  altej  Denkmäler, 
an  Mauern,  wüsten  Plätzen  und  Wegen,  hat  einen  ellenhohen 
Stengel,  eine  kressenartig  riechende  Wurzel,  kressenähnliche 
Blütben  und  kleine,  kaum  sichtbare  Samen.  Im  Sommer  ist 
sie  kräftiger,  überhaupt  aber  nur  in  frischem  Zustande 
brauchbar,  lässt  sich  schwierig  stossen,  und  wird  besonders 
gegen  Hüft-  und  Gliederweh  mit  Fett  angewandt,  dergestalt, 
dass  Männer  etwa  alle  vier,  Frauen  alle  acht  Stunden  da- 
von auflegen,  dann  ein  warmes  Bad  nehmen,  hierauf  den 
Leib  mit  Oel  und  Wein  einreiben  und  nach  Verlauf  voh 
zwanzig  Tagen  dieselbe  Kur  wiederholen,  wenn  noch  nicht 
alle   Schmerzen    beseitigt   sind.     Auf  ähnliche  Weise    heilt 


')  Iberis  amara  L. 


312  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

man  auch  alle  Arten  verborgener  Rheumatismen.  Bei  Ent- 
zündungen selbst  wird  sie  nicht  aufgelegt,  sondern  erst, 
nachdem  diese  etwas  nachgelassen  haben. 

50. 
Selbst  von  Thieren  sind  Kräuter  entdeckt  worden,  z.  B 
die  Chelidonia,  womit  die  Schwalben  ihren  im  Neste 
sitzenden  Jungen  das  Gesicht  wieder  geben,  angeblich  selbst 
dann,  wenn  diesen  die  Augen  ausgekratzt  sind.  Es  giebt 
zwei  Arten,  eine  grössere  *)  von  weisslicher  Farbe,  mit  stau- 
digem, zwei  Ellen  hohem  Stengel,  Blättern,  welche  grösser 
als  die  des  wilden  Pastinaks-)  sind  und  gelben  Blumen, 
und  eine  kleinere^),  nicht  so  weisse  mit  rundern  Blättern  als 
der  Epheu.  Sie  haben  mohnartige  Samen,  einen  safran- 
gelben scharfen  Saft,  blühen  bei  Ankunft  der  Schwalben 
und  vertrocknen  beim  Abzug  derselben.  Man  presst  den 
Saft  aus  den  blühenden  Pflanzen,  kocht  ihn  in  einem  ku- 
pfernen Geschirre  mit  attischem  Honig  auf  heisser  Asche 
langsam  ein  und  wendet  diese  Zubereitung  gegen  trübe 
Augen  an.  Den  Saft  setzt  man  auch  für  sich  zu  Augen- 
salben, welche  dann  chelidonische  genannt  werden. 

51. 
Das  Kraut  Canaria  kauen  die  Hunde  bei  Mangel  au 
Fresslust  vor  unsern  Augen,  ohne  dass  man  erfährt,  was  es 
für  eins  ist,  denn  man  findet  es  nur  abgefressen.  Noch 
grösser  zeigt  sich  die  Bosheit  dieses  Thieres  bei  einem 
andern  Kraute;  ist  es  nämlich  von  einer  Schlange  gebissen, 
so  soll  es  sich  mit  einer  gewissen  Pflanze  heilen,  dieselbe 
aber  nicht  anrühren,  wenn  ein  Mensch  zugegen  ist. 

52. 
Aufrichtiger  sind  die  Hirschkühe,  welche  uns  auf  das 
Elaphaboscum^)undSeseli^)  aufmerksam  gemacht  haben, 
welche  beide  sie  nach  dem  Werfen  begierig  aufsuchen. 


*)  Chelidonium  majus  L.    ^)  Daucus  Carota  L. 
3)  Ficaria  ranunculoides. 
*)  Pastinaca  sativa  L. 
*)  Tordylium  officinale  L. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  313 

53. 
Wenn  die  Hirschkühe  angeschossen  sind,  fressen  sie 
(wie  schon  früher  gesagt)  den  Dictamnus,  worauf  so- 
gleich die  Pfeile  vom  Leibe  abfallen.  Diess  Gewächs  i) 
findet  sich  nur  in  Creta,  aber  auch  hier  nicht  häufig,  ist 
dem  Polei  ähnlich,  hat  sehr  dünne  Aeste,  weder  Stengel, 
Blüthen  noch  Samen ,  eine  schwache  unwirksame  Wurzel, 
schmeckt  scharf  und  brennend  und  wird  demungeachtet  von 
den  Ziegen  gern  gefressen.  Nur  die  Blätter  werden  davon 
benutzt.  Statt  dessen  gebraucht  man  auch  den  falschen 
Dictamnus,  der  in  vielen  Ländern  vorkommt,  ähnliche  Blät- 
ter, kleinere  Zweige  hat  und  von  Einigen  Choudris  ge- 
nannt wird.  Dass  er  geringere  Wirksamkeit  besitzt,  merkt 
man  gleich  am  Geschmacke,  denn  der  echte  brennt  wie 
Feuer,  wenn  man  auch  noch  so  wenig  davon  in  den  Mund 
nimmt,  und  die  ihn  sammeln,  binden  ihn  sogleich  mit  Ger- 
ten oder  Kohr  in  Bündel  und  verwahren  ihn  gut,  damit  seine 
Kräfte  nicht  entweichen.  Einige  geben  au,  beide  Arten  va- 
riiren  sehr,  seien  von  fettem  Boden  stets  verwerflich,  die 
wahre  aber  finde  sich  nur  in  rauhen  Gegenden.  Man  unter- 
scheidet noch  eine  dritte  Art  Dictamnus,  die  aber  dem  ech- 
ten weder  in  der  Gestalt,  noch  Wirkung  ähnlich  ist,  grös- 
sere Zweige  und  Blätter  wie  Sisymbrium  hat.  Soweit  geht 
aber  das  Vorurtheil,  dass  man  glaubt,  alles  was  in  Creta 
wachse,  sei  bei  gleicher  Art  unendlich  besser  als  anderswo 
her;  den  zweiten  Rang  hinsichtlich  der  Güte  räumt  man  den 
Pflanzen  auf  dem  Parnäss  ein.  Auch  soll  der  Berg  Pelius 
in  Thessalien,  der  Berg  Telethrius  in  Euboea,  ganz  Arca- 
dien  und  Laconien  reich  an  Kräutern  sein.  Die  Arcadier 
sollen  keine  Arzneimittel,  sondern  Milch  einnehmen  und 
zwar  im  Frühjahre,  weil  zu  dieser  Zeit  die  Kräuter  sehr 
saftreich  sind  und  das  Euter  auf  den  Weiden  die  mediei- 
nischen  Kräfte  derselben  empfängt;  sie  ziehen  aber  die 
Milch  der  Kühe  vor,  weil  diese  Thiere  alle  Kräuter  fressen. 
Die   energische  Wirkung   der  Pflanzen  auf  Thiere   erhellet 


')  Origanum  Dictamnus  L. 


314  Füntundz wanzigstes  Buch. 

noch  aus  zwei  Beispielen;  bei  Abdera  und  der  sogeoannteii 
Grenze  des  Diomedes  werden  die  weidenden  Pferde,  bei 
Potniae  die  weidenden  Esel  rasend. 

54. 
Zu  den  edelsten  Gewächsen  gehört  auch  die  Aristo- 
lochia,  welche  ihren  Namen  von  den  Schwängern  erhalten 
zu  haben  scheint,  weil  sie  das  Beste  für  die  Wöchnerinnen  ^) 
sei.  Bei  uns  heisst  sie  Erdapfel  und  man  unterscheidet 
vier  Arten.  Eine'^)  hat  runde  Wurzelknollen  und  Blätter, 
welche  theils  der  Malve,  theils  dem  Epheu  ähnlich,  aber 
dunkler  und  weicher  sind 3);  die  zweite  oder  männliche  hat 
eine  vier  Finger  lange,  stockdicke  Wurzel;  die  dritte^)  ist 
am  längsten  und  dünnsten,  etwa  wie  ein  junger  Weinstock, 
besitzt  die  grösste  Wirksamkeit,  heisst  auch  Clematitis 
oder  Cretica.  Sie  haben  alle  die  Färbe  des  Buxbaums, 
kleine  Stengel,  purpurrothe  Blumen,  bringen  kleine  Beeren 
wie  die  Capper,  aber  nur  die  Wurzel  wird  geschätzt.  Eine 
vierte  Art,  Plistolochia''),  noch  zarter  als  die  dritte,  ist 
etwa  so  dick  wie  eine  ausgewachsene  Binse,  hat  dicht- 
stehende haarige  Wurzeln  und  heisst  auch  die  viel  wur- 
zelige. Sie  riechen  alle  kräftig,  die  länglichen  und  dünnen 
Wurzeln  aber  angenehmer.  Die  Rinde  ist  fleischig  und 
dient  zu  Nardensalben.  Sie  wachsen  in  fetten  und  flachen 
Gegenden,  werden  am  besten  zur  Zeit  der  Ernte  ausge- 
graben und  von  den  äussern  Unreinigkeiten  befreit  aufbe- 
wahrt. Am  meisten  schätzt  man  die  pontische,  von  jeder 
Art  die  am  Gewicht  schwerste.  Die  runde  dient  gegen  die 
Schlangen;  die  längliche  aber  steht  im  höchsten  Rufe, 
sie  soll  nämlich,  wenn  sie  nach  gepflogenem  Beischlaf  in 
Rindfleisch  gewickelt  an  die  weibliche  Schaam  gebunden 
wird,  bewirken,  dass  Knaben  entstehen.  Die  Fischer  in 
Campanien  nennen  die  runde  Wurzel  Erdgift ;  ich  habe  ge- 


'^)  Aristolochia  pallida  W, 

=*)  Aristolochia  parvifolia  Sibth. 

*)  Aristolochia  baetica  L. 

»)  Aristolochia  Plistolochia  L. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  315 

sehen,  dass,  wenn  sie  dieselbe  gestossen  und  mit  Kalk  ver- 
mengt ins  Meer  warfen,  die  Fische  sogleich  gierig  herbei 
schwammen ,  aber  auch  eben  so  schnell  starben.  Die  Wurzel 
der  vielwurzeligen  Art  soll  mit  Wasser  eingenommen  gegen 
Verrenkungen,  Quetschungen  und  ähnliche  Uebel,  der  Same 
gegen  Seitenstechen  helfen,  auch  die  Nerven  stärken  und 
erwärmen;  auch  soll  diese  Pflanze  mit  dem  Satyrium  über- 
einkommen. 

55. 
Doch  ich  muss  auch  von  den  Wirkungen  und  Nutzen 
der  Pflanzen  in  einzelnen  Fällen  reden  und  will  bei  dem 
ärgsten  aller  Uebel,  dem  Schlangenbisse,  den  Anfang 
machen.  Man  heilt  ihn  also  mit  dem  Kraute  Britannica 
und  der  Wurzel  aller  Arten  Panax  in  Wein;  mit  den  Blumen 
und  Samen  des  Chironium  in  Wein  und  Oel  getrunken  oder 
aufgelegt;  mit  der  Cunila  bubula,  der  Polemonia  oder  Phile- 
taeria zu  4  Drachmen  in  lauterm  Wein;  mit  dem  Teucrium, 
Sideritis  und  Scordotis  in  Wein,  besonders  bei  den  Anguiden, 
innerlich  und  äusserlich  entweder  als  Saft,  Blatt  oder  Ab- 
sud; mit  der  Wurzel  des  grösseren  Centaurium  zu  einer 
Drachm6  in  drei  Bechern  weissen  Weins;  mit  der  Gentiana, 
besonders  bei  den  Anguiden,  zu  zwei  Drachmen  der  frischen 
oder  trocknen  Wurzel  nebst  Pfeffer  und  Raute  in  sechs 
Bechern  Weins.  Auch  fliehen  die  Schlangen  den  C4eruch 
der  Lysimachia.  Gebissenen  giebt  man  ferner  die  Cheli- 
donia  in  Wein;  auf  die  Bisse  selbst  legt  man  vor  allem 
das  vettonische  Kraut,  welches  überhaupt  in  dieser  Be- 
ziehung so  kräftig  ist,  dass,  wenn  die  Schlaugen  in  einen 
davon  gemachten  Kreis  eingeschlossen  sind,  sie  sich  selbst 
todtschlagen.  Gegen  die  Bisse  wird  sein  Samer  zu  einem 
Denar  schwer  in  drei  Bechern  Wein  gegeben,  oder  das 
Pulver  davon  zu  drei  Drachmen  in  einem  Sextar  Wasser 
aufgelegt.  Das  cantabrische  Kraut,  deu  Dictamnus  und  die 
Aristolochia  nimmt  man  öfter  zu  einer  Drachme  in  einer 
Hemina  Wein.  Letztere,  sowie  die  Plistolochia,  wird  auch 
in  Essig  aufgelegt;  ja  sie  verjagt  sogar  alle  Schlangen  aus 
dem  Hause,  wenn  man  sie  über  dem  Herde  aufhängt. 


31B  Füntundzwanzigstes  Buch. 

56. 
Auch  die  Wurzel  der  Argemonia')  wird  zu  einem 
Denar  in  drei  Bechern  Wein  getrunken.  Es  scheint  passend, 
über  diese  sowie  über  die  übrigen  Arten,  welche  ich  erst 
namhaft  machen  will,  später  ausführlicher  zu  reden,  und 
diejenige,  welche  sich  bei  irgend  einer  Krankheit  am  wirk- 
samsten zeigt,  zuerst  anzuführen.  Die  Argemonia  hat 
anemonenähnliche,  wie  der  Eppich  getheilte  Blätter,  Kopf 
(Kapsel)  und  Wurzel  wie  der  Mohn,  einen  safrangelben 
scharfen  Saft  und  wächst  bei  uns  auf  Feldern.  Bei  uns 
unterscheidet  man  drei  Arten  und  zieht  nur  die  in  Ge- 
brauch, deren  Wurzel  nach  Weihrauch  riecht. 

57. 

Der  Agaricus^)  wächst  wie  ein  Schwamm  an  Bäumen 
in  der  Gegend  des  Bosporus,  und  hat  eine  weisse  Farbe. 
Man  giebt  ihn  zu  vier  Obolen  in  zwei  Bechern  Essigmeth. 
Der  in  Gallien  vorkommende  soll  weniger  kräftig  sein. 
Die  männliche  Art  ist  dichter  und  bitterer,  verursacht  auch 
Kopfweh;  die  weibliche  ist  lockerer,  schmeckt  erst  süss  und 
dann  bitter. 

58. 

Beide  Arten  des  Echius^)  gleichen  in  den  Blättern 
dem  Polei  und  werden  zu  zwei  Drachmen  in  vier  Bechern 
Wein  gegeben.  Die  zweite  Art  ist  wollig  und  stachlicb, 
oben  vom  Ansehen  einer  Viper  und  wird  auch  mit  Essig 
genommen.  Einige  nennen  sie  den  maskirten  Echius;  sie 
hat  sehr  breite  Blätter  und  klettenartige  Samen.  Die  Wurzel 
wird  in  Essig  gekocht  als  Trank  benutzt.  Die  Blätter  stösst 
man  mit  Bilsen  und  Wein  und  giebt  sie  mit  Erfolg  gegen 
die  Bisse  der  Aspiden. 

51). 

Keine  Pflanze  ist   aber    bei    den  Römern   zu   g-rösserer 


')  Papaver  Argemone  L. 

*)  Boletus  igniarius  oder  laricis. 

3)  Echium  vulgare  L.  und  verwandte  Arten. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  317 

Berühmtheit  gelangt  als  die  Hierabotane,  auch  Peris- 
tereum  und  Verbanecai)  genannt.  Es  ist  dieselbe,  von 
der  ich  gesagt  habe,  sie  würde  von  den  Gesandten  zum 
Feinde  getragen.  Man  kehrt  damit  den  Opfertisch  Jupiter's 
ab,  reinigt  und  weihet  die  Häuser  ein.  Es  giebt  zwei 
Arten,  eine  starkbeblätterte,  welche  man  für  die  weibliche 
hält  und  eine  männliche  mit  weniger  Blättern;  beide  haben 
eine  lange  dünne  Wurzel,  zahlreiche,  ellenlange,  dünne, 
kantige  Zweige,  Blätter  kleiner,  schmäler  und  tiefer  einge- 
schnitten als  die  der  Eiche,  graublaue  Blüthen,  und  wachsen 
auf  feuchten  Ebenen.  Einige  unterscheiden  keine  zwei 
Arten,  sondern  fassen  sie  in  eine  zusammen,  weil  die 
Wirkung  gleich  sei.  Die  Gallier  benutzen  beide  zum  Loosen 
und  Wahrsagen;  die  Magier  aber  treiben  wahren  Unsinn 
damit.  Wenn  man  sich  nämlich  damit  salbe,  so  erlange 
man  was  man  wolle;  sie  vertreibe  Fieber,  stifte  Freund- 
schaft und  heile  alle  Krankheiten;  man  müsse  sie  beim 
Aufgange  des  Hundsterns,  wenn  weder  Sonne  noch  Mond 
scheine,  einsammeln,  zuvor  aber  die  Erde  mit  Wachs- 
scheiben und  Honig  versöhnen,  mit  Eisen  einen  Kreis  um 
die  Pflanze  ziehen,  sie  dann  mit  der  linken  Hand  aus- 
graben, hoch  in  die  Luft  halten,  und  Blätter,  Stengel  und 
Wurzel  getrennt  im  Schatten  trocknen.  Wenn  ein  Speise- 
zimmer mit  Wasser,  worin  die  Pflanze  gelegen  hat,  ge- 
sprengt wird,  so  sollen  die  Gäste  fröhlicher  gestimmt  werden. 
Gegen  Schlangen  verordnet  man  sie  mit  Wein  abgerieben. 

60. 
Ein  dem  Verbascum  ähnliches  Kraut,  welches  oft  irriger- 
weise dafür  gehalten  wird,  dunklere  Blätter,  mehrere 
Stengel  und  gelbe  Blüthen  hat,  zieht  die  Motten'^)  an  sich, 
wenn  man  es  irgendwo  hinlegt,  heisst  daher  in  Rom 
Blattarias). 


*)  Verbena  officinalis  L.  Zum  Peristereum  des  Dioscorides  gehört 
auch  Lycopus  exaltatus  L. ,  den  aber  PL,  wie  aus  den  angegebenen 
Merkmalen  hervorgeht,  hier  nicht  meint.     S.  78.  Cap. 

-)  blattae.    ^)  Verbascum  Blattaria  L. 


318  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

61. 

Das  an  feuchten  Plätzen  wachsende  LemoniumM  eut- 
lässt  einen  Milchsaft,  der  zu  einem  Gummi  eintrocknet  und 
zu  einem  Denar  schwer  mit  Wein  eingenommen  wird. 

62. 

Das  Quinquifolium,2)  sogenannt  wegen  der  Fiinfzahl 
der  Blätter,  ist  wegen  seiner  erdbeerartigeu  Frucht  allge- 
mein bekannt;  bei  den  Griechen  heisst  es  Pentapet^s 
oder  Pentaphyllum.  Die  frisch  ausgegrabene  "Wurzel 
sieht  roth  aus,  wird  aber  beim  Trocknen  schwarz  und  eckig. 
Die  Blätter  erscheinen  und  vergehen  mit  denen  des  Wein- 
stocks.    Man  reinigt  damit  die  Häuser. 

63. 

Die  Wurzel  des  Sparganium^)  wird  mit  weissem 
Wein  gleichfalls  gegen  die  Schlangen  getrunken. 

64. 

Vom  Daucus  unterscheidet  Petrouius  Diodotus  vier 
Arten,  die  ich  aber  nicht  weiter  berücksichtigen  will,  denn 
es  giebt  nur  zwei.  Die  beste  wächst  in  Greta  ^),  dann  folgt 
die  attische  ^)  und  die  auf  trocknem  Boden  wachsende, 
vom  Ansehen  des  Fenchels,  aber  mit  helleren,  kleineren 
und  haarigen  Blättern,  aufrechtem  fusshohem  Stengel  und 
einer  sehr  angenehm  riechenden  und  schmeckenden  Wurzel ; 
in  letzterer  Beziehung  zeichnet  sich  besonders  die  auf  gegen 
Mittag  gelegenen  Felsen  wachsende  aus.  Die  übrigen  Arten 
findet  man  überall  auf  Erdhügeln  und  Grenz  scheiden  nur 
in  fettem  Boden,  sie  haben  corianderähnliche  Blätter,  einen 
ellenhohen  Stengel,  oft  mehr  als  drei  runde  Blüthenkopfe 
und  eine  holzige,  nach  dem  Trocknen  unwirksame  Wurzel; 
der  Same  gleicht  dem  des  Cuminum.  Der  Same  der  ersten 
Art  ist  hirseartig,  weiss,  scharf,  sehr-  wohlriechend,  von 
brennendem  Geschmack,  wirkt  heftiger  als  jener  und  muss 

')  Statice  Liuioiiium  L,? 

*)  Potentilla  leptaus  L. 

^:  Sparganium  ramosum  L. 

"*)  Athamanta  cietensis  L. 

'')  Peucedanum  Cervaria  L. .  auch  Lophotaenia  aurea  Urieseb. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  31i* 

daher  in  geringerer  Dosis  genommen  werden.  Will  mau 
noch  eine  dritte  Art  i)  gelten  lassen,  so  gleicht  sie  dem 
Staphylinum  oder  sogenannten  wilden  Pastinak,  hat  einen 
länglichen  Samen  und  eine  süsse  Wurzel.  Alle  diese  Arten 
rührt  weder  im  Winter  noch  im  Sommer  ein  vierfüssiges 
Thier  an,  ausser  wenn  es  zu  früh  geworfen  hat.  Während 
man  von  den  übrigen  den  Samen,  benutzt  man  von  der 
eretischen  die  Wurzel,  welche  zu  einer  Drachme  in  Wein 
gegen  Schlangenbisse  getrunken,  auch  verwundeten  Thiereu 
eingegeben  wird. 

(35. 

Die  Therionarca  (eine  andere  als  die  der  Magier) 
kommt  auch  bei  uns  vor,  ist  staudig,  hat  grünliche  Blätter, 
rosenrothe  Blumen,  tödtet  Schlangen  und  macht  reissende 
Thiere,  denen  man  die  Pflanze  nähert,  erstarren. 

66. 

Die  allgemein  bekannte  Persolata-)  oder,  wie  die 
Griechen  sie  nennen,  Arcium^)  hat  grössere,  rauhere, 
dunklere  und  dickere  Blätter  als  der  Kürbis  und  eine  grosse 
weisse  Wurzel,  welche  man  zu  zwei  Denaren  mit  Wein  trinkt. 

67. 

Die  Wurzel  des  Cyclamen^)  ist  ein  Mittel  gegen  alle 
Schlangen.  Die  Blätter  desselben  sind  kleiner,  dunkler  und 
dünner  als  die  des  Epheus,  ohne  Ecken,  weissgefleckt,  der 
Stengel  klein,  blattleer,  die  Blumen  purpurroth,  die  Wurzel 
breit,  rübenartig  mit  dunkler  Rinde.  Es  wächst  an  schattigen 
Stellen,  heisst  bei  uns  Erdknollen,  und  sollte  in  jedem 
Hause  gezogen  werden,  wenn  es  wahr  ist,  dass  dadurch  alle 
üblen  Wirkungen  giftiger  Substanzen  beseitigt  werden.  Man 
nennt  es  daher  auch  Amulet;  ferner  wird  berichtet,  wenn 
man  es  in  den  Wein  thue,  könne  man  sogleich  berauscht 
werden.     Man  hebt  sie,  wie  die  Scille  getrocknet  und   i^e- 

>)  Amiui  niajus  L. 

2)  Wohl  richtiger  Personata,    denn    die   Pflanze    entspricht    der 
nQiooojTtiq  des  Dioscoi'ides. 
^)  Arctium  Lappa  L. 
'')  Cyclamen  graecum  Lk. 


320  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

schnitten  auf  oder  kocht  sie  aus  und  verdunstet  zur  Honig- 
consistenz.  Doch  hat  diess  Gewächs  auch  giftige  Eigen- 
schaften, denn  wenn  eine  schwangere  Frau  über  die  Wurzel 
schreitet,  soll  sie  abortiren. 

68. 

Eine  zweite  Art  Cvclamen  ist  das  epheuartige  i), 
mit  gekuieten  unbrauchbaren,  um  Bäume  sich  schlingen- 
den Stengeln,  epheuähulicheu,  aber  weicheren  Beeren,  schönen 
weissen  Blumen  und  unbrauchbarer  Wurzel.  Nur  die  Beeren 
finden  Anwendung;  sie  schmecken  scharf,  aber  auch  in  ge- 
wissem Grade  milde,  und  werden  nach  dem  Trocknen  im 
Schatten  zu  Hustenkügelchen  verarbeitet. 

69. 

Noch  eine  dritte  Art,  welche  mir  mit  dem  Beinamen 
kleine  epheuartige  gezeigt  wurde,  hat  nur  ein  einziges 
Blatt  und  eine  ästige  Wurzel,  womit  die  Fische  getödtet 
werden. 

70. 

Zu  den  berühmtesten  Pflauzen  gehört  das  Peuce- 
danum2),  welches  am  besten  in  Arcadien,  dann  in  Samo- 
thracieu  vorkommt.  Es  hat  einen  langen,  dünneu,  dem 
Fenchel  ähnlichen,  an  der  Basis  beblätterten  Stengel,  eine 
dunkle,  dicke,  saftreiche  unangenehm  riechende  Wurzel, 
wächst  auf  schattigen  Bergen  und  wird  zu  Ende  des  Herbstes 
ausgegraben.  Man  zieht  die  dünnsten  und  längsten  Wurzeln 
vor;  diese  schneidet  man  mit  einem  beinernen  Messer  in 
vier  Finger  breite  Stücke  und  lässt  im  Schatten  den  Saft 
daraus  fliesseu,  doch  muss  man  sich  Kopf  und  Nase  zuvor 
mit  Rosenöl  einreiben,  weil  man  sonst  leicht  schwindelig 
wird.  Noch  ein  anderer  Saft  findet  sich  am  Stengel  oder 
quillt  beim  Einschneiden  in  denselben  heraus.  Seine  Güte 
erkennt  man  au  der  Honigdicke,  der  röthlichen  Farbe,  dem 
starken  aber  angenehmen  Gerüche  und  brennenden  Ge- 
schmack.    Er  dient  wie  die  Wurzel  und   ein  Absud   der- 


*)  Lonicera  Periciymenum  L. 
^)  Peucedanum  officinale  L. 


Fünfundzwanzigstes  Bach.  321 

selben  zu  vielen  Medicamenten.  Am  wirksamsten  ist  der 
Saft  mit  Zusatz  von  bittern  Mandeln  oder  Raute;  man  trinkt 
ihn  gegen  Sehlangen  und  schützt  sich  vor  ihnen  durch  Ein- 
reiben des  mit  Oel  versetzten  Saftes. 

71. 
Mit    dem    bekannten    Ebulus^)    räuchert    man,     um 
Schlangen  zu  vertreiben. 

72. 
Die  Wurzel  der  Polemonia^)  wird  mit  Erfolg  gegen 
Scorpione,  Erdspinnen  und  dergleichen  kleine  Giftthiere  auf- 
gebunden; gegen  Scorpione  nimmt  man  auch  die  Aristo- 
lochia,  oder  den  Agaricus  zu  vier  Obolen  mit  ebensoviel 
Wein  ein,  gegen  die  Erdspinnen:  die  Verbenaca,  das  Quin- 
quefoliMm  und  den  Daucus  mit  Wein  oder  Nachbier. 

73. 
Das  Verbascum  nennen  die  Griechen  Phlomus. 
Es  hat  zwei  Hauptarteu ,  eine  weisse,  männliche  3)  und  eine 
schwarze,  weibliche*);  die  dritte  Art^)  findet  man  nur  in 
Wäldern,  die  beiden  andern  auch  auf  Feldern.  Die  Blätter 
sind  breiter  als  die  des  Kohls,  haarig,  der  Stengel  aufrecht, 
mehr  als  ellenhoch,  der  Same  schwarz  und  unbrauchbar, 
die  Wurzel  fingerdick.  Die  wilde  Art  hat  lange,  dem 
Elelisphacus  ähnliche  Blätter  und  holzige  Zweige. 

74. 
Auch  von  der  Phlomis  giebt  es  zwei  Hauptarten, 
welche  niedrig  sind,  und  runde,  rauhe  Blätter  haben.  Eine 
dritte  Art  heisst  Lychnitis,  auch  Thryallis  •^),  hat  nur 
drei  oder  höchstens  vier  dicke,  fette,  zu  Lampendochten 
brauchbare  Blätter.  In  den  Blättern  derjenigen  Art,  welche 
ich  Weibchen  genannt  habe,  sollen  die  Feigen  niemals  faul 
werden.  Die  nähere  Charakteristik  der  Art  ist  wegen  ihrer 
übereinstimmenden  Wirkung  überflüssig.  Die  Wurzel  trinkt 
man  mit  Raute  in  Wasser  gegen  Scorpione. 

«)  Sambucus  Ebulus  L.     '•')  S.  28.  Cap. 

')  Verbascum  Thapsus  L.     '')  Verbascum  sinuatum  L. 

^)  Verbascum  plicatum  Sibth. 

®)  Verbascum  limnense  Fraas. 

Wittsteiu:  Pliniua.     IV.  Bd.  o] 


32iJ  Füntündzwanzigstes  Buch. 

75. 

Das  Thelyphouum  nennen  einige  Scorpionkraut  0> 
weil  die  Wurzel  einige  Aehnlichkeit  mit  diesem  Thiere 
hat,  und  letzteres  stirbt,  wenn  es  sie  berührt.  Daher  trinkt 
man  es  auch  gegen  dessen  Stiche.  Wenn  ein  todter  Scorpion 
mit  dem  weissen  Elleborus  bestrichen  wird,  soll  er  wieder 
aufleben.  Das  Thelyphonum  tödtet  ein  jedes  vierfüssige 
Thier,  wenn  es  auf  die  Geschlechtstheile  gelegt  wird; 
wendet  man  dazu  die  Blätter  (welche  denen  des  Cyclameu 
gleichen)  an,  so  erfolgt  der  Tod  noch  an  demselben  Tage. 
Die  Pflanze  selbst  ist  knotig  und  wächst  an  schattigen 
Plätzen.  Auch  der  Saft  des  vettonischen  Krauts  und  der 
Plantago  wirkt  gegen  die  Scorpione. 

76. 

Auch  die  Frösche,  namentlich  die  Laubfrösche  sind 
giftig,  doch  habe  ich  gesehen,  dass  die  Psyller  bei  einem 
Wettstreite  sie  in  Schüsseln  heiss  machten  und  sich  an- 
setzten, obgleich  ihr  Gift  schneller  wirkt  als  das  der 
Aspiden;  diese  Menschen  wissen  aber  dasselbe  mit  Hülfe 
des  Krautes  Phrynium,  welches  sie  in  Wein  trinken,  un- 
schädlich zu  machen.  Einige  nennen  diess  Kraut  Neuras, 
Andere  Poterium  2);  es  hat  zahlreiche,  zähe,  wohlriechende 
Wurzeln  und  weisse  Blumen. 

77. 

Unter  den  Namen  Alisma^),  Damasouium  oder 
Lyrum  existirt  auch  ein  Kraut  mit  wegebreitähnlichen, 
aber  schmälern,  tiefer  eingeschnittenen  und  zur  Erde  ge- 
bogenen, übrigens  ebenso  gerippten  Blättern,  dünnem,  ein- 
fachem, ellenhohem  Stengel,  straussigem  Blüthenkopfe,  wie 
beim  schwarzen  Veratrum  dichtstehenden,  dünnen,  scharfen, 
wohlriechenden  und  fetten  Wurzeln.  Es  wächst  im  Wasser. 
Eine  andere  Art,  welche  dunkler  ist  und  grössere  Blätter 
hat,  findet  sich  in  Wäldern.   Die  Wurzel  beider  nimmt  mau 


*)  Scorpiurus  sulcata  L.? 
■^)  Astragalus  Poterium  Pall. 
3)  Alisnui  Plantago  L. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  323 

zu  eijaer  Drachme  mit  Wein  gegen  Frösche  und  Seehasen. 
Gegen  den  letztern  hilft  auch  das  Cyclamen.  Auch  die 
Bisse  eines  tollen  Hundes  wirken  giftig,  und  dass  dagegen 
die  Hundsrose  mit  Erfolg  angewandt  wird,  habe  ich  schon 
oben  gesagt.  Die  Plantage  hilft  innerlich  und  äusserlich, 
das  vettonische  Kraut  mit  lauterm  altem  Weine  gegen  alle 
Bisse  von  Thieren. 

78. 

Peristereus  1)  heisst  eine  Pflanze  mit  hohem,  be- 
blättertem, oben  verzweigtem  Stengel,  welche  die  Tauben 
sehr  lieben,  daher  man  es  auch  nach  ihnen  benannt  hat. 
Wer  sie  bei  sich  trägt,  soll  von  Hunden  nicht  angefallen 
werden. 

79. 

Ich  komme  nun  zu  den  Hülfsmitteln  wider  diejenigen 
Gifte,  welche  sich  die  Menschen  selbst  ausgedacht  haben. 
Wider  alle  diese  und  die  magischen  Künste  erweist  sich 
das  homerische  Moly  am  besten,  dann  folgt  das  Mithridates- 
kraut,  Scordotis  und  Centaurium.  Der  Same  des  vettonischen 
Krautes,  in  Meth  oder  Rosinenwein  oder  auch  zu  einer 
Drachme  als  Pulver  in  vier  Bechern  alten  Weines  genommen, 
treibt  alle  Gifte  durch  den  After  ab;  zugleich  muss  man 
das  Erbrechen  mit  Gewalt  hervorzubringen  suchen  und  das 
Mittel  wiederholt  nehmen  lassen.  Wer  es  täglich  zu  sich 
nimmt,  soll  von  schlechten  Arzneien  nie  eine  üble  Wirkung 
verspüren.  Wer  Gift  verschluckt  hat,  kann  sich  mit  der 
Aristolochia  in  derselben  Dosis  wie  sie  gegen  Schlangen 
gebraucht  wird,  retten;  denselben  Zweck  erreicht  man  mit 
dem  Safte  des  Quinquefolium  und  dem  Agaricus,  den  man 
nach  dem  Erbrechen  zu  einem  Denar  mit  drei  Bechern 
Wassermeth  nimmt. 

80. 

Das  Antirrhinum,  Anarrhinum^)  oder  Lychnis 
agria^)  gleicht  dem  Lein,  hat  keine  Wurzel,  Blüthen  wie 


')  Lycopus  exaltatus  L. 

*)  Antirrhinum  majus  L.     3)  Diese  ist  Agrostemma  Githago  L. 

21* 


324  Fünfandzwanzigstes  Buch. 

die  Hyaciathe  und  Samen  von  der  Gestalt  einer  Kalbs- 
nase. Wer  sich  damit  einreibt,  wird  nach  Angabe  der 
Magier  hübscher,  und  trage  man  es  am  Arme,  so  hätten 
weder  schlechte  Arzneien  noch  Gifte  eine  nachtheilige 
Wirkung. 

81. 

Aehnlich  soll  ihnen  zufolge  die  Euplea  sein,  welche 
dem  damit  Eingeriebenen  einen  bessern  Ruf  verschaffe. 
Auch  sollen  denen,  welche  Artemisia  bei  sich  tragen,  weder 
schlechte  Arzneimittel,  noch  böse  Thiere,  noch  die  Sonnen- 
hitze schaden.  Letztere  Pflanze  nimmt  man  auch  mit 
Wein  gegen  das  Opium  ein;  aufgebunden  oder  auch  als 
Trank  benutzt  soll  sie  ganz  besonders  wirksam  gegen 
Frösche  sein. 

82. 

Das  Pericarpum  ist  ein  Zwiebelgewächs  und  bildet 
zwei  Arten,  eine  mit  rother  und  eine  mohnartige  mit 
schwarzer  Schale;  letztere  besitzt  mehr  Kräfte,  beide  aber 
erwärmen,  werden  daher  gegen  Schierling  angewandt,  gegen 
welchen  man  auch  den  Weihrauch  und  die  Panax-Arten, 
namentlich  den  chironischen,  verordnet.  Letzterer  ist  auch 
ein  Mittel  gegen  Giftpilze. 

8o. 

Ich  will  hier  die  besonderen  Mittel  für  die  Krankheiten 
der  einzelnen  Glieder  des  Körpers  anschliessen  und  mit 
dem  Kopfe  den  Anfang  machen.  Gegen  Glatzen  hilft  die 
Wurzel  der  Nymphaea  und  des  Schierlings,  welche  man 
zusammen  zerreibt  und  auflegt.  Das  Kraut  Polythrix'), 
welches  sich  von  der  Callitriche  dadurch  unterscheidet,  dass 
es  weisse  binsenartige  Stengel,  viel  grössere  Blätter  hat 
und  überhaupt  höher  ist,  macht  das  Haar  fester  und  dichter. 

84. 

Aehnliche  Kräfte  hat  die  an  Quellen  wachsende 
Lingulaca,  deren  Wurzel  verkohlt  und  mit  dem  Fette 
einer  schwarzen  Sau  vermischt  wird;  doch  will  man,  dass 

')  Aspleniuui  Trichoinanes  L. 


Fünfund/waiizigstes  Buch.  ;^25 

das  Fett  von  einem  Tbiere  genommen  werde,  welches  noch 
nicht  geferkelt  hat,  und  die  Wirkung  soll  grösser  seiu, 
wenn  das  Auftragen  der  Salbe  in  der  Sonne  geschieht.  Zu 
demselben  Zwecke  dient  die  Wurzel  des  Cyclamen.  Die 
Wurzel  des  Veratrum  vertreibt,  mit  Oel  oder  Wasser  ge- 
kocht, den  Grind.  Die  W^urzel  aller  Arten  von  Pauax  heilt 
mit  Oel  abgerieben  die  Kopfsciimcrzcu;  dasselbe  tbut  die 
Aristolochia  und  Iberis,  wenn  man  sie  eine  Stunde  oder, 
wenn  mau  es  aushalten  kann,  länger  aufbindet  und  gleich- 
zeitig ein  Bad  nimmt,  desgleichen  der  Daucus.  Die  Wurzel 
des  Cyclamen  reinigt  den  Kopf,  wenn  man  sie  mit  Honig 
gemischt  in  die  Nase  steckt,  und  heilt  Kopfgeschwüre,  wenn 
man  sie  aufstreicht.  Letztere  Wirkung  liat  auch  die  Pflanze 
Peristereus. 

85. 
Die  Cacalia')  oderLeontice  wächst  gewöhnlich  auf 
Bergen,  und  hat  kleine  perlartige  zwischen  grossen  Blättern 
herabhängende  Samen,  von  denen  fünfzehn  Stück  in  Oel 
eingeweicht  gegen  das  Ausfallen  der  Haare  auf  den  Kopf 
gelegt  werden. 

Die  Callitrix  -)  wächst  an  schattigen  feuchten  Plätzen, 
hat  eine  sehr  kleine  W^urzel,  einen  dünnen  binsenartigeu 
Stengel,  binsenähnliche  Blätter,  schmeckt  brennend  und 
dient  als  Schnupfmittel. 

87. 

Der  Hyssopus  ^)  hilft  mit  Oel  abgerieben  gegen  Läuse- 
sucht und  Kopfgrind.  Der  beste  wächst  in  Cilicien  auf 
dem  Berge  Taurus,  dann  folgt  der  pamphylische  und  smyr- 
naische,  welcher  aber  dem  Magen  nicht  gut  bekommt.  Mit 
Feigen  eingenommen  reinigt  er  durch  den  Stuhlgang,  mit 
Honig  durch  Erbrechen.  Mit  Honig,  Salz  und  Kümmel  zu- 
sammengerieben soll  er  auch  die  Schlangenbisse  heilen. 

•)  Cacalia  verbascifolia  Sibth. 
2)  Callitriche  autumnalis  L. 

^)   Nicht   unser   Hyssopos .    gondern    Origanuiu    smyrnaeum    vel 
sjriacum  L. 


326  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

88. 

Die  Lonchitisi)  ist  nicht,  wie  man  häufig  annimmt, 
identisch  mit  dem  Xiphium  oder  Phasganium,  wenn  auch 
der  Same  die  Form  eines  Spiesses  hat.  Denn  die  Blätter 
sind  lauchähnlich,  in  der  Nähe  der  Wurzel  röthlich  und 
zahlreicher  als  am  Stengel,  die  Köpfe  gleichen  den  die 
Zunge  etwas  ausstreckenden  Masken  der  Komiker,  und  die 
Wurzeln  haben  eine  bedeutende  Länge.  Die  Pflanze  wächst 
an  trocknen  Orten. 

89. 

Das  Xiphium  oder  Phasganium-)  hingegen  findet 
sich  an  feuchten  Plätzen;  gleich  bei  seinem  Hervorbrechen 
hat  es  die  Gestalt  eines  Schwertes,  der  Stengel  eine  Höhe 
von  zwei  Ellen,  die  Wurzel  die  Gestalt  einer  Haselnuss  und 
Fasern;  es  muss  vor  der  Ernte  ausgegraben  und  im  Schatten 
getrocknet  werden.  Den  oberen  Theil  derselben  reibt  man 
mit  Weihrauch  und  einem  gleichen  Gewichte  Wein  zu- 
sammen und  legt  die  Mischung  auf  den  Kopf  um  zer- 
brochene Knochen  herauszuziehen,  oder  auch  auf  eiternde 
Theile  des  Körpers,  oder  wenn  man  auf  Schlangenknochen 
getreten  hat;  auch  ist  sie  ein  wirksames  Mittel  gegen  Gifte. 
Gegen  Kopfweh  wendet  man  das  Veratrum  mit  Oel  oder 
Rosenöl,  das  Peucedanum  mit  Oel  oder  Rosenöl  und  Essig 
äusserlich  an.  Letzteres  erweist  sich  auch  nützlich  bei  ein- 
seitigem Kopfweh  und  Schwindel,  und  wegen  seiner 
kaustischen  Eigenschaften  zur  Hervorrufung  des  Schweisses. 

90. 

Das  Psyllium'),  auch  Cynoides,  Crystallium, 
Sicelicum  und  Cyuomyia  genannt,  hat  eine  dünne,  un- 
brauchbare Wurzel,  einen  reisigen  Stengel,  an  der  Spitze 
bohnenähnliche  Köpfe,  hundskopfähnliche  Blätter  und  floh- 
ähnliche Samen,  denen  es  auch  seinen  Namen  verdankt; 
der  Same  sitzt  in  einer  Art  Beere,  die  Pflanze  selbst  findet 
sich   in   Weingärten,  wirkt  sehr  kühlend  und  zertheilend, 


»)  Serapias  Lingua  L.     -)  (Jladiolus  communis  L. 
')  Plantago  Psyllium  L. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  327 

aber  nur  der  Same  wird  gebraucht.  Man  legt  ihn  mit 
Essig  und  Rosenöl  oder  saurem  Wein  auf  Stirn  und  Schhife, 
um  die  Sehmerzen  zu  vertreiben.  In  andern  Fällen  wird 
ein  Acetabulum  voll  mit  einem  Sextar  Wasser  aufgelegt 
um  zu  verdichten  und  zusammen  zu  ziehen;  auch  reibt  man 
den  Samen  mit  Wasser  und  legt  den  entstandenen  Schleim 
auf  alle  schmerzhafte,  geschwollene  und  entzündete  Stellen. 
Auch  die  Aristolochia  und  Plistolochia  heilen  Kopfwunden 
und  ziehen  zerbrochene  Knochen  überall  heraus,  besonders 
aus  dem  Kopfe.  Die  Wurzel  des  dem  Apium  einiger- 
maassen  ähnlichen  Thysselinum  i)  kauet  man,  um  den 
Kopf  vom  Schleime  zu  befreien. 

91. 
Die  Augen  sollen  durch  Bähen  mit  dem  grossen 
Centaurium  schärfer  werden,  Trübheit  und  Flecken  darin 
durch  das  kleine  Centaurium  mit  Zusatz  von  Honig  ver- 
schwinden, Narben  dadurch  mehr  geebnet  werden  und  das 
weisse  Fell  auf  den  Augen  des  Zugviehs  mit  der  Sideritis 
zu  heilen  sein;  doch  eignet  sich  für  alle  diese  Fälle  die 
Chelidonia  noch  weit  besser.  Auf  Augengeschwüre  legt  man 
die  Wurzel  des  Panax  mit  Polenta;  um  ihre  Entstehung 
zu  verhindern,  nimmt  man  einen  aus  einem  Obolus  Bilsen- 
samen,  ebensoviel  Meconium  und  Wein  bereiteten  Trank. 
Den  Saft  der  Gentiana  mischt  man  statt  Meconium  unter 
die  schärferen  Augensalben.  Auch  das  Euphorbium  ver- 
leihet in  Salben  den  Augen  mehr  Klarheit,  der  Saft  der 
Plantago  wird  in  triefende  Augen  getröpfelt.  Trübheit  der 
Augen  vergeht  durch  den  Gebrauch  der  Aristolochia.  Iberis 
und  Quinquefolium  bindet  man  gegen  Geschwüre  und 
sonstige  Fehler  der  Augen  auf  den  Kopf.  Auf  Augenge- 
schwüre selbst  legt  man  Verbascum  sowie  Peristereus  mit 
Rosenöl  oder  Essig.  Gegen  den  Staar  und  undeutliches 
Sehen  empfiehlt  man  Kügelchen  von  Cyclamen,  wie  auch 
den  mit  Meconium  und  Rosenöl  versetzten  Saft  des  Peuce- 


*)  Selinum  palustre  L. 


32§  Fünfundzwanzigetes  Buch. 

danum.    Das  Psyllium  hält,  auf  die  Stirn  gelegt,  die  Augen- 
geschwiiie  zurück. 

92. 
Von  derAnagallis,  auch  Corchorus  genannt,  unter- 
,scheidet  man  zwei  Arten,  eine  männliche  mit  rother  ^)  und 
eine  weibliche  mit  blauer  '^)  Blume;  beide  werden  nicht  über 
eine  Hand  hoch,  haben  einen  zarten  Stengel,  kleine,  runde, 
auf  der  Erde  liegende  Blätter,  wachsen  in  Gärten  und 
feuchten  Orten.  Die  blaue  Art  blühet  zuerst.  Der  Saft 
beider  vertreibt  mit  Honig  die  Dunkelheit  der  Augen,  das 
in  Folge  von  Schlägen  zusammengelaufene  Blut  und  die 
röthlichen  Augengeschwüre,  und  noch  mehr  wenn  dazu 
attischer  Honig  genommen  wird.  Er  erweitert  auch  die 
Pupille,  wird  daher  zu  diesem  Zwecke  benutzt,  wenn  eine 
Staar-Operation  gemacht  werden  soll.  Auch  die  Augen 
des  Zugviehs  werden  damit  geheilt.  Um  den  Kopf  zu 
reinigen,  zieht  man  den  Saft  in  die  Nase  ein  und  spült 
ihn  hernach  mit  Wein  wieder  heraus.  Gegen  die  Schlangen 
trinkt  man  eine  Drachme  des  Saftes.  Sonderbar,  dass  das 
Kindvieh  die  weibliche  Pflanze  nicht  anrührt;  wenn  es  aber, 
durch  die  Aehnlichkeit  getäuscht  (denn  die  Blume  giebt 
ja  den  einzigen  Unterschied  ab),  davon  gefressen  hat,  so 
sucht  es  schnell  das  Kraut  Asyla,  welches  wir  Wildauge 
nennen,  als  Arzneimittel  auf  Einige  schreiben  vor,  die 
Pflanze  vor  Sonnenaufgang  zu  sammeln,  zuvor  aber  nichts 
zu  reden,  sie  dreimal  zu  grüssen,  dann  auszuheben  und 
auszudrücken;  auf  diese  Weise  erhielte  man  sie  im  kräf- 
tigsten Zustande.  Vom  Safte  des  Euphorbiums  habe  ich 
schon  ausführlich  gehandelt.  Gegen  Augentriefen  mit  gleich - 
.zeitiger  Geschwulst  wendet  man  Wermuth  mit  Honig,  so- 
wie auch  das  vettonische  Kraut  an. 

93. 
Die  Thränenfistelu  ^)  heilt  ein  Kraut,  welches  danach 
den  Namen  Aegilops^)  bekommen  hat,  zwischen  der  Gerste 


')  Anagallis  aT-vensis  L.     -)  Auagallis  coerulea  L. 
')  aegilopas.     *)  Aegilops  ovata  und  cylindrica  L. 


Fünfundzwanzigstes  Bucb.  329' 

wächst,  Blätter  wie  Weizen  hat,  und  dessen  Samen  zu 
jenem  Zwecke  mit  Mehl  vermischt  aufgelegt  werden.  Aus 
dem  Stengel  und  den  saftigen  Blättern,  mit  Ausnahme  der 
Aehre,  presst  mau  den  Saft,  vermischt  ihn  mit  Mehl,  lässt 
den  Brei  drei  Monate  lang  stehen,  formt  ihn  in  Kttgelche» 
und  benutzt  diese  ebenso. 

94. 
Einige  haben  dazu  auch  die  Mandragora^)  gebraucht^ 
doch  jetzt  bedient  man  sich  ihrer  zu  diesem  Zwecke  nicht 
mehr.  Gewiss  ist  aber,  dass  das  Pulver  der  Wurzel  mit 
Kosenöl  und  Wein  Augengeschwiire  und  -Schmerzen  ver- 
treibt. Auch  den  Saft  setzt  man  vielen  Augenmitteln  zu. 
Man  unterscheidet  von  der  Mandragora,  welche  Einige  auch 
Circaea  nennen,  zwei  Arten,  eine  weisse  oder  männliche 
und  eine  schwarze  oder  weibliche;  letztere  hat  lattichähu- 
liche,  aber  schmalere  Blätter,  rauhe  Stengel,  zwei  bis  drei 
•röthliche,  innen  weisse,  fleischige,  lockere,  fast  ellenlange 
Wurzeln,  haselnussgrosse  Früchte  und  Samen  wie  die 
Birnen.  Die  weisse  heisst  auch  Arsen-),  Morium  oder 
Hippophlomus,  hat  weisse  und  breitere  Blätter  als  die 
andere  Art,  etwa  wie  der  Garteulattich.  Das  Ausgraben 
geschieht,  nachdem  man  sich  überzeugt  hat,  dass  kein  ent- 
gegenwehender Wind  herrscht,  und  nachdem  man,  das 
Gesicht  gegen  Westen  gerichtet,  mit  einem  Schwerte  drei 
Kreise  gezogen.  Sowohl  aus  den  Früchten,  wie  aus  dem 
von  der  Spitze  befreitem  Stengel  der  Wurzel  und  den 
dünnen  Zweigen  gewinnt  man  durch  Anritzen  oder  Kochen 
einen  Saft.  Man  schneidet  auch  die  Wurzel  in  Scheiben 
und  legt  sie  in  Wein.  Nicht  überall  enthält  die  Pflanze 
Saft,  ist  es  aber  der  Fall,  so  sammelt  man  ihn  zur  Zeit 
der  Weinlese;  er  riecht  unangenehm,  am  unangenehmsten 
von  der  Wurzel  und  Frucht.  Die  reifen  Früchte  der  weissen 
Art  trocknet  man  im  Schatten;  den  Saft  derselben  wie  auch 
der  zerstampften  oder  in  dunkelm  Weine  zum  einem  Dritt- 

^)  Atropa  Mandragonx  L. 

')  arsena  =  a()(itjr:  das  Männchen. 


330  i'iinfund/, wanzigstes  bucü. 

theil  eingekochten  Wurzel  lässt  man  an  der  Sonne  dick 
werden.  Die  Blätter  bewahrt  man  zweckmässiger  in  Salz- 
wasser auf,  denn  der  Saft  der  frischen  ist  giftig  und  folglich 
auch  schädlich.  Der  blosse  Geruch  der  Früchte  verursacht 
Kopfbeschwerden,  nichtsdestoweniger  geniesst  man  sie  in 
einigen  Ländern;  wer  aber,  die  Wirkung  nicht  kennend, 
zu  oft  daran  riecht,  wird  betäubt,  und  wer  zu  viel  davon 
geniesst,  stirbt.  Je  nach  der  Constitution  des  Einnehmen- 
den richtet  man  die  Dosis  ein,  wenn  man  Schlaf  erregen 
will;  das  gewöhnliche  Maass  ist  ein  Cyathus  als  Trank. 
Auch  nimmt  mau  den  Trank  gegen  Schlangen  und  vor 
dem  Schneiden  oder  Stechen  (am  eigenen  Körper)  ein,  um 
keine  Schmerzen  zu  empfinden:  ja  Manche  verfallen  zu 
diesem  Zwecke  schon  in  Schlaf,  wenn  sie  nur  daran  riechen. 
Ferner  nimmt  mau,  statt  des  EUeborus  zwei  Obolen 
Mandragora  in  Meth,  doch  besitzt  der  EUeborus  mehr  Kraft 
Brechen  zu  erregen  und  die  schwarze  Galle  zu  entfernen. 

95. 
Auch  die  Cicuta^)  ist  ein  Gift;  zwar  verhasst  wegen 
ihrer  Anwendung  bei  den  Atheniensern  als  öflfentliches  Straf- 
mittel, hat  sie  doch  auch  viele  schätzbare  Eigenschaften, 
die  wir  nicht  unberücksichtigt  lassen  dürfen.  Der  Same 
wirkt  schädlich,  der  Stengel  aber  wird  selbst  frisch  von 
Vielen  ohne  Nachtheil  schüsselnweise  gegessen.  Er  ist  glatt, 
knotig  wie  ein  Rohr,  dunkelgrün,  oft  über  zwei  Ellen  hoch, 
oben  verzweigt,  die  Blätter  sind  zarter  als  die  des  Corian- 
der  und  von  unangenehmem  Gerüche,  der  Same  grösser  als 
Anis,  die  Wurzel  hohl  und  unbrauchbar.  Blätter  und  Samen 
besitzen  kühlende  Eigenschaften;  wer  davon  tödtlicb  ver- 
giftet ist,  fängt  von  den  Extremitäten  an  zu  erkalten.  Ein 
Hülfsmittel  dagegen,  welches  aber  nur  dann  Erfolg  hat,  wenn 
die  edleren  Theile  des  Körpers  noch  nicht  ergriffen  sind, 
ist  Wein,  weil  er  erwärmt;  trinkt  man  dagegen  den  Schier- 
ling in   Wein  selbst,   so   soll   kein  Mittel  dagegen  helfen. 


•)  Coniuiu  maculatum  L.,  Schierling. 


Fünfundzwauzigstes  Buch.  331 

Aus  den  Blättern  und  Blüthen  wird  ein  Saft  gepresst  (zur 
Zeit  der  Blüthe  ist  er  nämlich  am  kräftigsten),  desgleichen 
aus  den  Samen;  letzterer  wird  an  der  Sonne  verdunstet  und 
in  Kügelchen  geformt,  seine  tödtliche  Wirkung  übt  er  da- 
durch aus,  dass  er  das  Blut  verdickt  und  darin  besteht  seine 
zweite  Kraft,  daher  denn  auch  an  dem  Körper  des  Vergif- 
teten Flecken  wahrgenommen  werden.  Man  bedient  sich 
des  Saftes  statt  Wasser  zum  Auflösen  von  Arzneien,  bereitet 
auch  daraus  einen  weichen  Umschlag  zum  Abkühlen  des 
Magens,  doch  erstreckt  sich  sein  vornehmster  Gebrauch  auf 
die  im  Sommer  erscheinenden  Augengeschwüre  und  Augen- 
schmerzen. Man  setzt  ihn  zu  Augensalben  und  vertreibt  da- 
mit alle  Arten  rheumatischer  Flüsse.  Auch  die  Blätter  selbst 
haben  ähnliche  Wirkungen.  Anoxilaus  giebt  an,  die  weib- 
lichen Brüste  blieben  stets  fest  und  steif,  wenn  man  die- 
selben zur  Zeit  der  Pubertät  damit  belege.  Soviel  ist  ge- 
wiss, dass  der  Schierling  auf  die  Brüste  einer  Wöchnerin 
gelegt,  die  Milch  vertreibt,  und  um  die  Hoden  gelegt,  die 
Lust  zum  Beischlaf  nimmt.  Ich  unterlasse  es,  die  Hülfs- 
mittel  anzuführen,  welche  Diejenigen  gebrauchen  könnten, 
denen  das  Trinken  des  Schierlings  durch  richterlichen  Spruch 
befohlen  wird.  Am  kräftigsten  findet  sich  die  Pflanze  bei 
Susa  im  Lande  der  Parther,  dann  in  Laconien,  Greta  und 
Asien;  in  Griechenland  aber  in  Megara  und  Attica. 

96. 

Der  wilde  Grethmus^)  entfernt  aufgelegt  den  Eiter 
aus  den  Augenwinkeln  und  mit  Zusatz  von  Polenta  die  Ge- 
sehwulste. 

97. 

Die  Molybdaena  oder  Plumbago^)  findet  sich  häufig 
selbst  auf  Aeckern,  hat  ampferartige  Blätter,  eine  dicke 
rauhe  Wurzel  und  vertilgt,  wenn  man  sie  kauet  und  die 
Augen  zuweilen  damit  ausreibt,  das  Blei  (ein  Augentibel). 


')  Crethmus  agria.     Crithmum  inaritimum  L. 
~]  Plumbago  exiropaea  L. 


332  Kiint'iindzwnnzi^'stet;   Buch. 

1)8. 

Die    erste   Capnus'),    auch    Hübnerfuss    genannt, 

wächst  an  Mauern  und  Zäunen,  hat  feine,  zerstreut  stehende 

Zweige,  purpurrothe  Blumen;  der  frischgepresste  Saft  macht 

die  Augen  hell,  wird  daher  auch  den  Augenmitteln  zugesetzt. 

99. 
Aehnlich  im  Namen  und  in  der  Wirkung  ist  die  st  rau- 
chige Capnus^);  sie  hat  ein  noch  zarteres  Ansehn,  asch- 
graue corianderähnliclie  Blätter,  purpurrothe  Blumen,  wächst 
in  Gärten  und  Gerstenfelderu.  Sie  reizt  aber  auch  die  Augen 
zum  Thränen,  wie  der  Rauch,  und  verdankt  diesem  Um- 
stände ihren  Namen.  Sie  verhindert  ferner  das  Wieder- 
wachsen ausgerissener  Augenliderhaare. 

100. 
Das  Acorum^)  bat  irisartige,  aber  schmalere  und 
länger  gestielte  Blätter,  schwarze  und  weniger  faserige 
Wurzeln,  die  aber  doch  denen  der  Iris  ähnlich  sind,  scharf 
schmecken,  nicht  unangenehm  riechen  und  leicht  Aufstossen 
bewirken.  Die  besten  kommen  aus  Pontus,  namentlich  vom 
Flusse  Phasis  in  Colchis,  dann  aus  Galatien  und  Creta, 
wachsen  übrigens  überall  im  Wasser.  Frisch  sind  sie  kräf- 
tiger, als  wenn  sie  schon  lauge  gelegen  haben ;  die  cretischen 
haben  eine  hellere  Farbe  als  die  pontischeu;  man  schneidet 
sie  in  fingerdicke  Stücke  und  trocknet  sie  im  Schatten. 
Einige  Autoren  nennen  die  Wurzel  der  Oxymyrsine^j  Aco- 
rum,  und  Andere  schlagen  daher  für  diese  Oxymyrsine  den 
Namen  wildes  Acorum  vor.  Das  Acorum  wirkt  sehr 
wärmend  und  verdünnend,  man  trinkt  daher  seinen  Saft 
gegen  unterlaufene  und  trübe  Augen  und  gegen  Schlaugen. 

101. 
Der    Cotyledon^)    ist    ein    kleines   grünes    Gewächs 
mit  zartem  Stengel,  fetten  und  hüftähnlich  hohlen  Blättern, 
olivenförmiger  Wurzel   und    findet  sich  am  Meere   und  auf 


1)  Fuinaria  bulbosa  L.     -)  Fumaria  ott'icinali»  L. 
3)  Acorus  Calamus  L. 
*)  Ruscus  aculeatus  L. 
*)  Colyledon  Umbilicu»  L 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  333 

Felseu.  Sein  Saft  heilt  die  Augen.  Es  giebt  noch  eine 
andere  Art')  mit  schmutziggefärbten,  breitern,  dichtem,  in 
der  Nähe  der  Wurzel  gleichsam  ein  Auge  einsehliessenden 
Blättern,  längerm  aber  äusserst  dünnem  Stengel,  von  sehr 
herbem  Geschmacke  und  in  ähnlichen  Fällen  wie  die  Iris 
gebräuchlich. 

102. 

Das  Aizoon  bildet  zwei  Arten;  das  grosse^),  welches 
in  irdenen  Töpfen  gezogen  wird,  heisst  auchBuphthalmum, 
Zdophthalmum,  Stergethrum  weil  es  sich  zu  Liebes- 
tränken eignet,  Hypogesum,  weil  es  meist  auf  Dachrinnen 
wächst,  Ambrosia,  Amerimnum  grosses  Sedum,  Auge 
oder  Fingercheu.  Das  kleine  Aizoon^)  hat  folgende  Sy- 
nonyme: Erithales,  Trithales,  weil  es  dreimal  blühet, 
Chrysothales,  Isoetes;  beide  aber  werden  wegen  ihres 
steten  Grünseins  auch  Sempervivum  genannt.  Das  grosse 
erreicht  eine  Höhe  von  einer  Elle  und  darüber,  sein  Stengel  eine 
Dicke  von  einem  Daumen;  die  Blätter  sind  an  der  Spitze 
zungenförmig,  fleischig,  fett,  saftreich,  daumenbreit,  theils 
abwärts  gebogen,  theils  aufrecht,  ihrem  Umfange  nach  wie 
ein  Auge  gestaltet.  Das  kleine  wächst  auf  Mauern,  Zäu- 
nen und  Dächern,  ist  handhoch,  von  der  Wurzel  an  staudig 
und  bis  zur  Spitze  beblättert,  die  Blätter  sind  schmal,  kurz- 
stachelig, saftig;  die  Wurzel  besitzt  keine  Kräfte. 

103. 

Aehnlich  ist  die  in  Griechenland  wilde  Andrachne, 
in  Italien  Illecebra^)  genannte  Pflanze,  nur  dass  diese 
kleiner  ist  und  breitere  Blätter  hat.  Sie  wächst  auf  Felsen 
und  wird  verspeist.  Alle  diese  Gewächse  kommen  darin 
tiberein,  dass  sie  kühlen  und  zusammenziehen.  Die  Blätter 
oder  der  Saft  heilen  äusserlich  angewandt  Augeuflüsse, 
reinigen,  füllen  aus  und  vernarben  Augengeschwüre,  öffnen 


')  Saxifraga  media  Gouan.  var.  Sibthorpiana  Grleseb. 

-)  Sempervivum  arboreum  L. 

^j  Sempervivum  tectorum  S.  oder  Sedum  amplexicaule  DC. 

*]  Illecebrniu  verticillatum  [.. 


334  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

die  zusammeDgeklebteu  Augenlider,  heilen  auf  die  Schläfe 
gelegt,  Kopfschmerzen,  widerstehen  den  Bissen  der  Erd- 
spinnen, das  grosse  Aizoon  aber  vorzüglich  dem  Aconitum ; 
wer  dasselbe  auch  nur  bei  sich  trägt,  soll  von  Scorpiouen 
nicht  gestochen  werden.  Sie  erweisen  sich  ferner  nützlich 
bei  Ohrenschmerzen;  zu  demselben  Zwecke  dient  der  massig 
aufgestrichene  Saft  des  Hyoscyamus,  der  Achillea,  des  kleinen 
Centaurium  und  der  Plantago,  des  Peucedanum  mit  Eoseu- 
öl  und  Meconium,  des  Acorum  mit  Rosen.  Jeder  dieser  Säfte 
wird  warm  mit  Hülfe  eines  Striegels  eingegossen,  der  Coty- 
ledon  aber  mit  Hirschmark  erwärmt  in  eiternde  Ohren  ge- 
steckt. Die  Wurzel  des  Ebulus  zerreibt  mau,  drückt  den 
Saft  durch  Leinwand,  lässt  ihn  au  der  Sonne  verdunsten, 
versetzt  ihn  nöthigenfalls  wieder  mit  Rosenöl  und  benutzt 
ihn  erwärmt  zur  Heilung  der  Ohrengeschwüre:  ebenso  wird 
die  Verbenaca,  Plantago  und  Sideritis  mit  Zusatz  von  altem 
Fett  angewendet. 

104. 

Nasengeschwüre  werden  mit  Aristolochia  und  Cyperus 
beseitigt. 

105. 

Zahnschmerzen  vertreibt  man  durch  Kauen  der  Wurzel 
des  Panax,  namentlich  des  chironischen,  auch  spühlt  man 
zu  demselben  Zwecke  den  Mund  mit  ihrem  Safte  aus; 
ferner  durch  Kauen  der  Wurzel  des  Hyoscyamus  und  der 
Polemonia  mit  Essig,  ingleichen  der  Wurzel  der  Plantago 
und  Ausspühlen  des  mit  dem  Safte  gekochten  Essigs.  Die 
Blätter  der  letztern  wendet  man  an,  wenn  aus  dem  Zalm- 
fleisch  blutiger  Eiter  fliesst,  und  der  Same  heilt  sonstige 
Geschwüre  und  Anhäuf uugen  am  Zahnfleische.  Die  Aristo- 
lochia befestigt  Zahnfleisch  und  Zähne.  Die  Verbanaca 
kauet  mau  mit  der  Wurzel,  uud  deu  mit  Wein  oder  Essig 
daraus  bereiteten  Saft  gebraucht  mau  zum  Ausspühlen. 
Ebenso  die  Wurzel  des  Quinquefolium,  welche  man  zuerst 
mit  Salzwasser  abwäscht,  dann  mit  Wein  oder  Essig  zum 
Drittel  einkocht,  den  Absud  muss  man  aber  lauge  im  Munde 
halten;    Einige    rnthen,    die    Zäline    mit    der    Asche    dieser 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  335 

Pflanze  zu  reiben.  Als  Mundwasser  dient  auch  ein  weiniger 
Absud  der  Wurzel  des  Verbascum;  ferner  der  Saft  des  Hys- 
sopus  und  Peucedanum  mitMeconium,  endlich  der  Saft  der 
Wurzel  der  Anagallis,  namentlich  der  weiblichen,  den  man 
in  das  dem  schmerzenden  Zahne  entgegengesetzte  Nasen- 
loch einzieht. 

106. 
Der  Er  ig  er  on,  bei  uns  Senecio')  genannt,  bewirkt, 
dass  der,  welcher  mit  einem  Eisen  einen  Kreis  darum  zieht, 
ihn  dann  ausgräbt,  den  (schmerzenden)  Zahn  damit  berührt, 
abwechselnd  dreimal  ausspuckt  und  die  Pflanze  wieder  au 
ihren  Platz  setzt,  so  dass  sie  fortgriint,  später  nicht  mehr 
an  Zahnweh  leidet.  Die  Pflanze  selbst  hat  die  Weichheit 
und  das  Ansehn  der  Trixago,  röthliche  Stengel,  wächst  auf  Dä- 
chern und  Mauern.  Ihr  griechischer  Name  soll  darauf  hin- 
deuten, dass  sie  schon  im  Frühjahre  ein  graues  Ansehn 
hekommt.  Der  Blüthenkopf  enthält  viele,  stachelig  aus- 
sehende, zwischen  den  Theilungen  sich  erhebende  Wolle; 
daher  nennt  sie  Callimachus:  Acauthis,  andere  Pappus. 
Die  Griechen  geben  nichts  Näheres  darüber  an.  Einige 
sagen,  die  Blätter  seien  denen  des  Senfs,  Andere,  sie  seien 
denen  der  Eiche  ähnlich  aber  viel  kleiner.  Einige  halteu 
die  Wurzel  für  unwirksam,  Andere  für  nervenstärkend,  noch 
Andere  für  zusammenziehend.  Im  Widerspruch  damit  hat  man 
sie  mit  Wein  gegen  Gelbsucht,  alle  Arten  von  Blasen-,  Herz- 
und  Leberkrankheiten  verordnet;  auch  soll  sie  den  Sand 
aus  den  Nieren  ziehen.  Bei  Hüftweh  lässt  mau  eineDrachme 
mit  Sauerhonig  nach  einem  Spaziergange  nehmen,  bei  Bauch- 
grimmen soll  sie  mit  Rosinenwein,  bei  Brustbeschwerden  mit 
Essig  verspeist  wirksam  sein  und  man  hat  zu  diesem 
Behufe  ihren  Anbau  in  Gärten  empfohlen.  Auch  ist,  jedoch 
ohne  nähere  Beschreibung,  einer  zweiten  Art  Erwähnung 
geschehen,  welche  gegen  Schlangen  in  Wasser  getrunken 
und  gegen  Epilepsie  gegessen  gute  Dienste  thue.  Römische 
Erfahrungen  haben  gezeigt,  dass  die  Wolle  des  Erigerou 


')  Senecio  vulgaris  L. 


336  Fünfundzwanzigstes  Buch. 

mit  Safran  und  etwas  kaltem  Wasser  aufgelegt  die  triefen- 
den Augen,  mit  etwas  Salz  geröstet  die  Kröpfe  heilt. 

107. 

Das  Ephemerumi)  hat  lilienähnliche  aber  kleinere 
Blätter,  einen  ähnlichen  Stengel,  blaue  Blumen,  unwirksame 
Samen  und  eine  fingerdicke  Wurzel,  welche  zerschnitten  und 
mit  Essig  gekocht  ein  gutes  Mundwasser  für  die  Zähne  ab- 
giebt;  auch  befestigt  sie  lose  Zähne,  wird  in  hohle  und  aus- 
gefressene eingedrückt.  Die  Wurzel  der  Chelidonia  hält 
man,  mit  Essig  angerieben  im  Munde.  Auf  ausgefressene 
Zähne  legt  man  das  schwarze  Veratrum;  jede  von  beiden 
befestigt  in  Essig  gekocht  lose  Zähne. 

108. 

Labrum  Venereum^)  heisst  eine  in  Flüssen  wach- 
sende Pflanze,  in  der  ein  Wurm  steckt,  welcher  um  die  Zähne 
gelegt  stirbt;  auch  steckt  man  ihn  in  hohle  Zähne  und  ver- 
schliesst  die  Oeffnung  mit  Wachs.  Nur  muss  man  sich 
hüten,  mit  dem  ausgerissenen  Kraute  die  Erde  zu  berühren. 

109. 

Was  die  Griechen  Batrachium  nennen,  heisst  bei  uns 
Ranunculus.  Man  unterscheidet  vier  x^rten.  Die  erste^) 
hat  Blätter,  welche  fetter  als  die  des  Coriander,  fast  so  breit 
als  die  der  Malve  und  bläulichgrau  sind,  einen  weissen 
dünnen  Stengel,  eine  weisse  Wurzel,  und  wächst  auf  feuch- 
ten schattigen  Grenzscheiden.  Die  zweite^)  hat  einen  hohen 
Stengel,  zahlreichere  und  mehrfach  getheilte  Blätter.  Die 
dritte'')  ist  am  kleinsten,  riecht  unangenehm  und  hat  gold- 
gelbe Blumen;  die  vierte")  endlich  ist  der  dritten  ähnlich, 
die  Blumen  sind  aber  hellgelb.  Alle  vier  besitzen  ätzende 
Eigenschaften  und  erzeugen,  wenn  man  auch  nur  die  rolieu 
Blätter  auflegt,  gerade  wie  das  Feuer  Blasen;  man  bedient 
sich  ihrer. daher  bei  Ausschlag,  Krätze,  zur  Entfernung  der 
Narben  und  mischt  sie  allen  ätzenden  Mitteln  bei.  Glatzen 
werden  dadurch  bald  wieder  behaart.  Kauet  man  die  Wurzel 

*)  Iris  pumila? 

■^)  Dipsacus  sylvestris  L.     ')  Ranunculus  asiaticus  L. 

*)  Ranunculus  lanuginosus  L.     '•>)  Ranunculus  muricatus  L. 

^)  Ranunculus  aquatilis  L. 


Fünfundzwanzigstes  Buch.  337 

bei  Zahnschmerzen  zu  lange,  so  werden  die  Zähne  zerstört; 
trocken  benutzt  man  sie  als  Schuupfmittel.  Unsere  Kräuter- 
kenner nennen  sie  Strumus,  weil  man  damit,  wenn  sie 
kurze  Zeit  im  Rauche  gehangen  hat,  Kröpfe  und  Fettbeulen 
heilt.  Es  herrscht  auch  der  Glaube,  wenn  sie  von  neuem 
gebauet  würde,  kehrten  alle  damit  geheilten  Gebrechen 
wieder,  ein  Umstand,  den  man  schändlicherweise  bei  der 
Plantago  benutzt.  Geschwüre  im  Munde  heilt  der  Saft  der 
Plantago,  auch  deren  Blätter  und  Wurzeln  gekaut,  selbst  dann 
wenn  der  Mund  gleichzeitig  an  Flüssen  leidet;  Geschwüre 
und  stinkenden  Athem  das  Quinquefolium:  erstere  auch  das 
Psyllium. 

110. 
Ich  will  noch  einige  Mittel  wider  das  schämenswertheste 
Uebel,  den  stinkenden  Athem,  mittheiieu.  Man  reibe 
gleiche  Theile  Myrten-  und  Mastixblätter  und  einen  halben 
Theil  syrische  Galläpfel  mit  etwas  altem  Wein  oder  gleiche 
Theile  Epheubeeren,  Cassia  und  Myrrhe  mit  Wein  zusam- 
men, und  esse  von  einer  dieser  Mischungen  alle  Morgen  etwas. 
Gegen  Nasenübel,  auch  wenn  sie  zu  den  sogenannten  un- 
heilbaren gehören,  wendet  man  mit  Erfolg  den  Samen  des 
Dracontium  in  Honig  an.  Unterlaufene  Stellen  werden  mit 
Hyssop,  Maale  im  Gesichte  mit  Mandragora  beseitigt. 


Wittstein:   Pliiiius.     IV.  Bd. 


Sechsundzwanzigstes  Buch. 

Von  den  übrigen  Arzneimitteln  aus  Kräutern,  nach  den  ver- 
schiedenen Krankheiten  zusammengestellt. 

1. 

Auch  neue,  in  früheren  Zeiten  gänzlich  unbekannte 
Gesichtskrankheiten  haben  sich  nicht  bloss  in  Italien 
sondern  fast  durch  ganz  Europa  eingestellt,  anfangs  aller- 
dings nicht  überall,  z.  B.  nicht  durch  ganz  Italien,  auch 
nicht  in  lUyrien,  Gallien,  Spanien  oder  anderen  Ländern, 
sondern  nur  zm  Rom  und  in  dessen  Umgegend,  —  Krank- 
heiten, welche  zwar  schmerzlos  und  nicht  lebensgefährlich, 
aber  so  scheusslich  sind,  dass  man  ihnen  jede  Todesart 
vorziehen  möchte. 

2. 

Die  schwerste  derselben  hat  man  mit  dem  griechischen 
Namen  Flechten^)  bezeichnet;  im  Lateinischen  aber  nannte 
man  sie  anfangs  einen  scherzhaften  Muthwillen  (denn  der 
Mensch  spottet  nur  zu  gern  über  das  Elend  Anderer),  später 
aber,  weil  sie  fast  immer  am  Kinn  beginnt,  Kiunkrankheit. 
Bei  Vielen  verbreitet  sie  sich  über  das  ganze  Gesicht  mit 
Ausnahme  der  Augen,  steigt  auch  auf  Hals,  Brust  und  Hände 
hinab  und  bedeckt  die  Haut  mit  hässlichen  Schuppen. 

3. 

Unsere  Voreltern  und  Eltern  kannten  diese  Seuche 
noch  nicht.  Erst  mitten  in  der  Regierungszeit  des  Kaisers 
Tiberius  Claudius  hat  sie  sich  in  Italien  eingeschlichen  und 
zwar  war  es  ein  gewisser,  aus  Perusia  stammender  rönii- 

*)  lichenae. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  339 

scher  Ritter,  der  in  Asien  die  Stelle  eines  Secretairs  bei 
einem  Quästor  versah ,  und  sie  von  dort  einschleppte. 
Weiber,  Diener,  die  niedere  und  Mittel-Klasse  werden  nicht 
davon  befallen,  sondern  nur  die  Vornehmen,  unter  denen 
sie  sich  durch  den  Kuss  schnell  verbreitete,  und  von  denen 
Viele,  welche  Geduld  genug  besassen  sich  einer  anhaltenden 
Kur  zu  unterwerfen,  in  Folge  der  zurückgebliebenen  Narben 
hässlicher  geworden  waren,  als  sie  während  der  Krankheit 
aussahen.  Man  wandte  nämlich  zu  ihrer  Bekämpfung  kau  - 
stische  Mittel  an,  erreichte  aber  nur  dann  den  Zweck, 
wenn  das  Fleisch  bis  auf  die  Knochen  ausgebrannt  wurde. 
Aus  Aegypten,  dem  Vaterlaude  von  dergleichen  Uebeln, 
fanden  sich  Aerzte  ein,  welche  bloss  diese  Krankheit  behan- 
delten, und  ihren  »Säckel  reichlich  füllten;  wie  es  denn  be- 
kannt ist,  dass  der  in  der  Provinz  Aquitanien  als  kaiser- 
licher Statthalter  fungirende  Prätorianer  Manlius  Cornutus 
für  seine  Heilung  zweihundert  Sestertia  (200  000  Sestertii) 
ausgegeben  hat.  Und  nicht  selten  stellten  sich  darauf  eine 
Menge  neuer  Krankheiten  ein.  Ist  es  nicht  wunderbar, 
dass  manche  Uebel  ganzer  Länder  au  gewissen  menschlichen 
TLeilen  und  Gliedmaassen,  bei  einem  gewissen  Alter  oder 
bei  gewissen  Glücksumständen  auftauchen,  gleichsam  als 
ob  dieselben  eine  Auswahl  träfen,  da  einige  bei  Kindern, 
andere  bei  Erwachsenen,  wieder  andere  bei  Vornehmen, 
und  abermals  andere  bei  Armen  wüthen! 

4. 
Die  Jahrbücher  des  Staats  berichten,  dass  der  Kar- 
bunkel, eine  der  narbonensischen  Provinz  eigene  Krank- 
heit, sich  zuerst  unter  den  Censoren  L.  Paullus  und  Q.  Marcius 
in  Italien  gezeigt  hat,  und  dass  zwei  gewesene  Consuln, 
Julius  Rufus  und  Q.  Lecanius,  in  eben  demselben  Jahre 
daran  gestorben  sind,  jener  in  Folge  eines  Schnittes  durch 
einen  unwissenden  Arzt,  dieser  nachdem  er  sich  mit  einer 
Nadel  am  linken  Daum  verletzt  hatte  und  obgleich  die 
dadurch  entstandene  Wunde  kaum  sichtbar  war.  Der  Kar- 
bunkel entsteht  an  den  verborgensten  Theilen  des  Körjiers 
und  meistens   unter   der  Zunge,  ist  hart  und  mannigfaltig 

•22* 


;^()  ^jechsumizwuuzigstes  Buch. 

loth,  an  der  Spitze  schwärzlich,  zuweilen  auch  blaugrau, 
greift  den  ganzen  Körper  an,  schwillt  nicht  auf,  erregt 
weder  Schmerz  noch  Jucken,  giebt  sich  nur  durch  Schlaf 
zu  erkennen,  und  tödtet  die  darin  Verfallenen  binnen  drei 
Tagen.  Zuweilen  stellen  sich  auch  Schauder  und  ringsum 
kleine  Bläschen,  seltener  Fieber  ein;  wenn  aber  das  Uebel 
den  Schlund  und  Magen  angegriffen  hat.  erfolgt  der  Tod 
auf  der  Stelle. 

0. 

Ich  habe  schon  angegeben,  dass  die  Elephantiasis 
vor  dem  Zeitalter  des  grossen  Pompejus  in  Italien  unbekannt 
war.  Sie  entspinnt  sich  auch  in  der  Regel  auf  dem  Gesichte, 
nämlich  auf  der  Nase  in  Form  einer  kleinen  Linse,  geht 
dann  trocknend  über  den  ganzen  Körper  hin,  bildet  ver- 
schiedenfarbige Flecke,  macht  die  Haut  uneben,  hier  dick, 
dort  dünn,  dort  hart  wie  bei  der  bösartigen  Krätze,  zuletzt 
schwarz,  drückt  das  Fleisch  au  die  Knochen,  schwellt  die 
Finger  und  Zehen  an.  Sie  ist  in  Aegypten  endemisch, 
und  wenn  Könige  davon  befallen  wurden,  trauerte  das 
ganze  Volk,  denn  dann  wurden,  zum  Behuf  der  Heilung, 
die  Wannen  zu  den  Bädern  mit  Menschenblut  erwärmt. 
Diese  Krankheit  ist  in  Italien  bald  wieder  verschwunden;, 
ebenso  sammt  dem  Namen  diejenige,  welche  die  Alten 
Gemursa  nannten  und  die  sich  zwischen  den  Zehen  ent- 
M'i  ekelte. 

(5. 

Auch  ist  merkwürdig,  dass  einige  Krankheiten  bei 
uns  verschwinden,  andere  hingegen  nicht,  wie  z.  B.  die 
Kolik.  Sie  zeigte  sich  zum  ersten  Male  unter  der  Regie- 
rung des  Kaisers  Tiberius  und  gerade  er  selbst  wurde 
zuerst  davon  befallen,  wobei  ich  noch  bemerken  will,  dass 
damals  die  ganze  Stadt  im  Zweifel  blieb,  als  man  in  dem 
öffentUchen  Ausschreiben,  worin  er  sich  wegen  Unwohlseins 
entschuldigte,  einen  unbekannten  Namen i)  las.  Wie  soll 
ich  dieses  Uebel  charakterisiren  und  welche  Art  des  gött- 


')  co]uiu:  Kolik. 


Sechsufidzwanzigstes  Buch.  o41 

liehen  Zorns  wird  dadurch  geoffenbart?  War  es  nicht  genug, 
dass  der  Mensch  bereits  gegen  dreihundert  Kranklieiteu 
hatte,  musste  er  noch  mit  neuen  erschreckt  werden?  Doch, 
der  Mensch  bürdet  sich  ja  durch  seine  eigenen  Benitiliungen 
nicht  weniger  Lasten  auf.  Die  Arzneimittel,  welche  ich 
nun  anführen  will,  sind  die,  deren  sich  die  Alten  bedienten, 
zur  Zeit  als  die  Katur  gleichsam  den  Arzt  machte,  und  in 
der  That  erfreueten  sich  jene  einer  langen  Dauer  (ihrer 
alleinigen  Anwendung).  Wenigstens  finde  ich  in  den  Schrif- 
ten des  Ilippocrates,  welcher  die  Heilmethoden  zuerst  am 
klarsten  beschrieben  hat,  überall  der  Kräuter  gedacht 
ebenso  in  denen  des  Diocles  von  Carystus,  seines  nächsten- 
würdigen  Nachfolgers,  ferner  des  Praxagoras,  Chrysippus 
und  Erasistratus.  Herophilus  dagegen  verfiel,  obgleich  er 
eine  scharfsinnigere  Sekte  stiftete  und  vor  allem  das  Studium 
der  Kräuter  empfahl,  allmälig  durch  die  Erfahrung,  die 
kräftigste  Lehrerin  aller  Dinge  und  namentlich  der  Mediciu, 
in  Wortschwall  und  Plauderei;  denn  in  diesen  Schulen 
hielt  man  es  für  bequemer,  still  zu  sitzen  und  zuzuhören, 
als  einsame  Gegenden  zu  durchwandern  und  täglich  neue 
Pflanzen  zu  sammeln. 

7. 
Die  alte  Weise  hielt  sich  aber  demungeachtet  und 
hatte  noch  bedeutende  Ueberreste  dieser  reellen  Wissen- 
schaft gerettet,  als  zur  Zeit  des  grossen  Pompejus:  Asde- 
piades'),  der  ursprünglich  Lehrer  der  Beredsamkeit  war, 
aber  in  dieser  Kunst  keine  hinreichende  Subsistenz  fand 
und  ausser  der  Rednerbühne  auch  für  alles  andere  ein 
ausserordentliches  Talent  besass,  sich  plötzlich  derselben 
zuwandte  und  (da  es  erforderlich  war,  dass  ein  Mensch,  der 
sich  nie  damit  abgegeben  hatte  und  die  Arzneimittel  nicht 
kannte,  alles  durch  eigne  Anschauung  und  Uebuug  lernen 
musste),  ungeachtet  des  Beifalls  der  ihm  wegen  seiner 
fliessenden  und  wohldurchdachten  Reden  täglich  zu  Theil 
ward,   seine    bisherige    Laufbahn    gänzlich    verlassend  die 

')  Aus  Prusa  in  Bithynien  am  Pontus. 


342  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

gesanimte  Medicin  auf  gewisse  Theorien  zurückführte.  Er 
stellte  nämlich  fünf  Grundsätze  auf  und  lehrte,  die  allge- 
meinen Heilmittel  seien  fünferlei  Art,  Enthaltung  von  Speisen, 
von  Wein,  Reibung  des  Körpers,  Spazierengehen  und  Be- 
wegung durch  Tragen.  Da  ein  Jeder  einsah,  dass  er  sich 
auf  solche  Weise  leicht  selbst  helfen  könne,  und  alle 
wünschten,  dass  die  am  leichtesten  auszuführenden  Mittel 
die  wahren  seien,  so  verehrte  man  ihn  fast  allenthalben 
wie  einen  vom  Himmel  Gesandten. 

8. 
Ausserdem  verschaffte  er  sich  durch  einen  besondern 
Kunstgriff,  indem  er  nämlich  den  Kranken  Wein  versprach, 
zur  passenden  Zeit  auch  gab,  dann  aber  kaltes  Wasser 
reichte,  grossen  Anhang.  Während  Herophilus  früher  die 
Ursachen  der  Krankheiten  zu  erforschen  bemühet  war, 
Cleophantus  bei  den  Alten  die  Beschaffenheit  des  Weines 
erläutert  hatte,  wählte,  wie  M.  Varro  erzählt,  Asclejtiades 
wegen  seiner  Verordnung  des  kalten  Wassers  einen  Bei- 
namen'). Er  dachte  noch  verschiedene  andere  angenehme 
Mittel  aus,  z.  B.  Aufhängen  der  Betten,  um  durch  das 
Schwanken  derselben  die  Krankheiten  zu  mildern  oder  den 
Schlaf  zu  befördern,  Errichtung  von  Bädern,  welche  den 
grössten  Anklang  fanden  u.  s.  w.  Sein  Ansehn  und  Ruf 
wuchsen  dadurch  sehr,  und  nahmen  noch  mehr  zu,  als  er 
einer  ihm  unbekannten  Leiche  begegnete,  welche  eben  auf 
dem  Scheiterhaufen  verbrannt  werden  sollte,  sie  zurückbrin- 
gen Hess  und  ihr  das  Leben  wieder  gab;  die  nähern  Um- 
stände dieser  Begebenheit  mögen  zugleich  die  Meinung 
niederhalten,  als  seien  dabei  seichte  Beweggründe  im  Spiele 
gewesen.  Nur  erfüllt  es  mich  mit  Unwillen,  wenn  ich  be- 
denke, dass  ein  Mensch  aus  dem  leichtsinnigsten  Volke, 
der  uhne  alles  Vermögen  anfing,  des  Gewinnes  wegen  den 
Menschen  so  schnell  Gesundheits-Gesetze  gegeben  hat,  die 
doch  später  von  Vielen  wieder  abgeschafft  sind.  Dem 
Asclepiades  kam  vieles  zu  Statten,  was  die  Alten  zu  ängst- 

')  Dieser  Beiname   war  JooixpvxQOC,  der  Wasserspender. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  343 

lieh  betrieben  hatten,  wie  das  Bepacken  des  Kranken  mit 
Kleidern,  das  Austreiben  des  Schweisses  auf  jede  Weise, 
das  dem  Rösten  nahe  Erhitzen  des  Körpers  am  Feuer, 
das  beständige  Aufsuchen  des  Sonnenscheins  in  einer 
schattigen  Stadt,  endlich  der  damals  in  ganz  Italien  zuerst 
eingeführte  und  die  Menschen  äusserst  behagende  Gebrauch 
hängender  Bäder.  Ueberdem  umging  er  bei  mehreren 
Krankheiten  das  bisher  beobachtete  martervolle  Verfahren, 
z.  B.  bei  der  Bräune,  welche  man  durch  Einstecken  einer 
Röhre  in  den  Hals  heilte.  Ferner  verwarf  er  und  zwar 
mit  Recht  das  Brechen,  was  damals  übermässig  angewandt 
wurde;  desgleichen  die  dem  Magen  schädlichen  Arznei- 
tränke, was  auch  grösstentheils  verboten  ist.  Ich  will  daher 
zuerst  die  dem  Magen  dienlichen  Mittel  aufzählen. 

y. 

Vor  allem  kamen  ihm  die  Thorheiten  der  Magier  zu 
Statten,  welche  so  weit  gingen,  zu  behaupten,  sie  könnten 
allen  Kräutern  ihre  Zuverlässigkeit  nehmen;  werfe  man  das 
Kraut  Aethiopis')  in  Flüsse  und  Teiche,  so  trockneten  sie 
aus,  berühre  man  was  verschlossen  wäre  damit,  so  öffne 
es  sich;  werfe  man  die  Achaemeuis  unter  die  feindlichen 
Schlacht-Reihen,  so  geriethen  sie  in  Furcht  und  Zittern 
und  ergriffen  die  Flucht;  das  Kraut  Latace  hätten  die 
persischen  Könige  gemeiniglich  ihren  Gesandten  mitgegeben, 
damit  sie  überall,  wo  sie  hinkämen,  an  jedem  Bedürfniss 
Ueberfluss  hätten  u.  dgl.  m.  Aber,  frage  ich,  wo  waren 
jene  Kräuter,  als  die  Cimbern  und  Teutonen  in  ihrem 
mörderischen  Kampfe  heulten,  oder  als  Lucullus  so  viele 
Könige  der  Magier  mit  wenigen  Legionen  schlug?  Warum 
haben  die  römischen  Feldherrn  in  Kriegen  ihre  nächste 
Sorgfalt  stets  auf  die  Herbeischaffung  des  Proviants  gerichtet? 
Warum  mussten  die  Soldaten  Cäsars  bei  Pharsalus  Hunger 
leiden,  wenn  die  Kraft  eines  Krautes  Ueberfluss  an  allem 
schaffen  konnte?  Wäre  es  nicht  besser  gewesen,  Aemilianus 
Scipio  hätte  die  Thore  Carthagos  mit  einem  Kraute  geöffnet, 


')  Salvia  Aflhiopis  I..  S.  auch  XXVII.  B.  :'..  Cap. 


344  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

als  sie  so  viele  Jahre  lang  mit  Kriegsmaschinen  zu  erschüt- 
tern? Man  könnte  ja  jetzt  die  pontinischen  Sümpfe  mit 
einem  Kraute  austrocknen  und  dadurch  so  bedeutende 
Strecken  der  Stadt  Rom  naheliegenden  Feldes  der  Land- 
wirthschaft  überliefern.  Warum  hat  die  von  Democrit  be- 
schriebene Arznei,  wodurch  schöne,  gute  und  glückliebe 
Kinder  erzeugt  werden  sollen,  niemals  einem  persischen 
Könige  diesen  Dienst  geleistet?  Es  wäre  in  der  That  zu 
bewundern,  wie  die  aus  den  heilsamsten  Quellen  entsprun- 
gene Grausamkeit  der  Alten  soweit  hätte  gedeihen  können, 
wenn  man  nicht  bedächte,  dass  es  dem  menschlichen  Geiste 
nun  einmal  nicht  möglich  ist,  das  rechte  Maass  zu  halten, 
und  wenn  ich  nicht  gehörigen  Orts  den  Beweis  liefern 
könnte,  dass  das  von  Asclepiades  erfundene  System  in  der 
Medicin  die  Magier  noch  übertroffen  habe.  Aber  so  handelt 
der  Mensch  in  allen  Dingen,  anfangs  beschränkt  er  sich 
nur  auf  das  Nothwendige,  nach  und  nach  versinkt  er  in 
Ueberfluss.  —  Ich  will  daher  die  übrigen  Wirkungen  der 
im  vorigen  Buche  abgehandelten  Kräuter  besprechen  und 
hinzufügen,  was  ein  richtiges  Urtheil  uns  darüber  gelehrt  hat. 

10. 
In  Bezug  auf  die  Flechte,  diese  so  scheussliche 
Krankheit,  will  ich  alle  vorgeschlagenen  Mittel  hier  zusam- 
menfassen, obgleich  ich  schon  viele  davon  angezeigt  habe. 
Man  wendet  also  dagegen  an:  zerriebenen  Plantago,  Quiu- 
quefolium,  die  Wurzel  des  Albucus  mit  Essig,  die  Sprossen 
des  Feigenbaums  in  Essig  gekocht,  die  Wurzel  des  Hibiscus 
mit  Leim  und  scharfem  Essig  bis  zum  vierten  Theile  ein- 
gekocht; zerriebenen  Bimsstein,  die  Wurzel  des  Ampfers 
mit  Essig,  die  Blumen  des  Viscum  mit  Kalk  durchknetet, 
einen  Absud  des  Tithymalus  mit  Harz,  vorzüglich  aber 
das  Flechtenkraut  1),  welches  eben  diesem  Gebrauche 
seinen  Namen  verdankt.  Dasselbe  wächst  auf  Felsen,  hat 
«inen  kurzen   Stengel,  ein  breites  Blatt  in  der  Nähe   der 


')  liehen.  Die  Beschreibung  passt  am  besten  auf  Marchantia 
polymorpha.  Die  andere  Art  scheint  eine  wirkliche  Flechte  zu  sein, 
nur  lässt  sich  aus  den  mangelhaften  Angaben  nichts  Sicheres  bestimmen. 


Seclisundxwanzigstes  Buch.  845 

Wurzel,  die  übrigen  Blätter  sitzen  am  Stengel,  sind  lang 
und  hängen  herab;  es  wird  mit  Honig  abgerieben  und  be- 
seitigt auch  die  Narben.  Es  giebt  noch  eine  andere  Art 
Flechtenkraut,  welches  wie  ein  Moos  ganz  fest  an  den 
Steinen  sitzt,  ebenfalls  aufgelegt  wird,  das  aus  Wunden 
fliessende  Blut  stillt,  Saftanhäufungen  vertheilt,  mit  Honig 
auf  die  Zunge  oder  überhaupt  in  den  Mund  gebracht  die 
Gelbsucht  heilt.  Die  dieser  Kur  unterworfenen  Kranken 
sollen  sich  in  Salzwasser  baden,  mit  Mandelöl  einreiben 
und  keine  Gartengewächse  geniessen.  Gegen  Flechten 
gebraucht  man  auch  die  Wurzel  der  Thapsia  mit  Honig. 

11. 

Gegen  die  Bräune  verwendet  man  innerlich  die  Arge- 
raouia  mit  Wein,  Hyssop  mit  Wein  gekocht  als  Gurgel- 
wasser, das  Peucedanum  mit  gleichen  Theilen  Coagulum 
vom  Seekalbe;  die  Proser pinaca  mit  Salzwasser  vom 
Seefisch  Maena  und  Oel  abgerieben  und  unter  die  Zunge 
gelegt,  den  Saft  des  Quinquefolium  zu  drei  Bechern  getrunken. 
Letzterer  zeigt  sich  auch  als  Gurgelwasser  bei  allen  Hals- 
übeln wirksam,  für  die  geschwollenen  Halsdrüsen  aber  ist 
ein  wässriger  Trank  des  Verbascum  am  besten. 

12. 

Mittel  gegen  die  Kröpfe  sind:  die  Plantago,  Cheli- 
douia  mit  Honig  und  Fett,  das  Quinquefolium,  die  Wurzel 
der  Persolata  mit  Fett  aufgelegt  und  mit  dem  Blatte  der- 
selben Pflanze  bedeckt;  die  Artemisia,  die  Wurzel  der 
Mandragora  mit  Wasser;  die  breiten  Blätter  der  Sideritis, 
wenn  man  mit  einem  Nagel  der  linken  Hand  auf  ihnen 
herumgefahren  ist,  und  die  nach  erfolgter  Heilung  von  dem 
Genesenen  aufbewahrt  werden  müssen,  damit  nicht  durch 
Wiederanpflanzen  das  Uebel  von  neuem  ausbreche  (welches 
schändlichen  Knifts  sich  einige  Kräuterkenner  bedienen), 
wie  ich  denn  auch  finde,  dass  Diejenigen,  welche  mit  Arte- 
misia und  Plantago  geheilt  sind,  dieselbe  Vorsicht  gebrau- 
chen sollen.  Das  Damasonium,  auch  Alcea  genannt,  wird  zur 
Zeit  des  Sommer-Solstitii  gesammelt,  entweder  das  Blatt 
mit  Regenwasser  oder  die  Wurzel  mit  Fett  aufgelegt  und 


346  Sechsundzwauzigstes  Buch. 

im  letztern  Falle  noch  das  Blatt  darübergedeckt;  diese 
Pflanze  hat  auch  ihren  Nutzen  bei  Nackenscbmerzen  und 
allen  Arten  von  Geschwulsten. 

13. 

Die  Bellisi),  eine  Wiesenpflanze  mit  weisser  ins 
Röthliche  spielender  Blume,  soll  mit  Artemisia  aufgelegt 
noch  besser  wirken. 

14. 

Condurdum,  ein  Sommergewächs  mit  rother  Blume, 
soll  am  Halse  getragen  den  Kropf  kleiner  machen;  des- 
gleichen die  Verbenaca  mit  Plantago.  Alle  Krankheiten 
der  Finger,  namentlich  die  Nagelgeschwüre  heilt  das  Quin- 
quefolium, 

15. 

Das  beschwerlichste  aller  Brustübel  ist  der  Husten; 
man  vertreibt  ihn  durch  die  Wurzel  des  Panax  mit  süssem 
Wein,  bei  gleichzeitigem  Blutspeieu  durch  den  Saft  des 
Hyoscyamus;  desgleichen  durch  den  Rauch  des  brennenden 
Krautes,  durch  die  Scordotis  mit  Zusatz  von  Nasturtium, 
Harz  und  Honig.  Auch  das  grössere  Centaurium  und  der 
Saft  der  Plantago  steuern  dem  Blutspeien.  Auch  das  vetto- 
nische  Kraut  dient  zu  drei  Obolen  in  Wasser  genommen 
gegen  eiterigen  und  blutigen  Auswurf;  ebenso  die  Wurzel 
der  Persolata  zu  einer  Drachme  mit  elf  Piuienkernen. 
Der  Saft  des  Peucedanum  und  des  Acorum  mildern  die 
Schmerzen  der  Brust,  werden  daher  auch  den  Gegengiften 
zugesetzt.  Für  den  Husten  ist  das  Daucum  und  das  scy- 
tische  Kraut  gut;  letzteres  wird  bei  allen  Brustübeln  und 
Eiterauswurf  zu  drei  Obolen  in  Rosinenwein  gegeben.  Von 
dem  hellgelbblühenden  Verbascum  nimmt  man  ebensoviel; 
dieses  besitzt  eine  solche  Kraft,  dass  es  das  Zugvieh,  ins 
Saufen  gethan,  nicht  bloss  vom  Husten  befreit  sondern  auch 
bewirkt,  dass  ihre  Eingeweide  wieder  in  Ordnung  kommen, 
was  man  auch  von  der  Gentiana  behauptet.  Die  Wurzel 
der  Cacalia  kauet  man  und  erweicht  sie  in  Wein  bei  Husten 

>    Bellis  perennis  L. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  347 

und  Halsweh.  Fünf  Zweige  Hyssop,  zwei  Zweige  Raute 
und  drei  Feigen  kocbt  mau  zusammen  und  wendet  diess 
Mittel  zur  Reinigung  der  Brust  au. 

16. 

Das  B e c li i  um,  auch  T  u s  s  i  1  ag o')  genannt,  ist  gleichfalls 
ein  Medicament  für  den  Husten.  Man  unterscheidet  davon 
zwei  Arten.  Wo  die  wilde  wächst  vermuthet  man  Wasser 
und  die  Brunnenmeister  nehmen  danach  ihre  Maassregeln. 
Die  Blätter  derselben  sind  etwas  grösser  als  beim  Eplieu, 
fünf  bis  sieben  an  der  Zahl,  unten  weisslich,  oben  blass- 
grün, man  sieht  weder  Stengel,  noch  Blume,  noch  Samen 
und  die  Wurzel  ist  zart.  Einige  halten  diess  für  das 
eigentliche  Bechium  und  nennen  es  auch  Cbamaeleuce. 
Anhaltenden  Husten  soll  man  dadurch  vertreiben;  dass 
man  die  ganze  Pflanze  trocknet,  anzündet,  den  dadurch 
entstehenden  Rauch  vermittelst  eines  Rohres  einzieht  und 
hinunterschluckt;  aber  bei  jedem  Zuge  müsse  man  einen 
Schluck  Rosinenwein  nehmen. 

17. 

Die  andere  Art  heisst  bei  Einigen  Salvia^)  und  sieht 
dem  Verbascum  ähnlich.  Sie  wird  zerquetscht,  durchgeseihet, 
die  Flüssigkeit  erwärmt  und  gegen  Husten  und  Seitenste- 
chen, auch  mit  Erfolg  gegen  Scorpionen  und  Seedrachen 
getrunken.  Gegen  Schlangen  bereitet  man  daraus  eine 
Salbe  mit  Oel  zum  Einreiben.  Gegen  Husten  kocht  man 
ferner  ein  Büschel  Ysop  mit  dem  vierten  Theile  Honig. 

18. 

Schmerzen  in  der  Seite  und  Brust  heilt  das  Ver- 
bascum mit  Raute  in  Wasser  gekocht,  oder  das  Pulver  des 
vettonischen  Krauts  mit  warmem  Wasser.  Den  Magen 
stärkt  der  Saft  der  Scordotis,  das  Centaurium,  die  Gentiana 
mit  Wasser  getrunken,  die  Plantago  entweder  für  sich  oder 
mit  Linsen-  oder  Graupensuppe  verspeist.  Das  vettonische 
Kraut  ist  zwar  etwas  schwer  für  den  Magen,  wirkt  aber 

')  Tussilago  Farfaia  L. 

-)  Salvia  officinalis  L.?     Eher  scheint  mir  hier  Tussilago   Peta- 
sites  L.  gemeint  zu  sein. 


348  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

(loch  heilend,  wenn  man  die  Blätter  kauet  oder  einen  Trank 
davon  einnimmt;  ebenso  die  Aristolochia  als  Trank,  der 
Agaricus  trocken  gekauet  und  zwischendurch  etwas  lauterer 
Wein  getrunken,  der  Saft  des  Peucedanum  und  die  herac- 
lische  Nymphaea  aufgelegt.  Das  Psyllium,  Cotyledon  mit 
Polenta  oder  Aizoum  legt  man  zum  Kühlen  auf 

19. 
Das  Mol  um  oder  Syrum  hat  einen  gestreiften  Schaft, 
kleine  weiche  Blätter,  und  eine  vier  Finger  lange  Wurzel, 
an  deren  Ende  ein  Zwiebelkopf  sitzt.  Es  wird  in  Wein 
für  den  Magen  und  bei  Engbrüstigkeit  genommen,  zu  dem- 
selben Zwecke  dient  das  grosse  Centaurium  in  einer  Lat- 
werge, die  Plantago  als  solche  oder  ihr  Saft,  das  vetto- 
nische  Kraut  zu  einem  Pfunde  zerstampft,  mit  einer  halben 
Unze  Honig,  der  gehörigen  Menge  warmen  Wassers  ver- 
setzt und  von  diesem  Getränk  täglich  Gebrauch  gemacht. 
Aristolochia  oder  Agaricus  zu  drei  Obolen  mit  warmem 
Wasser  oder  Eselsmilch  getrunken.  Den  Cissanthemus 
wendet  man  als  Getränk  bei  schwerem  Athem,  den  Hysso- 
pus  bei  Engbrüstigkeit,  den  Saft  des  Peucedanum  bei 
Schmerzen  in  der  Galle,  Brust  und  Seite,  wenn  kein  Fieber 
zugegen  ist,  an.  Auch  den  Blutspeienden  hilft  der  Agaricus, 
zu  einem  halben  Denar  in  fünf  Bechern  Meth  genommen. 
Denselben  Zweck  erreicht  man  mit  dem  Amomum.  Ein  Spe- 
cificum  für  die  Leber  ist  die  Teucria  frisch  zu  vier  Drachmen 
in  einer  Hemina  saurem  Dünn  wein,  die  Vettonica  zu  einer 
Drachme  in  drei  Bechern  warmem  Wasser  und  bei  Herz- 
krankheiten in  zwei  Bechern  kaltem  Wasser  genommen. 
Der  Saft  des  Quinquefolium  wird  innerlich  mit  Erfolg  bei 
Leber-  und  Lungenleiden,  Blutauswurf  und  jeder  Art  krank- 
haften Blutes  angewandt.  Die  Arten  der  Anagallis  sind 
ausgezeichnete  Leberarzneien.  Wer  Capnus  verspeist,  bei 
dem  geht  die  Galle  durch  den  Harn  ab.  Das  Acorum  heilt 
die  Leber,  Brust  und  das  Zwergfell. 

20. 
Die  Ephedra  oder  Anabasis^)  wächst  fast  immer  an 

*)  Ephedra  fragilis  L. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  349 

Orten,  welche  dem  Winde  sehr  ausgesetzt  sind,  klimmt  an 
den  Bäumen  empor  und  hängt  von  den  Zweigen  herunter, 
hat  keine  Blätter  aber  zahlreiche  Wickelranken  von  knotigem 
binsenartigem  Aussehn,  und  eine  blasse  Wurzel.  Man  giebt 
sie  mit  dunkelm  herbem  Wein  abgerieben,  sowie  als  Trank, 
dem  man  etwas  Wein  zusetzt,  gegen  Husten,  schweren 
Athem,  Bauchgrimmen;  zu  demselben  Zwecke  wird  die 
Gentiana  gebraucht,  und  zwar  weicht  man  einen  Denar 
sicliwer  davon  Tags  zuvor  ein  und  nimmt  sie  dann  mit  drei 
Bechern  Wein  abgerieben  ein. 

21. 

Das  Geum')  hat  dünne,  schwarze,  wohlriechende 
Würzelchen;  es  schmeckt  angenehm  und  heilt  nicht  nur 
die  Brust-  und  Seitenschmerzen,  sondern  befreiet  auch  von 
der  Unverdaulichkeit.  Die  Verbeuaca  ist  ein  Hülfsmittel 
für  alle  innerlichen  Organe  des  Körpers,  die  Seiten,  Lunge, 
Leber,  Brust,  also  auch  für  Schwindsüchtige.  Die  Wurzel 
der  Consiligo,  einer  wie  bemerkt  erst  kürzlich  entdeckten 
Pflanze ,  ist  ein  zuverlässiges  Mittel  bei  Lungenübeln  der 
Schweine  und  des  Rindviehs,  wenn  man  sie  auch  nur  durch 
die  Ohrenlappen  zieht.  Gegen  die  obengenannten  Fehler 
bei  Menschen  bedient  man  sich  ihrer  als  wässrigen  Tranks 
und  hält  sie  beständig  im  Munde  unter  der  Zunge.  Ob  der 
oberirdische  Theil  dieser  Pflanze  anwendbar  sei,  weiss 
mau  noch  nicht.  Bei  Nierenleiden  verspeist  man  die  Plan- 
tago,  oder  nimmt  einen  aus  dem  vettonischen  Kraute  oder 
dem  Agaricus  bereiteten  Trank  zu  sich. 

22. 

Das  Tripolium'-)  wächst  auf  Steinen,  die  vom  Meere 
bespült  werden,  nicht  im  Meere  selbst,  auch  nicht  an 
trocknen  Stellen,  hat  Blätter,  welche  dicker  als  die  der 
Isatis,  handlang  und  an  der  Spitze  getheilt  sind,  eine  weisse, 
dicke,  wohlriechende  und  erwärmend  schmeckende  Wurzel. 
Man    giebt    es   mit    Roggenmehl   gekocht    bei    Leberleiden. 


')  Geum  urbanum  L. 
-)  Statice  Liinoniuni  L 


350  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

Einige  halten  diese  Pflanze  für  identisch   mit  dem   bereits 
von  mir  erwähnten  Polium. 

23. 

Die  Gromphaena  1),  welche  am  Stengel  abwechselnd 
grüne  und  rosenrothe  Blätter  trägt,  heilt  in  Verbindung 
mit  saurem  Dünnwein  das  Blutspeien. 

24. 

Für  die  Leber  reibt  man  das  Malundrum,  welches 
auf  Feldern  und  Wiesen  wächst  und  weisse,  wohlriechende 
Blumen  hat,  mit  altem  Wein  ab. 

25. 

Ebenso  legt  man  das  in  den  Weingärten  vorkommende 
Chalcetum  zerrieben  auf.  Leichtes  Brechen  erregt,  wie 
der  Elleborus,  die  Wurzel  des  vettonischen  Krautes,  wenn 
man  sie,  zu  vier  Drachmen  in  llosinenwein  oder  Meth  ein- 
nimmt; Hyssop  mit  Honig  ist  noch  besser,  wenn  mau  vor- 
her Nasturtium  und  Iris  genommen  hat;  vom  Molemonium 
gebraucht  man  einen  Denar  schwer.  Das  Silybum-)  ent- 
hält einen  Milchsaft,  welcher  nach  dem  Eintrocknen  zu 
einem  Denar  schwer  mit  Honig  zur  Abführung  der  Galle 
verordnet  wird.  Das  Erbrechen  stillen  dagegen  das  wilde 
Cuminum  und  das  fein  gestossene  vettonische  Kraut,  beide 
mit  Wasser.  Den  Ekel  vertreiben  und  die  Verdauung  be- 
fördern das  Daucum  und  das  feingestossene  vettonische 
Kraut  mit  Wassermeth,  die  Plantago  wie  Kohl  gekocht. 
Das  Schlucken  vertreiben  das  Hemionium  und  die  Aristo- 
lochia,  das  Aufseufzen  der  Clymenus.  Gegen  Seitenstechen 
und  Engbrüstigkeit  hilft  das  grosse  Centaurium  und  der 
Hyssop,  gegen  Seitenstechen  allein  der  Saft  des  Peucedanum. 

26. 

Das  Kraut  welches  die  Gallier  Halus,  die  Venetiauer 
Cotonea  nennen,  heilt  Seitenstechen,  Niereu,  verrenkte 
und  zerrissene  Glieder.  Es  ist  der  Cunila  bu'r.la  ähnlich, 
an  der  Spitze  dem  Thymian,  schmeckt  süss,  sti'.l:  den  Durst, 
hat  eine  bald  weisse,  bald  schwarze  Wurzel. 

')  Amarantus  tricolor  L. 
'')  Carduus  marianus  L. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  351 

27. 

Aehnliche  Wirksamkeit  gegen  Seitenstechen  besitzt 
die  Chamaerops;  sie  trägt  um  den  Stengel  herum  je  zu 
Zweien  stehende  myrtenartige  Blätter,  Blüthenköpfe  wie 
die  griechische  Rose  und  wird  als  weiniger  Trank  einge- 
nommen. Die  Schmerzen  der  Hüfte  und  des  Rückgrats 
mildert  das  Agaricum ,  wenn  man  es  wie  beim  Husten 
anwendet;  ferner  das  feingestossene  vettonische  Kraut  und 
die  Stoechas^)  mit  Wassermeth. 

28. 

Am  meisten  jedoch  macht  den  Menschen  der  Unter- 
leib 2)  zu  schaffen,  um  desswillen  allein  der  grössere  Theil 
derselben  lebt.  ^)  Bald  nämlich  hält  er  die  Speisen  zurück, 
bald  nicht,  bald  kann  er  sie  nicht  fassen,  bald  nicht  ver- 
dauen, und  die  Sittenverderbniss  ist  bereits  so  weit  gekom- 
men, dass  die  Mehrzahl  der  Menschen  den  Speisen  ihren 
Tod  zu  verdanken  haben.  Der  schlechteste  Behälter  unsers 
Körpers  verfolgt  uns  wie  ein  Gläubiger  und  klopft  täglich 
mehrere  Mal  an.  Seinetwegen  regt  sich  vorzüglich  der 
Geiz,  ihm  verdankt  man  die  Schvvelgerei,  für  ihn  schifft 
man  nach  Phasis  und  durchsucht  die  Meere,  und  Niemand 
überlegt,  ob  denn  aus  diesem  schändlichen  Treiben  auch 
irgend  ein  Nutzen  hervorgehe.  Die  Heilkunde  hat  daher 
in  dieser  Beziehung  die  allerschwierigste  Aufgabe  zu  erfüllen. 
Die  Scorodotis  zu  einer  Drachme  mit  Wein  abgerieben  oder 
als  Absud  genommen,  hemmt  den  Durchfall;  die  Polemonia 
giebt  man  ebenfalls  bei  Dysenterie  mit  Wein,  ferner  die 
Wurzel  des  Verbascum  von  zwei  Fingern  Länge  mit  Wasser 
getrunken,  den  Samen  der  heraclischen  Nymphaea  mit 
Wein  getrunken,  die  obere  Wurzel  des  Xiphium  zu  einer 
Drachme  mit  Essig,  den  Samen  der  Plantago  mit  Essig 
abgerieben  oder  mit  Essig  gekocht  oder  ihren  Saft  mit 
Graupen   genommen,   oder  mit  Linsen   gekocht,   oder  das 


')  Lavandula  Stoechas  L. 

'^)  alvus,  hier  besonders  als  Magen  zu  verstehen. 

^)  d.  h.  den  meisten  Menschen  ist  der  Bauch  ihi-  Gott. 


352  Sechsunclz.wanzigste8  Buch. 

feingestossene  Kraut  nebst  geröstetem  und- zerriebenem  Mohn 
ins  Getränk  eingerührt,  oder  den  Saft  derselben  sowie  auch 
den  des  vettonischen  Krauts  mit  Wein,  der  durch  heisses 
Eisen  erwärmt  worden  ist.  Das  letztgenannte  Kraut  wird 
auch  in  herbem  Wein  gegen  Darmgicht  gegeben  und  die 
Iberis  zu  demselben  Zwecke  aufgelegt.  Bei  Stuhlzwang 
nimmt  man  die  Wurzel  der  heraclischen  Nymphaea  mit 
Wein,  das  Psyllium  mit  Wasser,  die  Wurzel  des  Acorum 
als  Absud.  Der  Saft  des  Aizoon  hemmt  den  Durchfall  und 
führt  die  runden  Würmer  ab;  erstem  Zweck  erreicht  man 
auch  mit  der  Wurzel  des  Symphytum  und  des  Daucum. 
Die  mit  Wein  abgeriebenen  Blätter  des  Aizoon,  sowie  das 
in  Wein  genommene  Pulver  der  getrockneten  AIcea  ver- 
treiben das  Bauchgrimmen. 

29. 
Der  Astragalusi)  hat  lange  Blätter  mit  zahlreichen 
Einschnitten,  welche  schräg  um  die  Wurzel  herum  stehen, 
drei  bis  vier  dichtbeblätterte  Stengel,  hyacinthähnliche 
Blumen,  zottige,  verwickelte,  rothe,  sehr  harte  Wurzeln 
wächst  auf  steinigen,  sonnigen  und  oft  mit  Schnee  bedeckten 
Boden,  wie  z.  B.  in  dem  pheneischen  Distrikte  von  Arkadien. 
Er  besitzt  verdichtende  Kräfte.  Die  Wurzel  trinkt  man 
mit  Wein  gegen  Abweichen;  indem  sie,  sowie  fast  alle 
übrigen  zu  diesem  Zwecke  dienenden  Mittel,  das  Flüssige 
(aus  dem  Mastdarm)  zurücktreibt,  bewirkt  sie  zugleich  ver- 
mehrten Harnabgang.  Mit  rothem  Wein  angestossen  (was 
aber  etwas  schwierig  auszuführen  ist)  heilt  sie  die  Dysen- 
terie; eiterndes  Zahnfleisch  bäht  man  zweckmässig  damit. 
Man  sammelt  sie  gegen  Ende  des  Herbstes  nach  dem  Ab- 
fall ihrer  Blätter  und  trocknet  sie  im  Schatten. 

30. 
Auch  beide  Arten  des   Ladanum-),  welche   zwischen 
den  Saaten  wachsen,  hemmen  den  Durchfall,  wenn  man  sie 
im  feingestossenen  Zustande  mit  Wassermeth   oder  gutem 


*)  Orobus  sessilifolius  Sibth. 
5)  S.  XII.  B.  37.  Cap. 


Sechsundtwanzigstes  Buch.  353 

Weine  einaimmt.  Die  Pflanze,  welche  auf  Cypern  das 
Ladanum  liefert  und  das  sich  au  den  Bart  der  Ziegen 
hängt,  heisst  Ledum.  Eine  bessere  Sorte  kommt  aus  Ara- 
bien; aber  auch  in  Syrien  und  Afrika  gewinnt  man  schon 
etwas  ähnliches,  welches  den  Namen  Pfeilsaft  *)  führt,  denn 
ipan  setzt  es  der  Wolle  hinzu,  womit  man  die  Sehnen  an 
den  Bogen  umgiebt,  damit  dieselbe  recht  fest  daran  hafte. 
Bei  den  Salben  habe  ich  mich  ausführlicher  darüber  ausge- 
sprochen. Diese  Sorte  riecht  sehr  unangenehm  und  besitzt 
wegen  der  reichlichen  Beimischung  von  erdigen  Tiieilen 
eine  bedeutende  Härte,  während  die  reinere  Sorte  wohl- 
riechend, weich,  grün  und  harzig  ist.  Es  hat  die  Eigen- 
schaft zu  erweichen,  zu  trocknen,  die  Verdauung  zu  beför- 
dern und  Schlaf  zu  erregen;  hindert  das  Ausfallen  der 
Haare  und  schützt  sie  vor  dem  Grau  werden.  Mit  Honig- 
meth  oder  Rosenöl  giesst  man  es  in  die  Ohren,  mit  Zusatz 
von  Salz  heilt  es  die  schuppige  Haut  und  fliessende  Ge- 
schwüre, mit  Styrax  innerlich  anhaltenden  Husten,  bewirkt 
auch  am  besten  das  Aufstossen. 

31. 
Die  Chondris  oder  der  falsche  Dictamnus^)  hemmt 
den  Durchfall.  Der  Hypocistis^)  oder  das  Orobethrum 
(wie  ihn  Einige  nennen)  sieht  einem  unreifen  Granatapfel 
ähnlich  und  wächst  wie  schon  erwähnt  unter  dem  Cistus, 
daher  sein  Name.  Man  trocknet  ihn  im  Schatten  und 
wendet  beide  Arten  —  es  giebt  nämlich  eine  weisse  und 
rothe  Art  —  mit  dunkelm  herbem  Wein  gegen  den  Durchfall 
an.  Seine  Kraft  liegt  in  dem  verdichtenden  und  trocknenden 
Safte.  Die  rothe  Art  dient  mehr  für  Magen  und  Flüsse; 
ferner  zu  drei  Oboleu  mit  Stärkemehl  getrunken  gegen 
Blutspeien,  als  Trank  und  Aufguss  gegen  Dysenterie. 
Ebenso  gebraucht  man  die  Verbenaca  mit  Wasser  oder  bei 
Abwesenheit  von  Fieber  zu  fünf  Löffeln  voll  mit  drei 
Bechern  ammineischen  Weines. 


')  toxicum.     "-)  Marrubium  Pseudodictamnus. 
^)  Cytinus  Hypocistis  L. 

Wittstein:  Pliuius.     VI.    Bd  2:J 


'354  Sechsundzwanzigstes  Buch, 

32. 

Auch  das  in  Bächen  wachsende  Laver 0  vertreibt 
eingemacht  und  gekocht  das  Bauchgrimmen. 

33. 

Der  Potamogeton^),  welcher  betenähnliche,  aber 
kleinere  und  rauhere  Blätter  hat  und  sich  etwas  über  dem 
Wasser  erhebt,  wird  ebenfalls  mit  Wein  gegen  Dysenterie 
und  Darmgicht  angewandt.  Die  Blätter  kühlen,  verdichten 
und  werden  besonders  gegen  Fehler  der  Schienbeine  und 
sogenannte  anheilbare  Geschwüre  mit  Honig  oder  Essig 
vortheilhaft  gebraucht.  Castor  beschreibt  eine  andere  Art=^), 
welche  feine,  fast  pferdehaarartige  Blätter,  einen  langen, 
glatten  Blumenstiel  hat,  ebenfalls  in  Wasser  wächst  und 
mit  deren  Wurzel  er  Kröpfe  und  Verhärtungen  heilte.  Der 
Potamogeton  ist  den  Krokodilen  zuwider;  daher  trägt  mau 
ihn  bei  Jagden  auf  diese  Thiere  bei  sich.  Auch  die  Achillea 
wirkt  gegen  den  Durchfall,  und  ähnliche  Kräfte  besitzt  die 
Statice^),  welche  sieben  in  rosenähnliehe  Köpfe  endigende 
Stengel  treibt. 

34. 

Die  Ceratia,  welche  nur  ein  Blatt  und  eine  grosse 
knotige  Wurzel  hat,  heilt  ebenfalls  Dysenterie  und  Darra- 
gieht.  Das  Leontopodium^),  auch  Leuceorum,  Dori- 
petrum,  Thorybetrum  genannt,  wächst  auf  flachem, 
magerm  Boden  und  ist  ein  gutes  Mittel  gegen  Durchfall  und 
zur  Reinigung  der  Galle;  zwei  Denare  der  Wurzel  werden 
zu  diesem  Behuf  in  Wassermeth  genommen.  Der  Same 
dieser  Pflanze  soll  unsinnige  Träume  hervorrufen.  Der 
Lagopus  **)  wächst  in  Saatfeldern,  hemmt  mit  Wein  oder 
bei  Fieber  mit  Wasser  genommen  ebenfalls  den  Durchfall, 
und  wird    bei  Geschwulsten    auf  den  Unterleib   gebunden. 

')  Sium  latifolium  L. 

-)  Potamogeton  natans  L. 

'■')  Potamogeton  pectinatus  oder  eine  ähnliche  Alt. 

*)  Statice  Limonium  und  sinuata  L. 

^)  Evax  pygmaeus  G.  (Filago). 

")  Trifolimn  iirv»'n.se  L. 


lSechsmi»lzwan/-igstes  Bucli.  'dob 

Viele  rühmen  gegen  das  lieftigste  Stadium  der  Dysenterie 
das  Quinquefolium  und  zwar  lassen  sie  die  Wurzeln  mit 
Milch  kochen  und  den  Absud  trinken,  ferner  die  Aristolochia 
zu  einem  halben  Denar  schwer  in  drei  Bechern  Wein. 
Was  von  obigen  Mitteln  warm  genommen  werden  muss, 
erwärmt  man  am  besten  mittelst  eines  glühenden  Eisens. 
Dahingegen  führt  der  Saft  des  kleinen  Centaurium ,  zu  einer 
Drachme  in  einer  Hemina  Wasser  mit  etwas  Salz  und 
Essig  genommen,  ab  und  entfernt  die  Galle;  das  grosse 
Centaurium  mildert  das  Bauchgrimmen,  Das  vettonische 
Kraut  führt  zu  vier  Drachmen  mit  neun  Bechern  Wassermeth 
gleichfalls  ab;  ebenso  das  Euphorbium  und  Agaricum,  zu 
zwei  Drachmen  aus  Wasser  mit  etwas  Salz  oder  zu  drei 
Obolen  in  Meth;  der  Cyclaminus  aus  Wasser  allein  oder 
mit  Zusatz  von  Datteln,  und  die  Frucht  vom  Chamaecissus. 
Eine  Handvoll  Hyssop  zu  einem  Drittel  eingekocht  und  mit 
Zusatz  von  Salz  aufgelegt  oder  mit  Sauerhonig  und  Salz 
vermischt,  entfernt  den  Schleim  und  führt  die  Würmer  ab. 
Schleim  und  Galle  werden  auch  durch  die  Wurzel  des  Peuee- 
danum  entfernt. 

35. 
Den  Unterleib  reinigt  ferner  die  Anagallis  mit  Wasser- 
meth und  das  Epithymum.  i)  Letzteres  ist  eine  aus  dem 
Thymus  hervorgegangene  Blüthe,  welche  der  Satureja  ähn- 
lich, aber  nicht  grün  und  krautartig,  sondern  weiss  aus- 
sieht, heisst  auch  Hippopheus,  taugt  weniger  für  den 
Magen,  erregt  nicht  leicht  Brechen,  vertreibt  aber  Baucli- 
grimmen  und  Blähungen.  Gegen  Brustübel  nimmt  man  ess 
mit  Honig  und  zuweilen  auch  mit  Iris  in  einer  Latwerge. 
Zum  Abführen  reichen  vier  bis  sechs  Drachmen,  denen 
man  etwas  Honig,  Salz  und  Essig  hinzusetzt,  aus.  Einige 
geben  an,  das  Epithymum  habe  keine  Wurzel,  sei  zart, 
einem  Mäntelchen  ähnlich,  roth,  werde  im  Schatten  ge- 
trocknet und  zur  Beseitigung  von  Schleim  und  Galle  als 
wässriger    Trank    zu    einem    halben    Acetabulum    voll    ge- 


')  CuBCuta  Epithymum  Jj. 

•23* 


35<S  8echsundzwanzigst.es  Buch. 

nommen.     Auch    die   Nyaipliaea    führt    iu   Verbindung    mit 
herbem  Wein  gelinde  ab. 

31). 

Ebenso  verhält  sich  das  Pycnocomum ');  dasselbe  hat 
dickere  und  schärfere  Blätter  als  die  Eruca,  eine  runde, 
gelbe,  nach  Erde  riechende  Wurzel,  einen  massigen  dünnen, 
vierkantigen  Stengel,  ocim umähnliche  Blumen  und  findet 
sich  au  steinigen  Orten.  Zwei  Denare  der  Wurzel  in 
Wassermeth  bewirken  Stuhlgang,  führen  Galle  und  Schleim 
ab.  Der  Same  verursacht  unruhige  Träume,  wenn  man  ihn 
zu  einer  Drachme  in  Wein  trinkt,  vertheilt  auch  die  Fett- 
beulen. 

'61. 

Auch  das  Polypodium  -),  welches  wegen  seiner  Aehn 
lichkeit  mit  der  Filix,  bei  uns  Filicula  heisst,  führt  die 
Galle  ab.  Man  wendet  die  Wurzel  an,  welche  rauh,  im 
Innern  grün,  kleinfingerdick,  gefässartig  ausgehöhlt  ähnlich 
wie  die  Fangarme  der  Polypen,  süsslich  ist,  auf  Felsen 
und  am  Fusse  alter  Bäume  wächst.  Zur  Gewinnung  eines 
Saftes  daraus  feuchtet  man  sie  vor  dem  Pressen  au;  ferner 
schneidet  man  sie  fein,  setzt  Kohl,  Beta,  Malve,  Salzbrühe 
oder  irgend  einen  Brei  hinzu,  lässt  kochen  und  nimmt 
dieses  Mittel  auch  bei  Fieber,  um  gelinde  abzuführen.  In- 
dem sie  Schleim  und  Galle  entfernt,  belästigt  sie  aber  zu 
gleich  den  Magen.  Das  feine  Pulver  der  Wurzel  schnupft 
man  beim  Nasenpolyp.  Blumen  und  Samen  trägt  dies.: 
Pflanze  nicht. 

38. 

Das  Scammouiuur^)  bewirkt  ebenfalls  eine  Bewegung 
im  Magen,  entfernt  die  Galle,  führt  ab,  besonders  wenn 
man  zu  zwei  Obolen  davon  zwei  Drachmen  Aloe  hinzufügt. 
Die  Pflanze,  welche  den  Scammoniumsaft  liefert,  ist  von 
der  Wurzel  an  ästig,   hat  fette  dreieckige,    weisse  Blätter, 


')  Scabiosa  aiubiosioides  Sibth. 
"-)  Polypodium  vulgare  L. 
^)  Convolvuhis  Scamuionia  L. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  857 

eine  dicke,  saftige,  widrig  schmeckende  Wurzel,  und  wächst 
auf  fettem,  weissem  Boden.  Zur  Zeit  des  Hundssternes 
höhlt  man  die  Wurzel  aus,  um  den  Saft  darin  zusammen- 
fliessen  zu  lassen,  trocknet  diesen  alsdann  an  der  Sonne 
und  formt  ihn  in  Kügelchen.  Auch  trocknet  man  wohl  die 
ganze  Wurzel  oder  deren  Rinde.  Dem  Vaterlande  nach  ist 
das  colophonische,  mysische  und  prieuische  das  beste;  was 
seine  Eigenschaften  betrifft,  so  soll  es  glänzend,  wie  Ochsen- 
gallerte aussehen,  schwammig,  mit  äusserst  feineu  Kanälen 
durchzogen  sein,  leicht  schmelzen,  virös  und  cuminuraavtig 
riechen,  beim  Berühren  mit  der  Zunge  ein  milchiges  Au- 
sehn  annehmen,  sehr  leichtes  specifisches  Gewicht  besitzen, 
und  beim  Zerreiben  weiss  werden.  Letzteres  Merkmal  hat 
auch  das  falsche  Scammonium,  welches  meist  in  Judaea 
aus  Ervenmehl  und  dem  Safte  des  Meer-Tithymakis  ge- 
macht wird  und  eingenommen  sogar  quälende  Schmerzen 
verursacht,  aber  daran  zu  erkennen  ist,  dass  es  auf  der 
Zunge  ein  Gefühl  von  Hitze  hinterlässt.  Das  Scammonium 
wird  im  zweiten  Jahre  gesammelt;  früher  oder  später  taugt 
es  nicht.  Man  giebt  es  auch  für  sich  zu  vier  Obolen  mit 
Meth  und  Salz,  am  zweckmässigsteu  aber  mit  Aloe,  und 
lässt  beim  Eintritt  der  Wirkung  Meth  trinken.  Endlich 
bereitet  man  ein  Dekokt  aus  der  Wurzel  mit  Essig,  ver- 
dunstet dasselbe  zur  Honigdicke,  setzt  Oel  hinzu,  und 
streicht  dieses  Mittel  auf  krätzige  Stellen,  auch  bei  Kopfweh 
auf  den  Kopf. 

39. 
Den  Tithymalus  nennen  wir  Milchkraut,  Andere: 
Ziegenlattich.  Man  erzählt,  dass  wenn  mau  mit  dieser 
Milch  auf  die  Haut  schreibe,  und  nach  erfolgtem  Trocknen 
Asche  darauf  streue,  die  Buchstaben  wieder  zum  Vorschein 
kämen,  und  Einige  hätten  sich,  statt  mit  Billets,  auf  diesem 
Wege  an  Ehebrecherinnen  gewendet.  Es  giebt  mehrere 
Arten;  die  erste  heisst  Characias^),  wird  auch  für  das 
Männchen  gehalten,  ihre  5 — 6  Zweige  sind  fingerdick,  roth, 


*)  Euphorbia  Characias  L. 


35^  Secbsundzwanzigstes  Buch. 

saftreich,  ellenlaug:,  die  Hlätter  stehen  vou  der  Wurzel  au 
zahlreich  am  Stengel  hinauf  und  haben  die  Form  der  Oel- 
banmblätter,  an  der  Spitze  trägt  der  Steng:el  einen  Schopf 
wie  der  Juncus;  sie  wächst  auf  wüstem  Boden  am  Meere. 
Man  sammelt  im  Herbste  den  Samen  sammt  dem  Schöpfe, 
lässt  an  der  Sonne  trocknen,  stösst  und  bewahrt  sie  in 
diesem  Zustande  auf.  Zur  Zeit  wenn  sich  an  den  Aepfeln 
die  Wolle  zeigt,  bricht  man  vou  der  Pflanze  die  Zweige 
ab,  fängt  den  ausquellenden  Saft  in  Erbsenmehl  oder  Feigen 
auf  und  lässt  ihn  so  eintrocknen;  fünf  Tropfeu  genügen  auf 
jede  Feige.  Die  Wassersüchtigen,  welche  diese  Feigen  ein- 
nehmen, sollen  so  oft  Oeft'nung  bekommen,  als  die  Zahl 
der  dahinein  gekommenen  Tropfen  des  Milchsafts  beträgt. 
Beim  Sammeln  des  Saftes  hat  man  sich  vorzusehen,  dass 
nichts  davon  ins  Auge  gelangt.  Auch  aus  den  Blättern 
erhält  man  durch  Zerstampfen  einen,  doch  minder  kräftigen 
Saft.  Die  Zweige  werden  in  Form  eines  Absuds  benutzt. 
Den  Samen  kocht  man  mit  Honig  und  formt  daraus  Pillen 
zum  Abführen;  auch  steckt  mau  ihn  in  hohle  Zähne  und 
verschliesst  die  Oeffnung  mit  Wachs.  Zum  Ausspühleu  des 
Mundes  wendet  man  einen  Absud  der  Wurzel  mit  Zusatz 
von  Wein  und  Oel  an.  Den  Saft  streicht  man  auch  auf 
Flechten  und  nimmt  ihn  ein,  um  nach  Oben  und  Uuteu  den 
Leib  zu  reinigen;  im  Uebrigen  aber  taugt  er  nicht  für  den 
Mag:en.  Er  führt  den  Schleim  ab,  wenn  man  Salz,  und  die 
Galle  wenn  man  unreines  Natron  zum  Getränke  setzt; 
will  man  abführen,  so  nimmt  man  den  Saft  in  saurem 
Dünnwein,  und  will  man  brechen,  in  Rosinenweiu  oder 
Meth,  und  zwar  ist  die  gewöhnliche  Dosis  des  Tranks  drei 
Obolen.  Die  Feigen  isst  man  zweckmässiger  nach  der 
Mahlzeit.  Der  Milchsaft  verursacht  ein  gelindes  Brennen 
im  Halse,  denn  er  ist  von  so  hitziger  Beschaffenheit,  dass 
er  auf  der  Haut  Blasen  erzeugt  wie  das  Feuer,  weshalb 
er  auch  als  Caustlcum  angewandt  wird. 

40. 
Die  zweite  Art  des  Tithymalus  heisst  Myrsiuites  ') 

')  Euphorbia  Myrsinites  L.  i 


Sechsuudzwanzigstes  Buch.  'd^d. 

oder  Caryites,  hat  der  Myrte  ähnliche,  spitze,  stechende 
aber  weichere  Blätter  nnd  wächst  auch  auf  wüstem  Bodens 
Man  sammelt  den  schoptigen  Gipfel  derselben  zur  Zeit  der 
Gerstenreife,  trocknet  ihn  im  Schatten  neun  Tage  lang  und 
lässt  ihn  dann  noch  in  der  Sonne  nachtrocknen.  Die  Frucht 
wird  nicht  gleichzeitig,  sondern  ein  Theil  davon  erst  im 
folgenden  Jahre  reif  und  heisst  Nuss,  daher  der  griechische 
Name  Caryites;  man  bricht  sie  zur  Zeit  der  Ernte  ab, 
wäscht  und  trocknet  sie  und  verordnet  sie  mit  zwei  Theilen 
schwarzem  Mohnsamen,  so  dass  beide  zusammen  ein  Ace- 
tabulum  voll  ausmachen;  doch  wirkt  sie,  wie  auch  die 
folgenden  Arten  weniger  brechenerregend  als  die  erste  Art. 
Einige  verordnen  auf  diese  Weise  auch  die  Blätter,  die 
Nuss  aber  in  Meth,  Rosineuwein  oder  mit  Sesam.  Sie 
entfernt  Galle  und  Schleim  durch  den  After,  heilt  Mund- 
geschwüre. Gegen  um  sich  fressende  Mundgeschwüre  isst 
man  die  Blätter  mit  Honig. 

41. 

Die  dritte  Art  heisst  Paralius  ^)  oder  die  rundblättrige, 
hat  einen  handhoheu  Stengel,  röthliche  Zweige,  und  weisse 
Samen,  welch'  letztere  man  bei  anfangender  Traubenreife 
einsammelt,  nach  dem  Trocknen  zerreibt  und  zu  einem 
Acetabulum  voll  zum  Abführen  eingiebt. 

42. 

Die  vierte  Art  heisst  Hello scopius^)  hat  portulak- 
ähnliche Blätter,  4 — 5  von  der  Wurzel  au  stehende,  röth- 
liche, halb  fusshohe  Zweige,  ist  sehr  saftreich,  wächst  in 
der  Nähe  von  Städten  und  hat  weisse,  von  den  Tauben 
sehr  gesuchte  Samen.  Der  Name  bezieht  sich  auf  ihre 
Eigenschaft,  den  kopfförmigen  Büschel  stets  der  Sonne  zu- 
zukehren. In  Sauerhonig  zu  einem  halben  Acetabulum  voll 
genommen,  führt  sie  die  Galle  nach  unten  ab;  übrigens 
wendet  man  sie  ganz  so  an  wie  die  Characias. 

43. 

Die    fünfte    Art    heisst    wegen    der   ähnlichen   Blätter 

')  Euphorbia  Paralias  L.     -)  Kuphorbia  Helioscopia  L. 


360  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

Cyparissiasi)-,  sie  hat  zwei  bis  drei  Stengel,  wächst  auf 
Ebenen,  und  besitzt  ähnliche  Kräfte  wie  Helioscopius  und 
Characias. 

44. 

Die  sechste  heisst  Platyphyllus -),  Corymbites 
oder  auch  Amygdalites  wegen  der  Aehnlichkeit  (des 
Samens?);  hat  die  breitesten  Blätter,  tödtet  die  Fische, 
bewirkt  Abweichen,  wenn  man  die  Wurzel,  Blätter  oder 
den  Saft  in  Meth  oder  Honigwasser  zu  vier  Drachmen  ein- 
nimmt, entfernt  auch  das  Wasser. 

45. 

Die  siebente  endlich  heisst  Dendroides^),  Cobius 
oder  Leptophyllus,  wächst  auf  Felsen,  ist  von  allen  die 
schopfigste,  hat  röthliche  Stengel,  sehr  viele  Samen  und 
wirkt  wie  die  Characias. 

46. 

DieApios  ischas^)  oder  der  wilde  ßettig  hat  zwei 
bis  drei  binsenartige,  röthliche,  an  der  Erde  liegende 
Stengel,  rautenähnliche  Blätter  und  eine  zwiebelähnliche, 
aber  dickere,  innen  weisse  und  fleischige,  aussen  schwarze 
Wurzel,  daher  der  Name  wilder  Rettig.  Sie  wächst  auf 
rauhen  Bergen,  zuweilen  auch  auf  grasigen  Plätzen,  wird 
im  Frühlinge  ausgegraben,  zerquetscht  und  in  ein  irdenes 
Geschirr  eingedrückt;  was  dabei  oben  aufschwimmt  wird 
weggeworfen,  das  Uebrige  aber  in  der  Dosis  von  andert- 
halb Obolen  in  Honigwasser  zum  Brechen  und  Purgiren 
verordnet.  Den  Wassersüchtigen  giebt  man  ein  Acetabulum 
voll.  Das  Pulver  der  Wurzel  streuet  man  ins  Getränk; 
auch  soll  der  obere  Theil  der  Wurzel  die  Galle,  der  untere 
Theil  das  Wasser  durch  den  After  entfernen. 

47. 

Bauchgrimmen  vertreibt  jeder  Theil  des  Panax,  auch 
das  vettonische  Kraut  (wenn  das  Uebel  nicht  von  schlechter 


')  Euphorbia  Cyparissias  L.  Nach  Fraas  passt  E.  aleppica  L.  besser. 
*)  Euphorbia  platyphylla  L.    3)  Euphorbia  dendroides  L, 
■*)  Euphorbia  Apio?  L. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  06 1 

Verdauung  herrührt),  der  Saft  des  Peucedanura  auch  die 
Blähungeu,  indem  er  Aufstossen  bewirkt,  desgleichen  die 
Wurzel  des  Acorum  oder  das  Daucum,  wenn  man  sie  wie 
Lattich  verspeist.  Das  cyprische  Ladanum  nimmt  man  im 
Getränk  gegen  Eingeweideübel,  ebenso  feingestossene 
Gentiana  zu  einer  Bohne  gross  in  lauwarmem  Wasser; 
früh  Morgens  Plantago  zu  zwei  Löffeln  voll  und  einen 
Löffel  voll  Mohn  in  vier  Bechern  jungen  Weins.  Letzteres 
Mittel  reicht  man  auch  vor  Schlafengehen,  und,  wenn  die 
Mahlzeit  schon  lange  vorher  verzehrt  ist,  mit  Zusatz  von 
Natron  oder  Poleuta.  Bei  Kolik,  auch  wohl  bei  Fieber  er- 
weist sich  eine  Hemina  des  Saftes  nützlich. 

48. 
Bei  Krankheiten  der  Milz  verordnet  man  drei  Obolen 
Agaricum  in  einem  Becher  alten  Weins,  die  Wurzel  aller 
Arten  Panax  in  Meth,  besonders  aber  die  Teucria,  trocken 
oder  zu  einer  Handvoll  gekocht  in  drei  Heminis  Essig. 
Dieselbe  Pflanze  legt  man  auch  mit  Essig,  oder,  wenn 
diess  zu  schmerzhaft  sein  sollte,  mit  Feigenwasser  auf 
Wunden.  Das  Polemonium  wird  in  Wein  getrunken,  das 
vettonische  Kraut  zu  einer  Drachme  in  drei  Bechern  Sauer- 
honig, die  Aristolochia  wie  gegen  die  Schlangen.  Die  Milz 
soll  verschwinden,  wenn  man  die  Argemonia  sieben  Tage 
lang  isst,  oder  wenn  man  zwei  Obolen  Agaricum  in  Essig- 
meth  nimmt,  oder  auch,  wenn  man  die  Wurzel  der 
heracllschen  Nymphaea  als  weinigen  Trank  gebraucht. 
Wird  der  Cissanthemus  zu  einer  Drachme  in  zwei  Bechern 
weissen  Weins  täglich  zweimal  genommen  und  diese  Kur 
40  Tage  lang  fortgesetzt,  so  soll  die  Milz  nach  und  nach 
durch  den  Harn  abgehen.  Bei  Milzleiden  hilft  auch  Hyssop 
mit  Feigen  gekocht,  die  gekochte  Wurzel  der  noch  nicht 
in  Samen  ausgeschossenen  Lonchitis;  bei  Milz-  und  Nieren- 
leiden die  gekochte  Wurzel  des  Peucedanum.  Ein  aus  dem 
Acorum  bereiteter  Trank  verzehrt  ebenfalls  die  Milz;  die 
Wurzel  dieser  Pflanze  erweist  sich  für  Brust  und  Einge- 
weide sehr  heilsam.  Der  Same  des  Clymenus  wird  zu 
einem    Denar   in    weissem    Wein    dreissig   Tage    lang   ge- 


352  Sechsundzwanzi^stes  Buch. 

trunkeu.  Das  fein  gestossene  vettoniscbe  Kraut  nimmt 
man  mit  Honig  und  Meerzwiebelessig.  Die  Wurzel  der 
Lonchitis  und  das  Teucrium  legt  man  mit  Wasser,  das 
vScordium  mit  Wachs,  das  Agaricum  mit  gestossenem 
Foenum  graecum  auf. 

49. 
Gegen  Blasenkrankheiten  und  Blasensteine  hilft, 
wenn  die  Schmerzen  am  heftigsten  sind,  wie  gesagt  die 
Polemonia  in  Wein  getrunken,  auch  das  Agaricum;  ferner 
die  Wurzel  und  Blätter  der  Plantago  in  Rosinenwein  ge- 
trunken, das  vettonische  Kraut  wie  ich  bei  der  Leber  an- 
geführt habe,  desgleichen  gegen  Brüche  innerlich  und 
äusserlich,  und  mit  bestem  Erfolge  gegen  Harnstrenge. 
Einige  empfehlen  bei  Steinbeschwerden  als  ganz  besonderes 
Mittel,  gleiche  Theile  vettonisches  Kraut,  Verbenaca  und 
Millefolium  als  wässrigen  Trank  zu  nehmen.  Auch  der 
Dictamnus,  sowie  das  Quinquefolium  bewähren  sich,  mit 
Wein  zu  einem  Drittel  eingekocht,  gegen  Harnstrenge; 
letzteres  wird  ferner  bei  Darmbruch  mit  bestem  Erfolge 
eingegeben  und  aufgelegt.  Der  obere  Theil  der  Wurzel 
des  Xiphium  befördert  bei  Kindern  den  Abgang  des  Harns; 
bei  Darmbruch  giebt  man  es  in  Wasser  und  bei  Blasen- 
übeln legt  man  es  auf.  Den  Saft  des  Peucedanum  schlägt 
man  auf  Brüche  und  das  Psyllium  auf  vorgetretenen  Nabel 
bei  Kindern.  Die  beiden  Arten  der  Anagallis  wirken 
iiarntreibend,  ebenso  die  Wurzel  des  Acorum  als  Dekokt 
oder  in  Substanz  in  einem  Trank  genommen;  letztere  heilt 
auch  alle  Blasenübel,  Kraut  und  Wurzel  des  Cotyledon  die 
Blasensteine  und  gleiche  Theile  des  Stengels  und  Samens 
mit  ebensoviel  Myrrhe  alle  Entzündungen  der  Geschlechts - 
theile.  Die  zarten  Blätter  des  Ebulus  trinkt  man  mit  Wein 
abgerieben  zur  Beseitigung  der  Blasensteine,  legt  sie  auch 
zur  Heilung  auf  die  Hoden.  Entzündungen  der  Hoden 
werden  gehoben  durch  Erigerou  mit  Weihrauchpulver  und 
süssem  Wein.  Die  Wurzel  des  Symphytum  tritt  aufgelegt 
den  Darmbrüchen,  der  weisse  Hypocist  den  Krebsge- 
schwüren der  Geschlechtstheile  entgegen.     Auch  die  Arte- 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  363 

misia  wird  in  süssem  Wein  gegen  Blasensteine  und  Harn- 
strenge gegeben.  Die  Wurzel  der  heraclischen  Nyraphaea 
vertreibt  in  Wein  die  Blasenschmerzen. 

-50. 

Dieselben  Kräfte  besitzt  das  von  Hippocrates  sehr 
empfoblene  Crethmum').  Es  ist  dieses  eins  von  den- 
jenigen wilden  Kräutern,  welche  als  Speise  genossen  werden. 
Wenigstens  trägt  Hecale,  jene  bei  Callimachus  vorkommende 
Bäuerin,  dasselbe  auf,  und  seinem  äussern  Ansehn  nach 
gleicht  es  dem  Garten-Batis.  Es  hat  einen  handhohen 
Stengel,  einen  wohlriechenden,  wie  bei  der  Libanotia 
runden  Samen,  der  nach  dem  Trocknen  aufspringt  und 
einen  weissen  Kern  zeigt,  welchen  Einige  Cachrys  nennen; 
die  Blätter  sind  fleischig,  weisslich  wie  die  des  Oliven- 
baums, aber  dicker  und  schmecken  salzig;  der  Wurzeln 
sind  drei  bis  vier  an  der  Zahl  und  ihre  Dicke  beträgt 
einen  Finger.  Es  wächst  auf  steinigem  Boden  am  Meere, 
schmeckt  angenehm  gewürzhaft  und  wird  roh  oder  mit 
Kohl  gekocht  gegessen.  Man  hebt  es  auch  in  einer  Salz- 
brühe auf;  Blätter,  Stengel  oder  Wurzel  giebt  man  in  Wein 
mit  Erfolg  gegen  Harnstrenge.  Es  verleihet  auch  dem 
Körper  eine  gute  Farbe,  erzeugt  aber,  in  zu  reichlicher 
Menge  genossen,  Blähungen.  Ein  Absud  davon  bewirkt 
Stuhlgang,  treibt  den  Harn  und  aus  den  Nieren  die 
Feuchtigkeit.  Auch  feingestossene  Althäa  nimmt  man  in 
Wein,  und  noch  besser  mit  Zusatz  von  Daucum  gegen 
Harnstrenge.  Das  Crethmum  wird  ferner  bei  Milzleiden  und 
gegen  Schlangen  als  Trank  verordnet.  Dem  Zugvieh  streuet 
man  es  gegen  den  Kotz  und  das  schwere  Harnen  auf 
die  Gerste. 

51. 

Das  Anthyllium-),  eine  der  Linse  sehr  ähnliche 
Pflanze,  trinkt  man  in  Wein  gegen  Blaseuübel  und  Blut- 
tluss.     Eine  andere  Art,  die  Anthyllis,^)  ist  der  Chamae- 


')  Crithmuni  maiitinium  L. 

-)  Cressa  cretica  L.     ')  Frankeuia  hirsuta  L. 


;-j()4  Sechsundzwanzigstes  Bach. 

pitys    ähnlich,    hat    purpurrothe,    unangenehm    riechende 
Blumen  und  eine  cichorienähnlicbe  Wurzel. 

Fast  noch  besser  wirkt  die  Cepaea^),  welche  dem 
Portulak  gleicht,  aber  eine  dunklere,  übrigens  unnütze 
Wurzel  hat,  am  sandigen  Meeresufer  wächst  und  bitter 
schmeckt.  Gegen  Blasenübel  nimmt  man  sie  mit  Spargel- 
wurzel in  Wein. 

53. 

Dieselben  Dienste  leistet  das  Hypericum,  welches 
man  auch  Chamaepitys  und  Corium  2)  nennt;  es  ist  eine 
kohlartige,  dünne,  ellenhohe  rothe  Staude  mit  rautenähu- 
lichen  Blättern,  riecht  scharf,  und  trägt  in  einer  schwarzen 
Schote  Samen,  welche  gleichzeitig  mit  der  Gerste  reifen, 
verdichtend  wirken,  den  Durchfall  hemmen,  den  Harn 
treiben  und  mit  Wein  gegen  Blasenübel  genommen  werden. 

54. 

Eine  andere  Art  Hypericum,  das  Hypericium  oder 
Co ris^)  wächst  unter  der  Tamarix,  hat  dieser  ähnliche  aber 
fleischigere  und  weniger  rothe  Blätter,  riecht  angenehm, 
wird  über  eine  Hand  hoch,  fühlt  sich  sanft  und  haarig  an. 
Der  Same  erwärmt,  erregt  daher  Blähungen,  schadet  aber 
dem  Magen  ijicht,  und  erweist  sich  wirksam  bei  Harn- 
strenge, wenn  in  der  Blase  keine  Geschwüre  sind.  In 
Wein  getrunken  heilt  es  das  Seitenstechen. 

55. 

Die  Callithrix  giebt  man  gegen  Blaseuleiden  gleich- 
zeitig mit  Cuminum  in  weissem  Wein.  Die  mit  den  Blättern 
zu  einem  Dritttheil  eingekochte  Verbeuaca  oder  deren 
Wurzel  in  warmem  Meth  treibt  die  Blasensteine  ab;  des- 
gleichen die  Perpressa,  eine  zu  Aretium  und  in  Illyrien 
wachsende  Pflanze,  mit  o  Heminis  Wasser  zu  einer  einge- 
kocht und  getrunken;  das  Trifolium  und  Chrysanthemum 


')  Seduu)  Cepaea  L. 

'^)  Hypericum  crispum  L. 

')  Hypericum  Coris  L. 


Sechsundzwanzigsfces  Buch.  365 

in  Wein.  Ferner  die  Anthemis,  welche  an  der  Wurzel 
fünf  kleine  Blätter,  zwei  lange  Stengel  und  rosenartige 
Blumen  hat,  deren  Wurzel  man  für  sich  gerieben  wie  das 
rohe  Laver  anwendet. 

56. 

Der  Silaus')  wächst  in  kiesigen  uud  stets  rinnenden 
Bächen,  hat  eine  Höhe  von  einer  Elle  und  sieht  dem  Apium 
ähnlich.  Man  wendet  ihn,  wie  Sauerkraut  gekocht,  mit 
Nutzen  bei  Blasenübeln  an;  ist  aber  Schorf  in  der  Blase, 
so  giebt  man  Panax-Wurzel,  weil  der  Silaus  sonst  nicht 
hilft.  Der  wilde  Apfelbaum  treibt  die  Blasensteine  ab, 
und  zwar  kocht  man  ein  Pfund  der  Wurzel  mit  einem 
Congius  Wein  zur  Hälfte  ein  und  trinkt  davon  drei  Tage 
lang  jedesmal  eine  Hemina,  den  Rest  in  Wein  mit  Sium. 
Auch  die  Seeuessel,  das  Daucum  und  der  Same  der  Plan- 
tago  werden  mit  Wein  verordnet. 

57. 

Auch  das  Fulvische  Kraut,  welches  seineu  Namen 
nach  dem  Entdecker  führt  und  den  dasselbe  Verordnenden 
wohl  bekannt  ist,  wirkt  harntreibend. 

58. 

Geschwollene  Hoden  heilt  das  Scordium;  die  Ge- 
schlechtstheile  der  Hyoscyamus,  Strangurie  der  Saft  des 
Peucedanum  mit  Honig  und  dessen  Same,  das  Agaricum 
zu  drei  Obolen  in  einem  Becher  alten  Weins,  die  Wurzel 
des  Trifolium  zu  zwei  Drachmen  in  Wein,  der  Same  des 
Daucum  zu  einer  Drachme.  Hüftweh  vertreiben  die  zer- 
riebenen Blätter  und  Samen  des  Erythrodanum,  ein  Trank 
von  Panax,  Einreibungen  mit  Polemonia  und  ein  Absud 
der  Blätter  der  Aristolochia.  Durch  Agaricum  werden  der 
sogenannte  breite  Nerv  und  die  Schmerzen  der  Schulter 
geheilt,  wenn  man  drei  Obolen  in  einem  Becher  alten  Weins 
auf  einmal  nimmt.  Das  Quinquefolium  wendet  man 
innerlich  und  äusserlich,  ebenso  dieScammonia  mit  Gersten- 


')  Siliuis  pratensis  L. 


3ß()  SechsuudzAvanzigstes  Buch. 

mehl  gekocht,  die  Samen  beider  Hyperica  in  Wein  gegen 
Hüftweh  an.  Fehler  an  den  Lenden  werden  sehr  schnell 
durch  die  Plantago,  Lendengeschwüre  durch  das  Quinque- 
folium,  verdreheter  After  durch  die  Wurzel  des  Cyclaminus 
in  Essig  geheilt.  Die  blaue  Anagallis  zieht  den  ausge- 
tretenen Mastdarm  zurück,  die  rothe  hingegen  treibt  ihn 
wieder  heraus.  Der  Cotyledon  heilt  Lenden geschwüre  und 
Hämorrhoiden  aufs  beste;  gegen  geschwollene  Hoden  kocht 
man  die  Wurzel  des  Acorum  in  Wein,  zerstampft  sie  hier- 
auf und  legt  sie  auf.  Cato  sagt,  wer  pontischen  Wermuth 
bei  sich  trage,  ginge  sich  keinen  Wolf.  Andere  fügen  noch 
Pulegium  hinzu;  wer  diess  nüchtern  sammelt  und  es  sich 
hinten  anbindet,  den  sollen  keine  Schmerzen  an  den  Schaam- 
theilen  befallen  oder  die  bereits  vorhandenen  verlassen. 

59. 

Das  Schaamkraut,  welches  Einige  Argemoue 
nennen,  wächst  hie  und  da  im  Dorngebüsch.  Es  soll  ein 
Mittel  für  die  Schaamtheile  sein,  wenn  man  es  auch  nur 
in  der  Hand  hält. 

60. 

Fettgeschwulste  heilen  die  Panax-Arteu  mit  Honig, 
die  Plantago  mit  Salz,  das  Quinquefolium,  die  Wurzel  der 
Persolata  wie  bei  Kröpfen,  das  Damasonium,  das  Verbascum 
sammt  seiner  Wurzel  zerquetscht,  mit  Wein  benetzt,  in  ein 
Blatt  eingewickelt,  so  vorgerichtet  in  Asche  erwärmt  und 
warm  aufgelegt.  Einige  behaupten  aus  Erfahrung,  die 
Wirkung  werde  bedeutend  erhöht,  wenn  eine  nackte,  noch 
nüchterne  Jungfrau  das  Mittel  dem  ebenfalls  nüchternen 
Patienten  auflege,  ihn  mit  der  Rückseite  der  Hand  anrühre, 
die  Worte:  „Apollo  sagt,  das  Uebel,  was  eine  Jungfrau 
vertreibt,  kann  nicht  schlimmer  werden"  spreche,  diese 
Ceremonie  dreimal  wiederhole,  und  beide  Personen  ebenso 
viele  Male  ausspucken.  Die  Heilung  bewirkt  auch  die 
Wurzel  der  Mandragora  in  Wasser,  ein  Absud  der  Wurzel 
der  Scammonia  mit  flonig,  die  Sideritis  mit  altem  Schmalz 
oder  die  Chrysippea,  (eine  nach  ihrem  Erfinder  l)enannte 
Pflanze)  mit  fetten  Feigen. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  867 

Ol. 
Die  Begierde  zum  Beischlaf  verliert  sieh,  wie  au- 
gegeben ^)  auf  vierzig  Tage  lang  gänzlich,  wenn  man  einen 
aus  der  heraclischen  Nymphaea  bereiteten  Trank  auch  nur 
einmal  zu  sich  nimmt,  ebenso  die  geilen  Träume,  wenn 
man  den  Trank  nüchtern  nimmt  und  die  Wurzel  verspeist. 
Auch  benimmt  das  Auflegen  der  Wurzel  auf  die  Geschlechts- 
theile  nicht  bloss  die  Lust  zum  Beischlaf,  sondern  ver- 
hindert auch  den  Samenerguss,  daher  sie  auch  den  Leib 
fett  machen  und  die  Stimme  verbessern  soll.  Zum  Bei- 
schlaf reizt  der  obere  Theil  der  Wurzel  des  Xiphium,  als 
weinigen  Trank  genommen,  ferner  das  wilde  Chrethmuni 
und  der  wilde  Hormiuus  mit  Polenta  abgerieben. 

62. 
Zu  den  merkwürdigem  Gewächsen  gehört  auch  die 
Orchis^)  oder  Serapias;  sie  hat  lauchähnliche  Blätter, 
einen  handhohen  Stengel,  purpurrothe  Blumen,  eine  paarige, 
hodenförmige  Wurzel,  deren  grösserer  oder  (wie  Einige 
sagen)  härterer  Knollen ,  in  Wasser  getrunken,  Geilheit  er- 
weckt, während  der  kleinere  oder  weichere  in  Ziegenmilch 
entgegengesetzte  Wirkung  hat.  Einige  geben  an,  die 
Blätter  seien  denen  der  Mehrzwiebel  ähnlich  aber  glatter 
und  kleiner,  uud  der  Stengel  sei  stachlig.  Die  Wurzeln 
heilen  Mundgeschwüre,  den  Schleim  auf  der  Brust  und 
hemmen,  mit  Wein  genommen,  den  Durchfall.  —  Das  Sa- 
tyrium^)  besitzt  gleichfalls  reizende  Eigenschaften;  man 
kennt  davon  zwei  Arten,  eine  hat  längere  Blätter  als  der 
Oelbaum,  einen  vier  Finger  hohen  Stengel,  purpurrothe 
Blumen,  eine  paarige  hodenförmige  Wurzel,  welche  alle 
zwei  Jahre  anschwillt  uud  wieder  zusammenschrumpft.  Die 
andere   Art    führt    den    Beinamen    Orchis,    wird    für    das 


')  Die  betiettende  Stelle  im  XXV.  B.  37.  Cap.  hat  nicht  ganz 
den  Sinn  der  gegenwärtigen,  was  entweder  Plinius  übersehen  hat, 
oder  der  Text  ist  verdorben. 

*)  Orchis  Morio  L.  und  verwandte  Species. 

3)  Orchis  anthropophora  L. 


368  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

Weibchen  gebalten  und  unterscheidet  sich  dadurch,  dass 
sie  Internodien  und  einen  verzweigteren  Stengel  hat.  Sie 
wächst  meistens  am  Meere,  die  Wurzel  wird  gegen  Ver- 
hexungen angewandt;  man  legt  sie  für  sich  oder  mit  Polenta 
auf  Geschwulste  und  andere  Fehler  an  den  Geschlecbts- 
theilen.  Die  Wurzel  der  ersten  Art  spannt  die  Sehneu  an, 
wenn  man  sie  mit  der  Milch  weidender  Schafe,  und  macht 
sie  erschlaffen,  wenn  man  sie  mit  Wasser  giebt. 

63. 
Die  Griechen  geben  an,  das  Satyrium  habe  der 
rothen  Lilie  ähnliche,  aber  kleinere  und  nur  drei  aus  der 
Erde  wachsende  Blätter,  einen  ellenhohen,  glatten,  nackten 
Stengel,  eine  paarige  Wurzel,  deren  unterer  und  grösserer 
Knollen  Knaben,  und  deren  oberer  und  kleinerer  Knollen 
Mädchen  erzeugen  soll.  Eine  andere  Art  des  Satyrium 
nennen  sie  Erythraicum  i);  es  habe  einen  Samen,  der 
grösser  als  der  des  Vitex  und  glatt  sei,  eine  harte  Wurzel 
mit  rother  ßinde  und  weissem  Inhalt,  von  süsslichem  Ge- 
schmack und  komme  fast  nur  auf  Bergen  vor.  Schon 
wenn  man  die  Wurzel  in  der  Hand  hält  und  noch  mehr, 
wenn  man  sie  mit  herbem  Wein  einnimmt,  soll  man  Liebes- 
reiz empfinden;  auch  gäbe  man  sie  den  trägen  Böcken  ins 
Saufen  und  die  Sarmaten  sollen  sie  den  Pferden,  welche 
wegen  angestrengter  Arbeit  zu  faul  zum  Bespringen  sind 
(welchen  Fehler  sie  Prosedamum  nennen),  reichen.  Ihre 
AVirkuug  wird  durch  Trinken  von  Honigwasser  oder  durch 
Lattich  geschwächt.  Dergleichen  Anreizungen  nennen  die 
Griechen  überhaupt  Satyrium,  so  auch  die  Crataegis,  das 
Thelygonum  und  Arrhenogonum,  deren  Samen  die  Gestalt 
der  Hoden  haben.  Eine  ähnliche  Wirkung  schreibt  man 
dem  Marke  der  Zweige  des  Tithymalus  zu.  Bei  Theo- 
phrastus,  einem  sonst  glaubwürdigen  Schriftsteller,  findet 
sich  die  seltsame  Angabe,  dass  man  durch  Berührung  eines 
gewissen ,  von  ihm  nicht  näher  bezeichneten  Krautes,  fähig 
sei,  siebenzigmal  hintereinander  beizuwohnen. 

')  Fritillaria  pyrenaica  Tj.  ? 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  369 

64. 

Die  vSideritis  mässigt  das  Anschwellen  der  Krampf- 
adern und  heilt  sie  ohne  Schmerz ,  wenn  man  dieselbe  auf- 
bindet. Das  Podagra  kannten  unsere  Vorfahren  fast  gar 
nicht,  und  selbst  zu  gegenwärtiger  Zeit  tritt  es  nicht  häufig 
auf,  ist  auch  in  der  That  eine  ausländische  Krankheit, 
denn  man  hat  keinen  lateinischen  Namen  dafür.  Es  ist 
keineswegs  unheilbar,  denn  es  vergeht  häufig  von  selbst 
und  in  der  Regel  durch  Befolgung  einer  ordentlichen  Kur 
wieder.  Hülfsmittel  dagegen  sind  die  Wurzeln  des  Panax 
mit  Rosinen,  der  Saft  oder  Same  des  Hyoscjamus  mit  Mehl, 
Scordium  mit  Essig,  die  Iberis;  die  Verbenaca  mit  Schmalz 
und  die  Wurzel  des  Cyclamen,  deren  Absud  auch  die  Frost- 
beulen heilt.  Kühlend  wirken  die  Wurzel  des  Xiphium,  der 
Same  des  Psyllium,  Cicuta  mit  Bleiglätte  und  Schmalz; 
beim  ersten  Auftreten  des  rothen  oder  heissen  Podagra 
wird  das  Aizoum  angewandt.  Für  beide  Fälle  dient  der 
Erigeron  mit  Schmalz,  die  Blätter  der  Plantago  mit  etwas 
Salz  abgerieben,  die  Argemonia  mit  Honig  zerquetscht. 
Die  Verbenaca  legt  man  auf  oder  man  macht  einen  Absud 
davon  und  stellt  die  Füsse  hinein. 

65. 

Die  Lappago^)  ähnelt  der  Anagallis,  ist  aber  ästiger, 
mit  zahlreichen  rauhen  Blättern  besetzt,  riecht  unangenehm 
und  ihr  Saft  schmeckt  herbe;  sie  heisst  auch  MoUugo; 
eine  noch  rauhere  Art  wird  Asperugo'^)  genannt.  Den 
Saft   der   ersteren  nimmt  man    täglich    zu  elf  Denaren  in 

zwei  Bechern  Wein. 

66. 
Von  dem  genannten  Uebel  befreiet  besonders  der 
Fucus  marinus  oder  Seetang,  welcher  sich  zwischen  den 
Muscheln  findet  und  der  Lactuca  ähnlich  ist;  doch  dient  er 
nicht  bloss  für  das  Podagra  sondern  für  alle  Gliederkrank- 
heiten, wenn  man  ihn  vor  dem  Trockenwerden  auflegt. 
Man  unterscheidet  drei  Arten;  die  erste  hat  breite,  die 
zweite    längere,    ins   Rothe   spielende,    die    dritte    krause 

')  Galium  MoUugo  L.     -)  Galium  Aparine  L. 

Wittsteiu:  Plinin«.     I\'.   Bd.  04 


370  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

lilätter  und  wird  in  Greta  zum  Färben  der  Kleider  ange- 
wandt, alle  aber  erweisen  sich  gleich  nützlich  in  der 
Medicin.  Nicander  hat  sie  auch  in  Wein  wider  die  Schlangen 
verordnet.  Ein  ferneres  Heilmittel  ist  der  Same  des 
Psyllium,  den  man  in  Wasser  aufquellt  und  eine  Hemina 
davon  mit  zwei  Löifel  voll  Colophonium  und  einem  Löffel 
voll  Weihrauch  versetzt.  Auch  rühmt  man  die  mit  Polenta 
gestossenen  Blätter  der  Mandragora.  Bei  geschwollenen 
Knöcheln  leistet  der  Schlamm  aus  dem  Wasser,  mit  Oel 
durchknetet,  sehr  gute  Dienste;  bei  Glieder-  und  Nerven- 
übeln der  Saft  des  kleinen  Centaurium  und  die  Ceutauris. 
Für  die  an  den  Schulterblättern  hinlaufenden  Sehnen,  für 
die  Schultern,  den  Rückgrat,  die  Lenden,  Leber  nimmt  man 
einen  Trank  des  vettonischen  Krauts;  auf  kranke  Glieder 
legt  man  das  Quinquefolium,  die  Blätter  der  Mandragora 
mit  Polenta  oder  die  frische  Wurzel  derselben  mit  wilden 
Gurken  zerstampft  oder  in  Wasser  gekocht;  auf  Risse  in 
den  Zehen  die  Wurzel  des  Polypodium,  auf  kranke  Glieder 
den  Saft  des  Hyoscyamus  mit  Sehmalz,  den  Saft  des 
Amomum  mit  dem  Abgesottenen  desselben,  der  Ceutunculus 
gekocht  oder  frisches  Moos  in  Wasser  geweicht  und  so 
lange  liegen  gelassen,  bis  es  trocken  geworden  ist,  ferner 
die  Wurzel  der  Ochsenklette  i)  in  Wein  getrunken.  Das 
Cyclamen  heilt  mit  Wasser  gekocht  die  kleinen  Frostbeulen 
und  alle  übrigen  durch  Einwirkung  der  Kälte  entstandenen 
Uebel;  ferner  die  erstere  auch  der  Cotyledon  mit  Schmalz, 
die  Blätter  des  Batrachium  und  der  Saft  des  Epithymum. 
Die  Hühneraugen  zieht  das  Ladanum  mit  Bibergeil  und  die 
in  Wein  geweichte  Verbenaca  heraus. 

67. 
Nach  Besprechung  der  Krankheiten  der  einzelnen 
Glieder  will  ich  nun  auch  von  denjenigen  handeln,  welche 
den  ganzen  Körper  befallen,  und  die  vorzüglichsten 
dagegen  empfohlenen  Mittel  anführen.  Vor  allen  dient  zu 
diesem    Zwecke    ein    Trank    aus    dem    schon    erwähnten 


')  Ai-ctiuni  liardana  L.V 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  371 

Dodeeatheum,  dann  die  Wurzeln  aller  Arten  Panax,  be- 
sonders in  langwierigen  Krankheiten,  und  ihr  Same  bei 
Fehlern  in  den  Eingeweiden.  Gegen  alle  körperlichen 
Schmerzen  aber  der  Saft  des  Scordium  sowie  des  vettonischen 
Krautes,  welch'  letzterer  namentlich  die  bleigraue  Farbe 
des  Körpers  in  eine  gesunde  umwandelt. 

6S. 
Das  Geranium,  auch  Myrrhis  oder  Myrtis  genannt, 
ist  nach  Beschreibung  römischer  Autoren  der  Cicuta  ähnlich, 
die  Blätter  aber  kleiner,  der  Stengel  kürzer,  rund,  riecht 
und  schmeckt  angenehm.  0  Die  Griechen  sagen,  die  Blätter 
wären  etwas  hellfarbiger  als  die  der  Malve,  der  Stengel 
dünn,  haarig,  in  Zwischenräumen  verzweigt,  zwei  Hände 
hoch,  zwischen  den  Blättern  ständen  Stiele,  und.  an  deren 
Spitzen  krauichschnabelähnliche  Früchte.  -)  Eine  zweite 
Art  3)  hat  anemonenähnliche,  aber  tiefer  eingeschnittene 
Blätter,  eine  apfelrunde,  süsse  Wurzel,  welche  besonders 
den  Reconvalescenten  empfohlen  wird,  und  diess  ist  die 
echte  Wurzel.  Gegen  Schwindsucht  und  Blähungen  isst 
man  sie  roh  oder  nimmt  sie  zu  einer  Drachme  in  drei 
Bechern  Wein  zwei  mal  täglich.  Der  Saft  der  Wurzel  heilt 
die  Ohren,  der  Same  zu  vier  Drachmen  mit  Pfeffer  und 
Myrrhe  genommen  die  Opisthotonie;  der  Saft  der  Plantago 
oder  sie  selbst  gekocht  die  Schwindsucht.  Die  Plantago 
verspeist  man  auch  mit  Salz  und  Oel,  um  sieh  nach  dem 
Morgenschlaf  Kühlung  zu  verschaffen,  giebt  sie  ferner  den 
an  Auszehrung  Leidenden  einen  um  den  andern  Tag,  das 
vettouische  Kraut  den  Schwindsüchtigen  zu  einer  Bohne 
gross  in  einer  Honiglatwerge,  das  Agaricum  zu  zwei  Obolen 
in  Kosinenwein  getrunken  oder  das  Daucum  mit  dem 
grossen  Centaurium  in  Wein.  Die  um  sich  fressenden  Ge- 
schwüre (welche  diesen  Beinamen  daher  führen,  weil  sie 
gleichsam  stets  Hunger  haben)  werden  durch  Tithymalus 
mit  Sesam  geheilt. 

'"  Erodium  moschatum  W.     -)  Erodium  malachoides  L. 
^)  Gevanimn  tube^o^^ml)  L. 

24* 


372  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

Zu  den  allgemeinen  körperlichen  Leiden  gehört  auch 
die  Schlaflosigkeit,  womit  viele  Menschen  geplagt  sind. 
Als  Mittel  dagegen  nennt  mau  die  Panax- Arten,  Clymenus, 
Aristolochia  theils  als  Riechmittel  theils  zum  Auflegen  auf 
den  Kopf;  das  Aizoon  oder  Sedum  in  ein  schwarzes  Tuch 
geschlagen  und  dem  Kranken  ohne  sein  Wissen  untergelegt; 
auch  die  Oenothera  oder  Ouuris^),  welche  in  Wein  ge- 
nommen das  Gemüth  zur  Fröhlichkeit  stimmt,  ein  mandel- 
ähnliches Blatt,  rosenrothe  Blumen,  zahlreiche  Zweige  und 
eine  lange,  trocken  nach  Wein  riechende  Wurzel  hat,  und 
in  Wein  gegeben  selbst  wilde  Thiere  besänftigt.  Das 
vettonische  Kraut  beseitigt  die  mit  Ekel  verbundene  Un- 
verdaulichkeit,  befördert  auch  die  Verdauung,  wenn  mau  es 
nach  dem  Essen  zu  einer  Drachme  in  drei  Bechern  Sauer- 
lionig  einnimmt,  und  vertreibt  den  Rausch;  zu  demselben 
Zwecke  verordnet  man  das  Agaricum  in  warmem  Wasser 
nach  dem  Essen.  Lähmungen  sollen  durch  die  Vettonica 
und  Iberis  geheilt  werden,  erstarrte  Glieder  durch  die 
Iberis  und  Argemonia,  letztere  dadurch,  dass  sie  alles  was 
nur  mit  Gefahr  zu  schneiden  wäre,  vertheilt. 

70. 

Die  Epilepsie  heilen:  die  Wurzeln  des  heraclischen 
Panax,  zu  drei  Th eilen  mit  einem  Theil  Coagulum  vom 
Seekalbe  getrunken,  die  Plantago  als  Trank,  die  Vettonica 
zu  einer  Drachme  in  Sauerhonig  oder  das  Agaricum  zu 
drei  Obolen,  die  Blätter  des  Quiuquefolium  aus  Wasser; 
die  Archezostis,2)  aber  ein  Jahr  lang  als  Getränk  gebraucht; 
die  trockne  Wurzel  der  Baccharis  zu  Pulver  zerrieben  und 
zu  drei  Bohnen  mit  einem  Becher  Coriander  in  warmen» 
Wasser  genommen;  der  Ceutunculus  in  Essig,  Honig  oder 
warmem  Wasser  gerieben,  die  Verbenaca  in  Wein  ge- 
trunken, sechzehn  Tage  lang  drei  Hyssop-Samen  in  Wasser 
genommen,  das  Peucedanum  mit  gleichviel  Coagulum  vom 


'j  K|)ilobiuiii  Jiiisutura  L. 

•^)  Vitis  alba.  s.  XXIll.   15.  16.  Cap. 


Öechsundzwanzigstes  Buch.  373 

Seekalbe  genommen,  die  zerriebenen  Blätter  des  Quinque- 
folium  einuuddreissig  Tage  lang  in  Wein  genommen,  ge- 
stossene  Vettonica  zu  drei  Denaren  mit  einem  Beclier  Meer- 
xwiebelessig  und  einer  Unze  attischem  Honig,  Scammonium 
zu  zwei  Obolen  mit  vier  Drachmen  Bibergeil. 

71. 
Kalte  Fieber  mildert  das  Agaricum  in  kaltem  Wasser 
getrunken,  die  dreitägigen:  die  Sideritis  mit  Oel,  das  in 
den  Saatfeldern  wachsende  Ladanum  im  zerquetschten  Zu- 
stande, die  Plantago  aus  Honigwasser  zwei  Stunden  vor 
dem  Fieberanfalle  zu  zwei  Drachmen  getrunken,  oder  der 
Saft  der  eingeweichten  oder  zerstampften  Wurzel,  oder  die 
zerriebene  Wurzel  selbst  in  durch  heisses  Eisen  erwärmtem 
Wasser.  Einige  schreiben  je  drei  Wurzeln  in  drei  Becheru 
Wässer  und  bei  viertägigem  Fieber  je  vier  Wurzeln  vor. 
Wenn  Jemand  aus  dem  Stengel  des  schon  trocken  werden- 
den Buglossum  das  Mark  nimmt,  dabei  sagt,  für  wessen 
Befreiung  vom  Fieber  er  diess  thut  und  dem  Kranken  vor 
dem  Anfalle  sieben  Blätter  anbindet,  so  soll  dieser  wirklich 
geheilt  werden.  Auch  die  Vettonica  zu  einer  Drachme  in 
drei  Bechern  Wassermeth,  sowie  das  Agaricum  helfen  bei 
Fiebern,  namentlich  solchen,  welche  sich  mit  Schaudern 
einstellen.  Vom  Quinquefolium  geben  Einige  drei  Blätter 
im  dreitägigen,  vier  im  viertägigen  Fieber  u.  s.  w..  Andere 
in  allen  Fiebern  drei  Obolen  mit  Pfeffer  in  Wassermeth. 
Die  Verbenaca  hilft  in  Wein  gegeben  auch  beim  Zugvieh 
gegen  Fieber,  muss  aber  für  das  dreitägige  beim  dritten, 
für  das  viertägige  beim  vierten  Gelenkknoten  abgeschnitten 
werden.  Man  nimmt  auch  den  Samen  beider  Arten  Hy- 
pericum im  Getränk  gegen  das  viertägige  Fieber  und  das 
Schaudern,  das  Mehl  der  Vettonica  gegen  jede  Art  des 
Schauderns,  ferner  die  Fanax-Arten,  deren  wärmende  Kraft 
so  gross  ist,  dass  man  sie  denen,  welche  durch  den  Schnee 
gehen  wollen,  innerlich  und  äusserlich  empfiehlt.  Auch  die 
Aristolochia  wirkt  gegen  Erkältungen. 

72. 
Auf  Wahnsiiiuige  wirkt  der  Schlaf  wohlthätig,   und 


374  Seehsundzwanzigstes  Buch. 

diesen  kann  man  hervorrufen,  wenn  man  Essig  worin 
Paucedanum  gelegen  hat  oder  Anagallis-Sait  auf  den  Kopf 
giesst.  Dahingegen  hält  es  schwer,  Schlafsucht  ige 
munter  zu  machen,  doch  soll  es  gelingen,  wenn  man  ihnen 
den  mit  Essig  versetzten  Saft  des  Peucedanum  in  die  Nase 
bringt.  Gegen  Raserei  verordnet  man  einen  Trank  aus 
der  Vettonica.  Die  Karbunkeln  bringt  der  Panax  zum 
Aufbruch;  das  Mehl  der  Vettonica  in  Wasser  oder  Brassica 
mit  Weihrauch  unter  häufigem  Trinken  kalten  Wassers, 
oder  die  mit  dem  Finger  aufgenommene  und  aufgestrichene 
Asche  einer  vor  den  Augen  des  Kranken  verlöschten"  Kohle, 
oder  zerquetschte  Plantago  —  zum  Heilen. 

1'6. 
Wassersucht  heilt  der  Tithymaius  Characias,  die 
Plantago  als  Speise,  wenn  der  Patient  zuvor  trocknes 
Brot  gegessen  hat,  die  Vettonica  zu  zwei  Drachmen  in  zwei 
Bechern  Wein  oder  Meth,  Agaricum  oder  Samen  der 
Lonchitis  zu  zwei  Löffel  voll  in  Wasser,  Psyllium  in  Wein, 
der  Saft  der  Anagallis- Arten,  die  Wurzel  des  Cotyledou  in 
Meth,  die  frische  nur  abgeschüttelte,  nicht  abgewaschene 
Wurzel  des  Ebulus  so  viel  man  mit  zwei  Fingern  fassen 
kann  in  einer  Hemina  warmen  alten  Weins,  die  Wurzel 
des  Trifolium  zu  zwei  Drachmen  in  Wein,  der  Tithymaius 
platyphyllus,  der  Same  des  Hypericum  welches  auch  Coris 
heisst;  die  Wurzel  der  Acte,  *)  welche  Einige  für  den 
Ebulus  halten,  bei  Abwesenheit  von  Fieber  in  drei  Bechern 
Wein  oder  der  Same  in  dunkelm  Wein,  die  Verbenaca  von 
der  eine  Hand  voll  mit  Wasser  zur  Hälfte  eingekocht  wird. 
Ganz  besonders  wirksam  soll  aber  der  Saft  der  Chamae- 
acte2)  sein.  Schleimergiessungen  heilt  die  Plantago,  die 
Wurzel  des  Cyclaminus  in  Honig;  gegen  die  Boa  oder 
rothen  Pusteln  legt  man  zerrieben  und  in  altem  Wein  ein- 
geweichte Ebulus-Blätter,  gegen  das  Jucken  den  Saft  des 
Sti'vchnus  auf. 


')  Sambucus  nigra  L. 
-I  Saniltuciis  KlinluÄ   f/. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.     ,  375 

74. 

Die  Rose  heilt  man  mit  dem  Aizoou,  den  zerriebenen 
Blättern  der  Cicuta  und  der  Wurzel  der  Mandragora,  welche 
letztere  man  wie  die  Gurke  auf  Brettern  trocknet,  indem 
man  sie  anfangs  über  Most,  dann  in  den  Rauch  bringt, 
dann  mit  Wein  oder  Essig  anstösst.  C4ute  Dienste  thut 
auch  Bähung  mit  Myrtenwein,  ein  Sextans  Minze  und  eine 
Unze  natürlicher  Schwefel  mit  Essig  zusammengerieben, 
Russ  in  Essig.  Es  giebt  mehrere  Arten  Rose;  eine  davon 
zieht  sich  mitten  um  den  menschlichen  Leib,  heisst  daher 
der  Gürtel  und  hat  den  Tod  zur  Folge,  wenn  sie  ganz 
herumkommt.  Man  verordnet  dagegen  die  Plantago  mit 
cimolischer  Kreide,  die  Peristereus  für  sich,  die  Wurzel 
der  Persolata;  gegen  andere  kriechende  Uebel  die  Wurzel 
des  Cotyledon  mit  Meth,  das  Aizoou,  und  den  Saft  der 
Linozostis  mit  Essig. 

75. 

Gegen  Verrenkungen  legt  man  die  Wurzel  des  Poly- 
podium  auf;  stellen  sich  zugleich  Schmerzen  und  Geschwulst 
ein,  so  verordnet  man  den  Samen  des  Psyllium,  die  Blätter 
der  Plantago  beide  mit  Zusatz  von  etwas  Salz  zerquetscht, 
den  Samen  des  Verbascum  in  Wein  gekocht  und  abgerieben, 
Cicuta  mit  Fett.  Auf  Beulen  und  Geschwulste,  welche 
noch  zertheilt  werden  können,  legt  man  die  Blätter  des 
Ephemerus, 

76. 

Dass  die  Gelbsucht  in  die  Augen  übergehen,  die 
Galle  also  in  so  zarte  und  dichte  Häute  eindringen  kann, 
ist  merkwürdig.  Hippocrates  hat  augegeben,  ihr  Er- 
scheinen bei  Fieber  nach  dem  siebenten  Tage  verkünde 
den  nahen  Tod;  ich  weiss  jedoch  einige  Fälle,  wo  die 
Patienten  demungeachtet  nicht  gestorben  sind.  Sie  stellt 
sich  aber  auch  ein,  wenn  kein  Fieber  vorhanden  ist,  und 
wird  dann  (wie  angegeben)  mit  einem  aus  dem  grossen 
Centaurium  bereiteten  Tranke,  ferner  mit  der  Vettonica, 
mit  dem  Agaricum  zu  drei  Obolen  in  einem  Becher  alten 
Weines,    desgleichen  mit    den   Blättern    der  Verbenaca  zu 


376  N  y«i^ii«umlzwan2igste«  Buch. 

drei  Oboleu  in  einer  Hemina  warmen  Weins  vier  Tage 
lang-  behandelt.  Aufs  schnellste  heilend  wirkt  aber  der 
Saft  des  Quinquefolium  zu  drei  Bechern  mit  Salz  und  Honig 
getrunken.  Die  Wurzel  des  Cyelaminus  trinkt  man  zu  drei 
Drachmen  an  einem  warmen  und  von  kaltem  Luftzuge  ge- 
.schützten  Orte,  um  galligen  Seh  weiss  hervorzurufen.  Andere 
Mittel  gegen  Gelbsacht  sind:  Die  Blätter  der  Tussilago  in 
Wasser,  der  Same  beider  Arten  Linozostis  in  das  Getränk 
gethan  oder  mit  Absinthium  oder  Asche  gekocht,  der  Same 
des  Hyssopus  mit  Wasser  getrunken,  das  Flechtenkraut 
bei  Enthaltung  aller  Arten  Kohlspeise,  die  Polythrix  in 
Wein  und  das  Struthium  iu  Meth. 

77. 

Zuweilen  entstehen  auch  überall  am  Körper  sehr  bös- 
artige Ausschläge,  welche  Furunkeln  genannt  werden 
und  woran  schwache  Personen  mitunter  sterben.  Wenn 
noch  keine  kopfartige  Erhöhung  daran  zu  bemerken  ist, 
so  wendet  man  dagegen  die  mit  Polenta  zerriebenen  Blätter 
des  Pycnocomum  an.  Auch  die  aufgelegten  Blätter  des 
Ephedrus  wirken  zertheilend. 

7«. 

Wenn  chirurgische  Operationen  schlecht  ausgeführt  sind, 
bilden  sich  auch  Fistelschäden  und  schleichen  dann  am 
ganzen  Körper  herum.  Man  verordnet  dagegen  das  kleine 
Centaurium  mit  Zusatz  von  mit  Honig  gekochten  Augen- 
salben, den  Saft  der  Plantago  welcher  eingegossen  wird, 
das  Quinquefolium  mit  Salz  und  Honig,  Ladanum  mit 
Bibergeil,  Cotyledon  mit  Hirschmark  erwärmt  und  aufge- 
legt, das  Mark  der  Wurzel  des  Verbascum,  welches  von 
der  Consistenz  einer  Augensalbe  eingesteckt  wird,  die  Wurzel 
der  Aristolochia  oder  auch  den  Saft  des  Tithymalus. 

79. 

Saftanhäufungen  und  Entzündungen  heilt  man  durch 
Auflegen  der  Blätter  der  Argemonia,  Verhärtungen  und 
alle  Arten  von  Saftanhäufungen  mit  in  Essig  gekochter 
Verbenaca  oder  Quinquefolium,  mit  den  Blättern  und  der 
Wurzel  des   Verbascum,   Hyssop   mit  Wein  aufgelegt,  mit 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  377 

der  Wurzel  oder  dem  Kraute  des  Aeorum  als  Bähung  und 
mit  dem  Aizoon;  Contusionen,  Verhärtungen  und  Ver- 
tiefungen am  Körper  mit  der  lUecebra.  Alles  was  im 
Leibe  steckt,  ziehen  die  Blätter  der  Tussilago,  das  Daucum 
und  der  mit  Polenta  in  Wasser  abgeriebene  Same  des 
Leontopodium  heraus.  Auf  eiternde  Wunden  legt  man  die 
mit  Polenta  abgeriebenen  Blätter  oder  den  Samen  des 
Pyenocomum,  sowie  die  Orchis  auf.  Knoehenkrankheiten 
sollen  durch  Auflegen  der  Wurzel  des  Satyrium  radikal 
geheilt  werden.  Auf  fressende  Geschwüre  und  Saftau-' 
häufungen  legt  man  den  Seetang,  bevor  er  trocken  ge- 
worden ist.  Auch  die  Wurzel  der  Alcea  vertheilt  Saftan- 
häufungen. 

80. 

Um  Brandschäden  zu  heilen  wendet  man  Plantago 
und  Arctium  an  und  diese  erweisen  sich  so  wirksam,  dass 
kaum  etwas  von  einer  Narbe  zu  sehen  ist.  Vorzüglich 
dienen  dazu  die  in  Wasser  gekochten  Blätter  des  letztem, 
ferner  die  Wurzel  des  Cyclaminus  mit  Aizoon  und  das 
Kraut  des  Hypericum  Coris. 

8L 

Für  die  Sehnen  und  Gelenke  gebraucht  manPlantago 
mit  Salz  abgerieben,  Argemonia  mit  Honig.  Mit  dem  Safte 
des  Peucedanum  bestreicht  man  in  Krämpfen  und  Er- 
starrung liegende  Kranke.  Verhärtete  Sehnen  werden  mit 
dem  Safte  der  Aegilops  bestrichen;  gegen  Schmerzen  darin 
legt  man  in  Essig  eingeweichten  Erigeron  auf.  Gegen 
Krämpfe  und  Opisthotonie  wendet  man  Epithymum  und  den 
Samen  des  Hypericum  Coris  innerlich  und  äusserlich  an. 
Das  Phrynium  soll  sogar  durchschnittene  Sehnen  wieder  zu- 
sammenheilen, wenn  man  es  zerrieben  oder  gekauet  sogleich 
auflegt.  Gegen  Krämpfe,  Zittern,  Opisthotonie  und  Frost 
nimmt  man  die  Wurzel  der   Alcea  in  Honigwasser. 

82. 

Blutflüsse  stillt  der  rothe  Same  und  die  Wurzel 
der  Paeonia;  kommt  das  Blut  aus  dem  Munde,  der  Nase^ 
dem  Mastdarm  oder  der  Gebärmutter,  gebraucht  man  Clv' 


378  Sechsuuclzwanzigstes  Buch. 

menus,  ferner  Lysimachia  innerlich  und  äusserlich  oder 
in  die  Nase  gesteckt,  den  Samen  der  Plantago,  Quinque- 
folium  innerlich  und  äusserlich,  den  Samen  der  Cicuta  bei 
Nasenbluten  in  Wasser  abgerieben  und  eingesteckt,  Aizoon, 
die  Wurzel  des  Astragalus,  das  Ischaemum  und  die  Achillea. 

83. 
Das  Equisetum,!)  ein  den  Pferdehaaren  ähnliches 
Erzeugniss  der  Erde,  2)  von  den  Griechen  Hippuris  ge- 
nannt und  auf  unsern  Wiesen  nur  ungern  gesehen,  vertreibt 
die  Milz  bei  den  Läufern,  wenn  man  einen  neuen  irdenen 
Topf  ganz  damit  anfüllt,  bis  zum  dritten  Theile  einkocht 
und  davon  drei  Tage  lang  jedesmal  eine  Hemina  zu  trinken 
giebt;  aber  schon  einen  Tag  vor  dem  Beginnen  der  Kur 
muss  der  Genuss  fetter  Speisen  ausgesetzt  werden.  Die 
Angaben  der  Griechen  über  diese  Pflanze  stimmen  nicht 
übereiu.  Einige  sagen,  sie  habe  schwärzliche  der  Fichte 
ähnliche  Blätter,  heisse  Pitys  und  besitze  eine  solche  Kraft, 
dass  schon  durch  die  blosse  Berührung  Blutflüsse  geheilt 
würden.  Andere  nennen  sie  Hippuris,  auch  Ephedra, 
Anabasis;  sie  wachse  neben  Bäumen,  klettere  an  den- 
selben hinauf,  hänge  in  zahlreichen,  schwarzen,  binsen- 
artigen Haaren  wie  ein  Pferdeschweif  herab,  habe  knotige 
Zweige,  spärliche,  kleine  Blätter,  runde  corianderähnliche 
Samen,  eine  holzige  Wurzel  und  komme  meistentheils  in 
Baumanlagen  vor.  Die  Kräfte  des  Equisetum  sind  ver- 
dichtender Natur.  Sein  Saft  stillt  das  Nasenbluten  und  den 
Durchfall,  heilt  Dysenterie  wenn  man  ihn  zu  drei  Bechern 
mit  süssem  Wein  trinkt,  ferner  Husten,  Engbrüstigkeit, 
zerbrochene  Glieder,  schleichende  Schäden  und  wirkt  harn- 
treibend. Gegen  Fehler  der  Eingeweide  und  Blase  nimmt 
mau  einen  aus  den  Blättern  bereiteten  Trank.  Es  hindert 
auch  die  Folgen  des  Darmbruchs.  Man  unterscheidet  noch 
eine  andere  Art  Hippuris,  mit  kürzeren,  weicheren  und 
helleren  Haaren,  welche  sich  bei  Hüftweh  und  zum  Zweck 


')  Plinius    vermengt    in    diesem    Cap.    Ephedra    fragili«    L.    mit 
Hippuris  und  einigen  Arten  von  Equisetum. 

■-)  In  Bezug  auf  se'ino  iadenfünnige   Verzweigung. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  379 

des  Bliitstillens  mit  Essig  auf  Wunden  gelegt  sehr  wirksam 
zeigt.  Auch  die  zerriebene  Nymphaea  legt  man  auf  Wunden. 
Das  Poucedanuni  nimmt  man  nebst  Cypressensamen  als 
Trank,  wenn  aus  dem  Munde  oder  After  Blut  fiiesst.  Die 
t-^ideritis  ist  so  kräftig,  dass  sie  das  Blut  sogleich  stillt, 
wenn  man  sie  auf  die  noch  so  frische  Wunde  eines  Fechters 
bindet;  denselben  Dienst  leistet  die  Asche  oder  Kohle  der 
Ferula,  ja  der  Pilz,  welcher  neben  der  Wurzel  der  letztem 
wächiit,  übertrift't  jene  noch  an  Wirksamkeit. 

M. 

Bei  Nasenbluten  hält  man  auch  den  Samen  der  Cicuta, 
mit  Wasser  zerrieben  und  in  die  Nase  gesteckt,  sowie  die 
Stephanonielis  für  wirksam.  Das  Pulver  der  Vettonica 
mit  Ziegenmilch  getrunken  und  zerquetschte  Plantago  stillen 
den  Ausfluss  des  Blutes  aus  den  Brüsten.  Den  Saft  der 
Plantago  verordnet  man  gegen  Blutspeien.  Die  Wurzel 
der  Persolata  wird  mit  altem  Fett  auf  bald  hier  bald  da 
ausbrechende  Uebel  gelegt. 

65. 

Gegen  Zerbreehungen  und  Verrenkungen  in  Folge 
von  Herabstürzen  dient  das  grosse  Centaurium,  die  Wurzel 
der  Gentiana  zerrieben  und  gekocht,  oder  der  Saft  der 
Vettonica  und  noch  mehr  bei  Schäden  als  Folge  starker 
Bede  oder  lieftigen  Schreiens,  ferner  Panax,  Scordium, 
Aristolochia  als  Trank;  gegen  Quetschungen  und  Ver- 
drehungen das  Agaricum  zu  zwei  Oboleu  in  drei  Bechern 
Meth  oder  bei  Fieber  in  Honigwasser;  das  goldblüthige 
Verbascum,  die  Wurzel  des  Acorum,  jedes  Aizoon,  doch 
hesser  der  Saft  des  grossen,  ein  Absud  der  Wurzel  des 
Sym])hytum  und  Daucum  im  rohen  Zustande.  Die  Pflanze 
Erysithales  mit  gelben  Blumen  und  Acanthus-  ähnlichen 
Blättern  und  die  Chamaerops  trinkt  man  in  Wein,  die  Iris 
und  Plantago  in  einer  Brühe. 

86. 

Gegen  die  Läusekrankheit  (an  welcher  der  Dictator 
Sulla  starb  und  wobei  die  den  Leib  durchfressenden 
Thierc  in»  Blute  des  Kranken  selbst  entstehen)  wendet  man 


380  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

den  Saft  der  taminischen  Traube  oder  des  Veratrum  mit 
Oel  zum  Einreiben  an.  Ein  Absud  der  taminisehen  Traube 
in  Essig  befreiet  auch   die  Kleider  von  diesem  Ungeziefer. 

87. 
Der  Geschwüre  giebt  es  vielerlei  und  ebenso  -ver- 
schieden ist  ihre  Behandlung.  Die  Wurzel  aller  Arten 
Panax  legt  man  aus  warmem  Wein  auf  fliessende;  die 
chironische  eignet  sich  besonders  als  Trocknungsmittel. 
Mit  Honig  abgerieben  öffnet  sie  Beulen ,  lindert  mit  Zusatz 
von  in  Wein  zergangenem  Grünspan  die  um  sich  fressen- 
den, für  unrettbar  gehaltenen  Geschwüre  und  mau  kann 
sich  zu  diesem  Behuf  ausser  der  Wurzel  auch  des  Samens 
oder  der  Blüthe  bedienen.  Mit  Polenta  wirkt  sie  günstig 
auf  alte  Wunden;  ebenso  das  siderische  Heraclium,  die 
Apollinaris,  Psyllium,  Traganth  und  Scordotis  mit  Honig. 
Das  feine  Pulver  der  letztern  streuet  man  zur  Entfernung 
des  wilden  Fleisches  auf.  Die  Polemonia  heilt  die  soge- 
nannten unheilbaren  Geschwüre;  das  grosse  Centaurium 
reinigt  und  heilt  eingestreuet  und  aufgelegt,  das  Laub  des 
kleinen  gekocht  oder  zerrieben  ebenfalls  alle  Geschwüre. 
Die  Kapseln  des  Clymenus  legt  man  auf  frische  Wunden, 
die  gestossene  oder  mit  Wasser  zur  Honigdicke  eingekochte 
Wurzel  oder  den  Saft  der  Geutiana  auf  schleichende  Ge- 
schwüre, das  daraus  bereitete  Lycium  auf  Wunden.  Lysi- 
machia  heilt  frische  Wunden,  Plantago  alle  Arten  Ge- 
schwüre, besonders  bei  Frauen,  Greisen  und  Kindern. 
Durch  Feuer  erweicht  ist  sie  besser,  mit  steifem  Gerat 
reinigt  sie  die  Ränder  der  Geschwüre  und  steuert  dem 
weitern  Umsichgreifen  derselben.  Wenn  sie  zerrieben  ist, 
muss  sie  mit  ihren  eignen  Blättern  bedeckt  werden. 
Schwären,  Saftanhäufungen  und  durch  Geschwüre  ent- 
standene Vertiefungen  werden  durch  die  Chelidonia  ge- 
trocknet, und  in  derselben  Weise  wirkt  sie  so  kräftig  auf 
Wunden,  dass  sie  die  Stelle  des  Spodiums  vertritt;  auf 
Schäden,  die  durchaus  nicht  besser  werden  wollen,  legt 
man  sie  mit  Fett.  Der  Dictamnus  zieht  die  Pfeile  aus 
wenn  man  ihn  innerlich,  und  andere  Geschosse  wenn  man 


Öechsundzwanzigstes  Buch.  381 

ihn  äusseilich  anwendet;  von  den  Blättern  nimmt  man  einen 
Obolus  in  einem  Becher  Wasser.  Ihm  am  nächsten  in  der 
Wirkung  steht  der  Pseudodictamnus;  beide  vertheileu  auch 
die  Sehwären.  Die  Aristolochia  frisst  faulige  Geschwüre 
aus,  reinigt  mit  Honig  schmutzige,  treibt  Würmer  ab,  zieht 
die  in  Geschwüren  entstandenen  Nägel,  alles  was  im 
Körper  steckt,  namentlich  Pfeile  und  zerbrochene  Knochen 
mit  Hülfe  von  Harz  aus.  Hohle  Geschwüre  füllt  sie  für 
<ieh  allein,  frische  Wunden  mit  Iris  in  Essig,  alte  Ge- 
schwüre die  Verbenaca  nnd  das  Quinquefolium  mit  Salz 
und  Honig  aus.  Die  Wurzel  der  Persolata  legt  man  auch 
auf  frische  mit  einem  Eisen  gemachte  Wunden,  die  Blätter 
auf  alte,  beide  mit  Fett  und  mit  einem  Blatt  derselben 
Pflanze  bedeckt.  Das  Damasouium  wendet  man  wie  beim 
Kropf  an,  die  Blätter  des  Verbascum  mit  Essig  oder  Wein; 
die  Peristereus  bei  allen  Arten  von  Geschwüren,  besonders 
Uei  verhärteten  und  fauligen;  die  Wurzel  der  heraclischen 
Nymphaea,  sowie  die  Wurzel  des  Cyclamen  für  sich  oder 
mit  Essig  oder  Honig  bei  fiiessenden  Geschwüren,  letztern 
auch  gegen  Fettbeulen.  Ebenfalls  bei  fliessenden  Ge- 
schwüren den  Hyssop  und  das  Peucedanum;  letzteres 
äussert  ferner  auf  frische  Wunden  eine  solche  Kraft,  dass 
es  die  schaumige  Unreinheit  den  Knochen  entzieht;  dless 
erzielt  man  auch  mit  den  Arten  der  Anagallis,  welche 
ferner  den  nra  sich  fressenden  Geschwüren  nnd  Flüssen  ent- 
gegenwirken, frischen  Wunden  und  namentlich  dem  Körper 
alter  Leute  dienlich  sind.  Die  frischen  Blätter  der  Mandra- 
2'ora  heilen  mit  Wachssalbe  Aposteme  und  hässliche  Ge- 
schwüre, die  Wurzel  mit  Honig  und  Oel  Wunden,  Cicuta 
mit  Siligo  und  starkem  Wein  sowie  das  Aizoon  um  sich 
fressende,  krebsartige  und  faulende  Geschwüre,  der  Erigeron 
wurmhaltige  Geschwüre,  die  Wurzel  des  Astragalus  frische 
Wunden,  die  beiden  Arten  Hypocist  alte  Geschwüre.  Den 
Samen  des  Leontopodium  sowie  des  Pycnocomum  legt  man 
n  Wasser  zerrieben  mit  Polenta  auf,  um  Pfeilspitzen  aus 
'(-m  Leibe  zu  schaffen.  Der  Saft  des  Tithymalus  Characias 
»der  auch  seine  Zweige  mit  Polenta  und  Oel  gekoclit  heilt 


382  Sechsundzwanzigstes  Bück. 

krebsartig'e,  fressende  und  faulige  Schäden ,  die  Wurzel  der 
Orchis  dieselben  Uebel  sowie  frisch  oder  trocken  mit  Po- 
lenta  und  Oel  die  sogenannten  unheilbaren,  die  Oenothera 
für  sich  allein  die  sich  erhebenden  Geschwüre.  Die  8cythen 
heilen  die  Wunden  mit  dem  scythischen  Kraute.  Für  Krebs- 
geschwüre ist  die  Argemonia  mit  Honig  sehr  wirksam,  für 
zu  früh  zugeheilte  Wunden  die  Wurzel  des  Asphodelus  (wie 
angegeben)  gekocht,  mit  Polenta  vermischt  und  aufgelegt, 
für  alle  Wunden  die  Apollinaris.  Die  gepulverte  Wurzel 
des  Astragalus  wendet  man  mit  Erfolg  bei  feuchten  Ge- 
schwüren an,  ebenso  die  in  Wasser  gekochte  Callithrix,  die 
Verbenaca,  Lysimachia  und  Nymphaea  aber  trocken  einge- 
streuet  ganz  besonders  bei  solchen,  welche  durch  die  Fuss- 
bekleidung  entstanden  sind.  Sind  diese  Art  Wunden  jedoch 
schon  alt,  so  thut  die  Polythrix  bessere  Dienste. 

Das  Polycnemum')  gleicht  der  Cunila  bubula,  im 
Samen  dem  Polei,  ist  vielzweigig,  vielgeknieet,  hat  einen 
Blüthenbüschel  und  riecht  stark  und  augenehm.  Man 
kauet  es,  legt  es  auf  durch  Eisen  entstandene  Wunden  und 
nimmt  es  erst  am  fünften  Tage  wieder  ab.  Das  Symphytum 
bringt  Wunden  schnell  zur  Vernarbung,  ebenso  die  Sideritis, 
welche  man  mit  Honig  auflegt.  Die  Samen  und  Blätter 
des  Verbascum  mit  Wein  gekocht  und  zerrieben,  die  Blätter 
der  Mandragora  mit  Polenta  und  die  Wurzel  des  Cyclaminus 
mit  Honig  ziehen  alles,  was  im  Körper  steckt,  heraus.  Die 
Blätter  der  Trixago  in  Oel,  die  Alge  in  Honig  abgerieben 
werden  besonders  gegen  fressende  Geschwüre ,  die  Yettonica 
mit  Zusatz  von  Salz  gegen  Krebsgeschwiire  und  alte 
schwarze  Flecken  angewandt. 

89. 

Warzen  vertreibt  die  Argemonia  in  Essig  geweicht, 
auch  die  Wurzel  des  Batrachium,  welche  auch  die  rauhen 
Nägel  entfernt,  ferner  die  Blätter  oder  der  Saft  beider 
Arten  Linozostis.    Alle  Arten   Tithymalus   vertreiben  jede 

')  Zi^.iphoia  capitata  L. 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  3ba 

Art  Warzen,  alle  Fingerübel  und  Flecken  im  Gesiebte.  Das 
Ladanum  bewirkt  die  Vernarbungeu  aufs  beste.  Fuss- 
ganger,  welche  Artemisia  und  Salbei  an  sich  binden,  sollen 
nicht  müde  werden. 

90. 
Gegen  weibliche  Krankheiten  ist  der  schwarze 
Same  der  Paeonia  in  Honigwasser  ein  allgemeines  Medica- 
ment.  Die  Wurzel  derselben  Pflanze  befördert  die  Men- 
struation, der  Same  des  Panax  mit  Wermuth  die  Men- 
struation und  den  Schweiss,  die  Scordotis  wirkt  innerlich 
und  äusserlich  ebenso.  Die  Vettonica  wird  zu  einer  Drachme 
in  drei  Bechern  Wein  gegen  alle  Fehler  der  Gebärmutter 
und  diejenigen,  welche  sich  nach  der  Entbindung  einstellen, 
eingenommen.  Zu  reichlichen  Monatsfluss  beschränkt  die 
Achillea,  wenn  man  sie  auflegt  und  über  einem  Absude 
sitzen  lässt.  Auf  die  Brüste  legt  man  den  Samen  des 
Hyoscyamus  in  Wein  sowie  die  Chelidonia,  auf  die  Schaam 
die  Wurzel  des  erstem  als  Cataplasma.  Um  den  Abgang 
der  Nachgeburt  und  todter  Kinder  zu  befördern,  bindet 
man  die  Wurzel  des  Panax  auf;  das  Kraut  selbst  reinigt, 
in  Wein  getrunken  und  mit  Honig  aufgelegt,  die  Gebär- 
mutter. Die  Polemonia  treibt,  in  Wein  getrunken,  die 
Nachgeburt  ab,  und  reinigt,  wenn  man  damit  räuchert,  die 
Gebärmutter.  Der  Saft  des  kleinen  Centaurium  befördert 
getrunken  und  als  Bähmittel  den  Monatsfluss;  die  Wurzel 
des  grossen  Centaurium  mildert  auf  gleiche  Weise  die  mit 
dem  Monatsfluss  zusammenhängenden  Schmerzen  in  der 
Gebärmutter,  abgeschabt  und  aufgelegt  aber  treibt  sie  die 
todten  Kinder  ab.  Die  Plantago  legt  man  bei  Gebärmutter- 
schmerzen in  Wolle  gewickelt  auf;  bei  Zusammenschntiruug 
dieses  Organs  nimmt  man  sie  als  Trank.  Ganz  besonders 
kräftig  ist  aber  der  Dictamnus.  Er  befördert  die  Men- 
struation, treibt  todte  oder  verkehrt  liegende  Kinder  ab 
und  äussert  in  dieser  Beziehung  eine  so  starke  Wirkung, 
dass  man  ihn  nicht  in  das  Schlafzimmer  Schwangerer 
bringen  darf.  Man  verordnet  einen  Obolus  der  Blätter  als 
Trank,  doch  hat  er  auch  als  Umschlag  und  Räuchermittel 


384  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

seinen  Werth.  Ihm  zunächst  an  Kräften  steht  der  Pseudo- 
dictamnus.  Er  befördert  mit  starkem  Wein  zu  einem  Denar 
schwer  gekocht  die  Menstruation.  Die  Aristolochia  aber 
hat  einen  mehrfachen  Nutzen,  denn  sie  befördert,  mit  Zu- 
satz von  Myrrhe  und  Pfeffer  getrunken  oder  wenn  man 
darüber  sitzt,  nicht  nur  die  Menstruation,  sondern  treibt 
auch  die  Nachgeburt  und  todte  Kinder  ab;  die  kleine  Art 
besonders  hindert  das  Vorfallen  der  Gebärmutter,  wenn 
man  damit  bähet  oder  räuchert.  Das  Agaricum  hilft,  zu 
drei  Obolen  in  einem  Becher  alten  Weines  getrunken, 
gegen  Zusammenschnürung  der  Gebärmutter  und  unter- 
drückte Menstruation;  ebenso  die  Peristereus  in  frischem 
Schweinefett,  das  Antirrhinum  mit  Rosenöl  und  Honig  auf- 
gelegt. Die  Wurzel  der  thessalischen  Nymphaea  lindert 
aufgelegt  die  Schmerzen,  und  beugt,  in  dunkelm  Weine  ge- 
trunken, den  Blutflüssen  vor.  Letztere  hingegen  werden 
durch  innerliche  und  äusserliche  Anwendung  der  Cyclamen- 
wurzel  befördert;  bei  Blasenübeln  setzt  man  sich  über  einen 
Absud  derselben.  Der  Cissanthemus  treibt  als  Trank  die 
Nachgeburt  ab  und  heilt  die  Gebärmutter.  Auch  wird  die 
Menstruation  befördert,  wenn  man  den  obern  Theil  der 
Wurzel  des  Xiphium  in  Essig  einnimmt.  Gebärmutter- 
krämpfe beseitigt  der  Rauch  von  brennendem  Peucedanum, 
den  weissen  Fluss  treibt  vorzüglich  das  Psyllium  zu  einer 
Drachme  in  drei  Bechern  Honigwasser  genommen,  die 
Gebärmutter  reinigt  ein  aus  dem  Samen  der  Mandragora 
bereiteter  Trank.  Den  Saft  dieses  Samens  wendet  man 
äusserlich  gegen  unterdrückte  Menstruation  und  zur  Ab- 
treibung todter  Kinder  an;  setzt  man  aber  noch  Schwefel 
hinzu,  so  mässigt  er  den  zu  starken  Ausfluss.  Gegen- 
theils  wirkt  das  Batrachium,  welches  (wie  ich  gesagt  habe) 
im  rohen  Zustande  hitzig  ist,  als  Trank  und  Speise,  in 
letztem!  Falle  mit  Zusatz  von  Salz,  Oel  und  Kümmel, 
wiederum  förderlich  ein.  Das  Daucum  treibt  als  Getränk 
sehr  rasch  den  Mouatstluss  und  die  Nachgeburt  ab.  Das 
Ladanum  dient  zum  Räuchern  der  Gebärmutter;  gegen 
Schmerzen   und   (ieschwüre   darin   wird    es  aufo-elee-t.     Das 


Seclisundzwanzigstes  Buch.  385 

Scammonium   treibt,    innerlich    und   äusserlich   angewandt, 
todte  Kinder  ab.   Die  Menstruation  wird  durch  beide  Arten 
Hypericum,  wenn  man  sie  auflegt,  befördert,  nocli  mehr 
aber    (nach    Hippocrates)     durch     den    Samen     und     die 
Wurzel  des  Crethmus  in  Wein;  die  Rinde  dieser  Wurzel  ent- 
fernt auch  in  Wasser  getrunken  die  Nachgeburt  und  hebt 
die  Krämpfe.     Die  Wurzel  des  Geranium  ist  ebenfalls  gut 
für  die  Nachgeburt,  desgleichen  für  die  Blähungen  in  der 
Gebärmutter.    Die  Hippuris  reinigt,  innerlich  und  äusserlich 
angewandt,  die  Gebärmutter.     Ein  Trank  aus  Polygonum, 
Althäwurzeln,  Plantagoblättern  oder  Agaricum  befördert  die 
Menstruation.    Artemisia  zerrieben  und  mit  Lilienöl,  Feigen 
oder  Myrrhe  aufgelegt  heilt  die  Gebärmutter;  ihre  Wurzel 
als  Trank  genommen  wirkt  sehr  reinigend  und  treibt  selbst 
todte  Kinder  ab;    um  die    Menstruation  zu  befördern  und 
die  Nachgeburt  abzutreiben,  verordnet  man  der  Kranken, 
sich    über   einen  Absud    der  Zweige    zu   setzen    oder    eine 
Drachme  der  Blätter  als   Trank  einzunehmen,    oder  auch 
die  Blätter  für  sich  sowie  mit  Gerstenmehl  auf  den  Unter- 
leib zu  legen.   Acorum,  beide  Arten  Conyza  und  Crethmus 
erweisen  sich  gleichfalls  bei  innerlichen  Frauenkrankheiten 
heilsam.     Die   beiden  Arten  der  Anthyllis  verordnet    man 
in  Wein    als  Trank    mit  Erfolg   für   die  Gebärmutter,    das 
Bauchgrimmen    und    den    Abgang    der    Nachgeburt.      Die 
Callithrix   heilt  in  Form   von    Bähungen    die  Schaam,    ent- 
fernt die  weissen  Schuppen  vom  Kopfe  und  färbt,  mit  Oel 
abgerieben,  das  Haar.   Das  Geranium  trinkt  man  in  weissem, 
den  Hypocist  in  rothem  Wein  gegen  Blutflüsse,   Der  Hyssop 
lindert  die  Mutterbeschwerden.    Die  Wurzel  der  Verbenaca 
trinkt  man  aus  Wasser  mit  bestem  Erfolg  bei  allen  üebeln 
während  und  nach  der  Geburt.     Dem  Peucedanum  setzen 
Einige    noch    Cypressensamen     hinzu     und    lassen     diese 
Mischung  mit  dunkelm  Wein  nehmen.    Der  in  Wasser   ge- 
sottene und   bis  zum  Lauwarmen  wieder  abgekühlte  Same 
des  Psyllium  lindert  alle  Geschwüre  der  Gebärmutter.    Das 
Symphytum  befördert,  in  dunkelm  Weine  vertheilt,  die  Men- 
struation.    Eine  Drachme  des  Saftes    der  Scordotis  in  vier 

wittstein:  Plinius.     I\'.  Bd.  25 


3g()  Sechsundzwanzigstes  Buch. 

Bechern  Houigwasser  getrunken  beschleunigt  die  Entbindung. 
Die  Blätter  des  Dictamnus  werden  ebenfalls  mit  Erfolg  in 
Wasser  gegeben  und  schon  ein  Obolus  davon  ist  im  Stande, 
todte  Kinder  ohne  jegliche  Beschwerde  zur  Welt  zu  bringen. 
Aehnlich  aber  langsamer  wirkt  der  Pseudodictamnus;  der 
Cyclaminus  aufgebunden,  der  Cissanthemus  getrunken,  ge- 
pulverte Vettonica  in  Honigwasser. 

91. 
Das  Arsenogonum  und  Thelygonum  i)  sind  Kräuter 
mit  Trauben,  deren  Blüthen  Aehnlichkeit  mit  denen  des 
Oelbaums,  aber  eine  blassere  Farbe  und  weisse,  mohn- 
ähnliche Samen  haben.  Ein  aus  dem  Thelygonum  bereiteter 
Trank  soll  bewirken,  dass  Mädchen  empfangen  werden, 
und  das  Arsenogonum,  welches  sich  von  jenem  durch  nichts 
als  den  olivenähnlichen  Samen  unterscheidet,  soll  (wenn 
wirs  glauben  wollen)  auf  ähnliche  Weise  zu  Knaben  ver- 
helfen. Einige  geben  an,  beide  Kräuter  wären  dem  Ocimum, 
der  Same  des  Arsenogonum  aber  doppelt  und  den  Hoden 
ähnlich. 

92. 
Krankheiten  der  weiblichen  Brüste  werden  vorzüglich 
durch  das  Aizoon,  welches  ich  Fingerchen  genannt  habe, 
geheilt.  Der  Erigeron  mit  Rosinenwein  und  das  Sonchum 
in  Getreide  gekocht  verschafft  den  Brüsten  mehr  Milch. 
Der  sogenannte  Mastus  vertreibt  aufgelegt  die  nach  der 
Entbindung  auf  den  Brüsten  entstehenden  Haare  und  die 
schaligen  Absonderungen  im  Gesichte,  verbessert  auch, 
gleich  der  Wurzel  des  Acorum,  alle  übrigen  Hautfehler. 
Flecken  jeder  Art  werden  durch  Auflegen  von  Gentiana, 
heraclischer  Nymphaea  und  Cyclamenwurzel  beseitigt.  Die 
Körner  der  Cacalia  mit  flüssigem  Wachs  vermischt  dehnen 
die  Haut  im  Gesichte  aus  und  entfernen  die  Runzeln. 

93. 
Die  Lysimachia  macht  das  Haar  gelb,  das  Hypericum 
Coris,   die  Ophrys,   eine  zweiblättrige,   dem   gezähnelteu 


')  Mercurialis  tonientosa? 


Sechsundzwanzigstes  Buch.  387 

Kohle  ähnliche  PHauze,  und  die  in  Oel  gekochte  Polemonia 
dasselbe  schwarz.  Ich  führe  zwar  die  Haarmittel  bei  den 
Arzneien  des  weiblichen  Geschlechts  an,  muss  aber  dazu 
bf^nierken,  dass  sie  auch  schon  bei  den  Männern  Eingang 
gefunden  haben.  Für  die  in  dieser  Beziehung  kräftigste 
Ptianze  hält  man  die  Archezostis,  dann  den  Saft  des  Tithy- 
malus,  welchen  man  in  der  Sonne  mit  Oel  fleissig  einreibt 
und  wobei  man  die  alten  Haare  ausrupft.  Mit  dem  Hyssop 
in  Oel  heilt  man  die  Räude  der  vierfüssigen  Thiere,  mit 
der  Sideritis  die  Bräune  der  Schweine. 

Wir  gehen  nun  zu  den  übrigen  Arten  der  Kräuter  über. 


Siebennndzwanzigstes  Buch. 

Von  den  übrigen  Kräutern  und  ihrer  arzneilichen  Anwendung. 

1. 
Wahrlich,  je  weiter  ich  iu  meiner  Arbeit  fortschreite, 
desto  mehr  fühle  ich  mich  von  Bewunderung  des  Alter- 
thums  durchdrungen,  und  je  grösser  die  Zahl  der  noch  zu 
besprechenden  Kräuter  ist,  um  so  mehrmuss  ich  über  die  S  org- 
falt  der  Alten  bei  gemachten  Entdeckungen  und  über 
ihre  gütigen  Mittheilungen  staunen.  Wären  die  Entdeckungen 
menschliches  Werk,  so  könnte  kein  Zweifel  darüber  ob- 
w^alten,  dass  auf  diese  Weise  die  Freigebigkeit  der  Natur 
selbst  übertroften  worden  sei;  nun  ist  es  aber  klar,  dass 
sie  den  Göttern  augehören  oder  doch  wenigstens  göttlich 
sind  (wenn  auch  der  Mensch  deren  machte),  dass  jene 
Mutter  aller  Dinge  diess  alles  erschaffen  und  gezeigt  hat, 
und  wir  müssen  bekennen,  dass  das  Leben  keine  wunder- 
barere Erscheinung  darbietet.  Man  führt  —  Dank  der  un- 
endlichen Macht  des  römischen  Friedens  —  zum  Heile  der 
Menschheit  das  scythische  Kraut  von  den  mäotischen 
Sümpfen  herbei,  die  Euphorbia  vom  Berge  Atlas  und  jen- 
seits der  Säulen  des  Herkules,  und  da  hier  die  Erde  ihre 
Grenzen  hat,  andererseits  das  britannische  Kraut  von  den 
über  den  Continent  hinaus  liegenden  Inseln  des  Oceans, 
die  Aethiopis  von  den  durch  die  Gestirne  ausgebrannten 
Ländern,  noch  andere  aus  andern  Gegenden  des  Erdkreises; 
wir  sehen  wechselseitig  nicht  bloss  Menschen  aus  ver- 
schiedenen Ländern  und  Völkern,  sondern  auch  Berge  und 
Wolken  übersteigende  Gipfel,  ihre  Erzeugnisse  und  Kräuter. 
Möge  uns   dieses   göttliche   Geschenk   (des  Friedens)   ewig 


Siebennndzwanzigstes  Buch.  589 

erhalten  bleiben;  denn  in  der  That  scheint  es,  als  ob  die 
Römer  der  menschliehen  Gesellschaft  ein  zweites  Leben 
gegeben  haben. 

2. 
Kann  man  wohl  den  Fleiss  und  die  Sorgfalt  der  Alten 
gebührend  würdigen,  wenn  man  bedenkt,  dass  das  Aco- 
nitum i)  das  schnelltödtendste  aller  Gifte  ist,  und  dass 
dasselbe  alle  weiblichen  Thiere  umbringt ,  wenn  man  auch 
nur  deren  Geschlechtstheile  damit  berührt?  Diess  war  das 
Gift,  womit,  laut  der  Anklage  des  M.  Caecilius,  Cal- 
purnius  Bastias  seine  Frauen  im  Schlafe  umgebracht 
hatte,  und  darauf  deutete  der  sarkastische  Schluss  der 
Rede  des  erstem,  sie  wären  an  ihres  Gatten  Finger  ge- 
storben. Die  Fabel  erzählt,  das  Aconitum  sei  aus  dem 
Geifer  des  Hundes  Cerberus,  den  Hercules  aus  der  Unter- 
welt holte,  entstanden,  und  wachse  daher  in  der  Nähe  des 
pontischen  Heraclea,  wo  der  Eingang  zur  Unterwelt  ge- 
zeigt wird.  Doch  auch  dieses  Gift  wussten  die  Alten  für 
den  Menschen  nutzbar  zu  machen,  indem  sie  durch  Ver- 
suche fanden,  dass  es  in  warmem  Wein  eingegeben  die  von 
Scorpionen  Gestochenen  wieder  herstellt.  Es  tödtet  nämlich 
nur  dann  den  Menschen,  wenn  es  in  ihm  nichts  tindet, 
worauf  es  seine  vertilgende  Kraft  zunächst  richten  kann; 
trifft  es  aber  darin  gleichsam  einen  ihm  ähnlichen  Feind, 
so  lässt  es  sich  nur  mit  diesem  in  den  Kampf  ein,  und 
sonderbar!  während  beide  Gifte  an  sich  tödtlich  sind,  ver- 
nichten sie  sich  in  dem  Menschen  gegenseitig  und  er  allein 
bleibt  lebend  übrig.  Die  Alten  haben  sogar  Hülfsmittel  für 
wilde  Thiere  angegeben  und  gelehrt,  wie  man  selbst  giftige 
Geschöpfe  heilen  könne.  Die  Scorpione  gerathen,  wenn 
man  sie  mit  Aconitum  berührt,  in  Erstarrung,  erbleichen 
und  bekennen  sich  für  besiegt;  nähert  man  ihnen  dann  den 
weissen  Elleborus,  so  werden  sie  wieder  munter,  das  Aco- 


')  Ohne    Zweilei   unser  Aconitum   Napellus   L.    oder   verwandte 
Species  derselben  Gattung,  wie  A.  Oamraaruui,  A.  tauricum  etc. 


390  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

nitiim  weicht  also  zwei  Giften,  einem  besondein*)  und  einem 
allgemeinem.  2)  Wer  aber  annimmt,  dass  diess  alles  von 
einem  Menschen  ausgemittelt  worden  sei,  der  erweist  sich 
undankbar  gegen  die  Geschenke  der  Götter.  Mau  be- 
streicht Fleisch  mit  Aconitum  und  tödtet  damit  die  davon 
fressenden  Panther  (daher  es  Einige  auch  P9,rdalianches 
genannt  haben);  würde  man  diess  unterlassen,  so  nähmen 
jene  Thiere  in  manchen  Ländern  zu  sehr  überhand.  Allein 
man  weiss  auch,  dass  die  Panther  durch  Fressen  von 
menschlichen  Excrementen  sich  selbst  wieder  kuriren,  und 
wer  möchte  zweifeln,  dass  der  Zufall  ihnen  diess  Mittel  an 
die  Hand  gegeben  habe?  Wie  oft  kann  sich  nicht  jetzt 
noch  Neues  der  Art  ereignen,  da  die  wilden  Thiere  nicht 
fähig  sind,  über  Art  und  Gebrauch  einander  Mittheilung  zu 
machen?  Dieser  Zufall  also,  welcher  das  Meiste  im  Lebeft 
erfunden  hat,  ist  die  Gottheit;  dieser  Name  bezeichnet  zu- 
gleich die  Natur,  d.  h.  die  Mutter  und  Lehrerin  aller  Dinge, 
und  beide  Ansichten  bleiben  sich  gleich,  mögen  wir  nun 
annehmen,  die  wilden  Thiere  machen  täglich  dergleichen 
Entdeckungen  oder  sie  wissen  bereits  darum.  Es  ist  nur 
eine  Schande,  dass  alle  Thiere,  nicht  aber  die  Menschen, 
wissen,  was  ihnen  heilsam  ist. 

Unsere  Vorfahren  haben  übrigens  auch  angegeben,  das 
Aconitum  sei  ein  gutes  Augenmittel ,  und  dadurch  bewiesen, 
dass  es  kein  Uebel  gäbe,  das  nicht  sein  Gutes  mit  sich 
führe.  Mir  liegt  es  daher  und  weil  ich^)  noch  nicht  von 
Giften  gehandelt  habe,  ob  zu  zeigen,  wie  das  Aconitum 
beschaffen  sei,  damit  man  es  kennen  lernt.  Es  hat  nicht 
mehr  als  vier,  von  der  Wurzel  an  rauhe,  dem  Cyclameu 
oder  Cucumis  ähnliche  Blätter,  eine  massige,  dem  See- 
Cammarum  ähnliche  Wurzel  (weshalb  es  Einige  auch 
Gamma r um.  Andere  aus  dem  oben  erwähnten  Grunde 
Thelyphonum  nennen),  die  wie  ein  Scorpionschwanz  ge- 
krümmt  ist   und   zu   dem  Namen  Scorpium   Anlass   gab. 

')  dem  de3  Elleborus  albus.    -)  dem  dcsi  Scorpion. 
•■')  in  diesem  Ruche. 


Siebenundzwanzigstes(  Buch.  391 

Auch  Myoctonum  wurde  es  genannt,  weil  es  schon  ver- 
möge seines  Geruchs  die  Mäuse  tödtet.  Es  wächst  auf 
nackten  Felsen,  die  man  unbestaubte  ^  nennt,  und  weil  es 
durch  nichts  in  seiner  Nähe,  nicht  einmal  durch  Staub  er- 
nährt wird,  soll  es  den  Namen  Aconitum  bekommen 
haben.  Andere  geben  als  Grund  dieses  Namens  an,  weil 
es  dieselbe  vernichtende  Kraft  besässe,  wie  sie  der  Kiesel- 
stein-) auf  die  Schneide  3)  des  Eisens  ausübt,  denn  beider 
Wirkung  werde  gleich  bei  der  ersten  Berührung  empfunden. 

3/ 

Die  Aethiopis^)  hat  dem  Phlomus  ähnliche,  grosse, 
zahlreiche  und  von  der  Wurzel  an  rauhe  Blätter,  einen 
vierkantigen,  rauhen,  dem  Arctium  ähnlichen,  durch  viele 
flügelartige  Vorsprünge  rinnenartigen  Stengel,  zu  zweien 
beisammenstehende,  weisse  der  Erve  ähnliche  Samen,  zahl- 
reiche, lange  markige,  weiche  und  klebrig  schmeckende 
Wurzeln,  welche  beim  Trocknen  schwarz,  hart  und  horn- 
artig  werden.  Ausser  in  Aethiopien  findet  sie  sich  aucii 
auf  dem  Berge  Ida  bei  Troja  und  in  Messenien.  Man 
sammelt  sie  im  Herbste,  und  trocknet  sie,  um  das 
Schimmeln  zu  verhüten,  in  der  Sonne.  Sie  heilt  in  weissem 
Wein  eingenommen  die  Gebärmutter,  und  als  Absud  ge- 
reicht: Hüftweh,  Seitenstechen  und  Rauhigkeit  im  Halse. 
Am  besten  ist  die  in  Aethiopien  vorkommende,  denn  sie 
hilft  sogleich. 

4. 

Das  Ageratum'*)  ist  ein  gertenartiges  Gewächs,  zwei 
Hände  hoch,  dem  Origanum  ähnlich  und  trägt  goldgelbe 
Blumenbtischel.  Durch  Räuchern  damit  oder  besser,  wenn 
man  darüber  sitzt,  wird  das  Harnen  befördert  und  die  Ge- 
bärmutter gereinigt.  Seinen  Namen  hat  es  davon,  weil  es 
nicht  leicht  welk  wird. 


•)  aconae.    "-)  cos,  cotes.     ^)  acies. 

^)  Salvia  Aethiopis  L.    S.  auch  XXVF.  B.  !).  Cap. 

■'')  Hypericum  origanifolium  W. 


392  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

5. 
Die  Aloe^)  gleicht  der  Scilla,  ist  aber  grösser,  die 
Blätter  sind  fleischiger  und  schief  gestreift,  der  Stengel 
zart,  in  der  Mitte  röthlich,  dem  Anthericum  ähnlich,  die 
Wurzel  einfach,  wie  ein  Pfahl  in  die  Erde  getrieben,  von 
unangenehmem  Geruch  und  bitterm  Geschmack.  Die  beste 
kommt  aus  Indien;  doch  findet  sie  sich  auch  in  Asien,  diese 
wird  aber,  wegen  des  klebenden  Saftes  der  frischen  Blätter, 
nur  bei  Wunden  angewendet.  Man  pflanzt  sie  daher,  wie 
das  grosse  Aizoon,  auf  die  Spunde  der  Fässer.  Einige 
schneiden  den  Stengel  vor  der  Samenreife,  Andere  die 
Blätter  an,  um  den  Saft  zu  gewinnen.  Man  findet  auch 
wohl  den  Saft  von  selbst  ausgeflossen  in  Form  von  Thränen 
anhängen,  und  räth  daher,  den  Boden  um  die  Pflanze  herum 
fest  zu  stampfen,  damit  der  Saft  nicht  hineindringe.  Eiuige 
haben  angegeben,  der  Saft  der  in  Judaea  jenseit  Jerusalem 
vorkommenden  Aloe  sei  metallischer  Natur,  allein  er  ist 
unter  allen  Sorten  am  unreinsten,  schwärzesten  und  feuch- 
testen. Die  beste  Sorte  ist  fett,  glänzend,  röthlich,  zer- 
brechlich, wie  eine  Leber  zusammengebacken,  und  leicht 
schmelzbar.  Die  schlechten  Sorten  erkennt  man  an  der 
schwarzen  Farbe,  Härte  und  am  Geschmacke.  Die  Ver- 
fälschung geschieht  mit  Gummi.  Die  Aloe  hat  die  Eigen- 
schaft zu  verdicken,  zu  verdichten  und  gelinde  zu  er- 
wärmen, wird  in  vielen  Fällen  angewandt,  namentlich  aber 
zum  Abführen,  und  ist  in  dieser  Beziehung  fast  das  einzige 
Medicament,  welches,  geschweige  dem  Magen  gefährlich  zu 
werden,  ihn  im  Gegentheil  gleichzeitig  stärkt.  Man  nimmt 
davon  gewöhnlich  eine  Drachme,  bei  Magensch wache  aber 
einen  Löffel  voll  in  zwei  Bechern  lauen  oder  kalten  Wassers 
je  nach  den  Umständen  zwei-  bis  dreimal  täglich,  zum 
Zweck  des  Abführens  höchstens  drei  Drachmen,  und  isst 
zweckmässig  sogleich  hinterher  etwas.  Um  das  Ausfallen 
der  Haare  zu  verhindern,    reibt  man   den  Kopf  mit   einer 


•)  Aloe  perfoliaia  L.  und  andere  Arten. 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  393 

Mischung  von  Aloe  und  herbem  Wein  an  der  Sonne  ein. 
Mit  Essig  und  Rosenöl  auf  die  Stirne  gelegt  und  im  ver- 
dünnteren  Zustande  als  Aufguss  heilt  sie  Kopfweh.  Ferner 
heilt  sie  alle  Augeniibel,  Jucken  und  Grind  an  den  Wangen, 
blaue  und  andere  Flecken,  mit  pontischem  Honig  aufgelegt; 
geschwollene  Mandeln,  das  Zahnfleisch  und  alle  Mundge- 
schwttre;  massiges  Blutspeien  zu  einer  Drachme  in  Wasser, 
stärkeres  zu  einer  Drachme  in  Essig  getrunken.  Für  sich 
oder  mit  Essig  stillt  sie  das  Blut,  es  mag  aus  Wunden  oder 
anders  woher  fiiessen;  erweist  sich  auch  sonst  heilsam  bei 
Wunden  und  befördert  die  Vernarbung.  Man  applicirt  sie 
auf  geschworene  männliche  Geschlechtstheile,  Geschwüre 
und  Risse  am  After,  theils  in  Wein,  theils  in  Rosinenweiu 
gelöst,  theils  für  sich  im  trocknen  Zustande,  wie  es  gerade 
die  Umstände  erfordern.  Auch  stillt  sie  sanft  den  zu 
starken  Fluss  der  Hämorrhoiden.  Gegen  Dysenterie  giebt 
man  ein  Klystier  davon;  bei  schwieriger  Verdauung  trinkt 
man  davon  einige  Zeit  nach  dem  Mahle  und  bei  Gelbsucht 
drei  Obolen  schwer  mit  Wasser.  Aus  Aloe  mit  gekochtem 
Honig  oder  Terpenthinharz  bereitete  Pillen  werden  als 
innerliches  Reinigungsmittel  angewandt.  Geschwüre  an  den 
Fingern  heilt  die  Aloe  ebenfalls.  Als  Zusatz  zu  Augen- 
mitteln wird  sie  zuvor  gewaschen ,  damit  sich  die  sandigsten 
Theile  zu  Boden  setzen,  oder  in  einer  irdenen  Schale  er- 
hitzt und  mit  einer  Feder  zuweilen  umgerührt,  damit  das 
Rösten  gleichförmig  erfolgt. 

6. 

Die  Alcea  ^)  hat  Blätter  wie  die  Verbenaca  Aristerea, 
drei  bis  vier  starkbelaubte  Stengel,  rosenähnliche  Blumen, 
meist  sechs  weisse,  ellenlange,  schräge  Wurzeln  und  wächst 
in  fettem,  nicht  trocknem  Erdreich.  Man  wendet  die  Wurzel 
mit  Wein  oder  Wasser  bei  Dysenterie,  Durchfall,  Zer- 
reissung  und  Verschiebung  innerer  Organe  an. 

7. 

Das   Alypum'^)   ist    ein   der   Bete   nicht   unähnlicher. 


*)  Malope  malacoides  L.     -)  Globularia  Alypum  L. 


394  Siebenund^iwanzigstes  Buch. 

kleiner  Stengel  mit  weichem  Kopfe,  schmeckt  scharf  und 
beissend,  führt  ab,  wenn  man  es  mit  Zusatz  von  etwas 
Salz  in  Honigwasser  einnimmt.  Giebt  man  es  mit  Hühner- 
brühe, so  beträgt  die  kleinste  Dosis  zwei,  die  mittlere  vier, 
die  höchste  sechs  Drachmen. 

8. 

Die  Alsine^)  oder  Myosotus  wächst  in  Hainen 2), 
daher  der  erstere  Name,  fängt  mitten  im  Winter  an  zu 
wachsen  und  vertrocknet  in  der  Mitte  des  Sommers  wieder; 
die  Blätter  sehen  während  ihrer  Entwicklung  wie  Mäuse- 
ohren aus.  Ich  werde  aber  noch  eine  andere  Pflanze  be- 
schreiben, welche  den  Namen  Mauseohr  3)  mit  mehr  Recht 
verdient.  Die  Alsine  stimmt  mit  der  Helxine  überein, 
nur  ist  sie  kleiner  und  weniger  raub,  wächst  in  Gärten  und 
besonders  au  deren  Umzäunungen,  riecht  beim  Zerreiben 
wie  Gurken,  dient  gegen  Saftanhäufungen,  Entzündungen 
und  alle  diejenigen  üebel,  gegen  welche  man  die  Helxine 
verwendet,  doch  ist  sie  nicht  so  wirksam.  Noch  besonders 
legt  man  sie  auf  Augengeschwüre,  mit  Gerstenmehl  auf  die 
Schaamtheile  und  andere  Geschwüre ,  und  ihren  Saft  tröpfelt 
man  in  die  Ohren. 

9. 

Die  Androsace  ist  ein  weisses,  bitteres,  blattloses 
Kraut  mit  an  den  kahlen  Zweigen  sitzenden,  samenein- 
schliessenden  Bälgen,  wächst  namentlich  an  der  Küste  von 
Syrien,  wird  gegen  Wassersucht  zu  zwei  Drachmen  ge- 
stossen  oder  in  Wasser,  Essig  oder  Wein  gekocht  gegeben, 
wirkt  auch  stark  harntreibend,  innerlich  und  äusserlich 
gegen  Podagra.     Der  Same  besitzt  dieselben  Kräfte. 

10. 

Das  Androsaemum  ^)  oder  Ascyrum^)  ist  dem 
schon    erwähnten    Hypericum    nicht    unähnlich,    hat    aber 


')  Parietaria  cretica  L. 

2)  luci,  griechisch  äXaoq. 

3)  Myosotis  im  80.  Cap. 

'')  Hypericum  perfoliatum  L.     ^)  Hypericum  perforatum  L, 


ISiebenundzwanzigstes  Buch.  395 

grössere,  dichter  stehende  und  mehr  ins  Rothe  fallende 
Stengel,  weisse  rautenähnliche  Blätter,  schwarze  mohnähn- 
liche Samen,  einen  Blüthenschopf,  welcher  einen  blutrothen 
Saft  enthält,  riecht  harzig,  wächst  in  Weingärten,  wird 
etwa  um  die  Mitte  des  Herbstes  ausgegraben  und  zum 
Trocknen  aufgehängt.  Zur  Reinigung  des  Unterleibes  stösst 
man  es  nebst  dem  Samen  und  nimmt  dann  früh  Morgens 
oder  nach  der  Mahlzeit  zwei  Drachmen  in  Houigwasser, 
Wein  oder  reinem  Wasser,  dergestalt,  dass  der  ganze  Trank 
einen  Sextar  beträgt.  Es  entfernt  die  kranke  Galle,  leistet 
aber  besonders  bei  Hüftweh  heilsame  Dienste;  man  muss 
jedoch  den  Tag  darauf  einen  Denar  Kapperwurzel  mit  Harz 
vermischt  verschlucken,  nach  vier  Tageu  dasselbe  wieder- 
holen ,  und  nach  erfolgter  Entleerung  müsseu  die  kräftigern 
Personen  Wein,  die  scbwächlicbern  Wasser  trinken.  Man 
legt  es  gegen  Podagra  auf,  auch  wegen  seiner  blutstillenden 
Eigenschaften  auf  Brandschäden  und  andere  Wunden. 

11. 
.  Der  Name  Ambrosia  ist  verschiedenen  Kräutern  bei- 
gelegt worden,  daher  in  dieser  Beziehung  ein  vager.  Ein 
damit  bezeichnetes  Kraut')  bildet  einen  dichten,  ästigen, 
dünnen,  fast  drei  Hände  hohen  Stengel,  hat  eine  Hand  lange 
Wurzel,  rautenähnliche,  unten  um  den  Stengel  stehende 
Blätter,  von  den  Zweigen  herabhängende  Trauben  in  denen 
weinartig  schmeckende  Samen  stecken  und  worauf  sich  der 
von  Einigen  beliebte  Name  Botrys  bezieht,  während 
wiederum  Andere  die  Pflanze  Artemisia  nennen.  Die 
Cappadocicr  gebrauchen  sie  zu  Kränzen.  Die  medicinische 
Anwendung  erstreckt  sieh  auf  die  Fälle,  wo  Vertheilung 
indicirt  ist. 

12. 
Die   Anonis  oder   Ononis"^)    ist   ästig,    dem  Foeuuui 
graecum  ähnlich,  doch  staueliger  und  rauher,  riecht  ange- 
nehm ,  und  hat  nach  dem  Frühjahre  Dornen.    Sie  wird  auch 

')  Ambrosia  maritima  L.?  S.  auch  28.,  29.  und  61.  Cap. 
■')  Ononis  antiquovum  L. 


396  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

in  Salzwasser  eingemacht  verspeist;  frisch  aber  beizt  sie 
die  Ränder  der  Geschwüre  rein.  Gegen  Zahnweh  kocht 
man  die  Wurzel  in  saurem  Diinnwein;  zur  Abtreibung  der 
Blasensteine  mit  Honig  und  gegen  Epilepsie  mit  Sauerhonig 
zur  Hälfte. 

13. 

Die  Anagyrus  oder  Acopus^)  ist  staudig,  hat  einen 
unangenehmen  Geruch,  kohlähnliche  Blumen,  ziemlich  lange 
hornähnliche  Hülsen  und  nierenförmige,  zur  Zeit  der  Ernte 
reif  werdende  Samen.  Die  Blätter  legt  man  auf  Saftan- 
häufungen, bindet  sie  den  schwer  Gebärenden  an,  doch 
muss  mau  sie  gleich  nach  der  Entbindung  wieder  abnehmen. 
Wenn  die  todte  Leibesfrucht  oder  auch  die  Nachgeburt 
nicht  abgehen  will,  giebt  man  eine  Drachme  der  Blätter 
in  Rosinenwein.  Mau  reicht  dieselben  auch  Engbrüstigen 
und  wider  die  Bisse  der  Erdspinnen  in  altem  Wein.  Die 
Wurzel  vertheilt  und  befördert  die  Verdauung.  Der  Same 
erregt  beim  Kauen  Brechen. 

14. 

Es  giebt  auch  ein  Kraut,  welches  bei  seiner  Ent- 
deckung keinen  Namen  bekommen  hat,  kommt  aus 
Scythien,  und  soll  nach  dem  Ausspruche  des  rühmlich  be- 
kannten Arztes  Hicesius,  ferner  des  Aristogiton  -)  ein 
gutes  Wundmittel  sein,  wenn  man  es  mit  Wasser  zer- 
quetscht auflegt,  aber  als  Trank  genommen  bei  Erschütte- 
rungen der  Brüste  und  des  Zwerchfells,  bei  Blutspeien  wohl- 
thätig  wirken.  Ferner  glaubt  man,  dass  es  Verwundeten 
auch  innerlich  mit  Nutzen  zu  geben  sei.  Dass  es  im  frischen 
Zustande  verbrannt  die  Kraft  besitze,  Eisen  oder  Kupfer 
zusammen  zu  löthen,  wie  man  angiebt,  halte  ich  für  eine 
Fabel. 

15. 

Die  Aparine^),  welche  man  auch  Omphacocarpus 


')  Anagyiis  foetida  L. 

^)   Vielleicht   der   Satyrenschreiber   und    Redner,    zur    Zeit    des 
Demosthenes  zu  Athen.     '•>)  Galium  Aparine  L. 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  397 

oder  Philanthropus  nennt,  ästig,  rauh,  hat  in  Zwischen- 
räumen fünf  bis  sechs  rund  um  die  Zweige  stehende  Blätter, 
runde,  hohle,  harte,  süsslich  schmeckende  Samen,  wächst 
in  Kornfeldern,  Gärten,  Wiesen  und  hängt  sich  gern  an  die 
Kleider.  Man  nimmt  den  Samen  zu  einer  Drachme  in 
Wein  gegen  Schlangen  und  Spinnen.  Die  Blätter  legt  man 
auf  Wunden,  um  das  Blut  zu  stillen,  den  Saft  tröpfelt  man 
in  die  Ohren. 

16. 

Das  Arctium')  oder  Arcturum  hat  Blätter,  welche 
denen  des  Verbascum  ähnlich,  aber  rauher  sind,  einen  hohen 
weichen  Stengel,  cuminumähnliche  Samen,  eine  zarte,  weisse, 
süsse  Wurzel  und  kommt  auf  steinigem  Boden  vor.  Ein 
weiniger  Absud  davon  wird  gegen  Zahnweh  im  Munde  ge- 
halten; innerlich  dient  es  gegen  Hüftweh  und  Harnstrenge; 
in  Wein  geweicht  legt  mau  es  auf  Brandstellen  und  Frost- 
beulen, und  zu  demselben  Zwecke  macht  man  auch  Bähungen 
aus  der  Wurzel  und  dem  Samen  mit  Wein. 

17. 

Das  Asplenum  oder  Hemionium'^)  hat  zahlreiche, 
1(3  Fuss  lange  Blätter,  eine  weiche,  höhlige,  farnkraut- 
ähnliche, weisse,  rauhe  Wurzel,  weder  Stengel,  noch  Blumen, 
noch  Samen,  wächst  zwischen  Steinen  und  an  feuchten, 
schattigen  Mauern  und  ist  in  Greta  am  kräftigsten.  Wer 
einen  Absud  der  Blätter  in  Essig  vierzig  Tage  lang  ge- 
braucht, soll  die  Milz  verlieren;  man  legt  sie  auch  auf  um 
den  Schlucken  zu  vertreiben.  Weiblichen  Personen  darf 
mau  es  nicht  geben,  denn  es  macht  unfruchtbar. 

18. 

Die  Asclepias-*)  hat  epbeuähnliche  Blätter,  lange 
Zweige,  zahlreiche,  dünne  wohlriechende  Wurzeln,  widrig 
riechende  Blumen,  Samen  wie  die  Securidaca  und  findet 
sich  auf  Bergen.  Die  Wurzeln  wendet  man  innerlich  und 
äusserlich  gegen  Bauchgrimmen  und  Schlangenbisse  an. 


♦)  Verbascum  liinnense  Fraas. 

-)  Asplenium  Ceterach  L. 

')  Asclepias  Dioscoridis  Fraas. 


398  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

19. 
Der  Aster  1)  heisst  auch  Bubouium,  weil  er  ein  gutes 
Mittel  für  die  Schaamtheile  ist,  hat  einen  kleinen  Stengel, 
zwei  bis  drei  längliche  Blätter,  an  der  Spitze  strahlig  wie 
ein  Stern  gestellte  Köpfchen  und  wird  gleichfalls^  gegen  die 
Schlangen  verordnet.  Gegen  Fehler  der  Schaamtheile  soll 
man  ihn  mit  der  linken  Hand  abbrechen  und  neben  den 
Gürtel  binden.     Hilft  auch  aufgebunden  bei  Hüftweh. 

20. 
Das  Ascyrum  und  Ascyroides^)  sind  unter  sich  und 
dem  Hypericum  ähnlich,  das  Ascyroides  hat  aber  längere, 
gertenartige,  durchaus  rothe  Zweige,  kleine  gelbe  Blüthen- 
köpfe,  kleine,  schwarze,  harzreiche  Samen.  Wenn  man  die 
Blattbüschel  zerreibt,  geben  sie  einen  blutrothen  Saft  von 
sich,  daher  Einige  die  Pflanze  auch  Androsaemum  ge- 
nannt haben.  Bei  Hüftweh  verordnet  man  zwei  Drachmen 
des  Samens  mit  einem  Sextar  Honigwasser;  er  wirkt  auch 
eröffnend,  treibt  die  Galle  ab  und  wird  auf  Brandwunden 
gelegt. 

21.  • 
Die  Aphaca^)  hat  sehr  kleine  Blätter,  ist  etwas 
grösser  als  die  Lenticula,  trägt  grössere  Hülsen,  in  denen 
drei  bis  vier  Samen,  schwärzer  und  weicher  als  die  der 
Lenticula,  sitzen,  und  wächst  auf  Feldern.  Sie  verdichtet 
besser  als  die  Linse,  wirkt  aber  übrigens  ganz  ebenso. 
Der  gekochte  Same  stillt  den  Durchfall. 

22. 
Was  das  Alcibium  *)  für  eine  Pflanze  ist,  finde  ich  bei 
keinem  Schriftsteller  näher  angegeben;  Wurzel  und  Blätter 
werden  aber  innerlich  und  äusserlich  gegen  Schlangenbisse 
empfohlen,  und  zwar  soll  man  von  den  Blättern  eine  Hand 
voll  mit  drei  Bechern  starken  Weins,  von  der  Wurzel  drei 
Drachmen  mit  ebenso  viel  gewöhnlichen   Weins  abreiben. 


')  Aster  Amellus  L. 

2)  S.  10.  Cap.    3)  Vicia  Cracca  L. 

*    Alcibiafliuin?  Letzteres  ist  Echiuiii  rubniiu  .Tacq. 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  39t^ 

23. 

Der  Alectorolophus  1),  bei  uns  Crista  genannt,  hat 
zahlreiche,  einem  Hahnenkamm  ähnliche  Blätter,  einen 
dünnen  Stengel,  schwarze  in  Schoten  steckende  Samen,  und 
wird  gegen  Husten  und  trübe  Augen  mit  grob  zerkleinerten 
Bohnen  gekocht  und  mit  Honig  versetzt  verordnet.  Den 
ganzen  Samen  schiebt  man  ins  Auge,  um  dessen  trübe 
Theile  anzuziehen;  er  verändert  dabei  seine  Farbe,  wird 
weisslicb,  schwillt  an  und  fällt  von  selbst  heraus. 

24. 

Die  bei  uns  Alum,  bei  den  Griechen  Symphytum 
petraeum^)  genannte  Pflanze  ähnelt  der  Cunila  bubiila, 
hat  kleine  Blätter,  drei  bis  vier  gleich  bei  der  Wurzel  aus- 
schiessende  Zweige,  oben  Aehnlichkeit  mit  dem  Thymian, 
eine  lange  röthliche  Wurzel,  riecht  angenehm,  schmeckt 
süss,  zieht  den  Speichel  an  und  wächst  auf  Felsen  (daher 
sein  Beiname  petraeum).  Es  ist  ein  gutes  Mittel  für 
Seiteuweh,  Nieren,  Bauchgrimmen,  Brust,  Lunge,  Blutaus- 
wurf und  rauhen  Hals.  Man  verordnet  die  Wurzel  in  Wein 
gekocht  innerlich,  bereitet  aber  auch  Umschläge  davon. 
Gekaut  stillt  sie  den  Durst  und  kühlt  die  Lunge  ab.  Auf- 
gelegt heilt  sie  Verrenkungen,  Contusionen  und  dergleichen. 
Man  kocht  sie  in  Asche,  zieht  die  Schale  ab,  setzt  neun 
Pfefferkörner  hinzu,  und  lässt  diess  mit  Wasser  gegen  Durch- 
fall nehmen.  Diese  Pflanze  zeigt  solche  wundenheilende 
Kräfte,  dass,  wenn  man  sie  zu  kochendem  Fleische  setzt, 
dasselbe  zusammenbackt,  und  diess  ist  auch  der  Grund 
ihres  griechischen  Namens.    Sie  heilt  auch  Knochenbrüche. 

25. 

Die  rothe  Alge  heilt  die  Stiche  der  Scorpione. 

26. 

Die  Actaea^)  hat  übelriechende  Blätter,  rauhe  knotige 
Stengel,  schwarze  Samen,  weiche  Beeren  wie  der  Epheu, 


')  Alectorolophus  alpinus  Baurag. 

^)  Symphytum  Brochum  Bory.  Im  XIX.  B.  34.  Cap.  kommt  auch 
ein  Alum  vor,  das  aber  zu  AUium  gehört.    ^)  .\ctaea  spicata  L. 


400  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

Wächst  an  schattigen,  wüsten  und  nassen  Plätzen  und  wird 
zu  einem  Acetabulum  voll  bei  innerlichen  weiblichen  Krank- 
heiten gegeben. 

27. 

Wilder  Weinstock  heisst  eine  schon  bei  den  Saaten 
erwähnte  Pflanze  0  niit  harten  aschgrauen  Blättern,  langen, 
dichten,  röthlichen  Ranken,  ähnlichen  Blumen  wie  die  bei 
den  Violen  genannte  Jovis  flamma^),  und  Samen,  welche 
in  Beeren  sitzen  und  denen  des  Granatapfels  ähnlich  sind. 
Die  Wurzel  siedet  man  in  drei  Bechern  Wasser,  setzt,  zwei 
Becher  coischen  Wein  hinzu  und  giebt  diese  Arznei  den 
Wassersüchtigen  als  gelindes  Abführmittel.  Sie  hilft  auch 
gegen  Gebrechen  der  weiblichen  Schaam  und  Gesichtshaut. 
Gegen  Hüftweh  legt  man  die  sammt  den  Blättern  zer- 
quetschte Pflanze  auf. 

28. 

Vom  Absinthium  giebt  es  mehrere  Arten,  die  san- 
tonische^)  hat  ihren  Namen  von  einer  Stadt  in  Gallien; 
die  pontische^)  vom  Pontus,  wo  das  Rindvieh  durch  seinen 
Genuss  fett  und  daher  ohne  Galle  gefunden  wird,  ist  die 
beste  und  im  Innern  süss,  die  italienische  aber  weit 
bitterer.  5)  Ich  muss  von  dieser  Pflanze,  welche  so  leicht 
herbeizuschaffen,  so  ausserordentlich  nützlich  und  durch 
ihren  Gebrauch  bei  den  Opfern  des  römischen  Volks  so 
berühmt  geworden  ist,  etwas  ausführlicher  reden.  Bei  den 
lateinischen  Festlichkeiten  ß)  fahren  nämlich  vierspännige 
Wagen  im  Wettlauf  zum  Capitol  und  der  Sieger  bekommt 
einen  Absinthium-Trank;  die  Alten  urtheilten  dabei,  wie  mich 
dünkt,  würdig,  als  sie  ein  solches  Symbol  der  Gesundheit 
zum  Lohne  festsetzten.  Es  stärkt  den  Magen,  wird  daher 
auch,   wie  bereits   angegeben,    mit  Wein  angesetzt.     Man 


')  S.  XXIII.  B.  13.  Cap.     -)  S.  XXI.  B.  38.  Cap. 
3)  Artemisia  judaica  L.? 

*)  Artemisia  pontica  L.     ^)  Artemisia  Absinthium  L. 
^)  Ein  Fest,  welches  im  Frühjahr  von    den  lateinischen  Städten 
dem  Jupiter  Latiaris  m  Ehren  vier  Tage  lang  gehalten  wurde. 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  401 

kocht  sechs  Drachmen  der  Blätter  mit  den  Zweigen  in  drei 
Sextaven  Regen wasser,  lässt  den  Absud  eine  Nacht  und 
einen  Tag  lang  unter  freiem  Himmel  abkühlen,  setzt  etwas 
Salz  hinzu  und  trinkt  ihn  dann;  diess  ist  die  älteste  An- 
wendungsweise. Man  bereitet  auch  einen  schwächern  Trank 
auf  die  Weise,  dass  man  drei  Tage  lang  in  Wasser  (welche 
Menge  auch  davon  genommen  werde)  und  bedeckt  mace- 
riren  lässt.  Im  zerriebenen  Zustande  sowie  als  ausge- 
pressten  Saft  verordnet  man  es  selten.  Um  den  Saft  zu 
bekommen,  lässt  man  es  so  lange  in  Wasser  liegen,  bis 
der  Same  aufgequollen  ist,  frisches  drei,  getrocknetes  sieben 
Tage  lang;  dann  kocht  man  10  Heminä  in  45  Sextaren 
Wasser  in  einem  kupfernen  Kessel  zum  dritten  Theile  ein, 
seihet  durch  und  dickt  weiter  bis  zur  Consisteuz  des  Honigs 
ein,  gerade  so  wie  man  aus  dem  kleinen  Centaurium  den 
Saft  bereitet.  Aber  dieses  Extrakt  des  Absinthium  be- 
kommt dem  Magen  und  Kopfe  nicht  gut,  während  obiger 
Absud  sehr  beilsam  ist,  denn  er  zieht  den  Magen  zusammen, 
entfernt  die  Galle,  treibt  den  Harn,  macht  weichen  Stuhl- 
gang und  entfernt  die  Schmerzen  im  Unterleibe,  führt  die 
Würmer  ab,  zertheilt  mit  Zusatz  von  Sil,  gallischer  Narde 
und  etwas  Essig  die  Blähungen  im  Magen,  benimmt  die 
Appetitlosigkeit  und  befördert  die  Verdauung,  fübrt  mit 
Raute,  PfeflFer  und  Salz  die  unverdaueten  Stoffe  weg.  Die 
Alten  gaben  zum  Abführen  sechs  Drachmen  des  Samens 
mit  drei  Drachmen  Salz  und  einem  Becher  Honig  in  einem 
Sextar  alten  Seewassers;  noch  kräftiger  wirkt  diess  Mittel, 
wenn  man  die  Quantität  des  Salzes  verdoppelt,  doch  ist  es 
jedenfalls  nothwendig,  dass  alles  längere  Zeit  gerieben 
w^erde.  Einige  haben  auch  die  obigen  Gewichtsmengen  in 
Polenta  mit  Zusatz  von  Polei,  Andere  den  Kindern  in  einer 
trocknen  Feige  (damit  es  ihnen  nicht  so  bitter  schmeckt) 
verordnet.  Mit  der  Iris  genommen  reinigt  es  die  Brust. 
Gegen  Gelbsucht  wird  es  roh  mit  Apium  und  Adiautum 
gegeben.  Gegen  Blähungen  trinkt  man  einen  warmen  Auf- 
guss,  bei  Leberleiden  mit  gallischer  Narde,  bei  Milzleiden 
mit  Essig,  einem  Breie  oder  einer  Feige.    Gegen  Pilze  und 

WittBtein:  Plinius.     IV.  Bd.  26 


402  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

Viscum  wendet  mau  es  in  Essig,  gegen  die  Cicuta,  die 
Bisse  der  Spitzmäuse,  Seedrachen  und  Scorpionstiche  in 
Wein  an.  Es  trägt  viel  zur  Klarheit  der  Augen  bei.  Mit 
Kosinenwein  legt  man  es  auf  Augengeschwüre,  mit  Honig  auf 
blaue  Flecke.  Der  von  dem  Absude  des  Absinthium  aufstei- 
gende Dampf  heilt  die  Ohren;  wenn  sie  eiterartig  rinnen,  reibt 
man  es  mit  Honig  ab.  Drei  oder  vier  Zweige  nebst  einer 
Wurzel  der  gallischen  Narde  in  sechs  Bechern  Wasser  ge- 
nommen befördern  das  Harnen  und  die  Menstruation;  der 
letztere  Zweck  wird  noch  besonders  erreicht,  wenn  mau 
das  Absinthium  mit  Honig  nimmt  und  in  Wolle  auflegt. 
Gegen  die  Bräune  dient  es  mit  Honig  und  Natron.  Hitz- 
blattern heilt  es  in  Wasser  eingeweicht,  auch  frische 
Wunden,  bevor  dieselben  mit  Wasser  in  Berührung  ge- 
kommen sind,  ferner  Kopfgeschwüre.  Auf  die  Weichen  legt 
man  es  mit  cyprischem  Wachs  oder  mit  Feigen.  Das 
Jucken  wird  ebenfalls  dadurch  vertrieben.  Bei  Fiebern  ist 
seine  Anwendung  nicht  rathsam.  Auf  Seereisen  als  Trank 
gebraucht,  bewahrt  es  vor  der  Schiffskrankheit.  Trägt  man 
es  im  Bauchgürtel,  so  vergeben  die  Geschwulste  an  den 
Schaamtheilen.  Riecht  man  daran  oder  legt  man  es  Je- 
mandem ohne  sein  Wissen  unter  den  Kopf,  so  erfolgt  Schlaf. 
Zwischen  die  Kleider  zerstreuet  vertreibt  es  die  Motten. 
Wer  sich  mit  Oel,  worin  Absinthium  eingeweicht  ist,  ein- 
reibt oder  wer  damit  räuchert,  bleibt  von  den  Mücken  be- 
freiet. Schreibtinte,  die  man  mit  einem  Aufguss  von  Ab- 
sinthium versetzt  hat,  schützt  die  Schriften  vor  den  Mäusen. 
Eine  aus  der  Asche  der  Pflanze  mit  Fett  und  Rosenöl  be- 
reitete Salbe  färbt  das  Haar  schwarz. 

29. 

Es  giebt  auch  ein  Meer- Absinthium  ^),  welches  Einige 

Seriphium  nennen  und  das  am  wirksamsten  zu  Taposiris 

in  Aegypten  vorkommt.    Die  Priester  der  Isis  halten  es  für 

feierlich,   einen  Zweig  davon  vor  sich   her  zu  tragen.     Es 


')  Arteiiiisia  luaiitiiua  L. 


Siebenundzwauzigstes  Buch.  4(j3 

ißt  schlanker  als  die  vorige  Art,  nicht  so  bitter,  bekommt 
dem  Magen  nicht  gut,  macht  Oeffnung  und  treibt  die 
Würmer  aus.  Mau  verordnet  es  als  Trank  mit  Oel  und 
Salz  oder  mit  einer  aus  dreimonatlichem  ^)  Mehle  bereiteten 
Brühe.  Zu  einem  Sextar  Wasser  nimmt  man  eine  Handvoll 
(les  Krautes  und  kocht  zur  Hälfte  ein. 

3ü. 

Die  Ballota'^)  oder,  wie  die  Griechen  diese  Pflanze 
nennen,  das  schwarze  Porrum  ist  staudig,  hat  schwarze 
kantige  Stengel,  rauhe  Blätter,  welche  grösser  und  dunkler 
als  beim  Porrum  sind  und  stark  riechen.  Die  Blätter  werden 
mit  Salz  zerrieben  auf  tolle  Hundsbisse,  ferner  in  Asche 
gekocht  nnd  in  ein  Kohlblatt  geschlagen  auf  Aftergeschwüre, 
mit  Honig  auf  unreine  Geschwüre  gelegt. 

31. 

Die  Botrys^)  ist  staudig,  hat  hellgelbe  Zw^eige, 
cichorienähnliche  Blätter,  zahlreiche  Samen,  findet  sich  an 
den  Ufern  von  Giesbächen  und  wird  gegen  Engbrüstigkeit 
angewandt.  Die  Cappadocier  nennen  es  Ambrosia,  Andere: 
Artemisia. 

32. 

Die  Brabyla  besitzt  die  Kraft  zu  verdicken  wie  die 
Quitte;  diess  ist  alles,  was  ich  von  ihr  angegeben  finde. 

33. 

Das  Bryum  marinum^)  ist  unstreitig  eine  krautartige 
Pflanze,  hat  lattichähnliche,  aus  der  Wurzel  entspringende 
Blätter,  ein  runzliges  gleichsam  zusammengezogenes  Ansehn, 
keinen  Stengel  und  wächst  in  der  Regel  auf  Klippen  und 
in  der  Erde  steckenden  Scherben.  Es  wirkt  besonders 
trocknend  und  verdickend,  verhütet  alle  Arten  von  Saftan- 
sammlungen und  Entzündungen,  heilt  das  Podagra  und 
alles  was  Kühlung  bedarf. 


')  d,  h.  was  innerhalb  drei  Monaten  reif  geworden  ist. 

*)  Ballota  nigra  L. 

3)  Chenopodium  Botrys  L. 

'')  Ulva  Lactuca  L. 

•26* 


404  Siebenund zwanzigstes  Buch. 

U. 

Der  Same  des  Bupleurum  wird,  wie  ich  finde,  gegen 
Schlangenbisse  und  das  Kraut  mit  Zusatz  von  Maulbeer- 
oder Origanum-Blättern  gekocht  zu  Bähungen  von  Wunden 
empfohlen. 

35. 

Was  die  thessalische  Catanance  für  eine  Pflanze  ist, 
halte  ich  für  überflüssig  näher  auseinander  zu  setzen,  da 
sie  nur  zu  Liebestränkeu  angewendet  wird.  Ich  führe  die- 
selbe nur  an,  um  die  Thorbeiten  der  Magier  aufzudecken, 
denn  man  nahm  sie  für  den  genannten  Zweck  deshalb  in 
Gebrauch,  weil  sie  sich  beim  Vertrocknen  ähnlich  wie  die 
Krallen  eines  getödteten  Geiers  zusammenziehen  soll.  Aus 
demselben  Grunde  übergehe  ich  auch  die  Pflanze  Cemus. 

36. 

Die  Calyx  hat  zwei  Arten;  die  eine  ist  dem  Arum 
ähnlich,  wächst  auf  gepflügten  Feldern,  wird  vor  dem  Trocken- 
werden gesammelt  und  wie  das  Arum  angewandt.  Auch 
verordnet  man  die  Wurzel  zum  Abführen  und  bei  Menstrual- 
Verhalten;  Stengel  und  Blätter  heilen  mit  Hülsenfrüchten 
gekocht,  den  Stuhlgang. 

37. 

Die  andere  Calyx,  auch  Anchusa^)  oder  Onoclea 
genannt,  hat  federige,  die  des  Lattichs  an  Länge  über- 
treffende Blätter  und  eine  rothe  Wurzel,  welche  man  mit 
Polenta  auf  die  Rose  legt,  gegen  Leberleiden  aber  mit 
weissem  Wein  einnimmt. 

38. 

Die  Circaeä')  gleicht  dem  zahmen  Strychnus,  hat 
kleine  dunkle  Blumen,  kleine  hirseähnliche  Samen  in  horn- 
artigen  Kapseln,  eine  halbfusslange,  drei-  bis  vierfache, 
weisse,  wohlriechende  und  erwärmend  schmeckende  Wurzel 
und  wächst  auf  sonnigen  Felsen.  Bei  Schmerzen  und  andern 
Fehlern  der  weiblichen  Schaam,  sowie  zum  Abtreiben  der 
Nachgeburt  giebt  man  sie  mit  Wein,  dergestalt,  dass  man 

')  Echium  ditt'usum  Sm.V 

^)  Cynanchum  monspeliacum? 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  405 

ein  Viertelpfund  der  zerquetschten  Wurzel  24  Stunden  lang 
in  drei  Sextaren  maceriren  lässt.  Wird  der  Same  mit  Wein 
oder  Honigwasser  eingenommen,  so  verliert  sieh  die  Milch. 

39. 

Das  Cirsium')  hat  einen  dünnen  zwei  Ellen  langen 
dreikantigen,  mit  stachlichen  Blättern  umgebenen  Stengel; 
die  Stacheln  sind  weich,  die  Blätter  einer  Ochsenzunge 
ähnlich,  nur  kleiner,  weisslich,  die  Blütenköpfe  purpur- 
farben und  sich  in  eine  Wollkrone  auflösend.  Kraut  und 
Wurzel  dieser  Pflanze  sollen  aufgebunden  die  Schmerzen 
der  Krampfadern  vertreiben. 

40. 

Das  Crataeogonum  ■-)  sieht  wie  die  Weizenpflanze 
aus,  denn  aus  einer  Wurzel  steigen  mehrere  knotige  Halme 
hervor.  Es  wächst  an  schattigen  Plätzen  und  hat  einen 
hirseähnlichen,  sehr  herbe  schmeckenden  Samen;  wenn 
Mann  und  Frau  vierzig  Tage  lang  vor  dem  Beischlaf  jedes- 
mal vor  der  Mahlzeit  drei  Obolen  dieses  Samens  in  drei 
Bechern  Wasser  einnehmen,  so  sollen  Knaben  geboren 
weiden.  Es  giebt  noch  eine  andere  Art,  welche  Thely- 
gouum  genannt  wird  und  milder  schmeckt.  Frauen,  welche 
die  Blumen  des  Crataeogonum  einnehmen,  sollen  innerhalb 
vierzig  Tagen  empfangen.  Beide  Arten  heilen  mit  Honig 
alte  schwarze  Geschwüre,  füllen  die  Vertiefungen  in  den 
Geschwüren  aus,  bewirken  den  Wiederansatz  von  Fleisch, 
reinigen  Eiterbeulen,  zertheilen  Fettbeuleu,  lindern  Podagra 
und  alle  Saftansammlungen,  namentlich  in  den  Brüsten. 
Theophrast  hat  mit  dem  Namen  Crataegus  oderCrataegou^) 
einen  Baum  bezeichnet,  der  in  Italien  Aquifolia  heisst. 

41. 

Das  Crocodilium  ^)  hat  das  Ansehn  des  schwarzen 
Chamaeleonkrauts ,  eine  lange,  gleicbraässig  dicke,  widrig 
riechende  Wurzel   und   wächst   auf  sandigem  Boden.     Ein 


')  Carduus  tenuit'loius  L.    -)  (Jrucianella  inonspeliaca  L. 
^)  Crataegus  AzaroUa  Grieseb. 
")  Cnicus  benedictus. 


40fi  Siebenundzwanzigstesi  Buch. 

aus  der  Wurzel  bereiteter  Trank  treibt  das  Blut  reichlich 
und  von  dicker  Consistenz  aus  der  Nase  und  soll  auf  diese 
Weise  die  Milz  verzehren. 

42. 
Die  Cynosorchis,  auch  Orchis  genannt,  wächst  in 
Weingärten,  hat  denen  des  Oelbaums  ähnliche,  weiche,  zu 
dreien  V^  Fuss  lang  auf  der  Erde  hingestreckte  Blätter, 
eine  doppelte,  knollige,  längliche  Wurzel,  deren  oberör 
knoUen  härter  ist  als  der  untere,  und  die  wie  andere 
Knollen  gekocht  verspeist  werden.  Wenn  Männer  den 
grösseren  Knollen  essen,  sollen  Knaben,  und  wenn  Frauen 
den  kleinern,  Mädchen  geboren  werden.  In  Thessalien 
nehmen  die  Männer  den  weichern  Knollen  mit  Ziegenmilch 
ein,  um  die  Lust  zum  Beischlaf  zu  erhöhen,  und  den  härtern, 
um  dieselbe  zu  zähmen;  also  ist  der  eine  dem  andern  in 
der  Wirkung  entgegen. 

43. 
Das  Chrysolachanum  ist  der  Lactuca  ähnlich,  wächst 
in  Fichtenwäldern  und  heilt  eingeschnittene  Sehnen,  wenn 
man  sie  sofort  verwendet.  Es  soll  noch  eine  andere  Art 
mit  goldgelben  Blumen  und  kohlartigen  Blättern  geben. 
Man  bereitet  und  isst  sie  wie  Kohl.  Wenn  man  sie  Gelb- 
süchtigen anbindet,  so  dass  sie  die  Pflanze  sehen  können, 
sollen  sie  genesen.  Das  Chrysolachanum  verdiente  wohl 
noch  eine  weitere  Besprechung,  allein  ich  finde  nichts  weiter 
davon  angegeben;  unsere  neueren  Kräuterkenner  begingen 
nämlich  den  Fehler,  bekannte  Pflanzen  als  geraeine  nur 
ganz  kurz  und  bloss  mit  dem  Namen  anzuzeigen,  so  z.  B, 
auch  das  Coagulum  terrae,  welches  mit  Wein  oder  Wasser 
genommen  den  Durchfall  hemmen  und  die  Harnstrenge  ver- 
treiben soll. 

44. 
Der   Culicusi)  auch  Strumus  oder  Strychnus  ge- 
nannt, hat  schwarze  Beeren.    Die  Blätter  wendet  man  mit 
Essig   zerquetscht   gegen   die   Stiche   der  Scorpiouen   und 


•)  In  verschiedenen  Ausgaben  auch  Cuculus.  CuUculüs,  Cucubalus 
genannt.     Solanum  nigrum  L.? 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  407 

Schlangen  an.  Ein  Becher  voll  des  Beerensaftes  mit  zwei 
Bechern  Meth  heilt  die  Lendenschmerzen,  desgleichen  mit 
Rosenöl  aufgegossen  Kopfweh;  die  Pflanze  selbst  wird  auf 
den  Kropf  gelegt. 

45. 
Die  Conferva  findet  sich  besonders  in  den  in  den 
Alpen  entspringenden  Flüssen,  ist  eher  ein  Süsswasser- 
schwamm  als  ein  Moos  oder  Kraut,  dicht,  filzig  und  röhrig 
und  hat  ihren  Namen  vom  Zusammenlöthen  oder  Zusammen- 
leimen 1)  bekommen.  Ich  selbst  weiss,  dass  ein  Baumbe- 
schneider,  welcher  von  einem  hohen  Baum  herabgefallen 
war  und  fast  alle  Knochen  gebrochen  hatte,  dadurch  aufs 
schnellste  wieder  hergestellt  wurde,  dass  man  seinen  ganzen 
Körper  mit  Conferva  belegte,  dieselbe,  so  oft  sie  anfing  zu 
trocknen,  mit  Wasser  besprengte,  und  nur  selten,  wenn 
nämlich  ihre  Kraft  erloschen  war,  wieder  erneuerte. 

46. 
Das  Coccum  Gnidium^)  hat  die  Farbe  des  Coccus, 
ist  etwas  grösser  als  ein  Pfeiferkorn  und  besitzt  brennende 
Kräfte;  daher  wird  es  in  Brot  gesteckt  verschluckt,  damit 
es  in  der  Kehle  kein  Brennen  verursache.  Es  wirkt  der 
Cicuta  rasch  und  kräftig  entgegen. 

47. 
Der  Dipsacus^),  eine  stopfende  Pflanze,  hat  lattich- 
ähnliche auf  der  Mitte  des  Rückens  mit  stachligen  Höckerli 
versehene  Blätter,  einen  zwei  Ellen  hohen,  mit  ähnlichen 
Stacheln  reichlich  besetzten  Stengel,  an  jedem  Knoten  zWei 
entgegengesetzte,  denselben  umfassende  und  durch  ihre  Ver- 
einigung eine  Höhlung  bildende  Blätter,  in  welcher  sich 
ein  salziger  Thau  findet,  an  der  Spitze  des  Stengels  stach- 
lige Köpfe  und  wächst  auf  nassen  Plätzen.  Er  heilt  diö 
Risse  am  After,  die  Wurzel  aufch  die  Fisteln,  wenö  man 
sie  so  lange  in  Weiu   kocht,   bis  der  Absud  so  dick   wie 


')  a  conferruminando. 

-)  Die  Frucht  der  Daphne  (Jnidium  L. 

^)  Dipsacus  sylvestris  L. 


408  Siebenunclzwanzigstes  Buch. 

Wachs  geworden  ist,  um  das  Präparat  in  die  Fisteln  ein- 
schieben zu  können;  ferner  alle  Arten  Warzen.  Auf  letztere 
streicht  man  auch  den  in  den  oben  erwähnten  Höhlungen 
befindlichen  Saft. 

48. 

Die  Dryopteris^)  wächst  an  Bäumen,  gleicht  der 
Filix,  die  Blätter  haben  zarte  Einschnitte  und  schmecken 
süsslich  und  die  Wurzel  ist  rauh.  Sie  besitzt  kaustische 
Eigenschaften;  man  bedient  sich  daher  der  zerquetschten 
Wurzel  als  haarbeizenden  Mittels,  indem  man  sie  bis  zum 
Erscheinen  von  Schweiss  auflegt  und  diess  noch  zwei  oder 
drei  Mal  wiederholt  ohne  den  Schweiss  abzutrocknen. 

49. 

Eine  ähnliche  Pflanze  ist  das  Dryophonum;  es  hat 
dünne,  ellenlange  Stengel,  welche  allenthalben  mit  zoll- 
grossen,  der  Oxymyrsine  ähnlichen,  aber  helleren  und 
weicheren  Blättern  besetzt  sind,  und  weisse  Blumen  wie 
der  Sambucus.  Die  Stengel  isst  man  gekocht,  des  Samens 
bedient  man  sich  statt  Pfeffer? 

50. 

Die  Elatine^)  hat  kleine,  haarige,  runde  Blätter  wie 
die  Helxine,  fünf  bis  sechs  von  der  Wurzel  an  beblätterte, 
halbfusslange  Zweige,  wächst  in  Saatfeldern,  schmeckt 
herbe  und  dient  daher  für  Augenflüsse,  zu  welchem  Behufe 
man  die  Blätter  mit  Polenta  abreibt  und  in  einem  Leinen- 
tuch auflegt.  Wenn  man  die  Pflanze  mit  Leinsamen  kocht 
und  die  Brühe  davon  trinkt,  so  wird  man  von  der  Dysenterie 
befreit. 

5L 

Der  Empetrus^*),  bei  uns  Calcifraga  genannt,  wächst 
auf  Bergen  in  der  Nähe  des  Meeres,  und  beinahe  auf  nackten 
Steinen;  je  näher  er  dem  Meere  steht,  um  so  weniger  salzig 
schmeckt  er,  und  führt  dann  innerlich  angewandt  Galle  und 


*)  Asplenium  Adiantum  nigrum  L. 

2)  Linaria  graeca  Bory. 

^)  Friuikenia  pulverulenta  L. 


Siebenundzwauzigstes  Buch.  409 

Schleim  ab;  je  weiter  vom  Meere,  um  so  erdiger  ist  und 
um  so  bitterer  schmeckt  er.  Er  entzieht  auch  dem  Körper 
das  Wasser,  und  wird  entweder  in  einer  Suppe  oder  in 
Honigwasser  genommen,  verliert  aber  durchs  Alter  seine 
Kräfte.  Frisch  in  Wasser  gekocht  oder  zerrieben  wirkt  er 
harntreibend  und  zermalmt  die  Blasensteine.  Um  der 
letztern  Angabe  mehr  Glaubwürdigkeit  zu  geben,  fügt  man 
noch  hinzu,  Steine,  welche  damit  zusammen  erhitzt  würden, 
zersprängen. 

52. 
Die  Epip  actis  oder  Ellebor  ine  ist  eine  kleine  Pflanze 
mit  kleinen  Blättern,  und  wird  innerlich  gegen  Leberleiden 
und  Gifte  verordnet. 

53. 
Das  Epimedium  hat  einen  nicht  sehr  hohen  Stengel, 
zehn  bis  zwölf  epheuähnliche  Blätter,  niemals  Blüthen, 
eine  dünne,  schwarze  Wurzel,  einen  unangenehmen  Geruch, 
wächst  au  feuchten  Stellen,  wirkt  verdickend  und  kühlend, 
darf  aber  von  weiblichen  Personen  nicht  gebraucht  werden. 
Die  in  Wein  abgeriebenen  Blätter  verhindern  die  Ent- 
wicklung der  Brüste  bei  Jungfrauen. 

54. 
Das  Enneaphyllum  hat  neun  lange  Blätter  und  be- 
sitzt kaustische  Eigenschaften.  Man  legt  es  gegen  Schmerzen 
der  Lenden  und  Hüfte,  aber,  damit  es  nicht  zu  sehr  brenne, 
in  Wolle  eingewickelt  auf,  denn  es  zieht  fortwährend 
Blasen. 

55. 
Die  beiden  Arten  der  Filix  wachsen  allenthalben, 
namentlich  in  kalten  Gegenden  und  haben  weder  Blumen 
noch  Samen.  Die  eine  Art  i)  heisst  bei  den  Griechen 
Pteris,  bei  Andern:  Blechnos,  soll  das  Männchen  sein 
und  treibt  mehrere,  oft  über  zwei  Ellen  lange,  nicht  unan- 
genehm riechende  Stengel  aus  einer  Wurzel.  Die  andere 
Art 2)  wird  Thely pteris  oder  Pteris  nymphaea  genannt, 
ist  einfach,  nicht  staudig  wie  jene,  kleiner,  weicher  und 

')  Aspidium  Filix  iiias  L.     =*)  Pteris  aquilina  L. 


410  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

dichter,  und  die  Blätter  haben  in  der  Nähe  der  Wurzel 
Rinnen.  Beider  Wurzeln  machen  die  Schweine  fett,  beider 
Blätter  sind  an  den  Rändern  gefiedert  und  darauf  deuten 
die  griechischen  Namen.  Die  Wurzeln  stecken  schräg  in 
der  Erde,  sind  lang,  schwarz  besonders  nach  dem  Trocknen, 
und  müssen  an  der  Sonne  getrocknet  werden;  die  rechte 
Einsammlungszeit  ist  beim  Untergange  des  Siebengestirns, 
doch  sollen  sie  wenigstens  drei  Jahre  alt,  aber  auch  nicht 
älter  sein.  Sie  vertreiben  die  Eingeweidethiere,  die  Spuhl- 
wtirmer  mit  Honig,  die  übrigen,  wenn  man  drei  Tage  lang 
davon  in  süssem  Weine  einnimmt.  Beide  Arten  bekommen 
übrigens  dem  Magen  durchaus  nicht,  öffnen  den  Leib,  führen 
zuerst  die  Galle,  dann  das  Wasser  ab,  die  Spuhlwürmer 
noch  kräftiger  mit  gleichem  Gewicht  Scammonium.  Von  der 
Wurzel  giebt  man  zwei  Obolen  in  Wasser,  nachdem  Patient 
einen  Tag  zuvor  gefastet  hat,  doch  kann  er  auch  zur  Ab- 
wehr kalter  Flüsse  vorher  Honig  zu  sich  nehmen.  Frauen 
darf  die  Wurzel  beider  Arten  niemals  gegeben  werden, 
denn  schwangere  abortiren  danach  und  nicht  schwangere 
werden  unfruchtbar.  Das  Pulver  der  Wurzeln  streuet  man 
auf  stinkende  Geschwüre  und  auf  den  Nacken  des  Zug- 
viehs. Die  Blätter  tödten  die  Wanzen  und  halten  die 
Schlangen  ab,  daher  ist  es  zweckmässig,  sie  an  verdächtige 
Orte  zu  streuen.  Auch  der  beim  Brennen  der  Blätter  sich 
entwickelnde  Rauch  vertreibt  jene  Thiere.  Nach  Angabe 
der  Aerzte  hat  auch  diese  Pflanze  nicht  überall  gleiche 
Wirksamkeit;  die  beste  wächst  in  Macedonien,  dann  folgt 
die  cassiopische. 

56. 

Femur  bubulum^)  heisst  eine  Pflanze,  welche  frisch 
mit  Essig  und  Salz   zerrieben,  den  Nerven  gut  bekommt. 

57. 

Die  Galeopsis2),  Galeobdolon oder  Galium^)  gleicht 

')  Ochsenschenkel.    -)  Scrophularia  peregrina  L. 

3)  Jedenfalls  wirft  Plinius  hier  mehrere  Pflanzen  zusammen,  denn 
Cralium  (6.  verum)  hat  gelbe  Blumen  und  ist  überhaupt  von  der 
Galeopsis  sehr  verschieden. 


Siebenuiidzwanzigsites  Buch.  411 

in  Stengel  und  Blättern  der  Urtica,  nur  sind  beide  nicht 
so  rauh,  entwickelt  beim  Reiben  einen  unangenehmen  Ge- 
ruch, hat  purpurrothc  Blumen  und  wächst  überall  an 
Zäunen  und  Wegen.  Blätter  und  Stengel  heilen,  mit  Essig 
abgerieben,  und  aufgelegt,  Verhärtungen,  Krebsgesehwüre, 
Kröpfe,  vertheilen  Fettbeulen  und  Ohrengeschwüre.  Auch 
bedient  man  sieh  eine«  Absudes  desselben  zum  Bähen.  Zur 
Heilung  fauliger  und  brandiger  Schäden  setzt  man  noch 
Salz  hinzu. 

58. 

Die  Ghiux  '),  in  früheren  Zeiten  Eugalacton  genannt, 
hat  Blätter  wie  der  Cytisus  und  die  Lenticula,  welche  auf 
der  Rückseite  heller  sind,  fünf  bis  sechs  aus  der  Wurzel 
entspringende,  dünne,  auf  der  Erde  kriechende  Zweige,  pur- 
purrothe  Blumen  und  wächst  am  Meere.  Zur  Beförderung 
der  Milchsecretion  kocht  man  sie  mit  feinem  Weizenmehl 
zu  einer  Brühe,  lässt  davon  trinken  und  dann  ein  Bad 
nehmen. 

59. 

Das  Glaucium^)  wächst  in  Syrien  und  Parthieu,  ist 
liiedrig,  hat  dichte,  fast  mohnähnliche,  aber  kleinere, 
schmutzigere,  widrig  riechende,  bitter  und  zusammenziehend 
schmeckende  Blätter  und  safrangelbe  Körner.  Letztere  er- 
wärmt man  in  einem  irdenen,  mit  Lehm  verstrichenen  Topfe 
im  Ofen  und  jiresst  dann  einen  Saft  daraus,  der  denselben 
Namen  ')  führt.  Diesen  Saft  sowohl  wie  auch  die  zer- 
riebenen Blätter  legt  man  auf  Augengeschwtire,  welche  als- 
bald dadurch  geheilt  werden.  Der  Saft  dient  zu  einer 
Augensalbe  ^),  welche  die  Aerzte  Diaglaucium  nennen.  Die 
Pflanze  befördert  ferner  die  Milchsecretion  und  wird  zu 
diesem  Behuf  mit  Wasser  eingegeben. 

60. 

Die  Glycysis,  welche  Einige  Paeouia  oder  Pento - 


')  Cochlearia  Coronopus  L.    ■■*)  Chelidonium  Glaucium  L. 
3)  nämlich  Glaucium.    *)  collyrium. 


412  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

robum  nennen,  hat  einen  zwei  Ellen  hohen  Stengel,  neben 
welchem  noch  zwei  oder  drei  andere  hervorschiessen ,  eine 
röthliche  Farbe,  eine  dem  Lorbeer  ähnliche  Oberhaut, 
Blätter  wie  die  Isatis,  doch  fleischiger,  runder  und  kleiner, 
in  Schoten  sitzende,  bald  rothe  bald  schwarze  Samen.  Es 
giebt  zwei  Arten.  Für  die  weibliche  i)  hält  man  die,  an 
deren  Wurzeln  sechs  bis  acht  eichelähnliche  Knollen  hängen; 
die  männliche  2)  hat  mehr,  weil  sie  nicht  auf  einer  einzigen 
Wurzel  (welche  handlang  und  weiss  ist)  steht,  und  schmeckt 
zusammenziehend.  Die  Blätter  der  weiblichen  Art  riechen 
nach  Myrrhe  und  stehen  dichter.  Beide  wachsen  in  Wäldern. 
Man  soll  sie  des  Nachts  ausgraben,  denn  am  Tage  sei  es 
gefährlich,  weil  der  Schwarz-Specht  sonst  herbeiflöge  und 
nach  den  Augen  hacke;  ferner,  wenn  man  sie  ausgrabe, 
müsse  man  befürchten,  dass  der  Mastdarm  austrete.  Ich 
halte  aber  diese  Angaben  für  falsch  und  für  Ausgeburten 
der  Eitelkeit  und  Wichtigthuerei.  Die  Anwendung  dieser 
Pflanzen  ist  maunichfaltig.  Gegen  zu  starken  Monatsfluss 
verordnet  man  etwa  15  rothe  Samen  in  dunkelrothem  Wein, 
gegen  andere  Fehler  der  weiblichen  Geschlechtstheile  ebenso 
viele  schwarze  Samen  in  Kosinenwein  oder  gewöhnlichem 
Wein.  Die  Wurzel  vertreibt  in  Wein  genommen  alle 
Schmerzen  des  Leibes,  reinigt  den  Unterleib,  heilt  Opistho- 
tonie,  Gelbsucht,  Nieren-  und  Blasenkrankheiten;  in  Wein 
gekocht  die  Luftröhre  uud  den  Magen,  hemmt  den  Durch- 
fall, wird  auch  gegen  Gemüthskrankheiten  gegessen;  die 
Dosis  ist  vier  Drachmen.  Die  schwarzen  Samen  verschafi'en 
auch,  in  der  angegebenen  Zahl  mit  Wein  genommen,  Lin- 
derung wider  das  nächtliche  Alpdrücken;  bei  Verletzungen 
im  Magen  empfiehlt  man  sie  innerlich  und  äusserlich. 
Frische  Eiterwunden  werden  durch  den  schwarzen,  alte 
durch  den  rothen  Samen  zertheilt.  Beide  Arten  helfen 
gegen  Schlangenbiss  und  gegen  Steinbeschwerden  bei 
Knaben,  wenn  Harnstrenge  eintritt. 


'y  Paeonia  ot'ficinalis  L.    -)  Paeonia  corallina  Retz. 


Siebenundzwanzi^stes  Buch.  413 

61. 

Das  Gnaphalium  oder  Chamaezelum ')  hat  weisse, 
weiche  Blätter,  welche  statt  Stopfwerk  benutzt  werden  und 
dasselbe  auch  in  der  That  gut  vertreten.  Man  giebt  es  in 
herbem  Wein  gegen  Dysenterie,  Durchfall  und  zu  reich- 
lichen Monatsfluss,  ferner  als  Aufguss  gegen  Stuhlzwang  und 
legt  es  auf  faulige  Geschwüre. 

62. 

Gallidraga"^)  nennt  Xenocrates  eine  dem  Leucan- 
themum  ähnliche,  in  Sümpfen  wachsende,  stachlige  Pflanze 
mit  hohem  ruthenartigem  Stengel,  auf  dessen  oberster 
Spitze  eine  Art  Ei  sitzt,  worin  mit  der  Zeit  kleine  Würmer 
entstehen.  Diese  letztern  soll  man,  um  Zahnschmerzen 
schnell  zu  vertreiben,  nebst  Brot  in  eine  Büchse  gesteckt 
an  den  Arm  derjenigen  Seite,  wo  sich  der  leidende  Zahn 
befindet,  binden.  Doch  soll  das  Mittel  nur  ein  Jahr  lang 
helfen,  auch  nur  dann,  wenn  es  die  Erde  nicht  berührt  hat. 

63. 

Der  Hole  US  wächst  auf  trocknen  Felsen,  hat  einen 
dünnen  Halm  wie  die  Spätgerste  3) ,  auf  dessen  Spitze  die 
Aehren  stehen.  Bindet  man  ihn  um  den  Kopf  oder  Ober- 
arm, so  zieht  er  alle  Stacheln  aus  dem  Leibe,  daher  ihn 
auch  Einige  Stachelkraut ^)  nennen. 

64. 

Die  Hyoseris^)  ist  dem  Intubus  ähnlich,  aber  kleiner, 
fühlt  sich  rauher  an,  und  wird  im  zerstampften  Zustande 
mit  Nutzen  zur  Heilung  der  Wunden  angewandt. 

65. 

Das  Holosteum**)  ist  durchaus  nicht  hart  und  von 
den  Griechen  im  Widerspruch  mit  seiner  Beschaffenheit  so 
bezeichnet  worden,  gerade  so  als  wenn  man  die  Galle  süss 
nennen  wollte.    Es  ist  dünn  wie  ein  Haargewebe,  grasartig. 


')  Santolina  maritima  L.     -*)  Sparganium? 

3)  Hordeura  restibile.     '■)  Aristis. 

*)  Hyoseris  lucida  I.      '•'  Hnlosteum  umbellatum  L. 


4:14  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

vier  Finger  hoch,  hat  schmale  Blätter,  schmeckt  adstringireiid, 
wächst  auf  Erdhügeln,  wird  in  Weiu  gegen  Verrenkungen 
und  Zerreissungen  eingenommen,  schliesst  auch  Wunden 
und  vereinigt  Fleischtheile  miteinander. 

Das  Hippophaestum  1)  entsteht  zwischen  Stacheln, 
welche  zu  den  ehernen  Walkergeräthen  benutzt  werden,  hat 
keinen  Stiel,  keine  Blumen,  sondern  nur  leere  Köpfe,  zahl- 
reiche, kleine  grüne  Blätter,  weisse  weiche  Wurzeln.  Man 
presst  die  Wurzeln  im  Sommer  aus  und  benutzt  den  Saft  zu 
drei  Obolen  zum  Abführen,  noch  mehr  aber  gegen  Epilepsie, 
Zittern,  Wassersucht,  Schwindel,  Engbrüstigkeit  und  in  den 
ersten  Stadien  von  Lähmung. 

67. 
Die  Hypoglossa^)  hat  der  wilden  Myrte  ähnliche, 
concave,  stachlige,  mit  einem  zuugenartigen,  gleichsam  ein 
neues  kleines  Blatt  bildenden  Fortsatze  versehene  Blätter. 
Einen  davon  gemachten  Kranz  setzt  man  gegen  Kopf- 
weh auf. 

68. 
Das   Hypecoumä)   wächst    zwischen    der   Saat,    hat 
rautenähnliche  Blätter  und  kommt  in  seinen  Eigenschaften 
mit  dem  Mohnsafte  überein. 

69. 
Die  Idaea  hat  Blätter  wie  die  Oxymyrsine;  an  ihnen 
hängen  rankenartige  Orgaue,  an  denen  sich  die  Blüthe  be- 
findet. Die  Pflanze  verdickt  und  hemmt,  wird  daher  gegen 
Durchfall,  zu  reichliche  Menstruation  und  audere  Biutflüsse 
angewandt. 

70. 
Das  Isopyrum^)  nennen  Einige  Phaseolus,  weil  das 
Blatt,  welches  dem  Anis  gleicht,  sich  rankenartig  drehet; 


')  Centaurea  spinosa  L. 

2)  Ruscus  Hypoglossum  L.  ^)  Hypecoum  procumbens  L. 

*)  Fumaria  capreolata  f/. 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  415 

oben  auf  dem  Stengel  stehen  dünne  Köpfchen  mit  vielen, 
dem  Melanthium  ähnlichen  Samen.  Man  gebraucht  es  gegen 
Husten,  Brustbeschwerden  mit  Honig  oder  Honigwasser, 
auch  gegen  Leberleiden. 

71. 

Die  Lathyris')  hat  zahlreiche  lattichähnliche,  doch 
kleinere  Blätter,  zahlreiche  Sprossen,  an  welchen  der  Same 
in  häutigen  Hüllen  enthalten  ist  wie  bei  der  Capparis;  der 
Same  wird  aus  den  vertrockneten  Hüllen  genommen,  hat 
die  Grösse  eines  Pfefferkorns,  weissliche  Farbe,  süssen 
Geschmack  und  lässt  sich  leicht  reinigen.  Zwanzig  Stück 
davon  in  reinem  oder  Honigwasser  genommen  heilen  die 
Wassersucht.  Auch  führt  er  die  Galle  ab.  Wer  stark  ab- 
führen will,  nimmt  ihn  mit  der  Hülle  ein,  denn  allein 
schadet  er  dem  Magen,  und  aus  letzterm  Grunde  hat  man 
auch  vorgeschlagen,  ihn  mit  Fischen  oder  Hühnerbrühe  ein- 
zunehmen. 

72. 

Das  Leontopetalum  oder  Rhapeion^)  hat  einen  halb- 
fusshohen,  geflügelten  Stengel,  kohlähnliche  Blätter,  an  der 
Spitze  cicerähnliche  Samen  in  Schoten,  eine  grosse,  schwarze, 
rübenähnliche  Wurzel  und  wächst  auf  Aeckern.  Die  Wurzel 
in  Wein  genommen  ist  das  am  schnellsten  wirkende  Hülfs- 
mittel  gegen  die  Bisse  aller  Arten  Schlangen,  wird  auch 
gegen  Hüftweh  verordnet, 

73. 

Der  Lycapsus^)  hat  längere  und  dickere  Blätter  als 
der  Lattich,  einen  langen,  rauhen,  mit  ellenlangen  Zweigen 
versehenen  Stengel,  kleine,  purpurrothe  Blumen  und  wächst 
auf  Feldern.  Man  legt  ihn  mit  Gerstenmehl  gegen  die  Rose 
auf;  bei  Fiebern  giebt  man  den  Saft  mit  Zusatz  von  warmem 
Wasser  als  schweisstreibendes  Mittel. 

74. 

Eins  der  merkwürdigsten  Kräuter  ist  das  Lithosper- 

')  Euphorbia  Lath^iis  L. 
')  Roemeria  hybrida  Dec. 
')  Echium  italicum  L. 


416  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

raum  ^),  auch  Exonychum,  Diospyrus  oder  Heracleum 
genannt.  Es  erreicht  eine  Höhe  von  fünf  Zoll,  die  Blätter 
sind  noch  einmal  so  gross  als  die  der  Raute,  die  Aeste 
reisig,  von  der  Dicke  der  Binse,  bei  jedem  Blatte  steht 
eine  Art  Bart  und  auf  der  Spitze  des  letztern  sitzen  kleine 
steinharte  Körper  von  der  Weisse  und  Runde  der  Perlen 
und  von  der  Grösse  einer  Kichererbse,  welche  da,  wo  sie 
an  den  Stielchen  hängen,  etwas  ausgehöhlt  sind  und  einen 
Samen  einschliessen.  Es  wächst  auch  in  Italien,  am  besten 
ist  aber  das  cretische.  In  der  ganzen  Pflanzenwelt  ist  mir 
kein  grösseres  Wunder  vorgekommen  als  diese  Pflanze. 
Man  glaubt  zwischen  den  Blättern  weisse  von  Ktinstlerhand 
gefertigte  Perlen  zu  sehen  und  nun  erwäge  man  die 
Schwierigkeit,  dass  aus  einer  Pflanze  ein  Stein  hervorgehe. 
Einige  Autoren  geben  an,  sie  liege  und  krieche  auf  der 
Erde  hin;  ich  habe  sie  aber  selbst  gesammelt  und  nicht 
liegen  sehen.  Eine  Drachme  dieser  Steincheu  giebt  man 
mit  Erfolg  in  Wein  zum  Zermalmen  und  Abtreiben  der 
ßlasensteine  und  gegen  Harnstrenge.  Kein  anderes  Kraut 
zeigt  in  dem  Grade  schon  durch  sein  Aeusseres  an,  zu 
welchem  medicinischen  Zwecke  es  da  ist,  als  dieses;  auch 
lässt  es    sich    ohne  nähere  Beschreibung   leicht   erkennen. 

75. 
Auf  den  gemeinen,  an  Flüssen  liegenden  Steinen  findet 
man  ein  trocknes,  graues  Moos.  Dieses  wird  unter  Zusatz 
von  menschlichem  Speichel  mit  einem  andern  Steine  zer- 
rieben; mit  jenem  Steine  berührt  man  Krätzschädeu  und 
der  diess  thut,  spricht  dabei  die  Worte:  „Fliehet  Käfer, 
der  wilde  Wolf  verfolgt  euch." 

76. 

Limeum  nennen  die  Gallier  ein  Kraut,  womit  sie  die 

zur  Jagd  bestimmten  Pfeile  vergiften,  weshalb  sie  es  auch 

Hirschgift  nennen.    Hiervon  setzt  man  soviel  als  zu  einem 

Pfeile  genommen  wird,  zu  drei  Modius  Trank  2),  und  giesst 


')  Lithosperraum  tenuiflorum   und  oföcinale  L.     '■')  salivatum. 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  417 

diese  Mischung  krauken  Ochsen  in  den  Schlund.  Man  muss 
aber  die  Thiere  sodann  au  die  Krippen  fest  binden,  bis  sie 
Oeffuung  bekommen  haben  (denn  sie  gerathen  gewöhnlich 
dadurch  in  Wuth),  und  wenn  Schweiss  eintritt,  sie  mit 
kaltem  Wasser  übergiessen. 

77. 

Die  Leuce  ')  gleicht  der  Mercurialis  und  verdankt  ihren 
Namen  dem  Umstände,  dass  mitten  durch  das  Blatt  eiu 
weisser  Streifen  läuft;  aus  demselben  Grunde  heisst  sie 
auch  Mesoleuce.  Ihr  Saft  heilt  Fisteln,  sie  selbst  im 
zerquetschten  Zustande  Krebsschäden.  Vielleicht  ist  sie 
dieselbe  Pflanze,  welche  Leucas  genannt  und  gegen  alle 
Gifte  des  Meeres  mit  Erfolg  augewandt  wird.  Die  Schrift- 
steller beschreiben  sie  nicht  näher,  sondern  sagen  nur,  die 
wilde  Art  habe  wirksamere  Blätter,  die  andere  eineu 
scharfem  Samen. 

78. 

Die  Leucographis  finde  ich  uirgeuds  uäher  be- 
schrieben, was  mich  um  so  mehr  wundert,  weil  man  sie 
zu  drei  Obolen  mit  Safran  gegen  Blutspeieu  und  Vei- 
stopfung,  mit  Wasser  zerquetscht  und  aufgelegt  gegen 
weibliche  Blutflüsse  rühmt,  auch  zu  Augenmitteln  und  zur 
Ausfüllung  der  an  den  zartern  Theilen  des  Körpers  ent- 
stehenden Geschwüre  angewandt  wissen   will. 

79. 

Das  Medium  2)  hat  Blätter  wie  die  Garteniris,  einen 
drei  Fuss  hohen  Stengel,  auf  diesem  eine  grosse,  rothe 
runde  Blume,  kleine  Samen,  eine  halbfusslange  Wurzel  und 
wächst  auf  schattigen  Felsen.  Zwei  Drachmen  der  Wurzel 
giebt  man  in  einer  Latwerge  mit  Honig  einige  Tage  hin- 
durch gegen  zu  reichlichen  Monatsfluss;  zu  demselben 
Zwecke  dient  der  mit  Wein  abgeriebene  Same. 

80. 

Die  Myosota  oder  Myosotis^)   ist  glatt,   treibt   aus 


')  Lamium  striatum  L.? 
-)  Convolvulus  althaeoides. 
^)  Asperugo  procuinbens  L. 

Wittsteiu:  PliniuB.     IV.  Bd.  27 


41^5  Siebeminclzwanzigstes  Buch. 

einer  Wurzel  mehrere,  röthliche,  concave  Stengel,  welche 
von  unten  an  mit  schmalen,  länglichen,  auf  dem  Rücken 
scliarfen,  dunkeln,  stufenweise  immer  zu  zwei  stehenden 
Blättern  besetzt  sind,  aus  deren  Achseln  dünne  Stiele  mit 
blauen  Blumen  hervorgehen;  die  Wurzel  hat  die  Dicke 
eines  Fingers  und  zahlreiche  Fasern.  Sie  besitzt  beizende 
urid  Geschwüre  zeitigende  Kräfte,  heilt  daher  auch  die 
Thränenfisteln.  Die  Aegy])ter  geben  an,  wenn  man  sich  am 
2^.  Tage  ihres  Monats  Thotis  (der  ohngefähr  in  unsern 
Monat  August  fällt),  und  zwar  früh  Morgens  ehe  man  ein 
Wort  gesprochen  habe,  mit  dem  Safte  dieser  Pflanze  ein- 
reibe, so  litte  man  in  demselben  Jahre  nicht  an  triefenden 
Augen. 

81. 
Myagrusi)  ist  eine  gertenartige,  drei  Fuss  hohe  Pflanze 
mit  Blättern,  welche  denen  der  Rubia  ähnlich  sind.     Der 
daraus   gepresste   Saft    heilt  Mundgeschwüre.     Der   Same 
enthält  viel  fettes  Oel  und  wird  auch  darauf  benutzt. 

82. 
Die   Pflanze  Nyma^)   mit   Blättern   wie   der  Jntubus 
verleihet  den  Narben  ihre  natürliche  Farbe  wieder, 

83. 
Die  Natrix  hat  eine  Wurzel,  welche  im  frischen  Zu- 
stande wie  ein  Bock  stinkt.  Hiemit  treibt  man  im  Pice- 
nischen  die  sogenannten  Gespenster  s)  aus  den  Weibern; 
ich  glaube  eher,  dass  diese  Gespenster  eine  gewisse  Klasse 
wahnsinniger  Menschen  sind,  denen  durch  eine  solche  Kur 
geholfen  werden  könnte. 

84. 
Die  Odontites'*)  gehört  zu  den  Heuarten,  wächst  auf 
Wiesen,   schickt  aus   der  Wurzel   mehrere,   knotige,   drei- 
kantige,  schwarze  Stengel;   an   den  Knoten  sitzen   kleine 


*)  Neslia  paniculata  Desv. 

2)  Andere  Schreibarten  sind:  Njgina,  Nygma,  Nyga,  Nuga. 

3)  Fatui.     ")  Euphrasia  Odontites  L.? 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  4n* 

Blätter,  welche  jedoeli  länger  als  die  des  Polygonum  sind; 
die  Blumen  sind  purpurroth,  klein,  die  Samen  stecken  in 
den  Achseln  und  gleichen  der  Gerste.  Gegen  Zahnweh 
bereitet  man  aus  einer  Handvoll  Stengel  mit  herbem  Wein 
einen  Absud  und  hält  denselben  eine  Zeit  lang  im  Munde. 

85. 

Die  Othonna  wächst  in  Syrien,  gleicht  der  Eruca,  die 
Blätter  sind  häufig  durchlöchert,  die  Blüthen  safranähnlich 
und  daher  nennen  Einige  dieselbe  Anemone.  Ihr  Saft 
wird  zweckmässig  zu  Augenmitteln  gesetzt,  denn  er  beizt 
gelinde,  erwärmt,  zieht  zusammen  und  trocknet;  er  reinigt 
die  Narben,  Flecken  u.  s.  w.  Man  trocknet  ihn  auch  und 
formt  ihn  in  Kügelchen. 

86. 

Die  Onosmal)  hat  drei  Finger  lange,  wie  bei  der 
Anchusa  eingeschnittene,  auf  der  Erde  liegende  Blätter, 
weder  Stengel,  Blume  noch  Samen.  Wenn  eine  Schwangere 
davon  geniesst  oder  auch  nur  darüber  geht,  soll  sie  vor 
der  Zeit  niederkommen. 

87. 

Der  Geuuss  des  Onopordon'^)  soll  bei  Eseln  lautes 
Furzen  bewirken.  Es  treibt  auch  den  Harn,  Monatsfluss, 
stopft  die  Diarrhoe,  zertheilt  Eiterungen  und  Geschwulste. 

88. 

Die  Osyris^)  hat  dunkle,  dünne,  zähe  Stengel,  dunkle 
leinähuliche  Blätter,  anfangs  schwarze,  dann  roth  werdende 
Samen.  Man  bereitet  daraus  ein  Waschmittel  für  Frauen. 
Ein  Absud  der  Wurzel  wird  gegen  Gelbsucht  verordnet. 
Die  Wurzel  selbst,  vor  der  Samenreife  gesammelt,  zer- 
schnitten und  an  der  Sonne  getrocknet,  wirkt  gegen  Durch- 
fall; nach  der  Samenreife  gesammelt  und  in  einer  Suppe 
gekocht  oder  auch  für  sich  mit  Wasser  zerrieben,  heilt  sie 
die  Bauchflüsse. 


')  Onosma  echioides  L. 
^)  Onopordon  a.canthiuni  L. 
3)  Osyris  alba  L. 

2P 


420  Siebenundzwanzigstes  Buch, 

89. 
Die    Oxys  ')    hat   dreizählige   Blätter,    wird    bei   ver- 
dorbenem Magen  und  DarmbrucU  verordnet. 

90. 
Das  Polyanthemum   oder  Batracbium  bringt    ver- 
möge  seiner    kaustiscben    Eigeuscbaften    die    Karben    zum 
Ausscb wären,  giebt  ihnen  ihre  Farbe  wieder  und  zieht  die 
Leberflecken  zusammen. 

91. 
Was  die  Griechen  Polygonum  nennen,  heisst  bei  uns 
Sanguinaria;  es  erhebt  sich  nicht  von  der  Erde,  hat 
rautenähnliche  Blätter  und  grasartige  Samen.  Sein  Saft 
stillt,  in  die  Nasenlöcher  gezogen,  das  Blut,  und  mit  Wein 
getrunken  jeden  Blutfluss  und  das  Bliitspeien.  Diejenigen, 
welche  mehrere  Arten  des  Polygonum  unterscheiden,  nennen 
die  ebenerwähnte  Art  2)  das  Männchen  und  wegen  der  vielen 
Samen  oder  des  dichten  Wuchses  Calligonum;  Andere 
wegen  der  vielen  Knoten  Polygonatum,  noch  Andere 
Teuthalis,  Carcinethrum,  Giema,  Myrtopetalurn. 
Wieder  andere  sagen,  diess  sei  das  Weibchen,  das  Männchen 
sei  nämlich  grösser,  nicht  so  dunkelfarbig,  dicker  au  den 
Knoten,  und  neben  allen  Blättern  ständen  Samen.  Dem 
sei  wie  ihm  wolle,  so  haben  sie  doch  beide  die  Eigen- 
schaft zu  verdicken  und  zu  kühlen.  Die  Samen  machen 
Oeffnung,  in  grösserer  Dosis  wirken  sie  harntreibend  und 
halten  die  kalten  Flüsse  zurück;  waren  dagegen  letztere 
nicht  da,  so  nützen  die  Samen  auch  nichts.  Die  Blätter 
legt  man  gegen  Brennen  im  Magen,  Schmerzen  in  der  Blase 
und  gegen  die  Rose  auf.  Der  Saft  wird  in  eiternde  Ohren 
getröpfelt,  auch  gegen  Schmerzen  in  den  Augen  applicirt. 
Bei  Fieber,  besonders  dem  drei-  und  viertägigen,  giebt  mau 
vor  dem  Anfalle  zwei  Becher  voll,  desgleichen  bei  Gallen- 
sucht, Dysenterie  und  verdorbenem  Magen.  —  Die  dritte 


')  Oxalis  Acetosella  L. 

^)  Polygonum  aviculare  L. 


Siebeiiundzwanzigstes  Buch.  421 

Alt  beisst  Oreum'),  wächst  auf  Beigen,  gleicht  einem 
zarten  Rohre,  hat  einen  knieartig  gebogenen  Stengel,  fichten- 
ähnliche Blätter,  eine  unwirksame  Wurzel,  ist  überhaupt 
weniger  kräftig  als  die  vorigen  Arten  und  findet  nur  be- 
sondere Anwendung  bei  Hüftweh.  Die  vierte  Art  heisst 
die  wilde,  erreicht  fast  die  Höhe  eines  Baumes,  hat  eine 
holzige  Wurzel,  einen  cederähnlichen  vüthlichen  Stamm, 
Zweige  wie  das  Spartum  von  2  Handlängen  und  mit  drei 
bis  vier  Gelenkknoten  versehen.  Sie  schmeckt  wie  Quitten 
und  verdickt  gleichfalls.  Man  kocht  sie  mit  Wasser  zum 
dritten  Theile  ein  und  macht  daraus  Umschläge  auf  Mund- 
gescliwüre  und  gescheuerte  Theile,  oder  man  streuet  zu 
diesem  Behufe  das  feine  Pulver  auf.  Um  krankes  Zahn- 
fleisch zu  heilen,  bedient  man  sich  derselben  zum  Kauen. 
Sie  hindert  die  weitere  Ausbreitung  krebsartiger  und  aller 
übrigen  schleichenden  Gebrechen,  befördert  auch  die  Ver- 
narbungen, heilt  aber  ganz  besonders  durch  Schnee  und 
Kälte  entstandene  Geschwüre.  Die  Kräuterkenner  bereiten 
daraus  ein  Mittel  gegen  Bräune,  setzen  bei  Kopfweh  einen 
daraus  verfertigten  Kranz  auf  und  umwickeln  bei  Augen- 
flüssen den  Hals  damit.  Gegen  dreitägiges  Fieber,  sowie 
gegen  Blutflüsse  soll  man  diese  Art  Polygonum  mit  der 
linken  Hand  aus  der  Erde  ziehen  und  sich  anbinden. 
Endlich  giebt  es  keine  Pflanze,  die  man  im  getrockneten 
Zustande  häufiger  aufbewahrt  als  das  Polygonum. 

92. 
Das  Pancratium"-)  oder,  wie  Einige  es  nennen,  die 
kleine  Scilla,  hat  weisse,  lilienähnliche,  aber  längere  und 
dickere  Blätter  und  eine  grosse  röthliche  zwiebelige  Wurzel. 
Sein  Saft  macht  Oeffnung,  reinigt  mit  Zusatz  von  Erbsen- 
mehl die  Geschwüre,  und  heilt  mit  Honig  genommen  Wasser- 
süchtige und  Milzkranke.  Man  kocht  auch  die  Wurzel  so 
lange  in  Wasser,  als  dieses  süss  schmeckt,  giesst  es  sodann 
ab,  zerstampft  die  Wurzel ,  formt  Kügelchen  daraus,  trocknet 

*)  Diess  ist  Equisetum  pallidum  Bory. 
2)  Pancratium  maritimum  L. 


422  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

dieselben  an  der  Sonne  und  verordnet  sie  bei  Kopfge- 
schwüren und  in  sonstigen  Fällen,  wo  Reinigung  indicirt 
ist,  ferner  so  viel  als  man  mit  drei  Fingern  fassen  kann 
in  Wein  gegen  Husten,  in  einer  Latwerge  gegen  Seiten- 
schmerzen und  Lungensucht,  in  Wein  auch  gegen  Hüftweh, 
Bauchgrimmen  und  zur  Beförderung  der  Menstruation. 

93. 

Die  Peplis,!)  aucli  Syce,  Meconium  oder  Meco- 
nium  aphrodes  genannt,  schiesst  aus  einer  dünnen  Wurzel 
hervor,  hat  rautenähnliche  aber  etwas  breitere  Blätter, 
unter  denen  sich  runde  Samen,  kleiner  als  der  des  weissen 
Mohns  befinden,  wächst  zwischen  Weinstöcken,  wird  etwa 
zur  Zeit  der  Ernte  gesammelt  und  sammt  der  Frucht  ge- 
trocknet, wobei  man,  um  die  herausfallenden  Samen  nicht 
zu  verlieren,  ein  Tuch  oder  Gefäss  darunter  anbringt. 
Diese  Pflanze  macht  Oeffnung,  führt  Galle  und  Schleim  ab; 
gewöhnlich  wird  zu  diesem  Zwecke  ein  Acetabulum  voll  in 
drei  Heminis  Honigwasser  genommen.  Auch  setzt  man  sie 
dem  Gemüse  und  andern  Speisen  zu,  um  offnen  Leib  zu 
bekommen. 

94. 

Der  Periclymenus2)  ist  eine  Art  Strauch,  die  Blätter 
stehen  in  Zwischenräumen  je  zu  zweien,  sind  weisslich  und 
weich,  oben  zwischen  denselben  finden  sich  harte,  schwer 
abzunehmende  Samen;  die  Pflanze  wächst  auf  Aeckern  und 
an  Zäunen  und  wickelt  sich  um  alle  in  der  Nähe  befind- 
liche Stützpunkte.  Der  im  Schatten  getrocknete  Same  wird 
zerstampft,  in  Kügelchen  geformt  und  in  drei  Bechern 
Wein  dreissig  Tage  lang  für  die  Milz  gegeben,  welche 
durch  diese  Behandlung  mit  blutigem  Harne  oder  auch 
durch  den  After  abgeht,  was  man  schon  am  zehnten  Tage 
der  Kur  bemerken  kann.  Die  gekochten  Blätter  wirken 
harntreibend  und  gegen  Engbrüstigkeit,  befördern  die  Ent- 
bindung und  führen  die  Nachgeburt  ab. 


')  Euphorbia  retusa  und  E.  Peplis  L. 

-)  Lonicera  etrusca  und  ähnliche  windende  Arten  (L.  Caprifolium, 
L.  Fericlymenum). 


Siebenundzwanzigstes  Buch,  423 

95. 

Das  Pelecinum^)  wächst,  wie  ich  schon  angegeben 
habe,  in  Saatfeldern,  hat  viele  Zweige,  Blätter  wie  der 
Cicer  und  in  hornförmig  gekrümmten  Schoten  drei  bis  vier 
dem  Gith  ähnliche  Samen,  welche  bitter  schmecken,  für 
den  Magen  gut  sind  und  den  Gegengiften  zugesetzt  werden. 

96. 

Die  Polygala'^)  wird  handhoch,  hat  oben  am  Stengel 
biusenähnliche  Blätter,  schmeckt  zusammenziehend  und  wird 
zur  Beförderung  der  Milchsecretion  eingenommen. 

97. 

Das  Poterium,3)  Phrynium  oder  Neuras  breitet 
sich  strauchig  aus,  hat  rückwärts  gebogene  Stacheln,  dichte 
Wolle,  kleine  runde  Blätter,  lange,  weiche,  dünne  zähe 
Zweige,  lange  grünliche  Blütheu,  wohlriechende,  scharf 
schmeckende,  aber  unbrauchbare  Samen,  zwei  bis  drei  zwei 
Ellen  lange,  kräftige,  feste,  weisse  Wurzeln,  und  wächst 
auf  feu  chten  Hügeln.  Man  umgräbt  die  Wurzel  im  Herbste, 
schneidet  den  Stengel  ab,  und  erhält  nun  aus  jener  einen 
gummiähnlichen  Saft.  Die  Angaben  über  die  Heilkraft  dieser 
Wurzel  bei  Wunden  und  namentlich  bei  durchschnittenen 
Sehnen  gehen  ins  Wunderbare.  Auch  ein  Absud  mit  Honig 
genommen  zeigt  sich  wirksam  bei  Abspannung,  Schwäche 
und  Einschnitten  der  Sehnen. 

98. 

Die  Phalangites,^)  Phalangium,  Leucanthemum 
oder  (wie  ich  in  einigen  Abschriften  finde)  Leucacantha, 
hat  mindestens  zwei  einander  entgegenstehende  Zweige, 
weisse,  der  rothen  Lilie  ähnliche  Blumen ,  schwarze,  breite, 
wie  eine  halbe  Linse  geformte,  aber  weit  dünnere  Samen, 
und  eine  dünne  grüne  Wurzel.  Blätter,  Blumen  und  Samen 
sind  Mittel  gegen  Scorpione,  Spinnen,  Schlangen,  auch 
gegen  Bauchgrimmen. 

1)  =  Securidaca:  Coronilla  securidaca  L. 
■^)  Polygala  venulosa  Sibth. 
3)  Astragalus  Poterium  Fall. 
Lloydia  graeca  Salisb. 


424  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

99. 

Eine  nähere  Beschreibung  des  Phyteuma^)  halte  ich 
für  überflüssig,  da  es  nur  zu  Liebestränken  angewandt  wird. 

100. 

Phyllum^)  nennen  die  Griechen  ein  auf  steinigen 
Bergen  wachsendes  Kraut,  dessen  weibliche  Art  eine  grünere 
Farbe,  dünnen  Stengel,  kleine  Wurzel  und  runden  mohn- 
ähnlichen Samen  hat.  Der  Gebrauch  desselben  verhilft  zur 
Geburt  von  Mädchen,  der  der  männlichen  Art,  welche  sich 
nur  durch  den  einer  ansetzenden  Olive  ähnlichen  Samen 
unterscheidet,  zu  Knaben.     Beide  nimmt  man  in  Wein. 

101. 

Das  Phellandrium^)  wächst  in  Sümpfen  und  hat 
Blätter  wie  das  Apium.  Sein  Same  wird  innerlich  gegen 
Stein-  und  andere  Blasenbeschwerden  verordnet. 

102. 

Die  Phalaris^)  hat  einen  langen,  dünnen,  rohrartigen 
Stengel,  an  dessen  Spitze  eine  herabgebogene  Blume  und 
einen  dem  Sesam  ähnlichen  Samen,  welcher  gleichfalls  den 
Blasenstein  zermalmt  und  sonstige  Blasenübel  hebt,  wenn 
man  ihn  mit  Honig,  Milch  und  Wein  oder  Essig  einnimmt. 

103. 

Das  Polyrrhizum  hat  myrtenartige  Blätter  und  zahl- 
reiche Wurzeln,  welche  zerstossen  mit  Wein  gegen  Schlangen 
eingegeben  werden,  auch  den  vierfüssigen  Thieren  heil- 
sam sind. 

104. 

Die  Proserpinaca  ist  eine  gemeine  Pflanze,  leistet 
aber  gegen  Scorpione  ausserordentliche  Dienste.  Ferner 
soll  sie  im  zerriebenen  Zustande,  mit  Salzwasser  und  Oel 
von  den  Maenen  ^)  versetzt,  die  Bräune  sicher  heilen,  und 
unter  die  Zunge  gelegt,  die  vor  Mattigkeit  ganz  Erschlafften 


')  Reseda  Phyteuma  L.     -)  Mercurialis  perennis  L.? 

^)  Phellandrium  aquatiuni  L. 

")  Phalaris  nodosa  L. 

^)  Eine  Art  kleine  Seefische. 


Siebenundzwanzigstes  Buch.  425 

wieder  aufrichten  imd  ihnen  die  Sprache  wieder  verleihen. 
Verschluckt  man  etwas  davon,  so  erfolgt  wohlthätiges  Er- 
brechen. 

105. 
Die  Rhacoma  oder  Rheucyma')  wird  aus  den  jen- 
seits des  Pontus  liegenden  Ländern  zu  uns  gebracht.  Ihre 
Wurzel  sieht  dem  schwarzen  Costus  ähnlich,  ist  jedoch 
kleiner,  mehr  röthlich,  geruchlos,  schmeckt  erwärmend  und 
adstringirend,  und  hat  im  zerriebenen  Zustande  eine  wein- 
ähnliche, ins  Safrangelbe  neigende  Farbe.  Aufgelegt  heilt 
sie  Saftansammlungen,  Entzündungen,  Wunden,  mit  Rosinen- 
wein Augenflüsse,  mit  Honig  Leberflecken  und  mit  Essig 
andere  Flecken.  Das  Pulver  der  Wurzel  streuet  man  auf 
unheilbare  Geschwüre,  verordnet  es  innerlich  zu  einer 
Drachme  mit  Wasser  gegen  Blutspeien,  mit  Wein  gegen 
Dysenterie  und  Darmgicht  wenn  kein  Fieber  zugegen  ist, 
sonst  ebenfalls  mit  Wasser.  Sie  lässt  sich  leichter  zer- 
reiben, wenn  sie  zuvor  eine  Nacht  hindurch  eingeweicht 
ist.  Einen  Absud  davon  giebt  man  in  doppelt  so  starker 
Dosis  bei  Brüchen,  Verrenkungen,  Contusionen  und  Denen, 
welche  von  einer  Höhe  herabgestürzt  sind.  Gegen  Brust- 
schmerzen setzt  man  ihr  etwas  Pfeffer  und  Myrrhe  hinzu; 
gegen  verdorbenen  Magen,  anhaltenden  Husten,  Auswurf 
von  Eiter,  Leber-,  Milz-,  Hüft-  und  Nierenleiden,  schweres 
Athmen  und  Engbrüstigkeit  giebt  man  sie  mit  Wasser,  Zu 
drei  Obolen  mit  Rosinen  wein,  oder  auch  als  Absud  ge- 
nommen heilt  sie  die  Rauhigkeit  der  Luftröhre.  Auf  Flechten 
legt  mau  sie  mit  Essig.  Endlich  giebt  man  sie  noch  inner- 
lieh gegen  Blähungen,  Erkältungen,  kalte  Fieber,  Schlucken, 
Bauchgrimmen,  rauhen  Hals,  Kopfweh,  schwermüthigen 
Schwindel,  aus  Mattigkeit  hervorgegangene  Schmerzen  und 
Convulsionen. 

106. 
Bei  Ariminum    findet   sich    die  sogenannte  Reseda,-) 


')  Rheum  rhaponticum  L.    ^)  Reseda  odorata  L.'? 


4:26  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

welche  alle  Geschwulste  und  Entzündungen  vertheilt;  wer 
diese  Kur  unternimmt,  spricht  dabei  die  Worte:  „Reseda 
stille  die  Krankheiten;  weisst  du  nicht,  weisst  du  nicht, 
wer  diese  Sprösslinge  getrieben  hat?  sie  sollen  weder  Kopf 
noch  Füsse  haben."  Diese  Formel  wird  dreimal  wiederholt 
und  dabei  ebenso  oft  ausgespuckt. 

107. 
Die  Stoechas^)  wächst  bloss  auf  den  gleichnamigen 
Inseln,    ähnelt   dem   Hyssop,    riecht    angenehm,    schmeckt 
bitter,  befördert  den  Mouatsfluss,  lindert  die  Schmerzen  auf 
der  Brust  und  wird  auch  den  Gegengiften  zugesetzt. 

108. 
Das   Solanum  heisst,  wie   Cornelius    Celsus  angiebt, 
bei  den  Griechen  Strychnos.  2)  Es  besitzt  niederschlagende 
und  kühlende  Eigenschaften. 

109. 
Das  Smyrnium^)  hat  einen  dem  Apium  ähnlichen 
Stengel,  aber  breitere,  fette,  namentlich  an  den  Achseln 
der  vielen  Zweige  stehende,  zur  Erde  geneigte,  ins  Gelb- 
liche spielende,  stark  und  angenehm  arzneiartig  riechende 
Blätter,  runde  Blüthenköpfe  wie  das  Anethum,  runde, 
schwarze,  zu  Anfang  des  Sommers  reifende  Samen,  eine 
aussen  schwarze,  innen  blasse,  wohlriechende,  scharf 
schmeckende,  weiche,  saftige  Wurzel  und  findet  sich  auf 
felsigen  und  Erd-Hügeln.  Der  Geruch  dieser  Pflanze  er- 
innert an  Myrrhe  und  ist  der  Grund  ihres  Namens.  Sie 
wird  als  erwärmendes  Mittel  angewandt.  Blätter  und  Wurzel 
befördern  das  Harnen  und  die  Menstruation;  der  Same 
hemmt  den  Durchfall.  Die  Wurzel  legt  man  zum  Zertheilen 
von  Geschwulsten,  nicht  zu  alten  Schwären  und  Verhär- 
tungen auf.  Mit  Zusatz  von  Cachrys,  Polium  und  Melisso- 
phyllum  nimmt  man  sie  in  Wein  gegen  Spinnen-  und 
Schlangenbisse,  doch  nur  in  kleinen  Dosen,  weil  sonst 
Brechen  erfolgt;   aus  letzterm  Grunde  setzt  man  auch  bis- 


•)  Lavandula  Stoechas  L. 

2)  S.  XXI.  ß.  105.  Cap.     =*)  Smyrniura  perfoliatum  L, 


Siebenundzwanzigstes  Biicli.  427 

weilen  Raute  hinzu.  Der  Same  sowie  die  Wurzel  heilt 
Husten,  schweren  Athem,  Fehler  der  Brust,  Milz,  Nieren 
und  Blase;  die  Wurzel  noch  besonders  Brüche  und  Ver- 
renkungen, befördert  auch  die  Entbindung,  treibt  die  Nacli- 
geburt  ab,  befreiet  mit  Crethmum  und  Wein  vom  Hüftweh, 
erregt  Schweiss  und  Aufstossen,  vertreibt  die  Blähungen 
des  Magens,  und  vernarbt  die  Wunden.  Aus  der  Wurzel 
presst  man  auch  einen  Saft,  welcher  den  Frauen  bei  Brust- 
und  Herzbeschwerden  dienlich  ist,  denn  er  erwärmt,  zeitigt 
und  reinigt.  Wassersüchtigen  giebt  man  den  Samen  im 
Getränk;  mit  einem  daraus  bereiteten  Safte  macht  man 
ihnen  Umschläge  und  aus  der  trocknen  Rinde  ein  Pflaster. 
Audi  dient  er  mit  Meth,  Oel  und  Fischlake  als  Zuspeise, 
namentlich  bei  gesottenem  Fleisch.  —  Das  Sinura,')  eine 
im  Geschmacke  dem  Pfeffer  sehr  ähnliche  Pflanze,  befördert 
die  Verdauung  und  vertreibt  die  Schmerzen  im  Magen. 

110. 

Das  Telephiuni  ■-)  gleicht  in  Stengel  und  Blättern  dem 
Portulak;  es  treibt  aus  der  Wurzel  sieben  bis  acht  Stengel, 
hat  dicke,  fleischige  Blätter,  wächst  auf  cultivirtem  Boden 
und  namentlich  zwischen  den  Weinstöcken.  Man  legt  es 
auf  Sommersprossen  und  lässt  es  so  lange  darauf,  bis  es 
trocken  geworden  ist;  ferner  auf  Leberflecken  und  zwar 
fast  drei  Monate  hindurch  jeden  Tag  oder  jede  Nacht  sechs 
Stunden  lang,  und  nach  Verlauf  dieser  Zeit  setzt  man  noch 
Gerstenraehl  hinzu.  Auch  heilt  es  Wunden  und  Fistel- 
schäden. 

111. 

Das  Trichomanes  3)  gleicht  dem  Adiantum,  ist  aber 
kleiner  und  dunkler,  hat  dichtstehende  der  Linse  ähnliche, 
entgegengesetzte  und  bitter  schmeckende  Blätter.  Einen 
Absud  davon  giebt  man  mit  Zusatz  von  gemeinem  Kümmel 
in  weissem  Wein  gegen  Harnstrenge.    Auf  den  Kopf  gelegt 


')  Sison  Ammi  L. 

■-)  Telephium  impevati?  oder  Sedum  Telephiuni. 
Asplenium  Tiichomanes  L. 


428  Siebenundzwanzigstes  Buch. 

hindert  es  das  Ausfallen  der  Haare  oder  ruft  auf  den 
kahlen  Stellen  die  Haare  wieder  hervor;  zu  diesem  Zwecke 
versetzt  man  es  auch  mit  Oel.  Kauet  man  es,  so  muss 
man  niesen. 

112. 

Das  Thalictrum  1)  bat  corianderähnliche,  nur  etwas 
fleischigere  Blätter,  einen  dem  Mohne  ähnlichen  Stengel, 
wächst  tiberall,  besonders  auf  Feldern  und  seine  Blätter 
heilen  mit  Zusatz  von  Honig  Geschwüre. 

113. 

Vom  Thiaspi-)  giebt  es  zwei  Arten,  die  Blätter  sind, 
schmal,  von  der  Länge  und  Breite  eines  Fingers,  zur  Erde 
^»•ekehrt,  an  der  Spitze  getheilt,  der  Stengel  einen  halben 
Fuss  lang,  mit  einigen  Zweigen^)  versehen,  welche  wie 
kleine  Schilder  aussehen  und  linsenähnliche,  nur  etwas  ein- 
geknickte Samen  einschliesseu  (welch'  letzterer  Form  die 
Pflanze  ihren  Namen  verdankt),^)  weisse  Blumen,  wächst 
an  Wegen  und  Zäunen.  Die  Samen  schmecken  rauh  und 
führen,  zu  einem  Acetabulum  voll  genommen,  Galle  und 
Schleim  nach  oben  und  unten  ab.  Ein  Aufguss  davon  so 
lange  getrunken  bis  Blut  abgeht,  heilt  das  Hüftweh.  Er 
befördert  auch  den  Monatsfluss,  tödtet  aber  die  Leibes- 
frucht. Die  andere  Art,  von  Einigen  persischer  Senf 
genannt,  hat  breite  Blätter,  eine  grosse  Wurzel  und  wird 
ebenso  gegen  Hüftweh  angewandt.  Beide  Arten  dienen 
auch  für  die  Schaamtheile.  Wer  sie  einsammelt,  solle 
sagen,  er  wende  sie  für  die  Schaamtheile,  alle  Arten  Ge- 
schwulste und  Wunden  an,  und  sie  nur  mit  einer  Hand 
ausziehen. 

114. 

Was  die  Trachinia  für  eine  Pflanze  ist,  finde  ich 
nicht  näher  angegeben.  Auch  halte  ich  Democrit's  An- 
gabe für  in-ig;   er  stellt  nämlich    die   seltsame  Behauptung 


')  Thalictrum  flavuiii  L.     -)  Thiaspi  Bura  pastoris  L. 
3)  Diess  sind  die  Schoten.     "*)  i9^Aaw;  frango. 


Siebenundzwanzigstes  ßucih.  429 

auf,  wenn  man  diess  Kraut  sich  anbinde,  so  verginge  binnen 
drei  Tagen  die  Milz. 

115. 
Die  Tragonis  oder  das  Tragiuni')  findet  sieh  nur 
an  der  Küste  von  Greta  und  ähnelt  in  Blatt,  Zweigen  und 
Samen  dem  Juniperus.  Ihr  eingedickter  Milchsaft  oder  der 
Same  zieht  aufgelegt  die  im  Leibe  steckenden  Stacheln 
heraus;  den  Samen  stösst  man  zu  diesem  Beliufe  im  frischen 
Zustande  mit  Wein  oder  im  trocknen  mit  Honig  au.  Diese 
Pflanze  befördert  auch  die  Secretiou  der  Milch  uud  heilt 
kranke  Brüste  aufs  beste. 

11(3. 
Ein  anderes  Gewächs  ist  der  Tragus  oder  Scorpio;"^) 
er  wird  einen  halben  Fuss  hoch,  verbreitet  sich  strauch- 
artig, hat  keine  Blätter,  kleine  röthliche  Zweige,  weizen- 
ähnliche zugespitzte  Samen  und  wächst  am  Meere.  Zehn 
bis  zwölf  Zweigspitzen  verordnet  man  mit  Wein  gegen 
Darmgicht,  Dysenterie,  Blutspeien  und  zu  reichlichen 
Mouatsfluss. 

117. 
Der  Tragopogon,  auch  Coma^)  genannt,  hat  einen 
kleinen  Stengel,  safranähnliche  Blätter,  eine  lange,  süss 
schmeckende  Wurzel,  oben  auf  dem  Stengel  einen  grossen, 
schwarzen  Kelch,  wächst  auf  wüsten  Plätzen  und  wird  nicht 
benutzt. 

118. 
So  hätte  ich  denn  bis  hieher  Alles  mitgetheilt,  was  ich 
über  die  Kräuter  in  Erfahrung  bringen  konnte.  Zum 
Schlüsse  möchte  es  nicht  überflüssig  sein  zu  erinnern,  dass 
einige  ihre  Kräfte  längere  Zeit  behalten  als  andere. 
Am  längsten  wirksam  bleibt  das  Elaterium,  vierzig  Jahre 
lang  das  schwarze  Chamaeleon,  nicht  über  zwölf  Jahre 
lang  das  Centaurium  sechs  das  Peucedanum,  ein  Jahr 
lang    die  Aristolochia   und   wilde  Vitis   beim  Aufbewahren 

')  Origanum  Maru? 

■-)  Ephedra  distachyu  L.     *)  Tia^fopopron  porrifoliun  L. 


430  Siebenuiiilzw.aizigstes  Buch. 

im  Schatten.  Auch  rülirt  die  von  mir  genannten  Wurzeln 
kein  anderes  Thier  an  als  die  Spondyle,  eine  Art  Schlange, 
welche  allen  nachstellt. 

119. 

Ferner  ist  es  keinem  Zweifel  unterworfen,  dass  die 
Kräfte  und  Wirkungen  der  Wurzeln  in  dem  Grade,  als 
die  Früchte  in  der  Reife  fortschreiten,  abnehmen;  desgleichen 
die  der  Samen,  wenn  die  Wurzel  zur  Gewinnung  des 
Saftes  vorher  angeritzt  wird.  Die  Wirkungen  aller  Pflanzen 
werden  aber  durch  ihren  öftern  Gebrauch  vermindert,  und 
was  mau  täglich  anwendet,  hilft  weder  im  nöthigen  Falle, 
noch  schadet  es.  Alle  Pflanzen  sind  kräftiger,  wenn  sie 
an  kalten  und  gegen  Norden  gelegenen,  als  wenn  sie  an 
trocknen  Plätzen  stehen. 

120. 

i*sicht  geringer  ist  der  Unterschied  in  Bezug  auf  die 
verschiedenen  Völker;  ich  habe  z.  B.  gehört,  dass  die 
Darm-  und  Spuhlwürmer  bei  den  Aegyi)tern,  Arabern, 
Syriern  und  Ciliciern  endemisch  sind,  bei  den  Griechen 
und  Phrygiern  dagegen  in  der  Regel  nicht  vorkommen. 
Diess  ist  ebenso  merkwürdig  als  der  Umstand,  dass,  während 
sie  an  der  Grenze  von  Attica  und  Boeotien  bei  den  The- 
banern  sich  finden,  die  Athenienser  frei  davon  bleiben. 
Diese  Betrachtung  führt  mich  wiederum  zu  den  Thieren 
und  den  in  ihnen  enthaltenen,  ja  selbst  noch  zuverlässigem 
Arzneimitteln  für  alle  Krankheiten;  denn  die  Vorsehung 
hat  kein  Thier  nur  darum  erschaffen,  dass  es  sich  und 
andere  ernähre,  sondern  sie  hat  auch  seinen  Eiugeweiden 
und  selbst  unansehnlichen  Theilen  heilsame  Kräfte  v&v- 
liehen,  ja,  was  über  alle  Maassen  Bewunderung  verdient, 
sie  hat  die  Einrichtung  getroffen,  dass  die  besten  Hülfs- 
mittel  für  die  lebenden  Wesen  von  andern  lebenden  Wesen 
entnommen  werden  können. 


;w  ^ 


1 


vV^  '^ 


^J^: 


^